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+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76593 ***
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+======================================================================
+
+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
+sind stillschweigend korrigiert worden.
+
+Am Ende der Kapitel 82, 88, 93, 104 und 105 ist die fehlende Dekoration
+eingefügt worden.
+
+Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter umgestaltet. Ein Urheberrecht
+wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt
+genutzt werden.
+
+Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~
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+ Dieses Buch wurde in der Deutschen
+ Buch- u. Kunstdruckerei G. m. b. H.
+ in Zossen gedruckt u. bei der Leipziger
+ Buchbinderei-Actiengesellschaft
+ in Leipzig gebunden.
+
+ [Illustration]
+
+
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+ Tristram Shandy
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+
+
+ [Illustration:
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+
+ Die Bücher des Deutschen
+ Hauses
+
+ Herausgegeben von Rudolf Presber
+
+ Zweite Reihe
+
+ 39. Band
+
+ Die Bücher des Deutschen Hauses]
+
+
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+
+ [Illustration:
+
+ Das Leben
+ und die Meinungen von
+ Herrn Tristram Shandy
+
+ von
+
+ Laurence Sterne
+
+
+ Illustriert
+ von Lovis Corinth
+
+ 1908
+
+ Buchverlag fürs Deutsche Haus
+
+ Berlin-Leipzig.]
+
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+»Diese Satiren im kleinen mit ihren köstlichen Wahrheiten sind nur mit
+den griechischen Klassikern zu vergleichen. Wenn Ihr nicht mit ihm
+fühlt, mag er Euch oft kleinlich, frivol, gesucht, kindisch erscheinen.
+Habt Ihr aber sein Genie erkannt, werdet Ihr in ihm einen gewaltigen
+Lehrer der Menschheit finden.«
+
+ Voltaire über Sterne.
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+
+
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+ [Illustration]
+
+ Der arme Yorick
+
+ 1713-1768
+
+
+Die Welt nannte den Dorfprediger von Sutton und Stillington bei York,
+Laurence Sterne, nicht anders als den armen Yorick, nach dem Pfarrer,
+den Tristram Shandy so über alles schätzte, daß er ganz gegen seine
+Gewohnheit in einem Zuge seine Lebensbeschreibung erzählt, ehe noch
+Tristram Shandy selbst -- in dem Buche natürlich -- geboren ist.
+»Mancher Zug aus dem Charakter dieses Mannes«, sagt Tristram, »kommt,
+wie mich dünkt, den artigen, lustigen Streichen des unnachahmlichen
+Ritters la Manche gleich, welchen ich mit all seinen Narrheiten mehr
+liebe als den größten Helden des Altertums.« Auf niemanden paßt diese
+Schilderung so gut, wie auf Laurence Sterne selbst. Auch er war ein
+rechter echter Shandist, ohne welche Eigenschaft er niemals in diesem
+kuriosesten aller Leben und Meinungen hätte eine Rolle spielen können,
+am wenigsten die des Autors. Laurence Sterne hat auch seine eigene
+Biographie geschrieben. In einem Briefe an seine Tochter Lydia, kurz
+vor seinem Tode, gibt er alle wesentlichen Daten seines Lebens.
+
+Die Jugend nimmt den breitesten Raum dieser Beschreibung in Anspruch,
+auch darin seinem Tristram Shandy zum mindesten blutsverwandt. Roger
+Sterne, sein Vater, war Leutnant im irischen Handaside-Regiment.
+Das bedeutete damals ruheloses Umherziehen von Ort zu Ort, von Land
+zu Land. Und Frau und Kinder zogen mit durch Wind und Wetter, Sommer
+und Winter, von Baracken zu Baracken, wenn sie nicht vorübergehend
+bei mildtätigen Verwandten einen Unterschlupf fanden. Zweimal sind
+Frau Agnes (sie war die Tochter eines angesehnen Marketenders, »mein
+Vater hatte Schulden bei ihr, als er sie heiratete«) und ihre Kinder
+bei der Überfahrt von England nach Irland in Lebensgefahr gewesen
+und von ihrem Mann schon aufgegeben. Laurence ist das zweite Kind
+dieser kriegerischen Ehe. Er wurde in Clonmel im Süden Irlands am
+24. November 1713 geboren. Von den fünf Geschwistern, zwei Brüdern
+und drei Schwestern, haben nur noch zwei Schwestern mit ihm dieses
+entbehrungsvolle Wanderleben ihrer Jugend überstanden.
+
+Die Familie Sterne hatte bessere Zeiten erlebt, als ihr die
+Leutnantsgage von Sternes Vater bereiten konnte, dessen
+verschwenderische Güte in Onkel Tobys Zügen verewigt worden ist. »Sie
+hätten ihn, Madame, an einem Tage zehnmal hintergehen können, wenn es
+Ihnen mit neunen noch nicht genug ist.« -- Roger Sterne war der Enkel
+eines Erzbischofs von York, und ein Onkel Laurence Sternes war erster
+Pfarrer in York. Ihm verdankte später der junge Vikar, der auf Kosten
+eines reichen Vetters und mit einem Stipendiat seines Urgroßvaters in
+Cambridge studiert hatte, seine erste Pfründe: Sutton. »In York lernte
+ich deine Mutter kennen und machte ihr zwei Jahre lang den Hof. -- Auch
+sie war mir herzlich zugetan, hielt sich aber wohl nicht für reich
+genug oder mich für zu arm für eine dauernde Verbindung. Sie ging zu
+ihrer Schwester nach S., und ich schrieb sehr fleißig. Ich glaube, daß
+sie wohl halb entschlossen war mich zu nehmen, ohne es mich merken zu
+lassen. -- Nach ihrer Rückkehr wurde sie sehr krank, und als ich eines
+Abends bei ihr saß -- ich war sehr traurig, sie so krank zu wissen --,
+sagte sie, ›mein lieber Laurey, ich kann nie dein werden, denn ich
+glaube sicher, daß ich nicht mehr lange lebe! Ich habe dir aber mein
+ganzes Vermögen zugesprochen.‹ Damit zeigte sie mir ihr Testament.
+Diese Großmut überwältigte mich. Es gefiel Gott, sie wieder gesund
+werden zu lassen, und ich heiratete sie im Jahre 1741. Mein Onkel
+(Jaques Sterne, Pfründner von Durham, Vorsänger und Pfründner in York,
+mit dem Wohnsitz in York, Vorsteher der Pfarren in Rise und Hornsey mit
+Riston, im Ostbezirk der Grafschaft York) und ich standen uns damals
+sehr gut. Er verschaffte mir sehr bald eine Pfründe in York. -- Später
+kamen wir in Streit, weil ich mich weigerte, Parteiartikel in die
+Zeitungen zu schreiben. Er war ein eifriger Parteimann, und ich nicht.
+Ich verachtete diese Art Propaganda und hielt mich für zu schade dazu.
+Und von da an wurde er mein erbittertster Feind. Durch Vermittelung
+meiner Frau erhielt ich noch die Pfründe von Stillington. Einer ihrer
+Freunde hatte ihr versprochen, daß, wenn sie einen Geistlichen in
+Yorkshire heiratet, er ihr als Zeichen seiner Freundschaft bei der
+nächsten Vakanz die Pfründe besorgen werde. Fast zwanzig Jahre blieb
+ich in Sutton und übte mein Pfarramt an beiden Orten aus. Die ganze
+Zeit erfreute ich mich einer vorzüglichen Gesundheit. Bücher, Malen,
+Geige spielen und auf die Jagd gehen, das waren meine Zerstreuungen.
+Mit dem Squire der Pfarrei standen wir uns nicht besonders, dafür
+verkehrten wir in Stillington mit der Familie C--s, die sehr freundlich
+gegen uns war, und das war sehr angenehm für uns, innerhalb einer Meile
+so herzliche Freunde zu haben. 1760 mietete ich ein Haus in York für
+deine Mutter und dich. Ich selbst ging nach London, für den ersten
+Band des Shandy einen Verleger zu suchen. Im selben Jahre bot mir Lord
+Falconbridge die Pfarrstelle in Coxwould an, das gegen Sutton ein
+lieblicher Wohnsitz genannt werden muß. 1762 ging ich nach Frankreich,
+noch vor dem Friedensschluß, und ihr beide folgtet mir. Dann bliebt
+ihr drüben. Ich ging erst wieder zwei Jahre darauf nach Italien, um
+etwas für meine Gesundheit zu tun. Auf meine dringende Bitte seid
+auch ihr jetzt nach England zu mir zurückgekehrt und ich habe die
+unbeschreibliche Freude erlebt, mein Kind wiederzusehen, alles, was ich
+mir noch wünschen konnte.«
+
+Es ist kurz hinzuzufügen, was von jenem Leben in den Hauptstädten
+London und Paris, das die letzten acht Jahre fast ausfüllt, der Vater
+seiner Tochter nicht ausdrücklich hat sagen wollen, aus Zartgefühl
+gegen ihre Mutter. Die Ehe war keine glückliche. Das Paar, das sich auf
+so romantische Weise gefunden hatte, wurde einer des anderen herzlich
+überdrüssig, bevor viele Jahre verflossen waren .. Eine drollige
+Mischung von Selbstanklage und Überlegenheit liegt in folgendem
+Shandystischen Stoßseufzer: »Ein verteufeltes Glück für einen Mann,
+der Herr über die zartesten Vernunftschlüsse ist, ein Weib zu haben,
+in dessen Kopf er auf keine Weise einen Gedanken einschmuggeln kann,
+der seine Seele vor der Verdammnis rettet.« -- Aber der arme Yorick war
+der Meinung, daß dieses mühevolle Leben eine trübe und wertlose Sache
+bleiben muß, »Ihr hättet der Liebe denn ...« »Ich liebte eine oder
+die andere Prinzessin mein Leben lang. Und ich hoffe, ich werde es so
+halten bis zu meinem Ende, denn ich bin davon überzeugt, daß, wenn ich
+je einer häßlichen Tat fähig war, es zu einer Zeit war, die zwischen
+einer alten und einer neuen Leidenschaft lag.«
+
+So machte er nacheinander Miß Fourmentelle (einer schönen französischen
+Hugenottin), Frau Garrik, Lady Percy und Eliza Draper (der jungen Frau
+eines indischen Farmers) den Hof, ohne daß diese Aufzählung Anspruch
+auf Vollständigkeit machen kann. »+L'amour n'est rien sans le
+sentiment+,« sagte Sterne, »+Mais le sentiment permet tout+,«
+hätte er hinzusetzen sollen. Zweien von diesen Frauen gegenüber, Miß
+Fourmentelle und Eliza Draper, versteigen sich seine Empfindungen bis
+zu dem Ausruf: Möchte Gott uns die Tür zu einem gemeinsamen Leben
+öffnen. An seine »+Dear, dear Kitty+« (Miß Fourmentelle) schreibt
+er: »Ich bin keine Stunde ohne Wunsch, denn ich wünsche immer, mit
+Dir zusammen zu sein.« Ein Jahr darauf hat er sich kopfüber in ein
+anderes Gefühl gestürzt, er liegt in den Banden der Lady Percy, deren
+Abenteuer London genug Gelegenheiten zu Klatschereien gaben. »Ihre
+Augen und Lippen haben einen Mann zum Narren gemacht, den die ganze
+Stadt für einen sehr geistreichen Menschen hält.« Laurence Sterne
+war über fünfzig und seine Nerven trotz der italienischen Reise
+äußerst angegriffen, als er sich zum letzten Male mit dem gewohnten
+Erfolg in den Glauben versetzte, daß er liebe. Eliza Draper war
+fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte, weil sie das Klima in Indien
+nicht vertragen konnte, bei Freunden in London. Sie gehörte zu jenen
+interessanten Frauen, die eine körperliche Anfälligkeit dem Manne nur
+noch sympathischer macht, weil sie ihm Gelegenheit gibt, in seiner
+Zärtlichkeit unermüdlich zu sein. Ganz London wußte von dieser neuen
+Liaison des armen Yorick, und irgendein Fant beeilte sich auch, Frau
+Sterne in Toulon davon zu unterrichten. Ich will davon nichts wissen,
+soll sie geantwortet haben. Später hat sie aber ihrem Gatten die Rolle
+des »Braminen«, die er bei der jungen Dame aus Indien spielte, von all
+seinen Abenteuern am wenigsten verzeihen können. Als sie mit Lydia nach
+York zurückkehrte, war Eliza Draper schon auf der Fahrt nach Bombay.
+
+Als wollte sich das Schicksal des armen Yorick wirklich seines Autors
+bemächtigen, so starb auch Sterne, »ob er gleich dem Anscheine nach
+bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, vor Kummer
+und Gram. Seine unvorsichtige Scherzhaftigkeit hatte ihn in solche
+Schlingen verwickelt, daraus ihn kein Nachwitz losmachen konnte.« Der
+Mann, der in Coxwould ein Haus und in York eine Wohnung hatte, dessen
+Familie nach fünf Jahren aus Frankreich eben erst zurückgekehrt war,
+der vergötterte Liebling der Pariser und Londoner Salons (aber ebenso
+hartnäckig von seinen Feinden verfolgt), starb am 16. März 1768 in
+einem möblierten Zimmer in der Bondstreet in London. Es lockte ihn
+der Ruhm der Großstadt, die Lorbeern der +sentimental Yourney+
+sollten ihn seinen Kummer vergessen machen. Aber er mußte erfahren,
+daß auch der berühmteste Witzbold in dem Augenblick von seinen
+Freunden vergessen wird, wenn ihn Krankheit abhält, regelmäßig ihre
+Abendgesellschaften mit seinen cervantischen Einfällen zu würzen.
+Nicht einmal die geizige Vermieterin war bei dem Sterbenden. Und als
+ein Diener seiner Freunde sich nach dem Befinden des Herrn Sterne zu
+erkundigen kam, fand er einen Toten im Lehnstuhl. Leichenräuber gruben
+ihn am Tage seiner Beerdigung aus (es heißt, die Wirtin habe von dem
+Erlös ihren Mietzins abgezogen) und verkauften ihn an die Universität
+Cambridge, wo ein Professor den armen Yorick wiedererkannte.
+
+Das achtzehnte Jahrhundert hat seine besten Kinder am
+stiefmütterlichsten behandelt. Es gab ihnen die Süßigkeiten eines
+ungebundenen (wir sagen galanten) Lebens. Der Kern aber war eine
+bittere Mandel.
+
+Diese Ausgabe bringt die berühmte Übersetzung von Bode, die in
+Deutschland unter den vielen Übersetzungen, die sofort auf die
+englische Ausgabe folgten, als die bei weitem beste die größte
+Verbreitung hatte und an verschiedenen Orten mit und ohne Erlaubnis
+nachgedruckt wurde. Ich habe zum besseren Verständnis der kräftigen
+Ausdrucksweise, die auch der deutsche Text so gut getroffen hat, die
+Interpunktion und einige nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, die dem
+Gesichtskreis des modernen Lesers ganz entschwunden sind, geändert.
+Im ganzen aber ist der altmodische Stil gewahrt, der die Eigenart des
+achtzehnten Jahrhunderts und die unserer Prüderie bisweilen gefährliche
+Derbheit bewahrt und rechtfertigt. Den ganzen Text zu bringen ist
+uns hier unmöglich. Die zahlreichen längeren Abschweifungen, die sich
+Sterne erlaubt, haben es leicht gemacht, dennoch den Charakter des
+Ganzen wie im einzelnen zu bewahren sowie die anschauliche Kraft der
+Shandystischen Meinungen.
+
+ W. M.
+
+
+
+
+ Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy
+
+
+
+
+ Erstes Kapitel.
+
+
+Am fünften Tage des November 1718, welcher, von der festgesetzten
+Ära an gerechnet, neun Kalendermonate so richtig vollmachte, als es
+irgendein Ehemann billigerweise erwarten konnte, ward ich, Tristram
+Shandy, Erbherr, für diese unsere schäbige, unglücksvolle Welt geboren.
+-- Ich wollte, ich wäre im Monde geboren worden oder in jedem anderen
+Planeten, nur nicht im Jupiter oder Saturn, weil ich mich gar nicht
+mit der Kälte vertragen kann; denn es könnte mir schwerlich in einem
+davon schlimmer ergangen sein -- ob ich wohl für die Venus nicht gut
+sagen möchte -- als in diesem schmutzigen Lumpendinge von Planeten,
+der, wenn ich meines Herzens Meinung, jedoch mit allem Respekt, frei
+heraus sagen soll, wohl nur von den Schnitzeln und Feilspänen gemacht
+ist, die von den übrigen abfielen. Noch wäre der Planet gut genug,
+wäre nur ein Mensch darauf als Erbe zu einem hohen Titel oder großen
+Vermögen geboren, oder wüßte er's nur so anzugreifen, daß er zu
+großen Ehrenämtern berufen würde, die ihm fein viel Ansehen und Macht
+erteilten; aber das ist nun mein Casus nicht, und also -- jedermann
+spricht von der Messe, nachdem er auf derselben seinen Handel gemacht
+hat; deswegen also, sage ich noch einmal, es ist das elendeste
+Lumpending von einer Welt, die jemals gemacht worden; denn ich kann
+mit Wahrheit sagen, daß ich von der ersten Stunde an, da ich darin
+meinen Atem schöpfte, bis zu der jetzigen, da ich fast gar keinen mehr
+schöpfen kann wegen meines Asthmas, das ich mir dadurch zugezogen, daß
+ich in Flandern auf Schlittschuhen gegen den Wind lief, ein Spiel der
+mutwilligen Dame bin, welche die Welt Fortuna nennt; ob ich ihr gleich
+nicht das Unrecht tun und ihr nachsagen will, sie habe mich jemals die
+Last irgendeinen großen oder sich auszeichnenden Leidens fühlen lassen,
+so bezeuge ich doch mit aller möglichen Friedsamkeit von der Welt, daß
+bei allen Auftritten meines Lebens, und an jeder Ecke oder in jedem
+Winkel, wo sie mir nur einigermaßen beikommen konnte, sie mir einen
+Packen so jämmerlicher Widerwärtigkeiten und Querhändel an den Hals
+geworfen hat, als jemals ein kleiner Held hat erdulden müssen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweites Kapitel.
+
+
+Im Anfange des vorhergehenden Kapitels berichtete ich Ihnen ganz
+genau, wann ich geboren ward; -- ich berichtete Ihnen aber nicht, wie?
+Nein, dieser Umstand ward für ein ganz eigenes Kapitel aufgespart.
+-- Überdies, mein Herr, da Sie und ich gewissermaßen einander noch
+völlig unbekannt sind, so würde es sich nicht geschickt haben, Sie
+sogleich auf einmal mit verschiedenartigen Umständen, die nur mich
+angehen, bekannt zu machen. -- Sie müssen ein wenig Geduld haben. Ich
+habe es unternommen, wie Sie sehen, nicht bloß mein Leben, sondern
+auch meine Meinungen zu schreiben in der Hoffnung und Erwartung, daß,
+wenn Sie erst meinen Charakter kennten und wüßten, von was für einem
+Schlage von Sterblichen ich bin, das eine Ihnen desto mehr Geschmack
+an dem andern beibringen würde. Sowie Sie weiter von mir fortgehen,
+wird die kleine Bekanntschaft, die eben unter uns anfängt, zu einer
+Vertraulichkeit auszuschlagen, und diese, oder die Schuld müßte an
+einem von uns beiden liegen, wird sich in Freundschaft endigen. --
++O diem præclaram!+ -- Dann wird nichts, was mir begegnet ist,
+für Kleinigkeit an sich selbst oder für langweilig in der Erzählung
+gehalten werden. Deswegen also, mein liebster Freund und Gefährte, wenn
+Sie meinen sollten, ich gehe im Anfange meiner Geschichten ein wenig
+sparsam zu Werke, so übersehen Sie's mir, und lassen Sie mich meinen
+Gang gehen und meine Historie auf meine Weise erzählen. Oder sollte es
+scheinen, daß ich dann und wann auf meinem Wege ein bißchen tändelte
+oder für ein paar Minuten, sowie wir weiter kommen, eine Kappe mit
+Schellen aufsetzte, so laufen Sie nur nicht gleich davon, sondern haben
+Sie die Gefälligkeit und geben mir für ein wenig mehr Weisheit Kredit,
+als mir an der Stirne geschrieben steht, und sowie wir fortwackeln,
+lachen Sie mit mir oder über mich, oder kurz, tun Sie, was Sie wollen.
+Nur ungeduldig müssen Sie nicht werden.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Drittes Kapitel.
+
+
+Mein Vater, müssen Sie wissen, der eigentlich ein Kaufmann war und nach
+der Levante handelte, seit einigen Jahren aber den Handel niedergelegt
+hatte, um sich auf ein väterliches Landgut in der Grafschaft Z.
+zu begeben und daselbst zu leben und zu sterben, war, glaub' ich,
+der regelmäßigste Mann in allem, was er tat, es sei Geschäft oder
+Zeitvertreib.
+
+In ebendem Dorfe, worin mein Vater und meine Mutter wohnten, wohnte
+auch eine hagere Matrone, eine züchtige, alte, gute Frau von Hebamme,
+welche mit Hilfe etwas wenigen, schlechten Menschenverstandes, und
+weil sie einige Jahre hindurch alle Hände voll in ihrem Geschäfte zu
+tun hatte, wobei sie sich beständig auf ihre Bemühungen sehr wenig,
+auf Frau Mutter Natur aber sehr stark verließ, nach ihrer Art keine
+geringe Staffel des Ruhms in der Welt erstiegen hatte. -- Bei welchem
+Worte Welt ich Euer Hochedelgeboren notwendig sagen muß, daß Sie nicht
+denken, ich meine mehr damit als einen kleinen Zirkel, der auf dem
+Zirkel der großen Welt beschrieben ist, von vier englischen Meilen im
+Durchmesser oder so ungefähr, von welchem die Hütte, worin die gute
+alte Frau lebte, als Mittelpunkt angenommen werden muß. -- Sie war, wie
+es scheint, in ihrem siebenundvierzigsten Jahre zur Witwe geworden mit
+drei oder vier kleinen Kindern in großer Dürftigkeit. Da sie damals
+eine Person von ehrbarer Aufführung, ernsthaftem Betragen, ja noch
+dazu ein Weibsbild von wenig Worten und obendrein ein Gegenstand des
+Mitleids war, deren Armut und das Stillschweigen, womit sie solche
+ertrug, desto lauter um freundschaftlichen Beistand rief, so ward die
+Frau des Pfarrers am Kirchspiel von Mitleid gerührt. Sie hatte schon
+oft einen üblen Umstand beklagt, dem die Herde ihres Eheherrn schon
+viele Jahre hindurch ausgesetzt war. Daß nämlich kein solches Ding
+als eine Hebamme von irgendeiner Art zu finden war, der Fall mochte
+so dringend sein, als er wollte. Man mußte erst sechs oder sieben
+lange Meilen danach reiten, welche besagte sieben lange Meilen bei
+finsteren Nächten und bösen Wegen, da der Boden in der Gegend umher aus
+zähem Lehm bestand, ebenso gut waren als vierzehn und dieses zuweilen
+ebensoviel hieß als gar keine Hebamme haben. So hatte die Frau Pfarrer
+den Einfall, daß es ein ebensowohl angebrachter Dienst für das ganze
+Kirchspiel als für die arme Frau selbst sein würde, wenn man sie ein
+wenig in den Anfangsgründen der Kunst unterweisen ließe, damit sie
+hernach Hebamme des Kirchspiels werden könnte. Da keine Frau in der
+ganzen Gegend geschickter war, ihren entworfenen Plan auszuführen,
+so übernahm es die Frau Pastor christlicherweise. Und sie vermochte
+über die weibliche Hälfte der Pfarrkinder soviel, daß sie ihn ohne
+Schwierigkeit nach allem Herzenswunsch ausführte. In der Tat half auch
+in dieser Sache der Pfarrer seiner Frau mit seinem ganzen Ansehen. Um
+in der gehörigen Ordnung zu Werke zu gehen und dem guten Geschöpfe
+ein ebenso gutes Recht zur Ausübung durch die Gesetze zu geben, als
+ihr seine Frau durch Unterweisung gegeben hatte, -- bezahlte er mit
+Freuden aus seiner eigenen Tasche das Geld für den Freiheitsbrief
+vom Landphysikus, welches sich überhaupt ungefähr auf einen Louisdor
+belief. So wurde die gute Frau unter vier Augen völlig in den wahren
+und körperlichen Besitz ihres Amtes eingesetzt mit allen seinen
+Rechten, Artikeln und Gefällen, wie sie auch immer Namen haben mochten.
+
+Diese letzten Worte, müssen Sie wissen, standen nicht in dem
+alten Formular, nach welchem gewöhnlich solche Freiheitsbriefe
+und Vollmachtsscheine lauteten, sondern waren aus einem netten
+Formularbuche des Didius eigener Erfindung genommen, welcher, aus
+einer besonderen Gabe, alle dergleichen Instrumente zu zerstückeln und
+von neuem zusammenzufügen, nicht allein diese herrliche Verbesserung
+ausersann, sondern auch mancher von den alten privilegierten Matronen
+in der Nachbarschaft den Mund so wässerig machte, daß sie ihren
+Freiheitsbrief auffrischen ließ, um diesen seinen Bimbam beigefügt zu
+haben.
+
+Ich gestehe, ich habe Didius wegen dieser Art von seinen Einfällen
+niemals beneiden können; aber laß jedermann seinen besonderen
+Geschmack. -- Fand nicht +Dr.+ Kunastrokius, dieser große Mann,
+in müßigen Stunden darin das größte erdenkliche Vergnügen, daß er
+Eselsschwänze klar kämmte und die tauben Haare mit seinen Zähnen
+ausrupfte, obgleich er beständig die Haarzange bei sich in der Tasche
+trug? Ja, weil Sie doch einmal daraufkommen, mein Herr, hatten nicht
+die weisesten Männer zu allen Zeiten, Salomo selbst nicht ausgenommen,
+ihre Steckenpferde, ihre Wettrenner, ihre Münzsammlung, ihre Konzilien,
+ihre Trommeln, ihre Trompeten, ihre Geigen, ihre Paletten, ihre
+chinesischen Porzellanfiguren, ihre Schmetterlinge? Solang' ein Mann
+sein Steckenpferd auf der Heerstraße ruhig und friedsam fortreitet und
+weder Sie noch mich zwingen will, mit ihm zu reiten, -- ich bitte Sie,
+mein Herr, was geht es Sie oder mich an?
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Viertes Kapitel.
+
+
+Was für einen Grad des kleinen Verdienstes die wohltätige Handlung zum
+Besten der Hebamme mit Recht heischen könnte, oder wem dieses Recht
+eigentlich zustand, das scheint beim ersten Anblick nicht wesentlich zu
+dieser Geschichte zu gehören. -- Soviel war aber gewiß, daß die Frau
+Pastor zu der Zeit mit dem ganzen Ruhm davon durchging. Dennoch kann
+ich für mein Leben nicht umhin, zu denken, daß der Pfarrer selbst, ob
+er gleich nicht das Glück hatte, zuerst auf den Einfall zu kommen,
+dennoch, da er den Augenblick, da ihm die Sache vorgetragen wurde,
+herzlich gerne Teil daran nahm und ebenso herzlich gerne sein Geld
+hergab sie auszuführen, ein Recht auf etwas, wo nicht zur vollen Hälfte
+von aller der Ehre hatte, die ihr gebührte.
+
+Der Welt gefiel es damals, die Sache anders zu entscheiden.
+
+Legen Sie das Buch weg, und ich gebe Ihnen einen halben Tag Zeit, eine
+wahrscheinliche Mutmaßung von dem Grunde dieses Verfahrens ausfindig zu
+machen.
+
+Man wisse also, daß ungefähr fünf Jahre vor dem Datum, unter welchem
+der Hebamme der Freiheitsbrief ausgestellt wurde, von welchem Sie
+eine so umständliche Nachricht erhalten, der Pfarrer sich durch einen
+Fehler gegen alles Dekorum, den er gegen sich selbst, seinen Stand und
+sein Amt begangen, ins Gerede der Leute gebracht hatte. Der bestand
+darin, daß er niemals ein anderes oder besseres Pferd ritt als ein
+dürres, steifes Roß, ungefähr neuneinhalb Taler wert, welches, um es
+kurz zu beschreiben, ein so echter Bruder vom Rosinante war, als ihn
+die leibhaftige Ähnlichkeit dazu machen konnte; denn die Beschreibung
+fehlte nicht um Haaresbreite. -- Ausgenommen, daß ich mich nicht
+erinnere, daß es irgendwo gesagt worden, Rosinante habe sich verfangen
+gehabt, und auch dieses, daß Rosinante, wie es die Glückseligkeit fast
+aller spanischen Hengste ist, ganz gewiß in allen Punkten ein volles
+Pferd war.
+
+Ich weiß recht gut, daß das Pferd des Helden ein Pferd von sehr
+keuscher Aufführung war, und das mag Gelegenheit zu einer gegenseitigen
+Meinung gegeben haben. Es ist aber zu gleicher Zeit ebenso gewiß, daß
+die Enthaltsamkeit des Rosinante aus keinem körperlichen Mangel oder
+irgendeiner andern Ursache herrührte als aus dem Mangel an Temperament
+und dem ordentlichen Umlaufe des Bluts. Und erlauben Sie mir, Ihnen zu
+sagen, Madame, es gibt manche ehrliche Keuschheit in der Welt, für die
+Sie nichts mehr anführen könnten, und stünde auch Ihr Leben darauf.
+
+Das nebenher. Da meine Absicht ist, jeder Kreatur, die auf der Szene
+dieses dramatischen Werkes vorkommt, die strengste Gerechtigkeit
+angedeihen zu lassen, so konnte ich diese Distinktion zum Besten Don
+Quixotes Pferd nicht unterdrücken. In allen übrigen Punkten sage ich,
+war des Pfarrers Pferd ihm völlig gleich; denn es war ein so mageres
+und so dünnes, elendes Roß, daß die Demut es in eigener Person hätte
+beschreiben können.
+
+Nach dem Dafürhalten eines Mannes von schwachem Urteile stand es sehr
+gut in des Pfarrers Macht, der Figur dieses seines Pferdes aufzuhelfen;
+denn er besaß einen sehr hübschen Reitsattel, der auf dem Gesäß mit
+grünem Plüsch gepolstert war, ausgeziert mit einer doppelten Reihe
+von silbernen Stiften, und ein herrliches Paar glänzender messingener
+Steigbügel, eine Schabracke von sehr feinem, grünem Tuche, am Rande mit
+schwarzen Spitzen besetzt, wovon lange, schwarze seidene Fransen, mit
+goldenen Fäden vermischt, herabhingen. -- Alles dieses hatte er, nebst
+mit Silber belegten Stangen und einer gehörig zierlichen Trense in der
+Blüte seines Lebens gekauft. -- Da er aber sein Pferd nicht zum Narren
+haben wollte, hatte er das alles in seiner Studierstube hinter der Türe
+aufgehängt. -- Und statt dessen hatte er ganz ernsthaft gerade solch
+einen Zaum und Sattel angeschafft, als sich für die Gestalt und den
+Wert eines solchen Tieres eigentlich schickten und gebührten.
+
+Auf den verschiedenen Ritten in seinem Kirchspiel und gelegentlich
+der Besuche bei dem kleinen Landadel, welcher in der Nachbarschaft um
+ihn herum wohnte, können Sie leicht begreifen, daß der solchergestalt
+ausstaffierte Pfarrer genug zu sehen und zu hören bekommen mußte, um
+seine Philosophie vorm Verrosten zu bewahren. Die Wahrheit zu sagen,
+er konnte niemals in ein Dorf reiten, oder er zog die Aufmerksamkeit
+der Alten und Jungen auf sich. -- Die Arbeit stand still, wenn er
+vorbeiritt, -- der Eimer blieb im Brunnen schweben, -- das Spinnrad
+vergaß seinen Lauf -- selbst die Häuflein Kinder beim Kügelchen-
+oder die größeren Buben beim Münz- und Letterspiel vergaßen alles
+und standen mit offenem Munde, bis sie ihn aus dem Gesicht verloren.
+Da seine Bewegung nicht die schnellste war, so hatte er gewöhnlich
+mehr als zuviel Zeit, seine Beobachtungen anzustellen, das Seufzen
+der Ernsthaften und das Lachen der Leichtherzigen zu hören, was er
+mit unvergleichlicher Ruhe ertrug. -- Sein Charakter war, er liebte
+einen kurzweiligen Einfall im Grunde der Seele, und da er sich selbst
+in einer wahren Lächerlichkeit sah, so, pflegte er zu sagen, könnte
+er sich über andere Leute nicht ärgern, wenn sie ihn in einem Lichte
+erblickten, das ihm selbst so stark auffiele, dergestalt, daß er bei
+seinen Freunden, welche wußten, daß die Liebe zum Gelde seine Schwäche
+nicht war, und sich daher am wenigsten ein Gewissen daraus machten, ihn
+mit seiner drolligen Laune aufzuziehen, anstatt die wahren Ursachen
+anzugeben, -- lieber in das Gelächter über sich selbst mit einstimmte.
+-- Da er selbst keine Unze Fleisch auf seinen eigenen Knochen trug,
+sondern ebenso hager von Ansehen war, wie sein Tier, so behauptete er
+zuweilen, das Pferd wäre so gut, als es der Reiter verdiente, beide
+machten einen Zentauren -- aus einem Stücke. Zu anderen Zeiten und bei
+anderer Laune, wenn er zu stark war, den Versuchungen des falschen
+Witzes zu unterliegen, sagte er wohl, er fühlte sich selbst auf
+einem guten Wege zur Auszehrung. Ein anderes Mal gab er wohl fünfzig
+sonderbare und entgegenstehende Ursachen an, warum er ein demütiges
+und wehmütiges Gespenst von keuchendem Rappen lieber ritte als ein
+mutiges Pferd. Auf so einem könnte er ganz mechanisch sitzen und nach
+Herzenslust +de vanitate mundi et saeculi+ meditieren, so gut,
+als ob er einen Totenkopf vor sich stehen hätte. Wenn er so langsam
+vor sich hin ritte, könnte er seine Zeit zu allerlei Geistesübungen
+ebensogut anwenden, als ob er auf seinem Studierstuhle säße. Er könne
+eine Lücke in seiner Predigt -- oder ein Loch in seinen Beinkleidern
+-- auf dem einen so gut wie auf dem anderen flicken. -- Munteres
+Trottieren und langsames Argumentieren wären wie Witz und Verstand
+zwei unverträgliche Bewegungen. Auf seinem Rosse aber könne er alles
+miteinander verbinden und vereinigen; er könne darauf das Studieren auf
+seine Predigt abwarten und seinen Husten und, falls ihn die Natur dazu
+einlüde, seine Mittagsruhe obendrein. Kurz, der Pfarrer führte bei
+solchen Angriffen alle Ursachen an, nur die wahre nicht. -- Die wahre
+hielt er zurück aus einer bloß ihm eigenen Bedenklichkeit: -- weil er
+glaubte, sie mache ihm Ehre.
+
+Der wahre Knoten der Geschichte aber war folgender: In den ersten
+Amtsjahren dieses Mannes, und zu der Zeit, da der prächtige Sattel
+und Zaum angeschafft wurden, war es so seine Art oder Eitelkeit, oder
+nennen Sie's, wie Sie wollen, auf der entgegengesetzten Seite zuviel
+zu tun. In der Sprache des Landes hieß es: er hielte große Stücke auf
+einen guten Reithengst. Gewöhnlich hatte er auch einen der besten im
+ganzen Kirchspiele sattelfertig im Stalle stehen. Und da die nächste
+Hebamme, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht näher beim Dorfe wohnte als
+sieben Meilen, in einer Gegend, wo lauter tiefe Wege waren, so fiel's
+immer dahin aus, daß selten eine ganze Woche hinging, da nicht an den
+armen Mann eine flehentliche Bitte um sein Tier gelangte. Er war kein
+hartherziger Mann, und jeder Fall war immer dringender und jammervoller
+als der vorige. So lieb er also sein Pferd haben mochte, so konnte er's
+doch nicht übers Herz bringen, nein zu sagen. Das Ende vom Liede war
+dann gemeiniglich, daß sein Pferd gedrückt war oder Drüsen bekam oder
+die Fußgallen oder ward spatlahm oder hatte sich verfangen oder kurz,
+hatte einen oder den anderen Fehler bekommen, der es rauhaarig machte
+und ihm kein Fleisch auf den Knochen ließ. So hatte er alle neun oder
+zehn Monate eine Kracke abstehen und ein gutes Pferd an ihrer Statt
+wieder zu kaufen.
+
+Wie hoch sich, ein Jahr ins andere gerechnet, der Verlust in einer
+Solchen Bilanz belaufen mochte, das überlasse ich einer eigentlich dazu
+erwählten Zahl von Obmännern zu bestimmen, die selbst bei dergleichen
+Handel gelitten haben. -- Aber laß ihn so groß gewesen sein, wie er
+wolle, der ehrliche Mann ertrug ihn viele Jahre lang ohne Murren,
+bis er endlich, nach zu oft wiederholten Zufällen dieser Art, es für
+nötig fand, die Sache in Erwägung zu ziehen, und beim Überrechnen und
+Aufsummieren in seinen Gedanken herausbrachte, daß es nicht nur kein
+Verhältnis gegen seine übrigen Ausgaben hätte, sondern auch schon
+an und für sich ein so lästiger Artikel wäre, daß er ihn unfähig
+mache, irgendeine andere großmütige Handlung in seinem Kirchspiel
+auszuüben. Zudem machte er die Überlegung, daß er mit der Hälfte dieser
+verrittenen Summe zehnmal soviel Gutes tun könnte. Und was noch mehr
+Gewicht bei ihm hatte als alle andere Betrachtungen zusammengenommen,
+war dies, daß er alle seine Werke der Barmherzigkeit auf einen
+besonderen Teil einschränkte, der ihrer nach seiner Einbildung am
+wenigsten bedurfte, nämlich den schwangeren und gebärenden Teil seines
+Kirchspiels. Er behielt nichts übrig für die Schwachen und Kranken,
+nichts für die betagten Alten, nichts für die jammervollen Auftritte,
+zu denen er stündlich gerufen wurde, woselbst Armut, Krankheit und
+Elend beisammen wohnten.
+
+Aus diesen Ursachen beschloß er, den Aufwand einzuziehen, und dazu
+hatte er, wie's ihm schien, nur zwei mögliche Wege, und diese waren,
+entweder sich's zu einem unverbrüchlichen Gesetze zu machen, sein Pferd
+niemals wieder auszuleihen, man möchte ihn bitten, so sehr man wollte,
+oder sich darein zu finden, daß er den letzten armen Köter von Rappen,
+so wie sie ihn zugerichtet hatten, fortritte, mit allen Seinen Fehlern
+und Gebrechen, bis ans äußerste Ende des Kirchspiels.
+
+Da er seiner eigenen Standhaftigkeit nicht traute, erwählte er ganz
+getrost den zweiten Weg, und ob er gleich, wie ich gesagt habe, es
+hätte zu seiner Ehre verkünden können, so sah er aus Großmut davon
+ab und wollte lieber die Verachtung seiner Feinde und das Gelächter
+seiner Freunde erdulden, als sich der Mühe unterziehen, eine Geschichte
+zu erzählen, welche eine Lobrede auf ihn selbst scheinen möchte.
+
+Ich habe den höchsten Begriff von den großmütigen und zarten
+Gesinnungen dieses ehrwürdigen Geistlichen aus diesem einzigen Zuge in
+seinem Charakter gefaßt, der nach meiner Meinung ebensoweit geht als
+irgendeine von den treugemeinten Zärtlichkeiten des unvergleichlichen
+Ritters v. Mancha, welchen ich, im Vorbeigehen gesagt, mit allen Seinen
+Narrheiten lieber habe und viel weiter gereist sein würde, um ihn zu
+besuchen, als den größten Helden des Altertums.
+
+Aber das ist nicht die Moral aus meiner Erzählung. Was ich eigentlich
+im Sinne hatte, war, zu zeigen, wie sich die Welt bei dieser ganzen
+Sache benahm; denn Sie müssen wissen, solange als diese Aufklärung
+dem Pfarrer Ehre gebracht hätte, fand sich keine arme Seele, die
+dahinterzukommen vermochte. -- Ich glaube, seine Feinde wollten nicht,
+und seine Freunde konnten nicht. -- Aber sobald er sich zum Besten der
+Hebamme bemühte und das Geld für ihr Examen und ihren Erlaubnisschein
+bezahlte, war das ganze Geheimnis heraus. Jedes Pferd, das ihm
+draufgegangen war, und noch ein paar darüber, mit allen Umständen, wie
+sie zugrunde gerichtet worden, kamen ans Licht und wurden der Länge
+nach her erzählt. Die Geschichte griff um sich wie wildes Feuer.
+
+Der Pfarrer habe einen neuen Anfall vom Hochmutsteufel bekommen und
+stände im Begriff, noch einmal in Seinem Leben wieder ein gutes Pferd
+für seinen Leib zu halten, und wenn das geschähe, so wäre es so klar
+wie die liebe Sonne am hellen Mittage, daß er die Ausgabe für die
+Hebamme in einem einzigen Jahre zehnfach im Sack behielte. Man könne
+also beurteilen, was für Absichten er bei dieser Barmherzigkeit gehabt
+hätte.
+
+Was für Absichten er bei dieser oder jeder anderen Handlung in seinem
+Leben gehabt, oder vielmehr, was für Meinungen darüber in dem Gehirn
+anderer Leute schwammen, war ein Gedanke, der zuviel in seinem eigenen
+umherschwamm und ihn zu oft in seiner Ruhe störte, wenn er eines
+gesunden Schlafes bedurfte.
+
+Vor ungefähr zehn Jahren hatte dieser brave Mann das gute Glück, über
+diesen Punkt völlig beruhigt zu werden; denn gerade so lange ist es
+her, daß er seine Pfarre und zugleich die ganze Welt hinter sich ließ
+und einem Richter zur Rechenschaft steht, über den sich zu beklagen er
+nicht Ursache haben wird.
+
+Es gibt ein unvermeidliches Schicksal, das die Handlungen einiger
+Menschen begleitet. Laß sie solche einrichten, wie sie wollen; sie
+fallen durch ein gewisses Mittelglas, welches die Strahlen dieser
+Handlungen so verwirrt und in ihrer wahren Richtung solchergestalt
+bricht, daß, mit allen den Ansprüchen auf Lob, welche die
+Rechtschaffenheit des Herzens geben kann, diejenigen, die sie ausüben,
+gleichwohl leben und sterben müssen, ohne es zu genießen.
+
+Daß dieses eine Wahrheit sei, davon war dieser Geistliche ein
+unangenehmes Beispiel. Um aber zu wissen, wie das zuging und dieses
+Wissen Ihnen nützlich zu machen, muß ich ausdrücklich verlangen, daß
+Sie die zwei folgenden Kapitel lesen, welche eine solche Skizze von
+seinem Leben und Umgange enthalten, daß die Moral zugleich mit darin
+ist. Wenn dies geschehen ist und uns kein anderer Stein in den Weg
+fällt, dann wollen wir mit der Hebamme weitergehen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünftes Kapitel.
+
+
+Yorick war dieses Geistlichen Name, und was dabei sehr merkwürdig,
+wie aus einer sehr alten, auf dickes Pergament geschriebenen
+Familiennachricht, die noch gut erhalten ist, hervorgeht, er ist genau
+ebenso buchstabiert, seit fast -- auf ein Haar breit hätte ich gesagt
+neunhundert Jahren. Ich mag aber meine Zuverlässigkeit dadurch keinem
+Zweifel unterwerfen, daß ich eine unwahrscheinliche Wahrheit sage, so
+unbezweifelt richtig sie auch an sich selbst ist. Also will ich mich
+begnügen, bloß zu sagen, er ist genau ebenso buchstabiert, ohne die
+geringste Veränderung oder Versetzung eines einzigen Buchstabens. Hat
+dies an dem Hochmute oder an der Schamhaftigkeit ihrer respektiven
+Eigner gelegen? Die offenherzige Wahrheit zu sagen, ich glaube,
+zuweilen an dem einen und zuweilen an der anderen, nachdem es die
+Versuchung so mit sich brachte. Eine häßliche Sache aber bleibt's doch
+immer und wird uns eines Tages noch so untereinander vermischen und
+vermengen, daß kein Mensch vermögend sein wird, die Finger aufzuheben
+und zu schwören, daß sein leiblicher Urgroßvater der Mann war, der
+dieses oder jenes tat.
+
+Diesem Übel war durch die kluge Vorsicht der Yorickschen Vorfahren und
+ihre sorgfältige Aufbewahrung des angeführten Pergaments hinlänglich
+vorgebaut. Die Urkunde teilt uns ferner mit, daß das Geschlecht
+eigentlich dänischen Ursprungs und bereits unter der Regierung des
+dänischen Königs Horwendilius nach England verpflanzt worden sei.
+An dem Hofe dieses letzteren, scheint es, bekleidete einer von den
+Vorfahren unseres Herrn Yorick, von welchem er in gerader Linie
+abstammt, bis an das Ende seines Lebens einen ansehnlichen Posten.
+Von was für einer Art dieser ansehnliche Posten gewesen, sagt das
+Familienregister nicht. Es fügt nur hinzu, daß er seit fast zweihundert
+Jahren nicht allein an diesem, sondern beinahe an allen anderen
+christlichen Höfen als völlig unnötig eingegangen sei.
+
+Es ist mir oft in den Kopf gekommen, daß dieser Posten wohl kein
+anderer habe sein können als des Königs Oberspaßmacher, und daß Hamlets
+Yorick in unserem Shakespeare, dessen dramatische Stücke, wie Sie
+wissen, sich oft auf wahre Geschichten gründen, gerade derselbe Mann
+war.
+
+Ich habe nicht Zeit, die dänische Geschichte des Saxo-Grammatikus
+nachzuschlagen, um hierüber Gewißheit zu bekommen. Das können Sie
+aber ebensogut selbst tun, wenn Sie Muße haben und das Buch unschwer
+erhalten können.
+
+Ich hatte eben nur soviel Zeit auf meinen Reisen durch Dänemark mit
+Herrn Neddys ältestem Sohne, den ich 1741 als Hofmeister begleitete und
+mit Extrapost durch die meisten Teile von Europa führte, daß die Pferde
+rauchten, -- ich hatte eben nur soviel Zeit, sage ich, und zu nichts
+mehrerem, die Wahrheit der Bemerkung bestätigt zu finden, die jemand
+gemacht, der sich lange in dem Lande aufgehalten hatte, daß nämlich die
+Natur weder sehr verschwenderisch noch sehr knickerig mit ihren Gaben
+von Genie und Fähigkeiten gegen seine Einwohner sei; -- sondern, gleich
+einer klugen Mutter, gegen alle mäßig gütig wäre; daß sie bei der
+Austeilung ihrer Geschenke dergestalt Ebenmaß hielte, daß sie solche
+so ziemlich einander gleich machte. So daß Sie in diesem Reiche wenige
+Beispiele von hervorragenden Genies finden werden, wohl aber ziemlich
+viel von gutem natürlichen Alltagsverstande in allen Ständen und bei
+allen Leuten, wovon jedermann sein Teil bekommen hat, was denn auch
+nach meiner Meinung ganz recht ist.
+
+Bei uns, sehen Sie, geht die Sache ganz anders zu. Wir stehen alle,
+was diese Materie betrifft, sehr hoch oder sehr tief. Sie sind ein
+großes Genie, mein Herr, oder fünfzig gegen eins: Sie sind ein großer
+Dummkopf. Nicht als ob es so ganz und gar an Mittelstufen fehlte.
+-- Nein, so völlig außer aller Regel sind wir nun wohl nicht. Aber
+die beiden äußersten Spitzen sind gewöhnlicher und stehen weiter
+voneinander in dieser unsteten Insel, wo selbst die Natur in ihren
+Gaben und Austeilungen dieser Art höchst willkürlich und eigensinnig
+ist. Das Glück selbst kann in Bescherung seiner Habe und Güter nicht
+sonderbarer zu Werke gehen als sie.
+
+Das ist es alles, was mich jemals in meinem Glauben von Yoricks
+Abkunft wankend gemacht hat, welcher, soviel ich mich erinnern kann,
+und zufolge aller Nachrichten, die ich nur von ihm habe erhalten
+können, nicht einen einzigen Tropfen dänisches Blut in seiner ganzen
+Mischung zu haben schien. In neunhundert Jahren kann es möglicherweise
+alles verlaufen sein. Philosophieren darüber mag ich indessen keinen
+Augenblick mit Ihnen. Denn es mag zugegangen sein, wie es wolle, so ist
+soviel zuverlässig, daß statt des kalten Phlegmas und der ängstlichen
+Regelmäßigkeit des Verstandes und der Laune, die Sie bei einem Manne
+von dergleichen Abkunft erwartet hätten --, er vielmehr von so zarter
+Körperbeschaffenheit war, als nur immer das mildeste Klima hätte
+hervorbringen und zusammensetzen können. Bei allen diesen Segeln
+hatte der arme Yorick dennoch keine Unze Ballast geladen. Er hatte
+nicht die geringste Weltkenntnis. In einem Alter von einundzwanzig
+Jahren wußte er ebensoviel davon, wohin er sein Ruder halten sollte,
+als ein unschuldiges Mädchen von dreizehn Jahren, das unter Knaben
+die Blindekuh spielt. Sie können sich denken, daß ihn also bei seiner
+ersten Ausfahrt der rasche Windstoß seiner Lebensgeister wohl zehnmal
+des Tages in fremdes Tauwerk trieb, und da ihm die Ernsthaften und
+Bedächtigeren am meisten auf seinem Wege aufstießen, -- so können Sie
+sich ebenfalls leicht vorstellen, daß es gerade solche waren, mit
+denen er das Unglück hatte, sich am ärgsten zu verwickeln. Ich bin
+immer der Meinung, daß eine kleine Mischung von unglücklichem Witz am
+Ende der Grund aller dieser Händel war. Yorick hatte, die Wahrheit zu
+sagen, von Natur einen unbeweglichen Widerwillen und Abscheu gegen die
+Ernsthaftigkeit. Nicht gegen die wirkliche Ernsthaftigkeit; denn er
+konnte, wenn's darauf ankam, tage- und wochenlang der ernsthafteste
+Sterbliche von der Welt sein. Aber der nachgeäfften Ernsthaftigkeit war
+er herzlich feind und kündigte ihr den öffentlichen Krieg an, insofern
+sie ein Deckmantel der Unwissenheit oder Narrheit schien. Wo sie ihm
+nur aufstieß, sie mochte auch noch so mächtigen Schutz haben, gab er
+ihr sehr selten Pardon.
+
+Zuweilen, nach seiner unbedachtsamen Art zu reden, pflegte er zu
+sagen, die affektierte Ernsthaftigkeit sei eine durchtriebene Bübin,
+und setzte noch wohl hinzu: von der gefährlichsten Gattung, weil sie
+so listig sei. Er glaube im Ernste, sie brächte in einem Jahre mehr
+ehrliche, sorglose Leute um ihr Gut und Geld, als Beutelschneider
+und Spitzbuben in sieben tun könnten. In der nackten Gemütsart, die
+ein fröhliches Herz sehen läßt, sagte er, stecke keine Gefahr als
+nur für den Besitzer, dahingegen das wahre Wesen der affektierten
+Ernsthaftigkeit Vorsatz und folglich Betrug wäre. Es wäre ein
+studierter Kunstgriff, sich bei der Welt das Zutrauen zu erwerben,
+als ob man mehr Verstand und Einsicht habe, als in der Tat wahr sei.
+Ungeachtet alles dessen, wofür sie gerne gehalten sein wollte, wäre
+sie doch nicht besser, sondern oft noch schlimmer als die Definition,
+die schon vor langer Zeit ein witziger Franzose von ihr gegeben
+hätte: ein geheimnisvolles Bestreben des Körpers, die Gebrechen des
+Gemüts zu verbergen. Diese Definition der Ernsthaftigkeit, pflegte
+Yorick unbehutsamerweise zu sagen, verdiente mit goldenen Buchstaben
+geschrieben zu werden.
+
+Er war aber, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, unerfahren
+in der Welt, und unversucht und war ebenso unbedachtsam und töricht
+bei jedem andern Vorwurfe des Gesprächs, wobei die Politik gewöhnlich
+befiehlt, sich Zwang aufzuerlegen. Yorick nahm keine anderen Eindrücke
+an als nur einen. Das war der, welcher aus der Natur der Handlung
+entstand, wovon gesprochen wurde, welchen Eindruck er dann gewöhnlich
+ohne allen Umschweif geradeheraus sagte, nur zu oft, ohne dabei auf
+Person, Zeit oder Ort zu achten, dergestalt, daß, wenn eines niedrigen,
+unedlen Verfahrens Erwähnung geschah, er sich niemals einen Augenblick
+Zeit ließ, zu überlegen, wer der Held des Stückes sei, von welchem
+Stande oder was für Macht er habe, ihm hiernächst zu schaden. Es
+war für ihn eine schändliche Handlung, ohne weitere Komplimente --
+der Mann ein schändlicher Kerl und so weiter. Da seine Kommentare
+unglücklicherweise zumeist mit einem witzigen Einfall endigten oder
+durchgängig von drolligen, launigen Ausdrücken belebt waren, so gab das
+seinen Übereilungen Flügel. Mit einem Worte, ob er gleich niemals die
+Gelegenheit suchte, sie aber auch selten vermied, wo er geradezu und
+ohne viel Umstände heraus sagen konnte, was ihm in den Mund kam, so
+hatte er in seinem Leben nur zuviel Versuchung, seinen Witz und seine
+Laune, seinen Spott und seine Satiren auszuschütten. Sie gingen aus
+Überfluß an Auflesern nicht verloren.
+
+Was für Folgen das hatte, und was sich Yorick für eine Katastrophe
+dadurch zuzog, das können Sie im nächsten Kapitel lesen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechstes Kapitel.
+
+
+Der hypothekarische Gläubiger und der hypothekarische Schuldner denken
+über die Länge der Zeit in Geldsachen nicht verschiedener als der
+Spötter und der Ausgespottete über die Länge des Gedächtnisses. Doch
+hierin geht das Gleichnis unter ihnen, wie die Scholasten es nennen,
+auf allen vieren, was, im Vorbeigehen anzumerken, auf einem oder
+zweien Füßen mehr ist, als sich einige der besten im Homer rühmen
+können. Der eine trägt eine Summe, der andere ein Gelächter auf Kosten
+eines Dritten davon und denkt nicht weiter daran. -- In beiden Fällen
+gleichwohl laufen die Interessen in die Höhe. Der festgesetzte oder
+zufällige Zahlungstag dient nur gerade dazu, die Sache nicht völlig ins
+Vergessen kommen zu lassen, bis endlich, zu einer bösen Stunde, der
+Gläubiger zu beiden kommt, auf der Stelle sein Kapital mit den vollen
+Interessen bis auf den letzten Tag fordert und beide die Gültigkeit
+ihrer Obligationen in ihrer ganzen Ausdehnung fühlen läßt.
+
+Da der Leser (ich kann die Wenns nicht leiden) eine gründliche Kenntnis
+der menschlichen Natur hat, so brauche ich nichts mehr zu sagen, um
+ihn zu überzeugen, daß mein Held es nicht lange so forttreiben konnte,
+ohne eine oder die andere kleine Erfahrung zu machen. Die Wahrheit zu
+gestehen, hatte er sich üppigerweise in eine Menge kleiner Buchschulden
+von diesem Schlage verwickelt, welche er, ungeachtet Eugenius' häufiger
+Warnung, zu sehr auf die leichte Achsel nahm. Er meinte, da er keine
+einzige davon aus böser Absicht gemacht, sondern vielmehr aus sehr
+redlichem Herzen und aus bloßer aufgeräumter Gemütsart, so würden sie
+sich alle bei Gelegenheit von selbst tilgen.
+
+Eugenius wollte ihm das niemals zugeben und sagte oft zu ihm, daß man
+ihm ein oder des andern Tages die Rechnungen gewiß einschicken würde,
+und zwar, fügte er oft mit einem traurigen, ahnungsvollen Tone hinzu,
+wird man weder Pfennig noch Heller vergessen, worauf Yorick nach seiner
+gewöhnlichen Sorglosigkeit des Herzens mit einem: »Warum nicht gar?«
+zu antworten pflegte, und fiel das Gespräch im freien Felde vor, mit
+einem Linksumkehrt, einem Vor- oder Seitensprunge statt der Antwort.
+War er aber beim geselligen Kamine, in einer Ecke hinter einem Tische
+und ein paar Lehnstühlen eingeschlossen, wo der arme Sünder stichhalten
+mußte und nicht so leicht davonwischen konnte, -- dann fuhr Eugenius
+mit seiner Klugheit in ungefähr folgenden Worten fort, die aber ein
+wenig besser zusammengefügt waren:
+
+»Glaube mir, lieber Yorick, diese deine unvorsichtige Scherzhaftigkeit
+wird dich früher oder später in solche Schlingen verwickeln, aus
+welchen dich kein Nachwitz wird losmachen können. -- Bei diesen
+Angriffen seh' ich's zu oft, daß der Mann, über den gelacht wird,
+sich in dem Lichte einer beleidigten Person betrachtet, mit allen
+den Rechten, die ihm in einer solchen Lage zustehen. Und wenn du
+ihn ebenfalls in diesem Lichte betrachtest und seine Freunde, seine
+Angehörigen, seine Verwandten und Bundesgenossen zusammenrechnest und
+die vielen Rekruten mit in die Glieder stellst, die sich aus Besorgnis
+einer gemeinschaftlichen Gefahr in seinem Dienst werden anwerben
+lassen, dann ist es keine übertriebene Rechnung, wenn man sagt, für
+jede zehn spitzige Einfälle hast du dir hundert Feinde erkauft, du
+willst es nicht glauben, bis du so weit gekommen bist, daß dir das
+aufgerührte Wespennest um die Ohren summt und dich halbtot gestochen
+hat.
+
+Ich kann von dem Manne, den ich hochachte, nicht argwöhnen, daß ihn der
+kleinste Sporn von Milzsucht oder menschenfeindlicher Absicht zu diesen
+Angriffen reize. Ich glaube und bin überzeugt, sie sind unschuldig und
+bloß als Scherz gemeint. Aber bedenke es wohl, lieber Junge, Narren
+können den Unterschied nicht einsehen, und -- Buben wollen nicht. Du
+weißt nicht, was es heißt, den einen zu zerren oder mit dem andern zu
+tändeln! Wo sie sich jemals zu gemeinsamer Verteidigung zusammentun,
+so, glaube mir, werden sie den Krieg gegen dich auf eine solche Art
+führen, mein liebster Freund, daß du seiner und deines Lebens dazu
+herzlich satt werden wirst.
+
+Die Rachsucht wird aus einem giftigen Winkel ein ehrenrühriges
+Märchen gegen dich richten, welches weder Unschuld des Herzens
+noch Unsträflichkeit des Wandels abwehren wird. Die Glückseligkeit
+deines Hauses wird erschüttert, dein guter Leumund, worauf sie ruht,
+allenthalben verwundet, deine Redlichkeit in Zweifel gezogen, deine
+Taten belogen, dein Witz vergessen, deine Gelehrsamkeit mit Füßen
+getreten, und, um dir den letzten Auftritt deines Trauerspiels vor die
+Augen zu bringen: Grausamkeit und Feigheit, zwei Zwillings-Raufbolde,
+die als Mietlinge der Bosheit im Finstern schleichen, werden zugleich
+deine Schwachheiten und Irrtümer bestürmen. -- Der beste von uns, mein
+teuerster Kumpan, gibt hier Blößen. Und glaube, glaube mir, Yorick,
+wenn es einmal, eine besondere Lust zu büßen, beschlossen ist, daß ein
+hilfloses unschuldiges Tier geopfert werden soll, so ist es leicht,
+in jedem grünen Gebüsche, wohin es sich verirret hat, genug trockenes
+Reisholz zum Feuer zu finden, worauf es verbrannt werde.«
+
+Yorick hörte diese traurige prophetische Rede fast niemals
+vorsagen, oder es stahl sich eine Träne aus seinem Auge, welche ein
+versprechender Blick begleitete, daß er fürs künftige entschlossen
+sei, seinen Klepper mit mehr Mäßigung zu reiten. -- Aber, leider! zu
+spät! -- Eine große Verschwörung tat sich zusammen, noch ehe sie zum
+erstenmal geweissagt war. Der ganze Plan zum Angriff ward, gerade wie
+Eugenius vorhergesagt, auf einmal zur Ausführung gebracht. Mit so
+wenig Schonung von Seiten der Verbündeten und so wenig Argwohn von
+Seiten Yoricks von dem, was gegen ihn geschmiedet wurde, daß, als der
+gutherzige Mann dachte, seine sichere Amtsbeförderung stände in voller
+Reife, sie ihn an der Herzwurzel angegriffen hatten. So fiel er, wie
+mancher würdige Mann vor ihm gefallen war.
+
+Yorick betrug sich anfangs eine Zeitlang mit aller ersinnlichen
+Tapferkeit, bis er, der Anzahl über und endlich des Elends des Krieges
+überdrüssig, am meisten aber der ungroßmütigen Art, womit er geführt
+wurde, satt, das Schwert aus der Hand legte. Ob er gleich dem Anschein
+nach bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, starb er
+dennoch, wie man überall überzeugt war, vor Kummer und Gram.
+
+Was den Eugenius zu ebender Meinung brachte, war folgendes:
+
+Wenige Stunden, ehe Yorick seinen Geist aufgab, ging Eugenius zu ihm,
+in der Absicht, ihn noch einmal zu sehen und den letzten Abschied
+von ihm zu nehmen. Wie er Yoricks Vorhang aufzog und ihn fragte, wie
+er sich befinde, sah ihm Yorick ins Gesicht, faßte ihn bei der Hand,
+und nachdem er ihm für so manchen Beweis seiner Freundschaft gedankt
+hatte, wofür, wenn es ihr Schicksal wollte, daß sie sich künftig wieder
+antreffen sollten, er ihm immer mehr und mehr danken wollte, und sagte
+zu ihm, in ein paar Stunden würde er seinen Feinden auf ewig das
+Nachsehen lassen. -- »Das hoffe ich nicht,« antwortete Eugenius mit dem
+zärtlichsten Tone, in dem jemals ein Mann gesprochen hat, wobei ihm die
+Tränen die Wange herabrollten. »Das hoffe ich nicht, Yorick,« sagte
+er. Yorick antwortete mit einem in die Höhe gerichteten Blicke und mit
+einem sanften Drucke, den er Eugenius' Hand gab, und mit sonst nichts.
+Aber es ging Eugenius durchs Herz. -- »Komm, komm, Yorick,« erwiderte
+Eugenius, indem er sich die Augen wischte und sich wie ein Mann zu
+fassen suchte, »sei wohlgemut, mein lieber Bruder. Laß nicht allen Mut
+und Standhaftigkeit in dieser Stunde der Prüfung sinken, wo du ihrer
+am meisten bedarfst. Wer weiß, was für Hilfe noch vorhanden ist und
+was Gottes Macht noch für dich zu tun vermag?« -- Yorick legte seine
+Hand auf sein Herz und schüttelte sanft den Kopf. »Ich muß dir sagen,«
+fuhr Eugenius fort und weinte bitterlich, als er die Worte sprach,
+»ich weiß nicht, wie ich's aushalten soll, mich von dir zu trennen,
+Yorick, und möchte gern meiner Hoffnung schmeicheln, daß noch genug
+von dir übrig sei, einen Bischof daraus zu machen, und daß ich das
+noch erleben werde.« -- »Ich bitte dich, Eugenius,« erwiderte Yorick,
+und nahm, so gut er konnte, mit seiner linken Hand die Schlafmütze vom
+Kopfe, weil er seine rechte noch immer fest in Eugenius' seiner liegen
+hatte, »ich bitte dich, siehe mein Haupt an!« -- »Ich seh' nicht, daß
+es ihm etwas schadet!« versetzte Eugenius. »Ach, mein Freund,« sagte
+Yorick, »so muß ich dir sagen, daß es so zerschlagen, so mißhandelt
+ist von den Streichen, welche mir so unsanft im Finstern versetzt
+wurden, daß ich mit Sancho-Pansa sagen möchte, wenn ich wieder aufkäme:
+›und sollten denn auch Bischofshüte vom Himmel regnen, so dicht wie
+Hagel, es würde doch keiner darauf passen‹.« -- Yoricks letzter Atem
+schwebte auf seinen zitternden Lippen, in völliger Bereitschaft zu
+entfliehen, als er dieses hervorbrachte. Dennoch brachte er's mit einem
+eigentümlichen Tone hervor, und wie er's sprach, konnte Eugenius einen
+Strom sanften Feuers bemerken, das sich auf einen Augenblick in seinen
+Augen entzündet hatte. Schwaches Gemälde von jenen Blitzen des Witzes,
+welche, wie Shakespeare von Yoricks Ahnherrn sagt, gewohnt waren, den
+Tisch zu lautem Gelächter zu zwingen.
+
+Eugenius ward hierdurch überzeugt, daß der Gram seines Freundes Herz
+gebrochen habe; er drückte ihm die Hand -- ging leise aus dem Zimmer
+und weinte, wie er ging. Yorick folgte ihm mit den Augen bis zur Türe.
+Darauf schloß er sie -- und öffnete sie nie wieder.
+
+Er liegt begraben in einer Ecke seines Kirchhofes, in dem Kirchdorfe
+unter einem kunstlosen, platten Marmorstein, den sein Freund Eugenius
+mit Erlaubnis seiner Exekutores über sein Grab legte, mit nicht
+mehr als diesen drei Worten einer Inschrift, welche als Grab- und
+Klageschrift dient:
+
+ »Ach, armer Yorick«
+
+Zehnmal des Tages hat Yoricks Geist den Trost, seine Gedächtnisschrift
+mit einer solchen Mannigfaltigkeit von klagenden Tönen lesen zu hören,
+welche Mitleid und Hochachtung für ihn anzeigen. Da ein Fußsteig über
+den Kirchhof, dicht an der Seite des Grabes vorbeiführt, so geht kein
+Fußgänger vorüber, der nicht einen Augenblick verweilt, einen Blick
+daraufwirft und im Weitergehen seufzt: Ach armer Yorick!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebentes Kapitel.
+
+
+Eher wollte ich mich unterstehen, das schwerste Problem in der
+Geometrie zu lösen, als auf mich zu nehmen, zu erklären, wie ein
+Mann von meines Vaters vielem und richtigem Verstande, belesen, und
+zwar kritisch in philosophischen Sachen, dabei weise in politischen
+Anschlägen und in der Polemik, wie er sehen wird, gar nicht unwissend,
+fähig sein konnte, eine Meinung in seinem Kopfe zu unterhalten, die
+soweit von allen gewöhnlichen abwich, daß ich besorge, der Leser, wenn
+ich ihm solche sage, wofern er nur wenig cholerischen Temperaments ist,
+werde den Augenblick das Buch beiseite werfen. Ist er sanguinisch, so
+wird er herzlich darüber lachen, und ist er von der ernsthaften und
+strengeren Gattung, so wird er solche beim ersten Anblicke, ohne Gnade,
+als phantastisch und ausschweifend verdammen. Es ist seine Meinung,
+über die Wahl und Beilegung der Taufnamen, worauf nach seiner Ansicht
+weit mehr ankäme, als solche Leute, die nur oberflächlich denken, zu
+begreifen fähig wären. -- Seine Meinung in diesem Punkte war, daß es
+eine sonderbare Art von magischer Kraft gäbe, welche gute oder böse
+Namen, wie er sie nannte, unserm Charakter und unserer Aufführung
+unwiderstehlich eindrückten.
+
+Cervantes' Held konnte seinen Punkt nicht ernsthafter behaupten, noch
+es ernstlicher meinen oder mehr erzählen von der Macht der Zauberer,
+die seine Taten mit Schande befleckten, oder von dem Namen seiner
+Dulcinea, der sie mit Ehre bekrönte, als mein Vater von den Namen
+Trismegistus oder Archimedes auf der einen Seite oder von Nyky und
+Simkin auf der anderen vorzubringen hatte. Wie manche Cäsars und
+Pompejen, pflegte er zu sagen, sind durch bloßen Einfluß der Namen
+ihrer unwürdig geworden! Und wie manche gibt es, fügte er hinzu, die
+ungemein viel Gutes in der Welt gestiftet haben möchten, wäre ihr
+Charakter und Mut nicht gänzlich unterdrückt worden.
+
+Ich seh's Ihnen deutlich an den Augen an, oder wie es sonst traf,
+sagte wohl mein Vater, daß Sie dieser meiner Meinung nicht von Herzen
+beitreten, welche für diejenigen, fügte er hinzu, die sie nicht
+sorgfältig bis auf den Grund gesichtet haben -- ich gestehe es --,
+mehr das Ansehen einer Grille als eines geprüften Satzes haben mag.
+Dennoch, mein lieber Herr, wenn ich mir nicht zuviel einbilde, Ihren
+Charakter zu kennen, so bin ich moralisch gewiß, ich würde nicht wagen,
+Ihnen eine Sache vorzulegen, nicht als einem, der Teil am Streit nimmt,
+sondern als einem Richter, auf dessen Einsichten und unparteiische
+Entscheidung ich mich bei meiner Appellation in dieser Sache sicher
+verlassen kann. -- Sie sind eine, von vielen eingeschränkten
+Vorurteilen der Erziehung so freie Person wie wenige Menschen, und wenn
+ich's wagen darf, noch tiefer in Sie zu dringen, von einer Großmut des
+Geistes, die es verschmäht, eine Meinung bloß deswegen zu verwerfen,
+weil ihr Anhänger fehlen. Ihren Sohn! Ihren geliebten Sohn, von dessen
+sanftem und aufgeräumtem Naturell Sie soviel zu erwarten haben, Ihr
+Fritzchen, mein Herr! wollten Sie ihn um alles in der Welt wohl Judas
+haben taufen lassen? Möchten Sie wohl, lieber Freund, fuhr er fort,
+indem er ihm mit der sanftesten Art seine Hand auf die Brust legte,
+-- und mit dem Schmeichelnden und unwiderstehlichen Piano der Stimme,
+welche das +Argumentum ad hominem+ seiner Natur nach erheischt,
+möchten Sie, mein Herr, wenn ein Jude den Namen für Ihren Sohn
+vorgeschlagen und Ihnen dabei seine Geldsäcke angeboten hätte, möchten
+Sie wohl in eine solche Entweihung Ihres Sohnes gewilligt haben? O,
+mein Gott, sagte er dann, wenn ich Ihr Gemüt recht kenne, ist Ihnen das
+unmöglich. Sie hatten das Anerbieten mit Füßen getreten. Mit Abscheu
+hätten Sie die Versuchung an den Kopf des Versuchers geworfen.
+
+Ihre Seelengröße bei dieser Tat, die ich ebenso wie die uneigennützige
+Verachtung des Geldes bewundere, die Sie bei diesem ganzen Vorfalle an
+den Tag legen, ist wirklich edel, und wodurch sie solches noch mehr
+wird, ist das Prinzip, woraus sie entspringt: Wirkungen der Liebe eines
+Vaters, nach der Wahrheit und Überzeugung von ebendieser Hypothesis,
+nämlich: wäre Ihr Sohn Judas getauft worden, die habsüchtige und
+verräterische Idee, die von dem Namen so unzertrennlich ist, würde ihn
+sein ganzes Leben durch wie ein Schatten verfolgt und ihn zuletzt,
+trotz Ihrem Beispiele, Herr, zu einem Schabhals und Schurken gemacht
+haben.
+
+Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der auf ein solches Argument
+zu antworten vermochte. -- Wirklich, aber auch von meinem Vater die
+Wahrheit zu sagen: -- er war unwiderstehlich, beides im Verstehen und
+Disputieren. Er war zum Redner geboren. Überredung hing an seinen
+Lippen, und die Elemente der Logik und Rhetorik waren dergestalt
+durch ihn verwebt, und ganz besonders wußte er so schnell und Schlau
+die Schwachheiten und Leidenschaften seiner Gegner aufzufinden, daß
+die Natur selbst ihr Votum geben würde: dieser Mann ist beredt. Kurz,
+mein Vater mochte recht oder unrecht haben, es war in beiden Fällen
+viel gewagt, ihn anzugreifen. Und dennoch, es ist wunderbar, hatte
+er niemals weder den Cicero noch Quintilian +de oratore+ noch
+Isokrates noch Aristoteles oder Longinus unter den Alten, noch den
+Vossius noch Scioppius noch Ramus noch Farnabius unter den Neueren
+gelesen, und was noch mehr zum Erstaunen ist, so war in seinem
+ganzen Leben kein Strahl oder Funke von Subtilität dadurch in seine
+Seele gebracht worden, daß er etwa ein Kollegium über irgendeinen
+niederländischen Logiker oder Kommentator gehört hätte. Er wußte
+nicht einmal, worin der Unterschied zwischen einem Argument +ad
+ignorantiam+ und +ad hominem+ bestünde --, so daß ich
+mich recht gut erinnere, als er mit mir hingereist war, mich im
+Jesuiterkollegio zu N. einschreiben zu lassen, wie mein würdiger Lehrer
+und zwei oder drei andere Mitglieder dieser gelehrten Sozietät sich
+höchlich wunderten, daß ein Mann, der nicht einmal die Namen seiner
+Werkzeuge kannte, dennoch so behende damit arbeiten könnte.
+
+Damit so gut, als er nur immer konnte, zu arbeiten, dazu ward mein
+Vater indessen unaufhörlich gezwungen; denn er hatte wohl tausend
+kleine skeptische Ideen von der komischen Gattung zu verfechten,
+-- wovon die meisten, wie ich fest glaube, sich anfangs bloß als
+sonderbare Einfälle und als vive la bagatelle einschlichen. Mit ihnen
+mochte er dann wohl eine halbe Stunde oder so seinen Spaß treiben,
+und nachdem er seinen Witz an ihnen geschärft hatte, sie bis auf ein
+andermal abtreten lassen.
+
+Ich führe dieses nicht bloß als eine Hypothese oder Mutmaßung über das
+Emporkommen und die Einnistung von meines Vaters sonderbaren Meinungen
+an, sondern als eine Warnung für den gelehrten Leser gegen die
+unvorsichtige Aufnahme solcher Gäste, welche, nachdem sie einige Jahre
+lang in unserem Gehirn haben ungehindert und frei aus und ein gehen
+dürfen, endlich gar als Einheimische betrachtet sein wollen. Einige
+Zeit arbeiten sie, als Spielten sie nur Pfand; aber gemeiniglich wird
+wie bei einem verliebten Paare aus Pfandwechseln Handwechseln.
+
+Ob das mit meines Vaters sonderbaren Meinungen der Fall war, oder
+ob endlich sein Witz seinem Verstande einen blauen Dunst vormachte,
+-- oder wiefern er in einigen seiner Meinungen, so sonderbar sie
+schienen, völlig recht haben mochte, das soll der Leser an Ort und
+Stelle entscheiden. Hier behaupte ich weiter nichts, als daß es mit
+dieser einen über den Einfluß der Taufnamen sein ganzer Ernst war. Er
+war systematisch und gleich allen Systematikern hätte er Himmel und
+Erde bewegt und jedes Ding in der Schöpfung gereckt und gezerrt, um
+es seiner Hypothese anzupassen. Kurz, ich sage es noch einmal, es war
+sein Ernst, und demzufolge konnte er alle Geduld verlieren, wenn er
+Leute, besonders Leute von Stande sah, die es hätten besser wissen
+sollen, die sich ebensowenig oder noch weniger darum bekümmerten, wie
+ihr Kind genannt werden sollte, als um die Wahl eines Namens für ihren
+Schoßhund, ob Ponto oder Cupido.
+
+Das, sagte er, stünde sehr schlecht. Wenn einmal ein schlechter Name
+mit Unrecht und Unbedacht gegeben worden, so ginge es nicht, wie in dem
+Falle, da eines Mannes guter Leumund verunglimpft worden, der wieder
+verglimpft werden könnte. Da wäre es möglich, daß der, wenn nicht bei
+Lebzeiten des Mannes, wenigstens nach seinem Tode wieder gerettet
+würde. Bei dem andern aber, sagte er, ließe sich das geschehene Übel
+niemals wieder gutmachen. --
+
+Es war merkwürdig, daß, obgleich mein Vater, dieser Meinung gemäß, wie
+ich Ihnen gesagt habe, gegen gewisse Namen die stärkste Zuneigung oder
+Abneigung hatte, es dennoch Namen gab, weiche auf der Wagschale vor ihm
+so eben schwebten, daß sie ihm völlig gleichgültig waren. Jack, Dick
+und Tom waren in dieser Klasse. Diese nannte mein Vater neutrale Namen
+und behauptete von ihnen ohne Satire, daß es von Anbeginn der Welt
+her wenigstens ebenso viele Schurken und Narren gegeben wie gute und
+kluge Männer, die solche Namen ohne Unterschied geführt hätten. Indem
+sie so als gleiche Kräfte in entgegengesetzter Richtung aufeinander
+wirkten, hoben sie nach seiner Meinung ihre Wirkungen wechselweise auf,
+aus welcher Ursache er, wie er oft erklärte, keinen Kirschkern für die
+Wahl unter diesen hingeben möchte. Bob, so hieß mein Bruder, war ein
+anderer von dieser neutralen Gattung von Taufnamen, welche weder auf
+die eine noch andere Seite wenig wirkten; und da sich mein Vater zu
+Epsom befand, als er ihm gegeben ward, so dankte er oft dem Himmel, daß
+es kein schlimmerer wäre. Andreas kam ihm fast vor wie eine negative
+Größe in der Algebra. Er sei schlechter, sagte er, als nichts. Der
+Name Wilhelm war bei ihm in hohem Ansehen, Numps wieder weniger und
+Ruprecht, sagte er, sei gar des Teufels.
+
+Allein, unter allen Namen in der weiten Welt hatte er den
+unbezwinglichsten Widerwillen gegen Tristram. -- Von keinem Dinge auf
+dem Erdboden hatte er einen niedrigeren und verächtlicheren Begriff,
+indem er glaubte, er könne unmöglich +in rerum natura+ etwas
+anderes hervorbringen, als was höchst gemein und elend wäre. Ja, mitten
+in einem Disput über den Punkt, worin er nicht selten ganz von ungefähr
+verwickelt wurde, brach er oft voll Feuer plötzlich ab, stieg eine
+Terze und zuweilen eine ganze Quinte über den Grundton seiner Rede
+hinauf und fragte seinen Gegner kategorisch, ob er's auf sich nehmen
+wolle, zu sagen, er habe sich jemals erinnert, habe jemals gelesen
+oder habe jemals erzählen gehört von einem Menschen, der Tristram
+geheißen, daß er etwas Großes oder Andenkenswertes verrichtet? -- Nein,
+pflegte er zu sagen, Tristram! 's ist eine Unmöglichkeit!
+
+Was konnte meinem Vater mehr fehlen, als ein Buch zu schreiben, um
+diese seine Meinung der Weit mitzuteilen? Sehr wenig Genuß bringt
+es dem spekulativen Kopfe, seine Meinung allein zu haben, wenn er
+sie nicht zu Markte bringen darf. Gerade das war's, was mein Vater
+tat; denn im Jahre 1716, zwei Jahre vor meiner Geburt, machte er
+sich darüber her und schrieb ausführliche Dissertationen über das
+einzige Wort Tristram, worin er der Welt mit vieler Aufrichtigkeit und
+Bescheidenheit die Gründe seines großen Abscheus gegen diesen Namen vor
+Augen legte.
+
+Wenn diese Erzählung mit dem Titelblatte verglichen wird, wird dann
+nicht der gutherzige Leser meinen Vater von Herzen bedauern? Wird
+es ihn nicht schmerzen, sehen zu müssen, wie einem ordentlichen,
+gutgesinnten Manne, der zwar sonderbare, aber doch unschädliche
+Meinungen hegt, dergestalt von Widerwärtigkeiten mitgespielt worden
+ist, und wenn er ihn auf dem Schauplatze erblickt, wo ihm alle seine
+kleinen Systeme und Wünsche über den Haufen geworfen und vereitelt
+werden, wenn er einen Troß von Zufällen beständig auf ihn zustürmen
+sieht, und zwar auf eine so abgemessene und grausame Weise, als ob's
+ausdrücklich darauf angelegt wäre, seine Spekulationen zu verspotten?
+mit einem Worte: wenn er so einen Mann in seinen alten Tagen, die nicht
+für Kummer und Sorgen gemacht sind, zehnmal täglich an seinen Schmerz
+erinnert sieht, wie er zehnmal an einem Tage sein vom Himmel erflehtes
+Kind Tristram rufen muß? -- Melancholischer zweisilbiger Klang, der
+in seinen Ohren mit Claasklump oder jedem andern Spottnamen unter der
+Sonne im Einklang steht! -- Bei seiner Asche schwöre ich's! hat jemals
+ein boshafter Geist sich ein Vergnügen oder Geschäft daraus gemacht,
+die Vorsätze eines Sterblichen zu vereiteln, so muß es hier gewesen
+sein, und wäre es nicht notwendig, daß ich erst geboren sein müßte, ehe
+ich getauft werden kann, ich gäbe den Augenblick dem Leser Nachricht
+davon.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtes Kapitel.
+
+
+»Ich kann nicht begreifen, was das Lärmen und das Hin- und Herlaufen
+da oben heißen soll,« sagte mein Vater, und wendete sich nach einem
+anderthalbstündigen Stillschweigen an meinen Onkel Toby, der, wie
+Sie wissen müssen, an der anderen Seite beim Feuer saß und seine
+gesellige Pfeife Tabak in stiller Betrachtung eines neuen schwarzen
+Plüsch-Beinkleides, das er trug, immerfort schmauchte. -- »Was mögen
+sie vorhaben, Bruder?« sagte mein Vater, »wir können ja kaum unser
+eigen Wort hören?«
+
+»Ich glaube,« antwortete mein Onkel Toby, wobei er die Pfeife aus dem
+Munde nahm und den Kopf derselben zwei- oder dreimal auf den Nagel
+seines linken Daumens schlug, als er zu reden anfing, »ich glaube,«
+sagte er ... Aber um meines Onkels Meinung über diese Sache gehörig zu
+fassen, müssen Sie erst ein wenig mit seinem Charakter bekannt sein,
+dessen äußeren Umriß ich Ihnen hier auf der Stelle geben will. Hernach
+wird der Dialog zwischen ihm und meinem Vater desto besser vonstatten
+gehen.
+
+O, können Sie mir nicht sagen, wie der Mann hieß -- denn ich
+schreibe so in der Eile; ich habe weder Zeit, mich zu besinnen noch
+nachzuschlagen --, der die Bemerkung zuerst machte, daß unsere
+Luft und unser Klima sehr unbeständig seien? Er mag gewesen sein,
+wer er will, er hat damit eine gute Bemerkung gemacht. Die daraus
+gefolgerte Behauptung aber, daß es daher komme, daß wir eine so
+große Mannigfaltigkeit an eigenen und sonderbaren Charakteren haben,
+kam nicht von ihm, sie ward von einem anderen Manne, wenigstens
+anderthalbhundert Jahre vorher ausfindig gemacht, wie ebenfalls, daß
+dieses volle Zeughaus von Originalstoff die wahre und natürliche
+Ursache sei, daß unsere Lustspiele viel besser sind als die Lustspiele
+der Franzosen oder alle die, welche auf dem festen Lande geschrieben
+worden sind oder geschrieben werden können. -- Das ist eine Entdeckung,
+die eigentlich erst in der Mitte der Regierung des Königs William
+gemacht ward, als der große Dryden, bei Verfertigung einer von seinen
+langen Vorreden, wenn ich nicht irre, glücklicherweise darauf verfiel.
+In der Tat begann der große Addison in den letzten Jahren der Königin
+Anna diese Meinung in Schutz zu nehmen, und erklärte solche der Welt in
+ein oder zwei Blättern des »Zuschauers« weitläufiger. Die Entdeckung
+war aber nicht sein eigen. Endlich viertens und letztens, daß diese
+sonderbare Unregelmäßigkeit in unserem Klima, die eine so sonderbare
+Unregelmäßigkeit in unseren Charakteren hervorbringt -- und uns dadurch
+gewissermaßen schadlos hält --, indem sie uns etwas gibt, womit wir uns
+einen Zeitvertreib machen können, wenn uns das Wetter nicht erlaubt,
+über unsere Schwelle zu treten. -- Die Bemerkung ist von mir selbst und
+ward von mir ans Tageslicht gebracht, an ebendiesem regnerischen Tage,
+dem 26. März 1759 zwischen neun und zehn Uhr des Vormittags.
+
+Aber ich vergesse meinen Onkel Toby, den wir die ganze Zeit über haben
+die Asche aus seiner Pfeife klopfen lassen.
+
+Sein eigentümlicher Charakter war von der besonderen Gattung, welche
+unserem Himmelskreise Ehre machte. Ich würde mich nicht besinnen,
+ihn unter dessen vorzüglichste Produkte zu rechnen, hätte er nicht
+so viele deutliche Striche von einer Familienähnlichkeit erhalten,
+welche bewiesen, daß die Sonderbarkeit seines Tuns und Sagens mehr vom
+Geblüte als von Wind oder Wasser herkäme, solche möchten vermischt
+oder versetzt sein, wie sie wollten. Deswegen habe ich mich auch oft
+gewundert, daß mein Vater, ob ich gleich glaube, daß er seine Ursachen
+dazu hatte, wenn er, als ich noch ein Knabe war, gewisse Abweichungen
+von meiner natürlichen Bahn bemerkte, niemals versucht hat, solche
+aus dieser Ursache zu erklären. -- Denn die ganze Shandysche Familie
+bestand aus Originalcharakteren. -- Ich meine die Männlein -- die
+Weiblein hatten gar keinen --, ausgenommen meine Großtante Dinah, die
+ungefähr vor sechzig Jahren sich mit ihrem Kutscher verheiratete und
+vermehrte. Was sie, wie mein Vater, zufolge seiner Meinung von den
+Taufnamen, oft zu sagen pfegte, ihren Gevattern und Gevatterinnen zu
+verdanken hätte.
+
+Es wird sehr befremdend scheinen -- und ich möchte ebensolieb dem Leser
+ein Rätsel auf die Bahn werfen, welches sonst meine Art nicht ist,
+als ihn nach der Ursache herumsinnen lassen --, daß ein Unfall dieser
+Art so lange Jahre aufgehoben werden könnte, Friede und Einigkeit zu
+stören, welche sonst so herzlich zwischen meinem Vater und Onkel Toby
+obwalteten. Man sollte gedacht haben, die ganze Macht des Unglücks
+würde sich gleich in der ersten Zeit in der Familie gebrochen und
+verloren haben, wie gemeiniglich zu geschehen pflegt. Aber in unserer
+Familie nahm alles seine ganz besondere Wendung. Vielleicht hatte
+sie damals, als es sich zutrug, ein anderes Kreuz zu tragen. Und da
+uns doch Kreuz und Leiden zu unserem Besten gesendet werden, und
+dies hier der Shandyschen Familie noch niemals zum Besten gediehen
+war, so lag es vielleicht und wartete, bis ihm die rechte Zeit und
+Umstände Gelegenheit gaben, seine Dienste auszuüben. -- Bemerken Sie
+wohl, ich entscheide hierin nichts. -- Meine Gewohnheit ist immer,
+dem Forschbegierigen von verschiedenen Spuren einen Fingerzeig zu
+geben, nach welchem er bis zu den ersten Quellen der Begebenheiten
+gelangen kann, die ich erzähle. -- Nicht mit dem entscheidenden Tone
+des Tacitus, der sich selbst und seine Leser überwitzt, sondern mit
+der gehorsamsten Dienstbeflissenheit eines Herzens, das sich bloß dem
+Dienst der Forschbegierigen gewidmet hat. -- Für diese schreibe ich --
+und diese werden mich lesen bis -- wenn nur irgendein Lesen wie dieses
+so lange aushalten könnte -- bis ans Ende der Welt hinzu.
+
+Warum also die Ursache des Verdrusses solchergestalt für meinen Vater
+und Onkel aufgespart worden, das lasse ich unentschieden. Wie aber und
+in was für einer Richtung es wirkte, um Veranlassung zu Mißvergnügen
+unter ihnen zu geben, nachdem es einmal in Gang gekommen war, das bin
+ich imstande mit großer Genauigkeit zu erklären, und ist wie folgt.
+
+Mein Onkel Toby Shandy, Madame, war ein Offizier, der neben den
+Tugenden, welche gewöhnlich den Charakter eines ehrlichen und
+rechtschaffenen Mannes bestimmen, noch eine andere in einem hohen Grade
+besaß, die selten oder niemals ins Verzeichnis gesetzt wird. Diese war
+eine außerordentliche und unvergleichliche Züchtigkeit der Natur. --
+Doch nehme ich das Wort Natur als Ursache zurück, damit ich nicht eine
+Sache vorher abtue, die später vorkommen muß. Ob nämlich diese seine
+Züchtigkeit natürlich oder erworben war. -- Auf welche Weise aber mein
+Onkel dazu gelangt sein mochte, es war allemal Züchtigkeit im wahrsten
+Sinne. Und zwar, Madame, nicht in Worten -- denn er war so unglücklich,
+daß er nicht viel Wahl darunter hatte --, sondern in Taten. Und diese
+sittsame Zucht beherrschte ihn dergestalt und ging bei ihm so weit,
+daß sie womöglich der Züchtigkeit eines Frauenzimmers fast gleichkam.
+Dieser weiblichen Sittsamkeit, Madame, und innerlichen Keuschheit der
+Sinne und Gedanken Ihres Geschlechts, wodurch Sie dem unserigen so
+große Ehrfurcht einflößen.
