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authorRoger Frank <rfrank@pglaf.org>2025-10-15 05:30:42 -0700
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+Project Gutenberg's Zur Freundlichen Erinnerung, by Oscar Maria Graf
+
+This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
+almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or
+re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
+with this eBook or online at www.gutenberg.org
+
+
+Title: Zur Freundlichen Erinnerung
+
+Author: Oscar Maria Graf
+
+Posting Date: September 21, 2012 [EBook #7985]
+Release Date: April, 2005
+First Posted: June 9, 2003
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG ***
+
+
+
+
+Produced by Eric Eldred, Marc D'Hooghe, Charles Franks,
+and the Online Distributed Proofreading Team
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG--ACHT ERZÄHLUNGEN
+
+von
+
+OSCAR MARIA GRAF
+
+
+
+
+
+
+
+INHALT
+
+Zwölf Jahre Zuchthaus.
+Sinnlose Begebenheit.
+Die Lunge.
+Ohne Bleibe.
+Etappe.
+Michael Jürgert.
+Ein dummer Mensch.
+Ablauf.
+
+
+
+
+ZWÖLF JAHRE ZUCHTHAUS
+
+
+I.
+
+Weit hatte es der Schlosser Peter Windel im Laufe einer beinahe
+zwanzigjährigen Arbeitszeit bei der Motorenfabrik Jank gebracht. Als
+blutjunger Geselle trat er damals in den Dienst und heute war er
+erster Werkmeister. Seine stumpfe, schweigende Energie, sein
+fanatischer Lerneifer und seine fast pedantische, aber keineswegs
+devote Pünktlichkeit hatten ihm Respekt und Achtung verschafft, bei
+den Arbeitern sowohl, wie bei den Vorgesetzten. Beliebt war er nicht,
+aber es war keiner in der ganzen Fabrik, der auf ein einmal
+gesprochenes Wort von Windel nichts gab. Es dauerte allerdings lange,
+bis er mehr als das Allernotwendigste sprach. Verschlossen, wortkarg
+und mit jener stoischen Strenge im Gesicht, die schon nahe an der
+Grenze des Mißmuts steht--so kannte man ihn seit Jahr und Tag. Noch
+dazu war er keineswegs eine Erscheinung. Von Gestalt klein und nicht
+gerade kräftig, etwas vornübergebeugt, mit langem Hals, auf dem ein
+unförmiger, zu großer Kopf mit borstigen, kurzen, schon etwas
+angegrauten Haaren und weitwegstehenden Ohren saß. Das lederne,
+scharfe Gesicht machte einen überreizten Eindruck. Die tiefliegenden,
+unruhigen Augen waren von vielen blutunterlaufenen Äderchen
+durchzogen. Aus dem schroffen Tal der Backen hob sich die plumpe,
+unregelmäßige Nase wie ein spitzer Hügel. Griesgrämig griff die
+massige, verfaltete Stirne von einer Schläfenbucht zur andern.
+
+Das Merkwürdigste an diesem Antlitz aber war der untere Teil. Er
+schien fast von einem anderen Menschen zu sein, hatte etwas so
+Hilfloses und Schüchternes, daß man den Eindruck des Mädchenhaften
+nicht losbrachte, wenn nicht hin und wieder der geöffnete kleine,
+aufgeworfene Mund die eingerissenen, stark mitgenommenen Zähne gezeigt
+hätte. Kam noch hinzu ein ungewöhnlich kurzes, fast in den Hals
+gefallenes und nur durch einen ganz kleinen Ballen angedeutetes Kinn,
+aus dem ein spröder Knebelbart spritzte wie eine Rettung. Sonst hätte
+man buchstäblich der Meinung sein können, nach dem Hals ginge der Mund
+an.
+
+Man sagt im allgemeinen, Pedanten, die ihr Dasein fast abgezirkelt
+genau ableben, hätten ein sorgfältig gepflegtes Erinnerungsvermögen
+und vergäßen die kleinste Kleinigkeit oft jahrelang nicht.
+
+Peter Windel hatte keine Erinnerung.
+
+Schließlich, daß man irgendwie zur Welt kommt, aufwächst und
+allmählich auf einen Namen hört, dann, in der Schule, noch auf einen
+zweiten; in die Lehre kommt, etliche Stellen wechselt; daß es einem
+schlecht oder besser geht, daß man auf einem Gottesacker unter anderen
+Leuten um ein Grab steht und den Kies auf den Sarg einer toten Mutter
+oder eines verstorbenen Vaters, eines Bruders oder einer Schwester
+fallen hört und endlich Hinterlassenschaftspapiere, Notariatszimmer
+und Pfandbriefe zu sehen bekommt,--das erlebt so ziemlich jeder Mensch
+auf die eine oder andere Weise.
+
+Ein schepperndes Weckerläuten. Es ist noch tiefste Nacht draußen, die
+Fenster sind gefroren und hoch herauf verschneit, man hört auf den
+weiten, überschneiten Straßen nur seine eigenen Schritte knirschen.
+Aus Schnee und Dunkelheit kommt langsam eine flimmernde Straßenbahn,
+dann hinter einer gelben Fensterscheibe ein verschlafenes, ärgerliches
+Pförtnergesicht, üher einen Hof viele, dumpf trommelnde Schritte und
+ineinanderschwimmende Laute, endlich einen glatten Hebel in der Hand,
+--herumgezogen--und ratsch! ein ganzer Hauskoloß surrt bebend
+auf, die Riemen klatschen, ächzen, es hämmert, feilt, quietscht,
+kracht, klingt, braust--das wußte Peter Windel seit ewiger Zeit.
+Zwischendurch freilich auch Sommertage. Ein offenes Fenster, Kühle und
+Dämmerung und etliche schüchterne Vogeltriller beim Erwachen. Das
+meiste der zwanzig Jahre--: Nächte über technischen Büchern,
+Sonntagnachmittage über dem Zeichenblock und manchmal ein Zählen des
+ersparten Geldes. Öfters als wünschenswert Streitigkeiten, Zänkereien
+mit der halbtauben, beschränkten Logisfrau können noch hinzugezählt
+werden. Das war alles. Peter Windel hatte keine Erinnerung. Er kannte
+nur Interessen.
+
+Wenn nicht--
+
+Und hier beginnt diese Geschichte.
+
+
+II.
+
+"Sie sind eine Sau! Vier Wochen kein frisches Handtuch, zwei Monate
+keine Bettwäsche gewechselt! Wenn das nicht aufhört, ziehe ich!"
+schrie Peter Windel an einem Sonntag seine Logisfrau an.
+
+Wie immer. Das Weib blieb stehen, glotzte ihn an, verzog das Gesichtzu
+einer weinerlichen Grimasse und winselte ein paar unverständliche
+Worte heraus. Und weinte erst leise, dann immer unerträglicher.
+
+Das Fenster stand offen. Es war Sommer. Klar fiel die Sonne in den
+Hof. Windel riß die Schranktüre auf, nahm seinen Regenmantel, schob
+die Frau beiseite und ging.
+
+Vierzig Mark für ein Zimmer ist nicht viel und die Frau schnüffelte
+nicht, war uralt, hockte den ganzen Tag in der dumpfen Küche und
+lispelte Gebete. Unreinlich war sie nur von Zeit zu Zeit. Man mußte
+sie dann grob anschreien.--
+
+Auf der Treppe fiel Peter ein, daß er "Die Elektrizität als Nutzkraft"
+vergessen hatte. Er drehte sich rasch um und ging zurück. Immer noch
+stand das Weib in der Zimmermitte, fast unbeweglich und wimmerte.
+Einen Augenblick maß sie Peter verärgert. Dann stampfte er mit dem Fuß
+auf den Boden.
+
+"Herrgott nochmal!" stieß er heraus, warf seinen Mantel hin, riß die
+Bettlaken herunter, zog in aller Eile Decke und Kopfkissen ab und warf
+die ganze Wäsche der Frau vor die Füße, samt dem schmutzigen Handtuch.
+"Gehn Sie doch in die Küche mit Ihrem Lamentieren und legen Sie mir
+die Bettwäsche dann herein, ich mach's mir selber!" sagte er noch,
+nahm vom Nachtkasten das vergessene Buch und schmiß wütend die Türe
+zu.
+
+"Meine Lies' ... heut wird's das zweite Jahr!" wimmerte die Frau noch.
+Und fiel wieder in ihr wimmerndes Weinen.--
+
+Als Peter Windel tief in der Abendstunde nach Hause kam, lag sie quer
+auf dem Zimmerboden, den Kopf auf die Waschtischkante geschlagen, eine
+ziemlich große Wunde auf der Stirn--reglos, steif.
+
+Eine kleine Lache geronnenes Blut umgab den Kopf. Die Tote mußte sich
+in den hingeworfenen Bettüchern mit den Füßen verwickelt haben und
+dann hingefallen sein.
+
+Peter Windel stand und stand. Er fühlte das Brennen des angesteckten
+Streichholzes nicht auf den Fingern. Erst als es wieder dunkel war,
+zuckte er ein wenig, steckte schnell ein neues an und ließ es wieder
+verglimmen. Stand und stand.
+
+Plötzlich gab er sich einen Ruck und lief wie ein Irrer davon, ließ
+die Türen offen, polterte die Treppen hinunter, rannte hastig und
+totenbleich an Leuten vorbei und meldete das Geschehene auf der
+Polizeiwache. Als er mit zwei Schutzleuten und dem Polizeiarzt
+zurückkam, waren schon Leute aus den Türen gekommen und musterten ihn,
+trippelten nach und blieben an der Eingangstüre stehen mit gereckten
+Hälsen, brummten, lispelten.
+
+Der eine der Schutzleute schloß endlich die Türe. Man machte Licht in
+Peters Zimmer, schaute eine Zeitlang auf die Tote, nahm die zwei oder
+drei schwarzen, verkohlten Streichholzköpfe auf ein Papier und sagte
+zu Windel, der säulenstarr dastand: "Setzen Sie sich."
+
+Der Arzt beugte sich üher die Tote, ein Schutzmann prüfte die
+Waschtischkante. Der Arzt nickte.
+
+"Setzen Sie sich!" sagte ein Schutzmann strenger.
+
+Peter brach endlich in einen Stuhl.
+
+Die drei lispelten in der Ecke.
+
+Der Arzt steckte seine Instrumente ein, hustete und stellte sich neben
+die Tote.
+
+Ein Schutzmann nahm neben Peter Platz, einer blieb an dessen Seite
+stehen.
+
+"Wann haben Sie die Frau verlassen?" fragte der Schutzmann und
+notierte.
+
+Fragte weiter, mit einer gewissen hämischen Herausforderung:
+
+"Haben Sie Beziehungen zu der Hullinger gehabt?"
+
+"Nein."
+
+"Wie lange wohnen Sie hier?"
+
+"Und haben schon öfters solche Streitigkeiten mit der Hullinger gehabt?"
+
+"Ja," sagte Peter.
+
+"Und diesmal?"
+
+"Weil sie mir schon vier Wochen keine frische Bettwäsche mehr gab."
+
+"Sie waren also grob zu ihr?"
+
+"Ja."
+
+Und noch, was er Gehalt hätte, was er bezahlen müsse für Logis, ob die
+Hullinger vielleicht eine größere Hinterlassenschaft in bar irgendwo
+aufbewahrt, beziehungsweise ob ihm bekannt wäre, in welchen Verhältnissen
+die Hullinger gelebt habe.
+
+Peter antwortete meistens mit Ja oder Nein. Seine Stimme klang
+zerbrochen und schwer.
+
+"Dann muß ich im Hotel schlafen ... Herr Schutzmann ... wenn die Leiche
+hier liegenbleiben muß," sagte er endlich hilflos. Er hatte diese
+Anordnung vom Arzt gehört.
+
+Da stand der Schutzmann selbstbewußt auf, sagte: "Sie kommen mit!"-Alle
+Menschen waren noch auf dem dunklen Hof, und entsetzte Blicke fielen auf
+die Davongehenden.
+
+
+III.
+
+Wegen dringenden Verdachts, seine Logisfrau ermordet zu haben, wurde
+Peter Windel in Untersuchungshaft genommen und in einer Einzelzelle
+untergebracht. Vier hohe, glatte, mit kahler, graugrüner Ölfarbe
+gestrichene Wände umgaben ihn von nun ab. Unter der Lichtluke stand
+die hölzerne Pritsche, daneben der Abort. Auf dessen Deckel konnte man
+bei den Mahlzeiten den Eßnapf oder die blecherne Wasserkanne stellen.
+
+Die erste Nacht lehnte Peter schlaflos an der kalten Tür. Als die
+Wärter in der Frühe aufschlossen, mußten sie fest drücken, bis seine
+steife Gestalt nachgab und endlich, als sie wütend fluchten, mechanisch
+etliche Schritte in den Raum machte. Während die Wärter die Brotration
+auf die Pritsche legten und den Kaffee in die blecherne Tasse gossen,
+stand der Gefangene die ganze Zeit unbeweglich und zusammengeschrumpft
+da. Sie achteten nicht weiter darauf und schlossen geräuschvoll wieder
+die Tür.--
+
+Jetzt war Licht. Die Gefängnisuhr schlug sieben.
+
+Peter schaute schüchtern im Raum herum und begann zu gehen. Ging
+stoisch die Wände lang. Immer zehn Schritte der Länge nach und zwölf
+Schritte der Breite nach. Den ganzen Tag, ohne innezuhalten, wenn man
+Essen oder Abendbrot brachte.--
+
+Erst als das Licht beim Hereinbruch der zweiten Nacht verlosch, legte
+er sich auf die Pritsche, zog die rauhe Decke üher sich und schlief
+wie immer. Jäh erwachte er in der anderen Frühe. Es war stockdunkel.
+Er griff in die Gegend des Abortes, als suche er etwas oder wolle
+Licht anstecken und stieß dabei so hastig an die Wand der Wasserkanne,
+daß dieselbe mit einem Knall auf den Boden fiel und klatschend die
+Flüssigkeit aus ihr peitschte. Erschreckt schwang sich Peter von der
+Pritsche, hielt seine aufgeknöpften Kleider raffend zusammen und
+lauschte aufmerksam.--
+
+Jetzt schlug es fünf. Er atmete auf und begann unsicher und vorsichtig
+umherzutasten. Auf einmal fühlte er die Nässe an seinen Füßen.
+
+"Herrgott! Herrgott!" brummte er mürrisch und besann sich. Aber in
+diesem Augenblick räkelte wer an der Tür. Ein Atmen wurde vernehmbar,
+das Licht in der hohen Decke flammte auf und wieder standen die kahlen
+Mauern ringsherum, das kleine Loch glotzte in den totenstillen Raum.
+
+"Was machen Sie denn da?!... Sind Sie ruhig!" brüllte der Wärter
+draußen ärgerlich. Peters Finger streckten sich und ließen von den
+Kleidern. Seine Hose fiel langsam herab. Ein Zittern schüttelte seinen
+ganzen Körper.
+
+"Es ist schon fünf Uhr vorbei, ich muß weg!" hauchte er gedämpft.
+--Aber es war schon wieder dunkel. Und still.--
+
+Erst nach einer Weile brachte Peter die Kraft auf, seine Hose
+hochzuziehen, und tastete sich zur Pritsche, legte sich darauf. Sein
+Herz schlug hörbar und mit jedem Uhrenschlag erregter. Um sechs Uhr
+schwang er sich empor und blieb dann hölzern sitzen.
+
+Das Licht griff endlich wieder von der hohen Decke in den Raum. Die
+Tür öffnete sich unter dem Knarren der Schlüssel. Ein Wärter stellte
+das Frühstück herein und der andere an der Tür warf den Aufwischlumpen
+her und beide brummten und schimpften wegen des Wasserumschüttens,
+hießen Peter aufwischen. Fast froh darüber ergriff dieser den Lappen,
+kniete hin und wollte alles möglichst in die Länge ziehen. Aber die
+Wärter zeterten und trieben zur Eile.
+
+"Vorwärts! Vorwärts! Glauben Sie, wir sind zu Ihrer Unterhaltung da!
+... Marsch! Marsch! ... So ... fertig!"
+
+Sie rissen ihm den Lumpen aus der Hand und waren schon draußen. Wieder
+wich die Tür in die Wand zurück. Die Schlüssel knirschten. Das Guckloch
+starrte wie ein gräßliches, ausgestochenes Auge in den kahlen Raum.
+
+Peter kniete benommen da. Lange.
+
+Es war still! Still!!
+
+Fürchterlich still!
+
+Wie ein aufgescheuchtes Tier hob der Kniende plötzlich den Kopf,
+schaute scheu um sich und sprang mit einem Satz an den Abort, hob den
+Deckel und schloß ihn hastig wieder, hob und schloß.
+
+Die Spülung rauschte. Auf und zu klappte der Deckel. Es krachte,
+rauschte. Immer hastiger, schneller, motorisch riß Peter auf und zu,
+auf und zu, immerfort, immerzu, nur um die Stille nicht mehr zu hören,
+hob und deckte zu, es rauschte, rauschte--bis der Wärter schrie:
+"Sie!! ... Sie! Sind Sie verrückt geworden!!--Passen Sie auf! ... Man
+ist schon mit anderen fertig geworden! ... Warten Sie, Sie!!"
+
+So erschrocken war Peter, daß er noch lange zitterte, dann ging er
+hastig wieder die zehn und die zwölf Schritte. Den ganzen Tag.--
+
+Viele, viele Tage, jedesmal um fünf Uhr früh, erwachte Peter so jäh.
+Immer griff er hinüber zum Abortdeckel, wollte Licht anstecken, sprang
+auf, brachte seine Kleider in Ordnung,--machte etliche Schritte, stieß
+an die kalte Tür und prallte zurück.
+
+Neunzehnunddreiviertel Jahre gleichmäßiges Aufstehen lassen sich
+schließlich nicht aus der Gewohnheit auslöschen.
+
+Um sechs Uhr pfiff es. Wenn er am Hebel stand undihn herumriß, fing
+der mächtige Koloß der Fabrik zu surren an, die Riemen klatschten,
+quietschten, es krachte, bebte, hämmerte....
+
+Peter war so mit dem Kopf an die Tür gestoßen, daß er taumelnd
+zurückfiel, glatt auf den Boden und liegenblieb.--
+
+Wo!? Wo war man denn? Wo denn! Wo!!?
+
+Auf der Welt? In der Hölle? Tief in der Erde?--
+
+Es war still!
+
+Nirgends war man! Nirgends! Gar nirgends!
+
+In einem Grab, in einem luftleeren, steinernen Sarg! In einer
+fressenden Stille! Und durfte langsam, ganz langsam sterben. Niemand
+wußte, sah und hörte etwas. Es war still! Still!!--Still!!!
+
+Doch--man hörte etwas, zeitweilig ein ganz fernes Klopfen, ein Kratzen
+in den Wänden. Aus einer anderen Gruft vielleicht?!--Nein! Es waren
+Holz--oder Mauerwürmer, die nagten, nagten, weil sie einen Kadaver
+witterten.--
+
+Die dann herabfielen wie Tropfen und langsam in den Leibbohrten,--nagten,
+nagten und alles auffraßen!--
+
+Das Licht kam wieder. Peter Windel stand auf, ging zehn und zwölf
+Schritte. Er aß jetzt auch.--
+
+
+IV.
+
+Endlich nach fünfzehn Wochen Haft fand die Verhandlung gegen Peter
+statt.
+
+Stupid folgte der Gefangene den Wärtern durch lange Gänge, dann fühlte
+er Luft und bekam Angst, atmete sparsam.
+
+Und dann saß er in einem Saal, sah Gestalten, sah starre Augen und
+hörte Redegeräusche um sich herum und aus sich heraus.
+
+Zuerst saß er da wie eine leblose Puppe. Dann, mit jedem gehörten
+Wort, kam mehr und mehr das Leben in ihn. Sein Gesicht bewegte sich,
+als öffne es sich aus einer Erstarrung--und dann lag ein Lächeln die
+ganze Zeit auf seinen stoppeligen Falten und blieb.--
+
+Die Dienstmagd vom Vorderhaus sagte aus. Einfach klangen ihre Worte.
+Sie sprach nicht zu viel und nicht zu wenig.
+
+Das Geräusch der Worte war erst undeutlich, dann wurde es klarer und
+klang.--
+
+Am fraglichen Sonntag nachmittags zwei Uhr vernahm diese Dienstmagd
+ein Wimmern aus dem offenen Fenster des Windelschen Zimmers. Dem
+folgte ein grobes, kurzes Schimpfen. Dann sah sie den Angeklagten auf
+der Treppe, wie er plötzlich innehielt und wieder umkehrte. Und wieder
+hörte sie das Wimmern, noch deutlicher sogar und ein wütenden Schimpfen,
+dann einen Türzuschlag und Windel mit grimmigem Gesicht die Treppe
+hinunterrennen.
+
+Wie ruhig sie das sagte: "Und dann, gleich darauf, habe ich einen
+dumpfen Knall und einen kurzen, nicht recht lauten Schrei, der eher
+ein Stöhnen war, gehört und das Wimmern hat auf einmal aufgehört. Ich
+weiß nicht mehr genau, war's gleich nach dem Türzuschlagen oder ein
+wenig später. Ich bin dann zu meiner Schwester gegangen, weil ich
+Ausgang hatte.... Die Leute im Vorderhaus und im Hinterhaus? ... Ja
+... soviel ich gesehen habe, die waren fast alle weggegangen ... schon
+mittags.... Es war ja auch so schönes Wetter."
+
+Peter Windel saß da und lauschte. Es klang!--
+
+Er begann auf einmal langsam--dann aber stoßweise zu schluchzen. Eine
+Bewegung kam in den Saal. Eine Glocke läutete. Lauter rief wer!
+Ja!--Ja! Das konnte der Vesperruf in der großen Halle sein! Das war
+dasselbe, dünne, schrille Läuten.--
+
+Dann klangen wieder Stimmen hin und her.
+
+Der Chef, die Arbeiter und Angestellten und die frühere Logisfrau
+sagten günstig über den Angeklagten aus. Die letztere weinte sogar
+buchstäblich und sprach erregt, daß der Staatsanwalt sich verpflichtet
+fühlte, sie zu fragen, wie lange Windel sie kenne, ob er sie zuletzt
+noch aufgesucht und ob sie zu ihm in näherer Beziehung gestanden habe.
+
+Die dicke Frau wurde darob sehr schrill, schrie und es läutete
+abermals. Peter Windel war wieder ruhig geworden und lächelte
+wieder.--
+
+Lächelte, trotz der furchtbaren Anklagerede des Staatsanwalts,
+lächelte starr in den Raum, als der Rechtsanwalt redete und redete.--
+
+Man fand keine Absicht in dieser Tat. Die Beweise waren zu mangelhaft.
+Der Angeklagte war ein unbescholtener Mensch. Bis in die Schulzeit
+hatten die eifrigen Nachforschungen der Behörden zurückgegriffen,
+nichts ließ auf einen jähzornigen, böswilligen Menschen schließen,
+sondern eher auf einen schüchternen, scheuen, dem das Leben stark
+mitgespielt hatte.--
+
+"Alles, was die tote Frau Hullinger hinterlassen hat, fand man
+unberührt. Sie haben ein Zeugnis aus der weitaus überwiegenden
+Mehrzahl der Aussagenden, daß der Angeklagte nie zu einer solchen Tat
+fähig sei. Wie kann man annehmen, daß ein solcher Mensch wegen einer
+geringfügigen Unreinlichkeit einfach eine alte Frau dermaßen an den
+Waschtisch wirft, daß sie augenblicklich tot ist!" rief der Verteidiger.
+Und viele nickten. Man hörte deutlich ein Aufatmen, als der Freispruch
+bekanntgegeben wurde und sah aufgeheiterte, fast erlöste Gesichter.--
+
+Peter Windel war frei.
+
+"Kommen Sie nur gleich wieder!" hatte sein Chef gesagt, als er ihm
+beim Weggehen die Hand drückte. Und der Rechtsanwalt hatte einen Blick
+wie ungefähr: "Na, das hätten wir wieder durchgedrückt!"
+
+Nach fünfzehn Wochen spürten Peters zögernde
+
+Schritte wieder Straßen, hörten seine Ohren Trambahnrattern, sahen
+seine Augen Menschen, Farben, Fenster, und er wußte selber nicht, wie
+und weshalb er plötzlich an einen Schalter herantrat und sagte:
+"Dritter Klasse! Ja!"
+
+Er stieg auf den Zug und ging nicht in die Kupees. Eine Nacht lang
+stand er auf dem eisernen, ratternden Vorplatz eines Wagens und
+atmete.--
+
+Der Wind pfiff. Der Zug sauste, riß die Luft auseinander, zog
+vorbeifliegende Lichter in die Länge, bohrte hemmungslos in eine
+dunkle, ungewisse Ferne.
+
+Keine Wand mehr, keine zehn und zwölf Schritte, kein Ende--das Toben
+und Brausen wieder! Nur diesmal wie ein Flug durch einen unermeßlichen
+Raum.--
+
+
+V.
+
+Aber--es ist nicht wahr! Man kann nichts wegtrinken, nichts vergessen
+machen, nichts auslöschen! Man trägt es mit sich wie ein unsichtbares
+Schneckenhaus und zuletzt!?--
+
+Es sind immer wieder die kahlen, glatten Mauern, die Tür mit dem
+ausgestochenen Aug' in der Mitte, die zehn und zwölf Schritte....
+
+Es klopft.--
+
+Es kratzt in den Wänden. Die Würmer nagen. Sie warten und fallen
+plötzlich in einer Nacht wie schwere Tropfen herab, bohren sich ins
+Fleisch, nagen--nagen.--
+
+Peter Windel hatte eine wilde Flucht hinter sich. Durch Städte und
+Dörfer war er gefahren, in Hotels und in Wirtschaften, in
+Animierkneipen oder am Leib eines Weibes hatte er die Nächte
+verbracht. Er trank, warf das Geld weg, aß, saß in den Theatern und
+den Kinos, in den Bars und Vergnügungslokalen jeder Klasse.
+
+Es war immer wieder die Stille, das Stockdunkle, das Grab!--
+
+Er floh und kehrte endlich wieder zurück zu Jank, nahm die Arbeit
+wieder auf und wurde ruhiger. Es trat die alte Regelmäßigkeit in sein
+Leben. Ereignislos verliefen die Jahre. Er wurde alt. Gebückt ging er.
+
+Der Chef nahm ihn in die Abteilung für technische Angelegenheiten ins
+Bureau. Da saß er nun jeden Tag auf seinem Drehstuhl und rechnete,
+schlug das Buch zu, kam am ändern Tag wieder und rechnete.
+
+Neben ihm saß das Schreibmaschinenfräulein, weiter am Fenster vorne
+der Ingenieur und manchmal auch der Chef.
+
+Jahre.--
+
+Plötzlich an einem Nachmittag gegen drei Uhr warf Peter Windel die
+Feder weg, riß sich fast soldatisch herum, ging an den Schreibtisch
+des Ingenieurs und sagte mit hohler, kalter Stimme: "Die Sache
+liegt vollkommen glatt. Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls
+haftbar."
+
+Steif stand er einen Augenblick vor dem verblüfften Herrn und drehte
+sich rasch um, rannte zur Tür und war weg.
+
+Schon nach der Mittagspause hatte er sich den Hut unter den
+Schreibtisch gelegt. Und jetzt war er froh, daß kein ihm bekannter
+Straßenbahner den Wagen führte, in den er stieg.
+
+Nach der fünften Haltestelle stieg er aus. Er war mitten in der Stadt.
+"Das Urteil im Heinold-Prozeß! Zwölf Jahre Zuchthaus!" schrien die
+Zeitungsverkäufer und flatterten mit den Extrablättern herum.
+
+Wichtige, gesprächige Gesichter tauchten auf, gedrängte Gruppen
+stauten sich um die Anschlagssäulen.
+
+Peter bohrte seine Augen spähend in die staubige Luft. Nach einem
+regen Ausschreiten blieb er auf einmal stehen, murmelte etliche Worte
+heraus, drehte sich mechanisch herum und ging in den Blumenladen,
+vor dem er jetzt stand. Nach einer langen Weile kam er mit einem
+großen, auffallend schönen Rosenstrauß heraus, und ein kaltes Lächeln
+lag auf seinen störrischen Zügen.
+
+"Lebenslänglich in einem Grab ... da schon lieber gleich weg," hatte
+er gestern beim Treppenhinaufgehen gehört, und dann sagte eine andere
+Frau superklug: "Beantragt erst. Es hängt noch vom Gericht ab."
+
+Heute war niemand im Treppenhaus. Auch die Wohnung war leer. Die
+Logisfrau war wahrscheinlich zum Putzen gegangen und ihr Mann kam erst
+gegen sieben Uhr abends von der Arbeit.
+
+Peter öffnete rasch und schritt behend in sein Zimmer, legte behutsam
+den Rosenstrauß auf den Tisch und holte sich in der Küche warmes Wasser
+zum Rasieren.--
+
+Als er bereits im Gebrock vor dem Spiegel stand, überfiel ihn auf
+einmal ein maßloses Zittern, und eine Totenblässe überzog sein
+Gesicht. Mit Gewalt straffte er seine Füße. Dann nahm er endlich den
+Strauß und verließ die Wohnung.
+
+Es war schon dunkel, als er vor der Tür des Staatsanwalts Petersen
+stand und läutete.
+
+"Ich möchte gern ... wenn es erlaubt ist ... dem Herrn Staatsanwalt
+diese Blumen bringen ... und--und gratulieren," stotterte er dem
+Mädchen ins Gesicht. Das ließ ihn ein und führte ihn in ein
+Empfangszimmer. Nach ganz kurzer Zeit tat sich die Mitteltür auf, und
+Peter stand vor dem Staatsanwalt. Einen Augenblick hatte der Mann eine
+steinern ernste Miene, dann flossen alle Falten in ein Wohlwollen und
+er lächelte geschmeichelt.
+
+Mit vielen unbeholfenen Verbeugungen reichte ihm Peter den Rosenstrauß
+und stotterte devot: "Für ... für den außerordentlichen Eindruck, den
+ich von Ihrer Anklagerede empfing ... nur eine kleine Erkenntlichkeit
+meiner Wenigkeit, Herr ... Herr Staatsanwalt, Herr....!"
+
+Der Staatsanwalt nahm ihm mit aller Freundlichkeit der Herablassung
+den Strauß aus der Hand, führte ihn an die Nase und sog in vollen
+Zügen den Duft ein, hob den Kopf wieder, sagte: "Ah ...!" und drehte
+sich lächelnd um, zur anderen Tür schreitend: "Das muß ich gleich
+meiner Frau sagen...."
+
+Jetzt, da er ihm den Rücken zugewendet hatte, rief Peter plötzlich mit
+schneidender Hast: "Eins, zwei, drei! ... einen Augenblick ..." und er
+lächelte, wie um sich zu besinnen ... "sind drei ... aber nein, nein!
+Das stimmt nicht! ... Zehn und zwölf, verstehn Sie ... sind?"
+
+Der Staatsanwalt hatte sich erschreckt umgedreht, stand unschlüssig.
+Peters Mund bewegte sich fieberhaft. Schaum stand auf seinen Lippen:
+"Verstehn Sie ... zehn und zwölf Schritte! Den ganzen Tag! Den ganzen
+Monat--ein Jahr--zwei!--drei!--vier--zwölf Jahre! Zwölf Jahre!!"
+
+Und noch ehe der Staatsanwalt auf ihn zustürzen konnte, stieß ihm
+Peter mit aller Wucht sein feststehendes Messer in die Brust, daß er
+lautlos zusammenbrach und vornüber hinfiel. Dumpf hallte es. Der
+Körper warf sich etliche Male zuckend und blieb dann steif liegen.
+
+Peters Mund ging auf und zu: "Zehn und zwölf Schritte--einen Tag,
+einen Monat--ein Jahr--zwölf Jahre, zwölf----"
+
+Die Tür ging auf. Hoch stand ihr Dunkel. Etwas Buntes, Weißes
+flimmerte dazwischen! Peter schrie in einem Schrei:
+
+"Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar,--Zwölf Jahre Grab!
+Verstehn Sie ... Das ausgestochene Aug'! Die Würmer! Zwölf Jahre ...
+Verstehn Sie! Zwölf Jahre Nirgends! Nicht Hölle! Nicht Welt! Zehn und
+zwölf Schritte ... die Wü-ü-ürmer!"....
+
+Nach der irren Hast der ersten Worte spaltete sich die Stimme,
+überschlug sich und klang zuletzt wie ein keuchendes, ersticktes
+Stöhnen. Jetzt hielt er inne.
+
+Die hohen Türen standen offen da. Schwarz und düster. Gegen ihn
+gerichtet wie drohende Rachen.
+
+Die Gestalten und Gesichter waren fort. Es war still. Still!--Mit weit
+aufgerissenen Augen starrte Peter in diese Leere. Sein Körper begann
+zu schlottern, aber er riß sich zusammen. Er wich zurück. Sein Kopf
+stieß dumpf an den Fenstergriff. Erschrocken wandte er sich herum. Die
+Helle brach üher ihn. Er öffnete rasch.
+
+Jetzt befiel ihn wieder das Zittern. Sein Gesicht verzerrte sich. Er
+wollte umsehen und wagte es nicht. Seine Arme umklammerten das
+Fensterkreuz.
+
+Furchtbar schrie er: "Hilfe! Hi-ilfe!"
+
+Er schwang sich plötzlich mit einem wilden Satz aufs Fenster und
+sprang in die Tiefe.--
+
+
+
+
+SINNLOSE BEGEBENHEIT
+
+
+Um es ohne Umschweife zu sagen--: Michel Zöll hatte heute einen guten
+Tag.
+
+Vorgestern, als er stumpfsinnig in der Wärmestube der Arbeitsvermittlung
+saß und an dem nassen, verfilzten Zigarrenstummel saugte, den er auf dem
+Hergang in der Frühe gefunden hatte, kam sein Weib herein und sagte zu
+ihm: "Dein Alter ist gestorben ... Vom Elektrizitätswerk haben sie
+hergeschickt, daß er auf der Straße umgefallen ist.--Schau nach!"
+
+Es stimmte.
+
+Jetzt lag der Tote unter der Erde.
+
+"Ich komm schon!--Nachher!" sagte Michel zu seinem Weib nach dem
+Begräbnis und schickte es heim, während er zur Logisfrau des
+Verstorbenen ging.--
+
+Wie oft hatte Michel es nicht gehört, wenn Fußtritte auf ihn traten,
+wenn er in eine Ecke flog, wenn die Fäuste seines Vaters auf seinen
+Kopf niedersausten oder eine Eisenstange, ein Teller, eine Bürste:
+"Knochen, verstockter!--Der Teufel soll mich kreuzweis' holen, wenn
+ich dir einen Pfennig hinterlaß'! Ertränkt sollte man dich im ersten
+Bad haben, du Nichtsnutz!"
+
+Mit sechszehn Jahren noch, als Michel schon im letzten Lehrjahr stand
+und eigentlich keine Last mehr war, wollte der Alte den Jungen
+wegräumen und übergoß ihn beim Heimkommen mit siedendem Kartoffelwasser,
+weil er das Vogelfutter für den Kanarienvogel mitzubringen vergessen
+hatte.
+
+Michel mußte damals ins Krankenhaus gebracht werden und sah zum
+erstenmal, wie ein Bett aussah.
+
+Es war schön in diesen hellen Räumen. Man sah viele fremde Menschen,
+die allerhand erzählten. Michel faßte Mut da und ging nach seiner
+Entlassung mit dem was er auf dem Leibe trug, auf die Wanderschaft,
+schlug sich auf alle mögliche Art und Weise durchs Leben.
+
+Mutter--?! Ein komischer Begriff!
+
+Michel hatte noch so etwas wie eine abgemagerte Frau in einem Haufen
+Lumpen im Gedächtnis. Ein Paar spindeldürre Arme wie Stöcke. Und
+Hüsteln.
+
+Und das, was er nun seit ungefähr zwei Jahren unausgesetzt ablebte:
+Eben ein Zimmer voll Gerumpel, mit erstickender Luft und einem
+Vogelbauer im staubigen Fenster.
+
+Nur--daß Michels Weib zwei Kinder hatte und hin und wieder zum Putzen
+ging, daß das jetzige Zimmer keinen Vogelbauer hatte, ein klein wenig
+heller war, aber enger als das frühere.
+
+Vor zwei Jahren war es etwas anders. Damals arbeitete Michel noch in
+der Motorenfabrik. Es war guter Verdienst. Aber wie der Teufel sein
+wollte, die Firma machte Bankrott, kam noch hinzu, daß das damalige
+Haus, in dem Michel mit Weib und Kindern in einer Zweizimmerwohnung
+hauste, in ein Warenhaus umgewandelt wurde, und die Leute nach langem
+Hin und Her auf die Straße gesetzt wurden.
+
+Weshalb soviel Aufhebens machen! Die Entwicklung der Dinge läßt sich
+leicht denken. Die Hauptsache war immer: Man hatte zur Not ein Dach
+üher dem Kopf bekommen. Man wußte, wo man hingehörte.--
+
+Nun, es ist etwas Wahres dran an dem Sprichwort: "Wo die Not am
+größten, ist Hilfe am nächsten."
+
+Trotzdem der Verstorbene sich vielleicht geschworen haben mochte, nie
+und nimmermehr für Michel etwas zu hinterlassen, fiel dem Sohn jetzt
+die ganze erraffte Habschaft des Alten zu.--
+
+Es war erst fünf Uhr nachmittags. Michel konnte in aller Ruhe das
+Zimmer des Verstorbenen durchstöbern und alles mitnehmen. Er fand
+außer baren fünftausend Mark einige Anzüge, von denen er den besten
+sogleich anzog, einen Überzieher, den er ebenfalls umlegte, und
+allerhand Gerumpel, das er dem Tändler Finsterhofer verkaufte.
+
+Er war gut aufgelegt, der Michel, lachte und gab schließlich dem
+drängenden Tändler auch das ganze andere Geschleppe, die übrigen
+Anzüge und was da noch war.
+
+Die Tasche voll Geld schritt er in die dämmernde Stadt.
+
+"Ist doch gut, wenn man weiß, wer einen auf die Welt gebracht hat,"
+brummte er aufgeheitert und ging in eine der bekannten Wirtschaften
+inder Bahnhofsnähe, um noch ein paar Gläser zur Feier des Tages zu
+trinken.
+
+Es kam ihm merkwürdig vor, als er so unter den anderen Arbeitern,
+Zuhältern, Herumlungerern und alten Huren saß.
+
+Einige kannten ihn und maßen ihn von der Seite.
+
+"Hast das große Los gezogen, Michel! He ... gibst was aus?" rief ihm
+ein Tisch zu und in jedem Blick war ein konstatierendes Zwinkern.
+
+Michel setzte sich. Es tat ihm wohl, daß soviel Freundlichkeit ihn
+umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art Gönnerhaftigkeit.
+
+"Meinetweg'n ...," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins
+Gras gebissen! Es kommt mir nicht drauf an....!"
+
+Und die Gesichter um ihn zäunten sich enger, fingen zu glänzen an.
+Man trank sich kameradschaftlich zu.
+
+"Erste Runde ... wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und
+Ordnungsmann in den Tisch.
+
+"Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine
+heraus.
+
+"Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere.
+
+"Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekräftigte ein anderer.
+
+Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll
+genug sein!"
+
+Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und ließ Michel
+leben!
+
+Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten,
+bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein
+... richtig gesagt, sind wir zufrieden ... der Michel kommt wieder!"
+
+Und jeder drückte Micheln die Hand.
+
+"Ein kreuzguter Mensch!" hörte dieser noch, als er die Tür hinter sich
+zuzog und seine Schritte eiliger straffte.
+
+Die großen Bogenlampen leuchteten schon durch den nachtdurchwobenen
+Nebel. Aus den Kaffeehäusern griffen die Lichter, die Straßenbahnen
+flimmerten, surrten und läuteten.
+
+Michel stieg nicht ein. Er ging zufrieden dahin und lächelte manchmal.
+Es schien, als wolle er noch einmal, ganz für sich allein, das eben
+zuteil gewordene Glück auskosten.
+
+Er griff nach seinem Geld. Er griff hastiger. Nichts.
+
+Seine Knie begannen zu schlottern, sein Herz stand jäh still. Er griff
+nochmal.
+
+Das ganze Geld war weg. Man hatte es ihm gestohlen.
+
+Er taumelte an eine Hauswand. Griff, suchte--suchte alle Taschen
+durch, vorsichtig, zitternd, furchtbar.
+
+Nichts mehr.
+
+Einen Augenblick stand er starr.
+
+Die Trambahn surrte vorbei. Ganz dünner Schnee fiel. Die Lichter
+flimmerten. Es rauschte, rauschte--und war doch grauenhaft still. So
+als ob alles wie ein fließendes Wasser leise um ihn herumflösse. Er
+hörte es nicht und hörte es doch, hörte es wie ein verborgenes, leises
+Kichern....
+
+Der Schnee fiel. Michel bewegte sich nicht von der Stelle.
+
+Lange.--
+
+Endlich gab er sich einen Ruck, rannte in die Wirtschaft zurück, auf
+den Tisch zu.
+
+Es war keiner mehr da. Er fuhr den Ordnungsmann an. Fragte, flehte,
+weinte. Vergebens.
+
+In sich zusammengesunken verließ er die Wirtschaft. Machte sich auf
+den Heimweg. Als er vor dem Haus stand, in dem er wohnte,--hielt er
+inne. Er griff nochmal in alle Taschen.
+
+Dann, als er die Treppen emporstieg, schien es, als hätte sein Gang
+wieder die gewöhnliche Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der er sonst
+dahinschritt. Der Dunst des Zimmers schlug ihm ätzend entgegen. Es war
+still und düster. Die zwei Kinder lagen im Korb, in einem Berg von
+Lumpen, und schliefen. Anna saß am Tisch, die Petroleumlampe flammte
+ärmlich und bläulich üher ihre Hände.
+
+Gleichgültig schaute das Weib vom Sockenstopfen auf und rief: "Hast
+was gefunden?"
+
+Michel schwieg, drehte sich umständlich um und schloß die Tür. Dann,
+seinem Weib wieder zugewendet, sagte er: "Zuwas stopfst' Socken? ...
+Brauchst bloß Licht."
+
+"Hast denn solang braucht?" fragte Anna und fixierte nunmehr die
+ungewohnte Kleidung ihres Mannes.
+
+"Ja ...," sagte Michel und zog seinen Überzieher aus, "ist eine schöne
+Strecke gewesen...."
+
+"Ist ein schönes Stück Gewand," sagte Anna wieder, als Michel näher
+ans Licht getreten war und sich auszuziehen begann, "sonst hat er also
+nichts gehabt?"
+
+Der Michel schnaubte ein paarmal auf. Dann rief er einsilbig: "Geh,
+leg dich nieder ... für uns wär's besser gewesen, man hätt' uns im
+ersten Bad ertränkt ... leg dich nieder, Alte!"
+
+Und plumpsig ließ er sich ins Bett fallen, daß die Federn knarzten.
+Bald darauf lag auch Anna an seiner Seite.
+
+Am ändern Tage trug Michel den Überzieher aufs Leihamt und gab Anna
+das Geld.
+
+Wieder wie immer hockte er stumpfsinnig in der Wärmestube der
+Arbeitsvermittlung.--
+
+
+
+
+DIE LUNGE
+
+
+Die Arbeiterin Manztöter ist der Lungenschwindsucht erlegen. Sie war
+eine stille, fleißige Person. Sie schaffte sich auch etwas.
+
+Vor vier Jahren trat sie in die Zigarettenfabrik Zuccalisto ein.
+Bauernmagd war sie vorher gewesen. Eine von den vielen, die die Stadt
+anzog, der Verdienst und die Aussicht auf eine baldige, einigermaßen
+erträgliche Ehe vielleicht.
+
+Die Männer auf dem Lande waren plump und bedacht auf offene manchmal
+in den Stall, faßten sie an der Brust, packten ihr Kinn, leckten ihre
+Wangen. Ein rothaariger Knecht setzte ihr aufdringlich zu, stand und
+stand überall und schlug einmal sinnlos auf sie ein. Daraufhin floh sie
+in die Stadt.
+
+Sie änderte sich nicht, sparte, arbeitete und war fromm ohne
+Bigotterie. Noch immer las sie das Wochenblatt jedesmal aus und den
+Roman und hielt sich außerdem "Die christliche Dienstmagd". Unter dem
+vielen Gemisch von afrikanischen Missionsberichten, fand sie eines
+Tages die Geschichte eines Farmers in Südwestafrika, leis überhaucht
+von friedlich-fleißigem Eheidyll.
+
+Einem solchen sparte sie das Geld vielleicht.
+
+Vierhundert Mark hatte sie schon auf der Sparkasse. Noch vielleicht
+zwei Jahre oder längstens drei und es wären tausend gewesen. Tausend
+Mark!--
+
+Das ist schließlich nur Angewohnheit, daß man zur Vesper für fünfzig
+Pfennig Käse oder ein Stück Wurst haben muß mit Bier. Kaffee mit einer
+Semmel geht auch oder Gerstenauflauf von Mittag. Machte schon wieder
+zwanzig Pfennig weniger.--
+
+Außerdem kann man sich wöchentlich zweimal zu den Überstunden melden.
+Sind auch wieder drei Mark fünfzig Pfennig für je eine Stunde. Man
+macht jedesmal drei, sind zusammen wöchentlich einundzwanzig Mark.
+Eineinhalb Tagelohn mehr. Dann, wenn man heimkommt, ist's meistens
+schon dunkel, man braucht kein Licht mehr, legt sich einfach gleich
+ins Bett und schläft ein, hat gar keinen Hunger mehr.--
+
+Zuletzt waren es schon sechshundert Mark. Sechshundert!
+
+Und da kam die Lunge.
+
+Und kurz darauf hätte es eine allgemeine Aufbesserung gegeben, weil
+die Zigarettenfabrik Zuccalisto fünfundvierzig Prozent Dividende
+verteilen konnte dieses Jahr und auch was tun wollte für ihre Arbeiter.
+
+
+
+
+OHNE BLEIBE
+
+
+Es war schneidend kalt.--
+
+Der Schutzmann an der Ecke sah einem angeheiterten Doppelpaar
+grießgrämig nach und knurrte mürrisch.
+
+Durch den Gedanken, daß diese Leute nun in ihre warmen Stuben heimgingen
+und vor dem Zubettgehen vielleicht noch heißen Tee tranken und eine
+Kleinigkeit zu sich nahmen, hatte er sich davon abbringen lassen, weiter
+auf und ab zu gehen und seine durchfrorenen Beine durch zeitweiliges
+Stampfen einigermaßen warm zu erhalten. Jetzt stach die Kälte doppelt
+quälend in allen seinen Gliedern.
+
+Er knirschte verdrossen, zog seinen Kopf noch tiefer in den
+aufgestülpten, starren Mantelkragen, bog mit sichtlicher Überwindung
+die steifgewordenen Knie und ging wieder weiter.--
+
+Die Stimmen der Spätlinge verschwammen mehr und mehr. Es wurde wieder
+still. Wie ausgestorben dehnte sich das verlassene Geviert aus. Düster
+und drückend ragten die Hauswände empor. Der Schnee fiel dicht und
+sehr ruhig.--
+
+Mißmutig schwenkte der Schutzmann in eine breitere Straße ein. Durch
+die gleichmäßiger verteilte Schneefläche schien es hier heller und
+weiter zu sein. Er blickte erleichtert in die weiße Eintönigkeit. Eine
+strichhaft hagere Gestalt kam auf ihn zu. Der Mann schien weder Kopf
+noch Arme zu haben. Nur die Beine warf er mechanisch nach vorne wie
+ein aufgezogenes Gespenst. Als er kaum noch fünf Schritte von ihm
+entfernt war, hustete der Schutzmann sehr vernehmlich und hob sein
+verärgertes Gesicht.
+
+"Sie!" rief er dem Herankommenden gehässig laut entgegen und warf sich
+in straffere Haltung.
+
+Die Gestalt blieb stocksteif stehen. Nur der Frost schüttelte sie.
+
+"Haben Sie Papiere?" fragte der Schutzmann, noch einen Schritt
+machend, und musterte den Mann.
+
+Der rührte sich nicht.
+
+"Sie!!" brüllte der Schutzmann wie fluchend und leuchtete dem Fremden
+mit der Taschenlaterne entgegen. Alles an ihm war wieder in bester
+dienstlicher Ordnung.
+
+Ein harkiger, abgerissener, verdorrter Baumstamm oder eine arg
+ramponierte Säule konnte es sein, was da im Lichtkreis stand. Raschen
+Blicks überflog sie der Polizist.
+
+"Ihre Papiere!--Sind Sie denn taub!" schrie er abermals, wütend über
+das Aufgehalten werden bei solcher Kälte, und setzte schnell, wie
+witternd hinzu: "Oder haben Sie keine?"
+
+Der Fremde zog endlich seine erstarrte Hand aus der tiefen Hosentasche
+und reichte ihm die schmutzigen, durchnäßten Ausweise.
+
+"Karl Pruvik, Klempnergehilfe" stand auf der überleuchteten
+Invalidenkarte. Herkunft, Geburts--und letzter Dienstort und Datum
+waren verzeichnet. Abgestempelte Marken klebten auf der ersten Hälfte.
+
+Der Schutzmann steckte das Papier unter den blauen Militärpaß und
+schlug diesen auf.
+
+"Infanterist Pruvik, Karl.--14. Regiment" orientierte die erste Seite.
+
+"Verwundet bei Luneville (Armschuß rechts), desgleichen bei Tarnopol
+(Knieschuß links), verwundet bei Verdun (Schulterschuß links)" war im
+Anhang eingetragen, und so und soviele Gefechte und Schlachten erwähnte
+das nächste Blatt.
+
+Das Gesicht des Schutzmanns verlor mehr und mehr die stiere Härte, hob
+sich etwas höher aus dem Mantelkragen.
+
+"Hm!--Auch Kriegsteilnehmer? ... Ohne Bleibe, was?" sagte er mit
+zufriedener Ruhe und streckte dem regungslos Dastehenden die Papiere
+him. Dessen Gestalt schwankte ein klein wenig nach vorne.
+
+"Hundekälte das! Warten Sie, es geht schon!" rief da der Schutzmann
+noch loyaler und steckte dem Mann die Papiere hilfsbereit in die
+Rocktasche: "Ist ja noch nicht so spät. Noch alles offen in der Stadt.
+Sie kommen sicher unter!"
+
+"So," sagte er eben, als in nächster Nähe die Uhr zehn schlug. Einen
+Augenblick horchte er auf, nickte und entfernte sich eilsamen
+Schritts. Schon von weitem erspähte er die Ablösung.
+
+Karl Pruvik riß sich fest zusammen und schritt wieder weiter.
+
+Der Schnee fiel und fiel.
+
+Nach einer langen Weile wurde es endlich etwas lichter. Menschen
+stapften vorüber. Grelle Autolaternen glotzten üher einen freien
+Platz. Üher einem mächtigen Säulenportal leuchteten groß die
+Buchstaben "Schauspielhaus".
+
+Vielleicht vom Licht angezogen verschnellerte Karl Pruvik unwillkürlich
+seine Schritte, eilte geraden Wegs auf den Theaterausgang zu. Eben
+strömte die Besucherschar aus den großen, glitzernden Toren. Er befand
+sich im Nu mitten im dichtesten Gemeng und drängte sich vorwärts. Eine
+warme Duftwelle schlug ihm entgegen, starkgeschminkte Gesichter tauchten
+auf und seltsam kühne Reflexe warf das grelle Licht auf glänzende,
+rauschende Damentoiletten. Überschnell schwirrten geschäftige Stimmen
+ineinander, Seidenrauschen, Lächeln, Autohupen und das fadendünne Zirpen
+süßlicher Tonfälle vermischten sich zu einem betäubenden Geräusch.
+"Einfach glänzend!" rief wer. "Rührend, wie die Hohlmann spielt!--Nein,
+einfach entzückend!" zwitscherte eine überhelle Stimme. "Huw, dieses
+Schweinewetter!-Kommt schnell ins Auto!" ließ sich zwischendurch vernehmen.
+Und wieder: "Kritisch gewertet--: Eine Glanzleistung in Regie und Spiel!"
+Dann das laute, aufdringliche Gekicher der Backfische: "Dieses herrliche
+Rüschenkleid, Mama!--Hast du gesehen,--den Sonnenschirm!--und das
+Biedermeierkostüm im dritten Akt? Entzückend!--Du Lilly, weißt du was!
+So gehen wir heuer im Fasching!--Gell Mammi! Gell!"
+
+Es plätscherte fort und fort, oben, unten, überall. Abschiednehmen,
+Handküsse, Einladungen für das morgige Festessen, Lachen, Autovor--und
+Abfahren--alles wie ein flimmernder Hexentanz!--
+
+Karl Pruvik war mittlerweile unbemerkt bis an das Eingangstor
+gelangt. Noch eine geschickte Finte und er hatte für heute nacht
+ein Dach über dem Kopf. Sein Herz schlug heftig. Es war wieder Leben
+in seine froststarren Glieder gekommen. Behende glitt er an den
+aufeinandergedrängten Gestalten vorbei und fühlte auf einmal Raum und
+Wärme. Er lugte spähend nach dem betreßten Portier, duckte sich mehr
+noch zusammen, hielt den Atem an, arbeitete sich an der Wand entlang.
+
+Im selben Augenblick aber stockte die Bewegung des Menschentrupps. Er
+zerteilte sich und jäh brachen die Reden ab. Durch eine glotzende
+Gaffergasse hastete der Portier mit steinernem, finster drohendem
+Gesicht auf ihn zu.
+
+"Was suchen Sie denn da?--He! Sie! Sie!" schrie der Türhüter. Karl
+Pruvik zog wie ein gezüchtigter Hund die Schultern hoch und verbarg
+den Kopf völlig in seiner schlotternden Brust.
+
+"Was Sie wollen, frag' ich!?" bellte der Portier hinter ihm und packte
+ihn heftig am Arm, riß ihn zurück. Ohne Wort und ohne Abwehr ließ sich
+der Eingedrungene von dem belfernden Türhüter und zwei inzwischen
+herbeigeeilten Logendienern ins Freie schieben. "Hm, sowas?--Sich ins
+Theater einzuschleichen!" sagte jemand von den Stehengebliebenen und
+schüttelte den Kopf. Der ins Stocken geratene Menschenhaufe bekam
+wieder Bewegung und drängte sich durch den Ausgang. Die Tore schlossen
+sich finster. Schwätzendtrabten die letzten Paare vorüber.
+
+Karl Pruvik stand zögernd und benommen im glitzernden Schneegeflock.
+Einen Augenblick hatte es den Anschein, als straffe sich sein Körper,
+als hole er zu einem Satz aus und wolle in die vorbeigleitenden,
+duftenden, rauschenden, geschwätzigen Menschen springen, aber
+schließlich torkelte er doch üher die verschneite Freitreppe hinunter
+und bog in die Seitengasse ein, die vom Theaterplatz abzweigte. Ein
+letztes Auto surrte weg. Die Stimmen verloren sich in der Ferne. Die
+erleichternde Helligkeit, die die Beleuchtung des Theaterpalastes nach
+allen Seiten him verbreitet hatte, verlosch lautlos. Es war wieder
+ringsherum die fahle, unwirkliche Düsternis der Winternacht.--
+
+Karl Pruvik hob den Kopf hilflos. Eine knappe Wurfweite vor ihm ragte
+etwas Schwarzes aus dem Schnee und bewegte sich wie schwebend von der
+Stelle. Willenlos und ohne Grund folgte er der Erscheinung.
+
+Lange ging er so.
+
+Es mußte schon tief nach Mitternacht sein. Trist gähnten die
+menschenleeren Straßen und Plätze.
+
+Man stand am Rande des Stadtparkes. Die kerzengerade Gestalt verschwand
+zwischen den Bäumen.
+
+In der aufgeworfenen Bahn der Spur schritt Karl Pruvik weiter. Es war
+viel dunkler hier. Die schneebeladenen Baumäste lasteten schwer herab.
+Nur zeitweilig gab sich eine hellere, freiere Stelle und undeutlich
+ließen sich eingemummte Bänke erkennen. Auf einer solchen hockte die
+zusammengekauerte Gestalt nun, der er die ganze Zeit gefolgt war.
+Stoisch ließ sich Karl Pruvik neben ihr nieder und legte wie aus einer
+plötzlichen Eingebung heraus seinen steifen Arm um nasse, scharfe
+Schultern. Lahm schmiegten sich die beiden Körper aneinander. "Kalt,"
+murmelte es kaum hörbar aus dem Kopf, der haltlos auf seine Brust
+herabglitt.
+
+"Kalt," brummte Pruvik ebenso leise und schloß seine Augen. Auch sein
+Kopf sank herüber auf das Genick des anderen.
+
+Kein Schnee fiel mehr. Es war seltsam--: Jetzt, da man schonungslos
+der Kälte ausgeliefert war, wußteman nicht mehr, war's eine rasende
+Hitze oder eine gänzliche Eisigkeit, was in den Gliedern brütete. Der
+ganze Körper hatte das Gewicht verloren. Es schien als schwebe er
+durch eine unsäglich friedliche Stille.... Auf einmal drückte etwas
+Hartes an den Arm, umklammerte, zerrte. Es schrie wie durch
+Nebelschwaden, dann näher. Es rüttelte stärker. Das Geschrei schwoll.
+Der Kopf' an der Brust bewegte sich stumm.
+
+Karl Pruvik öffnete die Augen. Das grelle Licht einer Taschenlaterne
+stach ihm ins Gesicht, blendete, schmerzte.
+
+"He!--He! Was ist da!!" schrie ein Schutzmann, riß erregt am Arm.
+
+"Was ist denn das! Auf! Auf!!"
+
+Alles tat wieder weh. Die zerfrorenen Knochen rührten sich, schmerzten,
+als seien sie alle einzeln abgeschlagen und bewegten sich wie in einem
+geplatzten Gipsverband klappernd von dannen.
+
+Erst in der Stube der Polizeistation sah Karl Pruvik, daß noch einer
+neben ihm stand, genau so reglos und stumpf wie er. Auf den redeten
+die zwei Schutzleute ein, fragten, schrien ihn an.
+
+Endlich nach einer Weile schritt man durch eine Tür und das Licht war
+aus den Augen. Die beiden lagen auf einer Pritsche, in warme Decken
+gewickelt. Die Glieder bewegten sich ohne Schmerz. Wärme kam langsam.
+Von Zeit zu Zeit berührten sich Arm oder Fuß.
+
+Nach langer Zeit hörte Karl Pruvik wieder polternde Stimmen und kalte
+Luft huschte üher sein Gesicht. Die Pritsche knarrte und Schritte
+dumpften. Eine Tür fiel zu. Jetzt war es leer neben ihm.--
+
+Es fiel gläseriges Tageslicht durch die vergitterte Luke, als er die
+Augen öffnete.
+
+Ein etwas ins Rundliche gehender Schutzmann mit gemütlichem, wohlig
+gerötetem Gesicht stand vor ihm und sagte in friedlichem Baß: "Sie
+können sich wieder fertig machen. Es liegt nichts vor gegen Sie!"
+
+Karl Pruvik hob seinen übermüdeten Oberkörper auf der Pritsche.
+
+"Haben Sie denn den andern gekannt?" fragte der Schutzmann.
+
+Pruvik schüttelte dumpf den Kopf.
+
+"Hat ein paarmal eingebrochen," erzählte der Polizist beiläufig und
+redete weiter: "Stehn Sie dann auf und kommen Sie. Sie können wieder
+gehen."
+
+Karl Pruvik sah ihn verständnislos an.
+
+"Eine harte Zeit jetzt--und hundekalt diesen Winter!" brummte der
+Schutzmann und bat Pruvik abermals aufzustehen.
+
+Der erhob sich endlich und ging mit ihm durch die Tür in die
+Polizeistube hinaus.
+
+Ein Wachtmeister saß am Tisch und hatte seine Papiere in der Hand, sah
+ohne Arg, beinahe mitleidig auf Pruvik.
+
+"Sie können wieder gehen," sagte er in dienstlichem Brustton und
+reichte ihm Invalidenkarte und Militärpaß.
+
+Karl Pruvik stand zögernd da und machte keine Bewegung.
+
+"Es liegt nichts vor gegen Sie!--Daß einer keine Bleibe hat, kann
+jedem einmal passieren," sagte der Wachtmeister menschlich.
+
+Pruvik nahm mechanisch seine Papiere.
+
+"Grüß Gott," sagten die beiden Polizisten und nickten dem Gehenden zu.
+
+Einer öffnete freundlich die Tür.
+
+Karl Pruvik ging.
+
+Es schneite nicht mehr auf den Straßen. Das Bleich des Tages tat den
+Augen weh. Ein Wind hatte sich erhoben und pfiff schonungslos um die
+scharfen Hausriffe. Es war kalt. Es war wirklich grausam kalt....
+
+
+
+
+ETAPPE
+
+
+I.
+
+Der Stab für das Eisenbahnbauwesen der Ostarmee lag vor Dünaburg. Es
+ging die Rede von einem russischen Durchbruchsversuch. Die Baukompagnie
+14 geriet ins Feuer. Es gab Verluste. Der Bau der Feldeisenbahn kam ins
+Stocken. Die Verbindung mit der Kampffront blieb auf Tage unterbrochen.
+Vom Oberkommando der Armee lief eine Beschwerde beim Stab ein. Drängende
+Befehle peitschten zur Beschleunigung. Der Major hatte wieder jenen
+gehässigen Ärger auf seinem finsteren Gesicht, der an den Brückenbau in
+Kowno vor der Ankunft des Kaisers erinnerte.
+
+Zwei Tage vorher bereits überwölbte das fertiggebaute, riesige hölzerne
+Mittelstück die gesprengte Memelbrücke damals. Die Belastungsprobe war
+glatt verlaufen. Allenthalben sah man entspannte, befriedigte Gesichter.
+Die ermüdete Mannschaft trat schon zum Heimmarsch in die Quartiere
+zusammen. Plötzlich murrte ein langgezogenes, ruckendes Grollen über
+den nebeligen Fluß. Die Brückenmitte hatte nachgegeben, war fast um
+einen halben Meter tiefer gesunken. Eine Totenstille herrschte minutenlang.
+Dann bellten abgehackte Befehle durch die Luft. Die erschöpften
+Abteilungen schwärmten wankend auseinander, wieder auf die Brücke und
+ins eisige Wasser. Die ganze Nacht hämmerte, ächzte, krachte, schob und
+schrie es aus dem spärlich beleuchteten Gerüst des Notbaues und aus der
+Flußtiefe. Fieberhaft, mit verdrossenem, verbissenem Grimm wurde
+gearbeitet.
+
+Wie Rudel totgehetzter Ziehtiere trotteten die Kolonnen am Morgen in
+die zerschossene Stadt.
+
+Zwanzig Stunden wurde am darauffolgenden Tage gearbeitet. Zweiundzwanzig
+ununterbrochen am andern. Die Ruhr brach aus unter der Mannschaft.
+
+Mehr als vierzig Mann starben, fünf ertranken in der Memel.
+
+Als der Kaiser ankam, erhielt der Major das Eiserne Kreuz erster
+Klasse.
+
+"Herr Major,--hoffentlich ist es uns allen noch gegönnt, daß wir den
+Pour le merite ebenso vergnügt mit Ihnen feiern dürfen," sagte damals
+der geschnürte, glatzköpfige Stabsadjutant piepsend.
+
+Und zerschlissen freundlich lächelte der Major: "Wenn Petersburg fällt!"
+--Damals ging es unaufhaltsam vor.
+
+Nun stockte es erstmalig während des ganzen Feldzugs.--
+
+Die Russen funkten sehr nahe. Die zurückgetriebenen Eisenbahnbaukompagnien
+verpendelten die Zeit mit nutzlosen Appellen. Vom Hauptquartier kam Befehl
+auf Befehl. Die Offiziere flitzten nervös und gewichtig herum. Bei der
+Mannschaft gab es Arreste.
+
+Unübersehbare Mengen Baumaterialien stapelten sich und mußten
+liegenbleiben.
+
+Der Major ritt die Bauzüge ab, schrie, polterte, teilte Strafen aus.
+
+Fünfzehnhundert Russen, die an der Front gefangengenommen worden waren,
+trafen ein. Befehl zur Aufnahme des Weiterbaues der Feldeisenbahn erging.
+
+Langsam rollten die stehengebliebenen Bauzüge vorwärts, in die tristen
+Schneefelder hinein. Vor, vor--immer noch vor ging es! Bis zu der Stelle,
+wo die Arbeit aufgegeben werden mußte.
+
+Die Geschosse schwirrten hoch in der schneeigen Luft. Ganz nahe.
+
+Schnee, Schnee. Kälte, Kälte.
+
+Die Baukompagnie 14, 15 und die Russen marschierten auf die
+Arbeitsstellen.
+
+"Mist!--Humbug!--Unsinn!" knurrte von Zeit zu Zeit irgendeiner halblaut.
+
+In kilometerweiter Entfernung schlugen die Geschosse ein, warfen
+Kotfontänen.
+
+Schlaggg!--lag alles am Boden.
+
+Man lag die halbe Zeit in Deckung. Die Arbeit machte kaum wesentliche
+Fortschritte.
+
+Meldung erging an den zurückliegenden Stab.--
+
+Der Ordonnanzreiter Peter Nirgend ritt durch den peitschenden Schnee.
+Das Pferd dampfte. Die Lenden spritzten Blut. Fiebernd bog sich der
+furchtsame Rücken im Galopp.--
+
+Hauptmann und Oberleutnant der Baukompagnienempfingen den Heransprengenden
+mit mürrischen Gesichtern.
+
+"Meldung vom Stab der Eisenbahntruppen!" keuchte Nirgend. Nur mit Mühe
+konnte er sich stramm halten.
+
+Hastig öffnete der Hauptmann den Umschlag, überflog mit unterdrückter
+Entrüstung das Papier und sah auf den Oberleutnant, reichte es ihm.
+
+"Hm!" brummte er kopfschüttelnd. "Hm!" machte der Oberleutnant
+gleichfalls achselzuckend und ratlos.
+
+Dann stiegen beide in den Kanzleiwagen.
+
+Peter Nirgend führte sein schweißtriefendes Pferd auf und ab. Aus den
+Quartierwagen der Mannschaft glotzten mißmutige Gesichter.
+
+"Geht's vor?" fragte einer.
+
+"Der Hund!" knurrten etliche dumpf, als Nirgend nickte. Der
+Kanzleiunteroffizier rief aus dem Wagen, übergab ihm die Rückmeldung
+an den Stab. Der gefrorene Boden klapperte unter den ausgreifenden
+Hufen des Pferdes. Schneewolken staubten auf und nichts mehr sah
+man.--
+
+Ein abermaliger Befehl des Stabes bestimmte unverzügliche Aufnahme der
+Arbeit und sofortige Herstellung der Verbindungslinie mit den Fronten.
+
+Schon tags darauf meldeten die vorgeschickten Kompagnien schwere
+Verluste. Die fünfzehnhundert Russen weigerten sich, aus ihrem Bauzug
+zu gehen. Man prügelte sie heraus. Aber am selben Abend noch mußten
+die Züge zurückrollen. Viele Wagen waren zerstört. Die Eisenbahnlinie
+überall ramponiert.
+
+Die ganze Nacht schrie es die Züge entlang. Neue Wagen wurden
+eingeschoben. Unaufhörlich wurde rangiert.--
+
+Am andern Mittag raunte es von Ohr zu Ohr: "Es geht wieder vor!" Es
+ging ein Gerücht herum von einem scharfen Aufeinanderprallen zwischen
+Major und Hauptmann. Kurz darauf hieß es: "Antreten zum Appell!" Vor
+den gepferchten Reihen der zum abermaligen Vorrücken bestimmten
+Truppen hakte ein fremder Offizier auf und ab und hielt eine
+schwunghafte Rede. "Das deutsche Wesen darf nicht untergehen! Hurra!
+Hurra! Hurra!" schloß er und alles brüllte mit. Wie ein einziger
+Tierlaut klang's.
+
+"Fürs Vaterland!" murrte einer zynisch beim Auseinandergehen.
+
+"Für den Pour le mérite!" brummte ein bärtiger Kerl und sah
+herausfordernd auf die lethargischen Gesichter der Kameraden.
+
+"Kotze!--Sich den Schwanz verbrennen ist die einzige Rettung!"
+murmelte der Mannschaftskoch stoisch.
+
+"Nulpe! Wo denn?--Wenn weit und breit kein Puff ist!?" warf ihm der
+Vagabund Tümpel hin und spuckte in großem Bogen durchs offene Fenster.
+
+Tief am Nachmittag ächzten die Bauzüge abermals finster in die
+schneeige, verlassene Gegend hinaus.
+
+Am zweiten Tag, als Nirgend von den Kompagnien zum Stab zurückritt,
+knallten Schüsse hinter ihm her. Einer davon streifte leicht seinen
+rechten Arm.
+
+"Hu-u-und!" surrte es langgedehnt durch die kalten Nebelschwaden und
+lief ihm nach wie ein unterirdisches Grollen.
+
+Gegen Morgen tauchten auf einmal die gelben Lichter der Bauzuglokomotiven
+auf und kamen zischend näher. Die vierzehnte Kompagnie war his auf zirka
+hundert Mann aufgerieben, und die fünfzehnte hatte gleichfalls zahlreiche
+Verwundete und Tote. Die Russen hatten in der allgemeinen Panik des
+Zurückflutens die Fluchtergriffen und irrten rudelweise in den
+Schneefeldern herum.--
+
+Nirgend trat dumpf ins Leutnantszimmer des Stabsbureaus, straffte
+seine Glieder und sagte: "Zur Stelle!"
+
+Der schmächtige, elegante Offizier drehte sich wippend, etwas nervös
+herum, maß den Hereingetretenen von oben his unten und fragte: "Na,--und?"
+
+"Man hat mich angeschossen," sagte Nirgend unvermittelt.
+
+"Ja--und?"
+
+"Es waren welche von uns, Herr Leutnant."
+
+Die gepflegten, spitzen Augenbrauen des Offiziers griffen zuckend in
+die plötzlich streng gefaltete Stirn.
+
+"Quatsch!--Woraus schließen Sie denn das;" rief er wegwerfend.
+
+"Weil jeder wütend ist," sagte der Meldereiter einfach.
+
+"Halten Sie Ihr Maul, Sie Lümmel!--Was bilden Sie sich eigentlich
+ein!" belferte der Leutnant drohend und schnellte auf.
+
+"Ich rede nicht um meinethalben," erzählte Nirgend ruhig und schaute
+dem Schimpfenden entschlossen ins Gesicht, "aber um den Pour le merite
+geht keiner mehr vor. Ich reite nicht mehr!"
+
+"Wasss!!" zischte es durch die warme Zimmerluft.
+
+Matratzenfeder. Die Tür des anderen Zimmers wurde ruckhaft aufgerissen.
+
+"Wasss!--Was ist da!?" schnarrte der Major und machte einen Schritt
+auf Nirgend zu. Schon riß sich der Leutnant schlank und stramm herum,
+wollte melden. Aber der Soldat kam ihm zuvor, sagte, zum Major
+gewendet, mit der gleichen, einfachen Ruhe: "Ich reite nicht mehr,
+Herr Major! Um einen Pour le mérite geht keiner mehr vor, sagen alle!"
+
+Einen Moment fielen die beiden Offiziere fast auseinander. Dann
+schrien sie, bellten drohend: "Hinaus! Hi-naus! Sie Schweinehund!"
+
+Ganz korrekt drehte sich Nirgend um und ging aus dem Zimmer. In der
+angrenzenden Schreibstube wurde fieberhaft gearbeitet. Jeder saß
+geduckt da und kaum einer wagte aufzuschauen. Nur einige ängstliche
+Blicke trafen den Hindurchschreitenden. Der Stab nistete in einem
+einstöckigen Gelehrtenhaus. In den unteren Räumen waren die Bureaus,
+oberhalb die Schlafzimmer der Offiziere und auf dem Dachboden hausten
+die Mannschaften. Dort angelangt, legte Nirgend sich so wie er war
+aufs Stroh und zündete sich eine Zigarette an.
+
+Es war merkwürdig, heute kam keiner zu Bett. Düster glomm der spärlich
+helle Kreis der brennenden Zigarette im Dunkel. Wie in einer
+verlassenen Totengruft lag man hier. Langsam fielen die Minuten von
+der Decke herab.
+
+Eine lange Zeit verging.
+
+Dann knarrten Schritte die Treppe herauf, kamen näher. Es mußten
+mehrere Leute sein. Peter Nirgend rührte sich nicht.
+
+Die Tür wurde geöffnet. Im Lichtkreis einer Taschenlaterne tauchte
+undeutlich die Gestalt des Leutnants auf. Dahinter mußten noch einige
+Leute stehen. Zwei Seitengewehre funkelten zur Höhe.
+
+Nirgend erhob sich ohne Hast. Irgendeine dunkle, breite Gestalt tappte
+herein, tastete herum und entzündete die Lampe. Jetzt traten der
+Leutnant und die zwei Soldaten mit den aufgepflanzten Seitengewehren
+an den Tisch, wo der Unteroffizier, der Licht gemacht hatte, stand.
+Der Leutnant verlas etwas von sofortiger Inhaftierung und Überweisung
+an ein Kriegsgericht, faltete den Bogen wieder, sah Nirgend flüchtig
+an und sagte zum Unteroffizier: "Wenn er in fünf Minuten nicht folgt,
+wenden Sie Gewalt an!"
+
+"Zu Befehl, Herr Leutnant!" antwortete der strammgestandene Korporal.
+
+"Naja!" sagte der Leutnant und ging.
+
+Einige Augenblicke standen sich die Soldaten schweigend gegenüber.
+
+"Kamerad!--Mensch?" brachte der Unteroffizier endlich heraus, stockte
+aber plötzlich und sagte dumpfer: "Packen Sie Ihre Sachen zusammen und
+kommen Sie."
+
+"Seid ihr Vierzehner?" fragte Nirgend unbeweglich. Keine Antwort.
+Keine Bewegung der anderen. Starr standen die drei.
+
+"Gestern nacht habt ihr auf mich geschossen--einer von eurer Kompagnie
+war's!--Weil ich den Befehl zu euch brachte zum Vorrücken.--Einen
+Denkzettel habt ihr dem Major geben wollen--jetzt macht ihr drei
+wieder die Handlanger der Ordensjäger!" stieß Nirgend heraus.
+
+Keine Bewegung. Schweigen. Starr standen die drei. Wie glatte, finstere
+Glassturze. Alles rutschte an ihnen herab.
+
+Man stand selber unter einem solchen Glassturz. Gespannt his aufs
+äußerste mußte man an sich halten. Eine einzige Bewegung--und alles
+konnte zusammenfallen, klirrte herab. Und--?
+
+Und man stand ohnmächtig, ausgeliefert und vereinsamt zwischen den
+anderen. Die nackten Arme halfen nichts. Nicht einmal zu einer
+Umschlingung, denn man rutschte ab. Fiel hin und war ein Häuflein
+nichts.
+
+Und was war geschehen?
+
+Nichts!
+
+Die nackten Arme halfen nichts! Gar nichts!
+
+Nur die Kartätschen der Feinde, Hekatomben auseinandergerissener Leiber.
+Das Unerträgliche. Die Sinnlosigkeit führte zum Sinn zurück.
+
+"Wollen Sie den Befehl befolgen?!" rief der Unteroffizier jetzt.
+
+"Ja!" schrie Nirgend fast überlaut: "Ja--am liebsten würde ich wieder
+hinausreiten zu euch. Immer vor! Immer vor müßtet ihr--für den Pour le
+mérite!"
+
+"Los--los!" plapperte der Unteroffizier verärgert, "reden Sie nicht!
+Los!"
+
+"Ja!" bellte Nirgend abermals, "das ist das deutsche Wesen!"
+
+"Marsch!" brüllte der Unteroffizier: "Vorwärts jetzt!" Und zog ihn in
+die Mitte.
+
+Man ging.--
+
+
+II.
+
+Der Schnee lag tief. Langsam ging es vorwärts.
+
+"Was macht man eigentlich mit mir?" fragte Peter Nirgend auf einmal
+steif stehenbleibend. Es antwortete niemand.
+
+"Los--los!" brummte der Unteroffizier vorne wie für sich. Die Soldaten
+schoben den Gefangenen weiter.
+
+"Er hat euch geschunden his aufs Blut.--Ihr habt es selbst gesagt, daß
+ihr nicht mehr mitmachen wollt," sagte Peter beharrlich und stemmte
+sich gegen die schiebenden Hände.
+
+"Los--los! Wir möchten auch zur Ruh kommen!" stieß der Unteroffizier
+abermals murmelnd heraus und machte eine halbe Wendung.
+
+Einer der Soldaten setzte dem Häftling das Knie in den Rücken.
+
+"Gibt doch bloß Arrest, Mensch!" sagte der Unteroffizier beiläufig.
+
+Peter Nirgend ließ nach. Man watete wieder weiter.
+
+Die lange, geschwertete Linie eines spärlichen Lichtes stach durchs
+Dunkel. Das war das Gemeindehaus, wo der Arrest abgesessen wurde.
+Landstürmler versahen dort den Dienst.
+
+"Ihr kriecht, bis man euch die Kugel in den Leib jagt!" knirschte
+Peter.
+
+Schweigen.
+
+Der Unteroffizier schlug mit der Faust an die Gemeindehaustür. Mit
+hochgehobener Petroleumlampe erschien der verschlafene Sergeant in
+ihrem Rahmen. Der Trupp trat in die wohligwarme Wachstube. Zwei
+Landstürmler hoben schläfrig ihre Oberkörper auf den Pritschen, rieben
+sich die Augen. Einer davon stieg herab und nahm den Schlüsselbund,
+winkte Peter.
+
+"Kommt vors Kriegsgericht! Befehlsverweigerung!" sagte der Unteroffizier
+zum Sergeant, der den Einlieferungsschein unterschrieb. Eine leise
+Verachtung schwang mit den Worten mit. Der Landstürmler führte den
+Häftling in die letzte Zelle. "Kamerad, leg dich gleich hin und wickle
+dich fest ein. Es ist kalt," sagte er und trat aus der Zelle, schloß ab.
+
+Peter Nirgend blieb lauschend stehen.
+
+Jetzt hörte man die Leute vorne im Korridor. Er ging an die Tür, schlug
+fest mit den Fäusten an dieselbe, schrie: "Ich muß dem Herrn Unteroffizier
+noch was ausrichten!"
+
+Und sein ganzer Körper zitterte.
+
+Der Trupp kam den Korridor entlang, öffnete.
+
+"Was ist's denn?" fragte der Unteroffizier ärgerlich und trat ein. Die
+anderen blieben draußen.
+
+"Werde ich erschossen?" fragte Peter unvermittelt.
+
+"Quatsch! Festung wird's geben!" räsonierte der Unteroffizier: "Was
+wollen Sie denn?"
+
+"Da--da ist eine Blutlache!" rief Peter hastig und deutete auf die
+Bodenfläche hinter der Pritsche. Der Unteroffizier trat einen Schritt
+näher heran und beugte sich vornüber, hinter die Pritschenecke. Jetzt
+war der Lichtkreis der Taschenlaterne nur noch ganz klein in der
+Nische. Peter machte einen ruckhaften Satz, stemmte blitzschnell sein
+Knie auf den Rücken des Korporals und schnitt mit aller Gewalt in
+dessen Hals, tiefer--tiefer. Das warme Blut rann üher seine Finger.
+Der Körper des Ermordeten gab nach, hing schräg üher die Pritsche.
+
+Die anderen stürzten herein und warfen sich auf Peter, schlugen auf
+ihn ein, his er liegenblieb.
+
+Ihn überleuchtend, sagte ein Soldat zum Gefesselten: "Hund! Morgen
+stehst du an der Wand!"
+
+Peter Nirgend schloß die Augen.
+
+Nach einer ziemlichen Weile wurde die Tür wieder aufgeriegelt. Wieder
+erschien der hochgehobene Arm des Sergeanten mit der Petroleumlampe,
+nur diesmal sehr zitternd. Offiziere traten ein. Einer beugte sich
+über den Toten am Boden. Dann trugen zwei Soldaten die Leiche hinaus.
+
+"Was haben Sie denn da gemacht!?" fragte der Major Peter.
+
+Der schwieg. Kopfschütteln. Ein Soldat trat ein, stand stramm, erzählte
+den Hergang.
+
+"Sowas heißt sich deutscher Soldat!" schnarrte der Leutnant beflissen.
+
+Inzwischen trug man ein Tischchen herein. Die Lampe wurde daraufgestellt
+und der Gerichtsoffizier nahm das Protokoll auf. Nach der Vernehmung des
+gänzlich gebeugten, zusammengefallenen Sergeanten und des anderen Soldaten,
+trat der Leutnant abermals an Peter heran, stieß ihn: "Und Sie?"
+
+"Was haben Sie anzugeben?" rief der Gerichtsoffizier gleichfalls über
+den Tisch.
+
+Keine Antwort kam.
+
+"Kerl!"
+
+Schweigen.
+
+Das Protokoll wurde verlesen.
+
+"Geben Sie das zu?" fragte der Gerichtsoffizier den Angeklagten.
+
+Dieser nickte stumm.
+
+Kopfschüttelnd verließen die Offiziere den Raum. Zwei Soldaten der
+Baukompagnie 14 mit bajonettbepflanzten Gewehren blieben zurück. Der
+Tisch mit der Petroleumlampe gleichfalls.--
+
+"Schuft!" knurrte einer der Wächter und versetzte Peter einen Stoß in
+den Leib. "Du sollst unsere Überstunden schmecken, Hund!" fluchte der
+andere und schlug ihm die Faust ins Gesicht.
+
+Müde geworden, setzten sich die zwei Wachhabenden auf das trockene
+Flecklein des Bodens und zündeten sich Zigaretten an.
+
+"Kamerad! Einen Zug! Einen Zug!" wimmerte mit einem Male Peter
+flehend.
+
+"Ah?" rief der Raucher hämisch, ging an den Gefesselten heran und
+hielt ihm die rauchende Zigarette unter die Nase: "Riecht gut, Herr
+Halsabschneider, hm?"
+
+"Laß ihn doch! Er ist nicht wert, daß man ihn anschaut!" brummte der
+andere Soldat. Aber der Angesprochene ließ sich nicht abhalten.
+
+Da reckte sich Peter stemmend, schrie: "Hasenfüße!"
+
+"Halt die Fresse, Hund!" fielen die beiden ihn an und warfen ihn
+zurück, daß die Pritsche knarrte. "Hasenfüße!" plärrte Peter wilder.
+
+Die beiden hielten die Gewehrläufe drohend auf ihn gerichtet: "Noch
+ein Wort und wir knallen dich nieder!"
+
+"Hasenfüße!" schrie Peter noch greller. Die Wächter schlugen sinnlos
+auf ihn ein.
+
+"Hasenfüße!" bellte der Gefesselte aus Leibeskräften: "Hasenfüße!
+Hasenfüße!"
+
+Da schossen sie. Das Gehirn peitschte an die Wand.
+
+Als der Sergeant und die Landstürmer schlotternd angestürmt kamen,
+standen sie wie geistesabwesend stramm. Erst als kurz darauf der
+Leutnant eintrat, meldeten sie zugleich: "Melden Herrn Leutnant, daß
+wir ihn erschossen haben, weil er uns Hasenfüße genannt hat."
+
+Der Leutnant warf einen flüchtigen Blick auf die Leiche, drehte sich
+herum und sagte befehlsmäßig: "Gut! Abtreten!"--
+
+Tags darauf diktierte er dem Kanzleiunteroffizier folgende Meldung an
+das Oberkommando der östlichen Streitkräfte in die Maschine:
+
+"Meldereiter Peter Nirgend, zugeteilt dem Stab der Eisenbahntruppen,
+wurde wegen Befehlsverweigerung inhaftiert. Weiterleitung des Verfahrens
+war dem Kriegsgericht der Etappenkommandantür übergeben. Nirgend
+ermordete kurz nach seiner Einlieferung in die Arrestanstaltin seiner
+Zelle den Unteroffizier der Eisenbahnbaukompagnie 14 Joseph Thiele durch
+Durchschneidung des Halses. Sofortige Protokollaufnahme durch den
+Gerichtsoffizier ergab Mord. Exekution wurde auf andern Tag 9 Uhr
+festgelegt. Infolge fortgesetzter Widersetzlichkeiten gegen die
+Wachhabenden und Verhöhnung des Feldheeres, mußten die Pioniere
+Traugott Schloch und Otto Flemming von der Eisenbahnbaukompagnie 14
+von der Waffe Gebrauch machen, was den Tod des Nirgend zur Folge
+hatte."--
+
+Wegen Nachlässigkeit im Dienst wurde der Arrestsergeant strafversetzt.--
+
+Einige Wochen später stand in einem Tagesbericht des Oberkommandos:
+"Wegen pflichtmäßiger Ausführung eines Befehls wurden ausgezeichnet
+mit dem Militärverdienstkreuz zweiter Klasse laut Beschluß des O.K.d.
+O.A.: der Pionier Traugott Schloch bei der Eisenbahnbaukompagnie 14,
+der Pionier Otto Flemming bei der Eisenbahnbaukompagnie 14."
+
+
+
+
+MICHAEL JÜRGERT
+
+
+I.
+
+"Alle Dinge sind eitel." Immer kehrt dieses Wort wieder, wenn der Name
+Michael Jürgert in meiner Erinnerung auftaucht. Viele Male habe ich
+nachdenkend dieses Leben umschritten wie einen verfallenen, traurigen,
+rätselhaften Garten. Unruhig suchte ich nach dem Sinn dieses Ablaufs,
+trachtete danach, all die widerstrebenden Geschehnisse folgerichtig
+aneinanderzureihen, um möglicherweise ein erklärendes Bild zu finden,
+einen Abschluß, eine befriedigende Lösung.
+
+Es gelang nicht.
+
+Hoffend, daß mir vielleicht eine Stunde doch noch die Erleuchtung
+bringt, habe ich--so gut es ging--vorerst nur das nackte Tatsächliche
+aus diesem Leben aufgeschrieben, alles so, wie es sich zugetragen hat.
+Und hier ist es:
+
+Michael Jürgert kannte seinen Vater nicht. Als er sieben Jahre alt
+war, erfuhr er von seiner Mutter so etwas wie ein Gestorbensein durch
+einen merkwürdigen Unfall. Und einmal beim Maitanz warf ein Knecht in
+sein Ohr, daß sein Vater "im Suff ertrunken sei". Darum, so hieß es,
+säße ja seine Mutter schon all die Jahre im Gemeindehaus und wisse
+nicht, von was sie leben sollte.
+
+Der Bruder von Michaels Vater, der wegen einer Weibergeschichte "ins
+Amerika durch sei", hüte sich wohlweislich, etwas von sich hören zu
+lassen, raunten sich die Dörfler zu, wenn die Rede von den Jürgerts
+ging.--
+
+Nach seiner Schulentlassung kam der etwas schwächliche Knabe als
+Knecht in den Reinaltherhof. Es waren vier Knechte und zwei Mägde da.
+Fünf Jahre stählten den wachsenden Körper, ergossen versteckten und
+offenen Spott auf Michael.
+
+Auf Maria Lichtmeß, als er zwanzig Jahre zählte, wechselte er seinen
+Dienstplatz und trat beim Peter Söllinger ein, dessen Gehöft auf der
+runden Anhöhe vor dem Dorfe lag.
+
+Rechts vom Söllingerhof, nah am Waldrand, hockte die baufällige Hütte
+des Gütlers Johann Pfremdinger, den man im ganzen Umkreis den "Letzten
+Mensch" hieß, weil er die bigotte alte Pfanningerin zur Haushälterin
+hatte und im allgemeinen sehr schlecht auf die Weiber zu sprechen war.
+Wenn man ihn ärgern wollte, brauchte man bloß eine junge Dorfmagd oder
+Bauerstochter des Sonntags an seinem Haus vorbeigehen zu lassen.--
+
+Rundherum lagen die Felder Söllingers, weit verstreut die zwei Tagwerk
+Pfremdingers und oft, wenn der alte Häusler zur Erntezeit schwerfällig
+und mühsam auf den Fußwegen durch die Wiesen des Bauern ging, um auf
+seine Grundstücke zu gelangen, sagte der letztere mürrisch zu ihm:
+"Bist saudumm!--Wennst tauschen tätst mit mein' Rainacker, hättst
+alles ums Haus ... Aber mit dir kann man ja nicht reden!"
+
+"Auf'm Rainacker wachst das nicht wie bei mir," gab ihm der "Letzte
+Mensch" stets mit der gleichen Beharrlichkeit zurück und trottete
+weiter.--
+
+Die Jahre gingen, schwiegen. Der Peter Söllinger wurde unterdessen zum
+Bürgermeister gewählt und kam eines Tages in den Stall zu Michael,
+sagte: "Das geht jetzt nimmer, daß die Gemeinde deine Mutter aushält.
+Bist ein Mordstrumm Mannsbild worden und kannst selber für sie
+aufkommen. Der 'Letzt' Mensch' wird sterben. Die Pfanningerin müssen
+wir ins Gemeindehaus tun."
+
+Michael nickte stumm.
+
+"Da draußen kann's nicht bleiben, die Pfanningerin," fuhr der Bauer
+fort, indem er eine verächtliche Geste in die Gegend des
+Pfremdingerhauses machte, "die alte Kalupp' paßt grad noch für ein'
+Heustadel."
+
+Und wieder nickte Michael stumm.
+
+"Herrgott, bist du ein Stock!" stieß der Bauer heraus und ging
+kopfschüttelnd und brummend aus dem Stall. Die Knechte lachten.--
+
+Michael ging nach Feierabend zu seiner Mutter ins Gemeindehaus und
+brachte ihr die Nachricht. Die alte Frau sah ihm nur in die Augen.
+Dann sagte sie: "Ja ja, ist ja auch wahr, die alte Pfanningerin ist ja
+auch älter als ich."--
+
+Spät, nachdem seine Mutter längst schlief, zählte Michael sein
+erspartes Geld. Zählte, zählte. Dachte, dachte. Rechnete, rechnete.
+
+Am andern Tag, während der Arbeit, hielt er manchmal inne und schaute
+starr ins Leere. Des öfteren sah man ihn jetzt am Abend in die
+Pfremdinger-Hütte gehen. "Was er nur immer beim 'Letzten Mensch'
+anfängt, das Hornvieh!? Möcht wohl gar Häusler werden?" spöttelten die
+Knechte, und Söllinger schaute dem fast furchtsam Davonschleichenden
+mit finsterem Blick nach.--
+
+Die Sterbeglocken klangen dünn durch die Luft. Mit dem alten
+Pfremdinger ging es zu Ende. Die Pfanningerin, der Pfarrer--und
+Michael Jürgert standen in der niederen Kammer um das Bett. Dann kam
+noch die Jürgertin.
+
+Ganz zuletzt erst wälzte sich der Häusler nochmal herum. Schon drehten
+sich seine Augen.
+
+"Er soll's haben, Hochwürden! Aber die Hälft' gehört der Kirch'!"
+hauchte er schon röchelnd mit letzter Kraft heraus.
+
+"In Ewigkeit, Amen," murmelte sich bekreuzigend die alte Pfanningerin.
+und der Pfarrer sah Michael an, nickte ihm zu.
+
+"Hab's denkt, daß er's kriegt, wenn er fleißig in die Kirch' rennt und
+um den Pfarrer herumscharwenzelt recht bigott! Sowas tragt immer was
+ein!" war ungefähr die übliche Bauern-Nachrede, als es verlautbarte,
+daß Michael das Pfremdinger-Anwesen vom "Herrn Hochwürden zudiktiert"
+bekommen habe.
+
+Acht Tage nach dem Begräbnis fuhr Michael auf einem Schubkarren die
+spärliche Habschaft seiner Mutter ins Pfremdingerhaus und am
+darauffolgenden Tag die Sachen der alten Pfanningerin ins Gemeindehaus.
+Hinter manchem Fenster stand ein spöttischspitzes Gesicht und sagte
+ungefähr: "Der hat's leicht. Kann sein Zeug auf dem Schubkarren fahren."
+
+Gut ein Vierteljahr war Stille.
+
+Wenn die Mäher beim Morgendämmern auf die Felder gingen, sang immer
+schon die Sense Michaels unter dem flinken Schleifstein.--
+
+Dann kam das Unglück.
+
+Die einzige Kuh, die im Jürgertstall stand, ging ein. Notschlachtung
+mußte vorgenommen werden.
+
+Die Bauern kamen, musterten das Fleisch mißtrauisch, kauften,
+schimpften: "Ob er vielleicht nicht wisse, daß die Suppenbeine als
+Zuwag' dreingingen?" Und einige wieder sagten in beinahe mitleidigem
+Tonfall: "Ja, mein Gott, Bauer sein ist nicht so einfach! ... Sonst
+tät's ja jeder machen."
+
+Drei Wochen nachher begrub man die alte Jürgertin.
+
+"Wärst' Knecht geblieben, wär gescheiter gewesen," sagte Söllinger zu
+seinem ehemaligen Knecht, "wenn's einmal angeht, hört's nicht mehr
+auf."--
+
+Michael stürzte sich in die Arbeit. Der Pfarrer kam ein paarmal ins
+Haus, sah nach.
+
+"Eine Kuh halt, eine Kuh, Herr Hochwürden!" murmelte Michael hin und
+wieder dumpf.
