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+The Project Gutenberg EBook of Die Goettliche Komoedie, by Dante Alighieri
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+Title: Die Goettliche Komoedie
+
+Author: Dante Alighieri
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+Release Date: May, 2005 [EBook #8085]
+[Yes, we are more than one year ahead of schedule]
+[This file was last updated March 17, 2004]
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+Edition: 10
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+Language: German
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+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GOETTLICHE KOMOEDIE ***
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+
+
+
+
+Die Göttliche Komödie
+
+Dante Alighieri
+
+
+Inhalt:
+
+Die Hölle
+Das Fegefeuer
+Das Paradies
+
+
+
+
+Die Hölle
+
+
+Erster Gesang
+
+Auf halbem Weg des Menschenlebens fand
+ich mich in einen finstern Wald verschlagen,
+Weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.
+Wie schwer ist’s doch, von diesem Wald zu sagen,
+Wie wild, rauh, dicht er war, voll Angst und Not;
+Schon der Gedank’ erneuert noch mein Zagen.
+Nur wenig bitterer ist selbst der Tod;
+Doch um vom Heil, das ich drin fand, zu künden,
+Sag’ ich, was sonst sich dort den Blicken bot.
+Nicht weiß ich, wie ich mich hineingewunden,
+So ganz war ich von tiefem Schlaf berückt,
+Zur Zeit, da mir der wahre Weg verschwunden.
+Doch bis zum Fuß des Hügels vorgerückt,
+Der an dem Ende lag von jenem Tale,
+Das mir mit schwerer Furcht das Herz gedrückt,
+Schaut’ ich empor und sah, den Rücken male
+Ihm der Planet, der uns auf jeder Bahn
+Gerad zum Ziele führt mit feinem Strahle.
+Da fingen Angst und Furcht zu Schwinden an,
+Die mir des Herzens Blut erstarren machten,
+In jener Nacht, da Grausen mich umfah’n.
+Und so wie atemlos, nach Angst und Schmachten,
+Schiffbrüchige vom Strand, entfloh’n der Flut,
+Starr rückwärts schauend, ihren Grimm betrachten;
+So kehrt’ ich, noch mit halberstorbnem Mut,
+Mich jetzt zurück, nach jenem Passe sehend,
+Der jeglichem verlöscht des Lebens Glut.
+Und, etwas ausgerastet, weitergehend,
+Wählt’ ich bergan den Weg der Wildnis mir,
+Fest immer auf dem tiefern Fuße stehend.
+Sieh, beim Beginn des steilen Weges schier,
+Bedeckt mit buntgeflecktem Fell die Glieder,
+Gewandt und sehr behend ein Panthertier.
+Nicht wich’s von meinem Angesichte wieder,
+Und also hemmt es meinen weitern Lauf,
+Daß ich mich öfters wandt’ ins Tal hernieder.
+Am Morgen war’s, die Sonne stieg itzt auf,
+Von jenen Sternen, so wie einst, umgeben,
+Als Gottes Lieb’ aus ödem Nichts herauf
+Die schöne Welt berief zu Sein und Leben;
+So ward mir Grund zu guter Hoffnung zwar
+Durch jenes Tieres heitres Fell gegeben
+Und durch die Frühstund’ und das junge Jahr
+Doch so nicht, daß in mir nicht Furcht sich regte,
+Als furchtbar mir ein Leu erschienen war.
+Es schien, daß er sich gegen mich bewegte,
+Mit hohem Haupt und mit des Hungers Wut,
+So daß er Schrecken, schien’s, der Luft erregte.
+Auch eine Wölfin, welche jede Glut
+Der Gier durch Magerkeit mir schien zu zeigen,
+Die schon auf viele schweren Jammer lud.
+Vor dieser mußte so mein Mut sich neigen
+Aus Furcht, die bei dem Anblick mich durchbebt,
+Daß mir die Hoffnung schwand, zur Höh’n zu steigen.
+Wie der, der eifrig zu gewinnen strebt,
+Wenn zum Verlieren nun die Zeit gekommen,
+In Kümmernis und tiefem Bangen lebt;
+So machte dieses Untier mich beklommen;
+Von ihm gedrängt, mußt’ ich mich rückwärts zieh’n
+Dorthin, wo nimmer noch der Tag entkommen.
+Als ich zur Tiefe niederstürzt’ im Flieh’n,
+Da war ein Wesen dorten zu erkennen,
+Das durch zu langes Schweigen heiser schien.
+Ich rief, sobald ich’s nur gewahren können
+In großer Wildnis: "O erbarme dich,
+Du, seist du Schatten, seist du Mensch zu nennen."
+Und jener sprach: "Nicht bin, doch Mensch war ich;
+Lombarden waren die, so mich erzeugten,
+Und beide priesen Mantuaner sich.
+Eh’, spät, die Römer sich dem Julius beugten,
+Sah ich das Licht, sah des Augustus Thron,
+Zur Zeit der Götter, jener Trugerzeugten.
+Ich war Poet und sang Anchises’ Sohn,
+Der Troja floh, besiegt durch Feindestücke,
+Als, einst so stolz, in Staub sank Ilion.
+Und du--du kehrst zu solchem Gram zurücke?
+Was bleibt die freud’ge Höhe nicht dein Ziel,
+Die Anfang ist und Grund zum vollen Glücke?"
+"So bist du," rief ich, "bist du der Virgil,
+Der Quell, dem reich der Rede Strom entflossen?"
+Ich sprach’s mit Scham, die meine Stirn befiel.
+"O Ehr’ und Licht der andern Kunstgenossen,
+Mir gelt’ itzt große Lieb’ und langer Fleiß,
+Die meinem Forschen dein Gedicht erschlossen.
+Mein Meister, Vorbild! dir gebührt der Preis,
+Den ich durch schönen Stil davongetragen,
+Denn dir entnahm ich, was ich kann und weiß.
+Sieh dieses Tier, o sieh’ mich’s rückwärts jagen,
+Berühmter Weiser, sei vor ihm mein Hort.
+Es macht mir zitternd Puls’ und Adern schlagen."
+"Du mußt auf einem andern Wege fort,"
+Sprach er zu mir, den ganz der Schmerz bezwungen,
+"Willst du entfliehn aus diesem wilden Ort,
+Denn dieses Tier, das dich mit Graun durchdrungen,
+Läßt keinen zieh’n auf seines Weges Spur,
+Hemmt jeden, bis es endlich ihn verschlungen.
+Es ist von böser, tückischer Natur
+Und nimmer fühlt’s die wilde Gier ermatten,
+Ja, jeder Fraß schärft seinen Hunger nur.
+Mit vielen Tieren wird sich’s noch begatten,
+Bis daß die edle Dogge kommt, die kühn
+Es würgt und hinstürzt in die ew’gen Schatten.
+Nicht wird nach Land und Erz ihr Hunger glüh’n,
+Doch wird sie nie an Lieb’ und Weisheit darben;
+Inmitten Feltr’ und Feltro wird sie blüh’n,
+Zu Welschlands Heil, des Ruhm und Glück verdarben,
+Obwohl vordem Camilla für dies Land,
+Eurialus, Turnus und Nisus starben.
+Nicht wird sie ruh’n, bis sie dies Tier verbannt;
+Sie wird es wieder in die Hölle senken,
+Von wo’s zuerst der Neid heraufgesandt.
+Du folg’ itzt mir zu deinem Heil--mein Denken
+Und Urteil ist’s--ich will dein Führer sein,
+Und dich durch ew’gen Ort von hinnen lenken.
+Dort wirst du hören der Verzweiflung Schrei’n,
+Wirst alte Geister schau’n, die brünstig flehen
+Um zweiten Tod in ihrer langen Pein.
+Wirst jene dann im Feu’r zufrieden sehen,
+Weil sie verhoffen, zu dem sel’gen Chor,
+Sei’s wann es immer sei, noch einzugehen.
+Und willst du auch zu diesem dann empor,
+Würd’ger als ich, wird eine Seel’ erscheinen,
+Die geht, schied ich, als Führerin dir vor.
+Denn jener, der dort oben herrscht, läßt keinen
+Eingehn, von mir geführt, in seine Stadt,
+Weil ich mich nicht verbunden mit den Seinen.
+Er herrscht im All, dort ist die Herrscherstatt,
+Sein Thron und seine Burg in jener Höhe.
+Heil dem, den er erwählt dort oben hat"
+"O Dichter," Sprach ich jetzt zu ihm, "ich flehe
+Bei jenem Gotte, den du nicht erkannt,
+Daß diesem Leid und schlimmerm ich entgehe,
+Bring’ an die Orte mich, die du genannt,
+So, daß ich Petri Tor erschauen möge
+Und jene, wie du sprachst, zur Qual verbannt."
+Da schritt er fort, ich folgte seinem Wege.
+
+
+Zweiter Gesang
+
+Der Tag verging, das Dunkel brach herein,
+Und Nacht entzog die Wesen auf der Erden
+All ihren Müh’n; da rüstet’ ich allein
+Mich zu dem harten Krieg und den Beschwerden
+Des Wegs und Mitleids, und jetzt soll ihr Bild
+Gemalt aus sicherer Erinn’rung werden.
+O Mus’, o hoher Geist, jetzt helft mir mild!
+Erinn’rung, die du schriebst, was ich gesehen,
+Hier wird sich’s zeigen, ob dein Adel gilt!
+"Jetzt, Dichter," fing ich an, "bevor wir gehen,
+Erwäge meine Kraft und Tüchtigkeit,
+Kann sie die große Reise wohl bestehen?
+Du sagst, daß Silvius’ Vater in der Zeit,
+im Körper noch und noch ein sterblich Wesen,
+Sei eingedrungen zur Unsterblichkeit.
+Doch da der ew’ge Gegner alles Bösen
+in seinen Empire’n zum Stifter ihn
+Der Mutter Roma und des Reichs erlesen,
+Kann jeder, dem Vernunft ihr Licht verlieh’n,
+Beim hocherhabnen Zweck es wohl ergründen,
+Daß er nicht unwert solcher Huld erschien.
+Denn Rom und Reich, um Wahres zu verkünden,
+Gestiftet wurden sie, die heil’ge Stadt
+Zum Sitz für Petri Folger zu begründen.
+Durch diesen Gang, den du ihm nachrühmst, hat
+Er Kunde des, wodurch er siegt’, empfangen
+Und Grund gelegt zur heil’gen Herrscherstatt.
+Ist das erwählte Rüstzeug hingegangen,
+So stärkt’ es in dem Glauben dann die Welt,
+In dem der Weg des Heiles angefangen.
+Doch ich? Warum? Wer hat mir’s freigestellt?
+Äneas nicht noch Paul, ich, dessen Schwäche
+Nicht ich, noch jemand dessen würdig hält,
+Wenn ich dorthin zu kommen mich erfreche,
+So fürcht’ ich, daß mein Kommen töricht sei.
+Du, Weiser, weißt es besser, als ich spreche."
+Und wie wer will und nicht will, mancherlei
+Erwägt und prüft und fühlt im bangen Schwanken,
+Mit dem, was er begonnen, sei’s vorbei;
+So ich--das, was ich leicht und ohne Wanken
+Begonnen hatte, gab ich wieder auf,
+Entmutigt von den wechselnden Gedanken.
+"Verstand ich dich," so sprach der Schatten drauf,
+"So fühlst du Angst und Schrecken sich erneuen,
+Und Feigheit nur hemmt deinen weitern Lauf.
+Das Beste macht sie oft den Mann bereuen,
+Daß er zurückespringt von hoher Tat,
+Gleich Rossen, die vor Truggebilden scheuen.
+Doch hindre sie dich nicht am weitern Pfad,
+Drum höre jetzt, was ich zuerst vernommen,
+Da mir’s um dich im Herzen wehe tat.
+Mich, nicht in Höll’ und Himmel aufgenommen,
+Rief eine Frau, so selig und so schön,
+Daß ihr Geheiß mir wert war und willkommen.
+Mit Augen, gleich dem Licht an Himmelshöhn
+Begann sie gegen mich gelind und Ieise,
+Und jeder Laut war englisches Getön:
+O Geist, geboren einst zu Mantuas Preise,
+Des Ruhm gedauert hat und dauern wird,
+Solang die Sterne zieh’n in ihrem Kreise,
+Mein Freund, doch nicht der Freund des Glückes, irrt
+In Wildnis dort, weil Wahn im Weg’ ihn störte,
+So daß er sich gewandt, von Furcht verwirrt.
+Schon irrte, fürcht’ ich, also der Betörte,
+Daß ich zu spät zum Schutz mich aufgerafft,
+Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte.
+Du geh; es sei durch deiner Rede Kraft,
+Durch das, was sonst ihm Not, sein Leid geendet,
+So sei ihm Hilf und Ruhe mir verschafft.
+Beatrix; bin ich, die ich dich gesendet;
+Mich trieb die Lieb’ und spricht aus meinem Wort.
+Vom Ort komm’ ich, wohin mein Wunsch sich wendet.
+Und steh’ ich erst vor meinem König dort,
+So werd ich oft dich loben und ihm preisen--
+Sie sprach’s und schwieg, und ich begann sofort:
+O Weib voll Kraft, du Lehrerin der Weisen,
+Durch das die Menschheit alles überragt,
+Was lebt in jenes Himmels kleinern Kreisen!
+Spät dächt’ ich, wie mir dein Befehl behagt,
+Zu tun, tat’ ich sogleich, was du gebietest.
+Wohl deutlich haft du deinen Wunsch gesagt,
+Doch sage mir, warum du dich nicht hütest
+Herabzugeh’n zum Mittelpunkt vom Licht,
+Wohin du schon zurückzukehren glühtest.
+Willst du es denn so tief ergründen, spricht
+Die Hohe darauf, so will ich’s kürzlich sagen.
+Ich fürchte mich vor diesem Dunkel nicht.
+Vor solchem Übel ziemt sich wohl zu zagen,
+Das mächtig ist und leicht uns Schaden tut,
+Vor solchem nicht, bei welchem nichts zu wagen.
+Gott schuf mich so, daß ich in seiner Hut
+Frei von den Nöten bin, die euch durchschauern,
+Und nicht ergreift mich dieses Brandes Glut.
+Ein edles Weib im Himmel sieht mit Trauern
+Das Hindernis, zu dem ich dich gesandt,
+Drum kann der harte Spruch nicht länger dauern.
+Sie flehte, zu Lucien hingewandt:
+Dein Treuer braucht dich jetzt im harten Streite,
+Darum empfehl’ ich ihn in deine Hand.
+Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte,
+Bewegte sich zum Orte, wo ich war,
+In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.
+Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!
+Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe
+Für dich entrann aus der gemeinen Schar,
+Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe,
+Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,
+Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?
+Nicht eilt so schnell auf Erden einer fort,
+Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid betören,
+Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,
+Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören,
+Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht,
+Die Ruhm dir bringt und allen, die sie hören--
+Als nun Beatrix solches vorgebracht,
+Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren,
+Und dies hat mich nur schneller hergebracht.
+So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren,
+Das Untier von dir scheuchend, dem’s gelang,
+Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.
+Was also ist dir? Warum weilst du bang?
+Was herbergst du die Feigheit im Gemüte?
+Was weicht dein Mut, dein kühner Tatendrang,
+Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte
+Für dich bemüh’n und dir mein Mund verspricht,
+Daß ihre treue Sorge dich behüte?"
+Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht,
+Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen,
+Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht;
+So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen,
+In meinem Herzen sich zu gutem Mut,
+Und ich begann, frohsinnig und entschlossen:
+"O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!
+Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen
+Der Herrlichen so schnell Genüge tut l
+Schon fühl’ ich mich zu heißer Sehnsucht stählen
+Von deinem Wort, schon fühl’ ich, nicht mehr bang,
+Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.
+Drum auf, in beiden ist ein gleicher Drang,
+Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!"
+Ich sprach’s zu ihm, und, folgend seinem Gang,
+Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.
+
+
+Dritter Gesang
+
+Durch mich geht’s ein zur Stadt der Qualerkornen,
+Durch mich geht’s ein zum ew’gen Weheschlund,
+Durch mich geht’s ein zum Volke der Verlornen.
+Das Recht war meines hohen Schöpfers Grund;
+Die Allmacht wollt’ in mir sich offenbaren;
+Allweisheit ward und erste Liebe kund.
+Die schon vor mir erschaffnen Dinge waren
+Nur ewige; und ewig daur’ auch ich.
+Laßt, die ihr eingeht jede Hoffnung fahren.
+Die Inschrift zeigt’ in dunkler Farbe sich
+Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte,
+Drum ich: Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.
+Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:
+"Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,
+Und jede Feigheit sterb’ an diesem Orte.
+Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt,
+Hier wirst du jene Jammervollen schauen,
+Für die das Heil des wahren Lichtes schwand."
+Er faßte meine Hand, daher Vertrauen
+Durch sein Gesicht voll Mut auch ich gewann.
+Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.
+Dort hob Geächz, Geschrei und Klagen an,
+Laut durch die sternenlose Luft ertönend,
+So daß ich selber weinte, da’s begann.
+Verschiedne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend,
+Handschläge, Klänge heiseren Geschreis,
+Die Wut, aufkreischend, und der Schmerz, erstöhnend--
+Dies alles wogte tosend stets, als sei’s
+Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen
+Es keiner Nacht bedarf, im ew’gen Kreis.
+Und, ich vom Wahn umstrickt und bang im Herzen,
+Sprach: Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?
+Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?
+Und er: "Der Klang, der durch die Lüfte bebt,
+Kommt von den Jammerseelen jener Wesen,
+Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.
+Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen
+Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß,
+Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.
+Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,
+Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde,
+Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus."
+Ich drauf: Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?
+Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?
+Und er: "Vernimm, was ich dir kurz verkünde.
+Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt.
+Im blinden Leben, trüb und immer trüber,
+Scheint ihrem Neid jed’ andres Los beglückt.
+Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,
+Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.
+Doch still von ihnen--Schau’ und geh vorüber."
+Ich schaute hin und sah im Kreis geweht,
+Ein Fähnlein zieh’n, so eilig umgeschwungen,
+Daß sich’s zum Ruh’n, so schien mir’s, nie versteht.
+In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,
+So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,
+Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.
+Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt,
+Auch jenes Schatten, der aus Angst und Zagen
+Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.
+Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen,
+Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar,
+Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.
+Dies Jammervolk, das niemals lebend war,
+War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen,
+Und ward gestachelt viel und immerdar.
+Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen
+In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund,
+Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.
+Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund,
+Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade
+Und sprach: "Jetzt tu, ich bitte, Herr, mir kund,
+Von welcher Art sind die, die so gerade,
+Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn,
+So eilig weiterzieh’n auf ihrem Pfade?"
+Und er darauf: "Dir wird genug gescheh’n
+Am Acheron--dort wird sich alles zeigen,
+Wenn wir am traur’gen Ufer stillestehn."
+Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen,
+Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei,
+Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.
+Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei,
+Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.
+"Weh euch, Verworfne!" tönte sein Geschrei.
+"Nicht hofft, den Himmel jemals zu gewahren.
+Ich komm’, euch jenseits hin an das Gestad’
+In ew’ge Nacht, in Hitz’ und Frost zu fahren.
+Und du, lebend’ge Seele, die genaht,
+Mußt dich von diesen, die gestorben, trennen!"--
+Dann, da er sah, daß ich nicht rückwärts trat:
+"Hier kann ich dir den Übergang nicht gönnen,
+Für dich geziemen andre Wege sich,
+Ein leichtrer Kahn nur wird dich tragen können."
+Virgil drauf: "Charon, nicht erbose dich.
+Dort, wo der Wille Macht ist, ward’s verhangen;
+Dies sei genug, nicht weiter frage mich."
+Hierauf ließ ruhen die bewollten Wangen
+Des fahlen Sumpfs erzürnter Steuermann,
+Des Augen Flammenräder rings umschlangen.
+Da hob grau’nvolles Zähneklappen an,
+Und es entfärbten sich die Tiefgebeugten,
+Seit Charon jenen grausen Spruch begann.
+Sie fluchten Gott und denen, die sie zeugten,
+Dem menschlichen Geschlecht, dem Vaterland,
+Dem ersten Licht, den Brüsten, die sie säugten.
+Dann drängten sie zusammen sich am Strand,
+Dem Schrecklichen, zu welchem alle kommen,
+Die Gott nicht scheu’n, und laut Geheul entstand.
+Charon, mit Augen, die wie Kohlen glommen,
+Winkt’ ihnen und schlug mit dem Ruder los,
+Wenn einer sich zum Warten Zeit genommen.
+Gleich wie im Herbste bei des Nordwinds Stoß
+Ein Blatt zum ändern fällt, bis daß sie alle
+Der Baum erstattet hat dem Erdenschoß;
+So stürzen, hergewinkt, in jähem Falle
+Sich Adams schlechte Sprossen in den Kahn,
+Wie angelockte Vögel in die Falle.
+Durch schwarze Fluten geht des Nachens Bahn,
+Und eh’ sie noch das Ufer dort erreichen,
+Drängt hier schon eine neue Schar heran.
+"Mein Sohn," sprach mild der Meister, "die erbleichen
+In Gottes Zorne, werden alle hier
+Am Strand vereint aus allen Erdenreichen.
+Man scheint zur Überfahrt sehr eilig dir,
+Doch die Gerechtigkeit treibt diese Leute
+Und wandelt ihre bange Furcht in Gier.
+Kein guter Geist macht diese Fahrt; und dräute
+Dir Charon, weil du hier dich eingestellt,
+So kannst du wissen, was sein Wort bedeute"--
+Hier wankte so mit Macht das dunkle Feld,
+Daß mich noch jetzt Schweißtropfen übertauen,
+Sooft dies Schreckensbild mich überfällt.
+Ein Windstoß fuhr aus den betränten Auen,
+Und blitzt’ ein rotes Licht, das jeden Sinn
+Bewältigte mit ungeheurem Grauen,
+Und, wie vom Schlaf befallen, stürzt’ ich hin--
+
+
+Vierter Gesang
+
+Mir brach den Schlaf im Haupt ein Donnerkrachen,
+So schwer, daß ich zusammenfuhr dabei,
+Wie einer, den Gewalt zwingt, zu erwachen.
+Ich warf umher das Auge wach und frei,
+Emporgerichtet spähend, daß ich sähe
+Und unterschied’, an welchem Ort ich sei.
+So fand ich mich am Talrand, in der Nähe
+Des qualenvollen Abgrunds, dessen Kluft
+Zum Donnerhall vereint unendlich Wehe.
+Tief war er, dunkel, nebelhaft die Luft,
+Drum wollte nichts sich klar dem Blicke zeigen,
+Den ich geheftet an den Grund der Gruft.
+"Laß uns zur blinden Welt hinunter steigen,
+Ich bin der Erste, du der Zweite dann."
+So sprach Virgil, um drauf erblaßt zu schweigen.
+Ich, sehend, wie die Bläss’ ihn überrann,
+Sprach: Scheust du selber dich, wie kann ich’s wagen
+Der Trost im Zweifel nur durch dich gewann?
+Und er zu mir: "Des tiefen Abgrunds Plagen
+Entfärben mir durch Mitleid das Gesicht,
+Und nicht, so wie du meinst, durch feiges Zagen.
+Fort, zaudern läßt des Weges Läng’ uns nicht."
+So ging er fort und rief zum ersten Kreise
+Mich auch hinein, der jene Kluft umflicht.
+Mir schien, nach meinem Ohr, des Klanges Weise,
+Der durch die Luft hier bebt’ im ew’gen Tal,
+Nicht Klaggeschrei, nur Seufzer dumpf und leise.
+Und dieses kam vom Leiden ohne Qual
+Der Kinder, Männer und der Frau’n, in Scharen,
+Die viele waren und von großer Zahl-
+Da sprach der Meister: "Willst du nicht erfahren,
+Zu welchen Geistern du gekommen bist?
+Bevor wir fortgehn, will ich offenbaren,
+Daß sie nicht sündigten; doch g’nügend mißt
+Nicht ihr Verdienst, da sie der Tauf entbehrten,
+Die Pfort’ und Eingang deines Glaubens ist.
+Und lebten sie vor Christo auch, so ehrten
+Sie doch den Höchsten nicht, wie sich’s gebührt;
+Und diese Geister nenn’ ich selbst Gefährten.
+Nur dies, nichts andres hat uns hergeführt.
+Daß wir in Sehnsucht ohne Hoffnung leben,
+Ward uns Verlornen nur als Straf erkürt."
+Groß war mein Schmerz, als er dies kundgegeben,
+Denn Leute großen Wertes zeigten sich,
+Die unentschieden hier im Vorhof schweben.
+Und ich begann: Mein Herr und Meister, sprich
+(Ich wollte mich in jenem Glauben stärken,
+Vor dessen Licht des Irrtums Nacht entwich),
+Kam keiner je durch Kraft von eignen Werken,
+Durch fremd Verdienst von hier zur Seligkeit?--
+Er schien des Worts versteckten Sinn zu merken
+Und sprach: "Ich war noch neu in diesem Leid,
+Da ist ein Mächtiger hereingedrungen.
+Bekrönt mit Siegesglanz und Herrlichkeit.
+Der hat des Urahns Geist der Höll" entrungen,
+Auch Abels, Noahs; und auch Moses hat,
+Der Gott gehorcht, mit ihm sich aufgeschwungen.
+Abram und David folgten seinem Pfad,
+Jakob, sein Vater, seine Söhne schieden,
+Und Rahel auch, für die so viel er tat.
+Sie und viel andre führt’ er ein zum Frieden,
+Und wissen sollst du nun: Vor diesen war
+Erlösung keinem Menschengeist beschieden."
+Obwohl er sprach, ging’s vorwärts immerdar,
+So daß wir unterdes den Wald durchdrangen,
+Den Wald, mein’ ich, der dichten Geisterschar.
+Nicht weit von oben waren wir gegangen,
+Als ich ein Feu’r in lichten Flammen sah,
+Die rings im halben Kreis die Nacht bezwangen.
+Zwar waren wir dem Ort nicht völlig nah,
+Doch einen Kreis von ehrenhaften Leuten,
+Die diesen Platz besetzt, erkannt’ ich da.
+"Du, des sich Wissenschaft und Kunst erfreuten,
+Beliebe, wer sie sind, und was sie ehrt
+Und von den andern trennt, mir auszudeuten."
+Ich sprach’s, und er: "Für hochgepriesnen Wert,
+Der oben widerklingt in deinem Leben,
+Ward ihnen hier vom Himmel Huld gewährt."
+Da hört’ ich eine Stimme sich erheben:
+Der hohe Dichter, auf jetzt zum Empfang!
+Sein Schatten kehrt, der jüngst sich fortbegeben.
+Sobald die Stimme, die dies sprach, verklang,
+Sah ich heran vier große Geister schreiten,
+Im Angesicht nicht fröhlich und nicht bang.
+Da sprach der gute Meister mir zur Seiten:
+"Sieh diesen, in der Hand das Schwert, voran
+Den andern gehn, um sie als Fürst zu leiten.
+Du siehst Homer, den Dichterkönig, nah’n;
+Ihm folgt Horaz, berühmt durch Spott dort oben
+Ovid der Dritt’, als letzter kommt Lukan.
+Im Namen, den die eine Stimm’ erhoben,
+Kommt mit mir selber jeder überein,
+Drum ehren sie mich, und dies ist zu loben."
+So war die schöne Schul’ hier im Verein
+Des hohen Herrn der höchsten Sangesweise,
+Der ob den andern fliegt, ein Aar, allein.
+Ein Weilchen sprachen sie im trauten Greise,
+Doch als sie grüßend sich zu mir gekehrt,
+Da lächelte Virgtl zu solchem Preise.
+Allein noch höher ward ich dort geehrt,
+Indem sie mich in ihrer Schar empfingen
+Als Sechsten unter solchem Geist und Wert,
+Wobei wir hin bis zu dem Lichte gingen,
+Sprechend, wovon ich schicklich schweigen muß,
+Wie man dort schicklich sprach von solchen Dingen.
+Bald kamen wir an eines Schlosses Fuß,
+Von siebenfacher hoher Mau’r umfangen,
+Und rings beschützt von einem schönen Fluß.
+Als wir mit trocknem Fuße durchgegangen,
+Ging’s weiter dann durch sieben Tore fort,
+Und eine Wiese sah ich grünend prangen.
+Wir fanden Leute strengen Blickes dort,
+Mit großer Würd’ in Ansehn, Gang und Mienen
+Und wenig sprechend, doch mit sanftem Wort.
+Und wir ersah’n dort seitwärts nah bei ihnen
+Frei eine Höh’ hellem Lichte glüh’n,
+Vor welcher alle klar vor uns erschienen.
+Dort gegenüber auf dem samtnen Grün
+Sah ich die Großen, ewig Denkenswerten,
+Die heut mir noch in solzer Seele blüh’n.
+Elektren sah ich dort mit viel Gefährten,
+Äneas, Hektorn hatt’ ich bald erkannt,
+Cäsarn, den mit dem Adlerblick bewehrten.
+Penthesilea war auf grünem Land;
+Zur andern Seite sah ich auch Latinen,
+Der bei Lavinien, seiner Tochter, stand.
+Ich sah den Brutus, der verjagt Tarquinen,
+Lucrezien, Julien, Marzien, und, allein
+Beiseite sitzend, sah ich Saladinen.
+Dann, höher blickend, sah im hellen Schein
+Ich auch den Meister derer, welche wissen,
+Der von den Seinen schien umringt zu sein,
+Sie all ihn hochzuehren sehr beflissen;
+Den Plato ihm zunächst und Sokrates,
+Die dort den Sitz vor andern an sich rissen.
+Den Anaxagoras, Diogenes,
+Den Demokrit, des Welt der Zufall machte,
+Den Zeno, Heraklit, Empedokles.
+Ihn, der ans Licht der Pflanzen Kräfte brachte,
+Den Dioskorides, den Orpheus dann,
+Den Seneka, der Schmerz und Luft verlachte.
+Auch Ptolemäus kam, Euklid heran,
+So auch Averroes, der, seinen Weisen
+Erklärend, selbst der Weisheit Ruhm gewann.
+Doch nicht vermag ich jeden hier zu greifen,
+Denn also drängt des Stoffes Größe mich,
+Daß ihren Dienst mir kaum die Wort’ erweisen.
+Hier teilten nun die sechs Gefährten sich.
+Mich führt’ auf anderm Weg mein weiser Leiter
+Dahin, wo Stille lautem Tosen wich,
+Und dorthin, wo nichts leuchtet, schritt ich weiter.
+
+
+Fünfter Gesang
+
+So ging’s hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
+Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt,
+Das antreibt, Klag’ und Winseln zu verbreiten.
+Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn’ und bringt
+Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verfehle,
+Urteilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.
+Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele
+Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
+Und jener Kenner aller Menschenfehle,
+Sieht, welcher Ort des Abgrunds für die paßt,
+Und schickt sie soviel Grad’ hinab zur Hölle,
+Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.
+Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle,
+Und nach und nach kommt jeder zum Gericht,
+Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.
+"Du, der in diese Qualbehausung bricht,"
+So rief mir Minos, als er mich ersehen,
+Und ließ indes die Übung großer Pflicht;
+"Schau’, wem du traust! Leicht ist’s hineinzugehen,
+Doch täusche nicht dich ein verwegner Drang."
+Mein Führer drauf: "Laß dir den Groll vergehen!
+Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,
+Dort will man’s, wo das Können gleicht dem Wollen.
+Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang."
+Bald hört’ ich nun, wie Jammertön’ erschollen,
+Denn ich gelangte nieder zu dem Haus,
+Zur Klag’ und dem Geheul der Unglückvollen.
+Jedwedes Licht verstummt’ im dunkeln Graus,
+Das brüllte, wie wenn sich der Sturm erhoben,
+Beim Kampf der Winde lautes Meergebraus.
+Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
+Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort
+Und dreht sie um nach unten und nach oben.
+Ihr Jammerschrei, Geheul und Klagewort,
+Nah’n sie den trümmervollen Felsenklüften,
+Verlästern fluchend Gottes Tugend dort.
+Daß Fleischessünder dies erdulden müßten,
+Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
+Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
+So wie zur Winterszeit mit irrem Flug
+Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staren,
+So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
+Hierhin und dort, hinauf’, hinunterfahren,
+Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
+Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
+Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht
+In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
+So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit
+Die Schatten hergeweht mit bangem Ächzen.
+"Wer sind die, Meister, welche her und hin
+Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?"
+So ich--und er: "Des Zuges Führerin,
+Von welchem du gewünscht, Bericht zu hören,
+War vieler Zungen große Kaiserin.
+Sie ließ von Wollust also sich betören,
+Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.
+Um nur der tiefen Schmach sich zu erwehren.
+Sie ist Semiramis, wie allbekannt,
+Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
+Einst herrschend in des Sultans Stadt und Land.
+Dann Sie, die, ungetreu Sichäus’ Schatten,
+Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod"
+Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten."
+Auch Helena, die Ursach’ großer Not,
+Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
+Der allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.
+Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
+Und tausend andre zeigt’ und nannt’ er dann,
+Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.
+Lang hört’ ich den Bericht des Lehrers an,
+Von diesen Rittern und den Frau’n der Alten,
+Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:
+Mit diesen Zwei’n, die sich zusammenhalten,
+Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind,
+Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.
+Und er darauf: "Gib Achtung, wenn der Wind
+Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
+Die beide führt, da kommen sie geschwind."
+Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
+Als ich begann: Gequälte Geister, weilt,
+Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.
+Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte teilt,
+Wenn’s mit weitausgespreizten steten Schwingen
+Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;
+So sah ich sie dem Schwarme sich entringen,
+Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
+Und durch den Sturm sich zu uns niederschwingen.
+"Du, der du uns besuchst voll Gut’ und Huld
+In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
+Vordem mit Blut getüncht durch unsre Schuld,
+Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir werde,
+War’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
+Denn dich erbarmt der seltsamen Beschwerde.
+Wie ihr zu Red’ und Hören Lust bezeigt,
+So reden wir, so leih’n wir euch die Ohren,
+Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
+Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,
+Wo Seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
+Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
+Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,
+Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
+Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
+Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
+Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
+Daß, wie du stehst, kein Leid ihn unterdrückte.
+Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt--
+Kaina harret des, der uns erschlagen."
+Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.
+Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen,
+Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
+Was denkst du? hört’ ich drauf den Dichter fragen.
+Weh, sprach ich, welche Glut, die sie durchzückt,
+Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
+Hat sie in dieses Qualenland entrückt?
+Drauf säumt’ ich nicht, zu jener mich zu kehren.
+"Franziska," So begann ich nun, "dein Leid
+Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
+Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,
+Wodurch und wie verriet die Lieb’ euch beiden
+Den zweifelhaften Wunsch der Zärtlichkeit."
+Und sie zu mir: Wer fühlt wohl größres Leiden
+Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
+Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.
+Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,
+Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
+So will ich tun, wie wer da spricht und weint.
+Wir lasen einst, weil’s beiden Kurzweil machte,
+Von Lanzelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
+Wir waren einsam, ferne von Verdachte.
+Das Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,
+Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
+Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang,
+Als das ersehnte Lächeln küssen lassen,
+Der, so dies schrieb, vom Buhlen schön und hehr.
+Da naht’ er, der mich nimmer wird verlassen,
+da küßte zitternd meinen Mund auch er--
+Galeotto war das Buch, und der’s verfaßte--
+An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
+Der eine Schatten sprach’s, der andre faßte
+Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
+Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
+Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
+
+
+Sechster Gesang
+
+Bei Rückkehr der Erinn’rung, die sich schloß
+Vor Mitleid um die zwei, das so mich quälte,
+Daß das Bewußtsein mir vor Schmerz zerfloß,
+Erblickt’ ich neue Qualen und Gequälte
+Rings um mich her, ob den, ob jenen Pfad
+Zum Geh’n und Schau’n sich Fuß und Auge wählte.
+Es war der dritte Kreis, den ich betrat,
+Von ew’gem, kaltem, maledeitem Regen
+Von gleicher Art und Regel früh und spat.
+Schnee, dichter Hagel, dunkle Fluten pflegen
+Die Nacht dort zu durchzieh’n in wildem Guß;
+Stank qualmt die Erde, die’s empfängt, entgegen.
+Ein Untier, wild und seltsam, Zerberus,
+Bellt, wie ein böser Hund, aus dreien Kehlen
+Jedweden an, der dort hinunter muß.
+Schwarz, feucht der Bart, die Augen rote Höhlen
+Mit weitem Bauch, die Hände scharf beklaut,
+Vierteilt, zerkratzt und schindet er die Seelen.
+Sie heulen, wie die Hund’, im Regen laut,
+Und sie verschaffen sich durch öftres Drehen
+Auf einer Seite mind’stens trockne Haut.
+Der große Höllenwurm, der uns ersehen,
+Riß auf die Rachen, zeigt uns ihr Gebiß
+Und ließ kein Glied am Leibe stillestehen.
+Virgil streckt aus die offnen Händ’ und riß
+Erd’ aus dem Grund, die in die gier’gen Rachen
+Er alsogleich mit vollen Fäusten schmiß.
+Wie’s pflegt ein keifig böser Hund zu machen,
+Des Bellen schweigt, wenn er den Fraß erbeißt,
+Der wilden Grimm vermocht’, ihm anzufachen;
+So jetzt mit schmutz’gen Schlünden jener Geist,
+Der so durchdröhnt die armen Leidensmatten,
+Daß jeder hochbeglückt die Taubheit preist.
+Wir gingen über die gequälten Schatten,
+Indem wir auf ihr Nichts, das Körper schien,
+Im tiefen Schlamm gestellt die Sohlen hatten.
+Sie lagen allesamt am Boden hin,
+Nur einen sahn wir sich zum Sitzen heben,
+Wie er uns dort erblickt im Weiterziehn.
+Er sprach: "Der du zur Hölle dich begeben,
+Erkenne mich, dafern dir’s möglich ist;
+Du Iebtest, eh’ ich aufgehört zu leben."
+Und ich zu ihm: "Die Angst, in der du bist,
+Zieht dich vielleicht aus meinem Angedenken;
+Mir scheint, ich sähe dich zu keiner Frist.
+Wer bist du? Sprich, was konnte dich versenken
+In eine Qual, die, gibt’s auch größre Pein,
+Nicht widriger kann sein, noch ärger kränken."
+"In eurer Stadt," so sprach er, "die allein
+Der Neid erfüllt, und bis zum Überfließen,
+Genoß ich einst des Tages heitern Schein.
+Ich bin’s, den Ciacco eure Bürger hießen,
+Zur Qual für schnöde Schuld des Gaumens muß,
+Du siehst’s, auf mich sich ew’ger Regen gießen.
+Und mich allein nicht züchtigt dieser Guß,
+Nein, alle diese leiden gleiche Plagen
+Für gleiche Schuld."--So seiner Rede Schluß.
+Und ich: "Mich haben, Ciacco, deine Klagen
+Zum Mitleid und zu Tränen fast gerührt.
+Allein, wenn du es weißt, so magst du sagen,
+Wohin noch unsrer Stadt Parteiung führt?
+Ob wer gerecht ist? Was in diesen Zeiten
+In ihr die Glut der wilden Zwietracht schürt?"
+Und er darauf zu mir: "Nach langem Streiten
+Kommt’s dort zu Blut, dann treibt die Waldpartei
+Die andre fort mit vielen Grausamkeiten.
+Doch in drei Sonnen ist’s mit ihr vorbei,
+Neu günstig sind der andern die Gestirne,
+Durch eines Mannes Macht und Heuchelei.
+Hoch hebt sie dann auf lange Zeit die Stirne
+Und hält den Feind mit großer Last beschwert,
+Wie er auch sich beklag’ und sich erzürne.
+Zwei find gerecht dort, aber nicht gehört.
+Neid, Geiz und Hochmut--diese drei sind Gluten,
+In welchen sich der Bürger Herz verzehrt."
+Als hier des Schattens Jammertöne ruhten,
+Sprach ich zu ihm: "Noch weiteren Bericht
+Erlaube mir, dir bittend anzumuten.
+Tegghiajo, Farinata, treu der Pflicht,
+Arrigo, Rusticucci, Mosca--sage!--
+Und andre, nur auf Gutestun erpicht,
+Wo find sie? Welches ist ihr Los? Ich trage
+Verlangen, hier ihr Schicksal zu erspäh’n,
+Ob’s Himmelswonne sei, ob Höllenplage?"
+Und er: "Sie stürzte mancherlei Vergehn
+Zu schwärzern Seelen nach den tiefern Gründen.
+Steigst du so tief, so wirst du alle sehn--
+Kehrst du zur süßen Welt aus diesen Schlünden,
+Bring’ ins Gedächtnis dann der Menschen mich.
+Mehr sag’ ich nicht, mehr darf ich nicht verkünden."
+Scheel ward sein g’rades Aug’ und wandte sich
+Nach mir; dann sank er mit dem Haupte nieder,
+So daß er ganz den andern Blinden glich.
+Drauf sprach mein Führer: "Nie erwacht er wieder,
+Bis er vor englischer Posaun’ ergraust,
+Und der Gewalt, dem Sündenvolk zuwider.
+Zum Grab kehrt jeder, wo sein Körper haust,
+Empfängt sein Fleisch zurück und die Gestaltung
+Und hört, was ewig widerhallend braust."
+Wir gingen langsam fort in schwerer Haltung,
+Durch’s Kotgemisch von Schatten und von Flut.
+Vom künft’gen Leben war die Unterhaltung.
+Drum ich: "Mein Meister, wird der Qualen Wut
+Sich nach dem großen Urteilsspruch vermehren?
+Vermindert sich, bleibt sich nur gleich die Glut?"
+Und er: "Gedenk’ an deines Weisen Lehren:
+So sehr ein Ding vollkommen ist, so sehr
+Wird sich’s im Glücke freu’n, im Schmerz verzehren
+Und kann gleich der Verdammten zahllos Heer
+Vollkommenheit, die wahre, nie erringen,
+So harrt es doch in jener Zeit auf mehr."
+Wir fuhren fort, im Kreise vorzudringen,
+Mehr sprechend, als zu sagen gut erscheint,
+Bis hin zum Platz, wo Stufen niedergingen,
+Und fanden Plutus dort, den großen Feind.
+
+
+Siebenter Gesang
+
+Aleph, Pape Satan, Pape Satan!
+Erhob, rauh kluchzend, Plutus seine Stimme.
+Und er, der alles wohl verstand, begann:
+"Getrost, nicht fürchte dich vor seinem Grimme,
+Durch alle seine Macht wird’s nicht verwehrt,
+Daß ich mit dir den Felsen niederklimme."
+Und dann, zu dem geschwollnen Mund gekehrt,
+Rief er: "Wolf, schweige, du Vermaledeiter!
+Von deiner Wut sei in dir selbst verzehrt!
+Wir gehn nicht ohne Grund zur Tiefe weiter,
+Dort will man’s, dort, wo einst den Stolz mit Schmach
+Gezüchtigt Michael, der Himmelsstreiter."
+Gleichwie die Segel, wenn der Mast zerbrach,
+Erst aufgebläht zum Knäuel niederrollen,
+So fiel das Untier, das so drohend sprach.
+So ging’s zum vierten Kreis im schmerzenvollen
+Unsel’gen Schacht, der alle Schuld umfängt,
+Von welcher je im Weltall Kund’ erschollen.
+Gerechtigkeit des Herrn, dein Walten drängt
+So neue Mühn zusammen, solche Plagen!
+O blinde Schuld, die hier den Lohn empfängt!
+Wie der Charybdis Wogen sich zerschlagen,
+Zum Gegenstoß gewälzt von Süd und Nord,
+So muß sich hier das Volk im Wirbel jagen.
+Noch nirgend war die Schar so groß wie dort.
+Laut heulend kamen sie von beiden Enden
+Und wälzten Lasten mit den Brüsten fort.
+Und stießen sich, um sich beim Prall zu wenden,
+Und dann zurück im Bogenlauf zu zieh’n,
+Und schrien sich zu: Was halten?--Was verschwenden?
+So durch den Kreis, in dem kein Lichtstrahl schien,
+Ging’s beiderseits dann nach der andern Seite,
+Indem sie beid’ ihr schändlich Schmähwort schrien.
+Dann wandte jeder sich zum neuen Streite,
+Sobald er seines Zirkels Hälft’ umkreist;
+Und ich, der ich den Armen Mitleid weihte,
+Sprach: "Meister, o wie zagt, wie bangt mein Geist
+Wer ist dies Volk? Die links hier scheinen Pfaffen!
+Ist’s jeder, der uns eine Glatze weist?
+Und er: "Dies sind die Blinden, Geistesschlaffen.
+Sie wußten in der Welt zum Geben nie
+Und nie zum Sparen sich ein Maß zu schaffen.
+Und dies erhellt aus dem, was jeder schrie,
+Wenn sie im Kreis gelangt zu zweien Orten;
+Da trennt der Gegensatz des Lasters sie.
+Die mit den Glatzen waren Pfaffen dorten;
+Auch öffneten wohl Papst und Kardinal
+Dem Geiz als Zwingherrn ihres Herzens Pforten."
+Drauf sprach ich: "Meister, kenn’ in dieser Zahl
+Ich keinen, der im Schmutz so eitlen Strebens
+Sich hier erworben hat die ew’ge Qual?"
+Und er zu mir: "Dein Suchen ist vergebens,
+Unkenntlich macht sie ihr verdientes Los
+Durch Kot und Schmutz bewußtlos dunkeln Lebens.
+So kommen stets zum Stoß und Gegenstoß,
+Bis sie erstehn--die mit verschnittnen Haaren,
+Die mit geschlossner Faust--dem Grabesschoß.
+Versetzt hat sie schlecht Geben und schlecht Sparen
+Von jener heitern Welt in diesen Zwist;
+Nicht sag’ ich welchen, denn du kannst’s gewahren.
+Sieh hier, mein Sohn, welch eitles Ding es ist
+Um jenes Gut Fortunens, das die Leute
+Zum Kampfe reizt und zu Gewalt und List.
+Gib diesen Müden alles Gold zur Beute,
+Das sie gehabt, ja alles Gold der Welt,
+Und keine Stunde Ruh’ gibt’s ihnen heute."
+Und ich: "Mein Meister, sprich, wenn dir’s gefällt,
+Wer ist Fortuna doch, die, wie ich hörte,
+In ihren Klau’n der Erde Güter hält?"
+Und er zu mir: "O Arme, Trugbetörte!
+Unwissende, zum Schlimmsten stets geneigt!
+O daß mein Spruch jetzt aller Wahn zerstörte!
+Er, dessen Weisheit alles übersteigt,
+Erschuf die Himmel und gab ihnen Leitung,
+Daß jedem Teil sich jeder leuchtend zeigt,
+Durch seines Lichts gleichmäßige Verbreitung.
+So gab er schaffend auch die Dienerin
+Dem Erdenglanz zur Führung und Begleitung.
+Von Volk zu Volk, von Blut zu Blute hin,
+Bringt sie das eitle Gut, das nirgends dauert,
+Und kümmert nicht sich um der Menschen Sinn.
+Dies Volk befiehlt, ein andres dient und trauert,
+Wie jene Führerin das Urteil spricht,
+Die, wie die Schlang’ im Gras, verborgen lauert.
+Nichts gegen sie hilft eurer Weisheit Licht,
+Sie sorgt, erkennt, vollzieht in ihrem Reiche,
+Und weicht darin den andern Göttern nicht.
+Nie haben Stillstand ihre Wechselstreiche;
+So macht sie, von Notwendigkeit gejagt,
+Aus Reichen Arme, dann aus Armen Reiche.
+Sie ist’s, die ihr ans Kreuz oft wütend schlagt,
+Von der ihr oft, wenn ihr, anstatt zu schmollen,
+Sie loben solltet, fälschlich Böses sagt.
+Doch sie, die Sel’ge, hört nicht euer Grollen;
+In andrer erstgeschaffnen Seligkeit
+Und Wonne, läßt sie ihre Kugel rollen.--
+Doch eilig weiter jetzt zu größerm Leid!
+Die Stern’, aufsteigend, als ich fortgeschritten,
+Gehn abwärts itzt, und unser Weg ist weit."
+Am andern Rand ward nun der Kreis durchschnitten,
+An einem Quell, der siedend dort entspringt,
+Des Wellen fort durch einen Graben glitten.
+Mehr trüb’ als schwarz ist seine Flut und bringt,
+Wenn man ihr folgt, hinab zu rauhen Wegen,
+Durch die man mit Beschwerde niederdringt.
+Dann qualmt ein Sumpf, mit Namen Styx, entgegen
+Dort, wo der traur’ge Fluß vom Laufe ruht,
+Am Fuß des greulichen Gestad’s gelegen.
+Dort stand ich nun und sah nach jener Flut,
+Und jäh im Sumpfe Leute, kot’ge, nackte,
+Zugleich des Jammers Bilder und der Wut.
+Man schlug sich nicht mit Fäusten nur, man hackte
+Mit Haupt und Brust und Füßen auf sich ein,
+Indem man wild sich mit den Zähnen packte.
+Mein Meister sprach: "Sohn, sieh in dieser Pein
+Die Seelen derer, so der Zorn bezwungen.
+Auch unterm Wasser müssen viele sein;
+Und wenn ein Seufzer ihnen sich entrungen.
+Dann steigen Blasen auf von ihrer Not,
+Drum sieh von Kreisen diese Flut durchschwungen.
+Und immer rufen sie, versenkt im Kot:
+Wir waren elend einst im Sonnenschimmer
+Und hegten Groll und Tücke bis zum Tod,
+Und elend sind wir nun im Schlamm noch immer.
+Dies Lied klingt gurgelnd vor aus ihrem Schlund,
+Stets schluckend, enden sie die Worte nimmer.
+So gingen, zwischen Pfuhl und festem Grund,
+Wir an dem schmutz’gen Teich in weitem Bogen,
+Den Blick gewandt zum Volk mit Schlamm im Mund,
+Bis wir zu eines Turmes Fuß gezogen.
+
+
+Achter Gesang
+
+Lang’ eh’ wir noch, so fahr’ ich fort, zu sagen,
+Dem Fuß des hohen Turms uns konnten nah’n,
+War unser Blick zur Zinn’ emporgeschlagen,
+Weil wir zwei Flämmchen dort entzünden sah’n,
+Als Rücksignal ein andres, So entlegen,
+Daß es das Auge kaum noch könnt’ erfah’n.
+Da kehrt’ ich meinem Weisen mich entgegen:
+"Was ist dies? Welch ein Zeichen wohl bezweckt
+Das dritte Feu’r? Wer sind sie, die’s erregen?"
+Und er zu mir: "Sieh hin, dein Aug’ entdeckt.
+Was unsrer harrt, dort auf den schmutz’gen Wogen,
+Wenn dir’s der Qualm des Sumpfes nicht versteckt."
+Und rasch, wie ich den leichten Pfeil vom Bogen
+Je fortgeschnellt durch hohe Lüfte sah,
+Kam durch das Moor ein kleiner Kahn gezogen.
+Bald war er uns am grauen Strande nah,
+Obwohl von einem Rud’rer nur gefahren,
+Der schrie: Verruchte Seele, bist du da?
+"Phlegias, Phlegias, du magst dein Schreien sparen,"
+So sprach mein Herr, "umsonst ist’s angestimmt;
+Wir sind nur dein, solang’ wir überfahren."
+Wie wer von einem großen Trug vernimmt,
+Den man ihm angetan zu Schmach und Schaden,
+So zeigte Phlegias wild sich und ergrimmt.
+Mein Führer stieg ins Schiff von den Gestaden,
+Und zu sich setzen hieß er mich sodann,
+Und als ich drin war, schien es erst beladen.
+Sobald wir beid’ uns eingesetzt, begann
+Des Nachens Fahrt und furchte tiefre Zeilen,
+Als er mit andrer Bürde furchen kann.
+Indessen wir die tote Moorflut teilen,
+Kommt einer, kotbedeckt, vor mich und spricht:
+"Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?"
+"Ich komme," sprach ich, "aber bleibe nicht.
+Doch wer bist du, So widrig und abscheulich?"--
+"Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht."--
+Und ich: "Denkst du, dein Heulen sei erfreulich?
+Vermaledeiter Geist, fort, weg von mir!
+Ich kenne dich, sei noch so wild und greulich!"
+Die Hände streckt’ er nun zum Kahn voll Gier,
+Und mit Gewalt mußt’ ihn mein Herr verjagen,
+Der sprach: "Mit andern Hunden, weg von hier!"
+Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen
+Und küßte mich und sprach: "Erzürnter Geist,
+Beglückt die Mutter, welche dich getragen!
+Stolz war im Leben dieser--niemand preist
+Von ihm nur einen guten Zug auf Erden,
+Daher er hier sich noch in Wut zerreißt.
+Viel Fürsten gibt’s dort, die sich stolz gebärden,
+Die, Schmach nur hinterlassend, wie die Sau’n,
+Im Schlamme hier auf ewig wühlen werden."
+Und ich: "Begierig war’ ich wohl, zu schau’n,
+Wie er in diesem Schlamme tauchen müßte,
+Eh’ wir verlassen diesen See voll Grau’n."
+Und er zu mir: "Bevor sich noch die Küste
+Dir sehen läßt, erfreut dich der Genuß.
+Befriedigung gebühret dem Gelüste."
+Bald sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
+Die Kotigen mit ihm beschäftigt waren,
+Drob ich Gott loben noch und danken muß.
+Frisch, auf Philipp Argenti! schrien die Scharen;
+Dann sah ich, selbst sich beißend, auf sie los
+Den tollen Geist des Florentiners fahren.
+Und dies erzähl’ ich nur von seinem Los.
+Ich ließ ihn dort und hört’ ein Schmerzensbrüllen
+Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen groß.
+"Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
+So sprach mein guter Meister, " Dis genannt,
+Die scharenweis’ unsel’ge Bürger füllen."
+Und ich: "Mein Meister, deutlich schon erkannt
+Hab’ ich im Tale jener Stadt Moscheen,
+Glutrot, als ragten sie aus lichtem Brand."
+Drauf sprach mein Führer: "Ew’ge Flammen wehen
+In ihrem Innern, drum im roten Schein
+Sind sie in diesem Höllengrund zu sehen."
+Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
+Den Zugang sperrend zu dem grausen Orte;
+Die Mauer schien von Eisen mir zu sein.
+Dann aber hörten wir des Steurers Worte,
+Nachdem vorher wir auf dem Pfuhle weit
+Umhergekreuzt: "Steigt aus, hier ist die Pforte."
+Wohl tausend standen auf dem Tor bereit,
+Vom Himmel hergestürzt. Es schrien die Frechen:
+"Wer wagt’s, noch lebend, voll Verwegenheit
+Ins tiefe Reich der Toten einzubrechen?"
+Mein Meister aber, ihnen winkend, lud
+Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu sprechen.
+Da legte sich ein wenig ihre Wut.
+Sie sprachen: "Komm allein, laß gehn den Toren,
+Der hier hereindrang mit so keckem Mut.
+Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,
+Allein zurück--erprob’ er doch, wie er
+Sich durch die Nacht führt, wenn er dich verloren."
+Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer
+Mich der Verdammten Rede niederdrückte,
+Denn ich verzweifelt’ an der Wiederkehr.
+"Mein teurer Führer, du, durch den mir’s glückte,
+Daß ich gerettet ward schon siebenmal,
+Des Schutz mich drohender Gefahr entrückte,
+Verlaß mich", sprach ich, "nicht in dieser Qual,
+Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
+So komm mit mir zurück durchs dunkle Tal."
+Und er, befehligt, mich hierher zu bringen,
+Sprach: "Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
+Er, dem nichts wehrt, drum wird er wohl gelingen.
+Hier harre mein, und ist die Seele bang,
+So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
+Denn nicht verlass’ ich dich in solchem Drang."
+So ging er.--ich, getrennt von meinem Weisen,
+Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein
+Beim Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
+Nicht hört’ ich, was sein Antrag mochte sein,
+Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,
+Denn alle rannten in die Stadt hinein
+Und schlugen ihm das Tor im wilden Drange
+Vorm Antlitz zu und sperrten ihn heraus.
+Da kehrt’ er sich zu mir mit schwerem Gange.
+Den Blick gesenkt, die Brau’n verstört und kraus,
+Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
+"Wer schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus?"
+Und dann zu mir: "Nicht mög’ es dich verstören,
+Wenn du mich zürnen siehst--ich siege doch,
+Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
+Schon früher stieg ihr kecker Mut so hoch,
+An einem Tor, nicht so geheim gelegen,
+Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
+Am Tor, von dem die schwarze Schrift entgegen
+Dem Wandrer droht--doch diesseits schon von dort
+Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln Wegen
+Ein andrer her und öffnet uns den Ort."
+
+
+Neunter Gesang
+
+Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,
+Als ich den Herrn sah sich zurückbewegen,
+Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.
+Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,
+Denn, weit zu schau’n, war ihm die Dunkelheit
+Der schwarzen Luft und Nebelqualm entgegen.
+Er sprach: "Wir siegen doch in diesem Streit--
+Wenn nicht--doch hab’ ich nicht ihr Wort vernommen?
+Er säumt fürwahr doch gar zu lange Zeit."
+Ich sah es deutlich ein, zurückgenommen
+Sei durch der Rede Folge der Beginn,
+Da beide mir verschieden vorgekommen.
+Drum lauscht’ ich sorgenvoll und zagend hin,
+Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
+Als er es war, des halben Wortes Sinn.
+"Kommt wohl ein Geist in diese Tiefe nimmer
+Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
+Als daß erstorben jeder Hoffnungsschimmer?"
+So fragt’ ich ihn, und jener sprach: "Nicht leicht
+Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir durchliefen,
+Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
+Wahr ist’s, daß ich vordem in diesen Tiefen
+Durch der Erichtho Zauberei’n erschien,
+Die oft den Geist zum Leib zurückberiefen.
+Kaum war mein Geist vom Fleisch entblößt, als ihn
+Die Zauberin beschwor in jene Mauer,
+Um eine Seel’ aus Judas Kreis zu zieh’n.
+Dort ist die tiefste Nacht, der bängste Schauer,
+Am fernsten von des Himmels ew’gem Licht.
+Ich weiß den Weg--drum scheuche Furcht und Trauer.
+Der Sumpf hier, welcher Stank verhaucht, umflicht
+Die qualenvolle Stadt, durch deren Pforten
+Man ohne Zorn die Bahn sich nimmer bricht."
+Mehr sprach er, doch mich zog von seinen Worten
+Der hohe Turm und bannte mit Gewalt
+Den Blick ans Feuer auf dem Gipfel dorten.
+Drei Höllenfurien sah ich dort alsbald,
+Die, blutbefleckt, g’rad’ aufgerichtet, stunden,
+Und Weibern gleich an Haltung und Gestalt,
+Mit grünen Hadern statt des Gurts umbunden,
+Mit kleinern Schlangen aber, wie mit Haar,
+Und Ottern rings die grausen Schläf’ umwunden.
+Und jener, dem bekannt ihr Anblick war,
+Der Sklavinnen der Fürstin ew’ger Plagen,
+Sprach: "Nimm die wilden Erinnyen wahr.
+Zur linken Seite sieh Megären ragen,
+Inmitten ist Tisiphone zu schau’n,
+Und rechts Alecto in Geheul und Klagen."
+Die Brust zerriß sich jede mit den Klau’n,
+Und sie zerschlugen sich mit solchem Brüllen,
+Daß ich mich an den Dichter drängt’ aus Grau’n.
+"Medusas Haupt! auf, laßt es uns enthüllen,"
+Sie riefen’s, niederbückend, allzugleich.
+"Was wir versäumt an Theseus, zu erfüllen."
+"Wende dich um, die Augen schließe gleich!
+Wenn sie bei Gorgos Anblick offenständen,
+Du kehrtest nimmer in des Tages Reich!"
+Er sprach’s und eilte, selbst mich umzuwenden,
+Verließ sich auch auf meine Hände nicht
+Und schloß die Augen mir mit seinen Händen.
+Ihr, die erhellt gesunden Geistes Licht,
+Bemerkt die Lehre, die, vom Schlei’r umgeben,
+In dich verbirgt dies seltsame Gedicht.
+Ich hört’ ein Krachen mächtig sich erheben
+Auf trüber Flut, mit einem Ton voll Graus,
+Daß die und jene Hüfte schien zu beben.
+Nicht anders war es, als des Sturms Gebraus--
+Wild durch der kalten Dünste Kampf mit lauen,
+Stürzt er durch Wälder, Äste reißt er aus,
+Durch nichts gehemmt, jagt Blüten durch die Auen;
+Stolz wälzt er sich in Staubeswirbeln vor,
+Und Hirt und Herden flieh’n voll Angst und Grauen.
+Die Augen löst’ er mir. "Jetzt schau’ empor,
+Dorthin, wo du den schärfsten Rauch entquellen
+Dem Schaume siehst auf diesem alten Moor."
+Wie Frösche, sich zerstreuend, durch die Wellen
+Vor ihrem Feind, der Wasserschlange, flieh’n,
+Bis sie am Strand in Scharen sich gesellen,
+So sah ich schnell, als einer dort erschien,
+Das Tor von den zerstörten Seelen leeren
+Und ihn mit trocknem Fuß den Styx durchzieh’n.
+Er schien den Qualm vom Antlitz abzuwehren,
+Vor sich bewegend seine linke Hand,
+Und dieser Dunst nur schien ihn zu beschweren.
+Ich sah’s, er sei vom Himmel hergesandt.
+Zum Meister kehrt’ ich mich, doch, auf sein Zeichen,
+Neigt’ ich mich schweigend, jenem zugewandt.
+Mir schien er einem Zornigen zu gleichen.
+Er kam zum Tore, das sein Stab erschloß,
+Und ohne Widerstreben sah ich’s weichen.
+"O ihr verachteter, vestoßner Troß!"
+Begann er an dem Tor, dem schreckensvollen,
+"Woher die Frechheit, die hier überfloß?
+Was seid ihr widerspenstig jenem Wollen,
+Das nimmermehr sein Ziel verfehlen kann?
+Wird er die Qual, wie oft, euch mehren sollen?
+Was kämpft ihr gegen das Verhängnis an,
+Obwohl eu’r Zerberus, ihr mögt’s bedenken,
+Mit kahlem Kinn und Halse nur entrann?"
+Dann sah ich ihn zurück die Schritte lenken.
+Uns sagt’ er nichts, und achtlos ging er fort,
+Als müsst’ er ernst auf andre Sorgen denken,
+Als die um kleine Ding’ am nächsten Ort.
+Worauf wir beide nach der Festung schritten,
+Nun völlig sicher durch das heil’ge Wort.
+Auch ward der Eingang uns nicht mehr bestritten;
+Und ich, des Wunsches voll, mich umzusehn
+Nach dieser Stadt Verhältnis, Art und Sitten,
+Ließ, drinnen kaum, das Aug’ im Kreise gehn,
+Und rechts und links war weites Feld zu schauen,
+Von Martern voll und ungeheuren Weh’n.
+Gleichwie wo sich der Rhone Wogen stauen,
+Bei Arles, und bei Pola dort am Meer,
+Das Welschland schließt und netzt der Grenze Gauen,
+Grabhügel sind im Lande rings umher,
+Wo auf unebnem Grunde Tote modern;
+So hier, doch schreckte dieser Anblick mehr,
+Denn zwischen Gräbern sieht man Flammen lodern,
+Und alle sind so durch und durch entflammt,
+Daß keine Kunst mehr Stahl und Eisen fodern.
+Halboffen ihre Deckel allesamt,
+Und draus erklingen solche Klagetöne,
+Daß man erkennt, wer drinnen, sei verdammt.
+Und ich: Verkünde, Meister, wer sind jene,
+Die, hier begraben, sonder Ruh’ und Rast
+Vernehmen lassen solches Schmerzgestöhne?
+Und er: "Hauptketzer hält der Ort umfaßt,
+Und die den Sekten angehangen haben,
+In größrer Zahl, als du gerechnet hast-
+Denn Gleiche sind zu Gleichen hier begraben,
+Und mehr und minder glüht jedwedes Mal"--
+Er sprach’s, worauf wir rechtshin uns begaben,
+Fortschreitend zwischen hoher Mau’r und Qual.
+
+
+Zehnter Gesang
+
+Fort ging nun, hier die Mauer, dort die Pein,
+Auf einem engen Pfad der edle Weise,
+Er mir voraus und ich ihm hinterdrein.
+Der du mich führst durch die verruchten Kreise,
+Sprach ich, ich wünsche, daß, wenn dir’s gefällt,
+Dein Wort auch hier mich ferner unterweise.
+Darf man die sehn, die jedes Grab enthält?
+Die Deckel, offen schon, sind nicht dawider,
+Auch ist zur Wache niemand aufgestellt.
+"Iedweder Deckel sinkt geschlossen nieder,"
+Sprach er, "wenn sie gekehrt von Josaphat,
+Mitbringend ihre dort gelass’nen Glieder.
+Wiss’, Epicurus liegt an dieser Statt
+Samt seinen Jüngern, die vom Tode lehren,
+Daß er so Seel’ als Leib vernichtet hat.
+Befriedigung soll also dem Begehren,
+Das du entdecktest, dies Begräbnis hier,
+Sowie dem Wunsch, den du verschwiegst, gewähren."
+Und ich: Mein Herz verberg’ ich nimmer dir,
+Nur redet’ ich in bündig kurzem Worte,
+Und nicht nur jetzt empfahlst du solches mir.
+"Toskaner, du, der lebend durch die Pforte
+Der Feuerstadt, so ehrbar sprechend, drang,
+Verweil’, ich bitte dich, an diesem Orte.
+ich erkenn’ an deiner Sprache Klang,
+Du seist dem edlen Vaterland entsprungen,
+Dem ich, ihm nur zu lästig, auch entsprang."
+Urplötzlich war dies einem Sarg entklungen,
+Drum trat ich etwas näher meinem Hort,
+Denn wieder war mein Herz von Furcht durchdrungen.
+"Was tust du? Wende dich!" rief er sofort,
+"Sieh g’rad’ empor den Farinata ragen,
+Vom Gürtel bis zum Haupte sieh ihn dort!"
+Ich, der auf sein Gesicht den Blick geschlagen,
+Sah, wie er hoch mit Brust und Stirne stand,
+Als lach’ er nur der Höh’ und ihrer Plagen.
+Mein Führer, der mich schnell mit mut’ger Hand
+Durch Gräber bis zu ihm mit fortgenommen,
+Sprach: Was er fragt, mach’ offen ihm bekannt.
+Er sah mich, als ich bis zum Grab gekommen,
+Ein wenig an. "Wer deine Väter? Sprich!"
+So fragt’ er mich und schien von Zorn entglommen.
+Gern fügt’ ich dem Befehl des Meisters mich,
+Ihm alles unverstellt zu offenbaren,
+Da hoben etwas seine Brauen sich.
+Er sprach darauf: "Furchtbare Gegner waren
+Sie meinen Ahnen, mir und meinem Teil,
+Und zweimal drum vertrieb ich sie in Scharen."
+"Wenn auch vertrieben, kehrten sie in Eil’",
+Sprach ich, "zweimal zurück aus jeder Gegend.
+Doch nicht den euren ward die Kunst zuteil."
+Sieh, da erhob, sich neben jenem regend,
+Ein Schatten sich urplötzlich bis zum Kinn,
+Sich auf den Knien, so schien’s, empor bewegend.
+Er blickt’ um mich nach beiden Seiten hin,
+Als woll’ er sehn, ob jemand mich begleite,
+Doch floh der Irrtum bald aus seinem Sinn,
+Und weinend sprach er dann: "Wenn dein Geleite
+Des Geistes Hoheit ist durch diese Nacht,
+Wo ist mein Sohn? Warum nicht dir zur Seite?"--
+"Nicht eigner Geist hat mich hierher gebracht,
+Der dort harrt, führte mich ins Land der Klagen.
+Dein Guido hatte sein vielleicht nicht acht."
+So ich--beim Wort und bei der Art der Plagen
+Könnt’ ich wohl seines Namens sicher sein
+Und drum ihm auch so sicher Antwort sagen,
+Schnell richtet’ er sich auf mit lautem Schrei’n:
+"Er hatte, sagst du? Ist er nicht am Leben?
+Saugt nicht sein Auge mehr den süßen Schein?"
+Und da ich nun, statt Antwort ihm zu geben,
+Noch zauderte, so fiel er rücklings hin,
+Um fürder sich nicht wieder zu erheben.
+Doch jener andre mit dem stolzen Sinn,
+Der mich gerufen, blieb auf seiner Stätte
+Starr, ungebeugt und trotzig wie vorhin.
+Er, wieder knüpfend des Gespräches Kette:
+"Ward jene Kunst zuteil den Meinen nicht?
+Dies martert mehr mich noch als dieses Bette.
+Doch wird nicht fünfzigmal sich das Gesicht
+Der Herrin dieses Dunkels neu entzünden,
+So wirst du fühlen dieser Kunst Gewicht.
+Sprich, willst du je zurück aus diesen Gründen,
+Wie gegen mein Geschlecht mag solche Wut
+Das Volk in jeglichem Gesetz verkünden?"
+Ich sprach: "Das große Morden ist’s, das Blut,
+Das rotgefärbt der Arbia klare Wogen,
+Das eu’r Geschlecht mit solchem Fluch belud."
+Er seufzt’ und schüttelte das Haupt: "Vollzogen
+Hab’ ich allein nicht diese blut’ge Tat,
+Und. alle hat uns trift’ger Grund bewogen.
+Doch ich allein war’s, der dem grausen Rat;
+Es müsse bis zum Grund Florenz verschwinden,
+Mit offnem Angesicht entgegentrat."
+"Soll euer Same jemals Ruhe finden,"
+So sprach ich bittend, "löst die Schlingen hier,
+Die noch, mein Urteil hemmend, mich umwinden.
+Versteh’ ich recht, so scheint es wohl, daß ihr
+Erkennen mögt, was künft’ge Zeiten bringen,
+Doch mit der Gegenwart scheint’s anders mir."
+Er sprach: "Uns trägt der Blick nach fernen Dingen,
+Wie’s öfters wohl der Schwachen Sehkraft geht,
+Denn dahin läßt der höchste Herr uns dringen.
+Doch naht sich und erscheint, was wir erspäht,
+Weg ist das Wissen, und nur durch Berichte
+Erfahren wir, wie’s jetzt auf Erden steht.
+Darum begreifst du: einst beim Weltgerichte,
+Wenn sich der Zukunft Tor auf ewig schließt,
+Wird die Erkenntnis unsers Geists zunichte."
+Drauf ich: "Wie jetzt mein Fehler mich verdrießt!
+O sagt dem Hingesunknen, Trostentblößten,
+Daß noch sein Sohn das heitre Licht genießt.
+Und war ich vorhin säumig, ihn zu trösten,
+So sagt ihm, daß ich Raum dem Irrtum gab,
+Den eben jetzt mir eure Worte lösten."
+Hier rief mein Meister schon mich wieder ab,
+Drum bat ich schnell den Geist, mir zu erzählen,
+Wer noch verborgen sei in seinem Grab.
+Er sprach: "Hier liegen mehr als tausend Seelen,
+Der Kardinal, der zweite Friederich
+Und andre, die’s nicht nottut, aufzuzählen."
+Und er versank ich aber kehrte mich
+Zum alten Dichter, jene Red’ erwägend,
+Die einer Unglücksprophezeiung glich.
+Er aber ging und sprach, sich vorbewegend,
+Zu mir gewandt: "Was bist du so verstört?"
+Ich tat’s ihm kund, die Angst im Herzen hegend.
+"Behalte, was du Widriges gehört,"
+Sprach mit erhobnem Finger jener Weise,
+"Und merk’ itzt auf, daß dich kein Trug betört.
+Bist du dereinst im süßen Strahlenkreise,
+Verströmt vom schönen Blick, der alles sieht,
+Dann deutet sie dir deine Lebensreise."
+Nun ging es links ins höllische Gebiet,
+Um von der Mau’r der Mitte zuzuschreiten,
+Wo sich der Pfad nach einem Tale zieht,
+Von dem Gestank und Qualm sich weit verbreiten.
+
+
+Elfter Gesang
+
+Am äußern Saum von einem hohen Strande,
+Umkreist von Felsentrümmern ohne Zahl,
+Gelangten wir zu einem grausern Lande.
+Dort bargen wir vor des Gestankes Qual,
+Der gräßlich dampft aus jenen tiefen Gründen,
+Uns hinter eines hohen Grabes Mal.
+Wir sahn den Inhalt diese Schrift verkünden:
+Hier liegt Papst Anastasius, den Photin
+Vom rechten Pfad verführt zu Schmach und Sünden.
+"Wir müssen," sprach er, "langsam abwärtszieh’n;
+Erträglicher wird nach und nach den Sinnen
+Der schlechte Dunst, der unerträglich schien."
+"So laß uns etwas," sprach ich drauf, "beginnen,
+Das uns die hier verbrachte Zeit ersetzt."
+"Du siehst," erwidert’ er, "darauf mich sinnen."
+"Mein Sohn, du wirst in diesen Steinen jetzt,"
+So fuhr er fort, "drei kleinre Kreise zählen,
+Nach Stufen, wie die andern, fortgesetzt.
+Erfüllt sind alle von verdammten Seelen,
+Doch weil du selbst sie sehn wirst, so vernimm,
+Wie und warum sie sich hier unten quälen.
+Jedwede Bosheit weckt des Himmels Grimm,
+Der Unrecht Zweck ist, denn sie macht es immer
+Durch Trug und durch Gewalt mit andern schlimm.
+Doch Trug, des Menschen eigne Sünd’, ist schlimmer,
+Und die Betrüger bannt des Herrn Geheiß,
+Drum tiefer hin zu schmerzlichem Gewimmer.
+Gewalttat wird bestraft im ersten Kreis,
+Doch, nach dreifacher Gattung von Vergehen,
+In dreien Binnenkreisen stufenweis.
+An Gott, an sich, am Nächsten kann’s geschehen,
+Daß man Gewalt verübt, an Leib und Gut.
+Wie? Sollst du jetzt mit klaren Gründen sehen.
+Gewalttat an des Nächsten Leib und Blut
+Geschieht durch Totschlag und durch schlimme Wunden,
+Am Gute durch Verwüstung, Raub und Glut.
+Totschläger werden, die, so schwer verwunden,
+Verwüster, Räuber, drum hinabgebannt
+Zur Pein im ersten Binnenkreis gefunden.
+Gewalt übt man an sich mit eigner Hand,
+Und seinem Gut.--Um fruchtlos zu bereuen,
+Sind drum zum zweiten Binnenkreis gesandt,
+Die selber sich zu töten sich nicht scheuen,
+Die, so im Spielhaus all ihr Gut vertan
+Und dorten weinten, statt sich zu erfreuen.
+Gewalt auch tut der Mensch der Gottheit an,
+Im Herzen sie verleugnend und nicht achtend,
+Was er durch Güte der Natur empfah’n.
+Du wirst, den kleinsten Binnenkreis betrachtend,
+Drum die von Sodom und von Cahors schau’n,
+Und Volk, im Herzen seinen Gott verachtend.
+Trug, des Gewissens Qual, ist am Vertrau’n,
+Und ist auch oft verübt an solchen worden,
+Die nicht als Freund’ auf den Betrüger bau’n.
+Die letzte Gattung scheint das Band zu morden,
+Das die Natur aus Lieb’ um alle flicht;
+Drum nisten in dem zweiten Kreis die Horden
+Der Heuchler, Schmeichler, die, so falsch Gewicht
+Gebrauchen, Simonisten, Zaubrer, Diebe
+Und Kuppler und dergleichen Schandgezücht.
+Zerrissen wird von jenem Trug die Liebe,
+So die Natur macht; die auch, die vermehrt,
+Noch Treue fordert aus besonderm Triebe.
+Drum auf dem Punkte, den das All beschwert,
+Wo Dis den Stand hat, dort, im kleinsten Kreise,
+Wird, wer Verrat übt, ewiglich verzehrt."
+Und ich: Du stellt nach deiner klaren Weise
+Wohlabgeteilt den Höllenschlund mir dar,
+Und welche Sünder jedes Rund umkreise;
+Doch sprich: Das Volk, das dort im Sumpfe war,
+Die, so der Wind führt und die Regen schlagen,
+Die mit Geschrei sich stoßen immerdar,
+Wie kommt’s, wenn sie den Zorn des Himmels tragen,
+Daß nicht die Feuerstadt ihr Strafort wird?
+Wenn nicht, was leiden sie doch solche Plagen?
+Und er darauf zu mir: "Was schweift verwirrt
+Dein Geist hier ab von den gewohnten Wegen?
+Woandershin hat sich dein Sinn verirrt?
+Willst du nicht deine Sittenlehr’ erwägen,
+Die Kunde von drei Neigungen verleiht,
+Die Gottes Zorn und seinen Haß erregen,
+Von Tollwut, Bosheit, Unenthaltsamkeit?
+Die dritt’ ist, da sie minderes Verachten
+Des Herrn verrät, von mindrer Strafbarkeit.
+Willst du den Spruch bedenken und betrachten,
+Wer jene sind, die vor der Stadt voll Glut
+Dort oben, ihre Straf erduldend, schmachten,
+So wirst du sehn, wie sie von dieser Brut
+Geschieden sind, und minder sie beschwerend
+Auf ihnen das Gewicht des Himmels ruht."--
+"O Sonne, du, die trübsten Blicke klärend,
+Wie Wissen, so erfreut der Zweifel mich,
+Vernehm’ ich dich ihn lösend, mich belehrend.
+Drum wend’ ein wenig," sprach ich, "rückwärts dich.
+Da sagtest, daß die Wuchrer Gott verletzen,
+Jetzt sage mir, wie löst dies Rätsel sich?"
+Weltweisheit, sprach er, lehrt in mehrern Sätzen,
+Daß nur aus Gottes Geist und Kunst und Kraft
+Natur entstand mit allen ihren Schätzen;
+Und überdenkst du deine Wissenschaft
+Von der Natur, so wirst du bald erkennen,
+Daß eure Kunst, mit allem, was sie schafft,
+Nur der Natur folgt, wie nach bestem Können
+Der Schüler geht auf seines Meisters Spur;
+Drum ist sie Gottes Enkelin zu nennen
+Vergleiche nun mit Kunst und mit Natur
+Die Genesis, wo’s also lautet: Leben
+Sollst du im Schweiß des Angesichtes nur.--
+Weil Wuchrer nun nach anderm Wege Streben,
+Schmäh’n sie Natur und ihre Folgerin,
+Indem sie andrer Hoffnung sich ergeben.
+Doch folge mir, denn vorwärts strebt mein Sinn,
+Da schon die Fisch’ empor am Himmel springen;
+Schon auf den Caurus sinkt der Wagen hin,
+Und weit ist’s noch, eh’ wir zur Tiefe dringen.
+
+
+Zwölfter Gesang
+
+Rauhfelsig war der Steig am Strand hernieder,
+Ob des, was sonst dort war, der Schauer groß,
+Und jedem Auge drum der Ort zuwider.
+Dem Bergsturz gleich bei Trento--in den Schoß
+Der Etsch ist seitwärts Trümmerschutt geschmissen,
+Durch Unterwühlung oder Erdenstoß--
+Wo von dem Gipfel, dem er sich entrissen,
+Der Fels so schräg ist, daß zum ebnen Land,
+Die oben sind, den Steg nicht ganz vermissen;
+So dieses Abgrunds Hang, und dort am Rand
+War’s, wo von Felsentrümmern überhangen
+Sich ausgestreckt die Schande Kretas fand,
+Einst von dem Scheinbild einer Kuh empfangen.
+Sich selber biß er, als er uns erblickt,
+Wie innerlich von wildem Grimm befangen.
+Mein Meister rief: "Bist du vom Wahn bestrickt.
+Als sähst du hier den Theseus vor dir stehen,
+Der dich von dort zur HöIl’ herabgeschickt?
+Fort, Untier, fort! Den Weg, auf dem wir gehen,
+Nicht deine Schwester hat ihn uns gelehrt,
+Doch dieser kommt, um eure Qual zu sehen."
+So wie der Stier, vom Todesstreich versehrt,
+Sich losreißt und nicht gehen kann, nur springen.
+Und Satz um Satz hierhin und dorthin fährt;
+So sahen wir den Minotaurus ringen,
+Drum rief Virgil: "Itzt weiter ohne Rast;
+Indes er tobt, ist’s gut, hinabzudringen."
+So klommen wir, von Trümmern rings umfaßt,
+Auf Trümmern sorglich fort, und oft bewegte
+Ein Stein sich unter mir der neuen Last.
+Ich ging, indem ich sinnend überlegte.
+Und er: "Du denkst an diesen Schutt, bewacht
+Von Zornwut, die vor meinem Wort sich legte.
+Vernimm jetzt, als ich in der Hölle Nacht
+Zum erstenmal so tief hereingedrungen.
+War dieser Fels noch nicht herabgekracht.
+Doch kurz eh’ jener sich herabgeschwungen
+Vom höchsten Kreis des Himmels, der dem Dis
+So edler Seelen großen Raub entrungen.
+Erbebte so die grause Finsternis,
+Daß ich die Meinung faßte, Liebe zücke
+Durchs Weltenall und stürz’ in mächt’gern Riß
+Ins alte Chaos neu die Welt zurücke.
+Der Fels, der seit dem Anfang fest geruht,
+Ging damals hier und anderwärts in Stücke.
+Doch blick’ ins Tal, schon naht der Strom von Blut,
+In welchem jeder siedet, der dort oben
+Dem Nächsten durch Gewalttat wehe tut."
+O blinde Gier, o toller Zorn! eu’r Toben,
+Es spornt uns dort im kurzen Leben an
+Und macht uns ewig dann dies Bad erproben--
+Hier ist ein weiter Graben, der den Plan
+Ringshin umfaßt im weiten runden Bogen,
+Wie mir mein weiser Führer kundgetan.
+Zentauren, rennend, pfeilbewaffnet, zogen,
+Sich folgend, zwischen Fluß und Felsenwand,
+Wie in der Welt, wenn sie der Jagd gepflogen.
+Als sie uns klimmen sahn, ward Stillestand;
+Drei traten vor mit ausgesuchten Pfeilen
+Und schußbereit den Bogen in der Hand.
+Und einer rief von fern: "Ihr müßt verweilen!
+Zu welcher Qual kommt ihr an diesen Ort?
+Von dort sprecht, sonst soll euch mein Pfeil ereilen!
+"Dem Chiron sag’ ich in der Näh’ ein Wort,"
+Sprach drauf Virgil. "Zum Unheil dich verführend,
+Riß vorschnell stets der blinde Trieb dich fort."
+"Nessus ist dieser," sprach er, mich berührend,
+"Der starb, als Dejaniren er geraubt,
+Die Rache noch vor seinem Tod vollführend.
+Der in der Mitt’ ist, mit gesenktem Haupt,
+Der große Chiron, der Achillen nährte;
+Dort Pholus, welcher stets vor Zorn geschnaubt.
+Am Graben rings gehn tausend Pfeilbewehrte
+Und schießen die, so aus dem Pfuhl herauf
+Mehr tauchen, als der Richterspruch gewährte."
+Wir beide nahten uns dem flinken Hauf,
+Chiron nahm einen Pfeil und strich vom Barte
+Das Haar nach hinten sich mit seinem Knauf.
+Als nun das große Maul sich offenbarte,
+Sprach er: "Bemerkt: der hinten kommt, bewegt.
+Was er berührt, wie ich es wohl gewahrte.
+Und wie’s kein Totenfuß zu machen pflegt."
+Da trat ihm an die Brust mein weiser Leiter,
+Wo Mensch und Roß sich einigt und verträgt.
+"Lebendig ist," so sprach er, "der Begleiter,
+Der dieses dunkle Tal mit mir bereist;
+Notwendigkeit, nicht Neugier, zieht uns weiter.
+Von dort, wo Gott ihr Halleluja preist,
+Kam eine her, dies Amt mir aufzutragen.
+Er ist kein Räuber, ich kein böser Geist.
+Doch, bei der Kraft, durch die ich sonder Zagen
+Auf wildem Pfad im Schmerzensland erschien.
+Gib einen uns von diesen, die hier jagen.
+Daß er die Furt uns zeig’, und jenseits ihn
+Trag auf dem Kreuz ans andere Gestade,
+Denn er, kein Geist, kann durch die Luft nicht zieh’n."
+"Auf, Nessus, leite sie auf ihrem Pfade,"
+Rief Chiron rechts gewandt, "bewahre sie,
+Daß sonst kein Trupp der unsern ihnen schade."
+Da solch Geleit uns Sicherheit verlieh,
+So gingen wir am roten Sud von hinnen.
+Aus dem die Rotte der Gesottnen schrie.
+Bis zu den Brauen waren viele drinnen.
+"Tyrannen sind’s, erpicht auf Gut und Blut,"
+So hört’ ich den Zentauren nun beginnen,
+"Jetzt heulen sie in ihrer Qualen Wut.
+Den Alexander sieh und Dionysen,
+Der auf Sizilien Schmerzensjahre lud.
+Die schwarzbehaarte Stirn sieh neben diesen,
+Den Ezzelin--und jener Blonde dort
+Ist Obiz Este, der, wie’s klar erwiesen,
+Vertilgt ward durch des Rabensohnes Mord."
+Den Dichter sah ich an, der sprach: "Der Zweite
+Bin ich, der Erste der, merk’ auf sein Wort."
+Und weiter gab uns Nessus das Geleite
+Zu Volke, das, bis an des Mundes Rand
+Im heißen Sprudel, heult’ und maledeite.
+Und seitwärts zeigt er einen mit der Hand:
+" Der macht’ einst am Altar das Herz verbluten,
+Das man noch jetzt verehrt am Themsestrand."
+Und viele hielten aus den heißen Fluten
+Das ganze Haupt, dann Brust und Leib gestreckt,
+Auch kannt’ ich manchen in den nassen Gluten.
+Stets seichter ward das Blut, so daß bedeckt
+Am Ende nur der Schatten Füße waren,
+Und dorten ward des Grabens Furt entdeckt.
+Da sagte der Zentaur: "Du wirst gewahren,
+Wie immer seichter hier das Blut sich zeigt.
+Jetzt aber, will ich, sollst du auch erfahren,
+Daß dort der Grund je mehr und mehr sich neigt.
+Bis wo die Flut verrinnt in jenen Tiefen,
+Woraus das Seufzen der Tyrannen steigt.
+Gerechter Zorn und Rache Gottes riefen
+Dorthin der Erde Geißel, Attila,
+Pyrrhus und Sextus; und von Tränen triefen.
+Von Tränen, ausgekocht vom Blute, da
+Die beiden Rinier, arge Raubgesellen,
+Die man die Straßen hart bekriegen sah--"
+Hier wandt’ er sich, rückeilend durch die Wellen.
+
+
+Dreizehnter Gesang
+
+Noch war nicht Nessus jenseits am Gestade,
+Da schritten wir in einen Wald voll Grau’n,
+Und nirgend war die Spur von einem Pfade.
+Nicht grün war dort das Laub, nur schwärzlichbraun,
+Nicht glatt ein Zweig, nur knotige, verwirrte,
+Nicht Frucht daran, nur gift’ger Dorn zu schau’n.
+Nie bei Cornet und der Cecina irrte
+Damhirsch und Eber durch so dichten Hain,
+Dies Wild, das nie die Saat des Feldes kirrte.
+Hier aber nisten die Harpy’n sich ein,
+Die, von den Inseln Trojas Volk zu scheuchen,
+Es ängsteten mit Unglücksprophezei’n,
+Mit breiten Schwingen, Federn an den Bäuchen,
+Klau’n an den Füßen, menschlich von Gesicht,
+Wehklagend aus den seltsamen Gesträuchen.
+"Bevor du eindringst, wisse, dich umflicht",
+Sprach er, "der zweite Binnenkreis; zu schauen,
+Indes du weitergehst, versäume nicht.
+So kommst du, schauend, in den Sand voll Grauen,
+Und gib wohl acht; denn allem, was ich sprach,
+Wirst du dann durch den Augenschein vertrauen."
+Schon hört’ ich rings Geheul und Oh und Ach,
+Doch sah ich keinen, der so ächzt’ und schnaubte,
+So daß mein Knie mir fast vor Schauder brach.
+Ich glaub’, er mochte glauben, daß ich glaubte.
+Verborgne stöhnten aus dem dunkeln Raum,
+Die mir zu sehn das Dickicht nicht erlaubte.
+"Brich nur ein Zweiglein ab von einem Baum,"
+Begann mein Meister, "und du wirst entdecken.
+Was du vermutest, sei ein leerer Traum.’’
+Da säumt’ ich nicht,- die Finger auszustrecken.
+Riß einen Zweig von einem großen Dorn,
+Und plötzlich schrie der stumpf zu meinem Schrecken:
+"Was brichst du mich?"--worauf ein blut’ger Born
+Aus ihm entquoll, und diese Wort’ erklangen:
+"Was peinigt uns dein rnitleidloser Zorn?
+Uns, Menschen einst, von Rinden jetzt umfangen.
+Wohl größre Schonung ziemte deiner Hand,
+Und wären wir auch Seelen nur von Schlangen."
+Gleich wie ein grüner Ast, hier angebrannt,
+Dort ächzt und sprüht, wenn, aufgelöst in Winde,
+Der feuchte Dunst den Weg nach außen fand;
+So drangen Wort und Blut aus Holz und Rinde,
+Und mir entsank das Reis, daß ich geraubt;
+Dann stand ich dort, als ob ich Furcht empfinde.
+"Verletzte Seele, hätt’ er je geglaubt.
+Was früher schon ihm mein Gedicht entdeckte,"
+So sprach Virgil, "nie hätt’ er sich’s erlaubt.
+Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,
+So reut’s mich itzt, daß, weil’s unglaublich schien,
+Ich Lust in ihm zu solcher Tat erweckte.
+Doch sag’ ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn
+Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
+Dort frisch ans Licht dein Angedenken zieh’n."
+Der Stamm: "Ein Köder ist im Wort, dem süßen,
+Der mich zum Sprechen lockt; mag euch’s, wenn mich
+Der Leim beim Reden festhält, nicht verdrießen.
+Ich bin’s, der einst das Herz des Friederich
+Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen
+Und sie so sanft und leis gedreht, daß ich,
+Nur ich, sonst keiner, sein Vertraun genossen--
+Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
+Weiht’ ich dem hohen Amt mich unverdrossen.
+Die Hure, die mit buhlerischer Glut
+Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
+Sie, aller Höfe Tod und Sünd’ und Wut,
+Schürt an, bis alles gegen mich entbrannte,
+Und alle schürten Friedrichs Gluten an.
+Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.
+Da hat mein zornentflammter Geist, im Wahn,
+Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden.
+Mir, dem Gerechten, Unrecht angetan.
+Bei diesen Wurzeln schwör’ ich, diesen Rinden:
+Stets war’s um meine Treue wohlbestellt
+Für ihn, der wert war, ew’gen Ruhm zu finden;
+Kehrt einer je von euch zurück zur Welt,
+So mög’ er dort mein Angedenken heben,
+Das jener Streich des Neids noch niederhält."
+Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.
+Da sprach der Dichter: "Ohne Zeitverlust
+Frag’ ihn, er wird auf alles Antwort geben."
+Ich aber: "Frag’ ihn selbst. Dir ist bewußt,
+Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
+Ich könnt’ es nicht, denn Leid drückt meine Brust."
+Und er: "Soll einst, was du ihm aufgetragen,--
+Er frei vollzieh’n, dann, o gefangner Geist,
+Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,
+Wie dieser Stämme Band die Seel’ umkreist?
+Und, wenn um sie sich starre Rinden legen,
+Ob diesen Gliedern eine sich entreißt?
+Ein starker Hauch schien sich im Stamm zu regen,
+Dann aber ward der Wind zu diesem Wort:
+"In kurzer Rede sag’ ich dies dagegen:
+Wenn die vom Leib sich trennen, welche dort
+Sich frevelhaft in wildern Grimm entleiben,
+Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.
+Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,
+In diesen Wald nach Zufall, ohne Wahl,
+Um wie ein Speltkorn wuchernd zu bekleiben.
+So wachsen Büsch’ und Bäum’ in diesem Tal,
+Und die Harpy’n, die sich vom Laube weiden,
+Sie machen Qual, und Öffnung für die Qual.
+Einst eilen wir nach unserm Leib, doch kleiden
+Uns nie darein; denn was man selbst sich nahm.
+Will Gott uns nimmer wieder neu bescheiden.
+Wir schleppen ihn in diesen Wald voll Gram,
+Und jeder Leib wird an den Baum gehangen.
+Den hier zur ew’gen Haft sein Geist bekam."
+Wir horchten auf den Stamm noch, voll Verlangen,
+Mehr zu vernehmen, als urplötzlich schnell
+Schrei’n und Getos zu unsern Ohren drangen.
+Als ob hier Eber, Hund und Jagdgesell,
+Die ganze Jagd, heran laut tosend brauste
+Mit Waldesrauschen, Schreien und Gebell.--
+Und sieh, linksher, zwei Nackende, Zerzauste,
+Fortstürmen, wie vom Äußersten bedroht,
+Daß das Gezweig zertrümmert kracht’ und sauste.
+Der Vordre schrie: "Zu Hilfe, Hilfe, Tod!"
+Dem andern schien’s, daß es mehr Eile brauche;
+"Lan," rief er, "dort bei Toppo in der Not
+Schien nicht dein Fußwerk gut zu dem Gebrauche."
+Dann, weil erschöpft vielleicht des Odems Rest,
+Macht’ er ein Knäu’l aus sich und einem Strauche.
+Sieh schwarze Hunde, durchs Gestrüpp gepreßt.
+Schnell hinterdrein, die wild die Läufe streckten,
+Wie Doggen, die man von der Kett’ entläßt.
+Sie schlugen ihre Zahn’ in den Versteckten,
+Zerrissen ihn und trugen stückweis dann
+Die Glieder fort, die frischen, blutbefleckten.
+Mein Führer faßte bei der Hand mich an
+Und führte mich zum Busche, der vergebens
+Aus Rissen klagte, welchen Blut entrann.
+Er sprach: "Was machtest du doch eitlen Strebens,
+O Jakob, meinen Busch zu deiner Hut?
+Trag’ ich die Schulden deines Lasterlebens?"
+Mein Meister, dessen Schritt bei ihm geruht,
+Sprach: "Wer bist du? Warum aus so viel Rissen
+Hauchst du zugleich die Schmerzensred’ und Blut?"
+Und er: "Die ihr gekommen, um zu wissen,
+Wie harte Schmach ich hier erdulden muß,
+Zu sehn, wie man mir so mein Laub entrissen.
+O sammelt’s an des traur’gen Stammes Fuß.
+Ich bin aus jener Stadt, die statt des alten
+Den Täufer wählt als Schutzherrn. Voll Verdruß
+Wird jener drum als Feind ihr grausam walten,
+Und hätte man nicht noch sein Bild geschaut.
+Das dort sich auf der Arnobrück’ erhalten.
+Die Bürger, die sie wieder aufgebaut
+Vom Brand des Attila, aus Schutt und Grause,
+Sie hätten ihrer Müh’ umsonst vertraut.
+Den Galgen macht’ ich mir aus meinem Hause."
+
+
+Vierzehnter Gesang
+
+Weil ich der Vaterstadt mit Rührung dachte,
+Las ich das Laub, das ich, das Herz soll Leid,
+Zurück zum Stamm, der kaum noch ächzte, brachte.
+Drauf kamen wir zur Grenz’ in kurzer Zeit
+Vom zweiten Binnenkreis und sah’n im dritten
+Ein krauses Kunstwerk der Gerechtigkeit.
+Denn dort eröffnete vor unsern Schritten
+Und unsern Blicken sich ein ebnes Land,
+Des Boden nimmer Pflanz’ und Gras gelitten.
+Und wie sich um den Wald der Graben wand,
+War dieses von dem Schmerzenswald umwunden.
+Hier weilten wir an beider Kreise Rand.
+Dort ward ein tiefer, dürrer Sand gefunden.
+Der dem, den Cato’s Füße stampften, glich,
+Wie wir vernehmen aus den alten Kunden.
+O Gottes Rache! Jeder fürchte dich,
+Dem, was ich sah, mein Lied wird offenbaren,
+Und wende schnell vom Lasterwege sich.
+Denn nackte Seelen sah ich dort in Scharen,
+Die, alle klagend jämmerlich und schwer,
+Doch sich nicht gleich in ihren Strafen waren.
+Die lagen rücklings auf der Erd’ umher,
+Die sah ich sich zusammenkrümmend kauern.
+Noch andre gingen immer hin und her.
+Die Mehrzahl mußt’ im Gehn die Straf’ erdauern.
+Der Liegenden war die geringre Zahl,
+Doch mehr gedrängt zum Klagen und zum Trauern.
+Langsamen Falls sah ich mit rotem Strahl
+Hernieder breite Feuerflocken wallen,
+Wie Schnee bei stiller Luft im Alpental.
+Wie Alexander einstens Feuerballen,
+Fest bis zur Erde, sah auf seine Schar
+In jener heißen Gegend Indiens fallen,
+Daher sein Volk, vorbeugend der Gefahr,
+Den Boden stampfen mußt’, um sie zu töten,
+Weil einzeln sie zu tilgen leichter war;
+So sah ich von der Glut den Boden röten;
+Wie unterm Stahle Schwamm, entglomm der Sand,
+Wodurch die Qualen zwiefach sich erhöhten.
+Nie hatten hier die Hände Stillestand,
+Und hier- und dorthin sah ich sie bewegen,
+Abschüttelnd von der Haut den frischen Brand.
+Da sprach ich: "Du, dem alles unterlegen,
+Bis auf die Geister, die sich dort voll Wut
+Am Tor zur Wehr gestellt und dir entgegen.
+Wer ist der große, welcher, diese Glut
+Verachtend, liegt, die Blicke trotzig hebend,
+Noch nicht erweicht von dieser Feuerflut?"
+Und jener rief, mir selber Antwort gebend,
+Weil er gemerkt, daß ich nach ihm gefragt,
+Uns grimmig zu: "Tot bin ich, wie einst lebend.
+Sei auch mit Arbeit Jovis Schmied geplagt,
+Von welchem er den spitzen Pfeil bekommen,
+Den er zuletzt in meine Brust gejagt;
+Zur Hilfe sei die ganze Schar genommen,
+Die rastlos schmiedet in des Ätna Nacht;
+Hilf, hilf, Vulkan, so schrei’ er zornentglommen,
+Wie er bei Phlägra tat in jener Schlacht;
+Mit aller Macht sei das Geschoß geschwungen,
+Gewiß, daß nie ihm frohe Rache lacht--"
+Da hob so stark, wie sie mir nie erklungen,
+Mein Meister seine Stimm’, ihm zuzuschrei’n:
+"O Kapaneus, daß ewig unbezwungen
+Dich Hochmut nagt, ist deine wahre Pein,
+Denn keine Marter, als dein eignes Wüten,
+Kann deiner Wut vollkommne Strafe sein."
+Drauf schien des Meisters Zorn sich zu begüten.
+Von jenen sieben war er, sagt’ er mir,
+Die Theben zu erobern sich bemühten.
+Er höhnt, so scheint’s, noch Gott in wilder Gier,
+Und, wie ich sprach, sein Stolz bleibt seine Schande,
+Sein Trotz des Busens wohlverdiente Zier.
+Jetzt folge mir, doch vor dem heißen Sande
+Verwahr’ im Gehen sorglich deinen Fuß
+Und halte nah dich an des Waldes Rande.
+Ich ging und schwieg, und einen kleinen Fluß
+Sah ich diesseits des Waldes sprudelnd quellen.
+Vor dessen Rot’ ich jetzt noch schaudern muß.
+Den Bach aus jenem Sprudel gleichzustellen.
+Der Buhlerinnen schändlichem Verein,
+Floß er den Sand hinab mit dunkeln Wellen.
+Und Grund und Ufer waren dort von Stein,
+Auch beide Ränder, die den Fluß umfassen.
+Drum mußte hier der Weg hinüber sein.
+"Von allem, was ich noch dich sehen lassen.
+Seit wir durch jenes Tor hier eingekehrt.
+Das uns, wie alle, ruhig eingelassen,
+War noch bis jetzt nichts so bemerkenswert.
+Als dieser Fluß, zu dem du eben ziehest,
+Der über sich die Flämmchen schnell verzehrt."
+So er zu mir und ich darauf: "Du siehest
+Mich lüstern schon genug, drum speist’ ich gern;
+Gib Kost nur, wie du Essenslust verliehest."
+Und er: "Öd liegt ein Land im Meere fern,
+Das Kreta hieß, und Keuschheit hat gewaltet,
+Als noch die Welt stand unter seinem Herrn.
+Ein Berg dort, Ida, war einst schön gestaltet,
+Mit Quellen, Laub und Blumen reich geschmückt,
+Jetzt ist er öd, verwittert und veraltet.
+Dorthin hat Rhea ihren Sohn entrückt.
+Und, alle Späher listig hintergehend,
+Des Kindes Schrei’n durch Tosen unterdrückt.
+Ein hoher Greis ist drin, g’rad’ aufrecht stehend,
+Den Rücken nach Damiette hingewandt,
+Nach Rom hin, wie in seinen Spiegel, sehend;
+Das Haupt von feinem Gold; Brust, Arm und Hand
+Von reinem Silber; weiter dann hernieder
+Von Kupfer nur bis an der Hüften Rand;
+Von tücht’gem Eisen bis zur Sohle nieder;
+Nur von gebranntem Ton der rechte Fuß,
+Doch ruht auf diesem meist die Last der Glieder.
+Das Gold allein ist von gediegnem Guß;
+Die andern haben Spalt’ und träufeln Zähren,
+Und diese brechen durch die Grott’ als Fluß,
+Um ihren Lauf nach diesem Tal zu kehren.
+Als Acheron, als Styx, als Phlegethon,
+Und bilden, wenn sie zu den tiefsten Sphären
+Durch diesen engen Graben hingefloh’n,
+Dort den Kozyt; doch nahst du diesem Teiche
+Bald selber dich, drum hier nichts mehr davon."
