summaryrefslogtreecommitdiff
diff options
context:
space:
mode:
authorpgww <pgww@lists.pglaf.org>2025-10-07 11:22:01 -0700
committerpgww <pgww@lists.pglaf.org>2025-10-07 11:22:01 -0700
commitf178593a7996ee45869996732a2d2869fd95e4fd (patch)
treeeb0191ae788b1580894ce7ea588884c2bd545a29
Update for 77002HEADmain
-rw-r--r--.gitattributes3
-rw-r--r--77002-0.txt2919
-rw-r--r--77002-h/77002-h.htm3542
-rw-r--r--77002-h/images/cover.jpgbin0 -> 1009787 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_011.jpgbin0 -> 232545 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_017.jpgbin0 -> 228862 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_021.jpgbin0 -> 238047 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_021_gross.jpgbin0 -> 729699 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_027.jpgbin0 -> 238240 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_033.jpgbin0 -> 234601 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_033_gross.jpgbin0 -> 743605 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_041.jpgbin0 -> 227420 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_047.jpgbin0 -> 236145 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_047_gross.jpgbin0 -> 785514 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_051.jpgbin0 -> 240761 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_057.jpgbin0 -> 233782 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_057_gross.jpgbin0 -> 752683 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_061.jpgbin0 -> 228491 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_063.jpgbin0 -> 231405 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_063_gross.jpgbin0 -> 737648 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_067.jpgbin0 -> 233280 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_071.jpgbin0 -> 226746 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_071_gross.jpgbin0 -> 749428 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_075.jpgbin0 -> 239744 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_075_gross.jpgbin0 -> 806794 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/illu_077.jpgbin0 -> 240001 bytes
-rw-r--r--77002-h/images/signet.jpgbin0 -> 45437 bytes
-rw-r--r--LICENSE.txt11
-rw-r--r--README.md2
29 files changed, 6477 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes
new file mode 100644
index 0000000..6833f05
--- /dev/null
+++ b/.gitattributes
@@ -0,0 +1,3 @@
+* text=auto
+*.txt text
+*.md text
diff --git a/77002-0.txt b/77002-0.txt
new file mode 100644
index 0000000..d762df9
--- /dev/null
+++ b/77002-0.txt
@@ -0,0 +1,2919 @@
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77002 ***
+
+
+ ####################################################################
+
+ Anmerkungen zur Transkription
+
+ Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1929 so weit
+ wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche Fehler
+ wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr
+ verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert.
+
+ Fußnoten erscheinen am Ende des jeweiligen Absatzes. Die Buchanzeigen
+ wurden der Übersichtlichkeit halber zusammen am Schluss des Buchtexts
+ dargestellt.
+
+ Besondere Schriftvarianten werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
+ folgenden Symbole gekennzeichnet:
+
+ fett: =Gleichheitszeichen=
+ gesperrt: +Pluszeichen+
+ Antiqua: ~Tilden~
+
+ ####################################################################
+
+
+
+
+ KOSMOS-BÄNDCHEN
+
+
+ TIERVATER BREHM
+
+ 114 ○
+
+
+
+
+ Tiervater Brehm
+
+ Seine Forschungsreisen / Ein Gedenkblatt
+ zum 100. Geburtstag
+
+
+ Von
+
+ Dr. Kurt Floericke
+
+
+
+
+ Mit einem farbigen Umschlagbild von Prof. A. Wagner,
+ einer Zeichnung von W. Planck, 2 Karten
+ und 12 Abbildungen nach zeitgenössischen Bildern
+ oder photographischen Aufnahmen der Gegenwart
+
+
+ [Illustration]
+
+
+ Stuttgart
+ Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
+ Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung
+
+
+
+
+ Nachdruck verboten / Alle Rechte, auch das Übersetzungsrecht,
+ vorbehalten ~Copyright 1929 by Franckh’sche Verlagshandlung,
+ Stuttgart / Printed in Germany~ / Druck von Holzinger & Co.,
+ Stuttgart
+
+
+
+
+Inhalt
+
+
+ Brehms Lebenslauf 5
+
+ Im Renthendorfer Pfarrhaus 9
+
+ Nilfahrten 15
+
+ Durch Steppe, Wüste und Urwald 23
+
+ Kairo und Chartum 32
+
+ In Spanien 50
+
+ Nordlandfahrt 53
+
+ Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien 59
+
+ In Westsibirien 66
+
+ Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau 73
+
+ Nach Amerika 78
+
+ Schlußwort 79
+
+
+ Das Umschlagbild nach einer Zeichnung von Professor A. Wagner,
+ Kassel, stellt eine Szene am Nil dar: Brehm hat einen Seeadler
+ geschossen, der Vogel fällt in den Strom, Brehm will ihn im Jagdeifer
+ aus dem Wasser herausholen. Sein Diener warnt vor den Krokodilen.
+ Brehm achtet zunächst nicht auf die Warnung, muß aber im letzten
+ Augenblicke umkehren, denn ein großes Krokodil stürzt sich auf die
+ Jagdbeute.
+
+
+
+
+Brehms Lebenslauf
+
+
+Alfred Edmund Brehm wurde am 2. Februar 1829 in dem ostthüringischen
+Pfarrhause Renthendorf (Sachsen-Altenburg) geboren[1]. In voller
+Freiheit, inmitten der thüringischen Wälder aufwachsend, erhielt er
+dort die denkbar beste Erziehung zum künftigen Naturforscher, denn
+sein Vater war einer der bedeutendsten Vogelforscher seiner Zeit. Mit
+einem geradezu fabelhaften Scharfblick für die feinsten Unterschiede in
+Gestalt und Gefieder der Vögel begabt, kann er in gewissem Sinne als
+ein Vorläufer Darwins und der heutigen Formenkreislehre angesprochen
+werden. Von seiner Mutter, Bertha Reiz, erbte Alfred das ausgesprochene
+Feingefühl für die Schönheiten einer reinen deutschen Sprache, und
+nicht zuletzt besteht darin der große Einfluß, den er durch seine
+Schriften auf weiteste Kreise des Volkes gewonnen hat. Brehm war nicht
+nur ein ausgezeichneter Naturschilderer, sondern zugleich ein Klassiker
+der deutschen Prosa, der ein fast fremdwortfreies Deutsch schrieb (für
+einen damaligen Gelehrten etwas Unerhörtes!) und es großartig verstand,
+prachtvolle Sätze zu bauen, ohne doch jemals in Schwülstigkeiten oder
+lateinischen Periodenbau zu verfallen.
+
+ [1] Im „Tierleben“ ist irrtümlich Sachsen-Weimar als Brehms Heimat
+ angegeben.
+
+Bestimmend für seinen Lebenslauf wurde der Umstand, daß sich ihm schon
+im 18. Lebensjahre Gelegenheit bot, eine große Forschungsreise nach
+dem Sudan, einem damals noch fast unbekannten Land, mitzumachen. Sie
+gestaltete sich ungemein abenteuerlich und hielt den jungen Forscher
+unter den größten Entbehrungen volle fünf Jahre im Schwarzen Erdteil
+zurück. Nach seiner endlichen Heimkehr konnte von einer Fortsetzung
+der vorher begonnenen Architektenlaufbahn natürlich keine Rede mehr
+sein, sondern er studierte in Jena, wo er seiner ausländischen
+Tiere wegen unter dem Spitznamen „Pharao“ bekannt war, und in Wien
+Naturwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Tierkunde.
+Nach Abschluß der Hochschulbildung konnte er an die Gründung eines
+eigenen Heims denken, übernahm eine Lehrerstelle für Naturgeschichte
+und Geographie an der höheren Töchterschule in Leipzig und führte seine
+längst still geliebte Base Mathilde Reiz aus Greiz zum Altar. Sie war
+für ihn geradezu die gegebene Gattin, und er hätte keine bessere Wahl
+treffen können. Eifersüchtiger auf die Wahrung seines Ruhmes bedacht
+als er selbst, bemühte sie sich, ihm ein heiteres und gemütliches Heim
+zu schaffen und alle unangenehmen Störungen von ihm fernzuhalten, um
+ihm so ein von äußeren Einflüssen unabhängiges Arbeiten zu ermöglichen.
+Die kleine behende Frau brachte ihn sogar manchmal dazu, die geliebte
+Jagdjoppe auszuziehen und in den verhaßten Frack zu schlüpfen, freilich
+nie dazu, einflußreichen Leuten schön zu tun und zu schmeicheln. Brehm
+ist vielmehr sein ganzes Leben hindurch ein frühzeitig selbstbewußter
+und unbeugsamer Charakter geblieben, was im äußeren Leben zu manchen
+Reibungen führte. Aus der Ehe ging ein Sohn, Horst, hervor, der
+Arzt wurde und sich nebenbei zu einem angesehenen Fachmann auf dem
+Gebiete der Fischkunde und Fischzucht entwickelte. Er ist schon im
+besten Mannesalter verstorben, aber sein Sohn Oskar schien die volle
+schriftstellerische und naturforscherische Begabung des Großvaters
+geerbt zu haben. Leider ist er dem Weltkrieg zum Opfer gefallen und
+damit die berühmte Gelehrtenfamilie Brehm, wie so viele andere, im
+männlichen Geschlecht ausgestorben. Zwei Töchter Alfred Brehms leben
+dagegen noch heute in dem bescheidenen Landhaus in Renthendorf, das ihr
+Vater sich neben dem alten Pfarrhaus erbaut hatte, als seine äußeren
+Lebensumstände sich günstiger gestalteten. Das Familienleben dieses
+Hauses war das denkbar schönste und glücklichste und erhielt erst
+einen Riß nach dem Heimgange der Mutter bei der Geburt ihres jüngsten
+Kindes. Wie mir Frl. Thekla Brehm schrieb, hielt der Vater streng
+darauf, daß seine Kinder von seinem Ruhm möglichst wenig erfuhren. Sie
+hatten tatsächlich kaum eine Ahnung davon. Tagsüber kam der Vater nicht
+vom Schreibtisch fort, und abends las er in seinen Klassikern. Seine
+Erholungsstunden füllte er mit Blumen- und namentlich mit Rosenzucht
+aus, während er sonst für Botanik eigentlich auffällig wenig Sinn
+hatte, ebenso für die niederen Tiere. Sein ganzes Herz gehörte den
+Wirbeltieren, in erster Linie den Vögeln und Säugern.
+
+Brehms Bleiben in Leipzig währte nicht lange, aber man könnte
+noch heute seine Schülerinnen um den Unterricht beneiden, den sie
+genossen haben und der gewiß himmelweit abwich von dem, wie er
+sonst damals üblich war. Wichtige Verbindungen, die für Brehms
+ganzes Leben maßgebend wurden, sind aber während dieses Leipziger
+Aufenthaltes geknüpft worden, so mit Roßmäßler, der damals dem Gedanken
+volkstümlicher Naturbeschreibung siegreich Bahn brach und mit Brehm
+zusammen die „Tiere des Waldes“ herausgab, und namentlich mit Ernst
+Keil, dem weitsichtigen und großzügigen Verleger der „Gartenlaube“,
+die sich nicht zuletzt durch Brehms Mitarbeiterschaft zum führenden
+deutschen Familienblatte emporschwang. Viele der besten und schönsten
+Aufsätze Brehms sind ja in der „Gartenlaube“ erschienen. Um dem
+geschätzten Forscher und Mitarbeiter nach seiner Tropenreise auch
+einen Einblick in die nordische Vogelwelt zu geben, schickte ihn Keil
+auf seine Kosten nach Skandinavien und Lappland. Schon 1862 bot sich
+Gelegenheit zu einer zweiten Tropenreise, als Herzog Ernst II. von
+Sachsen-Koburg-Gotha Brehm zur Leitung einer Reise nach Abessinien
+mit zahlreichem Gefolge aufforderte. Brehm hätte nicht Brehm sein
+müssen, wenn er nicht mit Freuden zugesagt hätte. Es muß jedoch betont
+werden, daß es sich bei dieser und den späteren Reisen nicht etwa um
+bloße Jagdreisen handelte, mit dem Ziele, möglichst viele Trophäen
+einzuheimsen, sondern daß der Hauptzweck ein wissenschaftlicher war
+und der Herzog infolgedessen, ebenso wie später Kronprinz Rudolf
+von Österreich, von einem ganzen Stabe von Gelehrten, Künstlern und
+Präparatoren begleitet war. Für eine bloße Jagdreise wäre Brehm nicht
+zu haben gewesen. Leider hatte er gerade bei der Abessinienreise,
+ebenso wie früher im Sudan, schwer unter Malaria zu leiden und wurde
+dadurch sehr in seiner Tätigkeit behindert. Mit Kronprinz Rudolf
+verband ihn ein wahrer Freundschaftsbund, und Brehm, der in Österreich
+geadelt wurde, aber niemals davon Gebrauch gemacht hat, ging in seiner
+Jagdjoppe auf dem Hradschin in Prag und auf der Königsburg in Ofen
+unangemeldet ein und aus. Gemeinsam mit Rudolf unternahm er eine kurze,
+aber ergebnisreiche Forschungsreise nach der unteren Donau, und zwei
+Jahre später eine ebensolche nach Spanien. Vorausgegangen war 1877 eine
+Reise nach dem südwestlichen Sibirien, die zwar ihr Ziel nicht völlig
+erreichte, aber doch in bezug auf Tier- und Völkerkunde reiche Früchte
+trug.
+
+Zwischen diesen verschiedenen Forschungsreisen liegt Brehms Tätigkeit
+als Tiergärtner. Schon 1863 war aus Hamburg ein verlockender Ruf zur
+Leitung des dortigen, sehr heruntergewirtschafteten Tiergartens an
+ihn ergangen; er hatte begeistert angenommen und in wenigen Jahren
+Großartiges geleistet. Aber mit dem vielköpfigen und engherzigen
+Aufsichtsrat, der für Brehms ideale Bestrebungen wenig Verständnis
+hatte, konnte er sich nicht befreunden und legte deshalb schon nach
+wenigen Jahren das Amt nieder. Trotz dieser bitteren Erfahrung begab er
+sich gleich darauf in ein ähnliches Joch, diesmal nach Berlin, wo nach
+seinen Plänen das Aquarium „Unter den Linden“, eine für die damalige
+Zeit einzig dastehende Schöpfung, errichtet wurde. Es ist fabelhaft,
+was Brehm hier nach jeder Richtung hin geschaffen hat. Aber trotzdem
+wiederholte sich die Tragödie von Hamburg. Seitdem lebte er als freier
+Schriftsteller, der im Sommer an seinen Werken arbeitete und im Winter
+seine berühmten Vorträge hielt.
+
+Von seinen Werken seien noch besonders „Das Leben der Vögel“, das er
+selbst für sein bestes Buch hielt, und zwei Bände „Gefangene Vögel“
+erwähnt. Sein eigentliches Lebenswerk ist aber das „Illustrierte
+Tierleben“, das 1863 in erster Auflage zu erscheinen begann, ein Werk,
+um das uns alle Völker beneiden, denn es ist einzig in seiner Art.
+Es hat die Tierkunde, die bis dahin ausschließlich von nüchternen
+Fachgelehrten in der trockensten und langweiligsten Weise behandelt
+wurde, mit einem Schlage volkstümlich gemacht und dem deutschen Volk
+die altgermanische Liebe zum Tier neu erweckt. Mit diesen umfangreichen
+Bänden wurde zum erstenmal die Tierbiologie der Systematik und Anatomie
+ebenbürtig, und wenn heute gerade die Kunde vom +lebenden+ Tier
+eine hervorragende Rolle spielt, so ist das zweifellos in erster Linie
+auf Brehms unsterbliches Werk zurückzuführen.
+
+Brehm, der nur 55 Jahre alt geworden ist, war in den Jahren seiner
+Blüte eine männlich schöne, schlanke und doch kraftvoll gewachsene
+Erscheinung. Die hohe, breite Stirn, die stark entwickelte Adlernase,
+der starke Vollbart und das reiche, zurückgestrichene Haupthaar gaben
+seiner Erscheinung etwas Apostelartiges, und ein Apostel der Tierkunde
+ist er ja auch gewesen. Sein Charakter war von männlicher Festigkeit,
+die bisweilen bis zur Schroffheit gesteigert werden konnte, aber
+trotzdem liebenswürdig, den Freunden gegenüber stets hilfsbereit und
+von unerschütterlicher Treue. Ein gewisses Selbstbewußtsein vereinigte
+sich mit größter Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit.
+
+
+
+
+Im Renthendorfer Pfarrhaus
+
+
+„Alfred, nun hole uns doch auch noch den Kasten mit den gelben
+Bachstelzen her! Die muß der Herr Baron sich unbedingt noch recht
+genau ansehen, denn gerade mit diesen Vögeln wird er sicherlich am Nil
+vielfach zusammentreffen.“
+
+Der so sprach, war seit dem Kriegsjahre 1813 wohlbestallter Pfarrherr
+in dem ostthüringischen Dörfchen Renthendorf: Christian Ludwig Brehm
+(1787–1864), eine hohe Gestalt mit verwitterten Gesichtszügen, etwas zu
+lang und dick geratener Nase. Scharf, aber unendlich gutmütig blickten
+die Augen. Das schwarzsamtene Hauskäppchen, das er immer trug, verlieh
+ihm etwas Patriarchalisches. Sein wesentlich jüngerer Besucher war
+der schwäbische Baron Joh. Wilh. Müller, der sich bereits durch eine
+Afrikareise in der wissenschaftlichen Welt einen guten Namen verschafft
+hatte und nun wieder nach dem schwarzen Erdteil gehen und dabei der
+Vogelwelt besondere Aufmerksamkeit schenken wollte. Bei wem aber hätte
+er sich dazu über vogelkundliche Fragen bessere Auskunft holen können
+als bei dem „alten Brehm“, wie der Renthendorfer Pfarrherr schon
+damals allgemein hieß. War dieser doch neben Joh. Friedr. Naumann der
+bedeutendste Vogelforscher seiner Zeit und deshalb das weltentlegene
+thüringische Pfarrhaus ein wahres Mekka der Ornithologen, das fast
+niemals von Gästen leer wurde. Die große und nach ganz neuartigen
+Gesichtspunkten angelegte Vogelbalgsammlung des Hausherrn gab dann
+stets unerschöpflichen Stoff zu gelehrten Untersuchungen, endlosen
+Gesprächen und oft hitzigem Austausch der verschiedensten Ansichten.
+
+Alfred, der sich seit seiner Konfirmation (1843) im nahen Altenburg
+der Architektenlaufbahn widmete, war damals im zeitigen Frühjahr 1847
+ein kaum 18jähriger Jüngling, prächtig gewachsen, mit hellen Augen
+und gesund gebräunten Gesichtszügen. Als wissenschaftlicher Gehilfe
+des vogelkundigen Vaters wußte er in der Sammlung natürlich gründlich
+Bescheid. So sehr sie auch in den beschränkten Räumlichkeiten verkramt
+und verzettelt war, hatte er doch alsbald mit sicherem Griff den
+Kasten mit den Viehstelzen herausgefunden, brachte ihn angeschleppt
+und stellte ihn auf den Tisch, erst andere, dort schon ausgebreitete
+Vogelbälge beiseite schiebend. In langen Reihen lagen die schlanken,
+spitzköpfigen und langschwänzigen, auf der Bauchseite leuchtend gelb
+gefärbten Vögel da. „Nun sehen Sie doch einmal, Herr Baron, diese
+gewaltigen Verschiedenheiten“, ergriff mit dröhnender Stimme der
+Hausherr eifrig das Wort. „Wer nicht ganz mit Blindheit geschlagen ist,
+muß sie doch auf den ersten Blick sehen, und ich begreife nicht, daß
+es immer noch Ornithologen gibt, die diese Unterschiede ganz leugnen
+oder sie nur für solche nach Geschlecht und Jahreszeiten halten. Darum
+handelt es sich aber keineswegs, sondern um abweichende geographische
+Formen, also um das, was ich ›Subspezies‹ nenne. Hier sehen Sie z. B.
+eine ganze Reihe Schafstelzen, die im Gegensatz zu den anderen eine
+weiße Kehle haben. Das sind Südeuropäer; ich bekam sie aus Italien. Die
+nächste Reihe hat nicht, wie gewöhnlich, aschgraue Ohrdecken, sondern
+schieferschwarze. Sie sind zwar in Deutschland erlegt, aber trotzdem
+auf gar keinen Fall deutsche Brutvögel, sondern Nordländer, die uns
+nur auf dem Durchzuge besuchen. Sehen Sie nur einmal die Begleitzettel
+näher an. Immer werden Sie finden, daß das Erlegungsdatum mit der
+Zugzeit dieser schönen Vögel zusammenfällt. Und dann drehen Sie die
+Bälge einmal um und achten Sie auf das Vorhandensein oder Fehlen
+des Augenbrauenstreifens oder auf die ganz verschiedene Färbung des
+Oberkopfes.“ -- „Hier haben wir“, wagte Alfred einzuwerfen, „sogar
+einige Stücke mit glänzend schwarzem Oberkopf, die wir neulich durch
+Professor Naumann von den anhaltinischen Besitzungen in Südrußland
+erhalten haben.“
+
+Interessiert vertiefte sich der Gast in die nähere Betrachtung der
+sauber hergerichteten und mit peinlichster Genauigkeit etikettierten
+Bälge. „In der Tat“, meinte er dann, „sind die Unterschiede zwischen
+den Viehstelzen verschiedener Herkunft viel größer und auffälliger,
+als ich sie mir nach den bloßen Beschreibungen gedacht habe.“ -- „Also
+achten Sie unbedingt in den Nilländern ja recht genau gerade auf diese
+Vogelgruppe“, rief der Hausherr. „Ich möchte wetten, daß dort im Winter
+auch alle möglichen östlichen Formen vorkommen. An ihrem Federkleid
+können Sie dann ganz genau feststellen, wo die einzelnen Stücke ihre
+Brutheimat haben. Bedenken Sie doch nur, welch ungeahntes Licht dadurch
+auf das große Rätsel des Vogelzuges fallen würde!“ -- „Gewiß, Herr
+Pastor, Sie haben sicherlich vollkommen recht, und ich würde herzlich
+gerne Ihrem Rate folgen. Als verantwortlicher Expeditionsleiter ist
+man aber nach nur allzuviel Richtungen hin in Anspruch genommen und
+darf sich nicht zu sehr zersplittern. Auch gestehe ich offen, daß mich
+als leidenschaftlichen Weidmann die Jagd auf afrikanisches Großwild
+natürlich doch mehr reizt als die auf kleine Singvögel. Es fehlt auch
+oft an Zeit und Muße zum Präparieren, zumal in der Gluthitze der
+Nilländer die erlegten Vögel sehr rasch in Verwesung übergehen. Aus
+allen diesen Gründen sollte ich noch einen Reisegefährten mithaben,
+einen tüchtigen jungen Ornithologen, der körperlich den Anstrengungen
+einer solchen Reise gewachsen ist und geistig hoch genug steht, um mir
+nicht nur Reisegefährte, sondern auch Freund zu sein. Es wird ja nicht
+leicht sein, den richtigen Mann zu finden, aber vielleicht könnten Sie
+mir bei Ihren ausgedehnten Verbindungen zu einer wirklich geeigneten
+Persönlichkeit verhelfen.“ Der Blick des Barons streifte in diesem
+Augenblick lauernd und prüfend die sehnige, kraftvolle Gestalt des
+jungen Brehm, aber der Vater schien es nicht zu bemerken. „Ich werde
+über die Sache nachdenken“, meinte er kurz und kam dann gleich wieder
+auf seine geliebten Vogelbälge zurück.
+
+[Illustration: Christian Ludwig Brehm (1787–1864), der Vater des
+Tierforschers, Pfarrer in Renthendorf
+
+Nach einem alten Holzschnitt]
+
+Schon mehrmals war Thekla, die blühend schöne Tochter des Hauses, in
+der Türe erschienen und hatte dringend zum Essen gebeten, aber ihr
+Vater meinte nur unwirsch, essen könne der Baron daheim im schönen
+Land der „Spätzleschwaben“ genug, hier bei ihm aber müsse er alle
+verfügbare Zeit der Vogelkunde widmen. Endlich ließ er sich doch
+bewegen, auch das leibliche Wohl seines Gastes zu berücksichtigen.
+Bei Tisch erzählte der Baron viel und anschaulich von seiner großen
+Afrikareise. Mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen trank
+ihm Alfred sozusagen jedes Wort von den Lippen. Seine lebhafte
+Einbildungskraft schaute mit durstigen Augen die öden Wüsten und die
+weiten Steppen, die vogelreichen Urwälder und die fieberschwangeren
+Sümpfe des schwarzen Erdteils, spiegelte ihm in leuchtenden Farben ein
+freies Forscher- und Jägerleben vor. Er mußte sich gleich nach der
+Mahlzeit verabschieden, um in achtstündigem Fußmarsch Altenburg zu
+erreichen, wo er bei einer Baufirma untergebracht war und am nächsten
+Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen hatte. „O Vater,“ flüsterte er
+diesem beim Abschied zu, „wenn doch der Baron mich mitnehmen wollte!
+Ich ginge gleich und wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne.“
+
+„Also acht Stunden hat Ihr Alfred zu laufen und muß doch morgen früh
+im Büro frisch sein,“ begann der Baron, als er mit dem alten Brehm
+wieder bei den Vogelbälgen saß, „wirklich eine tüchtige Leistung!“ --
+„Oh, das macht dem Jungen nichts aus,“ erwiderte der Pfarrer, „daran
+ist er gewöhnt. Ich habe meine Kinder frank und frei aufwachsen und
+sie sich tüchtig in unseren schönen Wäldern tummeln lassen. Dadurch
+sind sie kerngesund geblieben und frühzeitig abgehärtet worden.
+Namentlich Alfred war schon von Kindesbeinen an mein unzertrennlicher
+Begleiter auf tagelangen ornithologischen Ausflügen, auf denen es wenig
+zu beißen und viel zu laufen gab. Wie glücklich war er, wenn er nur
+meine Jagdtasche tragen durfte, und nie werde ich die selige Freude
+vergessen, die er empfand, als ich ihm zu seinem 8. Geburtstage eine
+kleine Vogelflinte schenkte. Er hat sich bald zu einem treffsicheren
+Schützen ausgebildet, und meine Sammlung verdankt ihm manches schöne,
+wertvolle Stück.“ -- „Ich war höchst erstaunt“, fügte der Baron
+ein, „über die verblüffende Fachkenntnis eines so jungen, kaum dem
+Knabenalter entwachsenen Mannes.“ „Ja, er ist mein ganzer Stolz,“
+sagte der Pfarrer einfach, „und ich glaube selbst, daß das Zeug zu
+einem tüchtigen Naturforscher in ihm steckt. Alle in unserer Gegend
+vorkommenden Vögel kennt er heute schon nach Erscheinung, Aufenthalt
+und Lebensgewohnheiten ebenso gut wie ich selbst; kein Vogelnest
+entgeht seinem scharfen Auge, kein Lockton seinem wunderbar geschulten
+Ohr.“ -- „Aber, Herr Pfarrer, das ist ja gerade der Mann, den ich
+für meine neue Reise so sehr suche und brauche! Geben Sie mir Ihren
+Alfred mit, und ich will ihn halten wie meinen eigenen Bruder!“ --
+„Na, der Alfred selber wäre wohl gerne damit einverstanden; er hat
+schon vorhin so etwas verlauten lassen, denn Sie haben ihm mit Ihren
+afrikanischen Reiseschilderungen den Mund gehörig wässerig gemacht. Ich
+wette, er träumt morgen schon über seinem Reißbrett von den wildesten
+afrikanischen Jagdabenteuern und zerbricht sich den Kopf darüber,
+welche Vogelarten wohl an dem großen Märchenstrome Nil vorkommen
+könnten. Aber, Herr Baron, im Ernste gesprochen, der Bursche ist doch
+für ein solches Unternehmen noch gar zu jung, denn er hat ja erst
+vor wenigen Wochen sein 17. Lebensjahr vollendet. Außerdem würde
+er durch eine solche Reise doch gar zu sehr aus seiner beruflichen
+Laufbahn herausgerissen werden und womöglich gar den Geschmack an ihr
+verlieren. Es ist ja jammerschade, daß ich ihn nicht zum Studium der
+Naturwissenschaften nach Jena schicken konnte. Aber dort studiert schon
+mein älterer Sohn Reinhold Medizin, und für zwei studierende Söhne
+reicht das knappe Einkommen eines simplen Dorfgeistlichen nun einmal
+nicht aus. So mußte ich eben Alfred beim Baufach unterbringen, damit er
+früher ins Brot kommt.“ -- „Aber der Bursche ist ja doch der geborene
+Naturforscher und wird sich deshalb auch nur als Naturforscher wahrhaft
+glücklich fühlen. Also lassen Sie ihn ruhig mit mir nach Afrika gehen!
+Nach der Heimkehr wird man dann schon sehen, nach welcher Richtung sein
+Lebensschifflein weiter steuern wird. Ich meine, es kann doch wohl
+keinem jungen Manne etwas schaden, wenn er sich den Wind tüchtig um
+die Nase wehen läßt und ein gutes Stück von der Welt zu sehen bekommt,
+noch ehe er sich für einen bestimmten Beruf entscheidet. Er ist ja auch
+weit über seine Jahre gereift, würde also nicht wie ein dummer Junge
+ins schwärzeste Afrika hineintappen, sondern von vornherein nach einem
+ganz bestimmten wissenschaftlichen Plane arbeiten.“ -- „Das würde er
+allerdings sicherlich, und ich glaube, auch in jeder anderen Beziehung
+könnten Sie sich voll und ganz auf meinen Alfred verlassen. Aber was
+würde meine Frau zu der Sache sagen? Es würde ihr doch ungeheuer schwer
+fallen, ihren Liebling in so weiter Ferne einem ungewissen Schicksale
+und tausenderlei Gefahren preisgegeben zu wissen.“ -- „Nun, Herr
+Pfarrer, wir stehen alle in Gottes Hand, und überflüssige Gefahren
+will ich nicht aufsuchen. Das verspreche ich Ihnen. Die größte und
+unvermeidlichste Gefahr im Sudan ist wohl das klimatische Fieber, aber
+gerade ein so jugendfrischer Körper wie der Ihres Sohnes wird ihm
+am ehesten gewachsen sein. Und dann bedenken Sie den großartigen und
+wissenschaftlich unendlich wertvollen Zuwachs, den Sie durch Alfreds
+Mitkommen für Ihre Sammlungen zu erwarten hätten.“
+
+Damit hatte der Baron den schwachen Punkt des alten Brehm getroffen,
+denn über seine Vogelbalgsammlung ging ihm nichts. „Das ist allerdings
+wahr,“ rief er ganz begeistert aus, „denn keiner weiß mit solchem
+Verständnis für mich zu sammeln, keiner kennt so genau das Material
+und die Grundlagen, die mir für meine wissenschaftlichen Arbeiten
+nötig sind, wie mein Alfred. Ich sammle ja nicht blindlings drauf
+los und suche nicht aus bloßer Raffgier Tausende von Vogelbälgen
+zu ergattern, sondern ich will von jeder paläarktischen Vogelart
+sämtliche Federkleider zusammenbringen, die ja oft nach Geschlecht,
+Alter und Jahreszeit sehr verschieden sind und überdies Stücke oder
+womöglich gepaarte Pärchen aus den verschiedensten Ländern ihres
+Verbreitungsgebietes, um so über die geographische Abänderung der Art
+Klarheit zu gewinnen. Die Art ist ja nicht ein so festumrissener und
+starrer Begriff, wie der große Linné glaubte. Ich weiß, daß viele
+Zeitgenossen mich wegen meiner vielen Subspezies auslachen, aber ich
+weiß auch, daß später einmal eine Zeit kommt, die mir Recht geben wird.“
+
+Ein Wort gab das andere. Die Dämmerung senkte sich hernieder. Und
+in dieser Stunde wurde über die Lebensbahn Alfred Edmund Brehms
+entschieden. Die nächsten Wochen verstrichen unter allerlei
+Reisevorbereitungen. Am 6. Juli 1847 trat Baron Müller von Triest
+aus mit seinem jungen Gefährten hoffnungsfroh die Ausreise an. Damit
+begann für Alfred Brehm ein neuer und wohl der abenteuerlichste
+Abschnitt seines Lebens. Der Abschied von Renthendorf, von Eltern und
+Geschwistern mag dem Jüngling schwer genug geworden sein, und der Vater
+hätte seine Erlaubnis sicher noch zurückgezogen, wenn er hätte ahnen
+können, daß der schwarze Erdteil seinen Liebling unter unsäglichen
+Strapazen und Entbehrungen fünf volle Jahre zurückhalten und überdies
+noch das Leben eines zweiten Sohnes fordern würde.
+
+So war der alte Brehm, von dem später der Sohn schrieb: „Das Studium
+der Natur war ihm Gottesdienst.“ Bei einem Besuche Renthendorfs
+im Sommer 1908 konnte ich mich mit Freude überzeugen, mit welcher
+Liebe und Verehrung noch heute die Leute von ihrem unvergeßlichen
+„Vogelpastor“ sprechen, wie sie ihn mit gutmütigem Spotte nannten.
+Man darf nicht etwa glauben, daß Christian Ludwig Brehm über seiner
+leidenschaftlichen Hingabe an die Wissenschaft der Vogelkunde sein
+Pfarramt vernachlässigte. Er war vielmehr ein ausgezeichneter und
+allzeit opferwilliger Seelsorger; die Bauern waren deshalb mit ihrem
+„Vogelpastor“ baß zufrieden, sahen ihm mancherlei Schrullen und
+Eigentümlichkeiten gerne nach und überbrachten ihm für seine Sammlung
+alle Vögel, die ihnen der Zufall in die Hände spielte, soweit sie sich
+nicht etwa -- essen ließen. Der alte Brehm gehörte nicht zu denen, die
+ihr Christentum stets auf den Lippen tragen, aber er wußte mit seinen
+Bauern ein gar kräftig und erbaulich Wörtlein zu reden, ganz ihrer
+einfachen Denkweise sich anpassend und seine christliche Nächstenliebe
+mehr durch rasche Taten als durch lange Predigten bekundend. Deshalb
+mochten sie ihn auch alle so gern, den Mann mit dem durchdringenden
+Scharfblick, der offenen Hand und dem gütigen Herzen, ihn, der seine
+Gemeinde ein halbes Jahrhundert hindurch getreulich behütet, ihn, der
+zwei Geschlechterfolgen von ihnen getauft, konfirmiert, getraut und zu
+Grabe geleitet hatte, ihn, der sie mit ihren kleinen Nöten und Sorgen
+ebenso genau kannte wie die eigenen Kinder, ihn, der auch nie müde
+wurde, ihnen die wundersame Herrlichkeit der Natur zu verkündigen.
+Was dem Vater Liebhaberei und Ablenkung bedeutete, wurde -- ins Große
+geweitet -- dem Sohne Alfred zum Beruf. Ein Bahnbrecher auf dem Wege
+zur Tierseele, ein Vorkämpfer der Wissenschaft, der ihr neue Wege wies
+und das vom Trümmergestein der Systematik verrammelte Tor zur Biologie
+mit starker Hand öffnete, der die Kunde vom Tier+leben+ uns
+erschloß -- das war Alfred Brehm.
+
+
+
+
+Nilfahrten
+
+
+Zwei schwerfällige Segelbarken, sogenannte Dahabijes, krachten infolge
+ungeschickter Steuerung mitten auf dem Nil gewaltig aufeinander, wobei
+dem vorderen Schiff das Steuerruder weggerissen wurde. Wüstes Toben,
+Schreien, Schimpfen und Kreischen erhob sich über dem heiligen Strome,
+fast noch übertäubt von dem gellenden Zetergeschrei der verschleierten
+Weiber, mit denen das beschädigte Fahrzeug vollgepfropft war. Brehm
+und Baron Müller, die in der kleinen Kajüte des anderen Schiffleins
+gerade ein wenig geschlummert hatten, stürzten, mit Pistolen und
+Säbeln bewaffnet, erschrocken an Deck, um zu sehen, was los sei,
+gefolgt von einem langen Engländer und seiner französischen Geliebten,
+die gleichfalls diese Barke zur Fahrt nach Kairo benützten, denn
+Eisenbahnen gab es ja damals in Ägypten noch nicht. Sie kamen gerade
+zurecht, um zu sehen, wie vier nackte Matrosen der beschädigten Barke
+durchs Wasser schwammen, an den eigenen Schiffswänden emporkletterten
+und unter fürchterlichem Geschrei und einer Flut von Schimpfworten
+mit der Mannschaft zu raufen anfingen. Der Reïs (Schiffseigentümer)
+rief den Europäern angstvoll zu, ihm gegen die „Räuber und Mörder“
+beizustehen. Das war das Zeichen zum Gegenangriff. Baron Müller hieb
+dem nackten Steuermann der Gegenpartei mit seinem Säbel derartig über
+den Kopf, daß er in den Strom fiel und sich kaum über Wasser halten
+konnte. Brehm ging mit bloßem Hirschfänger auf die anderen drei Kerle
+los und trieb sie mit scharfen Hieben vor sich her. Der verblüffte
+Engländer dagegen griff erst zu den Waffen, nachdem ihn die mutige
+Französin durch ein paar schallende Ohrfeigen drastisch genug dazu
+aufgefordert hatte. Der überwundene Feind stürzte in den Strom und
+schwamm zu seiner Barke zurück. Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm.
+Ein ganzer Haufe aufgeregter Männer bewaffnete sich unter Wutgeschrei
+und Rachegeheul mit derben Knüppeln und traf alle Anstalten zu einem
+neuen Angriff. Doch unterblieb er, als die Europäer ihre Büchsen
+herbeiholten, mit Kugeln luden und jeden zu erschießen drohten, der es
+wagen sollte, sich ihrem Schiff zu nähern.
+
+Nicht ohne Beschämung hat Brehm selbst später über diesen Zwischenfall
+geurteilt: „Nur gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner
+konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich
+jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben.
+Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die
+Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem
+Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen
+lassen. Daß die Leute dabei aus vollem Halse schrien und anderweitigen
+Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten
+Vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewußt haben würde, daß die Araber
+bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen.“
+
+ * * * * *
+
+[Illustration: Eine Übersichtskarte zu Brehms Nilreisen
+
+Nach einer Karte vom Jahre 1865]
+
+„Herr, was willst du von meiner Frau?“ wurde Brehm wütend von einem
+riesenhaften, baumstarken Nubier angebrüllt, der wie ein gereizter
+Tiger auf ihn losfuhr. Dieser Kerl, ein gewisser Aabd Lillahi, der
+durch Trunksucht, Roheit und Jähzorn schon wiederholt unangenehm
+aufgefallen war, hatte nämlich seine Frau mit an Bord, eine sehr
+hübsche, blutjunge Nubierin, und Brehm war rein zufällig auf dem engen
+Verdeck in allzu große Nähe der nußbraunen Schönheit geraten. Er mochte
+beteuern, was er wollte, der Schwarze betrachtete ihn von diesem
+Augenblicke an mit grenzenloser Eifersucht und schien überhaupt die
+beiden Deutschen aus tiefster Seele zu hassen. Einige Tage später lag
+Brehm fieberkrank im Schiffsraum, als er auf Verdeck wütend schimpfen
+und fluchen hörte. Auf Befragen erfuhr er von seinem Diener, daß die
+Schiffsmannschaft auf den Baron zornig wäre, weil er zum Jagen an Land
+gegangen sei und nicht zurückkäme, obwohl gerade jetzt nach längerer
+Windstille ein günstiger Nordwind eingesetzt habe. Nun habe man den
+Aabd Lillahi ausgeschickt, ihn zu holen. Bei Nennung dieses Namens
+ahnte Brehm gleich nichts Gutes. Er raffte sich auf, ergriff seine
+Büchse und eilte auf Deck, wo er auch schon den Baron vom nahen Strande
+her laut um Hilfe rufen hörte. Der Nubier drängte ihn nämlich geradezu
+mit Gewalt nach dem Ufer und schlug sogar auf ihn los. Der mit Recht
+darob erzürnte Baron riß seine Jagdflinte herunter, um dem Rohling
+einen Kolbenschlag zu versetzen, aber der Schwarze preßte ihm mit der
+Hand die Kehle zusammen und suchte sich des Gewehres zu bemächtigen.
+Brehm sah seinen Freund und Gönner in höchster Not und nahm deshalb
+den Nubier aufs Korn, aber er konnte nicht abdrücken, da die beiden
+Kämpfer so eng verschlungen waren, daß der Schuß auch den Baron im
+höchsten Grade gefährdet hätte. Endlich wurde der Nubier freier, und
+Brehm zielte genauer, aber da brach jener plötzlich noch vor dem Schuß
+blutend zusammen: der Baron hatte ihm sein Dolchmesser in die Brust
+gestoßen! Entsetzt schrie das Schiffsvolk auf und schwur fürchterliche
+Rache. Nur die entschlossene Haltung und die ernstesten Drohungen
+der beiden wohlbewaffneten Deutschen, sowie ihr Versprechen, sich in
+Dongola dem Gericht des Statthalters zu stellen, vermochten weiteres
+Unheil und Blutvergießen zu verhüten. Die Verwundung Aabd Lillahis
+erwies sich glücklicherweise nicht als lebensgefährlich, da eine Rippe
+die Kraft des Dolchstoßes gebrochen hatte. Schließlich war der wüste
+Kerl mit einem Schmerzensgelde von drei Talern zufrieden, und damit
+fand dieser unangenehme Zwischenfall seine Erledigung.
+
+Blieben also diese Segelbarkenfahrten, die unsere Reisenden über
+Chartum hinaus bis in den Blauen und Weißen Nil führten, auch nicht
+ohne unliebsame Abenteuer, so waren sie andererseits doch gerade
+für den Naturforscher zweifellos die angenehmste, genußreichste und
+lohnendste Art des Reisens in den damals noch so wenig bekannten
+Ländern des Sudan. Diese gemächliche Art des Reisens stromaufwärts ist
+natürlich ganz von der herrschenden Windrichtung abhängig, und gerade
+dabei findet der jagende Naturforscher seine Vorteile. Brehm hat noch
+in späteren Jahren viel von diesen herrlichen und in bezug auf Jagd und
+Vogelkunde so ergiebigen Fahrten auf dem „Vater der Ströme“ geschwärmt.
+Da das nubische Nilbett durch tückische Felsriffe die Schiffahrt
+erschwert, wurde die Segelbarke über Nacht irgendwo an Land gezogen
+und erst bei Sonnenaufgang wieder flott gemacht. Während sie langsam
+den majestätischen Strom hinaufsegelte, gingen Baron Müller und Brehm
+jagend und beobachtend am Ufer entlang, ließen sich zum Mittagessen an
+Bord nehmen und dann wieder abends beim Landen. Fast täglich machten
+sie reiche Beute, die in Gestalt von fetten Nilgänsen, Enten und Tauben
+auch der Küche zugute kam, denn mit dieser war es äußerst dürftig
+bestellt, zumal eine solche Reise widriger Winde wegen oft länger
+dauerte, als man berechnet hatte. Je weiter man nach Süden vordrang und
+sich den Tropen näherte, um so zahlreicher wurden die fremden, bisher
+nie geschauten Erscheinungen aus der Vogelwelt. Jeder Tag brachte
+Neues, jede Stunde bereicherte in ungeahnter Weise die Kenntnisse der
+beiden Forscher. Auf den Sandbänken standen ganze Scharen von stolzen
+Kronen- und zierlichen Jungfernkranichen, an den Ufern fischten graue
+und silberweiße, rote und gelbe Reiher, und die reizenden Kuhreiher
+saßen truppweise auf den breiten Rücken der träge im Morast liegenden
+Büffel; lustige Sporenkiebitze liefen auf den Dämmen herum, langbeinige
+Stelzenläufer und abenteuerlich aussehende Säbelschnäbler wateten auf
+den überschwemmten Wiesen, auf den Wassern schaukelten sich Scharen
+der gewaltigen Pelikane, durch die Lüfte schossen wie buntgefiederte
+Pfeile die farbenprächtigen Bienenfresser, vor den blühenden Sträuchern
+schwirrten schimmernde Honigsauger, die die Kolibris in Afrika
+vertreten, auf Pfählen lauerten Graufischer, diese vergrößerte, aber
+verunglückte Ausgabe unseres herrlichen Eisvogels, Steinschmätzer der
+verschiedensten Art tanzten und knicksten im Steingeröll, allerliebste
+Blaukehlchen durchschlüpften schmiegsam und geheimnisvoll das
+Uferdickicht, der Bülbül ließ seine klangvolle Strophe erschallen, und
+als echt tropische Erscheinung wurden absonderliche Nashornvögel mit
+freudigem Hurra begrüßt. Faule Krokodile lagen verschlafen und gähnend
+auf kleinen Schlamminseln, flinke Ichneumons huschten beutelüstern
+durch undurchdringliche Rohrfelder, und abends gaben die Schakale ihre
+mißtönigen Heulkonzerte zum besten.
+
+Soweit es die knapp bemessene Zeit zuließ, wurden natürlich auch
+die berühmten alten Tempelbauten und die Königsgräber besucht,
+namentlich auch die sagenumwobenen Krokodilhöhlen bei dem Städtchen
+Monfalut. Es war wieder einmal eine recht beschwerliche Sache, denn
+die langen Gänge waren überaus eng, erstickend heiß, mit mefitischen
+Düften geschwängert und der Boden von dem mit Erdpech vermischten
+Kot zahlloser Fledermäuse glitschig. In den vorderen Gängen lagen
+nur menschliche Mumien, von denen man wenigstens einige abgetrennte
+Köpfe mitnehmen konnte, in den hinteren aber waren die einbalsamierten
+Krokodile aller Größen schichtenweise aufeinander getürmt, und sogar
+ganze Berge eingetrockneter Krokodileier waren vorhanden. Einige der
+schönsten Krokodilmumien wurden für die Sammlung ausgewählt. Brehm kam
+dabei zu der jedenfalls richtigen Ansicht, daß die alten Ägypter die
+Krokodile keineswegs als heilig verehrten, wie die Altertumsforscher
+bis dahin angenommen hatten, sie vielmehr fürchteten und ihre Zahl nach
+Möglichkeit zu vermindern suchten. Unmöglich konnten all diese Tausende
+einbalsamierter Ungetüme eines natürlichen Todes gestorben sein; man
+hatte sie wahrscheinlich gewaltsam getötet und dann, zur Versöhnung
+ihrer Geister, mumifiziert.
+
+Einmal hatte Brehm einen prachtvollen Seeadler angeschossen, der noch
+bis zum Strome flatterte und dort ins Wasser fiel. Er trieb mit den
+Wellen dicht am Ufer hin, geriet aber dann in eine nach der Mitte zu
+sich wendende Strömung, schien also verloren. In diesem Augenblick
+tauchte ein herumlungernder Araber auf, und Brehm ersuchte ihn, gegen
+ein gutes Trinkgeld den Vogel herauszuholen. Der Mann aber weigerte
+sich beharrlich mit der Begründung, daß es hier viele Krokodile gebe,
+die ihm erst kürzlich zwei Schafe geraubt hätten. Ärgerlich über diese
+vermeintliche Feigheit entkleidete sich Brehm selbst und sprang mutig
+ins Wasser. Eben verlor er den Boden unter den Füßen und wollte sich
+zum Schwimmen anschicken, da schrie der Araber entsetzt auf: „Herr, um
+der Gnade und Barmherzigkeit Allahs willen, kehre um! Ein Krokodil!“
+Erschrocken fuhr Brehm zurück. Und wirklich, da kam auch schon von der
+anderen Stromseite her ein riesiges Krokodil angeschwommen, gerade
+auf den erschossenen Adler zu, tauchte dicht vor ihm, öffnete den mit
+greulichen Zahnreihen besetzten Rachen -- groß genug, um auch einen
+Menschen darin unterzubringen -- und verschwand mit seiner Beute in
+den trüben Fluten. Brehm stand derweil wie gelähmt. Seit dieser Stunde
+haßte er die Krokodile leidenschaftlich, und diesem Haß ist er sein
+ganzes Leben hindurch so treu geblieben, daß er niemals eine der
+gepanzerten Riesenechsen unbeschossen ließ, so oft sich nur immer die
+Gelegenheit bot, ihnen eine Kugel anzutragen.
+
+ * * * * *
+
+„Söhne der Fremde,“ begann Aabd Allah, ein alter, ehrwürdiger und
+seiner Rechtlichkeit wegen hoch angesehener Barkenführer, dem ein
+langer, weißer Bart das ernste Antlitz umfloß, während das blaue
+Kattunhemd seinen ausgemergelten Leib wie ein Priestertalar umhüllte,
+„seht, ich bin ein alter Mann, die Sonne hat mein Haar siebenzig Jahre
+beschienen und gebleicht, des Alters Silber deckt es, mein Gebein ist
+mürbe geworden, ihr könntet meine Kinder sein. Wohlan, so höret, Männer
+des Frankenlandes, höret auf das, was ich euch sagen will. Ich spreche
+die Sprache des wohlmeinenden Warners. Laßt ab von eurem Beginnen,
+denn ihr geht einer großen Gefahr entgegen, unwissend und sorglos --
+ich aber kenne sie. Hättet ihr gleich mir jene Felsen gesehen, die
+zusammentretend den Wogen die Tür verschließen, hättet ihr gehört,
+wie die Wasser, Einlaß und Durchgang begehrend, donnernd, zürnend
+und machtvoll an die ewig Feststehenden klopfen, wie sie die Steine
+überfluten und mit Gebrüll zur Tiefe in den Bauch der Felsen stürzen,
+und wüßtet ihr, daß nur die Gnade Allahs -- ihm sei Bewunderung, denn
+er ist der Erhabene -- unser gebrechliches Fahrzeug leiten und führen
+kann, ihr würdet meinem Rate folgen. Denkt an eure Mütter! Der Kummer
+würde sie erdrücken, wenn uns der Segen des Allbarmherzigen verließe.“
+
+[Illustration: Die Wochenstube des Nashornvogels
+
+Nach einem alten Bild von G. Mützel zu einem Aufsatz Brehms „Vögel in
+der Wochenstube“ aus dem Jahre 1873]
+
+Baron Müller schien schwankend zu werden, aber Brehm antwortete
+freundlich, doch fest: „Allah wird uns helfen. Er ist gnädig!“ -- „Nun,
+so gehet mit Gott und seinem gepriesenem Propheten,“ erwiderte würdig
+der Greis, „ich will für euch beten in der Stunde der Gefahr.“ --
+„Amen, o Reïs, wir danken dir, das Heil sei mit dir!“
+
+Dieses Gespräch fand an einem herrlichen Tropenabende unweit der großen
+Nilkatarakte von Wadi-Halfa statt, die ein fast unüberwindliches
+Hindernis für die Schiffahrt bildeten und der Weiterreise gewöhnlicher
+Barken ein Ziel setzten. Die beiden Deutschen aber hatten diesmal
+durch die Güte des türkischen Statthalters von Chartum besonders stark
+gebaute Regierungsbarken zur Verfügung, und deren Führer wollten die
+Durchfahrt mit einigen besonders tüchtigen, erfahrenen und mutigen
+Steuerleuten und Ruderern wagen, während die übrige Mannschaft mit dem
+großen Gepäck die Fälle auf dem Landwege umgehen sollte. Brehm bestand
+aber trotz der dringendsten Warnungen und Abmahnungen von allen Seiten
+darauf, die gefährliche Fahrt mitzumachen, und Baron Müller mochte
+dem jüngeren Gefährten an Mut auch nicht nachstehen. So sind beide
+die ersten Europäer gewesen, die die Stromschnellen von Wadi-Halfa
+überwunden haben.
+
+Um Haaresbreite hätte aber das kühne Wagnis tragisch geendet. Mit
+furchtbarer Gewalt fluteten die Wogen über die kaum vom Wasser
+bedeckten Felsblöcke, in allen Fugen stöhnte und krachte das
+Schifflein, dem Steuer ungehorsam, tanzte es durch den kochenden
+Gischt, kein Ruder tat seinen Dienst. Doch die dräuenden Wogen selbst
+werden zu Rettern, sie umfassen und umklammern die Barke, nehmen sie
+mit sich fort in rasender Fahrt. Wie ein Pfeil vom Bogen jagt das
+kleine Fahrzeug zwischen himmelansteigenden, senkrecht abfallenden,
+schwarzen, glänzenden Syenitwänden dahin, die nur wenige Schritte
+voneinander entfernt sind, so daß man die Ruder überhaupt nicht
+brauchen kann. Ein hartes Aufstoßen, daß all die Männer zu Boden
+fallen! Ein einziger Schrei des Entsetzens! Ein Leck! Nun geht’s ans
+Verstopfen! Die steuerlos treibende Barke ist in ein Labyrinth von
+Felsen, Strudeln und Wasserfällen geraten. Keiner weiß mehr, wo man
+sich befindet. Entkräftigende Angst bemächtigt sich der Mannschaft, die
+bereits ihre Kleider abwirft. In dieser Not übertönt die Stimme des
+70jährigen Bellahl, des Abu el reisin, des „Vaters der Schiffsführer“,
+das Gezeter des jammernden Schiffsvolkes und das dumpfe Brausen des
+Katarakts: „An die Ruder, ihr Helden! Seid ihr denn toll, ihr Kinder
+der Heiden? Arbeitet, rudert, ihr Hunde, ihr Knaben, ihr Männer, ihr
+Tapferen, ihr Braven! Maschallah! Rudert, bei Gott! Allah ist gnädig!
+Er ist der Allerbarmer!“ Der Greis selbst handhabt mit eiserner,
+nerviger Faust das Steuer. Da fließt nach links ein starker Arm ab,
+in ihn lenkt Bellahl die Barke, verfolgt den Lauf des Stromzweiges
+mit sicherer Hand und erreicht wirklich freies Fahrwasser. Gerettet!