+
+"Der Herr hat's gegeben--der Herr hat's wieder genommen," antwortete
+der Geistliche nur.--
+
+Und Michael verkaufte Heu und die zwei letzten Säcke Korn. Droben auf
+dem schmalen Streifen, über den Söllingerfeldern, hatte er dieses im
+letzten Jahr noch gebaut. Vom Reinalther lieh er sich damals den
+Fuchsen und den Pflug, ackerte. Und seine Mutter humpelte hinterdrein
+und säte.--
+
+Es war Ferkelmarkt in Greinau. Die ganzen Bauern aus der Umgegend
+standen gruppenweise auf dem Platz vor der Gastwirtschaft "Zur Post",
+handelten hartnäckig herum mit den Händlern und kauften endlich. Die
+eingepferchten Jungschweine machten einen Heidenlärm, die Pferde
+scharrten ungeduldig und wurden unsanft zurückgerissen. Die Wirtsstube
+war vollbesetzt. Aus und ein ging man, redete, schmauste, und knarrend
+und knirschend, in scharfem Trab, rollten die Wägelchen davon.
+
+Schüchtern kam tief am Nachmittag Michael an. Die Bauern stießen
+einander, zwinkerten, tuschelten spöttisch.
+
+"Jesus! Jesus! Jetzt wird's besser, der Michl kauft Ferkel!" lachte
+der pralle Postwirt aus einer Gruppe und alle richtetengeringschätzige
+Blicke auf den Häusler. Schweigsam und scheu umschritt der die
+Ferkelsteigen. Es wurde schon leerer auf dem Platz.
+
+"Paß fein auf, daß sie dir nicht im Sack ersticken, Michl!" warf der
+Söllinger rülpsend auf den Wagen steigend Michel zu, als er sah, daß
+dieser zwei lautgrunzende Jungschweine in seinen Sack zog. Sein
+hämisches Lachen schnitt die Luft auseinander.--
+
+Dämmer stieg schon von den Feldern auf. Nacht sickerte gelassen vom
+Himmel. Michael schritt beschwerlich aus. Die Schweine rumorten
+immerzu im Sack auf seinem Rücken. Er mußte fest zuhalten, daß ein
+lahmer Krampf langsam in seine Arme rieselte. Aber die bogen sich wie
+aus Eisen von der Brust über die Schulter.--
+
+Die Schritte hallten vereinsamt.
+
+Stille.--
+
+Jetzt waren auch die Schweine still geworden, ganz still. Auf einmal
+merkte es Michael. Ein Schreck durchfuhr ihn. Jähe Mattigkeit fiel
+bleischwer in seine Kniegelenke. Er rüttelte den Sack vorsichtig, fast
+wie einer, der zwischen Hoffnung und Angst vor der Gewißheit schwankt
+und nicht mehr aus noch ein weiß.
+
+Nichts.
+
+Er rüttelte stärker.
+
+Nichts.--
+
+Inzwischen war er an der schmalen Brücke, nah vor dem Hügel angelangt,
+auf dem das Söllingergehöft mit gelben Augen saß.
+
+Der Bach murmelte gleichmäßig versunken.
+
+Schweißtriefend zerrte Michael den Sack auf die Brücke, wollte--in
+unseliger Verzweiflung blitzhaft an den Spott Söllingers denkend
+--nachsehen. Da--da--wupp!--fiel der Sack in die Tiefe. Es platschte.
+Breite Ringe warf das Wasser und jetzt plärrten plötzlich die Schweine
+heulend auf. Es gurgelte etliche Male und war jäh grauenhaft still.
+
+Mit einem furchtbaren Aufschrei sprang Michael ins Wasser, tappte wie
+ein schwimmender Hund ungelenk auf der Oberfläche herum, weinte,
+hustete, tauchte, schrie, brüllte.--
+
+Am ändern Tage fischten die zwei Knechte des Bürgermeisters den leeren
+zerrissenen Sack mit den Heugabeln aus dem Wasser und spießten ihn auf
+einen Zaunpfahl vor Michaels Häuschen. Dann klopften sie. Aber niemand
+gab an.--
+
+Das ganze Dorf lachte knisternd.
+
+Als man drei Tage niemanden aus--und eingehen sah beim Jürgert, schickte
+Söllinger den Nachtwächter und Gemeindediener Peter Gsott hinaus. Der
+klopfte wieder und wieder, drohte mit wütenden Flüchen, als niemand
+angab und holte dann den Schmied zum Türöffnen.
+
+Die beiden fanden Michael in der Schlafkammer ganz starr auf dem
+Bettrand sitzend und wie irr ins Leere glotzend. Einen Augenblick
+zwang ihnen dieser Zustand Schweigen ab. Endlich sagte der Schmied:
+"Was hast' denn, daß' dich einsperrst, Michl?"
+
+Aber der Angesprochene machte nur mit der Hand eine lahme, wegwerfende
+Geste. "Deinen leeren Sack haben die Söllingerknecht' gefunden! Die
+Ferkel selber sind ersoffen," sagte dann der Gemeindediener. Als beide
+sahen, daß Michael beharrlich mit der gleichen Apathie antwortete,
+gingen sie und meldeten dem Bürgermeister, daß der "spinnerte Kerl"
+schon noch lebe. Er sei, meinten sie, nur ein wenig irr noch.--
+
+Im Dorf ging daraufhin die Rede: "Der Michl hat's Spinnen angefangen
+wegen der ersoffenen Ferkel."
+
+Michael sah man nur ganz selten seit diesem Vorfall. Höchstenfalls bog
+er einmal scheu ums Hauseck und eilte dem Wald zu.--
+
+Um diese Zeit kam zum Bürgermeister Söllinger eine seltsame Nachricht
+aus Amerika, betreffend die Familie Jürgert und deren Nachkommen. Der
+Bauer, der sich, wie er sich ausdrückte, "darin nicht rechtauskannte",
+schickte zum Pfarrer und dieser entzifferte endlich, daß die Familie
+Jürgert (Überlebende oder Nachkommen) infolge des Todes eines Bruders
+des verstorbenen Vaters Michaels zur Generalerbin einer außerordentlich
+hohen Hinterlassenschaft in barem Geld eingesetzt sei und den Betrag
+von einer Bank in Hamburg einverlangen könnte, sobald der Nachweis der
+Erbberechtigung erbracht sei.--
+
+Als der Pfarrer, der selber ein wenig zitterte, dies dem Söllinger
+auseinandersetzte, erbleichte dieser sichtlichund sank wie vom Schlag
+getroffen in einen Stuhl.
+
+"Ruhig beibringen, ist das beste. Ich geh' selber zu ihm hinaus,"
+sagte der Geistliche nach einigem Schweigen, nahm seinen Hut, steckte
+das Papier zu sich und begab sich zu Michael.
+
+Ins Haus getreten, bemerkte er diesen dösig neben dem Herd hockend,
+und als der geistliche Herr in sanftem, vorsichtigem Tonfall seinen
+Namen rief, sprang er plötzlich auf, schlüpfte, so schnell es nur
+ging, furchtgepackt in das rußige Holzloch unter dem Ofen und gab
+keinen Laut von sich. Eine gute Weile stand der Geistliche ratlos da.
+Endlich fand er wieder zum Entschluß zurück.
+
+"Geh heraus, Michl," sagte er sanft, "wir wollen wieder eine Kuh kaufen
+und Ferkel."
+
+Michael räkelte sich erst und schlüpfte dann vollends aus dem Loch.
+Seine Blicke waren mit einer schmerzvollen Bitthaftigkeit auf den
+Pfarrer gerichtet.
+
+"Und dein Häusl, Michl, das werden wir auch wieder richten lassen. Es
+ist arg baufällig," ermunterte dieser den Zögernden. Und als Michael
+endlich aufrecht stand, nahm ihn der Gottesmann mild am Arm und zog
+ihn sacht hinaus ins Freie.
+
+Frische Frühe lag üher den Feldern. Die Wiesen dufteten schwer. Die
+Sonne stieg langsam in die Mittagshöhe.--
+
+Wie zwei Kranke schritten die beiden dahin. Der Söllinger wagte nicht
+herauszutreten, als sie vorbeikamen. Er lugte nur schweigend durchs
+Fenster.
+
+Im Pfarrhaus angekommen, sagte der Geistliche zu Michael: "Du mußt
+jetzt eine Zeitlang bei mir bleiben. Die Marie wird dir ein Zimmer
+einrichten, bis dein Häusl fertig ist. Bis dahin ist auch wieder
+Viehmarkt in Greinau."
+
+Und als verstünde er von alledem nichts, als höre er nur eine
+erleichternde Melodie aus den Worten, stand Michael da und schwieg.
+Allmählich glättete sich sein bangvolles Gesicht und eine aufatmende
+Ruhe glänzte in seinen Augen.
+
+Drei stille Wochen glitten him. Jeden Tag saßen die zwei zusammen in
+der Pfarrstube oder gingen wohl manchmal im Garten umher. Langsam
+wurde Michael ruhiger. Aber von Zeit zu Zeit konnte man ein böses
+Aufblitzen auf seinem knöchernen, schweigend gefalteten Gesicht
+wahrnehmen. Die väterliche Arglosigkeit seines Pflegers aber machte
+ihn nach und nach etwas zutraulicher und offener. Manchmal des Abends,
+wenn der Geistliche aus einem Betbuch laut einige Stellen vorlas, hob
+der Häusler den Kopf und lauschte sichtlich aufmerksamer. Ein
+friedlicher Hauch hob Stück für Stück von dem Feindseligen ab, das
+hinter den Falten brütete, und lebendiger kreisten seine Augen.
+
+Endlich nach einem Monat eröffnete der Pfarrer seinem Pflegling die
+Nachricht aus Amerika.
+
+Michael hörte stumm zu. Er schien anfänglich nicht zu begreifen. Dies
+erkennend, legte der Geistliche das Papier auf den Tisch.
+
+"Du bist jetzt ein reicher, sehr reicher Mann geworden, Michl," sagte
+er, "du kannst dir hundert Kühe kaufen, ein Haus und soviel Ferkel,
+als du willst. Es ist von jetzt ab keiner mehr im ganzen Umkreis, der
+nur ein Drittel soviel Geld hat wie du. Begreifst du? Gott hat dir
+geholfen. Es geht alles seinen gerechten Gang, wenn er es will."
+
+Michael schien die letzten Worte nicht mehr zu hören. Seine Augen
+waren auf einmal weit geworden. Eine Gier flackerte in ihnen und der
+ganze Ausdruck seines Gesichts war plötzlich völlig verändert.
+
+"Ich--ich kann also auch das Söllingerhaus und das vom Reinalther
+kaufen?" fragte er hastig und gedämpft.
+
+"Das kannst du, wenn sie wollen," nickte der Geistliche, "du kannst
+zehn solche Häuser kaufen, wenn du willst."
+
+"Zehn....!?" stieß Michael lauernd heraus und bohrte seine Blicke in
+die Augen des Pfarrers.
+
+"Es ist sehr viel Geld," gab der zurück.
+
+"Und," fuhr Michael noch leiser, fiebernd vor Unruhe, scheu, als
+lausche an den Wänden irgendein ungebetener Gast, fort: "Und ich
+krieg' das ganze Geld in die Hand. Ich brauch' nur schreiben lassen?"
+
+"Ja, wenn Du willst."
+
+"Ja ...!! Ja, gleich! Gleich! Ich will!" schrie Michael verhalten.
+
+"Gut," sagte der Pfarrer und ging an den Tisch, "ich schreibe."
+
+"Und ... und die Häuser vom Söllinger und--und vom Reinalther?" fragte
+Michael beharrlich.
+
+"Die ...? Ich kann mit ihnen reden," antwortete der Geistliche, während
+er schrieb. Dann ließ er Michael unterzeichnen.--
+
+
+II.
+
+Im Dorf ging ein Schweigen um. Langsam verbreitete sich die Kunde von
+Michaels Erbschaft. Betroffenen Gesichts raunten sich die Bauern die
+Neuigkeit zu.--
+
+Der Baumeister von Greinau, Michael Lindinger mit Namen, wurde ins
+Pfarrhaus geladen. Michael lächelte schräg, als der Mann eintrat und
+beauftragte ihn, einen Plan für ein neues Haus zu bringen. Trotz der
+Einwendungen des Pfarrers wurde der Umbau des alten Anwesens abgelehnt.
+
+Michaels Rede war jetzt sicher geworden, fast bestimmt.
+
+"Ein neues Haus muß her!" sagte er beharrlich.
+
+Und der andere Michael erwiderte pfiffig: "Ja--schon lieber was Neues
+als Flickwerk. Das taugt ein paar Jahr', dann geht's wieder von vorn'
+an."
+
+Diese Beipflichtung entwaffnete den Geistlichen. Der Plan wurde
+gefertigt. Der Auftrag gegeben. Die ehemalige Pfremdinger-Hütte
+krachte zusammen mit allem, was sie barg. So hatte es Michael
+gewünscht, steif und fest. Alles Dawider des Pfarrers nützte nichts.
+
+Krachte zusammen.
+
+Und die Dörfler standen herum, schwiegen, staunten, starrten. Vom
+Pfarrhausfenster aus überschaute Michael den Vorgang.
+
+Auf einmal begann der Hausrist zu wanken, bröckelte, krachte. Die
+Herumstehenden rannten auseinander und zuletzt war minutenlang eine
+ungeheure Staubwolke. Dann, als es wieder lichter geworden war, lag
+ein riesiger Trümmerhaufen da.
+
+Deutlich sah Michael, wie einige die Köpfe schüttelten. Eine Weite
+dehnte seine Brust.
+
+"Das ist nicht recht," rief der Pfarrer hinter ihm. Michael hatte ihn
+nicht eintreten hören und riß sich erschrocken herum. Reglos und stumm
+standen sich die beiden gegenüber.--
+
+Seitdem begegnete Michael seinem Pfleger mit verstocktem Schweigen.
+Mied ihn.--
+
+Der Bau wurde begonnen. Jeden Abend kam Lindinger ins Pfarrhaus und
+berichtete über den Stand, machte Vorschläge, legte Rechnungen vor.
+
+Sein fast beteuerndes, sich immer wiederholendes: "S'ist wahnwitzig
+teuer, die Sach', wahnwitzig teuer," ließ Michel lächeln.
+
+"Macht nichts, macht gar nichts," erwiderte er stets.
+
+"Ja--es ist gut, daß' wieder Arbeit gibt," meinte dann der
+Maurermeister meistens und ging. Kaum war er draußen, schrumpfte
+Michaels Gestalt im Lehnstuhl zusammen. Das Kinn schob sich vor. Nur
+die Pupillen kreisten im Raum.--
+
+An einem der Abende, als eben der Maurermeister das Zimmer Michaels
+verlassen hatte, trat der Pfarrer ein. Michael erhob sich und wandte
+ihm den Rücken zu.--
+
+"Gelobt sei Jesus Christus!" brachte der Geistliche nach einigem
+Schweigen heraus.
+
+Ohne sich umzuwenden, nickte Michael. Dann ging er ans Fenster,
+deutete in die Talmulde, die der erste Mond silbern bestrich.
+
+"Hähähä--hä! Wird hoch der Turm, hoch!" keuchte er, reckte den Kopf
+störrisch vor, nahe an die Scheibe: "Wenn man ganz droben ist, müssen
+schon die Wolken angehen!"
+
+Unschlüssig stand der Geistliche. Schwieg.
+
+"Zum Söllinger kann ich hinunterschaun und aufs ganze Dorf!" redete
+Michael weiter, ohne ihn zu achten.
+
+"Die zwei Kirchenfenster?" fragte endlich der Geistliche fast
+schüchtern und hielt plötzlich mitten im Wort inne, als sich Michael
+nunmehr hastig umwandte.
+
+"Zwei ...?! Sechs! Sechs Fenster ...--und neue Glocken, damit ich's
+hör' in der Früh!" überflügelte dieser ihn, "da muß die Luft zittern,
+wenn die läuten!--Schafft sie an! Morgen! Gleich! Gleich! Und drei
+neue Meßgewänder!--Müssen fertig sein zum Jahrtag meiner Mutter!
+Bestellt's! Bestellt's auch gleich!--Gleich!"
+
+Wie von einem wilden Strudel dahergetragen stürzten die Worte
+heraus.--
+
+Mit sehr ernstem Gesicht verließ der Pfarrer fast traumwandlerisch das
+Zimmer. Lange noch hörte ihn die Marie im Zimmer auf- und abgehen und
+laut beten.
+
+Klare, kalte Märztage zeigten das hereinbrechende Frühjahr an.
+
+Michael ging manchmal aus. Selten suchte er den Bau auf. Nie beschritt
+er ihn. Immer bog er scheu ums Dorf und stapfte auf die Sandgrube zu,
+aus der man den Kies für sein Haus holte. Es schien ihn dort etwas zu
+interessieren. Er stand meistens oben am Rand und überschaute die
+zackige Mulde.
+
+Böhmen und Italiener arbeiteten auf Taglohn dort und sprengten hin und
+wieder einen Felsen, wenn an einer Stelle der Kies ausging.--
+
+Eben lud man wieder. Michael war ganz nah herangekommen, stand wie
+witternd, mit spähendem, vorgebeugtem Kopf da und sah aufmerksam auf
+jede Bewegung des Lademeisters.
+
+"Und das--das reißt alles ein?--Mit einem Krach?" fragte er diesen
+gespannt. Der Mann nickte und murmelte ein paar unverständliche Worte.
+
+Dann entzündete er ein Streichholz und steckte die Zündschnur an.
+Alles rannte aus der Grube, wartete bis es knallte.
+
+Als dies geschehen war und die Leute wieder in die Grube zurückgingen,
+sah man Michael im Türrahmen des Werkmeisterhauses stehen. Er ließ
+sich das Pulver zeigen, rieb es merkwürdig lange auf seiner flachen
+Hand und sagte harmlos zum Werkmeister: "Und so ein Staub hat's
+drinnen, daß alles in die Luft fliegt?--Hm--hm--hm!" Ging wieder.--
+
+Der Nachtwächter Peter Gsott glaubte bemerkt zu haben, daß eine
+männliche Gestalt am Rand der Sandgrube auftauchte, sich schwarz vom
+bleichen Mondhimmel abhob, dann aber plötzlich, wie in den Erdboden
+gesunken, verschwand.
+
+Der Werkmeister schimpfte die Sprenger, daß sie soviel Pulver
+brauchten. Es entstand ein Streit. Ein Italiener brüllte, daß die
+ganze Grube hallte. Auf einmal kam man ins Handgemenge. Ein
+furchtbares Raufen entstand. Der Werkmeister bekam einen Schlag auf
+den Kopf und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Am ändern Tag
+verhafteten die Gendarmen von Greinau zwei Böhmen und einen Italiener,
+der beim Söllinger auf der Tenne logierte. Er hatte sich im
+Taubenschlag verkrochen und als man ihn herunterholte, stieß er
+furchtbare Drohungen auf den Bürgermeister aus, die aber niemand
+verstand. Anscheinend glaubte er, die Leute hätten ihn verraten.
+
+Michael begegnete der Haftkolonne und sah sich die drei Burschen sehr
+genau an. Später trat er ins Bürgermeisterhaus und öffnete die
+Stubentür hastig. Der Söllinger war im Augenblick so erstaunt, daß er
+förmlich aufschrak und kein Wort fand. Säulenstarr stand er da und
+heftete seinen Blick auf den nähertretenden Michael. Gemessen kam
+dieser heran, ganz nahe und eine ungeheure Spannung lag in seinem
+Gang.
+
+"Gibst dein Haus nicht her?" fragte er den stummen Bauern lauernd.
+
+"Nicht?" wiederholte er, als der verneinte und maß ihn scharf von der
+Brust bis zur Stirn.
+
+"Ich ...!?" fand endlich der Söllinger das Wort.
+
+"Ja?"
+
+"Solang ich leb' nicht!" schrie der Bürgermeister schroff, als wolle
+er sagen: "Was willst denn du auf einmal bei mir?"
+
+"Es paßt mir nicht vor meinem Turm," sagte Michael tonlos und spröde
+und lächelte höhnisch in sich hinein. Draußen, vor der Tür, hörte er
+noch den Schlag der Söllingerfaust auf die Tischplatte.
+
+
+III.
+
+Richtig, der eine von den Böhmen lud damals den Felsen, erinnerte sich
+Michael. Und der Italiener, der aus Söllingers Taubenschlag geholt
+worden war, stand neben ihm, als es krachte. Dem konnte man nichts
+nachweisen und mußte ihn nach vier Tagen wieder aus dem
+Amtsgerichtsgefängnis entlassen. Nun strolchte er mit finsterem
+Gesicht herum, und da bei den Bauern von alt her der Aberglaube
+herrschte, daß solche Kerle mit ihren Verwünschungen kraft einer
+innewohnenden dämonischen Macht Schaden und Unglück anrichten könnten,
+so wagte keiner etwas gegen sein Kampieren in Heustädeln und Tennen
+einzuwenden.--
+
+An einem Aprilnachmittag traf ihn Michael auf der Waldstraße, ging
+entschlossen auf ihn zu und sprach ihn an.
+
+"Habt's keine Arbeit mehr kriegt?"
+
+Offenbar verstand der Angesprochene dies, denn er nickte finster.
+
+"Geht's zu meinem Bau. Verlangt's den Lindinger und sagt's, ich hab
+Euch geschickt," sagte Michael.
+
+Am ändern Tag schleppte der Italiener auf dem Bau Mörtel.--
+
+Das Haus wuchs. Der Turm der Vorderfront bedurfte nur noch des
+Dachstuhls. Beim Söllinger wurde eingebrochen. Man nahm wieder den
+Italiener fest, obwohl ihn niemand angezeigt hatte. Da man ihm aber
+nichts nachweisen konnte, entließ man ihn abermals. Michael traf ihn
+am Pfarrhaus, nickte schon von weitem grüßend und hatte ein Lächeln
+wie ungefähr: "Gut so!" Und wieder arbeitete der Italiener auf dem
+Bau, finster gegen jedermann, verschlossen und wortkarg, nur etwas
+aufgetaner zu Michael.--Die Kirche war nun jeden Sonntag drückend
+voll. Die sechs Fenster strahlten ihren vielfarbigen Prunk über die
+Köpfe der Betenden. Einen Monat später erschollen die neuen Glocken
+erstmalig. Und in der Luft schwang ein Surren weithin. Wenn man jetzt
+Michael sah, lag über seinem Gesicht etwas wie ein leuchtender,
+verschwiegener Triumph.
+
+Der April zerging in Regen, Schneegestöber und flüchtigen Sonnentagen.
+Die ersten Maitage ließen die grauweißen Wände des Neubaus sehr
+schroff leuchten. Man konnte Michael manchmal mit dem Baumeister durch
+die Räume schreiten sehen. Die Schreiner brachten Möbel. Es ging dem
+Vollenden zu.
+
+Es war wahr, was der erste Knecht vom Reinalther sagte: "Einen solchen
+Stall trifft man so schnell nicht mehr." Und: "Eine Lust müsse es
+sein, dort zu arbeiten."
+
+Aber der Söllinger warf verächtlich hin: "Was hilft ihm das schöne
+Haus und alles, wenn er kein Grundstück hat!"
+
+Und aus den Reden der Dörfler am Biertisch konnte man deutlich
+heraushören, daß keiner bereit war, auch nur ein Tagwerk von seinen
+Gründen abzugeben.
+
+"Unser Heu bleibt unser Heu," sagte der Gleimhans. Und alle nickten.
+
+"Der kommt schon und will einen Grund!--Aber da bleibt ihm der
+Schnabel sauber!" brummte der Reinalther.
+
+Der Söllinger blickte düster drein und schwieg.--
+
+Pfarrer und Ministrant gingen mit Michael durch die Räume des neuen
+Hauses, beweihräucherten und besprenkelten alles. Eine Woche später
+trieben drei Viehtreiber wohl an die zwanzig Kühe auf der Straße von
+Greinau her ins Dorf und lieferten sie bei Michael ab. Der wohnte
+schon vier Tage in seinem Haus. Zwei fremde Mägde, ein Knecht und
+jener Italiener, den man von der Sandgrube davongetrieben und
+verhaftet hatte, waren da. Und Heufuhren kamen an. Ganz fremde
+Gesichter blickten von den leeren Wagen herunter, die durchs Dorf
+ratterten.
+
+"Wenn er jeden Pfifferling kaufen muß, wird die Herrlichkeit bald ein
+End' haben," brummten die Bauern, "mit den paar lumpigen Wiesen kann
+er grad' eine Kuh füttern."
+
+Nach etlichen Wochen kam eine Magd Michaels zum Reinalther und zum
+Gleimhans und richtete aus, die Bauern sollten zu ihm kommen.
+
+"So--!? Sonst nichts....?!" rief der Reinalther höhnisch und schaute
+das dralle Frauenzimmer hämisch an, "sagst, er soll sich einen ändern
+Dummen suchen!"
+
+Und--: "Der hat grad so weit zu mir her!" fertigte der Gleimhans die
+Botschaftbringerin ab.--
+
+Gleichsam, als hätte man sie ohne jeden Grund persönlich beleidigt,
+kam die Magd zurück und berichtete Michael das Verhalten der beiden
+Bauern.
+
+"Geh!--Ist schon gut!" schnitt dieser ihr das Wort ab, als sie
+gesprächiger werden wollte. Seine Züge veränderten sich nicht. Nur
+seine Augen glommen einmal funkelnd auf.--
+
+In der Wirtsstube Simon Lechls herrschte diesen Abend ein belebteres
+Gespräch.
+
+"Jetzt wird er langsam angekrochen kommen und Gründ' wollen," brummte
+der Reinalther.
+
+"Da kann er alt werden!" erwiderte der Gleimhans. Und alle nickten.
+"Mit seinem Geldhaufen ist er gar nichts!" sagte der Lechlwirt:
+"Gründ' machen den Bauern!"
+
+"Das ist's!" bestätigte der Söllinger.
+
+Und wieder nickten alle.--
+
+
+IV.
+
+Die Jahre verstrichen. Das kahle, grell leuchtende Haus am Waldrand
+nahm mehr und mehr eine verwitterte Farbe an. Bisweilen, wenn die
+Scheune leer war, sah man die schwarze Kutsche Michaels in scharfem
+Trab aus dem Dorf rollen, Greinau zu. Vorne auf dem Bock saß der
+Italiener mit finster gefaltetem Gesicht und schaute nicht nach links
+und nicht nach rechts.
+
+An den darauffolgenden Tagen knarrten dann meistens schwerbeladene
+Heufuhren auf der Greinauer Straße daher und fuhren durchs Hoftor
+Michaels.
+
+"Nette Wirtschaft!" brummten die Bauern: "Jeden Büschel Futter muß er
+kaufen!" Und halb war es Mißmut, halb Schadenfreude, was auf ihren
+Gesichtern stand. Die Ernten in dieser Gegend waren mehr als
+überreichlich. Die Aufkäufer, die aus der Stadt kamen, hatten es
+leicht und konnten anmaßend sein. Sie minderten die Preise, wo und wie
+immer es nur ging. Die Transportkosten his zum Bestimmungsort mußten
+die Bauern tragen. Es kostete stets einen ganzen Tag Zeit, wenn ein
+Dörfler seinen verkauften Hafer, sein Korn oder Heu nach Greinau auf
+den Bahnhof fuhr und dort in den Waggon lud. In die "Ferkelburg" aber,
+wie man Michaels Haus nannte, fuhren fremde Heuwagen!--
+
+Michael war fast nie zu sehen. Er saß in seiner Turmkammer und sann.
+Grübelte, als warte er auf etwas. Gleichmäßig und ereignislos verlief
+die Zeit.
+
+Durch irgendeinen findigen Kopf angeregt, war die ganze Dörflerherde
+um Greinau darauf gekommen, daß eine Eisenbahnlinie gerade in dieser
+Gegend notwendig sei. Eine Vereinigung bildete sich, wurde "Lokalverband
+der Eisenbahninteressenten" genannt. Eine Eingabe um die andere
+bestürmte das Ministerium. Die Regierung nahm endlich Kenntnis davon,
+der Landtag sprach sich befürwortend aus. Die Eisenbahnlinie wurde
+genehmigt.--
+
+Michael verfolgte die Berichte im "Greinauer Wochenblatt" eifrig. Man
+sah ihn jetzt öfters am Gemeindekasten vor dem Bürgermeisterhaus
+stehen und die Anschläge lesen. Vom Söllingerhügel aus konnte man das
+ganze hingebreitete Land übersehen.
+
+Da stand er auch.
+
+Und nicht selten. Oft sogar lange.--
+
+An jenem Tag, da die amtliche Bekanntmachung von der Genehmigung der
+Eisenbahnlinie angeschlagen war, wandte er sich behend, wie von einer
+verhaltenen Freude ergriffen, herum und überblickte die Weiten.
+
+"Hm!--Jetzt!" stieß er plötzlich heraus, nickte etliche Male und ging
+zuversichtlicher von dannen.
+
+Erst nachdem er in der Tür der Ferkelburg verschwunden war, trat der
+Bürgermeister aus seinem Haus und heftete die Bekanntmachung der
+großen Versammlung im Gasthaus "Zur Post" in Greinau in den Kasten.
+
+Am darauffolgenden Sonntag war der Tanzsaal der Postwirtschaft zum
+Bersten voll. Die Bauern aus der Ganzen Umgebung waren zusammengeströmt.
+Die bejahende Entschließung der Regierung wurde bekanntgegeben. Die
+ganze Versammlung brüllte und klatschte begeistert.
+
+"Eine Bahn muß her!" erscholl von allen Seiten. Es gab schwere
+Räusche.--
+
+Schon nach einer knappen Woche erschienen die Vermessungsbeamten im
+Dorf und wurden mit ehrwürdiger Neugier empfangen, durchschritten die
+Felder, steckten weiß-rote Stangen auf, kamen immer näher an die
+Häuser heran, zogen eine Linie durch Reinalthers Garten, über das
+Gehöft Söllingers hinweg.--
+
+Die Hände in den Hosentaschen, schweigend und gewichtig, sahen ihnen
+die Bauern erst zu.
+
+"Also so ging's?" fragte der Gleimhans einen Vermesser.
+
+"Jawohl, ganz so," erwiderte dieser und war schon wieder weiter.
+
+"Hm!" brummte der Gleimhans, hob den Kopf und sah den Reinalther
+verwundert an.
+
+"Müßt also mein halber Garten weg?" sagte dieser und sah den Geometern
+nach. Die entfernten sich mehr und mehr. Weiter ging es--über das
+Gehöft Söllingers hinweg.
+
+"Hoi--Hoi! Da wär demnach das ganze Bürgermeisterhaus im Weg!" stieß
+jetzt der Reinalther fast entsetzt heraus und sah betroffen, mit
+offenem Maul, auf Gleimhans.
+
+"Das wird sauber!--Gibt's nicht!" schrie dieser wütend und straffte
+seine Gestalt.
+
+"Und--schau nur!--durch meine schönsten Gründ' gings'!" rief der
+Reinalther, als eben die Vermesser die Linie durch seine Weizenlande
+zogen, fäustete seine Hände drohend und polterte gleichfalls: "Gibt's
+nicht!"
+
+Und auf der Stelle gingen die beiden zum Söllinger hinauf und erhoben
+lebhaften Einspruch gegen dieses Vermessen.
+
+"Dein Haus soll weg! Dein Haus, Söllinger! Und unsere schönsten Gründ'
+wollen's!" schrie der Reinalther aufgebracht. Und der Gleimhans, der
+sich schon wieder ermannt hatte, sagte drohend: "Sollen kommen und mir
+durch meinen Acker bauen!"
+
+Der Bürgermeister war wutrot his hinter die Ohren, schlug gewaltig in
+den Tisch und rief ebenfalls: "Gibt's nicht! Gleich morgen fahren wir
+zum Bezirksamtmann!"
+
+Als die beiden Bauern aus dem Bürgermeisterhaus traten, stand Michael
+am Rande des Hügelrückens und sah den Vermessern gespannt nach.
+
+"Hm,--der Michl!" brummte erstaunt der Reinalther.
+
+"Den freut's, weil's ihm keine Gründ' nehmen können!" stieß der
+Gleimhans wütend heraus.--
+
+Das ganze Dorf war am nächsten Tag in Aufruhr. Man riß überall die
+weiß-roten Stangen heraus, zerbrach sie. In aller Frühe schon fuhren
+Söllinger, der Gleimhans und Reinalther nach Greinau zum Bezirksamtmann
+und verlangten schimpfend eine sofortige Regelung der Angelegenheit.
+Sie schrien, fluchten und drohten zuletzt auf das gefährlichste. Der
+Bezirksamtmann rannte erregt in seinem Arbeitszimmer auf und ab,
+gewann aber dann die Ruhe wieder und zuckte mit den Achseln: "Ja,
+meine Herren, wenn keiner durch seinen Acker die Linie laufen läßt,
+dann gibt es eben keine Bahnstrecke!"
+
+"Wir pfeifen auf eine!" riefen die drei Bauern zugleich.
+
+Der Bezirksamtmann machte ihnen klar, daß der Beschluß der Regierung
+nicht rückgängig gemacht werden könne, daß doch angemessen entschädigt
+werde und daß "die Herren der betreffenden Instanzen doch keine
+Kindsköpfe seien und doch--"
+
+"Das ist uns gleich! Die Bahn kommt nicht! So nicht!" fuhr ihm der
+Söllinger ins Wort und vertrat starrköpfig den Standpunkt seiner
+Begleiter.
+
+Schließlich nach langem Hin und Her wurde beschlossen, eine Versammlung
+der "Eisenbahninteressenten" einzuberufen.--
+
+Bis auf die Straße heraus standen am nächsten Sonntag die Bauern, die
+sich beim Postwirt in Greinau zusammengefunden hatten. Zeitweilig
+entstand ein gefährliches Gedränge nach der Saaltür. Furchtbar
+stürmisch ging es zu. Ein Regierungsvertreter war erschienen. Er wurde
+niedergeschrien, als er betonte, daß "wenn die Abgabe der Gründe nicht
+gutwillig geschähe, einfach abgeschätzt würde."
+
+Einfach abgeschätzt!--Einfach abgeschätzt!!! Was sollte denn das heißen?
+Etwa gar, daß einem einfach die Äcker genommen würden!?
+
+Die Bauern wurden wild, standen auf, richteten sich drohend gegen die
+Tribüne. Die auf der Straße Stehenden zwängten sich gewaltsam herein.
+
+"Gibt's nicht!" schrie der ganze Chorus. Ein ungeheurer Lärm erhob
+sich. Alles machte Miene anzugreifen. Der Bezirksamtmann fuchtelte
+völlig ratlos mit den Armen. Der Assessor schwang wehrlos die Glocke.
+Es half alles nichts. Der Lärm wurde nur noch ärger.
+
+"'naus!--'naus! 'naus aus unserm Gau!" brüllte der ganze Saal. Saftige
+Grobheiten flogen den Herren da droben an den Kopf.
+
+Als nichts mehr auf die tobende Schar einwirken konnte, schrie der
+Bezirksamtmann heiser: "Die Versammlung ist geschlossen!" und
+verschwand eiligst mit dem Herrn von der Regierung. Die rebellischen
+Bauern wurden allmählich wieder ruhiger, betranken sich weidlich und
+hielten die Sache für gewonnen.
+
+Ohne besonderen Zwischenfall verliefen die nächsten Tage.--
+
+In seinem Turmzimmer ging Michael auf und ab, blieb hie und da stehen,
+hob rasch den Kopf und lächelte schmal. Und früh am Morgen, him und
+wieder, schritt er üher die nebeligen Felder.--
+
+Inzwischen wurde der Bau der Eisenbahn im Landtag zum Beschluß erhoben.
+Soweit ließ man sich noch ein, daß man Söllingers Haus umkreiste.
+Dafür aber lief jetzt die Linie durch seine besten Getreideäcker.
+Und war beschlossene Sache! Nächstes Frühjahr sollte die Strecke in
+Angriff genommen werden.
+
+Beim Söllinger liefen die amtlichen Schriftstücke über die
+abzutretenden Grundstücke ein. Die Bauern standen vor den Anschlägen
+mit verbissenen Gesichtern, brummten und fluchten. Eine furchtbare
+Erbitterung hatte das ganze Dorf ergriffen. Aber es half alles nichts.
+Alles nichts!
+
+Und die Schätzpreise waren spottniedrig.
+
+Es gab kein Zurück mehr. Mißmutig fügten sich die Bauern.
+
+"Eine Bahn! Eine Bahn! hat alles geschrien!--Jetzt haben wir's!"
+polterte der Gleimhans beim Lechl; "ich hab's immer schon gesagt: es
+kommt nichts Besseres nach! Wo man mit der Regierung zu tun hat, ist
+Schwindel!"
+
+Und die anderen, die am Tisch saßen, sahen ihn finster an. Finster und
+besiegt, überlistet und ratlos.
+
+"Müssen ja doch! Hilft uns alles nichts!" brummte der Reinalther und
+spuckte wütend aus. Und manchmal sagte ein Verärgerter: "Ach was,--ich
+verkauf mein ganzes Zeug dem Jürgert und mach' ihm einen saftigen Preis!
+Dann kann der sich mit der Regierung herumstreiten!"
+
+Kaum einer--so schien es--hörte darauf. Aber dann wiederholte es sich
+des öfteren. Schüchtern klang es erst. Allmählich erzeugte es
+nachdenkliche Gesichter und dann--dann sah man eines Tages den
+Reinalther aus der "Ferkelburg" herausgehen. Keiner fragte nach dem
+Grund dieses Besuches. Zwei-, dreimal wiederholte er sich und wieder
+einmal fuhr die schwarze Kutsche aus dem Tor der "Ferkelburg".
+Reinalther und Michael saßen hinten drinnen, der Italiener auf dem
+Bock. Es ging Greinau zu.
+
+"Warum hast deine Alte nicht mitgenommen?" fragte Michael im
+Dahinfahren.
+
+"Brummt und brummt bloß! Hat keinen Verstand für so was!" antwortete
+der Bauer mit leichtem Ärger.
+
+"Hat's doch schön jetzt! Kann sich in die Stub'n sitzen und
+privatisieren!" meinte Michael fast ermunternd.
+
+"Freilich! Das hab ich ihr doch schon hundertmal gesagt! Aber sie
+meint halt immer: 'Der Feschl! Der Feschl--wenn er von der Fremd'
+kommt--könnt' eine schöne Metzgerei aufmachen und hat jetzt auf einmal
+keine Heimat mehr!" redete der Reinalther in die Luft, als spräche er
+mit sich selbst.
+
+"Aber Geld hat er! Einen Batzen Geld!" erwiderte Michael darauf. Und
+der Bauer nickte: "Das mein' ich eben auch!"
+
+Nachdem sie das Notariat verlassen hatten, lag auf Michaels Gesicht
+eine freudig erregte Farbe. Er lud den Reinalther sogar zu einem
+richtigen Schmaus ein und der wurde nach dem zweiten Krug schon
+gesprächig.
+
+"Wären noch andere im Dorf, die ihr Zeug anbringen möchten, sag ich
+dir, Michl, brauchst dich bloß dranmachen," schwatzte er vertraulich
+über den Tisch.
+
+"Brauchen bloß kommen,--alle nimm' ich!" gab ihm Michael zurück.
+
+Über Reinalthers Gesicht huschte eine wohlige Röte. Offen und richtig
+freundschaftlich betrachtete er seinen ehemaligen Knecht.
+
+"Weiß dich noch, wie'st mein Knecht warst, Michl," erzählte er,
+"hätt'st dir auch den Buckl krumm gearbeit', wenn dein Amerikaner
+nicht ins Gras 'bissen hätt'!"
+
+Und Michael nickte und schloß mit einem: "Jaja, so ist's auf der Welt
+hie und da!" Dann fuhren sie wieder ins Dorf zurück.
+
+Der Reinalther durfte in seinem Haus bleiben und saß von jetzt ab Tag
+für Tag beim Simon Lechl in der Wirtsstube. Oft kam er angeheitert
+nach Hause. Dann brummte sein Weib: "Wirst noch grad so wie der
+ersoffene Jürgert."
+
+"Hab'ns doch, Alte! Hab'ns doch!" gröhlte dann der Bauer bierselig
+heraus.--
+
+
+V.
+
+Wie immer bei solchen Gelegenheiten, griff die Veränderung der Sachlage
+mehr und mehr in das Leben eines Teiles der Dörfler ein. Die Kleinhäusler
+fristeten hierzulande ein hartes Dasein. Ihre kärglichen Feldstreifen
+trugen wenig. Jeder von ihnen war gezwungen, zur Erntezeit und während
+des Winters, beim Holzen, bei den Bauern auf Taglohn zu arbeiten. Dieser
+Verdienst war, wie man sich auszudrücken pflegte, "zum Leben zu wenig
+und zum Sterben zu viel."
+
+Diesen Leuten kam der Bahnbau gelegen. Es gab erträgliche Löhne dort.
+
+"Da hab ich meinen Batzen Geld, basta!--Und brauch' nicht bitten und
+betteln bei den Bauern," äußerte sich der Fendt, dessen baufällige Hütte
+am Dorfausgang stand. "Ich bleib' überhaupt nicht mehr da," sagte der
+Rieminger, "ich verkauf mein Häusl dem Jürgertmichl und mach' eine
+Wäscherei auf in der Stadt. Da hab' ich auf niemand aufzupassen!"
+
+Und so geschah's auch.
+
+Kaum ein halbes Jahr rann him, da hatte Michael auch das Fendthäusl
+und den baufälligen Reishof gekauft. Die beiden Häusler bekamen eine
+saftige Summe und konnten in ihren Häusern bleiben. Michael verlangte
+nicht einmal Mietzins von ihnen. Das trug sich herum von Ohr zu Ohr.
+Mit einer gewissen Achtung sprach man davon.--
+
+Der Bahnbau war in vollem Gange. Durch Gleimhansens Äcker trampelten
+die Arbeiter, dicht hinter dem Söllingergehöft, in den Weizenlanden
+wühlten sie den Kot aus der Erde. Mit verbissenen Gesichtern schauten
+die Bauern auf ihre verwüsteten Äcker. Viel Fremdvolk war unter den
+Arbeitern. Italiener und Böhmen. Es gab Einbrüche, nächtliche
+Raufereien und Messerstechereien.--
+
+Die Söllingerin bekam die letzte Ölung. Nach einigen Tagen starb sie.
+Das ganze Dorf und viele Bauern aus der Umgebung standen um das Grab.
+Die Glocken trugen ihr Läuten durch die Luft.
+
+Der Reinalther sagte beim Leichenschmaus im Wirtshaus zum Söllinger:
+"Was hast' von dei'm Leben, Bürgermeister? Deine zwei Söhn' sind ja
+doch schon städtisch, da will keiner mehr an die Mistgabel und an den
+Pflug!"
+
+Finster sah der Söllinger ins Leere und erwiderte kein Wort. Seine
+zwei Söhne, der Martin und der Joseph, saßen da und schwiegen
+gleichfalls. Zwei flotte Burschen waren sie, sahen gar nicht mehr
+bäurisch aus, studierten in der Stadt und hatten runde, selbstbewußte
+Gesichter, auf denen ein überheblicher Stolz glänzte.
+
+Der Bürgermeister stand auf einmal auf und ging.
+
+Es war Erntezeit. Die Straße führte an den ehemaligen Reinaltherfeldern
+vorbei und an der Breite des Ignatz Reis. Da arbeiteten die Knechte
+Michaels und der Italiener beaufsichtigte sie. Er war ein schweigsamer,
+finsterer Geselle mit unheimlich tiefglimmenden Augen. Wenn er wo
+auftauchte, griffen alle unwillkürlich hastiger zu. Der Söllinger blieb
+einen Augenblick stehen, biß die Zähne aufeinander und schlug,
+weitergehend, den Hirschgriffstock fester auf den Boden.--
+
+Den Michael sah man jetzt tagsüber fast nie. Nur am Abend stelzte er
+üher den Söllingerhügel, blieb manchmal stehen und sah wie prüfend der
+Bahnlinie nach. Gebückt ging er. Er trug meistens einen breiten Mantel
+und hielt einen Stock in der Rechten.
+
+Manchmal wenn ein Heimkehrender an ihm vorbeiging, lag ein verglommenes
+Lächeln auf seinen faltigen Zügen. Plötzlich aber verfinsterten sie sich,
+sein Kopf senkte sich und hastig trottete er weiter.
+
+Einmal traf es sich, daß er dem Söllinger begegnete. Er blieb fest
+stehen und sah dem Bauern lauernd in die Augen. Es war gerade an der
+Stelle, wo der Bahndamm sich hob, nah' am Bachbrücklein.
+
+"Grad' deine schönsten Äcker haben's hergenommen," sagte Michael.
+
+"Hm!" nickte der Bürgermeister und wußte nicht, wo er hinschauensollte.
+
+"Wirst alt jetzt, Söllinger! Gib's her, dein Anwesen!" begann Michael
+wieder.
+
+Der Bauer schüttelte nur den Kopf störrisch und ging wortlos weiter.
+Aber dieses Mal sah Michael noch tief in der Nacht die Stubenfenster
+im Bürgermeisterhaus leuchten.
+
+Einige Tage später geriet der Heustadel hinter dem Söllingerhof in
+Brand und nur mit Mühe konnte die Feuerwehr das Überschlagen der
+Flamme aufs Bauernhaus verhindern.
+
+Der Italiener Rotti und der Böhme Zdrenka hatten es auf die
+Bürgermeister-Magd abgesehen. In einer Nacht erstach der Böhme den
+Italiener. Zwei Gendarmen von Greinau kamen. Unruhig wurde es im
+Söllingerhaus.
+
+Der Bürgermeister schlug wütend auf den Tisch: "Ich mag nicht mehr!"
+Und resolut rannte er zur Tür hinaus, geradewegs auf die "Ferkelburg"
+zu.
+
+Michael empfing ihn freundlich und ruhig. Er bot eine Summe, daß der
+Bauer seine Augen weit aufriß.
+
+Der Handel kam zustande.
+
+Der Söllinger gab sein Bürgermeisteramt auf und zog zum Schmied.
+
+"Verkauf deine Kalupp'!" sagten jetzt jeden Abend der Reinalther und
+er in der Lechlstube zum griesgrämigen Gleimhans.
+
+"Hast deine Ruh' und einen schönen Batzen Geld und der Michl läßt dich
+drinn, solang als du willst!" bekräftigte der Lechlwirt.
+
+"Solang' ich leb, nicht!" gab der Gleimhans einsilbig zurück und
+schüttelte beharrlich den Kopf.--
+
+Michael kaufte das Schmiedanwesen. Der Schmied zog in die Stadt.--
+
+"Kauft das ganze Dorf," brummte der Gleimhans, "und hat uns zuletzt
+alle in der Mausfall'n!"
+
+"Soll er, wenn's ihm gefällt!--Er kann sich's leisten, zahlt gut und
+ist nicht zuwider!--Läßt mit sich reden!" verteidigten der Wirt und
+der Reinalther den Herrn von der "Ferkelburg". Und dumpf nickte der
+Söllinger.--
+
+Aber am nächsten Tag trat Michael ins Reinaltherhaus. Der Bauer
+empfing ihn aufgeräumt und freundlich, ohne jegliches Arg.
+
+"Im Frühjahr müßt's raus! Hab' einen Pächter," sagte da auf einmal
+Michael kurz.
+
+Dem Bauern gab es einen Ruck. Er sah ihn groß an.
+
+"Bringt aber sein Zeug schon übernächst's Monat!" sagte Michael wieder
+und wandte sich zum Gehen.
+
+Der Reinalther wurde jäh bleich. Sein Kinn bebte. Seine Unterlippe
+rutschte etwas herunter.
+
+Hilflos und bittend sah er auf Michael.
+
+"Geht's gar nicht, daß wir die paar Kammern hinten kriegen könnten und
+bleiben dürfen!" brachte er kleinlaut heraus.
+
+Michael schüttelte schweigend den Kopf.
+
+"Gar nicht?"
+
+Michael drehte sich um, sah ihn kalt an: "Könnt's ja am End zum Schmied
+einzieh'n. Obenauf sind noch drei Kammern. Nachher seid's mit'm Söllinger
+beieinand! Überleg' dir's und laß mir's wissen!"
+
+Und ehe der Bauer etwas erwidern konnte, war er draußen.
+
+Eine Weile stand der Reinalther wie besinnungslos da. Dann ging er zum
+Lechlwirt hinüber.
+
+Der Gleimhans und der Söllinger saßen da. Schüchtern und ganz von außen
+herum erkundigte sich Reinalther nach den Räumlichkeiten im Schmiedhaus.
+
+"Mußt' raus?" fragte der Lechl.
+
+Stumm nickte der Befragte.
+
+"Ins Schmiedhaus?"
+
+"Schier," erwiderte der Bauer und setzte hinzu: "Hat einen Pächter fürs
+Frühjahr."
+
+Gleimhansens Augen glänzten listig. Er hob den Kopf und lächelte
+schadenfroh.
+
+"Vom Schmiedhaus ist gar nicht mehr weit ins Gemeindehaus!" warf er
+boshaft him.
+
+Der Söllinger rückte sein Gesicht empor.
+
+"Ja--!" sagte der Gleimhans, ihn messend, "samt eurem Geld jagt er
+Euch in die Mausfall'n, wenn's ihm paßt!"
+
+Die beiden anderen Bauern saßen dumpf da und starrten schweigend ins
+Leere. Der eine erhob sich, und der andere. Und beide gingen ohne ein
+Wort.--
+
+
+VI.
+
+Wiederholte Male hatte Michael zum Gleimhans geschickt. Er selbst kam,
+der Italiener kam, die Magd kam. Es half alles nichts. Der Bauer gab
+sein Anwesen nicht her.
+
+"Wenn nochmal einer kommt, kann er seine Knochen vor der Tür
+zusammenkratzen!" brüllte er das letztemal wild. Es kam keiner mehr.
+
+Michael hatte nach und nach das ganze Dorf aufgekauft. Die Gehöfte und
+Häuser lagen brach und still da. Die ehemaligen Besitzer waren entweder
+fortgezogen, gestorben oder arbeiteten gegen Taglohn auf der Bahnstrecke.
+Die Grundstücke wurden von den Ferkelburgleuten beackert, bebaut und
+bewirtschaftet.
+
+Im ehemaligen Reishof logierte eine Hausiererin und führte einen
+Kramladen. In den sonstigen Häusern wohnten Arbeiter oder auch die
+früheren Besitzer, gingen in der Frühe heraus und abends hinein. Die
+Mauern bröckelten ab, die Gärten verwahrlosten, alles lag verödet und
+ruinenhaft da.
+
+Michael selbst saß den ganzen Tag in seinem Turmzimmer, üher die
+Protokolle und Urkunden gebeugt, die er beim jedesmaligen Kauf eines
+Anwesens vom Notariat ausgehändigt bekam. Nur der Italiener und die
+Magd, die ihm das Essen brachte, sahen ihn. Alt und verfallen sah er
+aus. Zusammengeschrumpft war seine Gestalt.
+
+Nachts, wenn der Mond silbern üher die Talmulde glitt, stand er am
+Turmfenster und überschaute seinen Besitz. Dann glomm manchmal in
+seinen Augen etwas wie Triumph. Nur wenn sein Blick auf das
+Gleim-Anwesen fiel, wurde es finster auf seinem Gesicht.--
+
+Aus der Erde brach der Frühling. Die Magd kam zum Reinalther und
+brachte die Botschaft, der Bauer solle sich zum Ausziehen
+bereitmachen.
+
+"Jaja, in Gott's Nam'! Sagt's nur, ich will ins Schmiedhaus!" gab ihr
+der Bauer als Antwort mit in die "Ferkelburg".
+
+Am selben Tag trottete Michael eilsam auf den Kramladen zu und
+verschwand scheu in dessen Tür. Die Krämerin schrak förmlich zusammen,
+als er so dastand.
+
+Aus einem grauenhaft gelben Gesicht starrten verkohlte Augen auf sie.
+
+"Gib mir zwei Kalbstrick, Irlingerin, aber gute!" sagte Michael kurz.
+
+Die Krämerin legte einen Packen Stricke hin.
+
+Michael prüfte sorgfältig einen um den andern.
+
+"Die!" stieß er hastig heraus, warf das Geld him und nahm zwei
+Stricke.
+
+"Tragen denn gleich zwei Küh' diesmal?" fragte die Krämerin endlich.
+
+Aber Michael nickte nur und ging. Eilig stelzte er durchs Dorf.
+
+Als er die Tür seines Turmzimmers zuschloß, zog er die Stricke aus
+seiner Brusttasche, prüfte sie nochmal und legte sie in den Schrank,
+schloß ab. Offenbar befriedigt atmete er auf, trat an den Schreibtisch
+und las wieder die Urkunden.--
+
+Gegen Abend kam der Pfarrer, der lange nicht mehr dagewesen war, in
+die Ferkelburg. Mißtrauisch und etwas verwirrt empfing ihn Michael.
+
+"Das Kloster Sankt Marien möchte den Söllingerhof, Michl?" sagte nach
+einer Weile Schweigens der Geistliche.
+
+Michael schüttelte den Kopf.
+
+"Ist nicht recht, daß alles so tot daliegt, Michl!" ermahnte der Pfarrer.
+
+"So?" sagte Michael hartnäckig, und seine Falten zuckten fast höhnisch.
+
+"Wirst ein alter Mann, Michl! Was tust mit den vielen Häusern!" murmelte
+der Geistliche hilfloser.
+
+"G'richt halten!" stieß Michael gedämpft heraus und heftete seine Blicke
+funkelnd auf den Pfarrer. Der stand beklommen da und atmete schwer.
+
+"Unser Herrgott wird dir Dank wissen, Michl!" fand er endlich das Wort
+wieder und erinnerte abermals an den Söllingerhof.
+
+"Steht zu arg in der Sonn'", murmelte Michael noch leiser und
+unheimlich heraus, "und wirft mir den ganzen Schatten in die unteren
+Stuben!"
+
+Er stand gespannt da, bewegte sich nicht. Der Geistliche wurde
+plötzlich blaß, als er das eingeschrumpfte, gelbe Gesicht im matten
+Licht sah.
+
+Jetzt funkelten Michaels Augen wieder und seine Lippen gingen auf und
+zu:
+
+"Hat einmal meinem Vater gehört, nicht?! ... Und der Söllinger hat es
+ihm abgekauft, nicht?! ... Und--der Gleimhans hat ihm Geld 'geben.
+--Vieh hat er dazumal geschachert, der Söllinger, nicht?! Und-und
+hat's meinem Vater langsam abgekauft--langsam, nicht?! ... War ja ein
+Hüttl, damals--nicht!?--"
+
+Er hielt inne. Der Pfarrer stand wortlos da.
+
+"Und nachher hat er das Saufen angefangen, mein Vater, nicht?!"
+keuchte Michael fortfahrend heraus: "Und dann haben's meine Mutter ins
+Gemeindehaus, und--und nachher haben sie sie auslogiert--ist
+gestorben, weil unsere Kuh krepiert ist! Hat's nicht mehr erleben
+können ... nicht!?"--
+
+Jetzt stockte er plötzlich, hielt die Worte zurück und erbleichte.
+Wieder bohrte er seine mißtrauischen Blicke in das Gesicht des
+Pfarrers. Eine Unruhe fieberte auf seinen Falten.
+
+Auf einmal, ohne des Pfarrers zu achten, stieß er heraus: "So dunkel
+ist's da unterm Turm wie im Gemeindehaus bei meiner Mutter
+dazumal....!?"--
+
+"Michl!" rief der Pfarrer nur mehr. Dann ging er.--
+
+Michael stand eine Zeitlang in der gleichen Haltung da, dann zuckte er
+erschreckt zusammen und brach in seinen Lehnstuhl.
+
+Später rief er den Italiener. Es war schon Nacht draußen. Er steckte
+die Kerze an und zog die dichte Gardine vor.
+
+"Hast immer geladen in der Sandgrube, nicht?" fragte er den Italiener.
+
+Der nickte.
+
+"Bist krank, Guisepp'! Mußt Ruh' haben," redete Michael gut auf ihn
+ein und ließ ihn nicht aus den Augen.
+
+Guiseppe stand verlegen und verständnislos da.
+
+"Das Söllingerhaus da drüben, Guisepp', das soll dir gehören, wenn'st
+--wenn'st nochmal sprengst, bloß mehr dies einzige Mal!" sagte Michael
+aschfahl und öffnete seinen Schreibtisch, legte drei Pulversäcke aufs
+Pult.
+
+Der Italiener starrte ihn groß und schweigend an.
+
+Als dies Michael bemerkte, sprudelte er fast bittend und hastig
+heraus: "Haben dich nie erwischt, Guisepp', nie! Hast dich immer
+rausgemacht--wirst's auch diesmal fertigbringen!"--
+
+Und dann setzte er ihm den Plan auseinander.
+
+Mitten im Gespräch horchte er jäh auf. Fern aus dem Dorf hörte man
+Wagengeknatter und "Hü"-Rufe. Der Gleimhans fuhr die Habe Reinalthers
+ins Schmiedhaus.
+
+"Geh!" sagte Michael hastig zum Italiener. Mechanisch verließ dieser
+das Zimmer.--
+
+Bis tief in die Nacht hinein schleppten der Gleimhans, der Söllinger
+und die Reinalther-Eheleute die Möbel in die wackeligen Kammern im
+ersten Stock des Schmiedhauses.
+
+Es war eine windige, unruhige, stockdunkle Nacht. Manchmal trug eine
+Windwelle Laute und abgerissene Sätze herüber zur "Ferkelburg".
+
+Michael ging zitternd im Turm auf und ab. Auf und ab. Von Zeit zu Zeit
+neigte er sich über den Schreibtisch und schrieb noch ein Wort oder
+einen Satz auf einen aufgeschlagenen Bogen Papier.
+
+Jetzt riß der Wind die Schläge der Kirchturmuhr auseinander. Michael
+tappte ans Fenster, hob die Gardine ganz schmal beiseite und band den
+Strick an den Fenstergriff.
+
+Und sah scharf und spähend ins Dunkel hinaus.
+
+Da krachte es furchtbar. Ein riesiger Feuerklumpen brach in der Gegend
+des Schmiedhauses schleudernd in die Schwärze der Nacht.--
+
+Und um die runde Anhöhe hetzte eine lange Gestalt auf die Ferkelburg
+zu.
+
+Michael faßte den Strick und legte seinen Hals in die Schlinge. Dann
+brach er ins Knie und hob seine ineinandergerungenen Hände zur Höhe.
+Sank.--
+
+Mit jener grauenhaften Blässe, die oft jäh von furchtbarer Ahnung
+Erschütterte befällt, sagte der Pfarrer am andern Tag vor der Leiche
+des Erhängten: "Alle Dinge sind eitel!" Und hob den Blick gen Himmel.
+
+Auf dem Schreibtisch lag ein Testament, das Guiseppe die ganzen
+Besitzungen und Hinterlassenschaften Michaels zuerkannte.--
+
+
+
+
+EIN DUMMER MENSCH
+
+
+I.
+
+Seltsam sind Menschenwege. Kalt ist der Winter, heiß der Sommer, die
+Zeit läuft weg und Alter und Verbitterung hocken in den Knochen, eh'
+man sich richtig umsieht. Und schließlich--was ist's gewesen, wenn man
+nachdenkt?--
+
+Misere, Misere, Misere!
+
+Zufall ist alles--und nichts.--
+
+Vor zweieinhalb Monaten noch--hol der Teufel diese kalten, widerwärtig
+regnerischen Herbsttage!--trottete Adam Högl verdrießlich durch die
+dumpfen Straßen, überlas ein um das anderemal die Karte des
+Arbeitsamtes, die ihm anbefahl, daß er sich beim Kranenwerk als
+Erdarbeiter zu melden hätte, zerknüllte sie ebensooft in der Tasche
+und trat gedankenlos in die Kneipe der engagementslosen Artisten "Zur
+wilden Rosa."
+
+Widerlich, wie er jetzt auf einmal noch quälender die kalte Nässe an
+seinen Gliedern herabrieseln fühlte! Und ausgerechnet mußte noch dazu
+die selbstspielende Geige unausgesetzt kratzen, daß es durch Mark und
+Bein ging!
+
+Die rauchige Luft war zum Schneiden dick hier und ein Lärm herrschte
+an allen Tischen wie auf einem Jahrmarkt.
+
+Knirschend und ohne sich um die geschwätzige Gesellschaft zu kümmern,
+ließ sich der Eingetretene auf einen Stuhl fallen und schwang seinen
+patschnassen Hut ein paarmal derart wütend him und her, daß die
+herausgepeitschten Tropfen wie aus einem Weihwasserpinsel herumflogen.
+
+"Pilsner oder Most?" schrie der Kellner üher die Köpfe hinweg.
+
+"Pilsner!" brummte Högl finster zurück und machte sich breit. "Hoho!"
+murrte jemand beinahe drohend am Tisch, und ärgerliche Gesichter hoben
+sich. Auf einmal rief eine bekannte Stimme: "Mensch! Högl!" und Adam
+Högl sah verwundert auf.
+
+"Högl! Mensch! Adam!" schrie es abermals und ein Herr mit rundem,
+lachendem Gesicht tauchte an der anderen Tischseite auf, beugte sich
+behend in die gedrängten Leute: "Erinnerst du dich? Krull, vierte
+Kompagnie, Zimmer achtundzwanzig!? Bauchreden!" Adam Högl faltete
+schnell die Stirn.
+
+Ja, es stimmte: Im Zimmer achtundzwanzig der vierten Kompagnie lag er
+neben Ferdinand Krull und betrieb als Liebhaberei die gelegentlich
+erlernte Kunst des Bauchredens. Er entsann sich ganz deutlich, und
+unwillkürlich, fast von selbst entquollen ihm einige Laute. Er saß
+gerade aufgerichtet da, mitten im plötzlich verstummten Kreis der
+Gesichter, mit geschlossenem Mund--nur der herausgedrückte Punkt
+seines Halses bewegte sich etwas auf und ab--und tief unten in seinem
+Bauch redete es.
+
+"Mensch, du kannst noch!? Komm sofort mit! Du wirst meine beste
+Nummer!" jubelte jetzt der ehemalige Barkellner Ferdinand Krull, und
+ehe die verblüffte Schar sich's richtig versah, trabten die beiden
+eilsamen Schrittes aus der Kneipe, stiegen in das bereitstehende Auto
+und weg waren sie.--
+
+Am selben Abend schon stand Adam Högl auf der grell beleuchteten,
+geräumigen Bühne des Krullschen "Paradies-Kasinos" und johlte seine
+Bauchstimmen-Witze in das bunte, glänzende Publikum, das sich
+allabendlich hier zusammenfand.
+
+Flüchtig zurechtgemacht, im zu großen, faltigen Frack des beleibteren
+Krull, mit viel zu weitem Kragen, der sich wie ein schmaler weißer
+Kummet um seinen dürren, langen Hals wand, in einer karierten,
+schnürenden Weste, einer billigen gestreiften Hose und den quälend
+drückenden Lackschuhen des Wirtes--so stand Adam Högl, eine beachtete,
+wichtig gewordene Einzelperson,--wie aus einer tiefen sumpfigen
+Finsternis plötzlich auf einen strahlenden, weithin sichtbaren Gipfel
+gehoben--inmitten der sorglosen, großen, prächtigen Welt.
+
+Musik fiel ein, säuselte süße, schmeichelnde Melodien durch den Raum,
+tuschte, brach ab--der Vorhang peitschte in die Höhe. Vereinzeltes
+Stühlerücken noch, leise verschwingendes Gläserklirren und andächtige
+Stille minutenlang. Adam Högl riß die Augen weit auf. In der
+blauüberleuchteten, abgedämpften Zuschauergruft tauchten puppige
+Herrenrücken auf, kühngekleidete Damen, ebenmäßige, gepflegte,
+wunderbar abgetönte Gesichter und lange, glitzernd beringte Hände
+mit Elfenbeinfarbene Nacken bogen sich waghalsig.
+
+Herausfordernde, runde, nackte Arme bewegten sich lässig
+undentblößte, leicht gerötete Brüste hoben und senkten sich wie
+weiche, märchenseltsame Lichtflächen, die ein fächelnder Wind
+arglos um schwirrte.--
+
+Mit Gewalt mußte Adam Högl an sich halten. Der Atem stand ihm still.
+Schweiß war auf seiner Stirn. Mühsam preßte er endlich die ersten
+Laute heraus.
+
+Es räkelte.
+
+Sein Herz klopfte auf einmal wie im Galopp. Mit ganzer Kraft straffte
+er sich, gröhlte unbeholfen den ersten Witz heraus, begann ohne
+Zwischenpause den zweiten.
+
+Es räkelte schon wieder. Seine Knie begannen zu schlottern. Er biß die
+Zähne fest aufeinander, preßte--preßte die Laute, die auf der Kehle
+saßen, wieder zurück, hinunter in den Bauch und hatte endlich den
+zweiten Witz.
+
+Das Räkeln verstärkte sich, verflachte zu einer allgemeinen
+Bewegung. Schon drohte er umzufallen--da brach ein berstender,
+frenetischer Jubel üher ihn her, ein Gelächter wie aus einer
+vielstimmigen Riesentrompete, ein betäubendes Klatschen, als sei hoch
+auf einem Berge die Schleuse eines gehemmten Flusses mit einem Male
+jäh aufgerissen worden und die ganze Wasserlast falle sausend in die
+Tiefe.
+
+Er war gerettet.
+
+Er atmete auf, hielt inne, ließ den Jubel verrauschen und jetzt floß
+sein ganzer Mut und Witz berückend sicher aus ihm heraus, hinab in die
+Gruft und wieder zurück an seine schweißnasse Brust wie
+verhundertfachter, brausender Dank.
+
+Er hatte gesiegt.
+
+Einen solchen aus allen Geleisen geratenen Beifall hatte das
+"Paradies-Kasino" noch nie erlebt.--
+
+Vollkommen erschöpft schleppte sich Adam Högl am Arm seines ehemaligen
+Regimentskameraden immer wieder durch die getürmten Blumenhaufen, vor
+bis an die Rampe, kaum noch fähig, sich zu verbeugen. Und immer, immer
+wieder zuckte der Vorhang, fuhr sausend auseinander und in die Höhe.
+
+Zuletzt sah es aus, als hätten sich alle Menschen da unten
+übereinandergeworfen und in das wüste, kreischende Plärren mischte
+sich endlich die Musik undschwoll an zu einem mächtigen Choral. Und
+regelmäßiger, breit und den ganzen Raum erbeben lassend sang es aus
+allen Kehlen zur Höhe: "Ooo du Pa--a--aradies! Pa--a-aradies
+--Kasi--ino--o--o!" daß Adam Högl buchstäblich wie halbtot seinem
+Kameraden in die Arme sank und aus tiefstem Glück erschüttert auf
+johlte: "Pa--a--aradies!"--
+
+Einige Tage später konnte er an allen Litfassäulen in halbmetergroßen
+Buchstaben seinen Namen lesen und darunter stand: "Die große Nummer".
+Und jeden Abend erntete er den gleichen Beifall. Schon in der Mitte
+des zweiten Monats war auf allen Plakaten, quer üher "Die große
+Nummer" geklebt, zu lesen: "Zum dritten Male prolongiert!"--
+
+
+II.
+
+Ohne es selber recht innezuwerden, rückte Adam Högl in eine andere
+Menschen schicht hinauf. Er trug nunmehr seidegefütterte Anzüge der
+besten Schneider, ging mit gelassener Selbstsicherheit durch die
+Straßen und grüßte mit ausnehmender Vorliebe auffällig gestikulierend
+und so geräuschvoll, daß alles stehen blieb und lachen mußte, vornehme
+Gäste des "Paradies-Kasinos". Fast jeden Abend nach seinem Auftreten
+saß er an irgendeinem Tisch, inmitten einer fidelen Gesellschaft,
+trank je nach der Art seiner Gastgeber entweder herablassend beiläufig
+oder mit einigen Brusttönen lobender Aufmerksamkeit ältesten Wein,
+Bekanntesten französischen Sekt, jeden Nerv kitzelnde Liköre und sog,
+immer witzgerecht, mit geübt bäuerlicher, biederer Bescheidenheit alle
+Bewunderung der Gäste in sich hinein.
+
+Seine berechnete Natürlichkeit wirkte bestechend bei Damen, alten
+Lebemännern und Industriellen. Er zotete, wenn ihn ein abfälliger,
+herabmindernder Witz traf, üher alles hinweg mit jenerunerschütterlichen,
+nie angreifbaren, hämischen Trockenheit, die entwaffnet. Mit dem ganzen
+unterdrückten Instinkt eines Menschen, demdie Angst vor dem
+Wiederzurücksinken in den Sumpf Spannkraft gibt, beobachtete er, erwog
+die Möglichkeiten neuer Bekanntschaften, erlistetesich notwendige
+Gebärden und Manieren, machte sich gutwirkende Kniffe zunutze
+und galt bald als der gewiegteste Weinkenner und großartigste,
+bewunderungswürdigste Zecher, mit dem es eine Lust war, Gelage zu halten.
+
+Freilich, es gab auch Abende ohne Einladung, wo er am Künstlertisch in
+der zerwetzten Nische saß und sich mit Kollegen und Kolleginnen, die
+mit ihm das Programm ausfüllten, unterhielt. Artisten aus aller Herren
+Länder, dicke Sängerinnen, zierliche Chansonetten und schwergebaute
+Ringkämpfer waren da. Intrigen, Neid und Intimitäten gab es da,
+Vertraulichkeiten und Klatsch. Mit teilweise unverhohlenem oder auch
+leisem, verstecktem, stechendem Spott sahen diese weltbereisten, mit
+allen Wassern gewaschenen Leute auf den Neuling herab. Es war
+unerquicklich und feindselig in dieser Nische, alles deutete zurück in
+die Misere.
+
+Draußen, im Zuschauerraum, vertrugen sich die dickaufgetragenen
+Freundlichkeiten vorübergehender Kollegen fast lächerlich leicht.
+Während er nicht selten, wenn er spät nachts den Künstlertisch
+verlassen hatte und heimwärts ging, zukunftsbesorgt und entmutigt war,
+lebte er als Gast an den Tischen der Kasinobesucher stets auf, schaute
+den vorübergehenden Kollegen kühn und dreist in die Augen, warf ihnen
+treffsichere Zoten zu und lächelte unverschämt, wenn er auf ihren
+Gesichtern die nur schwer zurückgehaltene Wut aufsteigen sah. Hier, in
+diesem Meer, dessen Wellen ihn unausgesetzt emporhoben, fühlte er sich
+völlig geborgen, unverfolgbar und mächtig.
+
+Adam Högl war kein Optimist. "Nichts dauert ewig und jeder muß sich
+nach der Decke strecken," sagte er bei jeder Gelegenheit mit leiser
+Ironie, doch handelte er danach.
+
+Gelegentlich eines wüsten Gelages mit dem Millionär van Haarskerk und
+seiner Gesellschaft in einem abgedämpften Hinterraum des
+Paradies-Kasinos ließ er sich kaltes Wasser kübelweise üher den Kopf
+schütten, spielte mit Meisterschaft den völlig Betrunkenen, trank
+gesalzenen Sekt ohne eine Miene zu verziehen, ertrug zur Steigerung
+des Vergnügens viele, viele Stöße in den hingehaltenen Bauch und
+tanzte zuguterletzt patschig und negerhaft wie ein Eunuch im Hemd
+herum, daß sich die ganze Gesellschaft vor Lachen wälzte.
+
+Von da ab saß er jeden Abend am Tische van Haarskerks, duzte sich mit
+diesem. Der Millionär war eine besondere Art von Mensch, Er hatte der
+kleinen Kabarett-Diva Yvonne eine Villa draußen an der Peripherie der
+Stadt gebaut und vertrieb sich die Zeit damit, mit ihren früheren
+Bekannten Gelage zu halten, ausgesuchte Gerichte zu kochen und
+Autotouren zu machen. Durch sein Verhältnis mit der Diva war er im
+Laufe einer ganz kurzen Frist zu einer Art Stadtbekanntheit geworden.
+Meistens kam er mit zwei oder drei vollbesetzten Autos im
+Paradies-Kasino an. Allerhand zweifelhaft gekleidete Leute begleiteten
+ihn, alles frühere Geliebte Yvonnes--: abgewirtschaftete Studenten,
+die sich Dichter nannten, einige Kunstmaler, ehemalige Kabarettleute,
+undefinierbare Witzbolde und schließlich noch einige Herren, die stets
+neueste Mode am Leibe trugen, gepudert waren und das Einglas ins Auge
+geklemmt hatten. Nach Schluß der Vorstellung fuhr man nicht selten mit
+noch Hinzugekommenen, momentan die Langeweile vertreibenden
+Eingeladenen nach Hause, um dort weiterzutrinken, zu diskutieren oder
+Bakkarat zu spielen, his die Frühe fahl ihr Licht durch das dicke
+Glasdach des Wintergartens auf die Zecher herabfallen ließ.
+
+Adam Högl faßte festesten Fuß in diesem Hause, ja, zählte geradezu zur
+Familie, lernte fabelhafte Tafeln kennen, überschüttete die gelassene
+Gleichgültigkeit, mit der man hier Unsummen in die Spieltischmitte
+schob und wieder wegzog, mit seinen herabmindernden Späßen, trank
+ebenso wählerisch wie selbstverständlich Whisky pur wie Kognak von
+1875, Mit dem ihm eigenen Geschick sekundierte er, wenn Yvonne ihre
+tausendmal erzählten Bettgeschichten und anzüglichen Witze erzählte.
+Sein trainiertes Gelächter riß jedesmal mit und erleichterte den nur
+mit Mühe die Langeweile verbergenden, devot Beifall spendenden
+Günstlingen ihre schwierige Aufgabe auf das angenehmste.
+
+Oft und oft kam es vor, daß die überreizte Diva eine Vase durch eine
+Glastür warf, Unheil stand drohend--da auf einmal trompetete das
+Lachen Högls und glättete im Nu den Sturm.
+
+Es gab Nächte in diesem Hause mit ihm, die begannen mit einem wüsten
+Balgen zwischen Yvonne und van Haarskerk, mit einem Zusammenschlagen
+kostbarster chinesicher Zierrate, mit einem Demolieren von Türen und
+Möbeln und endeten wie etwa eine unvergleichlich lustige Sylvesterfeier.
+
+Hier war ein reicher Fischplatz. Adam Högl warf vorsichtig seine
+Angeln und Netze aus.--
+
+"Denn nichts dauert ewig und jeder muß sich nach der Decke strecken!"
+
+
+III.
+
+Die Tage und die Nächte liefen davon. Viel zu schnell. Sie schwebten
+vorbei, ohne sich voneinander zu unterscheiden. Es war ein
+unaufhaltsames Fließen. Es gab keinen festen Punkt, kein Nachdenken,
+keinen Widerstand.
+
+Allmählich, mit jedem Tag bemerkbarer, ließ der Beifall nach. Es brach
+jetzt kein plötzliches Gelächter mehr aus. Es war keine Stille mehr in
+der Zuschauergruft, wenn Högl auftrat. Man sandte auch kein resolutes
+"Pst!" mehr aus aufmerksamen, lauschenden Tischen, wenn die Kellner
+servierten. Gelangweilte Gesichter sah man ringsum. Es schwätzte
+jedermann während des Vertrags. Wie ein böses Gewissen rieselte durch
+den erschauernden Körper jene penetrante Peinlichkeit, die immer
+einsetzt, wenn man sich hilflos einer stärkeren Macht gegenübersieht
+und es sich nicht eingestehen will.
+
+Es war acht Tage vor dem Ende des dritten Monats, und nichts wieder
+hatte Krull von abermaliger Prolongierung erwähnt. Adam Högl stand
+benommen hinter dem eben herabgefallenen Vorhang und wischte sich den
+Schweiß von der Stirn. Es klatschte mäßig. Der Vorhang zuckte fast
+mitleidig und wurde rasch noch einmal hochgezogen. Es klatschte etwas
+mehr, als Högl dankte. Der Vorhang fiel wieder herab. Bagg--bagg--bagg
+--bagg!--schon schwammen die Redegeräusche, das Klirren der Gläser,
+das Stühlerücken und Surren der Ventilatoren darüber hinweg, und alles
+verebbte zu einem gleichmäßigen Geplätscher. In acht Tagen vielleicht
+stand Krull, der in der letzten Zeitmerkwürdig schüchtern auswich und
+sich selten sehen ließ, vor ihm und sagte ungefähr: "Adam, du weißt!
+Mein Publikum will Abwechslung. Ichbin Wirt, ich muß mich nach ihm
+richten."
+
+Man war ihn satt!--Er konnte wo anders hingehen?--Schließlich--er
+hatte noch etwas Geld, Anzüge. Es ging eine Zeitlang. Dann?--
+
+Der Boden schwankte, man glitt aus, man ließ sich dahintreiben, dumpf
+und verbittert auf einen nächsten jähen Zufall wartend. Die fast
+märchenhafte Leichtigkeit, mit der man üher Nacht so hoch getragen
+worden war, hatte die Energie vernichtet.--Adam Högl knirschte und
+sah scheu rundherum. Die Angst kam von der Magengegend zur Gurgel
+heraufgekrochen. Mit einem Ruck riß er sich zusammen und schritt zur
+Tür. Da kam der schlanke Kellner und bat ihn in die Loge des
+Millionärs. Er atmete erleichtert auf. "Ich komme gleich," sagte er
+schnell und ging in die Garderobe.
+
+Nach einigen Minuten schritt er die Logenreihen entlang und hatte
+schon wieder die breitlachende, humorvolle Miene, die man an ihm
+gewohnt war. Aus verschiedenen Tischen nickten ihm Leute grüßend zu,
+und scheinbar ganz in seligster Wonne erwiderte er.
+
+Die Haarskerksche Loge war wie gewöhnlich gepfropft voll. Jeder der
+Herren lachte bereits das knallige Lachen Adam Högls. Das gab Mut.
+Noch war man also nicht ausgelöscht.--
+
+"Ah--haha!!" krächzte der Millionär aufstehend und machte Platz.
+
+"Was machst du?" fragte Yvonne den Angekommenen.
+
+"Einen schlechten Eindruck," erwiderte Högl trocken. Die Unterhaltung
+belebte sich, wurde aufdringlich laut.
+
+"Psst! Psst!" zischte es aus den gegenüberliegenden Tischen, denn eben
+trat die neuengagierte Sängerin auf und trillerte die ersten Laute.
+
+"Ah--a--a--ah--ah--a--a--aa!" sang Högl boshaft mit angestrengtester
+Kopfstimme nach und der ganze Tisch kreischte hellauf.
+
+"Psst! Psst!" Adam Högl entdeckte mit einem flüchtigen Blick drüben in
+einer dunklen Ecke Krull mit finsterem Gesicht, wandte sich schnell
+wieder weg.
+
+"Ein Türteltäubchen! Ein Täubchenturtel!" gröhlte er sehr laut.
+
+"Ru--u--uhee! Psst!" brummte es noch energischer und empört gehobene
+Gesichter tauchten auf.
+
+"Mistkäfer! Schweinebande!" knirschte Yvonne dumpf in den Tisch und
+rief lauter: "Anton zahl'! Wir wollen gehen! Sofort!"
+
+Der Kellner kam eilends herangeflitzt. Sehr geräuschvoll bezahlte der
+Millionär und die ganze Loge erhob sich. Alle tappten im Gänsemarsch
+knatternd auf den Ausgang zu.
+
+"Psst! Psst! Ru--uhe!" surrte es ihnen nach. An der Tür stand Krull,
+verbeugte sich devot und wollte entschuldigen.
+
+"Schon gut! Schon gut! Wir werden's uns merken!" schrie Yvonne und
+befahl resolut: "Kommt! Laßt euch nicht aufhalten!" Der Trupp stürzte
+hinaus. "Ich möchte heut' nur Högl, Kotlehm und Raming, Anton! Laß die
+andern nach Hause fahren! Wir wollen unter uns sein!" sagte Yvonne vor
+dem Auto. Der Millionär rannte auf die anderen Begleiter zu, sagte
+ihnen dies, kam wieder zurück, stieg rasch ins volle Auto und gab das
+Zeichen zum Abfahren.
+
+"So sind alle Wirte, weißt du! Pack! Pack!" schimpfte Yvonne während
+des Dahinfahrens.
+
+"Eben! Eben!" brummte Högl in tiefem Baß.
+
+"Ein solches Miststück mit ihrem Geplärr! Na, ich danke!"
+
+"Eben! Eben!" sekundierte Högl befriedigt.
+
+Der Maler Kotlehm lachte gewaltsam.
+
+"Und diese Preßsackbrüste, pw! Diese Wurstfinger, äh!" zeterte Yvonne.
+
+"Gulasch! Gulasch mit Kartoffel!" murmelte Högl. Man lachte
+allenthalben. Yvonne warf ihre Arme hingerissen um Högls Nacken und
+drückte ihr kaltes geschminktes Gesicht an seine Wange, küßte ihn
+breit und feucht, daß es schnalzte: "Högl, Du bist mein Mann!"
+
+Die Stimmung war wiederhergestellt.
+
+"Was trinken wir?" fragte van Haarskerk.
+
+"Sekt! Sekt!--Ich möchte heute schwimmen im Sekt--und dann Whisky!"
+rief Yvonne emphatisch.
+
+Das Auto fuhr surrend durchs Tor.
+
+
+IV.
+
+Die Dienerschaft war zu Bett gegangen. Es war still. Überall herrschte
+ein Geruch nach Zigaretten, Parfüm und Alkohol. Man ließ sich in die
+tiefen, nachgiebigen Fauteuils um den offenen Kamin im Rauchzimmer
+fallen. Jener Punkt war erreicht, wo alles öde, langweilig, dumm und
+trist zu sein scheint. Die Stimmung war zweideutig und unentschieden.
+Es hieß geschickt eine Krise zu vermeiden, die scharfen, vorgeschobenen
+Riffe der Überreiztheit gewandt zu umsegeln. Noch zwei oder drei
+schweigende Minuten und man stand vielleicht auf, gähnte dösig und ging
+zu Bett--oder aber auch Yvonne stieß zufällig mit dem Fuß wo an,
+knirschte gehässig und schmiß eine Vase kaputt. Es gab Skandal und alles
+war verloren, verhunzt. "Ich hab' Hunger," sagte Yvonne bereits bedrohlich.
+
+Adam Högl ergriff die Gelegenheit und brummte trocken: "Ein frugales
+Mittelstück! Sehr richtig! Weder Früh--noch Nachtstück--ein Mittelstück,
+ein Stück in der Mitte!" Man lachte lahm. Der Maler Kotlehm und der Lyriker
+Raming bewegten sich etwas aufgefrischter: "Ja, das wäre nicht dumm!"
+
+"Geht!" befahl Yvonne Högl und dem Millionär. Die beiden waren
+aufgestanden. "Komm! Kommen Sie, Herr Küchenchef! Wir wollen--Na, die
+Herrschaften, na--na!?" trompetete Högl in seinem breiten Baß, als er
+mit van Haarskerk in die Küche ging. Während der Hausherr eineinhalb
+Dutzend Eier kochte, schmierte Högl Butterbrote, strich Kaviar darauf,
+schnitt Schinken und Seelachs.
+
+Der Sekt war bereits abgekühlt.
+
+Als er die Gläser und das Tablett mit den Speisen in das Rauchzimmer
+trug, hatte sich Adam Högl wieder ganz in der Gewalt und bediente
+behend wie ein Servierkellner. Man griff gierig zu, schmatzte. Die
+Stimmung hob sich.
+
+"Und ick?!--Ick hock mir ins Klosette rin und kotze alle Spucke
+rinn!--rinn!--rinn!--" johlte Högl wie ein Grammophon mit wässerigem
+Mund. Und: "--rinn!--rinn!--" wiederholte der ganze Chorus.
+
+Zufällig warf der Millionär seine Eierschalen in großem Bogen zur
+Decke. Sie fielen in den Spiegel oberhalb des Kamins und zischten
+auseinander. Belustigt darüber schleuderte Yvonne ihr Ei in die
+glitzernde Fläche. Benng! klatschte es spritzend auseinander. Einen
+Moment gafften alle unschlüssig.
+
+"Hoi--j! Hoi--j!" brüllte Högl unverblüfft wie ein Ausrufer und warf
+ebenfalls sein Ei in den Spiegel. Das gefährliche Riff war umschifft.
+Alles gröhlte mit einem Male mitgerissen. Patsch--Patsch--Patsch!
+Jeder warf sein Ei in den Spiegel. Es klatschte um die Wette. Yvonne
+schüttelte sich berstend. Adam Högl hüpfte vor Vergnügen. Wie doch
+alles einfach ist!--"Das ist--um es richtig zu sagen--der Kampf mit
+dem Spiegel oder der verspritzte Eidotter auf dem Kamingesims!"
+plapperte Raming rülpsend.
+
+"Hahaha--ha! Der Lyriker wird witzig!" stichelte der Millionär.
+
+"Der Spiegelkrieg! Das Krieglspielchen! Das Spielchen mit dem
+Kriegl-Spiegl!" gluckerte Högls Bauchstimme. Ein hemmungsloses
+Gelächter peitschte auf. Man trank überschnell und mit vollstem
+Behagen. Adam Högls Gesicht glänzte triumphierend. Sehr gewandt
+spuckte er seinen Mund voll Sekt zur Decke. Ein dicker Strahl war's.
+Im Nu folgten die ändern.
+
+Die Stimmung hatte einen ersten Höhepunkt erreicht. Es galt, ihn zu
+halten. Adam Högl begann zu zoten.
+
+--Dem Lyriker Raming gab der Millionär seit einem Jahr ein Stipendium,
+weil Yvonne dessen bastardhaft verfaltetes Gesicht gelegentlich einmal
+als "angeilend" bezeichnet hatte. Des Malers Kotlehm vulgäre Schönheit
+entzückte die Diva dergestalt, daß sie van Haarskerk veranlaßte, ihm
+ein Atelier zu bauen. Von anderen noch wußte Adam Högl, daß sie
+beträchtliche Summen wegen eines Witzes oder dergleichen erhalten
+hatten.
+
+Und er hatte sich Wasser kübelweise üher den Kopf schütten lassen.
+
+In den Bauch treten lassen!
+
+Und in acht Tagen?--
+
+Raming rülpste, ließ den Kopf haltlos auf seine Brust herabgleiten,
+sank zusammen und schlief ein.
+
+"Der ausgewundene Strumpf zieht sich in die Vorhaut zurück!" rief Högl
+breit, überprüfte unbemerkt die Gesichter der ändern.
+
+"Die Inspiration kommt im Schlaf!" warf der Millionär beiläufig him.
+
+"Weißt du, Anton," sagte die Diva schnell und aufgeräumt, "ein
+Spielchen wäre jetzt richtig angebracht!"
+
+"Ein Bakkarat?--Ja, das wär' jetzt sehr nett!" sagte der Maler Kotlehm
+ebenso.
+
+"Sehr richtig! Gewiß die Damen! Gewiß die Herren! Die Dammenherren,
+die Herrendammen!" plapperte Högl und verbeugte sich wie ein Lakai:
+"Adam Högl übernimmt die Saufregie, bitte, bitte meine Herrschaften,
+bitte!"
+
+Das Schnarchen Ramings sägte friedlich und gleichmäßig. Yvonne,
+Kotlehm und der Millionär setzten sich um das Spieltischchen, legten
+die Banknoten in die Mitte.
+
+"Prost, Herr Kunstmaler, Herr Kotstengel!" rief Högl hämisch, hob das
+volle Sektglas und schluckte hastig den ganzen Inhalt hinunter.
+
+Van Haarskerk gab die Karten.
+
+Högl, der nicht spielen konnte, ging auf und ab und brümmelte leise
+singend vor sich him. Von Zeit zu Zeit lugte er flüchtig auf den
+getürmten Haufen der Banknoten, die sich in der Tischmitte sammelten.
+Lässig zog man die Scheine weg oder warf neue him.
+
+Mattblauer Tag lag schon auf den Gesimsen. Die Gärten draußen
+bleichten. Stare zwitscherten leise auf. Tau stieg von der Erde hoch.
+Unbehaglich tappte Adam Högl auf und ab, schielte manchmal auf die
+Spieler, dann wieder durch die Fenster.
+
+Lästig! Die Umstände hatten einen kaltgestellt. Alles entglitt
+wieder.--Jetzt verspielte Kotlehm. Erwar darauf gekommen, an jenem
+Abend im abgedämpften Hinterraum des "Paradies-Kasinos", daß man auch
+in den Bauch stoßen könnte. Adam Högl umspannte ihn unbemerkt mit
+seinen düsteren, hassenden Blicken.
+
+"A--ah--ach!" stieß van Haarskerk mit boshafter Befriedigung heraus,
+als der Maler abermals einen Geldschein auf den Tisch warf.
+
+"Prost!" rief Högl schadenfroh.
+
+"Donner und Doria!" lachte der Maler etwas nervös und legte die Karte
+auf den Tisch. Abermals Hundert!
+
+Adam Högl ließ eine saftige Zote vom Stapel. Yvonne lachte.
+
+Wie um sich zu wehren, nahm Kotlehm das Glas und schrie feldwebelmäßig:
+"He! Kuli! Einschenken!" Adam Högl schoß das Blut zu Kopf. Aber er faßte
+sich schnell und hob die Karaffe: "Besser zielen!--Vorbeigeschissen!" Er
+zitterte ein wenig, als er eingoß und schüttete daneben.
+
+"Hehe! Du! Kuli!" schrie Kotlehm und stieß ihn in den Bauch. Erquickt
+schnellte der Millionär auf, nahm ihm die Karaffe. Adam Högl zog
+verwirrt die Schultern hoch. Van Haarskerk lachte stoßweise und
+schüttete den Rest über seinen geduckten Schädel. Eiskalt rann der
+Sekt den Rücken herunter.
+
+Adam Högl raffte seine letzen Kräfte zusammen. Ratlosigkeit, Wut und
+Verzweiflung standen auf einmal da. Wie von schwirrenden Peitschen
+umsummt brummte der zerrüttete Kopf.--
+
+Er drohte zu fallen, drückte noch einmal mit ganzer Gewalt den Bauch
+heraus und grunzte endlich wieder. Wieder bellte das Gelächter.
+
+Der Maler Kotlehm sprang auf und fuchtelte mit den Armen herum wie ein
+peitschenschwingender Tierbändiger.
+
+Das Spiel war zerrissen. Die neue Sensation hatte die Langeweile im Nu
+ausgelöscht. Man umtanzte, umjohlte Adam Högl, der wie ein blinder Bär
+herumtappte. Gutgezielte Stöße sausten in dessen Bauch. Van Haarskerk
+kam mit einer gefüllten Karaffe, schüttete, goß, goß.
+
+Adam Högls Schuhe pfiffen.
+
+"Schurken! Sadistische Hunde!" schrie Yvonne machtlos in den
+betäubenden Lärm. Raming hob schläfrig den Oberkörper und ließ sich
+wieder zurückfallen. Das wüste Gebrüll zerspaltete die verrauchten
+Bäume. Zwischendurch gluckste wie das Röcheln eines Verendenden Högls
+Bauchstimme.--Heute noch! Noch einmal! Dann war vielleicht die
+Rettung da. Man war geborgen. Eine Nacht Wasser über den Kopf--und
+keine Misere mehr.--
+
+Die Hose platzte, als er sich bückte. Kotlehm riß das Hemd heraus.
+
+"Hoij! Hoij!" zischte es von allen Seiten. Man nahm Högl in die Mitte
+und stampfte durch den Wintergarten ins Freie. Schwerfällig, plumpsig
+bewegte sich der Troß an den ersten Gemüsebeeten vorbei. Der Millionär
+schob hinten, Kotlehm zog und zerrte an den Armen Högls. Yvonne
+kreischte unaufhörlich.
+
+"A--ahach Mensch, laß mich doch schnaufen!" stöhnte Högl und riß
+seinen Mund weit auf. Dicker Schweiß rann ihm herunter.
+
+"Hoij! Hoij!" schrie es wieder. Zog, zerrte. Adam Högl prustete,
+hauchte. Der Maler Kotlehm riß einen Rettich aus dem Gemüsebeet und
+stopfte ihn mit aller Gewalt in Högls Mund.
+
+Die Zähne krachten. Der Schlund kämpfte gegen das Ersticken. Blau lief
+der Kopf an. Adam Högl stemmte sich würgend, spuckte, erhob beide Arme
+furchtbar, stieß in die leere Luft. Es war auf einmal frei um ihn. Wie
+Kettenlast fiel etwas ab. Der wachgewordene Körper straffte sich, als
+renne er stahlhart gegen eine Wand und stieße sie durch.
+
+So leicht atmete es sich.
+
+Eine große Stille stand unfaßbar weiß ringsherum.--
+
+Nach langer Zeit, als er die Augen öffnete, saugte die Kälte der
+feuchten Erde an allen seinen Gliedern. Er lag langgestreckt in einem
+Gemüsebeet. Schmutz und Blut klebten auf seinen zerschundenen Wangen.
+Er schloß den Mund, schluckte. Die Gurgel würgte. Ein wüster Ekel
+stieg vom Magen auf.--
+
+Wie eine gemeine, grüne Qualle hockte das Haus in den zertrampelten
+Beeten. Das zärtliche Rot des frühen Tages beleckte die Fenster, die
+ausdruckslos vor sich hinglotzten. Es roch nach Verwesung.--
+
+Taumelnd sprang er auf und rannte entsetzt aus dem Garten. Schwankend
+wie ein Wrack trieb er über die Wiesen, der Stadt zu. Eine gräßliche
+Schwäche fieberte in ihm. Angstvoll schleuderte er zuletzt seine Füße
+nach vorne, lief, lief, was er konnte.
+
+Erst als er die ersten Häuser erreicht hatte, hielt er inne und wischte
+sich aufatmend Kot und Blut aus dem Gesicht.
+
+Ruhig und nüchtern griff die Straße aus. Arbeiter gingen vorüber und
+beachteten ihn kaum. Sie bewegten sich und redeten wie Menschen, die
+nichts anficht. Es strömte eine seltsame Festigkeit aus ihren Gebärden
+und Worten.
+
+Verlassen, nutzlos, ein jämmerlicher Wicht stand Adam Högl da.
+Unerbittlich brach die Scham der letzten Wochen aus ihm, stieg, stieg.