+Und ich zu ihm: "Wenn auf der Erd’, im Reiche
+Des Tages, schon der kleine Fluß entstund,
+Wie kommt es, daß ich ihn erst hier erreiche?"
+Und er zu mir: "Du weißt, der Ort ist rund,
+Und ob wir gleich schon tief hernieder drangen,
+Doch haben wir, da wir uns links zum Grund
+Herabgewandt, den Kreis nicht ganz umgangen,
+Und wenn du auch noch manches Neue siehst,
+Mag Staunen drum dein Auge nicht befangen."
+"Sprich noch, wo Phlegethon, wo Lethe fließt?
+Du schweigst von der; von jenem hört’ ich sagen,
+Daß er aus diesem Regen sich ergießt."
+So ich; und er: "Gern hör’ ich deine Fragen,
+Doch sollte wohl des roten Wassers Sud
+Auf jene selbst die Antwort in sich tragen.
+Nicht in der Hölle fließt der Lethe Flut,
+Dort siehst du sie beim großen Seelenbade,
+Wenn die bereute Schuld auf ewig ruht."
+Und drauf: "Jetzt weg vom Wald, und komm gerade
+Denselben Weg, den meine Spur dich lehrt;
+Die Ränder, nicht entzündet, bilden Pfade,
+Und über ihnen wird der Dunst verzehrt."
+
+
+Fünfzehnter Gesang
+
+Wir gehen nun auf hartem Rand zusammen,
+Und Dampf des Bachs, der drüber nebelt, schützt
+Das Wasser und die Dämme vor den Flammen.
+So wie sein Land der Flandrer unterstützt,
+Bang vor der Springflut Ansturz, die vom Baue
+Des festen Damms rückprallend schäumt und spritzt;
+Wie längs der Brenta Schloß und Dorf und Aue
+Die Paduaner sorglich wohl verwahrt,
+Bevor der Chiarentana Frost erlaue;
+So war der Damm auch hier von gleicher Art,
+Nur daß in minder hohen, dicken Massen
+Vom Meister dieser Bau errichtet ward.
+Schon weit zurück hatt’ ich den Wald gelassen,
+So daß der Blick, nach ihm zurückgewandt,
+Doch nicht vermögend war, ihn zu erfassen.
+Da kam am Fuß des Damms ein Schwarm gerannt.
+Und wie am Neumond bei des Abends Grauen
+Nach dem und jenem man die Blicke spannt,
+So sahn wir sie auf uns nach oben schauen;
+Und wie der alte Schneider nach dem Öhr,
+So spitzten sie nach uns die Augenbrauen.
+Und wie sie alle gafften, faßte wer
+Mich bei dem Saum, indem er mich erkannte,
+Und rief erstaunt: "Welch Wunder! Du? Woher?"
+Und ich, wie er nach mir gegriffen, wandte
+Den Blick ihm fest aufs Angesicht, das schier
+Geröstet war; doch zeigte das verbrannte
+Sogleich die wohlbekannten Züge mir;
+Drum, neigend, auf sein Antlitz zu, die Arme,
+Rief ich: "Ei, Herr Brunetto, seid ihr hier?"
+"Mein Sohn," sprach jener, "daß dich mein erbarme!
+Gern spräche wohl Brunett Latini dich
+Ein wenig hier, entfernt von diesem Schwarme."
+"Ich bitt’ euch selbst darum," entgegnet’ ich,
+"Daher ich gern mit euch mich setzen werde,
+Wenn’s dieser billigt, denn er leitet mich."
+Und er: "Ach Sohn, wer weilt von dieser Herde,
+Darf sich nicht wedeln hundert Jahr hernach
+Und liegt, die Glut erduldend, auf der Erde.
+Drum geh, ich folge deinem Tritte nach,
+Bis wir aufs neu’ zu meiner Rotte kommen,
+Die weinend geht in Leid und ew’ger Schmach."
+Gern war’ ich neben ihn hinabgeklommen.
+Doch wagt’ ich’s nicht und ging, das Haupt geneigt,
+Wie wer da geht von Ehrfurcht eingenommen,
+"Du, welcher vor dem Tod herniedersteigt,"
+Begann er nun, "welch Schicksal führt dein Streben?
+Und wer ist der, der dir die Pfade zeigt?"
+"Dort oben," sprach ich, "in dem heitern Leben
+War ich, eh’ reif mein Alter, ohne Rat
+Verirrt und rings von einem Tal umgeben.
+Aus dem ich eben gestern morgens trat.
+Zurück ins Tal wollt’ ich, da kam mein Leiter
+Und führt mich wieder heim auf diesem Pfad."
+Drauf sprach er: "Folgst du deinem Sterne weiter.
+Dann, wenn ich recht bemerkt im Leben, schafft
+Er dich zum Hafen, ehrenvoll und heiter.
+Und hätte mich der Tod nicht weggerafft,
+Hart’ ich, da dir so hold die Sterne waren,
+Dich selbst zum Werk gestärkt mit Mut und Kraft.
+Doch jenem Volk von schnöden, Undankbaren,
+Das niederstieg von Fiesole und fast
+Des Bruchsteins Härte noch scheint zu bewahren,
+Ihm bist du, weil du wacker tust, verhaßt;
+Mit Recht, weil übel stets zu Dorngewinden
+Mit herber Frucht die süße Feige paßt.
+Man heißt sie dort nach altem Ruf die Blinden,
+Voll Geiz, Neid, Hochmut, faul an Schal’ und Kern--
+Laß rein dich stets von ihren Sitten finden,
+So großen Ruhm bewahrt dir noch dein Stern,
+Daß beide Teile hungrig nach dir ringen,
+Doch dieses Kraut bleibt ihrem Schnabel fern.
+Das Fiesolaner Vieh mag sich verschlingen,
+Sich gegenseits, doch nie berühr’s ein Kraut,
+Kann noch sein Mist hervor ein solches bringen,
+In dem man neubelebt den Samen schaut
+Von jenen Römern, welche dort geblieben.
+Als man dies Nest der Bosheit auferbaut."
+"War einst, was ich gewünscht, des Herrn Belieben,"
+Entgegnet’ ich, "gewiß, ihr wäret nicht
+Noch aus der menschlichen Natur vertrieben.
+Das teure, gute Vaterangesicht,
+Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
+Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht
+Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,
+Und wie mir dies noch teuer ist und wert,
+Soll kund, solang’ ich bin, die Zunge geben.
+Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
+Bewahr’ ich wohl--Werd’ ich die Herrin schauen
+Nebst anderm Text wird mir auch dies erklärt.
+Dem aber, will ich, sollt ihr fest vertrauen:
+Ist’s nur mit dem Gewissen wohlbestellt,
+Dann macht kein Schicksal, wie’s auch sei, mir Grauen.
+Mir ist nicht neu, was eure Red’ enthält.
+Doch mag der Bauer seine Hacke schwingen
+Und seinen Kreis das Glück, wie’s ihm gefällt."
+Rechts kehrte sich Virgil, indem wir gingen,
+Nach mir zurück und sah mich an und sprach:
+"Gut hören, die’s behalten und vollbringen."
+Ich aber ließ drum nicht im Sprechen nach,
+Und wünschte die berühmtesten zu kennen
+Von den Genossen dieser Pein und Schmach.
+Drauf Herr Brunett: "Gut ist es, ein’ge nennen,
+So wie von andern schweigen löblich scheint,
+Auch würd’ ich nicht von allen sagen können.
+Gelehrte sind und Pfaffen hier vereint
+Von großem Ruf, die einst besudelt waren
+Mit jenem Fehl, den jeder nun beweint.
+Franz von Accorso geht in diesen Scharen,
+Auch Priscian, und war dir’s nicht zu schlecht,
+Vorhin so schnöden Aussatz zu gewahren,
+So sahst du jenen, den der Knechte Knecht
+Zwang, nach Vicenz vom Arno aufzubrechen,
+Allwo der Tod sein toll Gelüst gerächt.
+Gern sagt’ ich mehr--doch mit dir gehn und sprechen
+Darf ich nicht länger, denn schon hebt sich dicht
+Ein neuer Rauch auf jenen sand’gen Flächen.
+Auch naht hier Volk, von dem mich das Gericht
+Geschieden hat--Mein Schatz sei dir empfohlen,
+Ich leb’ in ihm noch--mehr begehr’ ich nicht."
+Hier wandt’ er sich, die andern einzuholen,
+Wie nach dem Ziel mit grünem Tuch geziert.
+Der Veroneser läuft mit flücht’gen Sohlen,
+Und schien, wie wer gewinnt, nicht wer verliert
+
+
+Sechzehnter Gesang
+
+Ich war am Ort, wo’s widerhallend brauste
+Vom Wasser, das da stürzt’ ins nächste Tal,
+Als ob ein Schwarm von Bienen summt’ und sauste;
+Da rannten Schatten her, drei an der Zahl,
+Und trennten sich von einer größern Bande,
+Die hinlief durch des Feuerregens Qual,
+Und schrien: "Halt du, wir sehn es am Gewande
+Dir deutlich an, du bist hierher versetzt
+Aus unserm eignen schnöden Vaterlande."
+Ach, alt’ und neue Wunden, eingeätzt
+Von Flammen, sah ich nun in ihrem Fleische,
+Und noch voll Mitleid denk’ ich ihrer jetzt.
+Mein Meister horcht’ auf dieses Schmerzgekreische
+Und sah mich an und sprach: "Hier harren wir!
+Bedenke jetzt, was Höflichkeit erheische.
+Denn wäre nicht der Feuerregen hier,
+Nach der Natur des Orts, so würd’ ich sagen:
+Die Eile zieme, mehr als ihnen, dir."
+Ich stand und hörte neu ihr altes Klagen;
+Zu uns gekommen waren alle nun,
+Da sah ich sie sich selbst im Kreise jagen.
+Wie nackende gesalbte Kämpfer tun,
+Die Griff und Vorteil zu erforschen pflegen,
+Indessen noch die Püff’ und Stöße ruh’n;
+So sah ich sie im Kreise sich bewegen,
+Mir immerdar das Antlitz zugewandt,
+Und Hals und Fuß an Richtung sich entgegen.
+Und einer sprach: "Wenn dieser lockre Sand
+Und unsre Not uns nicht verächtlich machte.
+Und unsre Haut, so rußig und verbrannt,
+Dann unser Flehn, ob unsers Rufs, beachte;
+Sprich, wer bist du? Wie lebend hier erscheinst?
+Und was dich sicher her zur Hölle brachte?
+Der, welchem du mich folgen siehst, war einst,
+Muß er auch nackt hier und geschunden rennen.
+Von höherm Range wohl, als du vermeinst.
+Wer hörte nicht Gualdradas Enkel nennen,
+Den Guidoguerra, dessen Schwert und Geist
+Wohl Puglia und Florenz als tüchtig kennen?
+Der hinter mir den lockern Sand durchkreist,
+Tegghiajo ist’s, des Rat man noch auf Erden,
+Obwohl man ihm nicht folgt’, als heilsam preist.
+Ich, ihr Genoss’ in schrecklichen Beschwerden,
+Bin Jakob Rusticucci, und mich ließ
+Mein böses, wildes Weib so elend werden."--
+Wenn irgend was vor’m Feuer Schutz verhieß.
+So stürzt’ ich gern mich unter sie hernieder,
+Auch litt, so glaub’ ich, wohl mein Meister dies.
+Allein verbrannt hätt’ ich auch meine Glieder,
+Drum unterdrückte Furcht in mir die Lust,
+Die Jammervollen zu umarmen, wieder.
+"Nicht der Verachtung bin ich mir bewußt,"
+Begann ich, "nur des Leids für euch Geplagte,
+Und schwer verwinden wird es meine Brust.
+Ich fühlt’ es, als mein Herr mir Worte sagte,
+Durch welche mir es deutlich ward und klar,
+Daß, wer hier komme, hoch auf Erden ragte.
+Ich bin aus eurer Stadt, und nimmerdar
+Wird eures Tuns ruhmvoll Gedächtnis schwinden,
+Das immer mir auch lieb und teuer war.
+Ich ließ’ die Gall, um süße Frucht zu finden,
+Die mein wahrhafter Führer prophezeit,
+Doch muß ich erst zum Mittelpunkt mich winden."
+"Soll lang’ noch deine Seele das Geleit
+Der Glieder sein," so sprach nun er dagegen,
+"Soll leuchten noch dein Ruf nach deiner Zeit,
+So sage mir, bewohnen, wie sie pflegen,
+Wohl unsre Stadt noch Kraft und Edelmut?
+Sind sie verbannt und völlig unterlegen?
+Denn Borsiere, welcher diese Glut
+Seit kurzem teilt, und dort mit andern schreitet,
+Erzählt’ uns manches, was uns wehe tut!--"
+"Neu Volk und schleuniger Gewinn verleitet
+Zu Unmaß dich und Stolz, der dich betört,
+Florenz, und dir viel Leiden schon bereitet!"
+Ich rief’s, das Aug’ emporgewandt, verstört.
+Starr sah’n die drei sich an bei meinen Reden,
+Wie man sich anstarrt, wenn man Wahrheit hört.
+"Wir wünschen Glück, wenn du so wohlfeil jeden
+Abfert’gen kannst," war aller Gegenwort,
+"Und dir’s bekommt, nach Herzenslust zu reden.
+Entkommst du einst aus diesem dunkeln Ort
+Und siehst den Sternenglanz, den schönen, süßen,
+Und sagst dann froh und heiter: Ich war dort,
+Vergiß dann nicht, die Welt von uns zu grüßen!"--
+Hier aber brachen sie den Kreis und floh’n
+Voll Eil’ und wie mit Flügeln an den Füßen.
+Eh’ man ein Amen ausspricht, waren schon
+Sie alle drei aus meinem Blick verschwunden.
+Drum ging sogleich mein Meister auch davon.
+Ich folgt’ ihm nach, um Weitres zu erkunden,
+Worauf uns bald des Stroms Gebraus erklang,
+So nah, daß wir uns sprechend kaum verstunden.
+Gleich jenem Flusse mit dem eignen Gang,
+Des Fluten ostwärts vom Berg Veso toben.
+Vom Apennin an seinem linken Hang;
+Das stille Wasser heißt er erst dort oben,
+Dann senkt er sich und wird bei Forli bald
+Des ersten Namens wiederum enthoben--
+Des Sturz dort ob Sankt Benedikt erschallt.
+Wo seine Wellen in den Abhang brausen,
+Der groß für Tausend ist zum Aufenthalt:
+So brach von einem Felsenhang voll Grausen
+Der rotgefärbte Fluß sich brüllend Bahn,
+Und kaum ertrug das Ohr sein wildes Sausen.
+Mit einem Stricke war ich umgetan,
+Und manches Mal mit diesem Gurte dachte
+Ich das gefleckte Panthertier zu seh’n.
+Nachdem ich los von mir den Gürtel machte,
+Wie ich vom Führer mir geboten fand,
+Macht’ ich ein Knäuel draus, das ich ihm brachte.
+Er aber kehrte dann sich rechter Hand
+Und schleuderte zum tiefen Felsenschlunde
+Das Knäul hinunter ziemlich weit vom Rand.
+"Entsprechend", dacht’ ich, "muß die neue Kunde
+Dem neuen Wink und diesem Blicke sein,
+Womit mein Meister schaut zum tiefen Grunde."
+Stets präge doch der Mensch sich Vorsicht ein
+Mit solchen, die des Herzens Sinn erspähen,
+Und nicht sich halten an die Tat allein.
+Er sprach: "Bald werden wir auftauchen sehen,
+Was ich erwart’; und das, was du gedacht,
+Wird deutlich bald vor deinen Blicken stehen."
+Bei Wahrheit, die der Lüge gleicht, habt acht,
+Soviel ihr könnt, euch nimmer auszusprechen,
+Sonst werdet ihr ohn’ eure Schuld verlacht.
+Doch kann ich mich zu reden nicht entbrechen
+Und schwör’, o Leser, dir, bei dem Gedicht,
+Dem nimmer möge Huld und Gunst gebrechen:
+Ich sah durch jene Lüfte schwarz und dicht
+Ein Bild, nach oben schwimmend, sich erheben,
+Dem Kühnsten wohl ein wunderbar Gesicht--
+Wie jemand kehrt, der sich hinabbegeben.
+Den Anker, der im Felsenrisse steckt,
+Zu lösen, wenn er sich beim Aufwärtsstreben
+Von unten einzieht und nach oben streckt.
+
+
+Siebzehnter Gesang
+
+Sieh hier das Untier mit dem spitzen Schwanze,
+Der Berge spaltet, Mauer bricht und Tor!
+Sieh, was mit Stank erfüllt das große Ganze!
+So hob mein Führer seine Stimm’ empor
+Und rief mit seinem Wink das Tier zum Rande,
+Bis nah zu unserm Marmorpfade vor.
+Da kam des Truges Greuelbild zum Lande
+Und schob den Kopf und dann den Rumpf heran,
+Doch zog es nicht den scharfen Schweif zum Strande.
+Von Antlitz glich es einem Biedermann
+Und ließ von außen Mild’ und Huld gewahren,
+Doch dann fing die Gestalt des Drachen an.
+Mit zweien Tatzen, die bedeckt mit Haaren,
+Und Rücken, Brust und Seiten, die bemalt
+Mit Knoten und mit kleinen Schnörkeln waren;
+Vielfarbig, wie kein Werk Arachnes strahlt,
+Wie, was auch Türk und Tatar je gewoben,
+So bunt doch nichts an Grund und Muster prahlt.
+Wie man den Kahn, im Wasser halb, halb oben,
+Am Lande sieht an unsrer Flüsse Strand,
+Und wie, zum Kampf den Vorderleib erhoben.
+Der Biber in der deutschen Fresser Land;
+So sah ich jetzt das Ungeheuer, ragend
+Und vorgestreckt auf unsers Dammes Rand,
+Wild zappelnd, mit dem Schweif durchs Leere schlagend,
+Und, mit der Skorpionen Wehr versehn,
+Die Gabel windend und sie aufwärts tragend.
+Mein Führer sprach: Jetzt müssen wir uns dreh’n
+Und auf gewundnem Pfad zum Ungeheuer
+Dorthin, wo’s jetzo liegt, hinuntergehn.
+Nun führte rechter Hand mich mein Getreuer
+Nur wenig Schritt’ hinab am Rande fort,
+Den heißen Sand vermeidend und das Feuer.
+Und unten angelangt, erkannt’ ich dort
+Noch etwas vorwärts auf dem Sande Leute,
+Nah sitzend an des Abgrunds dunklem Bord,
+Mein Meister sprach: "Erkennen sollst du heute
+Den ganzen Binnenkreis mit seiner Pein,
+Drum geh und sieh, was jenes Volk bedeute.
+Doch kurz nur dürfen deine Worte sein.
+Ich will indes mich mit dem Tier vernehmen,
+Den starken Rücken uns zur Fahrt zu leih’n."
+So mußt’ ich einsam mich zu geh’n bequemen
+Am Rand des siebenten der Kreis’ und nahm
+Den Weg zum Sitze der betrübten Schemen.
+Aus jedem Auge starrte Schmerz und Gram,
+Indes die Hand, jetzt vor dem heißen Grunde,
+Jetzt vor dem Dunst dem Leib zu Hilfe kam.
+So scharren sich zur Sommerzeit die Hunde,
+Wenn Floh sie oder Flieg’ und Wespe sticht,
+Jetzt mit dem einen Fuß, jetzt mit dem Munde.
+Die Augen wandt’ ich manchem ins Gesicht,
+Der dort im Feuer saß und heißer Asche;
+Und keinen kannt’ ich, doch entging mir nicht,
+Vom Halse hänge jedem eine Tasche,
+Bezeichnet und bemalt, und wie voll Gier
+Nach diesem Anblick noch ihr Auge hasche.
+Ich sah, wie ich genaht, ein blaues Tier
+Auf gelbem Beutel, wie auf einem Schilde,
+Das schien ein Leu an Kopf und Haltung mir.
+Dann blickt’ ich weiter durch dies Qualgefilde,
+Und sieh, ein andrer Beutel, blutigrot,
+Zeigt’ eine butterweiße Gans im Bilde.
+Ein blaues Schwein auf weißem Sacke bot
+Sich dann dem Blick, und seine Stimm’ erheben
+Hört’ ich den Träger: "Du hier vor dem Tod?
+Fort! Fort! Doch wisse, weil du noch am Leben
+Bald findet mir mein Nachbar Vitalian,
+Zur Linken seinen Sitz, hier gleich daneben.
+Oft schrei’n mich diese Florentiner an,
+Mich Paduaner, mir zum größten Schrecken:
+Möcht’ aller Ritter Ausbund endlich nah’n!
+Wo mag doch die Dreischnabeltasche stecken?"--
+Hier zerrt’ er’s Maul schief, und die Zunge zog
+Er vor, gleich Ochsen, so die Nase lecken.
+Schon fürchtet’ ich, da ich so lang verzog,
+Den Zorn des Meisters, der auf Eil’ gedrungen,
+Daher ich schnell mich wieder rückwärts bog.
+Auch fand ich, daß er schon sich aufgeschwungen
+Und auf das Kreuz des Ungetüms gesetzt.
+Er sprach: "Stark sei dein Mut und unbezwungen!
+Hinunter geht’s auf solcher Leiter jetzt.
+Steig vorn nur auf, ich will inmitten sitzen.
+Daß dich des Schwanzes Stachel nicht verletzt."
+Wie wer mit totenkalten Fingerspitzen
+Das Fieber nahen fühlt und doch nicht wagt,
+Wenn er schon zitternd bebt, sich zu erhitzen,
+So wurd’ ich jetzt bei dem, was er gesagt,
+Doch machte mich die Scham, gleich einem Knechte,
+Wenn ihm ein güt’ger Herr droht, unverzagt.
+Drum setzt’ ich auf dem Untier mich zurechte.
+Und bitten wollt’ ich (doch erstarb der Ton),
+Daß er mich halten und umfassen möchte.
+Doch er, der oft bei der Dämonen Droh’n
+Mich unterstützt und der Gefahr entzogen,
+Umfaßte mich mit seinen Armen schon.
+Und sprach: "Geryon, auf! Nun fortgeflogen!
+Allein bedenke, wen dein Rücken trägt,
+Drum steige sanft hinab in weiten Bogen."
+Wie rückwärts sich vom Strand der Kahn bewegt,
+Schob sich’s vom Damm, doch, kaum hinabgeklommen,
+Ward dann im freien Spielraum umgelegt.
+Als, wo die Brust war, nun der Schweif gekommen,
+Ward dieser, wie ein Aalschweif, ausgestreckt,
+Und mit dem Tatzenpaar die Luft durchschwommen.
+So, glaub’ ich, war nicht Phaethon erschreckt,
+Als einst die Zügel seiner Hand entgingen,
+Beim Himmelsbrand, des Spur man noch entdeckt;
+Noch Icarus, als von erwärmten Schwingen
+Das Wachs herniedertroff, bei Dädals Schrei’n:
+Dein Weg ist schlecht, dein Flug wird nicht gelingen;
+Wie ich, nichts sehend, als das Tier allein,
+Und rings umher von öder Luft umfangen,
+Wo nie entglomm des Lichtes heitrer Schein.
+Daß wir uns langsam, langsam niederschwangen,
+Im Bogenflug, bemerkt’ ich nur beim Weh’n
+Der Luft von unten her an Stirn und Wangen.
+Rechts hört’ ich schon das Wirbeln und das Dreh’n
+Des Wasserfalls und sein entsetzlich Brausen,
+Und bog mich vorwärts, um hinabzusehn.
+Doch schüchtern wieder bei des Abgrunds Sausen,
+Bei Klag’ und Glut, die ich vernahm und sah,
+Duckt’ ich mich hin und zitterte vor Grausen.
+Was ich erst nicht gesehn, das sah ich da:
+Wie wir im weiten Kreis hinunterstiegen.
+Und sah mich überall den Qualen nah--
+Gleich wie ein Falk, wenn er, nach langem Wiegen
+In hoher Luft, nicht Raub noch Lockbild steht,
+Und ihn der Falkner ruft, herabzufliegen,
+So schnell er stieg, so langsam niederzieht
+Und, zürnend, wenn der Herr ihn eingeladen,
+Im Bogenflug zum fernen Sitze flieht;
+So setzt’ uns an den steilen Felsgestaden
+Geryon ab und flog in großer Eil’,
+Sobald er nur sich unsrer Last entladen,
+Hinweg, gleich einem abgeschnellten Pfeil.
+
+
+Achtzehnter Gesang
+
+Ein Ort der Hölle, namens Übelsäcken,
+ist eisenfarbig, ganz erbaut von Stein,
+So auch die Dämme, die ringsum ihn decken.
+Grad’ in der Mitte dieses Lands der Pein
+Gähnt hohl ein Brunnen, weit, mit tiefem Schlunde.
+Von dem wird seines Orts die Rede sein.
+Und zwischen Höhl’ und Felswand gehn im Runde
+Rings so die Dämme, daß der Täler zehn
+Abschnitte bilden in dem tiefen Grunde.
+Wie um ein Schloß mehrfache Gräben gehn.
+Dahinter wohlverwahrt die Mauern ragen
+Und sicherer den Feinden widerstehn;
+So war umgürtet dieser Ort der Plagen;
+Und wie man Brücken pflegt zum andern Strand
+Aus solcher festen Schlösser Tor zu schlagen,
+So sprangen Zacken aus der Felsenwand,
+Durchschnitten Wäll’ und Gräben erst und gingen.
+Wie Räderspeichen, bis zum Brunnenrand.
+Kaum konnten wir vom Kreuz Geryons springen,
+So ging links hin mein Meister und befahl
+Auch mir, auf seinen Spuren vorzudringen.
+Und ganz erfüllt sah ich das erste Tal
+Rechts, wohin Klagen meine Blicke riefen.
+Von neuen Peinigern und neuer Qual.
+Es waren nackte Sünder in den Tiefen,
+Geteilt, denn hier zog gegen uns die Schar,
+Und dort mit uns, nur daß sie schneller liefen;
+Gleichwie man pflegt in Rom beim Jubeljahr
+Zum Übergang die Brücke herzurichten
+Ob übergroßen Andrangs, also zwar,
+Daß hier gewendet sind mit den Gesichten,
+Die zu Sankt Peter wallen, nach dem Schloß,
+Die andern dort sich nach dem Berge richten.
+Auf schwarzem Stein sprang hier und dort ein Troß
+Von Teufeln nach, von schrecklichen, gehörnten.
+Die schlugen wild auf sie von hinten los.
+Wie sie beim ersten Schlage laufen lernten!
+Wie sie, nicht harrend auf den zweiten Hieb,
+Mit jähen, langen Sprüngen sich entfernten!
+So fiel auf einen, den die Geißel trieb,
+Mein Auge jetzt hinab, bei dem ich dachte,
+Daß er nicht fremd mir auf der Erde blieb.
+Scharf blickt’ ich hin, damit ich ihn betrachte,
+Auch hielt mein Führer an, der’s zugestand,
+Daß ich zurück erst ein’ge Schritte machte.
+Zwar sucht’ er, bodenwärts den Blick gewandt,
+Mir mit Gestalt und Angesicht zu geizen,
+Doch rief ich, da ich dennoch ihn erkannt:
+"Wenn deine Züge nicht zum Irrtum reizen,
+So mein’ ich, daß du Venedigo seist;
+Doch weshalb steckst du so in scharfen Beizen?"
+"Nur ungern sag’ ich’s," sprach er drauf, "doch reißt
+Dein klares Wort mich hin, das mich bezwungen,
+Weil’s alte Zeit zurückführt meinem Geist.
+Ich bin’s, der in Ghifolen so gedrungen,
+Daß sie nach des Markgrafen Willen tat,
+Wie ganz entstellt auch das Gerücht erklungen.
+Und aus Bologna ist auf gleichem Pfad
+An diesen Qualort so viel Volk gekommen,
+Als jetzo diese Stadt kaum Bürger hat.
+Und sollte dir hierbei ein Zweifel kommen,
+So denk’, um sicher auf mein Wort zu bau’n.
+Wie Habsucht uns die Herzen eingenommen."
+Sprach’s, und ein Teufel kam, um einzuhau’n,
+Mit hochgeschwungner Geißel her und sagte:
+"Fort, Kuppler, fort, hier gibt’s nicht feile Frau’n."
+Zum Führer ging ich, da ich bebt’ und zagte,
+Und bald gelangten wir an einen Ort,
+Wo aus der Wand ein Felsen vorwärts ragte.
+Und dieser Zacken dient’ als Brücke dort;
+Leicht klommen beide wir hinauf und zogen
+Rechts hin aus jenen ew’gen Kreisen fort.
+Bald dort, wo unter uns der Fels als Bogen
+Sich höhlt’ und Durchgang der Gepeitschten war,
+Sprach er: "In gleicher Richtung fortgezogen,
+Sind wir bis jetzt mit jener zweiten Schar,
+Drum konnten wir sie nicht von vorne sehen.
+ietzt aber nimm die Angesichter wahr."
+Wir blieben nun am Rand der Brücke stehen
+Und sah’n den Schwarm, der uns entgegensprang,
+Denn eilig hieß die Geißel alle gehen.
+Da sprach mein Hort: "Sieh, noch mit Stolz im Gang,
+Den Großen, der sich keine Klag’ erlaubte,
+Dem aller Schmerz noch keine Trän’ entrang.
+So königlich noch an Gestalt und Haupte!
+Der Jason ist’s, der durch Verstand und Mut
+Das Widdervlies dem Volk von Kolchis raubte.
+Nach Lemnos kam er, als in ihrer Wut
+Die Frau’n, die glühend Eifersucht durchzuckte,
+Vergossen hatten aller Männer Blut;
+Wo er durch Worte, täuschend ausgeschmückte.
+Berückt Hypsipylen, das junge Herz,
+Die alle Frau’n von Lemnos erst berückte.
+Dort ließ er schwanger sie in ihrem Schmerz.
+Dies bracht’ ihn her; und gleiche Straf’ erheischen
+Medeas Leiden, einst ihm Spiel und Scherz--
+Auch gehn mit ihm, die gleicherweise tauschen.
+Allein dies sei vorn ersten Tal genug
+Und denen, so die Geißeln drin zerfleischen."
+Im Kreuz den zweiten Damm durchschneidend, trug
+Der Felspfad uns, der, auf den Widerlagen
+Der Dämme, hier den andern Bogen schlug.
+Dort, aus dem zweiten Sack, klang dumpfes Klagen,
+Und Leute sah’n wir tief im Grunde sich
+Laut schnaufend mit den flachen Händen schlagen.
+Der Dämme Seiten waren schimmelig
+Vom untern Dunste, der wie Teig dort klebte.
+Für Aug’ und Nase feindlich widerlich.
+Doch vor dem Blick, so sehr ich forschte, schwebte;
+Noch dunkle Nacht, weil tief der Abgrund ist,
+Bis ich des Felsenbogens Höh’ erstrebte.
+Von hier, wo erst der Blick die Tiefe mißt.
+Sah ich viel Leut in tiefem Kote stecken,
+Und, wie mir’s vorkam, war es Menschenmist.
+Ich forscht’ und sah ein Haupt sich vorwärts strecken,
+Doch ganz beschmutzt mit Kot, drum könnt’ ich nicht,
+Ob’s Lai’, ob Pfaffe sei, genau entdecken.
+Da schrie er her: "Was bist du so erpicht,
+Mich mehr als andre Schmutz’ge zu gewahren?"
+Und ich: "Weil, ist mir recht, ich dein Gesicht
+Bereits gesehm, allein mit trocknen Haaren.
+Alex, Interminei heißest du,
+Drum seh’ ich mehr auf dich als jene Scharen."
+Und er, die Stirn sich schlagend, rief mir zu:
+"Mich stürzte Schmeichelei herab zur Hölle,
+Die ich dort übte sonder Rast und Ruh’."
+Da sprach zu mir mein guter Meister: "Stelle
+Dich etwas vor, und in die Augen fällt
+Dir eine schmutz’ge Dirn’ an jener Stelle.
+Sieh die Zerzauste, die sich kratzt und krellt
+Mit kot’gen Nägeln, jetzt aufs neue greulich
+im Mist versinkt und jetzt sich aufrecht stellt,
+Die Hure Thais ist’s, jetzt so abscheulich.
+Fragt’ einst ihr Buhl: "Steh’ ich in Gunst bei dir?"
+Versetzte sie: "Ei, ganz erstaunlich! Freilich!"
+Doch sei gesättigt unsre Schaulust hier.
+
+
+Neunzehnter Gesang
+
+Simon Magus, ihr, o Arme, Blöde,
+Die, was der Tugend ihr vermählen sollt.
+Die Dinge Gottes, räuberisch und schnöde,
+Ihr euch erbuhlt durch Silber und durch Gold,
+Von euch soll jetzo die Posaun’ erschallen;
+Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold.
+Erstiegen hatten wir die Felsenhallen
+Des Stegs, von welchem mitten in den Schoß
+Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.
+Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß
+Im Himmel, auf der Erd’, im Höllenschlunde,
+Und wie gerecht verteilst du jedes Los!
+Ich sah dort an den Seiten und im Grunde
+Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
+Gleich weit und sämtlich ausgehöhlt zum Runde.
+Sie mochten so, wie jene, wo hinein
+Beim Taufstein Sankt Johanns die Täufer treten,
+Und enger nicht, doch auch nicht weiter sein.
+Eins dieser sprengt’ ich einst, weil ich in Nöten
+Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt;
+So sei’s besiegelt, so will ich’s vertreten;
+Ich sah, daß sich, aus jedem Loch gestreckt,
+Zwei Füß’ und Beine bis zum Dicken fanden,
+Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;
+Sah, wie die Sohlen beid’ in Flammen standen,
+Und sah die Knorren zappeln und sich dreh’n
+So stark, daß sie wohl sprengten Kett’ und Banden.
+Wie wir’s an ölgetränkten Dingen sehn,
+Wo obenhin die Flammen flackernd rennen,
+So von der Ferse dort bis zu den Zeh’n.
+"Gern, Meister," sprach ich, "möcht’ ich diesen kennen.
+Der wilder zuckt als die, so ihm gesellt,
+Und dessen beide Sohlen röter brennen."
+Und er: "Ich trage dich, wenn dir’s gefällt,
+Arn schiefen Hang hinab--er wird dir zeigen,
+Wer einst er war, und was im Loch ihn hält."
+Drauf ich: "Du bist der Herr, und mein Bezeigen
+Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
+Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen."
+Drauf ging’s zum vierten Damm, und links zum Schlund
+Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
+In den durchlöcherten und engen Grund.
+Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,
+Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
+Des, der da weinte mit den Füßen beiden.
+"Du, mit dem Obern unten," sprach ich dort,
+"Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
+Wer bist du? Sprich, ist dir vergönnt dies Wort."
+Ich stand, dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde
+Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch,
+Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.
+Da schrie er: "Bonifaz, so kommst du doch,
+So kommst du doch schon jetzt, mich fortzusenden?
+Und man versprach dir manche Jahre noch?
+Schon satt des Guts, ob des mit frechen Händen
+Du trügerisch die schöne Frau geraubt,
+Um ungescheut und frevelnd sie zu schänden?"
+Ich stand verlegen, mit gesenktem Haupt,
+Wie wer nicht recht versteht, was er vernommen.
+Und sich beschämt kein Gegenwort erlaubt.
+Da sprach Virgil: "Was stehst du so beklommen?
+Sag’ ihm geschwind, daß du nicht jener seist,
+Den er gemeint!"--Ich eilt’, ihm nachzukommen.
+Die Fuße nun verdrehte wild der Geist
+Und sprach mit Seufzern und mit dumpfen Klagen:
+"Was also ist’s, das so dich fragen heißt?
+Doch standest du nicht an, dich herzuwagen.
+Um mich zu kennen, wohl, so sag’ ich dir,
+Daß ich den großen Mantel einst getragen.
+Der Bärin wahrer Sohn war ich, voll Gier
+Fürs Wohl der Bärlein, und für diese steckte
+Ich in den Sack dort Gold, mich selber hier.
+Auch unter meinem Haupt gibt’s viel Versteckte.
+Dort, durchgepreßt durch einen Felsenspalt,
+Sind, die vor mir die Simonie befleckte.
+Und dort hinab versink’ auch ich, sobald
+Der kommt, für welchen ich dich angesehen.
+Und der mir folgt in diesem Aufenthalt;
+Doch wird er nicht so lang, als mir geschehen,
+Die Füße brennend, köpflings eingesteckt,
+Fest eingepfählt in diesem Loche stehen.
+Denn nach ihm kommt, zu schlechter’m Werk erweckt,
+Ein Hirt vom Westen, ein gesetzlos Wesen,
+Das, wie sich ziemt, mich und auch ihn bedeckt.
+Ein neuer Jason ist’s, von dem zu lesen
+Im Makkabäerbuch, dem Philipp wird.
+Was diesem einst Antiochus
+Ich weiß nicht, ob ich nicht zu sehr geirrt,
+Auf solche Red’ ihm dieses zu versetzen:
+"Sprich, was verlangt’ einst unser Herr und Hirt,
+Zuerst von Petrus wohl an Gold und Schätzen,
+Um ihm das Amt der Schlüssel zu verleih’n?"
+Komm, sprach er, um mein Werk nun fortzusetzen
+Was trug’s dem Petrus und den andern ein.
+Als man durch Los einst den Matthias kürte
+Statt dessen, der ein Raub ward ew’ger Pein?
+Nichts ward dir hier, als das, was sich gebührte;
+Betrachte nur das schlechterworbne Geld,
+Das gegen Karl’n zur Kühnheit dich verführte.
+Und nur weil Ehrfurcht meine Zunge hält
+Für jene Schlüssel, die du einst getragen,
+Da du gewandelt in der heitern Welt,
+Enthalt’ ich mich, dir Schlimmeres zu sagen:
+Daß schlecht die Welt durch eure Habsucht ist.
+Die Guten sanken und die Schlechten ragen.
+Euch Hirten meinte der Evangelist
+Bei ihr, die sitzend auf den Wasserwogen
+Mit Königen zu huren sich vermißt.
+Sie, mit den sieben Häuptern auferzogen,
+Sie hatt’ in zehen Hörnern Kraft und Macht,
+Solang der Tugend ihr Gemahl gewogen.
+Eu’r Gott ist Gold und Silber, Glanz und Pracht.
+Wohl besser sind die, so an Götzen hangen,
+Die einen haben, wo ihr hundert macht.
+Welch Unheil, Konstantin, ist aufgegangen,
+Nicht, weil du dich bekehrt, nein, weil das Gut
+Der erste reiche Papst von dir empfangen!"
+Indes ich also sprach mit keckem Mut,
+Da, sei’s daß Zorn ihn, daß ihn Reue nagte.
+Verdreht er beide Bein’ in großer Wut.
+Doch schien’s, daß es dem Führer wohlbehagte;
+So stand er dort, zufrieden, aufmerksam.
+Als ich so nachdrucksvoll die Wahrheit sagte;
+Worauf er mich mit beiden Armen nahm,
+Und als er mich an seine Brust gewunden,
+Den Weg zurückestieg, auf dem er kam.
+Er trug, nie matt, wie fest er mich umwunden.
+Mich auf des Bogens Höhe sonder Rast,
+Durch den der viert’ und fünfte Damm verbunden.
+Dort setzt’ er sanft zu Boden meine Last,
+Sanft, ob der Fels auch, steil emporgeschossen,
+Zum Wege kaum für eine Ziege paßt;
+Da ward ein andres Tal mir aufgeschlossen.
+
+
+Zwanzigster Gesang
+
+Die neue Qual, zu der ich jetzt gewandelt.
+Sie gibt dem zwanzigsten Gesange Stoff
+Des ersten Lieds, das von Verdammten handelt.
+Ich stand auf jenem Felsen rauh und schroff
+Und spähte scharf hinab zum offnen Schlunde,
+Der ganz von angsterpreßten Zähren troff.
+Viel Leute gingen langsam in der Runde,
+So, wie ein Wallfahrtszug die Schritte lenkt.
+Stillschweigend, weinend in dem tiefen Grunde.
+Als tiefer ich auf sie den Blick gesenkt,
+Sah ich--ein Wunder scheint es und erdichtet--
+Vorn Kinn sie bis zum Achselbein verrenkt,
+Das Angesicht zum Rücken hin gerichtet;
+Drum mußten sie gezwungen rückwärts gehn,
+Und ihnen war das Vorwärtsschau’n vernichtet.
+So soll der Fallsucht Krampf das Haupt verdreh’n,
+Wie man erzählt in wunderlichen Sagen,
+Doch glaub’ ich’s nicht, da ich es nie gesehn.
+Läßt Gott dein Lesen, Leser, Früchte tragen,
+So frage selber dich, wie mir geschah,
+Ob ich nicht weinen mußt’ und ganz verzagen,
+Als ich des Menschen Ebenbild so nah
+Verrenkt, verdreht und von der Augen Tränen
+Genetzt den Spalt der Hinterbacken sah?
+Wahr ist’s, auf eine von den Felsenlehnen
+Stand ich gestützt und weinte ganz verzagt;
+Da sprach mein Herr: "Willst du, gleich Toren, wähnen?
+Fromm ist nur, wer das Mitleid hier versagt.
+Wer ist verruchter wohl, als wer zu schmähen
+Durch sein Bedauern Gottes Urteil wagt?
+Empor das Haupt, empor! Den wirst du sehen,
+Den einst vor Thebens Blick der Grund verschlang;
+Drob alle schrien: Wohin? Was ist geschehen?
+Amphiaraus, wird der Kampf zu lang?--
+Doch stürzt’ er fort und fort im tiefen Schachte,
+Bis Minos ihn, gleich anderm Volk, bezwang.
+Schau’, wie er ihm die Brust zum Rücken machte!
+Schau’, wie er rückwärts schreitet, rückwärts steht,
+Weil er zu weit voraus zu sehen dachte.
+Tiresias sieh, der uns entgegenzieht.
+Er, erst ein Mann, ward durch des Zaubers Gabe
+Verwandelt in ein Weib an jedem Glied.
+Dann aber schlug er mit dem Zauberstabe
+Zuvor auf zwei verwundne Schlangen ein,
+Damit er wieder Mannsgestaltung habe.
+Den Rücken ihm am Bauch, kommt hinterdrein,
+Nah angedrängt an ihn, des Aruns Schatte,
+Der lebend einst in Lunis Felsenreih’n
+Als Haus die weiße Marmorhöhle hatte,
+Wohl ausgesucht, daß sie zum Meeresstrand
+Und zu den Sternen freien Blick gestatte.--
+Die mit den wilden Haaren ohne Band
+Die Brüste deckt, die sich nach hinten kehren,
+Was sonst behaart ist, hinterwärts gewandt.
+War Manto, die in Ländern und auf Meeren
+Umirrte bis zum Ort, der mich gebar.
+Von dieser will ich näher dich belehren.
+Nachdem der Welt entrückt ihr Vater war
+Und Bacchus’ Stadt verfiel in Sklavenbande,
+Durchstreifte sie die Welt so manches Jahr.
+Ein See liegt an des schönen Welschlands Rande,
+Am Fuß des Alpgebirgs, das Deutschland schließt,
+Benaco heißend, beim Tiroler Lande.
+Zwischen Camonica und Gard’ ergießt,
+Und Apennin, sich Flut in tausend Bächen,
+Die in besagtem See zusammenfließt.
+Inmitten aber liegen ebne Flächen,
+Und drei verschiedne Hirten könnten dort
+Auf einem Grenzpunkt ihren Segen sprechen.
+Hier liegt Peschiera dann, ein starker Ort
+Um Bergamo von Brescia abzuschneiden,
+Und rings geht flacher dann die Gegend fort.
+Hier muß sich von dem See das Wasser scheiden,
+Das nicht mehr Raum in seinem Schoß gewinnt,
+Und strömt als Fluß herab durch grüne Weiden.
+Das Wasser, das hier seinen Lauf beginnt,
+Heißt Mincio nun, und seine Wellen gleiten
+Bis nach Governo, wo’s im Po verrinnt.
+Nicht weit gelaufen, trifft es ebne Weiten,
+Wo es sich ausdehnt und zum Sumpfe staut,
+Der bösen Dunst verhaucht zu Sommerszeiten.
+Als dort das rauhe Weib ein Land erschaut,
+Das jenes Sumpfes Wogen rings umgaben.
+Entblößt von Leuten und unangebaut,
+Da blieb, um nichts von Menschen nah zu haben.
+Sie mit den Dienern da, trieb Zauberei
+Und lebt’ und ward in diesem Land begraben.
+Bald kamen Menschen, rings zerstreut, herbei.
+Die, weil sie sich auf diesen Ort verließen,
+Und sah’n, daß durch das Moor kein Zugang sei,
+Sich auf dem Grabe Mantos niederließen,
+Und dann nach ihr, die erst den Ort erwählt,
+Die Stadt, ohn’ andres Zeichen, Mantua hießen.
+Sie hat vordem des Volkes mehr gezählt,
+Eh’ Pinamont, den Toren zu betrügen.
+Dem Cassalodi seinen Trug verhehlt.
+Drum merke wohl, und sollt’ es ja sich fügen,
+Daß Mantuas Ursprung man nicht so erklärt,
+So laß der Wahrheit nichts entzieh’n durch Lügen."
+Und ich: "Mein Meister, was dein Wort mich lehrt.
+Ist mir gewiß und dient zu meinem Frommen,
+All andres ist nur tote Kohl’ an Wert.
+Doch sprich, von diesen, die uns näher kommen,
+Ist irgend wer bemerkenswerter Art?
+Denn dies nur hat den Geist mir eingenommen."
+Und er: "Des Augurs Trug hat der, des Bart
+Die braunen Schultern deckt, zur Zeit getrieben,
+Als Griechenland so leer an Männern ward,
+Daß Knaben kaum noch für die Wiegen blieben.
+In Aulis sagt’ er da mit Kalchas wahr,
+Zeit sei’s, daß sie das erste Tau zerhieben.
+Kund tut mein tragisch Lied dir, wer er war.
+Du wirst dich des Eurypylus entsinnen,
+Denn mein Gedicht ja kennst du ganz und gar.
+Sieh Michael Scotto auch, den magern, dünnen.
+Der jeden Trug des Zaubers klug gelenkt
+Und solches Spiel verstanden zu gewinnen.
+Bonatti sieh--Asdent, den’s jetzo kränkt.
+Allein zu spät, daß er in eitlem Trachten
+Dort nicht auf seinen Leisten sich beschränkt.
+Sich Vetteln, die statt Spill’ und Rad zu achten
+Und Weberschiff, wie’s einem Weib gebührt,
+Mit Kraut und Bildern Hexereien machten.
+Jetzt komm! Indes ich dich hierher geführt,
+Hat an der Grenze beider Hemisphären
+Der Mond im Westen schon die Flut berührt.
+Du sahst ihn gestern völlig sich erklären
+Und sahst ihn dir im dichtverwachsnen Wald
+Verschiedne Mal’ willkommnes Licht gewähren."
+Er sprach’s, doch gingen wir ohn’ Aufenthalt.
+
+
+Einundzwanzigster Gesang
+
+So ging’s von Brück’ auf Brück’, in manchem Wort,
+Das ich zu sagen nicht für nötig halte;
+Und oben, an des Bogens höchstem Ort,
+Verweilten wir ob einer neuen Spalte
+Und hörten draus den eitlen Laut der Qual
+Und sah’n, wie unten tiefes Dunkel walte.
+Gleich wie man in Venedigs Arsenal
+Das Pech im Winter sieht aufsiedend wogen,
+Womit das lecke Schiff, das manches Mal
+Bereits bei Sturmgetos das Meer durchzogen,
+Kalfatert wird--da stopft nun der in Eil
+Mit Werg die Löcher aus am Seitenbogen,
+Der klopft am Vorder-, der am Hinterteil
+Der ist bemüht, die Segel auszuflicken,
+Der bessert Ruder aus, der dreht ein Seil;
+So ist ein See von Pech dort zu erblicken,
+Das kocht durch Gottes Kunst, und nicht durch Glut,
+Des Dünste sich am Strand zum Leim verdicken.
+Ich sah den See, doch nichts in seiner Flut,
+Die jetzt sich senkt’ und jetzt sich wieder blähte.
+Als Blasen, ausgehaucht vom regen Sud.
+Indes ich scharfen Blicks hinunterspähte,
+Zog mich, indem er rief: "Hab’ acht! Hab’ acht!"
+Mein Meister zu sich hin von meiner Stätte.
+Da wandt’ ich mich, gleich einem, den mit Macht
+Die Neugier zieht, das Schreckliche zu sehen,
+Und der, da jähe Furcht ihn schaudern macht,
+Doch, um zu schau’n, nicht zögert, fortzugehen.
+Und sieh, ein rabenschwarzer Teufel sprang
+Uns hinterdrein auf jenen Felsenhöhen.
+Ach, wie sein Ansehn mich mit Graus durchdrang,
+Wie wild er schien, wie froh in andrer Schaden!
+Gespreizt die Schwingen, leicht und schnell den Gang,
+Kam er, die Schultern hoch gespitzt, beladen
+Mit einem Sünder her, der oben ritt,
+Und mit den Klauen packt’ er seine Waden.
+"Von Lucca bring’ ich einen Ratsherrn mit"--
+Schrie er, "auf, taucht ihn unter, Grimmetatzen!
+Und jene Stadt ist wohlversehn damit,
+Drum hol’ ich gleich noch mehr von solchen Fratzen.
+Gauner sind alle dort, nur nicht Bontur,
+Und machen Ja aus Nein für blanke Batzen."
+Hinunterwarf er noch den Sünder nur,
+Und rannte gleich zurück in solcher Eile,
+Wie je der Hofhund nach dem Diebe fuhr.
+Der Sünder sank, doch hob sich sonder Weile,
+Da schrien die Teufel unten: "Fort mit dir,
+Hier dient kein Heil’genbild zu deinem Heile.
+Ganz anders als in Serchio schwimmt man hier.
+Und sollen dich nicht unsre Haken packen.
+So bleib im Peche nur, sonst fassen wir."
+Gleich stießen sie mit tausend scharfen Zacken
+Und schrien: "Dein Tänzchen mache hier versteckt.
+Such’ unten einem etwas abzuzwacken."
+Nicht anders macht’s ein Koch, wenn er entdeckt.
+Das Fleisch im Kessel komm’ emporgeschwommen,
+Und schnell es mit dem Haken untersteckt.
+Virgil sprach: "Geh, eh’ sie dich wahrgenommen.
+Und ducke dich bei jener Felsenbank;
+Durch diese wirst du ein’gen Schirm bekommen.
+Mir ist das Ding nicht fremd, drum bleibe frank
+Von jeder Furcht, was man mir auch erzeige.
+Denn früher war ich schon in solchem Zank."
+Dann ging er jenseits auf dem Felsensteige,
+Und wie er hingelangt zum sechsten Strand,
+Tat’s not ihm, daß er sichre Stirne zeige.
+Denn wie in Sturm und Wut hervorgerannt,
+Die Haushund’ auf den armen Bettler fallen.
+Wenn er am Haus, laut flehend, stillestand;
+So stürzten jen’ aus dunkeln Felsenhallen
+Und streckten all auf ihn die Haken hin,
+Er aber schrie: "Zurück jetzt mit euch allen.
+Mich anzuhaken habt ihr wohl im Sinn?
+Doch tret erst einer vor, um mich zu sprechen,
+Und dann bedenkt, ob ich zu packen bin."
+"Geh vor denn, Stachelschwanz." So schrien die Frechen,
+Und einer kam, die andern blieben stehn--
+Und fragte, wie er wag’, hier einzubrechen?
+"Wie", sprach mein Meister, "würdest du mich sehn.
+Wie würd’ ich wagen, je hier einzudringen,
+War’ ich auch sicher, euch zu wiederstehn,
+Wenn’s Gott und Schicksal also nicht verhingen?
+Drum laß mich zieh’n, der Himmel will, ich soll
+Als Führer einen durch die Hölle bringen."
+Der Haken fiel, da dieses Wort erscholl,
+Ihm aus der Hand, so hatt’ ihn Furcht durchschauert.
+"Gesellen," rief er aus, "laßt euren Groll!"
+"Du, der dort zwischen Felsenstücken kauert,"
+Rief nun mein Meister, "eile zu mir her,
+Da jetzt kein Feind mehr auf dem Wege lauert."
+Und vorwärts trat ich und kam schnell daher,
+Doch sah ich vorwärts auch die Teufel fahren,
+Als gelte nichts die Übereinkunft mehr;
+Und war voll Schrecken, wie Capronas Scharen,
+Die, dem Vertrag zum Trotz, dem Tode nah.
+Als sie die Festung übergeben, waren.
+Fest drängt’ ich mich an meinen Führer da
+Und hielt den Blick gespannt auf ihre Mienen,
+Aus denen ich nichts Gutes mir ersah.
+Und diese Rede hört’ ich zwischen ihnen:
+"Den Haken ihm ins Kreuz? Was meinst du? Sprich!"
+Der andre: "Ja, du magst ihn nur bedienen!"
+Doch jener Geist, der mit dem Meister sich
+Besprochen, wandte schleunig sich zurücke
+Und rief: "Still, Raufbold, ruhig halte dich."
+Und dann zu uns: "Auf diesem Felsenstücke
+Kommt ihr nicht weiter, denn im tiefen Grund
+Liegt längst zertrümmert schon die sechste Brücke.
+Und wollt ihr fort, geht oben, längs dem Schlund,
+Dann seht ihr vorwärts einen Felsen ragen
+Und kommt darauf bis zu dem nächsten Rund.
+Denn gestern, um euch alles anzusagen,
+War’s just zwölfhundertsechsundsechzig Jahr,
+Seit jenen Weg ein Erdenstoß zerschlagen.
+Dorthin entsend’ ich ein’ge meiner Schar,
+Um Sündern, die sich lüften, nachzuspüren;
+Mit ihnen geht und fürchtet nicht Gefahr.
+Auf, ihr Gesellen, jetzt, euch frisch zu rühren;
+Eistreter, Senkflug, Bluthund, kommt heran,
+Du, Sträubebart, sollst alle zehen führen.
+Auf, Drachenblut, Kratzkrall’ und Eberzahn,
+Scharfhaker, und auch du, Grimmrot der Tolle,
+Und Firlefanz, schickt euch zum Wandern an.
+Schaut, wer etwa im Pech auftauchen wolle,
+Doch wißt, daß dieses Paar in Sicherheit
+Bis zu der nächsten Brücke reisen solle."
+"Ach, guter Meister," rief ich, "welch Geleit?
+Ich, meinerseits, ich will es gern entbehren,
+Und bin mit dir allein zu gehn bereit.
+Sieh nur, wie sie vor Grimm im Innern gären,
+Wie sie die Zähne fletschen und mit Droh’n
+Nach uns die tiefgezognen Brauen kehren."
+Und er zu mir: "Nicht fürchte dich, mein Sohn,
+Laß sie nur fletschen ganz nach Gutbedünken,
+Sie tun dies nur zu der Verdammten Hohn"
+Sie schwenkten dann sich auf den Damm zur Linken,
+Nachdem vorher die Zunge jeder wies,
+Hervorgestreckt, dem Hauptmann zuzuwinken,
+Der mit dem hintern Mund zum Abmarsch blies.
+
+
+Zweiundzwanzigster Gesang
+
+Schon sah ich Reiter aus dem Lager zieh’n,
+Die Must’rung machen, in die Feinde brechen,
+Auch wohl sich schwenken und zurückeflieh’n;
+Von Streifpartei’n sah ich in euren Flächen,
+Ihr Aretiner, einst euch hart bedroh’n;
+Sah Festturnier und große Lanzenstechen;
+Drommeten hört’ ich, Trommeln, Glockenton,
+Sah Rauch und Feuer auch als Kriegeszeichen,
+Und fremd’ und heimische Signale schon;
+Doch nimmer hieß ein Tonwerkzeug, dergleichen
+Ich hier gehört, das Volk zu Roß und Fuß,
+Zu Land und Meer, noch vorgehn oder weichen.
+Mit zehen Teufeln ging ich, voll Verdruß,
+Doch wußt’ ich, daß man Säufer in den Schenken
+Und Beter in den Kirchen suchen muß,
+Auch war aufs Pech gerichtet all mein Denken,
+Um ganz des Orts Bewandtnis zu erspäh’n.
+Und welche Leut’ in diese Glut versänken.
+Wie die Delphine, die vor Sturmesweh’n
+Mit den gebognen Rücken oft verkünden,
+Zeit sei’s, sich mit den Schiffen vorzusehn;
+So, um Erleichterung der Qual zu finden,
+Taucht’ oft ein Sünderrücken auf und schwand
+Im Peche dann so schnell, wie Blitze schwinden.
+Und wie die Frösch’ an eines Grabens Rand
+Mit Beinen, Bauch und Brust im Wasser stecken,
+Die Schnauzen nur nach außen hingewandt;
+So sah man jen’ hervor die Mäuler strecken,
+Allein, wenn sie den Sträubebart erschaut,
+Sich schleunig in dem heißen Pech verstecken.
+Ich sah, und jetzt noch schaudert mir die Haut,
+Nur einen harren, wie, wenn all entsprangen.
+Ein einzler Frosch noch aus dem Pfuhle schaut.
+Kratzkralle, der am weitsten vorgegangen,
+Schlug ihm den Haken ins bepichte Haar
+Und zog ihn auf, Fischottern gleich, gefangen.
+Ich wußte schon, wie jedes Name war
+Von ihrer Wahl und, daß mir nichts entfalle.
+Nahm ich der Namen dann im Sprechen wahr.
+"Frisch, Grimmrot, mit den scharfen Klauen falle
+Auf diesen Wicht und zieht ihm ab das Fell."
+So schrien zusammen die Verfluchten alle.
+Und ich: "Mein Meister, o erforsche schnell,
+Wer hier in seiner Feinde Hand gerate?
+Wer ist wohl der unselige Gesell?"
+Worauf mein Führer seiner Seite nahte,
+Ihn fragend, wer er sei, wo sein Geschlecht?
+"Ich bin gebürtig aus Navarras Staate.
+Die Mutter gab mich einem Herrn zum Knecht,
+Weil sie von einem Prasser mich geboren,
+Der all sein Gut und auch sich selbst verzecht.
+Zum Freunde dann vom Theobald erkoren,
+Dem guten König, trieb ich Gaunerei.
+Jetzt leg’ ich Rechnung ab in diesen Mooren."
+Und Eberzahn, aus dessen Munde zwei
+Hauzähne ragten, wie aus Schweinefratzen,
+Bewies ihm jetzt, wie scharf der eine sei.
+Die Maus war in den Krallen arger Katzen,
+Doch Sträubebart umarmt’ ihn fest und dicht
+Und rief: "Ich halt’ ihn, fort mit euren Tatzen."
+Und zu dem Meister kehrt’ er das Gesicht.
+"Willst du, bevor die andern ihn zerreißen,
+Noch etwas fragen, wohl, so zaudre nicht."
+Mein Führer: "Sprich, wie andre Sünder heißen,
+Dort unterm Pech? Sind auch Lateiner da?"
+Und jener sprach: "Mir war dort in der heißen
+Pechflut vor kurzer Zeit noch einer nah!
+Was mußt ich doch darüber mich erheben,
+Da ich dort nichts von Klau’n und Haken sah!"
+"Wir haben’s schon zu lange zugegeben!"
+Scharfhaker schrie’s und hakt auf ihn hinein,
+Auch blieb ein Stück vom Arm am Haken kleben.
+Schon zielte Drachenblut ihm nach dem Bein,
+Allein der Hauptmann blickt’ auf seine Scharen
+Im Kreis herum und schien ergrimmt zu sein.
+Da wandte sich, sobald sie stille waren,
+Mein Herr zu ihm, der auf sein wundes Glied
+Herniedersah, um mehr noch zu erfahren.
+"Wer ist’s, von dem dein Mißgeschick dich schied,
+Als du dich nach der Oberfläch’ erhoben?"--
+"Der von Gallura ist’s, der Mönch Gomit.
+Im Trug bestand er all und jede Proben,
+Des Herrschers Feinde hielt er im Verlies
+Und tat mit ihnen, was sie alle loben,
+Geld nahm er, wie er selber sagt, und ließ
+Sie sachte zieh’n, er, der in Amt und Ehren
+Sich sonst als Schelm nicht klein, nein groß erwies.
+Viel pflegt’ mit ihm Herr Zanche zu verkehren
+Von Logodor--sie schwatzen immerfort.
+Als ob sie jetzt noch in Sardinien wären.
+Ach, Seht, wie fletscht die Zähne jener dort!
+Gern sprach’ ich mehr, doch würd’ er mich kuranzen!
+Er droht ja wütend schon bei jedem Wort."
+Doch Sträubebart, gewandt zu Firlefanzen,
+Des Auge grimmig glotzte, schalt ihn sehr:
+"Verdammter Vogel, wirst du rückwärts tanzen?"
+"Willst du," begann der bange Wicht nunmehr,
+"Willst du Toskaner und Lombarden sehen?
+Ich schaffe sie dir nach Belieben her,
+Wenn nur die Grimmetatzen ferne stehen.
+Und deren Rache sie nicht zittern macht.
+Und ich, ich will nicht von der Stelle gehen,
+Und locke doch dir leicht statt eines acht,
+Sobald ich pfeife, wie wir immer pflegen,
+Um anzudeuten, daß kein Teufel wacht."
+Da streckt’ ihm Bluthund seine Schnauz’ entgegen
+Und schrie kopfschüttelnd: "Hört die Büberei!
+Er will ins Pech, sobald wir uns bewegen."
+Allein der Sünder, reich an Schelmerei,
+Sprach: "Wahrlich, bübisch bin ich wohl zu nennen.
+Denn zu der Meinen Unglück trag’ ich bei."
+Und Senkflug wollt ihm den Versuch vergönnen;
+"Springst du," hob er mit jenen uneins an,
+"So werd’ ich nicht zu Fuße nach dir rennen.
+Nein, überm Pech schlag’ ich die Flügel dann.
+Laßt Platz uns hinter diesem Damme nehmen,
+Zu sehn, ob mehr als wir der eine kann."
+Jetzt werdet ihr ein neues Spiel vernehmen.
+Die Blicke wandten sie, und sehr bereit
+War, der der Schlimmste schien, sich zu bequemen.
+Doch wohl ersah der Gauner seine Zeit,
+Stemmt’ ein die Fuß’ und war mit einem Satze
+Von dem, was sie ihm zugedacht, befreit.
+Dort standen alle mit verblüffter Fratze.
+Und jener, der die Schuld des Fehlers trug,
+Flog nach und schrie: "Du bist in meiner Tatze!"
+Umsonst! die Furcht war schneller als der Flug.
+Das Pech verbarg bereits den Gauner wieder,
+Und rückwärts nahm der Teufel seinen Zug.
+So taucht die Ente vor dem Falken nieder,
+Und dieser hebt, ergrimmt und matt, vom Teich
+Zur Luft empor das sträubende Gefieder.
+Eistreter kam, wie jener sank, sogleich
+Im schnellsten Fluge durch die Luft geschossen
+Und fiel, erbost von diesem Narrenstreich,
+Mit seinen scharfen Klau’n auf den Genossen,
+Und beide hielten überm Pech voll Wut
+In wilder Balgerei sich fest umchlossen.
+Doch braucht’ auch jener seine Krallen gut.
+Und beide stürzten bald zu den Bepichten,
+Die sie bewachten, in die heiße Flut.
+Der Hitze ward es leicht, den Kampf zu schlichten,
+Doch, ganz bepicht das rasche Flügelpaar,
+Vermochten sie es nicht, sich aufzurichten.
+Und Sträubebart, der sehr betreten war,
+Ließ vier der Seinen rasch zu Hilfe fliegen.
+Die äußerst schnell mit ihren Haken zwar,
+Auf sein Geheiß zum Peche niederstiegen.
+Wo jeder den Besalbten Hilfe bot,
+Doch sahn wir sie gekocht im Sude liegen
+Und ließen sie in dieser großen Not.
+
+
+Dreiundzwanzigster Gesang
+
+Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet.
+Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
+Wie auf dem Weg ein Franziskaner schreitet.
+Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
+Äsopens Fabel ins Gedächtnis bringen,
+Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.
+Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
+Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
+Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
+Und wie aus einem der Gedanken sich
+Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiterdenken,
+Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
+Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
+Durch uns gestört, beschädigt und geneckt
+Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
+Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
+So werden sie uns nach im Fluge brausen,
+Wie wild ein Hund sich nach dem Hafen streckt.
+Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
+Und rückwärts lauschend, rief ich: "Meister, flieh!
+Verbirg uns wo in diesen Felsenklausen.
+Die Grimmetatzen kommen schon. O sieh,
+Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
+So, wie ich sie mir denke, fühl’ ich sie!"
+Und er zu mir: "Wenn ich ein Spiegel wäre,
+Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar.
+Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
+Jetzt aber nimmst auch du mein Innres wahr
+Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
+Was für uns beid’ in mir beschlossen war.
+Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
+Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
+So sollen sie umsonst die Flügel regen."
+Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,
+Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen.
+Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
+Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
+Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos
+Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
+Ihr Kind erfaßt und, nur um dessen Los
+Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
+Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
+Daß er herab am harten Felsen gleite,
+Streckt er sich rücklings an den steilen Hang,
+Der jenen Sack verstopft von einer Seite.
+Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
+Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
+Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
+Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
+Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt
+Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
+Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
+So hörten wir sie über jenem Grunde,
+Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
+Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde
+Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
+Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
+Getünchte Leute sahn wir unten jetzt
+Im Kreise zieh’n mit langsam-schweren Tritten,
+Matt und erschöpft, von Tränen ganz benetzt.
+Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
+Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
+Der Mönch’ in Köln am Rheine zugeschnitten;
+Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
+Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
+Die Friedrich für den Hochverrat erdacht.
+O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!
+Wir gingen, folgend, zu der Rechten mit,
+Aufmerksam auf ihr jammervolles Weinen.
+Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
+Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
+Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
+Ich sprach: "Oh sieh dich um! ist wohl durch Taten
+Und Namen mir von diesen wer bekannt?
+Und sage mir’s, sobald wir einem nahten!"
+Und einer, der Toskanisch wohl verstand,
+Rief hinter uns: "Oh bleibt ein wenig stehen,
+Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
+Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!"
+Da wandte sich mein Herr und sprach: "Halt an
+Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen."
+Ich stand und sah nun zwei, die, um zu nah’n,
+Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten.
+Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn;
+Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
+Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
+Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
+" Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,
+Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
+Daß der und jener ohne Bleirock geht?"
+Zu mir dann: "Tusker, der du zu der Gilde
+Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
+Wer bist du? Sag’ es uns mit Huld und Milde."
+Und ich: "Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
+Am Arnostrand geboren und erzogen,
+Und diesen Körper trug ich jederzeit.
+Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen
+Ein Tränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
+Und was hat euch solch Übel zugezogen?"
+Und einer sprach: "Die gelben Kutten sind
+Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,
+Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
+Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,
+Ich Catalano, Loderingo er,
+Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
+Weil sich zum Friedensstifter eignet, wer
+Parteilos selber ist--und wer wir waren,
+Zeigt beim Gardingo noch sich ringsumher."
+Und ich begann: "Das Leid, das ihr erfahren--"
+Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
+Gekreuzigt einen auf dem Grund gewahren.
+Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort
+Und haucht’ in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
+Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
+"Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
+Gab einst den Pharisäern diesen Rat:
+Mög’ eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen;
+Nun liegt er nackt und quer auf unserm Pfad,
+Und fühlen muß er, wenn wir drüberwallen,
+Wieviel Gewicht von uns ein jeder hat.
+So wird sein Schwäher auch gestraft, mit allen
+Vom Pharisäerrat, durch den so viel
+Der schlimmen Saat für Judas Volk gefallen."
+Und wie ich sah, erstaunte selbst Virgil,
+Daß er gestreckt am Kreuz an diesem Orte
+So schmählich lag im ewigen Exil.
+Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:
+"Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
+Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
+Zu brauchen ist zum Ausgang für uns zwei,
+Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
+Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?"
+Und jener drauf: "Ihr geht nicht weit von dannen,
+So seht ihr einen Stein vom großen Rund
+Als Steg sich über alle Täler Spannen.
+Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,
+Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,
+Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund."
+Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen.
+Drauf sprach er: "Mußte doch der Teufel hier
+Sich wiederum in schlechtem Ratschlag zeigen."
+Und jener: "In Bologna merkt’ ich’s mir,
+Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
+Ja, aller Lügen Vater für und für."
+Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
+Und schien ein wenig zornig und erbost,
+Und ich verließ die bleibeschwerten Geister
+Und folgte der verehrten Spur getrost.
+
+
+Vierundzwanzigster Gesang
+
+In jenem Teil vom jugendlichen Jahre,
+Wo Nacht den halben Tag nur deckt, und mild
+Im Wassermann erglänzen Phöbus’ Haare,
+Malt oft der Reif, wenn Nebel das Gefild
+Am Abend deckt, bei scharfen Morgenlüften
+Vom Bruder Schnee ein schnellverwischtes Bild.
+Wenn dann der Hirt, der Futter von den Triften
+Gar nötig braucht, aufsteht und jeden Ort
+Schneeweiß erblickt, dann schlägt er sich die Hüften
+Und kehrt zum Haus, beklagt sich hier und dort
+Und weiß nicht, was zu tun vor großem Leide--
+Doch frische Hoffnung faßt er dann sofort.
+Denn schon erscheint die Welt in anderm Kleide;
+Schnell kommt er nun mit seinem Stab herbei
+Und treibt die muntern Schäflein auf die Weide.
+So staunt’ ich, daß mein Meister zornig sei,
+Daß ungewohnter Mißmut ihn bedrücke;
+So schnell auch kam zum Schmerz die Arzenei.
+Denn kaum gelangt zu der verfallnen Brücke,
+Kehrt’ ihm die Huld, mit der er zu mir trat
+Am Fuß des Bergs, aufs Angesicht zurücke.
+Die Arme breitet’ er, nachdem er Rat
+Mit sich gepflogen, wohl den Schutt betrachtend,
+Und dann erfaßt’ er mich mit rascher Tat.
+Und wie ein Mann, der wohl auf alles achtend.
+Im voraus scharf erwägt, was er vermag,
+Hob er mich auf ein Felsenstück, beachtend,
+Daß nahe dort ein andrer Zacken lag,
+Und sprach: "Anklammre dich, doch wahrgenommen
+Sei durch Versuch erst, ob’s dich tragen mag.
+Kein Kuttenträger war’ hinaufgekommen.
+Da wir, ich fortgeschoben, er so Ieicht,
+Mit Mühe nur von Block zu Blocke klommen.
+Auch hätt’ ich nimmermehr, und er vielleicht,
+Wenn niedrer nicht, als jenseits diesem Grunde
+Das Ufer war, des Dammes Höh’ erreicht.
+Doch weil sich Übelsäcken nach dem Munde
+Des tiefen Brunnens hin allmählich neigt,
+So liegt’s von selbst im Bau von jedem Runde,
+Daß hier der Damm sich senkt, dort höher steigt.
+Am Ende kamen wir bis zu der Spitze,
+Wo sich der Felsentrümmer letzte zeigt-
+Mir glühte Wang’ und Blut in solcher Hitze,
+Daß ich. sobald ich mich hinaufgerafft,
+Mich keuchend niederließ auf einem Sitze.
+Mein Meister sprach: "Jetzt ziemt dir frische Kraft;
+Denn nimmer kommt der Ruhm dem zugeflogen,
+Der unter Flaum auf weichem Pfühl erschlafft.
+Und wer durchs Leben ruhmlos hingezogen,
+Der läßt nur so viel Spur in dieser Welt,
+Wie in den Lüften Rauch, Schaum in den Wogen.
+Drum auf! wenn Mattigkeit dich niederhält,
+Wird sie der Geist, wird jeden Feind besiegen,
+Wenn er nicht wie der schwere Leib verfällt.
+Erklimmen mußt du noch weit längre Stiegen;
+Nicht g’nügt’s, von hier gerettet fortzuzieh’n,
+Verstehe mich, so wirst du nie erliegen!"--
+Da stand ich auf; mehr, als ich’s fühlte, schien
+Mein Odem frei, die Brust der Bürd’ enthoben,
+Auch rief ich: Fort, denn ich bin stark und kühn!
+Wir gingen fort--der Fels war rauh, verschoben,
+Von Höckern voll und schwierig zu begehn,
+Bei weitem steiler auch, als weiter oben.
+Um frisch zu scheinen, sprach ich laut im Gehn,
+Bis eine Stimm’ aus jenem Grund erschollen,
+Verworren, wild und schwierig zu verstehn.
+Nicht weiß ich, was die Stimme sagen wollen,
+Obwohl ich auf des Bogens Höhe stand,
+Doch schien, der sprach, zu zürnen und zu grollen.
+Ich stand, das Angesicht zum Grund gewandt,
+Doch drang kein Menschenblick in seine Schauer,
+Drum sprach ich: "Meister, komm zum nächsten Strand
+Und führe mich hinab von dieser Mauer.
+Hier hör’ ich zwar, doch ich verstehe nicht,
+Und, sehend, unterscheid’ ich nichts genauer."
+"Die Tat", sprach er mit freundlichem Gesicht,
+"Sei Antwort dir, weil sich’s geziemt, mit Schweigen
+Zu tun, was der verständ gen Bitt’ entspricht."
+Wir eilten, bei der Brück’ hinabzusteigen,
+Da, wo sie auf dem achten Damme ruht,
+Und hier begann die Tiefe sich zu zeigen.
+Ich sah in Knäueln grause Schlangenbrut,--
+Und denk’ ich heut der ekeln, mannigfachen
+Scheusale noch, so starrt vor Grau’n mein Blut.
+Nicht mag sich’s Libyen mehr zum Ruhme machen,
+Daß es Blindschleichen, Nattern, Ottern hegt
+Und Vipernbrut und gift’ge Wasserdrachen.
+Wie solche Pest nicht Äthiopien trägt,
+So tönt am ganzen Strand kein solch Gezische,
+An den die Flut des Roten Meeres schlägt.
+Und unter diesem greulichen Gemische
+Lief eine nackte, schreckensvolle Schar,
+Nicht hoffend, daß sie je von dort entwische.
+Am Rücken band die Hand’ ein Schlangenpaar,
+Das Schwanz und Haupt durch Kreuz und Nieren steckte
+Und vorn zu einem Knäu’I verschlungen war.
+Da stürzt’ auf einen, den ich dort entdeckte,
+Ein Ungeheu’r, das ihm den Hals durchstach
+Und aus dem Nacken vor die Zunge streckte.
+Und eh’ man Amen sagt und Oh und Ach,
+Sah ich, wie er, entzündet und in Flammen,
+Auch schon als Staub in sich zusammenbrach.
+Und wie die Glieder kaum in nichts verschwammen,
+So fügte sich, gesammelt, alsobald
+Der Staub zur vorigen Gestalt zusammen.
+So stirbt der Phönix, fünf Jahrhundert’ alt,
+(Die großen Weisen sagen’s) sich bekleidend
+Mit neuerzeugter Jugend und Gestalt,
+Sich nicht von Kräutern noch von Körnern weidend,
+Von Weihrauchtränen und Amomen nur,
+In einer Hüll’ aus Nard’ und Myrrhe scheidend.
+Und gleich wie der, der ohne Lebensspur
+Zu Boden sank, vielleicht vom Krampf gebunden,
+Vielleicht auch, weil in ihn ein Dämon fuhr.
+Sich umschaut, wenn er sich emporgewunden,
+Und um sich schauend stöhnt, verwirrt,
+Von großer Todesangst, die er empfunden;
+So war der aufgestandne Sünder jetzt.--
+Oh möge keiner Gottes Rach’ entzünden,
+Der solche Streich’ in deinem Zorn versetzt!
+Gebeten, seinen Namen zu verkünden,
+Entgegnet’ er: "Ich bin seit kurzem hier,
+Von Tuscien hergestürzt nach diesen Schlünden.
+Ich lebte nicht als Mensch, ich lebt’ als Tier,
+Ich, Bastard Fucci, den man Vieh benannte.
+Und würd’ge Höhle war Pistoja mir."
+Ich sprach, indem ich mich zum Meister wandte:
+"Er weicht uns aus--doch frag’ ihn: weshalb kam
+Er hierher, da er stets von Blutdurst brannte?"
+Aufrichtig ward er, als er dies vernahm,
+Und Geist und Angesicht mir zugewendet,
+Begann er nun, gedrückt von trüber Scham:
+"Mehr schmerzt mich’s, daß dein Schicksal dich gesendet,
+Um mich in diesem Jammerstand zu schau’n,
+Als daß ich oben meinen Lauf geendet.
+Doch was du fragtest, muß ich dir vertrau’n:
+Daß ich im Heiligtum zu stehlen wagte,
+Hat mich herabgestürzt in tiefres Grau’n.
+Drob litten manche fälschlich Angeklagte.--
+Daß du mich sahst, soll wenig dich erfreu’n,
+Kommst du je fort von hier, wo’s nimmer tagte.
+Drum hör’, um jetzt dein Hierein zu bereu’n:
+Pistoja wird die Schwarzen erst verjagen,
+Und dann Florenz so Volk als Sitt’ erneu’n.
+Aus Nebeln, die auf Magras Tale lagen,
+Zieht Mars den schweren Wetterdunst heraus,
+Und Sturme tosen dann und Blitze schlagen
+Auf dem Picener Feld im wilden Strauß,
+Daß sich zerstreut die Nebel plötzlich senken,
+Und alle Weißen flieh’n in Angst und Graus.
+Dies aber sagt’ ich dir, um dich zu kränken."
+
+
+Fünfundzwanzigster Gesang
+
+Er sprach’s und hob die Hand’ empor mit Spott,
+Ließ beide Daumen durch die Finger ragen
+Und rief dann aus: "Nimm’s hin, dies gilt dir, Gott!"
+Seitdem seh’ ich die Schlangen mit Behagen,
+Weil gleich um seinen Hals sich eine wand,
+Als sagte sie: Du sollst nichts weiter sagen.
+Die zweite schlang sich um die Arm’ und band
+Sie vorn, sich selbst umwickelnd, so zusammen,
+Daß er nicht Raum damit zu zucken fand.
+Was übergibst du dich nicht selbst den Flammen,
+Pistoja, du, und tilgst dich in der Glut?
+Sind Frevler alle doch, die dir entstammen?
+Nie fand ich so verruchten Übermut.
+Selbst Kapaneus’ gottlästerndes Erfrechen
+Erhob sich nicht zu dieses Diebes Wut.
+Er floh von dannen, ohn’ ein Wort zu sprechen,
+Und ein Zentaur kam rennend, pfeilgeschwind,
+Und schrie voll Wut: "Wo find’ ich diesen Frechen?"
+Nicht glaub’ ich, daß so viel der Schlangen sind
+An Tusciens Strand, als ihm am Kreuze hingen.
+Bis dahin, wo des Menschen Form beginnt.
+Ein Drache hielt mit ausgespreizten Schwingen
+Sich an den Schultern fest und spie mit Macht
+Glut auf uns alle, die vorübergingen.
+Da sprach mein Meister: "Kakus ist’s, hab’ acht!
+Er ist es, der so oft zu blut’gen Teichen
+Die Auen unterm Aventin gemacht.
+Er geht nicht einen Weg mit seinesgleichen,
+Weil er als Dieb den schlauen Trug vollführt,
+Mit jener großen Herde zu entweichen.
+Dafür ward ihm der Lohn, der ihm gebührt,
+Weil Herkuls Keul’ ihn traf mit hundert Schlägen,
+Von welchen er vielleicht nicht zehn gespürt."
+Enteilt war Kakus schon und uns entgegen
+Herkamen drei an jenem tiefen Ort,
+Doch könnt’ uns erst ihr laut Geschrei bewegen,
+Auf sie hinabzuschau’n: "Wer seid ihr dort?"
+Drum blieben wir in der Erzählung stehen
+Und horchten hin nach dieser Schatten Wort.
+Von ihnen hatt’ ich keinen je gesehen,
+Da rief den andern einer dieser drei
+Und nannt’ ihn, wie’s durch Zufall oft geschehen.
+"Wo bleibst du, Cianfa?" rief er, "Komm herbei!"
+Drum legt’ ich auf die Lippen meinen Finger,
+Damit mein Führer horch’ und stille sei.
+Meinst du jetzt, Leser, daß ich Hinterbringer
+Von eiteln Fabeln sei, so staun’ ich nicht;
+Ich sah’s, doch ist mein Zweifel kaum geringer.
+Von vornher warf sich, wie ich das Gesicht
+Auf sie gekehrt, schnell eine von den Schlangen
+Mit drei Paar Füßen her und packt’ ihn dicht.
+Der Bauch ward von dem mittlern Paar umfangen,
+Indes das vordre Paar die Arm’ umfing,
+Dann schlug sie ihre Zähn’ in beide Wangen.
+Wie an den Lenden drauf das Hintre hing,
+Schlug sie den Schwanz durch zwischen beiden Beinen
+Und drückt’ ihn hinten an als engen Ring.
+Kein Efeu kann dem Baum sich so vereinen,
+Wie dieses Ungetüm sich wunderbar
+An jenes Glieder schmiegte mit den seinen.
+Zusammen klebte plötzlich dann dies Paar,
+Wie warmes Wachs, die Farben so vermengend,
+Daß keins von beiden mehr dasselbe war,
+Gleichwie die Flammen, ein Papier versengend,
+Bevor es brennt, mit Braun es überzieh’n,
+Noch eh’ es Schwarz wird, schon das Weiß verdrängend.
+Die andern beiden, ihn betrachtend, schrien:
+"Weh dir, Agnel, du bist nicht zwei, nicht einer!
+Doch sieh, dir ist ein andres Bild verlieh’n!"
+Schon war vereint der Schlange Kopf und seiner,
+Aus zwei Gestalten sah man ein’ entstehn,
+Vermischt, verwirrt, doch gleich von beiden keiner.
+Die Arme sah man auseinandergehn;
+Sie wurden vier, und Bauch und Brust und Lenden,
+Sie wurden Glieder, wie man nie gesehn.
+Es schien, als ob die vor’gen ganz verschwänden.
+Nicht zwei, nicht einer schien’s, und ganz entstellt
+Sah ich das Bild sich langsam abwärts wenden.
+Gleichwie die Eidechs öfters, wenn die Welt
+Der Hundstern peitscht, blitzschnell von Dorn zu Dorne,
+Von Zaun zu Zaun quer durch die Straße schnellt,
+So fuhr jetzt eine Schlang’ in wildem Zorne
+Auf jene zwei nach ihren Bäuchen hin,
+Bläulich und schwarz, gleich einem Pfefferkorne.
+Und durch den Teil, der bei des Seins Beginn
+Uns Nahrung zuführt, bohrte sie den einen,
+Dann fiel sie ausgestreckt vor ihm dahin.
+Er sah sie starr, mit festgeschlossnen Beinen,
+Stillschweigend, gähnend, an, und mußte mir
+Wie schläfrig oder fieberhaft erscheinen.
+Nach ihm hin sah die Schlang’ und er nach ihr,
+Sie rauchend aus dem Maul, er aus der Wunde,
+Dann nahte sich der Rauch von dort und hier.
+Still schweige jetzt Lucan mit seiner Kunde
+Vom Unglück des Sabell und vom Nasid,
+Und horchend häng’ er nur an meinem Munde.
+Von Arethus’ und Kadmus schweig’ Ovid;
+Denn wenn er ihn zum Drachen umgedichtet.
+Und Sie zum Quell, so neid’ ich nicht sein Lied.
+Nie hat er von zwei Wesen uns berichtet,
+Die umgetauscht Gestalt und Stoff und Sein,
+Indem sie starr auf sich den Blick gerichtet.
+Gleich ging die Wandlung fort in jenen zwei’n.
+Zur Gabel spaltete den Schwanz die Schlange,
+Und der Gestochne drückte Bein an Bein.
+Sie klebten aneinander, und nicht lange
+Hatt’ es gewährt, als auch die Fuge schwand,
+Verdrängt vom völligen Zusammenhange.
+Der Lenden Form, die hier entwich, entstand
+Am Gabelschweif; die Haut schien zu erweichen;
+Hart ward sie dort, nach Schlangenart gespannt.
+Die Arme sah ich in die Schultern weichen,
+Der Schlange kurze Vorderfüße dann,
+Wie jene schwanden, weiter vorwärts reichen.
+Wie drauf zu jedem Gliede, das der Mann
+Zu bergen pflegt, die hinten sich verbanden,
+So fing sich sein’s in zwei zu teilen an.
+Und unterm Rauch, der beide deckt’, entstanden
+Ganz neue Farben, sproßten Haare vor
+Und zeigten hier sich, wenn sie dort verschwanden.
+Er sank dahin, Sie raffte sich empor,
+Doch blieb der Kopf mit jenen starren Blicken,
+Durch die er selbst nun seine Form verlor.
+An dem, der stand, schien er sich platt zu drücken,
+Auch sah man von dem Fleisch, das hinter drang,
+Die Ohren seitwärts aus den Wangen rücken.
+Aus dem, was vorn zurückeblieb, entsprang
+Ein Lippenpaar, wie sich’s gebührt, erhoben.
+Und eine Nase, zugespitzt und lang.
+An dem, der dort lag, trieb der Mund nach oben,
+Auch wurden nach der Schneckenhörner Brauch
+Die Ohren in den Kopf zurückgeschoben.
+Die Zung’, erst ganz, zur Rede schnell, ward auch
+Nunmehr geteilt, und ganz ward die geteilte
+Im Mund des andern, und es blieb der Rauch.
+Der Geist, jetzt Schlange, zischte laut und eilte
+Durch’s Tal davon--der andre spuckt’ ihr nach,
+Indem er noch, sie schmähend, dort verweilte.
+Dann kehrt’ er ihr den Rucken zu und sprach:
+"So schlüpfe, Buoso, nun durch diese Gründe,
+Statt meiner, auf dem Bauch in Qual und Schmach."
+So mischt’ im siebenten der Lasterschlünde
+Sich Bild und Bild, drum werde mir’s verzieh’n,
+Wenn ich so Neues etwas breit verkünde.
+Doch ob mir gleich der Blick geblendet schien,
+Und kaum mein Geist vom Staunen sich ermannte,
+Doch bargen jene sich nicht so im Flieh’n,
+Daß ich den Puccio nicht gar wohl erkannte,
+Der einzig von den drei’n, erst hier vereint,
+Sich unverwandelt jetzt von dannen wandte.
+Der andre war’s, um den Gaville weint.
+
+
+Sechsundzwanzigster Gesang
+
+Erfreue dich, Florenz, du bist so groß,
+Daß du zu Land und Meer die Flügel schwingest,
+Und selbst dein Nam’ erklingt im Höllenschoß.
+Fünf deiner Bürger fand ich--also zwingest
+Du mich zur Scham--den Dieben beigefügt,
+Wodurch du dir nicht größern Ruhm erringest.
+Doch wenn, was man am Morgen träumt, nicht lügt,
+So wirst du großes Unglück bald empfinden,
+Und Prato selbst, so nah dir, sieht’s vergnügt.
+War’s jetzt, nicht würde man’s zu zeitig finden,
+So, da’s nun einmal sein muß, war’s jetzt doch.
+Denn, älter, werd’ ich’s schwerer nur verwinden.
+Wir gingen fort, und übers Felsenjoch
+Stieg, wie hinab, hinauf die Zackenleiter
+Mein Führer und war meine Stütze noch.
+Und, folgend zwischen mancher Felsenscheiter
+Und manchem Block dem Pfad im öden Raum,
+Kam, wenn die Hand nicht half, der Fuß nicht weiter.
+Ich fühlte Schmerz--jetzt fühl’ ich mindern kaum,
+Wenn ich zurück an das Erblickte denke,
+Und schärfer fass’ ich da des Geistes Zaum,
+Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,
+Und, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
+Was höh’re Huld, mir selber feind, nicht kränke.
+Soviel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,
+Zur Zeit, da er, des Blick die Erde lichtet,
+Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,
+Wenn sich die Fliege vor der Mücke flüchtet,
+Johanniswürmchen sieht im Tal entlang,
+Wo er mit Hipp’ und Pflug sein Tun verrichtet;
+So viele Flammen sah den tiefen Gang
+Des achten Tals mein Auge jetzt verklären,
+Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.
+Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,
+Elias’ Wagen sah von dannen zieh’n,
+Als das Gespann aufstieg zu Himmelssphären,
+Umonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn
+Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte.
+Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien.
+So war’s, wie wandelnd hier manch Flämmchen brannte,
+Doch keines war, das seine Beute wies,
+Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.
+Am Brückenrande stehend, sah ich dies
+Und fiel’, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
+Hinunter, ohne daß mich jemand stieß.
+Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,
+Sprach nun: "Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
+Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke."
+Drauf ich: "Die Kunde, die du mir verleihst
+Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen.
+Und fragen wollt’ ich schon, wie jener heißt.
+Ich sah die Flamm’ in zwei sich oben trennen.
+Als sah’ ich in des Scheiterhaufens Glut
+Eteokles und seinen Bruder brennen."
+Und er: "Sie dämpft Ulysseus Übermut
+Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen
+In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wut.
+Ums Trugroß klagen sie in diesen Flammen,
+Und um das Tor, das Ausgang jenen bot,
+Der Heldenschar, von der die Römer stammen.
+Die List beweinen sie, durch die, schon tot,
+Noch Deidamia den Achill beklagte,
+Auch das Palladium rächt nun ihre Not."
+"Vermögen sie noch hier zu sprechen," sagte
+Ich drauf zum Meister, "o, dann bitt’ ich dich
+Vieltausendmal, da ich sie gern befragte,
+Laß mich, bis die geteilte Flamme sich
+Zu uns hierherbewegt, ein wenig weilen.
+Sieh, hin zu ihr zieht die Begierde mich."
+"Der Bitte", sprach er, "muß ich Lob erteilen,
+Wie sie verdient; sie sei darum gewährt,
+Doch laß die Sprechlust nicht dich übereilen.
+Laß mir das Wort; ich weiß, was du begehrt.
+Spröd blieben sie gewiß bei deinem Worte,
+Denn Griechen sind sie, stolz auf ihren Wert.
+Als nun die Flamme nah war unserm Orte,
+Da hört’ ich diese Red’, als Ort und Zeit
+Er für geeignet hielt, von meinem Horte:
+"Ihr, die ihr zwei in einer Flamme seid,
+Wenn ich euch jemals Grund gab, mich zu lieben,
+Da ich dem Ruhm der Helden mich geweiht,
+Und in der Welt das hohe Lied geschrieben,
+So weilt bei mir und sag’ Ulyß mir an,
+Wo auf der Irrfahrt sein Gebein geblieben."
+Der alten Flamme größres Horn begann
+Zu flackern erst und murmelnd sich zu regen.
+Als wäre sie vom Wind gefaßt, und dann
+Rasch hin und her die Spitze zu bewegen,
+Gleich einer Zung’, und deutlich tönt’ und klar
+Dann aus der Flamm’ uns dieses Wort entgegen:
+"Als ich von Circen schied, die mich ein Jahr
+Und länger bei Gaëta festgehalten,
+Eh’s so benannt noch von Äneas war,
+Da ließ ich nicht das Mitleid für den alten
+Gebeugten Vater, nicht die Gattenpflicht,
+Noch Vaterzärtlichkeit im Herzen walten.
+Sie tilgten all in mir das Sehnen nicht,
+Die Welt zu sehn und alles zu erkunden,
+Was sie besitzt, wie das, was ihr gebricht.
+Drum warf ich mich, kaum meiner Haft entbunden,
+In einem einz’gen Schiff ins offne Meer,
+Samt einem Häuflein, das ich treu erfunden.
+Nach Spanien führt’ und Libyen hin und her
+Ich meine wackre Schar, als kühner Leiter,
+Und jedem Eiland jenes Meers umher.
+Alt war ich schon und schwach, auch die Begleiter,
+Da war mein Schiff am engen Schlunde dort,
+Wo Herkuls Säulenpaar gebeut: Nicht weiter!
+Als hinter uns nun rechts Sevillas Bord
+Und links in Libyen Septas Zinnen waren,
+Sprach ich zu den Gefährten dieses Wort:
+Brüder, die durch Tausend’ von Gefahren
+Ihr hier im Abend kühn euch eingestellt,
+Verwendet jetzt, um Neues zu erfahren,
+Weil Seele noch und Leib zusammenhält,
+Den kurzen Rest von eurem Erdenleben;
+Der Sonne nach zur unbewohnten Welt!
+Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben;
+Nicht um dem Viehe gleich zu brüten, nein,
+Um Wissenschaft und Jugend zu erstreben.
+Den Meinen schien dies Wort ein Sporn zu sein,
+Kaum hielt ich sie, hätt’ ich gewollt, im Zügel,
+Und rastlos ging’s ins weite Meer hinein.
+Erst morgenwärts gewandt des Schiffes Spiegel
+Ging unser toller Flug dann linker Hand,
+Und seiner Eil’ verlieh’n die Ruder Flügel.
+Schon alle Sterne jenes Poles fand
+Der Blick der Nacht, und die des unsern klommen
+Kaum übers Meer noch an des Himmels Rand.
+Schon fünfmal war entzündet und verglommen
+Des Mondes Licht, seit wir, dem Glück vertraut,
+Durch den verhängnisvollen Paß geschwommen,
+Als uns ein Berg erschien, von Dunst umgraut
+Vor weiter Fern’, und schien so hoch zu ragen,
+Wie ich noch keinen auf der Erd’ erschaut.
+Erst jubeln ließ er uns, dann bang verzagen,
+Denn einen Wirbelwind fühlt’ ich entstehn
+Vom neuen Land und unsern Vorbord schlagen.
+Er macht’ uns dreimal mit den Fluten dreh’n,
+Dann, als der hintre Teil emporgeschossen,
+Nach höh’rem Spruch, den vordern untergehn,
+Bis über uns die Wogen sich verschlossen."
+
+
+Siebenundzwanzigster Gesang
+
+Schon aufrecht stand und still der Flamme Haupt,
+Und sie entfernte sich in tiefem Schweigen,
+Nachdem der süße Dichter ihrs erlaubt.
+Wir sah’n nach ihr sich eine zweite zeigen,
+Und ein verwirrt Gestöhn, das ihr entquoll,
+Macht’ unsern Blick zu ihrer Spitze steigen.
+Gleich wie Siziliens Stier, der jammervoll
+Zuerst von seines Bildners Schrei’n erbrüllte,
+--Und so war’s recht--von dessen Klag’ erscholl,
+Den er im innern hohlen Raum verhüllte,
+Und, ganz von Erz, in seinem Angstgestöhn
+Erschien, als ob ihn selbst der Schmerz erfüllte;
+So schien das Klagewort, das in den Höh’n
+Und an den Seiten nirgend durchgedrungen,
+Erst gleich des Feuers knisterndem Getön.
+Doch als es sich zur Spitz’ emporgerungen,
+Die, wie die Zunge hin und wieder fährt,
+Sich bei dem Durchgang hin und her geschwungen.
+Da sprach’s: O du, an den mein Wort sich kehrt,
+Der du, wie ich vernahm, mit welschem Klange
+Gesprochen: Geh, nicht weiter sei beschwert!
+Obwohl ich etwas spät hierhergelange,
+Doch weil’ und gib auf meine Fragen acht,
+Denn sieh, ich weile trotz der Gluten Drange.
+Bist du zur Reif in diesen dunklen Schacht
+Erst jetzt vom süßen Latierland geschieden,
+Von dem ich alle Schuld hierhergebracht,
+So sprich:Hat Krieg Romagna oder Frieden?
+Denn da das schöne Land auch mich erzeugt,
+So kümmert mich sein Schicksal noch hienieden."
+Ich stand aufmerksam niederwärts gebeugt,
+Da stieß Virgil mich leis und sagte: "Rede,
+Ein Latier ist er, wie sein Wort bezeugt."
+Worauf ich schon bereit zur Gegenrede,
+Ihn also sonder Zögerung beschied:
+"O Seele, hier verborgen, sonder Fehde
+War nimmer deines Vaterlands Gebiet,
+Weil stets im Kampf der Zwingherrn Herzen wüten;
+Doch offenbar war keine, da ich schied.
+Ravenna ist, wie’s war; dort pflegt zu brüten,
+So wie seit Jahren schon, Polentas Aar,
+Des Flügel unter sich auch Cervia hüten
+Die Stadt, die fest in langer Probe war,
+Wo rote Ströme Frankenblutes wallten,
+Liegt unterm grünen Leu’n nun ganz und gar.
+Verruchios alt’ und neuer Hund, sie walten
+Schlimm, wie sie den Montagna einst belohnt,
+Da, wo sie eingeholt die Zähne halten.
+Das, was am Lamon und Santerno wohnt,
+Läßt sich vom Leu’n im weißen Neste leiten,
+Der die Partei vertauscht mit jedem Mond.
+Sie, welchen Savios Flut benetzt die Seiten,
+Lebt zwischen Sklaverei und freiem Stand,
+Wie zwischen dem Gebirg und ebnen Weiten.
+Jetzt, bitt’ ich, mach’ uns, wer du bist, bekannt;
+Wie der Vergessenheit dein Nam’ enttauche,
+So sei nicht härter, als ich andre fand."
+Da grunzt’ und braust’ es in der Flamme Bauche,
+Wie Feuer braust; sie regte hin und her
+Das spitze Haupt und gab dann diese Hauche:
+"Sprach’ ich zu einem, dessen Wiederkehr
+Nach jener Welt ich jemals möglich glaubte,
+So regte nie sich diese Flamme mehr.
+Doch da dies keinem je die Höll’ erlaubte,
+So sag’ ich ohne Furcht vor Schand’ und Schmach,
+Was mich hierher stieß und des Heils beraubte.
+Ich war erst Kriegsmann und Mönch hernach,
+Um mich vom Fall durch Buß’ emporzurichten;
+Gewiß geschah auch, was ich mir versprach.
+Allein der Erzpfaff--mög’ ihn Gott vernichten--
+Er hat mich neu den Sündern beigesellt,
+Wie und warum? das will ich jetzt berichten.
+Als ich noch oben lebt’ in eurer Welt,
+Da ward ich nimmer mit dem Leu’n verglichen,
+Doch öfters wohl dem Fuchse gleichgestellt.
+In allen Ränken und geheimen Schlichen
+War ich geschickt, in ihrer Übung schlau
+Und drum berühmt in allen Himmelsstrichen.
+Doch als die Zeit kam, da des Haares Grau
+Uns dringend mahnt, das hohe Meer zu scheuen
+Und einzuziehn das Segel und das Tau,
+Da mußt’ ich, was mir erst gefiel, bereuen,
+Ward Mönch und tat nun Buß’ am heil’gen Ort,
+Ach, und noch könnt’ ich mich des Heils erfreuen.
+Der neuen Pharisäer Herr und Hort
+(Im Krieg, mit Juden nicht und Türkenscharen,
+Vielmehr am Lateran und nahe dort,
+Weil alle seine Feinde Christen waren,
+Die nicht bei Acri mit gesiegt und nicht
+Des Sultans Land als Schacherer befahren),
+Nicht achtet’ er an sich die höchste Pflicht
+Und nicht den Strick, der meinen Leib umfangen,
+Der jeden mager macht, den er umflicht.
+Wie Konstantin Silvestern angegangen,
+Ihm Hilf und Rat beim Aussatz zu verleih’n;
+So sollt’ ich jetzt als Arzt auf sein Verlangen
+Vom Fieber seines Hochmuts ihn befrei’n.
+Doch schweigen mußt’ ich und mich selber schämen,
+Denn eines Trunknen schien sein Wort zu sein.
+Du darfst nicht sorgen, sprach er, noch dich grämen;
+Ablaß erteil’ ich dir, mich lehre du:
+Wie fang’ ich’s an, Preneste wegzunehmen.
+Du weißt, den Himmel schließ’ ich auf und zu,
+Denn beide Schlüssel sind mir übergeben,
+Die Cölestin vertauscht um träge Ruh’.
+Nicht war so trift’gem Grund zu widerstreben,
+Und da hier schweigen mir das Schlimmste schien,
+So sprach ich endlich: Vater, da du eben
+Die Sünde, die ich tun soll, mir verziehn,
+So wisse: Viel versprechen, wenig halten,
+Dadurch wird deinem Stuhl der Sieg verlieh’n--
+Franz wollte, wie ich starb, sein Amt verwalten,
+Mich heimzuführen, doch ein Teufel kam
+Und sprach: Halt ein, denn den muß ich erhalten.
+Er kommt mit mir hinab zu ew’gem Gram,
+Weil ich, seitdem er jenen Trug geraten,
+Ihn bei dem Haar als meine Beute nahm.
+Wer Ablaß will, bereu’ erst seine Taten.
+Doch wer bereut und Böses will, der muß
+Wohl mit sich selbst in Widerspruch geraten.
+Ach! wie ich zuckt’ in Schrecken und Verdruß,
+Als er mich faßt’ und, mich von dannen reißend,
+Sprach: Meintest du, ich sei kein Logikus?
+Zu Minos trug er mich, der, sich umkreisend
+Den harten Rücken, bei dem achten Mal
+Ausrief, sich in den Schweif vor Ingrimm beißend:
+Der wird der Flamme Raub im achten Tal!
+Und also ward ich von dem Schlund verschlungen
+Und geh’ im Feuerkleid zu ew’ger Qual."
+Hier endet’ er, und als das Wort verklungen,
+Da ging sogleich die Flamme jammernd fort,
+Das Horn gedreht und hin und her geschwungen.
+Und weiter ging ich nun mit meinem Hort
+Zur nächsten Brück’ auf rauhen Felsenpfaden
+Und sah im Grund, den Lohn empfangend, dort
+Die, Zwiespalt stiftend, sich mit Schuld beladen.
