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+The Project Gutenberg EBook of Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
+other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
+whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
+the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
+www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have
+to check the laws of the country where you are located before using this ebook.
+
+Title: Miss Sara Sampson
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Posting Date: October 12, 2014 [EBook #9157]
+Release Date: October, 2005
+First Posted: September 9, 2003
+Last Updated: October 30, 2016
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON ***
+
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+
+Produced by Delphine Lettau, from files obtained from
+Gutenberg Projekt-DE.
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+
+
+Miß Sara Sampson
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen
+
+
+
+Personen:
+
+Sir William Sampson
+Miß Sara, dessen Tochter
+Mellefont
+Marwood, Mellefonts alte Geliebte
+Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter
+Waitwell, ein alter Diener des Sampson
+Norton, Bedienter des Mellefont
+Betty, Mädchen der Sara
+Hannah, Mädchen der Marwood
+Der Gastwirt und einige Nebenpersonen
+
+
+
+
+
+Erster Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe.
+
+
+Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein.
+
+Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?
+
+Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im
+ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen
+immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen,
+wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das
+Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.--Ach, Sie
+weinen schon wieder, schon wieder, Sir!--Sir!
+
+Sir William. Laß mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient
+sie etwa meine Tränen nicht?
+
+Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären.
+
+Sir William. Nun so laß mich.
+
+Waitwell. Das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der
+Sonne gelebt hat, das muß so verführt werden! Ach Sarchen! Sarchen!
+Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind
+auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Lächeln,
+dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die
+Morgenröte eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer--
+
+Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwärtige mein Herz
+schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an
+vergangne Glückseligkeiten noch höllischer machen? Ändre deine
+Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir
+aus meiner Zärtlichkeit ein Verbrechen; vergrößre das Vergehen meiner
+Tochter; erfülle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie;
+entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verführer;
+sage, daß Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehört
+hat, es zu sein; sage, daß sie mich nie geliebt, weil sie mich
+heimlich verlassen hat.
+
+Waitwell. Sagte ich das, so würde ich eine Lüge sagen, eine
+unverschämte, böse Lüge. Sie könnte mir auf dem Todbette wieder
+einfallen, und ich alter Bösewicht müßte in Verzweiflung sterben.--
+Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiß! gewiß! sie liebt
+ihn noch. Wenn Sie nur davon überzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich
+sie heute noch wieder in Ihren Armen.
+
+Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich überzeugt zu sein.
+Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters,
+und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft,
+wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler
+vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre
+Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als
+erzwungene Tugenden--Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn
+diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche
+Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben. Ich würde doch
+lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein
+wollen.
+
+Waitwell. Trocknen Sie Ihre Tränen ab, lieber Sir! Ich höre jemanden
+kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell.
+
+
+Der Wirt. So früh, meine Herren, so früh? Willkommen! willkommen,
+Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr,
+von dem du gestern mit mir gesprochen hast?
+
+Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, daß du abgeredetermaßen--
+
+Der Wirt. Gnädiger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt
+mir daran, ob ich es weiß oder nicht, was Sie für eine Ursache hierher
+führt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt
+sein Geld und läßt seine Gäste machen, was ihnen gutdünkt. Waitwell
+hat mir zwar gesagt, daß Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen
+Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhält, ein wenig
+beobachten wollen. Aber ich hoffe, daß Sie ihm keinen Verdruß
+verursachen werden. Sie würden mein Haus in einen übeln Ruf bringen,
+und gewisse Leute würden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner
+muß von allen Sorten Menschen leben.--
+
+Sir William. Besorget nichts; führt mich nur in das Zimmer, das
+Waitwell für mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen
+Absichten hierher.
+
+Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnädiger Herr! Die
+Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich hätte es, zum Exempel,
+längst erfahren können, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben
+wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, daß
+er mit dem Frauenzimmer muß durchgegangen sein. Das gute Weibchen,
+oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube
+eingeschlossen und weint.
+
+Sir William. Und weint?
+
+Der Wirt. Ja, und weint--Aber, gnädiger Herr, warum weinen Sie? Das
+Frauenzimmer muß Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht--
+
+Waitwell. Halt ihn nicht länger auf.
+
+Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer
+trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht--
+
+Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer--
+
+Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen.
+
+Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehörigen Ort, ehe noch
+das ganze Haus wach wird.
+
+Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnädiger Herr? (Geht ab.)
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer.
+
+
+Mellefont und hernach sein Bedienter.
+
+Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die
+ich auf der Folter nicht grausamer hätte zubringen können!--Norton!--
+Ich muß nur machen, daß ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich
+mit meinen Gedanken länger allein: sie möchten mich zu weit führen.--
+He, Norton! Er schläft noch. Aber bin ich nicht grausam, daß ich den
+armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie glücklich ist er!--Doch ich
+will nicht, daß ein Mensch um mich glücklich sei.--Norton!
+
+Norton (kommend). Mein Herr!
+
+Mellefont. Kleide mich an!--O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn
+ich werde länger schlafen können, so erlaube ich dir, daß du auch
+länger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen
+willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir.
+
+Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiß besser,
+wo das Mitleiden hingehört.
+
+Mellefont. Und wohin denn?
+
+Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts.
+
+Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen
+aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiß es, wer dein Mitleiden
+erschöpft.--Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren.
+Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem
+Herzen, aber--verfluche auch dich.
+
+Norton. Auch mich?
+
+Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht
+tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht
+hast.
+
+Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was?
+
+Mellefont. Dadurch, daß du dazu geschwiegen.
+
+Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften würde mir
+ein Wort den Hals gekostet haben.--Und dazu, als ich Sie kennenlernte,
+fand ich Sie nicht schon so arg, daß alle Hoffnung zur Beßrung
+vergebens war? Was für ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten
+Augenblicke an führen sehen! In der nichtswürdigsten Gesellschaft von
+Spielern und Landstreichern--ich nenne sie, was sie waren, und kehre
+mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht--in solcher
+Gesellschaft brachten Sie ein Vermögen durch, das Ihnen den Weg zu den
+größten Ehrenstellen hätte bahnen können. Und Ihr strafbarer Umgang
+mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der bösen Marwood--
+
+Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war
+Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermögen; gut.
+Die Strafe kömmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und
+Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte
+Weibsbilder; laß es sein. Ich ward öfter verführt, als ich verführte;
+und die ich selbst verführte, wollten verführt sein.--Aber--ich hatte
+noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch
+keine Unschuld in ein unabsehliches Unglück gestürzt. Ich hatte noch
+keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie
+gezwungen, einem Nichtswürdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr
+sein eigen war. Ich hatte--Wer kömmt schon so früh zu mir?
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Betty. Mellefont. Norton.
+
+
+Norton. Es ist Betty.
+
+Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fräulein?
+
+Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach
+Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie
+schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muß das für ein
+Schlaf gewesen sein! Plötzlich fuhr sie in die Höhe, sprang auf und
+fiel mir als eine Unglückliche in die Arme, die von einem Mörder
+verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiß floß ihr über das
+erblaßte Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat
+mir bis an den Morgen nur mit stummen Tränen geantwortet. Endlich hat
+sie mich einmal über das andre an Ihre Türe geschickt, zu hören, ob
+Sie schon auf wären. Sie will Sie sprechen. Sie allein können sie
+trösten. Tun Sie es doch, liebster gnädiger Herr, tun Sie es doch.
+Das Herz muß mir springen, wenn sie sich so zu ängstigen fortfährt.
+
+Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, daß ich den Augenblick bei ihr sein
+wolle--
+
+Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen.
+
+Mellefont. Nun so sage ihr, daß ich sie erwarte--Ach!--
+
+(Betty geht ab.)
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Mellefont. Norton.
+
+
+Norton. Gott, die arme Miß!
+
+Mellefont. Wessen Gefühl willst du durch deine Ausrufung rege machen?
+Sieh, da läuft die erste Träne, die ich seit meiner Kindheit geweinet,
+die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende
+Betrübte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?--Doch wo
+soll sie ihn sonst suchen?--Ich muß mich fassen. (Indem er sich die
+Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein
+schönes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin,
+durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?--Nun wird sie
+kommen und wird unwiderstehliche Tränen weinen. Verwirrt, beschämt
+werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Sünder werde ich vor
+ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen?
+
+Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird.
+
+Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit
+Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne
+unser äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden
+kann.
+
+Norton. So machen Sie denn, daß Sie es verlassen. Warum zaudern wir?
+Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern?
+Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft
+sein. Vielleicht, daß ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt;
+daß sie einen Teil desselben zurückläßt, und in einem andern Lande--
+
+Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie kömmt. Wie schlägt
+mir das Herz--
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Norton.
+
+
+Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht
+gehabt, liebste Miß--
+
+Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre--
+
+Mellefont (zum Bedienten). Verlaß uns!
+
+Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir
+gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde.
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Sara. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miß. Sie müssen sich setzen.
+
+Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie
+mir es vergeben, daß ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange?
+
+Mellefont. Teuerste Miß, Sie wollen sagen, daß Sie mir es nicht
+vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne daß
+ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe.
+
+Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen
+bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte
+Woche fängt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf
+eben dem Fuße als den ersten Tag.
+
+Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe?
+
+Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu
+sehr, zu sehr, als daß ich mir selbst diese letzte, einzige Versüßung
+desselben rauben sollte.
+
+Mellefont. Wie kann also meine Miß über die Verschiebung einer
+Zeremonie unruhig sein?
+
+Sara. Ach, Mellefont, warum muß ich einen andern Begriff von dieser
+Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart
+etwas nach. Ich stelle mir vor, daß eine nähere Einwilligung des
+Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den
+gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die
+Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das
+erstemal, für Früchte meines Mißtrauens angesehen haben. Ich stritt
+mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben;
+aber mein Herz und ein inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame
+Gebäude von Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten
+mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu
+quälen, verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder
+schwärmten um mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten--
+
+Mellefont. Wie? Meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr
+halten? Träume, liebste Miß, Träume!--Wie unglücklich ist der Mensch!
+Fand sein Schöpfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen für
+ihn genug? Mußte er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich
+von Einbildungen in ihm schaffen?
+
+Sara. Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in
+unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn
+diese unsern Pflichten und der Tugend gemäß sind, so dienen die sie
+begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres
+Vergnügens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der
+von einem Friedensboten im Namen der ewigen Güte auf uns gelegt wird,
+kann meine zerrüttete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an,
+mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun
+werden? Erbarmen Sie sich meiner, und überlegen Sie, daß, wenn Sie
+mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese
+eingebildete Qualen doch Qualen und für die, die sie empfindet,
+wirkliche Qualen sind.--Ach, könnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die
+Schrecken meiner vorigen Nacht erzählen, als ich sie gefühlt habe!--
+Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank
+ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur
+wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tränen zu sammeln. Aber
+noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem
+schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir
+her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ängstlichen Schritten, die
+dann und wann ein Blick stärkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen.
+Schnell hörte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir
+stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann
+ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedächtnis
+ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!--
+Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost für seine Sara!--
+Hören Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme
+umsehen wollte, gleitete mein Fuß; ich wankte und sollte eben in den
+Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer
+mir ähnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den
+feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich
+rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der
+bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend
+fühlte ich noch alles, was ein tödlicher Stich Schmerzhaftes haben
+kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muß: das Ende der
+Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen.
+
+Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer
+Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiß auch das Ende des
+meinigen sein würde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines
+sinnlosen Traumes.
+
+Sara. Die Kraft, es vergessen zu können, erwarte ich von Ihnen. Es
+sei Liebe oder Verführung, es sei Glück oder Unglück, das mich Ihnen
+in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und
+werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes
+Richters, der die geringsten Übertretungen seiner Ordnung zu strafen
+gedrohet hat--
+
+Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein!
+
+Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen
+Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres
+Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre
+verlustig gemacht hätte, würde vielleicht durch ein gesetzmäßiges Band
+nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich,
+Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner
+Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen
+nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen
+verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf
+mich nehmen, als ob ich es nicht wäre. Sie sollen mich, wenn Sie
+nicht wollen, für Ihre Gattin nicht erklären dürfen; Sie sollen mich
+erklären können, für was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht
+führen; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es für
+gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in
+den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines
+Gewissens daraus zu ziehen.
+
+Mellefont. Halten Sie ein, Miß, oder ich muß vor Ihren Augen des
+Todes sein. Wie elend bin ich, daß ich nicht das Herz habe, Sie noch
+elender zu machen!--Bedenken Sie, daß Sie sich meiner Führung
+überlassen haben; bedenken Sie, daß ich schuldig bin, für uns weiter
+hinauszusehen, und daß ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein muß, wenn
+ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere
+Klagen will führen hören. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen
+zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt?
+
+Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein
+gewisses Vermächtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Güter retten
+und mich vielleicht ewige darüber verscherzen lassen.
+
+Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Güter so gewiß wären,
+als Ihrer Tugend die ewigen sind--
+
+Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang
+es mir süße, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin!
+
+Mellefont. Wie? muß der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler
+begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, daß er eine
+ganze Reihe unsträflicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch
+tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerfließet,
+wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises
+Wesen unsere Pflichten nach unsern Kräften abgemessen; so ist die Lust,
+uns strafen zu können, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich
+erschrecke vor allen den gräßlichen Folgerungen, in welche Sie Ihre
+Kleinmut verwickeln muß! Nein, Miß, Sie sind noch die tugendhafte
+Sara, die Sie vor meiner unglücklichen Bekanntschaft waren. Wenn Sie
+sich selbst mit so grausamen Augen ansehen, mit was für Augen müssen
+Sie mich betrachten!
+
+Sara. Mit den Augen der Liebe, Mellefont.
+
+Mellefont. So bitte ich Sie denn um dieser Liebe, um dieser
+großmütigen, alle meine Unwürdigkeit übersehenden Liebe willen, zu
+Ihren Füßen bitte ich Sie: beruhigen Sie sich. Haben Sie nur noch
+einige Tage Geduld.
+
+Sara. Einige Tage! Wie ist ein Tag schon so lang!
+
+Mellefont. Verwünschtes Vermächtnis! Verdammter Unsinn eines
+sterbenden Vetters, der mir sein Vermögen nur mit der Bedingung lassen
+wollte, einer Anverwandtin die Hand zu geben, die mich ebensosehr haßt
+als ich sie! Euch, unmenschliche Tyrannen unserer freien Neigungen,
+Euch werde alle das Unglück, alle die Sünde zugerechnet, zu welchen
+uns Euer Zwang bringet!--Und wenn ich ihrer nur entübriget sein könnte,
+dieser schimpflichen Erbschaft! Solange mein väterliches Vermögen zu
+meiner Unterhaltung hinreichte, habe ich sie allezeit verschmähet und
+sie nicht einmal gewürdiget, mich darüber zu erklären. Aber itzt,
+itzt, da ich alle Schätze der Welt nur darum besitzen möchte, um sie
+zu den Füßen meiner Sara legen zu können, itzt, da ich wenigstens
+darauf denken muß, sie ihrem Stande gemäß in der Welt erscheinen zu
+lassen, itzt muß ich meine Zuflucht dahin nehmen.
+
+Sara. Mit der es Ihnen zuletzt doch wohl noch fehlschlägt.
+
+Mellefont. Sie vermuten immer das Schlimmste.--Nein; das Frauenzimmer,
+die es mit betrifft, ist nicht ungeneigt, eine Art von Vergleich
+einzugehen. Das Vermögen soll geteilt werden; und da sie es nicht
+ganz mit mir genießen kann, so ist sie es zufrieden, daß ich mit der
+Hälfte meine Freiheit von ihr erkaufen darf. Ich erwarte alle Stunden
+die letzten Nachrichten in dieser Sache, deren Verzögerung allein
+unsern hiesigen Aufenthalt so langwierig gemacht hat. Sobald ich sie
+bekommen habe, wollen wir keinen Augenblick länger hier verweilen.
+Wir wollen sogleich, liebste Miß, nach Frankreich übergehen, wo Sie
+neue Freunde finden sollen, die sich itzt schon auf das Vergnügen, Sie
+zu sehen und Sie zu lieben, freuen. Und diese neuen Freunde sollen
+die Zeugen unserer Verbindung sein--
+
+Sara. Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein?--Grausamer!
+so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? So
+soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin verlassen? Und als eine
+solche, glauben Sie, würde ich Mut genug haben, mich der See zu
+vertrauen? Dessen Herz muß ruhiger oder muß ruchloser sein als meines,
+welcher nur einen Augenblick zwischen sich und dem Verderben mit
+Gleichgültigkeit nichts als ein schwankendes Brett sehen kann. In
+jeder Welle, die an unser Schiff schlüge, würde mir der Tod
+entgegenrauschen; jeder Wind würde mir von den väterlichen Küsten
+Verwünschungen nachbrausen, und der kleinste Sturm würde mich ein
+Blutgericht über mein Haupt zu sein dünken.--Nein, Mellefont, so ein
+Barbar können Sie gegen mich nicht sein. Wenn ich noch das Ende Ihres
+Vergleichs erlebe, so muß es Ihnen auf einen Tag nicht ankommen, den
+wir hier länger zubringen. Es muß dieses der Tag sein, an dem Sie
+mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren. Es muß
+dieses der heilige Tag sein--Ach! welcher wird es denn endlich sein?
+
+Mellefont. Aber überlegen Sie denn nicht, Miß, daß unserer Verbindung
+hier diejenige Feier fehlen würde, die wir ihr zu geben schuldig sind?
+
+
+Sara. Eine heilige Handlung wird durch das Feierliche nicht kräftiger.
+
+
+Mellefont. Allein--
+
+Sara. Ich erstaune. Sie wollen doch wohl nicht auf einem so
+nichtigen Vorwande bestehen? O Mellefont, Mellefont! wenn ich mir es
+nicht zum unverbrüchlichsten Gesetze gemacht hätte, niemals an der
+Aufrichtigkeit Ihrer Liebe zu zweifeln, so würde mir dieser Umstand--
+Doch schon zuviel; es möchte scheinen, als hätte ich eben itzt daran
+gezweifelt.
+
+Mellefont. Der erste Augenblick Ihres Zweifels müsse der letzte
+meines Lebens sein! Ach, Sara, womit habe ich es verdient, daß Sie
+mir auch nur die Möglichkeit desselben voraussehen lassen? Es ist
+wahr, die Geständnisse, die ich Ihnen von meinen ehemaligen
+Ausschweifungen abzulegen kein Bedenken getragen habe, können mir
+keine Ehre machen: aber Vertrauen sollten sie mir doch erwecken. Eine
+buhlerische Marwood führte mich in ihren Stricken, weil ich das für
+sie empfand, was so oft für Liebe gehalten wird und es doch so selten
+ist. Ich würde noch ihre schimpflichen Fesseln tragen, hätte sich
+nicht der Himmel meiner erbarmt, der vielleicht mein Herz nicht für
+ganz unwürdig erkannte, von bessern Flammen zu brennen. Sie, liebste
+Sara, sehen und alle Marwoods vergessen, war eins. Aber wie teuer kam
+es Ihnen zu stehen, mich aus solchen Händen zu erhalten! Ich war mit
+dem Laster zu vertraut geworden, und Sie kannten es zu wenig--
+
+Sara. Lassen Sie uns nicht mehr daran gedenken--
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Norton. Mellefont. Sara.
+
+
+Mellefont. Was willst du?
+
+Norton. Ich stand eben vor dem Hause, als mir ein Bedienter diesen
+Brief in die Hand gab. Die Aufschrift ist an Sie, mein Herr.
+
+Mellefont. An mich? Wer weiß hier meinen Namen? (Indem er den Brief
+betrachtet.) Himmel!
+
+Sara. Sie erschrecken?
+
+Mellefont. Aber ohne Ursache, Miß, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte
+mich in der Hand.
+
+Sara. Möchte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es
+wünschen können.
+
+Mellefont. Ich vermute, daß er sehr gleichgültig sein wird.
+
+Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist.
+Erlauben Sie, daß ich mich wieder in mein Zimmer begebe.
+
+Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken?
+
+Sara. Ich mache mir keine, Mellefont.
+
+Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den
+Augenblick bei Ihnen sein, liebste Miß.
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+Mellefont. Norton.
+
+
+Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott!
+
+Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist!
+
+Mellefont. Kann es möglich sein? Ich sehe diese verruchte Hand
+wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es
+nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von
+der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt
+verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt,
+daß wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht
+nötig; vielleicht haben meine verächtlichen Abschiedsbriefe die
+Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen.
+Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun.
+
+Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den
+längsten Brief geschrieben hätte, Mellefont, wenn Sie den Namen, den
+Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung
+würdigen wollen--"
+
+Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Daß ich ihn nie gehört hätte!
+Daß er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt würde!
+
+Norton (liest weiter). "Die Mühe, Sie auszuforschen, hat mir die
+Liebe, welche mir forschen half, versüßt."
+
+Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der
+Tugend geweiht sind!
+
+Norton (fährt fort). "Sie hat noch mehr getan--"
+
+Mellefont. Ich bebe--
+
+Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--"
+
+Mellefont. Verräter, was liest du? (Er reißt ihm den Brief aus der
+Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin
+hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir
+mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was für ein
+Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie
+mit dem Leben büßen.
+
+Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie
+liegen wieder zu ihren Füßen. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie müssen
+sie nicht sprechen, oder das Unglück Ihrer armen Miß ist vollkommen.
+
+Mellefont. Ich Unglücklicher!--Nein, ich muß sie sprechen. Sie würde
+mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese
+Unschuldige auslassen.
+
+Norton. Aber, mein Herr--
+
+Mellefont. Sage nichts!--Laß sehen, (indem er in den Brief sieht) ob
+sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, führe mich.
+
+(Sie gehen ab.)
+
+(Ende des ersten Aufzugs.)
+
+
+
+
+
+Zweiter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern
+Gasthofe.
+
+
+Marwood im Negligé. Hannah.
+
+Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingehändiget, Hannah?
+
+Hannah. Richtig.
+
+Marwood. Ihm selbst?
+
+Hannah. Seinem Bedienten.
+
+Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er für Wirkung haben wird.--
+Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich bin es auch.--
+Der Verräter! Doch gemach! Zornig muß ich durchaus nicht werden.
+Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn
+brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne.
+
+Hannah. Wenn er sich aber dagegen verhärten sollte?--
+
+Marwood. Wenn er sich dagegen verhärten sollte? So werde ich nicht
+zürnen--ich werde rasen. Ich fühle es, Hannah; und wollte es lieber
+schon itzt.
+
+Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen.
+
+
+Marwood. Wo er nur gar kömmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat,
+mich festes Fußes bei sich zu erwarten!--Aber weißt du, Hannah, worauf
+ich noch meine meiste Hoffnung gründe, den Ungetreuen von dem neuen
+Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella.
+
+Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall,
+sie mitzunehmen, hätte nicht glücklicher sein können.
+
+Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub
+ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riß
+das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm
+eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben
+könne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte,
+itzt nicht anders als durch List wiederbekommen können; er hatte auf
+mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht
+ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und
+sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht
+vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er
+zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren
+Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen
+ihren Reizen, bis zum Überdrusse, gesättiget hat.
+
+Hannah. Welcher Undank!
+
+Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach
+sich als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre. Warum habe
+ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefälligkeiten? Hätte ich es
+nicht voraussehen sollen, daß sie ihren Wert nicht immer bei ihm
+behalten könnten? Daß ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses
+beruhe und daß er mit derjenigen Anmut verschwinden müsse, welche die
+Hand der Zeit unmerklich, aber gewiß, aus unsern Gesichtern verlöscht?
+
+
+Hannah. O, Madam, von dieser gefährlichen Hand haben Sie noch lange
+nichts zu befürchten. Ich finde, daß Ihre Schönheit den Punkt ihrer
+prächtigsten Blüte so wenig überschritten hat, daß sie vielmehr erst
+darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln würde, wenn Sie
+ihr nur Vollmacht dazu geben wollten.
+
+Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit,
+die mir alle Schmeichelei verdächtig macht. Es ist Unsinn, von neuen
+Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kräfte genug hat, sich
+im Besitze der schon gemachten zu erhalten.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Ein Bedienter. Marwood. Hannah.
+
+
+Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen.
+
+Marwood. Wer?
+
+Der Bediente. Ich vermute, daß es ebender Herr ist, an welchen der
+vorige Brief überschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm,
+der mir ihn abgenommen hat.
+
+Marwood. Mellefont!--Geschwind, führe ihn herauf! (Der Bediente geht
+ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was
+soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig
+genug? Sieh doch!
+
+Hannah. Nichts weniger als ruhig.
+
+Marwood. Aber diese?
+
+Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut.
+
+Marwood. Etwa so?
+
+Hannah. Zu traurig!
+
+Marwood. Sollte mir dieses Lächeln lassen?
+
+Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er kömmt.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood. Hannah.
+
+
+Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood--
+
+Marwood (die ihm mit offnen Armen lächelnd entgegenrennt). Ach
+Mellefont--
+
+Mellefont (beiseite). Die Mörderin, was für ein Blick!
+
+Marwood. Ich muß Sie umarmen, treuloser, lieber Flüchtling!--Teilen
+Sie doch meine Freude!--Warum entreißen Sie sich meinen Liebkosungen?
+
+Mellefont. Marwood, ich vermutete, daß Sie mich anders empfangen
+würden.
+
+Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr
+Entzücken? Ach, ich Unglückliche, daß ich weniger ausdrücken kann,
+als ich fühle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, daß auch die Freude
+ihre Tränen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der süßesten Wollust!--
+Aber ach, verlorne Tränen! seine Hand trocknet euch nicht ab.
+
+Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden
+bezaubert hätten. Sie müssen itzt in einem andern Tone mit mir
+sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwürfe anzuhören und darauf
+zu antworten.
+
+Marwood. Vorwürfe? Was hätte ich Ihnen für Vorwürfe zu machen,
+Mellefont? Keine.
+
+Mellefont. So hätten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen
+können.
+
+Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit
+Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in
+ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze
+Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet,
+verdient diese Vorwürfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darüber scherzen.
+
+
+Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es
+jemals an allen unsern Liebeshändeln gehabt hat, auf die ich itzt
+nicht ohne Abscheu zurücksehen kann.
+
+Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Närrchen. Es läßt sich
+alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfällt. Glauben
+Sie mir doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste,
+das getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel Mühe geben, es zu
+behalten?
+
+Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich
+Ihnen.
+
+Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch.
+
+Mellefont. Marwood, wenn ich wüßte, daß Sie auch nur noch eine Faser
+davon besäßen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus
+meinem Leibe reißen.
+
+Marwood. Sie würden sehen, daß Sie meines zugleich herausrissen. Und
+dann, dann würden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der
+Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben.
+
+Mellefont (beiseite). Was für eine Schlange! Hier wird das beste
+sein zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir
+nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es
+nur ohne dieses Lächeln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine
+ganze Hölle von Verführung schreckt.
+
+Marwood (vertraulich). Höre nur, mein lieber Mellefont; ich merke
+wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack
+sind itzt deine Tyrannen. Laß es gut sein; man muß sie austoben
+lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am
+sichersten eingeschläfert und endlich gar überwunden, wenn man ihnen
+freies Feld läßt. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir
+nachsagen, kleiner Flattergeist, daß ich jemals eifersüchtig gewesen
+wäre, wenn stärkere Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang
+abspenstig machten? Ich gönnte dir ja allezeit diese Veränderung, bei
+der ich immer mehr gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer,
+mit neuer Inbrunst in meine Arme zurück, in die ich dich nur als in
+leichte Bande und nie als in schwere Fesseln schloß. Bin ich nicht
+oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu
+vertrauen hattest als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um
+sie gegen andre zu verschwenden? Warum glaubst du denn, daß ich itzt
+einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen würde, zu welchem ich
+nun eben berechtiget zu sein aufhöre, oder--vielleicht schon aufgehört
+habe? Wenn deine Hitze gegen das schöne Landmädchen noch nicht
+verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen
+sie bist; wenn du ihren Genuß noch nicht entbehren kannst: wer hindert
+dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest?
+Mußt du deswegen so unbesonnene Anschläge machen und mit ihr aus dem
+Reiche fliehen wollen?
+
+Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemäß,
+dessen Häßlichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem
+Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust
+unterscheiden gelernt.
+
+Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein
+Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen müßt
+doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die
+schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns
+gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend
+reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das
+Schlimmste aber ist, daß ihr das eine sowohl als das andre überdrüssig
+werdet. Wir mögen närrisch oder vernünftig, weltlich oder geistlich
+gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch beständig zu machen,
+einmal wie das andre. Du wirst an deine schöne Heilige die Reihe Zeit
+genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Überschlag machen?
+Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geb ich
+noch zwei, aufs längste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich
+geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage
+wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du
+dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so
+wirst du dich zu der äußersten Gleichgültigkeit so schnell gebracht
+sehen, daß ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veränderung
+rechnen darf--Das wäre nun ungefähr ein Monat. Und diesen Monat,
+Mellefont, will ich dir noch mit dem größten Vergnügen nachsehen; nur
+wirst du erlauben, daß ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf.
+
+
+Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit
+welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein.
+Ein tugendhafter Entschluß sichert mich gegen Ihre Zärtlichkeit und
+gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht länger
+aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als
+daß Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die
+Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei
+vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem
+Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen
+lassen.
+
+Marwood. Gut, daß Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von
+wem hatten Sie ihn schreiben lassen?
+
+Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben?
+
+Marwood. Unmöglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich
+weiß nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen
+verschwendet haben, mußte ein Gastwirt, sowie den übrigen
+theologischen Rest ein Quäker geschrieben haben. Demungeachtet will
+ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt
+anbelangt, so wissen Sie wohl, daß alle die Geschenke, welche Sie mir
+gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen
+nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es
+wieder in diejenigen Hände zu liefern, die mir es anvertrauet hatten.
+
+Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood.
+
+Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was hätte ich ohne Ihre
+Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so
+müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich für
+keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von
+wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie
+sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne
+meine Bekanntschaft geblieben wären; und vielleicht auch nicht.
+
+Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet
+itzt aus Ihnen! Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht.
+
+Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig.
+Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, daß Sie mir diese
+Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet
+mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen
+wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen
+andern Sinn als diesen haben könnte: "Marwood, ich hielt Euch für eine
+niederträchtige Betrügerin; ich bedanke Mich, daß Ihr es wenigstens
+gegen mich nicht sein wollt."
+
+Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern
+in einen Streit von Großmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am
+ungernsten unterliegen möchte.
+
+Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr
+Andenken bei mir erneuern könnte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne
+Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu
+machen. Ich will Ihnen in der unglücklichen Marwood nichts als eine
+Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen für Sie
+aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich
+sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und liebte;
+an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu meinen
+Füßen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von
+Gegenliebe, die Sie mir auspreßten; an die zärtlichen Blicke, an die
+feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte Stillschweigen,
+wenn wir mit beschäftigten Sinnen einer des andern geheimste Regungen
+errieten und in den schmachtenden Augen die verborgensten Gedanken der
+Seele lasen; an das zitternde Erwarten der nahenden Wollust; an die
+Trunkenheit ihrer Freuden; an das süße Erstarren nach der Fülle des
+Genusses, in welchem sich die ermatteten Geister zu neuen Entzückungen
+erholten. An alles dieses will ich Sie erinnern und dann Ihre Knie
+umfassen und nicht aufhören, um das einzige Geschenk zu bitten, das
+Sie mir nicht versagen können und ich, ohne zu erröten, annehmen darf,--
+um den Tod von Ihren Händen.
+
+Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben für Sie
+hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen
+Sie weiter keinen Anspruch. Ich muß Sie verlassen, Marwood, oder mich
+zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon strafbar, daß
+ich nur hier stehe und Sie anhöre. Leben Sie wohl! leben Sie wohl!
+
+Marwood (die ihn zurückhält). Sie müssen mich verlassen? Und was
+wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr
+Geschöpf; tun Sie also, was einem Schöpfer zukömmt; er darf die Hand
+von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gänzlich vernichten
+will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach.
+Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf
+einmal mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat.
+
+(Hannah geht ab.)
+
+Mellefont. Was für einen Vorsprecher, Marwood?
+
+Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern
+beraubet hätten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kürzern Wege
+zu Ihrem Herzen bringen--
+
+Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht--
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood.
+
+
+Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich
+unterstehen können--
+
+Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm; sieh
+hier deinen Beschützer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das Herz
+mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschützer, als dein
+Freund sein kann.
+
+Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier
+ergehen?
+
+Arabella (indem sie ihm furchtsam näher tritt). Ach, mein Herr! Sind
+Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.-
+-Würde er mich nicht ansehen, wenn er es wäre? Würde er mich nicht in
+seine Arme schließen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglückliches
+Kind! Womit hätte ich ihn denn erzürnt, diesen Mann, diesen liebsten
+Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen?
+
+Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie gönnen der Unschuldigen
+keinen Blick?
+
+Mellefont. Ach!--
+
+Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Können wir ihm nicht
+helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm
+seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er
+sieht gen Himmel! Was wünscht er? Was bittet er vom Himmel? Möchte
+er ihm doch alles gewähren, wenn er mir auch alles dafür versagte!
+
+Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Füßen. Er will uns
+verlassen; er will uns auf ewig verlassen.
+
+Arabella (die vor ihm niederfällt). Hier liege ich schon. Sie uns
+verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine
+kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermißt haben? Wir sollen Sie
+wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, daß Sie uns liebten.
+Verläßt man denn die, die man liebt? So muß ich Sie wohl nicht lieben;
+denn ich wünschte, Sie nie zu verlassen. Nie, und will Sie auch nie
+verlassen.
+
+Marwood. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch mir--
+Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Füßen--
+
+Mellefont (hält sie zurück, indem sie sich niederwerfen will).
+Marwood, gefährliche Marwood--Und auch du, meine liebste Bella (hebt
+sie auf), auch du bist wider deinen Mellefont?
+
+Arabella. Ich wider Sie?
+
+Marwood. Was beschließen Sie, Mellefont?
+
+Mellefont. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte.
+
+Marwood (die ihn umarmt). Ach, ich weiß es ja, daß die Redlichkeit
+Ihres Herzens allezeit über den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat.
+
+
+Mellefont. Bestürmen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie
+aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verführer, ein Räuber, ein
+Mörder.
+
+Marwood. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und
+hernach werden Sie erkennen, daß ich Sie abgehalten habe, es wirklich
+zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurück.
+
+Arabella (schmeichelnd). O ja! tun Sie dieses.
+
+Mellefont. Mit euch zurückkehren? Kann ich denn?
+
+Marwood. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen.
+
+Mellefont. Und meine Miß--
+
+Marwood. Und Ihre Miß mag sehen, wo sie bleibt!--
+
+Mellefont. Ha! barbarische Marwood, diese Rede ließ mich bis auf den
+Grund Ihres Herzens sehen--Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder
+in mich?
+
+Marwood. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen hätten, so
+würden Sie entdeckt haben, daß es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miß
+fühlt als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist
+ein eigennütziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben überhaupt diesen
+Liebeshandel viel zu weit getrieben. Daß Sie, als ein Mann, der bei
+einem langen Umgange mit unserm Geschlechte in der Kunst zu verführen
+ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre
+Überlegenheit an Verstellung und Erfahrung zunutze machten und nicht
+eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das möchte noch
+hingehen; Sie können sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft
+entschuldigen. Allein, daß Sie einem alten Vater sein einziges Kind
+raubten; daß Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu
+seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; daß Sie Ihrer Lust
+wegen die stärksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das
+können Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder
+gut, soweit es möglich ist, ihn gutzumachen. Geben Sie dem weinenden
+Alter seine Stütze wieder, und schicken Sie eine leichtgläubige
+Tochter in ihr Haus zurück, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft
+haben, nicht auch öde machen müssen.
+
+Mellefont. Das fehlte noch, daß Sie auch mein Gewissen wider mich zu
+Hilfe riefen! Aber gesetzt, es wäre billig, was Sie sagen; müßte ich
+nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der unglücklichen Miß
+selbst vorschlagen sollte?
+
+Marwood. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, daß ich schon im voraus
+bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. Sobald ich
+Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der
+Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darüber ganz
+außer sich gewesen und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen.
+Ich wundre mich, daß er noch nicht hier ist.
+
+Mellefont. Was sagen Sie?
+
+Marwood. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft und lassen sich gegen
+die Miß nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht länger
+aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie möchte Verdacht bekommen.
+Doch versprech ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen.
+
+Mellefont. O Marwood, mit was für Gesinnungen kam ich zu Ihnen und
+mit welchen muß ich Sie verlassen! Einen Kuß, meine liebe Bella--
+
+Arabella. Der war für Sie; aber nun einen für mich. Kommen Sie nur
+ja bald wieder; ich bitte.
+
+(Mellefont geht ab.)
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Marwood. Arabella. Hannah.
+
+
+Marwood (nachdem sie tief Atem geholt). Sieg! Hannah! aber ein
+saurer Sieg!--Gib mir einen Stuhl; ich fühle mich ganz abgemattet--
+(Sie setzt sich.) Eben war es die höchste Zeit, als er sich ergab;
+noch einen Augenblick hätte er anstehen dürfen, so würde ich ihm eine
+ganz andre Marwood gezeigt haben.
+
+Hannah. Ach, Madam, was sind Sie für eine Frau! Den möchte ich doch
+sehn, der Ihnen widerstehen könnte.
+
+Marwood. Er hat mir schon zu lange widerstanden. Und gewiß, gewiß,
+ich will es ihm nicht vergeben, daß ich ihm fast zu Fuße gefallen wäre.
+
+
+Arabella. O nein! Sie müssen ihm alles vergeben. Er ist ja so gut,
+so gut--
+
+Marwood. Schweig, kleine Närrin!
+
+Hannah. Auf welcher Seite wußten Sie ihn nicht zu fassen! Aber
+nichts, glaube ich, rührte ihn mehr als die Uneigennützigkeit, mit
+welcher Sie sich erboten, alle von ihm erhaltenen Geschenke
+zurückzugeben.
+
+Marwood. Ich glaube es auch. Ha! ha! (Verächtlich.)
+
+Hannah. Warum lachen Sie, Madam? Wenn es nicht Ihr Ernst war, so
+wagten Sie in der Tat sehr viel. Gesetzt, er hätte Sie bei Ihrem
+Worte gefaßt?
+
+Marwood. O geh! man muß wissen, wen man vor sich hat.
+
+Hannah. Nun, das gesteh ich! Aber auch Sie, meine schöne Bella,
+haben Ihre Sache vortrefflich gemacht; vortrefflich!
+
+Arabella. Warum das? Konnte ich sie denn anders machen? Ich hatte
+ihn ja so lange nicht gesehen. Sie sind doch nicht böse, Madam, daß
+ich ihn so lieb habe? Ich habe Sie so lieb wie ihn; ebenso lieb.
+
+Marwood. Schon gut; dasmal will ich dir verzeihen, daß du mich nicht
+lieber hast als ihn.
+
+Arabella. Dasmal? (Schluchzend.)
+
+Marwood. Du weinst ja wohl gar? Warum denn?
+
+Arabella. Ach nein! ich weine nicht. Werden Sie nur nicht
+ungehalten. Ich will Sie ja gern alle beide so lieb, so lieb haben,
+daß ich unmöglich weder Sie noch ihn lieber haben kann.
+
+Marwood. Je nun ja!
+
+Arabella. Ich bin recht unglücklich--
+
+Marwood. Sei doch nur stille--Aber was ist das?
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Mellefont. Marwood. Arabella. Hannah.
+
+
+Marwood. Warum kommen Sie schon wieder, Mellefont? (Sie steht auf.)
+
+Mellefont (hitzig,). Weil ich mehr nicht als einige Augenblicke nötig
+hatte, wieder zu mir selbst zu kommen.
+
+Marwood. Nun?
+
+Mellefont. Ich war betäubt, Marwood, aber nicht bewegt. Sie haben
+alle Ihre Mühe verloren; eine andre Luft als diese ansteckende Luft
+Ihres Zimmers gab mir Mut und Kräfte wieder, meinen Fuß aus dieser
+gefährlichen Schlinge noch zeitig genug zu ziehen. Waren mir
+Nichtswürdigem die Ränke einer Marwood noch nicht bekannt genug?
+
+Marwood (hastig). Was ist das wieder für eine Sprache?
+
+Mellefont. Die Sprache der Wahrheit und des Unwillens.
+
+Marwood. Nur gemach, Mellefont, oder auch ich werde diese Sprache
+sprechen.
+
+Mellefont. Ich komme nur zurück, Sie keinen Augenblick länger in
+einem Irrtume von mir stecken zu lassen, der mich, selbst in Ihren
+Augen, verächtlich machen muß.
+
+Arabella (furchtsam). Ach! Hannah--
+
+Mellefont. Sehen Sie mich nur so wütend an, als Sie wollen. Je
+wütender, je besser. War es möglich, daß ich zwischen einer Marwood
+und einer Sara nur einen Augenblick unentschlüssig bleiben konnte?
+Und daß ich mich fast für die erstere entschlossen hätte?
+
+Arabella. Ach Mellefont!--
+
+Mellefont. Zittern Sie nicht, Bella. Auch für Sie bin ich mit
+zurückgekommen. Geben Sie mir die Hand, und folgen Sie mir nur
+getrost.
+
+Marwood (die beide zurückhält). Wem soll sie folgen, Verräter?
+
+Mellefont. Ihrem Vater.
+
+Marwood. Geh, Elender; und lern erst ihre Mutter kennen.
+
+Mellefont. Ich kenne sie. Sie ist die Schande ihres Geschlechts--
+
+Marwood. Führe sie weg, Hannah!
+
+Mellefont. Bleiben Sie, Bella. (Indem er sie zurückhalten will.)
+
+Marwood. Nur keine Gewalt, Mellefont, oder--
+
+(Hannah und Arabella gehen ab.)
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood.
+
+
+Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie
+fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern?
+
+Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, daß ich mich hier
+erinnere, daß den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert
+wurden.
+
+Marwood (spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen
+aus.
+
+Mellefont. So sage ich ihnen, daß ich fest entschlossen bin, nie
+wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer
+sind Sie? und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige,
+schändliche Buhlerin, die sich itzt kaum mehr muß erinnern können,
+einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts
+vorzuwerfen, als daß ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich
+vielleicht die ganze Welt hätten genießen lassen. Sie haben mich
+gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiß, wer Marwood ist, so
+kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein
+Vermögen, meine Ehre, mein Glück--
+
+Marwood. Und so wollte ich, daß sie dir auch deine Seligkeit kosten
+müßte! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen
+zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk
+sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann
+und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht
+preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die
+Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage
+ich? kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinst, das
+weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen
+Wert und kann vollkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer
+ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennenlernte; genug, daß ich in
+den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich
+nur hat sie es erfahren, daß ich es nicht sei; durch meine
+Bereitwilligkeit bloß, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine
+Hand anzunehmen.
+
+Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige.
+
+
+Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen
+du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredt, daß du
+dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer
+Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuß du mit niemand als mit mir
+teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für
+eine andre als für mich zu entsagen?
+
+Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, daß
+diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich
+also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und
+lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin genießen.
+
+Marwood. Ha! nun seh ich's, was dich eigentlich so trotzig macht.
+Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf,
+daß ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was
+ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein--Du wirst mich
+verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken
+meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine
+Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!
+
+Mellefont (erschrocken). Marwood--
+
+Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weißt, so sieh sie
+gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift
+und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein
+Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will
+ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte
+jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren
+und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied,
+Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das Kleinste derselben auch
+da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon
+nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich--ich werde
+wenigstens dabei empfinden, wie süß die Rache sei!
+
+Mellefont. Sie rasen, Marwood--
+
+Marwood. Du erinnerst mich, daß ich nicht gegen den Rechten rase.
+Der Vater muß voran! Er muß schon in jener Welt sein, wenn der Geist
+seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht.--(Sie geht mit
+einem Dolche, den sie aus dem Busen reißt, auf ihn los.) Drum stirb,
+Verräter!
+
+Mellefont (der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreißt).
+Unsinniges Weibsbild!--Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu
+kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand
+aufgehoben sein!
+
+Marwood (mit gerungenen Händen). Himmel, was habe ich getan?
+Mellefont--
+
+Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiß es doch
+wohl, was dich reuet; nicht daß du den Stoß tun wollen, sondern daß du
+ihn nicht tun können.
+
+Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! geben Sie
+mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er
+geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem
+Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.
+
+Mellefont. Hannah!--
+
+Marwood. Was wollen Sie tun, Mellefont?
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Hannah (erschrocken). Marwood. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Hast du es gehört, Hannah, welche Furie deine Gebieterin
+ist? Wisse, daß ich Arabellen von deinen Händen fodern werde.
+
+Hannah. Ach Madam, wie sind Sie außer sich!
+
+Mellefont. Ich will das unschuldige Kind bald in völlige Sicherheit
+bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die
+mördrischen Hände schon zu binden wissen. (Er will gehen.)
+
+Marwood. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, daß die Heftigkeit
+meines Schmerzes mich des Verstandes nicht mächtig ließ? Wer bringt
+mich zu so unnatürlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst?
+Wo kann Bella sicherer sein als bei mir? Mein Mund tobet wider sie,
+und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont!
+vergessen Sie meine Raserei und denken zu ihrer Entschuldigung nur
+an die Ursache derselben.
+
+Mellefont. Es ist nur ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu
+vergessen.
+
+Marwood. Welches?
+
+Mellefont. Wenn Sie den Augenblick nach London zurückkehren.
+Arabellen will ich in einer andern Begleitung wieder dahin bringen
+lassen. Sie müssen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben.
+
+Marwood. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte
+gewähren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal
+sehen.
+
+Mellefont. Und wozu?
+
+Marwood. Um in ihren Blicken mein ganzes künftiges Schicksal zu lesen.
+Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir
+begehen, würdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal
+einen Anteil an Ihrer Liebe wiederzubekommen.
+
+Mellefont. Nichtige Hoffnung!
+
+Marwood. Wer ist so grausam, daß er einer Elenden auch nicht einmal
+die Hoffnung gönnen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood,
+sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei
+ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und
+ich verspreche Ihnen bei allem, was heilig ist, ihr nicht das
+geringste Anstößige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab;
+denn sonst möchte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren
+Gestalt vor ihr zu erscheinen.
+
+Mellefont. Diese Bitte, Marwood (nachdem er einen Augenblick
+nachgedacht)--könnte ich Ihnen gewähren. Wollen Sie aber auch alsdann
+gewiß diesen Ort verlassen?
+
+Marwood. Gewiß; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo
+nur noch einige Möglichkeit ist, von dem Überfalle ihres Vaters
+befreien.
+
+Mellefont. Dieses haben Sie nicht nötig. Ich hoffe, daß er auch mich
+in die Verzeihung mit einschließen wird, die er seiner Tochter
+widerfahren läßt. Will er aber dieser nicht verzeihen, so werde ich
+auch wissen, wie ich ihm begegnen soll.--Ich gehe, Sie bei meiner Miß
+zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! (Geht ab.)
+
+Marwood. Ach, Hannah! daß unsere Kräfte nicht so groß sind als
+unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht
+auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm!
+
+(Ende des zweiten Aufzugs.)
+
+
+
+
+
+Dritter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Ein Saal im erstern Gasthofe.
+
+
+Sir William Sampson. Waitwell.
+
+Sir William. Hier, Waitwell, bringt ihr diesen Brief. Es ist der
+Brief eines zärtlichen Vaters, der sich über nichts als über ihre
+Abwesenheit beklaget. Sag ihr, daß ich dich damit vorweggeschickt und
+daß ich nur noch ihre Antwort erwarten wolle, ehe ich selbst käme, sie
+wieder in meine Arme zu schließen.
+
+Waitwell. Ich glaube, Sie tun recht wohl, daß Sie Ihre Zusammenkunft
+auf diese Art vorbereiten.
+
+Sir William. Ich werde ihrer Gesinnungen dadurch gewiß und mache ihr
+Gelegenheit, alles, was ihr die Reue Klägliches und Errötendes
+eingeben könnte, schon ausgeschüttet zu haben, ehe sie mündlich mit
+mir spricht. Es wird ihr in einem Briefe weniger Verwirrung und mir
+vielleicht weniger Tränen kosten.
+
+Waitwell. Darf ich aber fragen, Sir, was Sie in Ansehung Mellefonts
+beschlossen haben?
+
+Sir William. Ach! Waitwell, wenn ich ihn von dem Geliebten meiner
+Tochter trennen könnte, so würde ich etwas sehr Hartes wider ihn
+beschließen. Aber da dieses nicht angeht, so siehst du wohl, daß er
+gegen meinen Unwillen gesichert ist. Ich habe selbst den größten
+Fehler bei diesem Unglücke begangen. Ohne mich würde Sara diesen
+gefährlichen Mann nicht haben kennenlernen. Ich verstattete ihm wegen
+einer Verbindlichkeit, die ich gegen ihn zu haben glaubte, einen allzu
+freien Zutritt in meinem Hause. Es war natürlich, daß ihm die
+dankbare Aufmerksamkeit, die ich für ihn bezeigte, auch die Achtung
+meiner Tochter zuziehen mußte. Und es war ebenso natürlich, daß sich
+ein Mensch von seiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten ließ,
+sie zu etwas Höherm zu treiben. Er hatte Geschicklichkeit genug
+gehabt, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte
+und ehe ich noch Zeit hatte, mich nach seiner übrigen Lebensart zu
+erkundigen. Das Unglück war geschehen, und ich hätte wohlgetan, wenn
+ich ihnen nur gleich alles vergeben hätte. Ich wollte unerbittlich
+gegen ihn sein und überlegte nicht, daß ich es gegen ihn nicht allein
+sein könnte. Wenn ich meine zu späte Strenge erspart hätte, so würde
+ich wenigstens ihre Flucht verhindert haben.--Da bin ich nun, Waitwell!
+Ich muß sie selbst zurückholen und mich noch glücklich schätzen,
+wenn ich aus dem Verführer nur meinen Sohn machen kann. Denn wer weiß,
+ob er seine Marwoods und seine übrigen Kreaturen eines Mädchens wegen
+wird aufgeben wollen, das seinen Begierden nichts mehr zu verlangen
+übriggelassen hat und die fesselnden Künste einer Buhlerin so wenig
+versteht?
+
+Waitwell. Nun, Sir, das ist wohl nicht möglich, daß ein Mensch so gar
+böse sein könnte.--
+
+Sir William. Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre.
+Aber warum ist es gleichwohl wahr, daß sich die Grenzen der
+menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?--Geh nur jetzt und
+tue, was ich dir gesagt habe. Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie
+meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann
+sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das
+eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele
+in ihrem Gesichte lesen. Laß dir ja keinen Zug entgehen, der etwa
+eine Gleichgültigkeit gegen mich, eine Verschmähung ihres Vaters,
+anzeigen könnte. Denn wenn du diese unglückliche Entdeckung machen
+solltest und wenn sie mich nicht mehr liebt: so hoffe ich, daß ich
+mich endlich werde überwinden können, sie ihrem Schicksale zu
+überlassen. Ich hoffe es, Waitwell--Ach! wenn nur hier kein Herz
+schlüge, das dieser Hoffnung widerspricht.
+
+(Sie gehen beide auf verschiedenen Seiten ab.)
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Das Zimmer der Sara.
+
+
+Miß Sara. Mellefont.
+
+Mellefont. Ich habe unrecht getan, liebste Miß, daß ich Sie wegen des
+vorigen Briefes in einer kleinen Unruhe ließ.
+
+Sara. Nein doch, Mellefont; ich bin deswegen ganz und gar nicht
+unruhig gewesen. Könnten Sie mich denn nicht lieben, wenn Sie gleich
+noch Geheimnisse vor mir hätten?
+
+Mellefont. Sie glauben also doch, daß es ein Geheimnis gewesen sei?
+
+Sara. Aber keines, das mich angeht. Und das muß mir genug sein.
+
+Mellefont. Sie sind allzu gefällig. Doch erlauben Sie mir, daß ich
+Ihnen dieses Geheimnis gleichwohl entdecke. Es waren einige Zeilen
+von einer Anverwandten, die meinen hiesigen Aufenthalt erfahren hat.
+Sie geht auf ihrer Reise nach London hier durch und will mich sprechen.
+Sie hat zugleich um die Ehre ersucht, Ihnen ihre Aufwartung machen
+zu dürfen.
+
+Sara. Es wird mir allezeit angenehm sein, Mellefont, die würdigen
+Personen Ihrer Familie kennenzulernen. Aber überlegen Sie es selbst,
+ob ich schon, ohne zu erröten, einer derselben unter die Augen sehen
+darf.
+
+Mellefont. Ohne zu erröten? Und worüber? Darüber, daß Sie mich
+lieben? Es ist wahr, Miß, Sie hätten Ihre Liebe einem Edlern, einem
+Reichern schenken können. Sie müssen sich schämen, daß Sie Ihr Herz
+nur um ein Herz haben geben wollen und daß Sie bei diesem Tausche Ihr
+Glück so weit aus den Augen gesetzt.
+
+Sara. Sie werden es selbst wissen, wie falsch Sie meine Worte
+erklären.