+Die Gefahr ist vorüber. Freudenschüsse der beiden schreckensbleichen
+Europäer begrüßen das am Horizont auftauchende Palmendorf Wadi-Halfa.
+Die Araber aber fallen auf ihr Angesicht und beten: „Lob und Preis dir,
+dem Herren der Welten, dem Allerbarmer!“
+
+
+
+
+Durch Steppe, Wüste und Urwald
+
+
+„Ich kann nicht mehr weiter! Laßt mich doch ruhig hier liegen, wo ich
+bin! Ich will ja nichts mehr als sterben. Aber vorher nur noch einen
+Trunk Wasser! Einen einzigen, kleinen, winzigen Schluck Wasser!“
+Der so erbärmlich jammerte, das war unser sonst so tapferer Alfred
+Brehm. Das Fieber hatte ihn auf dem langen Karawanenmarsche durch das
+glühend heiße Kordofan mit aller Macht gepackt, und täglich zehrte
+das mörderische Klima dieses verrufenen Landes an seinen schon sehr
+schwach gewordenen Kräften. Mit Gewalt mußte man ihn zum Weiterreiten
+zwingen. Jeder Schaukeltritt des gemächlich dahinziehenden Kamels wurde
+dann dem Kranken zu peinvoller Qual, hatte Erbrechen und Leibschmerzen
+zur Folge, und nur durch krampfhaftes Anklammern an eine Kiste konnte
+er sich vor dem Herabfallen bewahren. Es war ein Glück, daß Baron
+Müller, der selbst schwer unter immer häufigeren Fieberanfällen zu
+leiden hatte, sich schon bald nach Ankunft in der unerträglich öden und
+langweiligen Sklavenhändlerstadt El Obeid zum Rückmarsch nach Chartum
+entschloß, denn lange hätten beide sicher nicht mehr dem fürchterlichen
+Klima standgehalten. Überdies trat während der Märsche öfters Mangel an
+Lebensmitteln ein, und man mußte froh sein, wenn es gelang, einige von
+den Kamelen aufgescheuchte Perlhühner oder Frankoline zu schießen. Der
+Hunger hätte sich ja allenfalls noch ertragen lassen, aber zum Unglück
+war das spärlich genug angetroffene Wasser meist nur eine ekelhafte
+bräunliche Schleimbrühe, deren unvermeidbarer Genuß immer wieder neue
+Fieberanfälle auslöste. Die Steppe selbst starrte von scharfschneidigen
+Gräsern und lästigen Kletten, und so war der Marsch durch sie selbst
+an fieberfreien Tagen nicht gerade ein Vergnügen. Häufig stand sie
+jetzt am Ende der Trockenzeit weithin in Flammen, und dann sah man,
+wie die Antilopenherden in langwiegendem Galopp vor dem rasenden
+Element flüchteten oder wie die fluggewandten Gaukler (eine Adlerart)
+und die langbeinigen Kranichgeier erfolgreiche Jagd machten auf das
+massenhaft durch die Flammen aus seinen Schlupfwinkeln herausgejagte
+Schlangengezücht. Die Eingeborenen dieser Gegend, die sich im
+allgemeinen nicht unfreundlich zeigten, wohnten in runden Strohhütten
+(Tokhuls) mit oben spitz zulaufendem Dach, das gewöhnlich von einem
+Straußenei gekrönt wurde, bebauten magere Durrha-(Hirse-)Felder und
+unterhielten große Viehherden. Oft sah man 5–600 Kamele zusammen weiden
+und hatte auch Gelegenheit, ihre fette, etwas säuerliche Milch zu
+kosten.
+
+„Friede sei mit dir, o Scheich!“ kauderwelschte Brehm, der Negersprache
+nur wenig kundig, mit dem herbeieilenden Schulzen eines solchen großen
+Tokhul-Dorfes, das man eines Abends müde und hungrig erreicht hatte.
+„Wir wollen von dir gegen gutes Geld einige Farchas kaufen.“ Mit
+Farchas bezeichnete man nämlich in Oberägypten junge Hühner, und etwas
+anderes wäre in dem elenden Neste ja doch nicht aufzutreiben gewesen.
+Der Scheich schüttelte verwundert den Kopf. „Ihr zieht ja doch, wie ich
+höre, ohnehin nach El Obeid, wo es viele Farchas gibt. Dann braucht
+ihr doch hier keine zu kaufen. Ich habe zwar eine, aber sie ist alt
+und häßlich.“ -- „Das schadet nichts, bringe sie uns nur her!“ Jener
+ging, erschien wieder und brachte -- eine Sklavin, die der Beschreibung
+des guten Mannes in der Tat vollkommen entsprach. Man lachte und
+versicherte ihm, daß man diese Venus nicht brauchen könne, weil man die
+„Farcha“ essen wolle. Darob entfloh der Scheich voller Entsetzen. Die
+Europäer staunten ihm verwundert nach; erst einer der Diener löste das
+Rätsel durch die Mitteilung, daß die Kordofanesen mit „Farcha“ junge
+Sklavinnen bezeichnen, während sie für Hühner das Wort „Faruhdj“ haben.
+
+Es gab aber auch weniger lustige Mißverständnisse, namentlich als
+man auf dem Rückmarsch aus Kordofan durch Gegenden kam, die erst
+kürzlich von Sklavenjägern heimgesucht worden waren. Hier verhielten
+sich die Eingeborenen erklärlicherweise sehr zugeknöpft, oft geradezu
+unfreundlich oder feindselig. Mühsam quälten die Reisenden sich in
+anstrengenden Märschen durch das ungastliche Land, denn die Hitze
+hatte ihren Höhepunkt erreicht und stieg bei Südwind im Schatten der
+Strohhütten bis auf 45° ~R~, während das der Sonne ausgesetzte
+oder in den Sand gesteckte Thermometer nicht selten sogar 55°
+~R~ zeigte. Der Körper troff Tag und Nacht von Schweiß, und
+nur selten brachte ein kühlerer Nordwind allzu rasch vorübergehende
+Linderung. Überdies ritt man oft in die Irre, denn es fehlte an
+ortskundigen Führern. Es blieb manchmal nichts anderes übrig, als
+solche mit Gewalt zu beschaffen, wenn sie nicht freiwillig mitgehen
+wollten. Das brachte aber unsere Freunde bei den Schwarzen in den
+Geruch von Sklavenhändlern, und dieser Umstand hätte um ein Haar
+ihren Untergang herbeigeführt. Halb verdurstet, nur auf ein Restchen
+brühwarmes Schlauchwasser angewiesen, lagen sie todmüde in einem
+elenden, verlassenen Weiler, und der fieberkranke Brehm hatte
+sich in der erstbesten Hütte auf einem Ankhareb (Bettgestell mit
+elastischen Ledergurten) niedergelassen, während der Baron und Ali
+(ein ausgedienter türkischer Unteroffizier, den man in Chartum als
+Leibdiener aufgenommen hatte) weiter im Innern der Hütte auf dem
+festgestampften Erdboden zum Schlummer sich niederlegten. Plötzlich
+wurde Brehm durch ein wütendes Geheul aus seinem Halbschlafe
+aufgeschreckt, und gleichzeitig erschien auch schon am Eingang die
+herkulische Gestalt eines Negers, der mit gezücktem Schwert auf
+ihn losstürzte und seinen tobenden Gefährten zurief: „Kommt! Hier
+sind die Hunde! Kommt und schlagt sie tot!“ Mit einem gewaltigen
+Kolbenschlage schmetterte Brehm den Wütenden zurück und rüttelte die
+beiden anderen wach. Alle griffen zu den Waffen und drohten, jeden
+Eindringling niederzuschießen. Da hörte der sprachenkundige Ali, wie
+die Schwarzen sich verabredeten, die leicht Feuer fangende Strohhütte
+anzuzünden, und so mußte man sich zu einem Ausfall entschließen. Aber
+draußen waren die Europäer im Nu von einer großen Übermacht der Gegner
+umringt, deren lange Stoßlanzen nur noch einen halben Fuß von ihrer
+Brust entfernt waren. Der Baron hatte in jeder Hand eine Pistole und
+wollte schießen, aber der trotz seiner Jugend viel besonnenere Brehm
+beschwor ihn, dies nicht zu tun, und verlegte sich aufs Unterhandeln.
+Freilich ging seine Stimme in dem wüsten Lärm unter, aber man gewann
+doch so viel Zeit, sich wieder in die Hütte zurückziehen zu können.
+Bewaffneter Widerstand wäre ja auch tatsächlich Wahnwitz gewesen, denn
+wenn man auch einige Feinde unschädlich gemacht hätte, so wäre man
+doch schließlich unzweifelhaft trotz größter Tapferkeit der gewaltigen
+Übermacht unterlegen. Da kam im letzten Augenblick unerwartet Hilfe
+in höchster Not. Ein Araber mit milchweißem Barte, den die Schwarzen
+zu kennen und zu achten schienen, trieb die tobende Bande mit der
+Nilpferdpeitsche zurück und schaffte erst einmal Ruhe. Bald klärte sich
+nun das Mißverständnis auf, die ernüchterten Neger baten um Verzeihung,
+und der landesübliche Bakschisch beendete zur allseitigen Zufriedenheit
+das gefährliche Abenteuer.
+
+Über all die unsäglichen Widerwärtigkeiten und Mühseligkeiten halfen
+aber doch immer wieder köstliche Forscherfreuden hinweg. Namentlich
+bei längerem Verweilen an einem günstigen Platze gab es genußreiche
+Tage und fast überreiche Beute. Da wurden erfolgreiche Adlerjagden
+veranstaltet, Antilopen und Hasen für die Küche geschossen. Wenn man
+nur auch eine geeignete Zukost dazu gehabt hätte! Aber weder Gemüse
+noch Kartoffeln wollen in der Gluthitze Kordofans mehr gedeihen, und
+die schlissigen, unappetitlichen Durrhakuchen, die die Negerweiber zu
+bereiten verstanden, waren schließlich doch nur ein sehr unvollkommener
+Ersatz für unser köstliches und wohlschmeckendes Brot. Ein wahres
+Labsal war es dagegen, wenn es glückte, einmal einen Krug Meriesa
+aufzutreiben, eine Art Hirsebier, das sehr erfrischend schmeckt und
+ähnlich wie der russische Kwaß von jedem Stamme und jedem Dorfe in
+anderer Weise zubereitet wird.
+
+Köstlich waren die Tropenabende, wenn man innerhalb der mächtigen
+Dornumwallung eines Dorfes saß und dem gemütlichen Schnurren der
+langgeschwänzten Nachtschwalben lauschte oder den wehmütigen Rufen
+der kleinen Eulen, die zutraulich auf den Spitzen der Tokhals saßen.
+Blutdürstige Leoparden und feige Hyänen umschlichen nachts gierig
+die Dornumwallung, wurden aber rasch von den zahlreichen und mutigen
+Hunden zurückgetrieben. Nur wenn das aus tiefster Brust hervorgeholte
+Donnergebrüll des Löwen erscholl, das Brehm hier klopfenden Herzens zum
+erstenmal vernahm, verkrochen sich die edlen Hunde kläglich winselnd
+bei ihren Herren, die aber ebensowenig wie ihre vierbeinigen Gehilfen
+dem König der Tiere entgegenzutreten wagten, zumal die lange Stoßlanze
+ihre einzige Waffe war. Zweimal holte sich in Anwesenheit Brehms der
+„Herr mit dem dicken Kopfe“ durch gewaltigen Sprung, unwiderstehlichen
+Prankenschlag und zermalmenden Nackenbiß sein Opfer aus der hohen
+Dornumwallung (Serrieba), und um die Überbleibsel der königlichen Tafel
+stritten sich dann am nächsten Tage Geier und Marabus und in der Nacht
+Hyänen und Schakale.
+
+[Illustration: Hyänenhunde („gemalte“ Hunde) auf der Antilopenjagd
+
+Nach einer Originalzeichnung von H. Leutemann zu Brehms Arbeit „Neue
+Charakterbilder aus der Tierwelt“ (1867)]
+
+ * * * * *
+
+Wüstensturm! Lauschen wir Brehms eigenen Worten, denn keiner hat die
+hehre Majestät der Wüste mit all ihren Schrecken und Schönheiten
+so eindringlich und greifbar, so packend und gewaltig zu schildern
+verstanden wie er:
+
+„Schon mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Wüstensohn diesen
+furchtbaren Wind, dem er geradezu tödliche Wirkungen zuschreibt. Die
+Temperatur der Luft wird im höchsten Grade lästig: sie ist schwül
+und abspannend wie vor einem Gewitter. Der Horizont ist mit einem
+leichten, rötlich oder blau erscheinenden Dufte wie überhaucht -- es
+ist der in der Atmosphäre kreisende Wüstensand, aber noch bemerkt man
+keinen Hauch des Windes. Die Tiere jedoch fühlen seine Nähe wohl.
+Sie werden unruhig und ängstlich, wollen nicht mehr in gewohnter
+Weise gehen, drängen sich aus dem Zuge heraus und geben noch andere
+unverkennbare Beweise ihres Ahnungsvermögens. Dabei ermatten sie in
+kurzer Zeit mehr als sonst durch tagelange Märsche, stürzen zuweilen
+mit ihren Ladungen und können nur mit Mühe oder gar nicht wieder zum
+Aufstehen gebracht werden. In der dem Sturm vorausgehenden Nacht nimmt
+die Schwüle unverhältnismäßig zu, der Schweiß dringt aus allen Poren
+hervor, nur die strengste geistige Überwachung vermag dem Körper die
+ihm nötige Spannkraft zu erhalten. Die Karawane setzt ihre Reise mit
+ängstlicher Eile fort, solange es gehen will, solange nicht Mensch
+und Tier vor allzu großer Ermüdung zusammenbrechen, solange noch, dem
+Führer zum Merkmal, ein Sternchen am Himmel flimmert. Auch das letzte
+verschwindet, ein dicker, trockener, undurchsichtiger Nebel deckt die
+Ebene. Die Nacht vergeht, die Sonne steigt im Osten auf, der Wanderer
+sieht sie nicht. Der Nebel ist dichter, undurchsichtiger geworden, die
+stark gerötete Luft nimmt allgemach eine grauere, düstere Färbung an.
+Es herrscht fast Dämmerung. Das Auge durchdringt den Dunstschleier kaum
+über 100 Fuß weit. Der Tageszeit nach muß es Mittag sein. Da erhebt
+sich ein leiser, glühender Wind aus Süden oder Südwesten. Stärkere
+Stöße folgen, abgerissen, einzeln. Jetzt braust der Wind, zum Orkan
+gesteigert, daher. Hoch auf wirbelt der Sand, dicke Wolken verdunkeln
+die Luft. Der Wind würde den Reiter, der sich ihm widersetzen wollte,
+aus dem Sattel heben, aber kein Kamel ist zum Weitergehen zu bewegen.
+Die Karawane muß lagern. Den Hals platt auf den Boden gestreckt,
+schnaubend und stöhnend legen sich die Kamele nieder; man hört die
+unruhigen, regellosen Atemzüge der geängstigten Tiere. Geschäftig bauen
+die Araber alle Wasserschläuche an der sie vor dem Winde schützenden
+Seite eines lagernden Kamels auf einen Haufen, um die der trocknenden
+Luft ausgesetzte Schlauchoberfläche zu verringern; sie selbst hüllen
+sich in das sie bekleidende Tuch so dicht als möglich ein und suchen
+ebenfalls hinter Kisten oder Warenballen Schutz. Die Karawane liegt
+totenstill. In den Lüften rast der Orkan. Es kracht und dröhnt: die
+Bretter der Kisten zerspringen mit gewaltigem Knallen. Der Staub dringt
+durch alle Öffnungen, selbst durch die Tücher hindurch, peinigt und
+quält den Menschen, auf dessen Haut er sich festsetzt. Man fühlt bald
+heftige Kopfschmerzen, das Atmen wird schwer, die Brust ist beengt,
+der Körper trieft von Schweiß, aber dieser näßt die dünnen Kleider
+nicht, denn begierig saugt die glühende Atmosphäre alle Feuchtigkeit
+auf. Wo die Wasserschläuche mit dem Winde in Berührung kommen, dörren
+sie und werden brüchig, das Wasser verdunstet. Wehe dem armen Wanderer
+in der Wüste, wenn der Samum lange währt! Er wird sein Verderber! Ein
+lange anhaltender Samum ermattet Menschen und Tiere mehr als alle
+übrigen Beschwerden einer Wüstenreise zusammen. Und dabei bringt er
+neue, bisher nie gekannte Qualen über den Reisenden. Schon nach kurzer
+Zeit springen ihm, weil die heiße Luft alle Feuchtigkeit entzieht,
+die Lippen auf und fangen an zu bluten; die Zunge hängt trocken in
+dem nach Wasser lechzenden Munde, der Atem wird übelriechend, alle
+Glieder erschlaffen. Zu dem grenzenlosen Durste gesellt sich bald
+ein unerträgliches Jucken und Brennen am ganzen Körper: die Haut ist
+brüchig geworden, und in alle Risse dringt der feine Staub. Man hört
+die lauten Klagen der so grausam Gemarterten; zuweilen arten sie in
+förmliche Raserei aus -- der Gepeinigte ist wahnsinnig geworden; oder
+sie verstummen zuletzt ganz, denn das mit fieberiger Hast durch die
+Adern strömende Blut hat den Kopf so beschwert, daß Bewußtlosigkeit
+eingetreten ist. Der Sturm ermattet, aber mancher Mensch erhebt sich
+nicht mehr: ein Gehirnschlag hat seinem Leben ein Ende gemacht. Auch
+mehrere Kamele liegen in den letzten Zügen.“
+
+Schlanke Palmenwipfel am glasblauen Horizonte verkündigen die Nähe
+einer Oase, also einer Menschensiedlung im Meere des Sandes, ermöglicht
+durch das Vorhandensein von Wasser. Der Giftwind Samum haucht auch über
+die Oase seinen verderbenbringenden Odem, ohne das Verderben wirklich
+herbeizuführen, denn das Wasser lähmt seine verheerende Gewalt. Darum
+sind Brunnen und Oasen Friedensorte in der Wüste. Ursprünglich war die
+Oase nur von der schlanken Gazelle belebt, diesem Wunder der Wüste,
+und von der anspruchslosen Mimose. Dann kam der Mensch und brachte ihr
+die Königin der Pflanzenwelt, die Palme, und nun erst wurde die Oase
+bewohnbar. Eine Oase ohne Palmen wäre keine Oase, wäre ein Gedicht ohne
+Worte, ein Brunnen ohne Wasser, ein Haus ohne Bewohner. Auf solchen
+reichen Inseln des Sandmeeres hat sich der Mensch bleibend ansiedeln
+können, während er am bloßen Wüstenbrunnen nur tagelang zu verweilen
+vermag und nach kurzer Rast mit seiner beweglichen Habe weiterziehen
+muß. Der von Brunnen zu Brunnen wandernde Nomade gleicht einem von
+Insel zu Insel steuernden Schiffer, der in einer größeren Oase Wohnende
+dagegen einem Insulaner. Die Häuser der von Brehm besuchten Oasen in
+der Landschaft Fessan bestanden nur aus luftgetrockneten Lehmziegeln
+und hatten flache Dächer aus Palmstämmen. Gemütlich war’s in ihnen
+nicht, denn das Ungeziefer hatte freien Zutritt. Fliegenschwärme,
+unerhört zudringliche und bösartige Wespen peinigten den Menschen
+entsetzlich, giftgeschwollene Skorpione und widerwärtige Spinnen
+gehörten zu den regelmäßigen Hausbewohnern, selbst Vipern verirrten
+sich gar nicht selten in die Wohnräume. Dagegen werden die zierlichen
+Eidechsen und Geckos als Fliegenvertilger gerne gesehen. In einem
+solchen Heim bei der Bruthitze zu arbeiten, etwa gar einen stinkenden
+Riesengeier abzubalgen, war wahrhaftig kein Vergnügen, und Brehm
+lernte einsehen, daß auch das Leben in den vielgepriesenen Oasen seine
+Schattenseiten hat.
+
+ * * * * *
+
+„Es ist doch eigenartig, wie am Weihnachtsabend die Gedanken immer
+wieder in die Heimat eilen,“ sagte Baron Müller nachdenklich. „Ein
+echt deutsches Weihnachtsfest ist doch das Schönste, was es gibt.
+Die prächtigste Palme läßt mich kalt, aber der flittergeschmückte,
+kerzenstrahlende Weihnachtsbaum greift mir ans Herz. O glückliche
+Kinderzeit!“ -- „Ich habe Heimweh,“ versetzte Brehm nur schlicht.
+„Jeder Gedanke zieht mich heute am Heiligen Abend nach meinem stillen,
+lieben Renthendorf. Oh, unser liebes Pfarrhaus! Wieviel schöner sind
+doch jetzt unsere verschneiten Thüringer Nadelwälder als all dieser
+bunte Tropenzauber und als all diese bedrückende Urwaldpracht.“
+
+Die beiden Deutschen saßen am Weihnachtsabend mit ihrem getreuen
+Ali mitten im Urwalde unweit des Blauen Nil. Man hatte sich’s etwas
+festlich gemacht, Punsch bereitet und die Pfeifen mit dem köstlichsten
+Tabak der Erde, dem unvergleichlichen Djebeli, gestopft, aber die
+Wolken der Schwermut wollten den Wolken des Rauches nicht weichen, und
+so sehr auch die Tropennacht schmeichelte und liebkoste, es wollte
+ihr nicht gelingen, des Herzens Sehnen zu beschwichtigen. Die Gläser
+blieben ungeleert und die Herzen unbefriedigt. Der Türke sang seine
+prächtigen Minnelieder in tonreichen Weisen, aber auch sie versagten
+heute ihre Wirkung. Der Urwald selbst mußte sprechen, damit sich die
+Deutschen nicht länger ihren trüben Heimwehgedanken überließen. Und er
+sprach auch.
+
+Plötzlich schmetterten helle, kräftige Trompetentöne durch die bisher
+so stille Nacht. Das Geschwätz der Diener verstummte augenblicklich,
+und alle lauschten atemlos. Von neuem schmetterten die Trompeten.
+„El Fiuhl! El Fiuhl! Elefanten, Elefanten!“ jubelten die mit den
+Tönen der Wildnis Vertrauten. Wahrhaftig, es waren Elefanten, die
+zum Flusse gingen. Und ihr Trompeten war anscheinend das Zeichen zum
+Beginn eines fast schaurigen und doch wahrhaft großartigen nächtlichen
+Urwaldkonzertes. Der König des Waldes donnerte durch sein Reich, und
+seine Königin antwortete. Ein Nilpferd hob seinen Kopf und brummte,
+als wolle es versuchen, es der Löwenstimme gleichzutun, ein Panther
+grunzte, aufgescheuchte Affen gurgelten und kreischten, erschreckte
+Papageien flatterten und schrien, Eulen spektakelten dazwischen, Hyänen
+und Schakale übernahmen den Chorgesang, auf einer Sandbank klagte
+der Wogenpflüger der Nacht, der Scherenschnabel, und wie läutende
+Silberglöckchen klang dazwischen das Gezirp der Zikaden, dumpfer und
+tiefer der volle Chor der Waldfrösche. Es war ein wunderbares Tonstück,
+und wunderliche Künstler führten es auf, aber die Deutschen söhnte es
+aus mit der Fremde, die trübe gewordenen Augen glänzten wieder, und das
+Herz schlug hoch vor Freude. Zum erstenmal hörte Brehm das Trompeten
+wilder Elefanten. Und so hatte auch er sein Weihnachtsgeschenk! --
+
+Brehm feierte seinen 20. Geburtstag. Aber wie? Er hatte ohne den in
+Chartum zurückgebliebenen Baron einen selbständigen Abstecher nach
+dem Blauen Nil gemacht, ins Land des durch körperliche Schönheit,
+auffallend helle Hautfarbe und die aufdringliche Sittenlosigkeit
+seiner Weiber bekannten Negerstammes der Hassanies. Er konnte hier nur
+immer wieder staunen über den unerschöpflichen und überwältigenden
+Reichtum des tropischen Tierlebens. Die Vogelwelt war großartig
+vertreten und die Ausbeute entsprechend, aber leider machten Malaria
+und Brechdurchfall dem jungen Forscher wieder sehr viel zu schaffen.
+Nun lag er an seinem Ehrentage, von schweren Fieberschauern geschüttelt
+und halb bewußtlos, mutterseelenallein mitten im Urwald unter seinem
+dürftigen Zelt, ohne liebevolle Pflege, ohne Arzneien, selbst ohne
+das unentbehrliche Chinin. Wenn das die Lieben im fernen Vaterlande
+hätten ahnen können! Soweit es sein jämmerlicher Zustand erlaubte,
+jagte er trotzdem im undurchdringlichen Dorngestrüpp der Urwälder und
+in den fieberschwangeren Sümpfen oder balgte mit zitternden Händen
+zähneklappernd die geschossenen Vögel ab. Als er schließlich mit
+einer Ausbeute von 130 Vogelbälgen auf seinem Eselchen nach Chartum
+zurückkehrte, runzelte der Baron, der vom Tropenkoller geplagt sein
+mochte oder vielleicht auch damals schon mit Geldsorgen zu kämpfen
+hatte, beim Betrachten der kleinen Sammlung die Stirn. „Das ist doch
+viel zu wenig für eine so lange Abwesenheit,“ polterte er. „Wie soll
+ich denn da auf meine Kosten kommen, wenn Sie derartig faulenzen?“
+Mit Recht war Brehm, der dieser Vogelbälge wegen Leben und Gesundheit
+aufs Spiel gesetzt hatte, empört und erbittert über solch schreiende
+Undankbarkeit. „Damals habe ich zum erstenmal gefühlt, daß die
+Bemühungen eines Sammlers oder Naturforschers nur selten anerkannt
+werden.“ Ein Wort gab das andere, und es kam zwischen den beiden
+Reisegefährten zu einer heftigen Auseinandersetzung, die beinahe zum
+völligen Bruch geführt hätte. Zwar versöhnte man sich schon am nächsten
+Tage, aber das alte innige Freundschafts- und Vertrauensverhältnis
+zwischen beiden wollte sich doch nie wieder so recht einstellen, obwohl
+äußerlich der Friede künftig gewahrt blieb.
+
+
+
+
+Kairo und Chartum
+
+
+„Um Himmels willen, Herr Baron, was ist das?“ Mit diesen Worten fuhr
+Brehm entsetzt von seinem Schmerzenslager in einem schäbigen Hotel
+Kairos empor und rüttelte den Baron wach, der matt und kraftlos in
+halber Ohnmacht neben ihm lag. Beide hatten sich auf der Nilfahrt von
+Alexandria nach Kairo einen heftigen Sonnenstich geholt und mußten
+unter wahnsinnigen Kopfschmerzen und häufigen Ohnmachtsanfällen dessen
+Folgen tragen. Entsetzliche Schwüle herrschte in der Luft. Plötzlich
+vernahmen die sich mühsam aufrichtenden Kranken ein donnerähnliches
+Rollen, Geschrei und Wehklagen auf der Straße, Gebrüll von Tieren und
+eiliges Laufen auf den Korridoren; die Bettgestelle schwankten, die
+Türen des Zimmers flogen auf und zu, klirrende Fensterscheiben und
+zerbrechende Gläser stürzten auf den Fußboden herab, an einzelnen
+Stellen des Zimmers löste sich der Mörtel von den Wänden und fiel
+polternd herunter, aber die unerfahrenen Europäer wußten sich die
+Erscheinung nicht zu erklären. Ein neuer, stärkerer Stoß folgte dem
+ersten, man hörte das Einstürzen von Mauern in unmittelbarer Nähe
+und fühlte, wie das Haus in seinen Grundfesten schwankte. Da wurde
+den beiden Deutschen das Phänomen entsetzlich klar: ein Erdbeben
+erschütterte die ägyptische Hauptstadt! Und ohne Hilfe lagen sie krank
+und elend allein in ihren Betten, nicht imstande, gleich den anderen
+Reisenden hinaus ins Freie zu flüchten. Ihre Lage war in der Tat
+gräßlich. Die Naturerscheinung währte kaum eine Minute, und doch wurde
+ihnen diese kurze Zeitspanne zu einer wahren Ewigkeit. Der geängstigte
+Geist erging sich in den schauderhaftesten Vorstellungen, die Augen
+folgten mit Todesangst den Rissen der zersprungenen Mauern, und
+verzweiflungsvoll ergab sich die Seele dem bevorstehenden schrecklichen
+Schicksal. Aber das von Europäern gebaute Haus hielt die starke
+Erschütterung aus. Nach wenigen Minuten verkündigte ein herbeieilender
+Diener, daß die Gefahr vorüber sei. In unmittelbarer Nähe des Gasthofes
+waren jedoch 17 Menschen unter den Trümmern ihrer Behausungen begraben
+worden.
+
+[Illustration: Kairo von Norden aus gesehen
+
+Eine Ansicht nach einer farbigen Darstellung von Carl Werner in seinem
+großen Aquarell-Faksimile-Werk „Nilbilder“, zu dem Brehm mit Dr. J.
+Dümichen den Text schrieb (1871)]
+
+Nur langsam machte die Genesung unseres jungen Freundes Fortschritte,
+zumal der griechische Quacksalber, der beide behandelte, ihn dreimal
+zur Ader ließ und ihm durch 64 Blutegel so viel Blut abzapfte, daß
+er ganz schwach wurde. Aber dann wuchsen mit steigenden Kräften auch
+Lebensmut und Lebenslust wieder, und auf zahlreichen Eselritten lernte
+nun Brehm die Märchenstadt Kairo, die ihn so ungastlich empfangen
+hatte, mit ihrem bunten, echt orientalischen Leben und Treiben
+kennen. Sie ist seitdem seine Lieblingsstadt geblieben, und keiner
+hat das buntscheckige Gewühl ihrer Gassen und Märkte so meisterhaft
+zu schildern gewußt wie er. Brehm besaß überhaupt in hervorragendem
+Maße die Gabe, sich in fremde Verhältnisse einzuleben, sich den Sitten
+und Gewohnheiten anderer Völker anzuschmiegen, ohne doch jemals
+seiner Würde als Deutscher auch nur das Geringste zu vergeben. Er hat
+dem deutschen Namen auch in fernen Ländern stets nur Ehre gemacht.
+Gerade die Länder des Islams hatten es ihm angetan, und in die Denk-,
+Anschauungs- und Sprechweise ihrer Bewohner wußte er sich so zu
+vertiefen, sie sich in so hohem Maße zu eigen zu machen, wie selten
+einer. Niemals hat er es versäumt, neben der Tierwelt der von ihm
+bereisten Länder mit gleichem Eifer auch ihre Menschen zu studieren und
+den Einfluß von Klima, Landschaft und Geschichte auf die Entwicklung
+ihrer Eigenart klarzulegen. Der mohammedanischen Religion brachte er
+so viel Achtung und ein so weitgehendes Verständnis entgegen, daß er
+in Europäerkreisen vielfach schon als Renegat galt. Aber bei Türken
+und Arabern erfreute er sich trotz seiner Jugend großen Ansehens und
+allgemeiner Beliebtheit. Viel schlechter als die Bekenner des Propheten
+kommen in seinem Tagebuch die wenigen Europäer und Levantiner weg, die
+sich schon damals im Sudan ansässig gemacht hatten und die allerdings
+bis auf wenige Ausnahmen den Abschaum ihrer Länder darstellten. Für
+das charakterlose Mischvolk der sog. Levantiner zum Beispiel hat er
+nur unverhohlene Verachtung, so sehr er auch der Schönheit ihrer
+Frauen Gerechtigkeit angedeihen läßt. Sein Herz gehörte den freien,
+bettelarmen, aber stolzen Beduinenstämmen der Wüste, die er liebte, wie
+er alles Unabhängige und wahrhaft Männliche liebte:
+
+„Sie sind in der Freiheit der Wüste geboren und groß geworden, sie
+leben und sterben dort; sie denken und handeln frei und edel wie
+jeder Freigeborene. Noch haben sich bei ihnen die alten Sitten ihrer
+Vorfahren erhalten, noch hegen sie dieselben Gefühle für Recht und
+Unrecht, welche die Patriarchen hegten; noch sind sie wie jene mit Herz
+und Hand bereit, ihr gutes Recht sich zu erhalten oder zu verschaffen.
+Der Beduine, das Kind der hochhehren Wüste, ist noch der Sohn der alten
+und für ihn ewig neuen Freiheit. Er ist der unverdorbene Nachkomme
+seiner tapferen und edlen Ahnen. Der Beduine lügt nie, er bestiehlt
+oder betrügt niemanden, wohl aber tritt er mit der Waffe in der Faust
+als kühner Räuber hervor, um sich seinen Lebensunterhalt zu erringen.
+Er beraubt den friedlich durch die Wüste pilgernden Kaufmann nicht
+als ein nach unseren Begriffen verächtlicher Wegelagerer, sondern als
+mutiger, streitbarer Mann; er wird ihn nie berauben, wenn dieser ihn,
+den Herrn der unbegrenzten Wüste, erst um sicheres Geleit ersuchte,
+sein Gebiet durchwandern zu dürfen. Treu dem Freunde das gegebene
+Versprechen haltend, geht er für seine Schutzbefohlenen ohne Zögern in
+den Tod, furchtbaren Kampf dem Feinde schwörend, hält er das Gesetz
+der Blutrache für das hochheiligste seines Stammes. Er vergibt keine
+Beleidigung, er vergißt keine Wohltat. Seinen letzten Bissen Brot
+teilt er mit seinem Gastfreunde, den letzten Wassertrunk spendet er
+dem Verschmachtenden. Er ist in seiner Treue groß, in seiner Rache
+furchtbar. Keinen Herrn über sich erkennend als das selbstgewählte
+Stammesoberhaupt, verteidigt er seine weite Heimat mutig und tapfer
+gegen jeden Feind. Ohne Hoffnung auf Ersatz unterhält er den, der sich
+hungernd und dürstend in seinem Zelte einfindet, ohne Dank zu fordern,
+bringt er ihn in seine Heimat zurück. Sein Pferd ist ebenso edel und
+treu wie er selbst, es ist sein ständiger Begleiter, er liebt es wie
+Weib und Kind.“
+
+Brehm hat sich wiederholt lange Zeit in Chartum aufgehalten, nicht
+immer ganz freiwillig, sondern weil empfindlicher Geldmangel ihm
+die Fortsetzung der Reise unmöglich machte. In solchem Falle wurde
+dann ein eigenes Häuschen gemietet und in dessen Hof ein Tiergarten
+eingerichtet. Der türkische Generalstatthalter des Sudan, der in
+dem noch jungen Chartum seinen Sitz hatte, schickte als Grundlage
+dazu gleich in den ersten Tagen geschenkweise zwei Strauße, denen
+sich bald ein Paar junge Hyänen sowie etliche Affen und Gazellen
+und ein sehr herrschsüchtiger Marabu beigesellten. Die Eingeborenen
+brachten überhaupt, nachdem die Absichten der beiden Deutschen in den
+Kaffeehäusern und auf den Suks sich herumgesprochen hatten, allerlei
+lebendes und totes Getier angeschleppt, das gern aufgekauft und zur
+Bereicherung der Sammlungen verwendet wurde. So entwickelte sich
+bald eine förmliche Naturalienbörse, aber sonstige Unterhaltung bot
+die volkreiche Hauptstadt des Sudan kaum. Immerhin konnte man hier
+nach so langen Entbehrungen in der Wildnis doch auch mal wieder mit
+halbwegs gebildeten und gesitteten Menschen zusammen sein, wenngleich
+man in dieser Hinsicht in Chartum nur sehr bescheidene Ansprüche
+stellen durfte und öfters beide Augen zudrücken mußte. Auch Briefe
+und Zeitungen gab es dann und wann einmal, und mit Erstaunen erfuhr
+Brehm nach der Rückkehr aus Kordofan aus ihnen, welch gewaltige
+Umwälzungen sich im Frühjahr 1848 in Europa vollzogen hatten, während
+er fieberkrank in den Wäldern und Steppen Kordofans weilte. Der völlige
+Mangel an Lesestoff war ja bisher nicht die geringste der vielen
+Entbehrungen gewesen. Gierig las man zu wiederholten Malen jeden mit
+den geliebten Lauten der Muttersprache bedeckten Papierfetzen, und der
+elendste Schundroman würde Hochgenuß gewährt haben. Nun aber erhielt
+Brehm in Chartum von verständnisvoller, feinfühliger Mutterhand sogar
+einige der von ihm so glühend geliebten Werke unserer Klassiker. Wie
+durfte er da schwelgen! Erst in der weiten Ferne, in der geistlosen
+Fremde halbkultivierter Länder, unter Vertretern krassester Selbstsucht
+und Geldgier würdigt man so recht die heimische Dichtkunst, erst da
+empfindet man ihre ganze Kraft. Wer die Gesänge unserer Dichter völlig
+in sich aufnehmen will, der muß sie lesen, wo er sie keinem andern,
+sondern nur seinem eigenen Selbst mitteilen kann. Dann wird sich ihr
+Wert und ihre Wirkung verdoppeln.
+
+„Bachida! Pfui! Du Teufelsvieh! Wirst du wohl auslassen! Wirst du wohl
+artig sein! Bachida! Pfui!“ So erscholl Brehms zornige Stimme in einer
+der staubumhüllten Gassen Chartums, und mit erhobener Peitsche eilte
+er auf eine Löwin zu, die ein gerade friedlich vorübertrottendes Schaf
+gepackt hatte, ergriff sie wie weiland Simson am Kopfe, riß ihr den
+Rachen auf, erfaßte das arme Wolltier und schleuderte es mit einem
+Fußtritt weit fort. Ein paar derbe Hiebe mit der Nilpferdpeitsche
+klatschten auf das gelbe Löwenfell, aber die „Tochter Fathmes“, wie
+die Sudanesen die weiblichen Löwen nennen, nahm die Züchtigung ruhig
+hin, in dem Bewußtsein, für ihren Übergriff eine Strafe verdient
+zu haben. Es war ja „Bachida“ (die Glückliche), die berühmte zahme
+Löwin Brehms, die er als kaum pudelgroßes Jungtier von seinem Gönner
+Latief Pascha zum Geschenk erhalten und auf das sorgfältigste erzogen
+hatte. Innige Freundschaft verband beide. Bachida liebte ihren Herrn
+zärtlich, folgte ihm in Haus und Hof, auf der Straße und im Freien
+gehorsam wie ein Hund, liebkoste ihn bei jeder Gelegenheit und wurde
+nur dadurch bisweilen lästig, daß sie nachts auf den Einfall kam, ihn
+auf seinem Lager aufzusuchen und durch ihre Liebkosungen aufzuwecken.
+Sie ersetzte zugleich den schärfsten Wachhund, denn lästiges Gesindel
+wagte sich nicht auf das von einem Löwen behütete Gehöft, und sogar
+die Kamele vorüberziehender Karawanen gingen unter dem Fluchen und
+Schreien der Treiber oft durch, wenn sie durch eine Mauerlücke
+das ihnen so furchtbare Tier erblickten. Zu den zahmen Antilopen
+durfte die Löwin überhaupt nicht gelassen werden, obwohl sie ihnen
+wahrscheinlich nichts zuleide getan hätte, da die Horntiere bei ihrem
+Erscheinen verzweiflungsvoll gegen die Wände rannten und sich dabei
+selbst verletzten. Im übrigen hatte sich Bachida natürlich bald zur
+Beherrscherin und Tyrannin alles auf dem Hofe sich tummelnden Getiers
+aufgeworfen. So liebenswürdig und gutmütig sie auch war, so war sie
+doch ein wahrer Ausbund von Übermut und Necklust und liebte es sehr,
+andere Lebewesen durch plötzliches Anspringen zu erschrecken, und
+namentlich an den Affen und Raubvögeln kühlte sie gern ihr Lüstchen.
+
+ * * * * *
+
+Anfangs, solange sie noch klein war, setzte ein alter, urdrolliger
+Pavian ihrem Übermut gewisse Schranken. Auch er zitterte zwar bei
+ihrem Erscheinen und verzog das Maul auf grauenvolle Weise, griff
+sie dann aber ohne weiteres mutvoll mit den Händen und rieb ihr die
+Ohren derartig um den Kopf herum, daß ihr Hören und Sehen vergehen
+mochte und sie angstvoll das Weite suchte. Mit der Zeit jedoch wurde
+die Löwin so stark, daß auch der Pavian ihrer nicht mehr Herr zu
+werden vermochte. Doch an seine Stelle trat nun ein alter, mürrischer
+Marabu. Bachida sah sich die barocke Philosophengestalt ganz starr
+vor Neugierde an und gedachte dann nach ihrer Art den Langbeiner
+durch plötzliches Anspringen zu erschrecken. Aber der verstand das
+falsch, ging mit weiten Schritten und halbgelüfteten Schwingen
+unerschrocken auf das Raubtier los, versetzte ihm rasch hintereinander
+mit seinem gewaltigen Keilschnabel mehrere so nachdrückliche Püffe
+und wiederholte diese Lektion mehrfach so gründlich, daß Bachida
+unter Wutgebrüll das Hasenpanier ergreifen mußte, grimmig verfolgt
+von dem schnabelklappernden Sieger. Seitdem ließ sie den wehrhaften
+Storchenvogel achtungsvoll in Ruhe, aber mit den übrigen Tieren trieb
+sie es nach wie vor.
+
+Wirkliche Ausschreitungen kamen bei alledem nur äußerst selten vor.
+So wurde ihr schönes Freundschaftsverhältnis zu einem mutigen Widder,
+mit dem sie besonders gern spielte, jäh zerrissen. Der Widder,
+dessen Hornstöße sie sonst gutmütig ertrug, mochte einmal gar zu
+grob zugestoßen haben, denn plötzlich geriet die Löwin in Zorn und
+schmetterte ihn mit ein paar derben Tatzenschlägen zu Boden. Am
+nächsten Morgen war der Spielgefährte tot. Schlimmer war der folgende
+Fall, der zugleich eine harte Kraftprobe für das Verhältnis zwischen
+Mensch und Raubtier bedeutete. Bachida hatte den Lieblingsaffen Brehms
+erst mißhandelt, dann getötet und schließlich aufgefressen. Als Brehm
+Kopf und Schwanz als die einzigen Überbleibsel des armen Opfers fand,
+wurde er doch recht zornig, prügelte die Löwin tüchtig ab und verfolgte
+die Flüchtende bis in den äußersten Winkel des Gehöfts. Als sie hier
+nicht entrinnen konnte, nahm sie plötzlich eine andere Miene an als
+früher und setzte sich kräftig zur Wehr. Wäre Brehm nur einen Schritt
+zurückgewichen, so würde die im höchsten Grad erzürnte Löwin ihn
+sicherlich angesprungen und wahrscheinlich erheblich verletzt haben.
+Brehm war aber klug genug, fest stehen zu bleiben und unentwegt weiter
+zu prügeln, zugleich aber auch eine Lücke freizulassen, durch die
+Bachida entwischen konnte. Schon eine halbe Stunde später war ihr Zorn
+verraucht, und schmeichelnd rieb sie sich nach Katzenart wieder an
+ihrem Herrn, als wollte sie um Verzeihung bitten. Dies war der einzige
+Streit, den beide jemals miteinander gehabt haben; nie erlaubte sich
+Bachida sonst irgendwelche Unart, nie bekundete sie irgendwie Wildheit
+und Blutdurst des Raubtieres.
+
+Viel Spaß machte Brehm und seinen Freunden folgender Streich der
+übermütigen Löwin. Im gleichen Hause wohnte ein fetter griechischer
+Sklavenhändler und Wucherer. Dieser wollte einmal in der Regenzeit,
+als der ganze Hof mehr einem Moraste glich, nach dem Stall gehen, um
+seinen Reitesel zu besteigen. Da er dem Statthalter Latief Pascha
+seine Aufwartung zu machen gedachte, war er in einen glänzend weißen,
+neuen Seidenburnus gehüllt. Bachida lag gerade im dicksten Schmutz
+und betrachtete verblüfft die weiße, ängstlich zwischen den Pfützen
+sich durchwindende Gestalt. Dann duckte sie sich und sprang in einigen
+furchtbaren Sätzen auf den Griechen zu, der vor Schreck stolpernd in
+den Schmutz fiel und auch noch die Dummheit beging, laut zu schreien.
+Die neckische Bachida faßte das als eine willkommene Aufforderung zur
+Fortsetzung dieses unterhaltsamen Spieles auf, brachte durch einen
+zweiten Satz den dicken Mann völlig zum Liegen, setzte sich ihm mit
+Beifallsgebrüll auf den Schmerbauch, umarmte ihn sehr zärtlich, wälzte
+ihn aber dabei derartig im Kote herum, daß von der strahlenden Kleidung
+auch nicht ein Fleckchen mehr ohne Schlammkruste blieb. Lachend
+befreite Brehm ihn, der nicht im geringsten verletzt war, aus den
+Tatzen seines Peinigers. Der Grieche aber schwur Rache und beklagte
+sich beim Statthalter. Da mußte er nun freilich die Erfahrung machen,
+daß auch bei den Türken das Sprichwort gilt: „Wer den Schaden hat,
+braucht für den Spott nicht zu sorgen.“
+
+Ernster war ein Zwischenfall, der sich auf der Heimreise zutrug,
+wo Bachida abends stets an Land gelassen wurde, um sich ein wenig
+auszutollen und zu entleeren, was das reinliche Tier in dem engen
+Schiffskäfig grundsätzlich nicht tat. So war die Löwin einmal an einer
+der Säulen des Tempels von Luxor angefesselt und ringsum von einer
+zudringlichen und neugierigen Menschenmenge umgeben. Plötzlich stob
+alles unter entsetzlichem Geschrei und Geheul, Fluchen und Jammern
+auseinander, und Brehm erfuhr von den zu ihm Eilenden, daß „das
+Scheusal“ soeben einen kleinen Negerknaben gepackt habe und gerade im
+Begriff sei, ihn zu verschlingen. Es sei zwar nur ein Sklave, aber
+er habe immerhin einen Geldwert von 1000 Piastern, die der Herr des
+gefräßigen Raubtieres bezahlen müsse. Schleunigst rannte Brehm zu der
+Unglücksstätte, um den gefangenen Buben zu befreien. Bachida spielte
+mit ihm wie die Katze mit der Maus, drehte ihn in ihren Pranken hin
+und her, beroch ihn, zog ihn zu sich heran, ließ ihn wieder los, um
+ihn augenblicklich von neuem zu halten, hatte ihm aber bis dahin
+nicht das geringste Leid zugefügt und ihm nirgends auch nur die Haut
+geritzt. Brehms Ankunft brachte ihr augenblicklich zur Besinnung, daß
+der schwarze Schreihals kein Spielzeug für sie sei. Sie gab den Bengel
+sofort freiwillig her.
+
+Im bescheidenen Pfarrhause zu Renthendorf war natürlich kein Platz
+für eine leibhaftige afrikanische Löwin, und so mußte Bachida in den
+Berliner Tiergarten wandern. Brehms Abschied von dem treuen Tiere war
+wahrhaft schmerzlich, und rührend das Wiedersehen zwischen beiden nach
+zweijähriger Trennung. Bachida erkannte ihren früheren Herrn trotz der
+völlig veränderten Kleidung sofort an der Stimme und war vor Freude
+ganz außer sich.
+
+ * * * * *
+
+„Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst du? Und warum willst du mir
+das Licht des Vollmondes, dein Antlitz, entziehen? Weißt du nicht, daß
+ich ein Franke bin? In meiner Heimat verhüllen die Wolken wohl oft
+die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen
+auf Erden. Ich bin gewohnt, unseren lieblichen Töchtern der Erzmutter
+Eva frei ins Angesicht zu schauen. Warum willst du, Sonne, dich mir
+verbergen?“
+
+„Dein Land ist nicht mein Land, deine Sitte ist nicht meine Sitte, o
+Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sklavin.
+Bedenke das, du Guter! Möge deine Nacht glücklich sein!“
+
+„Halt, Herrin, warum willst du davoneilen? Hast du mich noch nicht
+gesehen?“
+
+„Oh, schon sehr oft, gleich bei deiner Ankunft sah ich dich und seitdem
+alle Tage.“
+
+„Nun wohl, fürchtest du dich vor mir?“
+
+„Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit dir zu reden. Glückliche
+Nacht!“
+
+„Warum entfliehst du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte dich!“
+
+„Ich darf nicht!“
+
+„So sage mir wenigstens deinen Namen, du liebliche Gazelle!“
+
+„Ich heiße Warde“ (Rose).
+
+„Wirst du wieder hierher kommen?“
+
+„Ich darf nicht, gute Nacht, Herr!“
+
+Die anmutige Mädchengestalt, die noch von dem ganzen Reize kindlicher
+Lieblichkeit umflossen war, huschte davon. Aber sie kam doch wieder.
+Jeden Abend erschien sie auf dem flachen Dache ihres elterlichen
+Hauses, das mit dem Haus Brehms zusammenstieß und nur durch eine
+niedrige Mauer von ihm getrennt war. So erblühte dem Zwanzigjährigen
+die Rose des Morgenlandes.
+
+[Illustration: Alfred Edmund Brehm
+
+Nach einer Originalzeichnung von W. Planck]
+
+„Was willst du eigentlich von mir, o Fremdling?“ frug sie in ihrer
+kindlichen Unschuld.
+
+„Reden will ich mit dir, du schlanke Gazelle. Meine Augen bedürfen
+deines Lichtes, meine Seele bedarf deines Odems. Die Muscheln meiner
+Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.“
+
+„Hast du Eltern?“
+
+„Allah sei gelobt, ja!“
+
+„Hast du Schwestern?“
+
+„Ja, eine einzige. Aber sie ist weit, weit von hier und meine Eltern
+auch und alle, die ich liebe. Ich bin ganz allein hier in der Fremde.“
+
+„O du Armer, so will ich deine Schwester sein. Nenne mich Schwester,
+und ich werde dich Bruder nennen.“
+
+Es folgten berauschend schöne Tropenabende. Brehm lernte verstehen,
+was das arabische Wort „Leila“ (Nacht) bedeutet. Noch in späteren
+Jahren klang es ihm wie Musik. Manchmal durfte er Warde auch „Habihbti“
+(Geliebte) nennen. Der alte Scheich, den er als Sprachlehrer
+aufgenommen hatte, lehrte ihn Worte, wie sie in den Büchern standen,
+Warde lehrte ihn solche, wie sie das frisch erblühende Leben bedurfte.
+Die Rose duftete für ihn, doch die Tage flogen dahin, und die
+Abschiedsstunde nahte.
+
+„Die Betrübnis ist eingezogen bei uns,“ sagte Warde traurig, „und der
+Schmerz ist zwischen uns getreten, mein Bruder, mein Freund, mein Herr!
+Aber du kannst mich ja mit dir nehmen, o Lust meiner Seele!“
+
+„Nein, Warde, das kann ich nicht.“
+
+„Und warum nicht, mein Gebieter?“
+
+„Seele meines Lebens, ich kann nicht, ich darf nicht. Es wäre Sünde an
+dir und deinem Leben, Habihbti! Und dann, wie soll ich dich mit mir
+nehmen, Warde?“
+
+„Als dein Weib, Mann!“
+
+„In meinem Lande heiratet man nicht so früh. Ich zähle noch zu wenig
+Jahre, als daß ich mir eine Frau nehmen könnte. Das bedenke, o Gute!“
+
+„So nimm mich mit dir als deine Dienerin, als deine Sklavin! Befiehl
+mir, was ich sein soll, und ich werde dir gehorchen!“
+
+„Es geht nicht, es ist unmöglich, Warde, es wäre eine Sünde an dir!
+Aber denke an mich, wenn ich in der Ferne bin!“
+
+„Oh, du wirst meiner gedenken, wenn das Unglück in dein Zelt tritt und
+die Krankheit sich auf dein Lager legt.“
+
+„Ich werde deiner immer gedenken, Warde!“
+
+Sie antwortete nichts mehr: sie weinte.
+
+„Allah behüte dich, und Issa (Jesus) sei mit dir, du lieber, böser,
+fremder Mann!“
+
+Das waren die letzten Worte, die Brehm von ihr vernahm.
+
+Selten ist wohl ein Liebesverhältnis zwischen Europäer und Afrikanerin
+mit duftigerer Zartheit geschildert worden als dieses. Brehm war
+überhaupt ein Typ männlicher Keuschheit, so wie sie Gottfried August
+Bürger so schön besungen hat. Er war ganz gewiß kein Philister oder
+Spielverderber oder Lebensverächter, aber nie kam im Familienkreise ein
+unanständiges Wort über seine Lippen, selbst nicht beim Becherklang
+inmitten vertrauter Freunde.
+
+ * * * * *
+
+Die Verhältnisse Brehms in Chartum hatten sich inzwischen immer
+peinlicher und unangenehmer gestaltet. Um seine geradezu verzweifelte
+Lage zu verstehen, müssen wir einiges nachholen. Nach der geschilderten
+Überwindung der Stromschnellen von Wadi-Halfa waren Baron Müller
+und Brehm noch gemeinsam nilabwärts nach Alexandria gereist, und
+hier schiffte sich der Baron nach Europa ein und eilte der deutschen
+Heimat zu, während Brehm allein im schwarzen Erdteil zurückblieb.