+Bettelnd, hilflos blickte er auf alle Menschen.
+
+Endlich gab er sich einen Ruck und ging wieder weiter. Sein Gesicht
+bekam langsam eine größere Ausgeglichenheit. Fester, entschlossener,
+mit dem erleicherten Ernst eines Menschen, der sich durch eine große
+Erschütterung die Ruhe wieder zurückerobert hat, schritt er fürbaß.--
+
+
+
+
+ABLAUF
+
+
+I.
+
+Man sagt, wenn sich die zwanziger Jahre aus einem Menschenleben
+winden, fangen die Reibungen an zwischen natürlichem Denken und
+dunklem Trieb. Es beginnt ein Aufruhr im Innern. Über die Dämme, die
+die Erziehung notdürftig aufgebaut hat, bricht das Blut und je nach
+der Festigkeit des Betroffenen folgt einer solchen Krise eine
+Zerrüttung, ja nicht selten ein zeitweiser gänzlicher Zusammenbruch
+und nur langsam, unter Weh und Qual, stellt sich das Gleichgewicht
+wieder ein.--
+
+Glücklich derjenige, der von früh auf Menschen, Bücher, Winke,
+Erfahrungen und Anleitungen kennenlernte, die seinen Horizont
+erweiterten und ihm einigermaßen dazu verhalfen, solchen
+Erschütterungen nicht ganz wehrlos zu begegnen.
+
+Alle aber, die von Kind auf nichts anderes kennenlernen, als daß
+dieser oder jener geschickte Handgriff, diese Finte oder jene schwer
+erlernbare Körperhaltung die Mühe der Arbeit erleichtern, haben wenig
+Zeit, sich gegen solche innere Überfälle zu wappnen. Es ist wahr, auch
+sie überwinden. Aber sie leiden mehr darunter und werden ärger
+mitgenommen von solchen Qualen. Der Schmerz fällt hier mit schwererer
+Wucht nieder auf arglose, unvorbereitete Herzen. Die Jahre verfließen
+verbraucht und wenig sinnvoll für solche Menschen. Sie stehen meist
+unvermerktmitten im Gestrüpp plötzlich hervorbrechender Gefühle,
+kämpfen blindlings gegen ihre Dämonie, werden überwältigt davon und
+fallen schließlich in gänzliche Lethargie.--
+
+Johann Krill fiel so in den Rachen der Welt.
+
+Sein Vater war Zimmermann auf einem Dorfe, seine Mutter Bauernmagd.
+Auf einmal war dieses Kind da und man mußte notgedrungen heiraten. Man
+frettete sich gerade so durch gegen Taglohn. Wenn das Akkordmähen zur
+Erntezeit anfing, war es am besten. Zimmererarbeiten gab es wenig. Hin
+und wieder Baumfällen und Holzspalten im staatlichen Forst, das war
+ziemlich alles.
+
+Es hieß eben: "Nicht krank sein!" und "Sich nach der Decke strecken!"
+--Kinder solcher Eltern, noch dazu "ledige", haben nichts Gutes bei den
+Bauern. Es heißt aufstehen mit den Knechten um vier Uhr früh, zugreifen
+und den anderen an Flinkheit nichts nachgeben und den Mund halten. Die
+Knochen schmerzen am Anfang, aber das verliert sich mit der Zeit.--
+
+Nach seiner Schulentlassung kam Johann zu einem Schlosser im nahen
+Marktflecken zur Lehre. Jetzt waren es Hammerstiele und Eisenstangen
+oder Wellblechstücke, mit denen man warf oder zuschlug. Und wehe, wenn
+der Vater eine Klage hörte! Sein Ochsenziemer, der stets neben dem
+Handtuch am Ofen hing, war furchtbar.
+
+Nun, es kam schließlich die Gesellenprüfung und der Achtzehnjährige
+ging auf die Wanderschaft. Als gutgelernter, sehniger Arbeiter landete
+er dann nach ungefähr fünf Jahren in dieser Stadt und fand Stellung in
+einer Fabrik. Es war ein Riesenwerk, man verdiente gut und hatte keinen
+schweren Posten geschnappt.
+
+An einem Abend--es war Sommer und Samstag--kam Johann in seinem Zimmer
+an, wusch sich, zog seinen Sonntagsanzug an und steckte Geld zu sich.
+Er bummelte erstmalig wie ein freier Mensch in aufgefrischter Stimmung
+durch die Straßen, besah sich das bunte Treiben, trank in verschiedenen
+Lokalen und als diese geschlossen wurden, trottete er, auf einmal
+merkwürdig überwach und unruhig, die "Fleischgasse" auf und nieder.
+Diese Straße hieß eigentlich "Fleuschgasse", getauft nach dem
+Namen eines verdienten Ehrenbürgers der Stadt, aber seitdem die
+Polizei verfügt hatte, daß sich nur hier die professionellen
+Prostituierten auf und ab bewegen durften, hatten Volksmund und üble
+Nachrede den harmlosen Namen "Fleusch" in den anzüglichen "Fleisch"
+umgewandelt.
+
+Johann Krill brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen. Schon nach
+kurzer Zeit redete ihn eine süßliche Stimme an und besinnungslos
+folgte er. Zum erstenmal in seinem Leben fiel der junge Mann in eine
+vollkommene Verwirrung. Eine ganz fremde Luftschicht umschwelte ihn.
+Er wußte nicht mehr, ging oder schwebte er. Durch all seine Glieder
+flog und flammte es. Er sah alles doppelt, hörte jedes Geräusch wie
+aus weiter Ferne und wußte nicht, was es war. Wie ein Hitzklumpen fiel
+sein Körper auf eine schwammige Teigmasse und ertrank darin. Es biß
+sich jemand fest an ihm. Es lachte.
+
+Langsam kehrte alles wieder zurück, wurde deutlicher und war ein
+grünliches Zimmer, ein Gesicht, das breit auseinandergeflossen vor ihm
+lag.
+
+Schließlich, als er die Besinnung wieder hatte, verzog auch er das
+Gesicht zu einem Lachen, wollte reden, begann zu schlottern, schmiß
+seinen Kopf in ihre Brust und verschluckte das Weinen.
+
+Erquickt darüber preßte ihn das Mädchen wild an ihre Brüste, nahm
+seinen zerwühlten Kopf und hob ihn auf, zog ihn kosend immer wieder an
+ihren dicklippigen Mund und küßte ihn unausgesetzt, daß er zuletzt
+gänzlich machtlos mit sich geschehen ließ und auf einmal weinerlich
+und wimmernd anfing, sein Leben zu erzählen. Stockend kamen ihm die
+Worte, so, als besinne er sich immer erst, bevor er sie über die
+Lippen lasse. Und beruhigt, fast ein wenig staunend saß das halbnackte
+Mädchen da und hörte zu. Aber auf einmal stockte es wieder--und endete
+und wieder griffen seine Arme aus, er umspannte sie, riß und zerrte an
+ihr, daß sie aufkreischte.
+
+"Nimm alles! Tu alles!" murmelte er verhalten, als sie seine Geldbörseaus
+der Hose zog, drängte es ihr auf, dieses Geld, und beleckte ungeschlacht
+ihren ganzen Leib wie ein durstiger Hirsch.
+
+Und nicht nur das. Plötzlich klang sein Gemurmel wieder weinerlich und
+in einem fort stöhnte er: "Du! Du! Ich hab dich so gern! Du--du! Ich
+möcht dich heiraten. Ich arbeit', ich mach' alles. Du hast es gut bei
+mir! Du! Du!"
+
+Anfänglich schien es, als belustige sich das Mädchen über ihn. Sie zog
+ihn an den Haaren und kitzelte ihn lachend. Dann aber, als seine
+Wildheit immer mehr anschwoll und seine Züge einen fast irren,
+düsteren Ausdruck annahmen, ließ sie das Spielen. In ihren schlaffen
+Körper stieg mit einem Male eine Wärme. Überwältigt, zuckend sank sie
+zurück, ihn umfangend. Sie, über die vielleicht Hunderte
+hinweggegangen waren, umschlang diesen plumpen, ungeschlachten
+Menschen und küßte ihn mit dem ganzen, hingegebenen Ernst echter
+Liebe....
+
+In der Frühe nach dieser wüsten Nacht rannte Johann in seinen
+Sonntagskleidern zur Fabrik, wankte wie betrunken durch das zufällig
+offene Tor und erschrak derart, als ihn der Portier anrief und fragte,
+was er denn an einem Feiertag hier wolle, daß er sich wie ein
+plötzlich ertappter Dieb umdrehte und wortlos davonjagte. Er lief
+durch die Straßen mit eingezogenem Kopf, ging wieder langsamer, setzte
+sich in irgendeine versteckte Nische und hielt seinen erhitzten Kopf
+fest. Immer wieder mündete er in die "Fleischgasse", wagte es aber
+nicht, hinaufzugehen zu seiner auf so eigentümliche Weise gewonnenen
+Geliebten. Der Abend kam. Die Nacht fiel herab und er stellte sich an
+die Ecke, wo er sie getroffen hatte, wartete und wartete. Und es
+geschah etwas, was niemand gedacht hätte, etwas, was ebenso
+unglaubwürdig wie wunderlich klingt--: Anna kam nicht. Sie stand an
+keiner Ecke, war überhaupt nicht auf der ganzen Straße zu sehen. Sie
+lag droben--so wie er sie verlassen hatte--im Bett, verstört,
+zerbrochen und bekam erst wieder völliges Leben, als er nach langem
+Kampf und mit vielen Finten zu ihr gelangt war.
+
+Aufgefrischt schwang sie sich aus ihrer Lagerstatt, streichelte ihn
+zärtlich und begehrend und sagte zuletzt muttergütig: "Ja, dich möcht
+ich heiraten."
+
+Beide standen benommen voreinander, ein jedes zitterte und sagte
+nichts mehr.--
+
+Seit dieser Zeit haßte man Johann in der Fabrik. Er verhielt sich wie
+völlig verstummt und hatte stetsein Gesicht, als wolle er die ganze
+Welt umbringen. Er arbeitete für drei. Und jeden Tag verließ er fast
+fluchtartig nach der Arbeit die Fabrik und kam zu Anna. Als es endlich
+ruchbar wurde, daß er sich verheiraten wolle und man es ihm sagte, ihn
+beglückwünschte und leichte Anzüglichkeiten machte, wurde er rot his
+hinter die Ohren und schlug verwirrt die Augen nieder.
+
+"Ja! Ja!" schrie er dann auf wie ein brüllendes, gereiztes Tier, daß
+die Fragenden halb verärgert und halb verblüfft "Oho!" herausstießen
+und sich alle mit ihm verfeindeten.
+
+Alle wunderten sich, daß er gar keine Anstalten zur Hochzeit traf. Er
+hielt bei keinem seiner Arbeitskollegen um die Brautzeugenschaft an.
+Finster hockte er während der Vesperzeit da und starrte dumm ins
+Leere. Niemand wußte, ob er um einen freien Tag zur Erledigung seiner
+Verehelichung gebeten hatte.
+
+Drei Tage vor seiner Hochzeit kam er nicht mehr und wurde entlassen,
+weil er auch kein Entschuldigungsschreiben schickte.--
+
+II.
+
+Die ersten Wochen der Krillschen Ehe verliefen--wenn man so sagen
+darf--unterirdisch glücklich. Mit Hilfe Bekannter fand Anna schon
+einige Tage vor ihrer Hochzeit eine annehmbare, freundliche
+Dreizimmerwohnung in einem anderen Viertel. Mit den Ersparnissen
+Johanns wurden Möbel auf Teilzahlung beschafft und zum Schluß hatte
+man, weiß Gott wie, noch Geld übrig. Man sah das Paar nicht mehr in
+der alten Gegend. Außerdem vermied es Johann auf der Straße, Leuten,
+die er zu kennen glaubte, zu begegnen. Furchtsam wich er aus, machte
+große Bogen vor früheren Bekannten, ja, scheute sogar nicht,
+ihrethalben große Umwege zu machen. Zu Hause erst, in der Verborgenheit
+der vier Wände, kam Beruhigung über ihn. Mit zufriedenem Gefühl
+durchtappte er immer wieder die Räume und bestaunte seine Habschaften
+und am Ende stand er stets mit verschwommenen Augen vor seinem ständig
+adrett gekleideten, beweglichen Weib.
+
+Vorerst dachten die beiden nicht ans Verdienen. Mit tausend
+Kleinigkeiten verzettelten sich die Tage. Es gab kein geregeltes
+Dahinleben mehr, keine bestimmte Mittagszeit, kein Weckerläuten in der
+frischen Frühe, keine Müdigkeit am Abend. Die Nacht war kurz, lästig
+kurz und oft noch um zehn Uhr vormittags verdüsterten die
+herabgezogenen Jalousien das dumpfige Schlafzimmer. Und man blieb
+liegen und liegen.
+
+Mit der bewußten Neugier, mit der wilden, noch einmal völlig
+auflodernden, durstigen Liebe erfahrener Frauen, über die das zu frühe
+Altern schon ihre ersten Schatten geworfen, liebte Anna Johann. Jede
+ihrer Bewegungen, jedes Wort waren eine stumme, begehrende Aufforderung.
+Ihre Nähe benahm den Atem, zerrüttete die eben gefaßten Gedankengänge.
+Wie eine warme, unsagbar wohltuende Gischtwelle ergoß sich ihre
+Atmosphäre unaufhörlich über Johann.
+
+Er _war_ nicht mehr!
+
+Zerschmolzen, zerronnen liefen die Zungen seiner Brunst ohne Unterlaß
+üher das Meer ihres Körpers.
+
+Die Zeit war weggeweht, alles schwirrte, rann, floh.--
+
+Erst ganz langsam wieder festigte sich seine Gestalt, stückweise
+beinahe. Und es schien, als seien es andere Teile, die sich nun
+vereinigten. Ein immer klarer werdendes Begreifen keimte auf, wuchs
+ohne Überstürzung, vermittelte Halt und Festigkeit. Alle Scheu, alle
+Furcht und Unsicherheit wichen. Auf einmal war Johann Krill ein
+anderer.
+
+Jetzt erst kam ihm die Besinnung. Jetzt erst war er eigentlich
+verheiratet, hatte ein Fundament, besaß Weib und Möbel und so weiter.
+
+Er erinnerte sich genau. Es war nirgends anders. Im Dorf nicht. In der
+Stadt nicht. Es war immer das gleiche. Der Bauer, bei dem er zuletzt
+auf dem Dorfe war, hatte drei Töchter. Ringsum standen größere und
+kleinere Häuser.
+
+"Dahinein gehörst du, das ist was Handfestes," ließ er einmal beim
+Abendessen fallen, der Bauer, und deutete dabei auf den mächtigen
+Grillhof hinüber. Und die ältere Tochter sah ihn ohne Verblüffung an
+und sagte: "Der Grillhans braucht bloß kommen." Zur Erntezeit ließ man
+die ältere Tochter daheim und an einem Abend sagte sie: "Hat schon
+geschnappt!" Etliche Wochen später gab es eine saftige Hochzeit.
+
+"Ein' schöne Sach', Hans, ein schöner Hof. Der ist so einen Brocken
+Weib wert," lachte der Bauer bei der Hochzeit und schaute seinem
+Schwiegersohn in die Augen. Und: "Ja--ja, hast mir's ja auch leicht
+gemacht," brummte der Grillhans bierselig.
+
+Dann kamen die beiden anderen Töchter an die Reihe. Bei der einen
+vollzog sich die Sache leicht, und bei der jüngsten, die etwas
+hochnäsig war, ging es schwerer. "Herrgott, Rindvieh!--um so einen Hof
+ziert man sich doch nicht so! Besinn dich nicht so lang', sag' ich!"
+brüllte der Bauer sie an und als zufällig an einem der darauffolgenden
+Abende der gewünschte Werber kam, sagte er zu diesem: "Bleib nur
+beieinander mit der Zenz. Wir legen uns nieder."
+
+Und Bauer und Bäuerin gingen schlafen.
+
+"Ist's so weit?" fragte der Bauer beim Mittagessen andern Tags seine
+Tochter. Und diese sagte nickend: "Im Frühjahr, meint er. Er will noch
+den Stall bauen lassen."
+
+"In Gottesnamen, die paar Monat' sind gleich vergangen. Meinetwegen!"
+brummte der Bauer und die Sache nahm ihren gewöhnlichen Verlauf. Im
+Frühjahr gab es wieder eine breite Hochzeit.--
+
+Es war also nirgends recht viel anders. Johann Krill war mit dieser
+Erkenntnis zufrieden. Das Neue, das Unerwartete, was ihn einmal in
+Brand und Aufruhr gesetzt hatte, war verloschen. Ohne Staunen stand er
+nunmehr auf dem Boden der Welt und achtete nichts mehr auf ihr.
+Kurzum, er wurde--gemütlich. Kam eine angenehme Sache, war es gut, kam
+sie nicht, war es auch gut.--
+
+An einem Nachmittag, als sie beim Kaffeetrinken in der Küche saßen,
+sagte Anna: "Es wird Zeit, daß wir wieder um Verdienst schauen."
+
+Und Johann nickte stumm. Er begann wieder Stellung zu suchen.
+
+Umsichtig und resolut wie sie war, machte sich aber auch Anna auf die
+Suche und an einem Tag kam sie freudig an und sagte: "Die Rienken will
+mich fürs Büfett. Ich kann gleich anfangen, sagt sie. S'ist ein gutes
+Lokal.--Was meinst du?--Unser Geld ist weg und mit einer Stellung für
+dich wird's noch eine Zeitlang dauern. Jetzt kannst du auch mit aller
+Ruhe suchen."
+
+Das leuchtete ein. Johann nickte wieder.
+
+"Die Rienken? Wo ist denn das?" fragte er dann weiter.
+
+Anna begann von einer Bar "Tip-Top" zu erzählen.
+
+"In der Quergasse," berichtete sie geschäftiger, "die Rienken kenn'
+ich schon lang. Ist eine nette Person. Es verkehren massenhaft Gäste
+dort, nur bessere Leute. Nicht so allerhand, von Hinz bis Kunz. Lauter
+Stammgäste... Na, was sag' ich--Fabrikbesitzer, Beamte und so Leute.
+Wer weiß, man kann ein gutes Geld machen, braucht sich nicht
+abzuschinden und kann schließlich auch für dich was ausfindig
+machen,--wie meinst du?"
+
+Johann Krill glotzte stumpf in ihre Augen.
+
+"Na, so hör doch, du--Patsch, hör doch!--Und die Rienken ist eine gute
+Person, steht zu einem," redete Anna weiter und rüttelte ihren Mann
+schmeichelhaft, begann wieder ihr siegendes Lachen und küßte ihn.
+
+"Das ist--also wieder--das Alte," sagte Johann endlich. Nachdenklich,
+schwerfällig.
+
+"A--aber geh doch, Tolpatsch! Keine Rede davon! Wer sagt denn _davon_
+was! Ich bin doch nur hinterm Büfett--nu ja, nu ja, wenn schon einer
+mal zu tappen anfängt und mir ein Gläschen bezahlt, Herrgott--das ist
+doch kein Weltuntergang," beruhigte ihn Anna und fuhr fort: "Sieh
+mal--Ware sind wir nun ein für allemal, ob so oder so--ob du in die
+Fabrik gehst oder ob ich--was anderes mache. Es kommt immer nur darauf
+an, daß wir uns die Sache möglichst leicht machen, daß wir noch was
+wegschnappen für unseren Komfort!"
+
+Johann Krill hatte jetzt ein wenig klarere Augen. Es war etwas wie ein
+aufgegangenes Licht auf seinem Gesicht. Er nickte.
+
+"Stimmt schon," sagte er.
+
+"Also sag' ich der Rienken, daß ich komme?" fragte Anna.
+
+"Ich muß dann auch was suchen," gab Johann statt jeder Antwort zurück.
+
+"Ach, du bist ja verdreht!--Ja freilich, freilich,--sofort denkt er,
+er muß nun wieder rackern von früh bis spät und für die Familie
+sorgen! Ach du, du!" lachte Anna und knüllte seinen Kopf in ihre Brust.
+
+Jeden Nachmittag um vier Uhr ging Anna nunmehr zur Bar "Tip-Top" der
+Sylvia Rienke. Spät in der Nacht kam sie stets nach Hause, roch nach
+Zigaretten und Alkohol. Manchmal war sie auch leicht betrunken,
+brachte allerhand zu essen und zu trinken mit, und dann saßen die
+beiden Eheleute nicht selten his zum Morgengrauen in der besten Laune
+beisammen und ließen sich's gut gehen.--
+
+In der letzten Zeit war Johann Krill etwas einsilbiger. Er saß meistens
+in Hemdsärmeln im Schlafzimmer und schien schwerfällig immer über das
+gleiche nachzudenken.--
+
+Ja, alles war ausgelöscht. Langweilig und trist vertropften die
+Stunden. Es war ungemütlich. Wenn man den ganzen Tag in der Fabrik
+arbeitete, verging wenigstens die Zeit schneller.
+
+Aber Anna zerstreute ihn immer wieder.
+
+Wenn sie nachmittags weggegangen war, verließ auch er die Wohnung und
+lungerte entschlußlos in der Stadt herum oder setzte sich in
+irgendeine Kneipe. Und jetzt, da er sich alleingelassen sah,
+unterhielt er sich auch wieder mit seinesgleichen.
+
+"Maschinenschlosser?" fragte ihn eines Tages ein älterer Arbeiter am
+Kneipentisch.
+
+"Ja," antwortete Krill. "Eventuell auch zum Maschinisten zu
+gebrauchen?"
+
+"Bei Schall und Weber war ich Maschinist."
+
+"Mensch, bei uns sucht man solche. Geh hin. Du kannst sofort
+anfangen," erzählte der Arbeiter und überprüfte Krill.
+
+Der nickte.
+
+Etliche Tage nachher schlief Johann schon, als Anna heimkam. Sein
+Gesicht war rußig. Er schwitzte. Anna wollte ihn aufwecken, aber er
+drehte sich schläfrig um und schnarchte weiter. Verärgert legte sie
+sich ins Bett.
+
+In der Frühe, als plötzlich der Wecker schrillte, schrak sie empor und
+sah erstaunt auf ihren Mann, der sich eben wusch.
+
+"Arbeitest du denn wieder?" fragte sie.
+
+"Ja."
+
+"Dumm!--Ich hätte jetzt etwas für dich.--Ein schöner Posten," sagte
+sie und richtete sich vollends auf im Bett.
+
+Einige Augenblicke stummten sie einander an.
+
+"Der Fabrikmensch, der immer Schwedenpunsch schmeißt, hat mir's
+versprochen ... Laß doch das andere fahren, da verkommst du ja bloß,"
+begann Anna wieder und wollte eben aus dem Bett springen.
+
+"Jetzt ist's schon wie's ist!" knurrte er und ging.
+
+
+III.
+
+Es gab Ärgerlichkeiten bei Krills. Dadurch, daß nun auch Johann seiner
+Arbeit nachging, vernachlässigte der Haushalt. Anna, die oft erst
+gegen zwei oder drei Uhr nach Hause kam, schlief bis tief in den
+Mittag hinein. Schließlich meldeten sich die Wanzen. Man putzte,
+schrubbte, streute übelriechende Pulver aus. Aber es half nichts. Es
+war unerträglich zuletzt.
+
+"Das ist eine verschobene Sache, wenn du ins Geschäft gehst und hier
+muß alles verkommen," sagte Johann zu Anna.
+
+"Für wen tu' ich's denn?--" erwiderte sie, "man braucht soviel und die
+Löhne sind zum Verhungern."
+
+Sie kam schließlich auf alles zu sprechen. Daß man sich doch nicht
+umsonst von unten herausgewunden habe, daß man doch nicht zu den
+Nächstbesten gehöre und man müsse jetzt eine neue Wohnung haben. Was
+der Umzug schon koste! Alles klang wie ein zaghafter Vorwurf.
+"Warten hättest du sollen. Der Herr mit dem Schwedenpunsch ist so
+nett. Du könntest da gut unterkommen."
+
+Eine Zeitlang ging es auf solche Weise hin und her. Johann war die
+ganze Rederei schon widerwärtig.
+
+"Was du doch alles erzählst! Sind wir denn weiß der Teufel was?!"
+sagte er endlich fester: "Mein Vater hat sein Leben lang gearbeitet.
+Meine Mutter stand noch mit siebzig Jahren früh um vier Uhr auf--und
+wir, wir bilden uns auf einmal ein, etwas Besonderes zu sein!" Während
+des Redens schon bekam sein Gesicht langsam eine bestimmtere Haltung.
+
+Schließlich, als aller Spruch und Widerspruch allmählich erlahmte,
+einigte man sich aber doch, und Johann willigte beiläufig ein, sich in
+der Fabrik des Herrn, der bei der Rienken jeden Abend Schwedenpunsch
+bezahle, vorzustellen.
+
+Mit jedem Tag wurde er nun auch mißvergnügter. Es gefiel ihm nicht
+mehr in seiner Fabrik. Er wurde mürrisch gegen jedermann und kam
+zuletzt plötzlich nicht mehr. Nach einigen Tagen stellte er sich in
+dem anderen Betrieb vor. Er wurde merkwürdig freundlich empfangen und
+ging besinnungslos darauf ein, Nachtschicht zu machen.
+
+Anna behandelte ihn zärtlicher als je, wenn er frühmorgens ankam.
+Nicht lange darauf fand sie auch eine Wohnung im dritten Stock des
+Rienkeschen Hauses und alles machte einen glücklichen Anlauf. Sie
+brachte jetzt immer mehr mit. Pasteten, kalte Hühnerschenkel, Blumen,
+Zigaretten, halbe Flaschen Wein, ja zuletzt sogar Stoffe, Halsketten,
+einen Ring.
+
+Sie war in der fröhlichsten Laune jedesmal und erzählte von diesem und
+jenem Herrn, von den guten Gästen bei Rienkes und konnte sich nicht
+genug tun, den Chef Johanns zu loben.
+
+"Und was ich dir sage--er ist ein Mensch, der das Leben kennt. Er ist
+für die Arbeiter. Er läßt leben neben sich," plauderte sie.
+
+Und Johann lächelte hölzern und sah auf ihre Brüste, die schwammig und
+verbraucht nach unten sich sackten.
+
+"Ist für die Arbeiter--?" sagte er und sah sie dumm an.
+
+"Ist ein anständiger Mensch. Keiner von den Ausnützern, gar nicht so
+eingebildet und hochnäsig--und fidel, sag ich dir, fidel,--na ich
+danke, wenn der anfängt. Man kann sich schief lachen," erwiderte Anna
+und lachte auf, als erinnere sie sich an etwas sehr Drolliges.
+
+"Und--der gibt dir--so--solche Sachen?"
+
+Annas Mund zuckte ein wenig. Sie schlug schnell die Augen nieder und
+fand das Wort nicht gleich.
+
+"Hmhm," brachte sie dann heraus und schluckte etwas hinunter, setzte
+rasch hinzu: "Und die Rienken ist so nett zu mir."
+
+"So," brummte Johann nur noch, "nu ja, es geht immer rundum."
+
+Dann legte er sich schlafen.
+
+Am Abend schlüpfte er in seine Sonntagskleider und ging nicht in die
+Fabrik. Er durchwanderte etliche Male die Quergasse und trat dann in
+die "Tip-Top"-Bar.
+
+Es ging bereits fidel zu. Einige Herren in modischem Anzug saßen vorne
+am Büfett auf den hohen Stühlen und saugten an den Strohhalmen, die in
+schlanken gefüllten Gläsern mit glitzerndem Eis staken. In der einen
+Ecke spielte ein Befrackter Klavier und ein hagerer Geiger begleitete
+ihn. In den Nischen, die mit künstlichem Efeu zu Laubengängen
+hergerichtet waren, tuschelte es und hin und wieder zirpte ein
+schrilles Auflachen aus ihrem Dunkel. Eben wollte eine hochbusige
+duftende Bedienerin mit zuvorkommender Freundlichkeit auf Johann
+zueilen. Da auf einmal schrie es aus einer Nische: "Um Gotteswillen,
+Hans!" Und ein hurtiges Getrampel und Knarren wurde hörbar.
+
+Johann wandte schnell den Kopf dahin und sah hinter einer dichten
+Weinflaschenparade das pralle, runde, kleinstirnige Gesicht seines
+Chefs, die Rienken und das totenblasse, entsetzte Gesicht seiner Frau.
+Die Köpfe der drei hingen auseinander wie schwere Dolden. Geradewegs
+ging Johann auf sie los und ließ sich in einen der gepolsterten Stühle
+an ihrem Tisch fallen.
+
+Eine peinliche Stille trat ein. Jeder hielt jetzt fassungslos den Atem
+an. Nur Johann schien sicher zu sein.
+
+"Ich bin nicht zur Schicht gegangen, Herr Hochvogel--ich hab' einen
+Höllendurst, ich könnt' ein Meer aussaufen," sagte er ohne sichtliche
+Erregung und lächelte schnell. Das löste eine Entspannung aus. Man
+atmete wieder und nahm langsam die gewöhnliche Haltung an. Der
+Fabrikherr schnitt ein malitiöses Gesicht. Er suchte sich zu fassen
+und griff zum Weinglas.
+
+"Heiß ist's hier," sagte Johann wieder.
+
+"Nicht zur Schicht? Aber Johann!?" brachte nunmehr Anna heraus. Die
+Rienken erhob sich und verließ den Tisch.
+
+"Das macht doch nichts, oder? Herr Hochvogel, macht das was aus?"
+fragte Johann den Fabrikherrn.
+
+"Na--wissen Sie, meinetwegen,--wir wollen einige gute Schoppen
+heben--ich kann's verstehen,--ich drück' gern ein Auge zu--bei Ihnen,
+Herr Krill.--Sie sind mir gut--sie arbeiten zuverlässig, da--da--da
+übersieht man auch mal einen Seitensprung, Prost!" sprudelte der
+Fabrikherr verlegen. Die Worte flossen schnell, fast ängstlich aus
+ihm, so, als wären sie wunderliche Ziegelsteine, mit denen man im Nu
+eine schützende Mauer um sich schließen könnte.
+
+"Zu gütig," lispelte Anna bereits.
+
+Und Herr Hochvogel goß das Glas der Rienken voll und schob es behend
+dem Arbeiter hin: "Da, trinken Sie!"
+
+Die ärgste Gefahr schien behoben zu sein. Man konnte es an den
+allmählich sich wieder aufheiternden Gesichtern sehen. Auch die Wirtin
+kam wieder an den Tisch und der Fabrikant bestellte in einem fort.
+
+Johann beachtete das Getue Hochvogels mit seiner Frau auch nicht
+weiter. Er trank in vollen Zügen und wurde immer lustiger, lachte und
+machte hin und wieder einen dreisten Witz. Dadurch wurde auch Anna
+kühner. Sie wich nicht von der Seite des Fabrikherrn und streichelte
+ihn ein paarmal kosend, warf belustigte Blicke zwischen den beiden
+Männern hin und her.
+
+"Hab ich nicht gesagt, Hans, daß er ein netter Mensch ist?" sagte sie
+übermütig und lachte piepsend.
+
+"Ein netter Me--ensch! Ein sehr netter Mensch! Ein Goldmensch!"
+brümmelte Johann schon etwas betrunken und summte weiter: "Verbringt
+das Geld so gemütlich, so--so--so--" Er wankte bereits him und her und
+rülpste ungeniert in den Tisch. Gläsern standen seine Augen. Die
+anderen kicherten.
+
+"Hat ihn schon mächtig," hörte er Hochvogels Stimme.
+
+"Na, na! Herr Krill, na--!" rief die Rienken.
+
+Johann hob den schweren Kopf und glotzte auf das verschwommene Gemeng
+der drei, die im fahlen Lichtschimmer hinter den Weinflaschen sich hin
+und her drückten.
+
+"Ein ne--etter Mensch,--eine richtige Qualle--e--iin dummes Vieh!--Ein
+geiler Orang--g--kutan, hahahaha--hat den Schwanz eingezogen, weil der
+Wärter gekommen ist, haha--a--a!--" Johann sank haltlos zurück.
+
+"Das ist zu stark!" zischte Hochvogel. Der Tisch knarrte. Die
+Weinflaschen klirrten gegeneinander. Die zwei Frauen lispelten
+besänftigend. Schnell, überschnell mengten sich ihre flehenden Worte
+ineinander. Ein Gezerre um den Aufgestandenen begann.
+
+Mit herabhängenden Armen, halb eingeschlafen, zerfallen hing Johann
+auf dem Stuhl. "Er ist doch betrunken!" "Bitte, bitte,--er ist's doch
+nicht gewohnt!" "Er meint's doch nicht übel, Herr Hochvogel!"
+"Bitte!--Hier, trinken Sie. Er schläft ja schon! Seh'n Sie, seh'n
+Sie!--Es passiert nie wieder. Ich sag's ihm morgen,--mein Wort, mein
+Ehrenwort!" alles zerfloß ineinander, bittend, winselnd, aufgeregt,
+ängstlich.
+
+Wie ein zischendes Gezirpe umsummte dieses Geplätscher Johanns Kopf.
+Als gieße irgend jemand kaltes Wasser üher ihn.
+
+"Haha! Hat's viellleicht gestoh--lllen und--und wirft's weg,--dadas
+Gellldt,--wei--weils brennt in der Tasche, haha,--das dumme Vieh,
+haha--das Arschloch!" grunzte der Betrunkene lallend und lachte
+ruckweise, immerfort, glucksend.
+
+Da wurde der Tisch weggestoßen und stapfend hasteten Schritte vorbei.
+Wieder das Gezwitscher. Noch geschäftiger. Dann fiel eine Tür krachend
+zu.
+
+"Hans!" schrie Anna wütend und riß ihren Mann an der Schulter.
+
+"Saustall!" stieß die Rienken heraus.
+
+Krill hob den Kopf und langte lahm nach Anna: "Haha--ha--es ist so
+wunderschön auf der We--elt, haha--ha!"
+
+Sein ausgreifender Arm fiel wieder herab. Er sank in die alte Haltung
+zurück. Dünner Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Er schnaubte
+geräuschvoll wie ein Pferd, das von der Kolik geplagt wird.
+
+Unter wüstem Gezeter und Gejammer verließ Anna mit ihm die Bar. Sie
+mußte ihn buchstäblich die Stiege hinaufschleppen.
+
+
+IV.
+
+Dieser unerquickliche Vorfall hatte schlimme Folgen. Am andern Tag,
+sehr früh, schellte es. Krill schlief wie ein Sack. Anna schreckte auf
+und lief halb angekleidet an die Tür. Der Ausgeher der Hochvogelschen
+Fabrik brachte die Papiere und den Lohn für Johann. In einem sehr
+kurzen, ärgerlichen Brief stand, daß sich Krill nicht mehr sehen
+lassen sollte und entlassen sei.
+
+"Ja, ja--ist schon recht!" sagte Anna verwirrt und warf die Tür zu.
+Ohne Johann zu wecken, kleidete sie sich an und ging in die Fabrik
+hinaus, um Hochvogel zu besänftigen. Auf dem ganzen Wege überlegte sie
+sich die besten Worte und übte sich in der Art, wie sie den
+Verärgerten wieder dazu bewegen wollte, daß er stillschweigend über
+das üble Ereignis hinwegginge.--
+
+Aber sie wurde nicht vorgelassen. Erbittert und erniedrigt trat sie
+den Heimweg an.
+
+"Da!--Das hast du gemacht mit deinen Dummheiten!" fuhr sie den
+inzwischen erwachten, auf dem Bettrand sitzenden Johann an und warf
+ihm das Schreiben Hochvogels him. Der blickte stumpfsinnig zu ihr auf
+und sagte kein Wort. Dies erregte sie nur noch mehr. Sie stampfte
+schimpfend aus dem Schlafzimmer und rannte zur Rienken hinunter.
+
+Die Wirtin empfing sie sehr kühl.
+
+"Herr Hochvogel hat mich wissen lassen, daß er nicht mehr kommt. Ich
+kann Sie nicht mehr brauchen.--Das ist der Dank dafür, daß ich mich
+so um Sie angenommen habe," schimpfte sie mit hochgehobenem Kopf. Anna
+versuchte auf alle mögliche Art, sie umzustimmen. Vergebens.
+
+"Und überhaupt--glauben Sie, ein solcher Mann wie Hochvogel läßt sich
+derartige Schmutzigkeiten ins Gesicht sagen! Passen Sie mal auf,--das
+hat noch ein gerichtliches Nachspiel. Und ich, was hab' ich von meiner
+Gutmütigkeit?--Vor die Gerichte werde ich gezerrt. Mein Lokal verliert
+den guten Ruf--ich hab' den Schaden und sitz' in der Patsche,--werden
+Sie sehen, ob's nicht so kommt?--Sagen Sie es nur ihrem 'Kerl'--am
+liebsten ist's mir, ihr zieht aus. Basta!" zeterte die Bienken immer
+bestimmter.
+
+Auch Anna wurde allmählich ärgerlich und schimpfte.
+
+"Geh'n Sie bloß aus meinem Lokal, Sie--Sie! So eine krieg' ich alle
+Tage!" fauchte die Wirtin wütend, rannte zur Tür und riß sie auf:
+"Geh'n Sie bloß aus meinem Lokal!" "Geh'n Sie!" schrie sie, daß ihr
+Kopf blau anlief: "Geh'n Sie! Sie--Sie Ludermensch!"
+
+Auch in Anna platzte die angesammelte Wut nun vollends.
+
+"Was sagen Sie da, was?! Sie Kupplerin, Sie dreckige!" schrie sie
+schriller noch. "Solang man sich hergibt, ist man gut, dann kann man
+gehen, Sie Dreckfetzen!"
+
+"Geh'n Sie! Geh'n Sie!" pfiff die Wirtin erstickt: "Hinaus da,
+hinaus!"
+
+Keifend verließ Anna das Lokal. Zitternd vor Erregung kam sie in ihrer
+Wohnung an. "Es ist Schluß mit allem! Ich mag nicht mehr!" stöhnte sie
+erschöpft und sank in einen Küchenstuhl. Unter stoßweisem Weinen und
+Vorwürfen erzählte sie Johann ihr Mißgeschick. Der hatte den Kopf
+unter dem Hahn der Wasserleitung und ließ immerfort den kalten Strahl
+üher ihn herabrinnen. Er drehte sich nicht um. Nicht im mindesten ließ
+er sich stören. Annas Geduld riß völlig. Sie begann wüst zu schimpfen.
+
+"Und du!--Du lungerst da heroben herum und läßt mich die Füße
+ausrennen! Ich kann mich mit den Leuten herumschlagen und die Suppe
+ausfressen, die du eingebrockt hast!" bellte sie ihn an. "Du! Du
+Lump!"
+
+Er drehte sich endlich um. Kein Wort kam aus ihm.
+
+"So rede doch, Stock!" schrie sie, "was willst du denn jetzt machen?
+Ich kann nichts mehr tun! Ich bin kaputt!" Er schwieg immer noch. Da
+stand er, tatsächlich wie ein Stock. Sie zerbrach an seiner
+Gleichgültigkeit und fiel in ein heftiges Weinen. Es schüttelte sie
+gerade so. Johann sah ohne Niedergeschlagenheit auf ihre
+zusammengekauerte, zuckende Gestalt nieder.
+
+"Was ich tun will?" sagte er endlich leichthin, als sei gar nichts
+vorgefallen,--"der wird mich schon nicht gleich herauswerfen. Ich gehe
+einfach heute wieder zur Schicht und fertig. Und die Rienken--die wird
+schon wieder aufhören mit ihrem Geschimpfe, wenn sie müd ist." Anna
+blickte auf einmal auf zu ihm. "Ist doch ein netter Kerl, dieser
+Hochvogel. Mit dem läßt sich doch reden," brummte er. Der arglose
+Ernst, die Selbstverständlichkeit dieser Worte bezwangen. Tatsächlich
+wurde sie vollkommen ruhig und glaubte zuletzt wirklich, daß dies der
+einzig glückliche Weg sei, mit einem Schlag alles Mißliche beheben
+würde.
+
+"Herrgott, ich bin ja auch so dumm! Ich laß mich von jedem ins
+Bockshorn jagen," schalt sie sich selbst, wischte sich schnell die
+Tränen ab und stellte Kaffeewasser auf. Ganz munter wurde sie wieder.
+
+Als sie dann wieder am Tisch saßen, begann sie über die Rienken zu
+schimpfen und über Hochvogel und erzählte im Laufe des Gesprächs alles
+mögliche von den beiden.
+
+"Es war ganz richtig, daß du ihm mal heimgeleuchtet hast," sagte sie,
+"die ganze Sippschaft glaubt immer, sie könnte Schindluder mit einem
+treiben!--Was hat er mir nicht alles angetragen, wenn ich mit ihm
+schlafen würde! Und wie hat die Rienken gekuppelt und jetzt--jetzt
+spielt sie sich auf, diese Sau, diese alte!"
+
+Sie blickte immer wieder wie verlegen zu Johann herüber, wurde aber,
+da er vollkommen ruhig war, immer weitschweifiger und erzählte mehr
+und immer mehr. Sein Gleichmut quälte sie. Sie berichtete dreister,
+anzüglicher.
+
+"Er hat das Geld gerade so weggeworfen. Die Bluse hat er mir
+aufgerissen, einmal. Er hat immer seine Hand unter meinem Rock gehabt,
+der Drecksack! Von den Hosen hat er einmal ein halbes Dutzend
+dahergebracht und wollte, daß ich's vor ihm anziehen soll--und die
+Bienken half mit und verschwand immer, wenn er anfing," sagte sie und
+fuhr fort: "Einmal wollt' ich ihn schon heraufnehmen in der Frühe und
+abwarten, bis du von der Fabrik kämst."
+
+Johann verzog keine Miene.
+
+"Jaja--das Loch und das Geld," brummte er beiläufig. "Es geht immer
+rundum."
+
+Ihre Hände bewegten sich in einem fort. Nervös zerrieb sie die
+Brotkrumen mit den Fingern. Sie erzählte nichts mehr. Sie schwieg. Als
+er fortgegangen war, fiel ihr Kopf auf den Tisch und ein wüstes
+Schluchzen brach aus ihr.--
+
+Johann kam ohne Hindernis durch die Fabrikpforte. Im Umkleideraum
+trafen ihn bereits befremdende Gesichter. Keiner sprach ihn mehr an
+und als er in den Maschinenraum hinuntersteigen wollte, kam der
+Schichtmeister rasch auf ihn zu und rief: "Sie sind doch entlassen,
+was wollen Sie denn noch hier?" Einige Arbeiter blieben mit
+verwunderten Mienen stehen. Das rüttelte ihn aus der Fassung. Er sah
+beklommen auf den Schichtmeister, auf die Arbeiter und hilflos im Raum
+herum.
+
+"Sie sind nun einmal bestimmt entlassen, das weiß ich," rief der
+Schichtmeister resoluter, "ich kann gar nicht verstehen, daß Sie der
+Pförtner hereingelassen hat, der hat es doch gewußt! Hat er Sie denn
+nicht darauf aufmerksam gemacht?"
+
+Johann schüttelte stumm den Kopf, blieb beharrlich stehen, dumm und
+kindisch. Die beiden anderen Arbeiter trotteten weiter.
+
+Der Schichtmeister holte den Portier. Zeternd redete er auf denselben
+ein, als er mit ihm ankam.
+
+"Wie konnten Sie denn den Mann hereinlassen. Der Chef hat's doch
+ausdrücklich gesagt, daß er entlassen ist," bellte er.
+
+Der Portier sah verärgert auf Johann und sagte ebenfalls: "Jaja, ich
+hab' Sie nur nicht gesehen. Sie sind entlassen. Sie haben hier nichts
+mehr zu suchen."
+
+Johann knickte zusammen.
+
+"Ja--ja, nu ja, dann muß ich gehn," stotterte er endlich heraus, ging
+in den Ankleideraum und entfernte sich. Niedergedrückt, fast beschämt
+trat er durch das große Fabrikportal ins Freie. Zermürbt kam er zu
+Hause an.
+
+"Ja," sagte er tonlos zu Anna, "man hat mich rausgesetzt!"
+
+"Da hast du es nun!" stieß diese heraus, "Trottel!" Die Vorwürfe
+begannen von neuem.
+
+"Ich muß mich eben wieder um was anderes umsehn," brummte er
+ärgerlich.
+
+"Und ich?! Wenn die Rienken uns hinaussetzt, was ist dann! Glaubst du,
+ich hab' mir umsonst meine Füße ausgerannt, daß wir ein wenig
+anständiger leben konnten! Du keine Arbeit, kein Geld, ich nichts zu
+tun--ich danke!" belferte sie.
+
+"Nu ja, in Gottesnamen, es wird schon wieder werden!" schloß er und
+legte sich zu Bett. Machtlos stand Anna vor diesem Stumpfsinn. Vor
+Verbitterung zitterte sie am ganzen Körper und faustete in einem fort
+die Hände.
+
+"Herrgott, es ist ja zum Davonlaufen!" schrie sie auf einmal:
+"Meinetwegen--ich geh!" Sie schmiß heftig die Tür zu. "Dummes
+Frauenzimmer!" Er stieg aus dem Bett, rief ihr nach, aber es
+antwortete niemand mehr.
+
+Wegen solcher Dummheiten war man plötzlich aus der Ordnung
+gerissen.--Er schloß die Tür wieder.
+
+Der Nachtschlaf war auch zum Teufel.--
+
+Er kleidete sich schließlich an und ging sie suchen.
+
+Ohne nachzudenken, wanderte er zur Fleischgasse und fand sie auch
+dort. Bereits stand ein Herr in einem hellen Regenmantel vor ihr und
+lispelte. Johann trat an die beiden heran und riß Anna weg: "Unsinn!
+Komm!"
+
+"Ich mag nicht!" knirschte sie eigensinnig und wollte sich losmachen.
+
+Der Herr im Regenmantel ergriff ihre Partei und begann zu brüllen. Er
+schwang schon den Stock und wollte auf Johann einbauen. Da kam ein
+Schutzmann eiligen Schrittes angeflitzt, notierte den Namen des Herrn
+und nahm die beiden mit auf die Wache.
+
+Alles Gejammer Annas half nichts. Das Erklären Johanns war vergebens.
+Sie mußten mit.
+
+Häßlich, wie das Mißgeschick die Menschen gemein macht! Auf dem ganzen
+Weg überschüttete Anna Johann mit den wüstesten Schimpfworten und
+schließlich riß auch diesem die Geduld.
+
+"Halt das Maul, dummes Vieh, dummes!" fluchte er, "hilft ja doch
+nichts! Was läufst du denn davon, so mitten in der Nacht! Jetzt hast
+du es."
+
+"Vorwärts! Marsch-marsch!" knurrte der Schutzmann immer wieder.
+
+V. Der Vorfall in der Fleischgasse hatte zur Folge, daß man Johann
+wegen Zuhälterei in Untersuchung behielt. Ein Verfahren wurde gegen
+ihn eingeleitet. Anna entließ man nach ungefähr zehn Tagen. Sie wurde
+polizeiärztlich untersucht und erhielt die übliche Erlaubniskarte der
+Prostituierten wieder. Als sie zu Hause ankam, war sie nicht wenig
+erstaunt. Die Rienken, nun einmal rabiat geworden, hatte die
+Gelegenheit benützt und pfänden lassen. Während der Haftzeit nämlich
+war der Monatserste gekommen, der Dritte, der Fünfte und der Siebente.
+So waren wenigstens die ziemlich eindeutigen Briefe der Bar- und
+Hausbesitzerin, die im Kasten steckten, datiert. Man sah es den
+schiefen, gekratzt-hingeflitzten Buchstaben der Schrift förmlich an,
+daß Sylvia Rienke das Warten auf den Mietszins satt hatte, das Warten
+und diese Mieter. "Diese, wo Kerle haben, die mir meine Gäste
+verjagen, können bei mir ziehen," hieß es endlich im Kündigungsbrief
+vom Achten. Und Recht behielt sie, die wackere Wirtin. Anna mußte
+ziehen. Sie verkaufte, was übriggeblieben war, und bezog ein Zimmer in
+der Nähe der Fleischgasse.
+
+Die drohend gereckten Fäuste, die sie am Tage ihres Abzuges, plärrend
+und keifend, mit weißem Schaum vor dem Munde, der Rienken
+entgegenhielt, und das hämische, restlos rachsüchtige: "Das streich
+ich dir noch an, Mistvettel!" waren ein Anfang für ihr weiteres
+Verhalten. Jetzt gab es fast jeden Tag kleinere oder größere
+Unannehmlichkeiten in der Bar "Tip-Top". Anna hetzte Polizei und von
+ihr bestochene skandalsüchtige Gäste in das Lokal.
+
+In der ganzen Fleischgasse war sie jetzt die Fleißigste. Mit einem
+Eifer, ja, mit einer geradezu fanatischen Selbstvergessenheit, wie man
+sie nur bei Verzweifelten oder Bohrend-Hassenden findet, verbiß sie
+sich ins Verdienen.
+
+"Die?! Hm, die schleppt auf Rekord," ließ sich nicht selten eine
+andere Prostituierte vernehmen, wenn die Rede auf Anna kam. Und es
+stimmte.--
+
+Das Merkwürdigste aber war, daß sie nunmehr alle Hebel in Bewegung
+setzte, um Johann frei zu bekommen. Sie warf das Geld weg an
+Rechtsanwälte, verfaßte eine Eingabe um die andere, bestürmte die
+Instanzen, rannte von Pontius zu Pilatus, ja, sie faßte zu guter Letzt
+sogar dem romantischen Plan, ihn mit Hilfe einiger Männer zu befreien,
+die ihr das Blaue vom Himmel herunterzuholen versprachen, ihr Geld und
+wieder Geld abnahmen und eines Tages verschwanden.
+
+Und Johann?
+
+Er lag den ganzen Tag auf der Pritsche, wurde sogar dick von dem Essen,
+das sie ihm schickte, und war stets ruhig und trocken, wenn sie ihn
+besuchen durfte. Als sie ihm von dem Auszug aus dem Rienkeschen Hause
+erzählte, hörte er stumm zu--dann, nach einer Weile, lächelte er
+und sagte: "Hml Hm,--war doch schön an dem Abend mit Hochvogel,
+hmhamhm!"
+
+Er fand nichts Schlimmes daran, daß Anna manchmal klagte.
+
+"Es ist--man müßte so was aufmachen, wie die Rienken hat," sagte er
+ein andermal wie aus einem dumpfen Gedankenkreis heraus.
+
+Und wieder einmal, als Anna jammerte, daß alles Essen so teuer wäre,
+ließ er so etwas fallen wie: "Nuja, die Bauern machen sich jetzt
+gesund. Hm, die Bauern und die, die was für'n Magen verkaufen--"
+
+Man sagt, der Weise überwindet und kommt zur vollkommenen Ruhe.
+
+Es gibt Menschen, die ohne Empfindungsvermögen geboren werden. Und es
+sind welche, die, wenn die Schmerzen und Erschütterungen ihre Seele
+in zu rascher Aufeinanderfolge zermürben, zuletzt in eine völlige
+Stumpfheit münden. Zu diesen gehörte Johann Krill.
+
+"Es war doch schön an dem Abend mit Hochvogel--so gemütlich!" und "So
+was wie die Rienken hat, müßt' man aufmachen." Das war er!--
+
+Mittlerweile kam der Termin zur Verhandlung gegen ihn. Anna hetzte
+noch mehr herum. Sie schlief nicht mehr, sie vergaß das Essen.
+
+Im Gerichtssaal hustete sie die ganze Zeit. Unstet liefen die Pupillen
+ihrer Augen von einem Winkel zum anderen. Auch die Rienken war als
+Zeuge geladen. Dummerweise war einer von den letzten Anwälten, die
+Anna genommen hatte, darauf gekommen, sie zu laden. Sie trug ein
+schwarzes Seidenkleid, dessen schweres Spitzengewirr vom speckigen
+Nacken kraus herabrann üher den hochgeschnürten, überquellenden Busen.
+Ein blutrotes Granatkollier prangte patzig auf der gelben, welken Haut
+ihres Halses, dessen blaue Äderung nur schlecht vom dick aufgetragenen
+Puder verwischt war. Ihre Froschhände waren beteuernd auf den Magen
+gepreßt und spielten manchmal mit dem Schildpatt-Lorgnon, das an einer
+breiten goldenen Kette herabhing.
+
+"Ich bin gleich fertig mit meinen Aussagen, Herr Amtsrichter, ich hab'
+ein Geschäft und viel im Kopf," begann sie, als sie aufgerufen wurde.
+
+"Die?!--Gott sei Dank, ich hab' immer anständige Bedienerinnen gehabt,"
+fuhr sie fort, üher Anna befragt, und warf einen seitlichen, herablassenden
+Blick auf diese, "aber nun, man tappt auch einmal herein.--Ich hab' es mir
+aber--glauben Sie es mir, Herr Amtsrichter, ich bin fünfzehn Jahre auf dem
+gleichen Platz und weiß, was der Ruf für ein Geschäft ausmacht--ich hab'
+es mir geschworen: Rienken, sagt' ich mir, Rienken--von der Fleischgasse
+nimmst du keine mehr, nicht um die Welt!" Sie kam immer mehr in Zug.
+
+"Vettel!" schrie Anna schrill und wurde verwarnt. Die Rienken drehte sich
+schnell um und dann wieder zum Richter. "Man soll sich nicht ärgern, Herr
+Amtsrichter?" Und sie schnitt eine weinerliche Miene:
+
+"Wie hab' ich den Leuten geholfen und was hab' ich davon!--Es ist bloß
+gut, daß ich meinen Kopf nie verlier', es ist ja bloß gut, daß ich
+mich nie auf die gleiche Stufe stelle mit--mit--so was."
+
+Und endlich zur Sache gerufen, erzählte sie weitschweifig, daß Johann
+die Stellung bei diesem Fabrikherrn nicht umsonst angenommen habe.
+"Und Nachtschicht--er wird schon gewußt haben, warum. Man kennt
+solche--Nachtschichten!" Und Herr Hochvogel?... Sie geriet etwas in
+Verwirrung. Nun, der habe bald klar gesehen, ein solcher Herr ließe
+sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.
+
+"Der muß her! Der muß Zeuge machen!" schrie Anna, und ihr Rechtsanwalt
+brachte es auch fertig. Nun wurde es aber noch ungünstiger. Obwohl dem
+Fabrikanten die ganze Sache äußerst unangenehm war, obwohl er sich
+außerordentlich zurückhielt und nichts gegen Johann eigentlich
+vorbringen konnte, als eben jenen üblen Vorfall in der Rienkeschen
+Bar--es machte alles einen schlechten, sehr schlechten Eindruck
+--Johann Krill wurde verurteilt.
+
+Anna bekam einen minutenlangen Schreikrampf. Sie stürzte vor und
+wollte auf die Rienken los. Es mußten sie Schutzleute mit Gewalt
+wegbringen.
+
+Johann, der ohne Erregung den Auftritten zusah, nahm alles mit Ruhe
+hin. Er lächelte fast verlegen, als ihn die Richter am Schluß fragten,
+ob er noch etwas zu sagen wünsche.
+
+"Dumm," brummte er und kratzte sich hinter dem rechten Ohr, "dumm,
+Herr Richter, man tappt eben hinein und--und dann passiert allerhand."
+
+Die steinernen Amtsmienen wußten einen Augenblick lang wirklich nicht,
+sollten sie lachen oder einige beruhigende Worte des Mitleids aus ihren
+Lippen lassen.
+
+Damit war es zu Ende. Anna konnte Johann nun nicht mehr besuchen. Die
+beiden waren auseinander.--In ihrer Wut schlug Anna einige Tage
+später die zwei großen Fensterscheiben der Rienkeschen Bar ein und
+konnte mit Mühe nur überwältigt werden. Das Beil wurde ihr abgenommen
+und der herbeigerufene Schutzmann nahm sie mit.
+
+Und wieder gab es einen Prozeß. Wegen Bedrohung und Sachbeschädigung
+wurde Anna Krill zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
+
+Hier bricht der Faden ab. Es ist nichts mehr zu berichten.
+
+Eine Million ist viel--eine Milliarde ist mehr.--Johann Krill ist
+Legion.
+
+Vielleicht arbeitet Johann Krill wieder irgendwo oder er trinkt, oder
+er hat den Halt verloren und sitzt weiter in Gefängnissen.
+
+Anna--Sie wird eines Tages krank sein, wieder gesunden, wieder krank
+werden und so fort....
+
+Das einzige, was bestehen bleibt, solange wie diese Gesellschaft,
+ist--die Rienken!
+
+Wie lange noch?!
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+End of Project Gutenberg's Zur Freundlichen Erinnerung, by Oscar Maria Graf
+
+*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG ***
+
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+The Project Gutenberg EBook of Zur Freundlichen Erinnerung, by Oscar Maria Graf
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+Title: Zur Freundlichen Erinnerung
+
+Author: Oscar Maria Graf
+
+Release Date: April, 2005 [EBook #7985]
+[This file was first posted on June 9, 2003]
+
+Edition: 10
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+Language: German
+
+Character set encoding: US-ASCII
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG ***
+
+
+
+
+E-text prepared by Eric Eldred, Marc D'Hooghe, Charles Franks, and the
+Online Distributed Proofreading Team
+
+
+
+ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG--ACHT ERZAEHLUNGEN
+
+von
+
+OSCAR MARIA GRAF
+
+
+
+
+
+
+
+INHALT
+
+Zwoelf Jahre Zuchthaus.
+Sinnlose Begebenheit.
+Die Lunge.
+Ohne Bleibe.
+Etappe.
+Michael Juergert.
+Ein dummer Mensch.
+Ablauf.
+
+
+
+
+ZWOELF JAHRE ZUCHTHAUS
+
+
+I.
+
+Weit hatte es der Schlosser Peter Windel im Laufe einer beinahe
+zwanzigjaehrigen Arbeitszeit bei der Motorenfabrik Jank gebracht. Als
+blutjunger Geselle trat er damals in den Dienst und heute war er
+erster Werkmeister. Seine stumpfe, schweigende Energie, sein
+fanatischer Lerneifer und seine fast pedantische, aber keineswegs
+devote Puenktlichkeit hatten ihm Respekt und Achtung verschafft, bei
+den Arbeitern sowohl, wie bei den Vorgesetzten. Beliebt war er nicht,
+aber es war keiner in der ganzen Fabrik, der auf ein einmal
+gesprochenes Wort von Windel nichts gab. Es dauerte allerdings lange,
+bis er mehr als das Allernotwendigste sprach. Verschlossen, wortkarg
+und mit jener stoischen Strenge im Gesicht, die schon nahe an der
+Grenze des Missmuts steht--so kannte man ihn seit Jahr und Tag. Noch
+dazu war er keineswegs eine Erscheinung. Von Gestalt klein und nicht
+gerade kraeftig, etwas vornuebergebeugt, mit langem Hals, auf dem ein
+unfoermiger, zu grosser Kopf mit borstigen, kurzen, schon etwas
+angegrauten Haaren und weitwegstehenden Ohren sass. Das lederne,
+scharfe Gesicht machte einen ueberreizten Eindruck. Die tiefliegenden,
+unruhigen Augen waren von vielen blutunterlaufenen Aederchen
+durchzogen. Aus dem schroffen Tal der Backen hob sich die plumpe,
+unregelmaessige Nase wie ein spitzer Huegel. Griesgraemig griff die
+massige, verfaltete Stirne von einer Schlaefenbucht zur andern.
+
+Das Merkwuerdigste an diesem Antlitz aber war der untere Teil. Er
+schien fast von einem anderen Menschen zu sein, hatte etwas so
+Hilfloses und Schuechternes, dass man den Eindruck des Maedchenhaften
+nicht losbrachte, wenn nicht hin und wieder der geoeffnete kleine,
+aufgeworfene Mund die eingerissenen, stark mitgenommenen Zaehne gezeigt
+haette. Kam noch hinzu ein ungewoehnlich kurzes, fast in den Hals
+gefallenes und nur durch einen ganz kleinen Ballen angedeutetes Kinn,
+aus dem ein sproeder Knebelbart spritzte wie eine Rettung. Sonst haette
+man buchstaeblich der Meinung sein koennen, nach dem Hals ginge der Mund
+an.
+
+Man sagt im allgemeinen, Pedanten, die ihr Dasein fast abgezirkelt
+genau ableben, haetten ein sorgfaeltig gepflegtes Erinnerungsvermoegen
+und vergaessen die kleinste Kleinigkeit oft jahrelang nicht.
+
+Peter Windel hatte keine Erinnerung.
+
+Schliesslich, dass man irgendwie zur Welt kommt, aufwaechst und
+allmaehlich auf einen Namen hoert, dann, in der Schule, noch auf einen
+zweiten; in die Lehre kommt, etliche Stellen wechselt; dass es einem
+schlecht oder besser geht, dass man auf einem Gottesacker unter anderen
+Leuten um ein Grab steht und den Kies auf den Sarg einer toten Mutter
+oder eines verstorbenen Vaters, eines Bruders oder einer Schwester
+fallen hoert und endlich Hinterlassenschaftspapiere, Notariatszimmer
+und Pfandbriefe zu sehen bekommt,--das erlebt so ziemlich jeder Mensch
+auf die eine oder andere Weise.
+
+Ein schepperndes Weckerlaeuten. Es ist noch tiefste Nacht draussen, die
+Fenster sind gefroren und hoch herauf verschneit, man hoert auf den
+weiten, ueberschneiten Strassen nur seine eigenen Schritte knirschen.
+Aus Schnee und Dunkelheit kommt langsam eine flimmernde Strassenbahn,
+dann hinter einer gelben Fensterscheibe ein verschlafenes, aergerliches
+Pfoertnergesicht, ueher einen Hof viele, dumpf trommelnde Schritte und
+ineinanderschwimmende Laute, endlich einen glatten Hebel in der Hand,
+--herumgezogen--und ratsch! ein ganzer Hauskoloss surrt bebend
+auf, die Riemen klatschen, aechzen, es haemmert, feilt, quietscht,
+kracht, klingt, braust--das wusste Peter Windel seit ewiger Zeit.
+Zwischendurch freilich auch Sommertage. Ein offenes Fenster, Kuehle und
+Daemmerung und etliche schuechterne Vogeltriller beim Erwachen. Das
+meiste der zwanzig Jahre--: Naechte ueber technischen Buechern,
+Sonntagnachmittage ueber dem Zeichenblock und manchmal ein Zaehlen des
+ersparten Geldes. Oefters als wuenschenswert Streitigkeiten, Zaenkereien
+mit der halbtauben, beschraenkten Logisfrau koennen noch hinzugezaehlt
+werden. Das war alles. Peter Windel hatte keine Erinnerung. Er kannte
+nur Interessen.
+
+Wenn nicht--
+
+Und hier beginnt diese Geschichte.
+
+
+II.
+
+"Sie sind eine Sau! Vier Wochen kein frisches Handtuch, zwei Monate
+keine Bettwaesche gewechselt! Wenn das nicht aufhoert, ziehe ich!"
+schrie Peter Windel an einem Sonntag seine Logisfrau an.
+
+Wie immer. Das Weib blieb stehen, glotzte ihn an, verzog das Gesichtzu
+einer weinerlichen Grimasse und winselte ein paar unverstaendliche
+Worte heraus. Und weinte erst leise, dann immer unertraeglicher.
+
+Das Fenster stand offen. Es war Sommer. Klar fiel die Sonne in den
+Hof. Windel riss die Schranktuere auf, nahm seinen Regenmantel, schob
+die Frau beiseite und ging.
+
+Vierzig Mark fuer ein Zimmer ist nicht viel und die Frau schnueffelte
+nicht, war uralt, hockte den ganzen Tag in der dumpfen Kueche und
+lispelte Gebete. Unreinlich war sie nur von Zeit zu Zeit. Man musste
+sie dann grob anschreien.--
+
+Auf der Treppe fiel Peter ein, dass er "Die Elektrizitaet als Nutzkraft"
+vergessen hatte. Er drehte sich rasch um und ging zurueck. Immer noch
+stand das Weib in der Zimmermitte, fast unbeweglich und wimmerte.
+Einen Augenblick mass sie Peter veraergert. Dann stampfte er mit dem Fuss
+auf den Boden.
+
+"Herrgott nochmal!" stiess er heraus, warf seinen Mantel hin, riss die
+Bettlaken herunter, zog in aller Eile Decke und Kopfkissen ab und warf
+die ganze Waesche der Frau vor die Fuesse, samt dem schmutzigen Handtuch.
+"Gehn Sie doch in die Kueche mit Ihrem Lamentieren und legen Sie mir
+die Bettwaesche dann herein, ich mach's mir selber!" sagte er noch,
+nahm vom Nachtkasten das vergessene Buch und schmiss wuetend die Tuere
+zu.
+
+"Meine Lies' ... heut wird's das zweite Jahr!" wimmerte die Frau noch.
+Und fiel wieder in ihr wimmerndes Weinen.--
+
+Als Peter Windel tief in der Abendstunde nach Hause kam, lag sie quer
+auf dem Zimmerboden, den Kopf auf die Waschtischkante geschlagen, eine
+ziemlich grosse Wunde auf der Stirn--reglos, steif.
+
+Eine kleine Lache geronnenes Blut umgab den Kopf. Die Tote musste sich
+in den hingeworfenen Bettuechern mit den Fuessen verwickelt haben und
+dann hingefallen sein.
+
+Peter Windel stand und stand. Er fuehlte das Brennen des angesteckten
+Streichholzes nicht auf den Fingern. Erst als es wieder dunkel war,
+zuckte er ein wenig, steckte schnell ein neues an und liess es wieder
+verglimmen. Stand und stand.
+
+Ploetzlich gab er sich einen Ruck und lief wie ein Irrer davon, liess
+die Tueren offen, polterte die Treppen hinunter, rannte hastig und
+totenbleich an Leuten vorbei und meldete das Geschehene auf der
+Polizeiwache. Als er mit zwei Schutzleuten und dem Polizeiarzt
+zurueckkam, waren schon Leute aus den Tueren gekommen und musterten ihn,
+trippelten nach und blieben an der Eingangstuere stehen mit gereckten
+Haelsen, brummten, lispelten.
+
+Der eine der Schutzleute schloss endlich die Tuere. Man machte Licht in
+Peters Zimmer, schaute eine Zeitlang auf die Tote, nahm die zwei oder
+drei schwarzen, verkohlten Streichholzkoepfe auf ein Papier und sagte
+zu Windel, der saeulenstarr dastand: "Setzen Sie sich."
+
+Der Arzt beugte sich ueher die Tote, ein Schutzmann pruefte die
+Waschtischkante. Der Arzt nickte.
+
+"Setzen Sie sich!" sagte ein Schutzmann strenger.
+
+Peter brach endlich in einen Stuhl.
+
+Die drei lispelten in der Ecke.
+
+Der Arzt steckte seine Instrumente ein, hustete und stellte sich neben
+die Tote.
+
+Ein Schutzmann nahm neben Peter Platz, einer blieb an dessen Seite
+stehen.
+
+"Wann haben Sie die Frau verlassen?" fragte der Schutzmann und
+notierte.
+
+Fragte weiter, mit einer gewissen haemischen Herausforderung:
+
+"Haben Sie Beziehungen zu der Hullinger gehabt?"
+
+"Nein."
+
+"Wie lange wohnen Sie hier?"
+
+"Und haben schon oefters solche Streitigkeiten mit der Hullinger gehabt?"
+
+"Ja," sagte Peter.
+
+"Und diesmal?"
+
+"Weil sie mir schon vier Wochen keine frische Bettwaesche mehr gab."
+
+"Sie waren also grob zu ihr?"
+
+"Ja."
+
+Und noch, was er Gehalt haette, was er bezahlen muesse fuer Logis, ob die
+Hullinger vielleicht eine groessere Hinterlassenschaft in bar irgendwo
+aufbewahrt, beziehungsweise ob ihm bekannt waere, in welchen Verhaeltnissen
+die Hullinger gelebt habe.
+
+Peter antwortete meistens mit Ja oder Nein. Seine Stimme klang
+zerbrochen und schwer.
+
+"Dann muss ich im Hotel schlafen ... Herr Schutzmann ... wenn die Leiche
+hier liegenbleiben muss," sagte er endlich hilflos. Er hatte diese
+Anordnung vom Arzt gehoert.
+
+Da stand der Schutzmann selbstbewusst auf, sagte: "Sie kommen mit!"-Alle
+Menschen waren noch auf dem dunklen Hof, und entsetzte Blicke fielen auf
+die Davongehenden.
+
+
+III.
+
+Wegen dringenden Verdachts, seine Logisfrau ermordet zu haben, wurde
+Peter Windel in Untersuchungshaft genommen und in einer Einzelzelle
+untergebracht. Vier hohe, glatte, mit kahler, graugruener Oelfarbe
+gestrichene Waende umgaben ihn von nun ab. Unter der Lichtluke stand
+die hoelzerne Pritsche, daneben der Abort. Auf dessen Deckel konnte man
+bei den Mahlzeiten den Essnapf oder die blecherne Wasserkanne stellen.
+
+Die erste Nacht lehnte Peter schlaflos an der kalten Tuer. Als die
+Waerter in der Fruehe aufschlossen, mussten sie fest druecken, bis seine
+steife Gestalt nachgab und endlich, als sie wuetend fluchten, mechanisch
+etliche Schritte in den Raum machte. Waehrend die Waerter die Brotration
+auf die Pritsche legten und den Kaffee in die blecherne Tasse gossen,
+stand der Gefangene die ganze Zeit unbeweglich und zusammengeschrumpft
+da. Sie achteten nicht weiter darauf und schlossen geraeuschvoll wieder
+die Tuer.--
+
+Jetzt war Licht. Die Gefaengnisuhr schlug sieben.
+
+Peter schaute schuechtern im Raum herum und begann zu gehen. Ging
+stoisch die Waende lang. Immer zehn Schritte der Laenge nach und zwoelf
+Schritte der Breite nach. Den ganzen Tag, ohne innezuhalten, wenn man
+Essen oder Abendbrot brachte.--
+
+Erst als das Licht beim Hereinbruch der zweiten Nacht verlosch, legte
+er sich auf die Pritsche, zog die rauhe Decke ueher sich und schlief
+wie immer. Jaeh erwachte er in der anderen Fruehe. Es war stockdunkel.
+Er griff in die Gegend des Abortes, als suche er etwas oder wolle
+Licht anstecken und stiess dabei so hastig an die Wand der Wasserkanne,
+dass dieselbe mit einem Knall auf den Boden fiel und klatschend die
+Fluessigkeit aus ihr peitschte. Erschreckt schwang sich Peter von der
+Pritsche, hielt seine aufgeknoepften Kleider raffend zusammen und
+lauschte aufmerksam.--
+
+Jetzt schlug es fuenf. Er atmete auf und begann unsicher und vorsichtig
+umherzutasten. Auf einmal fuehlte er die Naesse an seinen Fuessen.
+
+"Herrgott! Herrgott!" brummte er muerrisch und besann sich. Aber in
+diesem Augenblick raekelte wer an der Tuer. Ein Atmen wurde vernehmbar,
+das Licht in der hohen Decke flammte auf und wieder standen die kahlen
+Mauern ringsherum, das kleine Loch glotzte in den totenstillen Raum.
+
+"Was machen Sie denn da?!... Sind Sie ruhig!" bruellte der Waerter
+draussen aergerlich. Peters Finger streckten sich und liessen von den
+Kleidern. Seine Hose fiel langsam herab. Ein Zittern schuettelte seinen
+ganzen Koerper.
+
+"Es ist schon fuenf Uhr vorbei, ich muss weg!" hauchte er gedaempft.
+--Aber es war schon wieder dunkel. Und still.--
+
+Erst nach einer Weile brachte Peter die Kraft auf, seine Hose
+hochzuziehen, und tastete sich zur Pritsche, legte sich darauf. Sein
+Herz schlug hoerbar und mit jedem Uhrenschlag erregter. Um sechs Uhr
+schwang er sich empor und blieb dann hoelzern sitzen.
+
+Das Licht griff endlich wieder von der hohen Decke in den Raum. Die
+Tuer oeffnete sich unter dem Knarren der Schluessel. Ein Waerter stellte
+das Fruehstueck herein und der andere an der Tuer warf den Aufwischlumpen
+her und beide brummten und schimpften wegen des Wasserumschuettens,
+hiessen Peter aufwischen. Fast froh darueber ergriff dieser den Lappen,
+kniete hin und wollte alles moeglichst in die Laenge ziehen. Aber die
+Waerter zeterten und trieben zur Eile.
+
+"Vorwaerts! Vorwaerts! Glauben Sie, wir sind zu Ihrer Unterhaltung da!
+... Marsch! Marsch! ... So ... fertig!"
+
+Sie rissen ihm den Lumpen aus der Hand und waren schon draussen. Wieder
+wich die Tuer in die Wand zurueck. Die Schluessel knirschten. Das Guckloch
+starrte wie ein graessliches, ausgestochenes Auge in den kahlen Raum.
+
+Peter kniete benommen da. Lange.
+
+Es war still! Still!!
+
+Fuerchterlich still!
+
+Wie ein aufgescheuchtes Tier hob der Kniende ploetzlich den Kopf,
+schaute scheu um sich und sprang mit einem Satz an den Abort, hob den
+Deckel und schloss ihn hastig wieder, hob und schloss.
+
+Die Spuelung rauschte. Auf und zu klappte der Deckel. Es krachte,
+rauschte. Immer hastiger, schneller, motorisch riss Peter auf und zu,
+auf und zu, immerfort, immerzu, nur um die Stille nicht mehr zu hoeren,
+hob und deckte zu, es rauschte, rauschte--bis der Waerter schrie:
+"Sie!! ... Sie! Sind Sie verrueckt geworden!!--Passen Sie auf! ... Man
+ist schon mit anderen fertig geworden! ... Warten Sie, Sie!!"
+
+So erschrocken war Peter, dass er noch lange zitterte, dann ging er
+hastig wieder die zehn und die zwoelf Schritte. Den ganzen Tag.--
+
+Viele, viele Tage, jedesmal um fuenf Uhr frueh, erwachte Peter so jaeh.
+Immer griff er hinueber zum Abortdeckel, wollte Licht anstecken, sprang
+auf, brachte seine Kleider in Ordnung,--machte etliche Schritte, stiess
+an die kalte Tuer und prallte zurueck.
+
+Neunzehnunddreiviertel Jahre gleichmaessiges Aufstehen lassen sich
+schliesslich nicht aus der Gewohnheit ausloeschen.
+
+Um sechs Uhr pfiff es. Wenn er am Hebel stand undihn herumriss, fing
+der maechtige Koloss der Fabrik zu surren an, die Riemen klatschten,
+quietschten, es krachte, bebte, haemmerte....
+
+Peter war so mit dem Kopf an die Tuer gestossen, dass er taumelnd
+zurueckfiel, glatt auf den Boden und liegenblieb.--
+
+Wo!? Wo war man denn? Wo denn! Wo!!?
+
+Auf der Welt? In der Hoelle? Tief in der Erde?--
+
+Es war still!
+
+Nirgends war man! Nirgends! Gar nirgends!
+
+In einem Grab, in einem luftleeren, steinernen Sarg! In einer
+fressenden Stille! Und durfte langsam, ganz langsam sterben. Niemand
+wusste, sah und hoerte etwas. Es war still! Still!!--Still!!!
+
+Doch--man hoerte etwas, zeitweilig ein ganz fernes Klopfen, ein Kratzen
+in den Waenden. Aus einer anderen Gruft vielleicht?!--Nein! Es waren
+Holz--oder Mauerwuermer, die nagten, nagten, weil sie einen Kadaver
+witterten.--
+
+Die dann herabfielen wie Tropfen und langsam in den Leibbohrten,--nagten,
+nagten und alles auffrassen!--
+
+Das Licht kam wieder. Peter Windel stand auf, ging zehn und zwoelf
+Schritte. Er ass jetzt auch.--
+
+
+IV.
+
+Endlich nach fuenfzehn Wochen Haft fand die Verhandlung gegen Peter
+statt.
+
+Stupid folgte der Gefangene den Waertern durch lange Gaenge, dann fuehlte
+er Luft und bekam Angst, atmete sparsam.
+
+Und dann sass er in einem Saal, sah Gestalten, sah starre Augen und
+hoerte Redegeraeusche um sich herum und aus sich heraus.
+
+Zuerst sass er da wie eine leblose Puppe. Dann, mit jedem gehoerten
+Wort, kam mehr und mehr das Leben in ihn. Sein Gesicht bewegte sich,
+als oeffne es sich aus einer Erstarrung--und dann lag ein Laecheln die
+ganze Zeit auf seinen stoppeligen Falten und blieb.--
+
+Die Dienstmagd vom Vorderhaus sagte aus. Einfach klangen ihre Worte.
+Sie sprach nicht zu viel und nicht zu wenig.
+
+Das Geraeusch der Worte war erst undeutlich, dann wurde es klarer und
+klang.--
+
+Am fraglichen Sonntag nachmittags zwei Uhr vernahm diese Dienstmagd
+ein Wimmern aus dem offenen Fenster des Windelschen Zimmers. Dem
+folgte ein grobes, kurzes Schimpfen. Dann sah sie den Angeklagten auf
+der Treppe, wie er ploetzlich innehielt und wieder umkehrte. Und wieder
+hoerte sie das Wimmern, noch deutlicher sogar und ein wuetenden Schimpfen,
+dann einen Tuerzuschlag und Windel mit grimmigem Gesicht die Treppe
+hinunterrennen.
+
+Wie ruhig sie das sagte: "Und dann, gleich darauf, habe ich einen
+dumpfen Knall und einen kurzen, nicht recht lauten Schrei, der eher
+ein Stoehnen war, gehoert und das Wimmern hat auf einmal aufgehoert. Ich
+weiss nicht mehr genau, war's gleich nach dem Tuerzuschlagen oder ein
+wenig spaeter. Ich bin dann zu meiner Schwester gegangen, weil ich
+Ausgang hatte.... Die Leute im Vorderhaus und im Hinterhaus? ... Ja
+... soviel ich gesehen habe, die waren fast alle weggegangen ... schon
+mittags.... Es war ja auch so schoenes Wetter."
+
+Peter Windel sass da und lauschte. Es klang!--
+
+Er begann auf einmal langsam--dann aber stossweise zu schluchzen. Eine
+Bewegung kam in den Saal. Eine Glocke laeutete. Lauter rief wer!
+Ja!--Ja! Das konnte der Vesperruf in der grossen Halle sein! Das war
+dasselbe, duenne, schrille Laeuten.--
+
+Dann klangen wieder Stimmen hin und her.
+
+Der Chef, die Arbeiter und Angestellten und die fruehere Logisfrau
+sagten guenstig ueber den Angeklagten aus. Die letztere weinte sogar
+buchstaeblich und sprach erregt, dass der Staatsanwalt sich verpflichtet
+fuehlte, sie zu fragen, wie lange Windel sie kenne, ob er sie zuletzt
+noch aufgesucht und ob sie zu ihm in naeherer Beziehung gestanden habe.
+
+Die dicke Frau wurde darob sehr schrill, schrie und es laeutete
+abermals. Peter Windel war wieder ruhig geworden und laechelte
+wieder.--
+
+Laechelte, trotz der furchtbaren Anklagerede des Staatsanwalts,
+laechelte starr in den Raum, als der Rechtsanwalt redete und redete.--
+
+Man fand keine Absicht in dieser Tat. Die Beweise waren zu mangelhaft.
+Der Angeklagte war ein unbescholtener Mensch. Bis in die Schulzeit
+hatten die eifrigen Nachforschungen der Behoerden zurueckgegriffen,
+nichts liess auf einen jaehzornigen, boeswilligen Menschen schliessen,
+sondern eher auf einen schuechternen, scheuen, dem das Leben stark
+mitgespielt hatte.--
+
+"Alles, was die tote Frau Hullinger hinterlassen hat, fand man
+unberuehrt. Sie haben ein Zeugnis aus der weitaus ueberwiegenden
+Mehrzahl der Aussagenden, dass der Angeklagte nie zu einer solchen Tat
+faehig sei. Wie kann man annehmen, dass ein solcher Mensch wegen einer
+geringfuegigen Unreinlichkeit einfach eine alte Frau dermassen an den
+Waschtisch wirft, dass sie augenblicklich tot ist!" rief der Verteidiger.
+Und viele nickten. Man hoerte deutlich ein Aufatmen, als der Freispruch
+bekanntgegeben wurde und sah aufgeheiterte, fast erloeste Gesichter.--
+
+Peter Windel war frei.
+
+"Kommen Sie nur gleich wieder!" hatte sein Chef gesagt, als er ihm
+beim Weggehen die Hand drueckte. Und der Rechtsanwalt hatte einen Blick
+wie ungefaehr: "Na, das haetten wir wieder durchgedrueckt!"
+
+Nach fuenfzehn Wochen spuerten Peters zoegernde
+
+Schritte wieder Strassen, hoerten seine Ohren Trambahnrattern, sahen
+seine Augen Menschen, Farben, Fenster, und er wusste selber nicht, wie
+und weshalb er ploetzlich an einen Schalter herantrat und sagte:
+"Dritter Klasse! Ja!"
+
+Er stieg auf den Zug und ging nicht in die Kupees. Eine Nacht lang
+stand er auf dem eisernen, ratternden Vorplatz eines Wagens und
+atmete.--
+
+Der Wind pfiff. Der Zug sauste, riss die Luft auseinander, zog
+vorbeifliegende Lichter in die Laenge, bohrte hemmungslos in eine
+dunkle, ungewisse Ferne.
+
+Keine Wand mehr, keine zehn und zwoelf Schritte, kein Ende--das Toben
+und Brausen wieder! Nur diesmal wie ein Flug durch einen unermesslichen
+Raum.--
+
+
+V.
+
+Aber--es ist nicht wahr! Man kann nichts wegtrinken, nichts vergessen
+machen, nichts ausloeschen! Man traegt es mit sich wie ein unsichtbares
+Schneckenhaus und zuletzt!?--
+
+Es sind immer wieder die kahlen, glatten Mauern, die Tuer mit dem
+ausgestochenen Aug' in der Mitte, die zehn und zwoelf Schritte....
+
+Es klopft.--
+
+Es kratzt in den Waenden. Die Wuermer nagen. Sie warten und fallen
+ploetzlich in einer Nacht wie schwere Tropfen herab, bohren sich ins
+Fleisch, nagen--nagen.--
+
+Peter Windel hatte eine wilde Flucht hinter sich. Durch Staedte und
+Doerfer war er gefahren, in Hotels und in Wirtschaften, in
+Animierkneipen oder am Leib eines Weibes hatte er die Naechte
+verbracht. Er trank, warf das Geld weg, ass, sass in den Theatern und
+den Kinos, in den Bars und Vergnuegungslokalen jeder Klasse.
+
+Es war immer wieder die Stille, das Stockdunkle, das Grab!--
+
+Er floh und kehrte endlich wieder zurueck zu Jank, nahm die Arbeit
+wieder auf und wurde ruhiger. Es trat die alte Regelmaessigkeit in sein
+Leben. Ereignislos verliefen die Jahre. Er wurde alt. Gebueckt ging er.
+
+Der Chef nahm ihn in die Abteilung fuer technische Angelegenheiten ins
+Bureau. Da sass er nun jeden Tag auf seinem Drehstuhl und rechnete,
+schlug das Buch zu, kam am aendern Tag wieder und rechnete.
+
+Neben ihm sass das Schreibmaschinenfraeulein, weiter am Fenster vorne
+der Ingenieur und manchmal auch der Chef.
+
+Jahre.--
+
+Ploetzlich an einem Nachmittag gegen drei Uhr warf Peter Windel die
+Feder weg, riss sich fast soldatisch herum, ging an den Schreibtisch
+des Ingenieurs und sagte mit hohler, kalter Stimme: "Die Sache
+liegt vollkommen glatt. Fuer den Verlust mache ich Sie keinesfalls
+haftbar."
+
+Steif stand er einen Augenblick vor dem verbluefften Herrn und drehte
+sich rasch um, rannte zur Tuer und war weg.
+
+Schon nach der Mittagspause hatte er sich den Hut unter den
+Schreibtisch gelegt. Und jetzt war er froh, dass kein ihm bekannter
+Strassenbahner den Wagen fuehrte, in den er stieg.
+
+Nach der fuenften Haltestelle stieg er aus. Er war mitten in der Stadt.
+"Das Urteil im Heinold-Prozess! Zwoelf Jahre Zuchthaus!" schrien die
+Zeitungsverkaeufer und flatterten mit den Extrablaettern herum.
+
+Wichtige, gespraechige Gesichter tauchten auf, gedraengte Gruppen
+stauten sich um die Anschlagssaeulen.
+
+Peter bohrte seine Augen spaehend in die staubige Luft. Nach einem
+regen Ausschreiten blieb er auf einmal stehen, murmelte etliche Worte
+heraus, drehte sich mechanisch herum und ging in den Blumenladen,
+vor dem er jetzt stand. Nach einer langen Weile kam er mit einem
+grossen, auffallend schoenen Rosenstrauss heraus, und ein kaltes Laecheln
+lag auf seinen stoerrischen Zuegen.
+
+"Lebenslaenglich in einem Grab ... da schon lieber gleich weg," hatte
+er gestern beim Treppenhinaufgehen gehoert, und dann sagte eine andere
+Frau superklug: "Beantragt erst. Es haengt noch vom Gericht ab."
+
+Heute war niemand im Treppenhaus. Auch die Wohnung war leer. Die
+Logisfrau war wahrscheinlich zum Putzen gegangen und ihr Mann kam erst
+gegen sieben Uhr abends von der Arbeit.
+
+Peter oeffnete rasch und schritt behend in sein Zimmer, legte behutsam
+den Rosenstrauss auf den Tisch und holte sich in der Kueche warmes Wasser
+zum Rasieren.--
+
+Als er bereits im Gebrock vor dem Spiegel stand, ueberfiel ihn auf
+einmal ein massloses Zittern, und eine Totenblaesse ueberzog sein
+Gesicht. Mit Gewalt straffte er seine Fuesse. Dann nahm er endlich den
+Strauss und verliess die Wohnung.
+
+Es war schon dunkel, als er vor der Tuer des Staatsanwalts Petersen
+stand und laeutete.
+
+"Ich moechte gern ... wenn es erlaubt ist ... dem Herrn Staatsanwalt
+diese Blumen bringen ... und--und gratulieren," stotterte er dem
+Maedchen ins Gesicht. Das liess ihn ein und fuehrte ihn in ein
+Empfangszimmer. Nach ganz kurzer Zeit tat sich die Mitteltuer auf, und
+Peter stand vor dem Staatsanwalt. Einen Augenblick hatte der Mann eine
+steinern ernste Miene, dann flossen alle Falten in ein Wohlwollen und
+er laechelte geschmeichelt.
+
+Mit vielen unbeholfenen Verbeugungen reichte ihm Peter den Rosenstrauss
+und stotterte devot: "Fuer ... fuer den ausserordentlichen Eindruck, den
+ich von Ihrer Anklagerede empfing ... nur eine kleine Erkenntlichkeit
+meiner Wenigkeit, Herr ... Herr Staatsanwalt, Herr....!"
+
+Der Staatsanwalt nahm ihm mit aller Freundlichkeit der Herablassung
+den Strauss aus der Hand, fuehrte ihn an die Nase und sog in vollen
+Zuegen den Duft ein, hob den Kopf wieder, sagte: "Ah ...!" und drehte
+sich laechelnd um, zur anderen Tuer schreitend: "Das muss ich gleich
+meiner Frau sagen...."
+
+Jetzt, da er ihm den Ruecken zugewendet hatte, rief Peter ploetzlich mit
+schneidender Hast: "Eins, zwei, drei! ... einen Augenblick ..." und er
+laechelte, wie um sich zu besinnen ... "sind drei ... aber nein, nein!
+Das stimmt nicht! ... Zehn und zwoelf, verstehn Sie ... sind?"
+
+Der Staatsanwalt hatte sich erschreckt umgedreht, stand unschluessig.
+Peters Mund bewegte sich fieberhaft. Schaum stand auf seinen Lippen:
+"Verstehn Sie ... zehn und zwoelf Schritte! Den ganzen Tag! Den ganzen
+Monat--ein Jahr--zwei!--drei!--vier--zwoelf Jahre! Zwoelf Jahre!!"
+
+Und noch ehe der Staatsanwalt auf ihn zustuerzen konnte, stiess ihm
+Peter mit aller Wucht sein feststehendes Messer in die Brust, dass er
+lautlos zusammenbrach und vornueber hinfiel. Dumpf hallte es. Der
+Koerper warf sich etliche Male zuckend und blieb dann steif liegen.
+
+Peters Mund ging auf und zu: "Zehn und zwoelf Schritte--einen Tag,
+einen Monat--ein Jahr--zwoelf Jahre, zwoelf----"
+
+Die Tuer ging auf. Hoch stand ihr Dunkel. Etwas Buntes, Weisses
+flimmerte dazwischen! Peter schrie in einem Schrei:
+
+"Fuer den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar,--Zwoelf Jahre Grab!
+Verstehn Sie ... Das ausgestochene Aug'! Die Wuermer! Zwoelf Jahre ...
+Verstehn Sie! Zwoelf Jahre Nirgends! Nicht Hoelle! Nicht Welt! Zehn und
+zwoelf Schritte ... die Wue-ue-uermer!"....
+
+Nach der irren Hast der ersten Worte spaltete sich die Stimme,
+ueberschlug sich und klang zuletzt wie ein keuchendes, ersticktes
+Stoehnen. Jetzt hielt er inne.
+
+Die hohen Tueren standen offen da. Schwarz und duester. Gegen ihn
+gerichtet wie drohende Rachen.
+
+Die Gestalten und Gesichter waren fort. Es war still. Still!--Mit weit
+aufgerissenen Augen starrte Peter in diese Leere. Sein Koerper begann
+zu schlottern, aber er riss sich zusammen. Er wich zurueck. Sein Kopf
+stiess dumpf an den Fenstergriff. Erschrocken wandte er sich herum. Die
+Helle brach ueher ihn. Er oeffnete rasch.
+
+Jetzt befiel ihn wieder das Zittern. Sein Gesicht verzerrte sich. Er
+wollte umsehen und wagte es nicht. Seine Arme umklammerten das
+Fensterkreuz.
+
+Furchtbar schrie er: "Hilfe! Hi-ilfe!"
+
+Er schwang sich ploetzlich mit einem wilden Satz aufs Fenster und
+sprang in die Tiefe.--
+
+
+
+
+SINNLOSE BEGEBENHEIT
+
+
+Um es ohne Umschweife zu sagen--: Michel Zoell hatte heute einen guten
+Tag.
+
+Vorgestern, als er stumpfsinnig in der Waermestube der Arbeitsvermittlung
+sass und an dem nassen, verfilzten Zigarrenstummel saugte, den er auf dem
+Hergang in der Fruehe gefunden hatte, kam sein Weib herein und sagte zu
+ihm: "Dein Alter ist gestorben ... Vom Elektrizitaetswerk haben sie
+hergeschickt, dass er auf der Strasse umgefallen ist.--Schau nach!"
+
+Es stimmte.
+
+Jetzt lag der Tote unter der Erde.
+
+"Ich komm schon!--Nachher!" sagte Michel zu seinem Weib nach dem
+Begraebnis und schickte es heim, waehrend er zur Logisfrau des
+Verstorbenen ging.--
+
+Wie oft hatte Michel es nicht gehoert, wenn Fusstritte auf ihn traten,
+wenn er in eine Ecke flog, wenn die Faeuste seines Vaters auf seinen
+Kopf niedersausten oder eine Eisenstange, ein Teller, eine Buerste:
+"Knochen, verstockter!--Der Teufel soll mich kreuzweis' holen, wenn
+ich dir einen Pfennig hinterlass'! Ertraenkt sollte man dich im ersten
+Bad haben, du Nichtsnutz!"
+
+Mit sechszehn Jahren noch, als Michel schon im letzten Lehrjahr stand
+und eigentlich keine Last mehr war, wollte der Alte den Jungen
+wegraeumen und uebergoss ihn beim Heimkommen mit siedendem Kartoffelwasser,
+weil er das Vogelfutter fuer den Kanarienvogel mitzubringen vergessen
+hatte.
+
+Michel musste damals ins Krankenhaus gebracht werden und sah zum
+erstenmal, wie ein Bett aussah.
+
+Es war schoen in diesen hellen Raeumen. Man sah viele fremde Menschen,
+die allerhand erzaehlten. Michel fasste Mut da und ging nach seiner
+Entlassung mit dem was er auf dem Leibe trug, auf die Wanderschaft,
+schlug sich auf alle moegliche Art und Weise durchs Leben.
+
+Mutter--?! Ein komischer Begriff!
+
+Michel hatte noch so etwas wie eine abgemagerte Frau in einem Haufen
+Lumpen im Gedaechtnis. Ein Paar spindelduerre Arme wie Stoecke. Und
+Huesteln.
+
+Und das, was er nun seit ungefaehr zwei Jahren unausgesetzt ablebte:
+Eben ein Zimmer voll Gerumpel, mit erstickender Luft und einem
+Vogelbauer im staubigen Fenster.
+
+Nur--dass Michels Weib zwei Kinder hatte und hin und wieder zum Putzen
+ging, dass das jetzige Zimmer keinen Vogelbauer hatte, ein klein wenig
+heller war, aber enger als das fruehere.
+
+Vor zwei Jahren war es etwas anders. Damals arbeitete Michel noch in
+der Motorenfabrik. Es war guter Verdienst. Aber wie der Teufel sein
+wollte, die Firma machte Bankrott, kam noch hinzu, dass das damalige
+Haus, in dem Michel mit Weib und Kindern in einer Zweizimmerwohnung
+hauste, in ein Warenhaus umgewandelt wurde, und die Leute nach langem
+Hin und Her auf die Strasse gesetzt wurden.
