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| author | pgww <pgww@lists.pglaf.org> | 2025-10-07 11:22:01 -0700 |
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Die Buchanzeigen + wurden der Übersichtlichkeit halber zusammen am Schluss des Buchtexts + dargestellt. + + Besondere Schriftvarianten werden im vorliegenden Text mit Hilfe der + folgenden Symbole gekennzeichnet: + + fett: =Gleichheitszeichen= + gesperrt: +Pluszeichen+ + Antiqua: ~Tilden~ + + #################################################################### + + + + + KOSMOS-BÄNDCHEN + + + TIERVATER BREHM + + 114 ○ + + + + + Tiervater Brehm + + Seine Forschungsreisen / Ein Gedenkblatt + zum 100. Geburtstag + + + Von + + Dr. Kurt Floericke + + + + + Mit einem farbigen Umschlagbild von Prof. A. Wagner, + einer Zeichnung von W. Planck, 2 Karten + und 12 Abbildungen nach zeitgenössischen Bildern + oder photographischen Aufnahmen der Gegenwart + + + [Illustration] + + + Stuttgart + Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde + Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung + + + + + Nachdruck verboten / Alle Rechte, auch das Übersetzungsrecht, + vorbehalten ~Copyright 1929 by Franckh’sche Verlagshandlung, + Stuttgart / Printed in Germany~ / Druck von Holzinger & Co., + Stuttgart + + + + +Inhalt + + + Brehms Lebenslauf 5 + + Im Renthendorfer Pfarrhaus 9 + + Nilfahrten 15 + + Durch Steppe, Wüste und Urwald 23 + + Kairo und Chartum 32 + + In Spanien 50 + + Nordlandfahrt 53 + + Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien 59 + + In Westsibirien 66 + + Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau 73 + + Nach Amerika 78 + + Schlußwort 79 + + + Das Umschlagbild nach einer Zeichnung von Professor A. Wagner, + Kassel, stellt eine Szene am Nil dar: Brehm hat einen Seeadler + geschossen, der Vogel fällt in den Strom, Brehm will ihn im Jagdeifer + aus dem Wasser herausholen. Sein Diener warnt vor den Krokodilen. + Brehm achtet zunächst nicht auf die Warnung, muß aber im letzten + Augenblicke umkehren, denn ein großes Krokodil stürzt sich auf die + Jagdbeute. + + + + +Brehms Lebenslauf + + +Alfred Edmund Brehm wurde am 2. Februar 1829 in dem ostthüringischen +Pfarrhause Renthendorf (Sachsen-Altenburg) geboren[1]. In voller +Freiheit, inmitten der thüringischen Wälder aufwachsend, erhielt er +dort die denkbar beste Erziehung zum künftigen Naturforscher, denn +sein Vater war einer der bedeutendsten Vogelforscher seiner Zeit. Mit +einem geradezu fabelhaften Scharfblick für die feinsten Unterschiede in +Gestalt und Gefieder der Vögel begabt, kann er in gewissem Sinne als +ein Vorläufer Darwins und der heutigen Formenkreislehre angesprochen +werden. Von seiner Mutter, Bertha Reiz, erbte Alfred das ausgesprochene +Feingefühl für die Schönheiten einer reinen deutschen Sprache, und +nicht zuletzt besteht darin der große Einfluß, den er durch seine +Schriften auf weiteste Kreise des Volkes gewonnen hat. Brehm war nicht +nur ein ausgezeichneter Naturschilderer, sondern zugleich ein Klassiker +der deutschen Prosa, der ein fast fremdwortfreies Deutsch schrieb (für +einen damaligen Gelehrten etwas Unerhörtes!) und es großartig verstand, +prachtvolle Sätze zu bauen, ohne doch jemals in Schwülstigkeiten oder +lateinischen Periodenbau zu verfallen. + + [1] Im „Tierleben“ ist irrtümlich Sachsen-Weimar als Brehms Heimat + angegeben. + +Bestimmend für seinen Lebenslauf wurde der Umstand, daß sich ihm schon +im 18. Lebensjahre Gelegenheit bot, eine große Forschungsreise nach +dem Sudan, einem damals noch fast unbekannten Land, mitzumachen. Sie +gestaltete sich ungemein abenteuerlich und hielt den jungen Forscher +unter den größten Entbehrungen volle fünf Jahre im Schwarzen Erdteil +zurück. Nach seiner endlichen Heimkehr konnte von einer Fortsetzung +der vorher begonnenen Architektenlaufbahn natürlich keine Rede mehr +sein, sondern er studierte in Jena, wo er seiner ausländischen +Tiere wegen unter dem Spitznamen „Pharao“ bekannt war, und in Wien +Naturwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Tierkunde. +Nach Abschluß der Hochschulbildung konnte er an die Gründung eines +eigenen Heims denken, übernahm eine Lehrerstelle für Naturgeschichte +und Geographie an der höheren Töchterschule in Leipzig und führte seine +längst still geliebte Base Mathilde Reiz aus Greiz zum Altar. Sie war +für ihn geradezu die gegebene Gattin, und er hätte keine bessere Wahl +treffen können. Eifersüchtiger auf die Wahrung seines Ruhmes bedacht +als er selbst, bemühte sie sich, ihm ein heiteres und gemütliches Heim +zu schaffen und alle unangenehmen Störungen von ihm fernzuhalten, um +ihm so ein von äußeren Einflüssen unabhängiges Arbeiten zu ermöglichen. +Die kleine behende Frau brachte ihn sogar manchmal dazu, die geliebte +Jagdjoppe auszuziehen und in den verhaßten Frack zu schlüpfen, freilich +nie dazu, einflußreichen Leuten schön zu tun und zu schmeicheln. Brehm +ist vielmehr sein ganzes Leben hindurch ein frühzeitig selbstbewußter +und unbeugsamer Charakter geblieben, was im äußeren Leben zu manchen +Reibungen führte. Aus der Ehe ging ein Sohn, Horst, hervor, der +Arzt wurde und sich nebenbei zu einem angesehenen Fachmann auf dem +Gebiete der Fischkunde und Fischzucht entwickelte. Er ist schon im +besten Mannesalter verstorben, aber sein Sohn Oskar schien die volle +schriftstellerische und naturforscherische Begabung des Großvaters +geerbt zu haben. Leider ist er dem Weltkrieg zum Opfer gefallen und +damit die berühmte Gelehrtenfamilie Brehm, wie so viele andere, im +männlichen Geschlecht ausgestorben. Zwei Töchter Alfred Brehms leben +dagegen noch heute in dem bescheidenen Landhaus in Renthendorf, das ihr +Vater sich neben dem alten Pfarrhaus erbaut hatte, als seine äußeren +Lebensumstände sich günstiger gestalteten. Das Familienleben dieses +Hauses war das denkbar schönste und glücklichste und erhielt erst +einen Riß nach dem Heimgange der Mutter bei der Geburt ihres jüngsten +Kindes. Wie mir Frl. Thekla Brehm schrieb, hielt der Vater streng +darauf, daß seine Kinder von seinem Ruhm möglichst wenig erfuhren. Sie +hatten tatsächlich kaum eine Ahnung davon. Tagsüber kam der Vater nicht +vom Schreibtisch fort, und abends las er in seinen Klassikern. Seine +Erholungsstunden füllte er mit Blumen- und namentlich mit Rosenzucht +aus, während er sonst für Botanik eigentlich auffällig wenig Sinn +hatte, ebenso für die niederen Tiere. Sein ganzes Herz gehörte den +Wirbeltieren, in erster Linie den Vögeln und Säugern. + +Brehms Bleiben in Leipzig währte nicht lange, aber man könnte +noch heute seine Schülerinnen um den Unterricht beneiden, den sie +genossen haben und der gewiß himmelweit abwich von dem, wie er +sonst damals üblich war. Wichtige Verbindungen, die für Brehms +ganzes Leben maßgebend wurden, sind aber während dieses Leipziger +Aufenthaltes geknüpft worden, so mit Roßmäßler, der damals dem Gedanken +volkstümlicher Naturbeschreibung siegreich Bahn brach und mit Brehm +zusammen die „Tiere des Waldes“ herausgab, und namentlich mit Ernst +Keil, dem weitsichtigen und großzügigen Verleger der „Gartenlaube“, +die sich nicht zuletzt durch Brehms Mitarbeiterschaft zum führenden +deutschen Familienblatte emporschwang. Viele der besten und schönsten +Aufsätze Brehms sind ja in der „Gartenlaube“ erschienen. Um dem +geschätzten Forscher und Mitarbeiter nach seiner Tropenreise auch +einen Einblick in die nordische Vogelwelt zu geben, schickte ihn Keil +auf seine Kosten nach Skandinavien und Lappland. Schon 1862 bot sich +Gelegenheit zu einer zweiten Tropenreise, als Herzog Ernst II. von +Sachsen-Koburg-Gotha Brehm zur Leitung einer Reise nach Abessinien +mit zahlreichem Gefolge aufforderte. Brehm hätte nicht Brehm sein +müssen, wenn er nicht mit Freuden zugesagt hätte. Es muß jedoch betont +werden, daß es sich bei dieser und den späteren Reisen nicht etwa um +bloße Jagdreisen handelte, mit dem Ziele, möglichst viele Trophäen +einzuheimsen, sondern daß der Hauptzweck ein wissenschaftlicher war +und der Herzog infolgedessen, ebenso wie später Kronprinz Rudolf +von Österreich, von einem ganzen Stabe von Gelehrten, Künstlern und +Präparatoren begleitet war. Für eine bloße Jagdreise wäre Brehm nicht +zu haben gewesen. Leider hatte er gerade bei der Abessinienreise, +ebenso wie früher im Sudan, schwer unter Malaria zu leiden und wurde +dadurch sehr in seiner Tätigkeit behindert. Mit Kronprinz Rudolf +verband ihn ein wahrer Freundschaftsbund, und Brehm, der in Österreich +geadelt wurde, aber niemals davon Gebrauch gemacht hat, ging in seiner +Jagdjoppe auf dem Hradschin in Prag und auf der Königsburg in Ofen +unangemeldet ein und aus. Gemeinsam mit Rudolf unternahm er eine kurze, +aber ergebnisreiche Forschungsreise nach der unteren Donau, und zwei +Jahre später eine ebensolche nach Spanien. Vorausgegangen war 1877 eine +Reise nach dem südwestlichen Sibirien, die zwar ihr Ziel nicht völlig +erreichte, aber doch in bezug auf Tier- und Völkerkunde reiche Früchte +trug. + +Zwischen diesen verschiedenen Forschungsreisen liegt Brehms Tätigkeit +als Tiergärtner. Schon 1863 war aus Hamburg ein verlockender Ruf zur +Leitung des dortigen, sehr heruntergewirtschafteten Tiergartens an +ihn ergangen; er hatte begeistert angenommen und in wenigen Jahren +Großartiges geleistet. Aber mit dem vielköpfigen und engherzigen +Aufsichtsrat, der für Brehms ideale Bestrebungen wenig Verständnis +hatte, konnte er sich nicht befreunden und legte deshalb schon nach +wenigen Jahren das Amt nieder. Trotz dieser bitteren Erfahrung begab er +sich gleich darauf in ein ähnliches Joch, diesmal nach Berlin, wo nach +seinen Plänen das Aquarium „Unter den Linden“, eine für die damalige +Zeit einzig dastehende Schöpfung, errichtet wurde. Es ist fabelhaft, +was Brehm hier nach jeder Richtung hin geschaffen hat. Aber trotzdem +wiederholte sich die Tragödie von Hamburg. Seitdem lebte er als freier +Schriftsteller, der im Sommer an seinen Werken arbeitete und im Winter +seine berühmten Vorträge hielt. + +Von seinen Werken seien noch besonders „Das Leben der Vögel“, das er +selbst für sein bestes Buch hielt, und zwei Bände „Gefangene Vögel“ +erwähnt. Sein eigentliches Lebenswerk ist aber das „Illustrierte +Tierleben“, das 1863 in erster Auflage zu erscheinen begann, ein Werk, +um das uns alle Völker beneiden, denn es ist einzig in seiner Art. +Es hat die Tierkunde, die bis dahin ausschließlich von nüchternen +Fachgelehrten in der trockensten und langweiligsten Weise behandelt +wurde, mit einem Schlage volkstümlich gemacht und dem deutschen Volk +die altgermanische Liebe zum Tier neu erweckt. Mit diesen umfangreichen +Bänden wurde zum erstenmal die Tierbiologie der Systematik und Anatomie +ebenbürtig, und wenn heute gerade die Kunde vom +lebenden+ Tier +eine hervorragende Rolle spielt, so ist das zweifellos in erster Linie +auf Brehms unsterbliches Werk zurückzuführen. + +Brehm, der nur 55 Jahre alt geworden ist, war in den Jahren seiner +Blüte eine männlich schöne, schlanke und doch kraftvoll gewachsene +Erscheinung. Die hohe, breite Stirn, die stark entwickelte Adlernase, +der starke Vollbart und das reiche, zurückgestrichene Haupthaar gaben +seiner Erscheinung etwas Apostelartiges, und ein Apostel der Tierkunde +ist er ja auch gewesen. Sein Charakter war von männlicher Festigkeit, +die bisweilen bis zur Schroffheit gesteigert werden konnte, aber +trotzdem liebenswürdig, den Freunden gegenüber stets hilfsbereit und +von unerschütterlicher Treue. Ein gewisses Selbstbewußtsein vereinigte +sich mit größter Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit. + + + + +Im Renthendorfer Pfarrhaus + + +„Alfred, nun hole uns doch auch noch den Kasten mit den gelben +Bachstelzen her! Die muß der Herr Baron sich unbedingt noch recht +genau ansehen, denn gerade mit diesen Vögeln wird er sicherlich am Nil +vielfach zusammentreffen.“ + +Der so sprach, war seit dem Kriegsjahre 1813 wohlbestallter Pfarrherr +in dem ostthüringischen Dörfchen Renthendorf: Christian Ludwig Brehm +(1787–1864), eine hohe Gestalt mit verwitterten Gesichtszügen, etwas zu +lang und dick geratener Nase. Scharf, aber unendlich gutmütig blickten +die Augen. Das schwarzsamtene Hauskäppchen, das er immer trug, verlieh +ihm etwas Patriarchalisches. Sein wesentlich jüngerer Besucher war +der schwäbische Baron Joh. Wilh. Müller, der sich bereits durch eine +Afrikareise in der wissenschaftlichen Welt einen guten Namen verschafft +hatte und nun wieder nach dem schwarzen Erdteil gehen und dabei der +Vogelwelt besondere Aufmerksamkeit schenken wollte. Bei wem aber hätte +er sich dazu über vogelkundliche Fragen bessere Auskunft holen können +als bei dem „alten Brehm“, wie der Renthendorfer Pfarrherr schon +damals allgemein hieß. War dieser doch neben Joh. Friedr. Naumann der +bedeutendste Vogelforscher seiner Zeit und deshalb das weltentlegene +thüringische Pfarrhaus ein wahres Mekka der Ornithologen, das fast +niemals von Gästen leer wurde. Die große und nach ganz neuartigen +Gesichtspunkten angelegte Vogelbalgsammlung des Hausherrn gab dann +stets unerschöpflichen Stoff zu gelehrten Untersuchungen, endlosen +Gesprächen und oft hitzigem Austausch der verschiedensten Ansichten. + +Alfred, der sich seit seiner Konfirmation (1843) im nahen Altenburg +der Architektenlaufbahn widmete, war damals im zeitigen Frühjahr 1847 +ein kaum 18jähriger Jüngling, prächtig gewachsen, mit hellen Augen +und gesund gebräunten Gesichtszügen. Als wissenschaftlicher Gehilfe +des vogelkundigen Vaters wußte er in der Sammlung natürlich gründlich +Bescheid. So sehr sie auch in den beschränkten Räumlichkeiten verkramt +und verzettelt war, hatte er doch alsbald mit sicherem Griff den +Kasten mit den Viehstelzen herausgefunden, brachte ihn angeschleppt +und stellte ihn auf den Tisch, erst andere, dort schon ausgebreitete +Vogelbälge beiseite schiebend. In langen Reihen lagen die schlanken, +spitzköpfigen und langschwänzigen, auf der Bauchseite leuchtend gelb +gefärbten Vögel da. „Nun sehen Sie doch einmal, Herr Baron, diese +gewaltigen Verschiedenheiten“, ergriff mit dröhnender Stimme der +Hausherr eifrig das Wort. „Wer nicht ganz mit Blindheit geschlagen ist, +muß sie doch auf den ersten Blick sehen, und ich begreife nicht, daß +es immer noch Ornithologen gibt, die diese Unterschiede ganz leugnen +oder sie nur für solche nach Geschlecht und Jahreszeiten halten. Darum +handelt es sich aber keineswegs, sondern um abweichende geographische +Formen, also um das, was ich ›Subspezies‹ nenne. Hier sehen Sie z. B. +eine ganze Reihe Schafstelzen, die im Gegensatz zu den anderen eine +weiße Kehle haben. Das sind Südeuropäer; ich bekam sie aus Italien. Die +nächste Reihe hat nicht, wie gewöhnlich, aschgraue Ohrdecken, sondern +schieferschwarze. Sie sind zwar in Deutschland erlegt, aber trotzdem +auf gar keinen Fall deutsche Brutvögel, sondern Nordländer, die uns +nur auf dem Durchzuge besuchen. Sehen Sie nur einmal die Begleitzettel +näher an. Immer werden Sie finden, daß das Erlegungsdatum mit der +Zugzeit dieser schönen Vögel zusammenfällt. Und dann drehen Sie die +Bälge einmal um und achten Sie auf das Vorhandensein oder Fehlen +des Augenbrauenstreifens oder auf die ganz verschiedene Färbung des +Oberkopfes.“ -- „Hier haben wir“, wagte Alfred einzuwerfen, „sogar +einige Stücke mit glänzend schwarzem Oberkopf, die wir neulich durch +Professor Naumann von den anhaltinischen Besitzungen in Südrußland +erhalten haben.“ + +Interessiert vertiefte sich der Gast in die nähere Betrachtung der +sauber hergerichteten und mit peinlichster Genauigkeit etikettierten +Bälge. „In der Tat“, meinte er dann, „sind die Unterschiede zwischen +den Viehstelzen verschiedener Herkunft viel größer und auffälliger, +als ich sie mir nach den bloßen Beschreibungen gedacht habe.“ -- „Also +achten Sie unbedingt in den Nilländern ja recht genau gerade auf diese +Vogelgruppe“, rief der Hausherr. „Ich möchte wetten, daß dort im Winter +auch alle möglichen östlichen Formen vorkommen. An ihrem Federkleid +können Sie dann ganz genau feststellen, wo die einzelnen Stücke ihre +Brutheimat haben. Bedenken Sie doch nur, welch ungeahntes Licht dadurch +auf das große Rätsel des Vogelzuges fallen würde!“ -- „Gewiß, Herr +Pastor, Sie haben sicherlich vollkommen recht, und ich würde herzlich +gerne Ihrem Rate folgen. Als verantwortlicher Expeditionsleiter ist +man aber nach nur allzuviel Richtungen hin in Anspruch genommen und +darf sich nicht zu sehr zersplittern. Auch gestehe ich offen, daß mich +als leidenschaftlichen Weidmann die Jagd auf afrikanisches Großwild +natürlich doch mehr reizt als die auf kleine Singvögel. Es fehlt auch +oft an Zeit und Muße zum Präparieren, zumal in der Gluthitze der +Nilländer die erlegten Vögel sehr rasch in Verwesung übergehen. Aus +allen diesen Gründen sollte ich noch einen Reisegefährten mithaben, +einen tüchtigen jungen Ornithologen, der körperlich den Anstrengungen +einer solchen Reise gewachsen ist und geistig hoch genug steht, um mir +nicht nur Reisegefährte, sondern auch Freund zu sein. Es wird ja nicht +leicht sein, den richtigen Mann zu finden, aber vielleicht könnten Sie +mir bei Ihren ausgedehnten Verbindungen zu einer wirklich geeigneten +Persönlichkeit verhelfen.“ Der Blick des Barons streifte in diesem +Augenblick lauernd und prüfend die sehnige, kraftvolle Gestalt des +jungen Brehm, aber der Vater schien es nicht zu bemerken. „Ich werde +über die Sache nachdenken“, meinte er kurz und kam dann gleich wieder +auf seine geliebten Vogelbälge zurück. + +[Illustration: Christian Ludwig Brehm (1787–1864), der Vater des +Tierforschers, Pfarrer in Renthendorf + +Nach einem alten Holzschnitt] + +Schon mehrmals war Thekla, die blühend schöne Tochter des Hauses, in +der Türe erschienen und hatte dringend zum Essen gebeten, aber ihr +Vater meinte nur unwirsch, essen könne der Baron daheim im schönen +Land der „Spätzleschwaben“ genug, hier bei ihm aber müsse er alle +verfügbare Zeit der Vogelkunde widmen. Endlich ließ er sich doch +bewegen, auch das leibliche Wohl seines Gastes zu berücksichtigen. +Bei Tisch erzählte der Baron viel und anschaulich von seiner großen +Afrikareise. Mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen trank +ihm Alfred sozusagen jedes Wort von den Lippen. Seine lebhafte +Einbildungskraft schaute mit durstigen Augen die öden Wüsten und die +weiten Steppen, die vogelreichen Urwälder und die fieberschwangeren +Sümpfe des schwarzen Erdteils, spiegelte ihm in leuchtenden Farben ein +freies Forscher- und Jägerleben vor. Er mußte sich gleich nach der +Mahlzeit verabschieden, um in achtstündigem Fußmarsch Altenburg zu +erreichen, wo er bei einer Baufirma untergebracht war und am nächsten +Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen hatte. „O Vater,“ flüsterte er +diesem beim Abschied zu, „wenn doch der Baron mich mitnehmen wollte! +Ich ginge gleich und wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne.“ + +„Also acht Stunden hat Ihr Alfred zu laufen und muß doch morgen früh +im Büro frisch sein,“ begann der Baron, als er mit dem alten Brehm +wieder bei den Vogelbälgen saß, „wirklich eine tüchtige Leistung!“ -- +„Oh, das macht dem Jungen nichts aus,“ erwiderte der Pfarrer, „daran +ist er gewöhnt. Ich habe meine Kinder frank und frei aufwachsen und +sie sich tüchtig in unseren schönen Wäldern tummeln lassen. Dadurch +sind sie kerngesund geblieben und frühzeitig abgehärtet worden. +Namentlich Alfred war schon von Kindesbeinen an mein unzertrennlicher +Begleiter auf tagelangen ornithologischen Ausflügen, auf denen es wenig +zu beißen und viel zu laufen gab. Wie glücklich war er, wenn er nur +meine Jagdtasche tragen durfte, und nie werde ich die selige Freude +vergessen, die er empfand, als ich ihm zu seinem 8. Geburtstage eine +kleine Vogelflinte schenkte. Er hat sich bald zu einem treffsicheren +Schützen ausgebildet, und meine Sammlung verdankt ihm manches schöne, +wertvolle Stück.“ -- „Ich war höchst erstaunt“, fügte der Baron +ein, „über die verblüffende Fachkenntnis eines so jungen, kaum dem +Knabenalter entwachsenen Mannes.“ „Ja, er ist mein ganzer Stolz,“ +sagte der Pfarrer einfach, „und ich glaube selbst, daß das Zeug zu +einem tüchtigen Naturforscher in ihm steckt. Alle in unserer Gegend +vorkommenden Vögel kennt er heute schon nach Erscheinung, Aufenthalt +und Lebensgewohnheiten ebenso gut wie ich selbst; kein Vogelnest +entgeht seinem scharfen Auge, kein Lockton seinem wunderbar geschulten +Ohr.“ -- „Aber, Herr Pfarrer, das ist ja gerade der Mann, den ich +für meine neue Reise so sehr suche und brauche! Geben Sie mir Ihren +Alfred mit, und ich will ihn halten wie meinen eigenen Bruder!“ -- +„Na, der Alfred selber wäre wohl gerne damit einverstanden; er hat +schon vorhin so etwas verlauten lassen, denn Sie haben ihm mit Ihren +afrikanischen Reiseschilderungen den Mund gehörig wässerig gemacht. Ich +wette, er träumt morgen schon über seinem Reißbrett von den wildesten +afrikanischen Jagdabenteuern und zerbricht sich den Kopf darüber, +welche Vogelarten wohl an dem großen Märchenstrome Nil vorkommen +könnten. Aber, Herr Baron, im Ernste gesprochen, der Bursche ist doch +für ein solches Unternehmen noch gar zu jung, denn er hat ja erst +vor wenigen Wochen sein 17. Lebensjahr vollendet. Außerdem würde +er durch eine solche Reise doch gar zu sehr aus seiner beruflichen +Laufbahn herausgerissen werden und womöglich gar den Geschmack an ihr +verlieren. Es ist ja jammerschade, daß ich ihn nicht zum Studium der +Naturwissenschaften nach Jena schicken konnte. Aber dort studiert schon +mein älterer Sohn Reinhold Medizin, und für zwei studierende Söhne +reicht das knappe Einkommen eines simplen Dorfgeistlichen nun einmal +nicht aus. So mußte ich eben Alfred beim Baufach unterbringen, damit er +früher ins Brot kommt.“ -- „Aber der Bursche ist ja doch der geborene +Naturforscher und wird sich deshalb auch nur als Naturforscher wahrhaft +glücklich fühlen. Also lassen Sie ihn ruhig mit mir nach Afrika gehen! +Nach der Heimkehr wird man dann schon sehen, nach welcher Richtung sein +Lebensschifflein weiter steuern wird. Ich meine, es kann doch wohl +keinem jungen Manne etwas schaden, wenn er sich den Wind tüchtig um +die Nase wehen läßt und ein gutes Stück von der Welt zu sehen bekommt, +noch ehe er sich für einen bestimmten Beruf entscheidet. Er ist ja auch +weit über seine Jahre gereift, würde also nicht wie ein dummer Junge +ins schwärzeste Afrika hineintappen, sondern von vornherein nach einem +ganz bestimmten wissenschaftlichen Plane arbeiten.“ -- „Das würde er +allerdings sicherlich, und ich glaube, auch in jeder anderen Beziehung +könnten Sie sich voll und ganz auf meinen Alfred verlassen. Aber was +würde meine Frau zu der Sache sagen? Es würde ihr doch ungeheuer schwer +fallen, ihren Liebling in so weiter Ferne einem ungewissen Schicksale +und tausenderlei Gefahren preisgegeben zu wissen.“ -- „Nun, Herr +Pfarrer, wir stehen alle in Gottes Hand, und überflüssige Gefahren +will ich nicht aufsuchen. Das verspreche ich Ihnen. Die größte und +unvermeidlichste Gefahr im Sudan ist wohl das klimatische Fieber, aber +gerade ein so jugendfrischer Körper wie der Ihres Sohnes wird ihm +am ehesten gewachsen sein. Und dann bedenken Sie den großartigen und +wissenschaftlich unendlich wertvollen Zuwachs, den Sie durch Alfreds +Mitkommen für Ihre Sammlungen zu erwarten hätten.“ + +Damit hatte der Baron den schwachen Punkt des alten Brehm getroffen, +denn über seine Vogelbalgsammlung ging ihm nichts. „Das ist allerdings +wahr,“ rief er ganz begeistert aus, „denn keiner weiß mit solchem +Verständnis für mich zu sammeln, keiner kennt so genau das Material +und die Grundlagen, die mir für meine wissenschaftlichen Arbeiten +nötig sind, wie mein Alfred. Ich sammle ja nicht blindlings drauf +los und suche nicht aus bloßer Raffgier Tausende von Vogelbälgen +zu ergattern, sondern ich will von jeder paläarktischen Vogelart +sämtliche Federkleider zusammenbringen, die ja oft nach Geschlecht, +Alter und Jahreszeit sehr verschieden sind und überdies Stücke oder +womöglich gepaarte Pärchen aus den verschiedensten Ländern ihres +Verbreitungsgebietes, um so über die geographische Abänderung der Art +Klarheit zu gewinnen. Die Art ist ja nicht ein so festumrissener und +starrer Begriff, wie der große Linné glaubte. Ich weiß, daß viele +Zeitgenossen mich wegen meiner vielen Subspezies auslachen, aber ich +weiß auch, daß später einmal eine Zeit kommt, die mir Recht geben wird.“ + +Ein Wort gab das andere. Die Dämmerung senkte sich hernieder. Und +in dieser Stunde wurde über die Lebensbahn Alfred Edmund Brehms +entschieden. Die nächsten Wochen verstrichen unter allerlei +Reisevorbereitungen. Am 6. Juli 1847 trat Baron Müller von Triest +aus mit seinem jungen Gefährten hoffnungsfroh die Ausreise an. Damit +begann für Alfred Brehm ein neuer und wohl der abenteuerlichste +Abschnitt seines Lebens. Der Abschied von Renthendorf, von Eltern und +Geschwistern mag dem Jüngling schwer genug geworden sein, und der Vater +hätte seine Erlaubnis sicher noch zurückgezogen, wenn er hätte ahnen +können, daß der schwarze Erdteil seinen Liebling unter unsäglichen +Strapazen und Entbehrungen fünf volle Jahre zurückhalten und überdies +noch das Leben eines zweiten Sohnes fordern würde. + +So war der alte Brehm, von dem später der Sohn schrieb: „Das Studium +der Natur war ihm Gottesdienst.“ Bei einem Besuche Renthendorfs +im Sommer 1908 konnte ich mich mit Freude überzeugen, mit welcher +Liebe und Verehrung noch heute die Leute von ihrem unvergeßlichen +„Vogelpastor“ sprechen, wie sie ihn mit gutmütigem Spotte nannten. +Man darf nicht etwa glauben, daß Christian Ludwig Brehm über seiner +leidenschaftlichen Hingabe an die Wissenschaft der Vogelkunde sein +Pfarramt vernachlässigte. Er war vielmehr ein ausgezeichneter und +allzeit opferwilliger Seelsorger; die Bauern waren deshalb mit ihrem +„Vogelpastor“ baß zufrieden, sahen ihm mancherlei Schrullen und +Eigentümlichkeiten gerne nach und überbrachten ihm für seine Sammlung +alle Vögel, die ihnen der Zufall in die Hände spielte, soweit sie sich +nicht etwa -- essen ließen. Der alte Brehm gehörte nicht zu denen, die +ihr Christentum stets auf den Lippen tragen, aber er wußte mit seinen +Bauern ein gar kräftig und erbaulich Wörtlein zu reden, ganz ihrer +einfachen Denkweise sich anpassend und seine christliche Nächstenliebe +mehr durch rasche Taten als durch lange Predigten bekundend. Deshalb +mochten sie ihn auch alle so gern, den Mann mit dem durchdringenden +Scharfblick, der offenen Hand und dem gütigen Herzen, ihn, der seine +Gemeinde ein halbes Jahrhundert hindurch getreulich behütet, ihn, der +zwei Geschlechterfolgen von ihnen getauft, konfirmiert, getraut und zu +Grabe geleitet hatte, ihn, der sie mit ihren kleinen Nöten und Sorgen +ebenso genau kannte wie die eigenen Kinder, ihn, der auch nie müde +wurde, ihnen die wundersame Herrlichkeit der Natur zu verkündigen. +Was dem Vater Liebhaberei und Ablenkung bedeutete, wurde -- ins Große +geweitet -- dem Sohne Alfred zum Beruf. Ein Bahnbrecher auf dem Wege +zur Tierseele, ein Vorkämpfer der Wissenschaft, der ihr neue Wege wies +und das vom Trümmergestein der Systematik verrammelte Tor zur Biologie +mit starker Hand öffnete, der die Kunde vom Tier+leben+ uns +erschloß -- das war Alfred Brehm. + + + + +Nilfahrten + + +Zwei schwerfällige Segelbarken, sogenannte Dahabijes, krachten infolge +ungeschickter Steuerung mitten auf dem Nil gewaltig aufeinander, wobei +dem vorderen Schiff das Steuerruder weggerissen wurde. Wüstes Toben, +Schreien, Schimpfen und Kreischen erhob sich über dem heiligen Strome, +fast noch übertäubt von dem gellenden Zetergeschrei der verschleierten +Weiber, mit denen das beschädigte Fahrzeug vollgepfropft war. Brehm +und Baron Müller, die in der kleinen Kajüte des anderen Schiffleins +gerade ein wenig geschlummert hatten, stürzten, mit Pistolen und +Säbeln bewaffnet, erschrocken an Deck, um zu sehen, was los sei, +gefolgt von einem langen Engländer und seiner französischen Geliebten, +die gleichfalls diese Barke zur Fahrt nach Kairo benützten, denn +Eisenbahnen gab es ja damals in Ägypten noch nicht. Sie kamen gerade +zurecht, um zu sehen, wie vier nackte Matrosen der beschädigten Barke +durchs Wasser schwammen, an den eigenen Schiffswänden emporkletterten +und unter fürchterlichem Geschrei und einer Flut von Schimpfworten +mit der Mannschaft zu raufen anfingen. Der Reïs (Schiffseigentümer) +rief den Europäern angstvoll zu, ihm gegen die „Räuber und Mörder“ +beizustehen. Das war das Zeichen zum Gegenangriff. Baron Müller hieb +dem nackten Steuermann der Gegenpartei mit seinem Säbel derartig über +den Kopf, daß er in den Strom fiel und sich kaum über Wasser halten +konnte. Brehm ging mit bloßem Hirschfänger auf die anderen drei Kerle +los und trieb sie mit scharfen Hieben vor sich her. Der verblüffte +Engländer dagegen griff erst zu den Waffen, nachdem ihn die mutige +Französin durch ein paar schallende Ohrfeigen drastisch genug dazu +aufgefordert hatte. Der überwundene Feind stürzte in den Strom und +schwamm zu seiner Barke zurück. Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm. +Ein ganzer Haufe aufgeregter Männer bewaffnete sich unter Wutgeschrei +und Rachegeheul mit derben Knüppeln und traf alle Anstalten zu einem +neuen Angriff. Doch unterblieb er, als die Europäer ihre Büchsen +herbeiholten, mit Kugeln luden und jeden zu erschießen drohten, der es +wagen sollte, sich ihrem Schiff zu nähern. + +Nicht ohne Beschämung hat Brehm selbst später über diesen Zwischenfall +geurteilt: „Nur gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner +konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich +jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben. +Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die +Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem +Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen +lassen. Daß die Leute dabei aus vollem Halse schrien und anderweitigen +Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten +Vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewußt haben würde, daß die Araber +bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen.“ + + * * * * * + +[Illustration: Eine Übersichtskarte zu Brehms Nilreisen + +Nach einer Karte vom Jahre 1865] + +„Herr, was willst du von meiner Frau?“ wurde Brehm wütend von einem +riesenhaften, baumstarken Nubier angebrüllt, der wie ein gereizter +Tiger auf ihn losfuhr. Dieser Kerl, ein gewisser Aabd Lillahi, der +durch Trunksucht, Roheit und Jähzorn schon wiederholt unangenehm +aufgefallen war, hatte nämlich seine Frau mit an Bord, eine sehr +hübsche, blutjunge Nubierin, und Brehm war rein zufällig auf dem engen +Verdeck in allzu große Nähe der nußbraunen Schönheit geraten. Er mochte +beteuern, was er wollte, der Schwarze betrachtete ihn von diesem +Augenblicke an mit grenzenloser Eifersucht und schien überhaupt die +beiden Deutschen aus tiefster Seele zu hassen. Einige Tage später lag +Brehm fieberkrank im Schiffsraum, als er auf Verdeck wütend schimpfen +und fluchen hörte. Auf Befragen erfuhr er von seinem Diener, daß die +Schiffsmannschaft auf den Baron zornig wäre, weil er zum Jagen an Land +gegangen sei und nicht zurückkäme, obwohl gerade jetzt nach längerer +Windstille ein günstiger Nordwind eingesetzt habe. Nun habe man den +Aabd Lillahi ausgeschickt, ihn zu holen. Bei Nennung dieses Namens +ahnte Brehm gleich nichts Gutes. Er raffte sich auf, ergriff seine +Büchse und eilte auf Deck, wo er auch schon den Baron vom nahen Strande +her laut um Hilfe rufen hörte. Der Nubier drängte ihn nämlich geradezu +mit Gewalt nach dem Ufer und schlug sogar auf ihn los. Der mit Recht +darob erzürnte Baron riß seine Jagdflinte herunter, um dem Rohling +einen Kolbenschlag zu versetzen, aber der Schwarze preßte ihm mit der +Hand die Kehle zusammen und suchte sich des Gewehres zu bemächtigen. +Brehm sah seinen Freund und Gönner in höchster Not und nahm deshalb +den Nubier aufs Korn, aber er konnte nicht abdrücken, da die beiden +Kämpfer so eng verschlungen waren, daß der Schuß auch den Baron im +höchsten Grade gefährdet hätte. Endlich wurde der Nubier freier, und +Brehm zielte genauer, aber da brach jener plötzlich noch vor dem Schuß +blutend zusammen: der Baron hatte ihm sein Dolchmesser in die Brust +gestoßen! Entsetzt schrie das Schiffsvolk auf und schwur fürchterliche +Rache. Nur die entschlossene Haltung und die ernstesten Drohungen +der beiden wohlbewaffneten Deutschen, sowie ihr Versprechen, sich in +Dongola dem Gericht des Statthalters zu stellen, vermochten weiteres +Unheil und Blutvergießen zu verhüten. Die Verwundung Aabd Lillahis +erwies sich glücklicherweise nicht als lebensgefährlich, da eine Rippe +die Kraft des Dolchstoßes gebrochen hatte. Schließlich war der wüste +Kerl mit einem Schmerzensgelde von drei Talern zufrieden, und damit +fand dieser unangenehme Zwischenfall seine Erledigung. + +Blieben also diese Segelbarkenfahrten, die unsere Reisenden über +Chartum hinaus bis in den Blauen und Weißen Nil führten, auch nicht +ohne unliebsame Abenteuer, so waren sie andererseits doch gerade +für den Naturforscher zweifellos die angenehmste, genußreichste und +lohnendste Art des Reisens in den damals noch so wenig bekannten +Ländern des Sudan. Diese gemächliche Art des Reisens stromaufwärts ist +natürlich ganz von der herrschenden Windrichtung abhängig, und gerade +dabei findet der jagende Naturforscher seine Vorteile. Brehm hat noch +in späteren Jahren viel von diesen herrlichen und in bezug auf Jagd und +Vogelkunde so ergiebigen Fahrten auf dem „Vater der Ströme“ geschwärmt. +Da das nubische Nilbett durch tückische Felsriffe die Schiffahrt +erschwert, wurde die Segelbarke über Nacht irgendwo an Land gezogen +und erst bei Sonnenaufgang wieder flott gemacht. Während sie langsam +den majestätischen Strom hinaufsegelte, gingen Baron Müller und Brehm +jagend und beobachtend am Ufer entlang, ließen sich zum Mittagessen an +Bord nehmen und dann wieder abends beim Landen. Fast täglich machten +sie reiche Beute, die in Gestalt von fetten Nilgänsen, Enten und Tauben +auch der Küche zugute kam, denn mit dieser war es äußerst dürftig +bestellt, zumal eine solche Reise widriger Winde wegen oft länger +dauerte, als man berechnet hatte. Je weiter man nach Süden vordrang und +sich den Tropen näherte, um so zahlreicher wurden die fremden, bisher +nie geschauten Erscheinungen aus der Vogelwelt. Jeder Tag brachte +Neues, jede Stunde bereicherte in ungeahnter Weise die Kenntnisse der +beiden Forscher. Auf den Sandbänken standen ganze Scharen von stolzen +Kronen- und zierlichen Jungfernkranichen, an den Ufern fischten graue +und silberweiße, rote und gelbe Reiher, und die reizenden Kuhreiher +saßen truppweise auf den breiten Rücken der träge im Morast liegenden +Büffel; lustige Sporenkiebitze liefen auf den Dämmen herum, langbeinige +Stelzenläufer und abenteuerlich aussehende Säbelschnäbler wateten auf +den überschwemmten Wiesen, auf den Wassern schaukelten sich Scharen +der gewaltigen Pelikane, durch die Lüfte schossen wie buntgefiederte +Pfeile die farbenprächtigen Bienenfresser, vor den blühenden Sträuchern +schwirrten schimmernde Honigsauger, die die Kolibris in Afrika +vertreten, auf Pfählen lauerten Graufischer, diese vergrößerte, aber +verunglückte Ausgabe unseres herrlichen Eisvogels, Steinschmätzer der +verschiedensten Art tanzten und knicksten im Steingeröll, allerliebste +Blaukehlchen durchschlüpften schmiegsam und geheimnisvoll das +Uferdickicht, der Bülbül ließ seine klangvolle Strophe erschallen, und +als echt tropische Erscheinung wurden absonderliche Nashornvögel mit +freudigem Hurra begrüßt. Faule Krokodile lagen verschlafen und gähnend +auf kleinen Schlamminseln, flinke Ichneumons huschten beutelüstern +durch undurchdringliche Rohrfelder, und abends gaben die Schakale ihre +mißtönigen Heulkonzerte zum besten. + +Soweit es die knapp bemessene Zeit zuließ, wurden natürlich auch +die berühmten alten Tempelbauten und die Königsgräber besucht, +namentlich auch die sagenumwobenen Krokodilhöhlen bei dem Städtchen +Monfalut. Es war wieder einmal eine recht beschwerliche Sache, denn +die langen Gänge waren überaus eng, erstickend heiß, mit mefitischen +Düften geschwängert und der Boden von dem mit Erdpech vermischten +Kot zahlloser Fledermäuse glitschig. In den vorderen Gängen lagen +nur menschliche Mumien, von denen man wenigstens einige abgetrennte +Köpfe mitnehmen konnte, in den hinteren aber waren die einbalsamierten +Krokodile aller Größen schichtenweise aufeinander getürmt, und sogar +ganze Berge eingetrockneter Krokodileier waren vorhanden. Einige der +schönsten Krokodilmumien wurden für die Sammlung ausgewählt. Brehm kam +dabei zu der jedenfalls richtigen Ansicht, daß die alten Ägypter die +Krokodile keineswegs als heilig verehrten, wie die Altertumsforscher +bis dahin angenommen hatten, sie vielmehr fürchteten und ihre Zahl nach +Möglichkeit zu vermindern suchten. Unmöglich konnten all diese Tausende +einbalsamierter Ungetüme eines natürlichen Todes gestorben sein; man +hatte sie wahrscheinlich gewaltsam getötet und dann, zur Versöhnung +ihrer Geister, mumifiziert. + +Einmal hatte Brehm einen prachtvollen Seeadler angeschossen, der noch +bis zum Strome flatterte und dort ins Wasser fiel. Er trieb mit den +Wellen dicht am Ufer hin, geriet aber dann in eine nach der Mitte zu +sich wendende Strömung, schien also verloren. In diesem Augenblick +tauchte ein herumlungernder Araber auf, und Brehm ersuchte ihn, gegen +ein gutes Trinkgeld den Vogel herauszuholen. Der Mann aber weigerte +sich beharrlich mit der Begründung, daß es hier viele Krokodile gebe, +die ihm erst kürzlich zwei Schafe geraubt hätten. Ärgerlich über diese +vermeintliche Feigheit entkleidete sich Brehm selbst und sprang mutig +ins Wasser. Eben verlor er den Boden unter den Füßen und wollte sich +zum Schwimmen anschicken, da schrie der Araber entsetzt auf: „Herr, um +der Gnade und Barmherzigkeit Allahs willen, kehre um! Ein Krokodil!“ +Erschrocken fuhr Brehm zurück. Und wirklich, da kam auch schon von der +anderen Stromseite her ein riesiges Krokodil angeschwommen, gerade +auf den erschossenen Adler zu, tauchte dicht vor ihm, öffnete den mit +greulichen Zahnreihen besetzten Rachen -- groß genug, um auch einen +Menschen darin unterzubringen -- und verschwand mit seiner Beute in +den trüben Fluten. Brehm stand derweil wie gelähmt. Seit dieser Stunde +haßte er die Krokodile leidenschaftlich, und diesem Haß ist er sein +ganzes Leben hindurch so treu geblieben, daß er niemals eine der +gepanzerten Riesenechsen unbeschossen ließ, so oft sich nur immer die +Gelegenheit bot, ihnen eine Kugel anzutragen. + + * * * * * + +„Söhne der Fremde,“ begann Aabd Allah, ein alter, ehrwürdiger und +seiner Rechtlichkeit wegen hoch angesehener Barkenführer, dem ein +langer, weißer Bart das ernste Antlitz umfloß, während das blaue +Kattunhemd seinen ausgemergelten Leib wie ein Priestertalar umhüllte, +„seht, ich bin ein alter Mann, die Sonne hat mein Haar siebenzig Jahre +beschienen und gebleicht, des Alters Silber deckt es, mein Gebein ist +mürbe geworden, ihr könntet meine Kinder sein. Wohlan, so höret, Männer +des Frankenlandes, höret auf das, was ich euch sagen will. Ich spreche +die Sprache des wohlmeinenden Warners. Laßt ab von eurem Beginnen, +denn ihr geht einer großen Gefahr entgegen, unwissend und sorglos -- +ich aber kenne sie. Hättet ihr gleich mir jene Felsen gesehen, die +zusammentretend den Wogen die Tür verschließen, hättet ihr gehört, +wie die Wasser, Einlaß und Durchgang begehrend, donnernd, zürnend +und machtvoll an die ewig Feststehenden klopfen, wie sie die Steine +überfluten und mit Gebrüll zur Tiefe in den Bauch der Felsen stürzen, +und wüßtet ihr, daß nur die Gnade Allahs -- ihm sei Bewunderung, denn +er ist der Erhabene -- unser gebrechliches Fahrzeug leiten und führen +kann, ihr würdet meinem Rate folgen. Denkt an eure Mütter! Der Kummer +würde sie erdrücken, wenn uns der Segen des Allbarmherzigen verließe.“ + +[Illustration: Die Wochenstube des Nashornvogels + +Nach einem alten Bild von G. Mützel zu einem Aufsatz Brehms „Vögel in +der Wochenstube“ aus dem Jahre 1873] + +Baron Müller schien schwankend zu werden, aber Brehm antwortete +freundlich, doch fest: „Allah wird uns helfen. Er ist gnädig!“ -- „Nun, +so gehet mit Gott und seinem gepriesenem Propheten,“ erwiderte würdig +der Greis, „ich will für euch beten in der Stunde der Gefahr.“ -- +„Amen, o Reïs, wir danken dir, das Heil sei mit dir!“ + +Dieses Gespräch fand an einem herrlichen Tropenabende unweit der großen +Nilkatarakte von Wadi-Halfa statt, die ein fast unüberwindliches +Hindernis für die Schiffahrt bildeten und der Weiterreise gewöhnlicher +Barken ein Ziel setzten. Die beiden Deutschen aber hatten diesmal +durch die Güte des türkischen Statthalters von Chartum besonders stark +gebaute Regierungsbarken zur Verfügung, und deren Führer wollten die +Durchfahrt mit einigen besonders tüchtigen, erfahrenen und mutigen +Steuerleuten und Ruderern wagen, während die übrige Mannschaft mit dem +großen Gepäck die Fälle auf dem Landwege umgehen sollte. Brehm bestand +aber trotz der dringendsten Warnungen und Abmahnungen von allen Seiten +darauf, die gefährliche Fahrt mitzumachen, und Baron Müller mochte +dem jüngeren Gefährten an Mut auch nicht nachstehen. So sind beide +die ersten Europäer gewesen, die die Stromschnellen von Wadi-Halfa +überwunden haben. + +Um Haaresbreite hätte aber das kühne Wagnis tragisch geendet. Mit +furchtbarer Gewalt fluteten die Wogen über die kaum vom Wasser +bedeckten Felsblöcke, in allen Fugen stöhnte und krachte das +Schifflein, dem Steuer ungehorsam, tanzte es durch den kochenden +Gischt, kein Ruder tat seinen Dienst. Doch die dräuenden Wogen selbst +werden zu Rettern, sie umfassen und umklammern die Barke, nehmen sie +mit sich fort in rasender Fahrt. Wie ein Pfeil vom Bogen jagt das +kleine Fahrzeug zwischen himmelansteigenden, senkrecht abfallenden, +schwarzen, glänzenden Syenitwänden dahin, die nur wenige Schritte +voneinander entfernt sind, so daß man die Ruder überhaupt nicht +brauchen kann. Ein hartes Aufstoßen, daß all die Männer zu Boden +fallen! Ein einziger Schrei des Entsetzens! Ein Leck! Nun geht’s ans +Verstopfen! Die steuerlos treibende Barke ist in ein Labyrinth von +Felsen, Strudeln und Wasserfällen geraten. Keiner weiß mehr, wo man +sich befindet. Entkräftigende Angst bemächtigt sich der Mannschaft, die +bereits ihre Kleider abwirft. In dieser Not übertönt die Stimme des +70jährigen Bellahl, des Abu el reisin, des „Vaters der Schiffsführer“, +das Gezeter des jammernden Schiffsvolkes und das dumpfe Brausen des +Katarakts: „An die Ruder, ihr Helden! Seid ihr denn toll, ihr Kinder +der Heiden? Arbeitet, rudert, ihr Hunde, ihr Knaben, ihr Männer, ihr +Tapferen, ihr Braven! Maschallah! Rudert, bei Gott! Allah ist gnädig! +Er ist der Allerbarmer!“ Der Greis selbst handhabt mit eiserner, +nerviger Faust das Steuer. Da fließt nach links ein starker Arm ab, +in ihn lenkt Bellahl die Barke, verfolgt den Lauf des Stromzweiges +mit sicherer Hand und erreicht wirklich freies Fahrwasser. Gerettet! +Die Gefahr ist vorüber. Freudenschüsse der beiden schreckensbleichen +Europäer begrüßen das am Horizont auftauchende Palmendorf Wadi-Halfa. +Die Araber aber fallen auf ihr Angesicht und beten: „Lob und Preis dir, +dem Herren der Welten, dem Allerbarmer!“ + + + + +Durch Steppe, Wüste und Urwald + + +„Ich kann nicht mehr weiter! Laßt mich doch ruhig hier liegen, wo ich +bin! Ich will ja nichts mehr als sterben. Aber vorher nur noch einen +Trunk Wasser! Einen einzigen, kleinen, winzigen Schluck Wasser!