+Der Baron wollte in Deutschland die nötige Ausrüstung beschaffen für
+eine sehr großartig von ihm angekündigte Forschungsreise nach den
+Nilquellen, die ja damals das große geographische Problem waren,
+und wollte noch weitere Teilnehmer dazu anwerben, um dann sobald
+als möglich zurückzukehren und an der Spitze der neuen Expedition
+ins unerforschte Innere von Afrika zu ziehen. Brehm sollte derweil
+auch seinerseits allerlei Vorbereitungen treffen und die übrigen
+Teilnehmer in Unterägypten erwarten, die Zwischenzeit aber durch Jagen
+und Sammeln an dem 45 Quadratmeilen großen, aber nur metertiefen
+Menzaleh-See ausnutzen, in dem er eine großartige Winterherberge
+und Durchzugsstation osteuropäischen und westasiatischen Sumpf- und
+Wassergeflügels entdeckt hatte.
+
+Er mußte viele Monate warten, war schon in Geldverlegenheit und
+deshalb sehr ungeduldig, aber endlich langten doch drei weitere
+Reiseteilnehmer mit einer freilich sehr bescheidenen Ausrüstung an.
+Der Klügste von ihnen trat sofort zurück, als er bemerkte, wie völlig
+ungenügend die so großspurig angekündigte Expedition finanziert war.
+Es blieben der ~Dr. med.~ Richard Vierthaler aus Cöthen, der auf
+eigene Kosten reiste, und -- Brehms eigener, um sechs Jahre älterer
+Stiefbruder Oskar. Die Freude des Wiedersehens war natürlich groß,
+die Geldsumme aber, die Oskar dem jüngeren Bruder als dem vorläufigen
+Expeditionsleiter aushändigte, war so gering, daß sie kaum zur
+Bestreitung der Reisekosten bis Chartum ausreichte. Indessen hatte ja
+der Baron fest versprochen, baldmöglichst nachzukommen und reichliche
+Geldmittel mitzubringen oder auch nach Chartum vorauszusenden. Für
+Alfred Brehm, der trotz aller schlimmen Erfahrungen dem Baron immer
+noch rückhaltlos vertraute, gab es daher kein Zögern, und er entschied
+sich für sofortigen Aufbruch; sehnte er sich doch mit allen Fasern
+seines Herzens danach, endlich aus dem langweiligen Unterägypten
+fortzukommen und wieder in wirklich wilde Länder mit urwüchsigem
+Tierleben zu gelangen. War man doch jetzt zu dritt und konnte
+vereint alle Hemmnisse mit gemeinsamer Kraft leichter überwinden als
+allein. Aber weder Dr. Vierthaler noch Oskar Brehm haben die Heimat
+wiedergesehen. Jener erlag dem mörderischen Klima, und dieser ertrank
+am 8. Mai 1850 bei Dongola vor den Augen des verzweifelnden Bruders im
+Nil, ohne daß ihm rechtzeitig Hilfe gebracht werden konnte. Es war ein
+schwerer Schlag für Alfred Brehm, unsern jungen Freund. Unter einer
+einsamen Palme in der Wüste, eine Viertelstunde vom Nil entfernt,
+erhebt sich Oskar Brehms schmuckloser Grabhügel.
+
+Nach beschwerlicher Reise kam Brehm ohne den geliebten Bruder abermals
+in Chartum an, nahm seine Sammeltätigkeit wieder auf und wartete
+geduldig auf den Baron oder doch wenigstens auf eine größere Geldsumme,
+die die Weiterreise der „Expedition“ ins Innere ermöglichen würde. Aber
+es kam nichts, höchstens dann und wann ein grober Brief mit Vorwürfen
+darüber, daß die Expedition noch nicht zum Oberlauf des Blauen Flusses
+vorgedrungen sei. Ja, wie hätte sie denn das ohne alle Geldmittel tun
+sollen? Auch in Afrika ist das Reisen nicht umsonst, im Gegenteil um
+das Vielfache teurer als in Europa. Trotzdem zog es auch Brehm mächtig
+in die geheimnisvollen Urwälder am Blauen Nil, und er wollte wenigstens
+einen Versuch unbedingt wagen, ehe das ungesunde Klima Chartums seine
+körperlichen Kräfte wieder allzu sehr geschwächt haben würde. Er
+hatte schon kleinere Schulden machen müssen und entschloß sich nun
+zur Aufnahme eines größeren Darlehens, um seinen Plan durchführen zu
+können. Er wandte sich an einen reichen Armenier, der mit schönen
+Sklavinnen handelte und auch dafür bekannt war, daß er Wuchergeschäfte
+machte. Der mochte den Deutschen wohl schon erwartet haben und empfing
+ihn sehr freundlich:
+
+„Sie wünschen von mir Geld zu haben, verehrtester Herr. Ich bin gerne
+erbötig, Ihren Wunsch zu erfüllen. Aber ich bin Kaufmann, und Sie
+werden sich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, daß ich nur gegen
+Zinsen ein Darlehen gewähren kann. Auch glaube ich, daß es für Sie am
+zweckmäßigsten wäre, wenn Sie zu Ihrer bevorstehenden Reise meine Barke
+benutzen würden, die ich Ihnen für die Mietsumme von monatlich 700
+Piastern überlassen will. Wieviel Piaster haben Sie nötig?“
+
+Brehm nannte die Summe von 3000 Piastern. Der Gauner forderte 60
+Prozent Zinsen und für seine elende Barke das Doppelte des üblichen
+Mietpreises. Das waren furchtbare Bedingungen, in deren Erfüllung
+Brehm seinen völligen Untergang voraussah. Er kochte innerlich vor
+Wut, aber er biß die Zähne zusammen und fügte sich, weil er sich eben
+fügen mußte, weil der Ertrinkende in seiner Verzweiflung auch nach
+einem Strohhalm greift. Als aber bei Ausstellung des Schuldscheins und
+Berechnung der Geldsorten der Armenier den bedauernswerten Forscher um
+weitere 20 Prozent zu betrügen versuchte, blieb der Deutsche seiner
+Entrüstung nicht länger Herr. Mit starker Hand hielt er den Schurken an
+seinem langen Barte fest und prügelte ihn mit der Nilpferdpeitsche, so
+lange er seinen rechten Arm rühren konnte, und das dauerte sehr lange,
+denn dieser Arm war jung und kräftig. Der getreue Ali hütete derweil
+mit gespannter Pistole die Tür des Diwan[2], so daß die Dienerschaft
+ihrem jämmerlich um Hilfe rufenden Herrn keine Unterstützung bringen
+konnte. Endlich entwand sich der Gauner Brehms ermattenden Händen,
+flüchtete in seinen Harem und schrie: „Maladetto, jetzt sieh, wo du
+Geld herbekommst!“ Ohne ein weiteres Wort verließ Brehm den Diwan des
+bestraften Wucherers.
+
+ [2] Empfangszimmer für Männer
+
+Der gestrenge Oberstatthalter des Sudan, Latief Pascha, soll herzlich
+gelacht haben, als ihm dies Geschichtchen zugetragen wurde, denn der
+echte Türke mag ja den Armenier nicht ausstehen. Darauf fußend, wagte
+es der verzweifelnde Brehm, den Pascha selbst in einer Bittschrift um
+ein Darlehen von 5000 Piastern auf vier Monate anzugehen; bis dahin
+würde er sicherlich Geld durch Baron Müller erhalten haben. Schon am
+nächsten Tage hielt er eine Anweisung auf das Schatzamt in Händen:
+„Wir haben das Gesuch des Deutschen Chalil Effendi[3] zu genehmigen
+beschlossen und befehlen euch, ihm 5000 Piaster ohne Zinsen auf
+vier Monate vorzustrecken. Laßt euch von ihm einen Empfangsschein
+geben. Sollte der Herr aber nach Verlauf von vier Monaten noch nicht
+imstande sein, das ihm geliehene Geld an die Kasse der Regierung
+zurückzuzahlen, so sendet uns seinen Empfangsschein zu und rechnet uns
+die Summe von 5000 Piastern auf unsere Apanagen.“
+
+ [3] So wurde Brehm von Arabern und Türken genannt
+
+So großmütig, wahrhaft königlich handelte der Türke. Als Brehm seinem
+Gönner einen Dankbesuch abstattete, wurde er mit Worten empfangen,
+die fast wie ein Vorwurf klangen: „Es war unrecht von dir, Chalil
+Effendi, daß du mir deine Verlegenheit nicht schon früher angezeigt
+hast. Ich würde sie längst beendigt haben. Wie konntest du aber auch
+erst zu einem dieser schurkischen Christen gehen, statt gleich zu einem
+Mohammedaner?“
+
+Die Reise nach dem Oberlauf des Blauen Flusses konnte also
+angetreten werden. Sie gestaltete sich zu einer der glücklichsten
+und erfolgreichsten, die Brehm je gemacht hat, zumal er dabei von
+den tückischen Fieberanfällen so ziemlich verschont blieb. Er konnte
+diesmal weit tiefer ins Innere vordringen als früher mit Baron Müller.
+Erst als der Schießbedarf zu Ende ging und sich die Ausbeute zu stark
+anhäufte, kehrte er um. Jetzt lernte er überdies die überwältigende
+Formen- und Farbenfülle der Tropen erst in ihrem ganzen Umfang kennen
+und wurde mit den sagenhaftesten Gestalten der Urwälder und Sümpfe
+innig vertraut. Hier lebt auch der riesenhafte, vorsintflutlich
+anmutende Watvogel, den die Araber Abu Markub nennen, d. h. Vater des
+Schuhs, denn in der Tat hat sein absonderlicher Schnabel die größte
+Ähnlichkeit mit den plumpen Schuhen, wie sie die ägyptischen Bauern
+tragen. Aufregende jagdliche Abenteuer gab es in Hülle und Fülle, und
+einmal wäre Brehm um Haaresbreite von einem wütenden Nilpferd getötet
+worden; nur seine Schwimmkunst rettete ihm das Leben. Mit einer
+Ausbeute von nicht weniger als 1400 seltenen und wertvollen Vogelbälgen
+kehrte der Forscher glücklich nach Chartum zurück.
+
+[Illustration: Schuhschnabel oder walköpfiger Storch (~Balaeniceps
+rex~) aus dem Weißen Nilgebiet. Das ist der Vogel „Abu Markub“ --
+eine Vogelart, die Brehm auf seinen Nilfahrten beobachtete. Unserer
+Abbildung liegt eine Photographie aus dem Jahre 1928 zugrunde.
+
+(Nach einer Aufnahme von Carl Hagenbeck, Stellingen)]
+
+Hier erwarteten ihn wohl Nachrichten aus dem Elternhause, aber
+von Baron Müller waren weder Briefe noch Wechsel noch sonst ein
+Lebenszeichen eingetroffen. Es kam auch künftig nichts mehr. Damit
+begann die alte Geldverlegenheit mit all ihrem aufreibenden Elend von
+neuem. Brehm mußte sich aufs äußerste einschränken, aber er arbeitete
+unverdrossen weiter an der Vervollständigung seiner Sammlungen, weil
+nur durch Arbeit seine entsetzliche Lage erträglicher wurde, weil nur
+die Natur Genüsse bot, die ihn das Elend seiner häuslichen Umstände
+vergessen ließen. Schließlich erfuhr er durch den österreichischen
+Konsul von Kairo auf Anfrage, daß Baron Müller bankerott sei. Damit
+war der letzte Hoffnungsstrahl geschwunden! Verlassen und verraten
+im Innern Afrikas! Ohne Mittel zur Heimkehr! Nur wer selbst gleich
+dem Schreiber dieser Zeilen eine ähnliche Lage durchgemacht hat, wird
+ermessen können, was sie bedeutet. Dazu stellte sich das „Geschenk
+des Teufels“, die Malaria, wieder ein und steigerte sich zu immer
+heftigeren und in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrenden
+Anfällen. Aber die wissenschaftliche Ausbeute durfte trotzdem
+nicht notleiden, alles Entbehrliche wurde für sie verwendet. Brehm
+vertauschte seine silberne Uhr gegen acht Pfund Schießpulver, er
+verkaufte Kleider, Waffen, Bücher, Kisten, Wäsche, den wenigen Schmuck,
+den er besaß, kurz alles, was sich irgend verkaufen ließ. Er bat in
+seiner Not den Pascha um etwas Schießpulver. „Gebt dem Herrn 6000 Stück
+Militärpatronen zum Einkaufspreise der Regierung!“ lautete die an den
+Aufseher des Pulvermagazins zu überbringende Antwort. Das Pulver war
+freilich schlecht, aber das Pfund kostete auf diese Weise auch nur
+fünf Piaster, und die Bleikugeln waren umsonst. Brehm goß Schrote aus
+ihnen. Natürlich konnte er dem Pascha auch die entliehenen 5000 Piaster
+vorläufig nicht zurückzahlen und bat deshalb brieflich um Verlängerung
+der Frist. „Zwischen dir und mir gibt es keine beschwerlichen Dinge“,
+schrieb der Türke einfach zurück.
+
+Ich kannte früher ein rührendes Gedicht Brehms aus dieser Leidenszeit,
+betitelt „Meine letzten drei Freunde“[4], unter denen er seine
+vielerprobte Büchse, seinen treuen Diener Ali und seine zahme Löwin
+Bachida verstand. Und wurde unserem Freunde das Herz einmal gar zu
+kummerschwer, und war der Dämon des Fiebers einmal auf Stunden von ihm
+gewichen, dann schulterte er sein Gewehr und zog hinaus in die freie
+Natur, sich neu zu kräftigen und zu stärken. Wer in der Natur Trost zu
+finden weiß, der kann ja niemals ganz unglücklich werden!
+
+ [4] Alle meine Bemühungen, es wieder aufzutreiben, sind leider
+ vergeblich gewesen
+
+Um diese kritische Zeit kam ein deutscher Großkaufmann aus Petersburg,
+namens Bauerhorst, nach Chartum, um dort Handelsbeziehungen
+anzuknüpfen. Er war ein anständiger Mensch, befreundete sich bald mit
+Brehm und erbot sich, ihn nach Abwicklung seiner Geschäfte bis nach
+Kairo mitzunehmen. Ein Ausweg? Es fragte sich, ob der Pascha als Brehms
+Hauptgläubiger die Erlaubnis zu dessen Abreise vor Bezahlung der Schuld
+geben würde. Beide gingen deshalb zu ihm, Bauerhorst, um Abschied
+zu nehmen, Brehm, um zu bitten, seine Schuld von Kairo aus zahlen zu
+dürfen.
+
+Der Pascha war schlechter Laune und anfangs sehr kalt. Brehm übersetzte
+zuerst Bauerhorsts Abschiedsworte und kam dann zu seiner Bitte:
+„Herrlichkeit, ich muß zugrunde gehen, wenn ich noch länger hier
+verweile. Nach Aussage der Ärzte ist mein geschwächter Körper nicht
+mehr fähig, neuen Fieberanfällen Widerstand zu leisten. Ich muß eilen,
+ein gesundes Klima zu erreichen; auch möchte ich gerne die Lieben im
+Vaterlande wiedersehen, von denen ich so lange getrennt gewesen bin.“
+
+„Aber wer hält dich denn hier zurück, Chalil Effendi? So ziehe doch in
+Frieden deiner Heimat zu!“
+
+„Herrlichkeit, mich hält einzig und allein mein gegebenes Wort zurück.
+Ich bin dein Schuldner und freue mich, es zu sein, weil ich dadurch
+deine Großmut erkennen lernte. Es ist mir aber unmöglich, mein Wort
+hier zu lösen, wie ich es versprochen habe. Ich kann es nur in Kairo.
+Willst du mir erlauben, daß ich dahin abreisen darf, so wirst du das
+Maß deiner gegen den Fremdling reichlich bewiesenen Güte übervoll
+machen.“
+
+„Zum Teufel! Was denkst du von mir, Chalil Effendi? Bezahle zwei Monate
+nach deiner Ankunft an deinen Konsul in Kairo; ich werde das Geld dort
+erheben lassen. Aber wie willst du nach Kairo gelangen? Das ist ein Weg
+von mehreren hundert Meilen. Wo willst du die Reisekosten hernehmen?“
+
+„Mein Freund Bauerhorst hat versprochen, sie bis nach Kairo auszulegen.“
+
+„Ganz gut, Chalil Effendi, aber ich will dir noch eine Lehre geben. Du
+bist noch jung und kannst noch nicht die Menschenkenntnis besitzen,
+die ich mir durch lange Erfahrung im Geschäftsleben erworben habe.
+Glaube mir, der beste Freund verwandelt sich allgemach in einen Feind,
+wenn man ihn fortwährend um Geld anzusprechen gezwungen ist. Ich kann
+verhüten, daß auch du diese Erfahrung machst, und ich will es. Ich
+werde verfügen, daß man dir noch 5000 Piaster aus der Schatzkammer
+ausbezahlt. Du bist dann 10000 Piaster schuldig. Zahle sie an deinen
+Konsul in Kairo zurück!“
+
+Brehm, für den diese Worte eine glänzende Erlösung aus seinem Elend
+und die endliche Rückkehr in die Heimat bedeuteten, fand anfangs kaum
+Worte, seinen Dank auszudrücken. Endlich stammelte er: „Herrlichkeit,
+deine Gnade drückt mich zu Boden. Ich werde deinen Edelmut nie
+vergessen.“ In dem feuchten Blick des beglückten Deutschen mochte
+der Pascha wohl lesen, daß er seine Großmut an keinen Unwürdigen
+verschwendet habe. Freundlich entließ er ihn[5].
+
+ [5] Brehm hat mit Hilfe seiner Verwandten die Schuld pünktlich
+ zurückgezahlt. Der Pascha schrieb später dem alten Brehm noch
+ einen sehr netten Brief, worin er ihn zu diesem Sohn
+ beglückwünscht
+
+Nun ging es also wirklich an die Zurüstungen zu der langwierigen
+Heimfahrt, die bei der Menge der angesammelten wissenschaftlichen
+Ausbeute und der großen Anzahl Tiere, die lebendig mitgeführt werden
+mußten, recht umständlich waren. In Kairo traf Brehm zufällig mit
+seinem berühmten Landsmann Theodor von Heuglin zusammen, und beide
+machten gemeinsam noch einen Abstecher nach dem Sinai. Es ist
+bezeichnend für Brehm, daß er, obwohl es ihn begreiflicherweise mit
+allen Fasern seines Herzens nach der trauten Heimat zog, doch diese
+Gelegenheit nicht versäumen wollte, nun auch noch die zwar spärliche,
+aber sehr eigenartige Tierwelt des Sinai kennenzulernen, um sie mit
+der ägyptischen vergleichen zu können. Am 16. Juli 1852 drückte Alfred
+Brehm nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit seine treuen Eltern wieder
+ans Herz. Ein unreifer Jüngling war nach Afrika hinausgezogen, ein weit
+über seine Jahre gereifter, ernster, ganzer Mann kehrte zurück.
+
+
+
+
+In Spanien
+
+
+In einer wonnigen Frühlingsnacht saß Brehm am Fuße der Alhambra und
+lauschte in verträumtem Sinnen den Nachtigallen. Vollmondschein
+versilberte das steingewordene Spitzengewebe des arabischen Wunderbaus.
+Brehm dachte darüber nach, wie recht doch Alexander Dumas wenigstens
+in tiergeographischer Hinsicht hat, wenn er sagt: „Afrika beginnt
+hinter den Pyrenäen“. Und der Deutsche begriff, daß er nunmehr hier
+in Andalusien im afrikanischsten Teile Spaniens angekommen sei. Er
+vergegenwärtigte sich den Weg über die vielbesungene Sierra Morena,
+diesen Smaragd am Herzen Spaniens, auf daß nun auch die dritte,
+schönste und letzte der scharf abgegrenzten Zonen Spaniens ihm ihre
+Pforten öffne. Palmen und Kaktusfeigen, die riesenhafte Agave und
+der Johannisbrotbaum traten nunmehr als Charakterpflanzen auf. Hier
+herrscht der Himmel Nordafrikas mit seiner Milde und seiner Glut. Hier
+klingt und singt es wieder, denn der Winter muß zum Frühling werden.
+Singend reden die Menschen, wenn sie sprechen, tanzend bewegen sie
+sich, wenn sie gehen.
+
+Und die Vögel? Nun auch sie teilen die allgemeine Lust. Sie sind
+es, die dem ernsten Gebirge, das sich ohne den Schmuck frischgrüner
+Wälder zum Himmel hebt, seinen Ernst zu nehmen sich erdreisten, die
+es wenigstens zu beleben versuchen. Hier in dieser Zone ist der Süden
+zur alleinigen Herrschaft gelangt, aber er hat den Norden gebeten, ihm
+einige seiner Sänger zu leihen, denn er will nicht bloß in Farben leben
+und blühen und glühen, sondern auch in Klängen und Liedern. Deshalb
+durften in Andalusien die Sänger nicht fehlen.
+
+[Illustration: Theodor von Heuglin (1824–1876), der Begleiter Brehms
+auf der Reise nach dem Sinai.
+
+Nach einer zeitgenössischen Lithographie von E. Pfann aus dem Nachlaß
+Heuglins im Museum für Länder- und Völkerkunde -- Lindenmuseum -- in
+Stuttgart]
+
+Ein Abendbummel innerhalb der Ringmauern des Feenschlosses Alhambra
+muß nicht nur einem Brehm, sondern im Frühling auch jedem anderen
+Menschenkinde, und wäre es das prosaischste auf der weiten Erde, einen
+gewissen poetischen Schwung in die Seele tragen. Diese Stimmung bringt
+die Königin der Hecken und Gebüsche, die Nachtigall. Einige Provinzen
+Spaniens sind reichbegabt mit diesem herrlichsten aller Sänger. Nicht
+hier und dort, ein ganzes Stück vom nächsten entfernt, singt und jubelt
+einer wie bei uns zu Lande: nein, Hunderte hört man zu gleicher Zeit.
+In jedem Gebüsch schlägt eine Nachtigall, in jeder Hecke wohnt ein
+Pärchen. Die ganze große, grüne Sierra Morena gleicht einem einzigen
+Nachtigallengarten. Um die großartigen Felsterrassen, Galerien, Kegel
+und Wälle der Gralsburg Monserrat in Katalonien klingt in wunderbarer
+Harmonie das von hundert und tausend gesungene +eine+ Lied, und
+selbst im Innern Spaniens sind alle zusammenhängenden Gebüsche voll
+von dem +einen+ Schlag. Eine Wanderung durch Feld und Wald im
+begrünten Gebirge ist ein fortdauernder Genuß, denn ein nimmer endendes
+Konzert erquickt das innerste Herz. Im klang- und poesiereichen
+Andalusien, im freundlich ernsten Katalonien, im frischgrünen
+Schweizerland in Galizien oder Asturien, überall jauchzt dem Wanderer
+die Nachtigall entgegen. Die beiden Brehm waren bei ihrem Eintreffen in
+Spanien bezaubert, hingerissen von diesem Nachtigallenkonzert, zumal
+man die einzelnen Sänger gar nicht mehr unterscheiden konnte: es waren
+ihrer zu viele! Man mochte sich wenden, wohin man wollte, überall
+begegnete man der Nachtigall als dem häufigsten Singvogel. In jedem
+Orangengarten lebten zwei, vier, sechs, acht oder zehn Paare oder noch
+mehr. Die Bäume prangten im Schmuck ihrer duftigen Blüten und goldenen
+Früchte und vereinigten sich mit den Nachtigallen, denen sie in ihrem
+dunklen Gelaub Herberge boten, um Auge und Ohr des Forschers mit nie
+gekannten Genüssen zu erfüllen. Die Hallen des alten Königsschlosses
+Alhambra sind verödet, ihr prunkvolles Leben erstarb, aber die
+gefiederten Minnesänger aus alter Zeit sind treu geblieben und werden
+es bleiben, solange das auf die Höhe geleitete Wasser noch rauscht und
+murmelt und flüsternd erzählt von entschwundener Herrlichkeit.
+
+Brehm ist zweimal in Spanien gewesen, hat aber leider gerade über
+diese beiden Reisen fast nichts veröffentlicht; das erstemal kam er
+gleich nach seiner Studentenzeit zusammen mit seinem älteren Bruder
+Reinhold, der dabei als Arzt in Madrid hängen geblieben ist und den
+jüngeren Alfred um viele Jahre überlebt hat. Durch den Verkehr mit
+Schmugglern, Räubern, Zigeunern und halbwilden Hirten soll gerade
+diese Reise, über die Brehm nicht gern redete, überreich gewesen sein
+an Abenteuern und romantischen Erlebnissen aller Art. Bald sprach
+Brehm fließend Spanisch und konnte sich nach seiner Art auch in das
+Studium der Bevölkerung vertiefen, die er dabei herzlich lieb gewann.
+Ihre vornehme Haltung, ihr stolzes, ritterliches Wesen entsprach ja so
+ganz seiner eigenen Wesens- und Denkart. Zur Deckung der Reisekosten
+hatten die Brüder „Aktien“ herausgegeben, deren Inhaber das Recht
+besaßen, für einen entsprechenden Betrag unter der Ausbeute das ihnen
+Zusagende sich auszuwählen. Deshalb konnte leider ein Großteil dieser
+wertvollen Ausbeute, soweit sie nicht in die Sammlung des Vaters
+überging, nicht als Ganzes wissenschaftlich bearbeitet werden, sondern
+wurde gleich nach Beendigung der Reise in alle Welt zersplittert.
+Das ist tief zu beklagen, denn Spanien ist auch heute noch das
+ornithologisch unerforschteste Land Europas. Die zweite spanische Reise
+machte Brehm 1879 zusammen mit seinem Freunde, dem Kronprinzen Rudolf
+von Österreich. Es war wohl mehr eine Art höfischer Jagdreise, die
+hauptsächlich den Steinböcken, Adlern und Bartgeiern galt und die Brehm
+mancherlei Orden und Auszeichnungen eintrug, woraus er sich aber nie
+viel gemacht hat. Als er starb, stand ein Prachtexemplar der zweiten
+Auflage des „Tierlebens“ in Renthendorf versandfertig für den König von
+Spanien bereit. Mit Veröffentlichungen über diese doch gewiß auch sehr
+interessante Reise wollte Brehm wahrscheinlich dem Kronprinzen, der ja
+selbst schriftstellerte, nicht vorgreifen, und so sind sie leider ganz
+unterblieben.
+
+
+
+
+Nordlandfahrt
+
+
+Erik Svensen, der alte verwitterte norwegische Trapper, der Brehms
+unzertrennlicher Jagdgefährte in Lappland geworden war, kniete nieder,
+prüfte aufmerksam den Boden und sagte: „Hier hat heute ein Renntier
+geäst. Schau, diese Pflanzen sind frisch abgebissen, und hier liegt
+ein Stengel daneben, noch saftig und unverwelkt.“ Nicht weit davon
+fand denn auch Brehm an einer feuchten Stelle die scharf und frisch
+abgedrückte Fährte des begehrten Wildes. Kein Zweifel also: wilde
+Renntiere, an deren genauer Beobachtung Brehm so viel lag, waren
+wirklich in der Nähe. Es kostete aber noch manchen vergeblichen
+Pirschgang und manchen Schweißtropfen, bis man zum Ziele gelangte.
+Es bedurfte oft meilenweiter Märsche auf völlig ungewohntem und
+überaus schwierigem Gelände. An Gefahr war dabei allerdings kaum zu
+denken, aber Beschwerden gab es genug. Die Halden bestanden nur aus
+wirr durcheinander und übereinander gewürfelten Schieferplatten, die
+entweder beim Darüberschreiten in rutschende Bewegung gerieten oder
+aber so scharfkantige Ecken, Spitzen und Kanten hervorstreckten, daß
+jeder Schritt durch die Stiefelsohlen hindurch schmerzlich fühlbar
+wurde. Die außerordentliche Glätte der Platten, über die das Wasser
+herabrieselt, vermehrte noch die Schwierigkeiten des Weges, und das
+beständige Durchwaten der glatt gescheuerten Rinnsale erforderte
+ängstliche Vorsicht, wenn man blutige Abschürfungen an Armen und Beinen
+sowie ein unfreiwilliges Bad im eiskalten Gebirgswasser vermeiden
+wollte. Man kam deshalb auf Pirschgängen nicht gerade rasch vorwärts.
+Die Renntiere selbst standen oben auf den kahlen Hochflächen, die nur
+noch mit Zwergbirken, Beerengestrüpp, Moosen und Flechten spärlich
+bekleidet waren.
+
+Endlich erspähte Brehm von einem Hügel aus in einer Talmulde ein
+Rudel von 18 Renntieren. Er und Svensen entledigten sich rasch alles
+überflüssigen Gepäcks, prüften die Windrichtung und krochen dann
+Schritt für Schritt mit aller erdenklichen Vorsicht das scheue und
+scharfsinnige Wild an, bis sie hinter einigen großen Steinen Deckung
+fanden und Atem schöpfen konnten. Brehms Wunsch war erfüllt: Es war ein
+prachtvolles Schauspiel, das das Rudel ihm bot. Er brachte das Fernrohr
+gar nicht mehr vom Auge, um nur ja keine Bewegung der edlen Tiere sich
+entgehen zu lassen. Einige ästen, andere hatten sich niedergetan,
+wieder andere liefen spielerisch hin und her oder neckten sich mit
+ihren vielzackigen Geweihen. Plötzlich aber kam Leben und Bewegung,
+Schrecken und Furcht über alle. Sie stoben davon und jagten trottend
+durch Sumpf und Moor, gerade auf die Jäger zu, blieben dann aber
+wieder sichernd stehen, noch immer außer Schußweite. Brehms scharfes
+Auge erspähte auch bald die Ursache der ärgerlichen Störung in einem
+dunklen Klumpen, den er zunächst für einen Bären hielt. Als das Tier
+sich aber bewegte, erkannte er sofort, daß er es mit einem ungewöhnlich
+großen Vielfraß zu tun habe, und nun überwog bei ihm natürlich der
+Forscher den Jäger, denn der sagenumwobene Vielfraß gehört ja zu
+denjenigen Tieren, deren ein Zoologe nur ganz selten einmal in freier
+Natur ansichtig wird. Brehm bemerkte, wie der Vielfraß mit sehr stark
+bogenförmigen Sätzen lief, einem Marder entfernt ähnlich, aber mit
+weit mehr gebogenem Rücken und viel größeren Wölbungen, beinahe lauter
+Purzelbäume schlagend. Dieser Gang, die stattliche Größe und die dicke,
+buschige Lunte machen den Vielfraß sofort kenntlich. Der Räuber schien
+aber Verdacht geschöpft zu haben. Plötzlich verließ er seinen Ausguck,
+trabte, trottelte und kugelte dem Gebirge zu, fing unterwegs flugs noch
+einen Lemming, verspeiste ihn im Weiterlaufen, sah sich noch einmal
+mißgünstig nach dem menschlichen Störenfried und betrübt nach den
+Renntieren um und verschwand dann im Geklüft des Bergrückens.
+
+Da das Gelände nirgends Deckung zum Anschleichen bot, blieb den Jägern
+nichts übrig, als sich an zwei halbwegs günstigen Stellen niederzulegen
+und ein Näherkommen des Wildes abzuwarten. Drei volle Stunden lang
+wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Sie durften sich ja
+nicht rühren, alle Glieder wurden steif, und in dem quatschnassen
+Moos lag es sich auch nicht gerade behaglich. Endlich äste sich das
+Rudel ganz langsam näher heran. Schon hob Brehm zögernd die Büchse,
+da krachte drüben der Schuß des Norwegers. Das Rudel schreckte, zog
+ängstlich hin und her, sicherte und wurde schließlich flüchtig. Ein
+Stück lahmte, trennte sich von den anderen und nahm die Richtung auf
+Brehm zu. Der schoß und sah zu seiner unaussprechlichen Freude das edle
+Wild im Feuer zusammenstürzen.
+
+ * * * * *
+
+Donnernd hallte ein Kanonenschuß über die bewegten Fluten des
+Eismeeres und brach sich an den jähen Felsenwänden des Nordkaps und
+des Vogelberges Svärtholm. Der norwegische Schiffskapitän hatte sein
+Geschütz abfeuern lassen, um Brehm das Schauspiel der aufgescheuchten
+Brutkolonie von Dreizehenmöwen zu ermöglichen. Wie wenn ein tosender
+Wintersturm durch die Luft zieht und schneeschwangere Wolken aneinander
+schlägt, bis sie, in Flocken zerteilt, sich herniedersenken: so
+schneite es jetzt von oben lebendige Vögel herunter. Man sah weder
+den Berg noch den Himmel, sondern nur ein Wirrsal ohnegleichen. Eine
+dichte Wolke erfüllte den ganzen Gesichtskreis, und erfüllt war Fabers
+Wort: „Sie verbergen die Sonne, wenn sie fliegen.“ Heftig blies der
+Nordwind, und wütend brandete das Eismeer am Fuß der Klippen, aber
+lauter noch erklangen die kreischenden Schreie der Möwen, damit auch
+das Wort sich bewahrheitete: „Sie übertäuben das Tosen der Brandung,
+wenn sie schreien.“ Die Wolke senkte sich endlich auf das Meer
+hernieder, die bisher von ihr umnebelten Umrisse von Svärtholm traten
+wieder hervor, und ein neues Schauspiel fesselte die Blicke. Auf den
+Felsbändern schienen noch ebensoviele Möwen zu sitzen wie vorher, und
+Tausende flogen noch ab und zu, auf dem Meere aber, soweit es sich
+überschauen ließ, lagen, leichten Schaumballen vergleichbar, die weißen
+Vögel und schaukelten mit den Wogen auf und nieder. „Wie soll ich
+diesen herrlichen Anblick beschreiben? Soll ich sagen, daß das Meer
+Millionen und aber Millionen lichte Perlen in sein dunkles Wellenkleid
+geflochten habe? Oder soll ich die Möwen mit Sternen und das Meer
+mit dem Himmelsgewölbe vergleichen? Ich weiß es nicht, aber ich weiß,
+daß ich auf dem Meere noch niemals Schöneres erschaut habe. Und als
+wäre es noch nicht genug des Zaubers, goß plötzlich die auf kurze Zeit
+verhüllt gewesene Mitternachtssonne ihr rosiges Licht über Vorgebirge
+und Meer und Vögel, beleuchtete alle Wellenkämme, als ob ein goldenes,
+weitmaschiges Netz über die See geworfen wäre, und ließ die ebenfalls
+rosig überstrahlten, blendenden Möwen nur um so leuchtender erscheinen.
+Da standen wir sprachlos im Schauen!“
+
+Es gibt aber auch noch Vogelberge anderer, nicht minder großartiger
+Art im Norden, die auf ihren Rücken mit torfiger Erde bedeckt sind
+und die hauptsächlich von Alken, Lummen und Lunden bevölkert werden,
+zwischen die nur vereinzelt Kormorane und Möwen sich eindrängen.
+Brehm hat auf seiner durch die Unterstützung der „Gartenlaube“
+ermöglichten Nordlandreise auch die größte dieser Siedlungen besucht.
+Die Torfrinde des Berges war nach Art von Kaninchenhöhlen dicht von
+Bruthöhlen durchlöchert. Unter Brehms Tritten, der in Schraubenlinien
+zum Gipfel des Berges emporstieg, zitterte das unterwühlte Erdreich.
+Und hervor aus allen Höhlen lugten, krochen, rutschten, flogen mehr
+als taubengroße, oberseits schieferfarbene, auf Brust und Bauch
+glänzend weiße Vögel mit phantastischen Schnäbeln und Gesichtern,
+kurzen, schmalen, spitzigen Flügeln und stummelhaften Schwänzen. Aus
+allen Löchern erschienen sie, aus Ritzen und Spalten des Gesteins
+nicht minder. Wohin man blickte, boten sich nur Vögel dem Auge, und
+ihre leise knarrenden Stimmen vereinigten sich zu einem sonderbaren
+Gedröhn. Jeder Schritt weiter entlockte neue Scharen dem Bauche der
+Erde. Von dem Berge herab nach dem Meere begann es zu fliegen, von
+dem Meere nach dem Berge hinauf schwärmten bereits unzählbare Massen.
+Aus Hunderten waren Tausende, aus Tausenden Zehntausende geworden,
+und Hunderttausende entwuchsen fortwährend dem braungrünen Boden.
+Eine Vogelwolke umhüllte den Forscher, umhüllte den ganzen Berg, so
+daß dieser, zauberhaft wohl, aber den Sinnen noch begreiflich, zu
+einem riesenhaften Bienenstocke sich wandelte, um den nicht minder
+riesenhafte Bienen schwirrend und summend schwebten und gaukelten. Je
+weiter Brehm kam, um so großartiger gestaltete sich das Schauspiel. Der
+ganze Berg wurde lebendig. Hunderttausende von Vogelaugen lugten auf
+den Eindringling herab.
+
+[Illustration: Der Vogelberg in Vesteraalen (Norwegen). Nach einer
+Zeichnung aus dem Jahre 1861
+
+Von links nach rechts: Teisten, Scharbe, Lummen, Lunde, Möwe, Alk]
+
+„Aus allen Ecken und Enden, von allen Winkeln und Vorsprüngen her,
+aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern wälzte es sich heraus, zur
+Rechten wie zur Linken, ober- und unterhalb, in der Luft wie auf
+dem Boden wimmelte es von Vögeln. Von den Wänden wie vom Gipfel des
+Berges herab ins Meer stürzten sich ununterbrochen Tausende in so
+dichtem Gedränge, daß sie dem Auge ein festes Dach vorzutäuschen
+vermochten. Tausende kamen, Tausende gingen, Tausende saßen, Tausende
+tänzelten unter Zuhilfenahme der Schwingen in wundersamer Weise dahin,
+Hunderttausende flogen, Hunderttausende schwammen und tauchten, und
+neue Hunderttausende harrten des auch sie aufscheuchenden Fußtritts.“
+
+Es wimmelte, schwirrte, rauschte, tanzte, flog und kroch um Brehm
+herum, daß ihm fast die Sinne vergingen; das sonst so scharfe Auge
+versagte den Dienst, das Gewehr zitterte in der sonst so zielsicheren
+Hand. Halb betäubt kam er endlich auf dem Gipfel an und blieb 18
+Stunden auf ihm liegen, um das Leben der Alken recht genau kennen zu
+lernen. Sie hatten bald alle Scheu vor ihm verloren; tänzelnden Ganges
+näherten sie sich ihm so weit, daß er mit der Hand nach ihnen zu
+greifen versuchte. Die Schönheit und der Reiz des Lebens zeigten sich
+in jeder Bewegung der wunderlichen Vögel. Mit Erstaunen erkannte Brehm,
+wie steif und kalt auch die besten Abbildungen dieser absonderlichen
+Geschöpfe sind, denn er bemerkte eine Regsamkeit und eine Lebhaftigkeit
+in den wundersamen Gestalten, wie er sie ihnen nie zugetraut hätte.
+Nicht einen Augenblick saßen sie ruhig, bewegten mindestens Kopf und
+Hals fort und fort nach allen Seiten hin, und ihre Umrisse gewannen
+dabei wahrhaft künstlerische Linien. Es war, als ob die Harmlosigkeit,
+mit der sich Brehm ganz der Beobachtung hingab, durch unbeschränktes
+Vertrauen von ihrer Seite vergolten werden sollte. Er verkehrte mit
+den Tausenden, als ob sie Haustiere wären, die Millionen schienen ihn
+geradezu als einen der ihrigen zu betrachten.
+
+Manch feinen Zug konnte Brehm dabei dem Leben der Alken ablauschen.
+Ihre geselligen Tugenden erreichen während der Brutzeit eine
+unvergleichliche Höhe. Während sonst in der Vogelwelt ein Mißverhältnis
+der Geschlechter zu ununterbrochenem Streite führt, wird bei den Lummen
+der Friede nicht gestört. Die beklagenswerten Hagestolze, die kein
+Weibchen zu ergattern vermochten, wandern trotzdem in Verein mit den
+glücklichen, unterwegs kosenden und tändelnden Paaren dem Brutberge
+zu. Hat das Weibchen sein einziges, aber sehr großes, kreiselförmiges
+und buntgetüpfeltes Ei gelegt und hat dessen Bebrütung begonnen,
+dann wollen auch die armen Junggesellen wenigstens ihren guten Willen
+bekunden und drängen sich den einzelnen Paaren als Hausfreunde auf.
+Wachehaltend stehen sie vor den Bruthöhlen, aus denen das Männchen
+sich entfernt hat. Wenn aber beide Eltern gleichzeitig zum Meere
+hinabgeflogen sind, dann rutschen sie ohne Zögern ins Innere der Höhle
+und wärmen inzwischen das verlassene Ei. Nur brüten, ein ganz klein
+wenig brüten wollen sie: gewiß ein bescheidenes Verlangen für einen
+Junggesellen! Diese selbstlose Hingabe hat eine Folge, um die wir
+Menschen die Alken beneiden könnten: auf den Vogelbergen gibt’s kein
+Waisenkind! Sollte der Gatte eines Paares verunglücken, so bietet
+sich der Witwe augenblicklich Ersatz, und sollten gar beide Eltern
+gleichzeitig umkommen, flugs sind die gutmütigen Junggesellen zur Hand,
+um das Ei vollends auszubrüten und das Junge sorgfältig aufzuziehen.
+
+
+
+
+Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien
+
+
+„Melde gehorsamst, Königliche Hoheit, daß ich eine starke
+Elefantenherde aufgespürt habe und daß also die Herrschaften
+voraussichtlich in den nächsten Tagen auf Elefanten zum Schuß kommen
+werden.“ Mit diesen Worten trat Brehm, von einem Tagesausfluge
+zurückkehrend, schweiß- und staubbedeckt in das bei dem abessinischen
+Gebirgsdorfe Mensa aufgeschlagene Zelt des Herzogs Ernst II. von
+Sachsen-Koburg-Gotha, des bekannten „Schützen-Herzogs“, der mit
+zahlreichen Teilnehmern eine wissenschaftliche Jagdreise nach diesem
+afrikanischen Hochlande veranstaltet und die Oberleitung dem berühmten
+Tierforscher anvertraut hatte.
+
+Der Herzog strich sich schmunzelnd den schwarzen Knebelbart, und die
+neben ihm stehenden Prinzen von Hohenlohe und von Leiningen lachten
+sogar aus vollem Halse. „Aber Brehm, wollen Sie uns mit so todernster
+Miene einen mächtigen Bären aufbinden? Nee, auf einen so plumpen Witz
+fallen wir nicht herein. So viel verstehen wir doch auch von der Natur
+des Elefanten, daß er kein Steinbock oder keine Gemse und auch kein
+Klettertier ist. Wie sollte denn der plumpe Koloß diese furchtbaren
+Steilhänge hinauf oder herunter kommen? Alles will ich Ihnen glauben,
+mein lieber Brehm, aber an Ihre Elefantengeschichte glaube ich nicht.“
+
+„Und doch, Königliche Hoheit, ist es genau so, wie ich sagte,“
+erwiderte Brehm, „ich habe die Spuren der Elefanten deutlich gesehen
+und eine große Strecke weit verfolgt. Sie sind doch nicht mit denen
+eines anderen Tieres zu verwechseln.“ „Was für Spuren eigentlich?“
+„Ja, richtige Fährten sah ich freilich nicht oder doch nicht deutlich
+genug; sie drücken sich auf dem harten Felsboden der Berge zu wenig
+ab oder verwischen sich im Geröll. Aber ich sah einen Kaktus, auf
+den ein Elefant mit seiner schweren Fußsäule getreten war, denn alle
+seine Blätter waren bis zur Wurzel herab zerquetscht. Einzig und
+allein der Elefant tritt auf diese Weise den Kaktus nieder. Alle
+anderen Tiere, vielleicht noch mit Ausnahme des Nashorns, umgehen ihn.
+Dann fand ich auch die ganz unverkennbare Losung der Riesentiere.“
+„Wie sieht sie denn eigentlich aus?“ frug der Prinz von Leiningen
+interessiert dazwischen. „Das kommt ganz darauf an, welche Nahrung die
+Elefanten aufgenommen haben. Ästen sie vorzugsweise Gras, Kräuter und
+Baumblätter, so erinnert die Losung nach Gefüge und Farbe stark an die
+bekannten Pferdeäpfel, nur daß sie natürlich sehr viel umfangreicher
+ist. Haben die Elefanten dagegen hauptsächlich Zweige gefressen,
+so sind die Klumpen noch ungeheuerlicher, dunkler gefärbt und
+enthalten Aststücke von ziemlicher Länge und bedeutender Stärke. Die
+aufgefundene Losung war sicher noch ganz frisch, denn sie wurde stark
+von Mistkäfern beflogen, die nur an frischen Mist gehen. Ein weiteres
+gutes Kennzeichen war es, daß an den Bäumen viele Äste abgebrochen und
+Zweige abgerissen waren und das in einer Höhe, die außer dem Elefanten
+höchstens noch die Giraffe erreichen könnte. Aber abgesehen von den
+ganz verschiedenen Aufenthaltsorten schält die Giraffe nicht die Äste
+ab, wie dies der Elefant immer tut. Ich habe sogar die Überzeugung
+gewonnen, daß die Elefanten zu gewissen Jahreszeiten ganz regelmäßig
+hier vorkommen, denn es sind regelrecht ausgetretene Straßen vorhanden,
+wie ich sie ja schon von Innerafrika her kenne. Sie führen im Zickzack
+die Hänge hinauf und hinab und sind mit geradezu bewundernswerter
+Berechnung und mit dem Geschick erfahrener Baumeister angelegt. Eine
+sehr nette Feststellung konnte ich dabei machen. An einer Stelle des
+Pfades hatte nämlich ein großer Stein gelegen, halb über dem Gehänge,
+halb auf dem Wege. Dieser Stein war ausgebrochen und in die Tiefe
+hinabgerollt. Er allein aber konnte unmöglich in dem dichten Grase und
+Gebüsch, das den Hang nach unten hin bedeckte, die greuliche Verwüstung
+angerichtet haben, die ich bemerkte. Es war, als ob eine große Walze
+da hinabgerollt wäre und alles niedergequetscht hätte, was ihr im
+Wege lag. Die Folgerung daraus führte notwendigerweise zu einem sehr
+ergötzlichen Ergebnis: einer der Elefanten hatte in der Dunkelheit
+den Stein -- und zwar auf seiner überhängenden Seite -- betreten,
+vielleicht gedrängt von anderen Mitgliedern der Herde. Der Stein war
+ausgebrochen, der Elefant hatte das Gleichgewicht verloren und einen
+großartigen Purzelbaum nach unten geschossen. Von der Tiefe herauf
+führte auch wirklich ein einziger Pfad nach dem oberen Wege zurück. Der
+schwere Sturz hat also offenbar dem Riesentiere nichts geschadet.“
+
+[Illustration: Elefantenjagd auf der Reise des Herzogs Ernst von
+Sachsen-Koburg-Gotha nach Ägypten und den Ländern der Habab, Mensa und
+Bogos. Zur Reisegesellschaft gehörte auch der Maler Robert Kretschmer,
+von dem zwanzig große vielfarbige Arbeiten nach der Natur in dem
+Reisewerk des Herzogs (Leipzig, 1865) veröffentlicht wurden. Eines
+dieser vielfarbigen Bilder ist hier einfarbig wiedergegeben]
+
+Der Herzog war nun doch nachdenklich geworden: „Auf Ihre Verantwortung
+hin, Herr Doktor, können wir ja in den nächsten Tagen mal einen Versuch
+in jener Gegend wagen. Aber wehe Ihnen, wenn überhaupt keine Elefanten
+da sind. Sie wären heillos blamiert, Herr Doktor!“ -- „Darauf will ich
+es ruhig ankommen lassen,“ meinte Brehm lächelnd. -- „Und ich bin schon
+ganz begeistert von der Geschichte,“ rief der bekannte Weltreisende
+und Schriftsteller Gerstäcker, der gleichfalls mit von der Partie
+war. „Ich möchte das, was Freund Brehm gesagt hat, Wort für Wort
+beschwören. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie wunderbar groß die
+Anpassungsfähigkeit der Tiere ist. Warum sollte sich da ein so kluges
+Tier wie der Elefant nicht auch an das Gebirgsleben gewöhnen können und
+darin mit seinem zwerghaften Vetter, dem Klippschliefer wetteifern?
+Also heisa! Es gibt eine Elefantenjagd!“ Sie fand wirklich einige Tage
+später statt und gab Brehms Behauptungen glänzend recht. Es war ein
+überwältigend großartiger Anblick, wie die aufgeregte Elefantenherde
+laut trompetend mit erhobenen Rüsseln und weit abgespreizten
+Riesenohren den steilen Berghang herunterstürmte, daß die Steine nur so
+stoben.
+
+Brehm hatte auf dieser abessinischen Reise kaum eine ruhige Minute.
+Von früh bis spät war er unausgesetzt und angestrengt tätig. Er
+war Reisemarschall, Expeditionsführer und Jagdleiter in einer
+Person, es lastete also allzuviel auf ihm. Es war nicht leicht,
+die verwöhnte und vielköpfige Jagdgesellschaft unter einen Hut
+zu bringen und zufriedenzustellen, zu der auch die jagdkundige
+Herzogin und der begabte Tiermaler Robert Kretschmer gehörten, der
+später das „Tierleben“ so ausgezeichnet illustriert hat. Zu allen
+anderen Hemmnissen kam nach kurzer Zeit noch Brehms alter Feind, das
+klimatische Wechselfieber, das ihn namentlich während des zweiten
+Teils der Reise zeitweise völlig schachmatt setzte. Überdies dauerte
+der Aufenthalt in Afrika nur wenige Wochen, und so verbot schon
+die Kürze der Zeit eine eingehende wissenschaftliche Tätigkeit in
+einem Lande, das bereits durch Gelehrte vom Range eines Rüppell und
+eines Ehrenberg ziemlich gut erforscht war. Brehm war der großen
+Reisegesellschaft im März 1862 über Kairo, Aden und Massaua nach
+Habesch vorausgeeilt, um geeignete Lagerplätze auszusuchen und
+wildreiche Jagdgründe festzustellen. Diese 14 Tage, die er für sich
+allein in freier, tierreicher Wildnis weilte, ließen eigentlich
+die einzige Muße für seine wissenschaftlichen Beobachtungen. Und
+trotz alledem brachte gerade diese unter einem so unguten Stern
+stehende Reise nach den Bogosländern reiche Ernte. Es ist jedenfalls
+erstaunlich, welch überraschende Fülle von Neuartigem und Wissenswertem
+Brehm hier in der kurzen Zeit zusammengetragen hat und wie großartig
+er diese Beobachtungen später für sein „Tierleben“ zu verwenden wußte.
+Vielleicht ist seine geniale Begabung für die Tierforschung und
+Tierbeobachtung niemals so glänzend zutage getreten wie gerade hier
+unter so widerwärtigen Verhältnissen. Namentlich mit dem merkwürdigen
+Klippschliefer und verschiedenen größeren Affenarten wurde er hier
+näher bekannt. Vor allem fesselten ihn die ebenso kraft- und mutvollen
+wie klugen und überlegenden Mantelpaviane.
+
+[Illustration: Mantelpaviane, eine Art größerer Affen, die Brehm auf
+seiner Reise nach Abessinien oft traf
+
+(Nach einer Photographie von Carl Hagenbeck, Stellingen, 1928)]
+
+Einmal begegnete die langauseinandergezogene Karawane einer großen
+Herde dieser stattlichen Tiere, die auf einem Felsgesims saß, etwas
+höher als Büchsenschußweite. Zuerst ließen die Paviane nur ihre
+gewöhnlichen bellenden Laute vernehmen. Als sie aber die vielen,
+ungewohnt weißen Menschen erblickten, kamen sie in Erregung und
+Bewegung, und nun hörte man von ihnen auch ganz andere Stimmen. Die
+alten Männchen brummten und grunzten wie Raubtiere oder Schweine, die
+jungen quiekten und kreischten wie Ferkel. Einige besonders eifrige
+Jäger stiegen die Felswand hinan und eröffneten das Feuer. Nach den
+ersten Schüssen erhob sich ein Stimmengewirr, das jeder Beschreibung
+spottete. Die allerverschiedensten Töne wurden laut: alles quiekte,
+kreischte, schrie, grunzte, brüllte und brummte wirr durcheinander.
+Alles flüchtete nach der entgegengesetzten Seite des Berges zu.
+Bei Schüssen aus größerer Nähe hielten sämtliche Affen an, schrien
+entsetzlich auf und faßten die Felsen, als wollten sie sich versichern,
+daß sie nicht heruntergeworfen würden. Weibchen und Junge verließen
+augenblicklich alle den Geschossen zugängliche Felsplatten, die
+Männchen aber rückten abwechselnd bis an den Rand der Gesimse vor und
+schauten wutfunkelnden Auges in die Tiefe, ihren Ingrimm durch heftiges
+Schlagen mit der Hand auf den Felsen bezeugend. Sie gingen sogar zum
+Angriff über, wenn auch nicht mit Händen und Zähnen, so doch dadurch,
+daß sie große Steine herausrissen und auf die menschlichen Störenfriede
+herabrollten. Man hatte genug zu tun, um diesen gefährlichen Geschossen
+auszuweichen. Mehrere Minuten war der Steinhagel so arg, daß er das
+schmale Alpental vollständig versperrte und die ganze Karawane zum
+Halten zwang. Es war eine richtige Affenschlacht! Ein besonders starkes
+Affenmännchen erstieg sogar mit einem großen Stein im Arme mühsam einen
+Baum und schleuderte dann von dessen Wipfel aus sein Geschoß mit um so
+kräftigerem Nachdruck und mit größerer Sicherheit. Ein Leopard gedachte
+bei diesem Kampfe im Trüben zu fischen und stürzte sich auf einen
+schwer angeschossenen Pavian. Aber die aufmerksamen Affen hatten den
+Mordanfall eher gesehen als die blindlings ihrer Jagdlust frönenden
+Menschen. Ungeachtet ihrer Angst vor den fortgesetzt fallenden Schüssen
+rückten sie sofort auf der Platte vor, und einige alte Männchen machten
+sich fertig, nach unten hinab zu klettern, um dem Angefallenen zu Hilfe
+zu kommen. Ihre Aufregung war furchtbar, ihre Wut überstieg alles, was
+Brehm je bei Affen beobachtet hatte.