+
+Weshalb soviel Aufhebens machen! Die Entwicklung der Dinge laesst sich
+leicht denken. Die Hauptsache war immer: Man hatte zur Not ein Dach
+ueher dem Kopf bekommen. Man wusste, wo man hingehoerte.--
+
+Nun, es ist etwas Wahres dran an dem Sprichwort: "Wo die Not am
+groessten, ist Hilfe am naechsten."
+
+Trotzdem der Verstorbene sich vielleicht geschworen haben mochte, nie
+und nimmermehr fuer Michel etwas zu hinterlassen, fiel dem Sohn jetzt
+die ganze erraffte Habschaft des Alten zu.--
+
+Es war erst fuenf Uhr nachmittags. Michel konnte in aller Ruhe das
+Zimmer des Verstorbenen durchstoebern und alles mitnehmen. Er fand
+ausser baren fuenftausend Mark einige Anzuege, von denen er den besten
+sogleich anzog, einen Ueberzieher, den er ebenfalls umlegte, und
+allerhand Gerumpel, das er dem Taendler Finsterhofer verkaufte.
+
+Er war gut aufgelegt, der Michel, lachte und gab schliesslich dem
+draengenden Taendler auch das ganze andere Geschleppe, die uebrigen
+Anzuege und was da noch war.
+
+Die Tasche voll Geld schritt er in die daemmernde Stadt.
+
+"Ist doch gut, wenn man weiss, wer einen auf die Welt gebracht hat,"
+brummte er aufgeheitert und ging in eine der bekannten Wirtschaften
+inder Bahnhofsnaehe, um noch ein paar Glaeser zur Feier des Tages zu
+trinken.
+
+Es kam ihm merkwuerdig vor, als er so unter den anderen Arbeitern,
+Zuhaeltern, Herumlungerern und alten Huren sass.
+
+Einige kannten ihn und massen ihn von der Seite.
+
+"Hast das grosse Los gezogen, Michel! He ... gibst was aus?" rief ihm
+ein Tisch zu und in jedem Blick war ein konstatierendes Zwinkern.
+
+Michel setzte sich. Es tat ihm wohl, dass soviel Freundlichkeit ihn
+umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art Goennerhaftigkeit.
+
+"Meinetweg'n ...," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins
+Gras gebissen! Es kommt mir nicht drauf an....!"
+
+Und die Gesichter um ihn zaeunten sich enger, fingen zu glaenzen an.
+Man trank sich kameradschaftlich zu.
+
+"Erste Runde ... wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und
+Ordnungsmann in den Tisch.
+
+"Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine
+heraus.
+
+"Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere.
+
+"Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekraeftigte ein anderer.
+
+Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll
+genug sein!"
+
+Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und liess Michel
+leben!
+
+Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten,
+bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein
+... richtig gesagt, sind wir zufrieden ... der Michel kommt wieder!"
+
+Und jeder drueckte Micheln die Hand.
+
+"Ein kreuzguter Mensch!" hoerte dieser noch, als er die Tuer hinter sich
+zuzog und seine Schritte eiliger straffte.
+
+Die grossen Bogenlampen leuchteten schon durch den nachtdurchwobenen
+Nebel. Aus den Kaffeehaeusern griffen die Lichter, die Strassenbahnen
+flimmerten, surrten und laeuteten.
+
+Michel stieg nicht ein. Er ging zufrieden dahin und laechelte manchmal.
+Es schien, als wolle er noch einmal, ganz fuer sich allein, das eben
+zuteil gewordene Glueck auskosten.
+
+Er griff nach seinem Geld. Er griff hastiger. Nichts.
+
+Seine Knie begannen zu schlottern, sein Herz stand jaeh still. Er griff
+nochmal.
+
+Das ganze Geld war weg. Man hatte es ihm gestohlen.
+
+Er taumelte an eine Hauswand. Griff, suchte--suchte alle Taschen
+durch, vorsichtig, zitternd, furchtbar.
+
+Nichts mehr.
+
+Einen Augenblick stand er starr.
+
+Die Trambahn surrte vorbei. Ganz duenner Schnee fiel. Die Lichter
+flimmerten. Es rauschte, rauschte--und war doch grauenhaft still. So
+als ob alles wie ein fliessendes Wasser leise um ihn herumfloesse. Er
+hoerte es nicht und hoerte es doch, hoerte es wie ein verborgenes, leises
+Kichern....
+
+Der Schnee fiel. Michel bewegte sich nicht von der Stelle.
+
+Lange.--
+
+Endlich gab er sich einen Ruck, rannte in die Wirtschaft zurueck, auf
+den Tisch zu.
+
+Es war keiner mehr da. Er fuhr den Ordnungsmann an. Fragte, flehte,
+weinte. Vergebens.
+
+In sich zusammengesunken verliess er die Wirtschaft. Machte sich auf
+den Heimweg. Als er vor dem Haus stand, in dem er wohnte,--hielt er
+inne. Er griff nochmal in alle Taschen.
+
+Dann, als er die Treppen emporstieg, schien es, als haette sein Gang
+wieder die gewoehnliche Ruhe und Gleichgueltigkeit, mit der er sonst
+dahinschritt. Der Dunst des Zimmers schlug ihm aetzend entgegen. Es war
+still und duester. Die zwei Kinder lagen im Korb, in einem Berg von
+Lumpen, und schliefen. Anna sass am Tisch, die Petroleumlampe flammte
+aermlich und blaeulich ueher ihre Haende.
+
+Gleichgueltig schaute das Weib vom Sockenstopfen auf und rief: "Hast
+was gefunden?"
+
+Michel schwieg, drehte sich umstaendlich um und schloss die Tuer. Dann,
+seinem Weib wieder zugewendet, sagte er: "Zuwas stopfst' Socken? ...
+Brauchst bloss Licht."
+
+"Hast denn solang braucht?" fragte Anna und fixierte nunmehr die
+ungewohnte Kleidung ihres Mannes.
+
+"Ja ...," sagte Michel und zog seinen Ueberzieher aus, "ist eine schoene
+Strecke gewesen...."
+
+"Ist ein schoenes Stueck Gewand," sagte Anna wieder, als Michel naeher
+ans Licht getreten war und sich auszuziehen begann, "sonst hat er also
+nichts gehabt?"
+
+Der Michel schnaubte ein paarmal auf. Dann rief er einsilbig: "Geh,
+leg dich nieder ... fuer uns waer's besser gewesen, man haett' uns im
+ersten Bad ertraenkt ... leg dich nieder, Alte!"
+
+Und plumpsig liess er sich ins Bett fallen, dass die Federn knarzten.
+Bald darauf lag auch Anna an seiner Seite.
+
+Am aendern Tage trug Michel den Ueberzieher aufs Leihamt und gab Anna
+das Geld.
+
+Wieder wie immer hockte er stumpfsinnig in der Waermestube der
+Arbeitsvermittlung.--
+
+
+
+
+DIE LUNGE
+
+
+Die Arbeiterin Manztoeter ist der Lungenschwindsucht erlegen. Sie war
+eine stille, fleissige Person. Sie schaffte sich auch etwas.
+
+Vor vier Jahren trat sie in die Zigarettenfabrik Zuccalisto ein.
+Bauernmagd war sie vorher gewesen. Eine von den vielen, die die Stadt
+anzog, der Verdienst und die Aussicht auf eine baldige, einigermassen
+ertraegliche Ehe vielleicht.
+
+Die Maenner auf dem Lande waren plump und bedacht auf offene manchmal
+in den Stall, fassten sie an der Brust, packten ihr Kinn, leckten ihre
+Wangen. Ein rothaariger Knecht setzte ihr aufdringlich zu, stand und
+stand ueberall und schlug einmal sinnlos auf sie ein. Daraufhin floh sie
+in die Stadt.
+
+Sie aenderte sich nicht, sparte, arbeitete und war fromm ohne
+Bigotterie. Noch immer las sie das Wochenblatt jedesmal aus und den
+Roman und hielt sich ausserdem "Die christliche Dienstmagd". Unter dem
+vielen Gemisch von afrikanischen Missionsberichten, fand sie eines
+Tages die Geschichte eines Farmers in Suedwestafrika, leis ueberhaucht
+von friedlich-fleissigem Eheidyll.
+
+Einem solchen sparte sie das Geld vielleicht.
+
+Vierhundert Mark hatte sie schon auf der Sparkasse. Noch vielleicht
+zwei Jahre oder laengstens drei und es waeren tausend gewesen. Tausend
+Mark!--
+
+Das ist schliesslich nur Angewohnheit, dass man zur Vesper fuer fuenfzig
+Pfennig Kaese oder ein Stueck Wurst haben muss mit Bier. Kaffee mit einer
+Semmel geht auch oder Gerstenauflauf von Mittag. Machte schon wieder
+zwanzig Pfennig weniger.--
+
+Ausserdem kann man sich woechentlich zweimal zu den Ueberstunden melden.
+Sind auch wieder drei Mark fuenfzig Pfennig fuer je eine Stunde. Man
+macht jedesmal drei, sind zusammen woechentlich einundzwanzig Mark.
+Eineinhalb Tagelohn mehr. Dann, wenn man heimkommt, ist's meistens
+schon dunkel, man braucht kein Licht mehr, legt sich einfach gleich
+ins Bett und schlaeft ein, hat gar keinen Hunger mehr.--
+
+Zuletzt waren es schon sechshundert Mark. Sechshundert!
+
+Und da kam die Lunge.
+
+Und kurz darauf haette es eine allgemeine Aufbesserung gegeben, weil
+die Zigarettenfabrik Zuccalisto fuenfundvierzig Prozent Dividende
+verteilen konnte dieses Jahr und auch was tun wollte fuer ihre Arbeiter.
+
+
+
+
+OHNE BLEIBE
+
+
+Es war schneidend kalt.--
+
+Der Schutzmann an der Ecke sah einem angeheiterten Doppelpaar
+griessgraemig nach und knurrte muerrisch.
+
+Durch den Gedanken, dass diese Leute nun in ihre warmen Stuben heimgingen
+und vor dem Zubettgehen vielleicht noch heissen Tee tranken und eine
+Kleinigkeit zu sich nahmen, hatte er sich davon abbringen lassen, weiter
+auf und ab zu gehen und seine durchfrorenen Beine durch zeitweiliges
+Stampfen einigermassen warm zu erhalten. Jetzt stach die Kaelte doppelt
+quaelend in allen seinen Gliedern.
+
+Er knirschte verdrossen, zog seinen Kopf noch tiefer in den
+aufgestuelpten, starren Mantelkragen, bog mit sichtlicher Ueberwindung
+die steifgewordenen Knie und ging wieder weiter.--
+
+Die Stimmen der Spaetlinge verschwammen mehr und mehr. Es wurde wieder
+still. Wie ausgestorben dehnte sich das verlassene Geviert aus. Duester
+und drueckend ragten die Hauswaende empor. Der Schnee fiel dicht und
+sehr ruhig.--
+
+Missmutig schwenkte der Schutzmann in eine breitere Strasse ein. Durch
+die gleichmaessiger verteilte Schneeflaeche schien es hier heller und
+weiter zu sein. Er blickte erleichtert in die weisse Eintoenigkeit. Eine
+strichhaft hagere Gestalt kam auf ihn zu. Der Mann schien weder Kopf
+noch Arme zu haben. Nur die Beine warf er mechanisch nach vorne wie
+ein aufgezogenes Gespenst. Als er kaum noch fuenf Schritte von ihm
+entfernt war, hustete der Schutzmann sehr vernehmlich und hob sein
+veraergertes Gesicht.
+
+"Sie!" rief er dem Herankommenden gehaessig laut entgegen und warf sich
+in straffere Haltung.
+
+Die Gestalt blieb stocksteif stehen. Nur der Frost schuettelte sie.
+
+"Haben Sie Papiere?" fragte der Schutzmann, noch einen Schritt
+machend, und musterte den Mann.
+
+Der ruehrte sich nicht.
+
+"Sie!!" bruellte der Schutzmann wie fluchend und leuchtete dem Fremden
+mit der Taschenlaterne entgegen. Alles an ihm war wieder in bester
+dienstlicher Ordnung.
+
+Ein harkiger, abgerissener, verdorrter Baumstamm oder eine arg
+ramponierte Saeule konnte es sein, was da im Lichtkreis stand. Raschen
+Blicks ueberflog sie der Polizist.
+
+"Ihre Papiere!--Sind Sie denn taub!" schrie er abermals, wuetend ueber
+das Aufgehalten werden bei solcher Kaelte, und setzte schnell, wie
+witternd hinzu: "Oder haben Sie keine?"
+
+Der Fremde zog endlich seine erstarrte Hand aus der tiefen Hosentasche
+und reichte ihm die schmutzigen, durchnaessten Ausweise.
+
+"Karl Pruvik, Klempnergehilfe" stand auf der ueberleuchteten
+Invalidenkarte. Herkunft, Geburts--und letzter Dienstort und Datum
+waren verzeichnet. Abgestempelte Marken klebten auf der ersten Haelfte.
+
+Der Schutzmann steckte das Papier unter den blauen Militaerpass und
+schlug diesen auf.
+
+"Infanterist Pruvik, Karl.--14. Regiment" orientierte die erste Seite.
+
+"Verwundet bei Luneville (Armschuss rechts), desgleichen bei Tarnopol
+(Knieschuss links), verwundet bei Verdun (Schulterschuss links)" war im
+Anhang eingetragen, und so und soviele Gefechte und Schlachten erwaehnte
+das naechste Blatt.
+
+Das Gesicht des Schutzmanns verlor mehr und mehr die stiere Haerte, hob
+sich etwas hoeher aus dem Mantelkragen.
+
+"Hm!--Auch Kriegsteilnehmer? ... Ohne Bleibe, was?" sagte er mit
+zufriedener Ruhe und streckte dem regungslos Dastehenden die Papiere
+him. Dessen Gestalt schwankte ein klein wenig nach vorne.
+
+"Hundekaelte das! Warten Sie, es geht schon!" rief da der Schutzmann
+noch loyaler und steckte dem Mann die Papiere hilfsbereit in die
+Rocktasche: "Ist ja noch nicht so spaet. Noch alles offen in der Stadt.
+Sie kommen sicher unter!"
+
+"So," sagte er eben, als in naechster Naehe die Uhr zehn schlug. Einen
+Augenblick horchte er auf, nickte und entfernte sich eilsamen
+Schritts. Schon von weitem erspaehte er die Abloesung.
+
+Karl Pruvik riss sich fest zusammen und schritt wieder weiter.
+
+Der Schnee fiel und fiel.
+
+Nach einer langen Weile wurde es endlich etwas lichter. Menschen
+stapften vorueber. Grelle Autolaternen glotzten ueher einen freien
+Platz. Ueher einem maechtigen Saeulenportal leuchteten gross die
+Buchstaben "Schauspielhaus".
+
+Vielleicht vom Licht angezogen verschnellerte Karl Pruvik unwillkuerlich
+seine Schritte, eilte geraden Wegs auf den Theaterausgang zu. Eben
+stroemte die Besucherschar aus den grossen, glitzernden Toren. Er befand
+sich im Nu mitten im dichtesten Gemeng und draengte sich vorwaerts. Eine
+warme Duftwelle schlug ihm entgegen, starkgeschminkte Gesichter tauchten
+auf und seltsam kuehne Reflexe warf das grelle Licht auf glaenzende,
+rauschende Damentoiletten. Ueberschnell schwirrten geschaeftige Stimmen
+ineinander, Seidenrauschen, Laecheln, Autohupen und das fadenduenne Zirpen
+suesslicher Tonfaelle vermischten sich zu einem betaeubenden Geraeusch.
+"Einfach glaenzend!" rief wer. "Ruehrend, wie die Hohlmann spielt!--Nein,
+einfach entzueckend!" zwitscherte eine ueberhelle Stimme. "Huw, dieses
+Schweinewetter!-Kommt schnell ins Auto!" liess sich zwischendurch vernehmen.
+Und wieder: "Kritisch gewertet--: Eine Glanzleistung in Regie und Spiel!"
+Dann das laute, aufdringliche Gekicher der Backfische: "Dieses herrliche
+Rueschenkleid, Mama!--Hast du gesehen,--den Sonnenschirm!--und das
+Biedermeierkostuem im dritten Akt? Entzueckend!--Du Lilly, weisst du was!
+So gehen wir heuer im Fasching!--Gell Mammi! Gell!"
+
+Es plaetscherte fort und fort, oben, unten, ueberall. Abschiednehmen,
+Handkuesse, Einladungen fuer das morgige Festessen, Lachen, Autovor--und
+Abfahren--alles wie ein flimmernder Hexentanz!--
+
+Karl Pruvik war mittlerweile unbemerkt bis an das Eingangstor
+gelangt. Noch eine geschickte Finte und er hatte fuer heute nacht
+ein Dach ueber dem Kopf. Sein Herz schlug heftig. Es war wieder Leben
+in seine froststarren Glieder gekommen. Behende glitt er an den
+aufeinandergedraengten Gestalten vorbei und fuehlte auf einmal Raum und
+Waerme. Er lugte spaehend nach dem betressten Portier, duckte sich mehr
+noch zusammen, hielt den Atem an, arbeitete sich an der Wand entlang.
+
+Im selben Augenblick aber stockte die Bewegung des Menschentrupps. Er
+zerteilte sich und jaeh brachen die Reden ab. Durch eine glotzende
+Gaffergasse hastete der Portier mit steinernem, finster drohendem
+Gesicht auf ihn zu.
+
+"Was suchen Sie denn da?--He! Sie! Sie!" schrie der Tuerhueter. Karl
+Pruvik zog wie ein gezuechtigter Hund die Schultern hoch und verbarg
+den Kopf voellig in seiner schlotternden Brust.
+
+"Was Sie wollen, frag' ich!?" bellte der Portier hinter ihm und packte
+ihn heftig am Arm, riss ihn zurueck. Ohne Wort und ohne Abwehr liess sich
+der Eingedrungene von dem belfernden Tuerhueter und zwei inzwischen
+herbeigeeilten Logendienern ins Freie schieben. "Hm, sowas?--Sich ins
+Theater einzuschleichen!" sagte jemand von den Stehengebliebenen und
+schuettelte den Kopf. Der ins Stocken geratene Menschenhaufe bekam
+wieder Bewegung und draengte sich durch den Ausgang. Die Tore schlossen
+sich finster. Schwaetzendtrabten die letzten Paare vorueber.
+
+Karl Pruvik stand zoegernd und benommen im glitzernden Schneegeflock.
+Einen Augenblick hatte es den Anschein, als straffe sich sein Koerper,
+als hole er zu einem Satz aus und wolle in die vorbeigleitenden,
+duftenden, rauschenden, geschwaetzigen Menschen springen, aber
+schliesslich torkelte er doch ueher die verschneite Freitreppe hinunter
+und bog in die Seitengasse ein, die vom Theaterplatz abzweigte. Ein
+letztes Auto surrte weg. Die Stimmen verloren sich in der Ferne. Die
+erleichternde Helligkeit, die die Beleuchtung des Theaterpalastes nach
+allen Seiten him verbreitet hatte, verlosch lautlos. Es war wieder
+ringsherum die fahle, unwirkliche Duesternis der Winternacht.--
+
+Karl Pruvik hob den Kopf hilflos. Eine knappe Wurfweite vor ihm ragte
+etwas Schwarzes aus dem Schnee und bewegte sich wie schwebend von der
+Stelle. Willenlos und ohne Grund folgte er der Erscheinung.
+
+Lange ging er so.
+
+Es musste schon tief nach Mitternacht sein. Trist gaehnten die
+menschenleeren Strassen und Plaetze.
+
+Man stand am Rande des Stadtparkes. Die kerzengerade Gestalt verschwand
+zwischen den Baeumen.
+
+In der aufgeworfenen Bahn der Spur schritt Karl Pruvik weiter. Es war
+viel dunkler hier. Die schneebeladenen Baumaeste lasteten schwer herab.
+Nur zeitweilig gab sich eine hellere, freiere Stelle und undeutlich
+liessen sich eingemummte Baenke erkennen. Auf einer solchen hockte die
+zusammengekauerte Gestalt nun, der er die ganze Zeit gefolgt war.
+Stoisch liess sich Karl Pruvik neben ihr nieder und legte wie aus einer
+ploetzlichen Eingebung heraus seinen steifen Arm um nasse, scharfe
+Schultern. Lahm schmiegten sich die beiden Koerper aneinander. "Kalt,"
+murmelte es kaum hoerbar aus dem Kopf, der haltlos auf seine Brust
+herabglitt.
+
+"Kalt," brummte Pruvik ebenso leise und schloss seine Augen. Auch sein
+Kopf sank herueber auf das Genick des anderen.
+
+Kein Schnee fiel mehr. Es war seltsam--: Jetzt, da man schonungslos
+der Kaelte ausgeliefert war, wussteman nicht mehr, war's eine rasende
+Hitze oder eine gaenzliche Eisigkeit, was in den Gliedern bruetete. Der
+ganze Koerper hatte das Gewicht verloren. Es schien als schwebe er
+durch eine unsaeglich friedliche Stille.... Auf einmal drueckte etwas
+Hartes an den Arm, umklammerte, zerrte. Es schrie wie durch
+Nebelschwaden, dann naeher. Es ruettelte staerker. Das Geschrei schwoll.
+Der Kopf' an der Brust bewegte sich stumm.
+
+Karl Pruvik oeffnete die Augen. Das grelle Licht einer Taschenlaterne
+stach ihm ins Gesicht, blendete, schmerzte.
+
+"He!--He! Was ist da!!" schrie ein Schutzmann, riss erregt am Arm.
+
+"Was ist denn das! Auf! Auf!!"
+
+Alles tat wieder weh. Die zerfrorenen Knochen ruehrten sich, schmerzten,
+als seien sie alle einzeln abgeschlagen und bewegten sich wie in einem
+geplatzten Gipsverband klappernd von dannen.
+
+Erst in der Stube der Polizeistation sah Karl Pruvik, dass noch einer
+neben ihm stand, genau so reglos und stumpf wie er. Auf den redeten
+die zwei Schutzleute ein, fragten, schrien ihn an.
+
+Endlich nach einer Weile schritt man durch eine Tuer und das Licht war
+aus den Augen. Die beiden lagen auf einer Pritsche, in warme Decken
+gewickelt. Die Glieder bewegten sich ohne Schmerz. Waerme kam langsam.
+Von Zeit zu Zeit beruehrten sich Arm oder Fuss.
+
+Nach langer Zeit hoerte Karl Pruvik wieder polternde Stimmen und kalte
+Luft huschte ueher sein Gesicht. Die Pritsche knarrte und Schritte
+dumpften. Eine Tuer fiel zu. Jetzt war es leer neben ihm.--
+
+Es fiel glaeseriges Tageslicht durch die vergitterte Luke, als er die
+Augen oeffnete.
+
+Ein etwas ins Rundliche gehender Schutzmann mit gemuetlichem, wohlig
+geroetetem Gesicht stand vor ihm und sagte in friedlichem Bass: "Sie
+koennen sich wieder fertig machen. Es liegt nichts vor gegen Sie!"
+
+Karl Pruvik hob seinen uebermuedeten Oberkoerper auf der Pritsche.
+
+"Haben Sie denn den andern gekannt?" fragte der Schutzmann.
+
+Pruvik schuettelte dumpf den Kopf.
+
+"Hat ein paarmal eingebrochen," erzaehlte der Polizist beilaeufig und
+redete weiter: "Stehn Sie dann auf und kommen Sie. Sie koennen wieder
+gehen."
+
+Karl Pruvik sah ihn verstaendnislos an.
+
+"Eine harte Zeit jetzt--und hundekalt diesen Winter!" brummte der
+Schutzmann und bat Pruvik abermals aufzustehen.
+
+Der erhob sich endlich und ging mit ihm durch die Tuer in die
+Polizeistube hinaus.
+
+Ein Wachtmeister sass am Tisch und hatte seine Papiere in der Hand, sah
+ohne Arg, beinahe mitleidig auf Pruvik.
+
+"Sie koennen wieder gehen," sagte er in dienstlichem Brustton und
+reichte ihm Invalidenkarte und Militaerpass.
+
+Karl Pruvik stand zoegernd da und machte keine Bewegung.
+
+"Es liegt nichts vor gegen Sie!--Dass einer keine Bleibe hat, kann
+jedem einmal passieren," sagte der Wachtmeister menschlich.
+
+Pruvik nahm mechanisch seine Papiere.
+
+"Gruess Gott," sagten die beiden Polizisten und nickten dem Gehenden zu.
+
+Einer oeffnete freundlich die Tuer.
+
+Karl Pruvik ging.
+
+Es schneite nicht mehr auf den Strassen. Das Bleich des Tages tat den
+Augen weh. Ein Wind hatte sich erhoben und pfiff schonungslos um die
+scharfen Hausriffe. Es war kalt. Es war wirklich grausam kalt....
+
+
+
+
+ETAPPE
+
+
+I.
+
+Der Stab fuer das Eisenbahnbauwesen der Ostarmee lag vor Duenaburg. Es
+ging die Rede von einem russischen Durchbruchsversuch. Die Baukompagnie
+14 geriet ins Feuer. Es gab Verluste. Der Bau der Feldeisenbahn kam ins
+Stocken. Die Verbindung mit der Kampffront blieb auf Tage unterbrochen.
+Vom Oberkommando der Armee lief eine Beschwerde beim Stab ein. Draengende
+Befehle peitschten zur Beschleunigung. Der Major hatte wieder jenen
+gehaessigen Aerger auf seinem finsteren Gesicht, der an den Brueckenbau in
+Kowno vor der Ankunft des Kaisers erinnerte.
+
+Zwei Tage vorher bereits ueberwoelbte das fertiggebaute, riesige hoelzerne
+Mittelstueck die gesprengte Memelbruecke damals. Die Belastungsprobe war
+glatt verlaufen. Allenthalben sah man entspannte, befriedigte Gesichter.
+Die ermuedete Mannschaft trat schon zum Heimmarsch in die Quartiere
+zusammen. Ploetzlich murrte ein langgezogenes, ruckendes Grollen ueber
+den nebeligen Fluss. Die Brueckenmitte hatte nachgegeben, war fast um
+einen halben Meter tiefer gesunken. Eine Totenstille herrschte minutenlang.
+Dann bellten abgehackte Befehle durch die Luft. Die erschoepften
+Abteilungen schwaermten wankend auseinander, wieder auf die Bruecke und
+ins eisige Wasser. Die ganze Nacht haemmerte, aechzte, krachte, schob und
+schrie es aus dem spaerlich beleuchteten Geruest des Notbaues und aus der
+Flusstiefe. Fieberhaft, mit verdrossenem, verbissenem Grimm wurde
+gearbeitet.
+
+Wie Rudel totgehetzter Ziehtiere trotteten die Kolonnen am Morgen in
+die zerschossene Stadt.
+
+Zwanzig Stunden wurde am darauffolgenden Tage gearbeitet. Zweiundzwanzig
+ununterbrochen am andern. Die Ruhr brach aus unter der Mannschaft.
+
+Mehr als vierzig Mann starben, fuenf ertranken in der Memel.
+
+Als der Kaiser ankam, erhielt der Major das Eiserne Kreuz erster
+Klasse.
+
+"Herr Major,--hoffentlich ist es uns allen noch gegoennt, dass wir den
+Pour le merite ebenso vergnuegt mit Ihnen feiern duerfen," sagte damals
+der geschnuerte, glatzkoepfige Stabsadjutant piepsend.
+
+Und zerschlissen freundlich laechelte der Major: "Wenn Petersburg faellt!"
+--Damals ging es unaufhaltsam vor.
+
+Nun stockte es erstmalig waehrend des ganzen Feldzugs.--
+
+Die Russen funkten sehr nahe. Die zurueckgetriebenen Eisenbahnbaukompagnien
+verpendelten die Zeit mit nutzlosen Appellen. Vom Hauptquartier kam Befehl
+auf Befehl. Die Offiziere flitzten nervoes und gewichtig herum. Bei der
+Mannschaft gab es Arreste.
+
+Unuebersehbare Mengen Baumaterialien stapelten sich und mussten
+liegenbleiben.
+
+Der Major ritt die Bauzuege ab, schrie, polterte, teilte Strafen aus.
+
+Fuenfzehnhundert Russen, die an der Front gefangengenommen worden waren,
+trafen ein. Befehl zur Aufnahme des Weiterbaues der Feldeisenbahn erging.
+
+Langsam rollten die stehengebliebenen Bauzuege vorwaerts, in die tristen
+Schneefelder hinein. Vor, vor--immer noch vor ging es! Bis zu der Stelle,
+wo die Arbeit aufgegeben werden musste.
+
+Die Geschosse schwirrten hoch in der schneeigen Luft. Ganz nahe.
+
+Schnee, Schnee. Kaelte, Kaelte.
+
+Die Baukompagnie 14, 15 und die Russen marschierten auf die
+Arbeitsstellen.
+
+"Mist!--Humbug!--Unsinn!" knurrte von Zeit zu Zeit irgendeiner halblaut.
+
+In kilometerweiter Entfernung schlugen die Geschosse ein, warfen
+Kotfontaenen.
+
+Schlaggg!--lag alles am Boden.
+
+Man lag die halbe Zeit in Deckung. Die Arbeit machte kaum wesentliche
+Fortschritte.
+
+Meldung erging an den zurueckliegenden Stab.--
+
+Der Ordonnanzreiter Peter Nirgend ritt durch den peitschenden Schnee.
+Das Pferd dampfte. Die Lenden spritzten Blut. Fiebernd bog sich der
+furchtsame Ruecken im Galopp.--
+
+Hauptmann und Oberleutnant der Baukompagnienempfingen den Heransprengenden
+mit muerrischen Gesichtern.
+
+"Meldung vom Stab der Eisenbahntruppen!" keuchte Nirgend. Nur mit Muehe
+konnte er sich stramm halten.
+
+Hastig oeffnete der Hauptmann den Umschlag, ueberflog mit unterdrueckter
+Entruestung das Papier und sah auf den Oberleutnant, reichte es ihm.
+
+"Hm!" brummte er kopfschuettelnd. "Hm!" machte der Oberleutnant
+gleichfalls achselzuckend und ratlos.
+
+Dann stiegen beide in den Kanzleiwagen.
+
+Peter Nirgend fuehrte sein schweisstriefendes Pferd auf und ab. Aus den
+Quartierwagen der Mannschaft glotzten missmutige Gesichter.
+
+"Geht's vor?" fragte einer.
+
+"Der Hund!" knurrten etliche dumpf, als Nirgend nickte. Der
+Kanzleiunteroffizier rief aus dem Wagen, uebergab ihm die Rueckmeldung
+an den Stab. Der gefrorene Boden klapperte unter den ausgreifenden
+Hufen des Pferdes. Schneewolken staubten auf und nichts mehr sah
+man.--
+
+Ein abermaliger Befehl des Stabes bestimmte unverzuegliche Aufnahme der
+Arbeit und sofortige Herstellung der Verbindungslinie mit den Fronten.
+
+Schon tags darauf meldeten die vorgeschickten Kompagnien schwere
+Verluste. Die fuenfzehnhundert Russen weigerten sich, aus ihrem Bauzug
+zu gehen. Man pruegelte sie heraus. Aber am selben Abend noch mussten
+die Zuege zurueckrollen. Viele Wagen waren zerstoert. Die Eisenbahnlinie
+ueberall ramponiert.
+
+Die ganze Nacht schrie es die Zuege entlang. Neue Wagen wurden
+eingeschoben. Unaufhoerlich wurde rangiert.--
+
+Am andern Mittag raunte es von Ohr zu Ohr: "Es geht wieder vor!" Es
+ging ein Geruecht herum von einem scharfen Aufeinanderprallen zwischen
+Major und Hauptmann. Kurz darauf hiess es: "Antreten zum Appell!" Vor
+den gepferchten Reihen der zum abermaligen Vorruecken bestimmten
+Truppen hakte ein fremder Offizier auf und ab und hielt eine
+schwunghafte Rede. "Das deutsche Wesen darf nicht untergehen! Hurra!
+Hurra! Hurra!" schloss er und alles bruellte mit. Wie ein einziger
+Tierlaut klang's.
+
+"Fuers Vaterland!" murrte einer zynisch beim Auseinandergehen.
+
+"Fuer den Pour le merite!" brummte ein baertiger Kerl und sah
+herausfordernd auf die lethargischen Gesichter der Kameraden.
+
+"Kotze!--Sich den Schwanz verbrennen ist die einzige Rettung!"
+murmelte der Mannschaftskoch stoisch.
+
+"Nulpe! Wo denn?--Wenn weit und breit kein Puff ist!?" warf ihm der
+Vagabund Tuempel hin und spuckte in grossem Bogen durchs offene Fenster.
+
+Tief am Nachmittag aechzten die Bauzuege abermals finster in die
+schneeige, verlassene Gegend hinaus.
+
+Am zweiten Tag, als Nirgend von den Kompagnien zum Stab zurueckritt,
+knallten Schuesse hinter ihm her. Einer davon streifte leicht seinen
+rechten Arm.
+
+"Hu-u-und!" surrte es langgedehnt durch die kalten Nebelschwaden und
+lief ihm nach wie ein unterirdisches Grollen.
+
+Gegen Morgen tauchten auf einmal die gelben Lichter der Bauzuglokomotiven
+auf und kamen zischend naeher. Die vierzehnte Kompagnie war his auf zirka
+hundert Mann aufgerieben, und die fuenfzehnte hatte gleichfalls zahlreiche
+Verwundete und Tote. Die Russen hatten in der allgemeinen Panik des
+Zurueckflutens die Fluchtergriffen und irrten rudelweise in den
+Schneefeldern herum.--
+
+Nirgend trat dumpf ins Leutnantszimmer des Stabsbureaus, straffte
+seine Glieder und sagte: "Zur Stelle!"
+
+Der schmaechtige, elegante Offizier drehte sich wippend, etwas nervoes
+herum, mass den Hereingetretenen von oben his unten und fragte: "Na,--und?"
+
+"Man hat mich angeschossen," sagte Nirgend unvermittelt.
+
+"Ja--und?"
+
+"Es waren welche von uns, Herr Leutnant."
+
+Die gepflegten, spitzen Augenbrauen des Offiziers griffen zuckend in
+die ploetzlich streng gefaltete Stirn.
+
+"Quatsch!--Woraus schliessen Sie denn das;" rief er wegwerfend.
+
+"Weil jeder wuetend ist," sagte der Meldereiter einfach.
+
+"Halten Sie Ihr Maul, Sie Luemmel!--Was bilden Sie sich eigentlich
+ein!" belferte der Leutnant drohend und schnellte auf.
+
+"Ich rede nicht um meinethalben," erzaehlte Nirgend ruhig und schaute
+dem Schimpfenden entschlossen ins Gesicht, "aber um den Pour le merite
+geht keiner mehr vor. Ich reite nicht mehr!"
+
+"Wasss!!" zischte es durch die warme Zimmerluft.
+
+Matratzenfeder. Die Tuer des anderen Zimmers wurde ruckhaft aufgerissen.
+
+"Wasss!--Was ist da!?" schnarrte der Major und machte einen Schritt
+auf Nirgend zu. Schon riss sich der Leutnant schlank und stramm herum,
+wollte melden. Aber der Soldat kam ihm zuvor, sagte, zum Major
+gewendet, mit der gleichen, einfachen Ruhe: "Ich reite nicht mehr,
+Herr Major! Um einen Pour le merite geht keiner mehr vor, sagen alle!"
+
+Einen Moment fielen die beiden Offiziere fast auseinander. Dann
+schrien sie, bellten drohend: "Hinaus! Hi-naus! Sie Schweinehund!"
+
+Ganz korrekt drehte sich Nirgend um und ging aus dem Zimmer. In der
+angrenzenden Schreibstube wurde fieberhaft gearbeitet. Jeder sass
+geduckt da und kaum einer wagte aufzuschauen. Nur einige aengstliche
+Blicke trafen den Hindurchschreitenden. Der Stab nistete in einem
+einstoeckigen Gelehrtenhaus. In den unteren Raeumen waren die Bureaus,
+oberhalb die Schlafzimmer der Offiziere und auf dem Dachboden hausten
+die Mannschaften. Dort angelangt, legte Nirgend sich so wie er war
+aufs Stroh und zuendete sich eine Zigarette an.
+
+Es war merkwuerdig, heute kam keiner zu Bett. Duester glomm der spaerlich
+helle Kreis der brennenden Zigarette im Dunkel. Wie in einer
+verlassenen Totengruft lag man hier. Langsam fielen die Minuten von
+der Decke herab.
+
+Eine lange Zeit verging.
+
+Dann knarrten Schritte die Treppe herauf, kamen naeher. Es mussten
+mehrere Leute sein. Peter Nirgend ruehrte sich nicht.
+
+Die Tuer wurde geoeffnet. Im Lichtkreis einer Taschenlaterne tauchte
+undeutlich die Gestalt des Leutnants auf. Dahinter mussten noch einige
+Leute stehen. Zwei Seitengewehre funkelten zur Hoehe.
+
+Nirgend erhob sich ohne Hast. Irgendeine dunkle, breite Gestalt tappte
+herein, tastete herum und entzuendete die Lampe. Jetzt traten der
+Leutnant und die zwei Soldaten mit den aufgepflanzten Seitengewehren
+an den Tisch, wo der Unteroffizier, der Licht gemacht hatte, stand.
+Der Leutnant verlas etwas von sofortiger Inhaftierung und Ueberweisung
+an ein Kriegsgericht, faltete den Bogen wieder, sah Nirgend fluechtig
+an und sagte zum Unteroffizier: "Wenn er in fuenf Minuten nicht folgt,
+wenden Sie Gewalt an!"
+
+"Zu Befehl, Herr Leutnant!" antwortete der strammgestandene Korporal.
+
+"Naja!" sagte der Leutnant und ging.
+
+Einige Augenblicke standen sich die Soldaten schweigend gegenueber.
+
+"Kamerad!--Mensch?" brachte der Unteroffizier endlich heraus, stockte
+aber ploetzlich und sagte dumpfer: "Packen Sie Ihre Sachen zusammen und
+kommen Sie."
+
+"Seid ihr Vierzehner?" fragte Nirgend unbeweglich. Keine Antwort.
+Keine Bewegung der anderen. Starr standen die drei.
+
+"Gestern nacht habt ihr auf mich geschossen--einer von eurer Kompagnie
+war's!--Weil ich den Befehl zu euch brachte zum Vorruecken.--Einen
+Denkzettel habt ihr dem Major geben wollen--jetzt macht ihr drei
+wieder die Handlanger der Ordensjaeger!" stiess Nirgend heraus.
+
+Keine Bewegung. Schweigen. Starr standen die drei. Wie glatte, finstere
+Glassturze. Alles rutschte an ihnen herab.
+
+Man stand selber unter einem solchen Glassturz. Gespannt his aufs
+aeusserste musste man an sich halten. Eine einzige Bewegung--und alles
+konnte zusammenfallen, klirrte herab. Und--?
+
+Und man stand ohnmaechtig, ausgeliefert und vereinsamt zwischen den
+anderen. Die nackten Arme halfen nichts. Nicht einmal zu einer
+Umschlingung, denn man rutschte ab. Fiel hin und war ein Haeuflein
+nichts.
+
+Und was war geschehen?
+
+Nichts!
+
+Die nackten Arme halfen nichts! Gar nichts!
+
+Nur die Kartaetschen der Feinde, Hekatomben auseinandergerissener Leiber.
+Das Unertraegliche. Die Sinnlosigkeit fuehrte zum Sinn zurueck.
+
+"Wollen Sie den Befehl befolgen?!" rief der Unteroffizier jetzt.
+
+"Ja!" schrie Nirgend fast ueberlaut: "Ja--am liebsten wuerde ich wieder
+hinausreiten zu euch. Immer vor! Immer vor muesstet ihr--fuer den Pour le
+merite!"
+
+"Los--los!" plapperte der Unteroffizier veraergert, "reden Sie nicht!
+Los!"
+
+"Ja!" bellte Nirgend abermals, "das ist das deutsche Wesen!"
+
+"Marsch!" bruellte der Unteroffizier: "Vorwaerts jetzt!" Und zog ihn in
+die Mitte.
+
+Man ging.--
+
+
+II.
+
+Der Schnee lag tief. Langsam ging es vorwaerts.
+
+"Was macht man eigentlich mit mir?" fragte Peter Nirgend auf einmal
+steif stehenbleibend. Es antwortete niemand.
+
+"Los--los!" brummte der Unteroffizier vorne wie fuer sich. Die Soldaten
+schoben den Gefangenen weiter.
+
+"Er hat euch geschunden his aufs Blut.--Ihr habt es selbst gesagt, dass
+ihr nicht mehr mitmachen wollt," sagte Peter beharrlich und stemmte
+sich gegen die schiebenden Haende.
+
+"Los--los! Wir moechten auch zur Ruh kommen!" stiess der Unteroffizier
+abermals murmelnd heraus und machte eine halbe Wendung.
+
+Einer der Soldaten setzte dem Haeftling das Knie in den Ruecken.
+
+"Gibt doch bloss Arrest, Mensch!" sagte der Unteroffizier beilaeufig.
+
+Peter Nirgend liess nach. Man watete wieder weiter.
+
+Die lange, geschwertete Linie eines spaerlichen Lichtes stach durchs
+Dunkel. Das war das Gemeindehaus, wo der Arrest abgesessen wurde.
+Landstuermler versahen dort den Dienst.
+
+"Ihr kriecht, bis man euch die Kugel in den Leib jagt!" knirschte
+Peter.
+
+Schweigen.
+
+Der Unteroffizier schlug mit der Faust an die Gemeindehaustuer. Mit
+hochgehobener Petroleumlampe erschien der verschlafene Sergeant in
+ihrem Rahmen. Der Trupp trat in die wohligwarme Wachstube. Zwei
+Landstuermler hoben schlaefrig ihre Oberkoerper auf den Pritschen, rieben
+sich die Augen. Einer davon stieg herab und nahm den Schluesselbund,
+winkte Peter.
+
+"Kommt vors Kriegsgericht! Befehlsverweigerung!" sagte der Unteroffizier
+zum Sergeant, der den Einlieferungsschein unterschrieb. Eine leise
+Verachtung schwang mit den Worten mit. Der Landstuermler fuehrte den
+Haeftling in die letzte Zelle. "Kamerad, leg dich gleich hin und wickle
+dich fest ein. Es ist kalt," sagte er und trat aus der Zelle, schloss ab.
+
+Peter Nirgend blieb lauschend stehen.
+
+Jetzt hoerte man die Leute vorne im Korridor. Er ging an die Tuer, schlug
+fest mit den Faeusten an dieselbe, schrie: "Ich muss dem Herrn Unteroffizier
+noch was ausrichten!"
+
+Und sein ganzer Koerper zitterte.
+
+Der Trupp kam den Korridor entlang, oeffnete.
+
+"Was ist's denn?" fragte der Unteroffizier aergerlich und trat ein. Die
+anderen blieben draussen.
+
+"Werde ich erschossen?" fragte Peter unvermittelt.
+
+"Quatsch! Festung wird's geben!" raesonierte der Unteroffizier: "Was
+wollen Sie denn?"
+
+"Da--da ist eine Blutlache!" rief Peter hastig und deutete auf die
+Bodenflaeche hinter der Pritsche. Der Unteroffizier trat einen Schritt
+naeher heran und beugte sich vornueber, hinter die Pritschenecke. Jetzt
+war der Lichtkreis der Taschenlaterne nur noch ganz klein in der
+Nische. Peter machte einen ruckhaften Satz, stemmte blitzschnell sein
+Knie auf den Ruecken des Korporals und schnitt mit aller Gewalt in
+dessen Hals, tiefer--tiefer. Das warme Blut rann ueher seine Finger.
+Der Koerper des Ermordeten gab nach, hing schraeg ueher die Pritsche.
+
+Die anderen stuerzten herein und warfen sich auf Peter, schlugen auf
+ihn ein, his er liegenblieb.
+
+Ihn ueberleuchtend, sagte ein Soldat zum Gefesselten: "Hund! Morgen
+stehst du an der Wand!"
+
+Peter Nirgend schloss die Augen.
+
+Nach einer ziemlichen Weile wurde die Tuer wieder aufgeriegelt. Wieder
+erschien der hochgehobene Arm des Sergeanten mit der Petroleumlampe,
+nur diesmal sehr zitternd. Offiziere traten ein. Einer beugte sich
+ueber den Toten am Boden. Dann trugen zwei Soldaten die Leiche hinaus.
+
+"Was haben Sie denn da gemacht!?" fragte der Major Peter.
+
+Der schwieg. Kopfschuetteln. Ein Soldat trat ein, stand stramm, erzaehlte
+den Hergang.
+
+"Sowas heisst sich deutscher Soldat!" schnarrte der Leutnant beflissen.
+
+Inzwischen trug man ein Tischchen herein. Die Lampe wurde daraufgestellt
+und der Gerichtsoffizier nahm das Protokoll auf. Nach der Vernehmung des
+gaenzlich gebeugten, zusammengefallenen Sergeanten und des anderen Soldaten,
+trat der Leutnant abermals an Peter heran, stiess ihn: "Und Sie?"
+
+"Was haben Sie anzugeben?" rief der Gerichtsoffizier gleichfalls ueber
+den Tisch.
+
+Keine Antwort kam.
+
+"Kerl!"
+
+Schweigen.
+
+Das Protokoll wurde verlesen.
+
+"Geben Sie das zu?" fragte der Gerichtsoffizier den Angeklagten.
+
+Dieser nickte stumm.
+
+Kopfschuettelnd verliessen die Offiziere den Raum. Zwei Soldaten der
+Baukompagnie 14 mit bajonettbepflanzten Gewehren blieben zurueck. Der
+Tisch mit der Petroleumlampe gleichfalls.--
+
+"Schuft!" knurrte einer der Waechter und versetzte Peter einen Stoss in
+den Leib. "Du sollst unsere Ueberstunden schmecken, Hund!" fluchte der
+andere und schlug ihm die Faust ins Gesicht.
+
+Muede geworden, setzten sich die zwei Wachhabenden auf das trockene
+Flecklein des Bodens und zuendeten sich Zigaretten an.
+
+"Kamerad! Einen Zug! Einen Zug!" wimmerte mit einem Male Peter
+flehend.
+
+"Ah?" rief der Raucher haemisch, ging an den Gefesselten heran und
+hielt ihm die rauchende Zigarette unter die Nase: "Riecht gut, Herr
+Halsabschneider, hm?"
+
+"Lass ihn doch! Er ist nicht wert, dass man ihn anschaut!" brummte der
+andere Soldat. Aber der Angesprochene liess sich nicht abhalten.
+
+Da reckte sich Peter stemmend, schrie: "Hasenfuesse!"
+
+"Halt die Fresse, Hund!" fielen die beiden ihn an und warfen ihn
+zurueck, dass die Pritsche knarrte. "Hasenfuesse!" plaerrte Peter wilder.
+
+Die beiden hielten die Gewehrlaeufe drohend auf ihn gerichtet: "Noch
+ein Wort und wir knallen dich nieder!"
+
+"Hasenfuesse!" schrie Peter noch greller. Die Waechter schlugen sinnlos
+auf ihn ein.
+
+"Hasenfuesse!" bellte der Gefesselte aus Leibeskraeften: "Hasenfuesse!
+Hasenfuesse!"
+
+Da schossen sie. Das Gehirn peitschte an die Wand.
+
+Als der Sergeant und die Landstuermer schlotternd angestuermt kamen,
+standen sie wie geistesabwesend stramm. Erst als kurz darauf der
+Leutnant eintrat, meldeten sie zugleich: "Melden Herrn Leutnant, dass
+wir ihn erschossen haben, weil er uns Hasenfuesse genannt hat."
+
+Der Leutnant warf einen fluechtigen Blick auf die Leiche, drehte sich
+herum und sagte befehlsmaessig: "Gut! Abtreten!"--
+
+Tags darauf diktierte er dem Kanzleiunteroffizier folgende Meldung an
+das Oberkommando der oestlichen Streitkraefte in die Maschine:
+
+"Meldereiter Peter Nirgend, zugeteilt dem Stab der Eisenbahntruppen,
+wurde wegen Befehlsverweigerung inhaftiert. Weiterleitung des Verfahrens
+war dem Kriegsgericht der Etappenkommandantuer uebergeben. Nirgend
+ermordete kurz nach seiner Einlieferung in die Arrestanstaltin seiner
+Zelle den Unteroffizier der Eisenbahnbaukompagnie 14 Joseph Thiele durch
+Durchschneidung des Halses. Sofortige Protokollaufnahme durch den
+Gerichtsoffizier ergab Mord. Exekution wurde auf andern Tag 9 Uhr
+festgelegt. Infolge fortgesetzter Widersetzlichkeiten gegen die
+Wachhabenden und Verhoehnung des Feldheeres, mussten die Pioniere
+Traugott Schloch und Otto Flemming von der Eisenbahnbaukompagnie 14
+von der Waffe Gebrauch machen, was den Tod des Nirgend zur Folge
+hatte."--
+
+Wegen Nachlaessigkeit im Dienst wurde der Arrestsergeant strafversetzt.--
+
+Einige Wochen spaeter stand in einem Tagesbericht des Oberkommandos:
+"Wegen pflichtmaessiger Ausfuehrung eines Befehls wurden ausgezeichnet
+mit dem Militaerverdienstkreuz zweiter Klasse laut Beschluss des O.K.d.
+O.A.: der Pionier Traugott Schloch bei der Eisenbahnbaukompagnie 14,
+der Pionier Otto Flemming bei der Eisenbahnbaukompagnie 14."
+
+
+
+
+MICHAEL JUERGERT
+
+
+I.
+
+"Alle Dinge sind eitel." Immer kehrt dieses Wort wieder, wenn der Name
+Michael Juergert in meiner Erinnerung auftaucht. Viele Male habe ich
+nachdenkend dieses Leben umschritten wie einen verfallenen, traurigen,
+raetselhaften Garten. Unruhig suchte ich nach dem Sinn dieses Ablaufs,
+trachtete danach, all die widerstrebenden Geschehnisse folgerichtig
+aneinanderzureihen, um moeglicherweise ein erklaerendes Bild zu finden,
+einen Abschluss, eine befriedigende Loesung.
+
+Es gelang nicht.
+
+Hoffend, dass mir vielleicht eine Stunde doch noch die Erleuchtung
+bringt, habe ich--so gut es ging--vorerst nur das nackte Tatsaechliche
+aus diesem Leben aufgeschrieben, alles so, wie es sich zugetragen hat.
+Und hier ist es:
+
+Michael Juergert kannte seinen Vater nicht. Als er sieben Jahre alt
+war, erfuhr er von seiner Mutter so etwas wie ein Gestorbensein durch
+einen merkwuerdigen Unfall. Und einmal beim Maitanz warf ein Knecht in
+sein Ohr, dass sein Vater "im Suff ertrunken sei". Darum, so hiess es,
+saesse ja seine Mutter schon all die Jahre im Gemeindehaus und wisse
+nicht, von was sie leben sollte.
+
+Der Bruder von Michaels Vater, der wegen einer Weibergeschichte "ins
+Amerika durch sei", huete sich wohlweislich, etwas von sich hoeren zu
+lassen, raunten sich die Doerfler zu, wenn die Rede von den Juergerts
+ging.--
+
+Nach seiner Schulentlassung kam der etwas schwaechliche Knabe als
+Knecht in den Reinaltherhof. Es waren vier Knechte und zwei Maegde da.
+Fuenf Jahre staehlten den wachsenden Koerper, ergossen versteckten und
+offenen Spott auf Michael.
+
+Auf Maria Lichtmess, als er zwanzig Jahre zaehlte, wechselte er seinen
+Dienstplatz und trat beim Peter Soellinger ein, dessen Gehoeft auf der
+runden Anhoehe vor dem Dorfe lag.
+
+Rechts vom Soellingerhof, nah am Waldrand, hockte die baufaellige Huette
+des Guetlers Johann Pfremdinger, den man im ganzen Umkreis den "Letzten
+Mensch" hiess, weil er die bigotte alte Pfanningerin zur Haushaelterin
+hatte und im allgemeinen sehr schlecht auf die Weiber zu sprechen war.
+Wenn man ihn aergern wollte, brauchte man bloss eine junge Dorfmagd oder
+Bauerstochter des Sonntags an seinem Haus vorbeigehen zu lassen.--
+
+Rundherum lagen die Felder Soellingers, weit verstreut die zwei Tagwerk
+Pfremdingers und oft, wenn der alte Haeusler zur Erntezeit schwerfaellig
+und muehsam auf den Fusswegen durch die Wiesen des Bauern ging, um auf
+seine Grundstuecke zu gelangen, sagte der letztere muerrisch zu ihm:
+"Bist saudumm!--Wennst tauschen taetst mit mein' Rainacker, haettst
+alles ums Haus ... Aber mit dir kann man ja nicht reden!"
+
+"Auf'm Rainacker wachst das nicht wie bei mir," gab ihm der "Letzte
+Mensch" stets mit der gleichen Beharrlichkeit zurueck und trottete
+weiter.--
+
+Die Jahre gingen, schwiegen. Der Peter Soellinger wurde unterdessen zum
+Buergermeister gewaehlt und kam eines Tages in den Stall zu Michael,
+sagte: "Das geht jetzt nimmer, dass die Gemeinde deine Mutter aushaelt.
+Bist ein Mordstrumm Mannsbild worden und kannst selber fuer sie
+aufkommen. Der 'Letzt' Mensch' wird sterben. Die Pfanningerin muessen
+wir ins Gemeindehaus tun."
+
+Michael nickte stumm.
+
+"Da draussen kann's nicht bleiben, die Pfanningerin," fuhr der Bauer
+fort, indem er eine veraechtliche Geste in die Gegend des
+Pfremdingerhauses machte, "die alte Kalupp' passt grad noch fuer ein'
+Heustadel."
+
+Und wieder nickte Michael stumm.
+
+"Herrgott, bist du ein Stock!" stiess der Bauer heraus und ging
+kopfschuettelnd und brummend aus dem Stall. Die Knechte lachten.--
+
+Michael ging nach Feierabend zu seiner Mutter ins Gemeindehaus und
+brachte ihr die Nachricht. Die alte Frau sah ihm nur in die Augen.
+Dann sagte sie: "Ja ja, ist ja auch wahr, die alte Pfanningerin ist ja
+auch aelter als ich."--
+
+Spaet, nachdem seine Mutter laengst schlief, zaehlte Michael sein
+erspartes Geld. Zaehlte, zaehlte. Dachte, dachte. Rechnete, rechnete.
+
+Am andern Tag, waehrend der Arbeit, hielt er manchmal inne und schaute
+starr ins Leere. Des oefteren sah man ihn jetzt am Abend in die
+Pfremdinger-Huette gehen. "Was er nur immer beim 'Letzten Mensch'
+anfaengt, das Hornvieh!? Moecht wohl gar Haeusler werden?" spoettelten die
+Knechte, und Soellinger schaute dem fast furchtsam Davonschleichenden
+mit finsterem Blick nach.--
+
+Die Sterbeglocken klangen duenn durch die Luft. Mit dem alten
+Pfremdinger ging es zu Ende. Die Pfanningerin, der Pfarrer--und
+Michael Juergert standen in der niederen Kammer um das Bett. Dann kam
+noch die Juergertin.
+
+Ganz zuletzt erst waelzte sich der Haeusler nochmal herum. Schon drehten
+sich seine Augen.
+
+"Er soll's haben, Hochwuerden! Aber die Haelft' gehoert der Kirch'!"
+hauchte er schon roechelnd mit letzter Kraft heraus.
+
+"In Ewigkeit, Amen," murmelte sich bekreuzigend die alte Pfanningerin.
+und der Pfarrer sah Michael an, nickte ihm zu.
+
+"Hab's denkt, dass er's kriegt, wenn er fleissig in die Kirch' rennt und
+um den Pfarrer herumscharwenzelt recht bigott! Sowas tragt immer was
+ein!" war ungefaehr die uebliche Bauern-Nachrede, als es verlautbarte,
+dass Michael das Pfremdinger-Anwesen vom "Herrn Hochwuerden zudiktiert"
+bekommen habe.
+
+Acht Tage nach dem Begraebnis fuhr Michael auf einem Schubkarren die
+spaerliche Habschaft seiner Mutter ins Pfremdingerhaus und am
+darauffolgenden Tag die Sachen der alten Pfanningerin ins Gemeindehaus.
+Hinter manchem Fenster stand ein spoettischspitzes Gesicht und sagte
+ungefaehr: "Der hat's leicht. Kann sein Zeug auf dem Schubkarren fahren."
+
+Gut ein Vierteljahr war Stille.
+
+Wenn die Maeher beim Morgendaemmern auf die Felder gingen, sang immer
+schon die Sense Michaels unter dem flinken Schleifstein.--
+
+Dann kam das Unglueck.
+
+Die einzige Kuh, die im Juergertstall stand, ging ein. Notschlachtung
+musste vorgenommen werden.
+
+Die Bauern kamen, musterten das Fleisch misstrauisch, kauften,
+schimpften: "Ob er vielleicht nicht wisse, dass die Suppenbeine als
+Zuwag' dreingingen?" Und einige wieder sagten in beinahe mitleidigem
+Tonfall: "Ja, mein Gott, Bauer sein ist nicht so einfach! ... Sonst
+taet's ja jeder machen."
+
+Drei Wochen nachher begrub man die alte Juergertin.
+
+"Waerst' Knecht geblieben, waer gescheiter gewesen," sagte Soellinger zu
+seinem ehemaligen Knecht, "wenn's einmal angeht, hoert's nicht mehr
+auf."--
+
+Michael stuerzte sich in die Arbeit. Der Pfarrer kam ein paarmal ins
+Haus, sah nach.
+
+"Eine Kuh halt, eine Kuh, Herr Hochwuerden!" murmelte Michael hin und
+wieder dumpf.
+
+"Der Herr hat's gegeben--der Herr hat's wieder genommen," antwortete
+der Geistliche nur.--
+
+Und Michael verkaufte Heu und die zwei letzten Saecke Korn. Droben auf
+dem schmalen Streifen, ueber den Soellingerfeldern, hatte er dieses im
+letzten Jahr noch gebaut. Vom Reinalther lieh er sich damals den
+Fuchsen und den Pflug, ackerte. Und seine Mutter humpelte hinterdrein
+und saete.--
+
+Es war Ferkelmarkt in Greinau. Die ganzen Bauern aus der Umgegend
+standen gruppenweise auf dem Platz vor der Gastwirtschaft "Zur Post",
+handelten hartnaeckig herum mit den Haendlern und kauften endlich. Die
+eingepferchten Jungschweine machten einen Heidenlaerm, die Pferde
+scharrten ungeduldig und wurden unsanft zurueckgerissen. Die Wirtsstube
+war vollbesetzt. Aus und ein ging man, redete, schmauste, und knarrend
+und knirschend, in scharfem Trab, rollten die Waegelchen davon.
+
+Schuechtern kam tief am Nachmittag Michael an. Die Bauern stiessen
+einander, zwinkerten, tuschelten spoettisch.
+
+"Jesus! Jesus! Jetzt wird's besser, der Michl kauft Ferkel!" lachte
+der pralle Postwirt aus einer Gruppe und alle richtetengeringschaetzige
+Blicke auf den Haeusler. Schweigsam und scheu umschritt der die
+Ferkelsteigen. Es wurde schon leerer auf dem Platz.
+
+"Pass fein auf, dass sie dir nicht im Sack ersticken, Michl!" warf der
+Soellinger ruelpsend auf den Wagen steigend Michel zu, als er sah, dass
+dieser zwei lautgrunzende Jungschweine in seinen Sack zog. Sein
+haemisches Lachen schnitt die Luft auseinander.--
+
+Daemmer stieg schon von den Feldern auf. Nacht sickerte gelassen vom
+Himmel. Michael schritt beschwerlich aus. Die Schweine rumorten
+immerzu im Sack auf seinem Ruecken. Er musste fest zuhalten, dass ein
+lahmer Krampf langsam in seine Arme rieselte. Aber die bogen sich wie
+aus Eisen von der Brust ueber die Schulter.--
+
+Die Schritte hallten vereinsamt.
+
+Stille.--
+
+Jetzt waren auch die Schweine still geworden, ganz still. Auf einmal
+merkte es Michael. Ein Schreck durchfuhr ihn. Jaehe Mattigkeit fiel
+bleischwer in seine Kniegelenke. Er ruettelte den Sack vorsichtig, fast
+wie einer, der zwischen Hoffnung und Angst vor der Gewissheit schwankt
+und nicht mehr aus noch ein weiss.
+
+Nichts.
+
+Er ruettelte staerker.
+
+Nichts.--
+
+Inzwischen war er an der schmalen Bruecke, nah vor dem Huegel angelangt,
+auf dem das Soellingergehoeft mit gelben Augen sass.
+
+Der Bach murmelte gleichmaessig versunken.
+
+Schweisstriefend zerrte Michael den Sack auf die Bruecke, wollte--in
+unseliger Verzweiflung blitzhaft an den Spott Soellingers denkend
+--nachsehen. Da--da--wupp!--fiel der Sack in die Tiefe. Es platschte.
+Breite Ringe warf das Wasser und jetzt plaerrten ploetzlich die Schweine
+heulend auf. Es gurgelte etliche Male und war jaeh grauenhaft still.
+
+Mit einem furchtbaren Aufschrei sprang Michael ins Wasser, tappte wie
+ein schwimmender Hund ungelenk auf der Oberflaeche herum, weinte,
+hustete, tauchte, schrie, bruellte.--
+
+Am aendern Tage fischten die zwei Knechte des Buergermeisters den leeren
+zerrissenen Sack mit den Heugabeln aus dem Wasser und spiessten ihn auf
+einen Zaunpfahl vor Michaels Haeuschen. Dann klopften sie. Aber niemand
+gab an.--
+
+Das ganze Dorf lachte knisternd.
+
+Als man drei Tage niemanden aus--und eingehen sah beim Juergert, schickte
+Soellinger den Nachtwaechter und Gemeindediener Peter Gsott hinaus. Der
+klopfte wieder und wieder, drohte mit wuetenden Fluechen, als niemand
+angab und holte dann den Schmied zum Tueroeffnen.
+
+Die beiden fanden Michael in der Schlafkammer ganz starr auf dem
+Bettrand sitzend und wie irr ins Leere glotzend. Einen Augenblick
+zwang ihnen dieser Zustand Schweigen ab. Endlich sagte der Schmied:
+"Was hast' denn, dass' dich einsperrst, Michl?"
+
+Aber der Angesprochene machte nur mit der Hand eine lahme, wegwerfende
+Geste. "Deinen leeren Sack haben die Soellingerknecht' gefunden! Die
+Ferkel selber sind ersoffen," sagte dann der Gemeindediener. Als beide
+sahen, dass Michael beharrlich mit der gleichen Apathie antwortete,
+gingen sie und meldeten dem Buergermeister, dass der "spinnerte Kerl"
+schon noch lebe. Er sei, meinten sie, nur ein wenig irr noch.--
+
+Im Dorf ging daraufhin die Rede: "Der Michl hat's Spinnen angefangen
+wegen der ersoffenen Ferkel."
+
+Michael sah man nur ganz selten seit diesem Vorfall. Hoechstenfalls bog
+er einmal scheu ums Hauseck und eilte dem Wald zu.--
+
+Um diese Zeit kam zum Buergermeister Soellinger eine seltsame Nachricht
+aus Amerika, betreffend die Familie Juergert und deren Nachkommen. Der
+Bauer, der sich, wie er sich ausdrueckte, "darin nicht rechtauskannte",
+schickte zum Pfarrer und dieser entzifferte endlich, dass die Familie
+Juergert (Ueberlebende oder Nachkommen) infolge des Todes eines Bruders
+des verstorbenen Vaters Michaels zur Generalerbin einer ausserordentlich
+hohen Hinterlassenschaft in barem Geld eingesetzt sei und den Betrag
+von einer Bank in Hamburg einverlangen koennte, sobald der Nachweis der
+Erbberechtigung erbracht sei.--
+
+Als der Pfarrer, der selber ein wenig zitterte, dies dem Soellinger
+auseinandersetzte, erbleichte dieser sichtlichund sank wie vom Schlag
+getroffen in einen Stuhl.
+
+"Ruhig beibringen, ist das beste. Ich geh' selber zu ihm hinaus,"
+sagte der Geistliche nach einigem Schweigen, nahm seinen Hut, steckte
+das Papier zu sich und begab sich zu Michael.
+
+Ins Haus getreten, bemerkte er diesen doesig neben dem Herd hockend,
+und als der geistliche Herr in sanftem, vorsichtigem Tonfall seinen
+Namen rief, sprang er ploetzlich auf, schluepfte, so schnell es nur
+ging, furchtgepackt in das russige Holzloch unter dem Ofen und gab
+keinen Laut von sich. Eine gute Weile stand der Geistliche ratlos da.
+Endlich fand er wieder zum Entschluss zurueck.
+
+"Geh heraus, Michl," sagte er sanft, "wir wollen wieder eine Kuh kaufen
+und Ferkel."
+
+Michael raekelte sich erst und schluepfte dann vollends aus dem Loch.
+Seine Blicke waren mit einer schmerzvollen Bitthaftigkeit auf den
+Pfarrer gerichtet.
+
+"Und dein Haeusl, Michl, das werden wir auch wieder richten lassen. Es
+ist arg baufaellig," ermunterte dieser den Zoegernden. Und als Michael
+endlich aufrecht stand, nahm ihn der Gottesmann mild am Arm und zog
+ihn sacht hinaus ins Freie.
+
+Frische Fruehe lag ueher den Feldern. Die Wiesen dufteten schwer. Die
+Sonne stieg langsam in die Mittagshoehe.--
+
+Wie zwei Kranke schritten die beiden dahin. Der Soellinger wagte nicht
+herauszutreten, als sie vorbeikamen. Er lugte nur schweigend durchs
+Fenster.
+
+Im Pfarrhaus angekommen, sagte der Geistliche zu Michael: "Du musst
+jetzt eine Zeitlang bei mir bleiben. Die Marie wird dir ein Zimmer
+einrichten, bis dein Haeusl fertig ist. Bis dahin ist auch wieder
+Viehmarkt in Greinau."
+
+Und als verstuende er von alledem nichts, als hoere er nur eine
+erleichternde Melodie aus den Worten, stand Michael da und schwieg.
+Allmaehlich glaettete sich sein bangvolles Gesicht und eine aufatmende
+Ruhe glaenzte in seinen Augen.
+
+Drei stille Wochen glitten him. Jeden Tag sassen die zwei zusammen in
+der Pfarrstube oder gingen wohl manchmal im Garten umher. Langsam
+wurde Michael ruhiger. Aber von Zeit zu Zeit konnte man ein boeses
+Aufblitzen auf seinem knoechernen, schweigend gefalteten Gesicht
+wahrnehmen. Die vaeterliche Arglosigkeit seines Pflegers aber machte
+ihn nach und nach etwas zutraulicher und offener. Manchmal des Abends,
+wenn der Geistliche aus einem Betbuch laut einige Stellen vorlas, hob
+der Haeusler den Kopf und lauschte sichtlich aufmerksamer. Ein
+friedlicher Hauch hob Stueck fuer Stueck von dem Feindseligen ab, das
+hinter den Falten bruetete, und lebendiger kreisten seine Augen.
+
+Endlich nach einem Monat eroeffnete der Pfarrer seinem Pflegling die
+Nachricht aus Amerika.
+
+Michael hoerte stumm zu. Er schien anfaenglich nicht zu begreifen. Dies
+erkennend, legte der Geistliche das Papier auf den Tisch.
+
+"Du bist jetzt ein reicher, sehr reicher Mann geworden, Michl," sagte
+er, "du kannst dir hundert Kuehe kaufen, ein Haus und soviel Ferkel,
+als du willst. Es ist von jetzt ab keiner mehr im ganzen Umkreis, der
+nur ein Drittel soviel Geld hat wie du. Begreifst du? Gott hat dir
+geholfen. Es geht alles seinen gerechten Gang, wenn er es will."
+
+Michael schien die letzten Worte nicht mehr zu hoeren. Seine Augen
+waren auf einmal weit geworden. Eine Gier flackerte in ihnen und der
+ganze Ausdruck seines Gesichts war ploetzlich voellig veraendert.
+
+"Ich--ich kann also auch das Soellingerhaus und das vom Reinalther
+kaufen?" fragte er hastig und gedaempft.
+
+"Das kannst du, wenn sie wollen," nickte der Geistliche, "du kannst
+zehn solche Haeuser kaufen, wenn du willst."
+
+"Zehn....!?" stiess Michael lauernd heraus und bohrte seine Blicke in
+die Augen des Pfarrers.
+
+"Es ist sehr viel Geld," gab der zurueck.
+
+"Und," fuhr Michael noch leiser, fiebernd vor Unruhe, scheu, als
+lausche an den Waenden irgendein ungebetener Gast, fort: "Und ich
+krieg' das ganze Geld in die Hand. Ich brauch' nur schreiben lassen?"
+
+"Ja, wenn Du willst."
+
+"Ja ...!! Ja, gleich! Gleich! Ich will!" schrie Michael verhalten.
+
+"Gut," sagte der Pfarrer und ging an den Tisch, "ich schreibe."
+
+"Und ... und die Haeuser vom Soellinger und--und vom Reinalther?" fragte
+Michael beharrlich.
+
+"Die ...? Ich kann mit ihnen reden," antwortete der Geistliche, waehrend
+er schrieb. Dann liess er Michael unterzeichnen.--
+
+
+II.
+
+Im Dorf ging ein Schweigen um. Langsam verbreitete sich die Kunde von
+Michaels Erbschaft. Betroffenen Gesichts raunten sich die Bauern die
+Neuigkeit zu.--
+
+Der Baumeister von Greinau, Michael Lindinger mit Namen, wurde ins
+Pfarrhaus geladen. Michael laechelte schraeg, als der Mann eintrat und
+beauftragte ihn, einen Plan fuer ein neues Haus zu bringen. Trotz der
+Einwendungen des Pfarrers wurde der Umbau des alten Anwesens abgelehnt.
+
+Michaels Rede war jetzt sicher geworden, fast bestimmt.
+
+"Ein neues Haus muss her!" sagte er beharrlich.
+
+Und der andere Michael erwiderte pfiffig: "Ja--schon lieber was Neues
+als Flickwerk. Das taugt ein paar Jahr', dann geht's wieder von vorn'
+an."
+
+Diese Beipflichtung entwaffnete den Geistlichen. Der Plan wurde
+gefertigt. Der Auftrag gegeben. Die ehemalige Pfremdinger-Huette
+krachte zusammen mit allem, was sie barg. So hatte es Michael
+gewuenscht, steif und fest. Alles Dawider des Pfarrers nuetzte nichts.
+
+Krachte zusammen.
+
+Und die Doerfler standen herum, schwiegen, staunten, starrten. Vom
+Pfarrhausfenster aus ueberschaute Michael den Vorgang.
+
+Auf einmal begann der Hausrist zu wanken, broeckelte, krachte. Die
+Herumstehenden rannten auseinander und zuletzt war minutenlang eine
+ungeheure Staubwolke. Dann, als es wieder lichter geworden war, lag
+ein riesiger Truemmerhaufen da.
+
+Deutlich sah Michael, wie einige die Koepfe schuettelten. Eine Weite
+dehnte seine Brust.
+
+"Das ist nicht recht," rief der Pfarrer hinter ihm. Michael hatte ihn
+nicht eintreten hoeren und riss sich erschrocken herum. Reglos und stumm
+standen sich die beiden gegenueber.--
+
+Seitdem begegnete Michael seinem Pfleger mit verstocktem Schweigen.
+Mied ihn.--
+
+Der Bau wurde begonnen. Jeden Abend kam Lindinger ins Pfarrhaus und
+berichtete ueber den Stand, machte Vorschlaege, legte Rechnungen vor.
+
+Sein fast beteuerndes, sich immer wiederholendes: "S'ist wahnwitzig
+teuer, die Sach', wahnwitzig teuer," liess Michel laecheln.
+
+"Macht nichts, macht gar nichts," erwiderte er stets.
+
+"Ja--es ist gut, dass' wieder Arbeit gibt," meinte dann der
+Maurermeister meistens und ging. Kaum war er draussen, schrumpfte
+Michaels Gestalt im Lehnstuhl zusammen. Das Kinn schob sich vor. Nur
+die Pupillen kreisten im Raum.--
+
+An einem der Abende, als eben der Maurermeister das Zimmer Michaels
+verlassen hatte, trat der Pfarrer ein. Michael erhob sich und wandte
+ihm den Ruecken zu.--
+
+"Gelobt sei Jesus Christus!" brachte der Geistliche nach einigem
+Schweigen heraus.
+
+Ohne sich umzuwenden, nickte Michael. Dann ging er ans Fenster,
+deutete in die Talmulde, die der erste Mond silbern bestrich.
+
+"Haehaehae--hae! Wird hoch der Turm, hoch!" keuchte er, reckte den Kopf
+stoerrisch vor, nahe an die Scheibe: "Wenn man ganz droben ist, muessen
+schon die Wolken angehen!"
+
+Unschluessig stand der Geistliche. Schwieg.
+
+"Zum Soellinger kann ich hinunterschaun und aufs ganze Dorf!" redete
+Michael weiter, ohne ihn zu achten.
+
+"Die zwei Kirchenfenster?" fragte endlich der Geistliche fast
+schuechtern und hielt ploetzlich mitten im Wort inne, als sich Michael
+nunmehr hastig umwandte.
+
+"Zwei ...?! Sechs! Sechs Fenster ...--und neue Glocken, damit ich's
+hoer' in der Frueh!" ueberfluegelte dieser ihn, "da muss die Luft zittern,
+wenn die laeuten!--Schafft sie an! Morgen! Gleich! Gleich! Und drei
+neue Messgewaender!--Muessen fertig sein zum Jahrtag meiner Mutter!
+Bestellt's! Bestellt's auch gleich!--Gleich!"
+
+Wie von einem wilden Strudel dahergetragen stuerzten die Worte
+heraus.--
+
+Mit sehr ernstem Gesicht verliess der Pfarrer fast traumwandlerisch das
+Zimmer. Lange noch hoerte ihn die Marie im Zimmer auf- und abgehen und
+laut beten.
+
+Klare, kalte Maerztage zeigten das hereinbrechende Fruehjahr an.
+
+Michael ging manchmal aus. Selten suchte er den Bau auf. Nie beschritt
+er ihn. Immer bog er scheu ums Dorf und stapfte auf die Sandgrube zu,
+aus der man den Kies fuer sein Haus holte. Es schien ihn dort etwas zu
+interessieren. Er stand meistens oben am Rand und ueberschaute die
+zackige Mulde.
+
+Boehmen und Italiener arbeiteten auf Taglohn dort und sprengten hin und
+wieder einen Felsen, wenn an einer Stelle der Kies ausging.--
+
+Eben lud man wieder. Michael war ganz nah herangekommen, stand wie
+witternd, mit spaehendem, vorgebeugtem Kopf da und sah aufmerksam auf
+jede Bewegung des Lademeisters.
+
+"Und das--das reisst alles ein?--Mit einem Krach?" fragte er diesen
+gespannt. Der Mann nickte und murmelte ein paar unverstaendliche Worte.
+
+Dann entzuendete er ein Streichholz und steckte die Zuendschnur an.
+Alles rannte aus der Grube, wartete bis es knallte.
+
+Als dies geschehen war und die Leute wieder in die Grube zurueckgingen,
+sah man Michael im Tuerrahmen des Werkmeisterhauses stehen. Er liess
+sich das Pulver zeigen, rieb es merkwuerdig lange auf seiner flachen
+Hand und sagte harmlos zum Werkmeister: "Und so ein Staub hat's
+drinnen, dass alles in die Luft fliegt?--Hm--hm--hm!" Ging wieder.--
+
+Der Nachtwaechter Peter Gsott glaubte bemerkt zu haben, dass eine
+maennliche Gestalt am Rand der Sandgrube auftauchte, sich schwarz vom
+bleichen Mondhimmel abhob, dann aber ploetzlich, wie in den Erdboden
+gesunken, verschwand.
+
+Der Werkmeister schimpfte die Sprenger, dass sie soviel Pulver
+brauchten. Es entstand ein Streit. Ein Italiener bruellte, dass die
+ganze Grube hallte. Auf einmal kam man ins Handgemenge. Ein
+furchtbares Raufen entstand. Der Werkmeister bekam einen Schlag auf
+den Kopf und musste ins Krankenhaus gebracht werden. Am aendern Tag
+verhafteten die Gendarmen von Greinau zwei Boehmen und einen Italiener,
+der beim Soellinger auf der Tenne logierte. Er hatte sich im
+Taubenschlag verkrochen und als man ihn herunterholte, stiess er
+furchtbare Drohungen auf den Buergermeister aus, die aber niemand
+verstand. Anscheinend glaubte er, die Leute haetten ihn verraten.
+
+Michael begegnete der Haftkolonne und sah sich die drei Burschen sehr
+genau an. Spaeter trat er ins Buergermeisterhaus und oeffnete die
+Stubentuer hastig. Der Soellinger war im Augenblick so erstaunt, dass er
+foermlich aufschrak und kein Wort fand. Saeulenstarr stand er da und
+heftete seinen Blick auf den naehertretenden Michael. Gemessen kam
+dieser heran, ganz nahe und eine ungeheure Spannung lag in seinem
+Gang.
+
+"Gibst dein Haus nicht her?" fragte er den stummen Bauern lauernd.
+
+"Nicht?" wiederholte er, als der verneinte und mass ihn scharf von der
+Brust bis zur Stirn.
+
+"Ich ...!?" fand endlich der Soellinger das Wort.
+
+"Ja?"
+
+"Solang ich leb' nicht!" schrie der Buergermeister schroff, als wolle
+er sagen: "Was willst denn du auf einmal bei mir?"
+
+"Es passt mir nicht vor meinem Turm," sagte Michael tonlos und sproede
+und laechelte hoehnisch in sich hinein. Draussen, vor der Tuer, hoerte er
+noch den Schlag der Soellingerfaust auf die Tischplatte.
+
+
+III.
+
+Richtig, der eine von den Boehmen lud damals den Felsen, erinnerte sich
+Michael. Und der Italiener, der aus Soellingers Taubenschlag geholt
+worden war, stand neben ihm, als es krachte. Dem konnte man nichts
+nachweisen und musste ihn nach vier Tagen wieder aus dem
+Amtsgerichtsgefaengnis entlassen. Nun strolchte er mit finsterem
+Gesicht herum, und da bei den Bauern von alt her der Aberglaube
+herrschte, dass solche Kerle mit ihren Verwuenschungen kraft einer
+innewohnenden daemonischen Macht Schaden und Unglueck anrichten koennten,
+so wagte keiner etwas gegen sein Kampieren in Heustaedeln und Tennen
+einzuwenden.--
+
+An einem Aprilnachmittag traf ihn Michael auf der Waldstrasse, ging
+entschlossen auf ihn zu und sprach ihn an.
+
+"Habt's keine Arbeit mehr kriegt?"
+
+Offenbar verstand der Angesprochene dies, denn er nickte finster.
+
+"Geht's zu meinem Bau. Verlangt's den Lindinger und sagt's, ich hab
+Euch geschickt," sagte Michael.
+
+Am aendern Tag schleppte der Italiener auf dem Bau Moertel.--
+
+Das Haus wuchs. Der Turm der Vorderfront bedurfte nur noch des
+Dachstuhls. Beim Soellinger wurde eingebrochen. Man nahm wieder den
+Italiener fest, obwohl ihn niemand angezeigt hatte. Da man ihm aber
+nichts nachweisen konnte, entliess man ihn abermals. Michael traf ihn
+am Pfarrhaus, nickte schon von weitem gruessend und hatte ein Laecheln
+wie ungefaehr: "Gut so!" Und wieder arbeitete der Italiener auf dem
+Bau, finster gegen jedermann, verschlossen und wortkarg, nur etwas
+aufgetaner zu Michael.--Die Kirche war nun jeden Sonntag drueckend
+voll. Die sechs Fenster strahlten ihren vielfarbigen Prunk ueber die
+Koepfe der Betenden. Einen Monat spaeter erschollen die neuen Glocken
+erstmalig. Und in der Luft schwang ein Surren weithin. Wenn man jetzt
+Michael sah, lag ueber seinem Gesicht etwas wie ein leuchtender,
+verschwiegener Triumph.
+
+Der April zerging in Regen, Schneegestoeber und fluechtigen Sonnentagen.
+Die ersten Maitage liessen die grauweissen Waende des Neubaus sehr
+schroff leuchten. Man konnte Michael manchmal mit dem Baumeister durch
+die Raeume schreiten sehen. Die Schreiner brachten Moebel. Es ging dem
+Vollenden zu.
+
+Es war wahr, was der erste Knecht vom Reinalther sagte: "Einen solchen
+Stall trifft man so schnell nicht mehr." Und: "Eine Lust muesse es
+sein, dort zu arbeiten."
+
+Aber der Soellinger warf veraechtlich hin: "Was hilft ihm das schoene
+Haus und alles, wenn er kein Grundstueck hat!"
+
+Und aus den Reden der Doerfler am Biertisch konnte man deutlich
+heraushoeren, dass keiner bereit war, auch nur ein Tagwerk von seinen
+Gruenden abzugeben.
+
+"Unser Heu bleibt unser Heu," sagte der Gleimhans. Und alle nickten.
+
+"Der kommt schon und will einen Grund!--Aber da bleibt ihm der
+Schnabel sauber!" brummte der Reinalther.
+
+Der Soellinger blickte duester drein und schwieg.--
+
+Pfarrer und Ministrant gingen mit Michael durch die Raeume des neuen
+Hauses, beweihraeucherten und besprenkelten alles. Eine Woche spaeter
+trieben drei Viehtreiber wohl an die zwanzig Kuehe auf der Strasse von
+Greinau her ins Dorf und lieferten sie bei Michael ab. Der wohnte
+schon vier Tage in seinem Haus. Zwei fremde Maegde, ein Knecht und
+jener Italiener, den man von der Sandgrube davongetrieben und
+verhaftet hatte, waren da. Und Heufuhren kamen an. Ganz fremde
+Gesichter blickten von den leeren Wagen herunter, die durchs Dorf
+ratterten.
+
+"Wenn er jeden Pfifferling kaufen muss, wird die Herrlichkeit bald ein
+End' haben," brummten die Bauern, "mit den paar lumpigen Wiesen kann
+er grad' eine Kuh fuettern."
+
+Nach etlichen Wochen kam eine Magd Michaels zum Reinalther und zum
+Gleimhans und richtete aus, die Bauern sollten zu ihm kommen.
+
+"So--!? Sonst nichts....?!" rief der Reinalther hoehnisch und schaute
+das dralle Frauenzimmer haemisch an, "sagst, er soll sich einen aendern
+Dummen suchen!"
+
+Und--: "Der hat grad so weit zu mir her!" fertigte der Gleimhans die
+Botschaftbringerin ab.--
+
+Gleichsam, als haette man sie ohne jeden Grund persoenlich beleidigt,
+kam die Magd zurueck und berichtete Michael das Verhalten der beiden
+Bauern.
+
+"Geh!--Ist schon gut!" schnitt dieser ihr das Wort ab, als sie
+gespraechiger werden wollte. Seine Zuege veraenderten sich nicht. Nur
+seine Augen glommen einmal funkelnd auf.--
+
+In der Wirtsstube Simon Lechls herrschte diesen Abend ein belebteres
+Gespraech.
+
+"Jetzt wird er langsam angekrochen kommen und Gruend' wollen," brummte
+der Reinalther.
+
+"Da kann er alt werden!" erwiderte der Gleimhans. Und alle nickten.
+"Mit seinem Geldhaufen ist er gar nichts!" sagte der Lechlwirt:
+"Gruend' machen den Bauern!"
+
+"Das ist's!" bestaetigte der Soellinger.
+
+Und wieder nickten alle.--
+
+
+IV.
+
+Die Jahre verstrichen. Das kahle, grell leuchtende Haus am Waldrand
+nahm mehr und mehr eine verwitterte Farbe an. Bisweilen, wenn die
+Scheune leer war, sah man die schwarze Kutsche Michaels in scharfem
+Trab aus dem Dorf rollen, Greinau zu. Vorne auf dem Bock sass der
+Italiener mit finster gefaltetem Gesicht und schaute nicht nach links
+und nicht nach rechts.
+
+An den darauffolgenden Tagen knarrten dann meistens schwerbeladene
+Heufuhren auf der Greinauer Strasse daher und fuhren durchs Hoftor
+Michaels.
+
+"Nette Wirtschaft!" brummten die Bauern: "Jeden Bueschel Futter muss er
+kaufen!" Und halb war es Missmut, halb Schadenfreude, was auf ihren
+Gesichtern stand. Die Ernten in dieser Gegend waren mehr als
+ueberreichlich. Die Aufkaeufer, die aus der Stadt kamen, hatten es
+leicht und konnten anmassend sein. Sie minderten die Preise, wo und wie
+immer es nur ging. Die Transportkosten his zum Bestimmungsort mussten
+die Bauern tragen. Es kostete stets einen ganzen Tag Zeit, wenn ein
+Doerfler seinen verkauften Hafer, sein Korn oder Heu nach Greinau auf
+den Bahnhof fuhr und dort in den Waggon lud. In die "Ferkelburg" aber,
+wie man Michaels Haus nannte, fuhren fremde Heuwagen!--
+
+Michael war fast nie zu sehen. Er sass in seiner Turmkammer und sann.
+Gruebelte, als warte er auf etwas. Gleichmaessig und ereignislos verlief
+die Zeit.
+
+Durch irgendeinen findigen Kopf angeregt, war die ganze Doerflerherde
+um Greinau darauf gekommen, dass eine Eisenbahnlinie gerade in dieser
+Gegend notwendig sei. Eine Vereinigung bildete sich, wurde "Lokalverband
+der Eisenbahninteressenten" genannt. Eine Eingabe um die andere
+bestuermte das Ministerium. Die Regierung nahm endlich Kenntnis davon,
+der Landtag sprach sich befuerwortend aus. Die Eisenbahnlinie wurde
+genehmigt.--
+
+Michael verfolgte die Berichte im "Greinauer Wochenblatt" eifrig. Man
+sah ihn jetzt oefters am Gemeindekasten vor dem Buergermeisterhaus
+stehen und die Anschlaege lesen. Vom Soellingerhuegel aus konnte man das
+ganze hingebreitete Land uebersehen.
+
+Da stand er auch.
+
+Und nicht selten. Oft sogar lange.--
+
+An jenem Tag, da die amtliche Bekanntmachung von der Genehmigung der
+Eisenbahnlinie angeschlagen war, wandte er sich behend, wie von einer
+verhaltenen Freude ergriffen, herum und ueberblickte die Weiten.
+
+"Hm!--Jetzt!" stiess er ploetzlich heraus, nickte etliche Male und ging
+zuversichtlicher von dannen.
+
+Erst nachdem er in der Tuer der Ferkelburg verschwunden war, trat der
+Buergermeister aus seinem Haus und heftete die Bekanntmachung der
+grossen Versammlung im Gasthaus "Zur Post" in Greinau in den Kasten.
+
+Am darauffolgenden Sonntag war der Tanzsaal der Postwirtschaft zum
+Bersten voll. Die Bauern aus der Ganzen Umgebung waren zusammengestroemt.
+Die bejahende Entschliessung der Regierung wurde bekanntgegeben. Die
+ganze Versammlung bruellte und klatschte begeistert.
+
+"Eine Bahn muss her!" erscholl von allen Seiten. Es gab schwere
+Raeusche.--
+
+Schon nach einer knappen Woche erschienen die Vermessungsbeamten im
+Dorf und wurden mit ehrwuerdiger Neugier empfangen, durchschritten die
+Felder, steckten weiss-rote Stangen auf, kamen immer naeher an die
+Haeuser heran, zogen eine Linie durch Reinalthers Garten, ueber das
+Gehoeft Soellingers hinweg.--
+
+Die Haende in den Hosentaschen, schweigend und gewichtig, sahen ihnen
+die Bauern erst zu.
+
+"Also so ging's?" fragte der Gleimhans einen Vermesser.
+
+"Jawohl, ganz so," erwiderte dieser und war schon wieder weiter.
+
+"Hm!" brummte der Gleimhans, hob den Kopf und sah den Reinalther
+verwundert an.
+
+"Muesst also mein halber Garten weg?" sagte dieser und sah den Geometern
+nach. Die entfernten sich mehr und mehr. Weiter ging es--ueber das
+Gehoeft Soellingers hinweg.
+
+"Hoi--Hoi! Da waer demnach das ganze Buergermeisterhaus im Weg!" stiess
+jetzt der Reinalther fast entsetzt heraus und sah betroffen, mit
+offenem Maul, auf Gleimhans.
+
+"Das wird sauber!--Gibt's nicht!" schrie dieser wuetend und straffte
+seine Gestalt.
+
+"Und--schau nur!--durch meine schoensten Gruend' gings'!" rief der
+Reinalther, als eben die Vermesser die Linie durch seine Weizenlande
+zogen, faeustete seine Haende drohend und polterte gleichfalls: "Gibt's
+nicht!"
+
+Und auf der Stelle gingen die beiden zum Soellinger hinauf und erhoben
+lebhaften Einspruch gegen dieses Vermessen.
+
+"Dein Haus soll weg! Dein Haus, Soellinger! Und unsere schoensten Gruend'
+wollen's!" schrie der Reinalther aufgebracht. Und der Gleimhans, der
+sich schon wieder ermannt hatte, sagte drohend: "Sollen kommen und mir
+durch meinen Acker bauen!"
+
+Der Buergermeister war wutrot his hinter die Ohren, schlug gewaltig in
+den Tisch und rief ebenfalls: "Gibt's nicht! Gleich morgen fahren wir
+zum Bezirksamtmann!"
+
+Als die beiden Bauern aus dem Buergermeisterhaus traten, stand Michael
+am Rande des Huegelrueckens und sah den Vermessern gespannt nach.
+
+"Hm,--der Michl!" brummte erstaunt der Reinalther.
+
+"Den freut's, weil's ihm keine Gruend' nehmen koennen!" stiess der
+Gleimhans wuetend heraus.--
+
+Das ganze Dorf war am naechsten Tag in Aufruhr. Man riss ueberall die
+weiss-roten Stangen heraus, zerbrach sie. In aller Fruehe schon fuhren
+Soellinger, der Gleimhans und Reinalther nach Greinau zum Bezirksamtmann
+und verlangten schimpfend eine sofortige Regelung der Angelegenheit.
+Sie schrien, fluchten und drohten zuletzt auf das gefaehrlichste. Der
+Bezirksamtmann rannte erregt in seinem Arbeitszimmer auf und ab,
+gewann aber dann die Ruhe wieder und zuckte mit den Achseln: "Ja,
+meine Herren, wenn keiner durch seinen Acker die Linie laufen laesst,
+dann gibt es eben keine Bahnstrecke!"
+
+"Wir pfeifen auf eine!" riefen die drei Bauern zugleich.
+
+Der Bezirksamtmann machte ihnen klar, dass der Beschluss der Regierung
+nicht rueckgaengig gemacht werden koenne, dass doch angemessen entschaedigt
+werde und dass "die Herren der betreffenden Instanzen doch keine
+Kindskoepfe seien und doch--"
+
+"Das ist uns gleich! Die Bahn kommt nicht! So nicht!" fuhr ihm der
+Soellinger ins Wort und vertrat starrkoepfig den Standpunkt seiner
+Begleiter.
+
+Schliesslich nach langem Hin und Her wurde beschlossen, eine Versammlung
+der "Eisenbahninteressenten" einzuberufen.--
+
+Bis auf die Strasse heraus standen am naechsten Sonntag die Bauern, die
+sich beim Postwirt in Greinau zusammengefunden hatten. Zeitweilig
+entstand ein gefaehrliches Gedraenge nach der Saaltuer. Furchtbar
+stuermisch ging es zu. Ein Regierungsvertreter war erschienen. Er wurde
+niedergeschrien, als er betonte, dass "wenn die Abgabe der Gruende nicht
+gutwillig geschaehe, einfach abgeschaetzt wuerde."
+
+Einfach abgeschaetzt!--Einfach abgeschaetzt!!! Was sollte denn das heissen?
+Etwa gar, dass einem einfach die Aecker genommen wuerden!?
+
+Die Bauern wurden wild, standen auf, richteten sich drohend gegen die
+Tribuene. Die auf der Strasse Stehenden zwaengten sich gewaltsam herein.
+
+"Gibt's nicht!" schrie der ganze Chorus. Ein ungeheurer Laerm erhob
+sich. Alles machte Miene anzugreifen. Der Bezirksamtmann fuchtelte
+voellig ratlos mit den Armen. Der Assessor schwang wehrlos die Glocke.
+Es half alles nichts. Der Laerm wurde nur noch aerger.
+
+"'naus!--'naus! 'naus aus unserm Gau!" bruellte der ganze Saal. Saftige
+Grobheiten flogen den Herren da droben an den Kopf.
+
+Als nichts mehr auf die tobende Schar einwirken konnte, schrie der
+Bezirksamtmann heiser: "Die Versammlung ist geschlossen!" und
+verschwand eiligst mit dem Herrn von der Regierung. Die rebellischen
+Bauern wurden allmaehlich wieder ruhiger, betranken sich weidlich und
+hielten die Sache fuer gewonnen.
+
+Ohne besonderen Zwischenfall verliefen die naechsten Tage.--
+
+In seinem Turmzimmer ging Michael auf und ab, blieb hie und da stehen,
+hob rasch den Kopf und laechelte schmal. Und frueh am Morgen, him und
+wieder, schritt er ueher die nebeligen Felder.--
+
+Inzwischen wurde der Bau der Eisenbahn im Landtag zum Beschluss erhoben.
+Soweit liess man sich noch ein, dass man Soellingers Haus umkreiste.
+Dafuer aber lief jetzt die Linie durch seine besten Getreideaecker.
+Und war beschlossene Sache! Naechstes Fruehjahr sollte die Strecke in
+Angriff genommen werden.