+
+
+Achtundzwanzigster Gesang
+
+Wer könnte je, auch mit dem freisten Wort,
+Das Blut, das ich hier sah, die Wunden sagen,
+Erzählt’ er auch die Kunde fort und fort.
+Jedwede Zunge muß den Dienst versagen,
+Da Sprach’ und Geist zu eng und schwach erscheint,
+So Schreckliches zu fassen und zu tragen.
+Und wäre das gesamte Volk vereint,
+Das Puglien, das verhängnisvolle, hegte,
+Dies Land, das einst die blut’ge Schar beweint,
+Die Rom und jener lange Krieg erlegte,
+Wo man so große Beut’ an Ringen fand,
+Wie Livius schrieb, der nicht zu irren pflegte,
+Vereint mit dem, das harte Schläg’ empfand,
+Weil’s gegen Robert Guiscard ausgezogen;
+Mit dem, des Knochen modern, dort im Land
+Bei Ceperan, wo Pugliens Schar gelogen;
+Mit dem von Tagliacozzo, wo Alard,
+Der Greis, durch List die Waffen aufgewogen;
+Und zeigte, wie es dort verstümmelt ward,
+Sich jedes Glied, nicht war’ es zu vergleichen
+Mit dieses neunten Schlundes Weis’ und Art.
+Ein Faß, von welchem Reif und Dauben weichen,
+Ist nicht durchlöchert, wie hier einer ging,
+Zerfetzt vom Kinn bis zu Gefäß und Weichen,
+Dem aus dem Bauch in manchem ekeln Ring
+Gedärm und Eingeweid’, wo sich die Speise
+In Kot verwandelt, samt dem Magen hing.
+Ich schaut’ ihn an und er mich gleicherweise,
+Dann riß er mit der Hand die Brust sich auf
+Und sprach zu mir: "Sieh, wie ich mich zerreiße!
+Sieh hier das Ziel von Mahoms Lebenslauf!
+Vor mir geht Ali, das Gesicht gespalten
+Vom Kinn bis zu dem Scheitelhaar hinauf.
+Sieh alle, die, da sie auf Erden wallten,
+Dort Ärgernis und Trennung ausgesät,
+Zerfetzt hier unten ihren Lohn erhalten.
+Ein wilder Teufel, der dort hinten steht,
+Er ist’s, der jeglichen zerfetzt und schändet,
+Mit scharfem Schwert, der dort vorübergeht,
+Wenn wir den schmerzensvollen Kreis vollendet;
+Weil jede Wunde heilt, wie weit sie klafft,
+Eh’ unser Lauf zu ihm zurück sich wendet.
+Doch wer bist du, der dort herniedergafft?
+Weilst du noch zögernd über diesen Schlünden,
+In welche Klag’ und Urteilsspruch dich schafft?"
+"Er ist nicht tot, noch hergeführt von Sünden,"
+So sprach mein Meister drauf, zu Mahoms Pein,
+"Doch soll er, was die Höll’ umfaßt, ergründen,
+Und ich, der tot bin, soll sein Führer sein.
+Drum führ’ ich ihn hinab von Rund’ zu Runde,
+Und Glauben könnt ihr meinem Wort verleih’n."
+Jetzt blieben hundert wohl im tiefen Grunde,
+Nach mir hinblickend, still verwundert stehn,
+Vergessend ihre Qual bei dieser Kunde.
+"Du wirst vielleicht die Sonn’ in kurzem sehn,
+Dann sage dem Dolcin, er soll mit Speisen,
+Eh’ ihn der Schnee belagert, sich versehn,
+Wenn er nicht Lust hat, bald mir nachzureisen.
+Allein vollbringt er, was ich riet, so muß
+Novaras Heer ihn lang’ umsonst umkreisen."
+Zum Weitergehn erhoben einen Fuß,
+Rief dieses Wort mir zu des Mahom Seele,
+Und setzt’ ihn hin und ging dann voll Verdruß.
+Dann sah ich einen mit durchbohrter "Kehle,
+Die Nase bis zum Auge hin zerhau’n,
+Und wohl bemerkt’ ich, daß ein Ohr ihm fehle.
+Und staunend sah auf mich dies Bild voll Grau’n
+Und öffnete zuerst des Schlundes Röhre,
+Von außen rot und blutig anzuschau’n.
+"Du, nicht verdammt für Sünden, wie ich höre,
+Den ich bereits im Latierlande sah,
+Wenn ich durch Ähnlichkeit mich nicht betöre,
+"Kommst du den schönen Ebnen wieder nah,
+Die von Vercell nach Marcabo sich neigen,
+So denk’ an Pier von Medicina da.
+Du magst den Besten Panos nicht verschweigen,
+Dem Guid und Angiolell, daß, wenn nicht irrt
+Mein Geist, dem sich der Zukunft Bilder zeigen,
+Nah bei Cattolica, schlau angekirrt,
+Vom schändlichsten der Wüteriche verraten,
+Das edle Paar ersäuft im Meere wird.
+Noch nimmer hat Neptun so schnöde Taten
+Von Zypern bis Majorka hin geschaut,
+Von Griechenscharen nicht, noch von Piraten.
+Der Bub’, auf einem Aug’ von Nacht umgraut,
+Jetzt Herr des Lands, von welchem mein Geselle
+Hier neben wünscht, er hätt’ es nie erschaut,
+Ruft sie als Freund und tut an jener Stelle
+So, daß sie nicht Gelübd’ tun, noch sich scheu’n,
+Wie wild der Wind auch von Focara schwelle."
+Drauf ich: "Soll dein Gedächtnis sich erneu’n,
+So magst du dich zu sagen nicht entbrechen,
+Wer muß den Anblick jenes Lands bereu’n?"
+Da griff er, um den Mund ihm aufzubrechen,
+Nach eines andern Kiefer hin und schrie:
+"Sieh her, der ist’s, allein er kann nicht sprechen,
+Er, der verbannt, einst Cäsarn Mut verlieh,
+Und alle seine Zweifel scheucht’, ihm sagend:
+"Dem ’Kampfbereiten fromme Zögern nie."
+O wie jetzt Curio ganz verblüfft und zagend,
+Die Zunge tief am Schlund verschnitten, stand,
+Die Zung’, einst kühn und eilig alles wagend--
+Und abgeschnitten die und jene Hand,
+Stand einer, in die Nacht die Stümpf erhoben,
+Das Antlitz blutbespritzt mir zugewandt,
+Und rief: "Denkt man des Mosca noch dort oben?
+Ich bin’s, der meine Hand zum Morde bot,
+Ob des jetzt Tuscien die Partei’n durchtoben."
+"Der Grund auch war zu deines Stammes Tod!"
+Setzt’ ich hinzu--und, häufend Grau’n auf Grauen,
+Zog er davon in höchster Angst und Not.
+Ich aber blieb, die andern anzuschauen,
+Und was ich sah, so furchtbar und so neu,
+Nicht wagt’ ich’s unverbürgt euch zu vertrauen,
+Fühlt’ ich nicht mein Gewissen rein und treu,
+Dies gute feste Schild, den sichern Leiter,
+Und so mein Herz befreit von Furcht und Scheu.
+Ich sah--noch ist dies Schreckbild mein Begleiter--
+Ein Rumpf ging ohne Haupt mit jener Schar
+Von Unglücksel’gen in der Tiefe weiter.
+Er hielt das abgedchnittne Haupt beim Haar
+Und ließ es von der Hand als Leuchte hangen
+Und seufzte tief, wie er uns nahe war.
+So kam er eins in zwei’n dahergegangen
+Und leuchtet’ als Laterne sich mit sich--
+Wie’s möglich, weiß nur der, der’s so verhangen.
+Nachdem er bis zum Fuß der Brücke schlich,
+Hob er, um näher mir ein Wort zu sagen,
+Den Arm zusamt dem Haupte gegen mich,
+Und sprach: "Hier sieh die schrecklichste der Plagen!
+Du, der du atmend in der Höll’ erscheinst,
+Sprich: Ist wohl eine schwerer zu ertragen?
+Jetzt horch, wenn du von mir zu künden meinst;
+Beltram von Bornio bin ich, und Johannen,
+Dem König, gab ich bösen Ratschlag einst,
+Darob dann Sohn und Vater Krieg begannen,
+Wie zwischen David einst und Absalon,
+Durch Ahitophel Fehden sich entspannen.
+Mein Hirn nun muß ich zum gerechten Lohn
+Getrennt von seinem Quell im Rumpfe sehen,
+Weil ich getrennt den Vater und den Sohn,
+Und so, wie ich getan, ist mir geschehen."
+
+
+Neunundzwanzigster Gesang
+
+Das viele Volk und die verschiednen Wunden,
+Sie hatten so die Augen mir berauscht,
+Daß sie vom Schau’n mir ganz voll Zähren stunden.
+Da sprach Virgil: "Was willst du noch? Was lauscht
+Und starrt dein Auge so nach diesen Gründen,
+Wo’s Greuelbild um Greuelbild vertauscht?
+Nicht also tatst du in den andern Schlünden.
+An zweiundzwanzig Miglien kreist dies Tal,
+Drum kannst du hier nicht jegliches ergründen.
+Schon unter unserm Fuß glänzt Lunens Strahl,
+Und wenig dürfen wir uns nur verweilen,
+Denn noch zu sehn ist viel und große Qual."
+Ich sprach: "Erlaubtest du, dir mitzuteilen,
+Welch einen Grund ich hatt’, hinabzuspäh’n,
+So würdest du wohl minder mich beeilen."
+Er ging und ich ihm nach und gab im Gehn
+Dem Meister von dem Grund des Forschens Kunde
+Und sprach: "Wohl hab’ ich scharf hinabgesehn,
+Denn eine Seele wohnt in diesem Schlunde
+Von meinem Stamm, und sicher ist an ihr
+Bestraft die Schuld durch manche schwere Wunde."
+Mein Meister sprach darauf: "Nicht mache dir
+Noch länger Sorg’ um diesen Anverwandten;
+An andres denk’, er aber bleibe hier.
+Ich sah ihn bei der Brücke den Bekannten
+Dich zeigen und dir mit dem Finger droh’n
+Und hörte, wie sie ihn del Bello nannten.
+Doch du bemerktest eben nichts davon,
+Weil auf dem Beltram deine Blicke weilten.
+Als dieser ging, war jener schon entfloh’n."
+"Weil Rach’ und Schwert des Feindes ihn ereilten",
+Sprach ich, "und keiner seinen Tod gerächt,
+Von allen denen, so die Kränkung teilten,
+Zürnt’ er auf mich und zürnt’ auf sein Geschlecht
+Und ging drum, ohne mich zu sprechen, weiter,
+Und darin, glaub’ ich, hat der Arme recht."
+Nun folgt’ ich hin zum Felsen meinem Leiter,
+Von wo man überblickt den nächsten Schlund,
+Wär’ irgend nur von Licht die Tiefe heiter.
+Von seiner Höh’ ward unserm Auge kund
+Der letzte Klosterbann von Übelsäcken,
+Und viel Bekehrte waren tief im Grund.
+Und gleich den Pfeilen drangen, mir zum Schrecken,
+Gespitzt durch Mitleid, Jammertön’ heraus
+Und zwangen mich, die Ohren zu bedecken.
+Wär’ aller Schmerz aus jedem Krankenhaus
+Zur Zeit, da wild die Sommergluten flammen,
+Und Valdichianas und Sardiniens Graus
+Und Seuch’ und Pest in einem Schlund beisammen,
+Nicht ärger wär’s als hier, wo fauler Duft
+Und Stank vom Eiter in den Lüften schwammen.
+Wir stiegen auf den Rand der letzten Kluft
+Vom langen Felsen niederwärts zur Linken,
+Und deutlicher erschien der Schoß der Gruft.
+In diesem Grund läßt nach des Höchsten Winken
+Die nimmer irrende Gerechtigkeit
+Zur wohlverdienten Quäl die Fälscher sinken.
+Nicht in Ägina ist vor alter Zeit
+Des Volkes Anblick trauriger gewesen,
+Das krank darniedersank, dem Tod geweiht,
+Ja bis zum kleinsten Wurm jedwedes Wesen,
+Durch tückisch böse Luft, worauf im Land,
+Wie wir für sicher in den Dichtern lesen,
+Ein neues Volk aus Ämsenbrut entstand;
+Als hier zu sehn war, wie sich schwach und siechend
+Das Geistervolk in manchem Haufen wand.
+Die einen auf der andern Rücken liegend,
+Die auf dem Bauch, und die von einem Ort
+Zum andern hin auf allen vieren kriechend.
+Wir gingen Schritt um Schritt und schweigend fort,
+Sahn Kranke dort, unfähig aufzustehen
+Und horchten auf ihr kläglich Jammerwort.
+Sich gegenseitig stützend, saßen zween,
+Wie in der Küche Pfann’ an Pfanne lehnt,
+Mit Grind gefleckt vom Kopf bis zu den Zehen.
+Gleich wie ein Stallknecht, der nach Schlaf sich sehnt
+Und bald sein Tagwerk hofft vollbracht zu haben,
+Die Striegel eiligst führt und öfters gähnt;
+So sah ich sie sich mit den Nägeln schaben
+Und hier und dort sich kratzen und geschwind,
+So gut es ging, ihr wütend Jucken laben.
+Und schnell war unter ihren Klau’n der Grind
+Wie Schuppen von den Barschen abgegangen,
+Die unterm Messer schneller Köche sind.
+"Du, vor des Fingern Schien’ und Masche sprangen,"
+Begann Virgil zu einem von den zwei’n,
+"Und der du sie auch oft gebrauchst wie Zangen,
+Sprich: Fanden sich auch hier Lateiner ein
+Und mögen dich zu kratzen und zu krauen,
+Dafür dir ewig scharf die Nägel sein."
+"Lateiner kannst du in uns beiden schauen,"
+Erwidert einer drauf, von Qual durchbebt,
+"Doch wer du bist, magst du mir erst vertrauen."
+Mein Führer sprach: "Von Fels zu Felsen strebt
+Mein Fuß hinab in diesen Finsternissen;
+Die Höll’ zeig’ ich diesem, der da lebt."
+Da schien das Band, das beide hielt, zerrissen,
+Und jeder, dem’s der Rückhall kundgetan,
+War zitternd nur mich anzuschau’n beflissen.
+Dicht drängte sich an mich mein Meister an
+Und sprach: "Du magst sie nach Belieben fragen!"
+Und ich, da er es so gewollt, begann:
+"Soll dein Gedächtnis noch in späten Tagen
+Auf unsrer Welt und in der Menschen Geist
+Erhalten sein, so magst du jetzo sagen,
+Wie du dich nennst und deine Heimat heißt?
+Und, trotz der ekeln Qual, nimm dich zusammen,
+Daß du in deinen Reden offen seist."
+"Mich zeugt’ Arezzo, und den Tod in Flammen
+Verschafft’ einst Albero von Siena mir,
+Doch andrer Grund hieß Minos mich verdammen.
+Wahr ist’s, ich sagt’ im Scherz: ins Luftrevier
+Verstünd’ ich mich im Fluge hinzuschwingen.
+Er, klein an Witz und groß an Neubegier,
+Bat mich, ihm diese Kenntnis beizubringen,
+Und nur weil er durch mich kein Dädal ward,
+Befahl sein Vater dann, mich umzubringen.
+Doch Minos, dem sich alles offenbart,
+Hat, weil ich mich der Alchimie ergeben,
+Im letzten Schlund der zehen mich verwahrt."
+Zum Dichter sagt’ ich: "Sprich, ob man im Leben
+So eitles Volk wie die Sanesen fand?
+Selbst die Franzosen sind ja nichts daneben."
+Der andre Grind’ge, welcher mich verstand,
+Rief: "Mag nur Stricca ausgenommen bleiben,
+Der all sein Gut so klüglich angewandt;
+Und Nikel, dem die Ehre zuzuschreiben,
+Daß er zuerst die Braten wohl gewürzt,
+Dort, wo dergleichen Saaten wohl bekleiben;
+Und jener Klub, der wohl die Zeit gekürzt,
+In dem Caccia d’Ascian samt seinem Witze,
+Auch Wald und Weinberg durch den Schlund gestürzt.
+Doch willst du wissen, wer dir half, so spitze
+Den Blick auf mich und stelle dich dahin,
+Gerade gegenüber meinem Sitze;
+Dann wirst du sehn, daß ich Capocchio bin.
+Metall verfälscht’ ich, daß ich Gold erschaffe,
+Und, sah ich recht, so ist dir’s noch im Sinn,
+Ich war von der Natur ein guter Affe".
+
+
+Dreißigster Gesang
+
+Zur Zeit, da Junos Herz in Zorn geraten
+Ob Semeles, in Zorn auf Thebens Blut,
+Wie sie so manches Mal gezeigt durch Taten,
+Ergriff den Athamas so tolle Wut,
+Daß er, als auf sein Weib der Blick gefallen,
+Das jeden Arm mit einem Sohn belud,
+Den wilden Ruf des Wahnsinns ließ erschallen:
+"Die Löwin samt den Jungen sei gefaßt!"
+Dann streckt er aus die mitleidlosen Krallen;
+Und wie er einen, den Learch, mit Hast
+Gepackt, geschwenkt und am Gestein zerschlagen,
+Ertränkte sie sich mit der zweiten Last.
+Und als das Glück, das alles kühn zu wagen,
+Die stolzen Troer trieb, sein Rad gewandt,
+So daß zusammen Reich und Fürst erlagen,
+Und Hekuba, gefangen und verbannt,
+Geopfert die Polyxena erblickte,
+Und sie ihr Mißgeschick an Thraziens Strand
+Zum Leichnam ihres Polydorus schickte,
+Da bellte sie, wahnsinnig, wie ein Hund,
+Weil Schmerz den Geist verkehrt’ und ganz bestrickte.
+Doch nichts in Theben ward noch Troja kund
+Von einer Wut, die Vieh und Menschen packte,
+Wie ich hier sah in diesem zehnten Schlund.
+Ein Paar von Geistern, totenfahle, nackte,
+Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
+Indem’s auf alles mit den Hauern hackte.
+Der schlug sie in den Hals Capocchios ein
+Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
+Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.
+Der Aretiner, der voll Angst geblieben,
+Sprach: "Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,
+Der solch ein wütend Spiel schon oft getrieben."
+"Wie du geschützt vor jenes Hauern seist,"
+Entgegnet’ ich, "so sprich, eh’ er entronnen,
+Wer dieser Schatten ist und wie er heißt."
+"Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,"
+Erwidert’ er, "die mehr als sich gebührt
+Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,
+Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,
+Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
+Wie jener, der Capocchio dort entführt,
+Weil Simon ihn durchs beste Roß verpflichtet,
+Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
+Und so für ihn ein Testament errichtet."
+Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,
+Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen
+Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.
+Der eine war der Laute zu vergleichen,
+Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
+Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.
+Die Wassersucht, durch schlechtverkochten Saft
+Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
+Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,
+Hielt ihm die beiden Lippen offen stehend,
+Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
+Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.
+"Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,
+Wie? weiß ich nicht, in diesen Schmerzenstalen,"
+Er sprach’s, "o schaut und merkt und seid belehrt
+Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.
+Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glüh’n;
+Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.
+Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün
+Des Casentin zum Arno niederrollen
+Und frisch und lind des Bettes Rand besprüh’n,
+Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,
+Und nicht umsonst--mehr, als die Wassersucht,
+Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen.
+Denn die Gerechtigkeit, die mich verflucht,
+Treibt durch den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
+Zu größrer Eile meiner Seufzer Flucht.
+Dort liegt Romena, wo ich mit Metallen
+Geringern Werts verfälscht das gute Geld,
+Weshalb ich dort der Flamm’ anheimgefallen.
+Doch wäre Guido nur mir beigesellt,
+Und jeder, der zum Laster mich verführte,
+Ich gäbe drum den schönsten Quell der Welt.
+Zwar, wenn der Tolle Wahrheit sagt, so spürte
+Er jüngst den einen auf in dieser Nacht.
+Doch da dies übel meine Glieder schnürte,
+Was hilft es mir? Hätt’ ich nur so viel Macht,
+Um zollweis’ im Jahrhundert vorzuschreiten,
+Ich hätte schon mich auf den Weg gemacht,
+Ihn suchend durch dies Tal nach allen Seiten,
+Mag’s in der Rund’ auch sich elf Miglien zieh’n,
+Und minder nicht als eine halbe breiten.
+Bei diesen Krüppeln hier bin ich durch ihn,
+Denn er hat mich verführt, daß ich den Gulden
+An schlechterm Zusatz drei Karat verlieh’n."
+Und ich: "Was mochten jene zwei verschulden,
+Die, dampfend, wie im Frost die nasse Hand,
+Fest an dir liegend, ihre Straf erdulden?"
+Er sprach: "Sie liegen fest, wie ich sie fand,
+Als ich hierhergeschneit nach Minos’ Winken,
+Und werden ewiglich nicht umgewandt.
+Die ist das Weib des Potiphar; zur Linken
+Liegt Sinon mir, berühmt durch Trojas Roß.
+Im faulen Fieber liegen sie und stinken."
+Und dieser Letzte, den’s vielleicht verdroß,
+Daß Meister Adams Wort ihn so verhöhnte,
+Gab auf den harten Wanst ihm einen Stoß,
+Daß dieser gleich der besten Trommel tönte.
+Doch in das Angesicht des andern warf
+Herr Adam die gleich harte Faust und stöhnte:
+"Ob ich mich gleich nicht fortbewegen darf,
+Doch ist mein Arm noch, wie du eben spürtest,
+Noch frei und flink zu solcherlei Bedarf."
+"Als du zum Feuer gingst," rief Sinon, "rührtest
+Du nicht den Arm schnell, wie er eben war,
+Doch schneller, da du einst den Stempel führtest."
+Der Wassersücht’ge: "Darin sprichst du wahr,
+Doch stelltest du in Troja kein Exempel
+Von einem so wahrhaft’gen Zeugnis dar."
+"Fälscht’ ich das Wort, so fälschtest du den Stempel.
+Hier bin ich doch für einen Fehler nur,
+Du aber dientest stets in Satans Tempel."
+So Sinon. "Denk’ ans Roß, du Schelm!" so fuhr
+Ihn jener an mit dem geschwollnen Bauche,
+"Qual sei dir, daß es alle Welt erfuhr."
+"Qual sei dir", rief der Grieche drauf, "die Jauche,
+Und blähe stets zum Bollwerk deinen Wanst,
+Der Durst, der deine Zung’ in Flammen tauche."
+Der Münzer: "Der du stets auf Lügen sannst,
+Dein Maul zerreiße dir für solch Erfrechen!
+Wenn du mich dürstend. schwellend sehen kannst,
+So möge Durst dich quälen, Kopfweh stechen.
+Sprach’ einer kurz: Sauf aus den ganzen Bach!
+Du würdest dessen wohl dich nicht entbrechen."
+Ich horchte stumm, was der und jener sprach,
+Da rief Virgil: "Nun, wirst du endlich kommen?
+Zu lange sah ich schon der Neugier nach."
+Als ich des Meisters Wort voll Zorn vernommen,
+Wandt’ ich voll Scham zu ihm das Angesicht
+Und fühle jetzt noch mich von Scham entglommen.
+Wie man im schreckenvollen Traumgesicht
+Zu wünschen pflegt, daß man nur träumen möge,
+Und das, was ist, ersehnt, als wär’ es nicht;
+So bangt’ ich, daß mir Scham das Wort entzöge;
+Entschuld’gen wollt’ ich mich--Entschuld’gung kam,
+Indem ich glaubte, daß ich’s nicht vermöge.
+Da sprach mein guter Meister: "Mindre Scham
+Wäscht größern Fehler ab, als du begangen,
+Darum entlaste dich von jedem Gram;
+Doch wenn wir je zu solchem Streit gelangen,
+So denke stets, daß ich dir nahe bin,
+Und bleibe nicht daran voll Neugier hangen;
+Denn drauf zu horchen, zeigt gemeinen Sinn."
+
+
+Einunddreißigster Gesang
+
+Dieselbe Zunge, die mich erst verletzte
+Und beide Wangen überzog mit Rot,
+War’s, die mich dann mit Arzeneien letzte.
+So, hör’ ich, hat der Speer Achills gedroht,
+Und seines Vaters, der mit einem Zücken
+Verletzt’ und mit dem andern Hilfe bot.
+Wir kehrten nun dem Jammertal den Rücken,
+Den Damm durchschneidend, der es rings umlag,
+Um, schweigend, mehr nach innen vorzurücken.
+Dort war’s nicht völlig Nacht, nicht völlig Tag,
+Daher die Blicke wenig vorwärts gingen;
+Doch tönt’ ein Horn--der stärkste Donner mag
+Bei solchem Ton kaum hörbar noch erklingen--
+Drum sucht’ ich nur, entgegen dem Gebraus,
+Mit meinem Blick zu seinem Quell zu dringen.
+Nicht tönte nach dem unglücksel’gen Strauß,
+Der Karls des Großen heil’gen Plan vernichtet,
+Des Grafen Roland Horn mit solchem Graus.
+Wie ich mein Auge nun dorthin gerichtet,
+Glaubt’ ich, viel hohe Türme zu ersehn,
+Und sprach: "Ist eine Feste dort errichtet?"
+Mein Meister drauf: "Weil du zu weit zu späh’n
+Versuchst in diesen nachterfüllten Räumen,
+Mußt du dich selber öfters hintergehn.
+Dort siehst du, daß, wie oft, zu eitlen Träumen
+Aus der Entfernung das Geschaute schwoll,
+Drum schreite vorwärts, ohne lang zu säumen."
+Dann faßt’ er bei der Hand mich liebevoll
+Und sprach: "Ich will dir die Bewandtnis sagen,
+Weil’s nah dann minder seltsam scheinen soll.
+Ob’s Türme wären, wolltest du mich fragen?
+Nein, Riesen sind’s, die rings am Brunnenrand
+Vom Nabel aufwärts in die Lüfte ragen."
+Wie wenn der Nebel fortzieht, der das Land
+In Dunst gehüllt, allmählich unsre Blicke
+Das klar erkennen, was er erst umwand;
+So, bohrend durch die Luft, die trübe, dicke,
+Und mehr und mehr genaht dem tiefen Schlund,
+Scheucht’ ich den Wahn, doch kam die Furcht zurücke
+Wie um Montereggiones Zinnenrund
+Rings eine Krone hohe Türme machen,
+So türmten sich, mit halbem Leib im Grund,
+Mit halbem Leib rings um des Brunnens Rachen
+Giganten, Kämpfer jenes großen Streits,
+Sie, welchen nach die Donner Jovis krachen.
+Von einem sah ich das Gesicht bereits
+Und Schultern, Brust und großen Teil vom Bauche,
+Herabgestreckt die Arme beiderseits.
+Wenn die Natur nicht mehr nach altem Brauche
+Dergleichen Wesen schafft, so tut sie recht,
+Damit nicht Mars sie mehr als Schergen brauche.
+Schafft sie den Walfisch auch und das Geschlecht
+Der Elefanten noch, doch sicher findet,
+Wer reiflich urteilt, sie hierin gerecht,
+Weil, wenn die Überlegung sich verbindet
+Mit bösem Willen und mit großer Macht,
+Jedwede Schutzwehr dann dem Volke schwindet.
+Das Antlitz schien mir lang und ungeschlacht,
+Dem Turmknopf von Sankt Peter zu vergleichen,
+Und jedes Glied nach solchem Maß gemacht.
+Es mochten wohl vom Strand, der von den Weichen
+Ihn abwärts barg, der oberen Gestalt
+Drei Friesen ausgestreckt nicht dahin reichen,
+Wo seine Stirn das borst’ge Haar umwallt,
+Denn aufwärts maß er dreißig große Palmen,
+Bis zu dem Ort, wo man den Mantel schnallt.
+Raphegi mai amech itzabi Almen!
+So tönt’ es aus den dicken Lippen vor,
+Für die sich nicht geziemten sanftre Psalmen.
+Mein Führer rief: "Nimm doch dein Horn, du Tor,
+Und magst du Zorn und andern Trieb empfinden,
+So sprudl’ ihn flugs durch seinen Bauch hervor.
+Du kannst an deinem Hals den Riemen finden,
+Verwirrter Geist, der’s angebunden hält.
+Sieh doch ihn dort die dicke Brust umwinden!"
+Darauf zu mir: "Sich selbst verklagt der Held;
+Der Nimrod ist’s, durch dessen toll Vergehen
+Man nicht mehr eine Sprach’ übt in der Welt.
+Mit ihm ist nicht zu sprechen. Mag er stehen!
+Kein Mensch versteht von seiner Sprach’ ein Wort,
+Und er kann keines andern Wort verstehen."
+Wir gingen nun zur Linken weiter fort,
+Und fanden schon in Bogenschusses Weite
+Den zweiten größern, wilden Riesen dort.
+Nicht weiß ich, wem’s gelang, daß er im Streite
+Ihn fing und band, doch vorn geschnürt erschien
+Sein linker Arm und hinter ihm der zweite;
+Denn eine Kett’ umwand vom Nacken ihn,
+Um, was von seinem Leib nach oben ragte,
+Nach unten hin fünf Male zu umzieh’n.
+Da sprach mein Meister: "Mit dem Donnrer wagte
+Sein kühner Stolz des großen Kampfes Los.
+Hier aber sieh den Preis, den er erjagte.
+Ephialtes ist’s. Sein Tun war kühn und groß
+Im Riesenkampfe, zu der Götter Schrecken;
+Nun ist sein droh’nder Arm bewegungslos."
+Und ich zu ihm: "Den ungeheuern Recken,
+Den Briareus, wenn dies geschehen kann,
+Möcht’ ich wohl gern in diesem Tal entdecken."
+Mein Führer drauf: "Du siehst hier nebenan
+Antäus stehn. Er spricht, ist ungebunden
+Und setzt uns nieder in den tiefsten Bann.
+Der, den du suchst, wird weiterhin gefunden,
+Gleich diesem hier, nur schrecklicher zu schau’n,
+Allein wie er mit Ketten fest umwunden."
+Hier schüttelt’ Ephialtes sich, und traun!
+Kein Erdenstoß, von dem die Türme schwanken,
+War heftiger, erregte tiefres Grau’n.
+Ich glaubte schon dem Tode zuzuwanken,
+Und sah ich nicht, wie ihn die Kett’ umschloß,
+So genügten, mich zu töten, die Gedanken.
+Wir gingen weiter, ich und mein Genoß,
+Und sahn Antäus, der dem tiefen Bronnen,
+Zehn Ellen bis zum Haupte hoch, entsproß.
+"Der du im Tal, das ew’gen Ruhm gewonnen,
+Weil Hannibal in ihm, der kühne Feind,
+Mit seiner Schar vor Scipios Mut entronnen,
+Einst tausend Löwen fingst, wenn du, vereint
+Mit deinen Brüdern kühn den Arm geschwungen
+Im hohen Krieg, so hätten, wie man meint,
+Die Erdensöhne doch den Sieg errungen.
+Jetzt setz’ uns dort hinab, wo, fern dem Licht,
+Die starre Kälte den Kozyt bezwungen.
+Zu Tiphöus oder Tityus schick’ uns nicht.
+Das, was man hier ersehnt, kann dieser geben,
+Drum wende nicht so mürrisch dein Gesicht.
+Er kann auf Erden deinen Ruf erheben.
+Er lebt und hofft, wenn ihn nicht vor der Zeit
+Die Gnade zu sich ruft, noch lang zu leben."
+Er sprach’s, und jener, schnell zum Griff bereit,
+Streckt’ aus die Hand, um auf ihn loszufahren,
+Die Hand, die Herkul fühlt’ im großen Streit.
+Virgil, kaum konnt’ er sich gepackt gewahren,
+Rief: "Komm hierher, wo dich mein Arm umstrickt!"
+Drauf macht’ er’s, daß wir zwei ein Bündel waren.
+Wie Carisenda, unterm Hang erblickt,
+Sich vorzubeugen scheint und selbst zu regen,
+Wenn Wolken ihr den Wind entgegenschickt,
+So schien Antäus jetzt sich zu bewegen,
+Als er sich niederbog, und großen Hang
+Empfand ich, fortzugehn auf andern Wegen.
+Doch leicht zum Grund, der Luzifern verschlang
+Und Judas, setzt’ er nieder unsre Last,
+Und, so geneigt, verweilt’ er dort nicht lang
+Und schnellt’ empor, als wie im Schiff der Mast.
+
+
+Zweiunddreißigster Gesang
+
+O hätt’ ich Reime von so heiserm Schalle,
+So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus,
+Auf welchem ruh’n die andern Felsen alle,
+Dann drückt’ ich, was ich will, vollkommner aus,
+Doch, sie nicht habend, geh’ ich nur mit Bangen
+Jetzt an die Rede, wie zum harten Strauß.
+Denn nicht ein Spiel ist ja mein Unterfangen,
+Den Grund des Alls dem Liede zu vertrau’n,
+Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.
+Doch fördern meine Reim’ itzt jene Frau’n,
+Amphions Hilf an Thebens Mau’r und Toren,
+Dann wohl entspricht mein Lied der Tat an Grau’n.
+O schlechtster Pöbel, an dem Ort verloren,
+Der hart zu schildern ist, oh wärst du doch
+In unsrer Welt als Zieg’ und Schaf geboren.
+Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch
+Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
+Und nach der hohen Mauer sah ich noch.
+Da hört’ ich sagen: "Schau’ auf deine Schritte,
+Daß du den Armen nicht im Weiterzieh’n
+Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte."
+Drum wandt’ ich mich, und vor mir hin erschien
+Und unter meinen Füßen auch ein Weiher,
+Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser, schien.
+Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,
+Und nah dem Pol, selbst in der längsten Nacht,
+Deckt nicht den Sanais ein so dichter Schleier.
+Und wäre Tabernik herabgekracht
+Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume
+Bei ihrem Sturz das Eis krick krick gemacht.
+Wie abends, wenn die Bäuerin im Traume
+Noch Ähren liest--die Schnauze vorgestreckt,
+Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;
+So bis dahin, wo sich die Scham entdeckt,
+Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
+War elend Geistervolk im Eis versteckt,
+Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,
+Vom Froste mit dem Mund und von den Weh’n
+Des Herzens mit den Augen Zeugnis sagend.
+Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,
+Schaut’ ich zum Boden hin und sah von oben
+Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.
+"Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,
+Wer seid ihr?" sprach ich--dann, als sie auf mich,
+Die Hälse rückend, ihre Blick’ erhoben,
+Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,
+Von Tränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
+Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,
+Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen,
+Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
+Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.
+Und einer, der sein Ohrenpaar bereits
+Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
+Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?
+Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?
+Das Tal, das des Bisenzio Flut benetzt,
+War ihnen einst und ihrem Vater eigen.
+Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt
+Kaina ganz, du findest sicher keinen
+Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt;
+Nicht ihn, des Brust und Schatten einst durch einen
+Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand;
+Focaccia nicht, noch ihn, des Kopf den meinen
+So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand.
+Den, hörst du Sassol Mascheroni nennen,
+Du, ein Toskaner, sicher leicht erkannt.
+Jetzt hör’, um mir nur schleunig Ruh’ zu gönnen,
+Ich, Camicion, erwarte den Carlin
+Und werde neben ihm mich brüsten können:"
+Noch sah ich viele Hundesfratzen zieh’n
+Vor großem Frost in diesem tiefen Kreise,
+Und schaudre noch vor dem, was mir erschien.
+Und weiter ging zum Mittelpunkt die Reise,
+Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht,
+Und selber zittert’ ich beim ew’gen Eise.
+War’s Vorsatz, war’s Geschick--ich weiß es nicht,
+Genug, es stieß mein Fuß beim Weitergehen
+Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.
+"Was trittst du mich?"--so hört’ ich’s heulend schmähen,
+"Rächst du noch schärfer Montapert an mir?
+Wenn aber nicht, weswegen ist’s geschehen?--"
+"Mein Meister," sprach ich, "harr’ ein wenig hier,
+Denn gern belehrt’ ich mich von diesem näher,
+Dann folg’ ich, wie dir’s gut dünkt, eilig dir."
+Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,
+Und jener fluchte noch so wild wie erst,
+Da sprach ich: "Wer bist du, du arger Schmäher?"
+"Und du, der du durch Antenora fährst,"
+Sprach er, "wer du, der so stößt andrer Wangen,
+Daß es zu arg war’, wenn du lebend wärst?"--
+"Ich lebe", sagt’ ich. "Hättest du Verlangen
+Nach Ruf, so wird er dir durch mich zuteil,
+Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen."
+Drauf er: "Ich wünsche nur das Gegenteil,
+Drum packe dich--in diesen Eisesmassen
+Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil."
+Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,
+Und sagt’ ihm: "Nötig wird’s, daß du dich nennst,
+Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen."
+Und er: "Ob du mich zausen magst, du kennst
+Mich dennoch nicht--nichts sollst du hier erkunden,
+Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst."
+Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,
+Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
+Schaut’ er hinab und bellte gleich den Hunden.
+Da rief ein andrer: "Bocca, nun fürwahr,
+Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
+Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?"
+"Dich", rief ich, "mag ich nicht zum Reden zwingen,
+Verräter du, allein zu deiner Schmach
+Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen."
+"Erzähle, was du willst, doch hintennach",
+Rief Bocca, "magst du diesen nur nicht schönen,
+Der eben jetzo so geläufig sprach.
+Sieh ihn für’s Gold der Franken hier belohnen
+Und sage, daß Duera da nicht fehlt,
+Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.
+Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,
+Dort siehst du Becherias Augen triefen,
+Den jüngst die Florentiner abgekehlt.
+Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,
+Gan, Sribaldello, der Faenzas Tor
+Den Feinden aufschloß, da noch alle schliefen."
+Wir gingen fort, und, etwas weiter vor,
+War, Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
+Das fest in einem Loch zusammenfror.
+Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,
+So fraß der Obre hier den Untern an
+Da, wo sich Nacken und Gehirn verbinden.
+Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn
+Einst Sydeus voll von wilder Wut geschlagen,
+So ward von ihm dem Schädel hier getan.
+"O du, der du mit viehischem Behagen
+Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
+Weshalb", begann ich, "magst du dich beklagen?
+Und hör’ ich, daß du dich mit Recht beklagst,
+Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
+So sollst du dort erstehn, wo du erlagst,
+Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche."
+
+
+Dreiunddreißigster Gesang
+
+Den Mund erhob vom schaudervollen Schmaus
+Der Sünder jetzt und wischt’ ihn mit den Locken
+Des angefress’nen Hinterkopfes aus.
+Er sprach: "Du willst zum Reden mich verlocken?
+Verzweiflungsvollen Schmerz soll ich erneu’n,
+Bei des Erinnrung schon die Pulse stocken?
+Doch dient mein Wort, um Saaten auszustreu’n,
+Die Frucht der Schande dem Verräter bringen,
+Nicht Reden werd’ ich dann noch Tränen scheu’n.
+Zwar, wer du bist, wie dir hierherzudringen
+Gelungen, weiß ich nicht, doch schien vorhin
+Wie Florentiner Laut dein Wort zu klingen.
+Du höre jetzt: Ich war Graf Ugolin,
+Erzbischof Roger er, den ich zerbissen.
+Nun horch, warum ich solch ein Nachbar bin.
+Daß er die Freiheit tückisch mir entrissen,
+Als er durch Arglist mein Vertrau’n betört,
+Und mich getötet hat, das wirst du wissen.
+Vernimm darum, was du noch nicht gehört,
+Noch haben kannst--den Tod voll Graus und Schauer,
+Und fass es, wie sich noch mein Herz empört.
+Ein enges Loch in des Verlieses Mauer,
+Durch mich benannt vom Hunger, wo gewiß
+Man manchen noch verschließt zu bittrer Trauer,
+Es zeigte kaum nach nächt’ger Finsternis
+Das erste Zwielicht, als ein Traum voll Grauen
+Der dunkeln Zukunft Schleier mir zerriß.
+Er jagt’, als Herr und Meister, durch die Auen
+Den Wolf und seine Brut zum Berg hinaus,
+Der Pisa hindert, Lucca zu erschauen.
+Mit Hunden, mager, gierig und zum Strauß
+Wohleingeübt, entsendet er Sismunden,
+Lanfranken samt Gualanden sich voraus.
+Bald schien im Lauf des Wolfes Kraft geschwunden
+Und seiner Jungen Kraft, und bis zum Tod
+Sah ich von scharfen Zähnen sie verwunden.
+Als ich erwacht’ im ersten Morgenrot,
+Da jammerten, halb schlafend noch, die Meinen,
+Die bei mir waren, und verlangten Brot.
+Teilst du nicht meinen Schmerz, so teilst du keinen,
+Und denkst du, was mein Herz mir kundgetan,
+Und weinest nicht, wann pflegst du denn zu weinen?
+Schon wachten sie, die Stunde naht’ heran,
+Wo man uns sonst die Speise bracht’, und jeden
+Weht’ ob des Traumes Unglücksahndung an.
+Verriegeln hört’ ich unter mir den öden,
+Grau’nvollen Turm--und ins Gesicht sah ich
+Den Kindern allen, ohn’ ein Wort zu reden.
+Ich weinte nicht. So starrt’ ich innerlich,
+Sie weinten, und mein Anselmuccio fragte:
+Du blickst so,--Vater! Ach, was hast du? Sprich!
+Doch weint’ ich nicht, und diesen Tag lang sagte
+Ich nichts und nichts die Nacht, bis abermal
+Des Morgens Licht der Welt im Osten tagte.
+Als in mein jammervoll Verlies sein Strahl
+Ein wenig fiel, da schien es mir, ich fände
+Auf vier Gesichtern mein’s und meine Qual.
+Ich biß vor Jammer mich in beide Hände,
+Und jene, wähnend, daß ich es aus Gier
+Nach Speise tat’, erhoben sich behende
+Und schrien: Iß uns, und minder leiden wir!
+Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten,
+Oh, so entkleid’ uns, Vater, auch von ihr.
+Da sucht’ ich ihrethalb mich still zu halten;
+Stumm blieben wir den Tag, den andern noch.
+Und du, o Erde, konntest dich nicht spalten?
+Als wir den vierten Tag erreicht, da kroch
+Mein Gaddo zu mir hin mit leisem Flehen:
+Was hilfst du nicht? Mein Vater, hilf mir doch!
+Dort starb er--und so hab’ ich sie gesehen,
+Wie du mich siehst, am fünften, sechsten Tag,
+Jetzt den, jetzt den hinsinken und vergehen.
+Schon blind, tappt’ ich dahin, wo jeder lag,
+Rief sie drei Tage, seit ihr Blick gebrochen,
+Bis Hunger tat, was Kummer nicht vermag."
+Und scheelen Blickes fiel er, dies gesprochen,
+Den Schädel an, den er zerriß, zerbrach,
+Mit Zähnen, wie des Hundes, stark für Knochen.
+Pisa, du, des schönen Landes Schmach,
+In dem das Si erklingt mit süßem Tone,
+Sieht träg dein Nachbar deinen Freveln nach,
+So schwimme her, Capraja und Gorgone,
+Des Arno Mund zu stopfen, daß die Flut
+Dich ganz ersäuf und keiner Seele schone.
+Denn, wenn auch Ugolinos Frevelmut,
+Wie man gesagt, die Schlösser dir verraten,
+Was schlachtete die Kinder deine Wut?
+Oh neues Theben, war an solchen Taten
+Nicht ohne Schuld das zarte Knabenpaar,
+Das ich genannt? nicht Hugo samt Brigaten?--
+Wir gingen nun zu einer andern Schar,
+Die, statt wie jene, sich hinabzukehren,
+Das Antlitz aufwärts, eingefroren war.
+Die Zähren selber hemmen hier die Zähren,
+Drum wälzt der Schmerz, der nicht nach außen kann,
+Sich ganz nach innen, um die Angst zu mehren.
+Denn, was zuerst dem trüben Aug’ entrann,
+Das war zum Klumpen von Kristall verdichtet
+Und füllte ganz die Augenhöhlen an.
+Und ob vom Frost, der solches Eis geschichtet,
+Mein Antlitz wie bedeckt mit Schwielen schien,
+Und deshalb jegliches Gefühl vernichtet,
+Doch fühlt’ ich, schien’s mir Luft entgegenzieh’n,
+Drum sprach ich: "Herr, wie mag hier Luft sich regen,
+Wo nie die Sonne, dunstentwickelnd, schien?"
+Und er: "Du gehst der Antwort schnell entgegen
+Und siehst, wenn wir noch weiter fortgereist,
+Aus welchem Grund die Lüfte sich bewegen."
+Da rief ein eisumstarrter armer Geist:
+"Grausame Seelen, ihr, die jetzt vom Lichte
+Zu dieser letzten Stelle Minos weist,
+Hebt mir den harten Schleier vom Gesichte,
+Damit ich lüfte meines Herzens Weh’n,
+Eh’ neu die Träne sich zu Eis verdichte."
+Ich sprach: "Soll dir’s nach deinem Wunsch geschehn,
+So nenne dich, und wenn ich’s nicht erzeige,
+So will ich selbst zum Grund des Eises gehn."
+Drauf er: "Ich bin’s, der Frucht vom bösen Zweige
+Als Bruder Alberich dort angeschafft,
+Und speise hier die Dattel für die Feige."
+"Oh," rief ich, "hat der Tod dich hingerafft?"
+Und er zu mir: "Ob noch mein Leib am Leben,
+Davon bekam ich keine Wissenschaft.
+Denn Ptolommäa hat den Vorzug eben,
+Daß oft die Seele stürzt in dies Gebiet,
+Eh’ ihr den Anstoß Atropos gegeben.
+Und daß du lieber mir vom Augenlid
+Verglaste Tränen nehmest sollst du wissen:
+Sobald die Seele den Verrat vollzieht,
+Wie ich getan, wird ihr der Leib entrissen
+Von einem Teufel, der dann drin regiert
+Bis an den Tod, indes in Finsternissen
+Des kalten Brunnens sie sich selbst verliert.
+Vielleicht ist oben noch der Körper dessen,
+Der hinter mir in diesem Eise friert.
+Kommst du von dort, so magst du’s selbst ermessen.
+Herr Branca d’Oria ist’s, der jämmerlich
+Schon manches Jahr im Eise fest gesessen."
+"Ich glaube," Sprach ich, "du betrügest mich,
+Denn Branca d’Oria ist noch nicht begraben
+Und ißt und trinkt und schläft und kleidet sich."
+Und er darauf: "Es konnte jenen Graben,
+An dem beim Pech die Schar von Teufeln wacht,
+Noch nicht erreicht Herr Michel Zanche haben,
+Da war sein Leib schon in des Dämons Macht.
+So ging’s auch dem von d’Orias Geschlechte,
+Der den Verrat zugleich mit ihm vollbracht.
+Jetzt aber strecke zu mir her die Rechte
+Und nimm das Eis hinweg!--doch tat ich’s nicht,
+Denn gegen ihn war Schlechtsein nur das Rechte.
+Genua, Feindin jeder Sitt’ und Pflicht,
+Ihr Genueser, jeder Schuld Genossen,
+Was tilgt euch nicht des Himmels Strafgericht?
+Ich fand mit der Romagna schlimmsten Sprossen
+Der euren einen, für sein Tun belohnt,
+Die Seel’ in des Kozytus Eis verschlossen,
+Des Leib bei euch noch scheinbar lebend wohnt.
+
+
+Vierunddreißigster Gesang
+
+"Uns naht des Höllenköniges Panier!
+Schau’ hin, ob du vermagst ihn zu erspähen."
+So sprach mein edler Meister jetzt zu mir.
+Und wie, wenn dichte Nebel uns umwehen,
+Wie in der Dämmerung, vom fernen Ort
+Windmühlenflügel aussehn, die sich drehen;
+So sah ich jetzo ein Gebäude dort--
+Nichts fand ich sonst, mich vor dem Wind zu decken,
+Drum drängt’ ich fest mich hinter meinen Hort.
+Dort war ich, wo--ich sing’ es noch mit Schrecken--
+Die Geister, in durchsicht’ges Eis gebannt,
+Ganz drin, wie Splitterchen im Glase, stecken.
+Der lag darin gestreckt, und mancher stand,
+Der aufrecht, jener auf dem Kopf; der bückte
+Sich sprenkelkrumm, das Haupt zum Fuß gewandt.
+Als hinter ihm ich so weit vorwärts rückte,
+Daß es dem Meister nun gefällig schien,
+Mir den zu zeigen, den einst Schönheit schmückte.
+Da trat er weg von mir, hieß mich verzieh’n,
+Und sprach zu mir: "Bleib, um den Dis zu schauen,
+Und hier laß nicht dir Mut und Kraft entfliehn."
+Wie ich da starr und heiser ward vor Grauen,
+Darüber schweigt, o Leser, mein Bericht,
+Denn keiner Sprache läßt sich dies vertrauen.
+Nicht starb ich hier, auch lebend blieb ich nicht.
+Nun denke, was dem Zustand dessen gleiche,
+Dem Tod und Leben allzugleich gebricht.
+Der Kaiser von dem tränenvollen Reiche
+Entragte mit der halben Brust dem Glas,
+Und wie ich eines Riesen Maß erreiche,
+Erreicht’ ein Riese seines Armes Maß.
+Nun siehst du selbst das ungeheure Wesen,
+Dem solch ein Glied verhältnismäßig saß.
+Ist er, wie häßlich jetzt, einst schön gewesen,
+Und hat den güt’gen Schöpfer doch bedroht,
+So muß er wohl der Quell sein alles Bösen.
+O Wunder, das sein Kopf dem Auge bot!
+Mit drei Gesichtern sah ich ihn erscheinen,
+Von diesen aber war das vordre rot.
+Anfügten sich die andern zwei dem einen,
+Gerad’ ob beiden Schultern hingestellt,
+Um oben sich beim Kamme zu vereinen;
+Das Antlitz links weißgelblich--ihm gesellt
+Das links, gleich dem der Leute, die aus Landen
+Von jenseits kommen, wo der Nilus fällt.
+Groß, angemessen solchem Vogel, standen
+Zwei Flügel unter jedem weit heraus,
+Die wir den Segeln gleich, nur größer, fanden,
+Und federlos, wie die der Fledermaus.
+Sie flatterten ohn’ Unterlaß und gossen
+Drei Winde nach verschiedner Richtung aus.
+Dadurch ward der Kozyt mit Eis verschlossen.
+Sechs Augen waren nie von Tränen frei,
+Die auf drei Kinn’ in blut’gem Geifer flossen.
+Und einen armen Sünder malmt’ entzwei
+Und kaute jeder Mund, daher zerbissen,
+Flachsbrechen gleich, die scharfen Zähne drei.
+Der vordre Mund schien sanft in seinen Bissen,
+Verglichen mit den scharfen Klau’n, zu sein,
+Die oft die Haut vom Fleisch des Sünders rissen.
+Da sprach Virgil: "Sieh hier die größte Pein!
+Ischariots Kopf steckt zwischen scharfen Fängen,
+Und außen zappelt er mit Arm und Bein.
+Zwei andre sieh, den Kopf nach unten hängen;
+Hier Brutus an der schwarzen Schnauze Schlund
+Sich ohne Laute winden, dreh’n und drängen;
+Dort Cassius, kräftig, wohlbeleibt und rund--
+Doch naht die Nacht, drum sei jetzt fortgegangen,
+Denn ganz erforscht ist nun der Hölle Grund."
+Jetzt winkte mir, den Hals ihm zu umfangen,
+Und Zeit und Ort ersah sich mein Gesell,
+Und, als sich weit gespreizt die Flügel schwangen,
+Hing er sich an die zott’ge Seite schnell,
+Griff Zott’ auf Zott’, um sich herabzusenken
+Inmitten eis’ger Rind’ und rauhem Fell.
+Dort angelangt, wo in den Hüftgelenken
+Des Riesen sich der Lenden Kugeln dreh’n,
+Eilt’ er, mit Müh’ und Angst, sich umzuschwenken.
+Wo erst der Fuß war, kam das Haupt zu stehn;
+Die Zotten fassend, klomm er aufwärts weiter,
+Als sollten wir zurück zur Hölle gehn.
+"Hier halte fest dich; denn auf solcher Leiter
+Entkommt man nur so großem Leid," so sprach
+Tiefkeuchend, wie ein Müder, mein Begleiter.
+Worauf er Bahn sich durch ein Felsloch brach,
+Dann setzt’ er mich auf einen Rand daneben
+Und streckte mir den Fuß behutsam nach.
+Ich blickt’ empor und glaubte, wie ich eben
+Den Dis gesehn, so stell’ er noch sich dar.
+Doch seine Füße sah ich sich erheben.
+Wie ich erschrak, bedenk’, o dumme Schar,
+Der’s nottut, daß sie erst erkennen lerne,
+Durch welchen Punkt ich jetzt gedrungen war.
+Da sprach Virgil: "Jetzt auf, das Ziel ist ferne,
+Der Weg auch schwierig, den du vor dir hast;
+Und Sol, aufsteigend. scheucht bereits die Sternen
+Nicht war’s ein Gang durch einen Prachtpalast,
+Der vor mir lag; er lief auf rauhem Grunde
+Durch eine Felsschlucht, völlig dunkel fast.
+Ich, aufrecht stehend, sprach: "Eh’ aus dem Schlunde
+Der Weg, den du mich leitest, mich entläßt,
+Reiß aus dem Irrtum mich und gib mir Kunde:
+Wo ist das Eis? Wie steckt Dis köpflings fest?
+Und wie hat Sol so schnell aus solchen Weiten
+Die Überfahrt gemacht zum Ost vom West?
+"Du glaubst dich auf des Zentrums andern Seiten,
+Wo du am Wurme, der die Erde kränkt
+Und sie durchbohrt, mich sahst herniedergleiten.
+Du warst’s, solang’ ich mich hinabgesenkt;
+Allein den Punkt, der anzieht alle Schwere,
+Durchdrängest du, da ich mich umgeschwenkt.
+Jetzt kamst du zu der andern Hemisphäre,
+Entgegen der, die großes trocknes Land
+Bedeckt, und unter deren Zelt der Hehre
+So fehllos lebt’ und starb, wie er entstand.
+Du stehest jetzo auf dem kleinen Kreise,
+Der hier Judokas andre Seit’ umspannt.
+Und hier beginnt der Sonne Tagesreise,
+Wenn sie dort endet, und im Brunnen steckt
+Noch immer Luzifer nach alter Weise.
+Vom Himmel ward er hier herabgestreckt.
+Das Land, das erst hier ragte, hat sich droben
+Aus Furcht vor ihm im Meeresgrund versteckt
+Und sich auf jenem Halbkreis dort erhoben.
+Um ihn zu flieh’n, drang auch die Erde vor
+Aus dieser Höhl’ und drängte sich nach oben."
+So sprach Virgil--und sieh, vom Dis empor
+Ging eine Schlucht, tief wie die ganze Hölle,
+Zwar nicht erkannt vom Auge, doch vom Ohr;
+Denn rauschend lief ein Bach, des rasche Welle
+Sich Bahn durch Felsen brach, mit sanftem Hang
+Und vielgewunden, bis zu jener Stelle.
+Nun trat mein Führer auf verborgnem Gang
+Den Rückweg an entlang des Baches Windung;
+Und wie ich, rastlos folgend, aufwärts drang,
+Da blickte durch der Felsschlucht obre Rundung
+Der schöne Himmel mir aus heitrer Ferne,
+Und eilig stiegen wir aus enger Mundung
+Und traten vor zum Wiedersehn der Sterne.
+
+
+
+
+Das Fegefeuer
+
+
+Erster Gesang
+
+Zur Fahrt in bess’re Fluten aufgezogen
+Hat seine Segel meines Geistes Kahn,
+Und läßt nun hinter sich so grimme Wogen.
+Zum zweiten Reiche hin geht seine Bahn,
+Wohin zur Reinigung die Geister schweben,
+Um würdig dann dem Himmelreich zu nah’n.
+Doch hier mag sich die tote Dichtung heben,
+O heil’ge Musen, da ich euer bin!
+Hier mög’ empor Kalliopeia streben!
+Sie folge mir mit jenem Ton dahin,
+Des Streich, die armen Elstern einst erschreckend,
+Verzweiflung bracht’ in ihren stolzen Sinn.
+Des Saphirs holde Farbe, ganz bedeckend
+Des reinen Äthers heiteres Gebäu
+Und bis zum ersten Kreise sich erstreckend,
+Erschuf vor mir der Augen Wonne neu,
+Sobald ich jetzt der toten Luft entklommen,
+Die Aug’ und Brust getrübt in Nacht und Scheu.
+Der schöne Stern, der Lieb’ erregt, entglommen
+Im Osten, hatt’ in Lächeln ihn verklärt,
+Die Fisch’ umschleiernd, die mit ihm gekommen.
+Dann rechts, dem andern Pole zugekehrt,
+Erblickt’ ich eines Viergestirnes Schimmer,
+Des Anschau’n nur dem ersten Paar gewährt.
+Der Himmel schien entzückt durch sein Geflimmer.
+O du verwaistes Land, du öder Nord,
+Du siehst den Glanz der schönen Lichter nimmer.
+Als ich darauf vom Viergestirne fort
+Ein wenig hin zum andern Pole sah,
+Da war verschwunden schon der Wagen dort.
+Und einen Greis, allein, sah ich mir nahe,
+Der Ehrfurcht also wert an Mien’ und Art,
+Daß mir, als ob’s mein Vater sei, geschähe.
+Lang war, mit weißem Haar vermischt, sein Bart
+Und gleich dem Haar des Haupts, das, niedersinkend
+Als Doppelstreif, der Brust zur Hülle ward.
+Sein Angesicht, die heil’gen Strahlen trinkend
+Des Viergestirnes, war so schön und klar,
+Als sah’ ich es, vom Schein der Sonne blinkend.
+"Wer seid ihr, die ihr fortflieht, wunderbar,
+Aus ew’ger Haft, dem blinden Strom entgegen"
+Er sprach’s, bewegt des Bartes greises Haar,
+"Wer leitet’ euch? Wer leuchtet’ euren Wegen,
+Daß ihr entstiegt den Schatten tiefer Nacht,
+Die, ewig achwarz, der Hölle Täler hegend
+Verlor des Abgrunds Satzung ihre Macht?
+Hat neuer Ratschluß durch der Hölle Pforte
+Verdammt’ in meine Grotten hergebracht?"--
+Hier fühlt’ ich mich erfaßt von meinem Horte,
+Und ehrerbietig macht er Brau’n und Knie
+Mir alsogleich mit Hand und Wink und Worte
+Und sprach: "Nicht durch mich selber bin ich hie;
+Ein Weib kam bittend aus den höchsten Sphären,
+Darob ich diesem mein Geleit verlieh.
+Doch da’s dein Will’ ist, daß ich dich belehren
+Von unserm wahren Zustand soll, wie mag
+Mein Will’ ein andrer sein, als zu gewähren!
+Nicht sahe dieser noch den letzten Tag,
+Doch war er nah ihm, so vom Wahn verblendet,
+Daß er gewiß in kurzer Frist erlag.
+Um ihn zu retten, ward ich abgesendet,
+Und hierzu fand ich diesen Weg nur gut,
+Auf welchem ich mich jetzt hierher gewendet.
+Ich zeigt’ ihm schon der Sünder ganze Brut,
+Nun aber ist er die zu sehn bereitet,
+Die hier sich läutern unter deiner Hut.
+Lang wär’s zu sagen, wie ich ihn begleitet.
+Kraft kam von oben, helfend, daß ich ihn,
+Um dich zu hören und zu sehn, geleitet.
+Laß dir’s gefallen, daß er hier erschien.
+Er sucht die Freiheit--wie sie wert zu halten,
+Weiß, wer um sie des Lebens sich verzieh’n.
+Du weißt’s, du ließest gern sie zu erhalten,
+In Utica die Hülle blutbenetzt,
+Die hell am großen Tag sich wird entfalten.
+Nicht ward der ew’ge Schluß von uns verletzt.
+Er lebt und mich hält Minos nicht gefangen.
+Ich bin vom Kreis, wo deine Martia jetzt,
+Noch keuschen Aug’s, dir ausspricht das Verlangen,
+O heil’ge Brust, als dein sie anzusehn,
+Drum woll’ uns, ihr zuliebe, wohl empfangen.
+Laß uns durch deine sieben Reiche gehn,
+Dann grüß’ ich sie von dir in jenen Hallen,
+Willst, dort erwähnt zu sein, du nicht verschmäh’n."
+"Gefiel auch", sprach er, "Martia mir vor allen,
+Da ich gelebt, so daß ich ihr erwies,
+Wodurch ich irgend wußt’, ihr zu gefallen,
+Doch jetzt nicht mehr bewegen darf mich dies,
+Da sie dort wohnt jenseits der nächt’gen Wogen,
+Wie festgesetzt ward, als ich sie verließ.
+Doch hat ein Himmelsweib dich hergezogen,
+Wie du gesagt, was braucht’s da Schmeichelei’n?
+Sie will, dies g’nügt, und treulich wird’s vollzogen
+Drum geh, zum weitern Weg ihn einzuweih’n.
+Ihn muß ein Gurt von glatter Bins’ umschnüren,
+Dann wasch ihm das Gesicht vom Schmutze rein.
+Das Aug’ umnebelt, will sich’s nicht gebühren,
+Zum ersten Diener, der vom sel’gen Land
+Herabgekommen ist, ihn hinzuführen.
+Rings trägt der kleinen Insel tiefster Strand,
+Wo Wog’ und Woge sich im Wechsel jagen,
+Viel Binsen am morastig weichen Rand.
+Die andern Pflanzen, welche Blätter tragen
+Und sich verhärten, kommen da nicht auf,
+Wo’s gilt, sich schmiegen, wenn die Wellen schlagen.
+Doch kehrt von dort nicht rückwärts euren Lauf;
+Die Sonne zeigt--seht, dort ersteht sie eben!--
+Euch dann den leichtern Weg den Berg hinauf."
+Hier sah ich ihn vor meinem Blick verschweben;
+Stumm stand ich auf und sah auf meinen Hort,
+In seinen Schutz und Willen ganz ergeben.
+Er sprach: "Sohn, folge mir jetzt rückwärts. Dort
+Neigt mehr und mehr die Ebene sich immer
+Nach ihren letzten tiefsten Grenzen fort."
+Schon trieb das Morgenrot mit lichtem Schimmer
+Die Frühe vor sich her, und vom Gestad
+Erkannt’ ich weit hinaus des Meers Geflimmer.
+Nun gingen wir dahin auf ödem Pfad,
+Wie wer, verirrt, zum rechten Wege schreitend,
+Sein Gehn umsonst glaubt, bis er ihn betrat.
+Wir sahn den Tau bald, mit der Sonne streitend,
+Doch, weil er dort an schatt’ger Stelle war,
+Sich minder schnell in leichtem Dunst verbreitend.
+Worauf mein Hort mit seiner Hände Paar
+Sanft die zerstreuten, weichen Gräser deckte,
+Drob ich, denn seinen Vorsatz nahm ich wahr,
+Ihm die betränte Wang’ entgegenstreckte.
+Rein wusch er mir die Farbe der Natur,
+Die erst der Schmutz der Hölle ganz versteckte.
+Nun gingen wir dahin auf öder Flur
+Am Strande fort, der nie ein Schiff erblickte,
+Das wieder heim zum Vaterlande fuhr.
+Dort, so wie der geboten, der uns schickte,
+Umgürtet er mit schwachen Binsen mich,
+Und wo er nur die niedre Pflanze knickte,
+Erhob sie neu aus ihrer Wurzel sich.
+
+
+Zweiter Gesang
+
+Sol war zum Horizont herabgestiegen,
+Des Mittagskreis, wo er am höchsten steht,
+Sieht unter sich die Feste Zions liegen.
+Nacht, welche sich ihm gegenüber dreht,
+War mit der Wag’ am Ganges vorgegangen,
+Die, wenn sie zunimmt, ihrer Hand entgeht.
+Drum hatten Eos weiß’ und rote Wangen
+Dort, wo ich war, weil ihre Jugend schwand,
+In hohem Gelb zu schimmern angefangen.
+Wir waren noch am niedern Meeresstrand,
+Und gingen, ob des fernen Wegs in Sorgen,
+Im Herzen fort, indes der Körper stand.
+Und wie in trüber Röte, wenn der Morgen
+Sich nähert, Mars, im Westen, nah dem Meer
+Sich zeigt, von dichten Dünsten fast verborgen,
+So sah ich jetzt ein Licht--o säh’ ich’s mehr!
+Und eilig, wie kein Vogel je geflogen,
+Glitt’s auf des Meeres glattem Spiegel her.
+Als ich von ihm die Augen abgezogen
+Ein wenig hatt’ und zu dem Führer sprach,
+Schien’s heller dann und größer ob den Wogen.
+Dann auf des Lichtes beiden Seiten brach
+Ein weißer Glanz hervor, und er entbrannte,
+Wie’s näher kam, von unten nach und nach.
+Mein Meister, der nach ihm sich schweigend wandte,
+Solang der Flügel erstes Weiß erschien,
+Rief, wie er nun den hehren Schiffer kannte:
+"O eile jetzt, o eile, hinzuknien!
+Sieh Gottes Engel! Falte deine Händel
+Nun siehst du solche Gottes Wink vollziehen.
+Sieh, er verschmäht, was Menschenwitz erfände.
+Nicht Segel, Ruder nicht--sein Flügelpaar
+Braucht er zur Fahrt ans ferneste Gelände.
+Sieh, wie’s gen Himmel strebt so schön und klar!
+Die Luft bewegt das ewige Gefieder,
+Das nicht sich ändert wie der Menschen Haar."
+Und wieder naht’ er sich indes und wieder
+In hellerm Glanz, daß näher solchen Schein
+Mein Auge nicht ertrug, drum schlug ich’s nieder.
+Und leicht und schnell sah ich durch ihn allein
+Das Schiff des Eilands niedern Strand gewinnen,
+Auch drückt’ es kaum die Spur den Fluten ein.
+Und als ein Sel’ger stand vor meinen Sinnen
+Am Hinterteil des Schiffes Steuermann,
+Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.
+"Als aus Ägypten Israel entrann";
+Die Schar, gewiß, das Ufer zu erreichen,
+Fing diesen Psalm einstimm’gen Sanges an.
+Er macht’ auf sie des heil’gen Kreuzes Zeichen,
+Drum warf sich jeder hin am Meeresbord,
+Dann sah man ihn schnell, wie er kam, entweichen.
+Fremd schienen alle, welche blieben, dort,
+Und um sich blickend sah ich sie verweilen,
+Wie den, der Neues sieht am fremden Ort.
+Von allen Seiten schoß mit Feuerpfeilen
+Den Tag die Sonne, die vom Meridian
+Den Steinbock schon gezwungen, zu enteilen
+Da hoben, die wir eben kommen sahn,
+Nach uns die Stirn empor mit diesem Worte:
+"Zeigt uns, dafern ihr könnt, zum Berg die Bahn."
+Erwidert ward darauf von meinem Horte:
+"Wißt, wenn ihr wähnt, wir wüßten hier Bescheid;
+Wir sind so fremd wie ihr an diesem Orte.
+Denn kurz vorher, eh’ ihr gekommen seid,
+Sind auf so rauhem Weg wir angekommen,
+Daß hier zu klimmen Spiel, nicht Müh’ und Leid."
+Wie jene nun am Atmen wahrgenommen,
+Daß ich noch lebe, schienen sie bewegt,
+Ja, vor Erstaunen ängstlich und beklommen.
+Und wie dem Boten, der den Ölzweig trägt,
+Die Menge folgt, voll Neubegier sich pressend,
+Und Tritt’ und Stöße sonder Scheu erträgt,
+So drängten jetzt, mich mit den Augen messend,
+Zu mir die hochbeglückten Seelen sich,
+Beinah den Gang zur Reinigung vergessend.
+Hervor trat eine jetzt, so inniglich
+Mich zu umarmen, mit so holden Mienen,
+Daß mein Verlangen ganz dem ihren glich.
+Leere Schatten, die Gestalt nur schienen!
+Dreimal halt’ ich die Hände hinter ihr,
+Und dreimal kehrt’ ich zu der Brust mit ihnen.
+Das Antlitz, glaub’ ich, malt’ Erstaunen mir,
+Und jenen sah ich lächelnd rückwärts schweben,
+Doch folgt’ ich ihm mit liebender Begier.
+Und lieblich hört’ ich ihn die Stimm’ erheben:
+"Sei ruhig!" Da erkannt’ ich ihn und bat,
+Er möge weilen und mir Antwort geben.
+"Dich lieb’ ich," sprach er, als ich ihn genaht,
+"Wie einst im Leib, so jetzt der Haft entbunden,
+Drum weil’ ich--doch was gehst du diesen Pfad?"
+"O mein Casella, hier nur eingefunden
+Hab’ ich mich, um zur Welt zurückzugehn.
+Doch wie bist du beraubt so vieler Stunden?"
+Und er: "Drob ist kein Unrecht mir gescheh’n.
+Mußt’ er auch öfters mich zurückeweisen,
+Der mit sich fortnimmt, wann er will und wen.
+Denn sein Will’ ist nur der des Ewig-Weisen.
+Und seit drei Monden hat er gern gewährt,
+Wenn irgendwer verlangt hat, mitzureisen.
+Auch mich, der ich mich zu dem Strand gekehrt,
+Wo salzig wird der Tiber süße Welle,
+Empfing er liebevoll, da ich’s begehrt.
+Jetzt schwebt er wieder hin zu jener Stelle,
+Wo er vereint mit freudigem Empfang
+Die, so nicht Sünde stürzt zur Nacht der Hölle."
+Und ich: "Hat dir nicht jenen Liebessang,
+Den du geübt, ein neu Gesetz entrissen,
+Der öfters mir gestillt des Herzens Drang,
+So laß mich jetzt nicht seinen Trost vermissen;
+Denn meine Seele, die der Leib umflicht,
+Schwebt, da sie hier erscheint, in Kümmernissen."
+"Die Liebe, die zu mir im Herzen spricht
+Begann er jetzt, und ach, die süße Weise
+Verklingt noch jetzt in meinem Innern nicht.
+Mein Herr und ich, wir standen still im Kreise
+Der andern dort und alle so beglückt,
+Als kennten wir kein andres Ziel der Reise,
+Nur seinen Tönen horchend, hochentzückt.
+Da sieh bei uns den ehrenhaften Alten:
+"Was, träge Geister, ist’s, das euch berückt?
+Nachlässige, so lang’ euch aufzuhalten!
+Zum Berg hin, wo man frei der Hüllen wird,
+Die Gottes Anblick noch euch vorenthalten!
+Wie wenn, von Weizen oder Lolch gekirrt,
+Die Tauben still im Stoppelfelde schmausen
+Und keine mehr umherstolziert und girrt,
+Dann aber, wenn erscheint, wovor sie grausen,
+Sie alle jäh, mit größrer Sorg’ im Sinn,
+Von ihrer Weid’ empor im Fluge brausen;
+So lief die Schar der Seelen jetzt dahin,
+Vom Sange fort, zum Berge sonder Weile,
+Wie wer da läuft, allein nicht weiß wohin;
+Wir aber folgten mit nicht mindrer Eile.
+
+
+Dritter Gesang
+
+Trieb jähe Flucht auch alles, was vereinigt
+Beim Sänger war, zerstreut jetzt durch den Plan
+Dem Berge zu, wo die Vernunft uns peinigt,
+Doch drängt’ ich mich dem treuen Führer an.
+Wie könnt’ ich ihn auch bei der Reife missen?
+Wie kam ich wohl ohn’ ihn den Berg hinauf?
+Er schien gepeinigt von Gewissensbissen.
+würdig reine Seele, wie empört,
+Wie quält der kleinste Fehler dein Gewissen!
+Als seines Laufes Eil’ nun aufgehört,
+Bei welcher Würd’ im Anstand nimmer waltet,
+Da ward mein Geist, verengt erst und verstört,
+Zum Streben neu erweitert und entfaltet,
+Und, das Gesicht dem Berge zugewandt,
+Sah ich, dem Himmel zu, ihm hochgestaltet.
+Die Sonne, hinter mir in rotem Brand,
+War vor mir, nach Gestaltung und Gebärde,
+Gebrochen, da mein Leib ihr widerstand.
+Und bang, daß ich allein gelassen werde,
+Kehrt’ ich mich schleunig seitwärts, da ich sah,
+Beschattet sei vor mir allein die Erde.
+"Was argwöhnst du" begann mein Tröster da,
+Zu mir gewandt, erratend, was ich dachte,
+"Glaubst du, ich sei dir nicht, wie immer, nah?
+Dort liegt der Leib, in dem ich Schatten machte,
+An Napels Strand, den jetzt schon Nacht umflicht,
+Wohin man einst von Brindisi ihn brachte.
+Beschatt’ ich jetzt vor mir die Erde nicht,
+So staune nicht darum--deckt doch der Schimmer
+Des einen Himmels nie des andern Licht.
+Dergleichen Körper schafft der Herr noch immer,
+Damit sie dulden Hitz’ und Frost und Pein,
+Doch wie er’s macht, entschleiert er uns nimmer.
+Tor, wer da hofft, er dring’ in alles ein
+Mit der Vernunft, selbst in endlose Sphären,
+Wo er, der Ew’ge, einer ist in drei’n.
+Strebt, Menschen, doch das Wie nicht aufzuklären;
+Denn wär’s gestattet, alles zu erschau’n,
+Nicht brauchte dann Maria zu gebären.
+Wohl mancher dürft’ auf seinen Geist vertrauen,
+Dem noch die Sehnsucht, alles zu erkunden,
+Geblieben ist zu ewiglichem Grau’n.
+Du weißt, wo wir den Plato aufgefunden
+Und manchen sonst." Er schwieg, die Stirn geneigt,
+Und alle Heiterkeit schien ihm geschwunden.
+Wir kamen hin, von wo man aufwärts steigt.
+Dort oben ist der Fels so steil gelegen,
+Daß sich kein Raum zu einem Dritte zeigt.
+Der rauhste von den öden Felsenwegen
+Inmitten Lerci und Turbia schmiegt
+Sich sanft und leicht, stellt man ihn dem entgegen.
+"Wer weiß, zu welcher Hand der Hang sich biegt."
+Der Meister sprach’s und hielt jetzt ein im Schreiten,
+"So daß auch der hinauf kann, der nicht fliegt?"
+Er ließ indes den Blick zum Boden gleiten
+Und nahm im Geist des Pfades Prüfung wahr.
+Doch ich sah aufwärts nach des Berges Seiten,
+Und da erschien mir linksher eine Schar,
+Die schien so langsam zu uns her zu schweben,
+Daß kaum Bewegung zu bemerken war.
+"Laß," sprach ich, "Meister, deinen Blick sich heben,
+Die Rat erteilen können, nahen schon,
+Dafern du nicht vermagst, ihn selbst zu geben."
+Frei schaut’ er auf, und alle Sorgen floh’n.
+"Nur langsam". sprach er, "geht ihr Gang vonstatten,
+Drum gehn wir hin. Getrost jetzt, süßer Sohn!"
+Wir waren noch entfernt von jenen Schatten
+Und ihnen etwa steinwurfweit genaht,
+Als wir getan an tausend Schritte hatten.
+Da drängten alle sich ans Felsgestad
+Und standen still und dicht, uns zugewendet,
+Wie wen Bedenken hemmt auf seinem Pfad.
+"O Auserwählte, die ihr wohl geendet,"
+Begann Virgil, "wie einst euch Friede jetzt,
+Den, wie ich glaube, Gott euch allen spendet,
+So zeigt uns des Gebirges Abhang jetzt
+Und laßt uns einen Weg nach oben sehen,
+Denn Zeitverlieren schmerzt den, der sie schätzt."
+Gleichwie die Schäflein aus dem Stalle gehen,
+Eins, zwei und drei, indessen noch verzagt
+Die andern mit gebeugten Köpfen stehen,
+Bis was das erste tat, nun jedes wagt,
+Wenn jenes harrt, geduldig die Beschwerde
+Des Drangs erträgt und nach dem Grund nicht fragt;
+So sah ich jetzt von der beglückten Herde
+Die vordem sich bewegen und uns nah’n,
+Das Antlitz züchtig, ehrbar die Gebärde.
+Wie sie das Licht zur Rechten meiner Bahn
+Geteilt und, als des Erdenleibes Zeichen,
+Die Felsenwand von mir beschattet sahn,
+Sah ich sie stehn und etwas rückwärts weichen.
+Die andern wußten zwar nicht, was gescheh’n,
+Doch alle taten sie sofort desgleichen.
+"Ohn’ eure Frage will ich euch gestehn,
+Noch einem Menschen ist der Körper eigen,
+Von welchem ihr das Licht geteilt gesehn.
+Doch laßt Verwunderung und Staunen schweigen;
+Nicht ohne Kraft, die Gott nur geben kann,
+Sucht er die schroffe Wand zu übersteigen."
+Mein Hort sprach’s, und die würd’ge Schar begann,
+Uns mit der Hände Rücken Zeichen gebend:
+"Kehrt wieder um und schreitet uns voran!"
+Und einer drauf, zu mir die Stimm’ erhebend:
+"Wer du auch seist, blick’ um, mich anzuschau’n,
+Besinne dich: Sahst du mich jemals lebend`?"
+Ich wandt’ auf ihn die Augen voll Vertrau’n.
+Blond war er, schön, von würdigen Gebärden,
+Doch war gespalten eine seiner Brau’n.
+Demütig sagt’ ich, daß ich ihn auf Erden
+Niemals gesehn; da aber hieß er mich
+Aufmerksam auf die Wund’ am Busen werden,
+Und lächelnd sprach er dann: "Manfred bin ich!
+Wenn dich zur Welt zurück die Schritte tragen,
+Zu meiner Tochter geh, ich bitte dich,
+Die unterm Herzen jenes Paar getragen,
+Das Aragonien und Sizilien ehrt,
+Ihr Wahres, wenn man andres sagt, zu sagen.
+Als zweimal mich durchbohrt des Feindes Schwert,
+Da übergab ich weinend meine Seele
+Dem Richter, der Verzeihung gern gewährt.
+Oh groß und schrecklich waren meine Fehle,
+Doch groß ist Gottes Gnadenarm und faßt,
+Was sich ihm zukehrt, so daß keiner fehle.
+Und wenn Cosenzas Hirt, der sonder Rast,
+Wie Clemens wollte, mich gejagt, dies eine
+Erhabne Wort der Schrift wohl aufgefaßt,
+So lägen dort noch meines Leibs Gebeine
+Am Brückenkopf bei Benevent, vom Mal
+Geschützt der schweren aufgehäuften Steine.
+Nun netzt’s der Regen, dorrt’s der Sonnenstrahl,
+Dort, wo er’s hinwarf mit verlöschten Lichten,
+Dem Reich entführt, entlang dem Verdetal.
+Doch kann ihr Fluch die Seele nicht vernichten,
+Aus welcher nicht die frohe Hoffnung weicht,
+An ew’ger Liebe neu sich aufzurichten.
+Wahr ist’s, daß, wer im Kirchenbann erbleicht,
+War’ auch zuletzt in ihm die Reu’ entglommen,
+Doch dieser Felswand Höhe nicht erreicht,
+Bis dreißigmal die Zeit, seit ihm genommen
+Der Kirche Segen ward, verflossen ist,
+Kürzt diese Zeit nicht ab das Fleh’n der Frommen.
+Sieh, ob du mir zum Heil gekommen bist,
+Wenn du Konstanzen, wie du mich gesehen,
+Entdeckst und ihr verkündest jene Frist,
+Denn viel gewinnt man hier durch euer Flehen."
+
+
+Vierter Gesang
+
+Wenn etwas, was uns wohltut oder kränkt,
+Uns eine Seelenkraft in Aufruhr brachte,
+Und sich die Seel’ in diese ganz versenkt,
+Dann scheint’s, als ob sie keiner andern achte;
+Und dies beweist genugsam gegen den,
+Der uns belebt von mehrern Seelen dachte.
+Indem wir etwas hören oder sehn,
+Was stark uns anzieht, ist die Zeit verschwunden,
+Bevor wir’s glauben und es uns versehn.
+Denn anders wird die Kraft, die hört, empfunden,
+Und anders unsrer Seele ganze Kraft;
+Frei ist die erste, diese scheint gebunden.
+Davon erhielt ich jetzo Wissenschaft--
+Indessen ich gehorcht und stillgeschwiegen,
+Weil Staunen mir die Seele hingerafft,
+War fünfzig Grad’ die Sonn’ emporgestiegen,
+Eh’ ich’s bemerkt--da ward ein Ruf mir kund
+Von den gesamten Seelen: "Seht die Stiegen!"
+Die Öffnung, die mit einem Dorngebund,
+Wenn sich die Traube bräunt, die Winzer schließen,
+Ist weiter oft als hier der Felsenschlund,
+Durch welchen uns die Seelen klimmen hießen.
+Er vor, ich folgend, stiegen wir allein
+Den Felsweg, da die ändern uns verließen.
+Empor zu Bismantova und bergein
+Bei Noli kann man auf den Füßen dringen,
+Doch wer hier aufstrebt, muß beflügelt sein;
+Ich meine, mit der großen Sehnsucht Schwingen,
+Die mich dem Führer nachzog mit Gewalt,
+Der Licht mir gab und Hoffnung zum Gelingen.
+Wir stiegen innerhalb dem Felsenspalt,
+Von ihm bedrängt, und fanden kaum mit Händen
+Und Füßen unter uns am Boden Halt.
+Nachdem wir aus den rauhen. schroffen Wänden
+Emporgelangt zum offenen Gestad,
+Da fragt’ ich: "Meister, sprich, wohin uns wendend"
+Und er: "Mir nach, zur Höhe geht dein Pfad!
+Rückwärts darf keiner deiner Schritte weichen,
+Bis irgendwo ein kund’ger Führer naht!"
+Den Gipfel konnte kaum der Blick erreichen;
+Die Seite ging, stolz, senkrecht fast, hinan,
+Dem Hang der Pyramide zu vergleichen.
+Ich war bereits ermattet und begann:
+"O süßer Vater, peinlich wird die Reife!
+Schau’ her und sieh, daß ich nicht folgen kann!"
+"Bis dorthin schleppe dich!" So sprach der Weise
+Und zeigt’ auf einen Vorsprung nahe dort,
+Von dem es schien, daß er den Berg umkreise.
+Mir war ein Sporn des edlen Meisters Wort,
+Mit aller Kraft die Reise fortzusetzen;
+So kroch ich bis zum Bergesgürtel fort.
+Und dort verweilten wir, um uns zu setzen,
+Ostwärts, nach dem erklommnen Pfad gewandt,
+An dem sich gern der Wandrer Blicke letzen.
+Die Augen kehrt’ ich erst zum tiefen Strand,
+Dann als ich sie zur Sonn’ emporgeschlagen,
+Die uns zur Linken, Gluten sprühend, stand,
+Da sah Virgil, daß ich des Lichtes Wagen
+Anstaunte, weil er zwischen Mitternacht
+Und unserm Standort schien dahinzujagen,
+Und sprach: "Wenn jenem Spiegel ew’ger Macht
+Castor und Pollux jetzt Begleiter wären,
+Ihm, welcher auf- und abführt Licht und Pracht,
+So würd’ er, kreisend näher bei den Bären,
+Wenn er vom alten Weg nicht abgeirrt,
+Mit seiner Glut den Zodiak verklären.
+Bedenke nur, wenn dich dies Wort verwirrt,
+Daß dieser Berg mit Zions heil’gen Höhen
+Begrenzt von einem Horizonte wird,
+Doch beid’ auf andern Hemisphären stehen;
+Die Bahn, die Phaethon, der Tor, durchreist,
+Ist drum von hier zur linken Hand zu sehen,
+Indes sie dorten sich zur rechten weist--
+So hoff ich denn, daß du zur klaren Kenntnis,
+Wenn du wohl aufgemerkt, gefördert seist."
+"Gewiß, mir ward so klar noch kein Verständnis
+Als hier," begann ich, "wo mir dein Beweis
+Ersetzt den Mangel eigener Erkenntnis.
+Der ewigen Bewegung mittler Kreis,
+Den man Äquator in der Kunst benannte,
+Der fest bleibt zwischen Sonn’ und Wintereis,
+Zeigt, wie ich wohl aus deiner Red’ erkannte,
+Sich nordwärts hier, wie ihn die Juden sahn,
+Wenn sich ihr Antlitz gegen Süden wandte.
+Doch sprich, wie weit hinauf geht unsre Bahn?
+Denn sieh, so hoch, wie kaum die Augen kommen,
+Steigt ja des Berges Gipfel himmelan."
+Und er: "Wer ihn zu steigen unternommen,
+trifft große Schwierigkeit an seinem Fuß,
+Die kleiner wird, je mehr man aufgeklommen.
+Drum, wird dir erst die Mühe zum Genuß,
+Erscheint dir’s dann so leicht, emporzusteigen,
+Als ging’s im Kahn hinab den muntern Fluß,
+Dann wird sich bald das Ziel des Weges zeigen,
+Dann wirst du sanft von deinen Mühen ruh’n.
+Dies ist gewiß, vom andern will ich schweigen."
+Er sprach’s, und eine Stimm’ ertönte nun
+Ganz nah bei uns: "Eh’ ihr so weit gegangen,
+Wird euch vielleicht zu sitzen nötig tun."
+Wir sahn dorthin, woher die Wort’ erklangen,
+Und linkshin lag ein Felsenblock uns nah,
+Der bis dahin mir und auch ihm entgangen.
+Hin schritten wir und fanden Leute da
+Verdeckt vom Felsen und in seinem Schatten,
+In welchen ich ein Bild der Trägheit sah.
+Und einer, wie im gänzlichen Ermatten,
+Saß dorten und umarmte seine Knie,
+Die das gesunkne Haupt inmitten hatten.
+"Der ist gewiß der Faulheit Bruder! sieh,"
+Begann ich, "sieh nur hin, mein süßer Leiter,
+Denn sicher sahst du einen Trägern nie."
+Da kehrt’ er sich zu mir und dem Begleiter,
+Hob, doch nur bis zum Schenkel, das Gesicht
+Und sprach: "Bist du so stark, so geh nur weiter."
+Und da erkannt’ ich ihn und säumte nicht,
+Noch atemlos vom Klettern, vorzustreben
+Bis hin zu ihm, und sah ihn, als ich dicht
+Schon bei ihm stand, das Haupt kaum merkbar heben.
+"Zur Linken fährt der Sonnenwagen fort,"
+Begann er nun, "hast du wohl acht gegeben?"
+Ich mußte lächeln bei dem kurzen Wort
+Und bei den faulen, langsamen Gebärden;
+Worauf ich sprach: "Belaqua, dieser Ort
+Bezeugt mir deutlich, du wirst selig werden.
+Doch sprich: harrst du des Führers sitzend hier?
+Wie? oder treibst du’s hier noch wie auf Erden?"
+"Bruder," sprach er, "was hilft das Steigen mir?
+Ich würde doch zur Qual nicht kommen sollen,
+Denn Gottes Pförtner weist mich weg von ihr.
+Hier außen muß um mich der Himmel rollen,
+So oft als er im Leben tat, da spät
+Und erst im Tod mein Herz bereuen wollen,
+Wenn mir nicht früher beispringt das Gebet,
+Das sich aus gläub’ger Brust emporgerungen.
+Was hülf ein andres, da es Gott verschmäht?"
+Schon war vor mir Virgil hinaufgedrungen,
+Und rief: "Jetzt komm, schon hat in lichter Pracht
+Die Sonne sich zum Mittagskreis geschwungen,
+Und Mauritanien deckt der Fuß der Nacht."
+
+
+Fünfter Gesang
+
+Schon hatt’ ich, auf der Spur des Führers steigend,
+Mich ganz von jenen Seelen abgewandt,
+Als ein’, auf mich mit ihrem Finger zeigend,
+Mir nachrief: "Seht den untern linker Hand
+Die Sonne teilen und den Grund beschatten
+Und tun, als lebt’ er noch in jenem Land."
+Sobald mein Ohr erreicht die Töne hatten,
+Kehrt’ ich mich ihnen zu, und jene sahn
+Erstaunt nur mich, nur mich und meinen Schatten.
+Da sprach Virgil: "Was zieht dich also an,
+Daß du den Gang zum Gipfel aufgeschoben"
+Und jenes Flüstern, was hat dir’s getan?
+Was man auch spreche, folge mir nach oben!
+Steh wie ein fester Turm, des stolzes Haupt
+Nie wankend ragt, wenn auch die Winde toben.
+Das Ziel entweicht, dem man sich nah geglaubt,
+Wenn sich Gedanken und Gedanken jagen
+Und einer stets die Kraft dem andern raubt."
+"Ich komme schon!" Was könnt’ ich anders sagen,
+Da mich mein Fehler zum Erröten zwang,
+Das oft mir schon Verzeihung eingetragen?
+Indessen sahn wir quer am Bergeshang
+Nah vor uns eine Schar von Seelen kommen,
+Die Vers für Vers ihr Miserere sang.
+Wie sie an meinem Leibe wahrgenommen,
+Daß er den Strahlen undurchdringlich sei,
+Da ward ihr Sang zum Oh! lang und beklommen.
+Und, gleich Gesandten, kamen ihrer zwei,
+Uns beide zu befragen, wer wir wären,
+In vollem Laufe bis zu uns herbei.
+Da rief Virgil: "Ihr könnt zurückekehren.
+Sein Leib ist wirklich ganz von Fleisch und Bein,
+Und solches mögt ihr jenen dort erklären.
+Und wenn sie, wie ich glaube, dort allein,
+Um seinen Schatten anzusehn, verweilen,
+So wissen sie genug, um froh zu sein."
+Und schnell hingleitend, wie, gleich Feuerpfeilen,
+Entflammte Dünste, wenn die Nacht beginnt,
+Durchs heitere Gewölb des Himmels eilen;
+So kehrten sie empor, um dann geschwind
+Sich mit den andern nach uns umzudrehen,
+Gleich einer Schar, die ohne Zaum entrinnt.
+"Sieh, viele kommen jetzt, dich anzuflehen,
+In dichtem Drang," so sprach mein Meister drauf,
+"Doch geh nur immer fort und horch im Gehen."
+"O du, der du zum Heil den Berg herauf
+Die Glieder trägst, die immer dich umfingen,"
+So riefen sie, "hemm’ etwas deinen Lauf.
+Sieh, um zur Welt von uns Bericht zu bringen,
+Uns an--erkennst du Antlitz und Gestalt?
+Was weilst du nicht? Was eilst du, vorzudringen?
+Getötet sind wir alle durch Gewalt.
+Der Sünd’ uns bis zur letzten Stunde weihend,
+Allein im Tod von Himmelsglanz umwallt,
+Verstarben wir, bereuend und verzeihend,
+Und fühlten Gottes Frieden und das Licht,
+Nach seinem Anschau’n Sehnsucht uns verleihend."
+Und ich: "Zwar kenn’ ich keinen von Gesicht,
+Doch fordert nur, ihr, die ihr wohl geboren,
+Und das, was ich vermag, verweigr’ ich nicht.
+Bei jenem Frieden sei es euch beschworen,
+Den ich, fortklimmend auf des Führers Spur,
+Von Welt zu Welt, zum Ziele mir erkoren."
+Darauf begann der eine: "Hindert nur
+Nicht Ohnmacht deinen Willen, so vertrauen
+Wir dem, was du versprachst, auch ohne Schwur.
+Und solltest du, ein Lebender, die Auen
+Der Mark Ankona jemals wiedersehn
+So will ich fest auf deine Güte bauen.
+Laß die von Fano gläubig für mich fleh’n,
+Daß mir gestatten himmlische Gewalten,
+Zur Reinigung von schwerer Schuld zu gehn.
+Von dort war ich--allein die tiefen Spalten,
+Woraus das Blut, in dem ich lebte, floß,
+Hab’ ich in Paduas Bezirk erhalten,
+Des Schoß mich, den Vertrauenden, umschloß.
+Zum Mord hatt’ Este den Befehl gegeben,
+Der mehr der Gall’, als Recht, auf mich ergoß.
+Den Mordstahl sah ich bei Oriac sich heben,
+Doch wenn ich Mira mir zur Flucht erkor,
+So würd’ ich dort noch, wo man atmet, leben.
+Ich lief zum Sumpf, und dort, in Schlamm und Rohr,
+Verstrickt’ ich mich und fiel und sah die Erde
+Rings um mich her gemacht zum blut’gen Moor."
+Ein andrer: "Wie dein Wunsch befriedigt werde,
+Des Fittich hin zum Bergesgipfel fleugt,
+So kürz’ auch mir mitleidig die Beschwerde.
+In Montefeltro hat mich Guid’ erzeugt;
+Ach wenn Johannen noch mein Schicksal rührte,
+Nicht ging’ ich mehr mit diesem hier gebeugt."
+"Welche Gewalttat, welch Verhängnis führte,"
+So sprach ich, "dich so weit vom Campaldin,
+Daß niemand noch bis jetzt dein Grab erspürte."
+"Oh," sprach er drauf, "am Fuß des Casentin
+Strömt vor der Archian, ein Fluß, entsprungen
+Beim Kloster oberhalb im Apennin.
+Bis dorthin, wo sein Namenslaut verklungen,
+Floh ich, durchbohrt den Hals, zu Fuße fort;
+Und blutleer schon, von Todesfrost durchdrungen,
+Verlor ich dorten Augenlicht und Wort,
+Um in Marias Namen wohl zu enden,
+Und fiel und ließ die leere Hülle dort.
+Da fühlt’ ich mich in eines Engels Händen,
+Doch schreiend fuhr ein Teufel auch herzu:
+"Wie, du vom Himmel, willst mir den entwenden?
+Wahr ist’s, was ewig ist, erbeutest du
+Nur durch ein Tränlein, das ihn mir entzogen,
+Doch gönn’ ich nun dem andern keine Ruh’."
+Du weißt, wenn feuchten Dunst emporgezogen
+Die Sonne hat, so stürzt er, wenn ihn dann
+Die Kälte faßt, zurück in Regenwogen.
+Zum Willen nun, der stets nur Böses sann,
+Fügt’ er Verstand, und Rauch und Sturm erregte
+Die Kraft in ihm, die sie erregen kann.
+Als drauf der Tag erloschen war, belegte
+Er Pratomagnos Tal mit schwarzem Duft,
+Der vom Gebirg sich drohend herbewegte.
+Zu Fluten wurde nun die schwangre Luft,
+Zum Strombett rann, was von den Regengüssen
+Der Grund nicht trank, hervor aus Tal und Kluft.
+Der Archian, gleich andern großen Flüssen,
+Ergoß zum Königsstrom den Sturmeslauf,
+Dem Fels und Baum zertrümmert weichen müssen.
+Wie nun den starren Leib, nicht weit herauf
+Von seiner Mündung, jene Flut gefunden,
+Da löste sie das Kreuz am Busen auf,
+Das ich gemacht, da Schmerz mich überwunden,
+Und wirbelte zum Strom die träge Last.
+Dort liegt sie nun im Grund, von Schlamm umwunden."
+Als drauf der dritte Geist das Wort gefaßt,
+Sprach er: "Wenn du, zur Welt zurückgekommen,
+Erst ausgeruht vom langen Wege hast,
+So laß dein Hiersein auch der Pia frommen.
+Siena gebar, Maremma tilgte mich,
+Und er, von dem ich einst den Ring bekommen,
+Der Treue Pfand, er weiß, wie ich erblich."
+
+
+Sechster Gesang
+
+Wenn Spieler sich vom Würfelspiel entfernen,
+Bleibt, der verlor, betrübt und ärgerlich
+Und wirft und wirft, um’s besser zu erlernen
+Doch alles drängt um den Gewinner sich.
+Der folgt und sucht, wie er sein Kleid erlange,
+Ein andrer, seitwärts, spricht: Gedenk’ an mich.
+Doch er verweilt nicht, hört auf keinen lange,
+Und wem er etwas gibt, der macht sich fort;
+So kommt er los vom lästigen Gedrange.
+So war ich in dem dichten Haufen dort,
+Und mußte hier den Kopf und dorthin wenden
+Und löste mich durch manch Verheißungswort;
+Sah Benincasa, der den Wütrichshänden
+Des Ghin erlag, und sah darauf auch ihn,
+Des Los war, jagend in der Flut zu enden.
+Novelle bat mich flehend, zu verzieh’n;
+Auch der von Pisa dann, durch den der gute,
+Der wackere Marzucco stark erschien.
+Graf Orfo auch, und der im Frevelmute
+Vertilgt ward, wie er sagt’, aus Neid und Groll,
+Nicht weil auf ihm ein schwer Verbrechen ruhte,
+Den Broccia mein’ ich--mag sich demutsvoll
+Zur Reue die Brabanterin bequemen,
+Wenn sie zu schlechterm Troß nicht kommen soll.
+Kaum war ich frei von allen jenen Schemen,
+Die dort mich angefleht, zu fleh’n, daß sie
+Zur Heiligung mit größrer Eile kämen;
+Da sprach ich: "Du, der stets mir Licht verlieh,
+Hast irgendwo in deinem Werk geschrieben,
+Den Schluß des Himmels beuge Flehen nie.
+Doch hörtest du, wozu mich diese trieben.
+Täuscht nun vielleicht die Hoffnung diese Schar?
+Ist unklar mir vielleicht dein Sinn geblieben?"
+"Nicht täuscht sie Hoffnung, und mein Wort ist klar,"
+So sprach er drauf, "du magst es nur betrachten
+Mit hellem Geist, so wird dir’s offenbar.
+Ist für gebeugt das strenge Recht zu achten,
+Wenn das erfüllt der Liebe heißer Trieb,
+Was jenen oblag und sie nicht vollbrachten?
+Da, wo ich jenen Grundsatz niederschrieb,
+Da sühnte man durch Bitten keine Sünden,
+Weil ungehört von Gott die Bitte blieb.
+Doch kannst du jetzt so tiefes nicht ergründen,
+So harr’ auf sie, die zwischen deinem Geist
+Und ew’ger Wahrheit wird ein Licht entzünden.
+Beatrix ist’s, wenn du’s vielleicht nicht weißt,
+Die Lächelnde, Beglückte, die zu sehen
+Des hohen Berges Gipfel dir verheißt."
+Und ich: "Mein Meister, laß uns schneller gehen!
+Mir kehrt die Kraft, die kaum noch unterlag,
+Und sieh, schon werfen Schatten jene Höhen."
+"Wir gehn soweit als möglich diesen Tag,"
+Entgegnet’ er, "doch andres wirst du finden,
+Als eben jetzt dein Geist sich denken mag.
+Die Sonne, deren Strahlen jetzt verschwinden,
+So, daß zugleich dein Schatten flieht, sie kehrt,
+Bevor wir uns empor zum Gipfel winden.
+Doch eine Seele sieh, uns zugekehrt,
+Allein, betrachtend, wie du dich bewegtest.
+Gewiß, daß sie den nächsten Weg uns lehrt."
+O Geist von Mantua, wie du lebend pflegtest,
+So bliebst du stolzen, strengen Angesichts,
+Indem du langsam ernst die Augen regtest.
+Er ließ uns beide gehn und sagte nichts,
+Gleich einem Leu’n, der ruht, uns still betrachtend
+Mit scharfem Strahle seines Augenlichts.
+Allein Virgil, nur nach der Höhe trachtend,
+Befragt’ ihn: "Wo erklimmt man diese Wand?"
+Doch jener, nicht auf seine Fragen achtend,
+Fragt’ uns nach unserm Leben, unserm Land.
+Und: "Mantua"--begann nun mein Begleiter;
+Da hob der Schatten, erst in sich gewandt,
+Sich schnell vom Sitz und ward teilnehmend heiter.
+"Sordell bin ich, dein Landsmann!" rief er aus,
+Und, selbst umarmt, umarmt’ er meinen Leiter--
+Italien, Sklavin, Schlund voll Schmerz und Graus,
+Schiff ohne Steurer auf durchstürmten Meeren,
+Nicht Herrscherin der Welt, nein, Hurenhaus;
+Wie sah ich jenen Schatten dort, den hehren,
+Beim süßen Klange seiner Vaterstadt
+Hereilen, um den Landsmann froh zu ehren.
+Doch deine Lebenden sind nimmer satt,
+Im tollen Kampf sich wechselweis zu morden,
+Selbst die umschlossen eine Mauer hat.
+Elende, such’ an deinen Meeresborden,
+Im Innern such’ und keinen Winkel letzt
+Des Friedens Glück im Süden und im Norden.
+Was hilft dir’s, da dein Sattel unbesetzt,
+Daß Justinian die Zügel dir erneute?
+Ohn’ ihn wär’ minder deine Schande jetzt.
+Ihr hattet längst mit frommem Sinn, ihr Leute,
+Zu Cäsars Sitz den Sattel eingeräumt,
+Verstündet ihr, was Gottes Wort bedeute.
+Seht, wie das wilde Tier sich tückisch bäumt,
+Seit niemand es die Sporen fühlen lassen,
+Und ihr es, die ihr’s zähmen wollt, entzäumt.
+O deutscher Albrecht, der dies Tier verlassen,
+Das drum nun tobt in ungezähmter Wut,
+Statt mit den Schenkeln kräftig es zu fassen,
+Gerechtes Strafgericht fall’ auf dein Blut
+Vom Sternenzelt, auch sei es neu und offen,
+Dann ist dein Folger wohl auf seiner Hut.
+Was hat dich und den Vater schon betroffen,
+Weil ihr, verödend diese Gartenau’n,
+Nach jenseits nur gestellt das gier’ge Hoffen.
+Komm her, der Philipeschi Stamm zu schau’n
+Leichtsinniger, komm, sieh die Cappelletten,
+Die schon gebeugt, und die voll Angst und Grau’n!
+Komm, Grausamer, die Treuen zu erretten!
+Sieh, ungestraft drängt sie der schnöde Feind!
+Sieh Santafior in wilder Räuber Ketten!
+Komm her und sieh, wie deine Roma weint,
+Und höre Tag und Nacht die Witwe stöhnen:
+Mein Cäsar, ach, warum nicht mir vereint?