“ +Der so erbärmlich jammerte, das war unser sonst so tapferer Alfred +Brehm. Das Fieber hatte ihn auf dem langen Karawanenmarsche durch das +glühend heiße Kordofan mit aller Macht gepackt, und täglich zehrte +das mörderische Klima dieses verrufenen Landes an seinen schon sehr +schwach gewordenen Kräften. Mit Gewalt mußte man ihn zum Weiterreiten +zwingen. Jeder Schaukeltritt des gemächlich dahinziehenden Kamels wurde +dann dem Kranken zu peinvoller Qual, hatte Erbrechen und Leibschmerzen +zur Folge, und nur durch krampfhaftes Anklammern an eine Kiste konnte +er sich vor dem Herabfallen bewahren. Es war ein Glück, daß Baron +Müller, der selbst schwer unter immer häufigeren Fieberanfällen zu +leiden hatte, sich schon bald nach Ankunft in der unerträglich öden und +langweiligen Sklavenhändlerstadt El Obeid zum Rückmarsch nach Chartum +entschloß, denn lange hätten beide sicher nicht mehr dem fürchterlichen +Klima standgehalten. Überdies trat während der Märsche öfters Mangel an +Lebensmitteln ein, und man mußte froh sein, wenn es gelang, einige von +den Kamelen aufgescheuchte Perlhühner oder Frankoline zu schießen. Der +Hunger hätte sich ja allenfalls noch ertragen lassen, aber zum Unglück +war das spärlich genug angetroffene Wasser meist nur eine ekelhafte +bräunliche Schleimbrühe, deren unvermeidbarer Genuß immer wieder neue +Fieberanfälle auslöste. Die Steppe selbst starrte von scharfschneidigen +Gräsern und lästigen Kletten, und so war der Marsch durch sie selbst +an fieberfreien Tagen nicht gerade ein Vergnügen. Häufig stand sie +jetzt am Ende der Trockenzeit weithin in Flammen, und dann sah man, +wie die Antilopenherden in langwiegendem Galopp vor dem rasenden +Element flüchteten oder wie die fluggewandten Gaukler (eine Adlerart) +und die langbeinigen Kranichgeier erfolgreiche Jagd machten auf das +massenhaft durch die Flammen aus seinen Schlupfwinkeln herausgejagte +Schlangengezücht. Die Eingeborenen dieser Gegend, die sich im +allgemeinen nicht unfreundlich zeigten, wohnten in runden Strohhütten +(Tokhuls) mit oben spitz zulaufendem Dach, das gewöhnlich von einem +Straußenei gekrönt wurde, bebauten magere Durrha-(Hirse-)Felder und +unterhielten große Viehherden. Oft sah man 5–600 Kamele zusammen weiden +und hatte auch Gelegenheit, ihre fette, etwas säuerliche Milch zu +kosten. + +„Friede sei mit dir, o Scheich!“ kauderwelschte Brehm, der Negersprache +nur wenig kundig, mit dem herbeieilenden Schulzen eines solchen großen +Tokhul-Dorfes, das man eines Abends müde und hungrig erreicht hatte. +„Wir wollen von dir gegen gutes Geld einige Farchas kaufen.“ Mit +Farchas bezeichnete man nämlich in Oberägypten junge Hühner, und etwas +anderes wäre in dem elenden Neste ja doch nicht aufzutreiben gewesen. +Der Scheich schüttelte verwundert den Kopf. „Ihr zieht ja doch, wie ich +höre, ohnehin nach El Obeid, wo es viele Farchas gibt. Dann braucht +ihr doch hier keine zu kaufen. Ich habe zwar eine, aber sie ist alt +und häßlich.“ -- „Das schadet nichts, bringe sie uns nur her!“ Jener +ging, erschien wieder und brachte -- eine Sklavin, die der Beschreibung +des guten Mannes in der Tat vollkommen entsprach. Man lachte und +versicherte ihm, daß man diese Venus nicht brauchen könne, weil man die +„Farcha“ essen wolle. Darob entfloh der Scheich voller Entsetzen. Die +Europäer staunten ihm verwundert nach; erst einer der Diener löste das +Rätsel durch die Mitteilung, daß die Kordofanesen mit „Farcha“ junge +Sklavinnen bezeichnen, während sie für Hühner das Wort „Faruhdj“ haben. + +Es gab aber auch weniger lustige Mißverständnisse, namentlich als +man auf dem Rückmarsch aus Kordofan durch Gegenden kam, die erst +kürzlich von Sklavenjägern heimgesucht worden waren. Hier verhielten +sich die Eingeborenen erklärlicherweise sehr zugeknöpft, oft geradezu +unfreundlich oder feindselig. Mühsam quälten die Reisenden sich in +anstrengenden Märschen durch das ungastliche Land, denn die Hitze +hatte ihren Höhepunkt erreicht und stieg bei Südwind im Schatten der +Strohhütten bis auf 45° ~R~, während das der Sonne ausgesetzte +oder in den Sand gesteckte Thermometer nicht selten sogar 55° +~R~ zeigte. Der Körper troff Tag und Nacht von Schweiß, und +nur selten brachte ein kühlerer Nordwind allzu rasch vorübergehende +Linderung. Überdies ritt man oft in die Irre, denn es fehlte an +ortskundigen Führern. Es blieb manchmal nichts anderes übrig, als +solche mit Gewalt zu beschaffen, wenn sie nicht freiwillig mitgehen +wollten. Das brachte aber unsere Freunde bei den Schwarzen in den +Geruch von Sklavenhändlern, und dieser Umstand hätte um ein Haar +ihren Untergang herbeigeführt. Halb verdurstet, nur auf ein Restchen +brühwarmes Schlauchwasser angewiesen, lagen sie todmüde in einem +elenden, verlassenen Weiler, und der fieberkranke Brehm hatte +sich in der erstbesten Hütte auf einem Ankhareb (Bettgestell mit +elastischen Ledergurten) niedergelassen, während der Baron und Ali +(ein ausgedienter türkischer Unteroffizier, den man in Chartum als +Leibdiener aufgenommen hatte) weiter im Innern der Hütte auf dem +festgestampften Erdboden zum Schlummer sich niederlegten. Plötzlich +wurde Brehm durch ein wütendes Geheul aus seinem Halbschlafe +aufgeschreckt, und gleichzeitig erschien auch schon am Eingang die +herkulische Gestalt eines Negers, der mit gezücktem Schwert auf +ihn losstürzte und seinen tobenden Gefährten zurief: „Kommt! Hier +sind die Hunde! Kommt und schlagt sie tot!“ Mit einem gewaltigen +Kolbenschlage schmetterte Brehm den Wütenden zurück und rüttelte die +beiden anderen wach. Alle griffen zu den Waffen und drohten, jeden +Eindringling niederzuschießen. Da hörte der sprachenkundige Ali, wie +die Schwarzen sich verabredeten, die leicht Feuer fangende Strohhütte +anzuzünden, und so mußte man sich zu einem Ausfall entschließen. Aber +draußen waren die Europäer im Nu von einer großen Übermacht der Gegner +umringt, deren lange Stoßlanzen nur noch einen halben Fuß von ihrer +Brust entfernt waren. Der Baron hatte in jeder Hand eine Pistole und +wollte schießen, aber der trotz seiner Jugend viel besonnenere Brehm +beschwor ihn, dies nicht zu tun, und verlegte sich aufs Unterhandeln. +Freilich ging seine Stimme in dem wüsten Lärm unter, aber man gewann +doch so viel Zeit, sich wieder in die Hütte zurückziehen zu können. +Bewaffneter Widerstand wäre ja auch tatsächlich Wahnwitz gewesen, denn +wenn man auch einige Feinde unschädlich gemacht hätte, so wäre man +doch schließlich unzweifelhaft trotz größter Tapferkeit der gewaltigen +Übermacht unterlegen. Da kam im letzten Augenblick unerwartet Hilfe +in höchster Not. Ein Araber mit milchweißem Barte, den die Schwarzen +zu kennen und zu achten schienen, trieb die tobende Bande mit der +Nilpferdpeitsche zurück und schaffte erst einmal Ruhe. Bald klärte sich +nun das Mißverständnis auf, die ernüchterten Neger baten um Verzeihung, +und der landesübliche Bakschisch beendete zur allseitigen Zufriedenheit +das gefährliche Abenteuer. + +Über all die unsäglichen Widerwärtigkeiten und Mühseligkeiten halfen +aber doch immer wieder köstliche Forscherfreuden hinweg. Namentlich +bei längerem Verweilen an einem günstigen Platze gab es genußreiche +Tage und fast überreiche Beute. Da wurden erfolgreiche Adlerjagden +veranstaltet, Antilopen und Hasen für die Küche geschossen. Wenn man +nur auch eine geeignete Zukost dazu gehabt hätte! Aber weder Gemüse +noch Kartoffeln wollen in der Gluthitze Kordofans mehr gedeihen, und +die schlissigen, unappetitlichen Durrhakuchen, die die Negerweiber zu +bereiten verstanden, waren schließlich doch nur ein sehr unvollkommener +Ersatz für unser köstliches und wohlschmeckendes Brot. Ein wahres +Labsal war es dagegen, wenn es glückte, einmal einen Krug Meriesa +aufzutreiben, eine Art Hirsebier, das sehr erfrischend schmeckt und +ähnlich wie der russische Kwaß von jedem Stamme und jedem Dorfe in +anderer Weise zubereitet wird. + +Köstlich waren die Tropenabende, wenn man innerhalb der mächtigen +Dornumwallung eines Dorfes saß und dem gemütlichen Schnurren der +langgeschwänzten Nachtschwalben lauschte oder den wehmütigen Rufen +der kleinen Eulen, die zutraulich auf den Spitzen der Tokhals saßen. +Blutdürstige Leoparden und feige Hyänen umschlichen nachts gierig +die Dornumwallung, wurden aber rasch von den zahlreichen und mutigen +Hunden zurückgetrieben. Nur wenn das aus tiefster Brust hervorgeholte +Donnergebrüll des Löwen erscholl, das Brehm hier klopfenden Herzens zum +erstenmal vernahm, verkrochen sich die edlen Hunde kläglich winselnd +bei ihren Herren, die aber ebensowenig wie ihre vierbeinigen Gehilfen +dem König der Tiere entgegenzutreten wagten, zumal die lange Stoßlanze +ihre einzige Waffe war. Zweimal holte sich in Anwesenheit Brehms der +„Herr mit dem dicken Kopfe“ durch gewaltigen Sprung, unwiderstehlichen +Prankenschlag und zermalmenden Nackenbiß sein Opfer aus der hohen +Dornumwallung (Serrieba), und um die Überbleibsel der königlichen Tafel +stritten sich dann am nächsten Tage Geier und Marabus und in der Nacht +Hyänen und Schakale. + +[Illustration: Hyänenhunde („gemalte“ Hunde) auf der Antilopenjagd + +Nach einer Originalzeichnung von H. Leutemann zu Brehms Arbeit „Neue +Charakterbilder aus der Tierwelt“ (1867)] + + * * * * * + +Wüstensturm! Lauschen wir Brehms eigenen Worten, denn keiner hat die +hehre Majestät der Wüste mit all ihren Schrecken und Schönheiten +so eindringlich und greifbar, so packend und gewaltig zu schildern +verstanden wie er: + +„Schon mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Wüstensohn diesen +furchtbaren Wind, dem er geradezu tödliche Wirkungen zuschreibt. Die +Temperatur der Luft wird im höchsten Grade lästig: sie ist schwül +und abspannend wie vor einem Gewitter. Der Horizont ist mit einem +leichten, rötlich oder blau erscheinenden Dufte wie überhaucht -- es +ist der in der Atmosphäre kreisende Wüstensand, aber noch bemerkt man +keinen Hauch des Windes. Die Tiere jedoch fühlen seine Nähe wohl. +Sie werden unruhig und ängstlich, wollen nicht mehr in gewohnter +Weise gehen, drängen sich aus dem Zuge heraus und geben noch andere +unverkennbare Beweise ihres Ahnungsvermögens. Dabei ermatten sie in +kurzer Zeit mehr als sonst durch tagelange Märsche, stürzen zuweilen +mit ihren Ladungen und können nur mit Mühe oder gar nicht wieder zum +Aufstehen gebracht werden. In der dem Sturm vorausgehenden Nacht nimmt +die Schwüle unverhältnismäßig zu, der Schweiß dringt aus allen Poren +hervor, nur die strengste geistige Überwachung vermag dem Körper die +ihm nötige Spannkraft zu erhalten. Die Karawane setzt ihre Reise mit +ängstlicher Eile fort, solange es gehen will, solange nicht Mensch +und Tier vor allzu großer Ermüdung zusammenbrechen, solange noch, dem +Führer zum Merkmal, ein Sternchen am Himmel flimmert. Auch das letzte +verschwindet, ein dicker, trockener, undurchsichtiger Nebel deckt die +Ebene. Die Nacht vergeht, die Sonne steigt im Osten auf, der Wanderer +sieht sie nicht. Der Nebel ist dichter, undurchsichtiger geworden, die +stark gerötete Luft nimmt allgemach eine grauere, düstere Färbung an. +Es herrscht fast Dämmerung. Das Auge durchdringt den Dunstschleier kaum +über 100 Fuß weit. Der Tageszeit nach muß es Mittag sein. Da erhebt +sich ein leiser, glühender Wind aus Süden oder Südwesten. Stärkere +Stöße folgen, abgerissen, einzeln. Jetzt braust der Wind, zum Orkan +gesteigert, daher. Hoch auf wirbelt der Sand, dicke Wolken verdunkeln +die Luft. Der Wind würde den Reiter, der sich ihm widersetzen wollte, +aus dem Sattel heben, aber kein Kamel ist zum Weitergehen zu bewegen. +Die Karawane muß lagern. Den Hals platt auf den Boden gestreckt, +schnaubend und stöhnend legen sich die Kamele nieder; man hört die +unruhigen, regellosen Atemzüge der geängstigten Tiere. Geschäftig bauen +die Araber alle Wasserschläuche an der sie vor dem Winde schützenden +Seite eines lagernden Kamels auf einen Haufen, um die der trocknenden +Luft ausgesetzte Schlauchoberfläche zu verringern; sie selbst hüllen +sich in das sie bekleidende Tuch so dicht als möglich ein und suchen +ebenfalls hinter Kisten oder Warenballen Schutz. Die Karawane liegt +totenstill. In den Lüften rast der Orkan. Es kracht und dröhnt: die +Bretter der Kisten zerspringen mit gewaltigem Knallen. Der Staub dringt +durch alle Öffnungen, selbst durch die Tücher hindurch, peinigt und +quält den Menschen, auf dessen Haut er sich festsetzt. Man fühlt bald +heftige Kopfschmerzen, das Atmen wird schwer, die Brust ist beengt, +der Körper trieft von Schweiß, aber dieser näßt die dünnen Kleider +nicht, denn begierig saugt die glühende Atmosphäre alle Feuchtigkeit +auf. Wo die Wasserschläuche mit dem Winde in Berührung kommen, dörren +sie und werden brüchig, das Wasser verdunstet. Wehe dem armen Wanderer +in der Wüste, wenn der Samum lange währt! Er wird sein Verderber! Ein +lange anhaltender Samum ermattet Menschen und Tiere mehr als alle +übrigen Beschwerden einer Wüstenreise zusammen. Und dabei bringt er +neue, bisher nie gekannte Qualen über den Reisenden. Schon nach kurzer +Zeit springen ihm, weil die heiße Luft alle Feuchtigkeit entzieht, +die Lippen auf und fangen an zu bluten; die Zunge hängt trocken in +dem nach Wasser lechzenden Munde, der Atem wird übelriechend, alle +Glieder erschlaffen. Zu dem grenzenlosen Durste gesellt sich bald +ein unerträgliches Jucken und Brennen am ganzen Körper: die Haut ist +brüchig geworden, und in alle Risse dringt der feine Staub. Man hört +die lauten Klagen der so grausam Gemarterten; zuweilen arten sie in +förmliche Raserei aus -- der Gepeinigte ist wahnsinnig geworden; oder +sie verstummen zuletzt ganz, denn das mit fieberiger Hast durch die +Adern strömende Blut hat den Kopf so beschwert, daß Bewußtlosigkeit +eingetreten ist. Der Sturm ermattet, aber mancher Mensch erhebt sich +nicht mehr: ein Gehirnschlag hat seinem Leben ein Ende gemacht. Auch +mehrere Kamele liegen in den letzten Zügen.“ + +Schlanke Palmenwipfel am glasblauen Horizonte verkündigen die Nähe +einer Oase, also einer Menschensiedlung im Meere des Sandes, ermöglicht +durch das Vorhandensein von Wasser. Der Giftwind Samum haucht auch über +die Oase seinen verderbenbringenden Odem, ohne das Verderben wirklich +herbeizuführen, denn das Wasser lähmt seine verheerende Gewalt. Darum +sind Brunnen und Oasen Friedensorte in der Wüste. Ursprünglich war die +Oase nur von der schlanken Gazelle belebt, diesem Wunder der Wüste, +und von der anspruchslosen Mimose. Dann kam der Mensch und brachte ihr +die Königin der Pflanzenwelt, die Palme, und nun erst wurde die Oase +bewohnbar. Eine Oase ohne Palmen wäre keine Oase, wäre ein Gedicht ohne +Worte, ein Brunnen ohne Wasser, ein Haus ohne Bewohner. Auf solchen +reichen Inseln des Sandmeeres hat sich der Mensch bleibend ansiedeln +können, während er am bloßen Wüstenbrunnen nur tagelang zu verweilen +vermag und nach kurzer Rast mit seiner beweglichen Habe weiterziehen +muß. Der von Brunnen zu Brunnen wandernde Nomade gleicht einem von +Insel zu Insel steuernden Schiffer, der in einer größeren Oase Wohnende +dagegen einem Insulaner. Die Häuser der von Brehm besuchten Oasen in +der Landschaft Fessan bestanden nur aus luftgetrockneten Lehmziegeln +und hatten flache Dächer aus Palmstämmen. Gemütlich war’s in ihnen +nicht, denn das Ungeziefer hatte freien Zutritt. Fliegenschwärme, +unerhört zudringliche und bösartige Wespen peinigten den Menschen +entsetzlich, giftgeschwollene Skorpione und widerwärtige Spinnen +gehörten zu den regelmäßigen Hausbewohnern, selbst Vipern verirrten +sich gar nicht selten in die Wohnräume. Dagegen werden die zierlichen +Eidechsen und Geckos als Fliegenvertilger gerne gesehen. In einem +solchen Heim bei der Bruthitze zu arbeiten, etwa gar einen stinkenden +Riesengeier abzubalgen, war wahrhaftig kein Vergnügen, und Brehm +lernte einsehen, daß auch das Leben in den vielgepriesenen Oasen seine +Schattenseiten hat. + + * * * * * + +„Es ist doch eigenartig, wie am Weihnachtsabend die Gedanken immer +wieder in die Heimat eilen,“ sagte Baron Müller nachdenklich. „Ein +echt deutsches Weihnachtsfest ist doch das Schönste, was es gibt. +Die prächtigste Palme läßt mich kalt, aber der flittergeschmückte, +kerzenstrahlende Weihnachtsbaum greift mir ans Herz. O glückliche +Kinderzeit!“ -- „Ich habe Heimweh,“ versetzte Brehm nur schlicht. +„Jeder Gedanke zieht mich heute am Heiligen Abend nach meinem stillen, +lieben Renthendorf. Oh, unser liebes Pfarrhaus! Wieviel schöner sind +doch jetzt unsere verschneiten Thüringer Nadelwälder als all dieser +bunte Tropenzauber und als all diese bedrückende Urwaldpracht.“ + +Die beiden Deutschen saßen am Weihnachtsabend mit ihrem getreuen +Ali mitten im Urwalde unweit des Blauen Nil. Man hatte sich’s etwas +festlich gemacht, Punsch bereitet und die Pfeifen mit dem köstlichsten +Tabak der Erde, dem unvergleichlichen Djebeli, gestopft, aber die +Wolken der Schwermut wollten den Wolken des Rauches nicht weichen, und +so sehr auch die Tropennacht schmeichelte und liebkoste, es wollte +ihr nicht gelingen, des Herzens Sehnen zu beschwichtigen. Die Gläser +blieben ungeleert und die Herzen unbefriedigt. Der Türke sang seine +prächtigen Minnelieder in tonreichen Weisen, aber auch sie versagten +heute ihre Wirkung. Der Urwald selbst mußte sprechen, damit sich die +Deutschen nicht länger ihren trüben Heimwehgedanken überließen. Und er +sprach auch. + +Plötzlich schmetterten helle, kräftige Trompetentöne durch die bisher +so stille Nacht. Das Geschwätz der Diener verstummte augenblicklich, +und alle lauschten atemlos. Von neuem schmetterten die Trompeten. +„El Fiuhl! El Fiuhl! Elefanten, Elefanten!“ jubelten die mit den +Tönen der Wildnis Vertrauten. Wahrhaftig, es waren Elefanten, die +zum Flusse gingen. Und ihr Trompeten war anscheinend das Zeichen zum +Beginn eines fast schaurigen und doch wahrhaft großartigen nächtlichen +Urwaldkonzertes. Der König des Waldes donnerte durch sein Reich, und +seine Königin antwortete. Ein Nilpferd hob seinen Kopf und brummte, +als wolle es versuchen, es der Löwenstimme gleichzutun, ein Panther +grunzte, aufgescheuchte Affen gurgelten und kreischten, erschreckte +Papageien flatterten und schrien, Eulen spektakelten dazwischen, Hyänen +und Schakale übernahmen den Chorgesang, auf einer Sandbank klagte +der Wogenpflüger der Nacht, der Scherenschnabel, und wie läutende +Silberglöckchen klang dazwischen das Gezirp der Zikaden, dumpfer und +tiefer der volle Chor der Waldfrösche. Es war ein wunderbares Tonstück, +und wunderliche Künstler führten es auf, aber die Deutschen söhnte es +aus mit der Fremde, die trübe gewordenen Augen glänzten wieder, und das +Herz schlug hoch vor Freude. Zum erstenmal hörte Brehm das Trompeten +wilder Elefanten. Und so hatte auch er sein Weihnachtsgeschenk! -- + +Brehm feierte seinen 20. Geburtstag. Aber wie? Er hatte ohne den in +Chartum zurückgebliebenen Baron einen selbständigen Abstecher nach +dem Blauen Nil gemacht, ins Land des durch körperliche Schönheit, +auffallend helle Hautfarbe und die aufdringliche Sittenlosigkeit +seiner Weiber bekannten Negerstammes der Hassanies. Er konnte hier nur +immer wieder staunen über den unerschöpflichen und überwältigenden +Reichtum des tropischen Tierlebens. Die Vogelwelt war großartig +vertreten und die Ausbeute entsprechend, aber leider machten Malaria +und Brechdurchfall dem jungen Forscher wieder sehr viel zu schaffen. +Nun lag er an seinem Ehrentage, von schweren Fieberschauern geschüttelt +und halb bewußtlos, mutterseelenallein mitten im Urwald unter seinem +dürftigen Zelt, ohne liebevolle Pflege, ohne Arzneien, selbst ohne +das unentbehrliche Chinin. Wenn das die Lieben im fernen Vaterlande +hätten ahnen können! Soweit es sein jämmerlicher Zustand erlaubte, +jagte er trotzdem im undurchdringlichen Dorngestrüpp der Urwälder und +in den fieberschwangeren Sümpfen oder balgte mit zitternden Händen +zähneklappernd die geschossenen Vögel ab. Als er schließlich mit +einer Ausbeute von 130 Vogelbälgen auf seinem Eselchen nach Chartum +zurückkehrte, runzelte der Baron, der vom Tropenkoller geplagt sein +mochte oder vielleicht auch damals schon mit Geldsorgen zu kämpfen +hatte, beim Betrachten der kleinen Sammlung die Stirn. „Das ist doch +viel zu wenig für eine so lange Abwesenheit,“ polterte er. „Wie soll +ich denn da auf meine Kosten kommen, wenn Sie derartig faulenzen?“ +Mit Recht war Brehm, der dieser Vogelbälge wegen Leben und Gesundheit +aufs Spiel gesetzt hatte, empört und erbittert über solch schreiende +Undankbarkeit. „Damals habe ich zum erstenmal gefühlt, daß die +Bemühungen eines Sammlers oder Naturforschers nur selten anerkannt +werden.“ Ein Wort gab das andere, und es kam zwischen den beiden +Reisegefährten zu einer heftigen Auseinandersetzung, die beinahe zum +völligen Bruch geführt hätte. Zwar versöhnte man sich schon am nächsten +Tage, aber das alte innige Freundschafts- und Vertrauensverhältnis +zwischen beiden wollte sich doch nie wieder so recht einstellen, obwohl +äußerlich der Friede künftig gewahrt blieb. + + + + +Kairo und Chartum + + +„Um Himmels willen, Herr Baron, was ist das?“ Mit diesen Worten fuhr +Brehm entsetzt von seinem Schmerzenslager in einem schäbigen Hotel +Kairos empor und rüttelte den Baron wach, der matt und kraftlos in +halber Ohnmacht neben ihm lag. Beide hatten sich auf der Nilfahrt von +Alexandria nach Kairo einen heftigen Sonnenstich geholt und mußten +unter wahnsinnigen Kopfschmerzen und häufigen Ohnmachtsanfällen dessen +Folgen tragen. Entsetzliche Schwüle herrschte in der Luft. Plötzlich +vernahmen die sich mühsam aufrichtenden Kranken ein donnerähnliches +Rollen, Geschrei und Wehklagen auf der Straße, Gebrüll von Tieren und +eiliges Laufen auf den Korridoren; die Bettgestelle schwankten, die +Türen des Zimmers flogen auf und zu, klirrende Fensterscheiben und +zerbrechende Gläser stürzten auf den Fußboden herab, an einzelnen +Stellen des Zimmers löste sich der Mörtel von den Wänden und fiel +polternd herunter, aber die unerfahrenen Europäer wußten sich die +Erscheinung nicht zu erklären. Ein neuer, stärkerer Stoß folgte dem +ersten, man hörte das Einstürzen von Mauern in unmittelbarer Nähe +und fühlte, wie das Haus in seinen Grundfesten schwankte. Da wurde +den beiden Deutschen das Phänomen entsetzlich klar: ein Erdbeben +erschütterte die ägyptische Hauptstadt! Und ohne Hilfe lagen sie krank +und elend allein in ihren Betten, nicht imstande, gleich den anderen +Reisenden hinaus ins Freie zu flüchten. Ihre Lage war in der Tat +gräßlich. Die Naturerscheinung währte kaum eine Minute, und doch wurde +ihnen diese kurze Zeitspanne zu einer wahren Ewigkeit. Der geängstigte +Geist erging sich in den schauderhaftesten Vorstellungen, die Augen +folgten mit Todesangst den Rissen der zersprungenen Mauern, und +verzweiflungsvoll ergab sich die Seele dem bevorstehenden schrecklichen +Schicksal. Aber das von Europäern gebaute Haus hielt die starke +Erschütterung aus. Nach wenigen Minuten verkündigte ein herbeieilender +Diener, daß die Gefahr vorüber sei. In unmittelbarer Nähe des Gasthofes +waren jedoch 17 Menschen unter den Trümmern ihrer Behausungen begraben +worden. + +[Illustration: Kairo von Norden aus gesehen + +Eine Ansicht nach einer farbigen Darstellung von Carl Werner in seinem +großen Aquarell-Faksimile-Werk „Nilbilder“, zu dem Brehm mit Dr. J. +Dümichen den Text schrieb (1871)] + +Nur langsam machte die Genesung unseres jungen Freundes Fortschritte, +zumal der griechische Quacksalber, der beide behandelte, ihn dreimal +zur Ader ließ und ihm durch 64 Blutegel so viel Blut abzapfte, daß +er ganz schwach wurde. Aber dann wuchsen mit steigenden Kräften auch +Lebensmut und Lebenslust wieder, und auf zahlreichen Eselritten lernte +nun Brehm die Märchenstadt Kairo, die ihn so ungastlich empfangen +hatte, mit ihrem bunten, echt orientalischen Leben und Treiben +kennen. Sie ist seitdem seine Lieblingsstadt geblieben, und keiner +hat das buntscheckige Gewühl ihrer Gassen und Märkte so meisterhaft +zu schildern gewußt wie er. Brehm besaß überhaupt in hervorragendem +Maße die Gabe, sich in fremde Verhältnisse einzuleben, sich den Sitten +und Gewohnheiten anderer Völker anzuschmiegen, ohne doch jemals +seiner Würde als Deutscher auch nur das Geringste zu vergeben. Er hat +dem deutschen Namen auch in fernen Ländern stets nur Ehre gemacht. +Gerade die Länder des Islams hatten es ihm angetan, und in die Denk-, +Anschauungs- und Sprechweise ihrer Bewohner wußte er sich so zu +vertiefen, sie sich in so hohem Maße zu eigen zu machen, wie selten +einer. Niemals hat er es versäumt, neben der Tierwelt der von ihm +bereisten Länder mit gleichem Eifer auch ihre Menschen zu studieren und +den Einfluß von Klima, Landschaft und Geschichte auf die Entwicklung +ihrer Eigenart klarzulegen. Der mohammedanischen Religion brachte er +so viel Achtung und ein so weitgehendes Verständnis entgegen, daß er +in Europäerkreisen vielfach schon als Renegat galt. Aber bei Türken +und Arabern erfreute er sich trotz seiner Jugend großen Ansehens und +allgemeiner Beliebtheit. Viel schlechter als die Bekenner des Propheten +kommen in seinem Tagebuch die wenigen Europäer und Levantiner weg, die +sich schon damals im Sudan ansässig gemacht hatten und die allerdings +bis auf wenige Ausnahmen den Abschaum ihrer Länder darstellten. Für +das charakterlose Mischvolk der sog. Levantiner zum Beispiel hat er +nur unverhohlene Verachtung, so sehr er auch der Schönheit ihrer +Frauen Gerechtigkeit angedeihen läßt. Sein Herz gehörte den freien, +bettelarmen, aber stolzen Beduinenstämmen der Wüste, die er liebte, wie +er alles Unabhängige und wahrhaft Männliche liebte: + +„Sie sind in der Freiheit der Wüste geboren und groß geworden, sie +leben und sterben dort; sie denken und handeln frei und edel wie +jeder Freigeborene. Noch haben sich bei ihnen die alten Sitten ihrer +Vorfahren erhalten, noch hegen sie dieselben Gefühle für Recht und +Unrecht, welche die Patriarchen hegten; noch sind sie wie jene mit Herz +und Hand bereit, ihr gutes Recht sich zu erhalten oder zu verschaffen. +Der Beduine, das Kind der hochhehren Wüste, ist noch der Sohn der alten +und für ihn ewig neuen Freiheit. Er ist der unverdorbene Nachkomme +seiner tapferen und edlen Ahnen. Der Beduine lügt nie, er bestiehlt +oder betrügt niemanden, wohl aber tritt er mit der Waffe in der Faust +als kühner Räuber hervor, um sich seinen Lebensunterhalt zu erringen. +Er beraubt den friedlich durch die Wüste pilgernden Kaufmann nicht +als ein nach unseren Begriffen verächtlicher Wegelagerer, sondern als +mutiger, streitbarer Mann; er wird ihn nie berauben, wenn dieser ihn, +den Herrn der unbegrenzten Wüste, erst um sicheres Geleit ersuchte, +sein Gebiet durchwandern zu dürfen. Treu dem Freunde das gegebene +Versprechen haltend, geht er für seine Schutzbefohlenen ohne Zögern in +den Tod, furchtbaren Kampf dem Feinde schwörend, hält er das Gesetz +der Blutrache für das hochheiligste seines Stammes. Er vergibt keine +Beleidigung, er vergißt keine Wohltat. Seinen letzten Bissen Brot +teilt er mit seinem Gastfreunde, den letzten Wassertrunk spendet er +dem Verschmachtenden. Er ist in seiner Treue groß, in seiner Rache +furchtbar. Keinen Herrn über sich erkennend als das selbstgewählte +Stammesoberhaupt, verteidigt er seine weite Heimat mutig und tapfer +gegen jeden Feind. Ohne Hoffnung auf Ersatz unterhält er den, der sich +hungernd und dürstend in seinem Zelte einfindet, ohne Dank zu fordern, +bringt er ihn in seine Heimat zurück. Sein Pferd ist ebenso edel und +treu wie er selbst, es ist sein ständiger Begleiter, er liebt es wie +Weib und Kind.“ + +Brehm hat sich wiederholt lange Zeit in Chartum aufgehalten, nicht +immer ganz freiwillig, sondern weil empfindlicher Geldmangel ihm +die Fortsetzung der Reise unmöglich machte. In solchem Falle wurde +dann ein eigenes Häuschen gemietet und in dessen Hof ein Tiergarten +eingerichtet. Der türkische Generalstatthalter des Sudan, der in +dem noch jungen Chartum seinen Sitz hatte, schickte als Grundlage +dazu gleich in den ersten Tagen geschenkweise zwei Strauße, denen +sich bald ein Paar junge Hyänen sowie etliche Affen und Gazellen +und ein sehr herrschsüchtiger Marabu beigesellten. Die Eingeborenen +brachten überhaupt, nachdem die Absichten der beiden Deutschen in den +Kaffeehäusern und auf den Suks sich herumgesprochen hatten, allerlei +lebendes und totes Getier angeschleppt, das gern aufgekauft und zur +Bereicherung der Sammlungen verwendet wurde. So entwickelte sich +bald eine förmliche Naturalienbörse, aber sonstige Unterhaltung bot +die volkreiche Hauptstadt des Sudan kaum. Immerhin konnte man hier +nach so langen Entbehrungen in der Wildnis doch auch mal wieder mit +halbwegs gebildeten und gesitteten Menschen zusammen sein, wenngleich +man in dieser Hinsicht in Chartum nur sehr bescheidene Ansprüche +stellen durfte und öfters beide Augen zudrücken mußte. Auch Briefe +und Zeitungen gab es dann und wann einmal, und mit Erstaunen erfuhr +Brehm nach der Rückkehr aus Kordofan aus ihnen, welch gewaltige +Umwälzungen sich im Frühjahr 1848 in Europa vollzogen hatten, während +er fieberkrank in den Wäldern und Steppen Kordofans weilte. Der völlige +Mangel an Lesestoff war ja bisher nicht die geringste der vielen +Entbehrungen gewesen. Gierig las man zu wiederholten Malen jeden mit +den geliebten Lauten der Muttersprache bedeckten Papierfetzen, und der +elendste Schundroman würde Hochgenuß gewährt haben. Nun aber erhielt +Brehm in Chartum von verständnisvoller, feinfühliger Mutterhand sogar +einige der von ihm so glühend geliebten Werke unserer Klassiker. Wie +durfte er da schwelgen! Erst in der weiten Ferne, in der geistlosen +Fremde halbkultivierter Länder, unter Vertretern krassester Selbstsucht +und Geldgier würdigt man so recht die heimische Dichtkunst, erst da +empfindet man ihre ganze Kraft. Wer die Gesänge unserer Dichter völlig +in sich aufnehmen will, der muß sie lesen, wo er sie keinem andern, +sondern nur seinem eigenen Selbst mitteilen kann. Dann wird sich ihr +Wert und ihre Wirkung verdoppeln. + +„Bachida! Pfui! Du Teufelsvieh! Wirst du wohl auslassen! Wirst du wohl +artig sein! Bachida! Pfui!“ So erscholl Brehms zornige Stimme in einer +der staubumhüllten Gassen Chartums, und mit erhobener Peitsche eilte +er auf eine Löwin zu, die ein gerade friedlich vorübertrottendes Schaf +gepackt hatte, ergriff sie wie weiland Simson am Kopfe, riß ihr den +Rachen auf, erfaßte das arme Wolltier und schleuderte es mit einem +Fußtritt weit fort. Ein paar derbe Hiebe mit der Nilpferdpeitsche +klatschten auf das gelbe Löwenfell, aber die „Tochter Fathmes“, wie +die Sudanesen die weiblichen Löwen nennen, nahm die Züchtigung ruhig +hin, in dem Bewußtsein, für ihren Übergriff eine Strafe verdient +zu haben. Es war ja „Bachida“ (die Glückliche), die berühmte zahme +Löwin Brehms, die er als kaum pudelgroßes Jungtier von seinem Gönner +Latief Pascha zum Geschenk erhalten und auf das sorgfältigste erzogen +hatte. Innige Freundschaft verband beide. Bachida liebte ihren Herrn +zärtlich, folgte ihm in Haus und Hof, auf der Straße und im Freien +gehorsam wie ein Hund, liebkoste ihn bei jeder Gelegenheit und wurde +nur dadurch bisweilen lästig, daß sie nachts auf den Einfall kam, ihn +auf seinem Lager aufzusuchen und durch ihre Liebkosungen aufzuwecken. +Sie ersetzte zugleich den schärfsten Wachhund, denn lästiges Gesindel +wagte sich nicht auf das von einem Löwen behütete Gehöft, und sogar +die Kamele vorüberziehender Karawanen gingen unter dem Fluchen und +Schreien der Treiber oft durch, wenn sie durch eine Mauerlücke +das ihnen so furchtbare Tier erblickten. Zu den zahmen Antilopen +durfte die Löwin überhaupt nicht gelassen werden, obwohl sie ihnen +wahrscheinlich nichts zuleide getan hätte, da die Horntiere bei ihrem +Erscheinen verzweiflungsvoll gegen die Wände rannten und sich dabei +selbst verletzten. Im übrigen hatte sich Bachida natürlich bald zur +Beherrscherin und Tyrannin alles auf dem Hofe sich tummelnden Getiers +aufgeworfen. So liebenswürdig und gutmütig sie auch war, so war sie +doch ein wahrer Ausbund von Übermut und Necklust und liebte es sehr, +andere Lebewesen durch plötzliches Anspringen zu erschrecken, und +namentlich an den Affen und Raubvögeln kühlte sie gern ihr Lüstchen. + + * * * * * + +Anfangs, solange sie noch klein war, setzte ein alter, urdrolliger +Pavian ihrem Übermut gewisse Schranken. Auch er zitterte zwar bei +ihrem Erscheinen und verzog das Maul auf grauenvolle Weise, griff +sie dann aber ohne weiteres mutvoll mit den Händen und rieb ihr die +Ohren derartig um den Kopf herum, daß ihr Hören und Sehen vergehen +mochte und sie angstvoll das Weite suchte. Mit der Zeit jedoch wurde +die Löwin so stark, daß auch der Pavian ihrer nicht mehr Herr zu +werden vermochte. Doch an seine Stelle trat nun ein alter, mürrischer +Marabu. Bachida sah sich die barocke Philosophengestalt ganz starr +vor Neugierde an und gedachte dann nach ihrer Art den Langbeiner +durch plötzliches Anspringen zu erschrecken. Aber der verstand das +falsch, ging mit weiten Schritten und halbgelüfteten Schwingen +unerschrocken auf das Raubtier los, versetzte ihm rasch hintereinander +mit seinem gewaltigen Keilschnabel mehrere so nachdrückliche Püffe +und wiederholte diese Lektion mehrfach so gründlich, daß Bachida +unter Wutgebrüll das Hasenpanier ergreifen mußte, grimmig verfolgt +von dem schnabelklappernden Sieger. Seitdem ließ sie den wehrhaften +Storchenvogel achtungsvoll in Ruhe, aber mit den übrigen Tieren trieb +sie es nach wie vor. + +Wirkliche Ausschreitungen kamen bei alledem nur äußerst selten vor. +So wurde ihr schönes Freundschaftsverhältnis zu einem mutigen Widder, +mit dem sie besonders gern spielte, jäh zerrissen. Der Widder, +dessen Hornstöße sie sonst gutmütig ertrug, mochte einmal gar zu +grob zugestoßen haben, denn plötzlich geriet die Löwin in Zorn und +schmetterte ihn mit ein paar derben Tatzenschlägen zu Boden. Am +nächsten Morgen war der Spielgefährte tot. Schlimmer war der folgende +Fall, der zugleich eine harte Kraftprobe für das Verhältnis zwischen +Mensch und Raubtier bedeutete. Bachida hatte den Lieblingsaffen Brehms +erst mißhandelt, dann getötet und schließlich aufgefressen. Als Brehm +Kopf und Schwanz als die einzigen Überbleibsel des armen Opfers fand, +wurde er doch recht zornig, prügelte die Löwin tüchtig ab und verfolgte +die Flüchtende bis in den äußersten Winkel des Gehöfts. Als sie hier +nicht entrinnen konnte, nahm sie plötzlich eine andere Miene an als +früher und setzte sich kräftig zur Wehr. Wäre Brehm nur einen Schritt +zurückgewichen, so würde die im höchsten Grad erzürnte Löwin ihn +sicherlich angesprungen und wahrscheinlich erheblich verletzt haben. +Brehm war aber klug genug, fest stehen zu bleiben und unentwegt weiter +zu prügeln, zugleich aber auch eine Lücke freizulassen, durch die +Bachida entwischen konnte. Schon eine halbe Stunde später war ihr Zorn +verraucht, und schmeichelnd rieb sie sich nach Katzenart wieder an +ihrem Herrn, als wollte sie um Verzeihung bitten. Dies war der einzige +Streit, den beide jemals miteinander gehabt haben; nie erlaubte sich +Bachida sonst irgendwelche Unart, nie bekundete sie irgendwie Wildheit +und Blutdurst des Raubtieres. + +Viel Spaß machte Brehm und seinen Freunden folgender Streich der +übermütigen Löwin. Im gleichen Hause wohnte ein fetter griechischer +Sklavenhändler und Wucherer. Dieser wollte einmal in der Regenzeit, +als der ganze Hof mehr einem Moraste glich, nach dem Stall gehen, um +seinen Reitesel zu besteigen. Da er dem Statthalter Latief Pascha +seine Aufwartung zu machen gedachte, war er in einen glänzend weißen, +neuen Seidenburnus gehüllt. Bachida lag gerade im dicksten Schmutz +und betrachtete verblüfft die weiße, ängstlich zwischen den Pfützen +sich durchwindende Gestalt. Dann duckte sie sich und sprang in einigen +furchtbaren Sätzen auf den Griechen zu, der vor Schreck stolpernd in +den Schmutz fiel und auch noch die Dummheit beging, laut zu schreien. +Die neckische Bachida faßte das als eine willkommene Aufforderung zur +Fortsetzung dieses unterhaltsamen Spieles auf, brachte durch einen +zweiten Satz den dicken Mann völlig zum Liegen, setzte sich ihm mit +Beifallsgebrüll auf den Schmerbauch, umarmte ihn sehr zärtlich, wälzte +ihn aber dabei derartig im Kote herum, daß von der strahlenden Kleidung +auch nicht ein Fleckchen mehr ohne Schlammkruste blieb. Lachend +befreite Brehm ihn, der nicht im geringsten verletzt war, aus den +Tatzen seines Peinigers. Der Grieche aber schwur Rache und beklagte +sich beim Statthalter. Da mußte er nun freilich die Erfahrung machen, +daß auch bei den Türken das Sprichwort gilt: „Wer den Schaden hat, +braucht für den Spott nicht zu sorgen.“ + +Ernster war ein Zwischenfall, der sich auf der Heimreise zutrug, +wo Bachida abends stets an Land gelassen wurde, um sich ein wenig +auszutollen und zu entleeren, was das reinliche Tier in dem engen +Schiffskäfig grundsätzlich nicht tat. So war die Löwin einmal an einer +der Säulen des Tempels von Luxor angefesselt und ringsum von einer +zudringlichen und neugierigen Menschenmenge umgeben. Plötzlich stob +alles unter entsetzlichem Geschrei und Geheul, Fluchen und Jammern +auseinander, und Brehm erfuhr von den zu ihm Eilenden, daß „das +Scheusal“ soeben einen kleinen Negerknaben gepackt habe und gerade im +Begriff sei, ihn zu verschlingen. Es sei zwar nur ein Sklave, aber +er habe immerhin einen Geldwert von 1000 Piastern, die der Herr des +gefräßigen Raubtieres bezahlen müsse. Schleunigst rannte Brehm zu der +Unglücksstätte, um den gefangenen Buben zu befreien. Bachida spielte +mit ihm wie die Katze mit der Maus, drehte ihn in ihren Pranken hin +und her, beroch ihn, zog ihn zu sich heran, ließ ihn wieder los, um +ihn augenblicklich von neuem zu halten, hatte ihm aber bis dahin +nicht das geringste Leid zugefügt und ihm nirgends auch nur die Haut +geritzt. Brehms Ankunft brachte ihr augenblicklich zur Besinnung, daß +der schwarze Schreihals kein Spielzeug für sie sei. Sie gab den Bengel +sofort freiwillig her. + +Im bescheidenen Pfarrhause zu Renthendorf war natürlich kein Platz +für eine leibhaftige afrikanische Löwin, und so mußte Bachida in den +Berliner Tiergarten wandern. Brehms Abschied von dem treuen Tiere war +wahrhaft schmerzlich, und rührend das Wiedersehen zwischen beiden nach +zweijähriger Trennung. Bachida erkannte ihren früheren Herrn trotz der +völlig veränderten Kleidung sofort an der Stimme und war vor Freude +ganz außer sich. + + * * * * * + +„Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst du? Und warum willst du mir +das Licht des Vollmondes, dein Antlitz, entziehen? Weißt du nicht, daß +ich ein Franke bin? In meiner Heimat verhüllen die Wolken wohl oft +die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen +auf Erden. Ich bin gewohnt, unseren lieblichen Töchtern der Erzmutter +Eva frei ins Angesicht zu schauen. Warum willst du, Sonne, dich mir +verbergen?“ + +„Dein Land ist nicht mein Land, deine Sitte ist nicht meine Sitte, o +Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sklavin. +Bedenke das, du Guter! Möge deine Nacht glücklich sein!“ + +„Halt, Herrin, warum willst du davoneilen? Hast du mich noch nicht +gesehen?“ + +„Oh, schon sehr oft, gleich bei deiner Ankunft sah ich dich und seitdem +alle Tage.“ + +„Nun wohl, fürchtest du dich vor mir?“ + +„Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit dir zu reden. Glückliche +Nacht!“ + +„Warum entfliehst du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte dich!“ + +„Ich darf nicht!“ + +„So sage mir wenigstens deinen Namen, du liebliche Gazelle!“ + +„Ich heiße Warde“ (Rose). + +„Wirst du wieder hierher kommen?“ + +„Ich darf nicht, gute Nacht, Herr!“ + +Die anmutige Mädchengestalt, die noch von dem ganzen Reize kindlicher +Lieblichkeit umflossen war, huschte davon. Aber sie kam doch wieder. +Jeden Abend erschien sie auf dem flachen Dache ihres elterlichen +Hauses, das mit dem Haus Brehms zusammenstieß und nur durch eine +niedrige Mauer von ihm getrennt war. So erblühte dem Zwanzigjährigen +die Rose des Morgenlandes. + +[Illustration: Alfred Edmund Brehm + +Nach einer Originalzeichnung von W. Planck] + +„Was willst du eigentlich von mir, o Fremdling?“ frug sie in ihrer +kindlichen Unschuld. + +„Reden will ich mit dir, du schlanke Gazelle. Meine Augen bedürfen +deines Lichtes, meine Seele bedarf deines Odems. Die Muscheln meiner +Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.“ + +„Hast du Eltern?“ + +„Allah sei gelobt, ja!“ + +„Hast du Schwestern?“ + +„Ja, eine einzige. Aber sie ist weit, weit von hier und meine Eltern +auch und alle, die ich liebe. Ich bin ganz allein hier in der Fremde.“ + +„O du Armer, so will ich deine Schwester sein. Nenne mich Schwester, +und ich werde dich Bruder nennen.“ + +Es folgten berauschend schöne Tropenabende. Brehm lernte verstehen, +was das arabische Wort „Leila“ (Nacht) bedeutet. Noch in späteren +Jahren klang es ihm wie Musik. Manchmal durfte er Warde auch „Habihbti“ +(Geliebte) nennen. Der alte Scheich, den er als Sprachlehrer +aufgenommen hatte, lehrte ihn Worte, wie sie in den Büchern standen, +Warde lehrte ihn solche, wie sie das frisch erblühende Leben bedurfte. +Die Rose duftete für ihn, doch die Tage flogen dahin, und die +Abschiedsstunde nahte. + +„Die Betrübnis ist eingezogen bei uns,“ sagte Warde traurig, „und der +Schmerz ist zwischen uns getreten, mein Bruder, mein Freund, mein Herr! +Aber du kannst mich ja mit dir nehmen, o Lust meiner Seele!“ + +„Nein, Warde, das kann ich nicht.“ + +„Und warum nicht, mein Gebieter?“ + +„Seele meines Lebens, ich kann nicht, ich darf nicht. Es wäre Sünde an +dir und deinem Leben, Habihbti! Und dann, wie soll ich dich mit mir +nehmen, Warde?“ + +„Als dein Weib, Mann!“ + +„In meinem Lande heiratet man nicht so früh. Ich zähle noch zu wenig +Jahre, als daß ich mir eine Frau nehmen könnte. Das bedenke, o Gute!“ + +„So nimm mich mit dir als deine Dienerin, als deine Sklavin! Befiehl +mir, was ich sein soll, und ich werde dir gehorchen!“ + +„Es geht nicht, es ist unmöglich, Warde, es wäre eine Sünde an dir! +Aber denke an mich, wenn ich in der Ferne bin!“ + +„Oh, du wirst meiner gedenken, wenn das Unglück in dein Zelt tritt und +die Krankheit sich auf dein Lager legt.“ + +„Ich werde deiner immer gedenken, Warde!“ + +Sie antwortete nichts mehr: sie weinte. + +„Allah behüte dich, und Issa (Jesus) sei mit dir, du lieber, böser, +fremder Mann!“ + +Das waren die letzten Worte, die Brehm von ihr vernahm. + +Selten ist wohl ein Liebesverhältnis zwischen Europäer und Afrikanerin +mit duftigerer Zartheit geschildert worden als dieses. Brehm war +überhaupt ein Typ männlicher Keuschheit, so wie sie Gottfried August +Bürger so schön besungen hat. Er war ganz gewiß kein Philister oder +Spielverderber oder Lebensverächter, aber nie kam im Familienkreise ein +unanständiges Wort über seine Lippen, selbst nicht beim Becherklang +inmitten vertrauter Freunde. + + * * * * * + +Die Verhältnisse Brehms in Chartum hatten sich inzwischen immer +peinlicher und unangenehmer gestaltet. Um seine geradezu verzweifelte +Lage zu verstehen, müssen wir einiges nachholen. Nach der geschilderten +Überwindung der Stromschnellen von Wadi-Halfa waren Baron Müller +und Brehm noch gemeinsam nilabwärts nach Alexandria gereist, und +hier schiffte sich der Baron nach Europa ein und eilte der deutschen +Heimat zu, während Brehm allein im schwarzen Erdteil zurückblieb. +Der Baron wollte in Deutschland die nötige Ausrüstung beschaffen für +eine sehr großartig von ihm angekündigte Forschungsreise nach den +Nilquellen, die ja damals das große geographische Problem waren, +und wollte noch weitere Teilnehmer dazu anwerben, um dann sobald +als möglich zurückzukehren und an der Spitze der neuen Expedition +ins unerforschte Innere von Afrika zu ziehen. Brehm sollte derweil +auch seinerseits allerlei Vorbereitungen treffen und die übrigen +Teilnehmer in Unterägypten erwarten, die Zwischenzeit aber durch Jagen +und Sammeln an dem 45 Quadratmeilen großen, aber nur metertiefen +Menzaleh-See ausnutzen, in dem er eine großartige Winterherberge +und Durchzugsstation osteuropäischen und westasiatischen Sumpf- und +Wassergeflügels entdeckt hatte. + +Er mußte viele Monate warten, war schon in Geldverlegenheit und +deshalb sehr ungeduldig, aber endlich langten doch drei weitere +Reiseteilnehmer mit einer freilich sehr bescheidenen Ausrüstung an. +Der Klügste von ihnen trat sofort zurück, als er bemerkte, wie völlig +ungenügend die so großspurig angekündigte Expedition finanziert war. +Es blieben der ~Dr. med.