+
+Mellefont. Erlauben Sie, Miß; wenn ich sie falsch erkläre, so können
+sie gar keine Bedeutung haben.
+
+Sara. Wie heißt Ihre Anverwandte?
+
+Mellefont. Es ist--Lady Solmes. Sie werden den Namen von mir schon
+gehört haben.
+
+Sara. Ich kann mich nicht erinnern.
+
+Mellefont. Darf ich bitten, daß Sie ihren Besuch annehmen wollen?
+
+Sara. Bitten, Mellefont? Sie können mir es ja befehlen.
+
+Mellefont. Was für ein Wort!--Nein, Miß, sie soll das Glück nicht
+haben, Sie zu sehen. Sie wird es bedauern; aber sie muß es sich
+gefallen lassen. Miß Sara hat ihre Ursachen, die ich, auch ohne sie
+zu wissen, verehre.
+
+Sara. Mein Gott! wie schnell sind Sie, Mellefont! Ich werde die
+Lady erwarten und mich der Ehre ihres Besuchs, soviel möglich, würdig
+zu erzeigen suchen. Sind Sie zufrieden?
+
+Mellefont. Ach, Miß, lassen Sie mich meinen Ehrgeiz gestehen. Ich
+möchte gern gegen die ganze Welt mit Ihnen prahlen. Und wenn ich auf
+den Besitz einer solchen Person nicht eitel wäre, so würde ich mir
+selbst vorwerfen, daß ich den Wert derselben nicht zu schätzen wüßte.
+Ich gehe und bringe die Lady sogleich zu Ihnen. (Gehet ab.)
+
+Sara (allein). Wenn es nur keine von den stolzen Weibern ist, die,
+voll von ihrer Tugend, über alle Schwachheiten erhaben zu sein glauben.
+Sie machen uns mit einem einzigen verächtlichen Blicke den Prozeß,
+und ein zweideutiges Achselzucken ist das ganze Mitleiden, das wir
+ihnen zu verdienen scheinen.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Waitwell. Sara.
+
+
+Betty (zwischen der Szene). Nur hier herein, wenn Er selbst mit ihr
+sprechen muß.
+
+Sara (die sich umsieht). Wer muß selbst mit mir sprechen?--Wen seh
+ich? Ist es möglich? Waitwell, dich?
+
+Waitwell. Was für ein glücklicher Mann bin ich, daß ich endlich
+unsere Miß Sara wiedersehe!
+
+Sara. Gott! was bringst du? Ich hör es schon, ich hör es schon, du
+bringst mir die Nachricht von dem Tode meines Vaters! Er ist hin, der
+vortrefflichste Mann, der beste Vater! Er ist hin, und ich, ich bin
+die Elende, die seinen Tod beschleuniget hat.
+
+Waitwell. Ach! Miß--
+
+Sara. Sage mir, geschwind sage mir, daß die letzten Augenblicke
+seines Lebens ihm durch mein Andenken nicht schwerer wurden; daß er
+mich vergessen hatte; daß er ebenso ruhig starb, als er sich sonst in
+meinen Armen zu sterben versprach; daß er sich meiner auch nicht
+einmal in seinem letzten Gebete erinnerte--
+
+Waitwell. Hören Sie doch auf, sich mit so falschen Vorstellungen zu
+plagen! Er lebt ja noch, Ihr Vater; er lebt ja noch, der
+rechtschaffne Sir William.
+
+Sara. Lebt er noch? Ist es wahr, lebt er noch? Oh! daß er noch
+lange leben und glücklich leben möge! Oh! daß ihm Gott die Hälfte
+meiner Jahre zulegen wolle! Die Hälfte?--Ich Undankbare, wenn ich ihm
+nicht mit allen, soviel mir deren bestimmt sind, auch nur einige
+Augenblicke zu erkaufen bereit bin! Aber nun sage mir wenigstens,
+Waitwell, daß es ihm nicht hart fällt, ohne mich zu leben; daß es ihm
+leicht geworden ist, eine Tochter aufzugeben, die ihre Tugend so
+leicht aufgeben können; daß ihn meine Flucht erzürnet, aber nicht
+gekränkt hat; daß er mich verwünschet, aber nicht bedauert.
+
+Waitwell. Ach, Sir William ist noch immer der zärtliche Vater, so wie
+sein Sarchen noch immer die zärtliche Tochter ist, die sie beide
+gewesen sind.
+
+Sara. Was sagst du? Du bist ein Bote des Unglücks, des
+schrecklichsten Unglücks unter allen, die mir meine feindselige
+Einbildung jemals vorgestellet hat! Er ist noch der zärtliche Vater?
+So liebt er mich ja noch? So muß er mich ja beklagen? Nein, nein,
+das tut er nicht; das kann er nicht tun! Siehst du denn nicht, wie
+unendlich jeder Seufzer, den er um mich verlöre, meine Verbrechen
+vergrößern würde? Müßte mir nicht die Gerechtigkeit des Himmels jede
+seiner Tränen, die ich ihm auspreßte, so anrechnen, als ob ich bei
+jeder derselben mein Laster und meinen Undank wiederholte? Ich
+erstarre über diesen Gedanken. Tränen koste ich ihm? Tränen? Und es
+sind andre Tränen als Tränen der Freude?--Widersprich mir doch,
+Waitwell! Aufs höchste hat er einige leichte Regungen des Bluts für
+mich gefühlet; einige von den geschwind überhin gehenden Regungen,
+welche die kleinste Anstrengung der Vernunft besänftiget. Zu Tränen
+hat er es nicht kommen lassen. Nicht wahr, Waitwell, zu Tränen hat er
+es nicht kommen lassen?
+
+Waitwell (indem er sich die Augen wischt). Nein, Miß, dazu hat er es
+nicht kommen lassen.
+
+Sara. Ach! dein Mund sagt nein; und deine eignen Tränen sagen ja.
+
+Waitwell. Nehmen Sie diesen Brief, Miß; er ist von ihm selbst.
+
+Sara. Von wem? von meinem Vater? an mich?
+
+Waitwell. Ja, nehmen Sie ihn nur; Sie werden mehr daraus sehen können,
+als ich zu sagen vermag. Er hätte einem andern als mir dieses
+Geschäft auftragen sollen. Ich versprach mir Freude davon; aber Sie
+verwandeln mir diese Freude in Betrübnis.
+
+Sara. Gib nur, ehrlicher Waitwell!--Doch nein, ich will ihn nicht
+eher nehmen, als bis du mir sagst, was ungefähr darin enthalten ist.
+
+Waitwell. Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung.
+
+Sara. Liebe? Vergebung?
+
+Waitwell. Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, daß er die Rechte
+der väterlichen Gewalt gegen ein Kind brauchen wollen, für welches nur
+die Vorrechte der väterlichen Huld sind.
+
+Sara. So behalte nur deinen grausamen Brief!
+
+Waitwell. Grausamen? fürchten Sie nichts; Sie erhalten völlige
+Freiheit über Ihr Herz und Ihre Hand.
+
+Sara. Und das ist es eben, was ich fürchte. Einen Vater, wie ihn, zu
+betrüben: dazu habe ich noch den Mut gehabt. Allein ihn durch eben
+diese Betrübnis, ihn durch seine Liebe, der ich entsagt, dahin
+gebracht zu sehen, daß er sich alles gefallen läßt, wozu mich eine
+unglückliche Leidenschaft verleitet: das, Waitwell, das würde ich
+nicht ausstehen. Wenn sein Brief alles enthielte, was ein
+aufgebrachter Vater in solchem Falle Heftiges und Hartes vorbringen
+kann, so würde ich ihn zwar mit Schaudern lesen, aber ich würde ihn
+doch lesen können. Ich würde gegen seinen Zorn noch einen Schatten
+von Verteidigung aufzubringen wissen, um ihn durch diese Verteidigung,
+wo möglich, noch zorniger zu machen. Meine Beruhigung wäre alsdann
+diese, daß bei einem gewaltsamen Zorne kein wehmütiger Gram Raum haben
+könne und daß sich jener endlich glücklich in eine bittere Verachtung
+gegen mich verwandeln werde. Wen man aber verachtet, um den bekümmert
+man sich nicht mehr. Mein Vater wäre wieder ruhig, und ich dürfte mir
+nicht vorwerfen, ihn auf immer unglücklich gemacht zu haben.
+
+Waitwell. Ach! Miß, Sie werden sich diesen Vorwurf noch weniger
+machen dürfen, wenn Sie jetzt seine Liebe wieder ergreifen, die ja
+alles vergessen will.
+
+Sara. Du irrst dich, Waitwell. Sein sehnliches Verlangen nach mir
+verführt ihn vielleicht, zu allem ja zu sagen. Kaum aber würde dieses
+Verlangen ein wenig beruhiget sein, so würde er sich seiner Schwäche
+wegen vor sich selbst schämen. Ein finsterer Unwille würde sich
+seiner bemeistern, und er würde mich nie ansehen können, ohne mich
+heimlich anzuklagen, wieviel ich ihm abzutrotzen mich unterstanden
+habe. Ja, wenn es in meinem Vermögen stünde, ihm bei der äußersten
+Gewalt, die er sich meinetwegen antut, das Bitterste zu ersparen; wenn
+in dem Augenblicke, da er mir alles erlauben wollte, ich ihm alles
+aufopfern könnte: so wäre es ganz etwas anders. Ich wollte den Brief
+mit Vergnügen von deinen Händen nehmen, die Stärke der väterlichen
+Liebe darin bewundern und, ohne sie zu mißbrauchen, mich als eine
+reuende und gehorsame Tochter zu seinen Füßen werfen. Aber kann ich
+das? Ich würde es tun müssen, was er mir erlaubte, ohne mich daran zu
+kehren, wie teuer ihm diese Erlaubnis zu stehen komme. Und wenn ich
+dann am vergnügtesten darüber sein wollte, würde es mir plötzlich
+einfallen, daß er mein Vergnügen äußerlich nur zu teilen scheine und
+in sich selbst vielleicht seufze; kurz, daß er mich mit Entsagung
+seiner eignen Glückseligkeit glücklich gemacht habe--Und es auf diese
+Art zu sein wünschen, trauest du mir das wohl zu, Waitwell?
+
+Waitwell. Gewiß, ich weiß nicht, was ich hierauf antworten soll.
+
+Sara. Es ist nichts darauf zu antworten. Bringe deinen Brief also
+nur wieder zurück. Wenn mein Vater durch mich unglücklich sein muß,
+so will ich selbst auch unglücklich bleiben. Ganz allein ohne ihn
+unglücklich zu sein, das ist es, was ich jetzt stündlich von dem
+Himmel bitte; glücklich aber ohne ihn ganz allein zu sein, davon will
+ich durchaus nichts wissen.
+
+Waitwell (etwas beiseite). Ich glaube wahrhaftig, ich werde das gute
+Kind hintergehen müssen, damit es den Brief doch nur lieset.
+
+Sara. Was sprichst du da für dich?
+
+Waitwell. Ich sage mir selbst, daß ich einen sehr ungeschickten
+Einfall gehabt hätte, Sie, Miß, zur Lesung des Briefes desto
+geschwinder zu vermögen.
+
+Sara. Wieso?
+
+Waitwell. Ich konnte so weit nicht denken. Sie überlegen freilich
+alles genauer, als es unsereiner kann. Ich wollte Sie nicht
+erschrecken; der Brief ist vielleicht nur allzu hart; und wenn ich
+gesagt habe, daß nichts als Liebe und Vergebung darin enthalten sei,
+so hätte ich sagen sollen, daß ich nichts als dieses darin enthalten
+zu sein wünschte.
+
+Sara. Ist das wahr?--Nun, so gib mir ihn her. Ich will ihn lesen.
+Wenn man den Zorn eines Vaters unglücklicherweise verdient hat, so muß
+man wenigstens gegen diesen väterlichen Zorn so viel Achtung haben,
+daß er ihn nach allen Gefallen gegen uns auslassen kann. Ihn zu
+vereiteln suchen, heißt Beleidigungen mit Geringschätzung häufen. Ich
+werde ihn nach aller seiner Stärke empfinden. Du siehst, ich zittre
+schon--Aber ich soll auch zittern; und ich will lieber zittern als
+weinen.--(Sie erbricht den Brief.) Nun ist er erbrochen! Ich bebe--
+Aber was seh ich? (Sie lieset.) "Einzige, geliebteste Tochter!"--Ha!
+du alter Betrüger, ist das die Anrede eines zornigen Vaters? Geh,
+weiter werde ich nicht lesen--
+
+Waitwell. Ach, Miß, verzeihen Sie doch einem alten Knechte. Ja gewiß,
+ich glaube, es ist in meinem Leben das erstemal, daß ich mit Vorsatz
+betrogen habe. Wer einmal betrügt, Miß, und aus einer so guten
+Absicht betrügt, der ist ja deswegen noch kein alter Betrüger. Das
+geht mir nahe, Miß. Ich weiß wohl, die gute Absicht entschuldigt
+nicht immer; aber was konnte ich denn tun? Einem so guten Vater
+seinen Brief ungelesen wiederzubringen? Das kann ich nimmermehr.
+Eher will ich gehen, soweit mich meine alten Beine tragen, und ihm nie
+wieder vor die Augen kommen.
+
+Sara. Wie? auch du willst ihn verlassen?
+
+Waitwell. Werde ich denn nicht müssen, wenn Sie den Brief nicht
+lesen? Lesen Sie ihn doch immer. Lassen Sie doch immer den ersten
+vorsätzlichen Betrug, den ich mir vorzuwerfen habe, nicht ohne gute
+Wirkung bleiben. Sie werden ihn desto eher vergessen, und ich werde
+mir ihn desto eher vergeben können. Ich bin ein gemeiner, einfältiger
+Mann, der Ihnen Ihre Ursachen, warum Sie den Brief nicht lesen können
+oder wollen, freilich so muß gelten lassen. Ob sie wahr sind, weiß
+ich nicht; aber so recht natürlich scheinen sie mir wenigstens nicht.
+Ich dächte nun so, Miß: ein Vater, dächte ich, ist doch immer ein
+Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch
+ein gutes Kind. Wenn der Vater den Fehler verzeiht, so kann ja das
+Kind sich wohl wieder so aufführen, daß er auch gar nicht mehr daran
+denken darf. Und wer erinnert sich denn gern an etwas, wovon er
+lieber wünscht, es wäre gar nicht geschehen? Es ist, Miß, als ob Sie
+nur immer an Ihren Fehler dächten und glaubten, es wäre genug, wenn
+Sie den in Ihrer Einbildung vergrößerten und sich selbst mit solchen
+vergrößerten Vorstellungen marterten. Aber ich sollte meinen, Sie
+müßten auch daran denken, wie Sie das, was geschehen ist,
+wiedergutmachten. Und wie wollen Sie es denn wiedergutmachen, wenn
+Sie sich selbst alle Gelegenheit dazu benehmen? Kann es Ihnen denn
+sauer werden, den andern Schritt zu tun, wenn so ein lieber Vater
+schon den ersten getan hat?
+
+Sara. Was für Schwerter gehen aus deinem einfältigen Munde in mein
+Herz!--Eben das kann ich nicht aushalten, daß er den ersten Schritt
+tun muß. Und was willst du denn? Tut er denn nur den ersten Schritt?
+Er muß sie alle tun: ich kann ihm keinen entgegentun. So weit ich
+mich von ihm entfernet, so weit muß er sich zu mir herablassen. Wenn
+er mir vergibt, so muß er mein ganzes Verbrechen vergeben und sich
+noch dazu gefallen lassen, die Folgen desselben vor seinen Augen
+fortdauern zu sehen. Ist das von einem Vater zu verlangen?
+
+Waitwell. Ich weiß nicht, Miß, ob ich dieses so recht verstehe. Aber
+mich deucht, Sie wollen sagen, er müsse Ihnen gar zu viel vergeben,
+und weil ihm das nicht anders als sehr sauer werden könne, so machten
+Sie sich ein Gewissen, seine Vergebung anzunehmen. Wenn Sie das
+meinen, so sagen Sie mir doch, ist denn nicht das Vergeben für ein
+gutes Herz ein Vergnügen? Ich bin in meinem Leben so glücklich nicht
+gewesen, daß ich dieses Vergnügen oft empfunden hätte. Aber der
+wenigen Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer
+gern. Ich fühlte so etwas Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas
+Himmlisches dabei, daß ich mich nicht entbrechen konnte, an die große,
+unüberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen ganze
+Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwährendes Vergeben ist. Ich
+wünschte mir, alle Augenblicke verzeihen zu können, und schämte mich,
+daß ich nur solche Kleinigkeiten zu verzeihen hatte. Recht
+schmerzhafte Beleidigungen, recht tödliche Kränkungen zu vergeben,
+sagt' ich zu mir selbst, muß eine Wollust sein, in der die ganze Seele
+zerfließt--Und nun, Miß, wollen Sie denn so eine große Wollust Ihrem
+Vater nicht gönnen?
+
+Sara. Ach!--Rede weiter, Waitwell, rede weiter!
+
+Waitwell. Ich weiß wohl, es gibt eine Art von Leuten, die nichts
+ungerner als Vergebung annehmen, und zwar, weil sie keine zu erzeigen
+gelernt haben. Es sind stolze, unbiegsame Leute, die durchaus nicht
+gestehen wollen, daß sie unrecht getan. Aber von der Art, Miß, sind
+Sie nicht. Sie haben das liebreichste und zärtlichste Herz, das die
+beste Ihres Geschlechts nur haben kann. Ihren Fehler bekennen Sie
+auch. Woran liegt es denn nun also noch?--Doch verzeihen Sie mir nur,
+Miß, ich bin ein alter Plauderer und hätte es gleich merken sollen,
+daß Ihr Weigern nur eine rühmliche Besorgnis, nur eine tugendhafte
+Schüchternheit sei. Leute, die eine große Wohltat gleich ohne
+Bedenken annehmen können, sind der Wohltat selten würdig. Die sie am
+meisten verdienen, haben auch immer das meiste Mißtrauen gegen sich
+selbst. Doch muß das Mißtrauen nicht über sein Ziel getrieben werden.
+
+
+Sara. Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich überredet.
+
+Waitwell. Ach Gott! wenn ich so glücklich gewesen bin, so muß mir
+ein guter Geist haben reden helfen. Aber nein, Miß, meine Reden haben
+dabei nichts getan, als daß sie Ihnen Zeit gelassen, selbst
+nachzudenken und sich von einer so fröhlichen Bestürzung zu erholen.--
+Nicht wahr, nun werden Sie den Brief lesen? Oh! lesen Sie ihn doch
+gleich!
+
+Sara. Ich will es tun, Waitwell.--Welche Bisse, welche Schmerzen
+werde ich fühlen!
+
+Waitwell. Schmerzen, Miß, aber angenehme Schmerzen.
+
+Sara. Sei still! (Sie fängt an, für sich zu lesen.)
+
+Waitwell (beiseite). Oh! wenn er sie selbst sehen sollte!
+
+Sara (nachdem sie einige Augenblicke gelesen). Ach, Waitwell, was für
+ein Vater! Er nennt meine Flucht eine Abwesenheit. Wieviel
+sträflicher wird sie durch dieses gelinde Wort! (Sie lieset weiter
+und unterbricht sich wieder.) Höre doch! er schmeichelt sich, ich
+würde ihn noch lieben. Er schmeichelt sich! (Lieset und unterbricht
+sich.) Er bittet mich--Er bittet mich? Ein Vater seine Tochter?
+seine strafbare Tochter? Und was bittet er mich denn?--(Lieset für
+sich.) Er bittet mich, seine übereilte Strenge zu vergessen und ihn
+mit meiner Entfernung nicht länger zu strafen. Übereilte Strenge!--Zu
+strafen!--(Lieset wieder und unterbricht sich.) Noch mehr! Nun dankt
+er mir gar, und dankt mir, daß ich ihm Gelegenheit gegeben, den ganzen
+Umfang der väterlichen Liebe kennenzulernen. Unselige Gelegenheit!
+Wenn er doch nur auch sagte, daß sie ihm zugleich den ganzen Umfang
+des kindlichen Ungehorsams habe kennenlernen! (Sie lieset wieder.)
+Nein, er sagt es nicht! Er gedenkt meines Verbrechens nicht mit einem
+Buchstaben. (Sie fährt weiter fort, für sich zu lesen.) Er will
+kommen und seine Kinder selbst zurückholen. Seine Kinder, Waitwell!
+Das geht über alles!--Hab ich auch recht gelesen? (Sie lieset wieder
+für sich.)--Ich möchte vergehen! Er sagt, derjenige verdiene nur
+allzuwohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter haben könne.
+--Oh! hätte er sie nie gehabt, diese unglückliche Tochter!--Geh,
+Waitwell, laß mich allein! Er verlangt eine Antwort, und ich will sie
+sogleich machen. Frag in einer Stunde wieder nach. Ich danke dir
+unterdessen für deine Mühe. Du bist ein rechtschaffner Mann. Es sind
+wenig Diener die Freunde ihrer Herren!
+
+Waitwell. Beschämen Sie mich nicht, Miß. Wenn alle Herren Sir
+Williams wären, so müßten die Diener Unmenschen sein, wenn sie nicht
+ihr Leben für sie lassen wollten. (Geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+
+Sara (sie setzet sich zum Schreiben nieder). Wenn man mir es vor Jahr
+und Tag gesagt hätte, daß ich auf einen solchen Brief würde antworten
+müssen! Und unter solchen Umständen!--Ja, die Feder hab ich in der
+Hand.--Weiß ich aber auch schon, was ich schreiben soll? Was ich
+denke; was ich empfinde.--Und was denkt man denn, wenn sich in einem
+Augenblicke tausend Gedanken durchkreuzen? Und was empfindet man denn,
+wenn das Herz vor lauter Empfinden in einer tiefen Betäubung liegt?--
+Ich muß doch schreiben--Ich führe ja die Feder nicht das erstemal.
+Nachdem sie mir schon so manche kleine Dienste der Höflichkeit und
+Freundschaft abstatten helfen, sollte mir ihre Hilfe wohl bei dem
+wichtigsten Dienste entstehen?--(Sie denkt ein wenig nach und schreibt
+darauf einige Zeilen.) Das soll der Anfang sein? Ein sehr frostiger
+Anfang. Und werde ich denn bei seiner Liebe anfangen wollen? Ich muß
+bei meinem Verbrechen anfangen. (Sie streicht aus und schreibt anders.)
+Daß ich mich ja nicht zu obenhin davon ausdrücke!--Das Schämen kann
+überall an seiner rechten Stelle sein, nur bei dem Bekenntnisse
+unserer Fehler nicht. Ich darf mich nicht fürchten, in Übertreibungen
+zu geraten, wenn ich auch schon die gräßlichsten Züge anwende.--Ach!
+warum muß ich nun gestört werden?
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Marwood. Mellefont. Sara.
+
+
+Mellefont. Liebste Miß, ich habe die Ehre, Ihnen Lady Solmes
+vorzustellen, welche eine von denen Personen in meiner Familie ist,
+welchen ich mich am meisten verpflichtet erkenne.
+
+Marwood. Ich muß um Vergebung bitten, Miß, daß ich so frei bin, mich
+mit meinen eignen Augen von dem Glücke eines Vetters zu überführen,
+dem ich das vollkommenste Frauenzimmer wünschen würde, wenn mich nicht
+gleich der erste Anblick überzeugt hätte, daß er es in Ihnen bereits
+gefunden habe.
+
+Sara. Sie erzeigen mir allzuviel Ehre, Lady. Eine Schmeichelei wie
+diese würde mich zu allen Zeiten beschämt haben; itzt aber sollte ich
+sie fast für einen versteckten Vorwurf annehmen, wenn ich Lady Solmes
+nicht für viel zu großmütig hielte, ihre Überlegenheit an Tugend und
+Klugheit eine Unglückliche fühlen zu lassen.
+
+Marwood (kalt). Ich würde untröstlich sein, Miß, wenn Sie mir andre
+als die freundschaftlichsten Gesinnungen zutrauten.--(Beiseite.) Sie
+ist schön!
+
+Mellefont. Und wäre es denn auch möglich, Lady, gegen soviel
+Schönheit, gegen soviel Bescheidenheit gleichgültig zu bleiben? Man
+sagt zwar, daß einem reizenden Frauenzimmer selten von einem andern
+Gerechtigkeit erwiesen werde: allein dieses ist auf der einen Seite
+nur von denen, die auf ihre Vorzüge allzu eitel sind, und auf der
+andern nur von solchen zu verstehen, welche sich selbst keiner Vorzüge
+bewußt sind. Wie weit sind Sie beide von diesem Falle entfernt!--(Zur
+Marwood, welche in Gedanken steht.) Ist es nicht wahr, Lady, daß
+meine Liebe nichts weniger als parteiisch gewesen ist? Ist es nicht
+wahr, daß ich Ihnen zum Lobe meiner Miß viel, aber noch lange nicht so
+viel gesagt habe, als Sie selbst finden?--Aber warum so in Gedanken?--
+(Sachte zu ihr.) Sie vergessen, wer Sie sein wollen.
+
+Marwood. Darf ich es sagen?--Die Bewunderung Ihrer liebsten Miß
+führte mich auf die Betrachtung ihres Schicksals. Es ging mir nahe,
+daß sie die Früchte ihrer Liebe nicht in ihrem Vaterlande genießen
+soll. Ich erinnerte mich, daß sie einen Vater und, wie man mir gesagt
+hat, einen sehr zärtlichen Vater verlassen müßte, um die Ihrige sein
+zu können; und ich konnte mich nicht enthalten, ihre Aussöhnung mit
+ihm zu wünschen.
+
+Sara. Ach! Lady, wie sehr bin ich Ihnen für diesen Wunsch verbunden.
+Er verdient es, daß ich meine ganze Freude mit Ihnen teile. Sie
+können es noch nicht wissen, Mellefont, daß er erfüllt wurde, ehe Lady
+die Liebe für uns hatte, ihn zu tun.
+
+Mellefont. Wie verstehen Sie dieses, Miß?
+
+Marwood (beiseite). Was will das sagen?
+
+Sara. Eben itzt habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten.
+Waitwell brachte mir ihn. Ach, Mellefont, welch ein Brief!
+
+Mellefont. Geschwind reißen Sie mich aus meiner Ungewißheit. Was hab
+ich zu fürchten? Was habe ich zu hoffen? Ist er noch der Vater, den
+wir flohen? Und wenn er es noch ist, wird Sara die Tochter sein, die
+mich zärtlich genug liebt, um ihn noch weiter zu fliehen? Ach! hätte
+ich Ihnen gefolgt, liebste Miß, so wären wir jetzt durch ein Band
+verknüpft, das man aus eigensinnigen Absichten zu trennen wohl
+unterlassen müßte. In diesem Augenblick empfinde ich alles das
+Unglück, das unser entdeckter Aufenthalt für mich nach sich ziehen
+kann. Er wird kommen und Sie aus meinen Armen reißen. Wie hasse ich
+den Nichtswürdigen, der uns ihm verraten hat! (Mit einem zornigen
+Blick gegen die Marwood.)
+
+Sara. Liebster Mellefont, wie schmeichelhaft ist diese Ihre Unruhe
+für mich! Und wie glücklich sind wir beide, daß sie vergebens ist!
+Lesen Sie hier seinen Brief.--(Gegen die Marwood, indem Mellefont den
+Brief für sich lieset.) Lady, er wird über die Liebe meines Vaters
+erstaunen. Meines Vaters? Ach! er ist nun auch der seinige.
+
+Marwood (betroffen). Ist es möglich?
+
+Sara. Jawohl, Lady, haben Sie Ursache, diese Veränderung zu bewundern.
+Er vergibt uns alles; wir werden uns nun vor seinen Augen lieben; er
+erlaubt es uns; er befiehlt es uns.--Wie hat diese Gütigkeit meine
+ganze Seele durchdrungen!--Nun, Mellefont? (Der ihr den Brief
+wiedergibt.) Sie schweigen? O nein, diese Träne, die sich aus Ihrem
+Auge schleicht, sagt weit mehr, als Ihr Mund ausdrücken könnte.
+
+Marwood (beiseite). Wie sehr habe ich mir selbst geschadet! Ich
+Unvorsichtige!
+
+Sara. Oh! lassen Sie mich diese Träne von Ihrer Wange küssen!
+
+Mellefont. Ach Miß, warum haben wir so einen göttlichen Mann betrüben
+müssen? Jawohl, einen göttlichen Mann: denn was ist göttlicher als
+vergeben?--Hätten wir uns diesen glücklichen Ausgang nur als möglich
+vorstellen können: gewiß, so wollten wir ihn jetzt so gewaltsamen
+Mitteln nicht zu verdanken haben; wir wollten ihn allein unsern Bitten
+zu verdanken haben. Welche Glückseligkeit wartet auf mich! Wie
+schmerzlich wird mir aber auch die eigne Überzeugung sein, daß ich
+dieser Glückseligkeit so unwert bin!
+
+Marwood (beiseite). Und das muß ich mit anhören!
+
+Sara. Wie vollkommen rechtfertigen Sie durch solche Gesinnungen meine
+Liebe gegen Sie.
+
+Marwood (beiseite). Was für Zwang muß ich mir antun!
+
+Sara. Auch Sie, vortreffliche Lady, müssen den Brief meines Vaters
+lesen. Sie scheinen allzuviel Anteil an unserm Schicksale zu nehmen,
+als daß Ihnen sein Inhalt gleichgültig sein könnte.
+
+Marwood. Mir gleichgültig, Miß? (Sie nimmt den Brief.)
+
+Sara. Aber, Lady, Sie scheinen noch immer sehr nachdenkend, sehr
+traurig.--
+
+Marwood. Nachdenkend, Miß, aber nicht traurig.
+
+Mellefont (beiseite). Himmel! wo sie sich verrät!
+
+Sara. Und warum denn?
+
+Marwood. Ich zittere für Sie beide. Könnte die unvermutete Güte
+Ihres Vaters nicht eine Verstellung sein? eine List?
+
+Sara. Gewiß nicht, Lady, gewiß nicht. Lesen Sie nur, und Sie werden
+es selbst gestehen. Die Verstellung bleibt immer kalt, und eine so
+zärtliche Sprache ist in ihrem Vermögen nicht. (Marwood lieset für
+sich.) Werden Sie nicht argwöhnisch, Mellefont; ich bitte Sie. Ich
+stehe Ihnen dafür, daß mein Vater sich zu keiner List herablassen kann.
+Er sagt nichts, was er nicht denkt, und Falschheit ist ihm ein
+unbekanntes Laster.
+
+Mellefont. Oh! davon bin ich vollkommen überzeugt, liebste Miß.--Man
+muß der Lady den Verdacht vergeben, weil sie den Mann noch nicht kennt,
+den er trifft.
+
+Sara (indem ihr Marwood den Brief zurückgibt). Was seh ich, Lady?
+Sie haben sich entfärbt? Sie zittern? Was fehlt Ihnen?
+
+Mellefont (beiseite). In welcher Angst bin ich! Warum habe ich sie
+auch hergebracht?
+
+Marwood. Es ist nichts, Miß, als ein kleiner Schwindel, welcher
+vorübergehn wird. Die Nachtluft muß mir auf der Reise nicht bekommen
+sein.
+
+Mellefont. Sie erschrecken mich, Lady--ist es Ihnen nicht gefällig,
+frische Luft zu schöpfen? Man erholt sich in einem verschloßnen
+Zimmer nicht so leicht.
+
+Marwood. Wenn Sie meinen, so reichen Sie mir Ihren Arm.
+
+Sara. Ich werde Sie begleiten, Lady.
+
+Marwood. Ich verbitte diese Höflichkeit, Miß. Meine Schwachheit wird
+ohne Folgen sein.
+
+Sara. So hoffe ich denn, Lady bald wiederzusehen.
+
+Marwood. Wenn Sie erlauben, Miß--
+
+(Mellefont führt sie ab.)
+
+Sara (allein). Die arme Lady!--Sie scheinet die freundschaftlichste
+Person zwar nicht zu sein; aber mürrisch und stolz scheinet sie doch
+auch nicht.--Ich bin wieder allein. Kann ich die wenigen Augenblicke,
+die ich es vielleicht sein werde, zu etwas Besserm als zur Vollendung
+meiner Antwort anwenden? (Sie will sich niedersetzen, zu schreiben.)
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Betty. Sara.
+
+
+Betty. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch.
+
+Sara. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines
+Mellefont. Es wandelte ihr gähling eine kleine Schwachheit an. Wo
+ist sie jetzt?
+
+Betty. Mellefont hat sie bis an die Türe begleitet.
+
+Sara. So ist sie ja wohl wieder fort?
+
+Betty. Ich vermute es.--Aber je mehr ich Sie ansehe, Miß--Sie müssen
+mir meine Freiheit verzeihen--, je mehr finde ich Sie verändert. Es
+ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muß ein
+sehr angenehmer Besuch oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote
+gewesen sein.
+
+Sara. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was
+für einen zärtlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes
+Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen.
+Ich werde wieder glücklich sein und dich für deine guten Dienste
+belohnen können.
+
+Betty. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen für Dienste leisten
+können?
+
+Sara. Du hättest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht
+mehrere leisten können als in diesen neun Wochen. Sie sind vorüber!--
+Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so
+muß ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, daß es sehr
+gut sein würde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem
+seine Danksagung schwerlich unerwartet sein dürfte. Komm!
+
+(Sie gehen ab.)
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Der Saal.
+
+
+Sir William Sampson. Waitwell.
+
+Sir William. Was für Balsam, Waitwell, hast du mir durch deine
+Erzählung in mein verwundetes Herz gegossen! Ich lebe wieder neu auf;
+und ihre herannahende Rückkehr scheint mich ebensoweit zu meiner
+Jugend wieder zurückzubringen, als mich ihre Flucht näher zu dem Grabe
+gebracht hatte. Sie liebt mich noch! Was will ich mehr?--Geh ja bald
+wieder zu ihr, Waitwell. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, da
+ich sie aufs neue in diese Arme schließen soll, die ich so sehnlich
+gegen den Tod ausgestreckt hatte. Wie erwünscht wäre er mir in den
+Augenblicken meines Kummers gewesen! Und wie fürchterlich wird er mir
+in meinem neuen Glücke sein! Ein Alter ist ohne Zweifel zu tadeln,
+wenn er die Bande, die ihn noch mit der Welt verbinden, so fest wieder
+zuziehet. Die endliche Trennung wird desto schmerzlicher.--Doch der
+Gott, der sich jetzt so gnädig gegen mich erzeigt, wird mir auch diese
+überstehen helfen. Sollte er mir wohl eine Wohltat erweisen, um sie
+mir zuletzt zu meinem Verderben gereichen zu lassen? Sollte er mir
+eine Tochter wiedergeben, damit ich über seine Abfoderung aus diesem
+Leben murren müsse? Nein, nein; er schenkt mir sie wieder, um in der
+letzten Stunde nur um mich selbst besorgt sein zu dürfen. Dank sei
+dir, ewige Güte! Wie schwach ist der Dank eines sterblichen Mundes!
+Doch bald, bald werde ich in einer ihm geweihten Ewigkeit ihm würdiger
+danken können.
+
+Waitwell. Wie herzlich vergnügt es mich, Sir, Sie vor meinem Ende
+wieder zufrieden zu wissen! Glauben Sie mir es nur, ich habe fast so
+viel bei Ihrem Jammer ausgestanden als Sie selbst. Fast so viel; gar
+so viel nicht: denn der Schmerz eines Vaters mag wohl bei solchen
+Gelegenheiten unaussprechlich sein.
+
+Sir William. Betrachte dich von nun an, mein guter Waitwell, nicht
+mehr als meinen Diener. Du hast es schon längst um mich verdient, ein
+anständiger Alter zu genießen. Ich will dir es auch schaffen, und du
+sollst es nicht schlechter haben, als ich es noch in der Welt haben
+werde. Ich will allen Unterschied zwischen uns aufheben; in jener
+Welt, weißt du wohl, ist er ohnedies aufgehoben.--Nur dasmal sei noch
+der alte Diener, auf den ich mich nie umsonst verlassen habe. Geh und
+gib acht, daß du mir ihre Antwort sogleich bringen kannst, als sie
+fertig ist.
+
+Waitwell. Ich gehe, Sir. Aber so ein Gang ist kein Dienst, den ich
+Ihnen tue. Er ist eine Belohnung, die Sie mir für meine Dienste
+gönnen. Ja gewiß, das ist er.
+
+(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.)
+
+(Ende des dritten Aufzuges.)
+
+
+
+
+
+Vierter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Mellefonts Zimmer.
+
+
+Mellefont. Sara.
+
+Mellefont. Ja, liebste Miß, ja; das will ich tun; das muß ich tun.
+
+Sara. Wie vergnügt machen Sie mich!
+
+Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich
+nehmen muß. Ich allein bin schuldig; ich allein muß um Vergebung
+bitten.
+
+Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den größern Anteil, den ich an
+unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch
+ist: denn er muß Sie überzeugt haben, daß ich meinen Mellefont über
+alles in der Welt liebe.--Aber ist es denn gewiß wahr, daß ich nunmehr
+diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder
+befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fürchte ich mich,
+ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen!--Doch nein,
+ich bin nicht bloß in einem Traume, ich bin wirklich glücklicher, als
+ich jemals zu werden hoffen durfte; glücklicher, als es vielleicht
+dieses kurze Leben zuläßt. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von
+Glückseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so
+schmeichelhaft näher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die
+dickste Finsternis zerfließe und mich auf einmal in einer Nacht lasse,
+deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht
+fühlbar geworden.--Was für Ahnungen quälen mich!--Sind es wirklich
+Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewöhnliche Empfindungen, die von
+der Erwartung eines unverdienten Glücks und von der Furcht, es zu
+verlieren, unzertrennlich sind?--Wie schlägt mir das Herz, und wie
+unordentlich schlägt es! Wie stark itzt, wie geschwind!--Und nun, wie
+matt, wie bange, wie zitternd!--Itzt eilt es wieder, als ob es die
+letzten Schläge wären, die es gern recht schnell hintereinander tun
+wolle. Armes Herz!
+
+Mellefont. Die Wallungen des Geblüts, welche plötzliche
+Überraschungen nicht anders als verursachen können, werden sich legen,
+Miß, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner
+seiner Schläge zielet auf das Zukünftige; und wir sind zu tadeln--
+verzeihen Sie, liebste Sara--, wenn wir des Bluts mechanische
+Drückungen zu fürchterlichen Propheten machen.--Deswegen aber will ich
+nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besänftigung dieses kleinen
+innerlichen Sturms für dienlich halten. Ich will sogleich schreiben,
+und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit
+den Ausdrücken meines gerührten Herzens und mit den Angelobungen des
+zärtlichsten Gehorsams zufrieden sein.
+
+Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an
+einen weit zärtlichern Namen zu gewöhnen. Mein Vater, Ihr Vater,
+Mellefont--
+
+Mellefont. Nun ja, Miß, unser gütiger, unser bester Vater!--Ich mußte
+sehr jung aufhören, diesen süßen Namen zu nennen; sehr jung mußte ich
+den ebenso süßen Namen "Mutter" verlernen--
+
+Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir--mir ward es so gut nicht, ihn
+nur einmal sprechen zu können. Mein Leben war ihr Tod.--Gott! ich
+ward eine Muttermörderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte--
+wie wenig, wie nichts fehlte--, so wäre ich auch eine Vatermörderin
+geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsätzliche
+Vatermörderin!--Und wer weiß, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre,
+die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele kömmt,
+als er ohne die Betrübnis, die ich ihm verursacht, gekommen wäre--
+diese hab ich ihm--ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal
+auch noch so alt und lebenssatt sterben läßt, so wird mein Gewissen
+doch nichts gegen den Vorwurf sichern können, daß er ohne mich
+vielleicht noch später gestorben wäre. Trauriger Vorwurf, den ich mir
+ohne Zweifel nicht machen dürfte, wenn eine zärtliche Mutter die
+Führerin meiner Jugend gewesen wäre! Ihre Lehren, ihr Exempel würden
+mein Herz--So zärtlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben
+recht; eine Mutter würde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert
+haben, und ich würde Mellefonts nicht sein. Warum wünsche ich mir
+denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Güte versagte?
+Seine Fügungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht
+brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach
+einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene
+Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung!
+Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, daß in dem
+Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will.-
+-Was ist es, dieses rebellische Etwas?
+
+Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt
+haben, ist die natürliche furchtsame Schwierigkeit, sich in ein großes
+Glück zu finden.--Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich
+unglücklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich
+für glücklich zu halten!--Aber wie dem, der in einer schnellen
+Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder
+still sitzt, die äußern Gegenstände mit ihm herumzugehen scheinen, so
+wird auch das Herz, das zu heftig erschüttert worden, nicht auf einmal
+wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurück,
+die wir ihrer eignen Abschwächung überlassen müssen.
+
+Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen;
+weil ich es wünsche.--Aber lassen Sie uns einer den andern nicht
+länger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich
+darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde
+gezeigt haben?
+
+Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur
+das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muß: denn ich weiß es, Sie
+halten sich nicht für so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara
+bis an die Szene begleitet.)
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+
+Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen).
+Was für ein Rätsel bin ich mir selbst! Wofür soll ich mich halten?
+Für einen Toren? oder für einen Bösewicht?--oder für beides?--Herz,
+was für ein Schalk bist du!--Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich
+auch sein mag.--Ich lieb ihn? Ja, gewiß, gewiß, ich lieb ihn. Ich
+weiß, ich wollte tausend Leben für sie aufopfern, für sie, die mir
+ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand
+wollt' ich es--Und doch, doch--Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen--
+Und doch--Wie soll ich es begreifen?--Und doch fürchte ich mich vor
+dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der
+Meinigen machen wird.--Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater
+ist versöhnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben können.
+Die Verzögerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwürfe genug
+zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch
+erträglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt
+zu sein.--Aber bin ich es denn nicht schon?--Ich bin es freilich, und
+bin es mit Vergnügen.--Freilich bin ich schon ihr Gefangener.--Was
+will ich also?--Das!--Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein
+Wort frei herumgehen läßt: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht
+sein Bewenden haben? Warum muß ich eingeschmiedet werden und auch
+sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren?--Eingeschmiedet?
+Nichts anders!--Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten
+liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin!--Die Hälfte
+dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Hälfte--wird
+verschwinden.--Ich Ungeheuer!--Und bei diesen Gesinnungen soll ich an
+ihren Vater schreiben?--Doch es sind keine Gesinnungen; es sind
+Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zügelloses
+Leben so natürlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder--nicht
+leben.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Norton. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Du störest mich, Norton!
+
+Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr--(Indem er wieder zurückgehen
+will.)
+
+Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, daß du mich
+störest. Was willst du?
+
+Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehört, und
+ich komme, Ihnen dazu Glück zu wünschen.
+
+Mellefont. Zur Versöhnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir.
+
+Norton. Der Himmel will Sie also noch glücklich machen.
+
+Mellefont. Wenn er es will--du siehst, Norton, ich lasse mir
+Gerechtigkeit widerfahren--, so will er es meinetwegen gewiß nicht.
+
+Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen.
+
+
+Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen.
+Wollte seine schon gerüstete Rache eine ganze sündige Stadt, weniger
+Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher
+dulden, wenn eine ihm gefällige Seele an dem Schicksale desselben
+Anteil nimmt.
+
+Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und rührend. Aber drückt sich
+die Freude nicht etwas anders aus?
+
+Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun für mich dahin.
+
+Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.)
+
+Mellefont. Du darfst.
+
+Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hören
+mußte, daß ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu
+geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an
+seltner schweige.
+
+Mellefont. Nur vergiß nicht, wer du bist.
+
+Norton. Ich will es nicht vergessen, daß ich ein Bedienter bin: ein
+Bedienter, der auch etwas Bessers sein könnte, wenn er, leider!
+darnach gelebt hätte. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem
+Fuße, daß ich mich gern mit Ihnen möchte verdammen lassen.
+
+Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt?
+
+Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich
+mir vorstellte.
+
+Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir
+vorstelltest?
+
+Norton. Sie in lauter Entzückung zu finden.
+
+Mellefont. Nur der Pöbel wird gleich außer sich gebracht, wenn ihn
+das Glück einmal anlächelt.
+
+Norton. Vielleicht, weil der Pöbel noch sein Gefühl hat, das bei
+Vornehmern durch tausend unnatürliche Vorstellungen verderbt und
+geschwächt wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als
+Mäßigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille--
+
+Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch außer der
+Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood--
+
+Norton. Könnte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen.--
+Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben,
+wenn Sie es nicht lieber gesehen hätten, der Vater wäre noch nicht
+versöhnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer
+Denkungsart schickt--
+
+Mellefont. Norton! Norton! du mußt ein erschrecklicher Bösewicht
+entweder gewesen sein oder noch sein, daß du mich so erraten kannst.
+Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr;
+so gewiß es ist, daß ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will
+es mir ein, daß ich sie ewig lieben soll--soll!--Aber besorge nichts;
+ich will über diese närrische Grille siegen. Oder meinst du nicht,
+daß es eine Grille ist? Wer heißt mich die Ehe als einen Zwang
+ansehen? Ich wünsche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich
+lassen wird.
+
+Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood
+wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fürchte, ich
+fürchte--
+
+Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach
+London zurückreisen sehen. Da ich dir meine geheimste--Narrheit will
+ich es nur unterdessen nennen--gestanden habe, so darf ich dir auch
+nicht verbergen, daß ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, daß
+sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muß.
+
+Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches.
+
+Mellefont. Sieh, dieses Mördereisen riß ich ihr aus der Hand (er
+zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der
+schrecklichsten Wut das Herz damit durchstoßen wollte. Glaubst du es
+nun bald, daß ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar
+fehlte es nicht viel, sie hätte mir ihre Schlinge wieder um den Hals
+geworfen. Die Verräterin hat Arabellen bei sich.
+
+Norton. Arabellen?
+
+Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen können, durch welche
+List sie das Kind wieder in ihre Hände bekommen. Genug, der Erfolg
+fiel für sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte.
+
+Norton. Erlauben Sie, daß ich mich über Ihre Standhaftigkeit freuen
+und Ihre Besserung schon für halb geborgen halten darf. Allein--da
+Sie mich doch alles wollen wissen lassen--was hat sie unter dem Namen
+der Lady Solmes hier gesollt?
+
+Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich
+willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Übereilung,
+teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts
+zu demütigen.--Du schüttelst den Kopf, Norton?--
+
+Norton. Das hätte ich nicht gewagt.
+
+Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich
+im Falle der Weigerung gewagt hätte. Sie würde als Marwood
+vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem
+unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers.
+
+Norton. Danken Sie dem Himmel, daß es so ruhig abgelaufen.
+
+Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stieß ihr eine
+kleine Unpäßlichkeit zu, daß sie sich, ohne Abschied zu nehmen,
+wegbegeben mußte. Sie will wiederkommen.--Mag sie doch! Die Wespe,
+die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er
+wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber
+auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu überlästig damit
+wird.--Hör ich nicht jemand kommen? Verlaß mich, wenn sie es ist.--
+Sie ist es. Geh!
+
+(Norton geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood.
+
+
+Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen.
+
+Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, daß Ihre Unpäßlichkeit
+ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser?
+
+Marwood. So, so!
+
+Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu
+bemühen.
+
+Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge für
+mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie etwas anders
+damit meinen.
+
+Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen.
+
+Marwood. Der Sturm ist vorüber. Vergessen Sie ihn, bitte ich
+nochmals.
+
+Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich
+will gern alles vergessen.--Aber, wenn ich wüßte, daß Sie es für keine
+Beleidigung annehmen wollten, so möchte ich wohl fragen--
+
+Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie können mich nicht mehr
+beleidigen.--Was wollten Sie fragen?
+
+Mellefont. Wie ihnen meine Miß gefallen habe.
+
+Marwood. Die Frage ist natürlich. Meine Antwort wird so natürlich
+nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr.--Sie hat
+mir sehr wohl gefallen.
+
+Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzückt mich. Aber wär' es auch
+möglich, daß der, welcher die Reize einer Marwood zu schätzen wußte,
+eine schlechte Wahl treffen könnte?
+
+Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist,
+hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze,
+Sie zu vergessen, nicht vertragen.
+
+Mellefont. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch
+Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der
+gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von
+Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll
+und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu
+unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt.
+
+Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert
+sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen und es
+kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort
+noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen?
+
+Mellefont. Nein, Marwood.
+
+Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß
+Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.
+
+Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben.
+
+Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt.
+
+Mellefont. Wie?
+
+Marwood. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von
+Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr
+Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein
+beßres lassen könnte als die Schande, von mir geboren zu sein.
+
+Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will für Arabellen sorgen, ohne
+ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu
+setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß
+sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten
+gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres
+Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich
+danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater
+verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht
+eher wieder anzunehmen.
+
+Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe
+verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muß
+anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich
+hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich--
+
+Mellefont. Marwood!--
+
+Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich
+der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen?
+
+Mellefont. Miß Sara würde es Ihnen nicht übelnehmen können, wenn Sie
+auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen.
+
+Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich
+will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne
+Lebensart gehalten werden.
+
+Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich
+selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen
+bei Ihnen rege machen muß--
+
+Marwood (spöttisch lächelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich
+selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, daß ich
+Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens
+ganz in der Stille glauben.--Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei
+mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, daß
+das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann.
+
+Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in
+der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir
+gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir
+einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten
+können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gärende
+Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, daß ich Sie einige
+Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen.
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+
+Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich
+unbemerkt einmal Atem schöpfen und die Muskeln des Gesichts in ihre
+natürliche Lage fahren lassen?--Ich muß geschwind einmal in allen
+Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder
+aushalten zu können.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht,
+weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste
+Zuflucht der ohnmächtigen Rachsucht bist. Gewiß würde ich mich zu dir
+nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel
+seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem
+Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch
+sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, daß ich mit
+seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr
+ungewiß, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem
+Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen
+wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht
+verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von
+mir hören. Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar
+keinen Stachel zurückließen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht
+mehr Marwood; ich bin eine nichtswürdige Verstoßene, die durch kleine
+Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm,
+der sich krümmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse
+gern verwunden möchte.
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Marwood.
+
+
+Sara. Ich freue mich, Lady, daß meine Unruhe vergebens gewesen ist.
+
+Marwood. Ich danke Ihnen, Miß. Der Zufall war zu klein, als daß er
+Sie hätte beunruhigen sollen.
+
+Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara.
+
+Sara. So eilig, Lady?
+
+Marwood. Ich kann es für die, denen an meiner Gegenwart in London
+gelegen ist, nicht genug sein.
+
+Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen?
+
+Marwood. Morgen mit dem Frühsten.
+
+Mellefont. Morgen mit dem Frühsten, Lady? Ich glaubte, noch heute.
+
+Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, fängt sich sehr im Vorbeigehn an.
+Ich schmeichle mir, in Zukunft eines nähern Umgangs mit Ihnen
+gewürdiget zu werden.
+
+Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miß.
+
+Mellefont. Ich stehe Ihnen dafür, liebste Sara, daß diese Bitte der
+Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muß, daß Sie
+einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich
+mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten können--
+
+Marwood (beiseite). Wie fein!
+
+Sara. Mellefont, das heißt mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben.
+
+Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glückliche Miß.
+
+Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen früh wieder
+fort?
+
+Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand
+kommen!
+
+Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten.
+Nicht wahr, liebste Miß, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort
+ungesäumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht
+übelnehmen.
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Betty. Mellefont. Sara. Marwood.
+
+
+Mellefont. Was willst du, Betty?
+
+Betty. Man verlangt Sie unverzüglich zu sprechen.
+
+Marwood (beiseite). Ha! nun kömmt es drauf an--
+
+Mellefont. Mich? unverzüglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist
+es Ihnen gefällig, Ihren Besuch abzukürzen?
+
+Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so gütig sein und bis zu Ihrer
+Zurückkunft warten.
+
+Marwood. Verzeihen Sie, Miß; ich kenne meinen Vetter Mellefont und
+will mich lieber mit ihm wegbegeben.
+
+Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen.
+Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versäumen--
+
+Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miß,
+daß es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen
+ich gegen Sie gedacht habe.
+
+(Betty gehet ab.)
+
+Marwood (beiseite). Gute Vermutung!
+
+Mellefont. Aber doch, Lady--
+
+Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miß, so muß ich mich Ihnen--
+
+Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnügen nicht
+mißgönnen, Lady Solmes so lange unterhalten zu dürfen?
+
+Mellefont. Sie wollen es, Miß?--
+
+Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie
+nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich
+wünschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht.
+Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie
+allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen können,
+als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.--
+
+Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiß den
+Augenblick wieder hier. (Geht ab.)
+
+Marwood (beiseite). Glücklich!
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Sara. Marwood.
+
+
+Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Höflichkeiten manchmal mit
+einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?--
+
+Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als daß
+ich so etwas bemerken könnte.
+
+Sara. Wollen sich Lady nicht setzen?
+
+Marwood. Wenn Sie befehlen, Miß--(Beiseite, indem sie sich setzen.)