+
+Beim Soellinger liefen die amtlichen Schriftstuecke ueber die
+abzutretenden Grundstuecke ein. Die Bauern standen vor den Anschlaegen
+mit verbissenen Gesichtern, brummten und fluchten. Eine furchtbare
+Erbitterung hatte das ganze Dorf ergriffen. Aber es half alles nichts.
+Alles nichts!
+
+Und die Schaetzpreise waren spottniedrig.
+
+Es gab kein Zurueck mehr. Missmutig fuegten sich die Bauern.
+
+"Eine Bahn! Eine Bahn! hat alles geschrien!--Jetzt haben wir's!"
+polterte der Gleimhans beim Lechl; "ich hab's immer schon gesagt: es
+kommt nichts Besseres nach! Wo man mit der Regierung zu tun hat, ist
+Schwindel!"
+
+Und die anderen, die am Tisch sassen, sahen ihn finster an. Finster und
+besiegt, ueberlistet und ratlos.
+
+"Muessen ja doch! Hilft uns alles nichts!" brummte der Reinalther und
+spuckte wuetend aus. Und manchmal sagte ein Veraergerter: "Ach was,--ich
+verkauf mein ganzes Zeug dem Juergert und mach' ihm einen saftigen Preis!
+Dann kann der sich mit der Regierung herumstreiten!"
+
+Kaum einer--so schien es--hoerte darauf. Aber dann wiederholte es sich
+des oefteren. Schuechtern klang es erst. Allmaehlich erzeugte es
+nachdenkliche Gesichter und dann--dann sah man eines Tages den
+Reinalther aus der "Ferkelburg" herausgehen. Keiner fragte nach dem
+Grund dieses Besuches. Zwei-, dreimal wiederholte er sich und wieder
+einmal fuhr die schwarze Kutsche aus dem Tor der "Ferkelburg".
+Reinalther und Michael sassen hinten drinnen, der Italiener auf dem
+Bock. Es ging Greinau zu.
+
+"Warum hast deine Alte nicht mitgenommen?" fragte Michael im
+Dahinfahren.
+
+"Brummt und brummt bloss! Hat keinen Verstand fuer so was!" antwortete
+der Bauer mit leichtem Aerger.
+
+"Hat's doch schoen jetzt! Kann sich in die Stub'n sitzen und
+privatisieren!" meinte Michael fast ermunternd.
+
+"Freilich! Das hab ich ihr doch schon hundertmal gesagt! Aber sie
+meint halt immer: 'Der Feschl! Der Feschl--wenn er von der Fremd'
+kommt--koennt' eine schoene Metzgerei aufmachen und hat jetzt auf einmal
+keine Heimat mehr!" redete der Reinalther in die Luft, als spraeche er
+mit sich selbst.
+
+"Aber Geld hat er! Einen Batzen Geld!" erwiderte Michael darauf. Und
+der Bauer nickte: "Das mein' ich eben auch!"
+
+Nachdem sie das Notariat verlassen hatten, lag auf Michaels Gesicht
+eine freudig erregte Farbe. Er lud den Reinalther sogar zu einem
+richtigen Schmaus ein und der wurde nach dem zweiten Krug schon
+gespraechig.
+
+"Waeren noch andere im Dorf, die ihr Zeug anbringen moechten, sag ich
+dir, Michl, brauchst dich bloss dranmachen," schwatzte er vertraulich
+ueber den Tisch.
+
+"Brauchen bloss kommen,--alle nimm' ich!" gab ihm Michael zurueck.
+
+Ueber Reinalthers Gesicht huschte eine wohlige Roete. Offen und richtig
+freundschaftlich betrachtete er seinen ehemaligen Knecht.
+
+"Weiss dich noch, wie'st mein Knecht warst, Michl," erzaehlte er,
+"haett'st dir auch den Buckl krumm gearbeit', wenn dein Amerikaner
+nicht ins Gras 'bissen haett'!"
+
+Und Michael nickte und schloss mit einem: "Jaja, so ist's auf der Welt
+hie und da!" Dann fuhren sie wieder ins Dorf zurueck.
+
+Der Reinalther durfte in seinem Haus bleiben und sass von jetzt ab Tag
+fuer Tag beim Simon Lechl in der Wirtsstube. Oft kam er angeheitert
+nach Hause. Dann brummte sein Weib: "Wirst noch grad so wie der
+ersoffene Juergert."
+
+"Hab'ns doch, Alte! Hab'ns doch!" groehlte dann der Bauer bierselig
+heraus.--
+
+
+V.
+
+Wie immer bei solchen Gelegenheiten, griff die Veraenderung der Sachlage
+mehr und mehr in das Leben eines Teiles der Doerfler ein. Die Kleinhaeusler
+fristeten hierzulande ein hartes Dasein. Ihre kaerglichen Feldstreifen
+trugen wenig. Jeder von ihnen war gezwungen, zur Erntezeit und waehrend
+des Winters, beim Holzen, bei den Bauern auf Taglohn zu arbeiten. Dieser
+Verdienst war, wie man sich auszudruecken pflegte, "zum Leben zu wenig
+und zum Sterben zu viel."
+
+Diesen Leuten kam der Bahnbau gelegen. Es gab ertraegliche Loehne dort.
+
+"Da hab ich meinen Batzen Geld, basta!--Und brauch' nicht bitten und
+betteln bei den Bauern," aeusserte sich der Fendt, dessen baufaellige Huette
+am Dorfausgang stand. "Ich bleib' ueberhaupt nicht mehr da," sagte der
+Rieminger, "ich verkauf mein Haeusl dem Juergertmichl und mach' eine
+Waescherei auf in der Stadt. Da hab' ich auf niemand aufzupassen!"
+
+Und so geschah's auch.
+
+Kaum ein halbes Jahr rann him, da hatte Michael auch das Fendthaeusl
+und den baufaelligen Reishof gekauft. Die beiden Haeusler bekamen eine
+saftige Summe und konnten in ihren Haeusern bleiben. Michael verlangte
+nicht einmal Mietzins von ihnen. Das trug sich herum von Ohr zu Ohr.
+Mit einer gewissen Achtung sprach man davon.--
+
+Der Bahnbau war in vollem Gange. Durch Gleimhansens Aecker trampelten
+die Arbeiter, dicht hinter dem Soellingergehoeft, in den Weizenlanden
+wuehlten sie den Kot aus der Erde. Mit verbissenen Gesichtern schauten
+die Bauern auf ihre verwuesteten Aecker. Viel Fremdvolk war unter den
+Arbeitern. Italiener und Boehmen. Es gab Einbrueche, naechtliche
+Raufereien und Messerstechereien.--
+
+Die Soellingerin bekam die letzte Oelung. Nach einigen Tagen starb sie.
+Das ganze Dorf und viele Bauern aus der Umgebung standen um das Grab.
+Die Glocken trugen ihr Laeuten durch die Luft.
+
+Der Reinalther sagte beim Leichenschmaus im Wirtshaus zum Soellinger:
+"Was hast' von dei'm Leben, Buergermeister? Deine zwei Soehn' sind ja
+doch schon staedtisch, da will keiner mehr an die Mistgabel und an den
+Pflug!"
+
+Finster sah der Soellinger ins Leere und erwiderte kein Wort. Seine
+zwei Soehne, der Martin und der Joseph, sassen da und schwiegen
+gleichfalls. Zwei flotte Burschen waren sie, sahen gar nicht mehr
+baeurisch aus, studierten in der Stadt und hatten runde, selbstbewusste
+Gesichter, auf denen ein ueberheblicher Stolz glaenzte.
+
+Der Buergermeister stand auf einmal auf und ging.
+
+Es war Erntezeit. Die Strasse fuehrte an den ehemaligen Reinaltherfeldern
+vorbei und an der Breite des Ignatz Reis. Da arbeiteten die Knechte
+Michaels und der Italiener beaufsichtigte sie. Er war ein schweigsamer,
+finsterer Geselle mit unheimlich tiefglimmenden Augen. Wenn er wo
+auftauchte, griffen alle unwillkuerlich hastiger zu. Der Soellinger blieb
+einen Augenblick stehen, biss die Zaehne aufeinander und schlug,
+weitergehend, den Hirschgriffstock fester auf den Boden.--
+
+Den Michael sah man jetzt tagsueber fast nie. Nur am Abend stelzte er
+ueher den Soellingerhuegel, blieb manchmal stehen und sah wie pruefend der
+Bahnlinie nach. Gebueckt ging er. Er trug meistens einen breiten Mantel
+und hielt einen Stock in der Rechten.
+
+Manchmal wenn ein Heimkehrender an ihm vorbeiging, lag ein verglommenes
+Laecheln auf seinen faltigen Zuegen. Ploetzlich aber verfinsterten sie sich,
+sein Kopf senkte sich und hastig trottete er weiter.
+
+Einmal traf es sich, dass er dem Soellinger begegnete. Er blieb fest
+stehen und sah dem Bauern lauernd in die Augen. Es war gerade an der
+Stelle, wo der Bahndamm sich hob, nah' am Bachbruecklein.
+
+"Grad' deine schoensten Aecker haben's hergenommen," sagte Michael.
+
+"Hm!" nickte der Buergermeister und wusste nicht, wo er hinschauensollte.
+
+"Wirst alt jetzt, Soellinger! Gib's her, dein Anwesen!" begann Michael
+wieder.
+
+Der Bauer schuettelte nur den Kopf stoerrisch und ging wortlos weiter.
+Aber dieses Mal sah Michael noch tief in der Nacht die Stubenfenster
+im Buergermeisterhaus leuchten.
+
+Einige Tage spaeter geriet der Heustadel hinter dem Soellingerhof in
+Brand und nur mit Muehe konnte die Feuerwehr das Ueberschlagen der
+Flamme aufs Bauernhaus verhindern.
+
+Der Italiener Rotti und der Boehme Zdrenka hatten es auf die
+Buergermeister-Magd abgesehen. In einer Nacht erstach der Boehme den
+Italiener. Zwei Gendarmen von Greinau kamen. Unruhig wurde es im
+Soellingerhaus.
+
+Der Buergermeister schlug wuetend auf den Tisch: "Ich mag nicht mehr!"
+Und resolut rannte er zur Tuer hinaus, geradewegs auf die "Ferkelburg"
+zu.
+
+Michael empfing ihn freundlich und ruhig. Er bot eine Summe, dass der
+Bauer seine Augen weit aufriss.
+
+Der Handel kam zustande.
+
+Der Soellinger gab sein Buergermeisteramt auf und zog zum Schmied.
+
+"Verkauf deine Kalupp'!" sagten jetzt jeden Abend der Reinalther und
+er in der Lechlstube zum griesgraemigen Gleimhans.
+
+"Hast deine Ruh' und einen schoenen Batzen Geld und der Michl laesst dich
+drinn, solang als du willst!" bekraeftigte der Lechlwirt.
+
+"Solang' ich leb, nicht!" gab der Gleimhans einsilbig zurueck und
+schuettelte beharrlich den Kopf.--
+
+Michael kaufte das Schmiedanwesen. Der Schmied zog in die Stadt.--
+
+"Kauft das ganze Dorf," brummte der Gleimhans, "und hat uns zuletzt
+alle in der Mausfall'n!"
+
+"Soll er, wenn's ihm gefaellt!--Er kann sich's leisten, zahlt gut und
+ist nicht zuwider!--Laesst mit sich reden!" verteidigten der Wirt und
+der Reinalther den Herrn von der "Ferkelburg". Und dumpf nickte der
+Soellinger.--
+
+Aber am naechsten Tag trat Michael ins Reinaltherhaus. Der Bauer
+empfing ihn aufgeraeumt und freundlich, ohne jegliches Arg.
+
+"Im Fruehjahr muesst's raus! Hab' einen Paechter," sagte da auf einmal
+Michael kurz.
+
+Dem Bauern gab es einen Ruck. Er sah ihn gross an.
+
+"Bringt aber sein Zeug schon uebernaechst's Monat!" sagte Michael wieder
+und wandte sich zum Gehen.
+
+Der Reinalther wurde jaeh bleich. Sein Kinn bebte. Seine Unterlippe
+rutschte etwas herunter.
+
+Hilflos und bittend sah er auf Michael.
+
+"Geht's gar nicht, dass wir die paar Kammern hinten kriegen koennten und
+bleiben duerfen!" brachte er kleinlaut heraus.
+
+Michael schuettelte schweigend den Kopf.
+
+"Gar nicht?"
+
+Michael drehte sich um, sah ihn kalt an: "Koennt's ja am End zum Schmied
+einzieh'n. Obenauf sind noch drei Kammern. Nachher seid's mit'm Soellinger
+beieinand! Ueberleg' dir's und lass mir's wissen!"
+
+Und ehe der Bauer etwas erwidern konnte, war er draussen.
+
+Eine Weile stand der Reinalther wie besinnungslos da. Dann ging er zum
+Lechlwirt hinueber.
+
+Der Gleimhans und der Soellinger sassen da. Schuechtern und ganz von aussen
+herum erkundigte sich Reinalther nach den Raeumlichkeiten im Schmiedhaus.
+
+"Musst' raus?" fragte der Lechl.
+
+Stumm nickte der Befragte.
+
+"Ins Schmiedhaus?"
+
+"Schier," erwiderte der Bauer und setzte hinzu: "Hat einen Paechter fuers
+Fruehjahr."
+
+Gleimhansens Augen glaenzten listig. Er hob den Kopf und laechelte
+schadenfroh.
+
+"Vom Schmiedhaus ist gar nicht mehr weit ins Gemeindehaus!" warf er
+boshaft him.
+
+Der Soellinger rueckte sein Gesicht empor.
+
+"Ja--!" sagte der Gleimhans, ihn messend, "samt eurem Geld jagt er
+Euch in die Mausfall'n, wenn's ihm passt!"
+
+Die beiden anderen Bauern sassen dumpf da und starrten schweigend ins
+Leere. Der eine erhob sich, und der andere. Und beide gingen ohne ein
+Wort.--
+
+
+VI.
+
+Wiederholte Male hatte Michael zum Gleimhans geschickt. Er selbst kam,
+der Italiener kam, die Magd kam. Es half alles nichts. Der Bauer gab
+sein Anwesen nicht her.
+
+"Wenn nochmal einer kommt, kann er seine Knochen vor der Tuer
+zusammenkratzen!" bruellte er das letztemal wild. Es kam keiner mehr.
+
+Michael hatte nach und nach das ganze Dorf aufgekauft. Die Gehoefte und
+Haeuser lagen brach und still da. Die ehemaligen Besitzer waren entweder
+fortgezogen, gestorben oder arbeiteten gegen Taglohn auf der Bahnstrecke.
+Die Grundstuecke wurden von den Ferkelburgleuten beackert, bebaut und
+bewirtschaftet.
+
+Im ehemaligen Reishof logierte eine Hausiererin und fuehrte einen
+Kramladen. In den sonstigen Haeusern wohnten Arbeiter oder auch die
+frueheren Besitzer, gingen in der Fruehe heraus und abends hinein. Die
+Mauern broeckelten ab, die Gaerten verwahrlosten, alles lag veroedet und
+ruinenhaft da.
+
+Michael selbst sass den ganzen Tag in seinem Turmzimmer, ueher die
+Protokolle und Urkunden gebeugt, die er beim jedesmaligen Kauf eines
+Anwesens vom Notariat ausgehaendigt bekam. Nur der Italiener und die
+Magd, die ihm das Essen brachte, sahen ihn. Alt und verfallen sah er
+aus. Zusammengeschrumpft war seine Gestalt.
+
+Nachts, wenn der Mond silbern ueher die Talmulde glitt, stand er am
+Turmfenster und ueberschaute seinen Besitz. Dann glomm manchmal in
+seinen Augen etwas wie Triumph. Nur wenn sein Blick auf das
+Gleim-Anwesen fiel, wurde es finster auf seinem Gesicht.--
+
+Aus der Erde brach der Fruehling. Die Magd kam zum Reinalther und
+brachte die Botschaft, der Bauer solle sich zum Ausziehen
+bereitmachen.
+
+"Jaja, in Gott's Nam'! Sagt's nur, ich will ins Schmiedhaus!" gab ihr
+der Bauer als Antwort mit in die "Ferkelburg".
+
+Am selben Tag trottete Michael eilsam auf den Kramladen zu und
+verschwand scheu in dessen Tuer. Die Kraemerin schrak foermlich zusammen,
+als er so dastand.
+
+Aus einem grauenhaft gelben Gesicht starrten verkohlte Augen auf sie.
+
+"Gib mir zwei Kalbstrick, Irlingerin, aber gute!" sagte Michael kurz.
+
+Die Kraemerin legte einen Packen Stricke hin.
+
+Michael pruefte sorgfaeltig einen um den andern.
+
+"Die!" stiess er hastig heraus, warf das Geld him und nahm zwei
+Stricke.
+
+"Tragen denn gleich zwei Kueh' diesmal?" fragte die Kraemerin endlich.
+
+Aber Michael nickte nur und ging. Eilig stelzte er durchs Dorf.
+
+Als er die Tuer seines Turmzimmers zuschloss, zog er die Stricke aus
+seiner Brusttasche, pruefte sie nochmal und legte sie in den Schrank,
+schloss ab. Offenbar befriedigt atmete er auf, trat an den Schreibtisch
+und las wieder die Urkunden.--
+
+Gegen Abend kam der Pfarrer, der lange nicht mehr dagewesen war, in
+die Ferkelburg. Misstrauisch und etwas verwirrt empfing ihn Michael.
+
+"Das Kloster Sankt Marien moechte den Soellingerhof, Michl?" sagte nach
+einer Weile Schweigens der Geistliche.
+
+Michael schuettelte den Kopf.
+
+"Ist nicht recht, dass alles so tot daliegt, Michl!" ermahnte der Pfarrer.
+
+"So?" sagte Michael hartnaeckig, und seine Falten zuckten fast hoehnisch.
+
+"Wirst ein alter Mann, Michl! Was tust mit den vielen Haeusern!" murmelte
+der Geistliche hilfloser.
+
+"G'richt halten!" stiess Michael gedaempft heraus und heftete seine Blicke
+funkelnd auf den Pfarrer. Der stand beklommen da und atmete schwer.
+
+"Unser Herrgott wird dir Dank wissen, Michl!" fand er endlich das Wort
+wieder und erinnerte abermals an den Soellingerhof.
+
+"Steht zu arg in der Sonn'", murmelte Michael noch leiser und
+unheimlich heraus, "und wirft mir den ganzen Schatten in die unteren
+Stuben!"
+
+Er stand gespannt da, bewegte sich nicht. Der Geistliche wurde
+ploetzlich blass, als er das eingeschrumpfte, gelbe Gesicht im matten
+Licht sah.
+
+Jetzt funkelten Michaels Augen wieder und seine Lippen gingen auf und
+zu:
+
+"Hat einmal meinem Vater gehoert, nicht?! ... Und der Soellinger hat es
+ihm abgekauft, nicht?! ... Und--der Gleimhans hat ihm Geld 'geben.
+--Vieh hat er dazumal geschachert, der Soellinger, nicht?! Und-und
+hat's meinem Vater langsam abgekauft--langsam, nicht?! ... War ja ein
+Huettl, damals--nicht!?--"
+
+Er hielt inne. Der Pfarrer stand wortlos da.
+
+"Und nachher hat er das Saufen angefangen, mein Vater, nicht?!"
+keuchte Michael fortfahrend heraus: "Und dann haben's meine Mutter ins
+Gemeindehaus, und--und nachher haben sie sie auslogiert--ist
+gestorben, weil unsere Kuh krepiert ist! Hat's nicht mehr erleben
+koennen ... nicht!?"--
+
+Jetzt stockte er ploetzlich, hielt die Worte zurueck und erbleichte.
+Wieder bohrte er seine misstrauischen Blicke in das Gesicht des
+Pfarrers. Eine Unruhe fieberte auf seinen Falten.
+
+Auf einmal, ohne des Pfarrers zu achten, stiess er heraus: "So dunkel
+ist's da unterm Turm wie im Gemeindehaus bei meiner Mutter
+dazumal....!?"--
+
+"Michl!" rief der Pfarrer nur mehr. Dann ging er.--
+
+Michael stand eine Zeitlang in der gleichen Haltung da, dann zuckte er
+erschreckt zusammen und brach in seinen Lehnstuhl.
+
+Spaeter rief er den Italiener. Es war schon Nacht draussen. Er steckte
+die Kerze an und zog die dichte Gardine vor.
+
+"Hast immer geladen in der Sandgrube, nicht?" fragte er den Italiener.
+
+Der nickte.
+
+"Bist krank, Guisepp'! Musst Ruh' haben," redete Michael gut auf ihn
+ein und liess ihn nicht aus den Augen.
+
+Guiseppe stand verlegen und verstaendnislos da.
+
+"Das Soellingerhaus da drueben, Guisepp', das soll dir gehoeren, wenn'st
+--wenn'st nochmal sprengst, bloss mehr dies einzige Mal!" sagte Michael
+aschfahl und oeffnete seinen Schreibtisch, legte drei Pulversaecke aufs
+Pult.
+
+Der Italiener starrte ihn gross und schweigend an.
+
+Als dies Michael bemerkte, sprudelte er fast bittend und hastig
+heraus: "Haben dich nie erwischt, Guisepp', nie! Hast dich immer
+rausgemacht--wirst's auch diesmal fertigbringen!"--
+
+Und dann setzte er ihm den Plan auseinander.
+
+Mitten im Gespraech horchte er jaeh auf. Fern aus dem Dorf hoerte man
+Wagengeknatter und "Hue"-Rufe. Der Gleimhans fuhr die Habe Reinalthers
+ins Schmiedhaus.
+
+"Geh!" sagte Michael hastig zum Italiener. Mechanisch verliess dieser
+das Zimmer.--
+
+Bis tief in die Nacht hinein schleppten der Gleimhans, der Soellinger
+und die Reinalther-Eheleute die Moebel in die wackeligen Kammern im
+ersten Stock des Schmiedhauses.
+
+Es war eine windige, unruhige, stockdunkle Nacht. Manchmal trug eine
+Windwelle Laute und abgerissene Saetze herueber zur "Ferkelburg".
+
+Michael ging zitternd im Turm auf und ab. Auf und ab. Von Zeit zu Zeit
+neigte er sich ueber den Schreibtisch und schrieb noch ein Wort oder
+einen Satz auf einen aufgeschlagenen Bogen Papier.
+
+Jetzt riss der Wind die Schlaege der Kirchturmuhr auseinander. Michael
+tappte ans Fenster, hob die Gardine ganz schmal beiseite und band den
+Strick an den Fenstergriff.
+
+Und sah scharf und spaehend ins Dunkel hinaus.
+
+Da krachte es furchtbar. Ein riesiger Feuerklumpen brach in der Gegend
+des Schmiedhauses schleudernd in die Schwaerze der Nacht.--
+
+Und um die runde Anhoehe hetzte eine lange Gestalt auf die Ferkelburg
+zu.
+
+Michael fasste den Strick und legte seinen Hals in die Schlinge. Dann
+brach er ins Knie und hob seine ineinandergerungenen Haende zur Hoehe.
+Sank.--
+
+Mit jener grauenhaften Blaesse, die oft jaeh von furchtbarer Ahnung
+Erschuetterte befaellt, sagte der Pfarrer am andern Tag vor der Leiche
+des Erhaengten: "Alle Dinge sind eitel!" Und hob den Blick gen Himmel.
+
+Auf dem Schreibtisch lag ein Testament, das Guiseppe die ganzen
+Besitzungen und Hinterlassenschaften Michaels zuerkannte.--
+
+
+
+
+EIN DUMMER MENSCH
+
+
+I.
+
+Seltsam sind Menschenwege. Kalt ist der Winter, heiss der Sommer, die
+Zeit laeuft weg und Alter und Verbitterung hocken in den Knochen, eh'
+man sich richtig umsieht. Und schliesslich--was ist's gewesen, wenn man
+nachdenkt?--
+
+Misere, Misere, Misere!
+
+Zufall ist alles--und nichts.--
+
+Vor zweieinhalb Monaten noch--hol der Teufel diese kalten, widerwaertig
+regnerischen Herbsttage!--trottete Adam Hoegl verdriesslich durch die
+dumpfen Strassen, ueberlas ein um das anderemal die Karte des
+Arbeitsamtes, die ihm anbefahl, dass er sich beim Kranenwerk als
+Erdarbeiter zu melden haette, zerknuellte sie ebensooft in der Tasche
+und trat gedankenlos in die Kneipe der engagementslosen Artisten "Zur
+wilden Rosa."
+
+Widerlich, wie er jetzt auf einmal noch quaelender die kalte Naesse an
+seinen Gliedern herabrieseln fuehlte! Und ausgerechnet musste noch dazu
+die selbstspielende Geige unausgesetzt kratzen, dass es durch Mark und
+Bein ging!
+
+Die rauchige Luft war zum Schneiden dick hier und ein Laerm herrschte
+an allen Tischen wie auf einem Jahrmarkt.
+
+Knirschend und ohne sich um die geschwaetzige Gesellschaft zu kuemmern,
+liess sich der Eingetretene auf einen Stuhl fallen und schwang seinen
+patschnassen Hut ein paarmal derart wuetend him und her, dass die
+herausgepeitschten Tropfen wie aus einem Weihwasserpinsel herumflogen.
+
+"Pilsner oder Most?" schrie der Kellner ueher die Koepfe hinweg.
+
+"Pilsner!" brummte Hoegl finster zurueck und machte sich breit. "Hoho!"
+murrte jemand beinahe drohend am Tisch, und aergerliche Gesichter hoben
+sich. Auf einmal rief eine bekannte Stimme: "Mensch! Hoegl!" und Adam
+Hoegl sah verwundert auf.
+
+"Hoegl! Mensch! Adam!" schrie es abermals und ein Herr mit rundem,
+lachendem Gesicht tauchte an der anderen Tischseite auf, beugte sich
+behend in die gedraengten Leute: "Erinnerst du dich? Krull, vierte
+Kompagnie, Zimmer achtundzwanzig!? Bauchreden!" Adam Hoegl faltete
+schnell die Stirn.
+
+Ja, es stimmte: Im Zimmer achtundzwanzig der vierten Kompagnie lag er
+neben Ferdinand Krull und betrieb als Liebhaberei die gelegentlich
+erlernte Kunst des Bauchredens. Er entsann sich ganz deutlich, und
+unwillkuerlich, fast von selbst entquollen ihm einige Laute. Er sass
+gerade aufgerichtet da, mitten im ploetzlich verstummten Kreis der
+Gesichter, mit geschlossenem Mund--nur der herausgedrueckte Punkt
+seines Halses bewegte sich etwas auf und ab--und tief unten in seinem
+Bauch redete es.
+
+"Mensch, du kannst noch!? Komm sofort mit! Du wirst meine beste
+Nummer!" jubelte jetzt der ehemalige Barkellner Ferdinand Krull, und
+ehe die verblueffte Schar sich's richtig versah, trabten die beiden
+eilsamen Schrittes aus der Kneipe, stiegen in das bereitstehende Auto
+und weg waren sie.--
+
+Am selben Abend schon stand Adam Hoegl auf der grell beleuchteten,
+geraeumigen Buehne des Krullschen "Paradies-Kasinos" und johlte seine
+Bauchstimmen-Witze in das bunte, glaenzende Publikum, das sich
+allabendlich hier zusammenfand.
+
+Fluechtig zurechtgemacht, im zu grossen, faltigen Frack des beleibteren
+Krull, mit viel zu weitem Kragen, der sich wie ein schmaler weisser
+Kummet um seinen duerren, langen Hals wand, in einer karierten,
+schnuerenden Weste, einer billigen gestreiften Hose und den quaelend
+drueckenden Lackschuhen des Wirtes--so stand Adam Hoegl, eine beachtete,
+wichtig gewordene Einzelperson,--wie aus einer tiefen sumpfigen
+Finsternis ploetzlich auf einen strahlenden, weithin sichtbaren Gipfel
+gehoben--inmitten der sorglosen, grossen, praechtigen Welt.
+
+Musik fiel ein, saeuselte suesse, schmeichelnde Melodien durch den Raum,
+tuschte, brach ab--der Vorhang peitschte in die Hoehe. Vereinzeltes
+Stuehleruecken noch, leise verschwingendes Glaeserklirren und andaechtige
+Stille minutenlang. Adam Hoegl riss die Augen weit auf. In der
+blauueberleuchteten, abgedaempften Zuschauergruft tauchten puppige
+Herrenruecken auf, kuehngekleidete Damen, ebenmaessige, gepflegte,
+wunderbar abgetoente Gesichter und lange, glitzernd beringte Haende
+mit Elfenbeinfarbene Nacken bogen sich waghalsig.
+
+Herausfordernde, runde, nackte Arme bewegten sich laessig
+undentbloesste, leicht geroetete Brueste hoben und senkten sich wie
+weiche, maerchenseltsame Lichtflaechen, die ein faechelnder Wind
+arglos um schwirrte.--
+
+Mit Gewalt musste Adam Hoegl an sich halten. Der Atem stand ihm still.
+Schweiss war auf seiner Stirn. Muehsam presste er endlich die ersten
+Laute heraus.
+
+Es raekelte.
+
+Sein Herz klopfte auf einmal wie im Galopp. Mit ganzer Kraft straffte
+er sich, groehlte unbeholfen den ersten Witz heraus, begann ohne
+Zwischenpause den zweiten.
+
+Es raekelte schon wieder. Seine Knie begannen zu schlottern. Er biss die
+Zaehne fest aufeinander, presste--presste die Laute, die auf der Kehle
+sassen, wieder zurueck, hinunter in den Bauch und hatte endlich den
+zweiten Witz.
+
+Das Raekeln verstaerkte sich, verflachte zu einer allgemeinen
+Bewegung. Schon drohte er umzufallen--da brach ein berstender,
+frenetischer Jubel ueher ihn her, ein Gelaechter wie aus einer
+vielstimmigen Riesentrompete, ein betaeubendes Klatschen, als sei hoch
+auf einem Berge die Schleuse eines gehemmten Flusses mit einem Male
+jaeh aufgerissen worden und die ganze Wasserlast falle sausend in die
+Tiefe.
+
+Er war gerettet.
+
+Er atmete auf, hielt inne, liess den Jubel verrauschen und jetzt floss
+sein ganzer Mut und Witz berueckend sicher aus ihm heraus, hinab in die
+Gruft und wieder zurueck an seine schweissnasse Brust wie
+verhundertfachter, brausender Dank.
+
+Er hatte gesiegt.
+
+Einen solchen aus allen Geleisen geratenen Beifall hatte das
+"Paradies-Kasino" noch nie erlebt.--
+
+Vollkommen erschoepft schleppte sich Adam Hoegl am Arm seines ehemaligen
+Regimentskameraden immer wieder durch die getuermten Blumenhaufen, vor
+bis an die Rampe, kaum noch faehig, sich zu verbeugen. Und immer, immer
+wieder zuckte der Vorhang, fuhr sausend auseinander und in die Hoehe.
+
+Zuletzt sah es aus, als haetten sich alle Menschen da unten
+uebereinandergeworfen und in das wueste, kreischende Plaerren mischte
+sich endlich die Musik undschwoll an zu einem maechtigen Choral. Und
+regelmaessiger, breit und den ganzen Raum erbeben lassend sang es aus
+allen Kehlen zur Hoehe: "Ooo du Pa--a--aradies! Pa--a-aradies
+--Kasi--ino--o--o!" dass Adam Hoegl buchstaeblich wie halbtot seinem
+Kameraden in die Arme sank und aus tiefstem Glueck erschuettert auf
+johlte: "Pa--a--aradies!"--
+
+Einige Tage spaeter konnte er an allen Litfassaeulen in halbmetergrossen
+Buchstaben seinen Namen lesen und darunter stand: "Die grosse Nummer".
+Und jeden Abend erntete er den gleichen Beifall. Schon in der Mitte
+des zweiten Monats war auf allen Plakaten, quer ueher "Die grosse
+Nummer" geklebt, zu lesen: "Zum dritten Male prolongiert!"--
+
+
+II.
+
+Ohne es selber recht innezuwerden, rueckte Adam Hoegl in eine andere
+Menschen schicht hinauf. Er trug nunmehr seidegefuetterte Anzuege der
+besten Schneider, ging mit gelassener Selbstsicherheit durch die
+Strassen und gruesste mit ausnehmender Vorliebe auffaellig gestikulierend
+und so geraeuschvoll, dass alles stehen blieb und lachen musste, vornehme
+Gaeste des "Paradies-Kasinos". Fast jeden Abend nach seinem Auftreten
+sass er an irgendeinem Tisch, inmitten einer fidelen Gesellschaft,
+trank je nach der Art seiner Gastgeber entweder herablassend beilaeufig
+oder mit einigen Brusttoenen lobender Aufmerksamkeit aeltesten Wein,
+Bekanntesten franzoesischen Sekt, jeden Nerv kitzelnde Likoere und sog,
+immer witzgerecht, mit geuebt baeuerlicher, biederer Bescheidenheit alle
+Bewunderung der Gaeste in sich hinein.
+
+Seine berechnete Natuerlichkeit wirkte bestechend bei Damen, alten
+Lebemaennern und Industriellen. Er zotete, wenn ihn ein abfaelliger,
+herabmindernder Witz traf, ueher alles hinweg mit jenerunerschuetterlichen,
+nie angreifbaren, haemischen Trockenheit, die entwaffnet. Mit dem ganzen
+unterdrueckten Instinkt eines Menschen, demdie Angst vor dem
+Wiederzuruecksinken in den Sumpf Spannkraft gibt, beobachtete er, erwog
+die Moeglichkeiten neuer Bekanntschaften, erlistetesich notwendige
+Gebaerden und Manieren, machte sich gutwirkende Kniffe zunutze
+und galt bald als der gewiegteste Weinkenner und grossartigste,
+bewunderungswuerdigste Zecher, mit dem es eine Lust war, Gelage zu halten.
+
+Freilich, es gab auch Abende ohne Einladung, wo er am Kuenstlertisch in
+der zerwetzten Nische sass und sich mit Kollegen und Kolleginnen, die
+mit ihm das Programm ausfuellten, unterhielt. Artisten aus aller Herren
+Laender, dicke Saengerinnen, zierliche Chansonetten und schwergebaute
+Ringkaempfer waren da. Intrigen, Neid und Intimitaeten gab es da,
+Vertraulichkeiten und Klatsch. Mit teilweise unverhohlenem oder auch
+leisem, verstecktem, stechendem Spott sahen diese weltbereisten, mit
+allen Wassern gewaschenen Leute auf den Neuling herab. Es war
+unerquicklich und feindselig in dieser Nische, alles deutete zurueck in
+die Misere.
+
+Draussen, im Zuschauerraum, vertrugen sich die dickaufgetragenen
+Freundlichkeiten voruebergehender Kollegen fast laecherlich leicht.
+Waehrend er nicht selten, wenn er spaet nachts den Kuenstlertisch
+verlassen hatte und heimwaerts ging, zukunftsbesorgt und entmutigt war,
+lebte er als Gast an den Tischen der Kasinobesucher stets auf, schaute
+den voruebergehenden Kollegen kuehn und dreist in die Augen, warf ihnen
+treffsichere Zoten zu und laechelte unverschaemt, wenn er auf ihren
+Gesichtern die nur schwer zurueckgehaltene Wut aufsteigen sah. Hier, in
+diesem Meer, dessen Wellen ihn unausgesetzt emporhoben, fuehlte er sich
+voellig geborgen, unverfolgbar und maechtig.
+
+Adam Hoegl war kein Optimist. "Nichts dauert ewig und jeder muss sich
+nach der Decke strecken," sagte er bei jeder Gelegenheit mit leiser
+Ironie, doch handelte er danach.
+
+Gelegentlich eines wuesten Gelages mit dem Millionaer van Haarskerk und
+seiner Gesellschaft in einem abgedaempften Hinterraum des
+Paradies-Kasinos liess er sich kaltes Wasser kuebelweise ueher den Kopf
+schuetten, spielte mit Meisterschaft den voellig Betrunkenen, trank
+gesalzenen Sekt ohne eine Miene zu verziehen, ertrug zur Steigerung
+des Vergnuegens viele, viele Stoesse in den hingehaltenen Bauch und
+tanzte zuguterletzt patschig und negerhaft wie ein Eunuch im Hemd
+herum, dass sich die ganze Gesellschaft vor Lachen waelzte.
+
+Von da ab sass er jeden Abend am Tische van Haarskerks, duzte sich mit
+diesem. Der Millionaer war eine besondere Art von Mensch, Er hatte der
+kleinen Kabarett-Diva Yvonne eine Villa draussen an der Peripherie der
+Stadt gebaut und vertrieb sich die Zeit damit, mit ihren frueheren
+Bekannten Gelage zu halten, ausgesuchte Gerichte zu kochen und
+Autotouren zu machen. Durch sein Verhaeltnis mit der Diva war er im
+Laufe einer ganz kurzen Frist zu einer Art Stadtbekanntheit geworden.
+Meistens kam er mit zwei oder drei vollbesetzten Autos im
+Paradies-Kasino an. Allerhand zweifelhaft gekleidete Leute begleiteten
+ihn, alles fruehere Geliebte Yvonnes--: abgewirtschaftete Studenten,
+die sich Dichter nannten, einige Kunstmaler, ehemalige Kabarettleute,
+undefinierbare Witzbolde und schliesslich noch einige Herren, die stets
+neueste Mode am Leibe trugen, gepudert waren und das Einglas ins Auge
+geklemmt hatten. Nach Schluss der Vorstellung fuhr man nicht selten mit
+noch Hinzugekommenen, momentan die Langeweile vertreibenden
+Eingeladenen nach Hause, um dort weiterzutrinken, zu diskutieren oder
+Bakkarat zu spielen, his die Fruehe fahl ihr Licht durch das dicke
+Glasdach des Wintergartens auf die Zecher herabfallen liess.
+
+Adam Hoegl fasste festesten Fuss in diesem Hause, ja, zaehlte geradezu zur
+Familie, lernte fabelhafte Tafeln kennen, ueberschuettete die gelassene
+Gleichgueltigkeit, mit der man hier Unsummen in die Spieltischmitte
+schob und wieder wegzog, mit seinen herabmindernden Spaessen, trank
+ebenso waehlerisch wie selbstverstaendlich Whisky pur wie Kognak von
+1875, Mit dem ihm eigenen Geschick sekundierte er, wenn Yvonne ihre
+tausendmal erzaehlten Bettgeschichten und anzueglichen Witze erzaehlte.
+Sein trainiertes Gelaechter riss jedesmal mit und erleichterte den nur
+mit Muehe die Langeweile verbergenden, devot Beifall spendenden
+Guenstlingen ihre schwierige Aufgabe auf das angenehmste.
+
+Oft und oft kam es vor, dass die ueberreizte Diva eine Vase durch eine
+Glastuer warf, Unheil stand drohend--da auf einmal trompetete das
+Lachen Hoegls und glaettete im Nu den Sturm.
+
+Es gab Naechte in diesem Hause mit ihm, die begannen mit einem wuesten
+Balgen zwischen Yvonne und van Haarskerk, mit einem Zusammenschlagen
+kostbarster chinesicher Zierrate, mit einem Demolieren von Tueren und
+Moebeln und endeten wie etwa eine unvergleichlich lustige Sylvesterfeier.
+
+Hier war ein reicher Fischplatz. Adam Hoegl warf vorsichtig seine
+Angeln und Netze aus.--
+
+"Denn nichts dauert ewig und jeder muss sich nach der Decke strecken!"
+
+
+III.
+
+Die Tage und die Naechte liefen davon. Viel zu schnell. Sie schwebten
+vorbei, ohne sich voneinander zu unterscheiden. Es war ein
+unaufhaltsames Fliessen. Es gab keinen festen Punkt, kein Nachdenken,
+keinen Widerstand.
+
+Allmaehlich, mit jedem Tag bemerkbarer, liess der Beifall nach. Es brach
+jetzt kein ploetzliches Gelaechter mehr aus. Es war keine Stille mehr in
+der Zuschauergruft, wenn Hoegl auftrat. Man sandte auch kein resolutes
+"Pst!" mehr aus aufmerksamen, lauschenden Tischen, wenn die Kellner
+servierten. Gelangweilte Gesichter sah man ringsum. Es schwaetzte
+jedermann waehrend des Vertrags. Wie ein boeses Gewissen rieselte durch
+den erschauernden Koerper jene penetrante Peinlichkeit, die immer
+einsetzt, wenn man sich hilflos einer staerkeren Macht gegenuebersieht
+und es sich nicht eingestehen will.
+
+Es war acht Tage vor dem Ende des dritten Monats, und nichts wieder
+hatte Krull von abermaliger Prolongierung erwaehnt. Adam Hoegl stand
+benommen hinter dem eben herabgefallenen Vorhang und wischte sich den
+Schweiss von der Stirn. Es klatschte maessig. Der Vorhang zuckte fast
+mitleidig und wurde rasch noch einmal hochgezogen. Es klatschte etwas
+mehr, als Hoegl dankte. Der Vorhang fiel wieder herab. Bagg--bagg--bagg
+--bagg!--schon schwammen die Redegeraeusche, das Klirren der Glaeser,
+das Stuehleruecken und Surren der Ventilatoren darueber hinweg, und alles
+verebbte zu einem gleichmaessigen Geplaetscher. In acht Tagen vielleicht
+stand Krull, der in der letzten Zeitmerkwuerdig schuechtern auswich und
+sich selten sehen liess, vor ihm und sagte ungefaehr: "Adam, du weisst!
+Mein Publikum will Abwechslung. Ichbin Wirt, ich muss mich nach ihm
+richten."
+
+Man war ihn satt!--Er konnte wo anders hingehen?--Schliesslich--er
+hatte noch etwas Geld, Anzuege. Es ging eine Zeitlang. Dann?--
+
+Der Boden schwankte, man glitt aus, man liess sich dahintreiben, dumpf
+und verbittert auf einen naechsten jaehen Zufall wartend. Die fast
+maerchenhafte Leichtigkeit, mit der man ueher Nacht so hoch getragen
+worden war, hatte die Energie vernichtet.--Adam Hoegl knirschte und
+sah scheu rundherum. Die Angst kam von der Magengegend zur Gurgel
+heraufgekrochen. Mit einem Ruck riss er sich zusammen und schritt zur
+Tuer. Da kam der schlanke Kellner und bat ihn in die Loge des
+Millionaers. Er atmete erleichtert auf. "Ich komme gleich," sagte er
+schnell und ging in die Garderobe.
+
+Nach einigen Minuten schritt er die Logenreihen entlang und hatte
+schon wieder die breitlachende, humorvolle Miene, die man an ihm
+gewohnt war. Aus verschiedenen Tischen nickten ihm Leute gruessend zu,
+und scheinbar ganz in seligster Wonne erwiderte er.
+
+Die Haarskerksche Loge war wie gewoehnlich gepfropft voll. Jeder der
+Herren lachte bereits das knallige Lachen Adam Hoegls. Das gab Mut.
+Noch war man also nicht ausgeloescht.--
+
+"Ah--haha!!" kraechzte der Millionaer aufstehend und machte Platz.
+
+"Was machst du?" fragte Yvonne den Angekommenen.
+
+"Einen schlechten Eindruck," erwiderte Hoegl trocken. Die Unterhaltung
+belebte sich, wurde aufdringlich laut.
+
+"Psst! Psst!" zischte es aus den gegenueberliegenden Tischen, denn eben
+trat die neuengagierte Saengerin auf und trillerte die ersten Laute.
+
+"Ah--a--a--ah--ah--a--a--aa!" sang Hoegl boshaft mit angestrengtester
+Kopfstimme nach und der ganze Tisch kreischte hellauf.
+
+"Psst! Psst!" Adam Hoegl entdeckte mit einem fluechtigen Blick drueben in
+einer dunklen Ecke Krull mit finsterem Gesicht, wandte sich schnell
+wieder weg.
+
+"Ein Tuerteltaeubchen! Ein Taeubchenturtel!" groehlte er sehr laut.
+
+"Ru--u--uhee! Psst!" brummte es noch energischer und empoert gehobene
+Gesichter tauchten auf.
+
+"Mistkaefer! Schweinebande!" knirschte Yvonne dumpf in den Tisch und
+rief lauter: "Anton zahl'! Wir wollen gehen! Sofort!"
+
+Der Kellner kam eilends herangeflitzt. Sehr geraeuschvoll bezahlte der
+Millionaer und die ganze Loge erhob sich. Alle tappten im Gaensemarsch
+knatternd auf den Ausgang zu.
+
+"Psst! Psst! Ru--uhe!" surrte es ihnen nach. An der Tuer stand Krull,
+verbeugte sich devot und wollte entschuldigen.
+
+"Schon gut! Schon gut! Wir werden's uns merken!" schrie Yvonne und
+befahl resolut: "Kommt! Lasst euch nicht aufhalten!" Der Trupp stuerzte
+hinaus. "Ich moechte heut' nur Hoegl, Kotlehm und Raming, Anton! Lass die
+andern nach Hause fahren! Wir wollen unter uns sein!" sagte Yvonne vor
+dem Auto. Der Millionaer rannte auf die anderen Begleiter zu, sagte
+ihnen dies, kam wieder zurueck, stieg rasch ins volle Auto und gab das
+Zeichen zum Abfahren.
+
+"So sind alle Wirte, weisst du! Pack! Pack!" schimpfte Yvonne waehrend
+des Dahinfahrens.
+
+"Eben! Eben!" brummte Hoegl in tiefem Bass.
+
+"Ein solches Miststueck mit ihrem Geplaerr! Na, ich danke!"
+
+"Eben! Eben!" sekundierte Hoegl befriedigt.
+
+Der Maler Kotlehm lachte gewaltsam.
+
+"Und diese Presssackbrueste, pw! Diese Wurstfinger, aeh!" zeterte Yvonne.
+
+"Gulasch! Gulasch mit Kartoffel!" murmelte Hoegl. Man lachte
+allenthalben. Yvonne warf ihre Arme hingerissen um Hoegls Nacken und
+drueckte ihr kaltes geschminktes Gesicht an seine Wange, kuesste ihn
+breit und feucht, dass es schnalzte: "Hoegl, Du bist mein Mann!"
+
+Die Stimmung war wiederhergestellt.
+
+"Was trinken wir?" fragte van Haarskerk.
+
+"Sekt! Sekt!--Ich moechte heute schwimmen im Sekt--und dann Whisky!"
+rief Yvonne emphatisch.
+
+Das Auto fuhr surrend durchs Tor.
+
+
+IV.
+
+Die Dienerschaft war zu Bett gegangen. Es war still. Ueberall herrschte
+ein Geruch nach Zigaretten, Parfuem und Alkohol. Man liess sich in die
+tiefen, nachgiebigen Fauteuils um den offenen Kamin im Rauchzimmer
+fallen. Jener Punkt war erreicht, wo alles oede, langweilig, dumm und
+trist zu sein scheint. Die Stimmung war zweideutig und unentschieden.
+Es hiess geschickt eine Krise zu vermeiden, die scharfen, vorgeschobenen
+Riffe der Ueberreiztheit gewandt zu umsegeln. Noch zwei oder drei
+schweigende Minuten und man stand vielleicht auf, gaehnte doesig und ging
+zu Bett--oder aber auch Yvonne stiess zufaellig mit dem Fuss wo an,
+knirschte gehaessig und schmiss eine Vase kaputt. Es gab Skandal und alles
+war verloren, verhunzt. "Ich hab' Hunger," sagte Yvonne bereits bedrohlich.
+
+Adam Hoegl ergriff die Gelegenheit und brummte trocken: "Ein frugales
+Mittelstueck! Sehr richtig! Weder Frueh--noch Nachtstueck--ein Mittelstueck,
+ein Stueck in der Mitte!" Man lachte lahm. Der Maler Kotlehm und der Lyriker
+Raming bewegten sich etwas aufgefrischter: "Ja, das waere nicht dumm!"
+
+"Geht!" befahl Yvonne Hoegl und dem Millionaer. Die beiden waren
+aufgestanden. "Komm! Kommen Sie, Herr Kuechenchef! Wir wollen--Na, die
+Herrschaften, na--na!?" trompetete Hoegl in seinem breiten Bass, als er
+mit van Haarskerk in die Kueche ging. Waehrend der Hausherr eineinhalb
+Dutzend Eier kochte, schmierte Hoegl Butterbrote, strich Kaviar darauf,
+schnitt Schinken und Seelachs.
+
+Der Sekt war bereits abgekuehlt.
+
+Als er die Glaeser und das Tablett mit den Speisen in das Rauchzimmer
+trug, hatte sich Adam Hoegl wieder ganz in der Gewalt und bediente
+behend wie ein Servierkellner. Man griff gierig zu, schmatzte. Die
+Stimmung hob sich.
+
+"Und ick?!--Ick hock mir ins Klosette rin und kotze alle Spucke
+rinn!--rinn!--rinn!--" johlte Hoegl wie ein Grammophon mit waesserigem
+Mund. Und: "--rinn!--rinn!--" wiederholte der ganze Chorus.
+
+Zufaellig warf der Millionaer seine Eierschalen in grossem Bogen zur
+Decke. Sie fielen in den Spiegel oberhalb des Kamins und zischten
+auseinander. Belustigt darueber schleuderte Yvonne ihr Ei in die
+glitzernde Flaeche. Benng! klatschte es spritzend auseinander. Einen
+Moment gafften alle unschluessig.
+
+"Hoi--j! Hoi--j!" bruellte Hoegl unverbluefft wie ein Ausrufer und warf
+ebenfalls sein Ei in den Spiegel. Das gefaehrliche Riff war umschifft.
+Alles groehlte mit einem Male mitgerissen. Patsch--Patsch--Patsch!
+Jeder warf sein Ei in den Spiegel. Es klatschte um die Wette. Yvonne
+schuettelte sich berstend. Adam Hoegl huepfte vor Vergnuegen. Wie doch
+alles einfach ist!--"Das ist--um es richtig zu sagen--der Kampf mit
+dem Spiegel oder der verspritzte Eidotter auf dem Kamingesims!"
+plapperte Raming ruelpsend.
+
+"Hahaha--ha! Der Lyriker wird witzig!" stichelte der Millionaer.
+
+"Der Spiegelkrieg! Das Krieglspielchen! Das Spielchen mit dem
+Kriegl-Spiegl!" gluckerte Hoegls Bauchstimme. Ein hemmungsloses
+Gelaechter peitschte auf. Man trank ueberschnell und mit vollstem
+Behagen. Adam Hoegls Gesicht glaenzte triumphierend. Sehr gewandt
+spuckte er seinen Mund voll Sekt zur Decke. Ein dicker Strahl war's.
+Im Nu folgten die aendern.
+
+Die Stimmung hatte einen ersten Hoehepunkt erreicht. Es galt, ihn zu
+halten. Adam Hoegl begann zu zoten.
+
+--Dem Lyriker Raming gab der Millionaer seit einem Jahr ein Stipendium,
+weil Yvonne dessen bastardhaft verfaltetes Gesicht gelegentlich einmal
+als "angeilend" bezeichnet hatte. Des Malers Kotlehm vulgaere Schoenheit
+entzueckte die Diva dergestalt, dass sie van Haarskerk veranlasste, ihm
+ein Atelier zu bauen. Von anderen noch wusste Adam Hoegl, dass sie
+betraechtliche Summen wegen eines Witzes oder dergleichen erhalten
+hatten.
+
+Und er hatte sich Wasser kuebelweise ueher den Kopf schuetten lassen.
+
+In den Bauch treten lassen!
+
+Und in acht Tagen?--
+
+Raming ruelpste, liess den Kopf haltlos auf seine Brust herabgleiten,
+sank zusammen und schlief ein.
+
+"Der ausgewundene Strumpf zieht sich in die Vorhaut zurueck!" rief Hoegl
+breit, ueberpruefte unbemerkt die Gesichter der aendern.
+
+"Die Inspiration kommt im Schlaf!" warf der Millionaer beilaeufig him.
+
+"Weisst du, Anton," sagte die Diva schnell und aufgeraeumt, "ein
+Spielchen waere jetzt richtig angebracht!"
+
+"Ein Bakkarat?--Ja, das waer' jetzt sehr nett!" sagte der Maler Kotlehm
+ebenso.
+
+"Sehr richtig! Gewiss die Damen! Gewiss die Herren! Die Dammenherren,
+die Herrendammen!" plapperte Hoegl und verbeugte sich wie ein Lakai:
+"Adam Hoegl uebernimmt die Saufregie, bitte, bitte meine Herrschaften,
+bitte!"
+
+Das Schnarchen Ramings saegte friedlich und gleichmaessig. Yvonne,
+Kotlehm und der Millionaer setzten sich um das Spieltischchen, legten
+die Banknoten in die Mitte.
+
+"Prost, Herr Kunstmaler, Herr Kotstengel!" rief Hoegl haemisch, hob das
+volle Sektglas und schluckte hastig den ganzen Inhalt hinunter.
+
+Van Haarskerk gab die Karten.
+
+Hoegl, der nicht spielen konnte, ging auf und ab und bruemmelte leise
+singend vor sich him. Von Zeit zu Zeit lugte er fluechtig auf den
+getuermten Haufen der Banknoten, die sich in der Tischmitte sammelten.
+Laessig zog man die Scheine weg oder warf neue him.
+
+Mattblauer Tag lag schon auf den Gesimsen. Die Gaerten draussen
+bleichten. Stare zwitscherten leise auf. Tau stieg von der Erde hoch.
+Unbehaglich tappte Adam Hoegl auf und ab, schielte manchmal auf die
+Spieler, dann wieder durch die Fenster.
+
+Laestig! Die Umstaende hatten einen kaltgestellt. Alles entglitt
+wieder.--Jetzt verspielte Kotlehm. Erwar darauf gekommen, an jenem
+Abend im abgedaempften Hinterraum des "Paradies-Kasinos", dass man auch
+in den Bauch stossen koennte. Adam Hoegl umspannte ihn unbemerkt mit
+seinen duesteren, hassenden Blicken.
+
+"A--ah--ach!" stiess van Haarskerk mit boshafter Befriedigung heraus,
+als der Maler abermals einen Geldschein auf den Tisch warf.
+
+"Prost!" rief Hoegl schadenfroh.
+
+"Donner und Doria!" lachte der Maler etwas nervoes und legte die Karte
+auf den Tisch. Abermals Hundert!
+
+Adam Hoegl liess eine saftige Zote vom Stapel. Yvonne lachte.
+
+Wie um sich zu wehren, nahm Kotlehm das Glas und schrie feldwebelmaessig:
+"He! Kuli! Einschenken!" Adam Hoegl schoss das Blut zu Kopf. Aber er fasste
+sich schnell und hob die Karaffe: "Besser zielen!--Vorbeigeschissen!" Er
+zitterte ein wenig, als er eingoss und schuettete daneben.
+
+"Hehe! Du! Kuli!" schrie Kotlehm und stiess ihn in den Bauch. Erquickt
+schnellte der Millionaer auf, nahm ihm die Karaffe. Adam Hoegl zog
+verwirrt die Schultern hoch. Van Haarskerk lachte stossweise und
+schuettete den Rest ueber seinen geduckten Schaedel. Eiskalt rann der
+Sekt den Ruecken herunter.
+
+Adam Hoegl raffte seine letzen Kraefte zusammen. Ratlosigkeit, Wut und
+Verzweiflung standen auf einmal da. Wie von schwirrenden Peitschen
+umsummt brummte der zerruettete Kopf.--
+
+Er drohte zu fallen, drueckte noch einmal mit ganzer Gewalt den Bauch
+heraus und grunzte endlich wieder. Wieder bellte das Gelaechter.
+
+Der Maler Kotlehm sprang auf und fuchtelte mit den Armen herum wie ein
+peitschenschwingender Tierbaendiger.
+
+Das Spiel war zerrissen. Die neue Sensation hatte die Langeweile im Nu
+ausgeloescht. Man umtanzte, umjohlte Adam Hoegl, der wie ein blinder Baer
+herumtappte. Gutgezielte Stoesse sausten in dessen Bauch. Van Haarskerk
+kam mit einer gefuellten Karaffe, schuettete, goss, goss.
+
+Adam Hoegls Schuhe pfiffen.
+
+"Schurken! Sadistische Hunde!" schrie Yvonne machtlos in den
+betaeubenden Laerm. Raming hob schlaefrig den Oberkoerper und liess sich
+wieder zurueckfallen. Das wueste Gebruell zerspaltete die verrauchten
+Baeume. Zwischendurch gluckste wie das Roecheln eines Verendenden Hoegls
+Bauchstimme.--Heute noch! Noch einmal! Dann war vielleicht die
+Rettung da. Man war geborgen. Eine Nacht Wasser ueber den Kopf--und
+keine Misere mehr.--
+
+Die Hose platzte, als er sich bueckte. Kotlehm riss das Hemd heraus.
+
+"Hoij! Hoij!" zischte es von allen Seiten. Man nahm Hoegl in die Mitte
+und stampfte durch den Wintergarten ins Freie. Schwerfaellig, plumpsig
+bewegte sich der Tross an den ersten Gemuesebeeten vorbei. Der Millionaer
+schob hinten, Kotlehm zog und zerrte an den Armen Hoegls. Yvonne
+kreischte unaufhoerlich.
+
+"A--ahach Mensch, lass mich doch schnaufen!" stoehnte Hoegl und riss
+seinen Mund weit auf. Dicker Schweiss rann ihm herunter.
+
+"Hoij! Hoij!" schrie es wieder. Zog, zerrte. Adam Hoegl prustete,
+hauchte. Der Maler Kotlehm riss einen Rettich aus dem Gemuesebeet und
+stopfte ihn mit aller Gewalt in Hoegls Mund.
+
+Die Zaehne krachten. Der Schlund kaempfte gegen das Ersticken. Blau lief
+der Kopf an. Adam Hoegl stemmte sich wuergend, spuckte, erhob beide Arme
+furchtbar, stiess in die leere Luft. Es war auf einmal frei um ihn. Wie
+Kettenlast fiel etwas ab. Der wachgewordene Koerper straffte sich, als
+renne er stahlhart gegen eine Wand und stiesse sie durch.
+
+So leicht atmete es sich.
+
+Eine grosse Stille stand unfassbar weiss ringsherum.--
+
+Nach langer Zeit, als er die Augen oeffnete, saugte die Kaelte der
+feuchten Erde an allen seinen Gliedern. Er lag langgestreckt in einem
+Gemuesebeet. Schmutz und Blut klebten auf seinen zerschundenen Wangen.
+Er schloss den Mund, schluckte. Die Gurgel wuergte. Ein wuester Ekel
+stieg vom Magen auf.--
+
+Wie eine gemeine, gruene Qualle hockte das Haus in den zertrampelten
+Beeten. Das zaertliche Rot des fruehen Tages beleckte die Fenster, die
+ausdruckslos vor sich hinglotzten. Es roch nach Verwesung.--
+
+Taumelnd sprang er auf und rannte entsetzt aus dem Garten. Schwankend
+wie ein Wrack trieb er ueber die Wiesen, der Stadt zu. Eine graessliche
+Schwaeche fieberte in ihm. Angstvoll schleuderte er zuletzt seine Fuesse
+nach vorne, lief, lief, was er konnte.
+
+Erst als er die ersten Haeuser erreicht hatte, hielt er inne und wischte
+sich aufatmend Kot und Blut aus dem Gesicht.
+
+Ruhig und nuechtern griff die Strasse aus. Arbeiter gingen vorueber und
+beachteten ihn kaum. Sie bewegten sich und redeten wie Menschen, die
+nichts anficht. Es stroemte eine seltsame Festigkeit aus ihren Gebaerden
+und Worten.
+
+Verlassen, nutzlos, ein jaemmerlicher Wicht stand Adam Hoegl da.
+Unerbittlich brach die Scham der letzten Wochen aus ihm, stieg, stieg.
+Bettelnd, hilflos blickte er auf alle Menschen.
+
+Endlich gab er sich einen Ruck und ging wieder weiter. Sein Gesicht
+bekam langsam eine groessere Ausgeglichenheit. Fester, entschlossener,
+mit dem erleicherten Ernst eines Menschen, der sich durch eine grosse
+Erschuetterung die Ruhe wieder zurueckerobert hat, schritt er fuerbass.--
+
+
+
+
+ABLAUF
+
+
+I.
+
+Man sagt, wenn sich die zwanziger Jahre aus einem Menschenleben
+winden, fangen die Reibungen an zwischen natuerlichem Denken und
+dunklem Trieb. Es beginnt ein Aufruhr im Innern. Ueber die Daemme, die
+die Erziehung notduerftig aufgebaut hat, bricht das Blut und je nach
+der Festigkeit des Betroffenen folgt einer solchen Krise eine
+Zerruettung, ja nicht selten ein zeitweiser gaenzlicher Zusammenbruch
+und nur langsam, unter Weh und Qual, stellt sich das Gleichgewicht
+wieder ein.--
+
+Gluecklich derjenige, der von frueh auf Menschen, Buecher, Winke,
+Erfahrungen und Anleitungen kennenlernte, die seinen Horizont
+erweiterten und ihm einigermassen dazu verhalfen, solchen
+Erschuetterungen nicht ganz wehrlos zu begegnen.
+
+Alle aber, die von Kind auf nichts anderes kennenlernen, als dass
+dieser oder jener geschickte Handgriff, diese Finte oder jene schwer
+erlernbare Koerperhaltung die Muehe der Arbeit erleichtern, haben wenig
+Zeit, sich gegen solche innere Ueberfaelle zu wappnen. Es ist wahr, auch
+sie ueberwinden. Aber sie leiden mehr darunter und werden aerger
+mitgenommen von solchen Qualen. Der Schmerz faellt hier mit schwererer
+Wucht nieder auf arglose, unvorbereitete Herzen. Die Jahre verfliessen
+verbraucht und wenig sinnvoll fuer solche Menschen. Sie stehen meist
+unvermerktmitten im Gestruepp ploetzlich hervorbrechender Gefuehle,
+kaempfen blindlings gegen ihre Daemonie, werden ueberwaeltigt davon und
+fallen schliesslich in gaenzliche Lethargie.--
+
+Johann Krill fiel so in den Rachen der Welt.
+
+Sein Vater war Zimmermann auf einem Dorfe, seine Mutter Bauernmagd.
+Auf einmal war dieses Kind da und man musste notgedrungen heiraten. Man
+frettete sich gerade so durch gegen Taglohn. Wenn das Akkordmaehen zur
+Erntezeit anfing, war es am besten. Zimmererarbeiten gab es wenig. Hin
+und wieder Baumfaellen und Holzspalten im staatlichen Forst, das war
+ziemlich alles.
+
+Es hiess eben: "Nicht krank sein!" und "Sich nach der Decke strecken!"
+--Kinder solcher Eltern, noch dazu "ledige", haben nichts Gutes bei den
+Bauern. Es heisst aufstehen mit den Knechten um vier Uhr frueh, zugreifen
+und den anderen an Flinkheit nichts nachgeben und den Mund halten. Die
+Knochen schmerzen am Anfang, aber das verliert sich mit der Zeit.--
+
+Nach seiner Schulentlassung kam Johann zu einem Schlosser im nahen
+Marktflecken zur Lehre. Jetzt waren es Hammerstiele und Eisenstangen
+oder Wellblechstuecke, mit denen man warf oder zuschlug. Und wehe, wenn
+der Vater eine Klage hoerte! Sein Ochsenziemer, der stets neben dem
+Handtuch am Ofen hing, war furchtbar.
+
+Nun, es kam schliesslich die Gesellenpruefung und der Achtzehnjaehrige
+ging auf die Wanderschaft. Als gutgelernter, sehniger Arbeiter landete
+er dann nach ungefaehr fuenf Jahren in dieser Stadt und fand Stellung in
+einer Fabrik. Es war ein Riesenwerk, man verdiente gut und hatte keinen
+schweren Posten geschnappt.
+
+An einem Abend--es war Sommer und Samstag--kam Johann in seinem Zimmer
+an, wusch sich, zog seinen Sonntagsanzug an und steckte Geld zu sich.
+Er bummelte erstmalig wie ein freier Mensch in aufgefrischter Stimmung
+durch die Strassen, besah sich das bunte Treiben, trank in verschiedenen
+Lokalen und als diese geschlossen wurden, trottete er, auf einmal
+merkwuerdig ueberwach und unruhig, die "Fleischgasse" auf und nieder.
+Diese Strasse hiess eigentlich "Fleuschgasse", getauft nach dem
+Namen eines verdienten Ehrenbuergers der Stadt, aber seitdem die
+Polizei verfuegt hatte, dass sich nur hier die professionellen
+Prostituierten auf und ab bewegen durften, hatten Volksmund und ueble
+Nachrede den harmlosen Namen "Fleusch" in den anzueglichen "Fleisch"
+umgewandelt.
+
+Johann Krill brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen. Schon nach
+kurzer Zeit redete ihn eine suessliche Stimme an und besinnungslos
+folgte er. Zum erstenmal in seinem Leben fiel der junge Mann in eine
+vollkommene Verwirrung. Eine ganz fremde Luftschicht umschwelte ihn.
+Er wusste nicht mehr, ging oder schwebte er. Durch all seine Glieder
+flog und flammte es. Er sah alles doppelt, hoerte jedes Geraeusch wie
+aus weiter Ferne und wusste nicht, was es war. Wie ein Hitzklumpen fiel
+sein Koerper auf eine schwammige Teigmasse und ertrank darin. Es biss
+sich jemand fest an ihm. Es lachte.
+
+Langsam kehrte alles wieder zurueck, wurde deutlicher und war ein
+gruenliches Zimmer, ein Gesicht, das breit auseinandergeflossen vor ihm
+lag.
+
+Schliesslich, als er die Besinnung wieder hatte, verzog auch er das
+Gesicht zu einem Lachen, wollte reden, begann zu schlottern, schmiss
+seinen Kopf in ihre Brust und verschluckte das Weinen.
+
+Erquickt darueber presste ihn das Maedchen wild an ihre Brueste, nahm
+seinen zerwuehlten Kopf und hob ihn auf, zog ihn kosend immer wieder an
+ihren dicklippigen Mund und kuesste ihn unausgesetzt, dass er zuletzt
+gaenzlich machtlos mit sich geschehen liess und auf einmal weinerlich
+und wimmernd anfing, sein Leben zu erzaehlen. Stockend kamen ihm die
+Worte, so, als besinne er sich immer erst, bevor er sie ueber die
+Lippen lasse. Und beruhigt, fast ein wenig staunend sass das halbnackte
+Maedchen da und hoerte zu. Aber auf einmal stockte es wieder--und endete
+und wieder griffen seine Arme aus, er umspannte sie, riss und zerrte an
+ihr, dass sie aufkreischte.
+
+"Nimm alles! Tu alles!" murmelte er verhalten, als sie seine Geldboerseaus
+der Hose zog, draengte es ihr auf, dieses Geld, und beleckte ungeschlacht
+ihren ganzen Leib wie ein durstiger Hirsch.
+
+Und nicht nur das. Ploetzlich klang sein Gemurmel wieder weinerlich und
+in einem fort stoehnte er: "Du! Du! Ich hab dich so gern! Du--du! Ich
+moecht dich heiraten. Ich arbeit', ich mach' alles. Du hast es gut bei
+mir! Du! Du!"
+
+Anfaenglich schien es, als belustige sich das Maedchen ueber ihn. Sie zog
+ihn an den Haaren und kitzelte ihn lachend. Dann aber, als seine
+Wildheit immer mehr anschwoll und seine Zuege einen fast irren,
+duesteren Ausdruck annahmen, liess sie das Spielen. In ihren schlaffen
+Koerper stieg mit einem Male eine Waerme. Ueberwaeltigt, zuckend sank sie
+zurueck, ihn umfangend. Sie, ueber die vielleicht Hunderte
+hinweggegangen waren, umschlang diesen plumpen, ungeschlachten
+Menschen und kuesste ihn mit dem ganzen, hingegebenen Ernst echter
+Liebe....
+
+In der Fruehe nach dieser wuesten Nacht rannte Johann in seinen
+Sonntagskleidern zur Fabrik, wankte wie betrunken durch das zufaellig
+offene Tor und erschrak derart, als ihn der Portier anrief und fragte,
+was er denn an einem Feiertag hier wolle, dass er sich wie ein
+ploetzlich ertappter Dieb umdrehte und wortlos davonjagte. Er lief
+durch die Strassen mit eingezogenem Kopf, ging wieder langsamer, setzte
+sich in irgendeine versteckte Nische und hielt seinen erhitzten Kopf
+fest. Immer wieder muendete er in die "Fleischgasse", wagte es aber
+nicht, hinaufzugehen zu seiner auf so eigentuemliche Weise gewonnenen
+Geliebten. Der Abend kam. Die Nacht fiel herab und er stellte sich an
+die Ecke, wo er sie getroffen hatte, wartete und wartete. Und es
+geschah etwas, was niemand gedacht haette, etwas, was ebenso
+unglaubwuerdig wie wunderlich klingt--: Anna kam nicht. Sie stand an
+keiner Ecke, war ueberhaupt nicht auf der ganzen Strasse zu sehen. Sie
+lag droben--so wie er sie verlassen hatte--im Bett, verstoert,
+zerbrochen und bekam erst wieder voelliges Leben, als er nach langem
+Kampf und mit vielen Finten zu ihr gelangt war.
+
+Aufgefrischt schwang sie sich aus ihrer Lagerstatt, streichelte ihn
+zaertlich und begehrend und sagte zuletzt mutterguetig: "Ja, dich moecht
+ich heiraten."
+
+Beide standen benommen voreinander, ein jedes zitterte und sagte
+nichts mehr.--
+
+Seit dieser Zeit hasste man Johann in der Fabrik. Er verhielt sich wie
+voellig verstummt und hatte stetsein Gesicht, als wolle er die ganze
+Welt umbringen. Er arbeitete fuer drei. Und jeden Tag verliess er fast
+fluchtartig nach der Arbeit die Fabrik und kam zu Anna. Als es endlich
+ruchbar wurde, dass er sich verheiraten wolle und man es ihm sagte, ihn
+beglueckwuenschte und leichte Anzueglichkeiten machte, wurde er rot his
+hinter die Ohren und schlug verwirrt die Augen nieder.
+
+"Ja! Ja!" schrie er dann auf wie ein bruellendes, gereiztes Tier, dass
+die Fragenden halb veraergert und halb verbluefft "Oho!" herausstiessen
+und sich alle mit ihm verfeindeten.
+
+Alle wunderten sich, dass er gar keine Anstalten zur Hochzeit traf. Er
+hielt bei keinem seiner Arbeitskollegen um die Brautzeugenschaft an.
+Finster hockte er waehrend der Vesperzeit da und starrte dumm ins
+Leere. Niemand wusste, ob er um einen freien Tag zur Erledigung seiner
+Verehelichung gebeten hatte.
+
+Drei Tage vor seiner Hochzeit kam er nicht mehr und wurde entlassen,
+weil er auch kein Entschuldigungsschreiben schickte.--
+
+II.
+
+Die ersten Wochen der Krillschen Ehe verliefen--wenn man so sagen
+darf--unterirdisch gluecklich. Mit Hilfe Bekannter fand Anna schon
+einige Tage vor ihrer Hochzeit eine annehmbare, freundliche
+Dreizimmerwohnung in einem anderen Viertel. Mit den Ersparnissen
+Johanns wurden Moebel auf Teilzahlung beschafft und zum Schluss hatte
+man, weiss Gott wie, noch Geld uebrig. Man sah das Paar nicht mehr in
+der alten Gegend. Ausserdem vermied es Johann auf der Strasse, Leuten,
+die er zu kennen glaubte, zu begegnen. Furchtsam wich er aus, machte
+grosse Bogen vor frueheren Bekannten, ja, scheute sogar nicht,
+ihrethalben grosse Umwege zu machen. Zu Hause erst, in der Verborgenheit
+der vier Waende, kam Beruhigung ueber ihn. Mit zufriedenem Gefuehl
+durchtappte er immer wieder die Raeume und bestaunte seine Habschaften
+und am Ende stand er stets mit verschwommenen Augen vor seinem staendig
+adrett gekleideten, beweglichen Weib.
+
+Vorerst dachten die beiden nicht ans Verdienen. Mit tausend
+Kleinigkeiten verzettelten sich die Tage. Es gab kein geregeltes
+Dahinleben mehr, keine bestimmte Mittagszeit, kein Weckerlaeuten in der
+frischen Fruehe, keine Muedigkeit am Abend. Die Nacht war kurz, laestig
+kurz und oft noch um zehn Uhr vormittags verduesterten die
+herabgezogenen Jalousien das dumpfige Schlafzimmer. Und man blieb
+liegen und liegen.
+
+Mit der bewussten Neugier, mit der wilden, noch einmal voellig
+auflodernden, durstigen Liebe erfahrener Frauen, ueber die das zu fruehe
+Altern schon ihre ersten Schatten geworfen, liebte Anna Johann. Jede
+ihrer Bewegungen, jedes Wort waren eine stumme, begehrende Aufforderung.
+Ihre Naehe benahm den Atem, zerruettete die eben gefassten Gedankengaenge.
+Wie eine warme, unsagbar wohltuende Gischtwelle ergoss sich ihre
+Atmosphaere unaufhoerlich ueber Johann.
+
+Er _war_ nicht mehr!
+
+Zerschmolzen, zerronnen liefen die Zungen seiner Brunst ohne Unterlass
+ueher das Meer ihres Koerpers.
+
+Die Zeit war weggeweht, alles schwirrte, rann, floh.--
+
+Erst ganz langsam wieder festigte sich seine Gestalt, stueckweise
+beinahe. Und es schien, als seien es andere Teile, die sich nun
+vereinigten. Ein immer klarer werdendes Begreifen keimte auf, wuchs
+ohne Ueberstuerzung, vermittelte Halt und Festigkeit. Alle Scheu, alle
+Furcht und Unsicherheit wichen. Auf einmal war Johann Krill ein
+anderer.
+
+Jetzt erst kam ihm die Besinnung. Jetzt erst war er eigentlich
+verheiratet, hatte ein Fundament, besass Weib und Moebel und so weiter.
+
+Er erinnerte sich genau. Es war nirgends anders. Im Dorf nicht. In der
+Stadt nicht. Es war immer das gleiche. Der Bauer, bei dem er zuletzt
+auf dem Dorfe war, hatte drei Toechter. Ringsum standen groessere und
+kleinere Haeuser.
+
+"Dahinein gehoerst du, das ist was Handfestes," liess er einmal beim
+Abendessen fallen, der Bauer, und deutete dabei auf den maechtigen
+Grillhof hinueber. Und die aeltere Tochter sah ihn ohne Verblueffung an
+und sagte: "Der Grillhans braucht bloss kommen." Zur Erntezeit liess man
+die aeltere Tochter daheim und an einem Abend sagte sie: "Hat schon
+geschnappt!" Etliche Wochen spaeter gab es eine saftige Hochzeit.
+
+"Ein' schoene Sach', Hans, ein schoener Hof. Der ist so einen Brocken
+Weib wert," lachte der Bauer bei der Hochzeit und schaute seinem
+Schwiegersohn in die Augen. Und: "Ja--ja, hast mir's ja auch leicht
+gemacht," brummte der Grillhans bierselig.
+
+Dann kamen die beiden anderen Toechter an die Reihe. Bei der einen
+vollzog sich die Sache leicht, und bei der juengsten, die etwas
+hochnaesig war, ging es schwerer. "Herrgott, Rindvieh!--um so einen Hof
+ziert man sich doch nicht so! Besinn dich nicht so lang', sag' ich!"
+bruellte der Bauer sie an und als zufaellig an einem der darauffolgenden
+Abende der gewuenschte Werber kam, sagte er zu diesem: "Bleib nur
+beieinander mit der Zenz. Wir legen uns nieder."
+
+Und Bauer und Baeuerin gingen schlafen.
+
+"Ist's so weit?" fragte der Bauer beim Mittagessen andern Tags seine
+Tochter. Und diese sagte nickend: "Im Fruehjahr, meint er. Er will noch
+den Stall bauen lassen."
+
+"In Gottesnamen, die paar Monat' sind gleich vergangen. Meinetwegen!"
+brummte der Bauer und die Sache nahm ihren gewoehnlichen Verlauf. Im
+Fruehjahr gab es wieder eine breite Hochzeit.--
+
+Es war also nirgends recht viel anders. Johann Krill war mit dieser
+Erkenntnis zufrieden. Das Neue, das Unerwartete, was ihn einmal in
+Brand und Aufruhr gesetzt hatte, war verloschen. Ohne Staunen stand er
+nunmehr auf dem Boden der Welt und achtete nichts mehr auf ihr.
+Kurzum, er wurde--gemuetlich. Kam eine angenehme Sache, war es gut, kam
+sie nicht, war es auch gut.--
+
+An einem Nachmittag, als sie beim Kaffeetrinken in der Kueche sassen,
+sagte Anna: "Es wird Zeit, dass wir wieder um Verdienst schauen."
+
+Und Johann nickte stumm. Er begann wieder Stellung zu suchen.
+
+Umsichtig und resolut wie sie war, machte sich aber auch Anna auf die
+Suche und an einem Tag kam sie freudig an und sagte: "Die Rienken will
+mich fuers Buefett. Ich kann gleich anfangen, sagt sie. S'ist ein gutes
+Lokal.--Was meinst du?--Unser Geld ist weg und mit einer Stellung fuer
+dich wird's noch eine Zeitlang dauern. Jetzt kannst du auch mit aller
+Ruhe suchen."
+
+Das leuchtete ein. Johann nickte wieder.
+
+"Die Rienken? Wo ist denn das?" fragte er dann weiter.
+
+Anna begann von einer Bar "Tip-Top" zu erzaehlen.
+
+"In der Quergasse," berichtete sie geschaeftiger, "die Rienken kenn'
+ich schon lang. Ist eine nette Person. Es verkehren massenhaft Gaeste
+dort, nur bessere Leute. Nicht so allerhand, von Hinz bis Kunz. Lauter
+Stammgaeste... Na, was sag' ich--Fabrikbesitzer, Beamte und so Leute.
+Wer weiss, man kann ein gutes Geld machen, braucht sich nicht
+abzuschinden und kann schliesslich auch fuer dich was ausfindig
+machen,--wie meinst du?"
+
+Johann Krill glotzte stumpf in ihre Augen.
+
+"Na, so hoer doch, du--Patsch, hoer doch!--Und die Rienken ist eine gute
+Person, steht zu einem," redete Anna weiter und ruettelte ihren Mann
+schmeichelhaft, begann wieder ihr siegendes Lachen und kuesste ihn.
+
+"Das ist--also wieder--das Alte," sagte Johann endlich. Nachdenklich,
+schwerfaellig.
+
+"A--aber geh doch, Tolpatsch! Keine Rede davon! Wer sagt denn _davon_
+was! Ich bin doch nur hinterm Buefett--nu ja, nu ja, wenn schon einer
+mal zu tappen anfaengt und mir ein Glaeschen bezahlt, Herrgott--das ist
+doch kein Weltuntergang," beruhigte ihn Anna und fuhr fort: "Sieh
+mal--Ware sind wir nun ein fuer allemal, ob so oder so--ob du in die
+Fabrik gehst oder ob ich--was anderes mache. Es kommt immer nur darauf
+an, dass wir uns die Sache moeglichst leicht machen, dass wir noch was
+wegschnappen fuer unseren Komfort!"
+
+Johann Krill hatte jetzt ein wenig klarere Augen. Es war etwas wie ein
+aufgegangenes Licht auf seinem Gesicht. Er nickte.
+
+"Stimmt schon," sagte er.
+
+"Also sag' ich der Rienken, dass ich komme?" fragte Anna.
+
+"Ich muss dann auch was suchen," gab Johann statt jeder Antwort zurueck.
+
+"Ach, du bist ja verdreht!--Ja freilich, freilich,--sofort denkt er,
+er muss nun wieder rackern von frueh bis spaet und fuer die Familie
+sorgen! Ach du, du!" lachte Anna und knuellte seinen Kopf in ihre Brust.
+
+Jeden Nachmittag um vier Uhr ging Anna nunmehr zur Bar "Tip-Top" der
+Sylvia Rienke. Spaet in der Nacht kam sie stets nach Hause, roch nach
+Zigaretten und Alkohol. Manchmal war sie auch leicht betrunken,
+brachte allerhand zu essen und zu trinken mit, und dann sassen die
+beiden Eheleute nicht selten his zum Morgengrauen in der besten Laune
+beisammen und liessen sich's gut gehen.--
+
+In der letzten Zeit war Johann Krill etwas einsilbiger. Er sass meistens
+in Hemdsaermeln im Schlafzimmer und schien schwerfaellig immer ueber das
+gleiche nachzudenken.--
+
+Ja, alles war ausgeloescht. Langweilig und trist vertropften die
+Stunden. Es war ungemuetlich. Wenn man den ganzen Tag in der Fabrik
+arbeitete, verging wenigstens die Zeit schneller.
+
+Aber Anna zerstreute ihn immer wieder.
+
+Wenn sie nachmittags weggegangen war, verliess auch er die Wohnung und
+lungerte entschlusslos in der Stadt herum oder setzte sich in
+irgendeine Kneipe. Und jetzt, da er sich alleingelassen sah,
+unterhielt er sich auch wieder mit seinesgleichen.
+
+"Maschinenschlosser?" fragte ihn eines Tages ein aelterer Arbeiter am
+Kneipentisch.
+
+"Ja," antwortete Krill. "Eventuell auch zum Maschinisten zu
+gebrauchen?"
+
+"Bei Schall und Weber war ich Maschinist."
+
+"Mensch, bei uns sucht man solche. Geh hin. Du kannst sofort
+anfangen," erzaehlte der Arbeiter und ueberpruefte Krill.
+
+Der nickte.
+
+Etliche Tage nachher schlief Johann schon, als Anna heimkam. Sein
+Gesicht war russig. Er schwitzte. Anna wollte ihn aufwecken, aber er
+drehte sich schlaefrig um und schnarchte weiter. Veraergert legte sie
+sich ins Bett.
+
+In der Fruehe, als ploetzlich der Wecker schrillte, schrak sie empor und
+sah erstaunt auf ihren Mann, der sich eben wusch.
+
+"Arbeitest du denn wieder?" fragte sie.
+
+"Ja."
+
+"Dumm!--Ich haette jetzt etwas fuer dich.--Ein schoener Posten," sagte
+sie und richtete sich vollends auf im Bett.
+
+Einige Augenblicke stummten sie einander an.
+
+"Der Fabrikmensch, der immer Schwedenpunsch schmeisst, hat mir's
+versprochen ... Lass doch das andere fahren, da verkommst du ja bloss,"
+begann Anna wieder und wollte eben aus dem Bett springen.
+
+"Jetzt ist's schon wie's ist!" knurrte er und ging.
+
+
+III.
+
+Es gab Aergerlichkeiten bei Krills. Dadurch, dass nun auch Johann seiner
+Arbeit nachging, vernachlaessigte der Haushalt. Anna, die oft erst
+gegen zwei oder drei Uhr nach Hause kam, schlief bis tief in den
+Mittag hinein. Schliesslich meldeten sich die Wanzen. Man putzte,
+schrubbte, streute uebelriechende Pulver aus. Aber es half nichts. Es
+war unertraeglich zuletzt.
+
+"Das ist eine verschobene Sache, wenn du ins Geschaeft gehst und hier
+muss alles verkommen," sagte Johann zu Anna.
+
+"Fuer wen tu' ich's denn?--" erwiderte sie, "man braucht soviel und die
+Loehne sind zum Verhungern."
+
+Sie kam schliesslich auf alles zu sprechen. Dass man sich doch nicht
+umsonst von unten herausgewunden habe, dass man doch nicht zu den
+Naechstbesten gehoere und man muesse jetzt eine neue Wohnung haben. Was
+der Umzug schon koste! Alles klang wie ein zaghafter Vorwurf.
+"Warten haettest du sollen. Der Herr mit dem Schwedenpunsch ist so
+nett. Du koenntest da gut unterkommen."
+
+Eine Zeitlang ging es auf solche Weise hin und her. Johann war die
+ganze Rederei schon widerwaertig.
+
+"Was du doch alles erzaehlst! Sind wir denn weiss der Teufel was?!"
+sagte er endlich fester: "Mein Vater hat sein Leben lang gearbeitet.
+Meine Mutter stand noch mit siebzig Jahren frueh um vier Uhr auf--und
+wir, wir bilden uns auf einmal ein, etwas Besonderes zu sein!" Waehrend
+des Redens schon bekam sein Gesicht langsam eine bestimmtere Haltung.
+
+Schliesslich, als aller Spruch und Widerspruch allmaehlich erlahmte,
+einigte man sich aber doch, und Johann willigte beilaeufig ein, sich in
+der Fabrik des Herrn, der bei der Rienken jeden Abend Schwedenpunsch
+bezahle, vorzustellen.
+
+Mit jedem Tag wurde er nun auch missvergnuegter. Es gefiel ihm nicht
+mehr in seiner Fabrik. Er wurde muerrisch gegen jedermann und kam
+zuletzt ploetzlich nicht mehr. Nach einigen Tagen stellte er sich in
+dem anderen Betrieb vor. Er wurde merkwuerdig freundlich empfangen und
+ging besinnungslos darauf ein, Nachtschicht zu machen.
+
+Anna behandelte ihn zaertlicher als je, wenn er fruehmorgens ankam.
+Nicht lange darauf fand sie auch eine Wohnung im dritten Stock des
+Rienkeschen Hauses und alles machte einen gluecklichen Anlauf. Sie
+brachte jetzt immer mehr mit. Pasteten, kalte Huehnerschenkel, Blumen,
+Zigaretten, halbe Flaschen Wein, ja zuletzt sogar Stoffe, Halsketten,
+einen Ring.
+
+Sie war in der froehlichsten Laune jedesmal und erzaehlte von diesem und
+jenem Herrn, von den guten Gaesten bei Rienkes und konnte sich nicht
+genug tun, den Chef Johanns zu loben.
+
+"Und was ich dir sage--er ist ein Mensch, der das Leben kennt. Er ist
+fuer die Arbeiter. Er laesst leben neben sich," plauderte sie.
+
+Und Johann laechelte hoelzern und sah auf ihre Brueste, die schwammig und
+verbraucht nach unten sich sackten.
+
+"Ist fuer die Arbeiter--?" sagte er und sah sie dumm an.
+
+"Ist ein anstaendiger Mensch. Keiner von den Ausnuetzern, gar nicht so
+eingebildet und hochnaesig--und fidel, sag ich dir, fidel,--na ich
+danke, wenn der anfaengt. Man kann sich schief lachen," erwiderte Anna
+und lachte auf, als erinnere sie sich an etwas sehr Drolliges.
+
+"Und--der gibt dir--so--solche Sachen?"
+
+Annas Mund zuckte ein wenig. Sie schlug schnell die Augen nieder und
+fand das Wort nicht gleich.
+
+"Hmhm," brachte sie dann heraus und schluckte etwas hinunter, setzte
+rasch hinzu: "Und die Rienken ist so nett zu mir."
+
+"So," brummte Johann nur noch, "nu ja, es geht immer rundum."
+
+Dann legte er sich schlafen.
+
+Am Abend schluepfte er in seine Sonntagskleider und ging nicht in die
+Fabrik. Er durchwanderte etliche Male die Quergasse und trat dann in
+die "Tip-Top"-Bar.
+
+Es ging bereits fidel zu. Einige Herren in modischem Anzug sassen vorne
+am Buefett auf den hohen Stuehlen und saugten an den Strohhalmen, die in
+schlanken gefuellten Glaesern mit glitzerndem Eis staken. In der einen
+Ecke spielte ein Befrackter Klavier und ein hagerer Geiger begleitete
+ihn. In den Nischen, die mit kuenstlichem Efeu zu Laubengaengen
+hergerichtet waren, tuschelte es und hin und wieder zirpte ein
+schrilles Auflachen aus ihrem Dunkel. Eben wollte eine hochbusige
+duftende Bedienerin mit zuvorkommender Freundlichkeit auf Johann
+zueilen. Da auf einmal schrie es aus einer Nische: "Um Gotteswillen,
+Hans!" Und ein hurtiges Getrampel und Knarren wurde hoerbar.
+
+Johann wandte schnell den Kopf dahin und sah hinter einer dichten
+Weinflaschenparade das pralle, runde, kleinstirnige Gesicht seines
+Chefs, die Rienken und das totenblasse, entsetzte Gesicht seiner Frau.
+Die Koepfe der drei hingen auseinander wie schwere Dolden. Geradewegs
+ging Johann auf sie los und liess sich in einen der gepolsterten Stuehle
+an ihrem Tisch fallen.
+
+Eine peinliche Stille trat ein. Jeder hielt jetzt fassungslos den Atem
+an. Nur Johann schien sicher zu sein.
+
+"Ich bin nicht zur Schicht gegangen, Herr Hochvogel--ich hab' einen
+Hoellendurst, ich koennt' ein Meer aussaufen," sagte er ohne sichtliche
+Erregung und laechelte schnell. Das loeste eine Entspannung aus. Man
+atmete wieder und nahm langsam die gewoehnliche Haltung an. Der
+Fabrikherr schnitt ein malitioeses Gesicht. Er suchte sich zu fassen
+und griff zum Weinglas.
+
+"Heiss ist's hier," sagte Johann wieder.
+
+"Nicht zur Schicht? Aber Johann!?" brachte nunmehr Anna heraus. Die
+Rienken erhob sich und verliess den Tisch.
+
+"Das macht doch nichts, oder? Herr Hochvogel, macht das was aus?"
+fragte Johann den Fabrikherrn.
+
+"Na--wissen Sie, meinetwegen,--wir wollen einige gute Schoppen
+heben--ich kann's verstehen,--ich drueck' gern ein Auge zu--bei Ihnen,
+Herr Krill.--Sie sind mir gut--sie arbeiten zuverlaessig, da--da--da
+uebersieht man auch mal einen Seitensprung, Prost!" sprudelte der
+Fabrikherr verlegen. Die Worte flossen schnell, fast aengstlich aus
+ihm, so, als waeren sie wunderliche Ziegelsteine, mit denen man im Nu
+eine schuetzende Mauer um sich schliessen koennte.
+
+"Zu guetig," lispelte Anna bereits.
+
+Und Herr Hochvogel goss das Glas der Rienken voll und schob es behend
+dem Arbeiter hin: "Da, trinken Sie!"
+
+Die aergste Gefahr schien behoben zu sein. Man konnte es an den
+allmaehlich sich wieder aufheiternden Gesichtern sehen. Auch die Wirtin
+kam wieder an den Tisch und der Fabrikant bestellte in einem fort.
+
+Johann beachtete das Getue Hochvogels mit seiner Frau auch nicht
+weiter. Er trank in vollen Zuegen und wurde immer lustiger, lachte und
+machte hin und wieder einen dreisten Witz. Dadurch wurde auch Anna
+kuehner. Sie wich nicht von der Seite des Fabrikherrn und streichelte
+ihn ein paarmal kosend, warf belustigte Blicke zwischen den beiden
+Maennern hin und her.
+
+"Hab ich nicht gesagt, Hans, dass er ein netter Mensch ist?" sagte sie
+uebermuetig und lachte piepsend.
+
+"Ein netter Me--ensch! Ein sehr netter Mensch! Ein Goldmensch!"
+bruemmelte Johann schon etwas betrunken und summte weiter: "Verbringt
+das Geld so gemuetlich, so--so--so--" Er wankte bereits him und her und
+ruelpste ungeniert in den Tisch. Glaesern standen seine Augen. Die
+anderen kicherten.
+
+"Hat ihn schon maechtig," hoerte er Hochvogels Stimme.
+
+"Na, na! Herr Krill, na--!" rief die Rienken.
+
+Johann hob den schweren Kopf und glotzte auf das verschwommene Gemeng
+der drei, die im fahlen Lichtschimmer hinter den Weinflaschen sich hin
+und her drueckten.
+
+"Ein ne--etter Mensch,--eine richtige Qualle--e--iin dummes Vieh!--Ein
+geiler Orang--g--kutan, hahahaha--hat den Schwanz eingezogen, weil der
+Waerter gekommen ist, haha--a--a!--" Johann sank haltlos zurueck.
+
+"Das ist zu stark!" zischte Hochvogel. Der Tisch knarrte. Die
+Weinflaschen klirrten gegeneinander. Die zwei Frauen lispelten
+besaenftigend. Schnell, ueberschnell mengten sich ihre flehenden Worte
+ineinander. Ein Gezerre um den Aufgestandenen begann.
+
+Mit herabhaengenden Armen, halb eingeschlafen, zerfallen hing Johann
+auf dem Stuhl. "Er ist doch betrunken!" "Bitte, bitte,--er ist's doch
+nicht gewohnt!" "Er meint's doch nicht uebel, Herr Hochvogel!"
+"Bitte!--Hier, trinken Sie. Er schlaeft ja schon! Seh'n Sie, seh'n
+Sie!--Es passiert nie wieder. Ich sag's ihm morgen,--mein Wort, mein
+Ehrenwort!" alles zerfloss ineinander, bittend, winselnd, aufgeregt,
+aengstlich.
+
+Wie ein zischendes Gezirpe umsummte dieses Geplaetscher Johanns Kopf.
+Als giesse irgend jemand kaltes Wasser ueher ihn.
+
+"Haha! Hat's viellleicht gestoh--lllen und--und wirft's weg,--dadas
+Gellldt,--wei--weils brennt in der Tasche, haha,--das dumme Vieh,
+haha--das Arschloch!" grunzte der Betrunkene lallend und lachte
+ruckweise, immerfort, glucksend.
+
+Da wurde der Tisch weggestossen und stapfend hasteten Schritte vorbei.
+Wieder das Gezwitscher. Noch geschaeftiger. Dann fiel eine Tuer krachend
+zu.
+
+"Hans!" schrie Anna wuetend und riss ihren Mann an der Schulter.
+
+"Saustall!" stiess die Rienken heraus.