~ Richard Vierthaler aus Cöthen, der auf +eigene Kosten reiste, und -- Brehms eigener, um sechs Jahre älterer +Stiefbruder Oskar. Die Freude des Wiedersehens war natürlich groß, +die Geldsumme aber, die Oskar dem jüngeren Bruder als dem vorläufigen +Expeditionsleiter aushändigte, war so gering, daß sie kaum zur +Bestreitung der Reisekosten bis Chartum ausreichte. Indessen hatte ja +der Baron fest versprochen, baldmöglichst nachzukommen und reichliche +Geldmittel mitzubringen oder auch nach Chartum vorauszusenden. Für +Alfred Brehm, der trotz aller schlimmen Erfahrungen dem Baron immer +noch rückhaltlos vertraute, gab es daher kein Zögern, und er entschied +sich für sofortigen Aufbruch; sehnte er sich doch mit allen Fasern +seines Herzens danach, endlich aus dem langweiligen Unterägypten +fortzukommen und wieder in wirklich wilde Länder mit urwüchsigem +Tierleben zu gelangen. War man doch jetzt zu dritt und konnte +vereint alle Hemmnisse mit gemeinsamer Kraft leichter überwinden als +allein. Aber weder Dr. Vierthaler noch Oskar Brehm haben die Heimat +wiedergesehen. Jener erlag dem mörderischen Klima, und dieser ertrank +am 8. Mai 1850 bei Dongola vor den Augen des verzweifelnden Bruders im +Nil, ohne daß ihm rechtzeitig Hilfe gebracht werden konnte. Es war ein +schwerer Schlag für Alfred Brehm, unsern jungen Freund. Unter einer +einsamen Palme in der Wüste, eine Viertelstunde vom Nil entfernt, +erhebt sich Oskar Brehms schmuckloser Grabhügel. + +Nach beschwerlicher Reise kam Brehm ohne den geliebten Bruder abermals +in Chartum an, nahm seine Sammeltätigkeit wieder auf und wartete +geduldig auf den Baron oder doch wenigstens auf eine größere Geldsumme, +die die Weiterreise der „Expedition“ ins Innere ermöglichen würde. Aber +es kam nichts, höchstens dann und wann ein grober Brief mit Vorwürfen +darüber, daß die Expedition noch nicht zum Oberlauf des Blauen Flusses +vorgedrungen sei. Ja, wie hätte sie denn das ohne alle Geldmittel tun +sollen? Auch in Afrika ist das Reisen nicht umsonst, im Gegenteil um +das Vielfache teurer als in Europa. Trotzdem zog es auch Brehm mächtig +in die geheimnisvollen Urwälder am Blauen Nil, und er wollte wenigstens +einen Versuch unbedingt wagen, ehe das ungesunde Klima Chartums seine +körperlichen Kräfte wieder allzu sehr geschwächt haben würde. Er +hatte schon kleinere Schulden machen müssen und entschloß sich nun +zur Aufnahme eines größeren Darlehens, um seinen Plan durchführen zu +können. Er wandte sich an einen reichen Armenier, der mit schönen +Sklavinnen handelte und auch dafür bekannt war, daß er Wuchergeschäfte +machte. Der mochte den Deutschen wohl schon erwartet haben und empfing +ihn sehr freundlich: + +„Sie wünschen von mir Geld zu haben, verehrtester Herr. Ich bin gerne +erbötig, Ihren Wunsch zu erfüllen. Aber ich bin Kaufmann, und Sie +werden sich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, daß ich nur gegen +Zinsen ein Darlehen gewähren kann. Auch glaube ich, daß es für Sie am +zweckmäßigsten wäre, wenn Sie zu Ihrer bevorstehenden Reise meine Barke +benutzen würden, die ich Ihnen für die Mietsumme von monatlich 700 +Piastern überlassen will. Wieviel Piaster haben Sie nötig?“ + +Brehm nannte die Summe von 3000 Piastern. Der Gauner forderte 60 +Prozent Zinsen und für seine elende Barke das Doppelte des üblichen +Mietpreises. Das waren furchtbare Bedingungen, in deren Erfüllung +Brehm seinen völligen Untergang voraussah. Er kochte innerlich vor +Wut, aber er biß die Zähne zusammen und fügte sich, weil er sich eben +fügen mußte, weil der Ertrinkende in seiner Verzweiflung auch nach +einem Strohhalm greift. Als aber bei Ausstellung des Schuldscheins und +Berechnung der Geldsorten der Armenier den bedauernswerten Forscher um +weitere 20 Prozent zu betrügen versuchte, blieb der Deutsche seiner +Entrüstung nicht länger Herr. Mit starker Hand hielt er den Schurken an +seinem langen Barte fest und prügelte ihn mit der Nilpferdpeitsche, so +lange er seinen rechten Arm rühren konnte, und das dauerte sehr lange, +denn dieser Arm war jung und kräftig. Der getreue Ali hütete derweil +mit gespannter Pistole die Tür des Diwan[2], so daß die Dienerschaft +ihrem jämmerlich um Hilfe rufenden Herrn keine Unterstützung bringen +konnte. Endlich entwand sich der Gauner Brehms ermattenden Händen, +flüchtete in seinen Harem und schrie: „Maladetto, jetzt sieh, wo du +Geld herbekommst!“ Ohne ein weiteres Wort verließ Brehm den Diwan des +bestraften Wucherers. + + [2] Empfangszimmer für Männer + +Der gestrenge Oberstatthalter des Sudan, Latief Pascha, soll herzlich +gelacht haben, als ihm dies Geschichtchen zugetragen wurde, denn der +echte Türke mag ja den Armenier nicht ausstehen. Darauf fußend, wagte +es der verzweifelnde Brehm, den Pascha selbst in einer Bittschrift um +ein Darlehen von 5000 Piastern auf vier Monate anzugehen; bis dahin +würde er sicherlich Geld durch Baron Müller erhalten haben. Schon am +nächsten Tage hielt er eine Anweisung auf das Schatzamt in Händen: +„Wir haben das Gesuch des Deutschen Chalil Effendi[3] zu genehmigen +beschlossen und befehlen euch, ihm 5000 Piaster ohne Zinsen auf +vier Monate vorzustrecken. Laßt euch von ihm einen Empfangsschein +geben. Sollte der Herr aber nach Verlauf von vier Monaten noch nicht +imstande sein, das ihm geliehene Geld an die Kasse der Regierung +zurückzuzahlen, so sendet uns seinen Empfangsschein zu und rechnet uns +die Summe von 5000 Piastern auf unsere Apanagen.“ + + [3] So wurde Brehm von Arabern und Türken genannt + +So großmütig, wahrhaft königlich handelte der Türke. Als Brehm seinem +Gönner einen Dankbesuch abstattete, wurde er mit Worten empfangen, +die fast wie ein Vorwurf klangen: „Es war unrecht von dir, Chalil +Effendi, daß du mir deine Verlegenheit nicht schon früher angezeigt +hast. Ich würde sie längst beendigt haben. Wie konntest du aber auch +erst zu einem dieser schurkischen Christen gehen, statt gleich zu einem +Mohammedaner?“ + +Die Reise nach dem Oberlauf des Blauen Flusses konnte also +angetreten werden. Sie gestaltete sich zu einer der glücklichsten +und erfolgreichsten, die Brehm je gemacht hat, zumal er dabei von +den tückischen Fieberanfällen so ziemlich verschont blieb. Er konnte +diesmal weit tiefer ins Innere vordringen als früher mit Baron Müller. +Erst als der Schießbedarf zu Ende ging und sich die Ausbeute zu stark +anhäufte, kehrte er um. Jetzt lernte er überdies die überwältigende +Formen- und Farbenfülle der Tropen erst in ihrem ganzen Umfang kennen +und wurde mit den sagenhaftesten Gestalten der Urwälder und Sümpfe +innig vertraut. Hier lebt auch der riesenhafte, vorsintflutlich +anmutende Watvogel, den die Araber Abu Markub nennen, d. h. Vater des +Schuhs, denn in der Tat hat sein absonderlicher Schnabel die größte +Ähnlichkeit mit den plumpen Schuhen, wie sie die ägyptischen Bauern +tragen. Aufregende jagdliche Abenteuer gab es in Hülle und Fülle, und +einmal wäre Brehm um Haaresbreite von einem wütenden Nilpferd getötet +worden; nur seine Schwimmkunst rettete ihm das Leben. Mit einer +Ausbeute von nicht weniger als 1400 seltenen und wertvollen Vogelbälgen +kehrte der Forscher glücklich nach Chartum zurück. + +[Illustration: Schuhschnabel oder walköpfiger Storch (~Balaeniceps +rex~) aus dem Weißen Nilgebiet. Das ist der Vogel „Abu Markub“ -- +eine Vogelart, die Brehm auf seinen Nilfahrten beobachtete. Unserer +Abbildung liegt eine Photographie aus dem Jahre 1928 zugrunde. + +(Nach einer Aufnahme von Carl Hagenbeck, Stellingen)] + +Hier erwarteten ihn wohl Nachrichten aus dem Elternhause, aber +von Baron Müller waren weder Briefe noch Wechsel noch sonst ein +Lebenszeichen eingetroffen. Es kam auch künftig nichts mehr. Damit +begann die alte Geldverlegenheit mit all ihrem aufreibenden Elend von +neuem. Brehm mußte sich aufs äußerste einschränken, aber er arbeitete +unverdrossen weiter an der Vervollständigung seiner Sammlungen, weil +nur durch Arbeit seine entsetzliche Lage erträglicher wurde, weil nur +die Natur Genüsse bot, die ihn das Elend seiner häuslichen Umstände +vergessen ließen. Schließlich erfuhr er durch den österreichischen +Konsul von Kairo auf Anfrage, daß Baron Müller bankerott sei. Damit +war der letzte Hoffnungsstrahl geschwunden! Verlassen und verraten +im Innern Afrikas! Ohne Mittel zur Heimkehr! Nur wer selbst gleich +dem Schreiber dieser Zeilen eine ähnliche Lage durchgemacht hat, wird +ermessen können, was sie bedeutet. Dazu stellte sich das „Geschenk +des Teufels“, die Malaria, wieder ein und steigerte sich zu immer +heftigeren und in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrenden +Anfällen. Aber die wissenschaftliche Ausbeute durfte trotzdem +nicht notleiden, alles Entbehrliche wurde für sie verwendet. Brehm +vertauschte seine silberne Uhr gegen acht Pfund Schießpulver, er +verkaufte Kleider, Waffen, Bücher, Kisten, Wäsche, den wenigen Schmuck, +den er besaß, kurz alles, was sich irgend verkaufen ließ. Er bat in +seiner Not den Pascha um etwas Schießpulver. „Gebt dem Herrn 6000 Stück +Militärpatronen zum Einkaufspreise der Regierung!“ lautete die an den +Aufseher des Pulvermagazins zu überbringende Antwort. Das Pulver war +freilich schlecht, aber das Pfund kostete auf diese Weise auch nur +fünf Piaster, und die Bleikugeln waren umsonst. Brehm goß Schrote aus +ihnen. Natürlich konnte er dem Pascha auch die entliehenen 5000 Piaster +vorläufig nicht zurückzahlen und bat deshalb brieflich um Verlängerung +der Frist. „Zwischen dir und mir gibt es keine beschwerlichen Dinge“, +schrieb der Türke einfach zurück. + +Ich kannte früher ein rührendes Gedicht Brehms aus dieser Leidenszeit, +betitelt „Meine letzten drei Freunde“[4], unter denen er seine +vielerprobte Büchse, seinen treuen Diener Ali und seine zahme Löwin +Bachida verstand. Und wurde unserem Freunde das Herz einmal gar zu +kummerschwer, und war der Dämon des Fiebers einmal auf Stunden von ihm +gewichen, dann schulterte er sein Gewehr und zog hinaus in die freie +Natur, sich neu zu kräftigen und zu stärken. Wer in der Natur Trost zu +finden weiß, der kann ja niemals ganz unglücklich werden! + + [4] Alle meine Bemühungen, es wieder aufzutreiben, sind leider + vergeblich gewesen + +Um diese kritische Zeit kam ein deutscher Großkaufmann aus Petersburg, +namens Bauerhorst, nach Chartum, um dort Handelsbeziehungen +anzuknüpfen. Er war ein anständiger Mensch, befreundete sich bald mit +Brehm und erbot sich, ihn nach Abwicklung seiner Geschäfte bis nach +Kairo mitzunehmen. Ein Ausweg? Es fragte sich, ob der Pascha als Brehms +Hauptgläubiger die Erlaubnis zu dessen Abreise vor Bezahlung der Schuld +geben würde. Beide gingen deshalb zu ihm, Bauerhorst, um Abschied +zu nehmen, Brehm, um zu bitten, seine Schuld von Kairo aus zahlen zu +dürfen. + +Der Pascha war schlechter Laune und anfangs sehr kalt. Brehm übersetzte +zuerst Bauerhorsts Abschiedsworte und kam dann zu seiner Bitte: +„Herrlichkeit, ich muß zugrunde gehen, wenn ich noch länger hier +verweile. Nach Aussage der Ärzte ist mein geschwächter Körper nicht +mehr fähig, neuen Fieberanfällen Widerstand zu leisten. Ich muß eilen, +ein gesundes Klima zu erreichen; auch möchte ich gerne die Lieben im +Vaterlande wiedersehen, von denen ich so lange getrennt gewesen bin.“ + +„Aber wer hält dich denn hier zurück, Chalil Effendi? So ziehe doch in +Frieden deiner Heimat zu!“ + +„Herrlichkeit, mich hält einzig und allein mein gegebenes Wort zurück. +Ich bin dein Schuldner und freue mich, es zu sein, weil ich dadurch +deine Großmut erkennen lernte. Es ist mir aber unmöglich, mein Wort +hier zu lösen, wie ich es versprochen habe. Ich kann es nur in Kairo. +Willst du mir erlauben, daß ich dahin abreisen darf, so wirst du das +Maß deiner gegen den Fremdling reichlich bewiesenen Güte übervoll +machen.“ + +„Zum Teufel! Was denkst du von mir, Chalil Effendi? Bezahle zwei Monate +nach deiner Ankunft an deinen Konsul in Kairo; ich werde das Geld dort +erheben lassen. Aber wie willst du nach Kairo gelangen? Das ist ein Weg +von mehreren hundert Meilen. Wo willst du die Reisekosten hernehmen?“ + +„Mein Freund Bauerhorst hat versprochen, sie bis nach Kairo auszulegen.“ + +„Ganz gut, Chalil Effendi, aber ich will dir noch eine Lehre geben. Du +bist noch jung und kannst noch nicht die Menschenkenntnis besitzen, +die ich mir durch lange Erfahrung im Geschäftsleben erworben habe. +Glaube mir, der beste Freund verwandelt sich allgemach in einen Feind, +wenn man ihn fortwährend um Geld anzusprechen gezwungen ist. Ich kann +verhüten, daß auch du diese Erfahrung machst, und ich will es. Ich +werde verfügen, daß man dir noch 5000 Piaster aus der Schatzkammer +ausbezahlt. Du bist dann 10000 Piaster schuldig. Zahle sie an deinen +Konsul in Kairo zurück!“ + +Brehm, für den diese Worte eine glänzende Erlösung aus seinem Elend +und die endliche Rückkehr in die Heimat bedeuteten, fand anfangs kaum +Worte, seinen Dank auszudrücken. Endlich stammelte er: „Herrlichkeit, +deine Gnade drückt mich zu Boden. Ich werde deinen Edelmut nie +vergessen.“ In dem feuchten Blick des beglückten Deutschen mochte +der Pascha wohl lesen, daß er seine Großmut an keinen Unwürdigen +verschwendet habe. Freundlich entließ er ihn[5]. + + [5] Brehm hat mit Hilfe seiner Verwandten die Schuld pünktlich + zurückgezahlt. Der Pascha schrieb später dem alten Brehm noch + einen sehr netten Brief, worin er ihn zu diesem Sohn + beglückwünscht + +Nun ging es also wirklich an die Zurüstungen zu der langwierigen +Heimfahrt, die bei der Menge der angesammelten wissenschaftlichen +Ausbeute und der großen Anzahl Tiere, die lebendig mitgeführt werden +mußten, recht umständlich waren. In Kairo traf Brehm zufällig mit +seinem berühmten Landsmann Theodor von Heuglin zusammen, und beide +machten gemeinsam noch einen Abstecher nach dem Sinai. Es ist +bezeichnend für Brehm, daß er, obwohl es ihn begreiflicherweise mit +allen Fasern seines Herzens nach der trauten Heimat zog, doch diese +Gelegenheit nicht versäumen wollte, nun auch noch die zwar spärliche, +aber sehr eigenartige Tierwelt des Sinai kennenzulernen, um sie mit +der ägyptischen vergleichen zu können. Am 16. Juli 1852 drückte Alfred +Brehm nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit seine treuen Eltern wieder +ans Herz. Ein unreifer Jüngling war nach Afrika hinausgezogen, ein weit +über seine Jahre gereifter, ernster, ganzer Mann kehrte zurück. + + + + +In Spanien + + +In einer wonnigen Frühlingsnacht saß Brehm am Fuße der Alhambra und +lauschte in verträumtem Sinnen den Nachtigallen. Vollmondschein +versilberte das steingewordene Spitzengewebe des arabischen Wunderbaus. +Brehm dachte darüber nach, wie recht doch Alexander Dumas wenigstens +in tiergeographischer Hinsicht hat, wenn er sagt: „Afrika beginnt +hinter den Pyrenäen“. Und der Deutsche begriff, daß er nunmehr hier +in Andalusien im afrikanischsten Teile Spaniens angekommen sei. Er +vergegenwärtigte sich den Weg über die vielbesungene Sierra Morena, +diesen Smaragd am Herzen Spaniens, auf daß nun auch die dritte, +schönste und letzte der scharf abgegrenzten Zonen Spaniens ihm ihre +Pforten öffne. Palmen und Kaktusfeigen, die riesenhafte Agave und +der Johannisbrotbaum traten nunmehr als Charakterpflanzen auf. Hier +herrscht der Himmel Nordafrikas mit seiner Milde und seiner Glut. Hier +klingt und singt es wieder, denn der Winter muß zum Frühling werden. +Singend reden die Menschen, wenn sie sprechen, tanzend bewegen sie +sich, wenn sie gehen. + +Und die Vögel? Nun auch sie teilen die allgemeine Lust. Sie sind +es, die dem ernsten Gebirge, das sich ohne den Schmuck frischgrüner +Wälder zum Himmel hebt, seinen Ernst zu nehmen sich erdreisten, die +es wenigstens zu beleben versuchen. Hier in dieser Zone ist der Süden +zur alleinigen Herrschaft gelangt, aber er hat den Norden gebeten, ihm +einige seiner Sänger zu leihen, denn er will nicht bloß in Farben leben +und blühen und glühen, sondern auch in Klängen und Liedern. Deshalb +durften in Andalusien die Sänger nicht fehlen. + +[Illustration: Theodor von Heuglin (1824–1876), der Begleiter Brehms +auf der Reise nach dem Sinai. + +Nach einer zeitgenössischen Lithographie von E. Pfann aus dem Nachlaß +Heuglins im Museum für Länder- und Völkerkunde -- Lindenmuseum -- in +Stuttgart] + +Ein Abendbummel innerhalb der Ringmauern des Feenschlosses Alhambra +muß nicht nur einem Brehm, sondern im Frühling auch jedem anderen +Menschenkinde, und wäre es das prosaischste auf der weiten Erde, einen +gewissen poetischen Schwung in die Seele tragen. Diese Stimmung bringt +die Königin der Hecken und Gebüsche, die Nachtigall. Einige Provinzen +Spaniens sind reichbegabt mit diesem herrlichsten aller Sänger. Nicht +hier und dort, ein ganzes Stück vom nächsten entfernt, singt und jubelt +einer wie bei uns zu Lande: nein, Hunderte hört man zu gleicher Zeit. +In jedem Gebüsch schlägt eine Nachtigall, in jeder Hecke wohnt ein +Pärchen. Die ganze große, grüne Sierra Morena gleicht einem einzigen +Nachtigallengarten. Um die großartigen Felsterrassen, Galerien, Kegel +und Wälle der Gralsburg Monserrat in Katalonien klingt in wunderbarer +Harmonie das von hundert und tausend gesungene +eine+ Lied, und +selbst im Innern Spaniens sind alle zusammenhängenden Gebüsche voll +von dem +einen+ Schlag. Eine Wanderung durch Feld und Wald im +begrünten Gebirge ist ein fortdauernder Genuß, denn ein nimmer endendes +Konzert erquickt das innerste Herz. Im klang- und poesiereichen +Andalusien, im freundlich ernsten Katalonien, im frischgrünen +Schweizerland in Galizien oder Asturien, überall jauchzt dem Wanderer +die Nachtigall entgegen. Die beiden Brehm waren bei ihrem Eintreffen in +Spanien bezaubert, hingerissen von diesem Nachtigallenkonzert, zumal +man die einzelnen Sänger gar nicht mehr unterscheiden konnte: es waren +ihrer zu viele! Man mochte sich wenden, wohin man wollte, überall +begegnete man der Nachtigall als dem häufigsten Singvogel. In jedem +Orangengarten lebten zwei, vier, sechs, acht oder zehn Paare oder noch +mehr. Die Bäume prangten im Schmuck ihrer duftigen Blüten und goldenen +Früchte und vereinigten sich mit den Nachtigallen, denen sie in ihrem +dunklen Gelaub Herberge boten, um Auge und Ohr des Forschers mit nie +gekannten Genüssen zu erfüllen. Die Hallen des alten Königsschlosses +Alhambra sind verödet, ihr prunkvolles Leben erstarb, aber die +gefiederten Minnesänger aus alter Zeit sind treu geblieben und werden +es bleiben, solange das auf die Höhe geleitete Wasser noch rauscht und +murmelt und flüsternd erzählt von entschwundener Herrlichkeit. + +Brehm ist zweimal in Spanien gewesen, hat aber leider gerade über +diese beiden Reisen fast nichts veröffentlicht; das erstemal kam er +gleich nach seiner Studentenzeit zusammen mit seinem älteren Bruder +Reinhold, der dabei als Arzt in Madrid hängen geblieben ist und den +jüngeren Alfred um viele Jahre überlebt hat. Durch den Verkehr mit +Schmugglern, Räubern, Zigeunern und halbwilden Hirten soll gerade +diese Reise, über die Brehm nicht gern redete, überreich gewesen sein +an Abenteuern und romantischen Erlebnissen aller Art. Bald sprach +Brehm fließend Spanisch und konnte sich nach seiner Art auch in das +Studium der Bevölkerung vertiefen, die er dabei herzlich lieb gewann. +Ihre vornehme Haltung, ihr stolzes, ritterliches Wesen entsprach ja so +ganz seiner eigenen Wesens- und Denkart. Zur Deckung der Reisekosten +hatten die Brüder „Aktien“ herausgegeben, deren Inhaber das Recht +besaßen, für einen entsprechenden Betrag unter der Ausbeute das ihnen +Zusagende sich auszuwählen. Deshalb konnte leider ein Großteil dieser +wertvollen Ausbeute, soweit sie nicht in die Sammlung des Vaters +überging, nicht als Ganzes wissenschaftlich bearbeitet werden, sondern +wurde gleich nach Beendigung der Reise in alle Welt zersplittert. +Das ist tief zu beklagen, denn Spanien ist auch heute noch das +ornithologisch unerforschteste Land Europas. Die zweite spanische Reise +machte Brehm 1879 zusammen mit seinem Freunde, dem Kronprinzen Rudolf +von Österreich. Es war wohl mehr eine Art höfischer Jagdreise, die +hauptsächlich den Steinböcken, Adlern und Bartgeiern galt und die Brehm +mancherlei Orden und Auszeichnungen eintrug, woraus er sich aber nie +viel gemacht hat. Als er starb, stand ein Prachtexemplar der zweiten +Auflage des „Tierlebens“ in Renthendorf versandfertig für den König von +Spanien bereit. Mit Veröffentlichungen über diese doch gewiß auch sehr +interessante Reise wollte Brehm wahrscheinlich dem Kronprinzen, der ja +selbst schriftstellerte, nicht vorgreifen, und so sind sie leider ganz +unterblieben. + + + + +Nordlandfahrt + + +Erik Svensen, der alte verwitterte norwegische Trapper, der Brehms +unzertrennlicher Jagdgefährte in Lappland geworden war, kniete nieder, +prüfte aufmerksam den Boden und sagte: „Hier hat heute ein Renntier +geäst. Schau, diese Pflanzen sind frisch abgebissen, und hier liegt +ein Stengel daneben, noch saftig und unverwelkt.“ Nicht weit davon +fand denn auch Brehm an einer feuchten Stelle die scharf und frisch +abgedrückte Fährte des begehrten Wildes. Kein Zweifel also: wilde +Renntiere, an deren genauer Beobachtung Brehm so viel lag, waren +wirklich in der Nähe. Es kostete aber noch manchen vergeblichen +Pirschgang und manchen Schweißtropfen, bis man zum Ziele gelangte. +Es bedurfte oft meilenweiter Märsche auf völlig ungewohntem und +überaus schwierigem Gelände. An Gefahr war dabei allerdings kaum zu +denken, aber Beschwerden gab es genug. Die Halden bestanden nur aus +wirr durcheinander und übereinander gewürfelten Schieferplatten, die +entweder beim Darüberschreiten in rutschende Bewegung gerieten oder +aber so scharfkantige Ecken, Spitzen und Kanten hervorstreckten, daß +jeder Schritt durch die Stiefelsohlen hindurch schmerzlich fühlbar +wurde. Die außerordentliche Glätte der Platten, über die das Wasser +herabrieselt, vermehrte noch die Schwierigkeiten des Weges, und das +beständige Durchwaten der glatt gescheuerten Rinnsale erforderte +ängstliche Vorsicht, wenn man blutige Abschürfungen an Armen und Beinen +sowie ein unfreiwilliges Bad im eiskalten Gebirgswasser vermeiden +wollte. Man kam deshalb auf Pirschgängen nicht gerade rasch vorwärts. +Die Renntiere selbst standen oben auf den kahlen Hochflächen, die nur +noch mit Zwergbirken, Beerengestrüpp, Moosen und Flechten spärlich +bekleidet waren. + +Endlich erspähte Brehm von einem Hügel aus in einer Talmulde ein +Rudel von 18 Renntieren. Er und Svensen entledigten sich rasch alles +überflüssigen Gepäcks, prüften die Windrichtung und krochen dann +Schritt für Schritt mit aller erdenklichen Vorsicht das scheue und +scharfsinnige Wild an, bis sie hinter einigen großen Steinen Deckung +fanden und Atem schöpfen konnten. Brehms Wunsch war erfüllt: Es war ein +prachtvolles Schauspiel, das das Rudel ihm bot. Er brachte das Fernrohr +gar nicht mehr vom Auge, um nur ja keine Bewegung der edlen Tiere sich +entgehen zu lassen. Einige ästen, andere hatten sich niedergetan, +wieder andere liefen spielerisch hin und her oder neckten sich mit +ihren vielzackigen Geweihen. Plötzlich aber kam Leben und Bewegung, +Schrecken und Furcht über alle. Sie stoben davon und jagten trottend +durch Sumpf und Moor, gerade auf die Jäger zu, blieben dann aber +wieder sichernd stehen, noch immer außer Schußweite. Brehms scharfes +Auge erspähte auch bald die Ursache der ärgerlichen Störung in einem +dunklen Klumpen, den er zunächst für einen Bären hielt. Als das Tier +sich aber bewegte, erkannte er sofort, daß er es mit einem ungewöhnlich +großen Vielfraß zu tun habe, und nun überwog bei ihm natürlich der +Forscher den Jäger, denn der sagenumwobene Vielfraß gehört ja zu +denjenigen Tieren, deren ein Zoologe nur ganz selten einmal in freier +Natur ansichtig wird. Brehm bemerkte, wie der Vielfraß mit sehr stark +bogenförmigen Sätzen lief, einem Marder entfernt ähnlich, aber mit +weit mehr gebogenem Rücken und viel größeren Wölbungen, beinahe lauter +Purzelbäume schlagend. Dieser Gang, die stattliche Größe und die dicke, +buschige Lunte machen den Vielfraß sofort kenntlich. Der Räuber schien +aber Verdacht geschöpft zu haben. Plötzlich verließ er seinen Ausguck, +trabte, trottelte und kugelte dem Gebirge zu, fing unterwegs flugs noch +einen Lemming, verspeiste ihn im Weiterlaufen, sah sich noch einmal +mißgünstig nach dem menschlichen Störenfried und betrübt nach den +Renntieren um und verschwand dann im Geklüft des Bergrückens. + +Da das Gelände nirgends Deckung zum Anschleichen bot, blieb den Jägern +nichts übrig, als sich an zwei halbwegs günstigen Stellen niederzulegen +und ein Näherkommen des Wildes abzuwarten. Drei volle Stunden lang +wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Sie durften sich ja +nicht rühren, alle Glieder wurden steif, und in dem quatschnassen +Moos lag es sich auch nicht gerade behaglich. Endlich äste sich das +Rudel ganz langsam näher heran. Schon hob Brehm zögernd die Büchse, +da krachte drüben der Schuß des Norwegers. Das Rudel schreckte, zog +ängstlich hin und her, sicherte und wurde schließlich flüchtig. Ein +Stück lahmte, trennte sich von den anderen und nahm die Richtung auf +Brehm zu. Der schoß und sah zu seiner unaussprechlichen Freude das edle +Wild im Feuer zusammenstürzen. + + * * * * * + +Donnernd hallte ein Kanonenschuß über die bewegten Fluten des +Eismeeres und brach sich an den jähen Felsenwänden des Nordkaps und +des Vogelberges Svärtholm. Der norwegische Schiffskapitän hatte sein +Geschütz abfeuern lassen, um Brehm das Schauspiel der aufgescheuchten +Brutkolonie von Dreizehenmöwen zu ermöglichen. Wie wenn ein tosender +Wintersturm durch die Luft zieht und schneeschwangere Wolken aneinander +schlägt, bis sie, in Flocken zerteilt, sich herniedersenken: so +schneite es jetzt von oben lebendige Vögel herunter. Man sah weder +den Berg noch den Himmel, sondern nur ein Wirrsal ohnegleichen. Eine +dichte Wolke erfüllte den ganzen Gesichtskreis, und erfüllt war Fabers +Wort: „Sie verbergen die Sonne, wenn sie fliegen.“ Heftig blies der +Nordwind, und wütend brandete das Eismeer am Fuß der Klippen, aber +lauter noch erklangen die kreischenden Schreie der Möwen, damit auch +das Wort sich bewahrheitete: „Sie übertäuben das Tosen der Brandung, +wenn sie schreien.“ Die Wolke senkte sich endlich auf das Meer +hernieder, die bisher von ihr umnebelten Umrisse von Svärtholm traten +wieder hervor, und ein neues Schauspiel fesselte die Blicke. Auf den +Felsbändern schienen noch ebensoviele Möwen zu sitzen wie vorher, und +Tausende flogen noch ab und zu, auf dem Meere aber, soweit es sich +überschauen ließ, lagen, leichten Schaumballen vergleichbar, die weißen +Vögel und schaukelten mit den Wogen auf und nieder. „Wie soll ich +diesen herrlichen Anblick beschreiben? Soll ich sagen, daß das Meer +Millionen und aber Millionen lichte Perlen in sein dunkles Wellenkleid +geflochten habe? Oder soll ich die Möwen mit Sternen und das Meer +mit dem Himmelsgewölbe vergleichen? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, +daß ich auf dem Meere noch niemals Schöneres erschaut habe. Und als +wäre es noch nicht genug des Zaubers, goß plötzlich die auf kurze Zeit +verhüllt gewesene Mitternachtssonne ihr rosiges Licht über Vorgebirge +und Meer und Vögel, beleuchtete alle Wellenkämme, als ob ein goldenes, +weitmaschiges Netz über die See geworfen wäre, und ließ die ebenfalls +rosig überstrahlten, blendenden Möwen nur um so leuchtender erscheinen. +Da standen wir sprachlos im Schauen!“ + +Es gibt aber auch noch Vogelberge anderer, nicht minder großartiger +Art im Norden, die auf ihren Rücken mit torfiger Erde bedeckt sind +und die hauptsächlich von Alken, Lummen und Lunden bevölkert werden, +zwischen die nur vereinzelt Kormorane und Möwen sich eindrängen. +Brehm hat auf seiner durch die Unterstützung der „Gartenlaube“ +ermöglichten Nordlandreise auch die größte dieser Siedlungen besucht. +Die Torfrinde des Berges war nach Art von Kaninchenhöhlen dicht von +Bruthöhlen durchlöchert. Unter Brehms Tritten, der in Schraubenlinien +zum Gipfel des Berges emporstieg, zitterte das unterwühlte Erdreich. +Und hervor aus allen Höhlen lugten, krochen, rutschten, flogen mehr +als taubengroße, oberseits schieferfarbene, auf Brust und Bauch +glänzend weiße Vögel mit phantastischen Schnäbeln und Gesichtern, +kurzen, schmalen, spitzigen Flügeln und stummelhaften Schwänzen. Aus +allen Löchern erschienen sie, aus Ritzen und Spalten des Gesteins +nicht minder. Wohin man blickte, boten sich nur Vögel dem Auge, und +ihre leise knarrenden Stimmen vereinigten sich zu einem sonderbaren +Gedröhn. Jeder Schritt weiter entlockte neue Scharen dem Bauche der +Erde. Von dem Berge herab nach dem Meere begann es zu fliegen, von +dem Meere nach dem Berge hinauf schwärmten bereits unzählbare Massen. +Aus Hunderten waren Tausende, aus Tausenden Zehntausende geworden, +und Hunderttausende entwuchsen fortwährend dem braungrünen Boden. +Eine Vogelwolke umhüllte den Forscher, umhüllte den ganzen Berg, so +daß dieser, zauberhaft wohl, aber den Sinnen noch begreiflich, zu +einem riesenhaften Bienenstocke sich wandelte, um den nicht minder +riesenhafte Bienen schwirrend und summend schwebten und gaukelten. Je +weiter Brehm kam, um so großartiger gestaltete sich das Schauspiel. Der +ganze Berg wurde lebendig. Hunderttausende von Vogelaugen lugten auf +den Eindringling herab. + +[Illustration: Der Vogelberg in Vesteraalen (Norwegen). Nach einer +Zeichnung aus dem Jahre 1861 + +Von links nach rechts: Teisten, Scharbe, Lummen, Lunde, Möwe, Alk] + +„Aus allen Ecken und Enden, von allen Winkeln und Vorsprüngen her, +aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern wälzte es sich heraus, zur +Rechten wie zur Linken, ober- und unterhalb, in der Luft wie auf +dem Boden wimmelte es von Vögeln. Von den Wänden wie vom Gipfel des +Berges herab ins Meer stürzten sich ununterbrochen Tausende in so +dichtem Gedränge, daß sie dem Auge ein festes Dach vorzutäuschen +vermochten. Tausende kamen, Tausende gingen, Tausende saßen, Tausende +tänzelten unter Zuhilfenahme der Schwingen in wundersamer Weise dahin, +Hunderttausende flogen, Hunderttausende schwammen und tauchten, und +neue Hunderttausende harrten des auch sie aufscheuchenden Fußtritts.“ + +Es wimmelte, schwirrte, rauschte, tanzte, flog und kroch um Brehm +herum, daß ihm fast die Sinne vergingen; das sonst so scharfe Auge +versagte den Dienst, das Gewehr zitterte in der sonst so zielsicheren +Hand. Halb betäubt kam er endlich auf dem Gipfel an und blieb 18 +Stunden auf ihm liegen, um das Leben der Alken recht genau kennen zu +lernen. Sie hatten bald alle Scheu vor ihm verloren; tänzelnden Ganges +näherten sie sich ihm so weit, daß er mit der Hand nach ihnen zu +greifen versuchte. Die Schönheit und der Reiz des Lebens zeigten sich +in jeder Bewegung der wunderlichen Vögel. Mit Erstaunen erkannte Brehm, +wie steif und kalt auch die besten Abbildungen dieser absonderlichen +Geschöpfe sind, denn er bemerkte eine Regsamkeit und eine Lebhaftigkeit +in den wundersamen Gestalten, wie er sie ihnen nie zugetraut hätte. +Nicht einen Augenblick saßen sie ruhig, bewegten mindestens Kopf und +Hals fort und fort nach allen Seiten hin, und ihre Umrisse gewannen +dabei wahrhaft künstlerische Linien. Es war, als ob die Harmlosigkeit, +mit der sich Brehm ganz der Beobachtung hingab, durch unbeschränktes +Vertrauen von ihrer Seite vergolten werden sollte. Er verkehrte mit +den Tausenden, als ob sie Haustiere wären, die Millionen schienen ihn +geradezu als einen der ihrigen zu betrachten. + +Manch feinen Zug konnte Brehm dabei dem Leben der Alken ablauschen. +Ihre geselligen Tugenden erreichen während der Brutzeit eine +unvergleichliche Höhe. Während sonst in der Vogelwelt ein Mißverhältnis +der Geschlechter zu ununterbrochenem Streite führt, wird bei den Lummen +der Friede nicht gestört. Die beklagenswerten Hagestolze, die kein +Weibchen zu ergattern vermochten, wandern trotzdem in Verein mit den +glücklichen, unterwegs kosenden und tändelnden Paaren dem Brutberge +zu. Hat das Weibchen sein einziges, aber sehr großes, kreiselförmiges +und buntgetüpfeltes Ei gelegt und hat dessen Bebrütung begonnen, +dann wollen auch die armen Junggesellen wenigstens ihren guten Willen +bekunden und drängen sich den einzelnen Paaren als Hausfreunde auf. +Wachehaltend stehen sie vor den Bruthöhlen, aus denen das Männchen +sich entfernt hat. Wenn aber beide Eltern gleichzeitig zum Meere +hinabgeflogen sind, dann rutschen sie ohne Zögern ins Innere der Höhle +und wärmen inzwischen das verlassene Ei. Nur brüten, ein ganz klein +wenig brüten wollen sie: gewiß ein bescheidenes Verlangen für einen +Junggesellen! Diese selbstlose Hingabe hat eine Folge, um die wir +Menschen die Alken beneiden könnten: auf den Vogelbergen gibt’s kein +Waisenkind! Sollte der Gatte eines Paares verunglücken, so bietet +sich der Witwe augenblicklich Ersatz, und sollten gar beide Eltern +gleichzeitig umkommen, flugs sind die gutmütigen Junggesellen zur Hand, +um das Ei vollends auszubrüten und das Junge sorgfältig aufzuziehen. + + + + +Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien + + +„Melde gehorsamst, Königliche Hoheit, daß ich eine starke +Elefantenherde aufgespürt habe und daß also die Herrschaften +voraussichtlich in den nächsten Tagen auf Elefanten zum Schuß kommen +werden.“ Mit diesen Worten trat Brehm, von einem Tagesausfluge +zurückkehrend, schweiß- und staubbedeckt in das bei dem abessinischen +Gebirgsdorfe Mensa aufgeschlagene Zelt des Herzogs Ernst II. von +Sachsen-Koburg-Gotha, des bekannten „Schützen-Herzogs“, der mit +zahlreichen Teilnehmern eine wissenschaftliche Jagdreise nach diesem +afrikanischen Hochlande veranstaltet und die Oberleitung dem berühmten +Tierforscher anvertraut hatte. + +Der Herzog strich sich schmunzelnd den schwarzen Knebelbart, und die +neben ihm stehenden Prinzen von Hohenlohe und von Leiningen lachten +sogar aus vollem Halse. „Aber Brehm, wollen Sie uns mit so todernster +Miene einen mächtigen Bären aufbinden? Nee, auf einen so plumpen Witz +fallen wir nicht herein. So viel verstehen wir doch auch von der Natur +des Elefanten, daß er kein Steinbock oder keine Gemse und auch kein +Klettertier ist. Wie sollte denn der plumpe Koloß diese furchtbaren +Steilhänge hinauf oder herunter kommen? Alles will ich Ihnen glauben, +mein lieber Brehm, aber an Ihre Elefantengeschichte glaube ich nicht.“ + +„Und doch, Königliche Hoheit, ist es genau so, wie ich sagte,“ +erwiderte Brehm, „ich habe die Spuren der Elefanten deutlich gesehen +und eine große Strecke weit verfolgt. Sie sind doch nicht mit denen +eines anderen Tieres zu verwechseln.“ „Was für Spuren eigentlich?“ +„Ja, richtige Fährten sah ich freilich nicht oder doch nicht deutlich +genug; sie drücken sich auf dem harten Felsboden der Berge zu wenig +ab oder verwischen sich im Geröll. Aber ich sah einen Kaktus, auf +den ein Elefant mit seiner schweren Fußsäule getreten war, denn alle +seine Blätter waren bis zur Wurzel herab zerquetscht. Einzig und +allein der Elefant tritt auf diese Weise den Kaktus nieder. Alle +anderen Tiere, vielleicht noch mit Ausnahme des Nashorns, umgehen ihn. +Dann fand ich auch die ganz unverkennbare Losung der Riesentiere.“ +„Wie sieht sie denn eigentlich aus?“ frug der Prinz von Leiningen +interessiert dazwischen. „Das kommt ganz darauf an, welche Nahrung die +Elefanten aufgenommen haben. Ästen sie vorzugsweise Gras, Kräuter und +Baumblätter, so erinnert die Losung nach Gefüge und Farbe stark an die +bekannten Pferdeäpfel, nur daß sie natürlich sehr viel umfangreicher +ist. Haben die Elefanten dagegen hauptsächlich Zweige gefressen, +so sind die Klumpen noch ungeheuerlicher, dunkler gefärbt und +enthalten Aststücke von ziemlicher Länge und bedeutender Stärke. Die +aufgefundene Losung war sicher noch ganz frisch, denn sie wurde stark +von Mistkäfern beflogen, die nur an frischen Mist gehen. Ein weiteres +gutes Kennzeichen war es, daß an den Bäumen viele Äste abgebrochen und +Zweige abgerissen waren und das in einer Höhe, die außer dem Elefanten +höchstens noch die Giraffe erreichen könnte. Aber abgesehen von den +ganz verschiedenen Aufenthaltsorten schält die Giraffe nicht die Äste +ab, wie dies der Elefant immer tut. Ich habe sogar die Überzeugung +gewonnen, daß die Elefanten zu gewissen Jahreszeiten ganz regelmäßig +hier vorkommen, denn es sind regelrecht ausgetretene Straßen vorhanden, +wie ich sie ja schon von Innerafrika her kenne. Sie führen im Zickzack +die Hänge hinauf und hinab und sind mit geradezu bewundernswerter +Berechnung und mit dem Geschick erfahrener Baumeister angelegt. Eine +sehr nette Feststellung konnte ich dabei machen. An einer Stelle des +Pfades hatte nämlich ein großer Stein gelegen, halb über dem Gehänge, +halb auf dem Wege. Dieser Stein war ausgebrochen und in die Tiefe +hinabgerollt. Er allein aber konnte unmöglich in dem dichten Grase und +Gebüsch, das den Hang nach unten hin bedeckte, die greuliche Verwüstung +angerichtet haben, die ich bemerkte. Es war, als ob eine große Walze +da hinabgerollt wäre und alles niedergequetscht hätte, was ihr im +Wege lag. Die Folgerung daraus führte notwendigerweise zu einem sehr +ergötzlichen Ergebnis: einer der Elefanten hatte in der Dunkelheit +den Stein -- und zwar auf seiner überhängenden Seite -- betreten, +vielleicht gedrängt von anderen Mitgliedern der Herde. Der Stein war +ausgebrochen, der Elefant hatte das Gleichgewicht verloren und einen +großartigen Purzelbaum nach unten geschossen. Von der Tiefe herauf +führte auch wirklich ein einziger Pfad nach dem oberen Wege zurück. Der +schwere Sturz hat also offenbar dem Riesentiere nichts geschadet.“ + +[Illustration: Elefantenjagd auf der Reise des Herzogs Ernst von +Sachsen-Koburg-Gotha nach Ägypten und den Ländern der Habab, Mensa und +Bogos. Zur Reisegesellschaft gehörte auch der Maler Robert Kretschmer, +von dem zwanzig große vielfarbige Arbeiten nach der Natur in dem +Reisewerk des Herzogs (Leipzig, 1865) veröffentlicht wurden. Eines +dieser vielfarbigen Bilder ist hier einfarbig wiedergegeben] + +Der Herzog war nun doch nachdenklich geworden: „Auf Ihre Verantwortung +hin, Herr Doktor, können wir ja in den nächsten Tagen mal einen Versuch +in jener Gegend wagen. Aber wehe Ihnen, wenn überhaupt keine Elefanten +da sind. Sie wären heillos blamiert, Herr Doktor!“ -- „Darauf will ich +es ruhig ankommen lassen,“ meinte Brehm lächelnd. -- „Und ich bin schon +ganz begeistert von der Geschichte,“ rief der bekannte Weltreisende +und Schriftsteller Gerstäcker, der gleichfalls mit von der Partie +war. „Ich möchte das, was Freund Brehm gesagt hat, Wort für Wort +beschwören. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie wunderbar groß die +Anpassungsfähigkeit der Tiere ist. Warum sollte sich da ein so kluges +Tier wie der Elefant nicht auch an das Gebirgsleben gewöhnen können und +darin mit seinem zwerghaften Vetter, dem Klippschliefer wetteifern? +Also heisa! Es gibt eine Elefantenjagd!“ Sie fand wirklich einige Tage +später statt und gab Brehms Behauptungen glänzend recht. Es war ein +überwältigend großartiger Anblick, wie die aufgeregte Elefantenherde +laut trompetend mit erhobenen Rüsseln und weit abgespreizten +Riesenohren den steilen Berghang herunterstürmte, daß die Steine nur so +stoben. + +Brehm hatte auf dieser abessinischen Reise kaum eine ruhige Minute. +Von früh bis spät war er unausgesetzt und angestrengt tätig. Er +war Reisemarschall, Expeditionsführer und Jagdleiter in einer +Person, es lastete also allzuviel auf ihm. Es war nicht leicht, +die verwöhnte und vielköpfige Jagdgesellschaft unter einen Hut +zu bringen und zufriedenzustellen, zu der auch die jagdkundige +Herzogin und der begabte Tiermaler Robert Kretschmer gehörten, der +später das „Tierleben“ so ausgezeichnet illustriert hat. Zu allen +anderen Hemmnissen kam nach kurzer Zeit noch Brehms alter Feind, das +klimatische Wechselfieber, das ihn namentlich während des zweiten +Teils der Reise zeitweise völlig schachmatt setzte. Überdies dauerte +der Aufenthalt in Afrika nur wenige Wochen, und so verbot schon +die Kürze der Zeit eine eingehende wissenschaftliche Tätigkeit in +einem Lande, das bereits durch Gelehrte vom Range eines Rüppell und +eines Ehrenberg ziemlich gut erforscht war. Brehm war der großen +Reisegesellschaft im März 1862 über Kairo, Aden und Massaua nach +Habesch vorausgeeilt, um geeignete Lagerplätze auszusuchen und +wildreiche Jagdgründe festzustellen. Diese 14 Tage, die er für sich +allein in freier, tierreicher Wildnis weilte, ließen eigentlich +die einzige Muße für seine wissenschaftlichen Beobachtungen. Und +trotz alledem brachte gerade diese unter einem so unguten Stern +stehende Reise nach den Bogosländern reiche Ernte. Es ist jedenfalls +erstaunlich, welch überraschende Fülle von Neuartigem und Wissenswertem +Brehm hier in der kurzen Zeit zusammengetragen hat und wie großartig +er diese Beobachtungen später für sein „Tierleben“ zu verwenden wußte. +Vielleicht ist seine geniale Begabung für die Tierforschung und +Tierbeobachtung niemals so glänzend zutage getreten wie gerade hier +unter so widerwärtigen Verhältnissen. Namentlich mit dem merkwürdigen +Klippschliefer und verschiedenen größeren Affenarten wurde er hier +näher bekannt. Vor allem fesselten ihn die ebenso kraft- und mutvollen +wie klugen und überlegenden Mantelpaviane. + +[Illustration: Mantelpaviane, eine Art größerer Affen, die Brehm auf +seiner Reise nach Abessinien oft traf + +(Nach einer Photographie von Carl Hagenbeck, Stellingen, 1928)] + +Einmal begegnete die langauseinandergezogene Karawane einer großen +Herde dieser stattlichen Tiere, die auf einem Felsgesims saß, etwas +höher als Büchsenschußweite. Zuerst ließen die Paviane nur ihre +gewöhnlichen bellenden Laute vernehmen. Als sie aber die vielen, +ungewohnt weißen Menschen erblickten, kamen sie in Erregung und +Bewegung, und nun hörte man von ihnen auch ganz andere Stimmen. Die +alten Männchen brummten und grunzten wie Raubtiere oder Schweine, die +jungen quiekten und kreischten wie Ferkel. Einige besonders eifrige +Jäger stiegen die Felswand hinan und eröffneten das Feuer. Nach den +ersten Schüssen erhob sich ein Stimmengewirr, das jeder Beschreibung +spottete. Die allerverschiedensten Töne wurden laut: alles quiekte, +kreischte, schrie, grunzte, brüllte und brummte wirr durcheinander. +Alles flüchtete nach der entgegengesetzten Seite des Berges zu. +Bei Schüssen aus größerer Nähe hielten sämtliche Affen an, schrien +entsetzlich auf und faßten die Felsen, als wollten sie sich versichern, +daß sie nicht heruntergeworfen würden. Weibchen und Junge verließen +augenblicklich alle den Geschossen zugängliche Felsplatten, die +Männchen aber rückten abwechselnd bis an den Rand der Gesimse vor und +schauten wutfunkelnden Auges in die Tiefe, ihren Ingrimm durch heftiges +Schlagen mit der Hand auf den Felsen bezeugend. Sie gingen sogar zum +Angriff über, wenn auch nicht mit Händen und Zähnen, so doch dadurch, +daß sie große Steine herausrissen und auf die menschlichen Störenfriede +herabrollten. Man hatte genug zu tun, um diesen gefährlichen Geschossen +auszuweichen. Mehrere Minuten war der Steinhagel so arg, daß er das +schmale Alpental vollständig versperrte und die ganze Karawane zum +Halten zwang. Es war eine richtige Affenschlacht! Ein besonders starkes +Affenmännchen erstieg sogar mit einem großen Stein im Arme mühsam einen +Baum und schleuderte dann von dessen Wipfel aus sein Geschoß mit um so +kräftigerem Nachdruck und mit größerer Sicherheit. Ein Leopard gedachte +bei diesem Kampfe im Trüben zu fischen und stürzte sich auf einen +schwer angeschossenen Pavian. Aber die aufmerksamen Affen hatten den +Mordanfall eher gesehen als die blindlings ihrer Jagdlust frönenden +Menschen. Ungeachtet ihrer Angst vor den fortgesetzt fallenden Schüssen +rückten sie sofort auf der Platte vor, und einige alte Männchen machten +sich fertig, nach unten hinab zu klettern, um dem Angefallenen zu Hilfe +zu kommen. Ihre Aufregung war furchtbar, ihre Wut überstieg alles, was +Brehm je bei Affen beobachtet hatte. + +Die Herde ging schließlich weiter unterhalb auf die andere Talseite +hinüber und stieß dabei abermals mit der Karawane zusammen. +Die mitgeführten Hunde, mutige Tiere, gewohnt, jeder Hyäne +entgegenzutreten, stutzten einen Augenblick und stürzten sich dann +mit freudigem Gebell auf die Paviane. Im Nu waren sie mitten unter +der Affenherde, aber ebenso rasch auch von den stärksten Männchen der +Paviane umringt und förmlich gestellt. Brüllend und wutschnaubend +zeigten die Affen ihre fürchterlichen Gebisse den Hunden in so +bedrohlicher Nähe, daß diese es vorzogen, vom Kampf abzustehen und +beim Menschen Zuflucht zu suchen. Während sie von neuem ermuntert und +angehetzt wurden, hatten die Affen ihren Weg fortgesetzt und bis auf +wenige Nachzügler das Tal überschritten. Unter diesen Nachzüglern +befand sich ein kleiner, etwa halbjähriger Bursche, der etwas +entfernt von den andern seines Weges ging. Auf ihn hetzte man jetzt +die Hunde. Sie gingen an und hatten bald den Affen, der auf einen +Felsblock geflüchtet war, regelrecht gestellt. So schnell als möglich +eilten die Menschen den Hunden zu Hilfe, sich schon mit der Hoffnung +schmeichelnd, den jungen Pavian lebendig fangen zu können. Allein diese +Hoffnung wurde gänzlich vereitelt. Auf das jammervolle Zetergeschrei +des geängstigten Jungen hin kehrte nämlich vom andern Ufer her ein +gewaltiges Männchen zurück, um ihm beizustehen. Ernst und würdevoll +durchschritt er das Tal; ohne sich um die Hunde auch nur im geringsten +zu kümmern, ging er schnurstracks auf sein Ziel los, mitten durch seine +verblüfften Feinde hindurch, sprang auf den Felsen zu dem Jungtier, +ermunterte es durch allerlei Zeichen und Gebärden, mit ihm zu gehen, +und geleitete es dann ruhig und furchtlos nach dem andern Ufer, in +dessen Dickicht beide alsbald verschwanden. Die Hunde setzte er durch +wütendes Grunzen derart in Furcht, daß keiner es wagte, ihn oder seinen +Schützling anzugreifen. + + + + +In Westsibirien + + +Die tote Steppe Westsibiriens, einen Tagemarsch von Semipalatinsk, +sonst nur der Tummelplatz von Steppenkiebitzen, Rotfußfalken und +kohlschwarzen Mohrenlerchen, hatte sich über Nacht plötzlich mit +lärmendem und buntscheckigem Leben erfüllt. Bei einem tropfenweise +rinnenden Wässerchen standen eine Reihe besonders großer und schöner +Jurten (Filzzelte), außen zierlich geschmückt mit kunstvoller +Näherei und aufgeheftetem bunten Zierat aus stilvoll verschnörkelten +Tuchflittern, innen mit kostbaren Teppichen und seidenen Decken, +die rings an den Wänden hingen und den Boden bedeckten. Diese +heimeligsten und vollkommensten aller Zelte beherbergten augenblicklich +den weitgebietenden Statthalter des russischen Zaren, den General +Poltaratzky nebst Familie und Gefolge, und bei ihm befanden sich als +hochgeehrte Gäste drei Deutsche, unser Brehm, sein Berufsgenosse +Dr. Otto Finsch aus Bremen und ein württembergischer Offizier, +Graf Waldburg-Zeil-Trauchburg, die im März 1876 gemeinsam eine +Forschungsreise nach Westsibirien angetreten hatten. Der General +hatte sie mit echt russischer Gastfreundschaft zu einer Treibjagd auf +Archare, die riesigen Wildschafe dieses Landes, eingeladen und dazu +als ortskundige Gehilfen auch die in der Umgegend ansässigen Kirgisen +aufgeboten. Und sie waren alle erschienen: Sultane, Gemeindevorsteher +und andere Vornehme des Volkes der Steppe mit Schützen und Treibern und +Stegreifdichtern, Jagd- und Rennpferden, mit gezähmten, auf Fuchs und +Wolf, Murmeltier und Antilope abgetragenen Steinadlern, langhaarigen +Windhunden, Kamelen und Saumtieren und was noch sonst erforderlich ist +nach des Landes Brauch und Sitte. Das war so recht etwas für Brehm, der +so gerne fremde Völker beobachtete und ihre Sitten ergründete. + +Es herrschte eine etwas gedrückte Stimmung, denn der soeben beendigte +erste Jagdtag war durchaus nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Wolf +war gefehlt worden, und das einzige Wildschaf im Triebe hatten die +nächststehenden Schützen gar nicht bemerkt. Man hatte sich dann +an reichbesetzter Tafel niedergelassen, aber da hatte plötzlich +lauter Zuruf die Schmausenden aufgeschreckt. Aufspringend sah man +fünf stattliche Archarböcke über das Gefels dahineilen, die sich +dem Trieb in einem Seitental entzogen gehabt hatten. Eiligst griff +alles nach den Büchsen, warf sich auf die Pferde und jagte dem edlen +Wilde nach. Zu spät! Obwohl die Schafe nur trabten, war doch in dem +unwegsamen Gelände kein Pferd imstande, sie einzuholen. Ruhig, stolz +und bedachtsam waren sie weitergezogen und bald im zerklüfteten +Gefels verschwunden. Man unterhielt sich jetzt über dieses unerhörte +Mißgeschick. „Für mich war es überhaupt keines,“ sagte Brehm, „denn +ich hatte doch das Glück, die gewaltigen Tiere hier in ihrer Heimat +frei und in voller Bewegung zu sehen. Und dann war doch das ganze Bild +dieser Gebirgsjagd mit berittenen Treibern so eigenartig und fesselnd, +wie eine Jagd überhaupt nur sein kann.