+Ich muß diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen.
+
+Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das glücklichste
+Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden?
+
+Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glück zu finden weiß, so wird
+ihn Miß Sara zu der beneidenswürdigsten Mannsperson machen. Aber--
+
+Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady--
+
+Marwood. Ich bin offenherzig, Miß--
+
+Sara. Und dadurch unendlich schätzbarer--
+
+Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein
+Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedächtiges Aber!
+
+Sara. Ich glaube nicht, daß mich Lady durch diese Ausweichung noch
+unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit
+sein, ein Übel, das man zeigen könnte, nur argwöhnen zu lassen.
+
+Marwood. Nicht doch, Miß; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel.
+Mellefont ist mein Anverwandter--
+
+Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider
+ihn zu machen haben.
+
+Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder wäre, so muß ich Ihnen
+doch sagen, daß ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts
+gegen ihn annehmen würde, wenn ich bemerkte, daß er nicht
+rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig
+jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu
+Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache
+machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu
+nehmen sich nicht bedenken müßten.
+
+Sara. Diese Anmerkung--
+
+Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Fällen meine
+Richtschnur gewesen.
+
+Sara. Und verspricht mir--Ich zittere--
+
+Marwood. Nein, Miß; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas
+anderm sprechen--
+
+Sara. Grausame Lady!
+
+Marwood. Es tut mir leid, daß ich verkannt werde. Ich wenigstens,
+wenn ich mich in Gedanken an Miß Sampsons Stelle setze, würde jede
+nähere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen
+Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit wäre, als eine
+Wohltat ansehen.
+
+Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon?
+Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiß, daß
+er mich liebt--
+
+Marwood. Und andre--
+
+Sara. Geliebt hat. Auch das weiß ich. Hat er mich lieben sollen,
+ehe er von mir etwas wußte? Kann ich die einzige zu sein verlangen,
+die für ihn Reize genug gehabt hat? Muß ich mir es nicht selbst
+gestehen, daß ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht
+liebenswürdig genug, daß er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken
+müssen? Und ist es nicht natürlich, wenn mancher dieses Bestreben
+gelungen ist?
+
+Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden
+Gründen, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein
+Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet
+worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen.
+
+Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die
+Gegenstände der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten
+verdienen.
+
+Marwood. Miß Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu
+sein.
+
+Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege,
+welche es selbst gestehen, daß sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die
+strengste nicht. Sie muß es auch nicht sein. Denn hier kömmt es
+nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei
+der Liebe setzt, sondern bloß darauf, die menschliche Schwachheit zu
+entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und
+die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu
+beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie
+endlich verläßt; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der
+Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine
+Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben
+müßte.
+
+Marwood. Aber, Miß, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so
+getrost eine Lasterhafte nennen?
+
+Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont.
+
+Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, daß
+Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr
+ungültiger Zeuge sein könne?
+
+Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, daß Sie mich auf die Probe stellen
+wollen. Mellefont wird lächeln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden,
+wie ernsthaft ich mich seiner angenommen.
+
+Marwood. Verzeihen Sie, Miß; von dieser Unterredung muß Mellefont
+nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als daß Sie, zum Danke für
+eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten,
+die sich nur deswegen wider ihn erklärt, weil sie sein unwürdiges
+Verfahren gegen mehr als eine der liebenswürdigsten Personen unsers
+Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten hätte.
+
+Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wünschte, daß es
+andre ebensowenig wollten.
+
+Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten
+erzählen?
+
+Sara. Ich weiß nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, daß Sie
+davon aufhören sobald Mellefont zurückkömmt. Er möchte denken, ich
+hätte mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht
+gern, daß er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen könnte.
+
+Marwood. Ich würde Miß Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben,
+wenn sie mir nicht zuvorgekommen wäre. Er muß es auch nicht argwöhnen
+können, daß Marwood unser Gespräch gewesen ist; und Sie werden so
+behutsam sein, Ihre Maßregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.--
+Hören Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war
+eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen
+kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schönheit noch an
+derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schönheit tot sein würde.
+Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermögen.
+Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtümer
+gewesen sein--, hatte sie für die Befreiung eines Mannes aufgeopfert,
+dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu dürfen glaubte, nachdem sie
+ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen.
+
+Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, daß er in
+einem bessern Gemälde prangte!
+
+Marwood. Des Mangels an Vermögen ungeachtet ward sie von Personen
+gesucht, die nichts eifriger wünschten, als sie glücklich zu machen.
+Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein
+Antrag war ernstlich, und der Überfluß, in welchen er die Marwood zu
+setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stützte. Er hatte
+es bei der ersten Unterredung weg, daß er mit keiner Eigennützigen zu
+tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zärtlichsten
+Gefühls, welches eine Hütte einem Palaste würde vorgezogen haben, wenn
+sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer
+gleichgültigen Person hätte leben sollen.
+
+Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht gönne. Schmeicheln
+Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich möchte sie am Ende bedauern
+müssen.
+
+Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste
+Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters
+bekam, welcher ihm sein ganzes Vermögen mit der Bedingung hinterließ,
+eine weitläuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen
+reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an
+Großmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft
+eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie würde
+verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miß, das war groß gedacht?
+
+Sara. O Lady, wer weiß es besser als ich, daß Mellefont das edelste
+Herz besitzt?
+
+Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch
+spät an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen
+hätte. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war
+fort.
+
+Sara. Wohin? Warum?
+
+Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm
+entdeckte, daß er sich keine Rechnung machen dürfe, sie jemals
+wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, daß sie ihn liebe; aber eben
+deswegen könne sie sich nicht überwinden, die Ursache einer Tat zu
+sein, die er notwendig einmal bereuen müsse. Sie erlasse ihn seines
+Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die
+Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den
+Besitz eines Vermögens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas
+Wichtigerm brauchen könne, als einem Frauenzimmer eine unüberlegte
+Schmeichelei damit zu machen.
+
+Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche
+Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl fähig sein, aber nicht
+Marwood. Gewiß Marwood nicht.
+
+Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miß, daß Sie wider sie
+eingenommen sind.--Mellefont wollte über den Entschluß der Marwood von
+Sinnen kommen. Er schickte überall Leute aus, sie wieder aufzusuchen;
+und endlich fand er sie.
+
+Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel.
+
+Marwood. Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer
+von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich;
+und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht
+annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, daß
+sie nach London zurückzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre
+Vermählung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen
+Verzögerns überdrüssig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei.
+Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der täglichen Besuche des
+Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle
+Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der
+Freundschaft zurückgewiesen hat. Aber wie unmöglich ist es, daß ein
+hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht überschreiten sollte!
+Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefährlich machen
+kann. Niemand kann hiervon überzeugter sein als Miß Sampson selbst.
+
+Sara. Ach!
+
+Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat über ihre Schwachheit mehr
+als einmal geseufzet und seufzet noch.
+
+Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr
+als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten.
+
+Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloß die
+unglückliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie
+am richtigsten von ihr urteilen könnten.--Kurz, die Liebe gab dem
+Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es länger
+nicht für nötig, sie durch die Gesetze gültig machen zu lassen. Wie
+glücklich wäre Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein
+von ihrer Schande wüßten! Wie glücklich, wenn nicht eine jammernde
+Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst
+verbergen zu können wünschte!
+
+Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter--
+
+Marwood. Ja, Miß, eine unglückliche Tochter verlieret durch die
+Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals
+ohne Abscheu nennen zu können.
+
+Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont
+verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady?
+
+Marwood. Sie dürfen sicher glauben, Miß, daß Ihnen Mellefont
+vielleicht noch mehr verschwiegen hat.
+
+Sara. Noch mehr? Was könnte er mir noch mehr verschwiegen haben?
+
+Marwood. Dieses, daß er die Marwood noch liebt.
+
+Sara. Sie töten mich, Lady!
+
+Marwood. Es ist unglaublich, daß sich eine Liebe, welche länger als
+zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren könne. Sie kann zwar
+eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine
+kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder
+hervorbricht. Ich könnte Ihnen eine Miß Oklaff, eine Miß Dorkas, eine
+Miß Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood
+einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende
+auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt,
+über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf
+in das Gesicht bekömmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miß, Sie wären
+die einzige Glückliche, bei welcher sich alle Umstände wider ihn
+erklärten; gesetzt, Sie brächten ihn dahin, daß er seinen nunmehr zur
+Natur gewordenen Abscheu gegen ein förmliches Joch überwinden müßte:
+glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein?
+
+Sara. Ich Unglückliche! Was muß ich hören!
+
+Marwood. Nichts weniger. Alsdann würde er eben am allerersten in die
+Arme derjenigen zurückeilen, die auf seine Freiheit so eifersüchtig
+nicht gewesen. Sie würden seine Gemahlin heißen, und jene würde es
+sein.
+
+Sara. Martern Sie mich nicht länger mit so schrecklichen
+Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie
+mir, was ich tun soll. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen es wissen,
+durch was es etwa noch möglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen,
+ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft
+bleibet.
+
+Marwood. Daß man einen Vogel fangen kann, Miß, das weiß ich wohl.
+Aber daß man ihm seinen Käfig angenehmer als das freie Feld machen
+könne, das weiß ich nicht. Mein Rat wäre also, ihn lieber nicht zu
+fangen und sich den Verdruß über die vergebne Mühe zu ersparen.
+Begnügen Sie sich, Miß, an dem Vergnügen, ihn sehr nahe an Ihrer
+Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen können, daß er die
+Schlinge ganz gewiß zerreißen werde, wenn Sie ihn vollends
+hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht
+herein.
+
+Sara. Ich weiß nicht, ob ich dieses tändelnde Gleichnis recht
+verstehe, Lady--
+
+Marwood. Wenn Sie verdrießlich darüber geworden sind, so haben Sie es
+verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der
+Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit können
+und sollen Miß Sampson bewegen, ihre Ansprüche auf einen Mann
+aufzugeben, auf den Marwood die ersten und stärksten hat. Noch stehen
+Sie, Miß, mit ihm so, daß Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre,
+aber doch ohne öffentliche Schande von ihm ablassen können. Eine
+kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch
+ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles
+vergessen, und es finden sich für eine reiche Erbin noch immer
+Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen
+Umständen wäre und sie brauchte weder für ihre im Abzuge begriffene
+Reize einen Gemahl noch für ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiß
+ich gewiß, Marwood würde gegen Miß Sampson großmütiger handeln, als
+Miß Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten
+macht.
+
+Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die
+Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwürdig verrät man Sie,
+Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir
+allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer
+Zunge zu fürchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn
+Lady haben lange genug unanständig geredet. Wodurch hat Marwood sich
+eine solche Vorsprecherin erwerben können, die alle ihre
+Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr
+aufzudrängen, und alle Ränke anwendet, mich gegen die Redlichkeit
+eines Mannes argwöhnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein
+Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, daß sich Marwood
+einer Tochter von ihm rühme; ward mir nur deswegen diese und jene
+betrogene Miß genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste
+Art zu verstehen geben könne, ich würde wohl tun, wenn ich mich selbst
+einer verhärteten Buhlerin nachsetzte?
+
+Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine
+verhärtete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren
+Kraft Sie nicht überleget haben.
+
+Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung
+der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste
+Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es
+kann leicht in der Welt nicht wohl möglich sein, nur lauter
+tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer
+Freundschaft wegen so tief herabgestoßen zu werden? Wenn ich der
+Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiß nicht
+getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt.
+Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn
+Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit
+auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und
+demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es
+wüßten, was für Reue, was für Gewissensbisse, was für Angst mich mein
+Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich länger so
+grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der
+Himmel selbst hört auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die
+Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke,
+Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie
+glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende
+Bewegung--Ach! wo ich Sie erzürnt habe, Lady, so bitte ich um
+Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin; was Sie gesagt haben,
+war ohne Zweifel so böse nicht gemeint. Vergessen Sie meine
+Übereilung. Wodurch kann ich Sie besänftigen? Wodurch kann auch ich
+mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen
+gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fußfällig darum
+bitten--(indem sie niederfällt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo
+ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich
+und Marwood nicht in einen Rang zu setzen.
+
+Marwood (die einige Schritte stolz zurücktritt und die Sara liegen
+läßt). Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu
+reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte--Erkennen
+Sie, Miß, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden
+die Marwood selbst fußfällig bitten.
+
+Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht).
+Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die
+mördrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab.
+Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont;
+retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters,
+erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?--
+Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit tötender Faust
+auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.)
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+
+Marwood. Was will die Schwärmerin?--O daß sie wahr red'te und ich mit
+tötender Faust auf sie eindränge! Bis hieher hätte ich den Stahl
+sparen sollen, ich Törichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in
+der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Füßen durchbohren zu können!--
+Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein.
+Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten,
+aber nicht müßig. Vielleicht, daß ihn die glückliche List meines
+Bedienten noch lange genug aufhält!--Ich sehe, ich werde gefürchtet.
+Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das
+letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige
+Waffen: doch die Verzweiflung verschmäht keine, so armselig sie sind.
+Ein schreckhaftes Mädchen, das betäubt und mit zerrütteten Sinnen
+schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fürchterliche Worte für
+fürchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr
+wieder Mut machen und sie über meine Drohungen spotten lehren. Er
+wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es wäre wenig in der Welt
+unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen hätte.
+Und bin ich auf den unglücklichsten nicht schon vorbereitet?--Der
+Dolch war für andre, das Gift ist für mich!--Das Gift für mich! Schon
+längst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe,
+auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die
+geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; für uns ein ebenso
+gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt wäre,
+in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen--
+Was halte ich mich mit Wünschen auf?--Fort! Ich muß weder mich noch
+sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der
+sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.)
+
+(Ende des vierten Aufzuges.)
+
+
+
+
+
+Fünfter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Das Zimmer der Sara.
+
+
+Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty.
+
+Betty. Fühlen Sie nicht, Miß, daß Ihnen ein wenig besser wird?
+
+Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du
+hast doch nach ihm ausgeschickt?
+
+Betty. Norton und der Wirt suchen ihn.
+
+Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will
+durchaus nicht, daß er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll.
+Wie er es selbst erzählte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig.
+Nicht wahr, Betty, du hältst ihn auch für unschuldig--Sie kömmt ihm
+nach; was kann er dafür? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden.
+Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst
+als ich?--Und endlich will die böse Marwood mich sehen oder nicht eher
+nach London zurückkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen?
+Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen.
+Mellefont weiß wohl, daß wir neugierige Geschöpfe sind. Und wenn ich
+nicht selbst darauf gedrungen hätte, daß sie bis zu seiner Zurückkunft
+bei mir verziehen sollte, so würde er sie wieder mit weggenommen haben.
+Ich würde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu
+wissen, daß ich sie gesehen hätte. Und vielleicht würde mir dieser
+kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist
+mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die
+kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weißt wohl, Betty, ich
+bin dazu geneigt.
+
+Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miß noch nie gesehen.
+
+Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Mädchen
+freilich zu schaffen gemacht haben.
+
+Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich
+befanden, gerühret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, daß sie sich
+nur fortbegeben möchte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher
+verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich
+Ihnen die Arzenei einflößen konnte.
+
+Sara. Ich muß es wohl gar für ein Glück halten, daß ich in Ohnmacht
+gefallen bin. Denn wer weiß, was ich noch von ihr hätte hören müssen.
+Umsonst mochte sie mir gewiß nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du
+glaubst nicht, wie außer mir ich war. Auf einmal fiel mir der
+schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine
+Unsinnige, die nicht weiß, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont
+kömmt noch nicht.--Ach!
+
+Betty. Was für ein Ach, Miß? Was für Zuckungen?--
+
+Sara. Gott! was für eine Empfindung war dieses--
+
+Betty. Was stößt Ihnen wieder zu?
+
+Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige
+Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Norton. Sara. Betty.
+
+
+Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein.
+
+Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden?
+
+Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo
+ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der größten Wichtigkeit mit
+ihm sprechen müsse. Nach langem Herumführen hat sich der Betrüger ihm
+von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglück, wo er sich ertappen
+läßt; so wütend ist Mellefont.
+
+Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen?
+
+Norton. Alles.
+
+Sara. Aber mit einer Art--
+
+Norton. Ich habe auf die Art nicht denken können. Genug, er weiß es,
+was für Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat.
+
+Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.--
+
+Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur,
+mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Mellefont. Norton. Sara. Betty.
+
+
+Mellefont. Ach, Miß, wenn auch diese Ihre Liebe nicht wäre--
+
+Sara. So wäre ich von uns beiden gewiß die Unglücklichste. Ist Ihnen
+in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdrießlichers zugestoßen als mir, so
+bin ich vergnügt.
+
+Mellefont. So gütig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient.
+
+Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, daß ich Sie nicht
+zärtlicher empfangen kann. Bloß Ihrer Zufriedenheit wegen wünschte
+ich, mich weniger krank zu fühlen.
+
+Mellefont. Ha, Marwood, diese Verräterei war noch übrig! Der
+Nichtswürdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer
+Straße in die andre, aus einem Winkel in den andern führte, war gewiß
+nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miß,
+diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe
+List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon
+entfernt, sie dafür zu halten. Umsonst muß sie so treulos nicht
+gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; laß sie nicht
+aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme.
+
+Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte für Marwood.
+
+Mellefont. Geh!
+
+(Norton geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Betty.
+
+
+Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten
+fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood
+vieles nicht wissen--
+
+Mellefont. Vieles? Was ist das Viele?
+
+Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont.--Sie werden
+stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht
+wollen, daß ich es wissen soll.
+
+Mellefont. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile
+glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer
+aufgebrachten Verleumderin.
+
+Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das
+erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares
+Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen
+haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte--
+
+Mellefont. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer
+blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also
+mußte mißlingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung
+von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es
+fürchten--Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was
+Sie von ihr wollen erfahren haben.
+
+Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe
+gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen
+haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste
+gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben
+gehen lassen.
+
+Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf
+ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen
+müssen!--Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige
+nicht entdecken--
+
+Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein näherer Schritt
+dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiß.
+Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses
+Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein würde als die
+Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muß mir eine plötzliche
+Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen
+müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es
+Ihnen sagen sollte.--Marwood erwähnte eines Pfandes, und der
+schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen,
+einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege
+machen muß, als Sie gegen mich empfinden--
+
+Mellefont. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande
+bekannt?--Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie
+schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde
+hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche,
+der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter.
+
+Sara. Sie lieben sie also doch?--
+
+Mellefont. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte.
+
+Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe
+willen! Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die
+Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet
+hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen,
+sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß
+eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des
+Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen.
+Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu
+werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen Sie mich an
+die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine
+Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen
+Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn
+Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe,
+meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden!
+Glückliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch
+vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß
+in meiner Begierde nach Glück!--Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte
+Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle
+Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die
+Hand vors Gesicht hält.)
+
+Mellefont. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken!--
+Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, großmütige
+Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand
+(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den
+grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand
+neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre
+Schmerzen nicht mitfühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur
+mitfühlen kann!--Daß ich sie nicht allein fühlen soll!--So eile doch,
+Betty--
+
+Betty. Wohin soll ich eilen?--
+
+Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe!
+
+Sara. Bleib nur!--Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder
+erschrecken, Mellefont.
+
+Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht bloße Folgen
+einer Ohnmacht.--
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Norton. Mellefont. Sara. Betty.
+
+
+Mellefont. Du kömmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier
+nötiger sein.
+
+Norton. Marwood ist fort--
+
+Mellefont. Und meine Flüche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?--
+Unglück und Tod und, wo möglich, die ganze Hölle möge sich auf ihrem
+Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und
+unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer größtes zu
+verschlingen!--
+
+Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurückgekommen, hat sie sich mit
+Arabellen und ihrem Mädchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit
+verhängtem Zügel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von
+ihr an Sie zurückgeblieben.
+
+Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn
+lesen, Miß?
+
+Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont.
+
+Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood
+gerächet und Sie, teuerste Miß, außer Gefahr weiß?
+
+Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hören. Die Rache ist nicht
+unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu
+gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper
+weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer
+werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatürlich scheint
+mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur für
+sich.
+
+Mellefont. Was ist es für ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu
+sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muß ich ihn
+lesen.
+
+Sara (indem Mellefont für sich lieset). Wie schlau weiß sich der
+Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich
+unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne,
+was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich
+besorge einen neuen Schreck und werde es nötig haben.--Siehst du, was
+der unglückliche Zettel für einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!--
+Sie geraten außer sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty!
+Reiche ihm das Salz!--Er hat es nötiger als ich.
+
+Mellefont (der die Betty damit zurückstößt). Nicht näher,
+Unglückliche!--Deine Arzeneien sind Gift!--
+
+Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie!
+
+Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch.
+
+Mellefont. Wünsche dir, Elende, daß du es nicht wärest!--Eile!
+fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer
+meiner Wut wirst!
+
+Sara. Was für Reden!--Mellefont, liebster Mellefont--
+
+Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem göttlichen
+Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Füßen, Sara--(Indem er sich
+niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Füßen? (und wieder
+aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen
+entdecken, Miß, daß Sie mich hassen werden, daß Sie mich hassen müssen.
+--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie
+werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, müßig und
+angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Ärzte zusammen! Suche Hilfe,
+Betty! Laß die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein!
+bleibt hier! Ich gehe selbst.--
+
+Sara. Wohin, Mellefont? Nach was für Hilfe! Von welchem Irrtume
+reden Sie?
+
+Mellefont. Göttliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind
+verloren, liebste Miß! Auch ich bin verloren!--Daß die Welt mit uns
+verloren wäre!--
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara, Norton. Betty.
+
+
+Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest
+du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Äußerste,
+daß ich sterben müsse: bin ich darum verloren? Und was will er denn
+mit dir, arme Betty?--Du ringst die Hände? Betrübe dich nicht; du
+hast ihn gewiß nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Hätte
+er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja
+wohl denken, daß er das letzte Gift der Marwood enthalten müsse.--
+
+Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich
+glaube es nicht.--
+
+Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres
+Vaters, Miß--
+
+Sara. Laß ihn hereinkommen, Norton!
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Waitwell. Sara. Betty. Norton.
+
+
+Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell.
+Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestürzt? Man
+hat es dir gewiß gesagt, daß ich krank bin.
+
+Waitwell. Und noch mehr!
+
+Sara. Gefährlich krank?--Ich schließe es mehr aus der ungestümen
+Angst des Mellefont, als daß ich es fühle.--Wenn du mit dem
+unvollendeten Briefe der unglücklichen Sara an den unglücklichern
+Vater abreisen müßtest, Waitwell?--Laß uns das Beste hoffen! Willst
+du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute
+Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo möchte ich es nicht imstande
+sein. Diese Hand hängt wie tot an der betäubten Seite.--Wenn der
+ganze Körper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein
+alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht
+weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde,
+Annäherungen des Todes sind--so sind die Annäherungen des Todes so
+bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle
+unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich
+konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muß er nicht sein--Aber,
+Betty, warum hörst du noch nicht auf, dich so untröstlich zu bezeigen?
+
+
+Betty. Erlauben Sie mir, Miß, erlauben Sie mir, daß ich mich aus
+Ihren Augen entfernen darf.
+
+Sara. Geh nur; ich weiß wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um
+Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton,
+wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn
+umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart.
+
+Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Händen
+der Marwood!--
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Waitwell. Sara.
+
+
+Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben
+willst, so laß mich kein so wehmütiges Gesicht sehen. Du verstummst?--
+Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater.
+Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Tröstliches
+sagtest. Wiederhole mir, daß mein Vater versöhnt ist und mir vergeben
+hat. Wiederhole es mir, und füge hinzu, daß der ewige himmlische
+Vater nicht grausamer sein könne.--Nicht wahr, ich kann hierauf
+sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstände gekommen wäre,
+wie würde es mit mir ausgesehen haben! Ich würde verzweifelt sein,
+Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der
+wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muß--Was für ein Gedanke!
+Sag ihm, daß ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue,
+Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! daß ich es ihm
+nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist!
+Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wünschte ich, den
+schmachtenden Rest zu seinen Füßen aufgeben zu können!
+
+Waitwell. Wünschen Sie wirklich, Miß, ihn zu sehen?
+
+Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an
+meinem letzten Verlangen zu zweifeln.
+
+Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche?
+Eine plötzliche Freude ist so gefährlich als ein plötzlicher Schreck.
+Ich fürchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein
+unvermuteter Anblick auf einen so zärtlichen Geist machen möchte.
+
+Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?--
+
+Waitwell. Der gewünschte, Miß!--Fassen Sie sich!
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+Sir William Sampson. Sara, Waitwell.
+
+
+Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muß sie
+sehen.
+
+Sara. Wessen Stimme--
+
+Sir William. Ach, meine Tochter!
+
+Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, daß ich
+mich zu seinen Füßen werfen kann. (Sie will aufstehen und fällt aus
+Schwachheit in den Lehnstuhl zurück.) Er ist es doch? Oder ist es
+eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel,
+der den Starken zu stärken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein
+Bote des Höchsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater!
+
+
+Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem
+sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal,
+bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie
+umfassen sehen.
+
+Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr
+sein! Zu glücklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen
+die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke,
+lange Tage, ein nochmaliges Leben würde erfodert, alles zu sagen, was
+eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten,
+einem großmütigen, einem zärtlichen Vater sagen kann. Mein Fehler,
+Ihre Vergebung--
+
+Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir
+aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben
+erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, daß ich damit gezaudert
+habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in
+die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon
+vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten?
+Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich
+sogleich deinen Umarmungen zugeeilet wäre. Ein heimlicher Unwille
+mußte in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens
+zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiß
+sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater
+so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben?
+Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude
+an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese
+Freude?--Aber wer sagt es denn, daß ich sie verlieren soll? Du wirst
+leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen
+Gedanken. Mellefont macht die Gefahr größer, als sie ist. Er brachte
+das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Ärzte aufzusuchen, die er
+in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe
+seine stürmische Angst, seine hoffnungslose Betrübnis, ohne von ihm
+gesehen zu werden. Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet;
+nun gönne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in
+seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan hätte, tue ich
+nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, daß es
+Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat?
+So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen können und mehr
+nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpäßlichkeit,
+da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich
+sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwächer, ich seh es und
+bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich
+laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermögen? mein Leben? Sage
+doch!
+
+Sara. Bester Vater, alle Hilfe würde vergebens sein. Auch die
+unschätzbarste würde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben für mich
+erkaufen wollten.
+
+
+
+Zehnter Auftritt
+
+Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell.
+
+
+Mellefont. Ich wag' es, den Fuß wieder in dieses Zimmer zu setzen?
+Lebt sie noch?
+
+Sara. Treten Sie näher, Mellefont.
+
+Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miß; ich
+komme ohne Trost, ohne Hilfe zurück. Die Verzweiflung allein bringt
+mich zurück--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Unglücklicher Vater! Sie
+sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht
+eher? Sie kommen zu spät, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!--
+sich gerächet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spät gekommen sein.
+
+Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke
+nicht, daß wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen
+es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie
+sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben.
+
+Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre
+Forderung.--Ich habe Ihnen, Miß, schon zu viel Unglück zugezogen, als
+daß ich mich bedenken dürfte, Ihnen auch das letzte anzukündigen: Sie
+müssen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben?
+
+Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, daß ich
+es argwöhnen kann.
+
+Mellefont. Sie müssen es wissen; denn wer könnte mir dafür stehen,
+daß Sie nicht falsch argwöhnten? Dies schreibet Marwood. (Er lieset.)
+"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue
+in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr
+entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab
+sich alle Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr,
+daß sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den glücklichen
+Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich
+gerührt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es
+ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu
+einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen
+Mörderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu rühmen wagen. Ich bin
+auf dem Wege nach Dover: Sie können mich verfolgen und meine eigne
+Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so
+will ich Arabellen unverletzt zurücklassen. Bis dahin aber werde ich
+sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miß.
+Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie müssen die Mörderin zur
+Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie
+erstarrt er dasteht!
+
+Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit
+meinen Augen überzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen
+Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch haben? (Zerreißt es.)
+
+Mellefont. Was machen Sie, Miß!
+
+Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie
+noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es
+der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher
+finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget?--Noch liebe ich Sie,
+Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde
+ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater,
+daß Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch
+eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafür
+erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die
+Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir
+nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen?
+Ich vermache diese väterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie
+dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie
+gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein
+Vater!--Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wagen?
+--Tröste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem
+trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter
+verlierest?--
+
+Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes
+Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon
+halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen
+Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen? Laß mir einen
+Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt.
+Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines
+frommen Sterbenden erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte
+meines Lebens sei.
+
+Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele
+lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen
+vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen
+Schranken--Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie fallen als
+feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder
+schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr,
+Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke
+ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches Händeringen. Das arme
+Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch
+ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit
+entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater--
+
+Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen.
+(Indem er zu ihren Füßen fällt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie
+zu berühren. Die gemeine Sage schreckt mich, daß der Körper eines
+Erschlagenen durch die Berührung seines Mörders zu bluten anfange.
+Und wer ist ihr Mörder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht
+auf.)--Nun ist sie tot, Sir; nun hört sie uns nicht mehr: nun
+verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente
+Verwünschungen aus! Es müsse keine mein Haupt verfehlen, und die
+gräßlichste derselben müsse gedoppelt erfüllt werden!--Was schweigen
+Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiß tot! Nun bin ich wieder nichts
+als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zärtlichen
+Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' hätten.--Was ist das? Ich
+will nicht, daß Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen!
+Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verführer! Denken Sie nach, Sir!--
+Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese blühende Schönheit, über
+die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub!
+Meinetwegen vergaß sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riß sie
+sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen mußte sie
+sterben!--Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen
+Sie mich es hören, daß Sie Vater sind.
+
+Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als daß
+ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte.--Laß dich
+umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte!
+
+Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die
+menschliche Natur vermag! Sie können mein Vater nicht sein.--Sehen
+Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der
+Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Unglücke mußte
+ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht
+gefallen wäre, so lebte Sara noch. Sie hätten Ihre Tochter noch und
+hätten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene
+ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen--das
+steht bei mir! (Er ersticht sich und fällt an dem Stuhle der Sara
+nieder.)
+
+Sir William. Halt ihn, Waitwell!--Was für ein neuer Streich auf mein
+gebeugtes Haupt!--Oh! wenn das dritte hier erkaltende Herz das meine
+wäre!
+
+Mellefont (sterbend). Ich fühl es--daß ich nicht fehlgestoßen habe!--
+Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die
+Hand drücken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.)--Sie
+haben von einer Arabella gehört, für die die sterbende Sara Sie bat.
+Ich würde auch für sie bitten--aber sie ist der Marwood Kind sowohl
+als meines--Was für fremde Empfindungen ergreifen mich!--Gnade! o
+Schöpfer, Gnade!
+
+Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kräftig sind, Waitwell, so laßt
+uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr
+unglücklich als lasterhaft.--
+
+
+
+Eilfter Auftritt
+
+Norton. Die Vorigen.
+
+
+Norton. Ärzte, Sir.--
+
+Sir William. Wenn sie Wunder tun können, so laß sie hereinkommen!--
+Laß mich nicht länger, Waitwell, bei diesem tötenden Anblicke
+verweilen. Ein Grab soll beide umschließen. Komm, schleunige Anstalt
+zu machen, und dann laß uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie
+sei: sie ist ein Vermächtnis meiner Tochter.
+
+(Sie gehen ab, und das Theater fällt zu.)
+
+(Ende des Trauerspiels.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Miß Sara Sampson, von Gotthold
+Ephraim Lessing.
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON ***
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+
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+Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
+of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
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+States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
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+The Project Gutenberg EBook of Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing
+#6 in our series by Gotthold Ephraim Lessing
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+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
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+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Miss Sara Sampson
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Release Date: October, 2005 [EBook #9157]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on September 9, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ASCII
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON ***
+
+
+
+
+Produced by Delphine Letttau. The book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
+
+
+
+
+This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
+That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/.
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+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.
+
+
+
+
+Miss Sara Sampson
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+Ein Trauerspiel in fuenf Aufzuegen
+
+
+
+Personen:
+
+Sir William Sampson
+Miss Sara, dessen Tochter
+Mellefont
+Marwood, Mellefonts alte Geliebte
+Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter
+Waitwell, ein alter Diener des Sampson
+Norton, Bedienter des Mellefont
+Betty, Maedchen der Sara
+Hannah, Maedchen der Marwood
+Der Gastwirt und einige Nebenpersonen
+
+
+
+
+
+Erster Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe.
+
+
+Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein.
+
+Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?
+
+Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiss das allerelendeste im
+ganzen Staedtchen zu seinem Aufenthalte gewaehlt. Boese Leute suchen
+immer das Dunkle, weil sie boese Leute sind. Aber was hilft es ihnen,
+wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen koennten? Das
+Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.--Ach, Sie
+weinen schon wieder, schon wieder, Sir!--Sir!
+
+Sir William. Lass mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient
+sie etwa meine Traenen nicht?
+
+Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Traenen waeren.
+
+Sir William. Nun so lass mich.
+
+Waitwell. Das beste, schoenste, unschuldigste Kind, das unter der
+Sonne gelebt hat, das muss so verfuehrt werden! Ach Sarchen! Sarchen!
+Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind
+auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Laecheln,
+dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die
+Morgenroete eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer--
+
+Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwaertige mein Herz
+schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an
+vergangne Glueckseligkeiten noch hoellischer machen? Aendre deine
+Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir
+aus meiner Zaertlichkeit ein Verbrechen; vergroessre das Vergehen meiner
+Tochter; erfuelle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie;
+entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verfuehrer;
+sage, dass Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehoert
+hat, es zu sein; sage, dass sie mich nie geliebt, weil sie mich
+heimlich verlassen hat.
+
+Waitwell. Sagte ich das, so wuerde ich eine Luege sagen, eine
+unverschaemte, boese Luege. Sie koennte mir auf dem Todbette wieder
+einfallen, und ich alter Boesewicht muesste in Verzweiflung sterben.--
+Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiss! gewiss! sie liebt
+ihn noch. Wenn Sie nur davon ueberzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich
+sie heute noch wieder in Ihren Armen.
+
+Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich ueberzeugt zu sein.
+Ich kann sie laenger nicht entbehren; sie ist die Stuetze meines Alters,
+und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versuessen hilft,
+wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler
+vergessen. Es war der Fehler eines zaertlichen Maedchens, und ihre
+Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als
+erzwungene Tugenden--Doch ich fuehle es, Waitwell, ich fuehle es; wenn
+diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsaetzliche
+Laster waeren: ach! ich wuerde ihr doch vergeben. Ich wuerde doch
+lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein
+wollen.
+
+Waitwell. Trocknen Sie Ihre Traenen ab, lieber Sir! Ich hoere jemanden
+kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell.
+
+
+Der Wirt. So frueh, meine Herren, so frueh? Willkommen! willkommen,
+Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr,
+von dem du gestern mit mir gesprochen hast?
+
+Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, dass du abgeredetermassen--
+
+Der Wirt. Gnaediger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt
+mir daran, ob ich es weiss oder nicht, was Sie fuer eine Ursache hierher
+fuehrt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt
+sein Geld und laesst seine Gaeste machen, was ihnen gutduenkt. Waitwell
+hat mir zwar gesagt, dass Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen
+Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhaelt, ein wenig
+beobachten wollen. Aber ich hoffe, dass Sie ihm keinen Verdruss
+verursachen werden. Sie wuerden mein Haus in einen uebeln Ruf bringen,
+und gewisse Leute wuerden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner
+muss von allen Sorten Menschen leben.--
+
+Sir William. Besorget nichts; fuehrt mich nur in das Zimmer, das
+Waitwell fuer mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen
+Absichten hierher.
+
+Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnaediger Herr! Die
+Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich haette es, zum Exempel,
+laengst erfahren koennen, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben
+wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, dass
+er mit dem Frauenzimmer muss durchgegangen sein. Das gute Weibchen,
+oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube
+eingeschlossen und weint.
+
+Sir William. Und weint?
+
+Der Wirt. Ja, und weint--Aber, gnaediger Herr, warum weinen Sie? Das
+Frauenzimmer muss Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht--
+
+Waitwell. Halt ihn nicht laenger auf.
+
+Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer
+trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht--
+
+Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer--
+
+Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen.
+
+Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehoerigen Ort, ehe noch
+das ganze Haus wach wird.
+
+Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnaediger Herr? (Geht ab.)
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer.
+
+
+Mellefont und hernach sein Bedienter.
+
+Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die
+ich auf der Folter nicht grausamer haette zubringen koennen!--Norton!--
+Ich muss nur machen, dass ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich
+mit meinen Gedanken laenger allein: sie moechten mich zu weit fuehren.--
+He, Norton! Er schlaeft noch. Aber bin ich nicht grausam, dass ich den
+armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie gluecklich ist er!--Doch ich
+will nicht, dass ein Mensch um mich gluecklich sei.--Norton!
+
+Norton (kommend). Mein Herr!
+
+Mellefont. Kleide mich an!--O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn
+ich werde laenger schlafen koennen, so erlaube ich dir, dass du auch
+laenger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen
+willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir.
+
+Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiss besser,
+wo das Mitleiden hingehoert.
+
+Mellefont. Und wohin denn?
+
+Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts.
+
+Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen
+aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiss es, wer dein Mitleiden
+erschoepft.--Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren.
+Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem
+Herzen, aber--verfluche auch dich.
+
+Norton. Auch mich?
+
+Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht
+tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht
+hast.
+
+Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was?
+
+Mellefont. Dadurch, dass du dazu geschwiegen.
+
+Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften wuerde mir
+ein Wort den Hals gekostet haben.--Und dazu, als ich Sie kennenlernte,
+fand ich Sie nicht schon so arg, dass alle Hoffnung zur Bessrung
+vergebens war? Was fuer ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten
+Augenblicke an fuehren sehen! In der nichtswuerdigsten Gesellschaft von
+Spielern und Landstreichern--ich nenne sie, was sie waren, und kehre
+mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht--in solcher
+Gesellschaft brachten Sie ein Vermoegen durch, das Ihnen den Weg zu den
+groessten Ehrenstellen haette bahnen koennen. Und Ihr strafbarer Umgang
+mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der boesen Marwood--
+
+Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war
+Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermoegen; gut.
+Die Strafe koemmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und
+Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte
+Weibsbilder; lass es sein. Ich ward oefter verfuehrt, als ich verfuehrte;
+und die ich selbst verfuehrte, wollten verfuehrt sein.--Aber--ich hatte
+noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch
+keine Unschuld in ein unabsehliches Unglueck gestuerzt. Ich hatte noch
+keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie
+gezwungen, einem Nichtswuerdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr
+sein eigen war. Ich hatte--Wer koemmt schon so frueh zu mir?
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Betty. Mellefont. Norton.
+
+
+Norton. Es ist Betty.
+
+Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fraeulein?
+
+Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach
+Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie
+schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muss das fuer ein
+Schlaf gewesen sein! Ploetzlich fuhr sie in die Hoehe, sprang auf und
+fiel mir als eine Unglueckliche in die Arme, die von einem Moerder
+verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiss floss ihr ueber das
+erblasste Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat
+mir bis an den Morgen nur mit stummen Traenen geantwortet. Endlich hat
+sie mich einmal ueber das andre an Ihre Tuere geschickt, zu hoeren, ob
+Sie schon auf waeren. Sie will Sie sprechen. Sie allein koennen sie
+troesten. Tun Sie es doch, liebster gnaediger Herr, tun Sie es doch.
+Das Herz muss mir springen, wenn sie sich so zu aengstigen fortfaehrt.
+
+Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, dass ich den Augenblick bei ihr sein
+wolle--
+
+Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen.
+
+Mellefont. Nun so sage ihr, dass ich sie erwarte--Ach!--
+
+(Betty geht ab.)
+
+
+
+Fuenfter Auftritt
+
+Mellefont. Norton.
+
+
+Norton. Gott, die arme Miss!
+
+Mellefont. Wessen Gefuehl willst du durch deine Ausrufung rege machen?
+Sieh, da laeuft die erste Traene, die ich seit meiner Kindheit geweinet,
+die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende
+Betruebte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?--Doch wo
+soll sie ihn sonst suchen?--Ich muss mich fassen. (Indem er sich die
+Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein
+schoenes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin,
+durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?--Nun wird sie
+kommen und wird unwiderstehliche Traenen weinen. Verwirrt, beschaemt
+werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Suender werde ich vor
+ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen?
+
+Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird.
+
+Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit
+Unrecht tadelt sie die Verzoegerung einer Zeremonie, die itzt ohne
+unser aeusserstes Verderben in dem Koenigreiche nicht vollzogen werden
+kann.
+
+Norton. So machen Sie denn, dass Sie es verlassen. Warum zaudern wir?
+Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern?
+Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft
+sein. Vielleicht, dass ihr der Kummer nicht ganz ueber das Meer folgt;
+dass sie einen Teil desselben zuruecklaesst, und in einem andern Lande--
+
+Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie koemmt. Wie schlaegt
+mir das Herz--
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Norton.
+
+
+Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht
+gehabt, liebste Miss--
+
+Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht waere--
+
+Mellefont (zum Bedienten). Verlass uns!
+
+Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir
+gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt wuerde.
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Sara. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miss. Sie muessen sich setzen.
+
+Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr frueh; und werden Sie
+mir es vergeben, dass ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange?
+
+Mellefont. Teuerste Miss, Sie wollen sagen, dass Sie mir es nicht
+vergeben koennen, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne dass
+ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe.
+
+Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen
+bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte
+Woche faengt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf
+eben dem Fusse als den ersten Tag.
+
+Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe?
+
+Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fuehle mein Unglueck zu
+sehr, zu sehr, als dass ich mir selbst diese letzte, einzige Versuessung
+desselben rauben sollte.
+
+Mellefont. Wie kann also meine Miss ueber die Verschiebung einer
+Zeremonie unruhig sein?
+
+Sara. Ach, Mellefont, warum muss ich einen andern Begriff von dieser
+Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart
+etwas nach. Ich stelle mir vor, dass eine naehere Einwilligung des
+Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den
+gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die
+Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das
+erstemal, fuer Fruechte meines Misstrauens angesehen haben. Ich stritt
+mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betaeuben;
+aber mein Herz und ein inneres Gefuehl warfen auf einmal das muehsame
+Gebaeude von Schluessen uebern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten
+mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu
+quaelen, verband. Was fuer Bilder, was fuer schreckliche Bilder
+schwaermten um mich herum! Ich wollte sie gern fuer Traeume halten--
+
+Mellefont. Wie? Meine vernuenftige Sara sollte sie fuer etwas mehr
+halten? Traeume, liebste Miss, Traeume!--Wie ungluecklich ist der Mensch!
+Fand sein Schoepfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen fuer
+ihn genug? Musste er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich
+von Einbildungen in ihm schaffen?
+
+Sara. Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in
+unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn
+diese unsern Pflichten und der Tugend gemaess sind, so dienen die sie
+begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres
+Vergnuegens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der
+von einem Friedensboten im Namen der ewigen Guete auf uns gelegt wird,
+kann meine zerruettete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an,
+mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun
+werden? Erbarmen Sie sich meiner, und ueberlegen Sie, dass, wenn Sie
+mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese
+eingebildete Qualen doch Qualen und fuer die, die sie empfindet,
+wirkliche Qualen sind.--Ach, koennte ich Ihnen nur halb so lebhaft die
+Schrecken meiner vorigen Nacht erzaehlen, als ich sie gefuehlt habe!--
+Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschaeftigungen, ermuedet, sank
+ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurueck. Die Natur
+wollte sich einen Augenblick erholen, neue Traenen zu sammeln. Aber
+noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem
+schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir
+her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden aengstlichen Schritten, die
+dann und wann ein Blick staerkte, welchen Sie auf mich zurueckwarfen.
+Schnell hoerte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir
+stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann
+ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedaechtnis
+ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!--
+Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost fuer seine Sara!--
+Hoeren Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme
+umsehen wollte, gleitete mein Fuss; ich wankte und sollte eben in den
+Abgrund herabstuerzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer
+mir aehnlichen Person zurueckgehalten fuehlte. Schon wollte ich ihr den
+feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich
+rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der
+bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend
+fuehlte ich noch alles, was ein toedlicher Stich Schmerzhaftes haben
+kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muss: das Ende der
+Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu duerfen.
+
+Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer
+Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiss auch das Ende des
+meinigen sein wuerde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines
+sinnlosen Traumes.
+
+Sara. Die Kraft, es vergessen zu koennen, erwarte ich von Ihnen. Es
+sei Liebe oder Verfuehrung, es sei Glueck oder Unglueck, das mich Ihnen
+in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und
+werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes
+Richters, der die geringsten Uebertretungen seiner Ordnung zu strafen
+gedrohet hat--
+
+Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein!
+
+Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen
+Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres
+Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre
+verlustig gemacht haette, wuerde vielleicht durch ein gesetzmaessiges Band
+nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich,
+Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner
+Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen
+nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen
+verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf
+mich nehmen, als ob ich es nicht waere. Sie sollen mich, wenn Sie
+nicht wollen, fuer Ihre Gattin nicht erklaeren duerfen; Sie sollen mich
+erklaeren koennen, fuer was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht
+fuehren; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es fuer
+gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in
+den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines
+Gewissens daraus zu ziehen.
+
+Mellefont. Halten Sie ein, Miss, oder ich muss vor Ihren Augen des
+Todes sein. Wie elend bin ich, dass ich nicht das Herz habe, Sie noch
+elender zu machen!--Bedenken Sie, dass Sie sich meiner Fuehrung
+ueberlassen haben; bedenken Sie, dass ich schuldig bin, fuer uns weiter
+hinauszusehen, und dass ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein muss, wenn
+ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere
+Klagen will fuehren hoeren. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen
+zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt?
+
+Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein
+gewisses Vermaechtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Gueter retten
+und mich vielleicht ewige darueber verscherzen lassen.
+
+Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Gueter so gewiss waeren,
+als Ihrer Tugend die ewigen sind--
+
+Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang
+es mir suesse, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin!
+
+Mellefont. Wie? muss der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler
+begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, dass er eine
+ganze Reihe unstraeflicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch
+tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerfliesset,
+wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises
+Wesen unsere Pflichten nach unsern Kraeften abgemessen; so ist die Lust,
+uns strafen zu koennen, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich
+erschrecke vor allen den graesslichen Folgerungen, in welche Sie Ihre
+Kleinmut verwickeln muss! Nein, Miss, Sie sind noch die tugendhafte
+Sara, die Sie vor meiner ungluecklichen Bekanntschaft waren. Wenn Sie
+sich selbst mit so grausamen Augen ansehen, mit was fuer Augen muessen
+Sie mich betrachten!
+
+Sara. Mit den Augen der Liebe, Mellefont.
+
+Mellefont. So bitte ich Sie denn um dieser Liebe, um dieser
+grossmuetigen, alle meine Unwuerdigkeit uebersehenden Liebe willen, zu
+Ihren Fuessen bitte ich Sie: beruhigen Sie sich. Haben Sie nur noch
+einige Tage Geduld.
+
+Sara. Einige Tage! Wie ist ein Tag schon so lang!
+
+Mellefont. Verwuenschtes Vermaechtnis! Verdammter Unsinn eines
+sterbenden Vetters, der mir sein Vermoegen nur mit der Bedingung lassen
+wollte, einer Anverwandtin die Hand zu geben, die mich ebensosehr hasst
+als ich sie! Euch, unmenschliche Tyrannen unserer freien Neigungen,
+Euch werde alle das Unglueck, alle die Suende zugerechnet, zu welchen
+uns Euer Zwang bringet!--Und wenn ich ihrer nur entuebriget sein koennte,
+dieser schimpflichen Erbschaft! Solange mein vaeterliches Vermoegen zu
+meiner Unterhaltung hinreichte, habe ich sie allezeit verschmaehet und
+sie nicht einmal gewuerdiget, mich darueber zu erklaeren. Aber itzt,
+itzt, da ich alle Schaetze der Welt nur darum besitzen moechte, um sie
+zu den Fuessen meiner Sara legen zu koennen, itzt, da ich wenigstens
+darauf denken muss, sie ihrem Stande gemaess in der Welt erscheinen zu
+lassen, itzt muss ich meine Zuflucht dahin nehmen.
+
+Sara. Mit der es Ihnen zuletzt doch wohl noch fehlschlaegt.
+
+Mellefont. Sie vermuten immer das Schlimmste.--Nein; das Frauenzimmer,
+die es mit betrifft, ist nicht ungeneigt, eine Art von Vergleich
+einzugehen. Das Vermoegen soll geteilt werden; und da sie es nicht
+ganz mit mir geniessen kann, so ist sie es zufrieden, dass ich mit der
+Haelfte meine Freiheit von ihr erkaufen darf. Ich erwarte alle Stunden
+die letzten Nachrichten in dieser Sache, deren Verzoegerung allein
+unsern hiesigen Aufenthalt so langwierig gemacht hat. Sobald ich sie
+bekommen habe, wollen wir keinen Augenblick laenger hier verweilen.
+Wir wollen sogleich, liebste Miss, nach Frankreich uebergehen, wo Sie
+neue Freunde finden sollen, die sich itzt schon auf das Vergnuegen, Sie
+zu sehen und Sie zu lieben, freuen. Und diese neuen Freunde sollen
+die Zeugen unserer Verbindung sein--
+
+Sara. Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein?--Grausamer!
+so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? So
+soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin verlassen? Und als eine
+solche, glauben Sie, wuerde ich Mut genug haben, mich der See zu
+vertrauen? Dessen Herz muss ruhiger oder muss ruchloser sein als meines,
+welcher nur einen Augenblick zwischen sich und dem Verderben mit
+Gleichgueltigkeit nichts als ein schwankendes Brett sehen kann. In
+jeder Welle, die an unser Schiff schluege, wuerde mir der Tod
+entgegenrauschen; jeder Wind wuerde mir von den vaeterlichen Kuesten
+Verwuenschungen nachbrausen, und der kleinste Sturm wuerde mich ein
+Blutgericht ueber mein Haupt zu sein duenken.--Nein, Mellefont, so ein
+Barbar koennen Sie gegen mich nicht sein. Wenn ich noch das Ende Ihres
+Vergleichs erlebe, so muss es Ihnen auf einen Tag nicht ankommen, den
+wir hier laenger zubringen. Es muss dieses der Tag sein, an dem Sie
+mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren. Es muss
+dieses der heilige Tag sein--Ach! welcher wird es denn endlich sein?
+
+Mellefont. Aber ueberlegen Sie denn nicht, Miss, dass unserer Verbindung
+hier diejenige Feier fehlen wuerde, die wir ihr zu geben schuldig sind?
+
+
+Sara. Eine heilige Handlung wird durch das Feierliche nicht kraeftiger.
+
+
+Mellefont. Allein--
+
+Sara. Ich erstaune. Sie wollen doch wohl nicht auf einem so
+nichtigen Vorwande bestehen? O Mellefont, Mellefont! wenn ich mir es
+nicht zum unverbruechlichsten Gesetze gemacht haette, niemals an der
+Aufrichtigkeit Ihrer Liebe zu zweifeln, so wuerde mir dieser Umstand--
+Doch schon zuviel; es moechte scheinen, als haette ich eben itzt daran
+gezweifelt.
+
+Mellefont. Der erste Augenblick Ihres Zweifels muesse der letzte
+meines Lebens sein! Ach, Sara, womit habe ich es verdient, dass Sie
+mir auch nur die Moeglichkeit desselben voraussehen lassen? Es ist
+wahr, die Gestaendnisse, die ich Ihnen von meinen ehemaligen
+Ausschweifungen abzulegen kein Bedenken getragen habe, koennen mir
+keine Ehre machen: aber Vertrauen sollten sie mir doch erwecken. Eine
+buhlerische Marwood fuehrte mich in ihren Stricken, weil ich das fuer
+sie empfand, was so oft fuer Liebe gehalten wird und es doch so selten
+ist. Ich wuerde noch ihre schimpflichen Fesseln tragen, haette sich
+nicht der Himmel meiner erbarmt, der vielleicht mein Herz nicht fuer
+ganz unwuerdig erkannte, von bessern Flammen zu brennen. Sie, liebste
+Sara, sehen und alle Marwoods vergessen, war eins. Aber wie teuer kam
+es Ihnen zu stehen, mich aus solchen Haenden zu erhalten! Ich war mit
+dem Laster zu vertraut geworden, und Sie kannten es zu wenig--
+
+Sara. Lassen Sie uns nicht mehr daran gedenken--
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Norton. Mellefont. Sara.
+
+
+Mellefont. Was willst du?
+
+Norton. Ich stand eben vor dem Hause, als mir ein Bedienter diesen
+Brief in die Hand gab. Die Aufschrift ist an Sie, mein Herr.
+
+Mellefont. An mich? Wer weiss hier meinen Namen? (Indem er den Brief
+betrachtet.) Himmel!
+
+Sara. Sie erschrecken?
+
+Mellefont. Aber ohne Ursache, Miss, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte
+mich in der Hand.
+
+Sara. Moechte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es
+wuenschen koennen.
+
+Mellefont. Ich vermute, dass er sehr gleichgueltig sein wird.
+
+Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist.
+Erlauben Sie, dass ich mich wieder in mein Zimmer begebe.
+
+Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken?