+
+Sie werden glauben, Madame, daß mein Onkel Toby alles dieses aus der
+wahren Quelle geschöpft habe, -- daß er seine Zeit im Umgange mit
+Ihrem Geschlecht zugebracht und daß er durch eine völlige Kenntnis von
+Ihnen und durch die Macht der Nachahmung, welche so schöne Beispiele
+unwiderstehlich machen, diese liebenswürdige Eigenschaft des Gemüts
+erworben habe.
+
+Ja, ich wollte, daß ich das sagen könnte! -- Doch außer mit seiner
+Schwägerin, meines Vaters Frau und meine Mutter, wechselte er mit
+einem anderen Frauenzimmer nie drei Worte in ebensoviel Jahren. --
+Nein, er erlangte sie im Wurfe, Madame. -- Im Wurf! -- Ja, Madame,
+es kam von einem Stein, der bei der Belagerung von Namur durch eine
+Kanonenkugel von einem Hornwerke abgerissen und meinem Onkel Toby
+gerade aufs Latzbein geworfen wurde. -- Wie konnte der die Wirkung tun?
+Die Erzählung davon, Madame, ist lang und anziehend. Aber ich würde
+meine Historie ganz zusammendrängen, wenn ich sie Ihnen hier geben
+wollte. Sie ist weiterhin zu einer Episode bestimmt und soll Ihnen mit
+allen sich darauf beziehenden Umständen an gehöriger Stelle getreulich
+vorgelegt werden. Bis dahin steht es nicht in meiner Gewalt, Ihnen mehr
+Licht von der Sache zu geben oder mehr zu sagen, als ich bereits gesagt
+habe: -- Daß mein Onkel Toby ein Offizier von einer unvergleichbaren
+Züchtigkeit war, welche zufälligerweise durch die beständige Hitze
+eines kleinen Familienstolzes verdünnt und verfeinert wurde, so, daß
+beide zugleich so bei ihm arbeiteten, daß er die Geschichte von Tante
+Dinah niemals erwähnen hören konnte, ohne in heftige Gemütsbewegung
+zu geraten. -- Die geringste Anspielung darauf war hinreichend,
+ihm das Blut ins Gesicht zu treiben. Wenn aber mein Vater gar in
+vermischten Gesellschaften sich weitläufiger darüber ausließ, wozu
+er sich oft, um seine Hypothesen zu erläutern, genötigt sah, so fraß
+dieser unglückliche Meltau auf einem der schönsten Zweige der Familie,
+in meines Onkels Ehrliebe und Züchtigkeit, blutige Wunden; dann nahm
+er oft meinen Vater mit aller nur erdenklichen Besorglichkeit auf die
+Seite, um ihm vorzustellen, er wolle ihm alles geben, was er in der
+Welt hätte, wenn er nur die Geschichte ruhen lassen möchte.
+
+Mein Vater, glaube ich, hegte die wahrste und zärtlichste Zuneigung für
+meinen Onkel Toby, die jemals ein Bruder für den anderen hegte, und
+hätte gerne alles auf der Welt getan, was ein Bruder vernünftigerweise
+von dem anderen verlangen konnte, um meines Onkels Toby Herz über
+diesen oder jeden anderen Punkt zu beruhigen. Aber dieses stand nicht
+in seinen Kräften.
+
+Mein Vater, wie ich Ihnen gesagt habe, war ein Philosoph, haarscharf,
+spekulativ, systematisch; und meiner Tante Dinah Geschichte war ihm
+von ebensovieler Wichtigkeit, als dem Kopernikus die Retrogadation der
+Planeten. -- Die Nebenschliche der Venus aus ihrer geraden Laufbahn
+bestätigten das Kopernikanische System, das von ihm seinen Namen
+erhielt. Die Nebenschliche der Tante Dinah von ihrer ebenen Bahn taten
+ebendie Dienste bei der Errichtung des Systems meines Vaters, das, wie
+ich glaube, hinfort beständig nach ihm das Shandysche System heißen
+wird.
+
+Bei jeder anderen Familienkränkung hatte mein Vater, glaube ich, ein
+ebenso feines Gefühl der Schamhaftigkeit als irgend jemand. Ich getraue
+mir zu sagen, weder er noch Kopernikus würden in beiden Fällen die
+Geschichten haben auskommen lassen oder der Welt ein Wort davon gesagt
+haben, wäre es nicht, wie sie dachten, aus Pflicht gegen die Wahrheit
+gewesen. -- +Amicus Plato+, pflegte mein Vater zu sagen, wobei er
+ihm die Worte übersetzte. -- +Amicus Plato+, das heißt, Dinah war
+meine Tante; -- +sed magis amica veritas+ -- aber die Wahrheit ist
+meine Schwester.
+
+Diese Uneinigkeit der Meinungen meines Vaters und Onkels war die Quelle
+manches brüderlichen Zwistes. Der eine konnte nicht ertragen, daß ein
+Familienfleck weitergetragen wurde, der andere konnte schwerlich einen
+einzigen Tag hingehen lassen, ohne darauf anzuspielen.
+
+»Um's Himmels willen,« rief mein Onkel, »und um meinet-, um unserer
+aller willen, mein liebster Bruder Shandy, laß doch die Geschichte
+unserer Tante und ihre Gebeine in Ruhe schlafen. Wie kannst du so wenig
+Gefühl und Mitleid für den guten Namen unserer Familie haben. Wie
+kannst du!« -- »Was ist der Name einer Familie gegen eine Hypothese?
+-- Ja, wenn ich's recht sagen soll, was das Leben einer Familie?« --
+»Das Leben einer Familie!« sagte dann mein Onkel und fiel dabei in
+seinen Lehnstuhl zurück und hob seine Hände, seine Augen und ein Bein
+in die Höhe. -- »Ja, das Leben,« sagte darauf mein Vater, seinen Satz
+zu behaupten. »Wie manches Tausend wird jährlich -- in allen gesitteten
+Reichen wenigstens -- weggeschleudert und für nichts weiter geachtet
+als gemeine Luft in Vergleichung mit einer Hypothese?« -- »Nach meinem
+geringen Verstande von den Dingen,« antwortete Onkel Toby, »ist ein
+jedes solches Beispiel barer Mord, es begehe ihn, wer will.« -- »Da
+steckt dein Irrtum,« versetzte mein Vater, »denn wissenschaftlich
+darüber zu urteilen, kann es nicht ~Totschlag~, sondern muß es
+~Mannesschlag~ heißen.«
+
+Mein Onkel gab sich niemals damit ab, hierauf mit etwas anderem
+zu antworten, als daß er ein halbes Dutzend Takte von seinem
+Regimentsmarsch Lillabullero herpfiff. -- Sie müssen wissen, dies war
+der gewöhnliche Kanal, durch den er seinem Affekt Luft gab, wenn ihn
+etwas ärgerte oder überraschte, -- besonders aber, wenn ihm etwas
+gesagt wurde, das er für sehr ungereimt hielt.
+
+Da noch niemand unter den Schriftstellern über die Logik, oder unter
+deren Kommentatoren, soviel ich weiß, für gut befunden hat, dieser
+eigenen Gattung von Argument einen Namen zu geben, so nehme ich mir
+hier die Freiheit, es selbst zu tun, und das aus zweierlei Ursachen.
+Erstens, damit solches, um aller Verwirrung im Disputieren vorzubeugen,
+ein für allemal ebensogut von den übrigen Gattungen unterschieden
+bleiben möge, als das +Argumentum ad verecundiam, ex absurdo, ex
+fortiori+, oder wie es heißen mag. Zweitens, daß noch einmal meine
+Kindeskinder, wenn mein Haupt schon längst zur Ruhe niedergelegt ist,
+sagen können, daß ihres gelehrten Großvaters Kopf mit ebenso nützlichen
+Dingen beschäftigt gewesen sei, als der anderer Leute. -- Daß er für
+eins der allertreffendsten -- und wenn der Zweck des Disputierens mehr
+der ist, seinen Gegner zum Schweigen zu bringen als ihn zu überzeugen
+--, ja, so können sie nach Belieben hinzusetzen, für eines der besten
+Argumente in der Disputierkunst einen Namen erfunden und solchen
+großmütigerweise in den Schatzkasten der +Ars logica+ geworfen
+habe.
+
+Deswegen also gebiete und verordne ich durch Gegenwärtiges, daß
+besagtes Argument künftig bei dem Titel +Argumentum fistulatorium+
+erkannt und distinguiert werde, welchen und keinen anderen ich
+ihm hiermit beilege, -- und daß es künftig einerlei Rang mit dem
++Argumentum baculinum+ haben und allemal in einem und ebendem
+Kapitel mit diesem abgehandelt werden soll.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neuntes Kapitel.
+
+
+Wäre ich nicht moralisch gewiß, daß der Leser voller Ungeduld nach
+meines Onkels Toby Charakter sein muß, so hätte ich ihn hier vorläufig
+überzeugt, daß kein Instrument so geschickt ist, so etwas zu zeichnen,
+als das, worauf ich verfallen bin.
+
+Von einem Manne und seinem Steckenpferde kann ich nun zwar nicht sagen,
+daß sie genau so, wie die Seele und der Leib, aufeinander Wirkung und
+Gegenwirkung täten. Ohne Zweifel aber ist unter ihnen eine Art von
+Kommunikation, und zwar bin ich der Meinung, daß es sehr nach der Art
+zugehe wie mit elektrisierten Körpern.
+
+Nun war das Steckenpferd, welches mein Onkel Toby beständig ritt,
+nach meiner Meinung ein Steckenpferd, das schon einer Beschreibung
+wert ist. War's auch nur seiner großen Sonderbarkeit wegen; denn Sie
+möchten von York nach Dover, von Dover nach Penzanze im Cornwallis, und
+von Penzanze wieder nach York gereist sein, und doch auf der ganzen
+Heerstraße seinesgleichen nicht gefunden haben. Oder hätten Sie ein
+solches gesehen, so hätten Sie noch so eilig sein mögen, Sie hätten
+unfehlbar stillhalten müssen, um es zu beschauen. In der Tat war
+sein Wuchs und sein Gang so wunderbar und vom Kopfe bis zum Schweife
+jedem anderen von der ganzen Gattung so über und über unähnlich, daß
+es zuweilen Anlaß zu streiten gab, ob es wirklich ein Steckenpferd
+sei oder nicht? Allein wie der Philosoph dem Skeptiker, der ihm die
+Wirklichkeit der Bewegung ableugnen wollte, keinen anderen Beweis
+entgegensetzte, als daß er auf die Füße trat und durchs Zimmer ging, so
+wollte mein Onkel Toby sich keines anderen Arguments bedienen, um zu
+beweisen, daß sein Steckenpferd wirklich ein Steckenpferd sei, als daß
+er sich daraufsetzte und es vorritt. -- Hernach möchte die Welt den
+Punkt entscheiden, wie's ihr gut dünkte.
+
+Im rechten Ernste, mein Onkel Toby bestieg es mit soviel Wohlgefallen,
+und es trug meinen Onkel Toby so schön, daß er sich herzlich wenig
+darum bekümmerte, was die Welt davon sagte oder dachte.
+
+Indessen ist's endlich wohl einmal hohe Zeit, daß ich Ihnen eine
+Beschreibung davon gebe. -- Um aber mit aller Ordnung zu verfahren, muß
+ich mir nur erst die Erlaubnis ausbitten, Ihnen zu berichten, wie mein
+Onkel Toby darankam.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zehntes Kapitel.
+
+
+Da meines Onkels Toby Wunde, welche er in der Belagerung von Namur
+empfing, ihn zum Dienste untüchtig machte, so ward für gut befunden,
+daß er nach England zurückkehren sollte, um womöglich seinen Schaden
+wieder zurechtbringen zu lassen.
+
+Vier volle Jahre hindurch mußte er teils das Bett, teils sein Zimmer
+hüten. Und während seiner Kur, welche diese ganze Zeit dauerte, litt er
+unsägliche Schmerzen.
+
+Mein Vater fing zu der Zeit eben seine Handlung in London an und
+hatte ein Haus gemietet. Da unter den beiden Brüdern die treueste,
+herzlichste Freundschaft obwaltete, und mein Vater glaubte, mein Onkel
+Toby könne nirgends so gut gewartet und gepflegt werden, als in seinem
+eigenen Hause, so wies er ihm die beste Gelegenheit darin an. -- Und
+was noch ein aufrichtigeres Zeichen seiner Zuneigung war, es durfte
+kein Freund oder guter Bekannter ins Haus kommen, er nahm ihn denn
+bei der Hand und führte ihn die Stiegen hinauf, daß er seinen Bruder
+besuchen und eine Stunde vor seinem Bette verschwatzen mußte.
+
+Die Geschichte der Wunde eines Soldaten läßt ihn ihre Schmerzen
+vergessen. Wenigstens dachten die so, die meinen Onkel besuchten, und
+bei ihren täglichen Besuchen lenkten sie, aus einer Höflichkeit, die
+sich auf diesen Glauben gründete, sehr oft die Unterredung auf diesen
+Gegenstand. -- Und von diesem Gegenstande lief dann das Gespräch
+gewöhnlich auf die Belagerung selbst hinaus.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Elftes Kapitel.
+
+
+Wenn sich ein Mensch einer herrschenden Leidenschaft überläßt, oder mit
+anderen Worten, wenn sein Steckenpferd hartmäulig wird, -- so, ade,
+kalte Vernunft und liebe Klugheit!
+
+Meines Onkels Toby Wunde war beinahe geheilt, und sobald sich der
+Wundarzt von seinem Erstaunen erholt hatte und zu Worte kommen konnte,
+sagte er ihm, sie beginne eben, sich zu schließen, und wenn sich keine
+neue Aussplitterung zeigte, wozu kein Schein vorhanden, so würde sie
+in fünf oder sechs Wochen trocken und heil sein. Zwölf Stunden vorher
+würde der Klang so vieler Olympiaden eine Idee von kürzerer Dauer in
+meines Onkels Toby Seele gebracht haben. -- Die Sukzession seiner
+Ideen war nunmehr schnell; er kochte vor Ungeduld, seinen Vorsatz
+auszuführen. Und ohne eine lebendige Seele weiter um Rat zu fragen, --
+was ich, nebenher gesagt, für recht halte, wenn man einmal fest willens
+ist, von keiner Seele Rat anzunehmen --, befahl er seinem Bedienten
+Trim unter vier Augen, ein Bündel Charpie und Binden zusammenzupacken
+und eine Kutsche mit Vieren zu bestellen, die den Tag genau um zwölf
+Uhr vor der Türe sein müßte, um welche Zeit, wie er wußte, mein Vater
+an der Börse sein würde. -- Nachdem er eine Banknote für den Wundarzt
+wegen seiner Mühe und einen Brief mit dem zärtlichsten Dank für meinen
+Vater auf seinem Tische zurückgelassen, packte er seine Karten und
+Pläne, seine Bücher von der Kriegsbaukunst, seine Instrumente usw.
+zusammen, und mit Hilfe einer Krücke an der einen Seite und Trim auf
+der anderen Stieg er in den Wagen. Und fort nach Shandy-Hall.
+
+Der Grund oder vielmehr die Grille, welche diese schnelle Auswanderung
+veranlaßte, war wie folgt.
+
+Der Tisch in meines Onkels Toby Zimmer, an welchem er den Abend
+vorher saß, ehe sich diese Veränderung zutrug, mit seinen Grundrissen
+usw. um sich her, war ein wenig zu klein für die Menge von großen
+und kleinen Werkzeugen der Wissenschaft, welche gewöhnlich darauf
+durcheinanderlagen. -- Da begegnete ihm nun der Zufall, daß er, indem
+er die Hand nach seiner Schnupftabaksdose ausstreckte, seinen Zirkel an
+die Erde warf, und indem er sich bückte, ihn aufzuheben, mit dem Ärmel
+sein Besteck und die Lichtscheren dazu herunterwischte, -- und der
+Würfel war ihm auf einmal so unglücklich, daß durch sein Bestreben, die
+Lichtscheren aufzufangen, er den Monsieur Blondel vom Tische warf und
+den Comte de Pagan oben darauf.
+
+Für einen Mann, lahm wie mein Onkel Toby, war es vergebens, darauf
+zu denken, alle diese Übel selbst zu heben. -- Er klingelte seinem
+Bedienten Trim. -- »Trim,« sagte mein Onkel Toby, »seh Er einmal,
+was ich da für eine Patsche gemacht habe. -- Ich muß das Ding besser
+eingerichtet haben, Trim. -- Kann Er nicht mein Lineal nehmen und
+die Länge und Breite dieses Tisches messen und dann hingehen und
+einen bestellen, der noch einmal so groß ist?« -- »Ja, Euer Gnaden,«
+antwortete Trim und machte seinen Bückling; »aber ich hoffe, Euer
+Gnaden sollen bald so gesund sein, daß Sie nach Ihrem Landgute reisen
+können. Dort, da Euer Gnaden so großen Gefallen am Fortifikationswesen
+haben, könnten wir die Sache ganz Schmuck einrichten.«
+
+Hier muß ich Ihnen Nachricht geben, daß dieser Bediente meines Onkels
+Toby, der allenthalben Trim genannt wurde, in meines Onkels eigener
+Kompagnie Korporal gewesen war. Sein wahrer Name ist James Butler,
+da er aber einmal im Regiment den Zunamen Trim wegbekommen hatte, so
+nannte ihn mein Onkel Toby auch beständig dabei, oder er mußte eben
+nach seiner Art recht böse sein.
+
+Der arme Kerl war zum Dienst untüchtig wegen einer Wunde von einer
+Musketenkugel am linken Knie, die er in der Landauer Bataille, zwei
+Jahre vor der Affäre bei Namur, bekommen hatte. Und weil der Kerl im
+Regiment sehr wohlgelitten und sonst wortgewandt war, so nahm ihn mein
+Onkel zu sich als Bedienten und traf's mit ihm vortrefflich; denn er
+wartete meinem Onkel im Felde und in den Winterquartieren auf, als
+Diener, Stallknecht, Barbier, Koch, Schneider und Krankenwärter; und
+er wartete und pflegte ihn von Anfang bis Ende mit großer Treue und
+Ergebenheit.
+
+Mein Onkel Toby liebte den Menschen auch wieder, und was ihn noch mehr
+an ihn gewöhnte, war die Gleichheit ihrer Kenntnisse. Denn Korporal
+Trim -- bei dem Namen werde ich ihn künftig immer nennen -- hatte durch
+ein vierjähriges Anhören der Gespräche seines Herrn von befestigten
+Städten, und durch den Vorteil, daß er beständig in seines Herrn Pläne,
+Grundrisse usw. sehen konnte -- nicht einmal mitgerechnet, was er als
+Leibdiener von der steckenpferdischen Materie an sich ziehen mußte,
+wenn er auch an und für sich selbst dieser Reiterei nicht ergeben
+war --, nicht wenige Kenntnis von der Wissenschaft der Kriegsführung
+erworben. Und die Köchin und das Kammermädchen waren der Meinung, daß
+er wohl ebensogut eine Festung bestürmen könnte wie sein Herr.
+
+Ich habe nur noch einen Pinselzug an Korporal Trims Charakter zu tun,
+und zwar den einzigen dunkeln Schatten darin: der Kerl mochte gerne
+seinen Senf mit dazugeben oder vielmehr sich selbst sprechen hören.
+Sein Betragen indessen war dabei so ehrerbietig, daß es leicht war,
+ihn beim Stillschweigen zu erhalten, wenn sie ihn einmal darin hatten.
+War aber seine Zunge einmal im Gange, so war kein Aufhalten, sie
+lief immerfort. Die ewigen Euer Gnadens, die er einflickte und sein
+untertäniges Bezeigen sprachen so stark für seine Beredsamkeit, daß er
+Ihnen wohl überlästig, Sie ihm aber nicht böse werden konnten. Meinem
+Onkel Toby begegnete das eine wie das andere sehr selten, wenigstens
+veranlaßte dieser Fehler keine Spaltung unter ihnen. Wie gesagt,
+mein Onkel liebte den Menschen. Und da er beständig seinen Bedienten
+als einen ärmeren Freund betrachtete, konnte er es nicht übers Herz
+bringen, ihm das Maul zu verbieten. So sah Korporal Trim aus.
+
+»Wenn ich mich unterstehen dürfte,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden einen
+guten Rat zu geben und meine Meinung zu sagen?« -- »Das darf Er,
+Trim,« sagte mein Onkel Toby, »spreche Er, Sage Er, was Er von der
+Sache denkt, ohne Furcht, guter Trim.« -- »Gut denn,« versetzte Trim,
+und ließ nicht dabei die Ohren hängen und kraute auch nicht in den
+Haaren, wie ein Bauernlümmel, sondern strich sich die Haare von der
+Stirn zurück und stand stramm wie vor seiner Rotte. »Ich meine,« sagte
+Korporal Trim, und setzte den linken Fuß, welches der lahme war, ein
+wenig vorwärts, und zeigte mit der offenen Hand nach einem Grundriß
+von Dünkirchen, der mit Nadeln an die Tapete gesteckt war, »ohne Euer
+Gnaden ins Kommando zu fallen, daß die Ravalins da, Basteien, Kurtinen
+und Hornwerke nur ein armseliges, jämmerliches Stück Klitterwerk auf
+dem Papier sind gegen das, was Euer Gnaden und ich daraus machen
+könnten, wenn wir so für uns auf dem Lande wären und hätten nur einen
+Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was
+wir wollten. Der Sommer ist vor der Tür,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden
+könnten dabei sitzen und mir die Nographie« -- »Ichnographie muß Er
+Sagen,« fiel ihm mein Onkel ein -- »von der Stadt oder Zitadelle,
+wovor Euer Gnaden gern sitzen möchten. -- Und auf dem Wall, den ich
+selbst gemacht habe, sollen mich Euer Gnaden harkebusieren lassen,
+wenn ich es nicht fortifiziere, so gut wie es Euer Gnaden wünschen
+mögen.« -- »O, das könnte Er wohl,« sagte mein Onkel. -- »Denn wenn
+Euer Gnaden,« fuhr der Korporal fort, »mir nur das Polygone mit allen
+Spitzen und Linien angeben können« -- »Das kann ich recht gut,« sagte
+mein Onkel --, »so wollte ich mit dem Graben anfangen. Und wenn Euer
+Gnaden mir die gehörige Tiefe und Breite angeben könnten« -- »Auf
+ein Haar kann ich das,« sagte mein Onkel --, »so wollte ich die Erde
+nach dieser Hand gegen die Stadt zu aufwerfen, und machte daraus die
+Scharpe, und nach jener Hand, gegen das Feld zu, die Konterscharpe.«
+-- »Ganz richtig, Trim,« sagte mein Onkel Toby. -- »Und wenn ich es
+ausgetieft hätte, wie es sein sollte, so wollte ich, mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, Gras darüberlegen, wie die feinsten Festungen in Flandern,
+mit Grassoden, wie Euer Gnaden wissen, daß sie sein sollten. Und die
+Wälle und Parapetts wollte ich auch mit Soden machen.« -- »Die besten
+Ingenieure nennen es Wasen oder Rasen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.
+-- »Soden, Wasen oder Rasen, das will nicht viel tun,« versetzte Trim.
+»Euer Gnaden wissen, sie sind zehnmal besser dazu, als Sand oder
+Mauersteine.« -- »Ich weiß es, in gewissen Fällen sind sie's,« sagte
+mein Onkel Toby und nickte mit dem Kopfe. »Denn eine Kanonenkugel geht
+durch den Rasen gerade durch, ohne daß sie Kummer mitnimmt, wodurch der
+Graben verschüttet werden kann, wie es vor dem St. Nikolastor ging, und
+man desto leichter über ihn steigen kann.«
+
+»Euer Gnaden verstehen diese Dinge besser,« versetzte Korporal Trim,
+»als alle Offiziere in des Königs Diensten. Wollen nur Euer Gnaden
+das Tischbestellen gut sein lassen und mich mit sich aufs Land
+nehmen. Ich wollte unter Euer Gnaden Anführung arbeiten wie ein Pferd
+und Fortifikationen machen. Sie sollten so lecker aussehen wie ein
+Butterkuchen, mit allen Batterien, Sappen, Graben und Palisaden, daß
+zwanzig Meilen rundum die Leute sich's nicht verdrießen lassen sollten,
+herzureisen und es sich zu besehen.«
+
+Mein Onkel Toby ward im Gesicht rot wie Scharlach, als Trim so
+fortfuhr. Es war aber nicht aus bösem Gewissen, daß er rot wurde, noch
+aus Bescheidenheit oder Ärger. Es war ein freudiges Erröten. Korporal
+Trims Projekt und Beschreibung trieb ihm das Blut zu Kopfe. -- »Trim,«
+sagte mein Onkel Toby, »Er hat genug gesagt.« -- »Wir könnten an
+ebendem Tage in Kampagne gehen,« fuhr Trim fort, »wenn unsere Völker
+und die Alliierten ins Feld rücken, und eben so geschwind Stadt für
+Stadt einnehmen und demolieren, als --« »Trim,« sprach mein Onkel
+Toby, »sage Er nichts mehr.« -- »Euer Gnaden,« sprach Trim immer
+weiter, »könnten in Ihrem Lehnstuhl sitzen« -- indem er darauf zeigte
+-- »bei dem schönen Wetter, und gäben Ihre Order, und so wollte ich
+--« »Nichts mehr, Trim,« rief mein Onkel Toby. -- »Noch dazu wäre es
+für Euer Gnaden nicht allein Vergnügen und guter Zeitvertreib, sondern
+gute, frische Luft, gute Bewegung und gute Gesundheit obendrein,
+und Euer Gnaden Wunde würde in einem Monat zu sein.« -- »Er hat
+genug gesagt, Trim,« rief mein Onkel Toby, und griff dabei in seine
+Beinkleidertasche. »Sein Projekt gefällt mir sehr gut.« -- »Und wenn
+Euer Gnaden erlauben, so will ich stehenden Fußes hingehen und einen
+Pionierspaten kaufen, den wir mitnehmen, und will eine Schaufel
+bestellen und eine Spitzhacke, und ein paar --« -- »Still, still,
+Trim,« sagte mein Onkel Toby, sprang auf ein Bein, ganz von Entzücken
+überwältigt, drückte ein Goldstück in Trims Hand und sprach: »Sage
+Er kein Wort weiter, lieber Bursche, sondern gehe Er den Augenblick
+hinunter, daß ich gleich mein Abendessen bekomme.«
+
+Trim lief hinunter und brachte seinem Herrn das Essen. -- Aber da
+stand's. -- Trims Operationsplan lief meinem Onkel Toby so im Kopfe
+herum, daß er nichts davon kosten konnte. »Trim,« sagte mein Onkel,
+»bringe Er mich zu Bett.« -- Es war auch nichts. -- Korporal Trims
+Beschreibung hatte seine Imagination erhitzt. Mein Onkel Toby konnte
+kein Auge zutun. Je mehr er sie betrachtete, desto bezaubernder kam ihm
+die Szene vor. -- Und zwei volle Stunden vor Tagesanbruch schon hatte
+er seine endliche Entschließung gefaßt und den ganzen Plan zu seinem
+und Korporal Trims Abmarsch ins reine gebracht.
+
+Mein Onkel Toby hatte ein eigenes kleines, hübsches Landhaus in dem
+Dorfe, wo die Shandyschen Güter lagen; das hatte ihm ein alter Onkel
+vermacht und so viele Ländereien dabei, die jährlich fünfhundert
+Reichstaler Pacht trugen. Von hinten stieß ein Küchengarten an dieses
+Haus von ungefähr einem halben Morgen Land, und hinter dem Garten und
+durch eine hohe Taxushecke davon getrennt, war ein grüner Spielplatz,
+der ungefähr soviel Grundmasse enthielt, wie Korporal Trim wünschte,
+so daß, als Korporal Trim die Worte sagte, »und hätten wir nur einen
+Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was
+wir wollten«, sich dieser leibhafte grüne Spielplatz auf einmal
+darstellte und im Hui in meines Onkels Phantasie vortrefflich gemalt
+erschien. -- Und das war die physische Ursache, die ihn die Farbe
+verändern ließ oder wenigstens seine Gedichtsröte zu dem ungemäßigten
+Grade trieb, von dem ich sprach.
+
+Niemals kann ein Liebhaber nach seiner teuren Geliebten mit mehr
+Hitze und größerer Erwartung reiten oder fahren, als mein Onkel tat,
+um dieses liebe Ding so für sich allein zu genießen. -- Ich sage,
+so für sich allein. -- Denn er war abgesondert vom Hause durch eine
+hohe Taxushecke, wie ich Ihnen schon gesagt, und an den drei anderen
+Seiten war es vor dem Gesicht der Sterblichen mit dickem, grünem, wild
+verwachsenem Gebüsch verdeckt. So daß der Gedanke, nicht gesehen zu
+werden, nicht gering zu der Hoffnung des Vergnügens beitrug, das sich
+mein Onkel Toby in seinem Gemüt vorbildete. Eitler Gedanke -- es mag
+noch so dicht bewachsen sein, noch so einsam scheinen --, zu hoffen,
+liebster Onkel Toby, du könntest ein Ding genießen, das einen ganzen
+Viertelmorgen und einen halben Grund und Boden umfaßt, ohne daß es
+bekannt würde!
+
+Wie mein Onkel Toby und Korporal Trim diese Sache angriffen, nebst
+der Geschichte ihrer Feldzüge, welche gar nicht leer an Begebenheiten
+waren, kann eine ganz interessante Nebenhandlung abgeben, die mit der
+Haupthandlung dieses Dramas fortläuft. -- Jetzt muß der Vorhang fallen,
+-- der Schauplatz verwandelt sich in das Wohnzimmer mit dem Kaminfeuer.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zwölftes Kapitel.
+
+
+»Was mögen sie vorhaben?« sagte mein Vater. -- »Ich denke,« antwortete
+mein Onkel Toby, wobei er, wie ich Ihnen sagte, die Pfeife aus dem
+Munde nahm und die Asche ausklopfte. -- »Ich denke,« antwortete er, »es
+wäre wohl gut, Bruder, wenn wir klingelten.«
+
+»Höre, Obadiah, was heißt das Gepoltere über unserem Kopfe?« fragte
+mein Vater. »Mein Bruder und ich können kaum hören, was wir sprechen.«
+
+»Herr,« antwortete Obadiah, und beugte seine linke Schulter vor,
+»Madame ist ganz übel geworden.« -- »Und was hat Susanna da im Garten
+zu rennen, als wenn ein halbes Dutzend Ehrenräuber hinter ihr wären?«
+-- »Herr, sie rennt den kürzesten Weg,« versetzte Obadiah, »die alte
+Bademutter zu holen.« -- »So sattelt ein Pferd,« sagte mein Vater, »und
+reitet geschwind zum Doktor Slop, dem Akkoucheur. Wir ließen ihn alle
+grüßen, -- und sagt ihm, daß Madame in Kindesnöten ist und daß ich ihn
+bitten lasse, er möchte gleich mit Euch kommen.«
+
+»Es ist sehr närrisch,« sagte mein Vater zu meinem Onkel Toby,
+als Obadiah die Türe zugemacht hatte, »da wir einen so erfahrenen
+Geburtshelfer wie Doktor Slop so ganz in der Nähe haben, daß meine Frau
+bis auf den letzten Augenblick auf ihrer eigensinnigen Grille bestehen
+und das Leben ihres Kindes, das schon sein Teil Leiden gehabt hat, der
+Unwissenheit eines alten Weibes anvertrauen muß. -- Und nicht allein
+das Leben meines Kindes, Bruder, sondern auch ihr eigenes und das Leben
+aller der Kinder dazu, die ich hernach vielleicht noch hätte mit ihr
+haben können.«
+
+»Es kann sein, Bruder,« versetzte mein Onkel Toby, »daß sie's tut, um
+die Unkosten zu sparen.« -- »Ein Endchen Licht lieber!« erwiderte mein
+Vater. »Der Doktor muß sein Geld haben, er tue was dafür oder nicht;
+wo nicht noch mehr, um ihn bei guter Laune zu erhalten.« -- »Dann kann
+es wohl aus keiner anderen Ursache sein,« sagte mein Onkel Toby in
+der Arglosigkeit seines Herzens, »als aus Schamhaftigkeit. Vielleicht
+schämte sich meine Schwester,« fuhr er fort, »käme ihr eine Mannsperson
+zu nahe an ***.« Ich will nicht Sagen, ob mein Onkel Seinen Satz
+geschlossen hatte oder nicht. Desto besser für ihn, daß man glaubt,
+er habe seinen Punkt gemacht. Denn nach meiner Meinung hätte er kein
+einziges Wort hinzusetzen können, um ihn zierlicher zu machen.
+
+Hatte hingegen mein Onkel Toby die Periode nicht ganz zu Ende gebracht,
+so hat die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Tabakspfeife plötzlich
+zerbrach, eins der nettesten Exempel von der zierlichen Figur in der
+Redekunst zu danken, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. --
+Hilf Himmel! Wie genau kommt es nicht auf das +Poco più+ und das
++Poco meno+ der italienischen Artisten, auf das unmerkliche mehr
+oder weniger an, die wahre Schönheitslinie sowohl in einer Periode
+als in einer Statue zu treffen! Wie kann doch der geringste Zug des
+Griffels, des Pinsels, der Feder, des Violinbogens usw. diese wahre,
+sanfte Rundung geben, welche das wahre Vergnügen erregt! O meine
+lieben Landsmänner, seid sorgfältig, seid behutsam mit eurer Zunge,
+und niemals, o niemals laßt es euch aus dem Sinne kommen, an was für
+kleinen Partikeln eure Beredsamkeit hängt und euer Ruhm.
+
+»Meine Schwester schämte sich vielleicht,« sagte mein Onkel Toby, »käme
+ihr eine Mannsperson zu nahe an ***.« Diese Sternchen gemacht, und es
+ist eine Aposiopesis. Die Sternchen weggenommen und dafür geschrieben
+das Gesäß -- Zote wird's. Streicht man das Gesäß aus und setzt dafür
+den bedeckten Weg, so wird's eine Metapher. Und da meinem Onkel Toby
+das Fortifikationswesen so sehr im Kopfe lag, so getraue ich mir zu
+sagen, hatte man ihn noch ein Wort hinzusetzen lassen, -- so war's das
+Wort.
+
+Ob das aber geschehen oder nicht geschehen, oder ob mein Vater seine
+Tabakspfeife in dem kritischen Augenblick von ungefähr oder aus
+Unwillen zerbrach, wird sich zu rechter Zeit ausweisen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreizehntes Kapitel.
+
+
+Obgleich mein Vater ein guter natürlicher Philosoph war, so war er doch
+auch so etwas von einem Moralisten dabei. Deswegen hätte er, als ein
+solcher, da seine Pfeife in der Mitte entzweibrach, beide Stücke nehmen
+und gelassen ins Kaminfeuer werfen sollen. Und damit gut! -- Das ließ
+er aber wohl bleiben. Er warf sie mit aller möglichen Heftigkeit und,
+um der Handlung noch mehr Nachdruck zu geben, Sprang er vom Stuhl auf
+beide Füße, um sie auszuüben.
+
+Dies hatte so etwas Ähnliches von Hitze. Und die Art, womit er auf das,
+was mein Onkel Toby sagte, antwortete, bewies es.
+
+»Schämen,« sagte mein Vater und wiederholte meines Onkels Tobys Worte,
+»käme ihr eine Mannsperson zu nah an. Wahrhaftig, Bruder Toby! Hiobs
+Geduld solltest du ermüden, die ich nicht habe; obgleich schon seine
+Plagen, dünkt mich.« -- »Wie so? -- Warum? -- Worin? -- Weswegen? --
+Worüber?« versetzte mein Onkel Toby mit dem größten Erstaunen. -- »Wenn
+ich bedenke, daß ein Mann so alt geworden sein kann, wie du, Bruder,
+und noch so wenig Weiberkenntnis hat!« -- »Ich kenne von ihnen gar
+nichts,« versetzte mein Onkel Toby, »und ich dächte,« fuhr er fort,
+»der Puff, den ich das Jahr nachher, da Dünkirchen geschleift ward, in
+der Affäre mit der Witwe Wadman bekam, welchen Puff ich, wie du weißt,
+nicht bekommen haben würde, hätte ich nur die geringste Kenntnis vom
+Frauenzimmer gehabt, hätte mir wohl eine gerechte Ursache gegeben, zu
+sagen, daß ich von den Weibern und ihren Sachen weder etwas weiß, noch
+zu wissen verlange.« -- »Mich deucht, Bruder,« versetzte mein Vater,
+»soviel könntest du doch wenigstens wissen, das rechte Ende eines
+Weibes vom unrechten zu unterscheiden.«
+
+In Aristoteles' Meisterstücke wird gesagt: »Wenn ein Mensch an etwas
+denkt, das vorbei ist, so sieht er nieder auf die Erde; aber, wenn
+er an etwas denkt, das noch zukünftig ist, so sieht er aufwärts gen
+Himmel.«
+
+Mein Onkel Toby dachte also wohl an keins von beiden, denn er sah
+gerade vorwärts. »Rechte Ende!« sagte mein Onkel Toby, murmelte es
+leise in den Bart und blieb dabei, wie er's murmelte, unvermerkt mit
+den Augen an einer kleinen Spalte hängen, die eine losgewichene Fuge
+im Gesimse des Kamins gemacht hatte. -- »Rechte Ende eines Weibes! --
+Fürwahr,« sagte mein Onkel, »ich weiß ebensowenig, was das ist, als der
+Mann im Monde. -- Und wenn ich auch einen ganzen Monat darauf sänne« --
+er hielt dabei noch immer die Augen auf die losgewichene Fuge --, »so
+weiß ich gewiß, ich würde es nicht ausfindig machen.«
+
+»So will ich's dir sagen, Bruder,« erwiderte mein Vater. --
+
+»Jedes Ding in der Welt,« fuhr mein Vater fort, indem er eine frische
+Pfeife füllte, »jedes Ding in dieser Welt, mein lieber Bruder Toby,
+hat zwei Enden.« -- »Nicht immer,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Zum
+wenigsten,« versetzte mein Vater, »immer zwei Seiten, was auf eins
+ausläuft. -- Nun, wenn sich jemand hinsetzt und überlegt mit kaltem
+Blute bei sich selbst, die Gestalt, den Bau, das Beikommensvermögen
+und die Brauchbarkeit aller Teile des Ganzen an dem Tiere, genannt
+Weib, und vergleicht solche analogisch« -- »Ich habe den Sinn dieses
+Wortes niemals deutlich verstanden,« sagte mein Onkel Toby. --
+»Analogie,« versetzte mein Vater, »heißt ein gewisses Verhältnis und
+Übereinstimmung, die verschie --« Hier brach ein vertracktes Klopfen
+an der Türe meines Vaters Definition -- wie seine Tabakspfeife --
+in Stücken und zertrat einer der merkwürdigsten und sinnreichsten
+Dissertationen den Kopf, die jemals im Schoße der Spekulation erzeuget
+worden; es gingen einige Monate hin, ehe mein Vater Gelegenheit finden
+konnte, glücklich davon entbunden zu werden. Und bis auf diese Stunde
+ist es -- wegen Verwirrung und Mannigfaltigkeit unserer häuslichen
+Unglücksfälle, die sich nun scharenweise auf die Fersen treten --,
+ebenso problematisch, als der Gegenstand der Dissertation selbst -- ob
+ich in diesem Buche einen Platz dafür finden werde oder nicht.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierzehntes Kapitel.
+
+
+Stellen Sie sich eine kleine, quabbelige, plattnasige Figur von einem
+Doktor Slop vor, von ungefähr vier und einem halben Fuß perpendikularer
+Höhe. Mit einer Breite von Rücken und einer Janitscharentrommel von
+Bauch, worauf sich ein Feldwebel unter der Reitergarde nicht wenig
+hätte einbilden können.
+
+So sah der Umriß von Doktor Slops Figur aus, die, wie Sie wissen, wenn
+Sie Hogarths Zergliederung der Schönheit gelesen haben, wo nicht, so
+wünsche ich, daß Sie solche noch lesen, ebenso gewiß durch drei Züge
+beschrieben und zu Gemüte geführt werden kann wie durch dreihundert.
+
+So einen stellen Sie sich vor, denn so, sage ich, war der Umriß von
+Doktor Slops Figur beschaffen, wie er ganz langsam, Schritt für
+Schritt, durch den Kot daherschwankte, auf dem Rückgrate eines kleinen
+winzigen Rößleins von hübscher Farbe. Aber an Umfang -- o weh! -- kaum
+soviel, daß es unter einem solchen Packen hätte zum Trott gebracht
+werden können, wären die Wege auch trocken und eben gewesen, was sie
+gar nicht waren. Nun stellen Sie sich Obadiah vor, auf einem Riesen von
+Kutschpferd, das er zum vollen Galopp angetrieben hat, wie er mit aller
+Hast ihm entgegenreitet.
+
+Ich bitte Sie, mein Herr, nehmen Sie doch einen Augenblick Anteil an
+dieser Beschreibung.
+
+Hätte Doktor Slop den Obadiah in einer Entfernung von tausend Schritten
+wahrgenommen, wie er in einem schmalen Fuhrwege so ungeheuerlich
+auf ihn zu jagte, wie der Dreckteufel durch dick und dünn auf allen
+Seiten spritzte und schlenkerte, als er sich näherte, sollte nicht
+ein solches Phänomen mit einem solchen Wirbel von Schlamm und Wasser,
+das sich um seine Achse drehte, dem Doktor Slop in seinen Umständen
+eine weit fürchterlichere Erscheinung sein als der drohendste Komet?
+Nicht einmal seines Kerns, das ist Obadiah und sein Kutschpferd, zu
+gedenken. So war -- nach meiner Meinung -- sein Wirbel allein genug,
+wo nicht den Doktor, doch wenigstens sein Rößlein zu fassen und rein
+mit fortzureißen. Was denken Sie, wie groß muß die Angst, Schlamm-
+und Wasserscheu des Doktor Slop gewesen sein, wenn Sie lesen, was
+im Augenblick geschehen wird, daß, als er eben so ganz sinnig und
+bedächtig nach Shandy-Hall zuritt, nur noch sechzig Ruten weit davon
+war und fünf von einer scharfen Ecke der Gartenmauer, Obadiah und
+sein Kutschpferd plötzlich wütend um die Ecke und gerade auf ihn
+lossprengten! -- Nein, in der ganzen Natur kann nichts Schrecklicheres
+gedacht werden als ein solcher Zusammenstoß. So unerwartet, so übel
+vorbereitet wie der Doktor Slop war, einen solchen Überfall zu erleben.
+
+Was konnte Doktor Slop tun? Er bekreuzigte sich. Warum nicht gar? Nun
+ja, mein Herr, der Doktor war ein Katholik. Einerlei; er hätte besser
+getan, sich am Sattelknopf festzuhalten. Das wohl! Ja, wie die Sache
+ging, hätte er lieber ganz und gar nichts tun sollen. Denn wie er das
+Kreuz schlug, ließ er seine Peitsche fallen, und als er solche zwischen
+seinem Knie und dem Sattelleder wieder fangen wollte, verlor er den
+Steigbügel. Und indem er den verlor, verlor er auch den Sitz im Sattel.
+Und über der Menge aller dieser Verluste -- was nebenher beweisen
+kann, wie wenig das Bekreuzigen nützt -- verlor der arme Doktor
+seine Geistesgegenwart, so daß er, ohne den Überfall von Obadiah zu
+erwarten, sein Tier seinem eigenen Schicksale überließ, seitwärts davon
+herunterpurzelte, ungefähr wie ein Packen Wolle, ohne irgendeine andere
+Folge des Falles, als daß er -- wie es natürlich zuging -- mit seinem
+breitesten Teile zwölf Zoll tief im Moraste versunken liegen blieb.
+
+Obadiah zog zweimal seine Kapuze vor dem Doktor ab. Einmal, als er
+fiel, und als er ihn sitzen sah wiederum. Unzeitige Höflichkeit!
+Hätte der Kerl nicht lieber sein Pferd anhalten, absteigen und ihm
+helfen können! Er tat alles, mein Herr, was er in seinen Umständen tun
+konnte. Aber der Schuß des Kutschpferdes war zu heftig, daß Obadiah
+nicht sogleich konnte, wie er wollte. Er ritt dreimal in einem Zirkel
+um Doktor Slop herum, ehe er's möglich fand, und zuletzt, als er sein
+Pferd zum Stehen brachte, geschah es mit einem solchen Schwall von
+Schlamm, daß Obadiah lieber eine Meile weit davon hätte sein mögen.
+Kurz, in seinem Leben war Doktor Slop noch nicht so transubstanziert
+worden, seitdem das Transubstanzieren Mode geworden ist.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfzehntes Kapitel.
+
+
+Als Doktor Slop in das Hinterzimmer trat, worin mein Vater und mein
+Onkel saßen und ihre Unterredung über das Frauenzimmer hatten, war
+es schwer zu entscheiden, ob Doktor Slops Gestalt oder Gegenwart
+sie mehr in Verwunderung setzte. Denn weil das Unglück sich nahe
+beim Hause zutrug, daß Obadiah es nicht der Mühe wert hielt, ihm
+wieder aufs Pferd zu helfen, so hatte ihn Obadiah, so wie er war,
+ungestriegelt, ungebürstet und ungespült, mit allen seinen Flecken und
+Klecksen hineingeführt. Er stand wie Hamlets Geist, unbeweglich und
+stumm, anderthalb Minuten an der Zimmertür -- Obadiah hielt beständig
+seine Hand angefaßt -- in aller Majestät des weichen Urstoffs des
+ersten Menschen. Die hinteren Falten seines Kleides, welche ihm zum
+Kissen gedient, waren gänzlich davon getränkt, und alle übrigen Teile
+desselben waren so über und über gesprenkelt von Obadiahs Schwall, daß
+Sie geschworen hätten -- ohne sich etwas im Sinne vorzubehalten --, es
+wäre kein Schmutzkörnchen an ihm verloren oder vorbeigegangen.
+
+Hier war eine schöne Gelegenheit für meinen Onkel Toby, seinerseits
+über meinen guten Vater zu triumphieren. Denn kein Sterblicher, welcher
+den Doktor Slop eingepökelt gesehen, hätte wenigstens das nicht von
+meines Onkels Toby Meinung ableugnen können, »daß meine Schwester es
+nicht gerne hätte, es käme ihr ein solcher Doktor Slop so nahe an
+›***‹«. Allein das war ein +Argumentum ad hominem+, und weil mein
+Onkel Toby nicht recht gewandt darin war, so können Sie denken, daß er
+sich deswegen nicht gern damit abgab. Nein, die Ursache war -- Spott
+und Hohn war seine Sache nicht.
+
+Doktor Slops Gegenwart war um die Zeit ebenso unerklärbar als die Art
+und Weise derselben. Obgleich soviel richtig ist, daß ein Augenblick
+Nachdenkens meinen Vater hätte zurechtweisen können. Denn er hatte erst
+die Woche vorher dem Doktor Slop davon Nachricht gegeben, daß meine
+Mutter am Ende ihrer Rechnung wäre. Und da der Doktor nachher nichts
+weiter davon gehört hatte, so war's natürlich und politisch von ihm,
+einen Spazierritt nach Shandy-Hall zu machen, bloß um zu sehen, wie es
+da stünde.
+
+Allein meines Vaters Gedanken nahmen unglücklicherweise einen
+verkehrten Weg bei der Untersuchung und hielten sich, wie mein allzeit
+fertiger Kritikus, bloß bei dem Klingeln und dem Pochen an der Tür auf,
+maßen den Zeitraum von einem zum andern, und waren dergestalt bei der
+Operation geschäftig, daß sie alles andere in der Welt nichts anging.
+Ein gewöhnlicher Fehler der größten Mathematiker, die mit Macht und
+Gewalt an der Demonstration arbeiten und darüber so sehr ihre Kräfte
+verschwenden, daß sie keine übrig behalten, den Schluß zu ziehen und
+die Anwendung zu machen.
+
+Das Klingeln und das Pochen an der Tür wirkte zwar auch stark auf
+das Sensorium meines Onkels Toby. Sie brachten aber ein ganz anderes
+Gefolge von Gedanken in Gang. Die beiden unvereinbarten Punkte des
+Abstoßes brachten augenblicklich den Stevinus mit in meines Onkels
+Gedanken. Was Stevinus mit dieser Sache zu tun hatte, ist wohl das
+größte Problem von allen; es soll aufgelöst werden. In dem nächsten
+Kapitel aber noch nicht.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechzehntes Kapitel.
+
+
+Bücherschreiben, wenn's am rechten Ende angegriffen wird -- Sie können
+sich darauf verlassen, daß ich denke, das meinige sei es --, ist nur
+eine andere Benennung für Konversation. Da niemand, der weiß, wie er
+sich in Gesellschaft benehmen muß, es wagen wird, alles herauszusagen,
+so wird kein Schriftsteller, der die Grenzen seines Dekorums und der
+guten Lebensart kennt, so voreilig sein, alles zu denken. Die größte
+Ehrerbietung, die Sie dem Verstande Ihres Lesers erweisen können,
+ist, wenn Sie freundschaft-brüderlich mit ihm teilen und seiner
+Einbildungskraft ebensowohl etwas zu schaffen übrig lassen als Ihrer
+eigenen.
+
+Ich meinesteils lasse es an Höflichkeitsbezeigungen von dieser Art
+niemals fehlen und tue alles, was in meinem Vermögen Steht, seine
+Imagination ebenso geschäftig zu erhalten wie die meinige.
+
+Die Reihe ist jetzt an ihm; ich habe von Doktor Slops jämmerlichem
+Sturz und Fall, von seinem erbärmlichen Aufzuge in dem Hinterzimmer
+eine Beschreibung gegeben. Nun muß seine Einbildung sich eine Weile
+damit beschäftigen.
+
+Der Leser bilde sich also ein, daß Doktor Slop seine Geschichte erzählt
+habe. Mit was für Worten und Vergrößerungen es seiner Phantasie
+beliebt. Er nehme an, daß Obadiah die seinige gleichfalls erzählt
+habe, und mit so traurigen Gebärden und angenommenem Leidwesen,
+als er glaubt, das die beiden Figuren, die nebeneinanderstehen, in
+die beste Gegenhaltung setzen kann. Er bilde sich ein, daß mein
+Vater hinaufgegangen sei, meine Mutter zu sehen. Und um dieses
+Werk der Einbildungskraft zu Ende zu bringen, denke er sich den
+Doktor gewaschen, abgerieben, kondoliert, gratuliert, in einem Paar
+niedergetretener Schuhe, von Obadiah geborgt, nach der Türe gehend und
+im Begriff zu agieren.
+
+Gemach! -- gemach, lieber Doktor Slop! -- halte deine Hand zurück!
+Stecke sie ruhig wieder in deinen Busen, daß sie warm bleibe. Du weißt
+wenig davon, was für Schwierigkeiten, was für verdeckte Hindernisse
+ihrem Wirken im Wege liegen! Hat man dir, lieber Doktor Slop, hat
+man dir die geheimen Artikel des feierlichen Vertrages anvertraut,
+demzufolge du hierher gebracht bist? Hast du es schon gemerkt, daß
+in diesem Augenblick eine von Lucinens Töchtern über dir steht? Ach,
+es ist leider nur zu wahr! Außerdem, großer Sohn des Pilumnus, was
+kannst du machen? Du bist unbewaffnet erschienen, du hast dein +Tire
+tête+, deinen neuerfundenen Forceps, dein Crochet, dein Squirt und
+alle deine Rettungs- und Erlösungswerkzeuge zu Hause gelassen. -- Beim
+Himmel! Da hängen sie im grünen Filetbeutel, zwischen deinen beiden
+Pistolen, am Kopfende deines Bettes! Klingle! Rufe! Sende Obadiah auf
+dem Kutschpferde zurück, daß er sie in aller Eile herhole.
+
+»Eilet, was Ihr könnt, Obadiah,« sagte mein Vater, »und ich gebe Euch
+einen Gulden.« -- »Von mir,« sagte mein Onkel Toby, »noch einen.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebzehntes Kapitel.
+
+
+»Ihre plötzliche unerwartete Ankunft,« sagte mein Onkel Toby zum Doktor
+Slop -- alle drei setzten sich beim Kaminfeuer nieder, als mein Onkel
+Toby zu sprechen begann -- »erinnerte mich augenblicklich an den großen
+Stevinus, der, wie ich Ihnen sagen muß, mein Leib-Autor ist.« -- »So,«
+unterbrach ihn mein Vater, »so will ich vierzig Dukaten gegen einen
+Gulden setzen -- welchen ich Obadiah geben kann, wenn er zurückkommt
+--, daß dieser Herr Stevinus ein Ingenieur oder so was ist, oder
+daß er, es sei auch, was es sei, mittelbar oder unmittelbar von der
+Fortifikation geschrieben hat.« --
+
+»Das hat er,« versetzte mein Onkel Toby. »Dacht' ich's nicht?« sagte
+mein Vater. »Ob ich gleich, und sollte mich's das Leben kosten, nicht
+einsehen kann, was zwischen des Herrn Doktors Slop unerwarteter
+Ankunft und einer Abhandlung von der Fortifikation für eine Art
+von Zusammenhang sein kann. Doch hab' ich's gefürchtet. Bruder! wir
+mögen doch sprechen, wovon wir wollen, oder laß die Gelegenheit noch
+so weit weg oder unschicklich für dein Thema sein, so mußt du es
+doch einschieben. Nein, Bruder Toby,« fuhr mein Vater fort. »Nein,
+wahrhaftig, so voll möchte ich doch auch meinen Kopf nicht von Kurtinen
+und Hornwerken haben.« -- »Das glaub' ich wohl, daß Sie das nicht
+möchten,« sagte Doktor Slop, indem er einfiel und ganz unmäßig über
+sein Wortspiel lachte.
+
+Dennis, der kritische Meister, konnte ein Wortspiel oder nur einen
+Anschein vom Wortspiele nicht herzlicher verabscheuen und hassen als
+mein Vater. -- Er runzelte immer die Stirne, wenn er eins hörte. Aber,
+wenn man ihn in einer ernsthaften Rede durch eine solche Witzelei
+unterbrach, pflegte mein Vater zu sagen, das wäre so gut, als wenn man
+ihm Nasenstüber gäbe. Er wüßte keinen Unterschied.
+
+»Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby zu Slop, »die Kurtinen, wovon mein
+Bruder Shandy spricht, sind nichts weniger als Bettgardinen; obzwar,
+ich weiß wohl, du Cange sagt: ›daß nach aller Wahrscheinlichkeit solche
+ihren Namen von jenen bekommen haben‹. Ebensowenig haben die Hornwerke,
+wovon er spricht, das geringste mit dem Hörnerkrame zu tun, worüber sie
+lachen. Sondern Kurtine, Herr Doktor, ist das Wort, welches wir in der
+Fortifikation gebrauchen, den Teil des Walles damit zu benennen, der
+zwischen zwei Bastionen liegt und solche zusammenfügt. Die Belagerer
+wagen es selten, ihre Attacke gerade auf die Kurtinen zu richten, aus
+dem Grunde, weil sie so gut flankiert sind.« -- »Ebenso ist's mit
+den Gardinen,« sagte Doktor Slop lachend. -- »Indessen,« fuhr mein
+Onkel Toby fort, »um sie völlig zu decken, pflegen wir gewöhnlich
+Raveline davorzulegen, die wir an der anderen Seite des Grabens
+anbringen. Der gemeine Mann, der wenig von der Fortifikation versteht,
+verwechselt das Ravelin und den halben Mond miteinander, obgleich es
+sehr verschiedene Dinge sind. Nicht in ihrer Bauart oder Figur, denn
+wir machen solche in allen Stufen einander ähnlich. Sie bestehen aus
+zwei Facen, die eine Vorspringespitze mit der Brust ausmachen, nicht
+winkelrecht, sondern wie eine Sehne vom Zirkel.« -- »Worin steckt denn
+der Unterschied?« fragte mein Vater ein wenig beißend. -- »In ihrer
+Lage,« antwortete mein Onkel Toby. »Denn wenn ein Ravelin vor einer
+Kurtine steht, Bruder, so ist's ein Ravelin, und wenn ein Ravelin vor
+einer Bastion steht, so ist das Ravelin kein Ravelin, sondern ein
+halber Mond. Ebenso ist ein halber Mond, solange er vor seiner Bastion
+steht, ein halber Mond, aber nicht länger. Würde er von der Bastion
+weggenommen und vor eine Kurtine gesetzt, so wäre es nicht mehr ein
+halber Mond. Ein halber Mond ist in dem Falle kein halber Mond, es ist
+weiter nichts als ein Ravelin.« »Ich merke,« sagte mein Vater, »die
+edle Verteidigungskunst hat ihre schwachen Seiten so gut wie andere.«
+-- »Die Hornwerke,« -- nun, Himmel, sei gnädig! seufzte mein Vater
+-- fuhr mein Onkel Toby fort, »die mein Bruder nannte, machen einen
+wichtigen Teil der Außenwerke. Die französischen Ingenieure nennen
+solche +Ouvrages à Corne+, und wir legen sie gemeiniglich an, um
+solche Stellen zu decken, die wir für Schwächer halten als die übrigen.
+Sie bestehen aus einer Face und einer Flanke oder halben Bastion; sie
+sehen recht hübsch aus, und wenn Sie einen Spaziergang machen wollen,
+so versichere ich Sie, will ich Ihnen eins zeigen, das sich der Mühe
+verlohnen soll. Es ist wahr, wenn wir sie krönen,« fuhr mein Onkel
+Toby fort, »so werden sie viel stärker. Aber dann sind sie auch sehr
+kostbar und nehmen viel Raum weg, so daß sie meiner Meinung nach die
+besten Dienste tun, die Front eines Lagers zu decken. Das doppelte
+Zangenwerk aber --« »Bei der Mutter, die uns gebar! Bruder Toby,«
+sagte mein Vater, der sich nicht länger halten konnte, »du könntest
+einem Heiligen einen Fluch ablocken. Da hast du uns, ich weiß nicht
+wie, ganz unter der Hand wieder mitten in deine alte Brühe gepökelt. --
+Aber dein Kopf ist so voll von diesen verdammten Werken, daß du meine
+Frau in Nöten kreißen, sie schreien hörst, und doch willst du mir den
+Operateur fortschleppen.« -- »Akkoucheur höre ich lieber, wenn's Ihnen
+so gefällt,« sagte Doktor Slop. »Nun denn, Akkoucheur! in Gottes Namen!
+Aber ich wünsche die ganze Kriegsbaukunst mit allen ihren Erfindern
+über alle Berge; Tausenden hat sie schon das Leben gekostet, und mir
+wird sie auch noch den Tod bringen. Ich möchte nicht, Bruder Toby, ich
+möchte nicht mein Gehirn so voller Sappen, Minen, Blenden, Schanzkörbe,
+Palisaden, Raveline, halben Monde und wie der Plunder alles heißt,
+haben, und sollte ich Namur und alle Städte in Flandern dazu dafür
+bekommen.«
+
+Mein Onkel Toby, der die Beleidigungen geduldig ertragen konnte, nicht
+weil's ihm an Herzhaftigkeit fehlte -- ich habe Ihnen gesagt: ›daß er
+ein Mann war, der Mut hatte‹, und will hier hinzusetzen, daß, wenn sich
+eine gerechte Gelegenheit darböte, die solchen aufforderte --, ich
+keinen Mann wüßte, unter dessen Arme ich lieber Schutz suchen möchte.
+Auch das kam nicht von irgendeiner Gefühllosigkeit oder Stumpfheit
+seines Verstandes her, denn er fühlte diese Beleidigung meines
+Vaters so empfindlich, wie ein Mann sie fühlen konnte. Er war von
+friedfertiger, sanftmütiger Natur, kein zänkisches Sonnenstäubchen war
+in ihm, alles war an ihm von so gutartiger Mischung, daß meines Onkels
+Toby Herz kaum zuließ, an einer Fliege Rache zu nehmen. ›Geh‹, sagte
+er eines Tages beim Essen zu einer häßlichen großen Brummfliege, die
+ihm um die Nase summte, ihn die ganze Mahlzeit über jämmerlich gequält
+hatte und die er endlich im Vorbeifliegen haschte, ›ich will dir kein
+Leids tun,‹ stand vom Stuhle auf und ging mit der Fliege in der Hand
+durchs Zimmer. ›Ich will dir kein Haar krümmen. Geh,‹ sagte er, indem
+er das Fenster aufschob und die Hand öffnete, um sie fliegen zu lassen.
+›Geh, armes Ding, mach' daß du wegkommst, warum sollt' ich dir Leides
+tun? Diese Welt hat Raum genug für dich und für mich.‹
+
+Ich war kaum zehn Jahre alt, als dies geschah. Aber, war es, daß die
+Handlung selbst in diesem mitleidigen Alter mit meinen Nerven mehr im
+Einklang stand, daß es augenblicklich meinen ganzen Bau in Schwingungen
+des angenehmsten Gefühls versetzte, oder war es die Art und Weise des
+Ausdrucks, die dazu beitrug, in welchem Grade oder durch welche geheime
+Magie der Ton der Stimme und Harmonie der Bewegung einen Weg zu meinem
+Herzen finden mochten, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß die Lehre
+des unbegrenzten Wohlwollens, die mich damals mein Onkel Toby lehrte
+und mir einprägte, seitdem nie aus meinem Gemüte verloschen ist. Und
+ob ich gleich das, was das Studium der schönen Wissenschaften auf der
+Universität in diesem Punkte an mir getan hat, nicht verachten oder
+die Hilfe einer kostbaren Erziehung zu Hause und hernach in der Fremde
+herabwürdigen will, so denke ich doch oft, daß ich die eine Hälfte
+meiner Güte des Herzens diesem einen zufälligen Eindruck zu verdanken
+habe.
+
+~Dieses kann Eltern und Hofmeistern statt eines ganzen Bandes über
+diese Materie dienen.~
+
+Diesen Zug in meines Onkels Toby Porträt konnte ich dem Leser
+nicht vermittels ebendes Instrumentes geben, mit welchem ich die
+anderen zeichnete. Dem nämlich, das nichts mehr aufnimmt als die
+bloße steckenpferdische Ähnlichkeit. Dies ist ein Teil seines
+moralischen Charakters. Mein Vater war in dem Punkte der geduldigen
+Verträglichkeit, deren ich erwähnt, viel anders beschaffen, wie
+der Leser schon längst bemerkt haben wird. Er hatte von Natur ein
+weit schärferes und schnelleres Gefühl, begleitet von ein wenig
+mürrischer Gemütsart. Obgleich ihn solches nie zu etwas verleitete,
+das einer Bosheit ähnlich sah, so zeigte sich's doch bei den kleinen
+Verdrießlichkeiten des Lebens in einer drolligen und witzigen Art
+von Unwillen. Dabei war er offenherzig und großmütig und ließ
+sich jederzeit gerne bedeuten. In den kleinen Aufwallungen dieser
+überflüssigen Säure in den Säften gegen andere, besonders aber gegen
+seinen Bruder Toby, den er aufrichtig liebte, fühlte er selbst zehnmal
+mehr Unlust -- ausgenommen mit der Geschichte von Tante Dinah oder
+wenn's auf eine Hypothese ankam --, als er verursachte.
+
+Die Charaktere der beiden Brüder, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet,
+warfen Licht übereinander und erschienen in ihren großen Vorzügen in
+dieser Geschichte, die über den Stevinus entstand. Ich brauche dem
+Leser nicht zu sagen, wenn er sich ein Steckenpferd auf der Streu hält,
+daß eines Mannes Steckenpferd ein so empfindlicher Fleck ist, wie er
+nur einen an sich hat, und daß diese unverschuldeten Hiebe, die man dem
+seinigen gab, meinen Onkel nicht unempfindlich ließen. -- Nein, wie ich
+oben sagte, mein Onkel Toby fühlte sie wirklich, und sehr schmerzhaft
+dazu.
+
+Nun, mein Herr, was sagte er? Wie betrug er sich? O, mein Herr, groß!
+Denn sobald mein Vater sein Steckenpferd genug gepeitscht hatte,
+wendete er ohne die geringste Hitze sein Gesicht von Doktor Slop
+weg, mit dem er gesprochen hatte, und sah meinem Vater in die Augen,
+mit einer Miene, in der sich soviel Gutherzigkeit, soviel Sanftmut,
+brüderliche Liebe, so unaussprechliche Zärtlichkeit gegen ihn zeigte,
+daß es meinem Vater durchs Herz ging. Er stand hastig von seinem
+Stuhle auf und ergriff meines Onkels Toby beide Hände, als er sprach:
+»Bruder Toby, ich bitte um Verzeihung! Vergib mir, ich bitte dich,
+dieses auffahrende Wesen, das mir meine Mutter anerbte.« -- »Mein
+liebster, teuerster Bruder,« antwortete mein Onkel Toby, und richtete
+sich mit meines Vaters Hilfe vom Stuhle auf, »sprich nicht mehr davon.
+Ich kann es gerne leiden und wäre es zehnmal mehr, Bruder.« -- »Aber
+es ist ungroßmütig,« erwiderte mein Vater, »irgendeinen Menschen zu
+beleidigen, einen Bruder noch ärger. Aber einen Bruder zu beleidigen,
+der so gütig ist, der so wenig reizt, niemals ahndet, es ist
+schändlich. Wahrhaftig, es ist niederträchtig!« -- »Ich kann es gerne
+leiden, Bruder,« sagte mein Onkel Toby, »wär's auch fünfzigmal mehr
+gewesen!« -- »Überdem,« sagte mein Vater, »was habe ich mich um deinen
+Zeitvertreib und dein Vergnügen zu bekümmern, es sei denn, daß ich's in
+meiner Macht hätte, wie ich's nicht habe, ihr Maß zu vermehren.«
+
+»Bruder Shandy,« antwortete mein Onkel Toby, und sah ihm mit vieler
+Bedeutung ins Angesicht, »hierin irrst du dich sehr! Denn du vermehrst
+mein Vergnügen ungemein dadurch, daß du in deinem Alter die Shandysche
+Familie mit Kindern vermehrst.« -- »Dadurch, mein Herr,« sagte Doktor
+Slop, »vermehrt Herr Shandy sein eigenes.« -- »Nicht um ein Jota!«
+sagte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtzehntes Kapitel.
+
+
+»Mein Bruder tut es,« sagte mein Onkel Toby, »aus Grundsätzen.« -- »Des
+lieben Hausfriedens wegen, denke ich,« sagte Doktor Slop. -- »Pscha!«
+sagte mein Vater, »was wollen wir da viel von reden!«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunzehntes Kapitel.
+
+
+Obadiah gewann die zwei Gulden ohne Widerrede. Denn er trat mit dem
+grünen Filetbeutel, dessen wir schon erwähnt haben, und worin alle die
+Instrumente klirrten, wie mit einer Jägertasche über der Schulter ins
+Zimmer.
+
+»Mich dünkt,« sagte Doktor Slop und heiterte dabei seine Mienen auf,
+»es wird nun nachgerade Zeit sein, da wir uns jetzt imstande befinden,
+Madame Shandy hilfreiche Hand zu leisten, daß wir hinaufschicken und
+fragen lassen, wie es geht?«
+
+»Ich habe der alten Bademutter befohlen,« antwortete mein Vater, »daß
+sie gleich herunterkommen soll, sobald es ein wenig schwer geht. Denn
+Sie müssen wissen, Herr Doktor,« fuhr er mit einem eckigen Lächeln
+auf dem Gesicht fort, »daß Sie zufolge eines besonderen Traktats, der
+zwischen meiner Frau und mir feierlich ratifiziert ist, bei dieser
+Affäre bloß Hilfstruppe sind. Und das nicht einmal so völlig, wenn die
+alte magere Bademutter ohne Sie zurechtkommen kann. Weiber haben ihre
+eigenen Grillen, und bei Dingen von dieser Art, wo sie die ganze Last
+alleine tragen, und für das Beste der Familien und die Vermehrung der
+Welt so viel aushalten müssen, wollen sie sich das Recht nicht nehmen
+lassen, +en souveraines+ zu entscheiden, in wessen Hände sie
+fallen wollen und wie.«
+
+»Sie haben auch recht,« sagte mein Onkel Toby. -- »Aber mein Herr,«
+erwiderte Doktor Slop, welcher tat, als hörte er nicht, was mein Onkel
+Toby sagte, und sich an meinen Vater wandte, »sie täten besser, wenn
+sie in anderen Dingen herrschten. Und ein guter Hausvater, der gerne
+gesunde Kinder haben will, sollte sich dieses Recht abtreten lassen und
+ihnen dafür lieber irgendein anderes einräumen.« -- »Ich wüßte nicht,«
+sagte mein Vater, und antwortete ein wenig zu bitter, um ihn bei dem,
+was er sagte, für ganz gleichgültig zu halten, »was wir wohl gegen
+die Wahl, wer die Kinder holen soll, einzuräumen hätten.« -- »Alles
+sollte man lieber einräumen,« sagte Doktor Slop. -- »Um Vergebung --«
+antwortete mein Onkel Toby. -- »Sir,« versetzte Doktor Slop, »Sie
+würden erstaunen, wenn Sie wüßten, wie hoch es in den letzten Jahren in
+allen Zweigen der Geburtshilfe getrieben ist, besonders in dem einzigen
+Punkte, den Fötus behend und wohlbehalten zu extrahieren. Darüber ist
+ein solches Licht aufgegangen, daß ich für mein Teil bezeuge« -- hier
+hielt er beide Hände in die Höhe --, »daß ich nicht begreifen kann,
+wie die Weit noch --« -- »Ich wünschte,« fiel mein Onkel Toby ein,
+»Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in Flandern
+hatten.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Ich wünschte, Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby, und wiederholte
+seinen Wunsch für den Doktor Slop zum zweiten Male, und das mit mehr
+Eifer und Ernst in seiner Art zu wünschen, als er es zuerst gewünscht
+hatte, »Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in
+Flandern hatten.«
+
+Meines Onkels Toby Wunsch tat dem Doktor Slop einen Mißdienst, den sein
+Herz keiner lebendigen Seele zudachte. Denn, mein Herr, er machte ihn
+verwirrt. Er brachte anfänglich seine Ideen in Unordnung und darauf
+zur Flucht, so daß er solche nicht wieder in Reih' und Glied bringen
+konnte, er mochte es anfangen, wie er wollte.
+
+In allen Arten von Disputationen, männlichen oder weiblichen -- es sei
+um Ehre, um Brot oder um Liebe, das ändert in der Hauptsache nichts --,
+ist nichts gefährlicher, Madame, als wenn einem ein Wunsch auf diese
+unerwartete Art so ganz in die Quere auf die Haut fährt. Überhaupt
+ist der sicherste Weg für den bewünschten Teil, um den Wunsch in der
+Schwäche aufzufassen, den Augenblick sich zu erheben, auf beide Füße
+zu treten und dem Wünscher etwas von ungefähr ebendem Werte dagegen
+zu wünschen. Dadurch rechnen Sie stehenden Fußes ab, und die Sachen
+bleiben, wie sie waren, Sie können sogar zuweilen den Vorteil des
+Angriffs dadurch gewinnen.
+
+Der Doktor verstand nichts von der Art und Weise dieser Verteidigung.
+Er wurde dadurch außer aller Fassung gebracht, und die Disputation
+geriet vier ganze Minuten in ein völliges Stocken; fünf Minuten wären
+ihr tödlich gewesen. Mein Vater sah die Gefahr. Die Disputation war
+eine der wichtigsten Disputationen von der ganzen Welt: ob der Sohn
+seines Betens und Arbeitens mit oder ohne Kopf auf die Weit kommen
+sollte! -- Er wartete bis auf den letzten Augenblick, um dem Doktor
+Slop sein Recht, zu erwidern, zu lassen. Da er aber merkte, daß er
+irre geworden war, und fortfuhr, mit dem verstörten, bedeutungslosen
+Auge umherzusehen, womit gewöhnlich verblüffte Seelen herumzugaffen
+pflegen, erst in meines Onkels Toby Gesicht, dann in das seinige, dann
+auf, dann nieder, dann ostwärts, dann ostsüdwärts und so weiter an dem
+Gesimse der Wand herumspaziert bis an den gegenüberstehenden Punkt des
+Kompasses, und daß er wirklich schon angefangen hatte, die messingnen
+Tapetennägel an dem Arme seines Lehnstuhles zu zählen, da dachte mein
+Vater, es sei mit meinem Onkel Toby keine Zeit weiter zu verlieren und
+nahm also das Wort auf wie folgt.
+
+ [Illustration]
+
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Bruder Toby,« sagte mein Vater, »ich weiß, du bist ein so ehrlicher
+Mann und hast ein so gutes und aufrichtiges Herz, als jemals Gott
+erschaffen hat. Es ist auch deine Schuld nicht, wenn alle die
+Kinder, welche gezeugt worden sind, können, werden, mögen, sollen
+oder müssen mit dem Kopfe voran auf die Welt kommen; aber glaube es
+mir, lieber Toby, es ist schon genug an den Zufällen, welche ihnen
+unvermeidlicherweise über den Häuptern schweben, an den Gefahren und
+Widerwärtigkeiten, die unsere Kinder umgeben, nachdem sie ihren Weg auf
+die Welt gefunden haben, daß es gar nicht nötig ist, sie auf diesem
+Wege unnötigerweise noch neuen Gefahren bloßzustellen.« -- »Sind diese
+Gefahren,« sagte mein Onkel Toby, indem er seine Hand auf meines Vaters
+Knie legte und ihm ganz ernsthaft nach einer Antwort ins Gesicht sah,
+»heutzutage größer, Bruder, als vordem?« -- »Bruder Toby,« antwortete
+mein Vater, »wenn ein Kind nur redlicherweise gesund und lebendig auf
+die Welt kam, und sich die Mutter im Wochenbette wohl befand, weiter
+bekümmerten sich unsere Vorfahren um nichts.« -- Den Augenblick zog
+mein Onkel Toby seine Hand von meines Vaters Knie weg, lehnte sich ganz
+sanft in seinen Stuhl zurück, hob seinen Kopf so weit in die Höhe, daß
+er eben das Gesims des Zimmers sehen konnte, und alsdann brachte er in
+seinen Backen die Pfeifmuskeln und in seinen Lippen die Gewölbmuskeln
+in die gehörige Lage, um sein gewöhnliches Konzert anzufangen -- er
+pfiff seinen Regimentsmarsch.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Gott segne uns! Meine arme Herrschaft wird ganz ohnmächtig, und sie
+hat keine Wehen mehr, und die Tropfen sind alle geworden, und das
+Julepsglas ist entzweigebrochen, und die Wartefrau hat sich in den
+Arm geschnitten, und das Kind ist, wo's war, und die Bademutter ist
+rücklings übergeschlagen und mit den Lenden auf den Kaminherd gefallen,
+daß sie so schwarz sind, wie eine taube Kohle,« sagte Susanna. --
+»Ich will danach sehen,« sagte Doktor Slop. -- »Es ist nicht nötig,«
+versetzte Susanna, »sehen Sie nur nach meiner Herrschaft. Aber die
+Bademutter wollte Ihnen gerne erst Bescheid sagen, wie es steht, und
+läßt Ihnen sagen, Sie sollten gleich heraufkommen, daß sie mit Ihnen
+sprechen könnte.«
+
+Die menschliche Natur äußert sich auf gleiche Weise in allen
+Professionen.
+
+Eben vorher war die Hebamme dem Doktor Slop über den Kopf gesetzt
+worden. Das hatte er noch nicht verdaut. »Nein,« antwortete der
+Doktor, »es wäre wohl ebenso schicklich, wenn die Bademutter zu mir
+herunterkäme.« -- »Ich liebe die Subordination,« sagte mein Onkel
+Toby, »wenn die es nicht getan hatte, so weiß ich nicht, was nach der
+Einnahme von Lisle aus der Besatzung von Gant geworden sein möchte
+bei dem Brottumult Anno zehn.« -- »Ich ebensowenig,« versetzte Doktor
+Slop, und parodierte meines Onkels Toby steckenreiterische Anmerkung,
+obgleich er selbst ebensowohl auf seinem Steckenpferde saß. »Wüßte Herr
+Kapitän Shandy, was aus der Besatzung da über unserem Kopfe geworden
+sein möchte bei der Unordnung und dem Tumult, worin ich jetzt alles
+finde, täte es nicht die Subordination unter ***, die mir unter meinen
+jetzigen Umständen so glücklich zustatten kommt, sonst hätte es die
+Shandysche Familie fühlen können, solange sie Shandysche Familie
+heißt.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Laß uns zurückgehen zu den *** im vorigen Kapitel.
+
+Es ist ein besonderer Griff in der Redekunst -- zum wenigsten war es
+einer, da die Beredsamkeit zu Athen und Rom im Flor war, und würde
+es noch sein, wenn unsere Redner Mäntel trügen --, den Namen eines
+Dinges nicht zu nennen, wenn man das Ding selbst bei der Hand hatte,
+es husch vorzuweisen, gerade an dem Orte, wo es nötig war. Eine Wunde,
+eine Narbe, ein Schwert, ein durchlöchertes Gewand, ein blutiger
+Helm, anderthalb Pfund Pottasche in einer Urne, vor allen Dingen aber
+ein zartes Kind in königlichem Putze. Freilich, wenn's noch zu jung
+und die Rede so lang war, als Ciceros zweite Philippische, mußte es
+notwendig des Redners Mantel unsauber machen. Und wiederum, wenn es zu
+alt war, mußte es ihm beschwerlich fallen und seiner Aktion hinderlich
+sein, dergestalt, daß er durch das Kind ebensoviel verlor, wie er
+dadurch gewinnen konnte. Wenn aber ein politischer Redner das wahre
+Alter bis auf eine Minute richtig getroffen, -- sein Bambino so listig
+unter seinen Mantel verborgen hatte, daß keine sterbliche Nase es
+riechen konnte, -- und es da in einem so entscheidenden Augenblicke
+hervorbrachte, daß keine Seele sagen konnte, es würde bei den Haaren
+herbeigezogen, -- o, ihr Herren, da tat es Wunder! Es hat wohl eher die
+Geldbeutel einer halben Nation geöffnet, ihre Gehirne verrückt, ihre
+Grundsätze erschüttert und ihre Staatskunst aus der Angel gehoben.
+
+Solche Taten lassen sich jedoch nicht tun, außer, sage ich, in den
+Staaten und Zeiten, wo die Redner Mäntel trugen. Und zwar hübsch weite,
+meine lieben Brüder, von einigen dreißig oder vierzig Ellen gutem,
+aufrichtigem, superfeinem, rotem Scharlach, mit lang hingegossenen
+Falten, nach hoher, edler Zeichnung in der Draperie. Aus welchem
+allem, mit Euer Hochwohlgeboren gnädigen Erlaubnis, erhellet, daß der
+Verfall der Beredsamkeit an nichts anderem in der Welt liegt als an
+den kurzen Röcken. Unter den unserigen, Madame, können wir nichts mehr
+verbergen, das sich der Mühe verlohnte vorzuweisen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Es fehlte nur um ein Härchen, so wäre Doktor Slop eine Ausnahme von dem
+geworden, was ich hier alles vorgetragen habe; denn da er eben seinen
+grünen Filetbeutel vor sich auf den Knien liegen hatte, als er begann,
+meinen Onkel Toby zu parodieren, so war der für ihn so gut, wie der
+beste Mantel von der Welt. Wes Endes er dann, als er voraussah, seine
+Phrase würde mit seinem neu erfundenen Forceps endigen, seine Hand in
+den Beutel steckte, um solchen bereitzuhalten, an der Stelle damit
+hervorzuwischen, welches, wenn er es recht gemacht hätte, meinen Onkel
+Toby gewiß gesprengt haben würde. In dem Falle wäre der Satz und der
+Beweis in einem Punkte so fest ineinandergelaufen, wie die zwei Linien,
+welche die vorspringende Spitze eines Ravelins machen. Doktor Slop
+hätte sich gewiß herausgezogen, und mein Onkel Toby hätte ebenso leicht
+daran gedacht, zu fliehen, als es mit Sturm zu erobern. Aber Doktor
+Slop kramte so lange dabei, als er ihn herausnehmen wollte, daß die
+ganze Wirkung darüber verloren ging. Und was noch ein zehnmal größeres
+Unglück dabei war -- denn ein Unglück kommt selten allein --, sowie er
+den Forceps hervorzog, brachte er schändlicherweise auch die Spritze
+mit zum Vorschein.
+
+Wenn eine Proposition in zweierlei Sinn genommen werden kann, so ist
+es ein Gesetz in der Disputierkunst, daß der andere auf denjenigen von
+beiden antworten mag, der ihm gut oder zuträglich dünkt. Dies brachte
+den Vorteil des Arguments ganz auf meines Onkels Toby Seite. -- »Ach,
+lieber Gott,« rief mein Onkel Toby, »werden die Kinder mit einer
+Spritze auf die Weit gebracht?«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Bei meiner Ehre, Herr Doktor, Sie haben mir mit Ihrem Forceps die Haut
+von meinen beiden Händen rein abgerissen,« rief mein Onkel Toby, »und
+obendrein haben Sie mir alle Knöchel zu Brei gequetscht.« -- »'s ist
+Ihre eigene Schuld,« sagte Doktor Slop, »Sie hätten Ihre beiden Hände
+falten und halten sollen wie einen Kindeskopf, wie ich Ihnen sagte,
+und festsitzen.« -- »Das tat ich ja,« antwortete mein Onkel Toby. --
+»Ja, so müssen die Zähne meines Forceps nicht recht gefüttert oder das
+Niet zu locker sein, oder auch der Schnitt in meinen Daumen hat mich
+nicht recht ansetzen lassen, oder, es ist auch möglich --« -- »Ein
+Glück ist's,« sagte mein Vater und unterbrach das Herrechnen aller
+Möglichkeiten, »daß das Experiment nicht zuerst an meines Kindes Kopf
+gemacht ist.« -- »Das hätte ihm nicht soviel schaden sollen, als ich im
+Auge leiden kann,« antwortete Doktor Slop. -- »Ich behaupte es,« sagte
+mein Onkel Toby, »es hätte sein Zerebellum zerbrochen oder der Schädel
+hätte so hart sein müssen wie eine Granate, und ein ordentliches
+Pappmus daraus gemacht.« -- »Warum nicht gar!« versetzte Doktor Slop;
+»ein Kindskopf ist von Natur so weich wie ein gebratener Apfel. Die
+Suturen geben nach. Und überdem hätte ich's auch hernach bei den Füßen
+holen können.« -- »Das sollen Sie wohl bleiben lassen,« sagte Susanna.
+-- »Ich wünschte lieber, daß Sie den letzten Weg gleich einschlügen,«
+sagte mein Vater.
+
+»O tun Sie doch das,« setzte mein Onkel Toby hinzu.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Es ist zwei Stunden und zehn Minuten, und länger nicht,« schrie mein
+Vater, wobei er auf die Uhr sah, »seitdem Doktor Slop und Obadiah
+angekommen sind. Und ich weiß nicht, Bruder Toby, wie es zugeht, aber
+meinen Gedanken kommt's fast wie hundert Jahre vor.«
+
+Da, mein Herr, nehmen Sie, ich bitte, meine Kappe. Ja, die Schelle nur
+auch, und meine Pantalonsschuhe dazu.
+
+Nun sehen Sie, mein Herr, es steht alles zu Ihrem Dienst. Und es soll
+Ihnen geschenkt sein, wenn Sie mir alle Ihre Aufmerksamkeit für dieses
+Kapitel leihen wollen.
+
+Obgleich mein Vater sagte, er wüßte nicht, wie es zuginge, so wußte
+er doch recht gut, wie es zuging. Und den Augenblick, da er es
+sagte, war er schon in seinem Sinne entschlossen, meinem Onkel Toby
+eine metaphysische Dissertation über die Dauer und ihre simplen
+Modifikationen zu halten, um ihm die Sache klarzumachen und ihm zu
+beweisen, durch welchen Mechanismus und Maßstab im Gehirn es geschehen,
+daß die schnell abwechselnde Folge ihrer Ideen und das beständige
+Überhüpfen ihres Gespräches von einer Sache zur anderen, seitdem Doktor
+Slop zu ihnen ins Zimmer gekommen, eine so kurze Zeit zu einer so
+unbegreiflichen Länge habe ausdehnen können. -- »Ich weiß nicht, wie es
+zugeht,« sagte mein Vater, »aber es kommt mir vor wie hundert Jahre.«
+
+»Das kommt bloß von der Folge unserer Ideen,« sagte mein Onkel Toby.
+
+Mein Vater hatte mit allen Philosophen den Kitzel gemein, über
+alles, was ihm vorkam, zu philosophieren und das Warum zu beweisen.
+Er versprach sich also ein unendliches Vergnügen von seiner
+Dissertation über die Sukzession der Ideen, und dachte meilenweit
+nicht daran, daß mein Onkel Toby ihm Solche vorm Maule wegnehmen
+würde, der gewöhnlich -- die ehrliche Seele! -- jedes Ding so nahm,
+wie es vorkam, und unter allen Menschen in der Welt sein Gehirn am
+wenigsten mit abstraktem Denken marterte. Die Ideen von Zeit und
+Raum, oder wie wir zu diesen Ideen kommen, oder aus was für Stoff
+solche geschnitten sind, oder ob sie uns angeboren sind, oder ob wir
+solche hernach erst aufsammeln, oder ob wir das tun, wenn wir noch im
+Kinderröckchen gehen, oder erst, wenn wir Beinkleider bekommen haben,
+nebst tausend anderen Untersuchungen und gelehrten Fragen über das
+~Unendliche~, die ~vorherbestimmte Harmonie~, den ~freien Willen~, die
+~unbedingte Notwendigkeit~ und dergleichen, über deren verzweifelte und
+unauflösbare Theorien so mancher feine Kopf vor die Hunde gegangen ist,
+taten meines Onkels Toby Kopfe nicht den geringsten Schaden. Mein Vater
+wußte das und erstaunte daher nicht weniger über seine Antwort, als er
+darüber betroffen war.
+
+»Weißt du denn die Theorie von den Ideen?« versetzte mein Vater.
+
+»Gar nicht,« sagte mein Onkel.
+
+»Du hast aber doch einige Ideen,« sagte mein Vater, »von dem, worüber
+du sprichst.«
+
+»Ebensowenig wie mein Pferd,« versetzte mein Onkel Toby.
+
+»O lieber Himmel,« rief mein Vater, wobei er die Augen gen Himmel
+richtete und seine beiden Hände zusammenschlug, »in deiner
+unschuldigen Unwissenheit, Bruder Toby, liegt eine solche Würde, daß
+es fast schade ist, dich herauszureißen. Ich will dir aber sagen: um
+richtig zu verstehen, was die Zeit ist, ohne welches wir niemals das
+begreifen können, was man unendlich nennt, weil die eine ein Teil des
+anderen ist, müssen wir sorgfältig untersuchen, was das für eine Idee
+sei, die wir von der Dauer haben, bis wir genaue Rechenschaft geben
+können, wie wir dazu gelangt sind.« -- »Wem in der Welt geht das was
+an?« sagte mein Onkel Toby. -- »~Denn wenn du deine Augen auf das
+Innere deiner Gedanken richtest~,« fuhr mein Vater fort, »~und
+solche aufmerksam beobachtest, so wirst du gewahr werden, Bruder,
+daß, derweile du und ich hier sprechen und denken und unsere Pfeife
+rauchen, oder wir auf eine andere Art nach und nach Ideen in unsere
+Seelen bekommen, wir uns bewußt sind, daß wir da sind. Und wenn wir
+die Dauer oder die Währung unseres eigenen Daseins oder eines jeden
+anderen Dinges nach dem Maßstabe der Ideen in unserer Seele schätzen
+und messen, so folgt aus diesem Vorsatze~ --« -- »Du machst, daß mir
+der Kopf schwindelt,« rief mein Onkel Toby.
+
+»Nun ist, wir mögen es bemerken oder nicht,« fuhr mein Vater fort, »in
+dem Kopfe eines jeden gesunden Menschen eine regelmäßige Folge der
+Ideen einer oder der anderen Art, welche aufeinander folgen wie --« --
+»ein Artilleriezug?« sagte mein Onkel. -- »Warum nicht gar Leichenzug!«
+sagte mein Vater leise. »Welche in unserer Seele in gewissen Abständen
+aufeinander folgen wie die Bilder in der inwendigen Seite einer
+Laterne, die von der Wärme eines Lichts gedreht werden.« -- »Ich
+versichere dich,« sagte mein Onkel Toby, »meine drehen sich wie eine
+Rauchfahne.« -- »Wenn das ist, Bruder Toby, so habe ich dir über diese
+Materie weiter nichts zu sagen,« versetzte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Obgleich mein Vater darauf beharrte, das Gespräch nicht fortzusetzen,
+so konnte er doch meines Onkels Toby Rauchfahne nicht aus dem Kopfe
+bringen. So sehr er sich auch anfangs darüber ärgerte, im Grunde
+steckte etwas in der Vergleichung, die seine Einbildungskraft in
+Gang brachte. Deswegen stützte er seinen Ellenbogen auf den Tisch
+und die rechte Seite seines Kopfes mit der flachen Hand und -- erst
+aber sah er starr ins Feuer --, begann für sich selbst zu denken
+und darüber zu philosophieren. Da aber seine Lebensgeister von der
+Arbeit, neue Gedanken auszuspähen, und der beständigen Anstrengung
+seines Nachdenkens über die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die im
+Gespräch vorgefallen waren, erschöpft worden, so drehte die Idee von
+der Rauchfahne alle seine Ideen sehr bald über und über und er fiel in
+Schlaf, ehe er's noch merkte.
+
+Meines Onkels Toby Rauchfahne hatte sich noch kein dutzendmal
+herumgedreht, als auch er einschlief. Ich wünsche beiden wohl zu ruhen!