“ -- „Sehr richtig,“ stimmte +Finsch bei, „und morgen ist ja auch noch ein Tag.“ -- „An dem uns die +launische Diana hoffentlich etwas huldvoller gesinnt sein wird als +heute,“ seufzte der schießlustige Graf. + +[Illustration: Kartenausschnitt zu Brehms Reise nach Westsibirien] + +Der nächste Morgen war bitter kalt. Wohl achtzig Reiter zogen diesmal +in buntem Getümmel hinaus zum Felsengebirge. Hinter ihnen drein +stelzten Kamele, mit einer Jurte, Küchengerät und Lebensmitteln +befrachtet. Der Trieb begann. Reitend erkletterten die Treiber den +steilen Höhenzug. Hier und da erschien einer von ihnen auf der Spitze +der Felsen, die er erklommen, verschwand aber bald darauf wieder im +Gestein. Kein einziger von ihnen wich trotz der Schwierigkeit des +Geländes von der ihm angewiesenen Richtung ab. Wie Ziegen kletterten +die belasteten Pferde in den Felsen umher, denn wo noch eine Ziege +ihren Pfad findet, da kommt auch der kirgisische Reiter noch durch. +Einem geübten Bergsteiger boten die Granitwände und Kegel allerdings +nirgends unüberwindliche Schwierigkeiten, aber Reiter hatte Brehm +doch niemals in derart zerklüftetem Gelände den Weg suchen und finden +sehen. Stundenlang währte der Trieb, das bewegungslose Ausharren auf +den angewiesenen Ständen wurde bei dem eisigen Schlackwetter zur Qual. +Ein Wildschaf mit zwei Lämmern zog in mehr als doppelter Schußweite an +Brehm vorüber. Von den Böcken keine Spur. Schon näherte sich der Trieb +seinem Ende. Da endlich rieselten Steine hoch oben über Brehm, und +wenige Minuten später stieg ein starker Archarbock, meist durch Felsen +gedeckt und nur für Augenblicke sichtbar werdend, in Büchsenschußweite +neben Brehms Stand in die Tiefe. Endlich zeigte er sich frei, und +dröhnend hallte Brehms Schuß durch die Felsenwildnis. Sichtlich +krank zog der Bock, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, langsamer dem +gegenüberliegenden Gebirgszuge zu. Ein zweiter Schuß, schon aus zu +großer Entfernung abgegeben, blieb wirkungslos. Schnell entschlossen +verließ Brehm seinen Stand, durcheilte das Tal und kletterte dann an +der jenseitigen Bergwand empor, so rasch es das Gefels und die Lunge +nur irgend gestatten wollten, um sich in einem Querschnitt des Kammes +erneut anzusetzen. Der erfahrene Tierkenner hatte richtig berechnet. +Noch keuchte die Brust und zitterten die Glieder von der gewaltigen +Anstrengung, als dasselbe Wildschaf hoch über ihm auf die äußerste +Kante des Felsens trat, um zu sichern. Aber noch ehe es den Jäger +erspähen konnte, hatte ihm dessen sichere Kugel das Herz durchbohrt, +und wie ein schwerer Felsblock stürzte es leblos herab. Staunender +Jubelruf aus zwanzig Kirgisenkehlen hallte im Gebirge wider. Von +allen Seiten sprengten und kletterten Reiter herbei. Vier kräftige +Männer schleppten mühsam die schwere Beute zur Tiefe. Allseitig +beglückwünscht, ritt man heim zu den Jurten. Die Kirgisen rühmten +Brehms Jägergeschick und Treffsicherheit, die Gefährten sein Jagdglück. + +Vor den Jurten wogte es in buntem Durcheinander. Unter lebhaftestem +Gebärdenspiel gaben diejenigen Steppenleute, die dem Schluß der Jagd +beigewohnt hatten, ihren Gefährten Bericht. Brehm war zum Helden des +Tages geworden und hatte selbst den Sänger des Stammes begeistert, +denn der ließ in langem Vorspiel seine einfache Laute erklingen und +hob dann einen Gesang an, in dem er den General und seine Gemahlin und +die übrigen Europäer mit seiner „roten Zunge“ begrüßte und dann des +deutschen Forschers jagdlichen Erfolg verherrlichte. Der Tag wurde zum +Feste. Die Jagdfertigkeit der Kirgisen hatte man zur Genüge kennen +gelernt, ihre Steinadler und Windhunde mit gebührender Teilnahme +betrachtet, den Worten ihres Sängers bewundernd gelauscht. Nunmehr +mußten Ringer und Rennpferde ihre Kräfte üben. Reckenhaft gebaute +Männer stellten sich einander zum Wettkampf; hochedle, wenn auch +nach unseren Begriffen nicht vollendet schöne Pferde, geritten von +sechs- bis achtjährigen Knaben, stürmten in die Steppe hinaus, um im +Wettlauf vierzig Kilometer auf pfadlosem Gelände zurückzulegen. Beide, +Ringkämpfer wie Rennpferde, entzückten durch ihre Leistungen Kirgisen +wie Europäer. Es war wohl einer der stolzesten und schönsten Tage in +Brehms reichem Forscher- und Jägerleben. + +Obwohl die deutsche wissenschaftliche Expedition nach Westsibirien +in ihrem ganzen Verlauf von der russischen Regierung auf das +großzügigste unterstützt und gefördert wurde, hat sie durch eine +Verkettung widriger Umstände ihr eigentliches Endziel doch nicht +erreicht. Man war von Tomsk aus fast 400 geographische Meilen weit +den majestätischen Ob hinuntergefahren, der ein größeres Stromgebiet +umfaßt als alle Ströme Westeuropas zusammengenommen. In einem Tale, +dessen Breite zwischen 10 und 30 Kilometer wechselt, strömt er +dahin, mit unzähligen Armen zahllose Inseln umschließend, oft zu +unabsehbarer seeartiger Fläche sich breitend. Weidenwaldungen in +allen nur erdenklichen Wachstumszuständen decken die ewig durch die +umgestaltenden Fluten bewegten, bald ihnen verfallenen, bald wieder +neu von ihnen aufgebauten Ufer und Inseln. Arm und ärmer wird das +Land, dürftiger und lichter werden die Wälder, unansehnlicher und +armseliger die wenigen Siedlungen, je weiter man stromabwärts kommt. An +die Stelle des Bauern tritt der Fischer und Jäger, an die Stelle des +Viehzüchters der Renntierhirt. An der Schtschutschja wurde die letzte +russische Niederlassung erreicht. Von hier aus sollte es mit Hilfe von +Ostjaken, die in kegelförmigen Hütten aus Birkenrinde (sog. „Tschum“) +hausen, auf Renntierschlitten durch die unendlich vor den Reisenden +sich ausbreitende Tundra weitergehen. Alles hatte Brehm auf Grund +seiner Erfahrungen für diese schwierige Reise aufs beste und bis in die +geringsten Kleinigkeiten hinein vorbereitet, und doch erlag er einem +ebenso unerwarteten wie furchtbaren Gegner, dem er erliegen mußte, weil +er ihn nicht kannte, sich also auch nicht gegen ihn wappnen konnte. + +An der Schtschutschja waren wider alles Erwarten keine Renntiere +aufzutreiben. Es hieß, die Herden ständen neun Tagereisen entfernt auf +bestimmten Weideplätzen im Ural, und so blieb nichts weiter übrig, +als die Reise mit Fußmärschen zu beginnen und alle Beschwerden und +Entbehrungen einer langen Wanderung durch unwegsames, nahrungsloses, +mückenerfülltes, menschenfeindliches und nahezu unbekanntes Gebiet +auf sich zu nehmen. Erst nach langen Beratungen mit den freundlichen, +aber unsäglich schmutzigen Eingeborenen wurden die Reisevorbereitungen +beendigt, sorgfältig die Lasten abgewogen, die jeder auf seinen +Rücken laden sollte; denn drohend stand das Gespenst des Hungers vor +den mutigen Forschern. Unverrichtetersache umkehren wollten sie aber +keinesfalls, obwohl sie wußten, daß nur der Wanderhirt, nicht aber +der Jäger imstande ist, sein Leben in der Tundra zu fristen, obwohl +sie die unsagbaren Mühseligkeiten ahnten, die der pfadlose Weg, die +Wetterwendigkeit des Himmels, die Unwirtlichkeit der Tundra überhaupt +bereiten würden, und die entsetzlichen Qualen, die das unerschöpfliche +Heer blutgieriger Stechmücken mit sich bringt. + +In kurze Pelze gehüllt, keuchend unter der dem Rücken aufgebürdeten +Last, stapften sie, ununterbrochen Tag und Nacht, von den Mücken +gequält und zerstochen, mühselig durch traurige Einöde, alle halbe +Stunden vor Erschöpfung umsinkend und doch der Mücken wegen ohne +Erholung. Unfreundlicher, als es geschah, konnte die Tundra die +deutschen Gelehrten nicht gut empfangen. Unablässig peitschte der +Wind feinen, eiskalten Regen in die Gesichter, und in den durchnäßten +Pelzen mußte man sich auf den wie ein Schwamm mit Feuchtigkeit +vollgesogenen Moosboden niederlegen, ohne ein schützendes Obdach +über, ohne ein wärmendes Feuer neben sich, unablässig gequält von den +entsetzlichen Mückenschwärmen. Man kam aber doch wenigstens vorwärts, +wenn auch nur langsam, und groß war die Freude, als Brehms Fernrohr +eines Tages zwei einsame Tschums erkennen ließ und um sie herum eine +Menge Renntiergestalten. Beglückt eilte man darauf zu; jetzt mußte +ja alle Not ein Ende haben, und eine erfolgreiche Fortsetzung der +Reise erschien gesichert. Aber Entsetzen weitete Brehms Blicke beim +Näherkommen, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war furchtbar und +grauenhaft. Um die ärmlichen Behausungen herum lagen zu Dutzenden +verendete Renns, Hirsche, Tiere und Kälber; andere wanden sich in +den letzten Zuckungen, und auch die noch aufrecht stehenden trugen +schon den Tod im Herzen, wie der weiße, blasige Schleim vor Maul und +Nase deutlich verriet. Kein Zweifel -- hier wütete der Milzbrand, +die fürchterlichste, auch für den Menschen gefährlichste aller +Viehseuchen, ein unerbittlicher, ohne Wahl und Gnade vernichtender +Todesengel, der in Asien ganze Völkerschaften verarmen macht und dessen +verderbenbringendem Würgen der Mensch ohnmächtig gegenübersteht. + +[Illustration: Renntierseuche auf der Tundra Sibiriens + +Nach der Natur gezeichnet von O. Finsch im Jahre 1877] + +Verzweiflungsvoll, wie vor den Kopf geschlagen, irren die ostjakischen +Besitzer der Herde zwischen den sterbenden und verendenden Tieren hin +und her, um in sinnloser Gier so viel zu retten, wie zu retten noch +möglich ist. „Obwohl nicht unkundig der furchtbaren Gefahr, der sie +sich aussetzen, wenn auch nur der geringste Teil eines Blutstropfens, +ein Stäubchen des blasigen Schleimes mit ihrem eigenen Blute sich +mischt, obschon vertraut mit der Tatsache, daß bereits Hunderte ihres +Volkes unter entsetzlichen Schmerzen der unheilvollen Seuche erlagen, +arbeiten sie doch mit allen Kräften, um die vergifteten Tiere zu +entfellen. Ein Beilschlag endet die Qualen der sterbenden Hirsche, ein +Pfeilschuß das Leben der Kälber, und einige Minuten später liegt das +Fell, das noch nach Wochen ansteckend wirken kann, bei den übrigen, +tauchen die blutigen Hände den vom Leibe der Kälber losgelösten Bissen +in das in der Brusthöhle des erlegten Tieres sich sammelnde Blut, +um ihn roh zu verschlingen. Schinderknechten gleichen die Männer, +scheußlichen Hexen die Frauen, im Aase wühlende, blutbeschmierte, +bluttriefende Hyänen sind die einen wie die andern; achtlos des über +ihrem Haupte schwebenden, nicht an einem Roßhaar, sondern an einer +Spinnwebe aufgehängten, toddrohenden Schwertes zerren und wühlen sie +weiter, unterstützt sogar schon durch ihre Kinder, von halberwachsenen +Knaben an bis zu den von Blut triefenden, kaum dem Säuglingsalter +entwachsenen Mädchen herab.“ + +Für fünf der gierigen Schlinger wurde dieses widerwärtige Schwelgen +zur Todesmahlzeit. Entsetzt verließ Brehm mit den Seinen diese Stätte +des Grauens. Einige anscheinend noch gesunde Renntiere nahm man mit. +Aber auch sie trugen schon den Todeskeim in sich und brachen unterwegs +zusammen. Wieder Fußmarsch mit all seinen Beschwerden durch weglosen +Morast bis zum nächsten Weideplatz. Das Gespenst des Hungers bedrohte +die bis zum Tod erschöpften Männer! Regelmäßige oder ausgiebige +Mahlzeiten gab es nicht mehr. Es war schon ein besonderer Glückstag, +wenn es einmal gelang, einen armseligen Regenpfeifer zu erlegen oder +eine Doppelschnepfe oder ein Moorhuhn. Gierig hockten dann die drei +ausgehungerten Deutschen um den Bratspieß herum und verzehrten die +wenigen schmalen Bissen. Endlich wurde der neue Weideplatz erreicht. +Auch hier dasselbe Bild! Auch hier wütete die Seuche! Es half alles +nichts: Brehm mußte sich zur Umkehr entschließen, ohne das ersehnte +Polarmeer erreicht zu haben, wollte er nicht leichtsinnig das Leben +der Gefährten aufs Spiel setzen. In sehr ernster Stimmung und unter +immer fühlbarer werdendem Mangel zog man wieder der Schtschutschja zu. +Unterwegs erlag noch einer der ostjakischen Begleiter, ein besonders +heiterer und williger Bursche, der furchtbaren Seuche und wurde nach +heidnischer Sitte in der weiten Tundra begraben. Brehm hatte einmal +das Glück, eine ganze Familie Wildgänse zu schießen, und an diesem +Tage konnte man sich zum ersten Male wieder satt essen, ohne um den +einzelnen Bissen zu kargen. Alle atmeten erleichtert auf, als sie die +Fluten des Ob wieder erblickten. Es war ihnen, als seien sie der Hölle +entronnen. „Nach der Tundra ziehe ich wenigstens nicht wieder,“ hat +Brehm später freimütig geäußert. + +Im übrigen pflegte er zu sagen, daß die sibirische Reise, die er +mit Vorliebe in seinen herrlichen Vorträgen behandelte, mehr einer +Hetzjagd als einer Forschungsreise geglichen habe. In der Tat, soviel +ihm im Sudan das Fieber zu schaffen machte, soviel auf seinen späteren +Reisen der leidige Zeitmangel. Weder in Spanien noch auf der Donau, +weder in Sibirien noch in Abessinien verblieb ihm genügend Zeit, seine +Beobachtungen in der gewünschten Weise abzuschließen und abzurunden. +Gerade auf Forschungsreisen wird die Zeit zum kostbarsten aller Güter, +Mangel an Zeit aber zum schlimmsten Feinde des sammelnden Forschers. +Mehr als jeder andere Reisende muß er die Stunde, den Augenblick in +seiner Weise wahrnehmen können, ohne sonstwie behindert zu sein. Eine +einmal gebotene Gelegenheit kehrt oft niemals wieder. „Freie Zeit“ +gibt es für den sammelnden oder beobachtenden Forscher nicht, denn die +Zeit ist es, die für ihn das alleinige, allzeit notwendige Mittel zur +Verständigung mit der Natur ist und bleibt. + + + + +Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau + + +Kronprinz Rudolf von Österreich kam an einem schönen Frühlingsabend des +Jahres 1877 von anstrengender Adler- und Geierjagd aus den versumpften +Auenwäldern der Donau beim Draueck zurück. Sein Wagen durchfuhr in +flottem Trabe die kleine Ortschaft Kovil, an deren Landungsstelle ein +schmucker Räderdampfer als gegenwärtiges Standquartier des Erben der +habsburgischen Kaiserkrone vor Anker lag. Zwischen Ort und Strand +zogen sich weite Wiesenflächen hin, die aber seit diesem Morgen +knietief unter Wasser standen. Als der Blick des Kronprinzen beim +Herauskommen aus dem Städtchen auf sie fiel, bog er sich plötzlich +vor Lachen, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Zum Teufel, was +hatte da dieser Tausendsassa von Brehm wieder angestellt! Er hatte ja +ein so unglaubliches Geschick, sich bei der urwüchsigen serbischen +Bevölkerung dieser Gegenden beliebt zu machen, ihr Achtung einzuflößen +und beides dazu zu benutzen, ihre eigenartigen Nationaltänze, Trachten +und Sitten zu studieren. So hatte er schon am Abend vorher auf der +grünen Wiesenfläche vor dem Dampfer einen großen Reigentanz (Kolo) +veranstaltet, und die Jungfrauen des Ortes waren bereitwillig dem +Wunsche des fremden und anscheinend doch sehr vornehmen Reisenden +gefolgt. Heute nun wollte Brehm dies kleine Volksfest wiederholen, aber +die eingetretene Wiesenüberschwemmung verursachte einige Hindernisse. +Brehm thronte deshalb hoch oben auf dem Bugspriet des Dampfers und +leitete von da aus die Unterhaltung, die sich in bis über die Knie +reichendem Wasser abspielte, was aber den Reiz der Sache in den Augen +der Zuschauer nur erhöhte, da die Tänzerinnen gezwungen waren, ihre +bunten Kleider durch entsprechendes Hochraffen vor allzu inniger +Berührung mit dem feuchten Element zu schützen. Einige Mädchen kamen +dann noch auf das Verdeck, um Blumensträuße zu überreichen, und bald +darauf setzte sich der Dampfer unter den Hochrufen der gesamten +Bevölkerung in Bewegung. + +[Illustration: Brehm mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich auf der +Jagd in Kroatien + +Nach einer Originalzeichnung für den „Kosmos“ von W. Planck] + +Wie kam nun aber unser Freund zu so vornehmen Beziehungen, wie gelangte +er hierher in die weltentlegene Einsamkeit der unteren Donau-Auen? +Schon vor Jahr und Tag hatten sich zunächst briefliche Beziehungen +zwischen dem bereits zu europäischer Berühmtheit gelangten Forscher +und dem hochbegabten Kronprinzen angesponnen, der das lebhafteste +Interesse für Vogelkunde zeigte und bald zu einem eifrigen Schüler +des von ihm hoch und aufrichtig verehrten Brehm wurde. Bald ergaben +sich auch persönliche Zusammenkünfte, die im Laufe der Zeit ein wahres +Freundschaftsverhältnis zwischen Thronerbe und Forscher entwickelten. +Es war keineswegs bloße Jagdlust, die den später so unglücklich +endenden Kronprinzen zur Vogelkunde führte, und er beschäftigte sich +keineswegs nur laienhaft oberflächlich mit ihr, sondern er arbeitete +ernsthaft, nachdrücklich und erfolgreich mit an den wissenschaftlichen +Streitfragen. Damals erregte die „Adlerfrage“ die Gemüter und gab +zu erbitterten Fehden Anlaß. Man stritt sich darum, ob Stein- und +Goldadler verschiedene Arten oder nur verschiedene Färbungsphasen +der gleichen Art seien. Der Kronprinz bemühte sich redlich, seinen +Freund aus dem weiten Gebiete der vogelreichen Doppelmonarchie mit +Adlermaterial zu versorgen, und eines Tages überraschte er ihn gar +durch die Frage: + +„Wollen Sie mich zu Adlerjagden nach Südungarn begleiten? Ich habe +bestimmte Nachrichten von vielleicht 20 Adlerhorsten und glaube, daß +wir alle werden lernen können, wenn wir sie besuchen und fleißig +dabei beobachten.“ Zwanzig Adlerhorste! Welche Versuchung für einen +im raubvogelarmen Deutschland wohnenden Vogelforscher! Brehm hätte +ja nicht der Sohn seines Vaters sein dürfen, wenn er nicht freudig +eingeschlagen hätte. Außer ihm nahm auf Einladung des Kronprinzen +noch ein zweiter deutscher Ornithologe an der Fahrt teil, der Baron +Eugen Ferdinand von Homeyer aus Pommern, ferner der dem Kronprinzen +persönlich befreundete Graf Bombelles und Rudolfs Schwager, Prinz +Leopold von Bayern. Dem bekannten Wiener Präparator Hodek nebst Sohn +und Gehilfen war das Geschäft des Abbalgens übertragen. + +Die nur 15tägige Reise, bei der aber jede Minute ausgenützt +wurde, gehört sicherlich zu den glücklichsten und ungetrübtesten +Zeitabschnitten in Brehms vielbewegtem Leben. Kein Mißklang störte sie, +von Anfang bis zu Ende klappte alles tadellos. Das war nun freilich +eine ganz andere Stromfahrt als vor Jahren auf dem Nil in gebrechlicher +Segelbarke mit widerspenstigem nubischem Schiffsvolk. Jetzt war für +das Behagen und die Bequemlichkeit der Forscher in einer geradezu +glänzenden Weise gesorgt. Nachts trug das brave Schiff sie mit der +Geschwindigkeit und Sicherheit der Dampfmaschine dem neuen Tagesziele +zu. Schon im Morgengrauen wurde aufgestanden, rasch gefrühstückt, +die erste Zigarre geraucht und dann an Land gegangen, wo schon Wagen +oder kleine Boote bereitstanden, um die einzelnen Jäger nach den +ihnen zugewiesenen Revierteilen zu bringen. Ortskundige Grünröcke +geleiteten sie dann zu Fuß nach den vom Forstpersonal vorher sorgfältig +ausgekundschafteten Horsten, und nun hieß es, sich in Geduld zu fassen +und Dianas Gunst zu erflehen, um den am Horste an- oder abstreichenden +Adler oder Geier zu Schuß zu bekommen. War ein Horst mit oder ohne +Erfolg erledigt, so befand sich gewöhnlich noch ein zweiter und dritter +in der Nähe, an dem das Weidmannsheil erneut versucht werden konnte. + +Den mächtigen Seeadler, den Brehm von Afrika her nur als räuberischen +Wintergast kannte, durfte er hier an seiner umfangreichen Knüppelburg +belauschen, und den gewaltigen Kuttengeier, den er im Sudan so oft +beim Aase gestreckt hatte, konnte er hier von seiner Kinderwiege +mit sicherer Kugel herabschießen. Besonders anregend war es für +ihn, die zwischen diesem feigen Riesenvogel und dem kleineren, aber +schneidigeren, kräftigeren und gewandteren Steinadler bestehende +Todfeindschaft zu beobachten. Der Haß dieser großen Raubvögel +gegeneinander ist ganz merkwürdig. Kronprinz Rudolf sah sogar einmal, +wie Adler und Geier, in einen einzigen Knäuel verkrallt, sich wütend +im Geierhorste herumwälzten, wobei der Horst wankte, Äste brachen +und Wolken von Staub aufstiegen, bis schließlich der mächtige +Geier herausgeworfen wurde und erschöpft auf einen niedrigeren Ast +heruntertaumelte, wo die Kugel des Prinzen seinem Leben ein Ziel +setzte. Auf diesen Schuß hin stürzte aber aus dem Horste nicht nur der +siegreiche Steinadler hervor, sondern auch das brütende Geierweibchen, +auf dessen breitem Rücken sich also offenbar der ganze erbitterte Kampf +abgespielt hatte! + +[Illustration: Alfred Edmund Brehm + +Nach einer zeitgenössischen Aufnahme] + +Abends kamen alle fünf Jäger aus den verschiedensten Richtungen her +mit ihrer Beute wieder beim Schiff zusammen, wo schon ein reichliches +Abendessen ihrer harrte und beim Becherklang die gegenseitigen +Erfahrungen ausgetauscht wurden. War dann die Verdauungszigarre +auf Deck geraucht, so ging es an die Abfassung der Tagebücher, und +schließlich wollten auch die erlegten Vögel noch näher untersucht und +gemessen sein. Das war namentlich bei den großen Geiern keine ganz +angenehme Arbeit, vor der sich deshalb namentlich Prinz Leopold, der +einzige noch lebende Teilnehmer dieser Frühlingsfahrt auf der Donau, +und Graf Bombelles gern zu drücken suchten. Ohne eine Zigarre im Munde +konnte man sich der unheimlich nach faulenden Kadavern duftenden Beute +wirklich nicht nähern, und der Kronprinz brachte kein geringes Opfer, +wenn er darauf bestand, alle Maße der Tiere ganz genau zusammen mit +Brehm zu nehmen. + +Der letzte Abend an Bord war eine wundervolle Maiennacht. Die Grillen +zirpten laut an den Gestaden des majestätischen Stroms, leise +rauschten die Wellen, und die weite ungarische Ebene dehnte sich in +verschwommenen Umrissen endlos vor den Blicken. Unzählige Sterne +glänzten am Himmel, und die Mondessichel stand klar und silberhell am +Firmamente, sich in den Wellen des Stromes widerspiegelnd. Rudolf und +Brehm blieben diesmal noch lange Stunden auf dem Verdeck, die herrliche +Nacht bewundernd. Sie sprachen von den schönen Erinnerungen dieser +Reise und entwarfen Pläne für neue Forscherfahrten. Die Freundschaft +zwischen beiden ist nie getrübt worden und hielt trotz mancher +Quertreibereien unvermindert bis zu Brehms Tode an, der auch für den +Habsburgersproß zu früh kam. + + + + +Nach Amerika + + +Auch die Neue Welt hat Brehm kennen gelernt, freilich nur flüchtig +und nicht als Forscher in Wasserstiefeln, Jagdjoppe und Lodenhut, +sondern als Vortragsredner in Lackschuhen, Frack und Oberhemd. Er hat +wohl keine seiner Auslandreisen so schweren Herzens angetreten wie +gerade diese, die seine letzte sein sollte. Hatte doch der Würgengel +Diphtheritis in seinem stillen, rosenumhegten Heim in Renthendorf +seinen Einzug gehalten und alle fünf Kinder ergriffen. Eine hohe +Geldstrafe wäre beim Nichteinhalten des Vertrages zu zahlen gewesen, +und der Arzt glaubte die beruhigendsten Versicherungen geben zu dürfen. +In der Tat genasen vier von den Kindern, aber als Brehm seinen Fuß +auf den amerikanischen Boden setzte, traf ihn wie ein Keulenschlag +die niederschmetternde Nachricht, daß sein Liebling, der jüngste +Sohn, das letzte Vermächtnis der unvergeßlichen Lebensgefährtin, der +tückischen Krankheit erlegen sei. Tief erschüttert erledigte er fast +mechanisch die schwere Arbeit von 50 Vorträgen, mit echt amerikanischer +Rücksichtslosigkeit vorwärtsgepeitscht von seinem unbarmherzigen +Manager, bis ihn schließlich im Mississippi-Tale die alte Malaria, +der die seelische Aufregung vorgearbeitet haben mochte, niederwarf. +Als ein an Körper und Seele gebrochener Greis mit grauem Haar und +trübem Blick kehrte er zurück. Schon am 11. November 1884 erlöste +den erst 55jährigen ein Schlaganfall von weiteren Leiden. In seinem +geliebten Renthendorf hat man den Rastlosen an der Seite des Vaters zur +letzten Ruhe bestattet. Der schlichte Grabhügel wölbt sich über einem +Edelmenschen im vornehmsten Sinne des Wortes, über einem Manne, auf den +sein Vaterland mit Recht stolz sein darf. + + + + +Schlußwort + + +Nicht selten kann man die Meinung hören, daß Brehms +Forschungsergebnisse, die ja nun schon 5–8 Jahrzehnte zurückliegen, +heute im Zeitalter des Kraftwagens und des Kurbelkastens längst +überholt und veraltet seien. Freilich braucht heute der Forscher, dem +alle die großartigen Hilfsmittel neuzeitlicher Technik zur Verfügung +stehen, zur Ausführung solcher Reisen, wie Brehm sie machte, höchstens +so viel Monate, vielleicht sogar nur Wochen wie dieser Jahre, und +er bringt nicht nur abgebalgte Tiere, sondern auch mehr oder minder +schöne und ehrliche Filmaufnahmen zurück, die dann im Vortragssaale +wieder lebendig werden. Von solchen Dingen konnte Brehm natürlich noch +keine Ahnung haben, aber dafür verstand er mit Wort und Feder besser +und anschaulicher zu malen als der photographische Apparat mit seinen +lichtempfindlichen Platten. Die mit allen Hilfsmitteln der Gegenwart +ausgerüsteten Expeditionen bringen größere Ausbeuten heim, aber in +einer Beziehung stehen sie doch vielfach hinter den Brehmschen zurück: +in der liebevollen, eingehenden und sorgfältigen Beobachtung der in +fremden Ländern angetroffenen Tierwelt. + +Gewiß sind seit Brehms Zeiten ungeheure Fortschritte auf den +Teilgebieten der Systematik und Tiergeographie, der Anatomie und +Entwicklungsgeschichte erzielt worden, aber wenn wir ehrlich sein +wollen, müssen wir zugeben, daß dies bezüglich der Kunde vom +Tier+leben+ keineswegs der Fall ist, daß wir vielmehr in all den +zwischenliegenden Jahrzehnten über Brehm doch eigentlich herzlich wenig +hinausgekommen sind. Gerade die neueste Zeit hat uns Bücher beschert, +die wunderbar bebildert und unterhaltsam zu lesen sind, aber wenn wir +sie ihres Schmuckes entkleiden und nach den nackten Tatsachen fragen, +so werden wir bald bemerken, daß sie eigentlich nur wenig über Brehm +hinausreichen. + + + + +~KOSMOS~ + +Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart + + +Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der Naturwissenschaften +und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer +Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes zu fördern. +-- Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch Verbreitung guter +naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im + + +~KOSMOS~ + +Handweiser für Naturfreunde + +Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen + +Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im guten +Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. In dem +Vereinsjahr 1929 gelangen zur Ausgabe: + + + +Dr. Kurt Floericke, Tiervater Brehm+ + + +Wilhelm Bölsche, Drachen+ + + +J. Small, Geheimnisse der Botanik+ + + +H. Günther, Strahlenwunder+ + + ++Jedes Bändchen reich illustriert+ + +Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen, +wo auch Beitrittserklärungen entgegengenommen werden. Auch die ++früher+ erschienenen Jahrgänge sind noch erhältlich. + +Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart + + + + +Folgende seit Bestehen des Kosmos erschienene Buchbeilagen + +erhalten Mitglieder, solange vorrätig, zu +Ausnahmepreisen+: + + + =1904= Bölsche, W., Abstammung des Menschen. -- Meyer, Dr. M. W., + Weltuntergang. -- Zell, Ist das Tier unvernünftig? (Dopp.-Bd.). + -- Meyer, Dr. M. W., Weltschöpfung. + + =1905= Bölsche, Stammbaum d. Tiere. -- Francé, Sinnesleben d. + Pflanzen. -- Zell, Tierfabeln. -- Teichmann, Dr. E., Leben u. + Tod. -- Meyer, Dr. M. W., Sonne u. Sterne. + + =1906= Francé, Liebesleben d. Pflanzen. -- Meyer, Rätsel d. Erdpole. + -- Zell, Streifzüge d. d. Tierwelt. -- Bölsche, Im + Steinkohlenwald. -- Ament, Seele d. Kindes. + + =1907= Francé, Streifzüge im Wassertropfen. -- Zell, Dr. Th., + Straußenpolitik. -- Meyer, Dr. M. W., Kometen und Meteore. -- + Teichmann, Fortpflanzung und Zeugung. -- Floericke, Dr. K., Die + Vögel des deutschen Waldes. + + =1908= Meyer, Dr. M. W., Erdbeben und Vulkane. -- Teichmann, Dr. E., + Die Vererbung. -- Sajó, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. -- + Dekker, Naturgeschichte des Kindes. -- Floericke, Dr. K., + Säugetiere des deutschen Waldes. + + =1909= Francé, Bilder aus dem Leben des Waldes. -- Meyer, Dr. M. + W., Der Mond. -- Sajó, Prof. K., Die Honigbiene. -- Floericke, + Kriechtiere und Lurche Deutschlands. -- Bölsche, W., Der Mensch + in der Tertiärzeit. + + =1910= Koelsch, Pflanzen zw. Dorf u. Trift. -- Dekker, Fühlen u. + Hören. -- Meyer, Welt d. Planeten. -- Floericke, Säugetiere + fremd. Länder. -- Weule, Kultur d. Kulturlosen. + + =1911= Koelsch, Durch Heide und Moor. -- Dekker, Sehen, Riechen und + Schmecken. -- -- Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit. -- + Floericke, Vögel fremder Länder. -- Weule, Kulturelemente der + Menschheit. + + =1912= Gibson-Günther, Was ist Elektrizität? -- Dannemann, Wie unser + Weltbild entstand. -- Floericke, Fremde Kriechtiere und Lurche. + -- Weule, Die Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge. -- + Koelsch, Würger im Pflanzenreich. + + =1913= Bölsche, Festländer u. Meere. -- Floericke, Einheimische + Fische. -- Koelsch, Der blühende See. -- Zart, Bausteine des + Weltalls. -- Dekker, Vom siegh. Zellenstaat. + + =1914= Bölsche, W., Tierwanderungen in der Urwelt. -- Floericke, Dr. + Kurt, Meeresfische. -- Lipschütz, Dr. A., Warum wir sterben. -- + Kahn, Dr. Fritz, Die Milchstraße. -- Nagel, Dr. Osk., Romantik + der Chemie. + + =1915= Bölsche, W., Der Mensch der Zukunft. -- Floericke, Dr. + K., Gepanzerte Ritter. -- Weule, Prof. Dr. K., Vom Kerbstock + zum Alphabet. -- Müller, A. L., Gedächtnis und seine Pflege. -- + Besser, H., Raubwild und Dickhäuter. + + =1916= Bölsche, Stammbaum der Insekten. -- Sieberg, Wetterbüchlein. + -- Zell, Pferd als Steppentier. -- Weule, Krieg in den Tiefen + der Menschheit (Dopp.-Bd.). + + =1917= Besser, Natur- u. Jagdstud. i. Deutsch-Ostafrika. -- + Floericke, Dr., Plagegeister. -- Hasterlik, Dr., Speise u. + Trank. -- Bölsche, Schutz- u. Trutzbündnisse i. d. Natur. + + =1918= Bölsche, Sieg des Lebens. -- Fischer-Defoy, Schlafen und + Träumen. -- Kurth, Zwischen Keller u. Dach. -- Hasterlik, Dr., + Von Reiz- u. Rauschmitteln. + + =1919= Bölsche, Eiszeit und Klimawechsel. -- Floericke, Spinnen und + Spinnenleben. -- Zell, Neue Tierbeobachtungen. -- Kahn, Die + Zelle. + + =1920= Fischer-Defoy, Lebensgefahr in Haus u. Hof. -- Francé, Die + Pflanze als Erfinder. -- Floericke, Schnecken und Muscheln. -- + Lämmel, Wege zur Relativitätstheorie. + + =1921= Weule, Naturbeherrschung I. -- Floericke, Gewürm. -- Günther, + Radiotechnik. -- Sanders, Hypnose und Suggestion. + + =1922= Weule, Naturbeherrschung II. -- Francé, Leben im Ackerboden. + -- Floericke, Heuschrecken und Libellen. -- Lotze, Jahreszahlen + der Erdgeschichte. + + =1923= Zell, Rind als Waldtier. -- Floericke, Falterleben. -- Francé, + Entdeckung der Heimat. -- Behm, Kleidung und Gewebe. + + =1924= Floericke, Käfervolk. -- Henseling, Astrologie. -- Bölsche, + Tierseele und Menschenseele. -- Behm, Von der Faser zum Gewand. + + =1925= Lämmel, Sozialphysik. -- Floericke, Wundertiere des Meeres. -- + Henseling, Mars. -- Behm, Kolloidchemie. + + =1926= Francé, Die Harmonie in der Natur. -- Floericke, Zwischen Pol + und Äquator. -- Bölsche, Abstammung d. Kunst. -- Dekker, + Planeten und Menschen. + + =1927= Floericke, Aussterbende Tiere. -- Bölsche, Im Bernsteinwald. + -- Günther, Was ist Magnetismus. -- Lang, Gletschereis. + + =1928= Floericke, Vögel auf der Reise. -- Francé, Urwald. -- Günther, + Eroberung der Tiefe. -- Venzmer, Geißeln der Tropen. + + * * * * * + + =Preise=: Einzeln bezogen kostet jeder Band brosch. RM 1.--, gebd. RM + 1.70 Für Nichtmitglieder des Kosmos RM 1.25, gebd. RM 2.-- + + + Besondere Preise + bei Gruppenbezug + + 10 Bände geb. nur RM 14.50, brosch. nur RM 9.-- + 20 Bände geb. nur RM 27.--, brosch. nur RM 16.50 + 50 Bände geb. nur RM 62.--, brosch. nur RM 37.50 + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77002 *** diff --git a/77002-h/77002-h.htm b/77002-h/77002-h.htm new file mode 100644 index 0000000..11c477f --- /dev/null +++ b/77002-h/77002-h.htm @@ -0,0 +1,3542 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Tiervater Brehm | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; +} + +div.eng { + width: 70%; + margin: auto 15%;} +.x-ebookmaker div.eng { + width: 90%; + margin: auto 5%;} + +h1,h2,h3,h4,h5,h6 { + text-align: center; /* all headings centered */ + clear: both; + font-weight: normal;} + +h1,.s1 {font-size: 275%;} +h2,.s2 {font-size: 175%;} +h3,.s3 {font-size: 125%;} +h4,.s4 {font-size: 110%;} +h5,.s5 {font-size: 90%;} +h6,.s6 {font-size: 70%;} + +p { + margin-top: .51em; 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Offensichtliche +Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute +nicht mehr verwendete Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original +unverändert; fremdsprachliche Ausdrücke wurden nicht korrigiert.</p> + +<p class="p0">Fußnoten erscheinen am Ende des jeweiligen Absatzes. Die +Buchanzeigen wurden der Übersichtlichkeit halber zusammen am Schluss +des Buchtexts dargestellt.</p> + +<p class="p0">Das Original wurde in Frakturschrift gedruckt. Passagen in +<span class="antiqua">Antiquaschrift</span> werden in der vorliegenden Ausgabe +kursiv dargestellt. <span class="nohtml">Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten +Schriftart können die im Original <em class="gesperrt">gesperrt</em> +gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl +serifenlos als auch gesperrt erscheinen.</span></p> + +</div> + +<figure class="figcenter illowe32 x-ebookmaker-drop" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> + <figcaption> + <span class="u">Original-Umschlagbild</span> + </figcaption> +</figure> + +<div class="eng"> + +<p class="s2 center mtop3 break-before">KOSMOS-BÄNDCHEN</p> + +<p class="s2 center padtop5">TIERVATER BREHM</p> + +<p class="s5 center mbot3"><span class="mright7_5">114</span> <span class="mleft7_5">○</span></p> + +<h1 class="break-before mtop3">Tiervater Brehm</h1> + +<p class="s2 center">Seine Forschungsreisen / Ein Gedenkblatt zum 100. +Geburtstag</p> + +<p class="center mtop3">Von</p> + +<p class="s3 center mtop1 mbot3">Dr. Kurt Floericke</p> + +<p class="center">Mit einem farbigen Umschlagbild von Prof. A. Wagner, einer +Zeichnung von W. Planck, 2 Karten und 12 Abbildungen nach zeitgenössischen +Bildern oder photographischen Aufnahmen der Gegenwart</p> + +<figure class="figcenter illowe5 padtop5" id="signet"> + <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="Signet der Kosmos-Gesellschaft + für Naturfreunde"> +</figure> + +<hr class="full"> + +<p class="s4 center mbot3">Stuttgart<br> +<span class="s4">Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde</span><br> +Geschäftsstelle: Franckh’sche Verlagshandlung</p> + +<p class="s5 center mtop3 break-before"> Nachdruck verboten +/ Alle Rechte, auch das Übersetzungsrecht, vorbehalten <span class="antiqua">Copyright +1929 by Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart</span> / Printed in Germany / Druck von Holzinger & Co., +Stuttgart</p> + +</div> + +<div class="chapter"> + <h2 class="nobreak" id="Inhalt">Inhalt</h2> +</div> + +<table class="toc"> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Brehms Lebenslauf</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Brehms_Lebenslauf">5</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Im Renthendorfer Pfarrhaus</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Im_Renthendorfer_Pfarrhaus">9</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Nilfahrten</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Nilfahrten">15</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Durch Steppe, Wüste und Urwald</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Durch_Steppe_Wueste_und_Urwald">23</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Kairo und Chartum</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Kairo_und_Chartum">32</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">In Spanien</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#In_Spanien">50</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Nordlandfahrt</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Nordlandfahrt">53</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Mit dem Herzog von Koburg in Abessinien</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Mit_dem_Herzog_von_Koburg_in_Abessinien">59</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">In Westsibirien</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#In_Westsibirien">66</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Mit_dem_Kronprinzen_Rudolf_auf_der_unteren_Donau">73</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Nach Amerika</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Nach_Amerika">78</a></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="vat"> + <div class="left">Schlußwort</div> + </td> + <td class="vab"> + <div class="right"><a href="#Schlusswort">79</a></div> + </td> + </tr> +</table> + +<div class="eng s5"> + +<p class="mtop3">Das Umschlagbild nach einer Zeichnung von Professor A. Wagner, +Kassel, stellt eine Szene am Nil dar: Brehm hat einen Seeadler +geschossen, der Vogel fällt in den Strom, Brehm will ihn im Jagdeifer +aus dem Wasser herausholen. Sein Diener warnt vor den Krokodilen. +Brehm achtet zunächst nicht auf die Warnung, muß aber im letzten +Augenblicke umkehren, denn ein großes Krokodil stürzt sich auf die +Jagdbeute.</p> + +</div> + +<div class="chapter"> + +<p><span class="pagenum" id="Page_5">[S. 5]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Brehms_Lebenslauf">Brehms Lebenslauf</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">A</span>lfred Edmund Brehm wurde am 2. Februar 1829 in dem ostthüringischen +Pfarrhause Renthendorf (Sachsen-Altenburg) geboren⁠<a id="FNanchor_1_1" href="#Footnote_1_1" class="fnanchor">[1]</a>. In voller +Freiheit, inmitten der thüringischen Wälder aufwachsend, erhielt er +dort die denkbar beste Erziehung zum künftigen Naturforscher, denn +sein Vater war einer der bedeutendsten Vogelforscher seiner Zeit. Mit +einem geradezu fabelhaften Scharfblick für die feinsten Unterschiede in +Gestalt und Gefieder der Vögel begabt, kann er in gewissem Sinne als +ein Vorläufer Darwins und der heutigen Formenkreislehre angesprochen +werden. Von seiner Mutter, Bertha Reiz, erbte Alfred das ausgesprochene +Feingefühl für die Schönheiten einer reinen deutschen Sprache, und +nicht zuletzt besteht darin der große Einfluß, den er durch seine +Schriften auf weiteste Kreise des Volkes gewonnen hat. Brehm war nicht +nur ein ausgezeichneter Naturschilderer, sondern zugleich ein Klassiker +der deutschen Prosa, der ein fast fremdwortfreies Deutsch schrieb (für +einen damaligen Gelehrten etwas Unerhörtes!) und es großartig verstand, +prachtvolle Sätze zu bauen, ohne doch jemals in Schwülstigkeiten oder +lateinischen Periodenbau zu verfallen.</p> + +<div class="footnotes"> + +<div class="footnote"><p><a id="Footnote_1_1" href="#FNanchor_1_1" class="label">[1]</a> Im „Tierleben“ ist irrtümlich Sachsen-Weimar als Brehms +Heimat angegeben.</p></div> + +</div> + +<p>Bestimmend für seinen Lebenslauf wurde der Umstand, daß sich ihm schon +im 18. Lebensjahre Gelegenheit bot, eine große Forschungsreise nach +dem Sudan, einem damals noch fast unbekannten Land, mitzumachen. Sie +gestaltete sich ungemein abenteuerlich und hielt den jungen Forscher +unter den größten Entbehrungen volle fünf Jahre im Schwarzen Erdteil +zurück. Nach seiner endlichen Heimkehr konnte von einer Fortsetzung +der vorher begonnenen Architektenlaufbahn natürlich keine Rede mehr +sein, sondern er studierte in Jena, wo er seiner ausländischen +Tiere wegen unter dem Spitznamen „Pharao“ bekannt war, und in Wien +Naturwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Tierkunde. +Nach Abschluß der Hochschulbildung konnte er an die Gründung eines +eigenen Heims denken, übernahm eine Lehrerstelle für Naturgeschichte +und Geographie an der höheren Töchterschule in Leipzig und führte seine +längst still geliebte Base Mathilde Reiz aus Greiz zum Altar. Sie war +für ihn geradezu die gegebene Gattin, und er hätte keine bessere Wahl +treffen können. <span class="pagenum" id="Page_6">[S. 6]</span>Eifersüchtiger auf die Wahrung seines Ruhmes bedacht +als er selbst, bemühte sie sich, ihm ein heiteres und gemütliches Heim +zu schaffen und alle unangenehmen Störungen von ihm fernzuhalten, um +ihm so ein von äußeren Einflüssen unabhängiges Arbeiten zu ermöglichen. +Die kleine behende Frau brachte ihn sogar manchmal dazu, die geliebte +Jagdjoppe auszuziehen und in den verhaßten Frack zu schlüpfen, freilich +nie dazu, einflußreichen Leuten schön zu tun und zu schmeicheln. Brehm +ist vielmehr sein ganzes Leben hindurch ein frühzeitig selbstbewußter +und unbeugsamer Charakter geblieben, was im äußeren Leben zu manchen +Reibungen führte. Aus der Ehe ging ein Sohn, Horst, hervor, der +Arzt wurde und sich nebenbei zu einem angesehenen Fachmann auf dem +Gebiete der Fischkunde und Fischzucht entwickelte. Er ist schon im +besten Mannesalter verstorben, aber sein Sohn Oskar schien die volle +schriftstellerische und naturforscherische Begabung des Großvaters +geerbt zu haben. Leider ist er dem Weltkrieg zum Opfer gefallen und +damit die berühmte Gelehrtenfamilie Brehm, wie so viele andere, im +männlichen Geschlecht ausgestorben. Zwei Töchter Alfred Brehms leben +dagegen noch heute in dem bescheidenen Landhaus in Renthendorf, das ihr +Vater sich neben dem alten Pfarrhaus erbaut hatte, als seine äußeren +Lebensumstände sich günstiger gestalteten. Das Familienleben dieses +Hauses war das denkbar schönste und glücklichste und erhielt erst +einen Riß nach dem Heimgange der Mutter bei der Geburt ihres jüngsten +Kindes. Wie mir Frl. Thekla Brehm schrieb, hielt der Vater streng +darauf, daß seine Kinder von seinem Ruhm möglichst wenig erfuhren. Sie +hatten tatsächlich kaum eine Ahnung davon. Tagsüber kam der Vater nicht +vom Schreibtisch fort, und abends las er in seinen Klassikern. Seine +Erholungsstunden füllte er mit Blumen- und namentlich mit Rosenzucht +aus, während er sonst für Botanik eigentlich auffällig wenig Sinn +hatte, ebenso für die niederen Tiere. Sein ganzes Herz gehörte den +Wirbeltieren, in erster Linie den Vögeln und Säugern.