+
+Sara. Ich mache mir keine, Mellefont.
+
+Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den
+Augenblick bei Ihnen sein, liebste Miss.
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+Mellefont. Norton.
+
+
+Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott!
+
+Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist!
+
+Mellefont. Kann es moeglich sein? Ich sehe diese verruchte Hand
+wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es
+nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von
+der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt
+verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt,
+dass wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht
+noetig; vielleicht haben meine veraechtlichen Abschiedsbriefe die
+Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen.
+Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun.
+
+Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den
+laengsten Brief geschrieben haette, Mellefont, wenn Sie den Namen, den
+Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung
+wuerdigen wollen--"
+
+Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Dass ich ihn nie gehoert haette!
+Dass er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt wuerde!
+
+Norton (liest weiter). "Die Muehe, Sie auszuforschen, hat mir die
+Liebe, welche mir forschen half, versuesst."
+
+Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der
+Tugend geweiht sind!
+
+Norton (faehrt fort). "Sie hat noch mehr getan--"
+
+Mellefont. Ich bebe--
+
+Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--"
+
+Mellefont. Verraeter, was liest du? (Er reisst ihm den Brief aus der
+Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin
+hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir
+mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was fuer ein
+Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie
+mit dem Leben buessen.
+
+Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie
+liegen wieder zu ihren Fuessen. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie muessen
+sie nicht sprechen, oder das Unglueck Ihrer armen Miss ist vollkommen.
+
+Mellefont. Ich Ungluecklicher!--Nein, ich muss sie sprechen. Sie wuerde
+mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese
+Unschuldige auslassen.
+
+Norton. Aber, mein Herr--
+
+Mellefont. Sage nichts!--Lass sehen, (indem er in den Brief sieht) ob
+sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, fuehre mich.
+
+(Sie gehen ab.)
+
+(Ende des ersten Aufzugs.)
+
+
+
+
+
+Zweiter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern
+Gasthofe.
+
+
+Marwood im Neglige. Hannah.
+
+Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingehaendiget, Hannah?
+
+Hannah. Richtig.
+
+Marwood. Ihm selbst?
+
+Hannah. Seinem Bedienten.
+
+Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er fuer Wirkung haben wird.--
+Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich hin es auch.--
+Der Verraeter! Doch gemach! Zornig muss ich durchaus nicht werden.
+Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn
+brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne.
+
+Hannah. Wenn er sich aber dagegen verhaerten sollte?--
+
+Marwood. Wenn er sich dagegen verhaerten sollte? So werde ich nicht
+zuernen--ich werde rasen. Ich fuehle es, Hannah; und wollte es lieber
+schon itzt.
+
+Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen.
+
+
+Marwood. Wo er nur gar koemmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat,
+mich festes Fusses bei sich zu erwarten!--Aber weisst du, Hannah, worauf
+ich noch meine meiste Hoffnung gruende, den Ungetreuen von dem neuen
+Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella.
+
+Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall,
+sie mitzunehmen, haette nicht gluecklicher sein koennen.
+
+Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub
+ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riss
+das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm
+eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben
+koenne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte,
+itzt nicht anders als durch List wiederbekommen koennen; er hatte auf
+mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht
+ausdruecklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und
+sich fuer die Mutter des Kindes ausgeben wuerde, durchaus nicht
+vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er
+zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren
+Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen
+ihren Reizen, bis zum Ueberdrusse, gesaettiget hat.
+
+Hannah. Welcher Undank!
+
+Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach
+sich als Gefaelligkeiten, fuer die kein Dank zu gross waere. Warum habe
+ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefaelligkeiten? Haette ich es
+nicht voraussehen sollen, dass sie ihren Wert nicht immer bei ihm
+behalten koennten? Dass ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses
+beruhe und dass er mit derjenigen Anmut verschwinden muesse, welche die
+Hand der Zeit unmerklich, aber gewiss, aus unsern Gesichtern verloescht?
+
+
+Hannah. O, Madam, von dieser gefaehrlichen Hand haben Sie noch lange
+nichts zu befuerchten. Ich finde, dass Ihre Schoenheit den Punkt ihrer
+praechtigsten Bluete so wenig ueberschritten hat, dass sie vielmehr erst
+darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln wuerde, wenn Sie
+ihr nur Vollmacht dazu geben wollten.
+
+Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit,
+die mir alle Schmeichelei verdaechtig macht. Es ist Unsinn, von neuen
+Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kraefte genug hat, sich
+im Besitze der schon gemachten zu erhalten.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Ein Bedienter. Marwood. Hannah.
+
+
+Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen.
+
+Marwood. Wer?
+
+Der Bediente. Ich vermute, dass es ebender Herr ist, an welchen der
+vorige Brief ueberschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm,
+der mir ihn abgenommen hat.
+
+Marwood. Mellefont!--Geschwind, fuehre ihn herauf! (Der Bediente geht
+ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was
+soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig
+genug? Sieh doch!
+
+Hannah. Nichts weniger als ruhig.
+
+Marwood. Aber diese?
+
+Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut.
+
+Marwood. Etwa so?
+
+Hannah. Zu traurig!
+
+Marwood. Sollte mir dieses Laecheln lassen?
+
+Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er koemmt.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood. Hannah.
+
+
+Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood--
+
+Marwood (die ihm mit offnen Armen laechelnd entgegenrennt). Ach
+Mellefont--
+
+Mellefont (beiseite). Die Moerderin, was fuer ein Blick!
+
+Marwood. Ich muss Sie umarmen, treuloser, lieber Fluechtling!--Teilen
+Sie doch meine Freude!--Warum entreissen Sie sich meinen Liebkosungen?
+
+Mellefont. Marwood, ich vermutete, dass Sie mich anders empfangen
+wuerden.
+
+Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr
+Entzuecken? Ach, ich Unglueckliche, dass ich weniger ausdruecken kann,
+als ich fuehle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, dass auch die Freude
+ihre Traenen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der suessesten Wollust!--
+Aber ach, verlorne Traenen! seine Hand trocknet euch nicht ab.
+
+Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden
+bezaubert haetten. Sie muessen itzt in einem andern Tone mit mir
+sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwuerfe anzuhoeren und darauf
+zu antworten.
+
+Marwood. Vorwuerfe? Was haette ich Ihnen fuer Vorwuerfe zu machen,
+Mellefont? Keine.
+
+Mellefont. So haetten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen
+koennen.
+
+Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit
+Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in
+ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze
+Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet,
+verdient diese Vorwuerfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darueber scherzen.
+
+
+Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es
+jemals an allen unsern Liebeshaendeln gehabt hat, auf die ich itzt
+nicht ohne Abscheu zuruecksehen kann.
+
+Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Naerrchen. Es laesst sich
+alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfaellt. Glauben
+Sie mir doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste,
+das getreuste Herz waere, wuerde ich mir wohl so viel Muehe geben, es zu
+behalten?
+
+Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich
+Ihnen.
+
+Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch.
+
+Mellefont. Marwood, wenn ich wuesste, dass Sie auch nur noch eine Faser
+davon besaessen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus
+meinem Leibe reissen.
+
+Marwood. Sie wuerden sehen, dass Sie meines zugleich herausrissen. Und
+dann, dann wuerden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der
+Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben.
+
+Mellefont (beiseite). Was fuer eine Schlange! Hier wird das beste
+sein zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir
+nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es
+nur ohne dieses Laecheln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine
+ganze Hoelle von Verfuehrung schreckt.
+
+Marwood (vertraulich). Hoere nur, mein lieber Mellefont; ich merke
+wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack
+sind itzt deine Tyrannen. Lass es gut sein; man muss sie austoben
+lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am
+sichersten eingeschlaefert und endlich gar ueberwunden, wenn man ihnen
+freies Feld laesst. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir
+nachsagen, kleiner Flattergeist, dass ich jemals eifersuechtig gewesen
+waere, wenn staerkere Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang
+abspenstig machten? Ich goennte dir ja allezeit diese Veraenderung, bei
+der ich immer mehr gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer,
+mit neuer Inbrunst in meine Arme zurueck, in die ich dich nur als in
+leichte Bande und nie als in schwere Fesseln schloss. Bin ich nicht
+oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu
+vertrauen hattest als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um
+sie gegen andre zu verschwenden? Warum glaubst du denn, dass ich itzt
+einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen wuerde, zu welchem ich
+nun eben berechtiget zu sein aufhoere, oder--vielleicht schon aufgehoert
+habe? Wenn deine Hitze gegen das schoene Landmaedchen noch nicht
+verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen
+sie bist; wenn du ihren Genuss noch nicht entbehren kannst: wer hindert
+dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es fuer gut befindest?
+Musst du deswegen so unbesonnene Anschlaege machen und mit ihr aus dem
+Reiche fliehen wollen?
+
+Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemaess,
+dessen Haesslichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem
+Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust
+unterscheiden gelernt.
+
+Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein
+Maedchen von schoenen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen muesst
+doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die
+schluepfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns
+gefallen; und bald entzuecken wir euch, wenn wir nichts als Tugend
+reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das
+Schlimmste aber ist, dass ihr das eine sowohl als das andre ueberdruessig
+werdet. Wir moegen naerrisch oder vernuenftig, weltlich oder geistlich
+gesinnet sein: wir verlieren unsere Muehe, euch bestaendig zu machen,
+einmal wie das andre. Du wirst an deine schoene Heilige die Reihe Zeit
+genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Ueberschlag machen?
+Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geh ich
+noch zwei, aufs laengste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich
+geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage
+wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du
+dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so
+wirst du dich zu der aeussersten Gleichgueltigkeit so schnell gebracht
+sehen, dass ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veraenderung
+rechnen darf--Das waere nun ungefaehr ein Monat. Und diesen Monat,
+Mellefont, will ich dir noch mit dem groessten Vergnuegen nachsehen; nur
+wirst du erlauben, dass ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf.
+
+
+Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit
+welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst gluecklich gewesen zu sein.
+Ein tugendhafter Entschluss sichert mich gegen Ihre Zaertlichkeit und
+gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht laenger
+aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als
+dass Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die
+Ihnen alle Hoffnung auf meine Rueckkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei
+vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem
+Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen
+lassen.
+
+Marwood. Gut, dass Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von
+wem hatten Sie ihn schreiben lassen?
+
+Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben?
+
+Marwood. Unmoeglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich
+weiss nicht was fuer Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen
+verschwendet haben, musste ein Gastwirt, sowie den uebrigen
+theologischen Rest ein Quaeker geschrieben haben. Demungeachtet will
+ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt
+anbelangt, so wissen Sie wohl, dass alle die Geschenke, welche Sie mir
+gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen
+nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es
+wieder in diejenigen Haende zu liefern, die mir es anvertrauet hatten.
+
+Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood.
+
+Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was haette ich ohne Ihre
+Person fuer ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so
+muessen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich fuer
+keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von
+wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie
+sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne
+meine Bekanntschaft geblieben waeren; und vielleicht auch nicht.
+
+Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet
+itzt aus Ihnen! Eine wolluestige Marwood denkt so edel nicht.
+
+Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig.
+Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, dass Sie mir diese
+Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet
+mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafuer sagen
+wollten, wuerde ich fuer eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen
+andern Sinn als diesen haben koennte: "Marwood, ich hielt Euch fuer eine
+niedertraechtige Betruegerin; ich bedanke Mich, dass Ihr es wenigstens
+gegen mich nicht sein wollt."
+
+Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern
+in einen Streit von Grossmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am
+ungernsten unterliegen moechte.
+
+Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr
+Andenken bei mir erneuern koennte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne
+Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu
+machen. Ich will Ihnen in der ungluecklichen Marwood nichts als eine
+Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen fuer Sie
+aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich
+sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und liebte;
+an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu meinen
+Fuessen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von
+Gegenliebe, die Sie mir auspressten; an die zaertlichen Blicke, an die
+feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte Stillschweigen,
+wenn wir mit beschaeftigten Sinnen einer des andern geheimste Regungen
+errieten und in den schmachtenden Augen die verborgensten Gedanken der
+Seele lasen; an das zitternde Erwarten der nahenden Wollust; an die
+Trunkenheit ihrer Freuden; an das suesse Erstarren nach der Fuelle des
+Genusses, in welchem sich die ermatteten Geister zu neuen Entzueckungen
+erholten. An alles dieses will ich Sie erinnern und dann Ihre Knie
+umfassen und nicht aufhoeren, um das einzige Geschenk zu bitten, das
+Sie mir nicht versagen koennen und ich, ohne zu erroeten, annehmen darf,--
+um den Tod von Ihren Haenden.
+
+Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben fuer Sie
+hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen
+Sie weiter keinen Anspruch. Ich muss Sie verlassen, Marwood, oder mich
+zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon strafbar, dass
+ich nur hier stehe und Sie anhoere. Leben Sie wohl! leben Sie wohl!
+
+Marwood (die ihn zurueckhaelt). Sie muessen mich verlassen? Und was
+wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr
+Geschoepf; tun Sie also, was einem Schoepfer zukoemmt; er darf die Hand
+von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gaenzlich vernichten
+will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach.
+Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf
+einmal mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat.
+
+(Hannah geht ab.)
+
+Mellefont. Was fuer einen Vorsprecher, Marwood?
+
+Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern
+beraubet haetten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kuerzern Wege
+zu Ihrem Herzen bringen--
+
+Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht--
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood.
+
+
+Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich
+unterstehen koennen--
+
+Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm; sieh
+hier deinen Beschuetzer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das Herz
+mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschuetzer, als dein
+Freund sein kann.
+
+Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier
+ergehen?
+
+Arabella (indem sie ihm furchtsam naeher tritt). Ach, mein Herr! Sind
+Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.-
+-Wuerde er mich nicht ansehen, wenn er es waere? Wuerde er mich nicht in
+seine Arme schliessen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglueckliches
+Kind! Womit haette ich ihn denn erzuernt, diesen Mann, diesen liebsten
+Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen?
+
+Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie goennen der Unschuldigen
+keinen Blick?
+
+Mellefont. Ach!--
+
+Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Koennen wir ihm nicht
+helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm
+seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er
+sieht gen Himmel! Was wuenscht er? Was bittet er vom Himmel? Moechte
+er ihm doch alles gewaehren, wenn er mir auch alles dafuer versagte!
+
+Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Fuessen. Er will uns
+verlassen; er will uns auf ewig verlassen.
+
+Arabella (die vor ihm niederfaellt). Hier liege ich schon. Sie uns
+verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine
+kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermisst haben? Wir sollen Sie
+wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, dass Sie uns liebten.
+Verlaesst man denn die, die man liebt? So muss ich Sie wohl nicht lieben;
+denn ich wuenschte, Sie nie zu verlassen. Nie, und will Sie auch nie
+verlassen.
+
+Marwood. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch mir--
+Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Fuessen--
+
+Mellefont (haelt sie zurueck, indem sie sich niederwerfen will).
+Marwood, gefaehrliche Marwood--Und auch du, meine liebste Bella (hebt
+sie auf), auch du bist wider deinen Mellefont?
+
+Arabella. Ich wider Sie?
+
+Marwood. Was beschliessen Sie, Mellefont?
+
+Mellefont. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte.
+
+Marwood (die ihn umarmt). Ach, ich weiss es ja, dass die Redlichkeit
+Ihres Herzens allezeit ueber den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat.
+
+
+Mellefont. Bestuermen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie
+aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verfuehrer, ein Raeuber, ein
+Moerder.
+
+Marwood. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und
+hernach werden Sie erkennen, dass ich Sie abgehalten habe, es wirklich
+zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurueck.
+
+Arabella (schmeichelnd). O ja! tun Sie dieses.
+
+Mellefont. Mit euch zurueckkehren? Kann ich denn?
+
+Marwood. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen.
+
+Mellefont. Und meine Miss--
+
+Marwood. Und Ihre Miss mag sehen, wo sie bleibt!--
+
+Mellefont. Ha! barbarische Marwood, diese Rede liess mich bis auf den
+Grund Ihres Herzens sehen--Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder
+in mich?
+
+Marwood. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen haetten, so
+wuerden Sie entdeckt haben, dass es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miss
+fuehlt als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist
+ein eigennuetziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben ueberhaupt diesen
+Liebeshandel viel zu weit getrieben. Dass Sie, als ein Mann, der bei
+einem langen Umgange mit unserm Geschlechte in der Kunst zu verfuehren
+ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre
+Ueberlegenheit an Verstellung und Erfahrung zunutze machten und nicht
+eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das moechte noch
+hingehen; Sie koennen sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft
+entschuldigen. Allein, dass Sie einem alten Vater sein einziges Kind
+raubten; dass Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu
+seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; dass Sie Ihrer Lust
+wegen die staerksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das
+koennen Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder
+gut, soweit es moeglich ist, ihn gutzumachen. Geben Sie dem weinenden
+Alter seine Stuetze wieder, und schicken Sie eine leichtglaeubige
+Tochter in ihr Haus zurueck, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft
+haben, nicht auch oede machen muessen.
+
+Mellefont. Das fehlte noch, dass Sie auch mein Gewissen wider mich zu
+Hilfe riefen! Aber gesetzt, es waere billig, was Sie sagen; muesste ich
+nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der ungluecklichen Miss
+selbst vorschlagen sollte?
+
+Marwood. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, dass ich schon im voraus
+bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. Sobald ich
+Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der
+Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darueber ganz
+ausser sich gewesen und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen.
+Ich wundre mich, dass er noch nicht hier ist.
+
+Mellefont. Was sagen Sie?
+
+Marwood. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft und lassen sich gegen
+die Miss nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht laenger
+aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie moechte Verdacht bekommen.
+Doch versprach ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen.
+
+Mellefont. O Marwood, mit was fuer Gesinnungen kam ich zu Ihnen und
+mit welchen muss ich Sie verlassen! Einen Kuss, meine liebe Bella--
+
+Arabella. Der war fuer Sie; aber nun einen fuer mich. Kommen Sie nur
+ja bald wieder; ich bitte.
+
+(Mellefont geht ab.)
+
+
+
+Fuenfter Auftritt
+
+Marwood. Arabella. Hannah.
+
+
+Marwood (nachdem sie tief Atem geholt). Sieg! Hannah! aber ein
+saurer Sieg!--Gib mir einen Stuhl; ich fuehle mich ganz abgemattet--
+(Sie setzt sich.) Eben war es die hoechste Zeit, als er sich ergab;
+noch einen Augenblick haette er anstehen duerfen, so wuerde ich ihm eine
+ganz andre Marwood gezeigt haben.
+
+Hannah. Ach, Madam, was sind Sie fuer eine Frau! Den moechte ich doch
+sehn, der Ihnen widerstehen koennte.
+
+Marwood. Er hat mir schon zu lange widerstanden. Und gewiss, gewiss,
+ich will es ihm nicht vergeben, dass ich ihm fast zu Fusse gefallen waere.
+
+
+Arabella. O nein! Sie muessen ihm alles vergeben. Er ist ja so gut,
+so gut--
+
+Marwood. Schweig, kleine Naerrin!
+
+Hannah. Auf welcher Seite wussten Sie ihn nicht zu fassen! Aber
+nichts, glaube ich, ruehrte ihn mehr als die Uneigennuetzigkeit, mit
+welcher Sie sich erboten, alle von ihm erhaltenen Geschenke
+zurueckzugeben.
+
+Marwood. Ich glaube es auch. Ha! ha! (Veraechtlich.)
+
+Hannah. Warum lachen Sie, Madam? Wenn es nicht Ihr Ernst war, so
+wagten Sie in der Tat sehr viel. Gesetzt, er haette Sie bei Ihrem
+Worte gefasst?
+
+Marwood. O geh! man muss wissen, wen man vor sich hat.
+
+Hannah. Nun, das gesteh ich! Aber auch Sie, meine schoene Bella,
+haben Ihre Sache vortrefflich gemacht; vortrefflich!
+
+Arabella. Warum das? Konnte ich sie denn anders machen? Ich hatte
+ihn ja so lange nicht gesehen. Sie sind doch nicht boese, Madam, dass
+ich ihn so lieb habe? Ich habe Sie so lieb wie ihn; ebenso lieb.
+
+Marwood. Schon gut; dasmal will ich dir verzeihen, dass du mich nicht
+lieber hast als ihn.
+
+Arabella. Dasmal? (Schluchzend.)
+
+Marwood. Du weinst ja wohl gar? Warum denn?
+
+Arabella. Ach nein! ich weine nicht. Werden Sie nur nicht
+ungehalten. Ich will Sie ja gern alle beide so lieb, so lieb haben,
+dass ich unmoeglich weder Sie noch ihn lieber haben kann.
+
+Marwood. Je nun ja!
+
+Arabella. Ich bin recht ungluecklich--
+
+Marwood. Sei doch nur stille--Aber was ist das?
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Mellefont. Marwood. Arabella. Hannah.
+
+
+Marwood. Warum kommen Sie schon wieder, Mellefont? (Sie steht auf.)
+
+Mellefont (hitzig,). Weil ich mehr nicht als einige Augenblicke noetig
+hatte, wieder zu mir selbst zu kommen.
+
+Marwood. Nun?
+
+Mellefont. Ich war betaeubt, Marwood, aber nicht bewegt. Sie haben
+alle Ihre Muehe verloren; eine andre Luft als diese ansteckende Luft
+Ihres Zimmers gab mir Mut und Kraefte wieder, meinen Fuss aus dieser
+gefaehrlichen Schlinge noch zeitig genug zu ziehen. Waren mir
+Nichtswuerdigem die Raenke einer Marwood noch nicht bekannt genug?
+
+Marwood (hastig). Was ist das wieder fuer eine Sprache?
+
+Mellefont. Die Sprache der Wahrheit und des Unwillens.
+
+Marwood. Nur gemach, Mellefont, oder auch ich werde diese Sprache
+sprechen.
+
+Mellefont. Ich komme nur zurueck, Sie keinen Augenblick laenger in
+einem Irrtume von mir stecken zu lassen, der mich, selbst in Ihren
+Augen, veraechtlich machen muss.
+
+Arabella (furchtsam). Ach! Hannah--
+
+Mellefont. Sehen Sie mich nur so wuetend an, als Sie wollen. Je
+wuetender, je besser. War es moeglich, dass ich zwischen einer Marwood
+und einer Sara nur einen Augenblick unentschluessig bleiben konnte?
+Und dass ich mich fast fuer die erstere entschlossen haette?
+
+Arabella. Ach Mellefont!--
+
+Mellefont. Zittern Sie nicht, Bella. Auch fuer Sie bin ich mit
+zurueckgekommen. Geben Sie mir die Hand, und folgen Sie mir nur
+getrost.
+
+Marwood (die beide zurueckhaelt). Wem soll sie folgen, Verraeter?
+
+Mellefont. Ihrem Vater.
+
+Marwood. Geh, Elender; und lern erst ihre Mutter kennen.
+
+Mellefont. Ich kenne sie. Sie ist die Schande ihres Geschlechts--
+
+Marwood. Fuehre sie weg, Hannah!
+
+Mellefont. Bleiben Sie, Bella. (Indem er sie zurueckhalten will.)
+
+Marwood. Nur keine Gewalt, Mellefont, oder--
+
+(Hannah und Arabella geben ab.)
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood.
+
+
+Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie
+fest entschlossen sind, mich einer jungen Naerrin aufzuopfern?
+
+Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier
+erinnere, dass den alten Goettern auch sehr unreine Tiere geopfert
+wurden.
+
+Marwood (spoettisch). Druecken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen
+aus.
+
+Mellefont. So sage ich ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie
+wieder ohne die schrecklichsten Verwuenschungen an Sie zu denken. Wer
+sind Sie? und wer ist Sara? Sie sind eine wolluestige, eigennuetzige,
+schaendliche Buhlerin, die sich itzt kaum mehr muss erinnern koennen,
+einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts
+vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich
+vielleicht die ganze Welt haetten geniessen lassen. Sie haben mich
+gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so
+koemmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein
+Vermoegen, meine Ehre, mein Glueck--
+
+Marwood. Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten
+muesste! Ungeheuer! Ist der Teufel aerger als du, der schwache Menschen
+zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk
+sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann
+und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht
+preisgeben koennen, so habe ich doch meinen guten Namen fuer dich in die
+Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage
+ich? kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinst, das
+weder ruhig noch gluecklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen
+Wert und kann vollkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer
+ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennenlernte; genug, dass ich in
+den Augen der Welt fuer ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich
+nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine
+Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine
+Hand anzunehmen.
+
+Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niedertraechtige.
+
+
+Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswuerdigen Kunstgriffen
+du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredt, dass du
+dich in keine oeffentliche Verbindung einlassen koenntest, ohne einer
+Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir
+teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer fuer
+eine andre als fuer mich zu entsagen?
+
+Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu koennen, dass
+diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnuegen Sie sich
+also nur, mich um mein vaeterliches Erbteil gebracht zu haben, und
+lassen mich ein weit geringeres mit einer wuerdigern Gattin geniessen.
+
+Marwood. Ha! nun seh ich's, was dich eigentlich so trotzig macht.
+Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf,
+dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was
+ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein--Du wirst mich
+verstehen! Zittre fuer deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken
+meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine
+Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!
+
+Mellefont (erschrocken). Marwood--
+
+Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie
+gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich raechen. Doch nein, Gift
+und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie wuerden dein und mein
+Kind zu bald toeten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will
+ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte
+jeden aehnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren
+und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied,
+Ader von Ader, Nerve von Nerve loesen und das Kleinste derselben auch
+da noch nicht aufhoeren zu schneiden und zu brennen, wenn es schon
+nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich--ich werde
+wenigstens dabei empfinden, wie suess die Rache sei!
+
+Mellefont. Sie rasen, Marwood--
+
+Marwood. Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den Rechten rase.
+Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist
+seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht.--(Sie geht mit
+einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los.) Drum stirb,
+Verraeter!
+
+Mellefont (der ihr in den Arm faellt und den Dolch entreisst).
+Unsinniges Weibsbild!--Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu
+kehren? Doch lebe, und deine Strafe muesse einer ehrlosen Hand
+aufgehoben sein!
+
+Marwood (mit gerungenen Haenden). Himmel, was habe ich getan?
+Mellefont--
+
+Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch
+wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du
+ihn nicht tun koennen.
+
+Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! geben Sie
+mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, fuer wen er
+geschliffen ward. Fuer diese Brust allein, die schon laengst einem
+Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.
+
+Mellefont. Hannah!--
+
+Marwood. Was wollen Sie tun, Mellefont?
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Hannah (erschrocken). Marwood. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Hast du es gehoert, Hannah, welche Furie deine Gebieterin
+ist? Wisse, dass ich Arabellen von deinen Haenden fodern werde.
+
+Hannah. Ach Madam, wie sind Sie ausser sich!
+
+Mellefont. Ich will das unschuldige Kind bald in voellige Sicherheit
+bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die
+moerdrischen Haende schon zu binden wissen. (Er will gehen.)
+
+Marwood. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, dass die Heftigkeit
+meines Schmerzes mich des Verstandes nicht maechtig liess? Wer bringt
+mich zu so unnatuerlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst?
+Wo kann Bella sicherer sein als bei mir? Mein Mund tobet wider sie,
+und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont!
+vergessen Sie meine Raserei und denken zu ihrer Entschuldigung nur
+an die Ursache derselben.
+
+Mellefont. Es ist nur ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu
+vergessen.
+
+Marwood. Welches?
+
+Mellefont. Wenn Sie den Augenblick nach London zurueckkehren.
+Arabellen will ich in einer andern Begleitung wieder dahin bringen
+lassen. Sie muessen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben.
+
+Marwood. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte
+gewaehren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal
+sehen.
+
+Mellefont. Und wozu?
+
+Marwood. Um in ihren Blicken mein ganzes kuenftiges Schicksal zu lesen.
+Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir
+begehen, wuerdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal
+einen Anteil an Ihrer Liebe wiederzubekommen.
+
+Mellefont. Nichtige Hoffnung!
+
+Marwood. Wer ist so grausam, dass er einer Elenden auch nicht einmal
+die Hoffnung goennen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood,
+sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei
+ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und
+ich verspreche Ihnen bei allem, was heilig ist, ihr nicht das
+geringste Anstoessige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab;
+denn sonst moechte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren
+Gestalt vor ihr zu erscheinen.
+
+Mellefont. Diese Bitte, Marwood (nachdem er einen Augenblick
+nachgedacht)--koennte ich Ihnen gewaehren. Wollen Sie aber auch alsdann
+gewiss diesen Ort verlassen?
+
+Marwood. Gewiss; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo
+nur noch einige Moeglichkeit ist, von dem Ueberfalle ihres Vaters
+befreien.
+
+Mellefont. Dieses haben Sie nicht noetig. Ich hoffe, dass er auch mich
+in die Verzeihung mit einschliessen wird, die er seiner Tochter
+widerfahren laesst. Will er aber dieser nicht verzeihen, so werde ich
+auch wissen, wie ich ihm begegnen soll.--Ich gehe, Sie bei meiner Miss
+zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! (Geht ab.)
+
+Marwood. Ach, Hannah! dass unsere Kraefte nicht so gross sind als
+unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht
+auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm!
+
+(Ende des zweiten Aufzugs.)
+
+
+
+
+
+Dritter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Ein Saal im erstern Gasthofe.
+
+
+Sir William Sampson. Waitwell.
+
+Sir William. Hier, Waitwell, bringt ihr diesen Brief. Es ist der
+Brief eines zaertlichen Vaters, der sich ueber nichts als ueber ihre
+Abwesenheit beklaget. Sag ihr, dass ich dich damit vorweggeschickt und
+dass ich nur noch ihre Antwort erwarten wolle, ehe ich selbst kaeme, sie
+wieder in meine Arme zu schliessen.
+
+Waitwell. Ich glaube, Sie tun recht wohl, dass Sie Ihre Zusammenkunft
+auf diese Art vorbereiten.
+
+Sir William. Ich werde ihrer Gesinnungen dadurch gewiss und mache ihr
+Gelegenheit, alles, was ihr die Reue Klaegliches und Erroetendes
+eingeben koennte, schon ausgeschuettet zu haben, ehe sie muendlich mit
+mir spricht. Es wird ihr in einem Briefe weniger Verwirrung und mir
+vielleicht weniger Traenen kosten.
+
+Waitwell. Darf ich aber fragen, Sir, was Sie in Ansehung Mellefonts
+beschlossen haben?
+
+Sir William. Ach! Waitwell, wenn ich ihn von dem Geliebten meiner
+Tochter trennen koennte, so wuerde ich etwas sehr Hartes wider ihn
+beschliessen. Aber da dieses nicht angeht, so siehst du wohl, dass er
+gegen meinen Unwillen gesichert ist. Ich habe selbst den groessten
+Fehler bei diesem Ungluecke begangen. Ohne mich wuerde Sara diesen
+gefaehrlichen Mann nicht haben kennenlernen. Ich verstattete ihm wegen
+einer Verbindlichkeit, die ich gegen ihn zu haben glaubte, einen allzu
+freien Zutritt in meinem Hause. Es war natuerlich, dass ihm die
+dankbare Aufmerksamkeit, die ich fuer ihn bezeigte, auch die Achtung
+meiner Tochter zuziehen musste. Und es war ebenso natuerlich, dass sich
+ein Mensch von seiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten liess,
+sie zu etwas Hoeherm zu treiben. Er hatte Geschicklichkeit genug
+gehabt, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte
+und ehe ich noch Zeit hatte, mich nach seiner uebrigen Lebensart zu
+erkundigen. Das Unglueck war geschehen, und ich haette wohlgetan, wenn
+ich ihnen nur gleich alles vergeben haette. Ich wollte unerbittlich
+gegen ihn sein und ueberlegte nicht, dass ich es gegen ihn nicht allein
+sein koennte. Wenn ich meine zu spaete Strenge erspart haette, so wuerde
+ich wenigstens ihre Flucht verhindert haben.--Da bin ich nun, Waitwell!
+Ich muss sie selbst zurueckholen und mich noch gluecklich schaetzen,
+wenn ich aus dem Verfuehrer nur meinen Sohn machen kann. Denn wer weiss,
+ob er seine Marwoods und seine uebrigen Kreaturen eines Maedchens wegen
+wird aufgeben wollen, das seinen Begierden nichts mehr zu verlangen
+uebriggelassen hat und die fesselnden Kuenste einer Buhlerin so wenig
+versteht?
+
+Waitwell. Nun, Sir, das ist wohl nicht moeglich, dass ein Mensch so gar
+boese sein koennte.--
+
+Sir William. Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre.
+Aber warum ist es gleichwohl wahr, dass sich die Grenzen der
+menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?--Geh nur jetzt und
+tue, was ich dir gesagt habe. Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie
+meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann
+sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das
+eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele
+in ihrem Gesichte lesen. Lass dir ja keinen Zug entgehen, der etwa
+eine Gleichgueltigkeit gegen mich, eine Verschmaehung ihres Vaters,
+anzeigen koennte. Denn wenn du diese unglueckliche Entdeckung machen
+solltest und wenn sie mich nicht mehr liebt: so hoffe ich, dass ich
+mich endlich werde ueberwinden koennen, sie ihrem Schicksale zu
+ueberlassen. Ich hoffe es, Waitwell--Ach! wenn nur hier kein Herz
+schluege, das dieser Hoffnung widerspricht.
+
+(Sie gehen beide auf verschiedenen Seiten ab.)
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Das Zimmer der Sara.
+
+
+Miss Sara. Mellefont.
+
+Mellefont. Ich habe unrecht getan, liebste Miss, dass ich Sie wegen des
+vorigen Briefes in einer kleinen Unruhe liess.
+
+Sara. Nein doch, Mellefont; ich bin deswegen ganz und gar nicht
+unruhig gewesen. Koennten Sie mich denn nicht lieben, wenn Sie gleich
+noch Geheimnisse vor mir haetten?
+
+Mellefont. Sie glauben also doch, dass es ein Geheimnis gewesen sei?
+
+Sara. Aber keines, das mich angeht. Und das muss mir genug sein.
+
+Mellefont. Sie sind allzu gefaellig. Doch erlauben Sie mir, dass ich
+Ihnen dieses Geheimnis gleichwohl entdecke. Es waren einige Zeilen
+von einer Anverwandten, die meinen hiesigen Aufenthalt erfahren hat.
+Sie geht auf ihrer Reise nach London hier durch und will mich sprechen.
+Sie hat zugleich um die Ehre ersucht, Ihnen ihre Aufwartung machen
+zu duerfen.
+
+Sara. Es wird mir allezeit angenehm sein, Mellefont, die wuerdigen
+Personen Ihrer Familie kennenzulernen. Aber ueberlegen Sie es selbst,
+ob ich schon, ohne zu erroeten, einer derselben unter die Augen sehen
+darf.
+
+Mellefont. Ohne zu erroeten? Und worueber? Darueber, dass Sie mich
+lieben? Es ist wahr, Miss, Sie haetten Ihre Liebe einem Edlern, einem
+Reichern schenken koennen. Sie muessen sich schaemen, dass Sie Ihr Herz
+nur um ein Herz haben geben wollen und dass Sie bei diesem Tausche Ihr
+Glueck so weit aus den Augen gesetzt.
+
+Sara. Sie werden es selbst wissen, wie falsch Sie meine Worte
+erklaeren.
+
+Mellefont. Erlauben Sie, Miss; wenn ich sie falsch erklaere, so koennen
+sie gar keine Bedeutung haben.
+
+Sara. Wie heisst Ihre Anverwandte?
+
+Mellefont. Es ist--Lady Solmes. Sie werden den Namen von mir schon
+gehoert haben.
+
+Sara. Ich kann mich nicht erinnern.
+
+Mellefont. Darf ich bitten, dass Sie ihren Besuch annehmen wollen?
+
+Sara. Bitten, Mellefont? Sie koennen mir es ja befehlen.
+
+Mellefont. Was fuer ein Wort!--Nein, Miss, sie soll das Glueck nicht
+haben, Sie zu sehen. Sie wird es bedauern; aber sie muss es sich
+gefallen lassen. Miss Sara hat ihre Ursachen, die ich, auch ohne sie
+zu wissen, verehre.
+
+Sara. Mein Gott! wie schnell sind Sie, Mellefont! Ich werde die
+Lady erwarten und mich der Ehre ihres Besuchs, soviel moeglich, wuerdig
+zu erzeigen suchen. Sind Sie zufrieden?
+
+Mellefont. Ach, Miss, lassen Sie mich meinen Ehrgeiz gestehen. Ich
+moechte gern gegen die ganze Welt mit Ihnen prahlen. Und wenn ich auf
+den Besitz einer solchen Person nicht eitel waere, so wuerde ich mir
+selbst vorwerfen, dass ich den Wert derselben nicht zu schaetzen wuesste.
+Ich gehe und bringe die Lady sogleich zu Ihnen. (Gehet ab.)
+
+Sara (allein). Wenn es nur keine von den stolzen Weibern ist, die,
+voll von ihrer Tugend, ueber alle Schwachheiten erhaben zu sein glauben.
+Sie machen uns mit einem einzigen veraechtlichen Blicke den Prozess,
+und ein zweideutiges Achselzucken ist das ganze Mitleiden, das wir
+ihnen zu verdienen scheinen.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Waitwell. Sara.
+
+
+Betty (zwischen der Szene). Nur hier herein, wenn Er selbst mit ihr
+sprechen muss.
+
+Sara (die sich umsieht). Wer muss selbst mit mir sprechen?--Wen seh
+ich? Ist es moeglich? Waitwell, dich?
+
+Waitwell. Was fuer ein gluecklicher Mann bin ich, dass ich endlich
+unsere Miss Sara wiedersehe!
+
+Sara. Gott! was bringst du? Ich hoer es schon, ich hoer es schon, du
+bringst mir die Nachricht von dem Tode meines Vaters! Er ist hin, der
+vortrefflichste Mann, der beste Vater! Er ist hin, und ich, ich bin
+die Elende, die seinen Tod beschleuniget hat.
+
+Waitwell. Ach! Miss--
+
+Sara. Sage mir, geschwind sage mir, dass die letzten Augenblicke
+seines Lebens ihm durch mein Andenken nicht schwerer wurden; dass er
+mich vergessen hatte; dass er ebenso ruhig starb, als er sich sonst in
+meinen Armen zu sterben versprach; dass er sich meiner auch nicht
+einmal in seinem letzten Gebete erinnerte--
+
+Waitwell. Hoeren Sie doch auf, sich mit so falschen Vorstellungen zu
+plagen! Er lebt ja noch, Ihr Vater; er lebt ja noch, der
+rechtschaffne Sir William.
+
+Sara. Lebt er noch? Ist es wahr, lebt er noch? Oh! dass er noch
+lange leben und gluecklich leben moege! Oh! dass ihm Gott die Haelfte
+meiner Jahre zulegen wolle! Die Haelfte?--Ich Undankbare, wenn ich ihm
+nicht mit allen, soviel mir deren bestimmt sind, auch nur einige
+Augenblicke zu erkaufen bereit bin! Aber nun sage mir wenigstens,
+Waitwell, dass es ihm nicht hart faellt, ohne mich zu leben; dass es ihm
+leicht geworden ist, eine Tochter aufzugeben, die ihre Tugend so
+leicht aufgeben koennen; dass ihn meine Flucht erzuernet, aber nicht
+gekraenkt hat; dass er mich verwuenschet, aber nicht bedauert.
+
+Waitwell. Ach, Sir William ist noch immer der zaertliche Vater, so wie
+sein Sarchen noch immer die zaertliche Tochter ist, die sie beide
+gewesen sind.
+
+Sara. Was sagst du? Du bist ein Bote des Ungluecks, des
+schrecklichsten Ungluecks unter allen, die mir meine feindselige
+Einbildung jemals vorgestellet hat! Er ist noch der zaertliche Vater?
+So liebt er mich ja noch? So muss er mich ja beklagen? Nein, nein,
+das tut er nicht; das kann er nicht tun! Siehst du denn nicht, wie
+unendlich jeder Seufzer, den er um mich verloere, meine Verbrechen
+vergroessern wuerde? Muesste mir nicht die Gerechtigkeit des Himmels jede
+seiner Traenen, die ich ihm auspresste, so anrechnen, als ob ich bei
+jeder derselben mein Laster und meinen Undank wiederholte? Ich
+erstarre ueber diesen Gedanken. Traenen koste ich ihm? Traenen? Und es
+sind andre Traenen als Traenen der Freude?--Widersprich mir doch,
+Waitwell! Aufs hoechste hat er einige leichte Regungen des Bluts fuer
+mich gefuehlet; einige von den geschwind ueberhin gehenden Regungen,
+welche die kleinste Anstrengung der Vernunft besaenftiget. Zu Traenen
+hat er es nicht kommen lassen. Nicht wahr, Waitwell, zu Traenen hat er
+es nicht kommen lassen?
+
+Waitwell (indem er sich die Augen wischt). Nein, Miss, dazu hat er es
+nicht kommen lassen.
+
+Sara. Ach! dein Mund sagt nein; und deine eignen Traenen sagen ja.
+
+Waitwell. Nehmen Sie diesen Brief, Miss; er ist von ihm selbst.
+
+Sara. Von wem? von meinem Vater? an mich?
+
+Waitwell. Ja, nehmen Sie ihn nur; Sie werden mehr daraus sehen koennen,
+als ich zu sagen vermag. Er haette einem andern als mir dieses
+Geschaeft auftragen sollen. Ich versprach mir Freude davon; aber Sie
+verwandeln mir diese Freude in Betruebnis.
+
+Sara. Gib nur, ehrlicher Waitwell!--Doch nein, ich will ihn nicht
+eher nehmen, als bis du mir sagst, was ungefaehr darin enthalten ist.
+
+Waitwell. Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung.
+
+Sara. Liebe? Vergebung?
+
+Waitwell. Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, dass er die Rechte
+der vaeterlichen Gewalt gegen ein Kind brauchen wollen, fuer welches nur
+die Vorrechte der vaeterlichen Huld sind.
+
+Sara. So behalte nur deinen grausamen Brief!
+
+Waitwell. Grausamen? fuerchten Sie nichts; Sie erhalten voellige
+Freiheit ueber Ihr Herz und Ihre Hand.
+
+Sara. Und das ist es eben, was ich fuerchte. Einen Vater, wie ihn, zu
+betrueben: dazu habe ich noch den Mut gehabt. Allein ihn durch eben
+diese Betruebnis, ihn durch seine Liebe, der ich entsagt, dahin
+gebracht zu sehen, dass er sich alles gefallen laesst, wozu mich eine
+unglueckliche Leidenschaft verleitet: das, Waitwell, das wuerde ich
+nicht ausstehen. Wenn sein Brief alles enthielte, was ein
+aufgebrachter Vater in solchem Falle Heftiges und Hartes vorbringen
+kann, so wuerde ich ihn zwar mit Schaudern lesen, aber ich wuerde ihn
+doch lesen koennen. Ich wuerde gegen seinen Zorn noch einen Schatten
+von Verteidigung aufzubringen wissen, um ihn durch diese Verteidigung,
+wo moeglich, noch zorniger zu machen. Meine Beruhigung waere alsdann
+diese, dass bei einem gewaltsamen Zorne kein wehmuetiger Gram Raum haben
+koenne und dass sich jener endlich gluecklich in eine bittere Verachtung
+gegen mich verwandeln werde. Wen man aber verachtet, um den bekuemmert
+man sich nicht mehr. Mein Vater waere wieder ruhig, und ich duerfte mir
+nicht vorwerfen, ihn auf immer ungluecklich gemacht zu haben.
+
+Waitwell. Ach! Miss, Sie werden sich diesen Vorwurf noch weniger
+machen duerfen, wenn Sie jetzt seine Liebe wieder ergreifen, die ja
+alles vergessen will.
+
+Sara. Du irrst dich, Waitwell. Sein sehnliches Verlangen nach mir
+verfuehrt ihn vielleicht, zu allem ja zu sagen. Kaum aber wuerde dieses
+Verlangen ein wenig beruhiget sein, so wuerde er sich seiner Schwaeche
+wegen vor sich selbst schaemen. Ein finsterer Unwille wuerde sich
+seiner bemeistern, und er wuerde mich nie ansehen koennen, ohne mich
+heimlich anzuklagen, wieviel ich ihm abzutrotzen mich unterstanden
+habe. Ja, wenn es in meinem Vermoegen stuende, ihm bei der aeussersten
+Gewalt, die er sich meinetwegen antut, das Bitterste zu ersparen; wenn
+in dem Augenblicke, da er mir alles erlauben wollte, ich ihm alles
+aufopfern koennte: so waere es ganz etwas anders. Ich wollte den Brief
+mit Vergnuegen von deinen Haenden nehmen, die Staerke der vaeterlichen
+Liebe darin bewundern und, ohne sie zu missbrauchen, mich als eine
+reuende und gehorsame Tochter zu seinen Fuessen werfen. Aber kann ich
+das? Ich wuerde es tun muessen, was er mir erlaubte, ohne mich daran zu
+kehren, wie teuer ihm diese Erlaubnis zu stehen komme. Und wenn ich
+dann am vergnuegtesten darueber sein wollte, wuerde es mir ploetzlich
+einfallen, dass er mein Vergnuegen aeusserlich nur zu teilen scheine und
+in sich selbst vielleicht seufze; kurz, dass er mich mit Entsagung
+seiner eignen Glueckseligkeit gluecklich gemacht habe--Und es auf diese
+Art zu sein wuenschen, trauest du mir das wohl zu, Waitwell?
+
+Waitwell. Gewiss, ich weiss nicht, was ich hierauf antworten soll.
+
+Sara. Es ist nichts darauf zu antworten. Bringe deinen Brief also
+nur wieder zurueck. Wenn mein Vater durch mich ungluecklich sein muss,
+so will ich selbst auch ungluecklich bleiben. Ganz allein ohne ihn
+ungluecklich zu sein, das ist es, was ich jetzt stuendlich von dem
+Himmel bitte; gluecklich aber ohne ihn ganz allein zu sein, davon will
+ich durchaus nichts wissen.
+
+Waitwell (etwas beiseite). Ich glaube wahrhaftig, ich werde das gute
+Kind hintergehen muessen, damit es den Brief doch nur lieset.
+
+Sara. Was sprichst du da fuer dich?
+
+Waitwell. Ich sage mir selbst, dass ich einen sehr ungeschickten
+Einfall gehabt haette, Sie, Miss, zur Lesung des Briefes desto
+geschwinder zu vermoegen.
+
+Sara. Wieso?
+
+Waitwell. Ich konnte so weit nicht denken. Sie ueberlegen freilich
+alles genauer, als es unsereiner kann. Ich wollte Sie nicht
+erschrecken; der Brief ist vielleicht nur allzu hart; und wenn ich
+gesagt habe, dass nichts als Liebe und Vergebung darin enthalten sei,
+so haette ich sagen sollen, dass ich nichts als dieses darin enthalten
+zu sein wuenschte.
+
+Sara. Ist das wahr?--Nun, so gib mir ihn her. Ich will ihn lesen.
+Wenn man den Zorn eines Vaters ungluecklicherweise verdient hat, so muss
+man wenigstens gegen diesen vaeterlichen Zorn so viel Achtung haben,
+dass er ihn nach allen Gefallen gegen uns auslassen kann. Ihn zu
+vereiteln suchen, heisst Beleidigungen mit Geringschaetzung haeufen. Ich
+werde ihn nach aller seiner Staerke empfinden. Du siehst, ich zittre
+schon--Aber ich soll auch zittern; und ich will lieber zittern als
+weinen.--(Sie erbricht den Brief.) Nun ist er erbrochen! Ich bebe--
+Aber was seh ich? (Sie lieset.) "Einzige, geliebteste Tochter!"--Ha!
+du alter Betrueger, ist das die Anrede eines zornigen Vaters? Geh,
+weiter werde ich nicht lesen--
+
+Waitwell. Ach, Miss, verzeihen Sie doch einem alten Knechte. Ja gewiss,
+ich glaube, es ist in meinem Leben das erstemal, dass ich mit Vorsatz
+betrogen habe. Wer einmal betruegt, Miss, und aus einer so guten
+Absicht betruegt, der ist ja deswegen noch kein alter Betrueger. Das
+geht mir nahe, Miss. Ich weiss wohl, die gute Absicht entschuldigt
+nicht immer; aber was konnte ich denn tun? Einem so guten Vater
+seinen Brief ungelesen wiederzubringen? Das kann ich nimmermehr.
+Eher will ich gehen, soweit mich meine alten Beine tragen, und ihm nie
+wieder vor die Augen kommen.
+
+Sara. Wie? auch du willst ihn verlassen?
+
+Waitwell. Werde ich denn nicht muessen, wenn Sie den Brief nicht
+lesen? Lesen Sie ihn doch immer. Lassen Sie doch immer den ersten
+vorsaetzlichen Betrug, den ich mir vorzuwerfen habe, nicht ohne gute
+Wirkung bleiben. Sie werden ihn desto eher vergessen, und ich werde
+mir ihn desto eher vergeben koennen. Ich bin ein gemeiner, einfaeltiger
+Mann, der Ihnen Ihre Ursachen, warum Sie den Brief nicht lesen koennen
+oder wollen, freilich so muss gelten lassen. Ob sie wahr sind, weiss
+ich nicht; aber so recht natuerlich scheinen sie mir wenigstens nicht.
+Ich daechte nun so, Miss: ein Vater, daechte ich, ist doch immer ein
+Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch
+ein gutes Kind. Wenn der Vater den Fehler verzeiht, so kann ja das
+Kind sich wohl wieder so auffuehren, dass er auch gar nicht mehr daran
+denken darf. Und wer erinnert sich denn gern an etwas, wovon er
+lieber wuenscht, es waere gar nicht geschehen? Es ist, Miss, als ob Sie
+nur immer an Ihren Fehler daechten und glaubten, es waere genug, wenn
+Sie den in Ihrer Einbildung vergroesserten und sich selbst mit solchen
+vergroesserten Vorstellungen marterten. Aber ich sollte meinen, Sie
+muessten auch daran denken, wie Sie das, was geschehen ist,
+wiedergutmachten. Und wie wollen Sie es denn wiedergutmachen, wenn
+Sie sich selbst alle Gelegenheit dazu benehmen? Kann es Ihnen denn
+sauer werden, den andern Schritt zu tun, wenn so ein lieber Vater
+schon den ersten getan hat?
+
+Sara. Was fuer Schwerter gehen aus deinem einfaeltigen Munde in mein
+Herz!--Eben das kann ich nicht aushalten, dass er den ersten Schritt
+tun muss. Und was willst du denn? Tut er denn nur den ersten Schritt?
+Er muss sie alle tun: ich kann ihm keinen entgegentun. So weit ich
+mich von ihm entfernet, so weit muss er sich zu mir herablassen. Wenn
+er mir vergibt, so muss er mein ganzes Verbrechen vergeben und sich
+noch dazu gefallen lassen, die Folgen desselben vor seinen Augen
+fortdauern zu sehen. Ist das von einem Vater zu verlangen?
+
+Waitwell. Ich weiss nicht, Miss, ob ich dieses so recht verstehe. Aber
+mich deucht, Sie wollen sagen, er muesse Ihnen gar zu viel vergeben,
+und weil ihm das nicht anders als sehr sauer werden koenne, so machten
+Sie sich ein Gewissen, seine Vergebung anzunehmen. Wenn Sie das
+meinen, so sagen Sie mir doch, ist denn nicht das Vergeben fuer ein
+gutes Herz ein Vergnuegen? Ich bin in meinem Leben so gluecklich nicht
+gewesen, dass ich dieses Vergnuegen oft empfunden haette. Aber der
+wenigen Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer
+gern. Ich fuehlte so etwas Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas
+Himmlisches dabei, dass ich mich nicht entbrechen konnte, an die grosse,
+unueberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen ganze
+Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwaehrendes Vergeben ist. Ich
+wuenschte mir, alle Augenblicke verzeihen zu koennen, und schaemte mich,
+dass ich nur solche Kleinigkeiten zu verzeihen hatte. Recht
+schmerzhafte Beleidigungen, recht toedliche Kraenkungen zu vergeben,
+sagt' ich zu mir selbst, muss eine Wollust sein, in der die ganze Seele
+zerfliesst--Und nun, Miss, wollen Sie denn so eine grosse Wollust Ihrem
+Vater nicht goennen?
+
+Sara. Ach!--Rede weiter, Waitwell, rede weiter!
+
+Waitwell. Ich weiss wohl, es gibt eine Art von Leuten, die nichts
+ungerner als Vergebung annehmen, und zwar, weil sie keine zu erzeigen
+gelernt haben. Es sind stolze, unbiegsam Leute, die durchaus nicht
+gestehen wollen, dass sie unrecht getan. Aber von der Art, Miss, sind
+Sie nicht. Sie haben das liebreichste und zaertlichste Herz, das die
+beste Ihres Geschlechts nur haben kann. Ihren Fehler bekennen Sie
+auch. Woran liegt es denn nun also noch?--Doch verzeihen Sie mir nur,
+Miss, ich bin ein alter Plauderer und haette es gleich merken sollen,
+dass Ihr Weigern nur eine ruehmliche Besorgnis, nur eine tugendhafte
+Schuechternheit sei. Leute, die eine grosse Wohltat gleich ohne
+Bedenken annehmen koennen, sind der Wohltat selten wuerdig. Die sie am
+meisten verdienen, haben auch immer das meiste Misstrauen gegen sich
+selbst. Doch muss das Misstrauen nicht ueber sein Ziel getrieben werden.