+
+Die Herde ging schließlich weiter unterhalb auf die andere Talseite
+hinüber und stieß dabei abermals mit der Karawane zusammen.
+Die mitgeführten Hunde, mutige Tiere, gewohnt, jeder Hyäne
+entgegenzutreten, stutzten einen Augenblick und stürzten sich dann
+mit freudigem Gebell auf die Paviane. Im Nu waren sie mitten unter
+der Affenherde, aber ebenso rasch auch von den stärksten Männchen der
+Paviane umringt und förmlich gestellt. Brüllend und wutschnaubend
+zeigten die Affen ihre fürchterlichen Gebisse den Hunden in so
+bedrohlicher Nähe, daß diese es vorzogen, vom Kampf abzustehen und
+beim Menschen Zuflucht zu suchen. Während sie von neuem ermuntert und
+angehetzt wurden, hatten die Affen ihren Weg fortgesetzt und bis auf
+wenige Nachzügler das Tal überschritten. Unter diesen Nachzüglern
+befand sich ein kleiner, etwa halbjähriger Bursche, der etwas
+entfernt von den andern seines Weges ging. Auf ihn hetzte man jetzt
+die Hunde. Sie gingen an und hatten bald den Affen, der auf einen
+Felsblock geflüchtet war, regelrecht gestellt. So schnell als möglich
+eilten die Menschen den Hunden zu Hilfe, sich schon mit der Hoffnung
+schmeichelnd, den jungen Pavian lebendig fangen zu können. Allein diese
+Hoffnung wurde gänzlich vereitelt. Auf das jammervolle Zetergeschrei
+des geängstigten Jungen hin kehrte nämlich vom andern Ufer her ein
+gewaltiges Männchen zurück, um ihm beizustehen. Ernst und würdevoll
+durchschritt er das Tal; ohne sich um die Hunde auch nur im geringsten
+zu kümmern, ging er schnurstracks auf sein Ziel los, mitten durch seine
+verblüfften Feinde hindurch, sprang auf den Felsen zu dem Jungtier,
+ermunterte es durch allerlei Zeichen und Gebärden, mit ihm zu gehen,
+und geleitete es dann ruhig und furchtlos nach dem andern Ufer, in
+dessen Dickicht beide alsbald verschwanden. Die Hunde setzte er durch
+wütendes Grunzen derart in Furcht, daß keiner es wagte, ihn oder seinen
+Schützling anzugreifen.
+
+
+
+
+In Westsibirien
+
+
+Die tote Steppe Westsibiriens, einen Tagemarsch von Semipalatinsk,
+sonst nur der Tummelplatz von Steppenkiebitzen, Rotfußfalken und
+kohlschwarzen Mohrenlerchen, hatte sich über Nacht plötzlich mit
+lärmendem und buntscheckigem Leben erfüllt. Bei einem tropfenweise
+rinnenden Wässerchen standen eine Reihe besonders großer und schöner
+Jurten (Filzzelte), außen zierlich geschmückt mit kunstvoller
+Näherei und aufgeheftetem bunten Zierat aus stilvoll verschnörkelten
+Tuchflittern, innen mit kostbaren Teppichen und seidenen Decken,
+die rings an den Wänden hingen und den Boden bedeckten. Diese
+heimeligsten und vollkommensten aller Zelte beherbergten augenblicklich
+den weitgebietenden Statthalter des russischen Zaren, den General
+Poltaratzky nebst Familie und Gefolge, und bei ihm befanden sich als
+hochgeehrte Gäste drei Deutsche, unser Brehm, sein Berufsgenosse
+Dr. Otto Finsch aus Bremen und ein württembergischer Offizier,
+Graf Waldburg-Zeil-Trauchburg, die im März 1876 gemeinsam eine
+Forschungsreise nach Westsibirien angetreten hatten. Der General
+hatte sie mit echt russischer Gastfreundschaft zu einer Treibjagd auf
+Archare, die riesigen Wildschafe dieses Landes, eingeladen und dazu
+als ortskundige Gehilfen auch die in der Umgegend ansässigen Kirgisen
+aufgeboten. Und sie waren alle erschienen: Sultane, Gemeindevorsteher
+und andere Vornehme des Volkes der Steppe mit Schützen und Treibern und
+Stegreifdichtern, Jagd- und Rennpferden, mit gezähmten, auf Fuchs und
+Wolf, Murmeltier und Antilope abgetragenen Steinadlern, langhaarigen
+Windhunden, Kamelen und Saumtieren und was noch sonst erforderlich ist
+nach des Landes Brauch und Sitte. Das war so recht etwas für Brehm, der
+so gerne fremde Völker beobachtete und ihre Sitten ergründete.
+
+Es herrschte eine etwas gedrückte Stimmung, denn der soeben beendigte
+erste Jagdtag war durchaus nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Wolf
+war gefehlt worden, und das einzige Wildschaf im Triebe hatten die
+nächststehenden Schützen gar nicht bemerkt. Man hatte sich dann
+an reichbesetzter Tafel niedergelassen, aber da hatte plötzlich
+lauter Zuruf die Schmausenden aufgeschreckt. Aufspringend sah man
+fünf stattliche Archarböcke über das Gefels dahineilen, die sich
+dem Trieb in einem Seitental entzogen gehabt hatten. Eiligst griff
+alles nach den Büchsen, warf sich auf die Pferde und jagte dem edlen
+Wilde nach. Zu spät! Obwohl die Schafe nur trabten, war doch in dem
+unwegsamen Gelände kein Pferd imstande, sie einzuholen. Ruhig, stolz
+und bedachtsam waren sie weitergezogen und bald im zerklüfteten
+Gefels verschwunden. Man unterhielt sich jetzt über dieses unerhörte
+Mißgeschick. „Für mich war es überhaupt keines,“ sagte Brehm, „denn
+ich hatte doch das Glück, die gewaltigen Tiere hier in ihrer Heimat
+frei und in voller Bewegung zu sehen. Und dann war doch das ganze Bild
+dieser Gebirgsjagd mit berittenen Treibern so eigenartig und fesselnd,
+wie eine Jagd überhaupt nur sein kann.“ -- „Sehr richtig,“ stimmte
+Finsch bei, „und morgen ist ja auch noch ein Tag.“ -- „An dem uns die
+launische Diana hoffentlich etwas huldvoller gesinnt sein wird als
+heute,“ seufzte der schießlustige Graf.
+
+[Illustration: Kartenausschnitt zu Brehms Reise nach Westsibirien]
+
+Der nächste Morgen war bitter kalt. Wohl achtzig Reiter zogen diesmal
+in buntem Getümmel hinaus zum Felsengebirge. Hinter ihnen drein
+stelzten Kamele, mit einer Jurte, Küchengerät und Lebensmitteln
+befrachtet. Der Trieb begann. Reitend erkletterten die Treiber den
+steilen Höhenzug. Hier und da erschien einer von ihnen auf der Spitze
+der Felsen, die er erklommen, verschwand aber bald darauf wieder im
+Gestein. Kein einziger von ihnen wich trotz der Schwierigkeit des
+Geländes von der ihm angewiesenen Richtung ab. Wie Ziegen kletterten
+die belasteten Pferde in den Felsen umher, denn wo noch eine Ziege
+ihren Pfad findet, da kommt auch der kirgisische Reiter noch durch.
+Einem geübten Bergsteiger boten die Granitwände und Kegel allerdings
+nirgends unüberwindliche Schwierigkeiten, aber Reiter hatte Brehm
+doch niemals in derart zerklüftetem Gelände den Weg suchen und finden
+sehen. Stundenlang währte der Trieb, das bewegungslose Ausharren auf
+den angewiesenen Ständen wurde bei dem eisigen Schlackwetter zur Qual.
+Ein Wildschaf mit zwei Lämmern zog in mehr als doppelter Schußweite an
+Brehm vorüber. Von den Böcken keine Spur. Schon näherte sich der Trieb
+seinem Ende. Da endlich rieselten Steine hoch oben über Brehm, und
+wenige Minuten später stieg ein starker Archarbock, meist durch Felsen
+gedeckt und nur für Augenblicke sichtbar werdend, in Büchsenschußweite
+neben Brehms Stand in die Tiefe. Endlich zeigte er sich frei, und
+dröhnend hallte Brehms Schuß durch die Felsenwildnis. Sichtlich
+krank zog der Bock, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, langsamer dem
+gegenüberliegenden Gebirgszuge zu. Ein zweiter Schuß, schon aus zu
+großer Entfernung abgegeben, blieb wirkungslos. Schnell entschlossen
+verließ Brehm seinen Stand, durcheilte das Tal und kletterte dann an
+der jenseitigen Bergwand empor, so rasch es das Gefels und die Lunge
+nur irgend gestatten wollten, um sich in einem Querschnitt des Kammes
+erneut anzusetzen. Der erfahrene Tierkenner hatte richtig berechnet.
+Noch keuchte die Brust und zitterten die Glieder von der gewaltigen
+Anstrengung, als dasselbe Wildschaf hoch über ihm auf die äußerste
+Kante des Felsens trat, um zu sichern. Aber noch ehe es den Jäger
+erspähen konnte, hatte ihm dessen sichere Kugel das Herz durchbohrt,
+und wie ein schwerer Felsblock stürzte es leblos herab. Staunender
+Jubelruf aus zwanzig Kirgisenkehlen hallte im Gebirge wider. Von
+allen Seiten sprengten und kletterten Reiter herbei. Vier kräftige
+Männer schleppten mühsam die schwere Beute zur Tiefe. Allseitig
+beglückwünscht, ritt man heim zu den Jurten. Die Kirgisen rühmten
+Brehms Jägergeschick und Treffsicherheit, die Gefährten sein Jagdglück.
+
+Vor den Jurten wogte es in buntem Durcheinander. Unter lebhaftestem
+Gebärdenspiel gaben diejenigen Steppenleute, die dem Schluß der Jagd
+beigewohnt hatten, ihren Gefährten Bericht. Brehm war zum Helden des
+Tages geworden und hatte selbst den Sänger des Stammes begeistert,
+denn der ließ in langem Vorspiel seine einfache Laute erklingen und
+hob dann einen Gesang an, in dem er den General und seine Gemahlin und
+die übrigen Europäer mit seiner „roten Zunge“ begrüßte und dann des
+deutschen Forschers jagdlichen Erfolg verherrlichte. Der Tag wurde zum
+Feste. Die Jagdfertigkeit der Kirgisen hatte man zur Genüge kennen
+gelernt, ihre Steinadler und Windhunde mit gebührender Teilnahme
+betrachtet, den Worten ihres Sängers bewundernd gelauscht. Nunmehr
+mußten Ringer und Rennpferde ihre Kräfte üben. Reckenhaft gebaute
+Männer stellten sich einander zum Wettkampf; hochedle, wenn auch
+nach unseren Begriffen nicht vollendet schöne Pferde, geritten von
+sechs- bis achtjährigen Knaben, stürmten in die Steppe hinaus, um im
+Wettlauf vierzig Kilometer auf pfadlosem Gelände zurückzulegen. Beide,
+Ringkämpfer wie Rennpferde, entzückten durch ihre Leistungen Kirgisen
+wie Europäer. Es war wohl einer der stolzesten und schönsten Tage in
+Brehms reichem Forscher- und Jägerleben.
+
+Obwohl die deutsche wissenschaftliche Expedition nach Westsibirien
+in ihrem ganzen Verlauf von der russischen Regierung auf das
+großzügigste unterstützt und gefördert wurde, hat sie durch eine
+Verkettung widriger Umstände ihr eigentliches Endziel doch nicht
+erreicht. Man war von Tomsk aus fast 400 geographische Meilen weit
+den majestätischen Ob hinuntergefahren, der ein größeres Stromgebiet
+umfaßt als alle Ströme Westeuropas zusammengenommen. In einem Tale,
+dessen Breite zwischen 10 und 30 Kilometer wechselt, strömt er
+dahin, mit unzähligen Armen zahllose Inseln umschließend, oft zu
+unabsehbarer seeartiger Fläche sich breitend. Weidenwaldungen in
+allen nur erdenklichen Wachstumszuständen decken die ewig durch die
+umgestaltenden Fluten bewegten, bald ihnen verfallenen, bald wieder
+neu von ihnen aufgebauten Ufer und Inseln. Arm und ärmer wird das
+Land, dürftiger und lichter werden die Wälder, unansehnlicher und
+armseliger die wenigen Siedlungen, je weiter man stromabwärts kommt. An
+die Stelle des Bauern tritt der Fischer und Jäger, an die Stelle des
+Viehzüchters der Renntierhirt. An der Schtschutschja wurde die letzte
+russische Niederlassung erreicht. Von hier aus sollte es mit Hilfe von
+Ostjaken, die in kegelförmigen Hütten aus Birkenrinde (sog. „Tschum“)
+hausen, auf Renntierschlitten durch die unendlich vor den Reisenden
+sich ausbreitende Tundra weitergehen. Alles hatte Brehm auf Grund
+seiner Erfahrungen für diese schwierige Reise aufs beste und bis in die
+geringsten Kleinigkeiten hinein vorbereitet, und doch erlag er einem
+ebenso unerwarteten wie furchtbaren Gegner, dem er erliegen mußte, weil
+er ihn nicht kannte, sich also auch nicht gegen ihn wappnen konnte.
+
+An der Schtschutschja waren wider alles Erwarten keine Renntiere
+aufzutreiben. Es hieß, die Herden ständen neun Tagereisen entfernt auf
+bestimmten Weideplätzen im Ural, und so blieb nichts weiter übrig,
+als die Reise mit Fußmärschen zu beginnen und alle Beschwerden und
+Entbehrungen einer langen Wanderung durch unwegsames, nahrungsloses,
+mückenerfülltes, menschenfeindliches und nahezu unbekanntes Gebiet
+auf sich zu nehmen. Erst nach langen Beratungen mit den freundlichen,
+aber unsäglich schmutzigen Eingeborenen wurden die Reisevorbereitungen
+beendigt, sorgfältig die Lasten abgewogen, die jeder auf seinen
+Rücken laden sollte; denn drohend stand das Gespenst des Hungers vor
+den mutigen Forschern. Unverrichtetersache umkehren wollten sie aber
+keinesfalls, obwohl sie wußten, daß nur der Wanderhirt, nicht aber
+der Jäger imstande ist, sein Leben in der Tundra zu fristen, obwohl
+sie die unsagbaren Mühseligkeiten ahnten, die der pfadlose Weg, die
+Wetterwendigkeit des Himmels, die Unwirtlichkeit der Tundra überhaupt
+bereiten würden, und die entsetzlichen Qualen, die das unerschöpfliche
+Heer blutgieriger Stechmücken mit sich bringt.
+
+In kurze Pelze gehüllt, keuchend unter der dem Rücken aufgebürdeten
+Last, stapften sie, ununterbrochen Tag und Nacht, von den Mücken
+gequält und zerstochen, mühselig durch traurige Einöde, alle halbe
+Stunden vor Erschöpfung umsinkend und doch der Mücken wegen ohne
+Erholung. Unfreundlicher, als es geschah, konnte die Tundra die
+deutschen Gelehrten nicht gut empfangen. Unablässig peitschte der
+Wind feinen, eiskalten Regen in die Gesichter, und in den durchnäßten
+Pelzen mußte man sich auf den wie ein Schwamm mit Feuchtigkeit
+vollgesogenen Moosboden niederlegen, ohne ein schützendes Obdach
+über, ohne ein wärmendes Feuer neben sich, unablässig gequält von den
+entsetzlichen Mückenschwärmen. Man kam aber doch wenigstens vorwärts,
+wenn auch nur langsam, und groß war die Freude, als Brehms Fernrohr
+eines Tages zwei einsame Tschums erkennen ließ und um sie herum eine
+Menge Renntiergestalten. Beglückt eilte man darauf zu; jetzt mußte
+ja alle Not ein Ende haben, und eine erfolgreiche Fortsetzung der
+Reise erschien gesichert. Aber Entsetzen weitete Brehms Blicke beim
+Näherkommen, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war furchtbar und
+grauenhaft. Um die ärmlichen Behausungen herum lagen zu Dutzenden
+verendete Renns, Hirsche, Tiere und Kälber; andere wanden sich in
+den letzten Zuckungen, und auch die noch aufrecht stehenden trugen
+schon den Tod im Herzen, wie der weiße, blasige Schleim vor Maul und
+Nase deutlich verriet. Kein Zweifel -- hier wütete der Milzbrand,
+die fürchterlichste, auch für den Menschen gefährlichste aller
+Viehseuchen, ein unerbittlicher, ohne Wahl und Gnade vernichtender
+Todesengel, der in Asien ganze Völkerschaften verarmen macht und dessen
+verderbenbringendem Würgen der Mensch ohnmächtig gegenübersteht.
+
+[Illustration: Renntierseuche auf der Tundra Sibiriens
+
+Nach der Natur gezeichnet von O. Finsch im Jahre 1877]
+
+Verzweiflungsvoll, wie vor den Kopf geschlagen, irren die ostjakischen
+Besitzer der Herde zwischen den sterbenden und verendenden Tieren hin
+und her, um in sinnloser Gier so viel zu retten, wie zu retten noch
+möglich ist. „Obwohl nicht unkundig der furchtbaren Gefahr, der sie
+sich aussetzen, wenn auch nur der geringste Teil eines Blutstropfens,
+ein Stäubchen des blasigen Schleimes mit ihrem eigenen Blute sich
+mischt, obschon vertraut mit der Tatsache, daß bereits Hunderte ihres
+Volkes unter entsetzlichen Schmerzen der unheilvollen Seuche erlagen,
+arbeiten sie doch mit allen Kräften, um die vergifteten Tiere zu
+entfellen. Ein Beilschlag endet die Qualen der sterbenden Hirsche, ein
+Pfeilschuß das Leben der Kälber, und einige Minuten später liegt das
+Fell, das noch nach Wochen ansteckend wirken kann, bei den übrigen,
+tauchen die blutigen Hände den vom Leibe der Kälber losgelösten Bissen
+in das in der Brusthöhle des erlegten Tieres sich sammelnde Blut,
+um ihn roh zu verschlingen. Schinderknechten gleichen die Männer,
+scheußlichen Hexen die Frauen, im Aase wühlende, blutbeschmierte,
+bluttriefende Hyänen sind die einen wie die andern; achtlos des über
+ihrem Haupte schwebenden, nicht an einem Roßhaar, sondern an einer
+Spinnwebe aufgehängten, toddrohenden Schwertes zerren und wühlen sie
+weiter, unterstützt sogar schon durch ihre Kinder, von halberwachsenen
+Knaben an bis zu den von Blut triefenden, kaum dem Säuglingsalter
+entwachsenen Mädchen herab.“
+
+Für fünf der gierigen Schlinger wurde dieses widerwärtige Schwelgen
+zur Todesmahlzeit. Entsetzt verließ Brehm mit den Seinen diese Stätte
+des Grauens. Einige anscheinend noch gesunde Renntiere nahm man mit.
+Aber auch sie trugen schon den Todeskeim in sich und brachen unterwegs
+zusammen. Wieder Fußmarsch mit all seinen Beschwerden durch weglosen
+Morast bis zum nächsten Weideplatz. Das Gespenst des Hungers bedrohte
+die bis zum Tod erschöpften Männer! Regelmäßige oder ausgiebige
+Mahlzeiten gab es nicht mehr. Es war schon ein besonderer Glückstag,
+wenn es einmal gelang, einen armseligen Regenpfeifer zu erlegen oder
+eine Doppelschnepfe oder ein Moorhuhn. Gierig hockten dann die drei
+ausgehungerten Deutschen um den Bratspieß herum und verzehrten die
+wenigen schmalen Bissen. Endlich wurde der neue Weideplatz erreicht.
+Auch hier dasselbe Bild! Auch hier wütete die Seuche! Es half alles
+nichts: Brehm mußte sich zur Umkehr entschließen, ohne das ersehnte
+Polarmeer erreicht zu haben, wollte er nicht leichtsinnig das Leben
+der Gefährten aufs Spiel setzen. In sehr ernster Stimmung und unter
+immer fühlbarer werdendem Mangel zog man wieder der Schtschutschja zu.
+Unterwegs erlag noch einer der ostjakischen Begleiter, ein besonders
+heiterer und williger Bursche, der furchtbaren Seuche und wurde nach
+heidnischer Sitte in der weiten Tundra begraben. Brehm hatte einmal
+das Glück, eine ganze Familie Wildgänse zu schießen, und an diesem
+Tage konnte man sich zum ersten Male wieder satt essen, ohne um den
+einzelnen Bissen zu kargen. Alle atmeten erleichtert auf, als sie die
+Fluten des Ob wieder erblickten. Es war ihnen, als seien sie der Hölle
+entronnen. „Nach der Tundra ziehe ich wenigstens nicht wieder,“ hat
+Brehm später freimütig geäußert.
+
+Im übrigen pflegte er zu sagen, daß die sibirische Reise, die er
+mit Vorliebe in seinen herrlichen Vorträgen behandelte, mehr einer
+Hetzjagd als einer Forschungsreise geglichen habe. In der Tat, soviel
+ihm im Sudan das Fieber zu schaffen machte, soviel auf seinen späteren
+Reisen der leidige Zeitmangel. Weder in Spanien noch auf der Donau,
+weder in Sibirien noch in Abessinien verblieb ihm genügend Zeit, seine
+Beobachtungen in der gewünschten Weise abzuschließen und abzurunden.
+Gerade auf Forschungsreisen wird die Zeit zum kostbarsten aller Güter,
+Mangel an Zeit aber zum schlimmsten Feinde des sammelnden Forschers.
+Mehr als jeder andere Reisende muß er die Stunde, den Augenblick in
+seiner Weise wahrnehmen können, ohne sonstwie behindert zu sein. Eine
+einmal gebotene Gelegenheit kehrt oft niemals wieder. „Freie Zeit“
+gibt es für den sammelnden oder beobachtenden Forscher nicht, denn die
+Zeit ist es, die für ihn das alleinige, allzeit notwendige Mittel zur
+Verständigung mit der Natur ist und bleibt.
+
+
+
+
+Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau
+
+
+Kronprinz Rudolf von Österreich kam an einem schönen Frühlingsabend des
+Jahres 1877 von anstrengender Adler- und Geierjagd aus den versumpften
+Auenwäldern der Donau beim Draueck zurück. Sein Wagen durchfuhr in
+flottem Trabe die kleine Ortschaft Kovil, an deren Landungsstelle ein
+schmucker Räderdampfer als gegenwärtiges Standquartier des Erben der
+habsburgischen Kaiserkrone vor Anker lag. Zwischen Ort und Strand
+zogen sich weite Wiesenflächen hin, die aber seit diesem Morgen
+knietief unter Wasser standen. Als der Blick des Kronprinzen beim
+Herauskommen aus dem Städtchen auf sie fiel, bog er sich plötzlich
+vor Lachen, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Zum Teufel, was
+hatte da dieser Tausendsassa von Brehm wieder angestellt! Er hatte ja
+ein so unglaubliches Geschick, sich bei der urwüchsigen serbischen
+Bevölkerung dieser Gegenden beliebt zu machen, ihr Achtung einzuflößen
+und beides dazu zu benutzen, ihre eigenartigen Nationaltänze, Trachten
+und Sitten zu studieren. So hatte er schon am Abend vorher auf der
+grünen Wiesenfläche vor dem Dampfer einen großen Reigentanz (Kolo)
+veranstaltet, und die Jungfrauen des Ortes waren bereitwillig dem
+Wunsche des fremden und anscheinend doch sehr vornehmen Reisenden
+gefolgt. Heute nun wollte Brehm dies kleine Volksfest wiederholen, aber
+die eingetretene Wiesenüberschwemmung verursachte einige Hindernisse.
+Brehm thronte deshalb hoch oben auf dem Bugspriet des Dampfers und
+leitete von da aus die Unterhaltung, die sich in bis über die Knie
+reichendem Wasser abspielte, was aber den Reiz der Sache in den Augen
+der Zuschauer nur erhöhte, da die Tänzerinnen gezwungen waren, ihre
+bunten Kleider durch entsprechendes Hochraffen vor allzu inniger
+Berührung mit dem feuchten Element zu schützen. Einige Mädchen kamen
+dann noch auf das Verdeck, um Blumensträuße zu überreichen, und bald
+darauf setzte sich der Dampfer unter den Hochrufen der gesamten
+Bevölkerung in Bewegung.
+
+[Illustration: Brehm mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich auf der
+Jagd in Kroatien
+
+Nach einer Originalzeichnung für den „Kosmos“ von W. Planck]
+
+Wie kam nun aber unser Freund zu so vornehmen Beziehungen, wie gelangte
+er hierher in die weltentlegene Einsamkeit der unteren Donau-Auen?
+Schon vor Jahr und Tag hatten sich zunächst briefliche Beziehungen
+zwischen dem bereits zu europäischer Berühmtheit gelangten Forscher
+und dem hochbegabten Kronprinzen angesponnen, der das lebhafteste
+Interesse für Vogelkunde zeigte und bald zu einem eifrigen Schüler
+des von ihm hoch und aufrichtig verehrten Brehm wurde. Bald ergaben
+sich auch persönliche Zusammenkünfte, die im Laufe der Zeit ein wahres
+Freundschaftsverhältnis zwischen Thronerbe und Forscher entwickelten.
+Es war keineswegs bloße Jagdlust, die den später so unglücklich
+endenden Kronprinzen zur Vogelkunde führte, und er beschäftigte sich
+keineswegs nur laienhaft oberflächlich mit ihr, sondern er arbeitete
+ernsthaft, nachdrücklich und erfolgreich mit an den wissenschaftlichen
+Streitfragen. Damals erregte die „Adlerfrage“ die Gemüter und gab
+zu erbitterten Fehden Anlaß. Man stritt sich darum, ob Stein- und
+Goldadler verschiedene Arten oder nur verschiedene Färbungsphasen
+der gleichen Art seien. Der Kronprinz bemühte sich redlich, seinen
+Freund aus dem weiten Gebiete der vogelreichen Doppelmonarchie mit
+Adlermaterial zu versorgen, und eines Tages überraschte er ihn gar
+durch die Frage:
+
+„Wollen Sie mich zu Adlerjagden nach Südungarn begleiten? Ich habe
+bestimmte Nachrichten von vielleicht 20 Adlerhorsten und glaube, daß
+wir alle werden lernen können, wenn wir sie besuchen und fleißig
+dabei beobachten.“ Zwanzig Adlerhorste! Welche Versuchung für einen
+im raubvogelarmen Deutschland wohnenden Vogelforscher! Brehm hätte
+ja nicht der Sohn seines Vaters sein dürfen, wenn er nicht freudig
+eingeschlagen hätte. Außer ihm nahm auf Einladung des Kronprinzen
+noch ein zweiter deutscher Ornithologe an der Fahrt teil, der Baron
+Eugen Ferdinand von Homeyer aus Pommern, ferner der dem Kronprinzen
+persönlich befreundete Graf Bombelles und Rudolfs Schwager, Prinz
+Leopold von Bayern. Dem bekannten Wiener Präparator Hodek nebst Sohn
+und Gehilfen war das Geschäft des Abbalgens übertragen.
+
+Die nur 15tägige Reise, bei der aber jede Minute ausgenützt
+wurde, gehört sicherlich zu den glücklichsten und ungetrübtesten
+Zeitabschnitten in Brehms vielbewegtem Leben. Kein Mißklang störte sie,
+von Anfang bis zu Ende klappte alles tadellos. Das war nun freilich
+eine ganz andere Stromfahrt als vor Jahren auf dem Nil in gebrechlicher
+Segelbarke mit widerspenstigem nubischem Schiffsvolk. Jetzt war für
+das Behagen und die Bequemlichkeit der Forscher in einer geradezu
+glänzenden Weise gesorgt. Nachts trug das brave Schiff sie mit der
+Geschwindigkeit und Sicherheit der Dampfmaschine dem neuen Tagesziele
+zu. Schon im Morgengrauen wurde aufgestanden, rasch gefrühstückt,
+die erste Zigarre geraucht und dann an Land gegangen, wo schon Wagen
+oder kleine Boote bereitstanden, um die einzelnen Jäger nach den
+ihnen zugewiesenen Revierteilen zu bringen. Ortskundige Grünröcke
+geleiteten sie dann zu Fuß nach den vom Forstpersonal vorher sorgfältig
+ausgekundschafteten Horsten, und nun hieß es, sich in Geduld zu fassen
+und Dianas Gunst zu erflehen, um den am Horste an- oder abstreichenden
+Adler oder Geier zu Schuß zu bekommen. War ein Horst mit oder ohne
+Erfolg erledigt, so befand sich gewöhnlich noch ein zweiter und dritter
+in der Nähe, an dem das Weidmannsheil erneut versucht werden konnte.
+
+Den mächtigen Seeadler, den Brehm von Afrika her nur als räuberischen
+Wintergast kannte, durfte er hier an seiner umfangreichen Knüppelburg
+belauschen, und den gewaltigen Kuttengeier, den er im Sudan so oft
+beim Aase gestreckt hatte, konnte er hier von seiner Kinderwiege
+mit sicherer Kugel herabschießen. Besonders anregend war es für
+ihn, die zwischen diesem feigen Riesenvogel und dem kleineren, aber
+schneidigeren, kräftigeren und gewandteren Steinadler bestehende
+Todfeindschaft zu beobachten. Der Haß dieser großen Raubvögel
+gegeneinander ist ganz merkwürdig. Kronprinz Rudolf sah sogar einmal,
+wie Adler und Geier, in einen einzigen Knäuel verkrallt, sich wütend
+im Geierhorste herumwälzten, wobei der Horst wankte, Äste brachen
+und Wolken von Staub aufstiegen, bis schließlich der mächtige
+Geier herausgeworfen wurde und erschöpft auf einen niedrigeren Ast
+heruntertaumelte, wo die Kugel des Prinzen seinem Leben ein Ziel
+setzte. Auf diesen Schuß hin stürzte aber aus dem Horste nicht nur der
+siegreiche Steinadler hervor, sondern auch das brütende Geierweibchen,
+auf dessen breitem Rücken sich also offenbar der ganze erbitterte Kampf
+abgespielt hatte!
+
+[Illustration: Alfred Edmund Brehm
+
+Nach einer zeitgenössischen Aufnahme]
+
+Abends kamen alle fünf Jäger aus den verschiedensten Richtungen her
+mit ihrer Beute wieder beim Schiff zusammen, wo schon ein reichliches
+Abendessen ihrer harrte und beim Becherklang die gegenseitigen
+Erfahrungen ausgetauscht wurden. War dann die Verdauungszigarre
+auf Deck geraucht, so ging es an die Abfassung der Tagebücher, und
+schließlich wollten auch die erlegten Vögel noch näher untersucht und
+gemessen sein. Das war namentlich bei den großen Geiern keine ganz
+angenehme Arbeit, vor der sich deshalb namentlich Prinz Leopold, der
+einzige noch lebende Teilnehmer dieser Frühlingsfahrt auf der Donau,
+und Graf Bombelles gern zu drücken suchten. Ohne eine Zigarre im Munde
+konnte man sich der unheimlich nach faulenden Kadavern duftenden Beute
+wirklich nicht nähern, und der Kronprinz brachte kein geringes Opfer,
+wenn er darauf bestand, alle Maße der Tiere ganz genau zusammen mit
+Brehm zu nehmen.
+
+Der letzte Abend an Bord war eine wundervolle Maiennacht. Die Grillen
+zirpten laut an den Gestaden des majestätischen Stroms, leise
+rauschten die Wellen, und die weite ungarische Ebene dehnte sich in
+verschwommenen Umrissen endlos vor den Blicken. Unzählige Sterne
+glänzten am Himmel, und die Mondessichel stand klar und silberhell am
+Firmamente, sich in den Wellen des Stromes widerspiegelnd. Rudolf und
+Brehm blieben diesmal noch lange Stunden auf dem Verdeck, die herrliche
+Nacht bewundernd. Sie sprachen von den schönen Erinnerungen dieser
+Reise und entwarfen Pläne für neue Forscherfahrten. Die Freundschaft
+zwischen beiden ist nie getrübt worden und hielt trotz mancher
+Quertreibereien unvermindert bis zu Brehms Tode an, der auch für den
+Habsburgersproß zu früh kam.
+
+
+
+
+Nach Amerika
+
+
+Auch die Neue Welt hat Brehm kennen gelernt, freilich nur flüchtig
+und nicht als Forscher in Wasserstiefeln, Jagdjoppe und Lodenhut,
+sondern als Vortragsredner in Lackschuhen, Frack und Oberhemd. Er hat
+wohl keine seiner Auslandreisen so schweren Herzens angetreten wie
+gerade diese, die seine letzte sein sollte. Hatte doch der Würgengel
+Diphtheritis in seinem stillen, rosenumhegten Heim in Renthendorf
+seinen Einzug gehalten und alle fünf Kinder ergriffen. Eine hohe
+Geldstrafe wäre beim Nichteinhalten des Vertrages zu zahlen gewesen,
+und der Arzt glaubte die beruhigendsten Versicherungen geben zu dürfen.
+In der Tat genasen vier von den Kindern, aber als Brehm seinen Fuß
+auf den amerikanischen Boden setzte, traf ihn wie ein Keulenschlag
+die niederschmetternde Nachricht, daß sein Liebling, der jüngste
+Sohn, das letzte Vermächtnis der unvergeßlichen Lebensgefährtin, der
+tückischen Krankheit erlegen sei. Tief erschüttert erledigte er fast
+mechanisch die schwere Arbeit von 50 Vorträgen, mit echt amerikanischer
+Rücksichtslosigkeit vorwärtsgepeitscht von seinem unbarmherzigen
+Manager, bis ihn schließlich im Mississippi-Tale die alte Malaria,
+der die seelische Aufregung vorgearbeitet haben mochte, niederwarf.
+Als ein an Körper und Seele gebrochener Greis mit grauem Haar und
+trübem Blick kehrte er zurück. Schon am 11. November 1884 erlöste
+den erst 55jährigen ein Schlaganfall von weiteren Leiden. In seinem
+geliebten Renthendorf hat man den Rastlosen an der Seite des Vaters zur
+letzten Ruhe bestattet. Der schlichte Grabhügel wölbt sich über einem
+Edelmenschen im vornehmsten Sinne des Wortes, über einem Manne, auf den
+sein Vaterland mit Recht stolz sein darf.
+
+
+
+
+Schlußwort
+
+
+Nicht selten kann man die Meinung hören, daß Brehms
+Forschungsergebnisse, die ja nun schon 5–8 Jahrzehnte zurückliegen,
+heute im Zeitalter des Kraftwagens und des Kurbelkastens längst
+überholt und veraltet seien. Freilich braucht heute der Forscher, dem
+alle die großartigen Hilfsmittel neuzeitlicher Technik zur Verfügung
+stehen, zur Ausführung solcher Reisen, wie Brehm sie machte, höchstens
+so viel Monate, vielleicht sogar nur Wochen wie dieser Jahre, und
+er bringt nicht nur abgebalgte Tiere, sondern auch mehr oder minder
+schöne und ehrliche Filmaufnahmen zurück, die dann im Vortragssaale
+wieder lebendig werden. Von solchen Dingen konnte Brehm natürlich noch
+keine Ahnung haben, aber dafür verstand er mit Wort und Feder besser
+und anschaulicher zu malen als der photographische Apparat mit seinen
+lichtempfindlichen Platten. Die mit allen Hilfsmitteln der Gegenwart
+ausgerüsteten Expeditionen bringen größere Ausbeuten heim, aber in
+einer Beziehung stehen sie doch vielfach hinter den Brehmschen zurück:
+in der liebevollen, eingehenden und sorgfältigen Beobachtung der in
+fremden Ländern angetroffenen Tierwelt.
+
+Gewiß sind seit Brehms Zeiten ungeheure Fortschritte auf den
+Teilgebieten der Systematik und Tiergeographie, der Anatomie und
+Entwicklungsgeschichte erzielt worden, aber wenn wir ehrlich sein
+wollen, müssen wir zugeben, daß dies bezüglich der Kunde vom
+Tier+leben+ keineswegs der Fall ist, daß wir vielmehr in all den
+zwischenliegenden Jahrzehnten über Brehm doch eigentlich herzlich wenig
+hinausgekommen sind. Gerade die neueste Zeit hat uns Bücher beschert,
+die wunderbar bebildert und unterhaltsam zu lesen sind, aber wenn wir
+sie ihres Schmuckes entkleiden und nach den nackten Tatsachen fragen,
+so werden wir bald bemerken, daß sie eigentlich nur wenig über Brehm
+hinausreichen.
+
+
+
+
+~KOSMOS~
+
+Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart
+
+
+Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der Naturwissenschaften
+und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer
+Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes zu fördern.
+-- Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch Verbreitung guter
+naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im
+
+
+~KOSMOS~
+
+Handweiser für Naturfreunde
+
+Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen
+
+Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im guten
+Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. In dem
+Vereinsjahr 1929 gelangen zur Ausgabe:
+
+
+ +Dr. Kurt Floericke, Tiervater Brehm+
+
+ +Wilhelm Bölsche, Drachen+
+
+ +J. Small, Geheimnisse der Botanik+
+
+ +H. Günther, Strahlenwunder+
+
+
++Jedes Bändchen reich illustriert+
+
+Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen,
+wo auch Beitrittserklärungen entgegengenommen werden. Auch die
++früher+ erschienenen Jahrgänge sind noch erhältlich.
+
+Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart
+
+
+
+
+Folgende seit Bestehen des Kosmos erschienene Buchbeilagen
+
+erhalten Mitglieder, solange vorrätig, zu +Ausnahmepreisen+:
+
+
+ =1904= Bölsche, W., Abstammung des Menschen. -- Meyer, Dr. M. W.,
+ Weltuntergang. -- Zell, Ist das Tier unvernünftig? (Dopp.-Bd.).
+ -- Meyer, Dr. M. W., Weltschöpfung.
+
+ =1905= Bölsche, Stammbaum d. Tiere. -- Francé, Sinnesleben d.
+ Pflanzen. -- Zell, Tierfabeln. -- Teichmann, Dr. E., Leben u.
+ Tod. -- Meyer, Dr. M. W., Sonne u. Sterne.
+
+ =1906= Francé, Liebesleben d. Pflanzen. -- Meyer, Rätsel d. Erdpole.
+ -- Zell, Streifzüge d. d. Tierwelt. -- Bölsche, Im
+ Steinkohlenwald. -- Ament, Seele d. Kindes.
+
+ =1907= Francé, Streifzüge im Wassertropfen. -- Zell, Dr. Th.,
+ Straußenpolitik. -- Meyer, Dr. M. W., Kometen und Meteore. --
+ Teichmann, Fortpflanzung und Zeugung. -- Floericke, Dr. K., Die
+ Vögel des deutschen Waldes.
+
+ =1908= Meyer, Dr. M. W., Erdbeben und Vulkane. -- Teichmann, Dr. E.,
+ Die Vererbung. -- Sajó, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. --
+ Dekker, Naturgeschichte des Kindes. -- Floericke, Dr. K.,
+ Säugetiere des deutschen Waldes.
+
+ =1909= Francé, Bilder aus dem Leben des Waldes. -- Meyer, Dr. M.
+ W., Der Mond. -- Sajó, Prof. K., Die Honigbiene. -- Floericke,
+ Kriechtiere und Lurche Deutschlands. -- Bölsche, W., Der Mensch
+ in der Tertiärzeit.
+
+ =1910= Koelsch, Pflanzen zw. Dorf u. Trift. -- Dekker, Fühlen u.
+ Hören. -- Meyer, Welt d. Planeten. -- Floericke, Säugetiere
+ fremd. Länder. -- Weule, Kultur d. Kulturlosen.
+
+ =1911= Koelsch, Durch Heide und Moor. -- Dekker, Sehen, Riechen und
+ Schmecken. -- -- Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit. --
+ Floericke, Vögel fremder Länder. -- Weule, Kulturelemente der
+ Menschheit.
+
+ =1912= Gibson-Günther, Was ist Elektrizität? -- Dannemann, Wie unser
+ Weltbild entstand. -- Floericke, Fremde Kriechtiere und Lurche.
+ -- Weule, Die Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge. --
+ Koelsch, Würger im Pflanzenreich.
+
+ =1913= Bölsche, Festländer u. Meere. -- Floericke, Einheimische
+ Fische. -- Koelsch, Der blühende See. -- Zart, Bausteine des
+ Weltalls. -- Dekker, Vom siegh. Zellenstaat.
+
+ =1914= Bölsche, W., Tierwanderungen in der Urwelt. -- Floericke, Dr.
+ Kurt, Meeresfische. -- Lipschütz, Dr. A., Warum wir sterben. --
+ Kahn, Dr. Fritz, Die Milchstraße. -- Nagel, Dr. Osk., Romantik
+ der Chemie.
+
+ =1915= Bölsche, W., Der Mensch der Zukunft. -- Floericke, Dr.
+ K., Gepanzerte Ritter. -- Weule, Prof. Dr. K., Vom Kerbstock
+ zum Alphabet. -- Müller, A. L., Gedächtnis und seine Pflege. --
+ Besser, H., Raubwild und Dickhäuter.
+
+ =1916= Bölsche, Stammbaum der Insekten. -- Sieberg, Wetterbüchlein.
+ -- Zell, Pferd als Steppentier. -- Weule, Krieg in den Tiefen
+ der Menschheit (Dopp.-Bd.).
+
+ =1917= Besser, Natur- u. Jagdstud. i. Deutsch-Ostafrika. --
+ Floericke, Dr., Plagegeister. -- Hasterlik, Dr., Speise u.
+ Trank. -- Bölsche, Schutz- u. Trutzbündnisse i. d. Natur.
+
+ =1918= Bölsche, Sieg des Lebens. -- Fischer-Defoy, Schlafen und
+ Träumen. -- Kurth, Zwischen Keller u. Dach. -- Hasterlik, Dr.,
+ Von Reiz- u. Rauschmitteln.
+
+ =1919= Bölsche, Eiszeit und Klimawechsel. -- Floericke, Spinnen und
+ Spinnenleben. -- Zell, Neue Tierbeobachtungen. -- Kahn, Die
+ Zelle.
+
+ =1920= Fischer-Defoy, Lebensgefahr in Haus u. Hof. -- Francé, Die
+ Pflanze als Erfinder. -- Floericke, Schnecken und Muscheln. --
+ Lämmel, Wege zur Relativitätstheorie.
+
+ =1921= Weule, Naturbeherrschung I. -- Floericke, Gewürm. -- Günther,
+ Radiotechnik. -- Sanders, Hypnose und Suggestion.
+
+ =1922= Weule, Naturbeherrschung II. -- Francé, Leben im Ackerboden.
+ -- Floericke, Heuschrecken und Libellen. -- Lotze, Jahreszahlen
+ der Erdgeschichte.
+
+ =1923= Zell, Rind als Waldtier. -- Floericke, Falterleben. -- Francé,
+ Entdeckung der Heimat. -- Behm, Kleidung und Gewebe.
+
+ =1924= Floericke, Käfervolk. -- Henseling, Astrologie. -- Bölsche,
+ Tierseele und Menschenseele. -- Behm, Von der Faser zum Gewand.
+
+ =1925= Lämmel, Sozialphysik. -- Floericke, Wundertiere des Meeres. --
+ Henseling, Mars. -- Behm, Kolloidchemie.
+
+ =1926= Francé, Die Harmonie in der Natur. -- Floericke, Zwischen Pol
+ und Äquator. -- Bölsche, Abstammung d. Kunst. -- Dekker,
+ Planeten und Menschen.
+
+ =1927= Floericke, Aussterbende Tiere. -- Bölsche, Im Bernsteinwald.
+ -- Günther, Was ist Magnetismus. -- Lang, Gletschereis.
+
+ =1928= Floericke, Vögel auf der Reise. -- Francé, Urwald. -- Günther,
+ Eroberung der Tiefe. -- Venzmer, Geißeln der Tropen.
+
+ * * * * *
+
+ =Preise=: Einzeln bezogen kostet jeder Band brosch. RM 1.--, gebd. RM
+ 1.70 Für Nichtmitglieder des Kosmos RM 1.25, gebd. RM 2.--
+
+
+ Besondere Preise
+ bei Gruppenbezug
+
+ 10 Bände geb. nur RM 14.50, brosch. nur RM 9.--
+ 20 Bände geb. nur RM 27.--, brosch. nur RM 16.50
+ 50 Bände geb. nur RM 62.--, brosch. nur RM 37.50
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77002 ***
diff --git a/77002-h/77002-h.htm b/77002-h/77002-h.htm
new file mode 100644
index 0000000..11c477f
--- /dev/null
+++ b/77002-h/77002-h.htm
@@ -0,0 +1,3542 @@
+<!DOCTYPE html>
+<html lang="de">
+<head>
+ <meta charset="UTF-8">
+ <title>
+ Tiervater Brehm | Project Gutenberg
+ </title>
+ <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover">
+ <style>
+
+body {
+ margin-left: 10%;
+ margin-right: 10%;
+}
+
+div.eng {
+ width: 70%;
+ margin: auto 15%;}
+.x-ebookmaker div.eng {
+ width: 90%;
+ margin: auto 5%;}
+
+h1,h2,h3,h4,h5,h6 {
+ text-align: center; /* all headings centered */
+ clear: both;
+ font-weight: normal;}
+
+h1,.s1 {font-size: 275%;}
+h2,.s2 {font-size: 175%;}
+h3,.s3 {font-size: 125%;}
+h4,.s4 {font-size: 110%;}
+h5,.s5 {font-size: 90%;}
+h6,.s6 {font-size: 70%;}
+
+p {
+ margin-top: .51em;
+ text-align: justify;
+ margin-bottom: .49em;
+}
+
+h2 {
+ padding-top: 0;
+ page-break-before: avoid;}
+
+h2.nobreak {
+ padding-top: 3em;
+ margin-bottom: 1.5em;}
+
+p {
+ margin-top: .51em;
+ text-align: justify;
+ margin-bottom: .49em;
+ text-indent: 1.5em;}
+
+p.p0,p.center {text-indent: 0;}
+
+.mtop1 {margin-top: 1em;}
+.mtop3 {margin-top: 3em;}
+.mbot3 {margin-bottom: 3em;}
+.mleft7_5 {margin-left: 7.5em;}
+.mright7_5 {margin-right: 7.5em;}
+
+.padtop5 {padding-top: 5em;}
+
+hr {
+ width: 33%;
+ margin-top: 2em;
+ margin-bottom: 2em;
+ margin-left: 33.5%;
+ margin-right: 33.5%;
+ clear: both;
+}
+
+hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;}
+
+hr.full {width: 95%; margin-left: 2.5%; margin-right: 2.5%;}
+
+div.chapter {page-break-before: always;}
+
+.break-before {page-break-before: always;}
+
+table.toc {
+ width: 25em;
+ margin: auto;}
+.x-ebookmaker table.toc {
+ width: 90%;
+ margin: auto 5%;}
+
+table.kosmos {
+ width: 100%;
+ margin: auto;
+ border-collapse: collapse;}
+
+.vab {vertical-align: bottom;}
+.vam {vertical-align: middle;}
+.vat {vertical-align: top;}
+
+.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */
+ /* visibility: hidden; */
+ position: absolute;
+ left: 94%;
+ font-size: 70%;
+ color: #777777;
+ text-align: right;
+ font-style: normal;
+ font-weight: normal;
+ font-variant: normal;
+ text-indent: 0;
+} /* page numbers */
+
+.bb {border-bottom: 2px solid;}
+
+.bbox {border: 2px solid;}
+
+.center {text-align: center;}
+
+.right {text-align: right;}
+
+.left {text-align: left;}
+
+.u {text-decoration: underline;}
+
+.middle {vertical-align: 12%;}
+
+.initial {font-size: 135%; line-height: 1;}
+
+.antiqua {font-style: italic;}
+
+.gesperrt {
+ letter-spacing: 0.2em;
+ margin-right: -0.2em;}
+
+.x-ebookmaker .gesperrt {
+ letter-spacing: 0.15em;
+ margin-right: -0.25em;}
+
+em.gesperrt {
+ font-style: normal;}
+
+.x-ebookmaker em.gesperrt {
+ font-family: sans-serif, serif;
+ font-size: 90%;
+ margin-right: 0;}
+
+.caption {
+ text-align: center;
+ font-size: 90%;}
+
+/* Images */
+
+img {
+ max-width: 100%;
+ height: auto;
+}
+img.w100 {width: 100%;}
+
+.linkedimage {
+ font-size: 75%;
+ text-align: center;
+ text-indent: 0;
+ margin: 0.5em auto 1em auto;}
+.x-ebookmaker .linkedimage {display: none;}
+
+.figcenter {
+ margin: auto;
+ text-align: center;
+ page-break-inside: avoid;
+ max-width: 100%;
+ padding-top: 1em;
+ padding-bottom: 1em;
+}
+
+/* Footnotes */
+
+.footnotes {
+ border: thin black dotted;
+ background-color: #dadada;
+ color: black;
+ margin-bottom: 1em;}
+
+.footnote {
+ margin-left: 10%;
+ margin-right: 10%;
+ font-size: 0.9em;}
+
+.footnote p {text-indent: 0;}
+
+.footnote .label {
+ position: absolute;
+ right: 84%;
+ text-align: right;}
+
+.fnanchor {
+ vertical-align: top;
+ font-size: .7em;
+ text-decoration: none;
+}
+
+/* Transcriber's notes */
+.transnote {
+ background-color: #dadada;
+ color: black;
+ font-size: smaller;
+ padding: 0.5em;
+ margin-bottom: 5em;
+ page-break-before: always;}
+
+.nohtml {display: none;}
+.x-ebookmaker .nohtml {display: inline;}
+
+/* Illustration classes */
+.illowe5 {width: 5em;}
+.illowe31 {width: 31em;}
+.illowe33 {width: 33em;}
+.illowe35 {width: 35em;}
+.illowe36 {width: 36em;}
+.illowe40 {width: 40em;}
+.illowe47 {width: 47em;}
+.illowe48 {width: 48em;}
+.illowe50 {width: 50em;}
+
+/* Illustration classes */
+.x-ebookmaker .illowe5 {width: 12%; margin: auto 44%;}
+.x-ebookmaker .illowe31 {width: 62%; margin: auto 19%;}
+.x-ebookmaker .illowe33 {width: 66%; margin: auto 17%;}
+.x-ebookmaker .illowe35 {width: 70%; margin: auto 15%;}
+.x-ebookmaker .illowe36 {width: 72%; margin: auto 14%;}
+.x-ebookmaker .illowe40 {width: 80%; margin: auto 10%;}
+.x-ebookmaker .illowe47 {width: 94%; margin: auto 3%;}
+.x-ebookmaker .illowe48 {width: 96%; margin: auto 2%;}
+.x-ebookmaker .illowe50 {width: 100%; margin: auto;}
+
+.illowe32 {width: 32em;}
+ </style>
+</head>
+<body>
+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77002 ***</div>
+
+<div class="transnote mbot3">
+
+<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+
+<p class="p0">Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von
+1929 so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Offensichtliche
+Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute
+nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original
+unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.</p>
+
+<p class="p0">Fußnoten erscheinen am Ende des jeweiligen Absatzes. Die
+Buchanzeigen wurden der Übersichtlichkeit halber zusammen am Schluss
+des Buchtexts dargestellt.</p>
+
+<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gedruckt. Passagen in
+<span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden in der vorliegenden Ausgabe
+kursiv dargestellt. <span class="nohtml">Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten
+Schriftart können die im Original <em class="gesperrt">gesperrt</em>
+gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl
+serifenlos als auch gesperrt erscheinen.</span></p>
+
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowe32 x-ebookmaker-drop" id="cover">
+ <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ <span class="u">Original-Umschlagbild</span>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<div class="eng">
+
+<p class="s2 center mtop3 break-before">KOSMOS-BÄNDCHEN</p>
+
+<p class="s2 center padtop5">TIERVATER BREHM</p>
+
+<p class="s5 center mbot3"><span class="mright7_5">114</span> <span class="mleft7_5">○</span></p>
+
+<h1 class="break-before mtop3">Tiervater Brehm</h1>
+
+<p class="s2 center">Seine Forschungsreisen / Ein Gedenkblatt zum 100.
+Geburtstag</p>
+
+<p class="center mtop3">Von</p>
+
+<p class="s3 center mtop1 mbot3">Dr. Kurt Floericke</p>
+
+<p class="center">Mit einem farbigen Umschlagbild von Prof. A. Wagner, einer
+Zeichnung von W. Planck, 2 Karten und 12 Abbildungen nach zeitgenössischen
+Bildern oder photographischen Aufnahmen der Gegenwart</p>
+
+<figure class="figcenter illowe5 padtop5" id="signet">
+ <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="Signet der Kosmos-Gesellschaft
+ für Naturfreunde">
+</figure>
+
+<hr class="full">
+
+<p class="s4 center mbot3">Stuttgart<br>
+<span class="s4">Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde</span><br>
+Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung</p>
+
+<p class="s5 center mtop3 break-before"> Nachdruck verboten
+/ Alle Rechte, auch das Übersetzungsrecht, vorbehalten <span class="antiqua">Copyright
+1929 by Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart</span> / Printed in Germany / Druck von Holzinger &amp; Co.,
+Stuttgart</p>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+ <h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt</h2>
+</div>
+
+<table class="toc">
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Brehms Lebenslauf</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Brehms_Lebenslauf">5</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Im Renthendorfer Pfarrhaus</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Im_Renthendorfer_Pfarrhaus">9</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Nilfahrten</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Nilfahrten">15</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Durch Steppe, Wüste und Urwald</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Durch_Steppe_Wueste_und_Urwald">23</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Kairo und Chartum</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Kairo_und_Chartum">32</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">In Spanien</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#In_Spanien">50</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Nordlandfahrt</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Nordlandfahrt">53</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Mit_dem_Herzog_von_Koburg_in_Abessinien">59</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">In Westsibirien</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#In_Westsibirien">66</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Mit_dem_Kronprinzen_Rudolf_auf_der_unteren_Donau">73</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Nach Amerika</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Nach_Amerika">78</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="vat">
+ <div class="left">Schlußwort</div>
+ </td>
+ <td class="vab">
+ <div class="right"><a href="#Schlusswort">79</a></div>
+ </td>
+ </tr>
+</table>
+
+<div class="eng s5">
+
+<p class="mtop3">Das Umschlagbild nach einer Zeichnung von Professor A. Wagner,
+Kassel, stellt eine Szene am Nil dar: Brehm hat einen Seeadler
+geschossen, der Vogel fällt in den Strom, Brehm will ihn im Jagdeifer
+aus dem Wasser herausholen. Sein Diener warnt vor den Krokodilen.