</p> + +<p>Brehms Bleiben in Leipzig währte nicht lange, aber man könnte +noch heute seine Schülerinnen um den Unterricht beneiden, den sie +genossen haben und der gewiß himmelweit abwich von dem, wie er +sonst damals üblich war. Wichtige Verbindungen, die für Brehms +ganzes Leben maßgebend wurden, sind aber während dieses Leipziger +Aufenthaltes geknüpft worden, so mit Roßmäßler, der damals dem Gedanken +volkstümlicher Naturbeschreibung siegreich Bahn brach und mit Brehm +zusammen die „Tiere des Waldes“ herausgab, und <span class="pagenum" id="Page_7">[S. 7]</span>namentlich mit Ernst +Keil, dem weitsichtigen und großzügigen Verleger der „Gartenlaube“, +die sich nicht zuletzt durch Brehms Mitarbeiterschaft zum führenden +deutschen Familienblatte emporschwang. Viele der besten und schönsten +Aufsätze Brehms sind ja in der „Gartenlaube“ erschienen. Um dem +geschätzten Forscher und Mitarbeiter nach seiner Tropenreise auch +einen Einblick in die nordische Vogelwelt zu geben, schickte ihn Keil +auf seine Kosten nach Skandinavien und Lappland. Schon 1862 bot sich +Gelegenheit zu einer zweiten Tropenreise, als Herzog Ernst II. von +Sachsen-Koburg-Gotha Brehm zur Leitung einer Reise nach Abessinien +mit zahlreichem Gefolge aufforderte. Brehm hätte nicht Brehm sein +müssen, wenn er nicht mit Freuden zugesagt hätte. Es muß jedoch betont +werden, daß es sich bei dieser und den späteren Reisen nicht etwa um +bloße Jagdreisen handelte, mit dem Ziele, möglichst viele Trophäen +einzuheimsen, sondern daß der Hauptzweck ein wissenschaftlicher war +und der Herzog infolgedessen, ebenso wie später Kronprinz Rudolf +von Österreich, von einem ganzen Stabe von Gelehrten, Künstlern und +Präparatoren begleitet war. Für eine bloße Jagdreise wäre Brehm nicht +zu haben gewesen. Leider hatte er gerade bei der Abessinienreise, +ebenso wie früher im Sudan, schwer unter Malaria zu leiden und wurde +dadurch sehr in seiner Tätigkeit behindert. Mit Kronprinz Rudolf +verband ihn ein wahrer Freundschaftsbund, und Brehm, der in Österreich +geadelt wurde, aber niemals davon Gebrauch gemacht hat, ging in seiner +Jagdjoppe auf dem Hradschin in Prag und auf der Königsburg in Ofen +unangemeldet ein und aus. Gemeinsam mit Rudolf unternahm er eine kurze, +aber ergebnisreiche Forschungsreise nach der unteren Donau, und zwei +Jahre später eine ebensolche nach Spanien. Vorausgegangen war 1877 eine +Reise nach dem südwestlichen Sibirien, die zwar ihr Ziel nicht völlig +erreichte, aber doch in bezug auf Tier- und Völkerkunde reiche Früchte +trug.</p> + +<p>Zwischen diesen verschiedenen Forschungsreisen liegt Brehms Tätigkeit +als Tiergärtner. Schon 1863 war aus Hamburg ein verlockender Ruf zur +Leitung des dortigen, sehr heruntergewirtschafteten Tiergartens an +ihn ergangen; er hatte begeistert angenommen und in wenigen Jahren +Großartiges geleistet. Aber mit dem vielköpfigen und engherzigen +Aufsichtsrat, der für Brehms ideale Bestrebungen wenig Verständnis +hatte, konnte er sich nicht befreunden und legte deshalb schon nach +wenigen Jahren das Amt nieder. Trotz dieser bitteren Erfahrung begab er +sich gleich darauf in ein ähnliches Joch, <span class="pagenum" id="Page_8">[S. 8]</span>diesmal nach Berlin, wo nach +seinen Plänen das Aquarium „Unter den Linden“, eine für die damalige +Zeit einzig dastehende Schöpfung, errichtet wurde. Es ist fabelhaft, +was Brehm hier nach jeder Richtung hin geschaffen hat. Aber trotzdem +wiederholte sich die Tragödie von Hamburg. Seitdem lebte er als freier +Schriftsteller, der im Sommer an seinen Werken arbeitete und im Winter +seine berühmten Vorträge hielt.</p> + +<p>Von seinen Werken seien noch besonders „Das Leben der Vögel“, das er +selbst für sein bestes Buch hielt, und zwei Bände „Gefangene Vögel“ +erwähnt. Sein eigentliches Lebenswerk ist aber das „Illustrierte +Tierleben“, das 1863 in erster Auflage zu erscheinen begann, ein Werk, +um das uns alle Völker beneiden, denn es ist einzig in seiner Art. +Es hat die Tierkunde, die bis dahin ausschließlich von nüchternen +Fachgelehrten in der trockensten und langweiligsten Weise behandelt +wurde, mit einem Schlage volkstümlich gemacht und dem deutschen Volk +die altgermanische Liebe zum Tier neu erweckt. Mit diesen umfangreichen +Bänden wurde zum erstenmal die Tierbiologie der Systematik und Anatomie +ebenbürtig, und wenn heute gerade die Kunde vom <em class="gesperrt">lebenden</em> Tier +eine hervorragende Rolle spielt, so ist das zweifellos in erster Linie +auf Brehms unsterbliches Werk zurückzuführen.</p> + +<p>Brehm, der nur 55 Jahre alt geworden ist, war in den Jahren seiner +Blüte eine männlich schöne, schlanke und doch kraftvoll gewachsene +Erscheinung. Die hohe, breite Stirn, die stark entwickelte Adlernase, +der starke Vollbart und das reiche, zurückgestrichene Haupthaar gaben +seiner Erscheinung etwas Apostelartiges, und ein Apostel der Tierkunde +ist er ja auch gewesen. Sein Charakter war von männlicher Festigkeit, +die bisweilen bis zur Schroffheit gesteigert werden konnte, aber +trotzdem liebenswürdig, den Freunden gegenüber stets hilfsbereit und +von unerschütterlicher Treue. Ein gewisses Selbstbewußtsein vereinigte +sich mit größter Anspruchslosigkeit und Bescheidenheit.</p> + +<div class="chapter"> + +<p><span class="pagenum" id="Page_9">[S. 9]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Im_Renthendorfer_Pfarrhaus">Im Renthendorfer Pfarrhaus</h2> + +</div> + +<p>„<span class="initial">A</span>lfred, nun hole uns doch auch noch den Kasten mit den gelben +Bachstelzen her! Die muß der Herr Baron sich unbedingt noch recht +genau ansehen, denn gerade mit diesen Vögeln wird er sicherlich am Nil +vielfach zusammentreffen.“</p> + +<p>Der so sprach, war seit dem Kriegsjahre 1813 wohlbestallter Pfarrherr +in dem ostthüringischen Dörfchen Renthendorf: Christian Ludwig Brehm +(1787–1864), eine hohe Gestalt mit verwitterten Gesichtszügen, etwas zu +lang und dick geratener Nase. Scharf, aber unendlich gutmütig blickten +die Augen. Das schwarzsamtene Hauskäppchen, das er immer trug, verlieh +ihm etwas Patriarchalisches. Sein wesentlich jüngerer Besucher war +der schwäbische Baron Joh. Wilh. Müller, der sich bereits durch eine +Afrikareise in der wissenschaftlichen Welt einen guten Namen verschafft +hatte und nun wieder nach dem schwarzen Erdteil gehen und dabei der +Vogelwelt besondere Aufmerksamkeit schenken wollte. Bei wem aber hätte +er sich dazu über vogelkundliche Fragen bessere Auskunft holen können +als bei dem „alten Brehm“, wie der Renthendorfer Pfarrherr schon +damals allgemein hieß. War dieser doch neben Joh. Friedr. Naumann der +bedeutendste Vogelforscher seiner Zeit und deshalb das weltentlegene +thüringische Pfarrhaus ein wahres Mekka der Ornithologen, das fast +niemals von Gästen leer wurde. Die große und nach ganz neuartigen +Gesichtspunkten angelegte Vogelbalgsammlung des Hausherrn gab dann +stets unerschöpflichen Stoff zu gelehrten Untersuchungen, endlosen +Gesprächen und oft hitzigem Austausch der verschiedensten Ansichten.</p> + +<p>Alfred, der sich seit seiner Konfirmation (1843) im nahen Altenburg +der Architektenlaufbahn widmete, war damals im zeitigen Frühjahr 1847 +ein kaum 18jähriger Jüngling, prächtig gewachsen, mit hellen Augen +und gesund gebräunten Gesichtszügen. Als wissenschaftlicher Gehilfe +des vogelkundigen Vaters wußte er in der Sammlung natürlich gründlich +Bescheid. So sehr sie auch in den beschränkten Räumlichkeiten verkramt +und verzettelt war, hatte er doch alsbald mit sicherem Griff den +Kasten mit den Viehstelzen herausgefunden, brachte ihn angeschleppt +und stellte ihn auf den Tisch, erst andere, dort schon ausgebreitete +Vogelbälge beiseite schiebend. In langen Reihen lagen die schlanken, +spitzköpfigen und langschwänzigen, auf der Bauchseite leuchtend gelb +gefärbten Vögel da. „Nun sehen Sie doch einmal, Herr Baron, diese +gewaltigen Verschiedenheiten“, ergriff <span class="pagenum" id="Page_10">[S. 10]</span>mit dröhnender Stimme der +Hausherr eifrig das Wort. „Wer nicht ganz mit Blindheit geschlagen ist, +muß sie doch auf den ersten Blick sehen, und ich begreife nicht, daß +es immer noch Ornithologen gibt, die diese Unterschiede ganz leugnen +oder sie nur für solche nach Geschlecht und Jahreszeiten halten. Darum +handelt es sich aber keineswegs, sondern um abweichende geographische +Formen, also um das, was ich ›Subspezies‹ nenne. Hier sehen Sie z. B. +eine ganze Reihe Schafstelzen, die im Gegensatz zu den anderen eine +weiße Kehle haben. Das sind Südeuropäer; ich bekam sie aus Italien. Die +nächste Reihe hat nicht, wie gewöhnlich, aschgraue Ohrdecken, sondern +schieferschwarze. Sie sind zwar in Deutschland erlegt, aber trotzdem +auf gar keinen Fall deutsche Brutvögel, sondern Nordländer, die uns +nur auf dem Durchzuge besuchen. Sehen Sie nur einmal die Begleitzettel +näher an. Immer werden Sie finden, daß das Erlegungsdatum mit der +Zugzeit dieser schönen Vögel zusammenfällt. Und dann drehen Sie die +Bälge einmal um und achten Sie auf das Vorhandensein oder Fehlen +des Augenbrauenstreifens oder auf die ganz verschiedene Färbung des +Oberkopfes.“ — „Hier haben wir“, wagte Alfred einzuwerfen, „sogar +einige Stücke mit glänzend schwarzem Oberkopf, die wir neulich durch +Professor Naumann von den anhaltinischen Besitzungen in Südrußland +erhalten haben.“</p> + +<p>Interessiert vertiefte sich der Gast in die nähere Betrachtung der +sauber hergerichteten und mit peinlichster Genauigkeit etikettierten +Bälge. „In der Tat“, meinte er dann, „sind die Unterschiede zwischen +den Viehstelzen verschiedener Herkunft viel größer und auffälliger, +als ich sie mir nach den bloßen Beschreibungen gedacht habe.“ — „Also +achten Sie unbedingt in den Nilländern ja recht genau gerade auf diese +Vogelgruppe“, rief der Hausherr. „Ich möchte wetten, daß dort im Winter +auch alle möglichen östlichen Formen vorkommen. An ihrem Federkleid +können Sie dann ganz genau feststellen, wo die einzelnen Stücke ihre +Brutheimat haben. Bedenken Sie doch nur, welch ungeahntes Licht dadurch +auf das große Rätsel des Vogelzuges fallen würde!“ — „Gewiß, Herr +Pastor, Sie haben sicherlich vollkommen recht, und ich würde herzlich +gerne Ihrem Rate folgen. Als verantwortlicher Expeditionsleiter ist +man aber nach nur allzuviel Richtungen hin in Anspruch genommen und +darf sich nicht zu sehr zersplittern. Auch gestehe ich offen, daß mich +als leidenschaftlichen Weidmann die Jagd auf afrikanisches Großwild +natürlich doch mehr reizt als die auf kleine Singvögel. Es fehlt auch +oft an Zeit und <span class="pagenum" id="Page_11">[S. 11]</span>Muße zum Präparieren, zumal in der Gluthitze der +Nilländer die erlegten Vögel sehr rasch in Verwesung übergehen. Aus +allen diesen Gründen sollte ich noch einen Reisegefährten mithaben, +einen tüchtigen jungen Ornithologen, der körperlich den Anstrengungen +einer solchen Reise gewachsen ist und geistig hoch genug steht, um mir +nicht nur Reisegefährte, sondern auch Freund zu sein. Es wird ja nicht +leicht sein, den richtigen Mann zu finden, aber vielleicht könnten Sie +mir bei Ihren ausgedehnten Verbindungen zu einer wirklich geeigneten +Persönlichkeit verhelfen.“ Der Blick des Barons streifte in diesem +Augenblick lauernd und prüfend die sehnige, kraftvolle Gestalt des +jungen Brehm, aber der Vater schien es nicht zu bemerken. „Ich werde +über die Sache nachdenken“, meinte er kurz und kam dann gleich wieder +auf seine geliebten Vogelbälge zurück.</p> + +<figure class="figcenter illowe40" id="illu_011"> + <img class="w100" src="images/illu_011.jpg" alt=""> + <figcaption> + Christian Ludwig Brehm (1787–1864), der Vater des + Tierforschers, Pfarrer in Renthendorf<br> + Nach einem alten Holzschnitt + </figcaption> +</figure> + +<p>Schon mehrmals war Thekla, die blühend schöne Tochter des Hauses, in +der Türe erschienen und hatte dringend zum Essen gebeten, aber ihr +Vater meinte nur unwirsch, essen könne der Baron daheim im schönen +Land der „Spätzleschwaben“ genug, hier bei ihm aber müsse <span class="pagenum" id="Page_12">[S. 12]</span>er alle +verfügbare Zeit der Vogelkunde widmen. Endlich ließ er sich doch +bewegen, auch das leibliche Wohl seines Gastes zu berücksichtigen. +Bei Tisch erzählte der Baron viel und anschaulich von seiner großen +Afrikareise. Mit geröteten Wangen und leuchtenden Augen trank +ihm Alfred sozusagen jedes Wort von den Lippen. Seine lebhafte +Einbildungskraft schaute mit durstigen Augen die öden Wüsten und die +weiten Steppen, die vogelreichen Urwälder und die fieberschwangeren +Sümpfe des schwarzen Erdteils, spiegelte ihm in leuchtenden Farben ein +freies Forscher- und Jägerleben vor. Er mußte sich gleich nach der +Mahlzeit verabschieden, um in achtstündigem Fußmarsch Altenburg zu +erreichen, wo er bei einer Baufirma untergebracht war und am nächsten +Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen hatte. „O Vater,“ flüsterte er +diesem beim Abschied zu, „wenn doch der Baron mich mitnehmen wollte! +Ich ginge gleich und wäre der glücklichste Mensch unter der Sonne.“</p> + +<p>„Also acht Stunden hat Ihr Alfred zu laufen und muß doch morgen früh +im Büro frisch sein,“ begann der Baron, als er mit dem alten Brehm +wieder bei den Vogelbälgen saß, „wirklich eine tüchtige Leistung!“ — +„Oh, das macht dem Jungen nichts aus,“ erwiderte der Pfarrer, „daran +ist er gewöhnt. Ich habe meine Kinder frank und frei aufwachsen und +sie sich tüchtig in unseren schönen Wäldern tummeln lassen. Dadurch +sind sie kerngesund geblieben und frühzeitig abgehärtet worden. +Namentlich Alfred war schon von Kindesbeinen an mein unzertrennlicher +Begleiter auf tagelangen ornithologischen Ausflügen, auf denen es wenig +zu beißen und viel zu laufen gab. Wie glücklich war er, wenn er nur +meine Jagdtasche tragen durfte, und nie werde ich die selige Freude +vergessen, die er empfand, als ich ihm zu seinem 8. Geburtstage eine +kleine Vogelflinte schenkte. Er hat sich bald zu einem treffsicheren +Schützen ausgebildet, und meine Sammlung verdankt ihm manches schöne, +wertvolle Stück.“ — „Ich war höchst erstaunt“, fügte der Baron +ein, „über die verblüffende Fachkenntnis eines so jungen, kaum dem +Knabenalter entwachsenen Mannes.“ „Ja, er ist mein ganzer Stolz,“ +sagte der Pfarrer einfach, „und ich glaube selbst, daß das Zeug zu +einem tüchtigen Naturforscher in ihm steckt. Alle in unserer Gegend +vorkommenden Vögel kennt er heute schon nach Erscheinung, Aufenthalt +und Lebensgewohnheiten ebenso gut wie ich selbst; kein Vogelnest +entgeht seinem scharfen Auge, kein Lockton seinem wunderbar geschulten +Ohr.“ — „Aber, Herr Pfarrer, das ist ja gerade der Mann, den ich +<span class="pagenum" id="Page_13">[S. 13]</span>für meine neue Reise so sehr suche und brauche! Geben Sie mir Ihren +Alfred mit, und ich will ihn halten wie meinen eigenen Bruder!“ — +„Na, der Alfred selber wäre wohl gerne damit einverstanden; er hat +schon vorhin so etwas verlauten lassen, denn Sie haben ihm mit Ihren +afrikanischen Reiseschilderungen den Mund gehörig wässerig gemacht. Ich +wette, er träumt morgen schon über seinem Reißbrett von den wildesten +afrikanischen Jagdabenteuern und zerbricht sich den Kopf darüber, +welche Vogelarten wohl an dem großen Märchenstrome Nil vorkommen +könnten. Aber, Herr Baron, im Ernste gesprochen, der Bursche ist doch +für ein solches Unternehmen noch gar zu jung, denn er hat ja erst +vor wenigen Wochen sein 17. Lebensjahr vollendet. Außerdem würde +er durch eine solche Reise doch gar zu sehr aus seiner beruflichen +Laufbahn herausgerissen werden und womöglich gar den Geschmack an ihr +verlieren. Es ist ja jammerschade, daß ich ihn nicht zum Studium der +Naturwissenschaften nach Jena schicken konnte. Aber dort studiert schon +mein älterer Sohn Reinhold Medizin, und für zwei studierende Söhne +reicht das knappe Einkommen eines simplen Dorfgeistlichen nun einmal +nicht aus. So mußte ich eben Alfred beim Baufach unterbringen, damit er +früher ins Brot kommt.“ — „Aber der Bursche ist ja doch der geborene +Naturforscher und wird sich deshalb auch nur als Naturforscher wahrhaft +glücklich fühlen. Also lassen Sie ihn ruhig mit mir nach Afrika gehen! +Nach der Heimkehr wird man dann schon sehen, nach welcher Richtung sein +Lebensschifflein weiter steuern wird. Ich meine, es kann doch wohl +keinem jungen Manne etwas schaden, wenn er sich den Wind tüchtig um +die Nase wehen läßt und ein gutes Stück von der Welt zu sehen bekommt, +noch ehe er sich für einen bestimmten Beruf entscheidet. Er ist ja auch +weit über seine Jahre gereift, würde also nicht wie ein dummer Junge +ins schwärzeste Afrika hineintappen, sondern von vornherein nach einem +ganz bestimmten wissenschaftlichen Plane arbeiten.“ — „Das würde er +allerdings sicherlich, und ich glaube, auch in jeder anderen Beziehung +könnten Sie sich voll und ganz auf meinen Alfred verlassen. Aber was +würde meine Frau zu der Sache sagen? Es würde ihr doch ungeheuer schwer +fallen, ihren Liebling in so weiter Ferne einem ungewissen Schicksale +und tausenderlei Gefahren preisgegeben zu wissen.“ — „Nun, Herr +Pfarrer, wir stehen alle in Gottes Hand, und überflüssige Gefahren +will ich nicht aufsuchen. Das verspreche ich Ihnen. Die größte und +unvermeidlichste Gefahr im Sudan ist wohl das klimatische Fieber, aber +gerade ein so jugendfrischer Körper wie der Ihres Sohnes wird <span class="pagenum" id="Page_14">[S. 14]</span>ihm +am ehesten gewachsen sein. Und dann bedenken Sie den großartigen und +wissenschaftlich unendlich wertvollen Zuwachs, den Sie durch Alfreds +Mitkommen für Ihre Sammlungen zu erwarten hätten.“</p> + +<p>Damit hatte der Baron den schwachen Punkt des alten Brehm getroffen, +denn über seine Vogelbalgsammlung ging ihm nichts. „Das ist allerdings +wahr,“ rief er ganz begeistert aus, „denn keiner weiß mit solchem +Verständnis für mich zu sammeln, keiner kennt so genau das Material +und die Grundlagen, die mir für meine wissenschaftlichen Arbeiten +nötig sind, wie mein Alfred. Ich sammle ja nicht blindlings drauf +los und suche nicht aus bloßer Raffgier Tausende von Vogelbälgen +zu ergattern, sondern ich will von jeder paläarktischen Vogelart +sämtliche Federkleider zusammenbringen, die ja oft nach Geschlecht, +Alter und Jahreszeit sehr verschieden sind und überdies Stücke oder +womöglich gepaarte Pärchen aus den verschiedensten Ländern ihres +Verbreitungsgebietes, um so über die geographische Abänderung der Art +Klarheit zu gewinnen. Die Art ist ja nicht ein so festumrissener und +starrer Begriff, wie der große Linné glaubte. Ich weiß, daß viele +Zeitgenossen mich wegen meiner vielen Subspezies auslachen, aber ich +weiß auch, daß später einmal eine Zeit kommt, die mir Recht geben wird.“</p> + +<p>Ein Wort gab das andere. Die Dämmerung senkte sich hernieder. Und +in dieser Stunde wurde über die Lebensbahn Alfred Edmund Brehms +entschieden. Die nächsten Wochen verstrichen unter allerlei +Reisevorbereitungen. Am 6. Juli 1847 trat Baron Müller von Triest +aus mit seinem jungen Gefährten hoffnungsfroh die Ausreise an. Damit +begann für Alfred Brehm ein neuer und wohl der abenteuerlichste +Abschnitt seines Lebens. Der Abschied von Renthendorf, von Eltern und +Geschwistern mag dem Jüngling schwer genug geworden sein, und der Vater +hätte seine Erlaubnis sicher noch zurückgezogen, wenn er hätte ahnen +können, daß der schwarze Erdteil seinen Liebling unter unsäglichen +Strapazen und Entbehrungen fünf volle Jahre zurückhalten und überdies +noch das Leben eines zweiten Sohnes fordern würde.</p> + +<p>So war der alte Brehm, von dem später der Sohn schrieb: „Das Studium +der Natur war ihm Gottesdienst.“ Bei einem Besuche Renthendorfs +im Sommer 1908 konnte ich mich mit Freude überzeugen, mit welcher +Liebe und Verehrung noch heute die Leute von ihrem unvergeßlichen +„Vogelpastor“ sprechen, wie sie ihn mit gutmütigem <span class="pagenum" id="Page_15">[S. 15]</span>Spotte nannten. +Man darf nicht etwa glauben, daß Christian Ludwig Brehm über seiner +leidenschaftlichen Hingabe an die Wissenschaft der Vogelkunde sein +Pfarramt vernachlässigte. Er war vielmehr ein ausgezeichneter und +allzeit opferwilliger Seelsorger; die Bauern waren deshalb mit ihrem +„Vogelpastor“ baß zufrieden, sahen ihm mancherlei Schrullen und +Eigentümlichkeiten gerne nach und überbrachten ihm für seine Sammlung +alle Vögel, die ihnen der Zufall in die Hände spielte, soweit sie sich +nicht etwa — essen ließen. Der alte Brehm gehörte nicht zu denen, die +ihr Christentum stets auf den Lippen tragen, aber er wußte mit seinen +Bauern ein gar kräftig und erbaulich Wörtlein zu reden, ganz ihrer +einfachen Denkweise sich anpassend und seine christliche Nächstenliebe +mehr durch rasche Taten als durch lange Predigten bekundend. Deshalb +mochten sie ihn auch alle so gern, den Mann mit dem durchdringenden +Scharfblick, der offenen Hand und dem gütigen Herzen, ihn, der seine +Gemeinde ein halbes Jahrhundert hindurch getreulich behütet, ihn, der +zwei Geschlechterfolgen von ihnen getauft, konfirmiert, getraut und zu +Grabe geleitet hatte, ihn, der sie mit ihren kleinen Nöten und Sorgen +ebenso genau kannte wie die eigenen Kinder, ihn, der auch nie müde +wurde, ihnen die wundersame Herrlichkeit der Natur zu verkündigen. +Was dem Vater Liebhaberei und Ablenkung bedeutete, wurde — ins Große +geweitet — dem Sohne Alfred zum Beruf. Ein Bahnbrecher auf dem Wege +zur Tierseele, ein Vorkämpfer der Wissenschaft, der ihr neue Wege wies +und das vom Trümmergestein der Systematik verrammelte Tor zur Biologie +mit starker Hand öffnete, der die Kunde vom Tier<em class="gesperrt">leben</em> uns +erschloß — das war Alfred Brehm.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Nilfahrten">Nilfahrten</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">Z</span>wei schwerfällige Segelbarken, sogenannte Dahabijes, krachten infolge +ungeschickter Steuerung mitten auf dem Nil gewaltig aufeinander, wobei +dem vorderen Schiff das Steuerruder weggerissen wurde. Wüstes Toben, +Schreien, Schimpfen und Kreischen erhob sich über dem heiligen Strome, +fast noch übertäubt von dem gellenden Zetergeschrei der verschleierten +Weiber, mit denen das beschädigte Fahrzeug vollgepfropft war. Brehm +und Baron Müller, die in der kleinen Kajüte des anderen Schiffleins +gerade ein wenig geschlummert <span class="pagenum" id="Page_16">[S. 16]</span>hatten, stürzten, mit Pistolen und +Säbeln bewaffnet, erschrocken an Deck, um zu sehen, was los sei, +gefolgt von einem langen Engländer und seiner französischen Geliebten, +die gleichfalls diese Barke zur Fahrt nach Kairo benützten, denn +Eisenbahnen gab es ja damals in Ägypten noch nicht. Sie kamen gerade +zurecht, um zu sehen, wie vier nackte Matrosen der beschädigten Barke +durchs Wasser schwammen, an den eigenen Schiffswänden emporkletterten +und unter fürchterlichem Geschrei und einer Flut von Schimpfworten +mit der Mannschaft zu raufen anfingen. Der Reïs (Schiffseigentümer) +rief den Europäern angstvoll zu, ihm gegen die „Räuber und Mörder“ +beizustehen. Das war das Zeichen zum Gegenangriff. Baron Müller hieb +dem nackten Steuermann der Gegenpartei mit seinem Säbel derartig über +den Kopf, daß er in den Strom fiel und sich kaum über Wasser halten +konnte. Brehm ging mit bloßem Hirschfänger auf die anderen drei Kerle +los und trieb sie mit scharfen Hieben vor sich her. Der verblüffte +Engländer dagegen griff erst zu den Waffen, nachdem ihn die mutige +Französin durch ein paar schallende Ohrfeigen drastisch genug dazu +aufgefordert hatte. Der überwundene Feind stürzte in den Strom und +schwamm zu seiner Barke zurück. Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm. +Ein ganzer Haufe aufgeregter Männer bewaffnete sich unter Wutgeschrei +und Rachegeheul mit derben Knüppeln und traf alle Anstalten zu einem +neuen Angriff. Doch unterblieb er, als die Europäer ihre Büchsen +herbeiholten, mit Kugeln luden und jeden zu erschießen drohten, der es +wagen sollte, sich ihrem Schiff zu nähern.</p> + +<p>Nicht ohne Beschämung hat Brehm selbst später über diesen Zwischenfall +geurteilt: „Nur gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner +konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich +jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben. +Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die +Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem +Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen +lassen. Daß die Leute dabei aus vollem Halse schrien und anderweitigen +Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten +Vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewußt haben würde, daß die Araber +bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen.“</p> + +<hr class="tb"> + +<figure class="figcenter illowe31" id="illu_017"> + <img class="w100" src="images/illu_017.jpg" alt=""> + <figcaption> + Eine Übersichtskarte zu Brehms Nilreisen<br> + Nach einer Karte vom Jahre 1865 + </figcaption> +</figure> + +<p>„Herr, was willst du von meiner Frau?“ wurde Brehm wütend von einem +riesenhaften, baumstarken Nubier angebrüllt, der wie <span class="pagenum" id="Page_17">[S. 17]</span>ein gereizter +Tiger auf ihn losfuhr. Dieser Kerl, ein gewisser Aabd Lillahi, der +durch Trunksucht, Roheit und Jähzorn schon wiederholt unangenehm +aufgefallen war, hatte nämlich seine Frau mit an Bord, eine sehr +hübsche, blutjunge Nubierin, und Brehm war rein zufällig auf dem engen +Verdeck in allzu große Nähe der nußbraunen Schönheit geraten. Er mochte +beteuern, was er wollte, der Schwarze betrachtete ihn von diesem +Augenblicke an mit grenzenloser Eifersucht und schien überhaupt die +beiden Deutschen aus tiefster Seele zu hassen. Einige Tage später lag +Brehm fieberkrank im Schiffsraum, als er auf Verdeck wütend schimpfen +und fluchen hörte. Auf Befragen erfuhr er von seinem Diener, daß die +Schiffsmannschaft auf den Baron zornig wäre, weil er zum Jagen an Land +gegangen sei und nicht zurückkäme, obwohl gerade jetzt nach längerer +Windstille ein günstiger Nordwind eingesetzt habe. Nun habe man den +Aabd Lillahi ausgeschickt, ihn zu holen. Bei Nennung dieses Namens +ahnte Brehm gleich nichts Gutes. Er raffte sich auf, ergriff seine +Büchse und eilte auf Deck, wo er auch schon den Baron vom nahen Strande +her laut um Hilfe rufen hörte. Der Nubier drängte ihn nämlich geradezu +mit Gewalt nach dem Ufer und schlug sogar auf ihn los. Der mit Recht +darob erzürnte Baron riß seine Jagdflinte herunter, um dem Rohling +einen Kolbenschlag zu versetzen, aber der Schwarze preßte ihm mit der +Hand die Kehle zusammen und suchte sich des Gewehres zu bemächtigen. +Brehm sah seinen Freund und Gönner in höchster Not <span class="pagenum" id="Page_18">[S. 18]</span>und nahm deshalb +den Nubier aufs Korn, aber er konnte nicht abdrücken, da die beiden +Kämpfer so eng verschlungen waren, daß der Schuß auch den Baron im +höchsten Grade gefährdet hätte. Endlich wurde der Nubier freier, und +Brehm zielte genauer, aber da brach jener plötzlich noch vor dem Schuß +blutend zusammen: der Baron hatte ihm sein Dolchmesser in die Brust +gestoßen! Entsetzt schrie das Schiffsvolk auf und schwur fürchterliche +Rache. Nur die entschlossene Haltung und die ernstesten Drohungen +der beiden wohlbewaffneten Deutschen, sowie ihr Versprechen, sich in +Dongola dem Gericht des Statthalters zu stellen, vermochten weiteres +Unheil und Blutvergießen zu verhüten. Die Verwundung Aabd Lillahis +erwies sich glücklicherweise nicht als lebensgefährlich, da eine Rippe +die Kraft des Dolchstoßes gebrochen hatte. Schließlich war der wüste +Kerl mit einem Schmerzensgelde von drei Talern zufrieden, und damit +fand dieser unangenehme Zwischenfall seine Erledigung.</p> + +<p>Blieben also diese Segelbarkenfahrten, die unsere Reisenden über +Chartum hinaus bis in den Blauen und Weißen Nil führten, auch nicht +ohne unliebsame Abenteuer, so waren sie andererseits doch gerade +für den Naturforscher zweifellos die angenehmste, genußreichste und +lohnendste Art des Reisens in den damals noch so wenig bekannten +Ländern des Sudan. Diese gemächliche Art des Reisens stromaufwärts ist +natürlich ganz von der herrschenden Windrichtung abhängig, und gerade +dabei findet der jagende Naturforscher seine Vorteile. Brehm hat noch +in späteren Jahren viel von diesen herrlichen und in bezug auf Jagd und +Vogelkunde so ergiebigen Fahrten auf dem „Vater der Ströme“ geschwärmt. +Da das nubische Nilbett durch tückische Felsriffe die Schiffahrt +erschwert, wurde die Segelbarke über Nacht irgendwo an Land gezogen +und erst bei Sonnenaufgang wieder flott gemacht. Während sie langsam +den majestätischen Strom hinaufsegelte, gingen Baron Müller und Brehm +jagend und beobachtend am Ufer entlang, ließen sich zum Mittagessen an +Bord nehmen und dann wieder abends beim Landen. Fast täglich machten +sie reiche Beute, die in Gestalt von fetten Nilgänsen, Enten und Tauben +auch der Küche zugute kam, denn mit dieser war es äußerst dürftig +bestellt, zumal eine solche Reise widriger Winde wegen oft länger +dauerte, als man berechnet hatte. Je weiter man nach Süden vordrang und +sich den Tropen näherte, um so zahlreicher wurden die fremden, bisher +nie geschauten Erscheinungen aus der Vogelwelt. Jeder Tag brachte +Neues, jede Stunde bereicherte in ungeahnter Weise die Kenntnisse <span class="pagenum" id="Page_19">[S. 19]</span>der +beiden Forscher. Auf den Sandbänken standen ganze Scharen von stolzen +Kronen- und zierlichen Jungfernkranichen, an den Ufern fischten graue +und silberweiße, rote und gelbe Reiher, und die reizenden Kuhreiher +saßen truppweise auf den breiten Rücken der träge im Morast liegenden +Büffel; lustige Sporenkiebitze liefen auf den Dämmen herum, langbeinige +Stelzenläufer und abenteuerlich aussehende Säbelschnäbler wateten auf +den überschwemmten Wiesen, auf den Wassern schaukelten sich Scharen +der gewaltigen Pelikane, durch die Lüfte schossen wie buntgefiederte +Pfeile die farbenprächtigen Bienenfresser, vor den blühenden Sträuchern +schwirrten schimmernde Honigsauger, die die Kolibris in Afrika +vertreten, auf Pfählen lauerten Graufischer, diese vergrößerte, aber +verunglückte Ausgabe unseres herrlichen Eisvogels, Steinschmätzer der +verschiedensten Art tanzten und knicksten im Steingeröll, allerliebste +Blaukehlchen durchschlüpften schmiegsam und geheimnisvoll das +Uferdickicht, der Bülbül ließ seine klangvolle Strophe erschallen, und +als echt tropische Erscheinung wurden absonderliche Nashornvögel mit +freudigem Hurra begrüßt. Faule Krokodile lagen verschlafen und gähnend +auf kleinen Schlamminseln, flinke Ichneumons huschten beutelüstern +durch undurchdringliche Rohrfelder, und abends gaben die Schakale ihre +mißtönigen Heulkonzerte zum besten.</p> + +<p>Soweit es die knapp bemessene Zeit zuließ, wurden natürlich auch +die berühmten alten Tempelbauten und die Königsgräber besucht, +namentlich auch die sagenumwobenen Krokodilhöhlen bei dem Städtchen +Monfalut. Es war wieder einmal eine recht beschwerliche Sache, denn +die langen Gänge waren überaus eng, erstickend heiß, mit mefitischen +Düften geschwängert und der Boden von dem mit Erdpech vermischten +Kot zahlloser Fledermäuse glitschig. In den vorderen Gängen lagen +nur menschliche Mumien, von denen man wenigstens einige abgetrennte +Köpfe mitnehmen konnte, in den hinteren aber waren die einbalsamierten +Krokodile aller Größen schichtenweise aufeinander getürmt, und sogar +ganze Berge eingetrockneter Krokodileier waren vorhanden. Einige der +schönsten Krokodilmumien wurden für die Sammlung ausgewählt. Brehm kam +dabei zu der jedenfalls richtigen Ansicht, daß die alten Ägypter die +Krokodile keineswegs als heilig verehrten, wie die Altertumsforscher +bis dahin angenommen hatten, sie vielmehr fürchteten und ihre Zahl nach +Möglichkeit zu vermindern suchten. Unmöglich konnten all diese Tausende +einbalsamierter Ungetüme eines natürlichen Todes gestorben sein; man +<span class="pagenum" id="Page_20">[S. 20]</span>hatte sie wahrscheinlich gewaltsam getötet und dann, zur Versöhnung +ihrer Geister, mumifiziert.</p> + +<p>Einmal hatte Brehm einen prachtvollen Seeadler angeschossen, der noch +bis zum Strome flatterte und dort ins Wasser fiel. Er trieb mit den +Wellen dicht am Ufer hin, geriet aber dann in eine nach der Mitte zu +sich wendende Strömung, schien also verloren. In diesem Augenblick +tauchte ein herumlungernder Araber auf, und Brehm ersuchte ihn, gegen +ein gutes Trinkgeld den Vogel herauszuholen. Der Mann aber weigerte +sich beharrlich mit der Begründung, daß es hier viele Krokodile gebe, +die ihm erst kürzlich zwei Schafe geraubt hätten. Ärgerlich über diese +vermeintliche Feigheit entkleidete sich Brehm selbst und sprang mutig +ins Wasser. Eben verlor er den Boden unter den Füßen und wollte sich +zum Schwimmen anschicken, da schrie der Araber entsetzt auf: „Herr, um +der Gnade und Barmherzigkeit Allahs willen, kehre um! Ein Krokodil!“ +Erschrocken fuhr Brehm zurück. Und wirklich, da kam auch schon von der +anderen Stromseite her ein riesiges Krokodil angeschwommen, gerade +auf den erschossenen Adler zu, tauchte dicht vor ihm, öffnete den mit +greulichen Zahnreihen besetzten Rachen — groß genug, um auch einen +Menschen darin unterzubringen — und verschwand mit seiner Beute in +den trüben Fluten. Brehm stand derweil wie gelähmt. Seit dieser Stunde +haßte er die Krokodile leidenschaftlich, und diesem Haß ist er sein +ganzes Leben hindurch so treu geblieben, daß er niemals eine der +gepanzerten Riesenechsen unbeschossen ließ, so oft sich nur immer die +Gelegenheit bot, ihnen eine Kugel anzutragen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>„Söhne der Fremde,“ begann Aabd Allah, ein alter, ehrwürdiger und +seiner Rechtlichkeit wegen hoch angesehener Barkenführer, dem ein +langer, weißer Bart das ernste Antlitz umfloß, während das blaue +Kattunhemd seinen ausgemergelten Leib wie ein Priestertalar umhüllte, +„seht, ich bin ein alter Mann, die Sonne hat mein Haar siebenzig Jahre +beschienen und gebleicht, des Alters Silber deckt es, mein Gebein ist +mürbe geworden, ihr könntet meine Kinder sein. Wohlan, so höret, Männer +des Frankenlandes, höret auf das, was ich euch sagen will. Ich spreche +die Sprache des wohlmeinenden Warners. Laßt ab von eurem Beginnen, +denn ihr geht einer großen Gefahr entgegen, unwissend und sorglos — +ich aber kenne sie. Hättet ihr gleich mir jene Felsen gesehen, die +zusammentretend den Wogen die Tür verschließen, hättet ihr gehört, +wie die Wasser, Einlaß und Durchgang <span class="pagenum" id="Page_22">[S. 22]</span>begehrend, donnernd, zürnend +und machtvoll an die ewig Feststehenden klopfen, wie sie die Steine +überfluten und mit Gebrüll zur Tiefe in den Bauch der Felsen stürzen, +und wüßtet ihr, daß nur die Gnade Allahs — ihm sei Bewunderung, denn +er ist der Erhabene — unser gebrechliches Fahrzeug leiten und führen +kann, ihr würdet meinem Rate folgen. Denkt an eure Mütter! Der Kummer +würde sie erdrücken, wenn uns der Segen des Allbarmherzigen verließe.“</p> + +<figure class="figcenter illowe36" id="illu_021"> + <img class="w100" src="images/illu_021.jpg" alt=""> + <figcaption> + Die Wochenstube des Nashornvogels<br> + Nach einem alten Bild von G. Mützel zu einem Aufsatz Brehms „Vögel in + der Wochenstube“ aus dem Jahre 1873 + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_021_gross.jpg" + id="illu_021_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p>Baron Müller schien schwankend zu werden, aber Brehm antwortete +freundlich, doch fest: „Allah wird uns helfen. Er ist gnädig!“ — „Nun, +so gehet mit Gott und seinem gepriesenem Propheten,“ erwiderte würdig +der Greis, „ich will für euch beten in der Stunde der Gefahr.“ — +„Amen, o Reïs, wir danken dir, das Heil sei mit dir!“</p> + +<p>Dieses Gespräch fand an einem herrlichen Tropenabende unweit der großen +Nilkatarakte von Wadi-Halfa statt, die ein fast unüberwindliches +Hindernis für die Schiffahrt bildeten und der Weiterreise gewöhnlicher +Barken ein Ziel setzten. Die beiden Deutschen aber hatten diesmal +durch die Güte des türkischen Statthalters von Chartum besonders stark +gebaute Regierungsbarken zur Verfügung, und deren Führer wollten die +Durchfahrt mit einigen besonders tüchtigen, erfahrenen und mutigen +Steuerleuten und Ruderern wagen, während die übrige Mannschaft mit dem +großen Gepäck die Fälle auf dem Landwege umgehen sollte. Brehm bestand +aber trotz der dringendsten Warnungen und Abmahnungen von allen Seiten +darauf, die gefährliche Fahrt mitzumachen, und Baron Müller mochte +dem jüngeren Gefährten an Mut auch nicht nachstehen. So sind beide +die ersten Europäer gewesen, die die Stromschnellen von Wadi-Halfa +überwunden haben.</p> + +<p>Um Haaresbreite hätte aber das kühne Wagnis tragisch geendet. Mit +furchtbarer Gewalt fluteten die Wogen über die kaum vom Wasser +bedeckten Felsblöcke, in allen Fugen stöhnte und krachte das +Schifflein, dem Steuer ungehorsam, tanzte es durch den kochenden +Gischt, kein Ruder tat seinen Dienst. Doch die dräuenden Wogen selbst +werden zu Rettern, sie umfassen und umklammern die Barke, nehmen sie +mit sich fort in rasender Fahrt. Wie ein Pfeil vom Bogen jagt das +kleine Fahrzeug zwischen himmelansteigenden, senkrecht abfallenden, +schwarzen, glänzenden Syenitwänden dahin, die nur wenige Schritte +voneinander entfernt sind, so daß man die Ruder überhaupt nicht +brauchen kann. Ein hartes Aufstoßen, daß all die Männer zu Boden +fallen! Ein einziger Schrei des Entsetzens! Ein Leck! Nun geht’s <span class="pagenum" id="Page_23">[S. 23]</span>ans +Verstopfen! Die steuerlos treibende Barke ist in ein Labyrinth von +Felsen, Strudeln und Wasserfällen geraten. Keiner weiß mehr, wo man +sich befindet. Entkräftigende Angst bemächtigt sich der Mannschaft, die +bereits ihre Kleider abwirft. In dieser Not übertönt die Stimme des +70jährigen Bellahl, des Abu el reisin, des „Vaters der Schiffsführer“, +das Gezeter des jammernden Schiffsvolkes und das dumpfe Brausen des +Katarakts: „An die Ruder, ihr Helden! Seid ihr denn toll, ihr Kinder +der Heiden? Arbeitet, rudert, ihr Hunde, ihr Knaben, ihr Männer, ihr +Tapferen, ihr Braven! Maschallah! Rudert, bei Gott! Allah ist gnädig! +Er ist der Allerbarmer!“ Der Greis selbst handhabt mit eiserner, +nerviger Faust das Steuer. Da fließt nach links ein starker Arm ab, +in ihn lenkt Bellahl die Barke, verfolgt den Lauf des Stromzweiges +mit sicherer Hand und erreicht wirklich freies Fahrwasser. Gerettet! +Die Gefahr ist vorüber. Freudenschüsse der beiden schreckensbleichen +Europäer begrüßen das am Horizont auftauchende Palmendorf Wadi-Halfa. +Die Araber aber fallen auf ihr Angesicht und beten: „Lob und Preis dir, +dem Herren der Welten, dem Allerbarmer!“</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Durch_Steppe_Wueste_und_Urwald">Durch Steppe, Wüste und +Urwald</h2> + +</div> + +<p>„<span class="initial">I</span>ch kann nicht mehr weiter! Laßt mich doch ruhig hier liegen, wo ich +bin! Ich will ja nichts mehr als sterben. Aber vorher nur noch einen +Trunk Wasser! Einen einzigen, kleinen, winzigen Schluck Wasser!“ +Der so erbärmlich jammerte, das war unser sonst so tapferer Alfred +Brehm. Das Fieber hatte ihn auf dem langen Karawanenmarsche durch das +glühend heiße Kordofan mit aller Macht gepackt, und täglich zehrte +das mörderische Klima dieses verrufenen Landes an seinen schon sehr +schwach gewordenen Kräften. Mit Gewalt mußte man ihn zum Weiterreiten +zwingen. Jeder Schaukeltritt des gemächlich dahinziehenden Kamels wurde +dann dem Kranken zu peinvoller Qual, hatte Erbrechen und Leibschmerzen +zur Folge, und nur durch krampfhaftes Anklammern an eine Kiste konnte +er sich vor dem Herabfallen bewahren. Es war ein Glück, daß Baron +Müller, der selbst schwer unter immer häufigeren Fieberanfällen zu +leiden hatte, sich schon bald nach Ankunft in der unerträglich öden und +langweiligen Sklavenhändlerstadt El Obeid zum Rückmarsch nach Chartum +entschloß, denn lange hätten beide sicher nicht mehr dem fürchterlichen +Klima standgehalten. Überdies trat während der Märsche öfters Mangel an +<span class="pagenum" id="Page_24">[S. 24]</span>Lebensmitteln ein, und man mußte froh sein, wenn es gelang, einige von +den Kamelen aufgescheuchte Perlhühner oder Frankoline zu schießen. Der +Hunger hätte sich ja allenfalls noch ertragen lassen, aber zum Unglück +war das spärlich genug angetroffene Wasser meist nur eine ekelhafte +bräunliche Schleimbrühe, deren unvermeidbarer Genuß immer wieder neue +Fieberanfälle auslöste. Die Steppe selbst starrte von scharfschneidigen +Gräsern und lästigen Kletten, und so war der Marsch durch sie selbst +an fieberfreien Tagen nicht gerade ein Vergnügen. Häufig stand sie +jetzt am Ende der Trockenzeit weithin in Flammen, und dann sah man, +wie die Antilopenherden in langwiegendem Galopp vor dem rasenden +Element flüchteten oder wie die fluggewandten Gaukler (eine Adlerart) +und die langbeinigen Kranichgeier erfolgreiche Jagd machten auf das +massenhaft durch die Flammen aus seinen Schlupfwinkeln herausgejagte +Schlangengezücht. Die Eingeborenen dieser Gegend, die sich im +allgemeinen nicht unfreundlich zeigten, wohnten in runden Strohhütten +(Tokhuls) mit oben spitz zulaufendem Dach, das gewöhnlich von einem +Straußenei gekrönt wurde, bebauten magere Durrha-(Hirse-)Felder und +unterhielten große Viehherden. Oft sah man 5–600 Kamele zusammen weiden +und hatte auch Gelegenheit, ihre fette, etwas säuerliche Milch zu +kosten.</p> + +<p>„Friede sei mit dir, o Scheich!“ kauderwelschte Brehm, der Negersprache +nur wenig kundig, mit dem herbeieilenden Schulzen eines solchen großen +Tokhul-Dorfes, das man eines Abends müde und hungrig erreicht hatte. +„Wir wollen von dir gegen gutes Geld einige Farchas kaufen.“ Mit +Farchas bezeichnete man nämlich in Oberägypten junge Hühner, und etwas +anderes wäre in dem elenden Neste ja doch nicht aufzutreiben gewesen. +Der Scheich schüttelte verwundert den Kopf. „Ihr zieht ja doch, wie ich +höre, ohnehin nach El Obeid, wo es viele Farchas gibt. Dann braucht +ihr doch hier keine zu kaufen. Ich habe zwar eine, aber sie ist alt +und häßlich.“ — „Das schadet nichts, bringe sie uns nur her!