+Doktor Slop hat oben mit der Hebamme und meiner Mutter zu schaffen.
+Trim hat beide Hände voll damit zu tun, daß er aus einem Paar alter
+steifer Reitstiefel ein Paar Mörser macht, die nächsten Sommer bei der
+Belagerung von Messina gebraucht werden sollen, und bohrt ebendiesen
+Augenblick mit einem glühenden Feuerstocher die Zündlöcher hinein.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Jeden Tag, seit wenigstens zehn ganzen Jahren, beschloß mein Vater,
+es ändern zu lassen. Noch ist's nicht geändert. In keinem anderen
+Haushalt als dem unsrigen hätte man es eine Stunde geduldet. Und was
+Sie noch mehr wundern wird, in keiner Sache von der Welt war mein Vater
+eigener als in Tür und Angel. Und nichtsdestoweniger war er sicherlich,
+nach meiner Meinung, einer von denen, die am meisten dadurch gelitten
+haben. Seine Theorie und seine Praxis lagen sich hierüber beständig
+in den Haaren. Die Stubentüre konnte nicht aufgehen, ohne daß seine
+Philosophie oder seine Grundsätze eine Ohrfeige bekamen. Drei Tropfen
+Öl auf einer Feder und ein guter Schlag mit einem Hammer hätten seine
+Ehre auf einmal gerettet.
+
+Was ist der Mensch für ein widersinniges Ding! Er kränkelt an Wunden,
+die es nur bei ihm steht zu heilen! Sein ganzes Leben ein Widerspruch
+seines besseren Wissens! Seine Vernunft, diese ihm von Gott geschenkte
+teure Gabe -- anstatt Öl zur Linderung aufzugießen -- dient ihm bloß,
+ihre Reizbarkeit zu erhöhen, ihre Schmerzen zu vervielfältigen und ihn
+dabei ungeduldiger und trauriger zu machen. -- Warum, unglückliches
+Geschöpf, bist du so! Ist's nicht genug an den unvermeidlichen Übeln
+dieses Lebens, mußt du denn den Haufen deiner Bekümmernisse noch
+freiwilligerweise vermehren! Da kämpft er gegen Übel an, die nicht zu
+vermeiden sind, und unterwirft sich anderen, welche ein Zehntel von
+der Mühe, die sie ihm machen, ein für allemal von seinem Herzen wälzen
+könnte.
+
+Bei allem, was gut und tugendhaft ist, wenn innerhalb zwanzig Meilen in
+der Runde um Shandy-Hall noch drei Tropfen Öl und ein Hammer zu finden
+sind, so soll die Haspe an der Tür geändert werden. Noch unter dieser
+Regierung!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Als Korporal Trim seine beiden Mörser beschickt hatte, freute er sich
+über die Maßen über das Werk seiner Hände. Und wohl wissend, was es
+seinem Herrn für Vergnügen machen würde, sie zu sehen, konnte er dem
+Verlangen unmöglich widerstehen, solche stehenden Fußes nach seinem
+Zimmer zu bringen.
+
+Außer dem moralischen Satze, auf welchen ich bei Erwähnung der Tür und
+Angel anspielte, hatte ich auch eine spekulative Betrachtung auf dem
+Korn, die daraus entspringt, und das ist diese:
+
+Wäre die Türe aufgegangen und die Haspe in der Angel gelaufen, wie
+Türen eigentlich tun sollten.
+
+Oder zum Beispiel ebenso willig wie unsere Regierung -- das ist, wenn
+Euer Hochwohlgeboren von ihr haben, was Sie wünschen, sonst will ich
+mein Gleichnis lassen. -- In dem Falle, sage ich, wäre bei Korporal
+Trims Eintreten keine Gefahr weder für den Herrn noch den Bedienten
+gewesen. Im Augenblick, da er gesehen hätte, daß mein Vater und mein
+Onkel Toby fest schliefen -- so ehrerbietig war er in seinem Betragen
+--, wäre er mäuschenstill fortgegangen und hätte sie beide in ihren
+Lehnstühlen so süß fortträumen lassen, wie er sie gefunden. Das war
+aber, menschlicherweise davon zu sprechen, so unmöglich, daß während
+der vielen Jahre, da man diese Tür so hatte weiterknarren lassen, und
+unter den vielen Verdrießlichkeiten, die sich mein Vater dadurch zuzog,
+unter andern war auch diese, daß er niemals seine Arme übereinander
+schlug, um sein bißchen Mittagsruhe zu halten, ohne daß der Gedanke,
+daß ihn der erste beste, der die Tür aufmachte, unvermeidlich wecken
+müßte, ihm immer im Kopfe herumlief, und sich so stracks zwischen ihn
+und den ersten balsamischen Vorgeschmack des Schlafes drängte, daß er
+ihm, wie er oft bezeugte, alle seine Annehmlichkeiten raubte.
+
+Wie kann's, mit Euer Exzellenz Erlaubnis, anders sein, wenn die Sachen
+auf schlechten Angeln laufen?
+
+»Nun, was gibt's? Wer ist da?« rief mein Vater, der den Augenblick
+aufwachte, als die Türe zu knarren begann. »Ich wollte doch wohl
+einmal, daß der Schmied nach der vertrackten Türe sähe!« -- »'s
+ist nichts, gnädiger Herr,« sagte Trim, »als zwei Mörser, die ich
+hereinbringe.« -- »Ich will hier keinen Lärm haben,« sagte mein Vater
+hastig. »Wenn Doktor Slop Spezereien zu stampfen hat, so mag er's in
+der Küche tun.« -- »Mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim, »es sind
+zwei Bombenmörser, zu einer Belagerung auf nächsten Sommer, die ich aus
+einem Paar steifer Reitstiefel gemacht habe. Obadiah hat mir gesagt,
+Euer Gnaden brauchten sie nicht mehr.« -- »Hol's der Teufel,« schrie
+mein Vater und sprang fluchend vom Stuhle auf. »Unter aller meiner Fahr
+und Habe ist mir nichts lieber und teurer, als diese Steifstiefel,
+sie kommen noch von unserem Großvater her, Bruder Toby. Es waren
+Erbstücke.« -- »Ja, so tut mir's leid,« sagte mein Onkel Toby, »daß
+Trim sie vom Hauptgute getrennt hat.« -- »Ich habe nichts aufgetrennt,
+gnädiger Herr,« sagte Trim, »ich habe nur die Stulpen abgeschnitten.«
+-- »Ich kann alte Dinge ebensowenig leiden, wie ein anderer,« sagte
+mein Vater; »aber diese Steifstiefel,« fuhr er fort, wobei er bitter
+lächelte, »Bruder, sind seit dem letzten Rebellenkriege beständig bei
+der Familie gewesen. Sir Roger Shandy trug sie in der Schlacht bei
+Marstonmoor. Ich versichere dich, ich hätte sie nicht für zehn Louisdor
+gegeben.« -- »Ich will dir das Geld geben, Bruder Shandy,« sagte
+mein Onkel Toby, betrachtete dabei die beiden Mörser mit unendlichem
+Vergnügen und fuhr mit der Hand nach der Geldtasche, wie er sie ansah.
+»Von Herzen gerne will ich dir den Augenblick das Geld dafür bezahlen.«
+--
+
+»Bruder Toby,« versetzte mein Vater mit veränderter Stimme, »du
+bekümmerst dich nicht, was du für Geld verschleuderst und wegwirfst,
+wenn's nur für eine Belagerung ist.« -- »Habe ich nicht jährlich
+hundertundvierzig Louisdor Renten und meine Pension dazu?« rief mein
+Onkel Toby. -- »Was verschlägt das,« versetzte mein Vater hastig,
+»wenn du zehn Pistolen für ein Paar alte Stiefel gibst, zwölfe für
+deine Pontons und halb soviel für deine holländische Zugbrücke,
+geschweige des kleinen Artillerietrains von messingenen Kanonen, die
+du vorige Woche bestellt hast, nebst zwanzig anderen Zurüstungen für
+die Belagerung von Messina, mehr. -- Glaube mir, liebster Bruder
+Toby,« fuhr mein Vater fort, und nahm ihn dabei ganz freundlich bei
+der Hand, »diese deine Kriegsoperationen übersteigen deine Kräfte. Du
+meinst es gut, Bruder, aber sie verleiten dich zu stärkeren Ausgaben
+als du anfangs gedacht hast. Und verlaß dich auf das, was ich sage,
+lieber Toby, sie werden dich endlich noch um all das Deinige und an den
+Bettelstab bringen.« -- »Je nun, Bruder, was wär's denn nun auch mehr,«
+versetzte mein Onkel Toby, »solange wir wissen, daß es zum Besten
+unseres Vaterlandes geschieht.«
+
+Mein Vater mußte lächeln, wenn er auch nicht gewollt hätte. Sein Zorn
+war allemal höchstens nur Knallpulver, und Trims Dienstfertigkeit und
+Einfalt und die großmütige, obgleich steckenreiterische Gesinnung
+meines Onkels Toby söhnte sie augenblicklich beide wieder mit ihm aus.
+
+»Großmütige Seelen! -- Gott erhalte euch und eure Bombenmörser dazu,«
+sagte mein Vater bei sich selbst.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreißigstes Kapitel.
+
+
+»Nun ist alles ruhig und still,« rief mein Vater, »da oben wenigstens.
+Ich höre keinen Menschen mehr gehen. Sage Er mir doch, Trim, wer
+ist in der Küche?« -- »In der Küche ist niemand,« antwortete Trim
+und machte dabei seinen tiefen Bückling, »außer Doktor Slop.« --
+»Verdammt!« schrie mein Vater und hob sich abermals auf die Füße.
+»Diesen Tag geht doch nicht das geringste seinen ordentlichen Gang.
+Wenn ich an die Sterndeuterei glaubte, Bruder -- welches mein Vater,
+unter uns gesagt, tat --, so möchte ich schwören, daß irgendein Planet
+im Zeichen des Krebses über meinem unglücklichen Hause hinge, und jedes
+Ding darin verkehrt gehen ließe. Wie? ich dachte, Doktor Slop wäre oben
+bei meiner Frau, und da sagt Er -- -- Was hat der Patron in der Küche
+zu suchen?« -- »Ja, wenn's Euer Gnaden nicht übelnehmen wollen, er ist
+dabei und macht eine Brücke.« -- »Das ist doch sehr gütig von ihm,«
+sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine schönste Empfehlung, Trim,
+und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm von Herzen danke.«
+
+Sie müssen wissen, daß mein Onkel Toby ebensoweit an der richtigen
+Brücke vorbeischoß, als mein Vater an den Mörsern. Um aber zu
+verstehen, wie mein Onkel Toby die Brücke verfehlen konnte, fürchte
+ich, muß ich Ihnen wohl eine genaue Nachricht von dem Wege geben,
+der dahin führte. Oder ich will den Vergleich fahren lassen -- denn
+einem Geschichtschreiber ist nichts unanständiger, als wenn er welche
+gebraucht --. Um die Möglichkeit richtig zu begreifen, wie mein Onkel
+Toby sich darin irren konnte, muß ich Ihnen etwas Nachricht von einem
+von Trims Abenteuern erteilen, so ungern ich auch wollte. Ich sage, so
+ungern ich auch wollte, weil die Geschichte hier gar nicht an ihrem
+rechten Orte steht. Denn eigentlich sollte sie erst da vorkommen, wo
+ich die Anekdoten von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten mit der
+Witwe Wadmann erzähle, wobei Trim keine unbeträchtliche Rolle spielt.
+Oder auch in der Mitte der Feldzüge, die er mit meinem Onkel Toby auf
+dem grünen Spielplatze tat. Allein, wenn ich sie bis zu einem von
+diesen Teilen meiner Historie aufspare, so entsteht eine Lücke in der
+Historie, die ich eben vor mir habe. Und erzähle ich's hier, so mähe
+ich mein Korn grün und tu meiner Geschichte dort Schaden.
+
+Was raten mir Euer Hochweisheiten, was soll ich hier tun? --
+
+Erzählen Sie ja gleich, Herr Shandy. -- Tristram, du bist nicht klug,
+wenn du's tust!
+
+O, ihr Mächte! -- denn Mächte seid ihr, und hohe dazu -- welche den
+unsterblichen Menschen das Vermögen verleihen, eine Historie zu
+erzählen, die des Hörens wert sei, die ihr ihm freundlich weiset, wo
+er anfangen muß und wo aufhören, was er hineinbringen muß und was
+herauslassen, wieviel er davon in Schatten zu bringen hat, und wohin
+er seine Lichter verteilen soll! Ihr, die ihr dem weiten Reiche der
+biographischen Freibeuter vorsteht, und die mancherlei Not und Kummer
+seht, in welche eure Untertanen täglich und stündlich geraten, wollt
+ihr mir eins zu Gefallen tun?
+
+Ich ersuche und bitte euch -- falls ihr nichts Besseres für uns tun
+wollt -- wenn es sich so gebührt und zuträgt, daß in eurem Gebiete drei
+Wege sich kreuzen, wie hier eben geschehen ist, so laßt doch wenigstens
+einen Wegweiser auf den Scheideweg setzen, aus bloßer Barmherzigkeit,
+einem armen Tropf zu raten, welchen von den dreien er nehmen soll.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Obgleich der Stoß, den mein Onkel Toby das Jahr nach der Scheidung von
+Dünkirchen in seiner Affäre mit der Witwe Wadmann erlitt, ihn in dem
+Vorsatze bestärkt hatte, niemals wieder an das schöne Geschlecht, noch
+an irgend etwas, das dazu gehörte, zu denken, so hatte doch Korporal
+Trim kein solches Bündnis mit sich selbst gemacht. In der Tat war bei
+meines Onkels Toby Begebenheit ein sonderbarer und unbegreiflicher
+Zusammenfluß von Umständen, die ihn unvermerkt leiteten, die schöne und
+starke Zitadelle von einem Weib zu belagern. Trims Begebenheit war kein
+Zusammenfluß von irgend etwas in der Welt, als von ihm und Brigitten in
+der Küche. Doch war, die Wahrheit zu sagen, die Liebe und Ehrerbietung,
+die er gegen seinen Herrn hegte, so groß, und so gern ahmte er ihn
+in allem, was er tat, nach, daß hätte mein Onkel Toby sein Genie und
+seine Zeit darauf verwendet, Spitzen zu klöppeln, ich bin versichert,
+der ehrliche Korporal hätte seine Waffen niedergelegt und wäre seinem
+Beispiel mit Vergnügen gefolgt. Jedesmal, wenn also mein Onkel Toby
+sich bei der Herrschaft setzte, nahm Trim flugs seinen Posten bei der
+Kammerjungfer.
+
+Nach einer ganzen Kette von Angriffen und Verteidigungen während neun
+ganzer Monate, die meines Onkels Toby Belagerung dauerte, wovon alle
+Umstände am gehörigen Ort aufs treulichste erzählt werden sollen, hielt
+es mein ehrlicher Onkel Toby für ratsam, seine Truppen zurückzuziehen
+und die Belagerung mit einigem Verdrusse aufzuheben.
+
+Korporal Trim, wie gesagt, hatte kein solches Bündnis, weder mit sich
+selbst noch mit andern, gemacht. Da ihm die Treue seines Herzens
+indessen nicht erlaubte, in einem Hause aus und ein zu gehen, das sein
+Herr mit Widerwillen verlassen hatte, so begnügte er sich damit, daß er
+seinen Teil der Belagerung in eine Blockade verwandelte. Das heißt, er
+hielt andere entfernt. Denn ob er gleich hernach niemals in ihr Haus
+ging, ward er doch auch seiner Brigitte niemals im Dorfe ansichtig,
+ohne daß er ihr zunickte, zulächelte, winkte oder sie freundlich ansah.
+Und wenn's die Gelegenheit gab, faßte er sie bei der Hand oder fragte
+sie ganz verliebt, wie's ihr ginge. Oder er schenkte ihr ein Band, oder
+zuweilen, doch niemals, als wenn's mit Dekorum geschehen konnte, gab
+er ihr -- --
+
+Genau in dieser Lage befanden sich die Sachen fünf Jahre hindurch, vom
+Jahre 1713 an, da Dünkirchen geschleift wurde, bis gegen das Ende des
+Feldzugs meines Onkels Toby, 1718, ungefähr sechs oder sieben Wochen
+vor der Zeit, von der ich spreche. Als Trim, nach seiner Gewohnheit,
+nachdem er meinen Onkel Toby zu Bett gebracht hatte, an einem
+mondhellen Abend hinunterging, um zuzusehen, ob in seiner Fortifikation
+noch alles richtig stünde, spionierte er auf der Wiese, die von dem
+Spielplatze mit grünen Hecken abgesondert war, seine Brigitta aus.
+
+Da der Korporal glaubte, es sei in der ganzen Welt nichts so
+sehenswürdig wie die herrlichen Werke, die er und mein Onkel Toby
+miteinander gemacht hatten, so nahm er sie höflich und mutig bei
+der Hand und führte sie hinein. Dies geschah nicht so heimlich, daß
+es nicht die plapperhafte Trompete der Fama so lange von Ohr zu Ohr
+herumgetragen hätte, bis es endlich wohl an meinen Vater gelangen
+mußte, zugleich mit dem ungünstigen Umstande, daß meines Onkels Toby
+hübsche Zugbrücke, die nach holländischer Manier gebaut und bemalt war
+und ganz über den Graben reichte, in ebender Nacht zerbrochen und,
+der Himmel weiß wie, in tausend Stücke zersplittert worden war. Mein
+Vater, wie Sie bemerkt haben, hatte eben nicht viel Hochachtung für
+meines Onkels Toby Steckenpferd. Er hielt es für das lächerlichste
+Hotthott, das nur jemals ein Kavalier geritten, und konnte niemals
+daran denken, mein Onkel mußte ihm denn eben damit in die Quere reiten,
+ohne zu lächeln. Es konnte also niemals lahm werden oder ihm sonst
+ein Zufall zustoßen, oder es kitzelte meines Vaters Gedanken über die
+Maßen. Allein dies hier war ein Zufall, der seinem Herzen sanfter tat
+als alle, die ihm noch begegnet waren, und er wußte sich eine Freude
+damit zu machen, so oft er wollte. -- »Gut, und nicht allzugut, lieber
+Toby,« pflegte er zu sagen, »erzähle uns doch, wie ging's denn mit der
+Brücke eigentlich zu?« -- »Wie kannst du mich nur so damit zerren,«
+pflegte wohl mein Onkel Toby zu antworten. -- »Ich habe es ja wohl
+zwanzigmal schon erzählt, Wort für Wort, wie ich's von Trim weiß!« --
+»Nun, wie war's denn, Korporal?« rief dann mein Vater und wendete sich
+an Trim. -- »Es war ein reines Unglück, wenn's Euer Gnaden verzeihen,
+ich zeigte Brigitte unsere Befestigungen. Und als ich so zu nahe an
+den Rand des Grabens kam, rutschte ich unglücklicherweise hinein.« --
+»Ei, hübsch, Trim!« rief dann mein Vater, wobei er schalkhaft lächelte
+und mit dem Kopfe nickte, ohne ihn zu unterbrechen. »Und da ich mit
+Euer Gnaden Wohlnehmen die Brigitte fest in meinen Armen hielt, zog
+ich sie so mit mir, und da fiel sie rücklings über, gegen die Brücke.«
+-- »Und da Trim mit seinem Fuße,« rief mein Onkel Toby und nahm ihm
+die Historie vorm Maule weg, »in die Verschanzung geriet, taumelte er
+auch gegen die Brücke. -- Es war ein großes Glück,« pflegte mein Onkel
+hinzuzusetzen, »daß der arme Mensch kein Bein brach.« -- »Ja wohl, ja
+wohl!« pflegte mein Vater zu sagen. »Ein Bein ist leicht gebrochen,
+Bruder! besonders in solchen Fällen!« -- »Und also brach die Brücke,
+die, mit Euer Gnaden Erlaubnis, nur dünn gemacht war, zwischen uns
+entzwei und ging in tausend Stücke.«
+
+Mein Onkel Toby versuchte es niemals, sich gegen den Angriff dieses
+Spotts mit etwas anderem zu wehren, als daß er noch einmal so geschwind
+aus seiner Tabakspfeife dampfte, wodurch er eines Abends eine so
+dicke Wolke machte, daß mein Vater, der ein wenig zur Schwindsucht
+geneigt war, darüber einen erschrecklichen Anfall von Husten bekam.
+Mein Onkel Toby sprang auf, ohne der Schmerzen an seinem Latzbeine zu
+achten, und mit unendlichem Mitleid stand er bei seines Bruders Stuhl,
+klopfte ihm mit einer Hand den Rücken und hielt ihm mit der andern den
+Kopf. Und von Zeit zu Zeit wischte er ihm die Augen mit einem reinen
+holländisch-leinenen Tuche, das er aus der Tasche zog. Die herzlich
+liebevolle Art, womit mein Onkel Toby diese kleinen Dienste leistete,
+durchdrang meinen Vater bis in sein innerstes Eingeweide über den
+Verdruß, den er ihm eben gemacht hatte. Eher soll man mir das Gehirn
+mit einem Mauerbrecher oder gleichviel womit ausstoßen, sagte mein
+Vater zu sich selbst, ehe ich dieser ehrlichen Seele wieder spotte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Als Trim hereinkam und meinem Vater sagte, daß sich Doktor Slop in
+der Küche damit beschäftige, eine Brücke zu machen, war mein Onkel
+Toby -- die Geschichte mit den Steifstiefeln hatte eben eine Reihe
+von Kriegsideen in seinem Gehirn in Gang gebracht -- der Meinung, daß
+Doktor Slop ein Modell von des Marquis d'Hopitals Brücke machte. »Das
+ist doch sehr gütig von ihm,« sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine
+schönste Empfehlung, Trim, und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm
+von Herzen danke.«
+
+Wäre meines Onkels Toby Kopf ein Raritätenkasten gewesen, und hätte
+mein Vater beständig durchs Glas hineingeschaut, so hätte es ihm
+von dem, was in meines Onkels Toby Hirn herumarbeitete, keinen
+deutlicheren Begriff machen können, als er schon ohnedies hatte. Trotz
+des Mauerbrechers und der heftigen Verwünschungen, die ihm solche
+Hirngespinste schon abgelockt hatten, wollte er eben triumphieren, als
+Trims Antwort plötzlich den Lorbeer von seiner Schläfe und in Stücke
+riß.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiunddreißigstes Kapitel.
+
+
+»Mit eurer verwünschten Zugbrücke!« sagte mein Vater. »Mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, 's ist eine Brücke in unseres jungen Junkers Nase. Als er
+ihn mit seinem verdammten Klimperkrame auf die Welt geholt hat, so hat
+er ihm die Nase zerdrückt, daß sie so platt in seinem Angesichte ist,
+sagt Susanna, wie ein Pfannkuchen. Nun macht er von einem Lappen Kattun
+und einem Stückchen Fischbein aus Susannens Schnürleibe eine falsche
+Brücke, die sie wieder aufrichten soll.«
+
+»O, Bruder Toby, komm, führe mich sogleich nach meiner Kammer!«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Von dem ersten Augenblicke an, da ich mich hinsetzte, mein Leben
+zum Vergnügen der Welt und meine Meinungen zu ihrer Belehrung
+aufzuschreiben, hat sich unvermerkt eine Wolke über meinem Vater
+zusammengezogen. Eine Flut von Übeln und Widerwärtigkeiten hat sich
+gegen ihn gehäuft. Nicht das allergeringste, wie er selbst bemerkt, ist
+richtig gegangen, und nun ist das Gewitter reif und wird mit aller Wut
+über seinem Haupte ausbrechen.
+
+Ich gehe an diesen Teil meiner Geschichte mit einem so schweren und
+melancholischen Gemüte, das nur je eine sympathische Seele empfunden
+hat. Meine Nerven werden schlaff, indem ich's erzähle. Bei jeder Zeile,
+die ich schreibe, fühle ich, daß die Lebhaftigkeit meines Pulses sinkt,
+und die sorglose Munterkeit, die mich sonst jeden Tag meines Lebens
+antreibt, tausend Dinge zu sagen und zu schreiben, die ich nicht sagen
+und schreiben sollte. Und in diesem Augenblick, wie ich gerade meine
+Feder in die Tinte tauchte, fiel mir's recht aufs Herz, mit was für
+einer behutsamen Art von kummervoller Bedächtigkeit und Feierlichkeit
+das geschah. Himmel! wie verschieden von dem schnellen Zufahren und
+dem hitzigen Ausspritzen, das du sonst gewohnt bist, Tristram! -- in
+anderer Laune. Wenn du die Feder niederwirfst und deine Tinte auf
+deinem Tische und deinen Büchern herumkleckst, als ob deine Feder und
+deine Tinte, deine Bücher und deine Möbel dich kein Geld kosteten.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Ich will mich bei langen Beweisen nicht aufhalten. Es ist erwiesen,
+und ich bin davon überzeugt, Madame, so lebhaft als möglich, daß
+beides, Mann und Weib Schmerzen oder Kummer, und, soviel ich weiß, auch
+Vergnügen, in einer horizontalen Lage am besten ertragen.
+
+Sobald mein Vater auf seine Kammer kam, warf er sich der Quere
+nach über das Bett, mit dem heftigsten Unmut, der sich nur denken
+läßt. Dabei aber in der kläglichsten Stellung eines von Kummer
+niedergeschlagenen Mannes, über den jemals das Mitleid eine Träne
+geweint hat. Seine rechte flache Hand empfing, wie er aufs Bett fiel,
+seinen Vorderkopf, bedeckte größtenteils seine beiden Augen. Dann sank
+er sachte nieder mit dem Kopfe (sein Ellenbogen wich hinterwärts), bis
+er mit der Nase das Kopfkissen berührte. Seine linke Hand hing schlaff
+über den Bettrand, die Faust kam auf den Henkel eines Kammertopfes zu
+liegen, der unter dem Bettschurze hervorguckte. Sein rechtes Bein,
+das linke hatte er an den Leib gezogen, hing halb über den Bettrand,
+mit dem Schienbeine auf der Kante des Bretts. Er fühlte es nicht. Ein
+tiefer eingewurzelter Kummer nahm seinen Sitz auf jedem Zuge seines
+Gesichts. Einmal seufzte er, seine Brust hob sich oft, sprach aber kein
+Wort.
+
+Ein alter, auf Tapetenart gestickter Stuhl, mit abgebleichten,
+verwitterten Fransen besetzt, stand am Kopfe des Bettes der Seite
+gegenüber, wo meines Vaters Haupt hing. Mein Onkel Toby setzte sich
+hinein.
+
+Ehe eine Betrübnis ganz verdaut ist, kommt das Trösten immer zu früh,
+und ist sie verdaut, kommt's zu spät. Sie sehen also, Madame, daß
+zwischen beiden Grenzen eine fast haarfeine Linie liegt, die ein
+Tröster zu fassen wissen muß. Mein Onkel Toby griff beständig entweder
+diesseits oder jenseits fehl und pflegte oft zu sagen, er glaubte, daß
+er ebensoleicht die Meereslänge erwischen könnte. Deshalb zog er, als
+er sich in den Stuhl setzte, den Vorhang ein wenig weiter zu, und,
+wie er immer für jedermann eine Träne bereit hatte, zog er ein weißes
+Taschentuch hervor, holte einen tiefen Seufzer und -- sagte kein Wort.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsunddreißigstes Kapitel.
+
+
+»Es ist nicht alles Gewinn, was in die Kasse fällt.« Und ob also mein
+Vater gleich das Glück hatte, die ältesten Bücher von der Welt zu
+lesen, und dazu an und für sich selbst die eigenartigste Denkungsart
+besaß, womit nur ein Sterblicher beseligt sein mochte, so war er doch
+bei dem allen auch wieder solchen Launen unterworfen, die ihn in die
+sonderbarsten und oft widersinnigsten Verlegenheiten setzten, von denen
+diese eine, die ihm hier über den Hals kam, ein so starkes Beispiel
+ist, wie sich nur irgend anführen läßt.
+
+Freilich, das Eindrücken des Knorpels an der Nase eines Kindes
+durch ein Instrument, wäre es auch nach den besten Regeln der Kunst
+geschehen, sollte wohl jeden Mann in der Welt ärgerlich machen, wenn
+ihm auch schon die Erziehung eines Kindes nicht soviel Mühe und Sorgen
+kostete wie meinem Vater. Dennoch kann es das Übermaß seiner Betrübnis
+nicht entschuldigen, noch die unchristliche Art rechtfertigen, mit
+welcher er sich derselben überließ.
+
+Um dies zu erklären, muß ich ihn auf eine halbe Stunde auf seinem Bette
+liegen und meinen Onkel Toby auf seinem alten Tapetenstuhle bei ihm
+sitzen lassen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenunddreißigstes Kapitel.
+
+
+»Ich halte es für eine sehr ungewissenhafte Forderung,« rief mein
+Urgroßvater, rollte das Papier zusammen und warf's auf den Tisch. »Aus
+dieser Rechnung erhellt, Madame, daß Sie nur zweitausend Pistolen
+Brautschatz und nicht einen Heller mehr haben. Und doch bestehen Sie
+auf einem Leibgedinge von dreihundert Pistolen jährlich!« --
+
+»Das kommt,« versetzte meine Urgroßmutter, »weil Sie eine kleine oder
+fast gar keine Nase haben, Herr.«
+
+»Verflucht!« schrie mein Urgroßvater, und fuhr mit der Hand nach seiner
+Nase, »so klein ist sie doch auch noch nicht, sie ist einen ganzen Zoll
+länger als meines Vaters Nase.« Nun war aber meines Urgroßvaters Nase
+allen Nasen der Männer, Weiber und Kinder, die Pantagruel auf der Insel
+Ennasin fand, so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Nebenbei gesagt, wenn
+Sie die sonderbare Art und Weise kennen lernen wollen, wie man sich mit
+einem so plattnasigen Volk verschwägern kann, so müssen Sie das Buch
+lesen. -- Es von selbst auszufinden, das sollen Sie wohl bleiben
+lassen.
+
+Herr, sie sah aus wie ein Treffaß.
+
+»'s ist ein ganzer Zoll,« fuhr mein Urgroßvater fort und drückte mit
+Finger und Daumen sein Endchen Nase und wiederholte seine Behauptung:
+»'s ist ein ganzer Zoll, Madame, daß sie länger ist als meines Vaters
+Nase.« -- »Sie mögen die Ihres Onkels meinen,« erwiderte meine
+Urgroßmutter.
+
+Mein Urgroßvater ward überführt. Er rollte das Papier wieder auf und
+unterschrieb den Ehevertrag.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtunddreißigstes Kapitel.
+
+
+»Welch ein unbilliges Leibgedinge, mein Schatz, das wir aus unserem
+kleinen Gute zahlen müssen!« sagte meine Großmutter zu meinem
+Großvater.
+
+»Mein Vater,« erwiderte mein Großvater, »mein Kind, hatte ebensowenig
+Nase, den Tüpfel ausgenommen, wie mir hier auf der Hand sitzt.«
+
+Nun müssen Sie wissen, daß meine Urgroßmutter meinen Urgroßvater zwölf
+Jahre überlebte, und ihr also mein Großvater die ganze Zeit über immer
+halbjährlich -- alle Ostern und Michaelis -- ihre hundertundfünfzig
+Pistolen Witwengehalt auszahlen mußte.
+
+Niemand war williger und bereiter, seine Schulden abzutragen, als
+mein Vater. Bis an volle Hundert pflegte er die Pistolen wurfweise
+mit der Miene hinzuschießen, die großmütige Seelen, und auch nur die
+großmütigen Seelen, beim Geben und Bezahlen zu machen pflegen und die
+gleichsam sagt: ich geb's gern. Sobald er aber an die folgenden Fünfzig
+kam, stieß er gewöhnlich ein lautes Hm! aus, rieb sich dabei ganz
+gemächlich mit dem flachen Zeigefinger an der Nase, schob die Hand ganz
+bedächtig unter die Perücke, besah jedes Goldstück, ehe er's weggab,
+auf beiden Seiten, und zählte selten die Fünfzig zu Ende, ohne sein
+Schnupftuch zur Hand zu nehmen und den Angstschweiß von der Stirne zu
+wischen.
+
+Behüte mich, gütiger Himmel, vor solchen Verfolgungsgeistern, welche
+keine Nachsicht mit dergleichen Bewegungen, die in uns vorgehen, haben
+können. Nie, o nie, laß mich in einem Gezelte mit denen liegen, die
+den Bogen immer so hoch spannen und kein Mitleiden mit der Macht der
+Erziehung und mit dem überwiegenden Einflusse der von unseren Voreltern
+geerbten Meinungen haben wollen.
+
+Schon bis ins dritte Glied wenigstens hatte der Glaube an das Glück
+der langen Nasen nach und nach Wurzel in unserer Familie geschlagen.
+Das Hörensagen war ganz auf seiner Seite, und alle halbe Jahre kam
+das Geldausgeben dazu, um ihn zu bestärken, dergestalt, daß meines
+Vaters grillenhafter Kopf weit entfernt war, sich von diesem wie von
+fast allen seinen übrigen sonderbaren Sätzen die Ehre allein anmaßen
+zu können. Denn man konnte sagen, daß er ihn zum großen Teil mit der
+Muttermilch eingesogen hatte. Indessen tat er das seinige dazu. Wenn
+seine Erziehung den Irrtum -- falls es einer war -- pflanzte, so begoß
+ihn mein Vater und wartete und pflegte ihn bis zur völligen Reife.
+
+Er beteuerte oft, wenn er seine Gedanken über diesen Punkt äußerte,
+daß er nicht begreife, wie die größte Familie in der Welt eine
+ununterbrochene Folge von sechs oder sieben kurzen Nasen gutmachen
+könnte. Und aus dem entgegenstehenden Grunde, pflegte er hinzuzusetzen,
+müßte es eine der unerklärbarsten Erscheinungen im bürgerlichen Leben
+sein, daß dieselbe Anzahl tüchtiger langer Nasen, in gerader Linie
+vererbt, einen Menschen nicht zu den höchsten Ehrenstaffeln erhebe und
+emporschwinge. Mit Selbstgefälligkeit rühmte er's oft, daß die Shandys
+unter Heinrichs +VIII.+ Regierung sehr hoch im Range gewesen und
+ihre Erhebung keinen Staatskniffen zu danken gehabt, sondern nur, sagte
+er, diesem Glücksumstande. Allein, pflegte er hinzuzufügen, das Rad
+habe sich gleich wie bei anderen Familien bis zu dem Schlag von meines
+Urgroßvaters Nase gedreht. Und sie wären niemals wieder in die Höhe
+gekommen. Jawohl, es war ein Treffaß! rief er dann und schüttelte dabei
+den Kopf. Und ein so häßliches, als nur jemals Trumpf geworden ist.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neununddreißigstes Kapitel.
+
+
+Mein Vater lag ausgestreckt auf dem Bette volle anderthalb Stunden so
+still, als hatte die Hand des Todes ihn niedergeschleudert, ehe er
+mit den Zehen des Fußes, der über der Bettkante hieg, auf der Erde
+zu spielen anfing. Meines Onkels Toby Herz fühlte sich dadurch ein
+Pfund leichter. Wenige Augenblicke später bekam auch seine linke Hand,
+mit der er beständig auf den Henkel des Kammertopfes gelegen hatte,
+wieder ihr Gefühl. Er schob ihn ein wenig weiter hinunter. Nachdem das
+geschehen, zog er die Hand herauf an seinen Busen und stieß ein Hm!
+aus. Mein guter Onkel Toby beantwortete es mit unendlichem Vergnügen
+und hätte herzlich gerne einen Trostspruch in die Spalte geimpft, die
+es machte. Da er aber, wie schon gesagt, hierin keine vorzügliche Gabe
+hatte und überdem noch besorgte, es möchte ihm etwas entfahren, das das
+Übel nur ärger machte, so begnügte er sich damit, daß er mit seinem
+Kinn ganz gelassen auf seinem Krückhaken liegen blieb.
+
+Ob nun der Druck von unten meines Onkels Toby Gesicht zu einem
+angenehmeren Oval verkürzte, oder ob die Menschenliebe seines Herzens,
+als er seinen Bruder sich aus dem See seiner Leiden hervorarbeiten sah,
+seine Muskeln angeschwellt hatten, so daß der Druck auf sein Kinn bloß
+die Leutseligkeit verdoppelte, die man vorher darin sah, ist nicht
+schwer zu entscheiden. Mein Vater, als er die Augen auf ihn richtete,
+ward von einem solchen Sonnenscheine aus seinem Gesicht bestrahlt, daß
+dadurch augenblicklich die Starrheit seiner Traurigkeit auftaute.
+
+Er brach folgendermaßen das Stillschweigen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierzigstes Kapitel.
+
+
+»Hat wohl jemals, Bruder Toby,« sagte mein Vater, indem er sich auf
+seinen Ellenbogen stemmte und sich nach der anderen Seite des Bettes
+kehrte, während mein Onkel Toby auf dem alten befransten Stuhle saß und
+das Kinn auf seine Krücke gestützt hielt, »ein armer, unglücklicher
+Mann so vielen Hieben standhalten müssen?« -- »Die meisten, die ich
+habe austeilen sehen,« sagte mein Onkel Toby, »bekam ein Grenadier.
+Ich glaube« -- hier klingelte er mit der Glocke, Trim zu rufen --
+»in Mackays Regiment.« -- Hätte mein Onkel Toby meinem Vater eine
+Musketenkugel durchs Herz gejagt, er hätte nicht plötzlicher Knall und
+Fall mit der Nase aufs Kissen fallen können.
+
+»Gott bewahre!« sagte mein Onkel Toby.
+
+[Illustration]
+
+
+
+
+ Einundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»War's nicht in Makays Regiment,« fragte mein Onkel Toby, »als zu
+Brügge der Grenadier der Dukaten wegen so erschrecklich viele Hiebe
+bekam?« -- »Ach lieber Gott, er hatte keine Schuld!« schrie Trim mit
+einem tiefen Seufzer. »Und er ward, mit Euer Gnaden Erlaubnis zu
+melden, fast zu Tode gepeitscht. Sie hätten ihn lieber totschießen
+sollen, wie er sie bat, so wäre er gerade in den Himmel gefahren, denn
+er war so unschuldig wie Euer Gnaden.« -- »Dank Ihm, Trim,« sagte mein
+Onkel Toby. -- »Ich kann niemals an sein,« fuhr Trim fort, »oder
+meines armen Bruders Tom Unglück denken, denn wir waren alle drei
+Schulkameraden, ohne daß ich weinen muß wie 'ne alte Vettel.« -- »Man
+ist nicht gleich eine alte Vettel, wenn man weint, Trim; mir kommen
+selbst zuweilen Tränen in die Augen.« -- »Ich hab's Euer Gnaden wohl
+angemerkt,« versetzte Trim, »und darum schäme ich mich auch nicht
+davor. Wenn man aber, mit Euer Gnaden Respekt,« fuhr Trim fort, wobei
+sich eine Träne in seinen Augenwinkel drängte, als er sprach, »wenn
+man aber an zwei so brave Jungen denkt, die ein so warmes und schönes
+Herz hatten, wie sie nur je aus Gottes Backofen kommen können, so ganz
+ehrlicher Leute Kinder, die so ganz in Gottes Namen in die weite Welt
+gehen, sich in etwas zu versuchen, und müssen dann so in die Patsche
+fallen! Armer Tom, so behandelt zu werden! Und in der Welt nichts getan
+haben, als eine Judenwitwe gefreit, die Bratwürste verkaufte! Und des
+armen Dick Johnsens Seele aus dem Leibe zu karbatschen, und das wegen
+der Dukaten, die ein anderer Mann in seinen Rucksack gesteckt hatte! --
+O, so was nenne ich Unglück,« rief Trim, und langte sein Taschentuch
+hervor. »Unglück, Euer Gnaden, daß man seine blutigen Tränen darüber
+weinen sollte.«
+
+Meinem Vater trat die Schamröte ins Gesicht.
+
+»Es wäre schade, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wenn Er jemals selbst
+Not und Sorgen erleben sollte! Er beklagt andere Leute so gutherzig!«
+-- »Ach lieber Gott!« versetzte der Korporal, und sein Gesicht heiterte
+sich auf. »Euer Gnaden wissen ja, ich habe weder Weib noch Kind, ich
+kann keine Not und Sorgen in dieser Welt haben.« -- Mein Vater mußte
+lächeln. -- »So wenig, als ein Mensch haben kann, Trim,« erwiderte mein
+Onkel Toby; »ich kann auch nicht absehen, was ein Mann von einem so
+zufriedenen Herzen wie Er für Kummer leiden könnte; es sei denn Furcht
+vor Armut in seinen alten Tagen. Wenn Er nicht mehr dienen kann, Trim,
+wenn Ihm alle seine Freunde abgestorben sind --« -- »So arg wird's, mit
+Euer Gnaden Wohlnehmen, nicht werden,« versetzte Trim. -- »Ich wollte
+aber auch nicht, Trim, daß es so arg werden sollte,« erwiderte mein
+Onkel Toby, »und eben deswegen,« fuhr er fort, wobei er die Krücke
+niederwarf und sich auf seine Füße stellte, als er das Wort ~eben
+deswegen~ aussprach, »soll Er, Trim, für seine vieljährige Treue
+gegen mich und für sein gutes Herz, davon ich soviele Proben habe,
+solange sein Herr noch einen Gulden im Vermögen hat, keinen anderen
+Menschen um das geringste ansprechen.« Trim bestrebte sich, meinem
+Onkel Toby zu danken, konnte aber nicht. Die Tränen liefen ihm häufiger
+die Wangen hinunter, als er sie abwischen konnte. Er legte seine Hände
+auf seine Brust, bückte sich bis auf die Erde und machte die Türe zu.
+
+»Ich habe Trim meinen grünen Spielplatz vermacht,« rief mein Onkel
+Toby. -- Mein Vater lächelte. -- »Ich habe ihm dazu jährlich ein
+Gewisses verschrieben,« fuhr mein Onkel Toby fort. -- Mein Vater ward
+ernsthaft.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Ist dies wohl eine schickliche Zeit, sagte mein Vater zu sich selbst,
+von Vermächtnissen und von Grenadieren zu sprechen?
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Als mein Onkel Toby zuerst des Grenadiers erwähnte, fiel mein Vater,
+sagte ich, mit der Nase platt aufs Kissen, und das so schnell, als
+ob ihn mein Onkel Toby erschossen hätte. Es wurde aber nicht dabei
+gesagt, daß jedes andere Glied und Gelenk meines Vaters im selben
+Augenblick mit seiner Nase wieder in die vorhin beschriebene Stellung
+verfiel, so daß, als Trim hinausging und mein Vater Lust bekam, das
+Bett zu verlassen, er alle die vorhergehenden kleinen Bewegungen
+noch einmal durchlaufen mußte, ehe er's bewerkstelligen konnte. --
+Stellungen sind nichts, Madame. In dem Übergange von einer Stellung
+zur anderen, gleichwie man die Dissonanzen präpariert und hernach in
+Konsonanzen auflöst, darin steckt alles.
+
+Aus dieser Ursache pedalierte mein Vater von neuem sein Stückchen,
+stieß den Kammertopf noch ein wenig weiter unter das Bett, tat sein
+Hm! -- richtete sich auf seinen Ellenbogen in die Höhe und wollte eben
+meinen Onkel Toby anreden, als er sich besann, wie schlecht es ihm
+vorher in dieser Stellung gelungen sei. Er machte sich also auf die
+Füße, und nachdem er dreimal auf und nieder gegangen war, blieb er vor
+meinem Onkel Toby stehen. Und indem er den Vorderfinger seiner rechten
+Hand in die flache Linke legte und sich ein wenig niederbeugte, redete
+er meinen Onkel Toby folgendermaßen an:
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Wenn ich so meine Gedanken habe, Bruder Toby, über den Menschen, und
+so diese Seite an ihm beschaue, die sein Leben so manchen Ursachen der
+Mühseligkeit bloßstellt, -- wenn ich so bedenke, Bruder Toby, wie oft
+wir das Jammerbrot essen, und daß wir dazu geboren sind, wie zu unserem
+Erbschaftsteile.« -- »Ich ward zu nichts geboren,« sagte mein Onkel
+Toby und fiel meinem Vater in die Rede, »als zu meiner Monatsgage.«
+-- »Seht doch,« sagte mein Vater, »hat dir mein Onkel nicht jährlich
+hundertundzwanzig Pistolen vermacht?« -- »Ja, wie hätte ich's sonst
+machen sollen?« erwiderte mein Onkel Toby. -- »Das ist eine andere
+Frage,« sagte mein Vater ein wenig mürrisch. »Aber ich sage, Toby, wenn
+man so die Liste von Klitterschulden und täglichen Items durchläuft,
+womit das Herz des Menschen belastet und beschwert ist, so muß man sich
+wundern, durch was für heimliche Zuflüsse das Gemüt instand gesetzt
+wird, es auszuhalten und noch die Auflagen so abzutragen, die unserer
+Natur aufgebürdet sind.« -- »Durch Hilfe des allmächtigen Gottes,« rief
+mein Onkel Toby mit gen Himmel gerichteten Augen und festgefalteten
+Händen, »geschieht das. Nicht durch unsere eigene Kraft, Bruder
+Walter. Eine Schildwache in einem hölzernen Schilderhäuschen könnte
+ebensoleicht gegen ein Detachement von fünfzig Mann standhalten wollen.
+Die Gnade und der Beistand des allerliebreichsten Wesens hält uns
+aufrecht.« -- »Das heißt den Knoten zerhauen,« sagte mein Vater, »und
+nicht auflösen. Aber erlaube mir, Bruder, daß ich dich ein wenig tiefer
+ins Geheimnis einführe.«
+
+»Gern, gern,« erwiderte mein Onkel Toby.
+
+Mein Vater änderte alsobald die Stellung, in der er war, in die
+Stellung, in der Raffael in seiner Athenienser Schule den Sokrates
+so vortrefflich dargestellt hat. In welcher Stellung, wie Euer
+Kennerschaft wissen, sogar die eigentümliche Lehrart des Sokrates
+ausgedrückt liegt. Denn er hält den Zeigefinger seiner linken Hand
+zwischen dem Zeigefinger und Daumen seiner Rechten, und scheint zu dem
+Gauche, den er zurechtweisen will, zu sagen: »Das räumst du mir ein und
+dies und dies, und das frage ich nicht einmal, weil's natürlich von
+selbst folgt.«
+
+So stand mein Vater, hielt den einen Zeigefinger zwischen dem anderen
+Zeigefinger und Daumen, und philosophierte mit meinem Onkel Toby, der
+auf dem alten Tapetenstuhle saß, der mit abgebleichten, verwitterten
+Fransen besetzt war. -- O Garrick, was würdest du mit deiner Kunst
+hieraus für einen reichhaltigen Auftritt machen! Und wie gerne schrieb
+ich noch so einen, um mich an deine Unsterblichkeit zu schmiegen und
+mich dahinter der meinigen zu versichern.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Obgleich der Mensch das herrlichste Fuhrwerk von allen ist,« sagte
+mein Vater, »so ist's gleichwohl dabei so leicht gebaut und so wackelnd
+gefügt, daß die harten Püffe und Stöße, die es in dieser höckerigen
+Fahrt des Lebens ausstehen muß, jeden Tag es wohl zwölfmal umwerfen und
+in Stücke bröckeln würden, hätten wir nicht, mein lieber Toby, eine
+geheime Stahlfeder in uns.« -- »Das muß wohl, meine ich,« sagte mein
+Onkel Toby, »nichts anderes sein als die Religion.« -- »Will die meines
+Kindes Nase ansetzen?« rief mein Vater, indem er den Finger losließ
+und eine Hand gegen die andere schlug. -- »Sie macht alles eben und
+schlicht,« antwortete mein Onkel Toby. -- »Das mag figürlich recht wohl
+sein, mein guter Toby,« sagte mein Vater. »Die Stahlfeder aber, von der
+ich spreche, ist diejenige große und elastische Kraft in unserem Wesen,
+den Übeln entgegenzuwirken, die wie eine verborgen angebrachte Feder in
+einem gutgemachten Wagen zwar nicht den Stoß abwendet, aber doch macht,
+daß wir ihn weniger fühlen.«
+
+»Und siehe nun, mein lieber Bruder,« sagte mein Vater, und faßte
+seinen Zeigefinger wieder, als er näher zur Hauptsache kam. »Wäre mein
+Kind ganz und gut zur Welt gekommen, dann wäre es nicht an seinem
+köstlichsten Gliede ein Märtyrer geworden. Siehe, so ein Grillenfänger
+und Sonderling ich der Welt in meiner Meinung über die Taufnamen auch
+immer scheinen mag, so ist doch der Himmel mein Zeuge, daß ich in der
+Ergießung der heißesten Wünsche für die Wohlfahrt meines Kindes nie
+gewünscht habe, sein Haupt mit mehr Ruhm und Ehre zu krönen, als womit
+Georg und Eduard es bekränzen könnten.
+
+Aber nun, leider,« fuhr mein Vater fort, »da ihm das größte Unglück
+überkommen ist, muß ich dem entgegenwirken und es durch das größte
+Glück aufheben.
+
+Er soll ~Trismegistus~ getauft werden, Bruder.«
+
+»Daß es gut anschlage, wünsche ich!« versetzte mein Onkel Toby und
+stand dabei auf.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Was für ein Kapitel von Glückschancen,« sagte mein Vater, wobei er auf
+dem ersten Treppenabsatze sich umkehrte, als er mit meinem Onkel Toby
+hinuntergehen wollte. »Was für ein Kapitel von Chancen zeigen uns nicht
+die Begebnisse dieser Welt. Nimm Feder und Tinte, Bruder Toby, und
+kalkuliere einmal richtig.« -- »Ich weiß soviel von der Kalkulation als
+das Geländer da!« Er schlug dabei mit der Krücke darauf, die glitt aber
+ab und versetzte meinem Vater einen derben Schlag vors Schienbein. »Es
+war hundert gegen eins!« rief mein Onkel Toby. -- »Ich meinte,« sagte
+mein Vater und rieb sich das Schienbein, »ich meinte, du wüßtest nichts
+von Kalkulationen, Bruder Toby.« -- »Ich kann nichts dafür, es ist ein
+Zufall.« -- »So ist das Kapitel um eins vermehrt,« versetzte mein
+Vater.
+
+Die zweifache Gelegenheit, da mein Vater eine witzige Antwort anbringen
+konnte, vertrieb ihm auf einmal die Schmerzen aus dem Schienbein. Es
+war ein Glück. -- Schon wieder eine Chance. -- Sonst wüßte die Welt
+bis auf den heutigen Tag noch nicht, was mein Vater kalkuliert haben
+wollte. Es zu erraten, dafür war keine einzige Chance. -- Was für ein
+glückliches Kapitel von Chancen dieses geworden ist! Dadurch habe ich
+die Mühe, ausdrücklich eins darüber zu schreiben, und wahrhaftig, ich
+habe ohnedies schon alle Hände voll zu tun.
+
+»Nimm Feder und Tinte zur Hand, und kalkuliere genau, Bruder Toby,«
+sagte mein Vater. »Und es wird herauskommen wie eine Million zu eins,
+daß der Rand des Forceps so unglücklicherweise unter allen Gliedern
+des Körpers gerade auf das eine fallen und es niederdrücken mußte, das
+zugleich das Glück unserer Familie mit unterdrückt.«
+
+»Es hätte ärger werden können,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Das sehe
+ich nicht ein,« sagte mein Vater. -- »Wenn das Kind verkehrt gelegen
+hätte, was meinst du,« sagte mein Onkel Toby, »wie sich's Doktor Slop
+entfallen ließ!«
+
+Mein Vater dachte eine halbe Minute nach, sah auf die Erde, legte
+seinen Finger locker an seine Stirn:
+
+»Wahr!« sagte er.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Ist's nicht eine Schande, zwei Kapitel aus dem zu machen, was vorging,
+unterdessen man die Treppe hinunterstieg? Denn weiter als bis zum
+ersten Treppenstuhle sind wir noch nicht gekommen und haben noch
+fünfzehn Stufen bis ganz hinunter. Und nach meines Vaters und meines
+Onkels Toby Gesprächigkeit zu urteilen, kann's noch ebensoviel Kapitel
+geben wie Stufen. Lassen Sie's gehen, mein Herr, ich kann ebensowenig
+dafür als für meinen Tod. Da kommt mir's auf einmal vor, als gäbe mir's
+einer ein: Laß den Vorhang fallen, Shandy. Ich ließ ihn fallen. Zieh
+eine Querlinie über dein Papier, Tristram! Ratsch! da steht sie -- und
+heida! zu einem neuen Kapitel.
+
+Kein Lineal habe ich, nach dem ich mich in diesem Geschäfte richte. Und
+hätte ich eins, da ich lieber alles aus freier Faust tue, ich bräche es
+lieber vor den Knien in Stücke und würfe es ins Feuer. Werde ich warm?
+Ja, ich werde es, und die Ursache läßt es nicht anders zu. Seht doch!
+Soll sich der Mann nach Regeln und Linealen richten, oder sie nach ihm?
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Wir wollen noch alles wieder in Ordnung bringen,« sagte mein Vater,
+als er den Fuß auf den ersten Tritt vom Treppenabsatz setzte. »Dieser
+Trismegistus,« fuhr mein Vater fort, indem er das Bein wieder zurückzog
+und sich zu meinem Onkel Toby wandte, »war das größte, Toby, von allen
+irdischen Wesen. Er war der größte König, der größte Gesetzgeber, der
+größte Philosoph, und der größte Priester.« »Und Ingenieur!« sagte mein
+Onkel Toby.
+
+»Versteht sich,« sagte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Was macht Ihre Wochenbetterin?« Schrie mein Vater, der abermal den
+Schritt vom Treppenabsatz heruntertat und Susanna anrief, die er eben
+unten an der Stiege mit einem großen Nadelkissen vorbeigehen sah. »Was
+macht Ihre Wochenbetterin?« -- »Recht gut, nach den Umständen,« sagte
+Susanna im Vorbeigehen, ohne heraufzusehen. -- »Was für ein Tor ich
+bin!« sagte mein Vater, der sein Bein abermals zurückzog. »Laß das
+Befinden sein, wie es will, Bruder Toby, so ist das die ewige Antwort.
+Und wie ist's mit dem Kinde? Keine Antwort. Und wo ist Herr Doktor
+Slop?« fuhr mein Vater fort, mit lauterer Stimme, und sah dabei übers
+Geländer. Fort war Susanna.
+
+»Unter allen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte mein Vater und ging
+über den Treppenabsatz, um sich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen,
+derweile er meinem Onkel Toby die Sache vortrug. »Unter allen den
+verworrenen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte er, »davon man, du
+kannst dich auf meine Erfahrung verlassen, Bruder Toby, davon man
+mehr Esel bepacken könnte, als Hiobs ganze Herde Esel ausmachte, ist
+keins so schwer zu lösen als dieses, daß, Sobald die Frau des Hauses
+in die Wochen gekommen, jedes Weibsbild im Hause, von Madame ihrem
+Kammermädchen an bis auf das geringste Scheuermädchen, einen Zoll höher
+wächst, und sich dieses einzigen Zolls wegen mehr in die Brust wirft
+als aller ihrer übrigen Zölle wegen zusammengenommen.«
+
+»Ich denke vielmehr,« antwortete mein Onkel Toby, »daß wir es sind,
+die einen Zoll einschrumpfen. Wenn ich nur einer schwangeren Frau
+ansichtig werde! -- Es ist eine schwere Last, die dieser Hälfte unserer
+Mitgeschöpfe aufgelegt ist, Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby.
+»'s ist wohl eine klägliche Bürde,« fuhr er fort, und schüttelte den
+Kopf. -- »Ja, ja, 's ist eine mühselige Sache,« sagte mein Vater, und
+schüttelte seinen Kopf gleichfalls. Aber seitdem das Kopfschütteln Mode
+gewesen ist, schüttelten nie zugleich zwei Köpfe konzertmäßig zusammen
+aus so verschiedenen Ursachen.
+
+ »Gott bewahre }
+ »Der Henker hole } sie alle,«
+
+sagten mein Onkel Toby und mein Vater zugleich bei sich.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfzigstes Kapitel.
+
+
+Holla! -- guter Freund, Lastträger! Da hat Er drei Groschen, geh' Er
+doch nach jenem Buchladen und hole Er mir einen handfesten Kritiker
+her. Ich will gerne einem jeden von ihnen einen Gulden geben, wenn er
+mir mit seinen kritischen Seiten und Winden helfen will, meinen Vater
+und meinen Onkel Toby die Treppe herunter und zu Bette zu bringen.
+
+Es ist die höchste Zeit; denn außer dem kleinen Nicker, den sie taten,
+derweile Trim die Steifstiefel bohrte, und wovon, nebenher gesagt,
+mein Vater keinen Nutzen hatte, wegen der bösen Türangel, haben sie
+seit neun Stunden vor der Zeit, da Doktor Slop von Obadiah in die
+Hinterstube geführt ward, kein Auge zugetan.
+
+Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben ein so geschäftsvoller Tag
+sein und soviel Zeit wegnehmen, wahrhaftig: so --
+
+Ich will die Periode nicht ausschreiben, bis ich eine Bemerkung über
+den sonderbaren Zustand der Sache, zwischen dem Leser und mir selbst,
+so wie gerade jetzt die Sachen stehen, gemacht habe. Eine Bemerkung,
+die noch niemals auf einen biographischen Schriftsteller, solange die
+Welt steht, gepaßt hat, und, wie ich glaube, auf niemand anderes wird
+anwendbar werden, bis zu ihrem letzten Untergange, außer auf mich.
+Und deshalb, schon der Neuheit wegen, wird solche Euer Wohlgeboren
+Aufmerksamkeit wert sein.
+
+Ich bin diesen Monat ein ganzes Jahr älter als heute vor zwölf Monaten,
+und da ich, wie Sie sehen, schon fast bis auf die Hälfte meines Buches
+gelangt bin -- und noch nicht weiter als bis auf den ersten Tag meines
+Lebens gekommen bin, so ist es demonstrativ klar, daß ich schon jetzt
+dreihundertvierundsechzig Tage mehr zu schreiben habe als ich zuerst
+begann, daß ich, anstatt, wie ein gewöhnlicher Schriftsteller getan,
+mit dem, was ich daran getan, weiterzukommen vielmehr gerade soviel
+Bände zurückgekommen bin. Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben
+ein so geschäftiger Tag sein, wie dieser? -- Und warum nicht? -- Warum
+sollten sie kürzer abgefertigt werden? Da ich auf diese Weise gerade
+dreihundertvierundsechzig Tage geschwinder lebte, als ich schreibe, so
+muß, mit Euer Wohlgeboren Erlaubnis, daraus folgen, daß ich, je mehr
+ich zu schreiben haben werde, und folglich, je mehr Euer Wohlgeboren
+lesen, je mehr werden Euer Wohlgeboren zu lesen haben.
+
+Wird dies zuträglich sein für Euer Wohlgeboren Augen?
+
+Für meine wenigstens, und, sollten mir meine Meinungen nicht den Hals
+kosten, so seh' ich schon, werde ich von diesem meinem Leben ein
+hübsches Leben führen, oder, mit andern Worten, ich werde ein paar
+hübsche Leben zugleich führen.
+
+Der Vorschlag, jedes Jahr zwölf Bände, oder jeden Monat einen zu
+geben, verändert meine Aussicht gar nicht. -- Laß mich schreiben, wie
+ich mag und wie ich will, nach Horazens Rat, mitten in meine Materie
+hineinfallen, ich werde mich niemals einholen. Trotz alles Treibens und
+Peitschens, wenn auch das Ärgste zum Argen kommen sollte, habe ich doch
+immer einen Tag vor meiner Feder voraus. -- Ein Tag ist genug für zwei
+Bände, und zwei Bände werden genug sein für ein Jahr.
+
+Der Himmel gebe nur seinen Segen zur Papiermacherei unter dieser
+glückverkündenden Regierung, die für uns angefangen hat. Wie ich das
+Vertrauen habe, er werde alles übrige segnen, was darunter vorgenommen
+wird.
+
+Die Vernehmung der Gänse -- o, die macht mir keinen Kummer -- die Natur
+ist immer gütig. An Werkzeug zum Schreiben wird mir's nie gebrechen.
+
+So, also, guter Freund, haben Sie meinen Vater und meinen Onkel
+Toby die Treppen herunter und zu Bette gebracht? Und wie haben Sie
+das zustande gebracht? Sie ließen unten vor der Treppe einen Vorhang
+fallen. -- Ich dachte gleich, daß es nicht anders gehen würde. Da haben
+Sie einen Gulden für Ihre Mühe.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+»So gebe Sie mir meine Beinkleider vom Stuhle her,« sagte mein Vater zu
+Susanna. »Sie haben keinen Augenblick Zeit, sich anzukleiden, Herr,«
+sagte Susanna. »Das Kind ist so schwarz im Gesichte, wie mein --« »Wie
+Ihr, was?« sagte mein Vater. Denn wie alle Rhetoriker, war er ein
+sorgfältiger Untersucher der Gleichnisse. »O, Himmel, Herr, das Kind
+hat die Bangigkeit.« -- »Und wo ist Herr Yorick?« »Ist nirgends zu
+finden,« sagte Susanna, »aber sein Kaplan ist im Besuchzimmer und hat's
+Kind schon auf dem Arme, und wartet auf den Namen. Und Madame sagte
+mir, ich sollte geschwind laufen und fragen, weil doch Herr Kapitän
+Shandy Gevatter ist, ob's nicht nach ihm heißen sollte.«
+
+»Wenn man gewiß wüßte,« sagte mein Vater zu sich selbst und strich die
+Augenbrauen, »daß das Kind nicht aufkäme, täte man gut, dem Bruder Toby
+das Kompliment zu machen. 's wäre in dem Fall schade, einen so großen
+Namen wie Trismegistus daran zu verschwenden. Aber es kann besser
+werden.« --
+
+»Nein, nein,« sagte mein Vater zu Susanna, »ich will aufstehen.« --
+»'s ist keine Zeit,« schrie Susanna, »das Kind ist so schwarz wie mein
+Schuh.« -- »Trismegistus,« sagte mein Vater. »Aber warte Sie, Sie ist
+ein durchlöchertes Sieb, Susanna,« setzte mein Vater hinzu. »Kann Sie
+wohl Tris-me-gi-stus in Ihrem Kopfe über die Galerie tragen, ohne
+etwas davon zu verlieren.« -- »Das dächt' ich!« rief Susanna, und
+schlug mit aufgeworfener Nase die Tür zu. »Ich will mich hängen lassen,
+wenn ich's denke,« sagte mein Vater, und sprang im Finstern aus dem
+Bette und suchte nach seinen Beinkleidern.
+
+Susanna rannte eilig über die Galerie.
+
+Mein Vater tat, was er konnte, seine Beinkleider zu finden.
+
+Susanna gewann den Vorsprung und behielt ihn. »'s ist Tris -- oder
+so was,« rief Susanna. »Es ist kein anderer christlicher Name in der
+Welt,« sagte der Kaplan, »der mit Tris anfängt, als Tristram.« »Ja, ja.
+Tristram-gi-stus,« sagte Susanna.
+
+»'s ist nichts zu gistussen dabei,« sagte der Kaplan, »'s ist mein
+eigener Name,« und fuhr dabei mit der Hand ins Taufbecken. »Tristram!«
+sagte er, »ich -- usw.« So ward ich Tristram getauft, und Tristram
+werde ich wohl heißen bis an mein seliges Ende.
+
+Mein Vater folgte der Susanna, mit dem Schlafrocke über dem Arme und
+mit nichts weiter am Leibe als seinen Beinkleidern, die, der Eile
+wegen, nur mit einem Knopf zugeknöpft waren. Und dieser Knopf saß, der
+Eile wegen, nur halb in seinem Knopfloche.
+
+»Sie hat doch den Namen nicht vergessen?« schrie mein Vater, als er die
+Tür nur erst halb geöffnet hatte. -- »Nein, nein,« sagte der Kaplan,
+mit einem schlauen Tone. -- »Und das Kind ist besser,« rief Susanna.
+-- »Und was macht Ihre Wöchnerin?« -- »Recht gut, nach den Umständen,«
+sagte Susanna. -- »Pitsch!« sagte mein Vater, und der Hosenknopf sprang
+aus dem Knopfloche. So daß, ob das Pitsch auf die Susanna oder auf das
+Knopfloch ging, ob es eine Interjektion der Verachtung oder der Scham
+war, im Zweifel ist und so lange im Zweifel bleiben wird, bis ich Zeit
+gewinne.
+
+Alles Licht, was ich für jetzt dem Leser geben kann, besteht darin, daß
+mein Vater in dem Augenblick, da er pitsch! sagte, sich herumdrehte,
+mit der einen Hand seine Beinkleider in die Höhe hielt und mit dem
+Schlafrock auf dem anderen Arme wieder über die Galerie hin nach seinem
+Bette ging, etwas langsamer, als er gekommen war.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+»Wenn's meine Frau nur wagen will, Bruder Toby, so sollen sie
+Trismegistus anziehen und zu uns herunterbringen, derweile du und ich
+unseren Tee trinken. -- Geh Er, Obadiah, und sage Er Susanna, sie soll
+hierherkommen.«
+
+»Sie ist eben hinaufgerannt,« antwortete Obadiah, »und seufzt und heult
+und ringt die Hände, als ob ihr das Herz in Stücke springen wollte.« --
+
+»Das werden hübsche sechs Wochen werden,« sagte mein Vater, wendete
+sich von Obadiah weg und sah meinem Onkel Toby einige Zeit steif ins
+Gesicht. »Hübsche sechs Wochen werden wir erleben, Bruder Tob,« sagte
+mein Vater und stemmte seine Arme in die Seiten. »Feuer, Wasser,
+Weiber, Wind -- Bruder Toby!« -- »'s ist wieder ein Unglück,« sagte
+mein Onkel Toby. »Das ist's,« sagte mein Vater. »So viele widersinnige
+Elemente, die losbrechen und in jedem Winkel dieses Hauses im Triumph
+herumfahren. Es fruchtet der Ruhe einer Familie sehr wenig, Bruder
+Toby, daß du und ich über uns selbst Meister sind und hier still und
+ruhig sitzen, derweile solch ein Sturm über unseren Häuptern pfeift.«
+
+»Und was hat Sie denn zu winseln, Susanna?« -- »Sie haben das
+Kind Tristram getauft -- und meine Madame hat darüber eben einen
+hysterischen Anfall gehabt. -- Nein, ich kann nichts dafür,« sagte
+Susanna, »ich hab's ihm recht gesagt, Tristramgistus.«
+
+»Mache nur Tee für dich alleine, Bruder Toby,« sagte mein Vater und
+nahm seinen Hut von der Wand. Wie verschieden aber von Aufwallungen und
+Bewegungen, die sich ein gewöhnlicher Leser dabei vorstellen möchte!
+
+Er sprach in der sanftesten Modulation und nahm den Hut mit der
+gelindesten Bewegung seines Armes herab, die nur jemals die Betrübnis
+mit der Harmonie zusammenbrachte.
+
+»Geh Er nach dem Spielplatze und rufe Er Trim,« sagte mein Onkel Toby
+zu Obadiah, sobald mein Vater das Zimmer verließ.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+Als das Unglück mit meiner Nase so schwer auf meines Vaters Haupt fiel,
+wie sich der Leser erinnert, ging er flugs treppauf und warf sich
+über sein Bette. Hieraus, oder er müßte eine tiefe Einsicht in die
+menschliche Natur haben, wird er geneigt sein, eine Reihe ebensolcher
+steigender und fallender Bewegungen über das Unglück mit meinem Namen
+von ihm zu erwarten. Nichts!
+
+Das verschiedene Gewicht, mein teurer Herr. Ja was, Gewicht? Das
+verschiedene Gepäck zweier Widerwärtigkeiten, von einer -- macht schon
+eine himmelweite Verschiedenheit in unserer Art und Weise, wie wir
+solche aufnehmen und tragen. Noch keine halbe Stunde ist es her, daß
+ich -- in der großen Eile und Hast eines armen Teufels, der ums liebe
+tägliche Brot schreibt -- einen druckfertigen Bogen, den ich eben
+sorgfältig rein abgeschrieben hatte, anstatt der Kladde patsch ins
+Feuer warf.
+
+Stracks riß ich mir die Perücke ab und warf sie mit aller möglichen
+Gewalt gerade auf den Balken. Ich fing sie zwar im Herunterfallen
+wieder auf. Aber damit war's auch vorbei, und denke ich auch nicht,
+daß sonst etwas in der Natur mir eine so unmittelbare Erleichterung
+verschafft hätte. Sie, die teure Göttin, treibt uns durch eine
+plötzliche Anwandlung, in allen aufreizenden Fällen, zu einem Ausfalle
+mit diesem oder jenem Gliede. Oder sie wirft uns an diesen oder jenen
+Platz oder an diese oder jene Stellung des Körpers. Wir wissen nicht,
+wie? Merken Sie aber, Madame, wir sind von Geheimnissen und Rätseln
+umringt. Die einfachsten Dinge, die uns umgeben, haben ihre dunklen
+Seiten, die der Scharfsichtigste nicht durchschauen kann. Selbst der
+hellste und größte Kopf unter uns befindet sich fast bei jedem Riß im
+Werke der Natur in Verlegenheit und weiß nicht, was er daraus machen
+soll. Dieses so gut wie tausend andere Dinge fallen auf eine solche Art
+für uns aus, von der wir zwar die Ursache nicht ergründen, von der wir
+aber, mit Euer Hochwürden und Euer Wohlgeboren Genehmigung den Nutzen
+ziehen können. Und das ist genug für uns.
+
+Nun konnte mein Vater sich ums Leben mit dieser Betrübnis nicht
+niederlegen, konnte sie auch nicht, wie die andere, die Treppen
+hinauftragen. Er ging ganz gesetzt damit spazieren zum Fischteiche.
+
+Hätte mein Vater den Kopf in die Hand gelegt, und eine Stunde darüber
+nachgedacht, welchen Weg er nehmen müßte, die Vernunft mit aller ihrer
+Stärke hätte ihm nichts Besseres anweisen können. Herr, es steckt so
+etwas in den Fischteichen! Was es aber ist, das überlasse ich den
+Systemschmieden und Fischteichgräbern untereinander ausfindig zu
+machen. Für die erste aufwallende Leidenschaft ist ein Spaziergang
+zum Fischteich etwas unbegreiflich Besänftigendes, daß ich mich oft
+gewundert habe, wie weder Pythagoras, noch Plato, noch Solon, noch
+Lykurg, noch Mohammed oder sonst einer der berühmten Gesetzgeber jemals
+das geringste davon erwähnt haben.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+»Euer Gnaden,« sagte Trim und machte die Tür zu, ehe er zu reden
+begann, »haben, glaube ich, von dem Unglück gehört, das vorgefallen
+ist.« -- »O ja, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es geht mir sehr nahe.«
+-- »Mir geht's auch recht nahe, ich hoffe aber, Euer Gnaden,« erwiderte
+Trim, »kennen mich und wollen also nur nicht glauben, daß ich die
+geringste Schuld daran habe.« -- »Er, Trim?« rief mein Onkel Toby,
+und sah ihm gütig ins Gesicht. »Susannens und des Kaplans Unverstand
+ist's.« -- »Aber, Euer Gnaden, was konnten die miteinander im Garten zu
+schaffen haben?« -- »Auf der Galerie, meint Er, Trim,« erwiderte mein
+Onkel Toby.
+
+Trim merkte, daß er auf einer falschen Fährte sei und brach mit
+einem tiefen Bückling kurz ab. Zwei Unglücke, sagte der Korporal bei
+sich selbst, sind mindestens zweimal soviel, als für eine Nachricht
+erforderlich ist. Das Unheil, das die Kuh in unseren Fortifikationen
+angerichtet hat, kann ich dem gnädigen Herrn schon hernach erzählen.
+Trims listige Kasuisterei unter dem Deckmantel seines tiefen Bücklings
+kam allem Argwohn meines Onkels Toby zuvor, der also mit dem, was er
+Trim zu sagen hatte, fortfuhr:
+
+»Ich für mein Teil, Trim, sehe wenig oder gar keinen Unterschied
+dabei, ob mein Neffe Tristram oder Trismegistus heißt. Da aber die
+Sache meinem Bruder so sehr zu Herzen geht, Trim, so wollte ich noch
+gerne hundert Louisdor aus meiner Tasche drum geben, daß es nicht
+geschehen wäre.« -- »Hundert Louisdor, Euer Gnaden!« erwiderte Trim.
+-- »Ich würde nicht einen Heller für diese Taufe geben.« -- »Ich gäbe
+auch nichts drum, Trim, wenn's nur auf mich ankäme,« sagte mein Onkel
+Toby. »Aber mein Bruder, der sich darüber nichts singen noch Sagen
+läßt, behauptet, daß an dem Taufnamen viel mehr gelegen ist, als
+Ungelehrte wohl meinen! Denn er sagt, solange die Welt steht, hätte
+noch kein Mann, der Tristram geheißen, eine große oder heldenmäßige Tat
+ausgerichtet. Ja, wenn's nach ihm geht, Trim, so kann ein Mensch weder
+gelehrt sein, noch weise, noch tapfer, der nicht --« »'s ist nichts
+dran, mit Euer Gnaden Wohlnehmen. -- Ich focht ebensogut,« versetzte
+der Korporal, »als ich im Regimente Trim hieß, als da sie mich Jakob
+Butler hießen.« -- »Was mich anbelangt, ob ich mich gleich vor Eigenlob
+schämen würde, Trim, aber hätte ich auch Alexander geheißen, ich hätte
+doch bei Namur nicht mehr tun können als meine Pflicht.« -- »Gott ehre
+mir Euer Gnaden,« schrie Trim, und avancierte bei den Worten drei
+Schritte. »Denkt ein Mann wohl an seinen Taufnamen, wenn er ins Treffen
+geht?« -- »Oder, Trim, wenn er in den Laufgräben steht?« schrie mein
+Onkel Toby mit standhaftem Blick. -- »Oder wenn er auf eine Bresche
+losmarschiert?« sagte Trim und drang zwischen zwei Stühle. -- »Oder
+die Linien verstärkt?« schrie mein Onkel Toby, wobei er aufstand und
+seine Krücke fällte, wie eine Picke. »Oder dem feindlichen Pluto in das
+Weiße im Auge sieht,« rief Trim, indem er mit seinem Stocke einen Hieb
+ausführte. »Oder wenn er einen Wall hinaufmarschiert,« rief mein Onkel
+Toby, wobei er erhitzt aussah und seinen Fuß auf den Stuhl setzte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+Mein Vater war von seinem Spaziergange nach dem Fischteiche
+zurückgekommen und öffnete die Türe des Zimmers, gerade in der größten
+Hitze des Angriffs, als eben mein Onkel Toby den Wall hinanmarschierte
+und Trim wieder laden wollte. In seinem Leben war mein Onkel Toby noch
+auf keinem so verzweifelten Galopp überrascht worden. O, lieber Onkel
+Toby! hätte nicht eine wichtigere Sache alle bare Beredsamkeit meines
+Vaters erheischt -- wie lahm und jämmerlich würdest du mit deinem armen
+Steckenpferde davongekommen sein.
+
+Mein Vater hing seinen Hut mit ebender Miene wieder auf, mit der er
+ihn vom Nagel genommen hatte. Und als er einen flüchtigen Blick auf
+die Unordnung im Zimmer getan hatte, nahm er einen von den Stühlen,
+aus denen der Korporal eine Bresche gemacht hatte, setzte ihn meinem
+Onkel Toby gegenüber, ließ sich darauf nieder, und sobald das Teezeug
+weggenommen und die Türe zugemacht war, brach er in ein Klagelied aus,
+wie folgt:
+
+
+ ~Klagelied meines Vaters~.
+
+»Es ist hinfort umsonst,« sagte mein Vater und wendete sich ebensogut
+an des Ernulphus Fluchbuch, das auf einer Ecke des Kamingesimses lag,
+als an meinen Onkel Toby, der darunter saß, mit der mürrischsten
+Eintönigkeit, die sich erdenken läßt, »gegen diese bitterste von allen
+menschlichen Überzeugungen zu kämpfen, wie ich bisher getan. -- Ich
+seh' es klar, mag sein wegen einer meiner Sünden, Bruder Toby, oder
+wegen der Sünden und Torheiten des Geschlechts der Shandys, daß der
+Himmel für gut gefunden hat, mit seiner schwersten Artillerie gegen
+mich auszurücken, und daß die Wohlfahrt meines Kindes das Zentrum ist,
+auf welches sie mit aller ihrer Macht hinzielt.« -- »So was kann einem
+die ganze Weit um die Ohren herumschleudern, Bruder Walther!« sagte
+mein Onkel Toby. -- »Wär' es. -- Unglücklicher Tristram! Kind des
+Zorns! Kind welker Lenden! der Unterbrechung! des Mißverständnisses!
+des Mißvergnügens! Was ist für ein einziges Unheil oder Unglück in dem
+Buche embryonischer Übel, das deinen Bau aus seinen Fugen bringen oder
+deine Fibern verwirren konnte, das nicht auf deinen Kopf gefallen
+wäre, noch ehe du einmal in die Welt gekommen. Was für Übel auf deinen
+Weg -- was für Übel nachher! -- Gezeugt in den abnehmenden Tagen
+deines Vaters, da schon das Siegel seiner Geister und seines Körpers
+anfing stumpf zu werden, da Lebenswärme und Lebenssäfte, Elemente,
+welche die deinigen hätten stählen sollen, schon im Verfliegen waren,
+und nichts übrigblieb, wodurch dein Keim zu stärken, als Negationen
+-- 's ist nicht sonderlich erklecklich, Bruder Toby. Wie ist uns der
+Paß verhauen! Du weißt, wie's zugegangen ist, Bruder Toby. 's ist zu
+melancholisch, es hier zu wiederholen, wie die wenigen Lebensgeister,
+die ich noch in der Welt besaß, und mit welchen Gedächtnis, Phantasie,
+Genie und Fähigkeiten hätten hinbegleitet werden sollen: wie sie auf
+einmal auseinandergestöbert, verblüfft, verjagt, verschlagen und zu
+allem Henker gehetzt wurden. --
+
+»Aber was war das alles, mein lieber Toby, gegen den Schaden und
+Nachteil, der uns dadurch zugefügt ist, daß das Kind mit dem Kopfe
+zuerst auf die Welt gekommen ist. Alles, was ich bei der allgemeinen
+Verwüstung seiner Bildung wünschte, war, diesen kleinen Verstandskasten
+unversehrt und ganz zu erhalten. --
+
+»Was für einen Purzelbaum hat, bei aller meiner Vorsicht, mein
+System mit dem Kinde schon im Mutterleibe machen müssen. Sein Kopf
+mußte der Hand der Gewalttätigkeit herhalten und einem Drucke von
+vierhundertsiebzig schweren Pfund, so ganz senkrecht auf seinen
+Scheitel -- daß es noch neunzig Prozent Assekuranz steht, ob das feine
+Netzwerk des Verstandgewebes nicht in tausend Fetzen zerrissen und
+zerschlissen ist.
+
+»Noch wäre ihm zu helfen gewesen! Narr, Geck, Laffe, man gebe ihm nur
+eine Nase; Krüppel, Zwerg, Greiferbart, Tölpel -- laß ihn gebildet
+sein, wie er will --, das Glückspförtchen steht offen.
+
+»Aber noch, Bruder Toby, war nach alle diesem ein Wurf mit dem Würfel
+für unser Kind übrig. -- O Tristram! Tristram! Tristram!«
+
+»Wir wollen zum Herrn Yorick schicken,« sagte mein Onkel Toby.
+
+»Schicke zu wem du willst!« erwiderte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+»Sagen Sie, kann dem Dinge noch Wandel geschaffen werden, Yorick?«
+sagte mein Vater, »denn nach meiner Meinung,« fuhr er fort, »geht's
+nicht.« -- »Ich verstehe mich wenig aufs geistliche Recht,« erwiderte
+Yorick. »Weil ich aber unter allen Übeln die Ungewißheit für das
+quälendste halte, so müssen wir doch wenigstens zu wissen bekommen,
+ob es auch das ärgste ist.« -- »Ich hasse die großen Mahlzeiten,«
+sagte mein Vater. -- »Auf die Größe der Mahlzeit kommt's hier nicht
+an,« antwortete Yorick. »Wir wollen ja nur, Herr Shandy, auf den Grund
+der Sache kommen, ob sich der Name umtauschen läßt. Und da die Bärte
+so mancher Kommissarien, Konsistorialen, Advokaten, Deputierten,
+Registratoren und der geschicktesten unserer Schultheologen nebst
+anderen morgen sich an einem Tische versammeln werden, und Didius Sie
+so dringend eingeladen hat, wer wollte wohl in Ihrer Verlegenheit eine
+so schöne Gelegenheit versäumen? Es wird nichts weiter nötig sein, als
+daß wir Didius benachrichtigen, und daß er nach Tische das Gespräch auf
+die Materie bringe.« -- »So soll,« sagte mein Vater und schlug beide
+Hände zusammen, »mein Bruder Toby mit uns gehen.«
+
+»Laß Er meine alte Knotenperücke,« sagte mein Onkel Toby, »und
+meine gestickte Montierung die ganze Nacht am Feuer hangen, Trim.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+Sie haben ganz recht, Herr, hier fehlt ein ganzes Kapitel, und daraus
+entsteht in dem Buche eine Lücke von zehn Seiten. Und doch ist der
+Buchbinder weder ein Dummkopf, noch ein Schelm, noch ein Tölpel. Auch
+ist das Buch um keinen Tüttel unvollkommener -- dadurch wenigstens
+nicht! Vielmehr ist das Buch dadurch, daß das Kapitel fehlt, besser und
+vollkommener, als wenn's da wäre, wie ich solches Euer Hochwürden auf
+folgende Weise demonstriere. -- Nebenbei möchte es eine Frage sein, ob
+nicht der Versuch eben so glücklich mit verschiedenen anderen Kapiteln
+angestellt werden könnte. Aber wie Euer Hochwürden zugeben werden, das
+Versuchanstellen über Kapitel geht ins Unendliche. Wir haben schon
+genug davon, und so mag's hierbei beruhen.
+
+Allein bevor ich meine Demonstration beginne, lassen Sie mich Ihnen
+nur noch sagen: das Kapitel, welches ich ausgerissen habe und an
+welchem Sie sonst, statt diesem, eben gelegen haben würden, war die
+Beschreibung des Rittes meines Vaters, meines Onkel Tobys, Trims und
+Obadiahs zu der Visitation zu ***.
+
+»Wir wollen in der Kutsche hinfahren,« sagte mein Vater. »Hör' Er,
+ist das Wappen geändert, Obadiah?« -- Es würde meiner Erzählung viel
+Vorteil getan haben, wenn ich es damit angefangen hätte, Ihnen zu
+sagen, daß damals, als meiner Mutter Wappen zu dem Shandyschen gefügt
+und die Kutsche bei meines Vaters Verheiratung von neuem angemalt ward,
+es sich so gefügt hatte, daß der Kutschenmaler, es sei nun, daß er
+alles mit der linken Hand gemacht hatte wie Turpilius, der Römer, oder
+Hans Holbein von Basel, oder daß der Fehler mehr an seinem Kopfe als
+an seiner Hand lag, oder war's gar der unglückliche, schiefe Gang,
+welchen alles, was unsere Familie betraf, zu nehmen geneigt war. Genug,
+es fügte sich so zu unserer Kränkung, daß anstatt des Bandes, welches
+wir seit Heinrichs +VIII.+ Zeiten mit Ehren führten, durch eine
+von diesen Fatalitäten ein Riemen quer durch das ganze Schild des
+Shandyschen Wappens gezogen wurde. Kaum sollte man es glauben, daß das
+Gemüt eines so vernünftigen Mannes wie mein Vater war, sich soviel aus
+einer solchen Kleinigkeit machen könne. Der Name Kutsche -- gleichviel
+wessen -- oder Kutscher, oder Kutschpferd, oder Kutscherlohn konnte
+niemals in seiner Gegenwart ausgesprochen werden, ohne daß er sich über
+dieses schändliche Malzeichen der Seitenabkunft auf seinen Kutschtüren
+beklagte. Er konnte niemals ein- oder aussteigen, er mußte erst die
+Wappen begucken. Er tat dann allemal ein Gelübde, das sollte doch das
+letztemal sein, daß er seinen Fuß hineinsetzte, bis aus dem Riemen ein
+Band gemacht würde. Aber es ging eben wie mit dem Türknarren. Es war
+eins von den vielen Dingen, von denen auf den Tafeln des Verhängnisses
+geschrieben war: es sollte immer vom Ändern und Bessern gesprochen, und
+-- wie in weiseren Familien als der unserigen -- nie was daraus werden.
+
+»Hat der Maler das Wappen an der Kutsche übergebürstet? sage ich,«
+sagte mein Vater. -- »Die Kutsche inwendig und die Sitzkissen habe
+ich rein ausgebürstet,« antwortete Obadiah, »der Maler hat nichts
+gebürstet.« -- »Wir wollen reiten,« sagte mein Vater zu Yorick. -- »Von
+allen Dingen in der Welt, die Politik ausgenommen, ist die Heraldik den
+Geistlichen am wenigsten bekannt,« sagte Yorick. -- »Das tut nichts,«
+sagte mein Vater. »Ich möchte doch nicht gerne mit einer solchen Sau
+in meinem Wappenschilde aufziehen.« -- »Was ist's denn, ob der breite
+Strich rechts oder links durchs Schild geht,« sagte mein Onkel Toby. --
+»Wenn dir Band oder Riemen gleich ist, so kannst du mit Tante Dinah
+und dem Riemen im Wappen zu der Visitation fahren, wenn du Lust hast.«
+--
+
+Mein armer Onkel Toby wurde rot im Gesicht. Mein Vater ärgerte sich
+über sich selbst. »Nein, mein lieber Bruder Toby,« sagte mein Vater
+und änderte den Ton. »Sieh nur, wenn ich lange auf den dumpfigen
+Kutschpolstern säße, da könnte ich wieder das Hüftweh an den Hals
+bekommen wie vorigen Dezember, Januar und Februar. Tue mir's also zum
+Gefallen und reite meiner Frau ihr Pferd. Und da Sie doch predigen
+sollen, lieber Yorick, so tun Sie wohl am besten, daß Sie vorausreiten
+und mich mit meinem Bruder Toby langsam nachfolgen lassen.«
+
+Das Kapitel nun, das ich gezwungen war, auszureißen, war die
+Beschreibung dieser Kavalkade, bei welcher Korporal Trim und Kutscher
+Obadiah auf zwei Kutschpferden in einem Gliede langsam als Patrouille
+voranritten, derweile mein Onkel Toby in seiner gestickten Montierung
+und Knotenperücke mit meinem Vater Rang und Reihe hielt in tiefen Wegen
+und Untersuchungen über den Vorzug der Lehr- und Wehrkunst, die die
+Oberhand gewinnen könnte.
+
+Das Gemälde dieser Reise, da ich sie wieder ansehe, hebt sich so weit
+über den Stil und die Manier alles übrigen, was ich vermochte in
+diesem Buche zu malen, daß es nicht darin bleiben konnte, ohne jeden
+anderen Auftritt zu verdunkeln und das nötige Ebenmaß -- im Guten oder
+Schlechten -- zwischen Kapitel und Kapitel zu stören, aus dem die
+richtige und harmonische Proportion eines ganzen Werkes entsteht. Ich
+selbst habe freilich das Handwerk noch nicht lange getrieben, um laut
+mitzusprechen. Aber, so meine ich, ein Buch schreiben ist in der Welt
+nichts weiter, als einen Gesang so vor sich hin in den Bart singen. --
+Wenn Sie nur in der Melodie bleiben, Madame, Sie mögen hoch oder tief
+anfangen.
+
+Das ist, wenn Euer Hochwürden nicht ungütig vermerken wollen, die
+Ursache, warum einige der flachsten und schlechtesten Werke (mein Onkel
+Toby horchte bei dem Worte Werke schon hoch auf, ob nicht mehr von
+Fortifikationen vorkommen würde, als ihm Yorick eines Abends dieses
+sagte) so guten Abgang finden.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundfünfzigstes Kapitel.
+
+
+»Seht nur, schneidet er's nicht in lauter Fidibusse und teilt's herum,
+die Pfeifen damit anzuzünden!« -- »Es ist schändlich,« antwortete
+Didius. -- »Das sollte ihm nicht so frei hingehen,« sagte Doktor
+Kysarcius, einer von den Kysarciis aus den Niederlanden.
+
+»Mich dünkt,« sagte Didius, wobei er halb vom Stuhle aufstand, um eine
+große Kanne und eine kleine Weinflasche wegzurücken, die in gerader
+Linie zwischen ihm und Yorick standen, »diesen satirischen Streich
+hätten Sie hier wohl unterlassen, Herr Yorick, und an einem anderen
+Orte, bei einer schicklicheren Gelegenheit wenigstens, ihre Verachtung
+über unsere abgelegte Verrichtung anbringen mögen. Wenn die Predigt
+nicht mehr wert ist, als die Pfeife damit anzuzünden, mein Herr, so war
+sie gewiß nicht gut genug, vor einer so gelehrten Versammlung gehalten
+zu werden. Und war sie gut genug, vor einer so gekehrten Versammlung
+gehalten zu werden, mein Herr, so war sie gewiß zu gut, daß Sie hernach
+Ihre Pfeifen damit anzünden.«
+
+Ich habe ihn, sagte Didius bei sich selbst, in der Klemme. An einem der
+Gründe muß er hängen bleiben. Laß ihn sehen, wie er sich loshilft.