+Brehm achtet zunächst nicht auf die Warnung, muß aber im letzten
+Augenblicke umkehren, denn ein großes Krokodil stürzt sich auf die
+Jagdbeute.</p>
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_5">[S. 5]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="Brehms_Lebenslauf">Brehms Lebenslauf</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">A</span>lfred Edmund Brehm wurde am 2. Februar 1829 in dem ostthüringischen
+Pfarrhause Renthendorf (Sachsen-Altenburg) geboren&#x2060;<a id="FNanchor_1_1" href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>. In voller
+Freiheit, inmitten der thüringischen Wälder aufwachsend, erhielt er
+dort die denkbar beste Erziehung zum künftigen Naturforscher, denn
+sein Vater war einer der bedeutendsten Vogelforscher seiner Zeit. Mit
+einem geradezu fabelhaften Scharfblick für die feinsten Unterschiede in
+Gestalt und Gefieder der Vögel begabt, kann er in gewissem Sinne als
+ein Vorläufer Darwins und der heutigen Formenkreislehre angesprochen
+werden. Von seiner Mutter, Bertha Reiz, erbte Alfred das ausgesprochene
+Feingefühl für die Schönheiten einer reinen deutschen Sprache, und
+nicht zuletzt besteht darin der große Einfluß, den er durch seine
+Schriften auf weiteste Kreise des Volkes gewonnen hat. Brehm war nicht
+nur ein ausgezeichneter Naturschilderer, sondern zugleich ein Klassiker
+der deutschen Prosa, der ein fast fremdwortfreies Deutsch schrieb (für
+einen damaligen Gelehrten etwas Unerhörtes!) und es großartig verstand,
+prachtvolle Sätze zu bauen, ohne doch jemals in Schwülstigkeiten oder
+lateinischen Periodenbau zu verfallen.</p>
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote"><p><a id="Footnote_1_1" href="#FNanchor_1_1" class="label">[1]</a> Im „Tierleben“ ist irrtümlich Sachsen-Weimar als Brehms
+Heimat angegeben.</p></div>
+
+</div>
+
+<p>Bestimmend für seinen Lebenslauf wurde der Umstand, daß sich ihm schon
+im 18. Lebensjahre Gelegenheit bot, eine große Forschungsreise nach
+dem Sudan, einem damals noch fast unbekannten Land, mitzumachen. Sie
+gestaltete sich ungemein abenteuerlich und hielt den jungen Forscher
+unter den größten Entbehrungen volle fünf Jahre im Schwarzen Erdteil
+zurück. Nach seiner endlichen Heimkehr konnte von einer Fortsetzung
+der vorher begonnenen Architektenlaufbahn natürlich keine Rede mehr
+sein, sondern er studierte in Jena, wo er seiner ausländischen
+Tiere wegen unter dem Spitznamen „Pharao“ bekannt war, und in Wien
+Naturwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Tierkunde.
+Nach Abschluß der Hochschulbildung konnte er an die Gründung eines
+eigenen Heims denken, übernahm eine Lehrerstelle für Naturgeschichte
+und Geographie an der höheren Töchterschule in Leipzig und führte seine
+längst still geliebte Base Mathilde Reiz aus Greiz zum Altar. Sie war
+für ihn geradezu die gegebene Gattin, und er hätte keine bessere Wahl
+treffen können. <span class="pagenum" id="Page_6">[S. 6]</span>Eifersüchtiger auf die Wahrung seines Ruhmes bedacht
+als er selbst, bemühte sie sich, ihm ein heiteres und gemütliches Heim
+zu schaffen und alle unangenehmen Störungen von ihm fernzuhalten, um
+ihm so ein von äußeren Einflüssen unabhängiges Arbeiten zu ermöglichen.
+Die kleine behende Frau brachte ihn sogar manchmal dazu, die geliebte
+Jagdjoppe auszuziehen und in den verhaßten Frack zu schlüpfen, freilich
+nie dazu, einflußreichen Leuten schön zu tun und zu schmeicheln. Brehm
+ist vielmehr sein ganzes Leben hindurch ein frühzeitig selbstbewußter
+und unbeugsamer Charakter geblieben, was im äußeren Leben zu manchen
+Reibungen führte. Aus der Ehe ging ein Sohn, Horst, hervor, der
+Arzt wurde und sich nebenbei zu einem angesehenen Fachmann auf dem
+Gebiete der Fischkunde und Fischzucht entwickelte. Er ist schon im
+besten Mannesalter verstorben, aber sein Sohn Oskar schien die volle
+schriftstellerische und naturforscherische Begabung des Großvaters
+geerbt zu haben. Leider ist er dem Weltkrieg zum Opfer gefallen und
+damit die berühmte Gelehrtenfamilie Brehm, wie so viele andere, im
+männlichen Geschlecht ausgestorben. Zwei Töchter Alfred Brehms leben
+dagegen noch heute in dem bescheidenen Landhaus in Renthendorf, das ihr
+Vater sich neben dem alten Pfarrhaus erbaut hatte, als seine äußeren
+Lebensumstände sich günstiger gestalteten. Das Familienleben dieses
+Hauses war das denkbar schönste und glücklichste und erhielt erst
+einen Riß nach dem Heimgange der Mutter bei der Geburt ihres jüngsten
+Kindes. Wie mir Frl. Thekla Brehm schrieb, hielt der Vater streng
+darauf, daß seine Kinder von seinem Ruhm möglichst wenig erfuhren. Sie
+hatten tatsächlich kaum eine Ahnung davon. Tagsüber kam der Vater nicht
+vom Schreibtisch fort, und abends las er in seinen Klassikern. Seine
+Erholungsstunden füllte er mit Blumen- und namentlich mit Rosenzucht
+aus, während er sonst für Botanik eigentlich auffällig wenig Sinn
+hatte, ebenso für die niederen Tiere. Sein ganzes Herz gehörte den
+Wirbeltieren, in erster Linie den Vögeln und Säugern.</p>
+
+<p>Brehms Bleiben in Leipzig währte nicht lange, aber man könnte
+noch heute seine Schülerinnen um den Unterricht beneiden, den sie
+genossen haben und der gewiß himmelweit abwich von dem, wie er
+sonst damals üblich war. Wichtige Verbindungen, die für Brehms
+ganzes Leben maßgebend wurden, sind aber während dieses Leipziger
+Aufenthaltes geknüpft worden, so mit Roßmäßler, der damals dem Gedanken
+volkstümlicher Naturbeschreibung siegreich Bahn brach und mit Brehm
+zusammen die „Tiere des Waldes“ herausgab, und <span class="pagenum" id="Page_7">[S. 7]</span>namentlich mit Ernst
+Keil, dem weitsichtigen und großzügigen Verleger der „Gartenlaube“,
+die sich nicht zuletzt durch Brehms Mitarbeiterschaft zum führenden
+deutschen Familienblatte emporschwang. Viele der besten und schönsten
+Aufsätze Brehms sind ja in der „Gartenlaube“ erschienen. Um dem
+geschätzten Forscher und Mitarbeiter nach seiner Tropenreise auch
+einen Einblick in die nordische Vogelwelt zu geben, schickte ihn Keil
+auf seine Kosten nach Skandinavien und Lappland. Schon 1862 bot sich
+Gelegenheit zu einer zweiten Tropenreise, als Herzog Ernst II. von
+Sachsen-Koburg-Gotha Brehm zur Leitung einer Reise nach Abessinien
+mit zahlreichem Gefolge aufforderte. Brehm hätte nicht Brehm sein
+müssen, wenn er nicht mit Freuden zugesagt hätte. Es muß jedoch betont
+werden, daß es sich bei dieser und den späteren Reisen nicht etwa um
+bloße Jagdreisen handelte, mit dem Ziele, möglichst viele Trophäen
+einzuheimsen, sondern daß der Hauptzweck ein wissenschaftlicher war
+und der Herzog infolgedessen, ebenso wie später Kronprinz Rudolf
+von Österreich, von einem ganzen Stabe von Gelehrten, Künstlern und
+Präparatoren begleitet war. Für eine bloße Jagdreise wäre Brehm nicht
+zu haben gewesen. Leider hatte er gerade bei der Abessinienreise,
+ebenso wie früher im Sudan, schwer unter Malaria zu leiden und wurde
+dadurch sehr in seiner Tätigkeit behindert. Mit Kronprinz Rudolf
+verband ihn ein wahrer Freundschaftsbund, und Brehm, der in Österreich
+geadelt wurde, aber niemals davon Gebrauch gemacht hat, ging in seiner
+Jagdjoppe auf dem Hradschin in Prag und auf der Königsburg in Ofen
+unangemeldet ein und aus. Gemeinsam mit Rudolf unternahm er eine kurze,
+aber ergebnisreiche Forschungsreise nach der unteren Donau, und zwei
+Jahre später eine ebensolche nach Spanien. Vorausgegangen war 1877 eine
+Reise nach dem südwestlichen Sibirien, die zwar ihr Ziel nicht völlig
+erreichte, aber doch in bezug auf Tier- und Völkerkunde reiche Früchte
+trug.</p>
+
+<p>Zwischen diesen verschiedenen Forschungsreisen liegt Brehms Tätigkeit
+als Tiergärtner. Schon 1863 war aus Hamburg ein verlockender Ruf zur
+Leitung des dortigen, sehr heruntergewirtschafteten Tiergartens an
+ihn ergangen; er hatte begeistert angenommen und in wenigen Jahren
+Großartiges geleistet. Aber mit dem vielköpfigen und engherzigen
+Aufsichtsrat, der für Brehms ideale Bestrebungen wenig Verständnis
+hatte, konnte er sich nicht befreunden und legte deshalb schon nach
+wenigen Jahren das Amt nieder. Trotz dieser bitteren Erfahrung begab er
+sich gleich darauf in ein ähnliches Joch, <span class="pagenum" id="Page_8">[S. 8]</span>diesmal nach Berlin, wo nach
+seinen Plänen das Aquarium „Unter den Linden“, eine für die damalige
+Zeit einzig dastehende Schöpfung, errichtet wurde. Es ist fabelhaft,
+was Brehm hier nach jeder Richtung hin geschaffen hat. Aber trotzdem
+wiederholte sich die Tragödie von Hamburg. Seitdem lebte er als freier
+Schriftsteller, der im Sommer an seinen Werken arbeitete und im Winter
+seine berühmten Vorträge hielt.</p>
+
+<p>Von seinen Werken seien noch besonders „Das Leben der Vögel“, das er
+selbst für sein bestes Buch hielt, und zwei Bände „Gefangene Vögel“
+erwähnt. Sein eigentliches Lebenswerk ist aber das „Illustrierte
+Tierleben“, das 1863 in erster Auflage zu erscheinen begann, ein Werk,
+um das uns alle Völker beneiden, denn es ist einzig in seiner Art.
+Es hat die Tierkunde, die bis dahin ausschließlich von nüchternen
+Fachgelehrten in der trockensten und langweiligsten Weise behandelt
+wurde, mit einem Schlage volkstümlich gemacht und dem deutschen Volk
+die altgermanische Liebe zum Tier neu erweckt. Mit diesen umfangreichen
+Bänden wurde zum erstenmal die Tierbiologie der Systematik und Anatomie
+ebenbürtig, und wenn heute gerade die Kunde vom <em class="gesperrt">lebenden</em> Tier
+eine hervorragende Rolle spielt, so ist das zweifellos in erster Linie
+auf Brehms unsterbliches Werk zurückzuführen.</p>
+
+<p>Brehm, der nur 55 Jahre alt geworden ist, war in den Jahren seiner
+Blüte eine männlich schöne, schlanke und doch kraftvoll gewachsene
+Erscheinung. Die hohe, breite Stirn, die stark entwickelte Adlernase,
+der starke Vollbart und das reiche, zurückgestrichene Haupthaar gaben
+seiner Erscheinung etwas Apostelartiges, und ein Apostel der Tierkunde
+ist er ja auch gewesen. Sein Charakter war von männlicher Festigkeit,
+die bisweilen bis zur Schroffheit gesteigert werden konnte, aber
+trotzdem liebenswürdig, den Freunden gegenüber stets hilfsbereit und
+von unerschütterlicher Treue. Ein gewisses Selbstbewußtsein vereinigte
+sich mit größter Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_9">[S. 9]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="Im_Renthendorfer_Pfarrhaus">Im Renthendorfer Pfarrhaus</h2>
+
+</div>
+
+<p>„<span class="initial">A</span>lfred, nun hole uns doch auch noch den Kasten mit den gelben
+Bachstelzen her! Die muß der Herr Baron sich unbedingt noch recht
+genau ansehen, denn gerade mit diesen Vögeln wird er sicherlich am Nil
+vielfach zusammentreffen.“</p>
+
+<p>Der so sprach, war seit dem Kriegsjahre 1813 wohlbestallter Pfarrherr
+in dem ostthüringischen Dörfchen Renthendorf: Christian Ludwig Brehm
+(1787–1864), eine hohe Gestalt mit verwitterten Gesichtszügen, etwas zu
+lang und dick geratener Nase. Scharf, aber unendlich gutmütig blickten
+die Augen. Das schwarzsamtene Hauskäppchen, das er immer trug, verlieh
+ihm etwas Patriarchalisches. Sein wesentlich jüngerer Besucher war
+der schwäbische Baron Joh. Wilh. Müller, der sich bereits durch eine
+Afrikareise in der wissenschaftlichen Welt einen guten Namen verschafft
+hatte und nun wieder nach dem schwarzen Erdteil gehen und dabei der
+Vogelwelt besondere Aufmerksamkeit schenken wollte. Bei wem aber hätte
+er sich dazu über vogelkundliche Fragen bessere Auskunft holen können
+als bei dem „alten Brehm“, wie der Renthendorfer Pfarrherr schon
+damals allgemein hieß. War dieser doch neben Joh. Friedr. Naumann der
+bedeutendste Vogelforscher seiner Zeit und deshalb das weltentlegene
+thüringische Pfarrhaus ein wahres Mekka der Ornithologen, das fast
+niemals von Gästen leer wurde. Die große und nach ganz neuartigen
+Gesichtspunkten angelegte Vogelbalgsammlung des Hausherrn gab dann
+stets unerschöpflichen Stoff zu gelehrten Untersuchungen, endlosen
+Gesprächen und oft hitzigem Austausch der verschiedensten Ansichten.</p>
+
+<p>Alfred, der sich seit seiner Konfirmation (1843) im nahen Altenburg
+der Architektenlaufbahn widmete, war damals im zeitigen Frühjahr 1847
+ein kaum 18jähriger Jüngling, prächtig gewachsen, mit hellen Augen
+und gesund gebräunten Gesichtszügen. Als wissenschaftlicher Gehilfe
+des vogelkundigen Vaters wußte er in der Sammlung natürlich gründlich
+Bescheid. So sehr sie auch in den beschränkten Räumlichkeiten verkramt
+und verzettelt war, hatte er doch alsbald mit sicherem Griff den
+Kasten mit den Viehstelzen herausgefunden, brachte ihn angeschleppt
+und stellte ihn auf den Tisch, erst andere, dort schon ausgebreitete
+Vogelbälge beiseite schiebend. In langen Reihen lagen die schlanken,
+spitzköpfigen und langschwänzigen, auf der Bauchseite leuchtend gelb
+gefärbten Vögel da. „Nun sehen Sie doch einmal, Herr Baron, diese
+gewaltigen Verschiedenheiten“, ergriff <span class="pagenum" id="Page_10">[S. 10]</span>mit dröhnender Stimme der
+Hausherr eifrig das Wort. „Wer nicht ganz mit Blindheit geschlagen ist,
+muß sie doch auf den ersten Blick sehen, und ich begreife nicht, daß
+es immer noch Ornithologen gibt, die diese Unterschiede ganz leugnen
+oder sie nur für solche nach Geschlecht und Jahreszeiten halten. Darum
+handelt es sich aber keineswegs, sondern um abweichende geographische
+Formen, also um das, was ich ›Subspezies‹ nenne. Hier sehen Sie z. B.
+eine ganze Reihe Schafstelzen, die im Gegensatz zu den anderen eine
+weiße Kehle haben. Das sind Südeuropäer; ich bekam sie aus Italien. Die
+nächste Reihe hat nicht, wie gewöhnlich, aschgraue Ohrdecken, sondern
+schieferschwarze. Sie sind zwar in Deutschland erlegt, aber trotzdem
+auf gar keinen Fall deutsche Brutvögel, sondern Nordländer, die uns
+nur auf dem Durchzuge besuchen. Sehen Sie nur einmal die Begleitzettel
+näher an. Immer werden Sie finden, daß das Erlegungsdatum mit der
+Zugzeit dieser schönen Vögel zusammenfällt. Und dann drehen Sie die
+Bälge einmal um und achten Sie auf das Vorhandensein oder Fehlen
+des Augenbrauenstreifens oder auf die ganz verschiedene Färbung des
+Oberkopfes.“ — „Hier haben wir“, wagte Alfred einzuwerfen, „sogar
+einige Stücke mit glänzend schwarzem Oberkopf, die wir neulich durch
+Professor Naumann von den anhaltinischen Besitzungen in Südrußland
+erhalten haben.“</p>
+
+<p>Interessiert vertiefte sich der Gast in die nähere Betrachtung der
+sauber hergerichteten und mit peinlichster Genauigkeit etikettierten
+Bälge. „In der Tat“, meinte er dann, „sind die Unterschiede zwischen
+den Viehstelzen verschiedener Herkunft viel größer und auffälliger,
+als ich sie mir nach den bloßen Beschreibungen gedacht habe.“ — „Also
+achten Sie unbedingt in den Nilländern ja recht genau gerade auf diese
+Vogelgruppe“, rief der Hausherr. „Ich möchte wetten, daß dort im Winter
+auch alle möglichen östlichen Formen vorkommen. An ihrem Federkleid
+können Sie dann ganz genau feststellen, wo die einzelnen Stücke ihre
+Brutheimat haben. Bedenken Sie doch nur, welch ungeahntes Licht dadurch
+auf das große Rätsel des Vogelzuges fallen würde!“ — „Gewiß, Herr
+Pastor, Sie haben sicherlich vollkommen recht, und ich würde herzlich
+gerne Ihrem Rate folgen. Als verantwortlicher Expeditionsleiter ist
+man aber nach nur allzuviel Richtungen hin in Anspruch genommen und
+darf sich nicht zu sehr zersplittern. Auch gestehe ich offen, daß mich
+als leidenschaftlichen Weidmann die Jagd auf afrikanisches Großwild
+natürlich doch mehr reizt als die auf kleine Singvögel. Es fehlt auch
+oft an Zeit und <span class="pagenum" id="Page_11">[S. 11]</span>Muße zum Präparieren, zumal in der Gluthitze der
+Nilländer die erlegten Vögel sehr rasch in Verwesung übergehen. Aus
+allen diesen Gründen sollte ich noch einen Reisegefährten mithaben,
+einen tüchtigen jungen Ornithologen, der körperlich den Anstrengungen
+einer solchen Reise gewachsen ist und geistig hoch genug steht, um mir
+nicht nur Reisegefährte, sondern auch Freund zu sein. Es wird ja nicht
+leicht sein, den richtigen Mann zu finden, aber vielleicht könnten Sie
+mir bei Ihren ausgedehnten Verbindungen zu einer wirklich geeigneten
+Persönlichkeit verhelfen.“ Der Blick des Barons streifte in diesem
+Augenblick lauernd und prüfend die sehnige, kraftvolle Gestalt des
+jungen Brehm, aber der Vater schien es nicht zu bemerken. „Ich werde
+über die Sache nachdenken“, meinte er kurz und kam dann gleich wieder
+auf seine geliebten Vogelbälge zurück.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe40" id="illu_011">
+ <img class="w100" src="images/illu_011.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Christian Ludwig Brehm (1787–1864), der Vater des
+ Tierforschers, Pfarrer in Renthendorf<br>
+ Nach einem alten Holzschnitt
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Schon mehrmals war Thekla, die blühend schöne Tochter des Hauses, in
+der Türe erschienen und hatte dringend zum Essen gebeten, aber ihr
+Vater meinte nur unwirsch, essen könne der Baron daheim im schönen
+Land der „Spätzleschwaben“ genug, hier bei ihm aber müsse <span class="pagenum" id="Page_12">[S. 12]</span>er alle
+verfügbare Zeit der Vogelkunde widmen. Endlich ließ er sich doch
+bewegen, auch das leibliche Wohl seines Gastes zu berücksichtigen.
+Bei Tisch erzählte der Baron viel und anschaulich von seiner großen
+Afrikareise. Mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen trank
+ihm Alfred sozusagen jedes Wort von den Lippen. Seine lebhafte
+Einbildungskraft schaute mit durstigen Augen die öden Wüsten und die
+weiten Steppen, die vogelreichen Urwälder und die fieberschwangeren
+Sümpfe des schwarzen Erdteils, spiegelte ihm in leuchtenden Farben ein
+freies Forscher- und Jägerleben vor. Er mußte sich gleich nach der
+Mahlzeit verabschieden, um in achtstündigem Fußmarsch Altenburg zu
+erreichen, wo er bei einer Baufirma untergebracht war und am nächsten
+Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen hatte. „O Vater,“ flüsterte er
+diesem beim Abschied zu, „wenn doch der Baron mich mitnehmen wollte!
+Ich ginge gleich und wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne.“</p>
+
+<p>„Also acht Stunden hat Ihr Alfred zu laufen und muß doch morgen früh
+im Büro frisch sein,“ begann der Baron, als er mit dem alten Brehm
+wieder bei den Vogelbälgen saß, „wirklich eine tüchtige Leistung!“ —
+„Oh, das macht dem Jungen nichts aus,“ erwiderte der Pfarrer, „daran
+ist er gewöhnt. Ich habe meine Kinder frank und frei aufwachsen und
+sie sich tüchtig in unseren schönen Wäldern tummeln lassen. Dadurch
+sind sie kerngesund geblieben und frühzeitig abgehärtet worden.
+Namentlich Alfred war schon von Kindesbeinen an mein unzertrennlicher
+Begleiter auf tagelangen ornithologischen Ausflügen, auf denen es wenig
+zu beißen und viel zu laufen gab. Wie glücklich war er, wenn er nur
+meine Jagdtasche tragen durfte, und nie werde ich die selige Freude
+vergessen, die er empfand, als ich ihm zu seinem 8. Geburtstage eine
+kleine Vogelflinte schenkte. Er hat sich bald zu einem treffsicheren
+Schützen ausgebildet, und meine Sammlung verdankt ihm manches schöne,
+wertvolle Stück.“ — „Ich war höchst erstaunt“, fügte der Baron
+ein, „über die verblüffende Fachkenntnis eines so jungen, kaum dem
+Knabenalter entwachsenen Mannes.“ „Ja, er ist mein ganzer Stolz,“
+sagte der Pfarrer einfach, „und ich glaube selbst, daß das Zeug zu
+einem tüchtigen Naturforscher in ihm steckt. Alle in unserer Gegend
+vorkommenden Vögel kennt er heute schon nach Erscheinung, Aufenthalt
+und Lebensgewohnheiten ebenso gut wie ich selbst; kein Vogelnest
+entgeht seinem scharfen Auge, kein Lockton seinem wunderbar geschulten
+Ohr.“ — „Aber, Herr Pfarrer, das ist ja gerade der Mann, den ich
+<span class="pagenum" id="Page_13">[S. 13]</span>für meine neue Reise so sehr suche und brauche! Geben Sie mir Ihren
+Alfred mit, und ich will ihn halten wie meinen eigenen Bruder!“ —
+„Na, der Alfred selber wäre wohl gerne damit einverstanden; er hat
+schon vorhin so etwas verlauten lassen, denn Sie haben ihm mit Ihren
+afrikanischen Reiseschilderungen den Mund gehörig wässerig gemacht. Ich
+wette, er träumt morgen schon über seinem Reißbrett von den wildesten
+afrikanischen Jagdabenteuern und zerbricht sich den Kopf darüber,
+welche Vogelarten wohl an dem großen Märchenstrome Nil vorkommen
+könnten. Aber, Herr Baron, im Ernste gesprochen, der Bursche ist doch
+für ein solches Unternehmen noch gar zu jung, denn er hat ja erst
+vor wenigen Wochen sein 17. Lebensjahr vollendet. Außerdem würde
+er durch eine solche Reise doch gar zu sehr aus seiner beruflichen
+Laufbahn herausgerissen werden und womöglich gar den Geschmack an ihr
+verlieren. Es ist ja jammerschade, daß ich ihn nicht zum Studium der
+Naturwissenschaften nach Jena schicken konnte. Aber dort studiert schon
+mein älterer Sohn Reinhold Medizin, und für zwei studierende Söhne
+reicht das knappe Einkommen eines simplen Dorfgeistlichen nun einmal
+nicht aus. So mußte ich eben Alfred beim Baufach unterbringen, damit er
+früher ins Brot kommt.“ — „Aber der Bursche ist ja doch der geborene
+Naturforscher und wird sich deshalb auch nur als Naturforscher wahrhaft
+glücklich fühlen. Also lassen Sie ihn ruhig mit mir nach Afrika gehen!
+Nach der Heimkehr wird man dann schon sehen, nach welcher Richtung sein
+Lebensschifflein weiter steuern wird. Ich meine, es kann doch wohl
+keinem jungen Manne etwas schaden, wenn er sich den Wind tüchtig um
+die Nase wehen läßt und ein gutes Stück von der Welt zu sehen bekommt,
+noch ehe er sich für einen bestimmten Beruf entscheidet. Er ist ja auch
+weit über seine Jahre gereift, würde also nicht wie ein dummer Junge
+ins schwärzeste Afrika hineintappen, sondern von vornherein nach einem
+ganz bestimmten wissenschaftlichen Plane arbeiten.“ — „Das würde er
+allerdings sicherlich, und ich glaube, auch in jeder anderen Beziehung
+könnten Sie sich voll und ganz auf meinen Alfred verlassen. Aber was
+würde meine Frau zu der Sache sagen? Es würde ihr doch ungeheuer schwer
+fallen, ihren Liebling in so weiter Ferne einem ungewissen Schicksale
+und tausenderlei Gefahren preisgegeben zu wissen.“ — „Nun, Herr
+Pfarrer, wir stehen alle in Gottes Hand, und überflüssige Gefahren
+will ich nicht aufsuchen. Das verspreche ich Ihnen. Die größte und
+unvermeidlichste Gefahr im Sudan ist wohl das klimatische Fieber, aber
+gerade ein so jugendfrischer Körper wie der Ihres Sohnes wird <span class="pagenum" id="Page_14">[S. 14]</span>ihm
+am ehesten gewachsen sein. Und dann bedenken Sie den großartigen und
+wissenschaftlich unendlich wertvollen Zuwachs, den Sie durch Alfreds
+Mitkommen für Ihre Sammlungen zu erwarten hätten.“</p>
+
+<p>Damit hatte der Baron den schwachen Punkt des alten Brehm getroffen,
+denn über seine Vogelbalgsammlung ging ihm nichts. „Das ist allerdings
+wahr,“ rief er ganz begeistert aus, „denn keiner weiß mit solchem
+Verständnis für mich zu sammeln, keiner kennt so genau das Material
+und die Grundlagen, die mir für meine wissenschaftlichen Arbeiten
+nötig sind, wie mein Alfred. Ich sammle ja nicht blindlings drauf
+los und suche nicht aus bloßer Raffgier Tausende von Vogelbälgen
+zu ergattern, sondern ich will von jeder paläarktischen Vogelart
+sämtliche Federkleider zusammenbringen, die ja oft nach Geschlecht,
+Alter und Jahreszeit sehr verschieden sind und überdies Stücke oder
+womöglich gepaarte Pärchen aus den verschiedensten Ländern ihres
+Verbreitungsgebietes, um so über die geographische Abänderung der Art
+Klarheit zu gewinnen. Die Art ist ja nicht ein so festumrissener und
+starrer Begriff, wie der große Linné glaubte. Ich weiß, daß viele
+Zeitgenossen mich wegen meiner vielen Subspezies auslachen, aber ich
+weiß auch, daß später einmal eine Zeit kommt, die mir Recht geben wird.“</p>
+
+<p>Ein Wort gab das andere. Die Dämmerung senkte sich hernieder. Und
+in dieser Stunde wurde über die Lebensbahn Alfred Edmund Brehms
+entschieden. Die nächsten Wochen verstrichen unter allerlei
+Reisevorbereitungen. Am 6. Juli 1847 trat Baron Müller von Triest
+aus mit seinem jungen Gefährten hoffnungsfroh die Ausreise an. Damit
+begann für Alfred Brehm ein neuer und wohl der abenteuerlichste
+Abschnitt seines Lebens. Der Abschied von Renthendorf, von Eltern und
+Geschwistern mag dem Jüngling schwer genug geworden sein, und der Vater
+hätte seine Erlaubnis sicher noch zurückgezogen, wenn er hätte ahnen
+können, daß der schwarze Erdteil seinen Liebling unter unsäglichen
+Strapazen und Entbehrungen fünf volle Jahre zurückhalten und überdies
+noch das Leben eines zweiten Sohnes fordern würde.</p>
+
+<p>So war der alte Brehm, von dem später der Sohn schrieb: „Das Studium
+der Natur war ihm Gottesdienst.“ Bei einem Besuche Renthendorfs
+im Sommer 1908 konnte ich mich mit Freude überzeugen, mit welcher
+Liebe und Verehrung noch heute die Leute von ihrem unvergeßlichen
+„Vogelpastor“ sprechen, wie sie ihn mit gutmütigem <span class="pagenum" id="Page_15">[S. 15]</span>Spotte nannten.
+Man darf nicht etwa glauben, daß Christian Ludwig Brehm über seiner
+leidenschaftlichen Hingabe an die Wissenschaft der Vogelkunde sein
+Pfarramt vernachlässigte. Er war vielmehr ein ausgezeichneter und
+allzeit opferwilliger Seelsorger; die Bauern waren deshalb mit ihrem
+„Vogelpastor“ baß zufrieden, sahen ihm mancherlei Schrullen und
+Eigentümlichkeiten gerne nach und überbrachten ihm für seine Sammlung
+alle Vögel, die ihnen der Zufall in die Hände spielte, soweit sie sich
+nicht etwa — essen ließen. Der alte Brehm gehörte nicht zu denen, die
+ihr Christentum stets auf den Lippen tragen, aber er wußte mit seinen
+Bauern ein gar kräftig und erbaulich Wörtlein zu reden, ganz ihrer
+einfachen Denkweise sich anpassend und seine christliche Nächstenliebe
+mehr durch rasche Taten als durch lange Predigten bekundend. Deshalb
+mochten sie ihn auch alle so gern, den Mann mit dem durchdringenden
+Scharfblick, der offenen Hand und dem gütigen Herzen, ihn, der seine
+Gemeinde ein halbes Jahrhundert hindurch getreulich behütet, ihn, der
+zwei Geschlechterfolgen von ihnen getauft, konfirmiert, getraut und zu
+Grabe geleitet hatte, ihn, der sie mit ihren kleinen Nöten und Sorgen
+ebenso genau kannte wie die eigenen Kinder, ihn, der auch nie müde
+wurde, ihnen die wundersame Herrlichkeit der Natur zu verkündigen.
+Was dem Vater Liebhaberei und Ablenkung bedeutete, wurde — ins Große
+geweitet — dem Sohne Alfred zum Beruf. Ein Bahnbrecher auf dem Wege
+zur Tierseele, ein Vorkämpfer der Wissenschaft, der ihr neue Wege wies
+und das vom Trümmergestein der Systematik verrammelte Tor zur Biologie
+mit starker Hand öffnete, der die Kunde vom Tier<em class="gesperrt">leben</em> uns
+erschloß — das war Alfred Brehm.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Nilfahrten">Nilfahrten</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">Z</span>wei schwerfällige Segelbarken, sogenannte Dahabijes, krachten infolge
+ungeschickter Steuerung mitten auf dem Nil gewaltig aufeinander, wobei
+dem vorderen Schiff das Steuerruder weggerissen wurde. Wüstes Toben,
+Schreien, Schimpfen und Kreischen erhob sich über dem heiligen Strome,
+fast noch übertäubt von dem gellenden Zetergeschrei der verschleierten
+Weiber, mit denen das beschädigte Fahrzeug vollgepfropft war. Brehm
+und Baron Müller, die in der kleinen Kajüte des anderen Schiffleins
+gerade ein wenig geschlummert <span class="pagenum" id="Page_16">[S. 16]</span>hatten, stürzten, mit Pistolen und
+Säbeln bewaffnet, erschrocken an Deck, um zu sehen, was los sei,
+gefolgt von einem langen Engländer und seiner französischen Geliebten,
+die gleichfalls diese Barke zur Fahrt nach Kairo benützten, denn
+Eisenbahnen gab es ja damals in Ägypten noch nicht. Sie kamen gerade
+zurecht, um zu sehen, wie vier nackte Matrosen der beschädigten Barke
+durchs Wasser schwammen, an den eigenen Schiffswänden emporkletterten
+und unter fürchterlichem Geschrei und einer Flut von Schimpfworten
+mit der Mannschaft zu raufen anfingen. Der Reïs (Schiffseigentümer)
+rief den Europäern angstvoll zu, ihm gegen die „Räuber und Mörder“
+beizustehen. Das war das Zeichen zum Gegenangriff. Baron Müller hieb
+dem nackten Steuermann der Gegenpartei mit seinem Säbel derartig über
+den Kopf, daß er in den Strom fiel und sich kaum über Wasser halten
+konnte. Brehm ging mit bloßem Hirschfänger auf die anderen drei Kerle
+los und trieb sie mit scharfen Hieben vor sich her. Der verblüffte
+Engländer dagegen griff erst zu den Waffen, nachdem ihn die mutige
+Französin durch ein paar schallende Ohrfeigen drastisch genug dazu
+aufgefordert hatte. Der überwundene Feind stürzte in den Strom und
+schwamm zu seiner Barke zurück. Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm.
+Ein ganzer Haufe aufgeregter Männer bewaffnete sich unter Wutgeschrei
+und Rachegeheul mit derben Knüppeln und traf alle Anstalten zu einem
+neuen Angriff. Doch unterblieb er, als die Europäer ihre Büchsen
+herbeiholten, mit Kugeln luden und jeden zu erschießen drohten, der es
+wagen sollte, sich ihrem Schiff zu nähern.</p>
+
+<p>Nicht ohne Beschämung hat Brehm selbst später über diesen Zwischenfall
+geurteilt: „Nur gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner
+konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich
+jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben.
+Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die
+Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem
+Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen
+lassen. Daß die Leute dabei aus vollem Halse schrien und anderweitigen
+Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten
+Vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewußt haben würde, daß die Araber
+bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen.“</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<figure class="figcenter illowe31" id="illu_017">
+ <img class="w100" src="images/illu_017.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Eine Übersichtskarte zu Brehms Nilreisen<br>
+ Nach einer Karte vom Jahre 1865
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>„Herr, was willst du von meiner Frau?“ wurde Brehm wütend von einem
+riesenhaften, baumstarken Nubier angebrüllt, der wie <span class="pagenum" id="Page_17">[S. 17]</span>ein gereizter
+Tiger auf ihn losfuhr. Dieser Kerl, ein gewisser Aabd Lillahi, der
+durch Trunksucht, Roheit und Jähzorn schon wiederholt unangenehm
+aufgefallen war, hatte nämlich seine Frau mit an Bord, eine sehr
+hübsche, blutjunge Nubierin, und Brehm war rein zufällig auf dem engen
+Verdeck in allzu große Nähe der nußbraunen Schönheit geraten. Er mochte
+beteuern, was er wollte, der Schwarze betrachtete ihn von diesem
+Augenblicke an mit grenzenloser Eifersucht und schien überhaupt die
+beiden Deutschen aus tiefster Seele zu hassen. Einige Tage später lag
+Brehm fieberkrank im Schiffsraum, als er auf Verdeck wütend schimpfen
+und fluchen hörte. Auf Befragen erfuhr er von seinem Diener, daß die
+Schiffsmannschaft auf den Baron zornig wäre, weil er zum Jagen an Land
+gegangen sei und nicht zurückkäme, obwohl gerade jetzt nach längerer
+Windstille ein günstiger Nordwind eingesetzt habe. Nun habe man den
+Aabd Lillahi ausgeschickt, ihn zu holen. Bei Nennung dieses Namens
+ahnte Brehm gleich nichts Gutes. Er raffte sich auf, ergriff seine
+Büchse und eilte auf Deck, wo er auch schon den Baron vom nahen Strande
+her laut um Hilfe rufen hörte. Der Nubier drängte ihn nämlich geradezu
+mit Gewalt nach dem Ufer und schlug sogar auf ihn los. Der mit Recht
+darob erzürnte Baron riß seine Jagdflinte herunter, um dem Rohling
+einen Kolbenschlag zu versetzen, aber der Schwarze preßte ihm mit der
+Hand die Kehle zusammen und suchte sich des Gewehres zu bemächtigen.
+Brehm sah seinen Freund und Gönner in höchster Not <span class="pagenum" id="Page_18">[S. 18]</span>und nahm deshalb
+den Nubier aufs Korn, aber er konnte nicht abdrücken, da die beiden
+Kämpfer so eng verschlungen waren, daß der Schuß auch den Baron im
+höchsten Grade gefährdet hätte. Endlich wurde der Nubier freier, und
+Brehm zielte genauer, aber da brach jener plötzlich noch vor dem Schuß
+blutend zusammen: der Baron hatte ihm sein Dolchmesser in die Brust
+gestoßen! Entsetzt schrie das Schiffsvolk auf und schwur fürchterliche
+Rache. Nur die entschlossene Haltung und die ernstesten Drohungen
+der beiden wohlbewaffneten Deutschen, sowie ihr Versprechen, sich in
+Dongola dem Gericht des Statthalters zu stellen, vermochten weiteres
+Unheil und Blutvergießen zu verhüten. Die Verwundung Aabd Lillahis
+erwies sich glücklicherweise nicht als lebensgefährlich, da eine Rippe
+die Kraft des Dolchstoßes gebrochen hatte. Schließlich war der wüste
+Kerl mit einem Schmerzensgelde von drei Talern zufrieden, und damit
+fand dieser unangenehme Zwischenfall seine Erledigung.</p>
+
+<p>Blieben also diese Segelbarkenfahrten, die unsere Reisenden über
+Chartum hinaus bis in den Blauen und Weißen Nil führten, auch nicht
+ohne unliebsame Abenteuer, so waren sie andererseits doch gerade
+für den Naturforscher zweifellos die angenehmste, genußreichste und
+lohnendste Art des Reisens in den damals noch so wenig bekannten
+Ländern des Sudan. Diese gemächliche Art des Reisens stromaufwärts ist
+natürlich ganz von der herrschenden Windrichtung abhängig, und gerade
+dabei findet der jagende Naturforscher seine Vorteile. Brehm hat noch
+in späteren Jahren viel von diesen herrlichen und in bezug auf Jagd und
+Vogelkunde so ergiebigen Fahrten auf dem „Vater der Ströme“ geschwärmt.
+Da das nubische Nilbett durch tückische Felsriffe die Schiffahrt
+erschwert, wurde die Segelbarke über Nacht irgendwo an Land gezogen
+und erst bei Sonnenaufgang wieder flott gemacht. Während sie langsam
+den majestätischen Strom hinaufsegelte, gingen Baron Müller und Brehm
+jagend und beobachtend am Ufer entlang, ließen sich zum Mittagessen an
+Bord nehmen und dann wieder abends beim Landen. Fast täglich machten
+sie reiche Beute, die in Gestalt von fetten Nilgänsen, Enten und Tauben
+auch der Küche zugute kam, denn mit dieser war es äußerst dürftig
+bestellt, zumal eine solche Reise widriger Winde wegen oft länger
+dauerte, als man berechnet hatte. Je weiter man nach Süden vordrang und
+sich den Tropen näherte, um so zahlreicher wurden die fremden, bisher
+nie geschauten Erscheinungen aus der Vogelwelt. Jeder Tag brachte
+Neues, jede Stunde bereicherte in ungeahnter Weise die Kenntnisse <span class="pagenum" id="Page_19">[S. 19]</span>der
+beiden Forscher. Auf den Sandbänken standen ganze Scharen von stolzen
+Kronen- und zierlichen Jungfernkranichen, an den Ufern fischten graue
+und silberweiße, rote und gelbe Reiher, und die reizenden Kuhreiher
+saßen truppweise auf den breiten Rücken der träge im Morast liegenden
+Büffel; lustige Sporenkiebitze liefen auf den Dämmen herum, langbeinige
+Stelzenläufer und abenteuerlich aussehende Säbelschnäbler wateten auf
+den überschwemmten Wiesen, auf den Wassern schaukelten sich Scharen
+der gewaltigen Pelikane, durch die Lüfte schossen wie buntgefiederte
+Pfeile die farbenprächtigen Bienenfresser, vor den blühenden Sträuchern
+schwirrten schimmernde Honigsauger, die die Kolibris in Afrika
+vertreten, auf Pfählen lauerten Graufischer, diese vergrößerte, aber
+verunglückte Ausgabe unseres herrlichen Eisvogels, Steinschmätzer der
+verschiedensten Art tanzten und knicksten im Steingeröll, allerliebste
+Blaukehlchen durchschlüpften schmiegsam und geheimnisvoll das
+Uferdickicht, der Bülbül ließ seine klangvolle Strophe erschallen, und
+als echt tropische Erscheinung wurden absonderliche Nashornvögel mit
+freudigem Hurra begrüßt. Faule Krokodile lagen verschlafen und gähnend
+auf kleinen Schlamminseln, flinke Ichneumons huschten beutelüstern
+durch undurchdringliche Rohrfelder, und abends gaben die Schakale ihre
+mißtönigen Heulkonzerte zum besten.</p>
+
+<p>Soweit es die knapp bemessene Zeit zuließ, wurden natürlich auch
+die berühmten alten Tempelbauten und die Königsgräber besucht,
+namentlich auch die sagenumwobenen Krokodilhöhlen bei dem Städtchen
+Monfalut. Es war wieder einmal eine recht beschwerliche Sache, denn
+die langen Gänge waren überaus eng, erstickend heiß, mit mefitischen
+Düften geschwängert und der Boden von dem mit Erdpech vermischten
+Kot zahlloser Fledermäuse glitschig. In den vorderen Gängen lagen
+nur menschliche Mumien, von denen man wenigstens einige abgetrennte
+Köpfe mitnehmen konnte, in den hinteren aber waren die einbalsamierten
+Krokodile aller Größen schichtenweise aufeinander getürmt, und sogar
+ganze Berge eingetrockneter Krokodileier waren vorhanden. Einige der
+schönsten Krokodilmumien wurden für die Sammlung ausgewählt. Brehm kam
+dabei zu der jedenfalls richtigen Ansicht, daß die alten Ägypter die
+Krokodile keineswegs als heilig verehrten, wie die Altertumsforscher
+bis dahin angenommen hatten, sie vielmehr fürchteten und ihre Zahl nach
+Möglichkeit zu vermindern suchten. Unmöglich konnten all diese Tausende
+einbalsamierter Ungetüme eines natürlichen Todes gestorben sein; man
+<span class="pagenum" id="Page_20">[S. 20]</span>hatte sie wahrscheinlich gewaltsam getötet und dann, zur Versöhnung
+ihrer Geister, mumifiziert.</p>
+
+<p>Einmal hatte Brehm einen prachtvollen Seeadler angeschossen, der noch
+bis zum Strome flatterte und dort ins Wasser fiel. Er trieb mit den
+Wellen dicht am Ufer hin, geriet aber dann in eine nach der Mitte zu
+sich wendende Strömung, schien also verloren. In diesem Augenblick
+tauchte ein herumlungernder Araber auf, und Brehm ersuchte ihn, gegen
+ein gutes Trinkgeld den Vogel herauszuholen. Der Mann aber weigerte
+sich beharrlich mit der Begründung, daß es hier viele Krokodile gebe,
+die ihm erst kürzlich zwei Schafe geraubt hätten. Ärgerlich über diese
+vermeintliche Feigheit entkleidete sich Brehm selbst und sprang mutig
+ins Wasser. Eben verlor er den Boden unter den Füßen und wollte sich
+zum Schwimmen anschicken, da schrie der Araber entsetzt auf: „Herr, um
+der Gnade und Barmherzigkeit Allahs willen, kehre um! Ein Krokodil!“
+Erschrocken fuhr Brehm zurück. Und wirklich, da kam auch schon von der
+anderen Stromseite her ein riesiges Krokodil angeschwommen, gerade
+auf den erschossenen Adler zu, tauchte dicht vor ihm, öffnete den mit
+greulichen Zahnreihen besetzten Rachen — groß genug, um auch einen
+Menschen darin unterzubringen — und verschwand mit seiner Beute in
+den trüben Fluten. Brehm stand derweil wie gelähmt. Seit dieser Stunde
+haßte er die Krokodile leidenschaftlich, und diesem Haß ist er sein
+ganzes Leben hindurch so treu geblieben, daß er niemals eine der
+gepanzerten Riesenechsen unbeschossen ließ, so oft sich nur immer die
+Gelegenheit bot, ihnen eine Kugel anzutragen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>„Söhne der Fremde,“ begann Aabd Allah, ein alter, ehrwürdiger und
+seiner Rechtlichkeit wegen hoch angesehener Barkenführer, dem ein
+langer, weißer Bart das ernste Antlitz umfloß, während das blaue
+Kattunhemd seinen ausgemergelten Leib wie ein Priestertalar umhüllte,
+„seht, ich bin ein alter Mann, die Sonne hat mein Haar siebenzig Jahre
+beschienen und gebleicht, des Alters Silber deckt es, mein Gebein ist
+mürbe geworden, ihr könntet meine Kinder sein. Wohlan, so höret, Männer
+des Frankenlandes, höret auf das, was ich euch sagen will. Ich spreche
+die Sprache des wohlmeinenden Warners. Laßt ab von eurem Beginnen,
+denn ihr geht einer großen Gefahr entgegen, unwissend und sorglos —
+ich aber kenne sie. Hättet ihr gleich mir jene Felsen gesehen, die
+zusammentretend den Wogen die Tür verschließen, hättet ihr gehört,
+wie die Wasser, Einlaß und Durchgang <span class="pagenum" id="Page_22">[S. 22]</span>begehrend, donnernd, zürnend
+und machtvoll an die ewig Feststehenden klopfen, wie sie die Steine
+überfluten und mit Gebrüll zur Tiefe in den Bauch der Felsen stürzen,
+und wüßtet ihr, daß nur die Gnade Allahs — ihm sei Bewunderung, denn
+er ist der Erhabene — unser gebrechliches Fahrzeug leiten und führen
+kann, ihr würdet meinem Rate folgen. Denkt an eure Mütter! Der Kummer
+würde sie erdrücken, wenn uns der Segen des Allbarmherzigen verließe.“</p>
+
+<figure class="figcenter illowe36" id="illu_021">
+ <img class="w100" src="images/illu_021.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Die Wochenstube des Nashornvogels<br>
+ Nach einem alten Bild von G. Mützel zu einem Aufsatz Brehms „Vögel in
+ der Wochenstube“ aus dem Jahre 1873
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_021_gross.jpg"
+ id="illu_021_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Baron Müller schien schwankend zu werden, aber Brehm antwortete
+freundlich, doch fest: „Allah wird uns helfen. Er ist gnädig!“ — „Nun,
+so gehet mit Gott und seinem gepriesenem Propheten,“ erwiderte würdig
+der Greis, „ich will für euch beten in der Stunde der Gefahr.“ —
+„Amen, o Reïs, wir danken dir, das Heil sei mit dir!“</p>
+
+<p>Dieses Gespräch fand an einem herrlichen Tropenabende unweit der großen
+Nilkatarakte von Wadi-Halfa statt, die ein fast unüberwindliches
+Hindernis für die Schiffahrt bildeten und der Weiterreise gewöhnlicher
+Barken ein Ziel setzten. Die beiden Deutschen aber hatten diesmal
+durch die Güte des türkischen Statthalters von Chartum besonders stark
+gebaute Regierungsbarken zur Verfügung, und deren Führer wollten die
+Durchfahrt mit einigen besonders tüchtigen, erfahrenen und mutigen
+Steuerleuten und Ruderern wagen, während die übrige Mannschaft mit dem
+großen Gepäck die Fälle auf dem Landwege umgehen sollte. Brehm bestand
+aber trotz der dringendsten Warnungen und Abmahnungen von allen Seiten
+darauf, die gefährliche Fahrt mitzumachen, und Baron Müller mochte
+dem jüngeren Gefährten an Mut auch nicht nachstehen. So sind beide
+die ersten Europäer gewesen, die die Stromschnellen von Wadi-Halfa
+überwunden haben.</p>
+
+<p>Um Haaresbreite hätte aber das kühne Wagnis tragisch geendet. Mit
+furchtbarer Gewalt fluteten die Wogen über die kaum vom Wasser
+bedeckten Felsblöcke, in allen Fugen stöhnte und krachte das
+Schifflein, dem Steuer ungehorsam, tanzte es durch den kochenden
+Gischt, kein Ruder tat seinen Dienst. Doch die dräuenden Wogen selbst
+werden zu Rettern, sie umfassen und umklammern die Barke, nehmen sie
+mit sich fort in rasender Fahrt. Wie ein Pfeil vom Bogen jagt das
+kleine Fahrzeug zwischen himmelansteigenden, senkrecht abfallenden,
+schwarzen, glänzenden Syenitwänden dahin, die nur wenige Schritte
+voneinander entfernt sind, so daß man die Ruder überhaupt nicht
+brauchen kann. Ein hartes Aufstoßen, daß all die Männer zu Boden
+fallen! Ein einziger Schrei des Entsetzens! Ein Leck! Nun geht’s <span class="pagenum" id="Page_23">[S. 23]</span>ans
+Verstopfen! Die steuerlos treibende Barke ist in ein Labyrinth von
+Felsen, Strudeln und Wasserfällen geraten. Keiner weiß mehr, wo man
+sich befindet. Entkräftigende Angst bemächtigt sich der Mannschaft, die
+bereits ihre Kleider abwirft. In dieser Not übertönt die Stimme des
+70jährigen Bellahl, des Abu el reisin, des „Vaters der Schiffsführer“,
+das Gezeter des jammernden Schiffsvolkes und das dumpfe Brausen des
+Katarakts: „An die Ruder, ihr Helden! Seid ihr denn toll, ihr Kinder
+der Heiden? Arbeitet, rudert, ihr Hunde, ihr Knaben, ihr Männer, ihr
+Tapferen, ihr Braven! Maschallah! Rudert, bei Gott! Allah ist gnädig!
+Er ist der Allerbarmer!“ Der Greis selbst handhabt mit eiserner,
+nerviger Faust das Steuer. Da fließt nach links ein starker Arm ab,
+in ihn lenkt Bellahl die Barke, verfolgt den Lauf des Stromzweiges
+mit sicherer Hand und erreicht wirklich freies Fahrwasser. Gerettet!
+Die Gefahr ist vorüber. Freudenschüsse der beiden schreckensbleichen
+Europäer begrüßen das am Horizont auftauchende Palmendorf Wadi-Halfa.