+
+
+Sara. Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich ueberredet.
+
+Waitwell. Ach Gott! wenn ich so gluecklich gewesen bin, so muss mir
+ein guter Geist haben reden helfen. Aber nein, Miss, meine Reden haben
+dabei nichts getan, als dass sie Ihnen Zeit gelassen, selbst
+nachzudenken und sich von einer so froehlichen Bestuerzung zu erholen.--
+Nicht wahr, nun werden Sie den Brief lesen? Oh! lesen Sie ihn doch
+gleich!
+
+Sara. Ich will es tun, Waitwell.--Welche Bisse, welche Schmerzen
+werde ich fuehlen!
+
+Waitwell. Schmerzen, Miss, aber angenehme Schmerzen.
+
+Sara. Sei still! (Sie faengt an, fuer sich zu lesen.)
+
+Waitwell (beiseite). Oh! wenn er sie selbst sehen sollte!
+
+Sara (nachdem sie einige Augenblicke gelesen). Ach, Waitwell, was fuer
+ein Vater! Er nennt meine Flucht eine Abwesenheit. Wieviel
+straeflicher wird sie durch dieses gelinde Wort! (Sie lieset weiter
+und unterbricht sich wieder.) Hoere doch! er schmeichelt sich, ich
+wuerde ihn noch lieben. Er schmeichelt sich! (Lieset und unterbricht
+sich.) Er bittet mich--Er bittet mich? Ein Vater seine Tochter?
+seine strafbare Tochter? Und was bittet er mich denn?--(Lieset fuer
+sich.) Er bittet mich, seine uebereilte Strenge zu vergessen und ihn
+mit meiner Entfernung nicht laenger zu strafen. Uebereilte Strenge!--Zu
+strafen!--(Lieset wieder und unterbricht sich.) Noch mehr! Nun dankt
+er mir gar, und dankt mir, dass ich ihm Gelegenheit gegeben, den ganzen
+Umfang der vaeterlichen Liebe kennenzulernen. Unselige Gelegenheit!
+Wenn er doch nur auch sagte, dass sie ihm zugleich den ganzen Umfang
+des kindlichen Ungehorsams habe kennenlernen! (Sie lieset wieder.)
+Nein, er sagt es nicht! Er gedenkt meines Verbrechens nicht mit einem
+Buchstaben. (Sie faehrt weiter fort, fuer sich zu lesen.) Er will
+kommen und seine Kinder selbst zurueckholen. Seine Kinder, Waitwell!
+Das geht ueber alles!--Hab ich auch recht gelesen? (Sie lieset wieder
+fuer sich.)--Ich moechte vergehen! Er sagt, derjenige verdiene nur
+allzuwohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter haben koenne.
+--Oh! haette er sie nie gehabt, diese unglueckliche Tochter!--Geh,
+Waitwell, lass mich allein! Er verlangt eine Antwort, und ich will sie
+sogleich machen. Frag in einer Stunde wieder nach. Ich danke dir
+unterdessen fuer deine Muehe. Du bist ein rechtschaffner Mann. Es sind
+wenig Diener die Freunde ihrer Herren!
+
+Waitwell. Beschaemen Sie mich nicht, Miss. Wenn alle Herren Sir
+Williams waeren, so muessten die Diener Unmenschen sein, wenn sie nicht
+ihr Leben fuer sie lassen wollten. (Geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+
+Sara (sie setzet sich zum Schreiben nieder). Wenn man mir es vor Jahr
+und Tag gesagt haette, dass ich auf einen solchen Brief wuerde antworten
+muessen! Und unter solchen Umstaenden!--Ja, die Feder hab ich in der
+Hand.--Weiss ich aber auch schon, was ich schreiben soll? Was ich
+denke; was ich empfinde.--Und was denkt man denn, wenn sich in einem
+Augenblicke tausend Gedanken durchkreuzen? Und was empfindet man denn,
+wenn das Herz vor lauter Empfinden in einer tiefen Betaeubung liegt?--
+Ich muss doch schreiben--Ich fuehre ja die Feder nicht das erstemal.
+Nachdem sie mir schon so manche kleine Dienste der Hoeflichkeit und
+Freundschaft abstatten helfen, sollte mir ihre Hilfe wohl bei dem
+wichtigsten Dienste entstehen?--(Sie denkt ein wenig nach und schreibt
+darauf einige Zeilen.) Das soll der Anfang sein? Ein sehr frostiger
+Anfang. Und werde ich denn bei seiner Liebe anfangen wollen? Ich muss
+bei meinem Verbrechen anfangen. (Sie streicht aus und schreibt anders.)
+Dass ich mich ja nicht zu obenhin davon ausdruecke!--Das Schaemen kann
+ueberall an seiner rechten Stelle sein, nur bei dem Bekenntnisse
+unserer Fehler nicht. Ich darf mich nicht fuerchten, in Uebertreibungen
+zu geraten, wenn ich auch schon die graesslichsten Zuege anwende.--Ach!
+warum muss ich nun gestoert werden?
+
+
+
+Fuenfter Auftritt
+
+Marwood. Mellefont. Sara.
+
+
+Mellefont. Liebste Miss, ich habe die Ehre, Ihnen Lady Solmes
+vorzustellen, welche eine von denen Personen in meiner Familie ist,
+welchen ich mich am meisten verpflichtet erkenne.
+
+Marwood. Ich muss um Vergebung bitten, Miss, dass ich so frei bin, mich
+mit meinen eignen Augen von dem Gluecke eines Vetters zu ueberfuehren,
+dem ich das vollkommenste Frauenzimmer wuenschen wuerde, wenn mich nicht
+gleich der erste Anblick ueberzeugt haette, dass er es in Ihnen bereits
+gefunden habe.
+
+Sara. Sie erzeigen mir allzuviel Ehre, Lady. Eine Schmeichelei wie
+diese wuerde mich zu allen Zeiten beschaemt haben; itzt aber sollte ich
+sie fast fuer einen versteckten Vorwurf annehmen, wenn ich Lady Solmes
+nicht fuer viel zu grossmuetig hielte, ihre Ueberlegenheit an Tugend und
+Klugheit eine Unglueckliche fuehlen zu lassen.
+
+Marwood (kalt). Ich wuerde untroestlich sein, Miss, wenn Sie mir andre
+als die freundschaftlichsten Gesinnungen zutrauten.--(Beiseite.) Sie
+ist schoen!
+
+Mellefont. Und waere es denn auch moeglich, Lady, gegen soviel
+Schoenheit, gegen soviel Bescheidenheit gleichgueltig zu bleiben? Man
+sagt zwar, dass einem reizenden Frauenzimmer selten von einem andern
+Gerechtigkeit erwiesen werde: allein dieses ist auf der einen Seite
+nur von denen, die auf ihre Vorzuege allzu eitel sind, und auf der
+andern nur von solchen zu verstehen, welche sich selbst keiner Vorzuege
+bewusst sind. Wie weit sind Sie beide von diesem Falle entfernt!--(Zur
+Marwood, welche in Gedanken steht.) Ist es nicht wahr, Lady, dass
+meine Liebe nichts weniger als parteiisch gewesen ist? Ist es nicht
+wahr, dass ich Ihnen zum Lobe meiner Miss viel, aber noch lange nicht so
+viel gesagt habe, als Sie selbst finden?--Aber warum so in Gedanken?--
+(Sachte zu ihr.) Sie vergessen, wer Sie sein wollen.
+
+Marwood. Darf ich es sagen?--Die Bewunderung Ihrer liebsten Miss
+fuehrte mich auf die Betrachtung ihres Schicksals. Es ging mir nahe,
+dass sie die Fruechte ihrer Liebe nicht in ihrem Vaterlande geniessen
+soll. Ich erinnerte mich, dass sie einen Vater und, wie man mir gesagt
+hat, einen sehr zaertlichen Vater verlassen muesste, um die Ihrige sein
+zu koennen; und ich konnte mich nicht enthalten, ihre Aussoehnung mit
+ihm zu wuenschen.
+
+Sara. Ach! Lady, wie sehr bin ich Ihnen fuer diesen Wunsch verbunden.
+Er verdient es, dass ich meine ganze Freude mit Ihnen teile. Sie
+koennen es noch nicht wissen, Mellefont, dass er erfuellt wurde, ehe Lady
+die Liebe fuer uns hatte, ihn zu tun.
+
+Mellefont. Wie verstehen Sie dieses, Miss?
+
+Marwood (beiseite). Was will das sagen?
+
+Sara. Eben itzt habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten.
+Waitwell brachte mir ihn. Ach, Mellefont, welch ein Brief!
+
+Mellefont. Geschwind reissen Sie mich aus meiner Ungewissheit. Was hab
+ich zu fuerchten? Was habe ich zu hoffen? Ist er noch der Vater, den
+wir flohen? Und wenn er es noch ist, wird Sara die Tochter sein, die
+mich zaertlich genug liebt, um ihn noch weiter zu fliehen? Ach! haette
+ich Ihnen gefolgt, liebste Miss, so waeren wir jetzt durch ein Band
+verknuepft, das man aus eigensinnigen Absichten zu trennen wohl
+unterlassen muesste. In diesem Augenblick empfinde ich alles das
+Unglueck, das unser entdeckter Aufenthalt fuer mich nach sich ziehen
+kann. Er wird kommen und Sie aus meinen Armen reissen. Wie hasse ich
+den Nichtswuerdigen, der uns ihm verraten hat! (Mit einem zornigen
+Blick gegen die Marwood.)
+
+Sara. Liebster Mellefont, wie schmeichelhaft ist diese Ihre Unruhe
+fuer mich! Und wie gluecklich sind wir beide, dass sie vergebens ist!
+Lesen Sie hier seinen Brief.--(Gegen die Marwood, indem Mellefont den
+Brief fuer sich lieset.) Lady, er wird ueber die Liebe meines Vaters
+erstaunen. Meines Vaters? Ach! er ist nun auch der seinige.
+
+Marwood (betroffen). Ist es moeglich?
+
+Sara. Jawohl, Lady, haben Sie Ursache, diese Veraenderung zu bewundern.
+Er vergibt uns alles; wir werden uns nun vor seinen Augen lieben; er
+erlaubt es uns; er befiehlt es uns.--Wie hat diese Guetigkeit meine
+ganze Seele durchdrungen!--Nun, Mellefont? (Der ihr den Brief
+wiedergibt.) Sie schweigen? O nein, diese Traene, die sich aus Ihrem
+Auge schleicht, sagt weit mehr, als Ihr Mund ausdruecken koennte.
+
+Marwood (beiseite). Wie sehr habe ich mir selbst geschadet! Ich
+Unvorsichtige!
+
+Sara. Oh! lassen Sie mich diese Traene von Ihrer Wange kuessen!
+
+Mellefont. Ach Miss, warum haben wir so einen goettlichen Mann betrueben
+muessen? Jawohl, einen goettlichen Mann: denn was ist goettlicher als
+vergeben?--Haetten wir uns diesen gluecklichen Ausgang nur als moeglich
+vorstellen koennen: gewiss, so wollten wir ihn jetzt so gewaltsamen
+Mitteln nicht zu verdanken haben; wir wollten ihn allein unsern Bitten
+zu verdanken haben. Welche Glueckseligkeit wartet auf mich! Wie
+schmerzlich wird mir aber auch die eigne Ueberzeugung sein, dass ich
+dieser Glueckseligkeit so unwert bin!
+
+Marwood (beiseite). Und das muss ich mit anhoeren!
+
+Sara. Wie vollkommen rechtfertigen Sie durch solche Gesinnungen meine
+Liebe gegen Sie.
+
+Marwood (beiseite). Was fuer Zwang muss ich mir antun!
+
+Sara. Auch Sie, vortreffliche Lady, muessen den Brief meines Vaters
+lesen. Sie scheinen allzuviel Anteil an unserm Schicksale zu nehmen,
+als dass Ihnen sein Inhalt gleichgueltig sein koennte.
+
+Marwood. Mir gleichgueltig, Miss? (Sie nimmt den Brief.)
+
+Sara. Aber, Lady, Sie scheinen noch immer sehr nachdenkend, sehr
+traurig.--
+
+Marwood. Nachdenkend, Miss, aber nicht traurig.
+
+Mellefont (beiseite). Himmel! wo sie sich verraet!
+
+Sara. Und warum denn?
+
+Marwood. Ich zittere fuer Sie beide. Koennte die unvermutete Guete
+Ihres Vaters nicht eine Verstellung sein? eine List?
+
+Sara. Gewiss nicht, Lady, gewiss nicht. Lesen Sie nur, und Sie werden
+es selbst gestehen. Die Verstellung bleibt immer kalt, und eine so
+zaertliche Sprache ist in ihrem Vermoegen nicht. (Marwood lieset fuer
+sich.) Werden Sie nicht argwoehnisch, Mellefont; ich bitte Sie. Ich
+stehe Ihnen dafuer, dass mein Vater sich zu keiner List herablassen kann.
+Er sagt nichts, was er nicht denkt, und Falschheit ist ihm ein
+unbekanntes Laster.
+
+Mellefont. Oh! davon bin ich vollkommen ueberzeugt, liebste Miss.--Man
+muss der Lady den Verdacht vergeben, weil sie den Mann noch nicht kennt,
+den er trifft.
+
+Sara (indem ihr Marwood den Brief zurueckgibt). Was seh ich, Lady?
+Sie haben sich entfaerbt? Sie zittern? Was fehlt Ihnen?
+
+Mellefont (beiseite). In welcher Angst bin ich! Warum habe ich sie
+auch hergebracht?
+
+Marwood. Es ist nichts, Miss, als ein kleiner Schwindel, welcher
+voruebergehn wird. Die Nachtluft muss mir auf der Reise nicht bekommen
+sein.
+
+Mellefont. Sie erschrecken mich, Lady--ist es Ihnen nicht gefaellig,
+frische Luft zu schoepfen? Man erholt sich in einem verschlossnen
+Zimmer nicht so leicht.
+
+Marwood. Wenn Sie meinen, so reichen Sie mir Ihren Arm.
+
+Sara. Ich werde Sie begleiten, Lady.
+
+Marwood. Ich verbitte diese Hoeflichkeit, Miss. Meine Schwachheit wird
+ohne Folgen sein.
+
+Sara. So hoffe ich denn, Lady bald wiederzusehen.
+
+Marwood. Wenn Sie erlauben, Miss--
+
+(Mellefont fuehrt sie ab.)
+
+Sara (allein). Die arme Lady!--Sie scheinet die freundschaftlichste
+Person zwar nicht zu sein; aber muerrisch und stolz scheinet sie doch
+auch nicht.--Ich bin wieder allein. Kann ich die wenigen Augenblicke,
+die ich es vielleicht sein werde, zu etwas Besserm als zur Vollendung
+meiner Antwort anwenden? (Sie will sich niedersetzen, zu schreiben.)
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Betty. Sara.
+
+
+Betty. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch.
+
+Sara. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines
+Mellefont. Es wandelte ihr gaehling eine kleine Schwachheit an. Wo
+ist sie jetzt?
+
+Betty. Mellefont hat sie bis an die Tuere begleitet.
+
+Sara. So ist sie ja wohl wieder fort?
+
+Betty. Ich vermute es.--Aber je mehr ich Sie ansehe, Miss--Sie muessen
+mir meine Freiheit verzeihen--, je mehr finde ich Sie veraendert. Es
+ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muss ein
+sehr angenehmer Besuch oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote
+gewesen sein.
+
+Sara. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was
+fuer einen zaertlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes
+Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen.
+Ich werde wieder gluecklich sein und dich fuer deine guten Dienste
+belohnen koennen.
+
+Betty. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen fuer Dienste leisten
+koennen?
+
+Sara. Du haettest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht
+mehrere leisten koennen als in diesen neun Wochen. Sie sind vorueber!--
+Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so
+muss ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, dass es sehr
+gut sein wuerde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem
+seine Danksagung schwerlich unerwartet sein duerfte. Komm!
+
+(Sie gehen ab.)
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Der Saal.
+
+
+Sir William Sampson. Waitwell.
+
+Sir William. Was fuer Balsam, Waitwell, hast du mir durch deine
+Erzaehlung in mein verwundetes Herz gegossen! Ich lebe wieder neu auf;
+und ihre herannahende Rueckkehr scheint mich ebensoweit zu meiner
+Jugend wieder zurueckzubringen, als mich ihre Flucht naeher zu dem Grabe
+gebracht hatte. Sie liebt mich noch! Was will ich mehr?--Geh ja bald
+wieder zu ihr, Waitwell. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, da
+ich sie aufs neue in diese Arme schliessen soll, die ich so sehnlich
+gegen den Tod ausgestreckt hatte. Wie erwuenscht waere er mir in den
+Augenblicken meines Kummers gewesen! Und wie fuerchterlich wird er mir
+in meinem neuen Gluecke sein! Ein Alter ist ohne Zweifel zu tadeln,
+wenn er die Bande, die ihn noch mit der Welt verbinden, so fest wieder
+zuziehet. Die endliche Trennung wird desto schmerzlicher.--Doch der
+Gott, der sich jetzt so gnaedig gegen mich erzeigt, wird mir auch diese
+ueberstehen helfen. Sollte er mir wohl eine Wohltat erweisen, um sie
+mir zuletzt zu meinem Verderben gereichen zu lassen? Sollte er mir
+eine Tochter wiedergeben, damit ich ueber seine Abfoderung aus diesem
+Leben murren muesse? Nein, nein; er schenkt mir sie wieder, um in der
+letzten Stunde nur um mich selbst besorgt sein zu duerfen. Dank sei
+dir, ewige Guete! Wie schwach ist der Dank eines sterblichen Mundes!
+Doch bald, bald werde ich in einer ihm geweihten Ewigkeit ihm wuerdiger
+danken koennen.
+
+Waitwell. Wie herzlich vergnuegt es mich, Sir, Sie vor meinem Ende
+wieder zufrieden zu wissen! Glauben Sie mir es nur, ich habe fast so
+viel bei Ihrem Jammer ausgestanden als Sie selbst. Fast so viel; gar
+so viel nicht: denn der Schmerz eines Vaters mag wohl bei solchen
+Gelegenheiten unaussprechlich sein.
+
+Sir William. Betrachte dich von nun an, mein guter Waitwell, nicht
+mehr als meinen Diener. Du hast es schon laengst um mich verdient, ein
+anstaendiger Alter zu geniessen. Ich will dir es auch schaffen, und du
+sollst es nicht schlechter haben, als ich es noch in der Welt haben
+werde. Ich will allen Unterschied zwischen uns aufheben; in jener
+Welt, weisst du wohl, ist er ohnedies aufgehoben.--Nur dasmal sei noch
+der alte Diener, auf den ich mich nie umsonst verlassen habe. Geh und
+gib acht, dass du mir ihre Antwort sogleich bringen kannst, als sie
+fertig ist.
+
+Waitwell. Ich gehe, Sir. Aber so ein Gang ist kein Dienst, den ich
+Ihnen tue. Er ist eine Belohnung, die Sie mir fuer meine Dienste
+goennen. Ja gewiss, das ist er.
+
+(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.)
+
+(Ende des dritten Aufzuges.)
+
+
+
+
+
+Vierter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Mellefonts Zimmer.
+
+
+Mellefont. Sara.
+
+Mellefont. Ja, liebste Miss, ja; das will ich tun; das muss ich tun.
+
+Sara. Wie vergnuegt machen Sie mich!
+
+Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich
+nehmen muss. Ich allein bin schuldig; ich allein muss um Vergebung
+bitten.
+
+Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den groessern Anteil, den ich an
+unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch
+ist: denn er muss Sie ueberzeugt haben, dass ich meinen Mellefont ueber
+alles in der Welt liebe.--Aber ist es denn gewiss wahr, dass ich nunmehr
+diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder
+befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fuerchte ich mich,
+ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen!--Doch nein,
+ich bin nicht bloss in einem Traume, ich bin wirklich gluecklicher, als
+ich jemals zu werden hoffen durfte; gluecklicher, als es vielleicht
+dieses kurze Leben zulaesst. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von
+Glueckseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so
+schmeichelhaft naeher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die
+dickste Finsternis zerfliesse und mich auf einmal in einer Nacht lasse,
+deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht
+fuehlbar geworden.--Was fuer Ahnungen quaelen mich!--Sind es wirklich
+Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewoehnliche Empfindungen, die von
+der Erwartung eines unverdienten Gluecks und von der Furcht, es zu
+verlieren, unzertrennlich sind?--Wie schlaegt mir das Herz, und wie
+unordentlich schlaegt es! Wie stark itzt, wie geschwind!--Und nun, wie
+matt, wie bange, wie zitternd!--Itzt eilt es wieder, als ob es die
+letzten Schlaege waeren, die es gern recht schnell hintereinander tun
+wolle. Armes Herz!
+
+Mellefont. Die Wallungen des Gebluets, welche ploetzliche
+Ueberraschungen nicht anders als verursachen koennen, werden sich legen,
+Miss, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner
+seiner Schlaege zielet auf das Zukuenftige; und wir sind zu tadeln--
+verzeihen Sie, liebste Sara--, wenn wir des Bluts mechanische
+Drueckungen zu fuerchterlichen Propheten machen.--Deswegen aber will ich
+nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besaenftigung dieses kleinen
+innerlichen Sturms fuer dienlich halten. Ich will sogleich schreiben,
+und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit
+den Ausdruecken meines geruehrten Herzens und mit den Angelobungen des
+zaertlichsten Gehorsams zufrieden sein.
+
+Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an
+einen weit zaertlichern Namen zu gewoehnen. Mein Vater, Ihr Vater,
+Mellefont--
+
+Mellefont. Nun ja, Miss, unser guetiger, unser bester Vater!--Ich musste
+sehr jung aufhoeren, diesen suessen Namen zu nennen; sehr jung musste ich
+den ebenso suessen Namen "Mutter" verlernen--
+
+Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir--mir ward es so gut nicht, ihn
+nur einmal sprechen zu koennen. Mein Leben war ihr Tod.--Gott! ich
+ward eine Muttermoerderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte--
+wie wenig, wie nichts fehlte--, so waere ich auch eine Vatermoerderin
+geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsaetzliche
+Vatermoerderin!--Und wer weiss, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre,
+die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele koemmt,
+als er ohne die Betruebnis, die ich ihm verursacht, gekommen waere--
+diese hab ich ihm--ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal
+auch noch so alt und lebenssatt sterben laesst, so wird mein Gewissen
+doch nichts gegen den Vorwurf sichern koennen, dass er ohne mich
+vielleicht noch spaeter gestorben waere. Trauriger Vorwurf, den ich mir
+ohne Zweifel nicht machen duerfte, wenn eine zaertliche Mutter die
+Fuehrerin meiner Jugend gewesen waere! Ihre Lehren, ihr Exempel wuerden
+mein Herz--So zaertlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben
+recht; eine Mutter wuerde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert
+haben, und ich wuerde Mellefonts nicht sein. Warum wuensche ich mir
+denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Guete versagte?
+Seine Fuegungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht
+brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach
+einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene
+Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung!
+Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, dass in dem
+Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will.-
+-Was ist es, dieses rebellische Etwas?
+
+Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt
+haben, ist die natuerliche furchtsam Schwierigkeit, sich in ein grosses
+Glueck zu finden.--Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich
+ungluecklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich
+fuer gluecklich zu halten!--Aber wie dem, der in einer schnellen
+Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder
+still sitzt, die aeussern Gegenstaende mit ihm herumzugehen scheinen, so
+wird auch das Herz, das zu heftig erschuettert worden, nicht auf einmal
+wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurueck,
+die wir ihrer eignen Abschwaechung ueberlassen muessen.
+
+Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen;
+weil ich es wuensche.--Aber lassen Sie uns einer den andern nicht
+laenger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich
+darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde
+gezeigt haben?
+
+Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur
+das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muss: denn ich weiss es, Sie
+halten sich nicht fuer so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara
+bis an die Szene begleitet.)
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+
+Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen).
+Was fuer ein Raetsel bin ich mir selbst! Wofuer soll ich mich halten?
+Fuer einen Toren? oder fuer einen Boesewicht?--oder fuer beides?--Herz,
+was fuer ein Schalk bist du!--Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich
+auch sein mag.--Ich lieb ihn? Ja, gewiss, gewiss, ich lieb ihn. Ich
+weiss, ich wollte tausend Leben fuer sie aufopfern, fuer sie, die mir
+ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand
+wollt' ich es--Und doch, doch--Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen--
+Und doch--Wie soll ich es begreifen?--Und doch fuerchte ich mich vor
+dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der
+Meinigen machen wird.--Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater
+ist versoehnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben koennen.
+Die Verzoegerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwuerfe genug
+zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch
+ertraeglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt
+zu sein.--Aber bin ich es denn nicht schon?--Ich bin es freilich, und
+bin es mit Vergnuegen.--Freilich bin ich schon ihr Gefangener.--Was
+will ich also?--Das!--Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein
+Wort frei herumgehen laesst: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht
+sein Bewenden haben? Warum muss ich eingeschmiedet werden und auch
+sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren?--Eingeschmiedet?
+Nichts anders!--Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten
+liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin!--Die Haelfte
+dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Haelfte--wird
+verschwinden.--Ich Ungeheuer!--Und bei diesen Gesinnungen soll ich an
+ihren Vater schreiben?--Doch es sind keine Gesinnungen; es sind
+Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zuegelloses
+Leben so natuerlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder--nicht
+leben.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Norton. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Du stoerest mich, Norton!
+
+Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr--(Indem er wieder zurueckgehen
+will.)
+
+Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, dass du mich
+stoerest. Was willst du?
+
+Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehoert, und
+ich komme, Ihnen dazu Glueck zu wuenschen.
+
+Mellefont. Zur Versoehnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir.
+
+Norton. Der Himmel will Sie also noch gluecklich machen.
+
+Mellefont. Wenn er es will--du siehst, Norton, ich lasse mir
+Gerechtigkeit widerfahren--, so will er es meinetwegen gewiss nicht.
+
+Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen.
+
+
+Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen.
+Wollte seine schon geruestete Rache eine ganze suendige Stadt, weniger
+Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher
+dulden, wenn eine ihm gefaellige Seele an dem Schicksale desselben
+Anteil nimmt.
+
+Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und ruehrend. Aber drueckt sich
+die Freude nicht etwas anders aus?
+
+Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun fuer mich dahin.
+
+Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.)
+
+Mellefont. Du darfst.
+
+Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hoeren
+musste, dass ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu
+geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an
+seltner schweige.
+
+Mellefont. Nur vergiss nicht, wer du bist.
+
+Norton. Ich will es nicht vergessen, dass ich ein Bedienter bin: ein
+Bedienter, der auch etwas Bessers sein koennte, wenn er, leider!
+darnach gelebt haette. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem
+Fusse, dass ich mich gern mit Ihnen moechte verdammen lassen.
+
+Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt?
+
+Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich
+mir vorstellte.
+
+Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir
+vorstelltest?
+
+Norton. Sie in lauter Entzueckung zu finden.
+
+Mellefont. Nur der Poebel wird gleich ausser sich gebracht, wenn ihn
+das Glueck einmal anlaechelt.
+
+Norton. Vielleicht, weil der Poebel noch sein Gefuehl hat, das bei
+Vornehmern durch tausend unnatuerliche Vorstellungen verderbt und
+geschwaecht wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als
+Maessigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille--
+
+Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch ausser der
+Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood--
+
+Norton. Koennte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen.--
+Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben,
+wenn Sie es nicht lieber gesehen haetten, der Vater waere noch nicht
+versoehnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer
+Denkungsart schickt--
+
+Mellefont. Norton! Norton! du musst ein erschrecklicher Boesewicht
+entweder gewesen sein oder noch sein, dass du mich so erraten kannst.
+Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr;
+so gewiss es ist, dass ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will
+es mir ein, dass ich sie ewig lieben soll--soll!--Aber besorge nichts;
+ich will ueber diese naerrische Grille siegen. Oder meinst du nicht,
+dass es eine Grille ist? Wer heisst mich die Ehe als einen Zwang
+ansehen? Ich wuensche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich
+lassen wird.
+
+Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood
+wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fuerchte, ich
+fuerchte--
+
+Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach
+London zurueckreisen sehen. Da ich dir meine geheimste--Narrheit will
+ich es nur unterdessen nennen--gestanden habe, so darf ich dir auch
+nicht verbergen, dass ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, dass
+sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muss.
+
+Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches.
+
+Mellefont. Sieh, dieses Moerdereisen riss ich ihr aus der Hand (er
+zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der
+schrecklichsten Wut das Herz damit durchstossen wollte. Glaubst du es
+nun bald, dass ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar
+fehlte es nicht viel, sie haette mir ihre Schlinge wieder um den Hals
+geworfen. Die Verraeterin hat Arabellen bei sich.
+
+Norton. Arabellen?
+
+Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen koennen, durch welche
+List sie das Kind wieder in ihre Haende bekommen. Genug, der Erfolg
+fiel fuer sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte.
+
+Norton. Erlauben Sie, dass ich mich ueber Ihre Standhaftigkeit freuen
+und Ihre Besserung schon fuer halb geborgen halten darf. Allein--da
+Sie mich doch alles wollen wissen lassen--was hat sie unter dem Namen
+der Lady Solmes hier gesollt?
+
+Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich
+willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Uebereilung,
+teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts
+zu demuetigen.--Du schuettelst den Kopf, Norton?--
+
+Norton. Das haette ich nicht gewagt.
+
+Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich
+im Falle der Weigerung gewagt haette. Sie wuerde als Marwood
+vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem
+unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers.
+
+Norton. Danken Sie dem Himmel, dass es so ruhig abgelaufen.
+
+Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stiess ihr eine
+kleine Unpaesslichkeit zu, dass sie sich, ohne Abschied zu nehmen,
+wegbegeben musste. Sie will wiederkommen.--Mag sie doch! Die Wespe,
+die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er
+wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber
+auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu ueberlaestig damit
+wird.--Hoer ich nicht jemand kommen? Verlass mich, wenn sie es ist.--
+Sie ist es. Geh!
+
+(Norton geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood.
+
+
+Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen.
+
+Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, dass Ihre Unpaesslichkeit
+ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser?
+
+Marwood. So, so!
+
+Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu
+bemuehen.
+
+Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge fuer
+mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht uebel, wenn Sie etwas anders
+damit meinen.
+
+Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen.
+
+Marwood. Der Sturm ist vorueber. Vergessen Sie ihn, bitte ich
+nochmals.
+
+Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich
+will gern alles vergessen.--Aber, wenn ich wuesste, dass Sie es fuer keine
+Beleidigung annehmen wollten, so moechte ich wohl fragen--
+
+Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie koennen mich nicht mehr
+beleidigen.--Was wollten Sie fragen?
+
+Mellefont. Wie ihnen meine Miss gefallen habe.
+
+Marwood. Die Frage ist natuerlich. Meine Antwort wird so natuerlich
+nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr.--Sie hat
+mir sehr wohl gefallen.
+
+Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzueckt mich. Aber waer' es auch
+moeglich, dass der, welcher die Reize einer Marwood zu schaetzen wusste,
+eine schlechte Wahl treffen koennte?
+
+Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist,
+haetten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze,
+Sie zu vergessen, nicht vertragen.
+
+Mellefont. Sie wollen doch nicht, dass ich Ihnen diesen Vorsatz durch
+Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der
+gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von
+Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll
+und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu
+unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt.
+
+Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert
+sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muss, muss geschehen und es
+koemmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort
+noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen?
+
+Mellefont. Nein, Marwood.
+
+Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben koennen, dass
+Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.
+
+Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben.
+
+Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt.
+
+Mellefont. Wie?
+
+Marwood. Erlauben Sie, dass Arabella die Reichtuemer, welche ich von
+Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr
+Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wuenschen, dass ich ihr ein
+bessres lassen koennte als die Schande, von mir geboren zu sein.
+
+Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will fuer Arabellen sorgen, ohne
+ihre Mutter wegen eines anstaendigen Auskommens in Verlegenheit zu
+setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muss sie damit anfangen, dass
+sie etwas von mir zu besitzen vergisst. Ich habe Verbindlichkeiten
+gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, dass sie mein wahres
+Glueck, obschon wider ihren Willen, befoerdert hat. Ja, Marwood, ich
+danke Ihnen in allem Ernste, dass Sie unsern Aufenthalt einem Vater
+verrieten, den bloss die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht
+eher wieder anzunehmen.
+
+Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe
+verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muss
+anders denken, als ich an seiner Stelle wuerde gedacht haben. Ich
+haette der Tochter vergeben, und ihrem Verfuehrer haett' ich--
+
+Mellefont. Marwood!--
+
+Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich
+der Miss mein Abschiedskompliment bald machen duerfen?
+
+Mellefont. Miss Sara wuerde es Ihnen nicht uebelnehmen koennen, wenn Sie
+auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen.
+
+Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich
+will, auch unter keinem fremden Namen, fuer ein Frauenzimmer ohne
+Lebensart gehalten werden.
+
+Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich
+selbst hueten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen
+bei Ihnen rege machen muss--
+
+Marwood (spoettisch laechelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich
+selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, dass ich
+Ihrentwegen untroestlich sein muesste, so sollten Sie es doch wenigstens
+ganz in der Stille glauben.--Miss Sara soll gewisse Vorstellungen bei
+mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, dass
+das beste Maedchen oft den nichtswuerdigsten Mann lieben kann.
+
+Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in
+der Verfassung, in der ich Sie laengst gern gewuenscht haette: ob es mir
+gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen waere, wenn wir
+einige gemeinschaftliche Hochachtung fuer einander haetten behalten
+koennen. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gaerende
+Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, dass ich Sie einige
+Augenblicke allein lasse. Ich will Miss Sampson zu Ihnen holen.
+
+
+
+Fuenfter Auftritt
+
+
+Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich
+unbemerkt einmal Atem schoepfen und die Muskeln des Gesichts in ihre
+natuerliche Lage fahren lassen?--Ich muss geschwind einmal in allen
+Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder
+aushalten zu koennen.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht,
+weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste
+Zuflucht der ohnmaechtigen Rachsucht bist. Gewiss wuerde ich mich zu dir
+nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel
+seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem
+Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch
+sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, dass ich mit
+seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr
+ungewiss, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem
+Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen
+wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht
+verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von
+mir hoeren. Es waere schlecht, wenn sie in ihrem Gemuete ganz und gar
+keinen Stachel zurueckliessen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht
+mehr Marwood; ich bin eine nichtswuerdige Verstossene, die durch kleine
+Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm,
+der sich kruemmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse
+gern verwunden moechte.
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Marwood.
+
+
+Sara. Ich freue mich, Lady, dass meine Unruhe vergebens gewesen ist.
+
+Marwood. Ich danke Ihnen, Miss. Der Zufall war zu klein, als dass er
+Sie haette beunruhigen sollen.
+
+Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara.
+
+Sara. So eilig, Lady?
+
+Marwood. Ich kann es fuer die, denen an meiner Gegenwart in London
+gelegen ist, nicht genug sein.
+
+Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen?
+
+Marwood. Morgen mit dem Fruehsten.
+
+Mellefont. Morgen mit dem Fruehsten, Lady? Ich glaubte, noch heute.
+
+Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, faengt sich sehr im Vorbeigehn an.
+Ich schmeichle mir, in Zukunft eines naehern Umgangs mit Ihnen
+gewuerdiget zu werden.
+
+Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miss.
+
+Mellefont. Ich stehe Ihnen dafuer, liebste Sara, dass diese Bitte der
+Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muss, dass Sie
+einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich
+mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten koennen--
+
+Marwood (beiseite). Wie fein!
+
+Sara. Mellefont, das heisst mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben.
+
+Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glueckliche Miss.
+
+Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen frueh wieder
+fort?
+
+Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand
+kommen!
+
+Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten.
+Nicht wahr, liebste Miss, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort
+ungesaeumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht
+uebelnehmen.
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Betty. Mellefont. Sara. Marwood.
+
+
+Mellefont. Was willst du, Betty?
+
+Betty. Man verlangt Sie unverzueglich zu sprechen.
+
+Marwood (beiseite). Ha! nun koemmt es drauf an--
+
+Mellefont. Mich? unverzueglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist
+es Ihnen gefaellig, Ihren Besuch abzukuerzen?
+
+Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so guetig sein und bis zu Ihrer
+Zurueckkunft warten.
+
+Marwood. Verzeihen Sie, Miss; ich kenne meinen Vetter Mellefont und
+will mich lieber mit ihm wegbegeben.
+
+Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen.
+Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versaeumen--
+
+Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miss,
+dass es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen
+ich gegen Sie gedacht habe.
+
+(Betty gehet ab.)
+
+Marwood (beiseite). Gute Vermutung!
+
+Mellefont. Aber doch, Lady--
+
+Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miss, so muss ich mich Ihnen--
+
+Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnuegen nicht
+missgoennen, Lady Solmes so lange unterhalten zu duerfen?
+
+Mellefont. Sie wollen es, Miss?--
+
+Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie
+nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich
+wuenschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht.
+Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie
+allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen koennen,
+als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.--
+
+Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiss den
+Augenblick wieder hier. (Geht ab.)
+
+Marwood (beiseite). Gluecklich!
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Sara. Marwood.
+
+
+Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Hoeflichkeiten manchmal mit
+einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?--
+
+Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als dass
+ich so etwas bemerken koennte.
+
+Sara. Wollen sich Lady nicht setzen?
+
+Marwood. Wenn Sie befehlen, Miss--(Beiseite, indem sie sich setzen.)
+Ich muss diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen.
+
+Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das gluecklichste
+Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden?
+
+Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glueck zu finden weiss, so wird
+ihn Miss Sara zu der beneidenswuerdigsten Mannsperson machen. Aber--
+
+Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady--
+
+Marwood. Ich bin offenherzig, Miss--
+
+Sara. Und dadurch unendlich schaetzbarer--
+
+Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein
+Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedaechtiges Aber!
+
+Sara. Ich glaube nicht, dass mich Lady durch diese Ausweichung noch
+unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit
+sein, ein Uebel, das man zeigen koennte, nur argwoehnen zu lassen.
+
+Marwood. Nicht doch, Miss; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel.
+Mellefont ist mein Anverwandter--
+
+Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider
+ihn zu machen haben.
+
+Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder waere, so muss ich Ihnen
+doch sagen, dass ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts
+gegen ihn annehmen wuerde, wenn ich bemerkte, dass er nicht
+rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig
+jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu
+Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache
+machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu
+nehmen sich nicht bedenken muessten.
+
+Sara. Diese Anmerkung--
+
+Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Faellen meine
+Richtschnur gewesen.
+
+Sara. Und verspricht mir--Ich zittere--
+
+Marwood. Nein, Miss; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas
+anderm sprechen--
+
+Sara. Grausame Lady!
+
+Marwood. Es tut mir leid, dass ich verkannt werde. Ich wenigstens,
+wenn ich mich in Gedanken an Miss Sampsons Stelle setze, wuerde jede
+naehere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen
+Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit waere, als eine
+Wohltat ansehen.
+
+Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon?
+Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiss, dass
+er mich liebt--
+
+Marwood. Und andre--
+
+Sara. Geliebt hat. Auch das weiss ich. Hat er mich lieben sollen,
+ehe er von mir etwas wusste? Kann ich die einzige zu sein verlangen,
+die fuer ihn Reize genug gehabt hat? Muss ich mir es nicht selbst
+gestehen, dass ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht
+liebenswuerdig genug, dass er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken
+muessen? Und ist es nicht natuerlich, wenn mancher dieses Bestreben
+gelungen ist?
+
+Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden
+Gruenden, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein
+Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet
+worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen.
+
+Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die
+Gegenstaende der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten
+verdienen.
+
+Marwood. Miss Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu
+sein.
+
+Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege,
+welche es selbst gestehen, dass sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die
+strengste nicht. Sie muss es auch nicht sein. Denn hier koemmt es
+nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei
+der Liebe setzt, sondern bloss darauf, die menschliche Schwachheit zu
+entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und
+die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu
+beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie
+endlich verlaesst; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der
+Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es waere ein Unglueck, wenn er eine
+Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben
+muesste.
+
+Marwood. Aber, Miss, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so
+getrost eine Lasterhafte nennen?
+
+Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont.
+
+Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, dass
+Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr
+ungueltiger Zeuge sein koenne?
+
+Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, dass Sie mich auf die Probe stellen
+wollen. Mellefont wird laecheln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden,
+wie ernsthaft ich mich seiner angenommen.
+
+Marwood. Verzeihen Sie, Miss; von dieser Unterredung muss Mellefont
+nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als dass Sie, zum Danke fuer
+eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten,
+die sich nur deswegen wider ihn erklaert, weil sie sein unwuerdiges
+Verfahren gegen mehr als eine der liebenswuerdigsten Personen unsers
+Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten haette.
+
+Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wuenschte, dass es
+andre ebensowenig wollten.
+
+Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten
+erzaehlen?
+
+Sara. Ich weiss nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, dass Sie
+davon aufhoeren sobald Mellefont zurueckkoemmt. Er moechte denken, ich
+haette mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht
+gern, dass er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen koennte.
+
+Marwood. Ich wuerde Miss Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben,
+wenn sie mir nicht zuvorgekommen waere. Er muss es auch nicht argwoehnen
+koennen, dass Marwood unser Gespraech gewesen ist; und Sie werden so
+behutsam sein, Ihre Massregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.--
+Hoeren Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war
+eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen
+kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schoenheit noch an
+derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schoenheit tot sein wuerde.
+Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermoegen.
+Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtuemer
+gewesen sein--, hatte sie fuer die Befreiung eines Mannes aufgeopfert,
+dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu duerfen glaubte, nachdem sie
+ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen.
+
+Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, dass er in
+einem bessern Gemaelde prangte!
+
+Marwood. Des Mangels an Vermoegen ungeachtet ward sie von Personen
+gesucht, die nichts eifriger wuenschten, als sie gluecklich zu machen.
+Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein
+Antrag war ernstlich, und der Ueberfluss, in welchen er die Marwood zu
+setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stuetzte. Er hatte
+es bei der ersten Unterredung weg, dass er mit keiner Eigennuetzigen zu
+tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zaertlichsten
+Gefuehls, welches eine Huette einem Palaste wuerde vorgezogen haben, wenn
+sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer
+gleichgueltigen Person haette leben sollen.
+
+Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht goenne. Schmeicheln
+Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich moechte sie am Ende bedauern
+muessen.
+
+Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste
+Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters
+bekam, welcher ihm sein ganzes Vermoegen mit der Bedingung hinterliess,
+eine weitlaeuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen
+reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an
+Grossmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft
+eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie wuerde
+verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miss, das war gross gedacht?
+
+Sara. O Lady, wer weiss es besser als ich, dass Mellefont das edelste
+Herz besitzt?
+
+Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch
+spaet an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen
+haette. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war
+fort.
+
+Sara. Wohin? Warum?
+
+Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm
+entdeckte, dass er sich keine Rechnung machen duerfe, sie jemals
+wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, dass sie ihn liebe; aber eben
+deswegen koenne sie sich nicht ueberwinden, die Ursache einer Tat zu
+sein, die er notwendig einmal bereuen muesse. Sie erlasse ihn seines
+Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die
+Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den
+Besitz eines Vermoegens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas
+Wichtigerm brauchen koenne, als einem Frauenzimmer eine unueberlegte
+Schmeichelei damit zu machen.
+
+Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche
+Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl faehig sein, aber nicht
+Marwood. Gewiss Marwood nicht.
+
+Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miss, dass Sie wider sie
+eingenommen sind.--Mellefont wollte ueber den Entschluss der Marwood von
+Sinnen kommen. Er schickte ueberall Leute aus, sie wieder aufzusuchen;
+und endlich fand er sie.
+
+Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel.
+
+Marwood. Keine bittere Glossen, Miss! Sie geziemen einem Frauenzimmer
+von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich;
+und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht
+annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, dass
+sie nach London zurueckzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre
+Vermaehlung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen
+Verzoegerns ueberdruessig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei.
+Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der taeglichen Besuche des
+Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle
+Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der
+Freundschaft zurueckgewiesen hat. Aber wie unmoeglich ist es, dass ein
+hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht ueberschreiten sollte!
+Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefaehrlich machen
+kann. Niemand kann hiervon ueberzeugter sein als Miss Sampson selbst.
+
+Sara. Ach!
+
+Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat ueber ihre Schwachheit mehr
+als einmal geseufzet und seufzet noch.
+
+Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr
+als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten.
+
+Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloss die
+unglueckliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie
+am richtigsten von ihr urteilen koennten.--Kurz, die Liebe gab dem
+Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es laenger
+nicht fuer noetig, sie durch die Gesetze gueltig machen zu lassen. Wie
+gluecklich waere Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein
+von ihrer Schande wuessten! Wie gluecklich, wenn nicht eine jammernde
+Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst
+verbergen zu koennen wuenschte!
+
+Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter--
+
+Marwood. Ja, Miss, eine unglueckliche Tochter verlieret durch die
+Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals
+ohne Abscheu nennen zu koennen.
+
+Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont
+verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady?
+
+Marwood. Sie duerfen sicher glauben, Miss, dass Ihnen Mellefont
+vielleicht noch mehr verschwiegen hat.
+
+Sara. Noch mehr? Was koennte er mir noch mehr verschwiegen haben?
+
+Marwood. Dieses, dass er die Marwood noch liebt.
+
+Sara. Sie toeten mich, Lady!
+
+Marwood. Es ist unglaublich, dass sich eine Liebe, welche laenger als
+zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren koenne. Sie kann zwar
+eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine
+kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder
+hervorbricht. Ich koennte Ihnen eine Miss Oklaff, eine Miss Dorkas, eine
+Miss Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood
+einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende
+auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt,
+ueber welchen er sich nicht bringen laesst, und sobald er diesen scharf
+in das Gesicht bekoemmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miss, Sie waeren
+die einzige Glueckliche, bei welcher sich alle Umstaende wider ihn
+erklaerten; gesetzt, Sie braechten ihn dahin, dass er seinen nunmehr zur
+Natur gewordenen Abscheu gegen ein foermliches Joch ueberwinden muesste:
+glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein?
+
+Sara. Ich Unglueckliche! Was muss ich hoeren!
+
+Marwood. Nichts weniger. Alsdann wuerde er eben am allerersten in die
+Arme derjenigen zurueckeilen, die auf seine Freiheit so eifersuechtig
+nicht gewesen. Sie wuerden seine Gemahlin heissen, und jene wuerde es
+sein.
+
+Sara. Martern Sie mich nicht laenger mit so schrecklichen
+Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie
+mir, was ich tun soll. Sie muessen ihn kennen. Sie muessen es wissen,
+durch was es etwa noch moeglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen,
+ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft
+bleibet.
+
+Marwood. Dass man einen Vogel fangen kann, Miss, das weiss ich wohl.
+Aber dass man ihm seinen Kaefig angenehmer als das freie Feld machen
+koenne, das weiss ich nicht. Mein Rat waere also, ihn lieber nicht zu
+fangen und sich den Verdruss ueber die vergebne Muehe zu ersparen.
+Begnuegen Sie sich, Miss, an dem Vergnuegen, ihn sehr nahe an Ihrer
+Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen koennen, dass er die
+Schlinge ganz gewiss zerreissen werde, wenn Sie ihn vollends
+hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht
+herein.
+
+Sara. Ich weiss nicht, ob ich dieses taendelnde Gleichnis recht
+verstehe, Lady--
+
+Marwood. Wenn Sie verdriesslich darueber geworden sind, so haben Sie es
+verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der
+Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit koennen
+und sollen Miss Sampson bewegen, ihre Ansprueche auf einen Mann
+aufzugeben, auf den Marwood die ersten und staerksten hat. Noch stehen
+Sie, Miss, mit ihm so, dass Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre,
+aber doch ohne oeffentliche Schande von ihm ablassen koennen. Eine
+kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch
+ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles
+vergessen, und es finden sich fuer eine reiche Erbin noch immer
+Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen
+Umstaenden waere und sie brauchte weder fuer ihre im Abzuge begriffene
+Reize einen Gemahl noch fuer ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiss
+ich gewiss, Marwood wuerde gegen Miss Sampson grossmuetiger handeln, als
+Miss Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten
+macht.
+
+Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die
+Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwuerdig verraet man Sie,
+Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir
+allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer
+Zunge zu fuerchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn
+Lady haben lange genug unanstaendig geredet. Wodurch hat Marwood sich
+eine solche Vorsprecherin erwerben koennen, die alle ihre
+Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr
+aufzudraengen, und alle Raenke anwendet, mich gegen die Redlichkeit
+eines Mannes argwoehnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein
+Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, dass sich Marwood
+einer Tochter von ihm ruehme; ward mir nur deswegen diese und jene
+betrogene Miss genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste
+Art zu verstehen geben koenne, ich wuerde wohl tun, wenn ich mich selbst
+einer verhaerteten Buhlerin nachsetzte?
+
+Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine
+verhaertete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren
+Kraft Sie nicht ueberleget haben.
+
+Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung
+der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste
+Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es
+kann leicht in der Welt nicht wohl moeglich sein, nur lauter
+tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer
+Freundschaft wegen so tief herabgestossen zu werden? Wenn ich der
+Marwood Erfahrung gehabt haette, so wuerde ich den Fehltritt gewiss nicht
+getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt.
+Haette ich ihn aber doch getan, so wuerde ich wenigstens nicht zehn
+Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit
+auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und
+demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es
+wuessten, was fuer Reue, was fuer Gewissensbisse, was fuer Angst mich mein
+Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich laenger so
+grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der
+Himmel selbst hoert auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die
+Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke,
+Lady; wie veraendern sich auf einmal die Zuege Ihres Gesichts? Sie
+gluehen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende
+Bewegung--Ach! wo ich Sie erzuernt habe, Lady, so bitte ich um
+Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Naerrin; was Sie gesagt haben,
+war ohne Zweifel so boese nicht gemeint. Vergessen Sie meine
+Uebereilung. Wodurch kann ich Sie besaenftigen? Wodurch kann auch ich
+mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen
+gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fussfaellig darum
+bitten--(indem sie niederfaellt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo
+ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich
+und Marwood nicht in einen Rang zu setzen.
+
+Marwood (die einige Schritte stolz zuruecktritt und die Sara liegen
+laesst). Diese Stellung der Sara Sampson ist fuer Marwood viel zu
+reizend, als dass sie nur unerkannt darueber frohlocken sollte--Erkennen
+Sie, Miss, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden
+die Marwood selbst fussfaellig bitten.
+
+Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurueckzieht).
+Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die
+moerdrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab.
+Sie ist es! Flieh, unglueckliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont;
+retten Sie Ihre Geliebte! Und du, suesse Stimme meines geliebten Vaters,
+erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?--
+Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit toetender Faust
+auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.)
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+
+Marwood. Was will die Schwaermerin?--O dass sie wahr red'te und ich mit
+toetender Faust auf sie eindraenge! Bis hieher haette ich den Stahl
+sparen sollen, ich Toerichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in
+der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Fuessen durchbohren zu koennen!--
+Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein.
+Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten,
+aber nicht muessig. Vielleicht, dass ihn die glueckliche List meines
+Bedienten noch lange genug aufhaelt!--Ich sehe, ich werde gefuerchtet.
+Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das
+letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige
+Waffen: doch die Verzweiflung verschmaeht keine, so armselig sie sind.
+Ein schreckhaftes Maedchen, das betaeubt und mit zerruetteten Sinnen
+schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fuerchterliche Worte fuer
+fuerchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr
+wieder Mut machen und sie ueber meine Drohungen spotten lehren. Er
+wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es waere wenig in der Welt
+unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen haette.
+Und bin ich auf den ungluecklichsten nicht schon vorbereitet?--Der
+Dolch war fuer andre, das Gift ist fuer mich!--Das Gift fuer mich! Schon
+laengst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe,
+auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die
+geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; fuer uns ein ebenso
+gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt waere,
+in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen--
+Was halte ich mich mit Wuenschen auf?--Fort! Ich muss weder mich noch
+sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der
+sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.)
+
+(Ende des vierten Aufzuges.)
+
+
+
+
+
+Fuenfter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Das Zimmer der Sara.
+
+
+Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty.
+
+Betty. Fuehlen Sie nicht, Miss, dass Ihnen ein wenig besser wird?
+
+Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du
+hast doch nach ihm ausgeschickt?
+
+Betty. Norton und der Wirt suchen ihn.
+
+Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will
+durchaus nicht, dass er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll.
+Wie er es selbst erzaehlte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig.
+Nicht wahr, Betty, du haeltst ihn auch fuer unschuldig--Sie koemmt ihm
+nach; was kann er dafuer? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden.
+Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst
+als ich?--Und endlich will die boese Marwood mich sehen oder nicht eher
+nach London zurueckkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen?
+Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen.
+Mellefont weiss wohl, dass wir neugierige Geschoepfe sind. Und wenn ich
+nicht selbst darauf gedrungen haette, dass sie bis zu seiner Zurueckkunft
+bei mir verziehen sollte, so wuerde er sie wieder mit weggenommen haben.
+Ich wuerde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu
+wissen, dass ich sie gesehen haette. Und vielleicht wuerde mir dieser
+kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist
+mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die
+kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weisst wohl, Betty, ich
+bin dazu geneigt.
+
+Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miss noch nie gesehen.
+
+Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Maedchen
+freilich zu schaffen gemacht haben.
+
+Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich
+befanden, geruehret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, dass sie sich
+nur fortbegeben moechte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher
+verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich
+Ihnen die Arzenei einfloessen konnte.
+
+Sara. Ich muss es wohl gar fuer ein Glueck halten, dass ich in Ohnmacht
+gefallen bin. Denn wer weiss, was ich noch von ihr haette hoeren muessen.
+Umsonst mochte sie mir gewiss nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du
+glaubst nicht, wie ausser mir ich war. Auf einmal fiel mir der
+schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine
+Unsinnige, die nicht weiss, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont
+koemmt noch nicht.--Ach!
+
+Betty. Was fuer ein Ach, Miss? Was fuer Zuckungen?--
+
+Sara. Gott! was fuer eine Empfindung war dieses--
+
+Betty. Was stoesst Ihnen wieder zu?
+
+Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige
+Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Norton. Sara. Betty.
+
+
+Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein.
+
+Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden?
+
+Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo
+ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der groessten Wichtigkeit mit
+ihm sprechen muesse. Nach langem Herumfuehren hat sich der Betrueger ihm
+von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglueck, wo er sich ertappen
+laesst; so wuetend ist Mellefont.
+
+Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen?
+
+Norton. Alles.
+
+Sara. Aber mit einer Art--
+
+Norton. Ich habe auf die Art nicht denken koennen. Genug, er weiss es,
+was fuer Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat.
+
+Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.--
+
+Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur,
+mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Mellefont. Norton. Sara. Betty.
+
+
+Mellefont. Ach, Miss, wenn auch diese Ihre Liebe nicht waere--
+
+Sara. So waere ich von uns beiden gewiss die Ungluecklichste. Ist Ihnen
+in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdriesslichers zugestossen als mir, so
+bin ich vergnuegt.
+
+Mellefont. So guetig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient.
+
+Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, dass ich Sie nicht
+zaertlicher empfangen kann. Bloss Ihrer Zufriedenheit wegen wuenschte
+ich, mich weniger krank zu fuehlen.
+
+Mellefont. Ha, Marwood, diese Verraeterei war noch uebrig! Der
+Nichtswuerdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer
+Strasse in die andre, aus einem Winkel in den andern fuehrte, war gewiss
+nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miss,
+diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe
+List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon
+entfernt, sie dafuer zu halten. Umsonst muss sie so treulos nicht
+gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; lass sie nicht
+aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme.
+
+Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte fuer Marwood.
+
+Mellefont. Geh!
+
+(Norton geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Betty.
+
+
+Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten
+fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich wuerde ohne Marwood
+vieles nicht wissen--
+
+Mellefont. Vieles? Was ist das Viele?
+
+Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt haetten, Mellefont.--Sie werden
+stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht
+wollen, dass ich es wissen soll.
+
+Mellefont. Ich will nicht hoffen, dass Sie etwas zu meinem Nachteile
+glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer
+aufgebrachten Verleumderin.
+
+Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das
+erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares
+Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich wuerde den Stahl geschliffen
+haben, mit dem Sie Marwood durchstossen haette--
+
+Mellefont. Diese Gefahr war so gross nicht. Marwood ward von einer
+blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also
+musste misslingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miss Sara gute Meinung
+von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muss ich es
+fuerchten--Nein, liebste Miss, verschweigen Sie mir es nicht laenger, was
+Sie von ihr wollen erfahren haben.
+
+Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe
+gehabt haette, Mellefont, so wuerde mir ihn die tobende Marwood benommen
+haben. Sie muss es gewiss wissen, dass sie durch mich um das Kostbarste
+gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust wuerde sie bedaechtiger haben
+gehen lassen.
+
+Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutduerstige Eifersucht, auf
+ihre ungestueme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen
+muessen!--Aber, Miss, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige
+nicht entdecken--
+
+Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein naeherer Schritt
+dazu. Dass mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiss.
+Wenn ich nur nicht entdeckt haette, dass seiner Liebe ein gewisses
+Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein wuerde als die
+Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muss mir eine ploetzliche
+Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen
+muessen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es
+Ihnen sagen sollte.--Marwood erwaehnte eines Pfandes, und der
+schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen,
+einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zaertlichkeit bei Ihnen rege
+machen muss, als Sie gegen mich empfinden--
+
+Mellefont. Ist es moeglich? Hat die Unverschaemte ihre eigne Schande
+bekannt?--Ach, Miss, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie
+schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde
+hoeren? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglueckliche,
+der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter.
+
+Sara. Sie lieben sie also doch?--
+
+Mellefont. Zu sehr, Miss, zu sehr, als dass ich es leugnen sollte.
+
+Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe
+willen! Sie wuerden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die
+Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet
+haetten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, dass Sie mir drohen,
+sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muss
+eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des
+Hoechsten angeloben, dass Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen.
+Sie laeuft Gefahr, in den Haenden ihrer Mutter ihres Vaters unwuerdig zu
+werden. Brauchen Sie Ihre Rechte ueber beide, und lassen Sie mich an
+die Stelle der Marwood treten. Goennen Sie mir das Glueck, mir eine
+Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen
+Mellefont meines Geschlechts. Glueckliche Tage, wenn mein Vater, wenn
+Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe,
+meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschaeftigen werden!
+Glueckliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch
+vielleicht weiss auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloss
+in meiner Begierde noch Glueck!--Empfindungen, Mellefont, nie gefuehlte
+Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle
+Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die
+Hand vors Gesicht haelt.)
+
+Mellefont. Welcher ploetzliche Uebergang von Bewundrung zum Schrecken!--
+Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, grossmuetige
+Miss! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand
+(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den
+grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand
+neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre
+Schmerzen nicht mitfuehlen, Miss? Ich Ungluecklicher, dass ich sie nur
+mitfuehlen kann!--Dass ich sie nicht allein fuehlen soll!--So eile doch,
+Betty--
+
+Betty. Wohin soll ich eilen?--
+
+Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe!
+
+Sara. Bleib nur!--Es geht vorueber. Ich will Sie nicht wieder
+erschrecken, Mellefont.
+
+Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht blosse Folgen
+einer Ohnmacht.--
+
+
+
+Fuenfter Auftritt
+
+Norton. Mellefont. Sara. Betty.
+
+
+Mellefont. Du koemmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier
+noetiger sein.
+
+Norton. Marwood ist fort--
+
+Mellefont. Und meine Flueche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?--
+Unglueck und Tod und, wo moeglich, die ganze Hoelle moege sich auf ihrem
+Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und
+unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer groesstes zu
+verschlingen!--
+
+Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurueckgekommen, hat sie sich mit
+Arabellen und ihrem Maedchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit
+verhaengtem Zuegel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von
+ihr an Sie zurueckgeblieben.
+
+Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn
+lesen, Miss?
+
+Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont.
+
+Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood
+geraechet und Sie, teuerste Miss, ausser Gefahr weiss?
+
+Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hoeren. Die Rache ist nicht
+unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu
+gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kraefte fuehlenden Koerper
+weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer
+werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatuerlich scheint
+mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur fuer
+sich.
+
+Mellefont. Was ist es fuer ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu
+sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muss ich ihn
+lesen.
+
+Sara (indem Mellefont fuer sich lieset). Wie schlau weiss sich der
+Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich
+unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen koenne,
+was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich
+besorge einen neuen Schreck und werde es noetig haben.--Siehst du, was
+der unglueckliche Zettel fuer einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!--
+Sie geraten ausser sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty!
+Reiche ihm das Salz!--Er hat es noetiger als ich.
+
+Mellefont (der die Betty damit zurueckstoesst). Nicht naeher,
+Unglueckliche!--Deine Arzeneien sind Gift!--
+
+Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie!
+
+Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch.
+
+Mellefont. Wuensche dir, Elende, dass du es nicht waerest!--Eile!
+fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer
+meiner Wut wirst!
+
+Sara. Was fuer Reden!--Mellefont, liebster Mellefont--
+
+Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem goettlichen
+Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Fuessen, Sara--(Indem er sich
+niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Fuessen? (und wieder
+aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen
+entdecken, Miss, dass Sie mich hassen werden, dass Sie mich hassen muessen.
+--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie
+werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, muessig und
+angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Aerzte zusammen! Suche Hilfe,
+Betty! Lass die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein!
+bleibt hier! Ich gehe selbst.--
+
+Sara. Wohin, Mellefont? Nach was fuer Hilfe! Von welchem Irrtume
+reden Sie?
+
+Mellefont. Goettliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind
+verloren, liebste Miss! Auch ich bin verloren!--Dass die Welt mit uns
+verloren waere!--
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara, Norton. Betty.
+
+
+Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest
+du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Aeusserste,
+dass ich sterben muesse: bin ich darum verloren? Und was will er denn
+mit dir, arme Betty?--Du ringst die Haende? Betruebe dich nicht; du
+hast ihn gewiss nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Haette
+er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja
+wohl denken, dass er das letzte Gift der Marwood enthalten muesse.--
+
+Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich
+glaube es nicht.--
+
+Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres
+Vaters, Miss--
+
+Sara. Lass ihn hereinkommen, Norton!
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Waitwell. Sara. Betty. Norton.
+
+
+Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell.
+Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestuerzt? Man
+hat es dir gewiss gesagt, dass ich krank bin.
+
+Waitwell. Und noch mehr!
+
+Sara. Gefaehrlich krank?--Ich schliesse es mehr aus der ungestuemen
+Angst des Mellefont, als dass ich es fuehle.--Wenn du mit dem
+unvollendeten Briefe der ungluecklichen Sara an den ungluecklichern
+Vater abreisen muesstest, Waitwell?--Lass uns das Beste hoffen! Willst
+du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute
+Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo moechte ich es nicht imstande
+sein. Diese Hand haengt wie tot an der betaeubten Seite.--Wenn der
+ganze Koerper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein
+alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht
+weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde,
+Annaeherungen des Todes sind--so sind die Annaeherungen des Todes so
+bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle
+unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich
+konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muss er nicht sein--Aber,
+Betty, warum hoerst du noch nicht auf, dich so untroestlich zu bezeigen?
+
+
+Betty. Erlauben Sie mir, Miss, erlauben Sie mir, dass ich mich aus
+Ihren Augen entfernen darf.
+
+Sara. Geh nur; ich weiss wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um
+Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton,
+wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn
+umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart.
+
+Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Haenden
+der Marwood!--
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Waitwell. Sara.
+
+
+Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben
+willst, so lass mich kein so wehmuetiges Gesicht sehen. Du verstummst?--
+Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater.
+Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Troestliches
+sagtest. Wiederhole mir, dass mein Vater versoehnt ist und mir vergeben
+hat. Wiederhole es mir, und fuege hinzu, dass der ewige himmlische
+Vater nicht grausamer sein koenne.--Nicht wahr, ich kann hierauf
+sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstaende gekommen waere,
+wie wuerde es mit mir ausgesehen haben! Ich wuerde verzweifelt sein,
+Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der
+wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muss--Was fuer ein Gedanke!
+Sag ihm, dass ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue,
+Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! dass ich es ihm
+nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist!
+Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wuenschte ich, den
+schmachtenden Rest zu seinen Fuessen aufgeben zu koennen!
+
+Waitwell. Wuenschen Sie wirklich, Miss, ihn zu sehen?
+
+Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an
+meinem letzten Verlangen zu zweifeln.
+
+Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche?
+Eine ploetzliche Freude ist so gefaehrlich als ein ploetzlicher Schreck.
+Ich fuerchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein
+unvermuteter Anblick auf einen so zaertlichen Geist machen moechte.
+
+Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?--
+
+Waitwell. Der gewuenschte, Miss!--Fassen Sie sich!
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+Sir William Sampson. Sara, Waitwell.
+
+
+Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muss sie
+sehen.
+
+Sara. Wessen Stimme--
+
+Sir William. Ach, meine Tochter!
+
+Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, dass ich
+mich zu seinen Fuessen werfen kann. (Sie will aufstehen und faellt aus
+Schwachheit in den Lehnstuhl zurueck.) Er ist es doch? Oder ist es
+eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel,
+der den Starken zu staerken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein
+Bote des Hoechsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater!
+
+
+Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem
+sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal,
+bei mehrern Kraeften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie
+umfassen sehen.
+
+Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr
+sein! Zu gluecklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen
+die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke,
+lange Tage, ein nochmaliges Leben wuerde erfodert, alles zu sagen, was
+eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten,
+einem grossmuetigen, einem zaertlichen Vater sagen kann. Mein Fehler,
+Ihre Vergebung--
+
+Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir
+aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben
+erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, dass ich damit gezaudert
+habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in
+die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon
+vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten?
+Itzt koennte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich
+sogleich deinen Umarmungen zugeeilet waere. Ein heimlicher Unwille
+musste in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens
+zurueckgeblieben sein, dass ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiss
+sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater
+so eigennuetzig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben?
+Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude
+an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese
+Freude?--Aber wer sagt es denn, dass ich sie verlieren soll? Du wirst
+leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen
+Gedanken. Mellefont macht die Gefahr groesser, als sie ist. Er brachte
+das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Aerzte aufzusuchen, die er
+in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe
+seine stuermische Angst, seine hoffnungslose Betruebnis, ohne von ihm
+gesehen zu werden. Nun weiss ich es, dass er dich aufrichtig liebet;
+nun goenne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in
+seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan haette, tue ich
+nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, dass es
+Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat?
+So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen koennen und mehr
+nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpaesslichkeit,
+da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich
+sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwaecher, ich seh es und
+bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich
+laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermoegen? mein Leben? Sage
+doch!
+
+Sara. Bester Vater, alle Hilfe wuerde vergebens sein. Auch die
+unschaetzbarste wuerde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben fuer mich
+erkaufen wollten.
+
+
+
+Zehnter Auftritt
+
+Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell.
+
+
+Mellefont. Ich wag' es, den Fuss wieder in dieses Zimmer zu setzen?
+Lebt sie noch?
+
+Sara. Treten Sie naeher, Mellefont.
+
+Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miss; ich
+komme ohne Trost, ohne Hilfe zurueck. Die Verzweiflung allein bringt
+mich zurueck--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Ungluecklicher Vater! Sie
+sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht
+eher? Sie kommen zu spaet, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!--
+sich geraechet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spaet gekommen sein.
+
+Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke
+nicht, dass wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen
+es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie
+sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben.
+
+Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre
+Forderung.--Ich habe Ihnen, Miss, schon zu viel Unglueck zugezogen, als
+dass ich mich bedenken duerfte, Ihnen auch das letzte anzukuendigen: Sie
+muessen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben?
+
+Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, dass ich
+es argwoehnen kann.
+
+Mellefont. Sie muessen es wissen; denn wer koennte mir dafuer stehen,
+dass Sie nicht falsch argwoehnten? Dies schreibst Marwood. (Er lieset.)
+"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue
+in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr
+entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab
+sich alle Muehe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr,
+dass sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den gluecklichen
+Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich
+geruehrt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es
+ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu
+einer Moerderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen
+Moerderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu ruehmen wagen. Ich bin
+auf dem Wege nach Dover: Sie koennen mich verfolgen und meine eigne
+Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so
+will ich Arabellen unverletzt zuruecklassen. Bis dahin aber werde ich
+sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miss.
+Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie muessen die Moerderin zur
+Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie
+erstarrt er dasteht!
+
+Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit
+meinen Augen ueberzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen
+Augenblick an.) Werde ich so viel Kraefte noch haben? (Zerreisst es.)
+
+Mellefont. Was machen Sie, Miss!
+
+Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie
+noch mein Vater sollen ihre Anklaeger werden. Ich sterbe und vergeb es
+der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher
+finstere Schmerz hat sich Ihrer bemaechtiget?--Noch liebe ich Sie,
+Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde
+ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen duerfte, liebster Vater,
+dass Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch
+eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafuer
+erkennen wollen. Sie muessen sie zurueckholen, Mellefont; und die
+Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir
+nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen?
+Ich vermache diese vaeterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie
+dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie
+gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein
+Vater!--Wer wollte die Fuegungen des Hoechsten zu richten wage?
+--Troeste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem
+trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter
+verlierest?--
+
+Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes
+Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon
+halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen
+Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabstroemen? Lass mir einen
+Strahl des Lichtes, welches dich ueber alles Menschliche so weit erhebt.
+Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiss als die Bitten eines
+frommen Sterbenden erhoert, bitte ihn, dass dieser Tag auch der letzte
+meines Lebens sei.
+
+Sara. Die bewaehrte Tugend muss Gott der Welt lange zum Beispiele
+lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Pruefungen
+vielleicht unterliegen wuerde, hebt er ploetzlich aus den gefaehrlichen
+Schranken--Wem fliessen diese Traenen, mein Vater? Sie fallen als
+feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder
+schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreissen Sie sich ihr,
+Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke
+ich an Betty und verstehe nun ihr aengstliches Haenderingen. Das arme
+Maedchen! Dass ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch
+ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit
+entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater--
+
+Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu kuessen.
+(Indem er zu ihren Fuessen faellt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie
+zu beruehren. Die gemeine Sage schreckt mich, dass der Koerper eines
+Erschlagenen durch die Beruehrung seines Moerders zu bluten anfange.
+Und wer ist ihr Moerder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht
+auf.)--Nun ist sie tot, Sir; nun hoert sie uns nicht mehr: nun
+verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente
+Verwuenschungen aus! Es muesse keine mein Haupt verfehlen, und die
+graesslichste derselben muesse gedoppelt erfuellt werden!--Was schweigen
+Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiss tot! Nun bin ich wieder nichts
+als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zaertlichen
+Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' haetten.--Was ist das? Ich
+will nicht, dass Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen!
+Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verfuehrer! Denken Sie nach, Sir!--
+Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese bluehende Schoenheit, ueber
+die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub!
+Meinetwegen vergass sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riss sie
+sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen musste sie
+sterben!--Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen
+Sie mich es hoeren, dass Sie Vater sind.
+
+Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als dass
+ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte.--Lass dich
+umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte!
+
+Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die
+menschliche Natur vermag! Sie koennen mein Vater nicht sein.--Sehen
+Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der
+Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Ungluecke musste
+ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht
+gefallen waere, so lebte Sara noch. Sie haetten Ihre Tochter noch und
+haetten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene
+ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen--das
+steht bei mir! (Er ersticht sich und faellt an dem Stuhle der Sara
+nieder.)
+
+Sir William. Halt ihn, Waitwell!--Was fuer ein neuer Streich auf mein
+gebeugtes Haupt!--Oh! wenn das dritte hier erkaeltende Herz das meine
+waere!
+
+Mellefont (sterbend). Ich fuehl es--dass ich nicht fehlgestossen habe!--
+Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die
+Hand druecken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.)--Sie
+haben von einer Arabella gehoert, fuer die die sterbende Sara Sie bat.
+Ich wuerde auch fuer sie bitten--aber sie ist der Marwood Kind sowohl
+als meines--Was fuer fremde Empfindungen ergreifen mich!--Gnade! o
+Schoepfer, Gnade!
+
+Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kraeftig sind, Waitwell, so lasst
+uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr
+ungluecklich als lasterhaft.--
+
+
+
+Eilfter Auftritt
+
+Norton. Die Vorigen.
+
+
+Norton. Aerzte, Sir.--
+
+Sir William. Wenn sie Wunder tun koennen, so lass sie hereinkommen!--
+Lass mich nicht laenger, Waitwell, bei diesem toetenden Anblicke
+verweilen. Ein Grab soll beide umschliessen. Komm, schleunige Anstalt
+zu machen, und dann lass uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie
+sei: sie ist ein Vermaechtnis meiner Tochter.
+
+(Sie gehen ab, und das Theater faellt zu.)
+
+(Ende des Trauerspiels.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Miss Sara Sampson, von Gotthold
+Ephraim Lessing.
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON ***
+
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+Produced by Delphine Letttau. The book content was graciously
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+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
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+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
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+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
+and editing by those who wish to do so.
+
+Most people start at our Web sites at:
+http://gutenberg.net or
+http://promo.net/pg
+
+These Web sites include award-winning information about Project
+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
+eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
+
+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03
+
+Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
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+As of February, 2002, contributions are being solicited from people
+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
+Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
+Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
+Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
+Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
+Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
+Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
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+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
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+PMB 113
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+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
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+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
diff --git a/old/7sara10.zip b/old/7sara10.zip
new file mode 100644
index 0000000..5173a9b
--- /dev/null
+++ b/old/7sara10.zip
Binary files differ
diff --git a/old/8sara10.txt b/old/8sara10.txt
new file mode 100644
index 0000000..61fe8b0
--- /dev/null
+++ b/old/8sara10.txt
@@ -0,0 +1,4202 @@
+The Project Gutenberg EBook of Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing
+#6 in our series by Gotthold Ephraim Lessing
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
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+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Miss Sara Sampson
+
+Author: Gotthold Ephraim Lessing
+
+Release Date: October, 2005 [EBook #9157]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was first posted on September 9, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON ***
+
+
+
+
+Produced by Delphine Letttau. The book content was graciously
+contributed by the Gutenberg Projekt-DE
+
+
+
+
+This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
+That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/.
+
+Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"
+zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
+http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.
+
+
+
+
+Miß Sara Sampson
+
+Gotthold Ephraim Lessing
+
+Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen
+
+
+
+Personen:
+
+Sir William Sampson
+Miß Sara, dessen Tochter
+Mellefont
+Marwood, Mellefonts alte Geliebte
+Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter
+Waitwell, ein alter Diener des Sampson
+Norton, Bedienter des Mellefont
+Betty, Mädchen der Sara
+Hannah, Mädchen der Marwood
+Der Gastwirt und einige Nebenpersonen
+
+
+
+
+
+Erster Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe.
+
+
+Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein.
+
+Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?
+
+Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im
+ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen
+immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen,
+wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das
+Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.--Ach, Sie
+weinen schon wieder, schon wieder, Sir!--Sir!
+
+Sir William. Laß mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient
+sie etwa meine Tränen nicht?
+
+Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären.
+
+Sir William. Nun so laß mich.
+
+Waitwell. Das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der
+Sonne gelebt hat, das muß so verführt werden! Ach Sarchen! Sarchen!
+Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind
+auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Lächeln,
+dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die
+Morgenröte eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer--
+
+Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwärtige mein Herz
+schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an
+vergangne Glückseligkeiten noch höllischer machen? Ändre deine
+Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir
+aus meiner Zärtlichkeit ein Verbrechen; vergrößre das Vergehen meiner
+Tochter; erfülle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie;
+entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verführer;
+sage, daß Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehört
+hat, es zu sein; sage, daß sie mich nie geliebt, weil sie mich
+heimlich verlassen hat.
+
+Waitwell. Sagte ich das, so würde ich eine Lüge sagen, eine
+unverschämte, böse Lüge. Sie könnte mir auf dem Todbette wieder
+einfallen, und ich alter Bösewicht müßte in Verzweiflung sterben.--
+Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiß! gewiß! sie liebt
+ihn noch. Wenn Sie nur davon überzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich
+sie heute noch wieder in Ihren Armen.
+
+Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich überzeugt zu sein.
+Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters,
+und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft,
+wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler
+vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre
+Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als
+erzwungene Tugenden--Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn
+diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche
+Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben. Ich würde doch
+lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein
+wollen.
+
+Waitwell. Trocknen Sie Ihre Tränen ab, lieber Sir! Ich höre jemanden
+kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell.
+
+
+Der Wirt. So früh, meine Herren, so früh? Willkommen! willkommen,
+Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr,
+von dem du gestern mit mir gesprochen hast?
+
+Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, daß du abgeredetermaßen--
+
+Der Wirt. Gnädiger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt
+mir daran, ob ich es weiß oder nicht, was Sie für eine Ursache hierher
+führt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt
+sein Geld und läßt seine Gäste machen, was ihnen gutdünkt. Waitwell
+hat mir zwar gesagt, daß Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen
+Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhält, ein wenig
+beobachten wollen. Aber ich hoffe, daß Sie ihm keinen Verdruß
+verursachen werden. Sie würden mein Haus in einen übeln Ruf bringen,
+und gewisse Leute würden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner
+muß von allen Sorten Menschen leben.--
+
+Sir William. Besorget nichts; führt mich nur in das Zimmer, das
+Waitwell für mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen
+Absichten hierher.
+
+Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnädiger Herr! Die
+Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich hätte es, zum Exempel,
+längst erfahren können, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben
+wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, daß
+er mit dem Frauenzimmer muß durchgegangen sein. Das gute Weibchen,
+oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube
+eingeschlossen und weint.
+
+Sir William. Und weint?
+
+Der Wirt. Ja, und weint--Aber, gnädiger Herr, warum weinen Sie? Das
+Frauenzimmer muß Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht--
+
+Waitwell. Halt ihn nicht länger auf.
+
+Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer
+trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht--
+
+Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer--
+
+Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen.
+
+Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehörigen Ort, ehe noch
+das ganze Haus wach wird.
+
+Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnädiger Herr? (Geht ab.)
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer.
+
+
+Mellefont und hernach sein Bedienter.
+
+Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die
+ich auf der Folter nicht grausamer hätte zubringen können!--Norton!--
+Ich muß nur machen, daß ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich
+mit meinen Gedanken länger allein: sie möchten mich zu weit führen.--
+He, Norton! Er schläft noch. Aber bin ich nicht grausam, daß ich den
+armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie glücklich ist er!--Doch ich
+will nicht, daß ein Mensch um mich glücklich sei.--Norton!
+
+Norton (kommend). Mein Herr!
+
+Mellefont. Kleide mich an!--O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn
+ich werde länger schlafen können, so erlaube ich dir, daß du auch
+länger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen
+willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir.
+
+Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiß besser,
+wo das Mitleiden hingehört.
+
+Mellefont. Und wohin denn?
+
+Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts.
+
+Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen
+aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiß es, wer dein Mitleiden
+erschöpft.--Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren.
+Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem
+Herzen, aber--verfluche auch dich.
+
+Norton. Auch mich?
+
+Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht
+tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht
+hast.
+
+Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was?
+
+Mellefont. Dadurch, daß du dazu geschwiegen.
+
+Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften würde mir
+ein Wort den Hals gekostet haben.--Und dazu, als ich Sie kennenlernte,
+fand ich Sie nicht schon so arg, daß alle Hoffnung zur Beßrung
+vergebens war? Was für ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten
+Augenblicke an führen sehen! In der nichtswürdigsten Gesellschaft von
+Spielern und Landstreichern--ich nenne sie, was sie waren, und kehre
+mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht--in solcher
+Gesellschaft brachten Sie ein Vermögen durch, das Ihnen den Weg zu den
+größten Ehrenstellen hätte bahnen können. Und Ihr strafbarer Umgang
+mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der bösen Marwood--
+
+Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war
+Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermögen; gut.
+Die Strafe kömmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und
+Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte
+Weibsbilder; laß es sein. Ich ward öfter verführt, als ich verführte;
+und die ich selbst verführte, wollten verführt sein.--Aber--ich hatte
+noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch
+keine Unschuld in ein unabsehliches Unglück gestürzt. Ich hatte noch
+keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie
+gezwungen, einem Nichtswürdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr
+sein eigen war. Ich hatte--Wer kömmt schon so früh zu mir?
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Betty. Mellefont. Norton.
+
+
+Norton. Es ist Betty.
+
+Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fräulein?
+
+Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach
+Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie
+schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muß das für ein
+Schlaf gewesen sein! Plötzlich fuhr sie in die Höhe, sprang auf und
+fiel mir als eine Unglückliche in die Arme, die von einem Mörder
+verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiß floß ihr über das
+erblaßte Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat
+mir bis an den Morgen nur mit stummen Tränen geantwortet. Endlich hat
+sie mich einmal über das andre an Ihre Türe geschickt, zu hören, ob
+Sie schon auf wären. Sie will Sie sprechen. Sie allein können sie
+trösten. Tun Sie es doch, liebster gnädiger Herr, tun Sie es doch.
+Das Herz muß mir springen, wenn sie sich so zu ängstigen fortfährt.
+
+Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, daß ich den Augenblick bei ihr sein
+wolle--
+
+Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen.
+
+Mellefont. Nun so sage ihr, daß ich sie erwarte--Ach!--
+
+(Betty geht ab.)
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Mellefont. Norton.
+
+
+Norton. Gott, die arme Miß!
+
+Mellefont. Wessen Gefühl willst du durch deine Ausrufung rege machen?
+Sieh, da läuft die erste Träne, die ich seit meiner Kindheit geweinet,
+die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende
+Betrübte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?--Doch wo
+soll sie ihn sonst suchen?--Ich muß mich fassen. (Indem er sich die
+Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein
+schönes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin,
+durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?--Nun wird sie
+kommen und wird unwiderstehliche Tränen weinen. Verwirrt, beschämt
+werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Sünder werde ich vor
+ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen?
+
+Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird.
+
+Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit
+Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne
+unser äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden
+kann.
+
+Norton. So machen Sie denn, daß Sie es verlassen. Warum zaudern wir?
+Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern?
+Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft
+sein. Vielleicht, daß ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt;
+daß sie einen Teil desselben zurückläßt, und in einem andern Lande--
+
+Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie kömmt. Wie schlägt
+mir das Herz--
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Norton.
+
+
+Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht
+gehabt, liebste Miß--
+
+Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre--
+
+Mellefont (zum Bedienten). Verlaß uns!
+
+Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir
+gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde.
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Sara. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miß. Sie müssen sich setzen.
+
+Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie
+mir es vergeben, daß ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange?
+
+Mellefont. Teuerste Miß, Sie wollen sagen, daß Sie mir es nicht
+vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne daß
+ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe.
+
+Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen
+bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte
+Woche fängt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf
+eben dem Fuße als den ersten Tag.
+
+Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe?
+
+Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu
+sehr, zu sehr, als daß ich mir selbst diese letzte, einzige Versüßung
+desselben rauben sollte.
+
+Mellefont. Wie kann also meine Miß über die Verschiebung einer
+Zeremonie unruhig sein?
+
+Sara. Ach, Mellefont, warum muß ich einen andern Begriff von dieser
+Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart
+etwas nach. Ich stelle mir vor, daß eine nähere Einwilligung des
+Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den
+gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die
+Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das
+erstemal, für Früchte meines Mißtrauens angesehen haben. Ich stritt
+mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben;
+aber mein Herz und ein inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame
+Gebäude von Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten
+mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu
+quälen, verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder
+schwärmten um mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten--
+
+Mellefont. Wie? Meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr
+halten? Träume, liebste Miß, Träume!--Wie unglücklich ist der Mensch!
+Fand sein Schöpfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen für
+ihn genug? Mußte er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich
+von Einbildungen in ihm schaffen?
+
+Sara. Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in
+unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn
+diese unsern Pflichten und der Tugend gemäß sind, so dienen die sie
+begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres
+Vergnügens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der
+von einem Friedensboten im Namen der ewigen Güte auf uns gelegt wird,
+kann meine zerrüttete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an,
+mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun
+werden? Erbarmen Sie sich meiner, und überlegen Sie, daß, wenn Sie
+mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese
+eingebildete Qualen doch Qualen und für die, die sie empfindet,
+wirkliche Qualen sind.--Ach, könnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die
+Schrecken meiner vorigen Nacht erzählen, als ich sie gefühlt habe!--
+Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank
+ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur
+wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tränen zu sammeln. Aber
+noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem
+schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir
+her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ängstlichen Schritten, die
+dann und wann ein Blick stärkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen.
+Schnell hörte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir
+stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann
+ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedächtnis
+ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!--
+Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost für seine Sara!--
+Hören Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme
+umsehen wollte, gleitete mein Fuß; ich wankte und sollte eben in den
+Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer
+mir ähnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den
+feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich
+rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der
+bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend
+fühlte ich noch alles, was ein tödlicher Stich Schmerzhaftes haben
+kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muß: das Ende der
+Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen.
+
+Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer
+Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiß auch das Ende des
+meinigen sein würde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines
+sinnlosen Traumes.
+
+Sara. Die Kraft, es vergessen zu können, erwarte ich von Ihnen. Es
+sei Liebe oder Verführung, es sei Glück oder Unglück, das mich Ihnen
+in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und
+werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes
+Richters, der die geringsten Übertretungen seiner Ordnung zu strafen
+gedrohet hat--
+
+Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein!
+
+Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen
+Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres
+Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre
+verlustig gemacht hätte, würde vielleicht durch ein gesetzmäßiges Band
+nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich,
+Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner
+Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen
+nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen
+verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf
+mich nehmen, als ob ich es nicht wäre. Sie sollen mich, wenn Sie
+nicht wollen, für Ihre Gattin nicht erklären dürfen; Sie sollen mich
+erklären können, für was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht
+führen; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es für
+gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in
+den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines
+Gewissens daraus zu ziehen.
+
+Mellefont. Halten Sie ein, Miß, oder ich muß vor Ihren Augen des
+Todes sein. Wie elend bin ich, daß ich nicht das Herz habe, Sie noch
+elender zu machen!--Bedenken Sie, daß Sie sich meiner Führung
+überlassen haben; bedenken Sie, daß ich schuldig bin, für uns weiter
+hinauszusehen, und daß ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein muß, wenn
+ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere
+Klagen will führen hören. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen
+zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt?
+
+Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein
+gewisses Vermächtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Güter retten
+und mich vielleicht ewige darüber verscherzen lassen.
+
+Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Güter so gewiß wären,
+als Ihrer Tugend die ewigen sind--
+
+Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang
+es mir süße, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin!
+
+Mellefont. Wie? muß der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler
+begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, daß er eine
+ganze Reihe unsträflicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch
+tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerfließet,
+wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises
+Wesen unsere Pflichten nach unsern Kräften abgemessen; so ist die Lust,
+uns strafen zu können, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich
+erschrecke vor allen den gräßlichen Folgerungen, in welche Sie Ihre
+Kleinmut verwickeln muß! Nein, Miß, Sie sind noch die tugendhafte
+Sara, die Sie vor meiner unglücklichen Bekanntschaft waren. Wenn Sie
+sich selbst mit so grausamen Augen ansehen, mit was für Augen müssen
+Sie mich betrachten!
+
+Sara. Mit den Augen der Liebe, Mellefont.
+
+Mellefont. So bitte ich Sie denn um dieser Liebe, um dieser
+großmütigen, alle meine Unwürdigkeit übersehenden Liebe willen, zu
+Ihren Füßen bitte ich Sie: beruhigen Sie sich. Haben Sie nur noch
+einige Tage Geduld.
+
+Sara. Einige Tage! Wie ist ein Tag schon so lang!
+
+Mellefont. Verwünschtes Vermächtnis! Verdammter Unsinn eines
+sterbenden Vetters, der mir sein Vermögen nur mit der Bedingung lassen
+wollte, einer Anverwandtin die Hand zu geben, die mich ebensosehr haßt
+als ich sie! Euch, unmenschliche Tyrannen unserer freien Neigungen,
+Euch werde alle das Unglück, alle die Sünde zugerechnet, zu welchen
+uns Euer Zwang bringet!--Und wenn ich ihrer nur entübriget sein könnte,
+dieser schimpflichen Erbschaft! Solange mein väterliches Vermögen zu
+meiner Unterhaltung hinreichte, habe ich sie allezeit verschmähet und
+sie nicht einmal gewürdiget, mich darüber zu erklären. Aber itzt,
+itzt, da ich alle Schätze der Welt nur darum besitzen möchte, um sie
+zu den Füßen meiner Sara legen zu können, itzt, da ich wenigstens
+darauf denken muß, sie ihrem Stande gemäß in der Welt erscheinen zu
+lassen, itzt muß ich meine Zuflucht dahin nehmen.
+
+Sara. Mit der es Ihnen zuletzt doch wohl noch fehlschlägt.
+
+Mellefont. Sie vermuten immer das Schlimmste.--Nein; das Frauenzimmer,
+die es mit betrifft, ist nicht ungeneigt, eine Art von Vergleich
+einzugehen. Das Vermögen soll geteilt werden; und da sie es nicht
+ganz mit mir genießen kann, so ist sie es zufrieden, daß ich mit der
+Hälfte meine Freiheit von ihr erkaufen darf. Ich erwarte alle Stunden
+die letzten Nachrichten in dieser Sache, deren Verzögerung allein
+unsern hiesigen Aufenthalt so langwierig gemacht hat. Sobald ich sie
+bekommen habe, wollen wir keinen Augenblick länger hier verweilen.
+Wir wollen sogleich, liebste Miß, nach Frankreich übergehen, wo Sie
+neue Freunde finden sollen, die sich itzt schon auf das Vergnügen, Sie
+zu sehen und Sie zu lieben, freuen. Und diese neuen Freunde sollen
+die Zeugen unserer Verbindung sein--
+
+Sara. Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein?--Grausamer!
+so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? So
+soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin verlassen? Und als eine
+solche, glauben Sie, würde ich Mut genug haben, mich der See zu
+vertrauen? Dessen Herz muß ruhiger oder muß ruchloser sein als meines,
+welcher nur einen Augenblick zwischen sich und dem Verderben mit
+Gleichgültigkeit nichts als ein schwankendes Brett sehen kann. In
+jeder Welle, die an unser Schiff schlüge, würde mir der Tod
+entgegenrauschen; jeder Wind würde mir von den väterlichen Küsten
+Verwünschungen nachbrausen, und der kleinste Sturm würde mich ein
+Blutgericht über mein Haupt zu sein dünken.--Nein, Mellefont, so ein
+Barbar können Sie gegen mich nicht sein. Wenn ich noch das Ende Ihres
+Vergleichs erlebe, so muß es Ihnen auf einen Tag nicht ankommen, den
+wir hier länger zubringen. Es muß dieses der Tag sein, an dem Sie
+mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren. Es muß
+dieses der heilige Tag sein--Ach! welcher wird es denn endlich sein?
+
+Mellefont. Aber überlegen Sie denn nicht, Miß, daß unserer Verbindung
+hier diejenige Feier fehlen würde, die wir ihr zu geben schuldig sind?
+
+
+Sara. Eine heilige Handlung wird durch das Feierliche nicht kräftiger.
+
+
+Mellefont. Allein--
+
+Sara. Ich erstaune. Sie wollen doch wohl nicht auf einem so
+nichtigen Vorwande bestehen? O Mellefont, Mellefont! wenn ich mir es
+nicht zum unverbrüchlichsten Gesetze gemacht hätte, niemals an der
+Aufrichtigkeit Ihrer Liebe zu zweifeln, so würde mir dieser Umstand--
+Doch schon zuviel; es möchte scheinen, als hätte ich eben itzt daran
+gezweifelt.
+
+Mellefont. Der erste Augenblick Ihres Zweifels müsse der letzte
+meines Lebens sein! Ach, Sara, womit habe ich es verdient, daß Sie
+mir auch nur die Möglichkeit desselben voraussehen lassen? Es ist
+wahr, die Geständnisse, die ich Ihnen von meinen ehemaligen
+Ausschweifungen abzulegen kein Bedenken getragen habe, können mir
+keine Ehre machen: aber Vertrauen sollten sie mir doch erwecken. Eine
+buhlerische Marwood führte mich in ihren Stricken, weil ich das für
+sie empfand, was so oft für Liebe gehalten wird und es doch so selten
+ist. Ich würde noch ihre schimpflichen Fesseln tragen, hätte sich
+nicht der Himmel meiner erbarmt, der vielleicht mein Herz nicht für
+ganz unwürdig erkannte, von bessern Flammen zu brennen. Sie, liebste
+Sara, sehen und alle Marwoods vergessen, war eins. Aber wie teuer kam
+es Ihnen zu stehen, mich aus solchen Händen zu erhalten! Ich war mit
+dem Laster zu vertraut geworden, und Sie kannten es zu wenig--
+
+Sara. Lassen Sie uns nicht mehr daran gedenken--
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Norton. Mellefont. Sara.
+
+
+Mellefont. Was willst du?
+
+Norton. Ich stand eben vor dem Hause, als mir ein Bedienter diesen
+Brief in die Hand gab. Die Aufschrift ist an Sie, mein Herr.
+
+Mellefont. An mich? Wer weiß hier meinen Namen? (Indem er den Brief
+betrachtet.) Himmel!
+
+Sara. Sie erschrecken?
+
+Mellefont. Aber ohne Ursache, Miß, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte
+mich in der Hand.
+
+Sara. Möchte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es
+wünschen können.
+
+Mellefont. Ich vermute, daß er sehr gleichgültig sein wird.
+
+Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist.
+Erlauben Sie, daß ich mich wieder in mein Zimmer begebe.
+
+Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken?
+
+Sara. Ich mache mir keine, Mellefont.
+
+Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den
+Augenblick bei Ihnen sein, liebste Miß.
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+Mellefont. Norton.
+
+
+Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott!
+
+Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist!
+
+Mellefont. Kann es möglich sein? Ich sehe diese verruchte Hand
+wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es
+nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von
+der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt
+verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt,
+daß wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht
+nötig; vielleicht haben meine verächtlichen Abschiedsbriefe die
+Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen.
+Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun.
+
+Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den
+längsten Brief geschrieben hätte, Mellefont, wenn Sie den Namen, den
+Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung
+würdigen wollen--"
+
+Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Daß ich ihn nie gehört hätte!
+Daß er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt würde!
+
+Norton (liest weiter). "Die Mühe, Sie auszuforschen, hat mir die
+Liebe, welche mir forschen half, versüßt."
+
+Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der
+Tugend geweiht sind!
+
+Norton (fährt fort). "Sie hat noch mehr getan--"
+
+Mellefont. Ich bebe--
+
+Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--"
+
+Mellefont. Verräter, was liest du? (Er reißt ihm den Brief aus der
+Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin
+hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir
+mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was für ein
+Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie
+mit dem Leben büßen.
+
+Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie
+liegen wieder zu ihren Füßen. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie müssen
+sie nicht sprechen, oder das Unglück Ihrer armen Miß ist vollkommen.
+
+Mellefont. Ich Unglücklicher!--Nein, ich muß sie sprechen. Sie würde
+mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese
+Unschuldige auslassen.
+
+Norton. Aber, mein Herr--
+
+Mellefont. Sage nichts!--Laß sehen, (indem er in den Brief sieht) ob
+sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, führe mich.
+
+(Sie gehen ab.)
+
+(Ende des ersten Aufzugs.)
+
+
+
+
+
+Zweiter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern
+Gasthofe.
+
+
+Marwood im Negligé. Hannah.
+
+Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingehändiget, Hannah?
+
+Hannah. Richtig.
+
+Marwood. Ihm selbst?
+
+Hannah. Seinem Bedienten.
+
+Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er für Wirkung haben wird.--
+Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich hin es auch.--
+Der Verräter! Doch gemach! Zornig muß ich durchaus nicht werden.
+Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn
+brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne.
+
+Hannah. Wenn er sich aber dagegen verhärten sollte?--
+
+Marwood. Wenn er sich dagegen verhärten sollte? So werde ich nicht
+zürnen--ich werde rasen. Ich fühle es, Hannah; und wollte es lieber
+schon itzt.
+
+Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen.
+
+
+Marwood. Wo er nur gar kömmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat,
+mich festes Fußes bei sich zu erwarten!--Aber weißt du, Hannah, worauf
+ich noch meine meiste Hoffnung gründe, den Ungetreuen von dem neuen
+Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella.
+
+Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall,
+sie mitzunehmen, hätte nicht glücklicher sein können.
+
+Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub
+ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riß
+das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm
+eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben
+könne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte,
+itzt nicht anders als durch List wiederbekommen können; er hatte auf
+mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht
+ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und
+sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht
+vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er
+zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren
+Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen
+ihren Reizen, bis zum Überdrusse, gesättiget hat.
+
+Hannah. Welcher Undank!
+
+Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach
+sich als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre. Warum habe
+ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefälligkeiten? Hätte ich es
+nicht voraussehen sollen, daß sie ihren Wert nicht immer bei ihm
+behalten könnten? Daß ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses
+beruhe und daß er mit derjenigen Anmut verschwinden müsse, welche die
+Hand der Zeit unmerklich, aber gewiß, aus unsern Gesichtern verlöscht?
+
+
+Hannah. O, Madam, von dieser gefährlichen Hand haben Sie noch lange
+nichts zu befürchten. Ich finde, daß Ihre Schönheit den Punkt ihrer
+prächtigsten Blüte so wenig überschritten hat, daß sie vielmehr erst
+darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln würde, wenn Sie
+ihr nur Vollmacht dazu geben wollten.
+
+Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit,
+die mir alle Schmeichelei verdächtig macht. Es ist Unsinn, von neuen
+Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kräfte genug hat, sich
+im Besitze der schon gemachten zu erhalten.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Ein Bedienter. Marwood. Hannah.
+
+
+Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen.
+
+Marwood. Wer?
+
+Der Bediente. Ich vermute, daß es ebender Herr ist, an welchen der
+vorige Brief überschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm,
+der mir ihn abgenommen hat.
+
+Marwood. Mellefont!--Geschwind, führe ihn herauf! (Der Bediente geht
+ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was
+soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig
+genug? Sieh doch!
+
+Hannah. Nichts weniger als ruhig.
+
+Marwood. Aber diese?
+
+Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut.
+
+Marwood. Etwa so?
+
+Hannah. Zu traurig!
+
+Marwood. Sollte mir dieses Lächeln lassen?
+
+Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er kömmt.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood. Hannah.
+
+
+Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood--
+
+Marwood (die ihm mit offnen Armen lächelnd entgegenrennt). Ach
+Mellefont--
+
+Mellefont (beiseite). Die Mörderin, was für ein Blick!
+
+Marwood. Ich muß Sie umarmen, treuloser, lieber Flüchtling!--Teilen
+Sie doch meine Freude!--Warum entreißen Sie sich meinen Liebkosungen?
+
+Mellefont. Marwood, ich vermutete, daß Sie mich anders empfangen
+würden.
+
+Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr
+Entzücken? Ach, ich Unglückliche, daß ich weniger ausdrücken kann,
+als ich fühle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, daß auch die Freude
+ihre Tränen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der süßesten Wollust!--
+Aber ach, verlorne Tränen! seine Hand trocknet euch nicht ab.
+
+Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden
+bezaubert hätten. Sie müssen itzt in einem andern Tone mit mir
+sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwürfe anzuhören und darauf
+zu antworten.
+
+Marwood. Vorwürfe? Was hätte ich Ihnen für Vorwürfe zu machen,
+Mellefont? Keine.
+
+Mellefont. So hätten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen
+können.
+
+Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit
+Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in
+ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze
+Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet,
+verdient diese Vorwürfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darüber scherzen.
+
+
+Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es
+jemals an allen unsern Liebeshändeln gehabt hat, auf die ich itzt
+nicht ohne Abscheu zurücksehen kann.
+
+Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Närrchen. Es läßt sich
+alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfällt. Glauben
+Sie mir doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste,
+das getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel Mühe geben, es zu
+behalten?
+
+Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich
+Ihnen.
+
+Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch.
+
+Mellefont. Marwood, wenn ich wüßte, daß Sie auch nur noch eine Faser
+davon besäßen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus
+meinem Leibe reißen.
+
+Marwood. Sie würden sehen, daß Sie meines zugleich herausrissen. Und
+dann, dann würden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der
+Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben.
+
+Mellefont (beiseite). Was für eine Schlange! Hier wird das beste
+sein zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir
+nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es
+nur ohne dieses Lächeln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine
+ganze Hölle von Verführung schreckt.
+
+Marwood (vertraulich). Höre nur, mein lieber Mellefont; ich merke
+wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack
+sind itzt deine Tyrannen. Laß es gut sein; man muß sie austoben
+lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am
+sichersten eingeschläfert und endlich gar überwunden, wenn man ihnen
+freies Feld läßt. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir
+nachsagen, kleiner Flattergeist, daß ich jemals eifersüchtig gewesen
+wäre, wenn stärkere Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang
+abspenstig machten? Ich gönnte dir ja allezeit diese Veränderung, bei
+der ich immer mehr gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer,
+mit neuer Inbrunst in meine Arme zurück, in die ich dich nur als in
+leichte Bande und nie als in schwere Fesseln schloß. Bin ich nicht
+oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu
+vertrauen hattest als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um
+sie gegen andre zu verschwenden? Warum glaubst du denn, daß ich itzt
+einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen würde, zu welchem ich
+nun eben berechtiget zu sein aufhöre, oder--vielleicht schon aufgehört
+habe? Wenn deine Hitze gegen das schöne Landmädchen noch nicht
+verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen
+sie bist; wenn du ihren Genuß noch nicht entbehren kannst: wer hindert
+dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest?
+Mußt du deswegen so unbesonnene Anschläge machen und mit ihr aus dem
+Reiche fliehen wollen?
+
+Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemäß,
+dessen Häßlichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem
+Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust
+unterscheiden gelernt.
+
+Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein
+Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen müßt
+doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die
+schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns
+gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend
+reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das
+Schlimmste aber ist, daß ihr das eine sowohl als das andre überdrüssig
+werdet. Wir mögen närrisch oder vernünftig, weltlich oder geistlich
+gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch beständig zu machen,
+einmal wie das andre. Du wirst an deine schöne Heilige die Reihe Zeit
+genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Überschlag machen?
+Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geh ich
+noch zwei, aufs längste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich
+geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage
+wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du
+dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so
+wirst du dich zu der äußersten Gleichgültigkeit so schnell gebracht
+sehen, daß ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veränderung
+rechnen darf--Das wäre nun ungefähr ein Monat. Und diesen Monat,
+Mellefont, will ich dir noch mit dem größten Vergnügen nachsehen; nur
+wirst du erlauben, daß ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf.
+
+
+Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit
+welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein.
+Ein tugendhafter Entschluß sichert mich gegen Ihre Zärtlichkeit und
+gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht länger
+aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als
+daß Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die
+Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei
+vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem
+Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen
+lassen.
+
+Marwood. Gut, daß Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von
+wem hatten Sie ihn schreiben lassen?
+
+Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben?
+
+Marwood. Unmöglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich
+weiß nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen
+verschwendet haben, mußte ein Gastwirt, sowie den übrigen
+theologischen Rest ein Quäker geschrieben haben. Demungeachtet will
+ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt
+anbelangt, so wissen Sie wohl, daß alle die Geschenke, welche Sie mir
+gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen
+nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es
+wieder in diejenigen Hände zu liefern, die mir es anvertrauet hatten.
+
+Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood.
+
+Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was hätte ich ohne Ihre
+Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so
+müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich für
+keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von
+wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie
+sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne
+meine Bekanntschaft geblieben wären; und vielleicht auch nicht.
+
+Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet
+itzt aus Ihnen! Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht.
+
+Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig.
+Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, daß Sie mir diese
+Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet
+mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen
+wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen
+andern Sinn als diesen haben könnte: "Marwood, ich hielt Euch für eine
+niederträchtige Betrügerin; ich bedanke Mich, daß Ihr es wenigstens
+gegen mich nicht sein wollt."
+
+Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern
+in einen Streit von Großmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am
+ungernsten unterliegen möchte.
+
+Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr
+Andenken bei mir erneuern könnte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne
+Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu
+machen. Ich will Ihnen in der unglücklichen Marwood nichts als eine
+Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen für Sie
+aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich
+sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und liebte;
+an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu meinen
+Füßen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von
+Gegenliebe, die Sie mir auspreßten; an die zärtlichen Blicke, an die
+feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte Stillschweigen,
+wenn wir mit beschäftigten Sinnen einer des andern geheimste Regungen
+errieten und in den schmachtenden Augen die verborgensten Gedanken der
+Seele lasen; an das zitternde Erwarten der nahenden Wollust; an die
+Trunkenheit ihrer Freuden; an das süße Erstarren nach der Fülle des
+Genusses, in welchem sich die ermatteten Geister zu neuen Entzückungen
+erholten. An alles dieses will ich Sie erinnern und dann Ihre Knie
+umfassen und nicht aufhören, um das einzige Geschenk zu bitten, das
+Sie mir nicht versagen können und ich, ohne zu erröten, annehmen darf,--
+um den Tod von Ihren Händen.
+
+Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben für Sie
+hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen
+Sie weiter keinen Anspruch. Ich muß Sie verlassen, Marwood, oder mich
+zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon strafbar, daß
+ich nur hier stehe und Sie anhöre. Leben Sie wohl! leben Sie wohl!
+
+Marwood (die ihn zurückhält). Sie müssen mich verlassen? Und was
+wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr
+Geschöpf; tun Sie also, was einem Schöpfer zukömmt; er darf die Hand
+von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gänzlich vernichten
+will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach.
+Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf
+einmal mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat.
+
+(Hannah geht ab.)