“ Jener +ging, erschien wieder und brachte — eine Sklavin, die der Beschreibung +des guten Mannes in der Tat vollkommen entsprach. Man lachte und +versicherte ihm, daß man diese Venus nicht brauchen könne, weil man die +„Farcha“ essen wolle. Darob entfloh der Scheich voller Entsetzen. Die +Europäer staunten ihm verwundert nach; erst einer der Diener löste das +Rätsel durch die Mitteilung, daß die Kordofanesen mit „Farcha“ junge +Sklavinnen bezeichnen, während sie für Hühner das Wort „Faruhdj“ haben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Page_25">[S. 25]</span></p> + +<p>Es gab aber auch weniger lustige Mißverständnisse, namentlich als +man auf dem Rückmarsch aus Kordofan durch Gegenden kam, die erst +kürzlich von Sklavenjägern heimgesucht worden waren. Hier verhielten +sich die Eingeborenen erklärlicherweise sehr zugeknöpft, oft geradezu +unfreundlich oder feindselig. Mühsam quälten die Reisenden sich in +anstrengenden Märschen durch das ungastliche Land, denn die Hitze +hatte ihren Höhepunkt erreicht und stieg bei Südwind im Schatten der +Strohhütten bis auf 45° <span class="antiqua">R</span>, während das der Sonne ausgesetzte +oder in den Sand gesteckte Thermometer nicht selten sogar 55° <span class="antiqua">R</span> +zeigte. Der Körper troff Tag und Nacht von Schweiß, und +nur selten brachte ein kühlerer Nordwind allzu rasch vorübergehende +Linderung. Überdies ritt man oft in die Irre, denn es fehlte an +ortskundigen Führern. Es blieb manchmal nichts anderes übrig, als +solche mit Gewalt zu beschaffen, wenn sie nicht freiwillig mitgehen +wollten. Das brachte aber unsere Freunde bei den Schwarzen in den +Geruch von Sklavenhändlern, und dieser Umstand hätte um ein Haar +ihren Untergang herbeigeführt. Halb verdurstet, nur auf ein Restchen +brühwarmes Schlauchwasser angewiesen, lagen sie todmüde in einem +elenden, verlassenen Weiler, und der fieberkranke Brehm hatte +sich in der erstbesten Hütte auf einem Ankhareb (Bettgestell mit +elastischen Ledergurten) niedergelassen, während der Baron und Ali +(ein ausgedienter türkischer Unteroffizier, den man in Chartum als +Leibdiener aufgenommen hatte) weiter im Innern der Hütte auf dem +festgestampften Erdboden zum Schlummer sich niederlegten. Plötzlich +wurde Brehm durch ein wütendes Geheul aus seinem Halbschlafe +aufgeschreckt, und gleichzeitig erschien auch schon am Eingang die +herkulische Gestalt eines Negers, der mit gezücktem Schwert auf +ihn losstürzte und seinen tobenden Gefährten zurief: „Kommt! Hier +sind die Hunde! Kommt und schlagt sie tot!“ Mit einem gewaltigen +Kolbenschlage schmetterte Brehm den Wütenden zurück und rüttelte die +beiden anderen wach. Alle griffen zu den Waffen und drohten, jeden +Eindringling niederzuschießen. Da hörte der sprachenkundige Ali, wie +die Schwarzen sich verabredeten, die leicht Feuer fangende Strohhütte +anzuzünden, und so mußte man sich zu einem Ausfall entschließen. Aber +draußen waren die Europäer im Nu von einer großen Übermacht der Gegner +umringt, deren lange Stoßlanzen nur noch einen halben Fuß von ihrer +Brust entfernt waren. Der Baron hatte in jeder Hand eine Pistole und +wollte schießen, aber der trotz seiner Jugend viel besonnenere Brehm +beschwor ihn, dies nicht zu tun, und verlegte sich <span class="pagenum" id="Page_26">[S. 26]</span>aufs Unterhandeln. +Freilich ging seine Stimme in dem wüsten Lärm unter, aber man gewann +doch so viel Zeit, sich wieder in die Hütte zurückziehen zu können. +Bewaffneter Widerstand wäre ja auch tatsächlich Wahnwitz gewesen, denn +wenn man auch einige Feinde unschädlich gemacht hätte, so wäre man +doch schließlich unzweifelhaft trotz größter Tapferkeit der gewaltigen +Übermacht unterlegen. Da kam im letzten Augenblick unerwartet Hilfe +in höchster Not. Ein Araber mit milchweißem Barte, den die Schwarzen +zu kennen und zu achten schienen, trieb die tobende Bande mit der +Nilpferdpeitsche zurück und schaffte erst einmal Ruhe. Bald klärte sich +nun das Mißverständnis auf, die ernüchterten Neger baten um Verzeihung, +und der landesübliche Bakschisch beendete zur allseitigen Zufriedenheit +das gefährliche Abenteuer.</p> + +<p>Über all die unsäglichen Widerwärtigkeiten und Mühseligkeiten halfen +aber doch immer wieder köstliche Forscherfreuden hinweg. Namentlich +bei längerem Verweilen an einem günstigen Platze gab es genußreiche +Tage und fast überreiche Beute. Da wurden erfolgreiche Adlerjagden +veranstaltet, Antilopen und Hasen für die Küche geschossen. Wenn man +nur auch eine geeignete Zukost dazu gehabt hätte! Aber weder Gemüse +noch Kartoffeln wollen in der Gluthitze Kordofans mehr gedeihen, und +die schlissigen, unappetitlichen Durrhakuchen, die die Negerweiber zu +bereiten verstanden, waren schließlich doch nur ein sehr unvollkommener +Ersatz für unser köstliches und wohlschmeckendes Brot. Ein wahres +Labsal war es dagegen, wenn es glückte, einmal einen Krug Meriesa +aufzutreiben, eine Art Hirsebier, das sehr erfrischend schmeckt und +ähnlich wie der russische Kwaß von jedem Stamme und jedem Dorfe in +anderer Weise zubereitet wird.</p> + +<p>Köstlich waren die Tropenabende, wenn man innerhalb der mächtigen +Dornumwallung eines Dorfes saß und dem gemütlichen Schnurren der +langgeschwänzten Nachtschwalben lauschte oder den wehmütigen Rufen +der kleinen Eulen, die zutraulich auf den Spitzen der Tokhals saßen. +Blutdürstige Leoparden und feige Hyänen umschlichen nachts gierig +die Dornumwallung, wurden aber rasch von den zahlreichen und mutigen +Hunden zurückgetrieben. Nur wenn das aus tiefster Brust hervorgeholte +Donnergebrüll des Löwen erscholl, das Brehm hier klopfenden Herzens zum +erstenmal vernahm, verkrochen sich die edlen Hunde kläglich winselnd +bei ihren Herren, die aber ebensowenig wie ihre vierbeinigen Gehilfen +dem König der Tiere entgegenzutreten wagten, zumal die lange Stoßlanze +ihre einzige Waffe war. Zweimal <span class="pagenum" id="Page_27">[S. 27]</span>holte sich in Anwesenheit Brehms der +„Herr mit dem dicken Kopfe“ durch gewaltigen Sprung, unwiderstehlichen +Prankenschlag und zermalmenden Nackenbiß sein Opfer aus der hohen +Dornumwallung (Serrieba), und um die Überbleibsel der königlichen Tafel +stritten sich dann am nächsten Tage Geier und Marabus und in der Nacht +Hyänen und Schakale.</p> + +<figure class="figcenter illowe47" id="illu_027"> + <img class="w100" src="images/illu_027.jpg" alt=""> + <figcaption> + Hyänenhunde („gemalte“ Hunde) auf der Antilopenjagd<br> + Nach einer Originalzeichnung von H. Leutemann zu Brehms Arbeit „Neue + Charakterbilder aus der Tierwelt“ (1867) + </figcaption> +</figure> + +<hr class="tb"> + +<p>Wüstensturm! Lauschen wir Brehms eigenen Worten, denn keiner hat die +hehre Majestät der Wüste mit all ihren Schrecken und Schönheiten +so eindringlich und greifbar, so packend und gewaltig zu schildern +verstanden wie er:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Page_28">[S. 28]</span></p> + +<p>„Schon mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Wüstensohn diesen +furchtbaren Wind, dem er geradezu tödliche Wirkungen zuschreibt. Die +Temperatur der Luft wird im höchsten Grade lästig: sie ist schwül +und abspannend wie vor einem Gewitter. Der Horizont ist mit einem +leichten, rötlich oder blau erscheinenden Dufte wie überhaucht — es +ist der in der Atmosphäre kreisende Wüstensand, aber noch bemerkt man +keinen Hauch des Windes. Die Tiere jedoch fühlen seine Nähe wohl. +Sie werden unruhig und ängstlich, wollen nicht mehr in gewohnter +Weise gehen, drängen sich aus dem Zuge heraus und geben noch andere +unverkennbare Beweise ihres Ahnungsvermögens. Dabei ermatten sie in +kurzer Zeit mehr als sonst durch tagelange Märsche, stürzen zuweilen +mit ihren Ladungen und können nur mit Mühe oder gar nicht wieder zum +Aufstehen gebracht werden. In der dem Sturm vorausgehenden Nacht nimmt +die Schwüle unverhältnismäßig zu, der Schweiß dringt aus allen Poren +hervor, nur die strengste geistige Überwachung vermag dem Körper die +ihm nötige Spannkraft zu erhalten. Die Karawane setzt ihre Reise mit +ängstlicher Eile fort, solange es gehen will, solange nicht Mensch +und Tier vor allzu großer Ermüdung zusammenbrechen, solange noch, dem +Führer zum Merkmal, ein Sternchen am Himmel flimmert. Auch das letzte +verschwindet, ein dicker, trockener, undurchsichtiger Nebel deckt die +Ebene. Die Nacht vergeht, die Sonne steigt im Osten auf, der Wanderer +sieht sie nicht. Der Nebel ist dichter, undurchsichtiger geworden, die +stark gerötete Luft nimmt allgemach eine grauere, düstere Färbung an. +Es herrscht fast Dämmerung. Das Auge durchdringt den Dunstschleier kaum +über 100 Fuß weit. Der Tageszeit nach muß es Mittag sein. Da erhebt +sich ein leiser, glühender Wind aus Süden oder Südwesten. Stärkere +Stöße folgen, abgerissen, einzeln. Jetzt braust der Wind, zum Orkan +gesteigert, daher. Hoch auf wirbelt der Sand, dicke Wolken verdunkeln +die Luft. Der Wind würde den Reiter, der sich ihm widersetzen wollte, +aus dem Sattel heben, aber kein Kamel ist zum Weitergehen zu bewegen. +Die Karawane muß lagern. Den Hals platt auf den Boden gestreckt, +schnaubend und stöhnend legen sich die Kamele nieder; man hört die +unruhigen, regellosen Atemzüge der geängstigten Tiere. Geschäftig bauen +die Araber alle Wasserschläuche an der sie vor dem Winde schützenden +Seite eines lagernden Kamels auf einen Haufen, um die der trocknenden +Luft ausgesetzte Schlauchoberfläche zu verringern; sie selbst hüllen +sich in das sie bekleidende Tuch so dicht als möglich ein und suchen +ebenfalls hinter Kisten oder <span class="pagenum" id="Page_29">[S. 29]</span>Warenballen Schutz. Die Karawane liegt +totenstill. In den Lüften rast der Orkan. Es kracht und dröhnt: die +Bretter der Kisten zerspringen mit gewaltigem Knallen. Der Staub dringt +durch alle Öffnungen, selbst durch die Tücher hindurch, peinigt und +quält den Menschen, auf dessen Haut er sich festsetzt. Man fühlt bald +heftige Kopfschmerzen, das Atmen wird schwer, die Brust ist beengt, +der Körper trieft von Schweiß, aber dieser näßt die dünnen Kleider +nicht, denn begierig saugt die glühende Atmosphäre alle Feuchtigkeit +auf. Wo die Wasserschläuche mit dem Winde in Berührung kommen, dörren +sie und werden brüchig, das Wasser verdunstet. Wehe dem armen Wanderer +in der Wüste, wenn der Samum lange währt! Er wird sein Verderber! Ein +lange anhaltender Samum ermattet Menschen und Tiere mehr als alle +übrigen Beschwerden einer Wüstenreise zusammen. Und dabei bringt er +neue, bisher nie gekannte Qualen über den Reisenden. Schon nach kurzer +Zeit springen ihm, weil die heiße Luft alle Feuchtigkeit entzieht, +die Lippen auf und fangen an zu bluten; die Zunge hängt trocken in +dem nach Wasser lechzenden Munde, der Atem wird übelriechend, alle +Glieder erschlaffen. Zu dem grenzenlosen Durste gesellt sich bald +ein unerträgliches Jucken und Brennen am ganzen Körper: die Haut ist +brüchig geworden, und in alle Risse dringt der feine Staub. Man hört +die lauten Klagen der so grausam Gemarterten; zuweilen arten sie in +förmliche Raserei aus — der Gepeinigte ist wahnsinnig geworden; oder +sie verstummen zuletzt ganz, denn das mit fieberiger Hast durch die +Adern strömende Blut hat den Kopf so beschwert, daß Bewußtlosigkeit +eingetreten ist. Der Sturm ermattet, aber mancher Mensch erhebt sich +nicht mehr: ein Gehirnschlag hat seinem Leben ein Ende gemacht. Auch +mehrere Kamele liegen in den letzten Zügen.“</p> + +<p>Schlanke Palmenwipfel am glasblauen Horizonte verkündigen die Nähe +einer Oase, also einer Menschensiedlung im Meere des Sandes, ermöglicht +durch das Vorhandensein von Wasser. Der Giftwind Samum haucht auch über +die Oase seinen verderbenbringenden Odem, ohne das Verderben wirklich +herbeizuführen, denn das Wasser lähmt seine verheerende Gewalt. Darum +sind Brunnen und Oasen Friedensorte in der Wüste. Ursprünglich war die +Oase nur von der schlanken Gazelle belebt, diesem Wunder der Wüste, +und von der anspruchslosen Mimose. Dann kam der Mensch und brachte ihr +die Königin der Pflanzenwelt, die Palme, und nun erst wurde die Oase +bewohnbar. Eine Oase ohne Palmen wäre keine Oase, wäre ein Gedicht ohne +<span class="pagenum" id="Page_30">[S. 30]</span>Worte, ein Brunnen ohne Wasser, ein Haus ohne Bewohner. Auf solchen +reichen Inseln des Sandmeeres hat sich der Mensch bleibend ansiedeln +können, während er am bloßen Wüstenbrunnen nur tagelang zu verweilen +vermag und nach kurzer Rast mit seiner beweglichen Habe weiterziehen +muß. Der von Brunnen zu Brunnen wandernde Nomade gleicht einem von +Insel zu Insel steuernden Schiffer, der in einer größeren Oase Wohnende +dagegen einem Insulaner. Die Häuser der von Brehm besuchten Oasen in +der Landschaft Fessan bestanden nur aus luftgetrockneten Lehmziegeln +und hatten flache Dächer aus Palmstämmen. Gemütlich war’s in ihnen +nicht, denn das Ungeziefer hatte freien Zutritt. Fliegenschwärme, +unerhört zudringliche und bösartige Wespen peinigten den Menschen +entsetzlich, giftgeschwollene Skorpione und widerwärtige Spinnen +gehörten zu den regelmäßigen Hausbewohnern, selbst Vipern verirrten +sich gar nicht selten in die Wohnräume. Dagegen werden die zierlichen +Eidechsen und Geckos als Fliegenvertilger gerne gesehen. In einem +solchen Heim bei der Bruthitze zu arbeiten, etwa gar einen stinkenden +Riesengeier abzubalgen, war wahrhaftig kein Vergnügen, und Brehm +lernte einsehen, daß auch das Leben in den vielgepriesenen Oasen seine +Schattenseiten hat.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>„Es ist doch eigenartig, wie am Weihnachtsabend die Gedanken immer +wieder in die Heimat eilen,“ sagte Baron Müller nachdenklich. „Ein +echt deutsches Weihnachtsfest ist doch das Schönste, was es gibt. +Die prächtigste Palme läßt mich kalt, aber der flittergeschmückte, +kerzenstrahlende Weihnachtsbaum greift mir ans Herz. O glückliche +Kinderzeit!“ — „Ich habe Heimweh,“ versetzte Brehm nur schlicht. +„Jeder Gedanke zieht mich heute am Heiligen Abend nach meinem stillen, +lieben Renthendorf. Oh, unser liebes Pfarrhaus! Wieviel schöner sind +doch jetzt unsere verschneiten Thüringer Nadelwälder als all dieser +bunte Tropenzauber und als all diese bedrückende Urwaldpracht.“</p> + +<p>Die beiden Deutschen saßen am Weihnachtsabend mit ihrem getreuen +Ali mitten im Urwalde unweit des Blauen Nil. Man hatte sich’s etwas +festlich gemacht, Punsch bereitet und die Pfeifen mit dem köstlichsten +Tabak der Erde, dem unvergleichlichen Djebeli, gestopft, aber die +Wolken der Schwermut wollten den Wolken des Rauches nicht weichen, und +so sehr auch die Tropennacht schmeichelte und liebkoste, es wollte +ihr nicht gelingen, des Herzens Sehnen zu beschwichtigen. <span class="pagenum" id="Page_31">[S. 31]</span>Die Gläser +blieben ungeleert und die Herzen unbefriedigt. Der Türke sang seine +prächtigen Minnelieder in tonreichen Weisen, aber auch sie versagten +heute ihre Wirkung. Der Urwald selbst mußte sprechen, damit sich die +Deutschen nicht länger ihren trüben Heimwehgedanken überließen. Und er +sprach auch.</p> + +<p>Plötzlich schmetterten helle, kräftige Trompetentöne durch die bisher +so stille Nacht. Das Geschwätz der Diener verstummte augenblicklich, +und alle lauschten atemlos. Von neuem schmetterten die Trompeten. +„El Fiuhl! El Fiuhl! Elefanten, Elefanten!“ jubelten die mit den +Tönen der Wildnis Vertrauten. Wahrhaftig, es waren Elefanten, die +zum Flusse gingen. Und ihr Trompeten war anscheinend das Zeichen zum +Beginn eines fast schaurigen und doch wahrhaft großartigen nächtlichen +Urwaldkonzertes. Der König des Waldes donnerte durch sein Reich, und +seine Königin antwortete. Ein Nilpferd hob seinen Kopf und brummte, +als wolle es versuchen, es der Löwenstimme gleichzutun, ein Panther +grunzte, aufgescheuchte Affen gurgelten und kreischten, erschreckte +Papageien flatterten und schrien, Eulen spektakelten dazwischen, Hyänen +und Schakale übernahmen den Chorgesang, auf einer Sandbank klagte +der Wogenpflüger der Nacht, der Scherenschnabel, und wie läutende +Silberglöckchen klang dazwischen das Gezirp der Zikaden, dumpfer und +tiefer der volle Chor der Waldfrösche. Es war ein wunderbares Tonstück, +und wunderliche Künstler führten es auf, aber die Deutschen söhnte es +aus mit der Fremde, die trübe gewordenen Augen glänzten wieder, und das +Herz schlug hoch vor Freude. Zum erstenmal hörte Brehm das Trompeten +wilder Elefanten. Und so hatte auch er sein Weihnachtsgeschenk! —</p> + +<p>Brehm feierte seinen 20. Geburtstag. Aber wie? Er hatte ohne den in +Chartum zurückgebliebenen Baron einen selbständigen Abstecher nach +dem Blauen Nil gemacht, ins Land des durch körperliche Schönheit, +auffallend helle Hautfarbe und die aufdringliche Sittenlosigkeit +seiner Weiber bekannten Negerstammes der Hassanies. Er konnte hier nur +immer wieder staunen über den unerschöpflichen und überwältigenden +Reichtum des tropischen Tierlebens. Die Vogelwelt war großartig +vertreten und die Ausbeute entsprechend, aber leider machten Malaria +und Brechdurchfall dem jungen Forscher wieder sehr viel zu schaffen. +Nun lag er an seinem Ehrentage, von schweren Fieberschauern geschüttelt +und halb bewußtlos, mutterseelenallein mitten im Urwald unter seinem +dürftigen Zelt, ohne liebevolle Pflege, ohne Arzneien, selbst ohne +das unentbehrliche Chinin. Wenn das die Lieben im fernen <span class="pagenum" id="Page_32">[S. 32]</span>Vaterlande +hätten ahnen können! Soweit es sein jämmerlicher Zustand erlaubte, +jagte er trotzdem im undurchdringlichen Dorngestrüpp der Urwälder und +in den fieberschwangeren Sümpfen oder balgte mit zitternden Händen +zähneklappernd die geschossenen Vögel ab. Als er schließlich mit +einer Ausbeute von 130 Vogelbälgen auf seinem Eselchen nach Chartum +zurückkehrte, runzelte der Baron, der vom Tropenkoller geplagt sein +mochte oder vielleicht auch damals schon mit Geldsorgen zu kämpfen +hatte, beim Betrachten der kleinen Sammlung die Stirn. „Das ist doch +viel zu wenig für eine so lange Abwesenheit,“ polterte er. „Wie soll +ich denn da auf meine Kosten kommen, wenn Sie derartig faulenzen?“ +Mit Recht war Brehm, der dieser Vogelbälge wegen Leben und Gesundheit +aufs Spiel gesetzt hatte, empört und erbittert über solch schreiende +Undankbarkeit. „Damals habe ich zum erstenmal gefühlt, daß die +Bemühungen eines Sammlers oder Naturforschers nur selten anerkannt +werden.“ Ein Wort gab das andere, und es kam zwischen den beiden +Reisegefährten zu einer heftigen Auseinandersetzung, die beinahe zum +völligen Bruch geführt hätte. Zwar versöhnte man sich schon am nächsten +Tage, aber das alte innige Freundschafts- und Vertrauensverhältnis +zwischen beiden wollte sich doch nie wieder so recht einstellen, obwohl +äußerlich der Friede künftig gewahrt blieb.</p> + +<div class="chapter"> + + <h2 class="nobreak" id="Kairo_und_Chartum">Kairo und Chartum</h2> + +</div> + +<p>„<span class="initial">U</span>m Himmels willen, Herr Baron, was ist das?“ Mit diesen Worten fuhr +Brehm entsetzt von seinem Schmerzenslager in einem schäbigen Hotel +Kairos empor und rüttelte den Baron wach, der matt und kraftlos in +halber Ohnmacht neben ihm lag. Beide hatten sich auf der Nilfahrt von +Alexandria nach Kairo einen heftigen Sonnenstich geholt und mußten +unter wahnsinnigen Kopfschmerzen und häufigen Ohnmachtsanfällen dessen +Folgen tragen. Entsetzliche Schwüle herrschte in der Luft. Plötzlich +vernahmen die sich mühsam aufrichtenden Kranken ein donnerähnliches +Rollen, Geschrei und Wehklagen auf der Straße, Gebrüll von Tieren und +eiliges Laufen auf den Korridoren; die Bettgestelle schwankten, die +Türen des Zimmers flogen auf und zu, klirrende Fensterscheiben und +zerbrechende Gläser stürzten auf den Fußboden herab, an einzelnen +Stellen des Zimmers löste sich der Mörtel von den Wänden und fiel +polternd herunter, aber die unerfahrenen Europäer wußten sich die +Erscheinung nicht zu erklären. Ein neuer, <span class="pagenum" id="Page_34">[S. 34]</span>stärkerer Stoß folgte dem +ersten, man hörte das Einstürzen von Mauern in unmittelbarer Nähe +und fühlte, wie das Haus in seinen Grundfesten schwankte. Da wurde +den beiden Deutschen das Phänomen entsetzlich klar: ein Erdbeben +erschütterte die ägyptische Hauptstadt! Und ohne Hilfe lagen sie krank +und elend allein in ihren Betten, nicht imstande, gleich den anderen +Reisenden hinaus ins Freie zu flüchten. Ihre Lage war in der Tat +gräßlich. Die Naturerscheinung währte kaum eine Minute, und doch wurde +ihnen diese kurze Zeitspanne zu einer wahren Ewigkeit. Der geängstigte +Geist erging sich in den schauderhaftesten Vorstellungen, die Augen +folgten mit Todesangst den Rissen der zersprungenen Mauern, und +verzweiflungsvoll ergab sich die Seele dem bevorstehenden schrecklichen +Schicksal. Aber das von Europäern gebaute Haus hielt die starke +Erschütterung aus. Nach wenigen Minuten verkündigte ein herbeieilender +Diener, daß die Gefahr vorüber sei. In unmittelbarer Nähe des Gasthofes +waren jedoch 17 Menschen unter den Trümmern ihrer Behausungen begraben +worden.</p> + +<figure class="figcenter illowe50" id="illu_033"> + <img class="w100" src="images/illu_033.jpg" alt=""> + <figcaption> + Kairo von Norden aus gesehen<br> + Eine Ansicht nach einer farbigen Darstellung von Carl Werner in seinem + großen Aquarell-Faksimile-Werk „Nilbilder“, zu dem Brehm mit Dr. J. + Dümichen den Text schrieb (1871) + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_033_gross.jpg" + id="illu_033_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p>Nur langsam machte die Genesung unseres jungen Freundes Fortschritte, +zumal der griechische Quacksalber, der beide behandelte, ihn dreimal +zur Ader ließ und ihm durch 64 Blutegel so viel Blut abzapfte, daß +er ganz schwach wurde. Aber dann wuchsen mit steigenden Kräften auch +Lebensmut und Lebenslust wieder, und auf zahlreichen Eselritten lernte +nun Brehm die Märchenstadt Kairo, die ihn so ungastlich empfangen +hatte, mit ihrem bunten, echt orientalischen Leben und Treiben +kennen. Sie ist seitdem seine Lieblingsstadt geblieben, und keiner +hat das buntscheckige Gewühl ihrer Gassen und Märkte so meisterhaft +zu schildern gewußt wie er. Brehm besaß überhaupt in hervorragendem +Maße die Gabe, sich in fremde Verhältnisse einzuleben, sich den Sitten +und Gewohnheiten anderer Völker anzuschmiegen, ohne doch jemals +seiner Würde als Deutscher auch nur das Geringste zu vergeben. Er hat +dem deutschen Namen auch in fernen Ländern stets nur Ehre gemacht. +Gerade die Länder des Islams hatten es ihm angetan, und in die Denk-, +Anschauungs- und Sprechweise ihrer Bewohner wußte er sich so zu +vertiefen, sie sich in so hohem Maße zu eigen zu machen, wie selten +einer. Niemals hat er es versäumt, neben der Tierwelt der von ihm +bereisten Länder mit gleichem Eifer auch ihre Menschen zu studieren und +den Einfluß von Klima, Landschaft und Geschichte auf die Entwicklung +ihrer Eigenart klarzulegen. Der mohammedanischen Religion brachte er +so viel Achtung und ein <span class="pagenum" id="Page_35">[S. 35]</span>so weitgehendes Verständnis entgegen, daß er +in Europäerkreisen vielfach schon als Renegat galt. Aber bei Türken +und Arabern erfreute er sich trotz seiner Jugend großen Ansehens und +allgemeiner Beliebtheit. Viel schlechter als die Bekenner des Propheten +kommen in seinem Tagebuch die wenigen Europäer und Levantiner weg, die +sich schon damals im Sudan ansässig gemacht hatten und die allerdings +bis auf wenige Ausnahmen den Abschaum ihrer Länder darstellten. Für +das charakterlose Mischvolk der sog. Levantiner zum Beispiel hat er +nur unverhohlene Verachtung, so sehr er auch der Schönheit ihrer +Frauen Gerechtigkeit angedeihen läßt. Sein Herz gehörte den freien, +bettelarmen, aber stolzen Beduinenstämmen der Wüste, die er liebte, wie +er alles Unabhängige und wahrhaft Männliche liebte:</p> + +<p>„Sie sind in der Freiheit der Wüste geboren und groß geworden, sie +leben und sterben dort; sie denken und handeln frei und edel wie +jeder Freigeborene. Noch haben sich bei ihnen die alten Sitten ihrer +Vorfahren erhalten, noch hegen sie dieselben Gefühle für Recht und +Unrecht, welche die Patriarchen hegten; noch sind sie wie jene mit Herz +und Hand bereit, ihr gutes Recht sich zu erhalten oder zu verschaffen. +Der Beduine, das Kind der hochhehren Wüste, ist noch der Sohn der alten +und für ihn ewig neuen Freiheit. Er ist der unverdorbene Nachkomme +seiner tapferen und edlen Ahnen. Der Beduine lügt nie, er bestiehlt +oder betrügt niemanden, wohl aber tritt er mit der Waffe in der Faust +als kühner Räuber hervor, um sich seinen Lebensunterhalt zu erringen. +Er beraubt den friedlich durch die Wüste pilgernden Kaufmann nicht +als ein nach unseren Begriffen verächtlicher Wegelagerer, sondern als +mutiger, streitbarer Mann; er wird ihn nie berauben, wenn dieser ihn, +den Herrn der unbegrenzten Wüste, erst um sicheres Geleit ersuchte, +sein Gebiet durchwandern zu dürfen. Treu dem Freunde das gegebene +Versprechen haltend, geht er für seine Schutzbefohlenen ohne Zögern in +den Tod, furchtbaren Kampf dem Feinde schwörend, hält er das Gesetz +der Blutrache für das hochheiligste seines Stammes. Er vergibt keine +Beleidigung, er vergißt keine Wohltat. Seinen letzten Bissen Brot +teilt er mit seinem Gastfreunde, den letzten Wassertrunk spendet er +dem Verschmachtenden. Er ist in seiner Treue groß, in seiner Rache +furchtbar. Keinen Herrn über sich erkennend als das selbstgewählte +Stammesoberhaupt, verteidigt er seine weite Heimat mutig und tapfer +gegen jeden Feind. Ohne Hoffnung auf Ersatz unterhält er den, der sich +hungernd und dürstend in seinem Zelte einfindet, ohne Dank zu fordern, +bringt er ihn <span class="pagenum" id="Page_36">[S. 36]</span>in seine Heimat zurück. Sein Pferd ist ebenso edel und +treu wie er selbst, es ist sein ständiger Begleiter, er liebt es wie +Weib und Kind.“</p> + +<p>Brehm hat sich wiederholt lange Zeit in Chartum aufgehalten, nicht +immer ganz freiwillig, sondern weil empfindlicher Geldmangel ihm +die Fortsetzung der Reise unmöglich machte. In solchem Falle wurde +dann ein eigenes Häuschen gemietet und in dessen Hof ein Tiergarten +eingerichtet. Der türkische Generalstatthalter des Sudan, der in +dem noch jungen Chartum seinen Sitz hatte, schickte als Grundlage +dazu gleich in den ersten Tagen geschenkweise zwei Strauße, denen +sich bald ein Paar junge Hyänen sowie etliche Affen und Gazellen +und ein sehr herrschsüchtiger Marabu beigesellten. Die Eingeborenen +brachten überhaupt, nachdem die Absichten der beiden Deutschen in den +Kaffeehäusern und auf den Suks sich herumgesprochen hatten, allerlei +lebendes und totes Getier angeschleppt, das gern aufgekauft und zur +Bereicherung der Sammlungen verwendet wurde. So entwickelte sich +bald eine förmliche Naturalienbörse, aber sonstige Unterhaltung bot +die volkreiche Hauptstadt des Sudan kaum. Immerhin konnte man hier +nach so langen Entbehrungen in der Wildnis doch auch mal wieder mit +halbwegs gebildeten und gesitteten Menschen zusammen sein, wenngleich +man in dieser Hinsicht in Chartum nur sehr bescheidene Ansprüche +stellen durfte und öfters beide Augen zudrücken mußte. Auch Briefe +und Zeitungen gab es dann und wann einmal, und mit Erstaunen erfuhr +Brehm nach der Rückkehr aus Kordofan aus ihnen, welch gewaltige +Umwälzungen sich im Frühjahr 1848 in Europa vollzogen hatten, während +er fieberkrank in den Wäldern und Steppen Kordofans weilte. Der völlige +Mangel an Lesestoff war ja bisher nicht die geringste der vielen +Entbehrungen gewesen. Gierig las man zu wiederholten Malen jeden mit +den geliebten Lauten der Muttersprache bedeckten Papierfetzen, und der +elendste Schundroman würde Hochgenuß gewährt haben. Nun aber erhielt +Brehm in Chartum von verständnisvoller, feinfühliger Mutterhand sogar +einige der von ihm so glühend geliebten Werke unserer Klassiker. Wie +durfte er da schwelgen! Erst in der weiten Ferne, in der geistlosen +Fremde halbkultivierter Länder, unter Vertretern krassester Selbstsucht +und Geldgier würdigt man so recht die heimische Dichtkunst, erst da +empfindet man ihre ganze Kraft. Wer die Gesänge unserer Dichter völlig +in sich aufnehmen will, der muß sie lesen, wo er sie keinem andern, +sondern nur seinem eigenen Selbst mitteilen kann. Dann wird sich ihr +Wert und ihre Wirkung verdoppeln.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Page_37">[S. 37]</span></p> + +<p>„Bachida! Pfui! Du Teufelsvieh! Wirst du wohl auslassen! Wirst du wohl +artig sein! Bachida! Pfui!“ So erscholl Brehms zornige Stimme in einer +der staubumhüllten Gassen Chartums, und mit erhobener Peitsche eilte +er auf eine Löwin zu, die ein gerade friedlich vorübertrottendes Schaf +gepackt hatte, ergriff sie wie weiland Simson am Kopfe, riß ihr den +Rachen auf, erfaßte das arme Wolltier und schleuderte es mit einem +Fußtritt weit fort. Ein paar derbe Hiebe mit der Nilpferdpeitsche +klatschten auf das gelbe Löwenfell, aber die „Tochter Fathmes“, wie +die Sudanesen die weiblichen Löwen nennen, nahm die Züchtigung ruhig +hin, in dem Bewußtsein, für ihren Übergriff eine Strafe verdient +zu haben. Es war ja „Bachida“ (die Glückliche), die berühmte zahme +Löwin Brehms, die er als kaum pudelgroßes Jungtier von seinem Gönner +Latief Pascha zum Geschenk erhalten und auf das sorgfältigste erzogen +hatte. Innige Freundschaft verband beide. Bachida liebte ihren Herrn +zärtlich, folgte ihm in Haus und Hof, auf der Straße und im Freien +gehorsam wie ein Hund, liebkoste ihn bei jeder Gelegenheit und wurde +nur dadurch bisweilen lästig, daß sie nachts auf den Einfall kam, ihn +auf seinem Lager aufzusuchen und durch ihre Liebkosungen aufzuwecken. +Sie ersetzte zugleich den schärfsten Wachhund, denn lästiges Gesindel +wagte sich nicht auf das von einem Löwen behütete Gehöft, und sogar +die Kamele vorüberziehender Karawanen gingen unter dem Fluchen und +Schreien der Treiber oft durch, wenn sie durch eine Mauerlücke +das ihnen so furchtbare Tier erblickten. Zu den zahmen Antilopen +durfte die Löwin überhaupt nicht gelassen werden, obwohl sie ihnen +wahrscheinlich nichts zuleide getan hätte, da die Horntiere bei ihrem +Erscheinen verzweiflungsvoll gegen die Wände rannten und sich dabei +selbst verletzten. Im übrigen hatte sich Bachida natürlich bald zur +Beherrscherin und Tyrannin alles auf dem Hofe sich tummelnden Getiers +aufgeworfen. So liebenswürdig und gutmütig sie auch war, so war sie +doch ein wahrer Ausbund von Übermut und Necklust und liebte es sehr, +andere Lebewesen durch plötzliches Anspringen zu erschrecken, und +namentlich an den Affen und Raubvögeln kühlte sie gern ihr Lüstchen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Anfangs, solange sie noch klein war, setzte ein alter, urdrolliger +Pavian ihrem Übermut gewisse Schranken. Auch er zitterte zwar bei +ihrem Erscheinen und verzog das Maul auf grauenvolle Weise, griff +sie dann aber ohne weiteres mutvoll mit den Händen und rieb ihr <span class="pagenum" id="Page_38">[S. 38]</span>die +Ohren derartig um den Kopf herum, daß ihr Hören und Sehen vergehen +mochte und sie angstvoll das Weite suchte. Mit der Zeit jedoch wurde +die Löwin so stark, daß auch der Pavian ihrer nicht mehr Herr zu +werden vermochte. Doch an seine Stelle trat nun ein alter, mürrischer +Marabu. Bachida sah sich die barocke Philosophengestalt ganz starr +vor Neugierde an und gedachte dann nach ihrer Art den Langbeiner +durch plötzliches Anspringen zu erschrecken. Aber der verstand das +falsch, ging mit weiten Schritten und halbgelüfteten Schwingen +unerschrocken auf das Raubtier los, versetzte ihm rasch hintereinander +mit seinem gewaltigen Keilschnabel mehrere so nachdrückliche Püffe +und wiederholte diese Lektion mehrfach so gründlich, daß Bachida +unter Wutgebrüll das Hasenpanier ergreifen mußte, grimmig verfolgt +von dem schnabelklappernden Sieger. Seitdem ließ sie den wehrhaften +Storchenvogel achtungsvoll in Ruhe, aber mit den übrigen Tieren trieb +sie es nach wie vor.</p> + +<p>Wirkliche Ausschreitungen kamen bei alledem nur äußerst selten vor. +So wurde ihr schönes Freundschaftsverhältnis zu einem mutigen Widder, +mit dem sie besonders gern spielte, jäh zerrissen. Der Widder, +dessen Hornstöße sie sonst gutmütig ertrug, mochte einmal gar zu +grob zugestoßen haben, denn plötzlich geriet die Löwin in Zorn und +schmetterte ihn mit ein paar derben Tatzenschlägen zu Boden. Am +nächsten Morgen war der Spielgefährte tot. Schlimmer war der folgende +Fall, der zugleich eine harte Kraftprobe für das Verhältnis zwischen +Mensch und Raubtier bedeutete. Bachida hatte den Lieblingsaffen Brehms +erst mißhandelt, dann getötet und schließlich aufgefressen. Als Brehm +Kopf und Schwanz als die einzigen Überbleibsel des armen Opfers fand, +wurde er doch recht zornig, prügelte die Löwin tüchtig ab und verfolgte +die Flüchtende bis in den äußersten Winkel des Gehöfts. Als sie hier +nicht entrinnen konnte, nahm sie plötzlich eine andere Miene an als +früher und setzte sich kräftig zur Wehr. Wäre Brehm nur einen Schritt +zurückgewichen, so würde die im höchsten Grad erzürnte Löwin ihn +sicherlich angesprungen und wahrscheinlich erheblich verletzt haben. +Brehm war aber klug genug, fest stehen zu bleiben und unentwegt weiter +zu prügeln, zugleich aber auch eine Lücke freizulassen, durch die +Bachida entwischen konnte. Schon eine halbe Stunde später war ihr Zorn +verraucht, und schmeichelnd rieb sie sich nach Katzenart wieder an +ihrem Herrn, als wollte sie um Verzeihung bitten. Dies war der einzige +Streit, den beide jemals miteinander gehabt haben; nie erlaubte sich +Bachida sonst irgendwelche <span class="pagenum" id="Page_39">[S. 39]</span>Unart, nie bekundete sie irgendwie Wildheit +und Blutdurst des Raubtieres.</p> + +<p>Viel Spaß machte Brehm und seinen Freunden folgender Streich der +übermütigen Löwin. Im gleichen Hause wohnte ein fetter griechischer +Sklavenhändler und Wucherer. Dieser wollte einmal in der Regenzeit, +als der ganze Hof mehr einem Moraste glich, nach dem Stall gehen, um +seinen Reitesel zu besteigen. Da er dem Statthalter Latief Pascha +seine Aufwartung zu machen gedachte, war er in einen glänzend weißen, +neuen Seidenburnus gehüllt. Bachida lag gerade im dicksten Schmutz +und betrachtete verblüfft die weiße, ängstlich zwischen den Pfützen +sich durchwindende Gestalt. Dann duckte sie sich und sprang in einigen +furchtbaren Sätzen auf den Griechen zu, der vor Schreck stolpernd in +den Schmutz fiel und auch noch die Dummheit beging, laut zu schreien. +Die neckische Bachida faßte das als eine willkommene Aufforderung zur +Fortsetzung dieses unterhaltsamen Spieles auf, brachte durch einen +zweiten Satz den dicken Mann völlig zum Liegen, setzte sich ihm mit +Beifallsgebrüll auf den Schmerbauch, umarmte ihn sehr zärtlich, wälzte +ihn aber dabei derartig im Kote herum, daß von der strahlenden Kleidung +auch nicht ein Fleckchen mehr ohne Schlammkruste blieb. Lachend +befreite Brehm ihn, der nicht im geringsten verletzt war, aus den +Tatzen seines Peinigers. Der Grieche aber schwur Rache und beklagte +sich beim Statthalter. Da mußte er nun freilich die Erfahrung machen, +daß auch bei den Türken das Sprichwort gilt: „Wer den Schaden hat, +braucht für den Spott nicht zu sorgen.“</p> + +<p>Ernster war ein Zwischenfall, der sich auf der Heimreise zutrug, +wo Bachida abends stets an Land gelassen wurde, um sich ein wenig +auszutollen und zu entleeren, was das reinliche Tier in dem engen +Schiffskäfig grundsätzlich nicht tat. So war die Löwin einmal an einer +der Säulen des Tempels von Luxor angefesselt und ringsum von einer +zudringlichen und neugierigen Menschenmenge umgeben. Plötzlich stob +alles unter entsetzlichem Geschrei und Geheul, Fluchen und Jammern +auseinander, und Brehm erfuhr von den zu ihm Eilenden, daß „das +Scheusal“ soeben einen kleinen Negerknaben gepackt habe und gerade im +Begriff sei, ihn zu verschlingen. Es sei zwar nur ein Sklave, aber +er habe immerhin einen Geldwert von 1000 Piastern, die der Herr des +gefräßigen Raubtieres bezahlen müsse. Schleunigst rannte Brehm zu der +Unglücksstätte, um den gefangenen Buben zu befreien. Bachida spielte +mit ihm wie die Katze mit der Maus, drehte <span class="pagenum" id="Page_40">[S. 40]</span>ihn in ihren Pranken hin +und her, beroch ihn, zog ihn zu sich heran, ließ ihn wieder los, um +ihn augenblicklich von neuem zu halten, hatte ihm aber bis dahin +nicht das geringste Leid zugefügt und ihm nirgends auch nur die Haut +geritzt. Brehms Ankunft brachte ihr augenblicklich zur Besinnung, daß +der schwarze Schreihals kein Spielzeug für sie sei. Sie gab den Bengel +sofort freiwillig her.</p> + +<p>Im bescheidenen Pfarrhause zu Renthendorf war natürlich kein Platz +für eine leibhaftige afrikanische Löwin, und so mußte Bachida in den +Berliner Tiergarten wandern. Brehms Abschied von dem treuen Tiere war +wahrhaft schmerzlich, und rührend das Wiedersehen zwischen beiden nach +zweijähriger Trennung. Bachida erkannte ihren früheren Herrn trotz der +völlig veränderten Kleidung sofort an der Stimme und war vor Freude +ganz außer sich.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>„Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst du? Und warum willst du mir +das Licht des Vollmondes, dein Antlitz, entziehen? Weißt du nicht, daß +ich ein Franke bin? In meiner Heimat verhüllen die Wolken wohl oft +die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen +auf Erden. Ich bin gewohnt, unseren lieblichen Töchtern der Erzmutter +Eva frei ins Angesicht zu schauen. Warum willst du, Sonne, dich mir +verbergen?“</p> + +<p>„Dein Land ist nicht mein Land, deine Sitte ist nicht meine Sitte, o +Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sklavin. +Bedenke das, du Guter! Möge deine Nacht glücklich sein!“</p> + +<p>„Halt, Herrin, warum willst du davoneilen? Hast du mich noch nicht +gesehen?“</p> + +<p>„Oh, schon sehr oft, gleich bei deiner Ankunft sah ich dich und seitdem +alle Tage.“</p> + +<p>„Nun wohl, fürchtest du dich vor mir?“</p> + +<p>„Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit dir zu reden. Glückliche +Nacht!“</p> + +<p>„Warum entfliehst du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte dich!“</p> + +<p>„Ich darf nicht!“</p> + +<p>„So sage mir wenigstens deinen Namen, du liebliche Gazelle!“</p> + +<p>„Ich heiße Warde“ (Rose).</p> + +<p>„Wirst du wieder hierher kommen?“</p> + +<p>„Ich darf nicht, gute Nacht, Herr!“</p> + +<p>Die anmutige Mädchengestalt, die noch von dem ganzen Reize kindlicher +Lieblichkeit umflossen war, huschte davon. Aber sie kam <span class="pagenum" id="Page_41">[S. 41]</span>doch wieder. +Jeden Abend erschien sie auf dem flachen Dache ihres elterlichen +Hauses, das mit dem Haus Brehms zusammenstieß und nur durch eine +niedrige Mauer von ihm getrennt war. So erblühte dem Zwanzigjährigen +die Rose des Morgenlandes.</p> + +<figure class="figcenter illowe33" id="illu_041"> + <img class="w100" src="images/illu_041.jpg" alt=""> + <figcaption> + Alfred Edmund Brehm<br> + Nach einer Originalzeichnung von W. Planck + </figcaption> +</figure> + +<p>„Was willst du eigentlich von mir, o Fremdling?“ frug sie in ihrer +kindlichen Unschuld.</p> + +<p>„Reden will ich mit dir, du schlanke Gazelle. Meine Augen bedürfen +deines Lichtes, meine Seele bedarf deines Odems. Die Muscheln meiner +Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.“</p> + +<p><span class="pagenum" id="Page_42">[S. 42]</span></p> + +<p>„Hast du Eltern?“</p> + +<p>„Allah sei gelobt, ja!“</p> + +<p>„Hast du Schwestern?“</p> + +<p>„Ja, eine einzige. Aber sie ist weit, weit von hier und meine Eltern +auch und alle, die ich liebe. Ich bin ganz allein hier in der Fremde.“</p> + +<p>„O du Armer, so will ich deine Schwester sein. Nenne mich Schwester, +und ich werde dich Bruder nennen.“</p> + +<p>Es folgten berauschend schöne Tropenabende. Brehm lernte verstehen, +was das arabische Wort „Leila“ (Nacht) bedeutet. Noch in späteren +Jahren klang es ihm wie Musik. Manchmal durfte er Warde auch „Habihbti“ +(Geliebte) nennen. Der alte Scheich, den er als Sprachlehrer +aufgenommen hatte, lehrte ihn Worte, wie sie in den Büchern standen, +Warde lehrte ihn solche, wie sie das frisch erblühende Leben bedurfte. +Die Rose duftete für ihn, doch die Tage flogen dahin, und die +Abschiedsstunde nahte.</p> + +<p>„Die Betrübnis ist eingezogen bei uns,“ sagte Warde traurig, „und der +Schmerz ist zwischen uns getreten, mein Bruder, mein Freund, mein Herr! +Aber du kannst mich ja mit dir nehmen, o Lust meiner Seele!“</p> + +<p>„Nein, Warde, das kann ich nicht.“</p> + +<p>„Und warum nicht, mein Gebieter?“</p> + +<p>„Seele meines Lebens, ich kann nicht, ich darf nicht. Es wäre Sünde an +dir und deinem Leben, Habihbti! Und dann, wie soll ich dich mit mir +nehmen, Warde?“</p> + +<p>„Als dein Weib, Mann!“</p> + +<p>„In meinem Lande heiratet man nicht so früh. Ich zähle noch zu wenig +Jahre, als daß ich mir eine Frau nehmen könnte. Das bedenke, o Gute!“</p> + +<p>„So nimm mich mit dir als deine Dienerin, als deine Sklavin! Befiehl +mir, was ich sein soll, und ich werde dir gehorchen!“</p> + +<p>„Es geht nicht, es ist unmöglich, Warde, es wäre eine Sünde an dir! +Aber denke an mich, wenn ich in der Ferne bin!“</p> + +<p>„Oh, du wirst meiner gedenken, wenn das Unglück in dein Zelt tritt und +die Krankheit sich auf dein Lager legt.“</p> + +<p>„Ich werde deiner immer gedenken, Warde!“</p> + +<p>Sie antwortete nichts mehr: sie weinte.</p> + +<p>„Allah behüte dich, und Issa (Jesus) sei mit dir, du lieber, böser, +fremder Mann!“</p> + +<p>Das waren die letzten Worte, die Brehm von ihr vernahm.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Page_43">[S. 43]</span></p> + +<p>Selten ist wohl ein Liebesverhältnis zwischen Europäer und Afrikanerin +mit duftigerer Zartheit geschildert worden als dieses. Brehm war +überhaupt ein Typ männlicher Keuschheit, so wie sie Gottfried August +Bürger so schön besungen hat. Er war ganz gewiß kein Philister oder +Spielverderber oder Lebensverächter, aber nie kam im Familienkreise ein +unanständiges Wort über seine Lippen, selbst nicht beim Becherklang +inmitten vertrauter Freunde.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Verhältnisse Brehms in Chartum hatten sich inzwischen immer +peinlicher und unangenehmer gestaltet. Um seine geradezu verzweifelte +Lage zu verstehen, müssen wir einiges nachholen. Nach der geschilderten +Überwindung der Stromschnellen von Wadi-Halfa waren Baron Müller +und Brehm noch gemeinsam nilabwärts nach Alexandria gereist, und +hier schiffte sich der Baron nach Europa ein und eilte der deutschen +Heimat zu, während Brehm allein im schwarzen Erdteil zurückblieb. +Der Baron wollte in Deutschland die nötige Ausrüstung beschaffen für +eine sehr großartig von ihm angekündigte Forschungsreise nach den +Nilquellen, die ja damals das große geographische Problem waren, +und wollte noch weitere Teilnehmer dazu anwerben, um dann sobald +als möglich zurückzukehren und an der Spitze der neuen Expedition +ins unerforschte Innere von Afrika zu ziehen. Brehm sollte derweil +auch seinerseits allerlei Vorbereitungen treffen und die übrigen +Teilnehmer in Unterägypten erwarten, die Zwischenzeit aber durch Jagen +und Sammeln an dem 45 Quadratmeilen großen, aber nur metertiefen +Menzaleh-See ausnutzen, in dem er eine großartige Winterherberge +und Durchzugsstation osteuropäischen und westasiatischen Sumpf- und +Wassergeflügels entdeckt hatte.</p> + +<p>Er mußte viele Monate warten, war schon in Geldverlegenheit und +deshalb sehr ungeduldig, aber endlich langten doch drei weitere +Reiseteilnehmer mit einer freilich sehr bescheidenen Ausrüstung an. +Der Klügste von ihnen trat sofort zurück, als er bemerkte, wie völlig +ungenügend die so großspurig angekündigte Expedition finanziert war. +Es blieben der <span class="antiqua">Dr. med.</span> Richard Vierthaler aus Cöthen, der auf +eigene Kosten reiste, und — Brehms eigener, um sechs Jahre älterer +Stiefbruder Oskar. Die Freude des Wiedersehens war natürlich groß, +die Geldsumme aber, die Oskar dem jüngeren Bruder als dem vorläufigen +Expeditionsleiter aushändigte, war so gering, daß sie kaum zur +Bestreitung der Reisekosten bis Chartum ausreichte. <span class="pagenum" id="Page_44">[S. 44]</span>Indessen hatte ja +der Baron fest versprochen, baldmöglichst nachzukommen und reichliche +Geldmittel mitzubringen oder auch nach Chartum vorauszusenden. Für +Alfred Brehm, der trotz aller schlimmen Erfahrungen dem Baron immer +noch rückhaltlos vertraute, gab es daher kein Zögern, und er entschied +sich für sofortigen Aufbruch; sehnte er sich doch mit allen Fasern +seines Herzens danach, endlich aus dem langweiligen Unterägypten +fortzukommen und wieder in wirklich wilde Länder mit urwüchsigem +Tierleben zu gelangen. War man doch jetzt zu dritt und konnte +vereint alle Hemmnisse mit gemeinsamer Kraft leichter überwinden als +allein. Aber weder Dr. Vierthaler noch Oskar Brehm haben die Heimat +wiedergesehen. Jener erlag dem mörderischen Klima, und dieser ertrank +am 8. Mai 1850 bei Dongola vor den Augen des verzweifelnden Bruders im +Nil, ohne daß ihm rechtzeitig Hilfe gebracht werden konnte. Es war ein +schwerer Schlag für Alfred Brehm, unsern jungen Freund. Unter einer +einsamen Palme in der Wüste, eine Viertelstunde vom Nil entfernt, +erhebt sich Oskar Brehms schmuckloser Grabhügel.