+
+»Die Geburt dieser Predigt,« sagte Yorick, »hat mir so unsägliche
+Schmerzen gekostet, daß ich Ihnen beteuere, Herr Didius, lieber will
+ich -- und womöglich mein Gaul mit mir -- tausendmal die Märtyrerkrone
+verdienen, als mich noch einmal hinsetzen und eine ähnliche machen. Ich
+bin am verkehrten Ende davon entbunden. Sie ging mir vom Kopfe ab und
+sollte vom Herzen kommen. Und wegen der Wehen, die sie mir sowohl beim
+Aufschreiben wie beim Predigen gemacht hat, räche ich mich auf diese
+Weise an ihr. Eine Predigt, die den Umfang unserer Belesenheit oder die
+Feinheit unseres Witzes zeigen will vor den Augen des großen Haufens
+mit seinem bißchen Gelehrsamkeit, die mit einigen schimmernden Worten,
+die aber wenig Licht und noch weniger Wärme enthalten, überfirnißt
+ist, einen Schacher treiben, das ist eine unredliche Verwendung der
+armseligen, einzigen halben Stunde, die man uns wöchentlich einräumt.
+Das heißt nicht das Evangelium, das heißt sich selbst predigen. Ich
+meinesteils,« fuhr Yorick fort, »ich möchte lieber fünf Worte so
+schußgerade ans Herz --« Als Yorick das Wort schußgerade aussprach,
+stand mein Onkel Toby auf, um etwas über die Brustwehren zu sagen, als
+ein einziges Wort, das sich an der anderen Seite des Tisches hören
+ließ, aller Ohren auf sich zog. Ein Wort, das man unter allen im besten
+Wörterbuche, am wenigsten an diesem Orte erwarten sollte. Ein Wort,
+das ich mich schäme zu schreiben, aber geschrieben, gelesen werden
+muß; illegal, paradox. Spekulieren Sie auf zehntausend Spekulationen,
+in sich selbst multipliziert, recken und strecken Sie Ihre Einbildung,
+soviel Sie wollen, Sie treffen es nicht. Kurz, im nächsten Kapitel will
+ich's sagen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechzigstes Kapitel.
+
+
+»Blitz!« -- -- -- -- -- -- -- --
+
+ * * * * *
+
+-- -- -- »B--tz!« rief Phutatorius halb leise, aber doch so laut, daß
+es überall gehört wurde, und das Seltsame dabei war, daß es mit einer
+Miene im Gesicht und mit einem Tone in der Stimme ausgesprochen wurde,
+die etwas zwischen einem Erstaunen und einem körperlichen Schmerz
+anzeigte.
+
+Einer oder zwei, die sehr helle Ohren hatten, und das verschmolzene
+Verhältnis der beiden Töne ebenso deutlich unterscheiden konnten wie
+eine Terzie oder Quinte oder jeden anderen Klang in der Musik, wußten
+am allerwenigsten, was sie daraus machen sollten. Der Akkord an sich
+war gut, gehörte aber zu einer weitentlegenen Tonart. Kurz, mit aller
+ihrer Gelehrsamkeit saßen sie da!
+
+Andere, welche nichts von musikalischen Verhältnissen wußten und bloß
+ihr Ohr auf den Sinn des Wortes wendeten, dachten, Phutatorius, der ein
+wenig cholerischen Temperaments war, wollte Didius das Schwert aus der
+Hand nehmen, um Yorick tüchtig eins auf die Krone zu geben. Und das
+verzweifelte Wörtlein B--tz wäre die Einleitung zu einer Rede, die eine
+unsanfte Behandlung ankündigte, so daß meines Onkels Toby gutes Herz
+schon Angst für ihn hatte, was der arme Yorick nicht würde aushalten
+müssen. Als man aber sah, daß Phutatorius schwieg, ohne Lust zu zeigen
+oder einen Versuch zu machen fortzufahren, so fing eine dritte Partie
+an zu glauben, daß es nichts weiter gewesen sei als ein unfreiwilliges
+Atemschöpfen, so ganz von selbst und von ungefähr in einem Bettelfluch
+zusammengefahren wäre, ohne die Eigenschaft oder Sünde desselben zu
+haben.
+
+Andere, und besonders einer oder zwei, welche dicht bei ihm saßen,
+betrachteten es hingegen als einen wirklichen und wesentlichen Fluch,
+der mit Fleiß und Bedacht gegen Yorick ausgestoßen worden, gegen den er
+bekanntermaßen nicht gut gesinnt war. Welch besagter Fluch, nach meines
+Vaters Schlüssen darüber, schon in dem Augenblicke ganz geprickelt
+und prall in Herrn Phutatorius' Gallenblase obenauf geschwommen, und
+also natürlicherweise und nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge bei
+dem ersten Zurückfluß des Blutes hervorgerufen werden mußte, der in
+Phutatorius' rechter Herzkammer durch den überraschenden Stoß, den eine
+so sonderbare Predigertheorie ihm beibrachte, entstand.
+
+Wie witzig wir doch über mißverstandene Begebnisse philosophieren
+können!
+
+Es war keine Seele, die sich nicht in ihren Gedanken über das
+einsilbige Wort, das dem Phutatorius entfahren, beschäftigte, die es
+nicht für bekannt annahm und daraus als aus einem Vordersatz folgerte:
+daß nämlich Phutatorius in seinen Gedanken mit dem Zwist beschäftigt
+sei, der zwischen Didius und Yorick entstanden. Und freilich, da er
+erst den einen und dann den anderen mit der Miene eines Mannes ansah,
+der darauf achtet, was in der Gesellschaft vorgeht, so hatte man nicht
+anders denken können. In der Tat aber wußte Phutatorius kein Wort von
+allem, was vorging. Seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit waren
+gänzlich auf das gerichtet, was eben in dem Augenblicke in der Gegend
+seiner Pluderhosen, und zwar an einer Stelle in denselben vorging,
+die er vor bösen Zufällen zu bewachen die höchste Ursache hatte.
+Deswegen, obgleich er das aufmerksamste Gesicht von der Welt machte
+und allmählich jeden Nerv und jeden Muskel in seinem Gericht so scharf
+angezogen hatte, wie das Instrument es nur aushalten wollte, um, wie
+man dafür hielt, dem Yorick, der ihm gegenübersaß, eine derbe Antwort
+zu versetzen, so war doch, wie ich sage, kein Yorick in irgendeinem von
+den Gemächern von Phutatorius' Gehirn anzutreffen. Die wahre Ursache
+seiner Ausrufung lag wenigstens etliche Fuß tiefer.
+
+Ich will mich bemühen, Ihnen dieses mit aller ersinnlichen Züchtigkeit
+zu erklären.
+
+Sie müssen sich also berichten lassen, daß Gastripheres, der kurz
+vorher, ehe man sich zu Tische setzte, ein wenig in die Küche ging,
+um zu sehen, wie es darin stände, auf der Anrichtebank einen Korb
+mit schönen Kastanien erblickte und befohlen hatte, daß sie ein paar
+hundert davon braten und solche gleich zum Nachtisch heiß aufsetzen
+sollten. Gastripheres gab seinem Befehle dadurch noch einen größeren
+Nachdruck, daß er sagte, Didius und besonders Phutatorius wären
+Liebhaber davon.
+
+Ungefähr zwei Minuten vorher, ehe mein Onkel Toby Yoricks Rede
+unterbrach, wurden Gastripheres Kastanien hereingebracht. Und da es dem
+Aufwärter noch im frischen Andenken war, daß Phutatorius sie so gerne
+möchte, so setzte er solche dicht vor ihm hin, auf einem Teller in
+einem sauberen, damastnen Tellertuch.
+
+Lag es nun an der physischen Unmöglichkeit, daß nicht ein halbes
+Dutzend Hände zugleich in das Tellertuch fahren konnten, ohne daß
+die eine oder die andere Kastanie, von mehr Feuer und Rinde als die
+übrigen, in Bewegung geriet, oder -- kurz, so war's: eine rollte über
+den Tisch und herunter. Und da Phutatorius mit auseinandergesperrten
+Knien daruntersaß, so fiel solche senkrecht in die ganz eigene Öffnung
+in Phutatorius' Beinkleidern, für welche ich, zur Schande unserer
+Sprache oder auch meines Gedächtnisses sei es gesagt, kein keusches
+Wort finden kann. Sie müssen sich damit begnügen, wenn ich sage, es war
+die ganz eigene Öffnung, welche, den strengen Wohlstandsgesetzen in
+allen hübschen Gesellschaften zufolge, gleich dem Tempel des Janus --
+in Friedenszeiten wenigstens -- völlig geschlossen sein sollen.
+
+Die Verabsäumung dieser Vorsicht -- welches zugleich dem Phutatorius
+und allen Menschenkindern eine Warnung sein mag -- hatte dem Zufall
+eine Pforte geöffnet.
+
+Alles, was mir als Geschichtschreiber obliegt, ist, das Begebnis
+darzustellen und es dem Leser glaublich zu machen, daß der Hiatus in
+Phutatorius' Beinkleidern geräumig genug war, die Kastanie aufzunehmen,
+und daß die Kastanie auf eine oder die andere Weise senkrecht und
+zischend heiß hineinfiel, ohne daß Phutatorius oder sonst jemand es
+gewahr wurde.
+
+Die natürliche Wärme, die die Kastanie verbreitete, war die ersten
+zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden nicht unangenehm und tat weiter
+nichts, als Phutatorius' Aufmerksamkeit auf die Stelle zu richten.
+Wie aber die Hitze gradweise zunahm und in einigen Sekunden mehr über
+den Punkt der angenehmen Empfindungen hinausging und darauf mit aller
+Eile in das Gebiet der Schmerzen drang, tummelte sich Phutatorius'
+Seele mit allen seinen Ideen, seinen Gedanken, einer Aufmerksamkeit,
+seiner Imagination, seinem Verstande, seinen Entschließungen, seinen
+Überlegungen, seinem Urteile, seinem Gedächtnisse, seiner Phantasie,
+mit zehn Bataillonen Lebensgeistern über Hals und Kopf durch
+verschiedene Wege und Steige hinunter nach dem Orte, dem die Gefahr
+drohte, und ließen alle seine oberen Plätze, wie Sie sich vorstellen
+können, so leer, wie mein Geldbeutel ist.
+
+Nach den besten Berichten, die ihm alle diese Boten zurückzubringen
+vermochten, war Phutatorius nicht imstande, das Geheimnis einzusehen,
+das unten vorging. Er hatte keine Art von Vermutung, was zum Henker es
+wohl sein möchte. Indessen, da er nicht wußte, wie die wahre Ursache
+ausfallen möchte, hielt er es für das klügste, es womöglich wie ein
+Stoiker zu ertragen, was er auch mit Hilfe einiger Zuckungen im Gesicht
+und einigem Maulspitzen glücklich durchgesetzt hätte, wenn nur seine
+Einbildung aus dem Spiele geblieben wäre. -- Aber bei Dingen von
+dieser Art ist die Brunst der Einbildung unbezähmlich; es hob sich
+plötzlich ein Gedanke in seinem Gemüt, daß, obgleich es einem Schmerz
+von glühender Hitze ähnlich sei, es dennoch ebensogut ein Biß wie ein
+Brand sein könnte, und wenn dem so, auch wohl eine Eidechse oder Otter
+oder ein anderes häßliches Ungeziefer heraufgekrochen sein könnte, das
+seine Zähne -- der gräßliche Gedanke daran und ein frischer Schmerz,
+den ihm in diesem Augenblick die Kastanie verursachte, überfielen
+Phutatorius mit einem plötzlichen Schrecken, und in der ersten
+Überrumpelung und Bestürzung brachte es ihn -- wie es wohl den besten
+Generälen auf der Welt ergangen ist -- gänzlich aus seiner Fassung.
+Die Wirkung davon war, daß er gleich aufsprang, und im Aufspringen
+stieß er die Silbe aus, über die schon soviel gesprochen ist, mit dem
+Ausrufungszeichen dahinter, das, obgleich nicht so völlig geistig
+anständig, doch immer noch so wenig war, wie nur ein Mensch bei
+solcher Gelegenheit sagen konnte, und das auch, nebenbei bemerkt --
+geistig wohlanständig oder nicht -- Phutatorius ebensowenig wie die
+Veranlassung desselben in seiner Gewalt hatte.
+
+Obgleich dies nun beim Erzählen einige Zeit weggenommen hat, so
+dauerte doch der ganze Vorgang selbst wenig mehr Zeit, als Phutatorius
+brauchte, die Kastanie hervorzulangen und solche mit Heftigkeit auf den
+Fußboden zu werfen, -- und Yorick von seinem Stuhle aufzustehen und die
+Kastanie aufzuheben.
+
+Es ist der Mühe wert, zu bemerken, was für mächtigen Einfluß
+geringfügige Umstände auf das Gemüt haben, von was für einem
+unglaublichen Gewicht sie bei der Bildung und Richtung unserer
+Meinungen sowohl von Menschen als Sachen sind, -- daß Kleinigkeiten, so
+leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele führen und ihn darin so
+tief einpflanzen können, daß keine Batterie von Demonstrationen stark
+genug ist, ihn herauszukanonieren.
+
+Yorick, sagte ich, nahm die Kastanie auf, die Phutatorius im Zorn
+niedergeworfen hatte. Die Tat war unerheblich; ich schäme mich, Grund
+und Ursache davon anzugeben. Er tat es aus keiner anderen Ursache, als
+weil er dachte, die Kastanie sei trotz der Begebenheit noch ebenso
+gut als vorher, und eine gute Kastanie sei immer des Aufnehmens wert.
+Dieser Umstand aber, so geringfügig er war, wirkte in Phutatorius' Kopf
+ganz anders. Er betrachtete Yoricks Handlung, da er vom Stuhle aufstand
+und die Kastanie aufnahm, als ein deutliches Geständnis seinerseits,
+daß die Kastanie eigentlich ihm gehöre, und folglich, daß es der Eigner
+der Kastanie und sonst niemand gewesen sein müßte, der ihm damit einen
+solchen Possen gespielt habe. Was ihn in dieser Meinung sehr bestärkte,
+war dies: die Tafel war länglich und sehr schmal, und Yorick, der dem
+Phutatorius gerade gegenübersaß, hatte die schönste Gelegenheit, die
+Kastanie hineinzustecken --, folglich mußte er es getan haben. Ein mehr
+als bloß argwöhnischer Blick, den Phutatorius jetzt auf Yorick warf,
+zeigte diese Meinung zu klar an. Da man natürlicherweise voraussetzte,
+daß Phutatorius mehr von der Sache wüßte als sonst jemand, so
+wurde seine Meinung die allgemeine, und aus einer von allen bisher
+angeführten sehr verschiedenen Ursache hielt man es in kurzer Zeit für
+völlig ausgemacht.
+
+Dieses, wie der Leser von Anfang bis Ende gesehen hat, war so grundlos
+wie die Träume der Philosophie. Yorick war freilich, wie Shakespeare
+von seinem Urahnen sagte, ein Mann, der Kurzweil trieb; aber seine
+Kurzweil war mit etwas vermischt, das ihn sowohl von diesem als manchen
+anderen beleidigenden Possen abhielt, die man ihm unverdienterweise
+aufpackte. Aber all sein Leben lang hatte er das Unglück, daß man ihm
+tausend Dinge zur Last legte, die er gesagt oder getan haben sollte,
+deren seine Natur -- oder meine Hochachtung blendet mich -- unfähig
+war. Alles, was ich an ihm tadle, oder vielmehr, weswegen ich ihn
+bald tadle, bald liebe, war seine eigene Gemütsart, die ihm niemals
+gestattete, sich Mühe zu geben, der Welt aus ihrem Traume zu helfen,
+so sehr es auch in seiner Gewalt stand. Bei jeder üblen Nachrede von
+der Art machte er's gerade eben so, wie bei der Geschichte mit seinem
+mageren Klepper. Er hätte es zu seiner Ehre an den Tag legen können,
+aber sein Sinn war darüber erhaben. Überdem sah er auf den Erfinder,
+Verbreiter und gläubigen Hörer solcher boshaften und ehrenrührigen
+Sagereien verächtlich herab. Er konnte sich nicht so tief herablassen,
+ihnen seine Geschichte zu erzählen, und so erwartete er's von der Zeit
+und Wahrheit, daß die es für ihn tun würden.
+
+Diese heroische Gesinnung zog ihm mancherlei Unbequemlichkeiten zu.
+Bei der gegenwärtigen Geschichte folgte darauf eine rachsüchtige
+Feindschaft des Phutatorius, der, wie Yorick eben mit seiner Kastanie
+fertig war, zum zweiten Male vom Stuhle aufstand, um es ihm zu
+verstehen zu geben, welches er freilich nur mit einem Lächeln tat und
+den Worten, er wolle darauf bedacht sein, ihm die Gefälligkeit nicht zu
+vergessen. Allein, Sie müssen zwei Dinge sorgfältig unterscheiden und
+in Ihrem Herzen bewahren.
+
+Das Lächeln galt der Gesellschaft.
+
+Die Drohung galt Yorick.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einundsechzigstes Kapitel.
+
+
+»Ja,« sagte Didius, indem er aufstand und seine rechte Hand mit
+ausgespreizten Fingern auf seine Brust legte, wäre ein solches Versehen
+mit dem Taufnamen vor der Reformation gemacht -- es war vorgestern, da
+es gemacht wurde, sagte mein Onkel Toby bei sich selbst --, da noch der
+Taufaktus in Latein gehalten ward -- nein, 's war in der Muttersprache,
+sagte mein Onkel --, so hatte vielerlei Irrtum dabei vorgehen können;
+nach dem Beispiele verschiedener dekretierter Fälle hätte dann die
+Taufe für null und nichtig erklärt und die Macht erteilt werden können,
+dem Kinde einen neuen Namen zu geben. Hätte zum Beispiel ein Priester,
+was wegen der Unwissenheit in der lateinischen Sprache so unerhört eben
+nicht war, Hans Graubarts Kind getauft: +in nomino patriæ et filia et
+spiritum sanctos+, so wäre die Taufe für ungültig gehalten worden.«
+-- »Um Vergebung,« erwiderte Kysarcius, »in dem Falle wäre, da der
+Fehler nur in den Endungen steckte, die Taufe gültig geblieben. Um sie
+ungültig zu machen, hätte der Fehler des Priesters auf die erste Silbe
+eines jeden Namens fallen müssen, und nicht wie in Ihrem Beispiele, auf
+die letzte.«
+
+Mein Vater fand seines Herzens Freude an dergleichen Subtilitäten und
+hörte mit unendlicher Aufmerksamkeit zu.
+
+»Gastripheres zum Beispiel,« fuhr Kysarcius fort, »tauft Hans
+Strodlings Kind +in Gomine gatris etc. etc.+ anstatt +in
+Nomine patris+ usw., heißt das eine Taufe? -- Nein, sagen die
+geschicktesten Kanonisten, um so weniger, weil die Wurzeln eines jeden
+Wortes aufgerissen und ihr Sinn auf einen entfernten und ganz andern
+Gegenstand verpflanzt worden. Denn +Gomine+ heißt ebensowenig
+im Namen, als +gatris+ eines Vaters.« -- »Was heißen sie denn?«
+sagte mein Onkel Toby. -- »Gar nichts,« sagte Yorick. »Ergo,« sagte
+Kysarcius, »ist eine solche Taufe ungültig.« -- »Was zu beweisen war,«
+antwortete Yorick in einem Tone von zwei Teilen Scherz und einem Teile
+Ernst.
+
+»In dem angeführten Falle aber,« fuhr Kysarcius fort, »wo +patrim+
+statt +patris+, +filia+ statt +filii+ usw. gesagt wird,
+ist das nur ein Fehler in der Endung, und die Wurzeln der Worte sind
+unangetastet, und ihre Äste, hierhin oder dorthin, können die Taufe
+nicht ungültig machen. Um so weniger als in den Worten derselbe Sinn
+bleibt wie vorher. -- Und davon, mein lieber Herr Amtsbruder Didius,
+haben wir einen ähnlichen Fall in einem Dekrete der Dekretalien
+des Papstes Leo +III.+« -- »Meines Bruders Kind,« rief mein
+Onkel Toby, »hat aber nichts mit dem Papste zu schaffen. Es ist ja
+erwiesenermaßen das Kind eines protestantischen Mannes, das man
+Tristram getauft hat gegen Wunsch und Willen seines Vaters, seiner
+Mutter und aller übrigen Blutsverwandten.«
+
+»Wenn nur der Wunsch und Wille,« sagte Kysarcius und fiel meinem Onkel
+Toby in die Rede, »derer ein Gewicht haben soll, die mit Herrn Shandys
+Kind in Blutsverwandtschaft stehen, so kommt Madame Shandy unter allen
+Menschen doch dabei am wenigsten in Betracht.« Mein Onkel Toby legte
+seine Pfeife nieder, und mein Vater rückte mit seinem Stuhle noch näher
+an den Tisch, um das Ende einer so seltsamen Einleitung zu hören.
+
+»Es ist nicht nur, mein Herr Kapitän Shandy, unter den besten
+Rechtslehrern und Advokaten des Landes,« fuhr Kysarcius fort,
+»die Frage aufgeworfen worden, ~ob die Mutter mit ihrem Kinde
+in Blutsverwandtschaft steht~, sondern sie ist wirklich nach
+vielen unparteiischen Untersuchungen und Hin- und Widerreden darüber
+verneinend entschieden, nämlich ~daß die Mutter keine Blutsverwandte
+ihres Kindes sei~.«
+
+Mein Vater legte den Augenblick seine Hand auf meines Onkels Toby
+Mund, unter dem Scheine, als ob er ihm etwas ins Ohr flüsterte. In der
+Tat aber, weil er sein Maultier fürchtete. Und da er herzlich Lust
+hatte, über einen so hübschen Vorwurf noch mehr zu hören, so bat er
+meinen Onkel Toby, er möchte sie ihm doch um's Himmels willen nicht
+verderben. Mein Onkel Toby nickte mit dem Kopfe und begnügte sich
+damit, daß er seinen Regimentsmarsch in Gedanken pfiff. Kysarcius,
+Didius und Triptolemius fuhren mit dem Gespräch fort.
+
+»Diese Entscheidung,« sprach Kysarcius weiter, »so sehr sie auch gegen
+den Strom der allgemeinen Meinung anzuschwimmen scheinen mag, hat
+dennoch die Vernunft sehr auf ihrer Seite und ist durch den berühmten
+Rechtsfall, der nach dem Herzog von Suffolk genannt wird, außer allen
+Zweifel gesetzt werden.« -- »Brook führte ihn an,« sagte Triptolemius.
+-- »Und Lord Coke erwähnt seiner gleichfalls,« fügte Didius hinzu. --
+»Sie können ihn auch im Swimburn, von den Testamenten, finden,« sagte
+Kysarcius.
+
+»Der Rechtshandel, Herr Shandy, war dieser:
+
+Unter der Regierung Eduards +VI.+ machte Karl, Herzog von Suffolk,
+der aus dem zweiten Bette einen Sohn und aus dem ersten eine Tochter
+hatte, sein Testament, darin er seine Güter dem Sohn vermachte, und
+starb darauf. Nach ihm starb der Sohn gleichfalls, aber ohne Testament,
+ohne Weib und ohne Kind. -- Seine Mutter und seine Schwester von
+Vatersseite -- denn sie war aus der ersten Ehe --, überlebten ihn. Die
+Mutter übernahm die Administration von ihres Sohnes Gütern, zufolge des
+einundzwanzigsten Artikels der Statuten Heinrichs +VIII.+, in dem
+es heißt: ›Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, so
+soll die Administration seiner Güter der Person anheimfallen, die mit
+ihm im nächsten Grade der Blutsverwandtschaft steht‹.
+
+Da also die Administration der Mutter zugestanden worden, machte die
+Schwester von väterlicher Seite vor dem geistlichen Gerichte eine
+Klage anhängig, worin sie anführte: 1. daß sie selbst die nächste
+Blutsverwandte sei, und 2. daß die Mutter mit dem Erblasser in gar
+keiner Blutsverwandtschaft stände. Daher bat sie das Gericht, daß
+solches die der Mutter zugesprochene Administration widerrufen und ihr,
+vigore des besagten Artikels, als nächster Blutsverwandten zugeurteilt
+werden möge.
+
+Hierüber wurden, weil es ein wichtiger Prozeß war, an dessen Ausgang
+viel gelegen, und in der Folge mancher wichtiger Rechtshandel danach
+entschieden werden möchte, die gelehrtesten Männer, sowohl in den
+Rechten des engländischen Reichs als im Römischen Rechte konsultiert:
+ob die Mutter eine Blutsverwandte ihres Kindes sei oder nicht.
+Worüber dann nicht nur die weltlichen, sondern auch die geistlichen
+Rechtslehrer, die +Juris consulti+, die +Juris prudentes+,
+die Zivilsten, die Advokaten, die Kommissarien, die Richter der
+Konsistorial- und Prärogativgerichte zu York und Canterbury nebst den
+Doktoren und Lizentiaten alle einstimmig der Meinung waren: die Mutter
+sei keine Blutsverwandte ihres Kindes.«
+
+»Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu?« sagte mein Onkel Toby.
+
+Das Unerwartete bei meines Onkels Toby Frage machte den Kysarcius
+verwirrter, als der geschickteste Advokat hätte tun können. -- Er
+schwieg eine völlige Minute und sah meinem Onkel Toby starr ins
+Gesicht, ohne zu antworten. Und in der einzigen Minute warf ihn
+Triptolemius hinter sich und führte den Reihen wie folgt:
+
+[Illustration]
+
+»In den Rechten ist es ein Grundsatz,« sagte Triptolemius, »daß die
+Dinge darin nicht aufsteigen, sondern absteigen; und ich zweifle nicht,
+daher muß es geleitet werden, daß, so wahr es ist, daß das Kind vom
+Blute der Eltern sein mag, dennoch die Eltern nicht von seinem
+Blute sind. Da die Eltern nicht von dem Kinde gezeuget werden, sondern
+das Kind von den Eltern. Denn so steht geschrieben: +Liberi sunt de
+sanguine Patris et Matris, sed Pater et Mater non sunt de sanguine
+librorum.+«
+
+»Das beweiset aber zuviel,« rief Didius, »denn nach dieser angeführten
+Autorität würde nicht bloß das folgen, was in der Tat von allen Seiten
+zugestanden wird, daß die Mutter keine Blutsverwandte ihres Kindes
+ist, sondern der Vater ebensowenig.« -- »Es wird auch für die beste
+Meinung gehalten,« sagte Triptolemius, »weil der Vater, die Mutter und
+das Kind, ob es gleich drei Personen sind, nur -- +una caro+ --
+ein Fleisch und folglich keinen Grad von Verwandtschaft ausmachen oder
+~in der Natur~ erlangen können.« -- »Da treiben Sie Ihren Beweis
+abermals zu weit,« rief Didius. »Denn in der Natur ist kein Verbot
+wie im levitischen Gesetze, daß jemand mit seiner Großmutter ein Kind
+haben könne.« -- »Das ist das +Argumentum commune+,« setzte Yorick
+hinzu. -- »'s ist so gut,« sagte Eugenius, und nahm Seinen Hut in die
+Hand, »wie Sie's verdienen.«
+
+Die Gesellschaft brach auf.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundsechzigstes Kapitel.
+
+
+»Nun,« sagte mein Onkel Toby, der sich auf Herrn Yorick stützte,
+welcher ihm mit meinem Vater gemächlich die Treppen hinunterhalf.
+Erschrecken Sie nur nicht, Madame, dieses Treppengespräch ist nicht so
+lang wie das vorige. -- »Nun, lieber Herr Yorick,« sagte mein Onkel
+Toby, »auf welche Art ist denn endlich die Sache mit Tristram von
+diesen gelehrten Männern entschieden?« -- »Sehr hinlänglich,« versetzte
+Yorick. »Kein Sterblicher hat was damit zu schaffen, mein lieber Herr
+Kapitän, denn Madame Shandy, die Mutter, ist nichts weniger als seine
+Blutsverwandte. Und da doch die mütterliche Seite die sicherste ist,
+so ist folglich Herr Shandy ihm noch weniger, als nicht. Kurz, er ist
+nicht so nahe mit ihm verwandt, Herr, wie ich --«
+
+»Das kann wohl sein,« sagte mein Vater mit Kopfschütteln.
+
+»Laß die Gelehrten sagen, was sie wollen, es muß doch gewiß eine Art,«
+sagte mein Onkel Toby, »von Blutsfreundschaft zwischen der Herzogin von
+Suffolk und ihrem Sohne gewesen sein.« --
+
+»Die Ungelehrten sind,« sagte Yorick, »noch bis auf diese Stunde
+ebender Meinung.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundsechzigstes Kapitel.
+
+
+Ob mein Vater gleich von den Subtilitäten dieser Unterredung mächtig
+gekitzelt ward, so ging's doch damit wie mit der Salbe auf einem
+gebrochenen Knochen. Sobald er zu Hause angekommen, fiel die Last
+seiner Betrübnis desto schwerer auf ihn zurück. Wie's immer zu gehen
+pflegt, wenn der Stab, worauf wir uns lehnten, ausweicht. Er geriet
+ins Nachdenken, ging häufig nach dem Fischteiche, ließ eine Krempe
+von seinem Hute nieder, seufzte öfters, fuhr niemand mehr hitzig an.
+Und da die schnellen Anwandlungen des Zorns, die einen Menschen so
+auffahren lassen, so sehr die Ausdünstung und Verdauung befördern, wie
+Hippokrates sagt, so wäre er gewiß aus Mangel daran krank geworden,
+wenn nicht noch eben zu rechter Zeit seine Gedanken davon abgekehrt und
+seine Gesundheit durch einen frischen Troß von Unruhen erlöst worden
+wäre, die ihm meine Tante Dinah mit einem Vermächtnis von fünf- bis
+sechstausend Talern hinterließ.
+
+Mein Vater hatte kaum den Brief gelesen, als er die Sache gleich beim
+rechten Zipfel faßte und seinen Kopf ängstete und plagte, wie er's am
+besten zur Ehre der Familie anlegen sollte. Wohl hundertundfünfzig
+wundersame Projekte nisteten sich, eins nach dem andern, in sein
+Gehirn. Er wollte dies tun und das -- und das andere. -- Er wollte nach
+Rom, es dem Papste abprozessieren, wollte Aktien kaufen, John Hobson
+sein Landgut abfeilschen, er wollte einen neuen Giebel vor seinem Hause
+heraufziehen und einen neuen Flügel dranbauen. An dieser Seite des
+Baches stand eine hübsche Wassermühle, und er wollte jenseits, gerade
+gegenüber, eine Windmühle bauen, der hübschen Symmetrie wegen. Vor
+allen Dingen aber in der Welt wollte er das große Ochsenmoor bestellen
+und meinen Bruder Bobby auf Reisen schicken.
+
+Da aber die Summe endlich war, und folglich nicht alles ausrichten
+konnte und in der Tat sehr wenig von all diesem gehörig und gut, so
+schienen von allen Projekten, die sich bei dieser Gelegenheit darboten,
+die beiden letzten den tiefsten Eindruck zu machen. Er würde sich auch
+gewiß zu beiden zugleich entschlossen haben, wenn's nicht der kleine,
+eben erwähnte Umstand gehindert hätte, der ihn allerdings in die
+Notwendigkeit versetzte, sich entweder für das eine oder das andere zu
+erklären.
+
+Dies war nicht so leicht geschehen; denn so gewiß es ist, daß mein
+Vater schon längst sein Herz auf diesen wesentlichen Teil der Erziehung
+meines Bruders eingestellt und wie ein kluger Mann beschlossen
+hatte, ihn von dem ersten Gelde, das ihm von der zweiten Dividende
+der Mississippiaktien einliefe, seine Reise antreten zu lassen, so
+hatte doch das Ochsenmoor, ein hübscher, großer, brachliegender,
+dem Shandyschen Gute zugehöriger Anger, fast ebenso alte Rechte und
+Ansprüche. Er hatte schon lange und ernstlich darauf gesonnen, es unter
+Pflug und Egge zu bringen.
+
+Da ihn aber bisher noch kein solcher Zusammenfluß von Dingen gedrängt,
+auszumachen, welches von beiden das älteste oder beste Recht hätte, so
+hatte er sich wie ein weiser Mann enthalten, sich in eine kritische
+Untersuchung darüber einzulassen. Dergestalt also, daß, nachdem alle
+übrigen Projekte bei dieser Krise den Laufpaß erhalten, die beiden
+alten, das Ochsenmoor und mein Bruder darüber wieder unter sich
+stritten -- sie waren einander dergestalt gewachsen, daß sie manchen
+nicht geringen Kampf im Kopfe des alten Herrn veranlaßten --, welches
+zuerst in Gang gebracht werden sollte.
+
+Die Leute haben gut lachen, die Sache war so:
+
+Es war beständig in der Familie Brauch gewesen und war durch die
+Verjährung gleichsam ein Recht geworden, daß der älteste Sohn, bevor er
+heiratete, in fremde Gebiete freien Ein-, Aus- und Zugang haben mußte.
+Nicht nur um durch die Leibesübung und häufige Veränderung der Luft
+ein eigenes persönliches Gebiet zu verbessern, sondern auch zum reinen
+Vergnügen seiner Phantasie. Daß man ihm, weil er sagen konnte, ich bin
+gereist, eine bunte Feder mehr in den Schwanz setzte. -- +Tantum
+valet+, pflegte mein Vater zu sagen, +quantum sonat+.
+
+Da dieses nun ein vernünftiger und also ein allerchristlicher Brauch
+war -- wenn man ihn ohne Warum und Weswegen aufsetzte -- und dadurch
+das erste Exempel gegeben würde, daß ein Shandyscher Erbe nicht
+in einer Postchaise durch Europa kutschiert worden, und zwar bloß
+deswegen, weil er noch ein Knabe war, so hieß das ärger mit ihm
+umspringen, als mit einem Heiden und Türken.
+
+Auf der anderen Seite war der Fall des Ochsenmoores ebenso dringend.
+
+Den ersten Kaufschilling nicht mitgerechnet, der achthundert Louisdor
+betrug, hatte es der Familie schon vor fünfzehn Jahren noch andere
+achthundert an Prozeßkosten gefressen. Der Himmel weiß, wie manchen
+Ärger und Verdruß man dadurch hatte.
+
+Überdem war es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein beständiges
+Eigentumsstück der Shandyschen Familie, und ob es gleich groß und
+breit vor dem Hause lag und man an einer Seite die Wassermühle sah und
+an der anderen die projektierte Windmühle sehen sollte, von der oben
+gesprochen worden -- und aus allen diesen Gründen das begründetste
+Recht vor allen ändern Grundstücken auf die Pflege und Fürsorge der
+Familie zu haben schien: -- so war es dennoch durch ein unbegreifliches
+Schicksal, dem sowohl die Menschen, wie der Grund, den sie betreten,
+unterworfen sind, -- die ganze Zeit her schändlich übersehen worden.
+Es hatte, die Wahrheit zu gestehen, dadurch so sehr gelitten, daß dem
+Manne, sagte Obadiah, der wüßte, was Land wäre, und darüber ritte
+und sähe, in welchen kläglichen Umständen es läge, das Herz im Leibe
+darüber bluten müßte.
+
+Indessen, da weder der Ankauf dieses Grundstücks, noch seine Lage,
+so gut sie auch war, meines Vaters Werk waren, so hatte er gemeint,
+daß es ihn eigentlich nichts anginge. Bis vor fünfzehn Jahren der
+oben erwähnte verdammte Grenzprozeß losbrach, der als meines Vaters
+eigentümliche Tat und Handlung zugleich alle anderen Gründe zu seinem
+Besten aufweckte. Nachdem er sie alle aufgezählt hatte, fand er, daß er
+nicht nur des Nutzens, sondern auch der Ehre wegen verpflichtet sei,
+etwas dafür zu tun, und daß es jetzt Zeit sei oder niemals.
+
+Es muß ein Unglück dazu geschlagen sein, daß die Gründe auf beiden
+Seiten so völlig gleichwiegend waren. Denn ob mein Vater sie
+unter allen Umständen und in allerlei Gemütsverfassungen abwog --
+manche kummervolle Stunde in sehr tiefen und abstrakten Gedanken
+darüber hinbrachte, heute Bücher von der Landwirtschaft, morgen
+Reisebeschreibungen las, alle Leidenschaften beiseitesetzte, die
+Gründe auf beiden Seiten mit allen ihren Umständen beleuchtete,
+täglich mit meinem Onkel Toby darüber Rat pflog, mit Yorick darüber
+philosophierte und über die ganze Sache, das Ochsenmoor betreffend, mit
+Obadiah sich besprach, so ergab sich doch in all der Zeit nichts, was
+so stark für das eine sprach, das sich nicht auch ganz genau auf das
+andere anwenden ließ, oder doch wenigstens durch eine oder die andere
+Rücksicht, von gleichem Gewicht, die Schalen gleichschwebend hielt.
+
+Soviel war unstreitig gewiß, wenn das Ochsenmoor in gute Hände geriet
+und gehörig bearbeitet würde, so müßte es ein ganz anderes Ansehen in
+der Welt haben, als es der Fall war oder in seiner jetzigen Verfassung
+jemals tun konnte. Das war aber auch, Obadiah mochte sagen, was er
+wollte, alles haarklein von meinem Bruder Bobby wahr.
+
+In Ansehung des Einträglichen, gestehe ich, schien der Streit dem
+ersten Augenblicke nach nicht so unentschieden unter den beiden; denn
+so oft mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und sich darüber her
+machte, zu berechnen, was die Ausgaben für Aufbrechen, Ausbrennen,
+Einhägen usw. des Ochsenmoors betrügen, und dagegen den sicheren
+Profit, den es ihm wieder bringen müßte, so war der letzte, auf die
+Art, wie er das Exempel ansetzte, so unglaublich überwiegend, daß man
+hätte schwören sollen, das Ochsenmoor müßte die Oberhand behalten.
+Denn es war klar, er müßte gleich das erste Jahr über hundert Last
+Rapssamen ziehen, die Last zu hundert Taler gerechnet. Hierauf das
+zweite Jahr eine vortreffliche Weizenernte. Das Jahr darauf, um es
+nur gering anzuschlagen, hundert, nach aller Wahrscheinlichkeit aber
+hundertfünfzig, wo nicht zweihundert Wispel Bohnen und Erbsen, nicht
+zu gedenken der unendlichen Menge Kartoffeln. -- Aber dann klopfte der
+Gedanke, daß er derweile meinen Bruder auferzöge wie ein Schwein, das
+sie fressen sollte, wieder in seinem Kopfe an und ließ den lieben
+alten Herrn in solcher Unentschlossenheit, daß er, wie er oft meinem
+Onkel Toby erklärte, ebensowenig wußte, was er tun sollte wie sein
+Absatz.
+
+Kein Mensch als er, der es gefühlt hat, kann sich vorstellen, was für
+eine Not es ist, wenn ein Mann von zwei Projekten von gleicher Stärke
+gezerrt wird, die ihn beide gleich hartnäckig in entgegenstehender
+Richtung ziehen und reißen. Denn, nicht zu gedenken der Verwüstung,
+die solches natürlicherweise in dem ganzen feineren Systeme der Nerven
+anrichten muß, welche, wie Sie wissen, die Lebensgeister und subtileren
+Säfte vom Herzen nach dem Haupte und so weiter führen: -- so ist es
+nicht zu sagen, in was für einem hohen Grade ein so widersinniges
+Reiben schon auf die gröberen und solideren Teile wirkt, indem es,
+sooft es vorwärts geht oder rückwärts, allemal das Fett eines Mannes
+schmilzt und seine Kräfte schwächt.
+
+Mein Vater wäre diesem Übel erlegen, so gewiß als er dem mit meinem
+Taufnamen erlag, wäre er nicht aus diesem eben so erlöset, wie aus
+jenem: durch ein frisches Übel, das Unglück von meines Bruders Bobby
+Tod.
+
+Was ist des Menschen Leben! Ist's nicht bald hier, bald dort? Aus einer
+Sorge in die andere? Eine Ursache des Verdrusses zugeknöpft, eine
+andere wieder auf!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundsechzigstes Kapitel.
+
+
+Als mein Vater den Brief empfing, der ihm die traurige Nachricht von
+meines Bruders Bobby Tode gab, saß er eben über der Berechnung der
+Kosten der Extrapost für ihn von Calais nach Paris und so weiter nach
+Lyon.
+
+Es war eine unglückliche Reise. Mein Vater mußte jeden Schritt noch
+einmal durchreisen und seine Berechnung von vorne wieder anfangen, als
+er bereits fast bis ans Ende gelangt war. Denn Obadiah machte die Türe
+auf, ihm zu sagen, es sei keine Hefe mehr im Hause, und ihn zu fragen,
+ob er nicht morgen früh das große Kutschpferd nehmen und hinreiten
+sollte, welche zu holen. »Meinethalben, Obadiah,« sagte mein Vater und
+ließ sich in seiner Reise nicht irremachen, »nehme Er das Kutschpferd
+und damit gut!« -- »Aber es hat ein Eisen verloren, das arme Tier!«
+sagte Obadiah. -- »Das arme Tier,« sagte mein Onkel Toby und
+wiederholte die Schwingungen der Note wie eine rein gestimmte Saite. --
+»So nehme Er den Schottländer,« sagte mein Vater hastig. -- »Der ist
+so gedrückt, daß er um alles in der Welt keinen Sattel leiden kann,«
+sagte Obadiah. -- »Mit dem Pferde ist auch immer was; so nehme Er den
+Patrioten,« rief mein Vater, »und mache Er die Türe zu.« -- »Patriot
+ist verkauft,« sagte Obadiah. -- »Da seh' mir einer!« schrie mein Vater
+und machte eine Pause und sah meinem Onkel Toby ins Gesicht, als ob die
+Sache sich nicht wirklich so verhalten könnte. -- »Euer Gnaden befahlen
+mir ja im letzten April, daß ich ihn verkaufen sollte,« sagte Obadiah.
+-- »Nun, so mag Er zu Fuß gehen,« rief mein Vater. -- »Ich gehe auch
+lieber, als ich reite,« sagte Obadiah und machte die Türe zu.
+
+»Was für ein Geplage!« schrie mein Vater und fuhr mit seiner Berechnung
+fort. -- »Aber die Wege stehen unter Wasser,« sagte Obadiah und machte
+die Türe wieder auf.
+
+Bis auf diesen Augenblick hatte mein Vater mit einer Karte von Sanson
+und einem Buche von den Postrassen vor sich seine Hand auf den Knauf
+des Zirkels gehalten, mit einer Spitze auf Nevers, als die letzte
+Station, welche er bezahlt hatte, -- in der Absicht, von da mit seiner
+Reise und Berechnung weiterzugehen, sobald Obadiah aus der Türe wäre.
+-- Dieser zweite Überfall von Obadiah aber, indem er die Türe öffnete
+und das ganze Land unter Wasser setzte, war zu arg. -- Er ließ den
+Zirkel fahren -- oder vielmehr er warf ihn mit einer vermischten
+Bewegung von Zufall und Zorn auf den Tisch. Nunmehr blieb ihm nichts
+weiter übrig, als -- wie manche andere -- eben so klug wieder nach
+Calais zurückzugehen, wie er von dort abgereist war.
+
+Als der Brief ins Zimmer gebracht wurde, welcher die Nachricht von
+meines Bruders Tode enthielt, war mein Vater mit seiner Reise schon
+abermals so weit gekommen, daß der Zirkel nur noch einen Schritt tun
+durfte, so war er wieder auf der nämlichen Station zu Nevers. -- »Mit
+Ihrer Erlaubnis, Herr Sanson,« drückte die Zirkelspitze durch Nevers
+in den Tisch und nickte meinem Onkel Toby zu, um zu sehen, was der
+Brief sagte. »Zweimal an einem Abend vor einem so lumpigen Städtchen
+als Nevers wieder umzukehren, ist für einen englischen Herrn und seinen
+Sohn zu viel, Herr Sanson. Ist's nicht wahr, Toby?« fügte mein Vater
+mit einem scherzhaften Tone hinzu. -- »Es müßte denn eine Garnison
+darin liegen,« sagte mein Onkel Toby. -- »Alsdann bin ich ein Geck,«
+sagte mein Vater lächelnd und bei sich selbst, »solange ich lebe.«
+-- Damit nickte er zum zweiten Male, und indem er seinen Zirkel auf
+Nevers mit der einen und sein Buch von den Postrassen mit der anderen
+Hand hielt, halb rechnend und halb zuhörend, lehnte er sich mit seinen
+beiden Ellenbogen auf den Tisch. Mein Onkel Toby überlas leise den
+Brief. -- -- -- -- -- --
+
+ * * * * *
+
+»Er ist abgereist,« sagte mein Onkel Toby. -- »Wohin, wer?« rief mein
+Vater. -- »Mein Neffe,« sagte mein Onkel Toby. -- »Was, ohne Urlaub,
+ohne Geld und ohne Wechsel? Ohne Hofmeister?« rief mein Vater mit
+Erstaunen. -- »Nein, er ist gestorben, mein lieber Bruder,« sagte mein
+Onkel Toby. -- »Und nicht krank gewesen?« schrie mein Vater wieder. --
+»Das kann ich nicht sagen,« sagte mein Onkel Toby mit leiser Stimme und
+holte dabei einen tiefen Seufzer aus dem Grunde seines Herzens. »Er
+ist krank genug gewesen, armer Knabe, dafür bin ich Bürge, denn er ist
+gestorben!«
+
+Als der Agrippina der Tod ihres Sohnes bekannt gemacht wurde, erzählt
+Tacitus, konnte sie die Heftigkeit ihres Schmerzes nicht mäßigen und
+habe ihre Beschäftigung abgebrochen. -- Mein Vater steckte seinen
+Zirkel noch fester in Nevers hinein. -- Was für Verschiedenheiten!
+Seins war freilich ein Rechnungsgeschäft. Agrippinas muß ein ganz
+anderes Geschäft gewesen sein, wie könnte man sonst Schlüsse aus der
+Historie ziehen wollen?
+
+Was mein Vater weiter tat, das verdient nach meiner Meinung ein eigenes
+Kapitel.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundsechzigstes Kapitel.
+
+
+Und ein Kapitel soll es haben, und zwar ein Kapitel, das sich gewaschen
+hat. -- Also nehmen Sie sich in acht!
+
+Es ist entweder Plato oder Plutarch, oder Seneka oder Xenophon, oder
+Epiktet oder Theophrast, oder Lucian -- oder jemand anders vielleicht
+aus neueren Zeiten -- Cordan oder Buddeus, oder Petrach oder Stella --,
+es kann auch wohl ein Gottesgelehrter oder Kirchenvater sein, welcher
+behauptet, daß es ein unwiderstehlicher und natürlicher Hang ist, den
+Verlust unserer Freunde oder Kinder zu beweinen. Seneka -- dies weiß
+ich zuverlässig -- sagt uns irgendwo, daß dergleichen Betrübnisse sich
+am besten durch diesen besonderen Kanal ausleeren. Demzufolge finden
+wir, daß David um seinen Sohn Absalom weinte, Adrian um seinen Sohn
+Antinous, Niobe um ihre Kinder, und daß Apollodorus und Krito beide um
+Sokrates Tränen vergossen, bevor er starb.
+
+Mein Vater behandelte seine Betrübnis auf eine andere Manier, und
+zwar ganz verschieden von den meisten Menschen unter den Alten oder
+Neueren; denn er weinte sie nicht etwa weg, wie die Hebräer und
+Lateiner, verschlief sie nicht wie die Lappländer, erhing sie nicht wie
+die Engländer und ersäufte sie nicht wie die Deutschen, noch fluchte,
+verdammte, bannte, reimte oder pfiff er sie weg.
+
+Er ward ihrer indessen doch los.
+
+Wollen Euer Hochwohlgeboren mir erlauben, daß ich hier eine Historie
+einschalte?
+
+Als Tullius seiner Tochter Tullia beraubt wurde, nahm er sich's anfangs
+sehr zu Herzen. Er hörte auf die Stimme der Natur, und nach dieser
+modulierte er seine eigene. -- O meine Tullia! Meine Tochter! Mein
+Kind! Noch, noch, noch bist du's! warst es, o meine Tullia! Meine
+Tullia! Mich dünkt, ich sehe meine Tullia, ich höre meine Tullia, ich
+spreche mit meiner Tullia. -- Allein sobald er sich im Zeughause der
+Philosophie umsah und bedachte, was sich über die Veranlassung für
+vortreffliche Sachen sagen ließen -- kein Mensch auf der Welt vermag
+sich's vorzustellen --, sagte der große Redner, wie glücklich, wie
+fröhlich es ihn machte.
+
+Mein Vater dachte ebenso hoch von seiner Beredsamkeit wie Marcus
+Tullius Cicero nur immer von seiner. Und wenn ich nicht ganz und gar
+falsch berichtet bin, mit ebensoviel Grund. Es war wirklich seine
+Stärke -- und seine Schwäche dazu. Seine Stärke, denn er war beredt
+von Natur. Seine Schwäche, denn sie spielte ihm stündlich Streiche.
+Wenn ein Vorfall in seinem Leben ihm nur Anlaß gab, seine Gaben zu
+zeigen oder etwas Kluges, Witziges oder Satirisches zu sagen -- ein
+systematisches Unglück ausgenommen --, so hatte er, was er wollte. Ein
+Glück, welches meines Vaters Zunge fesselte, und ein Unglück, welches
+solche auf eine gute Art in freien Gang setzte, waren ihm ziemlich
+gleich willkommen. Zuweilen gar das Unglück am angenehmsten; denn wenn
+zum Beispiel das Vergnügen des Redehaltens sich wie zehn, und der
+Verdruß des Unglücks nur wie fünf verhielt, gewann mein Vater Hundert
+auf Hundert, und befand sich folglich so wohl dabei, als wenn ihn gar
+nichts überkommen wäre.
+
+Aus diesem Knäuel entwickelt sich alles, was sonst in meines Vaters
+häuslichem Charakter zusammenhängend scheinen möchte. Nämlich,
+daß bei den Gelegenheiten zum Ärger, die die Nachlässigkeit oder
+Tölpelei des Gesindes oder andere in einer Haushaltung unvermeidliche
+Verdrießlichkeiten hervorbrachten, sein Zorn oder vielmehr die Dauer
+desselben niemals das war, was man vermutete.
+
+Mein Vater hatte eine kleine Stute, die er sehr liebte; dieser hatte
+er einen sehr schönen arabischen Hengst zugegeben, um ein Füllen für
+seinen eigenen Sattel von ihr zu erzielen. Er war lebhaft in allen
+seinen Projekten; also sprach er täglich von dem Füllen wie von einem
+wirklich vorhandenen Dinge, das schon geworfen, gezähmt, gezäumt und
+zum Reiten gesattelt vor seiner Türe stände, das er nur besteigen
+dürfte. Durch ein oder zwei Versehen des Obadiah kam es, daß aus meines
+Vaters Erwartung nichts anderes wurde als ein Maulesel, und zwar in
+seiner Art so häßlich, wie nur einer, der einen Esel zum Vater hat,
+sein kann.
+
+Meine Mutter und mein Onkel Toby meinten nicht anders, als mein Vater
+würde Obadiah den bittersten Dampf antun und das bittere Leben würde
+kein Ende nehmen. -- »Nun seh Er einmal, Schäker,« rief mein Vater und
+wies auf den Maulesel, »was er gemacht hat!« -- »Das habe ich nicht
+getan,« sagte Obadiah. -- »Woher kann ich das wissen?« versetzte mein
+Vater.
+
+Triumph über diese witzige Antwort schwamm in meines Vaters Auge. Das
+attische Salz brachte Wasser hinein. Und somit hörte Obadiah kein Wort
+weiter darüber.
+
+Nun laßt uns zurückkehren zu meines Bruders Tode.
+
+Die Philosophie hat auf jede Sache einen hübschen Spruch. Auf den Tod
+hat sie eine ganze Schnur voll; das Unglück war nur, daß sie alle auf
+einmal auf meines Vaters Kopf losstürzten und es schwer war, sie so
+aneinanderzureihen, daß ein hübsches beschauliches Ganzes daraus wurde.
+Er nahm sie also, wie sie kamen.
+
+»Es ist ein unvermeidliches Geschick. Das erste Gesetz im allgemeinen
+Gesetzbuche. Es ist eine unwiderrufliche Parlamentsakte, mein lieber
+Bruder: alles muß sterben. «
+
+»Wenn mein Sohn nicht hätte sterben können, das wäre Ursache zum
+Verwundern gewesen, nicht, daß er gestorben ist. Monarchen und Prinzen
+tanzen mit uns in einem Reigen.
+
+Sterben ist der große, der Nation schuldige Zoll und Tribut. Gräber
+und Monumente, die unser Gedächtnis verewigen sollten, bezahlen solche
+selbst, und die stolzeste Pyramide unter allen, die Reichtum und Kunst
+errichtet, hat ihre Spitze verloren und liegt dort in großen Trümmern
+in entferntem Anblicke des Wanderers.« Mein Vater fand, daß es ihm
+sehr gut tat, und fuhr fort: »Ganze Reiche und Länder, und Flecken
+und Städte, haben sie nicht ihre Perioden? Denn wenn die Prinzipia
+und Kräfte, welche sie zuerst gründeten und zusammenfügten, ihre
+verschiedenen Evolutionen bewirkt haben, so fallen sie zusammen.« --
+»Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby bei dem Worte Evolutionen
+und legte seine Pfeife nieder. -- »Revolutionen wollte ich sagen,«
+unterbrach ihn mein Vater, »wahrhaftig, Revolutionen wollte ich sagen,
+Bruder Toby; Evolutionen ist Unsinn.« -- »Unsinn ist's doch auch
+nicht,« sagte mein Onkel Toby. -- »Aber ist's nicht Unsinn, den Faden
+eines solchen Gesprächs über eine solche Veranlassung zu zerreißen?«
+rief mein Vater. »Höre, lieber Toby,« fuhr mein Vater fort und faßte
+ihn bei der Hand, »höre, höre, ich bitte dich, unterbrich mich nicht in
+dieser Krisis!« -- Mein Onkel Toby nahm seine Pfeife in seinen Mund.
+
+»Wo ist Troja und Mykenä, und Theben und Delos, und Persopolis und
+Agrigent?« fuhr mein Vater fort, wobei er sein Buch von den Postrassen
+wieder aufnahm, das er niedergelegt hatte. »Wo, mein Bruder Toby,
+wo sind Ninive und Babylon, und Cizicum und Mitileno geblieben? Die
+schönsten Städte, über welche jemals die Sonne aufgegangen, sind jetzt
+nicht mehr da. Die Namen sind nur noch übrig, und diese -- denn viele
+davon werden falsch buchstabiert - zerstäuben auch schon wie Wurmmehl
+und werden mit der Zeit vergessen und mit allen anderen Dingen in eine
+ewige Nacht gehüllt werden. Die Welt selbst, Bruder Toby, muß, muß ein
+Ende nehmen.
+
+Auf der Rückkehr aus Asien, da ich von Ägina nach Megara segelte« --
+wann mag das wohl gewesen sein, dachte mein Onkel Toby --, »begann
+ich das Land umher zu beschauen. Ägina lag hinter mir, Megara vor
+mir, Pyräus zu meiner Rechten, Korinth zur Linken. Was für blühende
+Städte, nun liegen sie auf der Erde im Staube! Ach, ach! sagte ich zu
+mir selbst, daß einen Mann die Ruhe seiner Seele stören kann über den
+Verlust eines Kindes, wenn so gewaltige Trümmer so fürchterlich vor
+seinem Anblicke liegen. Bedenke, sagte ich abermals zu mir selbst,
+bedenke, du bist ein Mensch!«
+
+Nun sehen Sie, mein Onkel Toby wußte nicht, daß dieser letzte Paragraph
+ein Auszug aus Servius Sulpicius' Trostschreiben an den Cicero war.
+Der ehrliche Mann war ebensowenig in den Fragmenten wie in den ganzen
+Stücken der Altertümer bewandert. Und da mein Vater, als er noch Anteil
+am Handel hatte, drei bis vier Reisen nach der Levante gemacht und
+einmal ganze anderthalb Jahre sich zu Zanthen aufgehalten hatte, so kam
+mein Onkel Toby natürlich auf den Gedanken, mein Vater müsse einstmals
+einen Abstecher durch den Archipelagus nach Asien gemacht haben, und
+daß dieser ganze Segeleikram, mit Ägina hinten, Megara vorne und Pyräus
+zur Rechten usw. nichts anderes sei, als der wahre Weg und Lauf der
+Reise und der Betrachtungen meines Vaters.
+
+Es war ganz in seiner Manier; mancher Kritikus würde wohl zwei
+Stockwerke höher auf noch schlechterem Grund gebaut haben. -- »Sage mir
+doch, Bruder,« sagte mein Onkel Toby und legte das Ende seiner Pfeife
+auf meines Vaters Hand, als eine freundschaftliche behende Art des
+Indieredefallens, wobei er jedoch wartete, bis sein Bruder einen Punkt
+machte, »in welchem Jahre unseres Herrn war das?« -- »In keinem Jahre
+unseres Herrn,« versetzte mein Vater. -- »Das ist unmöglich!« rief mein
+Onkel Toby. -- »Du Taubenkopf,« sagte mein Vater, »es war vierzig Jahre
+vor Christi Geburt.«
+
+Meinem Onkel Toby blieb nur unter zwei Dingen die Wahl: entweder zu
+glauben, sein Bruder sei der ewige Jude oder der Verlust seines Sohnes
+habe ihm das Gehirn verrückt. »Gott im Himmel und auf Erden möge ihn
+beschützen und genesen lassen!« sagte mein Onkel Toby, indem er mit
+Tränen in den Augen still in seinem Herzen für meinen Vater betete.
+
+Mein Vater brachte die Tränen gehörig in Rechnung und fuhr frisch mit
+seiner Rede fort.
+
+»Es gibt keine so große Ungleichheit, Bruder Toby, zwischen Gutem und
+Bösem, wie sich die Welt einbildet« -- diese Art zu beginnen, war,
+beiläufig gesagt, eben nicht sehr tüchtig, meinem Onkel Toby seinen
+Argwohn zu benehmen --; »Arbeit, Sorgen, Betrübnis, Krankheit, Not und
+Mangel sind Brühen über das Leben.« -- »Wünsche wohl zu bekommen!«
+sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.
+
+»Mein Sohn ist tot! -- Desto besser. Eine Schande wär's, in einem
+solchen Sturme nur einen Anker zu haben.
+
+Allein er hat uns verlassen und kehrt nicht wieder! Mag's! Er ist nur
+den Händen seines Barbiers entronnen, ehe ihm sein Haar ausfiel. Er ist
+nur von einer Mahlzeit aufgestanden, ehe er den Magen überladen hat,
+von einem Gelage, ehe er trunken worden.
+
+Die Thrazier weinten, wenn ein Kind geboren wurde« -- »und wir waren
+auch nicht weit davon,« sagte mein Onkel Toby --, »und schmausten und
+lebten fröhlich, wenn ein Mensch aus der Welt ging; und das mit Recht.
+Der Tod öffnet die Pforte des Nachruhms und schließt die Pforte des
+Neides hinter sich zu. Er entledigt den Gefangenen von seinen Ketten
+und gibt das Werk des Tagelöhners den Händen eines anderen.
+
+Zeige mir den Mann, der weiß, was das Leben ist, der es fürchtet, und
+ich zeige dir einen Gefangenen, der seine Freiheit scheut.
+
+Ist es nicht besser, mein lieber Bruder Toby -- denn merke dir, unsere
+Lüste sind eigentliche Gebrechen --, ist es nicht besser, gar keinen
+Hunger zu haben, als zu essen? Keinen Durst, als eine Mixtur zu nehmen,
+um ihn zu stillen?
+
+Der Tod ist nichts Grauenvolles, Bruder Toby, in seinen Blicken, als
+was er vom Ächzen und den Zuckungen borgt, und von dem Nasenschneuzen
+und Augenwischen mit den Gardinenzipfeln in dem Krankenzimmer eines
+Sterbenden. Nimm ihm das, was bleibt er?« -- »Er ist besser in der
+Schlacht als auf dem Bette,« sagte mein Onkel Toby. -- »Nimm ihm
+seine Bahre, seine feierliche Stille, seinen schwarzen Flor, seine
+Federbüsche, Sargschilde und andere solche mechanische Hilfsmittel,
+was bleibt er? Besser in der Schlacht?« fuhr mein Vater lächelnd
+fort, denn meinen Bruder Bobby hatte er rein vergessen. »Nirgends
+ist er furchtbar. Denn sieh nur, Bruder Toby: wenn wir sind, so ist
+der Tod nicht; und ist der Tod, so sind wir nicht.« -- Mein Onkel
+Toby legte seine Pfeife nieder, um den Satz nachzudenken. Meines
+Vaters Beredsamkeit war zu reißend, um auf einen Menschen zu warten,
+fortströmte sie, und zog meines Onkel Tobys Ideen mit sich dahin.
+
+»Deswegen ist es,« fuhr mein Vater fort, »der Mühe wert zu bemerken,
+wie wenig Schrecken die Annäherung des Todes großen Männern
+verursacht hat. Vespasianus starb scherzend auf seinem Nachtstuhle,
+Galba mit einem Sittenspruche, Septimus Severus machte eben eine
+Depesche, Tiberius machte jemandem etwas weis, und Cäsar Augustus ein
+Kompliment.« -- »Ich hoffe, es war ein aufrichtiges,« sagte mein Onkel
+Toby.
+
+»Es war an seine Gemahlin,« sagte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsundsechzigstes Kapitel.
+
+
+»Und endlich und zuletzt -- denn unter allen den ausgewählten
+Anekdoten, welche die Geschichte über diese Materie aufweisen kann,«
+fuhr mein Vater fort -- »ziert diese wie ein vergoldetes Kuppeldach das
+ganze Gebäude.
+
+Es ist die von Kornelius Gallus, dem Prätor, die du gewiß gelesen
+hast, Bruder Toby.« -- »Ich habe sie gewiß nicht gelesen,« erwiderte
+mein Onkel. -- »Er starb,« sagte mein Vater, »als er -- -- -- -- -- --
+--« -- »Nun, wenn's seine Ehefrau war,« sagte mein Onkel Toby, »so
+konnte nichts Anstößiges dabei sein.« -- »Das ist mehr, als ich weiß,«
+versetzte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenundsechzigstes Kapitel.
+
+
+Meine Mutter ging eben ganz leise im Finstern den Gang entlang, der auf
+die Stube stieß, als mein Onkel Toby das Wort Ehefrau aussprach. Das
+Wort ist an sich schon sehr tönend, und Obadiah war ihm noch dadurch
+zu Hilfe gekommen, daß er die Türe nur ans Schloß gelehnt hatte, so,
+daß meine Mutter genug davon hörte, um zu glauben, man spräche eben
+von ihr. Sie legte deswegen einen Finger über ihre beiden Lippen,
+hielt den Atem an, beugte den Kopf ein wenig seitwärts nieder, nicht
+nach der Türe hin, sondern davon ab, daß ihr Ohr an die Spalte kam,
+und horchte aus allen Kräften. Der römische Horcher mit der Göttin des
+Stillschweigens hinter sich, könnte keinen schöneren Gedanken zu einem
+Gemmenschnitt gegeben haben.
+
+In dieser Stellung bin ich willens, sie fünf Minuten stehen zu lassen,
+bis ich die Sachen in der Küche zu ebender Periode geführt habe.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundsechzigstes Kapitel.
+
+
+»Unser Junker in London ist tot!« sagte Obadiah.
+
+Ein grüner Atlasmorgenrock meiner Mutter, der schon zweimal aufgeputzt
+worden, war die erste Idee, welche Obadiahs Ausrufung in Susannas Kopf
+brachte. Locke hatte wohl recht, ein Kapitel über die Unvollkommenheit
+der Worte zu schreiben. »Nun,« sagte Susanna, »so müssen wir alle
+trauern.« -- Aber merken Sie's noch einmal: das Wort trauern,
+ungeachtet Susanna es selbst brauchte, verfehlte dennoch seine Wirkung.
+Es erweckte keine einzige in Schwarz oder Grau gefärbte Idee, alles war
+grün, der grüne Atlasmorgenrock hing noch da.
+
+»O! meine arme Madame wird den Tod davon bekommen,« rief Susanna. Nun
+folgte meiner Mutter ganzer Kleidervorrat. Was für eine Prozession!
+Ihr rotdamastnes, ihr orangefarbenes, ihr weiß und gelb gestreiftes,
+ihr braun taffetnes Kleid, ihre Spitzenkopfzeuge, ihre Morgenröcke
+und ausgenähten Unterröcke. Alles, bis auf den geringsten Lappen,
+ging durch die Musterung. »Nein, das überlebt sie gewiß nicht,« sagte
+Susanna.
+
+Wir hatten ein dickes, närrisches Küchenmensch, mein Vater, glaube ich,
+behielt sie wegen ihrer Einfalt. Sie hatte sich den ganzen Herbst mit
+der Wassersucht geschleppt. »Er ist tot!« sagte Obadiah. »Er ist ganz
+gewiß tot!« -- »Ich nicht,« sagte das närrische Küchenmensch.
+
+»Das gibt hier betrübte Zeiten, Trim!« rief Susanna und wischte sich
+die Augen, als Trim in die Küche trat. »Junker Bobby ist tot und
+begraben.« Das Begräbnis war eine Interpolation von Susannas Erfindung.
+»Nun müssen wir alle trauern,« sagte Susanna.
+
+»Das hoffe ich nicht,« sagte Trim. -- »Er hofft nicht!« sagte Susanna
+ganz ernsthaft. Die Trauer mochte noch so sehr in Susannens Kopfe
+herumlaufen, in Trims kam sie nicht. -- »Ich hoffe,« sagte Trim, sich
+deutlicher zu erklären, »ich hoffe zu Gott, die Nachricht soll falsch
+sein.« -- »Den Brief habe ich mit meinen eigenen Ohren lesen hören,«
+antwortete Obadiah. »Und nun werden wir 'n hübsch Stück Arbeit kriegen,
+mit dem alten Ochsenmoore, das werden wir nun wohl roden und reuten
+müssen.« -- »O! er ist tot,« sagte Susanna. -- »So tot,« sagte das
+Küchenmensch, »als ich lebe.«
+
+»Ich beklage ihn von ganzem Herzen,« sagte Trim mit einem Seufzer. --
+»Der arme Mensch! Der arme Junker! Der arme Herr!«
+
+»Vorige Pfingsten tat er noch leben,« sagte der Kutscher. --
+»Pfingsten! Ach was hat Pfingsten, Jonathan,« -- so hieß der Kutscher
+-- rief Trim und streckte seinen rechten Arm aus, »oder Fasten oder
+alles, was vorbei ist, damit zu tun? Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr
+der Korporal fort -- er stieß dabei mit seinem Stecken perpendikulär
+auf den Boden, um gleichsam eine Idee von Gesundheit und Festigkeit zu
+geben --. »Und sind wir nicht« -- dabei warf er seinen Hut auf den Flur
+-- »dahin in einem Hui!« -- Es war ordentlich rührend! Susanna brach in
+eine Tränenflut aus. »Wir sind weder Stein noch Stöcke.« -- Jonathan,
+Obadiah, die Köchin, alle wurden weichherzig. Das dicke Küchenmensch
+selbst, das eben einen Fischkessel auf den Knien hatte und scheuerte,
+ward davon angegriffen. Die ganze Küche drängte sich um den Korporal
+herum.
+
+Da ich nun ganz deutlich gewahr werde, daß die Erhaltung unserer
+Konstitution im kirchlichen und weltlichen Staate, und wohl gar die
+Erhaltung der ganzen Welt, oder was einerlei ist, die Verteilung
+und das Gleichgewicht des Vermögens und der Gewalt in derselben in
+der Beredsamkeit des Korporals vorkommen kann, so bitte ich um dero
+Aufmerksamkeit. Euer Hochwürden, Wohlgeboren können allemal wieder zehn
+Seiten hindurch, an welcher andern Stelle des Buches Sie wollen, ganz
+ruhig schlafen.
+
+Ich sagte: wir wären weder Steine noch Stöcke, ganz gut. Ich hätte
+hinzufügen sollen, auch keine Engel -- ich wollte, wir wären's!
+--, sondern Mensch in Fleisch gekleidet und von unserer Einbildung
+beherrscht. Und was es zwischen der und unseren sieben Sinnen,
+besonders einigen darunter, für ein herrliches Stück Arbeit setzt, für
+meinen eigenen Teil muß ich's gestehen, schäme ich mich zu bekennen.
+Laß es genug sein, zu behaupten, daß von allen diesen Sinnen das
+Gesicht -- denn dem Gefühle spreche ich's ohne weiteres ab -- den
+schnellsten Verkehr mit der Seele hat, einen härteren Anstoß gibt
+und etwas Unaussprechlicheres in der Phantasie läßt, als Worte weder
+annehmen oder auch zuweilen los werden können.
+
+Ich bin ein wenig umhergeschlendert -- tut nichts! 's ist der
+Gesundheit halber! -- Laß uns nur wieder in Gedanken zur Sterblichkeit
+und zu Trims Hut zurückkehren. »Sind wir nicht jetzund hier, und in
+einem Hui dahin?« Was steckte denn wohl in den Worten? -- Es war eine
+von den unbescholtenen Wahrheiten, die wir das Glück haben können, alle
+Tage zu hören; und hätte sich Trim nicht auf seinen Hut mehr verlassen
+können, als auf seinen Kopf, nichts hätte er damit ausgerichtet.
+
+»Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr der Korporal fort, »und sind wir
+nicht« -- wobei er seinen Hut plump auf die Fliesen fallen ließ und
+pausierte, ehe er das Wort sagte -- »dahin in einem Hui?« Der Fall des
+Hutes war so, als ob ein schwerer Klumpen Ton in den Kopf geknetet
+gewesen wäre. Nichts hätte das Gefühl der Sterblichkeit, von dem er
+der Vorläufer und das Vorbild war, so gut auszudrücken vermocht. Seine
+Hand schien darunter zu verschwinden. Er fiel wie tot. Des Korporals
+Auge war darauf geheftet wie auf eine Leiche. Susanna brach in eine
+Tränenflut aus.
+
+Nun gibt es zehntausend und zehntausendmal zehntausend -- denn Materie
+und Bewegung sind unendlich -- Art und Weisen, wie man einen Hut
+auf die Erde fallen lassen kann, ohne daß es wirke. Hätte er ihn
+geschleudert, geschlenkert, geworfen, hingeschmissen, hingegossen, oder
+ihn in irgendeiner möglichen Richtung unter der Sonne sinken oder
+fallen lassen, oder in der besten Richtung, die man ihm geben könnte,
+hätte er ihn fallen lassen wie einen Gänsekopf, wie ein Tölpel, wie
+ein Esel, oder hätte er dabei, oder auch nur nachher ausgesehen wie
+ein Dummbart, wie ein Tropf, wie ein Gimpel -- vorbei war's, und die
+Wirkung aufs Herz wäre verloren gegangen.
+
+Ihr, die ihr diese mächtige Welt und ihre mächtigen Angelegenheiten
+mit der Esse der Beredsamkeit regieret. -- Die ihr sie erhitzt und
+kältet und schmelzt und zerlaßt und dann wieder härtet, ihr, die ihr
+die Leidenschaften mit diesem Hebezeuge kehrt und wendet, und wenn
+es geschehen, die Besitzer derselben dahinbringt, wohin ihr wollt.
+Ihr endlich, die ihr Menschen wie Truthähne mit einer Gerte und rotem
+Haderlumpen zu Markte treibt, und, warum auch nicht ihr, die ihr euch
+so treiben laßt -- zieht eure Anmerkungen -- zieht eure Anmerkungen,
+ich bitte euch, aus Trims Hute.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundsechzigstes Kapitel.
+
+
+Halt! -- Ich habe eine kleine Rechnung mit dem Leser abzutun, ehe Trim
+mit seiner Rede fortfahren kann. -- In zwei Minuten soll's geschehen
+sein.
+
+Unter verschiedenen anderen Buchschulden, welche ich zu gehöriger
+Zeit alle entrichten werde, bekenne ich mich als ein Schuldner der
+Welt wegen zwei Items. Ein Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern,
+welche ich in den vorhergehenden Kapiteln meines Werkes versprach und
+willens war, noch dies Jahr abzubezahlen. Da mir aber einige von dero
+Hochwürden und Wohlgeboren sagten, daß diese Subjekte, so miteinander
+verbunden, besonders die Moral der Welt in Gefahr bringen möchten, so
+ersuche ich, daß man mir die Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern
+schenken möge, und daß man an deren Stelle das letzte für Lieb und
+Willen nehmen wolle, welches, mit Euer Hochwürden Wohlnehmen, weiter
+nichts ist, als ein Kapitel von Kammerzofen, grünen Schlafröcken und
+alten Hüten.
+
+Trim nahm den seinigen von der Erde auf, setzte ihn auf seinen Kopf und
+fuhr darauf in seiner Rede vom Tode fort, auf die Art und Weise, wie
+folgt.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebzigstes Kapitel.
+
+
+»Für uns, Jonathan, die wir keine Sorgen und keinen Mangel kennen, die
+hier im Dienste sind, bei zwei der besten Herren (ausgenommen, was mich
+anbelangt, Seine königliche Majestät, König Wilhelm +III.+, dem
+ich die Ehre gehabt habe zu dienen, sowohl in Irland wie in Flandern),
+ja, das gestehe ich, da ist von Pfingsten bis Advent nicht lange. Es
+ist fast nichts; aber für diejenigen, die den Tod recht kennen und
+wissen, was er für eine Zerstörung Jerusalems anrichten kann, ehe sich
+ein Mensch einmal auf seinem Absatze herumdrehen kann, ja, für die
+ist's eine lange Zeit. -- O, Jonathan, einem gutherzigen Menschen muß
+das Herz im Leibe bluten,« fuhr der Korporal Trim fort und richtete
+sich stramm auf, »wenn man bedenkt, wie mancher ehrliche, brave Kerl
+seit der Zeit tief unter die Erde gesteckt worden! -- Und glaube mir
+nur, Suschen,« fügte der Korporal hinzu und wendete sich an Susanna,
+deren Augen im Wasser schwammen, »ehe diese Zeit wieder herumkommt,
+wird auch manch helles Auge dunkel sein.« -- Susanna ließ das Wort
+nicht auf die Erde fallen, sie weinte, aber sie knickselte auch. --
+»Sind wir nicht,« fuhr Trim fort und sah dabei immer die Susanna an,
+»sind wir nicht wie eine Blume auf dem Felde?« -- Ein Hochmutstränchen
+schlich sich zwischen jedes Paar Tränen der Demut, sonst hätte keine
+Zunge Susannas Betrübnis aussprechen können. »Ist nicht alles Fleisch
+wie Heu? Es ist Leim, es ist Kot.« Alle sahen den Augenblick auf das
+Küchenmädchen, das eben einen Fischkessel scheuerte. Es war nicht
+recht.
+
+»Was ist das niedlichste Geschöpf, das jemals ein Mann angesehen hat!«
+-- »Ich könnte es gar nicht müde werden, Trim so sprechen zu hören,«
+sagte Susanna. -- »Was ist es?« -- Susanna legte ihre Hand auf Trims
+Schulter -- »als Koder und Moder!« Susanna zog ihre Hand zurück.
+
+»Dafür eben mag ich euch leiden. Diese herzlabende Mixtur in euch,
+teure Geschöpfe, macht euch zu dem, was ihr seid. Wer euch deswegen
+hasset, der -- alles, was ich dazu sagen kann, ist --, der hat entweder
+einen Kürbis statt des Kopfes auf dem Rumpfe, oder einen Holzapfel
+statt des Herzens im Leibe. Wenn er anatomiert wird, wird sich's
+zeigen, daß ich recht habe.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Ob Susanna dadurch, daß sie die Hand zu plötzlich von Trims Schulter
+zog (da sich ihre Leidenschaft so schnell herumwarf) die Kette seiner
+Betrachtungen ein wenig unterbrach, oder ob der Korporal zu argwöhnen
+begann, daß er dem Magister ins Gehege geraten, und mehr wie ein
+Prediger als in seiner eigenen Person redete, oder ob -- -- -- -- --
+-- Oder ob --, denn in allen solchen Fällen kann ein erfindungsreiches
+Genie mit Freuden ein paar Seiten mit Voraussetzungen anfüllen. -- Was
+von all diesem die Ursache war, das mag der scharfsinnige Sonstjemand
+ausmachen. -- Soviel ist wenigstens gewiß, der Korporal fuhr mit seiner
+Standrede also fort:
+
+»Für mein Teil kann ich sagen, daß ich, außen vor der Türe, mir nichts
+aus dem Leben mache, nicht das!« -- setzte der Korporal hinzu und
+machte ein Schnippchen mit den Fingern. Aber mit einem Anstande, den
+kein anderer als der Korporal der Empfindung hätte geben können. »In
+einer Schlacht achte ich den Tod nicht das ... Laß ihn mich nur nicht
+wie eine feige Memme überrumpeln, wie den armen Paul Gibbins, da er
+seine Flinte auswusch. -- Was ist er denn? Ein Klapp des Hahns an den
+Pfannendeckel, ein Puff mit dem Bajonett ein Zoll tief hier oder da,
+das ist alles. Sieh das Glied hinab, rechts. Sieh! da liegt Jakob! Gut!
+'s ist so gut, als ob er Rittmeister geworden wäre. -- Nein, 's ist
+Dirk. Nun, so ist's für Jakob ebensogut. Laß fallen, was fällt, wir
+avancieren. In der Hitze des Treffens fühlt man sogar die Wunde nicht,
+wenn er kommt. Das beste ist, man sieht ihm in die Augen. Der Mann,
+welcher flieht, ist in zehnmal größerer Gefahr als der, der ihm in den
+Rachen marschiert. Ich habe ihm wohl hundertmal,« setzte der Korporal
+hinzu, »in die Fresse gesehen und ich weiß, was er ist. Nichts, gar
+nichts ist er, Obadiah, im Felde!« -- »Ja, aber im Hause ist er sehr
+graulich,« sagte Obadiah. -- »Ich scher' mich nicht darum, ich,« sagte
+Jonathan, »wenn ich auf dem Kutschbock sitze.« -- »Im Bette, meine ich,
+muß es wohl am natürlichsten sein,« sagte Susanna. -- »Und könnte ich
+ihm aus dem Wege, wenn ich in das elendeste Kalbsfell kröche, daraus
+jemals ein Schnappsack gemacht ist, so tät' ich's da,« sagte Trim.
+
+»Natürlich ist natürlich,« sagte Jonathan. -- »Und deswegen,« rief
+Susanna, »bedaure ich meine Madame so herzlich. Sie wird es in ihrem
+Leben nicht überwinden.« -- »Und ich, ich bedaure den Kapitän am
+meisten in der ganzen Familie,« antwortete Trim. »Madame wird sich
+das Herz erleichtern durch Weinen, und der alte Herr durch sein
+Sprechen darüber, aber mein armer Herr wird alles stillschweigend bei
+sich behalten. Ich werde ihn einen ganzen Monat lang im Bette seufzen
+hören, wie er um den Leutnant Le Fever tat. --›O, Euer Gnaden müssen
+nicht kläglich seufzen,‹ sagte ich dann zu ihm, wenn ich neben ihm lag.
+-- ›Ich kann nicht dafür, Trim,‹ sagte dann der Kapitän. ›'s ist ein
+so melancholischer Zufall, ich kann's nicht aus dem Kopfe kriegen.‹
+--›Euer Gnaden fürchten sich ja selbst vor dem Tode nicht.‹ -- ›Ich
+hoffe,‹ pflegte er dann zu sagen, ›ich fürchte mich vor nichts, als was
+Böses zu tun. -- Gut so!‹ pflegte er hinzuzusetzen, ›es gehe, wie es
+gehe, für Le Fevers Knaben will ich sorgen.‹ Und damit, wie mit einem
+schmerzlindernden Tranke, fiel Seine Gnaden in Schlaf.«
+
+»Ich mag Trims Historien vom Kapitän gerne hören,« sagte Susanna. --
+»'s ist ein so gutherziger Herr,« sagte Obadiah, »als jemals Atem
+holte.« -- »Das sollt' ich meinen,« sagte der Korporal, »und so brav
+obendrein, als jemals vor einer Division aufmarschiert ist. -- 's war
+niemals ein besserer Offizier in des Königs Armee oder ein besserer
+Mann in Gottes weiter Welt. Er ging auf die Mündung einer Kanone los,
+und wenn er auch die glühende Lunte schon am Zündloch sähe. Und doch
+hat er dabei ein so weiches Herz wie ein Kind, gegen andere Leute. Er
+könnte keinem jungen Hühnchen was zuleide tun.« -- »Ja, lieber wollt'
+ich so einen Herrn,« sagte Jonathan, »das Jahr für fünfunddreißig Taler
+Lohn fahren als viele andere für vierzig.« -- »Dank, Jonathan, für die
+fünf Taler. Ebensogut, Jonathan,« sagte der Korporal, und schüttelte
+ihm die Hand, »als ob du mir das bare Geld in die Hand gezählt hättest.
+-- Ich, bis an mein letztes Ende wollte ich ihm aus Liebe dienen. --
+Er handelt an mir wie ein Freund und Bruder. Und wenn ich's gewiß
+wüßte, daß mein armer Bruder Thomas tot wäre,« fuhr der Korporal fort
+und zog sein Schnupftuch aus der Tasche »und hätte ich fünftausend
+Taler im Vermögen, ich vermachte es dem Kapitän bis auf den letzten
+Groschen.« -- Trim konnte sich bei diesem testatorischen Beweise von
+seiner Zuneigung gegen den Kapitän der Tränen nicht erwehren. -- Die
+ganze Küche ward gerührt. -- »Komm' Er, hört Er, und erzähle uns die
+Geschichte von dem armen Leutnant,« sagte Susanna. »Von Herzen gern,«
+antwortete der Korporal.
+
+Susanna, die Köchin, Jonathan, Obadiah und der Korporal Trim machten
+einen Kreis um das Feuer, und so bald das Küchenmädchen die Küchentüre
+zugemacht hatte, fing der Korporal an.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Ich will ein Türke sein, wenn ich nicht meine Mutter ebenso rein
+vergessen hatte, als ob mich die Natur aufgepflastert und am Ufer
+des Nils nackt niedergesetzt hätte, ohne mir eine zu geben. Ihr ganz
+gehorsamster Diener, Madame! Ich habe Ihnen sehr viel Mühe gemacht.
+Ich wünsche, es möchte anschlagen! Sie haben mir aber noch eine große
+Öffnung im Rücken gelassen. Und da, hier vorne, ist ein großes Stück
+abgefallen. Was soll ich mit diesem Fuße anfangen? Damit werde ich
+England niemals erreichen.
+
+Ich meinesteils wundere mich über nichts, und mein Urteil hat mich
+in meinem Leben so oft mißgeleitet, daß ich ihm niemals recht traue,
+es mag richtig sein oder falsch, wenigstens bin ich selten heiß bei
+kalten Gegenständen. Dem allen ungeachtet, verehre ich die Wahrheit so
+aufrichtig, wie nur jemand tun kann. Und wenn sie uns aus den Augen
+entkommen, und ein Mensch nimmt mich gelassen bei der Hand, um sie
+miteinander zu suchen, wie eine Sache, die wir beide verloren haben
+und ohne die wir doch nicht raten können, so gehe ich mit ihm bis an
+der Welt Ende. Das Disputieren aber hasse ich, und deswegen -- wenn's
+nicht auf Glaubens- oder solche Sachen ankommt, die die menschliche
+Gesellschaft betreffen -- werde ich fast immer lieber alles zugeben,
+was mir nicht im ersten engen Wege den Hals zuschnürt, als mich dazu
+bringen lassen. Nur das Ersticken ist mir zuwider, und stinkender
+Qualm am ärgsten. Aus dieser Ursache faßte ich gleich von Anbeginn den
+Entschluß, daß, wenn ja die Armee der Märtyrer verstärkt oder eine neue
+errichtet werden sollte, ich auf keine Weise was damit zu schaffen
+haben wollte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Aber wieder zu meiner Mutter zu kommen. --
+
+Meines Onkels Toby Meinung, Madame, daß nichts Böses dabei sein könnte,
+oder vielmehr das Wort Ehefrau -- denn das war alles, was meine Mutter
+davon hörte --, faßte sie bei der schwachen Seite des ganzen weiblichen
+Geschlechts. Sie müssen mich nicht falsch verstehen; ich meine ihre
+Neugierde. Sie schloß flugs, man spräche von ihr; und wenn Sie den
+Glauben bei ihr annehmen, so werden Sie leicht begreifen, wie sie
+jedes Wort, das mein Vater sagte, auf sich oder auf ihre häuslichen
+Angelegenheiten deutete.
+
+Sagen Sie mir doch, Madame, ich bitte, in welcher Gasse wohnt die Dame,
+die es nicht ebenso getan hätte.
+
+Mein Vater hatte einen Sprung auf Sokrates' Tod getan und gab meinem
+Onkel Toby einen Auszug aus seiner Schutzrede vor seinen Richtern.
+Sie war unwiderstehlich; nicht die Rede des Sokrates, sondern die
+Versuchung, die meinen Vater dazu trieb. Er selbst hatte das Jahr
+vorher, ehe er den Handel niederlegte, das Leben des Sokrates[1] zu
+schreiben angefangen. Ich fürchte, das eben förderte seinen Entschluß,
+aus dem Handel zu scheiden. Also war niemand fähiger, mit so vollen
+Segeln und mit solcher hohen Flut von heroischer Beredsamkeit über die
+Gelegenheit daherzufahren als mein Vater. Es gibt keine Periode in
+Sokrates' Rede, die mit einem kürzeren Worte schließt als: sterbliche
+Hülle verlassend, oder: ewiger Vernichtung geweiht --, oder einen
+geringeren Gedanken in der Mitte derselben hatte als: sein oder nicht
+sein. -- Der Übergang zu einem neuen unversuchten Zustande der Dinge
+oder zu einem langen, einem tiefen, einem ruhigen Schlafe ohne Träume,
+ohne Auffahren: daß wir und unsere Kinder geboren sind, zu sterben,
+aber keiner von uns geboren zu Sklaven. -- Nein, da irre ich; das war
+eine Stelle aus Eleazars Rede, wie uns solche Josephus aufbewahrt
+hat. Eleazar gesteht, er habe es von den Philosophen aus Indien. Nach
+aller Wahrscheinlichkeit hat Alexander der Große bei seinem Einfall in
+Indien, nachdem er Persien mit Krieg überzogen, unter den mancherlei
+Dingen, die er gestohlen, auch dieses Sortiment Beute gemacht, von dem
+es dann, wo nicht den ganzen Weg durch ihn allein -- denn wir wissen
+alle, daß er zu Babylon starb --, wenigstens durch einige von seinen
+Marodeurs nach Griechenland gebracht ist. Von Griechenland kam es nach
+Rom, von Rom nach Frankreich und von Frankreich nach England. So kommen
+die Sachen herum.
+
+Zu Lande kann ich mir keinen anderen Weg denken.
+
+Zu Wasser konnte das Sortiment ganz gemächlich den Ganges herunter- in
+den Sinus Gangeticus oder die Bai von Bengalen und so in das Indische
+Meer kommen, und indem es den Weg des Handels nahm -- der Weg über Cap
+de bonne espérance war damals noch nicht entdeckt --, konnte es mit
+anderen Gewürz- und Spezereiwaren übers Rote Meer nach Joddah, dem
+Hafen von Mekka, oder nach Tor oder Suez, zwei Städtchen im Innersten
+des Golfo, gebracht werden. Von da mit den Karawanen nach Coptos, das
+nur drei Tagereisen davon liegt. Dann den Nil herunter geraden Weges
+nach Alexandria, woselbst das Sortiment gerade unten an der Treppe der
+Alexandrinischen Bibliothek ausgeschifft werden konnte. Und aus diesem
+Packhause konnte es geholt werden. Gott segne uns, was in den Zeiten
+die Gelehrten für einen Handel betrieben!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Sehen Sie, mein Vater hatte eine Art an sich, so ein wenig wie Hiob,
+falls jemals ein solcher Mann gelebt hat. Wo nicht, so ist nichts
+weiter dabei.
+
+Obgleich, im Vorbeigehen gesagt, unsere Herren Gelehrten einige
+Schwierigkeiten finden, die Zeit zu bestimmen, in welcher ein so großer
+Mann lebte -- ob z. B. vor oder nach den Patriarchen usw. --, so war
+es doch ein wenig hart, nun sogleich deswegen zu behaupten, daß er
+nie gelebt habe. Mein Vater, sage ich, hatte eine Art an sich, wenn
+ihm etwas sehr in die Quere ging, besonders im ersten Anfalle seiner
+Ungeduld, sich zu wundern, warum er geboren worden, zu wünschen, daß
+er unter der Erde läge -- zuweilen noch ärger. Und wenn die Reizung
+sehr weit ging und Betrübnis seine Lippen mit mehr als gewöhnlichen
+Kräften berührte: -- Herr, Sie hätten ihn kaum von Sokrates selbst
+unterscheiden können. Jedes Wort schmeckte nach der Empfindung einer
+Seele, die das Leben gering achtet und sich um alle seine Ereignisse
+wenig kümmert. Weswegen denn auch meiner Mutter, obgleich sie nicht
+viel Belesenheit hatte, der Auszug aus Sokrates' Schutzrede, den eben
+mein Vater meinem Onkel Toby gab, nicht ganz neu war. Sie hörte solchem
+mit kaltem Verstande zu und hätte so bis zum Ende zugehört, hatte nicht
+mein Vater -- so ohne alle Ursache und Gelegenheit -- einen Sprung
+zu der Stelle in der Schutzrede getan, wo der große Philosoph seine
+Freunde, seine Verwandten und Kinder herzählt und dabei den Vorteil
+verachtet, den er dadurch gewinnen könnte, wenn er solchergestalt die
+Leidenschaften seiner Richter auf seine Seite zöge. »Ich habe Freunde,
+ich habe Anverwandte, ich habe drei verlassene Kinder,« sagte Sokrates.