+
+Mellefont. Was für einen Vorsprecher, Marwood?
+
+Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern
+beraubet hätten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kürzern Wege
+zu Ihrem Herzen bringen--
+
+Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht--
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood.
+
+
+Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich
+unterstehen können--
+
+Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm; sieh
+hier deinen Beschützer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das Herz
+mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschützer, als dein
+Freund sein kann.
+
+Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier
+ergehen?
+
+Arabella (indem sie ihm furchtsam näher tritt). Ach, mein Herr! Sind
+Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.-
+-Würde er mich nicht ansehen, wenn er es wäre? Würde er mich nicht in
+seine Arme schließen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglückliches
+Kind! Womit hätte ich ihn denn erzürnt, diesen Mann, diesen liebsten
+Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen?
+
+Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie gönnen der Unschuldigen
+keinen Blick?
+
+Mellefont. Ach!--
+
+Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Können wir ihm nicht
+helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm
+seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er
+sieht gen Himmel! Was wünscht er? Was bittet er vom Himmel? Möchte
+er ihm doch alles gewähren, wenn er mir auch alles dafür versagte!
+
+Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Füßen. Er will uns
+verlassen; er will uns auf ewig verlassen.
+
+Arabella (die vor ihm niederfällt). Hier liege ich schon. Sie uns
+verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine
+kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermißt haben? Wir sollen Sie
+wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, daß Sie uns liebten.
+Verläßt man denn die, die man liebt? So muß ich Sie wohl nicht lieben;
+denn ich wünschte, Sie nie zu verlassen. Nie, und will Sie auch nie
+verlassen.
+
+Marwood. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch mir--
+Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Füßen--
+
+Mellefont (hält sie zurück, indem sie sich niederwerfen will).
+Marwood, gefährliche Marwood--Und auch du, meine liebste Bella (hebt
+sie auf), auch du bist wider deinen Mellefont?
+
+Arabella. Ich wider Sie?
+
+Marwood. Was beschließen Sie, Mellefont?
+
+Mellefont. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte.
+
+Marwood (die ihn umarmt). Ach, ich weiß es ja, daß die Redlichkeit
+Ihres Herzens allezeit über den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat.
+
+
+Mellefont. Bestürmen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie
+aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verführer, ein Räuber, ein
+Mörder.
+
+Marwood. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und
+hernach werden Sie erkennen, daß ich Sie abgehalten habe, es wirklich
+zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurück.
+
+Arabella (schmeichelnd). O ja! tun Sie dieses.
+
+Mellefont. Mit euch zurückkehren? Kann ich denn?
+
+Marwood. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen.
+
+Mellefont. Und meine Miß--
+
+Marwood. Und Ihre Miß mag sehen, wo sie bleibt!--
+
+Mellefont. Ha! barbarische Marwood, diese Rede ließ mich bis auf den
+Grund Ihres Herzens sehen--Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder
+in mich?
+
+Marwood. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen hätten, so
+würden Sie entdeckt haben, daß es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miß
+fühlt als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist
+ein eigennütziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben überhaupt diesen
+Liebeshandel viel zu weit getrieben. Daß Sie, als ein Mann, der bei
+einem langen Umgange mit unserm Geschlechte in der Kunst zu verführen
+ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre
+Überlegenheit an Verstellung und Erfahrung zunutze machten und nicht
+eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das möchte noch
+hingehen; Sie können sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft
+entschuldigen. Allein, daß Sie einem alten Vater sein einziges Kind
+raubten; daß Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu
+seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; daß Sie Ihrer Lust
+wegen die stärksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das
+können Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder
+gut, soweit es möglich ist, ihn gutzumachen. Geben Sie dem weinenden
+Alter seine Stütze wieder, und schicken Sie eine leichtgläubige
+Tochter in ihr Haus zurück, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft
+haben, nicht auch öde machen müssen.
+
+Mellefont. Das fehlte noch, daß Sie auch mein Gewissen wider mich zu
+Hilfe riefen! Aber gesetzt, es wäre billig, was Sie sagen; müßte ich
+nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der unglücklichen Miß
+selbst vorschlagen sollte?
+
+Marwood. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, daß ich schon im voraus
+bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. Sobald ich
+Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der
+Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darüber ganz
+außer sich gewesen und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen.
+Ich wundre mich, daß er noch nicht hier ist.
+
+Mellefont. Was sagen Sie?
+
+Marwood. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft und lassen sich gegen
+die Miß nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht länger
+aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie möchte Verdacht bekommen.
+Doch versprach ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen.
+
+Mellefont. O Marwood, mit was für Gesinnungen kam ich zu Ihnen und
+mit welchen muß ich Sie verlassen! Einen Kuß, meine liebe Bella--
+
+Arabella. Der war für Sie; aber nun einen für mich. Kommen Sie nur
+ja bald wieder; ich bitte.
+
+(Mellefont geht ab.)
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Marwood. Arabella. Hannah.
+
+
+Marwood (nachdem sie tief Atem geholt). Sieg! Hannah! aber ein
+saurer Sieg!--Gib mir einen Stuhl; ich fühle mich ganz abgemattet--
+(Sie setzt sich.) Eben war es die höchste Zeit, als er sich ergab;
+noch einen Augenblick hätte er anstehen dürfen, so würde ich ihm eine
+ganz andre Marwood gezeigt haben.
+
+Hannah. Ach, Madam, was sind Sie für eine Frau! Den möchte ich doch
+sehn, der Ihnen widerstehen könnte.
+
+Marwood. Er hat mir schon zu lange widerstanden. Und gewiß, gewiß,
+ich will es ihm nicht vergeben, daß ich ihm fast zu Fuße gefallen wäre.
+
+
+Arabella. O nein! Sie müssen ihm alles vergeben. Er ist ja so gut,
+so gut--
+
+Marwood. Schweig, kleine Närrin!
+
+Hannah. Auf welcher Seite wußten Sie ihn nicht zu fassen! Aber
+nichts, glaube ich, rührte ihn mehr als die Uneigennützigkeit, mit
+welcher Sie sich erboten, alle von ihm erhaltenen Geschenke
+zurückzugeben.
+
+Marwood. Ich glaube es auch. Ha! ha! (Verächtlich.)
+
+Hannah. Warum lachen Sie, Madam? Wenn es nicht Ihr Ernst war, so
+wagten Sie in der Tat sehr viel. Gesetzt, er hätte Sie bei Ihrem
+Worte gefaßt?
+
+Marwood. O geh! man muß wissen, wen man vor sich hat.
+
+Hannah. Nun, das gesteh ich! Aber auch Sie, meine schöne Bella,
+haben Ihre Sache vortrefflich gemacht; vortrefflich!
+
+Arabella. Warum das? Konnte ich sie denn anders machen? Ich hatte
+ihn ja so lange nicht gesehen. Sie sind doch nicht böse, Madam, daß
+ich ihn so lieb habe? Ich habe Sie so lieb wie ihn; ebenso lieb.
+
+Marwood. Schon gut; dasmal will ich dir verzeihen, daß du mich nicht
+lieber hast als ihn.
+
+Arabella. Dasmal? (Schluchzend.)
+
+Marwood. Du weinst ja wohl gar? Warum denn?
+
+Arabella. Ach nein! ich weine nicht. Werden Sie nur nicht
+ungehalten. Ich will Sie ja gern alle beide so lieb, so lieb haben,
+daß ich unmöglich weder Sie noch ihn lieber haben kann.
+
+Marwood. Je nun ja!
+
+Arabella. Ich bin recht unglücklich--
+
+Marwood. Sei doch nur stille--Aber was ist das?
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Mellefont. Marwood. Arabella. Hannah.
+
+
+Marwood. Warum kommen Sie schon wieder, Mellefont? (Sie steht auf.)
+
+Mellefont (hitzig,). Weil ich mehr nicht als einige Augenblicke nötig
+hatte, wieder zu mir selbst zu kommen.
+
+Marwood. Nun?
+
+Mellefont. Ich war betäubt, Marwood, aber nicht bewegt. Sie haben
+alle Ihre Mühe verloren; eine andre Luft als diese ansteckende Luft
+Ihres Zimmers gab mir Mut und Kräfte wieder, meinen Fuß aus dieser
+gefährlichen Schlinge noch zeitig genug zu ziehen. Waren mir
+Nichtswürdigem die Ränke einer Marwood noch nicht bekannt genug?
+
+Marwood (hastig). Was ist das wieder für eine Sprache?
+
+Mellefont. Die Sprache der Wahrheit und des Unwillens.
+
+Marwood. Nur gemach, Mellefont, oder auch ich werde diese Sprache
+sprechen.
+
+Mellefont. Ich komme nur zurück, Sie keinen Augenblick länger in
+einem Irrtume von mir stecken zu lassen, der mich, selbst in Ihren
+Augen, verächtlich machen muß.
+
+Arabella (furchtsam). Ach! Hannah--
+
+Mellefont. Sehen Sie mich nur so wütend an, als Sie wollen. Je
+wütender, je besser. War es möglich, daß ich zwischen einer Marwood
+und einer Sara nur einen Augenblick unentschlüssig bleiben konnte?
+Und daß ich mich fast für die erstere entschlossen hätte?
+
+Arabella. Ach Mellefont!--
+
+Mellefont. Zittern Sie nicht, Bella. Auch für Sie bin ich mit
+zurückgekommen. Geben Sie mir die Hand, und folgen Sie mir nur
+getrost.
+
+Marwood (die beide zurückhält). Wem soll sie folgen, Verräter?
+
+Mellefont. Ihrem Vater.
+
+Marwood. Geh, Elender; und lern erst ihre Mutter kennen.
+
+Mellefont. Ich kenne sie. Sie ist die Schande ihres Geschlechts--
+
+Marwood. Führe sie weg, Hannah!
+
+Mellefont. Bleiben Sie, Bella. (Indem er sie zurückhalten will.)
+
+Marwood. Nur keine Gewalt, Mellefont, oder--
+
+(Hannah und Arabella geben ab.)
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood.
+
+
+Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie
+fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern?
+
+Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, daß ich mich hier
+erinnere, daß den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert
+wurden.
+
+Marwood (spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen
+aus.
+
+Mellefont. So sage ich ihnen, daß ich fest entschlossen bin, nie
+wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer
+sind Sie? und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige,
+schändliche Buhlerin, die sich itzt kaum mehr muß erinnern können,
+einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts
+vorzuwerfen, als daß ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich
+vielleicht die ganze Welt hätten genießen lassen. Sie haben mich
+gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiß, wer Marwood ist, so
+kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein
+Vermögen, meine Ehre, mein Glück--
+
+Marwood. Und so wollte ich, daß sie dir auch deine Seligkeit kosten
+müßte! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen
+zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk
+sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann
+und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht
+preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die
+Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage
+ich? kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinst, das
+weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen
+Wert und kann vollkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer
+ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennenlernte; genug, daß ich in
+den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich
+nur hat sie es erfahren, daß ich es nicht sei; durch meine
+Bereitwilligkeit bloß, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine
+Hand anzunehmen.
+
+Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige.
+
+
+Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen
+du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredt, daß du
+dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer
+Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuß du mit niemand als mit mir
+teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für
+eine andre als für mich zu entsagen?
+
+Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, daß
+diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich
+also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und
+lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin genießen.
+
+Marwood. Ha! nun seh ich's, was dich eigentlich so trotzig macht.
+Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf,
+daß ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was
+ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein--Du wirst mich
+verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken
+meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine
+Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!
+
+Mellefont (erschrocken). Marwood--
+
+Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weißt, so sieh sie
+gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift
+und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein
+Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will
+ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte
+jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren
+und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied,
+Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das Kleinste derselben auch
+da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon
+nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich--ich werde
+wenigstens dabei empfinden, wie süß die Rache sei!
+
+Mellefont. Sie rasen, Marwood--
+
+Marwood. Du erinnerst mich, daß ich nicht gegen den Rechten rase.
+Der Vater muß voran! Er muß schon in jener Welt sein, wenn der Geist
+seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht.--(Sie geht mit
+einem Dolche, den sie aus dem Busen reißt, auf ihn los.) Drum stirb,
+Verräter!
+
+Mellefont (der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreißt).
+Unsinniges Weibsbild!--Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu
+kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand
+aufgehoben sein!
+
+Marwood (mit gerungenen Händen). Himmel, was habe ich getan?
+Mellefont--
+
+Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiß es doch
+wohl, was dich reuet; nicht daß du den Stoß tun wollen, sondern daß du
+ihn nicht tun können.
+
+Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! geben Sie
+mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er
+geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem
+Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.
+
+Mellefont. Hannah!--
+
+Marwood. Was wollen Sie tun, Mellefont?
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Hannah (erschrocken). Marwood. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Hast du es gehört, Hannah, welche Furie deine Gebieterin
+ist? Wisse, daß ich Arabellen von deinen Händen fodern werde.
+
+Hannah. Ach Madam, wie sind Sie außer sich!
+
+Mellefont. Ich will das unschuldige Kind bald in völlige Sicherheit
+bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die
+mördrischen Hände schon zu binden wissen. (Er will gehen.)
+
+Marwood. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, daß die Heftigkeit
+meines Schmerzes mich des Verstandes nicht mächtig ließ? Wer bringt
+mich zu so unnatürlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst?
+Wo kann Bella sicherer sein als bei mir? Mein Mund tobet wider sie,
+und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont!
+vergessen Sie meine Raserei und denken zu ihrer Entschuldigung nur
+an die Ursache derselben.
+
+Mellefont. Es ist nur ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu
+vergessen.
+
+Marwood. Welches?
+
+Mellefont. Wenn Sie den Augenblick nach London zurückkehren.
+Arabellen will ich in einer andern Begleitung wieder dahin bringen
+lassen. Sie müssen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben.
+
+Marwood. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte
+gewähren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal
+sehen.
+
+Mellefont. Und wozu?
+
+Marwood. Um in ihren Blicken mein ganzes künftiges Schicksal zu lesen.
+Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir
+begehen, würdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal
+einen Anteil an Ihrer Liebe wiederzubekommen.
+
+Mellefont. Nichtige Hoffnung!
+
+Marwood. Wer ist so grausam, daß er einer Elenden auch nicht einmal
+die Hoffnung gönnen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood,
+sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei
+ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und
+ich verspreche Ihnen bei allem, was heilig ist, ihr nicht das
+geringste Anstößige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab;
+denn sonst möchte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren
+Gestalt vor ihr zu erscheinen.
+
+Mellefont. Diese Bitte, Marwood (nachdem er einen Augenblick
+nachgedacht)--könnte ich Ihnen gewähren. Wollen Sie aber auch alsdann
+gewiß diesen Ort verlassen?
+
+Marwood. Gewiß; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo
+nur noch einige Möglichkeit ist, von dem Überfalle ihres Vaters
+befreien.
+
+Mellefont. Dieses haben Sie nicht nötig. Ich hoffe, daß er auch mich
+in die Verzeihung mit einschließen wird, die er seiner Tochter
+widerfahren läßt. Will er aber dieser nicht verzeihen, so werde ich
+auch wissen, wie ich ihm begegnen soll.--Ich gehe, Sie bei meiner Miß
+zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! (Geht ab.)
+
+Marwood. Ach, Hannah! daß unsere Kräfte nicht so groß sind als
+unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht
+auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm!
+
+(Ende des zweiten Aufzugs.)
+
+
+
+
+
+Dritter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Ein Saal im erstern Gasthofe.
+
+
+Sir William Sampson. Waitwell.
+
+Sir William. Hier, Waitwell, bringt ihr diesen Brief. Es ist der
+Brief eines zärtlichen Vaters, der sich über nichts als über ihre
+Abwesenheit beklaget. Sag ihr, daß ich dich damit vorweggeschickt und
+daß ich nur noch ihre Antwort erwarten wolle, ehe ich selbst käme, sie
+wieder in meine Arme zu schließen.
+
+Waitwell. Ich glaube, Sie tun recht wohl, daß Sie Ihre Zusammenkunft
+auf diese Art vorbereiten.
+
+Sir William. Ich werde ihrer Gesinnungen dadurch gewiß und mache ihr
+Gelegenheit, alles, was ihr die Reue Klägliches und Errötendes
+eingeben könnte, schon ausgeschüttet zu haben, ehe sie mündlich mit
+mir spricht. Es wird ihr in einem Briefe weniger Verwirrung und mir
+vielleicht weniger Tränen kosten.
+
+Waitwell. Darf ich aber fragen, Sir, was Sie in Ansehung Mellefonts
+beschlossen haben?
+
+Sir William. Ach! Waitwell, wenn ich ihn von dem Geliebten meiner
+Tochter trennen könnte, so würde ich etwas sehr Hartes wider ihn
+beschließen. Aber da dieses nicht angeht, so siehst du wohl, daß er
+gegen meinen Unwillen gesichert ist. Ich habe selbst den größten
+Fehler bei diesem Unglücke begangen. Ohne mich würde Sara diesen
+gefährlichen Mann nicht haben kennenlernen. Ich verstattete ihm wegen
+einer Verbindlichkeit, die ich gegen ihn zu haben glaubte, einen allzu
+freien Zutritt in meinem Hause. Es war natürlich, daß ihm die
+dankbare Aufmerksamkeit, die ich für ihn bezeigte, auch die Achtung
+meiner Tochter zuziehen mußte. Und es war ebenso natürlich, daß sich
+ein Mensch von seiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten ließ,
+sie zu etwas Höherm zu treiben. Er hatte Geschicklichkeit genug
+gehabt, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte
+und ehe ich noch Zeit hatte, mich nach seiner übrigen Lebensart zu
+erkundigen. Das Unglück war geschehen, und ich hätte wohlgetan, wenn
+ich ihnen nur gleich alles vergeben hätte. Ich wollte unerbittlich
+gegen ihn sein und überlegte nicht, daß ich es gegen ihn nicht allein
+sein könnte. Wenn ich meine zu späte Strenge erspart hätte, so würde
+ich wenigstens ihre Flucht verhindert haben.--Da bin ich nun, Waitwell!
+Ich muß sie selbst zurückholen und mich noch glücklich schätzen,
+wenn ich aus dem Verführer nur meinen Sohn machen kann. Denn wer weiß,
+ob er seine Marwoods und seine übrigen Kreaturen eines Mädchens wegen
+wird aufgeben wollen, das seinen Begierden nichts mehr zu verlangen
+übriggelassen hat und die fesselnden Künste einer Buhlerin so wenig
+versteht?
+
+Waitwell. Nun, Sir, das ist wohl nicht möglich, daß ein Mensch so gar
+böse sein könnte.--
+
+Sir William. Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre.
+Aber warum ist es gleichwohl wahr, daß sich die Grenzen der
+menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?--Geh nur jetzt und
+tue, was ich dir gesagt habe. Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie
+meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann
+sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das
+eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele
+in ihrem Gesichte lesen. Laß dir ja keinen Zug entgehen, der etwa
+eine Gleichgültigkeit gegen mich, eine Verschmähung ihres Vaters,
+anzeigen könnte. Denn wenn du diese unglückliche Entdeckung machen
+solltest und wenn sie mich nicht mehr liebt: so hoffe ich, daß ich
+mich endlich werde überwinden können, sie ihrem Schicksale zu
+überlassen. Ich hoffe es, Waitwell--Ach! wenn nur hier kein Herz
+schlüge, das dieser Hoffnung widerspricht.
+
+(Sie gehen beide auf verschiedenen Seiten ab.)
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Das Zimmer der Sara.
+
+
+Miß Sara. Mellefont.
+
+Mellefont. Ich habe unrecht getan, liebste Miß, daß ich Sie wegen des
+vorigen Briefes in einer kleinen Unruhe ließ.
+
+Sara. Nein doch, Mellefont; ich bin deswegen ganz und gar nicht
+unruhig gewesen. Könnten Sie mich denn nicht lieben, wenn Sie gleich
+noch Geheimnisse vor mir hätten?
+
+Mellefont. Sie glauben also doch, daß es ein Geheimnis gewesen sei?
+
+Sara. Aber keines, das mich angeht. Und das muß mir genug sein.
+
+Mellefont. Sie sind allzu gefällig. Doch erlauben Sie mir, daß ich
+Ihnen dieses Geheimnis gleichwohl entdecke. Es waren einige Zeilen
+von einer Anverwandten, die meinen hiesigen Aufenthalt erfahren hat.
+Sie geht auf ihrer Reise nach London hier durch und will mich sprechen.
+Sie hat zugleich um die Ehre ersucht, Ihnen ihre Aufwartung machen
+zu dürfen.
+
+Sara. Es wird mir allezeit angenehm sein, Mellefont, die würdigen
+Personen Ihrer Familie kennenzulernen. Aber überlegen Sie es selbst,
+ob ich schon, ohne zu erröten, einer derselben unter die Augen sehen
+darf.
+
+Mellefont. Ohne zu erröten? Und worüber? Darüber, daß Sie mich
+lieben? Es ist wahr, Miß, Sie hätten Ihre Liebe einem Edlern, einem
+Reichern schenken können. Sie müssen sich schämen, daß Sie Ihr Herz
+nur um ein Herz haben geben wollen und daß Sie bei diesem Tausche Ihr
+Glück so weit aus den Augen gesetzt.
+
+Sara. Sie werden es selbst wissen, wie falsch Sie meine Worte
+erklären.
+
+Mellefont. Erlauben Sie, Miß; wenn ich sie falsch erkläre, so können
+sie gar keine Bedeutung haben.
+
+Sara. Wie heißt Ihre Anverwandte?
+
+Mellefont. Es ist--Lady Solmes. Sie werden den Namen von mir schon
+gehört haben.
+
+Sara. Ich kann mich nicht erinnern.
+
+Mellefont. Darf ich bitten, daß Sie ihren Besuch annehmen wollen?
+
+Sara. Bitten, Mellefont? Sie können mir es ja befehlen.
+
+Mellefont. Was für ein Wort!--Nein, Miß, sie soll das Glück nicht
+haben, Sie zu sehen. Sie wird es bedauern; aber sie muß es sich
+gefallen lassen. Miß Sara hat ihre Ursachen, die ich, auch ohne sie
+zu wissen, verehre.
+
+Sara. Mein Gott! wie schnell sind Sie, Mellefont! Ich werde die
+Lady erwarten und mich der Ehre ihres Besuchs, soviel möglich, würdig
+zu erzeigen suchen. Sind Sie zufrieden?
+
+Mellefont. Ach, Miß, lassen Sie mich meinen Ehrgeiz gestehen. Ich
+möchte gern gegen die ganze Welt mit Ihnen prahlen. Und wenn ich auf
+den Besitz einer solchen Person nicht eitel wäre, so würde ich mir
+selbst vorwerfen, daß ich den Wert derselben nicht zu schätzen wüßte.
+Ich gehe und bringe die Lady sogleich zu Ihnen. (Gehet ab.)
+
+Sara (allein). Wenn es nur keine von den stolzen Weibern ist, die,
+voll von ihrer Tugend, über alle Schwachheiten erhaben zu sein glauben.
+Sie machen uns mit einem einzigen verächtlichen Blicke den Prozeß,
+und ein zweideutiges Achselzucken ist das ganze Mitleiden, das wir
+ihnen zu verdienen scheinen.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Waitwell. Sara.
+
+
+Betty (zwischen der Szene). Nur hier herein, wenn Er selbst mit ihr
+sprechen muß.
+
+Sara (die sich umsieht). Wer muß selbst mit mir sprechen?--Wen seh
+ich? Ist es möglich? Waitwell, dich?
+
+Waitwell. Was für ein glücklicher Mann bin ich, daß ich endlich
+unsere Miß Sara wiedersehe!
+
+Sara. Gott! was bringst du? Ich hör es schon, ich hör es schon, du
+bringst mir die Nachricht von dem Tode meines Vaters! Er ist hin, der
+vortrefflichste Mann, der beste Vater! Er ist hin, und ich, ich bin
+die Elende, die seinen Tod beschleuniget hat.
+
+Waitwell. Ach! Miß--
+
+Sara. Sage mir, geschwind sage mir, daß die letzten Augenblicke
+seines Lebens ihm durch mein Andenken nicht schwerer wurden; daß er
+mich vergessen hatte; daß er ebenso ruhig starb, als er sich sonst in
+meinen Armen zu sterben versprach; daß er sich meiner auch nicht
+einmal in seinem letzten Gebete erinnerte--
+
+Waitwell. Hören Sie doch auf, sich mit so falschen Vorstellungen zu
+plagen! Er lebt ja noch, Ihr Vater; er lebt ja noch, der
+rechtschaffne Sir William.
+
+Sara. Lebt er noch? Ist es wahr, lebt er noch? Oh! daß er noch
+lange leben und glücklich leben möge! Oh! daß ihm Gott die Hälfte
+meiner Jahre zulegen wolle! Die Hälfte?--Ich Undankbare, wenn ich ihm
+nicht mit allen, soviel mir deren bestimmt sind, auch nur einige
+Augenblicke zu erkaufen bereit bin! Aber nun sage mir wenigstens,
+Waitwell, daß es ihm nicht hart fällt, ohne mich zu leben; daß es ihm
+leicht geworden ist, eine Tochter aufzugeben, die ihre Tugend so
+leicht aufgeben können; daß ihn meine Flucht erzürnet, aber nicht
+gekränkt hat; daß er mich verwünschet, aber nicht bedauert.
+
+Waitwell. Ach, Sir William ist noch immer der zärtliche Vater, so wie
+sein Sarchen noch immer die zärtliche Tochter ist, die sie beide
+gewesen sind.
+
+Sara. Was sagst du? Du bist ein Bote des Unglücks, des
+schrecklichsten Unglücks unter allen, die mir meine feindselige
+Einbildung jemals vorgestellet hat! Er ist noch der zärtliche Vater?
+So liebt er mich ja noch? So muß er mich ja beklagen? Nein, nein,
+das tut er nicht; das kann er nicht tun! Siehst du denn nicht, wie
+unendlich jeder Seufzer, den er um mich verlöre, meine Verbrechen
+vergrößern würde? Müßte mir nicht die Gerechtigkeit des Himmels jede
+seiner Tränen, die ich ihm auspreßte, so anrechnen, als ob ich bei
+jeder derselben mein Laster und meinen Undank wiederholte? Ich
+erstarre über diesen Gedanken. Tränen koste ich ihm? Tränen? Und es
+sind andre Tränen als Tränen der Freude?--Widersprich mir doch,
+Waitwell! Aufs höchste hat er einige leichte Regungen des Bluts für
+mich gefühlet; einige von den geschwind überhin gehenden Regungen,
+welche die kleinste Anstrengung der Vernunft besänftiget. Zu Tränen
+hat er es nicht kommen lassen. Nicht wahr, Waitwell, zu Tränen hat er
+es nicht kommen lassen?
+
+Waitwell (indem er sich die Augen wischt). Nein, Miß, dazu hat er es
+nicht kommen lassen.
+
+Sara. Ach! dein Mund sagt nein; und deine eignen Tränen sagen ja.
+
+Waitwell. Nehmen Sie diesen Brief, Miß; er ist von ihm selbst.
+
+Sara. Von wem? von meinem Vater? an mich?
+
+Waitwell. Ja, nehmen Sie ihn nur; Sie werden mehr daraus sehen können,
+als ich zu sagen vermag. Er hätte einem andern als mir dieses
+Geschäft auftragen sollen. Ich versprach mir Freude davon; aber Sie
+verwandeln mir diese Freude in Betrübnis.
+
+Sara. Gib nur, ehrlicher Waitwell!--Doch nein, ich will ihn nicht
+eher nehmen, als bis du mir sagst, was ungefähr darin enthalten ist.
+
+Waitwell. Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung.
+
+Sara. Liebe? Vergebung?
+
+Waitwell. Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, daß er die Rechte
+der väterlichen Gewalt gegen ein Kind brauchen wollen, für welches nur
+die Vorrechte der väterlichen Huld sind.
+
+Sara. So behalte nur deinen grausamen Brief!
+
+Waitwell. Grausamen? fürchten Sie nichts; Sie erhalten völlige
+Freiheit über Ihr Herz und Ihre Hand.
+
+Sara. Und das ist es eben, was ich fürchte. Einen Vater, wie ihn, zu
+betrüben: dazu habe ich noch den Mut gehabt. Allein ihn durch eben
+diese Betrübnis, ihn durch seine Liebe, der ich entsagt, dahin
+gebracht zu sehen, daß er sich alles gefallen läßt, wozu mich eine
+unglückliche Leidenschaft verleitet: das, Waitwell, das würde ich
+nicht ausstehen. Wenn sein Brief alles enthielte, was ein
+aufgebrachter Vater in solchem Falle Heftiges und Hartes vorbringen
+kann, so würde ich ihn zwar mit Schaudern lesen, aber ich würde ihn
+doch lesen können. Ich würde gegen seinen Zorn noch einen Schatten
+von Verteidigung aufzubringen wissen, um ihn durch diese Verteidigung,
+wo möglich, noch zorniger zu machen. Meine Beruhigung wäre alsdann
+diese, daß bei einem gewaltsamen Zorne kein wehmütiger Gram Raum haben
+könne und daß sich jener endlich glücklich in eine bittere Verachtung
+gegen mich verwandeln werde. Wen man aber verachtet, um den bekümmert
+man sich nicht mehr. Mein Vater wäre wieder ruhig, und ich dürfte mir
+nicht vorwerfen, ihn auf immer unglücklich gemacht zu haben.
+
+Waitwell. Ach! Miß, Sie werden sich diesen Vorwurf noch weniger
+machen dürfen, wenn Sie jetzt seine Liebe wieder ergreifen, die ja
+alles vergessen will.
+
+Sara. Du irrst dich, Waitwell. Sein sehnliches Verlangen nach mir
+verführt ihn vielleicht, zu allem ja zu sagen. Kaum aber würde dieses
+Verlangen ein wenig beruhiget sein, so würde er sich seiner Schwäche
+wegen vor sich selbst schämen. Ein finsterer Unwille würde sich
+seiner bemeistern, und er würde mich nie ansehen können, ohne mich
+heimlich anzuklagen, wieviel ich ihm abzutrotzen mich unterstanden
+habe. Ja, wenn es in meinem Vermögen stünde, ihm bei der äußersten
+Gewalt, die er sich meinetwegen antut, das Bitterste zu ersparen; wenn
+in dem Augenblicke, da er mir alles erlauben wollte, ich ihm alles
+aufopfern könnte: so wäre es ganz etwas anders. Ich wollte den Brief
+mit Vergnügen von deinen Händen nehmen, die Stärke der väterlichen
+Liebe darin bewundern und, ohne sie zu mißbrauchen, mich als eine
+reuende und gehorsame Tochter zu seinen Füßen werfen. Aber kann ich
+das? Ich würde es tun müssen, was er mir erlaubte, ohne mich daran zu
+kehren, wie teuer ihm diese Erlaubnis zu stehen komme. Und wenn ich
+dann am vergnügtesten darüber sein wollte, würde es mir plötzlich
+einfallen, daß er mein Vergnügen äußerlich nur zu teilen scheine und
+in sich selbst vielleicht seufze; kurz, daß er mich mit Entsagung
+seiner eignen Glückseligkeit glücklich gemacht habe--Und es auf diese
+Art zu sein wünschen, trauest du mir das wohl zu, Waitwell?
+
+Waitwell. Gewiß, ich weiß nicht, was ich hierauf antworten soll.
+
+Sara. Es ist nichts darauf zu antworten. Bringe deinen Brief also
+nur wieder zurück. Wenn mein Vater durch mich unglücklich sein muß,
+so will ich selbst auch unglücklich bleiben. Ganz allein ohne ihn
+unglücklich zu sein, das ist es, was ich jetzt stündlich von dem
+Himmel bitte; glücklich aber ohne ihn ganz allein zu sein, davon will
+ich durchaus nichts wissen.
+
+Waitwell (etwas beiseite). Ich glaube wahrhaftig, ich werde das gute
+Kind hintergehen müssen, damit es den Brief doch nur lieset.
+
+Sara. Was sprichst du da für dich?
+
+Waitwell. Ich sage mir selbst, daß ich einen sehr ungeschickten
+Einfall gehabt hätte, Sie, Miß, zur Lesung des Briefes desto
+geschwinder zu vermögen.
+
+Sara. Wieso?
+
+Waitwell. Ich konnte so weit nicht denken. Sie überlegen freilich
+alles genauer, als es unsereiner kann. Ich wollte Sie nicht
+erschrecken; der Brief ist vielleicht nur allzu hart; und wenn ich
+gesagt habe, daß nichts als Liebe und Vergebung darin enthalten sei,
+so hätte ich sagen sollen, daß ich nichts als dieses darin enthalten
+zu sein wünschte.
+
+Sara. Ist das wahr?--Nun, so gib mir ihn her. Ich will ihn lesen.
+Wenn man den Zorn eines Vaters unglücklicherweise verdient hat, so muß
+man wenigstens gegen diesen väterlichen Zorn so viel Achtung haben,
+daß er ihn nach allen Gefallen gegen uns auslassen kann. Ihn zu
+vereiteln suchen, heißt Beleidigungen mit Geringschätzung häufen. Ich
+werde ihn nach aller seiner Stärke empfinden. Du siehst, ich zittre
+schon--Aber ich soll auch zittern; und ich will lieber zittern als
+weinen.--(Sie erbricht den Brief.) Nun ist er erbrochen! Ich bebe--
+Aber was seh ich? (Sie lieset.) "Einzige, geliebteste Tochter!"--Ha!
+du alter Betrüger, ist das die Anrede eines zornigen Vaters? Geh,
+weiter werde ich nicht lesen--
+
+Waitwell. Ach, Miß, verzeihen Sie doch einem alten Knechte. Ja gewiß,
+ich glaube, es ist in meinem Leben das erstemal, daß ich mit Vorsatz
+betrogen habe. Wer einmal betrügt, Miß, und aus einer so guten
+Absicht betrügt, der ist ja deswegen noch kein alter Betrüger. Das
+geht mir nahe, Miß. Ich weiß wohl, die gute Absicht entschuldigt
+nicht immer; aber was konnte ich denn tun? Einem so guten Vater
+seinen Brief ungelesen wiederzubringen? Das kann ich nimmermehr.
+Eher will ich gehen, soweit mich meine alten Beine tragen, und ihm nie
+wieder vor die Augen kommen.
+
+Sara. Wie? auch du willst ihn verlassen?
+
+Waitwell. Werde ich denn nicht müssen, wenn Sie den Brief nicht
+lesen? Lesen Sie ihn doch immer. Lassen Sie doch immer den ersten
+vorsätzlichen Betrug, den ich mir vorzuwerfen habe, nicht ohne gute
+Wirkung bleiben. Sie werden ihn desto eher vergessen, und ich werde
+mir ihn desto eher vergeben können. Ich bin ein gemeiner, einfältiger
+Mann, der Ihnen Ihre Ursachen, warum Sie den Brief nicht lesen können
+oder wollen, freilich so muß gelten lassen. Ob sie wahr sind, weiß
+ich nicht; aber so recht natürlich scheinen sie mir wenigstens nicht.
+Ich dächte nun so, Miß: ein Vater, dächte ich, ist doch immer ein
+Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch
+ein gutes Kind. Wenn der Vater den Fehler verzeiht, so kann ja das
+Kind sich wohl wieder so aufführen, daß er auch gar nicht mehr daran
+denken darf. Und wer erinnert sich denn gern an etwas, wovon er
+lieber wünscht, es wäre gar nicht geschehen? Es ist, Miß, als ob Sie
+nur immer an Ihren Fehler dächten und glaubten, es wäre genug, wenn
+Sie den in Ihrer Einbildung vergrößerten und sich selbst mit solchen
+vergrößerten Vorstellungen marterten. Aber ich sollte meinen, Sie
+müßten auch daran denken, wie Sie das, was geschehen ist,
+wiedergutmachten. Und wie wollen Sie es denn wiedergutmachen, wenn
+Sie sich selbst alle Gelegenheit dazu benehmen? Kann es Ihnen denn
+sauer werden, den andern Schritt zu tun, wenn so ein lieber Vater
+schon den ersten getan hat?
+
+Sara. Was für Schwerter gehen aus deinem einfältigen Munde in mein
+Herz!--Eben das kann ich nicht aushalten, daß er den ersten Schritt
+tun muß. Und was willst du denn? Tut er denn nur den ersten Schritt?
+Er muß sie alle tun: ich kann ihm keinen entgegentun. So weit ich
+mich von ihm entfernet, so weit muß er sich zu mir herablassen. Wenn
+er mir vergibt, so muß er mein ganzes Verbrechen vergeben und sich
+noch dazu gefallen lassen, die Folgen desselben vor seinen Augen
+fortdauern zu sehen. Ist das von einem Vater zu verlangen?
+
+Waitwell. Ich weiß nicht, Miß, ob ich dieses so recht verstehe. Aber
+mich deucht, Sie wollen sagen, er müsse Ihnen gar zu viel vergeben,
+und weil ihm das nicht anders als sehr sauer werden könne, so machten
+Sie sich ein Gewissen, seine Vergebung anzunehmen. Wenn Sie das
+meinen, so sagen Sie mir doch, ist denn nicht das Vergeben für ein
+gutes Herz ein Vergnügen? Ich bin in meinem Leben so glücklich nicht
+gewesen, daß ich dieses Vergnügen oft empfunden hätte. Aber der
+wenigen Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer
+gern. Ich fühlte so etwas Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas
+Himmlisches dabei, daß ich mich nicht entbrechen konnte, an die große,
+unüberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen ganze
+Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwährendes Vergeben ist. Ich
+wünschte mir, alle Augenblicke verzeihen zu können, und schämte mich,
+daß ich nur solche Kleinigkeiten zu verzeihen hatte. Recht
+schmerzhafte Beleidigungen, recht tödliche Kränkungen zu vergeben,
+sagt' ich zu mir selbst, muß eine Wollust sein, in der die ganze Seele
+zerfließt--Und nun, Miß, wollen Sie denn so eine große Wollust Ihrem
+Vater nicht gönnen?
+
+Sara. Ach!--Rede weiter, Waitwell, rede weiter!
+
+Waitwell. Ich weiß wohl, es gibt eine Art von Leuten, die nichts
+ungerner als Vergebung annehmen, und zwar, weil sie keine zu erzeigen
+gelernt haben. Es sind stolze, unbiegsam Leute, die durchaus nicht
+gestehen wollen, daß sie unrecht getan. Aber von der Art, Miß, sind
+Sie nicht. Sie haben das liebreichste und zärtlichste Herz, das die
+beste Ihres Geschlechts nur haben kann. Ihren Fehler bekennen Sie
+auch. Woran liegt es denn nun also noch?--Doch verzeihen Sie mir nur,
+Miß, ich bin ein alter Plauderer und hätte es gleich merken sollen,
+daß Ihr Weigern nur eine rühmliche Besorgnis, nur eine tugendhafte
+Schüchternheit sei. Leute, die eine große Wohltat gleich ohne
+Bedenken annehmen können, sind der Wohltat selten würdig. Die sie am
+meisten verdienen, haben auch immer das meiste Mißtrauen gegen sich
+selbst. Doch muß das Mißtrauen nicht über sein Ziel getrieben werden.
+
+
+Sara. Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich überredet.
+
+Waitwell. Ach Gott! wenn ich so glücklich gewesen bin, so muß mir
+ein guter Geist haben reden helfen. Aber nein, Miß, meine Reden haben
+dabei nichts getan, als daß sie Ihnen Zeit gelassen, selbst
+nachzudenken und sich von einer so fröhlichen Bestürzung zu erholen.--
+Nicht wahr, nun werden Sie den Brief lesen? Oh! lesen Sie ihn doch
+gleich!
+
+Sara. Ich will es tun, Waitwell.--Welche Bisse, welche Schmerzen
+werde ich fühlen!
+
+Waitwell. Schmerzen, Miß, aber angenehme Schmerzen.
+
+Sara. Sei still! (Sie fängt an, für sich zu lesen.)
+
+Waitwell (beiseite). Oh! wenn er sie selbst sehen sollte!
+
+Sara (nachdem sie einige Augenblicke gelesen). Ach, Waitwell, was für
+ein Vater! Er nennt meine Flucht eine Abwesenheit. Wieviel
+sträflicher wird sie durch dieses gelinde Wort! (Sie lieset weiter
+und unterbricht sich wieder.) Höre doch! er schmeichelt sich, ich
+würde ihn noch lieben. Er schmeichelt sich! (Lieset und unterbricht
+sich.) Er bittet mich--Er bittet mich? Ein Vater seine Tochter?
+seine strafbare Tochter? Und was bittet er mich denn?--(Lieset für
+sich.) Er bittet mich, seine übereilte Strenge zu vergessen und ihn
+mit meiner Entfernung nicht länger zu strafen. Übereilte Strenge!--Zu
+strafen!--(Lieset wieder und unterbricht sich.) Noch mehr! Nun dankt
+er mir gar, und dankt mir, daß ich ihm Gelegenheit gegeben, den ganzen
+Umfang der väterlichen Liebe kennenzulernen. Unselige Gelegenheit!
+Wenn er doch nur auch sagte, daß sie ihm zugleich den ganzen Umfang
+des kindlichen Ungehorsams habe kennenlernen! (Sie lieset wieder.)
+Nein, er sagt es nicht! Er gedenkt meines Verbrechens nicht mit einem
+Buchstaben. (Sie fährt weiter fort, für sich zu lesen.) Er will
+kommen und seine Kinder selbst zurückholen. Seine Kinder, Waitwell!
+Das geht über alles!--Hab ich auch recht gelesen? (Sie lieset wieder
+für sich.)--Ich möchte vergehen! Er sagt, derjenige verdiene nur
+allzuwohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter haben könne.
+--Oh! hätte er sie nie gehabt, diese unglückliche Tochter!--Geh,
+Waitwell, laß mich allein! Er verlangt eine Antwort, und ich will sie
+sogleich machen. Frag in einer Stunde wieder nach. Ich danke dir
+unterdessen für deine Mühe. Du bist ein rechtschaffner Mann. Es sind
+wenig Diener die Freunde ihrer Herren!
+
+Waitwell. Beschämen Sie mich nicht, Miß. Wenn alle Herren Sir
+Williams wären, so müßten die Diener Unmenschen sein, wenn sie nicht
+ihr Leben für sie lassen wollten. (Geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+
+Sara (sie setzet sich zum Schreiben nieder). Wenn man mir es vor Jahr
+und Tag gesagt hätte, daß ich auf einen solchen Brief würde antworten
+müssen! Und unter solchen Umständen!--Ja, die Feder hab ich in der
+Hand.--Weiß ich aber auch schon, was ich schreiben soll? Was ich
+denke; was ich empfinde.--Und was denkt man denn, wenn sich in einem
+Augenblicke tausend Gedanken durchkreuzen? Und was empfindet man denn,
+wenn das Herz vor lauter Empfinden in einer tiefen Betäubung liegt?--
+Ich muß doch schreiben--Ich führe ja die Feder nicht das erstemal.
+Nachdem sie mir schon so manche kleine Dienste der Höflichkeit und
+Freundschaft abstatten helfen, sollte mir ihre Hilfe wohl bei dem
+wichtigsten Dienste entstehen?--(Sie denkt ein wenig nach und schreibt
+darauf einige Zeilen.) Das soll der Anfang sein? Ein sehr frostiger
+Anfang. Und werde ich denn bei seiner Liebe anfangen wollen? Ich muß
+bei meinem Verbrechen anfangen. (Sie streicht aus und schreibt anders.)
+Daß ich mich ja nicht zu obenhin davon ausdrücke!--Das Schämen kann
+überall an seiner rechten Stelle sein, nur bei dem Bekenntnisse
+unserer Fehler nicht. Ich darf mich nicht fürchten, in Übertreibungen
+zu geraten, wenn ich auch schon die gräßlichsten Züge anwende.--Ach!
+warum muß ich nun gestört werden?
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Marwood. Mellefont. Sara.
+
+
+Mellefont. Liebste Miß, ich habe die Ehre, Ihnen Lady Solmes
+vorzustellen, welche eine von denen Personen in meiner Familie ist,
+welchen ich mich am meisten verpflichtet erkenne.
+
+Marwood. Ich muß um Vergebung bitten, Miß, daß ich so frei bin, mich
+mit meinen eignen Augen von dem Glücke eines Vetters zu überführen,
+dem ich das vollkommenste Frauenzimmer wünschen würde, wenn mich nicht
+gleich der erste Anblick überzeugt hätte, daß er es in Ihnen bereits
+gefunden habe.
+
+Sara. Sie erzeigen mir allzuviel Ehre, Lady. Eine Schmeichelei wie
+diese würde mich zu allen Zeiten beschämt haben; itzt aber sollte ich
+sie fast für einen versteckten Vorwurf annehmen, wenn ich Lady Solmes
+nicht für viel zu großmütig hielte, ihre Überlegenheit an Tugend und
+Klugheit eine Unglückliche fühlen zu lassen.
+
+Marwood (kalt). Ich würde untröstlich sein, Miß, wenn Sie mir andre
+als die freundschaftlichsten Gesinnungen zutrauten.--(Beiseite.) Sie
+ist schön!
+
+Mellefont. Und wäre es denn auch möglich, Lady, gegen soviel
+Schönheit, gegen soviel Bescheidenheit gleichgültig zu bleiben? Man
+sagt zwar, daß einem reizenden Frauenzimmer selten von einem andern
+Gerechtigkeit erwiesen werde: allein dieses ist auf der einen Seite
+nur von denen, die auf ihre Vorzüge allzu eitel sind, und auf der
+andern nur von solchen zu verstehen, welche sich selbst keiner Vorzüge
+bewußt sind. Wie weit sind Sie beide von diesem Falle entfernt!--(Zur
+Marwood, welche in Gedanken steht.) Ist es nicht wahr, Lady, daß
+meine Liebe nichts weniger als parteiisch gewesen ist? Ist es nicht
+wahr, daß ich Ihnen zum Lobe meiner Miß viel, aber noch lange nicht so
+viel gesagt habe, als Sie selbst finden?--Aber warum so in Gedanken?--
+(Sachte zu ihr.) Sie vergessen, wer Sie sein wollen.
+
+Marwood. Darf ich es sagen?--Die Bewunderung Ihrer liebsten Miß
+führte mich auf die Betrachtung ihres Schicksals. Es ging mir nahe,
+daß sie die Früchte ihrer Liebe nicht in ihrem Vaterlande genießen
+soll. Ich erinnerte mich, daß sie einen Vater und, wie man mir gesagt
+hat, einen sehr zärtlichen Vater verlassen müßte, um die Ihrige sein
+zu können; und ich konnte mich nicht enthalten, ihre Aussöhnung mit
+ihm zu wünschen.
+
+Sara. Ach! Lady, wie sehr bin ich Ihnen für diesen Wunsch verbunden.
+Er verdient es, daß ich meine ganze Freude mit Ihnen teile. Sie
+können es noch nicht wissen, Mellefont, daß er erfüllt wurde, ehe Lady
+die Liebe für uns hatte, ihn zu tun.
+
+Mellefont. Wie verstehen Sie dieses, Miß?
+
+Marwood (beiseite). Was will das sagen?
+
+Sara. Eben itzt habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten.
+Waitwell brachte mir ihn. Ach, Mellefont, welch ein Brief!
+
+Mellefont. Geschwind reißen Sie mich aus meiner Ungewißheit. Was hab
+ich zu fürchten? Was habe ich zu hoffen? Ist er noch der Vater, den
+wir flohen? Und wenn er es noch ist, wird Sara die Tochter sein, die
+mich zärtlich genug liebt, um ihn noch weiter zu fliehen? Ach! hätte
+ich Ihnen gefolgt, liebste Miß, so wären wir jetzt durch ein Band
+verknüpft, das man aus eigensinnigen Absichten zu trennen wohl
+unterlassen müßte. In diesem Augenblick empfinde ich alles das
+Unglück, das unser entdeckter Aufenthalt für mich nach sich ziehen
+kann. Er wird kommen und Sie aus meinen Armen reißen. Wie hasse ich
+den Nichtswürdigen, der uns ihm verraten hat! (Mit einem zornigen
+Blick gegen die Marwood.)
+
+Sara. Liebster Mellefont, wie schmeichelhaft ist diese Ihre Unruhe
+für mich! Und wie glücklich sind wir beide, daß sie vergebens ist!
+Lesen Sie hier seinen Brief.--(Gegen die Marwood, indem Mellefont den
+Brief für sich lieset.) Lady, er wird über die Liebe meines Vaters
+erstaunen. Meines Vaters? Ach! er ist nun auch der seinige.
+
+Marwood (betroffen). Ist es möglich?
+
+Sara. Jawohl, Lady, haben Sie Ursache, diese Veränderung zu bewundern.
+Er vergibt uns alles; wir werden uns nun vor seinen Augen lieben; er
+erlaubt es uns; er befiehlt es uns.--Wie hat diese Gütigkeit meine
+ganze Seele durchdrungen!--Nun, Mellefont? (Der ihr den Brief
+wiedergibt.) Sie schweigen? O nein, diese Träne, die sich aus Ihrem
+Auge schleicht, sagt weit mehr, als Ihr Mund ausdrücken könnte.
+
+Marwood (beiseite). Wie sehr habe ich mir selbst geschadet! Ich
+Unvorsichtige!
+
+Sara. Oh! lassen Sie mich diese Träne von Ihrer Wange küssen!
+
+Mellefont. Ach Miß, warum haben wir so einen göttlichen Mann betrüben
+müssen? Jawohl, einen göttlichen Mann: denn was ist göttlicher als
+vergeben?--Hätten wir uns diesen glücklichen Ausgang nur als möglich
+vorstellen können: gewiß, so wollten wir ihn jetzt so gewaltsamen
+Mitteln nicht zu verdanken haben; wir wollten ihn allein unsern Bitten
+zu verdanken haben. Welche Glückseligkeit wartet auf mich! Wie
+schmerzlich wird mir aber auch die eigne Überzeugung sein, daß ich
+dieser Glückseligkeit so unwert bin!
+
+Marwood (beiseite). Und das muß ich mit anhören!
+
+Sara. Wie vollkommen rechtfertigen Sie durch solche Gesinnungen meine
+Liebe gegen Sie.
+
+Marwood (beiseite). Was für Zwang muß ich mir antun!
+
+Sara. Auch Sie, vortreffliche Lady, müssen den Brief meines Vaters
+lesen. Sie scheinen allzuviel Anteil an unserm Schicksale zu nehmen,
+als daß Ihnen sein Inhalt gleichgültig sein könnte.
+
+Marwood. Mir gleichgültig, Miß? (Sie nimmt den Brief.)
+
+Sara. Aber, Lady, Sie scheinen noch immer sehr nachdenkend, sehr
+traurig.--
+
+Marwood. Nachdenkend, Miß, aber nicht traurig.
+
+Mellefont (beiseite). Himmel! wo sie sich verrät!
+
+Sara. Und warum denn?
+
+Marwood. Ich zittere für Sie beide. Könnte die unvermutete Güte
+Ihres Vaters nicht eine Verstellung sein? eine List?
+
+Sara. Gewiß nicht, Lady, gewiß nicht. Lesen Sie nur, und Sie werden
+es selbst gestehen. Die Verstellung bleibt immer kalt, und eine so
+zärtliche Sprache ist in ihrem Vermögen nicht. (Marwood lieset für
+sich.) Werden Sie nicht argwöhnisch, Mellefont; ich bitte Sie. Ich
+stehe Ihnen dafür, daß mein Vater sich zu keiner List herablassen kann.
+Er sagt nichts, was er nicht denkt, und Falschheit ist ihm ein
+unbekanntes Laster.
+
+Mellefont. Oh! davon bin ich vollkommen überzeugt, liebste Miß.--Man
+muß der Lady den Verdacht vergeben, weil sie den Mann noch nicht kennt,
+den er trifft.
+
+Sara (indem ihr Marwood den Brief zurückgibt). Was seh ich, Lady?
+Sie haben sich entfärbt? Sie zittern? Was fehlt Ihnen?
+
+Mellefont (beiseite). In welcher Angst bin ich! Warum habe ich sie
+auch hergebracht?
+
+Marwood. Es ist nichts, Miß, als ein kleiner Schwindel, welcher
+vorübergehn wird. Die Nachtluft muß mir auf der Reise nicht bekommen
+sein.
+
+Mellefont. Sie erschrecken mich, Lady--ist es Ihnen nicht gefällig,
+frische Luft zu schöpfen? Man erholt sich in einem verschloßnen
+Zimmer nicht so leicht.
+
+Marwood. Wenn Sie meinen, so reichen Sie mir Ihren Arm.
+
+Sara. Ich werde Sie begleiten, Lady.
+
+Marwood. Ich verbitte diese Höflichkeit, Miß. Meine Schwachheit wird
+ohne Folgen sein.
+
+Sara. So hoffe ich denn, Lady bald wiederzusehen.
+
+Marwood. Wenn Sie erlauben, Miß--
+
+(Mellefont führt sie ab.)