+Komm her und sieh, wie alle sich versöhnen,
+Komm her, und fühlst du dann auch Mitleid nicht,
+So schäme dich, daß alle dich verhöhnen.
+Verzeih, o höchster Zeus im ew’gen Licht,
+Der du für uns gekreuzigt wardst auf Erden,
+Ist anderwärts gewandt dein Angesicht?
+Wie? oder soll aus schrecklichen Beschwerden,
+Ein neues Heil, von keinem Aug’ entdeckt,
+Nach deinem tiefen Rat bereitet werden?
+Wie voll Italien von Tyrannen steckt!
+Will sich ein Bauer der Partei verschwören,
+Gleich heißt’s von ihm, Marcell sei auferweckt.
+Du, mein Florenz, du kannst dies ruhig hören,
+Da dieser Abschweif nimmer dich berührt.
+Nie ließ sich ja dein wackres Volk betören.
+Gerechtigkeit hegt vieler Herz, nur spürt
+Man etwas spät, wie sehr es ihr gewogen,
+Indes dein Volk sie stets im Munde führt.
+Wenn Bürgerämtern viele sich entzogen,
+Nimmt sie dein Volk freiwillig an und schreit:
+Seht her, mich hat die Bürde krumm gebogen!
+Nun freue dich, wenn du verdienest Neid,
+Du Reiche, du Friedselige, du Weise--
+Ich red’ im Ernst, die Wahrheit liegt nicht weit.
+Man spreche von Athen und Sparta leise!
+Sollt’ ihr Gesetz wohl wert der Rede sein,
+Wie sehr man’s anpreist, neben deinem Preise?
+Das, was du vorkehrst, ist gar dünn und fein;
+Denn wenn du’s im Oktober angesponnen,
+Zerreißt es im November kurz und klein.
+Wie oft hast du geendet und begonnen,
+Hast über Münz’ und Art, Gesetz und Pflicht,
+Und Haupt und Glieder anders dich besonnen;
+Bist du nicht völlig blind für jedes Licht,
+So mußt du dich gleich einer Kranken sehen.
+Ruh’ findet sie auf ihren Kissen nicht
+Und wendet sich, den Schmerzen zu entgehen.
+
+
+Siebenter Gesang
+
+Nachdem sie würdig und voll Freudigkeit
+Drei-, viermal mit den Armen sich umgaben,
+Da trat Sordell zurück: "Sprecht, wer ihr seid?"
+"Eh’ sich zu diesem Berg gewendet haben
+Die Seelen, welche Gott zu schauen wert,
+Hat Octavianus mein Gebein begraben.
+Ich bin Virgil.--Des Himmels Eingang wehrt
+Mir Glaubensmangel nur, nicht andre Sünde,"
+So sprach Virgil, als jener es begehrt.
+Als ob ein Wunder plötzlich hier entstünde,
+Bei dem man sagt: Es ist! dann: Es ist nicht!
+Und staunend glaubt, und nicht, daß man’s ergründe;
+So schien Sordell--dann neigt’ er das Gesicht,
+Worauf er zu den Knien Virgils sich beugte
+Und ihn umflocht, wo man den Herrn umflicht.
+"O Latiums Ruhm, du, dessen Werk bezeugte,
+Wie reich die Sprache sei an Kraft und Zier,
+O ew’ger Preis der Stadt, die mich erzeugte,
+Bringt mein Verdienst, mein Glück dich her zu mir?
+Und wenn ich wert mich solcher Huld erweise,
+So sprich, auf welchem Wege bist du hier?"
+Virgil darauf: "Ich kam durch alle Kreise
+Des wehevollen Reichs in dieses Land,
+Und Himmelskraft bewegte mich zur Reise.
+Nicht Tun, nein. Nichttun nur, hat mich verbannt,
+Hinab verbannt von hoher Sonne Strahlen,
+Die du ersehnst, die ich zu spät erkannt,
+Zu jenen tiefen nachterfüllten Talen,
+Zum Ort, wo leises Seufzen nur ertönt,
+Nicht Weheruf, noch Angstgeschrei von Qualen;
+Wo um mich her die Schar der Kindlein stöhnt,
+Die ungetauft aus jener Welt geschieden,
+Mit Gott für Adams Schuld noch unversöhnt.
+Wo die sind, die mit ird’schem Wert zufrieden,
+Die Tugenden, bis auf die heil’gen Drei,
+Sämtlich geübt und jede Schuld gemieden.
+Doch, wenn du kannst, so bring’ uns Kunde bei,
+Um schneller uns zu unserm Ziel zu leiten,
+Wo wohl der Läut’rung wahrer Anfang sei."
+Und er: "Ich darf umher und aufwärts schreiten,
+Denn kein gewisser Ort ist uns bestimmt.
+Soweit ich gehn darf, will ich dich begleiten.
+Doch sieh, wie schon des Tages Licht verglimmt,
+Drum ist auf guten Aufenthalt zu sinnen,
+Weil man bei Nacht nicht in die Höhe klimmt.
+Dort rechts sind Seelen, nicht gar weit von hinnen;
+Zu diesen, wenn du einstimmst, führ’ ich dich,
+Und denke wohl, du wirst dabei gewinnen."--
+Virgil: "Wenn’s Nacht wird, steigt man nicht? So sprich,
+Erliegt vielleicht die Kraft dann der Beschwerde?
+Wie, oder widersetzt dann jemand sich?"
+Mit seinem Finger streifte nun die Erde
+Sordell und sprach: "Nicht hoffe, daß bei Nacht
+Dein Fuß den Strich nur überschreiten werde.
+An Steigen hindert sonst dich keine Macht
+Als Dunkelheit, die, wie sie uns ermattet,
+Verwirrt durch Ohnmacht unsern Willen macht.
+Hinabzugehn und rückwärts ist gestattet,
+Und irrend ringsumher zu gehn am Bord,
+Wenn auch ihr Schleier noch die Welt umschattet."
+Mein Meister stand erst wie bewundernd dort;
+"Wie du versprachst," So hört ich drauf ihn bitten,
+"Geleit’ uns an den angenehmen Ort."
+Wir waren eben noch nicht weit geschritten,
+Da war ein hohler Raum am Berg zu sehn,
+Ein Tal, das dort den Felsenrand durchschnitten.
+"Dorthin", So sprach der Schatten, "laß uns gehn,
+Seht dort den Berg von einer Höhlung teilen,
+Dort sehen wir den Morgen auferstehn."
+Ein krummer Fußpfad führte zwischen steilen
+Felshöh’n und Ebene zum Rand der Schlucht,
+Da hieß Sordell am Abhang uns verweilen.
+Gold, feines Silber und des Coccums Frucht,
+Bleiweiß und Indiens Blau in hellster Reine,
+Smaragd, zerbrochen kaum--in dieser Bucht,
+Bei dieses Grases, dieser Blumen Scheine
+Schwänd’ ihrer Farben ganzer Glanz dahin,
+Wie seinem Größern unterliegt das Kleine;
+Nicht war Natur allein hier Malerin,
+Mit laufend wunderbar gemischten Düften
+Ergötzte sie auch des Geruches Sinn.
+Salve, Regina, tönt’ es in den Lüften
+Von Seelen auf dem blumenreichen Beet,
+Versteckt hierinnen zwischen Felsenklüften.
+"Bevor die Sonne ganz zu Rüste geht,
+Gehn", sprach Sordell, "wir nicht hinab zu ihnen,
+Denn, wenn ihr hier auf diesem Felsen steht,
+Erkennt ihr besser aller Art und Mienen,
+Als sie im Tale selber, im Gedrang
+So vieler großer Schatten euch erschienen.
+Der höher sitzt und scheint, als hätt’ er lang
+Versäumt, wozu ihn seine Pflicht verbunden,
+Und nicht den Mund regt bei der andern Sang,
+Jst Kaiser Rudolf, der Italiens Wunden
+Zu heilen zwar vermocht, doch nicht geheilt,
+So daß es spät durch andre wird gefunden.
+Der, dessen Anblick jetzt ihm Trost erteilt,
+Einst Herr des Landes, das der Fluß durchschneidet,
+Der in die Elb’, in ihr zur Meerflut eilt,
+Hieß Ottokar--mit Windeln noch umkleidet,
+Weit besser doch, als Wenzeslaus, sein Sohn,
+Der Bärt’ge, der an Üppigkeit sich weidet.
+Der Kleingenaste dort--von Reich und Thron
+Scheint’s, daß er mit dem andern, Güt’gen spreche--
+Starb fliehend, zu der Lilien Schmach und Hohn.
+Er schlägt die Brust, als ob das Herz ihm breche.
+Den andern fehl--es ruhet sein Gesicht
+In seiner aufgestützten Linken Fläche.
+An Frankreichs Aussatz, an den Bösewicht,
+Den Sohn und Eidam, denken sie, des Leben
+Voll Schmutz und Schmach sie feindlich quält und sticht
+Den Gliederstarken sieh! Mit dem daneben,
+Dem Adlernas’gen, singt er im Akkord
+Und ragt’ einst hoch in jedem wackern Streben.
+Und könnt’, als er verstarb, der Jüngling dort,
+Der hinten sitzt, den Königsthron ererben,
+So ging von Stamm zu Stamm die Tugend fort.
+Jakob und Friederich, die andern Erben,
+Sie sollten zwar des Thrones Herrlichkeit,
+Doch nicht des Vaters bessres Gut erwerben.
+Denn selten nur soll Menschenredlichkeit,
+Nach Gottes Schluß, neu aus der Wurzel Schlagen,
+Weil er sie nur auf frommes Fleh’n verleiht.
+Dem Adlernas’gen ist dies auch zu sagen,
+So gut als feiern, welcher mit ihm singt,
+Weshalb Provence und Puglien sich beklagen,
+Weil so viel schlechtem Keim sein Same bringt,
+Als höher sich Konstanzas Gatt’ im Preise
+Vor Beatrixens und Margretens schwingt.
+Den König seht von schlichter Lebensweise,
+Der einsam sitzt, Heinrich von Engelland,
+Vergnügt, daß sich ihm gleich sein Sproß erweise.
+Der tiefer sitzt, den Blick emporgewandt,
+Ist Markgraf Wilhelm, welchen noch die Seinen
+In Montferrat, in Canaveser Land
+Und Alessandrias Tück’ und Krieg beweinen.
+
+
+Achter Gesang
+
+Die Stunde war es, die zu stillem Weinen
+Vor Heimweh den gerührten Schiffer zwingt,
+Am Tag, da er verließ die teuren Seinen,
+Die Liebesleid dem neuen Pilgram bringt,
+Wenn fernher, klagend ob des Tags Erbleichen,
+Der Abendglocken Trauerlied erklingt.
+Jedweder Laut schien mit dem Licht zu weichen,
+Und eine von den Seelen trat hervor
+Und heischt’ Aufmerksamkeit mit einem Zeichen
+Und naht’ und hob die beiden Händ’ empor,
+Als sagte sie: Du, Gott, nur bist mein Trachten!
+Indem ihr Blick im Osten sich verlor.
+Te Lucis Ante--diese Worte brachten
+Dann ihre Lippen vor. So fromm, so schön,
+Daß sie mich meiner Selbst vergessen machten.
+Mit andachtsvollem lieblichem Getön
+Stimmt’ ein der Chor zu reicher Wohllauts Fülle,
+Den Blick emporgewandt zu Himmelshöh’n.
+Die Wahrheit liegt hier unter leichter Hülle;
+Ist, Leser, jetzt dein Blick nur scharf und klar,
+So wirst du leicht erspäh’n, was sie verhülle.
+Demütig, bleich, sah ich die edle Schar
+Nach oben schau’n, erwartungsvoll und schweigend,
+Und sah aus himmlischem Gewölb’ ein Paar
+Von Engeln durch die Luft herniedersteigend,
+Zwei Flammenschwerter zwar in ihrer Hand,
+Allein mit abgebrochnen Spitzen zeigend;
+Grün wie das Laub, das eben erst entstand,
+Und, von der grünen Flügel Weh’n getrieben,
+Nach hinten zu leicht flatternd das Gewand.
+Der eine blieb nah über uns, und drüben,
+Jenseit des Tales, blieb der andre stehn,
+So, daß die Schatten in der Mitte blieben.
+Ich konnte wohl die blonden Häupter sehn,
+Doch am Gesicht verging mein Blick, geblendet,
+Wie oft die Sinn’ am Übermaß vergehn.
+"Dies Paar ist aus Marias Schoß gesendet,
+Zur Hut des Tales, weil die Schlange naht."
+So sprach Sordell, uns beiden zugewendet.
+Und ich, der ich nicht wußt’, auf welchem Pfad,
+Ich schaut’ umher, indem ich starr vor Grauen
+Fest an des treuen Führers Rücken trat.
+Sordell begann aufs neu: "Geht mit Vertrauen
+Jetzt zu den Großen hin und sprecht sie an,
+Denn lieb wird’s ihnen sein, euch hier zu schauen.
+Ich war im Grund, wie ich drei Schritt’ getan,
+Und nach mir forschend späh’n sah ich den einen,
+Als sah’ er ein bekanntes Antlitz nah’n.
+Schon schwärzte sich die Luft, doch zwischen seinen
+Und meinen Blicken ließ sie, nah, was sich
+Vorher durch sie verschlossen, klar erscheinen.
+Nun ging ich auf ihn zu und er auf mich.
+"Mein edler Richter Nin, o welch Vergnügen!
+Hier--nicht bei den Verdammten--find’ ich dich!"
+Kein schöner Gruß ward zwischen uns verschwiegen.
+Und er: "Wann bist du aus dem weiten Meer
+Am Fuße dieses Berges ausgestiegen?"
+"Heut morgen kam ich aus der Hölle her",
+Entgegnet’ ich, "und bin im ersten Leben,
+Doch suche hier des künftigen Gewähr."
+Und wie ich ihnen den Bescheid gegeben,
+Da fuhr Sordell und er zurück, verstört,
+Als halt’ ein Wunder plötzlich sich begeben,
+Der dem Virgil, der einem zugekehrt,
+Der dorten saß, am grünen Talgestade:
+"Auf, Konrad, sieh, was uns der Herr beschert."
+Und drauf zu mir: "Erwies besondre Gnade
+Dir der, des erster Grund verborgen ruht,
+Wohin kein Geist je findet Furt und Pfade,
+So sag’ einst jenseits dieser weiten Flut
+Meiner Johanna, daß sie für mich flehe,
+Zu ihm, der nach dem Fleh’n der Unschuld tut.
+Nicht liebt die Mutter wohl mich noch wie ehe,
+Da sie den Witwenschleier abgelegt,
+Nach dem sie bald sich sehnt in ihrem Wehe.
+An ihr sieh, wie ein Weib zu lieben pflegt,
+Wenn ihre Liebesglut nicht um die Wette
+Jetzt Anschau’n, jetzt Betastung, neu erregt.
+Gewiß wird einstens ihre Grabesstätte
+Von Mailands Schlange nicht so schön geschmückt,
+Als sie geschmückt der Hahn Galluras hätte."
+Er sprach’s, und ihm im Antlitz ausgedrückt
+War ein gerechter Eifer, der dem Weisen
+Wohl durch das Herz, doch nur gemäßigt, zückt.
+Ich blickte sehnlich nach des Himmels Kreisen
+Dorthin, wo träger ist der Sterne Lauf,
+So wie, der Achse nah, des Rades Kreisen.
+Mein Führer sprach: "Was blickst du dort hinauf?"
+Und ich: "Nach den drei Lichtern, denn mit ihnen
+Geht ja am ganzen Pol ein Feuer auf."
+Und er: "Die vier, die dir heut morgen schienen,
+Sind tief jetzt unterm Horizont versteckt,
+Und diese sind an ihrer Stell’ erschienen."
+Hier ward ich durch den Ruf Sordells erschreckt:
+"Den Widersacher seht!" Er sprach’s und zeigte
+Zur Gegend hin, den Finger ausgestreckt,
+Wo sich das kleine Tal geöffnet neigte;
+Dort war die Schlange, die wohl jener glich,
+Die Even einst die bittre Speise reichte.
+Wie sie daher durch Gras und Blumen strich,
+Hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf zum Rücken
+Verdreht empor und leckt’ und putzte sich.
+Nicht sah ich und vermag’s nicht auszudrücken,
+Wie die zwei Engel sich bewegt zum Flug,
+Doch deutlich sah ich sie herniederzücken.
+Und wie ihr Flügelpaar die Lüfte schlug,
+Entfloh die Schlang’, und jene beiden flogen
+Zu ihrem Platz zurück in gleichem Zug.
+Der Schatten, der von Ninos Ruf bewogen
+Sich uns genähert, hatte bei dem Strauß
+Die Blicke nimmer von mir abgezogen.
+"Die Leuchte, die dich führt zu Gottes Haus,
+Sie find’ in deinem Willen und Verstande
+Ihr Öl und gehe bis zum Ziel nicht aus."
+So sprach er, "doch wenn von der Magra Strande
+Du wahre Kunde hast, so gib sie mir,
+Denn wiss’, ich war einst groß in seinem Lande.
+Corrado Malaspina spricht mit dir,
+Der Alte bin ich nicht, doch ihm entsprungen;
+Die Meinen liebt’ ich stets, doch reiner hier."
+"Oh," sprach ich, "nimmer noch ist mir’s gelungen,
+Dies Land zu sehn, allein sein Nam’ und Wert
+Ist, wo man in Europa sei, erklungen.
+Der Ruf, der euer Haus erhebt und ehrt,
+Schallt zu der Herrn, schallt zu des Landes Preise,
+So daß, wer dort nicht war, davon erfährt.
+Ich schwör’ es dir beim Ziele meiner Reise,
+Daß dein Geschlecht in voller Blüte steht,
+Des Muts, der Gastlichkeit, der edlen Weise.
+Und wenn die Tollheit alle Welt verdreht,
+Sitt’ und Natur wird ihm den Vorzug schenken,
+Daß es allein den schlechten Weg verschmäht."
+Und er: "Jetzt geh, nicht siebenmal versenken
+Wird sich die Sonn’ im Bett an jenem Ort,
+Den ringsumher des Widders Füß’ umschränken,
+So wird dir diese gute Meinung dort
+In deinem Kopfe festgenagelt werden,
+Mit bessern Nägeln als mit andrer Wort,
+Wird nicht des Schicksals Lauf gehemmt auf Erden."
+
+
+Neunter Gesang
+
+Schon Thithons Buhlerin, entgleitend
+Dem Arm des süßen Freunds und einen Kranz
+Von weißem Licht im Orient verbreitend,
+Geschmückt die Stirn mit der Demanten Glanz,
+Die jenes kalten Tiers Gestaltung zeigen,
+Das tödlich sticht mit seinem gift’gen Schwanz.
+Zwei Schritte hatte, wo ich war, im Steigen
+Die Nacht getan, um sich beim dritten jetzt
+Mit ihren Fittichen herabzuneigen,
+Als meine Sinne, da ich herversetzt
+Mit Adams Erbschaft war, dem Schlaf erlagen
+Und ich ins Gras sank, wo wir uns gesetzt.
+Zur Stunde war es, wo mit bangen Klagen,
+Wenn sich der Morgen naht, die Schwalbe girrt,
+Vielleicht gedenkend ihrer ersten Plagen,
+Und wo der Geist, vom Leibe nicht verwirrt,
+Frei und entledigt von den Sorgen allen,
+Im Traumgesicht beinahe göttlich wird.
+Da sah ich, träumend, an des Himmels Hallen
+Mit goldenem Gefieder einen Aar,
+Gespreizt die Flügel, um herabzufallen.
+Mir schien’s der Ort, wo Ganymedes war,
+Als er, indem die Seinen ihn umfingen,
+Entrückt ward zu der ew’gen Götter Schar.
+"Er pflegt vielleicht sich hier herabzuschwingen",
+So dacht’ ich, "und verschmäht, von anderm Ort
+In seinen Klauen uns emporzubringen."
+Ein wenig kreist’ er erst im Bogen dort,
+Dann schoß er, schrecklich, wie ein Blitz, hernieder
+Und riß mich bis zum Feuer aufwärts fort.
+Mir schien, ich brenn’, auch brenne sein Gefieder,
+Und ganz erglüht von dem erträumten Brand,
+Erwacht’ ich jäh aus meinem Schlummer wieder.
+So fuhr Achill empor im fremden Land
+Und drehte dann die wachen Blick’ im Kreise,
+Weil er nicht wußte, wo er sich befand,
+Als Thetis ihn im Schlaf dem Chiron leise
+Entführt und ihn nach Skyros hingebracht,
+Von wo Ulyß ihn rief zur großen Reise;
+Wie ich emporfuhr, da ich aufgewacht;
+Doch fühlt’ ich Frost sich über mich verbreiten,
+Gleich einem, den der Schreck erstarren macht.
+Mein treuer Hort allein war mir zur Seiten--
+Zwei Stunden aufwärts stieg die Sonne schon
+Und vor mir lagen frei des Meeres Weiten.
+Da sprach mein Herr: "Nicht fürchte dich, mein Sohn.
+Mut, denn uns ist das Schwerste nun gelungen,
+Drum halte fest die Kraft, die fast entfloh’n.
+Zum Fegefeuer bist du nun gedrungen.
+Den Felsen sieh, der’s einschließt--sieh das Tor
+Dort, wo, wie’s scheint, der Stein entzweigesprungen,
+Noch glänzt’ Aurora nicht dem Tage vor,
+Du aber lagst, den Geist vom Schlaf befangen,
+Im Tale dort auf jenem Blumenflor,
+Da kam ein Himmelsweib dahergegangen.
+’Lucien seh--den Schläfer nehm’ ich fort,
+Und leichter soll er so zum Ziel gelangen.’
+Sordell blieb mit den andern Seelen dort;
+Sie faßte dich, und als der Tag begonnen,
+Stieg sie empor mit dir an diesen Ort.
+Ich folgt’ ihr; und als mir ihr Blick voll Wonnen
+Das Tor gewiesen, legte sie dich hin
+Und ging, und mit ihr war dein Schlaf entronnen."
+Gleichwie wir, wenn uns offenen Gewinn
+Die Wahrheit zeigte. Sorg’ und Furcht verjagen,
+Von Mut und Lust erfüllt den freien Sinn,
+So ich--und da mich frei von Angst und Zagen
+Mein Meister sah, so schritt er zu den Höh’n,
+Und ich auch stand nicht an, den Gang zu wagen.
+Sieh, Leser, hier sich meinen Stoff erhöh’n,
+Drum staune nicht, wenn größre Kunst die Worte,
+Dem Stoff gemäß, sich aussucht, hoch und schön.
+Wir gingen fort und nahten einem Orte,
+Der erst als Felsenspalt’ erschien; doch nah
+Erkannt’ ich in der Öffnung eine Pforte.
+Drei Stufen von verschiednen Farben sah
+Ich unter ihr, um zu ihr aufzusteigen;
+Dann auch erkannt’ ich einen Pförtner da,
+Der auf der höchsten saß in tiefem Schweigen,
+Doch wie ich auf sein Antlitz hingewandt
+Mein Auge hatte, mußt’ ich’s wieder neigen.
+Er hatt’ ein nacktes Schwert in seiner Hand,
+Und wollt’ ich auf dies Schwert die Blicke kehren,
+So blitzt’ es her der Sonne Glanz und Brand.
+"Von dorten sprecht: Was mögt ihr hier begehren?"
+Sprach er. "Wer bracht’ euch bis zu mir empor?
+Habt acht, sonst wird das Kommen euch beschweren."
+Mein Meister drauf: "Uns sagte kurz zuvor
+Ein Weib, vom Himmel selbst dazu berufen:
+’Kehrt dorthin euren Schritt, dort ist das Tor!’
+Da hört’ ich gleich den edlen Pförtner rufen:
+"So mögt ihr denn durch sie zum Heile ziehen;
+Kommt, schreitet weiter vor zu unsern Stufen!"
+Wir kamen hin--die erste Stufe schien
+Von Marmor, weiß, von höchster Glätt’ und Reine,
+Drin spiegelt’ ich mich ab, wie ich erschien.
+Die zweite schien mir von verbranntem Steine,
+Rauh, lang und quer geborsten und zerschlitzt,
+Und ihre Farbe schwärzlichdunkle Bräune.
+Die dritte höchste Stuf erschien mir itzt
+Wie Porphyr, flammend, gleich des Blutes Quelle,
+Die frisch und warm aus einer Ader spritzt.
+Dem Pförtner diente sie zur Ruhestelle
+Für seine Fuß’, und höher saß er dann
+Auf der durchsicht’gen diamantnen Schwelle.
+Gern folgt’ ich meinem Führer dorthinan,
+Der sprach: "Jetzt geh, ihn flehend zu begrüßen,
+Denn er ist’s, der das Schloß dir öffnen kann."
+Demütig sank ich zu des Engels Füßen,
+Schlug dreimal erst auf meinen Busen mich
+Und bat ihn, aus Erbarmen aufzuschließen.
+Mit seines Schwertes scharfer Spitze strich
+Er sieben P auf meine Stirn und machte
+Sie wund und sprach: "Dort drinnen wasche dich."
+Noch, wenn ich Asch’ und Erdenstaub betrachte,
+Seh’ ich des Kleides Farb’, aus welchem er
+Mit seiner Hand hervor zwei Schlüssel brachte.
+Von Gold war dieser und von Silber der.
+Den weißen sah ich ihn, den gelben drehen,
+Und sieh, verschlossen war das Tor nicht mehr.
+Er sprach darauf: "Trifft einer von den zween
+Im Schloß beim Umdreh’n irgend Widerstand,
+So bleibt die Türe fest verschlossen stehen.
+Mehr Wert hat der von Gold, doch mehr Verstand
+Und Kunst wird jener, eh’ er schließt, bedürfen,
+Denn er nur löst das vielverschlungne Band.
+Beim Öffnen sollt’ ich eher irren dürfen,
+Sprach Petrus, der sie gab, als beim Verschluß,
+Wenn nur, die kämen, erst sich niederwürfen."
+Er stieß ans heil’ge Tor und sprach zum Schluß:
+"So geht denn ein, doch daß euch’s nie entfalle,
+Daß, wer rückblickt, nach außen kehren muß."
+Beim Öffnen drehte mit so lautem Schalle
+Die heil’ge Pfort’ in ihren Angeln sich,
+Gemacht von starkem, klingendem Metalle,
+Daß es dem Knarren jenes Tores glich,
+Vom Schloß Tarpeja, dessen Riegel sprangen,
+Als der Gewalt Metell, sein Wächter, wich.
+Ich horcht’ aufmerksam hin, denn Stimmen sangen,
+Und ein Tedeum schien mir, was man sang,
+Zu welchem volle süße Tön’ erklangen.
+Denn das, was jetzt zu meinen Ohren drang,
+War, wie wenn zu Gesängen Orgeln gehen,
+Und wir vor ihrem vollen hellen Klang
+Die Worte halb verstehn, bald nicht verstehen.
+
+
+Zehnter Gesang
+
+Kaum war ich innerhalb der Tür der Gnade,
+Die selten aufgeht durch den schlechten Hang,
+Der g’rad’ erscheinen läßt die krummen Pfade,
+Da hört’ ich, wie sie beim Verschließen klang.
+Wie ward’s auch wohl entschuldigt, wie verziehen,
+Wenn nach ihr umzuschau’n mich Neugier zwang?
+Wir mußten durch gespaltnen Felsen ziehen,
+Der vor- und rückwärts sprang vor unsrer Bahn,
+Wie Wogen sich anwälzen erst, dann fliehen.
+"Jetzt gilt es", also fing mein Führer an,
+"Wohl etwas Kunst, um hier und dort den Seiten,
+Da, wo sie rückwärts weichen, uns zu nah’n."
+Wir durften drum nur Iangsam vorwärts schreiten,
+Und schon war Lunas Rand dem Meer genaht,
+Schon sah ich sie hinab ins Bette gleiten,
+Eh’ wir zurückgelegt den engen Pfad;
+Doch blieben wir an seinem offnen Rande,
+Da, wo der Berg etwas zurücke trat,
+Ich matt, und fremd wir beid’ in diesem Lande,
+In Zweifeln stehn auf einem ebnen Ort,
+Der öd war wie ein Berg in Lybiens Sande.
+Von wo sein Rand ans Leere grenzt, bis dort
+Zum Fuß der Felsen, die sich jenseits heben,
+Ging ebner Raum drei Menschenlängen fort.
+Soweit g’rad’aus der Blicke Flügel schweben,
+schien solch ein Raum zur recht’ und linken Hand
+Den Berg, gleich einem Kranze, zu umgeben.
+Wie ich dort still mit meinem Führer stand,
+Erkannt’ ich, daß der Felsrand, uns entgegen,
+Der steil sich hob, gleich einer schroffen Wand,
+Von weißem Marmor war und allerwegen
+Voll Bildnerei, um Polyklet zur Scham,
+Ja die Natur zum Neide zu erregen.
+Der mit dem Friedensfchluß, den längst in Gram
+Die Welt ersehnt, aufs irdische Gefilde,
+Den lang verschloßnen Himmel öffnend, kam,
+Der Engel war dort eingehau’n, und Milde
+Und Liebe tat so wahr sein Wesen kund,
+Daß niemand glaubt’, es sei ein stumm Gebilde.
+Man schwor, ein Ave schweb’ auf seinem Mund,
+Denn sie war dort, durch die des Himmels Riegel
+Der Höchste löst’ im neuen Liebesbund.
+Es zeigte der Gebärde reiner Spiegel
+Das Wort: Sieh Gottes Magd, so ausgeprägt,
+Wie sich im Wachs ausprägt das schöne Siegel.
+"Was schaust du", sprach Virgil, "so unbewegt,
+Als ob nur diesem Bild dein Blick gebührte?"--
+Ich ging zur Seit’ ihm, wo das Herz uns schlägt,
+Daher sich jetzt dorthin mein Auge rührte;
+Und hinter der Maria war der Stein,
+Zur andern Seite dessen, der mich führte,
+Geschmückt mit andern schönen Schilderei’n.
+Drum trat ich, vor Virgil vorbeigeschritten,
+Ihm näher, um zum Schau’n bequem zu sein.
+Der Wagen war, in Marmor eingeshnitten,
+Die stierbespannte Bundeslade da,
+Drob ungeheischtes Dienen Straf erlitten.
+Das Volk voraus, in sieben Chören, sah
+Ich jubelnd zieh’n und sagt’ ich: Ob sie singen?
+So sagt’ ein Sinn mir nein, der andre ja!
+Sah Weihrauchduft sich in die Lüfte schwingen,
+Und auch bei diesem Bilde ließen schwer
+Geruch sich und Gesicht zum Einklang bringen.
+Im Tanze vor der heil’gen Lade her,
+Sah ich erhöht in Demut den Psalmisten,
+Der minder hier, als König, war, und mehr,
+Und, wie erfüllt von Ränken und von Listen,
+Am Fenster des Palasts mit schnödem Wort
+spöttisch bewundernd sich die Michal brüsten.
+Darauf bewegt’ ich mich von meinem Ort,
+Um weiterhin ein andres Bild zu schauen,
+Und sah den edlen Römerherrscher dort
+Zu hohem Ruhm in Marmor eingehauen,
+Ihn, der zum großen Siege den Gregor
+Beseelt mit Kraft und gläubigem Vertrauen.
+Trajan, den Imperator, stellt’ es vor,
+Und eine Witw’, ihm in die Zügel fallend,
+Die, schmerzerfüllt, mit Flehen ihn beschwor.
+Rings Reiterei gedrängt. Trompeten schallend,
+--so schien’s dem Aug’--im goldenen Panier
+Die Adler drüberhin im Winde wallend.
+Die Arme schrie mit Macht, so schien es mir:
+"Verweile, Herr, mir ward der Sohn erschlagen,
+Du räche mich, die Rache ziemet dir."--
+So warte, bis ich kehre!" Dies zu sagen
+schien er, und sie darauf: "Und wenn du nun"
+(Und ihre Worte schien der Schmerz zu jagen)
+"Nicht wiederkehrst?"--So wird’s mein Folger tun!"
+"Vertraust du, was dir obliegt, fremden Armen,
+Mag auch indes die Pflicht vergessen ruh’n?"--
+"So tröste dich," entgegnet’ er der Armen,
+"Bevor ich ziehe, lös’ ich meine Pflicht,
+Gerechtigkeit gebeut’s, mich hält Erbarmen!"--
+Sichtbar macht’ er die Red’, er, des Gesicht
+Von Ewigkeit nichts Neues noch gesehen,
+Doch uns ist’s neu, weil uns die Kunst gebricht.
+Indes ich mich ergötzte, hinzuspähen
+Nach solcher Demut Bildern, deren Wert
+Noch er erhöht, durch welchen sie entstehen,
+Da lispelte Virgil, mir zugekehrt:
+Sieh jene dort, die langsam, langsam schreiten,
+Von diesen wird uns wohl der Weg gelehrt."
+Ich ließ, da immer hier nach Neuigkeiten
+Mein ganzes Streben war, voll Ungeduld
+Nach dieser Seite hin die Blicke gleiten,
+Vernimmst du, Leser, wie sich Gott die Schuld
+Bezahlen läßt, nicht denke drum zu weichen
+Vom guten Pfad und trau’ auf seine Huld.
+Mag diese Qual auch der der Hölle gleichen,
+Denk’ an die Folg’--im schlimmsten Falle wird
+Nur bis zum großen Spruch die Marter reichen.
+Ich sprach: "Nur unklar seh’ ich und verwirrt,
+Was dort sich naht. Sind’s menschliche Gestalten,
+Was unstet itzt vor meinem Auge flirrt?"--
+"Kaum seh’ ich selbst ihr Bild sich klar entfalten,"
+Entgegnet’ er, "weil erdwärts tiefgebückt
+Vor schwerer Last sie Haupt und Schultern halten.
+Sieh, was dort unter Steinen näher rückt,
+Sieh scharf, und du entwirrst gequälte Schatten
+Und siehst genau, was jeden niederdrückt."--
+Stolze Christen, o ihr Armen, Matten!
+Der Fuß schlüpft rückwärts, doch, an Geiste blind,
+Glaubt ihr, vortrefflich geh eu’r Lauf vonstatten.
+Bemerkt ihr nicht, daß wir nur Würmer sind,
+Bestimmt zu jenes Schmetterlings Entfaltung,
+Des Flug nie der Gerechtigkeit entrinnt.
+Was tragt ihr hoch das Haupt in stolzer Haltung?
+Gewürm, das öfters, wenn’s der Pupp’ entflieht,
+Verkrüppelt ist zu schnöder Mißgestaltung;
+Wie man zuweilen wohl Gestalten sieht,
+Anstatt des Simses tragend Dach und Decken,
+Gekrümmt, daß sich das Knie zum Busen zieht,
+Die im Beschauer wahres Leid erwecken
+Durch falschen Schmerz--so könnt’ ich jetzo klar
+Bei schärferm Hinschau’n jene dort entdecken,
+Den mehr, den minder tiefgebogen zwar,
+Als ob die Last hier mehr, dort minder wiege,
+Doch der auch, der am meisten duldsam war,
+Schien tränenvoll zu sagen: Ich erliege!
+
+
+Elfter Gesang
+
+"Oh Vater unser, in den Himmeln wohnend,
+Du, nimmer zwar von ihrer Schrank’ umkreist,
+Doch lieber bei den ersten Werken thronend,
+Es preis deinen Namen, deinen Geist,
+Was lebt, weil deinem süßen Hauch hienieden
+Der Mensch nur würdig dankt, wenn er ihn preist.
+Zu uns, Herr, komme deines Reiches Frieden,
+Den keiner je durch eigne Kraft errang,
+Und der zu uns nur kommt, von dir beschieden.
+Gleichwie die Engel beim Hosiannasang
+Ihr Wollen auf das Deine nur beschränken,
+So opfre dir der Mensch des Herzens Hang.
+Wollt unser täglich Manna heut uns schenken;
+Zurückgeh’n ohne dies auf rauher Bahn
+Die, so am meisten vorzuschreiten denken.
+Wie wir, was andre Böses uns getan,
+Verzeih’n, oh so verzeih uns du in Hulden
+Und sieh nicht das, was wir verdienen, an.
+Nicht laß die schwanke Kraft Versuchung dulden
+Vom alten Feinde, sondern mache los
+Von ihm, des Arglist reizt zu Sünd’ und Schulden.
+Für uns nicht, teurer Herr, für jene bloß
+Geschieht, tut not die letzte dieser Bitten,
+Die dort noch sind in unentschiednem Los."
+So für sich selbst, für uns auch betend, schritten
+Die Schatten langsam unter schwerer Last,
+Wie man im Traum oft ihren Druck erlitten,
+Im ersten Kreise, der den Berg umfaßt;
+Sie läutern sich vom Erdenqualm und tragen
+Ungleiche Bürden, matt, doch ohne Rast.
+Wenn stets für uns dort jene Gutes sagen,
+Was kann für sie von solchen hier gescheh’n,
+Die Wurzeln schon im bessern Sein geschlagen?
+Sie unterstütze treulich unser Fleh’n,
+Daß sie der Erdenschuld sich bald entringen
+Und leicht und rein die Sternenkreise sehn.
+"Euch möge Recht und Huld Erleicht’rung bringen,
+Um zu dem Ziel, daß euch die Sehnsucht zeigt,
+Mit freien Flügeln bald euch aufzuschwingen.
+Ihr aber zeigt uns, wo man aufwärts steigt,
+Weist uns den Weg, und gibt es mehr als einen,
+So lehrt uns den, der minder steil sich neigt.
+Denn dieser hier, mit Fleisch und mit Gebeinen
+Von Adam her bekleidet und beschwert,
+Muß wider Willen träg im Steigen scheinen."
+So sprach mein Führer, jenen zugekehrt,
+Und diese Rede ward darauf vernommen,
+Doch wußt’ ich nicht, von wem ich sie gehört.
+"Ihr könnt mit uns zur rechten Seite kommen,
+Dort ist ein Paß, nicht steiler, als der Fuß
+Des Lebenden schon anderwärts erklommen.
+Und drückte nicht der Stein nach Gottes Schluß
+Den stolzen Nacken jetzt der Erd’ entgegen,
+So daß ich stets zu Boden blicken muß,
+So würd’ ich nach ihm hin den Blick bewegen,
+Zu sehn, ob ich ihn, der sich nicht genannt,
+Erkenn’, und um sein Mitleid zu erregen.
+Wilhelm Aldobrandeschi, der dem Land,
+Das ihn geboren, Ruhm und Ehre brachte,
+Erzeugte mich, und ist euch wohl bekannt.
+Das alte Blut, der Ruhm der Ahnen machte
+So übermütig mich und stolz und roh,
+Daß ich nicht mehr der Mutter aller dachte.
+Und ich verachtete die Menschen so,
+Daß ich drum starb, wie die Sanesen wissen
+Und jedes Kind in Campagnatico.
+Omberto bin ich; nicht nur mein Gewissen
+Befleckt der Stolz, er hat auch alle schier
+Von meinem Stamm ins Elend fortgerissen.
+Bis ich dem Herrn genugtat, ruht auf mir
+Die schwere Last, und was ich dort im Leben
+Nicht tat, daß tu’ ich bei den Toten hier."
+Ich horcht’ und ging gesenkten Blicks daneben,
+Ein andrer aber, unterm Steine, fing
+sich an zu winden, um den Blick zu heben.
+Er sah, erkannt’ und nannte mich und hing,
+Kaum fähig, doch den Blick vom Grund zu trennen,
+An mir, der ganz gebückt mit ihnen ging,
+"Du Odrisl" rief ich, froh, ihn zu erkennen,
+Scheinst Gubbios Ruhm, der Ruhm der Kunst zu sein,
+Die Miniaturkunst die Pariser nennen."
+"Ach, Bruder, heitrer sind die Schilderei’n,"
+Versetzte jener, "Franks, des Bolognesen,
+Sein ist der Ruhm nun ganz, zum Teil nur mein.
+So edel war’ ich, lebend, nicht gewesen,
+Dies zu gestehn, denn ach! vor Ruhmgier schwoll
+Damals mein stolzes Herz, mein ganzes Wesen.
+Fürs solchen Stolz bezahlt man hier den Zoll.
+Wo ich, weil ich bereute, durch Beschwerden
+Von seinem finstern Dampf mich läutern soll.
+O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden!
+Wie wenig dauert deines Gipfels Grün,
+Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden.
+Als Maler sah man Cimabue blüh’n,
+Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen,
+Und jenes Glanz in trüber Nacht erglüh’n.
+Den Ruhm der Sprache nahm in diesen Tagen
+Ein Guid’ dem andern, und ein andrer lauscht
+Vielleicht versteckt, auch ihn vom Nest zu jagen.
+Ein Windstoß nur ist Erdenruhm. Er rauscht
+Von hier, von dort, um schleunig zu verhallen,
+Indem er Seit’ und Namen nur vertauscht.
+Wird lauter wohl dereinst dein Ruhm erschallen,
+Wenn du als Greis vom Leib geschieden bist,
+Als wenn du stirbst beim ersten Kinderlallen,
+Eh’ tausend Jahr’ entflieh’n?--wohl kürzre Frist
+Zur Ewigkeit, als zu dem trägsten Kreise
+Des Himmels deines Auges Blinken ist.
+Ganz Tuscien scholl einst laut von dessen Preise,
+Der dort vor mir so träg und langsam schleicht,
+Jetzt flüstert’s kaum von ihm in Siena leise.
+Dort herrscht’ er, als, von dem Geschick erreicht,
+Fiorenzas Wut erlag, der stolzen, kühnen,
+Der Stadt, die jetzt der feilen Hure gleicht.
+Dem Grase gleicht der Menschenruhm, dem Grünen,
+Das kommt und geht, und durch die Glut verdorrt,
+Die erst es mild hervorrief, zu ergrünen."
+Und ich: "Mir dämpft den Stolz dein wahres Wort
+Und weiß mir trefflich Demut einzuprägen;
+Doch sprich: Wer geht so schwer belastet dort?"
+Silvani," sprach er, "ist es, hier deswegen,
+Weil sich so weit sein toller Stolz vergaß,
+Dem freien Siena Ketten anzulegen.
+Drum ging er so und geht ohn’ Unterlaß,
+Seitdem er starb--der Zoll wird hier erhoben
+Von jedem, der sich dort zu hoch vermaß."
+Und ich: "Weilt jeder, welcher aufgeschoben
+Bis zu dem Rand des Lebens Reu’ und Leid.
+Dort unten erst und dringet nicht nach oben,
+Wenn ihm nicht Hilfe gläubig Fleh’n verleiht,
+Bis so viel Jahr’, als er gelebt, vergangen,
+Wie kam denn er herauf in kürzrer Zeit?"--
+Und er: "Er ist auf Sienas Markt gegangen
+Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt,
+Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen,
+Und, weil sein Freund in Carlos Haft gelebt,
+Um Hilf ihm und Befreiung zu gewähren,
+Als Bettler dort an jedem Puls gebebt.
+Ich red’ unklar, doch wird’s nicht lange währen,
+So handelt also deine Nachbarschaft,
+Daß du vermagst, dir alles zu erklären--
+Die Tat hat jene Schrank’ ihm weggeschafft."
+
+
+Zwölfter Gesang
+
+Gleichmäßig, wie zwei Stier’ im Joche zieh’n,
+Ging ich dem schwerbeladnen Geist zur Seiten,
+Solang es gut dem süßen Lehrer schien.
+Doch als er sprach: "Laß ihn, um vorzuschreiten,
+Hier gilt’s. soviel man immer kann, den Kahn
+Mit Segeln und mit Rudern fortzuleiten!"
+Da richtet’ ich mich auf zur weitern Bahn
+Mit meinem Leib, obwohl gebeugt und bange
+Des Geistes Blicke noch zu Boden sahn,
+Und folgte meinem Hort im regen Drange
+Der Wißbegier, und beide zeigten wir,
+Wie leicht wir waren, schon im raschen Gange;
+Bis daß er sprach: "Zu Boden blicke hier,
+Um, was dein Fuß beschreitet, zu gewahren,
+Denn zu des Weges Kürzung frommt es dir."
+Wie, um der Freund’ Erinnrung zu bewahren,
+Auf ird’schen Gräbern dargestellt erscheint,
+Was, die drin ruhen, einst im Leben waren,
+So daß bei diesem Anblick jeder weint,
+Gereizt vom Schmerz der aufgerißnen Wunde,
+Der’s gut und fromm mit ihnen einst gemeint;
+So wies der Vorsprung mir, der in der Runde,
+Den Pfad dort bildend, jenen Berg umschloß,
+Manch Bild, doch trefflicher, auf seinem Grunde
+Ihn, edler, als was je der Erd’ entsproß,
+Erschaffen, sah ich, welcher mit der Eile
+Des Blitzes hier vom Himmel niederschoß.
+Dort aber auf des Weges anderm Teile,
+In starrem Todesfrost und träg und schwer,
+Lag Briareus, durchbohrt vom Himmelspfeile.
+Mars, Phöbus, Pallas standen hoch und hehr,
+Auf die zerstreuten Riesenglieder sehend,
+Bewaffnet noch, um ihren Vater her.
+Am Fuß des großen Werks den Nimrod stehend,
+Erblickt’ ich dann, und wie verwirrt und toll
+Nach den Genossen seiner Arbeit spähend.
+Dich Niobe, dich sah ich jammervoll,
+Hier sieben Kinder tot, dort andre sieben;
+Wie jedem Aug’ ein Tränenstrom entquoll.
+Saul, du schienst, ins eigne Schwert getrieben,
+Tot, wie auf Gilboa, das seit der Zeit
+Von Tau und Regen unbenetzt geblieben.
+Arachne, Törin, einst voll Eitelkeit,
+Halb Spinn’ itzt, auf den Fetzen vom Gewebe,
+Das du, o Arme, wobst zu deinem Leid.
+Rehabeam--es schien, als ob er bebe,
+Als ob er, statt wie immer sonst, zu droh’n,
+Im Wagen flüchtig, unverjagt, entschwebe.
+Man sah Eriphylen und ihren Lohn,
+Wie teuer das unselige Geschmeide
+Ihr hier bezahlt ward von dem eignen Sohn:
+Den Sanherib, den seine Söhne beide
+Im Tempel töteten voll Frevelmut
+Und liegen ließen in dem letzten Leide.
+Des Cyrus Tod und der Tomyris Wut--
+Sie schien zum abgeschnittnen Haupt zu sagen:
+Dein Durst war Blut, nun füll’ ich dich mit Blut.
+Dann der Assyrer Heer--es floh, geschlagen,
+Nach Holofernes’ Tod, und hinterdrein
+Sah man mit grimmer Wut die Feinde jagen.
+O Ilion, wie niedrig und wie klein!
+Wohl standest du auf Trojas Fluren dreister
+Als hier, in Asch’ und Schutt, auf dem Gestein!
+Wer war des Griffels und des Pinsels Meister,
+Der Formen und Gebärden ausgedrückt
+Selbst zur Bewunderung der feinsten Geister?
+Mir schien, wie ich dahinging, tiefgebückt,
+Was tot war, tot, was lebend war, zu leben,
+Nicht besser hat’s, wer’s wirklich sah, erblickt.
+Stolziert nur hin, fahrt fort, das Haupt zu heben,
+Senkt nicht den Blick, ihr, Evens Söhn’, er weist
+Euch sonst den schlechten Weg, das eitle Streben!--
+Schon hatten wir vom Berge mehr umkreist,
+Schon war die Sonne weiter fortgegangen,
+Als ich bemerkt mit dem befangnen Geist;
+Als er, des Fuß und Seele vorwärts drangen,
+Begann: "Blick’ auf, erhebe Haupt und Sinn!
+Nicht ist’s mehr Zeit, den Bildern anzuhangen.
+Ein Engel naht--drum blick’ empor, dorthin!
+Schon kehrt, von schnellen Fittichen getragen,
+Zurück des Tages sechste Dienerin.
+Schmück’ itzt mit Ehrfurcht Antlitz und Betragen,
+Dann führt er wohl mit Freuden uns empor.
+Denk’, nie wird dieser Tag dir wieder tagen."
+Und da er mich ermahnt schon oft zuvor,
+Die Zeit zu nutzen, kam es, daß ich nimmer
+Den Sinn, den solch ein Wort verschloß, verlor.
+Das schöne Wesen naht’--ein weißer Schimmer
+War sein Gewand; dem Stern des Morgens war
+Sein Antlitz gleich an zitterndem Geflimmer.
+Die Arm’ erschloß er, dann das Flügelpaar,
+Und sprach: "Kommt jetzt, denn nahe sind die Stufen
+Und leicht erklimmt ihr sie und ohne Fahr.
+Nur wen’ge nah’n von vielen, die berufen.
+O Mensch, du fällst bei jedes Windes Weh’n,
+Du, den zum Aufflug Gottes Händ’ erschufen."
+Bald ließ er uns des Felsen Öffnung sehn.
+Dort schlug er meine Stirn mit seinem Flügel
+Und hieß mich dann gesichert weitergehn.
+Wie ob der Stadt, die ihrer Herrschaft Zügel
+So wohl zu führen weiß wie Recht und Pflicht,
+Am Weg zur Kirche, rechts am steilen Hügel,
+Den kühnen Schwung des Bergs die Treppe bricht,
+Die man gebaut in jenen guten Zeiten,
+Wo sicher war das Maß und das Gewicht;
+So war der Fels, durch Stufen zu beschreiten,
+Obwohl er jäh sich senkt als steile Wand,
+Doch streift man das Gestein von beiden Seiten.
+Laut klang’s, indem ich dort mich aufwärts wand,
+"Den geistlich Armen Heil!"--mit einem Sange,
+Wie ich so süß noch keinen je empfand.
+Wie anders war es hier, als bei dem Gange
+Ins Höllenreich! Bei Liedern klomm ich auf,
+Und dort hinab bei wildem Jammerklange.
+Die heil’gen Stiegen klommen wir hinauf,
+Und leichter schien mir’s hier, emporzukommen,
+Als erst auf ebner Bahn der leichtste Lauf.
+Sprich, Meister, welche Last ist mir entnommen,"
+So rief ich, da ich dies bemerkt, zuletzt,
+"Daß ich fast mühelos emporgeklommen?"
+Und er: sind diese P, die zwar noch jetzt
+Dein Antlitz trägt, doch die schon halb verschwunden,
+Erst, wie das eine, völlig ausgewetzt,
+Dann wird den Fuß dein Streben überwinden,
+So daß ihm Klimmen keine Mühe macht,
+Ja, Wonne wird er dann im Steigen finden."
+Da tat ich jenen gleich, die, sonder Acht,
+Etwas mit sich am Haupte tragend, gehen,
+Bis sie bemerkt, daß man sich winkt und lacht;
+Drum sie die Hand gebrauchen, um zu spähen,
+Mit dieser suchen, finden und damit
+Zuletzt erschau’n, was nicht die Augen sehen.
+Denn mit den ausgespreizten Fingern glitt
+Ich an der Stirne hin, und sieh, vergangen
+War eins der Zeichen, das der Engel schnitt.
+Da schwebt’ ein Lächeln um des Meisters Wangen.
+
+
+Dreizehnter Gesang
+
+Wir waren auf dem Gipfel jener Stiegen,
+Wo sich des Berges zweiter Abschnitt zeigt,
+Des Bergs, der läutert, die hinaufgestiegen.
+Hier, wo man auf den zweiten Vorsprung steigt,
+Der, gleich dem ersten, rings die Höh’ umwindet,
+Nur daß ein Bogen noch sich schneller beugt,
+Hier ist kein Bild, und jedes Zeichen schwindet,
+Daher man glatt den Weg und das Gestad
+Von des Gesteins schwarzgelber Farbe findet.
+"Dafern wir harrten, bis der Führer naht,"
+So sprach Virgil darauf, "hier säumig stehend,
+So wählten wir zu spät wohl unsern Pfad."
+Dann macht’ er, festen Blicks zur Sonne sehend,
+Für die Bewegung seinen rechten Fuß
+Zum Mittelpunkt, sich mit dem linken drehend.
+"O süßes Licht, du flößest den Entschluß
+Zum neuen Weg mir ein, du führ’ uns weiter,"
+Begann er, "wie ein treuer Führer muß.
+Du wärmst die Welt, du machst sie hell und heiter;
+Nie wandle man, wenn sich dein Glanz verhehlt,
+Drängt nicht die Not, und er sei unser Leiter."
+Soviel man hier auf eine Miglie zählt,
+So weit schon gingen wir auf jenen Pfaden
+In wenig Zeit, vom regen Trieb beseelt.
+Ein Geisterzug flog längs den Felsgestaden,
+Gehört, doch nicht gesehn, herbei und schien
+Zum Tisch der Lieb’ uns freundlich einzuladen.
+Der erste Geist rief im Vorüberflieh’n:
+Sie haben keinen Wein! Die Worte klangen
+Dann nochmals hinter uns im Weiterzieh’n.
+Und eh’ sie, sich entfernend, ganz verklangen,
+Da rief: Ich bin Orest!--ein zweiter Geist,
+Und war im schnellen Flug vorbeigegangen.
+"O", sprach ich, "Vater, sage, was dies heißt?"
+Da klang die dritte Stimm’ in meine Frage
+Und rief: Liebt den, der Böses euch erweist.
+Und er: "Du findest hier des Neides Plage!
+Gegeißelt wird er hier, doch Liebe schwingt
+Der strengen Geißel Schnur zu jedem Schlage.
+Doch wisse, daß der Zügel anders klingt.
+Du wirst ihn hören, eh’ im Weitergehen
+Dein Fuß zum Passe der Verzeihung dringt.
+Versuch’ es jetzo, scharf dorthin zu spähen,
+Und vor uns wirst du Leute, langgereiht,
+An dieser Wand des Felsens sitzen sehen.
+Da öffnet’ ich sogleich die Augen weit
+Und sah die Schatten an der Felsenhalle,
+An Farbe dem Gesteine gleich ihr Kleid.
+Und näher hört’ ich sie mit lautem Schalle
+"Bitte für uns, Maria!" brünstig schrei’n,
+"Michael und Petrus und ihr Heil’gen alle!"
+Möcht’ einer noch so hart und grausam sein,
+Vor Mitleid wäre doch sein Herz entglommen,
+Hält’ er, wie ich, gesehn der Armen Pein.
+Denn als ich nun so nahe hingekommen,
+Daß ich Gebärd’ und Angesicht erkannt,
+Da ward mein Herz durchs Auge schwer beklommen.
+Ihr Anzug war ein schlechtes Bußgewand;
+Sie lehnten sich an sich und ihren Rücken
+Sie allesamt an jene Felsenwand;
+Den Blinden gleich, die Not und Hunger drücken,
+Und die an Ablaßtagen bettelnd stehn,
+Und, Kopf an Kopf gedrängt, sich kläglich bücken,
+Indem sie, um das Mitleid zu erhöh’n,
+Nicht minder mit den jämmerlichen Mienen,
+Als mit den lauten Jammerworten fleh’n.
+Und, gleich den armen Blinden, war auch ihnen
+Den bangen Schatten, welchen ich genaht,
+Der Glanz des Himmelslichts umsonst erschienen.
+Gebohrt war durch die Augenlider Draht,
+Ihr Auge, wie des Sperbers, ganz vernähen;
+Der, wild, nicht nach des Jägers Willen tat.
+Mir aber schien es unrecht, daß ich sehend,
+Doch ungesehn dort ging, drum wandt’ ich mich
+Zum weisen Rat, nach seiner Meinung spähend.
+Er, der sogleich erriet, weswegen ich
+Noch stumm, auf ihn die Blicke fragend lenkte,
+Sprach: "Rede jetzt, doch kurz und sinnig sprich."
+An jener Seite, wo der Fels sich senkte,
+Ging mir Virgil, wo leicht zu fallen war,
+Weil kein Geländer dort den Rand verschränkte;
+Zur andern Seite saß die fromme Schar,
+Und durch die grause Naht gepreßte Zähren,
+Die ihre Wangen netzten, nahm ich wahr.
+"Ihr, sicher, euch im Lichte zu verklären,"
+Begann ich nun, "das einzig euer Traum,
+Das einzig euer Wunsch ist und Begehren,
+Die Gnade lös’ euch des Gewissens Schaum
+Und mache drin auf reinem lauterm Grunde
+Der Seele klaren Fluß zum Strömen Raum.
+Doch bitt’ ich euch, gebt mir gefällig Kunde:
+Ist eine Seel’ aus Latium hier?--Ich bin
+Für sie vielleicht dann hier zur guten Stunde."
+"O Bruder, jede Seel’ ist Bürgerin
+Von einer wahren Stadt--doch willst du fragen,
+Ob ein’ in Welschland lebt als Pilgerin."
+So schien’s, von mir noch etwas fern, zu sagen,
+Daher ich, weil ich fast das Wort verlor,
+Sogleich beschloß, mich weiter vor zu wagen.
+Und eine wartete, so kam mir’s vor,
+Auf Antwort, und, um’s deutlicher zu zeigen,
+Hob sie, dem Blinden gleich, das Kinn empor.
+"Du," sprach ich, "die sich beugt, um aufzusteigen,
+Warst du’s, die Antwort gab, so magst du mir
+Jetzt deinen Ort und Namen nicht verschweigen."
+"Ich war von Siena, und mit diesen hier",
+So sprach sie, "läutr’ ich mich vom Lasterleben,
+Und weinend fleh’n um Gottes Gnade wir.
+Sapia hieß ich, ob ich gleich ergeben
+Der Torheit war, denn mir schien andrer Leid
+Weit größre Lust, als eignes Glück zu geben.
+Doch zweifelst du an meinem tollen Neid,
+So höre nur!--Die Jugend war verflossen,
+Und abwärts ging der Bogen meiner Zeit,
+Als nah bei Colle meine Landsgenossen
+Den kampfbereiten starken Feind erreicht;
+Da bat ich Gott um das, was er beschlossen.
+Drauf wird ihr Heer geschlagen und entweicht,
+Und ich, erblickend, wie der Feind es jage,
+Fühl’ eine Lust, der keine weiter gleicht,
+So daß ich kühn den Blick gen Himmel schlage
+Und rufe: Gott, nicht fürcht’ ich mehr dich jetzt!
+Der Amsel gleich am ersten warmen Tage.
+Nach Gottes Frieden sehnt’ ich mich zuletzt
+Am Rand des Lebens, aber meine Schulden,
+Durch Reue wären sie nicht ausgewetzt,
+Wenn Pettinagno meiner nicht in Hulden
+Gedacht in seinem heiligen Gebet;
+Noch müßt’ ich vor dem Tore harrend dulden.
+Doch wer bist du, der offnen Auges geht,
+So scheint’s, um unsern Zustand zu erkunden,
+Und dessen Atem noch beim Sprechen weht?"--
+"Mit Draht wird einst mein Auge hier durchwunden,"
+So sprach ich, "doch ich hoffe kurze Frist,
+Weil man’s nur selten scheel vor Neid gefunden.
+Mehr als das Leid, ob des du traurig bist,
+Hat Sorge mir die untre Qual bereitet.
+Schon fühl’ ich, wie die Bürde drückend ist."
+Und sie: "Wer also hat dich hergeleitet,
+Daß du, um rückzukehren, hier erscheinst?"
+"Er, der dort schweigend steht, hat mich begleitet.
+Ich leb’, erwählter Geist, und wenn ich einst
+Jenseits als Sterblicher für dich bewegen
+Die Füße soll, so fordre, was du meinst."
+"So Neues sagtest du," sprach sie dagegen,
+"Daß es dir sicher Gottes Huld bewährt.
+Verwende drum dein Fleh’n zu meinem Segen.
+Ich bitte dich, bei allem, was dir wert,
+Wirst du dich je im Tuscierland befinden,
+So sei zum Bessern dort mein Ruf gekehrt.
+Beim eiteln Volk wirst du die Meinen finden,
+Das Talamon verlockt zum Hoffnungswahn;
+Und wie bei Dianas Quelle wird er schwinden,
+Doch setzen mehr die Admirale dran."
+
+
+Vierzehnter Gesang
+
+"Wer ist der, welcher unsern Berg umgeht,
+Eh’ ihn der Tod beschwingt--dem, nach Behagen,
+Das Auge bald sich schließt, bald offen steht?"
+"Daß er allein nicht ist, das kann ich sagen,
+Nicht wer er ist. Da ich ihm ferner bin,
+Magst du, damit er red’, ihn höflich fragen."
+So redeten, von mir zur Rechten hin,
+Zwei Geister dort, sich zueinander neigend,
+Dann, um zu sprechen, hoben sie das Kinn.
+"O Seele, die, empor zum Himmel steigend,"
+Sprach dann der eine, "noch im Körper steckt,
+O sprich, dich hold und trostreich uns erzeigend,
+Woher? Wer bist du? Denn solch Staunen weckt
+Die Gnade, die wir an dir schauen sollen,
+Wie wenn, was nie gescheh’n, sich uns entdeckt."
+Und ich: "Ein Fluß, der Falteron’ entquollen,
+Lustwandelt mitten durch das Tuscierland,
+Dem hundert Miglien Laufs nicht g’nügen wollen.
+Ich bringe diesen Leib von seinem Strand.
+Doch sagt’ ich, wer ich sei--nicht würd’ euch’s frommen,
+Da wenig Ruhm bis jetzt mein Name fand."
+"Bin ich auf deiner Meinung Grund gekommen,
+Meinst du den Arno und sein Talgebiet?"
+So sprach jetzt, der zuerst das Wort genommen.
+Der zweite sprach darauf: "Warum vermied
+Er, jenes Flusses Namen zu verkünden,
+Wie’s sonst nur mit Abscheulichem geschieht?"
+Und jener sprach: "Nicht kann ich dies ergründen,
+Doch wert des Untergangs ist jenes Wort,
+Das nur Erinnrung weckt an Schmach und Sünden.
+Denn von dem Ursprung im Gebirge dort,
+Von dem sich einst Pelorum trennen müssen,
+Dort wasserreich, wie sonst an keinem Ort,
+Bis dahin, wo der Fluß mit ew’gen Güssen
+Das, was dem Meer die Sonn’ entsaugt, ersetzt,
+Was Nahrung gibt den Bächen und den Flüssen,
+Wird, sei’s durch schlechte Sitt’ und Neigung jetzt,
+Sei’s, daß der Ort an einem Fluche leide,
+Die Tugend, gleich den Schlangen, fortgehetzt.
+Denn was im Tal, gedrückt von schwerem Leide,
+Nur irgend wohnt, hat die Natur verkehrt,
+Als hätt’ es mitgeschmaust auf Circes Weide.
+Zu garst’gen Schweinen, mehr der Eicheln wert
+Als dessen, was Natur den Menschen spendet,
+Ist erst sein wasserarmer Lauf gekehrt.
+Dann, wie er weiter seine Wogen sendet,
+Trifft er ohnmächt’ge kleine Kläffer an,
+Von welchen er die Stirn unwillig wendet
+Je mehr er schwillt in seiner tiefern Bahn,
+Sieht der unsel’ge maledeite Graben
+Die Hund’ an Art sich mehr den Wölfen nah’n.
+In tiefen Tümpeln scheint er drauf vergraben
+Und trifft dann Füchs, in List so eingeweiht,
+Daß sie nicht scheu mehr vor dem Schlau’sten haben.
+Frei red’ ich. Sei der Horcher auch nicht weit,
+Und gut wird’s diesem sein, das zu behalten,
+Was der wahrhafte Geist mir prophezeit.
+Ich sehe deinen Neffen furchtbar schalten,
+Der jene Wölfe so zu jagen weiß,
+Daß sie vor grauser Todesangst erkalten.
+Denn er verkauft sie lebend scharenweis,
+Dann sticht er sie, gleich einem alten Schlachtvieh, nieder.
+Das Leben raubt er vielen, sich den Preis.
+Zuletzt verläßt er, blutbespritzt die Glieder,
+Den Wald gefällt, und ringsum öd und tot,
+Und tausend Jahr’ erneu’n sein Laub nicht wieder."
+Wie bei Verkündigung zukünft’ger Not
+Des bangen Hörers Züge sich umschatten,
+Der sich gefährdet glaubt und rings bedroht,
+So sah ich jetzo jenen andern Schatten,
+Der zugehorcht, verstört und bange stehn,
+Wie seinen Geist erfüllt die Worte hatten.
+Was ich von dem gehört, von dem gesehn,
+Mich reizt’ es, ihren Namen nachzufragen,
+Und bittend ließ ich meine Frag’ ergehn.
+Und den, der erst gesprochen, hört’ ich sagen:
+"Du also willst, für dich tun soll ich dies,
+Was du für mich zu tun mir abgeschlagen?
+Doch kargen will ich nicht, denn herrlich ließ
+Gott in dir strahlen seine Huld und Güte.
+Drum wisse, daß ich Guid del Duca hieß.
+Von Neid verbrannt war also mein Gemüte,
+Daß, wenn ich sah, ein andrer sei erfreut,
+Ich schwarz vor Gall’ in bitterm Ingrimm glühte.
+Hier mäh’ ich Saat, die ich dort ausgestreut.
+O Sterbliche, was müßt ihr das begehren,
+Was Ausschluß der Genossenschaft gebeut!
+Der hier ist Rainer, der zu Preis und Ehren
+Das Haus von Calboli gebracht, des Mut
+Und Kraft und Wert die Erben ganz entbehren.
+Denn alle sieht man jetzt aus seinem Blut
+Das Schlechte tun, das Rechte träg versäumen,
+Und zwischen Po, Berg, Ren und Meeresflut
+Sieht man’s nur sprossen noch in gift’gen Bäumen,
+Und keinem Gärtner glückt’s, der schlechten Art
+Wildwucherndes Gewürzel wegzuräumen.
+Wo mag der wackre Licio, wo Manard,
+Wo Traversar, wo Guid Carpigna bleiben?
+Ist jeder Romagnol heut ein Bastard?
+Ein Schmied muß in Bologna Äste treiben,
+Und in Faenza jetzt ein Bernardin,
+Der edle Sproß aus niederm Keim, bekleiden!
+Nicht staune, Tuscier, daß ich traurig bin,
+Wenn ich des Guid von Prata noch gedenke,
+Und des, der mit uns war, des Ugolin.
+Dann auf Tignoso die Erinnrung lenke,
+Auf Traversars und Anastasens Haus,
+Und über den enterbten Stamm mich kränke;
+Auf Ritter, Frau’n, auf Ruhe, Müh’ und Strauß,
+Was wir aus Lieb’ und Edelsinn begannen,
+Wo jetzt die Herzen sind voll Tück’ und Graus.
+Brettinoro, fliehst du nicht von dannen,
+Da, um zu flieh’n Verderben, Schand und Hohn,
+Die Guten allesamt aus dir entrannen!
+Wohl dir, Bagnacaval, dir fehlt der Sohn!
+Weh, Castrocaro, dir, da mit Verderben
+Dich solche Grafen, wie du zeugst, bedrohen!
+Gut handeln einst, wird erst ihr Dämon sterben,
+Faenzas Herr’n, doch nimmer werden sie
+Des Ruhmes reines Zeugnis sich erwerben.
+Dir, Ugolin von Fantoli, wird nie
+Des edlen Namens reiner Glanz gebrechen,
+Da dir das Schicksal keinen Sohn verlieh.
+Doch jetzt, Toskaner, geh; denn nicht zum Sprechen,
+Mich reizt zum Weinen nur mein armes Land,
+Und preßt mein Herz durch Untat und Verbrechen."
+Durchs Ohr ward jenen unser Gehn bekannt,
+Drum wußten wir, da sie es schweigend litten,
+Daß wir uns auf den rechten Weg gewandt.
+Indem wir einsam nun von dannen schritten,
+Scholl eine Stimm’ uns zu, eh wir’s gedacht,
+Gleich einem Blitze, der die Luft durchschnitten:
+Mich tötet, .wer mich trifft! Sie rief’s mit Macht
+Und floh im schnellen Flug dann und verhallte,
+Dem Donner gleich, der aus den Wolken kracht.
+Und wie sie kaum an uns vorüberwallte,
+Braust’ eine zweite schon an unser Ohr,
+Die schrecklich, wie ein zweiter Donner schallte:
+Ich bin Aglauros, die zum Stein erfror!
+Und als ich an Virgil mich drängen wollte,
+Schritt ich vor großer Angst zurück, nicht vor.
+Schon schwieg die Luft, kein dritter Donner rollte,
+Da sprach Virgil: "Dies ist der harte Zaum,
+Der auf der rechten Bahn euch halten sollte.
+Doch winkt des alten Feindes Köder kaum,
+So laßt ihr euch in seinem Hamen fangen,
+Gebt nicht dem Rufe, nicht dem Zügel Raum.
+Euch rufend, hält der Himmel euch umfangen,
+Der, ewig schön, rings seine Kreise zieht,
+Doch euer Blick bleibt an der Erde hangen,
+Und deshalb schlägt euch der, der alles sieht."
+
+
+Fünfzehnter Gesang
+
+So viel, als bis zum Schluß der dritten Stunde,
+Vom Tagsbeginn des Wegs die Sphäre macht,
+Die wie ein Kindlein tanzt im ew’gen Runde,
+So viel des Weges halt’, eh’ noch vollbracht
+Ihr Tageslauf, die Sonne zu vollbringen;
+Dort war es Vesperzeit, hier Mitternacht.
+Auf jenen Pfaden, die den Berg umringen,
+Schien uns die Sonne mitten ins Gesicht,
+Weil wir jetzt g’rade gegen Westen gingen.
+Da fiel ein Glanz mit lastendem Gewicht
+Mir auf die Stirn, mich mehr als erst zu blenden.
+Ich staunt’, und was es war, begriff ich nicht.
+Schnell deckt’ ich mir die Augen mit den Händen
+Als wie mit einem Schirm, daß vor der Glut
+Die schwachen Blicke Schutz und Ruhe fänden.
+Gleich wie der Strahl vom Spiegel, von der Flut
+Nach jenseits hüpft, und dann beim Aufwärtssteigen,
+So wie vorher beim Niedersteigen tut,
+Weil er von Linien, die sich senkrecht neigen,
+So hier wie dort abweicht in gleichem Zug,
+Wie uns die Kunst und die Erfahrung zeigen;
+So ward mein Auge jetzt in jähem Flug
+Getroffen vom zurückgeworfnen Lichte,
+Drob ich’s in Eile schloß und niederschlug.
+"Was, süßer Vater, ist dies? Dem Gesichte
+Will, was ich tue, nicht zum Schutz gedeih’n.
+Es scheint, als ob der Glanz hierher sich richte!"
+Drauf er: "Nicht staune, wenn in solchem Schein
+Noch blendend dir des Himmels Diener nahen.
+Ein Bote kommt und lädt zum Steigen ein.
+Bald wird, was erst die Augen tränend sahen,
+Dir so zur Lust, als du nur Fähigkeit,
+Sie zu empfinden, von Natur empfahen."
+Der Engel sprach zu uns voll Freudigkeit:
+"Geht dorten ein auf minder schroffen Stiegen,
+Als jene sind, die ihr gestiegen seid."
+Indem wir nun zusammen aufwärts stiegen,
+Sang’s hinter uns: "Heil den Barmherz’gen, Heil!"
+Und wieder klang’s: "Sei froh in deinen Siegen!"
+Und da wir beid’ allein, und minder steil
+Die Treppen waren, dacht’ ich: Noch im Gehen
+Wird Lehre wohl vom Meister dir zuteil.
+"Was mochte Guido bei dem Gut verstehen,
+Das Ausschluß der Genossenschaft gebeut?"
+Ich sprach’s, gewandt, ihm ins Gesicht zu sehen.
+"Weil stets sein Hauptfehl ihm den Schmerz erneut"
+Sprach drauf Virgil, "will er dich weiser machen
+Und tadelt drum, was er nun schwer bereut.
+Denn euer Sehnen geht nach solchen Sachen,
+Die Mitbesitz verringert, die durch Neid
+In eurer Brust der Seufzer Glut entfachen.
+Doch möchten in des Himmels Herrlichkeit
+Des Menschen Wünsch’ ihr rechtes Ziel erkennen,
+War’ eure Brust von solcher Angst befreit.
+Je mehrere dies Gut ihr eigen nennen,
+Je mehr besitzt des Guts ein jeder dort,
+Je stärker fühlt er sich in Lieb’ entbrennen."
+"Noch fass ich nichts," versetzt’ ich meinem Hort,
+"Und mindre Zweifel hat vorher das Schweigen
+In meiner Seel’ erweckt, als jetzt dein Wort.
+Kann höher je der Reichtum vieler steigen,
+Wenn man ein Gut verteilt, als wenn es nicht
+Gemeinsam wäre. Sondern einem eigen?"
+Und er: "Weil, nur auf Erdengut erpicht,
+Dein Geist noch nicht den höhern Flug gewonnen,
+Drum schöpfst du Finsternis aus wahrem Licht.
+Des Himmels unaussprechlich große Wonnen,
+Sie eilen so ins liebende Gemüt,
+Wie nach dem Spiegel hin der Strahl der Sonnen
+Sie geben sich je mehr, je mehr es glüht,
+Und reicher strömt die ew’ge Kraft hernieder,
+Je freudiger des Herzens Lieb’ erblüht.
+Erhebt die Seel’ erst aufwärts ihr Gefieder,
+Dann liebt sie mehr, je mehr zu lieben ist,
+Denn eine strahlt den Glanz der andern wieder--
+Und g’nügt mein Wort dir nicht, in kurzer Frist
+Wird dort von dir Beatrix aufgefunden,
+Durch welche du dann ganz befriedigt bist.
+Jetzt sorge nur, daß bald von deinen Wunden
+Die fünf sich schließen wie das erste Paar,
+Das von der Stirn durch Reu’ und Leid geschwunden."
+Schon wollt’ ich sagen: Deine Red’ ist klar!
+Da war ich an des andern Kreises Saume,
+Wo schnell mein Wort gehemmt durch Schaulust war.
+In einen Tempel schien, von wachem Traume
+Dahingerissen, meine Seel’ entfloh’n,
+Und Leute sah ich viel in seinem Raume.
+Am Eingang schien mit süßem Mutterton
+Und zärtlicher Gebärd’ ein Weib zu sagen:
+"Was hast du dies an uns getan, mein Sohn?
+Wir suchten dich voll Angst seit dreien Tagen,
+Ich und der Vater"--sprach’s, und wundersam
+Schien sie vom Weh’n der Luft davongetragen.
+Drauf vors Gesicht mir eine zweite kam,
+Von Zähren naß, die--wohl war’s zu erkennen--
+Dem Aug’ entpreßte zornerzeugter Gram.
+Sie rief: "Willst du den Herr’n der Stadt dich nennen,
+Ob deren Namen Götter sich gegrollt,
+Wo Strahlen jeder Wissenschaft entbrennen,
+Dann, Pisistrat, zahl’ ihm der Frechheit Sold,
+Der’s wagte, deine Tochter zu umfassen!"
+Allein der Herr, der liebreich schien und hold,
+Entgegnet’ ihr, die also rief, gelassen:
+"Wird jener, der uns liebt, von uns verdammt,
+Was tun wir dann an solchen, die uns hoffen?"--
+Dann sah ich eine Schar, von Zorn entflammt,
+Und einen Jüngling dort, von ihr gesteinigt,
+Tod! Tod! so schrien sie wütend allesamt.
+Er beugte sich, schon bis zum Tod gepeinigt,
+Des Last ihn zu der Erde niederrang,
+Doch seinen Blick dem Himmel stets vereinigt,
+Und fleht’ empor zu Gott in solchem Drang:
+"Vergib der Wut, die gegen mich entbrannte!"
+Mit einem Blicke, der zum Mitleid zwang.
+Als meine Seele sich von außen wandte
+Zurück zu dem, was wahr ist außer ihr,
+Und ich nun den nicht falschen Wahn erkannte,
+Da sprach mein Führer, der, nicht weit von mir,
+Mich gleich dem Schläfer, der erwacht, erblickte:
+"Nicht halten kannst du dich! Was ist mit dir?
+Bereits seit einer halben Stunde knickte
+Dein Knie, du taumeltest, dein Auge brach,
+Als ob dich Schlummer oder Wein bestrickte."
+"O süßer Vater, hörst du’s an"--dies sprach
+Ich drauf zu ihm--"so will ich dir verkünden,
+Was mir erschien, als mir die Kraft gebrach."
+"Ob mir entgegen hundert Masken stünden,"
+Entgegnet’ er, "und deckten dein Gesicht,
+Doch würd’ ich, was du denkst, genau ergründen.
+Das, was du sahst, du sahst’s, damit du nicht
+Dich ungemahnt verschlössest jenem Frieden,
+Des Strom hervor aus ew’ger Quelle bricht.
+Was ist dir? fragt’ ich nicht, wie der danieden
+Zu fragen pflegt, des Auge nicht mehr schaut,
+Sobald die Seel’ aus seinem Leib geschieden.
+Die Füße dir zu kräft’gen, fragt’ ich laut,
+Denn treiben muß man so den wachen Trägen,
+Den Tag zu nützen, eh’ der Abend graut."
+Wir gingen beid’ in sinnigem Erwägen
+Dem Abend zu und sah’n, soweit man kann,
+Der Sonne tiefem Strahlenglanz entgegen.
+Und sieh, ein Rauch kam nach und nach heran,
+Der, schwarz wie Nacht, sich bis zu uns erstreckte,
+Und nirgends traf man Raum zum Weichen an,
+Daher er bald uns Aug’ und Himmel deckte.
+
+
+Sechzehnter Gesang
+
+Das Schwarz der Höll’ und einer Nacht, durchfunkelt
+Nicht von des ärmsten Himmels bleichstem Schein,
+Vom dichtesten der Nebel rings umdunkelt,
+Nie schloß es mich in grobem Schleier ein,
+Als jener Rauch, der dorten uns umflossen;
+Nie schien es mir so schmerzlich rauh zu sein.
+Nicht könnt’ ich steh’n, die Augen unverschlossen,
+Drum nahte sich, und seine Schulter bot
+Mein Führer mir treu, weis’ und unverdrossen.
+So wie der Blinde gern in seiner Not
+Dem Führer nachfolgt, um nicht anzurennen
+An was Gefahr bring’ und vielleicht den Tod,
+So folgt’ ich ihm, ohn’ etwas zu erkennen,
+Durch widrig bittern Qualm und horcht’ auf ihn,
+Der sprach: "Gib Achtung, daß wir uns nicht trennen."
+Ich hörte Stimmen dort, und jede schien
+Um Gnad’ und Frieden zu dem Lamm zu stöhnen,
+Ob des der Herr die Sünden uns verzieh’n.
+Agnus Dei hört’ ich den Anfang tönen,
+Wobei sich aller Wort und Weise glich,
+Und voller Einklang herrscht’ in ihren Tönen.
+"Dies sind wohl Geister, Herr!" so wandt’ ich mich
+An ihn, und er: "Es ist, wie du entscheidest;
+Sie lösen von der Zornwut Schlingen sich."
+"Wer bist du, der du unsern Rauch durchschneidest,
+Von dem man, wie du von uns sprichst, vernimmt,
+Daß du die Zeit dir noch nach Monden scheidest?"
+Die Rede ward von einem angestimmt,
+Drum sprach mein Meister: "Stille sein Begehren
+Und frag’ ihn, ob man hier nach oben klimmt."
+"Geschöpf, das, um zum Schöpfer heimzukehren,
+Sich reiniget und schön wird wie zuvor,
+Begleite mich, dann sollst du Wunder hören!"
+So ich, und er: "Ich schreite mit dir vor,
+So weit ich darf, und, um uns nicht zu scheiden,
+Führ’ uns im Rauch an Auges Statt das Ohr."
+Drauf ich: "Obschon die Hüllen mich umkleiden,
+Die nur der Tod löst, schreit’ ich doch hinauf
+Und drang bis hierher durch der Hölle Leiden.
+Und nahm der Herr mich so zu Gnaden auf,
+Daß ich vermag zu ihm emporzustreben,
+Ganz gegen dieser Zeit gewohnten Lauf,
+So sage mir, wer warst du einst im Leben,
+Und ob ich hier die rechte Straße hielt,
+Denn unsre Richtung wird dein Wort uns geben."--
+"Mark hieß ich einst, und was die Welt enthielt,
+Ich konnt’ es wohl und strebte nach dem Preise,
+Nach welchem jetzt auf Erden keiner zielt.
+G’rad’ vor dir ist der Weg zum höhern Kreise."
+Er sprach’s: "Noch bitt’ ich dich," So fügt’ er bei,
+"Fürbittend denke mein am Ziel der Reise."
+Und ich zu ihm: "Bei meiner Treu, es sei!
+Doch wisse, daß ich einen Zweifel finde,
+An dem ich berste, sag’ ich ihn nicht frei.
+Er war einst einfach; doppelt jetzt empfinde
+Ich ihn in mir, nach dem, was du gesagt,
+Sobald ich mit dem Dort das Hier verbinde.
+Wahr ist’s, die Welt, so wie du mir geklagt,
+Ist öd an jeder Tugend, jeder Ehre,
+Und ganz mit Bosheit schwanger und geplagt.
+Doch daß ich sie erkenn’ und ändern lehre,
+So bitt’ ich, deute jetzt die Ursach’ mir.
+Der sucht sie dort, der in des Himmels Sphäre."
+Ein bang gepreßtes Ach! entwand sich hier
+Laut seiner Brust, und dann begann er: "Wisse,
+Die Welt ist blind, und du, Freund, kommst von ihr.
+Ihr, die ihr lebt, sprecht immer nur, es müsse
+Der Himmel selber Schuld an allem sein,
+Als ob er euch gewaltsam mit sich risse.
+Wär’s also, sprich, wo wäre nur ein Schein
+Von freiem Willen? Wie entspräch’s dem Rechte,
+Daß Lust der Tugend folgt, dem Laster Pein?
+Die Triebe pflanzen ein des Himmels Mächte,
+Nicht sag’ ich all; allein auch dies gesetzt,
+Ward euch Erkenntnis auch fürs Gut’ und Schlechte,
+Und freier Will’--und, wenn er, auch verletzt
+Und müde, standhaft mit dem Himmel streitet,
+So siegt er, wohlgenährt, doch stets zuletzt.
+Die Urkraft, welche sich durchs All verbreitet,
+Beherrscht die Freien und erschafft den Geist,
+Den nicht der Himmel mehr als Vormund leitet.
+Drum, wenn die Gegenwart euch mit sich reißt,
+In euch nur liegt der Grund, liegt in euch allen,
+Wie, was ich sage, deutlich dir beweist.
+Es kommt aus dessen Hand, des Wohlgefallen
+Ihr lächelt, eh’ sie ist, gleich einem Kind,
+Das lacht und weint in unschuldsvollem Lallen,
+Die junge Seele, die nichts weiß und sinnt,
+Als daß, vom heitern Schöpfer ausgegangen,
+Sie gern dahin kehrt, wo die Freuden sind.
+Sie schmeckt ein kleines Gut erst, fühlt Verlangen
+Und rennt ihm nach, wenn sie kein Führer hält,
+Kein Zaum sie hemmt, der Neigung nachzuhangen.
+Gesetz, als Zaum, ist nötig drum der Welt,
+Ein Herrscher auch, der von der Stadt, der wahren,
+Im Auge mindestens den Turm behält.
+Gesetze sind, doch wer mag sie bewahren?
+Kein Mensch! Denn seht, ein Hirt, der wiederkaut,
+Doch nicht gespaltne Klau’n hat, führt die Scharen;
+Daher die Herde, die dem Führer traut,
+Der das verschlingt, wonach sie selber lüstert,
+Nur dies verzehrt und nicht nach Höherm schaut.
+Drum, was man auch von anderm Grunde flüstert,
+Nicht die Natur ist ruchlos und verkehrt,
+Nur schlechte Führung hat die Welt verdüstert.
+Rom hatte, da’s zum Glück die Welt bekehrt,
+Zwei Sonnen, und den Weg der Welt hatt’ eine,
+Die andere den Weg zu Gott verklärt.
+Verlöscht ward eine von der andern Scheine,
+Und Schwert und Hirtenstab von einer Hand
+Gefaßt im übel passenden Vereine.
+Denn nicht mehr fürchten, wenn man sie verband,
+Sich Hirtenstab und Schwert--du kannst’s begreifen,
+Denn an den Früchten wird der Baum erkannt.
+Man sah im Land, das Etsch und Po durchstreifen
+Eh’ man dem Kaiser Widerstand getan,
+Stets edle Sitt’ und Kraft und Tugend reifen.
+Jetzt finden, die den Guten sich zu nah’n
+Und sie zu sprechen, sich errötend scheuen,
+In jenem Land vollkommen sichre Bahn.
+Die alten Zeiten schelten dort die neuen
+Noch durch drei Greise von der echten Art,
+Die sich des nahen Todes harrend freuen.
+Konrad Pallazzo ist es, und Gherard
+Und Guid Castel, der besser heißen würde
+Nach fränk’scher Art: der ehrliche Lombard.
+Roms Kirche fällt, weil sie die Doppelwürde,
+Die Doppelherrschaft jetzt in sich vermengt,
+In Kot, besudelnd sich und ihre Bürde"--
+"Mein Marco," sprach ich, "klares Licht empfängt
+Durch deine Rede jetzt mein Geist--ich sehe,
+Was aus der Erbschaft Levis Stamm verdrängt.
+Doch sage, welcher Gherard, meinst du, stehe
+Als Trümmer noch versunkner guter Zeit,
+So, daß er dieser Zeit Verderbnis schmähe?--
+"Betrügst, versuchst du mich in meinem Leid?"
+So er: "Du, Tuscisch sprechend, tust dergleichen,
+Als kenntest du nicht Gherards Trefflichkeit?
+Den Namen kenn’ ich, sonst kein andres Zeichen,
+Wenn man’s von seiner Gaja nicht entnimmt,
+Gott sei mit dir, hier muß ich von euch weichen.
+Sieh, wie in weißem Glanz der Rauch entglimmt.
+Fort muß ich, denn schon ist der Engel dorten;
+Ich scheid’, eh’ er mich wahr hier sprechend nimmt."
+Er sprach’s und horchte nicht mehr meinen Worten.
+
+
+Siebzehnter Gesang
+
+Denk’, Leser, wenn dich Nebel je umstrickte,
+Auf Alpenhöh’n, durch den, wie durch die Haut
+Des Maulwurfs Auge blickt, das deine blickte,
+Wie, wenn der feuchte Qualm, der dich umgraut,
+Nun dünn wird und beginnt, sich zu erhellen,
+Dann matt hinein das Rund der Sonne schaut;
+Und doch vermagst du kaum, dir vorzustellen,
+Wie ich die Sonn’ itzt wiedersah, die sich
+Soeben senken wollt’ ins Bett der Wellen.
+So, gleichen Schritts mit meinem Hort, entwich
+Ich aus der Wolk’, als wie aus dunkler Klause,
+Zum Strahl, der sterbend schon am Strand erblich.
+Phantasie, die du aus ihrem Hause
+Weithin die Seel’ entrückst, daß man’s nicht spürt,
+Ob ringsumher Trompetenschall erbrause,
+Was regt dich auf, wenn nichts den Sinn berührt?
+Das Himmelslicht erregt dich, das hernieder
+Von selber strömt, das auch ein Wille führt.
+Die Arge sah ich, die sich im Gefieder
+Des Vogels barg, der ewig Reu’ und Gram
+Verhaucht im Klang der süßen Klagelieder.
+Und ganz zurückgedrängt ward wundersam
+Hier meine Seel’ in sich, zu nichts sich neigend
+Und nichts aufnehmend, was von außen kam.
+Darauf erschien, der Phantasie entsteigend,
+Ein Mann am Kreuz, so trotzig-stolz wie er
+Von Ansehn war, sich auch im Tode zeigend.
+Ich sah dabei den großen Ahasver,
+Esther, sein Weib, und Mardochai, den Frommen,
+In Wort und Tat so ganz, rund um ihn her.
+Und dieses Bild zersprang, kaum wahrgenommen,
+Gleich einer Blase, die mit kurzem Schein
+Im Wasser glänzt, wenn sie emporgeschwommen.
+Dann zeigte mein Gesicht ein Mägdelein.
+"O Fürstin, Mutter!" rief die Tränenvolle,
+"Was wolltest du aus Zorn vernichtet sein!
+Du starbst, daß dein Lavinia bleiben solle.
+Bin ich nun dein? Nicht andrer Tod, es zwingt
+Der deine mich zu bittrem Tränenzolle."
+Gleich wie der Schlaf in jähem Schreck zerspringt,
+Wenn Strahlen an des Schläfers Antlitz prallen,
+Doch eh’ er ganz erstirbt, sich sträubt und ringt,
+So sah ich jetzt mein Traumbild niederfallen,
+Als mir ein Licht ins Antlitz schlug, so klar,
+Wie’s nie zur Erde strömt aus Himmelshallen.
+Ich wandte mich, zu sehen, wo ich war,
+Als eine Stimm’ erklang: "Hier müßt ihr steigen!"
+Und ich vergaß des andern ganz und gar.
+Sie zwang den Willen, sich dorthin zu neigen,
+Zu sehn, wer sprach, und ließ, bis ich belehrt,
+Die Unruh’ nicht in meinem Innern Schweigen.
+Wie von der Sonne, die den Blick beschwert,
+Durch zuviel Licht ihr eignes Bild bedeckend,
+Ward von dem Glanze meine Kraft verzehrt.
+"Ein Himmelsgeist ist’s, uns den Weg entdeckend,
+Der aufwärts führt, auch ohne daß wir fleh’n,
+Und selber sich in seinem Licht versteckend.
+Wie wir uns selber tun, ist uns gescheh’n,
+Denn wer die Not erblickt und harrt der Bitte,
+Ist böslich schon geneigt, sie zu verschmäh’n.
+Auf! Solchem Rufe nach mit raschem Tritte!
+Wir müssen aufwärts, eh’ das Dunkel naht,
+Sonst löst der Tag erst die gehemmten Schritte."
+Mein Führer sprach’s, worauf zum Felsgestad’
+Wir, hingewandt nach einer Stiege, gingen,
+Und wie ich auf die erste Stufe trat,
+Fühlt’ ich ein Weh’n, wie von bewegten Schwingen
+Im Angesicht, und laut erklang’s, mir nah:
+"Heil den Friedfert’gen, die den Zorn bezwingen."
+Der Sonne letzte bleiche Strahlen sah
+Ich über uns, gefolgt von nächt’gen Schatten.
+Und schon erschienen Sternlein hier und da.
+"O meine Kraft, was mußt du so ermatten!"
+So dacht’ ich still bei mir, denn ich empfand,
+Daß sich entstrickt der Füße Nerven hatten.
+Wir waren auf der höchsten Stufe Rand
+Und standen fest, wie angeheftet, dorten,
+Gleich einem Kahn in des Gestades Sand.
+Aufmerksam lauscht’ ich erst nach allen Orten,
+Ob nichts zu hören sei, und wandte nun
+Zu meinem Meister mich mit diesen Worten:
+"Mein süßer Vater, sprich, welch übles Tun
+Führt uns zur Läuterung in diesem Kreise.
+Laß nicht die Rede, gleich den Füßen, ruh’n."
+"Trägheit zum Guten", Sprach darauf der Weise,
+"Zahlt hier die dort gemachten Schulden erst;
+Hier wird der träge Rudrer schnell zur Reife.
+Merk’ auf, damit du’s deutlicher erfährst,
+Weil ungenutzt sonst unser Stillstand bliebe--
+Frucht bringt dein Weilen, wenn du dich belehrst.
+Nicht Schöpfer, noch Geschöpf ist ohne Liebe,
+Noch war es je. Du weißt, in der Natur
+Und in der Seel’ entkeimen ihre Triebe.
+Nie irrt die erste von der rechten Spur.
+Die zweite kann im Gegenstande fehlen
+Und bald zu stark sein, bald zu lässig nur.
+Weiß sie zum Ziel das erste Gut zu wählen,
+Ist sie beim zweiten nicht zu heiß, zu kalt,
+Dann reizt sie nicht zu schlechter Lust die Seelen
+Doch schweift sie ab zum Bösen, ist sie bald
+Zum Guten lau, zu eifrig bald im Rennen,
+So tut dem Schöpfer das Geschöpf Gewalt.
+So muß die Liebe, wie du wirst erkennen,
+In euch die Saat zu jeder Tugend streu’n,
+Doch auch zu allem, was wir Laster nennen.
+Nun, weil ob ihres Gegenstands sich freu’n
+Die Liebe muß, an dessen Heil sich weiden,
+Drum hat kein Ding den eignen Haß zu scheuen.
+Und weil kein Sein sich kann vom Ursein scheiden
+Und ohne dieses für sich selbst bestehn,
+Muß dies zu hoffen jeder Trieb vermeiden.
+Drum kannst du, folgr’ ich richtig, deutlich sehn:
+Dem Nächsten gilt die Liebe nur zum Schlimmen
+Und kann aus dreifach schmutz’gem Quell entstehn.
+Der hofft zur Herrlichkeit emporzuklimmen
+Durch andrer Fall, und dieses muß zur Lust,
+Die Größe zu erniedrigen, ihn stimmen.
+Der Gunst, des Ruhmes und der Macht Verlust
+Scheut der, wenn sich ein andrer aufgeschwungen,
+Und liebt das Gegenteil mit banger Brust.
+Der ist entrüstet von Beleidigungen,
+Drob Durst nach Rach’ in ihm sich offenbart,
+Bis ihm dem andern weh zu tun gelungen.
+Ob dieser Liebe von dreifacher Art
+Weint man dort unten--jetzt vernimm von Liebe,
+Die nicht durch rechtes Maß geregelt ward.
+Nach einem Gute strebt mit dunkelm Triebe
+Der Mensch und fühlt, daß seiner Wünsche Glut,
+Erreicht’ er’s nicht, ihm unbefriedigt bliebe.
+Die träge Lieb’ ist’s zu dem wahren Gut,
+Die säumt, es zu erschau’n, es zu erringen,
+Die hier nach echter Reue Buße tut.
+Gut scheinen andre Güter, doch sie bringen
+Nicht wahres Glück, sind Stoff und Wurzel nicht,
+Aus welchen Früchte wahren Heils entspringen.
+Die Lieb’, auf solches Gut zu sehr erpicht,
+Büßt in drei Kreisen oberhalb mit Zähren;
+Doch wie sie dreifach irrt von Recht und Pflicht,
+Das sollst du selbst dir suchen und erklären."
+
+
+Achtzehnter Gesang
+
+Mein hoher Lehrer hatte seiner Lehre
+Ein Ziel gesetzt und blickt’ aufmerksam mir
+Ins Angesicht, ob ich zufrieden wäre.
+Ich, noch gereizt von frischem Durst nach ihr,
+Schwieg äußerlich, doch sprach bei mir im stillen:
+"Beschwert ihn wohl zu viele Wißbegier?"
+Doch der wahrhafte Vater, der den Willen,
+Den schüchternen, bemerkt, gab sprechend jetzt
+Mir neuen Mut, des Sprechens Lust zu stillen.
+Drum ich: "Dein Licht, mein teurer Meister, letzt
+Mein Auge so, daß es an allen Dingen,
+Die du beschreibst, klar schauend sich ergötzt.
+Doch, süßer Vater, laß es tiefer dringen.
+Was ist doch jene Lieb’--ich bitte, sprich!--
+Aus welcher gut’ und schlechte Werk’ entspringen?"
+"Scharf richte deines Geistes Aug’ auf mich,"
+Versetzt’ er, "und den Irrtum jener Blinden,
+Die sich zu Führern machen, lehr’ ich dich.
+Der Geist, geschaffen, Liebe zu empfinden,
+Bewegt sich schnell zu allem, was gefällt,
+Wenn Reize sich, ihn zu erwecken, finden.
+Was Wirklichkeit euch vor die Augen stellt,
+paßt der Begriff, um es dem Geist zu zeigen,
+Der dann dorthin nur sich gerichtet hält.
+Und diese Richtung, dies Entgegenneigen,
+Lieb’ ist es, ist Natur, die dem, was schön
+Und reizend ist, sich hingibt als ihm eigen.
+Dann, wie die Flamm’ emporglüht zu den Höh’n
+Durch ihre Form bestimmt, dorthin zu streben,
+Wo ihre Stoffe minder schnell vergeh’n,
+So scheint der Geist der Sehnsucht nur zu leben,
+Der geistigen Bewegung, die nicht ruht,
+Bis, was er liebt, sich zum Genuß ergeben.
+Drum sieh, wie not die Wahrheit jenen tut,
+Die, lehren wollend, noch den Irrwahn hegen,
+Jedwede Lieb’ an sich sei recht und gut.
+Gut ist vielleicht ihr Grundstoff allerwegen;
+Doch sei das Wachs auch echt und gut, man preist
+Das Bild, drin abgedrückt, noch nicht deswegen."
+Drauf ich: "Dein Wort und mein folgsamer Geist,
+Sie lassen mich der Liebe Wesen sehen,
+Obgleich der Geist noch zweifelschwanger kreist.
+Denn, muß durch äußern Reiz die Lieb’ entstehen,
+Lenkt die Natur die Seele, wie ist’s dann
+Verdienstlich, ob wir krumm, ob g’rade gehen?"--
+"Hör’ itzt, wie weit Vernunft hier schauen kann,"
+So er, "dort stellt Beatrix dich zufrieden,
+Denn jenseits fängt das Werk des Glaubens an.
+Die wesentliche Form--sie ist geschieden
+Vom Stoff und ihm vereint, und eine Kraft,
+Die ihr nur eigen ist, ist ihr beschieden.
+Sie kann, nicht fühlbar, bis sie wirkt und schafft,
+Durch Wirkung nur sich zeigen und bewähren,
+Wie durch das Laub des Baumes Lebenssaft.
+Daher vermag der Mensch nicht, zu erklären,
+Woher zuerst in ihm Begriff entstehn,
+Woher das erste Sehnen und Begehren.
+Denn wie den Trieb, dem Honig nachzugehn,
+Die Bien’ erhielt, so habt ihr sie erhalten,
+Die nicht zu loben ist und nicht zu schmäh’n.
+Doch fühlt ihr auch die Kraft, die Rat gibt, walten,
+Und sie, der andern Haupt und Herrscherin,
+Soll Wach’ an eures Beifalls Schwelle halten.
+Sie, des Verdienstes und der Schuld Beginn,
+Nimmt, wie euch gut’ und schlechte Lieb’ entzündet,
+Sie auf und lenkt zu eurer Wahl euch hin.
+Drum haben jene, so die Sach’ ergründet,
+Die angeborne Freiheit wohl bedacht,
+Und euch die Lehren der Moral verkündet.
+Mag wirklich nun im Innern, angefacht
+Von der Notwendigkeit, die Lieb’ entbrennen,
+So habt ihr doch auch sie zu zügeln Macht.
+Die edle Kraft wird Beatrice nennen,
+Wenn sie dir kund vom freien Willen tut,
+Drum merk’ es, um des Wortes Sinn zu kennen."
+Der Mond, der fast bis Mitternacht geruht,
+Kam itzt hervor, der Sterne Zahl beschränkend,
+Gleich einem Kessel anzusehn von Glut,
+Den Pfad dem Himmelslauf entgegenlenkend,
+Den Pfad, den Sol, von Rom gesehn, durchglühe
+Inmitten Sard’ und Cors’ ins Meer sich senkend.
+Der edle Geist, ob des im Ruhme blüht
+Pietola vor Mantuas andern Orten,
+War jetzt nicht mehr durch meine Last bemüht.
+Ich, der die Zweifel all in seinen Worten
+Gelöset sah und alles hell und klar,
+Stand wie ein Schläfriger hinbrütend dorten.
+Doch plötzlich naht’ im Kreislauf eine Schar
+Und scheuchte diese Schläfrigkeit des Matten,
+Da sie bereits in unserm Rücken war.
+Und wie Böotiens Flüss’ in nächt’gen Schatten
+Ein wild Gedräng’ an ihrem Strande sah’n,
+Wenn die Thebaner Bacchus nötig hatten,
+So sah ich jen’ im Kreise trabend nah’n,
+Und alle trieb--so wollte mir’s erscheinen--
+Gerechte Lieb’ und wackrer Eifer an.
+Und schon bei uns, denn zögern sah ich keinen,
+War angelangt der ganze große Hauf,
+Da riefen die zwei Vordersten mit Weinen:
+"Rasch zum Gebirge ging Marions Lauf;
+Und Cäsar, um Ilerda zu gewinnen,
+Umschloß Marseill und brach nach Spanien auf."
+"Rasch, laßt aus Trägheit nicht die Zeit entrinnen,"
+Schrien alle nun, "es macht der rege Fleiß
+Zum Guten neu der Gnade Lenz beginnen."--
+"O ihr, in denen Eifer scharf und heiß
+Das, was ihr dort aus Lauheit nicht vollbrachtet,
+Was ihr versäumt, wohl zu ersetzen weiß,
+Der, welcher lebt--nicht sag’ ich Lügen--trachtet
+Emporzusteigen, eh’ der Morgen wach,
+Drum sagt den Weg, den ihr den nächsten achtet."
+Mein Führer sagte dies, und einer sprach:
+"Wollt ihr zum Orte, wo der Fels, gespalten
+Zur Schlucht, euch durchzieh’n läßt. So folgt uns nach.
+Uns ist es nicht erlaubt, uns aufzuhalten,
+Denn Eile treibt uns fort, drum mögt ihr nicht,
+Was uns das Recht gebeut, für Grobheit halten.
+Ich übt’ in Zenos Haus des Abtes Pflicht,
+Unter des guten Rotbart Herrscherstabe,
+Von welchem Mailand noch mit Schmerzen spricht.