</p> + +<p>Nach beschwerlicher Reise kam Brehm ohne den geliebten Bruder abermals +in Chartum an, nahm seine Sammeltätigkeit wieder auf und wartete +geduldig auf den Baron oder doch wenigstens auf eine größere Geldsumme, +die die Weiterreise der „Expedition“ ins Innere ermöglichen würde. Aber +es kam nichts, höchstens dann und wann ein grober Brief mit Vorwürfen +darüber, daß die Expedition noch nicht zum Oberlauf des Blauen Flusses +vorgedrungen sei. Ja, wie hätte sie denn das ohne alle Geldmittel tun +sollen? Auch in Afrika ist das Reisen nicht umsonst, im Gegenteil um +das Vielfache teurer als in Europa. Trotzdem zog es auch Brehm mächtig +in die geheimnisvollen Urwälder am Blauen Nil, und er wollte wenigstens +einen Versuch unbedingt wagen, ehe das ungesunde Klima Chartums seine +körperlichen Kräfte wieder allzu sehr geschwächt haben würde. Er +hatte schon kleinere Schulden machen müssen und entschloß sich nun +zur Aufnahme eines größeren Darlehens, um seinen Plan durchführen zu +können. Er wandte sich an einen reichen Armenier, der mit schönen +Sklavinnen handelte und auch dafür bekannt war, daß er Wuchergeschäfte +machte. Der mochte den Deutschen wohl schon erwartet haben und empfing +ihn sehr freundlich:</p> + +<p>„Sie wünschen von mir Geld zu haben, verehrtester Herr. Ich bin gerne +erbötig, Ihren Wunsch zu erfüllen. Aber ich bin Kaufmann, und Sie +werden sich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, daß <span class="pagenum" id="Page_45">[S. 45]</span>ich nur gegen +Zinsen ein Darlehen gewähren kann. Auch glaube ich, daß es für Sie am +zweckmäßigsten wäre, wenn Sie zu Ihrer bevorstehenden Reise meine Barke +benutzen würden, die ich Ihnen für die Mietsumme von monatlich 700 +Piastern überlassen will. Wieviel Piaster haben Sie nötig?“</p> + +<p>Brehm nannte die Summe von 3000 Piastern. Der Gauner forderte 60 +Prozent Zinsen und für seine elende Barke das Doppelte des üblichen +Mietpreises. Das waren furchtbare Bedingungen, in deren Erfüllung +Brehm seinen völligen Untergang voraussah. Er kochte innerlich vor +Wut, aber er biß die Zähne zusammen und fügte sich, weil er sich eben +fügen mußte, weil der Ertrinkende in seiner Verzweiflung auch nach +einem Strohhalm greift. Als aber bei Ausstellung des Schuldscheins und +Berechnung der Geldsorten der Armenier den bedauernswerten Forscher um +weitere 20 Prozent zu betrügen versuchte, blieb der Deutsche seiner +Entrüstung nicht länger Herr. Mit starker Hand hielt er den Schurken an +seinem langen Barte fest und prügelte ihn mit der Nilpferdpeitsche, so +lange er seinen rechten Arm rühren konnte, und das dauerte sehr lange, +denn dieser Arm war jung und kräftig. Der getreue Ali hütete derweil +mit gespannter Pistole die Tür des Diwan⁠<a id="FNanchor_2_2" href="#Footnote_2_2" class="fnanchor">[2]</a>, so daß die Dienerschaft +ihrem jämmerlich um Hilfe rufenden Herrn keine Unterstützung bringen +konnte. Endlich entwand sich der Gauner Brehms ermattenden Händen, +flüchtete in seinen Harem und schrie: „Maladetto, jetzt sieh, wo du +Geld herbekommst!“ Ohne ein weiteres Wort verließ Brehm den Diwan des +bestraften Wucherers.</p> + +<div class="footnotes"> + +<div class="footnote"><p><a id="Footnote_2_2" href="#FNanchor_2_2" class="label">[2]</a> Empfangszimmer für Männer</p></div> + +</div> + +<p>Der gestrenge Oberstatthalter des Sudan, Latief Pascha, soll herzlich +gelacht haben, als ihm dies Geschichtchen zugetragen wurde, denn der +echte Türke mag ja den Armenier nicht ausstehen. Darauf fußend, wagte +es der verzweifelnde Brehm, den Pascha selbst in einer Bittschrift um +ein Darlehen von 5000 Piastern auf vier Monate anzugehen; bis dahin +würde er sicherlich Geld durch Baron Müller erhalten haben. Schon am +nächsten Tage hielt er eine Anweisung auf das Schatzamt in Händen: +„Wir haben das Gesuch des Deutschen Chalil Effendi⁠<a id="FNanchor_3_3" href="#Footnote_3_3" class="fnanchor">[3]</a> zu genehmigen +beschlossen und befehlen euch, ihm 5000 Piaster ohne Zinsen auf +vier Monate vorzustrecken. Laßt euch von ihm einen Empfangsschein +geben. Sollte der Herr aber nach Verlauf von vier Monaten noch nicht +imstande sein, das ihm geliehene <span class="pagenum" id="Page_46">[S. 46]</span>Geld an die Kasse der Regierung +zurückzuzahlen, so sendet uns seinen Empfangsschein zu und rechnet uns +die Summe von 5000 Piastern auf unsere Apanagen.“</p> + +<div class="footnotes"> + +<div class="footnote"><p><a id="Footnote_3_3" href="#FNanchor_3_3" class="label">[3]</a> So wurde Brehm von Arabern und Türken genannt</p></div> + +</div> + +<p>So großmütig, wahrhaft königlich handelte der Türke. Als Brehm seinem +Gönner einen Dankbesuch abstattete, wurde er mit Worten empfangen, +die fast wie ein Vorwurf klangen: „Es war unrecht von dir, Chalil +Effendi, daß du mir deine Verlegenheit nicht schon früher angezeigt +hast. Ich würde sie längst beendigt haben. Wie konntest du aber auch +erst zu einem dieser schurkischen Christen gehen, statt gleich zu einem +Mohammedaner?“</p> + +<p>Die Reise nach dem Oberlauf des Blauen Flusses konnte also +angetreten werden. Sie gestaltete sich zu einer der glücklichsten +und erfolgreichsten, die Brehm je gemacht hat, zumal er dabei von +den tückischen Fieberanfällen so ziemlich verschont blieb. Er konnte +diesmal weit tiefer ins Innere vordringen als früher mit Baron Müller. +Erst als der Schießbedarf zu Ende ging und sich die Ausbeute zu stark +anhäufte, kehrte er um. Jetzt lernte er überdies die überwältigende +Formen- und Farbenfülle der Tropen erst in ihrem ganzen Umfang kennen +und wurde mit den sagenhaftesten Gestalten der Urwälder und Sümpfe +innig vertraut. Hier lebt auch der riesenhafte, vorsintflutlich +anmutende Watvogel, den die Araber Abu Markub nennen, d. h. Vater des +Schuhs, denn in der Tat hat sein absonderlicher Schnabel die größte +Ähnlichkeit mit den plumpen Schuhen, wie sie die ägyptischen Bauern +tragen. Aufregende jagdliche Abenteuer gab es in Hülle und Fülle, und +einmal wäre Brehm um Haaresbreite von einem wütenden Nilpferd getötet +worden; nur seine Schwimmkunst rettete ihm das Leben. Mit einer +Ausbeute von nicht weniger als 1400 seltenen und wertvollen Vogelbälgen +kehrte der Forscher glücklich nach Chartum zurück.</p> + +<figure class="figcenter illowe33" id="illu_047"> + <img class="w100" src="images/illu_047.jpg" alt=""> + <figcaption> + Schuhschnabel oder walköpfiger Storch (<span class="antiqua">Balaeniceps + rex</span>) aus dem Weißen Nilgebiet. Das ist der Vogel „Abu Markub“ — + eine Vogelart, die Brehm auf seinen Nilfahrten beobachtete. Unserer + Abbildung liegt eine Photographie aus dem Jahre 1928 zugrunde.<br> + (Nach einer Aufnahme von Carl Hagenbeck, Stellingen) + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_047_gross.jpg" + id="illu_047_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p>Hier erwarteten ihn wohl Nachrichten aus dem Elternhause, aber +von Baron Müller waren weder Briefe noch Wechsel noch sonst ein +Lebenszeichen eingetroffen. Es kam auch künftig nichts mehr. Damit +begann die alte Geldverlegenheit mit all ihrem aufreibenden Elend von +neuem. Brehm mußte sich aufs äußerste einschränken, aber er arbeitete +unverdrossen weiter an der Vervollständigung seiner Sammlungen, weil +nur durch Arbeit seine entsetzliche Lage erträglicher wurde, weil nur +die Natur Genüsse bot, die ihn das Elend seiner häuslichen Umstände +vergessen ließen. Schließlich erfuhr er durch den österreichischen +Konsul von Kairo auf Anfrage, daß Baron <span class="pagenum" id="Page_48">[S. 48]</span>Müller bankerott sei. Damit +war der letzte Hoffnungsstrahl geschwunden! Verlassen und verraten +im Innern Afrikas! Ohne Mittel zur Heimkehr! Nur wer selbst gleich +dem Schreiber dieser Zeilen eine ähnliche Lage durchgemacht hat, wird +ermessen können, was sie bedeutet. Dazu stellte sich das „Geschenk +des Teufels“, die Malaria, wieder ein und steigerte sich zu immer +heftigeren und in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrenden +Anfällen. Aber die wissenschaftliche Ausbeute durfte trotzdem +nicht notleiden, alles Entbehrliche wurde für sie verwendet. Brehm +vertauschte seine silberne Uhr gegen acht Pfund Schießpulver, er +verkaufte Kleider, Waffen, Bücher, Kisten, Wäsche, den wenigen Schmuck, +den er besaß, kurz alles, was sich irgend verkaufen ließ. Er bat in +seiner Not den Pascha um etwas Schießpulver. „Gebt dem Herrn 6000 Stück +Militärpatronen zum Einkaufspreise der Regierung!“ lautete die an den +Aufseher des Pulvermagazins zu überbringende Antwort. Das Pulver war +freilich schlecht, aber das Pfund kostete auf diese Weise auch nur +fünf Piaster, und die Bleikugeln waren umsonst. Brehm goß Schrote aus +ihnen. Natürlich konnte er dem Pascha auch die entliehenen 5000 Piaster +vorläufig nicht zurückzahlen und bat deshalb brieflich um Verlängerung +der Frist. „Zwischen dir und mir gibt es keine beschwerlichen Dinge“, +schrieb der Türke einfach zurück.</p> + +<p>Ich kannte früher ein rührendes Gedicht Brehms aus dieser Leidenszeit, +betitelt „Meine letzten drei Freunde“⁠<a id="FNanchor_4_4" href="#Footnote_4_4" class="fnanchor">[4]</a>, unter denen er seine +vielerprobte Büchse, seinen treuen Diener Ali und seine zahme Löwin +Bachida verstand. Und wurde unserem Freunde das Herz einmal gar zu +kummerschwer, und war der Dämon des Fiebers einmal auf Stunden von ihm +gewichen, dann schulterte er sein Gewehr und zog hinaus in die freie +Natur, sich neu zu kräftigen und zu stärken. Wer in der Natur Trost zu +finden weiß, der kann ja niemals ganz unglücklich werden!</p> + +<div class="footnotes"> + +<div class="footnote"><p><a id="Footnote_4_4" href="#FNanchor_4_4" class="label">[4]</a> Alle meine Bemühungen, es wieder aufzutreiben, sind leider +vergeblich gewesen</p></div> + +</div> + +<p>Um diese kritische Zeit kam ein deutscher Großkaufmann aus Petersburg, +namens Bauerhorst, nach Chartum, um dort Handelsbeziehungen +anzuknüpfen. Er war ein anständiger Mensch, befreundete sich bald mit +Brehm und erbot sich, ihn nach Abwicklung seiner Geschäfte bis nach +Kairo mitzunehmen. Ein Ausweg? Es fragte sich, ob der Pascha als Brehms +Hauptgläubiger die Erlaubnis zu dessen Abreise vor Bezahlung der Schuld +geben würde. Beide gingen deshalb <span class="pagenum" id="Page_49">[S. 49]</span>zu ihm, Bauerhorst, um Abschied +zu nehmen, Brehm, um zu bitten, seine Schuld von Kairo aus zahlen zu +dürfen.</p> + +<p>Der Pascha war schlechter Laune und anfangs sehr kalt. Brehm übersetzte +zuerst Bauerhorsts Abschiedsworte und kam dann zu seiner Bitte: +„Herrlichkeit, ich muß zugrunde gehen, wenn ich noch länger hier +verweile. Nach Aussage der Ärzte ist mein geschwächter Körper nicht +mehr fähig, neuen Fieberanfällen Widerstand zu leisten. Ich muß eilen, +ein gesundes Klima zu erreichen; auch möchte ich gerne die Lieben im +Vaterlande wiedersehen, von denen ich so lange getrennt gewesen bin.“</p> + +<p>„Aber wer hält dich denn hier zurück, Chalil Effendi? So ziehe doch in +Frieden deiner Heimat zu!“</p> + +<p>„Herrlichkeit, mich hält einzig und allein mein gegebenes Wort zurück. +Ich bin dein Schuldner und freue mich, es zu sein, weil ich dadurch +deine Großmut erkennen lernte. Es ist mir aber unmöglich, mein Wort +hier zu lösen, wie ich es versprochen habe. Ich kann es nur in Kairo. +Willst du mir erlauben, daß ich dahin abreisen darf, so wirst du das +Maß deiner gegen den Fremdling reichlich bewiesenen Güte übervoll +machen.“</p> + +<p>„Zum Teufel! Was denkst du von mir, Chalil Effendi? Bezahle zwei Monate +nach deiner Ankunft an deinen Konsul in Kairo; ich werde das Geld dort +erheben lassen. Aber wie willst du nach Kairo gelangen? Das ist ein Weg +von mehreren hundert Meilen. Wo willst du die Reisekosten hernehmen?“</p> + +<p>„Mein Freund Bauerhorst hat versprochen, sie bis nach Kairo auszulegen.“</p> + +<p>„Ganz gut, Chalil Effendi, aber ich will dir noch eine Lehre geben. Du +bist noch jung und kannst noch nicht die Menschenkenntnis besitzen, +die ich mir durch lange Erfahrung im Geschäftsleben erworben habe. +Glaube mir, der beste Freund verwandelt sich allgemach in einen Feind, +wenn man ihn fortwährend um Geld anzusprechen gezwungen ist. Ich kann +verhüten, daß auch du diese Erfahrung machst, und ich will es. Ich +werde verfügen, daß man dir noch 5000 Piaster aus der Schatzkammer +ausbezahlt. Du bist dann 10000 Piaster schuldig. Zahle sie an deinen +Konsul in Kairo zurück!“</p> + +<p>Brehm, für den diese Worte eine glänzende Erlösung aus seinem Elend +und die endliche Rückkehr in die Heimat bedeuteten, fand anfangs kaum +Worte, seinen Dank auszudrücken. Endlich stammelte er: „Herrlichkeit, +deine Gnade drückt mich zu Boden. Ich werde <span class="pagenum" id="Page_50">[S. 50]</span>deinen Edelmut nie +vergessen.“ In dem feuchten Blick des beglückten Deutschen mochte +der Pascha wohl lesen, daß er seine Großmut an keinen Unwürdigen +verschwendet habe. Freundlich entließ er ihn⁠<a id="FNanchor_5_5" href="#Footnote_5_5" class="fnanchor">[5]</a>.</p> + +<div class="footnotes"> + +<div class="footnote"><p><a id="Footnote_5_5" href="#FNanchor_5_5" class="label">[5]</a> Brehm hat mit Hilfe seiner Verwandten die Schuld pünktlich +zurückgezahlt. Der Pascha schrieb später dem alten Brehm noch einen +sehr netten Brief, worin er ihn zu diesem Sohn beglückwünscht</p></div> + +</div> + +<p>Nun ging es also wirklich an die Zurüstungen zu der langwierigen +Heimfahrt, die bei der Menge der angesammelten wissenschaftlichen +Ausbeute und der großen Anzahl Tiere, die lebendig mitgeführt werden +mußten, recht umständlich waren. In Kairo traf Brehm zufällig mit +seinem berühmten Landsmann Theodor von Heuglin zusammen, und beide +machten gemeinsam noch einen Abstecher nach dem Sinai. Es ist +bezeichnend für Brehm, daß er, obwohl es ihn begreiflicherweise mit +allen Fasern seines Herzens nach der trauten Heimat zog, doch diese +Gelegenheit nicht versäumen wollte, nun auch noch die zwar spärliche, +aber sehr eigenartige Tierwelt des Sinai kennenzulernen, um sie mit +der ägyptischen vergleichen zu können. Am 16. Juli 1852 drückte Alfred +Brehm nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit seine treuen Eltern wieder +ans Herz. Ein unreifer Jüngling war nach Afrika hinausgezogen, ein weit +über seine Jahre gereifter, ernster, ganzer Mann kehrte zurück.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="In_Spanien">In Spanien</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">I</span>n einer wonnigen Frühlingsnacht saß Brehm am Fuße der Alhambra und +lauschte in verträumtem Sinnen den Nachtigallen. Vollmondschein +versilberte das steingewordene Spitzengewebe des arabischen Wunderbaus. +Brehm dachte darüber nach, wie recht doch Alexander Dumas wenigstens +in tiergeographischer Hinsicht hat, wenn er sagt: „Afrika beginnt +hinter den Pyrenäen“. Und der Deutsche begriff, daß er nunmehr hier +in Andalusien im afrikanischsten Teile Spaniens angekommen sei. Er +vergegenwärtigte sich den Weg über die vielbesungene Sierra Morena, +diesen Smaragd am Herzen Spaniens, auf daß nun auch die dritte, +schönste und letzte der scharf abgegrenzten Zonen Spaniens ihm ihre +Pforten öffne. Palmen und Kaktusfeigen, die riesenhafte Agave und +der Johannisbrotbaum traten nunmehr als Charakterpflanzen auf. Hier +herrscht der Himmel Nordafrikas mit seiner Milde und seiner Glut. Hier +klingt und singt es wieder, denn der Winter muß zum Frühling werden. +Singend <span class="pagenum" id="Page_51">[S. 51]</span>reden die Menschen, wenn sie sprechen, tanzend bewegen sie +sich, wenn sie gehen.</p> + +<p>Und die Vögel? Nun auch sie teilen die allgemeine Lust. Sie sind +es, die dem ernsten Gebirge, das sich ohne den Schmuck frischgrüner +Wälder zum Himmel hebt, seinen Ernst zu nehmen sich erdreisten, die +es wenigstens zu beleben versuchen. Hier in dieser Zone ist der Süden +zur alleinigen Herrschaft gelangt, aber er hat den Norden gebeten, ihm +einige seiner Sänger zu leihen, denn er will nicht bloß in Farben leben +und blühen und glühen, sondern auch in Klängen und Liedern. Deshalb +durften in Andalusien die Sänger nicht fehlen.</p> + +<figure class="figcenter illowe36" id="illu_051"> + <img class="w100" src="images/illu_051.jpg" alt=""> + <figcaption> + Theodor von Heuglin (1824–1876), der Begleiter Brehms + auf der Reise nach dem Sinai.<br> + Nach einer zeitgenössischen Lithographie von E. Pfann aus dem Nachlaß + Heuglins im Museum für Länder- und Völkerkunde — Lindenmuseum — in + Stuttgart + </figcaption> +</figure> + +<p>Ein Abendbummel innerhalb der Ringmauern des Feenschlosses Alhambra +muß nicht nur einem Brehm, sondern im Frühling auch jedem anderen +Menschenkinde, und wäre es das prosaischste auf der weiten Erde, einen +gewissen poetischen Schwung in die Seele tragen. Diese Stimmung bringt +die Königin der Hecken und Gebüsche, die Nachtigall. Einige Provinzen +Spaniens sind reichbegabt mit diesem herrlichsten aller Sänger. Nicht +hier und dort, ein ganzes Stück vom nächsten entfernt, singt und jubelt +einer wie bei uns zu Lande: nein, Hunderte hört man zu gleicher Zeit. +In jedem Gebüsch schlägt eine Nachtigall, in jeder Hecke wohnt ein +Pärchen. Die ganze große, grüne Sierra Morena gleicht einem einzigen +Nachtigallengarten. Um die großartigen Felsterrassen, Galerien, Kegel +und Wälle der Gralsburg <span class="pagenum" id="Page_52">[S. 52]</span>Monserrat in Katalonien klingt in wunderbarer +Harmonie das von hundert und tausend gesungene <em class="gesperrt">eine</em> Lied, und +selbst im Innern Spaniens sind alle zusammenhängenden Gebüsche voll +von dem <em class="gesperrt">einen</em> Schlag. Eine Wanderung durch Feld und Wald im +begrünten Gebirge ist ein fortdauernder Genuß, denn ein nimmer endendes +Konzert erquickt das innerste Herz. Im klang- und poesiereichen +Andalusien, im freundlich ernsten Katalonien, im frischgrünen +Schweizerland in Galizien oder Asturien, überall jauchzt dem Wanderer +die Nachtigall entgegen. Die beiden Brehm waren bei ihrem Eintreffen in +Spanien bezaubert, hingerissen von diesem Nachtigallenkonzert, zumal +man die einzelnen Sänger gar nicht mehr unterscheiden konnte: es waren +ihrer zu viele! Man mochte sich wenden, wohin man wollte, überall +begegnete man der Nachtigall als dem häufigsten Singvogel. In jedem +Orangengarten lebten zwei, vier, sechs, acht oder zehn Paare oder noch +mehr. Die Bäume prangten im Schmuck ihrer duftigen Blüten und goldenen +Früchte und vereinigten sich mit den Nachtigallen, denen sie in ihrem +dunklen Gelaub Herberge boten, um Auge und Ohr des Forschers mit nie +gekannten Genüssen zu erfüllen. Die Hallen des alten Königsschlosses +Alhambra sind verödet, ihr prunkvolles Leben erstarb, aber die +gefiederten Minnesänger aus alter Zeit sind treu geblieben und werden +es bleiben, solange das auf die Höhe geleitete Wasser noch rauscht und +murmelt und flüsternd erzählt von entschwundener Herrlichkeit.</p> + +<p>Brehm ist zweimal in Spanien gewesen, hat aber leider gerade über +diese beiden Reisen fast nichts veröffentlicht; das erstemal kam er +gleich nach seiner Studentenzeit zusammen mit seinem älteren Bruder +Reinhold, der dabei als Arzt in Madrid hängen geblieben ist und den +jüngeren Alfred um viele Jahre überlebt hat. Durch den Verkehr mit +Schmugglern, Räubern, Zigeunern und halbwilden Hirten soll gerade +diese Reise, über die Brehm nicht gern redete, überreich gewesen sein +an Abenteuern und romantischen Erlebnissen aller Art. Bald sprach +Brehm fließend Spanisch und konnte sich nach seiner Art auch in das +Studium der Bevölkerung vertiefen, die er dabei herzlich lieb gewann. +Ihre vornehme Haltung, ihr stolzes, ritterliches Wesen entsprach ja so +ganz seiner eigenen Wesens- und Denkart. Zur Deckung der Reisekosten +hatten die Brüder „Aktien“ herausgegeben, deren Inhaber das Recht +besaßen, für einen entsprechenden Betrag unter der Ausbeute das ihnen +Zusagende sich auszuwählen. Deshalb konnte leider ein Großteil dieser +wertvollen Ausbeute, <span class="pagenum" id="Page_53">[S. 53]</span>soweit sie nicht in die Sammlung des Vaters +überging, nicht als Ganzes wissenschaftlich bearbeitet werden, sondern +wurde gleich nach Beendigung der Reise in alle Welt zersplittert. +Das ist tief zu beklagen, denn Spanien ist auch heute noch das +ornithologisch unerforschteste Land Europas. Die zweite spanische Reise +machte Brehm 1879 zusammen mit seinem Freunde, dem Kronprinzen Rudolf +von Österreich. Es war wohl mehr eine Art höfischer Jagdreise, die +hauptsächlich den Steinböcken, Adlern und Bartgeiern galt und die Brehm +mancherlei Orden und Auszeichnungen eintrug, woraus er sich aber nie +viel gemacht hat. Als er starb, stand ein Prachtexemplar der zweiten +Auflage des „Tierlebens“ in Renthendorf versandfertig für den König von +Spanien bereit. Mit Veröffentlichungen über diese doch gewiß auch sehr +interessante Reise wollte Brehm wahrscheinlich dem Kronprinzen, der ja +selbst schriftstellerte, nicht vorgreifen, und so sind sie leider ganz +unterblieben.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Nordlandfahrt">Nordlandfahrt</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">E</span>rik Svensen, der alte verwitterte norwegische Trapper, der Brehms +unzertrennlicher Jagdgefährte in Lappland geworden war, kniete nieder, +prüfte aufmerksam den Boden und sagte: „Hier hat heute ein Renntier +geäst. Schau, diese Pflanzen sind frisch abgebissen, und hier liegt +ein Stengel daneben, noch saftig und unverwelkt.“ Nicht weit davon +fand denn auch Brehm an einer feuchten Stelle die scharf und frisch +abgedrückte Fährte des begehrten Wildes. Kein Zweifel also: wilde +Renntiere, an deren genauer Beobachtung Brehm so viel lag, waren +wirklich in der Nähe. Es kostete aber noch manchen vergeblichen +Pirschgang und manchen Schweißtropfen, bis man zum Ziele gelangte. +Es bedurfte oft meilenweiter Märsche auf völlig ungewohntem und +überaus schwierigem Gelände. An Gefahr war dabei allerdings kaum zu +denken, aber Beschwerden gab es genug. Die Halden bestanden nur aus +wirr durcheinander und übereinander gewürfelten Schieferplatten, die +entweder beim Darüberschreiten in rutschende Bewegung gerieten oder +aber so scharfkantige Ecken, Spitzen und Kanten hervorstreckten, daß +jeder Schritt durch die Stiefelsohlen hindurch schmerzlich fühlbar +wurde. Die außerordentliche Glätte der Platten, über die das Wasser +herabrieselt, vermehrte noch die Schwierigkeiten des Weges, und das +beständige Durchwaten <span class="pagenum" id="Page_54">[S. 54]</span>der glatt gescheuerten Rinnsale erforderte +ängstliche Vorsicht, wenn man blutige Abschürfungen an Armen und Beinen +sowie ein unfreiwilliges Bad im eiskalten Gebirgswasser vermeiden +wollte. Man kam deshalb auf Pirschgängen nicht gerade rasch vorwärts. +Die Renntiere selbst standen oben auf den kahlen Hochflächen, die nur +noch mit Zwergbirken, Beerengestrüpp, Moosen und Flechten spärlich +bekleidet waren.</p> + +<p>Endlich erspähte Brehm von einem Hügel aus in einer Talmulde ein +Rudel von 18 Renntieren. Er und Svensen entledigten sich rasch alles +überflüssigen Gepäcks, prüften die Windrichtung und krochen dann +Schritt für Schritt mit aller erdenklichen Vorsicht das scheue und +scharfsinnige Wild an, bis sie hinter einigen großen Steinen Deckung +fanden und Atem schöpfen konnten. Brehms Wunsch war erfüllt: Es war ein +prachtvolles Schauspiel, das das Rudel ihm bot. Er brachte das Fernrohr +gar nicht mehr vom Auge, um nur ja keine Bewegung der edlen Tiere sich +entgehen zu lassen. Einige ästen, andere hatten sich niedergetan, +wieder andere liefen spielerisch hin und her oder neckten sich mit +ihren vielzackigen Geweihen. Plötzlich aber kam Leben und Bewegung, +Schrecken und Furcht über alle. Sie stoben davon und jagten trottend +durch Sumpf und Moor, gerade auf die Jäger zu, blieben dann aber +wieder sichernd stehen, noch immer außer Schußweite. Brehms scharfes +Auge erspähte auch bald die Ursache der ärgerlichen Störung in einem +dunklen Klumpen, den er zunächst für einen Bären hielt. Als das Tier +sich aber bewegte, erkannte er sofort, daß er es mit einem ungewöhnlich +großen Vielfraß zu tun habe, und nun überwog bei ihm natürlich der +Forscher den Jäger, denn der sagenumwobene Vielfraß gehört ja zu +denjenigen Tieren, deren ein Zoologe nur ganz selten einmal in freier +Natur ansichtig wird. Brehm bemerkte, wie der Vielfraß mit sehr stark +bogenförmigen Sätzen lief, einem Marder entfernt ähnlich, aber mit +weit mehr gebogenem Rücken und viel größeren Wölbungen, beinahe lauter +Purzelbäume schlagend. Dieser Gang, die stattliche Größe und die dicke, +buschige Lunte machen den Vielfraß sofort kenntlich. Der Räuber schien +aber Verdacht geschöpft zu haben. Plötzlich verließ er seinen Ausguck, +trabte, trottelte und kugelte dem Gebirge zu, fing unterwegs flugs noch +einen Lemming, verspeiste ihn im Weiterlaufen, sah sich noch einmal +mißgünstig nach dem menschlichen Störenfried und betrübt nach den +Renntieren um und verschwand dann im Geklüft des Bergrückens.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Page_55">[S. 55]</span></p> + +<p>Da das Gelände nirgends Deckung zum Anschleichen bot, blieb den Jägern +nichts übrig, als sich an zwei halbwegs günstigen Stellen niederzulegen +und ein Näherkommen des Wildes abzuwarten. Drei volle Stunden lang +wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Sie durften sich ja +nicht rühren, alle Glieder wurden steif, und in dem quatschnassen +Moos lag es sich auch nicht gerade behaglich. Endlich äste sich das +Rudel ganz langsam näher heran. Schon hob Brehm zögernd die Büchse, +da krachte drüben der Schuß des Norwegers. Das Rudel schreckte, zog +ängstlich hin und her, sicherte und wurde schließlich flüchtig. Ein +Stück lahmte, trennte sich von den anderen und nahm die Richtung auf +Brehm zu. Der schoß und sah zu seiner unaussprechlichen Freude das edle +Wild im Feuer zusammenstürzen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Donnernd hallte ein Kanonenschuß über die bewegten Fluten des +Eismeeres und brach sich an den jähen Felsenwänden des Nordkaps und +des Vogelberges Svärtholm. Der norwegische Schiffskapitän hatte sein +Geschütz abfeuern lassen, um Brehm das Schauspiel der aufgescheuchten +Brutkolonie von Dreizehenmöwen zu ermöglichen. Wie wenn ein tosender +Wintersturm durch die Luft zieht und schneeschwangere Wolken aneinander +schlägt, bis sie, in Flocken zerteilt, sich herniedersenken: so +schneite es jetzt von oben lebendige Vögel herunter. Man sah weder +den Berg noch den Himmel, sondern nur ein Wirrsal ohnegleichen. Eine +dichte Wolke erfüllte den ganzen Gesichtskreis, und erfüllt war Fabers +Wort: „Sie verbergen die Sonne, wenn sie fliegen.“ Heftig blies der +Nordwind, und wütend brandete das Eismeer am Fuß der Klippen, aber +lauter noch erklangen die kreischenden Schreie der Möwen, damit auch +das Wort sich bewahrheitete: „Sie übertäuben das Tosen der Brandung, +wenn sie schreien.“ Die Wolke senkte sich endlich auf das Meer +hernieder, die bisher von ihr umnebelten Umrisse von Svärtholm traten +wieder hervor, und ein neues Schauspiel fesselte die Blicke. Auf den +Felsbändern schienen noch ebensoviele Möwen zu sitzen wie vorher, und +Tausende flogen noch ab und zu, auf dem Meere aber, soweit es sich +überschauen ließ, lagen, leichten Schaumballen vergleichbar, die weißen +Vögel und schaukelten mit den Wogen auf und nieder. „Wie soll ich +diesen herrlichen Anblick beschreiben? Soll ich sagen, daß das Meer +Millionen und aber Millionen lichte Perlen in sein dunkles Wellenkleid +geflochten habe? Oder soll ich die Möwen mit Sternen <span class="pagenum" id="Page_56">[S. 56]</span>und das Meer +mit dem Himmelsgewölbe vergleichen? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, +daß ich auf dem Meere noch niemals Schöneres erschaut habe. Und als +wäre es noch nicht genug des Zaubers, goß plötzlich die auf kurze Zeit +verhüllt gewesene Mitternachtssonne ihr rosiges Licht über Vorgebirge +und Meer und Vögel, beleuchtete alle Wellenkämme, als ob ein goldenes, +weitmaschiges Netz über die See geworfen wäre, und ließ die ebenfalls +rosig überstrahlten, blendenden Möwen nur um so leuchtender erscheinen. +Da standen wir sprachlos im Schauen!“</p> + +<p>Es gibt aber auch noch Vogelberge anderer, nicht minder großartiger +Art im Norden, die auf ihren Rücken mit torfiger Erde bedeckt sind +und die hauptsächlich von Alken, Lummen und Lunden bevölkert werden, +zwischen die nur vereinzelt Kormorane und Möwen sich eindrängen. +Brehm hat auf seiner durch die Unterstützung der „Gartenlaube“ +ermöglichten Nordlandreise auch die größte dieser Siedlungen besucht. +Die Torfrinde des Berges war nach Art von Kaninchenhöhlen dicht von +Bruthöhlen durchlöchert. Unter Brehms Tritten, der in Schraubenlinien +zum Gipfel des Berges emporstieg, zitterte das unterwühlte Erdreich. +Und hervor aus allen Höhlen lugten, krochen, rutschten, flogen mehr +als taubengroße, oberseits schieferfarbene, auf Brust und Bauch +glänzend weiße Vögel mit phantastischen Schnäbeln und Gesichtern, +kurzen, schmalen, spitzigen Flügeln und stummelhaften Schwänzen. Aus +allen Löchern erschienen sie, aus Ritzen und Spalten des Gesteins +nicht minder. Wohin man blickte, boten sich nur Vögel dem Auge, und +ihre leise knarrenden Stimmen vereinigten sich zu einem sonderbaren +Gedröhn. Jeder Schritt weiter entlockte neue Scharen dem Bauche der +Erde. Von dem Berge herab nach dem Meere begann es zu fliegen, von +dem Meere nach dem Berge hinauf schwärmten bereits unzählbare Massen. +Aus Hunderten waren Tausende, aus Tausenden Zehntausende geworden, +und Hunderttausende entwuchsen fortwährend dem braungrünen Boden. +Eine Vogelwolke umhüllte den Forscher, umhüllte den ganzen Berg, so +daß dieser, zauberhaft wohl, aber den Sinnen noch begreiflich, zu +einem riesenhaften Bienenstocke sich wandelte, um den nicht minder +riesenhafte Bienen schwirrend und summend schwebten und gaukelten. Je +weiter Brehm kam, um so großartiger gestaltete sich das Schauspiel. Der +ganze Berg wurde lebendig. Hunderttausende von Vogelaugen lugten auf +den Eindringling herab.</p> + +<figure class="figcenter illowe50" id="illu_057"> + <img class="w100" src="images/illu_057.jpg" alt=""> + <figcaption> + Der Vogelberg in Vesteraalen (Norwegen). Nach einer Zeichnung + aus dem Jahre 1861<br> + Von links nach rechts: Teisten, Scharbe, Lummen, Lunde, Möwe, Alk + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_057_gross.jpg" + id="illu_057_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p>„Aus allen Ecken und Enden, von allen Winkeln und Vorsprüngen <span class="pagenum" id="Page_58">[S. 58]</span>her, +aus allen Ritzen, Höhlen und Löchern wälzte es sich heraus, zur +Rechten wie zur Linken, ober- und unterhalb, in der Luft wie auf +dem Boden wimmelte es von Vögeln. Von den Wänden wie vom Gipfel des +Berges herab ins Meer stürzten sich ununterbrochen Tausende in so +dichtem Gedränge, daß sie dem Auge ein festes Dach vorzutäuschen +vermochten. Tausende kamen, Tausende gingen, Tausende saßen, Tausende +tänzelten unter Zuhilfenahme der Schwingen in wundersamer Weise dahin, +Hunderttausende flogen, Hunderttausende schwammen und tauchten, und +neue Hunderttausende harrten des auch sie aufscheuchenden Fußtritts.“</p> + +<p>Es wimmelte, schwirrte, rauschte, tanzte, flog und kroch um Brehm +herum, daß ihm fast die Sinne vergingen; das sonst so scharfe Auge +versagte den Dienst, das Gewehr zitterte in der sonst so zielsicheren +Hand. Halb betäubt kam er endlich auf dem Gipfel an und blieb 18 +Stunden auf ihm liegen, um das Leben der Alken recht genau kennen zu +lernen. Sie hatten bald alle Scheu vor ihm verloren; tänzelnden Ganges +näherten sie sich ihm so weit, daß er mit der Hand nach ihnen zu +greifen versuchte. Die Schönheit und der Reiz des Lebens zeigten sich +in jeder Bewegung der wunderlichen Vögel. Mit Erstaunen erkannte Brehm, +wie steif und kalt auch die besten Abbildungen dieser absonderlichen +Geschöpfe sind, denn er bemerkte eine Regsamkeit und eine Lebhaftigkeit +in den wundersamen Gestalten, wie er sie ihnen nie zugetraut hätte. +Nicht einen Augenblick saßen sie ruhig, bewegten mindestens Kopf und +Hals fort und fort nach allen Seiten hin, und ihre Umrisse gewannen +dabei wahrhaft künstlerische Linien. Es war, als ob die Harmlosigkeit, +mit der sich Brehm ganz der Beobachtung hingab, durch unbeschränktes +Vertrauen von ihrer Seite vergolten werden sollte. Er verkehrte mit +den Tausenden, als ob sie Haustiere wären, die Millionen schienen ihn +geradezu als einen der ihrigen zu betrachten.</p> + +<p>Manch feinen Zug konnte Brehm dabei dem Leben der Alken ablauschen. +Ihre geselligen Tugenden erreichen während der Brutzeit eine +unvergleichliche Höhe. Während sonst in der Vogelwelt ein Mißverhältnis +der Geschlechter zu ununterbrochenem Streite führt, wird bei den Lummen +der Friede nicht gestört. Die beklagenswerten Hagestolze, die kein +Weibchen zu ergattern vermochten, wandern trotzdem in Verein mit den +glücklichen, unterwegs kosenden und tändelnden Paaren dem Brutberge +zu. Hat das Weibchen sein einziges, aber sehr großes, kreiselförmiges +und buntgetüpfeltes Ei gelegt und hat dessen <span class="pagenum" id="Page_59">[S. 59]</span>Bebrütung begonnen, +dann wollen auch die armen Junggesellen wenigstens ihren guten Willen +bekunden und drängen sich den einzelnen Paaren als Hausfreunde auf. +Wachehaltend stehen sie vor den Bruthöhlen, aus denen das Männchen +sich entfernt hat. Wenn aber beide Eltern gleichzeitig zum Meere +hinabgeflogen sind, dann rutschen sie ohne Zögern ins Innere der Höhle +und wärmen inzwischen das verlassene Ei. Nur brüten, ein ganz klein +wenig brüten wollen sie: gewiß ein bescheidenes Verlangen für einen +Junggesellen! Diese selbstlose Hingabe hat eine Folge, um die wir +Menschen die Alken beneiden könnten: auf den Vogelbergen gibt’s kein +Waisenkind! Sollte der Gatte eines Paares verunglücken, so bietet +sich der Witwe augenblicklich Ersatz, und sollten gar beide Eltern +gleichzeitig umkommen, flugs sind die gutmütigen Junggesellen zur Hand, +um das Ei vollends auszubrüten und das Junge sorgfältig aufzuziehen.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Mit_dem_Herzog_von_Koburg_in_Abessinien">Mit dem +Herzog von Koburg in Abessinien</h2> + +</div> + +<p>„<span class="initial">M</span>elde gehorsamst, Königliche Hoheit, daß ich eine starke +Elefantenherde aufgespürt habe und daß also die Herrschaften +voraussichtlich in den nächsten Tagen auf Elefanten zum Schuß kommen +werden.“ Mit diesen Worten trat Brehm, von einem Tagesausfluge +zurückkehrend, schweiß- und staubbedeckt in das bei dem abessinischen +Gebirgsdorfe Mensa aufgeschlagene Zelt des Herzogs Ernst II. von +Sachsen-Koburg-Gotha, des bekannten „Schützen-Herzogs“, der mit +zahlreichen Teilnehmern eine wissenschaftliche Jagdreise nach diesem +afrikanischen Hochlande veranstaltet und die Oberleitung dem berühmten +Tierforscher anvertraut hatte.</p> + +<p>Der Herzog strich sich schmunzelnd den schwarzen Knebelbart, und die +neben ihm stehenden Prinzen von Hohenlohe und von Leiningen lachten +sogar aus vollem Halse. „Aber Brehm, wollen Sie uns mit so todernster +Miene einen mächtigen Bären aufbinden? Nee, auf einen so plumpen Witz +fallen wir nicht herein. So viel verstehen wir doch auch von der Natur +des Elefanten, daß er kein Steinbock oder keine Gemse und auch kein +Klettertier ist. Wie sollte denn der plumpe Koloß diese furchtbaren +Steilhänge hinauf oder herunter kommen? Alles will ich Ihnen glauben, +mein lieber Brehm, aber an Ihre Elefantengeschichte glaube ich nicht.“</p> + +<p>„Und doch, Königliche Hoheit, ist es genau so, wie ich sagte,“ +erwiderte Brehm, „ich habe die Spuren der Elefanten deutlich gesehen +<span class="pagenum" id="Page_60">[S. 60]</span>und eine große Strecke weit verfolgt. Sie sind doch nicht mit denen +eines anderen Tieres zu verwechseln.“ „Was für Spuren eigentlich?“ +„Ja, richtige Fährten sah ich freilich nicht oder doch nicht deutlich +genug; sie drücken sich auf dem harten Felsboden der Berge zu wenig +ab oder verwischen sich im Geröll. Aber ich sah einen Kaktus, auf +den ein Elefant mit seiner schweren Fußsäule getreten war, denn alle +seine Blätter waren bis zur Wurzel herab zerquetscht. Einzig und +allein der Elefant tritt auf diese Weise den Kaktus nieder. Alle +anderen Tiere, vielleicht noch mit Ausnahme des Nashorns, umgehen ihn. +Dann fand ich auch die ganz unverkennbare Losung der Riesentiere.“ +„Wie sieht sie denn eigentlich aus?“ frug der Prinz von Leiningen +interessiert dazwischen. „Das kommt ganz darauf an, welche Nahrung die +Elefanten aufgenommen haben. Ästen sie vorzugsweise Gras, Kräuter und +Baumblätter, so erinnert die Losung nach Gefüge und Farbe stark an die +bekannten Pferdeäpfel, nur daß sie natürlich sehr viel umfangreicher +ist. Haben die Elefanten dagegen hauptsächlich Zweige gefressen, +so sind die Klumpen noch ungeheuerlicher, dunkler gefärbt und +enthalten Aststücke von ziemlicher Länge und bedeutender Stärke. Die +aufgefundene Losung war sicher noch ganz frisch, denn sie wurde stark +von Mistkäfern beflogen, die nur an frischen Mist gehen. Ein weiteres +gutes Kennzeichen war es, daß an den Bäumen viele Äste abgebrochen und +Zweige abgerissen waren und das in einer Höhe, die außer dem Elefanten +höchstens noch die Giraffe erreichen könnte. Aber abgesehen von den +ganz verschiedenen Aufenthaltsorten schält die Giraffe nicht die Äste +ab, wie dies der Elefant immer tut. Ich habe sogar die Überzeugung +gewonnen, daß die Elefanten zu gewissen Jahreszeiten ganz regelmäßig +hier vorkommen, denn es sind regelrecht ausgetretene Straßen vorhanden, +wie ich sie ja schon von Innerafrika her kenne. Sie führen im Zickzack +die Hänge hinauf und hinab und sind mit geradezu bewundernswerter +Berechnung und mit dem Geschick erfahrener Baumeister angelegt. Eine +sehr nette Feststellung konnte ich dabei machen. An einer Stelle des +Pfades hatte nämlich ein großer Stein gelegen, halb über dem Gehänge, +halb auf dem Wege. Dieser Stein war ausgebrochen und in die Tiefe +hinabgerollt. Er allein aber konnte unmöglich in dem dichten Grase und +Gebüsch, das den Hang nach unten hin bedeckte, die greuliche Verwüstung +angerichtet haben, die ich bemerkte. Es war, als ob eine große Walze +da hinabgerollt wäre und alles niedergequetscht hätte, was ihr im +<span class="pagenum" id="Page_61">[S. 61]</span>Wege lag. Die Folgerung daraus führte notwendigerweise zu einem sehr +ergötzlichen Ergebnis: einer der Elefanten hatte in der Dunkelheit +den Stein — und zwar auf seiner überhängenden Seite — betreten, +vielleicht gedrängt von anderen Mitgliedern der Herde. Der Stein war +ausgebrochen, der Elefant hatte das Gleichgewicht verloren und einen +großartigen Purzelbaum nach unten geschossen. Von der Tiefe herauf +führte auch wirklich ein einziger Pfad nach dem oberen Wege zurück. Der +schwere Sturz hat also offenbar dem Riesentiere nichts geschadet.“</p> + +<figure class="figcenter illowe50" id="illu_061"> + <img class="w100" src="images/illu_061.jpg" alt=""> + <figcaption> + Elefantenjagd auf der Reise des Herzogs Ernst von + Sachsen-Koburg-Gotha nach Ägypten und den Ländern der Habab, Mensa und + Bogos. Zur Reisegesellschaft gehörte auch der Maler Robert Kretschmer, + von dem zwanzig große vielfarbige Arbeiten nach der Natur in dem + Reisewerk des Herzogs (Leipzig, 1865) veröffentlicht wurden. Eines + dieser vielfarbigen Bilder ist hier einfarbig wiedergegeben + </figcaption> +</figure> + +<p>Der Herzog war nun doch nachdenklich geworden: „Auf Ihre Verantwortung +hin, Herr Doktor, können wir ja in den nächsten Tagen mal einen Versuch +in jener Gegend wagen. Aber wehe Ihnen, wenn überhaupt keine Elefanten +da sind. Sie wären heillos blamiert, Herr Doktor!“ — „Darauf will ich +es ruhig ankommen lassen,“ meinte Brehm lächelnd. — „Und ich bin schon +ganz begeistert von der Geschichte,“ <span class="pagenum" id="Page_62">[S. 62]</span>rief der bekannte Weltreisende +und Schriftsteller Gerstäcker, der gleichfalls mit von der Partie +war. „Ich möchte das, was Freund Brehm gesagt hat, Wort für Wort +beschwören. Weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie wunderbar groß die +Anpassungsfähigkeit der Tiere ist. Warum sollte sich da ein so kluges +Tier wie der Elefant nicht auch an das Gebirgsleben gewöhnen können und +darin mit seinem zwerghaften Vetter, dem Klippschliefer wetteifern? +Also heisa! Es gibt eine Elefantenjagd!“ Sie fand wirklich einige Tage +später statt und gab Brehms Behauptungen glänzend recht. Es war ein +überwältigend großartiger Anblick, wie die aufgeregte Elefantenherde +laut trompetend mit erhobenen Rüsseln und weit abgespreizten +Riesenohren den steilen Berghang herunterstürmte, daß die Steine nur so +stoben.</p> + +<p>Brehm hatte auf dieser abessinischen Reise kaum eine ruhige Minute. +Von früh bis spät war er unausgesetzt und angestrengt tätig. Er +war Reisemarschall, Expeditionsführer und Jagdleiter in einer +Person, es lastete also allzuviel auf ihm. Es war nicht leicht, +die verwöhnte und vielköpfige Jagdgesellschaft unter einen Hut +zu bringen und zufriedenzustellen, zu der auch die jagdkundige +Herzogin und der begabte Tiermaler Robert Kretschmer gehörten, der +später das „Tierleben“ so ausgezeichnet illustriert hat. Zu allen +anderen Hemmnissen kam nach kurzer Zeit noch Brehms alter Feind, das +klimatische Wechselfieber, das ihn namentlich während des zweiten +Teils der Reise zeitweise völlig schachmatt setzte. Überdies dauerte +der Aufenthalt in Afrika nur wenige Wochen, und so verbot schon +die Kürze der Zeit eine eingehende wissenschaftliche Tätigkeit in +einem Lande, das bereits durch Gelehrte vom Range eines Rüppell und +eines Ehrenberg ziemlich gut erforscht war. Brehm war der großen +Reisegesellschaft im März 1862 über Kairo, Aden und Massaua nach +Habesch vorausgeeilt, um geeignete Lagerplätze auszusuchen und +wildreiche Jagdgründe festzustellen. Diese 14 Tage, die er für sich +allein in freier, tierreicher Wildnis weilte, ließen eigentlich +die einzige Muße für seine wissenschaftlichen Beobachtungen. Und +trotz alledem brachte gerade diese unter einem so unguten Stern +stehende Reise nach den Bogosländern reiche Ernte. Es ist jedenfalls +erstaunlich, welch überraschende Fülle von Neuartigem und Wissenswertem +Brehm hier in der kurzen Zeit zusammengetragen hat und wie großartig +er diese Beobachtungen später für sein „Tierleben“ zu verwenden wußte. +Vielleicht ist seine geniale Begabung für die Tierforschung <span class="pagenum" id="Page_64">[S. 64]</span>und +Tierbeobachtung niemals so glänzend zutage getreten wie gerade hier +unter so widerwärtigen Verhältnissen. Namentlich mit dem merkwürdigen +Klippschliefer und verschiedenen größeren Affenarten wurde er hier +näher bekannt. Vor allem fesselten ihn die ebenso kraft- und mutvollen +wie klugen und überlegenden Mantelpaviane.</p> + +<figure class="figcenter illowe48" id="illu_063"> + <img class="w100" src="images/illu_063.jpg" alt=""> + <figcaption> + Mantelpaviane, eine Art größerer Affen, die Brehm auf seiner Reise + nach Abessinien oft traf<br> + (Nach einer Photographie von Carl Hagenbeck, Stellingen, 1928) + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_063_gross.jpg" + id="illu_063_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p>Einmal begegnete die langauseinandergezogene Karawane einer großen +Herde dieser stattlichen Tiere, die auf einem Felsgesims saß, etwas +höher als Büchsenschußweite. Zuerst ließen die Paviane nur ihre +gewöhnlichen bellenden Laute vernehmen. Als sie aber die vielen, +ungewohnt weißen Menschen erblickten, kamen sie in Erregung und +Bewegung, und nun hörte man von ihnen auch ganz andere Stimmen. Die +alten Männchen brummten und grunzten wie Raubtiere oder Schweine, die +jungen quiekten und kreischten wie Ferkel. Einige besonders eifrige +Jäger stiegen die Felswand hinan und eröffneten das Feuer. Nach den +ersten Schüssen erhob sich ein Stimmengewirr, das jeder Beschreibung +spottete. Die allerverschiedensten Töne wurden laut: alles quiekte, +kreischte, schrie, grunzte, brüllte und brummte wirr durcheinander. +Alles flüchtete nach der entgegengesetzten Seite des Berges zu. +Bei Schüssen aus größerer Nähe hielten sämtliche Affen an, schrien +entsetzlich auf und faßten die Felsen, als wollten sie sich versichern, +daß sie nicht heruntergeworfen würden. Weibchen und Junge verließen +augenblicklich alle den Geschossen zugängliche Felsplatten, die +Männchen aber rückten abwechselnd bis an den Rand der Gesimse vor und +schauten wutfunkelnden Auges in die Tiefe, ihren Ingrimm durch heftiges +Schlagen mit der Hand auf den Felsen bezeugend. Sie gingen sogar zum +Angriff über, wenn auch nicht mit Händen und Zähnen, so doch dadurch, +daß sie große Steine herausrissen und auf die menschlichen Störenfriede +herabrollten. Man hatte genug zu tun, um diesen gefährlichen Geschossen +auszuweichen. Mehrere Minuten war der Steinhagel so arg, daß er das +schmale Alpental vollständig versperrte und die ganze Karawane zum +Halten zwang. Es war eine richtige Affenschlacht! Ein besonders starkes +Affenmännchen erstieg sogar mit einem großen Stein im Arme mühsam einen +Baum und schleuderte dann von dessen Wipfel aus sein Geschoß mit um so +kräftigerem Nachdruck und mit größerer Sicherheit. Ein Leopard gedachte +bei diesem Kampfe im Trüben zu fischen und stürzte sich auf einen +schwer angeschossenen Pavian. Aber die aufmerksamen Affen hatten den +<span class="pagenum" id="Page_65">[S. 65]</span>Mordanfall eher gesehen als die blindlings ihrer Jagdlust frönenden +Menschen. Ungeachtet ihrer Angst vor den fortgesetzt fallenden Schüssen +rückten sie sofort auf der Platte vor, und einige alte Männchen machten +sich fertig, nach unten hinab zu klettern, um dem Angefallenen zu Hilfe +zu kommen. Ihre Aufregung war furchtbar, ihre Wut überstieg alles, was +Brehm je bei Affen beobachtet hatte.