+
+»So?« sagte meine Mutter und machte die Türe auf. »Das ist eins mehr,
+Herr Shandy, als ich weiß.«
+
+»Wahrhaftig, und ich habe eins weniger!« sagte mein Vater, stand auf
+und ging zur Türe hinaus.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+»Es sind Sokrates seine Kinder,« sagte mein Onkel Toby. -- »Der ist
+schon wohl hundert Jahre tot,« sagte meine Mutter.
+
+Mein Onkel Toby verstand sich nicht auf die Chronologie. Und da er sich
+also nicht ohne Schiff aufs Meer wagen wollte, legte er ganz gelassen
+seine Pfeife auf den Tisch nieder, stand auf, faßte meine Mutter sehr
+freundschaftlich bei der Hand, und ohne ihr noch ein anderes Wort,
+weder im Guten noch im Bösen zu sagen, führte er sie hinaus zu meinem
+Vater, daß der die Erklärung selbst zustande bringen möchte.
+
+Pling -- twing -- twang -- prut -- trut. Es ist ein altes Brett von
+einer Geige. Wissen Sie, ob meine Geige stimmt oder nicht? Trut ...
+prut ... Es sollen reine Quinten sein. Die Saiten sind grundfalsch. --
+Tr ... +G+, +D+, +A+, +E+, twang, -- der Steg ist eine Meile zu hoch
+und der Stimmstock liegt gar überm Haufen. Sonst -- trut, prut -- höre,
+ist der Ton so übel nicht. Didl, didl, didl, didl, didl, didl, dum. Vor
+wahren Kennern ist gut spielen, aber dort steht ein Mann, dort -- nein,
+den mit dem Bündel unter dem Arme meine ich nicht -- den feierlichen
+Mann im schwarzen Rocke? -- Nicht doch! Auch den Herrn da mit dem Degen
+nicht! -- Herr, der Kalliope selbst möchte ich lieber ein Kaprizzio
+vorspielen, als vor dem Manne meinen Bogen über die Saiten hin und
+her ziehen. Und doch setze ich meine Cremoneser Geige gegen eine
+Maultrommel -- und das ist wohl die ungleichste musikalische Wette, die
+jemals gewettet ist --, daß ich diesen Augenblick dreihundertundfünfzig
+Meilen weit aus meiner Geige neben den Ton greifen will, ohne daß es
+einem einzigen Nerven in seinen beiden Ohren wehetun soll. Twadl didl,
+twedl didl, twidl didl, twodl didl, twudl didl, -- prut -- trut --
+krisch -- krasch -- krasch. Sie können's nicht mehr aushalten, Herr?
+Das sehe ich. Sie sehen aber, ihm tut's nicht weh. Und nähme auch
+Apollo selbst nach mir seine Leier, er bringt es nicht zustande, daß es
+ihm sanft tut.
+
+Didl didl, didl didl, didl didl -- hum -- dum -- drum.
+
+Euer Gnaden und Hochwürden lieben die Musik -- und Gott hat ihnen
+allen gesunde Ohren gegeben -- und einige unter ihnen spielen selbst
+vortrefflich -- trut -- prut -- prut -- trut.
+
+O, ich kenne jemand, bei dem ich ganze Tage sitzen und zuhören möchte,
+dessen ganze Kunst darin besteht, daß er für die Empfindsamen spielt,
+der mich mit Freuden und Hoffnungen beseelt und die geheimsten
+Triebfedern meines Herzens in Bewegung setzt. Wenn Sie mich um zwanzig
+Taler ansprechen wollen, welches gewöhnlich vierzig mehr sind, als ich
+missen kann, oder Sie, mein Herr Apotheker oder Schneider, gerne Ihre
+Rechnungen bezahlt haben wollten, dann müßten Sie kommen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Das erste, was meinem Vater einfiel, nachdem die Sachen in der
+Haushaltung ein wenig in Ordnung gebracht waren und Susanna von meiner
+Mutter grünem Atlasmorgenrock Besitz genommen hatte, war, sich nach
+dem Beispiele Xenophons ganz gelassen hinzusetzen und eine +Tristra
+pædia+ oder Erziehungssystem für mich zu schreiben.
+
+Zu dem Ende sammelte er erst seine einzelnen Gedanken, Einfälle und
+hingeworfenen Ideen und verband sie hernach dergestalt, daß solche ein
+Erziehungsinstitut für meine Kinder- und Jünglingsjahre ausmachten.
+Ich war meines Vaters letzter Satz; meinen Bruder Bobby hatte er rein
+verloren; von mir, nach seiner eigenen Berechnung, schon dreiviertel.
+Das ist, er war in seinen ersten großen Chancen für mich unglücklich
+gewesen: meiner Zeugung, meiner Nase und meinem Namen. Es blieb ihm nur
+noch diese eine. Demzufolge war mein Vater ebenso andächtig darüber
+her, als es mein Onkel Toby über die Lehre von den Gesetzen der
+Bewegung gewesen war. Der Unterschied unter beiden war, daß mein Onkel
+Toby seine ganze Wissenschaft von den Gesetzen der Bewegung aus dem
+Nikolaus Tartaglia hernahm. Mein Vater spann die seinige bis auf den
+letzten Faden aus seinem eigenen Gehirn oder haspelte und zwirnte, was
+alle übrigen Spinner und Spinnerinnen vor ihm gesponnen hatten, daß er
+beinahe ebendieselbe Arbeit damit hatte.
+
+In ungefähr drei Jahren und etwas darüber war mein Vater mit
+seinem Werke schon bis auf die Hälfte fertig. Gleich allen anderen
+Schriftstellern stieß er auf Schwierigkeiten. Er dachte, er würde
+alles, was er zu sagen hätte, so in die Kürze ziehen können, daß, wenn
+alles fertig und eingebunden wäre, meine Mutter es aufgerollt in ihrem
+Besteck tragen könnte. Die Materien wachsen uns unter den Händen. Nun
+sage ein Mann einmal: komm, ich will einen Duodezband schreiben.
+
+Mein Vater indessen arbeitete daran mit dem mühsamsten Fleiße, ging in
+jeder Zeile Schritt vor Schritt mit ebender Vorsicht und Behutsamkeit
+-- obgleich ich nicht sagen kann, aus einer ebenso frommen Ursache
+--, welche Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, bei der
+Ausfeilung seiner Galatea anwendete. Wobei Seine Hochwürden Eminenz
+von Benevent fast vierzig Jahre von dero Leben zubrachten, und als das
+Ding endlich ans Licht kam, war es nicht über die Hälfte der Dicke
+eines Taschenkalenders. Wie es der heilige Mann anfing, wenn er nicht
+den größten Teil seiner Zeit damit hinbrachte, seinen Bart zu kämmen
+oder mit seinem Kaplan Brett zu spielen, -- das könnte einem jeden
+Sterblichen, dem man das Geheimnis nicht sagte, den Kopf verrücken.
+Es ist deshalb wohl wert, daß man's der Welt erklärt, wär's auch nur,
+um die wenigen in derselben aufzumuntern, die nicht sowohl um Brot
+schreiben wie um Ruhm.
+
+Ich gestehe, wäre Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent,
+für dessen Andenken -- ungeachtet seiner Galatea -- ich die höchste
+Ehrerbietung hege, wäre er, mein Herr, ein magerer Skribent gewesen,
+von stumpfem Witz, langsamen Begriffen, von verstopftem Kopfe und so
+mehr, er und seine Galatea möchten meinetwegen bis zu Methusalems
+Alter miteinander fortgeholpert sein, die Erscheinung wäre keiner
+Parenthese wert gewesen.
+
+Aber das Gegenteil gerade war die Wahrheit. Johann de la Casse war ein
+Genie von großen Fähigkeiten und fruchtbarer Phantasie. Und doch, bei
+allen diesen großen Naturgaben lag er zugleich an einer Kraftlosigkeit
+danieder, daß er an einem langen Sommertage nicht über anderthalb
+Zeilen zustande bringen konnte. Dieses Unvermögen Seiner Eminenz kam
+von einer Meinung, womit Seine Eminenz behaftet waren. Besagte Meinung
+war nämlich diese: Sooft ein Christ sich hinsetzte, ein Buch zu
+schreiben, nicht bloß zu seinem eigenen Zeitvertreibe, sondern seine
+Absicht und sein Zweck mögen sogar +bona fide+ sein, so wären
+seine ersten Einfälle allemal Versuchungen des Bösen. Dies wäre der
+Fall mit gewöhnlichen Schriftstellern; wenn aber gar eine Person von
+ehrwürdigem Charakter und hohem Stande entweder in der Kirche oder
+im Staate einmal Autor würde, so behauptete er, daß von demselben
+Augenblicke an, da ein solcher die Feder in die Hand nähme, alle Teufel
+in der Hölle aus ihren Löchern hervorkämen, um ihn zu verlocken. Das
+wäre ihre Walpurgisnacht. Jeder Gedanke, der erste und letzte, sei
+verfänglich, ob scheinbar oder wirklich gut, gleichviel, in was für
+Gestalt oder Farben er sich der Imagination darstellen möchte: es
+wäre dennoch ein Streich eines oder des anderen von den Teufeln, der
+auf ihn gerichtet sei und welcher abpariert werden müßte. -- So daß
+der Stand eines Schriftstellers, er möchte es nun glauben wollen oder
+nicht, nicht sowohl ein Stand der Feder als des Schwertes sei. Seine
+Probejahre wären wie die eines jeden Kriegsmannes auf diesem Erdboden.
+In beiden, bei dem einen wie bei dem anderen, käme es nicht halb soviel
+auf den Grad des Verstandes als des Widerstandes an.
+
+Meinem Vater behagte diese Theorie des Johann de la Casse, Erzbischofs
+von Benevent, außerordentlich. Wäre sein Glaube nicht ein wenig dabei
+in die Enge gekommen, ich glaube, er hätte die besten zehn Äcker von
+den Shandyschen Gütern darum gegeben, daß er sie selbst erfunden haben
+möchte. Wie viel oder wenig mein Vater an einen Teufel glaubte, das
+wird sich erweisen, wenn ich in der Folge dieses Werkes von meines
+Vaters Meinungen in der Religion sprechen werde. Hier ist's genug, zu
+sagen, da er von dem buchstäblichen Sinne dieser Lehre nicht die Ehre
+haben konnte, so begnügte er sich mit dem Allegorischen. Er pflegte oft
+zu sagen, besonders wenn seine Feder ein wenig stätisch war, es wäre
+unter dem Schleier des Johann de la Casse parabolischer Vorstellung
+ebensoviel Sinn, Wahrheit und Wissenschaft verborgen, wie man nur in
+irgendeiner poetischen Fiktion oder mystischen Erzählung des Altertums
+fände. -- »Vorurteil der Erziehung,« pflegte er zu sagen, »das ist
+der Satan, und die Menge derselben, welche wir mit der Muttermilch
+einsaugen, sind alle Teufel. Wir werden von ihnen verfolgt, Bruder
+Toby, bei unseren Untersuchungen und Ausarbeitungen. Wäre ein Mann dumm
+genug, ihren Zudringlichkeiten so zahmerweise nachzugeben, was würde
+aus seinem Buche werden? Nichts!« pflegte er hinzuzusetzen, und warf
+seine Feder an die Erde, daß es krachte. »Nichts als ein Gemengsel
+von dem Ammengeklatsche und dem Unsinn der alten Weiber -- von beiden
+Geschlechtern -- aus dem ganzen Reiche.«
+
+Dies ist die beste Ursache, die ich von dem langsamen Fortgange,
+den mein Vater bei seiner +Tristra pædia+ machte, anzugeben
+entschlossen bin, an welcher er, wie gesagt, drei Jahre und etwas
+darüber unermüdlich arbeitete und zuletzt kaum -- nach seiner eigenen
+Berechnung -- die Hälfte seines Planes ausgeführt hatte. Das Unglück
+dabei war, daß ich die ganze Zeit über völlig versäumt und meiner
+Mutter überlassen wurde. Und was fast ebenso schlimm war, durch die
+Verzögerung wurde der erste Teil des Werkes, an den mein Vater den
+meisten Fleiß verwendet hatte, völlig unbrauchbar. Jeden Tag wurden
+eine oder ein paar Seiten unnütz.
+
+Gewiß muß es eine Rute für den Stolz der menschlichen Weisheit geben;
+da auch die Weisesten unter uns allen sich so übereilen und ewig ihren
+Zweck, durch die unmäßige Hitze ihn zu erhaschen, verfehlen müssen.
+
+Kurz, mein Vater hielt sich so lange bei seinem Widerstand auf -- oder
+mit anderen Worten --, er förderte sein Werk so ungemein langsam,
+und ich begann so flink zu leben und zu wachsen, daß, wenn nicht ein
+Zufall dazwischengekommen wäre -- der, wenn wir so weit gelangt sind
+und es mit Wohlanständigkeit geschehen kann, keinen Augenblick länger
+vor meinem Leser verheimlicht werden soll --, ich wahrhaftig glaube,
+ich hätte an meinem Vater vorbei gelebt, und hätte ihm eine Sonnenuhr
+zeichnen lassen, um solche unter die Erde zu vergraben.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Es war nichts, ich verlor keine zwei Tropfen Bluts dabei. Es war nicht
+der Mühe wert, einen Wundarzt zu rufen, und hätte er Türe an Türe bei
+uns gewohnt -- Tausende leiden aus Wahl, was ich aus Zufall litt. --
+Doktor Slop machte zehnmal mehr Aufhebens davon, als nötig war. --
+Einige Leute bringen sich dadurch empor, daß sie die Kunst verstehen,
+großes Gewicht an dünnen Draht zu hängen. Und ich muß noch bis auf den
+heutigen Tag (den 10. August 1761) den Ruhm dieses Mannes mit bezahlen.
+O, es sollte wohl einen Stein ärgern, zu sehen, wie es in dieser
+Welt hergeht! Das Stubenmädchen hatte keinen -- -- -- unter dem Bette
+gelassen. »Kann das Kind sich nicht behelfen,« sagte Susanna, indem
+sie bei den Worten mit einer Hand das Fallfenster aufschob und mit
+der andern mich ins Fenster stellte, »kann das Kind es nur einmal so
+machen, daß es -- --?«
+
+Ich war fünf Jahre alt. Susanna bedachte nicht, daß in unserer Familie
+nichts am rechten Haken hing. Und klapps! schoß das Fallfenster wie der
+Blitz auf uns herab. »Nichts übrig,« schrie Susanna, »nichts übrig für
+mich, als aus dem Lande zu laufen.«
+
+Meines Onkels Toby Haus war eine viel bessere Freistatt. Also floh
+Susanna dahin.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundsiebzigstes Kapitel.
+
+
+Als Susanna dem Korporal den Unfall mit dem Fallfenster erzählte, nebst
+allen Umständen, die meinen Mord -- wie sie es nannte -- begleitet
+hatten, trat ihm das Blut aus den Wangen zurück. Da alle, die zum
+Morden beitragen, Totschläger sind, sagte Trimm sein Gewissen, daß
+er ebenso schuldig sei wie Susanna. Und wenn der Satz wahr wäre, so
+hätte mein Onkel Toby das Blutbad ebensogut vor Gott zu verantworten
+gehabt wie einer von ihnen beiden. Auf diese Weise hätten weder
+Vernunft noch Instinkt, einzeln oder zusammen, Susanna unmöglich nach
+einer besseren Freistatt führen können. Dieses der Einbildung des
+Lesers anheimzugeben, wäre vergebens. Nur zu irgendeiner Hypothese zu
+gelangen, die einigen Stich hielte, müßte er sein Gehirn wundpeitschen
+-- und es ohne das zu tun --, müßte er ein Gehirn haben, wie noch kein
+Leser vor ihm gehabt hat. -- Warum sollte ich ihn einer solchen Prüfung
+oder Tortur aussetzen? Es ist meine eigene Sache, ich will es selbst
+erklären.
+
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtzigstes Kapitel.
+
+
+»Schade, Trim!« sagte mein Onkel Toby, mit seiner Hand auf Trims
+Schulter gelehnt, als sie beide standen und ihre Werke besahen, »daß
+wir nicht ein paar Feldstücke haben, die wir in die Schießscharten
+dieser neuen Redoute pflanzen könnten. Das würde alle jene Linien
+decken und die Attacke an der Seite vollkommen machen. Laß Er mir ein
+paar gießen, Trim.«
+
+»Euer Gnaden sollen sie haben,« versetzte Trim, »ehe es morgen Tag
+wird.«
+
+Es war Trim eine Herzensfreude, und seinem anschlägigen Kopfe fehlte
+es niemals an Einfällen, meinem Onkel Toby in seinen Feldzügen
+mit allem an die Hand zu gehen, was nur immer seine Phantasie für
+nötig erachtete. Wäre es auch sein letzter harter Taler gewesen,
+er hätte sich hingesetzt und einen Ringkragen daraus gehämmert, um
+dem geringsten Wunsche seines Herrn zuvorzukommen. Der Korporal
+hatte schon, vermittels der Enden von meines Onkels Toby Dachröhren,
+des Bleis aus seinen Dachrinnen, seines eingeschmolzenen zinnernen
+Barbierbeckens, und da er zuletzt, wie Ludwig +XIV.+, bis zu den
+Kirchspitzen gegangen, um das überflüssige Blei usw. zu holen, in
+ebendem Feldzuge nicht weniger als acht neue Batteriestücke nebst drei
+halben Feldschlangen ins Lager geliefert. Meines Onkels Begehren nach
+noch zwei Kanonen für die Redoute hatte den Korporal von neuem Hand ans
+Werk legen lassen. Da sich aber nichts Besseres darbot, hatte er die
+beiden bleiernen Gegengewichte von den Fallfenstern in der Ammenstube
+genommen. Und da die Rollen, worauf diese Gegengewichte liefen, nachdem
+diese fort, unnütz waren, so hatte er sie gleichfalls mitgehen heißen,
+um ein Paar Räder zu einer von ihren Lafetten daraus zu machen.
+
+Er hatte jedes Fenster in meines Onkels Toby Hause, lange vorher schon,
+auf ebendie Art beraubt, obgleich nicht eben auf diese Weise. Denn
+zuweilen fehlte es ihm an Rollen und nicht am Blei. Alsdann begann
+er mit den Rollen. Wenn dann die Rollen fort waren, so ward das Blei
+unnütz und mußte dann auch zum Schmelzlöffel.
+
+Man könnte hieraus ganz behende eine wichtige Moral ziehen, aber ich
+habe nicht Zeit. Genug, wenn ich sage, die Plünderung mochte anfangen,
+wo sie wollte, es war für die Fallfenster gleich schlimm.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einundachtzigstes Kapitel.
+
+
+Der Korporal hatte bei diesem Ingenieurstreiche seine Maßregeln nicht
+so schlecht genommen, daß er nicht das ganze Geheimnis hätte für sich
+behalten und Susanna dem ganzen Gewichte der Attacke aussetzen können.
+Allein wahrer Tapferkeit ist's nicht genug, sich so durchzuhelfen.
+Der Korporal, ob als General oder als Trainkommissarius -- das tut
+nichts --, hatte die Fenster in einen Zustand versetzt, ohne den, wie
+er glaubte, das Unglück nicht hätte geschehen können, wenigstens nicht
+unter Susannas Händen. Wie hätten sich Eure Gnaden dabei benommen? Er
+beschloß auf der Stelle, sich nicht hinter Susanna zu verkriechen,
+sondern sie zu decken. Und mit dieser Entschließung marschierte er
+geradeswegs ins Wohnzimmer, um meinem Onkel das Manöver vorzulegen.
+
+Mein Onkel Toby hatte eben dem Herrn Yorick eine Beschreibung von der
+Schlacht bei Steenkirchen gemacht und von der sonderbaren Abordnung des
+Grafen Solms, welcher der Infanterie befohlen Halt zu machen und der
+Kavallerie zu marschieren, wo sie nicht agieren konnte. Das war gerade
+gegen die Order des Königs und zog den Verlust der Bataille nach sich.
+
+In einigen Haushaltungen gibt es Vorfälle, die sich so genau an das,
+was folgen soll, anschmiegen, daß es kaum durch die Erfindung der
+dramatischen Schriftsteller besser ausgedacht werden konnte, die aus
+alten Zeiten meine ich.
+
+Trim bestrebte sich, seine Historie dadurch, daß er seinen Zeigefinger
+flach auf den Tisch legte und mit der Handkante in einem scharfen
+Winkel daraufschlug, so zu erzählen, daß sie Priester und Jungfrauen
+hätten anhören können. Und nachdem die Historie erzählt, ging der
+Dialog fort, wie folgt.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundachtzigstes Kapitel.
+
+
+»Ich wollte mich lieber in der Türkenallee totpeitschen lassen,« rief
+der Korporal, »als leiden, daß dem Frauenzimmerchen deswegen Leides
+geschehe. -- Es war meine Schuld, Euer Gnaden, nicht ihre.«
+
+»Korporal Trim,« erwiderte mein Onkel Toby, wobei er seinen Hut
+aufsetzte, der auf dem Tische lag, »wenn man das eine Schuld nennen
+kann, was der Dienst unumgänglich notwendig macht, so bin ich's
+unstreitig, auf den sie fällt. Er gehorchte dem Kommando.«
+
+»Hätte der Graf Solms, mein guter Trim, es bei der Steenkircher
+Schlacht ebenso gemacht,« sagte Yorick ein wenig spaßhaft zu dem
+Korporal, der im Rückzug von einem Dragoner übergeritten worden, »so
+hätte er Ihn gerettet.« -- »Gerettet!« schrie Trim und fiel ihm in die
+Rede. »Fünf ganze Regimenter, Hochehrwürden, hätte er gerettet. Da war
+Cutts, Mackays, Angus, Grahams und Levens Regiment, die wurden alle in
+die Pfanne gehauen. Unserer Leibgarde wäre es nicht besser gegangen,
+hätten's nicht etliche Regimenter vom rechten Flügel verhindert, welche
+ihnen beherzt zu Hilfe kamen und den Feind erst auf sich abfeuern
+ließen, ehe eine Seele von ihnen einen Hahn abdrückte. Sie haben
+dabei den Himmel mit verdient,« setzte Trim hinzu. »Trim hat recht,«
+sagte mein Onkel Toby und nickte Yorick zu. »Er hat ganz recht.« --
+»Was wollte er damit, daß er die Reiter aufmarschieren ließ,« fuhr
+der Korporal fort. »Wo das Terrain so knapp war und die Franzosen
+solch eine Nation von Hecken, von Koppeln, von Graben und in die
+Kreuz und Quer umgehackten Bäumen hatten, daß man ihnen nicht an den
+Leib kommen konnte -- wie sie's immer machen --. Graf Solms sollte
+uns hinkommandiert haben. Wir hätten ihnen Schuß um Schuß ganz anders
+einheizen wollen. Die Kavallerie konnte nicht ankommen. Aber wie ging's
+ihm auch dafür? Wurde ihm nicht gleich die nächste Kampagne darauf bei
+Landen der Fuß abgeschossen?« -- »Der arme Trim bekam da seine Wunde,«
+sagte mein Onkel Toby. -- »Ich hatte es keinem Menschen sonst, mit Euer
+Gnaden Wohlnehmen, zu danken als dem Grafen Solms. Hätten wir sie zu
+Steenkirchen brav zusammengeschossen, so hätten sie bei Landen nicht
+stehen können.« -- »Vielleicht, und vielleicht auch nicht, Trim,«
+sagte mein Onkel Toby. »Denn wenn sie nur ein Holz vor sich kriegen
+oder einen Augenblick Zeit gewinnen können, sich einzugraben, so
+ist's eine Nation, die einen immer bald hinten, bald vorne neckt und
+zwickt. Man kommt nicht anders mit ihnen aus, als man muß ihnen nur
+kaltblütig auf die Haut rücken, ihr Feuer aushalten und dann frisch
+über sie herfallen.« -- »Piff, paff,« setzte Trim hinzu. »Zu Fuß und zu
+Pferde,« sagte mein Onkel Toby. -- »Was hast du, was kannst du,« sagte
+Trim. -- »Links und rechts,« rief mein Onkel Toby. -- »Feuer auf die
+Hunde!« schrie der Korporal. Das Treffen war hitzig, Yorick rückte der
+Sicherheit wegen seinen Stuhl ein wenig auf die Seite und nach einer
+Minute Pause ließ mein Onkel Toby seine Stimme um eine Sekunde sinken
+und faßte das Gespräch wieder auf, wie folgt:
+
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundachtzigstes Kapitel.
+
+
+»Der König Wilhelm,« sagte mein Onkel Toby, wobei er sich an Yorick
+wendete, »verhängte eine solche Ungnade über den Grafen Solms, daß
+er ihn einige Monate lang nicht vor sich kommen lassen wollte.« --
+»Ich besorge,« antwortete Yorick, »unser Herr Shandy wird ebenso
+ungnädig auf den Korporal sein wie der König auf den Grafen.« -- »Es
+würde aber hier ganz sonderbar hart sein, wenn Korporal Trim, dessen
+Aufführung bei dieser Sache der Aufführung des Grafen so schnurstracks
+entgegengesetzt ist, das Schicksal haben sollte, mit einerlei Ungnade
+belohnt zu werden. Zu oft geht's leider so in dieser Welt! -- Ich
+wollte eine Mine anzünden,« rief mein Onkel Toby und stand dabei auf,
+»und meine Fortifikationen samt meinem Hause in die Luft sprengen,
+und wir wollten uns lieber unter dem Schutt begraben lassen, ehe ich
+dabeistehen und das ansehen wollte.« -- Trim machte einen kleinen, aber
+dankbaren Bückling gegen seinen Herrn. Und so endigt das Kapitel.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundachtzigstes Kapitel.
+
+
+»Wohlan, Herr Yorick,« erwiderte mein Onkel Toby, »Sie und ich wollen
+in Front voraufgehen. Er, Korporal, Er kann ein paar Schritte hinter
+uns nachfolgen.« -- »Und Susanna, wenn es Euer Gnaden erlauben, soll
+in der Arrieregarde folgen,« sagte Trim. Es war eine vortreffliche
+Disposition.
+
+In dieser Ordnung, ohne klingendes Spiel und fliegende Fahnen,
+marschierten sie langsam vor meines Onkels Toby Hause nach Shandy-Hall.
+
+»Ich wollte,« sagte Trim, als sie durch den Torweg zogen, »ich hatte
+statt des Bleis an den Fallfenstern die Enden von den Dachröhren an der
+Kirche abgeschlagen, wie ich schon einmal zu tun willens war.« -- »Laß
+er des Endenabschlagens genug sein,« versetzte Yorick.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundachtzigstes Kapitel.
+
+
+So manche Zeichnung auch von meinem Vater gegeben worden und so ähnlich
+sie ihm auch in seinen verschiedenen Mienen und Stellungen sein mögen,
+so kann doch weder eine noch alle zusammengenommen dem Leser eine Art
+von Vorhersehen verschaffen, wie mein Vater bei neuen Vorfällen und
+Begebenheiten des Lebens denken, sprechen oder handeln würde. Die
+Endlosigkeit des Sonderbaren in seinem Charakter und der zufälligen
+Bestimmungen, bei welchem Ende er eine Sache angreifen würde, ging so
+weit, mein Herr, daß solche einen Strich durch alle ihre Berechnungen
+machte. -- Die Sache war, sein Pfad lag von dem, worauf die meisten
+Menschen wandeln, so weit seitwärts, daß jedes Ding, was ihm vorkam,
+seinem Auge in einer eigenen Gestalt und Richtung erschien. Ganz
+verschieden von der Höhe und Breite, in der es andere Menschenkinder
+erblickten. Mit anderen Worten: es war ein ganz anderes Ding und ward
+denn auch ganz anders betrachtet.
+
+Dies ist die wahre Ursache, warum meine liebe Jenny und ich sowohl als
+alle Welt um uns her soviel Hader um nichts haben. Sie sieht auf ihr
+Äußeres und ich auf ihr Inneres. Wie ist es möglich, daß wir über ihren
+Wert einig werden sollten.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsundachtzigstes Kapitel.
+
+
+Es ist eine ausgemachte Sache -- und ich führe es hier zu Konfuzius'
+Troste an, der die Gabe hat, sich beim Erzählen einer schlechten
+Geschichte gar weidlich zu verwickeln, daß es, wofern er nur die
+Geschichte nicht ganz von der Leine läßt, er mag rückwärts oder
+vorwärts gehen, so wird es ihm nicht als Entgleisung angerechnet.
+
+Dieses vorausgesetzt, will ich von diesem Privileg des freien
+Zurückgehens selbst Gebrauch machen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenundachtzigstes Kapitel.
+
+
+Fünfzigtausend Körbe mit Teufeln geladen -- ich meine nicht des
+Erzbischofs von Beneventos, sondern Rabelais' Teufel -- denen die
+Schwänze dicht am Rumpfe abgehackt worden, könnten den Hals nicht so
+höllisch darüber aufgerissen haben, wie ich bei meinem Unfall tat.
+Mein Geschrei lockte meine Mutter den Augenblick nach der Kinderstube,
+so daß Susanna nur ebensoviel Zeit hatte, durch die Hintertreppe zu
+entwischen, als meine Mutter die große Stiege heraufkam.
+
+Nun wäre ich freilich alt genug gewesen, diese Historie selbst zu
+erzählen, und jung genug, hoffe ich, es zu tun, ohne Arges daraus zu
+haben; aber Susanna hatte es in ihrer Furcht, als sie an der Küche
+vorbeiging, der Köchin in Eile überliefert. Die Köchin hatte es
+mit einem Kommentar dem Jonathan und Jonathan dem Obadiah erzählt.
+Dergestalt, daß, nachdem mein Vater ein halbes Dutzend Male geklingelt
+hatte, zu erfahren, was da oben vorginge, Obadiah bereits imstande war,
+ihm genaue Nachricht zugeben, was und wie es sich zugetragen hätte. --
+»Dacht' ich's nicht!« sagte mein Vater, warf seinen Schlafrock über und
+stürmte so die Treppe hinauf.
+
+Aus diesem sollte man fast schließen -- obgleich ich für meinen Teil es
+ein wenig in Zweifel ziehe --, daß mein Vater schon vor dieser Zeit das
+merkwürdige Kapitel in der +Tristra pædia+ wirklich geschrieben
+haben müßte, welches für mich das Originellste und Unterhaltendste im
+ganzen Buche ist -- ich meine das Kapitel von den Fallfenstern, mit
+einer derben Strafpredigt am Ende desselben, über die Vergessenheit der
+Stubenmädchen. Ich habe nur zwei Ursachen, anders zu denken.
+
+Erstlich, wäre die Sache in seine Gedanken gekommen, bevor der Unfall
+geschah, so würde mein Vater ein für allemal das Fallfenster zugenagelt
+haben. Was er, wenn man bedenkt, wie sauer ihm das Bücherschreiben
+wurde, mit zehnmal leichterer Mühe hätte tun können, als das Kapitel
+schreiben. Dieser Grund, sehe ich schon, könnte auch dazu angewendet
+werden, daß er das Kapitel auch nach dem Vorfall nicht geschrieben
+habe. Ist aber nicht nötig, ihn dazu zu verwenden, wegen der zweiten
+Ursache nicht, welche ich die Ehre habe, der Welt zur Unterstützung
+meiner Meinung vorzulegen: warum mein Vater das Kapitel von den
+Fallfenstern und Kammergefässen zu der besagten Zeit nicht geschrieben
+haben könne. Und das ist diese: Daß, um die +Tristra pædia+
+vollständig zu machen, ich selbst das Kapitel geschrieben habe.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundachtzigstes Kapitel.
+
+
+Mein Vater setzte seine Brille auf -- beguckte -- nahm sie wieder ab
+-- legte sie ins Futteral -- alles in weniger als einer vollen Minute.
+Ohne die Lippen zu öffnen, kehrte er sich um und ging plötzlich die
+Treppe hinunter. Meine Mutter dachte, er wäre hinuntergegangen, um
+gezupftes Leinen und Wundbalsam zu holen. Als sie ihn aber mit ein
+paar Foliobänden unter dem Arme und Obadiah mit einem großen Lesepuite
+hinter ihm hereintreten sah, meinte sie nichts anderes, als es sei ein
+Kräuterbuch, und zog ihm also einen Stuhl an die Seite des Bettes,
+damit er mit Bequemlichkeit ein Heilkraut suchen könnte.
+
+»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte mein Vater und schlug die
+Sektion auf: +de sede vel subjecto circumcisionis+. Denn er
+hatte Spender +de legibus Hebræorum ritualibus+ heraufgebracht
+und den Maimonides, um uns alle miteinander zu konfrontieren und zu
+examinieren. --
+
+»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte er. -- »Wenn ich nur erst weiß,
+was für ein Kraut.« -- »Wenn du das wissen willst, mußt du nach dem
+Doktor Slop schicken.«
+
+Meine Mutter ging hinunter, und mein Vater las die Sektion weiter, wie
+folgt:
+
+ * * * * *
+
+-- -- »recht gut,« sagte mein Vater, -- -- -- -- -- -- -- -- »Ja, wenn
+die Unbequemlichkeit dabei ist.« Und nun, ohne sich einen Augenblick
+dabei aufzuhalten, ob die Juden es von den Ägyptern oder die Ägypter
+von den Juden hatten, stand er auf. Nachdem er mit der flachen Hand
+zwei- oder dreimal über die Stirn gefahren war -- so wie wir wohl die
+Fußtapfen der Sorge wegzuwischen pflegen, wenn ein Unglück uns nicht
+so hart getreten, wie wir fürchteten -- schlug er das Buch zu und ging
+hinunter. »Nun denn,« sagte er, und sowie er den Fuß auf einen andern
+Tritt Setzte, nannte er dabei den Namen je einer großen Nation: »Wenn
+die Ägypter, die Syrer, die Phönizier, die Araber, die Kappadozier, die
+Kolchier und die Troglodyten es taten, wenn Solon und Pythagoras es
+auch unterließen, wer ist Tristram, wer bin ich, daß ich mich über die
+Sache einen Augenblick übel gebärden sollte?«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundachtzigstes Kapitel.
+
+
+»Lieber Yorick,« sagte mein Vater lächelnd -- denn Yorick war aus dem
+Gliede getreten, da er mit meinem Onkel Toby durch den engen Gang
+gekommen war, und trat also zuerst in das Wohnzimmer --, »finden Sie
+nicht auch, daß unser Tristram da sich es um alle Sakramente recht
+sauer werden lassen muß? Wohl niemals ist das Kind eines Juden,
+Christen, Türken oder Heiden auf eine so krumme und schiefe Art zu
+seinen Religionsgebräuchen gekommen.« -- »Ich hoffe doch, daß es nichts
+auf sich haben wird,« sagte Yorick. »Es muß ganz gewiß,« fuhr mein
+Vater fort, »eben der Henker in irgendeiner Gegend der Ekliptik los
+gewesen sein, als dieses Zweiglein aus meinem Stamme gebildet worden.«
+-- »Das können Sie besser beurteilen als ich,« erwiderte Yorick. --
+»Die Astrologen wissen's besser, wie wir alle beide,« sagte mein Vater.
+»Die gedritte oder gesechste Scheine müssen übereinandergesprungen
+sein, oder die Gegenscheine ihrer Aszendenten haben es nicht getroffen,
+wie sie sollten, oder die Zeugevorsteher -- wie sie sie nennen -- haben
+eben Verstecken gespielt, oder es ist sonst etwas, entweder unten oder
+oben mit uns nicht recht gewesen.«
+
+»Wohl möglich,« antwortete Yorick. »Aber,« schrie mein Onkel Toby,
+»hat das Kind auch großen Schaden genommen?« -- »Die Troglodyten sagen
+nein,« versetzte mein Vater. -- »Und Ihre Theologen, Yorick, sagen uns
+--« -- »Theologisch gesprochen?« sagte Yorick.
+
+»Ich weiß nicht gewiß,« erwiderte mein Vater. »Aber sie sagen uns,
+Bruder Toby, daß es ihm Vorteil tue.« -- »Vorausgesetzt,« sagte Yorick,
+»daß Sie ihn nach Ägypten reisen lassen.« -- »Was das anbelangt,«
+antwortete mein Vater, »so wird er den Vorteil haben, wenn er die
+Pyramiden sieht.«
+
+»Nun, so ist doch jedes Wort hiervon,« sagte mein Onkel Toby, »für mich
+so gut wie Arabisch.« -- »Ich wünschte,« sagte Yorick, »es wäre so für
+die halbe Welt.«
+
+»Ilus,« fuhr mein Vater fort, »beschnitt eines Morgens sein ganzes
+Kriegsheer.« -- »Doch nicht ohne Kriegsrecht?« rief mein Onkel Toby.
+»Obgleich die Gelehrten,« fuhr er fort, ohne auf meines Onkels Toby
+Frage zu achten, sondern an Yorick sich wendend, »sehr geteilter
+Ansicht darüber sind, wer dieser Ilus war. Einige sagen Saturnus,
+andere das höchste Wesen. Andere nichts weiter als Generalbrigadier
+unter Pharao-neco.« -- »Es sei, wer es sei,« sagte mein Onkel Toby,
+»ich sehe nicht, nach was für einem Punkt aus den Kriegsartikeln er es
+rechtfertigen kann.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunzigstes Kapitel.
+
+
+»Sie sehen, es ist hohe Zeit,« sagte mein Vater, indem er sich zugleich
+an meinen Onkel Toby und Herrn Yorick wendete, »daß man den Knaben den
+Weiberhänden wegnimmt und ihn einem eigenen Hofmeister in die Hände
+gibt. Marcus Antonius nahm auf einmal vierzehn Hofmeister, seinen Sohn
+Commodus zu erziehen. In sechs Wochen gab er fünf davon den Abschied.
+-- Ich weiß recht gut,« fuhr mein Vater fort, »daß Commodus' Mutter zu
+der Zeit, als sie mit ihm schwanger ward, in einen Fechter verliebt
+war, woraus sich eine Menge von den Grausamkeiten erklären lassen, die
+er beging, als er Kaiser wurde. -- Aber ich bin doch immer der Meinung,
+daß diese fünf, welche Antonius verabschiedete, dem Gemüt des Commodus
+in der kurzen Zeit mehr Schaden taten, als die übrigen neun in ihrem
+ganzen Leben gutzumachen vermochten.
+
+Da ich nun die Person, die um meinen Sohn sein soll, als einen Spiegel
+betrachte, in weichem er sich von morgens bis abends erblicken und nach
+dem er seine Blicke, Mienen und Gebärden und vielleicht die innigsten
+Empfindungen seines Herzens einrichten muß, so möchte ich gerne, mein
+lieber Yorick, einen haben, der, wenn es möglich, über und über poliert
+und dazu tüchtig wäre, daß sich mein Kind darin spiegelte.« -- »Das ist
+recht vernünftig,« sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.
+
+»Es gibt,« fuhr mein Vater fort, »einen gewissen Anstand und eine
+gewisse Bewegung des Körpers und aller seiner Glieder sowohl im Handeln
+als im Reden, welche von der inneren Güte eines Menschen zeugen.
+Es wundert mich keineswegs, daß Gregorius von Nazianzum, als er am
+Julian die schnellen und unsteten Gebärden wahrnahm, voraussagte, daß
+er eines Tages abtrünnig werden würde. Oder daß St. Ambrosius seinen
+Amanuensem wegen einer unanständigen Bewegung mit dem Kopfe, der wie
+ein Dreschflegel hin und her ging, wegjagte. Oder daß Demokritus gleich
+merkte, daß Protagoras ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel
+Reisholz binden und die dünnsten Reiser in die Mitte legen sah. Es gibt
+tausend unbemerkte Öffnungen,« fuhr mein Vater fort, »durch die ein
+scharfes Auge auf einmal die Seele entdecken kann. Ich behaupte, daß
+ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut niederlegen kann, wenn er in ein
+Zimmer kommt, oder aufnehmen, wenn er hinausgeht, ohne daß ihm etwas
+entwischt, das ihn verrät.
+
+Dieser Gründe wegen,« fuhr mein Vater fort, »darf der Hofmeister, den
+ich erwählen werde, weder lispeln noch schielen oder blinzeln, weder
+laut reden noch störrisch oder närrisch aussehen, weder die Lippen
+beißen noch mit den Zähnen knirschen, weder durch die Nase sprechen
+noch darin wühlen oder sie mit den Fingern putzen.
+
+Er soll weder geschwind gehen noch langsam, nicht sich einhängen,
+denn das ist Faulheit, noch seine Arme bummeln lassen, denn das ist
+tölpelhaft, noch seine Hände in den Taschen verstecken, denn das ist
+abgeschmackt.
+
+Er soll auch nicht schlagen, nicht kratzen, nicht kneifen, nicht
+kitzeln, nicht beißen, keine Nägel abschneiden, keinen Schleim
+hinunterwürgen, nicht ausspucken, nicht ausrotzen, nicht trommeln mit
+Füßen oder Fingern, wenn er in Gesellschaft ist, noch -- nach Erasmus
+-- mit jemand sprechen, wenn er Wasser läßt. Er soll auch auf kein
+totes Aas oder einen Auswurf mit dem Finger weisen.« -- »Nun, da haben
+wir wieder ganz unvernünftiges Zeug!« sagte mein Onkel Toby bei sich
+selbst.
+
+»Ich will haben, er soll,« fuhr mein Vater fort, »freundlich sein,
+munter, aufgeweckt, und dabei klug, aufmerksam auf sein Geschäft,
+wachsam, verschlagen, erfindsam, schnell in Auflösung der Zweifel und
+spekulativer Fragen; soll bedächtig, vernünftig und gelehrt sein.« --
+»Und warum nicht auch bescheiden und mäßig, und sanftmütig und gut?«
+sagte Yorick. -- »Und warum nicht auch,« schrie mein Onkel Toby,
+»freimütig und großmütig, und guttätig und herzhaft?« -- »Das soll er,
+mein lieber Toby,« versetzte mein Vater, wobei er aufstand und ihm
+die Hand schüttelte. -- »Gut, Bruder Walther,« antwortete mein Onkel
+Toby, der gleichfalls aus seinem Stuhle aufstand und seine Pfeife
+niederlegte, um meines Vaters andere Hand zu erfassen. »Ich bitte dich
+ergebenst, daß ich dir den Sohn des armen Le Fevers empfehlen dürfte.«
+Eine Freudenträne blitzte wie der schönste Brillant in meines Onkels
+Toby Auge, und eine andere, die das Paar vollmachte, im Auge des
+Korporals, als der Vorschlag getan ward.
+
+Le Fevers schwebte meinem Onkel Toby die ganze Zeit über in den
+Gedanken, da mein Vater ihm und Herrn Yorick beschrieb, was für eine
+Art von Person er zum Hofmeister für mich haben wollte. Da aber
+anfangs mein Vater meinem Onkel Toby in Ansehung der Vollkommenheiten
+ein wenig zu begehrlich schien, enthielt er sich, Le Fevers' Namen zu
+nennen, bis endlich der Charakter durch die Dazwischenkunft des Herrn
+Yorick unvermutet auf jemand hinauslief, der Mut hätte, großmütig und
+gutherzig wäre. So rückte ihm solches Le Fevers' Bild wieder näher vor
+die Seele und legte sein Bestes meinem Onkel Toby so innig ans Herz,
+daß er augenblicklich vom Stuhle aufstand und seine Pfeife niederlegte,
+um meines Vaters beide Hände zu fassen. »Ich bitte, Bruder Walther,«
+sagte mein Onkel Toby, »laß dir Le Fevers' Sohn dazu empfohlen sein.«
+-- »Ich bitte gleichfalls darum,« fügte Yorick hinzu. -- »Er hat ein
+gutes Herz,« sagte mein Onkel Toby. -- »Und ein braves dazu, mit Euer
+Gnaden Erlaubnis,« sagte der Korporal. -- »Die besten Herzen, Trim,
+sind immer die bravsten,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Und die
+größten alten Memmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, bei unserem Regiment,
+waren allzeit die ärgsten Leutequäler. Da war der Sergeant Kumbart und
+der Fähnrich --«
+
+»Da wollen wir,« sagte mein Vater, »ein andermal von sprechen.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Einundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Wenn der Leser keinen deutlichen Begriff von den anderthalb Ruten
+Landes hat, welches am Ende von meines Onkels Toby Küchengarten liegt
+und welches die Szene so mancher seiner süßen Stunden war, so liegt die
+Schuld nicht an mir, sondern an seiner Imagination. Denn ich hab's ihm
+doch wahrhaftig so kindisch deutlich beschrieben, daß ich mich fast
+selbst davor schäme.
+
+Als die Göttin des Schicksals eines Nachmittags einen Blick in die
+großen Begebenheiten der künftigen Zeiten tat und übersann, zu welchem
+Zwecke diese kleine Verwicklung durch ein in diamantene Tafeln
+gegrabenes Dekret bestimmt sei, gab sie der Natur einen Wink. Mehr
+brauchte sie nicht.
+
+Die Natur warf eine halbe Schaufel voll ihrer bestartigsten Erdmischung
+darauf, die gerade so viel von zähem Ton enthielt, als nötig war, um
+die Winkel und Einschnitte der Festung haltbar zu machen, und doch so
+wenig, daß es nicht an Hacke und Spaten klebte, und daß bei schlechtem
+Wetter die Werke von so großer Herrlichkeit nicht das Ansehen eines
+Sudels bekämen.
+
+Mein Onkel kam herunter, wie der Leser belehrt ist, und hatte die
+Grundrisse von fast allen festen Städten in Italien und Flandern bei
+sich. -- Der Herzog von Marlborough oder die Alliierten mochten also
+eine Stadt belagern, welche sie wollten, mein Onkel Toby war allemal
+fertig und bereit.
+
+Seine Weise, eine der natürlichsten von der Welt, war diese: Sobald nur
+eine Festung eingeschlossen war -- und noch früher, wenn der Vorsatz
+bekannt war --, nahm er den Grundriß derselben zur Hand -- die Stadt
+mochte sein, welche es wollte -- und vergrößerte den Maßstab nach dem
+genauen Umfange seines grünen Spielplatzes. Dann trug er vermittels
+einer Rolle Bindfaden und einer Anzahl kleiner Pflöcke, die er an den
+verschiedenen Ecken und Winkeln in die Erde schlagen ließ, alle Linien
+von seinem Papier auf die Fläche dieses Platzes. Wenn er darauf das
+Profil des Platzes mit seinen Werken hatte, um die Breite und Tiefe
+der Gräben, die Abschüssigkeit der Wälle und die genaue Höhe der
+verschiedenen Brustwehren zu bestimmen, so stellte er den Korporal ans
+Werk. Und es ging hübsch vonstatten. Die Gutartigkeit des Bodens, die
+Gutartigkeit des Werkes selbst, und vornehmlich die Gutartigkeit des
+Gemüts meines Onkels Toby, der vom Morgen bis Abend dabeisaß und mit
+dem Korporal freundlich von ihren Taten plauderte, ließen der Arbeit
+weiter nichts als die Zeremonie des Namens.
+
+Wenn auf diese Weise die Festung vollendet und in gehörigen
+Verteidigungsstand gesetzt worden war, wurde sie eingeschlossen. Mein
+Onkel Toby und der Korporal fingen an, die erste Parallele zu ziehen.
+Ich bitte, mich in meiner Geschichte dadurch nicht zu stören, daß man
+etwa sagen möchte, die erste Parallele sollte wenigstens dreihundert
+Ruten weit von der Festung entfernt sein, und ich habe nicht einen
+einzigen Zoll breit dazu freigelassen. Denn mein Onkel Toby nahm
+sich die Freiheit, in seinem Küchengarten um sich zu greifen, um die
+Werke auf dem Spielplatze desto größer machen zu können. Aus dieser
+Ursache ging er gewöhnlich mit seiner ersten und zweiten Parallele
+zwischen zwei Reihen von Kraut- und Blumenkohl hindurch. Das Bequeme
+und Unbequeme hierbei soll weitläufig erwogen werden in der Geschichte
+von meines Onkels Toby und des Korporals Feldzügen, wovon dieses, was
+ich jetzt schreibe, nur eine Skizze ist, und wenn ich recht mutmaße --
+aber wie's mit allem Mutmaßen geht! --, mit drei Seiten abgetan sein
+wird. Die Feldzüge selbst werden ebensoviel Bücher ausmachen. Deswegen
+besorge ich, es möchte ein zu großes Gewicht von einer Art Materie für
+ein so lockeres Werk sein wie dieses, wenn ich solche, wie ich einst
+willens war, fragmentweise hier einschaltete. Nein, es ist besser, ich
+lasse sie besonders drucken. -- Wir wollen's überlegen! -- Nehmen Sie
+unterdessen mit folgender Skizze davon fürlieb.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Zweiundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Wenn die Stadt mit ihren Festungswerken zustande gebracht war, fingen
+mein Onkel Toby und der Korporal an, ihre erste Parallele zu ziehen,
+nicht aufs Geratewohl oder so, sondern aus ebenden Punkten und in
+ebenden Distanzen, wie die Alliierten die ihrigen begonnen hatten. Sie
+richteten ihren Aufmarsch und ihre Attacken genau nach der Nachricht
+ein, die mein Onkel Toby durch die Zeitungen empfing. Auf diese Weise
+gingen sie die ganze Belagerung durch, Schritt für Schritt mit den
+Alliierten. Machte der Herzog von Marlborough ein Lager, so machte
+mein Onkel Toby sein Lager auch. Und wenn die Face einer Bastei
+niedergeschossen oder ein Außenwerk ruiniert wurde, nahm der Korporal
+seine Hacke und tat desgleichen. Und sofort gewannen sie Terrain und
+bemeisterten sich eines Werkes nach dem anderen, bis die Stadt in ihre
+Hände fiel.
+
+Für jemanden, der an anderer Leute Glückseligkeit Vergnügen fand,
+konnte in der Welt kein herrlicherer Anblick sein, als an einem Morgen
+eines Posttages, wenn die Nachricht kam, daß der Herzog von Marlborough
+eine brauchbare Bresche dem Hauptwalle der Stadt beigebracht hätte,
+hinter der Taxushecke zu stehen und die Emsigkeit zu beobachten, mit
+der mein Onkel Toby und der Korporal hinter ihm anrückten. Der eine mit
+der Zeitung in der Hand, der andere mit einem Spaten auf der Schulter,
+den Inhalt ins Werk zu setzen. Was für eine Herzensfreude leuchtete aus
+meines Onkels Toby Blicken, wenn er den Wall hinanmarschierte! Welch
+ein inniges Vergnügen schwamm in seinen Augen, wenn er vor dem Korporal
+stand und ihm den Zeitungsartikel bei der Arbeit zehnmal vorlas, damit
+er nicht aus Versehen die Bresche einen Zoll zu weit machte oder einen
+Zoll zu eng ließ. Wurde aber erst die Einfallsbresche geschlagen und
+der Korporal half ihm hinauf und folgte ihm mit der Fahne in der Hand.
+um sie auf den Wall zu pflanzen -- Himmel! Erde! Meer! -- Aber was
+sollen die Apostrophen? -- Aus allen Elementen, naß oder trocken, ist
+noch niemals ein so berauschender Trank verfertigt worden.
+
+Auf dieser Bahn des Vergnügens wandelten sie ununterbrochen,
+ausgenommen wenn zuweilen starker Westwind war, so acht oder zehn
+Tage das niederländische Postschiff aufhielt und sie so lange auf der
+Folter ließ. Aber auch das war doch nur die Folter glücklicher Leute.
+Auf dieser Bahn, sage ich, wandelten mein Onkel Toby und Trim manche
+Jahre fort, und jedes Jahr und zuweilen jeder Monat brachte, nach der
+Erfindung des einen oder des anderen von beiden, in ihren Operationen
+eine oder die andere neue Erfindung oder listige und nützliche
+Verbesserung hervor, welche ihnen bei der Ausführung allemal neue
+Quellen des Vergnügens eröffnete.
+
+Die Kampagne des ersten Jahres wurde von Anfang bis Ende in der einfach
+ungekünstelten Art geführt, wie ich erzählt habe.
+
+Im zweiten Jahre, in welchem mein Onkel Toby Lüttich und Roermond
+einnahm, dachte er, er könnte wohl die Kosten für vier hübsche
+Zugbrücken daran wagen. Von einem Paar derselben habe ich bereits in
+den vorigen Teilen dieses Werkes eine genaue Beschreibung gegeben.
+
+Gegen das Ende ebendieses Jahres tat er ein paar Tore mit Fallgattern
+hinzu. Die letzteren aber wurden nachher als Orgelstücke besser
+genutzt; und im Winter desselben Jahres spendierte sich mein Onkel Toby
+statt eines neuen Kleides, das er sich sonst allemal zu Weihnachten
+machen ließ, ein schönes Schilderhaus, das er an die Ecke des grünen
+Spielplatzes stellte. Zwischen diesem und dem Fuße des Walles ließ
+er eine kleine Art von Esplanade, auf welcher er und der Korporal
+konferieren und Kriegsrat halten konnten.
+
+Das Schilderhaus war dazu, wenn's regnen sollte.
+
+Alles dieses wurde den folgenden Frühling dreimal weiß übermalt.
+Dadurch setzte sich mein Onkel Toby in den Stand, mit vieler Pracht ins
+Feld zu rücken.
+
+Mein Vater pflegte oft zu Yorick zu sagen, wenn irgendein anderer
+Sterblicher in der ganzen Welt, als sein Bruder Toby, so etwas getan
+hätte, so würde jedermann es angesehen haben als die feinste und
+bitterste Satire auf die paradierende und prachtsüchtige Weise, mit
+welcher Ludwig +XIV.+ vom Anfange des Krieges an, besonders aber
+ebendieses Jahr, ins Feld gerückt war. Aber meinem Bruder Toby, pflegte
+mein Vater hinzuzusetzen, der gutherzigen Seele, kommt nie in den Sinn,
+jemanden zu beleidigen.
+
+Aber laßt uns fortfahren.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Dreiundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Ich muß anmerken, daß, obgleich bei dem Feldzuge des ersten Jahres
+das Wort Stadt oft vorkommt, dennoch damals noch keine Stadt in dem
+Polygone war. Dieser Zusatz wurde erst in dem Sommer gemacht, der
+auf den Frühling folgte, in welchem die Brücken und das Schilderhaus
+angemalt wurden. Es war das dritte Jahr der Feldzüge meines Onkels
+Toby. Da, nachdem Amberg, Bonn, Rheinburg und Huy und Limburg
+nacheinander von ihnen eingenommen worden, dem Korporal der Gedanke
+kam, daß man von der Einnahme so vieler Städte spräche, ohne eine
+einzige Stadt davon aufweisen zu können, wäre eine dumme Art zu Werke
+zu gehen. Also schlug er meinem Onkel Toby vor, daß sie sich ein
+kleines Modell von einer Stadt bauen lassen müßten. Sie brauchte nur
+von Tannenlatten zusammengeschlagen, dann angemalt, in das Polygon
+hineingesetzt und für alle Städte benutzt werden.
+
+Mein Onkel Toby fühlte augenblicklich das Gute an dem Projekt und
+genehmigte es auf der Stelle; nur mit dem Zusatz von zwei ganz eigenen
+Verbesserungen, auf welche er sich fast ebensoviel einbildete, als ob
+er der erste Erfinder des Projekts selbst gewesen wäre.
+
+Die eine war, die Stadt sollte ganz genau in dem Geschmacke derjenigen
+gebaut werden, die sie sehr wahrscheinlicherweise würde vorstellen
+müssen. -- Mit kleinen Fensterscheiben und den hohen Giebelenden der
+Häuser nach der Gasse usw., wie in Gent und Brügge und den übrigen
+brabantischen und flandrischen Städten.
+
+Die andere war, die Häuser sollten nicht eins ins andere gebaut werden,
+wie der Korporal vorschlug, sondern jedes Haus sollte für sich sein, so
+daß man es an- oder abhacken könne, um sie in den Grundriß einer jeden
+Stadt bringen zu können. Dies wurde den Augenblick vorgenommen, und
+mancher glückwünschende Blick wurde zwischen meinem Onkel Toby und dem
+Korporal Trim gewechselt, während der Zeit, daß der Zimmermann das Werk
+machte.
+
+Sie tat ihnen außerordentliche Dienste den nächsten Sommer. Die Stadt
+war ein wahrer Proteus. Sie war Landen und Trarbach, und Santvliet und
+Drusen, und Hagenau -- und dann wurde sie wieder Ostende und Menin, und
+Aeth und Dendermonde.
+
+Fürwahr, seit Sodom und Gomorrha hat noch keine Stadt so mancherlei
+Rollen gespielt, als meines Onkels Toby Stadt spielte.
+
+Im vierten Jahre dachte mein Onkel Toby, eine Stadt ohne eine Kirche
+habe ein so kahles Ansehen, und tat eine recht hübsche Kirche mit einem
+Glockenturme hinzu. Trim hätte auch gerne Glocken hinein gehabt, mein
+Onkel Toby aber sagte, das Metall könnte besser zu Kanonen vergossen
+werden.
+
+Dies führte in der nächsten Kampagne zu einem halben Dutzend
+messingener Feldstücke. Drei und drei an jeder Seite von meines
+Onkels Toby Schilderhaus. In kurzer Zeit führten diese zu einem
+etwas größeren Artillerietrain. Und so immer weiter, wie es allemal
+bei steckenpferdischen Geschichten hergehen muß. Von Kanonen von
+halbzölligem Kaliber, bis es endlich bis zu meines Vaters weiten
+Steifstiefeln hinanstieg.
+
+Das Jahr darauf, in welchem Lisle belagert wurde, und am Ende dessen
+Gent und Brügge in unsere Hände fielen, ging's meinem Onkel Toby sehr
+hart um die gehörige Munition. Ich sage, gehörige Munition, weil sein
+Geschütz kein Pulver vertragen konnte; und ein Glück für die Shandysche
+Familie war das! Denn so voll standen die Zeitungen vom Anfang
+bis zu Ende der Belagerung, von dem unaufhörlichen Feuer, das die
+Belagerer unterhalten hätten, -- und so erhitzt war meines Onkels Toby
+Imagination von den Nachrichten davon, daß er sonst ganz gewiß sein Hab
+und Gut verschossen hätte.
+
+Etwas war also nötig, statt dessen unterzuschieben, zumal in einem
+oder zwei der heftigsten Paroxismen der Belagerung, um etwas in der
+Einbildung einem beständigen Feuer Ähnliches zu unterhalten. Und dieses
+Etwas schaffte der Korporal, dessen vorzügliche Stärke im Erfinden
+bestand, durch ein von ihm ganz neu erdachtes Batteriefeuer. Ohne
+welches die militärischen Kritiker an meines Onkels Toby Apparates
+daran auszusetzen gefunden hätten, daß eins der notwendigsten
+Erfordernisse dabei fehlte.
+
+Dies wird nicht schlechter erklärt werden, wenn ich, wie ich gewöhnlich
+pflege, ein wenig von der Sache abgehe.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Vierundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Unter zwei oder drei anderen Lappalien, die an sich selbst nichts
+bedeuteten, aber dadurch einen großen Wert bekamen, daß sie der arme
+Thomas, des Korporals unglücklicher Bruder, mit der Nachricht von
+seiner Verheiratung mit der Judenwitwe überschickt hatte, waren: Eine
+Reitmütze und zwei türkische Tabakspfeifen.
+
+Die Reitmütze will ich gelegentlich beschreiben. Die türkischen
+Tabakspfeifen hatten nichts Besonderes; sie waren gemacht und gezieret
+wie alle übrigen, mit biegsamen Röhren von Saffian mit Golddraht, und
+auf den Enden mit kleinen Mundstücken, das an der einen von Elfenbein
+und das an der ändern von schwarz Ebenholz mit Silber eingefaßt.
+
+Mein Vater, der alle Dinge von einem ändern Gesichtspunkte aus ansah
+wie die übrigen Menschen, wollte dem Korporal sagen, er hatte diese
+beiden Geschenke mehr als ein Zeichen der Ekelheit als der Gewogenheit
+seines Bruders zu betrachten. -- »Seinem Bruder Thomas ekelte davor,
+Trim,« sagte er, »eine Mütze aufzusetzen, die ein Jude getragen,
+oder aus einer Pfeife zu rauchen, die ein Jude im Mund gehabt.« --
+»Gott Segne Euer Gnaden,« erwiderte der Korporal -- und führte einen
+wichtigen Grund fürs Gegenteil an --, »wie reimte sich das?« --
+
+Die Reitmütze war scharlachfarben, von dem feinsten spanischen Tuche,
+in der Wolle gefärbt, rundum mit Rauchwerk besetzt, ausgenommen eine
+vier Finger breite Kappe vorne, von hellblauem, ein wenig gesticktem
+Tuche. Sie schien einem portugiesischen Quartiermeister, nicht zu Fuße,
+sondern zu Pferde, wie der Name schon andeutet, gehört zu haben.
+
+Der Korporal tat nicht wenig groß damit, sowohl wegen ihres eigenen
+Wertes als wegen des Gebers, und setzte sie deswegen selten oder
+niemals auf, außer an Galatagen. Dennoch ward wohl niemals eine
+Reitmütze zu so mancherlei gebraucht. Denn bei allen streitigen
+Punkten, im Kriegs- oder Küchenwesen, wenn nur der Korporal gewiß
+wußte, daß er recht hätte, brauchte er sie, als Wette, als Beteurung
+oder als Geschenk.
+
+Die Reihe war jetzt an ihr als Geschenk.
+
+»Ich will gehalten sein,« sagte der Korporal, der mit sich selber
+sprach, »dem ersten besten Bettler, der vor die Türe kommt, meine
+Reitmütze zu schenken, wenn ich die Sache nicht so mache, daß der
+gnädige Herr seine Lust und Freude daran haben soll.«
+
+Die Ausführung ward nicht weiter hinausgeschoben als bis auf den
+folgenden Morgen, welches eben der Morgen war, da auf die Konterskarpe,
+zwischen der niederen Dudane und dem Andreastore zur Rechten, und zur
+Linken zwischen St. Magdalenen und dem Flusse, Sturm gelaufen wurde.
+
+Da dieses die merkwürdigste Attacke im ganzen Kriege war, die tapferste
+und hartnäckigste auf beiden Seiten, und ich muß hinzusetzen, die
+blutigste dazu, denn sie kostete die Alliierten selbst diesen Morgen
+über elfhundert Mann, so schickte sich mein Onkel Toby mit mehr als
+gewöhnlicher Feierlichkeit dazu an.
+
+Den Abend vorher, als mein Onkel Toby zu Bette ging, befahl er, seine
+Dreiknotenperücke, welche manches Jahr, die Haarseite nach innen
+gekehrt, im Winkel einer alten Feldkiste gelegen hatte, die beim Bette
+stand, hervorzusuchen und für morgen früh auf den Deckel bereit zu
+legen. Und das erste, was er des Morgens noch im bloßen Hemde tat, als
+er aus dem Bette gestiegen, nachdem er die rauhe Seite auswärts gekehrt
+hatte, war, daß er sie aufsetzte. Als das geschehen, tat er darauf auch
+die Beinkleider an, und sobald er den Gürtel zugeknöpft, schnallte er
+auch das Degengehänge um und hatte schon den Degen halb hineingesteckt,
+als er merkte, daß er sich den Bart abnehmen lassen müßte, und daß
+sich das mit dem Degen an der Seite nicht schicke. Er legte ihn also
+ab. Als er Weste und Rock anlegen wollte, fand mein Onkel dasselbe
+Hindernis an der Perücke. Also kam die auch herunter: so, daß durch ein
+Hindernis hier und durch ein Hindernis dort, wie es immer geht, wenn
+ein Mensch in der größten Eile ist, die Uhr zehn schlug. Das war eine
+halbe Stunde später, als mein Onkel gewöhnlich ausrückte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Fünfundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Mein Onkel Toby war kaum um die Ecke seiner Taxushecke gekommen, die
+seinen Küchengarten von dem grünen Spielplatz trennte, als er gewahr
+ward, daß der Korporal die Attacke bereits ohne ihn angefangen hatte.
+
+Laßt mich hier ein wenig verweilen und Ihnen ein Gemälde von den
+Anstalten des Korporals machen und von dem Korporal selbst, in der
+heftigsten Hitze dieser Attacke, wie sie meinem Onkel Toby in die Augen
+fiel, als er auf das Schilderhaus losging, wo der Korporal in der
+Arbeit war. Denn in der ganzen Natur gibt's nicht dergleichen -- und
+aus allem, was in ihren Werken Groteskes und Seltsames zu finden ist,
+läßt sich kein Ähnliches zusammenbringen.
+
+Der Korporal. --
+
+Tretet leise auf seinen Staub, ihr Männer von Genie, denn euch war er
+nahe verwandt.
+
+Haltet sein Grab vom Unkraut rein, ihr Männer von gutem Herzen, denn
+er war euer Bruder. -- O, Korporal! hätte ich dich doch jetzt, jetzt,
+da ich imstande bin, dir eine Mahlzeit zu geben und dir Schutz zu
+verleihen. -- Wie wollte ich dein warten und pflegen! Deine liebe
+Reitmütze solltest du tragen, jede Stunde des Tages und jeden Tag
+der Woche. Und wäre sie abgetragen, ich wollte dir ein paar andere
+ebenso gute kaufen. Aber, leider! leider! leider, ach! Jetzt, da ich
+das kann, trotz Ihro Hochwürden, ist die Gelegenheit dahin! -- Denn du
+bist dahin. Dein Genius flog auf zu den Sternen, von wannen er kam.
+Und dieses, dein warmes Herz, mit allen seinen großmütigen offenen
+Gefäßen, ist zu einem Erdenkloß des Jammertals zerdrückt. Doch was --
+was ist das gegen jenes künftige trauervolle Blatt, wo ich das sammetne
+Leichentuch betrachte, verziert mit dem kriegerischen Ehrenzeichen
+deines Herrn -- des ersten -- des besten der geschaffenen Wesen, wo
+ich dich erblicken werde, du getreuer Knecht, wie du seinen Degen und
+Scheide mit zitternder Hand kreuzweise über seinen Sarg legst und
+dann aschbleich zur Türe hinaustrittst, sein Trauerpferd beim Zaume
+zu fassen und hinter seiner Barre zu führen, wie er von dir begehrte.
+Wo alle Systeme meines Vaters vor seinem Kummer dahinsinken, und ich
+ihn sehen werde, wie er trotz seiner Philosophie den goldgefirnißten
+Wappenschild betrachtet, zweimal die Brille von der Nase nimmt, den Tau
+wegzuwischen, den die Natur daraufgoß. Wenn ich ihn sehe, wie er den
+Rosmarinzweig mit stummem Jammer ins Grab wirft, der durch mein Ohr
+schallet: O, Toby, in welchem Winkel der Erde soll ich den suchen, der
+dir gliche? --
+
+Gütige Mächte! die ihr vor grauen Zeiten die Lippen des Stummen
+geöffnet und die Zunge des Stammlers recht sprechen gelehrt. Komme ich
+einst bis zu diesem trauervollen Blatte, dann, o dann rührt mich an,
+mit allgewaltiger Hand!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Sechsundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Der Korporal, der den Abend vorher in seinem Sinne beschlossen hatte,
+dem Mangel des erwünschten Etwas, das ein ununterbrochenes Feuer auf
+den Feind während der Hitze der Attacke vorstellen könnte, abzuhelfen,
+hatte damals keine andere Idee in seinem Kopfe gefaßt, als ein
+Kunststück zu erfinden, wie er aus einem der sechs Feldstücke meines
+Onkels Toby, die zu beiden Seiten seines Schilderhauses gepflanzt
+waren, Tabaksrauch nach der Stadt hin dampfen möchte. Da ihm nun
+zugleich die Mittel einfielen, wie er's bewerkstelligen könnte, so
+hatte er zwar seine Reitmütze verpfändet, hielt sie aber, wegen der
+Zuversicht zu seinem Projekte, in gar keiner Gefahr.
+
+Nachdem er hin und her überlegt hatte, machte er es bald ausfindig,
+daß vermittels seiner zwei türkischen Tabakspfeifen, mit Hilfe von
+drei kleinen Röhren von Schafsleder, an jedem von ihren unteren
+Enden, an welchen ebenso viele dünne Sauger befestigt waren, die
+auf die Zündlöcher paßten, mit Ton an die Kanone geklebt und dann
+an den Stellen, wo sie in die Saffianröhre gingen, mit gewächster
+Seide hermetisch verschlossen würden --, er imstande sein müßte, alle
+sechs Feldstücke auf einmal abzubrennen, und zwar mit ebensovieler
+Leichtigkeit, als ob's nur eine wäre.
+
+Sage doch niemand mehr, daß es Zähne und Zacken gebe, woraus man nicht
+Winke zur Verbesserung der menschlichen Wissenschaften entlehnen
+könne! -- Sage kein Mensch ferner, aus was für Art Körpern eine Fackel
+zur vollkommenen Aufklärung der Künste und Wissenschaften gemacht,
+oder nicht gemacht werden kann. -- Himmel! du weißt, wie sehr ich sie
+liebhabe. Du kennst die Geheimnisse meines Herzens, und daß ich diesen
+Augenblick mein Hemd hingäbe. -- Du bist nicht klug, Shandy, sagte
+Eugenius, denn du hast nur ein Dutzend in deinem Vermögen, und da
+bliebe es ja nicht mehr voll. --
+
+Wenn auch, Eugenius, das Hemde vom Leibe gäbe ich hin und ließe Zunder
+für ein Feuerzeug daraus brennen, wäre es nur nütze, einen hitzigen
+Forscher bei der Untersuchung zu unterstützen, der untersuchen will,
+wie viele Funken auf einen guten Schlag ein guter Stahl und Stein in
+die Zunderpfanne schlagen könne. -- Glauben Sie nicht, daß er, indem er
+diese hineinschlüge -- er gar wohl etwas herausbringen könnte?
+
+Doch dies Projekt bei Gelegenheit.
+
+Der Korporal saß den größten Teil der Nacht darüber, dieses zustande zu
+bringen. Und nachdem er eine hinlängliche Probe mit seinem Geschütze
+angestellt, da er's mit Tabak bis an die Mündung voll geladen hatte,
+ging er vergnügt zu Bette.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Siebenundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Der Korporal hatte sich ungefähr zehn Minuten vor meinem Onkel Toby
+hinausgeschlichen, um seine Anstalten in Ordnung zu bringen und dem
+Feinde nur eine oder zwei Salven zu geben, ehe mein Onkel Toby käme.
+
+Zu diesem Ende hatte er die sechs Feldstücke zusammen, dicht
+beieinander, bei meines Onkels Toby Schilderhause in Fronte gestellt,
+und nur etliche Fuß Platz zwischen den dreien rechter Hand und den
+dreien linker Hand gelassen, um Raum zum Laden usw. zu behalten und
+vielleicht auch, wer weiß, um zwei Batterien zu haben, die ihm nach
+seinen Gedanken doppelt soviel Ehre brachten als eine.
+
+Hinter der Linie, dieser Öffnung gegenüber, den Rücken nach der Türe
+des Schilderhauses gekehrt, aus Furcht, überflügelt zu werden, hatte
+der Korporal sehr weislich seinen Posten genommen. -- Er hielt die
+Röhre mit Elfenbein, zur Batterie rechter Hand gehörend, zwischen
+Finger und Daumen seiner Rechten und die Röhre aus mit Silber
+belegtem Ebenholze, zur Batterie linker Hand gehörend, zwischen
+Daumen und Finger der anderen. Mit seinem rechten Knie fest auf den
+Boden gestemmt, als ob er im ersten Gliede im Anschlage läge, schoß
+der Korporal mit seiner Reitmütze auf dem Kopfe mit seinen beiden
+Kreuzbatterien zugleich gar gewaltig auf die Kontergarde, welche die
+Konterskarpe deckte, wo diesen Morgen die Attacke geschehen sollte.
+Sein erster Vorsatz war, wie gesagt, nichts weiter, als einen Puff oder
+ein paar zu geben. Aber das Vergnügen, sowohl über die Püffe als am
+Puffen hatte sich unbemerkt des Korporals bemächtigt und ihn von Puff
+zu Puff bis zur vollen Attacke geführt, gegen die Zeit, als mein Onkel
+Toby zu ihm stieß.
+
+Ein Glück war es für meinen Vater, daß mein Onkel Toby nicht ebenden
+Tag sein Testament machte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Achtundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Mein Onkel Toby nahm das Pfeifenröhrchen mit Elfenbein aus der Hand des
+Korporals, besah es eine halbe Minute und gab's ihm wieder.
+
+In weniger als zwei Minuten nahm mein Onkel Toby das Rohr wieder vom
+Korporal und führte es den halben Weg zum Munde. Dann gab er's zum
+zweiten Male hastig zurück.
+
+Der Korporal verdoppelte den Angriff. Mein Onkel Toby lächelte, sah
+wieder ernsthaft aus, lächelte wieder einen Augenblick. Dann sah er
+wieder lange Zeit ernsthaft zu. -- »Geb' Er mir das Röhrchen mit
+Elfenbein, Trim,« sagte mein Onkel Toby. Mein Onkel Toby brachte es
+bis an die Lippen, zog es gleich wieder zurück, sah ein wenig umher
+über die Buschhecken. In seinem Leben hatte meinem Onkel Toby nicht so
+der Mund nach einer Pfeife gewässert. -- Mein Onkel Toby begab sich mit
+der Pfeife in der Hand in sein Schilderhaus. --
+
+Liebster Onkel Toby! O gehen Sie doch nicht mit der Pfeife ins
+Schilderhaus, ich bitte! Wie ist einem Menschen mit solch einem Dinge
+in einem solchen Winkel zu trauen!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Neunundneunzigstes Kapitel.
+
+
+Ich bitte, der Leser wolle mir beistehen, meines Onkels Toby grobes
+Geschütz hinter die Szene abzufahren, sein Schilderhaus abzubrechen und
+das Theater womöglich von den Hornwerken und Halbmonden zu räumen und
+das übrige Kriegsgeräte aus dem Wege zu schaffen. Wenn das geschehen
+ist, mein lieber Freund Garrick, wollen wir die Lichter sauber putzen,
+das Theater mit einem neuen Besen fegen, den Vorhang aufziehen und
+meinen Onkel Toby in einem neuen Charakter auftreten lassen, in welchem
+die Welt keine Idee haben kann, wie er agieren wird. Und dennoch, wenn
+Mitleiden mit der Liebe verschwistert ist und Tapferkeit mit ihr in
+keiner Feindschaft lebt, so haben Sie in diesen Stücken schon genug
+von meinem Onkel Toby gesehen, um diese Familienähnlichkeit unter
+den beiden Leidenschaften -- wo nur eine da ist -- nach Herzenslust
+auszuspähen.
+
+Eitle Wissenschaft! Du kommst uns in keinem Falle dieser Art zustatten.
+Und in jedem anderen läßt du uns stecken.
+
+Bei meinem Onkel Toby, Madame, befand sich eine so edle Einfalt des
+Herzens, welche ihn so weit von den krummen Wegen, auf welchen die
+Dinge dieser Art gemeiniglich zu wandern pflegen, ableitete, daß Sie
+-- daß Sie es sich nicht vorstellen können. Dabei fand sich ferner
+eine solche arglose treuherzige Art zu denken und eine solche von
+allem Mißtrauen entfernte Unwissenheit in der Kenntnis der mancherlei
+Falten des weiblichen Herzens. Und so nackend und wehrlos stand er da
+vor Ihnen, wenn er nicht eben mit einer Belagerung beschäftigt war,
+daß Sie hinter dem ersten besten von Ihren krummen Wegen hätten stehen
+und meinen Onkel Toby zehnmal an einem Tage durch und durch schießen
+können, wenn Sie mit neunmal an einem Tage noch nicht genug gehabt
+hätten, Madame.
+
+Neben alle diesem, Madame, und was auf der anderen Seite wieder
+ebensoviel verdarb, hatte mein Onkel Toby diese unvergleichbare
+Züchtigkeit der Natur, von der ich Ihnen schon erzählt habe, und
+welche, beiläufig gesagt, beständig bei seinen Empfindungen Schildwache
+stand, daß Sie ebensoleicht hätten -- aber wo gerate ich hin? Diese
+Betrachtungen strömen mir wenigstens zehn Seiten zu früh zu und nehmen
+die Zeit weg, die ich auf Fakta verwenden sollte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertstes Kapitel.
+
+
+Unter den wenigen echten Söhnen Adams, deren Brust niemals den
+Pfeil der Liebe empfunden haben -- als ausgemacht angenommen, daß
+alle Weiberhasser unechte Kinder sind --, haben die größten Helden
+der älteren und neueren Geschichte schon neun Zehntel von der Ehre
+dahin. Um dieser Helden wollte ich, daß ich den Schlüssel zu meiner
+Schreibstube wieder aus dem Ziehbrunnen herauf hatte. Nur auf fünf
+Minuten, um ihre Namen anführen zu können. Aus dem Kopfe weiß ich sie
+nicht. Je nun! begnügen Sie sich für jetzt statt ihrer, mit diesen:
+
+Da war der große König Aldrovandus, und Bosphorus, und Capadocius, und
+Dardanus, und Pontus und Asius -- nicht zu gedenken des stahlherzigen
+Karls +XII.+, mit dem selbst die Gräfin K... nichts anfangen
+kannte. -- Da waren Babilonicus, und Mediterraneus, und Polixenes, und
+Persicus, und Prusicus, wovon nicht einer -- ausgenommen Capadocius
+und Pontus, weiche beide ein wenig verdächtig waren -- seine Brust
+der Göttin zuneigte. -- Denn, die Wahrheit zu sagen, sie hatten alle
+miteinander wohl sonst etwas zu tun. Und so war's mit meinem Onkel
+Toby, bis das Schicksal, bis die Göttin des Schicksals, sage ich,
+welche ihm den Ruhm beneidete, daß sein Name mit Aldrovandus und den
+übrigen auf die Nachkommenschaft kommen sollte, hämischerweise den
+Utrechter Frieden ausheckte.
+
+Glauben Sie mir, mein Herr, das war in dem Jahre ihre heimtückischste
+Tat.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hunderterstes Kapitel.
+
+
+Unter den manchen üblen Folgen des Utrechter Traktates war auch
+diese, daß nicht viel fehlte, so hätte mein Onkel Toby einen Ekel an
+den Belagerungen bekommen. Und ob er gleich seine Belagerungslust
+nachher wieder bekam, so ließ doch selbst Calais keine tiefere Narbe
+in dem Herzen der Königin Marie, als Utrecht im Herzen meines Onkels
+Toby. Bis an sein seliges Ende konnte er Utrecht niemals gelassen
+nennen hören, nicht einmal einen Artikel lesen, der aus der Utrechter
+Zeitung genommen war, ohne einen Seufzer zu holen, als ob ihm das Herz
+zerspringen wollte.
+
+Mein Vater, der ein großer Ursachenkrämer war und folglich eine
+gefährliche Person für einen Mann, der in seiner Gegenwart lachte oder
+weinte -- denn gemeiniglich wußte er die Ursache, warum Sie beides
+täten, weit besser wie Sie selbst --, suchte beständig meinen Onkel
+Toby bei solchen Gelegenheiten zu trösten -- auf eine Art zwar, welche
+deutlich verriet, er bilde sich ein, meinem Onkel Toby ginge bei der
+ganzen Sache nichts so sehr zu Herzen als sein liebes Steckenpferd.
+»Laß nur gut sein, Bruder Toby,« pflegte er zu sagen, »wenn es Gottes
+Wille ist, werden wir bald wieder neuen Krieg haben. Und wenn der
+losgeht, wenn sich die kriegführenden Mächte auch aufhingen, können sie
+uns doch nicht aus dem Spiele lassen. Ich will doch einmal sehen, mein
+lieber Toby,« pflegte er hinzuzusetzen, »ob sie Länder nehmen können
+ohne Städte, oder Städte ohne Belagerungen.«
+
+Mein Onkel Toby konnte diesen Rückenhieb nach seinem Steckenpferde
+niemals freundlich hinnehmen. -- Er hielt den Hieb für ungroßmütig. Und
+zwar um so mehr, da er nicht auf das Pferd treffen konnte, ohne den
+Reiter mit zu treffen, und zwar auf den schimpflichsten Fleck an seinem
+Leichname, wohin ein Hieb fallen kann. Sonach legte er bei diesen
+Gelegenheiten allemal die Pfeife mit mehr Feuer als gewöhnlich auf den
+Tisch, um sich zu verteidigen.
+
+Heute vor zwei Jahren sagte ich dem Leser, daß mein Onkel Toby nicht
+beredt gewesen -- und gab auf dieser Seite hier ein Beispiel vom
+Gegenteil. -- Ich wiederhole die Bemerkung und bringe ein Faktum bei,
+welches ihr abermals widerspricht. Er war nicht beredt. Es fiel meinem
+Onkel Toby schwer, lange Reden zu halten, und die geblümelten haßte
+er. Es gab aber Gelegenheiten, da der Strom den Mann mit fortriß und
+dergestalt gegen seinen gewöhnlichen Lauf anstürzte, daß mein Onkel
+Toby auf eine Zeitlang in einigen Stücken dem Tertullus gleichkam, ihn
+in anderen aber, nach meiner Meinung, unendlich weit übertraf.
+
+Mein Vater fand an einer von diesen Schutzreden meines Onkels
+Toby, die er eines Abends vor ihm und Yorick gehalten hatte, ein so
+außerordentliches Gefallen, daß er sie aufschrieb, ehe er zu Bette
+ging.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzweites Kapitel.
+
+
+Ich erzählte dem christlichen Leser. -- Ich sage christlichen, weil ich
+hoffe, daß er das ist. Wenn er's nicht ist, so tut mir's seinetwegen
+leid -- und ich bitte ihn nur, der Sache reiflich nachzudenken und
+nicht die Schuld so ganz auf dieses Buch zu schieben.
+
+Ich erzählte ihm, mein Herr, denn bei meiner Treue, wenn ein Mensch
+seine Historie auf eine so seltsame Art erzählt wie ich die meinige,
+so muß er wohl alle Augenblicke zurück- oder vorwärtsgehen, um in
+des Lesers Gedächtnis hübsch alles beieinander zu behalten. Ich
+meinerseits, wenn ich's jetzt nicht noch mehr und fleißiger täte als
+vorher, so tut sich so vielerlei schwankende zweideutige Materie mit
+so vielen Lücken und Brüchen hervor. Und die Sterne, welche ich in
+einigen der dunkelsten Gänge aufhänge, leisten so wenig Dienste, weil
+ich weiß, daß sich die Welt bei allem Lichte, das ihr die Sonne Selbst
+am hellsten Mittage gibt, so leicht verirren kann, daß -- und nun, da,
+sehen Sie, habe ich mich selbst verirrt!
+
+Aber es ist meines Vaters Schuld. Und wenn einst mein Gehirn anatomiert
+wird, so werden Sie ohne Brille sehen können, daß er einen groben,
+unebenen Faden hat mit durchschleichen lassen, wie man zuweilen in
+einem ausgeschossenen Stück Leinwand die ganze Webe hindurchlaufen
+sieht und fühlt, wenn man auch nur einen -- da hängen schon wieder ein
+paar Lichtlein! -- oder eine Aderlaßbinde oder einen Däumling daraus
+schneiden will. --
+
++Quanto id diligentias in liberis Procreandis cavendum+, sagt
+Cardan, welcher alles wohl überlegt; da Sie sehen, daß es mir
+moralischerweise unmöglich ist, dieses wieder herum- und dahin zu
+winden, wo ich anfing, es herauszuziehen, so will ich das Kapitel
+lieber noch einmal anfangen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertdrittes Kapitel.
+
+
+Ich erzählte dem christlichen Leser im Anfange des Kapitels, welches
+vor meines Onkels Toby Schutzrede vorhergeht -- obgleich in einem
+anderen Gleichnisse, als das ist, dessen ich mich jetzt bedienen
+werde --, daß der Utrechter Frieden auf ein Haar breit eine ebenso
+große Entfremdung zwischen meinem Onkel Toby und seinem Steckenpferde
+hervorgebracht hätte, wie er unter der Königin und den übrigen
+verbundenen Mächten veranlaßte.
+
+Es gibt eine verächtliche Art, mit der ein Mann zuweilen von seinem
+Pferde absitzt, die etwa sagt: »Lieber wollte ich all mein Lebelang zu
+Fuße gehen, Bestie, als mein Bein wieder über deinen Rücken bringen!«
+-- Nun konnte man von meinem Onkel Toby nicht sagen, daß er auf diese
+Art abgesessen sei. Gewissermaßen und nach dem strengen Sprachgebrauche
+konnte man gar nicht einmal sagen, er sei abgesessen, sondern hätte
+richtiger sagen müssen, er sei vom Pferde abgesetzt, und ein wenig
+tückischerweise; das machte, daß mein Onkel Toby es noch zehnmal übler
+nahm. Aber laß die Staatsroßkämme das unter sich abtun, wie sie wollen.
+
+Es brachte, sage ich, eine Art von Entfremdung zwischen meinem Onkel
+Toby und seinem Steckenpferde hervor. -- Vom Monat März bis November,
+den Sommer, nachdem der Friede geschlossen worden, brauchte er's fast
+gar nicht, außer wenn er etwa einmal einen ganz kurzen Ritt tat, um
+eben nur zuzusehen, ob der Hafen und die Werke von Dünkirchen versenkt
+und geschleift wären, wie die Zeitungen berichtet hatten.
+
+Die Franzosen ließen es den ganzen Sommer bei dieser Sache so langsam
+angehen. Monsieur Tugghe, der Deputierte des Dünkirchener Magistrats,
+übergab der Königin so manche rührende Bittschrift, worin er Ihre
+Majestät anflehte, doch ihre Donnerkeile auf die anderen Werke fallen
+zu lassen, die sich ihre Ungnade könnten zugezogen haben, -- und um
+Schonung -- um Schonung des Befestigungswerkes, das in seiner nackten
+Lage nichts weiter sein könnte als ein Gegenstand des Mitleidens. Und
+die Königin, welche -- als ein Frauenzimmer -- erbittlichen Herzens
+war -- und ihre Minister gleichfalls --, konnte es nicht übers Herz
+bringen, daß die Stadt so entblößt würde, aus der besonderen Ursache --
+
+ * * * * *
+
+-- -- so daß es also im ganzen meinem Onkel Toby sehr sauer gemacht
+wurde. Um so mehr, da drei volle Monate noch darüber hingingen,
+in denen er und der Korporal die Stadt aufgebaut und in gehörigen
+Stand gesetzt hatten, um sie schleifen zu können, ehe es ihm die
+verschiedenen Kommandanten, Kommissarien, Deputierte, Negotiateurs und
+Intendanten erlaubten, sich daran zu machen. -- Schlimmer, schlimmer
+Zwischenraum der Untätigkeit.
+
+Der Korporal war dafür, die Schleifung damit anzufangen, daß sie eine
+Bresche in den Wall oder die Hauptfestung der Stadt machten. -- »Nein,
+Korporal, das geht nicht,« sagte mein Onkel Toby, »denn wenn wir so
+mit der Stadt zu Werke gehen, so wird die englische Garnison keinen
+Augenblick darin sicher sein. Denn wenn die Franzosen falsch sind --«
+-- »Sie sind so falsch, mit Euer Gnaden Erlaubnis, so falsch wie
+der Satan,« sagte der Korporal. -- »Das tut mir allemal leid, wenn
+ich's höre, Trim,« sagte mein Onkel Toby; »denn es fehlt ihnen nicht
+an persönlicher Herzhaftigkeit. Und wenn eine Bresche in dem Walle
+ist, können sie dadurch hineindringen und sich zum Herrn des Ortes
+machen, wenn sie nur wollen.« -- »Laß sie einmal hineindringen,«
+sagte der Korporal, und hob seinen Pionierspaten mit beiden Händen
+in die Höhe, als ob er um sich hauen wollte. »Laß sie hineindringen,
+Euer Gnaden, sage ich, wenn sie's sich unterstehen.« -- »In Fällen
+wie dieser, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, wobei er die Hand bis
+auf die Mitte seines Stockes hinunterrutschen ließ und ihn darauf als
+einen Kommandostab mit ausgestrecktem Zeigefinger faßte, »muß sich
+der Kommandant nicht darum bekümmern, was sich der Feind unterstehen
+oder nicht unterstehen möchte: er muß auf seiner Hut sein. Wir wollen
+mit den Außenwerken anfangen, sowohl nach der See- als Landseite.
+Fort Louis soll das erste sein, das ist am weitesten entlegen und
+soll zuerst demoliert werden. Dann die übrigen, alle eins nach dem
+anderen, wie sie liegen, links und rechts, wie wir uns nach der Stadt
+zurückziehen. Dann wollen wir die Dudane abtragen, hernach den Hafen
+versenken, uns in die Zitadelle ziehen, sie in die Luft sprengen, und
+wenn wir das getan haben, Korporal, dann zu Schiffe und nach England.«
+-- »Da sind wir,« sagte der Korporal, der zur Besinnung kam. -- »Es ist
+ja wahr,« sagte mein Onkel Toby und sah nach der Kirche.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertviertes Kapitel.