+
+Krill hob den Kopf und langte lahm nach Anna: "Haha--ha--es ist so
+wunderschoen auf der We--elt, haha--ha!"
+
+Sein ausgreifender Arm fiel wieder herab. Er sank in die alte Haltung
+zurueck. Duenner Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Er schnaubte
+geraeuschvoll wie ein Pferd, das von der Kolik geplagt wird.
+
+Unter wuestem Gezeter und Gejammer verliess Anna mit ihm die Bar. Sie
+musste ihn buchstaeblich die Stiege hinaufschleppen.
+
+
+IV.
+
+Dieser unerquickliche Vorfall hatte schlimme Folgen. Am andern Tag,
+sehr frueh, schellte es. Krill schlief wie ein Sack. Anna schreckte auf
+und lief halb angekleidet an die Tuer. Der Ausgeher der Hochvogelschen
+Fabrik brachte die Papiere und den Lohn fuer Johann. In einem sehr
+kurzen, aergerlichen Brief stand, dass sich Krill nicht mehr sehen
+lassen sollte und entlassen sei.
+
+"Ja, ja--ist schon recht!" sagte Anna verwirrt und warf die Tuer zu.
+Ohne Johann zu wecken, kleidete sie sich an und ging in die Fabrik
+hinaus, um Hochvogel zu besaenftigen. Auf dem ganzen Wege ueberlegte sie
+sich die besten Worte und uebte sich in der Art, wie sie den
+Veraergerten wieder dazu bewegen wollte, dass er stillschweigend ueber
+das ueble Ereignis hinwegginge.--
+
+Aber sie wurde nicht vorgelassen. Erbittert und erniedrigt trat sie
+den Heimweg an.
+
+"Da!--Das hast du gemacht mit deinen Dummheiten!" fuhr sie den
+inzwischen erwachten, auf dem Bettrand sitzenden Johann an und warf
+ihm das Schreiben Hochvogels him. Der blickte stumpfsinnig zu ihr auf
+und sagte kein Wort. Dies erregte sie nur noch mehr. Sie stampfte
+schimpfend aus dem Schlafzimmer und rannte zur Rienken hinunter.
+
+Die Wirtin empfing sie sehr kuehl.
+
+"Herr Hochvogel hat mich wissen lassen, dass er nicht mehr kommt. Ich
+kann Sie nicht mehr brauchen.--Das ist der Dank dafuer, dass ich mich
+so um Sie angenommen habe," schimpfte sie mit hochgehobenem Kopf. Anna
+versuchte auf alle moegliche Art, sie umzustimmen. Vergebens.
+
+"Und ueberhaupt--glauben Sie, ein solcher Mann wie Hochvogel laesst sich
+derartige Schmutzigkeiten ins Gesicht sagen! Passen Sie mal auf,--das
+hat noch ein gerichtliches Nachspiel. Und ich, was hab' ich von meiner
+Gutmuetigkeit?--Vor die Gerichte werde ich gezerrt. Mein Lokal verliert
+den guten Ruf--ich hab' den Schaden und sitz' in der Patsche,--werden
+Sie sehen, ob's nicht so kommt?--Sagen Sie es nur ihrem 'Kerl'--am
+liebsten ist's mir, ihr zieht aus. Basta!" zeterte die Bienken immer
+bestimmter.
+
+Auch Anna wurde allmaehlich aergerlich und schimpfte.
+
+"Geh'n Sie bloss aus meinem Lokal, Sie--Sie! So eine krieg' ich alle
+Tage!" fauchte die Wirtin wuetend, rannte zur Tuer und riss sie auf:
+"Geh'n Sie bloss aus meinem Lokal!" "Geh'n Sie!" schrie sie, dass ihr
+Kopf blau anlief: "Geh'n Sie! Sie--Sie Ludermensch!"
+
+Auch in Anna platzte die angesammelte Wut nun vollends.
+
+"Was sagen Sie da, was?! Sie Kupplerin, Sie dreckige!" schrie sie
+schriller noch. "Solang man sich hergibt, ist man gut, dann kann man
+gehen, Sie Dreckfetzen!"
+
+"Geh'n Sie! Geh'n Sie!" pfiff die Wirtin erstickt: "Hinaus da,
+hinaus!"
+
+Keifend verliess Anna das Lokal. Zitternd vor Erregung kam sie in ihrer
+Wohnung an. "Es ist Schluss mit allem! Ich mag nicht mehr!" stoehnte sie
+erschoepft und sank in einen Kuechenstuhl. Unter stossweisem Weinen und
+Vorwuerfen erzaehlte sie Johann ihr Missgeschick. Der hatte den Kopf
+unter dem Hahn der Wasserleitung und liess immerfort den kalten Strahl
+ueher ihn herabrinnen. Er drehte sich nicht um. Nicht im mindesten liess
+er sich stoeren. Annas Geduld riss voellig. Sie begann wuest zu schimpfen.
+
+"Und du!--Du lungerst da heroben herum und laesst mich die Fuesse
+ausrennen! Ich kann mich mit den Leuten herumschlagen und die Suppe
+ausfressen, die du eingebrockt hast!" bellte sie ihn an. "Du! Du
+Lump!"
+
+Er drehte sich endlich um. Kein Wort kam aus ihm.
+
+"So rede doch, Stock!" schrie sie, "was willst du denn jetzt machen?
+Ich kann nichts mehr tun! Ich bin kaputt!" Er schwieg immer noch. Da
+stand er, tatsaechlich wie ein Stock. Sie zerbrach an seiner
+Gleichgueltigkeit und fiel in ein heftiges Weinen. Es schuettelte sie
+gerade so. Johann sah ohne Niedergeschlagenheit auf ihre
+zusammengekauerte, zuckende Gestalt nieder.
+
+"Was ich tun will?" sagte er endlich leichthin, als sei gar nichts
+vorgefallen,--"der wird mich schon nicht gleich herauswerfen. Ich gehe
+einfach heute wieder zur Schicht und fertig. Und die Rienken--die wird
+schon wieder aufhoeren mit ihrem Geschimpfe, wenn sie mued ist." Anna
+blickte auf einmal auf zu ihm. "Ist doch ein netter Kerl, dieser
+Hochvogel. Mit dem laesst sich doch reden," brummte er. Der arglose
+Ernst, die Selbstverstaendlichkeit dieser Worte bezwangen. Tatsaechlich
+wurde sie vollkommen ruhig und glaubte zuletzt wirklich, dass dies der
+einzig glueckliche Weg sei, mit einem Schlag alles Missliche beheben
+wuerde.
+
+"Herrgott, ich bin ja auch so dumm! Ich lass mich von jedem ins
+Bockshorn jagen," schalt sie sich selbst, wischte sich schnell die
+Traenen ab und stellte Kaffeewasser auf. Ganz munter wurde sie wieder.
+
+Als sie dann wieder am Tisch sassen, begann sie ueber die Rienken zu
+schimpfen und ueber Hochvogel und erzaehlte im Laufe des Gespraechs alles
+moegliche von den beiden.
+
+"Es war ganz richtig, dass du ihm mal heimgeleuchtet hast," sagte sie,
+"die ganze Sippschaft glaubt immer, sie koennte Schindluder mit einem
+treiben!--Was hat er mir nicht alles angetragen, wenn ich mit ihm
+schlafen wuerde! Und wie hat die Rienken gekuppelt und jetzt--jetzt
+spielt sie sich auf, diese Sau, diese alte!"
+
+Sie blickte immer wieder wie verlegen zu Johann herueber, wurde aber,
+da er vollkommen ruhig war, immer weitschweifiger und erzaehlte mehr
+und immer mehr. Sein Gleichmut quaelte sie. Sie berichtete dreister,
+anzueglicher.
+
+"Er hat das Geld gerade so weggeworfen. Die Bluse hat er mir
+aufgerissen, einmal. Er hat immer seine Hand unter meinem Rock gehabt,
+der Drecksack! Von den Hosen hat er einmal ein halbes Dutzend
+dahergebracht und wollte, dass ich's vor ihm anziehen soll--und die
+Bienken half mit und verschwand immer, wenn er anfing," sagte sie und
+fuhr fort: "Einmal wollt' ich ihn schon heraufnehmen in der Fruehe und
+abwarten, bis du von der Fabrik kaemst."
+
+Johann verzog keine Miene.
+
+"Jaja--das Loch und das Geld," brummte er beilaeufig. "Es geht immer
+rundum."
+
+Ihre Haende bewegten sich in einem fort. Nervoes zerrieb sie die
+Brotkrumen mit den Fingern. Sie erzaehlte nichts mehr. Sie schwieg. Als
+er fortgegangen war, fiel ihr Kopf auf den Tisch und ein wuestes
+Schluchzen brach aus ihr.--
+
+Johann kam ohne Hindernis durch die Fabrikpforte. Im Umkleideraum
+trafen ihn bereits befremdende Gesichter. Keiner sprach ihn mehr an
+und als er in den Maschinenraum hinuntersteigen wollte, kam der
+Schichtmeister rasch auf ihn zu und rief: "Sie sind doch entlassen,
+was wollen Sie denn noch hier?" Einige Arbeiter blieben mit
+verwunderten Mienen stehen. Das ruettelte ihn aus der Fassung. Er sah
+beklommen auf den Schichtmeister, auf die Arbeiter und hilflos im Raum
+herum.
+
+"Sie sind nun einmal bestimmt entlassen, das weiss ich," rief der
+Schichtmeister resoluter, "ich kann gar nicht verstehen, dass Sie der
+Pfoertner hereingelassen hat, der hat es doch gewusst! Hat er Sie denn
+nicht darauf aufmerksam gemacht?"
+
+Johann schuettelte stumm den Kopf, blieb beharrlich stehen, dumm und
+kindisch. Die beiden anderen Arbeiter trotteten weiter.
+
+Der Schichtmeister holte den Portier. Zeternd redete er auf denselben
+ein, als er mit ihm ankam.
+
+"Wie konnten Sie denn den Mann hereinlassen. Der Chef hat's doch
+ausdruecklich gesagt, dass er entlassen ist," bellte er.
+
+Der Portier sah veraergert auf Johann und sagte ebenfalls: "Jaja, ich
+hab' Sie nur nicht gesehen. Sie sind entlassen. Sie haben hier nichts
+mehr zu suchen."
+
+Johann knickte zusammen.
+
+"Ja--ja, nu ja, dann muss ich gehn," stotterte er endlich heraus, ging
+in den Ankleideraum und entfernte sich. Niedergedrueckt, fast beschaemt
+trat er durch das grosse Fabrikportal ins Freie. Zermuerbt kam er zu
+Hause an.
+
+"Ja," sagte er tonlos zu Anna, "man hat mich rausgesetzt!"
+
+"Da hast du es nun!" stiess diese heraus, "Trottel!" Die Vorwuerfe
+begannen von neuem.
+
+"Ich muss mich eben wieder um was anderes umsehn," brummte er
+aergerlich.
+
+"Und ich?! Wenn die Rienken uns hinaussetzt, was ist dann! Glaubst du,
+ich hab' mir umsonst meine Fuesse ausgerannt, dass wir ein wenig
+anstaendiger leben konnten! Du keine Arbeit, kein Geld, ich nichts zu
+tun--ich danke!" belferte sie.
+
+"Nu ja, in Gottesnamen, es wird schon wieder werden!" schloss er und
+legte sich zu Bett. Machtlos stand Anna vor diesem Stumpfsinn. Vor
+Verbitterung zitterte sie am ganzen Koerper und faustete in einem fort
+die Haende.
+
+"Herrgott, es ist ja zum Davonlaufen!" schrie sie auf einmal:
+"Meinetwegen--ich geh!" Sie schmiss heftig die Tuer zu. "Dummes
+Frauenzimmer!" Er stieg aus dem Bett, rief ihr nach, aber es
+antwortete niemand mehr.
+
+Wegen solcher Dummheiten war man ploetzlich aus der Ordnung
+gerissen.--Er schloss die Tuer wieder.
+
+Der Nachtschlaf war auch zum Teufel.--
+
+Er kleidete sich schliesslich an und ging sie suchen.
+
+Ohne nachzudenken, wanderte er zur Fleischgasse und fand sie auch
+dort. Bereits stand ein Herr in einem hellen Regenmantel vor ihr und
+lispelte. Johann trat an die beiden heran und riss Anna weg: "Unsinn!
+Komm!"
+
+"Ich mag nicht!" knirschte sie eigensinnig und wollte sich losmachen.
+
+Der Herr im Regenmantel ergriff ihre Partei und begann zu bruellen. Er
+schwang schon den Stock und wollte auf Johann einbauen. Da kam ein
+Schutzmann eiligen Schrittes angeflitzt, notierte den Namen des Herrn
+und nahm die beiden mit auf die Wache.
+
+Alles Gejammer Annas half nichts. Das Erklaeren Johanns war vergebens.
+Sie mussten mit.
+
+Haesslich, wie das Missgeschick die Menschen gemein macht! Auf dem ganzen
+Weg ueberschuettete Anna Johann mit den wuestesten Schimpfworten und
+schliesslich riss auch diesem die Geduld.
+
+"Halt das Maul, dummes Vieh, dummes!" fluchte er, "hilft ja doch
+nichts! Was laeufst du denn davon, so mitten in der Nacht! Jetzt hast
+du es."
+
+"Vorwaerts! Marsch-marsch!" knurrte der Schutzmann immer wieder.
+
+V. Der Vorfall in der Fleischgasse hatte zur Folge, dass man Johann
+wegen Zuhaelterei in Untersuchung behielt. Ein Verfahren wurde gegen
+ihn eingeleitet. Anna entliess man nach ungefaehr zehn Tagen. Sie wurde
+polizeiaerztlich untersucht und erhielt die uebliche Erlaubniskarte der
+Prostituierten wieder. Als sie zu Hause ankam, war sie nicht wenig
+erstaunt. Die Rienken, nun einmal rabiat geworden, hatte die
+Gelegenheit benuetzt und pfaenden lassen. Waehrend der Haftzeit naemlich
+war der Monatserste gekommen, der Dritte, der Fuenfte und der Siebente.
+So waren wenigstens die ziemlich eindeutigen Briefe der Bar- und
+Hausbesitzerin, die im Kasten steckten, datiert. Man sah es den
+schiefen, gekratzt-hingeflitzten Buchstaben der Schrift foermlich an,
+dass Sylvia Rienke das Warten auf den Mietszins satt hatte, das Warten
+und diese Mieter. "Diese, wo Kerle haben, die mir meine Gaeste
+verjagen, koennen bei mir ziehen," hiess es endlich im Kuendigungsbrief
+vom Achten. Und Recht behielt sie, die wackere Wirtin. Anna musste
+ziehen. Sie verkaufte, was uebriggeblieben war, und bezog ein Zimmer in
+der Naehe der Fleischgasse.
+
+Die drohend gereckten Faeuste, die sie am Tage ihres Abzuges, plaerrend
+und keifend, mit weissem Schaum vor dem Munde, der Rienken
+entgegenhielt, und das haemische, restlos rachsuechtige: "Das streich
+ich dir noch an, Mistvettel!" waren ein Anfang fuer ihr weiteres
+Verhalten. Jetzt gab es fast jeden Tag kleinere oder groessere
+Unannehmlichkeiten in der Bar "Tip-Top". Anna hetzte Polizei und von
+ihr bestochene skandalsuechtige Gaeste in das Lokal.
+
+In der ganzen Fleischgasse war sie jetzt die Fleissigste. Mit einem
+Eifer, ja, mit einer geradezu fanatischen Selbstvergessenheit, wie man
+sie nur bei Verzweifelten oder Bohrend-Hassenden findet, verbiss sie
+sich ins Verdienen.
+
+"Die?! Hm, die schleppt auf Rekord," liess sich nicht selten eine
+andere Prostituierte vernehmen, wenn die Rede auf Anna kam. Und es
+stimmte.--
+
+Das Merkwuerdigste aber war, dass sie nunmehr alle Hebel in Bewegung
+setzte, um Johann frei zu bekommen. Sie warf das Geld weg an
+Rechtsanwaelte, verfasste eine Eingabe um die andere, bestuermte die
+Instanzen, rannte von Pontius zu Pilatus, ja, sie fasste zu guter Letzt
+sogar dem romantischen Plan, ihn mit Hilfe einiger Maenner zu befreien,
+die ihr das Blaue vom Himmel herunterzuholen versprachen, ihr Geld und
+wieder Geld abnahmen und eines Tages verschwanden.
+
+Und Johann?
+
+Er lag den ganzen Tag auf der Pritsche, wurde sogar dick von dem Essen,
+das sie ihm schickte, und war stets ruhig und trocken, wenn sie ihn
+besuchen durfte. Als sie ihm von dem Auszug aus dem Rienkeschen Hause
+erzaehlte, hoerte er stumm zu--dann, nach einer Weile, laechelte er
+und sagte: "Hml Hm,--war doch schoen an dem Abend mit Hochvogel,
+hmhamhm!"
+
+Er fand nichts Schlimmes daran, dass Anna manchmal klagte.
+
+"Es ist--man muesste so was aufmachen, wie die Rienken hat," sagte er
+ein andermal wie aus einem dumpfen Gedankenkreis heraus.
+
+Und wieder einmal, als Anna jammerte, dass alles Essen so teuer waere,
+liess er so etwas fallen wie: "Nuja, die Bauern machen sich jetzt
+gesund. Hm, die Bauern und die, die was fuer'n Magen verkaufen--"
+
+Man sagt, der Weise ueberwindet und kommt zur vollkommenen Ruhe.
+
+Es gibt Menschen, die ohne Empfindungsvermoegen geboren werden. Und es
+sind welche, die, wenn die Schmerzen und Erschuetterungen ihre Seele
+in zu rascher Aufeinanderfolge zermuerben, zuletzt in eine voellige
+Stumpfheit muenden. Zu diesen gehoerte Johann Krill.
+
+"Es war doch schoen an dem Abend mit Hochvogel--so gemuetlich!" und "So
+was wie die Rienken hat, muesst' man aufmachen." Das war er!--
+
+Mittlerweile kam der Termin zur Verhandlung gegen ihn. Anna hetzte
+noch mehr herum. Sie schlief nicht mehr, sie vergass das Essen.
+
+Im Gerichtssaal hustete sie die ganze Zeit. Unstet liefen die Pupillen
+ihrer Augen von einem Winkel zum anderen. Auch die Rienken war als
+Zeuge geladen. Dummerweise war einer von den letzten Anwaelten, die
+Anna genommen hatte, darauf gekommen, sie zu laden. Sie trug ein
+schwarzes Seidenkleid, dessen schweres Spitzengewirr vom speckigen
+Nacken kraus herabrann ueher den hochgeschnuerten, ueberquellenden Busen.
+Ein blutrotes Granatkollier prangte patzig auf der gelben, welken Haut
+ihres Halses, dessen blaue Aederung nur schlecht vom dick aufgetragenen
+Puder verwischt war. Ihre Froschhaende waren beteuernd auf den Magen
+gepresst und spielten manchmal mit dem Schildpatt-Lorgnon, das an einer
+breiten goldenen Kette herabhing.
+
+"Ich bin gleich fertig mit meinen Aussagen, Herr Amtsrichter, ich hab'
+ein Geschaeft und viel im Kopf," begann sie, als sie aufgerufen wurde.
+
+"Die?!--Gott sei Dank, ich hab' immer anstaendige Bedienerinnen gehabt,"
+fuhr sie fort, ueher Anna befragt, und warf einen seitlichen, herablassenden
+Blick auf diese, "aber nun, man tappt auch einmal herein.--Ich hab' es mir
+aber--glauben Sie es mir, Herr Amtsrichter, ich bin fuenfzehn Jahre auf dem
+gleichen Platz und weiss, was der Ruf fuer ein Geschaeft ausmacht--ich hab'
+es mir geschworen: Rienken, sagt' ich mir, Rienken--von der Fleischgasse
+nimmst du keine mehr, nicht um die Welt!" Sie kam immer mehr in Zug.
+
+"Vettel!" schrie Anna schrill und wurde verwarnt. Die Rienken drehte sich
+schnell um und dann wieder zum Richter. "Man soll sich nicht aergern, Herr
+Amtsrichter?" Und sie schnitt eine weinerliche Miene:
+
+"Wie hab' ich den Leuten geholfen und was hab' ich davon!--Es ist bloss
+gut, dass ich meinen Kopf nie verlier', es ist ja bloss gut, dass ich
+mich nie auf die gleiche Stufe stelle mit--mit--so was."
+
+Und endlich zur Sache gerufen, erzaehlte sie weitschweifig, dass Johann
+die Stellung bei diesem Fabrikherrn nicht umsonst angenommen habe.
+"Und Nachtschicht--er wird schon gewusst haben, warum. Man kennt
+solche--Nachtschichten!" Und Herr Hochvogel?... Sie geriet etwas in
+Verwirrung. Nun, der habe bald klar gesehen, ein solcher Herr liesse
+sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.
+
+"Der muss her! Der muss Zeuge machen!" schrie Anna, und ihr Rechtsanwalt
+brachte es auch fertig. Nun wurde es aber noch unguenstiger. Obwohl dem
+Fabrikanten die ganze Sache aeusserst unangenehm war, obwohl er sich
+ausserordentlich zurueckhielt und nichts gegen Johann eigentlich
+vorbringen konnte, als eben jenen ueblen Vorfall in der Rienkeschen
+Bar--es machte alles einen schlechten, sehr schlechten Eindruck
+--Johann Krill wurde verurteilt.
+
+Anna bekam einen minutenlangen Schreikrampf. Sie stuerzte vor und
+wollte auf die Rienken los. Es mussten sie Schutzleute mit Gewalt
+wegbringen.
+
+Johann, der ohne Erregung den Auftritten zusah, nahm alles mit Ruhe
+hin. Er laechelte fast verlegen, als ihn die Richter am Schluss fragten,
+ob er noch etwas zu sagen wuensche.
+
+"Dumm," brummte er und kratzte sich hinter dem rechten Ohr, "dumm,
+Herr Richter, man tappt eben hinein und--und dann passiert allerhand."
+
+Die steinernen Amtsmienen wussten einen Augenblick lang wirklich nicht,
+sollten sie lachen oder einige beruhigende Worte des Mitleids aus ihren
+Lippen lassen.
+
+Damit war es zu Ende. Anna konnte Johann nun nicht mehr besuchen. Die
+beiden waren auseinander.--In ihrer Wut schlug Anna einige Tage
+spaeter die zwei grossen Fensterscheiben der Rienkeschen Bar ein und
+konnte mit Muehe nur ueberwaeltigt werden. Das Beil wurde ihr abgenommen
+und der herbeigerufene Schutzmann nahm sie mit.
+
+Und wieder gab es einen Prozess. Wegen Bedrohung und Sachbeschaedigung
+wurde Anna Krill zu zwei Monaten Gefaengnis verurteilt.
+
+Hier bricht der Faden ab. Es ist nichts mehr zu berichten.
+
+Eine Million ist viel--eine Milliarde ist mehr.--Johann Krill ist
+Legion.
+
+Vielleicht arbeitet Johann Krill wieder irgendwo oder er trinkt, oder
+er hat den Halt verloren und sitzt weiter in Gefaengnissen.
+
+Anna--Sie wird eines Tages krank sein, wieder gesunden, wieder krank
+werden und so fort....
+
+Das einzige, was bestehen bleibt, solange wie diese Gesellschaft,
+ist--die Rienken!
+
+Wie lange noch?!
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG ***
+
+This file should be named 7zfre10.txt or 7zfre10.zip
+Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7zfre11.txt
+VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7zfre10a.txt
+
+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
+even years after the official publication date.
+
+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
+and editing by those who wish to do so.
+
+Most people start at our Web sites at:
+http://gutenberg.net or
+http://promo.net/pg
+
+These Web sites include award-winning information about Project
+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
+eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
+
+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05
+
+Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
+91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
+
+As of February, 2002, contributions are being solicited from people
+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
+Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
+Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
+Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
+Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
+Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
+Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
+Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
+
+We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
+that have responded.
+
+As the requirements for other states are met, additions to this list
+will be made and fund raising will begin in the additional states.
+Please feel free to ask to check the status of your state.
+
+In answer to various questions we have received on this:
+
+We are constantly working on finishing the paperwork to legally
+request donations in all 50 states. If your state is not listed and
+you would like to know if we have added it since the list you have,
+just ask.
+
+While we cannot solicit donations from people in states where we are
+not yet registered, we know of no prohibition against accepting
+donations from donors in these states who approach us with an offer to
+donate.
+
+International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
+how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
+
+Donations by check or money order may be sent to:
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+ PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION
+ 809 North 1500 West
+ Salt Lake City, UT 84116
+
+Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
+method other than by check or money order.
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
+the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
+[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
+tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
+requirements for other states are met, additions to this list will be
+made and fund-raising will begin in the additional states.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information online at:
+
+http://www.gutenberg.net/donation.html
+
+
+***
+
+If you can't reach Project Gutenberg,
+you can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+Prof. Hart will answer or forward your message.
+
+We would prefer to send you information by email.
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
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+ or other equivalent proprietary form).
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+ "Small Print!" statement.
+
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+ the 60 days following each date you prepare (or were
+ legally required to prepare) your annual (or equivalent
+ periodic) tax return. Please contact us beforehand to
+ let us know your plans and to work out the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO?
+Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of
+public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form.
+
+The Project gratefully accepts contributions of money, time,
+public domain materials, or royalty free copyright licenses.
+Money should be paid to the:
+"Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
+
+If you are interested in contributing scanning equipment or
+software or other items, please contact Michael Hart at:
+hart@pobox.com
+
+[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
+when distributed free of all fees. Copyright (C) 2001, 2002 by
+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
+used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
+they hardware or software or any other related product without
+express permission.]
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
diff --git a/old/7zfre10.zip b/old/7zfre10.zip
new file mode 100644
index 0000000..8acb0a2
--- /dev/null
+++ b/old/7zfre10.zip
Binary files differ
diff --git a/old/8zfre10.txt b/old/8zfre10.txt
new file mode 100644
index 0000000..0cc2834
--- /dev/null
+++ b/old/8zfre10.txt
@@ -0,0 +1,4789 @@
+The Project Gutenberg EBook of Zur Freundlichen Erinnerung, by Oscar Maria Graf
+
+Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the
+copyright laws for your country before downloading or redistributing
+this or any other Project Gutenberg eBook.
+
+This header should be the first thing seen when viewing this Project
+Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the
+header without written permission.
+
+Please read the "legal small print," and other information about the
+eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is
+important information about your specific rights and restrictions in
+how the file may be used. You can also find out about how to make a
+donation to Project Gutenberg, and how to get involved.
+
+
+**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts**
+
+**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971**
+
+*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!*****
+
+
+Title: Zur Freundlichen Erinnerung
+
+Author: Oscar Maria Graf
+
+Release Date: April, 2005 [EBook #7985]
+[This file was first posted on June 9, 2003]
+
+Edition: 10
+
+Language: German
+
+Character set encoding: ISO-8859-1
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG ***
+
+
+
+
+E-text prepared by Eric Eldred, Marc D'Hooghe, Charles Franks, and the
+Online Distributed Proofreading Team
+
+
+
+ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG--ACHT ERZÄHLUNGEN
+
+von
+
+OSCAR MARIA GRAF
+
+
+
+
+
+
+
+INHALT
+
+Zwölf Jahre Zuchthaus.
+Sinnlose Begebenheit.
+Die Lunge.
+Ohne Bleibe.
+Etappe.
+Michael Jürgert.
+Ein dummer Mensch.
+Ablauf.
+
+
+
+
+ZWÖLF JAHRE ZUCHTHAUS
+
+
+I.
+
+Weit hatte es der Schlosser Peter Windel im Laufe einer beinahe
+zwanzigjährigen Arbeitszeit bei der Motorenfabrik Jank gebracht. Als
+blutjunger Geselle trat er damals in den Dienst und heute war er
+erster Werkmeister. Seine stumpfe, schweigende Energie, sein
+fanatischer Lerneifer und seine fast pedantische, aber keineswegs
+devote Pünktlichkeit hatten ihm Respekt und Achtung verschafft, bei
+den Arbeitern sowohl, wie bei den Vorgesetzten. Beliebt war er nicht,
+aber es war keiner in der ganzen Fabrik, der auf ein einmal
+gesprochenes Wort von Windel nichts gab. Es dauerte allerdings lange,
+bis er mehr als das Allernotwendigste sprach. Verschlossen, wortkarg
+und mit jener stoischen Strenge im Gesicht, die schon nahe an der
+Grenze des Mißmuts steht--so kannte man ihn seit Jahr und Tag. Noch
+dazu war er keineswegs eine Erscheinung. Von Gestalt klein und nicht
+gerade kräftig, etwas vornübergebeugt, mit langem Hals, auf dem ein
+unförmiger, zu großer Kopf mit borstigen, kurzen, schon etwas
+angegrauten Haaren und weitwegstehenden Ohren saß. Das lederne,
+scharfe Gesicht machte einen überreizten Eindruck. Die tiefliegenden,
+unruhigen Augen waren von vielen blutunterlaufenen Äderchen
+durchzogen. Aus dem schroffen Tal der Backen hob sich die plumpe,
+unregelmäßige Nase wie ein spitzer Hügel. Griesgrämig griff die
+massige, verfaltete Stirne von einer Schläfenbucht zur andern.
+
+Das Merkwürdigste an diesem Antlitz aber war der untere Teil. Er
+schien fast von einem anderen Menschen zu sein, hatte etwas so
+Hilfloses und Schüchternes, daß man den Eindruck des Mädchenhaften
+nicht losbrachte, wenn nicht hin und wieder der geöffnete kleine,
+aufgeworfene Mund die eingerissenen, stark mitgenommenen Zähne gezeigt
+hätte. Kam noch hinzu ein ungewöhnlich kurzes, fast in den Hals
+gefallenes und nur durch einen ganz kleinen Ballen angedeutetes Kinn,
+aus dem ein spröder Knebelbart spritzte wie eine Rettung. Sonst hätte
+man buchstäblich der Meinung sein können, nach dem Hals ginge der Mund
+an.
+
+Man sagt im allgemeinen, Pedanten, die ihr Dasein fast abgezirkelt
+genau ableben, hätten ein sorgfältig gepflegtes Erinnerungsvermögen
+und vergäßen die kleinste Kleinigkeit oft jahrelang nicht.
+
+Peter Windel hatte keine Erinnerung.
+
+Schließlich, daß man irgendwie zur Welt kommt, aufwächst und
+allmählich auf einen Namen hört, dann, in der Schule, noch auf einen
+zweiten; in die Lehre kommt, etliche Stellen wechselt; daß es einem
+schlecht oder besser geht, daß man auf einem Gottesacker unter anderen
+Leuten um ein Grab steht und den Kies auf den Sarg einer toten Mutter
+oder eines verstorbenen Vaters, eines Bruders oder einer Schwester
+fallen hört und endlich Hinterlassenschaftspapiere, Notariatszimmer
+und Pfandbriefe zu sehen bekommt,--das erlebt so ziemlich jeder Mensch
+auf die eine oder andere Weise.
+
+Ein schepperndes Weckerläuten. Es ist noch tiefste Nacht draußen, die
+Fenster sind gefroren und hoch herauf verschneit, man hört auf den
+weiten, überschneiten Straßen nur seine eigenen Schritte knirschen.
+Aus Schnee und Dunkelheit kommt langsam eine flimmernde Straßenbahn,
+dann hinter einer gelben Fensterscheibe ein verschlafenes, ärgerliches
+Pförtnergesicht, üher einen Hof viele, dumpf trommelnde Schritte und
+ineinanderschwimmende Laute, endlich einen glatten Hebel in der Hand,
+--herumgezogen--und ratsch! ein ganzer Hauskoloß surrt bebend
+auf, die Riemen klatschen, ächzen, es hämmert, feilt, quietscht,
+kracht, klingt, braust--das wußte Peter Windel seit ewiger Zeit.
+Zwischendurch freilich auch Sommertage. Ein offenes Fenster, Kühle und
+Dämmerung und etliche schüchterne Vogeltriller beim Erwachen. Das
+meiste der zwanzig Jahre--: Nächte über technischen Büchern,
+Sonntagnachmittage über dem Zeichenblock und manchmal ein Zählen des
+ersparten Geldes. Öfters als wünschenswert Streitigkeiten, Zänkereien
+mit der halbtauben, beschränkten Logisfrau können noch hinzugezählt
+werden. Das war alles. Peter Windel hatte keine Erinnerung. Er kannte
+nur Interessen.
+
+Wenn nicht--
+
+Und hier beginnt diese Geschichte.
+
+
+II.
+
+"Sie sind eine Sau! Vier Wochen kein frisches Handtuch, zwei Monate
+keine Bettwäsche gewechselt! Wenn das nicht aufhört, ziehe ich!"
+schrie Peter Windel an einem Sonntag seine Logisfrau an.
+
+Wie immer. Das Weib blieb stehen, glotzte ihn an, verzog das Gesichtzu
+einer weinerlichen Grimasse und winselte ein paar unverständliche
+Worte heraus. Und weinte erst leise, dann immer unerträglicher.
+
+Das Fenster stand offen. Es war Sommer. Klar fiel die Sonne in den
+Hof. Windel riß die Schranktüre auf, nahm seinen Regenmantel, schob
+die Frau beiseite und ging.
+
+Vierzig Mark für ein Zimmer ist nicht viel und die Frau schnüffelte
+nicht, war uralt, hockte den ganzen Tag in der dumpfen Küche und
+lispelte Gebete. Unreinlich war sie nur von Zeit zu Zeit. Man mußte
+sie dann grob anschreien.--
+
+Auf der Treppe fiel Peter ein, daß er "Die Elektrizität als Nutzkraft"
+vergessen hatte. Er drehte sich rasch um und ging zurück. Immer noch
+stand das Weib in der Zimmermitte, fast unbeweglich und wimmerte.
+Einen Augenblick maß sie Peter verärgert. Dann stampfte er mit dem Fuß
+auf den Boden.
+
+"Herrgott nochmal!" stieß er heraus, warf seinen Mantel hin, riß die
+Bettlaken herunter, zog in aller Eile Decke und Kopfkissen ab und warf
+die ganze Wäsche der Frau vor die Füße, samt dem schmutzigen Handtuch.
+"Gehn Sie doch in die Küche mit Ihrem Lamentieren und legen Sie mir
+die Bettwäsche dann herein, ich mach's mir selber!" sagte er noch,
+nahm vom Nachtkasten das vergessene Buch und schmiß wütend die Türe
+zu.
+
+"Meine Lies' ... heut wird's das zweite Jahr!" wimmerte die Frau noch.
+Und fiel wieder in ihr wimmerndes Weinen.--
+
+Als Peter Windel tief in der Abendstunde nach Hause kam, lag sie quer
+auf dem Zimmerboden, den Kopf auf die Waschtischkante geschlagen, eine
+ziemlich große Wunde auf der Stirn--reglos, steif.
+
+Eine kleine Lache geronnenes Blut umgab den Kopf. Die Tote mußte sich
+in den hingeworfenen Bettüchern mit den Füßen verwickelt haben und
+dann hingefallen sein.
+
+Peter Windel stand und stand. Er fühlte das Brennen des angesteckten
+Streichholzes nicht auf den Fingern. Erst als es wieder dunkel war,
+zuckte er ein wenig, steckte schnell ein neues an und ließ es wieder
+verglimmen. Stand und stand.
+
+Plötzlich gab er sich einen Ruck und lief wie ein Irrer davon, ließ
+die Türen offen, polterte die Treppen hinunter, rannte hastig und
+totenbleich an Leuten vorbei und meldete das Geschehene auf der
+Polizeiwache. Als er mit zwei Schutzleuten und dem Polizeiarzt
+zurückkam, waren schon Leute aus den Türen gekommen und musterten ihn,
+trippelten nach und blieben an der Eingangstüre stehen mit gereckten
+Hälsen, brummten, lispelten.
+
+Der eine der Schutzleute schloß endlich die Türe. Man machte Licht in
+Peters Zimmer, schaute eine Zeitlang auf die Tote, nahm die zwei oder
+drei schwarzen, verkohlten Streichholzköpfe auf ein Papier und sagte
+zu Windel, der säulenstarr dastand: "Setzen Sie sich."
+
+Der Arzt beugte sich üher die Tote, ein Schutzmann prüfte die
+Waschtischkante. Der Arzt nickte.
+
+"Setzen Sie sich!" sagte ein Schutzmann strenger.
+
+Peter brach endlich in einen Stuhl.
+
+Die drei lispelten in der Ecke.
+
+Der Arzt steckte seine Instrumente ein, hustete und stellte sich neben
+die Tote.
+
+Ein Schutzmann nahm neben Peter Platz, einer blieb an dessen Seite
+stehen.
+
+"Wann haben Sie die Frau verlassen?" fragte der Schutzmann und
+notierte.
+
+Fragte weiter, mit einer gewissen hämischen Herausforderung:
+
+"Haben Sie Beziehungen zu der Hullinger gehabt?"
+
+"Nein."
+
+"Wie lange wohnen Sie hier?"
+
+"Und haben schon öfters solche Streitigkeiten mit der Hullinger gehabt?"
+
+"Ja," sagte Peter.
+
+"Und diesmal?"
+
+"Weil sie mir schon vier Wochen keine frische Bettwäsche mehr gab."
+
+"Sie waren also grob zu ihr?"
+
+"Ja."
+
+Und noch, was er Gehalt hätte, was er bezahlen müsse für Logis, ob die
+Hullinger vielleicht eine größere Hinterlassenschaft in bar irgendwo
+aufbewahrt, beziehungsweise ob ihm bekannt wäre, in welchen Verhältnissen
+die Hullinger gelebt habe.
+
+Peter antwortete meistens mit Ja oder Nein. Seine Stimme klang
+zerbrochen und schwer.
+
+"Dann muß ich im Hotel schlafen ... Herr Schutzmann ... wenn die Leiche
+hier liegenbleiben muß," sagte er endlich hilflos. Er hatte diese
+Anordnung vom Arzt gehört.
+
+Da stand der Schutzmann selbstbewußt auf, sagte: "Sie kommen mit!"-Alle
+Menschen waren noch auf dem dunklen Hof, und entsetzte Blicke fielen auf
+die Davongehenden.
+
+
+III.
+
+Wegen dringenden Verdachts, seine Logisfrau ermordet zu haben, wurde
+Peter Windel in Untersuchungshaft genommen und in einer Einzelzelle
+untergebracht. Vier hohe, glatte, mit kahler, graugrüner Ölfarbe
+gestrichene Wände umgaben ihn von nun ab. Unter der Lichtluke stand
+die hölzerne Pritsche, daneben der Abort. Auf dessen Deckel konnte man
+bei den Mahlzeiten den Eßnapf oder die blecherne Wasserkanne stellen.
+
+Die erste Nacht lehnte Peter schlaflos an der kalten Tür. Als die
+Wärter in der Frühe aufschlossen, mußten sie fest drücken, bis seine
+steife Gestalt nachgab und endlich, als sie wütend fluchten, mechanisch
+etliche Schritte in den Raum machte. Während die Wärter die Brotration
+auf die Pritsche legten und den Kaffee in die blecherne Tasse gossen,
+stand der Gefangene die ganze Zeit unbeweglich und zusammengeschrumpft
+da. Sie achteten nicht weiter darauf und schlossen geräuschvoll wieder
+die Tür.--
+
+Jetzt war Licht. Die Gefängnisuhr schlug sieben.
+
+Peter schaute schüchtern im Raum herum und begann zu gehen. Ging
+stoisch die Wände lang. Immer zehn Schritte der Länge nach und zwölf
+Schritte der Breite nach. Den ganzen Tag, ohne innezuhalten, wenn man
+Essen oder Abendbrot brachte.--
+
+Erst als das Licht beim Hereinbruch der zweiten Nacht verlosch, legte
+er sich auf die Pritsche, zog die rauhe Decke üher sich und schlief
+wie immer. Jäh erwachte er in der anderen Frühe. Es war stockdunkel.
+Er griff in die Gegend des Abortes, als suche er etwas oder wolle
+Licht anstecken und stieß dabei so hastig an die Wand der Wasserkanne,
+daß dieselbe mit einem Knall auf den Boden fiel und klatschend die
+Flüssigkeit aus ihr peitschte. Erschreckt schwang sich Peter von der
+Pritsche, hielt seine aufgeknöpften Kleider raffend zusammen und
+lauschte aufmerksam.--
+
+Jetzt schlug es fünf. Er atmete auf und begann unsicher und vorsichtig
+umherzutasten. Auf einmal fühlte er die Nässe an seinen Füßen.
+
+"Herrgott! Herrgott!" brummte er mürrisch und besann sich. Aber in
+diesem Augenblick räkelte wer an der Tür. Ein Atmen wurde vernehmbar,
+das Licht in der hohen Decke flammte auf und wieder standen die kahlen
+Mauern ringsherum, das kleine Loch glotzte in den totenstillen Raum.
+
+"Was machen Sie denn da?!... Sind Sie ruhig!" brüllte der Wärter
+draußen ärgerlich. Peters Finger streckten sich und ließen von den
+Kleidern. Seine Hose fiel langsam herab. Ein Zittern schüttelte seinen
+ganzen Körper.
+
+"Es ist schon fünf Uhr vorbei, ich muß weg!" hauchte er gedämpft.
+--Aber es war schon wieder dunkel. Und still.--
+
+Erst nach einer Weile brachte Peter die Kraft auf, seine Hose
+hochzuziehen, und tastete sich zur Pritsche, legte sich darauf. Sein
+Herz schlug hörbar und mit jedem Uhrenschlag erregter. Um sechs Uhr
+schwang er sich empor und blieb dann hölzern sitzen.
+
+Das Licht griff endlich wieder von der hohen Decke in den Raum. Die
+Tür öffnete sich unter dem Knarren der Schlüssel. Ein Wärter stellte
+das Frühstück herein und der andere an der Tür warf den Aufwischlumpen
+her und beide brummten und schimpften wegen des Wasserumschüttens,
+hießen Peter aufwischen. Fast froh darüber ergriff dieser den Lappen,
+kniete hin und wollte alles möglichst in die Länge ziehen. Aber die
+Wärter zeterten und trieben zur Eile.
+
+"Vorwärts! Vorwärts! Glauben Sie, wir sind zu Ihrer Unterhaltung da!
+... Marsch! Marsch! ... So ... fertig!"
+
+Sie rissen ihm den Lumpen aus der Hand und waren schon draußen. Wieder
+wich die Tür in die Wand zurück. Die Schlüssel knirschten. Das Guckloch
+starrte wie ein gräßliches, ausgestochenes Auge in den kahlen Raum.
+
+Peter kniete benommen da. Lange.
+
+Es war still! Still!!
+
+Fürchterlich still!
+
+Wie ein aufgescheuchtes Tier hob der Kniende plötzlich den Kopf,
+schaute scheu um sich und sprang mit einem Satz an den Abort, hob den
+Deckel und schloß ihn hastig wieder, hob und schloß.
+
+Die Spülung rauschte. Auf und zu klappte der Deckel. Es krachte,
+rauschte. Immer hastiger, schneller, motorisch riß Peter auf und zu,
+auf und zu, immerfort, immerzu, nur um die Stille nicht mehr zu hören,
+hob und deckte zu, es rauschte, rauschte--bis der Wärter schrie:
+"Sie!! ... Sie! Sind Sie verrückt geworden!!--Passen Sie auf! ... Man
+ist schon mit anderen fertig geworden! ... Warten Sie, Sie!!"
+
+So erschrocken war Peter, daß er noch lange zitterte, dann ging er
+hastig wieder die zehn und die zwölf Schritte. Den ganzen Tag.--
+
+Viele, viele Tage, jedesmal um fünf Uhr früh, erwachte Peter so jäh.
+Immer griff er hinüber zum Abortdeckel, wollte Licht anstecken, sprang
+auf, brachte seine Kleider in Ordnung,--machte etliche Schritte, stieß
+an die kalte Tür und prallte zurück.
+
+Neunzehnunddreiviertel Jahre gleichmäßiges Aufstehen lassen sich
+schließlich nicht aus der Gewohnheit auslöschen.
+
+Um sechs Uhr pfiff es. Wenn er am Hebel stand undihn herumriß, fing
+der mächtige Koloß der Fabrik zu surren an, die Riemen klatschten,
+quietschten, es krachte, bebte, hämmerte....
+
+Peter war so mit dem Kopf an die Tür gestoßen, daß er taumelnd
+zurückfiel, glatt auf den Boden und liegenblieb.--
+
+Wo!? Wo war man denn? Wo denn! Wo!!?
+
+Auf der Welt? In der Hölle? Tief in der Erde?--
+
+Es war still!
+
+Nirgends war man! Nirgends! Gar nirgends!
+
+In einem Grab, in einem luftleeren, steinernen Sarg! In einer
+fressenden Stille! Und durfte langsam, ganz langsam sterben. Niemand
+wußte, sah und hörte etwas. Es war still! Still!!--Still!!!
+
+Doch--man hörte etwas, zeitweilig ein ganz fernes Klopfen, ein Kratzen
+in den Wänden. Aus einer anderen Gruft vielleicht?!--Nein! Es waren
+Holz--oder Mauerwürmer, die nagten, nagten, weil sie einen Kadaver
+witterten.--
+
+Die dann herabfielen wie Tropfen und langsam in den Leibbohrten,--nagten,
+nagten und alles auffraßen!--
+
+Das Licht kam wieder. Peter Windel stand auf, ging zehn und zwölf
+Schritte. Er aß jetzt auch.--
+
+
+IV.
+
+Endlich nach fünfzehn Wochen Haft fand die Verhandlung gegen Peter
+statt.
+
+Stupid folgte der Gefangene den Wärtern durch lange Gänge, dann fühlte
+er Luft und bekam Angst, atmete sparsam.
+
+Und dann saß er in einem Saal, sah Gestalten, sah starre Augen und
+hörte Redegeräusche um sich herum und aus sich heraus.
+
+Zuerst saß er da wie eine leblose Puppe. Dann, mit jedem gehörten
+Wort, kam mehr und mehr das Leben in ihn. Sein Gesicht bewegte sich,
+als öffne es sich aus einer Erstarrung--und dann lag ein Lächeln die
+ganze Zeit auf seinen stoppeligen Falten und blieb.--
+
+Die Dienstmagd vom Vorderhaus sagte aus. Einfach klangen ihre Worte.
+Sie sprach nicht zu viel und nicht zu wenig.
+
+Das Geräusch der Worte war erst undeutlich, dann wurde es klarer und
+klang.--
+
+Am fraglichen Sonntag nachmittags zwei Uhr vernahm diese Dienstmagd
+ein Wimmern aus dem offenen Fenster des Windelschen Zimmers. Dem
+folgte ein grobes, kurzes Schimpfen. Dann sah sie den Angeklagten auf
+der Treppe, wie er plötzlich innehielt und wieder umkehrte. Und wieder
+hörte sie das Wimmern, noch deutlicher sogar und ein wütenden Schimpfen,
+dann einen Türzuschlag und Windel mit grimmigem Gesicht die Treppe
+hinunterrennen.
+
+Wie ruhig sie das sagte: "Und dann, gleich darauf, habe ich einen
+dumpfen Knall und einen kurzen, nicht recht lauten Schrei, der eher
+ein Stöhnen war, gehört und das Wimmern hat auf einmal aufgehört. Ich
+weiß nicht mehr genau, war's gleich nach dem Türzuschlagen oder ein
+wenig später. Ich bin dann zu meiner Schwester gegangen, weil ich
+Ausgang hatte.... Die Leute im Vorderhaus und im Hinterhaus? ... Ja
+... soviel ich gesehen habe, die waren fast alle weggegangen ... schon
+mittags.... Es war ja auch so schönes Wetter."
+
+Peter Windel saß da und lauschte. Es klang!--
+
+Er begann auf einmal langsam--dann aber stoßweise zu schluchzen. Eine
+Bewegung kam in den Saal. Eine Glocke läutete. Lauter rief wer!
+Ja!--Ja! Das konnte der Vesperruf in der großen Halle sein! Das war
+dasselbe, dünne, schrille Läuten.--
+
+Dann klangen wieder Stimmen hin und her.
+
+Der Chef, die Arbeiter und Angestellten und die frühere Logisfrau
+sagten günstig über den Angeklagten aus. Die letztere weinte sogar
+buchstäblich und sprach erregt, daß der Staatsanwalt sich verpflichtet
+fühlte, sie zu fragen, wie lange Windel sie kenne, ob er sie zuletzt
+noch aufgesucht und ob sie zu ihm in näherer Beziehung gestanden habe.
+
+Die dicke Frau wurde darob sehr schrill, schrie und es läutete
+abermals. Peter Windel war wieder ruhig geworden und lächelte
+wieder.--
+
+Lächelte, trotz der furchtbaren Anklagerede des Staatsanwalts,
+lächelte starr in den Raum, als der Rechtsanwalt redete und redete.--
+
+Man fand keine Absicht in dieser Tat. Die Beweise waren zu mangelhaft.
+Der Angeklagte war ein unbescholtener Mensch. Bis in die Schulzeit
+hatten die eifrigen Nachforschungen der Behörden zurückgegriffen,
+nichts ließ auf einen jähzornigen, böswilligen Menschen schließen,
+sondern eher auf einen schüchternen, scheuen, dem das Leben stark
+mitgespielt hatte.--
+
+"Alles, was die tote Frau Hullinger hinterlassen hat, fand man
+unberührt. Sie haben ein Zeugnis aus der weitaus überwiegenden
+Mehrzahl der Aussagenden, daß der Angeklagte nie zu einer solchen Tat
+fähig sei. Wie kann man annehmen, daß ein solcher Mensch wegen einer
+geringfügigen Unreinlichkeit einfach eine alte Frau dermaßen an den
+Waschtisch wirft, daß sie augenblicklich tot ist!" rief der Verteidiger.
+Und viele nickten. Man hörte deutlich ein Aufatmen, als der Freispruch
+bekanntgegeben wurde und sah aufgeheiterte, fast erlöste Gesichter.--
+
+Peter Windel war frei.
+
+"Kommen Sie nur gleich wieder!" hatte sein Chef gesagt, als er ihm
+beim Weggehen die Hand drückte. Und der Rechtsanwalt hatte einen Blick
+wie ungefähr: "Na, das hätten wir wieder durchgedrückt!"
+
+Nach fünfzehn Wochen spürten Peters zögernde
+
+Schritte wieder Straßen, hörten seine Ohren Trambahnrattern, sahen
+seine Augen Menschen, Farben, Fenster, und er wußte selber nicht, wie
+und weshalb er plötzlich an einen Schalter herantrat und sagte:
+"Dritter Klasse! Ja!"
+
+Er stieg auf den Zug und ging nicht in die Kupees. Eine Nacht lang
+stand er auf dem eisernen, ratternden Vorplatz eines Wagens und
+atmete.--
+
+Der Wind pfiff. Der Zug sauste, riß die Luft auseinander, zog
+vorbeifliegende Lichter in die Länge, bohrte hemmungslos in eine
+dunkle, ungewisse Ferne.
+
+Keine Wand mehr, keine zehn und zwölf Schritte, kein Ende--das Toben
+und Brausen wieder! Nur diesmal wie ein Flug durch einen unermeßlichen
+Raum.--
+
+
+V.
+
+Aber--es ist nicht wahr! Man kann nichts wegtrinken, nichts vergessen
+machen, nichts auslöschen! Man trägt es mit sich wie ein unsichtbares
+Schneckenhaus und zuletzt!?--
+
+Es sind immer wieder die kahlen, glatten Mauern, die Tür mit dem
+ausgestochenen Aug' in der Mitte, die zehn und zwölf Schritte....
+
+Es klopft.--
+
+Es kratzt in den Wänden. Die Würmer nagen. Sie warten und fallen
+plötzlich in einer Nacht wie schwere Tropfen herab, bohren sich ins
+Fleisch, nagen--nagen.--
+
+Peter Windel hatte eine wilde Flucht hinter sich. Durch Städte und
+Dörfer war er gefahren, in Hotels und in Wirtschaften, in
+Animierkneipen oder am Leib eines Weibes hatte er die Nächte
+verbracht. Er trank, warf das Geld weg, aß, saß in den Theatern und
+den Kinos, in den Bars und Vergnügungslokalen jeder Klasse.
+
+Es war immer wieder die Stille, das Stockdunkle, das Grab!--
+
+Er floh und kehrte endlich wieder zurück zu Jank, nahm die Arbeit
+wieder auf und wurde ruhiger. Es trat die alte Regelmäßigkeit in sein
+Leben. Ereignislos verliefen die Jahre. Er wurde alt. Gebückt ging er.
+
+Der Chef nahm ihn in die Abteilung für technische Angelegenheiten ins
+Bureau. Da saß er nun jeden Tag auf seinem Drehstuhl und rechnete,
+schlug das Buch zu, kam am ändern Tag wieder und rechnete.
+
+Neben ihm saß das Schreibmaschinenfräulein, weiter am Fenster vorne
+der Ingenieur und manchmal auch der Chef.
+
+Jahre.--
+
+Plötzlich an einem Nachmittag gegen drei Uhr warf Peter Windel die
+Feder weg, riß sich fast soldatisch herum, ging an den Schreibtisch
+des Ingenieurs und sagte mit hohler, kalter Stimme: "Die Sache
+liegt vollkommen glatt. Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls
+haftbar."
+
+Steif stand er einen Augenblick vor dem verblüfften Herrn und drehte
+sich rasch um, rannte zur Tür und war weg.
+
+Schon nach der Mittagspause hatte er sich den Hut unter den
+Schreibtisch gelegt. Und jetzt war er froh, daß kein ihm bekannter
+Straßenbahner den Wagen führte, in den er stieg.
+
+Nach der fünften Haltestelle stieg er aus. Er war mitten in der Stadt.
+"Das Urteil im Heinold-Prozeß! Zwölf Jahre Zuchthaus!" schrien die
+Zeitungsverkäufer und flatterten mit den Extrablättern herum.
+
+Wichtige, gesprächige Gesichter tauchten auf, gedrängte Gruppen
+stauten sich um die Anschlagssäulen.
+
+Peter bohrte seine Augen spähend in die staubige Luft. Nach einem
+regen Ausschreiten blieb er auf einmal stehen, murmelte etliche Worte
+heraus, drehte sich mechanisch herum und ging in den Blumenladen,
+vor dem er jetzt stand. Nach einer langen Weile kam er mit einem
+großen, auffallend schönen Rosenstrauß heraus, und ein kaltes Lächeln
+lag auf seinen störrischen Zügen.
+
+"Lebenslänglich in einem Grab ... da schon lieber gleich weg," hatte
+er gestern beim Treppenhinaufgehen gehört, und dann sagte eine andere
+Frau superklug: "Beantragt erst. Es hängt noch vom Gericht ab."
+
+Heute war niemand im Treppenhaus. Auch die Wohnung war leer. Die
+Logisfrau war wahrscheinlich zum Putzen gegangen und ihr Mann kam erst
+gegen sieben Uhr abends von der Arbeit.
+
+Peter öffnete rasch und schritt behend in sein Zimmer, legte behutsam
+den Rosenstrauß auf den Tisch und holte sich in der Küche warmes Wasser
+zum Rasieren.--
+
+Als er bereits im Gebrock vor dem Spiegel stand, überfiel ihn auf
+einmal ein maßloses Zittern, und eine Totenblässe überzog sein
+Gesicht. Mit Gewalt straffte er seine Füße. Dann nahm er endlich den
+Strauß und verließ die Wohnung.
+
+Es war schon dunkel, als er vor der Tür des Staatsanwalts Petersen
+stand und läutete.
+
+"Ich möchte gern ... wenn es erlaubt ist ... dem Herrn Staatsanwalt
+diese Blumen bringen ... und--und gratulieren," stotterte er dem
+Mädchen ins Gesicht. Das ließ ihn ein und führte ihn in ein
+Empfangszimmer. Nach ganz kurzer Zeit tat sich die Mitteltür auf, und
+Peter stand vor dem Staatsanwalt. Einen Augenblick hatte der Mann eine
+steinern ernste Miene, dann flossen alle Falten in ein Wohlwollen und
+er lächelte geschmeichelt.
+
+Mit vielen unbeholfenen Verbeugungen reichte ihm Peter den Rosenstrauß
+und stotterte devot: "Für ... für den außerordentlichen Eindruck, den
+ich von Ihrer Anklagerede empfing ... nur eine kleine Erkenntlichkeit
+meiner Wenigkeit, Herr ... Herr Staatsanwalt, Herr....!"
+
+Der Staatsanwalt nahm ihm mit aller Freundlichkeit der Herablassung
+den Strauß aus der Hand, führte ihn an die Nase und sog in vollen
+Zügen den Duft ein, hob den Kopf wieder, sagte: "Ah ...!" und drehte
+sich lächelnd um, zur anderen Tür schreitend: "Das muß ich gleich
+meiner Frau sagen...."
+
+Jetzt, da er ihm den Rücken zugewendet hatte, rief Peter plötzlich mit
+schneidender Hast: "Eins, zwei, drei! ... einen Augenblick ..." und er
+lächelte, wie um sich zu besinnen ... "sind drei ... aber nein, nein!
+Das stimmt nicht! ... Zehn und zwölf, verstehn Sie ... sind?"
+
+Der Staatsanwalt hatte sich erschreckt umgedreht, stand unschlüssig.
+Peters Mund bewegte sich fieberhaft. Schaum stand auf seinen Lippen:
+"Verstehn Sie ... zehn und zwölf Schritte! Den ganzen Tag! Den ganzen
+Monat--ein Jahr--zwei!--drei!--vier--zwölf Jahre! Zwölf Jahre!!"
+
+Und noch ehe der Staatsanwalt auf ihn zustürzen konnte, stieß ihm
+Peter mit aller Wucht sein feststehendes Messer in die Brust, daß er
+lautlos zusammenbrach und vornüber hinfiel. Dumpf hallte es. Der
+Körper warf sich etliche Male zuckend und blieb dann steif liegen.
+
+Peters Mund ging auf und zu: "Zehn und zwölf Schritte--einen Tag,
+einen Monat--ein Jahr--zwölf Jahre, zwölf----"
+
+Die Tür ging auf. Hoch stand ihr Dunkel. Etwas Buntes, Weißes
+flimmerte dazwischen! Peter schrie in einem Schrei:
+
+"Für den Verlust mache ich Sie keinesfalls haftbar,--Zwölf Jahre Grab!
+Verstehn Sie ... Das ausgestochene Aug'! Die Würmer! Zwölf Jahre ...
+Verstehn Sie! Zwölf Jahre Nirgends! Nicht Hölle! Nicht Welt! Zehn und
+zwölf Schritte ... die Wü-ü-ürmer!"....
+
+Nach der irren Hast der ersten Worte spaltete sich die Stimme,
+überschlug sich und klang zuletzt wie ein keuchendes, ersticktes
+Stöhnen. Jetzt hielt er inne.
+
+Die hohen Türen standen offen da. Schwarz und düster. Gegen ihn
+gerichtet wie drohende Rachen.
+
+Die Gestalten und Gesichter waren fort. Es war still. Still!--Mit weit
+aufgerissenen Augen starrte Peter in diese Leere. Sein Körper begann
+zu schlottern, aber er riß sich zusammen. Er wich zurück. Sein Kopf
+stieß dumpf an den Fenstergriff. Erschrocken wandte er sich herum. Die
+Helle brach üher ihn. Er öffnete rasch.
+
+Jetzt befiel ihn wieder das Zittern. Sein Gesicht verzerrte sich. Er
+wollte umsehen und wagte es nicht. Seine Arme umklammerten das
+Fensterkreuz.
+
+Furchtbar schrie er: "Hilfe! Hi-ilfe!"
+
+Er schwang sich plötzlich mit einem wilden Satz aufs Fenster und
+sprang in die Tiefe.--
+
+
+
+
+SINNLOSE BEGEBENHEIT
+
+
+Um es ohne Umschweife zu sagen--: Michel Zöll hatte heute einen guten
+Tag.
+
+Vorgestern, als er stumpfsinnig in der Wärmestube der Arbeitsvermittlung
+saß und an dem nassen, verfilzten Zigarrenstummel saugte, den er auf dem
+Hergang in der Frühe gefunden hatte, kam sein Weib herein und sagte zu
+ihm: "Dein Alter ist gestorben ... Vom Elektrizitätswerk haben sie
+hergeschickt, daß er auf der Straße umgefallen ist.--Schau nach!"
+
+Es stimmte.
+
+Jetzt lag der Tote unter der Erde.
+
+"Ich komm schon!--Nachher!" sagte Michel zu seinem Weib nach dem
+Begräbnis und schickte es heim, während er zur Logisfrau des
+Verstorbenen ging.--
+
+Wie oft hatte Michel es nicht gehört, wenn Fußtritte auf ihn traten,
+wenn er in eine Ecke flog, wenn die Fäuste seines Vaters auf seinen
+Kopf niedersausten oder eine Eisenstange, ein Teller, eine Bürste:
+"Knochen, verstockter!--Der Teufel soll mich kreuzweis' holen, wenn
+ich dir einen Pfennig hinterlaß'! Ertränkt sollte man dich im ersten
+Bad haben, du Nichtsnutz!"
+
+Mit sechszehn Jahren noch, als Michel schon im letzten Lehrjahr stand
+und eigentlich keine Last mehr war, wollte der Alte den Jungen
+wegräumen und übergoß ihn beim Heimkommen mit siedendem Kartoffelwasser,
+weil er das Vogelfutter für den Kanarienvogel mitzubringen vergessen
+hatte.
+
+Michel mußte damals ins Krankenhaus gebracht werden und sah zum
+erstenmal, wie ein Bett aussah.
+
+Es war schön in diesen hellen Räumen. Man sah viele fremde Menschen,
+die allerhand erzählten. Michel faßte Mut da und ging nach seiner
+Entlassung mit dem was er auf dem Leibe trug, auf die Wanderschaft,
+schlug sich auf alle mögliche Art und Weise durchs Leben.
+
+Mutter--?! Ein komischer Begriff!
+
+Michel hatte noch so etwas wie eine abgemagerte Frau in einem Haufen
+Lumpen im Gedächtnis. Ein Paar spindeldürre Arme wie Stöcke. Und
+Hüsteln.
+
+Und das, was er nun seit ungefähr zwei Jahren unausgesetzt ablebte:
+Eben ein Zimmer voll Gerumpel, mit erstickender Luft und einem
+Vogelbauer im staubigen Fenster.
+
+Nur--daß Michels Weib zwei Kinder hatte und hin und wieder zum Putzen
+ging, daß das jetzige Zimmer keinen Vogelbauer hatte, ein klein wenig
+heller war, aber enger als das frühere.
+
+Vor zwei Jahren war es etwas anders. Damals arbeitete Michel noch in
+der Motorenfabrik. Es war guter Verdienst. Aber wie der Teufel sein
+wollte, die Firma machte Bankrott, kam noch hinzu, daß das damalige
+Haus, in dem Michel mit Weib und Kindern in einer Zweizimmerwohnung
+hauste, in ein Warenhaus umgewandelt wurde, und die Leute nach langem
+Hin und Her auf die Straße gesetzt wurden.
+
+Weshalb soviel Aufhebens machen! Die Entwicklung der Dinge läßt sich
+leicht denken. Die Hauptsache war immer: Man hatte zur Not ein Dach
+üher dem Kopf bekommen. Man wußte, wo man hingehörte.--
+
+Nun, es ist etwas Wahres dran an dem Sprichwort: "Wo die Not am
+größten, ist Hilfe am nächsten."
+
+Trotzdem der Verstorbene sich vielleicht geschworen haben mochte, nie
+und nimmermehr für Michel etwas zu hinterlassen, fiel dem Sohn jetzt
+die ganze erraffte Habschaft des Alten zu.--
+
+Es war erst fünf Uhr nachmittags. Michel konnte in aller Ruhe das
+Zimmer des Verstorbenen durchstöbern und alles mitnehmen. Er fand
+außer baren fünftausend Mark einige Anzüge, von denen er den besten
+sogleich anzog, einen Überzieher, den er ebenfalls umlegte, und
+allerhand Gerumpel, das er dem Tändler Finsterhofer verkaufte.
+
+Er war gut aufgelegt, der Michel, lachte und gab schließlich dem
+drängenden Tändler auch das ganze andere Geschleppe, die übrigen
+Anzüge und was da noch war.
+
+Die Tasche voll Geld schritt er in die dämmernde Stadt.
+
+"Ist doch gut, wenn man weiß, wer einen auf die Welt gebracht hat,"
+brummte er aufgeheitert und ging in eine der bekannten Wirtschaften
+inder Bahnhofsnähe, um noch ein paar Gläser zur Feier des Tages zu
+trinken.
+
+Es kam ihm merkwürdig vor, als er so unter den anderen Arbeitern,
+Zuhältern, Herumlungerern und alten Huren saß.
+
+Einige kannten ihn und maßen ihn von der Seite.
+
+"Hast das große Los gezogen, Michel! He ... gibst was aus?" rief ihm
+ein Tisch zu und in jedem Blick war ein konstatierendes Zwinkern.
+
+Michel setzte sich. Es tat ihm wohl, daß soviel Freundlichkeit ihn
+umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art Gönnerhaftigkeit.
+
+"Meinetweg'n ...," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins
+Gras gebissen! Es kommt mir nicht drauf an....!"
+
+Und die Gesichter um ihn zäunten sich enger, fingen zu glänzen an.
+Man trank sich kameradschaftlich zu.
+
+"Erste Runde ... wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und
+Ordnungsmann in den Tisch.
+
+"Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine
+heraus.
+
+"Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere.
+
+"Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekräftigte ein anderer.
+
+Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll
+genug sein!"
+
+Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und ließ Michel
+leben!
+
+Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten,
+bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein
+... richtig gesagt, sind wir zufrieden ... der Michel kommt wieder!"
+
+Und jeder drückte Micheln die Hand.
+
+"Ein kreuzguter Mensch!" hörte dieser noch, als er die Tür hinter sich
+zuzog und seine Schritte eiliger straffte.
+
+Die großen Bogenlampen leuchteten schon durch den nachtdurchwobenen
+Nebel. Aus den Kaffeehäusern griffen die Lichter, die Straßenbahnen
+flimmerten, surrten und läuteten.
+
+Michel stieg nicht ein. Er ging zufrieden dahin und lächelte manchmal.
+Es schien, als wolle er noch einmal, ganz für sich allein, das eben
+zuteil gewordene Glück auskosten.
+
+Er griff nach seinem Geld. Er griff hastiger. Nichts.
+
+Seine Knie begannen zu schlottern, sein Herz stand jäh still. Er griff
+nochmal.
+
+Das ganze Geld war weg. Man hatte es ihm gestohlen.
+
+Er taumelte an eine Hauswand. Griff, suchte--suchte alle Taschen
+durch, vorsichtig, zitternd, furchtbar.
+
+Nichts mehr.
+
+Einen Augenblick stand er starr.
+
+Die Trambahn surrte vorbei. Ganz dünner Schnee fiel. Die Lichter
+flimmerten. Es rauschte, rauschte--und war doch grauenhaft still. So
+als ob alles wie ein fließendes Wasser leise um ihn herumflösse. Er
+hörte es nicht und hörte es doch, hörte es wie ein verborgenes, leises
+Kichern....
+
+Der Schnee fiel. Michel bewegte sich nicht von der Stelle.
+
+Lange.--
+
+Endlich gab er sich einen Ruck, rannte in die Wirtschaft zurück, auf
+den Tisch zu.
+
+Es war keiner mehr da. Er fuhr den Ordnungsmann an. Fragte, flehte,
+weinte. Vergebens.
+
+In sich zusammengesunken verließ er die Wirtschaft. Machte sich auf
+den Heimweg. Als er vor dem Haus stand, in dem er wohnte,--hielt er
+inne. Er griff nochmal in alle Taschen.
+
+Dann, als er die Treppen emporstieg, schien es, als hätte sein Gang
+wieder die gewöhnliche Ruhe und Gleichgültigkeit, mit der er sonst
+dahinschritt. Der Dunst des Zimmers schlug ihm ätzend entgegen. Es war
+still und düster. Die zwei Kinder lagen im Korb, in einem Berg von
+Lumpen, und schliefen. Anna saß am Tisch, die Petroleumlampe flammte
+ärmlich und bläulich üher ihre Hände.
+
+Gleichgültig schaute das Weib vom Sockenstopfen auf und rief: "Hast
+was gefunden?"
+
+Michel schwieg, drehte sich umständlich um und schloß die Tür. Dann,
+seinem Weib wieder zugewendet, sagte er: "Zuwas stopfst' Socken? ...
+Brauchst bloß Licht."
+
+"Hast denn solang braucht?" fragte Anna und fixierte nunmehr die
+ungewohnte Kleidung ihres Mannes.
+
+"Ja ...," sagte Michel und zog seinen Überzieher aus, "ist eine schöne
+Strecke gewesen...."
+
+"Ist ein schönes Stück Gewand," sagte Anna wieder, als Michel näher
+ans Licht getreten war und sich auszuziehen begann, "sonst hat er also
+nichts gehabt?"
+
+Der Michel schnaubte ein paarmal auf. Dann rief er einsilbig: "Geh,
+leg dich nieder ... für uns wär's besser gewesen, man hätt' uns im
+ersten Bad ertränkt ... leg dich nieder, Alte!"
+
+Und plumpsig ließ er sich ins Bett fallen, daß die Federn knarzten.
+Bald darauf lag auch Anna an seiner Seite.
+
+Am ändern Tage trug Michel den Überzieher aufs Leihamt und gab Anna
+das Geld.
+
+Wieder wie immer hockte er stumpfsinnig in der Wärmestube der
+Arbeitsvermittlung.--
+
+
+
+
+DIE LUNGE
+
+
+Die Arbeiterin Manztöter ist der Lungenschwindsucht erlegen. Sie war
+eine stille, fleißige Person. Sie schaffte sich auch etwas.
+
+Vor vier Jahren trat sie in die Zigarettenfabrik Zuccalisto ein.
+Bauernmagd war sie vorher gewesen. Eine von den vielen, die die Stadt
+anzog, der Verdienst und die Aussicht auf eine baldige, einigermaßen
+erträgliche Ehe vielleicht.
+
+Die Männer auf dem Lande waren plump und bedacht auf offene manchmal
+in den Stall, faßten sie an der Brust, packten ihr Kinn, leckten ihre
+Wangen. Ein rothaariger Knecht setzte ihr aufdringlich zu, stand und
+stand überall und schlug einmal sinnlos auf sie ein. Daraufhin floh sie
+in die Stadt.
+
+Sie änderte sich nicht, sparte, arbeitete und war fromm ohne
+Bigotterie. Noch immer las sie das Wochenblatt jedesmal aus und den
+Roman und hielt sich außerdem "Die christliche Dienstmagd". Unter dem
+vielen Gemisch von afrikanischen Missionsberichten, fand sie eines
+Tages die Geschichte eines Farmers in Südwestafrika, leis überhaucht
+von friedlich-fleißigem Eheidyll.
+
+Einem solchen sparte sie das Geld vielleicht.
+
+Vierhundert Mark hatte sie schon auf der Sparkasse. Noch vielleicht
+zwei Jahre oder längstens drei und es wären tausend gewesen. Tausend
+Mark!--
+
+Das ist schließlich nur Angewohnheit, daß man zur Vesper für fünfzig
+Pfennig Käse oder ein Stück Wurst haben muß mit Bier. Kaffee mit einer
+Semmel geht auch oder Gerstenauflauf von Mittag. Machte schon wieder
+zwanzig Pfennig weniger.--
+
+Außerdem kann man sich wöchentlich zweimal zu den Überstunden melden.
+Sind auch wieder drei Mark fünfzig Pfennig für je eine Stunde. Man
+macht jedesmal drei, sind zusammen wöchentlich einundzwanzig Mark.
+Eineinhalb Tagelohn mehr. Dann, wenn man heimkommt, ist's meistens
+schon dunkel, man braucht kein Licht mehr, legt sich einfach gleich
+ins Bett und schläft ein, hat gar keinen Hunger mehr.--
+
+Zuletzt waren es schon sechshundert Mark. Sechshundert!
+
+Und da kam die Lunge.
+
+Und kurz darauf hätte es eine allgemeine Aufbesserung gegeben, weil
+die Zigarettenfabrik Zuccalisto fünfundvierzig Prozent Dividende
+verteilen konnte dieses Jahr und auch was tun wollte für ihre Arbeiter.
+
+
+
+
+OHNE BLEIBE
+
+
+Es war schneidend kalt.--
+
+Der Schutzmann an der Ecke sah einem angeheiterten Doppelpaar
+grießgrämig nach und knurrte mürrisch.
+
+Durch den Gedanken, daß diese Leute nun in ihre warmen Stuben heimgingen
+und vor dem Zubettgehen vielleicht noch heißen Tee tranken und eine
+Kleinigkeit zu sich nahmen, hatte er sich davon abbringen lassen, weiter
+auf und ab zu gehen und seine durchfrorenen Beine durch zeitweiliges
+Stampfen einigermaßen warm zu erhalten. Jetzt stach die Kälte doppelt
+quälend in allen seinen Gliedern.
+
+Er knirschte verdrossen, zog seinen Kopf noch tiefer in den
+aufgestülpten, starren Mantelkragen, bog mit sichtlicher Überwindung
+die steifgewordenen Knie und ging wieder weiter.--
+
+Die Stimmen der Spätlinge verschwammen mehr und mehr. Es wurde wieder
+still. Wie ausgestorben dehnte sich das verlassene Geviert aus. Düster
+und drückend ragten die Hauswände empor. Der Schnee fiel dicht und
+sehr ruhig.--
+
+Mißmutig schwenkte der Schutzmann in eine breitere Straße ein. Durch
+die gleichmäßiger verteilte Schneefläche schien es hier heller und
+weiter zu sein. Er blickte erleichtert in die weiße Eintönigkeit. Eine
+strichhaft hagere Gestalt kam auf ihn zu. Der Mann schien weder Kopf
+noch Arme zu haben. Nur die Beine warf er mechanisch nach vorne wie
+ein aufgezogenes Gespenst. Als er kaum noch fünf Schritte von ihm
+entfernt war, hustete der Schutzmann sehr vernehmlich und hob sein
+verärgertes Gesicht.
+
+"Sie!" rief er dem Herankommenden gehässig laut entgegen und warf sich
+in straffere Haltung.
+
+Die Gestalt blieb stocksteif stehen. Nur der Frost schüttelte sie.
+
+"Haben Sie Papiere?" fragte der Schutzmann, noch einen Schritt
+machend, und musterte den Mann.
+
+Der rührte sich nicht.
+
+"Sie!!" brüllte der Schutzmann wie fluchend und leuchtete dem Fremden
+mit der Taschenlaterne entgegen. Alles an ihm war wieder in bester
+dienstlicher Ordnung.
+
+Ein harkiger, abgerissener, verdorrter Baumstamm oder eine arg
+ramponierte Säule konnte es sein, was da im Lichtkreis stand. Raschen
+Blicks überflog sie der Polizist.
+
+"Ihre Papiere!--Sind Sie denn taub!" schrie er abermals, wütend über
+das Aufgehalten werden bei solcher Kälte, und setzte schnell, wie
+witternd hinzu: "Oder haben Sie keine?"
+
+Der Fremde zog endlich seine erstarrte Hand aus der tiefen Hosentasche
+und reichte ihm die schmutzigen, durchnäßten Ausweise.
+
+"Karl Pruvik, Klempnergehilfe" stand auf der überleuchteten
+Invalidenkarte. Herkunft, Geburts--und letzter Dienstort und Datum
+waren verzeichnet. Abgestempelte Marken klebten auf der ersten Hälfte.
+
+Der Schutzmann steckte das Papier unter den blauen Militärpaß und
+schlug diesen auf.
+
+"Infanterist Pruvik, Karl.--14. Regiment" orientierte die erste Seite.
+
+"Verwundet bei Luneville (Armschuß rechts), desgleichen bei Tarnopol
+(Knieschuß links), verwundet bei Verdun (Schulterschuß links)" war im
+Anhang eingetragen, und so und soviele Gefechte und Schlachten erwähnte
+das nächste Blatt.
+
+Das Gesicht des Schutzmanns verlor mehr und mehr die stiere Härte, hob
+sich etwas höher aus dem Mantelkragen.
+
+"Hm!--Auch Kriegsteilnehmer? ... Ohne Bleibe, was?" sagte er mit
+zufriedener Ruhe und streckte dem regungslos Dastehenden die Papiere
+him. Dessen Gestalt schwankte ein klein wenig nach vorne.
+
+"Hundekälte das! Warten Sie, es geht schon!" rief da der Schutzmann
+noch loyaler und steckte dem Mann die Papiere hilfsbereit in die
+Rocktasche: "Ist ja noch nicht so spät. Noch alles offen in der Stadt.
+Sie kommen sicher unter!"
+
+"So," sagte er eben, als in nächster Nähe die Uhr zehn schlug. Einen
+Augenblick horchte er auf, nickte und entfernte sich eilsamen
+Schritts. Schon von weitem erspähte er die Ablösung.
+
+Karl Pruvik riß sich fest zusammen und schritt wieder weiter.
+
+Der Schnee fiel und fiel.
+
+Nach einer langen Weile wurde es endlich etwas lichter. Menschen
+stapften vorüber. Grelle Autolaternen glotzten üher einen freien
+Platz. Üher einem mächtigen Säulenportal leuchteten groß die
+Buchstaben "Schauspielhaus".
+
+Vielleicht vom Licht angezogen verschnellerte Karl Pruvik unwillkürlich
+seine Schritte, eilte geraden Wegs auf den Theaterausgang zu. Eben
+strömte die Besucherschar aus den großen, glitzernden Toren. Er befand
+sich im Nu mitten im dichtesten Gemeng und drängte sich vorwärts. Eine
+warme Duftwelle schlug ihm entgegen, starkgeschminkte Gesichter tauchten
+auf und seltsam kühne Reflexe warf das grelle Licht auf glänzende,
+rauschende Damentoiletten. Überschnell schwirrten geschäftige Stimmen
+ineinander, Seidenrauschen, Lächeln, Autohupen und das fadendünne Zirpen
+süßlicher Tonfälle vermischten sich zu einem betäubenden Geräusch.
+"Einfach glänzend!" rief wer. "Rührend, wie die Hohlmann spielt!--Nein,
+einfach entzückend!" zwitscherte eine überhelle Stimme. "Huw, dieses
+Schweinewetter!-Kommt schnell ins Auto!" ließ sich zwischendurch vernehmen.
+Und wieder: "Kritisch gewertet--: Eine Glanzleistung in Regie und Spiel!"
+Dann das laute, aufdringliche Gekicher der Backfische: "Dieses herrliche
+Rüschenkleid, Mama!--Hast du gesehen,--den Sonnenschirm!--und das
+Biedermeierkostüm im dritten Akt? Entzückend!--Du Lilly, weißt du was!
+So gehen wir heuer im Fasching!--Gell Mammi! Gell!"
+
+Es plätscherte fort und fort, oben, unten, überall. Abschiednehmen,
+Handküsse, Einladungen für das morgige Festessen, Lachen, Autovor--und
+Abfahren--alles wie ein flimmernder Hexentanz!--
+
+Karl Pruvik war mittlerweile unbemerkt bis an das Eingangstor
+gelangt. Noch eine geschickte Finte und er hatte für heute nacht
+ein Dach über dem Kopf. Sein Herz schlug heftig. Es war wieder Leben
+in seine froststarren Glieder gekommen. Behende glitt er an den
+aufeinandergedrängten Gestalten vorbei und fühlte auf einmal Raum und
+Wärme. Er lugte spähend nach dem betreßten Portier, duckte sich mehr
+noch zusammen, hielt den Atem an, arbeitete sich an der Wand entlang.
+
+Im selben Augenblick aber stockte die Bewegung des Menschentrupps. Er
+zerteilte sich und jäh brachen die Reden ab. Durch eine glotzende
+Gaffergasse hastete der Portier mit steinernem, finster drohendem
+Gesicht auf ihn zu.
+
+"Was suchen Sie denn da?--He! Sie! Sie!" schrie der Türhüter. Karl
+Pruvik zog wie ein gezüchtigter Hund die Schultern hoch und verbarg
+den Kopf völlig in seiner schlotternden Brust.
+
+"Was Sie wollen, frag' ich!?" bellte der Portier hinter ihm und packte
+ihn heftig am Arm, riß ihn zurück. Ohne Wort und ohne Abwehr ließ sich
+der Eingedrungene von dem belfernden Türhüter und zwei inzwischen
+herbeigeeilten Logendienern ins Freie schieben. "Hm, sowas?--Sich ins
+Theater einzuschleichen!" sagte jemand von den Stehengebliebenen und
+schüttelte den Kopf. Der ins Stocken geratene Menschenhaufe bekam
+wieder Bewegung und drängte sich durch den Ausgang. Die Tore schlossen
+sich finster. Schwätzendtrabten die letzten Paare vorüber.
+
+Karl Pruvik stand zögernd und benommen im glitzernden Schneegeflock.
+Einen Augenblick hatte es den Anschein, als straffe sich sein Körper,
+als hole er zu einem Satz aus und wolle in die vorbeigleitenden,
+duftenden, rauschenden, geschwätzigen Menschen springen, aber
+schließlich torkelte er doch üher die verschneite Freitreppe hinunter
+und bog in die Seitengasse ein, die vom Theaterplatz abzweigte. Ein
+letztes Auto surrte weg. Die Stimmen verloren sich in der Ferne. Die
+erleichternde Helligkeit, die die Beleuchtung des Theaterpalastes nach
+allen Seiten him verbreitet hatte, verlosch lautlos. Es war wieder
+ringsherum die fahle, unwirkliche Düsternis der Winternacht.--
+
+Karl Pruvik hob den Kopf hilflos. Eine knappe Wurfweite vor ihm ragte
+etwas Schwarzes aus dem Schnee und bewegte sich wie schwebend von der
+Stelle. Willenlos und ohne Grund folgte er der Erscheinung.
+
+Lange ging er so.
+
+Es mußte schon tief nach Mitternacht sein. Trist gähnten die
+menschenleeren Straßen und Plätze.
+
+Man stand am Rande des Stadtparkes. Die kerzengerade Gestalt verschwand
+zwischen den Bäumen.
+
+In der aufgeworfenen Bahn der Spur schritt Karl Pruvik weiter. Es war
+viel dunkler hier. Die schneebeladenen Baumäste lasteten schwer herab.
+Nur zeitweilig gab sich eine hellere, freiere Stelle und undeutlich
+ließen sich eingemummte Bänke erkennen. Auf einer solchen hockte die
+zusammengekauerte Gestalt nun, der er die ganze Zeit gefolgt war.
+Stoisch ließ sich Karl Pruvik neben ihr nieder und legte wie aus einer
+plötzlichen Eingebung heraus seinen steifen Arm um nasse, scharfe
+Schultern. Lahm schmiegten sich die beiden Körper aneinander. "Kalt,"
+murmelte es kaum hörbar aus dem Kopf, der haltlos auf seine Brust
+herabglitt.
+
+"Kalt," brummte Pruvik ebenso leise und schloß seine Augen. Auch sein
+Kopf sank herüber auf das Genick des anderen.
+
+Kein Schnee fiel mehr. Es war seltsam--: Jetzt, da man schonungslos
+der Kälte ausgeliefert war, wußteman nicht mehr, war's eine rasende
+Hitze oder eine gänzliche Eisigkeit, was in den Gliedern brütete. Der
+ganze Körper hatte das Gewicht verloren. Es schien als schwebe er
+durch eine unsäglich friedliche Stille.... Auf einmal drückte etwas
+Hartes an den Arm, umklammerte, zerrte. Es schrie wie durch
+Nebelschwaden, dann näher. Es rüttelte stärker. Das Geschrei schwoll.
+Der Kopf' an der Brust bewegte sich stumm.
+
+Karl Pruvik öffnete die Augen. Das grelle Licht einer Taschenlaterne
+stach ihm ins Gesicht, blendete, schmerzte.
+
+"He!--He! Was ist da!!" schrie ein Schutzmann, riß erregt am Arm.
+
+"Was ist denn das! Auf! Auf!!"
+
+Alles tat wieder weh. Die zerfrorenen Knochen rührten sich, schmerzten,
+als seien sie alle einzeln abgeschlagen und bewegten sich wie in einem
+geplatzten Gipsverband klappernd von dannen.
+
+Erst in der Stube der Polizeistation sah Karl Pruvik, daß noch einer
+neben ihm stand, genau so reglos und stumpf wie er. Auf den redeten
+die zwei Schutzleute ein, fragten, schrien ihn an.
+
+Endlich nach einer Weile schritt man durch eine Tür und das Licht war
+aus den Augen. Die beiden lagen auf einer Pritsche, in warme Decken
+gewickelt. Die Glieder bewegten sich ohne Schmerz. Wärme kam langsam.
+Von Zeit zu Zeit berührten sich Arm oder Fuß.
+
+Nach langer Zeit hörte Karl Pruvik wieder polternde Stimmen und kalte
+Luft huschte üher sein Gesicht. Die Pritsche knarrte und Schritte
+dumpften. Eine Tür fiel zu. Jetzt war es leer neben ihm.--
+
+Es fiel gläseriges Tageslicht durch die vergitterte Luke, als er die
+Augen öffnete.
+
+Ein etwas ins Rundliche gehender Schutzmann mit gemütlichem, wohlig
+gerötetem Gesicht stand vor ihm und sagte in friedlichem Baß: "Sie
+können sich wieder fertig machen. Es liegt nichts vor gegen Sie!"
+
+Karl Pruvik hob seinen übermüdeten Oberkörper auf der Pritsche.
+
+"Haben Sie denn den andern gekannt?" fragte der Schutzmann.
+
+Pruvik schüttelte dumpf den Kopf.
+
+"Hat ein paarmal eingebrochen," erzählte der Polizist beiläufig und
+redete weiter: "Stehn Sie dann auf und kommen Sie. Sie können wieder
+gehen."
+
+Karl Pruvik sah ihn verständnislos an.
+
+"Eine harte Zeit jetzt--und hundekalt diesen Winter!" brummte der
+Schutzmann und bat Pruvik abermals aufzustehen.
+
+Der erhob sich endlich und ging mit ihm durch die Tür in die
+Polizeistube hinaus.
+
+Ein Wachtmeister saß am Tisch und hatte seine Papiere in der Hand, sah
+ohne Arg, beinahe mitleidig auf Pruvik.
+
+"Sie können wieder gehen," sagte er in dienstlichem Brustton und
+reichte ihm Invalidenkarte und Militärpaß.
+
+Karl Pruvik stand zögernd da und machte keine Bewegung.
+
+"Es liegt nichts vor gegen Sie!--Daß einer keine Bleibe hat, kann
+jedem einmal passieren," sagte der Wachtmeister menschlich.
+
+Pruvik nahm mechanisch seine Papiere.
+
+"Grüß Gott," sagten die beiden Polizisten und nickten dem Gehenden zu.
+
+Einer öffnete freundlich die Tür.
+
+Karl Pruvik ging.
+
+Es schneite nicht mehr auf den Straßen. Das Bleich des Tages tat den
+Augen weh. Ein Wind hatte sich erhoben und pfiff schonungslos um die
+scharfen Hausriffe. Es war kalt. Es war wirklich grausam kalt....
+
+
+
+
+ETAPPE
+
+
+I.
+
+Der Stab für das Eisenbahnbauwesen der Ostarmee lag vor Dünaburg. Es
+ging die Rede von einem russischen Durchbruchsversuch. Die Baukompagnie
+14 geriet ins Feuer. Es gab Verluste. Der Bau der Feldeisenbahn kam ins
+Stocken. Die Verbindung mit der Kampffront blieb auf Tage unterbrochen.
+Vom Oberkommando der Armee lief eine Beschwerde beim Stab ein. Drängende
+Befehle peitschten zur Beschleunigung. Der Major hatte wieder jenen
+gehässigen Ärger auf seinem finsteren Gesicht, der an den Brückenbau in
+Kowno vor der Ankunft des Kaisers erinnerte.
+
+Zwei Tage vorher bereits überwölbte das fertiggebaute, riesige hölzerne
+Mittelstück die gesprengte Memelbrücke damals. Die Belastungsprobe war
+glatt verlaufen. Allenthalben sah man entspannte, befriedigte Gesichter.
+Die ermüdete Mannschaft trat schon zum Heimmarsch in die Quartiere
+zusammen. Plötzlich murrte ein langgezogenes, ruckendes Grollen über
+den nebeligen Fluß. Die Brückenmitte hatte nachgegeben, war fast um
+einen halben Meter tiefer gesunken. Eine Totenstille herrschte minutenlang.
+Dann bellten abgehackte Befehle durch die Luft. Die erschöpften
+Abteilungen schwärmten wankend auseinander, wieder auf die Brücke und
+ins eisige Wasser. Die ganze Nacht hämmerte, ächzte, krachte, schob und
+schrie es aus dem spärlich beleuchteten Gerüst des Notbaues und aus der
+Flußtiefe. Fieberhaft, mit verdrossenem, verbissenem Grimm wurde
+gearbeitet.
+
+Wie Rudel totgehetzter Ziehtiere trotteten die Kolonnen am Morgen in
+die zerschossene Stadt.
+
+Zwanzig Stunden wurde am darauffolgenden Tage gearbeitet. Zweiundzwanzig
+ununterbrochen am andern. Die Ruhr brach aus unter der Mannschaft.
+
+Mehr als vierzig Mann starben, fünf ertranken in der Memel.
+
+Als der Kaiser ankam, erhielt der Major das Eiserne Kreuz erster
+Klasse.
+
+"Herr Major,--hoffentlich ist es uns allen noch gegönnt, daß wir den
+Pour le merite ebenso vergnügt mit Ihnen feiern dürfen," sagte damals
+der geschnürte, glatzköpfige Stabsadjutant piepsend.
+
+Und zerschlissen freundlich lächelte der Major: "Wenn Petersburg fällt!"
+--Damals ging es unaufhaltsam vor.
+
+Nun stockte es erstmalig während des ganzen Feldzugs.--
+
+Die Russen funkten sehr nahe. Die zurückgetriebenen Eisenbahnbaukompagnien
+verpendelten die Zeit mit nutzlosen Appellen. Vom Hauptquartier kam Befehl
+auf Befehl. Die Offiziere flitzten nervös und gewichtig herum. Bei der
+Mannschaft gab es Arreste.
+
+Unübersehbare Mengen Baumaterialien stapelten sich und mußten
+liegenbleiben.
+
+Der Major ritt die Bauzüge ab, schrie, polterte, teilte Strafen aus.
+
+Fünfzehnhundert Russen, die an der Front gefangengenommen worden waren,
+trafen ein. Befehl zur Aufnahme des Weiterbaues der Feldeisenbahn erging.
+
+Langsam rollten die stehengebliebenen Bauzüge vorwärts, in die tristen
+Schneefelder hinein. Vor, vor--immer noch vor ging es! Bis zu der Stelle,
+wo die Arbeit aufgegeben werden mußte.
+
+Die Geschosse schwirrten hoch in der schneeigen Luft. Ganz nahe.
+
+Schnee, Schnee. Kälte, Kälte.
+
+Die Baukompagnie 14, 15 und die Russen marschierten auf die
+Arbeitsstellen.
+
+"Mist!--Humbug!--Unsinn!" knurrte von Zeit zu Zeit irgendeiner halblaut.
+
+In kilometerweiter Entfernung schlugen die Geschosse ein, warfen
+Kotfontänen.
+
+Schlaggg!--lag alles am Boden.
+
+Man lag die halbe Zeit in Deckung. Die Arbeit machte kaum wesentliche
+Fortschritte.
+
+Meldung erging an den zurückliegenden Stab.--
+
+Der Ordonnanzreiter Peter Nirgend ritt durch den peitschenden Schnee.
+Das Pferd dampfte. Die Lenden spritzten Blut. Fiebernd bog sich der
+furchtsame Rücken im Galopp.--
+
+Hauptmann und Oberleutnant der Baukompagnienempfingen den Heransprengenden
+mit mürrischen Gesichtern.
+
+"Meldung vom Stab der Eisenbahntruppen!" keuchte Nirgend. Nur mit Mühe
+konnte er sich stramm halten.
+
+Hastig öffnete der Hauptmann den Umschlag, überflog mit unterdrückter
+Entrüstung das Papier und sah auf den Oberleutnant, reichte es ihm.
+
+"Hm!" brummte er kopfschüttelnd. "Hm!" machte der Oberleutnant
+gleichfalls achselzuckend und ratlos.
+
+Dann stiegen beide in den Kanzleiwagen.
+
+Peter Nirgend führte sein schweißtriefendes Pferd auf und ab. Aus den
+Quartierwagen der Mannschaft glotzten mißmutige Gesichter.
+
+"Geht's vor?" fragte einer.
+
+"Der Hund!" knurrten etliche dumpf, als Nirgend nickte. Der
+Kanzleiunteroffizier rief aus dem Wagen, übergab ihm die Rückmeldung
+an den Stab. Der gefrorene Boden klapperte unter den ausgreifenden
+Hufen des Pferdes. Schneewolken staubten auf und nichts mehr sah
+man.--
+
+Ein abermaliger Befehl des Stabes bestimmte unverzügliche Aufnahme der
+Arbeit und sofortige Herstellung der Verbindungslinie mit den Fronten.
+
+Schon tags darauf meldeten die vorgeschickten Kompagnien schwere
+Verluste. Die fünfzehnhundert Russen weigerten sich, aus ihrem Bauzug
+zu gehen. Man prügelte sie heraus. Aber am selben Abend noch mußten
+die Züge zurückrollen. Viele Wagen waren zerstört. Die Eisenbahnlinie
+überall ramponiert.