+
+Sara (allein). Die arme Lady!--Sie scheinet die freundschaftlichste
+Person zwar nicht zu sein; aber mürrisch und stolz scheinet sie doch
+auch nicht.--Ich bin wieder allein. Kann ich die wenigen Augenblicke,
+die ich es vielleicht sein werde, zu etwas Besserm als zur Vollendung
+meiner Antwort anwenden? (Sie will sich niedersetzen, zu schreiben.)
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Betty. Sara.
+
+
+Betty. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch.
+
+Sara. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines
+Mellefont. Es wandelte ihr gähling eine kleine Schwachheit an. Wo
+ist sie jetzt?
+
+Betty. Mellefont hat sie bis an die Türe begleitet.
+
+Sara. So ist sie ja wohl wieder fort?
+
+Betty. Ich vermute es.--Aber je mehr ich Sie ansehe, Miß--Sie müssen
+mir meine Freiheit verzeihen--, je mehr finde ich Sie verändert. Es
+ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muß ein
+sehr angenehmer Besuch oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote
+gewesen sein.
+
+Sara. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was
+für einen zärtlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes
+Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen.
+Ich werde wieder glücklich sein und dich für deine guten Dienste
+belohnen können.
+
+Betty. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen für Dienste leisten
+können?
+
+Sara. Du hättest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht
+mehrere leisten können als in diesen neun Wochen. Sie sind vorüber!--
+Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so
+muß ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, daß es sehr
+gut sein würde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem
+seine Danksagung schwerlich unerwartet sein dürfte. Komm!
+
+(Sie gehen ab.)
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Der Saal.
+
+
+Sir William Sampson. Waitwell.
+
+Sir William. Was für Balsam, Waitwell, hast du mir durch deine
+Erzählung in mein verwundetes Herz gegossen! Ich lebe wieder neu auf;
+und ihre herannahende Rückkehr scheint mich ebensoweit zu meiner
+Jugend wieder zurückzubringen, als mich ihre Flucht näher zu dem Grabe
+gebracht hatte. Sie liebt mich noch! Was will ich mehr?--Geh ja bald
+wieder zu ihr, Waitwell. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, da
+ich sie aufs neue in diese Arme schließen soll, die ich so sehnlich
+gegen den Tod ausgestreckt hatte. Wie erwünscht wäre er mir in den
+Augenblicken meines Kummers gewesen! Und wie fürchterlich wird er mir
+in meinem neuen Glücke sein! Ein Alter ist ohne Zweifel zu tadeln,
+wenn er die Bande, die ihn noch mit der Welt verbinden, so fest wieder
+zuziehet. Die endliche Trennung wird desto schmerzlicher.--Doch der
+Gott, der sich jetzt so gnädig gegen mich erzeigt, wird mir auch diese
+überstehen helfen. Sollte er mir wohl eine Wohltat erweisen, um sie
+mir zuletzt zu meinem Verderben gereichen zu lassen? Sollte er mir
+eine Tochter wiedergeben, damit ich über seine Abfoderung aus diesem
+Leben murren müsse? Nein, nein; er schenkt mir sie wieder, um in der
+letzten Stunde nur um mich selbst besorgt sein zu dürfen. Dank sei
+dir, ewige Güte! Wie schwach ist der Dank eines sterblichen Mundes!
+Doch bald, bald werde ich in einer ihm geweihten Ewigkeit ihm würdiger
+danken können.
+
+Waitwell. Wie herzlich vergnügt es mich, Sir, Sie vor meinem Ende
+wieder zufrieden zu wissen! Glauben Sie mir es nur, ich habe fast so
+viel bei Ihrem Jammer ausgestanden als Sie selbst. Fast so viel; gar
+so viel nicht: denn der Schmerz eines Vaters mag wohl bei solchen
+Gelegenheiten unaussprechlich sein.
+
+Sir William. Betrachte dich von nun an, mein guter Waitwell, nicht
+mehr als meinen Diener. Du hast es schon längst um mich verdient, ein
+anständiger Alter zu genießen. Ich will dir es auch schaffen, und du
+sollst es nicht schlechter haben, als ich es noch in der Welt haben
+werde. Ich will allen Unterschied zwischen uns aufheben; in jener
+Welt, weißt du wohl, ist er ohnedies aufgehoben.--Nur dasmal sei noch
+der alte Diener, auf den ich mich nie umsonst verlassen habe. Geh und
+gib acht, daß du mir ihre Antwort sogleich bringen kannst, als sie
+fertig ist.
+
+Waitwell. Ich gehe, Sir. Aber so ein Gang ist kein Dienst, den ich
+Ihnen tue. Er ist eine Belohnung, die Sie mir für meine Dienste
+gönnen. Ja gewiß, das ist er.
+
+(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.)
+
+(Ende des dritten Aufzuges.)
+
+
+
+
+
+Vierter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Mellefonts Zimmer.
+
+
+Mellefont. Sara.
+
+Mellefont. Ja, liebste Miß, ja; das will ich tun; das muß ich tun.
+
+Sara. Wie vergnügt machen Sie mich!
+
+Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich
+nehmen muß. Ich allein bin schuldig; ich allein muß um Vergebung
+bitten.
+
+Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den größern Anteil, den ich an
+unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch
+ist: denn er muß Sie überzeugt haben, daß ich meinen Mellefont über
+alles in der Welt liebe.--Aber ist es denn gewiß wahr, daß ich nunmehr
+diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder
+befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fürchte ich mich,
+ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen!--Doch nein,
+ich bin nicht bloß in einem Traume, ich bin wirklich glücklicher, als
+ich jemals zu werden hoffen durfte; glücklicher, als es vielleicht
+dieses kurze Leben zuläßt. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von
+Glückseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so
+schmeichelhaft näher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die
+dickste Finsternis zerfließe und mich auf einmal in einer Nacht lasse,
+deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht
+fühlbar geworden.--Was für Ahnungen quälen mich!--Sind es wirklich
+Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewöhnliche Empfindungen, die von
+der Erwartung eines unverdienten Glücks und von der Furcht, es zu
+verlieren, unzertrennlich sind?--Wie schlägt mir das Herz, und wie
+unordentlich schlägt es! Wie stark itzt, wie geschwind!--Und nun, wie
+matt, wie bange, wie zitternd!--Itzt eilt es wieder, als ob es die
+letzten Schläge wären, die es gern recht schnell hintereinander tun
+wolle. Armes Herz!
+
+Mellefont. Die Wallungen des Geblüts, welche plötzliche
+Überraschungen nicht anders als verursachen können, werden sich legen,
+Miß, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner
+seiner Schläge zielet auf das Zukünftige; und wir sind zu tadeln--
+verzeihen Sie, liebste Sara--, wenn wir des Bluts mechanische
+Drückungen zu fürchterlichen Propheten machen.--Deswegen aber will ich
+nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besänftigung dieses kleinen
+innerlichen Sturms für dienlich halten. Ich will sogleich schreiben,
+und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit
+den Ausdrücken meines gerührten Herzens und mit den Angelobungen des
+zärtlichsten Gehorsams zufrieden sein.
+
+Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an
+einen weit zärtlichern Namen zu gewöhnen. Mein Vater, Ihr Vater,
+Mellefont--
+
+Mellefont. Nun ja, Miß, unser gütiger, unser bester Vater!--Ich mußte
+sehr jung aufhören, diesen süßen Namen zu nennen; sehr jung mußte ich
+den ebenso süßen Namen "Mutter" verlernen--
+
+Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir--mir ward es so gut nicht, ihn
+nur einmal sprechen zu können. Mein Leben war ihr Tod.--Gott! ich
+ward eine Muttermörderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte--
+wie wenig, wie nichts fehlte--, so wäre ich auch eine Vatermörderin
+geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsätzliche
+Vatermörderin!--Und wer weiß, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre,
+die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele kömmt,
+als er ohne die Betrübnis, die ich ihm verursacht, gekommen wäre--
+diese hab ich ihm--ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal
+auch noch so alt und lebenssatt sterben läßt, so wird mein Gewissen
+doch nichts gegen den Vorwurf sichern können, daß er ohne mich
+vielleicht noch später gestorben wäre. Trauriger Vorwurf, den ich mir
+ohne Zweifel nicht machen dürfte, wenn eine zärtliche Mutter die
+Führerin meiner Jugend gewesen wäre! Ihre Lehren, ihr Exempel würden
+mein Herz--So zärtlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben
+recht; eine Mutter würde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert
+haben, und ich würde Mellefonts nicht sein. Warum wünsche ich mir
+denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Güte versagte?
+Seine Fügungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht
+brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach
+einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene
+Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung!
+Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, daß in dem
+Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will.-
+-Was ist es, dieses rebellische Etwas?
+
+Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt
+haben, ist die natürliche furchtsam Schwierigkeit, sich in ein großes
+Glück zu finden.--Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich
+unglücklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich
+für glücklich zu halten!--Aber wie dem, der in einer schnellen
+Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder
+still sitzt, die äußern Gegenstände mit ihm herumzugehen scheinen, so
+wird auch das Herz, das zu heftig erschüttert worden, nicht auf einmal
+wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurück,
+die wir ihrer eignen Abschwächung überlassen müssen.
+
+Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen;
+weil ich es wünsche.--Aber lassen Sie uns einer den andern nicht
+länger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich
+darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde
+gezeigt haben?
+
+Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur
+das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muß: denn ich weiß es, Sie
+halten sich nicht für so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara
+bis an die Szene begleitet.)
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+
+Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen).
+Was für ein Rätsel bin ich mir selbst! Wofür soll ich mich halten?
+Für einen Toren? oder für einen Bösewicht?--oder für beides?--Herz,
+was für ein Schalk bist du!--Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich
+auch sein mag.--Ich lieb ihn? Ja, gewiß, gewiß, ich lieb ihn. Ich
+weiß, ich wollte tausend Leben für sie aufopfern, für sie, die mir
+ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand
+wollt' ich es--Und doch, doch--Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen--
+Und doch--Wie soll ich es begreifen?--Und doch fürchte ich mich vor
+dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der
+Meinigen machen wird.--Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater
+ist versöhnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben können.
+Die Verzögerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwürfe genug
+zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch
+erträglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt
+zu sein.--Aber bin ich es denn nicht schon?--Ich bin es freilich, und
+bin es mit Vergnügen.--Freilich bin ich schon ihr Gefangener.--Was
+will ich also?--Das!--Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein
+Wort frei herumgehen läßt: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht
+sein Bewenden haben? Warum muß ich eingeschmiedet werden und auch
+sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren?--Eingeschmiedet?
+Nichts anders!--Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten
+liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin!--Die Hälfte
+dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Hälfte--wird
+verschwinden.--Ich Ungeheuer!--Und bei diesen Gesinnungen soll ich an
+ihren Vater schreiben?--Doch es sind keine Gesinnungen; es sind
+Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zügelloses
+Leben so natürlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder--nicht
+leben.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Norton. Mellefont.
+
+
+Mellefont. Du störest mich, Norton!
+
+Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr--(Indem er wieder zurückgehen
+will.)
+
+Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, daß du mich
+störest. Was willst du?
+
+Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehört, und
+ich komme, Ihnen dazu Glück zu wünschen.
+
+Mellefont. Zur Versöhnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir.
+
+Norton. Der Himmel will Sie also noch glücklich machen.
+
+Mellefont. Wenn er es will--du siehst, Norton, ich lasse mir
+Gerechtigkeit widerfahren--, so will er es meinetwegen gewiß nicht.
+
+Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen.
+
+
+Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen.
+Wollte seine schon gerüstete Rache eine ganze sündige Stadt, weniger
+Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher
+dulden, wenn eine ihm gefällige Seele an dem Schicksale desselben
+Anteil nimmt.
+
+Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und rührend. Aber drückt sich
+die Freude nicht etwas anders aus?
+
+Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun für mich dahin.
+
+Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.)
+
+Mellefont. Du darfst.
+
+Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hören
+mußte, daß ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu
+geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an
+seltner schweige.
+
+Mellefont. Nur vergiß nicht, wer du bist.
+
+Norton. Ich will es nicht vergessen, daß ich ein Bedienter bin: ein
+Bedienter, der auch etwas Bessers sein könnte, wenn er, leider!
+darnach gelebt hätte. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem
+Fuße, daß ich mich gern mit Ihnen möchte verdammen lassen.
+
+Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt?
+
+Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich
+mir vorstellte.
+
+Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir
+vorstelltest?
+
+Norton. Sie in lauter Entzückung zu finden.
+
+Mellefont. Nur der Pöbel wird gleich außer sich gebracht, wenn ihn
+das Glück einmal anlächelt.
+
+Norton. Vielleicht, weil der Pöbel noch sein Gefühl hat, das bei
+Vornehmern durch tausend unnatürliche Vorstellungen verderbt und
+geschwächt wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als
+Mäßigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille--
+
+Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch außer der
+Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood--
+
+Norton. Könnte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen.--
+Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben,
+wenn Sie es nicht lieber gesehen hätten, der Vater wäre noch nicht
+versöhnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer
+Denkungsart schickt--
+
+Mellefont. Norton! Norton! du mußt ein erschrecklicher Bösewicht
+entweder gewesen sein oder noch sein, daß du mich so erraten kannst.
+Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr;
+so gewiß es ist, daß ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will
+es mir ein, daß ich sie ewig lieben soll--soll!--Aber besorge nichts;
+ich will über diese närrische Grille siegen. Oder meinst du nicht,
+daß es eine Grille ist? Wer heißt mich die Ehe als einen Zwang
+ansehen? Ich wünsche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich
+lassen wird.
+
+Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood
+wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fürchte, ich
+fürchte--
+
+Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach
+London zurückreisen sehen. Da ich dir meine geheimste--Narrheit will
+ich es nur unterdessen nennen--gestanden habe, so darf ich dir auch
+nicht verbergen, daß ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, daß
+sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muß.
+
+Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches.
+
+Mellefont. Sieh, dieses Mördereisen riß ich ihr aus der Hand (er
+zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der
+schrecklichsten Wut das Herz damit durchstoßen wollte. Glaubst du es
+nun bald, daß ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar
+fehlte es nicht viel, sie hätte mir ihre Schlinge wieder um den Hals
+geworfen. Die Verräterin hat Arabellen bei sich.
+
+Norton. Arabellen?
+
+Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen können, durch welche
+List sie das Kind wieder in ihre Hände bekommen. Genug, der Erfolg
+fiel für sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte.
+
+Norton. Erlauben Sie, daß ich mich über Ihre Standhaftigkeit freuen
+und Ihre Besserung schon für halb geborgen halten darf. Allein--da
+Sie mich doch alles wollen wissen lassen--was hat sie unter dem Namen
+der Lady Solmes hier gesollt?
+
+Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich
+willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Übereilung,
+teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts
+zu demütigen.--Du schüttelst den Kopf, Norton?--
+
+Norton. Das hätte ich nicht gewagt.
+
+Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich
+im Falle der Weigerung gewagt hätte. Sie würde als Marwood
+vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem
+unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers.
+
+Norton. Danken Sie dem Himmel, daß es so ruhig abgelaufen.
+
+Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stieß ihr eine
+kleine Unpäßlichkeit zu, daß sie sich, ohne Abschied zu nehmen,
+wegbegeben mußte. Sie will wiederkommen.--Mag sie doch! Die Wespe,
+die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er
+wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber
+auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu überlästig damit
+wird.--Hör ich nicht jemand kommen? Verlaß mich, wenn sie es ist.--
+Sie ist es. Geh!
+
+(Norton geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Mellefont. Marwood.
+
+
+Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen.
+
+Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, daß Ihre Unpäßlichkeit
+ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser?
+
+Marwood. So, so!
+
+Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu
+bemühen.
+
+Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge für
+mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie etwas anders
+damit meinen.
+
+Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen.
+
+Marwood. Der Sturm ist vorüber. Vergessen Sie ihn, bitte ich
+nochmals.
+
+Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich
+will gern alles vergessen.--Aber, wenn ich wüßte, daß Sie es für keine
+Beleidigung annehmen wollten, so möchte ich wohl fragen--
+
+Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie können mich nicht mehr
+beleidigen.--Was wollten Sie fragen?
+
+Mellefont. Wie ihnen meine Miß gefallen habe.
+
+Marwood. Die Frage ist natürlich. Meine Antwort wird so natürlich
+nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr.--Sie hat
+mir sehr wohl gefallen.
+
+Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzückt mich. Aber wär' es auch
+möglich, daß der, welcher die Reize einer Marwood zu schätzen wußte,
+eine schlechte Wahl treffen könnte?
+
+Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist,
+hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze,
+Sie zu vergessen, nicht vertragen.
+
+Mellefont. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch
+Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der
+gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von
+Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll
+und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu
+unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt.
+
+Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert
+sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen und es
+kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort
+noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen?
+
+Mellefont. Nein, Marwood.
+
+Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß
+Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.
+
+Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben.
+
+Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt.
+
+Mellefont. Wie?
+
+Marwood. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von
+Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr
+Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein
+beßres lassen könnte als die Schande, von mir geboren zu sein.
+
+Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will für Arabellen sorgen, ohne
+ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu
+setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß
+sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten
+gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres
+Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich
+danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater
+verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht
+eher wieder anzunehmen.
+
+Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe
+verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muß
+anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich
+hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich--
+
+Mellefont. Marwood!--
+
+Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich
+der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen?
+
+Mellefont. Miß Sara würde es Ihnen nicht übelnehmen können, wenn Sie
+auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen.
+
+Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich
+will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne
+Lebensart gehalten werden.
+
+Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich
+selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen
+bei Ihnen rege machen muß--
+
+Marwood (spöttisch lächelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich
+selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, daß ich
+Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens
+ganz in der Stille glauben.--Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei
+mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, daß
+das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann.
+
+Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in
+der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir
+gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir
+einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten
+können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gärende
+Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, daß ich Sie einige
+Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen.
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+
+Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich
+unbemerkt einmal Atem schöpfen und die Muskeln des Gesichts in ihre
+natürliche Lage fahren lassen?--Ich muß geschwind einmal in allen
+Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder
+aushalten zu können.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht,
+weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste
+Zuflucht der ohnmächtigen Rachsucht bist. Gewiß würde ich mich zu dir
+nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel
+seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem
+Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch
+sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, daß ich mit
+seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr
+ungewiß, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem
+Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen
+wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht
+verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von
+mir hören. Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar
+keinen Stachel zurückließen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht
+mehr Marwood; ich bin eine nichtswürdige Verstoßene, die durch kleine
+Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm,
+der sich krümmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse
+gern verwunden möchte.
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Marwood.
+
+
+Sara. Ich freue mich, Lady, daß meine Unruhe vergebens gewesen ist.
+
+Marwood. Ich danke Ihnen, Miß. Der Zufall war zu klein, als daß er
+Sie hätte beunruhigen sollen.
+
+Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara.
+
+Sara. So eilig, Lady?
+
+Marwood. Ich kann es für die, denen an meiner Gegenwart in London
+gelegen ist, nicht genug sein.
+
+Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen?
+
+Marwood. Morgen mit dem Frühsten.
+
+Mellefont. Morgen mit dem Frühsten, Lady? Ich glaubte, noch heute.
+
+Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, fängt sich sehr im Vorbeigehn an.
+Ich schmeichle mir, in Zukunft eines nähern Umgangs mit Ihnen
+gewürdiget zu werden.
+
+Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miß.
+
+Mellefont. Ich stehe Ihnen dafür, liebste Sara, daß diese Bitte der
+Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muß, daß Sie
+einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich
+mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten können--
+
+Marwood (beiseite). Wie fein!
+
+Sara. Mellefont, das heißt mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben.
+
+Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glückliche Miß.
+
+Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen früh wieder
+fort?
+
+Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand
+kommen!
+
+Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten.
+Nicht wahr, liebste Miß, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort
+ungesäumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht
+übelnehmen.
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Betty. Mellefont. Sara. Marwood.
+
+
+Mellefont. Was willst du, Betty?
+
+Betty. Man verlangt Sie unverzüglich zu sprechen.
+
+Marwood (beiseite). Ha! nun kömmt es drauf an--
+
+Mellefont. Mich? unverzüglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist
+es Ihnen gefällig, Ihren Besuch abzukürzen?
+
+Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so gütig sein und bis zu Ihrer
+Zurückkunft warten.
+
+Marwood. Verzeihen Sie, Miß; ich kenne meinen Vetter Mellefont und
+will mich lieber mit ihm wegbegeben.
+
+Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen.
+Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versäumen--
+
+Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miß,
+daß es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen
+ich gegen Sie gedacht habe.
+
+(Betty gehet ab.)
+
+Marwood (beiseite). Gute Vermutung!
+
+Mellefont. Aber doch, Lady--
+
+Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miß, so muß ich mich Ihnen--
+
+Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnügen nicht
+mißgönnen, Lady Solmes so lange unterhalten zu dürfen?
+
+Mellefont. Sie wollen es, Miß?--
+
+Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie
+nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich
+wünschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht.
+Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie
+allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen können,
+als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.--
+
+Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiß den
+Augenblick wieder hier. (Geht ab.)
+
+Marwood (beiseite). Glücklich!
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Sara. Marwood.
+
+
+Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Höflichkeiten manchmal mit
+einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?--
+
+Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als daß
+ich so etwas bemerken könnte.
+
+Sara. Wollen sich Lady nicht setzen?
+
+Marwood. Wenn Sie befehlen, Miß--(Beiseite, indem sie sich setzen.)
+Ich muß diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen.
+
+Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das glücklichste
+Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden?
+
+Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glück zu finden weiß, so wird
+ihn Miß Sara zu der beneidenswürdigsten Mannsperson machen. Aber--
+
+Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady--
+
+Marwood. Ich bin offenherzig, Miß--
+
+Sara. Und dadurch unendlich schätzbarer--
+
+Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein
+Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedächtiges Aber!
+
+Sara. Ich glaube nicht, daß mich Lady durch diese Ausweichung noch
+unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit
+sein, ein Übel, das man zeigen könnte, nur argwöhnen zu lassen.
+
+Marwood. Nicht doch, Miß; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel.
+Mellefont ist mein Anverwandter--
+
+Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider
+ihn zu machen haben.
+
+Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder wäre, so muß ich Ihnen
+doch sagen, daß ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts
+gegen ihn annehmen würde, wenn ich bemerkte, daß er nicht
+rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig
+jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu
+Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache
+machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu
+nehmen sich nicht bedenken müßten.
+
+Sara. Diese Anmerkung--
+
+Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Fällen meine
+Richtschnur gewesen.
+
+Sara. Und verspricht mir--Ich zittere--
+
+Marwood. Nein, Miß; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas
+anderm sprechen--
+
+Sara. Grausame Lady!
+
+Marwood. Es tut mir leid, daß ich verkannt werde. Ich wenigstens,
+wenn ich mich in Gedanken an Miß Sampsons Stelle setze, würde jede
+nähere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen
+Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit wäre, als eine
+Wohltat ansehen.
+
+Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon?
+Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiß, daß
+er mich liebt--
+
+Marwood. Und andre--
+
+Sara. Geliebt hat. Auch das weiß ich. Hat er mich lieben sollen,
+ehe er von mir etwas wußte? Kann ich die einzige zu sein verlangen,
+die für ihn Reize genug gehabt hat? Muß ich mir es nicht selbst
+gestehen, daß ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht
+liebenswürdig genug, daß er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken
+müssen? Und ist es nicht natürlich, wenn mancher dieses Bestreben
+gelungen ist?
+
+Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden
+Gründen, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein
+Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet
+worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen.
+
+Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die
+Gegenstände der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten
+verdienen.
+
+Marwood. Miß Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu
+sein.
+
+Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege,
+welche es selbst gestehen, daß sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die
+strengste nicht. Sie muß es auch nicht sein. Denn hier kömmt es
+nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei
+der Liebe setzt, sondern bloß darauf, die menschliche Schwachheit zu
+entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und
+die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu
+beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie
+endlich verläßt; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der
+Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine
+Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben
+müßte.
+
+Marwood. Aber, Miß, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so
+getrost eine Lasterhafte nennen?
+
+Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont.
+
+Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, daß
+Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr
+ungültiger Zeuge sein könne?
+
+Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, daß Sie mich auf die Probe stellen
+wollen. Mellefont wird lächeln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden,
+wie ernsthaft ich mich seiner angenommen.
+
+Marwood. Verzeihen Sie, Miß; von dieser Unterredung muß Mellefont
+nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als daß Sie, zum Danke für
+eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten,
+die sich nur deswegen wider ihn erklärt, weil sie sein unwürdiges
+Verfahren gegen mehr als eine der liebenswürdigsten Personen unsers
+Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten hätte.
+
+Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wünschte, daß es
+andre ebensowenig wollten.
+
+Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten
+erzählen?
+
+Sara. Ich weiß nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, daß Sie
+davon aufhören sobald Mellefont zurückkömmt. Er möchte denken, ich
+hätte mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht
+gern, daß er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen könnte.
+
+Marwood. Ich würde Miß Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben,
+wenn sie mir nicht zuvorgekommen wäre. Er muß es auch nicht argwöhnen
+können, daß Marwood unser Gespräch gewesen ist; und Sie werden so
+behutsam sein, Ihre Maßregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.--
+Hören Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war
+eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen
+kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schönheit noch an
+derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schönheit tot sein würde.
+Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermögen.
+Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtümer
+gewesen sein--, hatte sie für die Befreiung eines Mannes aufgeopfert,
+dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu dürfen glaubte, nachdem sie
+ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen.
+
+Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, daß er in
+einem bessern Gemälde prangte!
+
+Marwood. Des Mangels an Vermögen ungeachtet ward sie von Personen
+gesucht, die nichts eifriger wünschten, als sie glücklich zu machen.
+Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein
+Antrag war ernstlich, und der Überfluß, in welchen er die Marwood zu
+setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stützte. Er hatte
+es bei der ersten Unterredung weg, daß er mit keiner Eigennützigen zu
+tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zärtlichsten
+Gefühls, welches eine Hütte einem Palaste würde vorgezogen haben, wenn
+sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer
+gleichgültigen Person hätte leben sollen.
+
+Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht gönne. Schmeicheln
+Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich möchte sie am Ende bedauern
+müssen.
+
+Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste
+Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters
+bekam, welcher ihm sein ganzes Vermögen mit der Bedingung hinterließ,
+eine weitläuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen
+reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an
+Großmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft
+eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie würde
+verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miß, das war groß gedacht?
+
+Sara. O Lady, wer weiß es besser als ich, daß Mellefont das edelste
+Herz besitzt?
+
+Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch
+spät an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen
+hätte. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war
+fort.
+
+Sara. Wohin? Warum?
+
+Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm
+entdeckte, daß er sich keine Rechnung machen dürfe, sie jemals
+wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, daß sie ihn liebe; aber eben
+deswegen könne sie sich nicht überwinden, die Ursache einer Tat zu
+sein, die er notwendig einmal bereuen müsse. Sie erlasse ihn seines
+Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die
+Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den
+Besitz eines Vermögens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas
+Wichtigerm brauchen könne, als einem Frauenzimmer eine unüberlegte
+Schmeichelei damit zu machen.
+
+Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche
+Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl fähig sein, aber nicht
+Marwood. Gewiß Marwood nicht.
+
+Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miß, daß Sie wider sie
+eingenommen sind.--Mellefont wollte über den Entschluß der Marwood von
+Sinnen kommen. Er schickte überall Leute aus, sie wieder aufzusuchen;
+und endlich fand er sie.
+
+Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel.
+
+Marwood. Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer
+von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich;
+und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht
+annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, daß
+sie nach London zurückzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre
+Vermählung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen
+Verzögerns überdrüssig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei.
+Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der täglichen Besuche des
+Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle
+Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der
+Freundschaft zurückgewiesen hat. Aber wie unmöglich ist es, daß ein
+hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht überschreiten sollte!
+Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefährlich machen
+kann. Niemand kann hiervon überzeugter sein als Miß Sampson selbst.
+
+Sara. Ach!
+
+Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat über ihre Schwachheit mehr
+als einmal geseufzet und seufzet noch.
+
+Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr
+als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten.
+
+Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloß die
+unglückliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie
+am richtigsten von ihr urteilen könnten.--Kurz, die Liebe gab dem
+Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es länger
+nicht für nötig, sie durch die Gesetze gültig machen zu lassen. Wie
+glücklich wäre Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein
+von ihrer Schande wüßten! Wie glücklich, wenn nicht eine jammernde
+Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst
+verbergen zu können wünschte!
+
+Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter--
+
+Marwood. Ja, Miß, eine unglückliche Tochter verlieret durch die
+Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals
+ohne Abscheu nennen zu können.
+
+Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont
+verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady?
+
+Marwood. Sie dürfen sicher glauben, Miß, daß Ihnen Mellefont
+vielleicht noch mehr verschwiegen hat.
+
+Sara. Noch mehr? Was könnte er mir noch mehr verschwiegen haben?
+
+Marwood. Dieses, daß er die Marwood noch liebt.
+
+Sara. Sie töten mich, Lady!
+
+Marwood. Es ist unglaublich, daß sich eine Liebe, welche länger als
+zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren könne. Sie kann zwar
+eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine
+kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder
+hervorbricht. Ich könnte Ihnen eine Miß Oklaff, eine Miß Dorkas, eine
+Miß Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood
+einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende
+auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt,
+über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf
+in das Gesicht bekömmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miß, Sie wären
+die einzige Glückliche, bei welcher sich alle Umstände wider ihn
+erklärten; gesetzt, Sie brächten ihn dahin, daß er seinen nunmehr zur
+Natur gewordenen Abscheu gegen ein förmliches Joch überwinden müßte:
+glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein?
+
+Sara. Ich Unglückliche! Was muß ich hören!
+
+Marwood. Nichts weniger. Alsdann würde er eben am allerersten in die
+Arme derjenigen zurückeilen, die auf seine Freiheit so eifersüchtig
+nicht gewesen. Sie würden seine Gemahlin heißen, und jene würde es
+sein.
+
+Sara. Martern Sie mich nicht länger mit so schrecklichen
+Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie
+mir, was ich tun soll. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen es wissen,
+durch was es etwa noch möglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen,
+ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft
+bleibet.
+
+Marwood. Daß man einen Vogel fangen kann, Miß, das weiß ich wohl.
+Aber daß man ihm seinen Käfig angenehmer als das freie Feld machen
+könne, das weiß ich nicht. Mein Rat wäre also, ihn lieber nicht zu
+fangen und sich den Verdruß über die vergebne Mühe zu ersparen.
+Begnügen Sie sich, Miß, an dem Vergnügen, ihn sehr nahe an Ihrer
+Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen können, daß er die
+Schlinge ganz gewiß zerreißen werde, wenn Sie ihn vollends
+hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht
+herein.
+
+Sara. Ich weiß nicht, ob ich dieses tändelnde Gleichnis recht
+verstehe, Lady--
+
+Marwood. Wenn Sie verdrießlich darüber geworden sind, so haben Sie es
+verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der
+Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit können
+und sollen Miß Sampson bewegen, ihre Ansprüche auf einen Mann
+aufzugeben, auf den Marwood die ersten und stärksten hat. Noch stehen
+Sie, Miß, mit ihm so, daß Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre,
+aber doch ohne öffentliche Schande von ihm ablassen können. Eine
+kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch
+ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles
+vergessen, und es finden sich für eine reiche Erbin noch immer
+Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen
+Umständen wäre und sie brauchte weder für ihre im Abzuge begriffene
+Reize einen Gemahl noch für ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiß
+ich gewiß, Marwood würde gegen Miß Sampson großmütiger handeln, als
+Miß Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten
+macht.
+
+Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die
+Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwürdig verrät man Sie,
+Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir
+allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer
+Zunge zu fürchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn
+Lady haben lange genug unanständig geredet. Wodurch hat Marwood sich
+eine solche Vorsprecherin erwerben können, die alle ihre
+Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr
+aufzudrängen, und alle Ränke anwendet, mich gegen die Redlichkeit
+eines Mannes argwöhnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein
+Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, daß sich Marwood
+einer Tochter von ihm rühme; ward mir nur deswegen diese und jene
+betrogene Miß genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste
+Art zu verstehen geben könne, ich würde wohl tun, wenn ich mich selbst
+einer verhärteten Buhlerin nachsetzte?
+
+Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine
+verhärtete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren
+Kraft Sie nicht überleget haben.
+
+Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung
+der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste
+Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es
+kann leicht in der Welt nicht wohl möglich sein, nur lauter
+tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer
+Freundschaft wegen so tief herabgestoßen zu werden? Wenn ich der
+Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiß nicht
+getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt.
+Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn
+Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit
+auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und
+demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es
+wüßten, was für Reue, was für Gewissensbisse, was für Angst mich mein
+Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich länger so
+grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der
+Himmel selbst hört auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die
+Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke,
+Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie
+glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende
+Bewegung--Ach! wo ich Sie erzürnt habe, Lady, so bitte ich um
+Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin; was Sie gesagt haben,
+war ohne Zweifel so böse nicht gemeint. Vergessen Sie meine
+Übereilung. Wodurch kann ich Sie besänftigen? Wodurch kann auch ich
+mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen
+gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fußfällig darum
+bitten--(indem sie niederfällt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo
+ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich
+und Marwood nicht in einen Rang zu setzen.
+
+Marwood (die einige Schritte stolz zurücktritt und die Sara liegen
+läßt). Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu
+reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte--Erkennen
+Sie, Miß, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden
+die Marwood selbst fußfällig bitten.
+
+Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht).
+Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die
+mördrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab.
+Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont;
+retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters,
+erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?--
+Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit tötender Faust
+auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.)
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+
+Marwood. Was will die Schwärmerin?--O daß sie wahr red'te und ich mit
+tötender Faust auf sie eindränge! Bis hieher hätte ich den Stahl
+sparen sollen, ich Törichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in
+der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Füßen durchbohren zu können!--
+Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein.
+Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten,
+aber nicht müßig. Vielleicht, daß ihn die glückliche List meines
+Bedienten noch lange genug aufhält!--Ich sehe, ich werde gefürchtet.
+Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das
+letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige
+Waffen: doch die Verzweiflung verschmäht keine, so armselig sie sind.
+Ein schreckhaftes Mädchen, das betäubt und mit zerrütteten Sinnen
+schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fürchterliche Worte für
+fürchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr
+wieder Mut machen und sie über meine Drohungen spotten lehren. Er
+wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es wäre wenig in der Welt
+unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen hätte.
+Und bin ich auf den unglücklichsten nicht schon vorbereitet?--Der
+Dolch war für andre, das Gift ist für mich!--Das Gift für mich! Schon
+längst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe,
+auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die
+geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; für uns ein ebenso
+gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt wäre,
+in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen--
+Was halte ich mich mit Wünschen auf?--Fort! Ich muß weder mich noch
+sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der
+sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.)
+
+(Ende des vierten Aufzuges.)
+
+
+
+
+
+Fünfter Aufzug
+
+
+
+Erster Auftritt
+
+Das Zimmer der Sara.
+
+
+Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty.
+
+Betty. Fühlen Sie nicht, Miß, daß Ihnen ein wenig besser wird?
+
+Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du
+hast doch nach ihm ausgeschickt?
+
+Betty. Norton und der Wirt suchen ihn.
+
+Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will
+durchaus nicht, daß er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll.
+Wie er es selbst erzählte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig.
+Nicht wahr, Betty, du hältst ihn auch für unschuldig--Sie kömmt ihm
+nach; was kann er dafür? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden.
+Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst
+als ich?--Und endlich will die böse Marwood mich sehen oder nicht eher
+nach London zurückkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen?
+Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen.
+Mellefont weiß wohl, daß wir neugierige Geschöpfe sind. Und wenn ich
+nicht selbst darauf gedrungen hätte, daß sie bis zu seiner Zurückkunft
+bei mir verziehen sollte, so würde er sie wieder mit weggenommen haben.
+Ich würde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu
+wissen, daß ich sie gesehen hätte. Und vielleicht würde mir dieser
+kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist
+mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die
+kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weißt wohl, Betty, ich
+bin dazu geneigt.
+
+Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miß noch nie gesehen.
+
+Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Mädchen
+freilich zu schaffen gemacht haben.
+
+Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich
+befanden, gerühret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, daß sie sich
+nur fortbegeben möchte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher
+verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich
+Ihnen die Arzenei einflößen konnte.
+
+Sara. Ich muß es wohl gar für ein Glück halten, daß ich in Ohnmacht
+gefallen bin. Denn wer weiß, was ich noch von ihr hätte hören müssen.
+Umsonst mochte sie mir gewiß nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du
+glaubst nicht, wie außer mir ich war. Auf einmal fiel mir der
+schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine
+Unsinnige, die nicht weiß, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont
+kömmt noch nicht.--Ach!
+
+Betty. Was für ein Ach, Miß? Was für Zuckungen?--
+
+Sara. Gott! was für eine Empfindung war dieses--
+
+Betty. Was stößt Ihnen wieder zu?
+
+Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige
+Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei.
+
+
+
+Zweiter Auftritt
+
+Norton. Sara. Betty.
+
+
+Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein.
+
+Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden?
+
+Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo
+ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der größten Wichtigkeit mit
+ihm sprechen müsse. Nach langem Herumführen hat sich der Betrüger ihm
+von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglück, wo er sich ertappen
+läßt; so wütend ist Mellefont.
+
+Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen?
+
+Norton. Alles.
+
+Sara. Aber mit einer Art--
+
+Norton. Ich habe auf die Art nicht denken können. Genug, er weiß es,
+was für Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat.
+
+Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.--
+
+Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur,
+mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget.
+
+
+
+Dritter Auftritt
+
+Mellefont. Norton. Sara. Betty.
+
+
+Mellefont. Ach, Miß, wenn auch diese Ihre Liebe nicht wäre--
+
+Sara. So wäre ich von uns beiden gewiß die Unglücklichste. Ist Ihnen
+in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdrießlichers zugestoßen als mir, so
+bin ich vergnügt.
+
+Mellefont. So gütig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient.
+
+Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, daß ich Sie nicht
+zärtlicher empfangen kann. Bloß Ihrer Zufriedenheit wegen wünschte
+ich, mich weniger krank zu fühlen.
+
+Mellefont. Ha, Marwood, diese Verräterei war noch übrig! Der
+Nichtswürdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer
+Straße in die andre, aus einem Winkel in den andern führte, war gewiß
+nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miß,
+diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe
+List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon
+entfernt, sie dafür zu halten. Umsonst muß sie so treulos nicht
+gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; laß sie nicht
+aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme.
+
+Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte für Marwood.
+
+Mellefont. Geh!
+
+(Norton geht ab.)
+
+
+
+Vierter Auftritt
+
+Sara. Mellefont. Betty.
+
+
+Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten
+fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood
+vieles nicht wissen--
+
+Mellefont. Vieles? Was ist das Viele?
+
+Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont.--Sie werden
+stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht
+wollen, daß ich es wissen soll.
+
+Mellefont. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile
+glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer
+aufgebrachten Verleumderin.
+
+Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das
+erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares
+Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen
+haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte--
+
+Mellefont. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer
+blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also
+mußte mißlingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung
+von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es
+fürchten--Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was
+Sie von ihr wollen erfahren haben.
+
+Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe
+gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen
+haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste
+gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben
+gehen lassen.
+
+Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf
+ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen
+müssen!--Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige
+nicht entdecken--
+
+Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein näherer Schritt
+dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiß.
+Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses
+Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein würde als die
+Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muß mir eine plötzliche
+Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen
+müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es
+Ihnen sagen sollte.--Marwood erwähnte eines Pfandes, und der
+schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen,
+einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege
+machen muß, als Sie gegen mich empfinden--
+
+Mellefont. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande
+bekannt?--Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie
+schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde
+hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche,
+der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter.
+
+Sara. Sie lieben sie also doch?--
+
+Mellefont. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte.
+
+Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe
+willen! Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die
+Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet
+hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen,
+sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß
+eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des
+Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen.
+Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu
+werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen Sie mich an
+die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine
+Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen
+Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn
+Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe,
+meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden!
+Glückliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch
+vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß
+in meiner Begierde noch Glück!--Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte
+Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle
+Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die
+Hand vors Gesicht hält.)
+
+Mellefont. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken!--
+Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, großmütige
+Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand
+(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den
+grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand
+neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre
+Schmerzen nicht mitfühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur
+mitfühlen kann!--Daß ich sie nicht allein fühlen soll!--So eile doch,
+Betty--
+
+Betty. Wohin soll ich eilen?--
+
+Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe!
+
+Sara. Bleib nur!--Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder
+erschrecken, Mellefont.
+
+Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht bloße Folgen
+einer Ohnmacht.--
+
+
+
+Fünfter Auftritt
+
+Norton. Mellefont. Sara. Betty.
+
+
+Mellefont. Du kömmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier
+nötiger sein.
+
+Norton. Marwood ist fort--
+
+Mellefont. Und meine Flüche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?--
+Unglück und Tod und, wo möglich, die ganze Hölle möge sich auf ihrem
+Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und
+unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer größtes zu
+verschlingen!--
+
+Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurückgekommen, hat sie sich mit
+Arabellen und ihrem Mädchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit
+verhängtem Zügel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von
+ihr an Sie zurückgeblieben.
+
+Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn
+lesen, Miß?
+
+Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont.
+
+Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood
+gerächet und Sie, teuerste Miß, außer Gefahr weiß?
+
+Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hören. Die Rache ist nicht
+unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu
+gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper
+weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer
+werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatürlich scheint
+mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur für
+sich.
+
+Mellefont. Was ist es für ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu
+sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muß ich ihn
+lesen.
+
+Sara (indem Mellefont für sich lieset). Wie schlau weiß sich der
+Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich
+unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne,
+was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich
+besorge einen neuen Schreck und werde es nötig haben.--Siehst du, was
+der unglückliche Zettel für einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!--
+Sie geraten außer sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty!
+Reiche ihm das Salz!--Er hat es nötiger als ich.
+
+Mellefont (der die Betty damit zurückstößt). Nicht näher,
+Unglückliche!--Deine Arzeneien sind Gift!--
+
+Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie!
+
+Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch.
+
+Mellefont. Wünsche dir, Elende, daß du es nicht wärest!--Eile!
+fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer
+meiner Wut wirst!
+
+Sara. Was für Reden!--Mellefont, liebster Mellefont--
+
+Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem göttlichen
+Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Füßen, Sara--(Indem er sich
+niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Füßen? (und wieder
+aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen
+entdecken, Miß, daß Sie mich hassen werden, daß Sie mich hassen müssen.
+--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie
+werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, müßig und
+angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Ärzte zusammen! Suche Hilfe,
+Betty! Laß die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein!
+bleibt hier! Ich gehe selbst.--
+
+Sara. Wohin, Mellefont? Nach was für Hilfe! Von welchem Irrtume
+reden Sie?
+
+Mellefont. Göttliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind
+verloren, liebste Miß! Auch ich bin verloren!--Daß die Welt mit uns
+verloren wäre!--
+
+
+
+Sechster Auftritt
+
+Sara, Norton. Betty.
+
+
+Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest
+du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Äußerste,
+daß ich sterben müsse: bin ich darum verloren? Und was will er denn
+mit dir, arme Betty?--Du ringst die Hände? Betrübe dich nicht; du
+hast ihn gewiß nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Hätte
+er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja
+wohl denken, daß er das letzte Gift der Marwood enthalten müsse.--
+
+Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich
+glaube es nicht.--
+
+Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres
+Vaters, Miß--
+
+Sara. Laß ihn hereinkommen, Norton!
+
+
+
+Siebenter Auftritt
+
+Waitwell. Sara. Betty. Norton.
+
+
+Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell.
+Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestürzt? Man
+hat es dir gewiß gesagt, daß ich krank bin.
+
+Waitwell. Und noch mehr!
+
+Sara. Gefährlich krank?--Ich schließe es mehr aus der ungestümen
+Angst des Mellefont, als daß ich es fühle.--Wenn du mit dem
+unvollendeten Briefe der unglücklichen Sara an den unglücklichern
+Vater abreisen müßtest, Waitwell?--Laß uns das Beste hoffen! Willst
+du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute
+Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo möchte ich es nicht imstande
+sein. Diese Hand hängt wie tot an der betäubten Seite.--Wenn der
+ganze Körper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein
+alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht
+weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde,
+Annäherungen des Todes sind--so sind die Annäherungen des Todes so
+bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle
+unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich
+konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muß er nicht sein--Aber,
+Betty, warum hörst du noch nicht auf, dich so untröstlich zu bezeigen?
+
+
+Betty. Erlauben Sie mir, Miß, erlauben Sie mir, daß ich mich aus
+Ihren Augen entfernen darf.
+
+Sara. Geh nur; ich weiß wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um
+Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton,
+wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn
+umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart.
+
+Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Händen
+der Marwood!--
+
+
+
+Achter Auftritt
+
+Waitwell. Sara.
+
+
+Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben
+willst, so laß mich kein so wehmütiges Gesicht sehen. Du verstummst?--
+Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater.
+Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Tröstliches
+sagtest. Wiederhole mir, daß mein Vater versöhnt ist und mir vergeben
+hat. Wiederhole es mir, und füge hinzu, daß der ewige himmlische
+Vater nicht grausamer sein könne.--Nicht wahr, ich kann hierauf
+sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstände gekommen wäre,
+wie würde es mit mir ausgesehen haben! Ich würde verzweifelt sein,
+Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der
+wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muß--Was für ein Gedanke!
+Sag ihm, daß ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue,
+Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! daß ich es ihm
+nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist!
+Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wünschte ich, den
+schmachtenden Rest zu seinen Füßen aufgeben zu können!
+
+Waitwell. Wünschen Sie wirklich, Miß, ihn zu sehen?
+
+Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an
+meinem letzten Verlangen zu zweifeln.
+
+Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche?
+Eine plötzliche Freude ist so gefährlich als ein plötzlicher Schreck.
+Ich fürchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein
+unvermuteter Anblick auf einen so zärtlichen Geist machen möchte.
+
+Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?--
+
+Waitwell. Der gewünschte, Miß!--Fassen Sie sich!
+
+
+
+Neunter Auftritt
+
+Sir William Sampson. Sara, Waitwell.
+
+
+Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muß sie
+sehen.
+
+Sara. Wessen Stimme--
+
+Sir William. Ach, meine Tochter!
+
+Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, daß ich
+mich zu seinen Füßen werfen kann. (Sie will aufstehen und fällt aus
+Schwachheit in den Lehnstuhl zurück.) Er ist es doch? Oder ist es
+eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel,
+der den Starken zu stärken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein
+Bote des Höchsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater!
+
+
+Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem
+sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal,
+bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie
+umfassen sehen.
+
+Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr
+sein! Zu glücklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen
+die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke,
+lange Tage, ein nochmaliges Leben würde erfodert, alles zu sagen, was
+eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten,
+einem großmütigen, einem zärtlichen Vater sagen kann. Mein Fehler,
+Ihre Vergebung--
+
+Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir
+aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben
+erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, daß ich damit gezaudert
+habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in
+die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon
+vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten?
+Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich
+sogleich deinen Umarmungen zugeeilet wäre. Ein heimlicher Unwille
+mußte in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens
+zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiß
+sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater
+so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben?
+Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude
+an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese
+Freude?--Aber wer sagt es denn, daß ich sie verlieren soll? Du wirst
+leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen
+Gedanken. Mellefont macht die Gefahr größer, als sie ist. Er brachte
+das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Ärzte aufzusuchen, die er
+in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe
+seine stürmische Angst, seine hoffnungslose Betrübnis, ohne von ihm
+gesehen zu werden. Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet;
+nun gönne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in
+seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan hätte, tue ich
+nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, daß es
+Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat?
+So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen können und mehr
+nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpäßlichkeit,
+da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich
+sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwächer, ich seh es und
+bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich
+laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermögen? mein Leben? Sage
+doch!
+
+Sara. Bester Vater, alle Hilfe würde vergebens sein. Auch die
+unschätzbarste würde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben für mich
+erkaufen wollten.
+
+
+
+Zehnter Auftritt
+
+Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell.
+
+
+Mellefont. Ich wag' es, den Fuß wieder in dieses Zimmer zu setzen?
+Lebt sie noch?
+
+Sara. Treten Sie näher, Mellefont.
+
+Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miß; ich
+komme ohne Trost, ohne Hilfe zurück. Die Verzweiflung allein bringt
+mich zurück--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Unglücklicher Vater! Sie
+sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht
+eher? Sie kommen zu spät, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!--
+sich gerächet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spät gekommen sein.
+
+Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke
+nicht, daß wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen
+es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie
+sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben.
+
+Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre
+Forderung.--Ich habe Ihnen, Miß, schon zu viel Unglück zugezogen, als
+daß ich mich bedenken dürfte, Ihnen auch das letzte anzukündigen: Sie
+müssen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben?
+
+Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, daß ich
+es argwöhnen kann.
+
+Mellefont. Sie müssen es wissen; denn wer könnte mir dafür stehen,
+daß Sie nicht falsch argwöhnten? Dies schreibst Marwood. (Er lieset.)
+"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue
+in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr
+entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab
+sich alle Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr,
+daß sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den glücklichen
+Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich
+gerührt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es
+ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu
+einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen
+Mörderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu rühmen wagen. Ich bin
+auf dem Wege nach Dover: Sie können mich verfolgen und meine eigne
+Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so
+will ich Arabellen unverletzt zurücklassen. Bis dahin aber werde ich
+sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miß.
+Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie müssen die Mörderin zur
+Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie
+erstarrt er dasteht!
+
+Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit
+meinen Augen überzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen
+Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch haben? (Zerreißt es.)
+
+Mellefont. Was machen Sie, Miß!
+
+Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie
+noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es
+der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher
+finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget?--Noch liebe ich Sie,
+Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde
+ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater,
+daß Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch
+eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafür
+erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die
+Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir
+nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen?
+Ich vermache diese väterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie
+dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie
+gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein
+Vater!--Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wage?
+--Tröste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem
+trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter
+verlierest?--
+
+Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes
+Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon
+halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen
+Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen? Laß mir einen
+Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt.
+Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines
+frommen Sterbenden erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte
+meines Lebens sei.
+
+Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele
+lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen
+vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen
+Schranken--Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie fallen als
+feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder
+schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr,
+Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke
+ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches Händeringen. Das arme
+Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch
+ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit
+entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater--
+
+Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen.
+(Indem er zu ihren Füßen fällt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie
+zu berühren. Die gemeine Sage schreckt mich, daß der Körper eines
+Erschlagenen durch die Berührung seines Mörders zu bluten anfange.
+Und wer ist ihr Mörder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht
+auf.)--Nun ist sie tot, Sir; nun hört sie uns nicht mehr: nun
+verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente
+Verwünschungen aus! Es müsse keine mein Haupt verfehlen, und die
+gräßlichste derselben müsse gedoppelt erfüllt werden!--Was schweigen
+Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiß tot! Nun bin ich wieder nichts
+als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zärtlichen
+Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' hätten.--Was ist das? Ich
+will nicht, daß Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen!
+Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verführer! Denken Sie nach, Sir!--
+Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese blühende Schönheit, über
+die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub!
+Meinetwegen vergaß sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riß sie
+sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen mußte sie
+sterben!--Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen
+Sie mich es hören, daß Sie Vater sind.
+
+Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als daß
+ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte.--Laß dich
+umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte!
+
+Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die
+menschliche Natur vermag! Sie können mein Vater nicht sein.--Sehen
+Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der
+Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Unglücke mußte
+ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht
+gefallen wäre, so lebte Sara noch. Sie hätten Ihre Tochter noch und
+hätten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene
+ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen--das
+steht bei mir! (Er ersticht sich und fällt an dem Stuhle der Sara
+nieder.)
+
+Sir William. Halt ihn, Waitwell!--Was für ein neuer Streich auf mein
+gebeugtes Haupt!--Oh! wenn das dritte hier erkältende Herz das meine
+wäre!
+
+Mellefont (sterbend). Ich fühl es--daß ich nicht fehlgestoßen habe!--
+Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die
+Hand drücken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.)--Sie
+haben von einer Arabella gehört, für die die sterbende Sara Sie bat.
+Ich würde auch für sie bitten--aber sie ist der Marwood Kind sowohl
+als meines--Was für fremde Empfindungen ergreifen mich!--Gnade! o
+Schöpfer, Gnade!
+
+Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kräftig sind, Waitwell, so laßt
+uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr
+unglücklich als lasterhaft.--
+
+
+
+Eilfter Auftritt
+
+Norton. Die Vorigen.
+
+
+Norton. Ärzte, Sir.--
+
+Sir William. Wenn sie Wunder tun können, so laß sie hereinkommen!--
+Laß mich nicht länger, Waitwell, bei diesem tötenden Anblicke
+verweilen. Ein Grab soll beide umschließen. Komm, schleunige Anstalt
+zu machen, und dann laß uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie
+sei: sie ist ein Vermächtnis meiner Tochter.
+
+(Sie gehen ab, und das Theater fällt zu.)
+
+(Ende des Trauerspiels.)
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Miß Sara Sampson, von Gotthold
+Ephraim Lessing.
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON ***
+
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+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
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+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03
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+Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
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+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
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+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
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+how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
+
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+1739 University Ave.
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