+
+
+Ein Kriegsrat oder ein paar von dieser entzückenden täuschenden
+Gattung, gepflogen zwischen meinem Onkel Toby und Trim, über die
+Schleifung von Dünkirchen, brachten auf einen Augenblick die Ideen von
+den Vergnügungen wieder in Reih und Glieder, welche gar davonwischen
+wollten. -- Aber es ging damit nur schlaff her. Der Zauber schwächte
+das Gemüt nur mehr. Die Göttin des Schlafes kam mit ihrem stummen
+Gefolge ins einsame Wohnzimmer geschlichen und hüllte meines Onkels
+Toby Kopf in ihren flornen Mantel. Und die Verdrossenheit mit ihren
+schlaffen Fiebern und unbestimmtem Auge setzte sich ruhig bei ihm in
+seinen Lehnstuhl hin. Amberg und Rheinburg, und Limburg und Huy, und
+Bonn jagten nicht mehr dies Jahr -- und die Prospekte von Landen und
+Trarbach, und Drusen und Dendermonde nicht im anderen Jahre das Blut
+herum. Die Sappen, Minen, Schirme, Schanzkörbe und Palisaden wehrten
+diesen schönen Feind der Ruhe des Menschen nicht länger ab. Nicht
+mehr konnte mein Onkel Toby, wenn er bei seinem gekochten Ei zum
+Abendessen die französischen Linien passierte, tiefer hinein ins Herz
+von Frankreich dringen, über die Oyes setzen, die ganze Pikardie offen
+hinter sich liegen lassen, bis vor die Tore von Paris marschieren und
+mit lauter Bildern von Ehre und Ruhm einschlafen. Nicht mehr sollte es
+ihm träumen, er habe das britische Panier auf den Turm der Bastille
+gepflanzt, und erwachen, da es ihm noch im Kopfe flatterte.
+
+Liebreichere Erscheinungen, sanftere Regungen stahlen sich unvermerkt
+in seinen Schlummer, -- die Drommete des Krieges entfiel seiner Hand.
+Er ergriff dafür die Laute, das liebliche Instrument! Unter allen
+anderen das delikateste, das schwerste! -- Wie wirst du sie spielen,
+liebster Onkel Toby!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertfünftes Kapitel.
+
+
+Freilich habe ich's ein- oder ein paarmal nach meiner unbedachtsamen
+Weise ausgeplaudert; ich verließ mich darauf, daß die folgenden
+Nachrichten von den Liebesbegebenheiten meines Onkels Toby und der
+Witwe Wadmann, sobald ich nur Zeit gewinne sie zu schreiben, eins
+der vollständigsten Systeme -- sowohl nach den elementarischen als
+praktischen Teilen der Liebe -- enthalten würden, die nur jemals
+der Welt vorgelegt worden; aber müssen Sie sich deswegen nun gleich
+einbilden, ich werde mit einer Beschreibung des Amor anfangen? -- Ob er
+halb Gott ist und halb Teufel, wie Plotinus behauptet.
+
+Oder nach einer kritischeren Gleichung, die das Ganze der Liebe durch
+zehn Einheiten ausdrückt, mit dem Ficinus zu bestimmen, wie viele von
+diesen Einheiten zum ersten und wie viele zum zweiten gehören. -- Oder
+ob Amor über und über, vom Kopfe bis zum Schwanze, ein großer Teufel
+ist, wie Plato sich unterstanden hat zu entscheiden. Über welchen
+platonischen Einfall ich meine Meinung nicht sagen mag. Aber meine
+Meinung vom Plato ist diese, daß er in diesem Beispiel sich als ein
+Mann zeigt, der sehr viel Ähnliches in seiner Gemütsart und Philosophie
+mit dem Doktor Baynyard hatte. Welcher Baynyard ein großer Feind von
+spanischen Fliegen war und sich einbildete, ein halbes Dutzend, auf
+einmal gelegt, würde einen Menschen ebensosicher dem Grabe zuführen,
+wie ein mit sechsen bespannter Leichenwagen, und daher den übereilten
+Schluß machte: der Teufel selbst sei in der Welt nichts anderes als
+eine große spanische Brummfliege.
+
+Das sind solche Untersuchungen, womit mein Vater, der sich einen
+großen Vorrat von dergleichen Wissenschaft aufgestapelt hatte, in dem
+Fortgange des Liebeshandels meines Onkels Toby sehr geschäftig sein
+wird. Soviel muß ich voraussagen, daß er von seiner Theorie der Liebe
+-- womit er, beiläufig gesagt, es so zu machen wußte, daß er meines
+Onkels Toby Gemüt ebensosehr damit kreuzigte als Amors selbst -- nur
+einen Ausfall in die Praxis tat, und vermittels eines in Kampfer
+getränkten Wachstuches, das er Mittel fand, dem Schneider für Zwillich
+aufzuhängen, als er eben meinem Onkel Toby ein Paar neue Beinkleider
+machte, brachte er bei meinem Onkel Toby ebendie Wirkung wie Gordonius,
+und ohne den bösen Geruch, hervor.
+
+Was dies für Veränderungen hervorbrachte, wird man gehörigen Ortes
+lesen. Alles, was nötig ist, der Anekdote hinzugesetzt zu werden, ist
+dieses: Was es auch für Wirkung auf meinen Onkel Toby haben mochte, es
+hatte eine häßliche Wirkung auf das Haus. -- Und hätte es mein Onkel
+nicht, so wie er tat, ganz gelassen niedergeschmaucht, es hätte auch
+auf meinen Vater eine häßliche Wirkung tun können.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsechstes Kapitel.
+
+
+Es wird sich bei Gelegenheit schon von selbst finden. -- Alles, was
+ich hier verfechte, ist, daß ich nicht notwendig mit einer Definition
+der Liebe anfangen muß. Und solange ich meine Historie wegerzählen und
+sie mit dem Worte selbst verständlich sein kann, ohne einen anderen
+Begriff damit zu verknüpfen, als den ich mit allen Leuten gemein habe,
+warum sollte ich einen Augenblick vor der Zeit davon abgehen? -- Kann
+ich erst nicht mehr weiter und sehe ich mich von allen Seiten in diesem
+mystischen Labyrinth verwickelt, so wird meine Meinung von selbst dazu
+kommen und mich herausführen.
+
+Für jetzt, hoffe ich, wird man mich hinlänglich verstehen, wenn ich
+dem Leser sage: mein Onkel Toby ward verliebt.
+
+Ich kann nicht sagen, daß mir die Redensart gefiele; gar nicht! Denn
+wenn man sagt, ein Mann ist verliebt, oder er ist heftig verliebt,
+oder gar er ist rasend verliebt, oder noch ärger, er ist mit Haut
+und Haar verliebt --, so wollen diese unter den Leuten gang und
+gäben Redensarten allemal soviel mit andeuten, daß der Zustand eines
+Menschen, welcher liebt, unnatürlich und gefährlich sei. -- Das heißt
+der Meinung des Plato Anhänger machen, welche ich bei aller seiner
+Göttlichkeit für verdammlich und ketzerisch halte. Doch genug davon.
+
+Lieben und Verliebtsein mag also sein, was es will: mein Onkel ward
+verliebt.
+
+Und vermutlich, gütiger Leser, bei einer solchen Untersuchung würdest
+du es selbst. Denn nie sahen deine Augen oder begehrten deine Begierden
+auf dieser weiten Welt ein Ding, das begehrenswürdiger gewesen wäre als
+die Witwe Wadmann.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsiebentes Kapitel.
+
+
+Um es recht zu fassen, fordern Sie Tinte und Feder. Hier ist reines
+Papier für Sie. -- Setzen Sie sich, Herr, malen Sie sich eine Witwe
+Wadmann, wie's Ihnen gelüstet. Ihrer Geliebten so ähnlich, wie Sie
+können. Ihrer Frau so unähnlich, wie Ihnen Ihr Gewissen erlauben will.
+Mir ist's gleich; machen Sie sich's nur selbst zu Danke.
+
+Ist in der ganzen Schöpfung noch etwas so Liebreizendes -- etwas so
+Vollkommenes anzutreffen!
+
+Nun, lieber Herr, war es wohl ein Wunder, daß mein Onkel Toby nicht
+widerstehen konnte?
+
+O dreimal glückseliges Buch! Du hast doch wenigstens eine Seite in
+deinem Bande, welche die Bosheit nicht anschwärzen und die Dummheit
+nicht mißdeuten kann.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertachtes Kapitel.
+
+
+Da Susanna durch einen Expressen von Jungfer Brigitte Nachricht
+erhielt, daß mein Onkel Toby in ihre Herrschaft verliebt sei, schon
+fünfzehn Tage vorher, ehe sich's zutrug, und Susanna das Wesentliche
+dieser expressen Nachricht den folgenden Tag gleich meiner Mutter
+mitteilte, so hat mir das Gelegenheit gegeben, gerade vierzehn Tage
+früher von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten zu schreiben, als
+er sie wirklich hatte.
+
+»Ich habe dir was Neues zu sagen, lieber Walther,« sagte meine Mutter,
+»das dich sehr erstaunen wird.«
+
+Bitte zu merken, daß mein Vater eben die Beschwerlichkeiten des
+Ehestandes überdachte, als meine Mutter das Stillschweigen brach.
+
+»Bruder Toby,« sagte sie, »ist mit Frau Wadmann versprochen.«
+
+»Nun, so soll er in seinem Leben nicht wieder diagonal im Bette liegen,
+da stehe ich ihm für,« sagte mein Vater.
+
+Meinem Vater war es ein herznagender Verdruß, daß meine Mutter ihn
+niemals fragte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand.
+
+Daß sie kein gelehrtes Frauenzimmer ist, pflegte mein Vater zu sagen,
+das ist ihr Unglück und nicht ihre Schuld. Aber fragen könnte sie doch.
+
+Meine Mutter tat das niemals. Kurz, sie ging am Ende aus der Welt, ohne
+zu wissen, ob sie sich rund drehte, ob sie stillstände. Mein Vater
+hatte es ihr ganz dienstfertigerweise wohl tausendmal gesagt, wie es
+damit wäre. Aber sie konnte es gar nicht behalten.
+
+Aus dieser Ursache ging ein Gespräch unter ihnen selten weiter, als
+Proposition, Replik und Duplik. Wenn die vorbei, holte er gewöhnlich
+auf ein paar Minuten Atem und schlenderte dann weiter.
+
+»Wenn er sich verheiratet,« sagte meine Mutter, »so verlieren wir doch
+immer dabei.«
+
+»Nicht einen Kirschkern,« sagte mein Vater. »Er mag das seinige
+ebensolieb auf diese Art als auf eine andere verschießen.«
+
+»Es ist wohl wahr,« sagte meine Mutter. Und hiermit endigten sich
+Proposition, Replik und Duplik, wovon ich Ihnen sprach.
+
+»So hat er doch noch wohl einigen Zeitvertreib,« sagte mein Vater.
+
+»Sehr angenehmen,« antwortete meine Mutter, »wenn er Kinder bekommen
+sollte.«
+
+»Gott verzeihe mir meine Sünden!« sagte mein Vater bei sich selbst.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertneuntes Kapitel.
+
+
+Mein Onkel Toby und der Korporal waren mit solcher Hitze und Übereilung
+aufgebrochen, um von dem Stücke Landes Besitz zu nehmen, von dem
+wir so oft gesprochen haben, damit sie ihren Feldzug ebenso früh
+eröffnen könnten als die übrigen Alliierten, daß sie darüber einen der
+allerunentbehrlichsten Artikel bei der ganzen Sache vergessen hatten.
+Es war weder ein Pionierspaten, noch eine Pickelhacke, noch eine
+Schaufel.
+
+Es war ein Schlafbett. Da Shandy-Hall noch nicht mit Hausgerät
+versehen, und das kleine Wirtshaus, in welchem der arme Le Fevers
+starb, noch nicht gebaut war, war mein Onkel Toby genötigt, in
+Madame Wadmanns Hause auf eine Nacht oder ein paar mit einem
+Bette vorliebzunehmen, so lange, bis Korporal Trim -- der zu den
+Eigenschaften eines vortrefflichen Bedienten, Stallknechts, Kochs,
+Schneiders, Baders und Ingenieurs auch noch die Eigenschaften
+eines vortrefflichen Tapezierers hinzufügte -- mit der Hilfe eines
+Zimmermanns und eines Schneiders in meines Onkels Toby Hause selbst
+eines zustande brachte.
+
+Eine Tochter Evens, denn das war unsere Witwe Wadmann, und der ganze
+Charakter, den ich von ihr zu geben willens bin, ist:
+
+»~Sie war ein vollkommenes Frauenzimmer.~«
+
+Sie wäre zehn Meilen weit davon besser daran gewesen -- oder auch in
+ihrem warmen Bette -- oder wenn sie mit ihrem Taschenmesser gespielt
+hätte -- oder womit sie sonst wollte, anstatt einen Mann zum Gegenstand
+ihrer Aufmerksamkeit zu machen, wenn das Haus mit allem ihrem Geräte
+ihr eigen ist.
+
+Wenn ein Frauenzimmer außer dem Hause und bei hellem Tageslichte es in
+ihrer Gewalt hat, physikalisch von der Sache zu reden, einen Mann in
+mancherlei Lichte zu betrachten, so hat es nichts zu bedeuten. Aber
+hier, fange sie es an, wie sie will, kann sie ihn in keinerlei Lichte
+sehen, oder es klebt ihm beständig etwas an, das zu ihrer eigenen
+Fahr und Habe gehört, bis sie ihn endlich so lange und oft in dieser
+Verbindung erblickt, daß er selbst ein Artikel in diesem Inventario
+wird.
+
+Und dann, gute Nacht!
+
+Doch das gehört nicht zum System; denn das habe ich schon oben
+vorgelegt. Auch nicht zum Katechismus. Denn ich lege für niemand ein
+Glaubensbekenntnis ab als für mich selbst. Es ist auch keine Tatsache,
+wenigstens nicht, soviel ich wüßte, sondern die Sache ist kopulativisch
+und soll die folgende einleiten.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzehntes Kapitel.
+
+
+Ich sage es nicht in Ansehung ihrer verschiedenen Feinheit oder
+Weise, noch in Ansehung der Stärke ihrer Windlaschen. Aber sagen Sie
+selbst, sind nicht die Nachthemden von den Taghemden in diesem Stücke
+ebensosehr verschieden wie in jedem andern in der Welt, daß sie diese
+so weit in der Länge übertreffen, daß, wenn Sie sich darin niedergelegt
+haben, solche ebensoweit über die Füße reichen, als die Füße aus den
+Taghemden hervorstehen?
+
+Der Witwe Wadmanns Nachthemden -- ich glaube es war unter der Regierung
+des Königs Wilhelm und der Königin Anna so die Mode -- waren wenigstens
+solchergestalt zugeschnitten. Und wenn die Mode abgekommen ist -- denn
+in Italien sind sie ganz verschwunden --, desto schlimmer für das
+Publikum. Sie waren zweieinhalb Brabanter Ellen lang; wenn man also auf
+ein mäßiges Frauenzimmer zwei Ellen rechnet, so hatte sie eine halbe
+Elle übrig, womit sie machen konnte, was sie wollte.
+
+Nun war es von einer kleinen Pflege zur andern, woran sie sich in den
+schaurigen Winternächten während ihres siebenjährigen Witwenstandes
+gewöhnt hatte, unvermerkt dahin gediehen und zu einer von den Regeln
+der Schlafkammer geworden, daß, sobald Madame Wadmann zu Bette gebracht
+worden und ihre Füße völlig ausgestreckt hatte, wovon sie der Brigitte
+allemal ein Zeichen gab, Brigitte mit allem gehörigen Dekorum, nachdem
+sie erst die Bettlaken zu den Füßen auseinandergeschlagen, die halbe
+Elle Leinwand, von der wir hier sprechen, faßte, solche behende und
+mit beiden Händen stramm herunterzog, nach der Länge in vier oder fünf
+ebene Falten legte, eine große Stecknadel von ihrem Ärmel nahm und
+damit, die Spitze nach sich gekehrt, diese Falten ein wenig über dem
+Saume alle fest zusammensteckte. Wenn das geschehen, deckte sie zu den
+Füßen alles wieder hübsch warm zu und wünschte ihrer Madame eine gute
+Nacht.
+
+Dies war ein beständiger Gebrauch und litt keine Abänderung als diese:
+daß bei frostigen und stürmischen Nächten, wenn Brigitte das Bette zu
+den Füßen öffnete usw., um diese ihre Pflicht zu verrichten, sie kein
+anderes Thermometer als ihr eigenes Gefühl zu Rate zog. So verrichtete
+sie es stehend, kniend oder kauernd, je nach den verschiedenen Graden
+ihres Glaubens, ihrer Liebe oder Hoffnung, in denen sie sich ebenden
+Abend gegen ihre Herrschaft befand. In jedem anderen Betracht war die
+Etikette unverbrüchlich und konnte mit der allermechanischsten von
+jeder Kammer im ganzen Christentume um den Vorzug streiten.
+
+Den ersten Abend, sobald der Korporal meinen Onkel Toby nach seiner
+Schlafkammer hinaufgebracht hatte, was um zehn Uhr war, warf sich
+Madame Wadmann in ihren Lehnstuhl, schlug ihr rechtes Bein über das
+linke, wodurch sie einen Ruheplatz für ihren Ellenbogen machte, legte
+ihren Kopf in ihre Hand, und so gestützt saß sie bis Mitternacht und
+dachte der Sache, für und gegen dieselbe, nach.
+
+Den zweiten Abend ging sie vor ihr Schreibpult, und nachdem sie
+Brigitten befohlen, ein paar frische Lichter zu bringen und auf den
+Tisch zu legen, suchte sie ihren Ehekontrakt hervor und las ihn sehr
+andächtig durch. Und den dritten Abend -- der der letzte von meines
+Onkels Toby Bleiben war --, als Brigitte das Nachthemde niedergezogen
+hatte und dabei war, die Nadel einzustecken, stieß sie mit einem Stoße
+mit beiden Fersen zugleich ihr die Stecknadel aus der Hand. Nieder
+fiel auch die Etikette und zertrümmerte in tausend Sonnenstäubchen.
+
+Aus welchem allen es dann ganz deutlich erhellte, daß die Witwe Wadmann
+in meinen Onkel Toby verliebt war.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertelftes Kapitel.
+
+
+Mein Onkel Toby hatte damals seinen Kopf mit anderen Dingen angefüllt,
+so daß er erst nach der Schleifung von Dünkirchen, als alle anderen
+Höflichkeiten von Europa abgemacht worden, Muße fand, diese zu
+erwidern.
+
+Dieses machte einen Waffenstillstand -- das heißt in Ansehung meines
+Onkels Toby, auf seiten der Witwe Wadmann aber eine Vakanz -- von fast
+elf Jahren. Da aber in allen Fällen dieser Art es der zweite Schlag
+ist, er geschehe, so spät er wolle, der die Kriegshändel befestigt, so
+ist es dieser Ursache wegen, daß ich es lieber die Liebeshändel meines
+Onkels Toby mit Madame Wadmann, als die Liebeshändel der Madame Wadmann
+mit meinem Onkel Toby nenne.
+
+Dies ist keine Distinktion, weil kein Unterschied vorhanden ist.
+
+Es ist nicht wie die Geschichte des alten aufgekrempten Hutes und des
+aufgekrempten alten Hutes, worüber Euer Hochwürden sich so oft einander
+in den Haaren gelegen, sondern hier ist ein Unterschied in der Natur
+der Dinge. --
+
+Und zwar erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, meine hochzuverehrenden
+Herren, ein sehr großer.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzwölftes Kapitel.
+
+
+Da nun die Witwe Wadmann meinen Onkel Toby liebte, und mein Onkel Toby
+die Witwe Wadmann nicht liebte, so war für die Witwe Wadmann nichts
+anderes zu tun als fortzufahren, meinen Onkel Toby zu lieben, oder es
+bleiben zu lassen.
+
+Die Witwe Wadmann wollte so wenig das eine wie das andere tun.
+
+Gütiger Himmel! Aber ich vergesse, daß ich so ein bißchen von ihrer
+Gemütsart an mir habe. Denn sooft es sich begibt, wie es wohl zuweilen
+geschieht, wenn eben Tag und Nacht gleich sind, daß eine irdische
+Göttin bald dies ist, bald das und bald jenes, daß ich ihretwegen mein
+Frühstück nicht verzehren kann und sie sich keinen schweren Schilling
+darum bekümmert, ob ich mein Frühstück verzehre oder nicht. Verdammt
+mit ihr! Und damit schicke ich sie nach der Tartarei, und von der
+Tartarei nach Terra del Fuogo und so weiter zu Meister Hämmerling.
+Kurz, es gibt keine höllische Nische, da ich nicht Ihro Gottheiten
+fasse und hineinpacke.
+
+Allein, weil das Herz zärtlich ist und es auf diesem Strome der
+Leidenschaften zehnmal in einer Minute Ebbe und Flut wird, so bringe
+ich sie wieder zurück. Und da ich in allen Dingen bis aufs Äußerste
+gehe, versetze ich sie in den Himmel, mitten in die Milchstraße.
+
+Glänzendstes unter den Gestirnen! O, schütte deinen Einfluß auf ihn,
+der -- hole sie der Henker, mitsamt ihrem Einflusse. Denn bei dem Worte
+reißt mir alle Geduld aus! Wohl bekomm's ihm! --
+
+Bei allem, was rauh und geschlitzt ist, rufe ich, und nehme meine
+Pelzmütze ab und lasse meinen Finger rund laufen, keinen Groschen gäbe
+ich für ein Dutzend solcher!
+
+Es ist gleichwohl eine vortreffliche Mütze, sage ich dann wieder --
+indem ich sie auf den Kopf setze und auf die Ohren festdrücke --, und
+ist warm und weich, besonders wenn Sie sie mit dem Haare streicheln,
+aber leider! So gut wird mir's niemals gehen -- und damit hat denn
+meine Philosophie abermals Schiffbruch gelitten --.
+
+Nein, an die Pastete werde ich wohl keinen Finger bringen -- hier
+zerbreche ich meine Metapher --.
+
+Rinde und Krumen,
+
+Gefüllsel und Rand,
+
+Deckel und Boden -- ich verabscheue es, hasse es, verwerfe es -- mir
+ekelt schon vom Ansehen.
+
+Es ist nichts als Pfeffer
+ Knoblauch
+ Kaviar
+ Salz und
+
+ Teufelsdreck --
+
+beim großen Erzkoch aller Köche, welcher, denke ich, vom Morgen bis
+Abend nichts anderes tut, als daß er beim Feuer sitzt und hitzige
+Gerichte für uns aussinnt, ich rühre es nicht an, um die Welt --
+
+O, Tristram! Tristram! rief Jenny.
+
+O, Jenny! Jenny! versetzte ich und fuhr fort mit dem hundertdreizehnten
+Kapitel.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertdreizehntes Kapitel.
+
+
+Die Göttinnen des Schicksals, welchen ganz gewiß alles von dieser
+Liebesgeschichte der Witwe Wadmann mit meinem Onkel Toby vorher bekannt
+war, hatten von der ersten Schöpfung der Materie und Bewegung an --
+und zwar mit mehr Gütigkeit, als sie bei Dingen von dieser Art pflegen
+-- einen Strang von Ursachen und Wirkungen gesponnen, die so fest
+aneinanderhingen, daß es meinem Onkel Toby kaum möglich gewesen, in
+irgendeinem anderen Hause zu wohnen oder einen anderen Garten in der
+Christenheit zu besitzen als gerade das Haus und den Garten, die dicht
+an der Witwe Wadmanns Haus und Garten lagen. Dieses nebst dem Vorteile
+einer dichten Laube in Madame Wadmanns Garten, die in meines Onkels
+Toby grüne Hecke hineingepflanzt war, gab ihr alle die Gelegenheiten an
+die Hand, deren die Kriegskunst der Liebe bedurfte. Sie konnte meines
+Onkels Toby Bewegungen wahrnehmen, und seine Entschlüsse im Kriegsrate
+wußte sie gleichfalls alle. Und da sein verdachtloses Herz dem Korporal
+durch die Vermittlung der Brigitte Erlaubnis erteilt hatte, ihr ein
+kleines Heckenpförtchen zu machen, um desto mehr Raum zum Spazieren
+zu gewinnen, sah sie sich dadurch imstande, ihre Approchen bis dicht
+an die Türe des Schilderhauses zu führen und zuweilen zur schuldigen
+Danksagung eine Attacke zu machen und ihr Bestes zu versuchen, meinen
+Onkel mit diesem seinem eigenen Schilderhause in die Luft zu sprengen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertvierzehntes Kapitel.
+
+
+Es ist Jammer und schade -- aber mir nicht weniger aus meiner täglichen
+Beobachtung des Menschen gewiß, daß er wie eine Kerze an beiden Enden
+angezündet werden kann. Woferne nur der Docht weit genug hervorsteht.
+Ist keiner da und er wird unten angezündet, so, weil in dem Falle die
+Flamme gewöhnlich das Unglück hat, sich selbst auszulöschen, geht's
+wieder nicht.
+
+Was mich anbelangt, könnte ich's immer selbst einrichten, von welchem
+Ende an ich brennen wollte -- denn ich kann den Gedanken nicht
+ausstehen, so viehdumm zu brennen --, so sollte mich eine ehrliche
+Hausfrau allemal bei der Spitze anzünden. Denn alsdann könnte ich
+hübsch mit Ehren herunterbrennen. Das heißt von meinem Kopfe bis zu
+meinem Herzen, von meiner Leber bis zu meinen Eingeweiden, und so den
+Weg der mesenterischen Venen und Arterien herunter, durch alle die
+Windungen und Seitenschnitte der Intestinen und ihrer Häute, bis zum
+blinden Darm.
+
+»Ich bitte Sie, Herr Doktor Slop,« sagte mein Onkel Toby und fiel ihm
+in die Rede, als er in einem Gespräch an dem Abende, da meine Mutter
+von mir entbunden ward, des blinden Darms erwähnte. »Ich bitte Sie,«
+sagte mein Onkel Toby, »sagen Sie mir doch, welches ist der blinde
+Darm? Denn ich versichere Sie, so alt ich bin, weiß ich doch bis diesen
+Tag noch nicht, wo er liegt.«
+
+»Der blinde Darm,« antwortete Doktor Slop, »liegt zwischen dem Illion
+und Kolon.«
+
+»Bei einem Manne?« sagte mein Vater.
+
+»Es ist genau ebenso bei den Weibern,« versetzte Doktor Slop.
+
+»Das ist mehr, als ich weiß,« sagte mein Vater.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertfünfzehntes Kapitel.
+
+
+Und so, um mit beiden Systemen gewiß zu gehen, beschloß die Witwe
+Wadmann, meinen Onkel Toby weder an dem einen noch anderem Ende
+anzuzünden, sondern, wie das Licht eines Verschwenders, womöglich an
+beiden Enden zugleich.
+
+Nun hätte sie sieben ausgeschlagene Jahre hindurch alle militärischen
+Polterkammern, beides, der Infanterie und Kavallerie mit
+eingeschlossen, vom großen Arsenal in Venedig an bis auf den Tower
+in London (exklusive) durchkramen und ihre Brigitte zur Hilfe nehmen
+mögen, -- Madame Wadmann hätte doch keine zu ihrem Zweck so dienliche
+Blende finden können, als was ihr der Behelf meines Onkels Toby in
+seinen Belagerungen ganz bereit in die Hände gab.
+
+Mich dünkt, ich habe Ihnen noch nicht gesagt -- ich weiß es jedoch
+nicht, es kann wohl sein; wie ihm aber sei, es ist eins von den vielen
+Dingen, die ein Mann lieber noch einmal tun, als darüber streiten
+sollte --, was für eine Stadt oder Festung der Korporal eben während
+ihres Feldzuges unter der Arbeit haben mochte, mein Onkel Toby
+war allemal besorgt, einen Grundriß des Platzes an der inwendigen
+Seite seines Schilderhauses gegen seine linke Hand oben am Rande
+mit zwei oder drei Nadeln festzustecken. Unten hing er lose, um ihn
+mit Bequemlichkeit näher vors Gesicht zu bringen usw., wie es die
+Gelegenheit so mit sich brachte. Dergestalt, daß, wenn Madame Wadmann
+eine Attacke beschlossen, sie nichts weiter zu tun nötig hatte,
+nachdem sie bis an die Türe des Schilderhauses avanciert war, als
+ihre rechte Hand auszustrecken. Und indem sie mit derselben Bewegung
+ihren linken Fuß hineinrücken ließ, brauchte sie nur die Karte, den
+Grundriß, die Zeichnung oder was es sonst war, zu ergreifen, solchem
+mit ausgestrecktem Halse auf halbem Wege zu begegnen und es nach sich
+zu ziehen. Wodurch meines Onkels Toby Leidenschaften unfehlbar Feuer
+fangen mußten. Denn er faßte beständig den anderen Zipfel der Karte mit
+seiner linken Hand und begann, mit dem Ende seiner Tabakspfeife in der
+anderen, eine Erklärung.
+
+Wenn die Attacke bis zu diesem Punkte gediehen war --. Die Welt wird
+natürlicherweise die Gründe der folgenden Kriegslist der Madame Wadmann
+billigen, welche darin bestand, daß sie, sobald sie nur dazu kommen
+konnte, meinem Onkel Toby die Tabakspfeife aus der Hand nahm, was sie
+unter diesem oder jenem Vorwande, gewöhnlich aber unter dem, daß sie
+eine Redoute oder Brustwehr auf dem Risse deutlicher gezeigt haben
+möchte, zu bewerkstelligen wußte, ehe noch mein Onkel Toby -- die gute
+Seele! -- ein halbes Dutzend Ruten damit marschiert war.
+
+Es nötigte meinen Onkel Toby, seinen Zeigefinger zu gebrauchen. Die
+Veränderung, die es in der Attacke veranlaßte, war diese: Wenn in dem
+ersten Falle Madame Wadmann mit der Spitze ihres Zeigefingers an dem
+Ende der Tabakspfeife meines Onkels Toby herumfuhr, da hätte sie auf
+den Linien herumreisen mögen von Dan gen Berseba -- hätten meines
+Onkels Toby Linien sich so weit erstreckt --, ohne daß es die geringste
+Wirkung getan hätte. Denn weil in dem Ende der Tabakspfeife kein Blut
+und keine Lebensgeister waren, so konnte es keine Empfindungen erregen.
+Es konnte weder durch Pulsation Feuer geben noch durch Sympathie
+welches fangen. Es war bloß Schmauch.
+
+Dahingegen, wenn sie meines Onkels Toby Zeigefinger mit dem ihrigen
+folgte, Finger an Finger, durch alle Krümmungen und Spitzen seiner
+Werke, ihn zuweilen an der Seite drückte, dann mit ihrem Finger auf
+seinen Nagel trat, dann damit über seinen her stolperte, ihn bald hier
+tippte, bald da und so fort, setzte das wenigstens etwas in Bewegung.
+
+Dieses waren zwar nur leichte Scharmützel und fielen in einiger
+Entfernung vom Hauptkorps ab, zettelten aber das übrige herbei.
+Wenn dann, wie gewöhnlich, die Karte wieder an die Wand des
+Schilderhauses herniederfiel, so pflegte mein Onkel Toby mit der
+größten Treuherzigkeit seine flache Hand daraufzuhalten, um mit seiner
+Erklärung fortzufahren. Madame Wadmann, durch ein Manöver so schnell
+wie Gedanken, hielt eben so gewiß ihre Hand dicht bei der seinigen.
+Dieses eröffnete auf einmal eine Kommunikation, die weit genug war,
+jede Empfindung hin und her passieren zu lassen, wie sie eine Person,
+die in dem elementarischen und praktischen Teile der Liebe bewandert
+war, sich nicht schöner wünschen konnte.
+
+Sobald sie ihren Zeigefinger (wie vorher) mit dem Zeigefinger
+meines Onkels Toby in eine Parallele brachte, brachte solches ganz
+unvermeidlich auch den Daumen ins Feuer -- und der Zeigefinger und
+Daumen einmal im Treffen, zogen eben so natürlicherweise die ganze Hand
+ins Gemenge. Deine, mein liebster Onkel Toby, war doch nun niemals
+auf der rechten Stelle. -- Madame Wadmann mußte sie immer aufheben
+oder sie hatte zu tun immer mit dem sanftesten Stoßen, Schieben oder
+zweideutigen Drängen und Drücken, die eine den Platz zu verändernde
+Hand nur immer leiden mag, ein Haar breit aus dem Wege zu rücken.
+
+Derweil dieses vorging, wie hätte sie's vergessen können, ihn empfinden
+zu lassen, daß es ihr eigenes Bein sei (und sonst keines Menschen), das
+ihn unten am Schilderhause sanft an seiner Wade drückte.
+
+Da also mein Onkel Toby auf diese Weise attackiert und ihm auf beiden
+Flügeln hart zugesetzt wurde, war es ein Wunder, wenn solches zuweilen
+sein Zentrum in Unordnung brachte? --
+
+»Das hole der Henker!« sagte mein Onkel Toby.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsechzehntes Kapitel.
+
+
+Diese Attacken von Madame Wadmann, wie Sie leicht denken können, waren
+von verschiedener Art. So voneinander unterschieden wie die Attacken,
+von denen die Geschichte voll ist. Und das aus einerlei Ursachen. Ein
+zuschauender General würde ihnen den Namen Attacken kaum geben. --
+Oder täte er's, würde er sie doch alle über einen Kamm scheren. Aber
+für solche Herren schreibe ich nicht. Es wird Zeit genug sein, mehr
+Genauigkeit in meinen Beschreibungen anzuwenden, wenn ich erst zu ihnen
+komme, welches in einigen Kapiteln noch nicht geschehen wird. Zu diesem
+habe ich weiter nichts hinzuzusetzen, als daß in meinem Bündel von
+Originalpapieren und Zeichnungen, welche mein Vater die Sorgfalt gehabt
+hat besonders aufzurollen, sich ein Grundriß von Bouchain befindet, der
+noch völlig gut konserviert ist -- und es bleiben soll, solange ich
+imstande bin, etwas zu konservieren --, auf dessen unterem Rande an
+der rechten Seite noch die Flecken von Finger und Daumen sind, womit
+Schnupftabak genommen worden. Und es ist nach allen Gründen von der
+Welt zu mutmaßen, daß es Madame Wadmanns Finger waren. Denn die Seite
+des Randes gegenüber, welche nach meiner Vermutung die meines Onkels
+Toby war, ist ganz und gar rein.
+
+Dieses scheint ein authentisches Protokoll von einer von diesen
+Attacken zu sein. Denn man sieht noch die Spuren von zwei Nadelstichen,
+die zwar schon teils wieder zugegangen, aber dennoch an der oberen
+Seite der Karte sichtbar und ohne allen Widerspruch die leibhaften
+Löcher sind, durch welche sie im Schilderhause angesteckt gewesen ist.
+
+Bei allem, was priesterlich heißt, ich schätze die kostbare Reliquie
+mit ihren Mälern und Löchern höher, als alle übrigen Reliquien
+zusammengenommen! -- Allemal ausgenommen, wenn ich über diese Materie
+schreibe, sind die Löcher, welche Sankta Radagunda in der Wüste in ihr
+Fleisch bekam, welche Ihnen auf Ihrer Reise von Fesse nach Clugny die
+Nonnen dieses Namens aus christlicher Milde zeigen werden.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsiebzehntes Kapitel.
+
+
+»Ich glaube, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Korporal Trim,
+»die Fortifikationen sind genug abgetragen, und der Hafen ist nun
+ausgefüllt, so hoch, wie auf dem Plan gesagt ist.« -- »Ich denke es
+auch,« erwiderte mein Onkel Toby mit einem halb unterdrückten Seufzer.
+»Aber gehe Er nach meinem Zimmer, Trim, und hole er die Traktaten, sie
+liegen auf dem Tische.«
+
+»Sie haben da sechs Wochen lang gelegen,« versetzte der Korporal, »bis
+heute morgen, da hat die alte Frau Feuer damit angemacht.«
+
+»Nun,« sagte mein Onkel Toby, »so haben unsere Dienste ein Ende.« --
+»Um so mehr,« sagte Korporal Trim, »ist's, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,
+Jammer und schade.« Mit diesen Worten warf er seinen Spaten in den
+Schiebkarren, der bei ihm stand, mit einer Miene, welche die größte
+Trostlosigkeit ausdrückte, die man sich nur denken kann, und wendete
+sich schwermütig herum, seine Pickelhacke, seine Schaufel, Steckpflöcke
+und das andere kleine Kriegsgerät zusammenzusuchen, um es aus dem Felde
+zu führen, -- als ein tiefes Ach! aus dem Schilderhause, das aus dünnen
+Schaldielen gemacht war und also den Schall um so trauriger nachhallen
+ließ, ihn daran verhinderte.
+
+»Nein,« sagte der Korporal bei sich selbst, »ich will's morgen früh
+tun, ehe der Herr Kapitän aufsteht.«
+
+Damit nahm er seinen Spaten wieder aus dem Schiebkarren hervor, mit ein
+wenig Erde darauf, als ob er eine Stelle am Fuße des Walles damit ebnen
+wollte. In der eigentlichen Absicht aber, sich seinem Herrn zu nähern,
+um ihm die Grillen zu vertreiben. Er lockerte ein paar Rasen, stieß die
+Ecken mit seinem Spaten ab, und nachdem er mit der Fläche ein- oder
+ein paarmal leise darauf geklopft hatte, setzte er sich dicht zu den
+Füßen meines Onkels Toby nieder und hob an wie folgt.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertachtzehntes Kapitel.
+
+
+»Es wäre wohl ewig schade, ob ich schon glaube, mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, daß ich wohl nur einfältiges Zeug vorbringen werde, für 'n
+Soldaten.«
+
+»Ein Soldat,« rief mein Onkel Toby und fiel dem Korporal in die Rede,
+»hat darin nichts voraus, Trim; er kann ebensowohl einfältiges Zeug
+hervorbringen wie ein Gelehrter.« -- »Aber nicht so oft, mit Euer
+Gnaden Wohlnehmen,« versetzte der Korporal. -- Mein Onkel Toby nickte
+Beifall.
+
+»Es wäre denn also ewig schade,« sagte der Korporal und warf seine
+Augen auf Dünkirchen und den Hafen, wie Servius Sulpicius, als er aus
+Asien zurückkam und von Ägina gen Megara segelte, seine Augen auf
+Korinth und Pyräus richtete.
+
+»Es wäre ewig schade, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, diese Werke zu
+demolieren -- und ewig schade, wenn man sie hätte stehen lassen.«
+
+»Er hat recht, Trim, in beiden Stücken,« sagte mein Onkel Toby. --
+»Das,« fuhr Korporal Trim fort, »ist die Ursache, warum ich von
+Anbeginn ihrer Schleifung bis ans Ende nicht ein einziges Mal gepfiffen
+oder gesungen, oder gelacht oder geweint, oder von unseren alten Taten
+gesprochen oder Euer Gnaden ein einziges Histörchen erzählt habe, gut
+oder schlecht.«
+
+»Er hat viel Gutes an sich, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Und ich
+lobe es an Ihm, da Er doch sein Histörchen erzählen mag, daß Er unter
+allen, die Er mir erzählt, um mir meine Schmerzen vergessen zu machen
+oder mir meine Grillen zu vertreiben, Er mir selten ein schlechtes
+erzählt hat.«
+
+»Das kommt davon, mit Euer Gnaden gütiger Erlaubnis, daß sie alle wahr
+sind, wenn ich die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben
+Schlössern nicht mitrechne. Denn sie gehen alle zusammen mich selbst
+was an.«
+
+»Und ebendarum mag ich sie wohl leiden,« sagte mein Onkel Toby. »Aber
+was für eine Historie ist denn das? Er hat mich ja recht neugierig
+gemacht.«
+
+»Euer Gnaden können's gleich hören, wenn ich's erzählen soll.«
+
+»Nur,« sagte mein Onkel Toby und sah von neuem nach Dünkirchen und
+dem Hafen hin, »nur muß es keine lustige sein. Wer sich eine lustige
+Historie erzählen lassen will, Trim, der muß ohnedem schon aufgeräumt
+sein, sonst geht's nicht. Und so wie mir jetzt zumute ist, würde Er
+wohl nicht die Freude haben, daß ich über Seine Historie lachte.«
+
+»Lustig ist sie ganz und gar nicht,« versetzte der Korporal.
+
+»Gar zu ernsthaft möchte ich sie aber auch nicht haben,« setzte mein
+Onkel Toby hinzu. -- »Es ist weder das eine noch das andere,« erwiderte
+der Korporal, »und wird für Euer Gnaden recht passen.« -- »Nun, so
+nehme ich sie zu herzlichem Danke an,« rief mein Onkel Toby. »Sei Er
+nur so gut und fange Er an, Trim.«
+
+Der Korporal machte seine Reverenz; und obgleich es nicht so leicht
+ist, als man wohl glaubt, eine welke Reitmütze mit einem schicklichen
+Anstande abzunehmen -- oder etwa um ein Haar leichter, nach meiner
+Ansicht, wenn ein Mensch auf gut türkisch auf der Erde kauert, einen so
+ehrfurchtsvollen, tiefen Bückling zu machen, wie der Korporal gewohnt
+war, so tat es Trim doch dadurch, daß er seine rechte flache Hand, mit
+der er nach seinem Herrn hin saß, ein wenig hinterwärts hinter seinem
+Körper aufs Gras fallen ließ, damit er sich besser vornüberbeugen
+könnte. Und er tat es durch eine ungezwungene Zusammenklemmung seiner
+beiden Vorderfinger und des Daumens seiner linken Hand, wodurch der
+Umfang der Mütze kleiner wurde, und man eher hätte sagen können,
+er habe sie abgedrückt als abgerissen, und zwar auf eine bessere
+Weise als die Lage, darin er war, es zu versprechen schien. Und
+nachdem er ein paarmal hm! hm! gesagt hatte, um den Ton ausfindig zu
+machen, in welchem die Historien am besten gehen und welche in seines
+Herrn Gemütsart am besten eingreifen möchte, wechselte er nur einen
+vertraulich freundlichen Blick mit ihm und begann also:
+
+
+ ~Die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.
+
+»Es war einmal ein König von Böhmen --«
+
+Wie der Korporal die Grenzen von Böhmen beschritt, nötigte ihn mein
+Onkel Toby, auf einen Augenblick innezuhalten. Er hatte barhaupt
+begonnen, indem er seine Reitmütze, die er am Ende des vorigen Kapitels
+abgezogen, neben sich auf der Erde hatte liegen lassen.
+
+Das Auge der Güte späht auf alles. -- Der Korporal hatte also noch
+nicht völlig die fünf ersten Worte seiner Historie hervorgebracht, als
+mein Onkel Toby bereits mit seinem spanischen Rohre zweimal die Mütze
+frageweise angerührt hatte -- gleichsam, um zu sagen: warum setzt Er
+sie nicht auf, Trim? Trim hob sie mit der ehrerbietigsten Langsamkeit
+auf, und indem er dabei, wie er's tat, einen demütigen Blick auf das
+gestickte Vorderblatt warf, das jämmerlich abgebleicht und daneben in
+den besten Blumen und kühnsten Zügen der Stickerei abgeschlissen war,
+legte er sie von neuem zwischen seine beiden Beine, um über den Umstand
+zu moralisieren.
+
+»Leider ist jedes Wort von dem nur zu wahr,« rief mein Onkel Toby, »was
+Er da anmerken will.«
+
+»Nichts in dieser Welt, Trim, ist gemacht, daß es ewig halten soll.«
+
+»Aber wenn die Andenken deiner Liebe und Treue, liebster Thomas, sich
+verschleißen,« sagte Trim, »was sollen wir dann sagen?« --
+
+»Er hat nicht nötig, das geringste weiter zu sagen,« rief mein
+Onkel Toby. »Und wenn auch ein Mensch sein Gehirn bis an den lieben
+Jüngsten Tag zermarterte, Trim, ich glaube, so könnte er es doch nicht
+herausfinden.«
+
+Da der Korporal merkte, daß mein Onkel Toby recht hatte, und daß es
+für den Witz eines Menschen vergebens sein würde, darauf zu sinnen,
+eine reinere Moral aus seiner Mütze zu ziehen, so ließ er's dabei
+bewenden und setzte sie auf, fuhr mit seiner Hand über die Stirne, um
+eine tiefsinnige Runzel wegzureiben, die der Text und die Nutzanwendung
+miteinander gezeuget hatten, und wendete sich wieder, mit dem vorigen
+Blicke und Tone in der Stimme, zu seiner Historie vom Könige von Böhmen
+und seinen sieben Schlössern.
+
+
+ ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.
+
+ Fortsetzung.
+
+»Es war einmal ein König von Böhmen, aber unter was für einer
+Regierung, wenn es nicht unter seiner eigenen war, das kann ich Euer
+Gnaden nicht sagen --«
+
+»Das verlange ich von Ihm auch nicht, Trim, gar nicht,« sagte mein
+Onkel Toby.
+
+»Es war ein Weilchen vorher, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ehe die Hünen
+anfingen keine Kinder mehr zu kriegen. Aber in was für einem Jahr
+Christi es war --«
+
+»Da gebe ich keinen roten Heller um, ob ich das weiß, oder nicht,«
+sagte mein Onkel Toby.
+
+»Ja, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine Historie kriegt doch so ein
+besser Ausgehen danach.«
+
+»Es ist Seine Historie, Trim, schmücke Er sie aus nach Seinem eigenen
+Gutdünken und verlege Er sie, auf welches Jahr Er will,« sagte mein
+Onkel Toby und sah ihn spaßhaft an. »Verleg' Er sie, auf welches Jahr
+Er nur Lust hat. Ich bin's von Herzen zufrieden.«
+
+Der Korporal verneigte sich; denn, von jedem Jahrhunderte und von
+jedem einzelnen Jahr dieses Jahrhunderts, vom Anbeginn der Schöpfung
+bis zur Sündflut, und von der Sündflut bis zu Abrahams Geburt, durch
+alle Wallfahrten der Leben der Erzväter bis auf den Ausgang der Kinder
+Israel aus Ägypten -- und alle Dynastien, Olympiaden, Urbiconditas und
+andere merkwürdige Epochen der verschiedenen Völkerschaften auf dem
+Erdboden, bis zu Christi Geburt, und von da an bis auf den eigentlichen
+Augenblick, in welchem Trim seine Historie erzählte --, dieses weite
+Meer der Zeit, mit allen seinen Abgründen, hatte mein Onkel Toby seiner
+Wahl überlassen. Aber wie die Bescheidenheit das kaum mit einem Finger
+zu berühren pflegt, was ihr die Freigebigkeit mit beiden offenen Händen
+darbeut, so begnügte sich der Korporal mit dem schlechtesten Jahre aus
+dem ganzen Bausch, welches, um die Herren Kameralisten, Projektisten
+und Lottologisten abzuhalten, daß sie sich durchs Zanken darüber nicht
+das Fleisch von den Knochen nagen -- ob das Jahr nicht allemal das
+letzt zurückgelegte Jahr des zuletzt abgelegten Kalenders sei -- ich
+Ihnen deutlich sagen muß: aus anderen, ganz anderen Ursachen aber, als
+Sie denken.
+
+Es war das Jahr, das ihm am nächsten war, zu sagen, das Jahr unseres
+Herrn siebzehnhundertundzwölfe. Weil in diesem Jahr der Herzog von
+Ormond in Flandern sein Wesen trieb, nahm es der Korporal und trat
+damit von neuem seine Reise nach Böhmen an.
+
+
+ ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.
+
+ Fortsetzung.
+
+»Es war im Jahre unseres Herrn eintausendsiebenhundertundzwölf, mit
+Euer Gnaden Wohlnehmen --«
+
+»Die Wahrheit zu sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »würde mir
+jedes andere Jahr lieber gewesen sein, nicht nur des üblen Kleckses
+wegen, den dieses Jahr in unserer Geschichte von England macht. Weil
+unsere Völker aus dem Felde geführt wurden und man sich weigerte,
+die Belagerung von Ovesnoy zu decken, ungeachtet Fagel die Werke mit
+solcher unglaublicher Herzhaftigkeit fortführte, -- sondern auch seiner
+eigenen Historie wegen, Trim. Weil, wenn darin -- wie ich aus einigen
+Worten, die Ihm entfallen sind, schließen muß -- wenn Riesen, oder, wie
+Er es nennt, Hünen darin vorkommen.«
+
+»Nur ein einziger, mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«
+
+»Das ist so gut wie zwanzig,« sagte mein Onkel Toby. »Er hätte ihn
+einige sieben- oder achthundert Jahre zurück aus dem Schusse bringen
+sollen, sowohl wegen der Kunstrichter als anderer Leute. Deswegen
+möchte ich Ihm wohl raten, wenn Er es jemals wieder erzählt --«
+
+»Wenn ich nur so lange lebe, daß ich einmal damit zu Ende komme, so
+will ich's,« sagte Trim, »in meinem Leben nicht wieder erzählen, weder
+einem Manne, noch einer Frau, noch einem Kinde.« -- »Nun, nun!« sagte
+mein Onkel Toby. Aber mit einer so zuredenden Stimme sagte er's, daß
+der Korporal mit mehr Freudigkeit fortfuhr als zuvor.
+
+
+ ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.
+
+ Fortsetzung.
+
+»Es war einmal, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, erhob
+dabei seine Stimme und rieb sich freudig die Hände, wie er begann, »ein
+König von Böhmen --«
+
+»Laß Er das Jahr nur aus, Trim,« sagte mein Onkel Toby, indem er sich
+vorne überbückte und seine Hand vertraulich auf des Korporals Schulter
+legte, um seiner Unterbrechung das Unangenehme zu benehmen. -- »Laß
+Er's nur ganz aus, Trim. Eine Historie kann recht gut sein, ohne solche
+Genauigkeit, man müßte es denn ganz sicher wissen.«
+
+»Sicher wissen!« sagte der Korporal und schüttelte den Kopf.
+
+»Richtig,« antwortete mein Onkel Toby. »Es ist so leicht nicht, für
+jemand, der nicht tiefer studiert hat, wie Er und ich, der selten
+weiter vor sich hin sieht als aufs Ende seiner Muskete oder weiter
+hinter sich als nach seinem Schnappsacke, und also von solchen Dingen
+nicht viel versteht.«
+
+»Jawohl, jawohl, Euer Gnaden,« sagte der Korporal, der sowohl durch die
+Art wie durch das, was mein Onkel sagte, hingerissen ward, »er hat wohl
+sonst was zu tun. Ist er nicht in einer Schlacht oder auf dem Marsche
+oder in Garnison auf der Wache, so hat er, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,
+sein Gewehr zu putzen, sein Lederzeug zu kollern und zu wichsen, seine
+großen und kleinen Montierungsstücke unter der Nadel zu halten, sein
+Haar zu kräuseln und zu pudern, daß er immer so schmuck ist wie auf der
+Parade. Was hat ein Soldat nötig,« setzte der Korporal hinzu, »daß er
+sich um die Geographie bekümmert, Euer Gnaden.«
+
+»Chronologie will Er sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Denn die
+Geographie, sieht Er, die kann er nicht entbehren. Er muß mit jedem
+Lande und mit seinen Grenzen genau bekannt sein, wohin ihn sein Beruf
+führt. Er sollte jede Stadt, jeden Flecken, jedes Dorf und jede Meierei
+kennen, mit den Heerstraßen, Fußsteigen und Hohlwegen, die dahin gehen.
+Er sollte über keinen Fluß oder Bach kommen oder er sollte gleich beim
+ersten Anblick zu sagen wissen, wie er heißt, in was für einem Gebirge
+er entspringt, was er für einen Lauf nimmt, wo er schiffbar ist, wo
+man durchwaten kann und wo er zu tief ist. Er sollte die Fruchtbarkeit
+eines jeden Tales ebenso gut wissen, wie der Bauer, der es bepflügt,
+und sollte es beschreiben, oder, wenn's begehrt wird, imstande sein,
+eine richtige Karte aufnehmen zu können, von allen Planen, Defileen,
+Werken, Anhöhen, Waldungen, Morästen, wo seine Armee durch- oder
+vorbeimarschieren muß. Er sollte ihre Produkte, ihre Pflanzen, ihre
+Mineralien, ihre Wasser, ihre Art Vieh, ihre Witterung, ihre Winde,
+ihre Hitze und Kälte, ihre Einwohner, ihre Gebräuche, ihre Sprache,
+Sitten und sogar ihre Religion kennen.«
+
+»Wäre es sonst wohl begreiflich, Korporal,« fuhr mein Onkel Toby fort
+und richtete sich in seinem Schilderhause in die Höhe, wie er bei
+diesem Teile seiner Rede warm wurde, »daß Marlborough seine Armee
+von den Ufern der Maas bis Belburg führen konnte? Von Belburg nach
+Kerpenord -- konnte der Korporal nicht länger sitzen --. Von Kerpenord,
+Trim, nach Kalsacken, von Kalsacken nach Neudorf, von Neudorf nach
+Landenburg, von Landenburg nach Mildenheim, von Mildenheim nach
+Elchingen, von Elchingen nach Gingen, von Gingen nach Balmerchofen, von
+Balmerchofen nach Schellenberg. Wo er die feindlichen Werke überfiel,
+sich eine Passage über die Donau erzwang, über den Lechfluß setzte,
+mit seinem Heere bis ins Herz des Deutschen Reiches drang, an der
+Spitze desselben durch Freiburg, Hohenwert und Schönefeld marschierte,
+bis zu dem Schlachtfelde bei Blenheim und Höchstädt? -- So groß er war,
+Korporal, er hätte keinen Fußbreit avancieren oder den Marsch von einem
+einzigen Tage anordnen können, ohne Hilfe der Geographie.
+
+»Die Chronologie aber, das gesteh' ich, Trim,« fuhr mein Onkel Toby
+fort und setzte sich wieder ganz kalt in seinem Schilderhause nieder,
+»die scheint unter allen anderen eine Wissenschaft zu sein, deren ein
+Soldat am ersten entraten könnte. Wenn's nicht wegen der Einsichten
+wäre, die sie ihm eines Tages erteilen muß, wenn er ausmachen will, um
+welche Zeit das Pulver erfunden worden, dessen greuliche Verwüstung, da
+es wie der Donner alles vor sich niederreißet, eine neue Zeitrechnung
+für unsere Kriegskunst beginnt. Es hat die Natur des Angreifens und
+des Verteidigens sowohl zur See als zu Lande so durchgängig verändert
+und hat dabei soviel Kunst und Geschicklichkeit erweckt, daß die Welt
+darüber, den eigentlichen Zeitpunkt der Entdeckung auszumachen, nicht
+zu genau, noch zu forschbegierig sein kann: Zu wissen, welch großer
+Mann der Erfinder war und was für Veranlassung ihn darauf führte.«
+
+»Ich bin weit entfernt,« fuhr mein Onkel Toby fort, »das zu bestreiten,
+worin die Geschichtschreiber übereinstimmen, daß im Jahre 1380, unter
+der Regierung Wenzeslaus', ein Sohn Karls +IV.+, ein gewisser
+Mönch namens Schwarz den Venetianern in ihrem Kriege mit den Genuesern
+den Gebrauch des Pulvers angab. Aber das ist gewiß, der erste war
+er nicht. Weil, wenn wir dem Don Pedro, Bischof von Leon, Glauben
+beimessen dürfen.« --
+
+»Wie kamen denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, Mönche und Bischöfe dazu,
+daß sie ihre Nase so oft ins Pulver steckten?« -- »Gott weiß es,«
+sagte mein Onkel Toby. -- »Seine Vorsehung weiß alles zum besten zu
+lenken, und er behauptet in seiner Chronik vom König Alphonsus, welcher
+Toledo eroberte, daß im Jahre 1343, volle dreißig Jahre früher, das
+Geheimnis des Pulvers ganz bekannt gewesen und mit Nutzen gebraucht
+sei, von Mauren und Christen, nicht nur in ihren Seetreffen um diese
+Zeit und bei vielen anderen von ihren merkwürdigen Belagerungen
+in Spanien und in der Barbarei. Der ganzen Welt ist es bekannt,
+daß der Mönch Bacon ausdrücklich darüber geschrieben und der Welt
+großmütigerweise das Rezept gegeben hat, wie man es machen kann, schon
+länger als hundertundfünfzig Jahre vorher, ehe Schwarz geboren war. Und
+jeder weiß auch, daß die Chinesen,« fügte mein Onkel Toby hinzu, »uns
+mit unserer Rechnung noch mehr in Verlegenheit setzen, indem sie sich
+der Erfindung sogar noch einige hundert Jahre vor ihm rühmen.«
+
+»Das Chinesenvolk ist wohl ein ganzes Lügenpack, glaub' ich,« schrie
+Trim.
+
+»Sie mögen wohl in dieser Sache,« sagte mein Onkel Toby, »ein wenig
+irre sein, wie es für mich ganz deutlich erhellet aus dem elenden
+Zustande, worin sich gegenwärtig ihre Kriegsbaukunst befindet, welche
+in der Welt in weiter nichts begeht als in einem Graben mit einem Walle
+von Ziegelsteinen ohne Flanken. Und, was sie uns für eine Bastion,
+an jeder Ecke desselben, geben wollen, ist ein Ding, das lebhaftig
+aussieht, wie -- --« »Wie eins von meinen sieben Schlössern, mit Euer
+Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim.
+
+Obgleich mein Onkel Toby um ein Gleichnis in der äußersten Verlegenheit
+war, so lehnte er doch Trims Anerbieten in ganz höflicher Weise ab,
+bis Trim sagte, er habe doch noch ein ganzes halbes Dutzend in Böhmen,
+damit er nichts anzufangen wüßte, und mein Onkel Toby über den lustigen
+Spaß des Korporals so vergnügt wurde, daß er seine Dissertation über
+das Schießpulver abbrach -- und den Korporal bat, er möchte nur stracks
+mit seiner Historie vom Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern
+fortfahren.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~.
+
+ Fortsetzung.
+
+»Dieser unglückliche König von Böhmen,« sagte Trim -- »War er also
+unglücklich?« rief mein Onkel Toby. Denn er war in seine Dissertation
+über das Schießpulver und andere Kriegshändel so verwickelt gewesen,
+daß, obgleich er von dem Korporal verlangt hatte, er sollte fortfahren,
+dennoch seine häufigen Unterbrechungen ihm nicht mehr stark genug
+im Andenken waren, um das Beiwort nicht zu erklären. »War er also
+unglücklich, Trim?« sagte mein Onkel Toby mit gerührter Stimme.
+
+Der Korporal, nachdem er erst das Wort mit allen gleichbedeutenden
+zu allen Henkern gewünscht hatte, begann den Augenblick, die
+hauptsächlichsten Begebenheiten seines Königs von Böhmen in Gedanken
+durchzulaufen. Aus einer jeden derselben aber erhellte, daß er
+einer der glücklichsten Menschen war, die jemals in der Welt gelebt
+haben. Das brachte den Korporal zum Stocken; denn er wollte nicht
+gerne das Beiwort zurücknehmen -- und noch weniger es erklären --
+am allerwenigsten aber seine Historie drehen und winden -- wie
+systematische Historiker -- um sie seinem System anzupassen. Er blickte
+also meinem Onkel Toby ins Angesicht um Beistand. Da er aber sah, daß
+das gerade die Sache wäre, die mein Onkel Toby von ihm erwartete, fuhr
+er nach einigen Hms! und Jas fort:
+
+»Der König von Böhmen,« versetzte der Korporal, »war mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, als wenn ich so sagen wollte, unglücklich darin, daß er
+große Lust und Vergnügen an der Schiffahrt fand und an allen Arten von
+Seesachen --, und da es sich nun begab, daß in dem ganzen böhmischen
+Königreiche keine Stadt mit einem Seehafen war --«
+
+»Ich glaub's wohl! wie hätte das auch zugehen sollen, Trim?« rief mein
+Onkel Toby. »Da Böhmen allenthalben festes Land ist, so konnte es sich
+nicht anders begeben.« -- »Es hätte doch wohl,« sagte Trim, »wenn's
+Gottes Wille gewesen wäre.« --
+
+Mein Onkel Toby sprach niemals von dem Wesen und den Eigenschaften
+Gottes außer mit der ehrfurchtsvollsten und zurückhaltendsten
+Behutsamkeit.
+
+»Ich glaube nicht,« erwiderte mein Onkel Toby nach einigem Nachdenken.
+»Denn da es festes Land ist, wie ich gesagt habe, und Schlesien und
+Mähren gegen Osten, die Lausitz und Obersachsen gegen Norden, das
+Fränkische gegen Westen und Bayern gegen Süden gelegen hat, so hätte
+Böhmen nicht an die See gerückt werden können, oder es wäre nicht mehr
+Böhmen geblieben. Ebensowenig konnte auf der andern Seite die See nach
+Böhmen kommen, ohne einen großen Teil von Deutschland zu überschwemmen
+und Millionen von armen Einwohnern zu verschlingen, die sich dagegen
+nicht schützen können.« -- »Sünd' und Schande!« schrie Trim. »Welches,«
+setzte mein Onkel Toby mit Sanftmut hinzu, »einen solchen Mangel an
+Barmherzigkeit in Ihm anzeigen würde, der der Menschen Vater ist, daß
+ich glaube, Trim, die Sache konnte sich auf keinerlei Art und Weise
+begeben.«
+
+Der Korporal machte die Verbeugung der unverstellten Überzeugung und
+fuhr fort:
+
+»Da es sich nun an einem schönen Sommerabend begab, daß der König von
+Böhmen mit seiner Königin und Hofleuten ausging« -- »Ha! ja! da ist
+das Wort begab recht, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »denn der König von
+Böhmen konnte mit seiner Königin ausgehen oder es unterlassen. Das war
+eine zufällige Sache und konnte sich begeben, je nachdem es der Zufall
+mit sich brachte.«
+
+»Der König William hatte den Glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß
+alles schon so für uns in der Welt vorher bestimmt wäre. Das ging so
+weit, daß er oft zu seinen Soldaten zu sagen pflegte, daß eine jedwede
+Kugel ein Billett hätte.« -- »Es war ein großer Mann,« sagte mein Onkel
+Toby. -- »Und ich glaube noch bis auf diese Stunde,« fuhr der Korporal
+fort, »daß der Schuß, der mich in der Schlacht bei Landen zum Invaliden
+machte, ganz allein darum auf mein Knie gezielt wurde, damit ich aus
+seinem Dienste heraus und in Euer Gnaden Dienste kommen mußte, worin
+ich es soviel besser auf meine alten Tage haben sollte.« »Ehrlicher
+Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es soll niemals anders ausgelegt werden
+können.«
+
+Die Herzen, sowohl des Herrn als des Dieners, waren zu schneller
+Ergießung gleich stark geneigt. -- Es erfolgte ein kurzes
+Stillschweigen.
+
+»Und noch dazu,« sagte der Korporal und nahm das Wort wieder, aber
+mit heitererem Gesichte und Tone, »wäre es nicht dieser einzige Schuß
+gewesen, ich wäre Ihnen, Euer Gnaden, in meinem Leben nicht verliebt
+worden.« --
+
+»So? ist Er einmal verliebt gewesen, Trim?« sagte mein Onkel Toby
+lächelnd.
+
+»Ja, was wollte ich nicht!« versetzte der Korporal. »Bis über Kopf und
+Ohren! mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«
+
+»Ei, sag' Er mir doch, wann, wo und wie das zuging? Ich habe ja noch
+kein Wort davon gehört,« sagte mein Onkel Toby. »Ich wollte doch wohl
+sagen, daß es das ganze Regiment bis auf den Steckenknecht gewußt
+hätte.« -- »So ist's hohe Zeit, daß ich's auch erfahre,« sagte mein
+Onkel Toby. -- »Euer Gnaden,« sagte der Korporal, »werden sich noch
+wohl mit Unlust an die greuliche Verwüstung und Konfusion unseres
+Lagers und unserer Armee nach der Affäre bei Landen erinnern. Da war
+an kein Kommando mehr zu denken. Ein jeder mochte zusehen, wie er sich
+rettete. Und hätten's nicht die Regimenter von Windham, Lumley und
+Galway getan, welche noch die Retirade über die Brücke zu Neerspeeken
+deckten, so hätte der König selbst kaum darüber kommen können. -- Sie
+setzten ihm, wie Euer Gnaden wissen, an allen Seiten hart zu.«
+
+»Der tapfere Herr!« schrie mein Onkel Toby, von seinem Enthusiasmus
+ergriffen. »Diesen Augenblick, da alles vorbei ist, sehe ich ihn noch
+an mir vorbeireiten, Korporal, nach dem linken Flügel, um den Rest der
+engländischen Kavallerie herbeizuführen, um den rechten zu unterstützen
+und den Lorbeer von Luxemburgs Stirne zu reißen, wenn's noch möglich
+wäre. Ich sehe ihn, wie eben der Knoten von seiner Schärpe abgeschossen
+ist und wie er dem Galwayischen Regimente neuen Mut einspricht. Er
+reitet vor der Linie hinauf. Nun wendet er sich um und greift an ihrer
+Spitze den Conti an. Brav! brav wahrhaftig,« rief mein Onkel Toby. »Er
+verdient eine Krone! -- so gewiß wie ein Dieb den Strick,« jauchzte
+Trim.
+
+Mein Onkel Toby kannte des Korporals Treue als Untertan. -- Sonst war
+die Vergleichung gar nicht nach seinem Sinne. Sie gefiel dem Korporal
+selbst auch nicht so ganz, sobald er sie gemacht hatte. -- Aber sie war
+heraus. Er konnte also nichts weiter dabei tun, als nur fortfahren.
+
+»Da der Haufen der Verwundeten erstaunlich groß war und niemand Zeit
+hatte, an was anderes zu denken als seine eigene Sicherheit --« --
+»Aber Talmash,« sagte mein Onkel Toby, »führte doch die Infanterie mit
+großer Klugheit ab.« -- »Ich aber ward auf dem Felde liegen gelassen,«
+sagte der Korporal. »Das ward Er; armer Mensch!« versetzte mein Onkel
+Toby. -- »So, daß es den andern Tag Mittag wurde,« fuhr der Korporal
+fort, »ehe ich ausgewechselt und mit dreizehn oder vierzehn andern auf
+den Karren geladen wurde, der uns nach unserem Hospital bringen sollte.
+
+»Es ist, mit Euer Gnaden Erlaubnis, kein Glied am ganzen Leibe, wo eine
+Wunde mehr unausstehliche Schmerzen macht als am Knie.« --
+
+»Das Latzbein ausgenommen,« sagte mein Onkel Toby. -- »Wenn's Euer
+Gnaden nicht übelnehmen wollen, so glaub' ich, daß, nach meiner
+Meinung, das Knie das schmerzlichste sein muß. Denn da sind soviel
+Sehnen und soviel andere, wie heißt es? herum her.«
+
+»Ebendeswegen,« sagte mein Onkel Toby, »kommt's, daß das Latzbein
+unendlich empfindlicher ist. Da liegen nicht nur ebensoviel Sehnen und
+andere, wie es heißt? -- denn ich kenne ihre Namen ebensowenig wie Er
+-- umher, sondern auch -- --«
+
+Madame Wadmann, die die ganze Zeit über in ihrer Laube gewesen, hielt
+geschwind den Atem an, zog die Nadel aus ihrer Kappe unterm Kinn,
+schlug sie in die Höhe und stellte sich auf die Zehen eines Fußes.
+
+Der Streit ward freundschaftlich und mit gleichem Nachdruck zwischen
+meinem Onkel Toby und Korporal Trim eine Zeitlang fortgesetzt. Bis
+sich endlich Trim besann, daß er öfters über meines Onkels Toby
+Leiden geweint, über sein eigenes aber nie eine Träne vergossen habe,
+und deswegen nachzugeben dachte, was ihm aber mein Onkel Toby nicht
+gestatten wollte. »Das beweist nichts, Trim,« sagte er, »als die Güte
+seines Herzens.«
+
+Daher also, ob die Pein einer Wunde am Latzbein (+Caeteris
+paribus+) größer ist als die Pein einer Wunde am Knie, oder --
+
+Ob die Pein einer Wunde am Knie nicht größer ist als die Pein einer
+Wunde am Latzbein? -- eine Sache ist, die bis auf den heutigen Tag
+unentschieden bleibt.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertneunzehntes Kapitel.
+
+
+»Die Schmerzen an meinem Knie,« fuhr der Korporal fort, »waren an
+und für sich schon erschrecklich groß; und beim Rumpeln des Karrens,
+bei dem entsetzlich ausgefahrenen Wege, welche das Übel immer ärger
+machten, wollte mir die Seele aus dem Leibe fahren. Und so war das
+viele verlorene Blut und der Mangel an Pflege und ein Fieber, das ich
+noch dazu ankommen fühlte --« der arme Mensch, sagte mein Onkel Toby
+--; »alles das zusammen war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, zuviel für
+mich.«
+
+»Ich klagte mein Elend einem jungen Frauenzimmerchen in einem
+Bauernhause, vor dem unser Karren, der der letzte in dem Zuge
+war, stillgehalten hatte. Sie hatten mir hereingeholfen, und
+das Frauenzimmerchen hatte ein Glas Herzstärkung aus der Tasche
+hervorgelangt und tröpfelte es auf ein Stückchen Zucker. Und als sie
+sah, daß es mir guttat, hatte sie mir's zum zweiten- und drittenmal
+eingegeben. Und so sagte ich ihr, mit Euer Gnaden Erlaubnis, was ich
+für einen Jammer hatte. Und sagte ihr, daß es mir so unausstehlich
+wäre, daß ich lieber auf dem Bette liegen -- und wendete meinen Kopf
+nach einem, das in der Ecke der Stube stand -- und sterben wollte als
+weiterfahren. Und als sie sich die Mühe gab, mich dahin zu führen,
+kriegte ich 'ne Ohnmacht in ihren Armen. -- Es war so 'ne gute Seele,
+wie Euer Gnaden,« sagte der Korporal und wischte sich die Augen, »hören
+werden.«
+
+»Ich hätte gedacht, die Liebe wäre was Lustiges,« sagte mein Onkel
+Toby.
+
+»Es ist so was Ernsthaftes zuweilen, mit Euer Gnaden Erlaubnis, als nur
+was von der Welt.
+
+»Auf das Zureden des Frauenzimmerchens,« fuhr der Korporal fort, »fuhr
+der Karren mit der blessierten Mannschaft ohne mich weiter. Sie hatte
+ihnen versichert, ich würde daran sterben, wenn ich wieder auf den
+Karren käme. Und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in
+einem stillen, ruhigen Bauernhause, und war sonst kein Mensch mit mir
+drinnen als das Frauenzimmerchen und der Bauer und seine Frau. Ich
+lag quer überm Bett in der Ecke der Stube, mit meinem Bein auf dem
+Stuhle, und das Frauenzimmerchen saß bei mir und hielt ihren Zipfel
+vom Schnupftuche, den sie in Essig getaucht hatte, mit einer Hand vor
+meiner Nase und rieb mir mit der andern die Schläfe.
+
+»Ich hielt sie erst für die Tochter des Bauern (denn es war kein
+Krug) und hatte ihr deswegen einen kleinen Beutel mit achtzehn Gulden
+hingegeben, welche mir mein armer Bruder Thomas (hier wischte Trim
+seine Augen) mit einem Rekruten zum Andenken geschickt hatte, als er
+eben nach Lissabon gehen wollte.
+
+»Ich habe Euer Gnaden die klägliche Historie noch kein Mal erzählt.«
+Hier wischte sich Trim zum dritten Male die Augen.
+
+»Das Frauenzimmerchen rief den alten Mann und seine Frau her in die
+Stube und wies ihnen das Geld, daß sie mir ein Bett geben sollten und
+die kleine Pflege, die ich nötig hätte, bis ich erst ins Hospital
+gebracht werden könnte. Gut so, mein guter Freund, sagte sie und
+knüpfte den Beutel zu, -- ich will seine Ausgeberin sein. Aber da ich
+damit allein wohl nicht genug zu tun habe, so will ich auch seine
+Wärterin sein.
+
+»Nach der Manier, womit sie das sagte, und nach ihrer Tracht, die
+ich nun ein bißchen genauer examinierte, dachte ich wohl, daß das
+Frauenzimmerchen wohl nicht des Bauern Tochter sein könnte.
+
+»Sie ging schwarz vom Kopfe bis zu den Füßen und hatte ihre Haare
+unter einer weißleinenen Haube, die ihr ganz dicht am Kopfe lag. Es
+war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine von der Art Nonnen, die es in
+Brabant soviel gibt und die sie frei herumgehen lassen.« -- »Aus
+seiner Beschreibung, Trim, sollte ich schließen, daß es eine junge
+Begyne gewesen, von denen man sonst nirgends welche findet, als in
+den Niederlanden, und in Amsterdam auch. Sie sind darin von Nonnen
+unterschieden, daß sie ihr Kloster verlassen können, wenn sie heiraten
+wollen. Sie besuchen die Kranken und pflegen sie nach ihrem Gelübde.
+Ich wollte aber lieber, sie täten's aus gutem Herzen.«
+
+»Sie hat mir oft gesagt, sie tät's aus Liebe zum Heilande. Das wollte
+mir nicht recht gefallen.« -- »Ich glaube, Trim, wir haben beide
+unrecht,« sagte mein Onkel Toby. »Wir wollen den Pfarrer Yorick darum
+fragen, wenn er heute abend nach meines Bruders Hause kommt. Erinnere
+Er mich nur daran.«
+
+»Die junge Begyne,« fuhr der Korporal fort, »hatte kaum das Wort
+ausgesagt, daß sie meine Krankenwärterin sein wollte, als sie wie der
+Wind hinging, ihren Dienst anzutreten und was für mich zurechtzumachen.
+Es währte nicht lange -- ob schon es mich lange dünkte --, so kam sie
+wieder und hatte Flanell und dergleichen geholt. Und als sie mir mein
+Knie ein paar gute Stunden lang gekühlt und dergleichen und mir einen
+kleinen Napf Hafersuppe zu essen gegeben hatte, wünschte sie mir wohl
+zu schlafen und versprach des Morgens früh wiederzukommen. -- Aber,
+Euer Gnaden, sie wünschte mir was, das ich nicht haben konnte. Mein
+Fieber wurde die Nacht sehr stark. Ihre Gestalt richtete großes Unheil
+in meinem Kopfe an. Ich tat die ganze Nacht nichts, als daß ich immer
+die Welt in zwei Stücken schnitt, um ihr eine Hälfte abzugeben. Und
+alle Augenblicke weinte ich wieder, daß ich nichts hatte, als einen
+Tornister und achtzehn Gulden, mit ihr zu teilen.
+
+»Die ganze Nacht stand die hübsche Begyne wie ein Engel vor meinem
+Bette, zog den Vorhang weg und gab mir was ein. -- Und ich wachte erst
+aus meinen Träumen dadurch auf, daß sie kam, wie sie versprochen hatte
+und mir wirklich eingab. Es ist gewißlich wahr, sie kam fast gar nicht
+von mir weg, und ich war so daran gewöhnt, von ihren Händen mein Leben
+zu nehmen, daß mir ganz bange ums Herz wurde und bleich im Gesicht,
+wenn sie nur aus der Türe ging. Und dabei doch,« fuhr der Korporal fort
+und machte eine der sonderbarsten Anmerkungen darüber,
+
+»war's keine Liebe.
+
+ Es war an einem Sonntagnachmittag.
+ Der alte Mann und seine Frau waren ausgegangen.
+ Es war im ganzen Hause alles mausestill.
+ Auf dem Hofe krähte weder Huhn noch Hahn,
+ Als die hübsche Begyne kam und mich besuchte.
+
+»Meine Wunde war nun auf gutem Wege der Besserung. Die Geschwulst hatte
+sich schon seit einiger Zeit gelegt, aber es folgte darauf sowohl über
+als unter dem Knie ein so unerträgliches Jucken, daß ich die ganze
+Nacht hatte kein Auge davor zutun können.
+
+»Laß Er mich sehen, sagte sie, und kniete gerade vor meinem Knie auf
+die Erde nieder und begriff die Stelle unten daran.
+
+»Es muß nur ein bißchen gerieben werden, sagte die Begyne. Damit legte
+sie das Bettlaken darüber und fing
+
+ [Illustration]
+
+an, mit ihrem vordersten Finger hin und her zu reiben unter dem Flanell
+herum, das über dem Verband gebunden war.
+
+»In fünf oder sechs Minuten fühlte ich schon ein bißchen von der Spitze
+ihres Fingers -- und bald darauf streckte sie ihn auch aus und rieb mit
+zwei Fingern eine lange Weile so rund herum; da fiel mir's ein, daß
+ich verliebt werden würde. Ich wurde ganz rot im Gesicht, als ich sah
+was sie für eine weiße Hand hatte. Ja, Euer Gnaden, ich werde eine so
+schneeweiße Hand nicht wieder zu sehen kriegen, solange ich lebe.«
+
+»An der Stelle nicht,« sagte mein Onkel Toby.
+
+Es war zwar für den Korporal die ernsthafteste Verzweiflung von der
+Welt, er konnte aber doch nicht unterlassen zu schmunzeln.
+
+»Als die junge Begyne sah,« fuhr der Korporal fort, »daß es gewaltig
+half, nachdem sie ein Weilchen mit zwei Fingern gerieben hatte, fing
+sie endlich an, mit dreien zu reiben, bis sie endlich nach und nach
+auch den vierten dazunahm und nun mit der ganzen Hand rieb. Ich will,
+mit Euer Gnaden Wohlnehmen, kein Wort wieder von schneeweißen Händen
+sagen -- aber sie war so weich, so weich, weicher als Atlas.«
+
+»Höre Er, Trim, lobe Er sie, soviel als Er will,« sagte mein Onkel
+Toby, »ich werde seine Erzählung mit desto größerem Vergnügen hören.«
+-- Der Korporal dankte seinem Herrn ohne alle Verstellung. Da er aber
+nichts weiter von der Hand der Begyne zu sagen hatte als ebendasselbe
+noch einmal, so ging er weiter, zu ihrer Wirkung.
+
+»Die schöne Begyne,« sagte der Korporal, »rieb immer, immer weg mit
+ihrer ganzen Hand unter meinem Knie, bis ich besorgte, ihr Eifer würde
+sie müde machen. Ich wollte noch wohl tausendmal mehr tun, sagte
+sie, aus Liebe zum Heilande. Und wie sie das sagte, fuhr sie über
+den Flanell herüber nach der Stelle über dem Knie, worüber ich auch
+geklagt hatte, und rieb sie ebenfalls.
+
+»Nun merkte ich, daß ich anfing verliebt zu werden.
+
+»Als sie das Reiben, Reiben, Reiben so forttrieb, so fühlte ich, mit
+Euer Gnaden Erlaubnis, daß es unter ihrer Hand anfing und sich durch
+alle meine Glieder ausstreckte.
+
+»Je mehr sie rieb und je längere Züge sie tat, je mehr zündete sich
+das Feuer in meinen Adern an, bis endlich meine Verliebtheit auf den
+höchsten Gipfel stieg -- ich ergriff ihre Hand --«
+
+»Und Er drückte sie an seine Lippen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.
+
+Ob es mit des Korporals Verliebtheit genau so ablief, wie mein Onkel
+Toby es beschrieb, das ist keine wesentliche Sache. Genug, daß sie
+alles das Wesentliche aller verliebten Romane in sich enthielt, welche
+von Anbeginn der Welt her geschrieben sind.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Sobald der Korporal seiner Liebesgeschichte, oder vielmehr mein Onkel
+Toby an seiner Statt, ein Ende gemacht hatte, -- marschierte Madame
+Wadmann ohne Sang und Klang aus ihrer Laube, steckte ihre Haube wieder
+unterm Kinn zu, passierte das kleine Heckenpförtchen und avancierte
+langsam auf meines Onkels Toby Schilderhaus los. Die Disposition,
+welche Trim in seinem Gemüte gemacht hatte, war ein zu vorteilhafter
+Umstand, ihn nicht zu nützen.
+
+Die Attacke ward beschlossen; sie war dadurch noch mehr begünstigt,
+daß mein Onkel Toby dem Korporal befohlen hatte, den Spaten, die
+Pionierschaufel, die Steckpflöcke und das übrige Kriegsgerät, welches
+auf dem Platze, wo Dünkirchen gestanden, zerstreut herumlag, aus dem
+Felde zu fahren. Der Korporal war abmarschiert -- das Feld war offen.
+
+Nun überlegen Sie, mein Herr, wie unvernünftig es sei, sowohl beim
+Fechten und Schreiben als sonst bei irgend etwas, das man vorhat --
+es sei gereimt oder nicht --, nach einem Plane zu handeln. Denn wenn
+jemals ein Plan, von allen Umständen unabhängig betrachtet, verdiente
+mit goldenen Buchstaben registriert zu werden -- ich meine in den
+utopischen Archiven --, so war es gewiß der Plan von Madame Wadmanns
+planmäßiger Attacke auf meinen Onkel Toby in seinem Schilderhause. --
+Nun aber war der Plan, der eben bei dieser Gelegenheit daran hing,
+der Plan von Dünkirchen -- und die Geschichte von Dünkirchen eine
+niederschlagende Geschichte, welche sich jedem Eindrucke widersetzte,
+den sie machen konnte. Und überdem, hätte sie ihm auch folgen können,
+war das Manöver mit den Fingern und der Hand bei der Attacke im
+Schilderhause durch das Manöver der Begyne in Trims Geschichte so sehr
+weit übertroffen, daß gerade dadurch diese besondere Attacke, so sehr
+sie auch vorher gelang, die allerherzloseste Attacke war, die nur
+gemacht werden konnte.
+
+O, man lasse für so etwas das Frauenzimmer nur sorgen! Madame Wadmann
+hatte kaum das Heckenpförtchen geöffnet, als ihr Genie sich schon ein
+bloßem Spiel aus den veränderten Umständen machte.
+
+Sie entwarf augenblicklich eine neue Attacke.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hunderteinundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Ich bin halb von Sinnen, Herr Kapitän,« sagte Madame Wadmann und hielt
+ihr weiß holländisch-leinen Schnupftuch vor ihr linkes Auge, wie sie
+sich der Türe von meines Onkels Toby Schilderhause näherte. »Eine Mücke
+oder ein Sandkorn oder so etwas, ich weiß nicht was, ist mir da in mein
+Auge gekommen. -- O sehen Sie mir doch einmal hinein -- es ist nicht im
+Weißen.«
+
+Sowie sie das sagte, drängte sie sich zu meinem Onkel Toby hinein auf
+die Ecke von seiner Bank und gab ihm Gelegenheit, es zu tun, ohne daß
+er aufzustehen brauchte. »Ich bitte, sehen Sie doch hinein!« sagte sie.
+
+Gute ehrliche Seele! Du sahest hinein mit ebensoviel Unschuld des
+Herzens, als jemals ein Kind in einen Kasten voll schöner Raritäten
+geguckt hat, und es wäre eine ebenso große Sünde, dir etwas zuleide zu
+tun.
+
+Will ein Mensch aus freien Stücken in dergleichen Dinger hineingucken,
+so habe ich nichts dazu zu sagen.
+
+Das tat mein Onkel Toby niemals; und ich will für ihn Bürge sein, daß
+er vom Julimonat bis zum Januar -- welches, wie Sie wissen, die heißen
+und kalten Monate in sich faßt -- ruhig auf einem Sofa gesessen hätte
+bei einem eben so schönen Auge als das Auge der thrazischen Rhodope,
+ohne daß er imstande gewesen wäre zu sagen, ob es ein blaues oder ein
+schwarzes gewesen.
+
+Die Schwierigkeit war, meinen Onkel Toby dahin zu bringen, daß er nur
+überall in eins sähe.
+
+Die ist überstiegen. Und:
+
+Ich sehe ihn dort mit seiner Pfeife in seiner Hand, die Asche
+herausfallend, wie er guckt und guckt, dann sich die Augen reibt und
+wiederum guckt, mit zweimal soviel Treuherzigkeit, als Galilei nach
+einem Flecken in der Sonne guckte.
+
+Vergebens! Denn bei allen Mächten, welche die Sehwerkzeuge beseelen,
+der Witwe Wadmann linkes Auge scheint diesen Augenblick ebenso helle
+wie ihr rechtes. Es schwimmt darin weder Mücke, weder Sand, weder
+Staub, weder Kaff, weder Fleck, noch Teilchen von undurchsichtiger
+Materie. -- Du findest nichts darin, mein liebster Onkel von
+väterlicher Seite, als ein liebliches loderndes Feuer, welches
+verstohlenerweise aus jedem seiner Punkte in allen Richtungen heraus in
+deines schießt. Guckst du, mein Onkel Toby, nach diesem Stäubchen noch
+einen Augenblick länger -- so bist du verloren.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzweiundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Ein Auge ist darin ganz vollkommen einer Kanone gleich, daß es nicht
+sowohl das Auge oder die Kanone an und für sich selbst tut, als die
+Richtung des Auges und die Richtung der Kanone, wodurch das eine und
+die andere so viele Verwüstung anrichten. Ich halte das Gleichnis nicht
+für schlecht. Indessen, da ich's ebensowohl des Nutzens als der Zierde
+wegen gemacht und an die Spitze des Kapitels gestellt habe, so ist
+alles, was ich dafür zur Vergeltung verlange, dieses, daß Sie solches,
+sooft ich von Madame Wadmanns Augen spreche -- einmal in den nächsten
+Perioden ausgenommen -- im Sinne behalten mögen.
+
+»Ich versichere Sie, Madame,« sagte mein Onkel Toby, »ich kann ganz und
+gar nichts in Ihrem Auge gewahr werden.«
+
+»Es ist nicht im Weißen,« sagte Madame Wadmann. Mein Onkel Toby guckte
+aus allen Kräften und Vermögen in den Stern.
+
+Nun war von allen Augen, die jemals geschaffen sind -- von Ihren
+eigenen, gnädige Frau, bis auf die Augen der Venus zurück, welches
+doch wahrhaftig ein so buhlend Paar Augen waren, wie jemals in einem
+Kopfe gestanden --, kein einziges Auge so geschickt, meinen Onkel
+Toby um seine Ruhe zu bringen, wie gerade dasselbige Auge, in welches
+er da hineinsah. Es war kein rollendes Auge, Madame, kein tobendes
+oder mutwilliges, auch war's kein funkelndes, kein drohendes oder
+befehlendes Auge, das stracks viel fordern und ertrotzen wollte.
+Das hätte auf einmal jene Milch der menschlichen Natur gerinnen
+gemacht, aus der mein Onkel Toby gemolken war. Sondern es war ein
+Auge voll sanften Grußes und lieblicher Antworten. Es sprach nicht
+wie ein Trompetenregister in einer schlechtgebauten Orgel, in welchem
+Tone manches Auge, dem man etwas sagt, eine kreischende Unterredung
+führt, -- sondern es lispelte leise, gleich dem leisen Röcheln einer
+sterbenden Heiligen:
+
+»Wie können Sie ohne alle Pflege leben, Herr Kapitän Shandy, und so
+einsam, ohne einen Busen, an den Sie Ihr Haupt lehnen oder dem Sie Ihre
+Sorgen vertrauen könnten?«
+
+Es war ein Auge --
+
+Aber ich werde mich noch selbst darin verlieben, wenn ich nur noch ein
+Wort weiter davon sage.
+
+Meinem Onkel Toby machte es den Garaus.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertdreiundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Nichts setzt die Charaktere meines Vaters und meines Onkels Toby in
+ein unterhaltenderes Licht als ihre verschiedene Art des Betragens bei
+einerlei Zufalle. -- Denn ich nenne die Liebe keinen Unfall, aus der
+Überzeugung, in der ich bin, daß das Herz eines Menschen beständig
+dadurch besser wird. -- Gütiger Gott! Was müßte aus dem Herzen meines
+Onkels Toby geworden sein, das ohnedem schon lauter Güte war.
+
+Mein Vater, wie aus vielen seiner Papiere erhellt, war dieser
+Leidenschaft sehr unterworfen, ehe er heiratete. Wegen einer etwas
+säuerlichen Art von schnurriger Ungeduld in seinem Wesen aber wollte
+er sich, sooft es ihn überkam, niemals als ein Christ darin finden,
+sondern tobte und schnaubte und stampfte und schlug hinten aus und
+stellte sich ungebärdig und schrieb so bittere Stachelschriften gegen
+das Auge, wie jemals ein Mann geschrieben hat. Eine findet sich noch,
+die er gegen irgendeines oder das andere Auge geschrieben hat, das ihn
+drei Nächte hintereinander am Schlaf gehindert hatte. Er hebt in der
+ersten Aufwallung seines Zorns also an:
+
+ »Ein Satan ist's -- und tut solch Unheil wirken,
+ Als niemals noch geschah von Heiden, Juden, Türken.«[2]
+
+Kurz zu sagen, während des ganzen Anfalls tat mein Vater nichts als
+schimpfen und schmähen. Es ging sogar bis zum vermaledeien. Nur tat er
+das nicht so methodisch wie Ernulphus. Da war er zu hitzig zu. Denn
+obgleich mein Vater mit der unbiegsamsten Gemütsart von der Welt dieses
+und jenes und alles unter der Sonne zu vermaledeien pflegte, was seine
+Liebe entzündete oder begünstigte, so schloß er doch niemals sein
+Vermaledeiungskapitel dagegen, ohne sich im Kauf mit zu verwünschen:
+als einen der größten Gimpel und Faselhänse, wie er zu sagen pflegte,
+die nur jemals in Gottes weiter Welt herumgelaufen wären.
+
+Mein Onkel Toby dagegen fand sich darin, wie ein Lamm -- saß still
+und ließ das Gift in seinen Adern wirken, ohne Widerstand zu tun. --
+In der schärfsten Eiterung seiner Wunde (wie bei der Wunde an seinem
+Latzbein) ließ er sich niemals ein störrisches oder mißvergnügtes
+Wort entfallen. Er tadelte weder Himmel noch Erde, dachte oder sagte
+niemals Schmähungen gegen jemanden oder jemandes Glied. Er saß einsam
+und ernst mit seiner Pfeife, sah auf sein lahmes Bein, hauchte ein
+empfindsames Ach! aus der Brust, das sich mit dem Schmauche vermischte
+und keinem Sterblichen lästig fiel.