+Die Araber aber fallen auf ihr Angesicht und beten: „Lob und Preis dir,
+dem Herren der Welten, dem Allerbarmer!“</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Durch_Steppe_Wueste_und_Urwald">Durch Steppe, Wüste und
+Urwald</h2>
+
+</div>
+
+<p>„<span class="initial">I</span>ch kann nicht mehr weiter! Laßt mich doch ruhig hier liegen, wo ich
+bin! Ich will ja nichts mehr als sterben. Aber vorher nur noch einen
+Trunk Wasser! Einen einzigen, kleinen, winzigen Schluck Wasser!“
+Der so erbärmlich jammerte, das war unser sonst so tapferer Alfred
+Brehm. Das Fieber hatte ihn auf dem langen Karawanenmarsche durch das
+glühend heiße Kordofan mit aller Macht gepackt, und täglich zehrte
+das mörderische Klima dieses verrufenen Landes an seinen schon sehr
+schwach gewordenen Kräften. Mit Gewalt mußte man ihn zum Weiterreiten
+zwingen. Jeder Schaukeltritt des gemächlich dahinziehenden Kamels wurde
+dann dem Kranken zu peinvoller Qual, hatte Erbrechen und Leibschmerzen
+zur Folge, und nur durch krampfhaftes Anklammern an eine Kiste konnte
+er sich vor dem Herabfallen bewahren. Es war ein Glück, daß Baron
+Müller, der selbst schwer unter immer häufigeren Fieberanfällen zu
+leiden hatte, sich schon bald nach Ankunft in der unerträglich öden und
+langweiligen Sklavenhändlerstadt El Obeid zum Rückmarsch nach Chartum
+entschloß, denn lange hätten beide sicher nicht mehr dem fürchterlichen
+Klima standgehalten. Überdies trat während der Märsche öfters Mangel an
+<span class="pagenum" id="Page_24">[S. 24]</span>Lebensmitteln ein, und man mußte froh sein, wenn es gelang, einige von
+den Kamelen aufgescheuchte Perlhühner oder Frankoline zu schießen. Der
+Hunger hätte sich ja allenfalls noch ertragen lassen, aber zum Unglück
+war das spärlich genug angetroffene Wasser meist nur eine ekelhafte
+bräunliche Schleimbrühe, deren unvermeidbarer Genuß immer wieder neue
+Fieberanfälle auslöste. Die Steppe selbst starrte von scharfschneidigen
+Gräsern und lästigen Kletten, und so war der Marsch durch sie selbst
+an fieberfreien Tagen nicht gerade ein Vergnügen. Häufig stand sie
+jetzt am Ende der Trockenzeit weithin in Flammen, und dann sah man,
+wie die Antilopenherden in langwiegendem Galopp vor dem rasenden
+Element flüchteten oder wie die fluggewandten Gaukler (eine Adlerart)
+und die langbeinigen Kranichgeier erfolgreiche Jagd machten auf das
+massenhaft durch die Flammen aus seinen Schlupfwinkeln herausgejagte
+Schlangengezücht. Die Eingeborenen dieser Gegend, die sich im
+allgemeinen nicht unfreundlich zeigten, wohnten in runden Strohhütten
+(Tokhuls) mit oben spitz zulaufendem Dach, das gewöhnlich von einem
+Straußenei gekrönt wurde, bebauten magere Durrha-(Hirse-)Felder und
+unterhielten große Viehherden. Oft sah man 5–600 Kamele zusammen weiden
+und hatte auch Gelegenheit, ihre fette, etwas säuerliche Milch zu
+kosten.</p>
+
+<p>„Friede sei mit dir, o Scheich!“ kauderwelschte Brehm, der Negersprache
+nur wenig kundig, mit dem herbeieilenden Schulzen eines solchen großen
+Tokhul-Dorfes, das man eines Abends müde und hungrig erreicht hatte.
+„Wir wollen von dir gegen gutes Geld einige Farchas kaufen.“ Mit
+Farchas bezeichnete man nämlich in Oberägypten junge Hühner, und etwas
+anderes wäre in dem elenden Neste ja doch nicht aufzutreiben gewesen.
+Der Scheich schüttelte verwundert den Kopf. „Ihr zieht ja doch, wie ich
+höre, ohnehin nach El Obeid, wo es viele Farchas gibt. Dann braucht
+ihr doch hier keine zu kaufen. Ich habe zwar eine, aber sie ist alt
+und häßlich.“ — „Das schadet nichts, bringe sie uns nur her!“ Jener
+ging, erschien wieder und brachte — eine Sklavin, die der Beschreibung
+des guten Mannes in der Tat vollkommen entsprach. Man lachte und
+versicherte ihm, daß man diese Venus nicht brauchen könne, weil man die
+„Farcha“ essen wolle. Darob entfloh der Scheich voller Entsetzen. Die
+Europäer staunten ihm verwundert nach; erst einer der Diener löste das
+Rätsel durch die Mitteilung, daß die Kordofanesen mit „Farcha“ junge
+Sklavinnen bezeichnen, während sie für Hühner das Wort „Faruhdj“ haben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_25">[S. 25]</span></p>
+
+<p>Es gab aber auch weniger lustige Mißverständnisse, namentlich als
+man auf dem Rückmarsch aus Kordofan durch Gegenden kam, die erst
+kürzlich von Sklavenjägern heimgesucht worden waren. Hier verhielten
+sich die Eingeborenen erklärlicherweise sehr zugeknöpft, oft geradezu
+unfreundlich oder feindselig. Mühsam quälten die Reisenden sich in
+anstrengenden Märschen durch das ungastliche Land, denn die Hitze
+hatte ihren Höhepunkt erreicht und stieg bei Südwind im Schatten der
+Strohhütten bis auf 45°&#8239;<span class="antiqua">R</span>, während das der Sonne ausgesetzte
+oder in den Sand gesteckte Thermometer nicht selten sogar 55°&#8239;<span class="antiqua">R</span>
+zeigte. Der Körper troff Tag und Nacht von Schweiß, und
+nur selten brachte ein kühlerer Nordwind allzu rasch vorübergehende
+Linderung. Überdies ritt man oft in die Irre, denn es fehlte an
+ortskundigen Führern. Es blieb manchmal nichts anderes übrig, als
+solche mit Gewalt zu beschaffen, wenn sie nicht freiwillig mitgehen
+wollten. Das brachte aber unsere Freunde bei den Schwarzen in den
+Geruch von Sklavenhändlern, und dieser Umstand hätte um ein Haar
+ihren Untergang herbeigeführt. Halb verdurstet, nur auf ein Restchen
+brühwarmes Schlauchwasser angewiesen, lagen sie todmüde in einem
+elenden, verlassenen Weiler, und der fieberkranke Brehm hatte
+sich in der erstbesten Hütte auf einem Ankhareb (Bettgestell mit
+elastischen Ledergurten) niedergelassen, während der Baron und Ali
+(ein ausgedienter türkischer Unteroffizier, den man in Chartum als
+Leibdiener aufgenommen hatte) weiter im Innern der Hütte auf dem
+festgestampften Erdboden zum Schlummer sich niederlegten. Plötzlich
+wurde Brehm durch ein wütendes Geheul aus seinem Halbschlafe
+aufgeschreckt, und gleichzeitig erschien auch schon am Eingang die
+herkulische Gestalt eines Negers, der mit gezücktem Schwert auf
+ihn losstürzte und seinen tobenden Gefährten zurief: „Kommt! Hier
+sind die Hunde! Kommt und schlagt sie tot!“ Mit einem gewaltigen
+Kolbenschlage schmetterte Brehm den Wütenden zurück und rüttelte die
+beiden anderen wach. Alle griffen zu den Waffen und drohten, jeden
+Eindringling niederzuschießen. Da hörte der sprachenkundige Ali, wie
+die Schwarzen sich verabredeten, die leicht Feuer fangende Strohhütte
+anzuzünden, und so mußte man sich zu einem Ausfall entschließen. Aber
+draußen waren die Europäer im Nu von einer großen Übermacht der Gegner
+umringt, deren lange Stoßlanzen nur noch einen halben Fuß von ihrer
+Brust entfernt waren. Der Baron hatte in jeder Hand eine Pistole und
+wollte schießen, aber der trotz seiner Jugend viel besonnenere Brehm
+beschwor ihn, dies nicht zu tun, und verlegte sich <span class="pagenum" id="Page_26">[S. 26]</span>aufs Unterhandeln.
+Freilich ging seine Stimme in dem wüsten Lärm unter, aber man gewann
+doch so viel Zeit, sich wieder in die Hütte zurückziehen zu können.
+Bewaffneter Widerstand wäre ja auch tatsächlich Wahnwitz gewesen, denn
+wenn man auch einige Feinde unschädlich gemacht hätte, so wäre man
+doch schließlich unzweifelhaft trotz größter Tapferkeit der gewaltigen
+Übermacht unterlegen. Da kam im letzten Augenblick unerwartet Hilfe
+in höchster Not. Ein Araber mit milchweißem Barte, den die Schwarzen
+zu kennen und zu achten schienen, trieb die tobende Bande mit der
+Nilpferdpeitsche zurück und schaffte erst einmal Ruhe. Bald klärte sich
+nun das Mißverständnis auf, die ernüchterten Neger baten um Verzeihung,
+und der landesübliche Bakschisch beendete zur allseitigen Zufriedenheit
+das gefährliche Abenteuer.</p>
+
+<p>Über all die unsäglichen Widerwärtigkeiten und Mühseligkeiten halfen
+aber doch immer wieder köstliche Forscherfreuden hinweg. Namentlich
+bei längerem Verweilen an einem günstigen Platze gab es genußreiche
+Tage und fast überreiche Beute. Da wurden erfolgreiche Adlerjagden
+veranstaltet, Antilopen und Hasen für die Küche geschossen. Wenn man
+nur auch eine geeignete Zukost dazu gehabt hätte! Aber weder Gemüse
+noch Kartoffeln wollen in der Gluthitze Kordofans mehr gedeihen, und
+die schlissigen, unappetitlichen Durrhakuchen, die die Negerweiber zu
+bereiten verstanden, waren schließlich doch nur ein sehr unvollkommener
+Ersatz für unser köstliches und wohlschmeckendes Brot. Ein wahres
+Labsal war es dagegen, wenn es glückte, einmal einen Krug Meriesa
+aufzutreiben, eine Art Hirsebier, das sehr erfrischend schmeckt und
+ähnlich wie der russische Kwaß von jedem Stamme und jedem Dorfe in
+anderer Weise zubereitet wird.</p>
+
+<p>Köstlich waren die Tropenabende, wenn man innerhalb der mächtigen
+Dornumwallung eines Dorfes saß und dem gemütlichen Schnurren der
+langgeschwänzten Nachtschwalben lauschte oder den wehmütigen Rufen
+der kleinen Eulen, die zutraulich auf den Spitzen der Tokhals saßen.
+Blutdürstige Leoparden und feige Hyänen umschlichen nachts gierig
+die Dornumwallung, wurden aber rasch von den zahlreichen und mutigen
+Hunden zurückgetrieben. Nur wenn das aus tiefster Brust hervorgeholte
+Donnergebrüll des Löwen erscholl, das Brehm hier klopfenden Herzens zum
+erstenmal vernahm, verkrochen sich die edlen Hunde kläglich winselnd
+bei ihren Herren, die aber ebensowenig wie ihre vierbeinigen Gehilfen
+dem König der Tiere entgegenzutreten wagten, zumal die lange Stoßlanze
+ihre einzige Waffe war. Zweimal <span class="pagenum" id="Page_27">[S. 27]</span>holte sich in Anwesenheit Brehms der
+„Herr mit dem dicken Kopfe“ durch gewaltigen Sprung, unwiderstehlichen
+Prankenschlag und zermalmenden Nackenbiß sein Opfer aus der hohen
+Dornumwallung (Serrieba), und um die Überbleibsel der königlichen Tafel
+stritten sich dann am nächsten Tage Geier und Marabus und in der Nacht
+Hyänen und Schakale.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe47" id="illu_027">
+ <img class="w100" src="images/illu_027.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Hyänenhunde („gemalte“ Hunde) auf der Antilopenjagd<br>
+ Nach einer Originalzeichnung von H. Leutemann zu Brehms Arbeit „Neue
+ Charakterbilder aus der Tierwelt“ (1867)
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Wüstensturm! Lauschen wir Brehms eigenen Worten, denn keiner hat die
+hehre Majestät der Wüste mit all ihren Schrecken und Schönheiten
+so eindringlich und greifbar, so packend und gewaltig zu schildern
+verstanden wie er:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_28">[S. 28]</span></p>
+
+<p>„Schon mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Wüstensohn diesen
+furchtbaren Wind, dem er geradezu tödliche Wirkungen zuschreibt. Die
+Temperatur der Luft wird im höchsten Grade lästig: sie ist schwül
+und abspannend wie vor einem Gewitter. Der Horizont ist mit einem
+leichten, rötlich oder blau erscheinenden Dufte wie überhaucht — es
+ist der in der Atmosphäre kreisende Wüstensand, aber noch bemerkt man
+keinen Hauch des Windes. Die Tiere jedoch fühlen seine Nähe wohl.
+Sie werden unruhig und ängstlich, wollen nicht mehr in gewohnter
+Weise gehen, drängen sich aus dem Zuge heraus und geben noch andere
+unverkennbare Beweise ihres Ahnungsvermögens. Dabei ermatten sie in
+kurzer Zeit mehr als sonst durch tagelange Märsche, stürzen zuweilen
+mit ihren Ladungen und können nur mit Mühe oder gar nicht wieder zum
+Aufstehen gebracht werden. In der dem Sturm vorausgehenden Nacht nimmt
+die Schwüle unverhältnismäßig zu, der Schweiß dringt aus allen Poren
+hervor, nur die strengste geistige Überwachung vermag dem Körper die
+ihm nötige Spannkraft zu erhalten. Die Karawane setzt ihre Reise mit
+ängstlicher Eile fort, solange es gehen will, solange nicht Mensch
+und Tier vor allzu großer Ermüdung zusammenbrechen, solange noch, dem
+Führer zum Merkmal, ein Sternchen am Himmel flimmert. Auch das letzte
+verschwindet, ein dicker, trockener, undurchsichtiger Nebel deckt die
+Ebene. Die Nacht vergeht, die Sonne steigt im Osten auf, der Wanderer
+sieht sie nicht. Der Nebel ist dichter, undurchsichtiger geworden, die
+stark gerötete Luft nimmt allgemach eine grauere, düstere Färbung an.
+Es herrscht fast Dämmerung. Das Auge durchdringt den Dunstschleier kaum
+über 100 Fuß weit. Der Tageszeit nach muß es Mittag sein. Da erhebt
+sich ein leiser, glühender Wind aus Süden oder Südwesten. Stärkere
+Stöße folgen, abgerissen, einzeln. Jetzt braust der Wind, zum Orkan
+gesteigert, daher. Hoch auf wirbelt der Sand, dicke Wolken verdunkeln
+die Luft. Der Wind würde den Reiter, der sich ihm widersetzen wollte,
+aus dem Sattel heben, aber kein Kamel ist zum Weitergehen zu bewegen.
+Die Karawane muß lagern. Den Hals platt auf den Boden gestreckt,
+schnaubend und stöhnend legen sich die Kamele nieder; man hört die
+unruhigen, regellosen Atemzüge der geängstigten Tiere. Geschäftig bauen
+die Araber alle Wasserschläuche an der sie vor dem Winde schützenden
+Seite eines lagernden Kamels auf einen Haufen, um die der trocknenden
+Luft ausgesetzte Schlauchoberfläche zu verringern; sie selbst hüllen
+sich in das sie bekleidende Tuch so dicht als möglich ein und suchen
+ebenfalls hinter Kisten oder <span class="pagenum" id="Page_29">[S. 29]</span>Warenballen Schutz. Die Karawane liegt
+totenstill. In den Lüften rast der Orkan. Es kracht und dröhnt: die
+Bretter der Kisten zerspringen mit gewaltigem Knallen. Der Staub dringt
+durch alle Öffnungen, selbst durch die Tücher hindurch, peinigt und
+quält den Menschen, auf dessen Haut er sich festsetzt. Man fühlt bald
+heftige Kopfschmerzen, das Atmen wird schwer, die Brust ist beengt,
+der Körper trieft von Schweiß, aber dieser näßt die dünnen Kleider
+nicht, denn begierig saugt die glühende Atmosphäre alle Feuchtigkeit
+auf. Wo die Wasserschläuche mit dem Winde in Berührung kommen, dörren
+sie und werden brüchig, das Wasser verdunstet. Wehe dem armen Wanderer
+in der Wüste, wenn der Samum lange währt! Er wird sein Verderber! Ein
+lange anhaltender Samum ermattet Menschen und Tiere mehr als alle
+übrigen Beschwerden einer Wüstenreise zusammen. Und dabei bringt er
+neue, bisher nie gekannte Qualen über den Reisenden. Schon nach kurzer
+Zeit springen ihm, weil die heiße Luft alle Feuchtigkeit entzieht,
+die Lippen auf und fangen an zu bluten; die Zunge hängt trocken in
+dem nach Wasser lechzenden Munde, der Atem wird übelriechend, alle
+Glieder erschlaffen. Zu dem grenzenlosen Durste gesellt sich bald
+ein unerträgliches Jucken und Brennen am ganzen Körper: die Haut ist
+brüchig geworden, und in alle Risse dringt der feine Staub. Man hört
+die lauten Klagen der so grausam Gemarterten; zuweilen arten sie in
+förmliche Raserei aus — der Gepeinigte ist wahnsinnig geworden; oder
+sie verstummen zuletzt ganz, denn das mit fieberiger Hast durch die
+Adern strömende Blut hat den Kopf so beschwert, daß Bewußtlosigkeit
+eingetreten ist. Der Sturm ermattet, aber mancher Mensch erhebt sich
+nicht mehr: ein Gehirnschlag hat seinem Leben ein Ende gemacht. Auch
+mehrere Kamele liegen in den letzten Zügen.“</p>
+
+<p>Schlanke Palmenwipfel am glasblauen Horizonte verkündigen die Nähe
+einer Oase, also einer Menschensiedlung im Meere des Sandes, ermöglicht
+durch das Vorhandensein von Wasser. Der Giftwind Samum haucht auch über
+die Oase seinen verderbenbringenden Odem, ohne das Verderben wirklich
+herbeizuführen, denn das Wasser lähmt seine verheerende Gewalt. Darum
+sind Brunnen und Oasen Friedensorte in der Wüste. Ursprünglich war die
+Oase nur von der schlanken Gazelle belebt, diesem Wunder der Wüste,
+und von der anspruchslosen Mimose. Dann kam der Mensch und brachte ihr
+die Königin der Pflanzenwelt, die Palme, und nun erst wurde die Oase
+bewohnbar. Eine Oase ohne Palmen wäre keine Oase, wäre ein Gedicht ohne
+<span class="pagenum" id="Page_30">[S. 30]</span>Worte, ein Brunnen ohne Wasser, ein Haus ohne Bewohner. Auf solchen
+reichen Inseln des Sandmeeres hat sich der Mensch bleibend ansiedeln
+können, während er am bloßen Wüstenbrunnen nur tagelang zu verweilen
+vermag und nach kurzer Rast mit seiner beweglichen Habe weiterziehen
+muß. Der von Brunnen zu Brunnen wandernde Nomade gleicht einem von
+Insel zu Insel steuernden Schiffer, der in einer größeren Oase Wohnende
+dagegen einem Insulaner. Die Häuser der von Brehm besuchten Oasen in
+der Landschaft Fessan bestanden nur aus luftgetrockneten Lehmziegeln
+und hatten flache Dächer aus Palmstämmen. Gemütlich war’s in ihnen
+nicht, denn das Ungeziefer hatte freien Zutritt. Fliegenschwärme,
+unerhört zudringliche und bösartige Wespen peinigten den Menschen
+entsetzlich, giftgeschwollene Skorpione und widerwärtige Spinnen
+gehörten zu den regelmäßigen Hausbewohnern, selbst Vipern verirrten
+sich gar nicht selten in die Wohnräume. Dagegen werden die zierlichen
+Eidechsen und Geckos als Fliegenvertilger gerne gesehen. In einem
+solchen Heim bei der Bruthitze zu arbeiten, etwa gar einen stinkenden
+Riesengeier abzubalgen, war wahrhaftig kein Vergnügen, und Brehm
+lernte einsehen, daß auch das Leben in den vielgepriesenen Oasen seine
+Schattenseiten hat.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>„Es ist doch eigenartig, wie am Weihnachtsabend die Gedanken immer
+wieder in die Heimat eilen,“ sagte Baron Müller nachdenklich. „Ein
+echt deutsches Weihnachtsfest ist doch das Schönste, was es gibt.
+Die prächtigste Palme läßt mich kalt, aber der flittergeschmückte,
+kerzenstrahlende Weihnachtsbaum greift mir ans Herz. O glückliche
+Kinderzeit!“ — „Ich habe Heimweh,“ versetzte Brehm nur schlicht.
+„Jeder Gedanke zieht mich heute am Heiligen Abend nach meinem stillen,
+lieben Renthendorf. Oh, unser liebes Pfarrhaus! Wieviel schöner sind
+doch jetzt unsere verschneiten Thüringer Nadelwälder als all dieser
+bunte Tropenzauber und als all diese bedrückende Urwaldpracht.“</p>
+
+<p>Die beiden Deutschen saßen am Weihnachtsabend mit ihrem getreuen
+Ali mitten im Urwalde unweit des Blauen Nil. Man hatte sich’s etwas
+festlich gemacht, Punsch bereitet und die Pfeifen mit dem köstlichsten
+Tabak der Erde, dem unvergleichlichen Djebeli, gestopft, aber die
+Wolken der Schwermut wollten den Wolken des Rauches nicht weichen, und
+so sehr auch die Tropennacht schmeichelte und liebkoste, es wollte
+ihr nicht gelingen, des Herzens Sehnen zu beschwichtigen. <span class="pagenum" id="Page_31">[S. 31]</span>Die Gläser
+blieben ungeleert und die Herzen unbefriedigt. Der Türke sang seine
+prächtigen Minnelieder in tonreichen Weisen, aber auch sie versagten
+heute ihre Wirkung. Der Urwald selbst mußte sprechen, damit sich die
+Deutschen nicht länger ihren trüben Heimwehgedanken überließen. Und er
+sprach auch.</p>
+
+<p>Plötzlich schmetterten helle, kräftige Trompetentöne durch die bisher
+so stille Nacht. Das Geschwätz der Diener verstummte augenblicklich,
+und alle lauschten atemlos. Von neuem schmetterten die Trompeten.
+„El Fiuhl! El Fiuhl! Elefanten, Elefanten!“ jubelten die mit den
+Tönen der Wildnis Vertrauten. Wahrhaftig, es waren Elefanten, die
+zum Flusse gingen. Und ihr Trompeten war anscheinend das Zeichen zum
+Beginn eines fast schaurigen und doch wahrhaft großartigen nächtlichen
+Urwaldkonzertes. Der König des Waldes donnerte durch sein Reich, und
+seine Königin antwortete. Ein Nilpferd hob seinen Kopf und brummte,
+als wolle es versuchen, es der Löwenstimme gleichzutun, ein Panther
+grunzte, aufgescheuchte Affen gurgelten und kreischten, erschreckte
+Papageien flatterten und schrien, Eulen spektakelten dazwischen, Hyänen
+und Schakale übernahmen den Chorgesang, auf einer Sandbank klagte
+der Wogenpflüger der Nacht, der Scherenschnabel, und wie läutende
+Silberglöckchen klang dazwischen das Gezirp der Zikaden, dumpfer und
+tiefer der volle Chor der Waldfrösche. Es war ein wunderbares Tonstück,
+und wunderliche Künstler führten es auf, aber die Deutschen söhnte es
+aus mit der Fremde, die trübe gewordenen Augen glänzten wieder, und das
+Herz schlug hoch vor Freude. Zum erstenmal hörte Brehm das Trompeten
+wilder Elefanten. Und so hatte auch er sein Weihnachtsgeschenk! —</p>
+
+<p>Brehm feierte seinen 20. Geburtstag. Aber wie? Er hatte ohne den in
+Chartum zurückgebliebenen Baron einen selbständigen Abstecher nach
+dem Blauen Nil gemacht, ins Land des durch körperliche Schönheit,
+auffallend helle Hautfarbe und die aufdringliche Sittenlosigkeit
+seiner Weiber bekannten Negerstammes der Hassanies. Er konnte hier nur
+immer wieder staunen über den unerschöpflichen und überwältigenden
+Reichtum des tropischen Tierlebens. Die Vogelwelt war großartig
+vertreten und die Ausbeute entsprechend, aber leider machten Malaria
+und Brechdurchfall dem jungen Forscher wieder sehr viel zu schaffen.
+Nun lag er an seinem Ehrentage, von schweren Fieberschauern geschüttelt
+und halb bewußtlos, mutterseelenallein mitten im Urwald unter seinem
+dürftigen Zelt, ohne liebevolle Pflege, ohne Arzneien, selbst ohne
+das unentbehrliche Chinin. Wenn das die Lieben im fernen <span class="pagenum" id="Page_32">[S. 32]</span>Vaterlande
+hätten ahnen können! Soweit es sein jämmerlicher Zustand erlaubte,
+jagte er trotzdem im undurchdringlichen Dorngestrüpp der Urwälder und
+in den fieberschwangeren Sümpfen oder balgte mit zitternden Händen
+zähneklappernd die geschossenen Vögel ab. Als er schließlich mit
+einer Ausbeute von 130 Vogelbälgen auf seinem Eselchen nach Chartum
+zurückkehrte, runzelte der Baron, der vom Tropenkoller geplagt sein
+mochte oder vielleicht auch damals schon mit Geldsorgen zu kämpfen
+hatte, beim Betrachten der kleinen Sammlung die Stirn. „Das ist doch
+viel zu wenig für eine so lange Abwesenheit,“ polterte er. „Wie soll
+ich denn da auf meine Kosten kommen, wenn Sie derartig faulenzen?“
+Mit Recht war Brehm, der dieser Vogelbälge wegen Leben und Gesundheit
+aufs Spiel gesetzt hatte, empört und erbittert über solch schreiende
+Undankbarkeit. „Damals habe ich zum erstenmal gefühlt, daß die
+Bemühungen eines Sammlers oder Naturforschers nur selten anerkannt
+werden.“ Ein Wort gab das andere, und es kam zwischen den beiden
+Reisegefährten zu einer heftigen Auseinandersetzung, die beinahe zum
+völligen Bruch geführt hätte. Zwar versöhnte man sich schon am nächsten
+Tage, aber das alte innige Freundschafts- und Vertrauensverhältnis
+zwischen beiden wollte sich doch nie wieder so recht einstellen, obwohl
+äußerlich der Friede künftig gewahrt blieb.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+ <h2 class="nobreak" id="Kairo_und_Chartum">Kairo und Chartum</h2>
+
+</div>
+
+<p>„<span class="initial">U</span>m Himmels willen, Herr Baron, was ist das?“ Mit diesen Worten fuhr
+Brehm entsetzt von seinem Schmerzenslager in einem schäbigen Hotel
+Kairos empor und rüttelte den Baron wach, der matt und kraftlos in
+halber Ohnmacht neben ihm lag. Beide hatten sich auf der Nilfahrt von
+Alexandria nach Kairo einen heftigen Sonnenstich geholt und mußten
+unter wahnsinnigen Kopfschmerzen und häufigen Ohnmachtsanfällen dessen
+Folgen tragen. Entsetzliche Schwüle herrschte in der Luft. Plötzlich
+vernahmen die sich mühsam aufrichtenden Kranken ein donnerähnliches
+Rollen, Geschrei und Wehklagen auf der Straße, Gebrüll von Tieren und
+eiliges Laufen auf den Korridoren; die Bettgestelle schwankten, die
+Türen des Zimmers flogen auf und zu, klirrende Fensterscheiben und
+zerbrechende Gläser stürzten auf den Fußboden herab, an einzelnen
+Stellen des Zimmers löste sich der Mörtel von den Wänden und fiel
+polternd herunter, aber die unerfahrenen Europäer wußten sich die
+Erscheinung nicht zu erklären. Ein neuer, <span class="pagenum" id="Page_34">[S. 34]</span>stärkerer Stoß folgte dem
+ersten, man hörte das Einstürzen von Mauern in unmittelbarer Nähe
+und fühlte, wie das Haus in seinen Grundfesten schwankte. Da wurde
+den beiden Deutschen das Phänomen entsetzlich klar: ein Erdbeben
+erschütterte die ägyptische Hauptstadt! Und ohne Hilfe lagen sie krank
+und elend allein in ihren Betten, nicht imstande, gleich den anderen
+Reisenden hinaus ins Freie zu flüchten. Ihre Lage war in der Tat
+gräßlich. Die Naturerscheinung währte kaum eine Minute, und doch wurde
+ihnen diese kurze Zeitspanne zu einer wahren Ewigkeit. Der geängstigte
+Geist erging sich in den schauderhaftesten Vorstellungen, die Augen
+folgten mit Todesangst den Rissen der zersprungenen Mauern, und
+verzweiflungsvoll ergab sich die Seele dem bevorstehenden schrecklichen
+Schicksal. Aber das von Europäern gebaute Haus hielt die starke
+Erschütterung aus. Nach wenigen Minuten verkündigte ein herbeieilender
+Diener, daß die Gefahr vorüber sei. In unmittelbarer Nähe des Gasthofes
+waren jedoch 17 Menschen unter den Trümmern ihrer Behausungen begraben
+worden.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe50" id="illu_033">
+ <img class="w100" src="images/illu_033.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Kairo von Norden aus gesehen<br>
+ Eine Ansicht nach einer farbigen Darstellung von Carl Werner in seinem
+ großen Aquarell-Faksimile-Werk „Nilbilder“, zu dem Brehm mit Dr. J.
+ Dümichen den Text schrieb (1871)
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_033_gross.jpg"
+ id="illu_033_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Nur langsam machte die Genesung unseres jungen Freundes Fortschritte,
+zumal der griechische Quacksalber, der beide behandelte, ihn dreimal
+zur Ader ließ und ihm durch 64 Blutegel so viel Blut abzapfte, daß
+er ganz schwach wurde. Aber dann wuchsen mit steigenden Kräften auch
+Lebensmut und Lebenslust wieder, und auf zahlreichen Eselritten lernte
+nun Brehm die Märchenstadt Kairo, die ihn so ungastlich empfangen
+hatte, mit ihrem bunten, echt orientalischen Leben und Treiben
+kennen. Sie ist seitdem seine Lieblingsstadt geblieben, und keiner
+hat das buntscheckige Gewühl ihrer Gassen und Märkte so meisterhaft
+zu schildern gewußt wie er. Brehm besaß überhaupt in hervorragendem
+Maße die Gabe, sich in fremde Verhältnisse einzuleben, sich den Sitten
+und Gewohnheiten anderer Völker anzuschmiegen, ohne doch jemals
+seiner Würde als Deutscher auch nur das Geringste zu vergeben. Er hat
+dem deutschen Namen auch in fernen Ländern stets nur Ehre gemacht.
+Gerade die Länder des Islams hatten es ihm angetan, und in die Denk-,
+Anschauungs- und Sprechweise ihrer Bewohner wußte er sich so zu
+vertiefen, sie sich in so hohem Maße zu eigen zu machen, wie selten
+einer. Niemals hat er es versäumt, neben der Tierwelt der von ihm
+bereisten Länder mit gleichem Eifer auch ihre Menschen zu studieren und
+den Einfluß von Klima, Landschaft und Geschichte auf die Entwicklung
+ihrer Eigenart klarzulegen. Der mohammedanischen Religion brachte er
+so viel Achtung und ein <span class="pagenum" id="Page_35">[S. 35]</span>so weitgehendes Verständnis entgegen, daß er
+in Europäerkreisen vielfach schon als Renegat galt. Aber bei Türken
+und Arabern erfreute er sich trotz seiner Jugend großen Ansehens und
+allgemeiner Beliebtheit. Viel schlechter als die Bekenner des Propheten
+kommen in seinem Tagebuch die wenigen Europäer und Levantiner weg, die
+sich schon damals im Sudan ansässig gemacht hatten und die allerdings
+bis auf wenige Ausnahmen den Abschaum ihrer Länder darstellten. Für
+das charakterlose Mischvolk der sog. Levantiner zum Beispiel hat er
+nur unverhohlene Verachtung, so sehr er auch der Schönheit ihrer
+Frauen Gerechtigkeit angedeihen läßt. Sein Herz gehörte den freien,
+bettelarmen, aber stolzen Beduinenstämmen der Wüste, die er liebte, wie
+er alles Unabhängige und wahrhaft Männliche liebte:</p>
+
+<p>„Sie sind in der Freiheit der Wüste geboren und groß geworden, sie
+leben und sterben dort; sie denken und handeln frei und edel wie
+jeder Freigeborene. Noch haben sich bei ihnen die alten Sitten ihrer
+Vorfahren erhalten, noch hegen sie dieselben Gefühle für Recht und
+Unrecht, welche die Patriarchen hegten; noch sind sie wie jene mit Herz
+und Hand bereit, ihr gutes Recht sich zu erhalten oder zu verschaffen.
+Der Beduine, das Kind der hochhehren Wüste, ist noch der Sohn der alten
+und für ihn ewig neuen Freiheit. Er ist der unverdorbene Nachkomme
+seiner tapferen und edlen Ahnen. Der Beduine lügt nie, er bestiehlt
+oder betrügt niemanden, wohl aber tritt er mit der Waffe in der Faust
+als kühner Räuber hervor, um sich seinen Lebensunterhalt zu erringen.
+Er beraubt den friedlich durch die Wüste pilgernden Kaufmann nicht
+als ein nach unseren Begriffen verächtlicher Wegelagerer, sondern als
+mutiger, streitbarer Mann; er wird ihn nie berauben, wenn dieser ihn,
+den Herrn der unbegrenzten Wüste, erst um sicheres Geleit ersuchte,
+sein Gebiet durchwandern zu dürfen. Treu dem Freunde das gegebene
+Versprechen haltend, geht er für seine Schutzbefohlenen ohne Zögern in
+den Tod, furchtbaren Kampf dem Feinde schwörend, hält er das Gesetz
+der Blutrache für das hochheiligste seines Stammes. Er vergibt keine
+Beleidigung, er vergißt keine Wohltat. Seinen letzten Bissen Brot
+teilt er mit seinem Gastfreunde, den letzten Wassertrunk spendet er
+dem Verschmachtenden. Er ist in seiner Treue groß, in seiner Rache
+furchtbar. Keinen Herrn über sich erkennend als das selbstgewählte
+Stammesoberhaupt, verteidigt er seine weite Heimat mutig und tapfer
+gegen jeden Feind. Ohne Hoffnung auf Ersatz unterhält er den, der sich
+hungernd und dürstend in seinem Zelte einfindet, ohne Dank zu fordern,
+bringt er ihn <span class="pagenum" id="Page_36">[S. 36]</span>in seine Heimat zurück. Sein Pferd ist ebenso edel und
+treu wie er selbst, es ist sein ständiger Begleiter, er liebt es wie
+Weib und Kind.“</p>
+
+<p>Brehm hat sich wiederholt lange Zeit in Chartum aufgehalten, nicht
+immer ganz freiwillig, sondern weil empfindlicher Geldmangel ihm
+die Fortsetzung der Reise unmöglich machte. In solchem Falle wurde
+dann ein eigenes Häuschen gemietet und in dessen Hof ein Tiergarten
+eingerichtet. Der türkische Generalstatthalter des Sudan, der in
+dem noch jungen Chartum seinen Sitz hatte, schickte als Grundlage
+dazu gleich in den ersten Tagen geschenkweise zwei Strauße, denen
+sich bald ein Paar junge Hyänen sowie etliche Affen und Gazellen
+und ein sehr herrschsüchtiger Marabu beigesellten. Die Eingeborenen
+brachten überhaupt, nachdem die Absichten der beiden Deutschen in den
+Kaffeehäusern und auf den Suks sich herumgesprochen hatten, allerlei
+lebendes und totes Getier angeschleppt, das gern aufgekauft und zur
+Bereicherung der Sammlungen verwendet wurde. So entwickelte sich
+bald eine förmliche Naturalienbörse, aber sonstige Unterhaltung bot
+die volkreiche Hauptstadt des Sudan kaum. Immerhin konnte man hier
+nach so langen Entbehrungen in der Wildnis doch auch mal wieder mit
+halbwegs gebildeten und gesitteten Menschen zusammen sein, wenngleich
+man in dieser Hinsicht in Chartum nur sehr bescheidene Ansprüche
+stellen durfte und öfters beide Augen zudrücken mußte. Auch Briefe
+und Zeitungen gab es dann und wann einmal, und mit Erstaunen erfuhr
+Brehm nach der Rückkehr aus Kordofan aus ihnen, welch gewaltige
+Umwälzungen sich im Frühjahr 1848 in Europa vollzogen hatten, während
+er fieberkrank in den Wäldern und Steppen Kordofans weilte. Der völlige
+Mangel an Lesestoff war ja bisher nicht die geringste der vielen
+Entbehrungen gewesen. Gierig las man zu wiederholten Malen jeden mit
+den geliebten Lauten der Muttersprache bedeckten Papierfetzen, und der
+elendste Schundroman würde Hochgenuß gewährt haben. Nun aber erhielt
+Brehm in Chartum von verständnisvoller, feinfühliger Mutterhand sogar
+einige der von ihm so glühend geliebten Werke unserer Klassiker. Wie
+durfte er da schwelgen! Erst in der weiten Ferne, in der geistlosen
+Fremde halbkultivierter Länder, unter Vertretern krassester Selbstsucht
+und Geldgier würdigt man so recht die heimische Dichtkunst, erst da
+empfindet man ihre ganze Kraft. Wer die Gesänge unserer Dichter völlig
+in sich aufnehmen will, der muß sie lesen, wo er sie keinem andern,
+sondern nur seinem eigenen Selbst mitteilen kann. Dann wird sich ihr
+Wert und ihre Wirkung verdoppeln.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_37">[S. 37]</span></p>
+
+<p>„Bachida! Pfui! Du Teufelsvieh! Wirst du wohl auslassen! Wirst du wohl
+artig sein! Bachida! Pfui!“ So erscholl Brehms zornige Stimme in einer
+der staubumhüllten Gassen Chartums, und mit erhobener Peitsche eilte
+er auf eine Löwin zu, die ein gerade friedlich vorübertrottendes Schaf
+gepackt hatte, ergriff sie wie weiland Simson am Kopfe, riß ihr den
+Rachen auf, erfaßte das arme Wolltier und schleuderte es mit einem
+Fußtritt weit fort. Ein paar derbe Hiebe mit der Nilpferdpeitsche
+klatschten auf das gelbe Löwenfell, aber die „Tochter Fathmes“, wie
+die Sudanesen die weiblichen Löwen nennen, nahm die Züchtigung ruhig
+hin, in dem Bewußtsein, für ihren Übergriff eine Strafe verdient
+zu haben. Es war ja „Bachida“ (die Glückliche), die berühmte zahme
+Löwin Brehms, die er als kaum pudelgroßes Jungtier von seinem Gönner
+Latief Pascha zum Geschenk erhalten und auf das sorgfältigste erzogen
+hatte. Innige Freundschaft verband beide. Bachida liebte ihren Herrn
+zärtlich, folgte ihm in Haus und Hof, auf der Straße und im Freien
+gehorsam wie ein Hund, liebkoste ihn bei jeder Gelegenheit und wurde
+nur dadurch bisweilen lästig, daß sie nachts auf den Einfall kam, ihn
+auf seinem Lager aufzusuchen und durch ihre Liebkosungen aufzuwecken.
+Sie ersetzte zugleich den schärfsten Wachhund, denn lästiges Gesindel
+wagte sich nicht auf das von einem Löwen behütete Gehöft, und sogar
+die Kamele vorüberziehender Karawanen gingen unter dem Fluchen und
+Schreien der Treiber oft durch, wenn sie durch eine Mauerlücke
+das ihnen so furchtbare Tier erblickten. Zu den zahmen Antilopen
+durfte die Löwin überhaupt nicht gelassen werden, obwohl sie ihnen
+wahrscheinlich nichts zuleide getan hätte, da die Horntiere bei ihrem
+Erscheinen verzweiflungsvoll gegen die Wände rannten und sich dabei
+selbst verletzten. Im übrigen hatte sich Bachida natürlich bald zur
+Beherrscherin und Tyrannin alles auf dem Hofe sich tummelnden Getiers
+aufgeworfen. So liebenswürdig und gutmütig sie auch war, so war sie
+doch ein wahrer Ausbund von Übermut und Necklust und liebte es sehr,
+andere Lebewesen durch plötzliches Anspringen zu erschrecken, und
+namentlich an den Affen und Raubvögeln kühlte sie gern ihr Lüstchen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Anfangs, solange sie noch klein war, setzte ein alter, urdrolliger
+Pavian ihrem Übermut gewisse Schranken. Auch er zitterte zwar bei
+ihrem Erscheinen und verzog das Maul auf grauenvolle Weise, griff
+sie dann aber ohne weiteres mutvoll mit den Händen und rieb ihr <span class="pagenum" id="Page_38">[S. 38]</span>die
+Ohren derartig um den Kopf herum, daß ihr Hören und Sehen vergehen
+mochte und sie angstvoll das Weite suchte. Mit der Zeit jedoch wurde
+die Löwin so stark, daß auch der Pavian ihrer nicht mehr Herr zu
+werden vermochte. Doch an seine Stelle trat nun ein alter, mürrischer
+Marabu. Bachida sah sich die barocke Philosophengestalt ganz starr
+vor Neugierde an und gedachte dann nach ihrer Art den Langbeiner
+durch plötzliches Anspringen zu erschrecken. Aber der verstand das
+falsch, ging mit weiten Schritten und halbgelüfteten Schwingen
+unerschrocken auf das Raubtier los, versetzte ihm rasch hintereinander
+mit seinem gewaltigen Keilschnabel mehrere so nachdrückliche Püffe
+und wiederholte diese Lektion mehrfach so gründlich, daß Bachida
+unter Wutgebrüll das Hasenpanier ergreifen mußte, grimmig verfolgt
+von dem schnabelklappernden Sieger. Seitdem ließ sie den wehrhaften
+Storchenvogel achtungsvoll in Ruhe, aber mit den übrigen Tieren trieb
+sie es nach wie vor.</p>
+
+<p>Wirkliche Ausschreitungen kamen bei alledem nur äußerst selten vor.
+So wurde ihr schönes Freundschaftsverhältnis zu einem mutigen Widder,
+mit dem sie besonders gern spielte, jäh zerrissen. Der Widder,
+dessen Hornstöße sie sonst gutmütig ertrug, mochte einmal gar zu
+grob zugestoßen haben, denn plötzlich geriet die Löwin in Zorn und
+schmetterte ihn mit ein paar derben Tatzenschlägen zu Boden. Am
+nächsten Morgen war der Spielgefährte tot. Schlimmer war der folgende
+Fall, der zugleich eine harte Kraftprobe für das Verhältnis zwischen
+Mensch und Raubtier bedeutete. Bachida hatte den Lieblingsaffen Brehms
+erst mißhandelt, dann getötet und schließlich aufgefressen. Als Brehm
+Kopf und Schwanz als die einzigen Überbleibsel des armen Opfers fand,
+wurde er doch recht zornig, prügelte die Löwin tüchtig ab und verfolgte
+die Flüchtende bis in den äußersten Winkel des Gehöfts. Als sie hier
+nicht entrinnen konnte, nahm sie plötzlich eine andere Miene an als
+früher und setzte sich kräftig zur Wehr. Wäre Brehm nur einen Schritt
+zurückgewichen, so würde die im höchsten Grad erzürnte Löwin ihn
+sicherlich angesprungen und wahrscheinlich erheblich verletzt haben.
+Brehm war aber klug genug, fest stehen zu bleiben und unentwegt weiter
+zu prügeln, zugleich aber auch eine Lücke freizulassen, durch die
+Bachida entwischen konnte. Schon eine halbe Stunde später war ihr Zorn
+verraucht, und schmeichelnd rieb sie sich nach Katzenart wieder an
+ihrem Herrn, als wollte sie um Verzeihung bitten. Dies war der einzige
+Streit, den beide jemals miteinander gehabt haben; nie erlaubte sich
+Bachida sonst irgendwelche <span class="pagenum" id="Page_39">[S. 39]</span>Unart, nie bekundete sie irgendwie Wildheit
+und Blutdurst des Raubtieres.</p>
+
+<p>Viel Spaß machte Brehm und seinen Freunden folgender Streich der
+übermütigen Löwin. Im gleichen Hause wohnte ein fetter griechischer
+Sklavenhändler und Wucherer. Dieser wollte einmal in der Regenzeit,
+als der ganze Hof mehr einem Moraste glich, nach dem Stall gehen, um
+seinen Reitesel zu besteigen. Da er dem Statthalter Latief Pascha
+seine Aufwartung zu machen gedachte, war er in einen glänzend weißen,
+neuen Seidenburnus gehüllt. Bachida lag gerade im dicksten Schmutz
+und betrachtete verblüfft die weiße, ängstlich zwischen den Pfützen
+sich durchwindende Gestalt. Dann duckte sie sich und sprang in einigen
+furchtbaren Sätzen auf den Griechen zu, der vor Schreck stolpernd in
+den Schmutz fiel und auch noch die Dummheit beging, laut zu schreien.
+Die neckische Bachida faßte das als eine willkommene Aufforderung zur
+Fortsetzung dieses unterhaltsamen Spieles auf, brachte durch einen
+zweiten Satz den dicken Mann völlig zum Liegen, setzte sich ihm mit
+Beifallsgebrüll auf den Schmerbauch, umarmte ihn sehr zärtlich, wälzte
+ihn aber dabei derartig im Kote herum, daß von der strahlenden Kleidung
+auch nicht ein Fleckchen mehr ohne Schlammkruste blieb. Lachend
+befreite Brehm ihn, der nicht im geringsten verletzt war, aus den
+Tatzen seines Peinigers. Der Grieche aber schwur Rache und beklagte
+sich beim Statthalter. Da mußte er nun freilich die Erfahrung machen,
+daß auch bei den Türken das Sprichwort gilt: „Wer den Schaden hat,
+braucht für den Spott nicht zu sorgen.“</p>
+
+<p>Ernster war ein Zwischenfall, der sich auf der Heimreise zutrug,
+wo Bachida abends stets an Land gelassen wurde, um sich ein wenig
+auszutollen und zu entleeren, was das reinliche Tier in dem engen
+Schiffskäfig grundsätzlich nicht tat. So war die Löwin einmal an einer
+der Säulen des Tempels von Luxor angefesselt und ringsum von einer
+zudringlichen und neugierigen Menschenmenge umgeben. Plötzlich stob
+alles unter entsetzlichem Geschrei und Geheul, Fluchen und Jammern
+auseinander, und Brehm erfuhr von den zu ihm Eilenden, daß „das
+Scheusal“ soeben einen kleinen Negerknaben gepackt habe und gerade im
+Begriff sei, ihn zu verschlingen. Es sei zwar nur ein Sklave, aber
+er habe immerhin einen Geldwert von 1000 Piastern, die der Herr des
+gefräßigen Raubtieres bezahlen müsse. Schleunigst rannte Brehm zu der
+Unglücksstätte, um den gefangenen Buben zu befreien. Bachida spielte
+mit ihm wie die Katze mit der Maus, drehte <span class="pagenum" id="Page_40">[S. 40]</span>ihn in ihren Pranken hin
+und her, beroch ihn, zog ihn zu sich heran, ließ ihn wieder los, um
+ihn augenblicklich von neuem zu halten, hatte ihm aber bis dahin
+nicht das geringste Leid zugefügt und ihm nirgends auch nur die Haut
+geritzt. Brehms Ankunft brachte ihr augenblicklich zur Besinnung, daß
+der schwarze Schreihals kein Spielzeug für sie sei. Sie gab den Bengel
+sofort freiwillig her.</p>
+
+<p>Im bescheidenen Pfarrhause zu Renthendorf war natürlich kein Platz
+für eine leibhaftige afrikanische Löwin, und so mußte Bachida in den
+Berliner Tiergarten wandern. Brehms Abschied von dem treuen Tiere war
+wahrhaft schmerzlich, und rührend das Wiedersehen zwischen beiden nach
+zweijähriger Trennung. Bachida erkannte ihren früheren Herrn trotz der
+völlig veränderten Kleidung sofort an der Stimme und war vor Freude
+ganz außer sich.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>„Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst du? Und warum willst du mir
+das Licht des Vollmondes, dein Antlitz, entziehen? Weißt du nicht, daß
+ich ein Franke bin? In meiner Heimat verhüllen die Wolken wohl oft
+die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen
+auf Erden. Ich bin gewohnt, unseren lieblichen Töchtern der Erzmutter
+Eva frei ins Angesicht zu schauen. Warum willst du, Sonne, dich mir
+verbergen?“</p>
+
+<p>„Dein Land ist nicht mein Land, deine Sitte ist nicht meine Sitte, o
+Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sklavin.
+Bedenke das, du Guter! Möge deine Nacht glücklich sein!“</p>
+
+<p>„Halt, Herrin, warum willst du davoneilen? Hast du mich noch nicht
+gesehen?“</p>
+
+<p>„Oh, schon sehr oft, gleich bei deiner Ankunft sah ich dich und seitdem
+alle Tage.“</p>
+
+<p>„Nun wohl, fürchtest du dich vor mir?“</p>
+
+<p>„Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit dir zu reden. Glückliche
+Nacht!“</p>
+
+<p>„Warum entfliehst du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte dich!“</p>
+
+<p>„Ich darf nicht!“</p>
+
+<p>„So sage mir wenigstens deinen Namen, du liebliche Gazelle!“</p>
+
+<p>„Ich heiße Warde“ (Rose).</p>
+
+<p>„Wirst du wieder hierher kommen?“</p>
+
+<p>„Ich darf nicht, gute Nacht, Herr!“</p>
+
+<p>Die anmutige Mädchengestalt, die noch von dem ganzen Reize kindlicher
+Lieblichkeit umflossen war, huschte davon. Aber sie kam <span class="pagenum" id="Page_41">[S. 41]</span>doch wieder.
+Jeden Abend erschien sie auf dem flachen Dache ihres elterlichen
+Hauses, das mit dem Haus Brehms zusammenstieß und nur durch eine
+niedrige Mauer von ihm getrennt war. So erblühte dem Zwanzigjährigen
+die Rose des Morgenlandes.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe33" id="illu_041">
+ <img class="w100" src="images/illu_041.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Alfred Edmund Brehm<br>
+ Nach einer Originalzeichnung von W. Planck
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>„Was willst du eigentlich von mir, o Fremdling?“ frug sie in ihrer
+kindlichen Unschuld.</p>
+
+<p>„Reden will ich mit dir, du schlanke Gazelle. Meine Augen bedürfen
+deines Lichtes, meine Seele bedarf deines Odems. Die Muscheln meiner
+Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.“</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_42">[S. 42]</span></p>
+
+<p>„Hast du Eltern?“</p>
+
+<p>„Allah sei gelobt, ja!“</p>
+
+<p>„Hast du Schwestern?“</p>
+
+<p>„Ja, eine einzige. Aber sie ist weit, weit von hier und meine Eltern
+auch und alle, die ich liebe. Ich bin ganz allein hier in der Fremde.“</p>
+
+<p>„O du Armer, so will ich deine Schwester sein. Nenne mich Schwester,
+und ich werde dich Bruder nennen.“</p>
+
+<p>Es folgten berauschend schöne Tropenabende. Brehm lernte verstehen,
+was das arabische Wort „Leila“ (Nacht) bedeutet. Noch in späteren
+Jahren klang es ihm wie Musik. Manchmal durfte er Warde auch „Habihbti“
+(Geliebte) nennen. Der alte Scheich, den er als Sprachlehrer
+aufgenommen hatte, lehrte ihn Worte, wie sie in den Büchern standen,
+Warde lehrte ihn solche, wie sie das frisch erblühende Leben bedurfte.
+Die Rose duftete für ihn, doch die Tage flogen dahin, und die
+Abschiedsstunde nahte.</p>
+
+<p>„Die Betrübnis ist eingezogen bei uns,“ sagte Warde traurig, „und der
+Schmerz ist zwischen uns getreten, mein Bruder, mein Freund, mein Herr!
+Aber du kannst mich ja mit dir nehmen, o Lust meiner Seele!“</p>
+
+<p>„Nein, Warde, das kann ich nicht.“</p>
+
+<p>„Und warum nicht, mein Gebieter?“</p>
+
+<p>„Seele meines Lebens, ich kann nicht, ich darf nicht. Es wäre Sünde an
+dir und deinem Leben, Habihbti! Und dann, wie soll ich dich mit mir
+nehmen, Warde?“</p>
+
+<p>„Als dein Weib, Mann!“</p>
+
+<p>„In meinem Lande heiratet man nicht so früh. Ich zähle noch zu wenig
+Jahre, als daß ich mir eine Frau nehmen könnte. Das bedenke, o Gute!“</p>
+
+<p>„So nimm mich mit dir als deine Dienerin, als deine Sklavin! Befiehl
+mir, was ich sein soll, und ich werde dir gehorchen!“</p>
+
+<p>„Es geht nicht, es ist unmöglich, Warde, es wäre eine Sünde an dir!
+Aber denke an mich, wenn ich in der Ferne bin!“</p>
+
+<p>„Oh, du wirst meiner gedenken, wenn das Unglück in dein Zelt tritt und
+die Krankheit sich auf dein Lager legt.“</p>
+
+<p>„Ich werde deiner immer gedenken, Warde!“</p>
+
+<p>Sie antwortete nichts mehr: sie weinte.</p>
+
+<p>„Allah behüte dich, und Issa (Jesus) sei mit dir, du lieber, böser,
+fremder Mann!“</p>
+
+<p>Das waren die letzten Worte, die Brehm von ihr vernahm.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_43">[S. 43]</span></p>
+
+<p>Selten ist wohl ein Liebesverhältnis zwischen Europäer und Afrikanerin
+mit duftigerer Zartheit geschildert worden als dieses. Brehm war
+überhaupt ein Typ männlicher Keuschheit, so wie sie Gottfried August
+Bürger so schön besungen hat. Er war ganz gewiß kein Philister oder
+Spielverderber oder Lebensverächter, aber nie kam im Familienkreise ein
+unanständiges Wort über seine Lippen, selbst nicht beim Becherklang
+inmitten vertrauter Freunde.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Verhältnisse Brehms in Chartum hatten sich inzwischen immer
+peinlicher und unangenehmer gestaltet. Um seine geradezu verzweifelte
+Lage zu verstehen, müssen wir einiges nachholen. Nach der geschilderten
+Überwindung der Stromschnellen von Wadi-Halfa waren Baron Müller
+und Brehm noch gemeinsam nilabwärts nach Alexandria gereist, und
+hier schiffte sich der Baron nach Europa ein und eilte der deutschen
+Heimat zu, während Brehm allein im schwarzen Erdteil zurückblieb.
