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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/9157-8.txt b/9157-8.txt new file mode 100644 index 0000000..423a2f3 --- /dev/null +++ b/9157-8.txt @@ -0,0 +1,4224 @@ +The Project Gutenberg EBook of Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing + +This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most +other parts of the world at no cost and with almost no restrictions +whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of +the Project Gutenberg License included with this eBook or online at +www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have +to check the laws of the country where you are located before using this ebook. + +Title: Miss Sara Sampson + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Posting Date: October 12, 2014 [EBook #9157] +Release Date: October, 2005 +First Posted: September 9, 2003 +Last Updated: October 30, 2016 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-8859-1 + +*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON *** + + + + +Produced by Delphine Lettau, from files obtained from +Gutenberg Projekt-DE. + + + + + + + + + + +Miß Sara Sampson + +Gotthold Ephraim Lessing + +Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen + + + +Personen: + +Sir William Sampson +Miß Sara, dessen Tochter +Mellefont +Marwood, Mellefonts alte Geliebte +Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter +Waitwell, ein alter Diener des Sampson +Norton, Bedienter des Mellefont +Betty, Mädchen der Sara +Hannah, Mädchen der Marwood +Der Gastwirt und einige Nebenpersonen + + + + + +Erster Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe. + + +Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein. + +Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause? + +Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im +ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen +immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen, +wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das +Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.--Ach, Sie +weinen schon wieder, schon wieder, Sir!--Sir! + +Sir William. Laß mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient +sie etwa meine Tränen nicht? + +Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären. + +Sir William. Nun so laß mich. + +Waitwell. Das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der +Sonne gelebt hat, das muß so verführt werden! Ach Sarchen! Sarchen! +Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind +auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Lächeln, +dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die +Morgenröte eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer-- + +Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwärtige mein Herz +schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an +vergangne Glückseligkeiten noch höllischer machen? Ändre deine +Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir +aus meiner Zärtlichkeit ein Verbrechen; vergrößre das Vergehen meiner +Tochter; erfülle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie; +entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verführer; +sage, daß Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehört +hat, es zu sein; sage, daß sie mich nie geliebt, weil sie mich +heimlich verlassen hat. + +Waitwell. Sagte ich das, so würde ich eine Lüge sagen, eine +unverschämte, böse Lüge. Sie könnte mir auf dem Todbette wieder +einfallen, und ich alter Bösewicht müßte in Verzweiflung sterben.-- +Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiß! gewiß! sie liebt +ihn noch. Wenn Sie nur davon überzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich +sie heute noch wieder in Ihren Armen. + +Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich überzeugt zu sein. +Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters, +und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft, +wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler +vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre +Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als +erzwungene Tugenden--Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn +diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche +Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben. Ich würde doch +lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein +wollen. + +Waitwell. Trocknen Sie Ihre Tränen ab, lieber Sir! Ich höre jemanden +kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen. + + + +Zweiter Auftritt + +Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell. + + +Der Wirt. So früh, meine Herren, so früh? Willkommen! willkommen, +Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr, +von dem du gestern mit mir gesprochen hast? + +Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, daß du abgeredetermaßen-- + +Der Wirt. Gnädiger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt +mir daran, ob ich es weiß oder nicht, was Sie für eine Ursache hierher +führt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt +sein Geld und läßt seine Gäste machen, was ihnen gutdünkt. Waitwell +hat mir zwar gesagt, daß Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen +Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhält, ein wenig +beobachten wollen. Aber ich hoffe, daß Sie ihm keinen Verdruß +verursachen werden. Sie würden mein Haus in einen übeln Ruf bringen, +und gewisse Leute würden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner +muß von allen Sorten Menschen leben.-- + +Sir William. Besorget nichts; führt mich nur in das Zimmer, das +Waitwell für mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen +Absichten hierher. + +Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnädiger Herr! Die +Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich hätte es, zum Exempel, +längst erfahren können, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben +wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, daß +er mit dem Frauenzimmer muß durchgegangen sein. Das gute Weibchen, +oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube +eingeschlossen und weint. + +Sir William. Und weint? + +Der Wirt. Ja, und weint--Aber, gnädiger Herr, warum weinen Sie? Das +Frauenzimmer muß Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht-- + +Waitwell. Halt ihn nicht länger auf. + +Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer +trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht-- + +Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer-- + +Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen. + +Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehörigen Ort, ehe noch +das ganze Haus wach wird. + +Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnädiger Herr? (Geht ab.) + + + +Dritter Auftritt + +Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer. + + +Mellefont und hernach sein Bedienter. + +Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die +ich auf der Folter nicht grausamer hätte zubringen können!--Norton!-- +Ich muß nur machen, daß ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich +mit meinen Gedanken länger allein: sie möchten mich zu weit führen.-- +He, Norton! Er schläft noch. Aber bin ich nicht grausam, daß ich den +armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie glücklich ist er!--Doch ich +will nicht, daß ein Mensch um mich glücklich sei.--Norton! + +Norton (kommend). Mein Herr! + +Mellefont. Kleide mich an!--O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn +ich werde länger schlafen können, so erlaube ich dir, daß du auch +länger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen +willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir. + +Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiß besser, +wo das Mitleiden hingehört. + +Mellefont. Und wohin denn? + +Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts. + +Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen +aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiß es, wer dein Mitleiden +erschöpft.--Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren. +Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem +Herzen, aber--verfluche auch dich. + +Norton. Auch mich? + +Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht +tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht +hast. + +Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was? + +Mellefont. Dadurch, daß du dazu geschwiegen. + +Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften würde mir +ein Wort den Hals gekostet haben.--Und dazu, als ich Sie kennenlernte, +fand ich Sie nicht schon so arg, daß alle Hoffnung zur Beßrung +vergebens war? Was für ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten +Augenblicke an führen sehen! In der nichtswürdigsten Gesellschaft von +Spielern und Landstreichern--ich nenne sie, was sie waren, und kehre +mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht--in solcher +Gesellschaft brachten Sie ein Vermögen durch, das Ihnen den Weg zu den +größten Ehrenstellen hätte bahnen können. Und Ihr strafbarer Umgang +mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der bösen Marwood-- + +Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war +Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermögen; gut. +Die Strafe kömmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und +Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte +Weibsbilder; laß es sein. Ich ward öfter verführt, als ich verführte; +und die ich selbst verführte, wollten verführt sein.--Aber--ich hatte +noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch +keine Unschuld in ein unabsehliches Unglück gestürzt. Ich hatte noch +keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie +gezwungen, einem Nichtswürdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr +sein eigen war. Ich hatte--Wer kömmt schon so früh zu mir? + + + +Vierter Auftritt + +Betty. Mellefont. Norton. + + +Norton. Es ist Betty. + +Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fräulein? + +Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach +Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie +schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muß das für ein +Schlaf gewesen sein! Plötzlich fuhr sie in die Höhe, sprang auf und +fiel mir als eine Unglückliche in die Arme, die von einem Mörder +verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiß floß ihr über das +erblaßte Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat +mir bis an den Morgen nur mit stummen Tränen geantwortet. Endlich hat +sie mich einmal über das andre an Ihre Türe geschickt, zu hören, ob +Sie schon auf wären. Sie will Sie sprechen. Sie allein können sie +trösten. Tun Sie es doch, liebster gnädiger Herr, tun Sie es doch. +Das Herz muß mir springen, wenn sie sich so zu ängstigen fortfährt. + +Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, daß ich den Augenblick bei ihr sein +wolle-- + +Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen. + +Mellefont. Nun so sage ihr, daß ich sie erwarte--Ach!-- + +(Betty geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Mellefont. Norton. + + +Norton. Gott, die arme Miß! + +Mellefont. Wessen Gefühl willst du durch deine Ausrufung rege machen? +Sieh, da läuft die erste Träne, die ich seit meiner Kindheit geweinet, +die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende +Betrübte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?--Doch wo +soll sie ihn sonst suchen?--Ich muß mich fassen. (Indem er sich die +Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein +schönes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin, +durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?--Nun wird sie +kommen und wird unwiderstehliche Tränen weinen. Verwirrt, beschämt +werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Sünder werde ich vor +ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen? + +Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird. + +Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit +Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne +unser äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden +kann. + +Norton. So machen Sie denn, daß Sie es verlassen. Warum zaudern wir? +Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern? +Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft +sein. Vielleicht, daß ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt; +daß sie einen Teil desselben zurückläßt, und in einem andern Lande-- + +Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie kömmt. Wie schlägt +mir das Herz-- + + + +Sechster Auftritt + +Sara. Mellefont. Norton. + + +Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht +gehabt, liebste Miß-- + +Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre-- + +Mellefont (zum Bedienten). Verlaß uns! + +Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir +gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde. + + + +Siebenter Auftritt + +Sara. Mellefont. + + +Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miß. Sie müssen sich setzen. + +Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie +mir es vergeben, daß ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange? + +Mellefont. Teuerste Miß, Sie wollen sagen, daß Sie mir es nicht +vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne daß +ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe. + +Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen +bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte +Woche fängt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf +eben dem Fuße als den ersten Tag. + +Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe? + +Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu +sehr, zu sehr, als daß ich mir selbst diese letzte, einzige Versüßung +desselben rauben sollte. + +Mellefont. Wie kann also meine Miß über die Verschiebung einer +Zeremonie unruhig sein? + +Sara. Ach, Mellefont, warum muß ich einen andern Begriff von dieser +Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart +etwas nach. Ich stelle mir vor, daß eine nähere Einwilligung des +Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den +gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die +Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das +erstemal, für Früchte meines Mißtrauens angesehen haben. Ich stritt +mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben; +aber mein Herz und ein inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame +Gebäude von Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten +mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu +quälen, verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder +schwärmten um mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten-- + +Mellefont. Wie? Meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr +halten? Träume, liebste Miß, Träume!--Wie unglücklich ist der Mensch! +Fand sein Schöpfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen für +ihn genug? Mußte er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich +von Einbildungen in ihm schaffen? + +Sara. Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in +unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn +diese unsern Pflichten und der Tugend gemäß sind, so dienen die sie +begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres +Vergnügens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der +von einem Friedensboten im Namen der ewigen Güte auf uns gelegt wird, +kann meine zerrüttete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an, +mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun +werden? Erbarmen Sie sich meiner, und überlegen Sie, daß, wenn Sie +mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese +eingebildete Qualen doch Qualen und für die, die sie empfindet, +wirkliche Qualen sind.--Ach, könnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die +Schrecken meiner vorigen Nacht erzählen, als ich sie gefühlt habe!-- +Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank +ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur +wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tränen zu sammeln. Aber +noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem +schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir +her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ängstlichen Schritten, die +dann und wann ein Blick stärkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen. +Schnell hörte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir +stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann +ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedächtnis +ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!-- +Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost für seine Sara!-- +Hören Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme +umsehen wollte, gleitete mein Fuß; ich wankte und sollte eben in den +Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer +mir ähnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den +feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich +rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der +bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend +fühlte ich noch alles, was ein tödlicher Stich Schmerzhaftes haben +kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muß: das Ende der +Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen. + +Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer +Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiß auch das Ende des +meinigen sein würde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines +sinnlosen Traumes. + +Sara. Die Kraft, es vergessen zu können, erwarte ich von Ihnen. Es +sei Liebe oder Verführung, es sei Glück oder Unglück, das mich Ihnen +in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und +werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes +Richters, der die geringsten Übertretungen seiner Ordnung zu strafen +gedrohet hat-- + +Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein! + +Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen +Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres +Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre +verlustig gemacht hätte, würde vielleicht durch ein gesetzmäßiges Band +nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich, +Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner +Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen +nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen +verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf +mich nehmen, als ob ich es nicht wäre. Sie sollen mich, wenn Sie +nicht wollen, für Ihre Gattin nicht erklären dürfen; Sie sollen mich +erklären können, für was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht +führen; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es für +gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in +den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines +Gewissens daraus zu ziehen. + +Mellefont. Halten Sie ein, Miß, oder ich muß vor Ihren Augen des +Todes sein. Wie elend bin ich, daß ich nicht das Herz habe, Sie noch +elender zu machen!--Bedenken Sie, daß Sie sich meiner Führung +überlassen haben; bedenken Sie, daß ich schuldig bin, für uns weiter +hinauszusehen, und daß ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein muß, wenn +ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere +Klagen will führen hören. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen +zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt? + +Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein +gewisses Vermächtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Güter retten +und mich vielleicht ewige darüber verscherzen lassen. + +Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Güter so gewiß wären, +als Ihrer Tugend die ewigen sind-- + +Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang +es mir süße, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin! + +Mellefont. Wie? muß der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler +begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, daß er eine +ganze Reihe unsträflicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch +tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerfließet, +wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises +Wesen unsere Pflichten nach unsern Kräften abgemessen; so ist die Lust, +uns strafen zu können, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich +erschrecke vor allen den gräßlichen Folgerungen, in welche Sie Ihre +Kleinmut verwickeln muß! Nein, Miß, Sie sind noch die tugendhafte +Sara, die Sie vor meiner unglücklichen Bekanntschaft waren. Wenn Sie +sich selbst mit so grausamen Augen ansehen, mit was für Augen müssen +Sie mich betrachten! + +Sara. Mit den Augen der Liebe, Mellefont. + +Mellefont. So bitte ich Sie denn um dieser Liebe, um dieser +großmütigen, alle meine Unwürdigkeit übersehenden Liebe willen, zu +Ihren Füßen bitte ich Sie: beruhigen Sie sich. Haben Sie nur noch +einige Tage Geduld. + +Sara. Einige Tage! Wie ist ein Tag schon so lang! + +Mellefont. Verwünschtes Vermächtnis! Verdammter Unsinn eines +sterbenden Vetters, der mir sein Vermögen nur mit der Bedingung lassen +wollte, einer Anverwandtin die Hand zu geben, die mich ebensosehr haßt +als ich sie! Euch, unmenschliche Tyrannen unserer freien Neigungen, +Euch werde alle das Unglück, alle die Sünde zugerechnet, zu welchen +uns Euer Zwang bringet!--Und wenn ich ihrer nur entübriget sein könnte, +dieser schimpflichen Erbschaft! Solange mein väterliches Vermögen zu +meiner Unterhaltung hinreichte, habe ich sie allezeit verschmähet und +sie nicht einmal gewürdiget, mich darüber zu erklären. Aber itzt, +itzt, da ich alle Schätze der Welt nur darum besitzen möchte, um sie +zu den Füßen meiner Sara legen zu können, itzt, da ich wenigstens +darauf denken muß, sie ihrem Stande gemäß in der Welt erscheinen zu +lassen, itzt muß ich meine Zuflucht dahin nehmen. + +Sara. Mit der es Ihnen zuletzt doch wohl noch fehlschlägt. + +Mellefont. Sie vermuten immer das Schlimmste.--Nein; das Frauenzimmer, +die es mit betrifft, ist nicht ungeneigt, eine Art von Vergleich +einzugehen. Das Vermögen soll geteilt werden; und da sie es nicht +ganz mit mir genießen kann, so ist sie es zufrieden, daß ich mit der +Hälfte meine Freiheit von ihr erkaufen darf. Ich erwarte alle Stunden +die letzten Nachrichten in dieser Sache, deren Verzögerung allein +unsern hiesigen Aufenthalt so langwierig gemacht hat. Sobald ich sie +bekommen habe, wollen wir keinen Augenblick länger hier verweilen. +Wir wollen sogleich, liebste Miß, nach Frankreich übergehen, wo Sie +neue Freunde finden sollen, die sich itzt schon auf das Vergnügen, Sie +zu sehen und Sie zu lieben, freuen. Und diese neuen Freunde sollen +die Zeugen unserer Verbindung sein-- + +Sara. Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein?--Grausamer! +so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? So +soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin verlassen? Und als eine +solche, glauben Sie, würde ich Mut genug haben, mich der See zu +vertrauen? Dessen Herz muß ruhiger oder muß ruchloser sein als meines, +welcher nur einen Augenblick zwischen sich und dem Verderben mit +Gleichgültigkeit nichts als ein schwankendes Brett sehen kann. In +jeder Welle, die an unser Schiff schlüge, würde mir der Tod +entgegenrauschen; jeder Wind würde mir von den väterlichen Küsten +Verwünschungen nachbrausen, und der kleinste Sturm würde mich ein +Blutgericht über mein Haupt zu sein dünken.--Nein, Mellefont, so ein +Barbar können Sie gegen mich nicht sein. Wenn ich noch das Ende Ihres +Vergleichs erlebe, so muß es Ihnen auf einen Tag nicht ankommen, den +wir hier länger zubringen. Es muß dieses der Tag sein, an dem Sie +mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren. Es muß +dieses der heilige Tag sein--Ach! welcher wird es denn endlich sein? + +Mellefont. Aber überlegen Sie denn nicht, Miß, daß unserer Verbindung +hier diejenige Feier fehlen würde, die wir ihr zu geben schuldig sind? + + +Sara. Eine heilige Handlung wird durch das Feierliche nicht kräftiger. + + +Mellefont. Allein-- + +Sara. Ich erstaune. Sie wollen doch wohl nicht auf einem so +nichtigen Vorwande bestehen? O Mellefont, Mellefont! wenn ich mir es +nicht zum unverbrüchlichsten Gesetze gemacht hätte, niemals an der +Aufrichtigkeit Ihrer Liebe zu zweifeln, so würde mir dieser Umstand-- +Doch schon zuviel; es möchte scheinen, als hätte ich eben itzt daran +gezweifelt. + +Mellefont. Der erste Augenblick Ihres Zweifels müsse der letzte +meines Lebens sein! Ach, Sara, womit habe ich es verdient, daß Sie +mir auch nur die Möglichkeit desselben voraussehen lassen? Es ist +wahr, die Geständnisse, die ich Ihnen von meinen ehemaligen +Ausschweifungen abzulegen kein Bedenken getragen habe, können mir +keine Ehre machen: aber Vertrauen sollten sie mir doch erwecken. Eine +buhlerische Marwood führte mich in ihren Stricken, weil ich das für +sie empfand, was so oft für Liebe gehalten wird und es doch so selten +ist. Ich würde noch ihre schimpflichen Fesseln tragen, hätte sich +nicht der Himmel meiner erbarmt, der vielleicht mein Herz nicht für +ganz unwürdig erkannte, von bessern Flammen zu brennen. Sie, liebste +Sara, sehen und alle Marwoods vergessen, war eins. Aber wie teuer kam +es Ihnen zu stehen, mich aus solchen Händen zu erhalten! Ich war mit +dem Laster zu vertraut geworden, und Sie kannten es zu wenig-- + +Sara. Lassen Sie uns nicht mehr daran gedenken-- + + + +Achter Auftritt + +Norton. Mellefont. Sara. + + +Mellefont. Was willst du? + +Norton. Ich stand eben vor dem Hause, als mir ein Bedienter diesen +Brief in die Hand gab. Die Aufschrift ist an Sie, mein Herr. + +Mellefont. An mich? Wer weiß hier meinen Namen? (Indem er den Brief +betrachtet.) Himmel! + +Sara. Sie erschrecken? + +Mellefont. Aber ohne Ursache, Miß, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte +mich in der Hand. + +Sara. Möchte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es +wünschen können. + +Mellefont. Ich vermute, daß er sehr gleichgültig sein wird. + +Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist. +Erlauben Sie, daß ich mich wieder in mein Zimmer begebe. + +Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken? + +Sara. Ich mache mir keine, Mellefont. + +Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den +Augenblick bei Ihnen sein, liebste Miß. + + + +Neunter Auftritt + +Mellefont. Norton. + + +Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott! + +Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist! + +Mellefont. Kann es möglich sein? Ich sehe diese verruchte Hand +wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es +nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von +der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt +verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt, +daß wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht +nötig; vielleicht haben meine verächtlichen Abschiedsbriefe die +Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen. +Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun. + +Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den +längsten Brief geschrieben hätte, Mellefont, wenn Sie den Namen, den +Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung +würdigen wollen--" + +Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Daß ich ihn nie gehört hätte! +Daß er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt würde! + +Norton (liest weiter). "Die Mühe, Sie auszuforschen, hat mir die +Liebe, welche mir forschen half, versüßt." + +Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der +Tugend geweiht sind! + +Norton (fährt fort). "Sie hat noch mehr getan--" + +Mellefont. Ich bebe-- + +Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--" + +Mellefont. Verräter, was liest du? (Er reißt ihm den Brief aus der +Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin +hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir +mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was für ein +Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie +mit dem Leben büßen. + +Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie +liegen wieder zu ihren Füßen. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie müssen +sie nicht sprechen, oder das Unglück Ihrer armen Miß ist vollkommen. + +Mellefont. Ich Unglücklicher!--Nein, ich muß sie sprechen. Sie würde +mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese +Unschuldige auslassen. + +Norton. Aber, mein Herr-- + +Mellefont. Sage nichts!--Laß sehen, (indem er in den Brief sieht) ob +sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, führe mich. + +(Sie gehen ab.) + +(Ende des ersten Aufzugs.) + + + + + +Zweiter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern +Gasthofe. + + +Marwood im Negligé. Hannah. + +Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingehändiget, Hannah? + +Hannah. Richtig. + +Marwood. Ihm selbst? + +Hannah. Seinem Bedienten. + +Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er für Wirkung haben wird.-- +Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich bin es auch.-- +Der Verräter! Doch gemach! Zornig muß ich durchaus nicht werden. +Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn +brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne. + +Hannah. Wenn er sich aber dagegen verhärten sollte?-- + +Marwood. Wenn er sich dagegen verhärten sollte? So werde ich nicht +zürnen--ich werde rasen. Ich fühle es, Hannah; und wollte es lieber +schon itzt. + +Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen. + + +Marwood. Wo er nur gar kömmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat, +mich festes Fußes bei sich zu erwarten!--Aber weißt du, Hannah, worauf +ich noch meine meiste Hoffnung gründe, den Ungetreuen von dem neuen +Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella. + +Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall, +sie mitzunehmen, hätte nicht glücklicher sein können. + +Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub +ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riß +das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm +eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben +könne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte, +itzt nicht anders als durch List wiederbekommen können; er hatte auf +mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht +ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und +sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht +vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er +zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren +Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen +ihren Reizen, bis zum Überdrusse, gesättiget hat. + +Hannah. Welcher Undank! + +Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach +sich als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre. Warum habe +ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefälligkeiten? Hätte ich es +nicht voraussehen sollen, daß sie ihren Wert nicht immer bei ihm +behalten könnten? Daß ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses +beruhe und daß er mit derjenigen Anmut verschwinden müsse, welche die +Hand der Zeit unmerklich, aber gewiß, aus unsern Gesichtern verlöscht? + + +Hannah. O, Madam, von dieser gefährlichen Hand haben Sie noch lange +nichts zu befürchten. Ich finde, daß Ihre Schönheit den Punkt ihrer +prächtigsten Blüte so wenig überschritten hat, daß sie vielmehr erst +darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln würde, wenn Sie +ihr nur Vollmacht dazu geben wollten. + +Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit, +die mir alle Schmeichelei verdächtig macht. Es ist Unsinn, von neuen +Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kräfte genug hat, sich +im Besitze der schon gemachten zu erhalten. + + + +Zweiter Auftritt + +Ein Bedienter. Marwood. Hannah. + + +Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen. + +Marwood. Wer? + +Der Bediente. Ich vermute, daß es ebender Herr ist, an welchen der +vorige Brief überschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm, +der mir ihn abgenommen hat. + +Marwood. Mellefont!--Geschwind, führe ihn herauf! (Der Bediente geht +ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was +soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig +genug? Sieh doch! + +Hannah. Nichts weniger als ruhig. + +Marwood. Aber diese? + +Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut. + +Marwood. Etwa so? + +Hannah. Zu traurig! + +Marwood. Sollte mir dieses Lächeln lassen? + +Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er kömmt. + + + +Dritter Auftritt + +Mellefont. Marwood. Hannah. + + +Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood-- + +Marwood (die ihm mit offnen Armen lächelnd entgegenrennt). Ach +Mellefont-- + +Mellefont (beiseite). Die Mörderin, was für ein Blick! + +Marwood. Ich muß Sie umarmen, treuloser, lieber Flüchtling!--Teilen +Sie doch meine Freude!--Warum entreißen Sie sich meinen Liebkosungen? + +Mellefont. Marwood, ich vermutete, daß Sie mich anders empfangen +würden. + +Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr +Entzücken? Ach, ich Unglückliche, daß ich weniger ausdrücken kann, +als ich fühle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, daß auch die Freude +ihre Tränen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der süßesten Wollust!-- +Aber ach, verlorne Tränen! seine Hand trocknet euch nicht ab. + +Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden +bezaubert hätten. Sie müssen itzt in einem andern Tone mit mir +sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwürfe anzuhören und darauf +zu antworten. + +Marwood. Vorwürfe? Was hätte ich Ihnen für Vorwürfe zu machen, +Mellefont? Keine. + +Mellefont. So hätten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen +können. + +Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit +Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in +ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze +Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet, +verdient diese Vorwürfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darüber scherzen. + + +Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es +jemals an allen unsern Liebeshändeln gehabt hat, auf die ich itzt +nicht ohne Abscheu zurücksehen kann. + +Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Närrchen. Es läßt sich +alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfällt. Glauben +Sie mir doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste, +das getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel Mühe geben, es zu +behalten? + +Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich +Ihnen. + +Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch. + +Mellefont. Marwood, wenn ich wüßte, daß Sie auch nur noch eine Faser +davon besäßen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus +meinem Leibe reißen. + +Marwood. Sie würden sehen, daß Sie meines zugleich herausrissen. Und +dann, dann würden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der +Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben. + +Mellefont (beiseite). Was für eine Schlange! Hier wird das beste +sein zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir +nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es +nur ohne dieses Lächeln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine +ganze Hölle von Verführung schreckt. + +Marwood (vertraulich). Höre nur, mein lieber Mellefont; ich merke +wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack +sind itzt deine Tyrannen. Laß es gut sein; man muß sie austoben +lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am +sichersten eingeschläfert und endlich gar überwunden, wenn man ihnen +freies Feld läßt. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir +nachsagen, kleiner Flattergeist, daß ich jemals eifersüchtig gewesen +wäre, wenn stärkere Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang +abspenstig machten? Ich gönnte dir ja allezeit diese Veränderung, bei +der ich immer mehr gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer, +mit neuer Inbrunst in meine Arme zurück, in die ich dich nur als in +leichte Bande und nie als in schwere Fesseln schloß. Bin ich nicht +oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu +vertrauen hattest als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um +sie gegen andre zu verschwenden? Warum glaubst du denn, daß ich itzt +einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen würde, zu welchem ich +nun eben berechtiget zu sein aufhöre, oder--vielleicht schon aufgehört +habe? Wenn deine Hitze gegen das schöne Landmädchen noch nicht +verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen +sie bist; wenn du ihren Genuß noch nicht entbehren kannst: wer hindert +dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest? +Mußt du deswegen so unbesonnene Anschläge machen und mit ihr aus dem +Reiche fliehen wollen? + +Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemäß, +dessen Häßlichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem +Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust +unterscheiden gelernt. + +Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein +Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen müßt +doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die +schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns +gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend +reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das +Schlimmste aber ist, daß ihr das eine sowohl als das andre überdrüssig +werdet. Wir mögen närrisch oder vernünftig, weltlich oder geistlich +gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch beständig zu machen, +einmal wie das andre. Du wirst an deine schöne Heilige die Reihe Zeit +genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Überschlag machen? +Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geb ich +noch zwei, aufs längste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich +geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage +wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du +dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so +wirst du dich zu der äußersten Gleichgültigkeit so schnell gebracht +sehen, daß ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veränderung +rechnen darf--Das wäre nun ungefähr ein Monat. Und diesen Monat, +Mellefont, will ich dir noch mit dem größten Vergnügen nachsehen; nur +wirst du erlauben, daß ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf. + + +Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit +welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein. +Ein tugendhafter Entschluß sichert mich gegen Ihre Zärtlichkeit und +gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht länger +aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als +daß Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die +Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei +vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem +Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen +lassen. + +Marwood. Gut, daß Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von +wem hatten Sie ihn schreiben lassen? + +Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben? + +Marwood. Unmöglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich +weiß nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen +verschwendet haben, mußte ein Gastwirt, sowie den übrigen +theologischen Rest ein Quäker geschrieben haben. Demungeachtet will +ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt +anbelangt, so wissen Sie wohl, daß alle die Geschenke, welche Sie mir +gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen +nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es +wieder in diejenigen Hände zu liefern, die mir es anvertrauet hatten. + +Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood. + +Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was hätte ich ohne Ihre +Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so +müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich für +keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von +wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie +sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne +meine Bekanntschaft geblieben wären; und vielleicht auch nicht. + +Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet +itzt aus Ihnen! Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht. + +Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig. +Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, daß Sie mir diese +Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet +mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen +wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen +andern Sinn als diesen haben könnte: "Marwood, ich hielt Euch für eine +niederträchtige Betrügerin; ich bedanke Mich, daß Ihr es wenigstens +gegen mich nicht sein wollt." + +Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern +in einen Streit von Großmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am +ungernsten unterliegen möchte. + +Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr +Andenken bei mir erneuern könnte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne +Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu +machen. Ich will Ihnen in der unglücklichen Marwood nichts als eine +Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen für Sie +aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich +sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und liebte; +an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu meinen +Füßen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von +Gegenliebe, die Sie mir auspreßten; an die zärtlichen Blicke, an die +feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte Stillschweigen, +wenn wir mit beschäftigten Sinnen einer des andern geheimste Regungen +errieten und in den schmachtenden Augen die verborgensten Gedanken der +Seele lasen; an das zitternde Erwarten der nahenden Wollust; an die +Trunkenheit ihrer Freuden; an das süße Erstarren nach der Fülle des +Genusses, in welchem sich die ermatteten Geister zu neuen Entzückungen +erholten. An alles dieses will ich Sie erinnern und dann Ihre Knie +umfassen und nicht aufhören, um das einzige Geschenk zu bitten, das +Sie mir nicht versagen können und ich, ohne zu erröten, annehmen darf,-- +um den Tod von Ihren Händen. + +Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben für Sie +hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen +Sie weiter keinen Anspruch. Ich muß Sie verlassen, Marwood, oder mich +zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon strafbar, daß +ich nur hier stehe und Sie anhöre. Leben Sie wohl! leben Sie wohl! + +Marwood (die ihn zurückhält). Sie müssen mich verlassen? Und was +wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr +Geschöpf; tun Sie also, was einem Schöpfer zukömmt; er darf die Hand +von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gänzlich vernichten +will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach. +Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf +einmal mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat. + +(Hannah geht ab.) + +Mellefont. Was für einen Vorsprecher, Marwood? + +Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern +beraubet hätten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kürzern Wege +zu Ihrem Herzen bringen-- + +Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht-- + + + +Vierter Auftritt + +Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood. + + +Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich +unterstehen können-- + +Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm; sieh +hier deinen Beschützer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das Herz +mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschützer, als dein +Freund sein kann. + +Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier +ergehen? + +Arabella (indem sie ihm furchtsam näher tritt). Ach, mein Herr! Sind +Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.- +-Würde er mich nicht ansehen, wenn er es wäre? Würde er mich nicht in +seine Arme schließen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglückliches +Kind! Womit hätte ich ihn denn erzürnt, diesen Mann, diesen liebsten +Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen? + +Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie gönnen der Unschuldigen +keinen Blick? + +Mellefont. Ach!-- + +Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Können wir ihm nicht +helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm +seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er +sieht gen Himmel! Was wünscht er? Was bittet er vom Himmel? Möchte +er ihm doch alles gewähren, wenn er mir auch alles dafür versagte! + +Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Füßen. Er will uns +verlassen; er will uns auf ewig verlassen. + +Arabella (die vor ihm niederfällt). Hier liege ich schon. Sie uns +verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine +kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermißt haben? Wir sollen Sie +wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, daß Sie uns liebten. +Verläßt man denn die, die man liebt? So muß ich Sie wohl nicht lieben; +denn ich wünschte, Sie nie zu verlassen. Nie, und will Sie auch nie +verlassen. + +Marwood. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch mir-- +Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Füßen-- + +Mellefont (hält sie zurück, indem sie sich niederwerfen will). +Marwood, gefährliche Marwood--Und auch du, meine liebste Bella (hebt +sie auf), auch du bist wider deinen Mellefont? + +Arabella. Ich wider Sie? + +Marwood. Was beschließen Sie, Mellefont? + +Mellefont. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte. + +Marwood (die ihn umarmt). Ach, ich weiß es ja, daß die Redlichkeit +Ihres Herzens allezeit über den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat. + + +Mellefont. Bestürmen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie +aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verführer, ein Räuber, ein +Mörder. + +Marwood. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und +hernach werden Sie erkennen, daß ich Sie abgehalten habe, es wirklich +zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurück. + +Arabella (schmeichelnd). O ja! tun Sie dieses. + +Mellefont. Mit euch zurückkehren? Kann ich denn? + +Marwood. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen. + +Mellefont. Und meine Miß-- + +Marwood. Und Ihre Miß mag sehen, wo sie bleibt!-- + +Mellefont. Ha! barbarische Marwood, diese Rede ließ mich bis auf den +Grund Ihres Herzens sehen--Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder +in mich? + +Marwood. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen hätten, so +würden Sie entdeckt haben, daß es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miß +fühlt als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist +ein eigennütziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben überhaupt diesen +Liebeshandel viel zu weit getrieben. Daß Sie, als ein Mann, der bei +einem langen Umgange mit unserm Geschlechte in der Kunst zu verführen +ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre +Überlegenheit an Verstellung und Erfahrung zunutze machten und nicht +eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das möchte noch +hingehen; Sie können sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft +entschuldigen. Allein, daß Sie einem alten Vater sein einziges Kind +raubten; daß Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu +seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; daß Sie Ihrer Lust +wegen die stärksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das +können Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder +gut, soweit es möglich ist, ihn gutzumachen. Geben Sie dem weinenden +Alter seine Stütze wieder, und schicken Sie eine leichtgläubige +Tochter in ihr Haus zurück, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft +haben, nicht auch öde machen müssen. + +Mellefont. Das fehlte noch, daß Sie auch mein Gewissen wider mich zu +Hilfe riefen! Aber gesetzt, es wäre billig, was Sie sagen; müßte ich +nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der unglücklichen Miß +selbst vorschlagen sollte? + +Marwood. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, daß ich schon im voraus +bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. Sobald ich +Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der +Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darüber ganz +außer sich gewesen und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen. +Ich wundre mich, daß er noch nicht hier ist. + +Mellefont. Was sagen Sie? + +Marwood. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft und lassen sich gegen +die Miß nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht länger +aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie möchte Verdacht bekommen. +Doch versprech ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen. + +Mellefont. O Marwood, mit was für Gesinnungen kam ich zu Ihnen und +mit welchen muß ich Sie verlassen! Einen Kuß, meine liebe Bella-- + +Arabella. Der war für Sie; aber nun einen für mich. Kommen Sie nur +ja bald wieder; ich bitte. + +(Mellefont geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Marwood. Arabella. Hannah. + + +Marwood (nachdem sie tief Atem geholt). Sieg! Hannah! aber ein +saurer Sieg!--Gib mir einen Stuhl; ich fühle mich ganz abgemattet-- +(Sie setzt sich.) Eben war es die höchste Zeit, als er sich ergab; +noch einen Augenblick hätte er anstehen dürfen, so würde ich ihm eine +ganz andre Marwood gezeigt haben. + +Hannah. Ach, Madam, was sind Sie für eine Frau! Den möchte ich doch +sehn, der Ihnen widerstehen könnte. + +Marwood. Er hat mir schon zu lange widerstanden. Und gewiß, gewiß, +ich will es ihm nicht vergeben, daß ich ihm fast zu Fuße gefallen wäre. + + +Arabella. O nein! Sie müssen ihm alles vergeben. Er ist ja so gut, +so gut-- + +Marwood. Schweig, kleine Närrin! + +Hannah. Auf welcher Seite wußten Sie ihn nicht zu fassen! Aber +nichts, glaube ich, rührte ihn mehr als die Uneigennützigkeit, mit +welcher Sie sich erboten, alle von ihm erhaltenen Geschenke +zurückzugeben. + +Marwood. Ich glaube es auch. Ha! ha! (Verächtlich.) + +Hannah. Warum lachen Sie, Madam? Wenn es nicht Ihr Ernst war, so +wagten Sie in der Tat sehr viel. Gesetzt, er hätte Sie bei Ihrem +Worte gefaßt? + +Marwood. O geh! man muß wissen, wen man vor sich hat. + +Hannah. Nun, das gesteh ich! Aber auch Sie, meine schöne Bella, +haben Ihre Sache vortrefflich gemacht; vortrefflich! + +Arabella. Warum das? Konnte ich sie denn anders machen? Ich hatte +ihn ja so lange nicht gesehen. Sie sind doch nicht böse, Madam, daß +ich ihn so lieb habe? Ich habe Sie so lieb wie ihn; ebenso lieb. + +Marwood. Schon gut; dasmal will ich dir verzeihen, daß du mich nicht +lieber hast als ihn. + +Arabella. Dasmal? (Schluchzend.) + +Marwood. Du weinst ja wohl gar? Warum denn? + +Arabella. Ach nein! ich weine nicht. Werden Sie nur nicht +ungehalten. Ich will Sie ja gern alle beide so lieb, so lieb haben, +daß ich unmöglich weder Sie noch ihn lieber haben kann. + +Marwood. Je nun ja! + +Arabella. Ich bin recht unglücklich-- + +Marwood. Sei doch nur stille--Aber was ist das? + + + +Sechster Auftritt + +Mellefont. Marwood. Arabella. Hannah. + + +Marwood. Warum kommen Sie schon wieder, Mellefont? (Sie steht auf.) + +Mellefont (hitzig,). Weil ich mehr nicht als einige Augenblicke nötig +hatte, wieder zu mir selbst zu kommen. + +Marwood. Nun? + +Mellefont. Ich war betäubt, Marwood, aber nicht bewegt. Sie haben +alle Ihre Mühe verloren; eine andre Luft als diese ansteckende Luft +Ihres Zimmers gab mir Mut und Kräfte wieder, meinen Fuß aus dieser +gefährlichen Schlinge noch zeitig genug zu ziehen. Waren mir +Nichtswürdigem die Ränke einer Marwood noch nicht bekannt genug? + +Marwood (hastig). Was ist das wieder für eine Sprache? + +Mellefont. Die Sprache der Wahrheit und des Unwillens. + +Marwood. Nur gemach, Mellefont, oder auch ich werde diese Sprache +sprechen. + +Mellefont. Ich komme nur zurück, Sie keinen Augenblick länger in +einem Irrtume von mir stecken zu lassen, der mich, selbst in Ihren +Augen, verächtlich machen muß. + +Arabella (furchtsam). Ach! Hannah-- + +Mellefont. Sehen Sie mich nur so wütend an, als Sie wollen. Je +wütender, je besser. War es möglich, daß ich zwischen einer Marwood +und einer Sara nur einen Augenblick unentschlüssig bleiben konnte? +Und daß ich mich fast für die erstere entschlossen hätte? + +Arabella. Ach Mellefont!-- + +Mellefont. Zittern Sie nicht, Bella. Auch für Sie bin ich mit +zurückgekommen. Geben Sie mir die Hand, und folgen Sie mir nur +getrost. + +Marwood (die beide zurückhält). Wem soll sie folgen, Verräter? + +Mellefont. Ihrem Vater. + +Marwood. Geh, Elender; und lern erst ihre Mutter kennen. + +Mellefont. Ich kenne sie. Sie ist die Schande ihres Geschlechts-- + +Marwood. Führe sie weg, Hannah! + +Mellefont. Bleiben Sie, Bella. (Indem er sie zurückhalten will.) + +Marwood. Nur keine Gewalt, Mellefont, oder-- + +(Hannah und Arabella gehen ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Mellefont. Marwood. + + +Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie +fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern? + +Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, daß ich mich hier +erinnere, daß den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert +wurden. + +Marwood (spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen +aus. + +Mellefont. So sage ich ihnen, daß ich fest entschlossen bin, nie +wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer +sind Sie? und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige, +schändliche Buhlerin, die sich itzt kaum mehr muß erinnern können, +einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts +vorzuwerfen, als daß ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich +vielleicht die ganze Welt hätten genießen lassen. Sie haben mich +gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiß, wer Marwood ist, so +kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein +Vermögen, meine Ehre, mein Glück-- + +Marwood. Und so wollte ich, daß sie dir auch deine Seligkeit kosten +müßte! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen +zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk +sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann +und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht +preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die +Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage +ich? kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinst, das +weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen +Wert und kann vollkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer +ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennenlernte; genug, daß ich in +den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich +nur hat sie es erfahren, daß ich es nicht sei; durch meine +Bereitwilligkeit bloß, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine +Hand anzunehmen. + +Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige. + + +Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen +du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredt, daß du +dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer +Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuß du mit niemand als mit mir +teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für +eine andre als für mich zu entsagen? + +Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, daß +diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich +also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und +lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin genießen. + +Marwood. Ha! nun seh ich's, was dich eigentlich so trotzig macht. +Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, +daß ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was +ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein--Du wirst mich +verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken +meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine +Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea! + +Mellefont (erschrocken). Marwood-- + +Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weißt, so sieh sie +gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift +und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein +Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will +ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte +jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren +und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, +Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das Kleinste derselben auch +da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon +nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich--ich werde +wenigstens dabei empfinden, wie süß die Rache sei! + +Mellefont. Sie rasen, Marwood-- + +Marwood. Du erinnerst mich, daß ich nicht gegen den Rechten rase. +Der Vater muß voran! Er muß schon in jener Welt sein, wenn der Geist +seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht.--(Sie geht mit +einem Dolche, den sie aus dem Busen reißt, auf ihn los.) Drum stirb, +Verräter! + +Mellefont (der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreißt). +Unsinniges Weibsbild!--Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu +kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand +aufgehoben sein! + +Marwood (mit gerungenen Händen). Himmel, was habe ich getan? +Mellefont-- + +Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiß es doch +wohl, was dich reuet; nicht daß du den Stoß tun wollen, sondern daß du +ihn nicht tun können. + +Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! geben Sie +mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er +geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem +Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will. + +Mellefont. Hannah!-- + +Marwood. Was wollen Sie tun, Mellefont? + + + +Achter Auftritt + +Hannah (erschrocken). Marwood. Mellefont. + + +Mellefont. Hast du es gehört, Hannah, welche Furie deine Gebieterin +ist? Wisse, daß ich Arabellen von deinen Händen fodern werde. + +Hannah. Ach Madam, wie sind Sie außer sich! + +Mellefont. Ich will das unschuldige Kind bald in völlige Sicherheit +bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die +mördrischen Hände schon zu binden wissen. (Er will gehen.) + +Marwood. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, daß die Heftigkeit +meines Schmerzes mich des Verstandes nicht mächtig ließ? Wer bringt +mich zu so unnatürlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst? +Wo kann Bella sicherer sein als bei mir? Mein Mund tobet wider sie, +und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont! +vergessen Sie meine Raserei und denken zu ihrer Entschuldigung nur +an die Ursache derselben. + +Mellefont. Es ist nur ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu +vergessen. + +Marwood. Welches? + +Mellefont. Wenn Sie den Augenblick nach London zurückkehren. +Arabellen will ich in einer andern Begleitung wieder dahin bringen +lassen. Sie müssen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben. + +Marwood. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte +gewähren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal +sehen. + +Mellefont. Und wozu? + +Marwood. Um in ihren Blicken mein ganzes künftiges Schicksal zu lesen. +Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir +begehen, würdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal +einen Anteil an Ihrer Liebe wiederzubekommen. + +Mellefont. Nichtige Hoffnung! + +Marwood. Wer ist so grausam, daß er einer Elenden auch nicht einmal +die Hoffnung gönnen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood, +sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei +ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und +ich verspreche Ihnen bei allem, was heilig ist, ihr nicht das +geringste Anstößige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab; +denn sonst möchte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren +Gestalt vor ihr zu erscheinen. + +Mellefont. Diese Bitte, Marwood (nachdem er einen Augenblick +nachgedacht)--könnte ich Ihnen gewähren. Wollen Sie aber auch alsdann +gewiß diesen Ort verlassen? + +Marwood. Gewiß; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo +nur noch einige Möglichkeit ist, von dem Überfalle ihres Vaters +befreien. + +Mellefont. Dieses haben Sie nicht nötig. Ich hoffe, daß er auch mich +in die Verzeihung mit einschließen wird, die er seiner Tochter +widerfahren läßt. Will er aber dieser nicht verzeihen, so werde ich +auch wissen, wie ich ihm begegnen soll.--Ich gehe, Sie bei meiner Miß +zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! (Geht ab.) + +Marwood. Ach, Hannah! daß unsere Kräfte nicht so groß sind als +unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht +auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm! + +(Ende des zweiten Aufzugs.) + + + + + +Dritter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Ein Saal im erstern Gasthofe. + + +Sir William Sampson. Waitwell. + +Sir William. Hier, Waitwell, bringt ihr diesen Brief. Es ist der +Brief eines zärtlichen Vaters, der sich über nichts als über ihre +Abwesenheit beklaget. Sag ihr, daß ich dich damit vorweggeschickt und +daß ich nur noch ihre Antwort erwarten wolle, ehe ich selbst käme, sie +wieder in meine Arme zu schließen. + +Waitwell. Ich glaube, Sie tun recht wohl, daß Sie Ihre Zusammenkunft +auf diese Art vorbereiten. + +Sir William. Ich werde ihrer Gesinnungen dadurch gewiß und mache ihr +Gelegenheit, alles, was ihr die Reue Klägliches und Errötendes +eingeben könnte, schon ausgeschüttet zu haben, ehe sie mündlich mit +mir spricht. Es wird ihr in einem Briefe weniger Verwirrung und mir +vielleicht weniger Tränen kosten. + +Waitwell. Darf ich aber fragen, Sir, was Sie in Ansehung Mellefonts +beschlossen haben? + +Sir William. Ach! Waitwell, wenn ich ihn von dem Geliebten meiner +Tochter trennen könnte, so würde ich etwas sehr Hartes wider ihn +beschließen. Aber da dieses nicht angeht, so siehst du wohl, daß er +gegen meinen Unwillen gesichert ist. Ich habe selbst den größten +Fehler bei diesem Unglücke begangen. Ohne mich würde Sara diesen +gefährlichen Mann nicht haben kennenlernen. Ich verstattete ihm wegen +einer Verbindlichkeit, die ich gegen ihn zu haben glaubte, einen allzu +freien Zutritt in meinem Hause. Es war natürlich, daß ihm die +dankbare Aufmerksamkeit, die ich für ihn bezeigte, auch die Achtung +meiner Tochter zuziehen mußte. Und es war ebenso natürlich, daß sich +ein Mensch von seiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten ließ, +sie zu etwas Höherm zu treiben. Er hatte Geschicklichkeit genug +gehabt, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte +und ehe ich noch Zeit hatte, mich nach seiner übrigen Lebensart zu +erkundigen. Das Unglück war geschehen, und ich hätte wohlgetan, wenn +ich ihnen nur gleich alles vergeben hätte. Ich wollte unerbittlich +gegen ihn sein und überlegte nicht, daß ich es gegen ihn nicht allein +sein könnte. Wenn ich meine zu späte Strenge erspart hätte, so würde +ich wenigstens ihre Flucht verhindert haben.--Da bin ich nun, Waitwell! +Ich muß sie selbst zurückholen und mich noch glücklich schätzen, +wenn ich aus dem Verführer nur meinen Sohn machen kann. Denn wer weiß, +ob er seine Marwoods und seine übrigen Kreaturen eines Mädchens wegen +wird aufgeben wollen, das seinen Begierden nichts mehr zu verlangen +übriggelassen hat und die fesselnden Künste einer Buhlerin so wenig +versteht? + +Waitwell. Nun, Sir, das ist wohl nicht möglich, daß ein Mensch so gar +böse sein könnte.-- + +Sir William. Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre. +Aber warum ist es gleichwohl wahr, daß sich die Grenzen der +menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?--Geh nur jetzt und +tue, was ich dir gesagt habe. Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie +meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann +sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das +eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele +in ihrem Gesichte lesen. Laß dir ja keinen Zug entgehen, der etwa +eine Gleichgültigkeit gegen mich, eine Verschmähung ihres Vaters, +anzeigen könnte. Denn wenn du diese unglückliche Entdeckung machen +solltest und wenn sie mich nicht mehr liebt: so hoffe ich, daß ich +mich endlich werde überwinden können, sie ihrem Schicksale zu +überlassen. Ich hoffe es, Waitwell--Ach! wenn nur hier kein Herz +schlüge, das dieser Hoffnung widerspricht. + +(Sie gehen beide auf verschiedenen Seiten ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Das Zimmer der Sara. + + +Miß Sara. Mellefont. + +Mellefont. Ich habe unrecht getan, liebste Miß, daß ich Sie wegen des +vorigen Briefes in einer kleinen Unruhe ließ. + +Sara. Nein doch, Mellefont; ich bin deswegen ganz und gar nicht +unruhig gewesen. Könnten Sie mich denn nicht lieben, wenn Sie gleich +noch Geheimnisse vor mir hätten? + +Mellefont. Sie glauben also doch, daß es ein Geheimnis gewesen sei? + +Sara. Aber keines, das mich angeht. Und das muß mir genug sein. + +Mellefont. Sie sind allzu gefällig. Doch erlauben Sie mir, daß ich +Ihnen dieses Geheimnis gleichwohl entdecke. Es waren einige Zeilen +von einer Anverwandten, die meinen hiesigen Aufenthalt erfahren hat. +Sie geht auf ihrer Reise nach London hier durch und will mich sprechen. +Sie hat zugleich um die Ehre ersucht, Ihnen ihre Aufwartung machen +zu dürfen. + +Sara. Es wird mir allezeit angenehm sein, Mellefont, die würdigen +Personen Ihrer Familie kennenzulernen. Aber überlegen Sie es selbst, +ob ich schon, ohne zu erröten, einer derselben unter die Augen sehen +darf. + +Mellefont. Ohne zu erröten? Und worüber? Darüber, daß Sie mich +lieben? Es ist wahr, Miß, Sie hätten Ihre Liebe einem Edlern, einem +Reichern schenken können. Sie müssen sich schämen, daß Sie Ihr Herz +nur um ein Herz haben geben wollen und daß Sie bei diesem Tausche Ihr +Glück so weit aus den Augen gesetzt. + +Sara. Sie werden es selbst wissen, wie falsch Sie meine Worte +erklären. + +Mellefont. Erlauben Sie, Miß; wenn ich sie falsch erkläre, so können +sie gar keine Bedeutung haben. + +Sara. Wie heißt Ihre Anverwandte? + +Mellefont. Es ist--Lady Solmes. Sie werden den Namen von mir schon +gehört haben. + +Sara. Ich kann mich nicht erinnern. + +Mellefont. Darf ich bitten, daß Sie ihren Besuch annehmen wollen? + +Sara. Bitten, Mellefont? Sie können mir es ja befehlen. + +Mellefont. Was für ein Wort!--Nein, Miß, sie soll das Glück nicht +haben, Sie zu sehen. Sie wird es bedauern; aber sie muß es sich +gefallen lassen. Miß Sara hat ihre Ursachen, die ich, auch ohne sie +zu wissen, verehre. + +Sara. Mein Gott! wie schnell sind Sie, Mellefont! Ich werde die +Lady erwarten und mich der Ehre ihres Besuchs, soviel möglich, würdig +zu erzeigen suchen. Sind Sie zufrieden? + +Mellefont. Ach, Miß, lassen Sie mich meinen Ehrgeiz gestehen. Ich +möchte gern gegen die ganze Welt mit Ihnen prahlen. Und wenn ich auf +den Besitz einer solchen Person nicht eitel wäre, so würde ich mir +selbst vorwerfen, daß ich den Wert derselben nicht zu schätzen wüßte. +Ich gehe und bringe die Lady sogleich zu Ihnen. (Gehet ab.) + +Sara (allein). Wenn es nur keine von den stolzen Weibern ist, die, +voll von ihrer Tugend, über alle Schwachheiten erhaben zu sein glauben. +Sie machen uns mit einem einzigen verächtlichen Blicke den Prozeß, +und ein zweideutiges Achselzucken ist das ganze Mitleiden, das wir +ihnen zu verdienen scheinen. + + + +Dritter Auftritt + +Waitwell. Sara. + + +Betty (zwischen der Szene). Nur hier herein, wenn Er selbst mit ihr +sprechen muß. + +Sara (die sich umsieht). Wer muß selbst mit mir sprechen?--Wen seh +ich? Ist es möglich? Waitwell, dich? + +Waitwell. Was für ein glücklicher Mann bin ich, daß ich endlich +unsere Miß Sara wiedersehe! + +Sara. Gott! was bringst du? Ich hör es schon, ich hör es schon, du +bringst mir die Nachricht von dem Tode meines Vaters! Er ist hin, der +vortrefflichste Mann, der beste Vater! Er ist hin, und ich, ich bin +die Elende, die seinen Tod beschleuniget hat. + +Waitwell. Ach! Miß-- + +Sara. Sage mir, geschwind sage mir, daß die letzten Augenblicke +seines Lebens ihm durch mein Andenken nicht schwerer wurden; daß er +mich vergessen hatte; daß er ebenso ruhig starb, als er sich sonst in +meinen Armen zu sterben versprach; daß er sich meiner auch nicht +einmal in seinem letzten Gebete erinnerte-- + +Waitwell. Hören Sie doch auf, sich mit so falschen Vorstellungen zu +plagen! Er lebt ja noch, Ihr Vater; er lebt ja noch, der +rechtschaffne Sir William. + +Sara. Lebt er noch? Ist es wahr, lebt er noch? Oh! daß er noch +lange leben und glücklich leben möge! Oh! daß ihm Gott die Hälfte +meiner Jahre zulegen wolle! Die Hälfte?--Ich Undankbare, wenn ich ihm +nicht mit allen, soviel mir deren bestimmt sind, auch nur einige +Augenblicke zu erkaufen bereit bin! Aber nun sage mir wenigstens, +Waitwell, daß es ihm nicht hart fällt, ohne mich zu leben; daß es ihm +leicht geworden ist, eine Tochter aufzugeben, die ihre Tugend so +leicht aufgeben können; daß ihn meine Flucht erzürnet, aber nicht +gekränkt hat; daß er mich verwünschet, aber nicht bedauert. + +Waitwell. Ach, Sir William ist noch immer der zärtliche Vater, so wie +sein Sarchen noch immer die zärtliche Tochter ist, die sie beide +gewesen sind. + +Sara. Was sagst du? Du bist ein Bote des Unglücks, des +schrecklichsten Unglücks unter allen, die mir meine feindselige +Einbildung jemals vorgestellet hat! Er ist noch der zärtliche Vater? +So liebt er mich ja noch? So muß er mich ja beklagen? Nein, nein, +das tut er nicht; das kann er nicht tun! Siehst du denn nicht, wie +unendlich jeder Seufzer, den er um mich verlöre, meine Verbrechen +vergrößern würde? Müßte mir nicht die Gerechtigkeit des Himmels jede +seiner Tränen, die ich ihm auspreßte, so anrechnen, als ob ich bei +jeder derselben mein Laster und meinen Undank wiederholte? Ich +erstarre über diesen Gedanken. Tränen koste ich ihm? Tränen? Und es +sind andre Tränen als Tränen der Freude?--Widersprich mir doch, +Waitwell! Aufs höchste hat er einige leichte Regungen des Bluts für +mich gefühlet; einige von den geschwind überhin gehenden Regungen, +welche die kleinste Anstrengung der Vernunft besänftiget. Zu Tränen +hat er es nicht kommen lassen. Nicht wahr, Waitwell, zu Tränen hat er +es nicht kommen lassen? + +Waitwell (indem er sich die Augen wischt). Nein, Miß, dazu hat er es +nicht kommen lassen. + +Sara. Ach! dein Mund sagt nein; und deine eignen Tränen sagen ja. + +Waitwell. Nehmen Sie diesen Brief, Miß; er ist von ihm selbst. + +Sara. Von wem? von meinem Vater? an mich? + +Waitwell. Ja, nehmen Sie ihn nur; Sie werden mehr daraus sehen können, +als ich zu sagen vermag. Er hätte einem andern als mir dieses +Geschäft auftragen sollen. Ich versprach mir Freude davon; aber Sie +verwandeln mir diese Freude in Betrübnis. + +Sara. Gib nur, ehrlicher Waitwell!--Doch nein, ich will ihn nicht +eher nehmen, als bis du mir sagst, was ungefähr darin enthalten ist. + +Waitwell. Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung. + +Sara. Liebe? Vergebung? + +Waitwell. Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, daß er die Rechte +der väterlichen Gewalt gegen ein Kind brauchen wollen, für welches nur +die Vorrechte der väterlichen Huld sind. + +Sara. So behalte nur deinen grausamen Brief! + +Waitwell. Grausamen? fürchten Sie nichts; Sie erhalten völlige +Freiheit über Ihr Herz und Ihre Hand. + +Sara. Und das ist es eben, was ich fürchte. Einen Vater, wie ihn, zu +betrüben: dazu habe ich noch den Mut gehabt. Allein ihn durch eben +diese Betrübnis, ihn durch seine Liebe, der ich entsagt, dahin +gebracht zu sehen, daß er sich alles gefallen läßt, wozu mich eine +unglückliche Leidenschaft verleitet: das, Waitwell, das würde ich +nicht ausstehen. Wenn sein Brief alles enthielte, was ein +aufgebrachter Vater in solchem Falle Heftiges und Hartes vorbringen +kann, so würde ich ihn zwar mit Schaudern lesen, aber ich würde ihn +doch lesen können. Ich würde gegen seinen Zorn noch einen Schatten +von Verteidigung aufzubringen wissen, um ihn durch diese Verteidigung, +wo möglich, noch zorniger zu machen. Meine Beruhigung wäre alsdann +diese, daß bei einem gewaltsamen Zorne kein wehmütiger Gram Raum haben +könne und daß sich jener endlich glücklich in eine bittere Verachtung +gegen mich verwandeln werde. Wen man aber verachtet, um den bekümmert +man sich nicht mehr. Mein Vater wäre wieder ruhig, und ich dürfte mir +nicht vorwerfen, ihn auf immer unglücklich gemacht zu haben. + +Waitwell. Ach! Miß, Sie werden sich diesen Vorwurf noch weniger +machen dürfen, wenn Sie jetzt seine Liebe wieder ergreifen, die ja +alles vergessen will. + +Sara. Du irrst dich, Waitwell. Sein sehnliches Verlangen nach mir +verführt ihn vielleicht, zu allem ja zu sagen. Kaum aber würde dieses +Verlangen ein wenig beruhiget sein, so würde er sich seiner Schwäche +wegen vor sich selbst schämen. Ein finsterer Unwille würde sich +seiner bemeistern, und er würde mich nie ansehen können, ohne mich +heimlich anzuklagen, wieviel ich ihm abzutrotzen mich unterstanden +habe. Ja, wenn es in meinem Vermögen stünde, ihm bei der äußersten +Gewalt, die er sich meinetwegen antut, das Bitterste zu ersparen; wenn +in dem Augenblicke, da er mir alles erlauben wollte, ich ihm alles +aufopfern könnte: so wäre es ganz etwas anders. Ich wollte den Brief +mit Vergnügen von deinen Händen nehmen, die Stärke der väterlichen +Liebe darin bewundern und, ohne sie zu mißbrauchen, mich als eine +reuende und gehorsame Tochter zu seinen Füßen werfen. Aber kann ich +das? Ich würde es tun müssen, was er mir erlaubte, ohne mich daran zu +kehren, wie teuer ihm diese Erlaubnis zu stehen komme. Und wenn ich +dann am vergnügtesten darüber sein wollte, würde es mir plötzlich +einfallen, daß er mein Vergnügen äußerlich nur zu teilen scheine und +in sich selbst vielleicht seufze; kurz, daß er mich mit Entsagung +seiner eignen Glückseligkeit glücklich gemacht habe--Und es auf diese +Art zu sein wünschen, trauest du mir das wohl zu, Waitwell? + +Waitwell. Gewiß, ich weiß nicht, was ich hierauf antworten soll. + +Sara. Es ist nichts darauf zu antworten. Bringe deinen Brief also +nur wieder zurück. Wenn mein Vater durch mich unglücklich sein muß, +so will ich selbst auch unglücklich bleiben. Ganz allein ohne ihn +unglücklich zu sein, das ist es, was ich jetzt stündlich von dem +Himmel bitte; glücklich aber ohne ihn ganz allein zu sein, davon will +ich durchaus nichts wissen. + +Waitwell (etwas beiseite). Ich glaube wahrhaftig, ich werde das gute +Kind hintergehen müssen, damit es den Brief doch nur lieset. + +Sara. Was sprichst du da für dich? + +Waitwell. Ich sage mir selbst, daß ich einen sehr ungeschickten +Einfall gehabt hätte, Sie, Miß, zur Lesung des Briefes desto +geschwinder zu vermögen. + +Sara. Wieso? + +Waitwell. Ich konnte so weit nicht denken. Sie überlegen freilich +alles genauer, als es unsereiner kann. Ich wollte Sie nicht +erschrecken; der Brief ist vielleicht nur allzu hart; und wenn ich +gesagt habe, daß nichts als Liebe und Vergebung darin enthalten sei, +so hätte ich sagen sollen, daß ich nichts als dieses darin enthalten +zu sein wünschte. + +Sara. Ist das wahr?--Nun, so gib mir ihn her. Ich will ihn lesen. +Wenn man den Zorn eines Vaters unglücklicherweise verdient hat, so muß +man wenigstens gegen diesen väterlichen Zorn so viel Achtung haben, +daß er ihn nach allen Gefallen gegen uns auslassen kann. Ihn zu +vereiteln suchen, heißt Beleidigungen mit Geringschätzung häufen. Ich +werde ihn nach aller seiner Stärke empfinden. Du siehst, ich zittre +schon--Aber ich soll auch zittern; und ich will lieber zittern als +weinen.--(Sie erbricht den Brief.) Nun ist er erbrochen! Ich bebe-- +Aber was seh ich? (Sie lieset.) "Einzige, geliebteste Tochter!"--Ha! +du alter Betrüger, ist das die Anrede eines zornigen Vaters? Geh, +weiter werde ich nicht lesen-- + +Waitwell. Ach, Miß, verzeihen Sie doch einem alten Knechte. Ja gewiß, +ich glaube, es ist in meinem Leben das erstemal, daß ich mit Vorsatz +betrogen habe. Wer einmal betrügt, Miß, und aus einer so guten +Absicht betrügt, der ist ja deswegen noch kein alter Betrüger. Das +geht mir nahe, Miß. Ich weiß wohl, die gute Absicht entschuldigt +nicht immer; aber was konnte ich denn tun? Einem so guten Vater +seinen Brief ungelesen wiederzubringen? Das kann ich nimmermehr. +Eher will ich gehen, soweit mich meine alten Beine tragen, und ihm nie +wieder vor die Augen kommen. + +Sara. Wie? auch du willst ihn verlassen? + +Waitwell. Werde ich denn nicht müssen, wenn Sie den Brief nicht +lesen? Lesen Sie ihn doch immer. Lassen Sie doch immer den ersten +vorsätzlichen Betrug, den ich mir vorzuwerfen habe, nicht ohne gute +Wirkung bleiben. Sie werden ihn desto eher vergessen, und ich werde +mir ihn desto eher vergeben können. Ich bin ein gemeiner, einfältiger +Mann, der Ihnen Ihre Ursachen, warum Sie den Brief nicht lesen können +oder wollen, freilich so muß gelten lassen. Ob sie wahr sind, weiß +ich nicht; aber so recht natürlich scheinen sie mir wenigstens nicht. +Ich dächte nun so, Miß: ein Vater, dächte ich, ist doch immer ein +Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch +ein gutes Kind. Wenn der Vater den Fehler verzeiht, so kann ja das +Kind sich wohl wieder so aufführen, daß er auch gar nicht mehr daran +denken darf. Und wer erinnert sich denn gern an etwas, wovon er +lieber wünscht, es wäre gar nicht geschehen? Es ist, Miß, als ob Sie +nur immer an Ihren Fehler dächten und glaubten, es wäre genug, wenn +Sie den in Ihrer Einbildung vergrößerten und sich selbst mit solchen +vergrößerten Vorstellungen marterten. Aber ich sollte meinen, Sie +müßten auch daran denken, wie Sie das, was geschehen ist, +wiedergutmachten. Und wie wollen Sie es denn wiedergutmachen, wenn +Sie sich selbst alle Gelegenheit dazu benehmen? Kann es Ihnen denn +sauer werden, den andern Schritt zu tun, wenn so ein lieber Vater +schon den ersten getan hat? + +Sara. Was für Schwerter gehen aus deinem einfältigen Munde in mein +Herz!--Eben das kann ich nicht aushalten, daß er den ersten Schritt +tun muß. Und was willst du denn? Tut er denn nur den ersten Schritt? +Er muß sie alle tun: ich kann ihm keinen entgegentun. So weit ich +mich von ihm entfernet, so weit muß er sich zu mir herablassen. Wenn +er mir vergibt, so muß er mein ganzes Verbrechen vergeben und sich +noch dazu gefallen lassen, die Folgen desselben vor seinen Augen +fortdauern zu sehen. Ist das von einem Vater zu verlangen? + +Waitwell. Ich weiß nicht, Miß, ob ich dieses so recht verstehe. Aber +mich deucht, Sie wollen sagen, er müsse Ihnen gar zu viel vergeben, +und weil ihm das nicht anders als sehr sauer werden könne, so machten +Sie sich ein Gewissen, seine Vergebung anzunehmen. Wenn Sie das +meinen, so sagen Sie mir doch, ist denn nicht das Vergeben für ein +gutes Herz ein Vergnügen? Ich bin in meinem Leben so glücklich nicht +gewesen, daß ich dieses Vergnügen oft empfunden hätte. Aber der +wenigen Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer +gern. Ich fühlte so etwas Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas +Himmlisches dabei, daß ich mich nicht entbrechen konnte, an die große, +unüberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen ganze +Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwährendes Vergeben ist. Ich +wünschte mir, alle Augenblicke verzeihen zu können, und schämte mich, +daß ich nur solche Kleinigkeiten zu verzeihen hatte. Recht +schmerzhafte Beleidigungen, recht tödliche Kränkungen zu vergeben, +sagt' ich zu mir selbst, muß eine Wollust sein, in der die ganze Seele +zerfließt--Und nun, Miß, wollen Sie denn so eine große Wollust Ihrem +Vater nicht gönnen? + +Sara. Ach!--Rede weiter, Waitwell, rede weiter! + +Waitwell. Ich weiß wohl, es gibt eine Art von Leuten, die nichts +ungerner als Vergebung annehmen, und zwar, weil sie keine zu erzeigen +gelernt haben. Es sind stolze, unbiegsame Leute, die durchaus nicht +gestehen wollen, daß sie unrecht getan. Aber von der Art, Miß, sind +Sie nicht. Sie haben das liebreichste und zärtlichste Herz, das die +beste Ihres Geschlechts nur haben kann. Ihren Fehler bekennen Sie +auch. Woran liegt es denn nun also noch?--Doch verzeihen Sie mir nur, +Miß, ich bin ein alter Plauderer und hätte es gleich merken sollen, +daß Ihr Weigern nur eine rühmliche Besorgnis, nur eine tugendhafte +Schüchternheit sei. Leute, die eine große Wohltat gleich ohne +Bedenken annehmen können, sind der Wohltat selten würdig. Die sie am +meisten verdienen, haben auch immer das meiste Mißtrauen gegen sich +selbst. Doch muß das Mißtrauen nicht über sein Ziel getrieben werden. + + +Sara. Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich überredet. + +Waitwell. Ach Gott! wenn ich so glücklich gewesen bin, so muß mir +ein guter Geist haben reden helfen. Aber nein, Miß, meine Reden haben +dabei nichts getan, als daß sie Ihnen Zeit gelassen, selbst +nachzudenken und sich von einer so fröhlichen Bestürzung zu erholen.-- +Nicht wahr, nun werden Sie den Brief lesen? Oh! lesen Sie ihn doch +gleich! + +Sara. Ich will es tun, Waitwell.--Welche Bisse, welche Schmerzen +werde ich fühlen! + +Waitwell. Schmerzen, Miß, aber angenehme Schmerzen. + +Sara. Sei still! (Sie fängt an, für sich zu lesen.) + +Waitwell (beiseite). Oh! wenn er sie selbst sehen sollte! + +Sara (nachdem sie einige Augenblicke gelesen). Ach, Waitwell, was für +ein Vater! Er nennt meine Flucht eine Abwesenheit. Wieviel +sträflicher wird sie durch dieses gelinde Wort! (Sie lieset weiter +und unterbricht sich wieder.) Höre doch! er schmeichelt sich, ich +würde ihn noch lieben. Er schmeichelt sich! (Lieset und unterbricht +sich.) Er bittet mich--Er bittet mich? Ein Vater seine Tochter? +seine strafbare Tochter? Und was bittet er mich denn?--(Lieset für +sich.) Er bittet mich, seine übereilte Strenge zu vergessen und ihn +mit meiner Entfernung nicht länger zu strafen. Übereilte Strenge!--Zu +strafen!--(Lieset wieder und unterbricht sich.) Noch mehr! Nun dankt +er mir gar, und dankt mir, daß ich ihm Gelegenheit gegeben, den ganzen +Umfang der väterlichen Liebe kennenzulernen. Unselige Gelegenheit! +Wenn er doch nur auch sagte, daß sie ihm zugleich den ganzen Umfang +des kindlichen Ungehorsams habe kennenlernen! (Sie lieset wieder.) +Nein, er sagt es nicht! Er gedenkt meines Verbrechens nicht mit einem +Buchstaben. (Sie fährt weiter fort, für sich zu lesen.) Er will +kommen und seine Kinder selbst zurückholen. Seine Kinder, Waitwell! +Das geht über alles!--Hab ich auch recht gelesen? (Sie lieset wieder +für sich.)--Ich möchte vergehen! Er sagt, derjenige verdiene nur +allzuwohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter haben könne. +--Oh! hätte er sie nie gehabt, diese unglückliche Tochter!--Geh, +Waitwell, laß mich allein! Er verlangt eine Antwort, und ich will sie +sogleich machen. Frag in einer Stunde wieder nach. Ich danke dir +unterdessen für deine Mühe. Du bist ein rechtschaffner Mann. Es sind +wenig Diener die Freunde ihrer Herren! + +Waitwell. Beschämen Sie mich nicht, Miß. Wenn alle Herren Sir +Williams wären, so müßten die Diener Unmenschen sein, wenn sie nicht +ihr Leben für sie lassen wollten. (Geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + + +Sara (sie setzet sich zum Schreiben nieder). Wenn man mir es vor Jahr +und Tag gesagt hätte, daß ich auf einen solchen Brief würde antworten +müssen! Und unter solchen Umständen!--Ja, die Feder hab ich in der +Hand.--Weiß ich aber auch schon, was ich schreiben soll? Was ich +denke; was ich empfinde.--Und was denkt man denn, wenn sich in einem +Augenblicke tausend Gedanken durchkreuzen? Und was empfindet man denn, +wenn das Herz vor lauter Empfinden in einer tiefen Betäubung liegt?-- +Ich muß doch schreiben--Ich führe ja die Feder nicht das erstemal. +Nachdem sie mir schon so manche kleine Dienste der Höflichkeit und +Freundschaft abstatten helfen, sollte mir ihre Hilfe wohl bei dem +wichtigsten Dienste entstehen?--(Sie denkt ein wenig nach und schreibt +darauf einige Zeilen.) Das soll der Anfang sein? Ein sehr frostiger +Anfang. Und werde ich denn bei seiner Liebe anfangen wollen? Ich muß +bei meinem Verbrechen anfangen. (Sie streicht aus und schreibt anders.) +Daß ich mich ja nicht zu obenhin davon ausdrücke!--Das Schämen kann +überall an seiner rechten Stelle sein, nur bei dem Bekenntnisse +unserer Fehler nicht. Ich darf mich nicht fürchten, in Übertreibungen +zu geraten, wenn ich auch schon die gräßlichsten Züge anwende.--Ach! +warum muß ich nun gestört werden? + + + +Fünfter Auftritt + +Marwood. Mellefont. Sara. + + +Mellefont. Liebste Miß, ich habe die Ehre, Ihnen Lady Solmes +vorzustellen, welche eine von denen Personen in meiner Familie ist, +welchen ich mich am meisten verpflichtet erkenne. + +Marwood. Ich muß um Vergebung bitten, Miß, daß ich so frei bin, mich +mit meinen eignen Augen von dem Glücke eines Vetters zu überführen, +dem ich das vollkommenste Frauenzimmer wünschen würde, wenn mich nicht +gleich der erste Anblick überzeugt hätte, daß er es in Ihnen bereits +gefunden habe. + +Sara. Sie erzeigen mir allzuviel Ehre, Lady. Eine Schmeichelei wie +diese würde mich zu allen Zeiten beschämt haben; itzt aber sollte ich +sie fast für einen versteckten Vorwurf annehmen, wenn ich Lady Solmes +nicht für viel zu großmütig hielte, ihre Überlegenheit an Tugend und +Klugheit eine Unglückliche fühlen zu lassen. + +Marwood (kalt). Ich würde untröstlich sein, Miß, wenn Sie mir andre +als die freundschaftlichsten Gesinnungen zutrauten.--(Beiseite.) Sie +ist schön! + +Mellefont. Und wäre es denn auch möglich, Lady, gegen soviel +Schönheit, gegen soviel Bescheidenheit gleichgültig zu bleiben? Man +sagt zwar, daß einem reizenden Frauenzimmer selten von einem andern +Gerechtigkeit erwiesen werde: allein dieses ist auf der einen Seite +nur von denen, die auf ihre Vorzüge allzu eitel sind, und auf der +andern nur von solchen zu verstehen, welche sich selbst keiner Vorzüge +bewußt sind. Wie weit sind Sie beide von diesem Falle entfernt!--(Zur +Marwood, welche in Gedanken steht.) Ist es nicht wahr, Lady, daß +meine Liebe nichts weniger als parteiisch gewesen ist? Ist es nicht +wahr, daß ich Ihnen zum Lobe meiner Miß viel, aber noch lange nicht so +viel gesagt habe, als Sie selbst finden?--Aber warum so in Gedanken?-- +(Sachte zu ihr.) Sie vergessen, wer Sie sein wollen. + +Marwood. Darf ich es sagen?--Die Bewunderung Ihrer liebsten Miß +führte mich auf die Betrachtung ihres Schicksals. Es ging mir nahe, +daß sie die Früchte ihrer Liebe nicht in ihrem Vaterlande genießen +soll. Ich erinnerte mich, daß sie einen Vater und, wie man mir gesagt +hat, einen sehr zärtlichen Vater verlassen müßte, um die Ihrige sein +zu können; und ich konnte mich nicht enthalten, ihre Aussöhnung mit +ihm zu wünschen. + +Sara. Ach! Lady, wie sehr bin ich Ihnen für diesen Wunsch verbunden. +Er verdient es, daß ich meine ganze Freude mit Ihnen teile. Sie +können es noch nicht wissen, Mellefont, daß er erfüllt wurde, ehe Lady +die Liebe für uns hatte, ihn zu tun. + +Mellefont. Wie verstehen Sie dieses, Miß? + +Marwood (beiseite). Was will das sagen? + +Sara. Eben itzt habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten. +Waitwell brachte mir ihn. Ach, Mellefont, welch ein Brief! + +Mellefont. Geschwind reißen Sie mich aus meiner Ungewißheit. Was hab +ich zu fürchten? Was habe ich zu hoffen? Ist er noch der Vater, den +wir flohen? Und wenn er es noch ist, wird Sara die Tochter sein, die +mich zärtlich genug liebt, um ihn noch weiter zu fliehen? Ach! hätte +ich Ihnen gefolgt, liebste Miß, so wären wir jetzt durch ein Band +verknüpft, das man aus eigensinnigen Absichten zu trennen wohl +unterlassen müßte. In diesem Augenblick empfinde ich alles das +Unglück, das unser entdeckter Aufenthalt für mich nach sich ziehen +kann. Er wird kommen und Sie aus meinen Armen reißen. Wie hasse ich +den Nichtswürdigen, der uns ihm verraten hat! (Mit einem zornigen +Blick gegen die Marwood.) + +Sara. Liebster Mellefont, wie schmeichelhaft ist diese Ihre Unruhe +für mich! Und wie glücklich sind wir beide, daß sie vergebens ist! +Lesen Sie hier seinen Brief.--(Gegen die Marwood, indem Mellefont den +Brief für sich lieset.) Lady, er wird über die Liebe meines Vaters +erstaunen. Meines Vaters? Ach! er ist nun auch der seinige. + +Marwood (betroffen). Ist es möglich? + +Sara. Jawohl, Lady, haben Sie Ursache, diese Veränderung zu bewundern. +Er vergibt uns alles; wir werden uns nun vor seinen Augen lieben; er +erlaubt es uns; er befiehlt es uns.--Wie hat diese Gütigkeit meine +ganze Seele durchdrungen!--Nun, Mellefont? (Der ihr den Brief +wiedergibt.) Sie schweigen? O nein, diese Träne, die sich aus Ihrem +Auge schleicht, sagt weit mehr, als Ihr Mund ausdrücken könnte. + +Marwood (beiseite). Wie sehr habe ich mir selbst geschadet! Ich +Unvorsichtige! + +Sara. Oh! lassen Sie mich diese Träne von Ihrer Wange küssen! + +Mellefont. Ach Miß, warum haben wir so einen göttlichen Mann betrüben +müssen? Jawohl, einen göttlichen Mann: denn was ist göttlicher als +vergeben?--Hätten wir uns diesen glücklichen Ausgang nur als möglich +vorstellen können: gewiß, so wollten wir ihn jetzt so gewaltsamen +Mitteln nicht zu verdanken haben; wir wollten ihn allein unsern Bitten +zu verdanken haben. Welche Glückseligkeit wartet auf mich! Wie +schmerzlich wird mir aber auch die eigne Überzeugung sein, daß ich +dieser Glückseligkeit so unwert bin! + +Marwood (beiseite). Und das muß ich mit anhören! + +Sara. Wie vollkommen rechtfertigen Sie durch solche Gesinnungen meine +Liebe gegen Sie. + +Marwood (beiseite). Was für Zwang muß ich mir antun! + +Sara. Auch Sie, vortreffliche Lady, müssen den Brief meines Vaters +lesen. Sie scheinen allzuviel Anteil an unserm Schicksale zu nehmen, +als daß Ihnen sein Inhalt gleichgültig sein könnte. + +Marwood. Mir gleichgültig, Miß? (Sie nimmt den Brief.) + +Sara. Aber, Lady, Sie scheinen noch immer sehr nachdenkend, sehr +traurig.-- + +Marwood. Nachdenkend, Miß, aber nicht traurig. + +Mellefont (beiseite). Himmel! wo sie sich verrät! + +Sara. Und warum denn? + +Marwood. Ich zittere für Sie beide. Könnte die unvermutete Güte +Ihres Vaters nicht eine Verstellung sein? eine List? + +Sara. Gewiß nicht, Lady, gewiß nicht. Lesen Sie nur, und Sie werden +es selbst gestehen. Die Verstellung bleibt immer kalt, und eine so +zärtliche Sprache ist in ihrem Vermögen nicht. (Marwood lieset für +sich.) Werden Sie nicht argwöhnisch, Mellefont; ich bitte Sie. Ich +stehe Ihnen dafür, daß mein Vater sich zu keiner List herablassen kann. +Er sagt nichts, was er nicht denkt, und Falschheit ist ihm ein +unbekanntes Laster. + +Mellefont. Oh! davon bin ich vollkommen überzeugt, liebste Miß.--Man +muß der Lady den Verdacht vergeben, weil sie den Mann noch nicht kennt, +den er trifft. + +Sara (indem ihr Marwood den Brief zurückgibt). Was seh ich, Lady? +Sie haben sich entfärbt? Sie zittern? Was fehlt Ihnen? + +Mellefont (beiseite). In welcher Angst bin ich! Warum habe ich sie +auch hergebracht? + +Marwood. Es ist nichts, Miß, als ein kleiner Schwindel, welcher +vorübergehn wird. Die Nachtluft muß mir auf der Reise nicht bekommen +sein. + +Mellefont. Sie erschrecken mich, Lady--ist es Ihnen nicht gefällig, +frische Luft zu schöpfen? Man erholt sich in einem verschloßnen +Zimmer nicht so leicht. + +Marwood. Wenn Sie meinen, so reichen Sie mir Ihren Arm. + +Sara. Ich werde Sie begleiten, Lady. + +Marwood. Ich verbitte diese Höflichkeit, Miß. Meine Schwachheit wird +ohne Folgen sein. + +Sara. So hoffe ich denn, Lady bald wiederzusehen. + +Marwood. Wenn Sie erlauben, Miß-- + +(Mellefont führt sie ab.) + +Sara (allein). Die arme Lady!--Sie scheinet die freundschaftlichste +Person zwar nicht zu sein; aber mürrisch und stolz scheinet sie doch +auch nicht.--Ich bin wieder allein. Kann ich die wenigen Augenblicke, +die ich es vielleicht sein werde, zu etwas Besserm als zur Vollendung +meiner Antwort anwenden? (Sie will sich niedersetzen, zu schreiben.) + + + +Sechster Auftritt + +Betty. Sara. + + +Betty. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch. + +Sara. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines +Mellefont. Es wandelte ihr gähling eine kleine Schwachheit an. Wo +ist sie jetzt? + +Betty. Mellefont hat sie bis an die Türe begleitet. + +Sara. So ist sie ja wohl wieder fort? + +Betty. Ich vermute es.--Aber je mehr ich Sie ansehe, Miß--Sie müssen +mir meine Freiheit verzeihen--, je mehr finde ich Sie verändert. Es +ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muß ein +sehr angenehmer Besuch oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote +gewesen sein. + +Sara. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was +für einen zärtlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes +Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen. +Ich werde wieder glücklich sein und dich für deine guten Dienste +belohnen können. + +Betty. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen für Dienste leisten +können? + +Sara. Du hättest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht +mehrere leisten können als in diesen neun Wochen. Sie sind vorüber!-- +Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so +muß ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, daß es sehr +gut sein würde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem +seine Danksagung schwerlich unerwartet sein dürfte. Komm! + +(Sie gehen ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Der Saal. + + +Sir William Sampson. Waitwell. + +Sir William. Was für Balsam, Waitwell, hast du mir durch deine +Erzählung in mein verwundetes Herz gegossen! Ich lebe wieder neu auf; +und ihre herannahende Rückkehr scheint mich ebensoweit zu meiner +Jugend wieder zurückzubringen, als mich ihre Flucht näher zu dem Grabe +gebracht hatte. Sie liebt mich noch! Was will ich mehr?--Geh ja bald +wieder zu ihr, Waitwell. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, da +ich sie aufs neue in diese Arme schließen soll, die ich so sehnlich +gegen den Tod ausgestreckt hatte. Wie erwünscht wäre er mir in den +Augenblicken meines Kummers gewesen! Und wie fürchterlich wird er mir +in meinem neuen Glücke sein! Ein Alter ist ohne Zweifel zu tadeln, +wenn er die Bande, die ihn noch mit der Welt verbinden, so fest wieder +zuziehet. Die endliche Trennung wird desto schmerzlicher.--Doch der +Gott, der sich jetzt so gnädig gegen mich erzeigt, wird mir auch diese +überstehen helfen. Sollte er mir wohl eine Wohltat erweisen, um sie +mir zuletzt zu meinem Verderben gereichen zu lassen? Sollte er mir +eine Tochter wiedergeben, damit ich über seine Abfoderung aus diesem +Leben murren müsse? Nein, nein; er schenkt mir sie wieder, um in der +letzten Stunde nur um mich selbst besorgt sein zu dürfen. Dank sei +dir, ewige Güte! Wie schwach ist der Dank eines sterblichen Mundes! +Doch bald, bald werde ich in einer ihm geweihten Ewigkeit ihm würdiger +danken können. + +Waitwell. Wie herzlich vergnügt es mich, Sir, Sie vor meinem Ende +wieder zufrieden zu wissen! Glauben Sie mir es nur, ich habe fast so +viel bei Ihrem Jammer ausgestanden als Sie selbst. Fast so viel; gar +so viel nicht: denn der Schmerz eines Vaters mag wohl bei solchen +Gelegenheiten unaussprechlich sein. + +Sir William. Betrachte dich von nun an, mein guter Waitwell, nicht +mehr als meinen Diener. Du hast es schon längst um mich verdient, ein +anständiger Alter zu genießen. Ich will dir es auch schaffen, und du +sollst es nicht schlechter haben, als ich es noch in der Welt haben +werde. Ich will allen Unterschied zwischen uns aufheben; in jener +Welt, weißt du wohl, ist er ohnedies aufgehoben.--Nur dasmal sei noch +der alte Diener, auf den ich mich nie umsonst verlassen habe. Geh und +gib acht, daß du mir ihre Antwort sogleich bringen kannst, als sie +fertig ist. + +Waitwell. Ich gehe, Sir. Aber so ein Gang ist kein Dienst, den ich +Ihnen tue. Er ist eine Belohnung, die Sie mir für meine Dienste +gönnen. Ja gewiß, das ist er. + +(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.) + +(Ende des dritten Aufzuges.) + + + + + +Vierter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Mellefonts Zimmer. + + +Mellefont. Sara. + +Mellefont. Ja, liebste Miß, ja; das will ich tun; das muß ich tun. + +Sara. Wie vergnügt machen Sie mich! + +Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich +nehmen muß. Ich allein bin schuldig; ich allein muß um Vergebung +bitten. + +Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den größern Anteil, den ich an +unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch +ist: denn er muß Sie überzeugt haben, daß ich meinen Mellefont über +alles in der Welt liebe.--Aber ist es denn gewiß wahr, daß ich nunmehr +diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder +befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fürchte ich mich, +ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen!--Doch nein, +ich bin nicht bloß in einem Traume, ich bin wirklich glücklicher, als +ich jemals zu werden hoffen durfte; glücklicher, als es vielleicht +dieses kurze Leben zuläßt. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von +Glückseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so +schmeichelhaft näher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die +dickste Finsternis zerfließe und mich auf einmal in einer Nacht lasse, +deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht +fühlbar geworden.--Was für Ahnungen quälen mich!--Sind es wirklich +Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewöhnliche Empfindungen, die von +der Erwartung eines unverdienten Glücks und von der Furcht, es zu +verlieren, unzertrennlich sind?--Wie schlägt mir das Herz, und wie +unordentlich schlägt es! Wie stark itzt, wie geschwind!--Und nun, wie +matt, wie bange, wie zitternd!--Itzt eilt es wieder, als ob es die +letzten Schläge wären, die es gern recht schnell hintereinander tun +wolle. Armes Herz! + +Mellefont. Die Wallungen des Geblüts, welche plötzliche +Überraschungen nicht anders als verursachen können, werden sich legen, +Miß, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner +seiner Schläge zielet auf das Zukünftige; und wir sind zu tadeln-- +verzeihen Sie, liebste Sara--, wenn wir des Bluts mechanische +Drückungen zu fürchterlichen Propheten machen.--Deswegen aber will ich +nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besänftigung dieses kleinen +innerlichen Sturms für dienlich halten. Ich will sogleich schreiben, +und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit +den Ausdrücken meines gerührten Herzens und mit den Angelobungen des +zärtlichsten Gehorsams zufrieden sein. + +Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an +einen weit zärtlichern Namen zu gewöhnen. Mein Vater, Ihr Vater, +Mellefont-- + +Mellefont. Nun ja, Miß, unser gütiger, unser bester Vater!--Ich mußte +sehr jung aufhören, diesen süßen Namen zu nennen; sehr jung mußte ich +den ebenso süßen Namen "Mutter" verlernen-- + +Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir--mir ward es so gut nicht, ihn +nur einmal sprechen zu können. Mein Leben war ihr Tod.--Gott! ich +ward eine Muttermörderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte-- +wie wenig, wie nichts fehlte--, so wäre ich auch eine Vatermörderin +geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsätzliche +Vatermörderin!--Und wer weiß, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre, +die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele kömmt, +als er ohne die Betrübnis, die ich ihm verursacht, gekommen wäre-- +diese hab ich ihm--ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal +auch noch so alt und lebenssatt sterben läßt, so wird mein Gewissen +doch nichts gegen den Vorwurf sichern können, daß er ohne mich +vielleicht noch später gestorben wäre. Trauriger Vorwurf, den ich mir +ohne Zweifel nicht machen dürfte, wenn eine zärtliche Mutter die +Führerin meiner Jugend gewesen wäre! Ihre Lehren, ihr Exempel würden +mein Herz--So zärtlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben +recht; eine Mutter würde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert +haben, und ich würde Mellefonts nicht sein. Warum wünsche ich mir +denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Güte versagte? +Seine Fügungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht +brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach +einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene +Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung! +Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, daß in dem +Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will.- +-Was ist es, dieses rebellische Etwas? + +Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt +haben, ist die natürliche furchtsame Schwierigkeit, sich in ein großes +Glück zu finden.--Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich +unglücklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich +für glücklich zu halten!--Aber wie dem, der in einer schnellen +Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder +still sitzt, die äußern Gegenstände mit ihm herumzugehen scheinen, so +wird auch das Herz, das zu heftig erschüttert worden, nicht auf einmal +wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurück, +die wir ihrer eignen Abschwächung überlassen müssen. + +Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen; +weil ich es wünsche.--Aber lassen Sie uns einer den andern nicht +länger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich +darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde +gezeigt haben? + +Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur +das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muß: denn ich weiß es, Sie +halten sich nicht für so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara +bis an die Szene begleitet.) + + + +Zweiter Auftritt + + +Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen). +Was für ein Rätsel bin ich mir selbst! Wofür soll ich mich halten? +Für einen Toren? oder für einen Bösewicht?--oder für beides?--Herz, +was für ein Schalk bist du!--Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich +auch sein mag.--Ich lieb ihn? Ja, gewiß, gewiß, ich lieb ihn. Ich +weiß, ich wollte tausend Leben für sie aufopfern, für sie, die mir +ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand +wollt' ich es--Und doch, doch--Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen-- +Und doch--Wie soll ich es begreifen?--Und doch fürchte ich mich vor +dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der +Meinigen machen wird.--Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater +ist versöhnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben können. +Die Verzögerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwürfe genug +zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch +erträglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt +zu sein.--Aber bin ich es denn nicht schon?--Ich bin es freilich, und +bin es mit Vergnügen.--Freilich bin ich schon ihr Gefangener.--Was +will ich also?--Das!--Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein +Wort frei herumgehen läßt: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht +sein Bewenden haben? Warum muß ich eingeschmiedet werden und auch +sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren?--Eingeschmiedet? +Nichts anders!--Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten +liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin!--Die Hälfte +dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Hälfte--wird +verschwinden.--Ich Ungeheuer!--Und bei diesen Gesinnungen soll ich an +ihren Vater schreiben?--Doch es sind keine Gesinnungen; es sind +Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zügelloses +Leben so natürlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder--nicht +leben. + + + +Dritter Auftritt + +Norton. Mellefont. + + +Mellefont. Du störest mich, Norton! + +Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr--(Indem er wieder zurückgehen +will.) + +Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, daß du mich +störest. Was willst du? + +Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehört, und +ich komme, Ihnen dazu Glück zu wünschen. + +Mellefont. Zur Versöhnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir. + +Norton. Der Himmel will Sie also noch glücklich machen. + +Mellefont. Wenn er es will--du siehst, Norton, ich lasse mir +Gerechtigkeit widerfahren--, so will er es meinetwegen gewiß nicht. + +Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen. + + +Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen. +Wollte seine schon gerüstete Rache eine ganze sündige Stadt, weniger +Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher +dulden, wenn eine ihm gefällige Seele an dem Schicksale desselben +Anteil nimmt. + +Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und rührend. Aber drückt sich +die Freude nicht etwas anders aus? + +Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun für mich dahin. + +Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.) + +Mellefont. Du darfst. + +Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hören +mußte, daß ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu +geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an +seltner schweige. + +Mellefont. Nur vergiß nicht, wer du bist. + +Norton. Ich will es nicht vergessen, daß ich ein Bedienter bin: ein +Bedienter, der auch etwas Bessers sein könnte, wenn er, leider! +darnach gelebt hätte. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem +Fuße, daß ich mich gern mit Ihnen möchte verdammen lassen. + +Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt? + +Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich +mir vorstellte. + +Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir +vorstelltest? + +Norton. Sie in lauter Entzückung zu finden. + +Mellefont. Nur der Pöbel wird gleich außer sich gebracht, wenn ihn +das Glück einmal anlächelt. + +Norton. Vielleicht, weil der Pöbel noch sein Gefühl hat, das bei +Vornehmern durch tausend unnatürliche Vorstellungen verderbt und +geschwächt wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als +Mäßigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille-- + +Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch außer der +Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood-- + +Norton. Könnte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen.-- +Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben, +wenn Sie es nicht lieber gesehen hätten, der Vater wäre noch nicht +versöhnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer +Denkungsart schickt-- + +Mellefont. Norton! Norton! du mußt ein erschrecklicher Bösewicht +entweder gewesen sein oder noch sein, daß du mich so erraten kannst. +Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr; +so gewiß es ist, daß ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will +es mir ein, daß ich sie ewig lieben soll--soll!--Aber besorge nichts; +ich will über diese närrische Grille siegen. Oder meinst du nicht, +daß es eine Grille ist? Wer heißt mich die Ehe als einen Zwang +ansehen? Ich wünsche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich +lassen wird. + +Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood +wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fürchte, ich +fürchte-- + +Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach +London zurückreisen sehen. Da ich dir meine geheimste--Narrheit will +ich es nur unterdessen nennen--gestanden habe, so darf ich dir auch +nicht verbergen, daß ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, daß +sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muß. + +Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches. + +Mellefont. Sieh, dieses Mördereisen riß ich ihr aus der Hand (er +zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der +schrecklichsten Wut das Herz damit durchstoßen wollte. Glaubst du es +nun bald, daß ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar +fehlte es nicht viel, sie hätte mir ihre Schlinge wieder um den Hals +geworfen. Die Verräterin hat Arabellen bei sich. + +Norton. Arabellen? + +Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen können, durch welche +List sie das Kind wieder in ihre Hände bekommen. Genug, der Erfolg +fiel für sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte. + +Norton. Erlauben Sie, daß ich mich über Ihre Standhaftigkeit freuen +und Ihre Besserung schon für halb geborgen halten darf. Allein--da +Sie mich doch alles wollen wissen lassen--was hat sie unter dem Namen +der Lady Solmes hier gesollt? + +Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich +willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Übereilung, +teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts +zu demütigen.--Du schüttelst den Kopf, Norton?-- + +Norton. Das hätte ich nicht gewagt. + +Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich +im Falle der Weigerung gewagt hätte. Sie würde als Marwood +vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem +unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers. + +Norton. Danken Sie dem Himmel, daß es so ruhig abgelaufen. + +Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stieß ihr eine +kleine Unpäßlichkeit zu, daß sie sich, ohne Abschied zu nehmen, +wegbegeben mußte. Sie will wiederkommen.--Mag sie doch! Die Wespe, +die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er +wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber +auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu überlästig damit +wird.--Hör ich nicht jemand kommen? Verlaß mich, wenn sie es ist.-- +Sie ist es. Geh! + +(Norton geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + +Mellefont. Marwood. + + +Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen. + +Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, daß Ihre Unpäßlichkeit +ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser? + +Marwood. So, so! + +Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu +bemühen. + +Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge für +mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie etwas anders +damit meinen. + +Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen. + +Marwood. Der Sturm ist vorüber. Vergessen Sie ihn, bitte ich +nochmals. + +Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich +will gern alles vergessen.--Aber, wenn ich wüßte, daß Sie es für keine +Beleidigung annehmen wollten, so möchte ich wohl fragen-- + +Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie können mich nicht mehr +beleidigen.--Was wollten Sie fragen? + +Mellefont. Wie ihnen meine Miß gefallen habe. + +Marwood. Die Frage ist natürlich. Meine Antwort wird so natürlich +nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr.--Sie hat +mir sehr wohl gefallen. + +Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzückt mich. Aber wär' es auch +möglich, daß der, welcher die Reize einer Marwood zu schätzen wußte, +eine schlechte Wahl treffen könnte? + +Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist, +hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze, +Sie zu vergessen, nicht vertragen. + +Mellefont. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch +Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der +gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von +Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll +und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu +unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt. + +Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert +sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen und es +kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort +noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen? + +Mellefont. Nein, Marwood. + +Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß +Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen. + +Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben. + +Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt. + +Mellefont. Wie? + +Marwood. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von +Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr +Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein +beßres lassen könnte als die Schande, von mir geboren zu sein. + +Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will für Arabellen sorgen, ohne +ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu +setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß +sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten +gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres +Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich +danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater +verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht +eher wieder anzunehmen. + +Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe +verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muß +anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich +hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich-- + +Mellefont. Marwood!-- + +Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich +der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen? + +Mellefont. Miß Sara würde es Ihnen nicht übelnehmen können, wenn Sie +auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen. + +Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich +will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne +Lebensart gehalten werden. + +Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich +selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen +bei Ihnen rege machen muß-- + +Marwood (spöttisch lächelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich +selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, daß ich +Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens +ganz in der Stille glauben.--Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei +mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, daß +das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann. + +Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in +der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir +gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir +einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten +können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gärende +Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, daß ich Sie einige +Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen. + + + +Fünfter Auftritt + + +Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich +unbemerkt einmal Atem schöpfen und die Muskeln des Gesichts in ihre +natürliche Lage fahren lassen?--Ich muß geschwind einmal in allen +Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder +aushalten zu können.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht, +weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste +Zuflucht der ohnmächtigen Rachsucht bist. Gewiß würde ich mich zu dir +nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel +seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem +Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch +sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, daß ich mit +seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr +ungewiß, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem +Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen +wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht +verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von +mir hören. Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar +keinen Stachel zurückließen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht +mehr Marwood; ich bin eine nichtswürdige Verstoßene, die durch kleine +Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm, +der sich krümmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse +gern verwunden möchte. + + + +Sechster Auftritt + +Sara. Mellefont. Marwood. + + +Sara. Ich freue mich, Lady, daß meine Unruhe vergebens gewesen ist. + +Marwood. Ich danke Ihnen, Miß. Der Zufall war zu klein, als daß er +Sie hätte beunruhigen sollen. + +Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara. + +Sara. So eilig, Lady? + +Marwood. Ich kann es für die, denen an meiner Gegenwart in London +gelegen ist, nicht genug sein. + +Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen? + +Marwood. Morgen mit dem Frühsten. + +Mellefont. Morgen mit dem Frühsten, Lady? Ich glaubte, noch heute. + +Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, fängt sich sehr im Vorbeigehn an. +Ich schmeichle mir, in Zukunft eines nähern Umgangs mit Ihnen +gewürdiget zu werden. + +Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miß. + +Mellefont. Ich stehe Ihnen dafür, liebste Sara, daß diese Bitte der +Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muß, daß Sie +einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich +mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten können-- + +Marwood (beiseite). Wie fein! + +Sara. Mellefont, das heißt mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben. + +Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glückliche Miß. + +Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen früh wieder +fort? + +Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand +kommen! + +Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten. +Nicht wahr, liebste Miß, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort +ungesäumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht +übelnehmen. + + + +Siebenter Auftritt + +Betty. Mellefont. Sara. Marwood. + + +Mellefont. Was willst du, Betty? + +Betty. Man verlangt Sie unverzüglich zu sprechen. + +Marwood (beiseite). Ha! nun kömmt es drauf an-- + +Mellefont. Mich? unverzüglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist +es Ihnen gefällig, Ihren Besuch abzukürzen? + +Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so gütig sein und bis zu Ihrer +Zurückkunft warten. + +Marwood. Verzeihen Sie, Miß; ich kenne meinen Vetter Mellefont und +will mich lieber mit ihm wegbegeben. + +Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen. +Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versäumen-- + +Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miß, +daß es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen +ich gegen Sie gedacht habe. + +(Betty gehet ab.) + +Marwood (beiseite). Gute Vermutung! + +Mellefont. Aber doch, Lady-- + +Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miß, so muß ich mich Ihnen-- + +Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnügen nicht +mißgönnen, Lady Solmes so lange unterhalten zu dürfen? + +Mellefont. Sie wollen es, Miß?-- + +Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie +nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich +wünschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht. +Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie +allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen können, +als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.-- + +Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiß den +Augenblick wieder hier. (Geht ab.) + +Marwood (beiseite). Glücklich! + + + +Achter Auftritt + +Sara. Marwood. + + +Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Höflichkeiten manchmal mit +einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?-- + +Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als daß +ich so etwas bemerken könnte. + +Sara. Wollen sich Lady nicht setzen? + +Marwood. Wenn Sie befehlen, Miß--(Beiseite, indem sie sich setzen.) +Ich muß diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen. + +Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das glücklichste +Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden? + +Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glück zu finden weiß, so wird +ihn Miß Sara zu der beneidenswürdigsten Mannsperson machen. Aber-- + +Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady-- + +Marwood. Ich bin offenherzig, Miß-- + +Sara. Und dadurch unendlich schätzbarer-- + +Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein +Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedächtiges Aber! + +Sara. Ich glaube nicht, daß mich Lady durch diese Ausweichung noch +unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit +sein, ein Übel, das man zeigen könnte, nur argwöhnen zu lassen. + +Marwood. Nicht doch, Miß; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel. +Mellefont ist mein Anverwandter-- + +Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider +ihn zu machen haben. + +Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder wäre, so muß ich Ihnen +doch sagen, daß ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts +gegen ihn annehmen würde, wenn ich bemerkte, daß er nicht +rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig +jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu +Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache +machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu +nehmen sich nicht bedenken müßten. + +Sara. Diese Anmerkung-- + +Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Fällen meine +Richtschnur gewesen. + +Sara. Und verspricht mir--Ich zittere-- + +Marwood. Nein, Miß; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas +anderm sprechen-- + +Sara. Grausame Lady! + +Marwood. Es tut mir leid, daß ich verkannt werde. Ich wenigstens, +wenn ich mich in Gedanken an Miß Sampsons Stelle setze, würde jede +nähere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen +Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit wäre, als eine +Wohltat ansehen. + +Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon? +Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiß, daß +er mich liebt-- + +Marwood. Und andre-- + +Sara. Geliebt hat. Auch das weiß ich. Hat er mich lieben sollen, +ehe er von mir etwas wußte? Kann ich die einzige zu sein verlangen, +die für ihn Reize genug gehabt hat? Muß ich mir es nicht selbst +gestehen, daß ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht +liebenswürdig genug, daß er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken +müssen? Und ist es nicht natürlich, wenn mancher dieses Bestreben +gelungen ist? + +Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden +Gründen, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein +Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet +worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen. + +Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die +Gegenstände der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten +verdienen. + +Marwood. Miß Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu +sein. + +Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege, +welche es selbst gestehen, daß sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die +strengste nicht. Sie muß es auch nicht sein. Denn hier kömmt es +nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei +der Liebe setzt, sondern bloß darauf, die menschliche Schwachheit zu +entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und +die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu +beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie +endlich verläßt; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der +Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine +Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben +müßte. + +Marwood. Aber, Miß, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so +getrost eine Lasterhafte nennen? + +Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont. + +Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, daß +Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr +ungültiger Zeuge sein könne? + +Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, daß Sie mich auf die Probe stellen +wollen. Mellefont wird lächeln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden, +wie ernsthaft ich mich seiner angenommen. + +Marwood. Verzeihen Sie, Miß; von dieser Unterredung muß Mellefont +nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als daß Sie, zum Danke für +eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten, +die sich nur deswegen wider ihn erklärt, weil sie sein unwürdiges +Verfahren gegen mehr als eine der liebenswürdigsten Personen unsers +Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten hätte. + +Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wünschte, daß es +andre ebensowenig wollten. + +Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten +erzählen? + +Sara. Ich weiß nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, daß Sie +davon aufhören sobald Mellefont zurückkömmt. Er möchte denken, ich +hätte mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht +gern, daß er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen könnte. + +Marwood. Ich würde Miß Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben, +wenn sie mir nicht zuvorgekommen wäre. Er muß es auch nicht argwöhnen +können, daß Marwood unser Gespräch gewesen ist; und Sie werden so +behutsam sein, Ihre Maßregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.-- +Hören Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war +eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen +kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schönheit noch an +derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schönheit tot sein würde. +Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermögen. +Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtümer +gewesen sein--, hatte sie für die Befreiung eines Mannes aufgeopfert, +dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu dürfen glaubte, nachdem sie +ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen. + +Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, daß er in +einem bessern Gemälde prangte! + +Marwood. Des Mangels an Vermögen ungeachtet ward sie von Personen +gesucht, die nichts eifriger wünschten, als sie glücklich zu machen. +Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein +Antrag war ernstlich, und der Überfluß, in welchen er die Marwood zu +setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stützte. Er hatte +es bei der ersten Unterredung weg, daß er mit keiner Eigennützigen zu +tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zärtlichsten +Gefühls, welches eine Hütte einem Palaste würde vorgezogen haben, wenn +sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer +gleichgültigen Person hätte leben sollen. + +Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht gönne. Schmeicheln +Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich möchte sie am Ende bedauern +müssen. + +Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste +Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters +bekam, welcher ihm sein ganzes Vermögen mit der Bedingung hinterließ, +eine weitläuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen +reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an +Großmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft +eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie würde +verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miß, das war groß gedacht? + +Sara. O Lady, wer weiß es besser als ich, daß Mellefont das edelste +Herz besitzt? + +Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch +spät an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen +hätte. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war +fort. + +Sara. Wohin? Warum? + +Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm +entdeckte, daß er sich keine Rechnung machen dürfe, sie jemals +wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, daß sie ihn liebe; aber eben +deswegen könne sie sich nicht überwinden, die Ursache einer Tat zu +sein, die er notwendig einmal bereuen müsse. Sie erlasse ihn seines +Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die +Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den +Besitz eines Vermögens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas +Wichtigerm brauchen könne, als einem Frauenzimmer eine unüberlegte +Schmeichelei damit zu machen. + +Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche +Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl fähig sein, aber nicht +Marwood. Gewiß Marwood nicht. + +Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miß, daß Sie wider sie +eingenommen sind.--Mellefont wollte über den Entschluß der Marwood von +Sinnen kommen. Er schickte überall Leute aus, sie wieder aufzusuchen; +und endlich fand er sie. + +Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel. + +Marwood. Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer +von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich; +und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht +annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, daß +sie nach London zurückzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre +Vermählung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen +Verzögerns überdrüssig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei. +Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der täglichen Besuche des +Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle +Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der +Freundschaft zurückgewiesen hat. Aber wie unmöglich ist es, daß ein +hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht überschreiten sollte! +Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefährlich machen +kann. Niemand kann hiervon überzeugter sein als Miß Sampson selbst. + +Sara. Ach! + +Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat über ihre Schwachheit mehr +als einmal geseufzet und seufzet noch. + +Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr +als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten. + +Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloß die +unglückliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie +am richtigsten von ihr urteilen könnten.--Kurz, die Liebe gab dem +Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es länger +nicht für nötig, sie durch die Gesetze gültig machen zu lassen. Wie +glücklich wäre Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein +von ihrer Schande wüßten! Wie glücklich, wenn nicht eine jammernde +Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst +verbergen zu können wünschte! + +Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter-- + +Marwood. Ja, Miß, eine unglückliche Tochter verlieret durch die +Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals +ohne Abscheu nennen zu können. + +Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont +verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady? + +Marwood. Sie dürfen sicher glauben, Miß, daß Ihnen Mellefont +vielleicht noch mehr verschwiegen hat. + +Sara. Noch mehr? Was könnte er mir noch mehr verschwiegen haben? + +Marwood. Dieses, daß er die Marwood noch liebt. + +Sara. Sie töten mich, Lady! + +Marwood. Es ist unglaublich, daß sich eine Liebe, welche länger als +zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren könne. Sie kann zwar +eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine +kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder +hervorbricht. Ich könnte Ihnen eine Miß Oklaff, eine Miß Dorkas, eine +Miß Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood +einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende +auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt, +über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf +in das Gesicht bekömmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miß, Sie wären +die einzige Glückliche, bei welcher sich alle Umstände wider ihn +erklärten; gesetzt, Sie brächten ihn dahin, daß er seinen nunmehr zur +Natur gewordenen Abscheu gegen ein förmliches Joch überwinden müßte: +glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein? + +Sara. Ich Unglückliche! Was muß ich hören! + +Marwood. Nichts weniger. Alsdann würde er eben am allerersten in die +Arme derjenigen zurückeilen, die auf seine Freiheit so eifersüchtig +nicht gewesen. Sie würden seine Gemahlin heißen, und jene würde es +sein. + +Sara. Martern Sie mich nicht länger mit so schrecklichen +Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie +mir, was ich tun soll. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen es wissen, +durch was es etwa noch möglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen, +ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft +bleibet. + +Marwood. Daß man einen Vogel fangen kann, Miß, das weiß ich wohl. +Aber daß man ihm seinen Käfig angenehmer als das freie Feld machen +könne, das weiß ich nicht. Mein Rat wäre also, ihn lieber nicht zu +fangen und sich den Verdruß über die vergebne Mühe zu ersparen. +Begnügen Sie sich, Miß, an dem Vergnügen, ihn sehr nahe an Ihrer +Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen können, daß er die +Schlinge ganz gewiß zerreißen werde, wenn Sie ihn vollends +hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht +herein. + +Sara. Ich weiß nicht, ob ich dieses tändelnde Gleichnis recht +verstehe, Lady-- + +Marwood. Wenn Sie verdrießlich darüber geworden sind, so haben Sie es +verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der +Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit können +und sollen Miß Sampson bewegen, ihre Ansprüche auf einen Mann +aufzugeben, auf den Marwood die ersten und stärksten hat. Noch stehen +Sie, Miß, mit ihm so, daß Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre, +aber doch ohne öffentliche Schande von ihm ablassen können. Eine +kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch +ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles +vergessen, und es finden sich für eine reiche Erbin noch immer +Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen +Umständen wäre und sie brauchte weder für ihre im Abzuge begriffene +Reize einen Gemahl noch für ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiß +ich gewiß, Marwood würde gegen Miß Sampson großmütiger handeln, als +Miß Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten +macht. + +Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die +Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwürdig verrät man Sie, +Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir +allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer +Zunge zu fürchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn +Lady haben lange genug unanständig geredet. Wodurch hat Marwood sich +eine solche Vorsprecherin erwerben können, die alle ihre +Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr +aufzudrängen, und alle Ränke anwendet, mich gegen die Redlichkeit +eines Mannes argwöhnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein +Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, daß sich Marwood +einer Tochter von ihm rühme; ward mir nur deswegen diese und jene +betrogene Miß genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste +Art zu verstehen geben könne, ich würde wohl tun, wenn ich mich selbst +einer verhärteten Buhlerin nachsetzte? + +Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine +verhärtete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren +Kraft Sie nicht überleget haben. + +Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung +der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste +Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es +kann leicht in der Welt nicht wohl möglich sein, nur lauter +tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer +Freundschaft wegen so tief herabgestoßen zu werden? Wenn ich der +Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiß nicht +getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt. +Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn +Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit +auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und +demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es +wüßten, was für Reue, was für Gewissensbisse, was für Angst mich mein +Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich länger so +grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der +Himmel selbst hört auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die +Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke, +Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie +glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende +Bewegung--Ach! wo ich Sie erzürnt habe, Lady, so bitte ich um +Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin; was Sie gesagt haben, +war ohne Zweifel so böse nicht gemeint. Vergessen Sie meine +Übereilung. Wodurch kann ich Sie besänftigen? Wodurch kann auch ich +mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen +gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fußfällig darum +bitten--(indem sie niederfällt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo +ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich +und Marwood nicht in einen Rang zu setzen. + +Marwood (die einige Schritte stolz zurücktritt und die Sara liegen +läßt). Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu +reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte--Erkennen +Sie, Miß, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden +die Marwood selbst fußfällig bitten. + +Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht). +Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die +mördrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab. +Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont; +retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters, +erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?-- +Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit tötender Faust +auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.) + + + +Neunter Auftritt + + +Marwood. Was will die Schwärmerin?--O daß sie wahr red'te und ich mit +tötender Faust auf sie eindränge! Bis hieher hätte ich den Stahl +sparen sollen, ich Törichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in +der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Füßen durchbohren zu können!-- +Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein. +Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten, +aber nicht müßig. Vielleicht, daß ihn die glückliche List meines +Bedienten noch lange genug aufhält!--Ich sehe, ich werde gefürchtet. +Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das +letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige +Waffen: doch die Verzweiflung verschmäht keine, so armselig sie sind. +Ein schreckhaftes Mädchen, das betäubt und mit zerrütteten Sinnen +schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fürchterliche Worte für +fürchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr +wieder Mut machen und sie über meine Drohungen spotten lehren. Er +wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es wäre wenig in der Welt +unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen hätte. +Und bin ich auf den unglücklichsten nicht schon vorbereitet?--Der +Dolch war für andre, das Gift ist für mich!--Das Gift für mich! Schon +längst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe, +auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die +geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; für uns ein ebenso +gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt wäre, +in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen-- +Was halte ich mich mit Wünschen auf?--Fort! Ich muß weder mich noch +sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der +sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.) + +(Ende des vierten Aufzuges.) + + + + + +Fünfter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Das Zimmer der Sara. + + +Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty. + +Betty. Fühlen Sie nicht, Miß, daß Ihnen ein wenig besser wird? + +Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du +hast doch nach ihm ausgeschickt? + +Betty. Norton und der Wirt suchen ihn. + +Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will +durchaus nicht, daß er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll. +Wie er es selbst erzählte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig. +Nicht wahr, Betty, du hältst ihn auch für unschuldig--Sie kömmt ihm +nach; was kann er dafür? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden. +Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst +als ich?--Und endlich will die böse Marwood mich sehen oder nicht eher +nach London zurückkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen? +Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen. +Mellefont weiß wohl, daß wir neugierige Geschöpfe sind. Und wenn ich +nicht selbst darauf gedrungen hätte, daß sie bis zu seiner Zurückkunft +bei mir verziehen sollte, so würde er sie wieder mit weggenommen haben. +Ich würde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu +wissen, daß ich sie gesehen hätte. Und vielleicht würde mir dieser +kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist +mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die +kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weißt wohl, Betty, ich +bin dazu geneigt. + +Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miß noch nie gesehen. + +Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Mädchen +freilich zu schaffen gemacht haben. + +Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich +befanden, gerühret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, daß sie sich +nur fortbegeben möchte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher +verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich +Ihnen die Arzenei einflößen konnte. + +Sara. Ich muß es wohl gar für ein Glück halten, daß ich in Ohnmacht +gefallen bin. Denn wer weiß, was ich noch von ihr hätte hören müssen. +Umsonst mochte sie mir gewiß nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du +glaubst nicht, wie außer mir ich war. Auf einmal fiel mir der +schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine +Unsinnige, die nicht weiß, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont +kömmt noch nicht.--Ach! + +Betty. Was für ein Ach, Miß? Was für Zuckungen?-- + +Sara. Gott! was für eine Empfindung war dieses-- + +Betty. Was stößt Ihnen wieder zu? + +Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige +Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei. + + + +Zweiter Auftritt + +Norton. Sara. Betty. + + +Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein. + +Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden? + +Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo +ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der größten Wichtigkeit mit +ihm sprechen müsse. Nach langem Herumführen hat sich der Betrüger ihm +von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglück, wo er sich ertappen +läßt; so wütend ist Mellefont. + +Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen? + +Norton. Alles. + +Sara. Aber mit einer Art-- + +Norton. Ich habe auf die Art nicht denken können. Genug, er weiß es, +was für Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat. + +Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.-- + +Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur, +mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget. + + + +Dritter Auftritt + +Mellefont. Norton. Sara. Betty. + + +Mellefont. Ach, Miß, wenn auch diese Ihre Liebe nicht wäre-- + +Sara. So wäre ich von uns beiden gewiß die Unglücklichste. Ist Ihnen +in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdrießlichers zugestoßen als mir, so +bin ich vergnügt. + +Mellefont. So gütig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient. + +Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, daß ich Sie nicht +zärtlicher empfangen kann. Bloß Ihrer Zufriedenheit wegen wünschte +ich, mich weniger krank zu fühlen. + +Mellefont. Ha, Marwood, diese Verräterei war noch übrig! Der +Nichtswürdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer +Straße in die andre, aus einem Winkel in den andern führte, war gewiß +nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miß, +diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe +List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon +entfernt, sie dafür zu halten. Umsonst muß sie so treulos nicht +gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; laß sie nicht +aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme. + +Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte für Marwood. + +Mellefont. Geh! + +(Norton geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + +Sara. Mellefont. Betty. + + +Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten +fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood +vieles nicht wissen-- + +Mellefont. Vieles? Was ist das Viele? + +Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont.--Sie werden +stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht +wollen, daß ich es wissen soll. + +Mellefont. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile +glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer +aufgebrachten Verleumderin. + +Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das +erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares +Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen +haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte-- + +Mellefont. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer +blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also +mußte mißlingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung +von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es +fürchten--Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was +Sie von ihr wollen erfahren haben. + +Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe +gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen +haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste +gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben +gehen lassen. + +Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf +ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen +müssen!--Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige +nicht entdecken-- + +Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein näherer Schritt +dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiß. +Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses +Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein würde als die +Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muß mir eine plötzliche +Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen +müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es +Ihnen sagen sollte.--Marwood erwähnte eines Pfandes, und der +schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen, +einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege +machen muß, als Sie gegen mich empfinden-- + +Mellefont. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande +bekannt?--Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie +schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde +hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche, +der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter. + +Sara. Sie lieben sie also doch?-- + +Mellefont. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte. + +Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe +willen! Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die +Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet +hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen, +sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß +eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des +Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen. +Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu +werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen Sie mich an +die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine +Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen +Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn +Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe, +meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden! +Glückliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch +vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß +in meiner Begierde nach Glück!--Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte +Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle +Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die +Hand vors Gesicht hält.) + +Mellefont. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken!-- +Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, großmütige +Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand +(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den +grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand +neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre +Schmerzen nicht mitfühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur +mitfühlen kann!--Daß ich sie nicht allein fühlen soll!--So eile doch, +Betty-- + +Betty. Wohin soll ich eilen?-- + +Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe! + +Sara. Bleib nur!--Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder +erschrecken, Mellefont. + +Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht bloße Folgen +einer Ohnmacht.-- + + + +Fünfter Auftritt + +Norton. Mellefont. Sara. Betty. + + +Mellefont. Du kömmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier +nötiger sein. + +Norton. Marwood ist fort-- + +Mellefont. Und meine Flüche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?-- +Unglück und Tod und, wo möglich, die ganze Hölle möge sich auf ihrem +Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und +unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer größtes zu +verschlingen!-- + +Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurückgekommen, hat sie sich mit +Arabellen und ihrem Mädchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit +verhängtem Zügel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von +ihr an Sie zurückgeblieben. + +Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn +lesen, Miß? + +Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont. + +Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood +gerächet und Sie, teuerste Miß, außer Gefahr weiß? + +Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hören. Die Rache ist nicht +unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu +gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper +weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer +werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatürlich scheint +mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur für +sich. + +Mellefont. Was ist es für ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu +sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muß ich ihn +lesen. + +Sara (indem Mellefont für sich lieset). Wie schlau weiß sich der +Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich +unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne, +was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich +besorge einen neuen Schreck und werde es nötig haben.--Siehst du, was +der unglückliche Zettel für einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!-- +Sie geraten außer sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty! +Reiche ihm das Salz!--Er hat es nötiger als ich. + +Mellefont (der die Betty damit zurückstößt). Nicht näher, +Unglückliche!--Deine Arzeneien sind Gift!-- + +Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie! + +Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch. + +Mellefont. Wünsche dir, Elende, daß du es nicht wärest!--Eile! +fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer +meiner Wut wirst! + +Sara. Was für Reden!--Mellefont, liebster Mellefont-- + +Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem göttlichen +Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Füßen, Sara--(Indem er sich +niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Füßen? (und wieder +aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen +entdecken, Miß, daß Sie mich hassen werden, daß Sie mich hassen müssen. +--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie +werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, müßig und +angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Ärzte zusammen! Suche Hilfe, +Betty! Laß die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein! +bleibt hier! Ich gehe selbst.-- + +Sara. Wohin, Mellefont? Nach was für Hilfe! Von welchem Irrtume +reden Sie? + +Mellefont. Göttliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind +verloren, liebste Miß! Auch ich bin verloren!--Daß die Welt mit uns +verloren wäre!-- + + + +Sechster Auftritt + +Sara, Norton. Betty. + + +Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest +du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Äußerste, +daß ich sterben müsse: bin ich darum verloren? Und was will er denn +mit dir, arme Betty?--Du ringst die Hände? Betrübe dich nicht; du +hast ihn gewiß nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Hätte +er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja +wohl denken, daß er das letzte Gift der Marwood enthalten müsse.-- + +Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich +glaube es nicht.-- + +Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres +Vaters, Miß-- + +Sara. Laß ihn hereinkommen, Norton! + + + +Siebenter Auftritt + +Waitwell. Sara. Betty. Norton. + + +Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell. +Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestürzt? Man +hat es dir gewiß gesagt, daß ich krank bin. + +Waitwell. Und noch mehr! + +Sara. Gefährlich krank?--Ich schließe es mehr aus der ungestümen +Angst des Mellefont, als daß ich es fühle.--Wenn du mit dem +unvollendeten Briefe der unglücklichen Sara an den unglücklichern +Vater abreisen müßtest, Waitwell?--Laß uns das Beste hoffen! Willst +du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute +Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo möchte ich es nicht imstande +sein. Diese Hand hängt wie tot an der betäubten Seite.--Wenn der +ganze Körper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein +alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht +weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde, +Annäherungen des Todes sind--so sind die Annäherungen des Todes so +bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle +unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich +konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muß er nicht sein--Aber, +Betty, warum hörst du noch nicht auf, dich so untröstlich zu bezeigen? + + +Betty. Erlauben Sie mir, Miß, erlauben Sie mir, daß ich mich aus +Ihren Augen entfernen darf. + +Sara. Geh nur; ich weiß wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um +Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton, +wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn +umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart. + +Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Händen +der Marwood!-- + + + +Achter Auftritt + +Waitwell. Sara. + + +Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben +willst, so laß mich kein so wehmütiges Gesicht sehen. Du verstummst?-- +Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater. +Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Tröstliches +sagtest. Wiederhole mir, daß mein Vater versöhnt ist und mir vergeben +hat. Wiederhole es mir, und füge hinzu, daß der ewige himmlische +Vater nicht grausamer sein könne.--Nicht wahr, ich kann hierauf +sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstände gekommen wäre, +wie würde es mit mir ausgesehen haben! Ich würde verzweifelt sein, +Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der +wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muß--Was für ein Gedanke! +Sag ihm, daß ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue, +Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! daß ich es ihm +nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist! +Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wünschte ich, den +schmachtenden Rest zu seinen Füßen aufgeben zu können! + +Waitwell. Wünschen Sie wirklich, Miß, ihn zu sehen? + +Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an +meinem letzten Verlangen zu zweifeln. + +Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche? +Eine plötzliche Freude ist so gefährlich als ein plötzlicher Schreck. +Ich fürchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein +unvermuteter Anblick auf einen so zärtlichen Geist machen möchte. + +Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?-- + +Waitwell. Der gewünschte, Miß!--Fassen Sie sich! + + + +Neunter Auftritt + +Sir William Sampson. Sara, Waitwell. + + +Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muß sie +sehen. + +Sara. Wessen Stimme-- + +Sir William. Ach, meine Tochter! + +Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, daß ich +mich zu seinen Füßen werfen kann. (Sie will aufstehen und fällt aus +Schwachheit in den Lehnstuhl zurück.) Er ist es doch? Oder ist es +eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel, +der den Starken zu stärken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein +Bote des Höchsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater! + + +Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem +sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal, +bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie +umfassen sehen. + +Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr +sein! Zu glücklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen +die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke, +lange Tage, ein nochmaliges Leben würde erfodert, alles zu sagen, was +eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten, +einem großmütigen, einem zärtlichen Vater sagen kann. Mein Fehler, +Ihre Vergebung-- + +Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir +aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben +erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, daß ich damit gezaudert +habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in +die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon +vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten? +Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich +sogleich deinen Umarmungen zugeeilet wäre. Ein heimlicher Unwille +mußte in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens +zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiß +sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater +so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben? +Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude +an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese +Freude?--Aber wer sagt es denn, daß ich sie verlieren soll? Du wirst +leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen +Gedanken. Mellefont macht die Gefahr größer, als sie ist. Er brachte +das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Ärzte aufzusuchen, die er +in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe +seine stürmische Angst, seine hoffnungslose Betrübnis, ohne von ihm +gesehen zu werden. Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet; +nun gönne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in +seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan hätte, tue ich +nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, daß es +Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat? +So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen können und mehr +nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpäßlichkeit, +da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich +sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwächer, ich seh es und +bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich +laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermögen? mein Leben? Sage +doch! + +Sara. Bester Vater, alle Hilfe würde vergebens sein. Auch die +unschätzbarste würde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben für mich +erkaufen wollten. + + + +Zehnter Auftritt + +Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell. + + +Mellefont. Ich wag' es, den Fuß wieder in dieses Zimmer zu setzen? +Lebt sie noch? + +Sara. Treten Sie näher, Mellefont. + +Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miß; ich +komme ohne Trost, ohne Hilfe zurück. Die Verzweiflung allein bringt +mich zurück--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Unglücklicher Vater! Sie +sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht +eher? Sie kommen zu spät, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!-- +sich gerächet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spät gekommen sein. + +Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke +nicht, daß wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen +es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie +sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben. + +Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre +Forderung.--Ich habe Ihnen, Miß, schon zu viel Unglück zugezogen, als +daß ich mich bedenken dürfte, Ihnen auch das letzte anzukündigen: Sie +müssen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben? + +Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, daß ich +es argwöhnen kann. + +Mellefont. Sie müssen es wissen; denn wer könnte mir dafür stehen, +daß Sie nicht falsch argwöhnten? Dies schreibet Marwood. (Er lieset.) +"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue +in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr +entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab +sich alle Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr, +daß sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den glücklichen +Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich +gerührt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es +ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu +einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen +Mörderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu rühmen wagen. Ich bin +auf dem Wege nach Dover: Sie können mich verfolgen und meine eigne +Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so +will ich Arabellen unverletzt zurücklassen. Bis dahin aber werde ich +sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miß. +Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie müssen die Mörderin zur +Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie +erstarrt er dasteht! + +Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit +meinen Augen überzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen +Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch haben? (Zerreißt es.) + +Mellefont. Was machen Sie, Miß! + +Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie +noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es +der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher +finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget?--Noch liebe ich Sie, +Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde +ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater, +daß Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch +eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafür +erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die +Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir +nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen? +Ich vermache diese väterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie +dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie +gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein +Vater!--Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wagen? +--Tröste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem +trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter +verlierest?-- + +Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes +Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon +halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen +Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen? Laß mir einen +Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt. +Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines +frommen Sterbenden erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte +meines Lebens sei. + +Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele +lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen +vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen +Schranken--Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie fallen als +feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder +schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr, +Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke +ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches Händeringen. Das arme +Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch +ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit +entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater-- + +Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen. +(Indem er zu ihren Füßen fällt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie +zu berühren. Die gemeine Sage schreckt mich, daß der Körper eines +Erschlagenen durch die Berührung seines Mörders zu bluten anfange. +Und wer ist ihr Mörder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht +auf.)--Nun ist sie tot, Sir; nun hört sie uns nicht mehr: nun +verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente +Verwünschungen aus! Es müsse keine mein Haupt verfehlen, und die +gräßlichste derselben müsse gedoppelt erfüllt werden!--Was schweigen +Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiß tot! Nun bin ich wieder nichts +als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zärtlichen +Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' hätten.--Was ist das? Ich +will nicht, daß Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen! +Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verführer! Denken Sie nach, Sir!-- +Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese blühende Schönheit, über +die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub! +Meinetwegen vergaß sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riß sie +sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen mußte sie +sterben!--Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen +Sie mich es hören, daß Sie Vater sind. + +Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als daß +ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte.--Laß dich +umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte! + +Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die +menschliche Natur vermag! Sie können mein Vater nicht sein.--Sehen +Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der +Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Unglücke mußte +ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht +gefallen wäre, so lebte Sara noch. Sie hätten Ihre Tochter noch und +hätten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene +ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen--das +steht bei mir! (Er ersticht sich und fällt an dem Stuhle der Sara +nieder.) + +Sir William. Halt ihn, Waitwell!--Was für ein neuer Streich auf mein +gebeugtes Haupt!--Oh! wenn das dritte hier erkaltende Herz das meine +wäre! + +Mellefont (sterbend). Ich fühl es--daß ich nicht fehlgestoßen habe!-- +Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die +Hand drücken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.)--Sie +haben von einer Arabella gehört, für die die sterbende Sara Sie bat. +Ich würde auch für sie bitten--aber sie ist der Marwood Kind sowohl +als meines--Was für fremde Empfindungen ergreifen mich!--Gnade! o +Schöpfer, Gnade! + +Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kräftig sind, Waitwell, so laßt +uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr +unglücklich als lasterhaft.-- + + + +Eilfter Auftritt + +Norton. Die Vorigen. + + +Norton. Ärzte, Sir.-- + +Sir William. Wenn sie Wunder tun können, so laß sie hereinkommen!-- +Laß mich nicht länger, Waitwell, bei diesem tötenden Anblicke +verweilen. Ein Grab soll beide umschließen. Komm, schleunige Anstalt +zu machen, und dann laß uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie +sei: sie ist ein Vermächtnis meiner Tochter. + +(Sie gehen ab, und das Theater fällt zu.) + +(Ende des Trauerspiels.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Miß Sara Sampson, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + + + + + +End of Project Gutenberg's Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON *** + +***** This file should be named 9157-8.txt or 9157-8.zip ***** +This and all associated files of various formats will be found in: + http://www.gutenberg.org/9/1/5/9157/ + +Produced by Delphine Lettau, from files obtained from +Gutenberg Projekt-DE. + +Updated editions will replace the previous one--the old editions will +be renamed. + +Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright +law means that no one owns a United States copyright in these works, +so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United +States without permission and without paying copyright +royalties. 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It +exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations +from people in all walks of life. + +Volunteers and financial support to provide volunteers with the +assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's +goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will +remain freely available for generations to come. In 2001, the Project +Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure +and permanent future for Project Gutenberg-tm and future +generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see +Sections 3 and 4 and the Foundation information page at +www.gutenberg.org Section 3. Information about the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit +501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the +state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal +Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification +number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by +U.S. federal laws and your state's laws. + +The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the +mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its +volunteers and employees are scattered throughout numerous +locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt +Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to +date contact information can be found at the Foundation's web site and +official page at www.gutenberg.org/contact + +For additional contact information: + + Dr. Gregory B. Newby + Chief Executive and Director + gbnewby@pglaf.org + +Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg +Literary Archive Foundation + +Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide +spread public support and donations to carry out its mission of +increasing the number of public domain and licensed works that can be +freely distributed in machine readable form accessible by the widest +array of equipment including outdated equipment. Many small donations +($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt +status with the IRS. + +The Foundation is committed to complying with the laws regulating +charities and charitable donations in all 50 states of the United +States. 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Thus, we do not +necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper +edition. + +Most people start at our Web site which has the main PG search +facility: www.gutenberg.org + +This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, +including how to make donations to the Project Gutenberg Literary +Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to +subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. + diff --git a/9157-8.zip b/9157-8.zip Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..1fc797c --- /dev/null +++ b/9157-8.zip diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Miss Sara Sampson + +Author: Gotthold Ephraim Lessing + +Release Date: October, 2005 [EBook #9157] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on September 9, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ASCII + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON *** + + + + +Produced by Delphine Letttau. The book content was graciously +contributed by the Gutenberg Projekt-DE + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfuegung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Miss Sara Sampson + +Gotthold Ephraim Lessing + +Ein Trauerspiel in fuenf Aufzuegen + + + +Personen: + +Sir William Sampson +Miss Sara, dessen Tochter +Mellefont +Marwood, Mellefonts alte Geliebte +Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter +Waitwell, ein alter Diener des Sampson +Norton, Bedienter des Mellefont +Betty, Maedchen der Sara +Hannah, Maedchen der Marwood +Der Gastwirt und einige Nebenpersonen + + + + + +Erster Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe. + + +Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein. + +Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause? + +Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiss das allerelendeste im +ganzen Staedtchen zu seinem Aufenthalte gewaehlt. Boese Leute suchen +immer das Dunkle, weil sie boese Leute sind. Aber was hilft es ihnen, +wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen koennten? Das +Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.--Ach, Sie +weinen schon wieder, schon wieder, Sir!--Sir! + +Sir William. Lass mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient +sie etwa meine Traenen nicht? + +Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Traenen waeren. + +Sir William. Nun so lass mich. + +Waitwell. Das beste, schoenste, unschuldigste Kind, das unter der +Sonne gelebt hat, das muss so verfuehrt werden! Ach Sarchen! Sarchen! +Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind +auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Laecheln, +dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die +Morgenroete eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer-- + +Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwaertige mein Herz +schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an +vergangne Glueckseligkeiten noch hoellischer machen? Aendre deine +Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir +aus meiner Zaertlichkeit ein Verbrechen; vergroessre das Vergehen meiner +Tochter; erfuelle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie; +entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verfuehrer; +sage, dass Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehoert +hat, es zu sein; sage, dass sie mich nie geliebt, weil sie mich +heimlich verlassen hat. + +Waitwell. Sagte ich das, so wuerde ich eine Luege sagen, eine +unverschaemte, boese Luege. Sie koennte mir auf dem Todbette wieder +einfallen, und ich alter Boesewicht muesste in Verzweiflung sterben.-- +Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiss! gewiss! sie liebt +ihn noch. Wenn Sie nur davon ueberzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich +sie heute noch wieder in Ihren Armen. + +Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich ueberzeugt zu sein. +Ich kann sie laenger nicht entbehren; sie ist die Stuetze meines Alters, +und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versuessen hilft, +wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler +vergessen. Es war der Fehler eines zaertlichen Maedchens, und ihre +Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als +erzwungene Tugenden--Doch ich fuehle es, Waitwell, ich fuehle es; wenn +diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsaetzliche +Laster waeren: ach! ich wuerde ihr doch vergeben. Ich wuerde doch +lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein +wollen. + +Waitwell. Trocknen Sie Ihre Traenen ab, lieber Sir! Ich hoere jemanden +kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen. + + + +Zweiter Auftritt + +Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell. + + +Der Wirt. So frueh, meine Herren, so frueh? Willkommen! willkommen, +Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr, +von dem du gestern mit mir gesprochen hast? + +Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, dass du abgeredetermassen-- + +Der Wirt. Gnaediger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt +mir daran, ob ich es weiss oder nicht, was Sie fuer eine Ursache hierher +fuehrt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt +sein Geld und laesst seine Gaeste machen, was ihnen gutduenkt. Waitwell +hat mir zwar gesagt, dass Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen +Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhaelt, ein wenig +beobachten wollen. Aber ich hoffe, dass Sie ihm keinen Verdruss +verursachen werden. Sie wuerden mein Haus in einen uebeln Ruf bringen, +und gewisse Leute wuerden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner +muss von allen Sorten Menschen leben.-- + +Sir William. Besorget nichts; fuehrt mich nur in das Zimmer, das +Waitwell fuer mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen +Absichten hierher. + +Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnaediger Herr! Die +Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich haette es, zum Exempel, +laengst erfahren koennen, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben +wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, dass +er mit dem Frauenzimmer muss durchgegangen sein. Das gute Weibchen, +oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube +eingeschlossen und weint. + +Sir William. Und weint? + +Der Wirt. Ja, und weint--Aber, gnaediger Herr, warum weinen Sie? Das +Frauenzimmer muss Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht-- + +Waitwell. Halt ihn nicht laenger auf. + +Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer +trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht-- + +Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer-- + +Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen. + +Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehoerigen Ort, ehe noch +das ganze Haus wach wird. + +Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnaediger Herr? (Geht ab.) + + + +Dritter Auftritt + +Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer. + + +Mellefont und hernach sein Bedienter. + +Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die +ich auf der Folter nicht grausamer haette zubringen koennen!--Norton!-- +Ich muss nur machen, dass ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich +mit meinen Gedanken laenger allein: sie moechten mich zu weit fuehren.-- +He, Norton! Er schlaeft noch. Aber bin ich nicht grausam, dass ich den +armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie gluecklich ist er!--Doch ich +will nicht, dass ein Mensch um mich gluecklich sei.--Norton! + +Norton (kommend). Mein Herr! + +Mellefont. Kleide mich an!--O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn +ich werde laenger schlafen koennen, so erlaube ich dir, dass du auch +laenger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen +willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir. + +Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiss besser, +wo das Mitleiden hingehoert. + +Mellefont. Und wohin denn? + +Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts. + +Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen +aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiss es, wer dein Mitleiden +erschoepft.--Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren. +Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem +Herzen, aber--verfluche auch dich. + +Norton. Auch mich? + +Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht +tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht +hast. + +Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was? + +Mellefont. Dadurch, dass du dazu geschwiegen. + +Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften wuerde mir +ein Wort den Hals gekostet haben.--Und dazu, als ich Sie kennenlernte, +fand ich Sie nicht schon so arg, dass alle Hoffnung zur Bessrung +vergebens war? Was fuer ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten +Augenblicke an fuehren sehen! In der nichtswuerdigsten Gesellschaft von +Spielern und Landstreichern--ich nenne sie, was sie waren, und kehre +mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht--in solcher +Gesellschaft brachten Sie ein Vermoegen durch, das Ihnen den Weg zu den +groessten Ehrenstellen haette bahnen koennen. Und Ihr strafbarer Umgang +mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der boesen Marwood-- + +Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war +Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermoegen; gut. +Die Strafe koemmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und +Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte +Weibsbilder; lass es sein. Ich ward oefter verfuehrt, als ich verfuehrte; +und die ich selbst verfuehrte, wollten verfuehrt sein.--Aber--ich hatte +noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch +keine Unschuld in ein unabsehliches Unglueck gestuerzt. Ich hatte noch +keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie +gezwungen, einem Nichtswuerdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr +sein eigen war. Ich hatte--Wer koemmt schon so frueh zu mir? + + + +Vierter Auftritt + +Betty. Mellefont. Norton. + + +Norton. Es ist Betty. + +Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fraeulein? + +Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach +Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie +schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muss das fuer ein +Schlaf gewesen sein! Ploetzlich fuhr sie in die Hoehe, sprang auf und +fiel mir als eine Unglueckliche in die Arme, die von einem Moerder +verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiss floss ihr ueber das +erblasste Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat +mir bis an den Morgen nur mit stummen Traenen geantwortet. Endlich hat +sie mich einmal ueber das andre an Ihre Tuere geschickt, zu hoeren, ob +Sie schon auf waeren. Sie will Sie sprechen. Sie allein koennen sie +troesten. Tun Sie es doch, liebster gnaediger Herr, tun Sie es doch. +Das Herz muss mir springen, wenn sie sich so zu aengstigen fortfaehrt. + +Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, dass ich den Augenblick bei ihr sein +wolle-- + +Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen. + +Mellefont. Nun so sage ihr, dass ich sie erwarte--Ach!-- + +(Betty geht ab.) + + + +Fuenfter Auftritt + +Mellefont. Norton. + + +Norton. Gott, die arme Miss! + +Mellefont. Wessen Gefuehl willst du durch deine Ausrufung rege machen? +Sieh, da laeuft die erste Traene, die ich seit meiner Kindheit geweinet, +die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende +Betruebte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?--Doch wo +soll sie ihn sonst suchen?--Ich muss mich fassen. (Indem er sich die +Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein +schoenes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin, +durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?--Nun wird sie +kommen und wird unwiderstehliche Traenen weinen. Verwirrt, beschaemt +werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Suender werde ich vor +ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen? + +Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird. + +Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit +Unrecht tadelt sie die Verzoegerung einer Zeremonie, die itzt ohne +unser aeusserstes Verderben in dem Koenigreiche nicht vollzogen werden +kann. + +Norton. So machen Sie denn, dass Sie es verlassen. Warum zaudern wir? +Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern? +Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft +sein. Vielleicht, dass ihr der Kummer nicht ganz ueber das Meer folgt; +dass sie einen Teil desselben zuruecklaesst, und in einem andern Lande-- + +Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie koemmt. Wie schlaegt +mir das Herz-- + + + +Sechster Auftritt + +Sara. Mellefont. Norton. + + +Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht +gehabt, liebste Miss-- + +Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht waere-- + +Mellefont (zum Bedienten). Verlass uns! + +Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir +gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt wuerde. + + + +Siebenter Auftritt + +Sara. Mellefont. + + +Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miss. Sie muessen sich setzen. + +Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr frueh; und werden Sie +mir es vergeben, dass ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange? + +Mellefont. Teuerste Miss, Sie wollen sagen, dass Sie mir es nicht +vergeben koennen, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne dass +ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe. + +Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen +bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte +Woche faengt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf +eben dem Fusse als den ersten Tag. + +Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe? + +Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fuehle mein Unglueck zu +sehr, zu sehr, als dass ich mir selbst diese letzte, einzige Versuessung +desselben rauben sollte. + +Mellefont. Wie kann also meine Miss ueber die Verschiebung einer +Zeremonie unruhig sein? + +Sara. Ach, Mellefont, warum muss ich einen andern Begriff von dieser +Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart +etwas nach. Ich stelle mir vor, dass eine naehere Einwilligung des +Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den +gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die +Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das +erstemal, fuer Fruechte meines Misstrauens angesehen haben. Ich stritt +mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betaeuben; +aber mein Herz und ein inneres Gefuehl warfen auf einmal das muehsame +Gebaeude von Schluessen uebern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten +mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu +quaelen, verband. Was fuer Bilder, was fuer schreckliche Bilder +schwaermten um mich herum! Ich wollte sie gern fuer Traeume halten-- + +Mellefont. Wie? Meine vernuenftige Sara sollte sie fuer etwas mehr +halten? Traeume, liebste Miss, Traeume!--Wie ungluecklich ist der Mensch! +Fand sein Schoepfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen fuer +ihn genug? Musste er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich +von Einbildungen in ihm schaffen? + +Sara. Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in +unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn +diese unsern Pflichten und der Tugend gemaess sind, so dienen die sie +begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres +Vergnuegens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der +von einem Friedensboten im Namen der ewigen Guete auf uns gelegt wird, +kann meine zerruettete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an, +mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun +werden? Erbarmen Sie sich meiner, und ueberlegen Sie, dass, wenn Sie +mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese +eingebildete Qualen doch Qualen und fuer die, die sie empfindet, +wirkliche Qualen sind.--Ach, koennte ich Ihnen nur halb so lebhaft die +Schrecken meiner vorigen Nacht erzaehlen, als ich sie gefuehlt habe!-- +Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschaeftigungen, ermuedet, sank +ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurueck. Die Natur +wollte sich einen Augenblick erholen, neue Traenen zu sammeln. Aber +noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem +schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir +her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden aengstlichen Schritten, die +dann und wann ein Blick staerkte, welchen Sie auf mich zurueckwarfen. +Schnell hoerte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir +stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann +ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedaechtnis +ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!-- +Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost fuer seine Sara!-- +Hoeren Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme +umsehen wollte, gleitete mein Fuss; ich wankte und sollte eben in den +Abgrund herabstuerzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer +mir aehnlichen Person zurueckgehalten fuehlte. Schon wollte ich ihr den +feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich +rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der +bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend +fuehlte ich noch alles, was ein toedlicher Stich Schmerzhaftes haben +kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muss: das Ende der +Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu duerfen. + +Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer +Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiss auch das Ende des +meinigen sein wuerde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines +sinnlosen Traumes. + +Sara. Die Kraft, es vergessen zu koennen, erwarte ich von Ihnen. Es +sei Liebe oder Verfuehrung, es sei Glueck oder Unglueck, das mich Ihnen +in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und +werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes +Richters, der die geringsten Uebertretungen seiner Ordnung zu strafen +gedrohet hat-- + +Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein! + +Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen +Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres +Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre +verlustig gemacht haette, wuerde vielleicht durch ein gesetzmaessiges Band +nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich, +Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner +Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen +nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen +verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf +mich nehmen, als ob ich es nicht waere. Sie sollen mich, wenn Sie +nicht wollen, fuer Ihre Gattin nicht erklaeren duerfen; Sie sollen mich +erklaeren koennen, fuer was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht +fuehren; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es fuer +gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in +den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines +Gewissens daraus zu ziehen. + +Mellefont. Halten Sie ein, Miss, oder ich muss vor Ihren Augen des +Todes sein. Wie elend bin ich, dass ich nicht das Herz habe, Sie noch +elender zu machen!--Bedenken Sie, dass Sie sich meiner Fuehrung +ueberlassen haben; bedenken Sie, dass ich schuldig bin, fuer uns weiter +hinauszusehen, und dass ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein muss, wenn +ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere +Klagen will fuehren hoeren. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen +zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt? + +Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein +gewisses Vermaechtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Gueter retten +und mich vielleicht ewige darueber verscherzen lassen. + +Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Gueter so gewiss waeren, +als Ihrer Tugend die ewigen sind-- + +Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang +es mir suesse, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin! + +Mellefont. Wie? muss der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler +begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, dass er eine +ganze Reihe unstraeflicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch +tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerfliesset, +wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises +Wesen unsere Pflichten nach unsern Kraeften abgemessen; so ist die Lust, +uns strafen zu koennen, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich +erschrecke vor allen den graesslichen Folgerungen, in welche Sie Ihre +Kleinmut verwickeln muss! Nein, Miss, Sie sind noch die tugendhafte +Sara, die Sie vor meiner ungluecklichen Bekanntschaft waren. Wenn Sie +sich selbst mit so grausamen Augen ansehen, mit was fuer Augen muessen +Sie mich betrachten! + +Sara. Mit den Augen der Liebe, Mellefont. + +Mellefont. So bitte ich Sie denn um dieser Liebe, um dieser +grossmuetigen, alle meine Unwuerdigkeit uebersehenden Liebe willen, zu +Ihren Fuessen bitte ich Sie: beruhigen Sie sich. Haben Sie nur noch +einige Tage Geduld. + +Sara. Einige Tage! Wie ist ein Tag schon so lang! + +Mellefont. Verwuenschtes Vermaechtnis! Verdammter Unsinn eines +sterbenden Vetters, der mir sein Vermoegen nur mit der Bedingung lassen +wollte, einer Anverwandtin die Hand zu geben, die mich ebensosehr hasst +als ich sie! Euch, unmenschliche Tyrannen unserer freien Neigungen, +Euch werde alle das Unglueck, alle die Suende zugerechnet, zu welchen +uns Euer Zwang bringet!