+
+Er fand sich darin wie ein Lamm, sage ich.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertvierundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Die Welt schämt sich, tugendhaft zu sein. Mein Onkel Toby wußte wenig
+von der Welt; und deswegen, als er fühlte, daß er in die Witwe Wadmann
+verliebt wäre, fiel es ihm ebensowenig ein, daß die Sache ein Geheimnis
+sein müßte, als wenn Madame Wadmann ihn mit einem Bugmesser in die
+Finger geschnitten hätte. Und hätte er es auch anders verstanden: Da er
+einmal seinen Trim beständig als einen ärmeren Freund betrachtete, und
+von Tag zu Tag neue Ursache fand, ihm als einem solchen zu begegnen, so
+würde das keine Änderung in der Art gemacht haben, womit er ihm von der
+Sache Nachricht gab.
+
+»Ich bin verliebt, ehrlicher Trim!« sagte mein Onkel Toby.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertfünfundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Verliebt!« sagte der Korporal, »Euer Gnaden befanden sich doch
+vorgestern noch ganz wohl, als ich Euer Gnaden die Historie vom Könige
+von Böhmen erzählte.« -- »Böhmen!« sagte mein Onkel Toby und dachte
+lange nach. »Was ist aus der Historie geworden, Trim?«
+
+»Wir müssen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ungefähr davon abgekommen
+sein. Aber Euer Gnaden waren ebensoweit vom Verliebtsein weg, als ich
+es bin.«
+
+»Es war eben, als Er mit dem Schiebkarren abmarschierte -- mit der
+Witwe Wadmann,« sagte mein Onkel Toby. »Hier hat sie eine Kugel sitzen
+lassen,« setzte mein Onkel Toby hinzu und zeigte auf seine Brust.
+
+»Sie kann mit Euer Gnaden Erlaubnis ebensowenig eine Belagerung
+aushalten, wie sie fliegen kann,« schrie der Korporal.
+
+»Da wir aber Nachbarn sind, Trim, so ist es doch wohl der beste Weg,
+denke ich, ihr es erst in aller Güte anzuzeigen,« sagte mein Onkel
+Toby.
+
+»Wenn ich so frei sein dürfte,« sagte der Korporal, »Euer Gnaden einen
+anderen guten Rat zu geben --«
+
+»Warum spräche ich sonst mit Ihm davon, Trim?« sagte mein Onkel Toby.
+
+»So würde ich damit anfangen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß ich
+wieder eine derbe donnernde Attacke auf sie machte und es ihr hernach
+in aller Güte mitteilte. Denn wenn sie vorher den geringsten Wind davon
+bekommt, daß Euer Gnaden verliebt sind --« »Ach, lieber Himmel! Sie
+weiß noch ebensowenig davon, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wie ein
+Kind, das noch geboren werden soll.«
+
+Die guten Seelen!
+
+Madame Wadmann hatte es schon, mit allen Umständen, ihrer Brigitte
+vierundzwanzig Stunden vorher erzählt und saß in ebendem Augenblicke
+und hielt Kriegsrat mit ihr über einige kleine Zweifel, wie die Sache
+ablaufen möchte, die ihr der Meister Hämmerling, der bei solchen
+Vorfällen niemals zu schlafen pflegt, in den Kopf gesetzt hatte, ehe er
+ihr erlauben wollte, daß sie ihr +Te deum+ mit Ruhe halb aussänge
+--
+
+»Mir ist erschrecklich bange,« sagte Madame Wadmann, »im Fall ich ihn
+heiraten sollte, Brigitte, daß der gute Kapitän mit seiner ungeheuren
+Wunde in der Hüfte niemals recht gesund sein möchte.« -- »Sie mag wohl
+nicht so schlimm sein,« versetzte Brigitte, »als Sie denken, und ich
+glaube auch überdem,« fügte sie hinzu, »daß sie zugeheilt ist.« --
+
+»Das möchte ich doch wohl wissen, bloß seinetwegen,« sagte Madame
+Wadmann.
+
+»Wir wollen erfahren, wie lang und breit sie ist,« antwortete Jungfer
+Brigitte, »ehe noch zehn Tage vorbei sind. Denn derweile der Herr
+Kapitän Ihnen seine Aufwartung macht, wird sein Korporal Trim, das
+weiß ich, seine Liebe bei mir anbringen wollen. Und ich will ihn ruhig
+machen lassen, was er will,« setzte Brigitte hinzu, »um alles von ihm
+herauszukriegen.«
+
+Die Maßregeln wurden den Augenblick genommen. Und mein Onkel Toby und
+der Korporal gingen weiter mit den ihrigen.
+
+»Nun,« sagte der Korporal, wobei er seine linke Hand in die Seite
+stemmte und mit der rechten einen solchen Schwung durch die Luft tat,
+der einen glücklichen Ausgang -- und mehr nichts -- versprach. »Wenn
+Euer Gnaden mir die Erlaubnis geben wollen, den Plan zu dieser Attacke
+zu machen.« --
+
+»Er wird mir damit einen großen Gefallen erweisen, Trim,« sagte mein
+Onkel Toby. »Und da ich schon vorher sehe, daß er ihn als mein Adjutant
+wird mit helfen ausführen müssen, so hat er hier ein paar Gulden, daß
+er sein Patent in ein Glas Wein tauchen kann.«
+
+»Nun, so wollen wir denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der
+Korporal -- und machte dabei einen Bückling für sein Avancement --
+»damit anfangen, daß wir Euer Gnaden besetzte Kleider aus dem großen
+Feldkasten hervorholen und brav auslüften lassen, und wollen die
+Aufschläge mit Gold auf die Ärmel heften. Und ich will die weiße
+Knotenperücke frisch aufwickeln und zum Schneider gehen, daß er Euer
+Gnaden scharlachene Hosen kehrt.«
+
+»Ich tue wohl besser, Trim, daß ich die rotplüschenen anziehe,« sagte
+mein Onkel Toby. »Die werden zu schlecht sitzen,« sagte der Korporal.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsechsundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+»Putz' Er meinen Degen mit einer Bürste und ein wenig Kreide.« -- »Es
+soll geschehen, wie Euer Gnaden befehlen,« versetzte Trim.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsiebenundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Unterdessen mein Vater seine schriftliche Instruktion abfaßte, waren
+mein Onkel Toby und der Korporal beschäftigt, alles auf die Attacke
+vorzubereiten. Da der Gedanke, die feinen scharlachenen Beinkleider
+kehren zu lassen, aufgegeben war -- fürs erste zum wenigsten --, blieb
+nichts mehr im Wege, warum sie weiter hinausgesetzt werden müßte, als
+auf den nächsten Morgen. Also ward sie auf elf Uhr festgesetzt.
+
+»Komm, mein Kind,« sagte mein Vater zu meiner Mutter. »Es wird für
+einen Bruder und eine Schwester ganz wohlgetan sein, wenn wir beide ein
+wenig nach meines Bruders Hause hinübergehen und ihm bei seiner Attacke
+ein wenig mit Rat und Tat beistehen.«
+
+Mein Onkel Toby und der Korporal Trim waren schon seit einiger Zeit in
+vollem Putze, und als mein Vater und meine Mutter hereintraten, standen
+sie, da es eben elf Uhr schlug, schon auf dem Sprunge, den Marsch mit
+dem linken Fuße anzutreten. Die Beschreibung hiervon aber ist mehr
+wert, als in das Ende eines Kapitels, wie dieses, hineingewebt zu
+werden.
+
+Mein Vater hatte nur gerade soviel Zeit, seine Instruktion meinem Onkel
+Toby in die Rocktasche zu stecken und ihm, mit meiner Mutter zugleich,
+viel Glück zu seiner Attacke zu wünschen.
+
+»Ich hätte wohl Lust,« sagte meine Mutter, »durchs Schlüsselloch zu
+gucken, aus Neugierde.« -- »Nenne nur das Kind beim rechten Namen, mein
+Schatz,« sagte mein Vater --
+
+»Und gucke durchs Schlüsselloch, solange wie du willst.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertachtundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Obgleich der Korporal sein Wort ehrlich gehalten und meines Onkels Toby
+große Dreiknotenperücke auf Pfeifenstiele gewickelt hatte, so war doch
+die Zeit zu kurz, daß es sonderlich große Wirkung hätte tun können.
+Sie war manches liebe Jahr in einer Ecke seines alten Feldkastens
+zusammengequetscht worden. Und da sich schlimme Falten nicht so leicht
+herausmachen lassen und ihm der Handgriff mit den Enden von Talgkerzen
+nicht so geläufig war, so war es keine so lenksame Arbeit, wie man wohl
+denken möchte. Der Korporal trat wohl ein Schock Male mit funkelnden
+Augen und beiden Armen ausgestreckt in gerader Linie von ihr zurück, um
+ihr, wo möglich, eine bessere Miene einzuflößen. Hätte die Grämlichkeit
+einen Blick darauf geworfen, es würde Ihro grämlichen Gnaden ein
+Schmunzeln abgelockt haben. -- Sie fiel allenthalben in Locken, nur
+nicht da, wo es der Korporal haben wollte und wo eine oder ein paar
+Wellen ihr nach seiner Meinung würden Ehre gemacht haben. Da hätte er
+ebensoleicht einen Toten erwecken können.
+
+So sah sie aus -- oder vielmehr, so würde sie auf jedem anderen
+Gesichte ausgesehen haben. Der sanfte Blick der Güte aber, der auf
+dem Gesichte meines Onkels Toby saß, machte jedes Ding in seiner Nähe
+mit so unwiderstehlicher Macht sich selbst ähnlich. Und dabei hatte
+die Natur mit so leserlichen Buchstaben in jeden Zug seiner Miene
+geschrieben: ~ein feiner Mann~, daß ihn selbst sein abgebleichter
+goldener Tressenhut und die große Hutschleife von schlaffem Taffetband
+gut kleidete. Obgleich an sich selbst kein Scherflein wert, wurden
+sie doch den Augenblick, da mein Onkel Toby sie aufsetzte, Dinge von
+Bedeutung und schienen ausdrücklich von der Hand der Wissenschaft
+ausgesucht zu sein, ihm ein Ansehen zu geben.
+
+Nichts in dieser Welt hätte so kräftig zu diesem Endzwecke beitragen
+können, wie meines Onkels Toby blaues Kleid mit Gold, wäre nicht
+gewissermaßen Fülle mit zur Grazie erforderlich gewesen. In einem
+Zeitraume von fünfzehn oder sechzehn Jahren, seitdem es gemacht worden,
+war das blaue Kleid mit Gold meinem Onkel Toby durch ein völlig
+untätiges Leben -- denn er kam selten weiter als nach seinem grünen
+Spielplatze -- so kläglich eng geworden, daß es den Korporal große Mühe
+und Künste kostete, ehe er ihn hineinbringen konnte. Das Aufheften der
+Aufschläge hatte nicht viel geholfen. Es war indessen vorne und hinten
+und auf den Taschen und Schößen usw. mit Tressen besetzt, nach der Mode
+unter des Königs Wilhelm Regierung. Um die Beschreibung abzukürzen,
+schienen sie diesen Morgen in der Sonne so glänzend und machten ein so
+metallisches und tapferes Ansehen, daß mein Onkel Toby, wenn er auf
+eine kriegerische Attacke mit Schild und Speer ausgegangen wäre, nichts
+Besseres nach seinem Sinne hätte ausfinden können.
+
+Was die feinen scharlachenen Beinkleider anbetrifft: die waren von dem
+Schneider in der inwendigen Naht aufgetrennt, und weiter hatte er sich
+nicht darum bekümmert.
+
+Ja, Madame! -- Aber laß uns unserer Einbildung nicht die Zügel
+schießen. Genug, sie wurden den Abend vorher für unbrauchbar erklärt,
+und da in meines Onkels Toby Garderobe keine Wahl war, so blieb es bei
+seinen rotplüschenen.
+
+Der Korporal hatte sich mit der Regimentsuniform herausstaffiert. Das
+Haar unter seiner Reitmütze zusammengeknotet, die er des Endes neu
+aufgebürstet hatte, marschierte er in einer Distanz von drei Schritten
+hinter seinem Herrn. Ein Hauch von militärischem Stolze hatte seine
+Vorärmel über den Händen hervorgezupft. Auf eine derselben hatte der
+Korporal an einem ledernen Bande, das unter dem Knoten in eine Quaste
+geschnitzelt war, seinen Stock hängen.
+
+Mein Onkel Toby trug seinen Stock wie einen Speer.
+
+Es sieht doch wenigstens nicht übel aus, sagte mein Vater bei sich
+selbst.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertneunundzwanzigstes Kapitel.
+
+
+Mein Onkel Toby wendete sich mit dem Gesichte mehr als einmal herum, um
+zu sehen, wie ihn das Hintertreffen, der Korporal, unterstützte. Und
+sooft er das tat, machte der Korporal mit seinem Stock einen Schwung in
+die Luft -- doch nicht prahlerischerweise. Mit dem leisesten Tone des
+ehrerbietigsten Zuredens hieß das soviel wie: »Nichts gefürchtet!«
+
+Mein Onkel Toby aber fürchtete, und zwar gar herzlich. Er hatte
+noch nicht einmal -- wie ihm mein Vater vorgeworfen hatte -- das
+rechte Ende eines Frauenzimmers vom unrechten unterscheiden gelernt.
+Deswegen war er niemals an seiner rechten Stelle, wenn er nahe bei
+einem sein mußte. Ausgenommen, wenn es in Kummer und Betrübnis war.
+Alsdann war sein Mitleiden unendlich; auch hätte der liebreichste
+Ritter aus dem vorigen Jahrhunderte nicht weiter reisen können -- auf
+einem Beine wenigstens nicht --, um eine Träne von einem weiblichen
+Auge zu wischen. Und dennoch, das eine Mal nicht gerechnet, da ihn
+Madame Wadmann dazu überlistete, hatte er niemals steif in eines
+hineingesehen, und pflegte oft in der Einfalt seines Herzens zu meinem
+Vater zu sagen, das wäre fast ebenso arg -- wo nicht ebenso laut -- wie
+unzüchtig reden.
+
+»Und nun, wenn's das wäre?« pflegte mein Vater zu antworten.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertdreißigstes Kapitel.
+
+
+»Sie kann's doch nicht,« sagte mein Onkel Toby und machte Halt, als sie
+bis auf zehn Schritte von Madame Wadmanns Haustüre aufmarschiert waren
+-- »sie kann's doch nicht übelnehmen, Korporal?«
+
+»Sie wird's nehmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal,
+»eben wie es die Witwe zu Lisbon von meinem Bruder Thomas nahm.«
+
+»Und wie war das?« sagte mein Onkel Toby und machte fast völlig Front
+herum gegen den Korporal.
+
+»Euer Gnaden,« versetzte der Korporal, »wissen meines Bruders Tom
+Unglück. Aber diese Sache hat nichts weiter damit zu tun als nur:
+hätte Tom die jüdische Witwe nicht gefreiet, oder wäre es des lieben
+Herrgotts Wille gewesen, daß sie Schweinefleisch in ihre Würstchen
+getan hätten, so hätten sie die ehrliche Haut meines Bruders nicht
+aus seinem warmen Bette geholt und zur Inquisition geschleppt. -- --
+Es ist ein verdammtes Loch,« fügte der Korporal hinzu und schüttelte
+den Kopf. »Wenn einmal erst ein armer Kerl, mit Euer Gnaden Erlaubnis,
+darin ist, so ist kein Herauskommen wieder.«
+
+»Sehr wahr!« versetzte mein Onkel Toby und sah nach Madame Wadmanns
+Hause, als er das sagte.
+
+»Nichts,« fuhr der Korporal fort, »kann wohl so elend sein wie eine
+ewige Gefangenschaft, und nichts süßer, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, als
+die Freiheit.«
+
+»Nichts, Trim,« sagte mein Onkel Toby, in tiefen Gedanken --
+
+»Solange ein Mensch frei ist,« rief der Korporal und Schwang dabei
+seinen Stock, wie hier
+
+[Illustration]
+
+Ein ganzes Tausend von meines Vaters subtilsten Syllogismen hätte
+nichts Stärkeres für den Ehelosenstand sagen können.
+
+Mein Onkel Toby sah ernsthaft nach seinem Landhäuschen und dem grünen
+Spielplatze zurück.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hunderteinunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Als mein Onkel Toby und der Korporal bis ans Ende der Allee marschiert
+waren, fiel es ihnen ein, daß ihr Geschäft eines anderen Weges läge.
+Sie machten also linksum und marschierten geradeswegs auf Madame
+Wadmanns Türe zu.
+
+»Es soll gut gehen, Euer Gnaden,« sagte der Korporal und legte dabei
+seine Hand an seine Reitmütze, als er an ihm vorbeiging, um an die
+Türe zu klopfen. Mein Onkel Toby, gegen seine sonst unveränderliche
+Gewohnheit, seinem treuen Diener zu begegnen, antwortete ihm weder
+Gutes noch Böses. Das lag daran, daß er seine Ideen noch nicht völlig
+in Ordnung gebracht hatte. Er wünschte noch erst einmal in Konferenz zu
+treten. Und als der Korporal die drei Stufen vor der Türe hinaufging,
+stieß er zweimal hm! aus. Ein Teil von meines Onkels Toby sehr
+bescheidener Herzhaftigkeit flog mit jedem Hm! zu dem Korporal hin. Der
+stand eine ganze Minute lang mit dem aufgehobenen Türklopfer in der
+Hand und wußte kaum, warum. -- Brigitte stand inwendig auf Vorposten
+mit ihrem Finger und Daumen an der Klinke, erstarrt vor Erwartung der
+Dinge. Madame Wadmann, mit einem Auge voller Bereitwilligkeit, die
+Blume noch einmal zu opfern, saß atemlos hinter dem Vorhange vor dem
+Fenster in ihrer Schlafkammer und bemerkte die Annäherung.
+
+»Trim!« sagte mein Onkel Toby -- --. Aber als er die Worte aussprach,
+war die Minute verstrichen, und Trim ließ den Klopfer fallen.
+
+Mein Onkel Toby, als er gewahr wurde, daß solches alle seine Hoffnung
+zu einer Konferenz den Kopf eingeschlagen hätte, -- pfiff den
+Lillabullero.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzweiunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Da Jungfer Brigitte schon mit Finger und Daumen die Klinke gefaßt
+hielt, so klopfte der Korporal nicht so oft, wie vielleicht Euer Gnaden
+Schneider tun muß. Ich hätte mein Beispiel schon ein wenig mehr in
+die Nähe nehmen können, denn ich bin dem meinigen wenigstens über die
+hundert Taler schuldig und wundere mich über des Mannes Geduld.
+
+Aber das geht keinem Menschen etwas an; nur soviel, es ist eine
+verdammte Sache, in Schulden zu stecken, und es scheint ein für allemal
+ein feindliches Schicksal über die Schatzkammern gewisser guter
+Prinzen zu walten, besonders über die von unserem Hause, das keine
+Kameralwissenschaft in Fesseln zu legen vermag. Ich meinesteils bin
+überzeugt, es ist kein anderer Prinz, Prälat, Papst, Potentat, groß
+oder klein in der Welt, der in seinem Herzen mehr und eifriger wünscht
+als ich, mit der ganzen Welt Saldo zu sein, oder dazu dienlichere
+Mittel brauchte. Ich gebe niemals über einen Dukaten, gehe nicht in
+Stulpenstiefeln, kaufe keine Zahnstocher, lege das ganze Jahr nicht
+ein Viergroschenstück für Bänder und Spitzen an. Die sechs Monate, die
+ich auf dem Lande zubringe, lebe ich so kärglich, daß ich mit aller
+Gutherzigkeit von der Welt Rousseau meilenweit zurücklasse, denn ich
+halte mir weder Kerl noch Jungen, noch Pferd noch Kuh, noch Hund noch
+Katze, noch irgendein lebendiges Ding, das ißt oder trinkt, ausgenommen
+ein armes dünnes Stück von einer Vestale, mein Feuer zu unterhalten,
+die gewöhnlich eben so schlechten Appetit hat wie ich selbst. -- Wenn
+Sie aber denken, das mache mich zum Philosophen, so möchte ich, meine
+guten Leutchen, keinen Strohhalm für ihr Urteil geben!
+
+Wahre Philosophie --. Aber der Gedanke läßt sich unmöglich abhandeln,
+derweil mein Onkel Toby den Lillabullero pfeift.
+
+»Laßt uns ins Haus gehen.«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertdreiunddreißigstes Kapitel.
+
+
+
+
+ Hundertvierunddreißigstes Kapitel.
+
+
+
+
+ Hundertfünfunddreißigstes Kapitel.
+
+
+»Sie sollen die eigentliche Stelle sehen, Madame,« sagte mein Onkel
+Toby.
+
+Dieses erheischt abermals eine Erklärung. Es zeigt, wie wenig man aus
+bloßen Worten lernen kann. Wir müssen zu der ersten Quelle zurückgehen.
+
+Um nun den Nebel aufzuhellen, welcher über diesen drei Seiten liegt,
+muß ich mich bestreben, selbst so hell und deutlich zu sehen wie
+möglich.
+
+Reiben Sie Ihre Hände dreimal über Ihre Stirnen, -- schneuzen Sie sich,
+-- reinigen Sie die Schleimdrüsen, -- niesen Sie, meine lieben Freunde!
+-- So! Gott helf!
+
+Nun kommen Sie mir aus aller Macht zu Hilfe.
+
+Wir leben in unserer Welt, an allen Seiten mit Geheimnissen und Rätseln
+umgeben. Also tut's nichts, sonst schiene es wunderbar, daß die Natur,
+welche alle Dinge so zweckmäßig macht und selten oder niemals irrt (es
+sei denn aus Spielerei), indem sie allem, was durch ihre Hand geht, sie
+bestimme es für den Pflug, für die Karawane oder für den Karren -- oder
+was für ein Geschöpf sie modelliert, wär's auch nur ein Eselsfüllen
+--, solche Bildung und Fähigkeiten gibt und mitteilt, daß Sie sicher
+sind, das Ding zu bekommen, was Sie verlangen; -- daß die Natur, sage
+ich, doch zu gleicher Zeit beständig so fortpfuscht, wenn sie ein so
+einfältiges Ding macht wie einen Ehemann.
+
+Liegt das an der Wahl des Erdkloßes oder daß solcher häufig durchs
+Kneten verdorben wird. Durch zu häufiges Kneten, wissen Sie, kann der
+Leim und ein Ehemann einerseits zu krustig werden, anderseits durch
+Mangel an Wärme nicht krustig genug. Oder ist diese große Künstlerin
+nicht aufmerksam genug auf die kleinen platonischen Bedürfnisse
+desjenigen Teils des menschlichen Geschlechts, zu dessen Gebrauch sie
+diesen macht? -- Oder weiß die gnädige Frau zuweilen selbst nicht
+recht, was für eine Art Ehemann es sein soll? -- Kurz, das alles weiß
+ich nicht. Nach dem Abendessen wollen wir davon sprechen.
+
+Es ist genug, daß weder die Bemerkung selbst noch die daraus gemachte
+Folgerung im geringsten für die Sache sind, sondern vielmehr dagegen.
+Weil in Ansehung der Fähigkeiten meines Onkels Toby zum heiligen
+Ehestande nichts in der Welt besser sein konnte. Die Natur hatte ihn
+aus dem besten und gutartigsten Leim gebildet, hatte solchen mit ihrer
+eigenen Milch eingeweicht und den sanftesten Geist hineingeblasen. Sie
+machte ihn durch und durch tapfer, großmütig und menschlich. Sie hatte
+sein Herz mit Treue und gutem Glauben angefüllt, und hatte jede Leitung
+zu demselben zur Mitteilung der zärtlichsten Dienste eingerichtet. Sie
+hatte noch bei dem allen die anderen Ursachen mit in Betracht gezogen,
+weswegen der Ehestand eingesetzt wurde.
+
+Und hatte also -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
+ * * * * *
+
+Der Segen war auch durch meines Onkels Toby Wunde nicht von ihm
+genommen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsechsunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Jungfer Brigitte hatte den ganzen Vorrat von Ehre, den eine arme
+Zofe aufbringen konnte, darauf verpfändet, daß sie, noch ehe zehn
+Tage vergingen, die Sache von Grund aus wissen wollte. Und sie hatte
+einen der unbestrittensten Vorsätze gefaßt; derweil mein Onkel Toby
+seine Liebe bei ihrer Herrschaft antrüge, würde der Korporal nichts
+Besseres zu tun finden, als ihr die seinige anzutragen. »Und ich will
+ihm soviel Willen lassen, wie er will,« sagte Brigitte, »um es aus ihm
+herauszubringen.«
+
+Madame Wadmann aber war entschlossen, ihre Karten selbst zu spielen.
+Es bedurfte bei ihr keines Zuredens. Ein Kind hätte ihm in die Karten
+gucken können. Er spielte mit solcher Offenherzigkeit und Ehrlichkeit
+alle seine Trümpfe aus der Hand und hatte sowenig Arg daraus, wie man
+sich mit Aß und Dame hinter die Hand bringen müßte, -- und so nackt und
+wehrlos saß er da mit Madame Wadmann auf einem Sofa beisammen, daß ein
+großmütiges Herz geweint haben würde, ihm das Spiel abzugewinnen.
+
+Laß uns die Metapher beiseitesetzen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsiebenunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Und die Geschichte dazu, wenn's Ihnen beliebt! Denn obgleich ich
+beständig mit solchem herzlichen Verlangen auf diese Stelle zugeeilt
+bin, wohl wissend, daß es von allem, was ich der Welt vorzusetzen
+habe, der beste Leckerbissen ist, so will ich doch jetzt, da ich dabei
+angelangt bin, gerne einem jeden meine Feder übergeben, die Historie
+an meiner Statt fortzusetzen. Ich sehe die Schwierigkeit dieser
+Beschreibungen ein, die ich vorhabe, und fühle meinen Mangel an
+Kräften.
+
+Ich habe wenigstens den einen Trost, daß ich diese Woche an die acht
+Unzen Blut in einem sehr tückischen Fieber verloren habe, das mich
+überfiel, als ich dieses Kapitel anfing. Daß ich also noch einige
+Hoffnung habe, es könne eher an den seriösen und kugelförmigen Teilen
+des Blutes liegen, als an der subtilen Aura des Gehirns. -- Es sei,
+wie ihm wolle. Eine Anrufung kann nicht schaden! Und ich überlasse es
+völlig dem Angerufenen, mir's einzublasen oder einzuspritzen, wie er's
+für nützlich findet.
+
+
+ ~Die Anrufung~.
+
+Gütiger Spiritus der angenehmen Laune, der du vormals auf der leichten
+Feder meines geliebten Cervantes saßest. Du, der du täglich durch seine
+Fensterscheiben schlüpftest und die Dämmerung seines Gefängnisses durch
+deine Gegenwart in hellen Mittagsschein verkehrtest, seinen kleinen
+Wasserkrug mit himmlischem Nektar vermischtest und die ganze Zeit, da
+er von Sancho und seinem Herrn schrieb, deinen mystischen Mantel über
+seinen welken Stummel warfst[3] und ihn weit über alle Übel seines
+Lebens breitetest.
+
+Kehre bei mir ein, ich bitte dich! Siehe diese Beinkleider! Mehr habe
+ich nicht in dieser Welt. Diesen häßlichen Riß bekamen sie zu Lyon. --
+
+Meine Hemden! Siehe, was für ein schreckliches Schisma sich unter ihnen
+hervorgetan hat. Denn die vorderen Zipfel sind in der Lombardei und das
+übrige davon hier. Nie hatte ich mehr als sechs, und eine listige Hexe
+von Wäscherin zu Mailand schnitt mir von fünf die Zipfel ab. Doch um
+ihr nicht Unrecht zu tun, sie tat es mit Bescheidenheit.
+
+Und dennoch, trotz alledem und einem Pistolenfeuerzeug, das mir noch
+dazu in Sienna weggemaust ward, und daß ich zweimal fünf Paoli für zwei
+harte Eier bezahlen mußte, einmal zu Radioffini und das andere Mal zu
+Capua, -- halte ich eine Reise durch Frankreich und Italien -- nur muß
+ein Mensch auf dem ganzen Wege nicht ärgerlich werden -- für keine so
+schlimme Reise, wie einige Leute Ihnen gern weismachen möchten. Es muß
+zuweilen auf und nieder gehen. Wie Henker wollten wir sonst zu den
+Tälern gelangen, in denen die Natur so manche Tafel des Vergnügens für
+uns gedeckt hat. Unklug ist's, sich einzubilden, sie werden uns ihr
+Fuhrwerk leihen, daß wir es umsonst in Stücken zerbrechen können. Und
+wenn Sie nicht zwölf Sous bezahlen, ihre Räder zu schmieren, woher
+sollte der arme Bauer Butter zu seinem Brote nehmen? -- Wirklich,
+wir erwarten zuviel -- und für das Paar Lire, das man Ihnen für Ihr
+Abendessen und Bette zuviel abnimmt, was machen denn am Ende die aus?
+Wer wollte darüber seine Philosophie verwirren? Um's Himmels und um
+Ihrer selbst willen, zahlen Sie -- zahlen Sie mit zwei offenen Händen!
+Lieber, als bei Ihrem Abfahren eine vereitelte Hoffnung auf dem Auge
+der hübschen Wirtin und ihrer schönen Tochter sitzen zu lassen. Und
+noch dazu, mein lieber Herr, nehmen Sie einen schwesterlichen Kuß von
+beiden. Jeder ist seinen Louisdor wert. Ich wenigstens tat es! --
+
+Denn da mir den ganzen Weg über meines Onkels Toby Liebesgeschichte im
+Kopfe herumlief, tat solche die nämliche Wirkung auf mich, als wäre
+es meine eigene gewesen. -- Ich befand mich in dem vollkommensten
+Zustande der Güte und des Wohlwollens und fühle bei jeder Erschütterung
+des Wagens die Schwingungen der sanftesten Harmonie, dergestalt, daß
+mir's keinen Unterschied machte, ob die Wege höckerig waren oder eben.
+Alles, was ich sah oder womit ich zu tun hatte, fiel auf eine geheime
+Springfeder des Empfindens oder Entzückens.
+
+Es waren die lieblichsten Töne, die je mein Ohr berührt hatten; und
+den Augenblick ließ ich das Vorderglas nieder, um sie deutlicher zu
+hören. -- »Es ist Maria,« sagte der Postillon, der es bemerkte, daß
+ich horchte. -- »Die arme Maria,« fuhr er fort und bog sich dabei nach
+einer Seite, um mich sie sehen zu lassen, denn er saß in gerader Linie
+zwischen uns, »sitzt auf dem Rasen und spielt auf ihrer Flöte ihren
+Vespergesang, mit ihrer kleinen Ziege neben ihr.«
+
+Der junge Kerl brachte dies mit einem Tone und Blicke hervor,
+die so völlig rein zu einem gefühlvollen Herzen gestimmt waren,
+daß ich augenblicklich ein Gelübde tat, ich wollte ihm ein
+Vierundzwanzigsousstück geben, wenn ich nach Moulins käme.
+
+»Und wer ist die arme Maria?« sagte ich.
+
+»Die Liebe und das allgemeine Bedauern aller Dorfschaften um uns
+herum,« sagte der Postillon. »Es ist erst drei Jahre her, daß die Sonne
+auf kein schöneres, witzigeres und liebenswürdigeres Mädchen schien.
+Und Maria verdiente ein besseres Schicksal, als daß ihr ein Eheverbot
+angelegt würde, und das durch die Kunstgriffe des Pfarrers, der sie
+aufbieten sollte.«
+
+Er wollte weiterreden, als Maria, die eine kurze Pause gemacht hatte,
+die Flöte in den Mund nahm und den Gesang von neuem begann. Es waren
+dieselben Noten, aber sie waren zehnmal lieblicher. »Es ist das
+Abendlied an die heilige Jungfrau,« sagte der junge Mann. »Aber wer
+es sie spielen gelehrt oder wie sie zu ihrer Flöte gekommen, das weiß
+kein Mensch. Wir denken, der Himmel hat ihr zu beiden verholfen. Denn
+solange es in ihrem Kopfe nicht richtig ist, scheint das ihr einziges
+Labsal zu sein. -- Sie hat die Flöte noch niemals aus der Hand gelegt,
+sondern darauf ihr Abendlied beständig fast Nacht und Tag gespielt.«
+
+Der Postillon erzählte dieses mit so vieler Bescheidenheit und solcher
+natürlichen Beredsamkeit, daß ich mich nicht enthalten konnte, etwas in
+seinem Gesicht zu entziffern, das über seinen Stand wäre. Und ich würde
+sein Gesicht ausgeforscht haben, hätte nicht Marias Gesicht so völligen
+Besitz von mir genommen.
+
+Wir waren um diese Zeit fast bis an den Rasen gekommen, auf welchem
+Maria saß. Sie trug ein weißes feines Mieder, und ihre Haare, bis auf
+zwei Locken, waren in ein seidenes Netz aufgebunden, in das an der
+einen Seite ein wenig phantastisch ein paar Olivenblätter geflochten
+waren. Sie war schön; und wenn ich jemals die ganze Stärke eines
+redlichen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick, da
+ich sie sah.
+
+»Gott steh' ihr bei! Armes Mädchen! Sie haben mehr als hundert Messen
+in den verschiedenen Dorf- und Klosterkirchen um uns herum für sie
+lesen lassen. Aber es hat nichts geholfen. Wir haben doch noch
+Hoffnung, denn sie ist zuweilen auf kurze Zeit ganz verständig, daß sie
+die heilige Mutter Gottes wieder zurechtbringen wird. Ihre Eltern aber,
+die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und meinen,
+daß sie ihre Sinne auf immer verloren hat.«
+
+Als der Postillon das sagte, machte Maria eine so melancholische
+Kadenz, so zärtlich und wehklagend, daß ich aus dem Wagen sprang, ihr
+zu helfen, und fand mich zwischen ihr und ihrer Ziege sitzend, ehe ich
+aus meinem Enthusiasmus wieder zu mir selbst kam.
+
+Maria sah einige Zeit ganz starr auf mich und dann auf ihre Ziege --
+und dann wieder auf mich -- und dann wieder auf ihre Ziege, und so
+fort, eins um das andere.
+
+»Nun, Maria,« sagte ich sanft, »was für eine Ähnlichkeit findet Sie?«
+
+Ich bitte den redlichen Leser, mir zu glauben, daß die Frage aus der
+demütigsten Überzeugung geschah, daß der Mensch ein Tier sei. In der
+ehrwürdigen Gegenwart des Elends hätte ich mir keinen unzeitigen Scherz
+entfallen lassen mögen, hätte ich dadurch einen Anspruch auf den besten
+Witz erlangen können, den Rabelais jemals ausgelassen hat. Und dennoch,
+ich bekenne es, tat mir's im Herzen wehe. Ich wurde über den bloßen
+Gedanken daran so unruhig, daß ich schwur, ich wollte mich mein ganzes
+Leben auf Weisheit legen und nichts als ernsthafte Sittensprüche sagen
+-- und niemals, niemals wieder versuchen, mit Mann, Weib oder Kind
+Schnurren zu treiben, solange ich lebte.
+
+Was das betrifft, Wischiwaschi für Sie zu schreiben, -- ich glaube, das
+war ein Vorbehalt --; aber das überlasse ich der Welt.
+
+Lebe wohl, Maria! Lebe wohl, armes unglückliches Mädchen!
+
+Zu einer anderen Zeit, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deine
+Leiden von deinen eigenen Lippen. -- Aber ich irrte mich. Denn ebenden
+Augenblick nahm sie ihre Flöte und erzählte mir damit eine solche
+Geschichte des Jammers, daß ich aufstand und mit schwankendem Schritt
+langsam nach meinem Wagen ging.
+
+Was für ein vortreffliches Wirtshaus zu Moulins!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertachtunddreißigstes Kapitel.
+
+
+Wenn wir bis ans Ende dieses Kapitels gekommen sind, aber nicht eher,
+müssen wir alle wieder zu den beiden in Blanko gelassenen Kapiteln
+zurückkehren. Ihretwegen liegt meine Ehre schon eine halbe Stunde
+und blutet. Ich stille es dadurch, daß ich einen von meinen gelben
+Pantoffeln abziehe und ihn aus allen meinen Kräften an die Wand
+gegenüber werfe, mit der Erklärung dahinter:
+
+Was für eine Ähnlichkeit auch unter der Hälfte von allen Kapiteln
+sein mag, die in der Welt geschrieben sind, oder, wenn ich mich nicht
+gröblich irre, eben jetzt geschrieben werden: -- so war es doch ganz
+so zufällig, wie der Schaum an Zeus' Pferden, daß in diesen beiden
+Kapiteln, wie in der Hälfte von »allen«, auch nichts stand. Überdem
+habe ich auch für ein Kapitel, in welchem nichts steht, allemal
+Respekt. Und in Betracht, was für schlimmere Sachen es in der Welt
+gibt, halte ich so etwas für keinen schicklichen Gegenstand der Satire.
+
+Warum wurden sie denn in Blanko gelassen? Und hier, ohne meine Antwort
+zu erwarten, werde ich Dummkopf, Pinsel, Gimpel, Gelbschnabel,
+Firlefanz, Ölgötze, Langohr, Brausebart und mit anderen unverdaulichen
+Namen mehr gescholten werden, wie sie jemals die Kuchenbäcker von
+Lernee den Schäfern des Königs Garagantnas in die Zähne warfen; und
+mögen sie's tun, wie Brigitte sagte, soviel als sie gelüstet; denn wie
+war es möglich, daß sie die Notwendigkeit vorhersehen konnten, in die
+ich gesetzt war, das hundertachtunddreißigste Kapitel meines Buches
+früher zu schreiben als das hundertdreiunddreißigste usw.?
+
+Ich nehme es ihnen also nicht übel. Alles, was ich wünsche, ist, daß es
+der Welt eine Lehre sein möchte: »~Die Leute ihre Historien auf ihre
+eigene Art erzählen zu lassen.~«
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Das 132. Kapitel.
+
+
+Da Jungfer Brigitte die Türe öffnete, ehe der Korporal noch einmal
+recht geklopft hatte, so war zwischen dem und der Einführung meines
+Onkels Toby ins Besuchszimmer die Zeit so kurz, daß Madame Wadmann nur
+ebensoviel Zeit hatte, hinter dem Vorhange wegzuwischen, eine Bibel auf
+den Tisch zu legen und ein paar Schritte gegen die Türe zu gehen, um
+ihn zu empfangen.
+
+Mein Onkel Toby begrüßte Madame Wadmann nach der Weise, wie im Jahre
+unseres Herrn eintausendsiebenhundertunddreizehn das Frauenzimmer von
+Mannspersonen begrüßt ward. Darauf machte er rechtsum, ging in einem
+Gliede mit ihr zum Kanapee und in drei kleinen Worten, doch nicht,
+bevor er sich gesetzt hatte, auch nicht, nachdem er sich gesetzt hatte,
+sondern indem er sich setzte, sagte er ihr, er liebte sie.
+
+Madame Wadmann sah natürlicherweise nieder auf eine Naht, die sie
+in ihrer Schürze aufgetrennt hatte, und erwartete alle Augenblicke,
+daß mein Onkel weitergehen würde. Allein, da er keine Gabe zur
+Amplifikation hatte, und Liebe dazu noch eine Sache war, mit der er
+unter allen am wenigsten meisterlich umzugehen wußte, so ließ er's,
+nachdem er Madame Wadmann einmal gesagt hatte, daß er sie liebte, damit
+gut sein und ließ die Sache durch sich selbst wirken.
+
+Mein Vater hatte beständig seine herzliche Freude über dies System
+meines Onkels Toby, wie er's fälschlich nannte, und pflegte oft zu
+sagen, hätte sein Bruder zu diesem Prozesse nur noch das Feuer von
+einer Pfeife Tabak setzen können, er hätte damit flugs, wenn nur irgend
+etwas Wahres an einem spanischen Sprichworte wäre, seinen Weg zu den
+Herzen der Hälfte von allen Weibern auf der Erdkugel gefunden.
+
+Mein Onkel Toby verstand niemals, was mein Vater damit sagen wollte.
+Ebensowenig will ich voreilig sein und mehr daraus schließen als die
+Verwerfung eines Irrtums, in welchem der große Haufen in der Welt
+steckt. -- Aber die Franzosen, Mann für Mann, glauben fast eben so
+himmelfest daran wie an die körperliche Gegenwart, daß von Liebe reden
+Liebe sei.
+
+Nach diesem Rezept möchte ich ebensogut eine Blutwurst machen wollen.
+
+Laß uns weitergehen. Madame Wadmann saß in der Erwartung, daß er es
+täte, bis fast auf den ersten Pulsschlag ~der~ Minute, in der das
+Stillschweigen von einer Seite oder der anderen gewöhnlich unanständig
+wird. Dann rückte sie ein wenig näher zu ihm. Und indem sie ihre Augen
+aufhob, errötete sie ein wenig, nahm den Ausforderungshandschuh oder,
+wenn Sie das lieber hören, das Gespräch auf und fing die Unterredung
+mit meinem Onkel Toby folgendermaßen an:
+
+»Die Sorgen und die Beschwerlichkeiten des Ehestandes,« sagte Madame
+Wadmann, »sind sehr groß.« -- »Das sind sie, glaube ich,« sagte mein
+Onkel Toby. -- »Wenn also eine Person,« fuhr Madame Wadmann fort,
+»so ruhig leben kann wie Sie, so glücklich, Herr Kapitän, durch sich
+selbst, durch Ihre Freunde und durch Ihren Zeitvertreib, so wundere ich
+mich, was Sie für Ursachen haben können, sich in diesen neuen Stand zu
+begeben.«
+
+»Sie stehen,« sagte mein Onkel Toby, »alle in dem Buch geschrieben,
+woraus der Prediger bei der Trauung vorliest.«
+
+Bis dahin ging mein Onkel Toby mit Behutsamkeit, blieb auf seiner Tiefe
+und ließ Madame Wadmann über dem Abgrunde segeln nach ihrem eigenen
+Gefallen.
+
+»Was die Kinder anbelangt,« sagte Madame Wadmann, »obgleich vielleicht
+ein hauptsächlicher Zweck der Einsetzung der Ehe und ein natürlicher
+Wunsch, wie ich glaube, aller Eheleute, so wissen wir gar wohl, daß
+sie gewisse Sorgen und sehr ungewisse Freuden machen! Und, mein lieber
+Herr Kapitän, was hat man für das Herzeleid, was für Vergeltung für die
+manchen zärtlichen, unruhigen Bekümmernisse einer leidenden wehrlosen
+Mutter, die sie auf die Welt bringen muß?« -- »Ich bekenne,« sagte mein
+Onkel Toby, von mitleidigem Gefühl ergriffen, »ich kenne keine, es sei
+denn das Vergnügen, womit es dem lieben Gott gefallen hat --.«
+
+»Ein Wischiwaschi,« sagte sie.
+
+
+
+
+ Das 133. Kapitel.
+
+
+Nun gibt es eine solche unendliche Menge von Tönen, Klängen, Weisen,
+Melodien, Mienen, Blicken und Akzenten, womit das Wort Wischiwaschi in
+allen solchen Fällen wie dieser ausgesprochen werden kann. Und jedes
+darunter drückt ihm einen von den anderen so verschiedenen Sinn und
+Verstand ein, wie Schmutz von Reinlichkeit sind. So daß die Kasuisten
+-- denn in dieser Betrachtung ist es ein Gewissensfall -- nicht weniger
+als vierzehntausend Fälle aufrechnen, in welchen man es richtig oder
+falsch sagen kann.
+
+Madame Wadmann sagte ihr Wischiwaschi so, daß es meinem Onkel Toby all
+sein bescheidenes Blut in die Wangen trieb. Da er dergestalt fühlte,
+daß er unversehenerweise über seine Tiefe hinausgeraten sein müßte,
+brach er kurz ab. Und ohne sich weiter auf die Sorgen oder Freuden des
+Ehestandes einzulassen, legte er seine Hand auf sein Herz und tat sein
+Anerbieten, solche, wie sie vorkämen, auf sich zu nehmen und mit ihr zu
+teilen.
+
+Als mein Onkel Toby dieses gesagt hatte, mochte er's nicht gerne noch
+einmal sagen. Da er dabei seine Augen auf die Bibel warf, welche Madame
+Wadmann auf den Tisch gelegt hatte, nahm er sie in die Hand. Und da ihm
+gleich -- der gute Mann! -- eine vor allen anderen sehr interessante
+Stelle auffiel -- es war die Belagerung von Jericho --, so machte er
+sich daran, sie zu überlesen. Indessen ließ er seinen Heiratsantrag,
+wie er vorher mit seiner Liebeserklärung gemacht hatte, durch sich
+selbst bei ihr wirken. Nun wirkte er weder als ein Adstringens noch als
+ein Solvens, weder als Opium noch als Chinarinde, weder als Merkurius
+noch als Stechdorn noch als irgendein Apothekermittel, welches die
+Natur der Welt verliehen hat. Kurz, er wirkte ganz und gar nicht bei
+ihr. Und das lag daran, daß vorher schon etwas bei ihr in Wirkung war.
+-- Was ich für ein Plappermaul bin! Ein dutzendmal wohl habe ich schon
+vorher gesagt, was es war. Aber es ist noch Feuer in der Materie. --
+Nur zu!
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertneununddreißigstes Kapitel.
+
+
+Es ist für einen völlig Fremden, der von London nach Edinburg reist,
+sehr natürlich, ehe er ausreiset, zu fragen, wieviel Meilen es bis York
+ist. Welches ungefähr die Hälfte des Weges ausmacht. Auch wundert sich
+niemand darüber, wenn er in seinen Fragen fortfährt und sich nach der
+Stadt, Einrichtung, den Zünften usw. erkundigt.
+
+Ebenso natürlich war es für Madame Wadmann, deren erster Ehemann
+beständig das Hüftweh gehabt hatte, daß sie zu erfahren wünschte, wie
+weit es von der Hüfte bis zum Latzbeine sei. Und wieviel sie ungefähr
+mehr oder weniger, als Frau, in ihrem Gemüte, von dem einen oder dem
+anderen Falle zu leiden haben möchte.
+
+Sie hatte also Drakes Anatomie von einem Ende zum andern durchgelesen.
+
+Sie hatte gleichfalls mit ihrem eigenen Verstande darüber
+philosophiert, Theorema festgesetzt, Folgerungen daraus gezogen, und --
+war zu keinem Schlusse gekommen.
+
+Um die Sache deutlich zu erfahren, hatte sie den Doktor Slop zweimal
+gefragt, ob wohl der gute Kapitän Shandy jemals von seiner Wunde
+hergestellt werden könnte.
+
+»Er ist hergestellt,« sagte Doktor Slop beidemal.
+
+»Wie, völlig?«
+
+»Völlig, Madame.«
+
+»Aber was verstehen Sie unter der Herstellung eigentlich?« sagte Madame
+Wadmann.
+
+Doktor Slop war der ärgste Stümper unter der Sonne im Definieren. Also
+konnte Madame Wadmann nicht erfahren, was sie wissen wollte. Kurz, es
+gab keinen Weg, es herauszubringen, sie würde denn meinen Onkel Toby
+selbst fragen.
+
+Es gibt bei Erkundigungen dieser Art einen so menschenfreundlichen
+Ton, der den Verdacht in Schlaf singt. -- Und halb bin ich überzeugt,
+die Schlange in ihrem Gespräche mit Mutter Eva mußte ihm ziemlich
+nahekommen. Denn die weibliche Neigung, sich betrügen zu lassen, konnte
+doch so stark nicht sein, daß sie sonst so verwegen gewesen sein würde,
+mit dem Teufel selbst zu kosen. Aber es gibt einen menschenfreundlichen
+Ton, wie soll ich ihn beschreiben? -- Es ist ein Ton, der die Wahrheit
+mit einem Gewande bedeckt und dem Frager ein Recht gibt, ebenso
+unanständig darüber zu sein wie Ihr Wundarzt.
+
+»War es ohne alle Gnade?
+
+»War es erträglicher im Bette?
+
+»Konnte er dabei auf beiden Seiten gleich gut liegen?
+
+»Konnte er dabei noch zu Pferde sitzen?
+
+»War die Bewegung dabei schädlich? usf.« wurden so zärtlich
+ausgesprochen und dergestalt auf meines Onkels Toby Herz gerichtet, daß
+jedes Item davon zehnmal tiefer in dasselbe sank, als die Schmerzen
+selbst. -- Als aber Madame rund um Namur herumging, um an meines Onkels
+Toby Wunde am Latzbeine zu gelangen, und ihn dahin brachte, die Spitze
+der äußersten Konterskarpe zu attackieren, pelemele mit den Holländern,
+mit dem Degen in der Faust, die Kontergarde St. Roch einzunehmen --
+und alsdann mit rührenden Tönen sein Ohr erfüllte, ihn blutend bei der
+Hand nahm und aus der Schußlinie führte, sich ihre Augen wischte, als
+er in sein Zelt getragen wurde -- Himmel! Erde! See! -- alles ward
+emporgerichtet. -- Die Quellen der Natur stiegen über ihre natürliche
+Höhe hinauf. -- Ein Engel des Mitleids saß ihm zur Seite auf dem Sofa.
+Sein Herz glühte von Feuer. Und hätte er tausend Herzen gehabt, er
+hätte sie alle an Madame Wadmann verloren.
+
+»Und in welcher Gegend, lieber Herr Kapitän,« fragte Madame Wadmann
+ein wenig aufdringlich, »empfingen Sie diese häßliche Wunde?« -- Als
+sie diese Frage tat, warf Madame Wadmann einen Seitenblick auf den
+Hüftengurt von meines Onkels Toby rotplüschenen Beinkleidern, indem sie
+natürlicherweise als die kürzeste Antwort erwartete, mein Onkel Toby
+würde seinen Zeigefinger auf die Stelle legen. -- Es fiel anders aus.
+Denn, da mein Onkel Toby seine Wunde vor dem St. Nikolaustore bekommen
+hatte, in einer von den Traversen der vorspringenden Spitze der halben
+Bastion Sankt Roch gegenüber, so konnte er allemal eine Nadel auf
+die eigentliche Stelle stecken, wo er stand, als ihn der Stein traf.
+Dieses traf augenblicklich meines Onkels Toby Sensorium. Und zugleich
+damit die große Karte von der Stadt und Zitadelle von Namur und ihren
+Gegenden, welche er sich gekauft und mit Hilfe des Korporals während
+seiner langwierigen Krankheit auf ein Brett geklebt hatte. Sie hatte
+seitdem beständig mit anderem militärischen Poltergeräte in einer
+Dachkammer gelegen, und also ward der Korporal dahin detachiert, sie
+herzuholen.
+
+Mein Onkel Toby maß mit Madame Wadmanns Scheren dreißig Ruten ab, von
+der äußersten Spitze vor dem St. Nikolaustore, und legte mit einer
+so jüngferlichen Bescheidenheit ihren Finger auf die Stelle, daß die
+Göttin der Wohlanständigkeit, wenn sie damals vorhanden -- wo nicht,
+so war's ihr Schatten --, ihren Kopf schüttelte und indem sie mit
+einem Finger vor ihren Augen hin und her fuhr, ihr verbot, den Irrtum
+aufzudecken.
+
+Unglückliche Madame Wadmann! --
+
+Denn durch nichts kann ich diesem Kapitel ein lebhaftes Ende geben,
+wie durch eine Apostrophe an dich! -- Aber mein Herz sagt mir, daß in
+einer so kritischen Lage eine Apostrophe nur ein verstecktes Höhnen
+sei, und lieber, ehe ich ein in Nöten steckendes Frauenzimmer verhöhnen
+wollte, laß das Kapitel dahinfahren zum Meister Hämmerling! Wenn sich
+nur ein verdammter Kunstrichter in Lohn und Brot die Mühe geben will,
+es mitzunehmen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertvierzigstes Kapitel.
+
+
+Meines Onkels Toby Karte wird hinunter in die Küche genommen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hunderteinundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Und hier ist die Maas -- und hier die Sambre,« sagte der Korporal und
+wies mit seiner etwas ausgestreckten rechten Hand auf die Karte und
+hatte die linke auf Brigittens Schulter. Aber nicht auf der Schulter,
+die ihm zunächst. -- »Und dies,« sagte er, »ist die Stadt Namur.
+-- Und dies die Zitadelle. Und hier liegen die Franzosen. Und hier
+liegt mein Herr und ich. Und in diesem verdammten Graben,« sagte der
+Korporal und faßte sie bei der Hand, »bekam er die Wunde, welche ihn
+so jämmerlich zerquetschte: hier.« Und so wie er das sagte, drückte er
+ihre auswendige Hand an die Stelle -- und ließ sie fallen.
+
+»Wir dachten, Herr Trim, es wäre mehr nach der Mitte hin gewesen,«
+sagte Jungfer Brigitte. --
+
+»Das hätte uns unser Lebtage unglücklich gemacht,« sagte der Korporal.
+
+»Und hätte meine Madame auch eine unglückliche Frau bleiben lassen,«
+sagte Brigitte.
+
+Der Korporal versetzte nichts anderes auf diese Antwort, als daß er
+Brigitten einen Kuß gab.
+
+»Komm, komm,« sagte Brigitte und hielt das Auswendige ihrer rechten
+Hand in der Fläche des Horizonts und wischte mit den Fingern der
+anderen Hand darüber hin. Was nicht hätte geschehen können, wäre nur
+die geringste Warze oder Minderung im Wege gewesen. »Wort für Wort eine
+Unwahrheit,« rief der Korporal, ehe sie noch halb ausgeredet hatte.
+
+»Ich weiß aber,« sagte Brigitte, »von glaubwürdigen Leuten, daß es die
+Wahrheit ist.«
+
+»Auf meine Ehre,« sagte der Korporal und legte seine Hand aufs Herz und
+ward, indem er sprach, vor edlem Zorne rot. »Es ist eine Erdichtung,
+Jungfer Brigitte, so falsch wie die Hölle.« -- »Nicht,« sagte Brigitte
+und fiel ihm in die Rede, »daß ich oder meine Madame uns das geringste
+daraus machten, ob es so ist oder nicht. Nur soviel, wenn man sich
+verheiratet, so gehört es denn doch ein bißchen mit dazu.«
+
+Es war ein wenig unglücklich für Jungfer Brigitte, daß sie den Angriff
+mit ihren Handgriffen begonnen hatte, denn der Korporal augenblicklich
+-- -- -- -- -- -- --
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertzweiundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Es war das kurz vorübergehende Streiten in den nassen Augenlidern eines
+Aprilmorgens: »Ob Brigitte lachen oder weinen sollte.«
+
+Sie ergriff ein Mangelholz. -- Es war zehn gegen eins, sie hätte
+gelacht --
+
+Sie legte solches nieder -- sie weinte; und hätte nur eine Zähre nach
+Bitterkeit geschmeckt, das Herz des Korporals würde voll Bekümmernis
+gewesen sein, daß er das Argument gebraucht hatte. Allein der Korporal
+verstand sich wenigstens um eine Quarte besser als mein Onkel Toby aufs
+Frauenzimmer. Demzufolge bestürmte er Jungfer Brigitte auf diese
+Manier.
+
+»Ich weiß, Jungfer Brigitte,« sagte der Korporal und gab ihr einen
+sehr ehrerbietigen Kuß, »daß du von Natur gut und bescheiden und
+obendrein ein so großmütiges Mädchen bist, daß du, wenn ich dich recht
+kenne, keinem Wurm etwas zuleide tun und noch weniger einen so braven
+und würdigen Mann an seiner Ehre kränken wolltest, wie mein Kapitän
+ist, und wollte dich dafür zur Gräfin machen. Aber man hat dir was
+weisgemacht und dich betrogen, liebste Brigitte, wie es einem Mädchen
+oft geht, mehr um anderen einen Gefallen zu tun als sich selbst.«
+
+Brigitten träufelten die Tränen aus den Augen über die Empfindungen,
+die der Korporal in ihr erregte.
+
+»Sage mir, -- sag' mir also, meine liebste Brigitte,« fuhr der
+Korporal fort, wobei er sie an der Hand faßte, welche ihr an der Seite
+niederhing und ihr einen zweiten Kuß gab, »wessen Argwohn hat dich
+verführet?«
+
+Brigitte schluchzte ein paarmal und tat darauf die Augen auf. Der
+Korporal trocknete sie mit dem Zipfel ihrer Schürze. Sie tat alsdann
+ihr Herz auf und erzählte ihm alles. [Illustration]
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertdreiundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Mein Onkel Toby und der Korporal hatten den größten Teil der Kampagne
+ihrer Operation getrennt fortgesetzt. Es war zwischen ihnen die
+Kommunikation aller Nachrichten von dem, was der eine oder andere getan
+hatte, so rein abgeschnitten, als ob sie durch die Maas und Sambre
+voneinander getrennt gewesen wären.
+
+Mein Onkel Toby seinerseits war jeden Nachmittag in seinem roten Kleide
+mit Silber oder wechselweise mit seinem blauen mit Golde ausgerückt und
+hatte darin eine unendliche Menge Attacken ausgehalten, ohne überhaupt
+zu wissen, daß es Attacken gewesen, und hatte also nichts zu berichten.
+
+Der Korporal seinerseits, indem er Brigitten genommen, hatte große
+Vorteile dadurch gewonnen und hatte also viel zu berichten. Worin aber
+die Vorteile bestanden, sowie die Art und Weise, wodurch er solche
+gewonnen, erforderten einen so geschickten Historiker, daß der Korporal
+es nicht wagen durfte, sich damit abzugeben. So empfindlich er auch
+gegen die Ehre war, so hätte er doch lieber sein ganzes Leben hindurch
+mit unbekränzter Glatze gehen als seines Herrn Züchtigkeit nur auf
+einen Augenblick Gewalt antun mögen.
+
+Bester unter allen redlichen und treuen Knechten! -- Doch, ich habe
+dich, Trim! bereits einmal vorher apostrophiert. -- Und könnte ich dich
+auch apotheosieren -- in guter Gesellschaft, meine ich -- ich täte es
+ohne Zeremonien, gleich auf folgender Seite.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertvierundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Nun hatte mein Onkel Toby eines Abends seine Pfeife auf den Tisch
+niedergelegt und zählte in Gedanken an seinen Fingern -- beim Daumen
+anfangend -- Madame Wadmanns Vollkommenheiten her. Eine nach der
+andern: und da es ihm zwei- oder dreimal begegnet war, entweder,
+weil er eine oder die andere ausgelassen, oder die andere zweimal
+gezählt, daß er sich jämmerlich verrechnete, ehe er noch bis zu seinem
+Mittelfinger kam. -- »Hör' Er, Trim,« sagte er und nahm seine Pfeife
+wieder auf, »bring' Er mir Tinte und Feder.« Trim brachte Papier dazu.
+
+»Nehme Er einen Bogen, Trim,« sagte mein Onkel Toby und gab ihm
+zugleich ein Zeichen mit seiner Pfeife, daß er einen Stuhl nehmen und
+sich zu ihm an den Tisch niedersetzen sollte. Der Korporal gehorchte,
+legte das Papier gerade vor sich nieder, nahm eine Feder und tunkte
+solche in die Tinte.
+
+»Sie besitzt tausend Tugenden, Trim!« sagte mein Onkel Toby.
+
+»Soll ich die aufschreiben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen?« fragte der
+Korporal.
+
+»Sie müssen aber nach ihrem Range gestellt werden,« erwiderte mein
+Onkel Toby. »Denn, Trim, die, welche mich vor allen anderen am
+meisten einnimmt und welche mir Bürge für alle übrigen wird, ist
+ihr mitleidiges Gemüt und die ganz ausnehmende Menschlichkeit ihres
+Charakters. -- Ich beteure es,« fügte mein Onkel Toby hinzu und
+sah dabei, wie er es beteuerte, oben nach der Gipsdecke, »wäre ich
+tausendmal ihr Bruder, Trim, sie könnte sich nicht mehr und zärtlicher
+nach meinem Leiden erkundigen, ob solche gleich vorüber sind.«
+
+Der Korporal tat keine andere Widerrede gegen meines Onkels Toby
+Beteuerung als einen kurzen Husten. Er tunkte die Feder zum zweitenmal
+ein. Und mein Onkel Toby zeigte mit dem Ende seiner Pfeife so dicht an
+den obersten Rand des Bogens auf der linken Ecke, als er nur konnte. --
+Und der Korporal schrieb dahin das Wort:
+
+»Menschlichkeit« -- -- -- -- -- -- -- -- wie hier.
+
+»Sag' Er mir doch, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, sobald als Trim es
+getan hatte -- »wie oft erkundigt sich wohl Seine Brigitte nach Seiner
+Wunde an Seiner Kniescheibe, die Er in der Schlacht bei Landen
+empfing?«
+
+»Sie erkundigt sich, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, gar niemals danach.«
+
+»Das, Korporal,« sagte mein Onkel Toby mit allem Triumphe, den ihm die
+Güte seines Herzens erlaubte, »das zeigt den Unterschied im Charakter
+der Herrschaft und des Kammermädchens. Hätte das Kriegsglück mich
+ebenden Unfall betreffen lassen, so würde Madame Wadmann sich nach
+allen Umständen dabei wohl hundertmal erkundigt haben.« -- »Sie würde
+sich zehnmal so oft nach Euer Gnaden Wunde am Latzbein erkundigt
+haben.« -- »Der Schmerz ist gleich unausstehlich, Trim. Und das
+Mitleiden nimmt ebensoviel Anteil an der einen Wunde wie an der
+andern.«
+
+»Der liebe Gott vergelt's Euer Gnaden!« rief der Korporal. -- »Was hat
+denn das Mitleid eines Frauenzimmers mit der Wunde eines Mannes an
+seiner Kniescheibe zu schaffen? Wäre Euer Gnaden Kniescheibe in der
+Schlacht bei Landen in hunderttausend Splitter zerschossen, Madame
+Wadmann würde sich den Kopf ebensowenig darüber zerbrochen haben wie
+Brigitte. Und zwar weil,« setzte der Korporal hinzu, indem er leiser,
+obgleich ganz vernehmlich sprach, als er seinen Grund anführte. --
+
+»Weil das Knie soweit von dem Hauptwerke abliegt, dahingegen, wie Euer
+Gnaden wissen, das Latzbein dicht an der Kurtine des Ortes liegt.«
+
+Mein Onkel Toby pfiff eine lange Note, aber so leise, daß man es kaum
+über den Tisch hinüber hören konnte.
+
+Der Korporal war zu weit gegangen, um zurückzuziehen. Er sagte das
+Übrige in drei Worten.
+
+Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so leise auf den Kaminrost, als ob
+sie aus den ausgefaserten Fäden eines Spinnengewebes gesponnen gewesen.
+
+»Laß uns nach meines Bruders Shandy Hause gehen,« sagte er.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertfünfundvierzigstes Kapitel.
+
+
+Wir werden gerade soviel Zeit haben unterdessen, daß mein Onkel Toby
+und Trim nach meines Vaters Hause gehen, Ihnen zu berichten, daß Madame
+Wadmann einige Monate vorher, ehe dieses vorging, meine Mutter zur
+Vertrauten gemacht hatte, und daß Jungfer Brigitte, die sowohl ihre
+eigene Bürde zu tragen hatte als die Bürde des Geheimnisses ihrer
+Herrschaft, sich von beiden gegen die Susanna hinter der Gartenmauer
+glücklich entladen hatte.
+
+Was meine Mutter anbetrifft, so sah die gar nichts in der ganzen Sache,
+worüber Aufhebens zu machen gewesen.
+
+Allein Susanna war alleine genug, ein Familiengeheimnis auszubringen.
+Denn sie teilte es augenblicklich dem Jonathan durch Zeichen mit. Und
+Jonathan sagte es der Köchin, als sie eine Hammelkeule am Feuer begoß.
+Die Köchin verkaufte es mit etwas Bratenfett für einen Dreier an den
+Postillon, der es mit dem Milchmädchen um etwas von ebendem Werte
+umstutzte. Und obgleich es auf dem Heuschober geflüstert wurde, hatte
+doch die Fama die Noten mit ihrer ehernen Trompete aufgefaßt und vom
+Giebel des Hauses umhergeblasen. -- Mit einem Worte, es war im ganzen
+Dorfe oder fünf Meilen in der Runde kein altes Weib, die nicht gewußt,
+warum es mit meines Onkels Toby Belagerung so langsam zuginge, und
+welches die geheimen Artikel wären, die die Übergabe verzögerten.
+
+Mein Vater, dessen Gewohnheit es war, jede Begebenheit in der Welt zu
+einer Hypothese zu zwängen, wodurch kein Mensch der Wahrheit einen
+solchen Drang antat wie er, hatte eben das Gerücht vernommen, als
+mein Onkel Toby ausging. Und da er über die Beleidigung, die seinem
+Bruder dadurch widerfuhr, plötzlich Feuer fing, war er dabei, dem Herrn
+Yorick, ungeachtet meine Mutter dabeisaß, zu demonstrieren, nicht nur,
+daß der Satan in den Weibern stecke, sondern daß jedes Übel und jede
+Unordnung in der Welt, sie habe Namen, wie sie wolle, vom ersten Falle
+Adams bis hinab zu meines Onkels Toby seinem -- inklusive -- auf eine
+oder die andere Art diesem zügellosen Wesen zuzuschreiben sei.
+
+Yorick stand eben im Begriff, meines Vaters Hypothese ein wenig zu
+mäßigen, als mein Onkel Toby mit Zeichen unendlicher Gutherzigkeit
+und Verzeihung in seinen Blicken ins Zimmer trat und meines Vaters
+Beredsamkeit gegen die Leidenschaft von neuem anfachte. Und da er eben
+nicht sehr sanft in der Wahl seiner Worte war, wenn er im Eifer redete,
+so brach er, sobald mein Onkel Toby sich ans Feuer gesetzt und seine
+Pfeife gefüllt hatte, folgendergestalt los:
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Hundertsechsundvierzigstes Kapitel.
+
+
+»Daß für die Erhaltung eines so großen, erhabenen und göttlichen
+Wesens, wie der Mensch ist, Anstalten und Vorkehrungen gemacht werden
+müssen, das bin ich sehr entfernt zu leugnen. Die Philosophie aber
+sagt von jeder Sache ihre Meinung frei heraus. Und deswegen denke
+und behaupte ich, es sei ein Jammer, daß es durch eine Leidenschaft
+geschehen sollte, welche die Seelenkräfte nieder- und alle Weisheit,
+Betrachtungen und Wirkungen der Seele zurückhält. -- Eine Leidenschaft,
+mein Schatz,« fuhr mein Vater fort und wendete sich an meine Mutter,
+»welche den Weisen mit den Törichten zusammen paaret und sie gleich
+macht, und uns aus unseren Höhlen und Schlupfwinkeln mehr als Satire
+und vierfüßige Tiere hervorgehen läßt, denn als Menschen.
+
+»Ich weiß es, daß man sagen wird,« fuhr mein Vater fort, »daß sie, an
+sich selbst und ohne Nebenabsicht betrachtet, so gut wie Hunger, Durst
+oder Schlaf eine Sache sei, die weder gut noch böse, noch schändlich
+oder dergleichen sei. -- Warum denn aber sträubte sich die Delikatesse
+des Diogenes und Platos so heftig dagegen? Und warum löschen wir, wenn
+wir darauf denken, einen Menschen zu pflanzen, das Licht aus? Und aus
+was für Ursache ist es, daß alles Dahingehörige -- die Zurüstungen --
+die Werkzeuge und was nur dabei erforderlich ist, als Sachen angesehen
+werden, die man keinem reinen Gemüte durch Sprache, Übersetzung oder
+Umschreibung von irgendeiner Art verständlich machen dürfe? --
+
+»Die Handlung, einen Menschen zu töten oder zu vernichten,« fuhr mein
+Vater fort und erhub seine Stimme, wobei er sich an meinen Onkel Toby
+wendete, »ist, wie du siehst, rühmlich. Und die Waffen, womit wir
+sie verrichten, sind ehrenvoll. Wir marschieren damit auf unseren
+Schultern, wir prunken damit an unseren Hüften, wir vergolden sie, wir
+schnitzeln sie, wir legen sie aus, wir besetzen sie mit Edelsteinen.
+Ja, wenn's auch nur eine lumpige Kanone ist, so gießen wir einen Zierat
+auf ihre Traube.«
+
+Mein Onkel Toby legte seine Pfeife nieder, um für ein besseres Beiwort
+zu bitten. Und Yorick machte sich fertig, die ganze Hypothese über den
+Haufen zu kanonieren. --
+
+Als Obadiah mitten ins Zimmer mit einer Klage hereinbrach, die um ein
+unmittelbares Gehör schrie.
+
+Die Sache war diese:
+
+Mein Vater war, entweder nach einer lang hergebrachten Gewohnheit oder
+als Inhaber des großen Zehntens verpflichtet, einen Bullen für die
+Gemeinde zu halten, und Obadiah hatte den vorigen Sommer eines Tages
+seine Kuh zu einem kurzen Morgenbesuche zu ihm geführt. Ich sage, eines
+Tages, weil es der Zufall so mit sich brachte, daß es an ebendem Tage
+war, an welchem er mit meines Vaters Hausmagd verheiratet wurde. So
+daß die Rechnungen von einer Zeit an liefen. Deshalb also, da Obadiahs
+Ehefrau niederkam, dankte Obadiah Gott.
+
+»Nun,« sagte Obadiah, »krieg' ich auch ein Kalb.« Und Obadiah ging
+täglich hin, nach seiner Kuh zu sehen.
+
+»Sie wird den Montag kalben, oder Dienstag, oder Mittwoch spätestens.«
+
+Die Kuh kalbte nicht. »Nein, vor künftiger Woche wird sie nicht
+kalben.« -- Die Kuh schob es entsetzlich lang auf. Bis am Ende der
+sechs Wochen Obadiahs Verdacht -- wie der Verdacht eines guten Mannes
+-- auf den Bullen fiel.
+
+Nun war die Gemeinde sehr stark, und meines Vaters Bulle, die Wahrheit
+von ihm zu sagen, seinem Geschäft gar nicht gewachsen, er hatte sich
+aber, auf eine oder die andere Art in die Bedienung geschlichen. --
+Und weil er seine Sache mit einem steifen Amtsgesichte verrichtete, so
+hatte mein Vater eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten gefaßt.
+
+»Die meisten Hauswirte glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte
+Obadiah, »daß die Schuld an dem Bullen liegt.« --
+
+»Aber kann nicht auch eine Kuh unfruchtbar sein?« erwiderte mein Vater
+und wendete sich an den Doktor Slop.
+
+»Das kommt nicht vor,« sagte Doktor Slop. »Aber Obadiah seine Frau kann
+sehr leicht zu früh gekommen sein. Sage Er doch, hat das Kind Haare auf
+seinem Kopfe?« setzte Doktor Slop hinzu. --
+
+»Es ist ebenso haarig, wie ich selbst,« sagte Obadiah.
+
+Obadiah war in drei Wochen nicht barbiert worden. -- »Hu--u--u!« rief
+mein Vater, und begann seine Rede mit einer pfeifenden Ausrufung: »da
+haben wir's, Bruder Toby! Da könnte mein armer Bulle, der so gut ist,
+wie ein Bulle bei Kühen sein kann und in züchtigeren Zeiten für die
+Europa selbst gut genug gewesen wäre, ginge er nur auf zwei Beinen,
+vors Ehegericht geschleppt werden und seinen guten Namen einbüßen.
+Welcher für einen Dorfbullen, Bruder Toby, ebensoviel wert ist wie das
+Leben.«
+
+»Du liebe Zeit,« sagte meine Mutter, »worüber macht ihr denn solchen
+Lärm?«
+
+»Sie geißeln den toten Hahn, weil die Henne ein Windei gelegt hat,«
+sagte Yorick. Es war ein hübsches Geschichtchen!
+
+ [Illustration]
+
+ [Illustration:
+
+ Typographmaschinensatz der
+ Deutschen Buch- und Kunstdruckerei, G. m. b. H.,
+ Zossen--Berlin +SW. 11+]
+
+
+
+
+Die Bücher des Deutschen Hauses
+
+Herausgegeben von ~Rudolf Presber~.
+
+In gleicher Ausstattung gelangen zur Ausgabe:
+
+
+ +I.+ Reihe: Buch 1 - 25,
++II.+ Reihe: Buch 26 - 50.
+
+ 1. ~Goethe~: Die Leiden des jungen Werther.
+
+ 2. ~Otto Ludwig~: Zwischen Himmel und Erde.
+
+ 3. ~E. T. A. Hoffmann~: Die Elixiere des Teufels.
+
+ 4. ~Friedrich Spielhagen~: Deutsche Pioniere.
+
+ 5. ~Zschokke~: Hans Dampf. Kleine Ursachen.
+
+ 6. ~Max Kretzer~: Die Sphinx in Trauer.
+
+ 7. ~Thackeray~: Der Diamant.
+
+ 8. ~Balzac~: Die Frau von dreißig Jahren.
+
+ 9. ~Brüder Grimm~: Märchen.
+
+ 10. ~Dickens~: Weihnachtserzählungen.
+
+ 11. ~Nicolai~: Zur Neujahrszeit.
+
+ 12. ~Tolstoi~: Die Kosaken.
+
+ 13. ~Karl Grunert~: Der Marsspion.
+
+ 14. ~Spanische Novellen.~
+
+ 15. ~Hans Hauptmann~: Auf tönernen Füßen.
+
+ 16. ~Henri Murger~: Bohême.
+
+ 17. ~Deutscher Humor.~: 1. Band.
+
+ 18. ~Björnson~: Synöve Solbakken.
+
+ 19. ~Jean Paul~: +Dr.+ Katzenbergers Badereise.
+
+ 20. ~Gespensternovellen.~
+
+ 21. ~Canter~: Fahrendes Volk.
+
+ 22. ~Gerstäcker~: Die Flußpiraten. 1. Bd.
+
+ 23. ~Gerstäcker~: Die Flußpiraten. 2. Bd.
+
+ 24. ~Deutscher Humor~: 2. Band.
+
+ 25. ~Puschkin~: Pique Dame.
+
+ 26. ~Heinrich von Kleist~: Novellen.
+
+ 27. ~Levin Schücking~: Agathens Geheimnis.
+
+ 28. ~Walter Harlan~: Die Dichterbörse.
+
+ 29. ~Karl Immermann~: Der Oberhof.
+
+ 30. ~Gogol~: Novellen.
+
+ 31. ~Friedrich von Oppeln-Bronikowski~: Der Rebell.
+
+ 32. ~Charles Dickens~: Klein Dorrit +I.+
+
+ 33. ~Charles Dickens~: Klein Dorrit +II.+
+
+ 34. ~Richard Nordhausen~: Die rote Tinktur.
+
+ 35. ~Guy de Maupassant~: Novellen.
+
+ 36. ~Ed. A. Poe~: Die denkwürdigen Erlebnisse des A. G. Pym.
+
+ 37. ~Margarete Wolff-Meder~: In den Sielen.
+
+ 38. ~Arthur Achleitner~: Geschichten aus den deutschen Alpen.
+
+ 39. ~Sterne~: Tristram Shandy.
+
+ 40. ~Max Bittrich~: Spreewaldgeschichten.
+
+ 41. ~Cervantes~: Don Quixote +I.+
+
+ 42. ~Cervantes~: Don Quixote +II.+
+
+ 43. ~Hermann Heiberg~: Fluch der Schönheit.
+
+ 44. ~Joseph von Eichendorff~: Aus dem Leben eines Taugenichts.
+
+ 45. ~Léon de Tinseau~: Der Mitgiftjäger.
+
+ 46. ~Max Nordau~: Zur linken Hand +I.+
+
+ 47. ~Max Nordau~: Zur linken Hand +II.+
+
+ 48. ~Verga~: Novellen.
+
+ 49. ~Emil Zola~: Ein Blättlein Liebe.
+
+ 50. ~Fritz Reuter~: Ut mine Stromtid.
+
+
+Jeder Band 75 Pfg. -- 1 Krone -- 1 Frc.
+
+
+
+
+Fußnoten:
+
+[1] Mein Vater wollte niemals einwilligen, dies Buch drucken zu lassen;
+es befindet sich nebst einigen andern von seinen Abhandlungen im
+Manuskript bei der Familie, welche alle, oder doch größtenteils, zu
+seiner Zeit gedruckt werden sollen.
+
+[2] »Dieses soll meines Vaters Leben des Sokrates usw. mit beigedruckt
+werden.«
+
+[3] Er hatte in der Schlacht bei Lepanto eine Hand verloren.
+
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76593 ***
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+ Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy | Project Gutenberg
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+<div class="transnote">
+<p class="s3 center">Anmerkungen zur Transkription</p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion
+des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
+sind stillschweigend korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Am Ende der Kapitel 82, 88, 93, 104 und 105 ist die fehlende Dekoration
+eingefügt worden.</p>
+<p class="p0">Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter umgestaltet. Ein Urheberrecht
+wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt werden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p>
+</div>
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+<div class="center padtop1 mtop3 mbot3">
+Dieses Buch wurde in der Deutschen<br>
+Buch- u. Kunstdruckerei G.&#8239;m.&#8239;b.&#8239;H.<br>
+in Zossen gedruckt u. bei der Leipziger<br>
+☐ Buchbinderei-Actiengesellschaft ☐<br>
+===== in Leipzig gebunden. =====
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+ <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="signet">
+</figure>
+
+<h2 class="p4 mright5 mbot3">Tristram Shandy</h2>
+
+<div class="chapter">
+
+<figure class="figcenter padbot2 illowp52" id="p0020_title" style="max-width: 43.75em;">
+ <img class="w100" src="images/p0020_title.jpg" alt="reihentitel">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h1> Das Leben<br>
+und die Meinungen von<br>
+Herrn Tristram Shandy</h1>
+
+<p class="s5 center mtop2">von</p>
+
+<p class="s2 center mbot3">Laurence Sterne</p>
+<p class="mtop2 center">Illustriert<br>
+von Lovis Corinth</p>
+
+<p class="s5 center mtop3 mbot2">1908<br>
+Buchverlag fürs Deutsche Haus<br>
+Berlin-Leipzig</p>
+
+<figure class="figcenter padtop3 padbot3 illowp52" id="p0030_title" style="max-width: 43.75em;">
+ <img class="w100" src="images/p0030_title.jpg" alt="titelblatt">
+</figure>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p class="center">Diese Satiren im kleinen mit ihren<br>
+köstlichen Wahrheiten sind nur mit den<br>
+griechischen Klassikern zu vergleichen.<br>
+Wenn Ihr nicht mit ihm fühlt, mag er<br>
+Euch oft kleinlich, frivol, gesucht, kindisch<br>
+erscheinen. Habt Ihr aber sein Genie<br>
+erkannt, werdet Ihr in ihm einen gewaltigen<br>
+Lehrer der Menschheit finden.«</p>
+
+
+<p class="right">Voltaire über Sterne.</p>
+
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span></p>
+
+<figure class="figcenter padtop3 illowp100" id="chapter_deco" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/chapter_deco.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<p>Die Welt nannte den Dorfprediger von Sutton und Stillington bei York,
+Laurence Sterne, nicht anders als den armen Yorick, nach dem Pfarrer,
+den Tristram Shandy so über alles schätzte, daß er ganz gegen seine
+Gewohnheit in einem Zuge seine Lebensbeschreibung erzählt, ehe noch
+Tristram Shandy selbst — in dem Buche natürlich — geboren ist.
+»Mancher Zug aus dem Charakter dieses Mannes«, sagt Tristram, »kommt,
+wie mich dünkt, den artigen, lustigen Streichen des unnachahmlichen
+Ritters la Manche gleich, welchen ich mit all seinen Narrheiten mehr
+liebe als den größten Helden des Altertums.« Auf niemanden paßt diese
+Schilderung so gut, wie auf Laurence Sterne selbst. Auch er war ein
+rechter echter Shandist, ohne welche Eigenschaft er niemals in diesem
+kuriosesten aller Leben und Meinungen hätte eine Rolle spielen können,
+am wenigsten die des Autors. Laurence Sterne hat auch seine eigene
+Biographie geschrieben. In einem Briefe an seine Tochter Lydia, kurz
+vor seinem Tode, gibt er alle wesentlichen Daten seines Lebens.</p>
+
+<p>Die Jugend nimmt den breitesten Raum dieser Beschreibung in Anspruch,
+auch darin seinem Tristram Shandy zum mindesten blutsverwandt. Roger
+Sterne, sein Vater, war Leutnant<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> im irischen Handaside-Regiment.
+Das bedeutete damals ruheloses Umherziehen von Ort zu Ort, von Land
+zu Land. Und Frau und Kinder zogen mit durch Wind und Wetter, Sommer
+und Winter, von Baracken zu Baracken, wenn sie nicht vorübergehend
+bei mildtätigen Verwandten einen Unterschlupf fanden. Zweimal sind
+Frau Agnes (sie war die Tochter eines angesehnen Marketenders, »mein
+Vater hatte Schulden bei ihr, als er sie heiratete«) und ihre Kinder
+bei der Überfahrt von England nach Irland in Lebensgefahr gewesen
+und von ihrem Mann schon aufgegeben. Laurence ist das zweite Kind
+dieser kriegerischen Ehe. Er wurde in Clonmel im Süden Irlands am
+24. November 1713 geboren. Von den fünf Geschwistern, zwei Brüdern
+und drei Schwestern, haben nur noch zwei Schwestern mit ihm dieses
+entbehrungsvolle Wanderleben ihrer Jugend überstanden.</p>
+
+<p>Die Familie Sterne hatte bessere Zeiten erlebt, als ihr die
+Leutnantsgage von Sternes Vater bereiten konnte, dessen
+verschwenderische Güte in Onkel Tobys Zügen verewigt worden ist. »Sie
+hätten ihn, Madame, an einem Tage zehnmal hintergehen können, wenn es
+Ihnen mit neunen noch nicht genug ist.« — Roger Sterne war der Enkel
+eines Erzbischofs von York, und ein Onkel Laurence Sternes war erster
+Pfarrer in York. Ihm verdankte später der junge Vikar, der auf Kosten
+eines reichen Vetters und mit einem Stipendiat seines Urgroßvaters in
+Cambridge studiert hatte, seine erste Pfründe: Sutton. »In York lernte
+ich deine Mutter kennen und machte ihr zwei Jahre lang den Hof. — Auch
+sie war mir herzlich zugetan, hielt sich aber wohl nicht für reich
+genug oder mich<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> für zu arm für eine dauernde Verbindung. Sie ging zu
+ihrer Schwester nach S., und ich schrieb sehr fleißig. Ich glaube, daß
+sie wohl halb entschlossen war mich zu nehmen, ohne es mich merken zu
+lassen. — Nach ihrer Rückkehr wurde sie sehr krank, und als ich eines
+Abends bei ihr saß — ich war sehr traurig, sie so krank zu wissen —,
+sagte sie, ›mein lieber Laurey, ich kann nie dein werden, denn ich
+glaube sicher, daß ich nicht mehr lange lebe! Ich habe dir aber mein
+ganzes Vermögen zugesprochen.‹ Damit zeigte sie mir ihr Testament.
+Diese Großmut überwältigte mich. Es gefiel Gott, sie wieder gesund
+werden zu lassen, und ich heiratete sie im Jahre 1741. Mein Onkel
+(Jaques Sterne, Pfründner von Durham, Vorsänger und Pfründner in York,
+mit dem Wohnsitz in York, Vorsteher der Pfarren in Rise und Hornsey mit
+Riston, im Ostbezirk der Grafschaft York) und ich standen uns damals
+sehr gut. Er verschaffte mir sehr bald eine Pfründe in York. — Später
+kamen wir in Streit, weil ich mich weigerte, Parteiartikel in die
+Zeitungen zu schreiben. Er war ein eifriger Parteimann, und ich nicht.
+Ich verachtete diese Art Propaganda und hielt mich für zu schade dazu.
+Und von da an wurde er mein erbittertster Feind. Durch Vermittelung
+meiner Frau erhielt ich noch die Pfründe von Stillington. Einer ihrer
+Freunde hatte ihr versprochen, daß, wenn sie einen Geistlichen in
+Yorkshire heiratet, er ihr als Zeichen seiner Freundschaft bei der
+nächsten Vakanz die Pfründe besorgen werde. Fast zwanzig Jahre blieb
+ich in Sutton und übte mein Pfarramt an beiden Orten aus. Die ganze
+Zeit erfreute ich mich einer vorzüglichen Gesundheit. Bücher,<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> Malen,
+Geige spielen und auf die Jagd gehen, das waren meine Zerstreuungen.
+Mit dem Squire der Pfarrei standen wir uns nicht besonders, dafür
+verkehrten wir in Stillington mit der Familie C—s, die sehr freundlich
+gegen uns war, und das war sehr angenehm für uns, innerhalb einer Meile
+so herzliche Freunde zu haben. 1760 mietete ich ein Haus in York für
+deine Mutter und dich. Ich selbst ging nach London, für den ersten
+Band des Shandy einen Verleger zu suchen. Im selben Jahre bot mir Lord
+Falconbridge die Pfarrstelle in Coxwould an, das gegen Sutton ein
+lieblicher Wohnsitz genannt werden muß. 1762 ging ich nach Frankreich,
+noch vor dem Friedensschluß, und ihr beide folgtet mir. Dann bliebt
+ihr drüben. Ich ging erst wieder zwei Jahre darauf nach Italien, um
+etwas für meine Gesundheit zu tun. Auf meine dringende Bitte seid
+auch ihr jetzt nach England zu mir zurückgekehrt und ich habe die
+unbeschreibliche Freude erlebt, mein Kind wiederzusehen, alles, was ich
+mir noch wünschen konnte.«</p>
+
+<p>Es ist kurz hinzuzufügen, was von jenem Leben in den Hauptstädten
+London und Paris, das die letzten acht Jahre fast ausfüllt, der Vater
+seiner Tochter nicht ausdrücklich hat sagen wollen, aus Zartgefühl
+gegen ihre Mutter. Die Ehe war keine glückliche. Das Paar, das sich auf
+so romantische Weise gefunden hatte, wurde einer des anderen herzlich
+überdrüssig, bevor viele Jahre verflossen waren .. Eine drollige
+Mischung von Selbstanklage und Überlegenheit liegt in folgendem
+Shandystischen Stoßseufzer: »Ein verteufeltes Glück für einen Mann,
+der Herr über die zartesten Vernunftschlüsse ist, ein Weib zu haben,
+in dessen Kopf er auf keine Weise<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> einen Gedanken einschmuggeln kann,
+der seine Seele vor der Verdammnis rettet.« — Aber der arme Yorick war
+der Meinung, daß dieses mühevolle Leben eine trübe und wertlose Sache
+bleiben muß, »Ihr hättet der Liebe denn ...« »Ich liebte eine oder
+die andere Prinzessin mein Leben lang. Und ich hoffe, ich werde es so
+halten bis zu meinem Ende, denn ich bin davon überzeugt, daß, wenn ich
+je einer häßlichen Tat fähig war, es zu einer Zeit war, die zwischen
+einer alten und einer neuen Leidenschaft lag.«</p>
+
+<p>So machte er nacheinander Miß Fourmentelle (einer schönen französischen
+Hugenottin), Frau Garrik, Lady Percy und Eliza Draper (der jungen Frau
+eines indischen Farmers) den Hof, ohne daß diese Aufzählung Anspruch
+auf Vollständigkeit machen kann. »<em class="antiqua">L'amour n'est rien sans le
+sentiment</em>,« sagte Sterne, »<em class="antiqua">Mais le sentiment permet tout</em>,«
+hätte er hinzusetzen sollen. Zweien von diesen Frauen gegenüber, Miß
+Fourmentelle und Eliza Draper, versteigen sich seine Empfindungen bis
+zu dem Ausruf: Möchte Gott uns die Tür zu einem gemeinsamen Leben
+öffnen. An seine »<em class="antiqua">Dear, dear Kitty</em>« (Miß Fourmentelle) schreibt
+er: »Ich bin keine Stunde ohne Wunsch, denn ich wünsche immer, mit
+Dir zusammen zu sein.« Ein Jahr darauf hat er sich kopfüber in ein
+anderes Gefühl gestürzt, er liegt in den Banden der Lady Percy, deren
+Abenteuer London genug Gelegenheiten zu Klatschereien gaben. »Ihre
+Augen und Lippen haben einen Mann zum Narren gemacht, den die ganze
+Stadt für einen sehr geistreichen Menschen hält.« Laurence Sterne
+war über fünfzig und seine Nerven trotz der italienischen Reise
+äußerst angegriffen, als er sich<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> zum letzten Male mit dem gewohnten
+Erfolg in den Glauben versetzte, daß er liebe. Eliza Draper war
+fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte, weil sie das Klima in Indien
+nicht vertragen konnte, bei Freunden in London. Sie gehörte zu jenen
+interessanten Frauen, die eine körperliche Anfälligkeit dem Manne nur
+noch sympathischer macht, weil sie ihm Gelegenheit gibt, in seiner
+Zärtlichkeit unermüdlich zu sein. Ganz London wußte von dieser neuen
+Liaison des armen Yorick, und irgendein Fant beeilte sich auch, Frau
+Sterne in Toulon davon zu unterrichten. Ich will davon nichts wissen,
+soll sie geantwortet haben. Später hat sie aber ihrem Gatten die Rolle
+des »Braminen«, die er bei der jungen Dame aus Indien spielte, von all
+seinen Abenteuern am wenigsten verzeihen können. Als sie mit Lydia nach
+York zurückkehrte, war Eliza Draper schon auf der Fahrt nach Bombay.</p>
+
+<p>Als wollte sich das Schicksal des armen Yorick wirklich seines Autors
+bemächtigen, so starb auch Sterne, »ob er gleich dem Anscheine nach
+bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, vor Kummer
+und Gram. Seine unvorsichtige Scherzhaftigkeit hatte ihn in solche
+Schlingen verwickelt, daraus ihn kein Nachwitz losmachen konnte.« Der
+Mann, der in Coxwould ein Haus und in York eine Wohnung hatte, dessen
+Familie nach fünf Jahren aus Frankreich eben erst zurückgekehrt war,
+der vergötterte Liebling der Pariser und Londoner Salons (aber ebenso
+hartnäckig von seinen Feinden verfolgt), starb am 16. März 1768 in
+einem möblierten Zimmer in der Bondstreet in London. Es lockte ihn
+der Ruhm der Großstadt, die Lorbeern der <em class="antiqua">sentimental Yourney</em>
+sollten ihn seinen<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> Kummer vergessen machen. Aber er mußte erfahren,
+daß auch der berühmteste Witzbold in dem Augenblick von seinen
+Freunden vergessen wird, wenn ihn Krankheit abhält, regelmäßig ihre
+Abendgesellschaften mit seinen cervantischen Einfällen zu würzen.