+
+Die ganze Nacht schrie es die Züge entlang. Neue Wagen wurden
+eingeschoben. Unaufhörlich wurde rangiert.--
+
+Am andern Mittag raunte es von Ohr zu Ohr: "Es geht wieder vor!" Es
+ging ein Gerücht herum von einem scharfen Aufeinanderprallen zwischen
+Major und Hauptmann. Kurz darauf hieß es: "Antreten zum Appell!" Vor
+den gepferchten Reihen der zum abermaligen Vorrücken bestimmten
+Truppen hakte ein fremder Offizier auf und ab und hielt eine
+schwunghafte Rede. "Das deutsche Wesen darf nicht untergehen! Hurra!
+Hurra! Hurra!" schloß er und alles brüllte mit. Wie ein einziger
+Tierlaut klang's.
+
+"Fürs Vaterland!" murrte einer zynisch beim Auseinandergehen.
+
+"Für den Pour le mérite!" brummte ein bärtiger Kerl und sah
+herausfordernd auf die lethargischen Gesichter der Kameraden.
+
+"Kotze!--Sich den Schwanz verbrennen ist die einzige Rettung!"
+murmelte der Mannschaftskoch stoisch.
+
+"Nulpe! Wo denn?--Wenn weit und breit kein Puff ist!?" warf ihm der
+Vagabund Tümpel hin und spuckte in großem Bogen durchs offene Fenster.
+
+Tief am Nachmittag ächzten die Bauzüge abermals finster in die
+schneeige, verlassene Gegend hinaus.
+
+Am zweiten Tag, als Nirgend von den Kompagnien zum Stab zurückritt,
+knallten Schüsse hinter ihm her. Einer davon streifte leicht seinen
+rechten Arm.
+
+"Hu-u-und!" surrte es langgedehnt durch die kalten Nebelschwaden und
+lief ihm nach wie ein unterirdisches Grollen.
+
+Gegen Morgen tauchten auf einmal die gelben Lichter der Bauzuglokomotiven
+auf und kamen zischend näher. Die vierzehnte Kompagnie war his auf zirka
+hundert Mann aufgerieben, und die fünfzehnte hatte gleichfalls zahlreiche
+Verwundete und Tote. Die Russen hatten in der allgemeinen Panik des
+Zurückflutens die Fluchtergriffen und irrten rudelweise in den
+Schneefeldern herum.--
+
+Nirgend trat dumpf ins Leutnantszimmer des Stabsbureaus, straffte
+seine Glieder und sagte: "Zur Stelle!"
+
+Der schmächtige, elegante Offizier drehte sich wippend, etwas nervös
+herum, maß den Hereingetretenen von oben his unten und fragte: "Na,--und?"
+
+"Man hat mich angeschossen," sagte Nirgend unvermittelt.
+
+"Ja--und?"
+
+"Es waren welche von uns, Herr Leutnant."
+
+Die gepflegten, spitzen Augenbrauen des Offiziers griffen zuckend in
+die plötzlich streng gefaltete Stirn.
+
+"Quatsch!--Woraus schließen Sie denn das;" rief er wegwerfend.
+
+"Weil jeder wütend ist," sagte der Meldereiter einfach.
+
+"Halten Sie Ihr Maul, Sie Lümmel!--Was bilden Sie sich eigentlich
+ein!" belferte der Leutnant drohend und schnellte auf.
+
+"Ich rede nicht um meinethalben," erzählte Nirgend ruhig und schaute
+dem Schimpfenden entschlossen ins Gesicht, "aber um den Pour le merite
+geht keiner mehr vor. Ich reite nicht mehr!"
+
+"Wasss!!" zischte es durch die warme Zimmerluft.
+
+Matratzenfeder. Die Tür des anderen Zimmers wurde ruckhaft aufgerissen.
+
+"Wasss!--Was ist da!?" schnarrte der Major und machte einen Schritt
+auf Nirgend zu. Schon riß sich der Leutnant schlank und stramm herum,
+wollte melden. Aber der Soldat kam ihm zuvor, sagte, zum Major
+gewendet, mit der gleichen, einfachen Ruhe: "Ich reite nicht mehr,
+Herr Major! Um einen Pour le mérite geht keiner mehr vor, sagen alle!"
+
+Einen Moment fielen die beiden Offiziere fast auseinander. Dann
+schrien sie, bellten drohend: "Hinaus! Hi-naus! Sie Schweinehund!"
+
+Ganz korrekt drehte sich Nirgend um und ging aus dem Zimmer. In der
+angrenzenden Schreibstube wurde fieberhaft gearbeitet. Jeder saß
+geduckt da und kaum einer wagte aufzuschauen. Nur einige ängstliche
+Blicke trafen den Hindurchschreitenden. Der Stab nistete in einem
+einstöckigen Gelehrtenhaus. In den unteren Räumen waren die Bureaus,
+oberhalb die Schlafzimmer der Offiziere und auf dem Dachboden hausten
+die Mannschaften. Dort angelangt, legte Nirgend sich so wie er war
+aufs Stroh und zündete sich eine Zigarette an.
+
+Es war merkwürdig, heute kam keiner zu Bett. Düster glomm der spärlich
+helle Kreis der brennenden Zigarette im Dunkel. Wie in einer
+verlassenen Totengruft lag man hier. Langsam fielen die Minuten von
+der Decke herab.
+
+Eine lange Zeit verging.
+
+Dann knarrten Schritte die Treppe herauf, kamen näher. Es mußten
+mehrere Leute sein. Peter Nirgend rührte sich nicht.
+
+Die Tür wurde geöffnet. Im Lichtkreis einer Taschenlaterne tauchte
+undeutlich die Gestalt des Leutnants auf. Dahinter mußten noch einige
+Leute stehen. Zwei Seitengewehre funkelten zur Höhe.
+
+Nirgend erhob sich ohne Hast. Irgendeine dunkle, breite Gestalt tappte
+herein, tastete herum und entzündete die Lampe. Jetzt traten der
+Leutnant und die zwei Soldaten mit den aufgepflanzten Seitengewehren
+an den Tisch, wo der Unteroffizier, der Licht gemacht hatte, stand.
+Der Leutnant verlas etwas von sofortiger Inhaftierung und Überweisung
+an ein Kriegsgericht, faltete den Bogen wieder, sah Nirgend flüchtig
+an und sagte zum Unteroffizier: "Wenn er in fünf Minuten nicht folgt,
+wenden Sie Gewalt an!"
+
+"Zu Befehl, Herr Leutnant!" antwortete der strammgestandene Korporal.
+
+"Naja!" sagte der Leutnant und ging.
+
+Einige Augenblicke standen sich die Soldaten schweigend gegenüber.
+
+"Kamerad!--Mensch?" brachte der Unteroffizier endlich heraus, stockte
+aber plötzlich und sagte dumpfer: "Packen Sie Ihre Sachen zusammen und
+kommen Sie."
+
+"Seid ihr Vierzehner?" fragte Nirgend unbeweglich. Keine Antwort.
+Keine Bewegung der anderen. Starr standen die drei.
+
+"Gestern nacht habt ihr auf mich geschossen--einer von eurer Kompagnie
+war's!--Weil ich den Befehl zu euch brachte zum Vorrücken.--Einen
+Denkzettel habt ihr dem Major geben wollen--jetzt macht ihr drei
+wieder die Handlanger der Ordensjäger!" stieß Nirgend heraus.
+
+Keine Bewegung. Schweigen. Starr standen die drei. Wie glatte, finstere
+Glassturze. Alles rutschte an ihnen herab.
+
+Man stand selber unter einem solchen Glassturz. Gespannt his aufs
+äußerste mußte man an sich halten. Eine einzige Bewegung--und alles
+konnte zusammenfallen, klirrte herab. Und--?
+
+Und man stand ohnmächtig, ausgeliefert und vereinsamt zwischen den
+anderen. Die nackten Arme halfen nichts. Nicht einmal zu einer
+Umschlingung, denn man rutschte ab. Fiel hin und war ein Häuflein
+nichts.
+
+Und was war geschehen?
+
+Nichts!
+
+Die nackten Arme halfen nichts! Gar nichts!
+
+Nur die Kartätschen der Feinde, Hekatomben auseinandergerissener Leiber.
+Das Unerträgliche. Die Sinnlosigkeit führte zum Sinn zurück.
+
+"Wollen Sie den Befehl befolgen?!" rief der Unteroffizier jetzt.
+
+"Ja!" schrie Nirgend fast überlaut: "Ja--am liebsten würde ich wieder
+hinausreiten zu euch. Immer vor! Immer vor müßtet ihr--für den Pour le
+mérite!"
+
+"Los--los!" plapperte der Unteroffizier verärgert, "reden Sie nicht!
+Los!"
+
+"Ja!" bellte Nirgend abermals, "das ist das deutsche Wesen!"
+
+"Marsch!" brüllte der Unteroffizier: "Vorwärts jetzt!" Und zog ihn in
+die Mitte.
+
+Man ging.--
+
+
+II.
+
+Der Schnee lag tief. Langsam ging es vorwärts.
+
+"Was macht man eigentlich mit mir?" fragte Peter Nirgend auf einmal
+steif stehenbleibend. Es antwortete niemand.
+
+"Los--los!" brummte der Unteroffizier vorne wie für sich. Die Soldaten
+schoben den Gefangenen weiter.
+
+"Er hat euch geschunden his aufs Blut.--Ihr habt es selbst gesagt, daß
+ihr nicht mehr mitmachen wollt," sagte Peter beharrlich und stemmte
+sich gegen die schiebenden Hände.
+
+"Los--los! Wir möchten auch zur Ruh kommen!" stieß der Unteroffizier
+abermals murmelnd heraus und machte eine halbe Wendung.
+
+Einer der Soldaten setzte dem Häftling das Knie in den Rücken.
+
+"Gibt doch bloß Arrest, Mensch!" sagte der Unteroffizier beiläufig.
+
+Peter Nirgend ließ nach. Man watete wieder weiter.
+
+Die lange, geschwertete Linie eines spärlichen Lichtes stach durchs
+Dunkel. Das war das Gemeindehaus, wo der Arrest abgesessen wurde.
+Landstürmler versahen dort den Dienst.
+
+"Ihr kriecht, bis man euch die Kugel in den Leib jagt!" knirschte
+Peter.
+
+Schweigen.
+
+Der Unteroffizier schlug mit der Faust an die Gemeindehaustür. Mit
+hochgehobener Petroleumlampe erschien der verschlafene Sergeant in
+ihrem Rahmen. Der Trupp trat in die wohligwarme Wachstube. Zwei
+Landstürmler hoben schläfrig ihre Oberkörper auf den Pritschen, rieben
+sich die Augen. Einer davon stieg herab und nahm den Schlüsselbund,
+winkte Peter.
+
+"Kommt vors Kriegsgericht! Befehlsverweigerung!" sagte der Unteroffizier
+zum Sergeant, der den Einlieferungsschein unterschrieb. Eine leise
+Verachtung schwang mit den Worten mit. Der Landstürmler führte den
+Häftling in die letzte Zelle. "Kamerad, leg dich gleich hin und wickle
+dich fest ein. Es ist kalt," sagte er und trat aus der Zelle, schloß ab.
+
+Peter Nirgend blieb lauschend stehen.
+
+Jetzt hörte man die Leute vorne im Korridor. Er ging an die Tür, schlug
+fest mit den Fäusten an dieselbe, schrie: "Ich muß dem Herrn Unteroffizier
+noch was ausrichten!"
+
+Und sein ganzer Körper zitterte.
+
+Der Trupp kam den Korridor entlang, öffnete.
+
+"Was ist's denn?" fragte der Unteroffizier ärgerlich und trat ein. Die
+anderen blieben draußen.
+
+"Werde ich erschossen?" fragte Peter unvermittelt.
+
+"Quatsch! Festung wird's geben!" räsonierte der Unteroffizier: "Was
+wollen Sie denn?"
+
+"Da--da ist eine Blutlache!" rief Peter hastig und deutete auf die
+Bodenfläche hinter der Pritsche. Der Unteroffizier trat einen Schritt
+näher heran und beugte sich vornüber, hinter die Pritschenecke. Jetzt
+war der Lichtkreis der Taschenlaterne nur noch ganz klein in der
+Nische. Peter machte einen ruckhaften Satz, stemmte blitzschnell sein
+Knie auf den Rücken des Korporals und schnitt mit aller Gewalt in
+dessen Hals, tiefer--tiefer. Das warme Blut rann üher seine Finger.
+Der Körper des Ermordeten gab nach, hing schräg üher die Pritsche.
+
+Die anderen stürzten herein und warfen sich auf Peter, schlugen auf
+ihn ein, his er liegenblieb.
+
+Ihn überleuchtend, sagte ein Soldat zum Gefesselten: "Hund! Morgen
+stehst du an der Wand!"
+
+Peter Nirgend schloß die Augen.
+
+Nach einer ziemlichen Weile wurde die Tür wieder aufgeriegelt. Wieder
+erschien der hochgehobene Arm des Sergeanten mit der Petroleumlampe,
+nur diesmal sehr zitternd. Offiziere traten ein. Einer beugte sich
+über den Toten am Boden. Dann trugen zwei Soldaten die Leiche hinaus.
+
+"Was haben Sie denn da gemacht!?" fragte der Major Peter.
+
+Der schwieg. Kopfschütteln. Ein Soldat trat ein, stand stramm, erzählte
+den Hergang.
+
+"Sowas heißt sich deutscher Soldat!" schnarrte der Leutnant beflissen.
+
+Inzwischen trug man ein Tischchen herein. Die Lampe wurde daraufgestellt
+und der Gerichtsoffizier nahm das Protokoll auf. Nach der Vernehmung des
+gänzlich gebeugten, zusammengefallenen Sergeanten und des anderen Soldaten,
+trat der Leutnant abermals an Peter heran, stieß ihn: "Und Sie?"
+
+"Was haben Sie anzugeben?" rief der Gerichtsoffizier gleichfalls über
+den Tisch.
+
+Keine Antwort kam.
+
+"Kerl!"
+
+Schweigen.
+
+Das Protokoll wurde verlesen.
+
+"Geben Sie das zu?" fragte der Gerichtsoffizier den Angeklagten.
+
+Dieser nickte stumm.
+
+Kopfschüttelnd verließen die Offiziere den Raum. Zwei Soldaten der
+Baukompagnie 14 mit bajonettbepflanzten Gewehren blieben zurück. Der
+Tisch mit der Petroleumlampe gleichfalls.--
+
+"Schuft!" knurrte einer der Wächter und versetzte Peter einen Stoß in
+den Leib. "Du sollst unsere Überstunden schmecken, Hund!" fluchte der
+andere und schlug ihm die Faust ins Gesicht.
+
+Müde geworden, setzten sich die zwei Wachhabenden auf das trockene
+Flecklein des Bodens und zündeten sich Zigaretten an.
+
+"Kamerad! Einen Zug! Einen Zug!" wimmerte mit einem Male Peter
+flehend.
+
+"Ah?" rief der Raucher hämisch, ging an den Gefesselten heran und
+hielt ihm die rauchende Zigarette unter die Nase: "Riecht gut, Herr
+Halsabschneider, hm?"
+
+"Laß ihn doch! Er ist nicht wert, daß man ihn anschaut!" brummte der
+andere Soldat. Aber der Angesprochene ließ sich nicht abhalten.
+
+Da reckte sich Peter stemmend, schrie: "Hasenfüße!"
+
+"Halt die Fresse, Hund!" fielen die beiden ihn an und warfen ihn
+zurück, daß die Pritsche knarrte. "Hasenfüße!" plärrte Peter wilder.
+
+Die beiden hielten die Gewehrläufe drohend auf ihn gerichtet: "Noch
+ein Wort und wir knallen dich nieder!"
+
+"Hasenfüße!" schrie Peter noch greller. Die Wächter schlugen sinnlos
+auf ihn ein.
+
+"Hasenfüße!" bellte der Gefesselte aus Leibeskräften: "Hasenfüße!
+Hasenfüße!"
+
+Da schossen sie. Das Gehirn peitschte an die Wand.
+
+Als der Sergeant und die Landstürmer schlotternd angestürmt kamen,
+standen sie wie geistesabwesend stramm. Erst als kurz darauf der
+Leutnant eintrat, meldeten sie zugleich: "Melden Herrn Leutnant, daß
+wir ihn erschossen haben, weil er uns Hasenfüße genannt hat."
+
+Der Leutnant warf einen flüchtigen Blick auf die Leiche, drehte sich
+herum und sagte befehlsmäßig: "Gut! Abtreten!"--
+
+Tags darauf diktierte er dem Kanzleiunteroffizier folgende Meldung an
+das Oberkommando der östlichen Streitkräfte in die Maschine:
+
+"Meldereiter Peter Nirgend, zugeteilt dem Stab der Eisenbahntruppen,
+wurde wegen Befehlsverweigerung inhaftiert. Weiterleitung des Verfahrens
+war dem Kriegsgericht der Etappenkommandantür übergeben. Nirgend
+ermordete kurz nach seiner Einlieferung in die Arrestanstaltin seiner
+Zelle den Unteroffizier der Eisenbahnbaukompagnie 14 Joseph Thiele durch
+Durchschneidung des Halses. Sofortige Protokollaufnahme durch den
+Gerichtsoffizier ergab Mord. Exekution wurde auf andern Tag 9 Uhr
+festgelegt. Infolge fortgesetzter Widersetzlichkeiten gegen die
+Wachhabenden und Verhöhnung des Feldheeres, mußten die Pioniere
+Traugott Schloch und Otto Flemming von der Eisenbahnbaukompagnie 14
+von der Waffe Gebrauch machen, was den Tod des Nirgend zur Folge
+hatte."--
+
+Wegen Nachlässigkeit im Dienst wurde der Arrestsergeant strafversetzt.--
+
+Einige Wochen später stand in einem Tagesbericht des Oberkommandos:
+"Wegen pflichtmäßiger Ausführung eines Befehls wurden ausgezeichnet
+mit dem Militärverdienstkreuz zweiter Klasse laut Beschluß des O.K.d.
+O.A.: der Pionier Traugott Schloch bei der Eisenbahnbaukompagnie 14,
+der Pionier Otto Flemming bei der Eisenbahnbaukompagnie 14."
+
+
+
+
+MICHAEL JÜRGERT
+
+
+I.
+
+"Alle Dinge sind eitel." Immer kehrt dieses Wort wieder, wenn der Name
+Michael Jürgert in meiner Erinnerung auftaucht. Viele Male habe ich
+nachdenkend dieses Leben umschritten wie einen verfallenen, traurigen,
+rätselhaften Garten. Unruhig suchte ich nach dem Sinn dieses Ablaufs,
+trachtete danach, all die widerstrebenden Geschehnisse folgerichtig
+aneinanderzureihen, um möglicherweise ein erklärendes Bild zu finden,
+einen Abschluß, eine befriedigende Lösung.
+
+Es gelang nicht.
+
+Hoffend, daß mir vielleicht eine Stunde doch noch die Erleuchtung
+bringt, habe ich--so gut es ging--vorerst nur das nackte Tatsächliche
+aus diesem Leben aufgeschrieben, alles so, wie es sich zugetragen hat.
+Und hier ist es:
+
+Michael Jürgert kannte seinen Vater nicht. Als er sieben Jahre alt
+war, erfuhr er von seiner Mutter so etwas wie ein Gestorbensein durch
+einen merkwürdigen Unfall. Und einmal beim Maitanz warf ein Knecht in
+sein Ohr, daß sein Vater "im Suff ertrunken sei". Darum, so hieß es,
+säße ja seine Mutter schon all die Jahre im Gemeindehaus und wisse
+nicht, von was sie leben sollte.
+
+Der Bruder von Michaels Vater, der wegen einer Weibergeschichte "ins
+Amerika durch sei", hüte sich wohlweislich, etwas von sich hören zu
+lassen, raunten sich die Dörfler zu, wenn die Rede von den Jürgerts
+ging.--
+
+Nach seiner Schulentlassung kam der etwas schwächliche Knabe als
+Knecht in den Reinaltherhof. Es waren vier Knechte und zwei Mägde da.
+Fünf Jahre stählten den wachsenden Körper, ergossen versteckten und
+offenen Spott auf Michael.
+
+Auf Maria Lichtmeß, als er zwanzig Jahre zählte, wechselte er seinen
+Dienstplatz und trat beim Peter Söllinger ein, dessen Gehöft auf der
+runden Anhöhe vor dem Dorfe lag.
+
+Rechts vom Söllingerhof, nah am Waldrand, hockte die baufällige Hütte
+des Gütlers Johann Pfremdinger, den man im ganzen Umkreis den "Letzten
+Mensch" hieß, weil er die bigotte alte Pfanningerin zur Haushälterin
+hatte und im allgemeinen sehr schlecht auf die Weiber zu sprechen war.
+Wenn man ihn ärgern wollte, brauchte man bloß eine junge Dorfmagd oder
+Bauerstochter des Sonntags an seinem Haus vorbeigehen zu lassen.--
+
+Rundherum lagen die Felder Söllingers, weit verstreut die zwei Tagwerk
+Pfremdingers und oft, wenn der alte Häusler zur Erntezeit schwerfällig
+und mühsam auf den Fußwegen durch die Wiesen des Bauern ging, um auf
+seine Grundstücke zu gelangen, sagte der letztere mürrisch zu ihm:
+"Bist saudumm!--Wennst tauschen tätst mit mein' Rainacker, hättst
+alles ums Haus ... Aber mit dir kann man ja nicht reden!"
+
+"Auf'm Rainacker wachst das nicht wie bei mir," gab ihm der "Letzte
+Mensch" stets mit der gleichen Beharrlichkeit zurück und trottete
+weiter.--
+
+Die Jahre gingen, schwiegen. Der Peter Söllinger wurde unterdessen zum
+Bürgermeister gewählt und kam eines Tages in den Stall zu Michael,
+sagte: "Das geht jetzt nimmer, daß die Gemeinde deine Mutter aushält.
+Bist ein Mordstrumm Mannsbild worden und kannst selber für sie
+aufkommen. Der 'Letzt' Mensch' wird sterben. Die Pfanningerin müssen
+wir ins Gemeindehaus tun."
+
+Michael nickte stumm.
+
+"Da draußen kann's nicht bleiben, die Pfanningerin," fuhr der Bauer
+fort, indem er eine verächtliche Geste in die Gegend des
+Pfremdingerhauses machte, "die alte Kalupp' paßt grad noch für ein'
+Heustadel."
+
+Und wieder nickte Michael stumm.
+
+"Herrgott, bist du ein Stock!" stieß der Bauer heraus und ging
+kopfschüttelnd und brummend aus dem Stall. Die Knechte lachten.--
+
+Michael ging nach Feierabend zu seiner Mutter ins Gemeindehaus und
+brachte ihr die Nachricht. Die alte Frau sah ihm nur in die Augen.
+Dann sagte sie: "Ja ja, ist ja auch wahr, die alte Pfanningerin ist ja
+auch älter als ich."--
+
+Spät, nachdem seine Mutter längst schlief, zählte Michael sein
+erspartes Geld. Zählte, zählte. Dachte, dachte. Rechnete, rechnete.
+
+Am andern Tag, während der Arbeit, hielt er manchmal inne und schaute
+starr ins Leere. Des öfteren sah man ihn jetzt am Abend in die
+Pfremdinger-Hütte gehen. "Was er nur immer beim 'Letzten Mensch'
+anfängt, das Hornvieh!? Möcht wohl gar Häusler werden?" spöttelten die
+Knechte, und Söllinger schaute dem fast furchtsam Davonschleichenden
+mit finsterem Blick nach.--
+
+Die Sterbeglocken klangen dünn durch die Luft. Mit dem alten
+Pfremdinger ging es zu Ende. Die Pfanningerin, der Pfarrer--und
+Michael Jürgert standen in der niederen Kammer um das Bett. Dann kam
+noch die Jürgertin.
+
+Ganz zuletzt erst wälzte sich der Häusler nochmal herum. Schon drehten
+sich seine Augen.
+
+"Er soll's haben, Hochwürden! Aber die Hälft' gehört der Kirch'!"
+hauchte er schon röchelnd mit letzter Kraft heraus.
+
+"In Ewigkeit, Amen," murmelte sich bekreuzigend die alte Pfanningerin.
+und der Pfarrer sah Michael an, nickte ihm zu.
+
+"Hab's denkt, daß er's kriegt, wenn er fleißig in die Kirch' rennt und
+um den Pfarrer herumscharwenzelt recht bigott! Sowas tragt immer was
+ein!" war ungefähr die übliche Bauern-Nachrede, als es verlautbarte,
+daß Michael das Pfremdinger-Anwesen vom "Herrn Hochwürden zudiktiert"
+bekommen habe.
+
+Acht Tage nach dem Begräbnis fuhr Michael auf einem Schubkarren die
+spärliche Habschaft seiner Mutter ins Pfremdingerhaus und am
+darauffolgenden Tag die Sachen der alten Pfanningerin ins Gemeindehaus.
+Hinter manchem Fenster stand ein spöttischspitzes Gesicht und sagte
+ungefähr: "Der hat's leicht. Kann sein Zeug auf dem Schubkarren fahren."
+
+Gut ein Vierteljahr war Stille.
+
+Wenn die Mäher beim Morgendämmern auf die Felder gingen, sang immer
+schon die Sense Michaels unter dem flinken Schleifstein.--
+
+Dann kam das Unglück.
+
+Die einzige Kuh, die im Jürgertstall stand, ging ein. Notschlachtung
+mußte vorgenommen werden.
+
+Die Bauern kamen, musterten das Fleisch mißtrauisch, kauften,
+schimpften: "Ob er vielleicht nicht wisse, daß die Suppenbeine als
+Zuwag' dreingingen?" Und einige wieder sagten in beinahe mitleidigem
+Tonfall: "Ja, mein Gott, Bauer sein ist nicht so einfach! ... Sonst
+tät's ja jeder machen."
+
+Drei Wochen nachher begrub man die alte Jürgertin.
+
+"Wärst' Knecht geblieben, wär gescheiter gewesen," sagte Söllinger zu
+seinem ehemaligen Knecht, "wenn's einmal angeht, hört's nicht mehr
+auf."--
+
+Michael stürzte sich in die Arbeit. Der Pfarrer kam ein paarmal ins
+Haus, sah nach.
+
+"Eine Kuh halt, eine Kuh, Herr Hochwürden!" murmelte Michael hin und
+wieder dumpf.
+
+"Der Herr hat's gegeben--der Herr hat's wieder genommen," antwortete
+der Geistliche nur.--
+
+Und Michael verkaufte Heu und die zwei letzten Säcke Korn. Droben auf
+dem schmalen Streifen, über den Söllingerfeldern, hatte er dieses im
+letzten Jahr noch gebaut. Vom Reinalther lieh er sich damals den
+Fuchsen und den Pflug, ackerte. Und seine Mutter humpelte hinterdrein
+und säte.--
+
+Es war Ferkelmarkt in Greinau. Die ganzen Bauern aus der Umgegend
+standen gruppenweise auf dem Platz vor der Gastwirtschaft "Zur Post",
+handelten hartnäckig herum mit den Händlern und kauften endlich. Die
+eingepferchten Jungschweine machten einen Heidenlärm, die Pferde
+scharrten ungeduldig und wurden unsanft zurückgerissen. Die Wirtsstube
+war vollbesetzt. Aus und ein ging man, redete, schmauste, und knarrend
+und knirschend, in scharfem Trab, rollten die Wägelchen davon.
+
+Schüchtern kam tief am Nachmittag Michael an. Die Bauern stießen
+einander, zwinkerten, tuschelten spöttisch.
+
+"Jesus! Jesus! Jetzt wird's besser, der Michl kauft Ferkel!" lachte
+der pralle Postwirt aus einer Gruppe und alle richtetengeringschätzige
+Blicke auf den Häusler. Schweigsam und scheu umschritt der die
+Ferkelsteigen. Es wurde schon leerer auf dem Platz.
+
+"Paß fein auf, daß sie dir nicht im Sack ersticken, Michl!" warf der
+Söllinger rülpsend auf den Wagen steigend Michel zu, als er sah, daß
+dieser zwei lautgrunzende Jungschweine in seinen Sack zog. Sein
+hämisches Lachen schnitt die Luft auseinander.--
+
+Dämmer stieg schon von den Feldern auf. Nacht sickerte gelassen vom
+Himmel. Michael schritt beschwerlich aus. Die Schweine rumorten
+immerzu im Sack auf seinem Rücken. Er mußte fest zuhalten, daß ein
+lahmer Krampf langsam in seine Arme rieselte. Aber die bogen sich wie
+aus Eisen von der Brust über die Schulter.--
+
+Die Schritte hallten vereinsamt.
+
+Stille.--
+
+Jetzt waren auch die Schweine still geworden, ganz still. Auf einmal
+merkte es Michael. Ein Schreck durchfuhr ihn. Jähe Mattigkeit fiel
+bleischwer in seine Kniegelenke. Er rüttelte den Sack vorsichtig, fast
+wie einer, der zwischen Hoffnung und Angst vor der Gewißheit schwankt
+und nicht mehr aus noch ein weiß.
+
+Nichts.
+
+Er rüttelte stärker.
+
+Nichts.--
+
+Inzwischen war er an der schmalen Brücke, nah vor dem Hügel angelangt,
+auf dem das Söllingergehöft mit gelben Augen saß.
+
+Der Bach murmelte gleichmäßig versunken.
+
+Schweißtriefend zerrte Michael den Sack auf die Brücke, wollte--in
+unseliger Verzweiflung blitzhaft an den Spott Söllingers denkend
+--nachsehen. Da--da--wupp!--fiel der Sack in die Tiefe. Es platschte.
+Breite Ringe warf das Wasser und jetzt plärrten plötzlich die Schweine
+heulend auf. Es gurgelte etliche Male und war jäh grauenhaft still.
+
+Mit einem furchtbaren Aufschrei sprang Michael ins Wasser, tappte wie
+ein schwimmender Hund ungelenk auf der Oberfläche herum, weinte,
+hustete, tauchte, schrie, brüllte.--
+
+Am ändern Tage fischten die zwei Knechte des Bürgermeisters den leeren
+zerrissenen Sack mit den Heugabeln aus dem Wasser und spießten ihn auf
+einen Zaunpfahl vor Michaels Häuschen. Dann klopften sie. Aber niemand
+gab an.--
+
+Das ganze Dorf lachte knisternd.
+
+Als man drei Tage niemanden aus--und eingehen sah beim Jürgert, schickte
+Söllinger den Nachtwächter und Gemeindediener Peter Gsott hinaus. Der
+klopfte wieder und wieder, drohte mit wütenden Flüchen, als niemand
+angab und holte dann den Schmied zum Türöffnen.
+
+Die beiden fanden Michael in der Schlafkammer ganz starr auf dem
+Bettrand sitzend und wie irr ins Leere glotzend. Einen Augenblick
+zwang ihnen dieser Zustand Schweigen ab. Endlich sagte der Schmied:
+"Was hast' denn, daß' dich einsperrst, Michl?"
+
+Aber der Angesprochene machte nur mit der Hand eine lahme, wegwerfende
+Geste. "Deinen leeren Sack haben die Söllingerknecht' gefunden! Die
+Ferkel selber sind ersoffen," sagte dann der Gemeindediener. Als beide
+sahen, daß Michael beharrlich mit der gleichen Apathie antwortete,
+gingen sie und meldeten dem Bürgermeister, daß der "spinnerte Kerl"
+schon noch lebe. Er sei, meinten sie, nur ein wenig irr noch.--
+
+Im Dorf ging daraufhin die Rede: "Der Michl hat's Spinnen angefangen
+wegen der ersoffenen Ferkel."
+
+Michael sah man nur ganz selten seit diesem Vorfall. Höchstenfalls bog
+er einmal scheu ums Hauseck und eilte dem Wald zu.--
+
+Um diese Zeit kam zum Bürgermeister Söllinger eine seltsame Nachricht
+aus Amerika, betreffend die Familie Jürgert und deren Nachkommen. Der
+Bauer, der sich, wie er sich ausdrückte, "darin nicht rechtauskannte",
+schickte zum Pfarrer und dieser entzifferte endlich, daß die Familie
+Jürgert (Überlebende oder Nachkommen) infolge des Todes eines Bruders
+des verstorbenen Vaters Michaels zur Generalerbin einer außerordentlich
+hohen Hinterlassenschaft in barem Geld eingesetzt sei und den Betrag
+von einer Bank in Hamburg einverlangen könnte, sobald der Nachweis der
+Erbberechtigung erbracht sei.--
+
+Als der Pfarrer, der selber ein wenig zitterte, dies dem Söllinger
+auseinandersetzte, erbleichte dieser sichtlichund sank wie vom Schlag
+getroffen in einen Stuhl.
+
+"Ruhig beibringen, ist das beste. Ich geh' selber zu ihm hinaus,"
+sagte der Geistliche nach einigem Schweigen, nahm seinen Hut, steckte
+das Papier zu sich und begab sich zu Michael.
+
+Ins Haus getreten, bemerkte er diesen dösig neben dem Herd hockend,
+und als der geistliche Herr in sanftem, vorsichtigem Tonfall seinen
+Namen rief, sprang er plötzlich auf, schlüpfte, so schnell es nur
+ging, furchtgepackt in das rußige Holzloch unter dem Ofen und gab
+keinen Laut von sich. Eine gute Weile stand der Geistliche ratlos da.
+Endlich fand er wieder zum Entschluß zurück.
+
+"Geh heraus, Michl," sagte er sanft, "wir wollen wieder eine Kuh kaufen
+und Ferkel."
+
+Michael räkelte sich erst und schlüpfte dann vollends aus dem Loch.
+Seine Blicke waren mit einer schmerzvollen Bitthaftigkeit auf den
+Pfarrer gerichtet.
+
+"Und dein Häusl, Michl, das werden wir auch wieder richten lassen. Es
+ist arg baufällig," ermunterte dieser den Zögernden. Und als Michael
+endlich aufrecht stand, nahm ihn der Gottesmann mild am Arm und zog
+ihn sacht hinaus ins Freie.
+
+Frische Frühe lag üher den Feldern. Die Wiesen dufteten schwer. Die
+Sonne stieg langsam in die Mittagshöhe.--
+
+Wie zwei Kranke schritten die beiden dahin. Der Söllinger wagte nicht
+herauszutreten, als sie vorbeikamen. Er lugte nur schweigend durchs
+Fenster.
+
+Im Pfarrhaus angekommen, sagte der Geistliche zu Michael: "Du mußt
+jetzt eine Zeitlang bei mir bleiben. Die Marie wird dir ein Zimmer
+einrichten, bis dein Häusl fertig ist. Bis dahin ist auch wieder
+Viehmarkt in Greinau."
+
+Und als verstünde er von alledem nichts, als höre er nur eine
+erleichternde Melodie aus den Worten, stand Michael da und schwieg.
+Allmählich glättete sich sein bangvolles Gesicht und eine aufatmende
+Ruhe glänzte in seinen Augen.
+
+Drei stille Wochen glitten him. Jeden Tag saßen die zwei zusammen in
+der Pfarrstube oder gingen wohl manchmal im Garten umher. Langsam
+wurde Michael ruhiger. Aber von Zeit zu Zeit konnte man ein böses
+Aufblitzen auf seinem knöchernen, schweigend gefalteten Gesicht
+wahrnehmen. Die väterliche Arglosigkeit seines Pflegers aber machte
+ihn nach und nach etwas zutraulicher und offener. Manchmal des Abends,
+wenn der Geistliche aus einem Betbuch laut einige Stellen vorlas, hob
+der Häusler den Kopf und lauschte sichtlich aufmerksamer. Ein
+friedlicher Hauch hob Stück für Stück von dem Feindseligen ab, das
+hinter den Falten brütete, und lebendiger kreisten seine Augen.
+
+Endlich nach einem Monat eröffnete der Pfarrer seinem Pflegling die
+Nachricht aus Amerika.
+
+Michael hörte stumm zu. Er schien anfänglich nicht zu begreifen. Dies
+erkennend, legte der Geistliche das Papier auf den Tisch.
+
+"Du bist jetzt ein reicher, sehr reicher Mann geworden, Michl," sagte
+er, "du kannst dir hundert Kühe kaufen, ein Haus und soviel Ferkel,
+als du willst. Es ist von jetzt ab keiner mehr im ganzen Umkreis, der
+nur ein Drittel soviel Geld hat wie du. Begreifst du? Gott hat dir
+geholfen. Es geht alles seinen gerechten Gang, wenn er es will."
+
+Michael schien die letzten Worte nicht mehr zu hören. Seine Augen
+waren auf einmal weit geworden. Eine Gier flackerte in ihnen und der
+ganze Ausdruck seines Gesichts war plötzlich völlig verändert.
+
+"Ich--ich kann also auch das Söllingerhaus und das vom Reinalther
+kaufen?" fragte er hastig und gedämpft.
+
+"Das kannst du, wenn sie wollen," nickte der Geistliche, "du kannst
+zehn solche Häuser kaufen, wenn du willst."
+
+"Zehn....!?" stieß Michael lauernd heraus und bohrte seine Blicke in
+die Augen des Pfarrers.
+
+"Es ist sehr viel Geld," gab der zurück.
+
+"Und," fuhr Michael noch leiser, fiebernd vor Unruhe, scheu, als
+lausche an den Wänden irgendein ungebetener Gast, fort: "Und ich
+krieg' das ganze Geld in die Hand. Ich brauch' nur schreiben lassen?"
+
+"Ja, wenn Du willst."
+
+"Ja ...!! Ja, gleich! Gleich! Ich will!" schrie Michael verhalten.
+
+"Gut," sagte der Pfarrer und ging an den Tisch, "ich schreibe."
+
+"Und ... und die Häuser vom Söllinger und--und vom Reinalther?" fragte
+Michael beharrlich.
+
+"Die ...? Ich kann mit ihnen reden," antwortete der Geistliche, während
+er schrieb. Dann ließ er Michael unterzeichnen.--
+
+
+II.
+
+Im Dorf ging ein Schweigen um. Langsam verbreitete sich die Kunde von
+Michaels Erbschaft. Betroffenen Gesichts raunten sich die Bauern die
+Neuigkeit zu.--
+
+Der Baumeister von Greinau, Michael Lindinger mit Namen, wurde ins
+Pfarrhaus geladen. Michael lächelte schräg, als der Mann eintrat und
+beauftragte ihn, einen Plan für ein neues Haus zu bringen. Trotz der
+Einwendungen des Pfarrers wurde der Umbau des alten Anwesens abgelehnt.
+
+Michaels Rede war jetzt sicher geworden, fast bestimmt.
+
+"Ein neues Haus muß her!" sagte er beharrlich.
+
+Und der andere Michael erwiderte pfiffig: "Ja--schon lieber was Neues
+als Flickwerk. Das taugt ein paar Jahr', dann geht's wieder von vorn'
+an."
+
+Diese Beipflichtung entwaffnete den Geistlichen. Der Plan wurde
+gefertigt. Der Auftrag gegeben. Die ehemalige Pfremdinger-Hütte
+krachte zusammen mit allem, was sie barg. So hatte es Michael
+gewünscht, steif und fest. Alles Dawider des Pfarrers nützte nichts.
+
+Krachte zusammen.
+
+Und die Dörfler standen herum, schwiegen, staunten, starrten. Vom
+Pfarrhausfenster aus überschaute Michael den Vorgang.
+
+Auf einmal begann der Hausrist zu wanken, bröckelte, krachte. Die
+Herumstehenden rannten auseinander und zuletzt war minutenlang eine
+ungeheure Staubwolke. Dann, als es wieder lichter geworden war, lag
+ein riesiger Trümmerhaufen da.
+
+Deutlich sah Michael, wie einige die Köpfe schüttelten. Eine Weite
+dehnte seine Brust.
+
+"Das ist nicht recht," rief der Pfarrer hinter ihm. Michael hatte ihn
+nicht eintreten hören und riß sich erschrocken herum. Reglos und stumm
+standen sich die beiden gegenüber.--
+
+Seitdem begegnete Michael seinem Pfleger mit verstocktem Schweigen.
+Mied ihn.--
+
+Der Bau wurde begonnen. Jeden Abend kam Lindinger ins Pfarrhaus und
+berichtete über den Stand, machte Vorschläge, legte Rechnungen vor.
+
+Sein fast beteuerndes, sich immer wiederholendes: "S'ist wahnwitzig
+teuer, die Sach', wahnwitzig teuer," ließ Michel lächeln.
+
+"Macht nichts, macht gar nichts," erwiderte er stets.
+
+"Ja--es ist gut, daß' wieder Arbeit gibt," meinte dann der
+Maurermeister meistens und ging. Kaum war er draußen, schrumpfte
+Michaels Gestalt im Lehnstuhl zusammen. Das Kinn schob sich vor. Nur
+die Pupillen kreisten im Raum.--
+
+An einem der Abende, als eben der Maurermeister das Zimmer Michaels
+verlassen hatte, trat der Pfarrer ein. Michael erhob sich und wandte
+ihm den Rücken zu.--
+
+"Gelobt sei Jesus Christus!" brachte der Geistliche nach einigem
+Schweigen heraus.
+
+Ohne sich umzuwenden, nickte Michael. Dann ging er ans Fenster,
+deutete in die Talmulde, die der erste Mond silbern bestrich.
+
+"Hähähä--hä! Wird hoch der Turm, hoch!" keuchte er, reckte den Kopf
+störrisch vor, nahe an die Scheibe: "Wenn man ganz droben ist, müssen
+schon die Wolken angehen!"
+
+Unschlüssig stand der Geistliche. Schwieg.
+
+"Zum Söllinger kann ich hinunterschaun und aufs ganze Dorf!" redete
+Michael weiter, ohne ihn zu achten.
+
+"Die zwei Kirchenfenster?" fragte endlich der Geistliche fast
+schüchtern und hielt plötzlich mitten im Wort inne, als sich Michael
+nunmehr hastig umwandte.
+
+"Zwei ...?! Sechs! Sechs Fenster ...--und neue Glocken, damit ich's
+hör' in der Früh!" überflügelte dieser ihn, "da muß die Luft zittern,
+wenn die läuten!--Schafft sie an! Morgen! Gleich! Gleich! Und drei
+neue Meßgewänder!--Müssen fertig sein zum Jahrtag meiner Mutter!
+Bestellt's! Bestellt's auch gleich!--Gleich!"
+
+Wie von einem wilden Strudel dahergetragen stürzten die Worte
+heraus.--
+
+Mit sehr ernstem Gesicht verließ der Pfarrer fast traumwandlerisch das
+Zimmer. Lange noch hörte ihn die Marie im Zimmer auf- und abgehen und
+laut beten.
+
+Klare, kalte Märztage zeigten das hereinbrechende Frühjahr an.
+
+Michael ging manchmal aus. Selten suchte er den Bau auf. Nie beschritt
+er ihn. Immer bog er scheu ums Dorf und stapfte auf die Sandgrube zu,
+aus der man den Kies für sein Haus holte. Es schien ihn dort etwas zu
+interessieren. Er stand meistens oben am Rand und überschaute die
+zackige Mulde.
+
+Böhmen und Italiener arbeiteten auf Taglohn dort und sprengten hin und
+wieder einen Felsen, wenn an einer Stelle der Kies ausging.--
+
+Eben lud man wieder. Michael war ganz nah herangekommen, stand wie
+witternd, mit spähendem, vorgebeugtem Kopf da und sah aufmerksam auf
+jede Bewegung des Lademeisters.
+
+"Und das--das reißt alles ein?--Mit einem Krach?" fragte er diesen
+gespannt. Der Mann nickte und murmelte ein paar unverständliche Worte.
+
+Dann entzündete er ein Streichholz und steckte die Zündschnur an.
+Alles rannte aus der Grube, wartete bis es knallte.
+
+Als dies geschehen war und die Leute wieder in die Grube zurückgingen,
+sah man Michael im Türrahmen des Werkmeisterhauses stehen. Er ließ
+sich das Pulver zeigen, rieb es merkwürdig lange auf seiner flachen
+Hand und sagte harmlos zum Werkmeister: "Und so ein Staub hat's
+drinnen, daß alles in die Luft fliegt?--Hm--hm--hm!" Ging wieder.--
+
+Der Nachtwächter Peter Gsott glaubte bemerkt zu haben, daß eine
+männliche Gestalt am Rand der Sandgrube auftauchte, sich schwarz vom
+bleichen Mondhimmel abhob, dann aber plötzlich, wie in den Erdboden
+gesunken, verschwand.
+
+Der Werkmeister schimpfte die Sprenger, daß sie soviel Pulver
+brauchten. Es entstand ein Streit. Ein Italiener brüllte, daß die
+ganze Grube hallte. Auf einmal kam man ins Handgemenge. Ein
+furchtbares Raufen entstand. Der Werkmeister bekam einen Schlag auf
+den Kopf und mußte ins Krankenhaus gebracht werden. Am ändern Tag
+verhafteten die Gendarmen von Greinau zwei Böhmen und einen Italiener,
+der beim Söllinger auf der Tenne logierte. Er hatte sich im
+Taubenschlag verkrochen und als man ihn herunterholte, stieß er
+furchtbare Drohungen auf den Bürgermeister aus, die aber niemand
+verstand. Anscheinend glaubte er, die Leute hätten ihn verraten.
+
+Michael begegnete der Haftkolonne und sah sich die drei Burschen sehr
+genau an. Später trat er ins Bürgermeisterhaus und öffnete die
+Stubentür hastig. Der Söllinger war im Augenblick so erstaunt, daß er
+förmlich aufschrak und kein Wort fand. Säulenstarr stand er da und
+heftete seinen Blick auf den nähertretenden Michael. Gemessen kam
+dieser heran, ganz nahe und eine ungeheure Spannung lag in seinem
+Gang.
+
+"Gibst dein Haus nicht her?" fragte er den stummen Bauern lauernd.
+
+"Nicht?" wiederholte er, als der verneinte und maß ihn scharf von der
+Brust bis zur Stirn.
+
+"Ich ...!?" fand endlich der Söllinger das Wort.
+
+"Ja?"
+
+"Solang ich leb' nicht!" schrie der Bürgermeister schroff, als wolle
+er sagen: "Was willst denn du auf einmal bei mir?"
+
+"Es paßt mir nicht vor meinem Turm," sagte Michael tonlos und spröde
+und lächelte höhnisch in sich hinein. Draußen, vor der Tür, hörte er
+noch den Schlag der Söllingerfaust auf die Tischplatte.
+
+
+III.
+
+Richtig, der eine von den Böhmen lud damals den Felsen, erinnerte sich
+Michael. Und der Italiener, der aus Söllingers Taubenschlag geholt
+worden war, stand neben ihm, als es krachte. Dem konnte man nichts
+nachweisen und mußte ihn nach vier Tagen wieder aus dem
+Amtsgerichtsgefängnis entlassen. Nun strolchte er mit finsterem
+Gesicht herum, und da bei den Bauern von alt her der Aberglaube
+herrschte, daß solche Kerle mit ihren Verwünschungen kraft einer
+innewohnenden dämonischen Macht Schaden und Unglück anrichten könnten,
+so wagte keiner etwas gegen sein Kampieren in Heustädeln und Tennen
+einzuwenden.--
+
+An einem Aprilnachmittag traf ihn Michael auf der Waldstraße, ging
+entschlossen auf ihn zu und sprach ihn an.
+
+"Habt's keine Arbeit mehr kriegt?"
+
+Offenbar verstand der Angesprochene dies, denn er nickte finster.
+
+"Geht's zu meinem Bau. Verlangt's den Lindinger und sagt's, ich hab
+Euch geschickt," sagte Michael.
+
+Am ändern Tag schleppte der Italiener auf dem Bau Mörtel.--
+
+Das Haus wuchs. Der Turm der Vorderfront bedurfte nur noch des
+Dachstuhls. Beim Söllinger wurde eingebrochen. Man nahm wieder den
+Italiener fest, obwohl ihn niemand angezeigt hatte. Da man ihm aber
+nichts nachweisen konnte, entließ man ihn abermals. Michael traf ihn
+am Pfarrhaus, nickte schon von weitem grüßend und hatte ein Lächeln
+wie ungefähr: "Gut so!" Und wieder arbeitete der Italiener auf dem
+Bau, finster gegen jedermann, verschlossen und wortkarg, nur etwas
+aufgetaner zu Michael.--Die Kirche war nun jeden Sonntag drückend
+voll. Die sechs Fenster strahlten ihren vielfarbigen Prunk über die
+Köpfe der Betenden. Einen Monat später erschollen die neuen Glocken
+erstmalig. Und in der Luft schwang ein Surren weithin. Wenn man jetzt
+Michael sah, lag über seinem Gesicht etwas wie ein leuchtender,
+verschwiegener Triumph.
+
+Der April zerging in Regen, Schneegestöber und flüchtigen Sonnentagen.
+Die ersten Maitage ließen die grauweißen Wände des Neubaus sehr
+schroff leuchten. Man konnte Michael manchmal mit dem Baumeister durch
+die Räume schreiten sehen. Die Schreiner brachten Möbel. Es ging dem
+Vollenden zu.
+
+Es war wahr, was der erste Knecht vom Reinalther sagte: "Einen solchen
+Stall trifft man so schnell nicht mehr." Und: "Eine Lust müsse es
+sein, dort zu arbeiten."
+
+Aber der Söllinger warf verächtlich hin: "Was hilft ihm das schöne
+Haus und alles, wenn er kein Grundstück hat!"
+
+Und aus den Reden der Dörfler am Biertisch konnte man deutlich
+heraushören, daß keiner bereit war, auch nur ein Tagwerk von seinen
+Gründen abzugeben.
+
+"Unser Heu bleibt unser Heu," sagte der Gleimhans. Und alle nickten.
+
+"Der kommt schon und will einen Grund!--Aber da bleibt ihm der
+Schnabel sauber!" brummte der Reinalther.
+
+Der Söllinger blickte düster drein und schwieg.--
+
+Pfarrer und Ministrant gingen mit Michael durch die Räume des neuen
+Hauses, beweihräucherten und besprenkelten alles. Eine Woche später
+trieben drei Viehtreiber wohl an die zwanzig Kühe auf der Straße von
+Greinau her ins Dorf und lieferten sie bei Michael ab. Der wohnte
+schon vier Tage in seinem Haus. Zwei fremde Mägde, ein Knecht und
+jener Italiener, den man von der Sandgrube davongetrieben und
+verhaftet hatte, waren da. Und Heufuhren kamen an. Ganz fremde
+Gesichter blickten von den leeren Wagen herunter, die durchs Dorf
+ratterten.
+
+"Wenn er jeden Pfifferling kaufen muß, wird die Herrlichkeit bald ein
+End' haben," brummten die Bauern, "mit den paar lumpigen Wiesen kann
+er grad' eine Kuh füttern."
+
+Nach etlichen Wochen kam eine Magd Michaels zum Reinalther und zum
+Gleimhans und richtete aus, die Bauern sollten zu ihm kommen.
+
+"So--!? Sonst nichts....?!" rief der Reinalther höhnisch und schaute
+das dralle Frauenzimmer hämisch an, "sagst, er soll sich einen ändern
+Dummen suchen!"
+
+Und--: "Der hat grad so weit zu mir her!" fertigte der Gleimhans die
+Botschaftbringerin ab.--
+
+Gleichsam, als hätte man sie ohne jeden Grund persönlich beleidigt,
+kam die Magd zurück und berichtete Michael das Verhalten der beiden
+Bauern.
+
+"Geh!--Ist schon gut!" schnitt dieser ihr das Wort ab, als sie
+gesprächiger werden wollte. Seine Züge veränderten sich nicht. Nur
+seine Augen glommen einmal funkelnd auf.--
+
+In der Wirtsstube Simon Lechls herrschte diesen Abend ein belebteres
+Gespräch.
+
+"Jetzt wird er langsam angekrochen kommen und Gründ' wollen," brummte
+der Reinalther.
+
+"Da kann er alt werden!" erwiderte der Gleimhans. Und alle nickten.
+"Mit seinem Geldhaufen ist er gar nichts!" sagte der Lechlwirt:
+"Gründ' machen den Bauern!"
+
+"Das ist's!" bestätigte der Söllinger.
+
+Und wieder nickten alle.--
+
+
+IV.
+
+Die Jahre verstrichen. Das kahle, grell leuchtende Haus am Waldrand
+nahm mehr und mehr eine verwitterte Farbe an. Bisweilen, wenn die
+Scheune leer war, sah man die schwarze Kutsche Michaels in scharfem
+Trab aus dem Dorf rollen, Greinau zu. Vorne auf dem Bock saß der
+Italiener mit finster gefaltetem Gesicht und schaute nicht nach links
+und nicht nach rechts.
+
+An den darauffolgenden Tagen knarrten dann meistens schwerbeladene
+Heufuhren auf der Greinauer Straße daher und fuhren durchs Hoftor
+Michaels.
+
+"Nette Wirtschaft!" brummten die Bauern: "Jeden Büschel Futter muß er
+kaufen!" Und halb war es Mißmut, halb Schadenfreude, was auf ihren
+Gesichtern stand. Die Ernten in dieser Gegend waren mehr als
+überreichlich. Die Aufkäufer, die aus der Stadt kamen, hatten es
+leicht und konnten anmaßend sein. Sie minderten die Preise, wo und wie
+immer es nur ging. Die Transportkosten his zum Bestimmungsort mußten
+die Bauern tragen. Es kostete stets einen ganzen Tag Zeit, wenn ein
+Dörfler seinen verkauften Hafer, sein Korn oder Heu nach Greinau auf
+den Bahnhof fuhr und dort in den Waggon lud. In die "Ferkelburg" aber,
+wie man Michaels Haus nannte, fuhren fremde Heuwagen!--
+
+Michael war fast nie zu sehen. Er saß in seiner Turmkammer und sann.
+Grübelte, als warte er auf etwas. Gleichmäßig und ereignislos verlief
+die Zeit.
+
+Durch irgendeinen findigen Kopf angeregt, war die ganze Dörflerherde
+um Greinau darauf gekommen, daß eine Eisenbahnlinie gerade in dieser
+Gegend notwendig sei. Eine Vereinigung bildete sich, wurde "Lokalverband
+der Eisenbahninteressenten" genannt. Eine Eingabe um die andere
+bestürmte das Ministerium. Die Regierung nahm endlich Kenntnis davon,
+der Landtag sprach sich befürwortend aus. Die Eisenbahnlinie wurde
+genehmigt.--
+
+Michael verfolgte die Berichte im "Greinauer Wochenblatt" eifrig. Man
+sah ihn jetzt öfters am Gemeindekasten vor dem Bürgermeisterhaus
+stehen und die Anschläge lesen. Vom Söllingerhügel aus konnte man das
+ganze hingebreitete Land übersehen.
+
+Da stand er auch.
+
+Und nicht selten. Oft sogar lange.--
+
+An jenem Tag, da die amtliche Bekanntmachung von der Genehmigung der
+Eisenbahnlinie angeschlagen war, wandte er sich behend, wie von einer
+verhaltenen Freude ergriffen, herum und überblickte die Weiten.
+
+"Hm!--Jetzt!" stieß er plötzlich heraus, nickte etliche Male und ging
+zuversichtlicher von dannen.
+
+Erst nachdem er in der Tür der Ferkelburg verschwunden war, trat der
+Bürgermeister aus seinem Haus und heftete die Bekanntmachung der
+großen Versammlung im Gasthaus "Zur Post" in Greinau in den Kasten.
+
+Am darauffolgenden Sonntag war der Tanzsaal der Postwirtschaft zum
+Bersten voll. Die Bauern aus der Ganzen Umgebung waren zusammengeströmt.
+Die bejahende Entschließung der Regierung wurde bekanntgegeben. Die
+ganze Versammlung brüllte und klatschte begeistert.
+
+"Eine Bahn muß her!" erscholl von allen Seiten. Es gab schwere
+Räusche.--
+
+Schon nach einer knappen Woche erschienen die Vermessungsbeamten im
+Dorf und wurden mit ehrwürdiger Neugier empfangen, durchschritten die
+Felder, steckten weiß-rote Stangen auf, kamen immer näher an die
+Häuser heran, zogen eine Linie durch Reinalthers Garten, über das
+Gehöft Söllingers hinweg.--
+
+Die Hände in den Hosentaschen, schweigend und gewichtig, sahen ihnen
+die Bauern erst zu.
+
+"Also so ging's?" fragte der Gleimhans einen Vermesser.
+
+"Jawohl, ganz so," erwiderte dieser und war schon wieder weiter.
+
+"Hm!" brummte der Gleimhans, hob den Kopf und sah den Reinalther
+verwundert an.
+
+"Müßt also mein halber Garten weg?" sagte dieser und sah den Geometern
+nach. Die entfernten sich mehr und mehr. Weiter ging es--über das
+Gehöft Söllingers hinweg.
+
+"Hoi--Hoi! Da wär demnach das ganze Bürgermeisterhaus im Weg!" stieß
+jetzt der Reinalther fast entsetzt heraus und sah betroffen, mit
+offenem Maul, auf Gleimhans.
+
+"Das wird sauber!--Gibt's nicht!" schrie dieser wütend und straffte
+seine Gestalt.
+
+"Und--schau nur!--durch meine schönsten Gründ' gings'!" rief der
+Reinalther, als eben die Vermesser die Linie durch seine Weizenlande
+zogen, fäustete seine Hände drohend und polterte gleichfalls: "Gibt's
+nicht!"
+
+Und auf der Stelle gingen die beiden zum Söllinger hinauf und erhoben
+lebhaften Einspruch gegen dieses Vermessen.
+
+"Dein Haus soll weg! Dein Haus, Söllinger! Und unsere schönsten Gründ'
+wollen's!" schrie der Reinalther aufgebracht. Und der Gleimhans, der
+sich schon wieder ermannt hatte, sagte drohend: "Sollen kommen und mir
+durch meinen Acker bauen!"
+
+Der Bürgermeister war wutrot his hinter die Ohren, schlug gewaltig in
+den Tisch und rief ebenfalls: "Gibt's nicht! Gleich morgen fahren wir
+zum Bezirksamtmann!"
+
+Als die beiden Bauern aus dem Bürgermeisterhaus traten, stand Michael
+am Rande des Hügelrückens und sah den Vermessern gespannt nach.
+
+"Hm,--der Michl!" brummte erstaunt der Reinalther.
+
+"Den freut's, weil's ihm keine Gründ' nehmen können!" stieß der
+Gleimhans wütend heraus.--
+
+Das ganze Dorf war am nächsten Tag in Aufruhr. Man riß überall die
+weiß-roten Stangen heraus, zerbrach sie. In aller Frühe schon fuhren
+Söllinger, der Gleimhans und Reinalther nach Greinau zum Bezirksamtmann
+und verlangten schimpfend eine sofortige Regelung der Angelegenheit.
+Sie schrien, fluchten und drohten zuletzt auf das gefährlichste. Der
+Bezirksamtmann rannte erregt in seinem Arbeitszimmer auf und ab,
+gewann aber dann die Ruhe wieder und zuckte mit den Achseln: "Ja,
+meine Herren, wenn keiner durch seinen Acker die Linie laufen läßt,
+dann gibt es eben keine Bahnstrecke!"
+
+"Wir pfeifen auf eine!" riefen die drei Bauern zugleich.
+
+Der Bezirksamtmann machte ihnen klar, daß der Beschluß der Regierung
+nicht rückgängig gemacht werden könne, daß doch angemessen entschädigt
+werde und daß "die Herren der betreffenden Instanzen doch keine
+Kindsköpfe seien und doch--"
+
+"Das ist uns gleich! Die Bahn kommt nicht! So nicht!" fuhr ihm der
+Söllinger ins Wort und vertrat starrköpfig den Standpunkt seiner
+Begleiter.
+
+Schließlich nach langem Hin und Her wurde beschlossen, eine Versammlung
+der "Eisenbahninteressenten" einzuberufen.--
+
+Bis auf die Straße heraus standen am nächsten Sonntag die Bauern, die
+sich beim Postwirt in Greinau zusammengefunden hatten. Zeitweilig
+entstand ein gefährliches Gedränge nach der Saaltür. Furchtbar
+stürmisch ging es zu. Ein Regierungsvertreter war erschienen. Er wurde
+niedergeschrien, als er betonte, daß "wenn die Abgabe der Gründe nicht
+gutwillig geschähe, einfach abgeschätzt würde."
+
+Einfach abgeschätzt!--Einfach abgeschätzt!!! Was sollte denn das heißen?
+Etwa gar, daß einem einfach die Äcker genommen würden!?
+
+Die Bauern wurden wild, standen auf, richteten sich drohend gegen die
+Tribüne. Die auf der Straße Stehenden zwängten sich gewaltsam herein.
+
+"Gibt's nicht!" schrie der ganze Chorus. Ein ungeheurer Lärm erhob
+sich. Alles machte Miene anzugreifen. Der Bezirksamtmann fuchtelte
+völlig ratlos mit den Armen. Der Assessor schwang wehrlos die Glocke.
+Es half alles nichts. Der Lärm wurde nur noch ärger.
+
+"'naus!--'naus! 'naus aus unserm Gau!" brüllte der ganze Saal. Saftige
+Grobheiten flogen den Herren da droben an den Kopf.
+
+Als nichts mehr auf die tobende Schar einwirken konnte, schrie der
+Bezirksamtmann heiser: "Die Versammlung ist geschlossen!" und
+verschwand eiligst mit dem Herrn von der Regierung. Die rebellischen
+Bauern wurden allmählich wieder ruhiger, betranken sich weidlich und
+hielten die Sache für gewonnen.
+
+Ohne besonderen Zwischenfall verliefen die nächsten Tage.--
+
+In seinem Turmzimmer ging Michael auf und ab, blieb hie und da stehen,
+hob rasch den Kopf und lächelte schmal. Und früh am Morgen, him und
+wieder, schritt er üher die nebeligen Felder.--
+
+Inzwischen wurde der Bau der Eisenbahn im Landtag zum Beschluß erhoben.
+Soweit ließ man sich noch ein, daß man Söllingers Haus umkreiste.
+Dafür aber lief jetzt die Linie durch seine besten Getreideäcker.
+Und war beschlossene Sache! Nächstes Frühjahr sollte die Strecke in
+Angriff genommen werden.
+
+Beim Söllinger liefen die amtlichen Schriftstücke über die
+abzutretenden Grundstücke ein. Die Bauern standen vor den Anschlägen
+mit verbissenen Gesichtern, brummten und fluchten. Eine furchtbare
+Erbitterung hatte das ganze Dorf ergriffen. Aber es half alles nichts.
+Alles nichts!
+
+Und die Schätzpreise waren spottniedrig.
+
+Es gab kein Zurück mehr. Mißmutig fügten sich die Bauern.
+
+"Eine Bahn! Eine Bahn! hat alles geschrien!--Jetzt haben wir's!"
+polterte der Gleimhans beim Lechl; "ich hab's immer schon gesagt: es
+kommt nichts Besseres nach! Wo man mit der Regierung zu tun hat, ist
+Schwindel!"
+
+Und die anderen, die am Tisch saßen, sahen ihn finster an. Finster und
+besiegt, überlistet und ratlos.
+
+"Müssen ja doch! Hilft uns alles nichts!" brummte der Reinalther und
+spuckte wütend aus. Und manchmal sagte ein Verärgerter: "Ach was,--ich
+verkauf mein ganzes Zeug dem Jürgert und mach' ihm einen saftigen Preis!
+Dann kann der sich mit der Regierung herumstreiten!"
+
+Kaum einer--so schien es--hörte darauf. Aber dann wiederholte es sich
+des öfteren. Schüchtern klang es erst. Allmählich erzeugte es
+nachdenkliche Gesichter und dann--dann sah man eines Tages den
+Reinalther aus der "Ferkelburg" herausgehen. Keiner fragte nach dem
+Grund dieses Besuches. Zwei-, dreimal wiederholte er sich und wieder
+einmal fuhr die schwarze Kutsche aus dem Tor der "Ferkelburg".
+Reinalther und Michael saßen hinten drinnen, der Italiener auf dem
+Bock. Es ging Greinau zu.
+
+"Warum hast deine Alte nicht mitgenommen?" fragte Michael im
+Dahinfahren.
+
+"Brummt und brummt bloß! Hat keinen Verstand für so was!" antwortete
+der Bauer mit leichtem Ärger.
+
+"Hat's doch schön jetzt! Kann sich in die Stub'n sitzen und
+privatisieren!" meinte Michael fast ermunternd.
+
+"Freilich! Das hab ich ihr doch schon hundertmal gesagt! Aber sie
+meint halt immer: 'Der Feschl! Der Feschl--wenn er von der Fremd'
+kommt--könnt' eine schöne Metzgerei aufmachen und hat jetzt auf einmal
+keine Heimat mehr!" redete der Reinalther in die Luft, als spräche er
+mit sich selbst.
+
+"Aber Geld hat er! Einen Batzen Geld!" erwiderte Michael darauf. Und
+der Bauer nickte: "Das mein' ich eben auch!"
+
+Nachdem sie das Notariat verlassen hatten, lag auf Michaels Gesicht
+eine freudig erregte Farbe. Er lud den Reinalther sogar zu einem
+richtigen Schmaus ein und der wurde nach dem zweiten Krug schon
+gesprächig.
+
+"Wären noch andere im Dorf, die ihr Zeug anbringen möchten, sag ich
+dir, Michl, brauchst dich bloß dranmachen," schwatzte er vertraulich
+über den Tisch.
+
+"Brauchen bloß kommen,--alle nimm' ich!" gab ihm Michael zurück.
+
+Über Reinalthers Gesicht huschte eine wohlige Röte. Offen und richtig
+freundschaftlich betrachtete er seinen ehemaligen Knecht.
+
+"Weiß dich noch, wie'st mein Knecht warst, Michl," erzählte er,
+"hätt'st dir auch den Buckl krumm gearbeit', wenn dein Amerikaner
+nicht ins Gras 'bissen hätt'!"
+
+Und Michael nickte und schloß mit einem: "Jaja, so ist's auf der Welt
+hie und da!" Dann fuhren sie wieder ins Dorf zurück.
+
+Der Reinalther durfte in seinem Haus bleiben und saß von jetzt ab Tag
+für Tag beim Simon Lechl in der Wirtsstube. Oft kam er angeheitert
+nach Hause. Dann brummte sein Weib: "Wirst noch grad so wie der
+ersoffene Jürgert."
+
+"Hab'ns doch, Alte! Hab'ns doch!" gröhlte dann der Bauer bierselig
+heraus.--
+
+
+V.
+
+Wie immer bei solchen Gelegenheiten, griff die Veränderung der Sachlage
+mehr und mehr in das Leben eines Teiles der Dörfler ein. Die Kleinhäusler
+fristeten hierzulande ein hartes Dasein. Ihre kärglichen Feldstreifen
+trugen wenig. Jeder von ihnen war gezwungen, zur Erntezeit und während
+des Winters, beim Holzen, bei den Bauern auf Taglohn zu arbeiten. Dieser
+Verdienst war, wie man sich auszudrücken pflegte, "zum Leben zu wenig
+und zum Sterben zu viel."
+
+Diesen Leuten kam der Bahnbau gelegen. Es gab erträgliche Löhne dort.
+
+"Da hab ich meinen Batzen Geld, basta!--Und brauch' nicht bitten und
+betteln bei den Bauern," äußerte sich der Fendt, dessen baufällige Hütte
+am Dorfausgang stand. "Ich bleib' überhaupt nicht mehr da," sagte der
+Rieminger, "ich verkauf mein Häusl dem Jürgertmichl und mach' eine
+Wäscherei auf in der Stadt. Da hab' ich auf niemand aufzupassen!"
+
+Und so geschah's auch.
+
+Kaum ein halbes Jahr rann him, da hatte Michael auch das Fendthäusl
+und den baufälligen Reishof gekauft. Die beiden Häusler bekamen eine
+saftige Summe und konnten in ihren Häusern bleiben. Michael verlangte
+nicht einmal Mietzins von ihnen. Das trug sich herum von Ohr zu Ohr.
+Mit einer gewissen Achtung sprach man davon.--
+
+Der Bahnbau war in vollem Gange. Durch Gleimhansens Äcker trampelten
+die Arbeiter, dicht hinter dem Söllingergehöft, in den Weizenlanden
+wühlten sie den Kot aus der Erde. Mit verbissenen Gesichtern schauten
+die Bauern auf ihre verwüsteten Äcker. Viel Fremdvolk war unter den
+Arbeitern. Italiener und Böhmen. Es gab Einbrüche, nächtliche
+Raufereien und Messerstechereien.--
+
+Die Söllingerin bekam die letzte Ölung. Nach einigen Tagen starb sie.
+Das ganze Dorf und viele Bauern aus der Umgebung standen um das Grab.
+Die Glocken trugen ihr Läuten durch die Luft.
+
+Der Reinalther sagte beim Leichenschmaus im Wirtshaus zum Söllinger:
+"Was hast' von dei'm Leben, Bürgermeister? Deine zwei Söhn' sind ja
+doch schon städtisch, da will keiner mehr an die Mistgabel und an den
+Pflug!"
+
+Finster sah der Söllinger ins Leere und erwiderte kein Wort. Seine
+zwei Söhne, der Martin und der Joseph, saßen da und schwiegen
+gleichfalls. Zwei flotte Burschen waren sie, sahen gar nicht mehr
+bäurisch aus, studierten in der Stadt und hatten runde, selbstbewußte
+Gesichter, auf denen ein überheblicher Stolz glänzte.
+
+Der Bürgermeister stand auf einmal auf und ging.
+
+Es war Erntezeit. Die Straße führte an den ehemaligen Reinaltherfeldern
+vorbei und an der Breite des Ignatz Reis. Da arbeiteten die Knechte
+Michaels und der Italiener beaufsichtigte sie. Er war ein schweigsamer,
+finsterer Geselle mit unheimlich tiefglimmenden Augen. Wenn er wo
+auftauchte, griffen alle unwillkürlich hastiger zu. Der Söllinger blieb
+einen Augenblick stehen, biß die Zähne aufeinander und schlug,
+weitergehend, den Hirschgriffstock fester auf den Boden.--
+
+Den Michael sah man jetzt tagsüber fast nie. Nur am Abend stelzte er
+üher den Söllingerhügel, blieb manchmal stehen und sah wie prüfend der
+Bahnlinie nach. Gebückt ging er. Er trug meistens einen breiten Mantel
+und hielt einen Stock in der Rechten.
+
+Manchmal wenn ein Heimkehrender an ihm vorbeiging, lag ein verglommenes
+Lächeln auf seinen faltigen Zügen. Plötzlich aber verfinsterten sie sich,
+sein Kopf senkte sich und hastig trottete er weiter.
+
+Einmal traf es sich, daß er dem Söllinger begegnete. Er blieb fest
+stehen und sah dem Bauern lauernd in die Augen. Es war gerade an der
+Stelle, wo der Bahndamm sich hob, nah' am Bachbrücklein.
+
+"Grad' deine schönsten Äcker haben's hergenommen," sagte Michael.
+
+"Hm!" nickte der Bürgermeister und wußte nicht, wo er hinschauensollte.
+
+"Wirst alt jetzt, Söllinger! Gib's her, dein Anwesen!" begann Michael
+wieder.
+
+Der Bauer schüttelte nur den Kopf störrisch und ging wortlos weiter.
+Aber dieses Mal sah Michael noch tief in der Nacht die Stubenfenster
+im Bürgermeisterhaus leuchten.
+
+Einige Tage später geriet der Heustadel hinter dem Söllingerhof in
+Brand und nur mit Mühe konnte die Feuerwehr das Überschlagen der
+Flamme aufs Bauernhaus verhindern.
+
+Der Italiener Rotti und der Böhme Zdrenka hatten es auf die
+Bürgermeister-Magd abgesehen. In einer Nacht erstach der Böhme den
+Italiener. Zwei Gendarmen von Greinau kamen. Unruhig wurde es im
+Söllingerhaus.
+
+Der Bürgermeister schlug wütend auf den Tisch: "Ich mag nicht mehr!"
+Und resolut rannte er zur Tür hinaus, geradewegs auf die "Ferkelburg"
+zu.
+
+Michael empfing ihn freundlich und ruhig. Er bot eine Summe, daß der
+Bauer seine Augen weit aufriß.
+
+Der Handel kam zustande.
+
+Der Söllinger gab sein Bürgermeisteramt auf und zog zum Schmied.
+
+"Verkauf deine Kalupp'!" sagten jetzt jeden Abend der Reinalther und
+er in der Lechlstube zum griesgrämigen Gleimhans.
+
+"Hast deine Ruh' und einen schönen Batzen Geld und der Michl läßt dich
+drinn, solang als du willst!" bekräftigte der Lechlwirt.
+
+"Solang' ich leb, nicht!" gab der Gleimhans einsilbig zurück und
+schüttelte beharrlich den Kopf.--
+
+Michael kaufte das Schmiedanwesen. Der Schmied zog in die Stadt.--
+
+"Kauft das ganze Dorf," brummte der Gleimhans, "und hat uns zuletzt
+alle in der Mausfall'n!"
+
+"Soll er, wenn's ihm gefällt!--Er kann sich's leisten, zahlt gut und
+ist nicht zuwider!--Läßt mit sich reden!" verteidigten der Wirt und
+der Reinalther den Herrn von der "Ferkelburg". Und dumpf nickte der
+Söllinger.--
+
+Aber am nächsten Tag trat Michael ins Reinaltherhaus. Der Bauer
+empfing ihn aufgeräumt und freundlich, ohne jegliches Arg.
+
+"Im Frühjahr müßt's raus! Hab' einen Pächter," sagte da auf einmal
+Michael kurz.
+
+Dem Bauern gab es einen Ruck. Er sah ihn groß an.
+
+"Bringt aber sein Zeug schon übernächst's Monat!" sagte Michael wieder
+und wandte sich zum Gehen.
+
+Der Reinalther wurde jäh bleich. Sein Kinn bebte. Seine Unterlippe
+rutschte etwas herunter.
+
+Hilflos und bittend sah er auf Michael.
+
+"Geht's gar nicht, daß wir die paar Kammern hinten kriegen könnten und
+bleiben dürfen!" brachte er kleinlaut heraus.
+
+Michael schüttelte schweigend den Kopf.
+
+"Gar nicht?"
+
+Michael drehte sich um, sah ihn kalt an: "Könnt's ja am End zum Schmied
+einzieh'n. Obenauf sind noch drei Kammern. Nachher seid's mit'm Söllinger
+beieinand! Überleg' dir's und laß mir's wissen!"
+
+Und ehe der Bauer etwas erwidern konnte, war er draußen.
+
+Eine Weile stand der Reinalther wie besinnungslos da. Dann ging er zum
+Lechlwirt hinüber.
+
+Der Gleimhans und der Söllinger saßen da. Schüchtern und ganz von außen
+herum erkundigte sich Reinalther nach den Räumlichkeiten im Schmiedhaus.
+
+"Mußt' raus?" fragte der Lechl.
+
+Stumm nickte der Befragte.
+
+"Ins Schmiedhaus?"
+
+"Schier," erwiderte der Bauer und setzte hinzu: "Hat einen Pächter fürs
+Frühjahr."
+
+Gleimhansens Augen glänzten listig. Er hob den Kopf und lächelte
+schadenfroh.
+
+"Vom Schmiedhaus ist gar nicht mehr weit ins Gemeindehaus!" warf er
+boshaft him.
+
+Der Söllinger rückte sein Gesicht empor.
+
+"Ja--!" sagte der Gleimhans, ihn messend, "samt eurem Geld jagt er
+Euch in die Mausfall'n, wenn's ihm paßt!"
+
+Die beiden anderen Bauern saßen dumpf da und starrten schweigend ins
+Leere. Der eine erhob sich, und der andere. Und beide gingen ohne ein
+Wort.--
+
+
+VI.
+
+Wiederholte Male hatte Michael zum Gleimhans geschickt. Er selbst kam,
+der Italiener kam, die Magd kam. Es half alles nichts. Der Bauer gab
+sein Anwesen nicht her.
+
+"Wenn nochmal einer kommt, kann er seine Knochen vor der Tür
+zusammenkratzen!" brüllte er das letztemal wild. Es kam keiner mehr.
+
+Michael hatte nach und nach das ganze Dorf aufgekauft. Die Gehöfte und
+Häuser lagen brach und still da. Die ehemaligen Besitzer waren entweder
+fortgezogen, gestorben oder arbeiteten gegen Taglohn auf der Bahnstrecke.
+Die Grundstücke wurden von den Ferkelburgleuten beackert, bebaut und
+bewirtschaftet.
+
+Im ehemaligen Reishof logierte eine Hausiererin und führte einen
+Kramladen. In den sonstigen Häusern wohnten Arbeiter oder auch die
+früheren Besitzer, gingen in der Frühe heraus und abends hinein. Die
+Mauern bröckelten ab, die Gärten verwahrlosten, alles lag verödet und
+ruinenhaft da.
+
+Michael selbst saß den ganzen Tag in seinem Turmzimmer, üher die
+Protokolle und Urkunden gebeugt, die er beim jedesmaligen Kauf eines
+Anwesens vom Notariat ausgehändigt bekam. Nur der Italiener und die
+Magd, die ihm das Essen brachte, sahen ihn. Alt und verfallen sah er
+aus. Zusammengeschrumpft war seine Gestalt.
+
+Nachts, wenn der Mond silbern üher die Talmulde glitt, stand er am
+Turmfenster und überschaute seinen Besitz. Dann glomm manchmal in
+seinen Augen etwas wie Triumph. Nur wenn sein Blick auf das
+Gleim-Anwesen fiel, wurde es finster auf seinem Gesicht.--
+
+Aus der Erde brach der Frühling. Die Magd kam zum Reinalther und
+brachte die Botschaft, der Bauer solle sich zum Ausziehen
+bereitmachen.
+
+"Jaja, in Gott's Nam'! Sagt's nur, ich will ins Schmiedhaus!" gab ihr
+der Bauer als Antwort mit in die "Ferkelburg".
+
+Am selben Tag trottete Michael eilsam auf den Kramladen zu und
+verschwand scheu in dessen Tür. Die Krämerin schrak förmlich zusammen,
+als er so dastand.
+
+Aus einem grauenhaft gelben Gesicht starrten verkohlte Augen auf sie.
+
+"Gib mir zwei Kalbstrick, Irlingerin, aber gute!" sagte Michael kurz.
+
+Die Krämerin legte einen Packen Stricke hin.
+
+Michael prüfte sorgfältig einen um den andern.
+
+"Die!" stieß er hastig heraus, warf das Geld him und nahm zwei
+Stricke.
+
+"Tragen denn gleich zwei Küh' diesmal?" fragte die Krämerin endlich.
+
+Aber Michael nickte nur und ging. Eilig stelzte er durchs Dorf.
+
+Als er die Tür seines Turmzimmers zuschloß, zog er die Stricke aus
+seiner Brusttasche, prüfte sie nochmal und legte sie in den Schrank,
+schloß ab. Offenbar befriedigt atmete er auf, trat an den Schreibtisch
+und las wieder die Urkunden.--
+
+Gegen Abend kam der Pfarrer, der lange nicht mehr dagewesen war, in
+die Ferkelburg. Mißtrauisch und etwas verwirrt empfing ihn Michael.
+
+"Das Kloster Sankt Marien möchte den Söllingerhof, Michl?" sagte nach
+einer Weile Schweigens der Geistliche.
+
+Michael schüttelte den Kopf.
+
+"Ist nicht recht, daß alles so tot daliegt, Michl!" ermahnte der Pfarrer.
+
+"So?" sagte Michael hartnäckig, und seine Falten zuckten fast höhnisch.
+
+"Wirst ein alter Mann, Michl! Was tust mit den vielen Häusern!" murmelte
+der Geistliche hilfloser.
+
+"G'richt halten!" stieß Michael gedämpft heraus und heftete seine Blicke
+funkelnd auf den Pfarrer. Der stand beklommen da und atmete schwer.
+
+"Unser Herrgott wird dir Dank wissen, Michl!" fand er endlich das Wort
+wieder und erinnerte abermals an den Söllingerhof.
+
+"Steht zu arg in der Sonn'", murmelte Michael noch leiser und
+unheimlich heraus, "und wirft mir den ganzen Schatten in die unteren
+Stuben!"
+
+Er stand gespannt da, bewegte sich nicht. Der Geistliche wurde
+plötzlich blaß, als er das eingeschrumpfte, gelbe Gesicht im matten
+Licht sah.
+
+Jetzt funkelten Michaels Augen wieder und seine Lippen gingen auf und
+zu:
+
+"Hat einmal meinem Vater gehört, nicht?! ... Und der Söllinger hat es
+ihm abgekauft, nicht?! ... Und--der Gleimhans hat ihm Geld 'geben.
+--Vieh hat er dazumal geschachert, der Söllinger, nicht?! Und-und
+hat's meinem Vater langsam abgekauft--langsam, nicht?! ... War ja ein
+Hüttl, damals--nicht!?--"
+
+Er hielt inne. Der Pfarrer stand wortlos da.
+
+"Und nachher hat er das Saufen angefangen, mein Vater, nicht?!"
+keuchte Michael fortfahrend heraus: "Und dann haben's meine Mutter ins
+Gemeindehaus, und--und nachher haben sie sie auslogiert--ist
+gestorben, weil unsere Kuh krepiert ist! Hat's nicht mehr erleben
+können ... nicht!?"--
+
+Jetzt stockte er plötzlich, hielt die Worte zurück und erbleichte.
+Wieder bohrte er seine mißtrauischen Blicke in das Gesicht des
+Pfarrers. Eine Unruhe fieberte auf seinen Falten.
+
+Auf einmal, ohne des Pfarrers zu achten, stieß er heraus: "So dunkel
+ist's da unterm Turm wie im Gemeindehaus bei meiner Mutter
+dazumal....!?"--
+
+"Michl!" rief der Pfarrer nur mehr. Dann ging er.--
+
+Michael stand eine Zeitlang in der gleichen Haltung da, dann zuckte er
+erschreckt zusammen und brach in seinen Lehnstuhl.
+
+Später rief er den Italiener. Es war schon Nacht draußen. Er steckte
+die Kerze an und zog die dichte Gardine vor.
+
+"Hast immer geladen in der Sandgrube, nicht?" fragte er den Italiener.
+
+Der nickte.
+
+"Bist krank, Guisepp'! Mußt Ruh' haben," redete Michael gut auf ihn
+ein und ließ ihn nicht aus den Augen.
+
+Guiseppe stand verlegen und verständnislos da.
+
+"Das Söllingerhaus da drüben, Guisepp', das soll dir gehören, wenn'st
+--wenn'st nochmal sprengst, bloß mehr dies einzige Mal!" sagte Michael
+aschfahl und öffnete seinen Schreibtisch, legte drei Pulversäcke aufs
+Pult.
+
+Der Italiener starrte ihn groß und schweigend an.
+
+Als dies Michael bemerkte, sprudelte er fast bittend und hastig
+heraus: "Haben dich nie erwischt, Guisepp', nie! Hast dich immer
+rausgemacht--wirst's auch diesmal fertigbringen!"--
+
+Und dann setzte er ihm den Plan auseinander.
+
+Mitten im Gespräch horchte er jäh auf. Fern aus dem Dorf hörte man
+Wagengeknatter und "Hü"-Rufe. Der Gleimhans fuhr die Habe Reinalthers
+ins Schmiedhaus.
+
+"Geh!" sagte Michael hastig zum Italiener. Mechanisch verließ dieser
+das Zimmer.--
+
+Bis tief in die Nacht hinein schleppten der Gleimhans, der Söllinger
+und die Reinalther-Eheleute die Möbel in die wackeligen Kammern im
+ersten Stock des Schmiedhauses.
+
+Es war eine windige, unruhige, stockdunkle Nacht. Manchmal trug eine
+Windwelle Laute und abgerissene Sätze herüber zur "Ferkelburg".
+
+Michael ging zitternd im Turm auf und ab. Auf und ab. Von Zeit zu Zeit
+neigte er sich über den Schreibtisch und schrieb noch ein Wort oder
+einen Satz auf einen aufgeschlagenen Bogen Papier.
+
+Jetzt riß der Wind die Schläge der Kirchturmuhr auseinander. Michael
+tappte ans Fenster, hob die Gardine ganz schmal beiseite und band den
+Strick an den Fenstergriff.
+
+Und sah scharf und spähend ins Dunkel hinaus.
+
+Da krachte es furchtbar. Ein riesiger Feuerklumpen brach in der Gegend
+des Schmiedhauses schleudernd in die Schwärze der Nacht.--
+
+Und um die runde Anhöhe hetzte eine lange Gestalt auf die Ferkelburg
+zu.
+
+Michael faßte den Strick und legte seinen Hals in die Schlinge. Dann
+brach er ins Knie und hob seine ineinandergerungenen Hände zur Höhe.
+Sank.--
+
+Mit jener grauenhaften Blässe, die oft jäh von furchtbarer Ahnung
+Erschütterte befällt, sagte der Pfarrer am andern Tag vor der Leiche
+des Erhängten: "Alle Dinge sind eitel!" Und hob den Blick gen Himmel.
+
+Auf dem Schreibtisch lag ein Testament, das Guiseppe die ganzen
+Besitzungen und Hinterlassenschaften Michaels zuerkannte.--
+
+
+
+
+EIN DUMMER MENSCH
+
+
+I.
+
+Seltsam sind Menschenwege. Kalt ist der Winter, heiß der Sommer, die
+Zeit läuft weg und Alter und Verbitterung hocken in den Knochen, eh'
+man sich richtig umsieht. Und schließlich--was ist's gewesen, wenn man
+nachdenkt?--
+
+Misere, Misere, Misere!
+
+Zufall ist alles--und nichts.--
+
+Vor zweieinhalb Monaten noch--hol der Teufel diese kalten, widerwärtig
+regnerischen Herbsttage!--trottete Adam Högl verdrießlich durch die
+dumpfen Straßen, überlas ein um das anderemal die Karte des
+Arbeitsamtes, die ihm anbefahl, daß er sich beim Kranenwerk als
+Erdarbeiter zu melden hätte, zerknüllte sie ebensooft in der Tasche
+und trat gedankenlos in die Kneipe der engagementslosen Artisten "Zur
+wilden Rosa."
+
+Widerlich, wie er jetzt auf einmal noch quälender die kalte Nässe an
+seinen Gliedern herabrieseln fühlte! Und ausgerechnet mußte noch dazu
+die selbstspielende Geige unausgesetzt kratzen, daß es durch Mark und
+Bein ging!
+
+Die rauchige Luft war zum Schneiden dick hier und ein Lärm herrschte
+an allen Tischen wie auf einem Jahrmarkt.
+
+Knirschend und ohne sich um die geschwätzige Gesellschaft zu kümmern,
+ließ sich der Eingetretene auf einen Stuhl fallen und schwang seinen
+patschnassen Hut ein paarmal derart wütend him und her, daß die
+herausgepeitschten Tropfen wie aus einem Weihwasserpinsel herumflogen.
+
+"Pilsner oder Most?" schrie der Kellner üher die Köpfe hinweg.
+
+"Pilsner!" brummte Högl finster zurück und machte sich breit. "Hoho!"
+murrte jemand beinahe drohend am Tisch, und ärgerliche Gesichter hoben
+sich. Auf einmal rief eine bekannte Stimme: "Mensch! Högl!" und Adam
+Högl sah verwundert auf.
+
+"Högl! Mensch! Adam!" schrie es abermals und ein Herr mit rundem,
+lachendem Gesicht tauchte an der anderen Tischseite auf, beugte sich
+behend in die gedrängten Leute: "Erinnerst du dich? Krull, vierte
+Kompagnie, Zimmer achtundzwanzig!? Bauchreden!" Adam Högl faltete
+schnell die Stirn.
+
+Ja, es stimmte: Im Zimmer achtundzwanzig der vierten Kompagnie lag er
+neben Ferdinand Krull und betrieb als Liebhaberei die gelegentlich
+erlernte Kunst des Bauchredens. Er entsann sich ganz deutlich, und
+unwillkürlich, fast von selbst entquollen ihm einige Laute. Er saß
+gerade aufgerichtet da, mitten im plötzlich verstummten Kreis der
+Gesichter, mit geschlossenem Mund--nur der herausgedrückte Punkt
+seines Halses bewegte sich etwas auf und ab--und tief unten in seinem
+Bauch redete es.
+
+"Mensch, du kannst noch!? Komm sofort mit! Du wirst meine beste
+Nummer!" jubelte jetzt der ehemalige Barkellner Ferdinand Krull, und
+ehe die verblüffte Schar sich's richtig versah, trabten die beiden
+eilsamen Schrittes aus der Kneipe, stiegen in das bereitstehende Auto
+und weg waren sie.--
+
+Am selben Abend schon stand Adam Högl auf der grell beleuchteten,
+geräumigen Bühne des Krullschen "Paradies-Kasinos" und johlte seine
+Bauchstimmen-Witze in das bunte, glänzende Publikum, das sich
+allabendlich hier zusammenfand.
+
+Flüchtig zurechtgemacht, im zu großen, faltigen Frack des beleibteren
+Krull, mit viel zu weitem Kragen, der sich wie ein schmaler weißer
+Kummet um seinen dürren, langen Hals wand, in einer karierten,
+schnürenden Weste, einer billigen gestreiften Hose und den quälend
+drückenden Lackschuhen des Wirtes--so stand Adam Högl, eine beachtete,
+wichtig gewordene Einzelperson,--wie aus einer tiefen sumpfigen
+Finsternis plötzlich auf einen strahlenden, weithin sichtbaren Gipfel
+gehoben--inmitten der sorglosen, großen, prächtigen Welt.
+
+Musik fiel ein, säuselte süße, schmeichelnde Melodien durch den Raum,
+tuschte, brach ab--der Vorhang peitschte in die Höhe. Vereinzeltes
+Stühlerücken noch, leise verschwingendes Gläserklirren und andächtige
+Stille minutenlang. Adam Högl riß die Augen weit auf. In der
+blauüberleuchteten, abgedämpften Zuschauergruft tauchten puppige
+Herrenrücken auf, kühngekleidete Damen, ebenmäßige, gepflegte,
+wunderbar abgetönte Gesichter und lange, glitzernd beringte Hände
+mit Elfenbeinfarbene Nacken bogen sich waghalsig.
+
+Herausfordernde, runde, nackte Arme bewegten sich lässig
+undentblößte, leicht gerötete Brüste hoben und senkten sich wie
+weiche, märchenseltsame Lichtflächen, die ein fächelnder Wind
+arglos um schwirrte.--
+
+Mit Gewalt mußte Adam Högl an sich halten. Der Atem stand ihm still.
+Schweiß war auf seiner Stirn. Mühsam preßte er endlich die ersten
+Laute heraus.
+
+Es räkelte.
+
+Sein Herz klopfte auf einmal wie im Galopp. Mit ganzer Kraft straffte
+er sich, gröhlte unbeholfen den ersten Witz heraus, begann ohne
+Zwischenpause den zweiten.
+
+Es räkelte schon wieder. Seine Knie begannen zu schlottern. Er biß die
+Zähne fest aufeinander, preßte--preßte die Laute, die auf der Kehle
+saßen, wieder zurück, hinunter in den Bauch und hatte endlich den
+zweiten Witz.
+
+Das Räkeln verstärkte sich, verflachte zu einer allgemeinen
+Bewegung. Schon drohte er umzufallen--da brach ein berstender,
+frenetischer Jubel üher ihn her, ein Gelächter wie aus einer
+vielstimmigen Riesentrompete, ein betäubendes Klatschen, als sei hoch
+auf einem Berge die Schleuse eines gehemmten Flusses mit einem Male
+jäh aufgerissen worden und die ganze Wasserlast falle sausend in die
+Tiefe.
+
+Er war gerettet.
+
+Er atmete auf, hielt inne, ließ den Jubel verrauschen und jetzt floß
+sein ganzer Mut und Witz berückend sicher aus ihm heraus, hinab in die
+Gruft und wieder zurück an seine schweißnasse Brust wie
+verhundertfachter, brausender Dank.
+
+Er hatte gesiegt.
+
+Einen solchen aus allen Geleisen geratenen Beifall hatte das
+"Paradies-Kasino" noch nie erlebt.--
+
+Vollkommen erschöpft schleppte sich Adam Högl am Arm seines ehemaligen
+Regimentskameraden immer wieder durch die getürmten Blumenhaufen, vor
+bis an die Rampe, kaum noch fähig, sich zu verbeugen. Und immer, immer
+wieder zuckte der Vorhang, fuhr sausend auseinander und in die Höhe.
+
+Zuletzt sah es aus, als hätten sich alle Menschen da unten
+übereinandergeworfen und in das wüste, kreischende Plärren mischte
+sich endlich die Musik undschwoll an zu einem mächtigen Choral. Und
+regelmäßiger, breit und den ganzen Raum erbeben lassend sang es aus
+allen Kehlen zur Höhe: "Ooo du Pa--a--aradies! Pa--a-aradies
+--Kasi--ino--o--o!" daß Adam Högl buchstäblich wie halbtot seinem
+Kameraden in die Arme sank und aus tiefstem Glück erschüttert auf
+johlte: "Pa--a--aradies!"--
+
+Einige Tage später konnte er an allen Litfassäulen in halbmetergroßen
+Buchstaben seinen Namen lesen und darunter stand: "Die große Nummer".
+Und jeden Abend erntete er den gleichen Beifall. Schon in der Mitte
+des zweiten Monats war auf allen Plakaten, quer üher "Die große
+Nummer" geklebt, zu lesen: "Zum dritten Male prolongiert!"--
+
+
+II.
+
+Ohne es selber recht innezuwerden, rückte Adam Högl in eine andere
+Menschen schicht hinauf. Er trug nunmehr seidegefütterte Anzüge der
+besten Schneider, ging mit gelassener Selbstsicherheit durch die
+Straßen und grüßte mit ausnehmender Vorliebe auffällig gestikulierend
+und so geräuschvoll, daß alles stehen blieb und lachen mußte, vornehme
+Gäste des "Paradies-Kasinos". Fast jeden Abend nach seinem Auftreten
+saß er an irgendeinem Tisch, inmitten einer fidelen Gesellschaft,
+trank je nach der Art seiner Gastgeber entweder herablassend beiläufig
+oder mit einigen Brusttönen lobender Aufmerksamkeit ältesten Wein,
+Bekanntesten französischen Sekt, jeden Nerv kitzelnde Liköre und sog,
+immer witzgerecht, mit geübt bäuerlicher, biederer Bescheidenheit alle
+Bewunderung der Gäste in sich hinein.