--Und wenn ich ihrer nur entuebriget sein koennte, +dieser schimpflichen Erbschaft! Solange mein vaeterliches Vermoegen zu +meiner Unterhaltung hinreichte, habe ich sie allezeit verschmaehet und +sie nicht einmal gewuerdiget, mich darueber zu erklaeren. Aber itzt, +itzt, da ich alle Schaetze der Welt nur darum besitzen moechte, um sie +zu den Fuessen meiner Sara legen zu koennen, itzt, da ich wenigstens +darauf denken muss, sie ihrem Stande gemaess in der Welt erscheinen zu +lassen, itzt muss ich meine Zuflucht dahin nehmen. + +Sara. Mit der es Ihnen zuletzt doch wohl noch fehlschlaegt. + +Mellefont. Sie vermuten immer das Schlimmste.--Nein; das Frauenzimmer, +die es mit betrifft, ist nicht ungeneigt, eine Art von Vergleich +einzugehen. Das Vermoegen soll geteilt werden; und da sie es nicht +ganz mit mir geniessen kann, so ist sie es zufrieden, dass ich mit der +Haelfte meine Freiheit von ihr erkaufen darf. Ich erwarte alle Stunden +die letzten Nachrichten in dieser Sache, deren Verzoegerung allein +unsern hiesigen Aufenthalt so langwierig gemacht hat. Sobald ich sie +bekommen habe, wollen wir keinen Augenblick laenger hier verweilen. +Wir wollen sogleich, liebste Miss, nach Frankreich uebergehen, wo Sie +neue Freunde finden sollen, die sich itzt schon auf das Vergnuegen, Sie +zu sehen und Sie zu lieben, freuen. Und diese neuen Freunde sollen +die Zeugen unserer Verbindung sein-- + +Sara. Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein?--Grausamer! +so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? So +soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin verlassen? Und als eine +solche, glauben Sie, wuerde ich Mut genug haben, mich der See zu +vertrauen? Dessen Herz muss ruhiger oder muss ruchloser sein als meines, +welcher nur einen Augenblick zwischen sich und dem Verderben mit +Gleichgueltigkeit nichts als ein schwankendes Brett sehen kann. In +jeder Welle, die an unser Schiff schluege, wuerde mir der Tod +entgegenrauschen; jeder Wind wuerde mir von den vaeterlichen Kuesten +Verwuenschungen nachbrausen, und der kleinste Sturm wuerde mich ein +Blutgericht ueber mein Haupt zu sein duenken.--Nein, Mellefont, so ein +Barbar koennen Sie gegen mich nicht sein. Wenn ich noch das Ende Ihres +Vergleichs erlebe, so muss es Ihnen auf einen Tag nicht ankommen, den +wir hier laenger zubringen. Es muss dieses der Tag sein, an dem Sie +mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren. Es muss +dieses der heilige Tag sein--Ach! welcher wird es denn endlich sein? + +Mellefont. Aber ueberlegen Sie denn nicht, Miss, dass unserer Verbindung +hier diejenige Feier fehlen wuerde, die wir ihr zu geben schuldig sind? + + +Sara. Eine heilige Handlung wird durch das Feierliche nicht kraeftiger. + + +Mellefont. Allein-- + +Sara. Ich erstaune. Sie wollen doch wohl nicht auf einem so +nichtigen Vorwande bestehen? O Mellefont, Mellefont! wenn ich mir es +nicht zum unverbruechlichsten Gesetze gemacht haette, niemals an der +Aufrichtigkeit Ihrer Liebe zu zweifeln, so wuerde mir dieser Umstand-- +Doch schon zuviel; es moechte scheinen, als haette ich eben itzt daran +gezweifelt. + +Mellefont. Der erste Augenblick Ihres Zweifels muesse der letzte +meines Lebens sein! Ach, Sara, womit habe ich es verdient, dass Sie +mir auch nur die Moeglichkeit desselben voraussehen lassen? Es ist +wahr, die Gestaendnisse, die ich Ihnen von meinen ehemaligen +Ausschweifungen abzulegen kein Bedenken getragen habe, koennen mir +keine Ehre machen: aber Vertrauen sollten sie mir doch erwecken. Eine +buhlerische Marwood fuehrte mich in ihren Stricken, weil ich das fuer +sie empfand, was so oft fuer Liebe gehalten wird und es doch so selten +ist. Ich wuerde noch ihre schimpflichen Fesseln tragen, haette sich +nicht der Himmel meiner erbarmt, der vielleicht mein Herz nicht fuer +ganz unwuerdig erkannte, von bessern Flammen zu brennen. Sie, liebste +Sara, sehen und alle Marwoods vergessen, war eins. Aber wie teuer kam +es Ihnen zu stehen, mich aus solchen Haenden zu erhalten! Ich war mit +dem Laster zu vertraut geworden, und Sie kannten es zu wenig-- + +Sara. Lassen Sie uns nicht mehr daran gedenken-- + + + +Achter Auftritt + +Norton. Mellefont. Sara. + + +Mellefont. Was willst du? + +Norton. Ich stand eben vor dem Hause, als mir ein Bedienter diesen +Brief in die Hand gab. Die Aufschrift ist an Sie, mein Herr. + +Mellefont. An mich? Wer weiss hier meinen Namen? (Indem er den Brief +betrachtet.) Himmel! + +Sara. Sie erschrecken? + +Mellefont. Aber ohne Ursache, Miss, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte +mich in der Hand. + +Sara. Moechte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es +wuenschen koennen. + +Mellefont. Ich vermute, dass er sehr gleichgueltig sein wird. + +Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist. +Erlauben Sie, dass ich mich wieder in mein Zimmer begebe. + +Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken? + +Sara. Ich mache mir keine, Mellefont. + +Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den +Augenblick bei Ihnen sein, liebste Miss. + + + +Neunter Auftritt + +Mellefont. Norton. + + +Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott! + +Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist! + +Mellefont. Kann es moeglich sein? Ich sehe diese verruchte Hand +wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es +nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von +der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt +verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt, +dass wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht +noetig; vielleicht haben meine veraechtlichen Abschiedsbriefe die +Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen. +Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun. + +Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den +laengsten Brief geschrieben haette, Mellefont, wenn Sie den Namen, den +Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung +wuerdigen wollen--" + +Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Dass ich ihn nie gehoert haette! +Dass er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt wuerde! + +Norton (liest weiter). "Die Muehe, Sie auszuforschen, hat mir die +Liebe, welche mir forschen half, versuesst." + +Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der +Tugend geweiht sind! + +Norton (faehrt fort). "Sie hat noch mehr getan--" + +Mellefont. Ich bebe-- + +Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--" + +Mellefont. Verraeter, was liest du? (Er reisst ihm den Brief aus der +Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin +hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir +mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was fuer ein +Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie +mit dem Leben buessen. + +Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie +liegen wieder zu ihren Fuessen. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie muessen +sie nicht sprechen, oder das Unglueck Ihrer armen Miss ist vollkommen. + +Mellefont. Ich Ungluecklicher!--Nein, ich muss sie sprechen. Sie wuerde +mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese +Unschuldige auslassen. + +Norton. Aber, mein Herr-- + +Mellefont. Sage nichts!--Lass sehen, (indem er in den Brief sieht) ob +sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, fuehre mich. + +(Sie gehen ab.) + +(Ende des ersten Aufzugs.) + + + + + +Zweiter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern +Gasthofe. + + +Marwood im Neglige. Hannah. + +Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingehaendiget, Hannah? + +Hannah. Richtig. + +Marwood. Ihm selbst? + +Hannah. Seinem Bedienten. + +Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er fuer Wirkung haben wird.-- +Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich hin es auch.-- +Der Verraeter! Doch gemach! Zornig muss ich durchaus nicht werden. +Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn +brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne. + +Hannah. Wenn er sich aber dagegen verhaerten sollte?-- + +Marwood. Wenn er sich dagegen verhaerten sollte? So werde ich nicht +zuernen--ich werde rasen. Ich fuehle es, Hannah; und wollte es lieber +schon itzt. + +Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen. + + +Marwood. Wo er nur gar koemmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat, +mich festes Fusses bei sich zu erwarten!--Aber weisst du, Hannah, worauf +ich noch meine meiste Hoffnung gruende, den Ungetreuen von dem neuen +Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella. + +Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall, +sie mitzunehmen, haette nicht gluecklicher sein koennen. + +Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub +ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riss +das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm +eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben +koenne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte, +itzt nicht anders als durch List wiederbekommen koennen; er hatte auf +mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht +ausdruecklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und +sich fuer die Mutter des Kindes ausgeben wuerde, durchaus nicht +vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er +zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren +Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen +ihren Reizen, bis zum Ueberdrusse, gesaettiget hat. + +Hannah. Welcher Undank! + +Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach +sich als Gefaelligkeiten, fuer die kein Dank zu gross waere. Warum habe +ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefaelligkeiten? Haette ich es +nicht voraussehen sollen, dass sie ihren Wert nicht immer bei ihm +behalten koennten? Dass ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses +beruhe und dass er mit derjenigen Anmut verschwinden muesse, welche die +Hand der Zeit unmerklich, aber gewiss, aus unsern Gesichtern verloescht? + + +Hannah. O, Madam, von dieser gefaehrlichen Hand haben Sie noch lange +nichts zu befuerchten. Ich finde, dass Ihre Schoenheit den Punkt ihrer +praechtigsten Bluete so wenig ueberschritten hat, dass sie vielmehr erst +darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln wuerde, wenn Sie +ihr nur Vollmacht dazu geben wollten. + +Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit, +die mir alle Schmeichelei verdaechtig macht. Es ist Unsinn, von neuen +Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kraefte genug hat, sich +im Besitze der schon gemachten zu erhalten. + + + +Zweiter Auftritt + +Ein Bedienter. Marwood. Hannah. + + +Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen. + +Marwood. Wer? + +Der Bediente. Ich vermute, dass es ebender Herr ist, an welchen der +vorige Brief ueberschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm, +der mir ihn abgenommen hat. + +Marwood. Mellefont!--Geschwind, fuehre ihn herauf! (Der Bediente geht +ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was +soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig +genug? Sieh doch! + +Hannah. Nichts weniger als ruhig. + +Marwood. Aber diese? + +Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut. + +Marwood. Etwa so? + +Hannah. Zu traurig! + +Marwood. Sollte mir dieses Laecheln lassen? + +Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er koemmt. + + + +Dritter Auftritt + +Mellefont. Marwood. Hannah. + + +Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood-- + +Marwood (die ihm mit offnen Armen laechelnd entgegenrennt). Ach +Mellefont-- + +Mellefont (beiseite). Die Moerderin, was fuer ein Blick! + +Marwood. Ich muss Sie umarmen, treuloser, lieber Fluechtling!--Teilen +Sie doch meine Freude!--Warum entreissen Sie sich meinen Liebkosungen? + +Mellefont. Marwood, ich vermutete, dass Sie mich anders empfangen +wuerden. + +Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr +Entzuecken? Ach, ich Unglueckliche, dass ich weniger ausdruecken kann, +als ich fuehle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, dass auch die Freude +ihre Traenen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der suessesten Wollust!-- +Aber ach, verlorne Traenen! seine Hand trocknet euch nicht ab. + +Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden +bezaubert haetten. Sie muessen itzt in einem andern Tone mit mir +sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwuerfe anzuhoeren und darauf +zu antworten. + +Marwood. Vorwuerfe? Was haette ich Ihnen fuer Vorwuerfe zu machen, +Mellefont? Keine. + +Mellefont. So haetten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen +koennen. + +Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit +Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in +ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze +Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet, +verdient diese Vorwuerfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darueber scherzen. + + +Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es +jemals an allen unsern Liebeshaendeln gehabt hat, auf die ich itzt +nicht ohne Abscheu zuruecksehen kann. + +Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Naerrchen. Es laesst sich +alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfaellt. Glauben +Sie mir doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste, +das getreuste Herz waere, wuerde ich mir wohl so viel Muehe geben, es zu +behalten? + +Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich +Ihnen. + +Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch. + +Mellefont. Marwood, wenn ich wuesste, dass Sie auch nur noch eine Faser +davon besaessen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus +meinem Leibe reissen. + +Marwood. Sie wuerden sehen, dass Sie meines zugleich herausrissen. Und +dann, dann wuerden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der +Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben. + +Mellefont (beiseite). Was fuer eine Schlange! Hier wird das beste +sein zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir +nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es +nur ohne dieses Laecheln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine +ganze Hoelle von Verfuehrung schreckt. + +Marwood (vertraulich). Hoere nur, mein lieber Mellefont; ich merke +wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack +sind itzt deine Tyrannen. Lass es gut sein; man muss sie austoben +lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am +sichersten eingeschlaefert und endlich gar ueberwunden, wenn man ihnen +freies Feld laesst. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir +nachsagen, kleiner Flattergeist, dass ich jemals eifersuechtig gewesen +waere, wenn staerkere Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang +abspenstig machten? Ich goennte dir ja allezeit diese Veraenderung, bei +der ich immer mehr gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer, +mit neuer Inbrunst in meine Arme zurueck, in die ich dich nur als in +leichte Bande und nie als in schwere Fesseln schloss. Bin ich nicht +oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu +vertrauen hattest als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um +sie gegen andre zu verschwenden? Warum glaubst du denn, dass ich itzt +einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen wuerde, zu welchem ich +nun eben berechtiget zu sein aufhoere, oder--vielleicht schon aufgehoert +habe? Wenn deine Hitze gegen das schoene Landmaedchen noch nicht +verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen +sie bist; wenn du ihren Genuss noch nicht entbehren kannst: wer hindert +dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es fuer gut befindest? +Musst du deswegen so unbesonnene Anschlaege machen und mit ihr aus dem +Reiche fliehen wollen? + +Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemaess, +dessen Haesslichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem +Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust +unterscheiden gelernt. + +Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein +Maedchen von schoenen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen muesst +doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die +schluepfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns +gefallen; und bald entzuecken wir euch, wenn wir nichts als Tugend +reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das +Schlimmste aber ist, dass ihr das eine sowohl als das andre ueberdruessig +werdet. Wir moegen naerrisch oder vernuenftig, weltlich oder geistlich +gesinnet sein: wir verlieren unsere Muehe, euch bestaendig zu machen, +einmal wie das andre. Du wirst an deine schoene Heilige die Reihe Zeit +genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Ueberschlag machen? +Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geh ich +noch zwei, aufs laengste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich +geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage +wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du +dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so +wirst du dich zu der aeussersten Gleichgueltigkeit so schnell gebracht +sehen, dass ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veraenderung +rechnen darf--Das waere nun ungefaehr ein Monat. Und diesen Monat, +Mellefont, will ich dir noch mit dem groessten Vergnuegen nachsehen; nur +wirst du erlauben, dass ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf. + + +Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit +welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst gluecklich gewesen zu sein. +Ein tugendhafter Entschluss sichert mich gegen Ihre Zaertlichkeit und +gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht laenger +aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als +dass Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die +Ihnen alle Hoffnung auf meine Rueckkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei +vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem +Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen +lassen. + +Marwood. Gut, dass Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von +wem hatten Sie ihn schreiben lassen? + +Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben? + +Marwood. Unmoeglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich +weiss nicht was fuer Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen +verschwendet haben, musste ein Gastwirt, sowie den uebrigen +theologischen Rest ein Quaeker geschrieben haben. Demungeachtet will +ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt +anbelangt, so wissen Sie wohl, dass alle die Geschenke, welche Sie mir +gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen +nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es +wieder in diejenigen Haende zu liefern, die mir es anvertrauet hatten. + +Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood. + +Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was haette ich ohne Ihre +Person fuer ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so +muessen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich fuer +keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von +wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie +sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne +meine Bekanntschaft geblieben waeren; und vielleicht auch nicht. + +Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet +itzt aus Ihnen! Eine wolluestige Marwood denkt so edel nicht. + +Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig. +Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, dass Sie mir diese +Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet +mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafuer sagen +wollten, wuerde ich fuer eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen +andern Sinn als diesen haben koennte: "Marwood, ich hielt Euch fuer eine +niedertraechtige Betruegerin; ich bedanke Mich, dass Ihr es wenigstens +gegen mich nicht sein wollt." + +Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern +in einen Streit von Grossmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am +ungernsten unterliegen moechte. + +Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr +Andenken bei mir erneuern koennte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne +Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu +machen. Ich will Ihnen in der ungluecklichen Marwood nichts als eine +Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen fuer Sie +aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich +sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und liebte; +an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu meinen +Fuessen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von +Gegenliebe, die Sie mir auspressten; an die zaertlichen Blicke, an die +feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte Stillschweigen, +wenn wir mit beschaeftigten Sinnen einer des andern geheimste Regungen +errieten und in den schmachtenden Augen die verborgensten Gedanken der +Seele lasen; an das zitternde Erwarten der nahenden Wollust; an die +Trunkenheit ihrer Freuden; an das suesse Erstarren nach der Fuelle des +Genusses, in welchem sich die ermatteten Geister zu neuen Entzueckungen +erholten. An alles dieses will ich Sie erinnern und dann Ihre Knie +umfassen und nicht aufhoeren, um das einzige Geschenk zu bitten, das +Sie mir nicht versagen koennen und ich, ohne zu erroeten, annehmen darf,-- +um den Tod von Ihren Haenden. + +Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben fuer Sie +hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen +Sie weiter keinen Anspruch. Ich muss Sie verlassen, Marwood, oder mich +zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon strafbar, dass +ich nur hier stehe und Sie anhoere. Leben Sie wohl! leben Sie wohl! + +Marwood (die ihn zurueckhaelt). Sie muessen mich verlassen? Und was +wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr +Geschoepf; tun Sie also, was einem Schoepfer zukoemmt; er darf die Hand +von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gaenzlich vernichten +will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach. +Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf +einmal mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat. + +(Hannah geht ab.) + +Mellefont. Was fuer einen Vorsprecher, Marwood? + +Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern +beraubet haetten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kuerzern Wege +zu Ihrem Herzen bringen-- + +Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht-- + + + +Vierter Auftritt + +Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood. + + +Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich +unterstehen koennen-- + +Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm; sieh +hier deinen Beschuetzer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das Herz +mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschuetzer, als dein +Freund sein kann. + +Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier +ergehen? + +Arabella (indem sie ihm furchtsam naeher tritt). Ach, mein Herr! Sind +Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.- +-Wuerde er mich nicht ansehen, wenn er es waere? Wuerde er mich nicht in +seine Arme schliessen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglueckliches +Kind! Womit haette ich ihn denn erzuernt, diesen Mann, diesen liebsten +Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen? + +Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie goennen der Unschuldigen +keinen Blick? + +Mellefont. Ach!-- + +Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Koennen wir ihm nicht +helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm +seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er +sieht gen Himmel! Was wuenscht er? Was bittet er vom Himmel? Moechte +er ihm doch alles gewaehren, wenn er mir auch alles dafuer versagte! + +Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Fuessen. Er will uns +verlassen; er will uns auf ewig verlassen. + +Arabella (die vor ihm niederfaellt). Hier liege ich schon. Sie uns +verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine +kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermisst haben? Wir sollen Sie +wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, dass Sie uns liebten. +Verlaesst man denn die, die man liebt? So muss ich Sie wohl nicht lieben; +denn ich wuenschte, Sie nie zu verlassen. Nie, und will Sie auch nie +verlassen. + +Marwood. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch mir-- +Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Fuessen-- + +Mellefont (haelt sie zurueck, indem sie sich niederwerfen will). +Marwood, gefaehrliche Marwood--Und auch du, meine liebste Bella (hebt +sie auf), auch du bist wider deinen Mellefont? + +Arabella. Ich wider Sie? + +Marwood. Was beschliessen Sie, Mellefont? + +Mellefont. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte. + +Marwood (die ihn umarmt). Ach, ich weiss es ja, dass die Redlichkeit +Ihres Herzens allezeit ueber den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat. + + +Mellefont. Bestuermen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie +aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verfuehrer, ein Raeuber, ein +Moerder. + +Marwood. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und +hernach werden Sie erkennen, dass ich Sie abgehalten habe, es wirklich +zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurueck. + +Arabella (schmeichelnd). O ja! tun Sie dieses. + +Mellefont. Mit euch zurueckkehren? Kann ich denn? + +Marwood. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen. + +Mellefont. Und meine Miss-- + +Marwood. Und Ihre Miss mag sehen, wo sie bleibt!-- + +Mellefont. Ha! barbarische Marwood, diese Rede liess mich bis auf den +Grund Ihres Herzens sehen--Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder +in mich? + +Marwood. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen haetten, so +wuerden Sie entdeckt haben, dass es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miss +fuehlt als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist +ein eigennuetziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben ueberhaupt diesen +Liebeshandel viel zu weit getrieben. Dass Sie, als ein Mann, der bei +einem langen Umgange mit unserm Geschlechte in der Kunst zu verfuehren +ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre +Ueberlegenheit an Verstellung und Erfahrung zunutze machten und nicht +eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das moechte noch +hingehen; Sie koennen sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft +entschuldigen. Allein, dass Sie einem alten Vater sein einziges Kind +raubten; dass Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu +seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; dass Sie Ihrer Lust +wegen die staerksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das +koennen Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder +gut, soweit es moeglich ist, ihn gutzumachen. Geben Sie dem weinenden +Alter seine Stuetze wieder, und schicken Sie eine leichtglaeubige +Tochter in ihr Haus zurueck, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft +haben, nicht auch oede machen muessen. + +Mellefont. Das fehlte noch, dass Sie auch mein Gewissen wider mich zu +Hilfe riefen! Aber gesetzt, es waere billig, was Sie sagen; muesste ich +nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der ungluecklichen Miss +selbst vorschlagen sollte? + +Marwood. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, dass ich schon im voraus +bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. Sobald ich +Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der +Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darueber ganz +ausser sich gewesen und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen. +Ich wundre mich, dass er noch nicht hier ist. + +Mellefont. Was sagen Sie? + +Marwood. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft und lassen sich gegen +die Miss nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht laenger +aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie moechte Verdacht bekommen. +Doch versprach ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen. + +Mellefont. O Marwood, mit was fuer Gesinnungen kam ich zu Ihnen und +mit welchen muss ich Sie verlassen! Einen Kuss, meine liebe Bella-- + +Arabella. Der war fuer Sie; aber nun einen fuer mich. Kommen Sie nur +ja bald wieder; ich bitte. + +(Mellefont geht ab.) + + + +Fuenfter Auftritt + +Marwood. Arabella. Hannah. + + +Marwood (nachdem sie tief Atem geholt). Sieg! Hannah! aber ein +saurer Sieg!--Gib mir einen Stuhl; ich fuehle mich ganz abgemattet-- +(Sie setzt sich.) Eben war es die hoechste Zeit, als er sich ergab; +noch einen Augenblick haette er anstehen duerfen, so wuerde ich ihm eine +ganz andre Marwood gezeigt haben. + +Hannah. Ach, Madam, was sind Sie fuer eine Frau! Den moechte ich doch +sehn, der Ihnen widerstehen koennte. + +Marwood. Er hat mir schon zu lange widerstanden. Und gewiss, gewiss, +ich will es ihm nicht vergeben, dass ich ihm fast zu Fusse gefallen waere. + + +Arabella. O nein! Sie muessen ihm alles vergeben. Er ist ja so gut, +so gut-- + +Marwood. Schweig, kleine Naerrin! + +Hannah. Auf welcher Seite wussten Sie ihn nicht zu fassen! Aber +nichts, glaube ich, ruehrte ihn mehr als die Uneigennuetzigkeit, mit +welcher Sie sich erboten, alle von ihm erhaltenen Geschenke +zurueckzugeben. + +Marwood. Ich glaube es auch. Ha! ha! (Veraechtlich.) + +Hannah. Warum lachen Sie, Madam? Wenn es nicht Ihr Ernst war, so +wagten Sie in der Tat sehr viel. Gesetzt, er haette Sie bei Ihrem +Worte gefasst? + +Marwood. O geh! man muss wissen, wen man vor sich hat. + +Hannah. Nun, das gesteh ich! Aber auch Sie, meine schoene Bella, +haben Ihre Sache vortrefflich gemacht; vortrefflich! + +Arabella. Warum das? Konnte ich sie denn anders machen? Ich hatte +ihn ja so lange nicht gesehen. Sie sind doch nicht boese, Madam, dass +ich ihn so lieb habe? Ich habe Sie so lieb wie ihn; ebenso lieb. + +Marwood. Schon gut; dasmal will ich dir verzeihen, dass du mich nicht +lieber hast als ihn. + +Arabella. Dasmal? (Schluchzend.) + +Marwood. Du weinst ja wohl gar? Warum denn? + +Arabella. Ach nein! ich weine nicht. Werden Sie nur nicht +ungehalten. Ich will Sie ja gern alle beide so lieb, so lieb haben, +dass ich unmoeglich weder Sie noch ihn lieber haben kann. + +Marwood. Je nun ja! + +Arabella. Ich bin recht ungluecklich-- + +Marwood. Sei doch nur stille--Aber was ist das? + + + +Sechster Auftritt + +Mellefont. Marwood. Arabella. Hannah. + + +Marwood. Warum kommen Sie schon wieder, Mellefont? (Sie steht auf.) + +Mellefont (hitzig,). Weil ich mehr nicht als einige Augenblicke noetig +hatte, wieder zu mir selbst zu kommen. + +Marwood. Nun? + +Mellefont. Ich war betaeubt, Marwood, aber nicht bewegt. Sie haben +alle Ihre Muehe verloren; eine andre Luft als diese ansteckende Luft +Ihres Zimmers gab mir Mut und Kraefte wieder, meinen Fuss aus dieser +gefaehrlichen Schlinge noch zeitig genug zu ziehen. Waren mir +Nichtswuerdigem die Raenke einer Marwood noch nicht bekannt genug? + +Marwood (hastig). Was ist das wieder fuer eine Sprache? + +Mellefont. Die Sprache der Wahrheit und des Unwillens. + +Marwood. Nur gemach, Mellefont, oder auch ich werde diese Sprache +sprechen. + +Mellefont. Ich komme nur zurueck, Sie keinen Augenblick laenger in +einem Irrtume von mir stecken zu lassen, der mich, selbst in Ihren +Augen, veraechtlich machen muss. + +Arabella (furchtsam). Ach! Hannah-- + +Mellefont. Sehen Sie mich nur so wuetend an, als Sie wollen. Je +wuetender, je besser. War es moeglich, dass ich zwischen einer Marwood +und einer Sara nur einen Augenblick unentschluessig bleiben konnte? +Und dass ich mich fast fuer die erstere entschlossen haette? + +Arabella. Ach Mellefont!-- + +Mellefont. Zittern Sie nicht, Bella. Auch fuer Sie bin ich mit +zurueckgekommen. Geben Sie mir die Hand, und folgen Sie mir nur +getrost. + +Marwood (die beide zurueckhaelt). Wem soll sie folgen, Verraeter? + +Mellefont. Ihrem Vater. + +Marwood. Geh, Elender; und lern erst ihre Mutter kennen. + +Mellefont. Ich kenne sie. Sie ist die Schande ihres Geschlechts-- + +Marwood. Fuehre sie weg, Hannah! + +Mellefont. Bleiben Sie, Bella. (Indem er sie zurueckhalten will.) + +Marwood. Nur keine Gewalt, Mellefont, oder-- + +(Hannah und Arabella geben ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Mellefont. Marwood. + + +Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie +fest entschlossen sind, mich einer jungen Naerrin aufzuopfern? + +Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier +erinnere, dass den alten Goettern auch sehr unreine Tiere geopfert +wurden. + +Marwood (spoettisch). Druecken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen +aus. + +Mellefont. So sage ich ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie +wieder ohne die schrecklichsten Verwuenschungen an Sie zu denken. Wer +sind Sie? und wer ist Sara? Sie sind eine wolluestige, eigennuetzige, +schaendliche Buhlerin, die sich itzt kaum mehr muss erinnern koennen, +einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts +vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich +vielleicht die ganze Welt haetten geniessen lassen. Sie haben mich +gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so +koemmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein +Vermoegen, meine Ehre, mein Glueck-- + +Marwood. Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten +muesste! Ungeheuer! Ist der Teufel aerger als du, der schwache Menschen +zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk +sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann +und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht +preisgeben koennen, so habe ich doch meinen guten Namen fuer dich in die +Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage +ich? kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinst, das +weder ruhig noch gluecklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen +Wert und kann vollkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer +ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennenlernte; genug, dass ich in +den Augen der Welt fuer ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich +nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine +Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine +Hand anzunehmen. + +Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niedertraechtige. + + +Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswuerdigen Kunstgriffen +du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredt, dass du +dich in keine oeffentliche Verbindung einlassen koenntest, ohne einer +Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir +teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer fuer +eine andre als fuer mich zu entsagen? + +Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu koennen, dass +diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnuegen Sie sich +also nur, mich um mein vaeterliches Erbteil gebracht zu haben, und +lassen mich ein weit geringeres mit einer wuerdigern Gattin geniessen. + +Marwood. Ha! nun seh ich's, was dich eigentlich so trotzig macht. +Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, +dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was +ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein--Du wirst mich +verstehen! Zittre fuer deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken +meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine +Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea! + +Mellefont (erschrocken). Marwood-- + +Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie +gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich raechen. Doch nein, Gift +und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie wuerden dein und mein +Kind zu bald toeten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will +ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte +jeden aehnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren +und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, +Ader von Ader, Nerve von Nerve loesen und das Kleinste derselben auch +da noch nicht aufhoeren zu schneiden und zu brennen, wenn es schon +nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich--ich werde +wenigstens dabei empfinden, wie suess die Rache sei! + +Mellefont. Sie rasen, Marwood-- + +Marwood. Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den Rechten rase. +Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist +seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht.--(Sie geht mit +einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los.) Drum stirb, +Verraeter! + +Mellefont (der ihr in den Arm faellt und den Dolch entreisst). +Unsinniges Weibsbild!--Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu +kehren? Doch lebe, und deine Strafe muesse einer ehrlosen Hand +aufgehoben sein! + +Marwood (mit gerungenen Haenden). Himmel, was habe ich getan? +Mellefont-- + +Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch +wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du +ihn nicht tun koennen. + +Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! geben Sie +mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, fuer wen er +geschliffen ward. Fuer diese Brust allein, die schon laengst einem +Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will. + +Mellefont. Hannah!-- + +Marwood. Was wollen Sie tun, Mellefont? + + + +Achter Auftritt + +Hannah (erschrocken). Marwood. Mellefont. + + +Mellefont. Hast du es gehoert, Hannah, welche Furie deine Gebieterin +ist? Wisse, dass ich Arabellen von deinen Haenden fodern werde. + +Hannah. Ach Madam, wie sind Sie ausser sich! + +Mellefont. Ich will das unschuldige Kind bald in voellige Sicherheit +bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die +moerdrischen Haende schon zu binden wissen. (Er will gehen.) + +Marwood. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, dass die Heftigkeit +meines Schmerzes mich des Verstandes nicht maechtig liess? Wer bringt +mich zu so unnatuerlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst? +Wo kann Bella sicherer sein als bei mir? Mein Mund tobet wider sie, +und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont! +vergessen Sie meine Raserei und denken zu ihrer Entschuldigung nur +an die Ursache derselben. + +Mellefont. Es ist nur ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu +vergessen. + +Marwood. Welches? + +Mellefont. Wenn Sie den Augenblick nach London zurueckkehren. +Arabellen will ich in einer andern Begleitung wieder dahin bringen +lassen. Sie muessen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben. + +Marwood. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte +gewaehren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal +sehen. + +Mellefont. Und wozu? + +Marwood. Um in ihren Blicken mein ganzes kuenftiges Schicksal zu lesen. +Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir +begehen, wuerdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal +einen Anteil an Ihrer Liebe wiederzubekommen. + +Mellefont. Nichtige Hoffnung! + +Marwood. Wer ist so grausam, dass er einer Elenden auch nicht einmal +die Hoffnung goennen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood, +sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei +ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und +ich verspreche Ihnen bei allem, was heilig ist, ihr nicht das +geringste Anstoessige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab; +denn sonst moechte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren +Gestalt vor ihr zu erscheinen. + +Mellefont. Diese Bitte, Marwood (nachdem er einen Augenblick +nachgedacht)--koennte ich Ihnen gewaehren. Wollen Sie aber auch alsdann +gewiss diesen Ort verlassen? + +Marwood. Gewiss; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo +nur noch einige Moeglichkeit ist, von dem Ueberfalle ihres Vaters +befreien. + +Mellefont. Dieses haben Sie nicht noetig. Ich hoffe, dass er auch mich +in die Verzeihung mit einschliessen wird, die er seiner Tochter +widerfahren laesst. Will er aber dieser nicht verzeihen, so werde ich +auch wissen, wie ich ihm begegnen soll.--Ich gehe, Sie bei meiner Miss +zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! (Geht ab.) + +Marwood. Ach, Hannah! dass unsere Kraefte nicht so gross sind als +unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht +auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm! + +(Ende des zweiten Aufzugs.) + + + + + +Dritter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Ein Saal im erstern Gasthofe. + + +Sir William Sampson. Waitwell. + +Sir William. Hier, Waitwell, bringt ihr diesen Brief. Es ist der +Brief eines zaertlichen Vaters, der sich ueber nichts als ueber ihre +Abwesenheit beklaget. Sag ihr, dass ich dich damit vorweggeschickt und +dass ich nur noch ihre Antwort erwarten wolle, ehe ich selbst kaeme, sie +wieder in meine Arme zu schliessen. + +Waitwell. Ich glaube, Sie tun recht wohl, dass Sie Ihre Zusammenkunft +auf diese Art vorbereiten. + +Sir William. Ich werde ihrer Gesinnungen dadurch gewiss und mache ihr +Gelegenheit, alles, was ihr die Reue Klaegliches und Erroetendes +eingeben koennte, schon ausgeschuettet zu haben, ehe sie muendlich mit +mir spricht. Es wird ihr in einem Briefe weniger Verwirrung und mir +vielleicht weniger Traenen kosten. + +Waitwell. Darf ich aber fragen, Sir, was Sie in Ansehung Mellefonts +beschlossen haben? + +Sir William. Ach! Waitwell, wenn ich ihn von dem Geliebten meiner +Tochter trennen koennte, so wuerde ich etwas sehr Hartes wider ihn +beschliessen. Aber da dieses nicht angeht, so siehst du wohl, dass er +gegen meinen Unwillen gesichert ist. Ich habe selbst den groessten +Fehler bei diesem Ungluecke begangen. Ohne mich wuerde Sara diesen +gefaehrlichen Mann nicht haben kennenlernen. Ich verstattete ihm wegen +einer Verbindlichkeit, die ich gegen ihn zu haben glaubte, einen allzu +freien Zutritt in meinem Hause. Es war natuerlich, dass ihm die +dankbare Aufmerksamkeit, die ich fuer ihn bezeigte, auch die Achtung +meiner Tochter zuziehen musste. Und es war ebenso natuerlich, dass sich +ein Mensch von seiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten liess, +sie zu etwas Hoeherm zu treiben. Er hatte Geschicklichkeit genug +gehabt, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte +und ehe ich noch Zeit hatte, mich nach seiner uebrigen Lebensart zu +erkundigen. Das Unglueck war geschehen, und ich haette wohlgetan, wenn +ich ihnen nur gleich alles vergeben haette. Ich wollte unerbittlich +gegen ihn sein und ueberlegte nicht, dass ich es gegen ihn nicht allein +sein koennte. Wenn ich meine zu spaete Strenge erspart haette, so wuerde +ich wenigstens ihre Flucht verhindert haben.--Da bin ich nun, Waitwell! +Ich muss sie selbst zurueckholen und mich noch gluecklich schaetzen, +wenn ich aus dem Verfuehrer nur meinen Sohn machen kann. Denn wer weiss, +ob er seine Marwoods und seine uebrigen Kreaturen eines Maedchens wegen +wird aufgeben wollen, das seinen Begierden nichts mehr zu verlangen +uebriggelassen hat und die fesselnden Kuenste einer Buhlerin so wenig +versteht? + +Waitwell. Nun, Sir, das ist wohl nicht moeglich, dass ein Mensch so gar +boese sein koennte.-- + +Sir William. Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre. +Aber warum ist es gleichwohl wahr, dass sich die Grenzen der +menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?--Geh nur jetzt und +tue, was ich dir gesagt habe. Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie +meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann +sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das +eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele +in ihrem Gesichte lesen. Lass dir ja keinen Zug entgehen, der etwa +eine Gleichgueltigkeit gegen mich, eine Verschmaehung ihres Vaters, +anzeigen koennte. Denn wenn du diese unglueckliche Entdeckung machen +solltest und wenn sie mich nicht mehr liebt: so hoffe ich, dass ich +mich endlich werde ueberwinden koennen, sie ihrem Schicksale zu +ueberlassen. Ich hoffe es, Waitwell--Ach! wenn nur hier kein Herz +schluege, das dieser Hoffnung widerspricht. + +(Sie gehen beide auf verschiedenen Seiten ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Das Zimmer der Sara. + + +Miss Sara. Mellefont. + +Mellefont. Ich habe unrecht getan, liebste Miss, dass ich Sie wegen des +vorigen Briefes in einer kleinen Unruhe liess. + +Sara. Nein doch, Mellefont; ich bin deswegen ganz und gar nicht +unruhig gewesen. Koennten Sie mich denn nicht lieben, wenn Sie gleich +noch Geheimnisse vor mir haetten? + +Mellefont. Sie glauben also doch, dass es ein Geheimnis gewesen sei? + +Sara. Aber keines, das mich angeht. Und das muss mir genug sein. + +Mellefont. Sie sind allzu gefaellig. Doch erlauben Sie mir, dass ich +Ihnen dieses Geheimnis gleichwohl entdecke. Es waren einige Zeilen +von einer Anverwandten, die meinen hiesigen Aufenthalt erfahren hat. +Sie geht auf ihrer Reise nach London hier durch und will mich sprechen. +Sie hat zugleich um die Ehre ersucht, Ihnen ihre Aufwartung machen +zu duerfen. + +Sara. Es wird mir allezeit angenehm sein, Mellefont, die wuerdigen +Personen Ihrer Familie kennenzulernen. Aber ueberlegen Sie es selbst, +ob ich schon, ohne zu erroeten, einer derselben unter die Augen sehen +darf. + +Mellefont. Ohne zu erroeten? Und worueber? Darueber, dass Sie mich +lieben? Es ist wahr, Miss, Sie haetten Ihre Liebe einem Edlern, einem +Reichern schenken koennen. Sie muessen sich schaemen, dass Sie Ihr Herz +nur um ein Herz haben geben wollen und dass Sie bei diesem Tausche Ihr +Glueck so weit aus den Augen gesetzt. + +Sara. Sie werden es selbst wissen, wie falsch Sie meine Worte +erklaeren. + +Mellefont. Erlauben Sie, Miss; wenn ich sie falsch erklaere, so koennen +sie gar keine Bedeutung haben. + +Sara. Wie heisst Ihre Anverwandte? + +Mellefont. Es ist--Lady Solmes. Sie werden den Namen von mir schon +gehoert haben. + +Sara. Ich kann mich nicht erinnern. + +Mellefont. Darf ich bitten, dass Sie ihren Besuch annehmen wollen? + +Sara. Bitten, Mellefont? Sie koennen mir es ja befehlen. + +Mellefont. Was fuer ein Wort!--Nein, Miss, sie soll das Glueck nicht +haben, Sie zu sehen. Sie wird es bedauern; aber sie muss es sich +gefallen lassen. Miss Sara hat ihre Ursachen, die ich, auch ohne sie +zu wissen, verehre. + +Sara. Mein Gott! wie schnell sind Sie, Mellefont! Ich werde die +Lady erwarten und mich der Ehre ihres Besuchs, soviel moeglich, wuerdig +zu erzeigen suchen. Sind Sie zufrieden? + +Mellefont. Ach, Miss, lassen Sie mich meinen Ehrgeiz gestehen. Ich +moechte gern gegen die ganze Welt mit Ihnen prahlen. Und wenn ich auf +den Besitz einer solchen Person nicht eitel waere, so wuerde ich mir +selbst vorwerfen, dass ich den Wert derselben nicht zu schaetzen wuesste. +Ich gehe und bringe die Lady sogleich zu Ihnen. (Gehet ab.) + +Sara (allein). Wenn es nur keine von den stolzen Weibern ist, die, +voll von ihrer Tugend, ueber alle Schwachheiten erhaben zu sein glauben. +Sie machen uns mit einem einzigen veraechtlichen Blicke den Prozess, +und ein zweideutiges Achselzucken ist das ganze Mitleiden, das wir +ihnen zu verdienen scheinen. + + + +Dritter Auftritt + +Waitwell. Sara. + + +Betty (zwischen der Szene). Nur hier herein, wenn Er selbst mit ihr +sprechen muss. + +Sara (die sich umsieht). Wer muss selbst mit mir sprechen?--Wen seh +ich? Ist es moeglich? Waitwell, dich? + +Waitwell. Was fuer ein gluecklicher Mann bin ich, dass ich endlich +unsere Miss Sara wiedersehe! + +Sara. Gott! was bringst du? Ich hoer es schon, ich hoer es schon, du +bringst mir die Nachricht von dem Tode meines Vaters! Er ist hin, der +vortrefflichste Mann, der beste Vater! Er ist hin, und ich, ich bin +die Elende, die seinen Tod beschleuniget hat. + +Waitwell. Ach! Miss-- + +Sara. Sage mir, geschwind sage mir, dass die letzten Augenblicke +seines Lebens ihm durch mein Andenken nicht schwerer wurden; dass er +mich vergessen hatte; dass er ebenso ruhig starb, als er sich sonst in +meinen Armen zu sterben versprach; dass er sich meiner auch nicht +einmal in seinem letzten Gebete erinnerte-- + +Waitwell. Hoeren Sie doch auf, sich mit so falschen Vorstellungen zu +plagen! Er lebt ja noch, Ihr Vater; er lebt ja noch, der +rechtschaffne Sir William. + +Sara. Lebt er noch? Ist es wahr, lebt er noch? Oh! dass er noch +lange leben und gluecklich leben moege! Oh! dass ihm Gott die Haelfte +meiner Jahre zulegen wolle! Die Haelfte?--Ich Undankbare, wenn ich ihm +nicht mit allen, soviel mir deren bestimmt sind, auch nur einige +Augenblicke zu erkaufen bereit bin! Aber nun sage mir wenigstens, +Waitwell, dass es ihm nicht hart faellt, ohne mich zu leben; dass es ihm +leicht geworden ist, eine Tochter aufzugeben, die ihre Tugend so +leicht aufgeben koennen; dass ihn meine Flucht erzuernet, aber nicht +gekraenkt hat; dass er mich verwuenschet, aber nicht bedauert. + +Waitwell. Ach, Sir William ist noch immer der zaertliche Vater, so wie +sein Sarchen noch immer die zaertliche Tochter ist, die sie beide +gewesen sind. + +Sara. Was sagst du? Du bist ein Bote des Ungluecks, des +schrecklichsten Ungluecks unter allen, die mir meine feindselige +Einbildung jemals vorgestellet hat! Er ist noch der zaertliche Vater? +So liebt er mich ja noch? So muss er mich ja beklagen? Nein, nein, +das tut er nicht; das kann er nicht tun! Siehst du denn nicht, wie +unendlich jeder Seufzer, den er um mich verloere, meine Verbrechen +vergroessern wuerde? Muesste mir nicht die Gerechtigkeit des Himmels jede +seiner Traenen, die ich ihm auspresste, so anrechnen, als ob ich bei +jeder derselben mein Laster und meinen Undank wiederholte? Ich +erstarre ueber diesen Gedanken. Traenen koste ich ihm? Traenen? Und es +sind andre Traenen als Traenen der Freude?--Widersprich mir doch, +Waitwell! Aufs hoechste hat er einige leichte Regungen des Bluts fuer +mich gefuehlet; einige von den geschwind ueberhin gehenden Regungen, +welche die kleinste Anstrengung der Vernunft besaenftiget. Zu Traenen +hat er es nicht kommen lassen. Nicht wahr, Waitwell, zu Traenen hat er +es nicht kommen lassen? + +Waitwell (indem er sich die Augen wischt). Nein, Miss, dazu hat er es +nicht kommen lassen. + +Sara. Ach! dein Mund sagt nein; und deine eignen Traenen sagen ja. + +Waitwell. Nehmen Sie diesen Brief, Miss; er ist von ihm selbst. + +Sara. Von wem? von meinem Vater? an mich? + +Waitwell. Ja, nehmen Sie ihn nur; Sie werden mehr daraus sehen koennen, +als ich zu sagen vermag. Er haette einem andern als mir dieses +Geschaeft auftragen sollen. Ich versprach mir Freude davon; aber Sie +verwandeln mir diese Freude in Betruebnis. + +Sara. Gib nur, ehrlicher Waitwell!--Doch nein, ich will ihn nicht +eher nehmen, als bis du mir sagst, was ungefaehr darin enthalten ist. + +Waitwell. Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung. + +Sara. Liebe? Vergebung? + +Waitwell. Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, dass er die Rechte +der vaeterlichen Gewalt gegen ein Kind brauchen wollen, fuer welches nur +die Vorrechte der vaeterlichen Huld sind. + +Sara. So behalte nur deinen grausamen Brief! + +Waitwell. Grausamen? fuerchten Sie nichts; Sie erhalten voellige +Freiheit ueber Ihr Herz und Ihre Hand. + +Sara. Und das ist es eben, was ich fuerchte. Einen Vater, wie ihn, zu +betrueben: dazu habe ich noch den Mut gehabt. Allein ihn durch eben +diese Betruebnis, ihn durch seine Liebe, der ich entsagt, dahin +gebracht zu sehen, dass er sich alles gefallen laesst, wozu mich eine +unglueckliche Leidenschaft verleitet: das, Waitwell, das wuerde ich +nicht ausstehen. Wenn sein Brief alles enthielte, was ein +aufgebrachter Vater in solchem Falle Heftiges und Hartes vorbringen +kann, so wuerde ich ihn zwar mit Schaudern lesen, aber ich wuerde ihn +doch lesen koennen. Ich wuerde gegen seinen Zorn noch einen Schatten +von Verteidigung aufzubringen wissen, um ihn durch diese Verteidigung, +wo moeglich, noch zorniger zu machen. Meine Beruhigung waere alsdann +diese, dass bei einem gewaltsamen Zorne kein wehmuetiger Gram Raum haben +koenne und dass sich jener endlich gluecklich in eine bittere Verachtung +gegen mich verwandeln werde. Wen man aber verachtet, um den bekuemmert +man sich nicht mehr. Mein Vater waere wieder ruhig, und ich duerfte mir +nicht vorwerfen, ihn auf immer ungluecklich gemacht zu haben. + +Waitwell. Ach! Miss, Sie werden sich diesen Vorwurf noch weniger +machen duerfen, wenn Sie jetzt seine Liebe wieder ergreifen, die ja +alles vergessen will. + +Sara. Du irrst dich, Waitwell. Sein sehnliches Verlangen nach mir +verfuehrt ihn vielleicht, zu allem ja zu sagen. Kaum aber wuerde dieses +Verlangen ein wenig beruhiget sein, so wuerde er sich seiner Schwaeche +wegen vor sich selbst schaemen. Ein finsterer Unwille wuerde sich +seiner bemeistern, und er wuerde mich nie ansehen koennen, ohne mich +heimlich anzuklagen, wieviel ich ihm abzutrotzen mich unterstanden +habe. Ja, wenn es in meinem Vermoegen stuende, ihm bei der aeussersten +Gewalt, die er sich meinetwegen antut, das Bitterste zu ersparen; wenn +in dem Augenblicke, da er mir alles erlauben wollte, ich ihm alles +aufopfern koennte: so waere es ganz etwas anders. Ich wollte den Brief +mit Vergnuegen von deinen Haenden nehmen, die Staerke der vaeterlichen +Liebe darin bewundern und, ohne sie zu missbrauchen, mich als eine +reuende und gehorsame Tochter zu seinen Fuessen werfen. Aber kann ich +das? Ich wuerde es tun muessen, was er mir erlaubte, ohne mich daran zu +kehren, wie teuer ihm diese Erlaubnis zu stehen komme. Und wenn ich +dann am vergnuegtesten darueber sein wollte, wuerde es mir ploetzlich +einfallen, dass er mein Vergnuegen aeusserlich nur zu teilen scheine und +in sich selbst vielleicht seufze; kurz, dass er mich mit Entsagung +seiner eignen Glueckseligkeit gluecklich gemacht habe--Und es auf diese +Art zu sein wuenschen, trauest du mir das wohl zu, Waitwell? + +Waitwell. Gewiss, ich weiss nicht, was ich hierauf antworten soll. + +Sara. Es ist nichts darauf zu antworten. Bringe deinen Brief also +nur wieder zurueck. Wenn mein Vater durch mich ungluecklich sein muss, +so will ich selbst auch ungluecklich bleiben. Ganz allein ohne ihn +ungluecklich zu sein, das ist es, was ich jetzt stuendlich von dem +Himmel bitte; gluecklich aber ohne ihn ganz allein zu sein, davon will +ich durchaus nichts wissen. + +Waitwell (etwas beiseite). Ich glaube wahrhaftig, ich werde das gute +Kind hintergehen muessen, damit es den Brief doch nur lieset. + +Sara. Was sprichst du da fuer dich? + +Waitwell. Ich sage mir selbst, dass ich einen sehr ungeschickten +Einfall gehabt haette, Sie, Miss, zur Lesung des Briefes desto +geschwinder zu vermoegen. + +Sara. Wieso? + +Waitwell. Ich konnte so weit nicht denken. Sie ueberlegen freilich +alles genauer, als es unsereiner kann. Ich wollte Sie nicht +erschrecken; der Brief ist vielleicht nur allzu hart; und wenn ich +gesagt habe, dass nichts als Liebe und Vergebung darin enthalten sei, +so haette ich sagen sollen, dass ich nichts als dieses darin enthalten +zu sein wuenschte. + +Sara. Ist das wahr?--Nun, so gib mir ihn her. Ich will ihn lesen. +Wenn man den Zorn eines Vaters ungluecklicherweise verdient hat, so muss +man wenigstens gegen diesen vaeterlichen Zorn so viel Achtung haben, +dass er ihn nach allen Gefallen gegen uns auslassen kann. Ihn zu +vereiteln suchen, heisst Beleidigungen mit Geringschaetzung haeufen. Ich +werde ihn nach aller seiner Staerke empfinden. Du siehst, ich zittre +schon--Aber ich soll auch zittern; und ich will lieber zittern als +weinen.--(Sie erbricht den Brief.) Nun ist er erbrochen! Ich bebe-- +Aber was seh ich? (Sie lieset.) "Einzige, geliebteste Tochter!"--Ha! +du alter Betrueger, ist das die Anrede eines zornigen Vaters? Geh, +weiter werde ich nicht lesen-- + +Waitwell. Ach, Miss, verzeihen Sie doch einem alten Knechte. Ja gewiss, +ich glaube, es ist in meinem Leben das erstemal, dass ich mit Vorsatz +betrogen habe. Wer einmal betruegt, Miss, und aus einer so guten +Absicht betruegt, der ist ja deswegen noch kein alter Betrueger. Das +geht mir nahe, Miss. Ich weiss wohl, die gute Absicht entschuldigt +nicht immer; aber was konnte ich denn tun? Einem so guten Vater +seinen Brief ungelesen wiederzubringen? Das kann ich nimmermehr. +Eher will ich gehen, soweit mich meine alten Beine tragen, und ihm nie +wieder vor die Augen kommen. + +Sara. Wie? auch du willst ihn verlassen? + +Waitwell. Werde ich denn nicht muessen, wenn Sie den Brief nicht +lesen? Lesen Sie ihn doch immer. Lassen Sie doch immer den ersten +vorsaetzlichen Betrug, den ich mir vorzuwerfen habe, nicht ohne gute +Wirkung bleiben. Sie werden ihn desto eher vergessen, und ich werde +mir ihn desto eher vergeben koennen. Ich bin ein gemeiner, einfaeltiger +Mann, der Ihnen Ihre Ursachen, warum Sie den Brief nicht lesen koennen +oder wollen, freilich so muss gelten lassen. Ob sie wahr sind, weiss +ich nicht; aber so recht natuerlich scheinen sie mir wenigstens nicht. +Ich daechte nun so, Miss: ein Vater, daechte ich, ist doch immer ein +Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch +ein gutes Kind. Wenn der Vater den Fehler verzeiht, so kann ja das +Kind sich wohl wieder so auffuehren, dass er auch gar nicht mehr daran +denken darf. Und wer erinnert sich denn gern an etwas, wovon er +lieber wuenscht, es waere gar nicht geschehen? Es ist, Miss, als ob Sie +nur immer an Ihren Fehler daechten und glaubten, es waere genug, wenn +Sie den in Ihrer Einbildung vergroesserten und sich selbst mit solchen +vergroesserten Vorstellungen marterten. Aber ich sollte meinen, Sie +muessten auch daran denken, wie Sie das, was geschehen ist, +wiedergutmachten. Und wie wollen Sie es denn wiedergutmachen, wenn +Sie sich selbst alle Gelegenheit dazu benehmen? Kann es Ihnen denn +sauer werden, den andern Schritt zu tun, wenn so ein lieber Vater +schon den ersten getan hat? + +Sara. Was fuer Schwerter gehen aus deinem einfaeltigen Munde in mein +Herz!--Eben das kann ich nicht aushalten, dass er den ersten Schritt +tun muss. Und was willst du denn? Tut er denn nur den ersten Schritt? +Er muss sie alle tun: ich kann ihm keinen entgegentun. So weit ich +mich von ihm entfernet, so weit muss er sich zu mir herablassen. Wenn +er mir vergibt, so muss er mein ganzes Verbrechen vergeben und sich +noch dazu gefallen lassen, die Folgen desselben vor seinen Augen +fortdauern zu sehen. Ist das von einem Vater zu verlangen? + +Waitwell. Ich weiss nicht, Miss, ob ich dieses so recht verstehe. Aber +mich deucht, Sie wollen sagen, er muesse Ihnen gar zu viel vergeben, +und weil ihm das nicht anders als sehr sauer werden koenne, so machten +Sie sich ein Gewissen, seine Vergebung anzunehmen. Wenn Sie das +meinen, so sagen Sie mir doch, ist denn nicht das Vergeben fuer ein +gutes Herz ein Vergnuegen? Ich bin in meinem Leben so gluecklich nicht +gewesen, dass ich dieses Vergnuegen oft empfunden haette. Aber der +wenigen Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer +gern. Ich fuehlte so etwas Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas +Himmlisches dabei, dass ich mich nicht entbrechen konnte, an die grosse, +unueberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen ganze +Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwaehrendes Vergeben ist. Ich +wuenschte mir, alle Augenblicke verzeihen zu koennen, und schaemte mich, +dass ich nur solche Kleinigkeiten zu verzeihen hatte. Recht +schmerzhafte Beleidigungen, recht toedliche Kraenkungen zu vergeben, +sagt' ich zu mir selbst, muss eine Wollust sein, in der die ganze Seele +zerfliesst--Und nun, Miss, wollen Sie denn so eine grosse Wollust Ihrem +Vater nicht goennen? + +Sara. Ach!--Rede weiter, Waitwell, rede weiter! + +Waitwell. Ich weiss wohl, es gibt eine Art von Leuten, die nichts +ungerner als Vergebung annehmen, und zwar, weil sie keine zu erzeigen +gelernt haben. Es sind stolze, unbiegsam Leute, die durchaus nicht +gestehen wollen, dass sie unrecht getan. Aber von der Art, Miss, sind +Sie nicht. Sie haben das liebreichste und zaertlichste Herz, das die +beste Ihres Geschlechts nur haben kann. Ihren Fehler bekennen Sie +auch. Woran liegt es denn nun also noch?--Doch verzeihen Sie mir nur, +Miss, ich bin ein alter Plauderer und haette es gleich merken sollen, +dass Ihr Weigern nur eine ruehmliche Besorgnis, nur eine tugendhafte +Schuechternheit sei. Leute, die eine grosse Wohltat gleich ohne +Bedenken annehmen koennen, sind der Wohltat selten wuerdig. Die sie am +meisten verdienen, haben auch immer das meiste Misstrauen gegen sich +selbst. Doch muss das Misstrauen nicht ueber sein Ziel getrieben werden. + + +Sara. Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich ueberredet. + +Waitwell. Ach Gott! wenn ich so gluecklich gewesen bin, so muss mir +ein guter Geist haben reden helfen. Aber nein, Miss, meine Reden haben +dabei nichts getan, als dass sie Ihnen Zeit gelassen, selbst +nachzudenken und sich von einer so froehlichen Bestuerzung zu erholen.-- +Nicht wahr, nun werden Sie den Brief lesen? Oh! lesen Sie ihn doch +gleich! + +Sara. Ich will es tun, Waitwell.--Welche Bisse, welche Schmerzen +werde ich fuehlen! + +Waitwell. Schmerzen, Miss, aber angenehme Schmerzen. + +Sara. Sei still! (Sie faengt an, fuer sich zu lesen.) + +Waitwell (beiseite). Oh! wenn er sie selbst sehen sollte! + +Sara (nachdem sie einige Augenblicke gelesen). Ach, Waitwell, was fuer +ein Vater! Er nennt meine Flucht eine Abwesenheit. Wieviel +straeflicher wird sie durch dieses gelinde Wort! (Sie lieset weiter +und unterbricht sich wieder.) Hoere doch! er schmeichelt sich, ich +wuerde ihn noch lieben. Er schmeichelt sich! (Lieset und unterbricht +sich.) Er bittet mich--Er bittet mich? Ein Vater seine Tochter? +seine strafbare Tochter? Und was bittet er mich denn?--(Lieset fuer +sich.) Er bittet mich, seine uebereilte Strenge zu vergessen und ihn +mit meiner Entfernung nicht laenger zu strafen. Uebereilte Strenge!--Zu +strafen!--(Lieset wieder und unterbricht sich.) Noch mehr! Nun dankt +er mir gar, und dankt mir, dass ich ihm Gelegenheit gegeben, den ganzen +Umfang der vaeterlichen Liebe kennenzulernen. Unselige Gelegenheit! +Wenn er doch nur auch sagte, dass sie ihm zugleich den ganzen Umfang +des kindlichen Ungehorsams habe kennenlernen! (Sie lieset wieder.) +Nein, er sagt es nicht! Er gedenkt meines Verbrechens nicht mit einem +Buchstaben. (Sie faehrt weiter fort, fuer sich zu lesen.) Er will +kommen und seine Kinder selbst zurueckholen. Seine Kinder, Waitwell! +Das geht ueber alles!--Hab ich auch recht gelesen? (Sie lieset wieder +fuer sich.)--Ich moechte vergehen! Er sagt, derjenige verdiene nur +allzuwohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter haben koenne. +--Oh! haette er sie nie gehabt, diese unglueckliche Tochter!--Geh, +Waitwell, lass mich allein! Er verlangt eine Antwort, und ich will sie +sogleich machen. Frag in einer Stunde wieder nach. Ich danke dir +unterdessen fuer deine Muehe. Du bist ein rechtschaffner Mann. Es sind +wenig Diener die Freunde ihrer Herren! + +Waitwell. Beschaemen Sie mich nicht, Miss. Wenn alle Herren Sir +Williams waeren, so muessten die Diener Unmenschen sein, wenn sie nicht +ihr Leben fuer sie lassen wollten. (Geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + + +Sara (sie setzet sich zum Schreiben nieder). Wenn man mir es vor Jahr +und Tag gesagt haette, dass ich auf einen solchen Brief wuerde antworten +muessen! Und unter solchen Umstaenden!--Ja, die Feder hab ich in der +Hand.--Weiss ich aber auch schon, was ich schreiben soll? Was ich +denke; was ich empfinde.--Und was denkt man denn, wenn sich in einem +Augenblicke tausend Gedanken durchkreuzen? Und was empfindet man denn, +wenn das Herz vor lauter Empfinden in einer tiefen Betaeubung liegt?-- +Ich muss doch schreiben--Ich fuehre ja die Feder nicht das erstemal. +Nachdem sie mir schon so manche kleine Dienste der Hoeflichkeit und +Freundschaft abstatten helfen, sollte mir ihre Hilfe wohl bei dem +wichtigsten Dienste entstehen?--(Sie denkt ein wenig nach und schreibt +darauf einige Zeilen.) Das soll der Anfang sein? Ein sehr frostiger +Anfang. Und werde ich denn bei seiner Liebe anfangen wollen? Ich muss +bei meinem Verbrechen anfangen. (Sie streicht aus und schreibt anders.) +Dass ich mich ja nicht zu obenhin davon ausdruecke!--Das Schaemen kann +ueberall an seiner rechten Stelle sein, nur bei dem Bekenntnisse +unserer Fehler nicht. Ich darf mich nicht fuerchten, in Uebertreibungen +zu geraten, wenn ich auch schon die graesslichsten Zuege anwende.