+Und einer, schon mit einem Fuß im Grabe,
+Er weint, gedenkend jenes Klosters, bald,
+Daß er gehabt dort Macht und Ansehn habe,
+Weil er den Sohn, verpfuscht an der Gestalt,
+Noch mehr verpfuscht an Geiste, schlechtgeboren,
+Anstatt des wahren Hirten dort bestallt."
+Ob er noch sprach? Ob schwieg?--vor meinen Ohren
+Verklang, sich schnell entfernend, jener Ton.
+Doch merkt’ ich dies und hab’ es nicht verloren.
+Und er, in jeder Not mein Helfer schon,
+Sprach: "Sieh dorthin, woher die beiden kommen,
+Die Trägheit scheuchend und ihr selbst entfloh’n."
+Sie riefen jenen nach: "Erst umgekommen
+War jenes Volk, dem sich das Meer erschloß,
+Bevor der Jordan seine Herr’n bekommen.
+Und jenes, das die edle Müh’ verdroß,
+Bis an sein Ziel Äneen zu begleiten,
+Es ward seitdem ein ruhmlos schlechter Troß."
+Die Schatten schwanden kaum in fernen Weiten,
+Als ein Gedank’ aufs neu’ in mir entstand,
+Und dieser erste zeigte bald den zweiten,
+Dem sich verwirrt der dritte, viert’ entwand,
+Bis mir zuletzt die Augenlider sanken;
+Und wie verschmelzend Bild um Bild verschwand,
+Da ward zum Traum das Wogen der Gedanken.
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+Neunzehnter Gesang
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+Zur Stunde, da, vom Erdqualm überwunden,
+Oft vom Saturn, den Nachtfrost zu durchlau’n,
+Der Tagesglut die Kraft dahingeschwunden,
+Wenn in dem Osten vor des Frühlichts Grauen
+Ihr größtes Glück die Geomanten sehen,
+Wo’s kurze Zeit sich hält in nächt’gem Braun,
+Sah ich ein Weib im Traume vor mir stehen,
+Kalkweiß, verstümmelt, stotternd, krummgebückt,
+Und schielend sah ich sie die Augen drehen.
+Ich schaut’ auf sie--wie der, den Nachtfrost drückt,
+Gestärkt wird und belebt vom Blick der Sonnen,
+So wurde sie von meinem Blick durchzückt.
+Schnell sprang das Band, das ihre Zung’ umsponnen;
+Sie richtete sich auf; ein roter Schein
+Färbt’ ihr Gesicht, wie Hauch der Liebeswonnen.
+Kaum fühlte sie die Zunge sich befrei’n,
+Als sie ein Lied begann, so holden Sanges,
+Daß ich auf nichts horcht’, als auf sie allein.
+"Ich, der Sirenen Süßeste," so klang es,
+"Ich bin’s, durch die vom Weg der Schiffer schweift;
+Denn wer mich hört, ist voll des Wonnedranges.
+Mir folgt’ Ulyß, der lang’ umhergestreift,
+Und wie Entzücken ihn und Wollust kirren,
+Verläßt mich keiner, der mich ganz begreift."
+Noch hört’ ich in der Luft die Töne schwirren,
+Sieh, da erschien ein heil’ges Weib, mir nah,
+Die Sängerin beschämend zu verwirren.
+"Virgil! Virgil! sprich, wer ist diese da?"
+Sie rief’s mit Zorn, als sie dies Weib entdeckte
+Indes er fest nur ihr ins Auge fah.
+Sie aber riß das Kleid, das jene deckte,
+Ihr vorn entzwei, daß mir der Bauch erschien,
+Aus dem Gestank quoll, welcher mich erweckte.
+Ich schlug die Augen auf und sah auf ihn.
+"Schon dreimal rief ich dich," begann der Weise.
+"Auf, laß uns jetzt zur Felsenöffnung zieh’n."
+Ich richtete mich auf, und alle Kreise
+Des heil’gen Bergs erfüllte Morgenpracht
+Und leuchtet’ hinter uns zu unsrer Reise.
+Ich folgt’ ihm nach und neigte, längst erwacht,
+Die Stirn, wie einer, der in schweren Sinnen
+Sich selbst zum halben Brückenbogen macht.
+"Kommt, hier steigt auf!" So hört’ ich’s nun beginnen,
+Mit Tönen, wie sie nie im ird’schen Land,
+So huldvoll und so süß, das Herz gewinnen.
+Die Flügel, wie des Schwanes, ausgespannt,
+Winkt’ uns der Engel vor, und beide gingen
+Wir durch des Felsens enge Doppelwand.
+Er weht’ uns an mit den bewegten Schwingen
+Und sprach: "Heil dem, der stark das Leid erträgt,
+Denn reichen Trost wird seine Seel’ erringen."
+"Was hast du, das dich immer noch erregt?
+Was sinkt verworren noch dein Blick zur Erden?"
+So sprach Virgil, als wir uns fortbewegt.
+"Ein neu Gesicht--noch seh’ ich die Gebärden"--
+Versetzt’ ich, "macht mich so in Zweifeln gehn!
+Noch kann ich dieses Bilds nicht ledig werden."--
+"Die alte Hexe--hast du sie gesehn,
+Ob der man dorten klagt, wohin wir reisen,"
+Sprach er, "und wie man’s macht, ihr zu entgehn?
+Doch weiter jetzt. Schau auf! In mächt’gen Kreisen
+Wird dort im klaren himmlischen Gebiet
+Lockbilder dir der ew’ge König weisen!"
+Wie erst der Falk auf seine Füße sieht,
+Doch dann nicht säumt, sich nach dem Ruf zu wenden,
+Sich streckt und fliegt, wohin die Beut’ ihn zieht.
+So ich--so klomm ich zwischen Felsenwänden,
+Soweit der Weg sich hebt im engen Schlund,
+Bis wo die Stiegen auf dem Vorsprung enden.
+Und als ich frei im fünften Kreise stund,
+Da lagen Leute, die sich weinend plagten,
+Das Auge ganz hinabgewandt, am Grund.
+"Ach, meine Seele klebt am Staube!" klagten
+Sie all, und ihrer Seufzer laut Getön,
+Es ließ mich kaum vernehmen, was sie sagten.
+"Ihr Gotterwählte, deren Angstgestöhn
+Gerechtigkeit und Hoffnung mild versüßen,
+O sprecht, wo ist die Stiege zu den Höh’n?"
+"Kommt ihr, gewiß, nicht liegend hier zu büßen,
+So nehmt nur links den Felsen euren Lauf,
+Dann liegt der Eingang bald vor euren Füßen."
+So bat Virgil, und so versetzt’ es drauf
+Nicht weit von uns, und, schnell erratend, klärte
+Ich, was drin sonst verborgen war, mir auf.
+Als ich den Blick nach dem des Führers kehrte, .
+Stimmt’ er mit frohem Winke gern mir bei,
+Ich möge tun, was mein Gesicht begehrte.
+Kaum stand mir nun nach Wunsch zu handeln frei,
+So sucht’ ich ihn, des Wort den Sinn verborgen:
+Er wisse nicht, daß ich noch lebend sei.
+Und sprach: "O Geist, für den des Heiles Morgen
+Durch Tränen früher tagt, o laß für mich
+Ein wenig ab von deinen größern Sorgen.
+Wer warst du? Und was kehrt dein Rücken sich
+Empor? Und dort, woher ich, noch im Leben,
+Gekommen bin, dort bitt’ ich dann für dich."
+"Wie wir hier liegen für verkehrtes Streben,
+Bald hörst du’s," sprach er, "doch vernimm zuvor:
+Mir waren Petri Schlüssel übergeben.
+Bei Siestri rollt aus einem Tal hervor
+Ein schöner Fluß, den das Geschlecht der Meinen
+Zu seinem ersten Titel sich erkor.
+Ich fühlt’ als Papst fünf Wochen lang, daß einen,
+Der rein die Stola hält, sie so beschwert,
+Daß leicht, wie Flaum, all andre Bürden scheinen.
+Und leider, ward ich nur zu spät bekehrt;
+Doch als ich zu dem Heil’gen Stuhl gelangte,
+Da ward ich von des Lebens Trug belehrt.
+Ich sah, daß dort das Herz nie Ruh’ erlangte,
+Daß jenes Leben mir nichts Höh’res bot,
+Daher ich heiß nach diesem nur verlangte.
+Bis dahin war ich arm, getrennt von Gott,
+Und völlig machte mich der Geiz zum Sklaven,
+Dafür sie mich bestraft mit dieser Not.
+Die Läutrungsqualen, die mich hier betrafen,
+Tun dir des Geizes Art und Wesen kund,
+Und auf dem Berg gibt’s keine härtern Strafen.
+Wie einst das Auge nicht nach oben stund,
+Und nur gefesselt war von ird’schen Dingen,
+So drückt’s Gerechtigkeit hier an den Grund.
+Und wie den Trieb, das Gute zu vollbringen,
+Der Geiz erstickt und nimmer handeln läßt,
+So hält Gerechtigkeit in festen Schlingen
+Hier Hand und Fuß gebunden und gepreßt;
+So liegen wir, bis uns der Herr die Glieder
+Einst wieder löst, hier unbeweglich fest."
+Antworten wollt’ ich ihm und kniete nieder,
+Doch, da ich sprach und er durchs Ohr erkannt,
+Daß Ehrfurcht mich gebeugt, begann er wieder:
+"Was kniest du hier?" Und ich drauf: "Ich empfand
+Ob deiner Würde Vorwürf im Gewissen,
+Daß ich vor dir noch g’rad’ und aufrecht stand."
+"Bruder, steh auf!"--so er--"du mußt ja wissen,
+Dein Mitknecht bin ich nur von einer Macht,
+Der du und ich und all uns beugen müssen.
+Und hattest du des heil’gen Spruches acht:
+Sie freien nicht, so wirst du dir erklären,
+Was ich bei meiner Rede mir gedacht.
+Jetzt geh. Dein Weilen hemmt den Lauf der Zähren,
+Die früher mir--denk’ an dein eignes Wort--
+Das Morgenlicht des ew’gen Heils gewähren.
+Alagia, eine Nichte, hab’ ich dort,
+Gut von Natur, reißt nicht zu schlechten Trieben
+Sie der Verwandten übles Beispiel fort,
+Und sie allein ist jenseits mir geblieben."
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+Zwanzigster Gesang
+
+Schwer kämpft der Wille gegen bessern Willen,
+Drum zog ich ungern jetzt vom Quell den Mund,
+Weil er es wünscht’, ohn’ erst den Durst zu stillen.
+Wir gingen einen Weg, wo frei der Grund
+Zum Gehen war, entlang dem Felsgestade,
+Gleich engem Steg am Mauerzinnenrund.
+Denn jene Schar, die sich im Tränenbade
+Vom Übel, das die Welt erfüllt, befreit,
+Versperrt’ uns mehr nach außen hin die Pfade.
+Du alte Wölfin, sei vermaledeit!
+Kein Tier erjagt sich Beute gleich der deinen,
+Doch bleibt dein Bauch noch endlos hohl und weit.
+O Himmel, dessen Kreislauf, wie wir meinen,
+Der Erde Sein und Zustand wandeln soll,
+Wann wird der Held, der sie vertreibt, erscheinen?
+Wir gingen langsam fort und mühevoll
+Ich, horchend, als aus jener Schatten Mitte
+Ein jammervoller Klageton erscholl.
+"Maria, Süße!" klang’s vor meinem Schritte,
+Und wie ein kreißend Weib zu jammern pflegt,
+So kläglich schien der Ruf der frommen Bitte.
+"Du warst so arm!" so sagt’ es dann bewegt,
+"Der Armut sehn wir jene Kripp’ entsprechen,
+In welche du die heil’ge Frucht gelegt."
+"Fabricius, Wackrer!" hört’ ich’s weiter sprechen,
+"Tugend mit Armut schien dir mehr Gewinn
+Als der Besitz des Reichtums mit Verbrechen."
+Gar wohl gefiel mir dieser Rede Sinn,
+Und um zu sehn, wer von den Felsenbänken
+Sie ausgesprochen, wandt’ ich mich dahin.
+Und weiter sprach er noch von den Geschenken,
+Die Nikolaus gemacht den Mägdelein,
+Um sie zum Weg der Ehre hinzulenken.
+"O Geist, der du so wohl sprichst," fiel ich ein,
+"Sprich jetzt, wer warst du und aus welchem Grunde
+Erneust du hier so würd’ges Lob allein?
+Nicht unbelohnt soll bleiben solche Kunde,
+Kehr’ ich zurück zum Rest der kurzen Bahn
+Des Lebens, das da eilt zur letzten Stunde."
+Und er: "Nicht will von dort ich Hilf empfah’n,
+Doch red’ ich, denn mir strahlt im hellen Lichte
+Die Huld, die Gott dir vor dem Tod getan.
+Des Baumes Wurzel bin ich, der in dichte
+Umschattung hüllt die ganze Christenheit,
+Von dem man selten nur pflückt gute Früchte.
+Doch wäre schon die Rache nicht mehr weit,
+Wenn Macht Gent, Brügge, Lille und Douai hätten,
+Auch bitt’ ich drum des Herrn Gerechtigkeit.
+Hugo bin ich, der Stammherr der Capetten,
+Philipp’ und Ludwige, die auf den Thron
+Des schönen Frankreichs jetzt sich üppig betten.
+Als ich lebt’ in Paris, ein Metzgersohn,
+Erstarb der Königsstamm in allen Zweigen,
+Und nur noch einer lebt’ in Schmach und Hohn;
+Da macht’ ich mir des Reiches Zaum zu eigen,
+Und so vermehrt’ ich meine Macht alsdann,
+So sah ich sie durch Land und Freunde steigen,
+Daß den verwaisten Thron mein Sohn gewann,
+Von welchem nach dem Walten ew’ger Mächte
+Die Reihe der Gesalbten dort begann.
+Bis der Provence Mitgift dem Geschlechte
+Der Meinen nicht die heil’ge Scham entriß,
+Galt’s wenig zwar, allein vermied das Schlechte.
+Seitdem verübt’ es Tat der Finsternis,
+Log, raubt’ und stahl, worauf’s, aus Reu’ und Buße,
+Die Normandie und Ponthieu an sich riß.
+Karl kam nach Welschland, und, aus Reu’ und Buße,
+Köpft’ er den Konradin und sandte drauf
+Den Thomas heim zu Gott, aus Reu’ und Buße.
+Bald bricht ein andrer Karl im vollen Lauf,
+Denn besser sollt ihr seine Sitt’ erkennen
+Und seines Stammes Art, aus Frankreich auf.
+Zur Rüstung wird er nicht sich Zeit vergönnen,
+Und nur mit Judas Lanze, so, daß dir,
+Florenz, der Wanst platzt, in die Schranken rennen.
+Nicht Land, nur Sünd’ und Schmach gewinnt er hier.
+Und trägt er sie gar leicht und unbefangen,
+So wird er einst noch mehr gedrückt von ihr.
+Ein andrer Karl, im Seegefecht gefangen,
+Verschachert, wie die Sklavin der Korsar,
+Die Tochter, um das Kaufgeld zu empfangen.
+Ach, was vermagst nicht du, o Geiz! Sogar
+Sein eignes Fleisch beut, schmählich überwunden
+Von deiner Macht, mein Blut zum Kaufe dar.
+Doch ist der Frevel schon in nichts verschwunden;
+Ich seh’ Alagna, wo die Lilie weht!
+Seh’ im Statthalter Christum selbst gebunden.
+Seh’ ihn drauf verspottet und geschmäht!
+Seh’ ihn aufs neue Gall’ und Essig schmecken!
+Seh’ ihn, der unter Räubern dann vergeht!
+Den grimmigen Pilatus seh’ ich schrecken
+Und, noch nicht satt, ihn, ohne Kirchenschluß,
+Die gier’ge Hand nach Kirchengütern strecken.
+Gott, was säumt dein Rächerarm? Was muß
+So lang’ an mir gerechter Unmut nagen?
+Die Frevler strafend, stille den Verdruß!--
+Du hörtest mich vorhin von jener sagen,
+Die einzig ist des Heil’gen Geistes Braut,
+Und dies beweg dich, nach dem Grund zu fragen.
+Von ihr erklingt das Flehen leis und laut
+Beim Tageslicht, doch von den Gegensätzen
+Tönt unsre Klage, wenn die Nacht ergraut.
+Dann denken wir Pygmalions mit Entsetzen,
+Der ein Verwandtenmörder ward, ein Dieb
+Und ein Verräter aus Begier nach Schätzen;
+Des Midas, der so lang im Elend blieb,
+Das jedem, der ihn sah, weil’s ihn nicht freute,
+Als er die Gier gestillt, zum Lachen trieb;
+Des tollen Achan auch, des Diebs der Beute,
+Der, wie es scheint, noch hier nicht tragen kann
+Des Josua Zorn, der ihm im Leben dräute.
+Sapphiren tadeln wir und ihren Mann
+Und loben den, der hinwarf Heliodoren;
+Den ganzen Berg umkreist mit Schande dann
+Polynestor, der totschlug Polydoren.
+Zuletzt erklingt es: Crassus, sprich, wie schmeckt
+Das Gold, das du zur Lieblingsspeis’ erkoren?
+Der redet laut, der leis und unentdeckt,
+Je wie der Drang des Leids, das wir erproben,
+Uns minder oder mehr erregt und weckt.
+Ich sprach vom Heil, das wir am Tage loben,
+Hier nicht allein, nur daß zu lautem Klang,
+Die mir hier nah sind, nicht die Stimm’ erhoben."
+Wir richteten nun vorwärts unsern Gang,
+Nachdem wir diesen Schatten kaum verlassen,
+So schleunig, als es nur der Kraft gelang.
+Da aber zitterten des Berges Massen,
+Als stürz’ er hin, und Furcht erfaßte mich,
+Wie sie den, der zum Tod geht, pflegt zu fassen.
+Nicht schüttelte so heftig Delos sich,
+Eh, beide Himmelsaugen zu gebären,
+Dorthin zum sichern Nest Laton’ entwich.
+Rings braust’ ein Ruf, um meine Furcht zu mehren,
+Doch näher trat zu mir mein Meister da:
+"Ich führe dichl--was magst du Sorgen nähren?"
+Und könnt’ ich aus den Stimmen, die mir nah
+Erklangen, recht das ganze Lied verstehen,
+Klang’s: Deo in excelsis gloria!
+Wir blieben staunend, gleich den Hirten, stehen,
+Die diesen Sang zum erstenmal gehört,
+Und ließen Erdenstoß und Lied vergehen.
+Doch dann, zum heil’gen Weg zurückgekehrt,
+Sahn wir die Schatten, die am Boden lagen,
+Schon wieder vom gewohnten Leid beschwert.
+Noch nie bekämpften sich mit solchen Plagen
+In mir Unwissenheit und Wißbegier,
+Mag ich auch forschend die Erinnrung fragen:
+Wonach ich grübelnd je gespäht?--wie hier.
+Nicht fragen dürft’ ich, denn er ging von hinnen,
+Und nichts erklären könnt’ ich selber mir;
+So ging ich schüchtern fort in tiefem Sinnen.
+
+
+Einundzwanzigster Gesang
+
+Der Durst, den die Natur gegeben hat,
+Den nur das Wasser stillt, um dessen Gnade
+Die Samariterin den Heiland bat,
+Verzehrte mich, und auf verengtem Pfade
+Trieb Eile mich, dem Führer nachzuzieh’n,
+Voll Gram, daß Schuld uns so mit Leid belade.
+Und sieh, wie Kunde Lukas uns verlieh’n,
+Daß Christus zween, die unterweges waren,
+Erstanden aus dem Grabgewölb’, erschien;
+So uns ein Schatten--hinter uns, die Scharen,
+Dort ausgestreckt, betrachtend, ging er fort
+Und ließ sich sprechend erst von uns gewahren.
+"Gott geb’ euch Frieden, Brüder!" war sein Wort,
+Das plötzlich hin zu ihm uns beide kehrte;
+Und ziemend dankt’ ihm mein getreuer Hort
+Und sprach: "Zu denen, so der Herr verklärte,
+Versetz’ er dich, zu jenem sel’gen Chor,
+Des Frieden er auf ewig mir verwehrte."
+Und jener sprach: "Wenn Gott euch nicht erkor,"
+(Doch säumte nicht, indessen fortzugehen,)
+"Wer leitet’ euch die heil’ge Stieg’ empor?"
+Virgil darauf: "Sieh hier die Zeichen stehen,
+Die diesem eingeprägt vom Engel sind,
+Und daß er auserwählt ist, wirst du sehen.
+Allein weil sie, die unablässig spinnt,--
+Ihm noch nicht ganz den Rocken abgesponnen,
+Den Klotho anlegt, wenn ein Sein beginnt,
+Hätt’ er, allein, die Höhe nie gewonnen,
+Weil seine Seele, Schwester dir und mir,
+Noch nicht nach unsrer Art zu sehn begonnen.
+Drum bin ich aus dem Höllenschlunde hier,
+Und meine Schule wies und weist ihm alles,
+Was sie gewähren kann der Wißbegier.
+Doch sprich, was schwankte so gewalt’gen Pralles
+Vorhin der Berg? Was tönte bis zum Strand
+Der allgemeine Ruf so lauten Schalles?"
+Mein teurer Meister, also fragend, fand
+So meiner Sehnsucht Ohr, daß mein Begehren,
+Mein Durst durch Hoffnung Lindrung schon empfand.
+Und jener sprach: "Den Berg, den heil’gen, hehren,
+Nichts trifft ihn sonder Ordnung, was es sei,
+Und ew’ge Regel herrscht in diesen Sphären.
+Stets ist er hier von jeder Störung frei;
+Wenn einen Geist von ihm Gott aufgenommen,
+Verkünden’s Erdenstoß und Jubelschrei.
+Wer jene kleine Stieg’ emporgeklommen
+Von dreien Stufen, sieht nicht Reif noch Tau,
+Nicht Hagel mehr, noch Schnee, noch Regen kommen.
+Kein Wölkchen trübt hier je des Himmels Blau,
+Nie blinkt des Blitzes Schnell verschwundne Helle’
+Nie baut sich Iris’ Brück’ auf dunkelm Grau.
+Kein trockner Dunst steigt über jene Stelle,
+Von der ich sprach, auf der die Füße stehn
+Des Pförtners von der diamantnen Schwelle.
+Von Stürmen, die im Erdenschoß entstehn,
+Mag’s sein, daß unten oft der Berg erdröhne,
+Hier--wie, begreif ich nicht--ist’s nie gescheh’n.
+Hier bebt er, wenn in neuer Rein’ und Schöne
+Die Seele fühlt, sie woll’ erhoben sein.
+Ihr Steigen fördern dann die Jubeltöne.
+Der Reinheit Prob’ ist dieser Will’ allein;
+Frei, treibt er sie, zum Zuge sich zu rüsten,
+Und er verleiht ihr sicheres Gedeih’n.
+Erst will sie zwar, doch fühlt’ auch, mit Gelüsten
+Nach längrer Qual, daß nach Gerechtigkeit,
+Die, so einst sündigten, erst leiden müßten.
+Ich lag fünfhundert Jahr’ in diesem Leid
+Und länger noch und fühlte mir soeben .
+Zum Aufwärtszieh’n den Willen erst befreit.
+Drum fühltest du den ganzen Berg erbeben,
+Drum pries den Herrn die ganze fromme Schar,
+In Hoffnung, bald sich selber zu erheben."
+Sprach’s, und je heißer die Begierde war,
+Je mehr fühlt’ ich vom Tranke mich erquicken
+Und fühlte mich gestärkt und frei und klar.
+Virgil drauf: "Welche Netz’ euch hier umstricken,
+Wie ihr entschlüpft, was durch den Berg gezückt,
+Was Jubeltön’ empor die Seelen schicken,
+Das hat dein Wort mir deutlich ausgedrückt.
+Jetzt sage mir: Wer bist du einst gewesen?
+Und was hat hier so lang dich schwer gedrückt?"
+Drauf jener: "Damals, als das höchste Wesen,
+Das Blut zu rächen, das für schnödes Geld
+Judas verkauft, den Titus auserlesen,
+Da lebt’ ich mit dem Namen, der bei Welt
+Und Nachwelt gilt, geschmückt mit höchstem Preise,
+Doch war noch nicht vom Glaubenslicht erhellt.
+So süß war des klangreichen Geistes Weise,
+Daß Rom mich Tolosanen rief und hoch
+Mich ehrte mit verdientem Myrtenreise.
+Mich, Statius, nennt man jenseits heute noch.
+Von Theben hob’ ich, vom Achill gesungen,
+Bis unterwegs ich sank dem zweiten Joch.
+Auch meine Glut ist an der Flamm’ entsprungen,
+Der göttlichen, die Funken ausgesprüht
+Und Tausende mit ihrem Licht durchdrungen.
+Sie, die Äneis, ist’s, die mich durchglüht,
+Sie nur war Mutter, Amme mir im Dichten,
+Und ohne sie war ich umsonst bemüht.
+O hätt’ ich mit Virgil gelebt! Mit nichten
+Schien mir’s zu schwer, ein Jahr lang, noch im Bann,
+Dafür auf die Befreiung zu verzichten."
+Bei diesen Worten sah Virgil mich an
+Mit einem Blick, der schweigend sagte: Schweige!
+Doch weil die Kraft, die will, nicht alles kann,
+Nicht hindern kann, daß sich die Seele zeige,
+Und, wie durch sie die jähe Regung blitzt,
+Trän’ oder Lächeln uns ins Antlitz steige,
+So blinkt’ ich lächelnd mit den Augen itzt,
+Drum sah mir jener, dem dies nicht entgangen,
+Ins Auge, wo das Bild der Seele sitzt.
+"So wie du mögst zum großen Ziel gelangen,"
+Begann er drauf, mir zugewandt, "So sprich:
+Was schwebt’ ein Lächeln jetzt um deine Wangen?"
+Nun zeigen hier und dorten Schlingen sich.
+Der heißt mich schweigen, jener, offenbaren.
+Ich seufze nur, doch man ergründet mich.
+"Du magst dir jetzt das längre Schweigen sparen,"
+Begann Virgil, "sprich nur, denn er beweist
+.Zu große Sehnsucht, alles zu erfahren."
+"Vielleicht wohl wundert’s dich, du alter Geist,"
+Also begann ich jetzo, "daß ich lachte,
+Doch will ich, daß du mehr verwundert seist.
+Er, der mich aufwärts führt, wohin ich trachte,
+Es ist Virgil, der Quell, der deinen Sang
+Von Helden und von Göttern strömen machte.
+Glaubst du, das andrer Grund des Lachens Drang
+In mir erregt, magst du den Glauben lassen;
+Es war dein Wort, das mich zum Lachen zwang."
+Da neigt’ er sich, die Knie ihm zu umfassen,
+Zu meinem Hort, der sprach: "Laß, Bruder, laß!
+Wir sind ja Schatten beid’ und nicht zu fassen."
+Und er stand auf und sprach: "Du wirst das Maß
+Der Liebe, die mich an dich zieht begreifen,
+Da ich der Körper Mangel ganz vergaß
+Und Schatten sucht’ als Festes zu ergreifen."
+
+
+Zweiundzwanzigster Gesang
+
+Schon hinter uns geblieben war der Engel,
+Der unsern Schritt zum sechsten Kreis gekehrt
+Und mir getilgt ein Zeichen meiner Mängel.
+Sie, deren Wunsch Gerechtigkeit begehrt,
+Sie riefen: "Heil dem Dürstenden!" und schwiegen,
+Und ohne weitres war ihr Sinn erklärt.
+Ich, leichter als auf andern Felsenstiegen,
+Ging aufwärts, den behenden Geistern nach,
+Und sonder Mühe ward der Kreis erstiegen.
+"An Lieb’, entzündet von der Tugend," sprach
+Mein Meister nun, "ist andre stets entglommen,
+Wenn sichtbar nur hervor die Flamme brach.
+Darum, seit Juvenal hinabgekommen
+Zum Höllenvorhof, und mit uns vereint,
+Von dem ich, wie du mich geliebt, vernommen,
+War ich in Liebe dir so wohlgemeint,
+Wie wir sie selten Niegesehnen weihen,
+So, daß nun kurz mir diese Stiege scheint.
+Doch sprich und wolle mir als Freund verzeihen,
+Löst mir zu große Sicherheit den Zaum,
+Und wolle Kunde mir als Freund verleihen:
+Wie fand der Geiz doch--ich begreif es kaum--
+Bei solcher Weisheit, wie dein eifrig Streben
+Errungen hat, in deinem Busen Raum?"
+Hier sah ich Lächeln jenes Mund umschweben,
+Dann sprach er: "Jedes Wort aus deinem Mund,
+Zeugt’s nur von Liebe, muß mir Freude geben.
+Oft werden uns von außen Dinge kund,
+Die falsche Zweifel in der Seel’ erregen,
+Weil tief verborgen ist ihr wahrer Grund.
+Du scheinst--die Frage zeigt’s--den Wahn zu hegen,
+Daß mich der Geiz auf Erden einst geplagt,
+Vielleicht weil ich in diesem Kreis gelegen.
+Jetzt wisse, daß ich ihm zu sehr entsagt,
+Und dieses Unmaß hab’ ich hier in Schlingen
+So viele tausend Monden lang beklagt.
+Dort unten müßt’ ich, Steine wälzend, ringen,
+Hätt’ ich dein zürnend Warnen nicht gehört:
+Zu was kannst du die Menschenbrust nicht zwingen.
+Verfluchter Durst nach Gold, der uns betört!--
+Die ernste Mahnung hört’ ich dich verkünden
+Und ward aus eitlen Träumen aufgestört.
+Daß nur zu offen meine Hände stünden,
+Dies ward mir nun in meinem Geiste klar,
+Mit Reu’ ob dieser und der andern Sünden.
+Wieviel’ erstehn einst mit verschnittnem Haar,
+Weil bis zum Tod sie nicht erkannt, daß Sühne
+Durch Reu’ auch diesem Fehler nötig war.
+Wisse, die Schuld, die auf des Lebens Bühne
+Sich einer andern g’rad’ entgegensetzt,
+Verliert zugleich mit ihr hier ihre Grüne.
+Drum sahst du mich bei jenen Scharen jetzt
+Der Reuigen, die einst der Geiz bezwungen;
+Drum hat das Gegenteil mich herversetzt."
+"Zur Zeit, da du der Waffen Graus gesungen.
+Die Jokasten Gram zu Gram gefügt,"
+Sprach jener, dem das Hirtenlied gelungen,
+"War, wenn, was Klio aus dir singt, nicht trügt,
+Nicht durch den Glauben noch dein Herz gelichtet,
+Bei dessen Mangel keine Tugend g’nügt.
+Nun, welche Sonne hat die Nacht vernichtet,
+Welch irdisch Licht, daß du an deinem Kahn
+Die Segel dann, dem Fischer nach, gerichtet?"
+Und er: "Du zeigtest mir zuerst die Bahn
+Zu dem Parnaß und seinen süßen Quellen
+Und warst mein erstes Licht, um Gott zu nah’n.
+Dem, der bei Nacht geht, warst du gleichzustellen,
+Dem seine Leuchte selbst kein Licht verleiht,
+Um hinter ihm die Straße zu erhellen,
+Indem du sprachst: Erneuert wird die Zeit,
+Ich seh’ ein neu Geschlecht vom Himmel steigen
+Und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit.
+Durch dich ward mir der Ruhm des Dichters eigen,
+Durch dich ward ich den Christen beigesellt;
+Wie? Soll sich dir in klarem Bilde zeigen.
+Vom wahren Glauben schwanger war die Welt
+Schon überall; es streuten diesen Samen
+Die Boten ew’gen Reichs ins weite Feld.
+Mit deinem oft berührten Worte kamen
+Die neuen Pred’ger sämtlich überein,
+Drum folgt’ ich denen, die ihr Wort vernahmen.
+Sie schienen mir so heilig und so rein--
+Und als sie Domitian verfolgte, machten
+Mich weinen ihre Klag’ und ihre Pein.
+Und ihnen beizustehn war all mein Trachten,
+Da mir so redlich ihre Sitt’ erschien;
+All andre Sekten mußt’ ich drum verachten.
+Eh’ dichtend, ich an Thebens Flüsse zieh’n
+Die Griechen ließ, hatt’ ich die Tauf empfangen,
+Obwohl ich äußerlich als Heid’ erschien,
+Und ein versteckter Christ verblieb aus Bangen;
+Und ob der Lauheit hab’ ich mehr als vier
+Jahrhunderte den vierten Kreis umgangen.
+Sprich jetzo du, der du den Schleier mit
+Gehoben hast vom Heile, das ich preise,
+Denn Zeit genug beim Steigen haben wir:
+Wo Freund Terenz, wo Varro ist, der Weise,
+Cäcilius, Plautus?--sprich, ich bitte sehr,
+Ob sie verdammt sind und in welchem Kreise?"
+"Sie, ich und mancher sonst," erwidert’ er,
+"Wir sind beim Griechen, jenem blinden Alten,
+Den Musenmilch getränkt, wie keinen mehr,
+Im ersten Kreis der blinden Haft enthalten;
+Oft sprachen wir von jenem Berge schon,
+Wo unsre süßen Nährerinnen walten.
+Dort ist Euripides, Anakreon
+Mit vielen Griechen, die der Lorbeer krönte,
+Mit dem Simonides und Agathon.
+Auch sie, von welchen einst dein Lied ertönte,
+Antigone, Ismene, so gebeugt,
+Wie einst, da sie um den Verlobten stöhnte.
+Auch jene, die das Kind, das sie gesäugt,
+Rückkehrend von Langia, tot gefunden,
+Und Daphne, von Tiresias erzeugt."
+Die Dichter schwiegen beide jetzt und stunden,
+Vom Steigen frei und von der Felsenwand,
+Und sah’n umher, das Weitre zu erkunden.
+Die fünfte Dienerin des Tages stand
+Am Wagen schon, um seinen Lauf zu leiten,
+Der Deichsel Flammenspitz’ emporgewandt.
+"Wir kehren, denk’ ich, unsre rechten Seiten",
+Begann mein Herr, "zum freien Rande hin,
+Um, wie wir pflegen, um den Berg zu schreiten."
+So ward Gewohnheit unsre Führerin;
+Auch Statius winkte Beifall dem Genossen,
+Drum gingen wir mit sorgenfreiem Sinn,
+Sie mir voraus, ich einsam, unverdrossen,
+Ging hinterdrein, den Reden horchend, fort,
+Die meinem Geist der Dichtung Tief’ erschlossen.
+Doch machte bald der Dichter süßes Wort
+Ein Baum mit würzig duft’gen Äpfeln schweigen.’
+Inmitten unsers Weges stand er dort;
+Und wie die Tann’ aufwärts, von Zweig zu Zweigen
+Sich enger abstuft, so von Sproß zu Sproß
+Er niederwärts, erschwerend das Ersteigen.
+Auf jener Seite, wo der Weg sich schloß,
+Fiel klares Naß vom hohen Felsensaume,
+Das auf die Blätter sprühend sich ergoß.
+Da nahte sich das Dichterpaar dem Baume,
+Aus dessen Zweigen eine Stimm’ erscholl:
+"Die Speise hier wird teuer eurem Gaume."
+"Der Hochzeit nur, um ganz und ehrenvoll
+Sie auszurichten, galt Marias Sinnen,
+Nicht ihrem Mund, der für euch sprechen soll.
+Nur Wasser tranken einst die Römerinnen;
+Nicht Königskost hat Daniel gewollt,
+Um reichen Schatz der Weisheit zu gewinnen.
+Die Urzeit war so schön wie lautres Gold,
+Als Eichen noch dem Hunger leckre Speisen
+Und Nektar jeder Bach dem Durst gezollt.
+Heuschrecken hat und Honig einst zu speisen
+Der Täufer in der Wüste nicht verschmäht,
+Und hoch und herrlich ist er drob zu preisen,
+Wie’s offenbart im Evangelium steht."
+
+
+Dreiundzwanzigster Gesang
+
+Indes ins Laubwerk meine Blicke drangen,
+So scharf und spähend, wie sie einer spannt,
+Der seine Zeit verliert mit Vogelfangen,
+Rief er, der mehr als Vatersorg’ empfand:
+"Sohn, komm. Die Zeit, die uns verlieh’n zum Reisen,
+Sei eingeteilt und nützlicher verwandt."
+Schnell wandt’ ich Blick und Schritt zu beiden Weisen,
+Die also sprachen, daß zum leichten Gang
+Die Mühe ward, den Felsen zu umkreisen.
+Sieh, da erklangen Klagen und Gesang:
+"Herr, meine Lippen," klang’s mit einem Stöhnen,
+Das mich zugleich mit Lust und Leid durchdrang.
+"Mein süßer Vater, welche Stimmen tönen?"
+Ich rief’s, und er drauf: "Schatten sind’s, die nun
+Für einst versäumte Pflicht den Herrn versöhnen."
+Wie unterweges eil’ge Wandrer tun,
+Die Leut’ einholen, welche sie nicht kennen,
+Und sich zwar umsehn, doch nicht stehn und ruh’n;
+So kam jetzt hinter uns in schnellerm Rennen
+Ein frommer Haufe, lief vorbei und schaut’
+Uns staunend an, um schweigend fortzurennen.
+Die Augen tief und hohl und nachtumgraut,
+Erschienen sie, die Hagern, die Erblaßten,
+Die Knochen alle sichtbar durch die Haut.
+So mager, glaub’ ich, war nach langem Fasten,
+So ausgetrocknet nicht Erisichthon,
+Als nun sein eignes Fleisch die Zähn’ erfaßten.
+Sie gleichen jenen, dacht’ ich, da sie floh’n,
+Die einst Jerusalem verloren haben,
+Wo selbst die Mutter fraß den eignen Sohn.
+Tief war das Aug’ in seinem Rund vergraben,
+Das einem Ringe sonder Gemme glich,
+Und Nas’ und rings die Knochen scharf erhaben.
+Daß eines Apfels Duft so jämmerlich
+Zurichten könn’ und Duft von einer Quelle,
+Begier erzeugend, wer wohl dächt’ es sich?
+Schon staunt’ ich, wie der Hunger sie entstelle,
+Indem ich noch die Ursach’ nicht verstund,
+Von ihrem magern Leib und traur’gem Felle.
+Da sah ich, wie aus seines Hauptes Grund
+Ein Geist auf mich die Augen forschend richte,
+Der ausrief: Welche Gnade wird mir kund?
+Nie hätt’ ich ihn erkannt am Angesichte,
+Doch durch die Stimme ward mir offenbart,
+Wie Hunger Ansehn und Gestalt vernichte.
+Und dieser Funke machte völlig klar
+Mir die Erinnrung, daß ich sein gedachte,
+Und sah, daß dies Foreses Antlitz war.
+Und er begann nun flehend: "Ach, verachte
+Die dürre Haut nicht, noch mein blaß Gesicht,
+Ob auch die Schuld um alles Fleisch mich brachte.
+Gib wahrhaft mir von deinem Los Bericht,
+Und von den zwei’n, die bei dir sind--ich flehe!--
+Verweigre mir erwünschte Kunde nicht."
+"Dein Angesicht, bei dem mit tiefem Wehe,"
+Begann ich, "als ich’s tot sah, ich geklagt,
+Betrübt mich mehr, da ich’s so hager sehe.
+Drum sprich, bei Gott, was so dein Laub zernagt.
+Nicht wolle, daß ich, weil ich staun’, erzähle,
+Denn übel spricht, wen selbst die Neugier plagt."--
+"Vom ew’gen Rat", so sprach Foreses Seele,
+"Sinkt eine Kraft, die Bach und Baum durchdringt,
+Durch die ich hier mich abgemagert quäle.
+Sie ist’s, die jeden, der hier weinend singt,
+Zur Heiligkeit vom wüsten Schwelgerleben
+Durch Hunger und durch Durst zurückebringt.
+Der Duft, den jene Früchte von sich geben,
+Der Quell auch, der sie netzt, entflammt der Brust
+Nach Speis und Trank ein nie gestilltes Streben.
+Sooft im Kreis wir dorthin zieh’n gemußt,
+Wird immer diese Pein in uns erneuert.
+Ich sage Pein und sollte sagen: Lust,
+Weil nach dem Baum uns jener Drang befeuert,
+Der Christum froh dahin zum Kreuz gebracht,
+Wo unsrer Schmach sein teures Blut gesteuert."
+Drauf ich: "Forese, seit du jene Nacht
+Vertauscht mit diesem bessern Leben, zählte
+Man nur fünf Jahr’, die kaum den Lauf vollbracht.
+Wenn dir die Kraft zu sünd’gen eher fehlte,
+Als du durchdrungen warst von gutem Leid,
+Das stets die Seele neu mit Gott vermählte,
+Wie stiegst du in so kurzer Frist so weit?
+Dort unten dich zu finden mußt’ ich meinen,
+Wo man verlorne Zeit ersetzt durch Zeit."
+Und er: "Zum süßen Wermutstrank der Peinen
+Hat mich befördert meiner Nella Fleiß
+In frommem Fleh’n und ihr unendlich Weinen.
+Denn ihr Gebet, ihr Stöhnen fromm und heiß,
+Hat mich der Küste, wo man harrt, entzogen
+Und mich befreit aus jedem andern Kreis.
+Ihr. die ich so geliebt, ist Gott gewogen,
+Weil sie, der nur der Tugend Reiz gefällt,
+Sich ganz vom Pfad der andern abgezogen.
+Der Sarden rohes Bergesland enthält
+Mehr Scham und Sitte noch in feinen Frauen
+Als das, wo ich sie ließ in jener Welt.
+O süßer Bruder, soll ich dir’s vertrauen?
+Ich glaube schon die Zukunft, der das Heut
+Nicht alt erscheinen wird, vor mir zu schauen,
+Wo man den frechen Frau’n, die ungescheut
+Den Busen mit den Brüsten offenbaren,
+Dies von der Kanzel in Florenz verbeut.
+Wann mußten Frau’n von Türken und Barbaren,
+Um mit bedeckter Brust einherzugehn,
+Von Staat und Kirche Rügen erst erfahren?
+Doch könnten nur die Unverschämten sehn,
+Was ihnen schon der Himmel vorbereitet,
+Sie wurden heulend, offnen Mundes, stehn.
+Sie jammern, wenn kein Wahn mich hier verleitet,
+Eh’ auf des Wange, der jetzt eingelullt
+Von Eipopeia wird, sich Flaum verbreitet.
+Jetzt sprich von dir und zahle mir die Schuld.
+Sieh alle, die dorthin die Augen lenken,
+Wo du die Sonne deckst, voll Ungeduld."
+Und ich versetzt’ ihm: "Willst du des gedenken,
+Was du mit mir einst warst, und ich mit dir,
+So wird noch jetzt dich die Erinnrung kränken.
+Vor kurzem hat von dort er, der vor mir
+Als Führer geht, mich mit sich fortgenommen,
+Als rund euch schien der Bruder dieser hier."
+--Die Sonne zeigt’ ich--"Mir zum Heil und Frommen
+Bin ich durch wahren Todes tiefe Nacht
+Mit ihm in diesem wahren Fleisch gekommen.
+Er hat im Kreislauf mich emporgebracht
+Zu diesem Berg, wo die sich g’rad’ erheben,
+Die einst das Erdenleben krumm gemacht.
+Er wird mir sein Geleit so lange geben,
+Bis ich gelangt zu Beatricen bin;
+Ohn’ ihn dann muß ich weiter aufwärts streben.
+Es ist Virgil"--hier zeigt’ ich nach ihm hin--
+"Sieh auch den andern und erkenne diesen
+Als den, ob des der Berg gebebt vorhin,
+Da euer Reich ihn von sich weggewiesen."
+
+
+Vierundzwanzigster Gesang
+
+Nicht hemmt’ uns Gehn im Reden, Red’ im Gehn;
+Der Lauf ging beim Gespräch so rasch vonstatten,
+Wie eines Schiffs bei guten Windes Weh’n.
+Und die, wie’s schien, zweimal gestorbnen Schatten,
+Sie sogen Staunen durch die Augen ein,
+Da sie bemerkt mein irdisch Leben hatten.
+"Wohl eil’ger", sprach ich weiter, "würd’ er sein,
+Zum Platz zu zieh’n, der dort ihm angewiesen,
+War’ er nicht aufgehalten von uns zwei’n.
+Doch sprich, wo ist Piccarda? Wer von diesen,
+Von welchen jeder Blick jetzt auf mir ruht,
+Ward durch den Ruf im Leben einst gepriesen?"
+"Sie, meine Schwester, einst so schön als gut,
+Trägt dort, wo wir das ew’ge Licht erkennen,
+Die Krone des Triumphs mit heiterm Mut."
+Sprach’s, und darauf: "Hier darf man alle nennen,
+Denn, vom heilsamen Fasten abgezehrt,
+Würd’ einer sonst den andern nimmer kennen.
+Sieh dort"--er sprach’s, den Finger hingekehrt--
+"Den Buonagiunta; sieh dort den Erblaßten,
+Vom Hunger mehr als jeden sonst, verheert,
+Des Arme dort die heil’ge Kirch’ umfaßten.
+Er war von Tours und büßt hier manchen Schmaus
+Von weinersäuften Aal mit schwerem Fasten."
+Noch wählt’ er manchen von der Schar heraus
+Und nannt’ ihn mir, was jeden sehr erfreute,
+Und keiner sah drum trüb und finster aus.
+Ich Sah den Bonifaz, der viel Leute
+Mit Pfründenfett geatzt; den Ubaldin,
+Der an den Zähnen selbst vor Hunger käute;
+Sah den Marchese, den, trotz allem Zieh’n
+Aus seinem Krug, der Durst nur ärger brannte,
+Und dem der Mund beständig trocken schien.
+Doch wie, wer viel sah, eins nur wählt. So wandte
+Ich mein Gesicht nun zu dem Buonagiunt,
+Der, wie es schien, mich dort am besten kannte.
+Er murmelt’ in sich, und von seinem Mund,
+An dem sich hier der Schlemmer Sünden rächen,
+Ward etwas wie das Wort Gentucca kund.
+Ich sprach: "Der du das Schweigen abzubrechen
+So lüstern scheinst, sprich so, daß man’s versteht,
+Und dich und mich befriedige dein Sprechen."
+Drauf er: "Ein Weib, das noch entschleiert geht,
+Gibt dir dereinst an meiner Stadt Behagen,
+So sehr man diese Stadt auch immer schmäht.
+Du wirst dorthin die Rede mit dir tragen,
+Und trog mein Murmeln dich, in kurzer Zeit
+Wird dir die Wirklichkeit er klarer sagen.
+Doch sprich, erblick’ ich den in meinem Leid,
+Der jene neuen Weisen fand, beginnend:
+Ihr Frau’n, die ihr der Liebe kundig seid."
+Drauf ich: "Dem Hauch der Liebe lausch’ ich sinnend;
+Was sie mir immer vorspricht, nehm’ ich wahr
+Und schreib’ es nach, nichts aus mir selbst ersinnend."
+"Die Schlinge, Bruder," sprach er, "seh’ ich klar,
+Die von dem neuen süßen Stil gehalten
+Mich diesseits hat, Guitton’ und den Notar.
+Ich seh’, ihr lasset nur die Liebe walten,
+Und eure Feder folgt, wie sie gebeut,
+Wir aber ließen sie nicht also schalten.
+Wer, Beifall suchend, keck sie überbeut,
+Gibt Schwulst, statt des, was euch Natur verliehen."
+Er schwieg und schien befriedigt und erfreut.
+Wie Vögel, die zum Nil im Winter ziehen,
+Sich oft versammeln in gedrängtem Hauf
+Und schneller dann in Streifen weiterfliehen;
+So machten alle dort sich wieder auf,
+Die, abgewandt, sich eilig fort begaben,
+Durch Magerkeit und Willen leicht zum Lauf.
+Und gleich wie einer, atemlos vom Traben,
+Die andern läßt, um ganz gemach zu gehn,
+Bis ausgeschnauft die heißen Laugen haben,
+So war es mit Forese jetzt gescheh’n;
+Er, hinter mir, ließ zieh’n die heil’ge Herde
+Und sprach: "Wann werd’ ich wohl dich wiedersehn?"
+"Nicht weiß ich es. Doch glaub’ ich, daß der Erde",
+Versetzt’ ich, "nicht so schnell mein Geist entfleugt,
+Als ich nach diesem Strand mich sehnen werde.
+Denn seh’ ich dort den Ort, der mich erzeugt,
+Tagtäglich mehr vom Guten sich entblößen
+Und jämmerlich bereits zum Sturz gebeugt!"
+Und er: "Jetzt geh, den Stifter alles Bösen
+Seh’ ich am Schweif des Pferds geschleppt zum Ort,
+Von welchem Reu’ und Tränen nie erlösen.
+Stets schneller geht der Lauf des Tieres fort,
+Und endlich läßt’s den Leib des Jammervollen
+Zerstampft, entstellt, ein widrig Scheusal, dort.
+Nicht lange werden diese Kreise rollen"
+--Zum Himmel blickt er auf--"und klar wird dir,
+Was dämmernd nur mein Wort dir zeigen sollen.
+Du bleibe jetzt; die Zeit ist teuer hier,
+Und daß ich gleichen Schritts mit dir gegangen,
+Dies kostet mich bereits zuviel von ihr."
+Wie einer, wenn die Reiter vorwärts drangen,
+Hervorsprengt aus der Reih’, in der er ritt,
+Den Ruhm des ersten Angriffs zu erlangen,
+So trennt’ er sich von uns mit größerm Schritt,
+Indes ich hinter ihm mit meinem Horte
+Und mit dem andern Meister weiterschritt.
+Schon war er vor uns an so fernem Orte,
+Daß ihm mein Blick dahin durch weiten Raum,
+Wie die Erinnrung folgte seinem Worte;
+Als wir voll Obstes einen andern Baum
+Mit üppigem Gezweig nicht fern entdeckten,
+Da wir uns bogen um des Kreises Saum.
+Und Leute, die hinauf die Hände streckten,
+Schrien auf zum Laub, das in die Lüfte steigt,
+Den Kindlein gleich, den gierigen, geneckten,
+Die bitten, während der Gebetne schweigt,
+Und, um zu schärfen die Begier, ihr Sehnen
+Hoch hinhält und es frei und offen zeigt.
+Dann gingen sie, geheilt vom eitlen Wähnen;
+Wir aber schritten zu dem Baum heran,
+Der alle Bitten abweist, alle Tränen.
+"Vorüber schreitet, denn ihr dürft nicht nah’n!
+Der Baum, der Even reizt’, ist weiter oben.
+Von ihm hat dieser seinen Keim empfah’n."
+So sprach, ich weiß nicht wer, vom Baume droben,
+Weshalb Virgil mit Statius, engverschränkt,
+Und mir hinging, wo sich die Felsen hoben.
+"An die verfluchten Wolkensöhne denkt,"
+Sprach’s, "die dem Theseus mit den Doppelbrüsten
+Im Kampf getrotzt, von zuviel Wein getränkt.
+An die Hebräer denkt und ihr Gelüsten,
+Und denkt, weshalb verschmäht hat Gideon,
+Mit ihnen gegen Midian sich zu rüsten."
+So gingen wir, dem Felsen nah, davon,
+Und hörten aus des Laubs geheimer Regung
+Des Gaumens Schuld und ihren schlechten Lohn.
+Dann aber ging’s mit freierer Bewegung
+Auf breitem Pfad an laufend Schritte fort,
+Und jeder schwieg in sinniger Erwägung.
+"Was geht ihr drei so ernst erwägend dort?"
+Rief’s plötzlich nun, ich aber fuhr zusammen,
+Gleich einem scheuen Roß, bei diesem Wort.
+Mein Haupt kehrt’ ich dorthin, woher zu stammen
+Die Rede schien, und sah in rotem Schein
+Glas und Metall nie so im Ofen flammen,
+Wie einen hier, der sprach: "Hier geht ihr ein,
+Wollt ihr empor zur freien Höhe kommen,
+Und im Genuß des ew’gen Friedens sein."
+Mir hatte das Gesicht sein Glanz benommen,
+Drum wandt’ ich mich zu meinen Führern hin,
+Wie wer dem folgt, was er durchs Ohr vernommen.
+Und wie des Morgenrots Verkünderin,
+Die, Düfte raubend, in den Blüten wühlte,
+Die Mailuft, weht, die süße Schmeichlerin,
+So fühlt’ ich an der Stirn ein Weh’n, so fühlte
+Ich ein Gefieder, sanft bewegt, das mir
+Das Antlitz mit Ambrosiadüften kühlte.
+Und dann erklang dies Wort: "O selig ihr,
+Die ihr die Gnad’ empfingt, daß unverdüstert
+Des Geistes Licht euch bleibt von der Begier,
+Indem euch nur, wie’s ziemt, nach Speise lüstert."
+
+
+Fünfundzwanzigster Gesang
+
+Die Stund’ erheischte rasches Steigen schon,
+Nachdem die Sonne hier den Mittagsbogen
+Dem Stier geräumt, dort Nacht dem Skorpion.
+Drum, wie ein Mann, der, von nichts angezogen,
+Was sich auch zeige, seines Weges zieht
+Vom Drang der Not zu größter Eil’ bewogen,
+So drangen wir ins höhere Gebiet
+Durch eine Stiege, die uns so beschränkte,
+Daß uns die Enge voneinander schied.
+Und wie ein Störchlein, das die Flügel schwenkte,
+Aus Luft zum Flug, dann aber, sonder Mut,
+Vom Neste fortzuzieh’n, sie wieder senkte,
+So ich, bald lodernd, bald verlöscht die Glut
+Der Fragelust, das Antlitz also zeigend,
+Wie der, der sich zum Sprechen anschickt, tut.
+Da sprach mein Herr, obwohl voll Eifer steigend:
+"Laß nicht der Rede Pfeil unabgeschnellt,
+Die Sehne nur bis hin zum Drücker beugend."
+Worauf ich, sicher durch dies Wort gestellt,
+Den Mund erschloß: "Wie wird man hier so mager,
+Hier, wo kein Leib ist, welchen Speis erhält?"
+Drauf er: "Gedächtest du an Meleager,
+Der eben, wie verzehrt ein Holzbrand ward,
+Sich abgezehrt, du wärst kein solcher Frager.
+Und dächtest du, wie gleich an Mien’ und Art
+Sich euer Antlitz regt in Spiegelbildern,
+Dann schiene lind und weich dir, was jetzt hart.
+Allein um alles dir nach Wunsch zu schildern,
+Sieh hier den Statius, welcher dir verspricht,
+Weil ich ihn bitte, deinen Durst zu mildern."
+"Entwickl’ ich ihm das göttliche Gericht,"
+Sprach Statius drauf, "hier, wo du gegenwärtig,
+So sei’s verzieh’n--du willst, drum weigr’ ich nicht."
+Und dann: "Jetzt sei dein Geist bereit und fertig
+Für meine Rede, Sohn--dann sei des Wie?
+Das du erfragst, in vollem Licht gewärtig.
+Das reinste Blut, das von den Adern nie
+Getrunken wird, vergleichbar einer Speise,
+Die über den Bedarf Natur verlieh,
+Empfängt im Herzen wunderbarerweise
+Die Bildungskraft für menschliche Gestalt,
+Geht dann mit dieser durch der Adern Kreise,
+Noch mehr verkocht, zu einem Aufenthalt,
+Den man nicht nennt, von wo’s zu anderm Blute
+In ein natürlich Becken überwallt.
+Daß beides zum Gebild zusammenflute,
+Ist leidend dies, und tätig das, vom Ort,
+In dem die hohe Bildungskraft beruhte.
+Drin angelangt, beginnt’s sein Wirken dort;
+Geronnen erst, erzeugt es junges Leben
+Und schreitet in des Stoffs Verdichtung fort.
+Die Seel entsteht aus tät’ger Kräfte Streben,
+Wie die der Pflanze, die schon stillesteht,
+Wenn jene kaum beginnt, sich zu erheben.
+Bewegung zeigt sich dann, Gefühl entsteht,
+Wie in dem Schwamm des Meers, und zu entfalten
+Beginnt die tät’ge Kraft, was sie gesät.
+Nun beugt, nun dehnt die Frucht sich aus, beim Walten
+Der Kraft des Zeugenden, die, nie verwirrt
+Von fremdem Trieb, nur ist, um zu gestalten.
+Doch, Sohn, wie nun das Tier zum Menschen wird,
+Noch siehst du’s nicht, und dies ist eine Lehre,
+Worin ein Weiserer als du geirrt.
+Er war der Meinung, von der Seele wäre
+Gesondert die Vernunft, weil kein Organ
+Die Äußerung der letztern uns erkläre.
+Jetzt sei dein Herz der Wahrheit aufgetan,
+Damit dein Geist, was folgen wird, bemerke!
+Wenn Bildung das Gehirn der Frucht empfah’n,
+Kehrt, froh ob der Natur kunstvollem Werke,
+Zu ihr der Schöpfer sich und haucht den Geist,
+Den neuen Geist ihr ein, von solcher Stärke,
+Daß er, was tätig dort ist, an sich reißt,
+Und mit ihm sich vereint zu einer Seele,
+Die lebt und fühlt und in sich wogt und kreist.
+Und, daß dir’s nicht an hellerm Lichte fehle,
+So denke nur, wie sich zum edlen Wein
+Die Sonnenglut dem Rebensaft vermalte.
+Gebricht es dann der Lachesis an Lein,
+Dann trägt sie mit sich aus des Leibes Hülle
+Des Menschlichen und Göttlichen Verein;
+Die andern Kräfte sämtlich stumm und stille,
+Doch schärfer als vorher in Macht und Tat,
+Erinnerung, Verstandeskraft und Wille.
+Und ohne Säumen fällt sie am Gestad,
+An dem, an jenem, wunderbarlich nieder,
+Und hier erkennt sie erst den weitern Pfad.
+Kaum ist sie nun auf sicherm Orte wieder,
+Da strahlt die Bildungskraft rings um sie her,
+So hell wie einst beim Leben ihrer Glieder.
+Und wie die Luft, vom Regen feucht und Schwer.
+Sich glänzend schmückt mit buntem Farbenbogen
+Im Widerglanz vom Sonnenfeuermeer;
+So jetzt die Lüfte, so die Seel’ umwogen,
+Worein die Bildungskraft ein Bildnis prägt,
+Sobald die Seel’ an jenen Strand gezogen.
+Und gleich der Flamme, die sich nachbewegt,
+Wo irgendhin des Feuers Pfade gehen,
+So folgt die Form, wohin der Geist sie trägt.
+Sieh daher die Erscheinung dann entstehen,
+Die Schatten heißt; so bildet sich in ihr
+Jedwed Gefühl, das Hören und das Sehen.
+Und daher sprechen, daher lachen wir,
+Und daher weinen wir die bittern Zähren
+Und seufzen laut auf unserm Berge hier.
+Der Schatten bildet sich, je wie Begehren
+Und Leidenschaft uns reizt und Lust und Gram.
+Dies mag dir, was du angestaunt, erklären."
+Und schon als ich zur letzten Marter kam,
+Indem wir, rechts gewandt, die Schlucht verließen,
+Ward ich auf das, was dort war, aufmerksam.
+Den Felsen sah ich Flammen vorwärts schießen,
+Der Vorsprung aber haucht’ empor zur Wand
+Windstöße, die zurück die Flammen stießen.
+Wir mußten einzeln gehn am freien Rand,
+Und ängstlich hört’ ich hier die Flamme schwirren,
+Indes sich dort ein tiefer Abgrund fand.
+Mein Führer sprach: "Hier laß dich nichts verwirren
+Und halte straff der schnellen Augen Zaum,
+Denn leicht ist’s hier, mit einem Tritt zu irren."
+Gott höchster Gnade! hört’ ich’s aus dem Raum,
+Den jene große Glut erfüllte, singen
+Und hielt den Blick an meinem Wege kaum.
+Ich sah dort Geister, die durchs Feuer gingen,
+Und sah auf meinen bald, bald ihren Gang
+Und ließ den Blick von hier nach dorten springen.
+Ich weiß von keinem Mann--dies Wort erklang
+Mit lautem Ruf, als jenes Lied verklungen,
+Und neu begannen sie’s mit leisem Sang,
+Und riefen wieder, als sie’s ausgesungen:
+"Diana blieb im Hain und jagt’ ergrimmt
+Kalisto fort, die Venus’ Gift durchdrungen."
+Dann ward die Hymne wieder angestimmt,
+Dann riefen sie von keuschen Frau’n und Gatten,
+Die lebten, wie’s zu Eh’ und Tugend stimmt.
+Und dies nur tun sie, ohne zu ermatten,
+Wie’s scheint, solang die Flamme sie umfließt,
+Bis solche Pfleg’ und Arzenei den Schatten
+Zuletzt die Wund’ auf ewig wieder schließt.
+
+
+Sechsundzwanzigster Gesang
+
+Indem wir, einer so dem andern nach,
+Am Rand hingingen, sprach mein treu Geleite:
+"Gib acht und nütze, was ich warnend sprach."
+Die Sonne schlug auf meine rechte Seite
+Und übergoß, ein blendend Strahlenmeer,
+Mit lichtem Weiß des Westens blaue Weite.
+In meinem Schatten schien die Glut noch mehr
+Hochrot zu glüh’n, drum sah’n bei solchem Zeichen
+Der Schatten viel im Gehen nach mir her.
+Und dieses schien zum Anlaß zu gereichen,
+Daß über mich sich ein Gespräch erhob:
+" Der scheinet einem Scheinleib nicht zu gleichen."
+Soviel sie konnten, richteten sie drob
+Sich zu mir hin, doch immer wohl beachtend,
+Daß nie ihr Fuß der Flamme sich enthob.
+"Du, der du wohl, sie ehrerbietig achtend,
+Und nicht aus Trägheit nachgehst diesen zwei’n,
+Oh, sieh mich hier in Durst und Feuer schmachtend
+Und sprich, uns allen Labung zu verleih’n;
+Denn wie wir jetzt nach deinem Wort verlangen,
+Kann durst’ger nach dem Quell kein Libyer sein.
+Wie machst du’s doch, die Strahlen aufzufangen,
+Gleich einer Wand, als wärest du dem Tod
+Bis jetzt noch nicht, wie wir, ins Netz gegangen."
+So rief der ein’ in seiner Flammennot,
+Und eben wollt’ ich alles ihm verkünden,
+Als meinem Blick sich etwas Neues bot.
+Denn auf dem Weg, den Flammen rings entzünden,
+Entgegen jenen, kam ein zweiter Hauf,
+Drum späht ich hin, das Weitre zu ergründen.
+Und die und jene machten schnell sich auf
+Und küßten sich mit kurzer Lust und waren
+Zufrieden schon und floh’n im vollen Lauf.
+So sieht man im Gewühl der braunen Scharen
+Sich Äms und Ämse mit den Rüsseln nah’n,
+Vielleicht: Wie’s geht? Wes Weges? zu erfahren,
+Sobald der Gruß der Freundschaft abgetan,
+Hob, eh’ sie weiterzog, nach kurzer Weile
+Die Schar wetteifernd laut zu schreien an.
+"Sodom! Gomorra!" klang’s von diesem Teile;
+Von dort: "Pasiphae kroch in die Kuh,
+Und also lockt’ an sich den Stier die Geile."
+Wie Kranichscharen teils nach kurzer Ruh’
+Gen Libyen fliegen, scheu vor Frost und Eise,
+Teils scheu vor Hitze den Riphäen zu,
+So zieh’n die hier-, die dortenhin im Kreise
+Und singen dann ihr Lied mit Reu’ und Gram
+Und schrei’n von ihrer Schuld nach alter Weise.
+Doch jener, der vorhin mir näher kam
+Und bat, blieb wieder mit den andern stehen,
+Dem Ansehn nach herhorchend, aufmerksam.
+Ich, der ich zweimal ihren Wunsch ersehen,
+Begann: "O ihr, die Hoffnung aufrechthält,
+Sei’s, wann es sei, zum Frieden einzugehen,
+Nicht reif noch unreif ließ ich auf der Welt
+Den Leib zurück und hob’ auf diesen Wegen
+Mit Fleisch und Bein und Blut mich eingestellt.
+Ich stieg empor, die Blindheit abzulegen,
+Und geh’--ein Himmelsweib erfleht’ es mir--
+Mit dem, was sterblich ist, dem Licht entgegen.
+Doch wie sich euch erfüllen mag, was ihr
+So heiß ersehnt: zum Himmel euch zu Schwingen,
+Dem lieberfüllten räumigen Revier;
+So sprecht, ich will’s zu aller Kunde bringen:
+Wer seid dort ihr, um die die Flamme schwirrt,
+Und wer sind die, die euch entgegengingen?"
+So stutzt, erstaunt, verblüfft, der Bergeshirt,
+Dem beim Umherschau’n selbst die Worte fehlen,
+Wenn, roh und wild, er sich zur Stadt verirrt,
+Wie sie--ihr Ansehn könnt’ es nicht verhehlen--
+Allein sobald ihr trübes Staunen schwand,
+Das bald sich abklärt in erhabnen Seelen,
+"Heil dir, des Fuß den Weg in unser Land,"
+Sprach er, den ich aus früh’rer Frage kannte,
+"Des Geist zur Besserung Erfahrung fand!
+Vernimm, daß jene Schar im Trieb entbrannte,
+Ob des man Cäsarn, so, daß er’s gehört,
+Einst beim Triumphe Königin benannte,
+Drum schrien sie: Sodom!--was sie einst betört,
+Voll Reue tadelnd, wie du jetzt vernommen;
+So wird der Brand durch Scham noch aufgestört.
+Im Zwittertriebe waren wir entglommen,
+Doch weil wir menschliches Gesetz verlacht,
+Von tierischen Gelüsten eingenommen.
+Drum rufen wir, auf eigne Schmach bedacht,
+Des Weibes Namen aus, wenn wir uns trennen,
+Das sich im Viehgebild zum Vieh gemacht.
+Nun hortest du mich unsre Schuld bekennen,
+Doch unsre Namen kundzutun verbeut
+Die Zeit; auch wüßt’ ich alle nicht zu nennen.
+Wer ich bin, höre, wenn es dich erfreut.
+Guid Guinicell, zur Läutrung zugelassen,
+Weil ich vor meinem Tod die Schuld bereut."--
+Wie hergestürzt, die Mutter zu umfassen,
+Die Söhne, da sein Schwert Lykurgus schwang,
+So wollt’ ich tun, doch mußt’ ich mehr mich fassen,
+Als meines Vaters Name mir erklang,
+Des Vaters manches, der vom süßen Minnen
+Besser als ich in holden Weisen sang.
+Ich ging und sah ihn an in tiefem Sinnen
+Und sagte nichts und hörte keinen Laut,
+Auch ließ die Glut nicht weiter mich nach innen.
+Doch als ich satt mich dann an ihm geschaut,
+Erbot ich mich, in allem ihm zu dienen,
+In solcher Art, der gern der andre traut.
+Und er: "Wie du so freundlich mir erschienen.
+Tilgt deine Spur in mir nicht Leibes Flut,
+Und ewig wirst du meinen Dank verdienen.
+Doch meinst du’s wirklich denn mit mir so gut,
+So sprich, warum? Sprich, weshalb eben wieder
+So liebevoll auf mir dein Auge ruht?"
+Und ich darauf: "Ob deiner süßen Lieder,
+Die teuer sind den Herzen fort und fort,
+Sinkt nicht der neuern Sprache ganz danieder."
+"Ach, Bruder," sprach er, und bei diesem Wort
+Zeigt’ er mit seinem Finger hin auf einen,
+"Der Sprache bessrer Schmied war jener dort,
+Der in Romanz’ und Liebesliedern keinen
+Unüberwunden ließ; und Toren sind,
+Die ihn von Giraut übertroffen meinen.
+Nicht nach der Wahrheit--nach des Rufes Wind
+Gerichtet werden Meinung und Gesichter;
+So läßt Vernunft und Kunst sie taub und blind.
+So machten’s mit Guitton viel alte Richter,
+Des Lob so viele schrien, weil andre schrien,
+Bis Wahrheit ihn besiegt und andre Dichter.
+Jetzt, wenn so weites Vorrecht dir verlieh’n,
+Daß dir’s erlaubt ist, zu dem Kloster droben,
+Wo Christus selber Abt ist, hinzuzieh’n,
+So bet’ ein Paternoster doch dort oben
+Bei ihm für mich, soweit’s in dieser Welt
+Noch not für uns, die wir der Sünd’ enthoben."
+Drauf schwand er, jenem, der sich nah gestellt,
+Vielleicht Platz machend, in der Flammen Röte,
+Wie in der Flut ein Fisch, der niederschnellt.
+Und dem Gewiesnen naht’ ich mich und flehte
+Ihn inniglich um seinen Namen an,
+Dem schon Willkommen! meine Sehnsucht böte.
+Worauf er gleich mit frohem Mut begann:
+"Die edle Frage weißt du zu verschönen,
+Daß ich mich bergen weder will noch kann.
+Ich bin Arnald und geh’ in Schmerz und Stöhnen,
+Den Wahn erkennend der Vergangenheit,
+Und singe, hoffend, dann in Jubeltönen.
+Jetzt bitt’ ich dich, hast du die Herrlichkeit
+Auf dieses Berges Gipfel aufgefunden,
+Dann denke meines Leids zur rechten Zeit."
+Hier war er in der Läutrungsglut verschwunden.
+
+
+Siebenundzwanzigster Gesang
+
+Wie wenn der erste Strahl vom jungen Tage
+Im Lande glänzt, benetzt von Gottes Blut,
+Wenn Ebro hinfließt unter hoher Wage.
+Und Mittagshitz’ erwärmt des Ganges Flut,
+So stand die Sonn’ itzt, drob der Tag entflohe,
+Als uns ein Engel glänzt’ in heitrer Glut.
+Er sang am Felsrand, außerhalb der Lohe:
+"Beglückt, die reines Herzens sind!"--und mehr
+Als menschlich war sein Ton, der mächt’ge, frohe.
+Drauf: "Weiter nicht, ihr Heil’gen, bis vorher
+Die Glut euch nagte! Tretet in die Flammen,
+Und seid nicht taub dem Sang von dortenher!"
+Dies Wort ertönte jetzt, da wir zusammen
+Uns ihm genaht, so schrecklich in mein Ohr,
+Als hört’ ich mich zum schwersten Tod verdammen.
+Ich sank auf die gefaltnen Hände vor,
+Ins Feuer schauend--wen ich brennen sehen,
+Des Bild stieg jetzt vor meinem Geist empor.
+Die Führer nahten sich, mir beizustehen,
+Und tröstend sprach zu mir Virgil: "Mein Sohn,
+Du kannst zur Qual hier, nicht zum Tode gehen.
+Gedenk’, gedenke--konnt’ ich früher schon
+Dich sicher auf Geryons Rücken führen
+Wie jetzt, viel näher hier bei Gottes Thron?
+War’ auch die Glut noch loher anzuschüren,
+Und stündest du auch tausend Jahre drin,
+Doch dürfte sie dir nicht ein Haar berühren.
+Glaubst du, daß ich nicht treu der Wahrheit bin,
+So nahe dich und halt, um selbst zu schauen,
+Des Kleides Saum mit deinen Händen hin.
+Leg’ ab, mein Sohn, leg’ ab hier jedes Grauen,
+Dorthin sei sicher jetzt dein Fuß gewandt!"
+Doch säumt’ ich, wider besseres Vertrauen.
+Er, sehend, daß ich starr und stille stand,
+Sprach, fast unwillig: "Wie, Sohn, noch verdrossen?
+Von Beatricen trennt dich diese Wand!"
+Wie sterbend Ppyramus den Blick erschlossen,
+Da’s: Thisbe! klang, gekehrt zum teuren Bild,
+Als blut’ges Rot die Maulbeer’ übergossen;
+So kehrt’ ich, nicht mehr hart, nein, sanft und mild,
+Zum Führer mich, sobald der Nam’ erschollen,
+Der ewig frisch in meinem Herzen quillt.
+Drob schüttelt er das Haupt und sagte: "Sollen
+Wir diesseits bleiben?" lächelnd, denn ich tat
+Wie Knaben, die, besiegt vom Apfel, wollen.
+Drauf trat er vor mir in die Flamm’ und bat
+Den Statius, uns folgend, nachzukommen,
+Der uns vorher getrennt den langen Pfad.
+Ich folgt’ und hätt’, um Kühlung zu bekommen,
+Mich in geschmolznes Glas gestürzt. So war
+Im höchsten Übermaß die Flamm’ entglommen.
+Doch bot mir Trost mein süßer Vater dar,
+Sprechend von ihr, und half mir weiter dringen,
+Und sprach: "Ich seh’ im Geist ihr Augenpaar!"
+Wir hörten jenseits eine Stimme singen,
+Und dieser folgten wir, ihr horchend, nach,
+Indem wir, wo man stieg, der Flamm’ entgingen.
+"Gesegnete des Vaters, kommt!" so sprach
+Die Stimm’ aus einem Licht, dort aufgegangen,
+Bei dessen Anschau’n mir das Auge brach.
+"Die Sonne geht, der Abend kommt"--so klangen
+Die Töne fort--"nicht weilt, beeilt den Lauf,
+Bevor den Westen dunkles Grau umfangen."
+G’rad’ durch den Felsen ging der Weg hinauf,
+Und, ostwärts steigend, hielt vor meinen Tritten
+Ich die schon matten Sonnenstrahlen auf.
+Und als wir wenig Stufen aufgeschritten,
+Bemerkten wir am Schatten, der verging,
+Sol, uns im Rücken, sei ins Meer geglitten.
+Eh gleiches Grau den Horizont umfing
+In allen seinen unermeßnen Teilen,
+Eh Nacht um alles ihren Schleier hing,
+Da mußt’ auf einer Stufe jeder weilen,
+Die uns zum Bett ward, denn die Zeit benahm
+Die Macht mehr, als die Lust, empor zu eilen.
+Gleichwie die Ziegenherde, satt und zahm,
+Im Schatten wiederkäut in stillem Brüten,
+Die, hungrig, jähen Sprungs zur Höhe kam,
+Wenn nun im Mittagsbrand die Luft’ entglühten,
+Indes der Hirt den Stab zur Stütze macht,
+Und dorten steht, gestützt, um sie zu hüten;
+Und wie ein Hirt im freien Feld bei Nacht,
+Damit kein wildes Tier der Herde schade,
+Und sie zerstreu’, entlang der Hürde wacht;
+So jetzt wir drei auf engem Bergespfade,
+Der Zieg’ ich gleich, den Hirten jenes Paar,
+Umschlossen hier und dort vom Felsgestade.
+Ob wenig gleich zu sehn nach außen war,
+Doch sah ich durch dies wenige die Sterne
+Weit mehr, als sonst gewöhnlich, groß und klar.
+Indes ich staunt’ in unermeßne Ferne,
+Befiel mich Schlaf, der öfters uns befällt,
+Damit der Geist die Zukunft kennen lerne.
+Zur Stunde, glaub’ ich, da vom Sternenzelt
+Cytherens erster Strahl die Höhe schmückte.
+Wie immerdar, von Liebesglut erhellt,
+Sah ich im Traum, der mich mir selbst entrückte,
+Ein schönes junges Weib, das hold bewegt,
+Durch Wiesen ging und singend Blumen pflückte.
+"Lea bin ich, dies wisse, wer mich fragt,
+Ich liebe, Kränze windend, hier zu wallen,
+Und emsig wird die schöne Hand geregt.
+Ich will, geschmückt, im Spiegel mir gefallen.
+Die Schwester Rahel liebt es, stets zu ruh’n,
+Und läßt dem Spiegel keinen Blick entfallen.
+Und freut sie sich der schönen Augen nun,
+So bin ich froh, mich mit den Händen schmückend,
+Denn schau’n befriedigt sie, und mich das Tun."
+Des Tages Vorlicht, um so mehr entzückend,
+Je mehr des Pilgrims Nachtquartier dem Ort
+Der Heimat nah ist, scheuchte, höher ruckend,
+Die Finsternis von allen Seiten fort,
+Mit ihr den Traum; drum eilt’ ich, aufzusteigen,
+Und sah schon aufrecht beide Meister dort.
+"Die süße Frucht, die auf so vielen Zweigen
+Voll Eifer sucht der Sterblichen Begier,
+Bringt alle deine Wünsche heut zum Schweigen!"
+Mit dieser Rede sprach Virgil zu mir,
+Und nie empfand bei Erdenherrlichkeiten
+Ein Mensch noch solche Lust, als ich bei ihr.
+Hinauf! Mich trieb’s und trieb’s, hinauf zu schreiten!
+So fühlt’ ich nun mit jedem Schritt zum Flug
+Die Schwingen wachten und sich freier breiten.
+Und wie er mich empor die Stufen trug,
+Stand bald ich auf der höchsten dort mit beiden,
+Wo fest auf mich Virgil die Augen schlug.
+"Des zeitlichen und ew’gen Feuers Leiden
+Sahst du, und bist, wo weiterhin nichts mehr
+Ich durch mich selbst vermag zu unterscheiden.
+Durch Geist und Kunst geleitet’ ich dich her;
+Zum Führer nimm fortan dein Gutbedünken;
+Dein Pfad ist fürderhin nicht steil und schwer.
+Sieh dort die Sonn’ auf deine Stirne blinken,
+Sieh, durch des Bodens Kraft und ohne Saat
+Entkeimt, dir Gras, Gesträuch und Blumen winken.
+Bis sich dir froh ihr schönes Auge naht
+Das mich zu dir einst rief mit bittern Zähren,
+Ruh’ oder wandle hier auf heiterm Pfad.
+Nicht harre fürder meiner Wink’ und Lehren,
+Frei, g’rad’, gesund ist, was du wollen wirst,
+Und Fehler wär’ es, deiner Willkür wehren,
+Drum sei fortan dein Bischof und dein Fürst.
+
+
+Achtundzwanzigster Gesang
+
+Begierig schon, zu spähn umher und innen
+Im göttlichen, lebend’gen, dichten Wald,
+Der sanft den Morgen milderte den Sinnen,
+Verließ ich das Gestad nun alsobald,
+Um langsam, langsam in das Feld zu treten,
+Auf einem Grund, dem ringsum Duft entwallt.
+Von einem Lüftchen, einem sanften, steten,
+Ward leiser Zug an meiner Stirn erregt,
+Nicht mehr, als ob mich Frühlingswind’ umwehten.
+Er zwang das Laub, zum Zittern leicht bewegt,
+Sich ganz nach jener Seite hin zu neigen,
+Wohin der Berg den ersten Schatten schlägt.
+Doch nicht so heftig wühlt’ er in den Zweigen,
+Daß es die Vöglein hindert’, im Gesang
+Aus grünen Höh’n all ihre Kunst zu zeigen.
+Nein, wie der Lüfte Hauch ins Dickicht drang,
+Frohlockten sie ihr Morgenlied entgegen,
+Wozu, begleitend. Laubgeflüster klang,
+So klingt’s, wenn Zweig’ um Zweige sich bewegen
+Im Fichtenwald an Chiassis Meergestad,
+Sobald sich des Schirokko Schwingen regen.
+Schon war ich mit langsamem Schritt genaht,
+Und bald so dicht vom alten Hain umschlossen,
+Daß nicht zu sehn war, wo ich ihn betrat.
+Da sieh die Bahn durch einen Bach verschlossen,
+Der links hin, mit der kleinen Wellen Schlag
+Die Gräser bog, die seinem Bord entsprossen.
+Das reinste Wasser hier am klarsten Tag,
+Trüb scheint es und vermischt mit fremden Dingen,
+Vergleicht man’s dem, wo nichts sich bergen mag,
+Obwohl, da Schatten ewig es umringen,
+Es dunkel, dunkel strömt und nie hinein
+Der Sonne noch des Mondes Strahlen dringen.
+Es stand mein Fuß; doch jenseits in den Hain
+Ließ übern Fluß ich meine Blicke schreiten,
+Und sah dort mannigfache grüne Mai’n.
+Und mir erschien--so stellt dem Blick zuzeiten
+Sich unversehn Erstaunenswertes dar,
+Den Geist von allem andern abzuleiten--
+Ein einsam wandelnd Weib, das wunderbar
+Im Gehen sang, aufsammelnd Blüt’ um Blüte,
+Womit vor ihr bemalt der Boden war.
+"O Schöne, die du, zeigt sich das Gemüte,
+Wie’s pflegt, im Äußern, mich zu glauben zwingst,
+Daß an der Liebe Strahl dein Herz entglühte,
+O käme Lust dir, daß du näher gingst,"
+Ich sprach’s zu ihr, den Fuß zum Bache lenkend,
+"Daß ich verstehen könne, was du singst.
+Dich seh’ ich jetzt, Proserpinens gedenkend,
+Des Orts auch, wo die Mutter sie verlor,
+Und sie den Lenz, sich in die Nacht versenkend."
+Und wie die Tänzerin, die kaum empor
+Die Sohlen hebt, mit engen Schritten gleitend,
+Ein zartes Füßlein kaum dem andern vor;
+So sah ich sie, durch bunte Blumen schreitend,
+Jungfräulich bodenwärts den Blick gewandt,
+Und Ehrbarkeit und Würde sie begleitend,
+5o daß ich bald den Wunsch befriedigt fand,
+Indem ich, wie sie näher hergezogen,
+Den Sinn des süßen Liedes wohl verstand.
+Sobald sie dort war, wo des Flusses Wogen
+Den grünen Rasen am Gestad besprüh’n,
+Erhob sie hold der Wimpern schöne Bogen.
+Nicht mocht’, als Amor, übermäßig kühn,
+Die Mutter wund mit seinem Pfeile machte,
+In solcher Lust Cytherens Auge glüh’n.
+Am rechten Ufer stand sie dort und lachte,
+Und pflückte Blumen von der Wiese Saum,
+Die ohne Saat hervor die Höhe brachte.
+Das Bächlein trennt’ uns um drei Schritte kaum,
+Doch Hellespont, den Xexes überschritten,
+Noch jetzt dem höchsten Menschenstolz ein Zaum,
+Hat schärfer nicht Leanders Haß erlitten,
+Indem er Sestos und Abydos schied,
+Als meinen er, ein Hemmnis meinen Schritten.
+"Ihr seid hier neu und weil in dem Gebiet,"
+Begann sie nun, "das an der Menschheit Morgen
+Zu ihrer Wiege Gott, der Herr, beschied,
+Ich lächle, staunt ihr noch und seid in Sorgen.
+Doch zeigt der Psalm: Herr, du erfreutest mich--
+Euch klar das Licht, das Nebel noch verborgen.
+Du, der du vorn stehst und mich batest, sprich;
+Noch scheinst du einem Zweifel nachzuhängen,
+Drum frage nur, und ich befried’ge dich."
+"Das Wasser," sprach ich, "samt des Waldes Klängen,
+Sie müssen das, worauf ich kaum getraut,
+Da sie ihm widersprechen, hart bedrängen."
+Drum sie: "Vom Grunde des, was du geschaut,
+Und was gehört, sei Kunde dir beschieden;
+Sie scheucht den Nebel, welcher dich umgraut.
+Das höchste Gut, allein in sich zufrieden,
+Den Menschen schuf’s zum Guten gut, und wies
+Dies Land ihm an, als Pfand für ew’gen Frieden,
+Aus welchem bald ihn seine Schuld verstieß,
+Die Schuld, die süße Spiele mit Beschwerden,
+Mit Zähren ehrbar Lachen wechseln ließ.
+Damit, entqualmt dem Wasser und der Erden
+Die Dünste, die der Hitze nach, so weit
+Es möglich ist, emporgezogen werden,
+Ihn nicht befehdeten mit ihrem Streit,
+Stieg himmelwärts der Berg in solcher Weise,
+Und ist vom Tor an ganz von Dunst befreit.
+Nun, weil noch immerfort im ersten Gleise
+Der Lüfte ganzer Zirkellauf sich dreht,
+Wenn nichts ihn unterbricht in seinem Kreise,
+Trifft diesen Gipfel, der frei ragend steht,
+Die Lebensluft, die, jedes Blatt bewegend,
+Den dichten Wald mit diesem Klang durchweht.
+Die Pflanze, sich in ihrem Hauche regend,
+Beschwängert dann die Luft mit ihrer Kraft,
+Und diese streut sie aus in jede Gegend.
+Die Länder, wie ihr Boden wirkt und schafft,
+Ihr Himmelsstrich und ihre Lage, treiben
+Dann Bäume von verschiedner Eigenschaft.
+Nun wird dies fürder nicht ein Wunder bleiben,
+Wie manche Pflanzen, wo man nicht bestellt,
+Ja, ohne sichtbar’n Samen doch bekleiben.
+Und wissen sollst du, daß im heil’gen Feld,
+In dem du bist, die Samen alle sprießen,
+Und Früchte, nie gepflückt in eurer Welt.
+Den Fluß auch siehst du nicht aus Adern fließen,
+Genährt vom Dunst, den Kälte niederpreßt,
+Die bald vertrocknen, bald sich wild ergießen.
+Ihm ward ein Quell, aus welchem, stät und fest,
+Die Wässer, die dem Doppelarm entfluten,
+Die Wille Gottes neu ersetzen läßt.
+Der Arm hier hat die Kraft, daß in den Fluten
+Jedweder Schuld Erinnerung versinkt;
+Der andre dort erneuert die des Guten,
+Der hier heißt Lethe; aber dorten winkt
+Dir Eunoe--allein nur jenen letzen
+Wird seine Kraft, der aus dem erstem trinkt.
+Kein Wohlgeschmack ist seinem gleich zu schätzen;
+Und wäre schon genügend, was ich sprach,
+Vermöcht’ ich auch nichts weiter zuzusetzen,
+Doch bring’ ich gern noch einen Zusatz nach,
+Und deinen Dank vermein’ ich zu verdienen,
+Wenn ich dir mehr erfüll’, als ich versprach.
+Den alten Dichtern, glaub’ ich, wenn von ihnen
+Gepriesen ward das Glück der goldnen Zeit,
+War dieser Ort im Traumgesicht erschienen.
+Hier sproß die Menschheit ohne Schuld und Leid,
+Hier jede Frucht in ew’gem Frühlingsleben,
+Hier schmeckst du noch des Nektars Lieblichkeit."
+Und als sie noch mir solches kundgegeben,
+Kehrt’ ich mich um, und sah ein Lächeln hier,
+Bei diesem Schluß, der Dichter Mund umschweben,
+Dann aber wandt’ ich wieder mich zu ihr.
+
+
+Neunundzwanzigster Gesang
+
+In Sang, nach liebentglühter Frauen Art,
+ließ sie zuletzt der Rede Schluß verhallen:
+"Heil, wem bedeckt jedwede Sünde ward."
+Und gleichwie Nymphen, in der Waldnacht Hallen,
+Hier vor der Sonne Strahlen fliehend, dort
+Aufsuchend ihren Schimmer, einsam wallen;
+Ging sie dem Strom entgegen hin am Bord,
+Ich, folgend kleinem Schritt mit kleinem Schritte,
+Ging sie begleitend gegenüber fort.
+Kaum hundert waren mein’ und ihrer Tritte,
+Da bog mit beiden Ufern sich der Bach,
+Und ostwärts ging ich durch des Waldes Mitte.
+Nicht lange zog ich dieser Richtung nach,
+Da sah ich sich zu mir die Schöne wenden:
+"Mein Bruder, halt’ itzt Ohr und Auge wach!"
+Sie sprach’s, und gleich durchlief von allen Enden
+Ein schnell entstandner Glanz den großen Hain;
+Ich glaubt’, es möge mich ein Blitzstrahl blenden,
+Doch weil, wie kommt, so geht des Blitzes Schein
+Und dieser Glanz sich dauernd nur vermehrte,
+So dacht’ ich still bei mir: Was mag das sein?
+Und durch die Luft, die helle, lichtverklärte,
+Zog süßer Laut, und eifrig schalt ich jetzt.
+Daß Evas Frevelmut zu viel begehrte.
+Wo Erd’ und Himmel nicht sich widersetzt,
+Da fühlt’ ein Weib sich, kaum der Ripp’ entsprossen,
+Vom Schleier, der ihr Aug’ umzog, verletzt.
+O hätte sie sich fromm in ihm verschlossen,
+Hätt’ ich die überschwänglich große Lust,
+Wohl früher schon und länger dann genossen.
+Nachdem ich zweifelnd, meiner kaum bewußt,
+In diesen Erstlingswonnen fortgegangen,
+Mit Drang nach größern Freuden in der Brust,
+Da glüht’, als war’ ein Feuer aufgegangen,
+Die Luft im Laubgewölb’--es scholl ein Ton,
+Und deutlich hört’ ich bald, daß Stimmen sangen.
+Hochheil’ge Jungfrau’n, wenn ich öfter schon
+Frost, Hunger, Wachen treu für euch ertragen,
+Jetzt treibt der Anlaß mich, jetzt fordr’ ich Lohn.
+Laßt auf mich her des Pindus Wellen schlagen,
+Urania sei meine Helferin,
+Was schwer zu denken ist, im Lied zu sagen.
+Ich glaubte sieben Bäume weiterhin
+Von Gold zu schau’n, allein vom Schein betrogen
+War durch den weiten Zwischenraum mein Sinn.
+Denn als ich nun so nahe hingezogen,
+Daß sich vom Umriß, der den Sinn betört,
+Gestalt und Art durch Ferne nicht entzogen,
+Da ließ die Kraft, die den Verstand belehrt,
+Anstatt der Bäume Leuchter mich erkennen,
+Und deutlich ward Hosiannasang gehört.
+Und oben sah ich das Geräte brennen,
+Und heller ward die Flamm’ als Lunas Licht
+In Monats Mitt’ um Mitternacht zu nennen.
+Zum Führer wandt’ ich staunend mein Gesicht,
+Doch nichts vermocht’ er weiter vorzubringen,
+Als was ein tief erstauntes Antlitz spricht.
+Da blickt’ ich wieder nach den hohen Dingen,
+Die langsamer als eine junge Braut,
+Sich stillbewegend, mir entgegengingen.
+"Was bist du doch", so schalt die Schöne laut,
+"Für die lebend’gen Lichter so entglommen,
+Daß nicht auf das, was folgt, dein Auge schaut?"
+Und hinter ihnen sah ich Leute kommen,
+Wie man dem Führer folgt, weiß ihr Gewand,
+Weiß, wie man nichts auf Erden wahrgenommen.
+Das Wasser glänzte mir zur linken Hand,
+Worin, wenn ich in seinen Spiegel sähe,
+Ich meine linke Seite wiederfand.
+Als ich am rechten Platze war, so nahe,
+Daß nur der Fluß mich schied, hemmt’ ich den Schritt,
+Um besser zu erschau’n, was dort geschahe.
+Ich sah, wie jede Flamme vorwärts glitt,
+Und hinter jeder blieb ein helles Strahlen,
+Das, Pinselstrichen gleich, die Luft durchschnitt.
+So sah man sieben Streifen oben strahlen,
+Sie allesamt in jenen Farben bunt,
+Die Phöbes Gurt und Phöbus’ Bogen malen.
+Nicht ward ihr Ende meinem Auge kund,
+Doch sah ich, daß an beiden äußern Grenzen
+Zehn Schritt der erste von dem letzten stund.
+Und wie ich also sah den Himmel glänzen,
+Da zogen drunten, zwei an zwei gereiht,
+Zweimal zwölf Greise her in Lilienkränzen.
+Und alle sangen: "Sei gebenedeit
+In Adams Töchtern! Herrlich und gepriesen
+Sei deine Huld und Schön’ in Ewigkeit."
+Und als nun die beblümten frischen Wiesen,
+Die jenseits das Gestad des Bachs begrenzt,
+Die Auserwählten nach und nach verließen,
+Sah ich, wie Stern um Stern am Himmel glänzt,
+Vier Tiere dort zunächst sich offenbaren,
+Und jedes ward mit grünem Laub bekränzt
+Und war versehn mit dreien Flügelpaaren,
+Mit Augen ihre Federn ganz besetzt,
+Wie die des Argus, als er lebte, waren.
+Nicht viel der Reime, Leser, wend’ ich jetzt
+Auf ihre Form, denn sparsam muß ich bleiben,
+Da größrer Stoff mich noch in Kosten setzt.
+Laß von Ezechiel sie dir beschreiben;
+Von Norden sah er sie, so wie er spricht,
+Mit Sturm, mit Wolken und mit Feuer treiben.
+Wie ich sie fand, beschreibt sie sein Bericht,
+Nur stimmt Johannes in der Zahl der Schwingen
+Mir völlig bei und dem Propheten nicht.
+Es stellt’ im Raum sich, den die Tier’ umfingen,
+Ein Siegeswagen auf zwei Rädern dar,
+Des Seil’ an eines Greifen Hälse hingen.
+Und in die Streifen ging der Flügel Paar,
+Die hoch, den mittelsten umschließend, standen,
+So, daß kein Streif davon durchschnitten war.
+Sie hoben sich so hoch, daß sie verschwanden;
+Gold schien, soweit er Vogel, jedes Glied,
+Wie sich im andern Weiß und Rot verbanden.
+Nicht solchen Wagen zum Triumph beschied
+Rom dem Augustus, noch den Afrikanen;
+Ja, arm erschiene dem, der diesen sieht,
+Sols Wagen, der, entrückt aus seinen Bahnen,
+Verbrannt ward auf der Erde frommes Fleh’n
+Durch Zeus’ gerechten Ratschluß, wie wir ahnen,
+Man sah im Kreis drei Frau’n sich tanzend dreh’n
+Am Rande rechts, und hochrot war die eine,
+Gleich lichter Glut der Flammen anzusehn.
+Die zweite glänzte hell in grünem Scheine,
+Gleich dem Smaragden, und die dritte schien
+Wie frisch gefallner Schnee an Weiß’ und Reine.
+Die Weiße sah man bald den Reigen zieh’n,
+Die Rote dann, und nach dem Sang der letzten
+Die andern langsam gehn und eilig flieh’n.
+Links vier im Purpurkleid, die sich ergötzten,
+Und, wie die eine, mit drei Augen, sang,
+Nach ihrer Weis im Tanz die Schritte setzten.
+Nach allen diesen kam den Pfad entlang,
+Ungleich in ihrer Tracht, ein paar von Alten,
+Doch gleich an Ernst und Würd’ in Mien’ und Gang.
+Der erste war für einen Freund zu halten
+Des Hippokrat, den die Natur gemacht,
+Um ihrer Kinder liebste zu erhalten.
+Der andre schien aufs Gegenteil bedacht,
+Mit einem Schwert, und durch das scharfe, lichte,
+Ward ich diesseits des Bachs in Angst gebracht.
+Dann kamen vier daher, demüt’ge, schlichte,
+Und hinter ihnen kam ein Greis, allein
+Und schlafend, mit scharfsinnigem Gesichte.
+Die sieben schienen gleich an Tracht zu sein
+Den ersten zweimal zwölf, doch nicht umblühten
+Die Häupter Lilienkränz’ in weißem Schein,
+Rosen vielmehr und andre rote Blüten,
+Und wer vom weiten sie erblickte, schwor,
+Daß oberhalb der Brau’n sie alle glühten.
+Mir gegenüber fuhr der Wagen vor,
+Worauf ein Donnerhall mein Ohr ereilte,
+Und sich des Zugs Bewegung schnell verlor,
+Der jetzt zugleich mit seinen Fahnen weilte.
+
+
+Dreißigster Gesang
+
+Sobald der Empyre’n Gestirn des Norden,
+(Das nimmer aufgeht, noch sich wieder senkt,
+Und das durch Sünden nur umnebelt worden;
+Bei welchem jeder dort der Pflicht gedenkt,
+Zu der es leitet, wie den Kahn hienieden,
+Das, welches tiefer steht, zum Hafen lenkt),
+Stillstand, da wandten, die’s vom Greifen schieden,
+Die zweimal zwölf und vier Wahrhaften, sich
+Zum Wagen hin als wie zu ihrem Frieden.
+Und einer, der des Himmels Boten glich,
+Rief dreimal singend zu der andern Sange:
+"Komm, Braut vom Libanon, und zeige dich!"
+Wie bei des Weltgerichts Posaunenklange
+Der Sel’gen Schar, mit leichtem Leib umfahn,
+Dem Grab erstehen wird mit eil’gem Drange,
+So hoben von des heil’gen Wagens Bahn
+Wohl hundert sich bei solcher Stimme Schalle,
+Des ew’gen Lebens Diener, himmelan.
+"Heil dir, der kommt!" so klang’s im Widerhalle,
+"Streut Lilien jetzt mit vollen Händen hin!"
+Und Blumen warfen rings und oben alle.
+Schon sah ich bei des Tages Anbeginn
+Geschmückt den Osten sich mit Rosen zeigen,
+Sah klar den Himmel und die Königin
+Des Tages, sanft umschattet, höher steigen,
+So daß, da ihren Schimmer Dunst umfloß,
+Mein Blick ihn aushielt, ohne sich zu neigen.
+Hier, durch die. Blumenflut, die sie umschloß,
+Und niederstürzend um und in den Wagen,
+Sich aus der Himmelsboten Hand ergoß,
+Sah ich ein Weib in weißem Schleier ragen,
+Olivenzweig’ ihr Kranz, und ums Gewand,
+Das Feuer schien, des Mantels Grün geschlagen.
+Mein Geist, dem schon so manches Jahr entschwand,
+Seit er in ihrer Gegenwart mit Beben
+Demüt’gen Staunens bange Lust empfand,
+Fühlt’, eh das Aug’ ihm-Kunde noch gegeben,
+Durch die geheime Kraft, die ihr entquoll,
+Die alte Liebe mächtig sich erheben.
+Kaum war der hohen Kraft die Seele voll,
+Der Kraft, durch die, bevor ich noch entgangen
+Der Knabenzeit, mein wundes Herz erschwoll,
+So wandt’ ich links mich hin, mit dem Verlangen,
+Mit dem ein Kind zur Mutter läuft und Mut
+Im Schrecken sucht und Trost im Leid und Bangen,
+Um zu Virgil zu sagen: "Ach mein Blut!
+Kein Tröpflein blieb mir, das nicht bebend zücke--
+Ich kenne schon die Zeichen alter Glut."
+Doch sein beraubt ließ uns Virgil zurücke,
+Virgil, der väterliche Freund--Virgil,
+Dem sie mich übergab zu meinem Glücke.
+Was Eva einst verloren, da sie fiel,
+Nicht half es mir, die Tränen zu vermeiden,
+Wovon ein Strom die Wangen niederfiel.
+"O Dante, mag Virgil auch von dir scheiden,
+Nicht weine drum, noch jetzo weine nicht;
+Zu weinen ziemt dir über andres Leiden!"
+Und wie mit ernstgebietendem Gesicht
+Ein Admiral, der, musternd seine Scharen
+Vom hohen Bord, sie mahnt an ihre Pflicht,
+So war sie links im Wagen zu gewahren,
+Als ich nach meines Namens Klang mich bog,
+Den hier die Not mich zwang, zu offenbaren;
+Ich sah die Frau, die erst sich mir entzog,
+Als sie erschien, in jener Engelfeier,
+Wie nach mir her ihr Blick von jenseits flog.
+Doch ihr vom Haupte wallend ließ der Schleier,
+Der von Minervens Laub umkränzet ward,
+Mir ihren Anblick nur noch wenig freier.
+Stolz sprach sie nun mit königlicher Art,
+Gleich einem, der erst mild spricht, anzuschauen,
+Und sich das härtre Wort fürs Ende spart:
+"Schau’ her, Beatrix bin ich! Welch Vertrauen
+Führt dich zu diesen Höh’n? Wie? Weißt du nicht,
+Beglückte wohnen nur in diesen Auen."
+Ich sah zum Bach hinab, sah mein Gesicht,
+Sah auf die Blumen dann, die mich umgaben,
+Gedrückt die Stirn von schwerer Scham Gewicht.
+So stolz erscheint die Mutter ihrem Knaben,
+Wie sie mir schien; denn ihr mitleidig Wort
+Schien den Geschmack der Bitterkeit zu haben.
+Sie schwieg, da sang der Engel Chor sofort
+Den Psalmen: Herr, auf dich nur steht mein Hoffen,
+Bis: Stellest meine Fuß auf weiten Ort.
+Wie auf den Rücken Welschlands, welcher offen
+Den Stürmen ragt, der Schnee, im Frost gehäuft,
+Zu Eis erstarrt, vom slaw’schen Wind getroffen,
+Dann, in sich selbst versickernd, niederträuft,
+Wenn laue Wind’ aus Libyen ihn verzeihen,
+So wie, dem Feuer nah, das Wachs zerläuft;
+So war ich ohne Seufzer, ohne Zähren,
+Bevor die Engel sangen, deren Sang
+Nur Nachklang ist vom Lied der ew’gen Sphären.
+Doch als im Lied ihr Mitleid mir erklang,
+Wohl heller klang, als hätten sie gesungen:
+"Was, Herrin, machst du ihm das Herz so bang?"
+Da ward das Eis, das fest mein Herz umschlungen,
+Zu Hauch und Wasser bald und kam durch Mund
+Und Auge bang aus meiner Brust gedrungen.
+Sie, welche, wie zuvor, im Wagen stund,
+Sie wandte sich dem Engelchor entgegen,
+Und tat den heil’gen Scharen dieses kund:
+"Ihr wacht im ew’gen Tag, und nimmer mögen
+Euch einen Schritt entziehen Schlaf und Nacht,
+Den das Jahrhundert tut auf seinen Wegen.
+Drum ist die Antwort wohl für ihn bedacht,
+Der drüben weint, damit sie klar beweise,
+Daß große Schuld auch große Schmerzen macht.