+Der Baron wollte in Deutschland die nötige Ausrüstung beschaffen für
+eine sehr großartig von ihm angekündigte Forschungsreise nach den
+Nilquellen, die ja damals das große geographische Problem waren,
+und wollte noch weitere Teilnehmer dazu anwerben, um dann sobald
+als möglich zurückzukehren und an der Spitze der neuen Expedition
+ins unerforschte Innere von Afrika zu ziehen. Brehm sollte derweil
+auch seinerseits allerlei Vorbereitungen treffen und die übrigen
+Teilnehmer in Unterägypten erwarten, die Zwischenzeit aber durch Jagen
+und Sammeln an dem 45 Quadratmeilen großen, aber nur metertiefen
+Menzaleh-See ausnutzen, in dem er eine großartige Winterherberge
+und Durchzugsstation osteuropäischen und westasiatischen Sumpf- und
+Wassergeflügels entdeckt hatte.</p>
+
+<p>Er mußte viele Monate warten, war schon in Geldverlegenheit und
+deshalb sehr ungeduldig, aber endlich langten doch drei weitere
+Reiseteilnehmer mit einer freilich sehr bescheidenen Ausrüstung an.
+Der Klügste von ihnen trat sofort zurück, als er bemerkte, wie völlig
+ungenügend die so großspurig angekündigte Expedition finanziert war.
+Es blieben der <span class="antiqua">Dr. med.</span> Richard Vierthaler aus Cöthen, der auf
+eigene Kosten reiste, und — Brehms eigener, um sechs Jahre älterer
+Stiefbruder Oskar. Die Freude des Wiedersehens war natürlich groß,
+die Geldsumme aber, die Oskar dem jüngeren Bruder als dem vorläufigen
+Expeditionsleiter aushändigte, war so gering, daß sie kaum zur
+Bestreitung der Reisekosten bis Chartum ausreichte. <span class="pagenum" id="Page_44">[S. 44]</span>Indessen hatte ja
+der Baron fest versprochen, baldmöglichst nachzukommen und reichliche
+Geldmittel mitzubringen oder auch nach Chartum vorauszusenden. Für
+Alfred Brehm, der trotz aller schlimmen Erfahrungen dem Baron immer
+noch rückhaltlos vertraute, gab es daher kein Zögern, und er entschied
+sich für sofortigen Aufbruch; sehnte er sich doch mit allen Fasern
+seines Herzens danach, endlich aus dem langweiligen Unterägypten
+fortzukommen und wieder in wirklich wilde Länder mit urwüchsigem
+Tierleben zu gelangen. War man doch jetzt zu dritt und konnte
+vereint alle Hemmnisse mit gemeinsamer Kraft leichter überwinden als
+allein. Aber weder Dr. Vierthaler noch Oskar Brehm haben die Heimat
+wiedergesehen. Jener erlag dem mörderischen Klima, und dieser ertrank
+am 8. Mai 1850 bei Dongola vor den Augen des verzweifelnden Bruders im
+Nil, ohne daß ihm rechtzeitig Hilfe gebracht werden konnte. Es war ein
+schwerer Schlag für Alfred Brehm, unsern jungen Freund. Unter einer
+einsamen Palme in der Wüste, eine Viertelstunde vom Nil entfernt,
+erhebt sich Oskar Brehms schmuckloser Grabhügel.</p>
+
+<p>Nach beschwerlicher Reise kam Brehm ohne den geliebten Bruder abermals
+in Chartum an, nahm seine Sammeltätigkeit wieder auf und wartete
+geduldig auf den Baron oder doch wenigstens auf eine größere Geldsumme,
+die die Weiterreise der „Expedition“ ins Innere ermöglichen würde. Aber
+es kam nichts, höchstens dann und wann ein grober Brief mit Vorwürfen
+darüber, daß die Expedition noch nicht zum Oberlauf des Blauen Flusses
+vorgedrungen sei. Ja, wie hätte sie denn das ohne alle Geldmittel tun
+sollen? Auch in Afrika ist das Reisen nicht umsonst, im Gegenteil um
+das Vielfache teurer als in Europa. Trotzdem zog es auch Brehm mächtig
+in die geheimnisvollen Urwälder am Blauen Nil, und er wollte wenigstens
+einen Versuch unbedingt wagen, ehe das ungesunde Klima Chartums seine
+körperlichen Kräfte wieder allzu sehr geschwächt haben würde. Er
+hatte schon kleinere Schulden machen müssen und entschloß sich nun
+zur Aufnahme eines größeren Darlehens, um seinen Plan durchführen zu
+können. Er wandte sich an einen reichen Armenier, der mit schönen
+Sklavinnen handelte und auch dafür bekannt war, daß er Wuchergeschäfte
+machte. Der mochte den Deutschen wohl schon erwartet haben und empfing
+ihn sehr freundlich:</p>
+
+<p>„Sie wünschen von mir Geld zu haben, verehrtester Herr. Ich bin gerne
+erbötig, Ihren Wunsch zu erfüllen. Aber ich bin Kaufmann, und Sie
+werden sich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, daß <span class="pagenum" id="Page_45">[S. 45]</span>ich nur gegen
+Zinsen ein Darlehen gewähren kann. Auch glaube ich, daß es für Sie am
+zweckmäßigsten wäre, wenn Sie zu Ihrer bevorstehenden Reise meine Barke
+benutzen würden, die ich Ihnen für die Mietsumme von monatlich 700
+Piastern überlassen will. Wieviel Piaster haben Sie nötig?“</p>
+
+<p>Brehm nannte die Summe von 3000 Piastern. Der Gauner forderte 60
+Prozent Zinsen und für seine elende Barke das Doppelte des üblichen
+Mietpreises. Das waren furchtbare Bedingungen, in deren Erfüllung
+Brehm seinen völligen Untergang voraussah. Er kochte innerlich vor
+Wut, aber er biß die Zähne zusammen und fügte sich, weil er sich eben
+fügen mußte, weil der Ertrinkende in seiner Verzweiflung auch nach
+einem Strohhalm greift. Als aber bei Ausstellung des Schuldscheins und
+Berechnung der Geldsorten der Armenier den bedauernswerten Forscher um
+weitere 20 Prozent zu betrügen versuchte, blieb der Deutsche seiner
+Entrüstung nicht länger Herr. Mit starker Hand hielt er den Schurken an
+seinem langen Barte fest und prügelte ihn mit der Nilpferdpeitsche, so
+lange er seinen rechten Arm rühren konnte, und das dauerte sehr lange,
+denn dieser Arm war jung und kräftig. Der getreue Ali hütete derweil
+mit gespannter Pistole die Tür des Diwan&#x2060;<a id="FNanchor_2_2" href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a>, so daß die Dienerschaft
+ihrem jämmerlich um Hilfe rufenden Herrn keine Unterstützung bringen
+konnte. Endlich entwand sich der Gauner Brehms ermattenden Händen,
+flüchtete in seinen Harem und schrie: „Maladetto, jetzt sieh, wo du
+Geld herbekommst!“ Ohne ein weiteres Wort verließ Brehm den Diwan des
+bestraften Wucherers.</p>
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote"><p><a id="Footnote_2_2" href="#FNanchor_2_2" class="label">[2]</a> Empfangszimmer für Männer</p></div>
+
+</div>
+
+<p>Der gestrenge Oberstatthalter des Sudan, Latief Pascha, soll herzlich
+gelacht haben, als ihm dies Geschichtchen zugetragen wurde, denn der
+echte Türke mag ja den Armenier nicht ausstehen. Darauf fußend, wagte
+es der verzweifelnde Brehm, den Pascha selbst in einer Bittschrift um
+ein Darlehen von 5000 Piastern auf vier Monate anzugehen; bis dahin
+würde er sicherlich Geld durch Baron Müller erhalten haben. Schon am
+nächsten Tage hielt er eine Anweisung auf das Schatzamt in Händen:
+„Wir haben das Gesuch des Deutschen Chalil Effendi&#x2060;<a id="FNanchor_3_3" href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> zu genehmigen
+beschlossen und befehlen euch, ihm 5000 Piaster ohne Zinsen auf
+vier Monate vorzustrecken. Laßt euch von ihm einen Empfangsschein
+geben. Sollte der Herr aber nach Verlauf von vier Monaten noch nicht
+imstande sein, das ihm geliehene <span class="pagenum" id="Page_46">[S. 46]</span>Geld an die Kasse der Regierung
+zurückzuzahlen, so sendet uns seinen Empfangsschein zu und rechnet uns
+die Summe von 5000 Piastern auf unsere Apanagen.“</p>
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote"><p><a id="Footnote_3_3" href="#FNanchor_3_3" class="label">[3]</a> So wurde Brehm von Arabern und Türken genannt</p></div>
+
+</div>
+
+<p>So großmütig, wahrhaft königlich handelte der Türke. Als Brehm seinem
+Gönner einen Dankbesuch abstattete, wurde er mit Worten empfangen,
+die fast wie ein Vorwurf klangen: „Es war unrecht von dir, Chalil
+Effendi, daß du mir deine Verlegenheit nicht schon früher angezeigt
+hast. Ich würde sie längst beendigt haben. Wie konntest du aber auch
+erst zu einem dieser schurkischen Christen gehen, statt gleich zu einem
+Mohammedaner?“</p>
+
+<p>Die Reise nach dem Oberlauf des Blauen Flusses konnte also
+angetreten werden. Sie gestaltete sich zu einer der glücklichsten
+und erfolgreichsten, die Brehm je gemacht hat, zumal er dabei von
+den tückischen Fieberanfällen so ziemlich verschont blieb. Er konnte
+diesmal weit tiefer ins Innere vordringen als früher mit Baron Müller.
+Erst als der Schießbedarf zu Ende ging und sich die Ausbeute zu stark
+anhäufte, kehrte er um. Jetzt lernte er überdies die überwältigende
+Formen- und Farbenfülle der Tropen erst in ihrem ganzen Umfang kennen
+und wurde mit den sagenhaftesten Gestalten der Urwälder und Sümpfe
+innig vertraut. Hier lebt auch der riesenhafte, vorsintflutlich
+anmutende Watvogel, den die Araber Abu Markub nennen, d. h. Vater des
+Schuhs, denn in der Tat hat sein absonderlicher Schnabel die größte
+Ähnlichkeit mit den plumpen Schuhen, wie sie die ägyptischen Bauern
+tragen. Aufregende jagdliche Abenteuer gab es in Hülle und Fülle, und
+einmal wäre Brehm um Haaresbreite von einem wütenden Nilpferd getötet
+worden; nur seine Schwimmkunst rettete ihm das Leben. Mit einer
+Ausbeute von nicht weniger als 1400 seltenen und wertvollen Vogelbälgen
+kehrte der Forscher glücklich nach Chartum zurück.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe33" id="illu_047">
+ <img class="w100" src="images/illu_047.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Schuhschnabel oder walköpfiger Storch (<span class="antiqua">Balaeniceps
+ rex</span>) aus dem Weißen Nilgebiet. Das ist der Vogel „Abu Markub“ —
+ eine Vogelart, die Brehm auf seinen Nilfahrten beobachtete. Unserer
+ Abbildung liegt eine Photographie aus dem Jahre 1928 zugrunde.<br>
+ (Nach einer Aufnahme von Carl Hagenbeck, Stellingen)
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_047_gross.jpg"
+ id="illu_047_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Hier erwarteten ihn wohl Nachrichten aus dem Elternhause, aber
+von Baron Müller waren weder Briefe noch Wechsel noch sonst ein
+Lebenszeichen eingetroffen. Es kam auch künftig nichts mehr. Damit
+begann die alte Geldverlegenheit mit all ihrem aufreibenden Elend von
+neuem. Brehm mußte sich aufs äußerste einschränken, aber er arbeitete
+unverdrossen weiter an der Vervollständigung seiner Sammlungen, weil
+nur durch Arbeit seine entsetzliche Lage erträglicher wurde, weil nur
+die Natur Genüsse bot, die ihn das Elend seiner häuslichen Umstände
+vergessen ließen. Schließlich erfuhr er durch den österreichischen
+Konsul von Kairo auf Anfrage, daß Baron <span class="pagenum" id="Page_48">[S. 48]</span>Müller bankerott sei. Damit
+war der letzte Hoffnungsstrahl geschwunden! Verlassen und verraten
+im Innern Afrikas! Ohne Mittel zur Heimkehr! Nur wer selbst gleich
+dem Schreiber dieser Zeilen eine ähnliche Lage durchgemacht hat, wird
+ermessen können, was sie bedeutet. Dazu stellte sich das „Geschenk
+des Teufels“, die Malaria, wieder ein und steigerte sich zu immer
+heftigeren und in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrenden
+Anfällen. Aber die wissenschaftliche Ausbeute durfte trotzdem
+nicht notleiden, alles Entbehrliche wurde für sie verwendet. Brehm
+vertauschte seine silberne Uhr gegen acht Pfund Schießpulver, er
+verkaufte Kleider, Waffen, Bücher, Kisten, Wäsche, den wenigen Schmuck,
+den er besaß, kurz alles, was sich irgend verkaufen ließ. Er bat in
+seiner Not den Pascha um etwas Schießpulver. „Gebt dem Herrn 6000 Stück
+Militärpatronen zum Einkaufspreise der Regierung!“ lautete die an den
+Aufseher des Pulvermagazins zu überbringende Antwort. Das Pulver war
+freilich schlecht, aber das Pfund kostete auf diese Weise auch nur
+fünf Piaster, und die Bleikugeln waren umsonst. Brehm goß Schrote aus
+ihnen. Natürlich konnte er dem Pascha auch die entliehenen 5000 Piaster
+vorläufig nicht zurückzahlen und bat deshalb brieflich um Verlängerung
+der Frist. „Zwischen dir und mir gibt es keine beschwerlichen Dinge“,
+schrieb der Türke einfach zurück.</p>
+
+<p>Ich kannte früher ein rührendes Gedicht Brehms aus dieser Leidenszeit,
+betitelt „Meine letzten drei Freunde“&#x2060;<a id="FNanchor_4_4" href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a>, unter denen er seine
+vielerprobte Büchse, seinen treuen Diener Ali und seine zahme Löwin
+Bachida verstand. Und wurde unserem Freunde das Herz einmal gar zu
+kummerschwer, und war der Dämon des Fiebers einmal auf Stunden von ihm
+gewichen, dann schulterte er sein Gewehr und zog hinaus in die freie
+Natur, sich neu zu kräftigen und zu stärken. Wer in der Natur Trost zu
+finden weiß, der kann ja niemals ganz unglücklich werden!</p>
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote"><p><a id="Footnote_4_4" href="#FNanchor_4_4" class="label">[4]</a> Alle meine Bemühungen, es wieder aufzutreiben, sind leider
+vergeblich gewesen</p></div>
+
+</div>
+
+<p>Um diese kritische Zeit kam ein deutscher Großkaufmann aus Petersburg,
+namens Bauerhorst, nach Chartum, um dort Handelsbeziehungen
+anzuknüpfen. Er war ein anständiger Mensch, befreundete sich bald mit
+Brehm und erbot sich, ihn nach Abwicklung seiner Geschäfte bis nach
+Kairo mitzunehmen. Ein Ausweg? Es fragte sich, ob der Pascha als Brehms
+Hauptgläubiger die Erlaubnis zu dessen Abreise vor Bezahlung der Schuld
+geben würde. Beide gingen deshalb <span class="pagenum" id="Page_49">[S. 49]</span>zu ihm, Bauerhorst, um Abschied
+zu nehmen, Brehm, um zu bitten, seine Schuld von Kairo aus zahlen zu
+dürfen.</p>
+
+<p>Der Pascha war schlechter Laune und anfangs sehr kalt. Brehm übersetzte
+zuerst Bauerhorsts Abschiedsworte und kam dann zu seiner Bitte:
+„Herrlichkeit, ich muß zugrunde gehen, wenn ich noch länger hier
+verweile. Nach Aussage der Ärzte ist mein geschwächter Körper nicht
+mehr fähig, neuen Fieberanfällen Widerstand zu leisten. Ich muß eilen,
+ein gesundes Klima zu erreichen; auch möchte ich gerne die Lieben im
+Vaterlande wiedersehen, von denen ich so lange getrennt gewesen bin.“</p>
+
+<p>„Aber wer hält dich denn hier zurück, Chalil Effendi? So ziehe doch in
+Frieden deiner Heimat zu!“</p>
+
+<p>„Herrlichkeit, mich hält einzig und allein mein gegebenes Wort zurück.
+Ich bin dein Schuldner und freue mich, es zu sein, weil ich dadurch
+deine Großmut erkennen lernte. Es ist mir aber unmöglich, mein Wort
+hier zu lösen, wie ich es versprochen habe. Ich kann es nur in Kairo.
+Willst du mir erlauben, daß ich dahin abreisen darf, so wirst du das
+Maß deiner gegen den Fremdling reichlich bewiesenen Güte übervoll
+machen.“</p>
+
+<p>„Zum Teufel! Was denkst du von mir, Chalil Effendi? Bezahle zwei Monate
+nach deiner Ankunft an deinen Konsul in Kairo; ich werde das Geld dort
+erheben lassen. Aber wie willst du nach Kairo gelangen? Das ist ein Weg
+von mehreren hundert Meilen. Wo willst du die Reisekosten hernehmen?“</p>
+
+<p>„Mein Freund Bauerhorst hat versprochen, sie bis nach Kairo auszulegen.“</p>
+
+<p>„Ganz gut, Chalil Effendi, aber ich will dir noch eine Lehre geben. Du
+bist noch jung und kannst noch nicht die Menschenkenntnis besitzen,
+die ich mir durch lange Erfahrung im Geschäftsleben erworben habe.
+Glaube mir, der beste Freund verwandelt sich allgemach in einen Feind,
+wenn man ihn fortwährend um Geld anzusprechen gezwungen ist. Ich kann
+verhüten, daß auch du diese Erfahrung machst, und ich will es. Ich
+werde verfügen, daß man dir noch 5000 Piaster aus der Schatzkammer
+ausbezahlt. Du bist dann 10000 Piaster schuldig. Zahle sie an deinen
+Konsul in Kairo zurück!“</p>
+
+<p>Brehm, für den diese Worte eine glänzende Erlösung aus seinem Elend
+und die endliche Rückkehr in die Heimat bedeuteten, fand anfangs kaum
+Worte, seinen Dank auszudrücken. Endlich stammelte er: „Herrlichkeit,
+deine Gnade drückt mich zu Boden. Ich werde <span class="pagenum" id="Page_50">[S. 50]</span>deinen Edelmut nie
+vergessen.“ In dem feuchten Blick des beglückten Deutschen mochte
+der Pascha wohl lesen, daß er seine Großmut an keinen Unwürdigen
+verschwendet habe. Freundlich entließ er ihn&#x2060;<a id="FNanchor_5_5" href="#Footnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a>.</p>
+
+<div class="footnotes">
+
+<div class="footnote"><p><a id="Footnote_5_5" href="#FNanchor_5_5" class="label">[5]</a> Brehm hat mit Hilfe seiner Verwandten die Schuld pünktlich
+zurückgezahlt. Der Pascha schrieb später dem alten Brehm noch einen
+sehr netten Brief, worin er ihn zu diesem Sohn beglückwünscht</p></div>
+
+</div>
+
+<p>Nun ging es also wirklich an die Zurüstungen zu der langwierigen
+Heimfahrt, die bei der Menge der angesammelten wissenschaftlichen
+Ausbeute und der großen Anzahl Tiere, die lebendig mitgeführt werden
+mußten, recht umständlich waren. In Kairo traf Brehm zufällig mit
+seinem berühmten Landsmann Theodor von Heuglin zusammen, und beide
+machten gemeinsam noch einen Abstecher nach dem Sinai. Es ist
+bezeichnend für Brehm, daß er, obwohl es ihn begreiflicherweise mit
+allen Fasern seines Herzens nach der trauten Heimat zog, doch diese
+Gelegenheit nicht versäumen wollte, nun auch noch die zwar spärliche,
+aber sehr eigenartige Tierwelt des Sinai kennenzulernen, um sie mit
+der ägyptischen vergleichen zu können. Am 16. Juli 1852 drückte Alfred
+Brehm nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit seine treuen Eltern wieder
+ans Herz. Ein unreifer Jüngling war nach Afrika hinausgezogen, ein weit
+über seine Jahre gereifter, ernster, ganzer Mann kehrte zurück.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="In_Spanien">In Spanien</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">I</span>n einer wonnigen Frühlingsnacht saß Brehm am Fuße der Alhambra und
+lauschte in verträumtem Sinnen den Nachtigallen. Vollmondschein
+versilberte das steingewordene Spitzengewebe des arabischen Wunderbaus.
+Brehm dachte darüber nach, wie recht doch Alexander Dumas wenigstens
+in tiergeographischer Hinsicht hat, wenn er sagt: „Afrika beginnt
+hinter den Pyrenäen“. Und der Deutsche begriff, daß er nunmehr hier
+in Andalusien im afrikanischsten Teile Spaniens angekommen sei. Er
+vergegenwärtigte sich den Weg über die vielbesungene Sierra Morena,
+diesen Smaragd am Herzen Spaniens, auf daß nun auch die dritte,
+schönste und letzte der scharf abgegrenzten Zonen Spaniens ihm ihre
+Pforten öffne. Palmen und Kaktusfeigen, die riesenhafte Agave und
+der Johannisbrotbaum traten nunmehr als Charakterpflanzen auf. Hier
+herrscht der Himmel Nordafrikas mit seiner Milde und seiner Glut. Hier
+klingt und singt es wieder, denn der Winter muß zum Frühling werden.
+Singend <span class="pagenum" id="Page_51">[S. 51]</span>reden die Menschen, wenn sie sprechen, tanzend bewegen sie
+sich, wenn sie gehen.</p>
+
+<p>Und die Vögel? Nun auch sie teilen die allgemeine Lust. Sie sind
+es, die dem ernsten Gebirge, das sich ohne den Schmuck frischgrüner
+Wälder zum Himmel hebt, seinen Ernst zu nehmen sich erdreisten, die
+es wenigstens zu beleben versuchen. Hier in dieser Zone ist der Süden
+zur alleinigen Herrschaft gelangt, aber er hat den Norden gebeten, ihm
+einige seiner Sänger zu leihen, denn er will nicht bloß in Farben leben
+und blühen und glühen, sondern auch in Klängen und Liedern. Deshalb
+durften in Andalusien die Sänger nicht fehlen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe36" id="illu_051">
+ <img class="w100" src="images/illu_051.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Theodor von Heuglin (1824–1876), der Begleiter Brehms
+ auf der Reise nach dem Sinai.<br>
+ Nach einer zeitgenössischen Lithographie von E. Pfann aus dem Nachlaß
+ Heuglins im Museum für Länder- und Völkerkunde — Lindenmuseum — in
+ Stuttgart
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Ein Abendbummel innerhalb der Ringmauern des Feenschlosses Alhambra
+muß nicht nur einem Brehm, sondern im Frühling auch jedem anderen
+Menschenkinde, und wäre es das prosaischste auf der weiten Erde, einen
+gewissen poetischen Schwung in die Seele tragen. Diese Stimmung bringt
+die Königin der Hecken und Gebüsche, die Nachtigall. Einige Provinzen
+Spaniens sind reichbegabt mit diesem herrlichsten aller Sänger. Nicht
+hier und dort, ein ganzes Stück vom nächsten entfernt, singt und jubelt
+einer wie bei uns zu Lande: nein, Hunderte hört man zu gleicher Zeit.
+In jedem Gebüsch schlägt eine Nachtigall, in jeder Hecke wohnt ein
+Pärchen. Die ganze große, grüne Sierra Morena gleicht einem einzigen
+Nachtigallengarten. Um die großartigen Felsterrassen, Galerien, Kegel
+und Wälle der Gralsburg <span class="pagenum" id="Page_52">[S. 52]</span>Monserrat in Katalonien klingt in wunderbarer
+Harmonie das von hundert und tausend gesungene <em class="gesperrt">eine</em> Lied, und
+selbst im Innern Spaniens sind alle zusammenhängenden Gebüsche voll
+von dem <em class="gesperrt">einen</em> Schlag. Eine Wanderung durch Feld und Wald im
+begrünten Gebirge ist ein fortdauernder Genuß, denn ein nimmer endendes
+Konzert erquickt das innerste Herz. Im klang- und poesiereichen
+Andalusien, im freundlich ernsten Katalonien, im frischgrünen
+Schweizerland in Galizien oder Asturien, überall jauchzt dem Wanderer
+die Nachtigall entgegen. Die beiden Brehm waren bei ihrem Eintreffen in
+Spanien bezaubert, hingerissen von diesem Nachtigallenkonzert, zumal
+man die einzelnen Sänger gar nicht mehr unterscheiden konnte: es waren
+ihrer zu viele! Man mochte sich wenden, wohin man wollte, überall
+begegnete man der Nachtigall als dem häufigsten Singvogel. In jedem
+Orangengarten lebten zwei, vier, sechs, acht oder zehn Paare oder noch
+mehr. Die Bäume prangten im Schmuck ihrer duftigen Blüten und goldenen
+Früchte und vereinigten sich mit den Nachtigallen, denen sie in ihrem
+dunklen Gelaub Herberge boten, um Auge und Ohr des Forschers mit nie
+gekannten Genüssen zu erfüllen. Die Hallen des alten Königsschlosses
+Alhambra sind verödet, ihr prunkvolles Leben erstarb, aber die
+gefiederten Minnesänger aus alter Zeit sind treu geblieben und werden
+es bleiben, solange das auf die Höhe geleitete Wasser noch rauscht und
+murmelt und flüsternd erzählt von entschwundener Herrlichkeit.</p>
+
+<p>Brehm ist zweimal in Spanien gewesen, hat aber leider gerade über
+diese beiden Reisen fast nichts veröffentlicht; das erstemal kam er
+gleich nach seiner Studentenzeit zusammen mit seinem älteren Bruder
+Reinhold, der dabei als Arzt in Madrid hängen geblieben ist und den
+jüngeren Alfred um viele Jahre überlebt hat. Durch den Verkehr mit
+Schmugglern, Räubern, Zigeunern und halbwilden Hirten soll gerade
+diese Reise, über die Brehm nicht gern redete, überreich gewesen sein
+an Abenteuern und romantischen Erlebnissen aller Art. Bald sprach
+Brehm fließend Spanisch und konnte sich nach seiner Art auch in das
+Studium der Bevölkerung vertiefen, die er dabei herzlich lieb gewann.
+Ihre vornehme Haltung, ihr stolzes, ritterliches Wesen entsprach ja so
+ganz seiner eigenen Wesens- und Denkart. Zur Deckung der Reisekosten
+hatten die Brüder „Aktien“ herausgegeben, deren Inhaber das Recht
+besaßen, für einen entsprechenden Betrag unter der Ausbeute das ihnen
+Zusagende sich auszuwählen. Deshalb konnte leider ein Großteil dieser
+wertvollen Ausbeute, <span class="pagenum" id="Page_53">[S. 53]</span>soweit sie nicht in die Sammlung des Vaters
+überging, nicht als Ganzes wissenschaftlich bearbeitet werden, sondern
+wurde gleich nach Beendigung der Reise in alle Welt zersplittert.
+Das ist tief zu beklagen, denn Spanien ist auch heute noch das
+ornithologisch unerforschteste Land Europas. Die zweite spanische Reise
+machte Brehm 1879 zusammen mit seinem Freunde, dem Kronprinzen Rudolf
+von Österreich. Es war wohl mehr eine Art höfischer Jagdreise, die
+hauptsächlich den Steinböcken, Adlern und Bartgeiern galt und die Brehm
+mancherlei Orden und Auszeichnungen eintrug, woraus er sich aber nie
+viel gemacht hat. Als er starb, stand ein Prachtexemplar der zweiten
+Auflage des „Tierlebens“ in Renthendorf versandfertig für den König von
+Spanien bereit. Mit Veröffentlichungen über diese doch gewiß auch sehr
+interessante Reise wollte Brehm wahrscheinlich dem Kronprinzen, der ja
+selbst schriftstellerte, nicht vorgreifen, und so sind sie leider ganz
+unterblieben.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Nordlandfahrt">Nordlandfahrt</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">E</span>rik Svensen, der alte verwitterte norwegische Trapper, der Brehms
+unzertrennlicher Jagdgefährte in Lappland geworden war, kniete nieder,
+prüfte aufmerksam den Boden und sagte: „Hier hat heute ein Renntier
+geäst. Schau, diese Pflanzen sind frisch abgebissen, und hier liegt
+ein Stengel daneben, noch saftig und unverwelkt.“ Nicht weit davon
+fand denn auch Brehm an einer feuchten Stelle die scharf und frisch
+abgedrückte Fährte des begehrten Wildes. Kein Zweifel also: wilde
+Renntiere, an deren genauer Beobachtung Brehm so viel lag, waren
+wirklich in der Nähe. Es kostete aber noch manchen vergeblichen
+Pirschgang und manchen Schweißtropfen, bis man zum Ziele gelangte.
+Es bedurfte oft meilenweiter Märsche auf völlig ungewohntem und
+überaus schwierigem Gelände. An Gefahr war dabei allerdings kaum zu
+denken, aber Beschwerden gab es genug. Die Halden bestanden nur aus
+wirr durcheinander und übereinander gewürfelten Schieferplatten, die
+entweder beim Darüberschreiten in rutschende Bewegung gerieten oder
+aber so scharfkantige Ecken, Spitzen und Kanten hervorstreckten, daß
+jeder Schritt durch die Stiefelsohlen hindurch schmerzlich fühlbar
+wurde. Die außerordentliche Glätte der Platten, über die das Wasser
+herabrieselt, vermehrte noch die Schwierigkeiten des Weges, und das
+beständige Durchwaten <span class="pagenum" id="Page_54">[S. 54]</span>der glatt gescheuerten Rinnsale erforderte
+ängstliche Vorsicht, wenn man blutige Abschürfungen an Armen und Beinen
+sowie ein unfreiwilliges Bad im eiskalten Gebirgswasser vermeiden
+wollte. Man kam deshalb auf Pirschgängen nicht gerade rasch vorwärts.
+Die Renntiere selbst standen oben auf den kahlen Hochflächen, die nur
+noch mit Zwergbirken, Beerengestrüpp, Moosen und Flechten spärlich
+bekleidet waren.</p>
+
+<p>Endlich erspähte Brehm von einem Hügel aus in einer Talmulde ein
+Rudel von 18 Renntieren. Er und Svensen entledigten sich rasch alles
+überflüssigen Gepäcks, prüften die Windrichtung und krochen dann
+Schritt für Schritt mit aller erdenklichen Vorsicht das scheue und
+scharfsinnige Wild an, bis sie hinter einigen großen Steinen Deckung
+fanden und Atem schöpfen konnten. Brehms Wunsch war erfüllt: Es war ein
+prachtvolles Schauspiel, das das Rudel ihm bot. Er brachte das Fernrohr
+gar nicht mehr vom Auge, um nur ja keine Bewegung der edlen Tiere sich
+entgehen zu lassen. Einige ästen, andere hatten sich niedergetan,
+wieder andere liefen spielerisch hin und her oder neckten sich mit
+ihren vielzackigen Geweihen. Plötzlich aber kam Leben und Bewegung,
+Schrecken und Furcht über alle. Sie stoben davon und jagten trottend
+durch Sumpf und Moor, gerade auf die Jäger zu, blieben dann aber
+wieder sichernd stehen, noch immer außer Schußweite. Brehms scharfes
+Auge erspähte auch bald die Ursache der ärgerlichen Störung in einem
+dunklen Klumpen, den er zunächst für einen Bären hielt. Als das Tier
+sich aber bewegte, erkannte er sofort, daß er es mit einem ungewöhnlich
+großen Vielfraß zu tun habe, und nun überwog bei ihm natürlich der
+Forscher den Jäger, denn der sagenumwobene Vielfraß gehört ja zu
+denjenigen Tieren, deren ein Zoologe nur ganz selten einmal in freier
+Natur ansichtig wird. Brehm bemerkte, wie der Vielfraß mit sehr stark
+bogenförmigen Sätzen lief, einem Marder entfernt ähnlich, aber mit
+weit mehr gebogenem Rücken und viel größeren Wölbungen, beinahe lauter
+Purzelbäume schlagend. Dieser Gang, die stattliche Größe und die dicke,
+buschige Lunte machen den Vielfraß sofort kenntlich. Der Räuber schien
+aber Verdacht geschöpft zu haben. Plötzlich verließ er seinen Ausguck,
+trabte, trottelte und kugelte dem Gebirge zu, fing unterwegs flugs noch
+einen Lemming, verspeiste ihn im Weiterlaufen, sah sich noch einmal
+mißgünstig nach dem menschlichen Störenfried und betrübt nach den
+Renntieren um und verschwand dann im Geklüft des Bergrückens.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_55">[S. 55]</span></p>
+
+<p>Da das Gelände nirgends Deckung zum Anschleichen bot, blieb den Jägern
+nichts übrig, als sich an zwei halbwegs günstigen Stellen niederzulegen
+und ein Näherkommen des Wildes abzuwarten. Drei volle Stunden lang
+wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Sie durften sich ja
+nicht rühren, alle Glieder wurden steif, und in dem quatschnassen
+Moos lag es sich auch nicht gerade behaglich. Endlich äste sich das
+Rudel ganz langsam näher heran. Schon hob Brehm zögernd die Büchse,
+da krachte drüben der Schuß des Norwegers. Das Rudel schreckte, zog
+ängstlich hin und her, sicherte und wurde schließlich flüchtig. Ein
+Stück lahmte, trennte sich von den anderen und nahm die Richtung auf
+Brehm zu. Der schoß und sah zu seiner unaussprechlichen Freude das edle
+Wild im Feuer zusammenstürzen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Donnernd hallte ein Kanonenschuß über die bewegten Fluten des
+Eismeeres und brach sich an den jähen Felsenwänden des Nordkaps und
+des Vogelberges Svärtholm. Der norwegische Schiffskapitän hatte sein
+Geschütz abfeuern lassen, um Brehm das Schauspiel der aufgescheuchten
+Brutkolonie von Dreizehenmöwen zu ermöglichen. Wie wenn ein tosender
+Wintersturm durch die Luft zieht und schneeschwangere Wolken aneinander
+schlägt, bis sie, in Flocken zerteilt, sich herniedersenken: so
+schneite es jetzt von oben lebendige Vögel herunter. Man sah weder
+den Berg noch den Himmel, sondern nur ein Wirrsal ohnegleichen. Eine
+dichte Wolke erfüllte den ganzen Gesichtskreis, und erfüllt war Fabers
+Wort: „Sie verbergen die Sonne, wenn sie fliegen.“ Heftig blies der
+Nordwind, und wütend brandete das Eismeer am Fuß der Klippen, aber
+lauter noch erklangen die kreischenden Schreie der Möwen, damit auch
+das Wort sich bewahrheitete: „Sie übertäuben das Tosen der Brandung,
+wenn sie schreien.“ Die Wolke senkte sich endlich auf das Meer
+hernieder, die bisher von ihr umnebelten Umrisse von Svärtholm traten
+wieder hervor, und ein neues Schauspiel fesselte die Blicke. Auf den
+Felsbändern schienen noch ebensoviele Möwen zu sitzen wie vorher, und
+Tausende flogen noch ab und zu, auf dem Meere aber, soweit es sich
+überschauen ließ, lagen, leichten Schaumballen vergleichbar, die weißen
+Vögel und schaukelten mit den Wogen auf und nieder. „Wie soll ich
+diesen herrlichen Anblick beschreiben? Soll ich sagen, daß das Meer
+Millionen und aber Millionen lichte Perlen in sein dunkles Wellenkleid
+geflochten habe? Oder soll ich die Möwen mit Sternen <span class="pagenum" id="Page_56">[S. 56]</span>und das Meer
+mit dem Himmelsgewölbe vergleichen? Ich weiß es nicht, aber ich weiß,
+daß ich auf dem Meere noch niemals Schöneres erschaut habe. Und als
+wäre es noch nicht genug des Zaubers, goß plötzlich die auf kurze Zeit
+verhüllt gewesene Mitternachtssonne ihr rosiges Licht über Vorgebirge
+und Meer und Vögel, beleuchtete alle Wellenkämme, als ob ein goldenes,
+weitmaschiges Netz über die See geworfen wäre, und ließ die ebenfalls
+rosig überstrahlten, blendenden Möwen nur um so leuchtender erscheinen.
+Da standen wir sprachlos im Schauen!“</p>
+
+<p>Es gibt aber auch noch Vogelberge anderer, nicht minder großartiger
+Art im Norden, die auf ihren Rücken mit torfiger Erde bedeckt sind
+und die hauptsächlich von Alken, Lummen und Lunden bevölkert werden,
+zwischen die nur vereinzelt Kormorane und Möwen sich eindrängen.
+Brehm hat auf seiner durch die Unterstützung der „Gartenlaube“
+ermöglichten Nordlandreise auch die größte dieser Siedlungen besucht.
+Die Torfrinde des Berges war nach Art von Kaninchenhöhlen dicht von
+Bruthöhlen durchlöchert. Unter Brehms Tritten, der in Schraubenlinien
+zum Gipfel des Berges emporstieg, zitterte das unterwühlte Erdreich.
+Und hervor aus allen Höhlen lugten, krochen, rutschten, flogen mehr
+als taubengroße, oberseits schieferfarbene, auf Brust und Bauch
+glänzend weiße Vögel mit phantastischen Schnäbeln und Gesichtern,
+kurzen, schmalen, spitzigen Flügeln und stummelhaften Schwänzen. Aus
+allen Löchern erschienen sie, aus Ritzen und Spalten des Gesteins
+nicht minder. Wohin man blickte, boten sich nur Vögel dem Auge, und
+ihre leise knarrenden Stimmen vereinigten sich zu einem sonderbaren
+Gedröhn. Jeder Schritt weiter entlockte neue Scharen dem Bauche der
+Erde. Von dem Berge herab nach dem Meere begann es zu fliegen, von
+dem Meere nach dem Berge hinauf schwärmten bereits unzählbare Massen.
+Aus Hunderten waren Tausende, aus Tausenden Zehntausende geworden,
+und Hunderttausende entwuchsen fortwährend dem braungrünen Boden.
+Eine Vogelwolke umhüllte den Forscher, umhüllte den ganzen Berg, so
+daß dieser, zauberhaft wohl, aber den Sinnen noch begreiflich, zu
+einem riesenhaften Bienenstocke sich wandelte, um den nicht minder
+riesenhafte Bienen schwirrend und summend schwebten und gaukelten. Je
+weiter Brehm kam, um so großartiger gestaltete sich das Schauspiel. Der
+ganze Berg wurde lebendig. Hunderttausende von Vogelaugen lugten auf
+den Eindringling herab.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe50" id="illu_057">
+ <img class="w100" src="images/illu_057.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Der Vogelberg in Vesteraalen (Norwegen). Nach einer Zeichnung
+ aus dem Jahre 1861<br>
+ Von links nach rechts: Teisten, Scharbe, Lummen, Lunde, Möwe, Alk
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_057_gross.jpg"
+ id="illu_057_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>„Aus allen Ecken und Enden, von allen Winkeln und Vorsprüngen <span class="pagenum" id="Page_58">[S. 58]</span>her,
+aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern wälzte es sich heraus, zur
+Rechten wie zur Linken, ober- und unterhalb, in der Luft wie auf
+dem Boden wimmelte es von Vögeln. Von den Wänden wie vom Gipfel des
+Berges herab ins Meer stürzten sich ununterbrochen Tausende in so
+dichtem Gedränge, daß sie dem Auge ein festes Dach vorzutäuschen
+vermochten. Tausende kamen, Tausende gingen, Tausende saßen, Tausende
+tänzelten unter Zuhilfenahme der Schwingen in wundersamer Weise dahin,
+Hunderttausende flogen, Hunderttausende schwammen und tauchten, und
+neue Hunderttausende harrten des auch sie aufscheuchenden Fußtritts.“</p>
+
+<p>Es wimmelte, schwirrte, rauschte, tanzte, flog und kroch um Brehm
+herum, daß ihm fast die Sinne vergingen; das sonst so scharfe Auge
+versagte den Dienst, das Gewehr zitterte in der sonst so zielsicheren
+Hand. Halb betäubt kam er endlich auf dem Gipfel an und blieb 18
+Stunden auf ihm liegen, um das Leben der Alken recht genau kennen zu
+lernen. Sie hatten bald alle Scheu vor ihm verloren; tänzelnden Ganges
+näherten sie sich ihm so weit, daß er mit der Hand nach ihnen zu
+greifen versuchte. Die Schönheit und der Reiz des Lebens zeigten sich
+in jeder Bewegung der wunderlichen Vögel. Mit Erstaunen erkannte Brehm,
+wie steif und kalt auch die besten Abbildungen dieser absonderlichen
+Geschöpfe sind, denn er bemerkte eine Regsamkeit und eine Lebhaftigkeit
+in den wundersamen Gestalten, wie er sie ihnen nie zugetraut hätte.
+Nicht einen Augenblick saßen sie ruhig, bewegten mindestens Kopf und
+Hals fort und fort nach allen Seiten hin, und ihre Umrisse gewannen
+dabei wahrhaft künstlerische Linien. Es war, als ob die Harmlosigkeit,
+mit der sich Brehm ganz der Beobachtung hingab, durch unbeschränktes
+Vertrauen von ihrer Seite vergolten werden sollte. Er verkehrte mit
+den Tausenden, als ob sie Haustiere wären, die Millionen schienen ihn
+geradezu als einen der ihrigen zu betrachten.</p>
+
+<p>Manch feinen Zug konnte Brehm dabei dem Leben der Alken ablauschen.
+Ihre geselligen Tugenden erreichen während der Brutzeit eine
+unvergleichliche Höhe. Während sonst in der Vogelwelt ein Mißverhältnis
+der Geschlechter zu ununterbrochenem Streite führt, wird bei den Lummen
+der Friede nicht gestört. Die beklagenswerten Hagestolze, die kein
+Weibchen zu ergattern vermochten, wandern trotzdem in Verein mit den
+glücklichen, unterwegs kosenden und tändelnden Paaren dem Brutberge
+zu. Hat das Weibchen sein einziges, aber sehr großes, kreiselförmiges
+und buntgetüpfeltes Ei gelegt und hat dessen <span class="pagenum" id="Page_59">[S. 59]</span>Bebrütung begonnen,
+dann wollen auch die armen Junggesellen wenigstens ihren guten Willen
+bekunden und drängen sich den einzelnen Paaren als Hausfreunde auf.
+Wachehaltend stehen sie vor den Bruthöhlen, aus denen das Männchen
+sich entfernt hat. Wenn aber beide Eltern gleichzeitig zum Meere
+hinabgeflogen sind, dann rutschen sie ohne Zögern ins Innere der Höhle
+und wärmen inzwischen das verlassene Ei. Nur brüten, ein ganz klein
+wenig brüten wollen sie: gewiß ein bescheidenes Verlangen für einen
+Junggesellen! Diese selbstlose Hingabe hat eine Folge, um die wir
+Menschen die Alken beneiden könnten: auf den Vogelbergen gibt’s kein
+Waisenkind! Sollte der Gatte eines Paares verunglücken, so bietet
+sich der Witwe augenblicklich Ersatz, und sollten gar beide Eltern
+gleichzeitig umkommen, flugs sind die gutmütigen Junggesellen zur Hand,
+um das Ei vollends auszubrüten und das Junge sorgfältig aufzuziehen.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Mit_dem_Herzog_von_Koburg_in_Abessinien">Mit dem
+Herzog von Koburg in Abessinien</h2>
+
+</div>
+
+<p>„<span class="initial">M</span>elde gehorsamst, Königliche Hoheit, daß ich eine starke
+Elefantenherde aufgespürt habe und daß also die Herrschaften
+voraussichtlich in den nächsten Tagen auf Elefanten zum Schuß kommen
+werden.“ Mit diesen Worten trat Brehm, von einem Tagesausfluge
+zurückkehrend, schweiß- und staubbedeckt in das bei dem abessinischen
+Gebirgsdorfe Mensa aufgeschlagene Zelt des Herzogs Ernst II. von
+Sachsen-Koburg-Gotha, des bekannten „Schützen-Herzogs“, der mit
+zahlreichen Teilnehmern eine wissenschaftliche Jagdreise nach diesem
+afrikanischen Hochlande veranstaltet und die Oberleitung dem berühmten
+Tierforscher anvertraut hatte.</p>
+
+<p>Der Herzog strich sich schmunzelnd den schwarzen Knebelbart, und die
+neben ihm stehenden Prinzen von Hohenlohe und von Leiningen lachten
+sogar aus vollem Halse. „Aber Brehm, wollen Sie uns mit so todernster
+Miene einen mächtigen Bären aufbinden? Nee, auf einen so plumpen Witz
+fallen wir nicht herein. So viel verstehen wir doch auch von der Natur
+des Elefanten, daß er kein Steinbock oder keine Gemse und auch kein
+Klettertier ist. Wie sollte denn der plumpe Koloß diese furchtbaren
+Steilhänge hinauf oder herunter kommen? Alles will ich Ihnen glauben,
+mein lieber Brehm, aber an Ihre Elefantengeschichte glaube ich nicht.“</p>
+
+<p>„Und doch, Königliche Hoheit, ist es genau so, wie ich sagte,“
+erwiderte Brehm, „ich habe die Spuren der Elefanten deutlich gesehen
+<span class="pagenum" id="Page_60">[S. 60]</span>und eine große Strecke weit verfolgt. Sie sind doch nicht mit denen
+eines anderen Tieres zu verwechseln.“ „Was für Spuren eigentlich?“
+„Ja, richtige Fährten sah ich freilich nicht oder doch nicht deutlich
+genug; sie drücken sich auf dem harten Felsboden der Berge zu wenig
+ab oder verwischen sich im Geröll. Aber ich sah einen Kaktus, auf
+den ein Elefant mit seiner schweren Fußsäule getreten war, denn alle
+seine Blätter waren bis zur Wurzel herab zerquetscht. Einzig und
+allein der Elefant tritt auf diese Weise den Kaktus nieder. Alle
+anderen Tiere, vielleicht noch mit Ausnahme des Nashorns, umgehen ihn.
+Dann fand ich auch die ganz unverkennbare Losung der Riesentiere.“
+„Wie sieht sie denn eigentlich aus?“ frug der Prinz von Leiningen
+interessiert dazwischen. „Das kommt ganz darauf an, welche Nahrung die
+Elefanten aufgenommen haben. Ästen sie vorzugsweise Gras, Kräuter und
+Baumblätter, so erinnert die Losung nach Gefüge und Farbe stark an die
+bekannten Pferdeäpfel, nur daß sie natürlich sehr viel umfangreicher
+ist. Haben die Elefanten dagegen hauptsächlich Zweige gefressen,
+so sind die Klumpen noch ungeheuerlicher, dunkler gefärbt und
+enthalten Aststücke von ziemlicher Länge und bedeutender Stärke. Die
+aufgefundene Losung war sicher noch ganz frisch, denn sie wurde stark
+von Mistkäfern beflogen, die nur an frischen Mist gehen. Ein weiteres
+gutes Kennzeichen war es, daß an den Bäumen viele Äste abgebrochen und
+Zweige abgerissen waren und das in einer Höhe, die außer dem Elefanten
+höchstens noch die Giraffe erreichen könnte. Aber abgesehen von den
+ganz verschiedenen Aufenthaltsorten schält die Giraffe nicht die Äste
+ab, wie dies der Elefant immer tut. Ich habe sogar die Überzeugung
+gewonnen, daß die Elefanten zu gewissen Jahreszeiten ganz regelmäßig
+hier vorkommen, denn es sind regelrecht ausgetretene Straßen vorhanden,
+wie ich sie ja schon von Innerafrika her kenne. Sie führen im Zickzack
+die Hänge hinauf und hinab und sind mit geradezu bewundernswerter
+Berechnung und mit dem Geschick erfahrener Baumeister angelegt. Eine
+sehr nette Feststellung konnte ich dabei machen. An einer Stelle des
+Pfades hatte nämlich ein großer Stein gelegen, halb über dem Gehänge,
+halb auf dem Wege. Dieser Stein war ausgebrochen und in die Tiefe
+hinabgerollt. Er allein aber konnte unmöglich in dem dichten Grase und
+Gebüsch, das den Hang nach unten hin bedeckte, die greuliche Verwüstung
+angerichtet haben, die ich bemerkte. Es war, als ob eine große Walze
+da hinabgerollt wäre und alles niedergequetscht hätte, was ihr im
+<span class="pagenum" id="Page_61">[S. 61]</span>Wege lag. Die Folgerung daraus führte notwendigerweise zu einem sehr
+ergötzlichen Ergebnis: einer der Elefanten hatte in der Dunkelheit
+den Stein — und zwar auf seiner überhängenden Seite — betreten,
+vielleicht gedrängt von anderen Mitgliedern der Herde. Der Stein war
+ausgebrochen, der Elefant hatte das Gleichgewicht verloren und einen
+großartigen Purzelbaum nach unten geschossen. Von der Tiefe herauf
+führte auch wirklich ein einziger Pfad nach dem oberen Wege zurück. Der
+schwere Sturz hat also offenbar dem Riesentiere nichts geschadet.“</p>
+
+<figure class="figcenter illowe50" id="illu_061">
+ <img class="w100" src="images/illu_061.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Elefantenjagd auf der Reise des Herzogs Ernst von
+ Sachsen-Koburg-Gotha nach Ägypten und den Ländern der Habab, Mensa und
+ Bogos. Zur Reisegesellschaft gehörte auch der Maler Robert Kretschmer,
+ von dem zwanzig große vielfarbige Arbeiten nach der Natur in dem
+ Reisewerk des Herzogs (Leipzig, 1865) veröffentlicht wurden. Eines
+ dieser vielfarbigen Bilder ist hier einfarbig wiedergegeben
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Der Herzog war nun doch nachdenklich geworden: „Auf Ihre Verantwortung
+hin, Herr Doktor, können wir ja in den nächsten Tagen mal einen Versuch
+in jener Gegend wagen. Aber wehe Ihnen, wenn überhaupt keine Elefanten
+da sind. Sie wären heillos blamiert, Herr Doktor!“ — „Darauf will ich
+es ruhig ankommen lassen,“ meinte Brehm lächelnd. — „Und ich bin schon
+ganz begeistert von der Geschichte,“ <span class="pagenum" id="Page_62">[S. 62]</span>rief der bekannte Weltreisende
+und Schriftsteller Gerstäcker, der gleichfalls mit von der Partie
+war. „Ich möchte das, was Freund Brehm gesagt hat, Wort für Wort
+beschwören. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie wunderbar groß die
+Anpassungsfähigkeit der Tiere ist. Warum sollte sich da ein so kluges
+Tier wie der Elefant nicht auch an das Gebirgsleben gewöhnen können und
+darin mit seinem zwerghaften Vetter, dem Klippschliefer wetteifern?
+Also heisa! Es gibt eine Elefantenjagd!“ Sie fand wirklich einige Tage
+später statt und gab Brehms Behauptungen glänzend recht. Es war ein
+überwältigend großartiger Anblick, wie die aufgeregte Elefantenherde
+laut trompetend mit erhobenen Rüsseln und weit abgespreizten
+Riesenohren den steilen Berghang herunterstürmte, daß die Steine nur so
+stoben.</p>
+
+<p>Brehm hatte auf dieser abessinischen Reise kaum eine ruhige Minute.
+Von früh bis spät war er unausgesetzt und angestrengt tätig. Er
+war Reisemarschall, Expeditionsführer und Jagdleiter in einer
+Person, es lastete also allzuviel auf ihm. Es war nicht leicht,
+die verwöhnte und vielköpfige Jagdgesellschaft unter einen Hut
+zu bringen und zufriedenzustellen, zu der auch die jagdkundige
+Herzogin und der begabte Tiermaler Robert Kretschmer gehörten, der
+später das „Tierleben“ so ausgezeichnet illustriert hat. Zu allen
+anderen Hemmnissen kam nach kurzer Zeit noch Brehms alter Feind, das
+klimatische Wechselfieber, das ihn namentlich während des zweiten
+Teils der Reise zeitweise völlig schachmatt setzte. Überdies dauerte
+der Aufenthalt in Afrika nur wenige Wochen, und so verbot schon
+die Kürze der Zeit eine eingehende wissenschaftliche Tätigkeit in
+einem Lande, das bereits durch Gelehrte vom Range eines Rüppell und
+eines Ehrenberg ziemlich gut erforscht war. Brehm war der großen
+Reisegesellschaft im März 1862 über Kairo, Aden und Massaua nach
+Habesch vorausgeeilt, um geeignete Lagerplätze auszusuchen und
+wildreiche Jagdgründe festzustellen. Diese 14 Tage, die er für sich
+allein in freier, tierreicher Wildnis weilte, ließen eigentlich
+die einzige Muße für seine wissenschaftlichen Beobachtungen. Und
+trotz alledem brachte gerade diese unter einem so unguten Stern
+stehende Reise nach den Bogosländern reiche Ernte. Es ist jedenfalls
+erstaunlich, welch überraschende Fülle von Neuartigem und Wissenswertem
+Brehm hier in der kurzen Zeit zusammengetragen hat und wie großartig
+er diese Beobachtungen später für sein „Tierleben“ zu verwenden wußte.