--Ach! +warum muss ich nun gestoert werden? + + + +Fuenfter Auftritt + +Marwood. Mellefont. Sara. + + +Mellefont. Liebste Miss, ich habe die Ehre, Ihnen Lady Solmes +vorzustellen, welche eine von denen Personen in meiner Familie ist, +welchen ich mich am meisten verpflichtet erkenne. + +Marwood. Ich muss um Vergebung bitten, Miss, dass ich so frei bin, mich +mit meinen eignen Augen von dem Gluecke eines Vetters zu ueberfuehren, +dem ich das vollkommenste Frauenzimmer wuenschen wuerde, wenn mich nicht +gleich der erste Anblick ueberzeugt haette, dass er es in Ihnen bereits +gefunden habe. + +Sara. Sie erzeigen mir allzuviel Ehre, Lady. Eine Schmeichelei wie +diese wuerde mich zu allen Zeiten beschaemt haben; itzt aber sollte ich +sie fast fuer einen versteckten Vorwurf annehmen, wenn ich Lady Solmes +nicht fuer viel zu grossmuetig hielte, ihre Ueberlegenheit an Tugend und +Klugheit eine Unglueckliche fuehlen zu lassen. + +Marwood (kalt). Ich wuerde untroestlich sein, Miss, wenn Sie mir andre +als die freundschaftlichsten Gesinnungen zutrauten.--(Beiseite.) Sie +ist schoen! + +Mellefont. Und waere es denn auch moeglich, Lady, gegen soviel +Schoenheit, gegen soviel Bescheidenheit gleichgueltig zu bleiben? Man +sagt zwar, dass einem reizenden Frauenzimmer selten von einem andern +Gerechtigkeit erwiesen werde: allein dieses ist auf der einen Seite +nur von denen, die auf ihre Vorzuege allzu eitel sind, und auf der +andern nur von solchen zu verstehen, welche sich selbst keiner Vorzuege +bewusst sind. Wie weit sind Sie beide von diesem Falle entfernt!--(Zur +Marwood, welche in Gedanken steht.) Ist es nicht wahr, Lady, dass +meine Liebe nichts weniger als parteiisch gewesen ist? Ist es nicht +wahr, dass ich Ihnen zum Lobe meiner Miss viel, aber noch lange nicht so +viel gesagt habe, als Sie selbst finden?--Aber warum so in Gedanken?-- +(Sachte zu ihr.) Sie vergessen, wer Sie sein wollen. + +Marwood. Darf ich es sagen?--Die Bewunderung Ihrer liebsten Miss +fuehrte mich auf die Betrachtung ihres Schicksals. Es ging mir nahe, +dass sie die Fruechte ihrer Liebe nicht in ihrem Vaterlande geniessen +soll. Ich erinnerte mich, dass sie einen Vater und, wie man mir gesagt +hat, einen sehr zaertlichen Vater verlassen muesste, um die Ihrige sein +zu koennen; und ich konnte mich nicht enthalten, ihre Aussoehnung mit +ihm zu wuenschen. + +Sara. Ach! Lady, wie sehr bin ich Ihnen fuer diesen Wunsch verbunden. +Er verdient es, dass ich meine ganze Freude mit Ihnen teile. Sie +koennen es noch nicht wissen, Mellefont, dass er erfuellt wurde, ehe Lady +die Liebe fuer uns hatte, ihn zu tun. + +Mellefont. Wie verstehen Sie dieses, Miss? + +Marwood (beiseite). Was will das sagen? + +Sara. Eben itzt habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten. +Waitwell brachte mir ihn. Ach, Mellefont, welch ein Brief! + +Mellefont. Geschwind reissen Sie mich aus meiner Ungewissheit. Was hab +ich zu fuerchten? Was habe ich zu hoffen? Ist er noch der Vater, den +wir flohen? Und wenn er es noch ist, wird Sara die Tochter sein, die +mich zaertlich genug liebt, um ihn noch weiter zu fliehen? Ach! haette +ich Ihnen gefolgt, liebste Miss, so waeren wir jetzt durch ein Band +verknuepft, das man aus eigensinnigen Absichten zu trennen wohl +unterlassen muesste. In diesem Augenblick empfinde ich alles das +Unglueck, das unser entdeckter Aufenthalt fuer mich nach sich ziehen +kann. Er wird kommen und Sie aus meinen Armen reissen. Wie hasse ich +den Nichtswuerdigen, der uns ihm verraten hat! (Mit einem zornigen +Blick gegen die Marwood.) + +Sara. Liebster Mellefont, wie schmeichelhaft ist diese Ihre Unruhe +fuer mich! Und wie gluecklich sind wir beide, dass sie vergebens ist! +Lesen Sie hier seinen Brief.--(Gegen die Marwood, indem Mellefont den +Brief fuer sich lieset.) Lady, er wird ueber die Liebe meines Vaters +erstaunen. Meines Vaters? Ach! er ist nun auch der seinige. + +Marwood (betroffen). Ist es moeglich? + +Sara. Jawohl, Lady, haben Sie Ursache, diese Veraenderung zu bewundern. +Er vergibt uns alles; wir werden uns nun vor seinen Augen lieben; er +erlaubt es uns; er befiehlt es uns.--Wie hat diese Guetigkeit meine +ganze Seele durchdrungen!--Nun, Mellefont? (Der ihr den Brief +wiedergibt.) Sie schweigen? O nein, diese Traene, die sich aus Ihrem +Auge schleicht, sagt weit mehr, als Ihr Mund ausdruecken koennte. + +Marwood (beiseite). Wie sehr habe ich mir selbst geschadet! Ich +Unvorsichtige! + +Sara. Oh! lassen Sie mich diese Traene von Ihrer Wange kuessen! + +Mellefont. Ach Miss, warum haben wir so einen goettlichen Mann betrueben +muessen? Jawohl, einen goettlichen Mann: denn was ist goettlicher als +vergeben?--Haetten wir uns diesen gluecklichen Ausgang nur als moeglich +vorstellen koennen: gewiss, so wollten wir ihn jetzt so gewaltsamen +Mitteln nicht zu verdanken haben; wir wollten ihn allein unsern Bitten +zu verdanken haben. Welche Glueckseligkeit wartet auf mich! Wie +schmerzlich wird mir aber auch die eigne Ueberzeugung sein, dass ich +dieser Glueckseligkeit so unwert bin! + +Marwood (beiseite). Und das muss ich mit anhoeren! + +Sara. Wie vollkommen rechtfertigen Sie durch solche Gesinnungen meine +Liebe gegen Sie. + +Marwood (beiseite). Was fuer Zwang muss ich mir antun! + +Sara. Auch Sie, vortreffliche Lady, muessen den Brief meines Vaters +lesen. Sie scheinen allzuviel Anteil an unserm Schicksale zu nehmen, +als dass Ihnen sein Inhalt gleichgueltig sein koennte. + +Marwood. Mir gleichgueltig, Miss? (Sie nimmt den Brief.) + +Sara. Aber, Lady, Sie scheinen noch immer sehr nachdenkend, sehr +traurig.-- + +Marwood. Nachdenkend, Miss, aber nicht traurig. + +Mellefont (beiseite). Himmel! wo sie sich verraet! + +Sara. Und warum denn? + +Marwood. Ich zittere fuer Sie beide. Koennte die unvermutete Guete +Ihres Vaters nicht eine Verstellung sein? eine List? + +Sara. Gewiss nicht, Lady, gewiss nicht. Lesen Sie nur, und Sie werden +es selbst gestehen. Die Verstellung bleibt immer kalt, und eine so +zaertliche Sprache ist in ihrem Vermoegen nicht. (Marwood lieset fuer +sich.) Werden Sie nicht argwoehnisch, Mellefont; ich bitte Sie. Ich +stehe Ihnen dafuer, dass mein Vater sich zu keiner List herablassen kann. +Er sagt nichts, was er nicht denkt, und Falschheit ist ihm ein +unbekanntes Laster. + +Mellefont. Oh! davon bin ich vollkommen ueberzeugt, liebste Miss.--Man +muss der Lady den Verdacht vergeben, weil sie den Mann noch nicht kennt, +den er trifft. + +Sara (indem ihr Marwood den Brief zurueckgibt). Was seh ich, Lady? +Sie haben sich entfaerbt? Sie zittern? Was fehlt Ihnen? + +Mellefont (beiseite). In welcher Angst bin ich! Warum habe ich sie +auch hergebracht? + +Marwood. Es ist nichts, Miss, als ein kleiner Schwindel, welcher +voruebergehn wird. Die Nachtluft muss mir auf der Reise nicht bekommen +sein. + +Mellefont. Sie erschrecken mich, Lady--ist es Ihnen nicht gefaellig, +frische Luft zu schoepfen? Man erholt sich in einem verschlossnen +Zimmer nicht so leicht. + +Marwood. Wenn Sie meinen, so reichen Sie mir Ihren Arm. + +Sara. Ich werde Sie begleiten, Lady. + +Marwood. Ich verbitte diese Hoeflichkeit, Miss. Meine Schwachheit wird +ohne Folgen sein. + +Sara. So hoffe ich denn, Lady bald wiederzusehen. + +Marwood. Wenn Sie erlauben, Miss-- + +(Mellefont fuehrt sie ab.) + +Sara (allein). Die arme Lady!--Sie scheinet die freundschaftlichste +Person zwar nicht zu sein; aber muerrisch und stolz scheinet sie doch +auch nicht.--Ich bin wieder allein. Kann ich die wenigen Augenblicke, +die ich es vielleicht sein werde, zu etwas Besserm als zur Vollendung +meiner Antwort anwenden? (Sie will sich niedersetzen, zu schreiben.) + + + +Sechster Auftritt + +Betty. Sara. + + +Betty. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch. + +Sara. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines +Mellefont. Es wandelte ihr gaehling eine kleine Schwachheit an. Wo +ist sie jetzt? + +Betty. Mellefont hat sie bis an die Tuere begleitet. + +Sara. So ist sie ja wohl wieder fort? + +Betty. Ich vermute es.--Aber je mehr ich Sie ansehe, Miss--Sie muessen +mir meine Freiheit verzeihen--, je mehr finde ich Sie veraendert. Es +ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muss ein +sehr angenehmer Besuch oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote +gewesen sein. + +Sara. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was +fuer einen zaertlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes +Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen. +Ich werde wieder gluecklich sein und dich fuer deine guten Dienste +belohnen koennen. + +Betty. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen fuer Dienste leisten +koennen? + +Sara. Du haettest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht +mehrere leisten koennen als in diesen neun Wochen. Sie sind vorueber!-- +Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so +muss ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, dass es sehr +gut sein wuerde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem +seine Danksagung schwerlich unerwartet sein duerfte. Komm! + +(Sie gehen ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Der Saal. + + +Sir William Sampson. Waitwell. + +Sir William. Was fuer Balsam, Waitwell, hast du mir durch deine +Erzaehlung in mein verwundetes Herz gegossen! Ich lebe wieder neu auf; +und ihre herannahende Rueckkehr scheint mich ebensoweit zu meiner +Jugend wieder zurueckzubringen, als mich ihre Flucht naeher zu dem Grabe +gebracht hatte. Sie liebt mich noch! Was will ich mehr?--Geh ja bald +wieder zu ihr, Waitwell. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, da +ich sie aufs neue in diese Arme schliessen soll, die ich so sehnlich +gegen den Tod ausgestreckt hatte. Wie erwuenscht waere er mir in den +Augenblicken meines Kummers gewesen! Und wie fuerchterlich wird er mir +in meinem neuen Gluecke sein! Ein Alter ist ohne Zweifel zu tadeln, +wenn er die Bande, die ihn noch mit der Welt verbinden, so fest wieder +zuziehet. Die endliche Trennung wird desto schmerzlicher.--Doch der +Gott, der sich jetzt so gnaedig gegen mich erzeigt, wird mir auch diese +ueberstehen helfen. Sollte er mir wohl eine Wohltat erweisen, um sie +mir zuletzt zu meinem Verderben gereichen zu lassen? Sollte er mir +eine Tochter wiedergeben, damit ich ueber seine Abfoderung aus diesem +Leben murren muesse? Nein, nein; er schenkt mir sie wieder, um in der +letzten Stunde nur um mich selbst besorgt sein zu duerfen. Dank sei +dir, ewige Guete! Wie schwach ist der Dank eines sterblichen Mundes! +Doch bald, bald werde ich in einer ihm geweihten Ewigkeit ihm wuerdiger +danken koennen. + +Waitwell. Wie herzlich vergnuegt es mich, Sir, Sie vor meinem Ende +wieder zufrieden zu wissen! Glauben Sie mir es nur, ich habe fast so +viel bei Ihrem Jammer ausgestanden als Sie selbst. Fast so viel; gar +so viel nicht: denn der Schmerz eines Vaters mag wohl bei solchen +Gelegenheiten unaussprechlich sein. + +Sir William. Betrachte dich von nun an, mein guter Waitwell, nicht +mehr als meinen Diener. Du hast es schon laengst um mich verdient, ein +anstaendiger Alter zu geniessen. Ich will dir es auch schaffen, und du +sollst es nicht schlechter haben, als ich es noch in der Welt haben +werde. Ich will allen Unterschied zwischen uns aufheben; in jener +Welt, weisst du wohl, ist er ohnedies aufgehoben.--Nur dasmal sei noch +der alte Diener, auf den ich mich nie umsonst verlassen habe. Geh und +gib acht, dass du mir ihre Antwort sogleich bringen kannst, als sie +fertig ist. + +Waitwell. Ich gehe, Sir. Aber so ein Gang ist kein Dienst, den ich +Ihnen tue. Er ist eine Belohnung, die Sie mir fuer meine Dienste +goennen. Ja gewiss, das ist er. + +(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.) + +(Ende des dritten Aufzuges.) + + + + + +Vierter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Mellefonts Zimmer. + + +Mellefont. Sara. + +Mellefont. Ja, liebste Miss, ja; das will ich tun; das muss ich tun. + +Sara. Wie vergnuegt machen Sie mich! + +Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich +nehmen muss. Ich allein bin schuldig; ich allein muss um Vergebung +bitten. + +Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den groessern Anteil, den ich an +unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch +ist: denn er muss Sie ueberzeugt haben, dass ich meinen Mellefont ueber +alles in der Welt liebe.--Aber ist es denn gewiss wahr, dass ich nunmehr +diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder +befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fuerchte ich mich, +ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen!--Doch nein, +ich bin nicht bloss in einem Traume, ich bin wirklich gluecklicher, als +ich jemals zu werden hoffen durfte; gluecklicher, als es vielleicht +dieses kurze Leben zulaesst. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von +Glueckseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so +schmeichelhaft naeher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die +dickste Finsternis zerfliesse und mich auf einmal in einer Nacht lasse, +deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht +fuehlbar geworden.--Was fuer Ahnungen quaelen mich!--Sind es wirklich +Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewoehnliche Empfindungen, die von +der Erwartung eines unverdienten Gluecks und von der Furcht, es zu +verlieren, unzertrennlich sind?--Wie schlaegt mir das Herz, und wie +unordentlich schlaegt es! Wie stark itzt, wie geschwind!--Und nun, wie +matt, wie bange, wie zitternd!--Itzt eilt es wieder, als ob es die +letzten Schlaege waeren, die es gern recht schnell hintereinander tun +wolle. Armes Herz! + +Mellefont. Die Wallungen des Gebluets, welche ploetzliche +Ueberraschungen nicht anders als verursachen koennen, werden sich legen, +Miss, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner +seiner Schlaege zielet auf das Zukuenftige; und wir sind zu tadeln-- +verzeihen Sie, liebste Sara--, wenn wir des Bluts mechanische +Drueckungen zu fuerchterlichen Propheten machen.--Deswegen aber will ich +nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besaenftigung dieses kleinen +innerlichen Sturms fuer dienlich halten. Ich will sogleich schreiben, +und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit +den Ausdruecken meines geruehrten Herzens und mit den Angelobungen des +zaertlichsten Gehorsams zufrieden sein. + +Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an +einen weit zaertlichern Namen zu gewoehnen. Mein Vater, Ihr Vater, +Mellefont-- + +Mellefont. Nun ja, Miss, unser guetiger, unser bester Vater!--Ich musste +sehr jung aufhoeren, diesen suessen Namen zu nennen; sehr jung musste ich +den ebenso suessen Namen "Mutter" verlernen-- + +Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir--mir ward es so gut nicht, ihn +nur einmal sprechen zu koennen. Mein Leben war ihr Tod.--Gott! ich +ward eine Muttermoerderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte-- +wie wenig, wie nichts fehlte--, so waere ich auch eine Vatermoerderin +geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsaetzliche +Vatermoerderin!--Und wer weiss, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre, +die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele koemmt, +als er ohne die Betruebnis, die ich ihm verursacht, gekommen waere-- +diese hab ich ihm--ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal +auch noch so alt und lebenssatt sterben laesst, so wird mein Gewissen +doch nichts gegen den Vorwurf sichern koennen, dass er ohne mich +vielleicht noch spaeter gestorben waere. Trauriger Vorwurf, den ich mir +ohne Zweifel nicht machen duerfte, wenn eine zaertliche Mutter die +Fuehrerin meiner Jugend gewesen waere! Ihre Lehren, ihr Exempel wuerden +mein Herz--So zaertlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben +recht; eine Mutter wuerde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert +haben, und ich wuerde Mellefonts nicht sein. Warum wuensche ich mir +denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Guete versagte? +Seine Fuegungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht +brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach +einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene +Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung! +Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, dass in dem +Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will.- +-Was ist es, dieses rebellische Etwas? + +Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt +haben, ist die natuerliche furchtsam Schwierigkeit, sich in ein grosses +Glueck zu finden.--Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich +ungluecklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich +fuer gluecklich zu halten!--Aber wie dem, der in einer schnellen +Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder +still sitzt, die aeussern Gegenstaende mit ihm herumzugehen scheinen, so +wird auch das Herz, das zu heftig erschuettert worden, nicht auf einmal +wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurueck, +die wir ihrer eignen Abschwaechung ueberlassen muessen. + +Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen; +weil ich es wuensche.--Aber lassen Sie uns einer den andern nicht +laenger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich +darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde +gezeigt haben? + +Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur +das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muss: denn ich weiss es, Sie +halten sich nicht fuer so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara +bis an die Szene begleitet.) + + + +Zweiter Auftritt + + +Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen). +Was fuer ein Raetsel bin ich mir selbst! Wofuer soll ich mich halten? +Fuer einen Toren? oder fuer einen Boesewicht?--oder fuer beides?--Herz, +was fuer ein Schalk bist du!--Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich +auch sein mag.--Ich lieb ihn? Ja, gewiss, gewiss, ich lieb ihn. Ich +weiss, ich wollte tausend Leben fuer sie aufopfern, fuer sie, die mir +ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand +wollt' ich es--Und doch, doch--Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen-- +Und doch--Wie soll ich es begreifen?--Und doch fuerchte ich mich vor +dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der +Meinigen machen wird.--Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater +ist versoehnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben koennen. +Die Verzoegerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwuerfe genug +zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch +ertraeglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt +zu sein.--Aber bin ich es denn nicht schon?--Ich bin es freilich, und +bin es mit Vergnuegen.--Freilich bin ich schon ihr Gefangener.--Was +will ich also?--Das!--Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein +Wort frei herumgehen laesst: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht +sein Bewenden haben? Warum muss ich eingeschmiedet werden und auch +sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren?--Eingeschmiedet? +Nichts anders!--Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten +liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin!--Die Haelfte +dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Haelfte--wird +verschwinden.--Ich Ungeheuer!--Und bei diesen Gesinnungen soll ich an +ihren Vater schreiben?--Doch es sind keine Gesinnungen; es sind +Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zuegelloses +Leben so natuerlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder--nicht +leben. + + + +Dritter Auftritt + +Norton. Mellefont. + + +Mellefont. Du stoerest mich, Norton! + +Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr--(Indem er wieder zurueckgehen +will.) + +Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, dass du mich +stoerest. Was willst du? + +Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehoert, und +ich komme, Ihnen dazu Glueck zu wuenschen. + +Mellefont. Zur Versoehnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir. + +Norton. Der Himmel will Sie also noch gluecklich machen. + +Mellefont. Wenn er es will--du siehst, Norton, ich lasse mir +Gerechtigkeit widerfahren--, so will er es meinetwegen gewiss nicht. + +Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen. + + +Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen. +Wollte seine schon geruestete Rache eine ganze suendige Stadt, weniger +Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher +dulden, wenn eine ihm gefaellige Seele an dem Schicksale desselben +Anteil nimmt. + +Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und ruehrend. Aber drueckt sich +die Freude nicht etwas anders aus? + +Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun fuer mich dahin. + +Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.) + +Mellefont. Du darfst. + +Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hoeren +musste, dass ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu +geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an +seltner schweige. + +Mellefont. Nur vergiss nicht, wer du bist. + +Norton. Ich will es nicht vergessen, dass ich ein Bedienter bin: ein +Bedienter, der auch etwas Bessers sein koennte, wenn er, leider! +darnach gelebt haette. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem +Fusse, dass ich mich gern mit Ihnen moechte verdammen lassen. + +Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt? + +Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich +mir vorstellte. + +Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir +vorstelltest? + +Norton. Sie in lauter Entzueckung zu finden. + +Mellefont. Nur der Poebel wird gleich ausser sich gebracht, wenn ihn +das Glueck einmal anlaechelt. + +Norton. Vielleicht, weil der Poebel noch sein Gefuehl hat, das bei +Vornehmern durch tausend unnatuerliche Vorstellungen verderbt und +geschwaecht wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als +Maessigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille-- + +Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch ausser der +Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood-- + +Norton. Koennte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen.-- +Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben, +wenn Sie es nicht lieber gesehen haetten, der Vater waere noch nicht +versoehnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer +Denkungsart schickt-- + +Mellefont. Norton! Norton! du musst ein erschrecklicher Boesewicht +entweder gewesen sein oder noch sein, dass du mich so erraten kannst. +Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr; +so gewiss es ist, dass ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will +es mir ein, dass ich sie ewig lieben soll--soll!--Aber besorge nichts; +ich will ueber diese naerrische Grille siegen. Oder meinst du nicht, +dass es eine Grille ist? Wer heisst mich die Ehe als einen Zwang +ansehen? Ich wuensche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich +lassen wird. + +Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood +wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fuerchte, ich +fuerchte-- + +Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach +London zurueckreisen sehen. Da ich dir meine geheimste--Narrheit will +ich es nur unterdessen nennen--gestanden habe, so darf ich dir auch +nicht verbergen, dass ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, dass +sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muss. + +Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches. + +Mellefont. Sieh, dieses Moerdereisen riss ich ihr aus der Hand (er +zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der +schrecklichsten Wut das Herz damit durchstossen wollte. Glaubst du es +nun bald, dass ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar +fehlte es nicht viel, sie haette mir ihre Schlinge wieder um den Hals +geworfen. Die Verraeterin hat Arabellen bei sich. + +Norton. Arabellen? + +Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen koennen, durch welche +List sie das Kind wieder in ihre Haende bekommen. Genug, der Erfolg +fiel fuer sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte. + +Norton. Erlauben Sie, dass ich mich ueber Ihre Standhaftigkeit freuen +und Ihre Besserung schon fuer halb geborgen halten darf. Allein--da +Sie mich doch alles wollen wissen lassen--was hat sie unter dem Namen +der Lady Solmes hier gesollt? + +Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich +willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Uebereilung, +teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts +zu demuetigen.--Du schuettelst den Kopf, Norton?-- + +Norton. Das haette ich nicht gewagt. + +Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich +im Falle der Weigerung gewagt haette. Sie wuerde als Marwood +vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem +unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers. + +Norton. Danken Sie dem Himmel, dass es so ruhig abgelaufen. + +Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stiess ihr eine +kleine Unpaesslichkeit zu, dass sie sich, ohne Abschied zu nehmen, +wegbegeben musste. Sie will wiederkommen.--Mag sie doch! Die Wespe, +die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er +wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber +auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu ueberlaestig damit +wird.--Hoer ich nicht jemand kommen? Verlass mich, wenn sie es ist.-- +Sie ist es. Geh! + +(Norton geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + +Mellefont. Marwood. + + +Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen. + +Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, dass Ihre Unpaesslichkeit +ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser? + +Marwood. So, so! + +Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu +bemuehen. + +Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge fuer +mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht uebel, wenn Sie etwas anders +damit meinen. + +Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen. + +Marwood. Der Sturm ist vorueber. Vergessen Sie ihn, bitte ich +nochmals. + +Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich +will gern alles vergessen.--Aber, wenn ich wuesste, dass Sie es fuer keine +Beleidigung annehmen wollten, so moechte ich wohl fragen-- + +Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie koennen mich nicht mehr +beleidigen.--Was wollten Sie fragen? + +Mellefont. Wie ihnen meine Miss gefallen habe. + +Marwood. Die Frage ist natuerlich. Meine Antwort wird so natuerlich +nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr.--Sie hat +mir sehr wohl gefallen. + +Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzueckt mich. Aber waer' es auch +moeglich, dass der, welcher die Reize einer Marwood zu schaetzen wusste, +eine schlechte Wahl treffen koennte? + +Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist, +haetten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze, +Sie zu vergessen, nicht vertragen. + +Mellefont. Sie wollen doch nicht, dass ich Ihnen diesen Vorsatz durch +Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der +gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von +Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll +und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu +unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt. + +Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert +sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muss, muss geschehen und es +koemmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort +noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen? + +Mellefont. Nein, Marwood. + +Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben koennen, dass +Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen. + +Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben. + +Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt. + +Mellefont. Wie? + +Marwood. Erlauben Sie, dass Arabella die Reichtuemer, welche ich von +Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr +Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wuenschen, dass ich ihr ein +bessres lassen koennte als die Schande, von mir geboren zu sein. + +Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will fuer Arabellen sorgen, ohne +ihre Mutter wegen eines anstaendigen Auskommens in Verlegenheit zu +setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muss sie damit anfangen, dass +sie etwas von mir zu besitzen vergisst. Ich habe Verbindlichkeiten +gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, dass sie mein wahres +Glueck, obschon wider ihren Willen, befoerdert hat. Ja, Marwood, ich +danke Ihnen in allem Ernste, dass Sie unsern Aufenthalt einem Vater +verrieten, den bloss die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht +eher wieder anzunehmen. + +Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe +verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muss +anders denken, als ich an seiner Stelle wuerde gedacht haben. Ich +haette der Tochter vergeben, und ihrem Verfuehrer haett' ich-- + +Mellefont. Marwood!-- + +Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich +der Miss mein Abschiedskompliment bald machen duerfen? + +Mellefont. Miss Sara wuerde es Ihnen nicht uebelnehmen koennen, wenn Sie +auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen. + +Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich +will, auch unter keinem fremden Namen, fuer ein Frauenzimmer ohne +Lebensart gehalten werden. + +Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich +selbst hueten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen +bei Ihnen rege machen muss-- + +Marwood (spoettisch laechelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich +selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, dass ich +Ihrentwegen untroestlich sein muesste, so sollten Sie es doch wenigstens +ganz in der Stille glauben.--Miss Sara soll gewisse Vorstellungen bei +mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, dass +das beste Maedchen oft den nichtswuerdigsten Mann lieben kann. + +Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in +der Verfassung, in der ich Sie laengst gern gewuenscht haette: ob es mir +gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen waere, wenn wir +einige gemeinschaftliche Hochachtung fuer einander haetten behalten +koennen. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gaerende +Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, dass ich Sie einige +Augenblicke allein lasse. Ich will Miss Sampson zu Ihnen holen. + + + +Fuenfter Auftritt + + +Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich +unbemerkt einmal Atem schoepfen und die Muskeln des Gesichts in ihre +natuerliche Lage fahren lassen?--Ich muss geschwind einmal in allen +Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder +aushalten zu koennen.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht, +weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste +Zuflucht der ohnmaechtigen Rachsucht bist. Gewiss wuerde ich mich zu dir +nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel +seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem +Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch +sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, dass ich mit +seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr +ungewiss, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem +Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen +wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht +verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von +mir hoeren. Es waere schlecht, wenn sie in ihrem Gemuete ganz und gar +keinen Stachel zurueckliessen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht +mehr Marwood; ich bin eine nichtswuerdige Verstossene, die durch kleine +Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm, +der sich kruemmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse +gern verwunden moechte. + + + +Sechster Auftritt + +Sara. Mellefont. Marwood. + + +Sara. Ich freue mich, Lady, dass meine Unruhe vergebens gewesen ist. + +Marwood. Ich danke Ihnen, Miss. Der Zufall war zu klein, als dass er +Sie haette beunruhigen sollen. + +Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara. + +Sara. So eilig, Lady? + +Marwood. Ich kann es fuer die, denen an meiner Gegenwart in London +gelegen ist, nicht genug sein. + +Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen? + +Marwood. Morgen mit dem Fruehsten. + +Mellefont. Morgen mit dem Fruehsten, Lady? Ich glaubte, noch heute. + +Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, faengt sich sehr im Vorbeigehn an. +Ich schmeichle mir, in Zukunft eines naehern Umgangs mit Ihnen +gewuerdiget zu werden. + +Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miss. + +Mellefont. Ich stehe Ihnen dafuer, liebste Sara, dass diese Bitte der +Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muss, dass Sie +einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich +mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten koennen-- + +Marwood (beiseite). Wie fein! + +Sara. Mellefont, das heisst mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben. + +Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glueckliche Miss. + +Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen frueh wieder +fort? + +Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand +kommen! + +Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten. +Nicht wahr, liebste Miss, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort +ungesaeumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht +uebelnehmen. + + + +Siebenter Auftritt + +Betty. Mellefont. Sara. Marwood. + + +Mellefont. Was willst du, Betty? + +Betty. Man verlangt Sie unverzueglich zu sprechen. + +Marwood (beiseite). Ha! nun koemmt es drauf an-- + +Mellefont. Mich? unverzueglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist +es Ihnen gefaellig, Ihren Besuch abzukuerzen? + +Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so guetig sein und bis zu Ihrer +Zurueckkunft warten. + +Marwood. Verzeihen Sie, Miss; ich kenne meinen Vetter Mellefont und +will mich lieber mit ihm wegbegeben. + +Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen. +Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versaeumen-- + +Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miss, +dass es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen +ich gegen Sie gedacht habe. + +(Betty gehet ab.) + +Marwood (beiseite). Gute Vermutung! + +Mellefont. Aber doch, Lady-- + +Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miss, so muss ich mich Ihnen-- + +Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnuegen nicht +missgoennen, Lady Solmes so lange unterhalten zu duerfen? + +Mellefont. Sie wollen es, Miss?-- + +Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie +nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich +wuenschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht. +Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie +allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen koennen, +als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.-- + +Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiss den +Augenblick wieder hier. (Geht ab.) + +Marwood (beiseite). Gluecklich! + + + +Achter Auftritt + +Sara. Marwood. + + +Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Hoeflichkeiten manchmal mit +einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?-- + +Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als dass +ich so etwas bemerken koennte. + +Sara. Wollen sich Lady nicht setzen? + +Marwood. Wenn Sie befehlen, Miss--(Beiseite, indem sie sich setzen.) +Ich muss diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen. + +Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das gluecklichste +Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden? + +Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glueck zu finden weiss, so wird +ihn Miss Sara zu der beneidenswuerdigsten Mannsperson machen. Aber-- + +Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady-- + +Marwood. Ich bin offenherzig, Miss-- + +Sara. Und dadurch unendlich schaetzbarer-- + +Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein +Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedaechtiges Aber! + +Sara. Ich glaube nicht, dass mich Lady durch diese Ausweichung noch +unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit +sein, ein Uebel, das man zeigen koennte, nur argwoehnen zu lassen. + +Marwood. Nicht doch, Miss; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel. +Mellefont ist mein Anverwandter-- + +Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider +ihn zu machen haben. + +Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder waere, so muss ich Ihnen +doch sagen, dass ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts +gegen ihn annehmen wuerde, wenn ich bemerkte, dass er nicht +rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig +jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu +Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache +machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu +nehmen sich nicht bedenken muessten. + +Sara. Diese Anmerkung-- + +Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Faellen meine +Richtschnur gewesen. + +Sara. Und verspricht mir--Ich zittere-- + +Marwood. Nein, Miss; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas +anderm sprechen-- + +Sara. Grausame Lady! + +Marwood. Es tut mir leid, dass ich verkannt werde. Ich wenigstens, +wenn ich mich in Gedanken an Miss Sampsons Stelle setze, wuerde jede +naehere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen +Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit waere, als eine +Wohltat ansehen. + +Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon? +Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiss, dass +er mich liebt-- + +Marwood. Und andre-- + +Sara. Geliebt hat. Auch das weiss ich. Hat er mich lieben sollen, +ehe er von mir etwas wusste? Kann ich die einzige zu sein verlangen, +die fuer ihn Reize genug gehabt hat? Muss ich mir es nicht selbst +gestehen, dass ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht +liebenswuerdig genug, dass er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken +muessen? Und ist es nicht natuerlich, wenn mancher dieses Bestreben +gelungen ist? + +Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden +Gruenden, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein +Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet +worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen. + +Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die +Gegenstaende der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten +verdienen. + +Marwood. Miss Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu +sein. + +Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege, +welche es selbst gestehen, dass sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die +strengste nicht. Sie muss es auch nicht sein. Denn hier koemmt es +nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei +der Liebe setzt, sondern bloss darauf, die menschliche Schwachheit zu +entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und +die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu +beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie +endlich verlaesst; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der +Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es waere ein Unglueck, wenn er eine +Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben +muesste. + +Marwood. Aber, Miss, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so +getrost eine Lasterhafte nennen? + +Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont. + +Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, dass +Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr +ungueltiger Zeuge sein koenne? + +Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, dass Sie mich auf die Probe stellen +wollen. Mellefont wird laecheln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden, +wie ernsthaft ich mich seiner angenommen. + +Marwood. Verzeihen Sie, Miss; von dieser Unterredung muss Mellefont +nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als dass Sie, zum Danke fuer +eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten, +die sich nur deswegen wider ihn erklaert, weil sie sein unwuerdiges +Verfahren gegen mehr als eine der liebenswuerdigsten Personen unsers +Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten haette. + +Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wuenschte, dass es +andre ebensowenig wollten. + +Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten +erzaehlen? + +Sara. Ich weiss nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, dass Sie +davon aufhoeren sobald Mellefont zurueckkoemmt. Er moechte denken, ich +haette mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht +gern, dass er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen koennte. + +Marwood. Ich wuerde Miss Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben, +wenn sie mir nicht zuvorgekommen waere. Er muss es auch nicht argwoehnen +koennen, dass Marwood unser Gespraech gewesen ist; und Sie werden so +behutsam sein, Ihre Massregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.-- +Hoeren Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war +eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen +kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schoenheit noch an +derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schoenheit tot sein wuerde. +Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermoegen. +Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtuemer +gewesen sein--, hatte sie fuer die Befreiung eines Mannes aufgeopfert, +dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu duerfen glaubte, nachdem sie +ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen. + +Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, dass er in +einem bessern Gemaelde prangte! + +Marwood. Des Mangels an Vermoegen ungeachtet ward sie von Personen +gesucht, die nichts eifriger wuenschten, als sie gluecklich zu machen. +Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein +Antrag war ernstlich, und der Ueberfluss, in welchen er die Marwood zu +setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stuetzte. Er hatte +es bei der ersten Unterredung weg, dass er mit keiner Eigennuetzigen zu +tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zaertlichsten +Gefuehls, welches eine Huette einem Palaste wuerde vorgezogen haben, wenn +sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer +gleichgueltigen Person haette leben sollen. + +Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht goenne. Schmeicheln +Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich moechte sie am Ende bedauern +muessen. + +Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste +Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters +bekam, welcher ihm sein ganzes Vermoegen mit der Bedingung hinterliess, +eine weitlaeuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen +reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an +Grossmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft +eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie wuerde +verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miss, das war gross gedacht? + +Sara. O Lady, wer weiss es besser als ich, dass Mellefont das edelste +Herz besitzt? + +Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch +spaet an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen +haette. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war +fort. + +Sara. Wohin? Warum? + +Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm +entdeckte, dass er sich keine Rechnung machen duerfe, sie jemals +wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, dass sie ihn liebe; aber eben +deswegen koenne sie sich nicht ueberwinden, die Ursache einer Tat zu +sein, die er notwendig einmal bereuen muesse. Sie erlasse ihn seines +Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die +Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den +Besitz eines Vermoegens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas +Wichtigerm brauchen koenne, als einem Frauenzimmer eine unueberlegte +Schmeichelei damit zu machen. + +Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche +Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl faehig sein, aber nicht +Marwood. Gewiss Marwood nicht. + +Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miss, dass Sie wider sie +eingenommen sind.--Mellefont wollte ueber den Entschluss der Marwood von +Sinnen kommen. Er schickte ueberall Leute aus, sie wieder aufzusuchen; +und endlich fand er sie. + +Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel. + +Marwood. Keine bittere Glossen, Miss! Sie geziemen einem Frauenzimmer +von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich; +und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht +annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, dass +sie nach London zurueckzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre +Vermaehlung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen +Verzoegerns ueberdruessig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei. +Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der taeglichen Besuche des +Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle +Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der +Freundschaft zurueckgewiesen hat. Aber wie unmoeglich ist es, dass ein +hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht ueberschreiten sollte! +Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefaehrlich machen +kann. Niemand kann hiervon ueberzeugter sein als Miss Sampson selbst. + +Sara. Ach! + +Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat ueber ihre Schwachheit mehr +als einmal geseufzet und seufzet noch. + +Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr +als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten. + +Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloss die +unglueckliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie +am richtigsten von ihr urteilen koennten.--Kurz, die Liebe gab dem +Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es laenger +nicht fuer noetig, sie durch die Gesetze gueltig machen zu lassen. Wie +gluecklich waere Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein +von ihrer Schande wuessten! Wie gluecklich, wenn nicht eine jammernde +Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst +verbergen zu koennen wuenschte! + +Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter-- + +Marwood. Ja, Miss, eine unglueckliche Tochter verlieret durch die +Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals +ohne Abscheu nennen zu koennen. + +Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont +verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady? + +Marwood. Sie duerfen sicher glauben, Miss, dass Ihnen Mellefont +vielleicht noch mehr verschwiegen hat. + +Sara. Noch mehr? Was koennte er mir noch mehr verschwiegen haben? + +Marwood. Dieses, dass er die Marwood noch liebt. + +Sara. Sie toeten mich, Lady! + +Marwood. Es ist unglaublich, dass sich eine Liebe, welche laenger als +zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren koenne. Sie kann zwar +eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine +kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder +hervorbricht. Ich koennte Ihnen eine Miss Oklaff, eine Miss Dorkas, eine +Miss Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood +einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende +auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt, +ueber welchen er sich nicht bringen laesst, und sobald er diesen scharf +in das Gesicht bekoemmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miss, Sie waeren +die einzige Glueckliche, bei welcher sich alle Umstaende wider ihn +erklaerten; gesetzt, Sie braechten ihn dahin, dass er seinen nunmehr zur +Natur gewordenen Abscheu gegen ein foermliches Joch ueberwinden muesste: +glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein? + +Sara. Ich Unglueckliche! Was muss ich hoeren! + +Marwood. Nichts weniger. Alsdann wuerde er eben am allerersten in die +Arme derjenigen zurueckeilen, die auf seine Freiheit so eifersuechtig +nicht gewesen. Sie wuerden seine Gemahlin heissen, und jene wuerde es +sein. + +Sara. Martern Sie mich nicht laenger mit so schrecklichen +Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie +mir, was ich tun soll. Sie muessen ihn kennen. Sie muessen es wissen, +durch was es etwa noch moeglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen, +ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft +bleibet. + +Marwood. Dass man einen Vogel fangen kann, Miss, das weiss ich wohl. +Aber dass man ihm seinen Kaefig angenehmer als das freie Feld machen +koenne, das weiss ich nicht. Mein Rat waere also, ihn lieber nicht zu +fangen und sich den Verdruss ueber die vergebne Muehe zu ersparen. +Begnuegen Sie sich, Miss, an dem Vergnuegen, ihn sehr nahe an Ihrer +Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen koennen, dass er die +Schlinge ganz gewiss zerreissen werde, wenn Sie ihn vollends +hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht +herein. + +Sara. Ich weiss nicht, ob ich dieses taendelnde Gleichnis recht +verstehe, Lady-- + +Marwood. Wenn Sie verdriesslich darueber geworden sind, so haben Sie es +verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der +Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit koennen +und sollen Miss Sampson bewegen, ihre Ansprueche auf einen Mann +aufzugeben, auf den Marwood die ersten und staerksten hat. Noch stehen +Sie, Miss, mit ihm so, dass Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre, +aber doch ohne oeffentliche Schande von ihm ablassen koennen. Eine +kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch +ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles +vergessen, und es finden sich fuer eine reiche Erbin noch immer +Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen +Umstaenden waere und sie brauchte weder fuer ihre im Abzuge begriffene +Reize einen Gemahl noch fuer ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiss +ich gewiss, Marwood wuerde gegen Miss Sampson grossmuetiger handeln, als +Miss Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten +macht. + +Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die +Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwuerdig verraet man Sie, +Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir +allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer +Zunge zu fuerchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn +Lady haben lange genug unanstaendig geredet. Wodurch hat Marwood sich +eine solche Vorsprecherin erwerben koennen, die alle ihre +Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr +aufzudraengen, und alle Raenke anwendet, mich gegen die Redlichkeit +eines Mannes argwoehnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein +Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, dass sich Marwood +einer Tochter von ihm ruehme; ward mir nur deswegen diese und jene +betrogene Miss genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste +Art zu verstehen geben koenne, ich wuerde wohl tun, wenn ich mich selbst +einer verhaerteten Buhlerin nachsetzte? + +Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine +verhaertete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren +Kraft Sie nicht ueberleget haben. + +Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung +der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste +Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es +kann leicht in der Welt nicht wohl moeglich sein, nur lauter +tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer +Freundschaft wegen so tief herabgestossen zu werden? Wenn ich der +Marwood Erfahrung gehabt haette, so wuerde ich den Fehltritt gewiss nicht +getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt. +Haette ich ihn aber doch getan, so wuerde ich wenigstens nicht zehn +Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit +auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und +demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es +wuessten, was fuer Reue, was fuer Gewissensbisse, was fuer Angst mich mein +Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich laenger so +grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der +Himmel selbst hoert auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die +Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke, +Lady; wie veraendern sich auf einmal die Zuege Ihres Gesichts? Sie +gluehen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende +Bewegung--Ach! wo ich Sie erzuernt habe, Lady, so bitte ich um +Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Naerrin; was Sie gesagt haben, +war ohne Zweifel so boese nicht gemeint. Vergessen Sie meine +Uebereilung. Wodurch kann ich Sie besaenftigen? Wodurch kann auch ich +mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen +gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fussfaellig darum +bitten--(indem sie niederfaellt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo +ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich +und Marwood nicht in einen Rang zu setzen. + +Marwood (die einige Schritte stolz zuruecktritt und die Sara liegen +laesst). Diese Stellung der Sara Sampson ist fuer Marwood viel zu +reizend, als dass sie nur unerkannt darueber frohlocken sollte--Erkennen +Sie, Miss, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden +die Marwood selbst fussfaellig bitten. + +Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurueckzieht). +Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die +moerdrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab. +Sie ist es! Flieh, unglueckliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont; +retten Sie Ihre Geliebte! Und du, suesse Stimme meines geliebten Vaters, +erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?-- +Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit toetender Faust +auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.) + + + +Neunter Auftritt + + +Marwood. Was will die Schwaermerin?--O dass sie wahr red'te und ich mit +toetender Faust auf sie eindraenge! Bis hieher haette ich den Stahl +sparen sollen, ich Toerichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in +der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Fuessen durchbohren zu koennen!-- +Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein. +Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten, +aber nicht muessig. Vielleicht, dass ihn die glueckliche List meines +Bedienten noch lange genug aufhaelt!--Ich sehe, ich werde gefuerchtet. +Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das +letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige +Waffen: doch die Verzweiflung verschmaeht keine, so armselig sie sind. +Ein schreckhaftes Maedchen, das betaeubt und mit zerruetteten Sinnen +schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fuerchterliche Worte fuer +fuerchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr +wieder Mut machen und sie ueber meine Drohungen spotten lehren. Er +wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es waere wenig in der Welt +unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen haette. +Und bin ich auf den ungluecklichsten nicht schon vorbereitet?--Der +Dolch war fuer andre, das Gift ist fuer mich!--Das Gift fuer mich! Schon +laengst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe, +auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die +geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; fuer uns ein ebenso +gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt waere, +in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen-- +Was halte ich mich mit Wuenschen auf?--Fort! Ich muss weder mich noch +sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der +sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.) + +(Ende des vierten Aufzuges.) + + + + + +Fuenfter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Das Zimmer der Sara. + + +Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty. + +Betty. Fuehlen Sie nicht, Miss, dass Ihnen ein wenig besser wird? + +Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du +hast doch nach ihm ausgeschickt? + +Betty. Norton und der Wirt suchen ihn. + +Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will +durchaus nicht, dass er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll. +Wie er es selbst erzaehlte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig. +Nicht wahr, Betty, du haeltst ihn auch fuer unschuldig--Sie koemmt ihm +nach; was kann er dafuer? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden. +Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst +als ich?--Und endlich will die boese Marwood mich sehen oder nicht eher +nach London zurueckkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen? +Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen. +Mellefont weiss wohl, dass wir neugierige Geschoepfe sind. Und wenn ich +nicht selbst darauf gedrungen haette, dass sie bis zu seiner Zurueckkunft +bei mir verziehen sollte, so wuerde er sie wieder mit weggenommen haben. +Ich wuerde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu +wissen, dass ich sie gesehen haette. Und vielleicht wuerde mir dieser +kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist +mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die +kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weisst wohl, Betty, ich +bin dazu geneigt. + +Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miss noch nie gesehen. + +Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Maedchen +freilich zu schaffen gemacht haben. + +Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich +befanden, geruehret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, dass sie sich +nur fortbegeben moechte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher +verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich +Ihnen die Arzenei einfloessen konnte. + +Sara. Ich muss es wohl gar fuer ein Glueck halten, dass ich in Ohnmacht +gefallen bin. Denn wer weiss, was ich noch von ihr haette hoeren muessen. +Umsonst mochte sie mir gewiss nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du +glaubst nicht, wie ausser mir ich war. Auf einmal fiel mir der +schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine +Unsinnige, die nicht weiss, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont +koemmt noch nicht.--Ach! + +Betty. Was fuer ein Ach, Miss? Was fuer Zuckungen?-- + +Sara. Gott! was fuer eine Empfindung war dieses-- + +Betty. Was stoesst Ihnen wieder zu? + +Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige +Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei. + + + +Zweiter Auftritt + +Norton. Sara. Betty. + + +Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein. + +Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden? + +Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo +ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der groessten Wichtigkeit mit +ihm sprechen muesse. Nach langem Herumfuehren hat sich der Betrueger ihm +von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglueck, wo er sich ertappen +laesst; so wuetend ist Mellefont. + +Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen? + +Norton. Alles. + +Sara. Aber mit einer Art-- + +Norton. Ich habe auf die Art nicht denken koennen. Genug, er weiss es, +was fuer Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat. + +Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.-- + +Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur, +mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget. + + + +Dritter Auftritt + +Mellefont. Norton. Sara. Betty. + + +Mellefont. Ach, Miss, wenn auch diese Ihre Liebe nicht waere-- + +Sara. So waere ich von uns beiden gewiss die Ungluecklichste. Ist Ihnen +in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdriesslichers zugestossen als mir, so +bin ich vergnuegt. + +Mellefont. So guetig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient. + +Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, dass ich Sie nicht +zaertlicher empfangen kann. Bloss Ihrer Zufriedenheit wegen wuenschte +ich, mich weniger krank zu fuehlen. + +Mellefont. Ha, Marwood, diese Verraeterei war noch uebrig! Der +Nichtswuerdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer +Strasse in die andre, aus einem Winkel in den andern fuehrte, war gewiss +nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miss, +diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe +List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon +entfernt, sie dafuer zu halten. Umsonst muss sie so treulos nicht +gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; lass sie nicht +aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme. + +Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte fuer Marwood. + +Mellefont. Geh! + +(Norton geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + +Sara. Mellefont. Betty. + + +Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten +fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich wuerde ohne Marwood +vieles nicht wissen-- + +Mellefont. Vieles? Was ist das Viele? + +Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt haetten, Mellefont.--Sie werden +stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht +wollen, dass ich es wissen soll. + +Mellefont. Ich will nicht hoffen, dass Sie etwas zu meinem Nachteile +glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer +aufgebrachten Verleumderin. + +Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das +erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares +Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich wuerde den Stahl geschliffen +haben, mit dem Sie Marwood durchstossen haette-- + +Mellefont. Diese Gefahr war so gross nicht. Marwood ward von einer +blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also +musste misslingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miss Sara gute Meinung +von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muss ich es +fuerchten--Nein, liebste Miss, verschweigen Sie mir es nicht laenger, was +Sie von ihr wollen erfahren haben. + +Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe +gehabt haette, Mellefont, so wuerde mir ihn die tobende Marwood benommen +haben. Sie muss es gewiss wissen, dass sie durch mich um das Kostbarste +gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust wuerde sie bedaechtiger haben +gehen lassen. + +Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutduerstige Eifersucht, auf +ihre ungestueme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen +muessen!--Aber, Miss, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige +nicht entdecken-- + +Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein naeherer Schritt +dazu. Dass mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiss. +Wenn ich nur nicht entdeckt haette, dass seiner Liebe ein gewisses +Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein wuerde als die +Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muss mir eine ploetzliche +Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen +muessen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es +Ihnen sagen sollte.--Marwood erwaehnte eines Pfandes, und der +schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen, +einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zaertlichkeit bei Ihnen rege +machen muss, als Sie gegen mich empfinden-- + +Mellefont. Ist es moeglich? Hat die Unverschaemte ihre eigne Schande +bekannt?--Ach, Miss, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie +schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde +hoeren? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglueckliche, +der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter. + +Sara. Sie lieben sie also doch?