+Nicht durch die Kraft allein der ew’gen Kreise,
+Die jedes Wesen zu dem Ziele lenkt,
+Das ihm sein Stern gesteckt für seine Reise,
+Durch das auch, was die Gnade Gottes schenkt,
+Sie, deren Regen solche Dünst’ umgeben,
+Daß sich kein Blick in ihre Tiefen senkt,
+War dieser einst in seinem neuen Leben
+Gar hoch begabt, um sich zur Trefflichkeit
+Durch rechte Sitte mächtig zu erheben.
+Doch wilder wird in schnöder Üppigkeit
+Jedweder schlechte Same sich entfalten,
+Je kräft’ger ist des Bodens Fruchtbarkeit.
+Wohl wußt’ ich ein’ge Zeit ihn festzuhalten,
+Indem ich ihm die jungen Augen wies;
+Da ließ er gern als Führerin mich walten.
+Doch hatt’ er, als ich kaum die Welt verließ,
+Zum bessern Sein zu gehn, sich mir entzogen,
+Indem er andern ganz sich überließ.
+Als ich vom Fleisch zum Geist emporgeflogen,
+Und höh’re Tugend, höhern Reiz empfah’n,
+Da war er minder hold mir und gewogen.
+Er wandte seinen Schritt zur falschen Bahn,
+Trugbildern folgend schnöden Wonnelebens,
+Den falschen Lockungen und leerem Wahn.
+Im Traum und Wachen rief ich ihn vergebens,
+Und Mahnung haucht’ ich ihm und Warnung ein,
+Doch blieb er taub im Leichtsinn eiteln Strebens.
+Ein Mittel könnt’ ihm nur zum Heil gedeih’n,
+So tief schon hatt’ er sich im Wahn verloren,
+Und solches war der Anblick ew’ger Pein.
+Deswegen drang ich zu der Hölle Toren
+Und habe den, der ihn herauf geführt,
+Mit Bitten und mit Tränen dort beschworen.
+Nicht wär’s, wie sich’s nach ew’gem Rat gebührt,
+Wenn er durch Lethe ging’ und sie genösse,
+Und nicht vorher, bußfertig und gerührt,
+In Reuezähren seine Schuld ergösse.
+
+
+Einunddreißigster Gesang
+
+"Du, jenseits dort am heil’gen Strom," so kehrte
+Sie jetzt der Rede Spitze gegen mich,
+Nachdem die Schneide schon mich hart versehrte,
+Fortfahrend ohne Säumen: "Sprich, o sprich,
+Ist dieses wahr? Erkennst du deine Fehle?
+Auf solche Klage ziemt die Beichte sich."
+Die Stimme regte sich, doch in der Kehle
+Erstarb das Wort; denn, statt gehoffter Huld.
+Verwirrte finstre Strenge meine Seele.
+Nur wenig hatte sie mit mir Geduld:
+"Was sinnst du? Sprich! Noch tilgten nicht die Wogen
+Der Lethe die Erinnrung deiner Schuld."
+Furcht und Verwirrung, sich vermischend, zogen
+Ein Ja! aus meinem Mund, das zwar erblickt
+Vom Auge ward, allein dem Ohr entzogen.
+Gleichwie zu scharf gespannt die Armbrust knickt,
+Und, wenn sich Sehn’ und Bogen überschlagen,
+Den Pfeil mit mindrer Kraft zum Ziele Schickt,
+So brach, zu schwach, so schwere Last zu tragen,
+Ich jetzt in Seufzer aus und Tränenflut
+Und ließ den Ton sich nicht ins Freie wagen.
+Drum sie zu mir: "In meiner Wünsche Glut,
+Die einst dich jenes Gut zu lieben führte,
+Das unserm Wunsch entrückt all andres Gut.
+Welch eine Kette war’s, die dich umschnürte,
+Das auf den Fortschritt, mit verzagtem Sinn,
+Die Hoffnung abzulegen dir gebührte.
+Und welche Fördrung, welcherlei Gewinn,
+Die lockend dir von andrer Stirne lachten?
+Was führte dich zu ihrem Wege hin?"
+Nach einem tiefen, bittern Seufzer machten
+Sich Töne mühsam frei aus meiner Brust,
+Die kaum als Wort’ hervor die Lippen brachten.
+"Die Gegenwart, mit ihrer falschen Lust,"
+So weint’ ich, "hat, als eure Blick’ entschwanden,
+Rückwärts zu wenden meinen Schritt gewußt."
+"Verschwiegst, vermeintest du, was du gestanden,"
+Sprach sie, "nicht minder wär’s dem Richter kund,
+Vor dessen Blick die Lüge nie bestanden.
+Doch wenn man sich verklagt mit eignem Mund.
+So wird hier abgestumpft das Schwert der Rache,
+Und Gnade macht des Sünders Herz gesund.
+Drum, daß dein Wahn dich mehr erröten mache,
+Und daß dein Herz zu jeder andern Zeit
+Die Lockung der Sirenen kühn verlache,
+Laß ab vom Weinen jetzt und Traurigkeit;
+Vernimm vielmehr, welch andern Weg zu wallen
+Dir ziemend war, als mich der Tod befreit.
+Nichts ließ Natur und Kunst dir je gefallen,
+Wie jenen Leib, in dem ich dort erschien,
+Des schöne Glieder jetzt in Staub zerfallen.
+Und sahest du die höchste Wonn’ entflieh’n
+Bei meinem Tod, was konnte dich besiegen?
+Welch ird’sche Lust dich fürder an sich zieh’n?
+Beim Reiz der Dinge, die das Herz betrügen,
+Bei ihrem ersten Pfeil, war’s ziemend, mir,
+Die ich mein Sein verwandelt, nachzufliegen.
+Nicht niederzieh’n sollt’ er die Schwingen dir,
+Nicht harren solltest du der andern Pfeile,
+Des Mägdleins nicht, nach andrer eitlen Zier.
+Der junge Vogel harrt in träger Weile
+Des zweiten Pfeils, doch der beschwingte flieht
+Und schützt vor Netz und Pfeilen sich durch Eile."
+Gleichwie ein Knabe schweigend niedersieht,
+Wenn Vorwurf und Bewußtsein ihn verstören,
+Und Reue sein Gesicht zur Erde zieht;
+So stand ich dort: "Betrübt dich schon das Hören,"
+Sie sprach’s, "So sei emporgewandt dein Bart;
+Das Schauen wird noch deinen Schmerz vermehren."-
+In ihrem Widerstande minder hart,
+Läßt ihrem Grund die Eiche sich entreißen,
+Wenn sie von Nordsturms Macht durchschüttelt ward,
+Als ich das Kinn erhob, da sie’s geheißen.
+Auch fühlt’ ich, da sie Bart für Antlitz sprach,
+Des Wortes Gift an meinem Herzen reißen.
+Das Antlitz hob ich zögernd und gemach,
+Und sieh, die schönen englischen Gestalten,
+Sie ließen jetzt im Blumenstreuen nach.
+Mein Blick, kaum fähig noch, ein Bild zu halten,
+Erschaute sie, dem Greifen zugewandt,
+In dem, dem einen, zwei Naturen walten.
+Sie schien, verschleiert, jenseits dort am Strand,
+Das, was sie einst war, jetzt zu überwinden,
+Wie sie vordem die andern überwand.
+Wie mußt’ ich da der Reue Schmerz empfinden!
+Wie, was mich von ihr abgewandt, die Lust
+Der eiteln Welt jetzt hassenswürdig finden!
+So nagte Selbstbewußtsein meine Brust,
+Daß ich hinsank--mit welchem innrem Beben,
+Ihr, die es mir erregt, ihr ist’s bewußt.
+Als äußre Kraft das Herz mir neu gegeben,
+Sprach über mir sie, die mir erst allein
+Erschienen war: "Mich fass, um dich zu heben!"
+Sie zog mich bis zum Hals den Fluß hinein,
+Glitt, wie ein Webschiff, ohne sich zu senken,
+Auf seiner Fläch’ und zog mich hinterdrein,
+Um mich zum sel’gen Ufer hinzulenken.
+Dort klang’s: "Entsünd’ge mich!" so süß--ich kann
+Es nicht beschreiben, ja, nicht wieder denken.
+Die schöne Frau erschloß die Arme dann,
+Umschlang mein Haupt und taucht’ es in die Wogen,
+Drob ich vom Wasser trank, das mich umrann.
+Drauf, als sie mich gebadet vorgezogen,
+Bot sie zum Tanze mich den schönen vier,
+Die hold um meinen Hals die Arme bogen.
+"Wir sind am Himmel Sterne, Nymphen hier.
+Und als zur Welt Beatrix kam, so gingen
+Als ihre Dienerinnen wir mit ihr.
+Wir werden dich ihr vor die Augen bringen;
+Dir schärfen dann, fürs holde Licht darin
+Den Blick die drei, die schauend tiefer dringen."
+Sie sangen diese Worte zum Beginn,
+Worauf sie mich zur Brust des Greifen brachten.
+Dort wandte sie nach uns das Antlitz hin.
+Sie sprachen dann: "Hier darfst du frei betrachten,
+Wir stellten dich vor der Smaragden Licht,
+Woraus dich wund der Liebe Pfeile machten."
+Mir weckt’ ein glühend Sehnen ihr Gesicht
+Und band an ihrer Augen Glanz die meinen;
+Die ihren wichen vor dem Greifen nicht.
+Und drinnen sah ich den zwiefachen Einen,
+Gleichwie die Sonn’ im Spiegel, schimmernd klar,
+Als diesen bald, als jenen bald erscheinen.
+Nun denke, Leser, selbst, wie wunderbar,
+Das Abbild, sich verwandelnd, zu erblicken,
+Obwohl das Urbild stets dasselbe war.
+Indes die Seel’ in Staunen und Entzücken
+Die Speise kostete, die größern Drang
+Nach sich erweckt, je mehr wir uns erquicken,
+Da sah ich jene drei vom höchsten Rang,
+Dies zeigte die Gebärd’, uns nahe kommen,
+Den Engeltanz begleitend mit Gesang.
+"Beatrix, laß den Blick, den heil’gen, frommen,"
+So sangen sie, "auf deinen Treuen sehn,
+Der dich zu schau’n so hoch emporgeklommen.
+Enthüll’ aus Gnad’ ihm deinen Mund, wir fleh’nl
+Die zweite Schönheit, die du noch verborgen,
+O laß sie auf vor seinen Augen gehen!"
+O Glanz lebend’gen Lichts! o ew’ger Morgen!
+Wer trank so tief aus des Parnassus Flut,
+Wer ward so bleich in seinen Müh’n und Sorgen,
+Daß er vermag, mit freiem, kühnem Mut
+Sich deiner Schilderung zu unterfangen,
+Wenn du bei Himmelsharmonien in Glut
+Den unbewölkten Lüften aufgegangen?
+
+
+Zweiunddreißigster Gesang
+
+Den zehenjähr’gen Durst zu löschen, hingen
+An ihrem Reiz die Augen, so voll Gier,
+Daß mir die andern Sinne ganz vergingen.
+Seitwärts baut’ eine Mauer dort und hier
+Nichtachtung auf, denn mit dem Netz, dem alten,
+Zog mich ihr heil’ges Lächeln hin zu ihr.
+Da wandten mir die himmlischen Gestalten
+Mit Macht nach meiner Linken das Gesicht,
+Mit diesem Ruf: Im Schauen Maß gehalten!
+Nun stand ich dort wie einer, den das Licht
+Der Sonne mit dem Flammenpfeil geblendet,
+Und dem zunächst die Sehkraft ganz gebricht.’
+Doch als das wen’ge sie mir neu gespendet--
+Nach jenem vielen wenig und gering,
+Von dem ich mit Gewalt mich abgewendet--
+Da sah ich, das ruhmvolle Kriegsheer fing
+Sich rechts zu kehren an, indem’s den Lichten,
+Den sieben, nach, der Sonn’ entgegenging.
+Wie, wenn die Scharen auf den Sieg verzichten,
+Sie unterm Schild sich mit der Fahne dreh’n,
+Eh’ sie, geschwenkt, sich ganz zum Rückzug richten,
+So war die Schar des Himmelreichs zu sehn,
+Und eh’ sich um des Wagens Deichsel legte,
+Sah man den Zug vor’ und vorübergehn.
+Die sieben Frauen rechts und links, bewegte
+Der Greif die heil’ge Last mit stiller Macht,
+So daß an ihm sich keine Feder regte.
+Ich, Statius, sie, die mich zum Furt gebracht,
+Wir leiteten dem Rade nach die Schritte,
+Das, umgeschwenkt, den kleinern Bogen macht.
+So ging es durch des hohen Waldes Mitte,
+Öd’, weil der Schlang’ einst Eva Glauben gab,
+Und Engelsang gab Maß für unsre Tritte.
+Dreimal so weit nur, als ein Pfeil herab
+Vom Bogen fliegt, war nun der Zug gekommen,
+Und Beatrice stieg vom Wagen ab.
+"Adam!" so ward ein Murmeln rings vernommen,
+Und einen Baum, von Laub und Blüten leer,
+Umringt’ im Kreise nun die Schar der Frommen.
+Sein Haar verbreitet sich so mehr, je mehr
+Er aufwärts steigt, hoch, daß er selbst den Indern
+Durch seine Höhe zum Erstaunen war’.
+"Heil dir, o Greif, mit deinem Schnabel plündern
+Willst du nicht diesen Baum, der Süßes zwar
+Dem Gaumen gibt, doch Marter dann den Sündern."
+So rief rings um den starken Baum die Schar.
+Und er, in dem sich Leu und Aar verbunden:
+"So nimmt man jedes Rechtes Samen wahr."
+Die Deichsel, wo ich ziehend ihn gefunden,
+Schob er zum öden Stamm und ließ am Baum,
+Aus ihm entnommen, sie an ihn gebunden.
+Wie unsre Pflanzen, wenn zum Meeressaum
+Das große Licht sich senkt, von dem umschlossen,
+Das nach den Fischen glänzt am Himmelsraum,
+Sich üppig bläh’n zu neuen jungen Sprossen,
+Jede gefärbt nach der Natur Gebot, .
+Eh’ Sol den Stier erreicht mit seinen Rossen;
+So, mehr als Veilchen zwar, doch minder rot
+Als Rosenglut, erneute sich die Pflanze,
+Die erst verwaist erschien und kahl und tot.
+Und wie sie nun erblüht’ im neuen Glanze,
+Ertönt’ ein nie gehörter Lobgesang,
+Doch nicht ertrug mein müder Sinn das Ganze.
+Könnt’ ich euch malen, wie mit süßem Klang
+Von Pan und Syrinx einst Merkur den Späher,
+Den unbarmherz’gen, zum Entschlummern zwang,
+So zeigt’ ich, wie nach einem Urbild, eher,
+Wie jener Sang in Schlummer mich gebracht,
+Doch das Entschlummern sing ein bessrer Seher.
+Ich springe bis zur Zeit, da ich erwacht,
+Da mir ein Glanz zerriß den dunkeln Schleier,
+Und eine Stimme rief: Steh auf, hab’ acht!
+Wie zu der Blut’ des Baums, des Apfel teuer
+Den Engeln sind, den nichts erschöpfen kann,
+Der Speise gibt zur ew’gen Hochzeitsfeier,
+Geführt, Jakobus, Petrus und Johann
+Aus ihrer Ohnmacht bei dem Wort erstanden,
+Bei dessen Klang wohl tiefrer Schlaf entrann,
+Und nun vermindert ihre Schule fanden.
+Denn Moses und Elias waren fort,
+Und ihren Herrn in anderen Gewanden;
+So ich--und über mich gebogen dort
+Stand jetzt die Schöne, wie um mein zu hüten,
+Die mich geführt entlang des Flusses Bord.
+"Wo ist Beatrix?" rief ich, und mir glühten
+Vor Angst die Wangen. "Auf der Wurzel", sprach
+Die Schöne, "sitzt sie unter neuen Blüten.
+Sieh hin, wer sie umgibt. Dem Greifen nach
+Entfloh’n empor die anderen, mit Sange,
+Der süßer, tiefer klang, als dort am Bach.
+Ob sie noch mehr gesprochen und wie lange,
+Nicht weiß ich es, denn mir im Auge stand
+Sie, die mein Ohr versperrte jedem Klange.
+Sie saß allein auf jenem reinen Land,
+Wie’s schien, zur Hut des Wagens dort gelassen,
+Den an den Baum der Zweigestalt’ge band.
+Die sieben Nymphen sah ich sie umfassen,
+Im Kreis, die Lichter haltend, die vom Zwist
+Des Nord- und Südwinds nie sich löschen lassen.
+"Als Fremdling weilst du dort nur kurze Frist
+Und wirst mit mir als ew’ger Bürger bleiben
+In jenem Rom, wo Christus Römer ist.
+Zum Heil der Welt mit ihrem bösen Treiben
+Schau’ auf den Wagen, um, was du gesehn,
+Zurückgekehrt, den Menschen zu beschreiben."
+Beatrix sprach’s--wie könnt’ ich widerstehn?
+Ganz so, wie’s der Gebieterin gefallen,
+Ließ ich voll Demut Geist und Auge gehn.
+Nicht sah man je so schnell aus Himmels Hallen.
+Aus dichter Wölk’, ein flammendes Geschoß,
+Den Blitz aus fernster Höhe niederfallen,
+Als auf den Baum Zeus’ Vogel niederschoß,
+Nicht wühlend bloß in Blüten und in Blättern,
+Die Rind’ auch brechend, die sein Mark umschloß.
+Dann sah man ihn zum Wagen niederschmettern,
+Der bei dem Stoße rechts und links sich bog,
+Gleich einem Schiff im Kampf mit wilden Wettern.
+Dann war ein Fuchs, der jähen Sprunges flog,
+Ins Innre selbst des Wagens eingebrochen,
+Wohin ihn Gier nach beßrer Speise zog.
+Doch mit dem Vorwurf des, was er verbrochen,
+Trieb meine Herrin ihn so eilig fort,
+Als laufen konnten seine magern Knochen.
+Und nochmals stürzte von dem hohen Ort,
+Wie schon vorhin, der Adler in den Wagen,
+Und ließ ihm viel von seinen Federn dort.
+Und wie aus banger Brust der Laut der Klagen,
+Klang aus dem Himmel eine Stimm’ und sprach:
+"Mein Schifflein, schlechte Ladung mußt du tragen!"
+Und unten, zwischen beiden Rädern, brach
+Der Erde Grund, ausspeiend einen Drachen,
+Der nach dem Wagen mit dem Schwanze stach.
+Dann zog er ihn zurück, wie’s Wespen machen,
+Nahm einen Teil des Bodens mit und schien,
+Von dannen eilend, des Gewinns zu lachen.
+Der Rest des Wagens blieb, doch sah man ihn
+Mit Federn, die wohl reiner Sinn gespendet,
+Wie üppig Land mit Gras, sich überzieh’n.
+Und dieses Werk war so geschwind vollendet,
+Und voll die Deichsel und das Räderpaar,
+Bevor die Brust ein Oh! und Ach! beendet.
+Und Häupter trieb, als er verwandelt war,
+Der Wagen vor, an den vier Ecken viere,
+Drei aber nahm man auf der Deichsel wahr,
+Die letzten drei gehörnt wie die der Stiere,
+Die ersten vier mit einem Horn versehn;
+So glich er nie geschautem Wundertiere.
+Und sicher, wie auf Bergen Schlösser stehn,
+Saß eine zügellose Hure drinnen
+Und ließ umher die flinken Augen späh’n.
+Und, gleich, als solle sie ihm nicht entrinnen,
+Stand ihr zur Seit’ ein Ries’, und diese zwei
+Sah ich sich küssen und sich zärtlich minnen.
+Allein, weil sie die Augen gierig frei
+Auf mich gewandt, schlug sie der wilde Freier
+Vom Kopf zum Fuß mit wütendem Geschrei.
+Drauf löst’ er ab vom Baum das Ungeheuer,
+Von Argwohn voll und wildem Zorn und Arg,
+Und zog es durch den Wald, des dichter Schleier
+Die Hure samt dem Wundertier verbarg.
+
+
+Dreiunddreißigster Gesang
+
+Herr, eingefallen sind die Heiden! fingen,
+Abwechselnd drei und vier, mit süßem Klang,
+Doch tränenvoll, die Frauen an zu singen.
+Beatrix horchte schweigend dem Gesang,
+Verwandelt wie Maria, die mit Grauen
+Des Mutterschmerzes unterm Kreuze rang.
+Doch als nun ihrem Wort die andern Frauen
+Erst Raum gegeben, sah ich sie erstehn,
+G’rad’, aufrecht, gleich dem Feuer anzuschauen.
+" Über ein kleines sollt ihr nicht mich sehn,
+Und wiederum, ihr Schwestern, meine Lieben,
+Über ein kleines werdet ihr mich sehn."
+Sie sprach’s und stellte vor sich alle sieben,
+Und hinter sich, durch ihren Wink allein,
+Die Frau, mich und den Weisen, der geblieben.
+Sie ging, doch mochten’s kaum zehn Schritte sein,
+Die sie gegangen und uns gehen lassen,
+Da blitzt’ ins Auge mir des ihren Schein.
+"Geh itzt geschwinder," sagte sie gelassen,
+"Komm näher her, daß, red’ ich nun mit dir,
+Du wohl vermögend seist, mein Wort zu fassen."
+Kaum war ich, wie ich sollte, nah bei ihr,
+Da sprach sie: "Bruder, bist mir nah gekommen,
+Doch zu erfragen wagst du nichts von mir?"
+Wie wenn von zuviel Ehrfurcht schwer beklommen
+Mit seiner Obrigkeit ein niedrer Mann
+Halblaut und stockend spricht und kaum vernommen,
+So sprach ich jetzt, da ich zu ihr begann:
+"O Herrin, Ihr erkennt ja mein Verlangen,
+Und was ich brauch’, und was mir frommen kann."
+Und sie: "Mach’ itzt dich los von Scham und Bangen,
+Ich will’s, und rede sicher nun und klar,
+Und nicht wie einer, der im Traum befangen.
+Der Wagen, den die Schlange brach, er war,
+Doch wer dies zu verschulden sich nicht scheute,
+Er fürchte Gottes Rach’ auf immerdar!
+Nicht immer sonder Erben wird, wie heute
+Der Adler sein, der ihm die Federn ließ,
+Drob er erst Ungeheuer ward, dann Beute.
+Schon nahen Sterne sich--wie ich’s gewiß
+Im Geist erkannt, so sei es ausgesprochen--
+Da kommt, von Schranke frei und Hindernis,
+Fünfhundert fünf und zehn hervorgebrochen,
+Ein Gottgesandter, der die Dirn’ erschlägt
+Zusamt dem Riesen, der mit ihr verbrochen.
+Und hab’ ich jetzt dir Worte vorgelegt,
+Wie Sphinx und Themis, schwierig zu erraten,
+Daher dein Geist im Dunkel Zweifel hegt,
+So lösen bald dies Rätsel dir die Taten
+Statt der Najaden auf, und unbedroht
+Verbleiben drob die Herden und die Saaten.
+Merk’, was ich sagt’, und höre mein Gebot:
+Du sollst es dort den Lebenden erzählen,
+Im Leben, das ein Rennen ist zum Tod.
+Nicht sollst du, wenn du dorten schreibst, verhehlen,
+Wie du den Baum gesehn. Erinnre dich:
+Du sahst zu zweien Malen ihn bestehlen.
+Wer diesen Baum bestiehlt und freventlich
+Verletzt, kränkt Gott mit tät’gen Lästerungen,
+Denn er schuf heilig nur den Baum für sich.
+Für solchen Raub hat qualenvoll gerungen
+Fünftausend Jahr und mehr der erste Geist
+Nach ihm, des Tod des Bisses Fluch bezwungen.
+Wohl schlummert dein Verstand, wenn du nicht weißt,
+So hoch sei jener Baum aus tiefen Gründen,
+Wenn dir des Gipfels Bau dies nicht beweist.
+Und hätte nicht, wie Elsas Flut, mit Rinden
+Von Stein dein Grübeln die Vernunft bedeckt,
+Und war’ ihr Licht dir nicht getrübt von Sünden,
+So hättest du, was das Verbot bezweckt,
+Und wie darin der Herr gerecht erscheine,
+Am Baum durch solche Zeichen leicht entdeckt.
+Doch weil dein Geist verhärtet ist zum Steine,
+Befleckt von Schuld, verworren und berückt
+Und blöde bei der Wahrheit hellem Scheine,
+So nimm, zwar nicht als Wort, doch ausgedrückt
+Als Bild, in dir die Rede mit von hinnen,
+Wie man den Pilgerstab mit Palmen schmückt."
+Und ich: "So fest, als nur im Wachse drinnen
+Das Bild sich hält, das drein das Siegel gräbt,
+Trag’ ich, was ihr gezeichnet habt, hier innen.
+Doch was, wenn sich so hoch mein Blick nicht hebt,
+Fliegt eu’r ersehntes Wort in solche Sphären,
+Daß er es mehr verliert, je mehr er strebt."
+"Auf, daß du wissest, welcher Schule Lehren",
+So sprach sie, "du gefolgt, und sehst, wie weit
+Sie meinem Wort zu folgen sich bewähren;
+Und wie ihr fern mit eurem Wege seid
+Von Gottes Weg, so fern, wie von der Erden
+Des höchsten Himmels Glanz und Herrlichkeit."
+Und ich: "Nicht will’s mir klar im Geiste werden,
+Daß ich mich je entfernt von eurer Spur;
+Nicht fühl’ ich im Gewissen drob Beschwerden."
+"Entsinnst du dessen dich nicht mehr?" so fuhr
+Sie lächelnd fort; "doch von der Lethe Fluten
+Trankst du noch heute, des gedenke nur.
+Und, wie man richtig schließt vom Rauch auf Gluten,
+So siehest du durch dies Vergessen klar,
+Daß du dich abgewandt vom wahren Guten.
+Jetzt wahrlich stellt, von jeder Hülle bar,
+Soviel, im engsten Kreise sich bewegend,
+Dein Blick es fassen kann, mein Wort sich dar."
+Und flammender, sich trägem Schrittes regend,
+Betrat jetzt Sol des Meridians Gebiet,
+Das stets ein andres ist in andrer Gegend.
+Da standen still, wie, wer als Führer zieht
+Vor einer Schar, sich schickt zum Stillestande,
+Wenn er auf seinem Wege Neues sieht,
+Die sieben Frau’n an dichten Schattens Rande.
+Wie grünbelaubt schwarzästig Waldgeheg
+Auf kalte Flüss’ ihn fließt im Alpenlande.
+Euphrat und Tigris schien vor ihrem Weg
+Sich aus derselben Quelle zu ergießen,
+Sich dann, wie Freunde, trennend, still und träg.
+"O Licht, der Menschheit Ruhm, welch Wasser sprießen
+Seh’ ich aus einem Ursprung hier und dann
+Sich von sich selbst entfernend weiterfließen?"
+Auf diese Bitte hob Beatrix an:
+"Mathilden bitt’,"--und diese sprach dagegen,
+Wie wer vom Vorwurf leicht sich lösen kann:
+"Dies und noch anderes ihm auszulegen,
+Versäumt’ ich nicht, was, des bin ich gewiß,
+Der Lethe Wässer nicht zu tilgen pflegen."
+Beatrix drauf: "Die größre Sorg’ entriß,
+Wie’s oft geschieht, dies seinem Angedenken
+Und ließ sein geistig Aug’ in Finsternis.
+Doch Eunoe sieh--eil’, ihn dahin zu lenken,
+Und, wie du immer pflegst, ihm durch die Flut
+Mit Leben die erstorbne Kraft zu tränken."
+Wie ohn’ Entschuldigung, wer, mild und gut,
+Als eignen Willen fremden aufgenommen,
+Der sich durch Wink und Wort ihm zeigte, tut,
+So ging, nachdem sie mich am Arm genommen,
+Die schöne Frau und sagte weiblich mild
+Zu Statius: "Auch du sollst mit ihm kommen."
+Hätt’ ich, o Leser, Raum zu größerm Bild,
+So würd’ ich dir zum Teil die Wonnen singen
+Des Tranks, der Durst erregt, wenn er ihn stillt.
+Doch läßt sich nichts mehr auf die Blätter bringen,
+Die ich zu diesem zweiten Lied erkor,
+Drum hemmt der Zaum der Kunst mein Weiterdringen.
+Ich ging aus jener heil’gen Flut hervor,
+Wie neu erzeugt, von Leid und Schwäche ferne,
+Gleich neuer Pflanz’ in neuen Lenzes Flor,
+Rein und bereit zum Flug ins Land der Sterne.
+
+
+
+
+Das Paradies
+
+
+Erster Gesang
+
+Der Ruhm des, der bewegt das große Ganze,
+Durchdringt das All, und diesem Teil gewährt
+Er minder, jenem mehr von seinem Glanze.
+Im Himmel, den sein hellstes Licht verklärt,--
+War ich und sah, was wiederzuerzählen
+Der nicht vermag, der von dort oben kehrt.
+Denn, nah’n dem Ziel des Sehnens unsre Seelen,
+Das unsern Geist zur tiefsten Tiefe zieht,
+Dann muß der Rückweg dem Gedächtnis fehlen.
+Doch alles, was im heiligen Gebiet
+Nur einzusammeln war von sel’ger Schöne,
+Der edle Schatz, sei Stoff jetzt meinem Lied.
+Apollo, Güt’ger, leih mir deine Töne
+Zum letzten Werk--mach’ ein Gefäß aus mir,
+Wert, daß es dein geliebter Lorbeer kröne.
+Mir g’nügt’ ein Gipfel des Parnaß bis hier,
+Doch, soll der Rennbahn Ziel der Sieger grüßen,
+So fleh’ ich jetzt um beid’ empor zu dir.
+Den Odem hauch’ in mich, den reinen, süßen,
+Daß du hier stark, wie bei dem Wettkampf, seist,
+Den Marsyas kämpft’, um frevlen Stolz zu büßen.
+O Götterkraft, wenn du dich jetzt mir leihst,
+Den Nachschein von des sel’gen Reiches Glanze
+Zu malen aus dem Bild in meinem Geist,
+Dann siehest du mich nah’n der teuren Pflanze
+Und, durch den Stoff und dich des wert, geschmückt
+Und reichgekrönt mein Haupt mit ihrem Kranze.
+Wenn man ihr Laub, o Vater, selten pflückt,
+Um Cäsars und des Dichters Sieg zu ehren,
+Weil Schuld und Schmach den Willen niederdrückt,
+Muß Freud’ es wohl dem freud’gen Gott gewähren,
+Den Delphos preist, kehrt nun mit kühnem Mut
+Nach Daphnes Laub ein Herz all sein Begehren.
+Und weckt ein kleiner Funk’ oft große Glut,
+So fleht nach mir zu höherer Verkündung
+Ein andrer wohl um deine Hilf und Hut.--
+Den Sterblichen entsteigt aus mancher Mündung
+Das Licht der Welt; allein in einer sind
+Vier Kreise mit drei Kreuzen in Verbindung,
+Wo’s bessern Lauf mit besserm Stern beginnt,
+So daß der Erde Wachs in diesem Zeichen
+Von ihm ein schöneres Gepräg gewinnt.
+In ihm hieß Sol den Tag bei uns erbleichen
+Und dort entglüh’n; und auf dem Halbkreis hier
+Die schwarze Nacht sich nah’n und dort entweichen.
+Und links gewandt erschien Beatrix mir,
+Und wie kein Aar je fest und ungeblendet
+Zur Sonne sah, so blickte sie zu ihr.
+Und wie der erste Strahl den zweiten sendet,
+Der, ihm entflammt, hell auf- und rückwärts blitzt,
+Dem Pilgrim gleich, der sich zur Heimat wendet,
+So macht’ ihr Blick, der durch die Augen itzt
+Mein Innres traf, zur Sonn’ auch meinen steigen,
+Mit größrer Kraft, als onst der Mensch besitzt.
+Viel darf man dort, was hier zu übersteigen
+Die Kraft pflegt, die uns nimmer dort gebricht,
+Am Ort, den Gott schuf als der Menschheit eigen.
+Nicht lang’ ertrug ich’s, doch so wenig nicht,
+Um nicht zu sehn, daß, wie dem Feu’r entnommen,
+Das Eisen sprüht, sie sprüht’ in Glut und Licht.
+Und plötzlich schien ein Tag zum Tag zu kommen,
+Als sei durch den, der’s kann, am Himmelsrand
+Noch eine zweite neue Sonn’ entglommen.
+Fest schauend nach den ew’gen Kreisen, stand
+Beatrix dort, und ihr ins glanzerhellte
+Gesicht sah ich, von oben abgewandt,
+Und fühlte, da mir Lust das Innre schwellte,
+Was Glaukus fühlt’, als er das Kraut geschmeckt,
+Das ihn im Meer den Göttern zugesellte.
+Verzückung fühlt’ ich. Was sie sei, entdeckt
+Die Sprache nicht, mag’s drum dies Beispiel Iehren,
+Wenn je in euch die Gnade sie erweckt.
+Ob ich nur Seele war?--Du magst’s erklären,
+O Liebe, Himmelslenkerin, die mich
+Mit ihrem Licht erhob zu jenen Sphären.
+Als nun der Kreis, der durch dich ewiglich
+In Sehnsucht rollt, mein Aug’ an sich gezogen
+Mit Harmonien, verteilt, gemischt durch dich,
+Durchflammte Sonnenglut des Himmels Bogen
+So weit hin, wie von Strom und Regenflut
+Kein See noch je erstreckt die breiten Wogen.
+Des Klanges Neuheit und die lichte Glut,
+Sie machten, daß ich vor Begierde brannte,
+Wie nimmer sie erweckt ein andres Gut;
+Drob sie, die mich, wie ich mich selbst, erkannte,
+Mir zu befried’gen den erregten Geist,
+Noch eh’ ich fragte, schon sich zu mir wandte
+Und sprach: "Ein Wahn ist Schuld, daß du nicht weißt,
+Was du sogleich erkennen wirst und sehen,
+Sobald du dich von seinem Trug befreist.
+Du glaubst noch auf der Erde fest zu stehen,
+Doch flieht kein Blitz aus seinem Vaterland
+So schnell, wie du jetzt eilst, hinaufzugehen."
+Kaum daß der erste Zweifel mir verschwand,
+Durchs kurze Wort und ihres Lächelns Frieden,
+Als wieder schon ein neuer mich umwand.
+Ich sprach: "Vom Staunen ruht’ ich schon zufrieden;
+Doch steig’ ich jetzt durch leichte Stoff’ empor,
+Drum ist dazu mir neuer Grund beschieden."
+Ein Seufzer weht’ aus ihrem Mund hervor,
+Dann sah sie hin auf mich, wie auf den Knaben
+Die Mutter blickt, die sagen will: Du Tor!
+"Die Dinge sämtlich", so begann sie, "haben
+Unter sich Ordnung, und das All ist nur
+Durch diese Form gottähnlich und erhaben.
+Die höhern Wesen sehn in ihr die Spur
+Der Kraft, der ew’gen, die zum Ziel gegeben
+Vom Schöpfer ward der Ordnung der Natur.
+Nach ihr nun sehn wir alle Wesen streben,
+Ob hoch ihr Los, ob niedrig sei; ob mehr,
+Ob minder nah sie ihrem Ursprung leben.
+Sie treiben durch des Seins unendlich Meer,
+Geleitet vom Instinkt, den Gott als Steuer
+Jedwedem gab, auf mancher Bahn daher.
+Er trägt zum Mond empor das rege Feuer,
+Er ist’s, der rund den Bau der Erde drückt,
+Er ist der Herzschläg’ Ordner und Erneurer.
+Nicht nur auf Wesen, die vernunftlos, zückt
+Er, wie ein Bogen, seine sichern Pfeile,
+Auf die auch, die Vernunft und Liebe schmückt.
+Die Vorsicht, die zum Ganzen eint die Teile,
+Die durch ihr Licht des Himmels Ruh’ erhält,
+In dem der Kreis sich dreht von größter Eile,
+Läßt zum bestimmten Platz in jener Welt
+Uns jetzo durch die Kraft der Sehne bringen,
+Die, was sie treibt, nach heiterm Ziele schnellt.
+Wahr ist’s, daß, wie oft Formen nicht gelingen,
+Wie sie in sich des Künstlers Geist empfah’n,
+Wenn spröde mit der Kunst die Stoffe ringen,-
+So das Geschöpf oft weicht von seiner Bahn,
+Denn ihm ist von Natur die Kraft verliehen,
+Trotz jener Kraft, sich anderm Ziel zu nah’n,
+Wenn erdenwärts es falsche Reize ziehen;
+Wie aus der Wolke, wenn das Wetter grollt,
+Zum Boden hin des Feuers Strahlen fliehen.
+Nun staunst du, war ich klar, wie ich gewollt,
+So wenig drob, daß du emporgestiegen,
+Als daß der Bach vom Berg zur Tiefe rollt.
+Bliebst du, von Hemmnis frei, am Boden liegen,
+Erstaunenswerter wär’s, als sähest du
+Träg an den Grund sich lebend Feuer schmiegen."
+Hier wandt’ ihr Antlitz sich dem Himmel zu.
+
+
+Zweiter Gesang
+
+O ihr, die ihr, von Hörbegier verleitet,
+Des Nachens Fahrt nach meinem Schiff gewandt,
+Das mit Gesange durch die Fluten gleitet,
+Kehrt wieder heim zu dem verlaßnen Strand,
+Schifft nicht ins Meer, denn, die mir folgen, wären
+Vielleicht verirrt, wenn meine Spur verschwand.
+Ich steure hin zu nie befahrnen Meeren;
+Minerva haucht, Apoll ist mein Geleit,
+Neun Musen zeigen mir am Pol die Bären.
+Ihr andern wen’gen, die zur rechten Zeit
+Ihr euch geneigt zum Engelsbrot, das Leben
+Hienieden uns nie Sättigung verleiht,
+Ihr könnt euch kühn aufs hohe Meer begeben,
+Wenn ihr daher auf meiner Furche fahrt,
+Eh’ wieder gleich das Wasser wird und eben.
+Anstaunen sollt ihr, was ihr bald gewahrt,
+Mehr als die Helden, die nach Kolchis zogen,
+Anstaunten, daß zum Pflüger Jason ward.
+So schnell fast, als des Himmels Kreise, flogen
+- Wir fort, zum Reich, dem Gott die Form verlieh,
+Vom angebornen, ew’gen Durst gezogen.
+Beatrix blickt’ empor und ich auf sie,
+Doch kaum so lang, als sich ein Pfeil zu schwingen
+Vom Bogen pflegt und fliegt und ruht--da sieh
+Mich dort, wo mir der Blick von Wunderdingen
+Gefesselt ward, schon angelangt mit ihr;
+Und sie, gewohnt, mein Innres zu durchdringen,
+Sie wandte sich so froh, wie schön, zu mir:
+"Auf, bring’ itzt Gott des Dankes Huldigungen!
+Wir sind durch ihn im ersten Sterne hier."
+Mir schien’s, als hielt’ uns eine Wolk’ umschlungen,
+Von Glanz durchstrahlt, dicht, ungetrennt und rein,
+Wie Diamant, vom Sonnenstrahl durchdrungen.
+Die ew’ge Perle nahm uns also ein,
+Gleichwie das Wasser, ohne sich zu trennen,
+In sich aufnimmt des Strahles goldnen Schein.
+Wenn ich nun Leib war, und wir nicht erkennen,
+Wie sich in einem Raum ein zweiter fand,
+So, daß im Körper Körper tauchen können,
+Was sind wir drum nicht mehr vom Trieb entbrannt,
+Das Ursein zu erschau’n, in dem wir schauen,
+Wie unserer Natur sich Gott verband.
+Dort wird uns das, worauf wir gläubig bauen,
+Nicht durch Beweis, nein, durch sich selber klar,
+Der ersten Wahrheit gleich, auf die wir trauen.
+"Ihm, Herrin," sprach ich, "der mich wunderbar
+Der Erd’ entrückt, ihm bring’ ich jetzt, entglommen
+Von frommer Glut, des Dankes Opfer dar.
+Doch sprecht, woher die dunkeln Flecken kommen
+Auf dieses Körpers Scheib’, aus welchen man
+Zur Kainsfabel dort den Stoff entnommen."
+Sie lächelt’ erst ein wenig und begann:
+"Irrt sich des Menschen Geist in solchen Dingen,
+Die nicht der Sinne Schlüssel öffnen kann,
+So solltest du dein Staunen jetzt bezwingen,
+Erkennend, daß, den Sinnen nach, nicht weit
+Sich die Vernunft erhebt mit ihren Schwingen.
+Allein was meinst du selbst? Gib mir Bescheid!"
+Und ich: "Von dünnern oder dichtern Stellen
+Kommt, wie mir scheint, des Lichts Verschiedenheit."
+Drauf sie: "Du wirst bald selbst das Urteil fällen,
+Daß falsch die Meinung sei, drum gib wohl acht,
+Was ich für Gründ’ ihr werd’ entgegenstellen.
+Der achte Kreis zeigt vieler Sterne Pracht,
+An Groß’ und Eigenschaften sehr verschieden,
+Wie ihr verschiednes Ansehn kenntlich macht.
+War’ dies durch Dünn’ und Dichtigkeit entschieden,
+So gäb’s in allen ja nur eine Kraft,
+Dem mehr, dem minder, jenen gleich beschieden.
+Doch der verschiedne Bildungsgrund erschafft
+Verschiedne Kräft’, und alle diese schwanden,
+Nach deinem Satz, vor einer Eigenschaft.
+Dann, wenn die Flecken durch die Dünn’ entständen,
+So denke, daß entweder hier und dort
+Sich durch und durch stoffarme Stellen fänden;
+Oder, gleichwie im Leib an manchem Ort
+Die Fettigkeit das Magre deckt, so gingen
+Die Schichten durch den Mond abwechselnd fort.
+Das Erste würd’ ans Licht die Sonne bringen,
+Wenn sie verfinstert ist--es ward’ ihr Schein
+Dann wie durch andre dünne Stoffs dringen.
+Doch dies ist nicht, drum bleibt das Zweit’ allein,
+Und wenn wir widerlegt auch dieses sehen,
+Dann wird dein Satz als falsch erwiesen sein.
+Kann durch und durch der dünne Stoff nicht gehen,
+So muß wohl eine Grenze sein, und hier
+Der dichte Stoff den Strahlen widerstehen.
+Zurücke blitzt sodann der Strahl von ihr--
+So wirft das Glas, auf seiner hintern Seite
+Mit Blei belegt, zurück dein Bildnis dir--
+Nun sagst du wohl, daß, weil aus größrer Weite
+Der Strahl sodann auf dich zurückeprallt,
+Er deshalb auch geringres Licht verbreite.
+Doch diesen Einwurf widerlegt dir bald
+Erfahrung, der, als seiner ersten Quelle,
+Jedweder Strom der Wissenschaft entwallt.
+Drei Spiegel nimm und zwei von diesen stelle
+Gleich weit von dir--dem dritten gib sodann
+Entfernter zwischen beiden seine Stelle.
+Kehrst du dich ihnen zu, so stelle man
+Drauf hinter dich ein Licht, das sich in allen
+Zum Widerstrahl des Schimmers spiegeln kann.
+Ins Auge wird der fernre kleiner fallen,
+Doch wird auf dich von ihnen allzumal
+Ein gleich lebendig Licht zurückeprallen.
+Jetzt aber, wie beim warmen Sonnenstrahl
+Des Schnees Massen in sich selbst zergehen,
+Und Farb’ und Frost zerrinnt im lauen Tal,
+So soll’s dem Wahn in deinem Geist geschehen,
+Und durch mein Wort sollst du lebend’ge Glut
+Vor deinem Blick in regem Schimmer sehen.
+Im Himmel, wo der Frieden Gottes ruht,
+Dreht sich ein Kreis, in dessen Kraft und Walten
+Das Sein all des, was er enthält, beruht.
+Der nächste Himmel, reich an Lichtgestalten,
+Verteilt dies Sein verschiednen Körpern drauf,
+Von ihm gesondert, doch in ihm enthalten.
+Aus ändern Kreisen von verschiednem Lauf
+Nimmt die verschiedne Kraft, in ihnen lebend,
+Dann jeder Stern nach seinen Zwecken auf.
+So siehst du diese Weltorgane schwebend,
+In sich im Kreis bewegt von Grad zu Grad,
+Von oben nehmend und nach unten gebend.
+Betrachte wohl den Weg, den ich betrat,
+Auf dem ich dir erwünschte Wahrheit weise,
+Dann findest du wohl künftig selbst den Pfad.
+Kraft und Bewegung nehmen jene Kreise
+Von Lenkern an, die ew’ges Heil beglückt,
+Wie Stein sich formt nach seines Künstlers Weise.
+Den Himmel, den die Schar der Sterne schmückt,
+Wird von dem Geist, durch den sie rollend Schweben,
+Gepräg’ und Bildnis mächtig eingedrückt.
+Und wie die Seele, noch vom Staub umgeben,
+Durch Glieder von verschiedner Art beweist,
+Was in ihr für verschiedne Kräfte leben,
+So zeiget seine Huld der Weltengeist,
+Der ewig einer ist, hier, vielgestaltet,
+Im Sternenheer, das durch die Himmel kreist.
+Daher verschiedne Kraft verschieden waltet
+Im edlen Körper, welchen sie durchdrang,
+In dem sie, wie in euch das Leben, schaltet.
+Und da sie heiterer Natur entsprang,
+Glänzt diese Kraft in jedes Sternes Lichte,
+Gleichwie im Augenstern der Wonne Drang.
+Durch sie also, und nicht durchs Dünn’ und Dichte,
+Erhält verschiednen Glanz der Sterne Schar;
+Daß sie ein Denkmal ihrer Huld errichte,
+Schafft diese Bildnerin, was trüb und klar."
+
+
+Dritter Gesang
+
+Die Sonne, die mich einst mit Glut erfüllt,
+Beweisend hatte sie und widerlegend
+Der Wahrheit holdes Antlitz mir enthüllt.
+Und ich, belehrt, nicht länger Zweifel hegend,
+Wollt’ eben, daß ich’s sei, gestehn und stand,
+Das Haupt, soweit sich’s ziemt, emporbewegend.
+Doch ein Gesicht erschien, und so gespannt
+Hielt ich den Blick darauf, um’s zu gewahren,
+Daß mein Geständnis der Erinnrung schwand.
+Und wie von Gläsern, von durchsicht’gen, klaren,
+Von Weihern, welche seicht, doch still und rein,
+Den Boden unverdunkelt offenbaren,
+Ein Antlitz widerstrahlt, so schwach und fein,
+Daß man erkennen würd’ in größrer Schnelle
+Auf weißer Stirn der Perle bleichen Schein;
+So sah ich manch Gesicht an jener Stelle
+Und war im Gegensatz des Wahns, durch den
+Einst Lieb’ entflammt ward zwischen Mann und Quelle.
+Denn plötzlich glaubt’ ich, wie ich sie ersehn,
+Es wären Spiegelbilder, und bemühte
+Mich, ringsumher ihr Urbild zu erspäh’n.
+Doch sah ich nichts, und, zweifelnd im Gemüte,
+Schaut’ ich ins Licht der süßen Führerin,
+Die lächelnd in den heil’gen Augen glühte.
+Und sie begann: "Nicht staun’ in deinem Sinn.
+Belacht’ ich deine kindischen Gedanken.
+Noch gehst du auf der Wahrheit strauchelnd hin,
+Um, wie du pflegst, dem Wahne zuzuwanken.
+Wirkliche Wesen zeigt dir dies Gesicht,
+Die, untreu dem Gelübd’, in Schuld versanken.
+Sprich, hör’ und glaube; denn das wahre Licht,
+Das sie beseligt, wird es nie gestatten,
+Daß ihm zu folgen sich ihr Fuß entbricht.
+Ich wandte mich und sprach zu einem Schatten,
+Der sprechenslustig schien, schnell, als ein Mann,
+Den längst gequält der Neugier Stacheln hatten:
+"O Seele, die das ew’ge Licht gewann,
+Die selig hier die Süßigkeiten machten,
+Die nur, wer sie geschmeckt, begreifen kann,
+O sei jetzt freundlich mir. Mein ganzes Trachten
+Ist ja dein Nam’ und euer Los. Drum sprich!"--
+Und sie, bereit, mit Augen, welche lachten,
+Sprach: "Unsre Lieb’ erschließt sich williglich
+Gerechtem Wunsch, gleich der, der Liebe Bronnen,
+Die ihr Gefolg gebildet will nach sich.
+Dort auf der Welt gehört’ ich zu den Nonnen,
+Doch wende nur mir die Erinnrung zu,
+Und durch die höh’re Schönheit, höhern Wonnen,
+Daß ich Piccarda bin, erkennest du,
+Mit diesen allen, die sich selig nennen,
+Zum trägsten Kreis versetzt in Wonn’ und Ruh’.
+All unsre Triebe, die allein entbrennen
+In Lust des Heil’gen Geist’s, sind hoch ergetzt,
+Weil sie in seiner Weihe sich erkennen.
+Dies Los, von dir vielleicht geringgeschätzt,
+Ward uns zuteile, weil wir dort auf Erden
+Verabsäumt die Gelübd’ und sie verletzt."
+Drauf ich: "Euch glänzt in Antlitz und Gebärden,
+Ich weiß nicht was, von Gottheit, wunderbar,
+Und läßt die ersten Züg’ unkenntlich werden,
+Drob ich so säumig im Erkennen war,
+Jetzt hilft mir, was du sprichst, dem Auge trauen
+Und stellt mir deutlicher dein Bildnis dar.
+Doch sprich: Ihr, glücklich hier in diesen Auen,
+Zieht euch nach höherm Ort nicht die Begier,
+Um mehr euch zu befreunden, mehr zu schauen?"
+Ein wenig lächelten die Schatten hier,
+Denn, als ob sie in erster Liebe glühte,
+Erwiderte sie froh und wonnig mir:
+"Bruder, hier stillt die Kraft der Lieb’ und Güte
+Jedweden Wunsch, und völlig g’nügt uns dies,
+Und nicht nach anderm dürstet das Gemüte.
+Denn wenn es höherm Wunsch sich überließ,
+So würd’ es ja dem Willen widerstehen,
+Der uns in diesen niedern Kreis verwies.
+Dies kann in diesen Sphären nicht geschehen;
+Lieb’ ist das Band des ewigen Vereins,
+Mit der nicht Kampf noch Widerstand bestehen.
+Vielmehr ist’s Wesen dieses sel’gen Seins,
+Nur in dem Willen Gottes hinzuwallen,
+Drum schmilzt hier aller Wunsch und Trieb in eins.
+Und, wie wir sind von Grad zu Grad, muß allen
+Wie ihm, des Will’ allein nach seiner Spur
+Den unsern lenkt, dies ganze Reich gefallen.
+Und unser Frieden ist sein Wille nur,
+Dies Meer, wohin sich alles muß bewegen,
+Was er schafft, was hervorbringt die Natur."--
+Nun sah ich: Paradies ist allerwegen
+Wo Himmel ist, strömt auch von oben her
+Vom höchsten Gut nicht gleich der Gnade Regen.--
+Wie bei verschiednen Speisen man nicht mehr
+Von dieser will und sich nach jener wendet,
+Für diese dankt und noch verlangt von der,
+So ich mit Wink und Wort, als sie geendet,
+Um zu erfahren, was sie dort gewebt,
+Allein verlassen, ehe sie’s vollendet.
+"Vollkommnes Leben und Verdienst erhebt
+Ein Weib", so sprach sie, "zu den höhern Kreisen,
+In deren Tracht und Schleier manche strebt,
+In Schlaf und Wachen treu sich zu erweisen
+Dem Bräutigam, dem jeder Schwur gefällt,
+Den reine Liebestrieb’ ihm schwören heißen.
+Ihr nachzufolgen floh ich jung die Welt,
+Weiht’ ihrem Orden mich und war beflissen,
+Dem g’nugzutun, was sein Gesetz enthält.
+Doch Menschen, ruchlos mehr, als gut, entrissen
+Gewaltsam dem Verlies, dem süßen, mich
+Wie drauf mein Leben war--Gott wird es wissen--
+Der andre Glanz, der mir zur Rechten dich
+So freudig hell bestrahlt, denn er entzündet
+In unsrer Sphäre ganzem Schimmer sich,
+Versteht von sich, was ich von mir verkündet.
+Denn man entriß, wie meinem, ihrem Haupt
+Den Schleier, der der Nonnen Stirn umwindet.
+Doch, ob man Rückkehr ihr zur Welt erlaubt,
+Blieb doch ihr Herz bekrönt mit jenem Kranze,
+Den ihrer Stirn verruchte Tat geraubt.
+Sie ist das Licht der trefflichen Konstanze,
+Die mit dem zweiten Sturm aus Schwabenland
+Den dritten zeugt’, umstrahlt vom letzten Glanze."
+Piccarda sprach’s, mir heiter zugewandt,
+Und fing ein Ave an, indem sie singend,
+Wie Schweres in der tiefen Flut, verschwand.
+Mein Blick, ihr nach, soweit er konnte, dringend,
+Erhob sich dann, sobald er sie verlor,
+Nach einem Ziele größern Sehnens ringend,
+Zu Beatricens Antlitz ganz empor,
+Doch als ihr Aug’, ein Blitz, in meins geschlagen,
+So daß zuerst es niedersank davor,
+Da macht’ es zögern mich mit weitern Fragen.
+
+
+Vierter Gesang
+
+Zwischen zwei Speisen, gleich entfernt und lockend,
+Ging hungrig wohl ein freier Mann zugrund’,
+Nicht von der einen noch der andern brockend.
+So stund’ ein Lämmchen zwischen Schlund und Schlund
+Von zweien Wölfen fest, in gleichem Zagen,
+So stund’ auch zwischen zweien Reh’n ein Hund.
+So ließ’ verschiedner Zweifel mich nicht fragen.
+Ich schwieg nur, weil ich mußt’, und kann davon
+Drum weder Gutes jetzt noch Böses sagen.
+Ich schwieg, doch ward mein Wunsch vom Antlitz schon
+Klar ausgedrückt und deutlicher vernommen,
+Als hätt’ ich ihn erklärt mit klarem Ton.
+Beatrix tat wie Daniel, als entglommen
+Nebukadnezar war in blinder Wut,
+Die des Propheten Deutung ihm benommen.
+"Daß dich zwei Wünsche drängen, seh’ ich gut,"
+Begann sie, "die dich fesseln. So daß keiner
+Von beiden sich nun kund nach außen tut.
+Du fragst: Bleibt unser Will’ ein guter, reiner,
+Wie macht Gewalttat andrer dann den Wert
+Und wie den Umfang des Verdienstes kleiner?
+Hiernächst auch zweifelst du, weil Plato lehrt,
+Daß, wie’s ihm scheint, zu ihrem Sternenkreise
+Die Seele von der Erde wiederkehrt.
+Die beiden Zweifel drängen gleicherweise
+Auf deinen Willen ein, daher ich Ietzt
+Der schlimmern Meinung Falschheit erst beweise.
+Der Seraph, den der reinste Schimmer letzt,
+Moses und Samuel--die je heilig waren,
+Ja, selbst Marien nenn’ ich dir zuletzt,
+Sind nicht in anderm Himmel als die Scharen
+Der sel’gen Geister, die du jetzt gesehn,
+Sind reicher nicht und ärmer nicht an Jahren.
+Die erste Sphäre machen alle schön,
+Doch ist verschiedner Art ihr süßes Leben,
+Wie mehr und minder Gottes Hauche weh’n.
+Sie zeigten hier sich, nicht, weil ihnen eben
+Der Kreis zuteil ward, nein, weil dies beweist,
+Daß sie zum Höchsten minder sich erheben.
+So sprechen muß man ja zu eurem Geist,
+Den nur die Sinne zu dem allen leiten.
+Was die Vernunft sodann ihr eigen heißt.
+Drum läßt sich auch zu euren Fähigkeiten
+Die Schrift herab, wenn sie von Gott euch spricht,
+Von Hand und Fuß, um andres anzudeuten.
+Die Kirche zeigt mit menschlichem Gesicht
+Gabriel’ und Michael’ und Raphaelen,
+Der neu geklärt Tobias’ Augenlicht.
+Doch des Timäus Lehre von den Seelen
+Ist andrer Art. Er glaubt auch, was er lehrt,
+Und scheint darin kein Sinnbild zu verhehlen.
+Daß sich zu ihrem Stern die Seele kehrt,
+Er spricht’s und glaubt, daß sie von dort gekommen,
+Als die Natur sie uns zur Form gewährt.
+Allein wird dies nicht wörtlich angenommen,
+So kann er doch vielleicht mit dem Beweis
+Dem Ziel der Wahrheit ziemlich nahekommen,
+Dafern er meinte, daß aus jedem Kreis
+Das Gut’ und Böse stamm’, und deshalb lehrte,
+Dem kehre Schimpf zurück und jenem Preis.
+Und dieser schlechtverstandne Satz verkehrte
+Fast alle Welt, so daß in Sternen man
+Den Mars, Merkur und Jupiter verehrte.--
+Der andre Zweifel, welcher dich umspann,
+Hat mindres Gift, indem er nicht entrücken
+Dich meinem Pfad durch seine Schlingen kann.
+Denn scheint auch ungerecht den Menschenblicken
+Unsre Gerechtigkeit, nun, so beweist
+Dies Glauben nur, nicht ketzerische Tücken.
+Allein wohl fähig ist des Menschen Geist,
+In diese Wahrheit tiefer einzudringen,
+Drum will ich jetzt, daß du befriedigt seist.
+Ist das Gewalt, wenn jenen, welche zwingen,
+Der, welcher leidet, nie sich willig zeigt,
+So kann sie jenen nicht Entschuld’gung bringen.
+Denn Wille, der nicht will, bleibt ungebeugt,
+Wie Feuer, mag der Sturmwind tosend Schwellen,
+Oft hingeweht, neu in die Höhe steigt.
+Der Wille wird zu der Gewalt Gesellen,
+Wenn er sich beugt; drum fehlte jenes Paar
+Rückkehren könnend zu den heil’gen Zellen.
+Blieb jener Nonnen Will’ unwandelbar,
+Wie auf dem Rost Laurentius geblieben,
+Wie Scävola, der streng der Rechten war,
+So hätt’ er sie, befreit, zurückgetrieben
+Denselben Pfad, auf dem man sie entführt;
+Doch selten sind, die solchen Willen lieben.
+Noch hättest du den Zweifel oft gespürt,
+Der jetzt gewiß vor meinem Wort geschwunden,
+Wenn du wohl aufgemerkt, wie sich’s gebührt.
+Doch hält ein andrer schon dein Aug’ umwunden,
+Und gänzlich schwände deine Kraft dahin,
+Eh’ du dich Selbst aus ihm herausgefunden.
+Ich legt’ es als gewiß in deinen Sinn,
+Die Seele, die der ersten Wahrheit Pforten
+Stets nahe bleibt, sei niemals Lügnerin.
+Doch nun erfuhrst du durch Piccarda dorten,
+Daß ihren Schlei’r Konstanze nie vergaß,
+Und dies scheint Widerspruch mit meinen Worten.
+Oft, Bruder, die Gefahr zu flieh’n, geschah’s,
+Daß sich ein Mensch, auch wider Willen, dessen,
+Was nimmer sich zu tun geziemt, vermaß.
+So hat Alkmäon, welcher sich vermessen
+Des Muttermords, weil ihn sein Vater bat,
+Die Sohnespflicht aus Sohnespflicht vergessen.
+Daraus erkennst du diese Wahrheit: hat
+Der Wille sich vermischt dem äußern Drange,
+So liegt in ihm die Schuld der bösen Tat.
+Der unbedingte Wille trotzt dem Zwange,
+Doch stimmt insofern bei, als der Gefahr
+Er zagend weicht, vor größerm Schaden bange.
+Piccarda sprach, dies siehst du jetzo klar,
+Vom unbedingten Willen nur zum Guten,
+Vom zweiten Ich, und beider Wort ist wahr."
+So war das Wogen jener heil’gen Fluten
+Dem Quell entströmt, dem Wahrheit nur entquillt,
+Daß süß befriedigt meine Wünsche ruhten.
+"Liebste des ersten Liebenden, o Bild
+Der Gottheit," rief ich, "deren Rede regnet,
+Erwärmt und mehr und mehr belebt und stillt.
+Oh, war’ mit Inbrunst doch mein Herz gesegnet
+Zum Dank, der g’nügte deiner Huld--doch dir
+Sei nur von ihm, der sieht und kann, entgegnet.
+Nie sättigt sich der Geist, dies seh’ ich hier,
+Als in der Wahrheit Glanz, dem Quell des Lebens,
+Die uns als Wahn zeigt alles außer ihr.
+Doch fand er sie, dann ruht die Qual des Strebens,
+Und finden kann er sie, sonst wäre ja
+Jedweder Wunsch der Menschenbrust vergebens.
+Dann läßt der Geist, wenn er die Wahrheit sah,
+An ihrem Fuß den Zweifel Wurzel schlagen
+Und treibt von Höh’n zu Höh’n dem Höchsten nah.
+Dies ladet nun mich ein, dies heißt mich wagen,
+Nach einer andern dunkeln Wahrheit jetzt
+Voll Ehrfurcht, hohe Herrin, Euch zu fragen.
+Kann wohl der Mensch, der ein Gelübd’ verletzt,
+Durch andres gutes Werk dies so vergüten,
+Daß Ihr’s, nach Eurer Wag’, als g’nügend schätzt?
+Sie sah mich an, und Liebesfunken sprühten
+Aus ihrem Aug’ so göttlich klar hervor,
+Daß ich, besiegt, sobald sie mir erglühten,
+Gesenkten Blicks mich selber fast verlor.
+
+
+Fünfter Gesang
+
+"Wenn ich in Liebesglut dir flammend funkle,
+Mehr, als es je ein irdisch Auge sieht,
+So, daß ich deines Auges Licht verdunkle,
+Nicht staune drum--es macht, daß dies geschieht,
+Vollkommnes Schauen, welches, wie’s ergründet,
+In dem Ergründeten uns weiterzieht.
+Schon glänzt, ich seh’s in deinem Blick verkündet.
+In deinem Geist ein Schein vom ew’gen Licht,
+Das, kaum gesehen, Liebe stets entzündet.
+Und liebt ihr, weil euch andrer Reiz besticht,
+So ist’s, weil, unerkannt, vom Licht, dem wahren,
+Ein Strahl herein auf das Geliebte bricht.
+Ob andrer Dienst, dies willst du jetzt erfahren,
+Gebrochenes Gelübd’ ersetzen kann,
+Um vor dem Vorwurf euer Herz zu wahren."
+So fing ihr heil’ges Wort Beatrix an
+Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
+Ununterbrochen fort, was sie begann.
+"Die größte Gab’ aus Gottes Vaterhänden
+Und seiner reichen Güte klarste Spur,
+Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden,
+Ist Willensfreiheit, so die Kreatur,
+Der er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
+Von diesen jede, doch auch diese nur.
+Hieraus ersieh den hohen Wert des frommen
+Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
+Daß Gott, was du geboten, angenommen.
+Denn, wer mit Gott Vertrag schließt, der vermißt
+Sich, diesen Schatz zum Opfer darzubringen,
+Mit dessen Werte sich kein andrer mißt.
+Wie kann drum je hier ein Ersatz gelingen?
+Brauchst du auch wohl, was du geopfert hast,
+So ist’s nur Wohltat mit gestohlnen Dingen.
+Du hast das Wichtigste nun aufgefaßt,
+Doch weil die Kirche vom Gelübd’ entbindet,
+So zweifelst du an meiner Wahrheit fast.
+Drum bleib am Tisch ein wenig noch. Hier findet,
+Ob du auch Unverdauliches gespeist,
+Das Mittel sich, vor dem der Schmerz verschwindet.
+Dem, was ich sag’, erschließe deinen Geist,
+Denn Hören gibt nicht Weisheit, nein, Behalten;
+Behalt es drum, damit du weise seist.
+In diesem Opfer sind zwei Ding’ enthalten;
+Das erste: des Gelübdes Gegenst and--
+Das zweite: der Vertrag, es treu zu halten.
+Der letztere hat ewigen Bestand,
+Bis er erfüllt ist, und wie er zu achten,
+Dies macht’ ich oben dir genau bekannt.
+Drum mußten die Hebräer Opfer schlachten,
+Obwohl für das Gelobte dann und wann
+Sie, wie du wissen mußt, ein andres brachten.
+Der Gegenstand kann also sein, daß man,
+Auch ohne Reu’ und Vorwurf zu empfinden,
+Mit einem andern ihn vertauschen kann.
+Nur mag sich dessen niemand unterwinden
+Nach eigner Wahl, wenn ihn der ersten Last
+Der gelb’ und weiße Schlüssel nicht entbinden.
+Und jeder Tausch der Bürd’ ist Gott verhaßt,
+Wenn, die wir nehmen, die wir von uns legen,
+Nicht wie die Sechs die Vier, voll in sich faßt.
+Drum, ziehet das, was man gelobt, beim Wägen
+Jedwede Wag’ herab durch sein Gewicht,
+So gibt’s auch nirgendwo Ersatz dagegen.
+Scherzt, Sterbliche, mit dem Gelübde nicht.
+Seid treu, doch seht euch vor; denn schwer beklagen
+Wird’s jeder, der, wie Jephtha, blind verspricht.
+Ihm ziemt’ es besser: Ich tat schlimm! zu sagen,
+Als, haltend, schlimmer tun--und gleiche Scham
+Sah man davon den Griechenfeldherrn tragen;
+Drob Iphigenia weint’ in bitterm Gram
+Und um sich weinen Weis’ und Toren machte,
+Ja, jeden, der von solchem Dienst vernahm.
+Sei nicht leichtgläubig, Christenvolk, und trachte,
+Nicht wie der Flaum im Windeshauch zu sein;
+Daß dich nicht jedes Wasser wäscht, beachtet
+Das Alt’ und Neue Testament ist dein,
+Der Kirche Hirt ist Führer ihren Söhnen,
+Und dieses g’nügt zu eurem Heil allein.
+Und reizt euch jemand, schlechtem Trieb zu frönen,
+Nicht Schafe seid ihr, eurer unbewußt,
+Drum laßt vom Nachbar Juden euch nicht höhnen.
+Tut nicht dem Lamm gleich, das der Mutter Brust
+Aus Einfalt läßt und, dumm und geil, vergebens
+Nur mit sich selber kämpft nach seiner Lust."
+Beatrix sprach’s und wandte, regen Strebens,
+Ganz Sehnen, ihren Blick zum hellem Licht,
+Empor zur schönen Welt des höhern Lebens.
+Ihr Schweigen, ihr verwandelt Angesicht
+Geboten dem begier’gen Geiste Schweigen
+Und ließen mich zu neuen Fragen nicht.
+Und schnell, wie sich beschwingte Pfeile zeigen,
+Ins Ziel einbohrend, eh’ die Sehne ruht,
+So eilten wir, zum zweiten Reich zu steigen.
+Die Herrin sah ich so in frohem Mut,
+Da uns der Flug zum neuen Glänze brachte,
+Daß heller ward des Sternes Licht und Glut.
+Wenn der Planet nun, sich verwandelnd, lachte,
+Wie ward wohl mir, mir, den verwandelbar
+Schon die Natur auf alle Weisen machte?
+Gleichwie im Teich, der ruhig ist und klar,
+Wenn das, wovon die Fischlein sich ernähren,
+Von außen kommt, her eilt die muntre Schar,
+So sah ich hier zu uns sich Strahlen kehren
+Wohl Tausende, von welchen jeder sprach:
+"Seht, der da kommt, wird unser Lieben mehren!"
+Und wie sie uns sich nahten nach und nach,
+Da sah ich süßer Wonne voll die Seelen,
+Im Glanz, der hell hervor aus jeder brach.
+Bedenke, Leser, wollt’ ich dir verhehlen,
+Was ich noch sah, und schweigend von dir gehn,
+Wie würde dich der Durst nach Wissen quälen?
+Du wirst daraus wohl durch dich selbst verstehn,
+Wie ich ihr Los mich sehnte zu erfahren,
+Sobald mein Aug’ in ihren Glanz geseh’n.
+"Begnadigter, dem hier sich offenbaren
+Des ewigen Triumphes Thron’, eh’ dort
+Du noch verlassen hast der Krieger Scharen,
+Wir sind entglüht vom Licht, das fort und fort
+Den Himmel füllt--drum, wünschest du Erklärung,
+So sättige nach Wunsch dich unser Wort."
+Ein frommer Geist verhieß mir so Gewährung,
+Beatrix drauf: "Sprich, sprich und glaub’ ihm fest,
+So fest, als war’ es göttliche Belehrung."
+"Ich sehe, würd’ger Geist, du hast dein Nest
+Im eignen Licht, das, wie du lächelst, immer
+Mit hellerm Glanz dein Auge strahlen läßt,
+Doch wer bist du? Was ward der schwache Flimmer
+Der niedern Sphäre dir zum Sitz gewährt,
+Die uns umschleiert wird durch fremden Schimmer?"
+So sprach ich, jenem Lichte zugekehrt,
+Das erst gesprochen hatt’, und sah’s in Wogen
+Von Strahlen drum weit mehr als erst verklärt.
+Denn gleichwie Sol, von dichtem, Dunst umzogen,
+In zu gewalt’gen Glanz sich selber hüllt,
+Wenn Glut der Nebel Schleier weggesogen,
+So barg sich jetzt, von größrer Lust erfüllt,
+Die heilige Gestalt im Strahlenringe,
+Und sie entgegnete mir, so verhüllt,
+Das, was ich bald im nächsten Sange singe.
+
+
+Sechster Gesang
+
+"Nachdem der Kaiser Konstantin, entgegen
+Der Himmelsbahn, gewendet jenen Aar,
+Der einst ihr folgt’ auf des Äneas Wegen,
+Da sah man mehr als schon zweihundert Jahr’
+Zeus’ Vogel an Europens Rand verbringen,
+Nah dem Gebirg, dem er entflogen war.
+Beherrschend unterm Schatten heil’ger Schwingen
+Von dort die Welt, ging er von Hand zu Hand,
+Bis ihm beim Wechsel meine Hand’ empfingen.
+Cäsar war ich, Justinian genannt,
+Der, nach der ersten heil’gen Liebe Walten,
+Unmaß und Leeres ins Gesetz gebannt.
+Und eh’ ich’s unternahm, dies zu gestalten,
+Lebt’ ich zufrieden in dem Wahne fort,
+Ein Wesen sei in Christo nur enthalten.
+Doch Agapet, der höchste Hirt und Hort,
+Er lenkte mich zurück zum Echten, Wahren,
+Zum rechten Glauben durch sein heilig Wort.
+Ich glaubt’ ihm und bin jetzt ob des im klaren,
+Was er mir sagt’--und du auch wirst nun sehn,
+Daß Wahr und Falsch im Gegensatz sich paaren.
+Kaum fing ich an, der Kirche nachzugehn,
+So flößt’ es Gott mir ein, mich aufzuraffen,
+Und nur dem hohen Werke vorzustehn.
+Dem Belisar vertraut’ ich meine Waffen,
+Und ihm verband des Himmels Rechte sich
+Zum Zeichen mir, ich soll’ in Ruhe schaffen.
+Befriedigt hab’ ich nun im ersten dich,
+Was du gefragt; allein die Art der Frage
+Verbindet noch zu einem Zusatz mich,
+Damit du sehst, welch Unrecht jeder trage,
+Der dieses hehren, heil’gen Zeichens Macht
+An sich zu zieh’n und ihr zu trotzen wage.
+Du siehst die Kraft, die’s wert der Ehrfurcht macht,
+Seit seiner Herrschaft Pallas, überwunden,
+Sein Leben selbst zum Opfer dargebracht;
+Weißt, daß es drauf den Aufenthalt gefunden,
+Dreihundert Jahr’ und mehr in Albas Au’n,
+Bis drei und drei dafür den Kampf bestunden;
+Weißt, was vom Raube der Sabinerfrau’n
+Es tat bis zu Lukreziens Schmerz, durch sieben,
+Die ringsumher besiegt die Nachbargau’n.
+Weißt, wie es Brennus, Pyrrhus auch vertrieben,
+Getragen vor der wackern Römer Schar
+Und siegreich noch in manchem Kampf geblieben;
+Drob Quinctius, benannt vom wirren Haar,
+Drob auch Torquatus, Decier, Fabier glänzen
+In freud’gem Ruhme durch den heil’gen Aar.
+Er schlug der Libyer Stolz, die, Welschlands Grenzen
+Einst Hannibal verführt, zu überzieh’n,
+Wo Alpen deinen Quell, o Po, umkränzen.
+Ein Jüngling noch, hob Scipio sich durch ihn.
+Pompejus auch, zu des Triumphes Ehren,
+Der bitter deinem Vaterlande schien.
+Dann, nah der Zeit, in der die Welt verklären
+Der Himmel wollt’ in seinem eignen Schein,
+Nahm Julius Cäsar ihn auf Roms Begehren.
+Was er dann tat vom Varus bis zum Rhein,
+Jser’ und Seine sahn’s, es sahns, bezwungen,
+Die Tale, die der Rhon’ ihr Wasser Ieih’’n.
+Wie er den Rubikon dann übersprungen,
+Was er dann tat, das war von solchem Flug,
+Daß Zung’ und Feder nie sich nachgeschwungen.
+Nach Spanien lenkt’ er dann den Siegerzug,
+Dann nach Durazz’ und traf Pharsaliens Auen
+So, daß man Leid am heißen Nile trug.
+Sah wieder dann den Simois, die Gauen,
+Von wo er kam, wo Hektor ruht und schwang
+Sich auf dann, zu des Ptolemäus Grauen.
+Worauf er blitzend hin zum Juba drang;
+Dann sah man ihn die Flügel westwärts schlagen,
+Wo ihm Pompejus’ Kriegsdrommet’ erklang.
+Was er mit dem tat, der ihn dann getragen,
+Bellt Brutus, Cafsius noch in ew’ger Not,
+Sagt Modena, Perugia noch mit Klagen.
+Kleopatra beweint’s noch, die, bedroht
+Von seinem Zorn, entfloh und an die Brüste
+Die Schlange nahm zu schnellem, schwarzem Tod.
+Mit diesem eilt’ er bis zur roten Küste,
+Mit diesem schloß er fest des Janus Tor,
+Weil Fried’ und Ruh’ den ganzen Erdball küßte.
+Doch was der Adler je getan zuvor,
+Und was noch drauf getan dies hohe Zeichen,
+Das Gott zur Herrschaft ird’schen Reichs erkor,
+Muß dem gering erscheinen und erbleichen,
+Der’s in der Hand des dritten Cäsar schaut
+Mit klarem Blick, dem Wahn und Irrtum weichen.
+Denn die Gerechtigkeit, die jeden Laut
+Mir einhaucht, hat ihn, ihren Zorn zu rächen.
+Der Hand des, den ich dir benannt, vertraut.
+Jetzt staun’ ob dessen, was ich werde sprechen:
+Er nahm, begleitend dann des Titus Bahn,
+Rach’ an der Rache für ein alt Verbrechen.
+Und als darauf der Langobarden Zahn
+Die Kirche biß, sah unter seinen Schwingen
+Man Karl den Großen ihr mit Hilfe nah’n.
+Nun siehst du selbst, wie jene sich vergingen,
+Von denen ich, sie hart anklagend, sprach,
+Die über euch all euer Übel bringen.
+Der trachtet selbst dem Reicheszeichen nach,
+Der will es durch die Lilien überwinden,
+Und schwer zu sagen ist, wer mehr verbrach.
+Der Ghibellin mög’ andres Zeichen finden,
+Denn schlechte Folger sind dem heil’gen Aar,
+Die standhaft nicht das Recht und ihn verbinden.
+Der neue Karl mit seiner Guelfenschar,
+Nicht trotz’ er ihm, der wohl schon stärkerm Leuen
+Das Vlies abzog mit seinem Klauenpaar.
+Oft muß der Sohn des Vaters Fehl bereuen.
+Nicht glaub’ er seine Lilien Gott so lieb,
+Um ihrethalb sein Zeichen zu erneuen--
+Der kleine Stern, der fern und dämmernd blieb,
+Ist Wohnsitz derer, die zum tät’gen Leben
+Der Durst allein nach Ruf und Ehre trieb.
+Und wenn so falsch gelenkt die Wünsche streben,
+So muß sich wohl der wahren Liebe Licht
+Mit minderm Glanz zum rechten Ziel erheben.
+Doch wägen wir dann des Verdiensts Gewicht
+Mit dem des Lohns, so wird uns Wonn’ und Frieden,
+Weil eins dem andern so genau entspricht.
+Dann stellt uns die Gerechtigkeit zufrieden
+Und sichert uns vor jedem sünd’gen Hang,
+Denn glücklich macht uns das, was uns beschieden.
+Verschiedne Tön’ erzeugen süßen Klang;
+So bilden hier die Harmonie der Sphären
+Die lichten Kreise von verschiednem Rang.
+Du siehst in dieser Perle sich verklären
+Romeos Licht, mußt’ auch sein schönes Tun
+Auf Erden des verdienten Lohns entbehren.
+Allein die Pprovenzalen lachen nun
+Nicht ihres Grolls, denn solche nah’n dem Falle,
+Die sich in andrer Guttat Schaden tun.
+Vier Töchter hatt’, und Königinnen alle,
+Graf Raimund, und Romeo tat ihm dies,
+Der niedre Fremd’ in stolzer Fürstenhalle.
+Und jener folgt’, als ihm die Scheelsucht hieß,
+Dem Biedermanne Rechnung anzusinnen,
+Der acht und vier für zehn ihm überwies.
+Arm und veraltet ging er dann von hinnen;
+Und wußte man, mit welchem Herzen er
+fortzog, sein Brot als Bettler zu gewinnen,
+Man preist ihn hoch und pries’ ihn dann noch mehr.
+
+
+Siebenter Gesang
+
+Hosianna dir, du Gott der Macht und Wahrheit,
+Dir, der du hier der sel’gen Flammen Glanz
+Reich überströmst mit Fülle deiner Klarheit!"
+So schien, zurückgewandt zu ihrem Tanz,
+Die Seel’ im Lied den höchsten Herrn zu feiern,
+Umringt ihr Licht von neuem Strahlenkranz.
+Den Reigen sah ich alle nun erneuern,
+Und Funken gleich, die durch die Lüfte flieh’n,
+Von plötzlicher Entfernung sie verschleiern.
+Ich zweifelte. "Sprich, sprich, zur Herrin," schien
+Mein Herz zu sprechen bei des Mundes Schweigen,
+"Die stets dir Lab’ in süßem Tau verlieh’n."
+Allein die Ehrfurcht, der ich immer eigen
+Als Sklav’ war, wo nur be nd ice klang,
+Ließ, gleich dem Schläfrigen, das Haupt mich neigen.
+Sie aber duldete mich so nicht lang;
+In Lächeln strahlte mir das hohe Wesen,
+Das Feuerpein umschüf in Wonnedrang.
+Sie sprach: "Ich hab’ in deiner Brust gelesen,
+Wie ist--dies ist’s, was dir im Haupte kreist--
+Gerechter Rache Zücht’gung Recht gewesen.
+Doch bald entwirren will ich deinen Geist,
+Damit du, wenn dein Sinn sich mir erschlossen,
+Um eine große Wahrheit reicher seist.
+Der Mensch, der nicht geboren ward, verdrossen,
+Zu dulden, sich zum Heil, des Willens Zaum,
+Verdammte sich und mit sich seine Sprossen;
+Drob das Geschlecht in Wahn und falschem Traum
+Viel hundert Jahre krank lag, matt und trübe,
+Bis sich das Wort geneigt zum niedern Raum,
+Wo’s der Natur, die sich im irren Triebe
+Vom Schöpfer abgekehrt, sich ganz verband,
+Bloß durch das Walten seiner ew’gen Liebe.
+Scharf sei dein Blick jetzt auf mein Wort gespannt.
+Diese Natur, dem Schöpfer hingegeben
+Und ihm vereint, war rein, wie sie entstand.
+Doch durch sie selbst war sie für falsches Streben
+Vom Paradies verbannt, weil sie die Bahn
+Verlassen, wo nur Wahrheit ist und Leben.
+Drum ward die Strafe, durch das Kreuz empfah’n,
+Mit größerm Recht, als jemals irgendeine,
+Der angenommenen Natur getan.
+So war die Straf auch ungerecht wie keine,
+In Hinsicht des, der sie erlitten hat,
+Mit der Natur, der ird’schen, im Vereine.
+Verschieden war die Wirkung einer Tat.
+Gott und den Juden mußt’ ein Tod gefallen,
+Drob Erd’ erbebt’ und Himmel auf sich tat.
+Schwer wird dir’s nicht mehr zu begreifen fallen,
+Wenn man von dem gerechten Richter spricht,
+Des Rach’ auf rechte Rache schwer gefallen.
+Doch deinen Geist, gleich einem Netz, umflicht
+Gedank’ itzt und Gedank’ in engem Kreise,
+Aus dem er sehnlich Lösung sich verspricht.
+Der Rache Recht war klar in dem Beweise,
+Denkst du; doch weshalb wählt’ in seiner Macht
+Gott zur Erlösung ebendiese Weise?
+Der Schluß, mein Bruder, birgt sich dem in Nacht,
+Dem nicht, wenn hell der Liebe Flammen brennen,
+Die Glut den Geist zur Mündigkeit gebracht.
+Vernimm deshalb, weil wenig zu erkennen,
+Wo viel der Blick umsonst sich spähend müht,
+Warum die Art die würdigste zu nennen.
+Die ew’ge Gut’, in sich nie zornentglüht,
+Zeigt, wenn im All sich ihre Schönheit spiegelt,
+Wie sie die Funken eigner Glut versprüht.
+Was ihr unmittelbar entströmt--verriegelt
+Ist dem des Todes Tür, und fest und treu
+Ist das Gepräge, wenn sie selber siegelt.
+Was ihr unmittelbar entströmt, ist frei,
+Ist völlig frei, und deshalb wohnt dem Neuen
+Die Kraft nicht, es zu unterjochen, bei.
+Je mehr’s ihr gleicht, je mehr muß sie’s erfreuen,
+Drum will die heil’ge Glut, das Licht der Welt,
+Aufs ähnlichste den hellsten Schimmer streuen.
+In allem dem ist hoch der Mensch gestellt,
+Der aber, wenn nur eins ihm fehlt, entweihet,
+Mit Schmach herab von seinem Adel fällt.
+Die Sünd’ allein ist das, was ihn entfreiet.
+Unähnlich macht sie ihn dem höchsten Gut,
+Das wenig drum von seinem Glanz ihm leihet.
+Nie kehrt zurück ihm seine Würde, tut
+Er dem nicht G’nüge durch gerechte Leiden,
+Was er gefehlt in sünd’ger Lüste Glut.
+Eure Natur, die in den ersten beiden
+Ganz sündigte, ward, wie der Würd’ entsetzt,
+So auch verdammt, das Paradies zu meiden.
+Und Möglichkeit, dahin zurückversetzt
+Dereinst zu sein, gab’s nur auf zweien Pfaden,
+Wenn scharf dein Geist der Dinge Wesen schätzt:
+Entweder Gott verzieh allein aus Gnaden,
+Oder es mußte sich, der ihn gekränkt,
+Der Mensch, g’nugtuend, selbst der Schuld entladen.
+Dein Blick sei in den Abgrund jetzt versenkt
+Des ew’gen Rates, und mit ernstem Schweigen
+Sei ganz dein Geist nach meinem Wort gelenkt.
+G’nugtuung konnte nie der Mensch erzeigen,
+Und, eng beschränkt, so tief nicht niedergehn,
+Gehorchend, nicht sich so in Demut neigen,
+Als, ungehorsam, er sich wollt’ erhöh’n;
+Drum könnt’ er nie sich von der Schuld befreien,
+Genugtuung nicht durch ihn selbst gescheh’n.
+Drum wählt’, ihn neu zum Leben einzuweihen,
+Gott, so gerecht wie gnädig, seinen Pfad
+Und führt’ auf diesem ihn, vielmehr auf zweien.
+Doch weil so werter ist des Täters Tat,
+Je heller strahlt die Gut’ in dem Gemüte,
+In dem die Handlung ihre sQuelle hat,
+Hat, die die Welt gestaltet, Gottes Güte,
+Auf jedem Wege, der ihr offen lag,
+Euch neu erhöht zu eurer ersten Blüte.
+Und zwischen letzter Nacht und erstem Tag
+Ist nie so Hohes, Herrliches gediehen
+Für sie und euch, was er auch schaffen mag.
+Freigeb’ger war’s, daß Gott sich selbst verliehen,
+Drob zu erstehn der Mensch genügend ward,
+Als hätt’ er ihm nur aus sich selbst verziehen,
+Karg war’ erfüllt in jeder andern Art
+Das Recht, wenn Gottes Sohn um euretwillen
+Nicht demutsvoll dem Fleische sich gepaart.
+Jetzt, um noch besser deinen Wunsch zu stillen,
+Und daß du seh’st, gleich mir, das volle Licht,
+Will ich noch eins dir deutlicher enthüllen.
+Ich sehe Feuer, sehe Luft--so spricht
+Dein Zweifel--Wasser, Erd’, in mannigfachen
+Vermischungen, und alle dauern nicht.
+Geschöpfe sind ja alle diese Sachen;
+Und sollte dies, wenn ich dich recht verstand,
+Sie nicht vor der Verderbnis sicher machen?
+Die Engel, Bruder, und dies reine Land,
+Sie dürfen wohl sich für erschaffen halten,
+Weil, wie sie sind, ihr volles Sein entstand.
+Doch alles, was die Element’ entfalten,
+Die Elemente selbst, sie läßt allein
+Der Höchste durch geschaffne Kraft gestalten.
+Geschaffen ward ihr Stoff, ihr erstes Sein,
+Geschaffen ward die Bildungskraft dem Tanze
+Der Sterne, die um eure Welt sich reih’n.
+Die Seele jedes Tiers und jeder Pflanze
+Zielet nach verschiedner Bildungsfähigkeit
+Regung und Licht aus ihrem heil’gen Glanze.
+Allein der höchsten Güte Hauch verleiht
+Unmittelbar uns selber unser Leben
+Und Liebe, die dann ihr sich sehnend weiht.
+Wie aus der Gruft die Leiber sich erheben,
+Erkennst du, wenn du denkest, wessen Ruf
+Dem Menschenleib sein erstes Sein gegeben,
+Als er die beiden ersten Eltern schuf.
+
+
+Achter Gesang
+
+Die Welt glaubt’ einst, unsel’gen Irrtum hegend,
+Daß Cypris toller Liebe Glut entflammt,
+Im dritten Epizyklus sich bewegend.
+Drob nicht zu ihr allein mit Opferamt
+Und Weiherufen sich anbetend kehrte
+Das alte Volk, im alten Wahn verdammt;
+Nein, auch Dionen und Cupiden ehrte,
+Als ihre Mutter sie, ihn als das Kind,
+Dem Dido ihren Schoß zum Sitz gewährte.
+So ward nach ihr, von der mein Sang beginnt,
+Der Stern benannt, der, bald der Sonn’ im Rücken,
+Bald ihr im Angesicht liebäugelnd minnt.
+Nicht fühlt’ ich mich in diesen Stern entrücken,
+Doch daß ich wirklich drinnen sei, entschied
+Der Herrin höh’res, schöneres Entzücken.
+Und wie man Funken in der Flamme sieht,
+Und wie wir Stimmen in der Stimm’ erkennen,
+Die aushält, wenn die andre kommt und flieht;
+So sah ich Lichter hier im Lichte brennen,
+Und, nach dem Maß des innern Schau’ns erregt,
+So schien’s, im Kreis mehr oder minder rennen.
+Kein Wind, unsichtbar oder sichtbar, pflegt
+So schnell aus kalter Wolk’ herabzugleiten,
+Daß er nicht langsam schien’ und schwer bewegt
+Dem, der die Lichter uns entgegenschreiten
+Im Flug gesehn, aus jenem Kreis hervor,
+Den hohe Seraphim bewegend leiten.
+Und hinter diesen ersten klang’s im Chor:
+Hosianna! Und seit ich den Ton vernommen,
+Sehnt stets nach ihm sich brünstig Herz und Ohr.
+Und einen sah ich dann uns näher kommen,
+Und er begann allein mit frohem Klang:
+"Willfährig sind wir alle, dir zu frommen.
+Wir wandeln hin, ein Kreis, ein Schwung, ein Drang,
+Uns nie vom Pfad der Himmelsfürsten trennend,
+Zu welchem du gejagt in deinem Sang:
+Die ihr den dritten Himmel lenkt, erkennend;
+Für dich wird uns nicht schwer ein Stillestand,
+Für dich in so inbrünst’ger Liebe brennend."
+Als ich zu ihr voll Ehrfurcht mich gewandt,
+Und so der Herrin Blick sich ausgesprochen,
+Daß ich mich sicher und befriedigt fand,
+Schaut’ ich zum Licht, das mir in sich versprochen
+So vieles hatt’, und sprach: "Wer bist du, sprich!"
+Den Ton vor großer Inbrunst fast gebrochen.
+O wie vermehrte, wie verschönte sich
+Der frohe Glanz in Mienen und Gebärden
+Bei meinem Wort!--Dann sprach er freudiglich:
+"Nur kurze Zeit verweilt’ ich auf der Erden,
+Verweilt’ ich mehr, dann wären viele nicht
+Der Übel, die dich noch betreffen werden.
+Nur meine Freude birgt dir mein Gesicht,
+Nur sie verhüllt mich rings im Strahlenrunde,
+So wie den Seidenwurm die Seid’ umflicht.
+Du liebtest mich, und wohl aus gutem Grunde;
+Denn lebt’ ich noch, gewiß dir keimten jetzt
+Nicht Blätter nur aus unserm Liebesbunde.
+Der linke Strand, den Rhodanus benetzt,
+Nachdem er mit der Sargue sich verbündet,
+Sah einst im Geist durch mich den Thron besetzt;
+So auch Ausoniens Horn, wo, festbegründet,
+Bari, Gaëta und Crotona droh’n,
+Von wo im Meere Verd’ und Tronto mündet.
+Auch schmückte mich des Landes Krone schon,
+Das längs durchstreift der Donau Wogenfülle,
+Nachdem sie aus Germaniens Gau’n entflob’n.
+Trinacria--bedeckt von schwarzer Hülle
+Zwischen Pachino und Pelor, am Schlund
+Des Meers, das schäumt bei Eurus’ Wutgebrülle,
+Durch Typhöus nicht, nein, durch den Schwefelgrund
+Der Fürsten harrt’ es noch, der edeln Sprossen
+Rudolfs und Karls aus meinem Ehebund,
+Wenn schlechte Herrschaft, welche stets verdrossen
+Der Unterworfne trägt, zum Mordgeschrei
+Nicht in Palermo jeden Mund erschlossen.
+Ging’ Ahnung dessen meinem Bruder bei,
+So würd’ er Kataloniens Bettler jagen,
+Damit ihr Geiz kein Sporn zum Aufruhr sei.
+Nottut’s fürwahr, daß ihm die Freund es sagen,
+Wenn er’s nicht sieht: daß volle Ladung schon
+Sein Nachen hat, und nichts kann weiter tragen.
+Er, des freigeb’gen Vaters karger Sohn,
+Braucht Diener, die nicht Gold nur zu gewinnen
+Begierig sind, nicht bloß erpicht auf Lohn."--
+"Herr, weil ich glaube, daß die Lust hierinnen,
+Die deine Rede strömt in meine Brust,
+Du, wo die Güter enden und beginnen,’
+So deutlich schauest, wie sie mir bewußt,
+Wird sie mir werter--daß du beim Betrachten
+Des Herrn sie schauest, gibt mir neue Lust.
+Mach’ itzt, wie froh mich deine Worte machten,
+Mich klar und schaffe noch dem Zweifel Ruh’:
+Wie süße Saaten bittre Früchte brachten?"
+So ich--und er: "Die Wahrheit fasse du,
+Und dem. was du gefragt, kehrst du zufrieden,
+Wie jetzt den Rücken, dann das Antlitz zu.
+Das Gut, das ihren Lauf und ihren Frieden
+Den Himmeln gab, hat jedem Stern den Schein
+Und eine Kraft, als Vorsehung, beschieden.
+Nicht nur der Wesen vorbestimmtes Sein
+Hat der durch sich vollkommne Geist erwogen,
+Er schließt in sich auch ihre Wohlfahrt ein.
+Drum, was nur immer fliegt von diesem Bogen,
+Kommt, gleich dem Pfeil, auf vorbestimmtem Gang
+Gewiß herab zu seinem Ziel geflogen.
+War’ dieses nicht, dann würd’ im wirren Drang,
+Was diese Himmel irgend wirkend schaffen,
+Kein Kunstwerk sein, nein, Graus und Untergang.
+Dies kann nicht sein, wenn jene nicht erschlaffen,
+Die Geister, lenkend diese Sternenschar,
+Der Urgeist auch, der dann sie schlecht erschaffen.
+Ist diese Wahrheit nun dir völlig klar?"
+Und ich: "Gewiß, ich seh’s, Natur bleibt immer
+In dem, was nötig ist, unwandelbar;"
+Drum er: "Nun sprich, wär’s für den Menschen schlimmer,
+Wenn er nicht Bürger ward und einsam blieb’?"
+Ich: "Ja, und weitern Grund begehr’ ich nimmer!"
+"Und wär’ ein Staat, wenn in verschiednem Trieb
+Die Menschen nicht verschieden sind erwiesen?
+Nein, wenn die Wahrheit euer Meister schrieb!"
+So folgert’ ich bis jetzt, um hier zu schließen:
+"Drum also muß der Menschen Tun hervor
+Verschieden aus verschiedner Wurzel Sprießen.
+Und Solon sproßt’ und Xerres so empor,
+Also Melchisedek, und der Erfinder,
+Der bei dem luft’gen Flug den Sohn verlor.
+Natur, im Kreislauf, so die Menschenkinder
+Wie Wachs ausprägt, übt ihre Kunst und sieht
+Auf dies und jenes Haus nicht mehr noch minder.
+Dies ist’s, was Esaus Keim von Jakobs schied,
+Drob auch Quirin entsproß so niedrer Lende,
+Daß man als Vater ihm den Mars beschied.
+Und stets auf der Erzeuger Wegen fände
+Man die, so sie erzeugten, nur, wenn nicht
+Die Vorsehung des Höchsten überwände.
+Was hinter dir war, sieh jetzt im Gesicht;
+Doch wie ich dein mich freue, geb’ ich Kunde
+Und dir durch einen Zusatz beßres Licht.
+Ist die Natur nicht mit dem Glück im Bunde,
+Dann kommt sie übel fort, wie jede Saat,
+Die man gesät auf fremdem, falschem Grunde.
+Und folgte der Natur des Menschen Pfad,
+Suchtet auf ihrem Grund ihr nach dem Rechten,
+Dann gab’ es gute Leut’ und wackre Tat.
+Doch solche, die geboren sind, zu fechten,
+Macht ihr zu Priestern wider die Natur
+Und macht zu Fürsten die, so pred’gen möchten,
+Und deshalb schweift ihr von der rechten Spur.
+
+
+Neunter Gesang
+
+Noch sprach dein Karl, als er mich aufgeklärt,
+Schöne Clemenza, von den Ränkevollen,
+Durch welche schnöden Trug sein Sam’ erfährt.
+Doch sagt’ er: "Schweig und laß die Jahre rollen!"
+Drum sag’ ich nur, daß eurem Schaden bald
+Gerechte Straf und Klage folgen sollen.
+Schon war das Leben jener Lichtgestalt
+Zur Sonn’, in deren Strahl es ganz genesen,
+Zum Gut, das allem g’nügt, zurückgewallt.
+Betrogne Seelen, gottvergeßne Wesen!
+Was wendet ihr das Herz von solchem Gut
+Und habt nur Eitelkeit zum Ziel erlesen!
+Und sieh, ein andres jener Lichter lud
+Mich, nahend, ein und zeigte seinen Willen,
+Mich zu befriedigen, in hellrer Glut.
+Beatrix, die den Blick, den heil’gen, stillen,
+Auf mich gewandt, wie erst, erlaubte mir,
+Durch teure Zustimmung, den Wunsch zu stillen.
+Ich sprach: "O g’nüge meiner Wißbegier,
+Bewähr’, o Geist, den Fried’ und Lust durchdringen,
+Daß, was ich denke, widerstrahl’ in dir."
+Das Licht, das ich aus seinem Innern singen
+Vorher gehört, sprach, mir noch unbekannt,
+Wie der, den’s freut, das Gute zu vollbringen:
+"Doch im verkehrten schnöden welschen Land
+Zwischen der Brenta und der Piave Quelle
+Und des Rialto meerumfloßnem Strand,
+Dort hat ein niedrer Hügel seine Stelle;
+Von ihm herab stürzt’ eine Fackel sich
+Und macht’ in grausem Brand die Gegend helle.
+Aus einer Wurzel sproßten sie und ich.
+Ich, einst Cunizza, glänz’ in diesem Sterne,
+Denn seines Schimmers Reiz besiegte mich.
+Und meines Schicksals Grund verzeih’ ich gerne
+Mir selber hier, da’s mir nicht bitter dünkt,
+So schwer eu’r Pöbel dies auch fassen lerne.
+Sieh diesen Glanz, der mir am nächsten blinkt
+In unserm Kreis, den leuchtenden, den teuern!
+Groß blieb sein Ruhm, und, eh’ er ganz versinkt,
+Wird fünfmal das Jahrhundert sich erneuern.
+Sieh, wenn das erste Sein ein zweites schenkt,
+Soll dies zur Trefflichkeit euch nicht befeuern?
+Doch dies ist’s nicht, woran die Rotte denkt,
+Die Tagliamento hier, dort Etsch umfließen,
+Die selbst das Unglück nicht zur Reue lenkt.
+Doch färbend wird sich Paduas Blut ergießen
+Zum Sumpfe, der Vicenzas Mauer wahrt,
+Weil die Verstockten sich der Pflicht verschließen.
+Und dort, wo sich Tagnan mit Sile paart,
+Herrscht einer, hoch die stolze Stirne tragend,
+Zu dessen Fang das Netz schon fertig ward.
+Schon seh’ ich Feltre, den Verrat beklagend
+Des Hirten, der dort herrscht, an Schändlichkeit,
+Was je geführt nach Malta, überragend.
+Kein Paß auf Erden ist so hohl und weit,
+Um alles Ferrareser Blut zu fassen,
+Das zum Geschenk der wackre Pfaff verleiht,
+Um als Parteiglied recht sich sehn zu lassen;
+Und solcherlei Geschenk wird wohl zum Geist
+Und zu des Landes Art und Leben passen.
+Von hohen Spiegeln, die ihr Throne heißt,
+Glänzt Gott, der Richtende, zu uns hernieder,
+Worin als wahr sich, was ich sprach, erweist."
+Sie sprach’s, von mir gekehrt, und wandte wieder
+Sich hin zu ihrem Kreis, wo sie verschwand,
+So wie sie kam, beim Klang der Himmelslieder.
+Die andre Wonne, mir bereits bekannt,
+Ward leuchtender in Mienen und Gebärden,
+Wie in der Sonne Blitz der Diamant.
+Dort gibt die Wonne Glanz, wie sie auf Erden
+Das Lächeln zeugt, indes bei innrer Pein
+Die äußern Schatten unten dunkler werden.
+"Alles sieht Gott--du siehst in seinen Schein,"
+Sprach ich, "und kann in ihn dein Auge dringen,
+So muß dir klar sein ganzer Wille fein.
+Drum deine Stimme, die im frommen Singen
+Den Himmel mit dem Sang der Feuer letzt.
+Die sich bekleiden mit sechsfachen Schwingen,
+Warum nicht g’nügt sie meinen Wünschen jetzt?
+Auch ungefragt harrt’ ich so lang nicht säumend,
+War’ ich in dich, wie du in mich versetzt."--
+"Das größte Tal, worin das Wasser schäumend
+Sich ausgedehnt," begann des Sel’gen Wort,
+"Außer dem Meere, rings die Erd’ umsäumend,
+Geht zwischen Feindesufern westlich fort,
+So weit, daß hier, an seinem letzten Strande,
+Gesichtskreis ist, was Mittagsbogen dort.
+Ich lebt’ an dieses großen Tales Rande
+Zwischen Ebro und Magra, die, nicht lang,
+Trennt Genuas Gebiet vom Tuskerlande.
+Fast einen Aufgang hat und Niedergang
+Buggéa und die Stadt, der ich entsprossen,
+Sie, deren Blut einst warm den Port durchdrang.
+Mich hießen Folco meine Zeitgenossen
+Und diesen Stern schmückt meine Freudigkeit,
+Wie dort sein Licht sich in mein Herz ergossen.
+Nicht zu Sichäus’ und Creusas Leid
+Fühlt’ in sich Dido solche Flammen wogen,
+Wie ich einst fühlt’ in meiner Jugendzeit;
+Nicht Phyllis, von Demophoon betrogen;
+Und nicht Alcid, nachdem in seine Brust
+Eurytos’ Tochter siegend eingezogen.
+Doch fühlt man hier nicht Reue drob, nein Lust,
+Ganz die Erinnerung der Schuld verlierend,
+Und nur des ew’gen Ordners sich bewußt.
+Und jene Kunst, die Welten herrlich zierend,
+Sehn wir, und sehn zu gutem Zwecke nun
+Die obre Welt die untere regierend.
+Doch um dem Wunsche ganz genugzutun,
+Der dich durchdrungen hat in dieser Sphäre,
+Darf ich noch nicht in meiner Rede ruh’n.
+Du möchtest wissen, wer der Schimmer wäre,
+Der nahe hier so strahlt, als ob die Glut
+Der Sonn’ in reinem Wasser sich verkläre.
+So wisse, daß darinnen Rahab ruht,
+Die hier, in unsern Orden aufgenommen,
+Sich kund im höchsten Glanz des Sternes tut.