+
+Seine berechnete Natürlichkeit wirkte bestechend bei Damen, alten
+Lebemännern und Industriellen. Er zotete, wenn ihn ein abfälliger,
+herabmindernder Witz traf, üher alles hinweg mit jenerunerschütterlichen,
+nie angreifbaren, hämischen Trockenheit, die entwaffnet. Mit dem ganzen
+unterdrückten Instinkt eines Menschen, demdie Angst vor dem
+Wiederzurücksinken in den Sumpf Spannkraft gibt, beobachtete er, erwog
+die Möglichkeiten neuer Bekanntschaften, erlistetesich notwendige
+Gebärden und Manieren, machte sich gutwirkende Kniffe zunutze
+und galt bald als der gewiegteste Weinkenner und großartigste,
+bewunderungswürdigste Zecher, mit dem es eine Lust war, Gelage zu halten.
+
+Freilich, es gab auch Abende ohne Einladung, wo er am Künstlertisch in
+der zerwetzten Nische saß und sich mit Kollegen und Kolleginnen, die
+mit ihm das Programm ausfüllten, unterhielt. Artisten aus aller Herren
+Länder, dicke Sängerinnen, zierliche Chansonetten und schwergebaute
+Ringkämpfer waren da. Intrigen, Neid und Intimitäten gab es da,
+Vertraulichkeiten und Klatsch. Mit teilweise unverhohlenem oder auch
+leisem, verstecktem, stechendem Spott sahen diese weltbereisten, mit
+allen Wassern gewaschenen Leute auf den Neuling herab. Es war
+unerquicklich und feindselig in dieser Nische, alles deutete zurück in
+die Misere.
+
+Draußen, im Zuschauerraum, vertrugen sich die dickaufgetragenen
+Freundlichkeiten vorübergehender Kollegen fast lächerlich leicht.
+Während er nicht selten, wenn er spät nachts den Künstlertisch
+verlassen hatte und heimwärts ging, zukunftsbesorgt und entmutigt war,
+lebte er als Gast an den Tischen der Kasinobesucher stets auf, schaute
+den vorübergehenden Kollegen kühn und dreist in die Augen, warf ihnen
+treffsichere Zoten zu und lächelte unverschämt, wenn er auf ihren
+Gesichtern die nur schwer zurückgehaltene Wut aufsteigen sah. Hier, in
+diesem Meer, dessen Wellen ihn unausgesetzt emporhoben, fühlte er sich
+völlig geborgen, unverfolgbar und mächtig.
+
+Adam Högl war kein Optimist. "Nichts dauert ewig und jeder muß sich
+nach der Decke strecken," sagte er bei jeder Gelegenheit mit leiser
+Ironie, doch handelte er danach.
+
+Gelegentlich eines wüsten Gelages mit dem Millionär van Haarskerk und
+seiner Gesellschaft in einem abgedämpften Hinterraum des
+Paradies-Kasinos ließ er sich kaltes Wasser kübelweise üher den Kopf
+schütten, spielte mit Meisterschaft den völlig Betrunkenen, trank
+gesalzenen Sekt ohne eine Miene zu verziehen, ertrug zur Steigerung
+des Vergnügens viele, viele Stöße in den hingehaltenen Bauch und
+tanzte zuguterletzt patschig und negerhaft wie ein Eunuch im Hemd
+herum, daß sich die ganze Gesellschaft vor Lachen wälzte.
+
+Von da ab saß er jeden Abend am Tische van Haarskerks, duzte sich mit
+diesem. Der Millionär war eine besondere Art von Mensch, Er hatte der
+kleinen Kabarett-Diva Yvonne eine Villa draußen an der Peripherie der
+Stadt gebaut und vertrieb sich die Zeit damit, mit ihren früheren
+Bekannten Gelage zu halten, ausgesuchte Gerichte zu kochen und
+Autotouren zu machen. Durch sein Verhältnis mit der Diva war er im
+Laufe einer ganz kurzen Frist zu einer Art Stadtbekanntheit geworden.
+Meistens kam er mit zwei oder drei vollbesetzten Autos im
+Paradies-Kasino an. Allerhand zweifelhaft gekleidete Leute begleiteten
+ihn, alles frühere Geliebte Yvonnes--: abgewirtschaftete Studenten,
+die sich Dichter nannten, einige Kunstmaler, ehemalige Kabarettleute,
+undefinierbare Witzbolde und schließlich noch einige Herren, die stets
+neueste Mode am Leibe trugen, gepudert waren und das Einglas ins Auge
+geklemmt hatten. Nach Schluß der Vorstellung fuhr man nicht selten mit
+noch Hinzugekommenen, momentan die Langeweile vertreibenden
+Eingeladenen nach Hause, um dort weiterzutrinken, zu diskutieren oder
+Bakkarat zu spielen, his die Frühe fahl ihr Licht durch das dicke
+Glasdach des Wintergartens auf die Zecher herabfallen ließ.
+
+Adam Högl faßte festesten Fuß in diesem Hause, ja, zählte geradezu zur
+Familie, lernte fabelhafte Tafeln kennen, überschüttete die gelassene
+Gleichgültigkeit, mit der man hier Unsummen in die Spieltischmitte
+schob und wieder wegzog, mit seinen herabmindernden Späßen, trank
+ebenso wählerisch wie selbstverständlich Whisky pur wie Kognak von
+1875, Mit dem ihm eigenen Geschick sekundierte er, wenn Yvonne ihre
+tausendmal erzählten Bettgeschichten und anzüglichen Witze erzählte.
+Sein trainiertes Gelächter riß jedesmal mit und erleichterte den nur
+mit Mühe die Langeweile verbergenden, devot Beifall spendenden
+Günstlingen ihre schwierige Aufgabe auf das angenehmste.
+
+Oft und oft kam es vor, daß die überreizte Diva eine Vase durch eine
+Glastür warf, Unheil stand drohend--da auf einmal trompetete das
+Lachen Högls und glättete im Nu den Sturm.
+
+Es gab Nächte in diesem Hause mit ihm, die begannen mit einem wüsten
+Balgen zwischen Yvonne und van Haarskerk, mit einem Zusammenschlagen
+kostbarster chinesicher Zierrate, mit einem Demolieren von Türen und
+Möbeln und endeten wie etwa eine unvergleichlich lustige Sylvesterfeier.
+
+Hier war ein reicher Fischplatz. Adam Högl warf vorsichtig seine
+Angeln und Netze aus.--
+
+"Denn nichts dauert ewig und jeder muß sich nach der Decke strecken!"
+
+
+III.
+
+Die Tage und die Nächte liefen davon. Viel zu schnell. Sie schwebten
+vorbei, ohne sich voneinander zu unterscheiden. Es war ein
+unaufhaltsames Fließen. Es gab keinen festen Punkt, kein Nachdenken,
+keinen Widerstand.
+
+Allmählich, mit jedem Tag bemerkbarer, ließ der Beifall nach. Es brach
+jetzt kein plötzliches Gelächter mehr aus. Es war keine Stille mehr in
+der Zuschauergruft, wenn Högl auftrat. Man sandte auch kein resolutes
+"Pst!" mehr aus aufmerksamen, lauschenden Tischen, wenn die Kellner
+servierten. Gelangweilte Gesichter sah man ringsum. Es schwätzte
+jedermann während des Vertrags. Wie ein böses Gewissen rieselte durch
+den erschauernden Körper jene penetrante Peinlichkeit, die immer
+einsetzt, wenn man sich hilflos einer stärkeren Macht gegenübersieht
+und es sich nicht eingestehen will.
+
+Es war acht Tage vor dem Ende des dritten Monats, und nichts wieder
+hatte Krull von abermaliger Prolongierung erwähnt. Adam Högl stand
+benommen hinter dem eben herabgefallenen Vorhang und wischte sich den
+Schweiß von der Stirn. Es klatschte mäßig. Der Vorhang zuckte fast
+mitleidig und wurde rasch noch einmal hochgezogen. Es klatschte etwas
+mehr, als Högl dankte. Der Vorhang fiel wieder herab. Bagg--bagg--bagg
+--bagg!--schon schwammen die Redegeräusche, das Klirren der Gläser,
+das Stühlerücken und Surren der Ventilatoren darüber hinweg, und alles
+verebbte zu einem gleichmäßigen Geplätscher. In acht Tagen vielleicht
+stand Krull, der in der letzten Zeitmerkwürdig schüchtern auswich und
+sich selten sehen ließ, vor ihm und sagte ungefähr: "Adam, du weißt!
+Mein Publikum will Abwechslung. Ichbin Wirt, ich muß mich nach ihm
+richten."
+
+Man war ihn satt!--Er konnte wo anders hingehen?--Schließlich--er
+hatte noch etwas Geld, Anzüge. Es ging eine Zeitlang. Dann?--
+
+Der Boden schwankte, man glitt aus, man ließ sich dahintreiben, dumpf
+und verbittert auf einen nächsten jähen Zufall wartend. Die fast
+märchenhafte Leichtigkeit, mit der man üher Nacht so hoch getragen
+worden war, hatte die Energie vernichtet.--Adam Högl knirschte und
+sah scheu rundherum. Die Angst kam von der Magengegend zur Gurgel
+heraufgekrochen. Mit einem Ruck riß er sich zusammen und schritt zur
+Tür. Da kam der schlanke Kellner und bat ihn in die Loge des
+Millionärs. Er atmete erleichtert auf. "Ich komme gleich," sagte er
+schnell und ging in die Garderobe.
+
+Nach einigen Minuten schritt er die Logenreihen entlang und hatte
+schon wieder die breitlachende, humorvolle Miene, die man an ihm
+gewohnt war. Aus verschiedenen Tischen nickten ihm Leute grüßend zu,
+und scheinbar ganz in seligster Wonne erwiderte er.
+
+Die Haarskerksche Loge war wie gewöhnlich gepfropft voll. Jeder der
+Herren lachte bereits das knallige Lachen Adam Högls. Das gab Mut.
+Noch war man also nicht ausgelöscht.--
+
+"Ah--haha!!" krächzte der Millionär aufstehend und machte Platz.
+
+"Was machst du?" fragte Yvonne den Angekommenen.
+
+"Einen schlechten Eindruck," erwiderte Högl trocken. Die Unterhaltung
+belebte sich, wurde aufdringlich laut.
+
+"Psst! Psst!" zischte es aus den gegenüberliegenden Tischen, denn eben
+trat die neuengagierte Sängerin auf und trillerte die ersten Laute.
+
+"Ah--a--a--ah--ah--a--a--aa!" sang Högl boshaft mit angestrengtester
+Kopfstimme nach und der ganze Tisch kreischte hellauf.
+
+"Psst! Psst!" Adam Högl entdeckte mit einem flüchtigen Blick drüben in
+einer dunklen Ecke Krull mit finsterem Gesicht, wandte sich schnell
+wieder weg.
+
+"Ein Türteltäubchen! Ein Täubchenturtel!" gröhlte er sehr laut.
+
+"Ru--u--uhee! Psst!" brummte es noch energischer und empört gehobene
+Gesichter tauchten auf.
+
+"Mistkäfer! Schweinebande!" knirschte Yvonne dumpf in den Tisch und
+rief lauter: "Anton zahl'! Wir wollen gehen! Sofort!"
+
+Der Kellner kam eilends herangeflitzt. Sehr geräuschvoll bezahlte der
+Millionär und die ganze Loge erhob sich. Alle tappten im Gänsemarsch
+knatternd auf den Ausgang zu.
+
+"Psst! Psst! Ru--uhe!" surrte es ihnen nach. An der Tür stand Krull,
+verbeugte sich devot und wollte entschuldigen.
+
+"Schon gut! Schon gut! Wir werden's uns merken!" schrie Yvonne und
+befahl resolut: "Kommt! Laßt euch nicht aufhalten!" Der Trupp stürzte
+hinaus. "Ich möchte heut' nur Högl, Kotlehm und Raming, Anton! Laß die
+andern nach Hause fahren! Wir wollen unter uns sein!" sagte Yvonne vor
+dem Auto. Der Millionär rannte auf die anderen Begleiter zu, sagte
+ihnen dies, kam wieder zurück, stieg rasch ins volle Auto und gab das
+Zeichen zum Abfahren.
+
+"So sind alle Wirte, weißt du! Pack! Pack!" schimpfte Yvonne während
+des Dahinfahrens.
+
+"Eben! Eben!" brummte Högl in tiefem Baß.
+
+"Ein solches Miststück mit ihrem Geplärr! Na, ich danke!"
+
+"Eben! Eben!" sekundierte Högl befriedigt.
+
+Der Maler Kotlehm lachte gewaltsam.
+
+"Und diese Preßsackbrüste, pw! Diese Wurstfinger, äh!" zeterte Yvonne.
+
+"Gulasch! Gulasch mit Kartoffel!" murmelte Högl. Man lachte
+allenthalben. Yvonne warf ihre Arme hingerissen um Högls Nacken und
+drückte ihr kaltes geschminktes Gesicht an seine Wange, küßte ihn
+breit und feucht, daß es schnalzte: "Högl, Du bist mein Mann!"
+
+Die Stimmung war wiederhergestellt.
+
+"Was trinken wir?" fragte van Haarskerk.
+
+"Sekt! Sekt!--Ich möchte heute schwimmen im Sekt--und dann Whisky!"
+rief Yvonne emphatisch.
+
+Das Auto fuhr surrend durchs Tor.
+
+
+IV.
+
+Die Dienerschaft war zu Bett gegangen. Es war still. Überall herrschte
+ein Geruch nach Zigaretten, Parfüm und Alkohol. Man ließ sich in die
+tiefen, nachgiebigen Fauteuils um den offenen Kamin im Rauchzimmer
+fallen. Jener Punkt war erreicht, wo alles öde, langweilig, dumm und
+trist zu sein scheint. Die Stimmung war zweideutig und unentschieden.
+Es hieß geschickt eine Krise zu vermeiden, die scharfen, vorgeschobenen
+Riffe der Überreiztheit gewandt zu umsegeln. Noch zwei oder drei
+schweigende Minuten und man stand vielleicht auf, gähnte dösig und ging
+zu Bett--oder aber auch Yvonne stieß zufällig mit dem Fuß wo an,
+knirschte gehässig und schmiß eine Vase kaputt. Es gab Skandal und alles
+war verloren, verhunzt. "Ich hab' Hunger," sagte Yvonne bereits bedrohlich.
+
+Adam Högl ergriff die Gelegenheit und brummte trocken: "Ein frugales
+Mittelstück! Sehr richtig! Weder Früh--noch Nachtstück--ein Mittelstück,
+ein Stück in der Mitte!" Man lachte lahm. Der Maler Kotlehm und der Lyriker
+Raming bewegten sich etwas aufgefrischter: "Ja, das wäre nicht dumm!"
+
+"Geht!" befahl Yvonne Högl und dem Millionär. Die beiden waren
+aufgestanden. "Komm! Kommen Sie, Herr Küchenchef! Wir wollen--Na, die
+Herrschaften, na--na!?" trompetete Högl in seinem breiten Baß, als er
+mit van Haarskerk in die Küche ging. Während der Hausherr eineinhalb
+Dutzend Eier kochte, schmierte Högl Butterbrote, strich Kaviar darauf,
+schnitt Schinken und Seelachs.
+
+Der Sekt war bereits abgekühlt.
+
+Als er die Gläser und das Tablett mit den Speisen in das Rauchzimmer
+trug, hatte sich Adam Högl wieder ganz in der Gewalt und bediente
+behend wie ein Servierkellner. Man griff gierig zu, schmatzte. Die
+Stimmung hob sich.
+
+"Und ick?!--Ick hock mir ins Klosette rin und kotze alle Spucke
+rinn!--rinn!--rinn!--" johlte Högl wie ein Grammophon mit wässerigem
+Mund. Und: "--rinn!--rinn!--" wiederholte der ganze Chorus.
+
+Zufällig warf der Millionär seine Eierschalen in großem Bogen zur
+Decke. Sie fielen in den Spiegel oberhalb des Kamins und zischten
+auseinander. Belustigt darüber schleuderte Yvonne ihr Ei in die
+glitzernde Fläche. Benng! klatschte es spritzend auseinander. Einen
+Moment gafften alle unschlüssig.
+
+"Hoi--j! Hoi--j!" brüllte Högl unverblüfft wie ein Ausrufer und warf
+ebenfalls sein Ei in den Spiegel. Das gefährliche Riff war umschifft.
+Alles gröhlte mit einem Male mitgerissen. Patsch--Patsch--Patsch!
+Jeder warf sein Ei in den Spiegel. Es klatschte um die Wette. Yvonne
+schüttelte sich berstend. Adam Högl hüpfte vor Vergnügen. Wie doch
+alles einfach ist!--"Das ist--um es richtig zu sagen--der Kampf mit
+dem Spiegel oder der verspritzte Eidotter auf dem Kamingesims!"
+plapperte Raming rülpsend.
+
+"Hahaha--ha! Der Lyriker wird witzig!" stichelte der Millionär.
+
+"Der Spiegelkrieg! Das Krieglspielchen! Das Spielchen mit dem
+Kriegl-Spiegl!" gluckerte Högls Bauchstimme. Ein hemmungsloses
+Gelächter peitschte auf. Man trank überschnell und mit vollstem
+Behagen. Adam Högls Gesicht glänzte triumphierend. Sehr gewandt
+spuckte er seinen Mund voll Sekt zur Decke. Ein dicker Strahl war's.
+Im Nu folgten die ändern.
+
+Die Stimmung hatte einen ersten Höhepunkt erreicht. Es galt, ihn zu
+halten. Adam Högl begann zu zoten.
+
+--Dem Lyriker Raming gab der Millionär seit einem Jahr ein Stipendium,
+weil Yvonne dessen bastardhaft verfaltetes Gesicht gelegentlich einmal
+als "angeilend" bezeichnet hatte. Des Malers Kotlehm vulgäre Schönheit
+entzückte die Diva dergestalt, daß sie van Haarskerk veranlaßte, ihm
+ein Atelier zu bauen. Von anderen noch wußte Adam Högl, daß sie
+beträchtliche Summen wegen eines Witzes oder dergleichen erhalten
+hatten.
+
+Und er hatte sich Wasser kübelweise üher den Kopf schütten lassen.
+
+In den Bauch treten lassen!
+
+Und in acht Tagen?--
+
+Raming rülpste, ließ den Kopf haltlos auf seine Brust herabgleiten,
+sank zusammen und schlief ein.
+
+"Der ausgewundene Strumpf zieht sich in die Vorhaut zurück!" rief Högl
+breit, überprüfte unbemerkt die Gesichter der ändern.
+
+"Die Inspiration kommt im Schlaf!" warf der Millionär beiläufig him.
+
+"Weißt du, Anton," sagte die Diva schnell und aufgeräumt, "ein
+Spielchen wäre jetzt richtig angebracht!"
+
+"Ein Bakkarat?--Ja, das wär' jetzt sehr nett!" sagte der Maler Kotlehm
+ebenso.
+
+"Sehr richtig! Gewiß die Damen! Gewiß die Herren! Die Dammenherren,
+die Herrendammen!" plapperte Högl und verbeugte sich wie ein Lakai:
+"Adam Högl übernimmt die Saufregie, bitte, bitte meine Herrschaften,
+bitte!"
+
+Das Schnarchen Ramings sägte friedlich und gleichmäßig. Yvonne,
+Kotlehm und der Millionär setzten sich um das Spieltischchen, legten
+die Banknoten in die Mitte.
+
+"Prost, Herr Kunstmaler, Herr Kotstengel!" rief Högl hämisch, hob das
+volle Sektglas und schluckte hastig den ganzen Inhalt hinunter.
+
+Van Haarskerk gab die Karten.
+
+Högl, der nicht spielen konnte, ging auf und ab und brümmelte leise
+singend vor sich him. Von Zeit zu Zeit lugte er flüchtig auf den
+getürmten Haufen der Banknoten, die sich in der Tischmitte sammelten.
+Lässig zog man die Scheine weg oder warf neue him.
+
+Mattblauer Tag lag schon auf den Gesimsen. Die Gärten draußen
+bleichten. Stare zwitscherten leise auf. Tau stieg von der Erde hoch.
+Unbehaglich tappte Adam Högl auf und ab, schielte manchmal auf die
+Spieler, dann wieder durch die Fenster.
+
+Lästig! Die Umstände hatten einen kaltgestellt. Alles entglitt
+wieder.--Jetzt verspielte Kotlehm. Erwar darauf gekommen, an jenem
+Abend im abgedämpften Hinterraum des "Paradies-Kasinos", daß man auch
+in den Bauch stoßen könnte. Adam Högl umspannte ihn unbemerkt mit
+seinen düsteren, hassenden Blicken.
+
+"A--ah--ach!" stieß van Haarskerk mit boshafter Befriedigung heraus,
+als der Maler abermals einen Geldschein auf den Tisch warf.
+
+"Prost!" rief Högl schadenfroh.
+
+"Donner und Doria!" lachte der Maler etwas nervös und legte die Karte
+auf den Tisch. Abermals Hundert!
+
+Adam Högl ließ eine saftige Zote vom Stapel. Yvonne lachte.
+
+Wie um sich zu wehren, nahm Kotlehm das Glas und schrie feldwebelmäßig:
+"He! Kuli! Einschenken!" Adam Högl schoß das Blut zu Kopf. Aber er faßte
+sich schnell und hob die Karaffe: "Besser zielen!--Vorbeigeschissen!" Er
+zitterte ein wenig, als er eingoß und schüttete daneben.
+
+"Hehe! Du! Kuli!" schrie Kotlehm und stieß ihn in den Bauch. Erquickt
+schnellte der Millionär auf, nahm ihm die Karaffe. Adam Högl zog
+verwirrt die Schultern hoch. Van Haarskerk lachte stoßweise und
+schüttete den Rest über seinen geduckten Schädel. Eiskalt rann der
+Sekt den Rücken herunter.
+
+Adam Högl raffte seine letzen Kräfte zusammen. Ratlosigkeit, Wut und
+Verzweiflung standen auf einmal da. Wie von schwirrenden Peitschen
+umsummt brummte der zerrüttete Kopf.--
+
+Er drohte zu fallen, drückte noch einmal mit ganzer Gewalt den Bauch
+heraus und grunzte endlich wieder. Wieder bellte das Gelächter.
+
+Der Maler Kotlehm sprang auf und fuchtelte mit den Armen herum wie ein
+peitschenschwingender Tierbändiger.
+
+Das Spiel war zerrissen. Die neue Sensation hatte die Langeweile im Nu
+ausgelöscht. Man umtanzte, umjohlte Adam Högl, der wie ein blinder Bär
+herumtappte. Gutgezielte Stöße sausten in dessen Bauch. Van Haarskerk
+kam mit einer gefüllten Karaffe, schüttete, goß, goß.
+
+Adam Högls Schuhe pfiffen.
+
+"Schurken! Sadistische Hunde!" schrie Yvonne machtlos in den
+betäubenden Lärm. Raming hob schläfrig den Oberkörper und ließ sich
+wieder zurückfallen. Das wüste Gebrüll zerspaltete die verrauchten
+Bäume. Zwischendurch gluckste wie das Röcheln eines Verendenden Högls
+Bauchstimme.--Heute noch! Noch einmal! Dann war vielleicht die
+Rettung da. Man war geborgen. Eine Nacht Wasser über den Kopf--und
+keine Misere mehr.--
+
+Die Hose platzte, als er sich bückte. Kotlehm riß das Hemd heraus.
+
+"Hoij! Hoij!" zischte es von allen Seiten. Man nahm Högl in die Mitte
+und stampfte durch den Wintergarten ins Freie. Schwerfällig, plumpsig
+bewegte sich der Troß an den ersten Gemüsebeeten vorbei. Der Millionär
+schob hinten, Kotlehm zog und zerrte an den Armen Högls. Yvonne
+kreischte unaufhörlich.
+
+"A--ahach Mensch, laß mich doch schnaufen!" stöhnte Högl und riß
+seinen Mund weit auf. Dicker Schweiß rann ihm herunter.
+
+"Hoij! Hoij!" schrie es wieder. Zog, zerrte. Adam Högl prustete,
+hauchte. Der Maler Kotlehm riß einen Rettich aus dem Gemüsebeet und
+stopfte ihn mit aller Gewalt in Högls Mund.
+
+Die Zähne krachten. Der Schlund kämpfte gegen das Ersticken. Blau lief
+der Kopf an. Adam Högl stemmte sich würgend, spuckte, erhob beide Arme
+furchtbar, stieß in die leere Luft. Es war auf einmal frei um ihn. Wie
+Kettenlast fiel etwas ab. Der wachgewordene Körper straffte sich, als
+renne er stahlhart gegen eine Wand und stieße sie durch.
+
+So leicht atmete es sich.
+
+Eine große Stille stand unfaßbar weiß ringsherum.--
+
+Nach langer Zeit, als er die Augen öffnete, saugte die Kälte der
+feuchten Erde an allen seinen Gliedern. Er lag langgestreckt in einem
+Gemüsebeet. Schmutz und Blut klebten auf seinen zerschundenen Wangen.
+Er schloß den Mund, schluckte. Die Gurgel würgte. Ein wüster Ekel
+stieg vom Magen auf.--
+
+Wie eine gemeine, grüne Qualle hockte das Haus in den zertrampelten
+Beeten. Das zärtliche Rot des frühen Tages beleckte die Fenster, die
+ausdruckslos vor sich hinglotzten. Es roch nach Verwesung.--
+
+Taumelnd sprang er auf und rannte entsetzt aus dem Garten. Schwankend
+wie ein Wrack trieb er über die Wiesen, der Stadt zu. Eine gräßliche
+Schwäche fieberte in ihm. Angstvoll schleuderte er zuletzt seine Füße
+nach vorne, lief, lief, was er konnte.
+
+Erst als er die ersten Häuser erreicht hatte, hielt er inne und wischte
+sich aufatmend Kot und Blut aus dem Gesicht.
+
+Ruhig und nüchtern griff die Straße aus. Arbeiter gingen vorüber und
+beachteten ihn kaum. Sie bewegten sich und redeten wie Menschen, die
+nichts anficht. Es strömte eine seltsame Festigkeit aus ihren Gebärden
+und Worten.
+
+Verlassen, nutzlos, ein jämmerlicher Wicht stand Adam Högl da.
+Unerbittlich brach die Scham der letzten Wochen aus ihm, stieg, stieg.
+Bettelnd, hilflos blickte er auf alle Menschen.
+
+Endlich gab er sich einen Ruck und ging wieder weiter. Sein Gesicht
+bekam langsam eine größere Ausgeglichenheit. Fester, entschlossener,
+mit dem erleicherten Ernst eines Menschen, der sich durch eine große
+Erschütterung die Ruhe wieder zurückerobert hat, schritt er fürbaß.--
+
+
+
+
+ABLAUF
+
+
+I.
+
+Man sagt, wenn sich die zwanziger Jahre aus einem Menschenleben
+winden, fangen die Reibungen an zwischen natürlichem Denken und
+dunklem Trieb. Es beginnt ein Aufruhr im Innern. Über die Dämme, die
+die Erziehung notdürftig aufgebaut hat, bricht das Blut und je nach
+der Festigkeit des Betroffenen folgt einer solchen Krise eine
+Zerrüttung, ja nicht selten ein zeitweiser gänzlicher Zusammenbruch
+und nur langsam, unter Weh und Qual, stellt sich das Gleichgewicht
+wieder ein.--
+
+Glücklich derjenige, der von früh auf Menschen, Bücher, Winke,
+Erfahrungen und Anleitungen kennenlernte, die seinen Horizont
+erweiterten und ihm einigermaßen dazu verhalfen, solchen
+Erschütterungen nicht ganz wehrlos zu begegnen.
+
+Alle aber, die von Kind auf nichts anderes kennenlernen, als daß
+dieser oder jener geschickte Handgriff, diese Finte oder jene schwer
+erlernbare Körperhaltung die Mühe der Arbeit erleichtern, haben wenig
+Zeit, sich gegen solche innere Überfälle zu wappnen. Es ist wahr, auch
+sie überwinden. Aber sie leiden mehr darunter und werden ärger
+mitgenommen von solchen Qualen. Der Schmerz fällt hier mit schwererer
+Wucht nieder auf arglose, unvorbereitete Herzen. Die Jahre verfließen
+verbraucht und wenig sinnvoll für solche Menschen. Sie stehen meist
+unvermerktmitten im Gestrüpp plötzlich hervorbrechender Gefühle,
+kämpfen blindlings gegen ihre Dämonie, werden überwältigt davon und
+fallen schließlich in gänzliche Lethargie.--
+
+Johann Krill fiel so in den Rachen der Welt.
+
+Sein Vater war Zimmermann auf einem Dorfe, seine Mutter Bauernmagd.
+Auf einmal war dieses Kind da und man mußte notgedrungen heiraten. Man
+frettete sich gerade so durch gegen Taglohn. Wenn das Akkordmähen zur
+Erntezeit anfing, war es am besten. Zimmererarbeiten gab es wenig. Hin
+und wieder Baumfällen und Holzspalten im staatlichen Forst, das war
+ziemlich alles.
+
+Es hieß eben: "Nicht krank sein!" und "Sich nach der Decke strecken!"
+--Kinder solcher Eltern, noch dazu "ledige", haben nichts Gutes bei den
+Bauern. Es heißt aufstehen mit den Knechten um vier Uhr früh, zugreifen
+und den anderen an Flinkheit nichts nachgeben und den Mund halten. Die
+Knochen schmerzen am Anfang, aber das verliert sich mit der Zeit.--
+
+Nach seiner Schulentlassung kam Johann zu einem Schlosser im nahen
+Marktflecken zur Lehre. Jetzt waren es Hammerstiele und Eisenstangen
+oder Wellblechstücke, mit denen man warf oder zuschlug. Und wehe, wenn
+der Vater eine Klage hörte! Sein Ochsenziemer, der stets neben dem
+Handtuch am Ofen hing, war furchtbar.
+
+Nun, es kam schließlich die Gesellenprüfung und der Achtzehnjährige
+ging auf die Wanderschaft. Als gutgelernter, sehniger Arbeiter landete
+er dann nach ungefähr fünf Jahren in dieser Stadt und fand Stellung in
+einer Fabrik. Es war ein Riesenwerk, man verdiente gut und hatte keinen
+schweren Posten geschnappt.
+
+An einem Abend--es war Sommer und Samstag--kam Johann in seinem Zimmer
+an, wusch sich, zog seinen Sonntagsanzug an und steckte Geld zu sich.
+Er bummelte erstmalig wie ein freier Mensch in aufgefrischter Stimmung
+durch die Straßen, besah sich das bunte Treiben, trank in verschiedenen
+Lokalen und als diese geschlossen wurden, trottete er, auf einmal
+merkwürdig überwach und unruhig, die "Fleischgasse" auf und nieder.
+Diese Straße hieß eigentlich "Fleuschgasse", getauft nach dem
+Namen eines verdienten Ehrenbürgers der Stadt, aber seitdem die
+Polizei verfügt hatte, daß sich nur hier die professionellen
+Prostituierten auf und ab bewegen durften, hatten Volksmund und üble
+Nachrede den harmlosen Namen "Fleusch" in den anzüglichen "Fleisch"
+umgewandelt.
+
+Johann Krill brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen. Schon nach
+kurzer Zeit redete ihn eine süßliche Stimme an und besinnungslos
+folgte er. Zum erstenmal in seinem Leben fiel der junge Mann in eine
+vollkommene Verwirrung. Eine ganz fremde Luftschicht umschwelte ihn.
+Er wußte nicht mehr, ging oder schwebte er. Durch all seine Glieder
+flog und flammte es. Er sah alles doppelt, hörte jedes Geräusch wie
+aus weiter Ferne und wußte nicht, was es war. Wie ein Hitzklumpen fiel
+sein Körper auf eine schwammige Teigmasse und ertrank darin. Es biß
+sich jemand fest an ihm. Es lachte.
+
+Langsam kehrte alles wieder zurück, wurde deutlicher und war ein
+grünliches Zimmer, ein Gesicht, das breit auseinandergeflossen vor ihm
+lag.
+
+Schließlich, als er die Besinnung wieder hatte, verzog auch er das
+Gesicht zu einem Lachen, wollte reden, begann zu schlottern, schmiß
+seinen Kopf in ihre Brust und verschluckte das Weinen.
+
+Erquickt darüber preßte ihn das Mädchen wild an ihre Brüste, nahm
+seinen zerwühlten Kopf und hob ihn auf, zog ihn kosend immer wieder an
+ihren dicklippigen Mund und küßte ihn unausgesetzt, daß er zuletzt
+gänzlich machtlos mit sich geschehen ließ und auf einmal weinerlich
+und wimmernd anfing, sein Leben zu erzählen. Stockend kamen ihm die
+Worte, so, als besinne er sich immer erst, bevor er sie über die
+Lippen lasse. Und beruhigt, fast ein wenig staunend saß das halbnackte
+Mädchen da und hörte zu. Aber auf einmal stockte es wieder--und endete
+und wieder griffen seine Arme aus, er umspannte sie, riß und zerrte an
+ihr, daß sie aufkreischte.
+
+"Nimm alles! Tu alles!" murmelte er verhalten, als sie seine Geldbörseaus
+der Hose zog, drängte es ihr auf, dieses Geld, und beleckte ungeschlacht
+ihren ganzen Leib wie ein durstiger Hirsch.
+
+Und nicht nur das. Plötzlich klang sein Gemurmel wieder weinerlich und
+in einem fort stöhnte er: "Du! Du! Ich hab dich so gern! Du--du! Ich
+möcht dich heiraten. Ich arbeit', ich mach' alles. Du hast es gut bei
+mir! Du! Du!"
+
+Anfänglich schien es, als belustige sich das Mädchen über ihn. Sie zog
+ihn an den Haaren und kitzelte ihn lachend. Dann aber, als seine
+Wildheit immer mehr anschwoll und seine Züge einen fast irren,
+düsteren Ausdruck annahmen, ließ sie das Spielen. In ihren schlaffen
+Körper stieg mit einem Male eine Wärme. Überwältigt, zuckend sank sie
+zurück, ihn umfangend. Sie, über die vielleicht Hunderte
+hinweggegangen waren, umschlang diesen plumpen, ungeschlachten
+Menschen und küßte ihn mit dem ganzen, hingegebenen Ernst echter
+Liebe....
+
+In der Frühe nach dieser wüsten Nacht rannte Johann in seinen
+Sonntagskleidern zur Fabrik, wankte wie betrunken durch das zufällig
+offene Tor und erschrak derart, als ihn der Portier anrief und fragte,
+was er denn an einem Feiertag hier wolle, daß er sich wie ein
+plötzlich ertappter Dieb umdrehte und wortlos davonjagte. Er lief
+durch die Straßen mit eingezogenem Kopf, ging wieder langsamer, setzte
+sich in irgendeine versteckte Nische und hielt seinen erhitzten Kopf
+fest. Immer wieder mündete er in die "Fleischgasse", wagte es aber
+nicht, hinaufzugehen zu seiner auf so eigentümliche Weise gewonnenen
+Geliebten. Der Abend kam. Die Nacht fiel herab und er stellte sich an
+die Ecke, wo er sie getroffen hatte, wartete und wartete. Und es
+geschah etwas, was niemand gedacht hätte, etwas, was ebenso
+unglaubwürdig wie wunderlich klingt--: Anna kam nicht. Sie stand an
+keiner Ecke, war überhaupt nicht auf der ganzen Straße zu sehen. Sie
+lag droben--so wie er sie verlassen hatte--im Bett, verstört,
+zerbrochen und bekam erst wieder völliges Leben, als er nach langem
+Kampf und mit vielen Finten zu ihr gelangt war.
+
+Aufgefrischt schwang sie sich aus ihrer Lagerstatt, streichelte ihn
+zärtlich und begehrend und sagte zuletzt muttergütig: "Ja, dich möcht
+ich heiraten."
+
+Beide standen benommen voreinander, ein jedes zitterte und sagte
+nichts mehr.--
+
+Seit dieser Zeit haßte man Johann in der Fabrik. Er verhielt sich wie
+völlig verstummt und hatte stetsein Gesicht, als wolle er die ganze
+Welt umbringen. Er arbeitete für drei. Und jeden Tag verließ er fast
+fluchtartig nach der Arbeit die Fabrik und kam zu Anna. Als es endlich
+ruchbar wurde, daß er sich verheiraten wolle und man es ihm sagte, ihn
+beglückwünschte und leichte Anzüglichkeiten machte, wurde er rot his
+hinter die Ohren und schlug verwirrt die Augen nieder.
+
+"Ja! Ja!" schrie er dann auf wie ein brüllendes, gereiztes Tier, daß
+die Fragenden halb verärgert und halb verblüfft "Oho!" herausstießen
+und sich alle mit ihm verfeindeten.
+
+Alle wunderten sich, daß er gar keine Anstalten zur Hochzeit traf. Er
+hielt bei keinem seiner Arbeitskollegen um die Brautzeugenschaft an.
+Finster hockte er während der Vesperzeit da und starrte dumm ins
+Leere. Niemand wußte, ob er um einen freien Tag zur Erledigung seiner
+Verehelichung gebeten hatte.
+
+Drei Tage vor seiner Hochzeit kam er nicht mehr und wurde entlassen,
+weil er auch kein Entschuldigungsschreiben schickte.--
+
+II.
+
+Die ersten Wochen der Krillschen Ehe verliefen--wenn man so sagen
+darf--unterirdisch glücklich. Mit Hilfe Bekannter fand Anna schon
+einige Tage vor ihrer Hochzeit eine annehmbare, freundliche
+Dreizimmerwohnung in einem anderen Viertel. Mit den Ersparnissen
+Johanns wurden Möbel auf Teilzahlung beschafft und zum Schluß hatte
+man, weiß Gott wie, noch Geld übrig. Man sah das Paar nicht mehr in
+der alten Gegend. Außerdem vermied es Johann auf der Straße, Leuten,
+die er zu kennen glaubte, zu begegnen. Furchtsam wich er aus, machte
+große Bogen vor früheren Bekannten, ja, scheute sogar nicht,
+ihrethalben große Umwege zu machen. Zu Hause erst, in der Verborgenheit
+der vier Wände, kam Beruhigung über ihn. Mit zufriedenem Gefühl
+durchtappte er immer wieder die Räume und bestaunte seine Habschaften
+und am Ende stand er stets mit verschwommenen Augen vor seinem ständig
+adrett gekleideten, beweglichen Weib.
+
+Vorerst dachten die beiden nicht ans Verdienen. Mit tausend
+Kleinigkeiten verzettelten sich die Tage. Es gab kein geregeltes
+Dahinleben mehr, keine bestimmte Mittagszeit, kein Weckerläuten in der
+frischen Frühe, keine Müdigkeit am Abend. Die Nacht war kurz, lästig
+kurz und oft noch um zehn Uhr vormittags verdüsterten die
+herabgezogenen Jalousien das dumpfige Schlafzimmer. Und man blieb
+liegen und liegen.
+
+Mit der bewußten Neugier, mit der wilden, noch einmal völlig
+auflodernden, durstigen Liebe erfahrener Frauen, über die das zu frühe
+Altern schon ihre ersten Schatten geworfen, liebte Anna Johann. Jede
+ihrer Bewegungen, jedes Wort waren eine stumme, begehrende Aufforderung.
+Ihre Nähe benahm den Atem, zerrüttete die eben gefaßten Gedankengänge.
+Wie eine warme, unsagbar wohltuende Gischtwelle ergoß sich ihre
+Atmosphäre unaufhörlich über Johann.
+
+Er _war_ nicht mehr!
+
+Zerschmolzen, zerronnen liefen die Zungen seiner Brunst ohne Unterlaß
+üher das Meer ihres Körpers.
+
+Die Zeit war weggeweht, alles schwirrte, rann, floh.--
+
+Erst ganz langsam wieder festigte sich seine Gestalt, stückweise
+beinahe. Und es schien, als seien es andere Teile, die sich nun
+vereinigten. Ein immer klarer werdendes Begreifen keimte auf, wuchs
+ohne Überstürzung, vermittelte Halt und Festigkeit. Alle Scheu, alle
+Furcht und Unsicherheit wichen. Auf einmal war Johann Krill ein
+anderer.
+
+Jetzt erst kam ihm die Besinnung. Jetzt erst war er eigentlich
+verheiratet, hatte ein Fundament, besaß Weib und Möbel und so weiter.
+
+Er erinnerte sich genau. Es war nirgends anders. Im Dorf nicht. In der
+Stadt nicht. Es war immer das gleiche. Der Bauer, bei dem er zuletzt
+auf dem Dorfe war, hatte drei Töchter. Ringsum standen größere und
+kleinere Häuser.
+
+"Dahinein gehörst du, das ist was Handfestes," ließ er einmal beim
+Abendessen fallen, der Bauer, und deutete dabei auf den mächtigen
+Grillhof hinüber. Und die ältere Tochter sah ihn ohne Verblüffung an
+und sagte: "Der Grillhans braucht bloß kommen." Zur Erntezeit ließ man
+die ältere Tochter daheim und an einem Abend sagte sie: "Hat schon
+geschnappt!" Etliche Wochen später gab es eine saftige Hochzeit.
+
+"Ein' schöne Sach', Hans, ein schöner Hof. Der ist so einen Brocken
+Weib wert," lachte der Bauer bei der Hochzeit und schaute seinem
+Schwiegersohn in die Augen. Und: "Ja--ja, hast mir's ja auch leicht
+gemacht," brummte der Grillhans bierselig.
+
+Dann kamen die beiden anderen Töchter an die Reihe. Bei der einen
+vollzog sich die Sache leicht, und bei der jüngsten, die etwas
+hochnäsig war, ging es schwerer. "Herrgott, Rindvieh!--um so einen Hof
+ziert man sich doch nicht so! Besinn dich nicht so lang', sag' ich!"
+brüllte der Bauer sie an und als zufällig an einem der darauffolgenden
+Abende der gewünschte Werber kam, sagte er zu diesem: "Bleib nur
+beieinander mit der Zenz. Wir legen uns nieder."
+
+Und Bauer und Bäuerin gingen schlafen.
+
+"Ist's so weit?" fragte der Bauer beim Mittagessen andern Tags seine
+Tochter. Und diese sagte nickend: "Im Frühjahr, meint er. Er will noch
+den Stall bauen lassen."
+
+"In Gottesnamen, die paar Monat' sind gleich vergangen. Meinetwegen!"
+brummte der Bauer und die Sache nahm ihren gewöhnlichen Verlauf. Im
+Frühjahr gab es wieder eine breite Hochzeit.--
+
+Es war also nirgends recht viel anders. Johann Krill war mit dieser
+Erkenntnis zufrieden. Das Neue, das Unerwartete, was ihn einmal in
+Brand und Aufruhr gesetzt hatte, war verloschen. Ohne Staunen stand er
+nunmehr auf dem Boden der Welt und achtete nichts mehr auf ihr.
+Kurzum, er wurde--gemütlich. Kam eine angenehme Sache, war es gut, kam
+sie nicht, war es auch gut.--
+
+An einem Nachmittag, als sie beim Kaffeetrinken in der Küche saßen,
+sagte Anna: "Es wird Zeit, daß wir wieder um Verdienst schauen."
+
+Und Johann nickte stumm. Er begann wieder Stellung zu suchen.
+
+Umsichtig und resolut wie sie war, machte sich aber auch Anna auf die
+Suche und an einem Tag kam sie freudig an und sagte: "Die Rienken will
+mich fürs Büfett. Ich kann gleich anfangen, sagt sie. S'ist ein gutes
+Lokal.--Was meinst du?--Unser Geld ist weg und mit einer Stellung für
+dich wird's noch eine Zeitlang dauern. Jetzt kannst du auch mit aller
+Ruhe suchen."
+
+Das leuchtete ein. Johann nickte wieder.
+
+"Die Rienken? Wo ist denn das?" fragte er dann weiter.
+
+Anna begann von einer Bar "Tip-Top" zu erzählen.
+
+"In der Quergasse," berichtete sie geschäftiger, "die Rienken kenn'
+ich schon lang. Ist eine nette Person. Es verkehren massenhaft Gäste
+dort, nur bessere Leute. Nicht so allerhand, von Hinz bis Kunz. Lauter
+Stammgäste... Na, was sag' ich--Fabrikbesitzer, Beamte und so Leute.
+Wer weiß, man kann ein gutes Geld machen, braucht sich nicht
+abzuschinden und kann schließlich auch für dich was ausfindig
+machen,--wie meinst du?"
+
+Johann Krill glotzte stumpf in ihre Augen.
+
+"Na, so hör doch, du--Patsch, hör doch!--Und die Rienken ist eine gute
+Person, steht zu einem," redete Anna weiter und rüttelte ihren Mann
+schmeichelhaft, begann wieder ihr siegendes Lachen und küßte ihn.
+
+"Das ist--also wieder--das Alte," sagte Johann endlich. Nachdenklich,
+schwerfällig.
+
+"A--aber geh doch, Tolpatsch! Keine Rede davon! Wer sagt denn _davon_
+was! Ich bin doch nur hinterm Büfett--nu ja, nu ja, wenn schon einer
+mal zu tappen anfängt und mir ein Gläschen bezahlt, Herrgott--das ist
+doch kein Weltuntergang," beruhigte ihn Anna und fuhr fort: "Sieh
+mal--Ware sind wir nun ein für allemal, ob so oder so--ob du in die
+Fabrik gehst oder ob ich--was anderes mache. Es kommt immer nur darauf
+an, daß wir uns die Sache möglichst leicht machen, daß wir noch was
+wegschnappen für unseren Komfort!"
+
+Johann Krill hatte jetzt ein wenig klarere Augen. Es war etwas wie ein
+aufgegangenes Licht auf seinem Gesicht. Er nickte.
+
+"Stimmt schon," sagte er.
+
+"Also sag' ich der Rienken, daß ich komme?" fragte Anna.
+
+"Ich muß dann auch was suchen," gab Johann statt jeder Antwort zurück.
+
+"Ach, du bist ja verdreht!--Ja freilich, freilich,--sofort denkt er,
+er muß nun wieder rackern von früh bis spät und für die Familie
+sorgen! Ach du, du!" lachte Anna und knüllte seinen Kopf in ihre Brust.
+
+Jeden Nachmittag um vier Uhr ging Anna nunmehr zur Bar "Tip-Top" der
+Sylvia Rienke. Spät in der Nacht kam sie stets nach Hause, roch nach
+Zigaretten und Alkohol. Manchmal war sie auch leicht betrunken,
+brachte allerhand zu essen und zu trinken mit, und dann saßen die
+beiden Eheleute nicht selten his zum Morgengrauen in der besten Laune
+beisammen und ließen sich's gut gehen.--
+
+In der letzten Zeit war Johann Krill etwas einsilbiger. Er saß meistens
+in Hemdsärmeln im Schlafzimmer und schien schwerfällig immer über das
+gleiche nachzudenken.--
+
+Ja, alles war ausgelöscht. Langweilig und trist vertropften die
+Stunden. Es war ungemütlich. Wenn man den ganzen Tag in der Fabrik
+arbeitete, verging wenigstens die Zeit schneller.
+
+Aber Anna zerstreute ihn immer wieder.
+
+Wenn sie nachmittags weggegangen war, verließ auch er die Wohnung und
+lungerte entschlußlos in der Stadt herum oder setzte sich in
+irgendeine Kneipe. Und jetzt, da er sich alleingelassen sah,
+unterhielt er sich auch wieder mit seinesgleichen.
+
+"Maschinenschlosser?" fragte ihn eines Tages ein älterer Arbeiter am
+Kneipentisch.
+
+"Ja," antwortete Krill. "Eventuell auch zum Maschinisten zu
+gebrauchen?"
+
+"Bei Schall und Weber war ich Maschinist."
+
+"Mensch, bei uns sucht man solche. Geh hin. Du kannst sofort
+anfangen," erzählte der Arbeiter und überprüfte Krill.
+
+Der nickte.
+
+Etliche Tage nachher schlief Johann schon, als Anna heimkam. Sein
+Gesicht war rußig. Er schwitzte. Anna wollte ihn aufwecken, aber er
+drehte sich schläfrig um und schnarchte weiter. Verärgert legte sie
+sich ins Bett.
+
+In der Frühe, als plötzlich der Wecker schrillte, schrak sie empor und
+sah erstaunt auf ihren Mann, der sich eben wusch.
+
+"Arbeitest du denn wieder?" fragte sie.
+
+"Ja."
+
+"Dumm!--Ich hätte jetzt etwas für dich.--Ein schöner Posten," sagte
+sie und richtete sich vollends auf im Bett.
+
+Einige Augenblicke stummten sie einander an.
+
+"Der Fabrikmensch, der immer Schwedenpunsch schmeißt, hat mir's
+versprochen ... Laß doch das andere fahren, da verkommst du ja bloß,"
+begann Anna wieder und wollte eben aus dem Bett springen.
+
+"Jetzt ist's schon wie's ist!" knurrte er und ging.
+
+
+III.
+
+Es gab Ärgerlichkeiten bei Krills. Dadurch, daß nun auch Johann seiner
+Arbeit nachging, vernachlässigte der Haushalt. Anna, die oft erst
+gegen zwei oder drei Uhr nach Hause kam, schlief bis tief in den
+Mittag hinein. Schließlich meldeten sich die Wanzen. Man putzte,
+schrubbte, streute übelriechende Pulver aus. Aber es half nichts. Es
+war unerträglich zuletzt.
+
+"Das ist eine verschobene Sache, wenn du ins Geschäft gehst und hier
+muß alles verkommen," sagte Johann zu Anna.
+
+"Für wen tu' ich's denn?--" erwiderte sie, "man braucht soviel und die
+Löhne sind zum Verhungern."
+
+Sie kam schließlich auf alles zu sprechen. Daß man sich doch nicht
+umsonst von unten herausgewunden habe, daß man doch nicht zu den
+Nächstbesten gehöre und man müsse jetzt eine neue Wohnung haben. Was
+der Umzug schon koste! Alles klang wie ein zaghafter Vorwurf.
+"Warten hättest du sollen. Der Herr mit dem Schwedenpunsch ist so
+nett. Du könntest da gut unterkommen."
+
+Eine Zeitlang ging es auf solche Weise hin und her. Johann war die
+ganze Rederei schon widerwärtig.
+
+"Was du doch alles erzählst! Sind wir denn weiß der Teufel was?!"
+sagte er endlich fester: "Mein Vater hat sein Leben lang gearbeitet.
+Meine Mutter stand noch mit siebzig Jahren früh um vier Uhr auf--und
+wir, wir bilden uns auf einmal ein, etwas Besonderes zu sein!" Während
+des Redens schon bekam sein Gesicht langsam eine bestimmtere Haltung.
+
+Schließlich, als aller Spruch und Widerspruch allmählich erlahmte,
+einigte man sich aber doch, und Johann willigte beiläufig ein, sich in
+der Fabrik des Herrn, der bei der Rienken jeden Abend Schwedenpunsch
+bezahle, vorzustellen.
+
+Mit jedem Tag wurde er nun auch mißvergnügter. Es gefiel ihm nicht
+mehr in seiner Fabrik. Er wurde mürrisch gegen jedermann und kam
+zuletzt plötzlich nicht mehr. Nach einigen Tagen stellte er sich in
+dem anderen Betrieb vor. Er wurde merkwürdig freundlich empfangen und
+ging besinnungslos darauf ein, Nachtschicht zu machen.
+
+Anna behandelte ihn zärtlicher als je, wenn er frühmorgens ankam.
+Nicht lange darauf fand sie auch eine Wohnung im dritten Stock des
+Rienkeschen Hauses und alles machte einen glücklichen Anlauf. Sie
+brachte jetzt immer mehr mit. Pasteten, kalte Hühnerschenkel, Blumen,
+Zigaretten, halbe Flaschen Wein, ja zuletzt sogar Stoffe, Halsketten,
+einen Ring.
+
+Sie war in der fröhlichsten Laune jedesmal und erzählte von diesem und
+jenem Herrn, von den guten Gästen bei Rienkes und konnte sich nicht
+genug tun, den Chef Johanns zu loben.
+
+"Und was ich dir sage--er ist ein Mensch, der das Leben kennt. Er ist
+für die Arbeiter. Er läßt leben neben sich," plauderte sie.
+
+Und Johann lächelte hölzern und sah auf ihre Brüste, die schwammig und
+verbraucht nach unten sich sackten.
+
+"Ist für die Arbeiter--?" sagte er und sah sie dumm an.
+
+"Ist ein anständiger Mensch. Keiner von den Ausnützern, gar nicht so
+eingebildet und hochnäsig--und fidel, sag ich dir, fidel,--na ich
+danke, wenn der anfängt. Man kann sich schief lachen," erwiderte Anna
+und lachte auf, als erinnere sie sich an etwas sehr Drolliges.
+
+"Und--der gibt dir--so--solche Sachen?"
+
+Annas Mund zuckte ein wenig. Sie schlug schnell die Augen nieder und
+fand das Wort nicht gleich.
+
+"Hmhm," brachte sie dann heraus und schluckte etwas hinunter, setzte
+rasch hinzu: "Und die Rienken ist so nett zu mir."
+
+"So," brummte Johann nur noch, "nu ja, es geht immer rundum."
+
+Dann legte er sich schlafen.
+
+Am Abend schlüpfte er in seine Sonntagskleider und ging nicht in die
+Fabrik. Er durchwanderte etliche Male die Quergasse und trat dann in
+die "Tip-Top"-Bar.
+
+Es ging bereits fidel zu. Einige Herren in modischem Anzug saßen vorne
+am Büfett auf den hohen Stühlen und saugten an den Strohhalmen, die in
+schlanken gefüllten Gläsern mit glitzerndem Eis staken. In der einen
+Ecke spielte ein Befrackter Klavier und ein hagerer Geiger begleitete
+ihn. In den Nischen, die mit künstlichem Efeu zu Laubengängen
+hergerichtet waren, tuschelte es und hin und wieder zirpte ein
+schrilles Auflachen aus ihrem Dunkel. Eben wollte eine hochbusige
+duftende Bedienerin mit zuvorkommender Freundlichkeit auf Johann
+zueilen. Da auf einmal schrie es aus einer Nische: "Um Gotteswillen,
+Hans!" Und ein hurtiges Getrampel und Knarren wurde hörbar.
+
+Johann wandte schnell den Kopf dahin und sah hinter einer dichten
+Weinflaschenparade das pralle, runde, kleinstirnige Gesicht seines
+Chefs, die Rienken und das totenblasse, entsetzte Gesicht seiner Frau.
+Die Köpfe der drei hingen auseinander wie schwere Dolden. Geradewegs
+ging Johann auf sie los und ließ sich in einen der gepolsterten Stühle
+an ihrem Tisch fallen.
+
+Eine peinliche Stille trat ein. Jeder hielt jetzt fassungslos den Atem
+an. Nur Johann schien sicher zu sein.
+
+"Ich bin nicht zur Schicht gegangen, Herr Hochvogel--ich hab' einen
+Höllendurst, ich könnt' ein Meer aussaufen," sagte er ohne sichtliche
+Erregung und lächelte schnell. Das löste eine Entspannung aus. Man
+atmete wieder und nahm langsam die gewöhnliche Haltung an. Der
+Fabrikherr schnitt ein malitiöses Gesicht. Er suchte sich zu fassen
+und griff zum Weinglas.
+
+"Heiß ist's hier," sagte Johann wieder.
+
+"Nicht zur Schicht? Aber Johann!?" brachte nunmehr Anna heraus. Die
+Rienken erhob sich und verließ den Tisch.
+
+"Das macht doch nichts, oder? Herr Hochvogel, macht das was aus?"
+fragte Johann den Fabrikherrn.
+
+"Na--wissen Sie, meinetwegen,--wir wollen einige gute Schoppen
+heben--ich kann's verstehen,--ich drück' gern ein Auge zu--bei Ihnen,
+Herr Krill.--Sie sind mir gut--sie arbeiten zuverlässig, da--da--da
+übersieht man auch mal einen Seitensprung, Prost!" sprudelte der
+Fabrikherr verlegen. Die Worte flossen schnell, fast ängstlich aus
+ihm, so, als wären sie wunderliche Ziegelsteine, mit denen man im Nu
+eine schützende Mauer um sich schließen könnte.
+
+"Zu gütig," lispelte Anna bereits.
+
+Und Herr Hochvogel goß das Glas der Rienken voll und schob es behend
+dem Arbeiter hin: "Da, trinken Sie!"
+
+Die ärgste Gefahr schien behoben zu sein. Man konnte es an den
+allmählich sich wieder aufheiternden Gesichtern sehen. Auch die Wirtin
+kam wieder an den Tisch und der Fabrikant bestellte in einem fort.
+
+Johann beachtete das Getue Hochvogels mit seiner Frau auch nicht
+weiter. Er trank in vollen Zügen und wurde immer lustiger, lachte und
+machte hin und wieder einen dreisten Witz. Dadurch wurde auch Anna
+kühner. Sie wich nicht von der Seite des Fabrikherrn und streichelte
+ihn ein paarmal kosend, warf belustigte Blicke zwischen den beiden
+Männern hin und her.
+
+"Hab ich nicht gesagt, Hans, daß er ein netter Mensch ist?" sagte sie
+übermütig und lachte piepsend.
+
+"Ein netter Me--ensch! Ein sehr netter Mensch! Ein Goldmensch!"
+brümmelte Johann schon etwas betrunken und summte weiter: "Verbringt
+das Geld so gemütlich, so--so--so--" Er wankte bereits him und her und
+rülpste ungeniert in den Tisch. Gläsern standen seine Augen. Die
+anderen kicherten.
+
+"Hat ihn schon mächtig," hörte er Hochvogels Stimme.
+
+"Na, na! Herr Krill, na--!" rief die Rienken.
+
+Johann hob den schweren Kopf und glotzte auf das verschwommene Gemeng
+der drei, die im fahlen Lichtschimmer hinter den Weinflaschen sich hin
+und her drückten.
+
+"Ein ne--etter Mensch,--eine richtige Qualle--e--iin dummes Vieh!--Ein
+geiler Orang--g--kutan, hahahaha--hat den Schwanz eingezogen, weil der
+Wärter gekommen ist, haha--a--a!--" Johann sank haltlos zurück.
+
+"Das ist zu stark!" zischte Hochvogel. Der Tisch knarrte. Die
+Weinflaschen klirrten gegeneinander. Die zwei Frauen lispelten
+besänftigend. Schnell, überschnell mengten sich ihre flehenden Worte
+ineinander. Ein Gezerre um den Aufgestandenen begann.
+
+Mit herabhängenden Armen, halb eingeschlafen, zerfallen hing Johann
+auf dem Stuhl. "Er ist doch betrunken!" "Bitte, bitte,--er ist's doch
+nicht gewohnt!" "Er meint's doch nicht übel, Herr Hochvogel!"
+"Bitte!--Hier, trinken Sie. Er schläft ja schon! Seh'n Sie, seh'n
+Sie!--Es passiert nie wieder. Ich sag's ihm morgen,--mein Wort, mein
+Ehrenwort!" alles zerfloß ineinander, bittend, winselnd, aufgeregt,
+ängstlich.
+
+Wie ein zischendes Gezirpe umsummte dieses Geplätscher Johanns Kopf.
+Als gieße irgend jemand kaltes Wasser üher ihn.
+
+"Haha! Hat's viellleicht gestoh--lllen und--und wirft's weg,--dadas
+Gellldt,--wei--weils brennt in der Tasche, haha,--das dumme Vieh,
+haha--das Arschloch!" grunzte der Betrunkene lallend und lachte
+ruckweise, immerfort, glucksend.
+
+Da wurde der Tisch weggestoßen und stapfend hasteten Schritte vorbei.
+Wieder das Gezwitscher. Noch geschäftiger. Dann fiel eine Tür krachend
+zu.
+
+"Hans!" schrie Anna wütend und riß ihren Mann an der Schulter.
+
+"Saustall!" stieß die Rienken heraus.
+
+Krill hob den Kopf und langte lahm nach Anna: "Haha--ha--es ist so
+wunderschön auf der We--elt, haha--ha!"
+
+Sein ausgreifender Arm fiel wieder herab. Er sank in die alte Haltung
+zurück. Dünner Speichel rann aus seinem Mundwinkel. Er schnaubte
+geräuschvoll wie ein Pferd, das von der Kolik geplagt wird.
+
+Unter wüstem Gezeter und Gejammer verließ Anna mit ihm die Bar. Sie
+mußte ihn buchstäblich die Stiege hinaufschleppen.
+
+
+IV.
+
+Dieser unerquickliche Vorfall hatte schlimme Folgen. Am andern Tag,
+sehr früh, schellte es. Krill schlief wie ein Sack. Anna schreckte auf
+und lief halb angekleidet an die Tür. Der Ausgeher der Hochvogelschen
+Fabrik brachte die Papiere und den Lohn für Johann. In einem sehr
+kurzen, ärgerlichen Brief stand, daß sich Krill nicht mehr sehen
+lassen sollte und entlassen sei.
+
+"Ja, ja--ist schon recht!" sagte Anna verwirrt und warf die Tür zu.
+Ohne Johann zu wecken, kleidete sie sich an und ging in die Fabrik
+hinaus, um Hochvogel zu besänftigen. Auf dem ganzen Wege überlegte sie
+sich die besten Worte und übte sich in der Art, wie sie den
+Verärgerten wieder dazu bewegen wollte, daß er stillschweigend über
+das üble Ereignis hinwegginge.--
+
+Aber sie wurde nicht vorgelassen. Erbittert und erniedrigt trat sie
+den Heimweg an.
+
+"Da!--Das hast du gemacht mit deinen Dummheiten!" fuhr sie den
+inzwischen erwachten, auf dem Bettrand sitzenden Johann an und warf
+ihm das Schreiben Hochvogels him. Der blickte stumpfsinnig zu ihr auf
+und sagte kein Wort. Dies erregte sie nur noch mehr. Sie stampfte
+schimpfend aus dem Schlafzimmer und rannte zur Rienken hinunter.
+
+Die Wirtin empfing sie sehr kühl.
+
+"Herr Hochvogel hat mich wissen lassen, daß er nicht mehr kommt. Ich
+kann Sie nicht mehr brauchen.--Das ist der Dank dafür, daß ich mich
+so um Sie angenommen habe," schimpfte sie mit hochgehobenem Kopf. Anna
+versuchte auf alle mögliche Art, sie umzustimmen. Vergebens.
+
+"Und überhaupt--glauben Sie, ein solcher Mann wie Hochvogel läßt sich
+derartige Schmutzigkeiten ins Gesicht sagen! Passen Sie mal auf,--das
+hat noch ein gerichtliches Nachspiel. Und ich, was hab' ich von meiner
+Gutmütigkeit?--Vor die Gerichte werde ich gezerrt. Mein Lokal verliert
+den guten Ruf--ich hab' den Schaden und sitz' in der Patsche,--werden
+Sie sehen, ob's nicht so kommt?--Sagen Sie es nur ihrem 'Kerl'--am
+liebsten ist's mir, ihr zieht aus. Basta!" zeterte die Bienken immer
+bestimmter.
+
+Auch Anna wurde allmählich ärgerlich und schimpfte.
+
+"Geh'n Sie bloß aus meinem Lokal, Sie--Sie! So eine krieg' ich alle
+Tage!" fauchte die Wirtin wütend, rannte zur Tür und riß sie auf:
+"Geh'n Sie bloß aus meinem Lokal!" "Geh'n Sie!" schrie sie, daß ihr
+Kopf blau anlief: "Geh'n Sie! Sie--Sie Ludermensch!"
+
+Auch in Anna platzte die angesammelte Wut nun vollends.
+
+"Was sagen Sie da, was?! Sie Kupplerin, Sie dreckige!" schrie sie
+schriller noch. "Solang man sich hergibt, ist man gut, dann kann man
+gehen, Sie Dreckfetzen!"
+
+"Geh'n Sie! Geh'n Sie!" pfiff die Wirtin erstickt: "Hinaus da,
+hinaus!"
+
+Keifend verließ Anna das Lokal. Zitternd vor Erregung kam sie in ihrer
+Wohnung an. "Es ist Schluß mit allem! Ich mag nicht mehr!" stöhnte sie
+erschöpft und sank in einen Küchenstuhl. Unter stoßweisem Weinen und
+Vorwürfen erzählte sie Johann ihr Mißgeschick. Der hatte den Kopf
+unter dem Hahn der Wasserleitung und ließ immerfort den kalten Strahl
+üher ihn herabrinnen. Er drehte sich nicht um. Nicht im mindesten ließ
+er sich stören. Annas Geduld riß völlig. Sie begann wüst zu schimpfen.
+
+"Und du!--Du lungerst da heroben herum und läßt mich die Füße
+ausrennen! Ich kann mich mit den Leuten herumschlagen und die Suppe
+ausfressen, die du eingebrockt hast!" bellte sie ihn an. "Du! Du
+Lump!"
+
+Er drehte sich endlich um. Kein Wort kam aus ihm.
+
+"So rede doch, Stock!" schrie sie, "was willst du denn jetzt machen?
+Ich kann nichts mehr tun! Ich bin kaputt!" Er schwieg immer noch. Da
+stand er, tatsächlich wie ein Stock. Sie zerbrach an seiner
+Gleichgültigkeit und fiel in ein heftiges Weinen. Es schüttelte sie
+gerade so. Johann sah ohne Niedergeschlagenheit auf ihre
+zusammengekauerte, zuckende Gestalt nieder.
+
+"Was ich tun will?" sagte er endlich leichthin, als sei gar nichts
+vorgefallen,--"der wird mich schon nicht gleich herauswerfen. Ich gehe
+einfach heute wieder zur Schicht und fertig. Und die Rienken--die wird
+schon wieder aufhören mit ihrem Geschimpfe, wenn sie müd ist." Anna
+blickte auf einmal auf zu ihm. "Ist doch ein netter Kerl, dieser
+Hochvogel. Mit dem läßt sich doch reden," brummte er. Der arglose
+Ernst, die Selbstverständlichkeit dieser Worte bezwangen. Tatsächlich
+wurde sie vollkommen ruhig und glaubte zuletzt wirklich, daß dies der
+einzig glückliche Weg sei, mit einem Schlag alles Mißliche beheben
+würde.
+
+"Herrgott, ich bin ja auch so dumm! Ich laß mich von jedem ins
+Bockshorn jagen," schalt sie sich selbst, wischte sich schnell die
+Tränen ab und stellte Kaffeewasser auf. Ganz munter wurde sie wieder.
+
+Als sie dann wieder am Tisch saßen, begann sie über die Rienken zu
+schimpfen und über Hochvogel und erzählte im Laufe des Gesprächs alles
+mögliche von den beiden.
+
+"Es war ganz richtig, daß du ihm mal heimgeleuchtet hast," sagte sie,
+"die ganze Sippschaft glaubt immer, sie könnte Schindluder mit einem
+treiben!--Was hat er mir nicht alles angetragen, wenn ich mit ihm
+schlafen würde! Und wie hat die Rienken gekuppelt und jetzt--jetzt
+spielt sie sich auf, diese Sau, diese alte!"
+
+Sie blickte immer wieder wie verlegen zu Johann herüber, wurde aber,
+da er vollkommen ruhig war, immer weitschweifiger und erzählte mehr
+und immer mehr. Sein Gleichmut quälte sie. Sie berichtete dreister,
+anzüglicher.
+
+"Er hat das Geld gerade so weggeworfen. Die Bluse hat er mir
+aufgerissen, einmal. Er hat immer seine Hand unter meinem Rock gehabt,
+der Drecksack! Von den Hosen hat er einmal ein halbes Dutzend
+dahergebracht und wollte, daß ich's vor ihm anziehen soll--und die
+Bienken half mit und verschwand immer, wenn er anfing," sagte sie und
+fuhr fort: "Einmal wollt' ich ihn schon heraufnehmen in der Frühe und
+abwarten, bis du von der Fabrik kämst."
+
+Johann verzog keine Miene.
+
+"Jaja--das Loch und das Geld," brummte er beiläufig. "Es geht immer
+rundum."
+
+Ihre Hände bewegten sich in einem fort. Nervös zerrieb sie die
+Brotkrumen mit den Fingern. Sie erzählte nichts mehr. Sie schwieg. Als
+er fortgegangen war, fiel ihr Kopf auf den Tisch und ein wüstes
+Schluchzen brach aus ihr.--
+
+Johann kam ohne Hindernis durch die Fabrikpforte. Im Umkleideraum
+trafen ihn bereits befremdende Gesichter. Keiner sprach ihn mehr an
+und als er in den Maschinenraum hinuntersteigen wollte, kam der
+Schichtmeister rasch auf ihn zu und rief: "Sie sind doch entlassen,
+was wollen Sie denn noch hier?" Einige Arbeiter blieben mit
+verwunderten Mienen stehen. Das rüttelte ihn aus der Fassung. Er sah
+beklommen auf den Schichtmeister, auf die Arbeiter und hilflos im Raum
+herum.
+
+"Sie sind nun einmal bestimmt entlassen, das weiß ich," rief der
+Schichtmeister resoluter, "ich kann gar nicht verstehen, daß Sie der
+Pförtner hereingelassen hat, der hat es doch gewußt! Hat er Sie denn
+nicht darauf aufmerksam gemacht?"
+
+Johann schüttelte stumm den Kopf, blieb beharrlich stehen, dumm und
+kindisch. Die beiden anderen Arbeiter trotteten weiter.
+
+Der Schichtmeister holte den Portier. Zeternd redete er auf denselben
+ein, als er mit ihm ankam.
+
+"Wie konnten Sie denn den Mann hereinlassen. Der Chef hat's doch
+ausdrücklich gesagt, daß er entlassen ist," bellte er.
+
+Der Portier sah verärgert auf Johann und sagte ebenfalls: "Jaja, ich
+hab' Sie nur nicht gesehen. Sie sind entlassen. Sie haben hier nichts
+mehr zu suchen."
+
+Johann knickte zusammen.
+
+"Ja--ja, nu ja, dann muß ich gehn," stotterte er endlich heraus, ging
+in den Ankleideraum und entfernte sich. Niedergedrückt, fast beschämt
+trat er durch das große Fabrikportal ins Freie. Zermürbt kam er zu
+Hause an.
+
+"Ja," sagte er tonlos zu Anna, "man hat mich rausgesetzt!"
+
+"Da hast du es nun!" stieß diese heraus, "Trottel!" Die Vorwürfe
+begannen von neuem.
+
+"Ich muß mich eben wieder um was anderes umsehn," brummte er
+ärgerlich.
+
+"Und ich?! Wenn die Rienken uns hinaussetzt, was ist dann! Glaubst du,
+ich hab' mir umsonst meine Füße ausgerannt, daß wir ein wenig
+anständiger leben konnten! Du keine Arbeit, kein Geld, ich nichts zu
+tun--ich danke!" belferte sie.
+
+"Nu ja, in Gottesnamen, es wird schon wieder werden!" schloß er und
+legte sich zu Bett. Machtlos stand Anna vor diesem Stumpfsinn. Vor
+Verbitterung zitterte sie am ganzen Körper und faustete in einem fort
+die Hände.
+
+"Herrgott, es ist ja zum Davonlaufen!" schrie sie auf einmal:
+"Meinetwegen--ich geh!" Sie schmiß heftig die Tür zu. "Dummes
+Frauenzimmer!" Er stieg aus dem Bett, rief ihr nach, aber es
+antwortete niemand mehr.
+
+Wegen solcher Dummheiten war man plötzlich aus der Ordnung
+gerissen.--Er schloß die Tür wieder.
+
+Der Nachtschlaf war auch zum Teufel.--
+
+Er kleidete sich schließlich an und ging sie suchen.
+
+Ohne nachzudenken, wanderte er zur Fleischgasse und fand sie auch
+dort. Bereits stand ein Herr in einem hellen Regenmantel vor ihr und
+lispelte. Johann trat an die beiden heran und riß Anna weg: "Unsinn!
+Komm!"
+
+"Ich mag nicht!" knirschte sie eigensinnig und wollte sich losmachen.
+
+Der Herr im Regenmantel ergriff ihre Partei und begann zu brüllen. Er
+schwang schon den Stock und wollte auf Johann einbauen. Da kam ein
+Schutzmann eiligen Schrittes angeflitzt, notierte den Namen des Herrn
+und nahm die beiden mit auf die Wache.
+
+Alles Gejammer Annas half nichts. Das Erklären Johanns war vergebens.
+Sie mußten mit.
+
+Häßlich, wie das Mißgeschick die Menschen gemein macht! Auf dem ganzen
+Weg überschüttete Anna Johann mit den wüstesten Schimpfworten und
+schließlich riß auch diesem die Geduld.
+
+"Halt das Maul, dummes Vieh, dummes!" fluchte er, "hilft ja doch
+nichts! Was läufst du denn davon, so mitten in der Nacht! Jetzt hast
+du es."
+
+"Vorwärts! Marsch-marsch!" knurrte der Schutzmann immer wieder.
+
+V. Der Vorfall in der Fleischgasse hatte zur Folge, daß man Johann
+wegen Zuhälterei in Untersuchung behielt. Ein Verfahren wurde gegen
+ihn eingeleitet. Anna entließ man nach ungefähr zehn Tagen. Sie wurde
+polizeiärztlich untersucht und erhielt die übliche Erlaubniskarte der
+Prostituierten wieder. Als sie zu Hause ankam, war sie nicht wenig
+erstaunt. Die Rienken, nun einmal rabiat geworden, hatte die
+Gelegenheit benützt und pfänden lassen. Während der Haftzeit nämlich
+war der Monatserste gekommen, der Dritte, der Fünfte und der Siebente.
+So waren wenigstens die ziemlich eindeutigen Briefe der Bar- und
+Hausbesitzerin, die im Kasten steckten, datiert. Man sah es den
+schiefen, gekratzt-hingeflitzten Buchstaben der Schrift förmlich an,
+daß Sylvia Rienke das Warten auf den Mietszins satt hatte, das Warten
+und diese Mieter. "Diese, wo Kerle haben, die mir meine Gäste
+verjagen, können bei mir ziehen," hieß es endlich im Kündigungsbrief
+vom Achten. Und Recht behielt sie, die wackere Wirtin. Anna mußte
+ziehen. Sie verkaufte, was übriggeblieben war, und bezog ein Zimmer in
+der Nähe der Fleischgasse.
+
+Die drohend gereckten Fäuste, die sie am Tage ihres Abzuges, plärrend
+und keifend, mit weißem Schaum vor dem Munde, der Rienken
+entgegenhielt, und das hämische, restlos rachsüchtige: "Das streich
+ich dir noch an, Mistvettel!" waren ein Anfang für ihr weiteres
+Verhalten. Jetzt gab es fast jeden Tag kleinere oder größere
+Unannehmlichkeiten in der Bar "Tip-Top". Anna hetzte Polizei und von
+ihr bestochene skandalsüchtige Gäste in das Lokal.
+
+In der ganzen Fleischgasse war sie jetzt die Fleißigste. Mit einem
+Eifer, ja, mit einer geradezu fanatischen Selbstvergessenheit, wie man
+sie nur bei Verzweifelten oder Bohrend-Hassenden findet, verbiß sie
+sich ins Verdienen.
+
+"Die?! Hm, die schleppt auf Rekord," ließ sich nicht selten eine
+andere Prostituierte vernehmen, wenn die Rede auf Anna kam. Und es
+stimmte.--
+
+Das Merkwürdigste aber war, daß sie nunmehr alle Hebel in Bewegung
+setzte, um Johann frei zu bekommen. Sie warf das Geld weg an
+Rechtsanwälte, verfaßte eine Eingabe um die andere, bestürmte die
+Instanzen, rannte von Pontius zu Pilatus, ja, sie faßte zu guter Letzt
+sogar dem romantischen Plan, ihn mit Hilfe einiger Männer zu befreien,
+die ihr das Blaue vom Himmel herunterzuholen versprachen, ihr Geld und
+wieder Geld abnahmen und eines Tages verschwanden.
+
+Und Johann?
+
+Er lag den ganzen Tag auf der Pritsche, wurde sogar dick von dem Essen,
+das sie ihm schickte, und war stets ruhig und trocken, wenn sie ihn
+besuchen durfte. Als sie ihm von dem Auszug aus dem Rienkeschen Hause
+erzählte, hörte er stumm zu--dann, nach einer Weile, lächelte er
+und sagte: "Hml Hm,--war doch schön an dem Abend mit Hochvogel,
+hmhamhm!"
+
+Er fand nichts Schlimmes daran, daß Anna manchmal klagte.
+
+"Es ist--man müßte so was aufmachen, wie die Rienken hat," sagte er
+ein andermal wie aus einem dumpfen Gedankenkreis heraus.
+
+Und wieder einmal, als Anna jammerte, daß alles Essen so teuer wäre,
+ließ er so etwas fallen wie: "Nuja, die Bauern machen sich jetzt
+gesund. Hm, die Bauern und die, die was für'n Magen verkaufen--"
+
+Man sagt, der Weise überwindet und kommt zur vollkommenen Ruhe.
+
+Es gibt Menschen, die ohne Empfindungsvermögen geboren werden. Und es
+sind welche, die, wenn die Schmerzen und Erschütterungen ihre Seele
+in zu rascher Aufeinanderfolge zermürben, zuletzt in eine völlige
+Stumpfheit münden. Zu diesen gehörte Johann Krill.
+
+"Es war doch schön an dem Abend mit Hochvogel--so gemütlich!" und "So
+was wie die Rienken hat, müßt' man aufmachen." Das war er!--
+
+Mittlerweile kam der Termin zur Verhandlung gegen ihn. Anna hetzte
+noch mehr herum. Sie schlief nicht mehr, sie vergaß das Essen.
+
+Im Gerichtssaal hustete sie die ganze Zeit. Unstet liefen die Pupillen
+ihrer Augen von einem Winkel zum anderen. Auch die Rienken war als
+Zeuge geladen. Dummerweise war einer von den letzten Anwälten, die
+Anna genommen hatte, darauf gekommen, sie zu laden. Sie trug ein
+schwarzes Seidenkleid, dessen schweres Spitzengewirr vom speckigen
+Nacken kraus herabrann üher den hochgeschnürten, überquellenden Busen.
+Ein blutrotes Granatkollier prangte patzig auf der gelben, welken Haut
+ihres Halses, dessen blaue Äderung nur schlecht vom dick aufgetragenen
+Puder verwischt war. Ihre Froschhände waren beteuernd auf den Magen
+gepreßt und spielten manchmal mit dem Schildpatt-Lorgnon, das an einer
+breiten goldenen Kette herabhing.
+
+"Ich bin gleich fertig mit meinen Aussagen, Herr Amtsrichter, ich hab'
+ein Geschäft und viel im Kopf," begann sie, als sie aufgerufen wurde.
+
+"Die?!--Gott sei Dank, ich hab' immer anständige Bedienerinnen gehabt,"
+fuhr sie fort, üher Anna befragt, und warf einen seitlichen, herablassenden
+Blick auf diese, "aber nun, man tappt auch einmal herein.--Ich hab' es mir
+aber--glauben Sie es mir, Herr Amtsrichter, ich bin fünfzehn Jahre auf dem
+gleichen Platz und weiß, was der Ruf für ein Geschäft ausmacht--ich hab'
+es mir geschworen: Rienken, sagt' ich mir, Rienken--von der Fleischgasse
+nimmst du keine mehr, nicht um die Welt!" Sie kam immer mehr in Zug.
+
+"Vettel!" schrie Anna schrill und wurde verwarnt. Die Rienken drehte sich
+schnell um und dann wieder zum Richter. "Man soll sich nicht ärgern, Herr
+Amtsrichter?" Und sie schnitt eine weinerliche Miene:
+
+"Wie hab' ich den Leuten geholfen und was hab' ich davon!--Es ist bloß
+gut, daß ich meinen Kopf nie verlier', es ist ja bloß gut, daß ich
+mich nie auf die gleiche Stufe stelle mit--mit--so was."
+
+Und endlich zur Sache gerufen, erzählte sie weitschweifig, daß Johann
+die Stellung bei diesem Fabrikherrn nicht umsonst angenommen habe.
+"Und Nachtschicht--er wird schon gewußt haben, warum. Man kennt
+solche--Nachtschichten!" Und Herr Hochvogel?... Sie geriet etwas in
+Verwirrung. Nun, der habe bald klar gesehen, ein solcher Herr ließe
+sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.
+
+"Der muß her! Der muß Zeuge machen!" schrie Anna, und ihr Rechtsanwalt
+brachte es auch fertig. Nun wurde es aber noch ungünstiger. Obwohl dem
+Fabrikanten die ganze Sache äußerst unangenehm war, obwohl er sich
+außerordentlich zurückhielt und nichts gegen Johann eigentlich
+vorbringen konnte, als eben jenen üblen Vorfall in der Rienkeschen
+Bar--es machte alles einen schlechten, sehr schlechten Eindruck
+--Johann Krill wurde verurteilt.
+
+Anna bekam einen minutenlangen Schreikrampf. Sie stürzte vor und
+wollte auf die Rienken los. Es mußten sie Schutzleute mit Gewalt
+wegbringen.
+
+Johann, der ohne Erregung den Auftritten zusah, nahm alles mit Ruhe
+hin. Er lächelte fast verlegen, als ihn die Richter am Schluß fragten,
+ob er noch etwas zu sagen wünsche.
+
+"Dumm," brummte er und kratzte sich hinter dem rechten Ohr, "dumm,
+Herr Richter, man tappt eben hinein und--und dann passiert allerhand."
+
+Die steinernen Amtsmienen wußten einen Augenblick lang wirklich nicht,
+sollten sie lachen oder einige beruhigende Worte des Mitleids aus ihren
+Lippen lassen.
+
+Damit war es zu Ende. Anna konnte Johann nun nicht mehr besuchen. Die
+beiden waren auseinander.--In ihrer Wut schlug Anna einige Tage
+später die zwei großen Fensterscheiben der Rienkeschen Bar ein und
+konnte mit Mühe nur überwältigt werden. Das Beil wurde ihr abgenommen
+und der herbeigerufene Schutzmann nahm sie mit.
+
+Und wieder gab es einen Prozeß. Wegen Bedrohung und Sachbeschädigung
+wurde Anna Krill zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
+
+Hier bricht der Faden ab. Es ist nichts mehr zu berichten.
+
+Eine Million ist viel--eine Milliarde ist mehr.--Johann Krill ist
+Legion.
+
+Vielleicht arbeitet Johann Krill wieder irgendwo oder er trinkt, oder
+er hat den Halt verloren und sitzt weiter in Gefängnissen.
+
+Anna--Sie wird eines Tages krank sein, wieder gesunden, wieder krank
+werden und so fort....
+
+Das einzige, was bestehen bleibt, solange wie diese Gesellschaft,
+ist--die Rienken!
+
+Wie lange noch?!
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, ZUR FREUNDLICHEN ERINNERUNG ***
+
+This file should be named 8zfre10.txt or 8zfre10.zip
+Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 8zfre11.txt
+VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 8zfre10a.txt
+
+Project Gutenberg eBooks are often created from several printed
+editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US
+unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not
+keep eBooks in compliance with any particular paper edition.
+
+We are now trying to release all our eBooks one year in advance
+of the official release dates, leaving time for better editing.
+Please be encouraged to tell us about any error or corrections,
+even years after the official publication date.
+
+Please note neither this listing nor its contents are final til
+midnight of the last day of the month of any such announcement.
+The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at
+Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A
+preliminary version may often be posted for suggestion, comment
+and editing by those who wish to do so.
+
+Most people start at our Web sites at:
+http://gutenberg.net or
+http://promo.net/pg
+
+These Web sites include award-winning information about Project
+Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new
+eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!).
+
+
+Those of you who want to download any eBook before announcement
+can get to them as follows, and just download by date. This is
+also a good way to get them instantly upon announcement, as the
+indexes our cataloguers produce obviously take a while after an
+announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter.
+
+http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext05 or
+ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext05
+
+Or /etext04, 03, 02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92,
+91 or 90
+
+Just search by the first five letters of the filename you want,
+as it appears in our Newsletters.
+
+
+Information about Project Gutenberg (one page)
+
+We produce about two million dollars for each hour we work. The
+time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours
+to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright
+searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our
+projected audience is one hundred million readers. If the value
+per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2
+million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text
+files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+
+We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002
+If they reach just 1-2% of the world's population then the total
+will reach over half a trillion eBooks given away by year's end.
+
+The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks!
+This is ten thousand titles each to one hundred million readers,
+which is only about 4% of the present number of computer users.
+
+Here is the briefest record of our progress (* means estimated):
+
+eBooks Year Month
+
+ 1 1971 July
+ 10 1991 January
+ 100 1994 January
+ 1000 1997 August
+ 1500 1998 October
+ 2000 1999 December
+ 2500 2000 December
+ 3000 2001 November
+ 4000 2001 October/November
+ 6000 2002 December*
+ 9000 2003 November*
+10000 2004 January*
+
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been created
+to secure a future for Project Gutenberg into the next millennium.
+
+We need your donations more than ever!
+
+As of February, 2002, contributions are being solicited from people
+and organizations in: Alabama, Alaska, Arkansas, Connecticut,
+Delaware, District of Columbia, Florida, Georgia, Hawaii, Illinois,
+Indiana, Iowa, Kansas, Kentucky, Louisiana, Maine, Massachusetts,
+Michigan, Mississippi, Missouri, Montana, Nebraska, Nevada, New
+Hampshire, New Jersey, New Mexico, New York, North Carolina, Ohio,
+Oklahoma, Oregon, Pennsylvania, Rhode Island, South Carolina, South
+Dakota, Tennessee, Texas, Utah, Vermont, Virginia, Washington, West
+Virginia, Wisconsin, and Wyoming.
+
+We have filed in all 50 states now, but these are the only ones
+that have responded.
+
+As the requirements for other states are met, additions to this list
+will be made and fund raising will begin in the additional states.
+Please feel free to ask to check the status of your state.
+
+In answer to various questions we have received on this:
+
+We are constantly working on finishing the paperwork to legally
+request donations in all 50 states. If your state is not listed and
+you would like to know if we have added it since the list you have,
+just ask.
+
+While we cannot solicit donations from people in states where we are
+not yet registered, we know of no prohibition against accepting
+donations from donors in these states who approach us with an offer to
+donate.
+
+International donations are accepted, but we don't know ANYTHING about
+how to make them tax-deductible, or even if they CAN be made
+deductible, and don't have the staff to handle it even if there are
+ways.
+
+Donations by check or money order may be sent to:
+
+ PROJECT GUTENBERG LITERARY ARCHIVE FOUNDATION
+ 809 North 1500 West
+ Salt Lake City, UT 84116
+
+Contact us if you want to arrange for a wire transfer or payment
+method other than by check or money order.
+
+The Project Gutenberg Literary Archive Foundation has been approved by
+the US Internal Revenue Service as a 501(c)(3) organization with EIN
+[Employee Identification Number] 64-622154. Donations are
+tax-deductible to the maximum extent permitted by law. As fund-raising
+requirements for other states are met, additions to this list will be
+made and fund-raising will begin in the additional states.
+
+We need your donations more than ever!
+
+You can get up to date donation information online at:
+
+http://www.gutenberg.net/donation.html
+
+
+***
+
+If you can't reach Project Gutenberg,
+you can always email directly to:
+
+Michael S. Hart <hart@pobox.com>
+
+Prof. Hart will answer or forward your message.
+
+We would prefer to send you information by email.
+
+
+**The Legal Small Print**
+
+
+(Three Pages)
+
+***START**THE SMALL PRINT!**FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS**START***
+Why is this "Small Print!" statement here? You know: lawyers.
+They tell us you might sue us if there is something wrong with
+your copy of this eBook, even if you got it for free from
+someone other than us, and even if what's wrong is not our
+fault. So, among other things, this "Small Print!" statement
+disclaims most of our liability to you. It also tells you how
+you may distribute copies of this eBook if you want to.
+
+*BEFORE!* YOU USE OR READ THIS EBOOK
+By using or reading any part of this PROJECT GUTENBERG-tm
+eBook, you indicate that you understand, agree to and accept
+this "Small Print!" statement. If you do not, you can receive
+a refund of the money (if any) you paid for this eBook by
+sending a request within 30 days of receiving it to the person
+you got it from. If you received this eBook on a physical
+medium (such as a disk), you must return it with your request.
+
+ABOUT PROJECT GUTENBERG-TM EBOOKS
+This PROJECT GUTENBERG-tm eBook, like most PROJECT GUTENBERG-tm eBooks,
+is a "public domain" work distributed by Professor Michael S. Hart
+through the Project Gutenberg Association (the "Project").
+Among other things, this means that no one owns a United States copyright
+on or for this work, so the Project (and you!) can copy and
+distribute it in the United States without permission and
+without paying copyright royalties. Special rules, set forth
+below, apply if you wish to copy and distribute this eBook
+under the "PROJECT GUTENBERG" trademark.
+
+Please do not use the "PROJECT GUTENBERG" trademark to market
+any commercial products without permission.
+
+To create these eBooks, the Project expends considerable
+efforts to identify, transcribe and proofread public domain
+works. Despite these efforts, the Project's eBooks and any
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+things, Defects may take the form of incomplete, inaccurate or
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+intellectual property infringement, a defective or damaged
+disk or other eBook medium, a computer virus, or computer
+codes that damage or cannot be read by your equipment.
+
+LIMITED WARRANTY; DISCLAIMER OF DAMAGES
+But for the "Right of Replacement or Refund" described below,
+[1] Michael Hart and the Foundation (and any other party you may
+receive this eBook from as a PROJECT GUTENBERG-tm eBook) disclaims
+all liability to you for damages, costs and expenses, including
+legal fees, and [2] YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE OR
+UNDER STRICT LIABILITY, OR FOR BREACH OF WARRANTY OR CONTRACT,
+INCLUDING BUT NOT LIMITED TO INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE
+OR INCIDENTAL DAMAGES, EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE
+POSSIBILITY OF SUCH DAMAGES.
+
+If you discover a Defect in this eBook within 90 days of
+receiving it, you can receive a refund of the money (if any)
+you paid for it by sending an explanatory note within that
+time to the person you received it from. If you received it
+on a physical medium, you must return it with your note, and
+such person may choose to alternatively give you a replacement
+copy. If you received it electronically, such person may
+choose to alternatively give you a second opportunity to
+receive it electronically.
+
+THIS EBOOK IS OTHERWISE PROVIDED TO YOU "AS-IS". NO OTHER
+WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, ARE MADE TO YOU AS
+TO THE EBOOK OR ANY MEDIUM IT MAY BE ON, INCLUDING BUT NOT
+LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR A
+PARTICULAR PURPOSE.
+
+Some states do not allow disclaimers of implied warranties or
+the exclusion or limitation of consequential damages, so the
+above disclaimers and exclusions may not apply to you, and you
+may have other legal rights.
+
+INDEMNITY
+You will indemnify and hold Michael Hart, the Foundation,
+and its trustees and agents, and any volunteers associated
+with the production and distribution of Project Gutenberg-tm
+texts harmless, from all liability, cost and expense, including
+legal fees, that arise directly or indirectly from any of the
+following that you do or cause: [1] distribution of this eBook,
+[2] alteration, modification, or addition to the eBook,
+or [3] any Defect.
+
+DISTRIBUTION UNDER "PROJECT GUTENBERG-tm"
+You may distribute copies of this eBook electronically, or by
+disk, book or any other medium if you either delete this
+"Small Print!" and all other references to Project Gutenberg,
+or:
+
+[1] Only give exact copies of it. Among other things, this
+ requires that you do not remove, alter or modify the
+ eBook or this "small print!" statement. You may however,
+ if you wish, distribute this eBook in machine readable
+ binary, compressed, mark-up, or proprietary form,
+ including any form resulting from conversion by word
+ processing or hypertext software, but only so long as
+ *EITHER*:
+
+ [*] The eBook, when displayed, is clearly readable, and
+ does *not* contain characters other than those
+ intended by the author of the work, although tilde
+ (~), asterisk (*) and underline (_) characters may
+ be used to convey punctuation intended by the
+ author, and additional characters may be used to
+ indicate hypertext links; OR
+
+ [*] The eBook may be readily converted by the reader at
+ no expense into plain ASCII, EBCDIC or equivalent
+ form by the program that displays the eBook (as is
+ the case, for instance, with most word processors);
+ OR
+
+ [*] You provide, or agree to also provide on request at
+ no additional cost, fee or expense, a copy of the
+ eBook in its original plain ASCII form (or in EBCDIC
+ or other equivalent proprietary form).
+
+[2] Honor the eBook refund and replacement provisions of this
+ "Small Print!" statement.
+
+[3] Pay a trademark license fee to the Foundation of 20% of the
+ gross profits you derive calculated using the method you
+ already use to calculate your applicable taxes. If you
+ don't derive profits, no royalty is due. Royalties are
+ payable to "Project Gutenberg Literary Archive Foundation"
+ the 60 days following each date you prepare (or were
+ legally required to prepare) your annual (or equivalent
+ periodic) tax return. Please contact us beforehand to
+ let us know your plans and to work out the details.
+
+WHAT IF YOU *WANT* TO SEND MONEY EVEN IF YOU DON'T HAVE TO?
+Project Gutenberg is dedicated to increasing the number of
+public domain and licensed works that can be freely distributed
+in machine readable form.
+
+The Project gratefully accepts contributions of money, time,
+public domain materials, or royalty free copyright licenses.
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+"Project Gutenberg Literary Archive Foundation."
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+software or other items, please contact Michael Hart at:
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+[Portions of this eBook's header and trailer may be reprinted only
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+Michael S. Hart. Project Gutenberg is a TradeMark and may not be
+used in any sales of Project Gutenberg eBooks or other materials be
+they hardware or software or any other related product without
+express permission.]
+
+*END THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN EBOOKS*Ver.02/11/02*END*
+
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