</p> + +<p>Die Herde ging schließlich weiter unterhalb auf die andere Talseite +hinüber und stieß dabei abermals mit der Karawane zusammen. +Die mitgeführten Hunde, mutige Tiere, gewohnt, jeder Hyäne +entgegenzutreten, stutzten einen Augenblick und stürzten sich dann +mit freudigem Gebell auf die Paviane. Im Nu waren sie mitten unter +der Affenherde, aber ebenso rasch auch von den stärksten Männchen der +Paviane umringt und förmlich gestellt. Brüllend und wutschnaubend +zeigten die Affen ihre fürchterlichen Gebisse den Hunden in so +bedrohlicher Nähe, daß diese es vorzogen, vom Kampf abzustehen und +beim Menschen Zuflucht zu suchen. Während sie von neuem ermuntert und +angehetzt wurden, hatten die Affen ihren Weg fortgesetzt und bis auf +wenige Nachzügler das Tal überschritten. Unter diesen Nachzüglern +befand sich ein kleiner, etwa halbjähriger Bursche, der etwas +entfernt von den andern seines Weges ging. Auf ihn hetzte man jetzt +die Hunde. Sie gingen an und hatten bald den Affen, der auf einen +Felsblock geflüchtet war, regelrecht gestellt. So schnell als möglich +eilten die Menschen den Hunden zu Hilfe, sich schon mit der Hoffnung +schmeichelnd, den jungen Pavian lebendig fangen zu können. Allein diese +Hoffnung wurde gänzlich vereitelt. Auf das jammervolle Zetergeschrei +des geängstigten Jungen hin kehrte nämlich vom andern Ufer her ein +gewaltiges Männchen zurück, um ihm beizustehen. Ernst und würdevoll +durchschritt er das Tal; ohne sich um die Hunde auch nur im geringsten +zu kümmern, ging er schnurstracks auf sein Ziel los, mitten durch seine +verblüfften Feinde hindurch, sprang auf den Felsen zu dem Jungtier, +ermunterte es durch allerlei Zeichen und Gebärden, mit ihm zu gehen, +und geleitete es dann ruhig und furchtlos nach dem andern Ufer, in +dessen Dickicht beide alsbald verschwanden. Die Hunde setzte er durch +wütendes Grunzen derart in Furcht, daß keiner es wagte, ihn oder seinen +Schützling anzugreifen.</p> + +<div class="chapter"> + +<p><span class="pagenum" id="Page_66">[S. 66]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="In_Westsibirien">In Westsibirien</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">D</span>ie tote Steppe Westsibiriens, einen Tagemarsch von Semipalatinsk, +sonst nur der Tummelplatz von Steppenkiebitzen, Rotfußfalken und +kohlschwarzen Mohrenlerchen, hatte sich über Nacht plötzlich mit +lärmendem und buntscheckigem Leben erfüllt. Bei einem tropfenweise +rinnenden Wässerchen standen eine Reihe besonders großer und schöner +Jurten (Filzzelte), außen zierlich geschmückt mit kunstvoller +Näherei und aufgeheftetem bunten Zierat aus stilvoll verschnörkelten +Tuchflittern, innen mit kostbaren Teppichen und seidenen Decken, +die rings an den Wänden hingen und den Boden bedeckten. Diese +heimeligsten und vollkommensten aller Zelte beherbergten augenblicklich +den weitgebietenden Statthalter des russischen Zaren, den General +Poltaratzky nebst Familie und Gefolge, und bei ihm befanden sich als +hochgeehrte Gäste drei Deutsche, unser Brehm, sein Berufsgenosse +Dr. Otto Finsch aus Bremen und ein württembergischer Offizier, +Graf Waldburg-Zeil-Trauchburg, die im März 1876 gemeinsam eine +Forschungsreise nach Westsibirien angetreten hatten. Der General +hatte sie mit echt russischer Gastfreundschaft zu einer Treibjagd auf +Archare, die riesigen Wildschafe dieses Landes, eingeladen und dazu +als ortskundige Gehilfen auch die in der Umgegend ansässigen Kirgisen +aufgeboten. Und sie waren alle erschienen: Sultane, Gemeindevorsteher +und andere Vornehme des Volkes der Steppe mit Schützen und Treibern und +Stegreifdichtern, Jagd- und Rennpferden, mit gezähmten, auf Fuchs und +Wolf, Murmeltier und Antilope abgetragenen Steinadlern, langhaarigen +Windhunden, Kamelen und Saumtieren und was noch sonst erforderlich ist +nach des Landes Brauch und Sitte. Das war so recht etwas für Brehm, der +so gerne fremde Völker beobachtete und ihre Sitten ergründete.</p> + +<p>Es herrschte eine etwas gedrückte Stimmung, denn der soeben beendigte +erste Jagdtag war durchaus nicht nach Wunsch verlaufen. Ein Wolf +war gefehlt worden, und das einzige Wildschaf im Triebe hatten die +nächststehenden Schützen gar nicht bemerkt. Man hatte sich dann +an reichbesetzter Tafel niedergelassen, aber da hatte plötzlich +lauter Zuruf die Schmausenden aufgeschreckt. Aufspringend sah man +fünf stattliche Archarböcke über das Gefels dahineilen, die sich +dem Trieb in einem Seitental entzogen gehabt hatten. Eiligst griff +alles nach den Büchsen, warf sich auf die Pferde und jagte dem edlen +Wilde nach. Zu spät! Obwohl die Schafe nur trabten, war doch in dem +unwegsamen <span class="pagenum" id="Page_67">[S. 67]</span>Gelände kein Pferd imstande, sie einzuholen. Ruhig, stolz +und bedachtsam waren sie weitergezogen und bald im zerklüfteten +Gefels verschwunden. Man unterhielt sich jetzt über dieses unerhörte +Mißgeschick. „Für mich war es überhaupt keines,“ sagte Brehm, „denn +ich hatte doch das Glück, die gewaltigen Tiere hier in ihrer Heimat +frei und in voller Bewegung zu sehen. Und dann war doch das ganze Bild +dieser Gebirgsjagd mit berittenen Treibern so eigenartig und fesselnd, +wie eine Jagd überhaupt nur sein kann.“ — „Sehr richtig,“ stimmte +Finsch bei, „und morgen ist ja auch noch ein Tag.“ — „An dem uns die +launische Diana hoffentlich etwas huldvoller gesinnt sein wird als +heute,“ seufzte der schießlustige Graf.</p> + +<figure class="figcenter illowe33" id="illu_067"> + <img class="w100" src="images/illu_067.jpg" alt=""> + <figcaption> + Kartenausschnitt zu Brehms Reise nach Westsibirien + </figcaption> +</figure> + +<p>Der nächste Morgen war bitter kalt. Wohl achtzig Reiter zogen diesmal +in buntem Getümmel hinaus zum Felsengebirge. Hinter ihnen drein +stelzten Kamele, mit einer Jurte, Küchengerät und Lebensmitteln +befrachtet. Der Trieb begann. Reitend erkletterten die Treiber den +steilen Höhenzug. Hier und da erschien einer von ihnen auf der Spitze +der Felsen, die er erklommen, verschwand aber bald darauf wieder im +Gestein. Kein einziger von ihnen wich trotz der Schwierigkeit des +Geländes von der ihm angewiesenen Richtung ab. Wie Ziegen kletterten +die belasteten Pferde in den Felsen umher, denn wo noch eine Ziege +ihren Pfad findet, da kommt auch der kirgisische Reiter noch durch. +Einem geübten Bergsteiger boten die Granitwände und Kegel allerdings +nirgends unüberwindliche Schwierigkeiten, <span class="pagenum" id="Page_68">[S. 68]</span>aber Reiter hatte Brehm +doch niemals in derart zerklüftetem Gelände den Weg suchen und finden +sehen. Stundenlang währte der Trieb, das bewegungslose Ausharren auf +den angewiesenen Ständen wurde bei dem eisigen Schlackwetter zur Qual. +Ein Wildschaf mit zwei Lämmern zog in mehr als doppelter Schußweite an +Brehm vorüber. Von den Böcken keine Spur. Schon näherte sich der Trieb +seinem Ende. Da endlich rieselten Steine hoch oben über Brehm, und +wenige Minuten später stieg ein starker Archarbock, meist durch Felsen +gedeckt und nur für Augenblicke sichtbar werdend, in Büchsenschußweite +neben Brehms Stand in die Tiefe. Endlich zeigte er sich frei, und +dröhnend hallte Brehms Schuß durch die Felsenwildnis. Sichtlich +krank zog der Bock, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, langsamer dem +gegenüberliegenden Gebirgszuge zu. Ein zweiter Schuß, schon aus zu +großer Entfernung abgegeben, blieb wirkungslos. Schnell entschlossen +verließ Brehm seinen Stand, durcheilte das Tal und kletterte dann an +der jenseitigen Bergwand empor, so rasch es das Gefels und die Lunge +nur irgend gestatten wollten, um sich in einem Querschnitt des Kammes +erneut anzusetzen. Der erfahrene Tierkenner hatte richtig berechnet. +Noch keuchte die Brust und zitterten die Glieder von der gewaltigen +Anstrengung, als dasselbe Wildschaf hoch über ihm auf die äußerste +Kante des Felsens trat, um zu sichern. Aber noch ehe es den Jäger +erspähen konnte, hatte ihm dessen sichere Kugel das Herz durchbohrt, +und wie ein schwerer Felsblock stürzte es leblos herab. Staunender +Jubelruf aus zwanzig Kirgisenkehlen hallte im Gebirge wider. Von +allen Seiten sprengten und kletterten Reiter herbei. Vier kräftige +Männer schleppten mühsam die schwere Beute zur Tiefe. Allseitig +beglückwünscht, ritt man heim zu den Jurten. Die Kirgisen rühmten +Brehms Jägergeschick und Treffsicherheit, die Gefährten sein Jagdglück.</p> + +<p>Vor den Jurten wogte es in buntem Durcheinander. Unter lebhaftestem +Gebärdenspiel gaben diejenigen Steppenleute, die dem Schluß der Jagd +beigewohnt hatten, ihren Gefährten Bericht. Brehm war zum Helden des +Tages geworden und hatte selbst den Sänger des Stammes begeistert, +denn der ließ in langem Vorspiel seine einfache Laute erklingen und +hob dann einen Gesang an, in dem er den General und seine Gemahlin und +die übrigen Europäer mit seiner „roten Zunge“ begrüßte und dann des +deutschen Forschers jagdlichen Erfolg verherrlichte. Der Tag wurde zum +Feste. Die Jagdfertigkeit der Kirgisen hatte man zur Genüge kennen +gelernt, ihre Steinadler <span class="pagenum" id="Page_69">[S. 69]</span>und Windhunde mit gebührender Teilnahme +betrachtet, den Worten ihres Sängers bewundernd gelauscht. Nunmehr +mußten Ringer und Rennpferde ihre Kräfte üben. Reckenhaft gebaute +Männer stellten sich einander zum Wettkampf; hochedle, wenn auch +nach unseren Begriffen nicht vollendet schöne Pferde, geritten von +sechs- bis achtjährigen Knaben, stürmten in die Steppe hinaus, um im +Wettlauf vierzig Kilometer auf pfadlosem Gelände zurückzulegen. Beide, +Ringkämpfer wie Rennpferde, entzückten durch ihre Leistungen Kirgisen +wie Europäer. Es war wohl einer der stolzesten und schönsten Tage in +Brehms reichem Forscher- und Jägerleben.</p> + +<p>Obwohl die deutsche wissenschaftliche Expedition nach Westsibirien +in ihrem ganzen Verlauf von der russischen Regierung auf das +großzügigste unterstützt und gefördert wurde, hat sie durch eine +Verkettung widriger Umstände ihr eigentliches Endziel doch nicht +erreicht. Man war von Tomsk aus fast 400 geographische Meilen weit +den majestätischen Ob hinuntergefahren, der ein größeres Stromgebiet +umfaßt als alle Ströme Westeuropas zusammengenommen. In einem Tale, +dessen Breite zwischen 10 und 30 Kilometer wechselt, strömt er +dahin, mit unzähligen Armen zahllose Inseln umschließend, oft zu +unabsehbarer seeartiger Fläche sich breitend. Weidenwaldungen in +allen nur erdenklichen Wachstumszuständen decken die ewig durch die +umgestaltenden Fluten bewegten, bald ihnen verfallenen, bald wieder +neu von ihnen aufgebauten Ufer und Inseln. Arm und ärmer wird das +Land, dürftiger und lichter werden die Wälder, unansehnlicher und +armseliger die wenigen Siedlungen, je weiter man stromabwärts kommt. An +die Stelle des Bauern tritt der Fischer und Jäger, an die Stelle des +Viehzüchters der Renntierhirt. An der Schtschutschja wurde die letzte +russische Niederlassung erreicht. Von hier aus sollte es mit Hilfe von +Ostjaken, die in kegelförmigen Hütten aus Birkenrinde (sog. „Tschum“) +hausen, auf Renntierschlitten durch die unendlich vor den Reisenden +sich ausbreitende Tundra weitergehen. Alles hatte Brehm auf Grund +seiner Erfahrungen für diese schwierige Reise aufs beste und bis in die +geringsten Kleinigkeiten hinein vorbereitet, und doch erlag er einem +ebenso unerwarteten wie furchtbaren Gegner, dem er erliegen mußte, weil +er ihn nicht kannte, sich also auch nicht gegen ihn wappnen konnte.</p> + +<p>An der Schtschutschja waren wider alles Erwarten keine Renntiere +aufzutreiben. Es hieß, die Herden ständen neun Tagereisen entfernt <span class="pagenum" id="Page_70">[S. 70]</span>auf +bestimmten Weideplätzen im Ural, und so blieb nichts weiter übrig, +als die Reise mit Fußmärschen zu beginnen und alle Beschwerden und +Entbehrungen einer langen Wanderung durch unwegsames, nahrungsloses, +mückenerfülltes, menschenfeindliches und nahezu unbekanntes Gebiet +auf sich zu nehmen. Erst nach langen Beratungen mit den freundlichen, +aber unsäglich schmutzigen Eingeborenen wurden die Reisevorbereitungen +beendigt, sorgfältig die Lasten abgewogen, die jeder auf seinen +Rücken laden sollte; denn drohend stand das Gespenst des Hungers vor +den mutigen Forschern. Unverrichtetersache umkehren wollten sie aber +keinesfalls, obwohl sie wußten, daß nur der Wanderhirt, nicht aber +der Jäger imstande ist, sein Leben in der Tundra zu fristen, obwohl +sie die unsagbaren Mühseligkeiten ahnten, die der pfadlose Weg, die +Wetterwendigkeit des Himmels, die Unwirtlichkeit der Tundra überhaupt +bereiten würden, und die entsetzlichen Qualen, die das unerschöpfliche +Heer blutgieriger Stechmücken mit sich bringt.</p> + +<p>In kurze Pelze gehüllt, keuchend unter der dem Rücken aufgebürdeten +Last, stapften sie, ununterbrochen Tag und Nacht, von den Mücken +gequält und zerstochen, mühselig durch traurige Einöde, alle halbe +Stunden vor Erschöpfung umsinkend und doch der Mücken wegen ohne +Erholung. Unfreundlicher, als es geschah, konnte die Tundra die +deutschen Gelehrten nicht gut empfangen. Unablässig peitschte der +Wind feinen, eiskalten Regen in die Gesichter, und in den durchnäßten +Pelzen mußte man sich auf den wie ein Schwamm mit Feuchtigkeit +vollgesogenen Moosboden niederlegen, ohne ein schützendes Obdach +über, ohne ein wärmendes Feuer neben sich, unablässig gequält von den +entsetzlichen Mückenschwärmen. Man kam aber doch wenigstens vorwärts, +wenn auch nur langsam, und groß war die Freude, als Brehms Fernrohr +eines Tages zwei einsame Tschums erkennen ließ und um sie herum eine +Menge Renntiergestalten. Beglückt eilte man darauf zu; jetzt mußte +ja alle Not ein Ende haben, und eine erfolgreiche Fortsetzung der +Reise erschien gesichert. Aber Entsetzen weitete Brehms Blicke beim +Näherkommen, denn der Anblick, der sich ihnen bot, war furchtbar und +grauenhaft. Um die ärmlichen Behausungen herum lagen zu Dutzenden +verendete Renns, Hirsche, Tiere und Kälber; andere wanden sich in +den letzten Zuckungen, und auch die noch aufrecht stehenden trugen +schon den Tod im Herzen, wie der weiße, blasige Schleim vor Maul und +Nase deutlich verriet. Kein Zweifel — hier wütete der Milzbrand, +die <span class="pagenum" id="Page_71">[S. 71]</span>fürchterlichste, auch für den Menschen gefährlichste aller +Viehseuchen, ein unerbittlicher, ohne Wahl und Gnade vernichtender +Todesengel, der in Asien ganze Völkerschaften verarmen macht und dessen +verderbenbringendem Würgen der Mensch ohnmächtig gegenübersteht.</p> + +<figure class="figcenter illowe50" id="illu_071"> + <img class="w100" src="images/illu_071.jpg" alt=""> + <figcaption> + Renntierseuche auf der Tundra Sibiriens<br> + Nach der Natur gezeichnet von O. Finsch im Jahre 1877 + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_071_gross.jpg" + id="illu_071_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Page_72">[S. 72]</span></p> + +<p>Verzweiflungsvoll, wie vor den Kopf geschlagen, irren die ostjakischen +Besitzer der Herde zwischen den sterbenden und verendenden Tieren hin +und her, um in sinnloser Gier so viel zu retten, wie zu retten noch +möglich ist. „Obwohl nicht unkundig der furchtbaren Gefahr, der sie +sich aussetzen, wenn auch nur der geringste Teil eines Blutstropfens, +ein Stäubchen des blasigen Schleimes mit ihrem eigenen Blute sich +mischt, obschon vertraut mit der Tatsache, daß bereits Hunderte ihres +Volkes unter entsetzlichen Schmerzen der unheilvollen Seuche erlagen, +arbeiten sie doch mit allen Kräften, um die vergifteten Tiere zu +entfellen. Ein Beilschlag endet die Qualen der sterbenden Hirsche, ein +Pfeilschuß das Leben der Kälber, und einige Minuten später liegt das +Fell, das noch nach Wochen ansteckend wirken kann, bei den übrigen, +tauchen die blutigen Hände den vom Leibe der Kälber losgelösten Bissen +in das in der Brusthöhle des erlegten Tieres sich sammelnde Blut, +um ihn roh zu verschlingen. Schinderknechten gleichen die Männer, +scheußlichen Hexen die Frauen, im Aase wühlende, blutbeschmierte, +bluttriefende Hyänen sind die einen wie die andern; achtlos des über +ihrem Haupte schwebenden, nicht an einem Roßhaar, sondern an einer +Spinnwebe aufgehängten, toddrohenden Schwertes zerren und wühlen sie +weiter, unterstützt sogar schon durch ihre Kinder, von halberwachsenen +Knaben an bis zu den von Blut triefenden, kaum dem Säuglingsalter +entwachsenen Mädchen herab.“</p> + +<p>Für fünf der gierigen Schlinger wurde dieses widerwärtige Schwelgen +zur Todesmahlzeit. Entsetzt verließ Brehm mit den Seinen diese Stätte +des Grauens. Einige anscheinend noch gesunde Renntiere nahm man mit. +Aber auch sie trugen schon den Todeskeim in sich und brachen unterwegs +zusammen. Wieder Fußmarsch mit all seinen Beschwerden durch weglosen +Morast bis zum nächsten Weideplatz. Das Gespenst des Hungers bedrohte +die bis zum Tod erschöpften Männer! Regelmäßige oder ausgiebige +Mahlzeiten gab es nicht mehr. Es war schon ein besonderer Glückstag, +wenn es einmal gelang, einen armseligen Regenpfeifer zu erlegen oder +eine Doppelschnepfe oder ein Moorhuhn. Gierig hockten dann die drei +ausgehungerten Deutschen um den Bratspieß herum und verzehrten die +wenigen schmalen Bissen. Endlich wurde der neue Weideplatz erreicht. +Auch hier dasselbe Bild! Auch hier wütete die Seuche! Es half alles +nichts: Brehm mußte sich zur Umkehr entschließen, ohne das ersehnte +Polarmeer erreicht zu haben, wollte er nicht leichtsinnig das Leben +der Gefährten aufs Spiel <span class="pagenum" id="Page_73">[S. 73]</span>setzen. In sehr ernster Stimmung und unter +immer fühlbarer werdendem Mangel zog man wieder der Schtschutschja zu. +Unterwegs erlag noch einer der ostjakischen Begleiter, ein besonders +heiterer und williger Bursche, der furchtbaren Seuche und wurde nach +heidnischer Sitte in der weiten Tundra begraben. Brehm hatte einmal +das Glück, eine ganze Familie Wildgänse zu schießen, und an diesem +Tage konnte man sich zum ersten Male wieder satt essen, ohne um den +einzelnen Bissen zu kargen. Alle atmeten erleichtert auf, als sie die +Fluten des Ob wieder erblickten. Es war ihnen, als seien sie der Hölle +entronnen. „Nach der Tundra ziehe ich wenigstens nicht wieder,“ hat +Brehm später freimütig geäußert.</p> + +<p>Im übrigen pflegte er zu sagen, daß die sibirische Reise, die er +mit Vorliebe in seinen herrlichen Vorträgen behandelte, mehr einer +Hetzjagd als einer Forschungsreise geglichen habe. In der Tat, soviel +ihm im Sudan das Fieber zu schaffen machte, soviel auf seinen späteren +Reisen der leidige Zeitmangel. Weder in Spanien noch auf der Donau, +weder in Sibirien noch in Abessinien verblieb ihm genügend Zeit, seine +Beobachtungen in der gewünschten Weise abzuschließen und abzurunden. +Gerade auf Forschungsreisen wird die Zeit zum kostbarsten aller Güter, +Mangel an Zeit aber zum schlimmsten Feinde des sammelnden Forschers. +Mehr als jeder andere Reisende muß er die Stunde, den Augenblick in +seiner Weise wahrnehmen können, ohne sonstwie behindert zu sein. Eine +einmal gebotene Gelegenheit kehrt oft niemals wieder. „Freie Zeit“ +gibt es für den sammelnden oder beobachtenden Forscher nicht, denn die +Zeit ist es, die für ihn das alleinige, allzeit notwendige Mittel zur +Verständigung mit der Natur ist und bleibt.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Mit_dem_Kronprinzen_Rudolf_auf_der_unteren_Donau"> +Mit dem Kronprinzen Rudolf auf der unteren Donau</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">K</span>ronprinz Rudolf von Österreich kam an einem schönen Frühlingsabend des +Jahres 1877 von anstrengender Adler- und Geierjagd aus den versumpften +Auenwäldern der Donau beim Draueck zurück. Sein Wagen durchfuhr in +flottem Trabe die kleine Ortschaft Kovil, an deren Landungsstelle ein +schmucker Räderdampfer als gegenwärtiges Standquartier des Erben der +habsburgischen Kaiserkrone vor Anker lag. Zwischen Ort und Strand +zogen sich weite Wiesenflächen hin, die aber seit diesem Morgen +knietief unter Wasser standen. Als der Blick des Kronprinzen beim +Herauskommen aus <span class="pagenum" id="Page_74">[S. 74]</span>dem Städtchen auf sie fiel, bog er sich plötzlich +vor Lachen, bis ihm die Tränen in die Augen traten. Zum Teufel, was +hatte da dieser Tausendsassa von Brehm wieder angestellt! Er hatte ja +ein so unglaubliches Geschick, sich bei der urwüchsigen serbischen +Bevölkerung dieser Gegenden beliebt zu machen, ihr Achtung einzuflößen +und beides dazu zu benutzen, ihre eigenartigen Nationaltänze, Trachten +und Sitten zu studieren. So hatte er schon am Abend vorher auf der +grünen Wiesenfläche vor dem Dampfer einen großen Reigentanz (Kolo) +veranstaltet, und die Jungfrauen des Ortes waren bereitwillig dem +Wunsche des fremden und anscheinend doch sehr vornehmen Reisenden +gefolgt. Heute nun wollte Brehm dies kleine Volksfest wiederholen, aber +die eingetretene Wiesenüberschwemmung verursachte einige Hindernisse. +Brehm thronte deshalb hoch oben auf dem Bugspriet des Dampfers und +leitete von da aus die Unterhaltung, die sich in bis über die Knie +reichendem Wasser abspielte, was aber den Reiz der Sache in den Augen +der Zuschauer nur erhöhte, da die Tänzerinnen gezwungen waren, ihre +bunten Kleider durch entsprechendes Hochraffen vor allzu inniger +Berührung mit dem feuchten Element zu schützen. Einige Mädchen kamen +dann noch auf das Verdeck, um Blumensträuße zu überreichen, und bald +darauf setzte sich der Dampfer unter den Hochrufen der gesamten +Bevölkerung in Bewegung.</p> + +<figure class="figcenter illowe35" id="illu_075"> + <img class="w100" src="images/illu_075.jpg" alt=""> + <figcaption> + Brehm mit dem Kronprinzen Rudolf von Österreich auf der Jagd in Kroatien<br> + Nach einer Originalzeichnung für den „Kosmos“ von W. Planck + <div class="linkedimage s5"><a href="images/illu_075_gross.jpg" + id="illu_075_gross" rel="nofollow">⇒<br> + GRÖSSERES BILD</a></div> + </figcaption> +</figure> + +<p>Wie kam nun aber unser Freund zu so vornehmen Beziehungen, wie gelangte +er hierher in die weltentlegene Einsamkeit der unteren Donau-Auen? +Schon vor Jahr und Tag hatten sich zunächst briefliche Beziehungen +zwischen dem bereits zu europäischer Berühmtheit gelangten Forscher +und dem hochbegabten Kronprinzen angesponnen, der das lebhafteste +Interesse für Vogelkunde zeigte und bald zu einem eifrigen Schüler +des von ihm hoch und aufrichtig verehrten Brehm wurde. Bald ergaben +sich auch persönliche Zusammenkünfte, die im Laufe der Zeit ein wahres +Freundschaftsverhältnis zwischen Thronerbe und Forscher entwickelten. +Es war keineswegs bloße Jagdlust, die den später so unglücklich +endenden Kronprinzen zur Vogelkunde führte, und er beschäftigte sich +keineswegs nur laienhaft oberflächlich mit ihr, sondern er arbeitete +ernsthaft, nachdrücklich und erfolgreich mit an den wissenschaftlichen +Streitfragen. Damals erregte die „Adlerfrage“ die Gemüter und gab +zu erbitterten Fehden Anlaß. Man stritt sich darum, ob Stein- und +Goldadler verschiedene Arten oder nur verschiedene Färbungsphasen +der gleichen Art seien. Der <span class="pagenum" id="Page_76">[S. 76]</span>Kronprinz bemühte sich redlich, seinen +Freund aus dem weiten Gebiete der vogelreichen Doppelmonarchie mit +Adlermaterial zu versorgen, und eines Tages überraschte er ihn gar +durch die Frage:</p> + +<p>„Wollen Sie mich zu Adlerjagden nach Südungarn begleiten? Ich habe +bestimmte Nachrichten von vielleicht 20 Adlerhorsten und glaube, daß +wir alle werden lernen können, wenn wir sie besuchen und fleißig +dabei beobachten.“ Zwanzig Adlerhorste! Welche Versuchung für einen +im raubvogelarmen Deutschland wohnenden Vogelforscher! Brehm hätte +ja nicht der Sohn seines Vaters sein dürfen, wenn er nicht freudig +eingeschlagen hätte. Außer ihm nahm auf Einladung des Kronprinzen +noch ein zweiter deutscher Ornithologe an der Fahrt teil, der Baron +Eugen Ferdinand von Homeyer aus Pommern, ferner der dem Kronprinzen +persönlich befreundete Graf Bombelles und Rudolfs Schwager, Prinz +Leopold von Bayern. Dem bekannten Wiener Präparator Hodek nebst Sohn +und Gehilfen war das Geschäft des Abbalgens übertragen.</p> + +<p>Die nur 15tägige Reise, bei der aber jede Minute ausgenützt +wurde, gehört sicherlich zu den glücklichsten und ungetrübtesten +Zeitabschnitten in Brehms vielbewegtem Leben. Kein Mißklang störte sie, +von Anfang bis zu Ende klappte alles tadellos. Das war nun freilich +eine ganz andere Stromfahrt als vor Jahren auf dem Nil in gebrechlicher +Segelbarke mit widerspenstigem nubischem Schiffsvolk. Jetzt war für +das Behagen und die Bequemlichkeit der Forscher in einer geradezu +glänzenden Weise gesorgt. Nachts trug das brave Schiff sie mit der +Geschwindigkeit und Sicherheit der Dampfmaschine dem neuen Tagesziele +zu. Schon im Morgengrauen wurde aufgestanden, rasch gefrühstückt, +die erste Zigarre geraucht und dann an Land gegangen, wo schon Wagen +oder kleine Boote bereitstanden, um die einzelnen Jäger nach den +ihnen zugewiesenen Revierteilen zu bringen. Ortskundige Grünröcke +geleiteten sie dann zu Fuß nach den vom Forstpersonal vorher sorgfältig +ausgekundschafteten Horsten, und nun hieß es, sich in Geduld zu fassen +und Dianas Gunst zu erflehen, um den am Horste an- oder abstreichenden +Adler oder Geier zu Schuß zu bekommen. War ein Horst mit oder ohne +Erfolg erledigt, so befand sich gewöhnlich noch ein zweiter und dritter +in der Nähe, an dem das Weidmannsheil erneut versucht werden konnte.</p> + +<p>Den mächtigen Seeadler, den Brehm von Afrika her nur als räuberischen +Wintergast kannte, durfte er hier an seiner umfangreichen Knüppelburg +belauschen, und den gewaltigen Kuttengeier, <span class="pagenum" id="Page_77">[S. 77]</span>den er im Sudan so oft +beim Aase gestreckt hatte, konnte er hier von seiner Kinderwiege +mit sicherer Kugel herabschießen. Besonders anregend war es für +ihn, die zwischen diesem feigen Riesenvogel und dem kleineren, aber +schneidigeren, kräftigeren und gewandteren Steinadler bestehende +Todfeindschaft zu beobachten. Der Haß dieser großen Raubvögel +gegeneinander ist ganz merkwürdig. Kronprinz Rudolf sah sogar einmal, +wie Adler und Geier, in einen einzigen Knäuel verkrallt, sich wütend +im Geierhorste herumwälzten, wobei der Horst wankte, Äste brachen +und Wolken von Staub aufstiegen, bis schließlich der mächtige +Geier herausgeworfen wurde und erschöpft auf einen niedrigeren Ast +heruntertaumelte, wo die Kugel des Prinzen seinem Leben ein Ziel +setzte. Auf diesen Schuß hin stürzte aber aus dem Horste nicht nur der +siegreiche Steinadler hervor, sondern auch das brütende Geierweibchen, +auf dessen breitem Rücken sich also offenbar der ganze erbitterte Kampf +abgespielt hatte!</p> + +<figure class="figcenter illowe35" id="illu_077"> + <img class="w100" src="images/illu_077.jpg" alt=""> + <figcaption> + Alfred Edmund Brehm<br> + Nach einer zeitgenössischen Aufnahme + </figcaption> +</figure> + +<p>Abends kamen alle fünf Jäger aus den verschiedensten Richtungen her +mit ihrer Beute wieder beim Schiff zusammen, wo schon ein reichliches +Abendessen ihrer harrte und beim Becherklang die gegenseitigen +Erfahrungen ausgetauscht wurden. War dann die Verdauungszigarre +auf Deck geraucht, so ging es an die Abfassung der Tagebücher, und +schließlich wollten auch die erlegten Vögel noch näher untersucht und +gemessen sein. Das war namentlich bei den großen Geiern keine ganz +<span class="pagenum" id="Page_78">[S. 78]</span>angenehme Arbeit, vor der sich deshalb namentlich Prinz Leopold, der +einzige noch lebende Teilnehmer dieser Frühlingsfahrt auf der Donau, +und Graf Bombelles gern zu drücken suchten. Ohne eine Zigarre im Munde +konnte man sich der unheimlich nach faulenden Kadavern duftenden Beute +wirklich nicht nähern, und der Kronprinz brachte kein geringes Opfer, +wenn er darauf bestand, alle Maße der Tiere ganz genau zusammen mit +Brehm zu nehmen.</p> + +<p>Der letzte Abend an Bord war eine wundervolle Maiennacht. Die Grillen +zirpten laut an den Gestaden des majestätischen Stroms, leise +rauschten die Wellen, und die weite ungarische Ebene dehnte sich in +verschwommenen Umrissen endlos vor den Blicken. Unzählige Sterne +glänzten am Himmel, und die Mondessichel stand klar und silberhell am +Firmamente, sich in den Wellen des Stromes widerspiegelnd. Rudolf und +Brehm blieben diesmal noch lange Stunden auf dem Verdeck, die herrliche +Nacht bewundernd. Sie sprachen von den schönen Erinnerungen dieser +Reise und entwarfen Pläne für neue Forscherfahrten. Die Freundschaft +zwischen beiden ist nie getrübt worden und hielt trotz mancher +Quertreibereien unvermindert bis zu Brehms Tode an, der auch für den +Habsburgersproß zu früh kam.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Nach_Amerika">Nach Amerika</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">A</span>uch die Neue Welt hat Brehm kennen gelernt, freilich nur flüchtig +und nicht als Forscher in Wasserstiefeln, Jagdjoppe und Lodenhut, +sondern als Vortragsredner in Lackschuhen, Frack und Oberhemd. Er hat +wohl keine seiner Auslandreisen so schweren Herzens angetreten wie +gerade diese, die seine letzte sein sollte. Hatte doch der Würgengel +Diphtheritis in seinem stillen, rosenumhegten Heim in Renthendorf +seinen Einzug gehalten und alle fünf Kinder ergriffen. Eine hohe +Geldstrafe wäre beim Nichteinhalten des Vertrages zu zahlen gewesen, +und der Arzt glaubte die beruhigendsten Versicherungen geben zu dürfen. +In der Tat genasen vier von den Kindern, aber als Brehm seinen Fuß +auf den amerikanischen Boden setzte, traf ihn wie ein Keulenschlag +die niederschmetternde Nachricht, daß sein Liebling, der jüngste +Sohn, das letzte Vermächtnis der unvergeßlichen Lebensgefährtin, der +tückischen Krankheit erlegen sei. Tief erschüttert erledigte er fast +mechanisch die schwere Arbeit von 50 Vorträgen, mit echt amerikanischer +Rücksichtslosigkeit vorwärtsgepeitscht von seinem unbarmherzigen +Manager, bis ihn schließlich im Mississippi-Tale die alte Malaria, +der die seelische Aufregung vorgearbeitet <span class="pagenum" id="Page_79">[S. 79]</span>haben mochte, niederwarf. +Als ein an Körper und Seele gebrochener Greis mit grauem Haar und +trübem Blick kehrte er zurück. Schon am 11. November 1884 erlöste +den erst 55jährigen ein Schlaganfall von weiteren Leiden. In seinem +geliebten Renthendorf hat man den Rastlosen an der Seite des Vaters zur +letzten Ruhe bestattet. Der schlichte Grabhügel wölbt sich über einem +Edelmenschen im vornehmsten Sinne des Wortes, über einem Manne, auf den +sein Vaterland mit Recht stolz sein darf.</p> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="nobreak" id="Schlusswort">Schlußwort</h2> + +</div> + +<p><span class="initial">N</span>icht selten kann man die Meinung hören, daß Brehms +Forschungsergebnisse, die ja nun schon 5–8 Jahrzehnte zurückliegen, +heute im Zeitalter des Kraftwagens und des Kurbelkastens längst +überholt und veraltet seien. Freilich braucht heute der Forscher, dem +alle die großartigen Hilfsmittel neuzeitlicher Technik zur Verfügung +stehen, zur Ausführung solcher Reisen, wie Brehm sie machte, höchstens +so viel Monate, vielleicht sogar nur Wochen wie dieser Jahre, und +er bringt nicht nur abgebalgte Tiere, sondern auch mehr oder minder +schöne und ehrliche Filmaufnahmen zurück, die dann im Vortragssaale +wieder lebendig werden. Von solchen Dingen konnte Brehm natürlich noch +keine Ahnung haben, aber dafür verstand er mit Wort und Feder besser +und anschaulicher zu malen als der photographische Apparat mit seinen +lichtempfindlichen Platten. Die mit allen Hilfsmitteln der Gegenwart +ausgerüsteten Expeditionen bringen größere Ausbeuten heim, aber in +einer Beziehung stehen sie doch vielfach hinter den Brehmschen zurück: +in der liebevollen, eingehenden und sorgfältigen Beobachtung der in +fremden Ländern angetroffenen Tierwelt.</p> + +<p>Gewiß sind seit Brehms Zeiten ungeheure Fortschritte auf den +Teilgebieten der Systematik und Tiergeographie, der Anatomie und +Entwicklungsgeschichte erzielt worden, aber wenn wir ehrlich sein +wollen, müssen wir zugeben, daß dies bezüglich der Kunde vom +Tier<em class="gesperrt">leben</em> keineswegs der Fall ist, daß wir vielmehr in all den +zwischenliegenden Jahrzehnten über Brehm doch eigentlich herzlich wenig +hinausgekommen sind. Gerade die neueste Zeit hat uns Bücher beschert, +die wunderbar bebildert und unterhaltsam zu lesen sind, aber wenn wir +sie ihres Schmuckes entkleiden und nach den nackten Tatsachen fragen, +so werden wir bald bemerken, daß sie eigentlich nur wenig über Brehm +hinausreichen.</p> + +<hr class="full x-ebookmaker-drop"> + +<div class="eng"> + +<div class="chapter"> + +<p class="s1 center" id="KOSMOS"><span class="s5 middle">⁘</span> <span class="antiqua">KOSMOS</span> <span class="s5 middle">⁘</span></p> + +<p class="s2 center">Gesellschaft der Naturfreunde in Stuttgart</p> + +<hr class="full"> + +</div> + +<p class="p0">Die Gesellschaft Kosmos bezweckt, die Kenntnis der Naturwissenschaften +und damit die Freude an der Natur und das Verständnis ihrer +Erscheinungen in den weitesten Kreisen unseres Volkes zu fördern. +— Dieses Ziel sucht die Gesellschaft durch Verbreitung guter +naturwissenschaftlicher Literatur zu erreichen im</p> + +<p class="s1 center"><span class="s5 middle">⁘</span> <span class="antiqua">KOSMOS</span> <span class="s5 middle">⁘</span></p> + +<p class="s2 center">Handweiser für Naturfreunde</p> + +<p class="s4 center">Jährlich 12 Hefte mit 4 Buchbeilagen</p> + +<p class="p0">Diese Buchbeilagen sind, von ersten Verfassern geschrieben, im guten +Sinne gemeinverständliche Werke naturwissenschaftlichen Inhalts. In dem +Vereinsjahr 1929 gelangen zur Ausgabe:</p> + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Dr. Kurt Floericke, Tiervater Brehm</em></p> + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Wilhelm Bölsche, Drachen</em></p> + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">J. Small, Geheimnisse der Botanik</em></p> + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">H. Günther, Strahlenwunder</em></p> + +<p class="s1 center"><span class="s5 middle">⁘</span></p> + +<p class="s4 center"><em class="gesperrt">Jedes Bändchen reich illustriert</em></p> + +<hr class="full"> + +<p class="center">Diese Veröffentlichungen sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen, +wo auch Beitrittserklärungen entgegengenommen werden. Auch die +<em class="gesperrt">früher</em> erschienenen Jahrgänge sind noch erhältlich.</p> + +<p class="center mbot3">Geschäftsstelle des Kosmos: Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart</p> + +<div class="chapter"> + +<table class="kosmos bbox"> + <tr> + <td class="s3 bb" colspan="4"> + <div class="center"><b>Folgende seit Bestehen des Kosmos erschienene + Buchbeilagen</b><br> + <span class="s6">erhalten Mitglieder, solange vorrätig, zu + <em class="gesperrt">Ausnahmepreisen</em>:</span></div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1904</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, W., Abstammung des Menschen. — Meyer, Dr. M. W., + Weltuntergang. — Zell, Ist das Tier unvernünftig? (Dopp.-Bd.). — Meyer, Dr. + M. W., Weltschöpfung.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1905</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, Stammbaum d. Tiere. — Francé, Sinnesleben d. + Pflanzen. — Zell, Tierfabeln. — Teichmann, Dr. E., Leben u. Tod. — Meyer, + Dr. M. W., Sonne u. Sterne.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1906</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Francé, Liebesleben d. Pflanzen. — Meyer, Rätsel d. Erdpole. + — Zell, Streifzüge d. d. Tierwelt. — Bölsche, Im Steinkohlenwald. — Ament, + Seele d. Kindes.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1907</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Francé, Streifzüge im Wassertropfen. — Zell, Dr. Th., + Straußenpolitik. — Meyer, Dr. M. W., Kometen und Meteore. — Teichmann, + Fortpflanzung und Zeugung. — Floericke, Dr. K., Die Vögel des deutschen Waldes.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1908</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Meyer, Dr. M. W., Erdbeben und Vulkane. — Teichmann, Dr. E., + Die Vererbung. — Sajó, Krieg und Frieden im Ameisenstaat. — Dekker, + Naturgeschichte des Kindes. — Floericke, Dr. K., Säugetiere des deutschen Waldes.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1909</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Francé, Bilder aus dem Leben des Waldes. — Meyer, Dr. M. W., + Der Mond. — Sajó, Prof. K., Die Honigbiene. — Floericke, Kriechtiere und Lurche + Deutschlands. — Bölsche, W., Der Mensch in der Tertiärzeit.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1910</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Koelsch, Pflanzen zw. Dorf u. Trift. — Dekker, Fühlen u. Hören. + — Meyer, Welt d. Planeten. — Floericke, Säugetiere fremd. Länder. — Weule, + Kultur d. Kulturlosen.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1911</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Koelsch, Durch Heide und Moor. — Dekker, Sehen, Riechen und + Schmecken. — Bölsche, Der Mensch der Pfahlbauzeit. — Floericke, Vögel fremder + Länder. — Weule, Kulturelemente der Menschheit.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1912</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Gibson-Günther, Was ist Elektrizität? — Dannemann, Wie unser + Weltbild entstand. — Floericke, Fremde Kriechtiere und Lurche. — Weule, Die + Urgesellschaft und ihre Lebensfürsorge. — Koelsch, Würger im Pflanzenreich.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1913</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, Festländer u. Meere. — Floericke, Einheimische Fische. + — Koelsch, Der blühende See. — Zart, Bausteine des Weltalls. — Dekker, Vom siegh. + Zellenstaat.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1914</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, W., Tierwanderungen in der Urwelt. — Floericke, Dr. + Kurt, Meeresfische. — Lipschütz, Dr. A., Warum wir sterben. — Kahn, Dr. Fritz, + Die Milchstraße. — Nagel, Dr. Osk., Romantik der Chemie.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1915</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, W., Der Mensch der Zukunft. — Floericke, Dr. K., + Gepanzerte Ritter. — Weule, Prof. Dr. K., Vom Kerbstock zum Alphabet. — Müller, + A. L., Gedächtnis und seine Pflege. — Besser, H., Raubwild und Dickhäuter.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1916</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, Stammbaum der Insekten. — Sieberg, Wetterbüchlein. — + Zell, Pferd als Steppentier. — Weule, Krieg in den Tiefen der Menschheit + (Dopp.-Bd.).</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1917</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Besser, Natur- u. Jagdstud. i. Deutsch-Ostafrika. — Floericke, + Dr., Plagegeister. — Hasterlik, Dr., Speise u. Trank. — Bölsche, Schutz- u. + Trutzbündnisse i. d. Natur.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1918</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, Sieg des Lebens. — Fischer-Defoy, Schlafen und + Träumen. — Kurth, Zwischen Keller u. Dach. — Hasterlik, Dr., Von Reiz- u. + Rauschmitteln.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1919</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Bölsche, Eiszeit und Klimawechsel. — Floericke, Spinnen und + Spinnenleben. — Zell, Neue Tierbeobachtungen. — Kahn, Die Zelle.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1920</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Fischer-Defoy, Lebensgefahr in Haus u. Hof. — Francé, Die + Pflanze als Erfinder. — Floericke, Schnecken und Muscheln. — Lämmel, Wege zur + Relativitätstheorie.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1921</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Weule, Naturbeherrschung I. — Floericke, Gewürm. — Günther, + Radiotechnik. — Sanders, Hypnose und Suggestion.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1922</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Weule, Naturbeherrschung II. — Francé, Leben im Ackerboden. — + Floericke, Heuschrecken und Libellen. — Lotze, Jahreszahlen der Erdgeschichte.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1923</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Zell, Rind als Waldtier. — Floericke, Falterleben. — Francé, + Entdeckung der Heimat. — Behm, Kleidung und Gewebe.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1924</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Floericke, Käfervolk. — Henseling, Astrologie. — Bölsche, + Tierseele und Menschenseele. — Behm, Von der Faser zum Gewand.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1925</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Lämmel, Sozialphysik. — Floericke, Wundertiere des Meeres. + — Henseling, Mars. — Behm, Kolloidchemie.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1926</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Francé, Die Harmonie in der Natur. — Floericke, Zwischen + Pol und Äquator. — Bölsche, Abstammung d. Kunst. — Dekker, Planeten und + Menschen.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam"> + <div class="left"><b>1927</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="3"> + <div class="left">Floericke, Aussterbende Tiere. — Bölsche, Im Bernsteinwald. + — Günther, Was ist Magnetismus. — Lang, Gletschereis.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam bb"> + <div class="left"><b>1928</b></div> + </td> + <td class="s5 vam bb" colspan="3"> + <div class="left">Floericke, Vögel auf der Reise. — Francé, Urwald. — Günther, + Eroberung der Tiefe. — Venzmer, Geißeln der Tropen.</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam" rowspan="2"> + <div class="left"><b>Preise:</b></div> + </td> + <td class="s5 vam"> + <div class="left">Einzeln bezogen kostet jeder Band brosch.</div> + </td> + <td class="s5 vam"> + <div class="left">RM 1.—,</div> + </td> + <td class="s5 vam"> + <div class="left">gebd. RM 1.70</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s5 vam"> + <div class="left">Für Nichtmitglieder des Kosmos</div> + </td> + <td class="s5 vam"> + <div class="left">RM 1.25,</div> + </td> + <td class="s5 vam"> + <div class="left">gebd. RM 2.—</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s3 vam" colspan="2" rowspan="3"> + <div class="left"><b>Besondere Preise<br> + bei Gruppenbezug</b></div> + </td> + <td class="s5 vam" colspan="2"> + <div class="left">10 Bände geb. nur RM 14.50, brosch. nur RM 9.—</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s5 vam" colspan="2"> + <div class="left">20 Bände geb. nur RM 27.—, brosch. nur RM 16.50</div> + </td> + </tr> + <tr> + <td class="s5 vam" colspan="2"> + <div class="left">50 Bände geb. nur RM 62.—, brosch. nur RM 37.50</div> + </td> + </tr> +</table> + +</div> + +</div> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 77002 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/77002-h/images/cover.jpg b/77002-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..5752010 --- /dev/null +++ b/77002-h/images/cover.jpg diff --git a/77002-h/images/illu_011.jpg b/77002-h/images/illu_011.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..cc6a980 --- 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