+Vor jedem andern Geist der Höll’ entrommen,
+Ist sie zum Stern, wo sich vom Erdenrund
+Der Schatten spitzt, durch Christi Sieg gekommen.
+Der Sieg, den er, an beiden Händen wund,
+Errungen hat, wird hier von ihr verkündet;
+Den Himmeln tut sie, als Trophä’, ihn kund,
+Weil sie des Josua ersten Ruhm begründet
+Durch ihre Hilf in jenem heil’gen Land,
+Das jetzt der Papst kaum wert der Sorge findet.
+Und deine Stadt, die einst durch den entstand,
+Des Neid euch alles Mißgeschick bereitet,
+Und der zuerst von Gott sich abgewandt,
+Sie ist’s, die das verfluchte Geld verbreitet,
+Das einzig, weil’s zum Wolf den Hirten macht,
+Vom rechten Wege Schaf und Lämmer leitet.
+Drum wird nicht an die Bibel mehr gedacht,
+Doch hat man sehr genau--war’s zu verhehlen,
+So zeigt’s der Rand--der Dekretalen Acht.
+Drin wird studiert von Papst und Kardinälen
+Und Nazareth, wo Gabriel das Wort
+Verkündigt hat, wird fremd den geiz’gen Seelen.
+Doch Vatikan, samt jedem heil’gen Ort
+In Rom, wo Petri Folger einst gepredigt,
+Der Märtyrer geweihte Gräber dort,
+Bald werden sie des Ehebruchs entledigt.
+
+
+Zehnter Gesang
+
+Urkraft, der Liebe voll den Sohn beschauend,
+Die ihr und ihm allewiglich entweht,
+Die Unaussprechliche, das All erbauend,
+Schuf, was ihr nur mit Geist und Aug’ erseht
+So ordnungsvoll, daß sie mit Wonneregung
+Den ganz durchdringt, der ihre Werk’ erspäht.
+Erheb, o Leser, Blick und Überlegung
+Miit mir zum Himmel jetzt, gerad’ dahin,
+Wo sich durchkreuzt die doppelte Bewegung.
+Von dort an letz’ am Kunstwerk deinen Sinn,
+Denn selbst der Meister sieht es mit Vergnügen
+Und spiegelt liebend seinen Blick darin.
+Von dort verteilt sich zu verschiednen Zügen
+Der schiefe Kreis, der die Planeten trägt,
+Um denen, die sie rufen, zu genügen.
+Und war’ ihr Lauf von dort nicht schief bewegt,
+So wäre viele Himmelskraft verschwendet,
+Und nichts beinah auf Erden angeregt.
+Und war’ er mehr und minder abgewendet
+Vom g’raden Weg, so blieb’ auf Erden dort,
+Wie hier, die Weltenordnung unvollendet.
+Jetzt bleib, o Leser, still auf deinem Ort,
+Um dem, was du gekostet, nachzudenken,
+Und eh’ du matt wirst, reißt dich Wonne fort.
+Ich gab dir Wein--du magst dich selber tränken,
+Denn alle meine Sorgen muß ich nur
+Auf jenen Stoff, den ich beschreibe, lenken.
+Die Dienerin, die größte, der Natur,
+Die sich die Himmelskraft zum Spiegel machte,
+Die leuchtend zeigt der Zeiten Maß und Spur.
+Vereint dem Orte, dessen ich gedachte,
+Sah man in schraubenförm’gem Kreis sich dreh’n,
+In dem sie schneller hier die Tage brachte.
+Ich war in ihr--allein wie dies gescheh’n,
+Das spürt’ ich nur, wie wir Gedanken spüren,
+Bevor sie noch in unserm Geist entstehn.
+Beatrix, die so schnell uns weiß zu führen,
+Vom Guten uns zum Bessern einzuweih’n,
+Daß sich indessen nicht die Stunden rühren,
+Wie leuchtend mußte sie von selber sein!
+Und was ich drinnen in der Sonne schaute,
+Durch Farbe nicht, durch hellen Glanz allein,
+Ob ich auf Geist und Kunst und Übung baute,
+Nie stellt’ es doch mein Wort euch deutlich vor,
+Drum sehne sich, zu schau’n, wer mir vertraute.
+Nicht staunt, wenn Phantasie die Kraft verlor,
+Daß sie zu solchen Höh’n sich schwach erweise;
+Kein Blick fliegt über diesen Stern empor.
+So war ich nun im vierten Kinderkreise
+Des Vaters, der, ihm zeigend, wie er weht,
+Und wie er zeugt, ihn nährt mit ew’ger Speise.
+Beatrix sprach: "Dank, Dank sei dein Gebet.
+Zur Engelsonne laß ihn sich erheben,
+Die dich zu dieser sichtbaren erhöht."
+Kein Menschenherz war je mit allem Streben
+Zur Andacht noch so freudig hingewandt,
+Keins noch so ganz und innig Gott ergeben,
+Als ich bei diesem Worte meins empfand,
+Das so zu ihm hin all sein Lieben wandte,
+Daß in Vergessenheit Beatrix schwand.
+Sie zürnte nicht; ihr lächelnd Aug’ entbrannte
+Drob so in Glanz, daß nun mein Geist, der nicht
+An andres dacht’, itzt andres doch erkannte.
+Und sieh, viel siegendes lebend’ges Licht
+Macht’ uns zum Mittelpunkt und sich zur Krone
+Süßer im Sang, als leuchtend im Gesicht.
+So schmückt ein Kranz die Tochter der Latone,
+Wenn dunstgeschwängert sie die Luft umzieht,
+Die widerstrahlt den Streif der lichten Zone.
+Am Himmelshof, von dem ich wieder schied,
+Gibt’s viele Schöne, köstliche Juwelen,
+Nicht auszuführen aus des Reichs Gebiet.
+Dergleichen eins war der Gesang der Seelen;
+Doch wer nicht selbst zu jenen Höh’n sich schwang.
+Der lasse von den Stummen sich’s erzählen.
+Nachdem dreimal die Sonnen mit Gesang,
+Gleich Nachbarsternen, die den Pol umkreisen,
+Uns rings umtanzt in Glut und Wonnedrang,
+Da schienen sie wie Frau’n sich zu erweisen,
+Die horchend stehn, noch nicht gelöst vom Tanz,
+Bis sie gefaßt das Maß der neuen Weisen.
+"Wenn, wahre Lieb’ entzündend, dir der Glanz
+Der Gnade lacht, der sich durch Liebe mehret,"
+So sprach ein Licht aus jenem Strahlenkranz,
+"Wenn er in dir vervielfacht sich verkläret,
+So, daß er dich empor die Stiege lenkt,
+Die niemand absteigt, der nicht aufwärts kehret,
+So wird der, welcher deinen Durst nicht tränkt
+Mit seinem Wein, so wenig Freiheit zeigen,
+Als Wasser, das sich nicht zum Meere senkt.
+Erfahren möchtest du, von welchen Zweigen
+Des Kranzes Blumen sind, der feiernd sich
+Um sie schlingt, die dich stärkt, emporzusteigen.
+Von Dominiks geweihter Schar war ich,
+Der solche Wege leitet seine Herden,
+Wo wohl gedeiht, wer nicht dem Wahne wich.
+Man hieß mich Thomas von Aquin auf Erden,
+Und meines Meisters, meines Bruders Schein,
+Albrechts von Köln, sieh rechts hier heller werden
+Und willst du aller andern sicher sein,
+So folge mit den Augen meinen Worten
+Auf diese Blumen, die zum Kranz sich reih’n.
+Den Gratian sieh wonneflammend dorten;
+Dem doppelten Gerichtshof dienend, fand
+Er frohen Einlaß an des Himmels Pforten.
+Auch jenen Petrus sieh von Lust entbrannt;
+Als Scherflein bot er, nach der Witwe Weise,
+Der Kirche seinen Schatz mit treuer Hand.
+Der fünfte Glanz, der schönste hier im Kreise,
+Haucht solche Liebe, daß die ganze Welt
+Nach Kunde gierig ist von seinem Preise.
+So tiefes Wasser ist’s, das er enthält,
+Daß, ist das Wahre wahr, ihm nie ein zweiter
+Als Weiser sich und Seher gleichgestellt.
+Sieh neben ihm den leuchtenden Begleiter.
+Niemand war je auf Erden noch im Amt
+Und der Natur der Engel eingeweihter.
+Das kleinre Licht, das dorten lächelnd flammt,
+Des Glaubens Anwalt ist’s, aus des Lateine
+In Augustini Schriften manches stammt.
+Verfolgend nun mein Lob von Schein zu Scheine
+Mit geist’gem Blick, erspähst du dürstend jetzt,
+Wer in dem achten Lichte dir erscheine.
+Jedwedes Gut in sich zu schau’n, ergetzt
+Die heil’ge Seele, die den Trug danieden
+Dem offen kund tut, der sie hört und schätzt.
+Der Leib, von dem sie durch Gewalt geschieden
+Liegt in Cield’or, und sie kam aus Gefahr
+Und Bann und Märtyrtum zu diesem Frieden.
+Bedo und Isidor sieh hell und klar,
+Sieh Richard dann die Liebesstrahlen spenden,
+Der mehr als Mensch einst im Betrachten war.
+Das Licht, von dem zurück zu mir sich wenden
+Dein Auge wird, rief, bei der Erde Gram
+Tiefsinnig ernst, den Tod, um ihn zu enden.
+Sigieri ist’s, der zu der Toren Scham
+Einst im Strohgäßchen las und, streng und trübe,
+Durch Folgerung auf bittre Wahrheit kam."--
+Dann wie, uns rufend, früh der Uhr Getriebe,
+Wenn Gottes Braut aufsteht, das Morgenlied
+Singend dem Bräutigam, daß er sie liebe,
+Hierhin und dorthin kreisend drängt und zieht
+Tini tin! verklingend in so süßem Tone,
+Daß frische Lieb’ in frommen Herzen blüht;
+So regte sich die edle Strahlenkrone,
+Mit Süßigkeit im himmlischen Gesang,
+Die nur begreift, wer dort am Sternenthrone
+Die ewig ungetrübte Lust errang.
+
+
+Elfter Gesang
+
+O menschliche Begier voll Wahn und Trug,
+Wie mangelhaft sind doch die Syllogismen,
+Die dir herabzieh’n des Gefieders Flug!
+Der ging dem Jus nach, der den Aphorismen;
+Der sucht’ als Priester Ehren und Gewinn;
+Der herrschte durch Gewalt, der durch Sophismen;
+Der stahl, der hatt’ ein Staatsamt nur im Sinn;
+Der mühte sich, in Fleischeslust befangen,
+Und jener gab dem Müßiggang sich hin;
+Indes ich, allem diesem Tand entgangen,
+Im Himmel oben mit Beatrix war,
+So herrlich und so ruhmvoll dort empfangen.
+Still stand nun jeder von der sel’gen Schar
+Im Kreis zurückgekehrt zur ersten Stelle,
+Und stellte sich, wie Licht auf Leuchtern, dar.
+Da schien es mir, aus jenem Schimmer quelle,
+Der mich zuerst gesprochen, neuer Laut,
+Und lächelnd sprach er dann in reinrer Helle:
+"Wie, wenn ins ew’ge Licht mein Auge schaut,
+Mich dieses ganz mit seinem Strahl entzündet,
+So ist mir deines Denkens Grund vertraut.
+Du zweifelst noch und hörtest gern verkündet
+In offnen Worten und verständlich breit,
+So, daß sie deine Fassungskraft ergründet,
+Was wohl mein ob’ges Wort: Wo wohl gedeiht--
+Und dann: Kein zweiter kam ihm gleich--bedeutet.
+Und hier ist nötig scharfer Unterscheid.
+Die ew’ge Vorsicht, die das Weltall leitet,
+Mit jener Weisheit, die in Tiefen ruht,
+Zu welchen kein erschaffnes Auge gleitet,
+Damit sich dem Geliebten ihre Glut,
+Die Glut der Braut, die er mit lautem Schreie
+Sich anvermählt hat durch sein heil’ges Blut,
+Sichrer in sich und ihm getreuer, weihe,
+Hat, ihr zur Gunst, zwei Fürsten ihr bestallt.
+Und hier und dorten führen sie die zweie.
+Der eine war von Seraphsglut umwallt,
+Der andre zeigt’ im Glanz der Cherubinen
+Die Weisheit dort im ird’schen Aufenthalt.
+Von einem sprech’ ich, weil, wen man von ihnen
+Auch preisen mag, man nie vom andern schweigt,
+Da beide wirkten, einem Zweck zu dienen.
+Beim Bach, der von Ubaldos Hügel steigt,
+Und dem Tupino, hebt sich, zwischen beiden,
+Ein Berg, des Abhang fruchtbar grün sich neigt.
+Von ihm muß Hitz’ und Frost Perugia leiden,
+Und hinter diesem Berg liegt Gualdo dicht,
+Und fühlt mit Nocera des Joches Leiden.
+Dort, wo sich seines Abhangs jähe bricht,
+Dort sah man einer Sonne Glanz entbrennen,
+Gleich der am Ganges klar im hellsten Licht.
+Nicht möge man den Ort Ascesi nennen,
+Denn wenig sagt, wer also ihn benannt;
+Nein, was er war, gibt Orient zu erkennen.
+Schon als der Glanz nicht fern dem Aufgang stand,
+Begann er solche Kraft zu offenbaren,
+Daß sich dadurch erquickt die Erde fand.
+Denn mit dem Vater stritt er, jung an Jahren,
+Für eine Frau, vor der der Freuden Tor
+Die Menschen fest, wie vor dem Tod, verwahren,
+Bis vor dem geistlichen Gericht und vor
+Dem Vater sie zur Gattin er sich wählte
+Und täglich lieber hielt, was er beschwor.
+Sie, des beraubt, der sich ihr erst vermählte,
+Blieb ganz verschmäht mehr als elfhundert Jahr’,
+Da, bis zu diesem, ihr der Freier fehlte,
+Obgleich durch sie Amicias in Gefahr
+So sicher ruht’, als dessen Stimm’ erklungen,
+Des Mächt’gen, der der Erd’ ein Schrecken war;
+Obgleich sie standhaft, kühn und unbezwungen,
+Als selbst Maria unten blieb, sich dort,
+An Christi Kreuz, zu ihm emporgeschwungen.
+Allein nicht mehr in Rätseln red’ ich fort;
+Franziskus und die Armut sieh in ihnen,
+Die dir geschildert hat mein breites Wort.
+Der Gatten Eintracht, ihre frohen Mienen
+Und Lieb’ und Wunder und der süße Blick
+Erweckten heil’gen Sinn, wo sie erschienen.
+Und solchem Frieden eilte, solchem Glück
+Barfuß erst Bernhard nach, der Ehrenwerte,
+Und glaubte doch, er bliebe träg zurück.
+O neuer Reichtum! Gut von echtem Werte!
+Egid, Silvester folgten bald dem Mann
+Barfuß, weil hoher Reiz die Frau verklärte.
+Der Vater und der Meister ging sodann
+Nach Rom mit deiner Frau und mit den Seinen,
+Die schon des niedern Strickes Band umspann.
+Nicht feig sich beugend sah man ihn erscheinen,
+Als Peter Bernardones niedrer Sohn,
+Mocht’ er auch ärmlich und verächtlich scheinen,
+Nein, kund tat er vor Innocenzens Thron
+Den strengen Plan mit königlicher Würde,
+Und der besiegelte die Stiftung schon.
+Dann, als die Schar der Armen in der Hürde
+Des Hirten wuchs, des Wunderleben hier,
+Im Himmelsglanz, man besser singen würde,
+Verlieh der frommen heiligen Begier,
+Auf Gottes Eingebung, zum Eigentume
+Honorius der zweiten Krone Zier.
+Dann predigend, aus Durst nach Märtyrtume,
+Kühn in des stolzen Sultans Gegenwart,
+Von Christi und von seiner Folger Ruhme,
+Fand zur Bekehrung er das Volk zu hart,
+Drob, da ihm hier sein edles Werk nicht glückte,
+Von ihm bebaut Italiens Garten ward.
+Und auf Alvernas Felsenböhen drückte
+Das letzte Siegel noch ihm Christus ein,
+Das dann zwei Jahre seine Glieder schmückte.
+Als der, der ihn berufen, aus der Pein
+Zur Wonn’ ihn rief, den Lohn hier zu erwerben,
+Daß er sein Knecht war, niedrig, arm und klein,
+Empfahl er noch, als seinen rechten Erben,
+Den Brüdern seine Frau, ihm lieb und wert,
+Zu treuer Lieb’ im Leben und im Sterben.
+Eh’ ihrem Schoß die Seele, schon verklärt,
+Entfloh, heimkehrend zu des Vaters Reiche,
+Ward nur die Erd’ als Sarg von ihm begehrt.
+Jetzt denke selbst, wer dem an Würde gleiche,
+Der, sein Genoß, durchs Meer führt Petri Kahn,
+Daß er auf g’radem Weg das Ziel erreiche.
+Dies Amt hatt’ unser Patriarch empfah’n,
+Und gute Ware trägt auf deiner Reise,
+Wer treu ihm folgt auf der befohlnen Bahn.
+Doch deine Herd’ ist jetzt nach neuer Speise
+So lüstern, daß sie üppig hüpft und springt
+Und sich zerstreut und irrt vom rechten Gleise.
+Je weiter hin der Schäflein Herde dringt,
+Dem Hirten fern sich irrend zu zerstreuen,
+Je minder Milch zum Stalle jedes bringt.
+Wohl gibt’s noch welche, die den Schaden scheuen.
+Die folgen, angedrängt dem Hirten, nach,
+Doch wenig Tuch gibt Kutten diesen Treuen.
+Jetzt aber, war mein Wort nicht trüb und schwach,
+Verblieb dein Ohr, aufmerksam meinen Lehren,
+Rufst du zurück dem Geiste, was ich sprach,
+Dann wird’s Befried’gung deinem Wunsch gewähren,
+Dann zeigt der Baum, von dem ich pflückte, sich,
+Und meines Tadels Grund wird sich erklären:
+Wo wohl gedeiht, wer nicht dem Wahne wich."
+
+
+Zwölfter Gesang
+
+Sobald mir nur das letzte Wort erschollen,
+Das aus der sel’gen Himmelsflamme drang,
+Begann die heil’ge Mühl’ im Kreis zu rollen.
+Doch eh’ sie rundherum sich völlig schwang,
+War sie umringt von einem zweiten Kranze,
+Eingreifend Tanz in Tanz und Sang in Sang;
+Sang, hold verhaucht bei diesem Strahlentanze,
+Dem unsrer Musen und Sirenen Lied
+So weicht, wie Widerschein dem ersten Glanze.
+Wie auf Gewölk, das leicht das Blau umsieht,
+Man zwei gleichfarb’ge, gleichgespannte Bogen,
+Wenn Juno ihrer Magd befiehlt, ersieht,
+Erzeugt vom innern der, der ihm umzogen--
+Der Rede jener gleich, die Liebesglut,
+Wie Sonnenglut die Dünste, weggesogen--
+Die Bogen, die nach allgemeiner Flut
+Der Herr dem Noah zeigte, zum Beweise
+Des Bunds, durch den die Erde sicher ruht;--
+So drehte jetzt um uns sich gleicherweise
+Der ew’gen Rosen schöner Doppelkranz,
+So glich der äußere dem innern Kreise.
+Und als zuletzt der festlich frohe Tanz,
+Die Lust des Sangs, der lichten Flammen schweben,
+Das Spiegeln einer in der andern Glanz,
+Still ward in einem Nu, mit gleichem Streben,
+Wie sich die Augen, wenn es dem gefällt,
+Der sie bewegt, verschließen und erheben;
+Klang aus dem Kreis, von neuem Licht erhellt,
+Ein Laut, nach dem ich mich so eilig kehrte,
+Wie der Magnet nach seinem Sterne schnellt.
+Er sprach: Die Liebe, die mich schön verklärte,
+Ist’s, die vom zweiten Hort mich sprechen heißt,
+Durch den man hier so hoch den meinen ehrte.
+Vom andern spreche, wer den einen preist,
+Zusammen glänzt’ ihr Ruhm, so wie sie stritten
+Für einen Zweck und mit gleich tapferm Geist.
+Des Heilands Heer, für welches schwer gelitten,
+Der’s neu bewehrt, zog zweifelnd und voll Leid
+Der Fahne nach, schwach und mit trägen Schritten,
+Als er, der herrscht in Zeit und Ewigkeit,
+Den Kriegern half, die hart gefährdet waren,
+Aus Gnad’ und nicht ob ihrer Würdigkeit;
+Und, wie gesagt, um seine Braut zu wahren.
+Zwei Kämpfer rief, durch deren Wort und Tat
+Gesammelt wurden die zerstreuten Scharen.
+Woher der Zephir haucht, um am Gestad’
+In Tal und Au die Knospen froh zu schwellen,
+Wenn sich der Lenz im Schmuck Europen naht,
+Dort, nah dem Strand, wo hochgetürmte Wellen
+Weit hergewälzt, von Sturmeswut bekriegt,
+Dem Sonnenstrahl sich oft entgegenstellen,
+Dort ist der Platz, wo Callaroga liegt,
+Beschützt und wohlgedeckt vom großen Schilde,
+Auf dem der Leu obsiegt und unterliegt.
+Dort ward erzeugt im glücklichen Gefilde
+Der Glaubenstreue Buhle, der Athlet,
+Dem Feind ein Graus, den Seinigen voll Milde. ’
+Dem Geist, erschaffen kaum, ward zugeweht
+Vom höchsten Geiste Kraft und hohe Gabe,
+Und ungeboren war er schon Propbet.
+Als mit der Glaubenstreue drauf der Knabe
+Verlöbnis hielt, vom heil’gen Quell benetzt,
+Wo gegenseit’ges Heil die Morgengabe,
+Da ward die Zeugin, die Sein Ja! ersetzt,
+Schon von der Wunderfrucht, die ihm entsprieße,
+Und seiner Schul’, im Traumgesicht ergetzt.
+Und daß sich, was er war, erkennen ließe,
+Gebot ein Geist, vom Himmel hergesandt,
+Daß man nach ihm, der ihn besaß, ihn hieße.
+Dominikus ward er darum benannt,
+Der Gärtner, welchen als Gehilfen Christus
+Für seinen Garten wählt’ und sich verband.
+Wohl schien er Bot’ und treuer Knecht von Christus,
+Wie das, was er zuerst geliebt, bezeugt,
+Denn er vollzog den ersten Rat von Christus.
+Wohl fand ihn öfters die, so ihn gesäugt,
+Am Boden liegend, wach, in tiefem Schweigen,
+Als spräch’ er aus: Hierzu bin ich gezeugt.
+O du, sein Vater, Felix wahr und eigen!
+O Mutter, wahrhaft als Johann’ erblüht,
+Wenn wir bis zu des Namens Wurzel steigen!
+Nicht für die Welt, für die man jetzt sich müht,
+Nach des von Ostia, des Thaddäus Lehren,
+Nein, fürs wahrhafte Manna nur entglüht,
+Sollt’ er als Lehrer bald sich groß bewähren,
+Den Weinberg pflegend, der bald Unkraut trägt,
+Wenn nicht des Winzers Hand’ ihm emsig wehren.
+Vom Stuhl, der einst die Armen mild gehegt--
+Einst, nicht durch Schuld des Stuhls--durch dessen Sünden
+Der sitzt, und aus der Art der Väter schlägt,
+Erbat er Zehnten nicht, noch fette Pfründen,
+Erlaubnis nicht, Ablaß und Heil für Geld,
+Um drei und vier für zehen, zu verkünden;
+Nein die, zu kämpfen mit der irren Welt,
+Durch jenen Samen, dem die Bäum’ entspringen,
+Die, zweimal zwölf, sich um dich her gestellt,
+Die Pflichten des Apostels zu vollbringen,
+Strebt’ auf sein Will’ und seine Wissenschaft,
+Gleich Strömen, die aus tiefer Ader Springen.
+Und ihre Wellen stürzten grausenhaft
+Auf ketzerisch Gestrüpp, es auszubrechen,
+Und mit dem Widerstand wuchs ihre Kraft.
+Er gab darauf den Ursprung manchen Bächen,
+Die hinzieh’n durch der Kirche Gartenland,
+Drob ihre Bäume schönre Frucht versprechen--
+Wenn so ein Rad des Kriegeswagens stand,
+Auf dem den Kampf die heil’ge Kirche wagte,
+Als sie die innern Meut’rer überwand,
+So muß dir jetzt, wie hoch das andre ragte
+An Trefflichkeit, vollkommen deutlich sein,
+Und was von ihm dir Thomas Gutes sagte.
+Allein das Gleis hält jetzo niemand ein,
+Das in den Grund der Schwung des Rades prägte,
+Und Essig wird, was vormals süßer Wein.
+Die Schar, die seiner Spur zu folgen pflegte,
+Hat jetzt der Füße Stellung ganz gewandt
+Und geht zurück, wo er sich vorbewegte.
+Wie schlecht die Saat ist, wird euch bald bekannt,
+Denn bei der Ernte wird das Korn erlesen
+Und eingescheuert, doch der Lolch verbrannt.
+Zwar, will man Blatt für Blatt das Buch durchlesen,
+Das unsre Namen zeigt, so sagt ein Blatt
+Noch hier und dort: Ich bin, was ich gewesen.
+Doch nicht Casal, noch Aquasparta hat
+Dergleichen Glieder unsrer Schar gegeben,
+Da der zu streng ist, der zu schlaff und matt.
+Jetzt wiss’, ich bin Buonaventuras Leben,
+Von Bagnoregio, und gering erschien
+Beim großen Amt mir jedes andre Streben.
+Hier sind Jlluminat und Augustin,
+Zwei von den ersten barfußarmen Scharen,
+Die durch den Strick in Gottes Huld gedieh’n.
+Hier sind der von Sankt Viktor zu gewahren,
+Und Mangiador, der Spanier Peter dann,
+Des Ruhm der Welt zwölf Bücher offenbaren.
+Nathan der Seher, Erzbischof Johann,
+Anselm, Donat, der sich dem Werke weihte,
+Des sich die erste Kunst berühren kann.
+Ruban ist hier; und solchen Brüdern reihte
+Sich dieser an, begabt mit Sehergeist
+Abt Joachim, helleuchtend mir zur Seite.
+Wenn solchen Kämpfer meine Rede preist,
+So ist’s des Thomas liebentflammte Weise,
+Die mit sich fort auch meine Rede reißt,
+Und mit mir fortzieht all in diesem Kreise.
+
+
+Dreizehnter Gesang
+
+Wer wohl verstehn will, was ich nun gesehen,
+Bild’ itzt sich ein und lass im Geist das Bild,
+Indes ich spreche, fest, wie Felsen, stehen,
+Fünfzehen Sterne, die man am Gefild
+Des Himmels in verschiedner Gegend findet,
+So glanzvoll, daß ihr Licht durch Nebel quillt;
+Den Wagen, der um unsern Pol sich windet,
+Und sein Gewölb’ bei Tag und Nacht durchreist,
+Drob er beim Deichselwenden nicht verschwindet;
+Bild’ ein sich, was der Mund des Hornes weist,
+Das anfängt an der Himmelsachse Grenzen,
+Um die das erste Rad nie rastend kreist;
+Die Sterne denk’ er sich in zweien Kränzen,
+Die, dem gleich, der sich zur Erinnrung flicht
+An Ariadnens Tod, am Himmel glänzen,
+Umringt den einen von des andern Licht,
+Und beid’ im Kreis gedreht in solcher Weise,
+Daß dem, der vorgeht, der, so folgt, entspricht;
+Dann glaub’ er, daß sich ihm ein Schatten weise
+Des wahren Sternbilds, welches, zweigereiht,
+Den Punkt, auf dem ich stand, umtanzt’ im Kreise.
+Denn was wir kennen, steht ihm nach, so weit,
+Als nur der Chiana träger Lauf dem Rollen
+Des fernsten Himmels weicht an Schnelligkeit.
+Dort sang man nicht von Bacchus, von Apollen,
+Nein, drei in einem--Gott und Mensch nur eins,
+Die Lieder waren’s, welche dort erschollen.
+Als Sang und Tanz des heiligen Vereins
+Vollbracht war, wandt’ er sich zu uns, von Streben
+Zu Streben, ewig froh des sel’gen Seins.
+Und jenes Licht hört’ ich die Stimm’ erheben
+Im eintrachtsvollen Kreis, das mir vorher
+Erzählt des heil’gen Armen Wunderleben.
+Es sprach zu mir: Das eine Stroh ist leer
+Und wohlverwahrt die Saat, allein entglommen
+Von süßer Liebe, dresch’ ich dir noch mehr.
+Du glaubst: Der Brust, aus der die Ripp’ entnommen
+Zum Stoff des Weibes, deren Gaum hernach
+Der ganzen Welt so hoch zu stehn gekommen,
+Und jener, die, als sie der Speer durchstach,
+So nach wie vor so große G’nüge brachte,
+Daß sie die Macht jedweder Sünde brach,
+Sei alles Licht, das je dem Menschen lachte,
+Und des er fähig ist, voll eingehaucht
+Von jener Kraft, die jen’ und diese machte;
+Und staunst, daß ich vorhin das Wort gebraucht:
+Der fünfte Glanz sei bis zum tiefsten Grunde
+Der Weisheit, wie kein zweiter mehr, getaucht.
+Erschließ itzt wohl die Augen meiner Kunde;
+Mein Wort und deinen Glauben siehst du dann
+Im Wahren, wie den Mittelpunkt im Runde.
+Das, was nicht stirbt, und das, was sterben kann,
+Ist nur als Glanz von der Idee erschienen,
+Die, liebreich zeugend, unser Heer ersann.
+Denn jenes Licht des Lebens, das entschienen
+Dem ew’gen Lichtquell, ewig mit ihm eins,
+Und mit der Lieb’, als dritter, eins in ihnen,
+Eint gnädiglich die Strahlen seines Scheins
+Sie, wie in Spiegeln, in neun Himmeln zeigend,
+Im ewigen Verein des einen Seins.
+Von dort sich zu den letzten Kräften neigend,
+Wird schwächer dann der Glanz von Grad zu Grad,
+Zuletzt nur Dinge kurzer Dauer zeugend.
+Die Dinge, die mein Wort bezeichnet hat,
+Sind die Erschaffnen, welche die Bewegung
+Des Himmels zeugt, so mit wie ohne Saat.
+Ihr Wachs ist ungleich, und die Kraft der Prägung
+Und von des Urgedankens Glanz gewahrt
+Man drum hier schwächere, dort stärkre Regung;
+Daher denn auch von Bäumen gleicher Art
+Bald bessere, bald schlechtre Früchte kommen,
+Und euch verschiedne Kraft des Geistes ward--
+War’ irgendwo das Wachs rein und vollkommen,
+Und ausgeprägt mit höchster Himmelskraft,
+Rein würde das Gepräg’ dann wahrgenommen.
+Doch die Natur gibt’s immer mangelhaft
+Und wirkt dem Künstler gleich, der wohl vertrauen
+Der Übung kann, doch dessen Hand erschlafft.
+Drum, bildet heiße Lieb’ und klares Schauen
+Der ersten Kraft, dann wird sie, rein und groß,
+Vollkommenes erschaffen und erbauen.
+So ward gewürdiget der Erdenkloß,
+Die tierische Vollkommenheit zu zeigen,
+Und so geschwängert ward der Jungfrau Schoß.
+Darum ist deine Meinung mir auch eigen:
+Daß menschliche Natur in jenen zwei’n
+Am höchsten stieg und nie wird höher steigen.
+Hielt’ ich mit meinen Lehren jetzo ein,
+So würdest du die Frage nicht verschieben:
+Wie könnt’ ein dritter ohnegleichen sein?
+Doch, daß erscheine, was versteckt geblieben,
+So denke, wer er war, und was zum Fleh’n,
+Als ihm gesagt ward: "Bitt’!" ihn angetrieben.
+Aus meiner Rede konntest du ersehn:
+Als König fleht’ er um Verstand, beflissen,
+Damit dem Reiche g’nügend vorzustehn,
+Nicht um der Himmelslenker Zahl zu wissen,
+Nicht, ob Notwend’ges und Zufälligkeit
+Notwendiges als Schluß ergeben müssen;
+Nicht, was zuerst bewegt, Bewegung leiht;
+Nicht, ob ein Dreieck in dem halben Kreise
+Noch anderen, als rechten Winkel, beut--
+Was ich gemeint, erhellt aus dem Beweise.
+Du siehst: eine Seher sondergleichen war
+Durch Königsklugheit jener hohe Weise,
+Auch ist mein Wort: dem nie ein zweiter, klar;
+Von Kön’gen sprach ich nur an jenem Orte,
+Die selten gute sind, ob viele zwar.
+Mit diesem Unterschied nimm meine Worte,
+Daß nicht im Streit damit dein Glaube sei
+Vom ersten Vater und von unserm Horte.
+Und dieses leg’ an deine Füße Blei
+Und mache schwer dich, gleich dem Müden, gehen
+Zum Ja! und Nein! wo nicht dein Auge frei,
+Weil die selbst unter Toren niedrig stehen,
+Die sich zum Ja und Nein, ohn’ Unterschied,
+Gar schnell entschließen, eh’ sie deutlich sehen;
+Drob sich die Meinung, wie es oft geschieht,
+Zum Irrtum neigt, und dann im Drang des Lebens
+Die Leidenschaft das Urteil mit sich zieht--
+Wer nach der Wahrheit fischt und, irren Strebens,
+Die Kunst nicht kennt, der kehrt nicht, wie er geht,
+Und schifft vom Strand drum schlimmer als vergebens,
+Wie ihr dies an Melissus deutlich seht
+Und an Parmenides und andern vielen,
+Die gingen, eh’ sie nach dem Ziel gespäht;
+Drob Arius und Sabell in Torheit fielen.
+Gleich Schwertern waren sie dem heil’gen Wort
+Und machten die geraden Blicke schielen.
+Nicht reiß’ euch Wahn zum schnellen Urteil fort,
+Gleich denen, die das Korn zu schätzen wagen,
+Das eh’ es reift, vielleicht im Feld verdorrt.
+Denn öfters sah ich erst in Wintertagen
+Den Dornenbusch gar rauh und stachlicht stehn.
+Und auf dem Gipfel dann die Rose tragen.
+Und manches Schiff hab’ ich im Meer gesehn,
+Gerad’ und flink auf allen seinen Wegen,
+Und doch zuletzt am Hafen untergehn.
+Nicht glauben möge Hinz und Kunz deswegen,
+Weil dieser stiehlt und der als frommer Mann
+Der Kirche schenkt, mit Gott schon Rat zu pflegen.
+Da der erstehn und jener fallen kann.
+
+
+Vierzehnter Gesang
+
+Vom Rand zur Mitte sieht man Wasser rinnen
+Im runden Napf, vom Mittelpunkt zum Rand,
+Je wie man’s treibt nach außen oder innen.
+Dies war’s, was jetzt vor meiner Seele stand,
+Als stille schwieg des Thomas heil’ges Leben
+Und süß verhallend seine Stimme schwand,
+Ob jener Ähnlichkeit, die sich ergeben,
+Da er erst sprach, dann Beatricens Mund,
+Der’s jetzt gefiel, die Stimme zu erheben:
+"Ihm tut es not, obwohl er’s euch nicht kund
+In Worten gibt, noch läßt im Innern lesen,
+Zu späh’n nach einer andern Wahrheit Grund.
+Sagt ihm, ob dieses Licht, das euer Wesen
+So schön umblüht, euch ewig bleiben wird
+Im selben Glanze, wie’s bis jetzt gewesen.
+Und, bleibt’s. So sagt, damit er nimmer irrt,
+Wie, wenn ihr werdet wieder sichtbar werden,
+Es euren Blick nicht blendet und verwirrt."
+Wie mit verstärkter Lust oft hier auf Erden
+Die Tanzenden im heitern Ringeltanz
+Die Stimm’ erhöh’n und froher sich gebärden;
+So zeigte neue Lust der Doppelkranz,
+Als sie ihn bat, so rasch, doch fromm-bescheiden,
+In freud’gem Dreh’n und Wundersang und Glanz--
+Wer klagt, daß wir den Tod auf Erden leiden,
+Um dort zu leben, oh, der fühlt und denkt
+Nicht, wie wir dort am ew’gen Tau uns weiden.
+Daß drei und zwei und eins, das alles lenkt
+Und ewig lebt in einein, zwei’n und dreien,
+Und, ewig unumschränkt, das All umschränkt,
+Gesungen ward’s in solchen Melodeien
+Dreimal im Chor, um vollen Lohn der Pflicht
+Und jeglichem Verdienste zu verleihen.
+Und eine Stimm’ entklang dem hellem Licht
+Des kleinern Kreises dann und wich an Milde
+Wohl der des Engels der Verkündung nicht.
+"Solang die Lust im himmlischen Gefilde,
+So lange währt auch unsre Lieb’ und tut
+Sich kund um uns in diesem Glanzgebilde.
+Und seine Klarheit, sie entspricht der Glut,
+Die Glut dem Schau’n, und dies wird mehr uns frommen,
+Je mehr auf uns die freie Gnade ruht.
+Wenn wir den heil’gen Leib neu angenommen,
+Wird unser Sein in höhern Gnaden stehn,
+Je mehr es wieder ganz ist und vollkommen.
+Drum wird sich das freiwill’ge Licht erhöh’n,
+Das wir vom höchsten Gut aus Huld empfangen,
+Licht, welches uns befähigt, ihn zu sehn,
+Und höher wird zum Schau’n der Blick gelangen,
+Höher die Glut sein, die dem Schau’n entglüht,
+Höher der Strahl, der von ihr ausgegangen.
+Doch, wie die Kohle, der die Flamm’ entsprüht,
+Sie an lebend’gem Schimmer überwindet
+Und wohl sich zeigt, wie hell auch jene glüht;
+So wird der Glanz, der jetzt schon uns umwindet,
+Dereinst besiegt von unsres Fleisches Schein,
+Wenn Gott es seiner Grabeshaft entbindet.
+Nicht wird uns dann so heller Glanz zur Pein;
+Denn stark, um alle Wonnen zu genießen,
+Wird jedes Werkzeug unsers Körpers sein."--
+Und Amen riefen beide Chör’ und ließen
+Durch Einklang wohl den Wunsch ersehn, den Drang,
+Sich ihren Leibern wieder anzuschließen.
+Und wohl für sich nicht nur, nein, zum Empfang
+Der Väter, Mütter und der andern Teuern,
+Die sie geliebt, eh’ sie die Flamm’ umschlang.
+Und sieh, zum Glanz von diesen ew’gen Feuern
+Kam gleiche Klarheit rings, wie wenn das Licht
+Des Tags der Sonne goldne Pfeil’ erneuern.
+Wie, wenn allmählich an der Abend bricht,
+Am Himmel Punkte, klein und bleich, erglänzen,
+So daß die Sach’ als wahr erscheint und nicht;
+So glaubt’ ich jetzt in neuen Ringeltänzen
+Noch zweifelnd, neue Wesen zu erspäh’n,
+Weit außerhalb von jenen beiden Kränzen.
+O wahrer Schimmer, angefacht vom Weh’n
+Des Heil’gen Geist’s so plötzlich hell!--Geblendet
+Könnt’ ihm mein Auge jetzt nicht widerstehn.
+Doch als ich zu Beatrix mich gewendet,
+War sie so lachend schön, so hochbeglückt,
+Daß solches Bild kein irdisch Wort vollendet.
+Da ward von neuer Kraft mein Aug’ entzückt;
+Ich schlug es auf und sah mich schon nach oben
+Mit ihr allein zu höherm Heil entrückt.
+Wohl nahm ich wahr, ich sei emporgehoben.
+Denn glühend lächelte der neue Stern
+Und schien von ungewohntem Rot umwoben.
+Von Herzen, in der Sprache, welche fern
+Und nah gemeinsam ist den Völker Scharen,
+Bracht’ ich Dankopfer dar dem höchsten Herrn.
+Und lustentzündet könnt’ ich schon gewahren,
+Eh’ ich die ganze Glut ihm dargebracht,
+Daß angenehm dem Herrn die Opfer waren.
+Denn Lichter, in des Glanzes höchster Macht,
+Sah ich aus zweien Schimmerstreifen scheinen,
+Und rief: O Gott, du Schöpfer solcher Pracht!--
+So tut, besät mit Sternen, groß’ und kleinen, ’
+Galassia zwischen Pol und Pol sich kund,
+Von welcher dies und das die Weisen meinen,
+Wie diese Streifen, bildend auf dem Grund
+Des roten Mars das hochgeehrte Zeichen,
+Gleich vier Quadranten, wohlgefügt im Rund.
+Wohl muß die Kunst hier dem Gedächtnis weichen,
+Denn von dem Kreuz hernieder blitzte Christus;
+Wo gäb’s ein Bild, ihm würdig zu vergleichen?
+Doch wer sein Kreuz nimmt, folgend seinem Christus,
+Von ihm wird das, was ich verschwieg, verzieh’n,
+Denn blitzen sieht auch er im Glanze Christus.
+Von Arm zu Arm, vom Fuß zur Höh’ erschien
+Bewegtes Licht, hier hell in Glanz entbrennend,
+Weil sich’s verband, dort beim Vorüberzieh’n.
+So sieht man wohl, hier träg bewegt, dort rennend,
+Atome, hier g’rad’, dort krummgeschweift,
+Und lang und kurz, sich einend und sich trennend,
+Wirbelnd im Strahl, der durch den Schatten streift,
+Nach dem, wenn heiß die Sonnengluten flirren,
+Der Mensch mit Witz und Kunst begierig greift.--
+Und wie harmonisch Laut’ und Harfe schwirren,
+Sind nur die vielen Saiten rein gespannt,
+Ob auch im Ohr die Töne sich verwirren;
+So hört’ ich jetzt den Sang vom Kreuz und stand,
+Als ob in Lust die Sinne sich verlören,
+Obwohl ich von der Hymne nichts verstand.
+Doch hohen Preis vernahm ich in den Chören,
+Denn: Du erstehst und siegst!--erklang’s, und ich
+Glich denen, welche nicht verstehn, doch hören.
+Und so durchdrang hier süße Liebe mich,
+Daß, welche holde Band’ auch mich umfingen,
+Doch keins bis dahin diesem Bande glich.
+Vielleicht scheint sich zu kühn mein Wort zu schwingen,
+Nachsetzend selbst der schönen Augen paar,
+Die jeden Wunsch in mir zur Ruhe bringen.
+Doch nimmt man die lebend’gen Stempel wahr,
+Die, höher, immer schöneres gestalten,
+Und denkt, daß ich gewandt von jenen war,
+So wird man drob mich für entschuldigt halten
+Und sehn, daß ich vom Wahren nicht geirrt;
+Doch dürft’ auch hier die heil’ge Wonne walten,
+Die, wie man aufsteigt, immer reiner wird.
+
+
+Fünfzehnter Gesang
+
+Gewogner Will’, in welchem immer dir
+Sich offen wird die echte Liebe zeigen,
+Wie böser Wille kund wird durch Begier,
+Gebot der süßen Leier Stilleschweigen
+Und hielt im Schwung der heil’gen Saiten ein,
+Die Gottes Rechte sinken macht und steigen.
+Wie werden taub gerechter Bitte sein
+Sie, die einhellig den Gesang itzt meiden,
+Um Mut zur Bitte selbst mir zu verleih’n.
+Oh, wohl verdienen ewiglich zu leiden
+Die, weil die Lieb’ in ihrer Brust erwacht
+Für Irdisches, sich jener Lieb’ entkleiden.
+Wie durch die Heiterkeit der stillen Nacht
+Oft Feuer läuft, vom Augenblick geboren,
+Und des Beschauers Augen zücken macht,
+Gleich einem Stern, der andern Platz erkoren,
+Nur, daß an jenem Ort, wo er entbrannt,
+Sich nichts verliert und er sich schnell verloren;
+So sah ich aus dem Arm zur rechten Hand
+Jetzt einen Stern zum Fuß des Kreuzes wallen,
+Aus jenem Sternbild, das dort glänzend stand.
+Die Perl’ war nicht aus ihrem Band gefallen;
+Sie lief am lichten Streif dahin und war
+Wie Feuer hinter glänzenden Kristallen.
+So, redet unsre größte Muse wahr,
+Stellt’ in Elysiums Hainen seinem Sprossen
+Anchises sich mit frommer Liebe dar.
+"O du, mein Blut, auf welches sich ergossen
+Die Gnade hat, wem hat der höchste Hort
+Zweimal, wie dir, des Himmels Tür erschlossen?"
+Mir zog den Geist zum Lichte dieses Wort;
+Drauf, als ich mich zu meiner Herrin wandte,
+Ward mir Entzückung, Staunen, hier wie dort,
+Weil ihr im Auge solch ein Lächeln brannte,
+Daß, wie ich glaubte, meins den Grund darin
+Von meinem Himmel, meiner Gnad’ erkannte.
+Der Geist dann fügte Dinge zum Beginn,
+Er, angenehm zu hören und zu sehen,
+Die ich nicht faßte vor zu tiefem Sinn.
+Doch wollt’ er nicht, ich soll’ ihn nicht verstehen;
+Es mußte sein, weil Reden solcher Art
+Weit übers Ziel der Menschenfassung gehen.
+Doch als der Schwung, in dem sich offenbart
+Der Liebe Glut, insoweit nachgelassen,
+Daß jenes Ziel nicht überflogen ward,
+Sprach er, was ich nun fähig war, zu fassen:
+"Preis dir, Dreieiner, der du auf mein Blut
+So reich an Gnade dich herabgelassen."
+Und dann: "Der Sehnsucht lange, süße Glut.
+Entflammt, da ich im großen Buch gelesen,
+Das kund unwandelbar die Wahrheit tut,
+Stillst du, mein Sohn, im Licht, aus dem mein Wesen
+Jetzt freudig zu dir spricht; Dank ihr, die dich
+Zum Flug beschwingt und dein Geleit gewesen!
+Du glaubst, daß alles, was du denkst, in mich
+Vom Urgedanken strömt; denn es entfalten
+Die fünf und sechs ja aus der Einheit sich;
+Drum fragst du nicht nach mir und meinem Walten,
+Und weshalb höher meine Freude scheint
+Als die der andern dieser Lichtgestalten.
+Dein Glaub’ ist wahr, weil groß und klein vereint
+In diesem Reich, nach jenem Spiegel blicken,
+Wo, eh’ du denkest, der Gedank’ erscheint,
+Doch, um die Lieb’, in die mit wachen Blicken
+Ich ewig schau’, und die die Süßigkeit
+Der Sehnsucht zeugt, vollkommner zu erquicken,
+Erklinge sicher, kühn, voll Freudigkeit
+Die Stimm’ in deinem Willen, deinem Sehnen,
+Und die Entgegnung drauf ist schon bereit."
+Ich sah auf sie, die, eh’ die Wort’ ertönen,
+Mich schon versteht, und lächelnd im Gesicht,
+Hieß sie mich frei des Willens Flügel dehnen.
+Ich sprach: "Die Neigung und des Geistes Licht
+Sind, seit die erste Gleichheit ihr ergründet,
+Bei jeglichem von euch im Gleichgewicht,
+Weil euch die Sonne, die euch hellt und zündet
+Mit Licht und Glut, damit sogleich durchdringt,
+Daß man, was sonst sich gleicht, hier ungleich findet.
+Doch Will’ und Witz, wie sie der Mensch erringt,
+Sie sind aus dem euch offenbaren Grunde
+Mit sehr verschiedner Kraft zum Flug beschwingt.
+Dies fühl’ ich Sterblicher in dieser Stunde,
+Und danke deine Vaterliebe dir
+Drum mit dem Herzen nur, nicht mit dem Munde.
+O du lebendiger Topas, du Zier
+Des edlen Kleinods, hell in Glanz entglommen,
+Still’ itzt, dich nennend, meine Wißbegier!"
+"Mein Sproß, längst froh erwartet, jetzt willkommen,
+In mir sieh deine Wurzel!" So der Geist,
+Und setzt’ hinzu, nachdem ich dies vernommen:
+"Und er, nach welchem dein Geschlecht sich heißt,
+Der hundert Jahr’ und mehr für stolzes Wesen
+Des Berges ersten Vorsprung schon umkreist,
+Er ist mein Sohn, dein Urgroßahn, gewesen,
+Und dir geziemt’s, von solcher langen Pein
+Durch gute Werk’ ihn schneller zu erlösen.
+Florenz, im alten Umkreis, eng und klein,
+Woher man jetzt noch Terzen hört und Nonen,
+War damals friedlich, nüchtern, keusch und rein.
+Nicht Kettchen hatt’ es damals noch, nicht Kronen,
+Nicht reichgeputzte Frau’n--kein Gürtelband,
+Das sehenswerter war als die Personen.
+Bei der Geburt des Töchterleins empfand
+Kein Vater Furcht, weil man zur Mitgift immer,
+So wie zur Zeit, die rechten Maße fand.
+Und öde, leere Häuser gab’s da nimmer;
+Nicht zeigte dort noch ein Sardanapal,
+Was man vermag in Üppigkeit der Zimmer.
+Nicht übertroffen ward der Montemal
+Von dem Uccellatojo noch im Prangen,
+Und wie im Steigen, also einst im Fall.
+Ich sah vom schlichten Ledergurt umfangen
+Bellincion Berti noch und sah sein Weib
+Vom Spiegel gehn mit ungeschminkten Wangen.
+Ich sah ein unverbrämtes Wams am Leib
+Des Nerli und des Vecchio--und den Frauen
+War Spill’ und Rocken froher Zeitvertreib.
+Glücksel’ge Fraun! In eurer Heimat Auen
+War euch ein Grab gewiß--durch Frankreichs Schuld
+War keiner noch das öde Bett zum Grauen.
+Die, wach und emsig an der Wiege, lullt’
+In jener Sprach’ ihr Kindlein ein, die jeden
+Der Vater ist, entzückt in Süß’ und Huld.
+Die, ziehend aus dem Rocken glatte Fäden,
+Letzt’ ihrer Kinder Kreis von Römertat,
+Von Troja, Fiesole mit klugen Reden.
+Was ihr an einer Cianghella saht,
+An Salterell, solch Wunder hätt’s gegeben,
+Als itzt Cornelia gab’ und Cincinnat.
+So ruhigem, so schönem Bürgerleben,
+So treuer Bürgerschaft, so teurem Land,
+Gab mich Maria, die mit Angst und Beben
+Die Mutter anrief, als sie Weh’n empfand,
+Und dort, in unserm Taufgebäu, dem alten,
+Ward ich ein Christ und Cacciaguid genannt.
+Zwei Brüder hatt’ ich, und zu treuem Walten
+Im Haufe kam die Gattin mir vom Po,
+Von der den zweiten Namen du erhalten.
+Den Kaiser Konrad folgt’ und dient’ ich, so,
+Daß er mich weihte zu des Ritters Ehren,
+Und immer blieb ich seiner Gnade froh.
+Mit ihm wollt’ ich des Greuels Reich zerstören,
+Des Volk, durch eurer Hirten Fehler, sich
+Der Länder anmaßt, die euch angehören.
+Und dort, von jenem schnöden Volk, ward ich
+Vom Trug der Welt entkettet und geschieden,
+Der viele Herzen jeder Zeit beschlich,
+Und kam vom Märtyrtum zu diesem Frieden.
+
+
+Sechzehnter Gesang
+
+O du geringer Adel unsers Bluts,
+Kannst du hienieden uns zum Stolz verführen,
+Wo wir noch fern vom Schau’n des wahren Guts.
+So werd’ ich nimmer drob Verwundrung spüren;
+Denn dort, wo falsche Lust uns nicht erreicht,
+Fühlt’ ich darob in mir den Stolz sich rühren.
+Du bist ein Mantel, der, sich kürzend, weicht,
+Setzt man nicht Neues zu von Tag zu Tagen,
+Weil rings die Zeit mit ihrer Schere schleicht--
+Mit jenem ihr, das Rom zuerst ertragen,
+Das jetzt die Römer minder brauchen, trat
+Ich näher hin, beginnend neue prägen.
+Beatrix drum, zur Seite stehend, tat,
+Lächelnd, gleich jener, die beim ersten Fehle
+Ginevrens, wie man schreibt, gehustet hat.
+"Ihr seid mein Vater; Ihr erhebt die Seele,
+Daß ich mehr bin als ich; Ihr gebt mir Mut
+Mit Euch zu sprechen frei und sonder Hehle.
+Mir strömt zur Brust vielfacher Wonne Flut,
+Doch sie erträgt es, ohne zu zerspringen,
+Weil süß das Herz in eigner Freude ruht.
+Drum sprecht, mein Urahn, welche Vordern gingen
+Euch noch voraus, und wie bezeichnet man
+Die Jahre, die Euch hier itzt Früchte bringen?
+Vom Schafstall sprecht des heiligen Johann;
+Wie groß war er? Wer ist, den, hochzustehen
+In jenem Volk, man würdig preisen kann?"
+Gleichwie, belebt von frischen Windeswehen,
+Die Kohl’ in Flammen glüht, so war das Licht
+Bei meinem Liebeswort in Glanz zu sehen.
+Und so verschont er jetzt sich dem Gesicht,
+Wie seine Sprache sich dem Ohr verschönte;
+Doch war’s nicht jene, die man jetzo spricht.
+Er sprach: "Seitdem des Engels Ave tönte,
+Bis meine Mutter, heilig itzt, in Qual
+Sich meiner Last entledigend, erstöhnte,
+Kam allbereits fünfhundertachtzigmal
+Dies Feuer zu den Füßen seines Leuen,
+Dort zu erneuern seinen Flammenstrahl.
+Des ersten Lichts sollt’ ich am Ort mich freuen,
+Den Vätern gleich, wo man das Sechsteil fand.
+In dem sich eure Jahresläuf’ erneuen.
+Und dies sei von den Ahnen dir bekannt;
+Wer sie gewesen, und woher entsprossen,
+Wird schicklicher verschwiegen als benannt.
+Was da, von Mars und Täufer eingeschlossen,
+Befähigt war, sich zum Gefecht zu reih’n,
+Ein Fünfteil war’s der jetzigen Genossen.
+Allein die Bürgerschaft, jetzt groß zum Schein,
+Vermischt mit Campis und Certaldos Scharen,
+War noch im letzten Handwerksmanne rein.
+Wohl besser wären, die einst Nachbarn waren,
+Es jetzo noch--wohl besser war’s, Galluzz
+Und Trespian als Grenzen zu bewahren,
+Als innerhalb der Bauern Stank und Schmutz
+Von Aguglion und Signa zu ertragen,
+Die listig schachern allem Recht zum Trutz.
+Wenn sich, der gänzlich aus der Art geschlagen,
+Am Kaiser nicht stiefväterlich verging,
+Statt ihn am Herzen väterlich zu tragen,
+War’ mancher Schachrer, den Florenz empfing,
+Bereits zurückgekehrt nach Simifonte,
+Wo sein Großvater schmählich betteln ging.
+Wie Montemurlo Grafschaft bleiben konnte,
+So wären noch die Cerchi in Acon,
+Vielleicht in Valdigriev die Buondelmonte.
+In Volksvermischung fand man immer schon
+Den ersten Keim zu einer Stadt Verfalle,
+Wie Speis auf Speisen unsern Leib bedroh’n.
+Ein blinder Stier stürzt hin in jäherm Falle
+Als blindes Lamm, und öfters ist ein Schwert
+Mehr wert als fünf und schneidet mehr als alle.
+Sieh Luni, Urbifaglia schon verheert,
+Sieh Chiusi in derselben Not sich winden,
+Die Sinigaglia, jenen gleich, erfährt;
+Dann wirst du’s nicht mehr neu und schrecklich finden,
+Hüllt Nacht des Todes die Geschlechter ein,
+Da Städte selbst vom festen Grund verschwinden.
+Was euer ist, das trägt, wie euer Sein,
+Den Tod in sich; doch, was sich minder wandelt,
+Verbirgt ihn euch, denn eure Zeit ist klein.
+Und wie des Mondes Lauf den Strand verwandelt
+Und ihn in Ebb’ und Flut entblößt und deckt,--
+So ist’s, wie das Geschick Florenz behandelt.
+Drum werde dir kein Staunen mehr erweckt,
+Sprech’ ich von Edeln deiner Stadt, von ihnen,
+Die in Vergessenheit die Zeit versteckt.
+Die Ughi hob’ ich und die Catellinen
+Der Greci und Ormanni Stamm gesehn,
+Die selbst im Fall erhabne Bürger schienen.
+Mocht’ alt, wie hoch, der von Sanella stehn,
+Er mußte mit Soldanier, den von Arke
+Und den Bostichi kläglich untergehn.
+Am Tor, das jetzt an Hochverrat so starke
+Belastung hat, daß in den Wogen bald
+Versinken wird die überladne Barke,
+Dort war der Ravignani Aufenthalt,
+Das Stammhaus derer, so den Namen führen
+Des Bellincion, der edel ist und alt.
+Wohl wußte, wie sich’s zieme, zu regieren,
+Der della Pressa--Galigajo nahm
+Das Schwert, das goldnes Blatt und Knauf verzieren.
+Groß war die graue Säul’ und wundersam,
+Groß waren die Sachetti, die Barucci
+Und die ein Scheffel jetzt durchglüht mit Scham.
+Groß war vordem der Urstamm der Calfucci;
+Zu jeglichem erhabnen Platz im Staat
+Rief man die Sizii, die Arrigucci.
+Wie groß war’t ihr! Allein des Stolzes Saat
+Trug Untergang--wie blüht auf allen Ästen
+So edler Stämme Mut und große Tat!
+So waren deren Väter, die in Festen,
+Wenn man den Sitz des Bischofs ledig sieht,
+Im Konsistorium sich behaglich mästen.
+Das prahlende Geschlecht, das dem, der flieht,
+Zum Drachen wird, doch sanft wird, gleich dem Lamme,
+Wenn man die Zahne weist, den Beutel zieht
+Kam schon empor, allein aus niederm Stamme,
+Drum zürnt’ Ubert dem Bellincion, daß er
+Zu solcherlei Verwandtschaft ihn verdamme.
+Von Fiesole kam Caponsacco her
+Auf euren Markt und trieb in jenen Tagen,
+Wie Infangato bürgerlich Verkehr.
+Unglaubliches, doch Wahres werd’ ich sagen:
+Ein Tor des Städtchens ließ man ungescheut
+Den Namen des Geschlechts der Pera tragen.
+Wen nur des schönen Wappens Schmuck erfreut,
+Des großen Freiherrn, dessen Preis und Ehren
+Alljährlich noch das Thomasfest erneut.
+Ließ Ritterwürden sich von ihm gewähren,
+Mag der auch, der’s mit goldner Zier umwand,
+Jetzt im Vereine mit dem Volk verkehren.
+Da hoch der Stamm der Gualterotti stand,
+So würd’ in Kriegsnot Borgo minder beben,
+Wenn er sich mit den Nachbarn nicht verband.
+Das Haus, das euch zum Weinen Grund gegeben,
+Da’s in gerechtem Grimm euch Tod gebracht
+Und ganz beendigt euer heitres Leben,
+Stand mit den Seinen fest in Ehr’ und Macht.
+Buondelmont, was hattest du Verlangen
+Nach andrer Braut? Was fremden Antriebs acht?
+Wohl viele würden froh sein, die jetzt bangen,
+Wenn Gott der Ema dich vermählt, als du
+Zum ersten Male nach der Stadt gegangen.
+Doch wohl stand dieser Stadt das Opfer zu,
+Das sie der Brückenwacht, dem wüsten Steine,
+Mit Blut gebracht in ihrer letzten Ruh’.
+Mit diesen und mit andern im Vereine
+Sah ich Florenz des süßen Friedens wert,
+Indem’s nie Ursach’ fand, weshalb es weine.
+Mit diesem sah ich hoch sein Volk geehrt,
+Gerecht und treu, in ruhig stiller Haltung,
+Und nie am Speer die Lilie umgekehrt’
+Und nimmer rotgefärbt durch innre Spaltung.
+
+
+Siebzehnter Gesang
+
+Wie der, der Väter karg gemacht den Söhnen,
+An Climene um Kunde sich gewandt
+Von dem, was man gejagt, ihn zu verhöhnen;
+So war ich jetzt in mir, und so empfand
+Beatrix mich und er, des Liebesregung
+Vom Flammenkreuz ihn zu mir hergebannt.
+Drum sie: "Folg’ itzt der inneren Bewegung
+Und laß den Wunsch hervor, nur sei er rein
+Bezeichnet durch des innern Stempels Prägung.
+Er soll nicht größre Kenntnis uns verleih’n,
+Doch mutig sollst du deinen Durst bekennen,
+Als ob ein Mensch ihn stillen sollt’ in Wein."
+"O teurer Ahn, hochragend im Erkennen,
+Gleich wie der Mensch sieht, daß im Dreieck nicht
+Zwei stumpfe Winkel sich gestalten können,
+So siehst du, was da sein wird, das Gesicht
+Dem Spiegel zugewandt, der alle Zeiten
+Als Gegenwart dir zeigt im klaren Licht.
+Als noch Virgil bestimmt war, mich zu leiten,
+Um auf den Berg, der unsre Seelen heilt,
+Und zu der toten Welt hinabzuschreiten,
+Ward von der Zukunft Kunde mir erteilt,
+Die hart ist, mag ich auch als Turm mich fühlen,
+Der trotzend steht, wenn ihn der Sturm umheult.
+Drum wüßt’ ich gern, um meinen Wunsch zu kühlen,
+Welch ein Geschick mir naht. Vorausgeschaut,
+Scheint minder tief ein Pfeil sich einzuwühlen."
+Ich sprach’s zum Licht, das mir mit süßem Laut
+Gesprochen hatt’, und hatt’ ihm nun vollkommen,
+Nach meiner Herrin Wink, den Wunsch vertraut.
+In Rätseln nicht, wie man sie einst vernommen,
+Bestimmt, ein Netz für Torenwahn zu sein,
+Eh’ Gottes Lamm die Sünd’ auf sich genommen,
+In klarem Wort und bündigem Latein,
+Antwortete mir jene Vaterliebe
+Verschlossen in der eignen Wonne Schein:
+"Der Zufall, Werk allein der Erdentriebe,
+Malt sich im ew’gen Blick, wie vorbestimmt,
+Und keiner ist, der ihm verborgen bliebe,
+Obwohl er euch die Freiheit nicht benimmt
+So wenig, als das Aug’ ein Schifflein leitet,
+Das drin sich spiegelt, wenn’s stromunter schwimmt.
+Wie Orgelharmonie zum Ohre gleitet,
+So kann mein Aug’ im ew’gen Blicke sehn,
+Welch ein Geschick die Zukunft dir bereitet.
+Wie Hippolyt, vertrieben aus Athen
+Von der Stiefmutter treulos argen Ränken,
+So mußt du aus dem Vaterlande gehn.
+Dies wollen sie, dies ist’s, worauf sie denken;
+Und wo man Christum frech zu Markte trägt,
+Dort wird zur Tat, was nottut, dich zu kränken.
+Und dem verletzten Teil folgt, wie er pflegt,
+Der Ruf der Schuld--allein die Wahrheit künden
+Wird Gottes Rache, die den Argen schlägt.
+Du wirst dich allem, was du liebst, entwinden
+Und wirst, wenn dies dir bittern Schmerz erweckt,
+Darin den ersten Pfeil des Banns empfinden.
+Wie fremdes Brot gar scharf versalzen schmeckt,
+Wie hart es ist, zu steigen fremde Stiegen,
+Wird dann durch die Erfahrung dir entdeckt.
+Doch wird so schwer nichts seinen Rücken biegen,
+Als die Gesellschaft jener schlechten Schar,
+Mit welcher du dem Bann wirst unterliegen.
+Ganz toll und ganz verrucht und undankbar
+Bekämpft sie dich; doch zeiget bald, zerschlagen,
+Ihr Kopf, nicht deiner, wer im Rechte war.
+Wie dumm sie ist, das wird ihr Tun besagen;
+Und daß du für dich selbst Partei gemacht,
+Wird dir erwünschte, schöne Früchte tragen.
+Die erste Zuflucht in der harten Acht
+Wird dir der herrliche Lombard gewähren,
+Den heil’ger Aar und Leiter kenntlich macht.
+Zwischen euch wird von Geben und Begehren
+Das, was sonst später kommt, das erste sein,
+So sorgsam wird auf dich sein Blick sich kehren.
+Dort siehst du ihn, dem dieses Sternes Schein
+Bei der Geburt im hellsten Licht entglommen,
+Ihm das Gepräg’ zu hoher Tat zu leih’n.
+Und hat die Welt noch nichts davon vernommen,
+So ist’s, weil eben erst zum neuntenmal
+Die Sonn’ um ihm den Zirkellauf genommen.
+Doch glänzt er, ungerührt durch Gold und Quäl,
+Bevor sich des Gascogners Tücken zeigen
+Bei Heinrichs Zug, in heller Tugend Strahl.
+Hochherrlich wird sein Ruhm zum Himmel steigen;
+Der Feind selbst kann, obwohl voll Ungeduld
+Bei seiner Taten Lob, es nicht verschweigen.
+Gewärtig sei denn sein und seiner Huld;
+Aus Armen macht er Reich’ und Arm’ aus Reichen,
+Hebt arme Tugend, stürzt die reiche Schuld.
+Laß nicht dies Wort aus dem Gedächtnis weichen,
+Doch sage nichts!" Dann sagt’ er Dinge mir,
+Die dem selbst, der sie sah, noch Wundern gleichen.
+"Sohn," also sprach er weiter, "siehe hier,
+Zu dem, was dir verkündet ward, die Glossen.
+Schon droht man aus dem Hinterhalte dir.
+Doch nicht beneide deine Landsgenossen,
+Denn lang, bevor du sinkst ins dunkle Grab,
+Ist dem Verrat gerechte Rach’ entsprossen."
+Hier brach die heil’ge Seel’ ihr Reden ab
+Und hatte das Gewebe ganz vollendet,
+Wozu ich fragend ihr den Aufzug gab.
+Und wie man zweifelnd sich an jemand wendet,
+Der innig liebt und Rechtes will und sieht,
+Nach gutem Rat--so ich, als er geendet:
+"Ich seh’s, wie rasch heran die Stunde zieht,
+Um gegen mich den scharfen Pfeil zu kehren,
+Der schwerer trifft, wen die Besinnung flieht.
+Drum muß ich wohl mit Vorsicht mich bewehren,
+Um fern dem Ort, der, was ich lieb’, enthält,
+Nicht durch mein Lied der Zuflucht zu entbehren.
+Denn reifend durch die endlos bittre Welt,
+Dann auf die Höh’, wo mich vom Angesichte
+Der Herrin Licht zum höhern Flug erhellt,
+Dann durch den Himmel selbst von Licht zu Lichte,
+Erfuhr ich, was wohl manchen brennt und beißt
+Durch ätzenden Geschmack, wenn ich’s berichte.
+Und zagt, der Wahrheit feiger Freund, mein Geist,
+Dann, fürcht’ ich, bin ich tot bei jenen allen,
+Bei welchen diese Zeit die alte heißt."
+Und neuen Glanz sah ich dem Licht entwallen,
+Das Strahlen, wie ein goldner Spiegel, warf,
+Auf den der Sonne Feuerblicke fallen.
+"Wer rein nicht sein Gewissen nennen darf,"
+Sprach er, "wen eigne Schmach, wen fremde drücket,
+Dem schmeckt wohl deine Rede streng und scharf.
+Dennoch verkünde ganz und unzerstücket
+Was du gesehn, von jeder Lüge frei
+Und laß nur den sich kratzen, den es jücket.
+Ob schwer dein Werk beim ersten Kosten sei,
+Doch Nahrung hinterläßt’s zu kräft’germ Leben,
+Ist des Gerichts Verdauung erst vorbei.
+Dein Laut wird sich, dem Sturme gleich, erheben,
+Der hohe Gipfel stärker schüttelnd faßt,
+Und dies wird Grund zu größrer Ehre geben.
+Drum sind berühmte Seelen alle fast,
+Die du im dunkeln, wehevollen Schlunde
+Und auf dem Berg und hier gesehen hast.
+Denn niemand traut beruhigt einer Kunde,
+Verbirgt das Bild, das sie vor Augen stellt,
+Die Wurzel tief im unbekannten Grunde,
+Und nur was schimmert überzeugt die Welt."
+
+
+Achtzehnter Gesang
+
+Schon freute sich der sel’ge Geist alleine
+An seinem Wort. und ich, mit Süßigkeit
+Das Bittre mäßigend, genoß das meine.
+Und jene Frau, zum Höchsten mein Geleit,
+Sprach: "Wechsle die Gedanken--denk’, ich wohne
+Dem nah, der mildert unverdientes Leid."
+Ich, hingewandt zum süßen Liebestone,
+Konnt’ in den heil’gen Augen Liebe schau’n,
+Die ich nicht sing’ in dieser niedern Zone.
+Denn nicht der Sprache nur muß ich mißtrau’n;
+Selbst das Gedächtnis kehrt nicht, ungetragen
+Vom Flug der Gnade, zu den sel’gen Au’n.
+Ich kann von jenem Augenblick nur sagen:
+Ich fühlte jeden Wunsch der Brust entflieh’n,
+Als ich den Blick zur Herrin aufgeschlagen,
+Bis, die nun selbst aus ihrem Auge schien,
+Die ew’ge Luft, vom schönen Angesichte
+Im zweiten Anblick G’nüge mir verlieh’n,
+Besiegend mich mit eines Lächelns Lichte.
+"Nicht mir im Aug’ allein ist Paradies."
+Sie sprach’s. "Horch auf! Dorthin die Augen richte!"
+Wie Lieb’ auf Erden wohl sich mir erwies,
+Die lächelnd glänzt’ auf eines Freundes Zügen,
+Der seine Seele ganz ihr überließ,
+So zeigt’ in Glanz und wonnigem Vergnügen
+Des Urahns Geist die liebende Begier,
+Mir noch durch ein’ge Reden zu genügen:
+"In dieses Baumes fünfter Stufe hier,
+Der von dem Gipfel Nahrung zieht und Leben,
+Stets reich an Frucht und frischer Blätter Zier,
+Sind Sel’ge, die, eh’ sie emporzuschweben
+Der Himmel rief, in eurem Erdental
+Durch Ruhm der Muse reichen Stoff gegeben.
+Sieh auf die Arme hin am Kreuzesmal,
+Und zeigen wird sich jeder, den ich nannte,
+Wie in der Wolk’ ihr schneller Feuerstrahl.
+Und sieh, ein Licht, gleich schnellem Blitz, entbrannte,
+Beim Namen Josua--so daß ich Wort
+Und Tat in einem Augenblick erkannte.
+Den Makkabäus nannt’ er dann, und dort
+War kreisend Feuer glänzend vorgedrungen,
+Und Freude trieb den heil’gen Kreisel fort.
+Als Karl der Groß’ und Roland dann erklungen,
+Folgt’ ich so aufmerksam dem Glanz, als man
+Dem Falken folgt, der sich emporgeschwungen.
+Wilhelm zog meinen Blick zum Kreuz hinan,
+Und Rinoard, bei ihres Namens Klange.
+Auch Herzog Gottfried, Robert Guiscard dann.
+Drauf mischte sich dem schimmernden Gedrange
+Die Seele, die erst sprach, als Meisterin
+Sich zeigend in dem himmlischen Gesange.
+Ich kehrte mich zur rechten Seite hin,
+Um in Beatrix; meine Pflicht zu lesen,
+In Wink und Wort der heil’gen Führerin,
+Und sah so rein ihr Aug’, ihr ganzes Wesen
+So hold, daß, was ich hab an Himmelsluft,
+Sie übertraf, ja, was sie je gewesen.
+Und, wie des guten Wirkens sich bewußt,
+In größrer Wonne man von Tag zu Tagen
+Der Tugend Wachstum merkt in eigner Brust;
+So merkt’ ich jetzt, vom Himmel fortgetragen
+In seinem Schwung, gewachsen sei der Kreis,
+Sobald ich sah dies schönre Wunder tagen.
+Und wie das Rot der Scham, die glühend heiß
+Gefärbet hat der zarten Jungfrau Wangen,
+Bald wieder schwindet vor dem lautern Weiß;
+So, nach dem roten Licht, das mich umfangen,
+Sah ich mich in den Silberglanz entrückt
+Des sechsten Sterns, der mich in sich empfangen.
+Und in dem Stern des Zeus, den Freude schmückt,
+War frohes Liebesfunkeln zu gewahren,
+Durch unsrer Sprache Zeichen ausgedrückt.
+Wie Vögel, die empor vom Strande fahren,
+Gemeinsam neuer Weide froh, sich bald
+In runden, bald in langen Haufen scharen;
+So flatterten, von Himmelslicht umwallt,
+In Sängen Sel’ge hin, im Fluge zeigend
+Des D und dann des I und L Gestalt,
+Im Sang, erst bald gesenkt, bald wieder steigend,
+Und war die Ordnung diesen Zeichen gleich,
+Einhaltend in des Fluges Schwung und schweigend.
+Kalliope, die du die Geister reich
+An Ruhme machst, sie ewig zu erhalten,
+Die du erhältst mit ihnen Stadt und Reich,
+Erleuchte mich, damit ich die Gestalten
+Getreu beschreibe, jetzt mit deinem Strahl;
+Laß deine Kraft in kurzen Reimen walten!--
+Vokal’ und Konsonanten--siebenmal
+Fünf waren’s, die mein Auge dort ergötzten,
+Auch merkt’ ich wohl die Ordnung dieser Zahl.
+Diligite iustitiam--So setzten
+Erst Haupt’ und Zeitwort sich; dann sieh sofort:
+Qui iudicatis terram--als die letzten.
+Und alles blieb beim M im fünften Wort
+Geordnet stehn, hiermit das Werk vollbringend.
+So stand die Schrift wie Gold in Silber dort.
+Ich sah viel andres Licht, sich niederschwingend
+Zum Haupt des M, dort still und unbewegt,
+Vom Gut, so schien es, das sie anzieht, singend.
+Dann, wie wenn man mit Feuerbränden schlägt,
+Draus unzählbare Funken sprühend flammen,
+Woraus die Torheit wahrzusagen pflegt;
+So hoben dort sich mehr als tausend Flammen,
+Und die stieg mehr, und minder die empor,
+Wie sie die Sonne trieb, aus der sie stammen.
+Als jed’ an ihrer Stelle war, verlor
+Sich das Gewühl--da trat in Flammenzügen
+Der Kopf und Hals von einem Adler vor.
+Der dorten malt, weiß selbst sich zu genügen;
+Er, ungeleitet, lenkt des Künstlers Hand,
+Damit der Form sich die Gebilde fügen.
+Die sel’ge Schar, die dort zufrieden stand,
+Das M bekrönend mit dem Lilienkranze,
+Vollendete das Bild jetzt, leicht gewandt.
+So sah ich, schöner Stern, der Himmel pflanze
+In uns die Keime der Gerechtigkeit,
+Der Himmel, den du schmückst mit deinem Glanze.
+Zum Geist, der Kraft dir und Bewegung leiht,
+Fleh’ ich, nach jenem Rauche hinzuschauen,
+Der deinen Strahl verdunkelt und entweiht.
+Sein Zorn mach’ einmal noch dem Volke Grauen,
+Das in dem Tempel schachert und verkehrt,
+Den er aus Wundern ließ und Martern bauen.
+Himmelskriegerschar, dort hellverklärt,
+Bitte für die, so noch der Leib umschlossen,
+Die schlechtes Beispiel falsche Wege lehrt.
+Einst kriegte man mit Schwertern und Geschossen,
+Doch jetzt, das Brot wegnehmend dort und hie,
+Das unser frommer Vater nie verschlossen.
+Du, der du schreibst, um auszustreichen, sie:
+Für jenen Weinberg, welchen du verdorben,
+Starb Paul und Petrus, doch noch leben sie.
+Du aber denkst: Hab’ ich nur den erworben,
+Der in die Einsamkeit der Wüst’ entrann,
+Und der zum Lohn für einen Tanz gestorben,
+Was kümmern Paulus mich und Petrus dann?
+
+
+Neunzehnter Gesang
+
+Vor mir erschien mit offnem Flügelpaar
+Das schöne Bild, wo, selig im Vereine,
+Der Geister lichter Kranz verflochten war.
+Jedweder war wie ein Rubin, vom Scheine
+Der Sonne so in Licht und Glut entbrannt,
+Als ob sie selbst mir in die Augen Scheine.
+Der Schilderung, zu der ich mich gewandt,
+Wie kann die Sprache sie, die Feder wagen,
+Da Phantasie dergleichen nie erkannt?--
+Ich sah den Aar und hört’ ihn Worte sagen,
+Und in der Stimm’ erklangen Ich und Mein,
+Als Wir und Unser ihm im Sinne lagen:
+Er sprach: "Für frommes und gerechtes Sein
+Sollt’ ich zu dieser Glorie mich erheben,
+Die jeden Wunsch uns zeigt als arm und klein.
+Und solch Gedächtnis ließ ich dort im Leben,
+Daß es für rühmlich selbst den Bösen gilt,
+Die nicht auf meiner Spur zu wandeln streben."
+Wie vielen Kohlen eine Glut entquillt,
+So tönte jetzt von vielen Liebesgluten
+Ein einz’ger Ton mir zu aus jenem Bild.
+"Ihr ew’ge Blüten des endlosen Guten,"
+Begann ich, "die ihr mir als einen jetzt
+Laßt eure Wohlgerüch’ entgegenfluten,
+Ich bitt’ euch nun, mit eurem Hauch ergetzt
+Mich Hungrigen und reicht mir jene Speise,
+Mit welcher mich die Erde nie geletzt.
+Wohl weiß ich, spiegelt sich in anderm Kreise
+Des Himmels ab des Herrn Gerechtigkeit,
+Daß sie sich euch nicht unterm Schleier weise.
+Ihr wißt, zum Hören bin ich schon bereit,
+Auch wißt ihr, welch ein Zweifel mich befangen,
+Der unbefriedigt ist seit langer Zeit."
+Gleichwie ein edler Falk, der Kapp’ entgangen,
+Das Haupt bewegt, sich schön und freudig macht,
+Stolz mit den Flügeln schlägt und zeigt Verlangen,
+So machte sich des hohen Zeichens pracht,
+Das Gottes Gnade laut dem All verkündet,
+Mit Sang, wie der nur hört, der dort erwacht.
+Und es begann: "Er, der die Welt gerundet
+Und sie begrenzt, hat viel Geheimes drin
+Und Offenbares viel darin begründet;
+Doch hat er seine Kraft vom Anbeginn
+Nicht völlig ausgeprägt im Weltenaue,
+Denn endlos überragt’s sein hoher Sinn.
+Der erste Stolze, welcher höh’r als alle
+Geschöpfe stand, sank drum im frevlen Zwist,
+Des Lichts nicht harrend, früh in jähem Falle.
+Denn jegliches der kleinern Wesen ist
+Zu eng, um jenes Gut darein zu bringen,
+Das, endlos, sich nur mit sich selber mißt,
+Drum kann so weit der Menschenblick nicht dringen,
+Er, nur ein Strahl von jenes Geistes Schein,
+Der Urstoff ist und Grund von allen Dingen,
+Kann nie durch eigne Kraft so mächtig sein,
+Um Seinen Ursprung deutlich zu ersehen,
+Denn Nebel hüllt für ihn so Tiefes ein;
+Drob zu der Urgerechtigkeit das Spähen
+Des Menschenblicks sich nur so weit erstreckt,
+Als in den Grund des Meers die Augen gelten.
+Leicht wird der Grund am Strand vom Aug’ entdeckt,
+Doch nie im Meer, wie sehr sich’s müh’ und übe;
+Grund ist dort, doch zu tief und drum versteckt.
+Nur aus der Heiterkeit, die nimmer trübe,
+Kommt Licht--all andres ist nur Dunkelheit,
+Ist Schatten oder Gift der Fleischestriebe.
+Sieh das Versteck, das die Gerechtigkeit
+Dir lang verhehlt, jetzt offen dem Verstande,
+Und ruh’n wird nun in dir der Zweifel Streit.
+Erzeugt wird jemand an des Indus Strande,
+So sprachst du, doch wer spricht von Jesus Christ,
+Wer liest und schreibt von ihm in jenem Lande?
+Wenn er, soweit es die Vernunft ermißt,
+In Tat und Willen rein und unverdorben
+Und ohne Sünd’ in Wort und Leben ist
+Und er ungläubig, ungetauft gestorben,
+Wo ist dann wohl ein Recht, dem er verfällt?
+Wo Schuld, daß er den Glauben nicht erworben?--
+Und wer bist du, der sich so hoch gestellt,
+Um, richtend, tausend Meilen weit zu springen,
+Da eine Spanne kaum dein Blick enthält?
+Gewiß, daß die mir nach im Forschen ringen,
+War’ über euch nicht Gottes heil’ges Wort,
+Zum Zweifel und Erstaunen Grund empfingen.
+O Tier aus Erd’! Ihrr groben Geister dort!
+Der erste Wille, gut von selber, gehet
+Nie aus sich selbst, dem höchsten Gute, fort.
+Gerecht ist, was mit ihm in Einklang stehet.
+Ihn kann nicht anzieh’n ein erschaffnes Gut,
+Das nur aus seiner Strahlenfüll’ entstehet."--
+Wie über ihrem Nest die Störchin tut,
+Wenn sie die Brut gespeist, im Kreise schwebend,
+Und wie nach ihr hinschaut die satte Brut;
+So tat--und so auch ich, das Aug’ erhebend--
+Das heil’ge Bild, das seine Flügel Schwang,
+Den Willen kund der freud’gen Scharen gebend,
+Indem’s, im Kreis sich schwingend, also sang:
+"So wie du nicht verstehst, was ich verkündet,
+So kennt ihr nicht des ew’gen Urteils Gang."
+Dann, noch im Zeichen, das den Ruhm begründet
+Der Römer hat, stand still die sel’ge Schar,
+Von lichter Glut des Heil’gen Geists entzündet.
+"In dieses Reich", begann aufs neu’ der Aar,
+"Stieg keiner je, der nicht geglaubt an Christus,
+Vor oder nach, als er gekreuzigt war.
+Doch siehe, viele rufen: Christus! Christus!
+Und stehn ihm ferner einst beim Weltgericht
+Als jene, welche nichts gewußt von Christus.
+Das Strafurteil für solche Christen Spricht
+Der Heid’ einst aus, wenn sich die Scharen trennen,
+Die zu der ew’gen Nacht und die zum Licht.
+Wie wird ein Perser eure Fürsten nennen,
+Zeigt ihm sich aufgeschlagen jenes Buch,
+In dem er ihre Schmach wird lesen können?
+Die Tat des Albrecht wird mit hartem Spruch
+Er in dem Buch dann eingetragen sehen,
+Ob der ihn trifft, des Böhmerreiches Fluch.
+Auch Frankreichs Schmerz wird aufgezeichnet stehen,
+In den es durch den Münzverfälscher fällt,
+Der durch des Ebers Stoß wird untergehen.
+Dort steht der Stolz, der Durst nach Land und Geld,
+Drob Schott’ und Engelländer tun gleich Tollen,
+Und keiner sich in seiner Grenze hält.
+Dort wird die Üppigkeit sich zeigen sollen
+Des Spaniers und des Böhmen, welcher nie
+Die Trefflichkeit gekannt, noch kennen wollen.
+Dort, Lahmer von Jerusalem, dort sieh
+Mit einem M bezeichnet deine Sünden,
+Und deine Tugenden mit einem I.
+Dort wird sich auch der niedre Geiz verkünden
+Des, der dort herrschet, wo Anchises ruht
+Nach langer Fahrt, bei Ätnas Feuerschlünden.
+Und wie gering er ist an Kraft und Mut,
+Das wird die abgekürzte Schrift bezeugen,
+Die vieles kund auf engem Raums tut.
+Auch wird das schmutz’ge Tun des Ohms sich zeigen,
+Und das des Bruders kund sein überall,
+Die mit dem edlen Stamm zwei Kronen beugen.
+Auch den von Norweg, den von Portugal
+Und den von Rascia wird man unterscheiden,
+Der Schuld ist an Venedigs Münzverfall.
+Mög’ Ungarn fernerhin nicht Unbill leiden!
+Navarra, es verteidige getrost
+Die Bergesreih’n, die es von Frankreich scheiden!
+Und Nicosia ist und Famagost,
+Vorläufig und als Angeld, sehr mit Fuge,
+Wie jeder zugibt, auf ihr Vieh erbost,
+Das mit dem andern geht in gleichem Zuge."
+
+
+Zwanzigster Gesang
+
+Wenn sie, die hell die ganze Welt verklärt,
+Von unsrer Hemisphär’ herabgeschwommen
+Und rings der Tag ersterbend sich verzeiht,
+Dann zeigt der Himmel, erst von ihr entglommen,
+Von ihr allein, viel Sterne rings im Rund,
+Die all ihr Licht von einem Licht entnommen.
+Dies war’s, was jetzt vor meiner Seele stund,
+Als unsrer Welt und ihrer Herrscher Zeichen
+Stillschweigen ließ den benedeiten Mund.
+Denn alle Lichter, jene wonnereichen,
+Erglänzten mehr im Sang, an dessen Macht
+Nicht irdischer Erinnrung Schwingen reichen.
+O Lieb’, umkleidet mit des Lächelns Pracht,
+Wie sah ich Glanz dich in die Funken gießen,
+Die heil’ger Sinn allein dort angefacht!
+Dann, als die Edelsteine, die mit süßen
+Lichtstrahlen hold das sechste Licht erhöh’n,
+Die Engelsglocken wieder schweigen ließen,
+Schien mir’s, es zeig’ in murmelndem Getön
+Ein Fluß, von Fels zu Felsen niederfallend,
+Wie reich sein Quell entstand auf Bergeshöh’n.
+Und wie ein Ton, aus reiner Laute schallend,
+An ihrem Hals sich formt und wie der Wind
+Durchs Mundloch eindringt, die Schalmei durchhallend;
+So hatte jener Murmelton geschwind
+Sich bis zum Hals des Adlers aufgeschwungen
+Und drang, wie aus der Kehle, süß und lind
+Und ward zur Stimm’, und, dort hervorgedrungen,
+Ward er gebildet zum erwünschten Wort,
+Und wohl behält mein Herz, was mir erklungen.
+"Den Teil in mir, der bei den Adlern dort
+Die Sonne sieht und trägt, schau’ an!" so hoben
+Die Wort’ itzt an und fuhren weiter fort:
+"Denn von den Feuern, die mein Bild gewoben,
+Stehn, die hier glänzen an des Auges Statt,
+In allen Würden vor den andern oben.
+Der, so den Platz des Augenapfels hat,
+Des Heil’gen Geistes Sänger war’s und brachte
+Die Bundeslade fort von Stadt zu Stadt.
+Wie der, der ihn begeistert, seiner achte
+Und seines Sangs, das kann er jetzo sehn,
+Da er dem Wert gleich die Belohnung machte.
+Von fünf, die um mein Aug’ als Braue stehn,
+Sieh nächst dem Schnabel den, der eh’mals Weile
+Dem Heer gebot auf einer Witwe Fleh’n.
+Wie, wer nicht Christo folgt zu seinem Heile,
+Dies teuer büßt, das hat er nun erkannt
+In dieser Wonn’ und in dem Gegenteile.
+Der Nächst’ im Kreise, der mein Aug’ umspannt,
+Ist jener, der den Tod auf fünfzehn Jahre
+Durch wahre Reue von sich abgewandt.
+Jetzt sieht er ein, der Herr, der ewig Wahre,
+Bleib’ ewig wahr, obwohl sein Urteil sich
+Auf würd’ges Fleh’n von heut auf morgen spare.
+Der nachfolgt, führte das Gesetz und mich,
+Durch guten Sinn zu schlimmem Tun bewogen,
+Nach Griechenland, weil er dem Hirten wich.
+Jetzt sieht er, daß, vom Guten abgezogen,
+Das Übel, das in Trümmern euch begräbt,
+Ihm dennoch nichts von seiner Wonn’ entzogen.
+Sieh Wilhelm, wo der Bogen abwärts strebt,
+Ob dessen Tod des Landes Bürger weinen,
+Das weint, weil Karl und Friederich gelebt.
+Jetzt sieht er, Gott liebt zärtlich, als die Seinen,
+Gerechte Fürsten, und, in Glanz erhellt,
+Läßt er dies hier in frohem Blitz erscheinen.
+Wer glaubt’ es in der wahnbefangnen Welt,
+Daß Ripheus, den Trojaner, hier im Runde
+Des fünften Lichtes heil’ger Glanz enthält?
+Jetzt hat er wohl von Gottes Gnade Kunde
+Und siehet mehr, als eurer Welt sich zeigt,
+Dringt auch sein Blick nicht bis zum tiefsten Grunde."
+Wie in die Luft die kleine Lerche steigt,
+Erst singend flattert, aber dann, zufrieden,
+Vom letzten süßen Ton gesättigt, schweigt;
+So schien mir jenes Bild, durch das hienieden
+Des Höchsten ew’ger Wille zu uns spricht,
+Der jedem Ding das, was es ist, beschieden.
+Und barg ich auch den Zweifel minder dicht,
+Als Glas die Farbe, litt er doch mein Schweigen,
+Und längres Harren auf Verkündung nicht.
+Er zwang dies Wort, dem Munde zu entsteigen:
+"Was sah ich dort!" durch seines Dranges Macht,
+Denn Freudenfunkeln sah ich dort sich zeigen.
+Im Auge hellre Gluten angefacht,
+Sprach drauf der Adler, um mich aufzuregen,
+Den Staunen fesselte bei solcher Pracht:
+"Ich sah, du glaubest dies, doch nur deswegen,
+Weil ich’s gesagt, und siehest nicht das Wie?
+Wie wir Verborgenes zu glauben pflegen,
+Wie man der Sache Namen lernt, doch sie
+Nicht kann nach ihrem Wesen unterscheiden,
+Wenn nicht ein anderer uns Licht verlieh.
+Das Reich der Himmel muß Gewalt erleiden,
+Wenn Kraft der Lieb’ und Hoffnung es bekriegt,
+Denn Gottes Wille wird besiegt von beiden;
+Nicht wie ein Mensch dem Stärkern unterliegt;
+Nein, er siegt, denn er will sich ja ergeben.
+Drob er, besiegt durch seine Güte, siegt.
+Du staunst beim ersten und beim fünften Leben
+In meiner Brau’ und nennst es wunderbar,
+Daß beide hier in hellem Glanze schweben.
+Als Christen, nicht als Heiden, starb dies Paar.
+Der glaubt’ ans Leiden, das schon eingetroffen,
+Der zweit’ an das, das noch zu dulden war.
+Der ist vom Höllenschlund, der nimmer offen
+Zur Rückkehr war, zum Leib zurückgekehrt,
+Und dies verdankt er nur lebend’gem Hoffen;
+Lebend’gem Hoffen, das von Gott begehrt,
+Ihn zu befreien aus des Todes Banden,
+Damit er lebe, wie das Wort gelehrt.
+Und die ruhmwürd’ge Seele kehrt’ erstanden
+Auf kurze Zeit zum Leib und glaubt’ an ihn,
+Des Allmacht auf ihr Fleh’n ihr beigestanden.
+Und fühlte, glaubend, sich so hell erglüh’n
+In wahrer Liebe, daß sie dieser Wonnen
+Bei ihrem zweiten Tode wert erschien.
+Der zweit’, aus Gnade, die so tiefem Bronnen
+Entquollen ist, daß nie die Kreatur
+Die Quell’ erspähen kann, wo er begonnen,
+Weiht’ all sein Lieben einst dem Rechte nur,
+Drum hob ihn Gott empor zu Gnad’ und Gnaden
+Und zeigt’ ihm künftiger Erlösung Spur.
+Er glaubt’ an sie und schalt sodann, entladen
+Des Heidentums, von seinem Stanke frei,
+Die, so noch wandelten auf falschen Pfaden.
+Anstatt der Taufe standen ihm die drei,
+Die du am rechten Rad im Tanz gesehen,
+Wohl tausend Jahre vor der Taufe bei.
+O Gnadenwahl, wie tief verborgen stehen
+Doch deine Wurzeln jenem Blick, der nicht
+Vermag den Urgrund völlig zu erspähen!
+Kurz sei dein Urteil, Mensch, wie dein Gesicht,
+Da wir nicht all die Auserwählten wissen,
+Wir, die wir schau’n in Gottes ew’ges Licht.
+Und süß ist uns auch das, was wir vermissen,
+Da daraus uns das höchste Heil entquillt,
+Daß dessen, was Gott will, auch wir beflissen."
+So reichte jenes gottgeliebte Bild,
+Der schwachen Sehkraft Stärkung zu bereiten,
+Mir Arzeneien, wundersüß und mild.
+Und wie mit lieblichem Geschwirr der Saiten
+Die guten Lautner guter Sänger Lied
+Zu größrer Süßigkeit des Sangs begleiten;
+So regt’, indes der Adler mich beschied,
+Der benedeiten Lichter Paar, zusammen,
+Wie man die Augen blicken sieht,
+Bei seinem Wort die hellen Wonneflammen.
+
+
+Einundzwanzigster Gesang
+
+Schon heftet’ ich die Augen aufs Gesicht
+Der Herrin wieder, Augen und Gemüte,
+Und dachte drum an alles andre nicht.
+Sie lächelte mir nicht, doch sprach voll Güte:
+"Dafern ich lachte, würde dir gescheh’n
+Wie Semelen, als sie in Staub verglühte.
+Wenn meine Schönheit, die, wie du gesehn,
+Beim Steigen in dem ewigen Palaste
+Sich mehr entflammt, je mehr wir uns erhöh’n,
+Sich deinem Blick nicht mäßigte, sie faßte
+Dich wie ein Blitz--du wärst von ihr erdrückt,
+Zerschmettert, gleich dem blitzgetroffnen Aste.
+Wir sind zum Glanz, dem siebenten, entrückt,
+Der vom Gebild des Himmelsleu’n umgeben,
+Aus seiner Glut den Strahl herniederzückt.
+Laß itzt den Geist, dem Blicke nach, sich heben;
+Und deinen Blick--mach’ itzt zum Spiegel ihn
+Fürs Bild, das kund wird dieser Spiegel geben."
+Wer wüßte, wie ihr Blick so selig schien,
+Wie er dem meinen ward zur süßen Weide,
+Als sie gebot, ihn wieder abzuzielen,
+Oh, der erkennt auch wohl, mit welcher Freude
+Ich dem gehorcht, was sie mir auferlegt,
+Denn Wonne hielt das Gleichgewicht dem Leide.
+In dem Kristall, das, um die Welt bewegt,
+Vom teuren Führer, unter dem entweichen
+Die Bosheit mußte, noch den Namen trägt,
+Erblickt’ ich einer Leiter schimmernd Zeichen,
+An Farbe gleich dem Gold, durchglänzt vom Strahl,
+Hoch, daß zur Höh’ nicht Menschenblicke reichen.
+Und auf den Sprossen stieg in solcher Zahl
+Die Schar der sel’gen Himmelslichter nieder,
+Als ström’ hier alles Licht mit einemmal.
+Und wie, nach ihrer Art, die Kräh’n, wenn wieder
+Der Tag beginnt, sich rasch bewegend zieh’n.
+Um zu erwärmen ihr erstarrt Gefieder,
+Und die von dannen ohne Rückkehr flieh’n,
+Die rückwärts fliegen, andre dann, im Bogen
+Dieselbe Stell’ umkreisend, dort verzieh’n;
+So sah ich’s jetzt in jenem Glanze wogen,
+Der sich als Strom ergoß. Sobald die Flut
+Bis zu gewissen Stufen hergezogen.
+Und einer glänzte, der, uns nah, geruht,
+Drum wollte schon dies Wort der Lipp’ entsteigen:
+"Ich seh’ es wohl, du zeigst mir Liebesglut."
+Doch sie, die mir zum Sprechen und zum Schweigen
+Das Wie und Wann bestimmt, sie schwieg, und ich
+Tat wohl, nicht fragend meinen Wunsch zu zeigen.
+Doch sie erklärte wohl mein Schweigen sich,
+In ihm, der alles sieht, mich klar erschauend,
+Und sprach: "Still’ itzt den heißen Wunsch und sprichl"
+Und ich begann: "Nicht dem Verdienste trauend,
+Halt’ ich von dir mich einer Antwort wert;
+Ich frag’, auf sie, die mir’s gestattet, bauend,
+O sel’ges Leben, das du schön verklärt
+Dich in der Freude birgst, aus welchem Grunde
+Hast du zu mir dich liebevoll gekehrt?
+Und sage mir, weswegen diesem Runde
+Die Paradiessymphonie gebricht,
+Die tiefer dort erklang im frommen Bunde?"
+Und er:"Dein Ohr ist schwach, wie dein Gesicht,
+Weshalb Beatrix nicht gelacht, deswegen
+Ertönt der Sang in diesem Kreise nicht.
+Ich kam von heil’ger Leiter dir entgegen,
+Um mit der Red’ und mit dem Licht, das mir
+Zum Kleide dient, dich freudig aufzuregen.
+Und nicht aus größrer Liebe bin ich hier;
+Nein, mehr und gleiche Liebe glüht in ihnen,
+Die dorten sind, und Schimmer zeigt sie dir.
+Doch höchste Liebe, die uns treibt, zu dienen
+Dem ew’gen Rat, braucht, wen sie wählt, dabei,
+Wie dir in dem, was du gesehn erschienen."
+"Ich sehe," sprach ich, "daß die Liebe, frei,
+An diesem Hof den Schlüssen nachzugehen
+Der ew’gen Vorsehung, genügend sei.
+Doch bleibt mir eins noch schwierig zu verstehen:
+Warum bist du von allen jenen dort
+Schon im voraus zu diesem Amt ersehen?"
+Noch war ich nicht gelangt zum letzten Wort,
+Da drehte sich, sich um sich selber schwingend,
+Das Licht im Kreis gleich einer Mühle fort.
+"Da jenes Licht, dem Urquell selbst entspringend,"
+Antwortete die Liebe drin, "mir scheint,
+Das, welches mich in sich verschließt, durchdringend,
+Hebt seine Kraft, mit meinem Schau’n vereint,
+Mich über mich, so daß in seinem Schimmer
+Das Ursein, das ihn ausströmt, mir erscheint.
+Und daher kommt mein freudiges Geflimmer,
+Denn wie des Blickes Klarheit sich vermehrt,
+Vermehrt sich auch der Flammen Klarheit immer.
+Doch der, der sich im reinsten Licht verklärt,
+Der Seraph selbst, der Gott am hellsten siebet,
+Genügt dir nicht in dem, was du begehrt.
+Denn in dem Abgrund ew’gen Rats umziehet
+Das, was du fragtest, Nacht, die, nie erhellt,
+Es jeglichem geschaffnen Blick entziehet.
+Verkünde dies, zurückgekehrt, der Welt
+Und warne sie vor jenem stolzen Streben,
+Das so Erhabnes sich zum Ziele stellt.
+Der Geist, von Licht hier, dort von Rauch umgeben,
+Sucht, wie er kann, zum höchsten Ziel hinauf,
+Das er nicht sehn kann, dort den Blick zu heben."
+Dies trug das Wort des Seligen mir auf,
+Drum ließ ich demutsvoll von diesen Fragen
+Und fragte nur nach seinem Lebenslauf.
+"Zwischen Italiens beiden Küsten ragen
+Gebirge, Tuscien nah, so hoch empor,
+Daß unter ihren Höh’n die Wolken jagen.
+In ihnen springt ein Bergeshöcker vor,
+Catria genannt, und drunter liegt die Öde,
+Die Gott zu seinem echten Dienst erkor."
+Also begann er seine dritte Rede
+Und fuhr dann fort: "Dort stärkt’ ich meine Kraft
+Im Dienste so, daß ich der Speisen jede
+Mit nichts mir würzt’ als mit Olivensaft;
+Dort hat Beschauung mir in vielen Jahren
+Bei Hitz’ und Frost Zufriedenheit verschafft.
+Fruchtbare Felder für den Himmel waren
+Im Klosterbann--jetzt wuchert Unkraut dort,
+Und wohl geziemt sich’s, dies zu offenbaren.
+Pier Damian war ich an jenem Ort.
+(Petrus Peccator lebt’ in Unsrer Lieben
+Frau’n heil’gem Kloster an Ravennas Bord.)
+Nur wenig Leben war mir noch geblieben,
+Da rief, ja zog man mich zu jenem Hut,
+Der jetzt zu Schlimmen reizt und schlimmem Trieben.
+Petrus war mager einst und unbeschuht,
+Paulus ging so einher in jenen Tagen
+Und fand die Kost in jeder Hütte gut.
+Die neuen Hirten, feist, voll Wohlbehagen,
+Sieht man gestützt, geführt und schwerbewegt,
+Und hinten läßt man gar die Schleppe tragen.
+Wenn übers Prachtroß sich ihr Mantel schlägt,
+Sind zwei Stück Vieh in einer Haut beisammen.
+O göttliche Geduld, die viel erträgt!"--
+Hier stiegen von der Leiter viele Flammen
+Und kreisten dort, so daß sie mehr und mehr
+Bei jedem Kreis in schönem Lichte schwammen.
+Sie stellten sich um jenen Schimmer her,
+Mit einem Rufe von so lautem Schalle,
+Daß nichts auf Erden tönt so laut und schwer.
+Doch nichts verstand ich in dem Donnerhalle.
+
+
+Zweiundzwanzigster Gesang
+
+Ich kehrte mich, vom Staunen überwunden,
+Zu meiner Führerin, gleich einem Kind,
+Das Hilfe sucht, wo’s immer sie gefunden.