-- + +Mellefont. Zu sehr, Miss, zu sehr, als dass ich es leugnen sollte. + +Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe +willen! Sie wuerden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die +Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet +haetten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, dass Sie mir drohen, +sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muss +eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des +Hoechsten angeloben, dass Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen. +Sie laeuft Gefahr, in den Haenden ihrer Mutter ihres Vaters unwuerdig zu +werden. Brauchen Sie Ihre Rechte ueber beide, und lassen Sie mich an +die Stelle der Marwood treten. Goennen Sie mir das Glueck, mir eine +Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen +Mellefont meines Geschlechts. Glueckliche Tage, wenn mein Vater, wenn +Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe, +meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschaeftigen werden! +Glueckliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch +vielleicht weiss auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloss +in meiner Begierde noch Glueck!--Empfindungen, Mellefont, nie gefuehlte +Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle +Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die +Hand vors Gesicht haelt.) + +Mellefont. Welcher ploetzliche Uebergang von Bewundrung zum Schrecken!-- +Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, grossmuetige +Miss! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand +(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den +grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand +neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre +Schmerzen nicht mitfuehlen, Miss? Ich Ungluecklicher, dass ich sie nur +mitfuehlen kann!--Dass ich sie nicht allein fuehlen soll!--So eile doch, +Betty-- + +Betty. Wohin soll ich eilen?-- + +Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe! + +Sara. Bleib nur!--Es geht vorueber. Ich will Sie nicht wieder +erschrecken, Mellefont. + +Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht blosse Folgen +einer Ohnmacht.-- + + + +Fuenfter Auftritt + +Norton. Mellefont. Sara. Betty. + + +Mellefont. Du koemmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier +noetiger sein. + +Norton. Marwood ist fort-- + +Mellefont. Und meine Flueche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?-- +Unglueck und Tod und, wo moeglich, die ganze Hoelle moege sich auf ihrem +Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und +unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer groesstes zu +verschlingen!-- + +Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurueckgekommen, hat sie sich mit +Arabellen und ihrem Maedchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit +verhaengtem Zuegel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von +ihr an Sie zurueckgeblieben. + +Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn +lesen, Miss? + +Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont. + +Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood +geraechet und Sie, teuerste Miss, ausser Gefahr weiss? + +Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hoeren. Die Rache ist nicht +unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu +gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kraefte fuehlenden Koerper +weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer +werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatuerlich scheint +mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur fuer +sich. + +Mellefont. Was ist es fuer ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu +sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muss ich ihn +lesen. + +Sara (indem Mellefont fuer sich lieset). Wie schlau weiss sich der +Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich +unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen koenne, +was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich +besorge einen neuen Schreck und werde es noetig haben.--Siehst du, was +der unglueckliche Zettel fuer einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!-- +Sie geraten ausser sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty! +Reiche ihm das Salz!--Er hat es noetiger als ich. + +Mellefont (der die Betty damit zurueckstoesst). Nicht naeher, +Unglueckliche!--Deine Arzeneien sind Gift!-- + +Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie! + +Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch. + +Mellefont. Wuensche dir, Elende, dass du es nicht waerest!--Eile! +fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer +meiner Wut wirst! + +Sara. Was fuer Reden!--Mellefont, liebster Mellefont-- + +Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem goettlichen +Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Fuessen, Sara--(Indem er sich +niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Fuessen? (und wieder +aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen +entdecken, Miss, dass Sie mich hassen werden, dass Sie mich hassen muessen. +--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie +werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, muessig und +angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Aerzte zusammen! Suche Hilfe, +Betty! Lass die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein! +bleibt hier! Ich gehe selbst.-- + +Sara. Wohin, Mellefont? Nach was fuer Hilfe! Von welchem Irrtume +reden Sie? + +Mellefont. Goettliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind +verloren, liebste Miss! Auch ich bin verloren!--Dass die Welt mit uns +verloren waere!-- + + + +Sechster Auftritt + +Sara, Norton. Betty. + + +Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest +du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Aeusserste, +dass ich sterben muesse: bin ich darum verloren? Und was will er denn +mit dir, arme Betty?--Du ringst die Haende? Betruebe dich nicht; du +hast ihn gewiss nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Haette +er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja +wohl denken, dass er das letzte Gift der Marwood enthalten muesse.-- + +Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich +glaube es nicht.-- + +Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres +Vaters, Miss-- + +Sara. Lass ihn hereinkommen, Norton! + + + +Siebenter Auftritt + +Waitwell. Sara. Betty. Norton. + + +Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell. +Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestuerzt? Man +hat es dir gewiss gesagt, dass ich krank bin. + +Waitwell. Und noch mehr! + +Sara. Gefaehrlich krank?--Ich schliesse es mehr aus der ungestuemen +Angst des Mellefont, als dass ich es fuehle.--Wenn du mit dem +unvollendeten Briefe der ungluecklichen Sara an den ungluecklichern +Vater abreisen muesstest, Waitwell?--Lass uns das Beste hoffen! Willst +du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute +Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo moechte ich es nicht imstande +sein. Diese Hand haengt wie tot an der betaeubten Seite.--Wenn der +ganze Koerper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein +alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht +weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde, +Annaeherungen des Todes sind--so sind die Annaeherungen des Todes so +bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle +unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich +konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muss er nicht sein--Aber, +Betty, warum hoerst du noch nicht auf, dich so untroestlich zu bezeigen? + + +Betty. Erlauben Sie mir, Miss, erlauben Sie mir, dass ich mich aus +Ihren Augen entfernen darf. + +Sara. Geh nur; ich weiss wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um +Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton, +wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn +umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart. + +Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Haenden +der Marwood!-- + + + +Achter Auftritt + +Waitwell. Sara. + + +Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben +willst, so lass mich kein so wehmuetiges Gesicht sehen. Du verstummst?-- +Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater. +Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Troestliches +sagtest. Wiederhole mir, dass mein Vater versoehnt ist und mir vergeben +hat. Wiederhole es mir, und fuege hinzu, dass der ewige himmlische +Vater nicht grausamer sein koenne.--Nicht wahr, ich kann hierauf +sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstaende gekommen waere, +wie wuerde es mit mir ausgesehen haben! Ich wuerde verzweifelt sein, +Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der +wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muss--Was fuer ein Gedanke! +Sag ihm, dass ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue, +Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! dass ich es ihm +nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist! +Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wuenschte ich, den +schmachtenden Rest zu seinen Fuessen aufgeben zu koennen! + +Waitwell. Wuenschen Sie wirklich, Miss, ihn zu sehen? + +Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an +meinem letzten Verlangen zu zweifeln. + +Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche? +Eine ploetzliche Freude ist so gefaehrlich als ein ploetzlicher Schreck. +Ich fuerchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein +unvermuteter Anblick auf einen so zaertlichen Geist machen moechte. + +Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?-- + +Waitwell. Der gewuenschte, Miss!--Fassen Sie sich! + + + +Neunter Auftritt + +Sir William Sampson. Sara, Waitwell. + + +Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muss sie +sehen. + +Sara. Wessen Stimme-- + +Sir William. Ach, meine Tochter! + +Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, dass ich +mich zu seinen Fuessen werfen kann. (Sie will aufstehen und faellt aus +Schwachheit in den Lehnstuhl zurueck.) Er ist es doch? Oder ist es +eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel, +der den Starken zu staerken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein +Bote des Hoechsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater! + + +Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem +sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal, +bei mehrern Kraeften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie +umfassen sehen. + +Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr +sein! Zu gluecklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen +die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke, +lange Tage, ein nochmaliges Leben wuerde erfodert, alles zu sagen, was +eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten, +einem grossmuetigen, einem zaertlichen Vater sagen kann. Mein Fehler, +Ihre Vergebung-- + +Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir +aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben +erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, dass ich damit gezaudert +habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in +die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon +vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten? +Itzt koennte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich +sogleich deinen Umarmungen zugeeilet waere. Ein heimlicher Unwille +musste in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens +zurueckgeblieben sein, dass ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiss +sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater +so eigennuetzig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben? +Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude +an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese +Freude?--Aber wer sagt es denn, dass ich sie verlieren soll? Du wirst +leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen +Gedanken. Mellefont macht die Gefahr groesser, als sie ist. Er brachte +das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Aerzte aufzusuchen, die er +in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe +seine stuermische Angst, seine hoffnungslose Betruebnis, ohne von ihm +gesehen zu werden. Nun weiss ich es, dass er dich aufrichtig liebet; +nun goenne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in +seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan haette, tue ich +nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, dass es +Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat? +So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen koennen und mehr +nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpaesslichkeit, +da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich +sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwaecher, ich seh es und +bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich +laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermoegen? mein Leben? Sage +doch! + +Sara. Bester Vater, alle Hilfe wuerde vergebens sein. Auch die +unschaetzbarste wuerde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben fuer mich +erkaufen wollten. + + + +Zehnter Auftritt + +Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell. + + +Mellefont. Ich wag' es, den Fuss wieder in dieses Zimmer zu setzen? +Lebt sie noch? + +Sara. Treten Sie naeher, Mellefont. + +Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miss; ich +komme ohne Trost, ohne Hilfe zurueck. Die Verzweiflung allein bringt +mich zurueck--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Ungluecklicher Vater! Sie +sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht +eher? Sie kommen zu spaet, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!-- +sich geraechet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spaet gekommen sein. + +Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke +nicht, dass wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen +es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie +sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben. + +Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre +Forderung.--Ich habe Ihnen, Miss, schon zu viel Unglueck zugezogen, als +dass ich mich bedenken duerfte, Ihnen auch das letzte anzukuendigen: Sie +muessen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben? + +Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, dass ich +es argwoehnen kann. + +Mellefont. Sie muessen es wissen; denn wer koennte mir dafuer stehen, +dass Sie nicht falsch argwoehnten? Dies schreibst Marwood. (Er lieset.) +"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue +in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr +entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab +sich alle Muehe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr, +dass sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den gluecklichen +Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich +geruehrt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es +ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu +einer Moerderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen +Moerderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu ruehmen wagen. Ich bin +auf dem Wege nach Dover: Sie koennen mich verfolgen und meine eigne +Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so +will ich Arabellen unverletzt zuruecklassen. Bis dahin aber werde ich +sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miss. +Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie muessen die Moerderin zur +Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie +erstarrt er dasteht! + +Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit +meinen Augen ueberzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen +Augenblick an.) Werde ich so viel Kraefte noch haben? (Zerreisst es.) + +Mellefont. Was machen Sie, Miss! + +Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie +noch mein Vater sollen ihre Anklaeger werden. Ich sterbe und vergeb es +der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher +finstere Schmerz hat sich Ihrer bemaechtiget?--Noch liebe ich Sie, +Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde +ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen duerfte, liebster Vater, +dass Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch +eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafuer +erkennen wollen. Sie muessen sie zurueckholen, Mellefont; und die +Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir +nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen? +Ich vermache diese vaeterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie +dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie +gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein +Vater!--Wer wollte die Fuegungen des Hoechsten zu richten wage? +--Troeste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem +trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter +verlierest?-- + +Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes +Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon +halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen +Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabstroemen? Lass mir einen +Strahl des Lichtes, welches dich ueber alles Menschliche so weit erhebt. +Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiss als die Bitten eines +frommen Sterbenden erhoert, bitte ihn, dass dieser Tag auch der letzte +meines Lebens sei. + +Sara. Die bewaehrte Tugend muss Gott der Welt lange zum Beispiele +lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Pruefungen +vielleicht unterliegen wuerde, hebt er ploetzlich aus den gefaehrlichen +Schranken--Wem fliessen diese Traenen, mein Vater? Sie fallen als +feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder +schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreissen Sie sich ihr, +Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke +ich an Betty und verstehe nun ihr aengstliches Haenderingen. Das arme +Maedchen! Dass ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch +ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit +entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater-- + +Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu kuessen. +(Indem er zu ihren Fuessen faellt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie +zu beruehren. Die gemeine Sage schreckt mich, dass der Koerper eines +Erschlagenen durch die Beruehrung seines Moerders zu bluten anfange. +Und wer ist ihr Moerder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht +auf.)--Nun ist sie tot, Sir; nun hoert sie uns nicht mehr: nun +verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente +Verwuenschungen aus! Es muesse keine mein Haupt verfehlen, und die +graesslichste derselben muesse gedoppelt erfuellt werden!--Was schweigen +Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiss tot! Nun bin ich wieder nichts +als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zaertlichen +Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' haetten.--Was ist das? Ich +will nicht, dass Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen! +Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verfuehrer! Denken Sie nach, Sir!-- +Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese bluehende Schoenheit, ueber +die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub! +Meinetwegen vergass sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riss sie +sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen musste sie +sterben!--Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen +Sie mich es hoeren, dass Sie Vater sind. + +Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als dass +ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte.--Lass dich +umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte! + +Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die +menschliche Natur vermag! Sie koennen mein Vater nicht sein.--Sehen +Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der +Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Ungluecke musste +ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht +gefallen waere, so lebte Sara noch. Sie haetten Ihre Tochter noch und +haetten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene +ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen--das +steht bei mir! (Er ersticht sich und faellt an dem Stuhle der Sara +nieder.) + +Sir William. Halt ihn, Waitwell!--Was fuer ein neuer Streich auf mein +gebeugtes Haupt!--Oh! wenn das dritte hier erkaeltende Herz das meine +waere! + +Mellefont (sterbend). Ich fuehl es--dass ich nicht fehlgestossen habe!-- +Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die +Hand druecken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.)--Sie +haben von einer Arabella gehoert, fuer die die sterbende Sara Sie bat. +Ich wuerde auch fuer sie bitten--aber sie ist der Marwood Kind sowohl +als meines--Was fuer fremde Empfindungen ergreifen mich!--Gnade! o +Schoepfer, Gnade! + +Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kraeftig sind, Waitwell, so lasst +uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr +ungluecklich als lasterhaft.-- + + + +Eilfter Auftritt + +Norton. Die Vorigen. + + +Norton. Aerzte, Sir.-- + +Sir William. Wenn sie Wunder tun koennen, so lass sie hereinkommen!-- +Lass mich nicht laenger, Waitwell, bei diesem toetenden Anblicke +verweilen. Ein Grab soll beide umschliessen. Komm, schleunige Anstalt +zu machen, und dann lass uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie +sei: sie ist ein Vermaechtnis meiner Tochter. + +(Sie gehen ab, und das Theater faellt zu.) + +(Ende des Trauerspiels.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Miss Sara Sampson, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + +End of Project Gutenberg's Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON *** + +This file should be named 7sara10.txt or 7sara10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7sara11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7sara10a.txt + +Produced by Delphine Letttau. The book content was graciously +contributed by the Gutenberg Projekt-DE + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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The book content was graciously +contributed by the Gutenberg Projekt-DE + + + + +This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE. +That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/. + +Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE" +zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adresse +http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar. + + + + +Miß Sara Sampson + +Gotthold Ephraim Lessing + +Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen + + + +Personen: + +Sir William Sampson +Miß Sara, dessen Tochter +Mellefont +Marwood, Mellefonts alte Geliebte +Arabella, ein junges Kind, der Marwood Tochter +Waitwell, ein alter Diener des Sampson +Norton, Bedienter des Mellefont +Betty, Mädchen der Sara +Hannah, Mädchen der Marwood +Der Gastwirt und einige Nebenpersonen + + + + + +Erster Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Schauplatz ist ein Saal im Gasthofe. + + +Sir William Sampson und Waitwell treten in Reisekleidern herein. + +Sir William. Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause? + +Waitwell. Ohne Zweifel hat Mellefont mit Fleiß das allerelendeste im +ganzen Städtchen zu seinem Aufenthalte gewählt. Böse Leute suchen +immer das Dunkle, weil sie böse Leute sind. Aber was hilft es ihnen, +wenn sie sich auch vor der ganzen Welt verbergen könnten? Das +Gewissen ist doch mehr als eine ganze uns verklagende Welt.--Ach, Sie +weinen schon wieder, schon wieder, Sir!--Sir! + +Sir William. Laß mich weinen, alter ehrlicher Diener. Oder verdient +sie etwa meine Tränen nicht? + +Waitwell. Ach! sie verdient sie, und wenn es blutige Tränen wären. + +Sir William. Nun so laß mich. + +Waitwell. Das beste, schönste, unschuldigste Kind, das unter der +Sonne gelebt hat, das muß so verführt werden! Ach Sarchen! Sarchen! +Ich habe dich aufwachsen sehen; hundertmal habe ich dich als ein Kind +auf diesen Armen gehabt; auf diesen meinen Armen habe ich dein Lächeln, +dein Lallen bewundert. Aus jeder kindischen Miene strahlte die +Morgenröte eines Verstandes, einer Leutseligkeit, einer-- + +Sir William. O schweig! Zerfleischt nicht das Gegenwärtige mein Herz +schon genug? Willst du meine Martern durch die Erinnerung an +vergangne Glückseligkeiten noch höllischer machen? Ändre deine +Sprache, wenn du mir einen Dienst tun willst. Tadle mich; mache mir +aus meiner Zärtlichkeit ein Verbrechen; vergrößre das Vergehen meiner +Tochter; erfülle mich, wenn du kannst, mit Abscheu gegen sie; +entflamme aufs neue meine Rache gegen ihren verfluchten Verführer; +sage, daß Sara nie tugendhaft gewesen, weil sie so leicht aufgehört +hat, es zu sein; sage, daß sie mich nie geliebt, weil sie mich +heimlich verlassen hat. + +Waitwell. Sagte ich das, so würde ich eine Lüge sagen, eine +unverschämte, böse Lüge. Sie könnte mir auf dem Todbette wieder +einfallen, und ich alter Bösewicht müßte in Verzweiflung sterben.-- +Nein, Sarchen hat ihren Vater geliebt, und gewiß! gewiß! sie liebt +ihn noch. Wenn Sie nur davon überzeugt sein wollen, Sir, so sehe ich +sie heute noch wieder in Ihren Armen. + +Sir William. Ja, Waitwell, nur davon verlange ich überzeugt zu sein. +Ich kann sie länger nicht entbehren; sie ist die Stütze meines Alters, +und wenn sie nicht den traurigen Rest meines Lebens versüßen hilft, +wer soll es denn tun? Wenn sie mich noch liebt, so ist ihr Fehler +vergessen. Es war der Fehler eines zärtlichen Mädchens, und ihre +Flucht war die Wirkung ihrer Reue. Solche Vergehungen sind besser als +erzwungene Tugenden--Doch ich fühle es, Waitwell, ich fühle es; wenn +diese Vergehungen auch wahre Verbrechen, wenn es auch vorsätzliche +Laster wären: ach! ich würde ihr doch vergeben. Ich würde doch +lieber von einer lasterhaften Tochter als von keiner geliebt sein +wollen. + +Waitwell. Trocknen Sie Ihre Tränen ab, lieber Sir! Ich höre jemanden +kommen. Es wird der Wirt sein, uns zu empfangen. + + + +Zweiter Auftritt + +Der Wirt. Sir William Sampson. Waitwell. + + +Der Wirt. So früh, meine Herren, so früh? Willkommen! willkommen, +Waitwell! Ihr seid ohne Zweifel die Nacht gefahren? Ist das der Herr, +von dem du gestern mit mir gesprochen hast? + +Waitwell. Ja, er ist es, und ich hoffe, daß du abgeredetermaßen-- + +Der Wirt. Gnädiger Herr, ich bin ganz zu Ihren Diensten. Was liegt +mir daran, ob ich es weiß oder nicht, was Sie für eine Ursache hierher +führt und warum Sie bei mir im Verborgnen sein wollen? Ein Wirt nimmt +sein Geld und läßt seine Gäste machen, was ihnen gutdünkt. Waitwell +hat mir zwar gesagt, daß Sie den fremden Herrn, der sich seit einigen +Wochen mit seinem jungen Weibchen bei mir aufhält, ein wenig +beobachten wollen. Aber ich hoffe, daß Sie ihm keinen Verdruß +verursachen werden. Sie würden mein Haus in einen übeln Ruf bringen, +und gewisse Leute würden sich scheuen, bei mir abzutreten. Unsereiner +muß von allen Sorten Menschen leben.-- + +Sir William. Besorget nichts; führt mich nur in das Zimmer, das +Waitwell für mich bestellt hat. Ich komme aus rechtschaffnen +Absichten hierher. + +Der Wirt. Ich mag Ihre Geheimnisse nicht wissen, gnädiger Herr! Die +Neugierde ist mein Fehler gar nicht. Ich hätte es, zum Exempel, +längst erfahren können, wer der fremde Herr ist, auf den Sie achtgeben +wollen; aber ich mag nicht. So viel habe ich wohl herausgebracht, daß +er mit dem Frauenzimmer muß durchgegangen sein. Das gute Weibchen, +oder was sie ist! sie bleibt den ganzen Tag in ihrer Stube +eingeschlossen und weint. + +Sir William. Und weint? + +Der Wirt. Ja, und weint--Aber, gnädiger Herr, warum weinen Sie? Das +Frauenzimmer muß Ihnen sehr nahegehen. Sie sind doch wohl nicht-- + +Waitwell. Halt ihn nicht länger auf. + +Der Wirt. Kommen Sie. Nur eine Wand wird Sie von dem Frauenzimmer +trennen, das Ihnen so nahegeht, und die vielleicht-- + +Waitwell. Du willst es also mit aller Gewalt wissen, wer-- + +Der Wirt. Nein, Waitwell, ich mag nichts wissen. + +Waitwell. Nun, so mache und bringe uns an den gehörigen Ort, ehe noch +das ganze Haus wach wird. + +Der Wirt. Wollen Sie mir also folgen, gnädiger Herr? (Geht ab.) + + + +Dritter Auftritt + +Der mittlere Vorhang wird aufgezogen. Mellefonts Zimmer. + + +Mellefont und hernach sein Bedienter. + +Mellefont (unangekleidet in einem Lehnstuhle). Wieder eine Nacht, die +ich auf der Folter nicht grausamer hätte zubringen können!--Norton!-- +Ich muß nur machen, daß ich Gesichter zu sehen bekomme. Bliebe ich +mit meinen Gedanken länger allein: sie möchten mich zu weit führen.-- +He, Norton! Er schläft noch. Aber bin ich nicht grausam, daß ich den +armen Teufel nicht schlafen lasse? Wie glücklich ist er!--Doch ich +will nicht, daß ein Mensch um mich glücklich sei.--Norton! + +Norton (kommend). Mein Herr! + +Mellefont. Kleide mich an!--O mache mir keine sauern Gesichter! Wenn +ich werde länger schlafen können, so erlaube ich dir, daß du auch +länger schlafen darfst. Wenn du von deiner Schuldigkeit nichts wissen +willst, so habe wenigstens Mitleiden mit mir. + +Norton. Mitleiden, mein Herr? Mitleiden mit Ihnen? Ich weiß besser, +wo das Mitleiden hingehört. + +Mellefont. Und wohin denn? + +Norton. Ach, lassen Sie sich ankleiden, und fragen Sie mich nichts. + +Mellefont. Henker! So sollen auch deine Verweise mit meinem Gewissen +aufwachen? Ich verstehe dich; ich weiß es, wer dein Mitleiden +erschöpft.--Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren. +Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem +Herzen, aber--verfluche auch dich. + +Norton. Auch mich? + +Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht +tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht +hast. + +Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was? + +Mellefont. Dadurch, daß du dazu geschwiegen. + +Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften würde mir +ein Wort den Hals gekostet haben.--Und dazu, als ich Sie kennenlernte, +fand ich Sie nicht schon so arg, daß alle Hoffnung zur Beßrung +vergebens war? Was für ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten +Augenblicke an führen sehen! In der nichtswürdigsten Gesellschaft von +Spielern und Landstreichern--ich nenne sie, was sie waren, und kehre +mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht--in solcher +Gesellschaft brachten Sie ein Vermögen durch, das Ihnen den Weg zu den +größten Ehrenstellen hätte bahnen können. Und Ihr strafbarer Umgang +mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der bösen Marwood-- + +Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war +Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermögen; gut. +Die Strafe kömmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und +Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte +Weibsbilder; laß es sein. Ich ward öfter verführt, als ich verführte; +und die ich selbst verführte, wollten verführt sein.--Aber--ich hatte +noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch +keine Unschuld in ein unabsehliches Unglück gestürzt. Ich hatte noch +keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie +gezwungen, einem Nichtswürdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr +sein eigen war. Ich hatte--Wer kömmt schon so früh zu mir? + + + +Vierter Auftritt + +Betty. Mellefont. Norton. + + +Norton. Es ist Betty. + +Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fräulein? + +Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach +Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie +schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muß das für ein +Schlaf gewesen sein! Plötzlich fuhr sie in die Höhe, sprang auf und +fiel mir als eine Unglückliche in die Arme, die von einem Mörder +verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiß floß ihr über das +erblaßte Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat +mir bis an den Morgen nur mit stummen Tränen geantwortet. Endlich hat +sie mich einmal über das andre an Ihre Türe geschickt, zu hören, ob +Sie schon auf wären. Sie will Sie sprechen. Sie allein können sie +trösten. Tun Sie es doch, liebster gnädiger Herr, tun Sie es doch. +Das Herz muß mir springen, wenn sie sich so zu ängstigen fortfährt. + +Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, daß ich den Augenblick bei ihr sein +wolle-- + +Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen. + +Mellefont. Nun so sage ihr, daß ich sie erwarte--Ach!-- + +(Betty geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Mellefont. Norton. + + +Norton. Gott, die arme Miß! + +Mellefont. Wessen Gefühl willst du durch deine Ausrufung rege machen? +Sieh, da läuft die erste Träne, die ich seit meiner Kindheit geweinet, +die Wange herunter!--Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende +Betrübte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?--Doch wo +soll sie ihn sonst suchen?--Ich muß mich fassen. (Indem er sich die +Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein +schönes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin, +durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?--Nun wird sie +kommen und wird unwiderstehliche Tränen weinen. Verwirrt, beschämt +werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Sünder werde ich vor +ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen? + +Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird. + +Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit +Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne +unser äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden +kann. + +Norton. So machen Sie denn, daß Sie es verlassen. Warum zaudern wir? +Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern? +Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft +sein. Vielleicht, daß ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt; +daß sie einen Teil desselben zurückläßt, und in einem andern Lande-- + +Mellefont. Alles das hoffe ich selbst--Still, sie kömmt. Wie schlägt +mir das Herz-- + + + +Sechster Auftritt + +Sara. Mellefont. Norton. + + +Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht +gehabt, liebste Miß-- + +Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre-- + +Mellefont (zum Bedienten). Verlaß uns! + +Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir +gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde. + + + +Siebenter Auftritt + +Sara. Mellefont. + + +Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miß. Sie müssen sich setzen. + +Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie +mir es vergeben, daß ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange? + +Mellefont. Teuerste Miß, Sie wollen sagen, daß Sie mir es nicht +vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne daß +ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe. + +Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen +bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte +Woche fängt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf +eben dem Fuße als den ersten Tag. + +Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe? + +Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu +sehr, zu sehr, als daß ich mir selbst diese letzte, einzige Versüßung +desselben rauben sollte. + +Mellefont. Wie kann also meine Miß über die Verschiebung einer +Zeremonie unruhig sein? + +Sara. Ach, Mellefont, warum muß ich einen andern Begriff von dieser +Zeremonie haben?--Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart +etwas nach. Ich stelle mir vor, daß eine nähere Einwilligung des +Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den +gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die +Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das +erstemal, für Früchte meines Mißtrauens angesehen haben. Ich stritt +mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben; +aber mein Herz und ein inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame +Gebäude von Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten +mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu +quälen, verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder +schwärmten um mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten-- + +Mellefont. Wie? Meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr +halten? Träume, liebste Miß, Träume!--Wie unglücklich ist der Mensch! +Fand sein Schöpfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen für +ihn genug? Mußte er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich +von Einbildungen in ihm schaffen? + +Sara. Klagen Sie den Himmel nicht an! Er hat die Einbildungen in +unserer Gewalt gelassen. Sie richten sich nach unsern Taten, und wenn +diese unsern Pflichten und der Tugend gemäß sind, so dienen die sie +begleitenden Einbildungen zur Vermehrung unserer Ruhe und unseres +Vergnügens. Eine einzige Handlung, Mellefont, ein einziger Segen, der +von einem Friedensboten im Namen der ewigen Güte auf uns gelegt wird, +kann meine zerrüttete Phantasie wieder heilen. Stehen Sie noch an, +mir zuliebe dasjenige einige Tage eher zu tun, was Sie doch einmal tun +werden? Erbarmen Sie sich meiner, und überlegen Sie, daß, wenn Sie +mich auch dadurch nur von Qualen der Einbildung befreien, diese +eingebildete Qualen doch Qualen und für die, die sie empfindet, +wirkliche Qualen sind.--Ach, könnte ich Ihnen nur halb so lebhaft die +Schrecken meiner vorigen Nacht erzählen, als ich sie gefühlt habe!-- +Von Weinen und Klagen, meinen einzigen Beschäftigungen, ermüdet, sank +ich mit halb geschlossenen Augenlidern auf das Bett zurück. Die Natur +wollte sich einen Augenblick erholen, neue Tränen zu sammeln. Aber +noch schlief ich nicht ganz, als ich mich auf einmal an dem +schroffsten Teile des schrecklichsten Felsen sahe. Sie gingen vor mir +her, und ich folgte Ihnen mit schwankenden ängstlichen Schritten, die +dann und wann ein Blick stärkte, welchen Sie auf mich zurückwarfen. +Schnell hörte ich hinter mir ein freundliches Rufen, welches mir +stillzustehen befahl. Es war der Ton meines Vaters--Ich Elende! kann +ich denn nichts von ihm vergessen? Ach! wo ihm sein Gedächtnis +ebenso grausame Dienste leistet; wo er auch mich nicht vergessen kann!-- +Doch er hat mich vergessen. Trost! grausamer Trost für seine Sara!-- +Hören Sie nur, Mellefont; indem ich mich nach dieser bekannten Stimme +umsehen wollte, gleitete mein Fuß; ich wankte und sollte eben in den +Abgrund herabstürzen, als ich mich, noch zur rechten Zeit, von einer +mir ähnlichen Person zurückgehalten fühlte. Schon wollte ich ihr den +feurigsten Dank abstatten, als sie einen Dolch aus dem Busen zog. Ich +rettete dich, schrie sie, um dich zu verderben! Sie holte mit der +bewaffneten Hand aus--und ach! ich erwachte mit dem Stiche. Wachend +fühlte ich noch alles, was ein tödlicher Stich Schmerzhaftes haben +kann; ohne das zu empfinden, was er Angenehmes haben muß: das Ende der +Pein in dem Ende des Lebens hoffen zu dürfen. + +Mellefont. Ach! liebste Sara, ich verspreche Ihnen das Ende Ihrer +Pein ohne das Ende Ihres Lebens, welches gewiß auch das Ende des +meinigen sein würde. Vergessen Sie das schreckliche Gewebe eines +sinnlosen Traumes. + +Sara. Die Kraft, es vergessen zu können, erwarte ich von Ihnen. Es +sei Liebe oder Verführung, es sei Glück oder Unglück, das mich Ihnen +in die Arme geworfen hat, ich bin in meinem Herzen die Ihrige und +werde es ewig sein. Aber noch bin ich es nicht vor den Augen jenes +Richters, der die geringsten Übertretungen seiner Ordnung zu strafen +gedrohet hat-- + +Mellefont. So falle denn alle Strafe auf mich allein! + +Sara. Was kann auf Sie fallen, das mich nicht treffen sollte?--Legen +Sie aber mein dringendes Anhalten nicht falsch aus. Ein andres +Frauenzimmer, das durch einen gleichen Fehltritt sich ihrer Ehre +verlustig gemacht hätte, würde vielleicht durch ein gesetzmäßiges Band +nichts als einen Teil derselben wiederzuerlangen suchen. Ich, +Mellefont, denke darauf nicht, weil ich in der Welt weiter von keiner +Ehre wissen will als von der Ehre, Sie zu lieben. ich will mit Ihnen +nicht um der Welt willen, ich will mit Ihnen um meiner selbst willen +verbunden sein. Und wenn ich es bin, so will ich gern die Schmach auf +mich nehmen, als ob ich es nicht wäre. Sie sollen mich, wenn Sie +nicht wollen, für Ihre Gattin nicht erklären dürfen; Sie sollen mich +erklären können, für was Sie wollen. Ich will Ihren Namen nicht +führen; Sie sollen unsere Verbindung so geheimhalten, als Sie es für +gut befinden; und ich will derselben ewig unwert sein, wenn ich mir in +den Sinn kommen lasse, einen andern Vorteil als die Beruhigung meines +Gewissens daraus zu ziehen. + +Mellefont. Halten Sie ein, Miß, oder ich muß vor Ihren Augen des +Todes sein. Wie elend bin ich, daß ich nicht das Herz habe, Sie noch +elender zu machen!--Bedenken Sie, daß Sie sich meiner Führung +überlassen haben; bedenken Sie, daß ich schuldig bin, für uns weiter +hinauszusehen, und daß ich itzt gegen Ihre Klagen taub sein muß, wenn +ich Sie nicht, in der ganzen Folge Ihres Lebens, noch schmerzhaftere +Klagen will führen hören. Haben Sie es denn vergessen, was ich Ihnen +zu meiner Rechtfertigung schon oft vorgestellt? + +Sara. Ich habe es nicht vergessen, Mellefont. Sie wollen vorher ein +gewisses Vermächtnis retten.--Sie wollen vorher zeitliche Güter retten +und mich vielleicht ewige darüber verscherzen lassen. + +Mellefont. Ach Sara, wenn Ihnen alle zeitliche Güter so gewiß wären, +als Ihrer Tugend die ewigen sind-- + +Sara. Meiner Tugend? Nennen Sie mir dieses Wort nicht!--Sonst klang +es mir süße, aber itzt schallt mir ein schrecklicher Donner darin! + +Mellefont. Wie? muß der, welcher tugendhaft sein soll, keinen Fehler +begangen haben? Hat ein einziger so unselige Wirkungen, daß er eine +ganze Reihe unsträflicher Jahre vernichten kann? So ist kein Mensch +tugendhaft; so ist die Tugend ein Gespenst, das in der Luft zerfließet, +wenn man es am festesten umarmt zu haben glaubt; so hat kein weises +Wesen unsere Pflichten nach unsern Kräften abgemessen; so ist die Lust, +uns strafen zu können, der erste Zweck unsers Daseins; so ist--ich +erschrecke vor allen den gräßlichen Folgerungen, in welche Sie Ihre +Kleinmut verwickeln muß! Nein, Miß, Sie sind noch die tugendhafte +Sara, die Sie vor meiner unglücklichen Bekanntschaft waren. Wenn Sie +sich selbst mit so grausamen Augen ansehen, mit was für Augen müssen +Sie mich betrachten! + +Sara. Mit den Augen der Liebe, Mellefont. + +Mellefont. So bitte ich Sie denn um dieser Liebe, um dieser +großmütigen, alle meine Unwürdigkeit übersehenden Liebe willen, zu +Ihren Füßen bitte ich Sie: beruhigen Sie sich. Haben Sie nur noch +einige Tage Geduld. + +Sara. Einige Tage! Wie ist ein Tag schon so lang! + +Mellefont. Verwünschtes Vermächtnis! Verdammter Unsinn eines +sterbenden Vetters, der mir sein Vermögen nur mit der Bedingung lassen +wollte, einer Anverwandtin die Hand zu geben, die mich ebensosehr haßt +als ich sie! Euch, unmenschliche Tyrannen unserer freien Neigungen, +Euch werde alle das Unglück, alle die Sünde zugerechnet, zu welchen +uns Euer Zwang bringet!--Und wenn ich ihrer nur entübriget sein könnte, +dieser schimpflichen Erbschaft! Solange mein väterliches Vermögen zu +meiner Unterhaltung hinreichte, habe ich sie allezeit verschmähet und +sie nicht einmal gewürdiget, mich darüber zu erklären. Aber itzt, +itzt, da ich alle Schätze der Welt nur darum besitzen möchte, um sie +zu den Füßen meiner Sara legen zu können, itzt, da ich wenigstens +darauf denken muß, sie ihrem Stande gemäß in der Welt erscheinen zu +lassen, itzt muß ich meine Zuflucht dahin nehmen. + +Sara. Mit der es Ihnen zuletzt doch wohl noch fehlschlägt. + +Mellefont. Sie vermuten immer das Schlimmste.--Nein; das Frauenzimmer, +die es mit betrifft, ist nicht ungeneigt, eine Art von Vergleich +einzugehen. Das Vermögen soll geteilt werden; und da sie es nicht +ganz mit mir genießen kann, so ist sie es zufrieden, daß ich mit der +Hälfte meine Freiheit von ihr erkaufen darf. Ich erwarte alle Stunden +die letzten Nachrichten in dieser Sache, deren Verzögerung allein +unsern hiesigen Aufenthalt so langwierig gemacht hat. Sobald ich sie +bekommen habe, wollen wir keinen Augenblick länger hier verweilen. +Wir wollen sogleich, liebste Miß, nach Frankreich übergehen, wo Sie +neue Freunde finden sollen, die sich itzt schon auf das Vergnügen, Sie +zu sehen und Sie zu lieben, freuen. Und diese neuen Freunde sollen +die Zeugen unserer Verbindung sein-- + +Sara. Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein?--Grausamer! +so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? So +soll ich mein Vaterland als eine Verbrecherin verlassen? Und als eine +solche, glauben Sie, würde ich Mut genug haben, mich der See zu +vertrauen? Dessen Herz muß ruhiger oder muß ruchloser sein als meines, +welcher nur einen Augenblick zwischen sich und dem Verderben mit +Gleichgültigkeit nichts als ein schwankendes Brett sehen kann. In +jeder Welle, die an unser Schiff schlüge, würde mir der Tod +entgegenrauschen; jeder Wind würde mir von den väterlichen Küsten +Verwünschungen nachbrausen, und der kleinste Sturm würde mich ein +Blutgericht über mein Haupt zu sein dünken.--Nein, Mellefont, so ein +Barbar können Sie gegen mich nicht sein. Wenn ich noch das Ende Ihres +Vergleichs erlebe, so muß es Ihnen auf einen Tag nicht ankommen, den +wir hier länger zubringen. Es muß dieses der Tag sein, an dem Sie +mich die Martern aller hier verweinten Tage vergessen lehren. Es muß +dieses der heilige Tag sein--Ach! welcher wird es denn endlich sein? + +Mellefont. Aber überlegen Sie denn nicht, Miß, daß unserer Verbindung +hier diejenige Feier fehlen würde, die wir ihr zu geben schuldig sind? + + +Sara. Eine heilige Handlung wird durch das Feierliche nicht kräftiger. + + +Mellefont. Allein-- + +Sara. Ich erstaune. Sie wollen doch wohl nicht auf einem so +nichtigen Vorwande bestehen? O Mellefont, Mellefont! wenn ich mir es +nicht zum unverbrüchlichsten Gesetze gemacht hätte, niemals an der +Aufrichtigkeit Ihrer Liebe zu zweifeln, so würde mir dieser Umstand-- +Doch schon zuviel; es möchte scheinen, als hätte ich eben itzt daran +gezweifelt. + +Mellefont. Der erste Augenblick Ihres Zweifels müsse der letzte +meines Lebens sein! Ach, Sara, womit habe ich es verdient, daß Sie +mir auch nur die Möglichkeit desselben voraussehen lassen? Es ist +wahr, die Geständnisse, die ich Ihnen von meinen ehemaligen +Ausschweifungen abzulegen kein Bedenken getragen habe, können mir +keine Ehre machen: aber Vertrauen sollten sie mir doch erwecken. Eine +buhlerische Marwood führte mich in ihren Stricken, weil ich das für +sie empfand, was so oft für Liebe gehalten wird und es doch so selten +ist. Ich würde noch ihre schimpflichen Fesseln tragen, hätte sich +nicht der Himmel meiner erbarmt, der vielleicht mein Herz nicht für +ganz unwürdig erkannte, von bessern Flammen zu brennen. Sie, liebste +Sara, sehen und alle Marwoods vergessen, war eins. Aber wie teuer kam +es Ihnen zu stehen, mich aus solchen Händen zu erhalten! Ich war mit +dem Laster zu vertraut geworden, und Sie kannten es zu wenig-- + +Sara. Lassen Sie uns nicht mehr daran gedenken-- + + + +Achter Auftritt + +Norton. Mellefont. Sara. + + +Mellefont. Was willst du? + +Norton. Ich stand eben vor dem Hause, als mir ein Bedienter diesen +Brief in die Hand gab. Die Aufschrift ist an Sie, mein Herr. + +Mellefont. An mich? Wer weiß hier meinen Namen? (Indem er den Brief +betrachtet.) Himmel! + +Sara. Sie erschrecken? + +Mellefont. Aber ohne Ursache, Miß, wie ich nun wohl sehe. Ich irrte +mich in der Hand. + +Sara. Möchte doch der Inhalt Ihnen so angenehm sein, als Sie es +wünschen können. + +Mellefont. Ich vermute, daß er sehr gleichgültig sein wird. + +Sara. Man braucht sich weniger Zwang anzutun, wenn man allein ist. +Erlauben Sie, daß ich mich wieder in mein Zimmer begebe. + +Mellefont. Sie machen sich also wohl Gedanken? + +Sara. Ich mache mir keine, Mellefont. + +Mellefont (indem er sie bis an die Szene begleitet). Ich werde den +Augenblick bei Ihnen sein, liebste Miß. + + + +Neunter Auftritt + +Mellefont. Norton. + + +Mellefont (der den Brief noch ansieht). Gerechter Gott! + +Norton. Weh Ihnen, wenn er nichts als gerecht ist! + +Mellefont. Kann es möglich sein? Ich sehe diese verruchte Hand +wieder und erstarre nicht vor Schrecken? Ist sie's? Ist sie es +nicht? Was zweifle ich noch? Sie ist's! Ah, Freund, ein Brief von +der Marwood! Welche Furie, welcher Satan hat ihr meinen Aufenthalt +verraten? Was will sie noch von mir?--Geh, mache sogleich Anstalt, +daß wir von hier wegkommen.--Doch verzieh! Vielleicht ist es nicht +nötig; vielleicht haben meine verächtlichen Abschiedsbriefe die +Marwood nur aufgebracht, mir mit gleicher Verachtung zu begegnen. +Hier! erbrich den Brief; lies ihn. Ich zittere, es selbst zu tun. + +Norton (er liest). "Es wird so gut sein, als ob ich Ihnen den +längsten Brief geschrieben hätte, Mellefont, wenn Sie den Namen, den +Sie am Ende der Seite finden werden, nur einer kleinen Betrachtung +würdigen wollen--" + +Mellefont. Verflucht sei ihr Name! Daß ich ihn nie gehört hätte! +Daß er aus dem Buche der Lebendigen vertilgt würde! + +Norton (liest weiter). "Die Mühe, Sie auszuforschen, hat mir die +Liebe, welche mir forschen half, versüßt." + +Mellefont. Die Liebe? Frevlerin! Du entheiligest Namen, die nur der +Tugend geweiht sind! + +Norton (fährt fort). "Sie hat noch mehr getan--" + +Mellefont. Ich bebe-- + +Norton. "Sie hat mich Ihnen nachgebracht--" + +Mellefont. Verräter, was liest du? (Er reißt ihm den Brief aus der +Hand und liest selbst.) "Sie hat mich Ihnen--nachgebracht.--Ich bin +hier; und es stehet bei Ihnen--ob Sie meinen Besuch erwarten--oder mir +mit dem Ihrigen--zuvorkommen wollen. Marwood."--Was für ein +Donnerschlag! Sie ist hier?--Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie +mit dem Leben büßen. + +Norton. Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie +liegen wieder zu ihren Füßen. Bedenken Sie, was Sie tun! Sie müssen +sie nicht sprechen, oder das Unglück Ihrer armen Miß ist vollkommen. + +Mellefont. Ich Unglücklicher!--Nein, ich muß sie sprechen. Sie würde +mich bis in dem Zimmer der Sara suchen und alle ihre Wut gegen diese +Unschuldige auslassen. + +Norton. Aber, mein Herr-- + +Mellefont. Sage nichts!--Laß sehen, (indem er in den Brief sieht) ob +sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, führe mich. + +(Sie gehen ab.) + +(Ende des ersten Aufzugs.) + + + + + +Zweiter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern +Gasthofe. + + +Marwood im Negligé. Hannah. + +Marwood. Belford hat den Brief doch richtig eingehändiget, Hannah? + +Hannah. Richtig. + +Marwood. Ihm selbst? + +Hannah. Seinem Bedienten. + +Marwood. Kaum kann ich es erwarten, was er für Wirkung haben wird.-- +Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich hin es auch.-- +Der Verräter! Doch gemach! Zornig muß ich durchaus nicht werden. +Nachsicht, Liebe, Bitten sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn +brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne. + +Hannah. Wenn er sich aber dagegen verhärten sollte?-- + +Marwood. Wenn er sich dagegen verhärten sollte? So werde ich nicht +zürnen--ich werde rasen. Ich fühle es, Hannah; und wollte es lieber +schon itzt. + +Hannah. Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen. + + +Marwood. Wo er nur gar kömmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat, +mich festes Fußes bei sich zu erwarten!--Aber weißt du, Hannah, worauf +ich noch meine meiste Hoffnung gründe, den Ungetreuen von dem neuen +Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella. + +Hannah. Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall, +sie mitzunehmen, hätte nicht glücklicher sein können. + +Marwood. Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub +ist, so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riß +das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm +eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben +könne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte, +itzt nicht anders als durch List wiederbekommen können; er hatte auf +mehr als ein Jahr vorausbezahlt und noch den Tag vor seiner Flucht +ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und +sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht +vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er +zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren +Teil seiner selbst an und mich als eine Elende, die ihn mit allen +ihren Reizen, bis zum Überdrusse, gesättiget hat. + +Hannah. Welcher Undank! + +Marwood. Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach +sich als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre. Warum habe +ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefälligkeiten? Hätte ich es +nicht voraussehen sollen, daß sie ihren Wert nicht immer bei ihm +behalten könnten? Daß ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses +beruhe und daß er mit derjenigen Anmut verschwinden müsse, welche die +Hand der Zeit unmerklich, aber gewiß, aus unsern Gesichtern verlöscht? + + +Hannah. O, Madam, von dieser gefährlichen Hand haben Sie noch lange +nichts zu befürchten. Ich finde, daß Ihre Schönheit den Punkt ihrer +prächtigsten Blüte so wenig überschritten hat, daß sie vielmehr erst +darauf losgeht und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln würde, wenn Sie +ihr nur Vollmacht dazu geben wollten. + +Marwood. Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit, +die mir alle Schmeichelei verdächtig macht. Es ist Unsinn, von neuen +Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kräfte genug hat, sich +im Besitze der schon gemachten zu erhalten. + + + +Zweiter Auftritt + +Ein Bedienter. Marwood. Hannah. + + +Der Bediente. Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen. + +Marwood. Wer? + +Der Bediente. Ich vermute, daß es ebender Herr ist, an welchen der +vorige Brief überschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm, +der mir ihn abgenommen hat. + +Marwood. Mellefont!--Geschwind, führe ihn herauf! (Der Bediente geht +ab.) Ach, Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was +soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig +genug? Sieh doch! + +Hannah. Nichts weniger als ruhig. + +Marwood. Aber diese? + +Hannah. Geben Sie ihr noch mehr Anmut. + +Marwood. Etwa so? + +Hannah. Zu traurig! + +Marwood. Sollte mir dieses Lächeln lassen? + +Hannah. Vollkommen! Aber nur freier--Er kömmt. + + + +Dritter Auftritt + +Mellefont. Marwood. Hannah. + + +Mellefont (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood-- + +Marwood (die ihm mit offnen Armen lächelnd entgegenrennt). Ach +Mellefont-- + +Mellefont (beiseite). Die Mörderin, was für ein Blick! + +Marwood. Ich muß Sie umarmen, treuloser, lieber Flüchtling!--Teilen +Sie doch meine Freude!--Warum entreißen Sie sich meinen Liebkosungen? + +Mellefont. Marwood, ich vermutete, daß Sie mich anders empfangen +würden. + +Marwood. Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr +Entzücken? Ach, ich Unglückliche, daß ich weniger ausdrücken kann, +als ich fühle!--Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, daß auch die Freude +ihre Tränen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der süßesten Wollust!-- +Aber ach, verlorne Tränen! seine Hand trocknet euch nicht ab. + +Mellefont. Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden +bezaubert hätten. Sie müssen itzt in einem andern Tone mit mir +sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwürfe anzuhören und darauf +zu antworten. + +Marwood. Vorwürfe? Was hätte ich Ihnen für Vorwürfe zu machen, +Mellefont? Keine. + +Mellefont. So hätten Sie, sollt' ich meinen, Ihren Weg ersparen +können. + +Marwood. Liebste wunderliche Seele, warum wollen Sie mich nun mit +Gewalt zwingen, einer Kleinigkeit zu gedenken, die ich Ihnen in +ebendem Augenblicke vergab, in welchem ich sie erfuhr? Eine kurze +Untreue, die mir Ihre Galanterie, aber nicht Ihr Herz spielet, +verdient diese Vorwürfe? Kommen Sie, lassen Sie uns darüber scherzen. + + +Mellefont. Sie irren sich; mein Herz hat mehr Anteil daran, als es +jemals an allen unsern Liebeshändeln gehabt hat, auf die ich itzt +nicht ohne Abscheu zurücksehen kann. + +Marwood. Ihr Herz, Mellefont, ist ein gutes Närrchen. Es läßt sich +alles bereden, was Ihrer Einbildung ihm zu bereden einfällt. Glauben +Sie mir doch, ich kenne es besser als Sie. Wenn es nicht das beste, +das getreuste Herz wäre, würde ich mir wohl so viel Mühe geben, es zu +behalten? + +Mellefont. Zu behalten? Sie haben es niemals besessen, sage ich +Ihnen. + +Marwood. Und ich sage Ihnen, ich besitze es im Grunde noch. + +Mellefont. Marwood, wenn ich wüßte, daß Sie auch nur noch eine Faser +davon besäßen, so wollte ich es mir selbst, hier vor Ihren Augen, aus +meinem Leibe reißen. + +Marwood. Sie würden sehen, daß Sie meines zugleich herausrissen. Und +dann, dann würden diese herausgerissenen Herzen endlich zu der +Vereinigung gelangen, die sie so oft auf unsern Lippen gesucht haben. + +Mellefont (beiseite). Was für eine Schlange! Hier wird das beste +sein zu fliehen.--Sagen Sie mir es nur kurz, Marwood, warum Sie mir +nachgekommen sind? Was Sie noch von mir verlangen? Aber sagen Sie es +nur ohne dieses Lächeln, ohne diesen Blick, aus welchem mich eine +ganze Hölle von Verführung schreckt. + +Marwood (vertraulich). Höre nur, mein lieber Mellefont; ich merke +wohl, wie es itzt mir dir steht. Deine Begierden und dein Geschmack +sind itzt deine Tyrannen. Laß es gut sein; man muß sie austoben +lassen. Sich ihnen widersetzen, ist Torheit. Sie werden am +sichersten eingeschläfert und endlich gar überwunden, wenn man ihnen +freies Feld läßt. Sie reiben sich selbst auf. Kannst du mir +nachsagen, kleiner Flattergeist, daß ich jemals eifersüchtig gewesen +wäre, wenn stärkere Reize als die meinigen dich mir auf eine Zeitlang +abspenstig machten? Ich gönnte dir ja allezeit diese Veränderung, bei +der ich immer mehr gewann als verlor. Du kehrtest mit neuem Feuer, +mit neuer Inbrunst in meine Arme zurück, in die ich dich nur als in +leichte Bande und nie als in schwere Fesseln schloß. Bin ich nicht +oft selbst deine Vertraute gewesen, wenn du mir auch schon nichts zu +vertrauen hattest als die Gunstbezeigungen, die du mir entwandtest, um +sie gegen andre zu verschwenden? Warum glaubst du denn, daß ich itzt +einen Eigensinn gegen dich zu zeigen anfangen würde, zu welchem ich +nun eben berechtiget zu sein aufhöre, oder--vielleicht schon aufgehört +habe? Wenn deine Hitze gegen das schöne Landmädchen noch nicht +verraucht ist; wenn du noch in dem ersten Fieber deiner Liebe gegen +sie bist; wenn du ihren Genuß noch nicht entbehren kannst: wer hindert +dich denn, ihr so lange ergeben zu sein, als du es für gut befindest? +Mußt du deswegen so unbesonnene Anschläge machen und mit ihr aus dem +Reiche fliehen wollen? + +Mellefont. Marwood, Sie reden vollkommen Ihrem Charakter gemäß, +dessen Häßlichkeit ich nie so gekannt habe, als seitdem ich in dem +Umgange mit einer tugendhaften Freundin die Liebe von der Wollust +unterscheiden gelernt. + +Marwood. Ei sieh doch! Deine neue Gebieterin ist also wohl gar ein +Mädchen von schönen sittlichen Empfindungen? Ihr Mannspersonen müßt +doch selbst nicht wissen, was ihr wollt . Bald sind es die +schlüpfrigsten Reden, die buhlerhaftesten Scherze, die euch an uns +gefallen; und bald entzücken wir euch, wenn wir nichts als Tugend +reden und alle sieben Weisen auf unserer Zunge zu haben scheinen. Das +Schlimmste aber ist, daß ihr das eine sowohl als das andre überdrüssig +werdet. Wir mögen närrisch oder vernünftig, weltlich oder geistlich +gesinnet sein: wir verlieren unsere Mühe, euch beständig zu machen, +einmal wie das andre. Du wirst an deine schöne Heilige die Reihe Zeit +genug kommen lassen. Soll ich wohl einen kleinen Überschlag machen? +Nun eben bist du im heftigsten Paroxysmo mit ihr; und diesem geh ich +noch zwei, aufs längste drei Tage. Hierauf wird eine ziemlich +geruhige Liebe folgen; der geb ich acht Tage. Die andern acht Tage +wirst du nur gelegentlich an diese Liebe denken. Die dritten wirst du +dich daran erinnern lassen; und wann du dieses Erinnern satt hast, so +wirst du dich zu der äußersten Gleichgültigkeit so schnell gebracht +sehen, daß ich kaum die vierten acht Tage auf diese letzte Veränderung +rechnen darf--Das wäre nun ungefähr ein Monat. Und diesen Monat, +Mellefont, will ich dir noch mit dem größten Vergnügen nachsehen; nur +wirst du erlauben, daß ich dich nicht aus dem Gesichte verlieren darf. + + +Mellefont. Vergebens, Marwood, suchen Sie alle Waffen hervor, mit +welchen Sie sich erinnern, gegen mich sonst glücklich gewesen zu sein. +Ein tugendhafter Entschluß sichert mich gegen Ihre Zärtlichkeit und +gegen Ihren Witz. Gleichwohl will ich mich beiden nicht länger +aussetzen. Ich gehe und habe Ihnen weiter nichts mehr zu sagen, als +daß Sie mich in wenig Tagen auf eine Art sollen gebunden wissen, die +Ihnen alle Hoffnung auf meine Rückkehr in Ihre lasterhafte Sklaverei +vernichten wird. Meine Rechtfertigung werden Sie genugsam aus dem +Briefe ersehen haben, den ich Ihnen vor meiner Abreise zustellen +lassen. + +Marwood. Gut, daß Sie dieses Briefes gedenken. Sagen Sie mir, von +wem hatten Sie ihn schreiben lassen? + +Mellefont. Hatte ich ihn nicht selbst geschrieben? + +Marwood. Unmöglich! Den Anfang desselben, in welchem Sie mir ich +weiß nicht was für Summen vorrechneten, die Sie mit mir wollen +verschwendet haben, mußte ein Gastwirt, sowie den übrigen +theologischen Rest ein Quäker geschrieben haben. Demungeachtet will +ich Ihnen itzt ernstlich darauf antworten. Was den vornehmsten Punkt +anbelangt, so wissen Sie wohl, daß alle die Geschenke, welche Sie mir +gemacht haben, noch da sind. Ich habe Ihre Bankozettel, Ihre Juwelen +nie als mein Eigentum angesehen und itzt alles mitgebracht, um es +wieder in diejenigen Hände zu liefern, die mir es anvertrauet hatten. + +Mellefont. Behalten Sie alles, Marwood. + +Marwood. Ich will nichts davon behalten. Was hätte ich ohne Ihre +Person für ein Recht darauf? Wenn Sie mich auch nicht mehr lieben, so +müssen Sie mir doch die Gerechtigkeit widerfahren lassen und mich für +keine von den feilen Buhlerinnen halten, denen es gleichviel ist, von +wessen Beute sie sich bereichern. Kommen Sie nur, Mellefont, Sie +sollen den Augenblick wieder so reich sein, als Sie vielleicht ohne +meine Bekanntschaft geblieben wären; und vielleicht auch nicht. + +Mellefont. Welcher Geist, der mein Verderben geschworen hat, redet +itzt aus Ihnen! Eine wollüstige Marwood denkt so edel nicht. + +Marwood. Nennen Sie das edel? Ich nenne es weiter nichts als billig. +Nein, mein Herr, nein; ich verlange nicht, daß Sie mir diese +Wiedererstattung als etwas Besonders anrechnen sollen. Sie kostet +mich nichts; und auch den geringsten Dank, den Sie mir dafür sagen +wollten, würde ich für eine Beschimpfung halten, weil er doch keinen +andern Sinn als diesen haben könnte: "Marwood, ich hielt Euch für eine +niederträchtige Betrügerin; ich bedanke Mich, daß Ihr es wenigstens +gegen mich nicht sein wollt." + +Mellefont. Genug, Madam, genug! Ich fliehe, weil mich mein Unstern +in einen Streit von Großmut zu verwickeln drohet, in welchem ich am +ungernsten unterliegen möchte. + +Marwood. Fliehen Sie nur; aber nehmen Sie auch alles mit, was Ihr +Andenken bei mir erneuern könnte. Arm, verachtet, ohne Ehre und ohne +Freunde, will ich es alsdann noch einmal wagen, Ihr Erbarmen rege zu +machen. Ich will Ihnen in der unglücklichen Marwood nichts als eine +Elende zeigen, die Geschlecht, Ansehen, Tugend und Gewissen für Sie +aufgeopfert hat. Ich will Sie an den ersten Tag erinnern, da Sie mich +sahen und liebten; an den ersten Tag, da auch ich Sie sahe und liebte; +an das erste stammelnde, schamhafte Bekenntnis, das Sie mir zu meinen +Füßen von Ihrer Liebe ablegten; an die erste Versicherung von +Gegenliebe, die Sie mir auspreßten; an die zärtlichen Blicke, an die +feurigen Umarmungen, die darauf folgten; an das beredte Stillschweigen, +wenn wir mit beschäftigten Sinnen einer des andern geheimste Regungen +errieten und in den schmachtenden Augen die verborgensten Gedanken der +Seele lasen; an das zitternde Erwarten der nahenden Wollust; an die +Trunkenheit ihrer Freuden; an das süße Erstarren nach der Fülle des +Genusses, in welchem sich die ermatteten Geister zu neuen Entzückungen +erholten. An alles dieses will ich Sie erinnern und dann Ihre Knie +umfassen und nicht aufhören, um das einzige Geschenk zu bitten, das +Sie mir nicht versagen können und ich, ohne zu erröten, annehmen darf,-- +um den Tod von Ihren Händen. + +Mellefont. Grausame! noch wollte ich selbst mein Leben für Sie +hingeben. Fordern Sie es; fordern Sie es; nur auf meine Liebe machen +Sie weiter keinen Anspruch. Ich muß Sie verlassen, Marwood, oder mich +zu einem Abscheu der ganzen Natur machen. Ich bin schon strafbar, daß +ich nur hier stehe und Sie anhöre. Leben Sie wohl! leben Sie wohl! + +Marwood (die ihn zurückhält). Sie müssen mich verlassen? Und was +wollen Sie denn, das aus mir werde? So wie ich itzt bin, bin ich Ihr +Geschöpf; tun Sie also, was einem Schöpfer zukömmt; er darf die Hand +von seinem Werke nicht eher abziehn, als bis er es gänzlich vernichten +will.