+Vielleicht ist seine geniale Begabung für die Tierforschung <span class="pagenum" id="Page_64">[S. 64]</span>und
+Tierbeobachtung niemals so glänzend zutage getreten wie gerade hier
+unter so widerwärtigen Verhältnissen. Namentlich mit dem merkwürdigen
+Klippschliefer und verschiedenen größeren Affenarten wurde er hier
+näher bekannt. Vor allem fesselten ihn die ebenso kraft- und mutvollen
+wie klugen und überlegenden Mantelpaviane.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe48" id="illu_063">
+ <img class="w100" src="images/illu_063.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Mantelpaviane, eine Art größerer Affen, die Brehm auf seiner Reise
+ nach Abessinien oft traf<br>
+ (Nach einer Photographie von Carl Hagenbeck, Stellingen, 1928)
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_063_gross.jpg"
+ id="illu_063_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Einmal begegnete die langauseinandergezogene Karawane einer großen
+Herde dieser stattlichen Tiere, die auf einem Felsgesims saß, etwas
+höher als Büchsenschußweite. Zuerst ließen die Paviane nur ihre
+gewöhnlichen bellenden Laute vernehmen. Als sie aber die vielen,
+ungewohnt weißen Menschen erblickten, kamen sie in Erregung und
+Bewegung, und nun hörte man von ihnen auch ganz andere Stimmen. Die
+alten Männchen brummten und grunzten wie Raubtiere oder Schweine, die
+jungen quiekten und kreischten wie Ferkel. Einige besonders eifrige
+Jäger stiegen die Felswand hinan und eröffneten das Feuer. Nach den
+ersten Schüssen erhob sich ein Stimmengewirr, das jeder Beschreibung
+spottete. Die allerverschiedensten Töne wurden laut: alles quiekte,
+kreischte, schrie, grunzte, brüllte und brummte wirr durcheinander.
+Alles flüchtete nach der entgegengesetzten Seite des Berges zu.
+Bei Schüssen aus größerer Nähe hielten sämtliche Affen an, schrien
+entsetzlich auf und faßten die Felsen, als wollten sie sich versichern,
+daß sie nicht heruntergeworfen würden. Weibchen und Junge verließen
+augenblicklich alle den Geschossen zugängliche Felsplatten, die
+Männchen aber rückten abwechselnd bis an den Rand der Gesimse vor und
+schauten wutfunkelnden Auges in die Tiefe, ihren Ingrimm durch heftiges
+Schlagen mit der Hand auf den Felsen bezeugend. Sie gingen sogar zum
+Angriff über, wenn auch nicht mit Händen und Zähnen, so doch dadurch,
+daß sie große Steine herausrissen und auf die menschlichen Störenfriede
+herabrollten. Man hatte genug zu tun, um diesen gefährlichen Geschossen
+auszuweichen. Mehrere Minuten war der Steinhagel so arg, daß er das
+schmale Alpental vollständig versperrte und die ganze Karawane zum
+Halten zwang. Es war eine richtige Affenschlacht! Ein besonders starkes
+Affenmännchen erstieg sogar mit einem großen Stein im Arme mühsam einen
+Baum und schleuderte dann von dessen Wipfel aus sein Geschoß mit um so
+kräftigerem Nachdruck und mit größerer Sicherheit. Ein Leopard gedachte
+bei diesem Kampfe im Trüben zu fischen und stürzte sich auf einen
+schwer angeschossenen Pavian. Aber die aufmerksamen Affen hatten den
+<span class="pagenum" id="Page_65">[S. 65]</span>Mordanfall eher gesehen als die blindlings ihrer Jagdlust frönenden
+Menschen. Ungeachtet ihrer Angst vor den fortgesetzt fallenden Schüssen
+rückten sie sofort auf der Platte vor, und einige alte Männchen machten
+sich fertig, nach unten hinab zu klettern, um dem Angefallenen zu Hilfe
+zu kommen. Ihre Aufregung war furchtbar, ihre Wut überstieg alles, was
+Brehm je bei Affen beobachtet hatte.</p>
+
+<p>Die Herde ging schließlich weiter unterhalb auf die andere Talseite
+hinüber und stieß dabei abermals mit der Karawane zusammen.
+Die mitgeführten Hunde, mutige Tiere, gewohnt, jeder Hyäne
+entgegenzutreten, stutzten einen Augenblick und stürzten sich dann
+mit freudigem Gebell auf die Paviane. Im Nu waren sie mitten unter
+der Affenherde, aber ebenso rasch auch von den stärksten Männchen der
+Paviane umringt und förmlich gestellt. Brüllend und wutschnaubend
+zeigten die Affen ihre fürchterlichen Gebisse den Hunden in so
+bedrohlicher Nähe, daß diese es vorzogen, vom Kampf abzustehen und
+beim Menschen Zuflucht zu suchen. Während sie von neuem ermuntert und
+angehetzt wurden, hatten die Affen ihren Weg fortgesetzt und bis auf
+wenige Nachzügler das Tal überschritten. Unter diesen Nachzüglern
+befand sich ein kleiner, etwa halbjähriger Bursche, der etwas
+entfernt von den andern seines Weges ging. Auf ihn hetzte man jetzt
+die Hunde. Sie gingen an und hatten bald den Affen, der auf einen
+Felsblock geflüchtet war, regelrecht gestellt. So schnell als möglich
+eilten die Menschen den Hunden zu Hilfe, sich schon mit der Hoffnung
+schmeichelnd, den jungen Pavian lebendig fangen zu können. Allein diese
+Hoffnung wurde gänzlich vereitelt. Auf das jammervolle Zetergeschrei
+des geängstigten Jungen hin kehrte nämlich vom andern Ufer her ein
+gewaltiges Männchen zurück, um ihm beizustehen. Ernst und würdevoll
+durchschritt er das Tal; ohne sich um die Hunde auch nur im geringsten
+zu kümmern, ging er schnurstracks auf sein Ziel los, mitten durch seine
+verblüfften Feinde hindurch, sprang auf den Felsen zu dem Jungtier,
+ermunterte es durch allerlei Zeichen und Gebärden, mit ihm zu gehen,
+und geleitete es dann ruhig und furchtlos nach dem andern Ufer, in
+dessen Dickicht beide alsbald verschwanden. Die Hunde setzte er durch
+wütendes Grunzen derart in Furcht, daß keiner es wagte, ihn oder seinen
+Schützling anzugreifen.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_66">[S. 66]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="In_Westsibirien">In Westsibirien</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">D</span>ie tote Steppe Westsibiriens, einen Tagemarsch von Semipalatinsk,
+sonst nur der Tummelplatz von Steppenkiebitzen, Rotfußfalken und
+kohlschwarzen Mohrenlerchen, hatte sich über Nacht plötzlich mit
+lärmendem und buntscheckigem Leben erfüllt. Bei einem tropfenweise
+rinnenden Wässerchen standen eine Reihe besonders großer und schöner
+Jurten (Filzzelte), außen zierlich geschmückt mit kunstvoller
+Näherei und aufgeheftetem bunten Zierat aus stilvoll verschnörkelten
+Tuchflittern, innen mit kostbaren Teppichen und seidenen Decken,
+die rings an den Wänden hingen und den Boden bedeckten. Diese
+heimeligsten und vollkommensten aller Zelte beherbergten augenblicklich
+den weitgebietenden Statthalter des russischen Zaren, den General
+Poltaratzky nebst Familie und Gefolge, und bei ihm befanden sich als
+hochgeehrte Gäste drei Deutsche, unser Brehm, sein Berufsgenosse
+Dr. Otto Finsch aus Bremen und ein württembergischer Offizier,
+Graf Waldburg-Zeil-Trauchburg, die im März 1876 gemeinsam eine
+Forschungsreise nach Westsibirien angetreten hatten. Der General
+hatte sie mit echt russischer Gastfreundschaft zu einer Treibjagd auf
+Archare, die riesigen Wildschafe dieses Landes, eingeladen und dazu
+als ortskundige Gehilfen auch die in der Umgegend ansässigen Kirgisen
+aufgeboten. Und sie waren alle erschienen: Sultane, Gemeindevorsteher
+und andere Vornehme des Volkes der Steppe mit Schützen und Treibern und
+Stegreifdichtern, Jagd- und Rennpferden, mit gezähmten, auf Fuchs und
+Wolf, Murmeltier und Antilope abgetragenen Steinadlern, langhaarigen
+Windhunden, Kamelen und Saumtieren und was noch sonst erforderlich ist
+nach des Landes Brauch und Sitte. Das war so recht etwas für Brehm, der
+so gerne fremde Völker beobachtete und ihre Sitten ergründete.</p>
+
+<p>Es herrschte eine etwas gedrückte Stimmung, denn der soeben beendigte
+erste Jagdtag war durchaus nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Wolf
+war gefehlt worden, und das einzige Wildschaf im Triebe hatten die
+nächststehenden Schützen gar nicht bemerkt. Man hatte sich dann
+an reichbesetzter Tafel niedergelassen, aber da hatte plötzlich
+lauter Zuruf die Schmausenden aufgeschreckt. Aufspringend sah man
+fünf stattliche Archarböcke über das Gefels dahineilen, die sich
+dem Trieb in einem Seitental entzogen gehabt hatten. Eiligst griff
+alles nach den Büchsen, warf sich auf die Pferde und jagte dem edlen
+Wilde nach. Zu spät! Obwohl die Schafe nur trabten, war doch in dem
+unwegsamen <span class="pagenum" id="Page_67">[S. 67]</span>Gelände kein Pferd imstande, sie einzuholen. Ruhig, stolz
+und bedachtsam waren sie weitergezogen und bald im zerklüfteten
+Gefels verschwunden. Man unterhielt sich jetzt über dieses unerhörte
+Mißgeschick. „Für mich war es überhaupt keines,“ sagte Brehm, „denn
+ich hatte doch das Glück, die gewaltigen Tiere hier in ihrer Heimat
+frei und in voller Bewegung zu sehen. Und dann war doch das ganze Bild
+dieser Gebirgsjagd mit berittenen Treibern so eigenartig und fesselnd,
+wie eine Jagd überhaupt nur sein kann.“ — „Sehr richtig,“ stimmte
+Finsch bei, „und morgen ist ja auch noch ein Tag.“ — „An dem uns die
+launische Diana hoffentlich etwas huldvoller gesinnt sein wird als
+heute,“ seufzte der schießlustige Graf.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe33" id="illu_067">
+ <img class="w100" src="images/illu_067.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Kartenausschnitt zu Brehms Reise nach Westsibirien
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Der nächste Morgen war bitter kalt. Wohl achtzig Reiter zogen diesmal
+in buntem Getümmel hinaus zum Felsengebirge. Hinter ihnen drein
+stelzten Kamele, mit einer Jurte, Küchengerät und Lebensmitteln
+befrachtet. Der Trieb begann. Reitend erkletterten die Treiber den
+steilen Höhenzug. Hier und da erschien einer von ihnen auf der Spitze
+der Felsen, die er erklommen, verschwand aber bald darauf wieder im
+Gestein. Kein einziger von ihnen wich trotz der Schwierigkeit des
+Geländes von der ihm angewiesenen Richtung ab. Wie Ziegen kletterten
+die belasteten Pferde in den Felsen umher, denn wo noch eine Ziege
+ihren Pfad findet, da kommt auch der kirgisische Reiter noch durch.
+Einem geübten Bergsteiger boten die Granitwände und Kegel allerdings
+nirgends unüberwindliche Schwierigkeiten, <span class="pagenum" id="Page_68">[S. 68]</span>aber Reiter hatte Brehm
+doch niemals in derart zerklüftetem Gelände den Weg suchen und finden
+sehen. Stundenlang währte der Trieb, das bewegungslose Ausharren auf
+den angewiesenen Ständen wurde bei dem eisigen Schlackwetter zur Qual.
+Ein Wildschaf mit zwei Lämmern zog in mehr als doppelter Schußweite an
+Brehm vorüber. Von den Böcken keine Spur. Schon näherte sich der Trieb
+seinem Ende. Da endlich rieselten Steine hoch oben über Brehm, und
+wenige Minuten später stieg ein starker Archarbock, meist durch Felsen
+gedeckt und nur für Augenblicke sichtbar werdend, in Büchsenschußweite
+neben Brehms Stand in die Tiefe. Endlich zeigte er sich frei, und
+dröhnend hallte Brehms Schuß durch die Felsenwildnis. Sichtlich
+krank zog der Bock, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, langsamer dem
+gegenüberliegenden Gebirgszuge zu. Ein zweiter Schuß, schon aus zu
+großer Entfernung abgegeben, blieb wirkungslos. Schnell entschlossen
+verließ Brehm seinen Stand, durcheilte das Tal und kletterte dann an
+der jenseitigen Bergwand empor, so rasch es das Gefels und die Lunge
+nur irgend gestatten wollten, um sich in einem Querschnitt des Kammes
+erneut anzusetzen. Der erfahrene Tierkenner hatte richtig berechnet.
+Noch keuchte die Brust und zitterten die Glieder von der gewaltigen
+Anstrengung, als dasselbe Wildschaf hoch über ihm auf die äußerste
+Kante des Felsens trat, um zu sichern. Aber noch ehe es den Jäger
+erspähen konnte, hatte ihm dessen sichere Kugel das Herz durchbohrt,
+und wie ein schwerer Felsblock stürzte es leblos herab. Staunender
+Jubelruf aus zwanzig Kirgisenkehlen hallte im Gebirge wider. Von
+allen Seiten sprengten und kletterten Reiter herbei. Vier kräftige
+Männer schleppten mühsam die schwere Beute zur Tiefe. Allseitig
+beglückwünscht, ritt man heim zu den Jurten. Die Kirgisen rühmten
+Brehms Jägergeschick und Treffsicherheit, die Gefährten sein Jagdglück.</p>
+
+<p>Vor den Jurten wogte es in buntem Durcheinander. Unter lebhaftestem
+Gebärdenspiel gaben diejenigen Steppenleute, die dem Schluß der Jagd
+beigewohnt hatten, ihren Gefährten Bericht. Brehm war zum Helden des
+Tages geworden und hatte selbst den Sänger des Stammes begeistert,
+denn der ließ in langem Vorspiel seine einfache Laute erklingen und
+hob dann einen Gesang an, in dem er den General und seine Gemahlin und
+die übrigen Europäer mit seiner „roten Zunge“ begrüßte und dann des
+deutschen Forschers jagdlichen Erfolg verherrlichte. Der Tag wurde zum
+Feste. Die Jagdfertigkeit der Kirgisen hatte man zur Genüge kennen
+gelernt, ihre Steinadler <span class="pagenum" id="Page_69">[S. 69]</span>und Windhunde mit gebührender Teilnahme
+betrachtet, den Worten ihres Sängers bewundernd gelauscht. Nunmehr
+mußten Ringer und Rennpferde ihre Kräfte üben. Reckenhaft gebaute
+Männer stellten sich einander zum Wettkampf; hochedle, wenn auch
+nach unseren Begriffen nicht vollendet schöne Pferde, geritten von
+sechs- bis achtjährigen Knaben, stürmten in die Steppe hinaus, um im
+Wettlauf vierzig Kilometer auf pfadlosem Gelände zurückzulegen. Beide,
+Ringkämpfer wie Rennpferde, entzückten durch ihre Leistungen Kirgisen
+wie Europäer. Es war wohl einer der stolzesten und schönsten Tage in
+Brehms reichem Forscher- und Jägerleben.</p>
+
+<p>Obwohl die deutsche wissenschaftliche Expedition nach Westsibirien
+in ihrem ganzen Verlauf von der russischen Regierung auf das
+großzügigste unterstützt und gefördert wurde, hat sie durch eine
+Verkettung widriger Umstände ihr eigentliches Endziel doch nicht
+erreicht. Man war von Tomsk aus fast 400 geographische Meilen weit
+den majestätischen Ob hinuntergefahren, der ein größeres Stromgebiet
+umfaßt als alle Ströme Westeuropas zusammengenommen. In einem Tale,
+dessen Breite zwischen 10 und 30 Kilometer wechselt, strömt er
+dahin, mit unzähligen Armen zahllose Inseln umschließend, oft zu
+unabsehbarer seeartiger Fläche sich breitend. Weidenwaldungen in
+allen nur erdenklichen Wachstumszuständen decken die ewig durch die
+umgestaltenden Fluten bewegten, bald ihnen verfallenen, bald wieder
+neu von ihnen aufgebauten Ufer und Inseln. Arm und ärmer wird das
+Land, dürftiger und lichter werden die Wälder, unansehnlicher und
+armseliger die wenigen Siedlungen, je weiter man stromabwärts kommt. An
+die Stelle des Bauern tritt der Fischer und Jäger, an die Stelle des
+Viehzüchters der Renntierhirt. An der Schtschutschja wurde die letzte
+russische Niederlassung erreicht. Von hier aus sollte es mit Hilfe von
+Ostjaken, die in kegelförmigen Hütten aus Birkenrinde (sog. „Tschum“)
+hausen, auf Renntierschlitten durch die unendlich vor den Reisenden
+sich ausbreitende Tundra weitergehen. Alles hatte Brehm auf Grund
+seiner Erfahrungen für diese schwierige Reise aufs beste und bis in die
+geringsten Kleinigkeiten hinein vorbereitet, und doch erlag er einem
+ebenso unerwarteten wie furchtbaren Gegner, dem er erliegen mußte, weil
+er ihn nicht kannte, sich also auch nicht gegen ihn wappnen konnte.</p>
+
+<p>An der Schtschutschja waren wider alles Erwarten keine Renntiere
+aufzutreiben. Es hieß, die Herden ständen neun Tagereisen entfernt <span class="pagenum" id="Page_70">[S. 70]</span>auf
+bestimmten Weideplätzen im Ural, und so blieb nichts weiter übrig,
+als die Reise mit Fußmärschen zu beginnen und alle Beschwerden und
+Entbehrungen einer langen Wanderung durch unwegsames, nahrungsloses,
+mückenerfülltes, menschenfeindliches und nahezu unbekanntes Gebiet
+auf sich zu nehmen. Erst nach langen Beratungen mit den freundlichen,
+aber unsäglich schmutzigen Eingeborenen wurden die Reisevorbereitungen
+beendigt, sorgfältig die Lasten abgewogen, die jeder auf seinen
+Rücken laden sollte; denn drohend stand das Gespenst des Hungers vor
+den mutigen Forschern. Unverrichtetersache umkehren wollten sie aber
+keinesfalls, obwohl sie wußten, daß nur der Wanderhirt, nicht aber
+der Jäger imstande ist, sein Leben in der Tundra zu fristen, obwohl
+sie die unsagbaren Mühseligkeiten ahnten, die der pfadlose Weg, die
+Wetterwendigkeit des Himmels, die Unwirtlichkeit der Tundra überhaupt
+bereiten würden, und die entsetzlichen Qualen, die das unerschöpfliche
+Heer blutgieriger Stechmücken mit sich bringt.</p>
+
+<p>In kurze Pelze gehüllt, keuchend unter der dem Rücken aufgebürdeten
+Last, stapften sie, ununterbrochen Tag und Nacht, von den Mücken
+gequält und zerstochen, mühselig durch traurige Einöde, alle halbe
+Stunden vor Erschöpfung umsinkend und doch der Mücken wegen ohne
+Erholung. Unfreundlicher, als es geschah, konnte die Tundra die
+deutschen Gelehrten nicht gut empfangen. Unablässig peitschte der
+Wind feinen, eiskalten Regen in die Gesichter, und in den durchnäßten
+Pelzen mußte man sich auf den wie ein Schwamm mit Feuchtigkeit
+vollgesogenen Moosboden niederlegen, ohne ein schützendes Obdach
+über, ohne ein wärmendes Feuer neben sich, unablässig gequält von den
+entsetzlichen Mückenschwärmen. Man kam aber doch wenigstens vorwärts,
+wenn auch nur langsam, und groß war die Freude, als Brehms Fernrohr
+eines Tages zwei einsame Tschums erkennen ließ und um sie herum eine
+Menge Renntiergestalten. Beglückt eilte man darauf zu; jetzt mußte
+ja alle Not ein Ende haben, und eine erfolgreiche Fortsetzung der
+Reise erschien gesichert. Aber Entsetzen weitete Brehms Blicke beim
+Näherkommen, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war furchtbar und
+grauenhaft. Um die ärmlichen Behausungen herum lagen zu Dutzenden
+verendete Renns, Hirsche, Tiere und Kälber; andere wanden sich in
+den letzten Zuckungen, und auch die noch aufrecht stehenden trugen
+schon den Tod im Herzen, wie der weiße, blasige Schleim vor Maul und
+Nase deutlich verriet. Kein Zweifel — hier wütete der Milzbrand,
+die <span class="pagenum" id="Page_71">[S. 71]</span>fürchterlichste, auch für den Menschen gefährlichste aller
+Viehseuchen, ein unerbittlicher, ohne Wahl und Gnade vernichtender
+Todesengel, der in Asien ganze Völkerschaften verarmen macht und dessen
+verderbenbringendem Würgen der Mensch ohnmächtig gegenübersteht.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe50" id="illu_071">
+ <img class="w100" src="images/illu_071.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Renntierseuche auf der Tundra Sibiriens<br>
+ Nach der Natur gezeichnet von O. Finsch im Jahre 1877
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_071_gross.jpg"
+ id="illu_071_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Page_72">[S. 72]</span></p>
+
+<p>Verzweiflungsvoll, wie vor den Kopf geschlagen, irren die ostjakischen
+Besitzer der Herde zwischen den sterbenden und verendenden Tieren hin
+und her, um in sinnloser Gier so viel zu retten, wie zu retten noch
+möglich ist. „Obwohl nicht unkundig der furchtbaren Gefahr, der sie
+sich aussetzen, wenn auch nur der geringste Teil eines Blutstropfens,
+ein Stäubchen des blasigen Schleimes mit ihrem eigenen Blute sich
+mischt, obschon vertraut mit der Tatsache, daß bereits Hunderte ihres
+Volkes unter entsetzlichen Schmerzen der unheilvollen Seuche erlagen,
+arbeiten sie doch mit allen Kräften, um die vergifteten Tiere zu
+entfellen. Ein Beilschlag endet die Qualen der sterbenden Hirsche, ein
+Pfeilschuß das Leben der Kälber, und einige Minuten später liegt das
+Fell, das noch nach Wochen ansteckend wirken kann, bei den übrigen,
+tauchen die blutigen Hände den vom Leibe der Kälber losgelösten Bissen
+in das in der Brusthöhle des erlegten Tieres sich sammelnde Blut,
+um ihn roh zu verschlingen. Schinderknechten gleichen die Männer,
+scheußlichen Hexen die Frauen, im Aase wühlende, blutbeschmierte,
+bluttriefende Hyänen sind die einen wie die andern; achtlos des über
+ihrem Haupte schwebenden, nicht an einem Roßhaar, sondern an einer
+Spinnwebe aufgehängten, toddrohenden Schwertes zerren und wühlen sie
+weiter, unterstützt sogar schon durch ihre Kinder, von halberwachsenen
+Knaben an bis zu den von Blut triefenden, kaum dem Säuglingsalter
+entwachsenen Mädchen herab.“</p>
+
+<p>Für fünf der gierigen Schlinger wurde dieses widerwärtige Schwelgen
+zur Todesmahlzeit. Entsetzt verließ Brehm mit den Seinen diese Stätte
+des Grauens. Einige anscheinend noch gesunde Renntiere nahm man mit.
+Aber auch sie trugen schon den Todeskeim in sich und brachen unterwegs
+zusammen. Wieder Fußmarsch mit all seinen Beschwerden durch weglosen
+Morast bis zum nächsten Weideplatz. Das Gespenst des Hungers bedrohte
+die bis zum Tod erschöpften Männer! Regelmäßige oder ausgiebige
+Mahlzeiten gab es nicht mehr. Es war schon ein besonderer Glückstag,
+wenn es einmal gelang, einen armseligen Regenpfeifer zu erlegen oder
+eine Doppelschnepfe oder ein Moorhuhn. Gierig hockten dann die drei
+ausgehungerten Deutschen um den Bratspieß herum und verzehrten die
+wenigen schmalen Bissen. Endlich wurde der neue Weideplatz erreicht.
+Auch hier dasselbe Bild! Auch hier wütete die Seuche! Es half alles
+nichts: Brehm mußte sich zur Umkehr entschließen, ohne das ersehnte
+Polarmeer erreicht zu haben, wollte er nicht leichtsinnig das Leben
+der Gefährten aufs Spiel <span class="pagenum" id="Page_73">[S. 73]</span>setzen. In sehr ernster Stimmung und unter
+immer fühlbarer werdendem Mangel zog man wieder der Schtschutschja zu.
+Unterwegs erlag noch einer der ostjakischen Begleiter, ein besonders
+heiterer und williger Bursche, der furchtbaren Seuche und wurde nach
+heidnischer Sitte in der weiten Tundra begraben. Brehm hatte einmal
+das Glück, eine ganze Familie Wildgänse zu schießen, und an diesem
+Tage konnte man sich zum ersten Male wieder satt essen, ohne um den
+einzelnen Bissen zu kargen. Alle atmeten erleichtert auf, als sie die
+Fluten des Ob wieder erblickten. Es war ihnen, als seien sie der Hölle
+entronnen. „Nach der Tundra ziehe ich wenigstens nicht wieder,“ hat
+Brehm später freimütig geäußert.</p>
+
+<p>Im übrigen pflegte er zu sagen, daß die sibirische Reise, die er
+mit Vorliebe in seinen herrlichen Vorträgen behandelte, mehr einer
+Hetzjagd als einer Forschungsreise geglichen habe. In der Tat, soviel
+ihm im Sudan das Fieber zu schaffen machte, soviel auf seinen späteren
+Reisen der leidige Zeitmangel. Weder in Spanien noch auf der Donau,
+weder in Sibirien noch in Abessinien verblieb ihm genügend Zeit, seine
+Beobachtungen in der gewünschten Weise abzuschließen und abzurunden.
+Gerade auf Forschungsreisen wird die Zeit zum kostbarsten aller Güter,
+Mangel an Zeit aber zum schlimmsten Feinde des sammelnden Forschers.
+Mehr als jeder andere Reisende muß er die Stunde, den Augenblick in
+seiner Weise wahrnehmen können, ohne sonstwie behindert zu sein. Eine
+einmal gebotene Gelegenheit kehrt oft niemals wieder. „Freie Zeit“
+gibt es für den sammelnden oder beobachtenden Forscher nicht, denn die
+Zeit ist es, die für ihn das alleinige, allzeit notwendige Mittel zur
+Verständigung mit der Natur ist und bleibt.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Mit_dem_Kronprinzen_Rudolf_auf_der_unteren_Donau">
+Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">K</span>ronprinz Rudolf von Österreich kam an einem schönen Frühlingsabend des
+Jahres 1877 von anstrengender Adler- und Geierjagd aus den versumpften
+Auenwäldern der Donau beim Draueck zurück. Sein Wagen durchfuhr in
+flottem Trabe die kleine Ortschaft Kovil, an deren Landungsstelle ein
+schmucker Räderdampfer als gegenwärtiges Standquartier des Erben der
+habsburgischen Kaiserkrone vor Anker lag. Zwischen Ort und Strand
+zogen sich weite Wiesenflächen hin, die aber seit diesem Morgen
+knietief unter Wasser standen. Als der Blick des Kronprinzen beim
+Herauskommen aus <span class="pagenum" id="Page_74">[S. 74]</span>dem Städtchen auf sie fiel, bog er sich plötzlich
+vor Lachen, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Zum Teufel, was
+hatte da dieser Tausendsassa von Brehm wieder angestellt! Er hatte ja
+ein so unglaubliches Geschick, sich bei der urwüchsigen serbischen
+Bevölkerung dieser Gegenden beliebt zu machen, ihr Achtung einzuflößen
+und beides dazu zu benutzen, ihre eigenartigen Nationaltänze, Trachten
+und Sitten zu studieren. So hatte er schon am Abend vorher auf der
+grünen Wiesenfläche vor dem Dampfer einen großen Reigentanz (Kolo)
+veranstaltet, und die Jungfrauen des Ortes waren bereitwillig dem
+Wunsche des fremden und anscheinend doch sehr vornehmen Reisenden
+gefolgt. Heute nun wollte Brehm dies kleine Volksfest wiederholen, aber
+die eingetretene Wiesenüberschwemmung verursachte einige Hindernisse.
+Brehm thronte deshalb hoch oben auf dem Bugspriet des Dampfers und
+leitete von da aus die Unterhaltung, die sich in bis über die Knie
+reichendem Wasser abspielte, was aber den Reiz der Sache in den Augen
+der Zuschauer nur erhöhte, da die Tänzerinnen gezwungen waren, ihre
+bunten Kleider durch entsprechendes Hochraffen vor allzu inniger
+Berührung mit dem feuchten Element zu schützen. Einige Mädchen kamen
+dann noch auf das Verdeck, um Blumensträuße zu überreichen, und bald
+darauf setzte sich der Dampfer unter den Hochrufen der gesamten
+Bevölkerung in Bewegung.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe35" id="illu_075">
+ <img class="w100" src="images/illu_075.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Brehm mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich auf der Jagd in Kroatien<br>
+ Nach einer Originalzeichnung für den „Kosmos“ von W. Planck
+ <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_075_gross.jpg"
+ id="illu_075_gross" rel="nofollow">⇒<br>
+ GRÖSSERES BILD</a></div>
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Wie kam nun aber unser Freund zu so vornehmen Beziehungen, wie gelangte
+er hierher in die weltentlegene Einsamkeit der unteren Donau-Auen?
+Schon vor Jahr und Tag hatten sich zunächst briefliche Beziehungen
+zwischen dem bereits zu europäischer Berühmtheit gelangten Forscher
+und dem hochbegabten Kronprinzen angesponnen, der das lebhafteste
+Interesse für Vogelkunde zeigte und bald zu einem eifrigen Schüler
+des von ihm hoch und aufrichtig verehrten Brehm wurde. Bald ergaben
+sich auch persönliche Zusammenkünfte, die im Laufe der Zeit ein wahres
+Freundschaftsverhältnis zwischen Thronerbe und Forscher entwickelten.
+Es war keineswegs bloße Jagdlust, die den später so unglücklich
+endenden Kronprinzen zur Vogelkunde führte, und er beschäftigte sich
+keineswegs nur laienhaft oberflächlich mit ihr, sondern er arbeitete
+ernsthaft, nachdrücklich und erfolgreich mit an den wissenschaftlichen
+Streitfragen. Damals erregte die „Adlerfrage“ die Gemüter und gab
+zu erbitterten Fehden Anlaß. Man stritt sich darum, ob Stein- und
+Goldadler verschiedene Arten oder nur verschiedene Färbungsphasen
+der gleichen Art seien. Der <span class="pagenum" id="Page_76">[S. 76]</span>Kronprinz bemühte sich redlich, seinen
+Freund aus dem weiten Gebiete der vogelreichen Doppelmonarchie mit
+Adlermaterial zu versorgen, und eines Tages überraschte er ihn gar
+durch die Frage:</p>
+
+<p>„Wollen Sie mich zu Adlerjagden nach Südungarn begleiten? Ich habe
+bestimmte Nachrichten von vielleicht 20 Adlerhorsten und glaube, daß
+wir alle werden lernen können, wenn wir sie besuchen und fleißig
+dabei beobachten.“ Zwanzig Adlerhorste! Welche Versuchung für einen
+im raubvogelarmen Deutschland wohnenden Vogelforscher! Brehm hätte
+ja nicht der Sohn seines Vaters sein dürfen, wenn er nicht freudig
+eingeschlagen hätte. Außer ihm nahm auf Einladung des Kronprinzen
+noch ein zweiter deutscher Ornithologe an der Fahrt teil, der Baron
+Eugen Ferdinand von Homeyer aus Pommern, ferner der dem Kronprinzen
+persönlich befreundete Graf Bombelles und Rudolfs Schwager, Prinz
+Leopold von Bayern. Dem bekannten Wiener Präparator Hodek nebst Sohn
+und Gehilfen war das Geschäft des Abbalgens übertragen.</p>
+
+<p>Die nur 15tägige Reise, bei der aber jede Minute ausgenützt
+wurde, gehört sicherlich zu den glücklichsten und ungetrübtesten
+Zeitabschnitten in Brehms vielbewegtem Leben. Kein Mißklang störte sie,
+von Anfang bis zu Ende klappte alles tadellos. Das war nun freilich
+eine ganz andere Stromfahrt als vor Jahren auf dem Nil in gebrechlicher
+Segelbarke mit widerspenstigem nubischem Schiffsvolk. Jetzt war für
+das Behagen und die Bequemlichkeit der Forscher in einer geradezu
+glänzenden Weise gesorgt. Nachts trug das brave Schiff sie mit der
+Geschwindigkeit und Sicherheit der Dampfmaschine dem neuen Tagesziele
+zu. Schon im Morgengrauen wurde aufgestanden, rasch gefrühstückt,
+die erste Zigarre geraucht und dann an Land gegangen, wo schon Wagen
+oder kleine Boote bereitstanden, um die einzelnen Jäger nach den
+ihnen zugewiesenen Revierteilen zu bringen. Ortskundige Grünröcke
+geleiteten sie dann zu Fuß nach den vom Forstpersonal vorher sorgfältig
+ausgekundschafteten Horsten, und nun hieß es, sich in Geduld zu fassen
+und Dianas Gunst zu erflehen, um den am Horste an- oder abstreichenden
+Adler oder Geier zu Schuß zu bekommen. War ein Horst mit oder ohne
+Erfolg erledigt, so befand sich gewöhnlich noch ein zweiter und dritter
+in der Nähe, an dem das Weidmannsheil erneut versucht werden konnte.</p>
+
+<p>Den mächtigen Seeadler, den Brehm von Afrika her nur als räuberischen
+Wintergast kannte, durfte er hier an seiner umfangreichen Knüppelburg
+belauschen, und den gewaltigen Kuttengeier, <span class="pagenum" id="Page_77">[S. 77]</span>den er im Sudan so oft
+beim Aase gestreckt hatte, konnte er hier von seiner Kinderwiege
+mit sicherer Kugel herabschießen. Besonders anregend war es für
+ihn, die zwischen diesem feigen Riesenvogel und dem kleineren, aber
+schneidigeren, kräftigeren und gewandteren Steinadler bestehende
+Todfeindschaft zu beobachten. Der Haß dieser großen Raubvögel
+gegeneinander ist ganz merkwürdig. Kronprinz Rudolf sah sogar einmal,
+wie Adler und Geier, in einen einzigen Knäuel verkrallt, sich wütend
+im Geierhorste herumwälzten, wobei der Horst wankte, Äste brachen
+und Wolken von Staub aufstiegen, bis schließlich der mächtige
+Geier herausgeworfen wurde und erschöpft auf einen niedrigeren Ast
+heruntertaumelte, wo die Kugel des Prinzen seinem Leben ein Ziel
+setzte. Auf diesen Schuß hin stürzte aber aus dem Horste nicht nur der
+siegreiche Steinadler hervor, sondern auch das brütende Geierweibchen,
+auf dessen breitem Rücken sich also offenbar der ganze erbitterte Kampf
+abgespielt hatte!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe35" id="illu_077">
+ <img class="w100" src="images/illu_077.jpg" alt="">
+ <figcaption>
+ Alfred Edmund Brehm<br>
+ Nach einer zeitgenössischen Aufnahme
+ </figcaption>
+</figure>
+
+<p>Abends kamen alle fünf Jäger aus den verschiedensten Richtungen her
+mit ihrer Beute wieder beim Schiff zusammen, wo schon ein reichliches
+Abendessen ihrer harrte und beim Becherklang die gegenseitigen
+Erfahrungen ausgetauscht wurden. War dann die Verdauungszigarre
+auf Deck geraucht, so ging es an die Abfassung der Tagebücher, und
+schließlich wollten auch die erlegten Vögel noch näher untersucht und
+gemessen sein. Das war namentlich bei den großen Geiern keine ganz
+<span class="pagenum" id="Page_78">[S. 78]</span>angenehme Arbeit, vor der sich deshalb namentlich Prinz Leopold, der
+einzige noch lebende Teilnehmer dieser Frühlingsfahrt auf der Donau,
+und Graf Bombelles gern zu drücken suchten. Ohne eine Zigarre im Munde
+konnte man sich der unheimlich nach faulenden Kadavern duftenden Beute
+wirklich nicht nähern, und der Kronprinz brachte kein geringes Opfer,
+wenn er darauf bestand, alle Maße der Tiere ganz genau zusammen mit
+Brehm zu nehmen.</p>
+
+<p>Der letzte Abend an Bord war eine wundervolle Maiennacht. Die Grillen
+zirpten laut an den Gestaden des majestätischen Stroms, leise
+rauschten die Wellen, und die weite ungarische Ebene dehnte sich in
+verschwommenen Umrissen endlos vor den Blicken. Unzählige Sterne
+glänzten am Himmel, und die Mondessichel stand klar und silberhell am
+Firmamente, sich in den Wellen des Stromes widerspiegelnd. Rudolf und
+Brehm blieben diesmal noch lange Stunden auf dem Verdeck, die herrliche
+Nacht bewundernd. Sie sprachen von den schönen Erinnerungen dieser
+Reise und entwarfen Pläne für neue Forscherfahrten. Die Freundschaft
+zwischen beiden ist nie getrübt worden und hielt trotz mancher
+Quertreibereien unvermindert bis zu Brehms Tode an, der auch für den
+Habsburgersproß zu früh kam.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Nach_Amerika">Nach Amerika</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">A</span>uch die Neue Welt hat Brehm kennen gelernt, freilich nur flüchtig
+und nicht als Forscher in Wasserstiefeln, Jagdjoppe und Lodenhut,
+sondern als Vortragsredner in Lackschuhen, Frack und Oberhemd. Er hat
+wohl keine seiner Auslandreisen so schweren Herzens angetreten wie
+gerade diese, die seine letzte sein sollte. Hatte doch der Würgengel
+Diphtheritis in seinem stillen, rosenumhegten Heim in Renthendorf
+seinen Einzug gehalten und alle fünf Kinder ergriffen. Eine hohe
+Geldstrafe wäre beim Nichteinhalten des Vertrages zu zahlen gewesen,
+und der Arzt glaubte die beruhigendsten Versicherungen geben zu dürfen.
+In der Tat genasen vier von den Kindern, aber als Brehm seinen Fuß
+auf den amerikanischen Boden setzte, traf ihn wie ein Keulenschlag
+die niederschmetternde Nachricht, daß sein Liebling, der jüngste
+Sohn, das letzte Vermächtnis der unvergeßlichen Lebensgefährtin, der
+tückischen Krankheit erlegen sei. Tief erschüttert erledigte er fast
+mechanisch die schwere Arbeit von 50 Vorträgen, mit echt amerikanischer
+Rücksichtslosigkeit vorwärtsgepeitscht von seinem unbarmherzigen
+Manager, bis ihn schließlich im Mississippi-Tale die alte Malaria,
+der die seelische Aufregung vorgearbeitet <span class="pagenum" id="Page_79">[S. 79]</span>haben mochte, niederwarf.
+Als ein an Körper und Seele gebrochener Greis mit grauem Haar und
+trübem Blick kehrte er zurück. Schon am 11. November 1884 erlöste
+den erst 55jährigen ein Schlaganfall von weiteren Leiden. In seinem
+geliebten Renthendorf hat man den Rastlosen an der Seite des Vaters zur
+letzten Ruhe bestattet. Der schlichte Grabhügel wölbt sich über einem
+Edelmenschen im vornehmsten Sinne des Wortes, über einem Manne, auf den
+sein Vaterland mit Recht stolz sein darf.</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="nobreak" id="Schlusswort">Schlußwort</h2>
+
+</div>
+
+<p><span class="initial">N</span>icht selten kann man die Meinung hören, daß Brehms
+Forschungsergebnisse, die ja nun schon 5–8 Jahrzehnte zurückliegen,
+heute im Zeitalter des Kraftwagens und des Kurbelkastens längst
+überholt und veraltet seien. Freilich braucht heute der Forscher, dem
+alle die großartigen Hilfsmittel neuzeitlicher Technik zur Verfügung
+stehen, zur Ausführung solcher Reisen, wie Brehm sie machte, höchstens
+so viel Monate, vielleicht sogar nur Wochen wie dieser Jahre, und
+er bringt nicht nur abgebalgte Tiere, sondern auch mehr oder minder
+schöne und ehrliche Filmaufnahmen zurück, die dann im Vortragssaale
+wieder lebendig werden. Von solchen Dingen konnte Brehm natürlich noch
+keine Ahnung haben, aber dafür verstand er mit Wort und Feder besser
+und anschaulicher zu malen als der photographische Apparat mit seinen
+lichtempfindlichen Platten. Die mit allen Hilfsmitteln der Gegenwart
+ausgerüsteten Expeditionen bringen größere Ausbeuten heim, aber in
+einer Beziehung stehen sie doch vielfach hinter den Brehmschen zurück:
+in der liebevollen, eingehenden und sorgfältigen Beobachtung der in
+fremden Ländern angetroffenen Tierwelt.</p>
+
+<p>Gewiß sind seit Brehms Zeiten ungeheure Fortschritte auf den
+Teilgebieten der Systematik und Tiergeographie, der Anatomie und
+Entwicklungsgeschichte erzielt worden, aber wenn wir ehrlich sein
+wollen, müssen wir zugeben, daß dies bezüglich der Kunde vom
+Tier<em class="gesperrt">leben</em> keineswegs der Fall ist, daß wir vielmehr in all den
+zwischenliegenden Jahrzehnten über Brehm doch eigentlich herzlich wenig
+hinausgekommen sind. Gerade die neueste Zeit hat uns Bücher beschert,
+die wunderbar bebildert und unterhaltsam zu lesen sind, aber wenn wir
+sie ihres Schmuckes entkleiden und nach den nackten Tatsachen fragen,
+so werden wir bald bemerken, daß sie eigentlich nur wenig über Brehm
+hinausreichen.</p>
+
+<hr class="full x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="eng">
+
+<div class="chapter">
+
+<p class="s1 center" id="KOSMOS"><span class="s5 middle">⁘</span> <span class="antiqua">KOSMOS</span> <span class="s5 middle">⁘</span></p>
+
+<p class="s2 center">Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart</p>
+
+<hr class="full">
+
+</div>
+
+<p class="p0">Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der Naturwissenschaften
+und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer
+Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes zu fördern.
+— Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch Verbreitung guter
+naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im</p>
+
+<p class="s1 center"><span class="s5 middle">⁘</span> <span class="antiqua">KOSMOS</span> <span class="s5 middle">⁘</span></p>
+
+<p class="s2 center">Handweiser für Naturfreunde</p>
+
+<p class="s4 center">Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen</p>
+
+<p class="p0">Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im guten
+Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. In dem
+Vereinsjahr 1929 gelangen zur Ausgabe:</p>
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Dr. Kurt Floericke, Tiervater Brehm</em></p>
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Wilhelm Bölsche, Drachen</em></p>
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">J. Small, Geheimnisse der Botanik</em></p>
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">H. Günther, Strahlenwunder</em></p>
+
+<p class="s1 center"><span class="s5 middle">⁘</span></p>
+
+<p class="s4 center"><em class="gesperrt">Jedes Bändchen reich illustriert</em></p>
+
+<hr class="full">
+
+<p class="center">Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen,
+wo auch Beitrittserklärungen entgegengenommen werden. Auch die
+<em class="gesperrt">früher</em> erschienenen Jahrgänge sind noch erhältlich.</p>
+
+<p class="center mbot3">Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart</p>
+
+<div class="chapter">
+
+<table class="kosmos bbox">
+ <tr>
+ <td class="s3 bb" colspan="4">
+ <div class="center"><b>Folgende seit Bestehen des Kosmos erschienene
+ Buchbeilagen</b><br>
+ <span class="s6">erhalten Mitglieder, solange vorrätig, zu
+ <em class="gesperrt">Ausnahmepreisen</em>:</span></div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1904</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, W., Abstammung des Menschen. — Meyer, Dr. M. W.,
+ Weltuntergang. — Zell, Ist das Tier unvernünftig? (Dopp.-Bd.). — Meyer, Dr.
+ M. W., Weltschöpfung.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1905</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, Stammbaum d. Tiere. — Francé, Sinnesleben d.
+ Pflanzen. — Zell, Tierfabeln. — Teichmann, Dr. E., Leben u. Tod. — Meyer,
+ Dr. M. W., Sonne u. Sterne.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1906</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Francé, Liebesleben d. Pflanzen. — Meyer, Rätsel d. Erdpole.
+ — Zell, Streifzüge d. d. Tierwelt. — Bölsche, Im Steinkohlenwald. — Ament,
+ Seele d. Kindes.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1907</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Francé, Streifzüge im Wassertropfen. — Zell, Dr. Th.,
+ Straußenpolitik. — Meyer, Dr. M. W., Kometen und Meteore. — Teichmann,
+ Fortpflanzung und Zeugung. — Floericke, Dr. K., Die Vögel des deutschen Waldes.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1908</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Meyer, Dr. M. W., Erdbeben und Vulkane. — Teichmann, Dr. E.,
+ Die Vererbung. — Sajó, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. — Dekker,
+ Naturgeschichte des Kindes. — Floericke, Dr. K., Säugetiere des deutschen Waldes.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1909</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Francé, Bilder aus dem Leben des Waldes. — Meyer, Dr. M. W.,
+ Der Mond. — Sajó, Prof. K., Die Honigbiene. — Floericke, Kriechtiere und Lurche
+ Deutschlands. — Bölsche, W., Der Mensch in der Tertiärzeit.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1910</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Koelsch, Pflanzen zw. Dorf u. Trift. — Dekker, Fühlen u. Hören.
+ — Meyer, Welt d. Planeten. — Floericke, Säugetiere fremd. Länder. — Weule,
+ Kultur d. Kulturlosen.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1911</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Koelsch, Durch Heide und Moor. — Dekker, Sehen, Riechen und
+ Schmecken. — Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit. — Floericke, Vögel fremder
+ Länder. — Weule, Kulturelemente der Menschheit.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1912</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Gibson-Günther, Was ist Elektrizität? — Dannemann, Wie unser
+ Weltbild entstand. — Floericke, Fremde Kriechtiere und Lurche. — Weule, Die
+ Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge. — Koelsch, Würger im Pflanzenreich.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1913</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, Festländer u. Meere. — Floericke, Einheimische Fische.
+ — Koelsch, Der blühende See. — Zart, Bausteine des Weltalls. — Dekker, Vom siegh.
+ Zellenstaat.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1914</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, W., Tierwanderungen in der Urwelt. — Floericke, Dr.
+ Kurt, Meeresfische. — Lipschütz, Dr. A., Warum wir sterben. — Kahn, Dr. Fritz,
+ Die Milchstraße. — Nagel, Dr. Osk., Romantik der Chemie.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1915</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, W., Der Mensch der Zukunft. — Floericke, Dr. K.,
+ Gepanzerte Ritter. — Weule, Prof. Dr. K., Vom Kerbstock zum Alphabet. — Müller,
+ A. L., Gedächtnis und seine Pflege. — Besser, H., Raubwild und Dickhäuter.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1916</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, Stammbaum der Insekten. — Sieberg, Wetterbüchlein. —
+ Zell, Pferd als Steppentier. — Weule, Krieg in den Tiefen der Menschheit
+ (Dopp.-Bd.).</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1917</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Besser, Natur- u. Jagdstud. i. Deutsch-Ostafrika. — Floericke,
+ Dr., Plagegeister. — Hasterlik, Dr., Speise u. Trank. — Bölsche, Schutz- u.
+ Trutzbündnisse i. d. Natur.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1918</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, Sieg des Lebens. — Fischer-Defoy, Schlafen und
+ Träumen. — Kurth, Zwischen Keller u. Dach. — Hasterlik, Dr., Von Reiz- u.
+ Rauschmitteln.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1919</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Bölsche, Eiszeit und Klimawechsel. — Floericke, Spinnen und
+ Spinnenleben. — Zell, Neue Tierbeobachtungen. — Kahn, Die Zelle.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1920</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Fischer-Defoy, Lebensgefahr in Haus u. Hof. — Francé, Die
+ Pflanze als Erfinder. — Floericke, Schnecken und Muscheln. — Lämmel, Wege zur
+ Relativitätstheorie.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1921</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Weule, Naturbeherrschung I. — Floericke, Gewürm. — Günther,
+ Radiotechnik. — Sanders, Hypnose und Suggestion.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1922</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Weule, Naturbeherrschung II. — Francé, Leben im Ackerboden. —
+ Floericke, Heuschrecken und Libellen. — Lotze, Jahreszahlen der Erdgeschichte.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1923</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Zell, Rind als Waldtier. — Floericke, Falterleben. — Francé,
+ Entdeckung der Heimat. — Behm, Kleidung und Gewebe.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1924</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Floericke, Käfervolk. — Henseling, Astrologie. — Bölsche,
+ Tierseele und Menschenseele. — Behm, Von der Faser zum Gewand.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1925</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Lämmel, Sozialphysik. — Floericke, Wundertiere des Meeres.
+ — Henseling, Mars. — Behm, Kolloidchemie.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1926</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Francé, Die Harmonie in der Natur. — Floericke, Zwischen
+ Pol und Äquator. — Bölsche, Abstammung d. Kunst. — Dekker, Planeten und
+ Menschen.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam">
+ <div class="left"><b>1927</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="3">
+ <div class="left">Floericke, Aussterbende Tiere. — Bölsche, Im Bernsteinwald.
+ — Günther, Was ist Magnetismus. — Lang, Gletschereis.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam bb">
+ <div class="left"><b>1928</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam bb" colspan="3">
+ <div class="left">Floericke, Vögel auf der Reise. — Francé, Urwald. — Günther,
+ Eroberung der Tiefe. — Venzmer, Geißeln der Tropen.</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam" rowspan="2">
+ <div class="left"><b>Preise:</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam">
+ <div class="left">Einzeln bezogen kostet jeder Band brosch.</div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam">
+ <div class="left">RM 1.—,</div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam">
+ <div class="left">gebd. RM 1.70</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s5 vam">
+ <div class="left">Für Nichtmitglieder des Kosmos</div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam">
+ <div class="left">RM 1.25,</div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam">
+ <div class="left">gebd. RM 2.—</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s3 vam" colspan="2" rowspan="3">
+ <div class="left"><b>Besondere Preise<br>
+ bei Gruppenbezug</b></div>
+ </td>
+ <td class="s5 vam" colspan="2">
+ <div class="left">10 Bände geb. nur RM 14.50, brosch. nur RM 9.—</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s5 vam" colspan="2">
+ <div class="left">20 Bände geb. nur RM 27.—, brosch. nur RM 16.50</div>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td class="s5 vam" colspan="2">
+ <div class="left">50 Bände geb. nur RM 62.—, brosch. nur RM 37.50</div>
+ </td>
+ </tr>
+</table>
+
+</div>
+
+</div>
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77002 ***</div>
+</body>
+</html>
+
diff --git a/77002-h/images/cover.jpg b/77002-h/images/cover.jpg
new file mode 100644
index 0000000..5752010
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/cover.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_011.jpg b/77002-h/images/illu_011.jpg
new file mode 100644
index 0000000..cc6a980
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_011.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_017.jpg b/77002-h/images/illu_017.jpg
new file mode 100644
index 0000000..348cf52
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_017.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_021.jpg b/77002-h/images/illu_021.jpg
new file mode 100644
index 0000000..d6106c9
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_021.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_021_gross.jpg b/77002-h/images/illu_021_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..e568365
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_021_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_027.jpg b/77002-h/images/illu_027.jpg
new file mode 100644
index 0000000..fbfd5ca
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_027.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_033.jpg b/77002-h/images/illu_033.jpg
new file mode 100644
index 0000000..20c3e95
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_033.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_033_gross.jpg b/77002-h/images/illu_033_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..b52d370
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_033_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_041.jpg b/77002-h/images/illu_041.jpg
new file mode 100644
index 0000000..189d087
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_041.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_047.jpg b/77002-h/images/illu_047.jpg
new file mode 100644
index 0000000..fe5521f
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_047.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_047_gross.jpg b/77002-h/images/illu_047_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..cfe922d
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_047_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_051.jpg b/77002-h/images/illu_051.jpg
new file mode 100644
index 0000000..2f11895
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_051.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_057.jpg b/77002-h/images/illu_057.jpg
new file mode 100644
index 0000000..6050dee
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_057.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_057_gross.jpg b/77002-h/images/illu_057_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..e79a718
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_057_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_061.jpg b/77002-h/images/illu_061.jpg
new file mode 100644
index 0000000..7ae253a
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_061.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_063.jpg b/77002-h/images/illu_063.jpg
new file mode 100644
index 0000000..417ba4f
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_063.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_063_gross.jpg b/77002-h/images/illu_063_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..69afb91
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_063_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_067.jpg b/77002-h/images/illu_067.jpg
new file mode 100644
index 0000000..2520640
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_067.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_071.jpg b/77002-h/images/illu_071.jpg
new file mode 100644
index 0000000..f2f0957
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_071.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_071_gross.jpg b/77002-h/images/illu_071_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..9c60b9d
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_071_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_075.jpg b/77002-h/images/illu_075.jpg
new file mode 100644
index 0000000..4938525
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_075.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_075_gross.jpg b/77002-h/images/illu_075_gross.jpg
new file mode 100644
index 0000000..ca9d896
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_075_gross.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/illu_077.jpg b/77002-h/images/illu_077.jpg
new file mode 100644
index 0000000..d549752
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/illu_077.jpg
Binary files differ
diff --git a/77002-h/images/signet.jpg b/77002-h/images/signet.jpg
new file mode 100644
index 0000000..e814522
--- /dev/null
+++ b/77002-h/images/signet.jpg
Binary files differ
diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt
new file mode 100644
index 0000000..b5dba15
--- /dev/null
+++ b/LICENSE.txt
@@ -0,0 +1,11 @@
+This book, including all associated images, markup, improvements,
+metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be
+in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES.
+
+Procedures for determining public domain status are described in
+the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org.
+
+No investigation has been made concerning possible copyrights in
+jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize
+this book outside of the United States should confirm copyright
+status under the laws that apply to them.
diff --git a/README.md b/README.md
new file mode 100644
index 0000000..0d5327d
--- /dev/null
+++ b/README.md
@@ -0,0 +1,2 @@
+Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for book #77002
+(https://www.gutenberg.org/ebooks/77002)