+Sie sprach, der Mutter gleich, die sich geschwind
+Zum Knaben kehrt, der atemlos, beklommen
+In ihrer Stimme frischen Mut gewinnt:
+"Bedenk’s, dich hat der Himmel aufgenommen,
+Wo alles heilig ist, wo heißem Drang
+Gerechten Eifers, was geschieht. entglommen.
+Wie dich mein Lächeln, wie dich der Gesang
+Verwandelt hätten, wirst du jetzt verstehen,
+Da jener Ruf dich so mit Graus durchdrang.
+Verstündest du das drin enthaltne Flehen,
+So wäre dir die Rache schon erklärt,
+Die du noch wirst vor deinem Tode sehen.
+Von droben fällt zu frühe nicht das Schwert,
+Und nicht zu spät, wie’s dem scheint, der mit Grauen
+Es harrend fürchtet oder es begehrt.
+Jetzt blicke nur auf andres mit Vertrauen,
+Sieh dortenhin; du wirst in großer Zahl
+Dort hochberühmte sel’ge Geister chauen."
+Ich sah, den Blick gewandt, wie sie befahl,
+Wohl hundert Kreise, welche Funken Sprühten,
+Verschönert von dem gegenseit’gen Strahl.
+Wie auch in mir der Sehnsucht Stacheln glühten,
+Doch wagt’ ich keine Frag’ und hieß sie ruh’n,
+Um vor zu großer Kühnheit mich zu hüten.
+Die größte, hellste Perle nahte nun,
+Um jenem Wunsch, den sie in mir ergründet,
+Mit süßem Liebeswort genugzutun.
+"Wenn du die Liebe säh’st, die uns entzündet,"
+So sprach die Stimme jetzt aus jenem Licht,
+"Du hättest, was du denkst, mir frei verkündet.
+Doch horch, auf daß du, harrend, später nicht
+Zum hohen Ziel gelangest, und ich deute
+Dir, was zu fragen dir der Mut gebricht.
+Des Berges Höh’, an dessen Abhang heute
+Cassino liegt, war einst Versammlungsort
+Für viel Betrüger und betrogne Leute.
+Der erste, nannt’ ich dessen Namen dort,
+Der jene Wahrheit, die uns hoch erhoben,
+Der Erde bracht’ in seinem heil’gen Wort.
+Und solche Gnade glänzt’ auf mich von oben,
+Daß ich das Land umher vom Dienst befreit,
+Der mit verruchtem Trug die Welt umwoben.
+Wer hier glänzt, lebt’ einst in Beschaulichkeit,
+Und keiner ließ in sich die Flamm’ erkalten,
+Die Blüten treibt und heil’ge Frucht verleiht.
+Sieh des Maccar, des Romuald Lichtgestalten,
+Sieh meine Brüder, die im Klosterbann
+Den Fuß gehemmt und fest das Herz gehalten."
+"Dein liebevolles Wort", so hob ich an,
+"Und diese Freundlichkeit, die es begleitet,
+Die ich an jedem Glanz bemerken kann,
+Sie haben also mein Vertrau’n erweitet,
+Wie Sonnenschein die Rose, welche sich,
+Soweit sie kann, erschließet und verbreitet.
+Und, so vertrauend, Vater, bitt’ ich dich,
+Dich meinen Blicken unverhüllt zu zeigen,
+Ist solche Gnade nicht zu groß für mich."
+"Wenn so hoch", sprach er, "deine Wünsche steigen,
+Beut dir der letzte Kreis Erfüllung dar.
+Durch sie wird jeder Wunsch, auch meiner, schweigen.
+Dort wird vollkommen, reif und ganz und wahr,
+Was nur das Herz ersehnt--und dort nur findet
+Sich jeder Teil da, wo er ewig war,
+Weil jener Kreis sich nicht im Raum befindet;
+Doch unsrer Leiter Höh’ erreichet ihn,
+Daher sie also deinem Blicke schwindet.
+Als sie dem Jakob einst im Traum erschien,
+Sah er die Spitze bis zum Himmel streben
+Und drauf die Engel auf und nieder zieh’n.
+Jetzt mag man nicht den Fuß vom Boden heben,
+Um sie zu steigen, und bei Schreiberei’n
+Bleibt an der Erde träg mein Orden kleben.
+Denn Räuberhöhlen sind, was einst Abtei’n,
+Und ihrer Mönche weiße Kutten pflegen
+Nur Säcke, voll von dumpf’gem Mehl, zu sein.
+Kein Wucher ist so sehr dem Herrn entgegen
+Als jene Frucht, auf die die Mönch’ erpicht,
+Drob sie im Herzen solche Torheit hegen.
+Das, was die Kirche wahrt, gehört nach Pflicht
+Den Armen nur zur Lind’rung der Beschwerden,
+Nicht Vettern, noch auch schlechterem Gezücht.
+Schwach ist des Menschen Fleisch, so, daß auf Erden
+Ein guter Urspung nicht genügen kann,
+Bis Eichensprossen Eichenbäume werden.
+Petrus fing ohne Gold und Silber an,
+Und ich begann mit Fasten und mit Flehen,
+Franz seinen Orden als ein niedrer Mann.
+Willst du nach eines jeden Ursprung spähen,
+Dann sehn, wie ihn verführt der Übermut,
+So wirst du Schwarzes statt des Weißen sehen.
+Traun! daß sich aufgetürmt des Jordans Flut
+Auf Gottes Wink, ist wunderbar zu finden,
+Mehr als die Hilfe, die euch nötig tut."
+Sprach’s, um mit seiner Schar sich zu verbinden;
+Zusammen drängte sich die Schar und fuhr
+Vereint empor, gleich schnellen Wirbelwinden.
+Und ihnen nach, mit einem Winke nur,
+Trieb mich die Herrin aufwärts jene Stiegen;
+So zwang jetzt ihre Kraft mir die Natur.
+Hienieden, wo bald sinkt, was erst gestiegen,
+Gibt die Natur nie solche Schnelligkeit,
+Daß sie vergleichbar ist mit meinem Fliegen.
+So wahr ich, Leser, zu der Herrlichkeit
+Einst kehren will, für die ich oft in Zähren
+Den Busen Schlag’ in Reu’ und tiefem Leid;
+Du kannst ins Feu’r den Finger tun und kehren
+So schnell nicht, als ich war im Sterngebild,
+Das nach dem Stier durchrollt die Himmelssphären.
+O edle Sterne, kraftgeschwängert Bild,
+Dem das, was ich an Geist und Witz empfangen,
+Sei’s wenig oder sei es viel, entquillt,
+In euch ist auf-, in euch ist untergangen
+Die Mutter dessen, was auf Erden lebt,
+Als mich zuerst Toskanas Luft umfangen.
+Als ich zum hohen Kreis, in dem ihr schwebt,
+Geführt von reicher Gnad’, emporgeflogen,
+Da ward zuteil mir, daß ich euch erstrebt.
+Fromm seufz’ ich jetzt zu euch, seid mir gewogen!
+Wollt Kraft zum schweren Pfade mir verleih’n,
+Der meine Seele ganz an sich gezogen,
+"Zum letzten Heile führ’ ich bald dich ein,"
+Sie sprach’s, die mich zu diesen Höhen brachte,
+"Und scharf und klar muß itzt dein Auge sein.
+Darum, bevor du tiefer dringst, betrachte
+Was unten liegt, und sieh, wie viele Welt
+Ich unter deinem Fuß schon liegen machte.
+Damit dein Herz, soviel es kann, erhellt,
+Bereit sei, vor den Siegern zu erscheinen,
+Die fröhlich sich in diesem Kreis gesellt."
+Durch alle sieben Sphären warf ich meinen
+Blick nun zurück und sah dies Erdenrund,
+So daß ich lächelt’ ob des niedern, kleinen.
+Und jener Rat beruht’ auf gutem Grund,
+Denn die dies Rund verschmäh’n in höherm Streben,
+Nur ihnen wird die echte Weisheit kund.
+Ich sah in Glut Latonas Tochter schweben,
+Von jenem Schatten frei, der mir zum Wahn
+Vom Dünnen und vom Dichten Grund gegeben.
+Dich, strahlenreicher Sohn Hvperions, sahn
+Jetzt meine Blicke fest und ungeblendet,
+Und um dich Majas und Diones Bahn.
+Dich sah ich, Zeus, der mäß’gen Schimmer spendet,
+Zwischen Saturn und Mars, auch ward mir klar,
+Wie seinen Wechsellauf ein jeder wendet.
+Wie groß die sieben sind, ward offenbar,
+Wie schnell sie sind, den Weltenraum durchreisend,
+Auch stellte mir sich ihre Ferne dar.
+Und mit dem ew’gen Zwillingspaare kreisend,
+Sah ich die Scheibe, die so stolz uns macht,
+Mir Land und Meer und Berg’ und Täler weisend.
+Dann kehrt’ ich mich zu ihrer Augen Pracht.
+
+
+Dreiundzwanzigster Gesang
+
+Gleichwie der Vogel, der, vom Laub geborgen,
+Im Nest bei seinen Jungen süß geruht,
+Indes die Nacht die Dinge rings verborgen,
+Um zu erschauen die geliebte Brut
+Und ihr zu bringen die willkommne Speise,
+Um die bemüht, er selbst sich gütlich tut,
+Noch vor der Zeit, sobald am Himmelskreise
+Aurora nur erschien, in Lieb’ entbrannt,
+Der Sonn’ entgegenschaut vom offnen Reife;
+So, aufmerksam, das Haupt erhebend, stand
+Die Herrin, nach dem Teil der Himmelsauen,
+Wo minder eilig Sol sich zeigt, gewandt.
+Ich konnte harrend sie und sehnend schauen,
+Und war gleich dem, der anderes begehrt,
+Doch freudig ist in Hoffnung und Vertrauen.
+Und bald ward Schau’n für Hoffen mir gewährt,
+Denn fort und fort sah ich den Glanz sich mehren
+Und sah den Himmel mehr und mehr verklärt.
+Beatrix sprach: "Sieh in den sel’gen Heeren
+Christi Triumph und sieh geerntet hier
+Die ganze Frucht des Rollens dieser Sphären!"
+Als reine Glut erschien ihr Antlitz mir,
+Als reine Wonn’ ihr Blick--und nimmer brächten
+Die Wort’ hervor ein würdig Bild von ihr.
+Wie in des Vollmonds ungetrübten Nächten
+Luna inmitten ew’ger Nymphen lacht,
+Die das Gewölb’ des Himmels rings durchflechten;
+So über tausend Leuchten stand in Pracht
+Die Sonne, so die Gluten all erzeugte,
+Wie unsre mit den Himmelsaugen macht.
+Und, glänzend durch lebend’gen Schimmer, zeigte
+Der Lichtstoff sich, in solcher Herrlichkeit
+Mir im Gesicht, daß es, besiegt, sich neigte.
+O Herrin! teures, himmlisches Geleit!--
+Sie sprach zu mir: "Was hier dich überwunden,
+Ist Kraft, vor der nichts Hilf und Schutz verleiht.
+Hier ist’s, wo Weisheit sich und Macht verbunden;
+Sie machten zwischen Erd’ und Himmel Bahn,
+Nach welcher Sehnsucht längst die Welt empfunden."
+Wie wenn der Wolken Schoß sich aufgetan,
+Die Feuer sich, sie sprengend, niedersenken
+Und gegen ihren Trieb der Erde nah’n;
+So rang mein Geist, von diesen Himmelstränken
+Gestärkt, vergrößert, aus sich selber sich,
+Doch, wie ihm ward, wie könnt’ er des gedenken?
+"Sieh auf, und wie ich bin, erschaue mich!
+Durch das Erschaute hast du Kraft empfangen,
+Und nicht vernichtet mehr mein Lächeln dich."
+Ich war, wie einer, dem sein Traum entgangen,"
+Und der, vom dunklen Umriß nur betört,
+Umsonst sich müht, die Bilder zu erlangen,
+Als ich dies Wort, so wert des Danks, gehört,
+Daß in dem Buch, das den vergangnen Dingen
+Gewidmet ist, es keine Zeit zerstört.
+Und möchten mit mir alle Zungen singen,
+Die von der hohen Pierinnen Schar
+Die reinste Milch zum Labetrunk empfingen,
+Doch stellt’ ich’s nicht zum Tausendteile dar,
+Wie hold ihr heil’ges Lächeln, wie entzündet
+In lauterm Glanz ishr heil’ges Wesen war.
+Und so, da’s Paradieses Lust verkündet,
+Muß jetzo springen mein geweiht Gedicht,
+Gleich dem, der seinen Weg durchschnitten findet.
+Doch wer bedenkt des Gegenstands Gewicht,
+Und daß es schwache Menschenschultern tragen,
+Der schilt mich, wenn ich drunter zittre, nicht.
+Durch Wogen, die mein kühnes Fahrzeug schlagen,
+Darf sich kein Schiffer, scheu vor Not und Müh’n,
+Darf sich kein kleiner schwanker Nachen wagen.
+"Was macht mein Blick dich so in Lieb entglüh’n,
+Um nicht zum schönen Garten hinzusehen,
+Wo unter Christi Strahlen Blumen blüh’n.
+Die Rose siehe dort, in der’s geschehen,
+Daß Fleisch das Wort ward--sieh die Lilien dort,
+Bei deren Duft wir gute Wege gehen."
+Beatrix sprach’s,--ich aber, ihrem Wort
+Gehorsam stets, erneute, mit den matten
+Besiegten Augen doch den Kampf sofort.
+Wie ich besonnt oft sah beblümte Matten,
+Besonnt vom Strahl aus einer Wolke Spalt,
+Indes bedeckt mein Auge war von Schatten;
+So sah ich Scharen dort, von Glanz umwallt,
+Der, Blitzen gleich, auf sie von oben sprühte,
+Doch sah ich nicht den Quell, dem er entwallt.
+Du, die du ihn verströmst, o Kraft voll Güte,
+Du bargst dich in den Höh’n, so daß mein Sinn
+Ertragen konnte, was dort strahlend blühte.
+Der Name klang der Blumenkönigin,
+Zu der ich ruf in allen Erdenleiden,
+Und zog mich ganz zum größten Feuer hin.
+Kaum malte sich in meinen Augen beiden
+Die Größ’ und Glut des Sterns, den Strahl und Glanz
+Siegreich, wie hier einst, so itzt dort umkleiden,
+Da kam, gleich einer Kron’, ein Feuerkranz
+Vom Himmel her, die Blume zu bekrönen,
+Umwand sie auch mit Strahlenkreisen ganz.
+Was auch hienieden klingt von süßen Tönen,
+Von Harmonie, die hold das Herz erweicht,
+Scheint wie zerrißner Wolke Donnerdröhnen,
+Wenn man’s mit jener Leier Ton vergleicht,
+Der Leier, den Saphir als Krön’ umgebend,
+Der zu des klarsten Himmels Schmuck gereicht.
+"Ich bin die Engelslieb’, im Kreise schwebend,
+Und von der Lust, die uns der Leib gebracht,
+Der unser Sehnen aufnahm, Kunde gebend.
+Und kreisen werd’ ich, wenn in höh’rer Pracht,
+Weil, Herrin, du dem Sohn dich nachgeschwungen,
+Bei deinem Nah’n die höchste Sphäre lacht."
+Hier war des Kreises Melodie verklungen.
+Maria! tönt’ es aus dem andern Licht
+Mit einem Klang, doch wie von tausend Zungen.
+Der Königsmantel, der die Stern’ umflicht,
+Entglüht in lebensvollerm Strahlenbrande
+In Gottes Hauch und Strahlenangesicht,
+War über uns mit seinem innern Rande
+So weit entfernt, daß er noch nicht erschien,
+Noch nicht erkennbar war von meinem Stande.
+Drum war dem Auge nicht die Kraft verlieh’n,
+Um, als sie sich erhob zu ihrem Sprossen,
+Der Flamme, der bekrönten, nachzuzieh’n.
+Und wie das Kindlein, wenn’s die Milch genossen,
+Zur Brust, aus der es trank, die Arme reckt,
+Von Liebesglut auch außen übergossen;
+So sah ich hier, die Flamm’ emporgestreckt,
+Jedweden Glanz; so ward sein innig Lieben
+Zur hohen Jungfrau-Mutter mir entdeckt.
+Worauf sie noch mir im Gesichte blieben,
+Als ihr Regina coeli!--mir erscholl
+Im Sang, des Lust mir keine Zeit vertrieben.
+O wie sind dorten doch die Scheuern voll
+Von reicher Frucht, die jeder, der hienieden
+Gut ausgesät, in Lust genießen soll.
+Dort lebt bei solchem Schatz in sel’gem Frieden,
+Der weinend ihn erlangt in Babylon
+Und sich im Bann vom Erdengut geschieden;
+Dort triumphieret unterm hohen Sohn
+Der Jungfrau und des Herrn, und mit dem Alten
+Und Neuen Bund, so nah dem ew’gen Thron,
+Er, der die Schlüssel solchen Reichs erhalten.
+
+
+Vierundzwanzigster Gesang
+
+"O auserwählte Tischgenossenschaft
+Beim großen Mahl des Lamms, daß solcherweise
+Euch speiset, daß euch’s voll G’nüge schafft,
+Wenn er, durch Gottes Huld’ sich an der Speise,
+Die eurem Tisch entfällt, vorkostend stillt,
+Eh’ ihn der Tod beschwingt zur letzten Reise
+So denkt, wie seine Brust vor Sehnen schwillt;
+Netzt ihn mit eurem Tau--auch letzt die Quelle,
+Der alles, was er sinnt und denkt, entquillt."
+Beatrix sprach’s--wie um des Poles Stelle
+Sich Sphären dreh’n, so jene Sel’gen nun,
+Flammend, Kometen gleich, in Glut und Helle.
+Wie, wohlgefügt, der Uhren Räder tun--
+In voller Eil’ zu fliegen scheint das letzte,
+Das erste scheint, wenn man’s beschaut, zu ruh’n
+Also verschieden in Bewegung setzte
+Sich jeder Kreis, drob, wie er sich erwies,
+Schnell oder trag, ich seinen Reichtum schätzte.
+Und aus dem Kreis, den ich den schönsten pries,
+Sah ich ein so beseligt Feuer schweben,
+Daß es nichts Klareres drin hinterließ.
+Um Beatricen Schwang dies heil’ge Leben
+Sich erst dreimal, und Sang entquoll dem Licht,
+Den keine Phantasie kann wiedergeben.
+Drum springt die Feder hier und schreibt es nicht,
+Weil, wo der Phantasie die Kraft benommen,
+Sie noch weit mehr dem armen Wort gebricht.
+"O heil’ge Schwester, die du in so frommen
+Gebeten flehst, durch deine Liebesglut
+Bin ich aus schönerm Kreis herabgekommen!"
+Nachdem das heil’ge Feu’r im Tanz geruht,
+Wandt’ es den Hauch zur Herrin mit den Worten,
+Die mein Gedicht euch kund hier oben tut.
+"O ew’ges Licht des großen Manns, dem dorten"
+--Sie sprach’s--"der Herr die Schlüssel ließ, die er
+Getragen, zu des Wunderreiches Pforten,
+Prüf ihn mit ein’gen Fragen, leicht und schwer,
+Wie dir’s gefällt, ob jener Glaub’ ihm eigen,
+Durch welchen du gegangen auf dem Meer.
+Ob er gut liebt, gut hofft und glaubt--verschweigen
+Kann er dir’s nicht, denn dort ist dein Gesicht,
+Wo abgemalt sich alle Dinge zeigen.
+Doch weil man hier durch wahren Glaubens Licht
+Zum Bürger wird, so wird es Früchte tragen,
+Wenn er mit dir zu seinem Preise spricht."
+Gleichwie der Bakkalaur, des Meisters Fragen
+Erwartend, stillschweigt, denn er rüstet sich,
+Entscheidung nicht, doch den Beweis zu wagen;
+So rüstet’ ich mit jedem Grunde mich,
+Indes sie sprach, um schnell und wohlerfahren
+Zu reden, wenn der Meister spräche: Sprich!
+"Sprich, guter Christ, um dich zu offenbaren:
+Was ist der Glaub’?"--Ich hob die Stirne schnell
+Zum Lichte, dem entweht die Worte waren.
+Zur Herrin blickt’ ich dann, die, froh und hell,
+Mir Mut verlieh, die Flut hervorzulassen,
+Wie sie entströmte meinem innern Quell.
+"Hat Gnade", fing ich an, "mich zugelassen
+Zur Beichte bei der Streiter hohem Hort,
+So lasse sie mich klar die Antwort fassen.
+Die Wahrheit, Vater," also fuhr ich fort,
+"Hab’ ich in deines Bruders Buch getroffen,
+Der Rom bekehrt hat durch sein heilig Wort.
+Glaub’ ist der Stoff des, was wir fröhlich hoffen,
+Ist der Beweis von dem, was wir nicht sehn.
+Und hierin zeigt sich mir sein Wesen offen."
+"Wohl richtig denkst du," hört’ ich’s jetzo weh’n,
+"Wenn du den Grund erkennst. Darum verkünde:
+Was mocht’ er bei Beweis und Stoff verstehn?"
+Drauf ich: "Die Dinge, die ich hier ergründe,
+Die ihres Anblicks Wonne mir verleih’n,
+Sind so versteckt dem Blick im Land der Sünde,
+Daß dorten nur im Glauben ist ihr Sein,
+Auf welchen wir die hohe Hoffnung bauen,
+Und deshalb ist er auch ihr Stoff allein.
+Auch muß dann, ohn’ auf anderes zu schauen,
+Vom Glauben aus nur folgern der Verstand;
+Drum muß man ihm auch als Beweise trauen."
+Ich hörte drauf: "Würd’ alles so erkannt,
+Was dort auf Erden die Gelehrten lehren,
+So wäre der Sophisten Witz verbannt."
+Den Hauch ließ jene Liebesglut mich hören
+Und fuhr dann fort: "Fürwahr, ich sehe dich
+Die Münz’ als echt in Schrot und Korn bewähren.
+Allein hast du sie auch im Beutel? Sprich!"
+Und ich drauf: "Ja, so hell und so gerundet,
+Daß beim Gepräg’ nie Zweifel mich beschlich."
+Da sprach es aus dem Licht, dort hellentzündet:
+"Wie ward dies teure Kleinod dein, dies Gut,
+Auf welches sich jedwede Tugend gründet?"
+Und ich: "Des Heil’gen Geistes Regenflut,
+Die sich so reich aufs Pergament ergossen,
+Das kund den Alten Bund und Neuen tut,
+Sie ist der Grund, aus dem ich es geschlossen
+So scharf, daß anderer Beweis und Grund
+Mir stumpf erscheint wie Tand und leere Possen." .
+Ich hörte drauf: "Der Alt’ und Neue Bund,
+Durch den dein Geist, so folgernd, dieses dachte.
+Wie wurden sie als Gottes Wort dir kund?"
+Und ich: "Das, was mir klar die Wahrheit machte,
+Die Werke sind’s, von der Art, daß Natur
+Sie nie hervor in ihrer Werkstatt brachte."
+Drauf klang’s: "Wo aber ist die klare Spur,
+Daß sie gescheh’n? Dies wäre zu bewähren,
+Da’s niemand dir bezeugt mit sicherm schämt."--
+"Daß ohne Wunder sich zu Christi Lehren
+Die Welt bekehrt--dies Wunder schon bezeugt
+Die Wahrheit sichrer, als wenn’s hundert waren.
+Denn du betratest arm und tiefgebeugt
+Das Feld, den guten Samen dreinzubringen,
+Der einst die Reb’ und jetzt den Dorn erzeugt."
+Ich sprach’s und hörte durch die Sphären klingen
+Der Sel’gen Lied: Herr Gott, dich loben wir!
+In Melodien, wie sie nur jene singen.
+Und jener Herr, der Zweig um Zweig mit mir
+Emporklomm und mich prüfend also führte,
+Daß ich erreicht des Gipfels Höhe schier,
+Sprach weiter: "Wie dein Herz die Gnade rührte,
+Erschloß sie dir den Mund auch wundersam,
+Drum öffnet’ er sich jetzt, wie sich’s gebührte;
+Drum billigt’ ich, was ich aus ihm vernahm.
+Doch was du glaubst, das sollst du jetzt bekunden,
+Und auch woher dir dieser Glaube kam."--
+"O Heil’ger," sprach ich, "der du hier gefunden,
+Was du so fest geglaubt, daß du den Fuß
+Des Jüngern einst am Grabmal überwunden,
+In meinem Wort soll, dies ist dein Beschluß,
+Auch meines Glaubens Form dir klar erscheinen,
+So auch, warum ich also glauben muß.
+So hör’: Ich glaub an Gott, den Ew’gen, Einen,
+Der, unbewegt, des Himmels All bewegt,
+Durch Lieb’ und Trieb zu ihm, dem Ewigreinen.
+Und nicht Vernunft nur und Natur erregt
+Den Glauben mir und gibt mir die Beweise;
+Die Offenbarung auch, so dargelegt
+Moses, Propheten, Davids Sangesweise,
+Das Evangelium, und was ihr, vom Schein
+Des Geists erleuchtet, schriebt zu Gottes Preise.
+Ich glaub’ an drei Personen, eins in drei’n,
+Dreifach in einem Wesen, einem Leben,
+Und Ist und Sind gestattet ihr Verein.
+Von dieser Gotteseigenschaft, die eben
+Mein Wort berührt, hat meinem innern Sinn
+Das Evangelium das Gepräg’ gegeben,
+Dies ist der Funke, dies der Glut Beginn,
+Die dann lebendig in mir aufgestiegen,
+Der Stern, von welchem ich erleuchtet bin."
+So wie der Herr, erst horchend mit Vergnügen,
+pur gute Nachricht in der Freude Drang,
+Zuletzt den Knecht umarmt, wenn er geschwiegen;
+Also das Licht, das dreimal mich umschlang,
+Als ich geendet, was es mir befohlen,
+Mich segnend mit dem himmlischen Gesang--
+So hatte, was ich sprach, mich ihm empfohlen.
+
+
+Fünfundzwanzigster Gesang
+
+Zwäng’ einst dies heil’ge Lied, zu dem die Erde,
+Zu dem der Himmel mir den Stoff gereicht,
+Durch das auf lang’ ich blaß und mager werde,
+Die Grausamkeit, die mich von dort verscheucht,
+Wo ich, ein Lamm, geruht in schöner Hürde,
+Jedwedem Wolfe feind, der sie umschleicht,
+Mit anderm Ton und Haar, als Dichter, würde
+Ich kehren und am Taufquell dort empfah’n
+Im Lorbeerkranz des Dichters höchste Würde.
+Denn dort betrat ich jenes Glaubens Bahn,
+Durch welchen Gott bekannt die Seelen werden,
+Für den mit Petri Licht die Stirn umfah’n.
+Da naht’ ein Licht aus der der sel’gen Herden,
+Aus der der Erste derer vorgewallt,
+Die Christ als Stellvertreter ließ auf Erden.
+Beatrix sprach, umstrahlt die Lichtgestalt
+Von neuer Lust: "Sieh ihn, sich zu uns neigend,
+Den Herrn, für den man nach Galizien wallt."
+Wie wenn die Taub’, aus hohen Lüften steigend,
+Zur Taube fliegt, wie sich das Paar umkreist,
+Und fröhlich girrt, die heiße Liebe zeigend;
+So war’s, wie jetzo der und jener Geist
+Der hohen Fürsten freudig sich empfingen,
+Lobend die Kost, die man dort oben speist.
+Dann standen nach dem Freudentanz und Singen
+Die beiden Lichter schweigend vor mir dort,
+So feurig, daß die Augen mir vergingen.
+Und selig lächelnd fuhr Beatrix fort:
+"Der du geschrieben hast, erlauchtes Leben,
+Was gut sei, komm’ allein von diesem Ort,
+O laß dein Wort die Hoffnung hier erheben;
+Du stellst ja, wie du weißt, so oft sie vor,
+Als Jesus sich den dreien kundgegeben."--
+"Du, fasse Mut--das Antlitz heb empört
+An unserm Strahl muß reisen der Beglückte,
+Der von der Erde kommt zum sel’gen Chor."
+Als so das zweite Feuer mich erquickte,
+Hob ich die Augen zu den Bergen auf,
+Vor deren Last ich erst das Antlitz bückte.
+"Läßt unsers Kaisers Gnade deinen Lauf,
+Bevor du stirbst, zu seinem Hofe gehen,
+Führt er zu seinen Grafen dich herauf,
+Um, wenn du das Geheimste hier gesehen,
+Die Hoffnung, die euch dort im Herzen blüht
+In dir und andern heller anzuwehen,
+So sage, was sie ist? Ob im Gemüt
+Sie dir entkeimt? Woher du sie entnommen?"
+Das zweite Feuer sprach’s, in Licht entglüht.
+Und sie, durch die in mir die Kraft entglommen
+Zum hohen Flug, war mit der Antwort schon
+In diesen Worten mir zuvorgekommen:
+"Die Kirche, die da kämpft, hat keinen Sohn
+Von stärkrer Hoffnung--also zeigt’s geschrieben
+Die Sonn’ auf unsres Freudenreiches Thron.
+Drum aus Ägypten, nach des Herrn Belieben,
+Kommt er nach Zion, wo das Licht ihm tagt,
+Eh’ ihn des Kampfes Ende vorgeschrieben.
+Zwei andre Punkt’, um die du ihn befragt,
+Nicht um zu wissen, nein, damit er sage,
+Wie diese Tugend hier noch dir behagt,
+Lass’ ich ihm selbst; denn nicht, wie jene Frage,
+Sind sie ihm schwer, nicht Reiz zur Prahlerei;
+Und helf ihm Gott, daß er sie würdig trage."
+Dem Schüler gleich, der seinem Meister frei
+Entgegenkommt und freudig und besonnen,
+Daß, was er weiß, kund in der Antwort sei,
+Sprach ich: "Die Hoffnung ist der künft’gen Wonnen
+Erwartung und gewisse Zuversicht,
+Durch Gnad’ und früheres Verdienst gewonnen.
+Von vielen Sternen kam mir dieses Licht;
+Der höchste Sänger macht’ es mir entbrennen,
+Der im Gesang vom höchsten Horte spricht.
+Oh’ alle die, so deinen Namen nennen,
+Hoffen auf dich--so sang der Gottesmann--
+Und wer, der glaubt, wie ich, sollt’ ihn nicht kennen.
+Du träufeltest mir feine Tropfen dann
+Ins Herz durch deinen Brief, mit solchem Segen,
+Daß ich die Flut auf andre gießen kann."
+Indem ich sprach, sah ich’s im Licht sich regen,
+Und, wie ein Blitz, schnell und von Glanz umsprüht,
+Mit zitterndem Gefunkel sich bewegen.
+"Die Liebe," weht’ es, "die mich noch durchglüht
+Für jene Tugend, welche mir durchs Grauen
+Des Kampfs gefolgt, bis mir die Palm’ erblüht,
+Heißt mich durch sie dich letzen und erbauen,
+Und gern vernehm’ ich dieses noch von dir:
+Auf was heißt deine Hoffnung dich vertrauen?"--
+"Die alt’ und neuen Schriften zeigen mir",
+Sprach ich, "das Ziel, das denen Gott bescheidet,
+Die er geliebt, und dieses seh’ ich hier.
+Jesajas zeigt vom Doppelkleid bekleidet,
+Sie all in ihrem Land--und dieses Land,
+Das süße Leben ist’s, das hier euch weidet.
+In denen, so, die Palmen in der Hand,
+In weißen Kleidern vor dem Lamme stehen,
+Macht’s klarer noch dein Bruder mir bekannt."--
+Als ich geendet, tönt’ es aus den Höhen:
+Ihr Hoffen sei auf dich!--und aus dem Tanz
+Der Sel’gen hört’ ich die Erwid’rung wehen.
+Dann zwischen beiden drin entglüht’ ein Glanz,
+So hell, daß, wär’ dem Krebs ein solcher eigen,
+Es würd’ ein Wintermond zum Tage ganz.
+Wie froh aufsteht und geht und in den Reigen
+Die Jungfrau tritt, aus eitelm Triebe nicht,
+Nur dem Verlobten Ehre zu erzeigen;
+So schwebte zu den zwei’n das neue Licht,
+Die ich so eilig in lebend’gem Kreise
+Sich schwingen sah, wie’s heißer Lieb’ entspricht.
+Einstimmt’ es zu dem Lied und zu der Weise;
+Und, gleich der Braut, sah sie die Herrin an,
+Stillschweigend, unbewegt bei solchem Preise.
+"Er ruht’ am Busen unsers Pelikan;
+Ihn hat der Herr zur großen Pflicht erlesen,
+Als er den Martertod am Kreuz empfah’n."
+Sie sprach’s; ihr Blick war, wie er erst gewesen;
+Nicht mehr Aufmerksamkeit war jetzt darin
+Als erst, bevor sie dies gesagt, zu lesen.
+Wie der, der nach dem Sonnenrande hin,
+Der sich verfinstern soll, die Blicke sendet
+Und, um zu sehn, verliert des Auges Sinn;
+So stand ich, zu dem letzten Glanz gewendet.
+Da klang es: "Was nicht ist an diesem Ort,
+Was suchst du’s hier und stehst drum hier geblendet?
+Mein Leib ist jetzt noch Erd’ auf Erden dort,
+Und bleibt’s mit andern, bis die sel’gen Scharen
+Die Zahl erreicht, gesetzt vom ew’gen Wort.
+Zum Himmel sind zwei Lichter nur gefahren,
+Bekleidet mit dem doppelten Gewand:
+Und dieses laß einst deine Welt erfahren."
+Als dieses Wort gesprochen war, da stand
+Der Kreis der Flammen still, samt dem Gesange,
+Zu welchem sich dreifaches Weh’n verband,
+Gleichwie nach Müh’n und schwerem Wogendrange,
+Die Ruder, so die Flut durchwühlt, zugleich
+Allsämtlich ruh’n bei einer Pfeife Klange,
+Ach, wie ward ich vor Angst und Sorge bleich,
+Als ich mich nun zu Beatricen kehrte,
+Und, zwar ihr nah und im beglückten Reich,
+Doch sie nicht sah, die ich zu sehn begehrte.
+
+
+Sechsundzwanzigster Gesang
+
+Ob des erloschnen Augenlichts voll Gram,
+Hört’ ich ein Weh’n aus jener Flamme kommen,
+Die mir’s verlöscht’, und horcht’ ihm aufmerksam.
+Es sagte: "Bis das Licht, das dir verglommen
+In meinem Schimmer ist, dir wiederkehrt,
+Wird sprechen zum Ersatz des Schauens frommen.
+Drum sprich: Was ist es, das dein Herz begehrt?
+Und möge deinen Mut der Trost erheben:
+Dein Aug’ ist nur verwirrt und nicht zerstört.
+Denn sie, die dich geführt ins höh’re Leben,
+Hat jene Kraft im Blicke, die der Hand
+Des Ananias unser Herr gegeben."--
+"Sie helfe dann, wann sie’s für gut erkannt,"
+Sprach ich, "den Augen, die ihr Pforten waren,
+Als sie, einziehend, ewig mich entbrannt.
+Das Gut, das froh macht dieses Reiches Scharen,
+Das A und O der Schriften ist’s, die hier
+Mir Lieb’ andeuten, dort sie offenbaren."
+Dieselbe Stimm’ erklang--wie sich an ihr
+Mein Mut, als ich mich blind fand, aufgerichtet,
+Gebot sie jetzo weitres Sprechen mir.
+"Durch engres Sieb sei, was du meinst, gesichtet,
+Und klarer sei von dir noch dargelegt,
+Was dein Geschoß auf solches Ziel gerichtet?"--
+"Durch das, was Weltweisheit zu lehren pflegt,"
+Versetzt’ ich, "und durch Himmelsoffenbarung
+Ward solche Liebe mir ins Herz geprägt.
+Je mehr ein Gut, soweit es die Erfahrung
+Uns kennen lehrt, der Güt’ in sich enthält,
+Je stärker gibt’s der Liebesflamme Nahrung.
+Das Wesen drum. So gut, daß, was der Welt
+Sich außer ihm noch als ein Gut verkündet,
+Ein Strahl nur ist, der seinem Licht entfällt,
+Dies ist es, das die höchste Lieb’ entzündet.
+Und wohl erkennt es liebend jeder Geist,
+Der jene Wahrheit kennt, die dies begründet;
+Und jener ist’s, der’s der Vernunft beweist,
+Der die für alle Göttlichen entglühte
+Erhabne Liebesbrunst die erste heißt.
+Er selbst erweckte sie mir im Gemüte,
+Der einst zu Moses sprach, der wahre Hort:
+Dein Angesicht schau’ alle meine Güte.
+Du prägst sie ein, dein hohes Heroldswort
+Beginnend vom Geheimnis dieser Sphären.
+Lauter als andres tönt’s auf Erden fort:"
+Da sprach’s: "Nach menschlichen Verstandes Lehren
+Und höherm Wort, das beistimmt dem Verstand,
+Muß sich zu Gott dein höchstes Lieben kehren.
+Doch fühlst du nicht noch manches andre Band
+Zu ihm dich zieh’n? Du sollst mir jedes nennen,
+Mit welchem diese Liebe dich umwand."
+Nicht war der heil’ge Wille zu verkennen
+Des Adlers Christi, ja, ich sah, wohin
+Er mich gelenkt zum weiteren Bekennen.
+Und wieder sprach ich: "Was nur Herz und Sinn
+Hinlenkt zu Gott, erzeugt hat’s im Vereine
+Die Lieb’, in welcher ich entzündet bin.
+Denn durch des Weltalls Dasein und das meine
+Und durch den Tod des, der mich leben macht,
+Durch das, was hofft die gläubige Gemeine,
+Und die Erkenntnis, deren ich gedacht,
+Bin ich dem Meer der falschen Lieb’ entgangen
+Und an der echten Liebe Strand gebracht.
+Die Blätter, die im ganzen Garten prangen
+Des ew’gen Gärtners, lieb’ ich auch, je mehr
+Des Guten sie aus seiner Hand empfangen."
+Ich schwieg--und durch die Himmel, süß und hehr,
+Hört’ ich der Herrin sang und aller klingen,
+Erschallend: Heilig, heilig, heilig er!--
+Und, wie wir uns dem schweren Schlaf entringen
+Beim scharfen Licht, das unsre Sehkraft weckt,
+Wenn uns von Haut zu Haut die Strahlen dringen,
+Und, was er sieht, den jäh Erwachten schreckt,
+Der sich noch nicht besinnt, vom Schlafe trunken,
+Bis der Verstand die Wahrheit ihm entdeckt;
+So war die Decke meinem Aug’ entsunken
+Vor Beatricens Strahlenangesicht,
+Auf tausend Meilen streuend Glanzesfunken.
+Drum sah ich klar, wie vorhin nimmer nicht,
+Und fragte staunend noch und kaum besonnen,
+Nach einem vierten uns gesellten Licht.
+"Aus diesen Strahlen schaut in Liebeswonnen",
+Sprach sie, "zum Schöpfer hin der erste Geist,
+Des Dasein durch die erste Kraft begonnen."
+Gleichwie der Baum, an dem der Sturmwind reißt,
+Den Gipfel beugt, dann, wenn der Sturm vergangen,
+Sich wieder hebt, wie innre Kraft ihn heißt;
+So tat jetzt ich, der, als sie sprach, befangen,
+Erstaunt, gebückt, jetzt in die Höhe fuhr,
+Denn mich erhob nun Sprechlust und Verlangen.
+Ich sprach: "O Frucht, die als die einz’ge nur
+Schon reif entstand, o alter Vater, sage
+Du dem, was Weib heißt, Tochter ist und Schnur,
+Sag’ an, was ich dich fromm zu bitten wage.
+Du siehst ja, welch ein Sehnen mich bewegt,
+Und schneller hör’ ich, wenn ich dich nicht frage."
+Wie ein bedecktes Tier sich rückt und regt
+Und so die Neigung zeigt, dem nachzurennen,
+Der um dasselbe die Verhüllung legt;
+So ließ durch ihre Hülle jetzt erkennen
+Die erste Seele, wie so froh sie war,
+Mir das, was ich gebeten, tun zu können.
+"Dein Sehnen", weht’ es, "nehm’ ich besser wahr,
+Magst du’s auch nicht bekennen und gestehen,
+Als du, was noch so sicher ist und klar.
+Im wahren Spiegel kann ich es erspähen,
+Der jedes Dinges Bildnis in sich faßt,
+Doch seines läßt in keinem Dinge sehen.
+Du fragst: Wieviel der Zeitraum wohl umfaßt,
+Seit Gott mich in den hohen Garten setzte,
+Aus dem du dich mit ihr erhoben hast?
+Wie lange mir sein Reiz die Augen letzte?
+Was eigentlich den großen Zorn erweckt?
+Und welche Sprach’ ich mir zusammensetzte?
+Mein Sohn, nicht daß ich jene Frucht geschmeckt,
+War Grund des Zorns an sich--daß ich entronnen
+Den Schranken war, die mir der Herr gesteckt.
+Mich hat viertausend und dreihundert Sonnen
+Und zwei, im Höllenvorhof sonder Qual
+Sehnsucht erfüllt nach diesen Himmelswonnen.
+Auch sah ich, daß neunhundertdreißigmal
+Zu jedem Sterngebild die Sonne kehrte,
+Indes ich lebt’ in eurem Erdental.
+Die Sprache, die ich einst gesprochen, hörte
+Schon vor dem Bau auf, der, wie schwach die Kraft
+Des Menschen sei, das Volk des Nimrod lehrte.
+Denn was nur irgend die Vernunft erschafft,
+Ist, weil die Neigung nach der Sterne Walten
+Zu wechseln pflegt, nur wenig dauerhaft.
+Die Sprache habt ihr von Natur erhalten,
+Allein so oder so--euch läßt hierin
+Sodann Natur nach Gutbedünken schalten.
+Eh’ ich zur Hölle sank, im Anbeginn
+Hieß El das höchste Gut, an dem entglommen
+Der Glanz, mit welchem ich umkleidet bin.
+Den Namen Eli hat man drauf vernommen,
+Weil Menschenbrauch sich gleich den Blättern zeigt,
+Von welchen jene gehn, wenn diese kommen.
+Auf jenem Berge, der am höchsten steigt,
+Hab’ ich, rein und befleckt, mich sieben Stunden
+Von früh, bis wieder sich die Sonne neigt,
+Wenn sie im zweiten Vierteil steht, befunden."
+
+
+Siebenundzwanzigster Gesang
+
+Dem Vater, Sohn und Heil’gen Geiste fang
+Das ganze Paradies; ihm jubelt’ alles,
+So daß ich trunken ward vom süßen Klang.
+Ein Lächeln schien zu sein des Weltenalles,
+Das, was ich sah, drum zog die Trunkenheit
+Durch Aug’ und Ohr im Reiz des Blicks und Schalles.
+O Lust! O unnennbare Seligkeit!
+O friedenreiches, lieberfülltes Leben!
+O sichrer Reichtum sonder Wunsch und Neid!
+Ich sah vor mir die Feuer glühend Schweben,
+Und das der vier, das erst gekommen war,
+Sah ich in höherm Glanze sich beleben.
+Und also stellt’ es sich den Blicken dar,
+Wie Jupiter, nahm’ man an seinen Gluten
+Das hohe Rot des Marsgestirnes wahr.
+Und jetzt gebot der Wink des ewig Guten,
+Des Vorsicht dort verteilet Pflicht und Amt,
+Daß aller Sel’gen Wonnechöre ruhten.
+Da hört’ ich: "Siehst du höher mich entflammt,
+So staune nicht--bei meinen Worten werden
+Sich diese hier entflammen allesamt.
+Der meines Stuhls sich anmaßt dort auf Erden,
+Des Stuhls, des Stuhls, auf dem kein Hirt itzt wacht,
+Vor Christi Blick, zum Schutze seiner Herden,
+Hat meine Grabstatt zur Kloak’ gemacht
+Von Blut und Stank, drob der zu ew’gen Qualen
+Einst von hier oben fiel, dort unten lacht."
+Wie früh und abends sich die Wolken malen,
+Die g’rad’ der Sonne gegenüberstehn,
+So sah ich jetzt den ganzen Himmel stralhlen.
+Wie wir ein ehrbar Weib sich wandeln sehn,
+Das, sicher seiner selbst, nichts zu verschulden,
+Nur hörend, schüchtern wird durch fremd Vergehn;
+So meiner Herrin Angesicht voll Hulden;
+Und so verfinstert, glaub’ ich, wie sie dort,
+War einst der Himmel bei der Allmacht Dulden.
+Er aber fuhr in seiner Rede fort,
+Und wie verwandelt erst der heitre Schimmer,
+So war verwandelt jetzt das heil’ge Wort.
+"Die Braut des Herrn hat zu dem Zwecke nimmer
+Mein Blut, des Lin und Cletus Blut, genährt,
+Daß man durch sie erwerbe Gold und Flimmer,
+Nein, dieses frohe Sein, das ewig währt;
+Dem hat des Sirt und Pius Blut gegolten,
+Dies hat Calixt, dies hat Urban begehrt.
+Das war’s nicht, was wir von den Folgern wollten,
+Daß sie um sich das Christenvolk getrennt
+Zur Rechten und zur Linken setzen sollten.
+Nicht sollten jene Schlüssel, mir vergönnt,
+Als Kriegeszeichen in den Fahnen stehen,
+Woran man der Getauften Feind’ erkennt.
+Nicht sollte man mein Bild auf Siegeln sehen,
+Erkauftem Lügenfreibrief beigedrückt,
+Drob ich erröt’ und glüh’ in diesen Höhen.
+Jetzt sieht man, mit dem Hirtenkleid geschmückt,
+Raubgier’ge Wölfe dort die Herden hüten.
+O Gott, was ruht dein Schwert noch ungezückt!
+Und Caorsiner und Gascogner brüten
+Schon Tücken aus, voll Gier nach meinem Blut.
+Schnöde, schlechte Frucht von schönen Blüten!
+Allein die Vorsicht, die durch Scipios Mut
+Den Ruhm der Welt beschützt in Romas Siegen,
+Bald hilft sie, wie mir kund mein Spiegel tut.
+Du, Sohn, wenn du zur Erd’ hinabgestiegen,
+Erschleuß den Mund und sprich, wie sich’s gebührt,
+Und nicht verschweige, was ich nicht verschwiegen."
+Wie, wenn der Wolken feuchter Dunst gefriert,
+Durch unsre Luft die Flocken niederfallen,
+Zur Zeit, da Sol des Steinbocks Horn berührt;
+So, aufwärts, sah ich an des Äthers Hallen
+Mit jenem Licht, das eben zu mir sprach,
+Der andern Schar, wie Schimmerflocken, wallen.
+Mein Auge folgte diesem Anblick nach,
+Bis sie so weit im Raum emporgeflogen,
+Daß er den Pfad des Blickes unterbrach.
+Da sprach die Herrin, die mich abgezogen
+Von oben sah: "Jetzt schau’ hinab--hab’ acht,
+Wie weit du fortzogst mit des Himmels Bogen."
+Vom ersten Rückblick an, des ich gedacht,
+Hatt’ ich den Weg der Hälft’ im halben Kreise
+Von seiner Mitte bis zum Rand gemacht.
+Von Kadix jenseits lag das Furt zur Reise
+Ulyß, des Toren--diesseits nah der Strand,
+Dem Zeus entrann, beschwert mit süßem Preise.
+Noch mehr von unserm Ball hätt’ ich erkannt,
+Doch unten war die Sonne vorgegangen,
+Der fern um mehr noch als ein Zeichen stand.
+Mein liebend Herz, das immer mit Verlangen
+Der Herrin schlug, war mehr als je entglüht,
+Ihr wieder mit den Augen anzuhangen.
+Was jemals der Natur und Kunst entblüht
+An Leib und Bild, dem Aug’ als Reiz zu dienen
+Und durch den Blick zu fesseln das Gemüt,
+Vereint war’ alles dies als nichts erschienen
+Bei jener Götterlust, die mich beglückt’,
+Als ich hinschaut’ ins Lächeln ihrer Mienen.
+Und durch die Kraft, die aus dem Blicke zückt,
+Hatt’ ich dem Nest der Leda mich entrungen
+Und war zum schnellsten Himmelskreis entrückt.
+Ich weiß, da er von Lebensglanz durchdrungen
+Gleichförmig war, nicht, wo mit mir in ihn,
+Nach ihrer Wahl, die Herrin eingedrungen.
+Doch sie, der klar mein Herzenswunsch erschien,
+Begann jetzt lächelnd in so sel’gen Wonnen,
+Daß Gott in ihrem Blick zu lächeln schien:
+"Sieh hier des Zirkellaufs Natur begonnen,
+Durch die der Mittelpunkt in Ruhe weilt,
+Und alles rings umher den Flug gewonnen.
+In diesem Himmel, der am schnellsten eilt,
+Wohnt Gottes Geist nur, der die Lieb’ entzündet,
+Die ihn bewegt--die Kraft, die er verteilt.
+Ein Kreis von Licht und Liebesglut umwindet
+Ihn, wie die andern er; allein verstehn
+Kann diesen Kreis nur er, der ihn gerundet.
+Nichts läßt das Maß von seinem Lauf uns sehn;
+Nach ihm nur mißt sich der der andern Sphären,
+Wie man nach Hälft’ und Fünfteil mißt die Zehn.
+Wie sich in diesem Kreis die Wurzeln nähren
+Der Zeit, wie ihr Gezweig zu ändern strebt,
+Das kannst du jetzt dir selber leicht erklären.
+Gier, die tief die Sterblichen begräbt
+In ihrem Schlund, so kraftlos fortgerissen,
+Daß sich kein Blick aus deinem Wirbel hebt!
+Wohl blüht des Menschen Will’, allein in Güssen
+Strömt Regen drauf, der unaufhörlich rinnt,
+Drob echte Pflaumen Butten werden müssen.
+Unschuld und Treue trifft man nur im Kind,
+Doch sie entweichen von den Kindern allen,
+Bevor mit Flaum bedeckt die Wangen sind.
+Die fasten noch beim ersten Kinderlallen,
+Die, mit gelösten Zungen, gierig dann
+In jedem Mond auf jede Speise fallen.
+Der liebt die Mutter noch und hört sie an,
+Solang er lallt, der ihren Tod im Herzen
+Bei voller Sprache kaum erwarten kann.
+Drum muß, erst weiß, das Angesicht sich schwärzen
+Der schönen Tochter des, der, kommend, bringt
+Und, gehend, mit sich nimmt des Tages Kerzen.
+Du denke, wenn dich dies zum Staunen zwingt,
+Daß dort kein Herrscher ist, um euch zu leiten,
+Drob das Geschlecht, verirrt, mit Jammer ringt,
+Doch eh’ der Jänner fällt in Frühlingszeiten
+Durch das von euch vergeßne Hundertteil,
+Wird dieser Kreise Lauf Gebrüll verbreiten,
+Daß das Geschick, erharrt zu eurem Heil,
+Damit’s auf g’raden Lauf die Flotte richte,
+Den Spiegel dreht, wo jetzt das Vorderteil,
+Und auf die Blüten folgen echte Früchte."
+
+
+Achtundzwanzigster Gesang
+
+Nachdem sie tadelnd mir das jetz’ge Leben
+Der armen Menschen wahrhaft kundgemacht,
+Sie, welche mir das Paradies gegeben,
+Da, dem gleich, der im Spiegelglas bei Nacht
+Der Fackel Schein sieht hinter sich entglommen,
+Bevor er sie gesehn und dran gedacht,
+Und rückblickt, ob das, was er wahrgenommen,
+Auch wirklich sei, und sieht, daß Glas und Tat
+So überein, wie Ton und Tonmaß, kommen;
+War ich, und seinem Tun gleich, was ich tat,
+Als ich ins Auge sah, woraus die Schlingen,
+Um mich zu sah’n, die Lieb’ entnommen hat.
+Ich sah itzt das mir in die Augen dringen,
+Als ich die Blicke suchend rückwärts warf,
+Was die erspäh’n, die diesen Kreis erringen.
+Mir strahlt’ ein Punkt, so glanzentglüht und scharf,
+Daß nie ein Auge, das er mit dem hellen
+Glutschein bestrahlt, ihm offen trotzen darf.
+Ließ sich zu ihm das kleinste Sternlein stellen,
+Ein Mond erschien’ es, könnt’ es seinem Licht
+So nah wie Stern dem Stern sich beigesellen.
+So weit, als Sonn’ und Mond ein Hof umflicht,
+Vom eignen Glanz der beiden Stern’ entsprungen,
+Wenn sich in dichtem Dunst ihr Schimmer bricht,
+War um den Punkt ein Kreis, so schnell geschwungen
+In reger Glut, daß er auch überwand
+Den schnellsten Kreis, der rings die Welt umschlungen.
+Und dieser war vom zweiten rings umspannt,
+Um den der dritte dann, der vierte wallten,
+Die dann der fünfte, dann der sechst’ umwand.
+Drauf sah man sich den siebenten gestalten,
+So weit, daß Iris halber Kreis, auch ganz,
+Doch viel zu enge war’, ihn zu enthalten.
+Dann wand der achte sich, der neunte Kranz,
+Je träger jeder Kreis im Schwung, je weiter
+Er ferne stand von jenem einen Glanz.
+Mehr ist des Kreises Flamme rein und heiter,
+Je minder fern er ist von seiner Spur,
+Und in der reinen Glut je eingeweihter.
+Sie, die, mich sehend, meinen Wunsch erfuhr,
+Sprach ungefragt: "Von diesem Punkte hangen
+Die Himmel ab, die sämtliche Natur.
+Sieh jenen Kreis, der ihn zunächst umfangen;
+Das, was ihn treibt, daß er so eilig fliegt,
+Es ist der heil’gen Liebe Glutverlangen."
+Und ich zu ihr: "Wäre die Welt gefügt
+Nach dem Gesetz, das herrscht in diesen Kreisen,
+So hätte völlig mir dein Wort genügt.
+Doch in der Welt, der fühlbaren, beweisen
+Die Schwingungen je größre Göttlichkeit,
+Je ferner sie vom Mittelpunkte kreisen.
+Drum soll in diesem Bau voll Herrlichkeit,
+Im Tempel, den nur Lieb’ und Licht umschränken,
+Ich ruhig sein, von jedem Wunsch befreit,
+So sprich: Wie-kommt’s--ich kann mir’s nicht erdenken
+Daß Abbild sich und Urbild nicht entspricht.
+Und andere Gesetze beide lenken?"
+"Genügt dein Finger solchem Knoten nicht,
+So ist’s kein Wunder--weil ihn zu entstricken
+Niemand versuchte, ward er fest und dicht."
+Sie sprach’s, und dann: "Nimm, um dich zu erquicken,
+Das, was ich dir verkünden werd’; allein
+Betracht’ es ganz genau mit scharfen Blicken.
+Ein Körperkreis muß weiter, enger sein,
+Je wie die Kraft, die sich durch seine Teile
+Gleichmäßig ausdehnt, groß ist oder klein.
+Die größre Güte wirkt in größerm Heile,
+Und größres Heil füllt größeres Gebiet,
+Ward jeder Gegend gleiche Kraft zuteile.
+Der Kreis drum, der das Weltall mit sich zieht
+In seinem Schwung, entspricht in seiner Weise
+Dem, der am meisten liebt, am tiefsten sieht.
+Darum, wenn du dein Maß dem Innern preise,
+Und nicht dem äußern Umfang angelegt
+Von dem, was dort erscheint, wie runde Kreise,
+So wirst du, zur Bewunderung erregt,
+Das Mehr und Minder sich entsprechen sehen
+In jedem Kreis und dem, was ihn bewegt."
+Wie rein das Blau erglänzt aus Äthers Höhen,
+Wenn Boreas Luft aus jener Backe stößt,
+Aus der gelinder seine Hauche wehen,
+So, daß vom Dunst gereinigt und gelöst,
+Der ihn getrübt, in seinen weiten Auen
+Der Himmel lächelnd jeden Reiz entblößt;
+So ward mir jetzt beim Worte meiner Frauen,
+Denn dieses ließ die Wahrheit mich so klar,
+Wie einen Stern am reinen Himmel schauen.
+Und als ihr heil’ges Wort beendet war,
+Da stellten anders nicht als siedend Eisen
+Sich jene Kreise, funkensprühend, dar.
+Die Funken folgten den entflammten Kreisen
+In größrer Meng’, als durch Verdoppelung
+Schachfelder sich vertausendfacht erweisen.
+Dem festen Punkt, der sie ohn’ Änderung
+Dort, wo er sie erhält, auch wird erhalten,
+Scholl Lobgesang aus dieser Kreise Schwung.
+"Zwei Kreise sieh dem Punkt zunächst sich halten,"
+Sie sprach’s, stets wissend, was mein Geist ersinnt,
+"Und Seraphim und Cherubim drin walten.
+Sie folgen ihren Fesseln so geschwind,
+Um, wie sie können, ihm sich anzuschließen,
+Und können, wie sie hoch im Schauen sind.
+Die Gluten drauf, die diese rings umfließen,
+Die Throne sind’s von Gottes Angesicht,
+Benannt, weil sie die erste Dreizahl schließen.
+So groß ist aller Wonn’, als ihr Gesicht
+Tief in die ew’ge Wahrheit eingedrungen,
+Die alle Geister stillt mit ihrem Licht.
+Durch Schau’n wird also Seligkeit errungen,
+Nicht durch die Liebe; denn sie folgt erst dann,
+Wenn sie dem Schau’n, wie ihrem Quell, entsprungen.
+Und das Verdienst, das durch die Gnade man
+Und Willensgüt’ erwirbt, ist Maß dem Schauen.
+So steiget man von Grad zu Grad hinan.
+Die andre Dreizahl, die in diesen Auen
+Des ew’gen Lenzes blüht, und welcher nie
+Das Laub entfällt bei nächt’gen Widders Grauen,
+Singt ewig in dreifacher Melodie
+Hosiannagesang in dreien sel’gen Scharen,
+Und also eins aus dreien bilden sie.
+Herrschaften sind’s, die erst sich offenbaren,
+Die Tugenden sind dann im zweiten Kranz,
+Im dritten sind die Mächte zu gewahren.
+Die Fürstentümer sieh zunächst im Tanz,
+Dann die Erzengel ihre Lieb’ erproben;
+Den letzten Kreis füllt Engelsfeier ganz.
+Die Ordnungen schau’n allesamt nach oben;
+Nach unten wirken sie, was lebt, mit sich
+Zu Gott erhebend und zu ihm erhoben.
+Und Dionysius rang so brünstiglich,
+Damit sein Blick die Ordnungen betrachte,
+Daß er sie nannt’ und unterschied wie ich.
+Wahr ist es, daß Gregorius anders dachte,
+Doch er belächelte dann seinen Wahn.
+Sobald er erst in diesem Reich erwachte.
+Hat solch Geheimnis kund ein Mensch getan,
+So staune nicht; von ihm, der alles schaute,
+Hatt’ er davon auf Erden Kund’ empfah’n,
+Der sonst auch viel vom Himmel ihm vertraute."
+
+
+Neunundzwanzigster Gesang
+
+So lang, wenn beide Kinder der Latone
+Bedeckt von Wag’ und Widder stehn, am Rand
+Des Horizonts, vereint in einer Zone,
+Die Wage des Zenit in gleichem Stand
+Sie beide zeigt, bis dann vom Gleichgewichte,
+Den Halbkreis tauschend, sie sich abgewandt:
+So lang, des Lächelns Glut im Angesichte,
+Sah schweigend fest den Punkt Beatrix an,
+Der meinen Blick besiegt mit seinem Lichte.
+"Ich red’ und frage nicht," so sprach sie dann,
+"Da, was du hören willst, ich dort erkenne
+Im Punkt, wo anhebt jedes Wo und Wann.
+Nicht daß er--was nicht sein kann--selbst gewönne,
+Nein, daß der Glanz von seiner Herrlichkeit
+Im Widerglanz ich bin verkünden könne,
+Hat er, der Ew’ge, außerhalb der Zeit
+Und des Begriffs, wie’s ihm gefiel, die Gluten
+Erschaffner Lieb’ an ewiger geweiht.
+Nicht daß, wie starr, erst seine Kräfte ruhten;
+Denn früher nicht und später nicht ergoß
+Der Geist des Herrn sich, schwebend ob den Fluten.
+Auch Form und Stoff, vermischt und rein, entsproß
+Zugleich, vortretend herrlich und vollkommen,
+Drei Pfeile von dreisehnigem Geschoß.
+Und wie im Widerschein des Strahls, vom Kommen
+Zum vollen sein, kein Zwischenraum zu sehn,
+Wenn rein Kristall im Sonnenglanz entglommen;
+So ließ der Herr hervor drei Strahlen gehn,
+All im vollkommnen Glanz zugleich gesendet,
+Und sonder Unterscheidung im Entstehn.
+Der Wesen Ordnung ward zugleich vollendet,
+Und hoch am Gipfel wurden die gereiht,
+Welchen er reine Tätigkeit gespendet.
+Die Tiefe ward reiner Empfänglichkeit,
+Empfänglichkeit und Tatkraft ist mittinnen,
+Verknüpft und nie von diesem Band befreit.
+Zwar Hieronymus läßt vom Beginnen
+Die Engel bis von dem der andern Welt
+Den Zeitraum von Jahrhunderten entrinnen;
+Doch läßt die Wahrheit, die ich dargestellt,
+Sich vielfach aus der Heil’gen Schrift bewähren,
+Wie’s dir auch, wenn du wohl bemerkst, erhellt.
+Auch die Vernunft kann dies beinah erklären;
+Nicht konnten ja so lang, so folgert sie,
+Die Lenker des, was lenkbar ist, entbehren.
+Der Liebesschöpfung Wo und Wann und Wie
+Erkennst du--nun, so daß in dem Gehörten
+Dir schon dreifache Labung angedieh.
+Allein bevor man zwanzig zählt’ empörten
+Die Engel sich zum Teil, so daß sie nun
+Im Fall der Elemente trägstes störten.
+Die Bleibenden begannen drauf das Tun,
+Das du erkennst, so selig in Entzücken,
+Daß sie in ihrem Kreislauf nimmer ruh’n.
+Grund war des Falls, daß jener sich berücken
+Von frevlem Hochmut ließ, der dir erschien,
+Dort, wo auf ihn des Weltalls Bürden drücken--
+Die du bei Gott hier siehest, sah’n auf ihn
+Bescheiden und mit Dank für seine Gaben,
+Da er nur Kraft zu solchem Schau’n verlieh’n.
+Drum wurden sie zum Schauen so erhaben
+Durch Gnadenlicht und ihr Verdienst gestellt,
+Daß sie vollkommen festen Willen haben.
+Und zweifelfrei verkünd’ es einst der Welt:
+Verdienstlich ist’s, die Gnade zu empfangen,
+Je wie sich offen ihr die Lieb’ erhält.
+Jetzt, wenn ins Herz dir meine Lehren drangen,
+Errennst du ganz den englischen Verein
+Und brauchst nicht andre Hilfe zu verlangen.
+Doch weil den Engeln jene, die ihr Sein
+Auf Erden dort in Schulen euch erklären,
+Verstand, Erinnerung und Willen leih’n,
+So zeig’ ich, um dich völlig zu belehren,
+Dir noch die Wahrheit rein und unbefleckt,
+Die jene dort verwirren und verkehren.
+Die Wesen, die des Anschau’ns Lust geschmeckt,
+Verwenden nie den Blick vom ew’gen Schimmer
+Des Angesichts, in dem sich nichts versteckt.
+Drum unterbricht das Neu’ ihr Schauen nimmer,
+Drum brauchen sie auch die Erinnrung nicht,
+Denn ungeteilt bleibt ja ihr Denken immer.
+So träumt ihr unten wach beim Tageslicht;
+Ihr glaubt und glaubt auch nicht, was ihr verbreitet,
+Doch ärger kränkt dies Letzte Recht und Pflicht.
+Der eine Weg ist’s nicht, auf dem ihr schreitet
+Bei eurem Forschen; drob ihr irregeht,
+Von Lust am Schein und Eitelkeit verleitet.
+Doch, wer dies tut, wird minder hier verschmäht,
+Als wer die Heil’gen Schriften leeren Possen
+Hintansetzt und sie freventlich verdreht.
+Nicht denkt man, wieviel teures Blut geflossen,
+Sie auszusäh’n; nicht, wie Gott dem geneigt,
+Der demutsvoll an sie sich angeschlossen.
+Zu glänzen strebt ein jeder itzt und zeigt
+Sich in Erfindungen, die der verkehrte
+Pfaff predigt, der vom Evangelium schweigt.
+Der sagt, daß rückwärts Lunas Lauf sich kehrte
+Bei Christi Leiden und sich zwischenschob
+Und drum der Sonn’ herabzuscheinen wehrte.
+Der, daß von selbst das Licht erlosch und drob
+Den Spanier, den Juden und den Inder
+Zu gleicher Zeit die Finsternis umwob.
+Lapi und Bindi hat Florenz weit minder,
+Als Fabeln, die man von den Kanzeln schreit
+Das Jahr hindurch, des Aberwitzes Kinder,
+So daß die Schäflein, blind zu ihrem Leid,
+Wind schlucken, wo sie sich zu weiden meinen.
+Und nicht entschuldigt sie Unwissenheit.
+Nicht sprach der Herr zur Ersten der Gemeinen:
+Geht hin und tut der Erde Possen kund!--
+Nein, wahre Lehre spendet er den Seinen.
+Von ihr ertönt’ im Kampf des Jüngers Mund,
+Wenn er, die Welt zum Glauben hinzulenken,
+Mit Schild und Speer des Evangeliums stund.
+Jetzt predigt man von Possen und von Schwänken,
+Und die Kapuze schwillt, wenn alles lacht,
+Und, der sie trägt, braucht sonst an nichts zu denken.
+Drin hat solch Vögelein sein Nest gemacht,
+Daß, säh’ man’s, es den Wert dem Ablaß raubte,
+Den man beim Volk so hoch in Preis gebracht.
+Drob wuchs die Dummheit so in manchem Haupte,
+Daß, möcht’ ein Priesterwort das tollste sein,
+Man ohne Prüfung und Beweise glaubte.
+Und damit mästet Sankt Anton das Schwein,
+Und andre, die noch ärger sind denn Sauen,
+Falschmünzer, reich an trügerischem Schein.
+Doch seitwärts führt’ ich dich von diesen Auen;
+Drum, daß zugleich sich kürze Zeit und Pfad,
+Mußt du jetzt wieder g’rade vorwärts schauen--
+So sehr vervielfacht sind von Grad zu Grad
+Der unzählbaren sel’gen Engel Scharen,
+Daß ihrer Zahl nicht Sinn noch Sprache naht.
+Und Daniel will, dies kannst du wohl gewahren,
+Wenn er zehntausendmal zehntausend spricht,
+Uns nicht bestimmte Zahlen offenbaren.
+Das ihnen allen strahlt, das erste Licht,
+So vielfach wird’s von ihnen aufgenommen,
+Als Engel schau’n in Gottes Angesicht.
+Drum, da vom Schau’n der Liebe Gluten kommen,
+Ist auch verschieden ihre Süßigkeit
+Hier lauer, dorten glühender entglommen.
+Sieh jetzt die Hoheit, die Unendlichkeit
+Der ew’gen Kraft, die, teilend ihren Schimmer,
+So unzählbaren Spiegeln ihn verleiht,
+Und ein’ in sich bleibt ewiglich und immer."
+
+
+Dreißigster Gesang
+
+Uns fern, etwa sechstausend Meilen, steiget
+Der Mittag auf, indes schon diese Welt
+Den Schatten fast zum ebnen Bette neiget,
+Wenn nach und nach sich uns der Ost erhellt;
+Dann wird der Glanz erst manchem Stern benommen,
+Des Strahl nicht mehr bis zu uns niederfällt,
+Und wie Aurora mehr emporgeklommen,
+Verschließt der Himmel sich von Glanz zu Glanz,
+Bis auch des schönsten Sternes Licht verglommen.
+So der Triumph, der ewiglich im Tanz
+Den Punkt umkreist, der alles hält umschlungen,
+Was scheinbar ihn umschlingt als lichter Kranz.
+Er schwand allmählich, meinem Aug’ entschwungen,
+Drum kehrt’ ich zu der Herrin das Gesicht,
+Von Nichtschau’n und von Liebesdrang gezwungen.
+War’ alles, was bis jetzo mein Gedicht
+Von ihr gelobt, in ein Lob einzuschließen,
+Doch g’nügend wär’s für diesen Anblick nicht.
+Denn Reize, wie sie hier sich sehen ließen,
+Weit überschreiten sie der Menschen Art;
+Ihr Schöpfer nur kann ihrer ganz genießen.
+Ich bin besiegt von dem, was ich gewahrt,
+Mehr als ein Komiker von seinen Stoffen,
+Als ein Tragöd’ je überwunden ward.
+Gleichwie ein Blick, den Sonnenstrahlen offen,
+Vergeht vor ihren- Blitzen, so geschieht
+Dem Geist, von dieses Lächelns Reiz getroffen.
+Vom ersten sag, da mir der Herr beschied,
+Ihr Angesicht zu schau’n in diesem Leben,
+Folgt ihr bis hin zu diesem Blick mein Lied.
+Doch muß ich jetzt des Folgens mich begeben,
+Ein Künstler, der sein höchstes Ziel errang,
+Und hoher nicht vermag emporzustreben.
+Und so, wie ich sie lasse vollerm Klang,
+Als meiner Tuba, die ich also richte,
+Wie sie beenden kann den schweren Sang,
+Sprach sie, mit Ton, Gebärd’ und Angesichte
+Eifrigen Führers froh zu mir: "Du bist
+Gelangt zum Himmel nun von reinem Lichte,
+Von geist’gem Licht, das nur ein Lieben ist,
+Ein Lieben jenes Gut’s, des ewig wahren,
+Von Luft, mit der kein Erdenglück sich mißt.
+Du siehst hier beide Himmelskriegerscharen
+Und siehst die ein’ in dem Gewande heut,
+Wie du sie wirst beim Weltgericht gewahren."
+Wie jäher Blitz des Auges Kraft zerstreut,
+So daß er jeden Gegenstand umdunkelt,
+Den stärksten Selbst, der sich dem Blicke beut;
+So ward ich von lebend’gem Licht umfunkelt,
+Des Glanz mir tat, wie uns ein Schleier tut,
+Denn alles außer ihm war mir verdunkelt.
+"Die Lieb’, in welcher dieser Himmel ruht
+Pflegt so in sich zum Heile zu empfangen
+Und macht die Kerz’ empfänglich ihrer Glut."
+Wie mir die kurzen Wort’ ins Innre drangen,
+Da fühlt’ ich, daß sich Geist mir und Gemüt
+Weit über die gewohnten Kräfte schwangen.
+Und neue Sehkraft war in mir entglüht,
+So, daß mein Auge, stark und ohne Qualen,
+Dem Licht sich auftat, das am reinsten blüht.
+Ich sah das Licht als einen Fluß von Strahlen
+Glanzwogend zwischen zweien Ufern zieh’n,
+Und einen Wunderlenz sie beide malen
+Und aus dem Strom lebend’ge Funken sprüh’n;
+Und in die Blumen senkten sich die Funken,
+Gleichwie in goldne Fassung der Rubin.
+Dann tauchten sie, wie von den Düften trunken,
+Sich wieder in die Wunderfluten ein,
+Und der erhob sich neu, wenn der versunken.
+"Dein heißer Wunsch, in dem dich einzuweih’n,
+Was deine Blicke hier auf sich gezogen,
+Muß mir, je mehr er drängt, je lieber sein.
+Doch trinken mußt du erst aus diesen Wogen,
+Eh’ solch ein Durst in dir sich stillen kann."
+So sprach die Sonn’, aus der ich Licht gesogen.
+"Der Fluß und diese Funken", sprach sie dann,
+"Und dieser Pflanzen heitre Pracht, sie zeigen
+Die Wahrheit dir voraus, wie Schatten, an.
+An sich ist ihnen zwar nichts Schweres eigen,
+Sie zu erkennen, fehlt nur dir die Macht,
+Weil noch so stolz nicht deine Blicke steigen."
+Kein Kind, das durstig langer Schlaf gemacht,
+Kann sein Gesicht zur Brust so eilig kehren,
+Wenn’s über die Gewohnheit spät erwacht,
+Als, um der Augen Spiegel mehr zu klären,
+Ich mein Gesicht zu jenem Flusse bog,
+Dort strömend, um der Seele Kraft zu mehren.
+Und wie der Rand der Augenlider sog
+Von seiner Flut, da war zum Kreis gewunden,
+Was sich zuvor in langen Streifen zog.
+Dann, Leuten gleich, die sich verlarvt befunden,
+Verändert erst, wenn sie auszieh’n das Kleid,
+Worin sie unter fremdem Schein verschwunden;
+Verwandelten zu größrer Herrlichkeit
+Sich Blumen mir und Funken, und ich schaute
+Die Himmelsscharen beide dort gereiht.
+O Gottes Glanz, o du, durch den ich schaute
+Des ewig wahren Reichs Triumphespracht,
+Gib jetzt mir Kraft, zu sagen, wie ich schaute.
+Licht ist dort, das den Schöpfer sichtbar macht,
+Damit er ganz sich dem Geschöpf verkläre,
+Dem nur in seinem Schau’n der Friede tacht.
+Es dehnt sich weithin aus in Form der Sphäre
+Und schließt so viel in seinem Umkreis ein,
+Daß es zu weit als Sonnengürtel wäre.
+Und einem Strahl entquillt sein ganzer Schein,
+Rückscheinend von des schnellsten Kreises Rande,
+Um Sein und Wirkung diesem zu verleih’n.
+Und wie ein Hügel, an der Wogen Strande,
+Sich spiegelt, wie um sich geschmückt zu sehn
+Im blütenreichen, grünenden Gewande;
+Also sich spiegelnd, sah ich in den Höh’n
+In tausend Stufen die das Licht umringen,
+Die von der Erd’ in jene Heimat gehn.
+Und kann der tiefste Grad solch Licht umschlingen,
+Zu welcher Weite muß der letzte Kranz
+Der Blätter dieser Himmelsrose dringen?
+Mein Aug’ ermaß die Weit’ und Höhe ganz
+Und unverwirrt, und konnte sich erheben
+Zum Was und Wie von diesem Wonneglanz.
+Nicht Fern noch Nah kann nehmen dort noch geben,
+Denn da, wo Gott regiert, unmittelbar,
+Tritt fürder kein Naturgesetz ins Leben.
+Ins Gelb der Rose, die sich immerdar
+Ausdehnt, abstuft und Duft des Preises sendet
+Zur Sonne, die stets heiter ist und klar,
+Zog, wie wer schweigt, doch sich zum Sprechen wendet,
+Beatrix mich und sprach: "Sieh hier verschönt
+In weißem Kleid, die dorten wohl geendet.
+Sieh, wie so weithin unsre Stadt sich dehnt,
+Sieh, so gefüllt die Bänk’ in unserm Saale,
+Daß man jetzt hier nach wenigen sich sehnt.
+Auf jenem großen Stuhl, wo du dem Strahle
+Der Krone, die dort glänzt, dein Auge leihst,
+Dort, eh’ du kommst zu diesem Hochzeitsmahle,
+Wird sitzen des erhabnen Heinrichs Geist,
+Des Cäsars, der Italien zu gestalten
+Kommt, eh’ es sich dazu geneigt beweist.
+Die blinde Gier ist’s, die mit Zauberwalten
+Euch gleich dem Kind macht, das die Brust verschmäht,
+Die Nahrung hat, sein Leben zu erhalten.
+Dem göttlichen Gerichtshof aber steht
+Solch Obrer vor dann, daß er im Geheimen
+Und offen nie mit ihm zusammengeht.
+Doch stürzt des Himmels Räch’ ihn ohne Säumen
+Vom Heil’gen Stuhl zur qualenvollen Welt,
+Wo Simon Magus stöhnt in dunkeln Räumen,
+Drob tiefer noch der von Alagna fällt."
+
+
+Einunddreißigster Gesang
+
+So sah ich denn, geformt als weiße Rose,
+Die heil’ge Kriegsschar, die als Christi Braut
+Durch Christi Blut sich freut in seinem Schoße.
+Allein die andre, welche, fliegend, schaut’
+Und singt des Ruhm, der sie in Lieb’ entzündet,
+Die Huld, die hehre Kraft ihr anvertraut,
+Sie senkt, ein Bienenschwarm, der jetzt ergründet
+Der Blüten Kelch, jetzt wieder dorthin eilt,
+Wo würz’ger Honigseim sein Tun verkündet,
+Sich in die Blum’, im reichen Kelch verteilt,
+Und flog dann aufwärts aus dem schönen Zeichen,
+Dorthin, wo ihre Lieb’ all-ewig weilt;
+Lebend’ger Flamm’, ihr Antlitz zu vergleichen,
+Die Flügel Gold, das andre weiß und rein,
+So daß nicht Reif noch Schnee den Glanz erreichen.
+Und in die Rose zog von Reih’n zu Reih’n
+Frieden und Glut, von ihnen eingesogen
+Im Flug zur Hohe, stets mit ihnen ein.
+Und, ob sie zwischen Blum’ und Höhe flogen,
+Doch ward durch die beschwingte Menge nicht
+Des Höchsten Blick und Glanz der Ros’ entzogen.
+Denn so durchdringend ist das höchste Licht,
+Das seinen Schimmer nach Verdienste spendet,
+Daß nichts im Weltenall es unterbricht.
+Dies Freudenreich, gesichert und vollendet,
+Bevölkert von Bewohnern, neu und alt,
+Hielt Lieb’ und Blick ganz auf ein Ziel gewendet.
+O dreifach Licht, du, einem Stern entwallt,
+Dort, wo man dich schaut, sel’gen Frieden hegend,
+Schau’ her auf uns, die wilder Sturm umbaut.--
+Wenn die Barbaren, kommend aus der Gegend,
+Die stets die Bärin deckt, in gleicher Bahn
+Sich mit dem lieben Sohn im Kreis bewegend,
+Zu jenen Zeiten, als der Lateran
+Die Welt beherrscht’, von Staunen überwunden,
+Rom und der Römer große Werke sah’n;
+Wie ich, der ich, dem Menschlichen entwunden,
+Zum Höchsten kam, von Zeit zur Ewigkeit,
+Von Florenz zu Gerechten und Gesunden,
+Wie mußt’ ich staunen solcher Herrlichkeit?
+Lust fühlt’ ich, nicht zu sprechen, nichts zu hören,
+Geteilt in Staunen und in Freudigkeit.
+Gleichwie ein Pilgrim, der sein lang Begehren
+Im Tempel des Gelübdes, schauend, letzt,
+Und hofft von ihm einst andre zu belehren;
+So war ich, zum lebend’gen Licht versetzt,
+Den Blick, lustwandelnd, durch die Stufen führend,
+Jetzt auf, jetzt nieder und im Kreise jetzt.
+Gesichter sah ich hier, zur Liebe rührend,
+In fremdem Licht und eignem Lächeln schön,
+Gebärden, sich mit jeder Tugend zierend.
+Im allgemeinen könnt’ ich schon ersehn,
+Wie sich des Paradieses Form gestalte,
+Doch blieb mein Blick noch nicht beim einzlen stehn;
+Und da mir neuer Wunsch im Herzen wallte,
+So kehrt’ ich, um zu fragen, mich nach ihr,
+Wie das, was ich nicht einsah, sich verhalte.
+Sie fragt’ ich, und ein andrer sprach zu mir.
+Sie suchend, fand ich mich bei einem Greise,
+Gekleidet in der andern Sel’gen Zier.
+Auf Aug’ und Wang’ ergoß sich gleicherweise
+So Gut’ als Freude--fromm war Art und Tun,
+Wie’s Vätern ziemt, in lieber Kinder Kreise.
+"Und wo ist sie?" so sprach ich eilig nun.
+Drum er: "Beatrix hat mich hergesendet
+Von meinem Platz, um dir genugzutun.
+Du wirst, den Blick zum dritten Sitz gewendet
+Des höchsten Grads, sie auf dem Throne schau’n,
+Der ihren Lohn für ihr Verdienst vollendet."
+Ohn’ Antwort hob ich rasch die Augenbrau’n--
+Sah sie--sah ew’ge Strahlen ihr entwallen
+Im Widerschein und ihr die Krone bau’n.
+Vom Raum, aus dem die höchsten Donner hauen,
+War nimmer noch ein Menschenblick so weit,
+Und war’ er auch ins tiefste Meer gefallen,
+Als ich von meiner Herrin Herrlichkeit,
+Doch sah ich klar ihr Bildnis niederschweben
+Rein, unvermischt, in lichter Deutlichkeit.
+"O Herrliche, du, meiner Hoffnung Leben,
+Du, der’s zu meinem Heile nicht gegraut,
+Dich in den Schlund der Hölle zu begeben,
+Dir dank’ ich alles, was ich dort geschaut,
+Wohin du mich durch Macht und Güte brachtest,
+Und deine Gnad’ und Tugend preis’ ich laut.
+Die du zum Freien mich, den Sklaven, machtest,
+Mir halfst auf jedem Weg, in jeder Art,
+Die du zu diesem Zweck geeignet dachtest,
+Hilf, daß, was du geschenkt, mein Herz bewahrt,
+Damit sich dir die Seele dort geselle,
+Die Seele, die gesund durch dich nur ward."
+So fleht’ ich heiß--und sie, von ferner Stelle,
+Sie lächelte, wie’s schien, und sah mich an,
+Dann schaute sie zurück zur ew’gen Quelle.
+"Damit du ganz vollendest deine Bahn,"
+Begann der Greis, "auf der dich fortzuleiten
+Ich Auftrag von der heil’gen Lieb’ empfah’n,
+Laß deinen Blick durch diesen Garten gleiten,
+Denn stärken wird dir dies des Auges Sinn,
+Und ihn auf Gottes Strahlen vorbereiten.
+Und sie, die mich entflammt, die Königin
+Des Himmels, läßt uns ihre Gnade frommen,
+Weil ich ihr vielgetreuer Bernhard bin."
+Wie der, der von Kroatien hergekommen,
+Um unser Schweißtuch zu betrachten, nicht
+Satt wird, zu sehn, wovon er längst vernommen,
+Und, wenn man’s zeigt, zu sich im Innern spricht:
+Herr Jesus Christus, wahrer Gott, hienieden
+War wirklich so geformt dein Angesicht?
+So ich, als mir der Anblick ward beschieden
+Der Liebe dessen, der in dieser Welt,
+Betrachtend, schon gekostet jenen Frieden.
+Er sprach: "Was Schönes dieses Reich enthält,
+Wird, Sohn der Gnade, sich dir nimmer zeigen,
+Wenn sich dein Blick nur tief am Grunde hält.
+Doch laß den Blick von Kreis zu Kreise steigen,
+Bis daß er sich zur Königin erhöht,
+Vor der sich fromm des Himmels Bürger neigen."
+Aufschaut’ ich, und, wie, wenn die Früh’ ersteht,
+Der Ost den Himmelsteil mit goldnen Strahlen
+Besiegt, in dem die Sonne niedergeht,
+So, steigend mit dem Blick, wie wir aus Taten
+Die Berg’ ersteigen, sah ich einen Ort
+Im höchsten Rand all andres überstrahlen.
+Und als ob früh der Ost, da, wo sofort
+Die Sonne steigen soll, sich mehr entflamme,
+Wenn sich das Licht vermindert hier und dort;
+So sah ich jene Friedens-Oriflamme
+Inmitten mehr erglüh’n, und bleicher ward
+Bei ihrem Glanz der andern Lichter Flamme.
+Ich sah viel tausend Engel, dort geschart,
+Sie feiernd, mit verbreitetem Gefieder,
+Verschieden jeglichen an Glanz und Art.
+Und Schönheit lachte bei dem Klang der Lieder
+Und bei dem Spiel und strahlt’ in Seligkeit
+Aus aller andern Sel’gen Augen wieder.
+Und reichte meiner Sprache Kraft so weit,
+Als meine Phantasie, doch nie beschriebe
+Ich nur den kleinsten Teil der Herrlichkeit.
+Bernhard, bemerkend, daß mit heil’gem Triebe
+An seiner glüh’nden Glut mein Auge hing,
+Erhob auch sein’s zu ihr mit solcher Liebe,
+Daß mein’s zum Schauen neue Glut empfing.
+
+
+Zweiunddreißigster Gesang
+
+Indes sein Blick nach seiner Wonne flammte,
+Tat er mit heil’gem Wort mir dieses kund,
+Sich unterziehend freiem Lehreramte:
+"Sie zu Mariens Fuß, die euch gesund
+Und heil gemacht, die Erste dort der Frauen,
+Die Schönste, die euch krank gemacht und wund.
+Im Range, den die dritten Sitze bauen,
+Wirst du sodann die Rahel unter ihr,
+Mit Beatricen, deiner Herrin, schauen.
+Sara, Rebekka, Judith zeigen dir
+Sich mit des Ahnfrau, der im Bußgesange
+Voll Reu’ ausrief: Herr, schenk’ Erbarmen mir!
+Absteigend stufenweis von Rang zu Range,
+Gereiht, wie Kunde dir mein Wort verlieh,
+Von Blatt zu Blatt mit ihrer Namen Klange.
+Hebräerfrau’n, vom siebten Kreis ab, wie
+Bis hin zu ihm, ward dieser Sitz zuteile,
+Und dieser Blume Locken scheiden sie,
+Weil sie, wie gläubig sich der Blick zum Heile,
+Das Christus gab, gewandt, als Mauer stehn,
+Daß sich durch sie die heil’ge Stiege teile.
+Hier, wo die Blume reich und voll und schön
+Entfaltet ist, hier sitzen die Verklärten,
+Die gläubig auf den künft’gen Christ gesehn.
+Dort, wo noch leerer Raum für viel Gefährten
+Im Halbkreis ist, dort sitzen die gereiht,
+Die ihren Blick auf den Gekommnen kehrten.
+Wie hier der Fürstin Stuhl in Herrlichkeit
+Und unter ihr die ändern zu gewahren,
+Und wie sie bilden solchen Unterscheid;
+So dort der Stuhl des Täufers, der erfahren,
+Der immer Heil’ge, Wüst’ und Märtyrpein
+Und dann der Hölle Nacht in zweien Jahren.
+Franz, Benedikt und Augustin--sie reih’n
+Sich unter ihm, die Scheidewand zu bauen,
+Mit andern unterhalb von Reih’n zu Reih’n.
+Hier magst du Gottes hohe Vorsicht schauen,
+Denn Glaube, welcher vor- und rückwärts sieht,
+Erfüllt gleich zahlreich diese Gartenauen.
+Und von der Stieg’ abwärts, die dies Gebiet
+In zwei geschieden, sitzen solche Seelen,
+Die eigenes Verdienst nicht herbeschied,
+Nein, fremdes--nur darf der Beding nicht fehlen--
+Denn hier sind alle, die dem Leib entfloh’n,
+Bevor sie noch vermochten, selbst zu wählen.
+Dies merkst du an den Angesichtern schon
+Und an den Stimmen, die noch kindlich klingen,
+Wenn du wohl spähst und horchst auf ihren Ton.
+Noch seh’ ich schweigend dich mit Zweifeln ringen,
+Doch lösen werd’ ich dir das feste Band,
+Mit welchem dich die Grübelei’n umschlingen.
+Aus unsers ew’gen Königs weitem Land
+Ist auch des kleinsten Zufalls blindes Walten,
+Wie Hunger, Durst und Traurigkeit, verbannt.
+Nach ewigem Gesetz muß sich gestalten
+Was du hier siehst, und muß sich, wie der Ring
+Zum Finger paßt, so unter sich verhalten.
+Daher auch, wer dem Truge früh entging
+Und zu der Wahrheit kam, nicht ohne Gründe
+Mehr oder minder Herrlichkeit empfing.
+Der Fürst, durch den dies Reich, entrückt der Sünde,
+In solcher Lieb’ und solcher Wonne ruht,
+Daß keiner ist, des Wille höher stünde,
+Verteilt den Seelen, seiner heitern Glut
+Entstammt, nach eigner Willkür seine Gaben;
+Und g’nüge hier, was kund die Wirkung tut.
+Und hiervon legt in jenen Zwillingsknaben
+Die Heil’ge Schrift ein deutlich Beispiel dar,
+Die sich bekämpft im Leib der Mutter haben.
+Und also krönt der Gnade Schein ihr Haar,
+Und also scheint das höchste Licht in ihnen
+Nach ihrem Werte mehr und minder klar.
+Verschieden, nicht nach dem, was sie verdienen,
+Sind sie von Grad zu Grade hier gestellt,
+Nur wie auf sie des Schöpfers Huld geschienen.
+So g’nügt’ es in der Jugendzeit der Welt
+Unschuld’gen, um zum Heile zu gelangen,
+Daß Glaubenslicht der Eltern Geist erhellt.
+Dann mußte, wie die erste Zeit vergangen,
+Was männlich war, zuvor zur Seligkeit
+Durch die Beschneidung noch die Kraft empfangen.
+Doch, als gekommen war der Gnade Zeit,
+Blieb ohne die vollkommne Taufe Christi
+Die Unschuld in der ew’gen Dunkelheit.
+Jetzt schau’ ins Antlitz, das dem Antlitz Christi
+Am meisten gleicht, und deine Kraft erhoh’n
+Wird seine Klarheit zu dem Anschau’n Christi."
+Lust strahlt’ aus dem Gesicht, so klar und schön,
+Die er zu ihr durch jene Heil’gen schickte,
+Erschaffen, zu durchfliegen jene Höh’n,
+Daß nichts, was ich noch je zuvor erblickte,
+Mich also mit Bewunderung durchdrang,
+Nichts mich so sehr durch Gottes Bild erquickte.
+Die Liebe, die zuerst sich niederschwang,
+Verbreitete vor ihr jetzt das Gefieder,
+Indem sie--Sei begrüßt, Maria! sang.
+Und alsogleich antworteten die Lieder
+Der Sel’gen Geister diesem Himmelslied,--
+Und heitrer strahlten rings die Wonnen wider.
+"O Heil’ger, du, den Lieb’ herniederzieht,
+Der du für mich dem süßen Ort entronnen,
+Wo ew’ge Vorsicht dir den Sitz beschied;
+Wer ist der Engel, der mit solchen Wonnen
+Im Blick Marias mit dem seinen ruht
+Und scheint an ihr in Liebe sich zu sonnen?"
+So wandt’ ich mich zu ihm mit heiterm Mut
+Und sah ihn in Marias Glanz entbrennen,
+Gleichwie den Morgenstern in Sonnenglut.
+Und er: "Was Seel’ und Engel haben können
+Von Zuversicht und Schönheit, er bekam
+Es ganz von Gott, wie wir’s ihm alle gönnen,
+Weil er zu ihr einst mit der Palme kam,
+Als Gottes Sohn die Lasten, die euch drücken,
+Nach seinem heil’gen Willen übernahm.
+Doch folge meinem Wort mit deinen Blicken,
+Und von dem frommen und gerechten Reich
+Wirst du den hohen Adel jetzt erblicken.
+Die zwei dort, an der höchsten Wonne reich,
+Weil sie die Nächsten sind der Benedeiten,
+Sind zweien Wurzeln dieser Rose gleich.
+Der Vater sitzt zu, ihrer linken Seiten,
+Des kühner Gaum der Menschheit fort und fort
+Zu kosten gibt so herbe Bitterkeiten.
+Sieh rechts der heil’gen Kirche Vater dort,
+Dem dieser Blume Schlüssel übergeben
+Auf Erden hat der Heiland, unser Hort.
+Und jener, welcher noch im Erdenleben
+Das Mißgeschick der schönen Braut erblickt,
+Die Wundenmal’ erwarben, sitzt daneben.
+Neben dem andern sitzt, in Ruh’ beglückt,
+Des Volkes Führer, das der Herr mit Manna
+Trotz Undanks, Tück’ und Wankelmuts erquickt
+Dort sitzt, dem Petrus gegenüber, Anna
+Und blickt die Tochter so zufrieden an,
+Daß sie den Blick nicht abkehrt beim Hosianna.
+Und gegenüber sitzt dem ersten Ahn
+Lucia, die die Herrin dir gesendet,
+Als du den Blick gesenkt zur schlimmen Bahn.
+Doch bald ist nun dein hoher Traum beendet,
+Drum tun wir, wie der gute Schneider tut,
+Der, soviel Zeug er hat, ins Kleid verwendet.
+Die Augen richten wir aufs höchste Gut
+Und dringen so, indem wir nach ihm sehen,
+So tief als möglich in die reine Glut.
+Gewiß, und nicht vielleicht, muß rückwärts gehen,
+Wer vorwärts hier die kühnen Flügel schwingt,
+Denn Gnad’ erlangt man hier allein durch Flehen;
+Gnade von jener, die dir Hilfe bringt,
+Und folgen wirst du mir, wenn deine Liebe
+Zu ihr empor mit meinem Worte dringt."
+Und also betet’ er mit brünst’gem Triebe:
+
+
+Dreiunddreißigster Gesang
+
+"O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohns,
+Demüt’ger, höher, als was je gewesen,
+Ziel, ausersehn vom Herrn des ew’gen Throns,
+Geadelt hast du so des Menschen Wesen,
+Daß, der’s erschaffen hat, das höchste Gut,
+Um sein Geschöpf zu sein, dich auserlesen.
+In deinem Leib entglomm der Liebe Glut,
+An der die Blume hier äu ew’gen Wonnen
+Entsprossen ist, in ew’gem Frieden ruht.
+Die Lieb’ entflammst du, gleich der Mittagssonnen,
+In diesem Reich; dort, in der Sterblichkeit,
+Bist du der frommen Hoffnung Lebensbronnen.
+Du giltst so viel, ragst so in Herrlichkeit,
+Daß Gnade Suchen und zu dir nicht flehen,
+Wie Flug dem Unbeflügelten gedeiht.
+Du pflegst dem Armen huldreich beizustehen,
+Der zu dir fleht, ja öfters pflegt von dir
+Die Gabe frei dem Fleh’n vorauszugehen.
+In dir ist Huld, Erbarmen ist in dir,
+In dir der Gaben Fülle--ja, verbunden.
+Was Gutes das Geschöpf hat, ist in dir.
+Er, der vom tiefsten Schlund sich eingefunden
+Des Weltalls hat, der Geister Art und Sein,
+Von Reich zu Reich zu sehn und zu erkunden,
+Er fleht zu dir, ihm Kräfte zu verleih’n,
+Daß er die Augen höher heben könne,
+Und seinen Blick für’s höchste Heil zu weih’n.
+Und ich, der ich mehr für sein Schauen brenne,
+Als für mein eignes je, wie dir bewußt,
+Ich fleh’, und das, was ich gefleht, vergönne!
+Nimm ihm der Erde Nacht von Aug’ und Brust
+Und flehe du für ihn, daß sich entfalten
+Vor seinen Augen mag die höchste Lust.
+Noch bitt’ ich, Königin, dich, die du walten
+Kannst, wie du willst, in ihm und solchem Sehn,
+Gesund des Herzens Neigung zu erhalten.
+Laß ihn der ird’schen Regung widerstehn;
+Sieh Beatricen, sieh so viel Verklärte
+Mit mir zugleich, die Hände faltend, fleh’n!"
+Die Augen, die Gott liebt und wert halt, kehrte
+Sie fest dem Redner zu und zeigte drin,
+Ihr sei das fromme Fleh’n von hohem Werte.
+Dann blickten sie zum ew’gen Lichte hin;
+Und einen Blick so klar dorthin zu senden
+Wie sie, vermag nicht des Geschöpfes Sinn.
+Dem Ziel, zu dem sich alle Wünsche wenden,
+Mich nähernd, fühlt’ in meinem Innern ich
+So, wie ich mußte, jede Sehnsucht enden.
+Und lächelnd winkte Bernhard mir, daß sich
+Mein Auge nun empor zum Höchsten richte;
+Doch, wie er wollte, war ich schon durch mich.
+Denn stets ward’s klarer mir vorm Angesichte,
+Und mehr und mehr drang durch den Glanz hinan
+Mein Blick zum hohen, in sich wahren Lichte.
+Und tiefer, größer war mein Schau’n fortan,
+Daß solchen Blick die Sprache nicht bekunden,
+Nicht die Erinnerung ihn fassen kann.
+Wie der, dem nach dem Traum, was er empfunden,
+Tief eingeprägt, das Herz noch lang erfüllt,
+Wenn das, was er geträumt, ihm schon entschwunden;
+So bin ich, dem beinah sein Traumgebild
+Entschwunden ist, und dem die Lust, geboren
+Aus jenem Traum, noch stets im Herzen quillt.
+So schmilzt der Schnee, wenn aus des Ostens Toren
+Die Sonn’ erwärmend steigt; so war beim Wind
+In leichtem Staub Sibyllas Spruch verloren.--
+O höchstes Licht, das, was der Mensch ersinnt,
+So weit zurückläßt, leih itzt meiner Seele
+Ein wenig nur von dem, was ihr verrinnt.
+Mach’ itzt, daß Kraft die Zunge mir beseele,
+Damit ein Funke deiner Glorie nur
+Der Nachwelt bleib’ in dem, was ich erzähle.
+Wenn deine Huld von dem, was ich erfuhr,
+Nur schwachen Nachhall diesem Liede spendet,
+Dann sieht man klarer deiner Siege Spur.
+Mich hätte, glaub’ ich, ganz der Blitz geblendet,
+Den ich von dem lebend’gen Strahl empfand,
+Hätt’ ich von ihm die Augen abgewendet.
+Und ich erinnre mich: mein Mut erstand
+Durch ihn, die Blitze kühner zu ertragen,
+Bis sich mein Blick der ew’gen Kraft verband.
+O überreiche Gnad’! Ich dürft’ es wagen,
+Fest zu durchschau’n des ew’gen Lichtes Schein
+Und ins Unendliche den Blick zu tragen.
+Er drang bis zu den tiefsten Tiefen ein;
+Die Dinge, die im Weltall sich entfalten,
+Sah ich durch Lieb’ im innigsten Verein.
+Wesen und Zufall, ihre Weis’, ihr Walten,
+Dies alles war in eines Lichtes Glanz,
+In eines unvermischten Lichts, enthalten.
+Die Form, die allgemeine, dieses Bands,
+Ich sah sie, glaub’ ich; denn den Schatten gleichen
+Die Bilder nur, und Wonne füllt mich ganz.
+Mehr macht mein Bild ein Augenblick erbleichen,
+Als drittehalb Jahrtausende die Fahrt
+Der Argo nach Neptunus’ fernsten Reichen.
+Scharf, unbeweglich schaut’ in solcher Art
+Die Seele nach dem göttlichen Gesichte,
+Drob sie stets mehr im Schau’n entzündet ward.
+Und also wird man dort bei jenem Lichte,
+Daß es nicht sein kann, daß man, abgewandt
+Von ihm, je anderwärts die Augen richte,
+Weil es das Gut, des Wollens Gegenstand,
+Ganz in sich faßt und ärmlich und voll Schwächen
+All andres zeigt, was man vollkommen fand.
+Kurz werd’ ich nun von dem Geschauten sprechen,
+Und sprechend stell’ ich mich als Kindlein dar,
+Dem noch Erinnerung und Wort gebrechen.
+Nicht weil ein andrer jetzt, als einfach klar,
+Der Schimmer ward, zu dem mein Blick sich kehrte;
+Denn jener bleibt so, wie er immer war,
+Nur weil im Schau’n sich meine Sehkraft mehrte,
+Schien’s, daß verwandelt jener eine Schein,
+Sich mir, der selbst verwandelt war, verklärte.
+Zum tiefen, klaren Lichtstoff drang ich ein,
+Da schienen mir drei Kreise, dort zu sehen,
+Dreifarbig und an Umfang gleich zu sein.
+Wie Iris in der Iris glänzt, so zween
+Im Widerschein--der dritte, Glut und Licht,
+Schien gleich von hier aus und von dort zu wehen.
+Wie kurz, wie rauh mein Wort für solch Gesicht!
+Und dem, was zu erschau’n mir ward beschieden,
+Genügen wenig schwache Worte nicht.
+O ew’ges Licht, allein in dir in Frieden,
+Allein dich kennend und von dir erkannt,
+Dir selber lächelnd und mit dir zufrieden,
+Als ich zur Kreisform, die in dir entstand,
+Wie widerscheinend Licht, die Augen wandte,
+Und sie verfolgend mit den Blicken stand,
+Da schien’s, gemalt in seiner Mitt’ erkannte,
+Mit eigner Farb’, ich unser Ebenbild,
+Drob ich nach ihm die Blicke gierig spannte.
+Wie eifrig strebend, aber nie gestillt,
+Der Geometer forscht, den Kreis zu messen,
+Und nie den Grundsatz findet, welcher gilt;
+So ich beim neuen Schau’n--ich wollt’ ermessen,
+Wie sich das Bild zum Kreis verhielt’, und wie
+Die Züge mit dem Licht zufammenflössen.
+Doch dies erflog der eigne Fittich nie,
+Ward nicht mein Geist von einem Blitz durchdrungen,
+Der, was die Seel’ ersehnt hatt’, ihr verlieh.
+Hier war die Macht der Phantasie bezwungen,
+Doch Wunsch und Will’, in Kraft aus ew’ger Ferne,
+Ward, wie ein Rad, gleichmäßig umgeschwungen,
+Durch Liebe, die beweget Sonn’ und Sterne.
+
+
+Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Göttliche Komödie,
+von Dante Alighieri.
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Die Goettliche Komoedie, by Dante Alighieri
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GOETTLICHE KOMOEDIE ***
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Binary files differ
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+This eBook, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
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+Procedures for determining public domain status are described in
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+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
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+status under the laws that apply to them.
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+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for
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