--Ach, Hannah, ich sehe wohl, meine Bitten allein sind zu schwach. +Geh, bringe meinen Vorsprecher her, der mir vielleicht itzt auf +einmal mehr wiedergeben wird, als er von mir erhalten hat. + +(Hannah geht ab.) + +Mellefont. Was für einen Vorsprecher, Marwood? + +Marwood. Ach, einen Vorsprecher, dessen Sie mich nur allzugern +beraubet hätten. Die Natur wird seine Klagen auf einem kürzern Wege +zu Ihrem Herzen bringen-- + +Mellefont. Ich erschrecke. Sie werden doch nicht-- + + + +Vierter Auftritt + +Arabella. Hannah. Mellefont. Marwood. + + +Mellefont. Was seh ich? Sie ist es!--Marwood, wie haben Sie sich +unterstehen können-- + +Marwood. Soll ich umsonst Mutter sein?--Komm, meine Bella, komm; sieh +hier deinen Beschützer wieder, deinen Freund, deinen--Ach! das Herz +mag es ihm sagen, was er noch mehr als dein Beschützer, als dein +Freund sein kann. + +Mellefont (mit abgewandtem Gesichte). Gott! wie wird es mir hier +ergehen? + +Arabella (indem sie ihm furchtsam näher tritt). Ach, mein Herr! Sind +Sie es? Sind Sie unser Mellefont?--Nein doch, Madam, er ist es nicht.- +-Würde er mich nicht ansehen, wenn er es wäre? Würde er mich nicht in +seine Arme schließen? Er hat es ja sonst getan. Ich unglückliches +Kind! Womit hätte ich ihn denn erzürnt, diesen Mann, diesen liebsten +Mann, der mir erlaubte, mich seine Tochter zu nennen? + +Marwood. Sie schweigen, Mellefont? Sie gönnen der Unschuldigen +keinen Blick? + +Mellefont. Ach!-- + +Arabella. Er seufzet ja, Madam. Was fehlt ihm? Können wir ihm nicht +helfen? Ich nicht? Sie auch nicht? So lassen Sie uns doch mit ihm +seufzen.--Ach, nun sieht er mich an!--Nein, er sieht wieder weg! Er +sieht gen Himmel! Was wünscht er? Was bittet er vom Himmel? Möchte +er ihm doch alles gewähren, wenn er mir auch alles dafür versagte! + +Marwood. Geh, mein Kind, geh; fall ihm zu Füßen. Er will uns +verlassen; er will uns auf ewig verlassen. + +Arabella (die vor ihm niederfällt). Hier liege ich schon. Sie uns +verlassen? Sie uns auf ewig verlassen? War es nicht schon eine +kleine Ewigkeit, die wir Sie jetzt vermißt haben? Wir sollen Sie +wieder vermissen? Sie haben ja so oft gesagt, daß Sie uns liebten. +Verläßt man denn die, die man liebt? So muß ich Sie wohl nicht lieben; +denn ich wünschte, Sie nie zu verlassen. Nie, und will Sie auch nie +verlassen. + +Marwood. Ich will dir bitten helfen, mein Kind; hilf nur auch mir-- +Nun, Mellefont, sehen Sie auch mich zu Ihren Füßen-- + +Mellefont (hält sie zurück, indem sie sich niederwerfen will). +Marwood, gefährliche Marwood--Und auch du, meine liebste Bella (hebt +sie auf), auch du bist wider deinen Mellefont? + +Arabella. Ich wider Sie? + +Marwood. Was beschließen Sie, Mellefont? + +Mellefont. Was ich nicht sollte, Marwood; was ich nicht sollte. + +Marwood (die ihn umarmt). Ach, ich weiß es ja, daß die Redlichkeit +Ihres Herzens allezeit über den Eigensinn Ihrer Begierden gesiegt hat. + + +Mellefont. Bestürmen Sie mich nicht weiter. Ich bin schon, was Sie +aus mir machen wollen: ein Meineidiger, ein Verführer, ein Räuber, ein +Mörder. + +Marwood. Itzt werden Sie es einige Tage in Ihrer Einbildung sein, und +hernach werden Sie erkennen, daß ich Sie abgehalten habe, es wirklich +zu werden. Machen Sie nur, und kehren Sie wieder mit uns zurück. + +Arabella (schmeichelnd). O ja! tun Sie dieses. + +Mellefont. Mit euch zurückkehren? Kann ich denn? + +Marwood. Nichts ist leichter, wenn Sie nur wollen. + +Mellefont. Und meine Miß-- + +Marwood. Und Ihre Miß mag sehen, wo sie bleibt!-- + +Mellefont. Ha! barbarische Marwood, diese Rede ließ mich bis auf den +Grund Ihres Herzens sehen--Und ich Verruchter gehe doch nicht wieder +in mich? + +Marwood. Wenn Sie bis auf den Grund meines Herzens gesehen hätten, so +würden Sie entdeckt haben, daß es mehr wahres Erbarmen gegen Ihre Miß +fühlt als Sie selbst. Ich sage, wahres Erbarmen: denn das Ihre ist +ein eigennütziges, weichherziges Erbarmen. Sie haben überhaupt diesen +Liebeshandel viel zu weit getrieben. Daß Sie, als ein Mann, der bei +einem langen Umgange mit unserm Geschlechte in der Kunst zu verführen +ausgelernt hatte, gegen ein so junges Frauenzimmer sich Ihre +Überlegenheit an Verstellung und Erfahrung zunutze machten und nicht +eher ruhten, als bis Sie Ihren Zweck erreichten: das möchte noch +hingehen; Sie können sich mit der Heftigkeit Ihrer Leidenschaft +entschuldigen. Allein, daß Sie einem alten Vater sein einziges Kind +raubten; daß Sie einem rechtschaffnen Greise die wenigen Schritte zu +seinem Grabe noch so schwer und bitter machten; daß Sie Ihrer Lust +wegen die stärksten Banden der Natur trennten: das, Mellefont, das +können Sie nicht verantworten. Machen Sie also Ihren Fehler wieder +gut, soweit es möglich ist, ihn gutzumachen. Geben Sie dem weinenden +Alter seine Stütze wieder, und schicken Sie eine leichtgläubige +Tochter in ihr Haus zurück, das Sie deswegen, weil Sie es beschimpft +haben, nicht auch öde machen müssen. + +Mellefont. Das fehlte noch, daß Sie auch mein Gewissen wider mich zu +Hilfe riefen! Aber gesetzt, es wäre billig, was Sie sagen; müßte ich +nicht eine eiserne Stirne haben, wenn ich es der unglücklichen Miß +selbst vorschlagen sollte? + +Marwood. Nunmehr will ich es Ihnen gestehen, daß ich schon im voraus +bedacht gewesen bin, Ihnen diese Verwirrung zu ersparen. Sobald ich +Ihren Aufenthalt erfuhr, habe ich auch dem alten Sampson unter der +Hand Nachricht davon geben lassen. Er ist vor Freuden darüber ganz +außer sich gewesen und hat sich sogleich auf den Weg machen wollen. +Ich wundre mich, daß er noch nicht hier ist. + +Mellefont. Was sagen Sie? + +Marwood. Erwarten Sie nur ruhig seine Ankunft und lassen sich gegen +die Miß nichts merken. Ich will Sie selbst jetzt nicht länger +aufhalten. Gehen Sie wieder zu ihr; sie möchte Verdacht bekommen. +Doch versprach ich mir, Sie heute noch einmal zu sehen. + +Mellefont. O Marwood, mit was für Gesinnungen kam ich zu Ihnen und +mit welchen muß ich Sie verlassen! Einen Kuß, meine liebe Bella-- + +Arabella. Der war für Sie; aber nun einen für mich. Kommen Sie nur +ja bald wieder; ich bitte. + +(Mellefont geht ab.) + + + +Fünfter Auftritt + +Marwood. Arabella. Hannah. + + +Marwood (nachdem sie tief Atem geholt). Sieg! Hannah! aber ein +saurer Sieg!--Gib mir einen Stuhl; ich fühle mich ganz abgemattet-- +(Sie setzt sich.) Eben war es die höchste Zeit, als er sich ergab; +noch einen Augenblick hätte er anstehen dürfen, so würde ich ihm eine +ganz andre Marwood gezeigt haben. + +Hannah. Ach, Madam, was sind Sie für eine Frau! Den möchte ich doch +sehn, der Ihnen widerstehen könnte. + +Marwood. Er hat mir schon zu lange widerstanden. Und gewiß, gewiß, +ich will es ihm nicht vergeben, daß ich ihm fast zu Fuße gefallen wäre. + + +Arabella. O nein! Sie müssen ihm alles vergeben. Er ist ja so gut, +so gut-- + +Marwood. Schweig, kleine Närrin! + +Hannah. Auf welcher Seite wußten Sie ihn nicht zu fassen! Aber +nichts, glaube ich, rührte ihn mehr als die Uneigennützigkeit, mit +welcher Sie sich erboten, alle von ihm erhaltenen Geschenke +zurückzugeben. + +Marwood. Ich glaube es auch. Ha! ha! (Verächtlich.) + +Hannah. Warum lachen Sie, Madam? Wenn es nicht Ihr Ernst war, so +wagten Sie in der Tat sehr viel. Gesetzt, er hätte Sie bei Ihrem +Worte gefaßt? + +Marwood. O geh! man muß wissen, wen man vor sich hat. + +Hannah. Nun, das gesteh ich! Aber auch Sie, meine schöne Bella, +haben Ihre Sache vortrefflich gemacht; vortrefflich! + +Arabella. Warum das? Konnte ich sie denn anders machen? Ich hatte +ihn ja so lange nicht gesehen. Sie sind doch nicht böse, Madam, daß +ich ihn so lieb habe? Ich habe Sie so lieb wie ihn; ebenso lieb. + +Marwood. Schon gut; dasmal will ich dir verzeihen, daß du mich nicht +lieber hast als ihn. + +Arabella. Dasmal? (Schluchzend.) + +Marwood. Du weinst ja wohl gar? Warum denn? + +Arabella. Ach nein! ich weine nicht. Werden Sie nur nicht +ungehalten. Ich will Sie ja gern alle beide so lieb, so lieb haben, +daß ich unmöglich weder Sie noch ihn lieber haben kann. + +Marwood. Je nun ja! + +Arabella. Ich bin recht unglücklich-- + +Marwood. Sei doch nur stille--Aber was ist das? + + + +Sechster Auftritt + +Mellefont. Marwood. Arabella. Hannah. + + +Marwood. Warum kommen Sie schon wieder, Mellefont? (Sie steht auf.) + +Mellefont (hitzig,). Weil ich mehr nicht als einige Augenblicke nötig +hatte, wieder zu mir selbst zu kommen. + +Marwood. Nun? + +Mellefont. Ich war betäubt, Marwood, aber nicht bewegt. Sie haben +alle Ihre Mühe verloren; eine andre Luft als diese ansteckende Luft +Ihres Zimmers gab mir Mut und Kräfte wieder, meinen Fuß aus dieser +gefährlichen Schlinge noch zeitig genug zu ziehen. Waren mir +Nichtswürdigem die Ränke einer Marwood noch nicht bekannt genug? + +Marwood (hastig). Was ist das wieder für eine Sprache? + +Mellefont. Die Sprache der Wahrheit und des Unwillens. + +Marwood. Nur gemach, Mellefont, oder auch ich werde diese Sprache +sprechen. + +Mellefont. Ich komme nur zurück, Sie keinen Augenblick länger in +einem Irrtume von mir stecken zu lassen, der mich, selbst in Ihren +Augen, verächtlich machen muß. + +Arabella (furchtsam). Ach! Hannah-- + +Mellefont. Sehen Sie mich nur so wütend an, als Sie wollen. Je +wütender, je besser. War es möglich, daß ich zwischen einer Marwood +und einer Sara nur einen Augenblick unentschlüssig bleiben konnte? +Und daß ich mich fast für die erstere entschlossen hätte? + +Arabella. Ach Mellefont!-- + +Mellefont. Zittern Sie nicht, Bella. Auch für Sie bin ich mit +zurückgekommen. Geben Sie mir die Hand, und folgen Sie mir nur +getrost. + +Marwood (die beide zurückhält). Wem soll sie folgen, Verräter? + +Mellefont. Ihrem Vater. + +Marwood. Geh, Elender; und lern erst ihre Mutter kennen. + +Mellefont. Ich kenne sie. Sie ist die Schande ihres Geschlechts-- + +Marwood. Führe sie weg, Hannah! + +Mellefont. Bleiben Sie, Bella. (Indem er sie zurückhalten will.) + +Marwood. Nur keine Gewalt, Mellefont, oder-- + +(Hannah und Arabella geben ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Mellefont. Marwood. + + +Marwood. Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie +fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern? + +Mellefont (bitter). Aufzuopfern? Sie machen, daß ich mich hier +erinnere, daß den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert +wurden. + +Marwood (spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen +aus. + +Mellefont. So sage ich ihnen, daß ich fest entschlossen bin, nie +wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer +sind Sie? und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige, +schändliche Buhlerin, die sich itzt kaum mehr muß erinnern können, +einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts +vorzuwerfen, als daß ich dasjenige genossen, was Sie ohne mich +vielleicht die ganze Welt hätten genießen lassen. Sie haben mich +gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiß, wer Marwood ist, so +kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein +Vermögen, meine Ehre, mein Glück-- + +Marwood. Und so wollte ich, daß sie dir auch deine Seligkeit kosten +müßte! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen +zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk +sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann +und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht +preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die +Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage +ich? kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinst, das +weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen +Wert und kann vollkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer +ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennenlernte; genug, daß ich in +den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich +nur hat sie es erfahren, daß ich es nicht sei; durch meine +Bereitwilligkeit bloß, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine +Hand anzunehmen. + +Mellefont. Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige. + + +Marwood. Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen +du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredt, daß du +dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer +Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuß du mit niemand als mit mir +teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für +eine andre als für mich zu entsagen? + +Mellefont. Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, daß +diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich +also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und +lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin genießen. + +Marwood. Ha! nun seh ich's, was dich eigentlich so trotzig macht. +Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, +daß ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was +ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein--Du wirst mich +verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Leben soll das Andenken +meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine +Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea! + +Mellefont (erschrocken). Marwood-- + +Marwood. Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weißt, so sieh sie +gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift +und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein +Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will +ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte +jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren +und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, +Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das Kleinste derselben auch +da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon +nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich--ich werde +wenigstens dabei empfinden, wie süß die Rache sei! + +Mellefont. Sie rasen, Marwood-- + +Marwood. Du erinnerst mich, daß ich nicht gegen den Rechten rase. +Der Vater muß voran! Er muß schon in jener Welt sein, wenn der Geist +seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht.--(Sie geht mit +einem Dolche, den sie aus dem Busen reißt, auf ihn los.) Drum stirb, +Verräter! + +Mellefont (der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreißt). +Unsinniges Weibsbild!--Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu +kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand +aufgehoben sein! + +Marwood (mit gerungenen Händen). Himmel, was habe ich getan? +Mellefont-- + +Mellefont. Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiß es doch +wohl, was dich reuet; nicht daß du den Stoß tun wollen, sondern daß du +ihn nicht tun können. + +Marwood. Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! geben Sie +mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er +geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem +Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will. + +Mellefont. Hannah!-- + +Marwood. Was wollen Sie tun, Mellefont? + + + +Achter Auftritt + +Hannah (erschrocken). Marwood. Mellefont. + + +Mellefont. Hast du es gehört, Hannah, welche Furie deine Gebieterin +ist? Wisse, daß ich Arabellen von deinen Händen fodern werde. + +Hannah. Ach Madam, wie sind Sie außer sich! + +Mellefont. Ich will das unschuldige Kind bald in völlige Sicherheit +bringen. Die Gerechtigkeit wird einer so grausamen Mutter die +mördrischen Hände schon zu binden wissen. (Er will gehen.) + +Marwood. Wohin, Mellefont? Ist es zu verwundern, daß die Heftigkeit +meines Schmerzes mich des Verstandes nicht mächtig ließ? Wer bringt +mich zu so unnatürlichen Ausschweifungen? Sind Sie es nicht selbst? +Wo kann Bella sicherer sein als bei mir? Mein Mund tobet wider sie, +und mein Herz bleibt doch immer das Herz einer Mutter. Ach, Mellefont! +vergessen Sie meine Raserei und denken zu ihrer Entschuldigung nur +an die Ursache derselben. + +Mellefont. Es ist nur ein Mittel, welches mich bewegen kann, sie zu +vergessen. + +Marwood. Welches? + +Mellefont. Wenn Sie den Augenblick nach London zurückkehren. +Arabellen will ich in einer andern Begleitung wieder dahin bringen +lassen. Sie müssen durchaus ferner mit ihr nichts zu tun haben. + +Marwood. Gut, ich lasse mir alles gefallen; aber eine einzige Bitte +gewähren Sie mir noch. Lassen Sie mich Ihre Sara wenigstens einmal +sehen. + +Mellefont. Und wozu? + +Marwood. Um in ihren Blicken mein ganzes künftiges Schicksal zu lesen. +Ich will selbst urteilen, ob sie einer Untreue, wie Sie an mir +begehen, würdig ist; und ob ich Hoffnung haben kann, wenigstens einmal +einen Anteil an Ihrer Liebe wiederzubekommen. + +Mellefont. Nichtige Hoffnung! + +Marwood. Wer ist so grausam, daß er einer Elenden auch nicht einmal +die Hoffnung gönnen wollte? Ich will mich ihr nicht als Marwood, +sondern als eine Anverwandte von Ihnen zeigen. Melden Sie mich bei +ihr als eine solche; Sie sollen bei meinem Besuche zugegen sein, und +ich verspreche Ihnen bei allem, was heilig ist, ihr nicht das +geringste Anstößige zu sagen. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab; +denn sonst möchte ich vielleicht alles anwenden, in meiner wahren +Gestalt vor ihr zu erscheinen. + +Mellefont. Diese Bitte, Marwood (nachdem er einen Augenblick +nachgedacht)--könnte ich Ihnen gewähren. Wollen Sie aber auch alsdann +gewiß diesen Ort verlassen? + +Marwood. Gewiß; ja, ich verspreche Ihnen noch mehr; ich will Sie, wo +nur noch einige Möglichkeit ist, von dem Überfalle ihres Vaters +befreien. + +Mellefont. Dieses haben Sie nicht nötig. Ich hoffe, daß er auch mich +in die Verzeihung mit einschließen wird, die er seiner Tochter +widerfahren läßt. Will er aber dieser nicht verzeihen, so werde ich +auch wissen, wie ich ihm begegnen soll.--Ich gehe, Sie bei meiner Miß +zu melden. Nur halten Sie Wort, Marwood! (Geht ab.) + +Marwood. Ach, Hannah! daß unsere Kräfte nicht so groß sind als +unsere Wut! Komm, hilf mich ankleiden. Ich gebe mein Vorhaben nicht +auf. Wenn ich ihn nur erst sicher gemacht habe. Komm! + +(Ende des zweiten Aufzugs.) + + + + + +Dritter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Ein Saal im erstern Gasthofe. + + +Sir William Sampson. Waitwell. + +Sir William. Hier, Waitwell, bringt ihr diesen Brief. Es ist der +Brief eines zärtlichen Vaters, der sich über nichts als über ihre +Abwesenheit beklaget. Sag ihr, daß ich dich damit vorweggeschickt und +daß ich nur noch ihre Antwort erwarten wolle, ehe ich selbst käme, sie +wieder in meine Arme zu schließen. + +Waitwell. Ich glaube, Sie tun recht wohl, daß Sie Ihre Zusammenkunft +auf diese Art vorbereiten. + +Sir William. Ich werde ihrer Gesinnungen dadurch gewiß und mache ihr +Gelegenheit, alles, was ihr die Reue Klägliches und Errötendes +eingeben könnte, schon ausgeschüttet zu haben, ehe sie mündlich mit +mir spricht. Es wird ihr in einem Briefe weniger Verwirrung und mir +vielleicht weniger Tränen kosten. + +Waitwell. Darf ich aber fragen, Sir, was Sie in Ansehung Mellefonts +beschlossen haben? + +Sir William. Ach! Waitwell, wenn ich ihn von dem Geliebten meiner +Tochter trennen könnte, so würde ich etwas sehr Hartes wider ihn +beschließen. Aber da dieses nicht angeht, so siehst du wohl, daß er +gegen meinen Unwillen gesichert ist. Ich habe selbst den größten +Fehler bei diesem Unglücke begangen. Ohne mich würde Sara diesen +gefährlichen Mann nicht haben kennenlernen. Ich verstattete ihm wegen +einer Verbindlichkeit, die ich gegen ihn zu haben glaubte, einen allzu +freien Zutritt in meinem Hause. Es war natürlich, daß ihm die +dankbare Aufmerksamkeit, die ich für ihn bezeigte, auch die Achtung +meiner Tochter zuziehen mußte. Und es war ebenso natürlich, daß sich +ein Mensch von seiner Denkungsart durch diese Achtung verleiten ließ, +sie zu etwas Höherm zu treiben. Er hatte Geschicklichkeit genug +gehabt, sie in Liebe zu verwandeln, ehe ich noch das Geringste merkte +und ehe ich noch Zeit hatte, mich nach seiner übrigen Lebensart zu +erkundigen. Das Unglück war geschehen, und ich hätte wohlgetan, wenn +ich ihnen nur gleich alles vergeben hätte. Ich wollte unerbittlich +gegen ihn sein und überlegte nicht, daß ich es gegen ihn nicht allein +sein könnte. Wenn ich meine zu späte Strenge erspart hätte, so würde +ich wenigstens ihre Flucht verhindert haben.--Da bin ich nun, Waitwell! +Ich muß sie selbst zurückholen und mich noch glücklich schätzen, +wenn ich aus dem Verführer nur meinen Sohn machen kann. Denn wer weiß, +ob er seine Marwoods und seine übrigen Kreaturen eines Mädchens wegen +wird aufgeben wollen, das seinen Begierden nichts mehr zu verlangen +übriggelassen hat und die fesselnden Künste einer Buhlerin so wenig +versteht? + +Waitwell. Nun, Sir, das ist wohl nicht möglich, daß ein Mensch so gar +böse sein könnte.-- + +Sir William. Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre. +Aber warum ist es gleichwohl wahr, daß sich die Grenzen der +menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?--Geh nur jetzt und +tue, was ich dir gesagt habe. Gib auf alle ihre Mienen acht, wenn sie +meinen Brief lesen wird. In der kurzen Entfernung von der Tugend kann +sie die Verstellung noch nicht gelernt haben, zu deren Larven nur das +eingewurzelte Laster seine Zuflucht nimmt. Du wirst ihre ganze Seele +in ihrem Gesichte lesen. Laß dir ja keinen Zug entgehen, der etwa +eine Gleichgültigkeit gegen mich, eine Verschmähung ihres Vaters, +anzeigen könnte. Denn wenn du diese unglückliche Entdeckung machen +solltest und wenn sie mich nicht mehr liebt: so hoffe ich, daß ich +mich endlich werde überwinden können, sie ihrem Schicksale zu +überlassen. Ich hoffe es, Waitwell--Ach! wenn nur hier kein Herz +schlüge, das dieser Hoffnung widerspricht. + +(Sie gehen beide auf verschiedenen Seiten ab.) + + + +Zweiter Auftritt + +Das Zimmer der Sara. + + +Miß Sara. Mellefont. + +Mellefont. Ich habe unrecht getan, liebste Miß, daß ich Sie wegen des +vorigen Briefes in einer kleinen Unruhe ließ. + +Sara. Nein doch, Mellefont; ich bin deswegen ganz und gar nicht +unruhig gewesen. Könnten Sie mich denn nicht lieben, wenn Sie gleich +noch Geheimnisse vor mir hätten? + +Mellefont. Sie glauben also doch, daß es ein Geheimnis gewesen sei? + +Sara. Aber keines, das mich angeht. Und das muß mir genug sein. + +Mellefont. Sie sind allzu gefällig. Doch erlauben Sie mir, daß ich +Ihnen dieses Geheimnis gleichwohl entdecke. Es waren einige Zeilen +von einer Anverwandten, die meinen hiesigen Aufenthalt erfahren hat. +Sie geht auf ihrer Reise nach London hier durch und will mich sprechen. +Sie hat zugleich um die Ehre ersucht, Ihnen ihre Aufwartung machen +zu dürfen. + +Sara. Es wird mir allezeit angenehm sein, Mellefont, die würdigen +Personen Ihrer Familie kennenzulernen. Aber überlegen Sie es selbst, +ob ich schon, ohne zu erröten, einer derselben unter die Augen sehen +darf. + +Mellefont. Ohne zu erröten? Und worüber? Darüber, daß Sie mich +lieben? Es ist wahr, Miß, Sie hätten Ihre Liebe einem Edlern, einem +Reichern schenken können. Sie müssen sich schämen, daß Sie Ihr Herz +nur um ein Herz haben geben wollen und daß Sie bei diesem Tausche Ihr +Glück so weit aus den Augen gesetzt. + +Sara. Sie werden es selbst wissen, wie falsch Sie meine Worte +erklären. + +Mellefont. Erlauben Sie, Miß; wenn ich sie falsch erkläre, so können +sie gar keine Bedeutung haben. + +Sara. Wie heißt Ihre Anverwandte? + +Mellefont. Es ist--Lady Solmes. Sie werden den Namen von mir schon +gehört haben. + +Sara. Ich kann mich nicht erinnern. + +Mellefont. Darf ich bitten, daß Sie ihren Besuch annehmen wollen? + +Sara. Bitten, Mellefont? Sie können mir es ja befehlen. + +Mellefont. Was für ein Wort!--Nein, Miß, sie soll das Glück nicht +haben, Sie zu sehen. Sie wird es bedauern; aber sie muß es sich +gefallen lassen. Miß Sara hat ihre Ursachen, die ich, auch ohne sie +zu wissen, verehre. + +Sara. Mein Gott! wie schnell sind Sie, Mellefont! Ich werde die +Lady erwarten und mich der Ehre ihres Besuchs, soviel möglich, würdig +zu erzeigen suchen. Sind Sie zufrieden? + +Mellefont. Ach, Miß, lassen Sie mich meinen Ehrgeiz gestehen. Ich +möchte gern gegen die ganze Welt mit Ihnen prahlen. Und wenn ich auf +den Besitz einer solchen Person nicht eitel wäre, so würde ich mir +selbst vorwerfen, daß ich den Wert derselben nicht zu schätzen wüßte. +Ich gehe und bringe die Lady sogleich zu Ihnen. (Gehet ab.) + +Sara (allein). Wenn es nur keine von den stolzen Weibern ist, die, +voll von ihrer Tugend, über alle Schwachheiten erhaben zu sein glauben. +Sie machen uns mit einem einzigen verächtlichen Blicke den Prozeß, +und ein zweideutiges Achselzucken ist das ganze Mitleiden, das wir +ihnen zu verdienen scheinen. + + + +Dritter Auftritt + +Waitwell. Sara. + + +Betty (zwischen der Szene). Nur hier herein, wenn Er selbst mit ihr +sprechen muß. + +Sara (die sich umsieht). Wer muß selbst mit mir sprechen?--Wen seh +ich? Ist es möglich? Waitwell, dich? + +Waitwell. Was für ein glücklicher Mann bin ich, daß ich endlich +unsere Miß Sara wiedersehe! + +Sara. Gott! was bringst du? Ich hör es schon, ich hör es schon, du +bringst mir die Nachricht von dem Tode meines Vaters! Er ist hin, der +vortrefflichste Mann, der beste Vater! Er ist hin, und ich, ich bin +die Elende, die seinen Tod beschleuniget hat. + +Waitwell. Ach! Miß-- + +Sara. Sage mir, geschwind sage mir, daß die letzten Augenblicke +seines Lebens ihm durch mein Andenken nicht schwerer wurden; daß er +mich vergessen hatte; daß er ebenso ruhig starb, als er sich sonst in +meinen Armen zu sterben versprach; daß er sich meiner auch nicht +einmal in seinem letzten Gebete erinnerte-- + +Waitwell. Hören Sie doch auf, sich mit so falschen Vorstellungen zu +plagen! Er lebt ja noch, Ihr Vater; er lebt ja noch, der +rechtschaffne Sir William. + +Sara. Lebt er noch? Ist es wahr, lebt er noch? Oh! daß er noch +lange leben und glücklich leben möge! Oh! daß ihm Gott die Hälfte +meiner Jahre zulegen wolle! Die Hälfte?--Ich Undankbare, wenn ich ihm +nicht mit allen, soviel mir deren bestimmt sind, auch nur einige +Augenblicke zu erkaufen bereit bin! Aber nun sage mir wenigstens, +Waitwell, daß es ihm nicht hart fällt, ohne mich zu leben; daß es ihm +leicht geworden ist, eine Tochter aufzugeben, die ihre Tugend so +leicht aufgeben können; daß ihn meine Flucht erzürnet, aber nicht +gekränkt hat; daß er mich verwünschet, aber nicht bedauert. + +Waitwell. Ach, Sir William ist noch immer der zärtliche Vater, so wie +sein Sarchen noch immer die zärtliche Tochter ist, die sie beide +gewesen sind. + +Sara. Was sagst du? Du bist ein Bote des Unglücks, des +schrecklichsten Unglücks unter allen, die mir meine feindselige +Einbildung jemals vorgestellet hat! Er ist noch der zärtliche Vater? +So liebt er mich ja noch? So muß er mich ja beklagen? Nein, nein, +das tut er nicht; das kann er nicht tun! Siehst du denn nicht, wie +unendlich jeder Seufzer, den er um mich verlöre, meine Verbrechen +vergrößern würde? Müßte mir nicht die Gerechtigkeit des Himmels jede +seiner Tränen, die ich ihm auspreßte, so anrechnen, als ob ich bei +jeder derselben mein Laster und meinen Undank wiederholte? Ich +erstarre über diesen Gedanken. Tränen koste ich ihm? Tränen? Und es +sind andre Tränen als Tränen der Freude?--Widersprich mir doch, +Waitwell! Aufs höchste hat er einige leichte Regungen des Bluts für +mich gefühlet; einige von den geschwind überhin gehenden Regungen, +welche die kleinste Anstrengung der Vernunft besänftiget. Zu Tränen +hat er es nicht kommen lassen. Nicht wahr, Waitwell, zu Tränen hat er +es nicht kommen lassen? + +Waitwell (indem er sich die Augen wischt). Nein, Miß, dazu hat er es +nicht kommen lassen. + +Sara. Ach! dein Mund sagt nein; und deine eignen Tränen sagen ja. + +Waitwell. Nehmen Sie diesen Brief, Miß; er ist von ihm selbst. + +Sara. Von wem? von meinem Vater? an mich? + +Waitwell. Ja, nehmen Sie ihn nur; Sie werden mehr daraus sehen können, +als ich zu sagen vermag. Er hätte einem andern als mir dieses +Geschäft auftragen sollen. Ich versprach mir Freude davon; aber Sie +verwandeln mir diese Freude in Betrübnis. + +Sara. Gib nur, ehrlicher Waitwell!--Doch nein, ich will ihn nicht +eher nehmen, als bis du mir sagst, was ungefähr darin enthalten ist. + +Waitwell. Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung. + +Sara. Liebe? Vergebung? + +Waitwell. Und vielleicht ein aufrichtiges Bedauern, daß er die Rechte +der väterlichen Gewalt gegen ein Kind brauchen wollen, für welches nur +die Vorrechte der väterlichen Huld sind. + +Sara. So behalte nur deinen grausamen Brief! + +Waitwell. Grausamen? fürchten Sie nichts; Sie erhalten völlige +Freiheit über Ihr Herz und Ihre Hand. + +Sara. Und das ist es eben, was ich fürchte. Einen Vater, wie ihn, zu +betrüben: dazu habe ich noch den Mut gehabt. Allein ihn durch eben +diese Betrübnis, ihn durch seine Liebe, der ich entsagt, dahin +gebracht zu sehen, daß er sich alles gefallen läßt, wozu mich eine +unglückliche Leidenschaft verleitet: das, Waitwell, das würde ich +nicht ausstehen. Wenn sein Brief alles enthielte, was ein +aufgebrachter Vater in solchem Falle Heftiges und Hartes vorbringen +kann, so würde ich ihn zwar mit Schaudern lesen, aber ich würde ihn +doch lesen können. Ich würde gegen seinen Zorn noch einen Schatten +von Verteidigung aufzubringen wissen, um ihn durch diese Verteidigung, +wo möglich, noch zorniger zu machen. Meine Beruhigung wäre alsdann +diese, daß bei einem gewaltsamen Zorne kein wehmütiger Gram Raum haben +könne und daß sich jener endlich glücklich in eine bittere Verachtung +gegen mich verwandeln werde. Wen man aber verachtet, um den bekümmert +man sich nicht mehr. Mein Vater wäre wieder ruhig, und ich dürfte mir +nicht vorwerfen, ihn auf immer unglücklich gemacht zu haben. + +Waitwell. Ach! Miß, Sie werden sich diesen Vorwurf noch weniger +machen dürfen, wenn Sie jetzt seine Liebe wieder ergreifen, die ja +alles vergessen will. + +Sara. Du irrst dich, Waitwell. Sein sehnliches Verlangen nach mir +verführt ihn vielleicht, zu allem ja zu sagen. Kaum aber würde dieses +Verlangen ein wenig beruhiget sein, so würde er sich seiner Schwäche +wegen vor sich selbst schämen. Ein finsterer Unwille würde sich +seiner bemeistern, und er würde mich nie ansehen können, ohne mich +heimlich anzuklagen, wieviel ich ihm abzutrotzen mich unterstanden +habe. Ja, wenn es in meinem Vermögen stünde, ihm bei der äußersten +Gewalt, die er sich meinetwegen antut, das Bitterste zu ersparen; wenn +in dem Augenblicke, da er mir alles erlauben wollte, ich ihm alles +aufopfern könnte: so wäre es ganz etwas anders. Ich wollte den Brief +mit Vergnügen von deinen Händen nehmen, die Stärke der väterlichen +Liebe darin bewundern und, ohne sie zu mißbrauchen, mich als eine +reuende und gehorsame Tochter zu seinen Füßen werfen. Aber kann ich +das? Ich würde es tun müssen, was er mir erlaubte, ohne mich daran zu +kehren, wie teuer ihm diese Erlaubnis zu stehen komme. Und wenn ich +dann am vergnügtesten darüber sein wollte, würde es mir plötzlich +einfallen, daß er mein Vergnügen äußerlich nur zu teilen scheine und +in sich selbst vielleicht seufze; kurz, daß er mich mit Entsagung +seiner eignen Glückseligkeit glücklich gemacht habe--Und es auf diese +Art zu sein wünschen, trauest du mir das wohl zu, Waitwell? + +Waitwell. Gewiß, ich weiß nicht, was ich hierauf antworten soll. + +Sara. Es ist nichts darauf zu antworten. Bringe deinen Brief also +nur wieder zurück. Wenn mein Vater durch mich unglücklich sein muß, +so will ich selbst auch unglücklich bleiben. Ganz allein ohne ihn +unglücklich zu sein, das ist es, was ich jetzt stündlich von dem +Himmel bitte; glücklich aber ohne ihn ganz allein zu sein, davon will +ich durchaus nichts wissen. + +Waitwell (etwas beiseite). Ich glaube wahrhaftig, ich werde das gute +Kind hintergehen müssen, damit es den Brief doch nur lieset. + +Sara. Was sprichst du da für dich? + +Waitwell. Ich sage mir selbst, daß ich einen sehr ungeschickten +Einfall gehabt hätte, Sie, Miß, zur Lesung des Briefes desto +geschwinder zu vermögen. + +Sara. Wieso? + +Waitwell. Ich konnte so weit nicht denken. Sie überlegen freilich +alles genauer, als es unsereiner kann. Ich wollte Sie nicht +erschrecken; der Brief ist vielleicht nur allzu hart; und wenn ich +gesagt habe, daß nichts als Liebe und Vergebung darin enthalten sei, +so hätte ich sagen sollen, daß ich nichts als dieses darin enthalten +zu sein wünschte. + +Sara. Ist das wahr?--Nun, so gib mir ihn her. Ich will ihn lesen. +Wenn man den Zorn eines Vaters unglücklicherweise verdient hat, so muß +man wenigstens gegen diesen väterlichen Zorn so viel Achtung haben, +daß er ihn nach allen Gefallen gegen uns auslassen kann. Ihn zu +vereiteln suchen, heißt Beleidigungen mit Geringschätzung häufen. Ich +werde ihn nach aller seiner Stärke empfinden. Du siehst, ich zittre +schon--Aber ich soll auch zittern; und ich will lieber zittern als +weinen.--(Sie erbricht den Brief.) Nun ist er erbrochen! Ich bebe-- +Aber was seh ich? (Sie lieset.) "Einzige, geliebteste Tochter!"--Ha! +du alter Betrüger, ist das die Anrede eines zornigen Vaters? Geh, +weiter werde ich nicht lesen-- + +Waitwell. Ach, Miß, verzeihen Sie doch einem alten Knechte. Ja gewiß, +ich glaube, es ist in meinem Leben das erstemal, daß ich mit Vorsatz +betrogen habe. Wer einmal betrügt, Miß, und aus einer so guten +Absicht betrügt, der ist ja deswegen noch kein alter Betrüger. Das +geht mir nahe, Miß. Ich weiß wohl, die gute Absicht entschuldigt +nicht immer; aber was konnte ich denn tun? Einem so guten Vater +seinen Brief ungelesen wiederzubringen? Das kann ich nimmermehr. +Eher will ich gehen, soweit mich meine alten Beine tragen, und ihm nie +wieder vor die Augen kommen. + +Sara. Wie? auch du willst ihn verlassen? + +Waitwell. Werde ich denn nicht müssen, wenn Sie den Brief nicht +lesen? Lesen Sie ihn doch immer. Lassen Sie doch immer den ersten +vorsätzlichen Betrug, den ich mir vorzuwerfen habe, nicht ohne gute +Wirkung bleiben. Sie werden ihn desto eher vergessen, und ich werde +mir ihn desto eher vergeben können. Ich bin ein gemeiner, einfältiger +Mann, der Ihnen Ihre Ursachen, warum Sie den Brief nicht lesen können +oder wollen, freilich so muß gelten lassen. Ob sie wahr sind, weiß +ich nicht; aber so recht natürlich scheinen sie mir wenigstens nicht. +Ich dächte nun so, Miß: ein Vater, dächte ich, ist doch immer ein +Vater; und ein Kind kann wohl einmal fehlen, es bleibt deswegen doch +ein gutes Kind. Wenn der Vater den Fehler verzeiht, so kann ja das +Kind sich wohl wieder so aufführen, daß er auch gar nicht mehr daran +denken darf. Und wer erinnert sich denn gern an etwas, wovon er +lieber wünscht, es wäre gar nicht geschehen? Es ist, Miß, als ob Sie +nur immer an Ihren Fehler dächten und glaubten, es wäre genug, wenn +Sie den in Ihrer Einbildung vergrößerten und sich selbst mit solchen +vergrößerten Vorstellungen marterten. Aber ich sollte meinen, Sie +müßten auch daran denken, wie Sie das, was geschehen ist, +wiedergutmachten. Und wie wollen Sie es denn wiedergutmachen, wenn +Sie sich selbst alle Gelegenheit dazu benehmen? Kann es Ihnen denn +sauer werden, den andern Schritt zu tun, wenn so ein lieber Vater +schon den ersten getan hat? + +Sara. Was für Schwerter gehen aus deinem einfältigen Munde in mein +Herz!--Eben das kann ich nicht aushalten, daß er den ersten Schritt +tun muß. Und was willst du denn? Tut er denn nur den ersten Schritt? +Er muß sie alle tun: ich kann ihm keinen entgegentun. So weit ich +mich von ihm entfernet, so weit muß er sich zu mir herablassen. Wenn +er mir vergibt, so muß er mein ganzes Verbrechen vergeben und sich +noch dazu gefallen lassen, die Folgen desselben vor seinen Augen +fortdauern zu sehen. Ist das von einem Vater zu verlangen? + +Waitwell. Ich weiß nicht, Miß, ob ich dieses so recht verstehe. Aber +mich deucht, Sie wollen sagen, er müsse Ihnen gar zu viel vergeben, +und weil ihm das nicht anders als sehr sauer werden könne, so machten +Sie sich ein Gewissen, seine Vergebung anzunehmen. Wenn Sie das +meinen, so sagen Sie mir doch, ist denn nicht das Vergeben für ein +gutes Herz ein Vergnügen? Ich bin in meinem Leben so glücklich nicht +gewesen, daß ich dieses Vergnügen oft empfunden hätte. Aber der +wenigen Male, die ich es empfunden habe, erinnere ich mich noch immer +gern. Ich fühlte so etwas Sanftes, so etwas Beruhigendes, so etwas +Himmlisches dabei, daß ich mich nicht entbrechen konnte, an die große, +unüberschwengliche Seligkeit Gottes zu denken, dessen ganze +Erhaltungen der elenden Menschen ein immerwährendes Vergeben ist. Ich +wünschte mir, alle Augenblicke verzeihen zu können, und schämte mich, +daß ich nur solche Kleinigkeiten zu verzeihen hatte. Recht +schmerzhafte Beleidigungen, recht tödliche Kränkungen zu vergeben, +sagt' ich zu mir selbst, muß eine Wollust sein, in der die ganze Seele +zerfließt--Und nun, Miß, wollen Sie denn so eine große Wollust Ihrem +Vater nicht gönnen? + +Sara. Ach!--Rede weiter, Waitwell, rede weiter! + +Waitwell. Ich weiß wohl, es gibt eine Art von Leuten, die nichts +ungerner als Vergebung annehmen, und zwar, weil sie keine zu erzeigen +gelernt haben. Es sind stolze, unbiegsam Leute, die durchaus nicht +gestehen wollen, daß sie unrecht getan. Aber von der Art, Miß, sind +Sie nicht. Sie haben das liebreichste und zärtlichste Herz, das die +beste Ihres Geschlechts nur haben kann. Ihren Fehler bekennen Sie +auch. Woran liegt es denn nun also noch?--Doch verzeihen Sie mir nur, +Miß, ich bin ein alter Plauderer und hätte es gleich merken sollen, +daß Ihr Weigern nur eine rühmliche Besorgnis, nur eine tugendhafte +Schüchternheit sei. Leute, die eine große Wohltat gleich ohne +Bedenken annehmen können, sind der Wohltat selten würdig. Die sie am +meisten verdienen, haben auch immer das meiste Mißtrauen gegen sich +selbst. Doch muß das Mißtrauen nicht über sein Ziel getrieben werden. + + +Sara. Lieber alter Vater, ich glaube, du hast mich überredet. + +Waitwell. Ach Gott! wenn ich so glücklich gewesen bin, so muß mir +ein guter Geist haben reden helfen. Aber nein, Miß, meine Reden haben +dabei nichts getan, als daß sie Ihnen Zeit gelassen, selbst +nachzudenken und sich von einer so fröhlichen Bestürzung zu erholen.-- +Nicht wahr, nun werden Sie den Brief lesen? Oh! lesen Sie ihn doch +gleich! + +Sara. Ich will es tun, Waitwell.--Welche Bisse, welche Schmerzen +werde ich fühlen! + +Waitwell. Schmerzen, Miß, aber angenehme Schmerzen. + +Sara. Sei still! (Sie fängt an, für sich zu lesen.) + +Waitwell (beiseite). Oh! wenn er sie selbst sehen sollte! + +Sara (nachdem sie einige Augenblicke gelesen). Ach, Waitwell, was für +ein Vater! Er nennt meine Flucht eine Abwesenheit. Wieviel +sträflicher wird sie durch dieses gelinde Wort! (Sie lieset weiter +und unterbricht sich wieder.) Höre doch! er schmeichelt sich, ich +würde ihn noch lieben. Er schmeichelt sich! (Lieset und unterbricht +sich.) Er bittet mich--Er bittet mich? Ein Vater seine Tochter? +seine strafbare Tochter? Und was bittet er mich denn?--(Lieset für +sich.) Er bittet mich, seine übereilte Strenge zu vergessen und ihn +mit meiner Entfernung nicht länger zu strafen. Übereilte Strenge!--Zu +strafen!--(Lieset wieder und unterbricht sich.) Noch mehr! Nun dankt +er mir gar, und dankt mir, daß ich ihm Gelegenheit gegeben, den ganzen +Umfang der väterlichen Liebe kennenzulernen. Unselige Gelegenheit! +Wenn er doch nur auch sagte, daß sie ihm zugleich den ganzen Umfang +des kindlichen Ungehorsams habe kennenlernen! (Sie lieset wieder.) +Nein, er sagt es nicht! Er gedenkt meines Verbrechens nicht mit einem +Buchstaben. (Sie fährt weiter fort, für sich zu lesen.) Er will +kommen und seine Kinder selbst zurückholen. Seine Kinder, Waitwell! +Das geht über alles!--Hab ich auch recht gelesen? (Sie lieset wieder +für sich.)--Ich möchte vergehen! Er sagt, derjenige verdiene nur +allzuwohl sein Sohn zu sein, ohne welchen er keine Tochter haben könne. +--Oh! hätte er sie nie gehabt, diese unglückliche Tochter!--Geh, +Waitwell, laß mich allein! Er verlangt eine Antwort, und ich will sie +sogleich machen. Frag in einer Stunde wieder nach. Ich danke dir +unterdessen für deine Mühe. Du bist ein rechtschaffner Mann. Es sind +wenig Diener die Freunde ihrer Herren! + +Waitwell. Beschämen Sie mich nicht, Miß. Wenn alle Herren Sir +Williams wären, so müßten die Diener Unmenschen sein, wenn sie nicht +ihr Leben für sie lassen wollten. (Geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + + +Sara (sie setzet sich zum Schreiben nieder). Wenn man mir es vor Jahr +und Tag gesagt hätte, daß ich auf einen solchen Brief würde antworten +müssen! Und unter solchen Umständen!--Ja, die Feder hab ich in der +Hand.--Weiß ich aber auch schon, was ich schreiben soll? Was ich +denke; was ich empfinde.--Und was denkt man denn, wenn sich in einem +Augenblicke tausend Gedanken durchkreuzen? Und was empfindet man denn, +wenn das Herz vor lauter Empfinden in einer tiefen Betäubung liegt?-- +Ich muß doch schreiben--Ich führe ja die Feder nicht das erstemal. +Nachdem sie mir schon so manche kleine Dienste der Höflichkeit und +Freundschaft abstatten helfen, sollte mir ihre Hilfe wohl bei dem +wichtigsten Dienste entstehen?--(Sie denkt ein wenig nach und schreibt +darauf einige Zeilen.) Das soll der Anfang sein? Ein sehr frostiger +Anfang. Und werde ich denn bei seiner Liebe anfangen wollen? Ich muß +bei meinem Verbrechen anfangen. (Sie streicht aus und schreibt anders.) +Daß ich mich ja nicht zu obenhin davon ausdrücke!--Das Schämen kann +überall an seiner rechten Stelle sein, nur bei dem Bekenntnisse +unserer Fehler nicht. Ich darf mich nicht fürchten, in Übertreibungen +zu geraten, wenn ich auch schon die gräßlichsten Züge anwende.--Ach! +warum muß ich nun gestört werden? + + + +Fünfter Auftritt + +Marwood. Mellefont. Sara. + + +Mellefont. Liebste Miß, ich habe die Ehre, Ihnen Lady Solmes +vorzustellen, welche eine von denen Personen in meiner Familie ist, +welchen ich mich am meisten verpflichtet erkenne. + +Marwood. Ich muß um Vergebung bitten, Miß, daß ich so frei bin, mich +mit meinen eignen Augen von dem Glücke eines Vetters zu überführen, +dem ich das vollkommenste Frauenzimmer wünschen würde, wenn mich nicht +gleich der erste Anblick überzeugt hätte, daß er es in Ihnen bereits +gefunden habe. + +Sara. Sie erzeigen mir allzuviel Ehre, Lady. Eine Schmeichelei wie +diese würde mich zu allen Zeiten beschämt haben; itzt aber sollte ich +sie fast für einen versteckten Vorwurf annehmen, wenn ich Lady Solmes +nicht für viel zu großmütig hielte, ihre Überlegenheit an Tugend und +Klugheit eine Unglückliche fühlen zu lassen. + +Marwood (kalt). Ich würde untröstlich sein, Miß, wenn Sie mir andre +als die freundschaftlichsten Gesinnungen zutrauten.--(Beiseite.) Sie +ist schön! + +Mellefont. Und wäre es denn auch möglich, Lady, gegen soviel +Schönheit, gegen soviel Bescheidenheit gleichgültig zu bleiben? Man +sagt zwar, daß einem reizenden Frauenzimmer selten von einem andern +Gerechtigkeit erwiesen werde: allein dieses ist auf der einen Seite +nur von denen, die auf ihre Vorzüge allzu eitel sind, und auf der +andern nur von solchen zu verstehen, welche sich selbst keiner Vorzüge +bewußt sind. Wie weit sind Sie beide von diesem Falle entfernt!--(Zur +Marwood, welche in Gedanken steht.) Ist es nicht wahr, Lady, daß +meine Liebe nichts weniger als parteiisch gewesen ist? Ist es nicht +wahr, daß ich Ihnen zum Lobe meiner Miß viel, aber noch lange nicht so +viel gesagt habe, als Sie selbst finden?--Aber warum so in Gedanken?-- +(Sachte zu ihr.) Sie vergessen, wer Sie sein wollen. + +Marwood. Darf ich es sagen?--Die Bewunderung Ihrer liebsten Miß +führte mich auf die Betrachtung ihres Schicksals. Es ging mir nahe, +daß sie die Früchte ihrer Liebe nicht in ihrem Vaterlande genießen +soll. Ich erinnerte mich, daß sie einen Vater und, wie man mir gesagt +hat, einen sehr zärtlichen Vater verlassen müßte, um die Ihrige sein +zu können; und ich konnte mich nicht enthalten, ihre Aussöhnung mit +ihm zu wünschen. + +Sara. Ach! Lady, wie sehr bin ich Ihnen für diesen Wunsch verbunden. +Er verdient es, daß ich meine ganze Freude mit Ihnen teile. Sie +können es noch nicht wissen, Mellefont, daß er erfüllt wurde, ehe Lady +die Liebe für uns hatte, ihn zu tun. + +Mellefont. Wie verstehen Sie dieses, Miß? + +Marwood (beiseite). Was will das sagen? + +Sara. Eben itzt habe ich einen Brief von meinem Vater erhalten. +Waitwell brachte mir ihn. Ach, Mellefont, welch ein Brief! + +Mellefont. Geschwind reißen Sie mich aus meiner Ungewißheit. Was hab +ich zu fürchten? Was habe ich zu hoffen? Ist er noch der Vater, den +wir flohen? Und wenn er es noch ist, wird Sara die Tochter sein, die +mich zärtlich genug liebt, um ihn noch weiter zu fliehen? Ach! hätte +ich Ihnen gefolgt, liebste Miß, so wären wir jetzt durch ein Band +verknüpft, das man aus eigensinnigen Absichten zu trennen wohl +unterlassen müßte. In diesem Augenblick empfinde ich alles das +Unglück, das unser entdeckter Aufenthalt für mich nach sich ziehen +kann. Er wird kommen und Sie aus meinen Armen reißen. Wie hasse ich +den Nichtswürdigen, der uns ihm verraten hat! (Mit einem zornigen +Blick gegen die Marwood.) + +Sara. Liebster Mellefont, wie schmeichelhaft ist diese Ihre Unruhe +für mich! Und wie glücklich sind wir beide, daß sie vergebens ist! +Lesen Sie hier seinen Brief.--(Gegen die Marwood, indem Mellefont den +Brief für sich lieset.) Lady, er wird über die Liebe meines Vaters +erstaunen. Meines Vaters? Ach! er ist nun auch der seinige. + +Marwood (betroffen). Ist es möglich? + +Sara. Jawohl, Lady, haben Sie Ursache, diese Veränderung zu bewundern. +Er vergibt uns alles; wir werden uns nun vor seinen Augen lieben; er +erlaubt es uns; er befiehlt es uns.--Wie hat diese Gütigkeit meine +ganze Seele durchdrungen!--Nun, Mellefont? (Der ihr den Brief +wiedergibt.) Sie schweigen? O nein, diese Träne, die sich aus Ihrem +Auge schleicht, sagt weit mehr, als Ihr Mund ausdrücken könnte. + +Marwood (beiseite). Wie sehr habe ich mir selbst geschadet! Ich +Unvorsichtige! + +Sara. Oh! lassen Sie mich diese Träne von Ihrer Wange küssen! + +Mellefont. Ach Miß, warum haben wir so einen göttlichen Mann betrüben +müssen? Jawohl, einen göttlichen Mann: denn was ist göttlicher als +vergeben?--Hätten wir uns diesen glücklichen Ausgang nur als möglich +vorstellen können: gewiß, so wollten wir ihn jetzt so gewaltsamen +Mitteln nicht zu verdanken haben; wir wollten ihn allein unsern Bitten +zu verdanken haben. Welche Glückseligkeit wartet auf mich! Wie +schmerzlich wird mir aber auch die eigne Überzeugung sein, daß ich +dieser Glückseligkeit so unwert bin! + +Marwood (beiseite). Und das muß ich mit anhören! + +Sara. Wie vollkommen rechtfertigen Sie durch solche Gesinnungen meine +Liebe gegen Sie. + +Marwood (beiseite). Was für Zwang muß ich mir antun! + +Sara. Auch Sie, vortreffliche Lady, müssen den Brief meines Vaters +lesen. Sie scheinen allzuviel Anteil an unserm Schicksale zu nehmen, +als daß Ihnen sein Inhalt gleichgültig sein könnte. + +Marwood. Mir gleichgültig, Miß? (Sie nimmt den Brief.) + +Sara. Aber, Lady, Sie scheinen noch immer sehr nachdenkend, sehr +traurig.-- + +Marwood. Nachdenkend, Miß, aber nicht traurig. + +Mellefont (beiseite). Himmel! wo sie sich verrät! + +Sara. Und warum denn? + +Marwood. Ich zittere für Sie beide. Könnte die unvermutete Güte +Ihres Vaters nicht eine Verstellung sein? eine List? + +Sara. Gewiß nicht, Lady, gewiß nicht. Lesen Sie nur, und Sie werden +es selbst gestehen. Die Verstellung bleibt immer kalt, und eine so +zärtliche Sprache ist in ihrem Vermögen nicht. (Marwood lieset für +sich.) Werden Sie nicht argwöhnisch, Mellefont; ich bitte Sie. Ich +stehe Ihnen dafür, daß mein Vater sich zu keiner List herablassen kann. +Er sagt nichts, was er nicht denkt, und Falschheit ist ihm ein +unbekanntes Laster. + +Mellefont. Oh! davon bin ich vollkommen überzeugt, liebste Miß.--Man +muß der Lady den Verdacht vergeben, weil sie den Mann noch nicht kennt, +den er trifft. + +Sara (indem ihr Marwood den Brief zurückgibt). Was seh ich, Lady? +Sie haben sich entfärbt? Sie zittern? Was fehlt Ihnen? + +Mellefont (beiseite). In welcher Angst bin ich! Warum habe ich sie +auch hergebracht? + +Marwood. Es ist nichts, Miß, als ein kleiner Schwindel, welcher +vorübergehn wird. Die Nachtluft muß mir auf der Reise nicht bekommen +sein. + +Mellefont. Sie erschrecken mich, Lady--ist es Ihnen nicht gefällig, +frische Luft zu schöpfen? Man erholt sich in einem verschloßnen +Zimmer nicht so leicht. + +Marwood. Wenn Sie meinen, so reichen Sie mir Ihren Arm. + +Sara. Ich werde Sie begleiten, Lady. + +Marwood. Ich verbitte diese Höflichkeit, Miß. Meine Schwachheit wird +ohne Folgen sein. + +Sara. So hoffe ich denn, Lady bald wiederzusehen. + +Marwood. Wenn Sie erlauben, Miß-- + +(Mellefont führt sie ab.) + +Sara (allein). Die arme Lady!--Sie scheinet die freundschaftlichste +Person zwar nicht zu sein; aber mürrisch und stolz scheinet sie doch +auch nicht.--Ich bin wieder allein. Kann ich die wenigen Augenblicke, +die ich es vielleicht sein werde, zu etwas Besserm als zur Vollendung +meiner Antwort anwenden? (Sie will sich niedersetzen, zu schreiben.) + + + +Sechster Auftritt + +Betty. Sara. + + +Betty. Das war ja wohl ein sehr kurzer Besuch. + +Sara. Ja, Betty. Es ist Lady Solmes; eine Anverwandte meines +Mellefont. Es wandelte ihr gähling eine kleine Schwachheit an. Wo +ist sie jetzt? + +Betty. Mellefont hat sie bis an die Türe begleitet. + +Sara. So ist sie ja wohl wieder fort? + +Betty. Ich vermute es.--Aber je mehr ich Sie ansehe, Miß--Sie müssen +mir meine Freiheit verzeihen--, je mehr finde ich Sie verändert. Es +ist etwas Ruhiges, etwas Zufriednes in Ihren Blicken. Lady muß ein +sehr angenehmer Besuch oder der alte Mann ein sehr angenehmer Bote +gewesen sein. + +Sara. Das letzte, Betty, das letzte. Er kam von meinem Vater. Was +für einen zärtlichen Brief will ich dich lesen lassen! Dein gutes +Herz hat so oft mit mir geweint, nun soll es sich auch mit mir freuen. +Ich werde wieder glücklich sein und dich für deine guten Dienste +belohnen können. + +Betty. Was habe ich Ihnen in kurzen neun Wochen für Dienste leisten +können? + +Sara. Du hättest mir ihrer in meinem ganzen andern Leben nicht +mehrere leisten können als in diesen neun Wochen. Sie sind vorüber!-- +Komm nur itzt, Betty; weil Mellefont vielleicht wieder allein ist, so +muß ich ihn noch sprechen. Ich bekomme eben den Einfall, daß es sehr +gut sein würde, wenn er zugleich mit mir an meinen Vater schriebe, dem +seine Danksagung schwerlich unerwartet sein dürfte. Komm! + +(Sie gehen ab.) + + + +Siebenter Auftritt + +Der Saal. + + +Sir William Sampson. Waitwell. + +Sir William. Was für Balsam, Waitwell, hast du mir durch deine +Erzählung in mein verwundetes Herz gegossen! Ich lebe wieder neu auf; +und ihre herannahende Rückkehr scheint mich ebensoweit zu meiner +Jugend wieder zurückzubringen, als mich ihre Flucht näher zu dem Grabe +gebracht hatte. Sie liebt mich noch! Was will ich mehr?--Geh ja bald +wieder zu ihr, Waitwell. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, da +ich sie aufs neue in diese Arme schließen soll, die ich so sehnlich +gegen den Tod ausgestreckt hatte. Wie erwünscht wäre er mir in den +Augenblicken meines Kummers gewesen! Und wie fürchterlich wird er mir +in meinem neuen Glücke sein! Ein Alter ist ohne Zweifel zu tadeln, +wenn er die Bande, die ihn noch mit der Welt verbinden, so fest wieder +zuziehet. Die endliche Trennung wird desto schmerzlicher.--Doch der +Gott, der sich jetzt so gnädig gegen mich erzeigt, wird mir auch diese +überstehen helfen. Sollte er mir wohl eine Wohltat erweisen, um sie +mir zuletzt zu meinem Verderben gereichen zu lassen? Sollte er mir +eine Tochter wiedergeben, damit ich über seine Abfoderung aus diesem +Leben murren müsse? Nein, nein; er schenkt mir sie wieder, um in der +letzten Stunde nur um mich selbst besorgt sein zu dürfen. Dank sei +dir, ewige Güte! Wie schwach ist der Dank eines sterblichen Mundes! +Doch bald, bald werde ich in einer ihm geweihten Ewigkeit ihm würdiger +danken können. + +Waitwell. Wie herzlich vergnügt es mich, Sir, Sie vor meinem Ende +wieder zufrieden zu wissen! Glauben Sie mir es nur, ich habe fast so +viel bei Ihrem Jammer ausgestanden als Sie selbst. Fast so viel; gar +so viel nicht: denn der Schmerz eines Vaters mag wohl bei solchen +Gelegenheiten unaussprechlich sein. + +Sir William. Betrachte dich von nun an, mein guter Waitwell, nicht +mehr als meinen Diener. Du hast es schon längst um mich verdient, ein +anständiger Alter zu genießen. Ich will dir es auch schaffen, und du +sollst es nicht schlechter haben, als ich es noch in der Welt haben +werde. Ich will allen Unterschied zwischen uns aufheben; in jener +Welt, weißt du wohl, ist er ohnedies aufgehoben.--Nur dasmal sei noch +der alte Diener, auf den ich mich nie umsonst verlassen habe. Geh und +gib acht, daß du mir ihre Antwort sogleich bringen kannst, als sie +fertig ist. + +Waitwell. Ich gehe, Sir. Aber so ein Gang ist kein Dienst, den ich +Ihnen tue. Er ist eine Belohnung, die Sie mir für meine Dienste +gönnen. Ja gewiß, das ist er. + +(Sie gehen auf verschiedenen Seiten ab.) + +(Ende des dritten Aufzuges.) + + + + + +Vierter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Mellefonts Zimmer. + + +Mellefont. Sara. + +Mellefont. Ja, liebste Miß, ja; das will ich tun; das muß ich tun. + +Sara. Wie vergnügt machen Sie mich! + +Mellefont. Ich bin es allein, der das ganze Verbrechen auf sich +nehmen muß. Ich allein bin schuldig; ich allein muß um Vergebung +bitten. + +Sara. Nein, Mellefont, nehmen Sie mir den größern Anteil, den ich an +unserm Vergehen habe, nicht. Er ist mir teuer, so strafbar er auch +ist: denn er muß Sie überzeugt haben, daß ich meinen Mellefont über +alles in der Welt liebe.--Aber ist es denn gewiß wahr, daß ich nunmehr +diese Liebe mit der Liebe gegen meinen Vater verbinden darf? Oder +befinde ich mich in einem angenehmen Traume? Wie fürchte ich mich, +ihn zu verlieren und in meinem alten Jammer zu erwachen!--Doch nein, +ich bin nicht bloß in einem Traume, ich bin wirklich glücklicher, als +ich jemals zu werden hoffen durfte; glücklicher, als es vielleicht +dieses kurze Leben zuläßt. Vielleicht erscheint mir dieser Strahl von +Glückseligkeit nur darum von ferne und scheinet mir nur darum so +schmeichelhaft näher zu kommen, damit er auf einmal wieder in die +dickste Finsternis zerfließe und mich auf einmal in einer Nacht lasse, +deren Schrecklichkeit mir durch diese kurze Erleuchtung erst recht +fühlbar geworden.--Was für Ahnungen quälen mich!--Sind es wirklich +Ahnungen, Mellefont, oder sind es gewöhnliche Empfindungen, die von +der Erwartung eines unverdienten Glücks und von der Furcht, es zu +verlieren, unzertrennlich sind?--Wie schlägt mir das Herz, und wie +unordentlich schlägt es! Wie stark itzt, wie geschwind!--Und nun, wie +matt, wie bange, wie zitternd!--Itzt eilt es wieder, als ob es die +letzten Schläge wären, die es gern recht schnell hintereinander tun +wolle. Armes Herz! + +Mellefont. Die Wallungen des Geblüts, welche plötzliche +Überraschungen nicht anders als verursachen können, werden sich legen, +Miß, und das Herz wird seine Verrichtungen ruhiger fortsetzen. Keiner +seiner Schläge zielet auf das Zukünftige; und wir sind zu tadeln-- +verzeihen Sie, liebste Sara--, wenn wir des Bluts mechanische +Drückungen zu fürchterlichen Propheten machen.--Deswegen aber will ich +nichts unterlassen, was Sie selbst zur Besänftigung dieses kleinen +innerlichen Sturms für dienlich halten. Ich will sogleich schreiben, +und Sir William, hoffe ich, soll mit den Beteurungen meiner Reue, mit +den Ausdrücken meines gerührten Herzens und mit den Angelobungen des +zärtlichsten Gehorsams zufrieden sein. + +Sara. Sir William? Ach Mellefont, fangen Sie doch nun an, sich an +einen weit zärtlichern Namen zu gewöhnen. Mein Vater, Ihr Vater, +Mellefont-- + +Mellefont. Nun ja, Miß, unser gütiger, unser bester Vater!--Ich mußte +sehr jung aufhören, diesen süßen Namen zu nennen; sehr jung mußte ich +den ebenso süßen Namen "Mutter" verlernen-- + +Sara. Sie haben ihn verlernt, und mir--mir ward es so gut nicht, ihn +nur einmal sprechen zu können. Mein Leben war ihr Tod.--Gott! ich +ward eine Muttermörderin wider mein Verschulden. Und wie viel fehlte-- +wie wenig, wie nichts fehlte--, so wäre ich auch eine Vatermörderin +geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsätzliche +Vatermörderin!--Und wer weiß, ob ich es nicht schon bin? Die Jahre, +die Tage, die Augenblicke, die er geschwinder zu seinem Ziele kömmt, +als er ohne die Betrübnis, die ich ihm verursacht, gekommen wäre-- +diese hab ich ihm--ich habe sie ihm geraubt. Wenn ihn sein Schicksal +auch noch so alt und lebenssatt sterben läßt, so wird mein Gewissen +doch nichts gegen den Vorwurf sichern können, daß er ohne mich +vielleicht noch später gestorben wäre. Trauriger Vorwurf, den ich mir +ohne Zweifel nicht machen dürfte, wenn eine zärtliche Mutter die +Führerin meiner Jugend gewesen wäre! Ihre Lehren, ihr Exempel würden +mein Herz--So zärtlich blicken Sie mich an, Mellefont? Sie haben +recht; eine Mutter würde mich vielleicht mit lauter Liebe tyrannisiert +haben, und ich würde Mellefonts nicht sein. Warum wünsche ich mir +denn also das, was mir das weisere Schicksal nur aus Güte versagte? +Seine Fügungen sind immer die besten. Lassen Sie uns nur das recht +brauchen, was es uns schenkt: einen Vater, der mich noch nie nach +einer Mutter seufzen lassen; einen Vater, der auch Sie ungenossene +Eltern will vergessen lehren. Welche schmeichelhafte Vorstellung! +Ich verliebe mich selbst darein und vergesse es fast, daß in dem +Innersten sich noch etwas regt, das ihm keinen Glauben beimessen will.- +-Was ist es, dieses rebellische Etwas? + +Mellefont. Dieses Etwas, liebste Sara, wie Sie schon selbst gesagt +haben, ist die natürliche furchtsam Schwierigkeit, sich in ein großes +Glück zu finden.--Ach, Ihr Herz machte weniger Bedenken, sich +unglücklich zu glauben, als es jetzt zu seiner eignen Pein macht, sich +für glücklich zu halten!--Aber wie dem, der in einer schnellen +Kreisbewegung drehend geworden, auch da noch, wenn er schon wieder +still sitzt, die äußern Gegenstände mit ihm herumzugehen scheinen, so +wird auch das Herz, das zu heftig erschüttert worden, nicht auf einmal +wieder ruhig. Es bleibt eine zitternde Bebung oft noch lange zurück, +die wir ihrer eignen Abschwächung überlassen müssen. + +Sara. Ich glaube es, Mellefont, ich glaube es: weil Sie es sagen; +weil ich es wünsche.--Aber lassen Sie uns einer den andern nicht +länger aufhalten. Ich will gehen und meinen Brief vollenden. Ich +darf doch auch den Ihrigen lesen, wenn ich Ihnen den meinigen werde +gezeigt haben? + +Mellefont. Jedes Wort soll Ihrer Beurteilung unterworfen sein; nur +das nicht, was ich zu Ihrer Rettung sagen muß: denn ich weiß es, Sie +halten sich nicht für so unschuldig, als Sie sind. (Indem er die Sara +bis an die Szene begleitet.) + + + +Zweiter Auftritt + + +Mellefont (nachdem er einigemal tiefsinnig auf und nieder gegangen). +Was für ein Rätsel bin ich mir selbst! Wofür soll ich mich halten? +Für einen Toren? oder für einen Bösewicht?--oder für beides?--Herz, +was für ein Schalk bist du!--Ich liebe den Engel, so ein Teufel ich +auch sein mag.--Ich lieb ihn? Ja, gewiß, gewiß, ich lieb ihn. Ich +weiß, ich wollte tausend Leben für sie aufopfern, für sie, die mir +ihre Tugend aufgeopfert hat! Ich wollt' es; jetzt gleich ohne Anstand +wollt' ich es--Und doch, doch--Ich erschrecke, mir es selbst zu sagen-- +Und doch--Wie soll ich es begreifen?--Und doch fürchte ich mich vor +dem Augenblicke, der sie auf ewig vor dem Angesichte der Welt zu der +Meinigen machen wird.--Er ist nun nicht zu vermeiden; denn der Vater +ist versöhnt. Auch weit hinaus werde ich ihn nicht schieben können. +Die Verzögerung desselben hat mir schon schmerzhafte Vorwürfe genug +zugezogen. So schmerzhaft sie aber waren, so waren sie mir doch +erträglicher als der melancholische Gedanke, auf zeitlebens gefesselt +zu sein.--Aber bin ich es denn nicht schon?--Ich bin es freilich, und +bin es mit Vergnügen.--Freilich bin ich schon ihr Gefangener.--Was +will ich also?--Das!--Itzt bin ich ein Gefangener, den man auf sein +Wort frei herumgehen läßt: das schmeichelt! Warum kann es dabei nicht +sein Bewenden haben? Warum muß ich eingeschmiedet werden und auch +sogar den elenden Schatten der Freiheit entbehren?--Eingeschmiedet? +Nichts anders!--Sara Sampson, meine Geliebte! Wieviel Seligkeiten +liegen in diesen Worten! Sara Sampson, meine Ehegattin!--Die Hälfte +dieser Seligkeiten ist verschwunden! und die andre Hälfte--wird +verschwinden.--Ich Ungeheuer!--Und bei diesen Gesinnungen soll ich an +ihren Vater schreiben?--Doch es sind keine Gesinnungen; es sind +Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen, die mir durch ein zügelloses +Leben so natürlich geworden! Ich will ihrer los werden, oder--nicht +leben. + + + +Dritter Auftritt + +Norton. Mellefont. + + +Mellefont. Du störest mich, Norton! + +Norton. Verzeihen Sie also, mein Herr--(Indem er wieder zurückgehen +will.) + +Mellefont. Nein, nein, bleib da. Es ist ebensogut, daß du mich +störest. Was willst du? + +Norton. Ich habe von Betty eine sehr freudige Neuigkeit gehört, und +ich komme, Ihnen dazu Glück zu wünschen. + +Mellefont. Zur Versöhnung des Vaters doch wohl? Ich danke dir. + +Norton. Der Himmel will Sie also noch glücklich machen. + +Mellefont. Wenn er es will--du siehst, Norton, ich lasse mir +Gerechtigkeit widerfahren--, so will er es meinetwegen gewiß nicht. + +Norton. Nein, wenn Sie dieses erkennen, so will er es auch Ihretwegen. + + +Mellefont. Meiner Sara wegen, einzig und allein meiner Sara wegen. +Wollte seine schon gerüstete Rache eine ganze sündige Stadt, weniger +Gerechten wegen, verschonen, so kann er ja wohl auch einen Verbrecher +dulden, wenn eine ihm gefällige Seele an dem Schicksale desselben +Anteil nimmt. + +Norton. Sie sprechen sehr ernsthaft und rührend. Aber drückt sich +die Freude nicht etwas anders aus? + +Mellefont. Die Freude, Norton? Sie ist nun für mich dahin. + +Norton. Darf ich frei reden? (Indem er ihn scharf ansieht.) + +Mellefont. Du darfst. + +Norton. Der Vorwurf, den ich an dem heutigen Morgen von Ihnen hören +mußte, daß ich mich Ihrer Verbrechen teilhaftig gemacht, weil ich dazu +geschwiegen, mag mich bei Ihnen entschuldigen, wenn ich von nun an +seltner schweige. + +Mellefont. Nur vergiß nicht, wer du bist. + +Norton. Ich will es nicht vergessen, daß ich ein Bedienter bin: ein +Bedienter, der auch etwas Bessers sein könnte, wenn er, leider! +darnach gelebt hätte. Ich bin Ihr Bedienter, ja; aber nicht auf dem +Fuße, daß ich mich gern mit Ihnen möchte verdammen lassen. + +Mellefont. Mit mir? Und warum sagst du das itzt? + +Norton. Weil ich nicht wenig erstaune, Sie anders zu finden, als ich +mir vorstellte. + +Mellefont. Willst du mich nicht wissen lassen, was du dir +vorstelltest? + +Norton. Sie in lauter Entzückung zu finden. + +Mellefont. Nur der Pöbel wird gleich außer sich gebracht, wenn ihn +das Glück einmal anlächelt. + +Norton. Vielleicht, weil der Pöbel noch sein Gefühl hat, das bei +Vornehmern durch tausend unnatürliche Vorstellungen verderbt und +geschwächt wird. Allein in Ihrem Gesichte ist noch etwas anders als +Mäßigung zu lesen. Kaltsinn, Unentschlossenheit, Widerwille-- + +Mellefont. Und wenn auch? Hast du es vergessen, wer noch außer der +Sara hier ist? Die Gegenwart der Marwood-- + +Norton. Könnte Sie wohl besorgt, aber nicht niedergeschlagen machen.-- +Sie beunruhiget etwas anders. Und ich will mich gern geirret haben, +wenn Sie es nicht lieber gesehen hätten, der Vater wäre noch nicht +versöhnt. Die Aussicht in einen Stand, der sich so wenig zu Ihrer +Denkungsart schickt-- + +Mellefont. Norton! Norton! du mußt ein erschrecklicher Bösewicht +entweder gewesen sein oder noch sein, daß du mich so erraten kannst. +Weil du es getroffen hast, so will ich es nicht leugnen. Es ist wahr; +so gewiß es ist, daß ich meine Sara ewig lieben werde, so wenig will +es mir ein, daß ich sie ewig lieben soll--soll!--Aber besorge nichts; +ich will über diese närrische Grille siegen. Oder meinst du nicht, +daß es eine Grille ist? Wer heißt mich die Ehe als einen Zwang +ansehen? Ich wünsche es mir ja nicht, freier zu sein, als sie mich +lassen wird. + +Norton. Diese Betrachtungen sind sehr gut. Aber Marwood, Marwood +wird Ihren alten Vorurteilen zu Hilfe kommen, und ich fürchte, ich +fürchte-- + +Mellefont. Was nie geschehen wird. Du sollst sie noch heute nach +London zurückreisen sehen. Da ich dir meine geheimste--Narrheit will +ich es nur unterdessen nennen--gestanden habe, so darf ich dir auch +nicht verbergen, daß ich die Marwood in solche Furcht gejagt habe, daß +sie sich durchaus nach meinem geringsten Winke bequemen muß. + +Norton. Sie sagen mir etwas Unglaubliches. + +Mellefont. Sieh, dieses Mördereisen riß ich ihr aus der Hand (er +zeigt ihm den Dolch, den er der Marwood genommen), als sie mir in der +schrecklichsten Wut das Herz damit durchstoßen wollte. Glaubst du es +nun bald, daß ich ihr festen Obstand gehalten habe? Anfangs zwar +fehlte es nicht viel, sie hätte mir ihre Schlinge wieder um den Hals +geworfen. Die Verräterin hat Arabellen bei sich. + +Norton. Arabellen? + +Mellefont. Ich habe es noch nicht untersuchen können, durch welche +List sie das Kind wieder in ihre Hände bekommen. Genug, der Erfolg +fiel für sie nicht so aus, als sie es ohne Zweifel gehofft hatte. + +Norton. Erlauben Sie, daß ich mich über Ihre Standhaftigkeit freuen +und Ihre Besserung schon für halb geborgen halten darf. Allein--da +Sie mich doch alles wollen wissen lassen--was hat sie unter dem Namen +der Lady Solmes hier gesollt? + +Mellefont. Sie wollte ihre Nebenbuhlerin mit aller Gewalt sehen. Ich +willigte in ihr Verlangen, teils aus Nachsicht, teils aus Übereilung, +teils aus Begierde, sie durch den Anblick der Besten ihres Geschlechts +zu demütigen.--Du schüttelst den Kopf, Norton?-- + +Norton. Das hätte ich nicht gewagt. + +Mellefont. Gewagt? Eigentlich wagte ich nichts mehr dabei, als ich +im Falle der Weigerung gewagt hätte. Sie würde als Marwood +vorzukommen gesucht haben; und das Schlimmste, was bei ihrem +unbekannten Besuche zu besorgen steht, ist nichts Schlimmers. + +Norton. Danken Sie dem Himmel, daß es so ruhig abgelaufen. + +Mellefont. Es ist noch nicht ganz vorbei, Norton. Es stieß ihr eine +kleine Unpäßlichkeit zu, daß sie sich, ohne Abschied zu nehmen, +wegbegeben mußte. Sie will wiederkommen.--Mag sie doch! Die Wespe, +die den Stachel verloren hat (indem er auf den Dolch weiset, den er +wieder in den Busen steckt), kann doch weiter nichts als summen. Aber +auch das Summen soll ihr teuer werden, wenn sie zu überlästig damit +wird.--Hör ich nicht jemand kommen? Verlaß mich, wenn sie es ist.-- +Sie ist es. Geh! + +(Norton geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + +Mellefont. Marwood. + + +Marwood. Sie sehen mich ohne Zweifel sehr ungern wiederkommen. + +Mellefont. Ich sehe es sehr gern, Marwood, daß Ihre Unpäßlichkeit +ohne Folgen gewesen ist. Sie befinden sich doch besser? + +Marwood. So, so! + +Mellefont. Sie haben also nicht wohl getan, sich wieder hieher zu +bemühen. + +Marwood. Ich danke Ihnen, Mellefont, wenn Sie dieses aus Vorsorge für +mich sagen. Und ich nehme es Ihnen nicht übel, wenn Sie etwas anders +damit meinen. + +Mellefont. Es ist mir angenehm, Sie so ruhig zu sehen. + +Marwood. Der Sturm ist vorüber. Vergessen Sie ihn, bitte ich +nochmals. + +Mellefont. Vergessen Sie nur Ihr Versprechen nicht, Marwood, und ich +will gern alles vergessen.--Aber, wenn ich wüßte, daß Sie es für keine +Beleidigung annehmen wollten, so möchte ich wohl fragen-- + +Marwood. Fragen Sie nur, Mellefont. Sie können mich nicht mehr +beleidigen.--Was wollten Sie fragen? + +Mellefont. Wie ihnen meine Miß gefallen habe. + +Marwood. Die Frage ist natürlich. Meine Antwort wird so natürlich +nicht scheinen, aber sie ist gleichwohl nichts weniger wahr.--Sie hat +mir sehr wohl gefallen. + +Mellefont. Diese Unparteilichkeit entzückt mich. Aber wär' es auch +möglich, daß der, welcher die Reize einer Marwood zu schätzen wußte, +eine schlechte Wahl treffen könnte? + +Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist, +hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze, +Sie zu vergessen, nicht vertragen. + +Mellefont. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch +Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der +gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von +Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll +und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu +unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt. + +Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert +sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen und es +kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort +noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen? + +Mellefont. Nein, Marwood. + +Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß +Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen. + +Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben. + +Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt. + +Mellefont. Wie? + +Marwood. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von +Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr +Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein +beßres lassen könnte als die Schande, von mir geboren zu sein. + +Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will für Arabellen sorgen, ohne +ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu +setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß +sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten +gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres +Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich +danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater +verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht +eher wieder anzunehmen. + +Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe +verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muß +anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich +hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich-- + +Mellefont. Marwood!-- + +Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich +der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen? + +Mellefont. Miß Sara würde es Ihnen nicht übelnehmen können, wenn Sie +auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen. + +Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich +will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne +Lebensart gehalten werden. + +Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich +selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen +bei Ihnen rege machen muß-- + +Marwood (spöttisch lächelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich +selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, daß ich +Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens +ganz in der Stille glauben.--Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei +mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, daß +das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann. + +Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in +der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir +gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir +einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten +können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gärende +Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, daß ich Sie einige +Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen. + + + +Fünfter Auftritt + + +Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich +unbemerkt einmal Atem schöpfen und die Muskeln des Gesichts in ihre +natürliche Lage fahren lassen?--Ich muß geschwind einmal in allen +Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder +aushalten zu können.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht, +weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste +Zuflucht der ohnmächtigen Rachsucht bist. Gewiß würde ich mich zu dir +nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel +seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem +Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch +sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, daß ich mit +seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr +ungewiß, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem +Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen +wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht +verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von +mir hören. Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar +keinen Stachel zurückließen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht +mehr Marwood; ich bin eine nichtswürdige Verstoßene, die durch kleine +Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm, +der sich krümmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse +gern verwunden möchte. + + + +Sechster Auftritt + +Sara. Mellefont. Marwood. + + +Sara. Ich freue mich, Lady, daß meine Unruhe vergebens gewesen ist. + +Marwood. Ich danke Ihnen, Miß. Der Zufall war zu klein, als daß er +Sie hätte beunruhigen sollen. + +Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara. + +Sara. So eilig, Lady? + +Marwood. Ich kann es für die, denen an meiner Gegenwart in London +gelegen ist, nicht genug sein. + +Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen? + +Marwood. Morgen mit dem Frühsten. + +Mellefont. Morgen mit dem Frühsten, Lady? Ich glaubte, noch heute. + +Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, fängt sich sehr im Vorbeigehn an. +Ich schmeichle mir, in Zukunft eines nähern Umgangs mit Ihnen +gewürdiget zu werden. + +Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miß. + +Mellefont. Ich stehe Ihnen dafür, liebste Sara, daß diese Bitte der +Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muß, daß Sie +einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich +mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten können-- + +Marwood (beiseite). Wie fein! + +Sara. Mellefont, das heißt mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben. + +Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glückliche Miß. + +Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen früh wieder +fort? + +Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand +kommen! + +Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten. +Nicht wahr, liebste Miß, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort +ungesäumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht +übelnehmen. + + + +Siebenter Auftritt + +Betty. Mellefont. Sara. Marwood. + + +Mellefont. Was willst du, Betty? + +Betty. Man verlangt Sie unverzüglich zu sprechen. + +Marwood (beiseite). Ha! nun kömmt es drauf an-- + +Mellefont. Mich? unverzüglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist +es Ihnen gefällig, Ihren Besuch abzukürzen? + +Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so gütig sein und bis zu Ihrer +Zurückkunft warten. + +Marwood. Verzeihen Sie, Miß; ich kenne meinen Vetter Mellefont und +will mich lieber mit ihm wegbegeben. + +Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen. +Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versäumen-- + +Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miß, +daß es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen +ich gegen Sie gedacht habe. + +(Betty gehet ab.) + +Marwood (beiseite). Gute Vermutung! + +Mellefont. Aber doch, Lady-- + +Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miß, so muß ich mich Ihnen-- + +Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnügen nicht +mißgönnen, Lady Solmes so lange unterhalten zu dürfen? + +Mellefont. Sie wollen es, Miß?-- + +Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie +nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich +wünschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht. +Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie +allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen können, +als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.-- + +Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiß den +Augenblick wieder hier. (Geht ab.) + +Marwood (beiseite). Glücklich! + + + +Achter Auftritt + +Sara. Marwood. + + +Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Höflichkeiten manchmal mit +einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?-- + +Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als daß +ich so etwas bemerken könnte. + +Sara. Wollen sich Lady nicht setzen? + +Marwood. Wenn Sie befehlen, Miß--(Beiseite, indem sie sich setzen.) +Ich muß diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen. + +Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das glücklichste +Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden? + +Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glück zu finden weiß, so wird +ihn Miß Sara zu der beneidenswürdigsten Mannsperson machen. Aber-- + +Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady-- + +Marwood. Ich bin offenherzig, Miß-- + +Sara. Und dadurch unendlich schätzbarer-- + +Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein +Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedächtiges Aber! + +Sara. Ich glaube nicht, daß mich Lady durch diese Ausweichung noch +unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit +sein, ein Übel, das man zeigen könnte, nur argwöhnen zu lassen. + +Marwood. Nicht doch, Miß; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel. +Mellefont ist mein Anverwandter-- + +Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider +ihn zu machen haben. + +Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder wäre, so muß ich Ihnen +doch sagen, daß ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts +gegen ihn annehmen würde, wenn ich bemerkte, daß er nicht +rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig +jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu +Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache +machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu +nehmen sich nicht bedenken müßten. + +Sara. Diese Anmerkung-- + +Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Fällen meine +Richtschnur gewesen. + +Sara. Und verspricht mir--Ich zittere-- + +Marwood. Nein, Miß; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas +anderm sprechen-- + +Sara. Grausame Lady! + +Marwood. Es tut mir leid, daß ich verkannt werde. Ich wenigstens, +wenn ich mich in Gedanken an Miß Sampsons Stelle setze, würde jede +nähere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen +Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit wäre, als eine +Wohltat ansehen. + +Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon? +Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiß, daß +er mich liebt-- + +Marwood. Und andre-- + +Sara. Geliebt hat. Auch das weiß ich. Hat er mich lieben sollen, +ehe er von mir etwas wußte? Kann ich die einzige zu sein verlangen, +die für ihn Reize genug gehabt hat? Muß ich mir es nicht selbst +gestehen, daß ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht +liebenswürdig genug, daß er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken +müssen? Und ist es nicht natürlich, wenn mancher dieses Bestreben +gelungen ist? + +Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden +Gründen, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein +Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet +worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen. + +Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die +Gegenstände der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten +verdienen. + +Marwood. Miß Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu +sein. + +Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege, +welche es selbst gestehen, daß sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die +strengste nicht. Sie muß es auch nicht sein. Denn hier kömmt es +nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei +der Liebe setzt, sondern bloß darauf, die menschliche Schwachheit zu +entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und +die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu +beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie +endlich verläßt; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der +Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine +Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben +müßte. + +Marwood. Aber, Miß, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so +getrost eine Lasterhafte nennen? + +Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont. + +Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, daß +Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr +ungültiger Zeuge sein könne? + +Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, daß Sie mich auf die Probe stellen +wollen. Mellefont wird lächeln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden, +wie ernsthaft ich mich seiner angenommen. + +Marwood. Verzeihen Sie, Miß; von dieser Unterredung muß Mellefont +nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als daß Sie, zum Danke für +eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten, +die sich nur deswegen wider ihn erklärt, weil sie sein unwürdiges +Verfahren gegen mehr als eine der liebenswürdigsten Personen unsers +Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten hätte. + +Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wünschte, daß es +andre ebensowenig wollten. + +Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten +erzählen? + +Sara. Ich weiß nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, daß Sie +davon aufhören sobald Mellefont zurückkömmt. Er möchte denken, ich +hätte mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht +gern, daß er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen könnte. + +Marwood. Ich würde Miß Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben, +wenn sie mir nicht zuvorgekommen wäre. Er muß es auch nicht argwöhnen +können, daß Marwood unser Gespräch gewesen ist; und Sie werden so +behutsam sein, Ihre Maßregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.-- +Hören Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war +eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen +kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schönheit noch an +derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schönheit tot sein würde. +Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermögen. +Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtümer +gewesen sein--, hatte sie für die Befreiung eines Mannes aufgeopfert, +dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu dürfen glaubte, nachdem sie +ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen. + +Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, daß er in +einem bessern Gemälde prangte! + +Marwood. Des Mangels an Vermögen ungeachtet ward sie von Personen +gesucht, die nichts eifriger wünschten, als sie glücklich zu machen. +Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein +Antrag war ernstlich, und der Überfluß, in welchen er die Marwood zu +setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stützte. Er hatte +es bei der ersten Unterredung weg, daß er mit keiner Eigennützigen zu +tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zärtlichsten +Gefühls, welches eine Hütte einem Palaste würde vorgezogen haben, wenn +sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer +gleichgültigen Person hätte leben sollen. + +Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht gönne. Schmeicheln +Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich möchte sie am Ende bedauern +müssen. + +Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste +Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters +bekam, welcher ihm sein ganzes Vermögen mit der Bedingung hinterließ, +eine weitläuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen +reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an +Großmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft +eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie würde +verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miß, das war groß gedacht? + +Sara. O Lady, wer weiß es besser als ich, daß Mellefont das edelste +Herz besitzt? + +Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch +spät an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen +hätte. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war +fort. + +Sara. Wohin? Warum? + +Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm +entdeckte, daß er sich keine Rechnung machen dürfe, sie jemals +wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, daß sie ihn liebe; aber eben +deswegen könne sie sich nicht überwinden, die Ursache einer Tat zu +sein, die er notwendig einmal bereuen müsse. Sie erlasse ihn seines +Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die +Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den +Besitz eines Vermögens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas +Wichtigerm brauchen könne, als einem Frauenzimmer eine unüberlegte +Schmeichelei damit zu machen. + +Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche +Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl fähig sein, aber nicht +Marwood. Gewiß Marwood nicht. + +Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miß, daß Sie wider sie +eingenommen sind.--Mellefont wollte über den Entschluß der Marwood von +Sinnen kommen. Er schickte überall Leute aus, sie wieder aufzusuchen; +und endlich fand er sie. + +Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel. + +Marwood. Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer +von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich; +und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht +annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, daß +sie nach London zurückzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre +Vermählung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen +Verzögerns überdrüssig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei. +Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der täglichen Besuche des +Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle +Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der +Freundschaft zurückgewiesen hat. Aber wie unmöglich ist es, daß ein +hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht überschreiten sollte! +Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefährlich machen +kann. Niemand kann hiervon überzeugter sein als Miß Sampson selbst. + +Sara. Ach! + +Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat über ihre Schwachheit mehr +als einmal geseufzet und seufzet noch. + +Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr +als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten. + +Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloß die +unglückliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie +am richtigsten von ihr urteilen könnten.--Kurz, die Liebe gab dem +Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es länger +nicht für nötig, sie durch die Gesetze gültig machen zu lassen. Wie +glücklich wäre Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein +von ihrer Schande wüßten! Wie glücklich, wenn nicht eine jammernde +Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst +verbergen zu können wünschte! + +Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter-- + +Marwood. Ja, Miß, eine unglückliche Tochter verlieret durch die +Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals +ohne Abscheu nennen zu können. + +Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont +verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady? + +Marwood. Sie dürfen sicher glauben, Miß, daß Ihnen Mellefont +vielleicht noch mehr verschwiegen hat. + +Sara. Noch mehr? Was könnte er mir noch mehr verschwiegen haben? + +Marwood. Dieses, daß er die Marwood noch liebt. + +Sara. Sie töten mich, Lady! + +Marwood. Es ist unglaublich, daß sich eine Liebe, welche länger als +zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren könne. Sie kann zwar +eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine +kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder +hervorbricht. Ich könnte Ihnen eine Miß Oklaff, eine Miß Dorkas, eine +Miß Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood +einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende +auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt, +über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf +in das Gesicht bekömmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miß, Sie wären +die einzige Glückliche, bei welcher sich alle Umstände wider ihn +erklärten; gesetzt, Sie brächten ihn dahin, daß er seinen nunmehr zur +Natur gewordenen Abscheu gegen ein förmliches Joch überwinden müßte: +glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein? + +Sara. Ich Unglückliche! Was muß ich hören! + +Marwood. Nichts weniger. Alsdann würde er eben am allerersten in die +Arme derjenigen zurückeilen, die auf seine Freiheit so eifersüchtig +nicht gewesen. Sie würden seine Gemahlin heißen, und jene würde es +sein. + +Sara. Martern Sie mich nicht länger mit so schrecklichen +Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie +mir, was ich tun soll. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen es wissen, +durch was es etwa noch möglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen, +ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft +bleibet. + +Marwood. Daß man einen Vogel fangen kann, Miß, das weiß ich wohl. +Aber daß man ihm seinen Käfig angenehmer als das freie Feld machen +könne, das weiß ich nicht. Mein Rat wäre also, ihn lieber nicht zu +fangen und sich den Verdruß über die vergebne Mühe zu ersparen. +Begnügen Sie sich, Miß, an dem Vergnügen, ihn sehr nahe an Ihrer +Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen können, daß er die +Schlinge ganz gewiß zerreißen werde, wenn Sie ihn vollends +hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht +herein. + +Sara. Ich weiß nicht, ob ich dieses tändelnde Gleichnis recht +verstehe, Lady-- + +Marwood. Wenn Sie verdrießlich darüber geworden sind, so haben Sie es +verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der +Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit können +und sollen Miß Sampson bewegen, ihre Ansprüche auf einen Mann +aufzugeben, auf den Marwood die ersten und stärksten hat. Noch stehen +Sie, Miß, mit ihm so, daß Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre, +aber doch ohne öffentliche Schande von ihm ablassen können. Eine +kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch +ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles +vergessen, und es finden sich für eine reiche Erbin noch immer +Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen +Umständen wäre und sie brauchte weder für ihre im Abzuge begriffene +Reize einen Gemahl noch für ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiß +ich gewiß, Marwood würde gegen Miß Sampson großmütiger handeln, als +Miß Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten +macht. + +Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die +Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwürdig verrät man Sie, +Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir +allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer +Zunge zu fürchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn +Lady haben lange genug unanständig geredet. Wodurch hat Marwood sich +eine solche Vorsprecherin erwerben können, die alle ihre +Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr +aufzudrängen, und alle Ränke anwendet, mich gegen die Redlichkeit +eines Mannes argwöhnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein +Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, daß sich Marwood +einer Tochter von ihm rühme; ward mir nur deswegen diese und jene +betrogene Miß genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste +Art zu verstehen geben könne, ich würde wohl tun, wenn ich mich selbst +einer verhärteten Buhlerin nachsetzte? + +Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine +verhärtete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren +Kraft Sie nicht überleget haben. + +Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung +der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste +Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es +kann leicht in der Welt nicht wohl möglich sein, nur lauter +tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer +Freundschaft wegen so tief herabgestoßen zu werden? Wenn ich der +Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiß nicht +getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt. +Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn +Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit +auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und +demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es +wüßten, was für Reue, was für Gewissensbisse, was für Angst mich mein +Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich länger so +grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der +Himmel selbst hört auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die +Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke, +Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie +glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende +Bewegung--Ach! wo ich Sie erzürnt habe, Lady, so bitte ich um +Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin; was Sie gesagt haben, +war ohne Zweifel so böse nicht gemeint. Vergessen Sie meine +Übereilung. Wodurch kann ich Sie besänftigen? Wodurch kann auch ich +mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen +gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fußfällig darum +bitten--(indem sie niederfällt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo +ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich +und Marwood nicht in einen Rang zu setzen. + +Marwood (die einige Schritte stolz zurücktritt und die Sara liegen +läßt). Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu +reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte--Erkennen +Sie, Miß, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden +die Marwood selbst fußfällig bitten. + +Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht). +Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die +mördrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab. +Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont; +retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters, +erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?-- +Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit tötender Faust +auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.) + + + +Neunter Auftritt + + +Marwood. Was will die Schwärmerin?--O daß sie wahr red'te und ich mit +tötender Faust auf sie eindränge! Bis hieher hätte ich den Stahl +sparen sollen, ich Törichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in +der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Füßen durchbohren zu können!-- +Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein. +Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten, +aber nicht müßig. Vielleicht, daß ihn die glückliche List meines +Bedienten noch lange genug aufhält!--Ich sehe, ich werde gefürchtet. +Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das +letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige +Waffen: doch die Verzweiflung verschmäht keine, so armselig sie sind. +Ein schreckhaftes Mädchen, das betäubt und mit zerrütteten Sinnen +schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fürchterliche Worte für +fürchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr +wieder Mut machen und sie über meine Drohungen spotten lehren. Er +wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es wäre wenig in der Welt +unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen hätte. +Und bin ich auf den unglücklichsten nicht schon vorbereitet?--Der +Dolch war für andre, das Gift ist für mich!--Das Gift für mich! Schon +längst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe, +auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die +geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; für uns ein ebenso +gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt wäre, +in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen-- +Was halte ich mich mit Wünschen auf?--Fort! Ich muß weder mich noch +sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der +sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.) + +(Ende des vierten Aufzuges.) + + + + + +Fünfter Aufzug + + + +Erster Auftritt + +Das Zimmer der Sara. + + +Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty. + +Betty. Fühlen Sie nicht, Miß, daß Ihnen ein wenig besser wird? + +Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du +hast doch nach ihm ausgeschickt? + +Betty. Norton und der Wirt suchen ihn. + +Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will +durchaus nicht, daß er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll. +Wie er es selbst erzählte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig. +Nicht wahr, Betty, du hältst ihn auch für unschuldig--Sie kömmt ihm +nach; was kann er dafür? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden. +Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst +als ich?--Und endlich will die böse Marwood mich sehen oder nicht eher +nach London zurückkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen? +Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen. +Mellefont weiß wohl, daß wir neugierige Geschöpfe sind. Und wenn ich +nicht selbst darauf gedrungen hätte, daß sie bis zu seiner Zurückkunft +bei mir verziehen sollte, so würde er sie wieder mit weggenommen haben. +Ich würde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu +wissen, daß ich sie gesehen hätte. Und vielleicht würde mir dieser +kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist +mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die +kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weißt wohl, Betty, ich +bin dazu geneigt. + +Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miß noch nie gesehen. + +Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Mädchen +freilich zu schaffen gemacht haben. + +Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich +befanden, gerühret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, daß sie sich +nur fortbegeben möchte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher +verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich +Ihnen die Arzenei einflößen konnte. + +Sara. Ich muß es wohl gar für ein Glück halten, daß ich in Ohnmacht +gefallen bin. Denn wer weiß, was ich noch von ihr hätte hören müssen. +Umsonst mochte sie mir gewiß nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du +glaubst nicht, wie außer mir ich war. Auf einmal fiel mir der +schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine +Unsinnige, die nicht weiß, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont +kömmt noch nicht.--Ach! + +Betty. Was für ein Ach, Miß? Was für Zuckungen?-- + +Sara. Gott! was für eine Empfindung war dieses-- + +Betty. Was stößt Ihnen wieder zu? + +Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige +Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei. + + + +Zweiter Auftritt + +Norton. Sara. Betty. + + +Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein. + +Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden? + +Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo +ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der größten Wichtigkeit mit +ihm sprechen müsse. Nach langem Herumführen hat sich der Betrüger ihm +von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglück, wo er sich ertappen +läßt; so wütend ist Mellefont. + +Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen? + +Norton. Alles. + +Sara. Aber mit einer Art-- + +Norton. Ich habe auf die Art nicht denken können. Genug, er weiß es, +was für Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat. + +Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.-- + +Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur, +mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget. + + + +Dritter Auftritt + +Mellefont. Norton. Sara. Betty. + + +Mellefont. Ach, Miß, wenn auch diese Ihre Liebe nicht wäre-- + +Sara. So wäre ich von uns beiden gewiß die Unglücklichste. Ist Ihnen +in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdrießlichers zugestoßen als mir, so +bin ich vergnügt. + +Mellefont. So gütig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient. + +Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, daß ich Sie nicht +zärtlicher empfangen kann. Bloß Ihrer Zufriedenheit wegen wünschte +ich, mich weniger krank zu fühlen. + +Mellefont. Ha, Marwood, diese Verräterei war noch übrig! Der +Nichtswürdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer +Straße in die andre, aus einem Winkel in den andern führte, war gewiß +nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miß, +diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe +List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon +entfernt, sie dafür zu halten. Umsonst muß sie so treulos nicht +gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; laß sie nicht +aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme. + +Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte für Marwood. + +Mellefont. Geh! + +(Norton geht ab.) + + + +Vierter Auftritt + +Sara. Mellefont. Betty. + + +Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten +fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood +vieles nicht wissen-- + +Mellefont. Vieles? Was ist das Viele? + +Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont.--Sie werden +stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht +wollen, daß ich es wissen soll. + +Mellefont. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile +glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer +aufgebrachten Verleumderin. + +Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das +erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares +Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen +haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte-- + +Mellefont. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer +blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also +mußte mißlingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung +von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es +fürchten--Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was +Sie von ihr wollen erfahren haben. + +Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe +gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen +haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste +gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben +gehen lassen. + +Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf +ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen +müssen!--Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige +nicht entdecken-- + +Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein näherer Schritt +dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiß. +Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses +Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein würde als die +Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muß mir eine plötzliche +Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen +müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es +Ihnen sagen sollte.--Marwood erwähnte eines Pfandes, und der +schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen, +einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege +machen muß, als Sie gegen mich empfinden-- + +Mellefont. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande +bekannt?--Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie +schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde +hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche, +der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter. + +Sara. Sie lieben sie also doch?-- + +Mellefont. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte. + +Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe +willen! Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die +Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet +hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen, +sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß +eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des +Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen. +Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu +werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen Sie mich an +die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine +Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen +Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn +Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe, +meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden! +Glückliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch +vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß +in meiner Begierde noch Glück!--Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte +Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle +Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die +Hand vors Gesicht hält.) + +Mellefont. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken!-- +Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, großmütige +Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand +(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den +grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand +neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre +Schmerzen nicht mitfühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur +mitfühlen kann!--Daß ich sie nicht allein fühlen soll!--So eile doch, +Betty-- + +Betty. Wohin soll ich eilen?-- + +Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe! + +Sara. Bleib nur!--Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder +erschrecken, Mellefont. + +Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht bloße Folgen +einer Ohnmacht.-- + + + +Fünfter Auftritt + +Norton. Mellefont. Sara. Betty. + + +Mellefont. Du kömmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier +nötiger sein. + +Norton. Marwood ist fort-- + +Mellefont. Und meine Flüche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?-- +Unglück und Tod und, wo möglich, die ganze Hölle möge sich auf ihrem +Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und +unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer größtes zu +verschlingen!-- + +Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurückgekommen, hat sie sich mit +Arabellen und ihrem Mädchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit +verhängtem Zügel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von +ihr an Sie zurückgeblieben. + +Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn +lesen, Miß? + +Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont. + +Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood +gerächet und Sie, teuerste Miß, außer Gefahr weiß? + +Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hören. Die Rache ist nicht +unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu +gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper +weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer +werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatürlich scheint +mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur für +sich. + +Mellefont. Was ist es für ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu +sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muß ich ihn +lesen. + +Sara (indem Mellefont für sich lieset). Wie schlau weiß sich der +Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich +unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne, +was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich +besorge einen neuen Schreck und werde es nötig haben.--Siehst du, was +der unglückliche Zettel für einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!-- +Sie geraten außer sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty! +Reiche ihm das Salz!--Er hat es nötiger als ich. + +Mellefont (der die Betty damit zurückstößt). Nicht näher, +Unglückliche!--Deine Arzeneien sind Gift!-- + +Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie! + +Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch. + +Mellefont. Wünsche dir, Elende, daß du es nicht wärest!--Eile! +fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer +meiner Wut wirst! + +Sara. Was für Reden!--Mellefont, liebster Mellefont-- + +Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem göttlichen +Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Füßen, Sara--(Indem er sich +niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Füßen? (und wieder +aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen +entdecken, Miß, daß Sie mich hassen werden, daß Sie mich hassen müssen. +--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie +werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, müßig und +angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Ärzte zusammen! Suche Hilfe, +Betty! Laß die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein! +bleibt hier! Ich gehe selbst.-- + +Sara. Wohin, Mellefont? Nach was für Hilfe! Von welchem Irrtume +reden Sie? + +Mellefont. Göttliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind +verloren, liebste Miß! Auch ich bin verloren!--Daß die Welt mit uns +verloren wäre!-- + + + +Sechster Auftritt + +Sara, Norton. Betty. + + +Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest +du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Äußerste, +daß ich sterben müsse: bin ich darum verloren? Und was will er denn +mit dir, arme Betty?--Du ringst die Hände? Betrübe dich nicht; du +hast ihn gewiß nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Hätte +er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja +wohl denken, daß er das letzte Gift der Marwood enthalten müsse.-- + +Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich +glaube es nicht.-- + +Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres +Vaters, Miß-- + +Sara. Laß ihn hereinkommen, Norton! + + + +Siebenter Auftritt + +Waitwell. Sara. Betty. Norton. + + +Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell. +Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestürzt? Man +hat es dir gewiß gesagt, daß ich krank bin. + +Waitwell. Und noch mehr! + +Sara. Gefährlich krank?--Ich schließe es mehr aus der ungestümen +Angst des Mellefont, als daß ich es fühle.--Wenn du mit dem +unvollendeten Briefe der unglücklichen Sara an den unglücklichern +Vater abreisen müßtest, Waitwell?--Laß uns das Beste hoffen! Willst +du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute +Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo möchte ich es nicht imstande +sein. Diese Hand hängt wie tot an der betäubten Seite.--Wenn der +ganze Körper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein +alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht +weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde, +Annäherungen des Todes sind--so sind die Annäherungen des Todes so +bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle +unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich +konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muß er nicht sein--Aber, +Betty, warum hörst du noch nicht auf, dich so untröstlich zu bezeigen? + + +Betty. Erlauben Sie mir, Miß, erlauben Sie mir, daß ich mich aus +Ihren Augen entfernen darf. + +Sara. Geh nur; ich weiß wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um +Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton, +wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn +umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart. + +Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Händen +der Marwood!-- + + + +Achter Auftritt + +Waitwell. Sara. + + +Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben +willst, so laß mich kein so wehmütiges Gesicht sehen. Du verstummst?-- +Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater. +Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Tröstliches +sagtest. Wiederhole mir, daß mein Vater versöhnt ist und mir vergeben +hat. Wiederhole es mir, und füge hinzu, daß der ewige himmlische +Vater nicht grausamer sein könne.--Nicht wahr, ich kann hierauf +sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstände gekommen wäre, +wie würde es mit mir ausgesehen haben! Ich würde verzweifelt sein, +Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der +wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muß--Was für ein Gedanke! +Sag ihm, daß ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue, +Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! daß ich es ihm +nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist! +Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wünschte ich, den +schmachtenden Rest zu seinen Füßen aufgeben zu können! + +Waitwell. Wünschen Sie wirklich, Miß, ihn zu sehen? + +Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an +meinem letzten Verlangen zu zweifeln. + +Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche? +Eine plötzliche Freude ist so gefährlich als ein plötzlicher Schreck. +Ich fürchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein +unvermuteter Anblick auf einen so zärtlichen Geist machen möchte. + +Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?-- + +Waitwell. Der gewünschte, Miß!--Fassen Sie sich! + + + +Neunter Auftritt + +Sir William Sampson. Sara, Waitwell. + + +Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muß sie +sehen. + +Sara. Wessen Stimme-- + +Sir William. Ach, meine Tochter! + +Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, daß ich +mich zu seinen Füßen werfen kann. (Sie will aufstehen und fällt aus +Schwachheit in den Lehnstuhl zurück.) Er ist es doch? Oder ist es +eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel, +der den Starken zu stärken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein +Bote des Höchsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater! + + +Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem +sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal, +bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie +umfassen sehen. + +Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr +sein! Zu glücklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen +die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke, +lange Tage, ein nochmaliges Leben würde erfodert, alles zu sagen, was +eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten, +einem großmütigen, einem zärtlichen Vater sagen kann. Mein Fehler, +Ihre Vergebung-- + +Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir +aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben +erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, daß ich damit gezaudert +habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in +die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon +vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten? +Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich +sogleich deinen Umarmungen zugeeilet wäre. Ein heimlicher Unwille +mußte in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens +zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiß +sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater +so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben? +Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude +an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese +Freude?--Aber wer sagt es denn, daß ich sie verlieren soll? Du wirst +leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen +Gedanken. Mellefont macht die Gefahr größer, als sie ist. Er brachte +das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Ärzte aufzusuchen, die er +in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe +seine stürmische Angst, seine hoffnungslose Betrübnis, ohne von ihm +gesehen zu werden. Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet; +nun gönne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in +seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan hätte, tue ich +nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, daß es +Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat? +So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen können und mehr +nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpäßlichkeit, +da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich +sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwächer, ich seh es und +bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich +laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermögen? mein Leben? Sage +doch! + +Sara. Bester Vater, alle Hilfe würde vergebens sein. Auch die +unschätzbarste würde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben für mich +erkaufen wollten. + + + +Zehnter Auftritt + +Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell. + + +Mellefont. Ich wag' es, den Fuß wieder in dieses Zimmer zu setzen? +Lebt sie noch? + +Sara. Treten Sie näher, Mellefont. + +Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miß; ich +komme ohne Trost, ohne Hilfe zurück. Die Verzweiflung allein bringt +mich zurück--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Unglücklicher Vater! Sie +sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht +eher? Sie kommen zu spät, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!-- +sich gerächet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spät gekommen sein. + +Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke +nicht, daß wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen +es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie +sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben. + +Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre +Forderung.--Ich habe Ihnen, Miß, schon zu viel Unglück zugezogen, als +daß ich mich bedenken dürfte, Ihnen auch das letzte anzukündigen: Sie +müssen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben? + +Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, daß ich +es argwöhnen kann. + +Mellefont. Sie müssen es wissen; denn wer könnte mir dafür stehen, +daß Sie nicht falsch argwöhnten? Dies schreibst Marwood. (Er lieset.) +"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue +in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr +entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab +sich alle Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr, +daß sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den glücklichen +Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich +gerührt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es +ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu +einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen +Mörderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu rühmen wagen. Ich bin +auf dem Wege nach Dover: Sie können mich verfolgen und meine eigne +Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so +will ich Arabellen unverletzt zurücklassen. Bis dahin aber werde ich +sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miß. +Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie müssen die Mörderin zur +Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie +erstarrt er dasteht! + +Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit +meinen Augen überzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen +Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch haben? (Zerreißt es.) + +Mellefont. Was machen Sie, Miß! + +Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie +noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es +der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher +finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget?--Noch liebe ich Sie, +Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde +ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater, +daß Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch +eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafür +erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die +Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir +nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen? +Ich vermache diese väterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie +dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie +gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein +Vater!--Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wage? +--Tröste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem +trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter +verlierest?-- + +Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes +Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon +halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen +Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen? Laß mir einen +Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt. +Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines +frommen Sterbenden erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte +meines Lebens sei. + +Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele +lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen +vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen +Schranken--Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie fallen als +feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder +schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr, +Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke +ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches Händeringen. Das arme +Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch +ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit +entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater-- + +Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen. +(Indem er zu ihren Füßen fällt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie +zu berühren. Die gemeine Sage schreckt mich, daß der Körper eines +Erschlagenen durch die Berührung seines Mörders zu bluten anfange. +Und wer ist ihr Mörder? Bin ich es nicht mehr als Marwood? (Steht +auf.)--Nun ist sie tot, Sir; nun hört sie uns nicht mehr: nun +verfluchen Sie mich! Lassen Sie Ihren Schmerz in verdiente +Verwünschungen aus! Es müsse keine mein Haupt verfehlen, und die +gräßlichste derselben müsse gedoppelt erfüllt werden!--Was schweigen +Sie noch? Sie ist tot; sie ist gewiß tot! Nun bin ich wieder nichts +als Mellefont. Ich bin nicht mehr der Geliebte einer zärtlichen +Tochter, die Sie in ihm zu schonen Ursach' hätten.--Was ist das? Ich +will nicht, daß Sie einen barmherzigen Blick auf mich werfen sollen! +Das ist Ihre Tochter! Ich bin ihr Verführer! Denken Sie nach, Sir!-- +Wie soll ich Ihre Wut besser reizen? Diese blühende Schönheit, über +die Sie allein ein Recht hatten, ward wider Ihren Willen mein Raub! +Meinetwegen vergaß sich diese unerfahrne Tugend! Meinetwegen riß sie +sich aus den Armen eines geliebten Vaters! Meinetwegen mußte sie +sterben!--Sie machen mich mit Ihrer Langmut ungeduldig, Sir! Lassen +Sie mich es hören, daß Sie Vater sind. + +Sir William. Ich bin Vater, Mellefont, und bin es zu sehr, als daß +ich den letzten Willen meiner Tochter nicht verehren sollte.--Laß dich +umarmen, mein Sohn, den ich teurer nicht erkaufen konnte! + +Mellefont. Nicht so, Sir! Diese Heilige befahl mehr, als die +menschliche Natur vermag! Sie können mein Vater nicht sein.--Sehen +Sie, Sir (indem er den Dolch aus dem Busen zieht), dieses ist der +Dolch, den Marwood heute auf mich zuckte. Zu meinem Unglücke mußte +ich sie entwaffnen. Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer Eifersucht +gefallen wäre, so lebte Sara noch. Sie hätten Ihre Tochter noch und +hätten sie ohne Mellefont. Es stehet bei mir nicht, das Geschehene +ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen--das +steht bei mir! (Er ersticht sich und fällt an dem Stuhle der Sara +nieder.) + +Sir William. Halt ihn, Waitwell!--Was für ein neuer Streich auf mein +gebeugtes Haupt!--Oh! wenn das dritte hier erkältende Herz das meine +wäre! + +Mellefont (sterbend). Ich fühl es--daß ich nicht fehlgestoßen habe!-- +Wollen Sie mich nun Ihren Sohn nennen, Sir, und mir als diesem die +Hand drücken, so sterb ich zufrieden. (Sir William umarmt ihn.)--Sie +haben von einer Arabella gehört, für die die sterbende Sara Sie bat. +Ich würde auch für sie bitten--aber sie ist der Marwood Kind sowohl +als meines--Was für fremde Empfindungen ergreifen mich!--Gnade! o +Schöpfer, Gnade! + +Sir William. Wenn fremde Bitten itzt kräftig sind, Waitwell, so laßt +uns ihm diese Gnade erbitten helfen! Er stirbt! Ach, er war mehr +unglücklich als lasterhaft.-- + + + +Eilfter Auftritt + +Norton. Die Vorigen. + + +Norton. Ärzte, Sir.-- + +Sir William. Wenn sie Wunder tun können, so laß sie hereinkommen!-- +Laß mich nicht länger, Waitwell, bei diesem tötenden Anblicke +verweilen. Ein Grab soll beide umschließen. Komm, schleunige Anstalt +zu machen, und dann laß uns auf Arabellen denken. Sie sei, wer sie +sei: sie ist ein Vermächtnis meiner Tochter. + +(Sie gehen ab, und das Theater fällt zu.) + +(Ende des Trauerspiels.) + + +Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Miß Sara Sampson, von Gotthold +Ephraim Lessing. + + + + + +End of Project Gutenberg's Miss Sara Sampson, by Gotthold Ephraim Lessing + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MISS SARA SAMPSON *** + +This file should be named 8sara10.txt or 8sara10.zip +Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8sara11.txt +VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8sara10a.txt + +Produced by Delphine Letttau. The book content was graciously +contributed by the Gutenberg Projekt-DE + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. 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This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03 + +Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. If the value +per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 +million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text +files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ +We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 +If they reach just 1-2% of the world's population then the total +will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. + +The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! +This is ten thousand titles each to one hundred million readers, +which is only about 4% of the present number of computer users. + +Here is the briefest record of our progress (* means estimated): + +eBooks Year Month + + 1 1971 July + 10 1991 January + 100 1994 January + 1000 1997 August + 1500 1998 October + 2000 1999 December + 2500 2000 December + 3000 2001 November + 4000 2001 October/November + 6000 2002 December* + 9000 2003 November* +10000 2004 January* + + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created +to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium. + +We need your donations more than ever! + +As of February, 2002, contributions are being solicited from people +and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut, +Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois, +Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts, +Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New +Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio, +Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South +Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West +Virginia, Wisconsin, and Wyoming. + +We have filed in all 50 states now, but these are the only ones +that have responded. + +As the requirements for other states are met, additions to this list +will be made and fund raising will begin in the additional states. +Please feel free to ask to check the status of your state. + +In answer to various questions we have received on this: + +We are constantly working on finishing the paperwork to legally +request donations in all 50 states. If your state is not listed and +you would like to know if we have added it since the list you have, +just ask. + +While we cannot solicit donations from people in states where we are +not yet registered, we know of no prohibition against accepting +donations from donors in these states who approach us with an offer to +donate. + +International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about +how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made +deductible, and don't have the staff to handle it even if there are +ways. + +Donations by check or money order may be sent to: + +Project Gutenberg Literary Archive Foundation +PMB 113 +1739 University Ave. +Oxford, MS 38655-4109 + +Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment +method other than by check or money order. + +The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by +the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN +[Employee Identification Number] 64-622154. 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