+Nicht einmal die geizige Vermieterin war bei dem Sterbenden. Und als
+ein Diener seiner Freunde sich nach dem Befinden des Herrn Sterne zu
+erkundigen kam, fand er einen Toten im Lehnstuhl. Leichenräuber gruben
+ihn am Tage seiner Beerdigung aus (es heißt, die Wirtin habe von dem
+Erlös ihren Mietzins abgezogen) und verkauften ihn an die Universität
+Cambridge, wo ein Professor den armen Yorick wiedererkannte.</p>
+
+<p>Das achtzehnte Jahrhundert hat seine besten Kinder am
+stiefmütterlichsten behandelt. Es gab ihnen die Süßigkeiten eines
+ungebundenen (wir sagen galanten) Lebens. Der Kern aber war eine
+bittere Mandel.</p>
+
+<p>Diese Ausgabe bringt die berühmte Übersetzung von Bode, die in
+Deutschland unter den vielen Übersetzungen, die sofort auf die
+englische Ausgabe folgten, als die bei weitem beste die größte
+Verbreitung hatte und an verschiedenen Orten mit und ohne Erlaubnis
+nachgedruckt wurde. Ich habe zum besseren Verständnis der kräftigen
+Ausdrucksweise, die auch der deutsche Text so gut getroffen hat, die
+Interpunktion und einige nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, die dem
+Gesichtskreis des modernen Lesers ganz entschwunden sind, geändert.
+Im ganzen aber ist der altmodische Stil gewahrt, der die Eigenart des
+achtzehnten Jahrhunderts und die unserer Prüderie bisweilen gefährliche
+Derbheit bewahrt und rechtfertigt. Den<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> ganzen Text zu bringen ist
+uns hier unmöglich. Die zahlreichen längeren Abschweifungen, die sich
+Sterne erlaubt, haben es leicht gemacht, dennoch den Charakter des
+Ganzen wie im einzelnen zu bewahren sowie die anschauliche Kraft der
+Shandystischen Meinungen.</p>
+
+<p class="mright5">W. M.</p>
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p>
+
+<hr class="full">
+
+<p class="s2 center mtop3"><b>Das Leben und die<br>
+ Meinungen von Herrn Tristram Shandy</b></p>
+</div>
+
+<h2>Erstes Kapitel.</h2>
+
+<p>Am fünften Tage des November 1718, welcher, von der festgesetzten
+Ära an gerechnet, neun Kalendermonate so richtig vollmachte, als es
+irgendein Ehemann billigerweise erwarten konnte, ward ich, Tristram
+Shandy, Erbherr, für diese unsere schäbige, unglücksvolle Welt geboren.
+— Ich wollte, ich wäre im Monde geboren worden oder in jedem anderen
+Planeten, nur nicht im Jupiter oder Saturn, weil ich mich gar nicht
+mit der Kälte vertragen kann; denn es könnte mir schwerlich in einem
+davon schlimmer ergangen sein — ob ich wohl für die Venus nicht gut
+sagen möchte — als in diesem schmutzigen Lumpendinge von Planeten,
+der, wenn ich meines Herzens Meinung, jedoch mit allem Respekt, frei
+heraus sagen soll, wohl nur von den Schnitzeln und Feilspänen gemacht
+ist, die von den übrigen abfielen. Noch wäre der Planet gut genug,
+wäre nur ein Mensch darauf als Erbe zu einem hohen Titel oder großen
+Vermögen geboren, oder wüßte er's nur so anzugreifen, daß er zu
+großen Ehrenämtern berufen würde, die ihm fein viel Ansehen und Macht
+erteilten; aber das ist nun mein Casus nicht, und also — jedermann
+spricht von der Messe, nachdem er auf derselben seinen Handel gemacht
+hat; deswegen also, sage ich noch einmal, es ist das elendeste
+Lumpending von einer Welt, die jemals gemacht worden; denn ich kann
+mit Wahrheit sagen, daß ich von der ersten Stunde an, da ich darin<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span>
+meinen Atem schöpfte, bis zu der jetzigen, da ich fast gar keinen mehr
+schöpfen kann wegen meines Asthmas, das ich mir dadurch zugezogen, daß
+ich in Flandern auf Schlittschuhen gegen den Wind lief, ein Spiel der
+mutwilligen Dame bin, welche die Welt Fortuna nennt; ob ich ihr gleich
+nicht das Unrecht tun und ihr nachsagen will, sie habe mich jemals die
+Last irgendeinen großen oder sich auszeichnenden Leidens fühlen lassen,
+so bezeuge ich doch mit aller möglichen Friedsamkeit von der Welt, daß
+bei allen Auftritten meines Lebens, und an jeder Ecke oder in jedem
+Winkel, wo sie mir nur einigermaßen beikommen konnte, sie mir einen
+Packen so jämmerlicher Widerwärtigkeiten und Querhändel an den Hals
+geworfen hat, als jemals ein kleiner Held hat erdulden müssen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_1">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweites Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Im Anfange des vorhergehenden Kapitels berichtete ich Ihnen ganz
+genau, wann ich geboren ward; — ich berichtete Ihnen aber nicht, wie?
+Nein, dieser Umstand ward für ein ganz eigenes Kapitel aufgespart.
+— Überdies, mein Herr, da Sie und ich gewissermaßen einander noch
+völlig unbekannt sind, so würde es sich nicht geschickt haben, Sie
+sogleich auf einmal mit verschiedenartigen Umständen, die nur mich
+angehen, bekannt zu machen. — Sie müssen ein wenig Geduld haben. Ich
+habe es unternommen, wie Sie sehen, nicht bloß mein Leben, sondern
+auch meine Meinungen zu schreiben in der Hoffnung und Erwartung, daß,
+wenn Sie erst meinen Charakter kennten und wüßten, von was für einem
+Schlage von Sterblichen ich bin, das eine Ihnen desto mehr Geschmack
+an dem andern beibringen würde. Sowie Sie weiter von mir fortgehen,
+wird die kleine Bekanntschaft, die eben unter uns anfängt, zu einer
+Vertraulichkeit auszuschlagen,<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> und diese, oder die Schuld müßte an
+einem von uns beiden liegen, wird sich in Freundschaft endigen. —
+<em class="antiqua">O diem præclaram!</em> — Dann wird nichts, was mir begegnet ist,
+für Kleinigkeit an sich selbst oder für langweilig in der Erzählung
+gehalten werden. Deswegen also, mein liebster Freund und Gefährte, wenn
+Sie meinen sollten, ich gehe im Anfange meiner Geschichten ein wenig
+sparsam zu Werke, so übersehen Sie's mir, und lassen Sie mich meinen
+Gang gehen und meine Historie auf meine Weise erzählen. Oder sollte es
+scheinen, daß ich dann und wann auf meinem Wege ein bißchen tändelte
+oder für ein paar Minuten, sowie wir weiter kommen, eine Kappe mit
+Schellen aufsetzte, so laufen Sie nur nicht gleich davon, sondern haben
+Sie die Gefälligkeit und geben mir für ein wenig mehr Weisheit Kredit,
+als mir an der Stirne geschrieben steht, und sowie wir fortwackeln,
+lachen Sie mit mir oder über mich, oder kurz, tun Sie, was Sie wollen.
+Nur ungeduldig müssen Sie nicht werden.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_2">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Drittes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Mein Vater, müssen Sie wissen, der eigentlich ein Kaufmann war und nach
+der Levante handelte, seit einigen Jahren aber den Handel niedergelegt
+hatte, um sich auf ein väterliches Landgut in der Grafschaft Z.
+zu begeben und daselbst zu leben und zu sterben, war, glaub' ich,
+der regelmäßigste Mann in allem, was er tat, es sei Geschäft oder
+Zeitvertreib.</p>
+
+<p>In ebendem Dorfe, worin mein Vater und meine Mutter wohnten, wohnte
+auch eine hagere Matrone, eine züchtige, alte, gute Frau von Hebamme,
+welche mit Hilfe etwas wenigen, schlechten Menschenverstandes, und
+weil sie einige Jahre hindurch alle Hände voll in ihrem Geschäfte zu
+tun hatte, wobei sie sich beständig auf ihre Bemühungen sehr wenig,
+auf Frau<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> Mutter Natur aber sehr stark verließ, nach ihrer Art keine
+geringe Staffel des Ruhms in der Welt erstiegen hatte. — Bei welchem
+Worte Welt ich Euer Hochedelgeboren notwendig sagen muß, daß Sie nicht
+denken, ich meine mehr damit als einen kleinen Zirkel, der auf dem
+Zirkel der großen Welt beschrieben ist, von vier englischen Meilen im
+Durchmesser oder so ungefähr, von welchem die Hütte, worin die gute
+alte Frau lebte, als Mittelpunkt angenommen werden muß. — Sie war, wie
+es scheint, in ihrem siebenundvierzigsten Jahre zur Witwe geworden mit
+drei oder vier kleinen Kindern in großer Dürftigkeit. Da sie damals
+eine Person von ehrbarer Aufführung, ernsthaftem Betragen, ja noch
+dazu ein Weibsbild von wenig Worten und obendrein ein Gegenstand des
+Mitleids war, deren Armut und das Stillschweigen, womit sie solche
+ertrug, desto lauter um freundschaftlichen Beistand rief, so ward die
+Frau des Pfarrers am Kirchspiel von Mitleid gerührt. Sie hatte schon
+oft einen üblen Umstand beklagt, dem die Herde ihres Eheherrn schon
+viele Jahre hindurch ausgesetzt war. Daß nämlich kein solches Ding
+als eine Hebamme von irgendeiner Art zu finden war, der Fall mochte
+so dringend sein, als er wollte. Man mußte erst sechs oder sieben
+lange Meilen danach reiten, welche besagte sieben lange Meilen bei
+finsteren Nächten und bösen Wegen, da der Boden in der Gegend umher aus
+zähem Lehm bestand, ebenso gut waren als vierzehn und dieses zuweilen
+ebensoviel hieß als gar keine Hebamme haben. So hatte die Frau Pfarrer
+den Einfall, daß es ein ebensowohl angebrachter Dienst für das ganze
+Kirchspiel als für die arme Frau selbst sein würde, wenn man sie ein
+wenig in den Anfangsgründen der Kunst unterweisen ließe, damit sie
+hernach Hebamme des Kirchspiels werden könnte. Da keine Frau in der
+ganzen Gegend geschickter war, ihren entworfenen Plan auszuführen,
+so übernahm es die Frau Pastor christlicherweise. Und sie vermochte<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span>
+über die weibliche Hälfte der Pfarrkinder soviel, daß sie ihn ohne
+Schwierigkeit nach allem Herzenswunsch ausführte. In der Tat half auch
+in dieser Sache der Pfarrer seiner Frau mit seinem ganzen Ansehen. Um
+in der gehörigen Ordnung zu Werke zu gehen und dem guten Geschöpfe
+ein ebenso gutes Recht zur Ausübung durch die Gesetze zu geben, als
+ihr seine Frau durch Unterweisung gegeben hatte, — bezahlte er mit
+Freuden aus seiner eigenen Tasche das Geld für den Freiheitsbrief
+vom Landphysikus, welches sich überhaupt ungefähr auf einen Louisdor
+belief. So wurde die gute Frau unter vier Augen völlig in den wahren
+und körperlichen Besitz ihres Amtes eingesetzt mit allen seinen
+Rechten, Artikeln und Gefällen, wie sie auch immer Namen haben mochten.</p>
+
+<p>Diese letzten Worte, müssen Sie wissen, standen nicht in dem
+alten Formular, nach welchem gewöhnlich solche Freiheitsbriefe
+und Vollmachtsscheine lauteten, sondern waren aus einem netten
+Formularbuche des Didius eigener Erfindung genommen, welcher, aus
+einer besonderen Gabe, alle dergleichen Instrumente zu zerstückeln und
+von neuem zusammenzufügen, nicht allein diese herrliche Verbesserung
+ausersann, sondern auch mancher von den alten privilegierten Matronen
+in der Nachbarschaft den Mund so wässerig machte, daß sie ihren
+Freiheitsbrief auffrischen ließ, um diesen seinen Bimbam beigefügt zu
+haben.</p>
+
+<p>Ich gestehe, ich habe Didius wegen dieser Art von seinen Einfällen
+niemals beneiden können; aber laß jedermann seinen besonderen
+Geschmack. — Fand nicht <em class="antiqua">Dr.</em> Kunastrokius, dieser große Mann,
+in müßigen Stunden darin das größte erdenkliche Vergnügen, daß er
+Eselsschwänze klar kämmte und die tauben Haare mit seinen Zähnen
+ausrupfte, obgleich er beständig die Haarzange bei sich in der Tasche
+trug? Ja, weil Sie doch einmal daraufkommen, mein Herr, hatten nicht
+die weisesten Männer zu allen Zeiten, Salomo selbst nicht ausgenommen,<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span>
+ihre Steckenpferde, ihre Wettrenner, ihre Münzsammlung, ihre Konzilien,
+ihre Trommeln, ihre Trompeten, ihre Geigen, ihre Paletten, ihre
+chinesischen Porzellanfiguren, ihre Schmetterlinge? Solang' ein Mann
+sein Steckenpferd auf der Heerstraße ruhig und friedsam fortreitet und
+weder Sie noch mich zwingen will, mit ihm zu reiten, — ich bitte Sie,
+mein Herr, was geht es Sie oder mich an?</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_3">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Viertes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Was für einen Grad des kleinen Verdienstes die wohltätige Handlung zum
+Besten der Hebamme mit Recht heischen könnte, oder wem dieses Recht
+eigentlich zustand, das scheint beim ersten Anblick nicht wesentlich zu
+dieser Geschichte zu gehören. — Soviel war aber gewiß, daß die Frau
+Pastor zu der Zeit mit dem ganzen Ruhm davon durchging. Dennoch kann
+ich für mein Leben nicht umhin, zu denken, daß der Pfarrer selbst, ob
+er gleich nicht das Glück hatte, zuerst auf den Einfall zu kommen,
+dennoch, da er den Augenblick, da ihm die Sache vorgetragen wurde,
+herzlich gerne Teil daran nahm und ebenso herzlich gerne sein Geld
+hergab sie auszuführen, ein Recht auf etwas, wo nicht zur vollen Hälfte
+von aller der Ehre hatte, die ihr gebührte.</p>
+
+<p>Der Welt gefiel es damals, die Sache anders zu entscheiden.</p>
+
+<p>Legen Sie das Buch weg, und ich gebe Ihnen einen halben Tag Zeit, eine
+wahrscheinliche Mutmaßung von dem Grunde dieses Verfahrens ausfindig zu
+machen.</p>
+
+<p>Man wisse also, daß ungefähr fünf Jahre vor dem Datum, unter welchem
+der Hebamme der Freiheitsbrief ausgestellt wurde, von welchem Sie
+eine so umständliche Nachricht erhalten, der Pfarrer sich durch einen
+Fehler gegen alles<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> Dekorum, den er gegen sich selbst, seinen Stand und
+sein Amt begangen, ins Gerede der Leute gebracht hatte. Der bestand
+darin, daß er niemals ein anderes oder besseres Pferd ritt als ein
+dürres, steifes Roß, ungefähr neuneinhalb Taler wert, welches, um es
+kurz zu beschreiben, ein so echter Bruder vom Rosinante war, als ihn
+die leibhaftige Ähnlichkeit dazu machen konnte; denn die Beschreibung
+fehlte nicht um Haaresbreite. — Ausgenommen, daß ich mich nicht
+erinnere, daß es irgendwo gesagt worden, Rosinante habe sich verfangen
+gehabt, und auch dieses, daß Rosinante, wie es die Glückseligkeit fast
+aller spanischen Hengste ist, ganz gewiß in allen Punkten ein volles
+Pferd war.</p>
+
+<p>Ich weiß recht gut, daß das Pferd des Helden ein Pferd von sehr
+keuscher Aufführung war, und das mag Gelegenheit zu einer gegenseitigen
+Meinung gegeben haben. Es ist aber zu gleicher Zeit ebenso gewiß, daß
+die Enthaltsamkeit des Rosinante aus keinem körperlichen Mangel oder
+irgendeiner andern Ursache herrührte als aus dem Mangel an Temperament
+und dem ordentlichen Umlaufe des Bluts. Und erlauben Sie mir, Ihnen zu
+sagen, Madame, es gibt manche ehrliche Keuschheit in der Welt, für die
+Sie nichts mehr anführen könnten, und stünde auch Ihr Leben darauf.</p>
+
+<p>Das nebenher. Da meine Absicht ist, jeder Kreatur, die auf der Szene
+dieses dramatischen Werkes vorkommt, die strengste Gerechtigkeit
+angedeihen zu lassen, so konnte ich diese Distinktion zum Besten Don
+Quixotes Pferd nicht unterdrücken. In allen übrigen Punkten sage ich,
+war des Pfarrers Pferd ihm völlig gleich; denn es war ein so mageres
+und so dünnes, elendes Roß, daß die Demut es in eigener Person hätte
+beschreiben können.</p>
+
+<p>Nach dem Dafürhalten eines Mannes von schwachem Urteile stand es sehr
+gut in des Pfarrers Macht, der Figur dieses seines Pferdes aufzuhelfen;
+denn er besaß einen sehr<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> hübschen Reitsattel, der auf dem Gesäß mit
+grünem Plüsch gepolstert war, ausgeziert mit einer doppelten Reihe
+von silbernen Stiften, und ein herrliches Paar glänzender messingener
+Steigbügel, eine Schabracke von sehr feinem, grünem Tuche, am Rande mit
+schwarzen Spitzen besetzt, wovon lange, schwarze seidene Fransen, mit
+goldenen Fäden vermischt, herabhingen. — Alles dieses hatte er, nebst
+mit Silber belegten Stangen und einer gehörig zierlichen Trense in der
+Blüte seines Lebens gekauft. — Da er aber sein Pferd nicht zum Narren
+haben wollte, hatte er das alles in seiner Studierstube hinter der Türe
+aufgehängt. — Und statt dessen hatte er ganz ernsthaft gerade solch
+einen Zaum und Sattel angeschafft, als sich für die Gestalt und den
+Wert eines solchen Tieres eigentlich schickten und gebührten.</p>
+
+<p>Auf den verschiedenen Ritten in seinem Kirchspiel und gelegentlich
+der Besuche bei dem kleinen Landadel, welcher in der Nachbarschaft um
+ihn herum wohnte, können Sie leicht begreifen, daß der solchergestalt
+ausstaffierte Pfarrer genug zu sehen und zu hören bekommen mußte, um
+seine Philosophie vorm Verrosten zu bewahren. Die Wahrheit zu sagen,
+er konnte niemals in ein Dorf reiten, oder er zog die Aufmerksamkeit
+der Alten und Jungen auf sich. — Die Arbeit stand still, wenn er
+vorbeiritt, — der Eimer blieb im Brunnen schweben, — das Spinnrad
+vergaß seinen Lauf — selbst die Häuflein Kinder beim Kügelchen-
+oder die größeren Buben beim Münz- und Letterspiel vergaßen alles
+und standen mit offenem Munde, bis sie ihn aus dem Gesicht verloren.
+Da seine Bewegung nicht die schnellste war, so hatte er gewöhnlich
+mehr als zuviel Zeit, seine Beobachtungen anzustellen, das Seufzen
+der Ernsthaften und das Lachen der Leichtherzigen zu hören, was er
+mit unvergleichlicher Ruhe ertrug. — Sein Charakter war, er liebte
+einen kurzweiligen Einfall im Grunde der Seele, und da er sich selbst
+in einer<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> wahren Lächerlichkeit sah, so, pflegte er zu sagen, könnte
+er sich über andere Leute nicht ärgern, wenn sie ihn in einem Lichte
+erblickten, das ihm selbst so stark auffiele, dergestalt, daß er bei
+seinen Freunden, welche wußten, daß die Liebe zum Gelde seine Schwäche
+nicht war, und sich daher am wenigsten ein Gewissen daraus machten, ihn
+mit seiner drolligen Laune aufzuziehen, anstatt die wahren Ursachen
+anzugeben, — lieber in das Gelächter über sich selbst mit einstimmte.
+— Da er selbst keine Unze Fleisch auf seinen eigenen Knochen trug,
+sondern ebenso hager von Ansehen war, wie sein Tier, so behauptete er
+zuweilen, das Pferd wäre so gut, als es der Reiter verdiente, beide
+machten einen Zentauren — aus einem Stücke. Zu anderen Zeiten und bei
+anderer Laune, wenn er zu stark war, den Versuchungen des falschen
+Witzes zu unterliegen, sagte er wohl, er fühlte sich selbst auf
+einem guten Wege zur Auszehrung. Ein anderes Mal gab er wohl fünfzig
+sonderbare und entgegenstehende Ursachen an, warum er ein demütiges
+und wehmütiges Gespenst von keuchendem Rappen lieber ritte als ein
+mutiges Pferd. Auf so einem könnte er ganz mechanisch sitzen und nach
+Herzenslust <em class="antiqua">de vanitate mundi et saeculi</em> meditieren, so gut,
+als ob er einen Totenkopf vor sich stehen hätte. Wenn er so langsam
+vor sich hin ritte, könnte er seine Zeit zu allerlei Geistesübungen
+ebensogut anwenden, als ob er auf seinem Studierstuhle säße. Er könne
+eine Lücke in seiner Predigt — oder ein Loch in seinen Beinkleidern
+— auf dem einen so gut wie auf dem anderen flicken. — Munteres
+Trottieren und langsames Argumentieren wären wie Witz und Verstand
+zwei unverträgliche Bewegungen. Auf seinem Rosse aber könne er alles
+miteinander verbinden und vereinigen; er könne darauf das Studieren auf
+seine Predigt abwarten und seinen Husten und, falls ihn die Natur dazu
+einlüde, seine Mittagsruhe obendrein. Kurz, der Pfarrer<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> führte bei
+solchen Angriffen alle Ursachen an, nur die wahre nicht. — Die wahre
+hielt er zurück aus einer bloß ihm eigenen Bedenklichkeit: — weil er
+glaubte, sie mache ihm Ehre.</p>
+
+<p>Der wahre Knoten der Geschichte aber war folgender: In den ersten
+Amtsjahren dieses Mannes, und zu der Zeit, da der prächtige Sattel
+und Zaum angeschafft wurden, war es so seine Art oder Eitelkeit, oder
+nennen Sie's, wie Sie wollen, auf der entgegengesetzten Seite zuviel
+zu tun. In der Sprache des Landes hieß es: er hielte große Stücke auf
+einen guten Reithengst. Gewöhnlich hatte er auch einen der besten im
+ganzen Kirchspiele sattelfertig im Stalle stehen. Und da die nächste
+Hebamme, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht näher beim Dorfe wohnte als
+sieben Meilen, in einer Gegend, wo lauter tiefe Wege waren, so fiel's
+immer dahin aus, daß selten eine ganze Woche hinging, da nicht an den
+armen Mann eine flehentliche Bitte um sein Tier gelangte. Er war kein
+hartherziger Mann, und jeder Fall war immer dringender und jammervoller
+als der vorige. So lieb er also sein Pferd haben mochte, so konnte er's
+doch nicht übers Herz bringen, nein zu sagen. Das Ende vom Liede war
+dann gemeiniglich, daß sein Pferd gedrückt war oder Drüsen bekam oder
+die Fußgallen oder ward spatlahm oder hatte sich verfangen oder kurz,
+hatte einen oder den anderen Fehler bekommen, der es rauhaarig machte
+und ihm kein Fleisch auf den Knochen ließ. So hatte er alle neun oder
+zehn Monate eine Kracke abstehen und ein gutes Pferd an ihrer Statt
+wieder zu kaufen.</p>
+
+<p>Wie hoch sich, ein Jahr ins andere gerechnet, der Verlust in einer
+Solchen Bilanz belaufen mochte, das überlasse ich einer eigentlich dazu
+erwählten Zahl von Obmännern zu bestimmen, die selbst bei dergleichen
+Handel gelitten haben. — Aber laß ihn so groß gewesen sein, wie er
+wolle, der<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> ehrliche Mann ertrug ihn viele Jahre lang ohne Murren,
+bis er endlich, nach zu oft wiederholten Zufällen dieser Art, es für
+nötig fand, die Sache in Erwägung zu ziehen, und beim Überrechnen und
+Aufsummieren in seinen Gedanken herausbrachte, daß es nicht nur kein
+Verhältnis gegen seine übrigen Ausgaben hätte, sondern auch schon
+an und für sich ein so lästiger Artikel wäre, daß er ihn unfähig
+mache, irgendeine andere großmütige Handlung in seinem Kirchspiel
+auszuüben. Zudem machte er die Überlegung, daß er mit der Hälfte dieser
+verrittenen Summe zehnmal soviel Gutes tun könnte. Und was noch mehr
+Gewicht bei ihm hatte als alle andere Betrachtungen zusammengenommen,
+war dies, daß er alle seine Werke der Barmherzigkeit auf einen
+besonderen Teil einschränkte, der ihrer nach seiner Einbildung am
+wenigsten bedurfte, nämlich den schwangeren und gebärenden Teil seines
+Kirchspiels. Er behielt nichts übrig für die Schwachen und Kranken,
+nichts für die betagten Alten, nichts für die jammervollen Auftritte,
+zu denen er stündlich gerufen wurde, woselbst Armut, Krankheit und
+Elend beisammen wohnten.</p>
+
+<p>Aus diesen Ursachen beschloß er, den Aufwand einzuziehen, und dazu
+hatte er, wie's ihm schien, nur zwei mögliche Wege, und diese waren,
+entweder sich's zu einem unverbrüchlichen Gesetze zu machen, sein Pferd
+niemals wieder auszuleihen, man möchte ihn bitten, so sehr man wollte,
+oder sich darein zu finden, daß er den letzten armen Köter von Rappen,
+so wie sie ihn zugerichtet hatten, fortritte, mit allen Seinen Fehlern
+und Gebrechen, bis ans äußerste Ende des Kirchspiels.</p>
+
+<p>Da er seiner eigenen Standhaftigkeit nicht traute, erwählte er ganz
+getrost den zweiten Weg, und ob er gleich, wie ich gesagt habe, es
+hätte zu seiner Ehre verkünden können, so sah er aus Großmut davon
+ab und wollte lieber die Verachtung<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> seiner Feinde und das Gelächter
+seiner Freunde erdulden, als sich der Mühe unterziehen, eine Geschichte
+zu erzählen, welche eine Lobrede auf ihn selbst scheinen möchte.</p>
+
+<p>Ich habe den höchsten Begriff von den großmütigen und zarten
+Gesinnungen dieses ehrwürdigen Geistlichen aus diesem einzigen Zuge in
+seinem Charakter gefaßt, der nach meiner Meinung ebensoweit geht als
+irgendeine von den treugemeinten Zärtlichkeiten des unvergleichlichen
+Ritters v. Mancha, welchen ich, im Vorbeigehen gesagt, mit allen Seinen
+Narrheiten lieber habe und viel weiter gereist sein würde, um ihn zu
+besuchen, als den größten Helden des Altertums.</p>
+
+<p>Aber das ist nicht die Moral aus meiner Erzählung. Was ich eigentlich
+im Sinne hatte, war, zu zeigen, wie sich die Welt bei dieser ganzen
+Sache benahm; denn Sie müssen wissen, solange als diese Aufklärung
+dem Pfarrer Ehre gebracht hätte, fand sich keine arme Seele, die
+dahinterzukommen vermochte. — Ich glaube, seine Feinde wollten nicht,
+und seine Freunde konnten nicht. — Aber sobald er sich zum Besten der
+Hebamme bemühte und das Geld für ihr Examen und ihren Erlaubnisschein
+bezahlte, war das ganze Geheimnis heraus. Jedes Pferd, das ihm
+draufgegangen war, und noch ein paar darüber, mit allen Umständen, wie
+sie zugrunde gerichtet worden, kamen ans Licht und wurden der Länge
+nach her erzählt. Die Geschichte griff um sich wie wildes Feuer.</p>
+
+<p>Der Pfarrer habe einen neuen Anfall vom Hochmutsteufel bekommen und
+stände im Begriff, noch einmal in Seinem Leben wieder ein gutes Pferd
+für seinen Leib zu halten, und wenn das geschähe, so wäre es so klar
+wie die liebe Sonne am hellen Mittage, daß er die Ausgabe für die
+Hebamme in einem einzigen Jahre zehnfach im Sack behielte. Man könne
+also beurteilen, was für Absichten er bei dieser Barmherzigkeit gehabt
+hätte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span></p>
+
+<p>Was für Absichten er bei dieser oder jeder anderen Handlung in seinem
+Leben gehabt, oder vielmehr, was für Meinungen darüber in dem Gehirn
+anderer Leute schwammen, war ein Gedanke, der zuviel in seinem eigenen
+umherschwamm und ihn zu oft in seiner Ruhe störte, wenn er eines
+gesunden Schlafes bedurfte.</p>
+
+<p>Vor ungefähr zehn Jahren hatte dieser brave Mann das gute Glück, über
+diesen Punkt völlig beruhigt zu werden; denn gerade so lange ist es
+her, daß er seine Pfarre und zugleich die ganze Welt hinter sich ließ
+und einem Richter zur Rechenschaft steht, über den sich zu beklagen er
+nicht Ursache haben wird.</p>
+
+<p>Es gibt ein unvermeidliches Schicksal, das die Handlungen einiger
+Menschen begleitet. Laß sie solche einrichten, wie sie wollen; sie
+fallen durch ein gewisses Mittelglas, welches die Strahlen dieser
+Handlungen so verwirrt und in ihrer wahren Richtung solchergestalt
+bricht, daß, mit allen den Ansprüchen auf Lob, welche die
+Rechtschaffenheit des Herzens geben kann, diejenigen, die sie ausüben,
+gleichwohl leben und sterben müssen, ohne es zu genießen.</p>
+
+<p>Daß dieses eine Wahrheit sei, davon war dieser Geistliche ein
+unangenehmes Beispiel. Um aber zu wissen, wie das zuging und dieses
+Wissen Ihnen nützlich zu machen, muß ich ausdrücklich verlangen, daß
+Sie die zwei folgenden Kapitel lesen, welche eine solche Skizze von
+seinem Leben und Umgange enthalten, daß die Moral zugleich mit darin
+ist. Wenn dies geschehen ist und uns kein anderer Stein in den Weg
+fällt, dann wollen wir mit der Hebamme weitergehen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_4">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p>
+
+<h2>Fünftes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Yorick war dieses Geistlichen Name, und was dabei sehr merkwürdig,
+wie aus einer sehr alten, auf dickes Pergament geschriebenen
+Familiennachricht, die noch gut erhalten ist, hervorgeht, er ist genau
+ebenso buchstabiert, seit fast — auf ein Haar breit hätte ich gesagt
+neunhundert Jahren. Ich mag aber meine Zuverlässigkeit dadurch keinem
+Zweifel unterwerfen, daß ich eine unwahrscheinliche Wahrheit sage, so
+unbezweifelt richtig sie auch an sich selbst ist. Also will ich mich
+begnügen, bloß zu sagen, er ist genau ebenso buchstabiert, ohne die
+geringste Veränderung oder Versetzung eines einzigen Buchstabens. Hat
+dies an dem Hochmute oder an der Schamhaftigkeit ihrer respektiven
+Eigner gelegen? Die offenherzige Wahrheit zu sagen, ich glaube,
+zuweilen an dem einen und zuweilen an der anderen, nachdem es die
+Versuchung so mit sich brachte. Eine häßliche Sache aber bleibt's doch
+immer und wird uns eines Tages noch so untereinander vermischen und
+vermengen, daß kein Mensch vermögend sein wird, die Finger aufzuheben
+und zu schwören, daß sein leiblicher Urgroßvater der Mann war, der
+dieses oder jenes tat.</p>
+
+<p>Diesem Übel war durch die kluge Vorsicht der Yorickschen Vorfahren und
+ihre sorgfältige Aufbewahrung des angeführten Pergaments hinlänglich
+vorgebaut. Die Urkunde teilt uns ferner mit, daß das Geschlecht
+eigentlich dänischen Ursprungs und bereits unter der Regierung des
+dänischen Königs Horwendilius nach England verpflanzt worden sei.
+An dem Hofe dieses letzteren, scheint es, bekleidete einer von den
+Vorfahren unseres Herrn Yorick, von welchem er in gerader Linie
+abstammt, bis an das Ende seines Lebens einen ansehnlichen Posten.
+Von was für einer Art dieser ansehnliche Posten gewesen, sagt das
+Familienregister nicht. Es fügt nur hinzu, daß er seit fast zweihundert
+Jahren nicht allein an<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> diesem, sondern beinahe an allen anderen
+christlichen Höfen als völlig unnötig eingegangen sei.</p>
+
+<p>Es ist mir oft in den Kopf gekommen, daß dieser Posten wohl kein
+anderer habe sein können als des Königs Oberspaßmacher, und daß Hamlets
+Yorick in unserem Shakespeare, dessen dramatische Stücke, wie Sie
+wissen, sich oft auf wahre Geschichten gründen, gerade derselbe Mann
+war.</p>
+
+<p>Ich habe nicht Zeit, die dänische Geschichte des Saxo-Grammatikus
+nachzuschlagen, um hierüber Gewißheit zu bekommen. Das können Sie
+aber ebensogut selbst tun, wenn Sie Muße haben und das Buch unschwer
+erhalten können.</p>
+
+<p>Ich hatte eben nur soviel Zeit auf meinen Reisen durch Dänemark mit
+Herrn Neddys ältestem Sohne, den ich 1741 als Hofmeister begleitete und
+mit Extrapost durch die meisten Teile von Europa führte, daß die Pferde
+rauchten, — ich hatte eben nur soviel Zeit, sage ich, und zu nichts
+mehrerem, die Wahrheit der Bemerkung bestätigt zu finden, die jemand
+gemacht, der sich lange in dem Lande aufgehalten hatte, daß nämlich die
+Natur weder sehr verschwenderisch noch sehr knickerig mit ihren Gaben
+von Genie und Fähigkeiten gegen seine Einwohner sei; — sondern, gleich
+einer klugen Mutter, gegen alle mäßig gütig wäre; daß sie bei der
+Austeilung ihrer Geschenke dergestalt Ebenmaß hielte, daß sie solche
+so ziemlich einander gleich machte. So daß Sie in diesem Reiche wenige
+Beispiele von hervorragenden Genies finden werden, wohl aber ziemlich
+viel von gutem natürlichen Alltagsverstande in allen Ständen und bei
+allen Leuten, wovon jedermann sein Teil bekommen hat, was denn auch
+nach meiner Meinung ganz recht ist.</p>
+
+<p>Bei uns, sehen Sie, geht die Sache ganz anders zu. Wir stehen alle,
+was diese Materie betrifft, sehr hoch oder sehr tief. Sie sind ein
+großes Genie, mein Herr, oder fünfzig gegen eins: Sie sind ein großer
+Dummkopf. Nicht als ob<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> es so ganz und gar an Mittelstufen fehlte.
+— Nein, so völlig außer aller Regel sind wir nun wohl nicht. Aber
+die beiden äußersten Spitzen sind gewöhnlicher und stehen weiter
+voneinander in dieser unsteten Insel, wo selbst die Natur in ihren
+Gaben und Austeilungen dieser Art höchst willkürlich und eigensinnig
+ist. Das Glück selbst kann in Bescherung seiner Habe und Güter nicht
+sonderbarer zu Werke gehen als sie.</p>
+
+<p>Das ist es alles, was mich jemals in meinem Glauben von Yoricks
+Abkunft wankend gemacht hat, welcher, soviel ich mich erinnern kann,
+und zufolge aller Nachrichten, die ich nur von ihm habe erhalten
+können, nicht einen einzigen Tropfen dänisches Blut in seiner ganzen
+Mischung zu haben schien. In neunhundert Jahren kann es möglicherweise
+alles verlaufen sein. Philosophieren darüber mag ich indessen keinen
+Augenblick mit Ihnen. Denn es mag zugegangen sein, wie es wolle, so ist
+soviel zuverlässig, daß statt des kalten Phlegmas und der ängstlichen
+Regelmäßigkeit des Verstandes und der Laune, die Sie bei einem Manne
+von dergleichen Abkunft erwartet hätten —, er vielmehr von so zarter
+Körperbeschaffenheit war, als nur immer das mildeste Klima hätte
+hervorbringen und zusammensetzen können. Bei allen diesen Segeln
+hatte der arme Yorick dennoch keine Unze Ballast geladen. Er hatte
+nicht die geringste Weltkenntnis. In einem Alter von einundzwanzig
+Jahren wußte er ebensoviel davon, wohin er sein Ruder halten sollte,
+als ein unschuldiges Mädchen von dreizehn Jahren, das unter Knaben
+die Blindekuh spielt. Sie können sich denken, daß ihn also bei seiner
+ersten Ausfahrt der rasche Windstoß seiner Lebensgeister wohl zehnmal
+des Tages in fremdes Tauwerk trieb, und da ihm die Ernsthaften und
+Bedächtigeren am meisten auf seinem Wege aufstießen, — so können Sie
+sich ebenfalls leicht vorstellen, daß es gerade solche waren, mit
+denen er das Unglück hatte, sich<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> am ärgsten zu verwickeln. Ich bin
+immer der Meinung, daß eine kleine Mischung von unglücklichem Witz am
+Ende der Grund aller dieser Händel war. Yorick hatte, die Wahrheit zu
+sagen, von Natur einen unbeweglichen Widerwillen und Abscheu gegen die
+Ernsthaftigkeit. Nicht gegen die wirkliche Ernsthaftigkeit; denn er
+konnte, wenn's darauf ankam, tage- und wochenlang der ernsthafteste
+Sterbliche von der Welt sein. Aber der nachgeäfften Ernsthaftigkeit war
+er herzlich feind und kündigte ihr den öffentlichen Krieg an, insofern
+sie ein Deckmantel der Unwissenheit oder Narrheit schien. Wo sie ihm
+nur aufstieß, sie mochte auch noch so mächtigen Schutz haben, gab er
+ihr sehr selten Pardon.</p>
+
+<p>Zuweilen, nach seiner unbedachtsamen Art zu reden, pflegte er zu
+sagen, die affektierte Ernsthaftigkeit sei eine durchtriebene Bübin,
+und setzte noch wohl hinzu: von der gefährlichsten Gattung, weil sie
+so listig sei. Er glaube im Ernste, sie brächte in einem Jahre mehr
+ehrliche, sorglose Leute um ihr Gut und Geld, als Beutelschneider
+und Spitzbuben in sieben tun könnten. In der nackten Gemütsart, die
+ein fröhliches Herz sehen läßt, sagte er, stecke keine Gefahr als
+nur für den Besitzer, dahingegen das wahre Wesen der affektierten
+Ernsthaftigkeit Vorsatz und folglich Betrug wäre. Es wäre ein
+studierter Kunstgriff, sich bei der Welt das Zutrauen zu erwerben,
+als ob man mehr Verstand und Einsicht habe, als in der Tat wahr sei.
+Ungeachtet alles dessen, wofür sie gerne gehalten sein wollte, wäre
+sie doch nicht besser, sondern oft noch schlimmer als die Definition,
+die schon vor langer Zeit ein witziger Franzose von ihr gegeben
+hätte: ein geheimnisvolles Bestreben des Körpers, die Gebrechen des
+Gemüts zu verbergen. Diese Definition der Ernsthaftigkeit, pflegte
+Yorick unbehutsamerweise zu sagen, verdiente mit goldenen Buchstaben
+geschrieben zu werden.</p>
+
+<p>Er war aber, um das Kind beim rechten Namen zu<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> nennen, unerfahren
+in der Welt, und unversucht und war ebenso unbedachtsam und töricht
+bei jedem andern Vorwurfe des Gesprächs, wobei die Politik gewöhnlich
+befiehlt, sich Zwang aufzuerlegen. Yorick nahm keine anderen Eindrücke
+an als nur einen. Das war der, welcher aus der Natur der Handlung
+entstand, wovon gesprochen wurde, welchen Eindruck er dann gewöhnlich
+ohne allen Umschweif geradeheraus sagte, nur zu oft, ohne dabei auf
+Person, Zeit oder Ort zu achten, dergestalt, daß, wenn eines niedrigen,
+unedlen Verfahrens Erwähnung geschah, er sich niemals einen Augenblick
+Zeit ließ, zu überlegen, wer der Held des Stückes sei, von welchem
+Stande oder was für Macht er habe, ihm hiernächst zu schaden. Es
+war für ihn eine schändliche Handlung, ohne weitere Komplimente —
+der Mann ein schändlicher Kerl und so weiter. Da seine Kommentare
+unglücklicherweise zumeist mit einem witzigen Einfall endigten oder
+durchgängig von drolligen, launigen Ausdrücken belebt waren, so gab das
+seinen Übereilungen Flügel. Mit einem Worte, ob er gleich niemals die
+Gelegenheit suchte, sie aber auch selten vermied, wo er geradezu und
+ohne viel Umstände heraus sagen konnte, was ihm in den Mund kam, so
+hatte er in seinem Leben nur zuviel Versuchung, seinen Witz und seine
+Laune, seinen Spott und seine Satiren auszuschütten. Sie gingen aus
+Überfluß an Auflesern nicht verloren.</p>
+
+<p>Was für Folgen das hatte, und was sich Yorick für eine Katastrophe
+dadurch zuzog, das können Sie im nächsten Kapitel lesen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_5">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Der hypothekarische Gläubiger und der hypothekarische Schuldner denken
+über die Länge der Zeit in Geldsachen<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> nicht verschiedener als der
+Spötter und der Ausgespottete über die Länge des Gedächtnisses. Doch
+hierin geht das Gleichnis unter ihnen, wie die Scholasten es nennen,
+auf allen vieren, was, im Vorbeigehen anzumerken, auf einem oder
+zweien Füßen mehr ist, als sich einige der besten im Homer rühmen
+können. Der eine trägt eine Summe, der andere ein Gelächter auf Kosten
+eines Dritten davon und denkt nicht weiter daran. — In beiden Fällen
+gleichwohl laufen die Interessen in die Höhe. Der festgesetzte oder
+zufällige Zahlungstag dient nur gerade dazu, die Sache nicht völlig ins
+Vergessen kommen zu lassen, bis endlich, zu einer bösen Stunde, der
+Gläubiger zu beiden kommt, auf der Stelle sein Kapital mit den vollen
+Interessen bis auf den letzten Tag fordert und beide die Gültigkeit
+ihrer Obligationen in ihrer ganzen Ausdehnung fühlen läßt.</p>
+
+<p>Da der Leser (ich kann die Wenns nicht leiden) eine gründliche Kenntnis
+der menschlichen Natur hat, so brauche ich nichts mehr zu sagen, um
+ihn zu überzeugen, daß mein Held es nicht lange so forttreiben konnte,
+ohne eine oder die andere kleine Erfahrung zu machen. Die Wahrheit zu
+gestehen, hatte er sich üppigerweise in eine Menge kleiner Buchschulden
+von diesem Schlage verwickelt, welche er, ungeachtet Eugenius' häufiger
+Warnung, zu sehr auf die leichte Achsel nahm. Er meinte, da er keine
+einzige davon aus böser Absicht gemacht, sondern vielmehr aus sehr
+redlichem Herzen und aus bloßer aufgeräumter Gemütsart, so würden sie
+sich alle bei Gelegenheit von selbst tilgen.</p>
+
+<p>Eugenius wollte ihm das niemals zugeben und sagte oft zu ihm, daß man
+ihm ein oder des andern Tages die Rechnungen gewiß einschicken würde,
+und zwar, fügte er oft mit einem traurigen, ahnungsvollen Tone hinzu,
+wird man weder Pfennig noch Heller vergessen, worauf Yorick nach seiner
+gewöhnlichen Sorglosigkeit des Herzens mit einem:<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> »Warum nicht gar?«
+zu antworten pflegte, und fiel das Gespräch im freien Felde vor, mit
+einem Linksumkehrt, einem Vor- oder Seitensprunge statt der Antwort.
+War er aber beim geselligen Kamine, in einer Ecke hinter einem Tische
+und ein paar Lehnstühlen eingeschlossen, wo der arme Sünder stichhalten
+mußte und nicht so leicht davonwischen konnte, — dann fuhr Eugenius
+mit seiner Klugheit in ungefähr folgenden Worten fort, die aber ein
+wenig besser zusammengefügt waren:</p>
+
+<p>»Glaube mir, lieber Yorick, diese deine unvorsichtige Scherzhaftigkeit
+wird dich früher oder später in solche Schlingen verwickeln, aus
+welchen dich kein Nachwitz wird losmachen können. — Bei diesen
+Angriffen seh' ich's zu oft, daß der Mann, über den gelacht wird,
+sich in dem Lichte einer beleidigten Person betrachtet, mit allen
+den Rechten, die ihm in einer solchen Lage zustehen. Und wenn du
+ihn ebenfalls in diesem Lichte betrachtest und seine Freunde, seine
+Angehörigen, seine Verwandten und Bundesgenossen zusammenrechnest und
+die vielen Rekruten mit in die Glieder stellst, die sich aus Besorgnis
+einer gemeinschaftlichen Gefahr in seinem Dienst werden anwerben
+lassen, dann ist es keine übertriebene Rechnung, wenn man sagt, für
+jede zehn spitzige Einfälle hast du dir hundert Feinde erkauft, du
+willst es nicht glauben, bis du so weit gekommen bist, daß dir das
+aufgerührte Wespennest um die Ohren summt und dich halbtot gestochen
+hat.</p>
+
+<p>Ich kann von dem Manne, den ich hochachte, nicht argwöhnen, daß ihn der
+kleinste Sporn von Milzsucht oder menschenfeindlicher Absicht zu diesen
+Angriffen reize. Ich glaube und bin überzeugt, sie sind unschuldig und
+bloß als Scherz gemeint. Aber bedenke es wohl, lieber Junge, Narren
+können den Unterschied nicht einsehen, und — Buben wollen nicht. Du
+weißt nicht, was es heißt, den einen zu zerren oder mit dem andern zu
+tändeln! Wo sie sich jemals zu<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> gemeinsamer Verteidigung zusammentun,
+so, glaube mir, werden sie den Krieg gegen dich auf eine solche Art
+führen, mein liebster Freund, daß du seiner und deines Lebens dazu
+herzlich satt werden wirst.</p>
+
+<p>Die Rachsucht wird aus einem giftigen Winkel ein ehrenrühriges
+Märchen gegen dich richten, welches weder Unschuld des Herzens
+noch Unsträflichkeit des Wandels abwehren wird. Die Glückseligkeit
+deines Hauses wird erschüttert, dein guter Leumund, worauf sie ruht,
+allenthalben verwundet, deine Redlichkeit in Zweifel gezogen, deine
+Taten belogen, dein Witz vergessen, deine Gelehrsamkeit mit Füßen
+getreten, und, um dir den letzten Auftritt deines Trauerspiels vor die
+Augen zu bringen: Grausamkeit und Feigheit, zwei Zwillings-Raufbolde,
+die als Mietlinge der Bosheit im Finstern schleichen, werden zugleich
+deine Schwachheiten und Irrtümer bestürmen. — Der beste von uns, mein
+teuerster Kumpan, gibt hier Blößen. Und glaube, glaube mir, Yorick,
+wenn es einmal, eine besondere Lust zu büßen, beschlossen ist, daß ein
+hilfloses unschuldiges Tier geopfert werden soll, so ist es leicht,
+in jedem grünen Gebüsche, wohin es sich verirret hat, genug trockenes
+Reisholz zum Feuer zu finden, worauf es verbrannt werde.«</p>
+
+<p>Yorick hörte diese traurige prophetische Rede fast niemals
+vorsagen, oder es stahl sich eine Träne aus seinem Auge, welche ein
+versprechender Blick begleitete, daß er fürs künftige entschlossen
+sei, seinen Klepper mit mehr Mäßigung zu reiten. — Aber, leider! zu
+spät! — Eine große Verschwörung tat sich zusammen, noch ehe sie zum
+erstenmal geweissagt war. Der ganze Plan zum Angriff ward, gerade wie
+Eugenius vorhergesagt, auf einmal zur Ausführung gebracht. Mit so
+wenig Schonung von Seiten der Verbündeten und so wenig Argwohn von
+Seiten Yoricks von dem, was gegen ihn geschmiedet wurde, daß, als der
+gutherzige Mann dachte, seine sichere Amtsbeförderung stände in voller
+Reife, sie ihn an<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> der Herzwurzel angegriffen hatten. So fiel er, wie
+mancher würdige Mann vor ihm gefallen war.</p>
+
+<p>Yorick betrug sich anfangs eine Zeitlang mit aller ersinnlichen
+Tapferkeit, bis er, der Anzahl über und endlich des Elends des Krieges
+überdrüssig, am meisten aber der ungroßmütigen Art, womit er geführt
+wurde, satt, das Schwert aus der Hand legte. Ob er gleich dem Anschein
+nach bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, starb er
+dennoch, wie man überall überzeugt war, vor Kummer und Gram.</p>
+
+<p>Was den Eugenius zu ebender Meinung brachte, war folgendes:</p>
+
+<p>Wenige Stunden, ehe Yorick seinen Geist aufgab, ging Eugenius zu ihm,
+in der Absicht, ihn noch einmal zu sehen und den letzten Abschied
+von ihm zu nehmen. Wie er Yoricks Vorhang aufzog und ihn fragte, wie
+er sich befinde, sah ihm Yorick ins Gesicht, faßte ihn bei der Hand,
+und nachdem er ihm für so manchen Beweis seiner Freundschaft gedankt
+hatte, wofür, wenn es ihr Schicksal wollte, daß sie sich künftig wieder
+antreffen sollten, er ihm immer mehr und mehr danken wollte, und sagte
+zu ihm, in ein paar Stunden würde er seinen Feinden auf ewig das
+Nachsehen lassen. — »Das hoffe ich nicht,« antwortete Eugenius mit dem
+zärtlichsten Tone, in dem jemals ein Mann gesprochen hat, wobei ihm die
+Tränen die Wange herabrollten. »Das hoffe ich nicht, Yorick,« sagte
+er. Yorick antwortete mit einem in die Höhe gerichteten Blicke und mit
+einem sanften Drucke, den er Eugenius' Hand gab, und mit sonst nichts.
+Aber es ging Eugenius durchs Herz. — »Komm, komm, Yorick,« erwiderte
+Eugenius, indem er sich die Augen wischte und sich wie ein Mann zu
+fassen suchte, »sei wohlgemut, mein lieber Bruder. Laß nicht allen Mut
+und Standhaftigkeit in dieser Stunde der Prüfung sinken, wo du ihrer
+am meisten bedarfst. Wer weiß, was für Hilfe<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> noch vorhanden ist und
+was Gottes Macht noch für dich zu tun vermag?« — Yorick legte seine
+Hand auf sein Herz und schüttelte sanft den Kopf. »Ich muß dir sagen,«
+fuhr Eugenius fort und weinte bitterlich, als er die Worte sprach,
+»ich weiß nicht, wie ich's aushalten soll, mich von dir zu trennen,
+Yorick, und möchte gern meiner Hoffnung schmeicheln, daß noch genug
+von dir übrig sei, einen Bischof daraus zu machen, und daß ich das
+noch erleben werde.« — »Ich bitte dich, Eugenius,« erwiderte Yorick,
+und nahm, so gut er konnte, mit seiner linken Hand die Schlafmütze vom
+Kopfe, weil er seine rechte noch immer fest in Eugenius' seiner liegen
+hatte, »ich bitte dich, siehe mein Haupt an!« — »Ich seh' nicht, daß
+es ihm etwas schadet!« versetzte Eugenius. »Ach, mein Freund,« sagte
+Yorick, »so muß ich dir sagen, daß es so zerschlagen, so mißhandelt
+ist von den Streichen, welche mir so unsanft im Finstern versetzt
+wurden, daß ich mit Sancho-Pansa sagen möchte, wenn ich wieder aufkäme:
+›und sollten denn auch Bischofshüte vom Himmel regnen, so dicht wie
+Hagel, es würde doch keiner darauf passen‹.« — Yoricks letzter Atem
+schwebte auf seinen zitternden Lippen, in völliger Bereitschaft zu
+entfliehen, als er dieses hervorbrachte. Dennoch brachte er's mit einem
+eigentümlichen Tone hervor, und wie er's sprach, konnte Eugenius einen
+Strom sanften Feuers bemerken, das sich auf einen Augenblick in seinen
+Augen entzündet hatte. Schwaches Gemälde von jenen Blitzen des Witzes,
+welche, wie Shakespeare von Yoricks Ahnherrn sagt, gewohnt waren, den
+Tisch zu lautem Gelächter zu zwingen.</p>
+
+<p>Eugenius ward hierdurch überzeugt, daß der Gram seines Freundes Herz
+gebrochen habe; er drückte ihm die Hand — ging leise aus dem Zimmer
+und weinte, wie er ging. Yorick folgte ihm mit den Augen bis zur Türe.
+Darauf schloß er sie — und öffnete sie nie wieder.</p>
+
+<p>Er liegt begraben in einer Ecke seines Kirchhofes, in<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> dem Kirchdorfe
+unter einem kunstlosen, platten Marmorstein, den sein Freund Eugenius
+mit Erlaubnis seiner Exekutores über sein Grab legte, mit nicht
+mehr als diesen drei Worten einer Inschrift, welche als Grab- und
+Klageschrift dient:</p>
+
+<div class="text-box">
+<p>»Ach, armer Yorick«</p>
+</div>
+
+<p>Zehnmal des Tages hat Yoricks Geist den Trost, seine Gedächtnisschrift
+mit einer solchen Mannigfaltigkeit von klagenden Tönen lesen zu hören,
+welche Mitleid und Hochachtung für ihn anzeigen. Da ein Fußsteig über
+den Kirchhof, dicht an der Seite des Grabes vorbeiführt, so geht kein
+Fußgänger vorüber, der nicht einen Augenblick verweilt, einen Blick
+daraufwirft und im Weitergehen seufzt: Ach armer Yorick!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_6">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebentes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Eher wollte ich mich unterstehen, das schwerste Problem in der
+Geometrie zu lösen, als auf mich zu nehmen, zu erklären, wie ein
+Mann von meines Vaters vielem und richtigem Verstande, belesen, und
+zwar kritisch in philosophischen Sachen, dabei weise in politischen
+Anschlägen und in der Polemik, wie er sehen wird, gar nicht unwissend,
+fähig sein konnte, eine Meinung in seinem Kopfe zu unterhalten, die
+soweit von allen gewöhnlichen abwich, daß ich besorge, der Leser, wenn
+ich ihm solche sage, wofern er nur wenig cholerischen Temperaments ist,
+werde den Augenblick das Buch beiseite werfen. Ist er sanguinisch, so
+wird er herzlich darüber lachen, und ist er von der ernsthaften und
+strengeren Gattung, so wird er solche beim ersten Anblicke, ohne Gnade,
+als phantastisch und ausschweifend verdammen. Es ist seine Meinung,
+über die Wahl und Beilegung der Taufnamen, worauf nach seiner Ansicht
+weit mehr ankäme, als solche<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> Leute, die nur oberflächlich denken, zu
+begreifen fähig wären. — Seine Meinung in diesem Punkte war, daß es
+eine sonderbare Art von magischer Kraft gäbe, welche gute oder böse
+Namen, wie er sie nannte, unserm Charakter und unserer Aufführung
+unwiderstehlich eindrückten.</p>
+
+<p>Cervantes' Held konnte seinen Punkt nicht ernsthafter behaupten, noch
+es ernstlicher meinen oder mehr erzählen von der Macht der Zauberer,
+die seine Taten mit Schande befleckten, oder von dem Namen seiner
+Dulcinea, der sie mit Ehre bekrönte, als mein Vater von den Namen
+Trismegistus oder Archimedes auf der einen Seite oder von Nyky und
+Simkin auf der anderen vorzubringen hatte. Wie manche Cäsars und
+Pompejen, pflegte er zu sagen, sind durch bloßen Einfluß der Namen
+ihrer unwürdig geworden! Und wie manche gibt es, fügte er hinzu, die
+ungemein viel Gutes in der Welt gestiftet haben möchten, wäre ihr
+Charakter und Mut nicht gänzlich unterdrückt worden.</p>
+
+<p>Ich seh's Ihnen deutlich an den Augen an, oder wie es sonst traf,
+sagte wohl mein Vater, daß Sie dieser meiner Meinung nicht von Herzen
+beitreten, welche für diejenigen, fügte er hinzu, die sie nicht
+sorgfältig bis auf den Grund gesichtet haben — ich gestehe es —,
+mehr das Ansehen einer Grille als eines geprüften Satzes haben mag.
+Dennoch, mein lieber Herr, wenn ich mir nicht zuviel einbilde, Ihren
+Charakter zu kennen, so bin ich moralisch gewiß, ich würde nicht wagen,
+Ihnen eine Sache vorzulegen, nicht als einem, der Teil am Streit nimmt,
+sondern als einem Richter, auf dessen Einsichten und unparteiische
+Entscheidung ich mich bei meiner Appellation in dieser Sache sicher
+verlassen kann. — Sie sind eine, von vielen eingeschränkten
+Vorurteilen der Erziehung so freie Person wie wenige Menschen, und wenn
+ich's wagen darf, noch tiefer in Sie zu dringen, von einer Großmut des
+Geistes, die es verschmäht, eine Meinung bloß deswegen zu verwerfen,<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span>
+weil ihr Anhänger fehlen. Ihren Sohn! Ihren geliebten Sohn, von dessen
+sanftem und aufgeräumtem Naturell Sie soviel zu erwarten haben, Ihr
+Fritzchen, mein Herr! wollten Sie ihn um alles in der Welt wohl Judas
+haben taufen lassen? Möchten Sie wohl, lieber Freund, fuhr er fort,
+indem er ihm mit der sanftesten Art seine Hand auf die Brust legte,
+— und mit dem Schmeichelnden und unwiderstehlichen Piano der Stimme,
+welche das <em class="antiqua">Argumentum ad hominem</em> seiner Natur nach erheischt,
+möchten Sie, mein Herr, wenn ein Jude den Namen für Ihren Sohn
+vorgeschlagen und Ihnen dabei seine Geldsäcke angeboten hätte, möchten
+Sie wohl in eine solche Entweihung Ihres Sohnes gewilligt haben? O,
+mein Gott, sagte er dann, wenn ich Ihr Gemüt recht kenne, ist Ihnen das
+unmöglich. Sie hatten das Anerbieten mit Füßen getreten. Mit Abscheu
+hätten Sie die Versuchung an den Kopf des Versuchers geworfen.</p>
+
+<p>Ihre Seelengröße bei dieser Tat, die ich ebenso wie die uneigennützige
+Verachtung des Geldes bewundere, die Sie bei diesem ganzen Vorfalle an
+den Tag legen, ist wirklich edel, und wodurch sie solches noch mehr
+wird, ist das Prinzip, woraus sie entspringt: Wirkungen der Liebe eines
+Vaters, nach der Wahrheit und Überzeugung von ebendieser Hypothesis,
+nämlich: wäre Ihr Sohn Judas getauft worden, die habsüchtige und
+verräterische Idee, die von dem Namen so unzertrennlich ist, würde ihn
+sein ganzes Leben durch wie ein Schatten verfolgt und ihn zuletzt,
+trotz Ihrem Beispiele, Herr, zu einem Schabhals und Schurken gemacht
+haben.</p>
+
+<p>Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der auf ein solches Argument
+zu antworten vermochte. — Wirklich, aber auch von meinem Vater die
+Wahrheit zu sagen: — er war unwiderstehlich, beides im Verstehen und
+Disputieren. Er war zum Redner geboren. Überredung hing an seinen
+Lippen, und die Elemente der Logik und Rhetorik waren dergestalt<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span>
+durch ihn verwebt, und ganz besonders wußte er so schnell und Schlau
+die Schwachheiten und Leidenschaften seiner Gegner aufzufinden, daß
+die Natur selbst ihr Votum geben würde: dieser Mann ist beredt. Kurz,
+mein Vater mochte recht oder unrecht haben, es war in beiden Fällen
+viel gewagt, ihn anzugreifen. Und dennoch, es ist wunderbar, hatte
+er niemals weder den Cicero noch Quintilian <em class="antiqua">de oratore</em> noch
+Isokrates noch Aristoteles oder Longinus unter den Alten, noch den
+Vossius noch Scioppius noch Ramus noch Farnabius unter den Neueren
+gelesen, und was noch mehr zum Erstaunen ist, so war in seinem
+ganzen Leben kein Strahl oder Funke von Subtilität dadurch in seine
+Seele gebracht worden, daß er etwa ein Kollegium über irgendeinen
+niederländischen Logiker oder Kommentator gehört hätte. Er wußte
+nicht einmal, worin der Unterschied zwischen einem Argument <em class="antiqua">ad
+ignorantiam</em> und <em class="antiqua">ad hominem</em> bestünde —, so daß ich
+mich recht gut erinnere, als er mit mir hingereist war, mich im
+Jesuiterkollegio zu N. einschreiben zu lassen, wie mein würdiger Lehrer
+und zwei oder drei andere Mitglieder dieser gelehrten Sozietät sich
+höchlich wunderten, daß ein Mann, der nicht einmal die Namen seiner
+Werkzeuge kannte, dennoch so behende damit arbeiten könnte.</p>
+
+<p>Damit so gut, als er nur immer konnte, zu arbeiten, dazu ward mein
+Vater indessen unaufhörlich gezwungen; denn er hatte wohl tausend
+kleine skeptische Ideen von der komischen Gattung zu verfechten,
+— wovon die meisten, wie ich fest glaube, sich anfangs bloß als
+sonderbare Einfälle und als vive la bagatelle einschlichen. Mit ihnen
+mochte er dann wohl eine halbe Stunde oder so seinen Spaß treiben,
+und nachdem er seinen Witz an ihnen geschärft hatte, sie bis auf ein
+andermal abtreten lassen.</p>
+
+<p>Ich führe dieses nicht bloß als eine Hypothese oder Mutmaßung über das
+Emporkommen und die Einnistung von<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> meines Vaters sonderbaren Meinungen
+an, sondern als eine Warnung für den gelehrten Leser gegen die
+unvorsichtige Aufnahme solcher Gäste, welche, nachdem sie einige Jahre
+lang in unserem Gehirn haben ungehindert und frei aus und ein gehen
+dürfen, endlich gar als Einheimische betrachtet sein wollen. Einige
+Zeit arbeiten sie, als Spielten sie nur Pfand; aber gemeiniglich wird
+wie bei einem verliebten Paare aus Pfandwechseln Handwechseln.</p>
+
+<p>Ob das mit meines Vaters sonderbaren Meinungen der Fall war, oder
+ob endlich sein Witz seinem Verstande einen blauen Dunst vormachte,
+— oder wiefern er in einigen seiner Meinungen, so sonderbar sie
+schienen, völlig recht haben mochte, das soll der Leser an Ort und
+Stelle entscheiden. Hier behaupte ich weiter nichts, als daß es mit
+dieser einen über den Einfluß der Taufnamen sein ganzer Ernst war. Er
+war systematisch und gleich allen Systematikern hätte er Himmel und
+Erde bewegt und jedes Ding in der Schöpfung gereckt und gezerrt, um
+es seiner Hypothese anzupassen. Kurz, ich sage es noch einmal, es war
+sein Ernst, und demzufolge konnte er alle Geduld verlieren, wenn er
+Leute, besonders Leute von Stande sah, die es hätten besser wissen
+sollen, die sich ebensowenig oder noch weniger darum bekümmerten, wie
+ihr Kind genannt werden sollte, als um die Wahl eines Namens für ihren
+Schoßhund, ob Ponto oder Cupido.</p>
+
+<p>Das, sagte er, stünde sehr schlecht. Wenn einmal ein schlechter Name
+mit Unrecht und Unbedacht gegeben worden, so ginge es nicht, wie in dem
+Falle, da eines Mannes guter Leumund verunglimpft worden, der wieder
+verglimpft werden könnte. Da wäre es möglich, daß der, wenn nicht bei
+Lebzeiten des Mannes, wenigstens nach seinem Tode wieder gerettet
+würde. Bei dem andern aber, sagte er, ließe sich das geschehene Übel
+niemals wieder gutmachen. —</p>
+
+<p>Es war merkwürdig, daß, obgleich mein Vater, dieser<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> Meinung gemäß, wie
+ich Ihnen gesagt habe, gegen gewisse Namen die stärkste Zuneigung oder
+Abneigung hatte, es dennoch Namen gab, weiche auf der Wagschale vor ihm
+so eben schwebten, daß sie ihm völlig gleichgültig waren. Jack, Dick
+und Tom waren in dieser Klasse. Diese nannte mein Vater neutrale Namen
+und behauptete von ihnen ohne Satire, daß es von Anbeginn der Welt
+her wenigstens ebenso viele Schurken und Narren gegeben wie gute und
+kluge Männer, die solche Namen ohne Unterschied geführt hätten. Indem
+sie so als gleiche Kräfte in entgegengesetzter Richtung aufeinander
+wirkten, hoben sie nach seiner Meinung ihre Wirkungen wechselweise auf,
+aus welcher Ursache er, wie er oft erklärte, keinen Kirschkern für die
+Wahl unter diesen hingeben möchte. Bob, so hieß mein Bruder, war ein
+anderer von dieser neutralen Gattung von Taufnamen, welche weder auf
+die eine noch andere Seite wenig wirkten; und da sich mein Vater zu
+Epsom befand, als er ihm gegeben ward, so dankte er oft dem Himmel, daß
+es kein schlimmerer wäre. Andreas kam ihm fast vor wie eine negative
+Größe in der Algebra. Er sei schlechter, sagte er, als nichts. Der
+Name Wilhelm war bei ihm in hohem Ansehen, Numps wieder weniger und
+Ruprecht, sagte er, sei gar des Teufels.</p>
+
+<p>Allein, unter allen Namen in der weiten Welt hatte er den
+unbezwinglichsten Widerwillen gegen Tristram. — Von keinem Dinge auf
+dem Erdboden hatte er einen niedrigeren und verächtlicheren Begriff,
+indem er glaubte, er könne unmöglich <em class="antiqua">in rerum natura</em> etwas
+anderes hervorbringen, als was höchst gemein und elend wäre. Ja, mitten
+in einem Disput über den Punkt, worin er nicht selten ganz von ungefähr
+verwickelt wurde, brach er oft voll Feuer plötzlich ab, stieg eine
+Terze und zuweilen eine ganze Quinte über den Grundton seiner Rede
+hinauf und fragte seinen Gegner kategorisch, ob er's auf sich nehmen
+wolle, zu sagen, er habe sich<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> jemals erinnert, habe jemals gelesen
+oder habe jemals erzählen gehört von einem Menschen, der Tristram
+geheißen, daß er etwas Großes oder Andenkenswertes verrichtet? — Nein,
+pflegte er zu sagen, Tristram! 's ist eine Unmöglichkeit!</p>
+
+<p>Was konnte meinem Vater mehr fehlen, als ein Buch zu schreiben, um
+diese seine Meinung der Weit mitzuteilen? Sehr wenig Genuß bringt
+es dem spekulativen Kopfe, seine Meinung allein zu haben, wenn er
+sie nicht zu Markte bringen darf. Gerade das war's, was mein Vater
+tat; denn im Jahre 1716, zwei Jahre vor meiner Geburt, machte er
+sich darüber her und schrieb ausführliche Dissertationen über das
+einzige Wort Tristram, worin er der Welt mit vieler Aufrichtigkeit und
+Bescheidenheit die Gründe seines großen Abscheus gegen diesen Namen vor
+Augen legte.</p>
+
+<p>Wenn diese Erzählung mit dem Titelblatte verglichen wird, wird dann
+nicht der gutherzige Leser meinen Vater von Herzen bedauern? Wird
+es ihn nicht schmerzen, sehen zu müssen, wie einem ordentlichen,
+gutgesinnten Manne, der zwar sonderbare, aber doch unschädliche
+Meinungen hegt, dergestalt von Widerwärtigkeiten mitgespielt worden
+ist, und wenn er ihn auf dem Schauplatze erblickt, wo ihm alle seine
+kleinen Systeme und Wünsche über den Haufen geworfen und vereitelt
+werden, wenn er einen Troß von Zufällen beständig auf ihn zustürmen
+sieht, und zwar auf eine so abgemessene und grausame Weise, als ob's
+ausdrücklich darauf angelegt wäre, seine Spekulationen zu verspotten?
+mit einem Worte: wenn er so einen Mann in seinen alten Tagen, die nicht
+für Kummer und Sorgen gemacht sind, zehnmal täglich an seinen Schmerz
+erinnert sieht, wie er zehnmal an einem Tage sein vom Himmel erflehtes
+Kind Tristram rufen muß? — Melancholischer zweisilbiger Klang, der
+in seinen Ohren mit Claasklump oder jedem andern Spottnamen unter der
+Sonne im Einklang steht! — Bei seiner Asche schwöre ich's! hat jemals<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span>
+ein boshafter Geist sich ein Vergnügen oder Geschäft daraus gemacht,
+die Vorsätze eines Sterblichen zu vereiteln, so muß es hier gewesen
+sein, und wäre es nicht notwendig, daß ich erst geboren sein müßte, ehe
+ich getauft werden kann, ich gäbe den Augenblick dem Leser Nachricht
+davon.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_7">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>»Ich kann nicht begreifen, was das Lärmen und das Hin- und Herlaufen
+da oben heißen soll,« sagte mein Vater, und wendete sich nach einem
+anderthalbstündigen Stillschweigen an meinen Onkel Toby, der, wie
+Sie wissen müssen, an der anderen Seite beim Feuer saß und seine
+gesellige Pfeife Tabak in stiller Betrachtung eines neuen schwarzen
+Plüsch-Beinkleides, das er trug, immerfort schmauchte. — »Was mögen
+sie vorhaben, Bruder?« sagte mein Vater, »wir können ja kaum unser
+eigen Wort hören?«</p>
+
+<p>»Ich glaube,« antwortete mein Onkel Toby, wobei er die Pfeife aus dem
+Munde nahm und den Kopf derselben zwei- oder dreimal auf den Nagel
+seines linken Daumens schlug, als er zu reden anfing, »ich glaube,«
+sagte er ... Aber um meines Onkels Meinung über diese Sache gehörig zu
+fassen, müssen Sie erst ein wenig mit seinem Charakter bekannt sein,
+dessen äußeren Umriß ich Ihnen hier auf der Stelle geben will. Hernach
+wird der Dialog zwischen ihm und meinem Vater desto besser vonstatten
+gehen.</p>
+
+<p>O, können Sie mir nicht sagen, wie der Mann hieß — denn ich
+schreibe so in der Eile; ich habe weder Zeit, mich zu besinnen noch
+nachzuschlagen —, der die Bemerkung zuerst machte, daß unsere
+Luft und unser Klima sehr unbeständig seien? Er mag gewesen sein,
+wer er will, er hat damit eine gute Bemerkung gemacht. Die daraus
+gefolgerte<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> Behauptung aber, daß es daher komme, daß wir eine so
+große Mannigfaltigkeit an eigenen und sonderbaren Charakteren haben,
+kam nicht von ihm, sie ward von einem anderen Manne, wenigstens
+anderthalbhundert Jahre vorher ausfindig gemacht, wie ebenfalls, daß
+dieses volle Zeughaus von Originalstoff die wahre und natürliche
+Ursache sei, daß unsere Lustspiele viel besser sind als die Lustspiele
+der Franzosen oder alle die, welche auf dem festen Lande geschrieben
+worden sind oder geschrieben werden können. — Das ist eine Entdeckung,
+die eigentlich erst in der Mitte der Regierung des Königs William
+gemacht ward, als der große Dryden, bei Verfertigung einer von seinen
+langen Vorreden, wenn ich nicht irre, glücklicherweise darauf verfiel.
+In der Tat begann der große Addison in den letzten Jahren der Königin
+Anna diese Meinung in Schutz zu nehmen, und erklärte solche der Welt in
+ein oder zwei Blättern des »Zuschauers« weitläufiger. Die Entdeckung
+war aber nicht sein eigen. Endlich viertens und letztens, daß diese
+sonderbare Unregelmäßigkeit in unserem Klima, die eine so sonderbare
+Unregelmäßigkeit in unseren Charakteren hervorbringt — und uns dadurch
+gewissermaßen schadlos hält —, indem sie uns etwas gibt, womit wir uns
+einen Zeitvertreib machen können, wenn uns das Wetter nicht erlaubt,
+über unsere Schwelle zu treten. — Die Bemerkung ist von mir selbst und
+ward von mir ans Tageslicht gebracht, an ebendiesem regnerischen Tage,
+dem 26. März 1759 zwischen neun und zehn Uhr des Vormittags.</p>
+
+<p>Aber ich vergesse meinen Onkel Toby, den wir die ganze Zeit über haben
+die Asche aus seiner Pfeife klopfen lassen.</p>
+
+<p>Sein eigentümlicher Charakter war von der besonderen Gattung, welche
+unserem Himmelskreise Ehre machte. Ich würde mich nicht besinnen,
+ihn unter dessen vorzüglichste Produkte zu rechnen, hätte er nicht
+so viele deutliche Striche<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> von einer Familienähnlichkeit erhalten,
+welche bewiesen, daß die Sonderbarkeit seines Tuns und Sagens mehr vom
+Geblüte als von Wind oder Wasser herkäme, solche möchten vermischt
+oder versetzt sein, wie sie wollten. Deswegen habe ich mich auch oft
+gewundert, daß mein Vater, ob ich gleich glaube, daß er seine Ursachen
+dazu hatte, wenn er, als ich noch ein Knabe war, gewisse Abweichungen
+von meiner natürlichen Bahn bemerkte, niemals versucht hat, solche
+aus dieser Ursache zu erklären. — Denn die ganze Shandysche Familie
+bestand aus Originalcharakteren. — Ich meine die Männlein — die
+Weiblein hatten gar keinen —, ausgenommen meine Großtante Dinah, die
+ungefähr vor sechzig Jahren sich mit ihrem Kutscher verheiratete und
+vermehrte. Was sie, wie mein Vater, zufolge seiner Meinung von den
+Taufnamen, oft zu sagen pfegte, ihren Gevattern und Gevatterinnen zu
+verdanken hätte.</p>
+
+<p>Es wird sehr befremdend scheinen — und ich möchte ebensolieb dem Leser
+ein Rätsel auf die Bahn werfen, welches sonst meine Art nicht ist,
+als ihn nach der Ursache herumsinnen lassen —, daß ein Unfall dieser
+Art so lange Jahre aufgehoben werden könnte, Friede und Einigkeit zu
+stören, welche sonst so herzlich zwischen meinem Vater und Onkel Toby
+obwalteten. Man sollte gedacht haben, die ganze Macht des Unglücks
+würde sich gleich in der ersten Zeit in der Familie gebrochen und
+verloren haben, wie gemeiniglich zu geschehen pflegt. Aber in unserer
+Familie nahm alles seine ganz besondere Wendung. Vielleicht hatte
+sie damals, als es sich zutrug, ein anderes Kreuz zu tragen. Und da
+uns doch Kreuz und Leiden zu unserem Besten gesendet werden, und
+dies hier der Shandyschen Familie noch niemals zum Besten gediehen
+war, so lag es vielleicht und wartete, bis ihm die rechte Zeit und
+Umstände Gelegenheit gaben, seine Dienste auszuüben. — Bemerken Sie
+wohl, ich entscheide<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> hierin nichts. — Meine Gewohnheit ist immer,
+dem Forschbegierigen von verschiedenen Spuren einen Fingerzeig zu
+geben, nach welchem er bis zu den ersten Quellen der Begebenheiten
+gelangen kann, die ich erzähle. — Nicht mit dem entscheidenden Tone
+des Tacitus, der sich selbst und seine Leser überwitzt, sondern mit
+der gehorsamsten Dienstbeflissenheit eines Herzens, das sich bloß dem
+Dienst der Forschbegierigen gewidmet hat. — Für diese schreibe ich —
+und diese werden mich lesen bis — wenn nur irgendein Lesen wie dieses
+so lange aushalten könnte — bis ans Ende der Welt hinzu.</p>
+
+<p>Warum also die Ursache des Verdrusses solchergestalt für meinen Vater
+und Onkel aufgespart worden, das lasse ich unentschieden. Wie aber und
+in was für einer Richtung es wirkte, um Veranlassung zu Mißvergnügen
+unter ihnen zu geben, nachdem es einmal in Gang gekommen war, das bin
+ich imstande mit großer Genauigkeit zu erklären, und ist wie folgt.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby Shandy, Madame, war ein Offizier, der neben den
+Tugenden, welche gewöhnlich den Charakter eines ehrlichen und
+rechtschaffenen Mannes bestimmen, noch eine andere in einem hohen Grade
+besaß, die selten oder niemals ins Verzeichnis gesetzt wird. Diese war
+eine außerordentliche und unvergleichliche Züchtigkeit der Natur. —
+Doch nehme ich das Wort Natur als Ursache zurück, damit ich nicht eine
+Sache vorher abtue, die später vorkommen muß. Ob nämlich diese seine
+Züchtigkeit natürlich oder erworben war. — Auf welche Weise aber mein
+Onkel dazu gelangt sein mochte, es war allemal Züchtigkeit im wahrsten
+Sinne. Und zwar, Madame, nicht in Worten — denn er war so unglücklich,
+daß er nicht viel Wahl darunter hatte —, sondern in Taten. Und diese
+sittsame Zucht beherrschte ihn dergestalt und ging bei ihm so weit,
+daß sie womöglich der<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> Züchtigkeit eines Frauenzimmers fast gleichkam.
+Dieser weiblichen Sittsamkeit, Madame, und innerlichen Keuschheit der
+Sinne und Gedanken Ihres Geschlechts, wodurch Sie dem unserigen so
+große Ehrfurcht einflößen.</p>
+
+<p>Sie werden glauben, Madame, daß mein Onkel Toby alles dieses aus der
+wahren Quelle geschöpft habe, — daß er seine Zeit im Umgange mit
+Ihrem Geschlecht zugebracht und daß er durch eine völlige Kenntnis von
+Ihnen und durch die Macht der Nachahmung, welche so schöne Beispiele
+unwiderstehlich machen, diese liebenswürdige Eigenschaft des Gemüts
+erworben habe.</p>
+
+<p>Ja, ich wollte, daß ich das sagen könnte! — Doch außer mit seiner
+Schwägerin, meines Vaters Frau und meine Mutter, wechselte er mit
+einem anderen Frauenzimmer nie drei Worte in ebensoviel Jahren. —
+Nein, er erlangte sie im Wurfe, Madame. — Im Wurf! — Ja, Madame,
+es kam von einem Stein, der bei der Belagerung von Namur durch eine
+Kanonenkugel von einem Hornwerke abgerissen und meinem Onkel Toby
+gerade aufs Latzbein geworfen wurde. — Wie konnte der die Wirkung tun?
+Die Erzählung davon, Madame, ist lang und anziehend. Aber ich würde
+meine Historie ganz zusammendrängen, wenn ich sie Ihnen hier geben
+wollte. Sie ist weiterhin zu einer Episode bestimmt und soll Ihnen mit
+allen sich darauf beziehenden Umständen an gehöriger Stelle getreulich
+vorgelegt werden. Bis dahin steht es nicht in meiner Gewalt, Ihnen mehr
+Licht von der Sache zu geben oder mehr zu sagen, als ich bereits gesagt
+habe: — Daß mein Onkel Toby ein Offizier von einer unvergleichbaren
+Züchtigkeit war, welche zufälligerweise durch die beständige Hitze
+eines kleinen Familienstolzes verdünnt und verfeinert wurde, so, daß
+beide zugleich so bei ihm arbeiteten, daß er die Geschichte von Tante
+Dinah niemals erwähnen hören konnte, ohne in heftige Gemütsbewegung
+zu geraten. —<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> Die geringste Anspielung darauf war hinreichend,
+ihm das Blut ins Gesicht zu treiben. Wenn aber mein Vater gar in
+vermischten Gesellschaften sich weitläufiger darüber ausließ, wozu
+er sich oft, um seine Hypothesen zu erläutern, genötigt sah, so fraß
+dieser unglückliche Meltau auf einem der schönsten Zweige der Familie,
+in meines Onkels Ehrliebe und Züchtigkeit, blutige Wunden; dann nahm
+er oft meinen Vater mit aller nur erdenklichen Besorglichkeit auf die
+Seite, um ihm vorzustellen, er wolle ihm alles geben, was er in der
+Welt hätte, wenn er nur die Geschichte ruhen lassen möchte.</p>
+
+<p>Mein Vater, glaube ich, hegte die wahrste und zärtlichste Zuneigung für
+meinen Onkel Toby, die jemals ein Bruder für den anderen hegte, und
+hätte gerne alles auf der Welt getan, was ein Bruder vernünftigerweise
+von dem anderen verlangen konnte, um meines Onkels Toby Herz über
+diesen oder jeden anderen Punkt zu beruhigen. Aber dieses stand nicht
+in seinen Kräften.</p>
+
+<p>Mein Vater, wie ich Ihnen gesagt habe, war ein Philosoph, haarscharf,
+spekulativ, systematisch; und meiner Tante Dinah Geschichte war ihm
+von ebensovieler Wichtigkeit, als dem Kopernikus die Retrogadation der
+Planeten. — Die Nebenschliche der Venus aus ihrer geraden Laufbahn
+bestätigten das Kopernikanische System, das von ihm seinen Namen
+erhielt. Die Nebenschliche der Tante Dinah von ihrer ebenen Bahn taten
+ebendie Dienste bei der Errichtung des Systems meines Vaters, das, wie
+ich glaube, hinfort beständig nach ihm das Shandysche System heißen
+wird.</p>
+
+<p>Bei jeder anderen Familienkränkung hatte mein Vater, glaube ich, ein
+ebenso feines Gefühl der Schamhaftigkeit als irgend jemand. Ich getraue
+mir zu sagen, weder er noch Kopernikus würden in beiden Fällen die
+Geschichten haben auskommen lassen oder der Welt ein Wort davon gesagt
+haben, wäre es nicht, wie sie dachten, aus Pflicht<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> gegen die Wahrheit
+gewesen. — <em class="antiqua">Amicus Plato</em>, pflegte mein Vater zu sagen, wobei er
+ihm die Worte übersetzte. — <em class="antiqua">Amicus Plato</em>, das heißt, Dinah war
+meine Tante; — <em class="antiqua">sed magis amica veritas</em> — aber die Wahrheit ist
+meine Schwester.</p>
+
+<p>Diese Uneinigkeit der Meinungen meines Vaters und Onkels war die Quelle
+manches brüderlichen Zwistes. Der eine konnte nicht ertragen, daß ein
+Familienfleck weitergetragen wurde, der andere konnte schwerlich einen
+einzigen Tag hingehen lassen, ohne darauf anzuspielen.</p>
+
+<p>»Um's Himmels willen,« rief mein Onkel, »und um meinet-, um unserer
+aller willen, mein liebster Bruder Shandy, laß doch die Geschichte
+unserer Tante und ihre Gebeine in Ruhe schlafen. Wie kannst du so wenig
+Gefühl und Mitleid für den guten Namen unserer Familie haben. Wie
+kannst du!« — »Was ist der Name einer Familie gegen eine Hypothese?
+— Ja, wenn ich's recht sagen soll, was das Leben einer Familie?« —
+»Das Leben einer Familie!« sagte dann mein Onkel und fiel dabei in
+seinen Lehnstuhl zurück und hob seine Hände, seine Augen und ein Bein
+in die Höhe. — »Ja, das Leben,« sagte darauf mein Vater, seinen Satz
+zu behaupten. »Wie manches Tausend wird jährlich — in allen gesitteten
+Reichen wenigstens — weggeschleudert und für nichts weiter geachtet
+als gemeine Luft in Vergleichung mit einer Hypothese?« — »Nach meinem
+geringen Verstande von den Dingen,« antwortete Onkel Toby, »ist ein
+jedes solches Beispiel barer Mord, es begehe ihn, wer will.« — »Da
+steckt dein Irrtum,« versetzte mein Vater, »denn wissenschaftlich
+darüber zu urteilen, kann es nicht <em class="gesperrt">Totschlag</em>, sondern muß es
+<em class="gesperrt">Mannesschlag</em> heißen.«</p>
+
+<p>Mein Onkel gab sich niemals damit ab, hierauf mit etwas anderem
+zu antworten, als daß er ein halbes Dutzend Takte von seinem
+Regimentsmarsch Lillabullero herpfiff. — Sie müssen wissen, dies war
+der gewöhnliche Kanal, durch<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> den er seinem Affekt Luft gab, wenn ihn
+etwas ärgerte oder überraschte, — besonders aber, wenn ihm etwas
+gesagt wurde, das er für sehr ungereimt hielt.</p>
+
+<p>Da noch niemand unter den Schriftstellern über die Logik, oder unter
+deren Kommentatoren, soviel ich weiß, für gut befunden hat, dieser
+eigenen Gattung von Argument einen Namen zu geben, so nehme ich mir
+hier die Freiheit, es selbst zu tun, und das aus zweierlei Ursachen.
+Erstens, damit solches, um aller Verwirrung im Disputieren vorzubeugen,
+ein für allemal ebensogut von den übrigen Gattungen unterschieden
+bleiben möge, als das <em class="antiqua">Argumentum ad verecundiam, ex absurdo, ex
+fortiori</em>, oder wie es heißen mag. Zweitens, daß noch einmal meine
+Kindeskinder, wenn mein Haupt schon längst zur Ruhe niedergelegt ist,
+sagen können, daß ihres gelehrten Großvaters Kopf mit ebenso nützlichen
+Dingen beschäftigt gewesen sei, als der anderer Leute. — Daß er für
+eins der allertreffendsten — und wenn der Zweck des Disputierens mehr
+der ist, seinen Gegner zum Schweigen zu bringen als ihn zu überzeugen
+—, ja, so können sie nach Belieben hinzusetzen, für eines der besten
+Argumente in der Disputierkunst einen Namen erfunden und solchen
+großmütigerweise in den Schatzkasten der <em class="antiqua">Ars logica</em> geworfen
+habe.</p>
+
+<p>Deswegen also gebiete und verordne ich durch Gegenwärtiges, daß
+besagtes Argument künftig bei dem Titel <em class="antiqua">Argumentum fistulatorium</em>
+erkannt und distinguiert werde, welchen und keinen anderen ich
+ihm hiermit beilege, — und daß es künftig einerlei Rang mit dem
+<em class="antiqua">Argumentum baculinum</em> haben und allemal in einem und ebendem
+Kapitel mit diesem abgehandelt werden soll.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_8">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span></p>
+
+<h2>Neuntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Wäre ich nicht moralisch gewiß, daß der Leser voller Ungeduld nach
+meines Onkels Toby Charakter sein muß, so hätte ich ihn hier vorläufig
+überzeugt, daß kein Instrument so geschickt ist, so etwas zu zeichnen,
+als das, worauf ich verfallen bin.</p>
+
+<p>Von einem Manne und seinem Steckenpferde kann ich nun zwar nicht sagen,
+daß sie genau so, wie die Seele und der Leib, aufeinander Wirkung und
+Gegenwirkung täten. Ohne Zweifel aber ist unter ihnen eine Art von
+Kommunikation, und zwar bin ich der Meinung, daß es sehr nach der Art
+zugehe wie mit elektrisierten Körpern.</p>
+
+<p>Nun war das Steckenpferd, welches mein Onkel Toby beständig ritt,
+nach meiner Meinung ein Steckenpferd, das schon einer Beschreibung
+wert ist. War's auch nur seiner großen Sonderbarkeit wegen; denn Sie
+möchten von York nach Dover, von Dover nach Penzanze im Cornwallis, und
+von Penzanze wieder nach York gereist sein, und doch auf der ganzen
+Heerstraße seinesgleichen nicht gefunden haben. Oder hätten Sie ein
+solches gesehen, so hätten Sie noch so eilig sein mögen, Sie hätten
+unfehlbar stillhalten müssen, um es zu beschauen. In der Tat war
+sein Wuchs und sein Gang so wunderbar und vom Kopfe bis zum Schweife
+jedem anderen von der ganzen Gattung so über und über unähnlich, daß
+es zuweilen Anlaß zu streiten gab, ob es wirklich ein Steckenpferd
+sei oder nicht? Allein wie der Philosoph dem Skeptiker, der ihm die
+Wirklichkeit der Bewegung ableugnen wollte, keinen anderen Beweis
+entgegensetzte, als daß er auf die Füße trat und durchs Zimmer ging, so
+wollte mein Onkel Toby sich keines anderen Arguments bedienen, um zu
+beweisen, daß sein Steckenpferd wirklich ein Steckenpferd sei, als daß
+er sich daraufsetzte und es vorritt. — Hernach<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> möchte die Welt den
+Punkt entscheiden, wie's ihr gut dünkte.</p>
+
+<p>Im rechten Ernste, mein Onkel Toby bestieg es mit soviel Wohlgefallen,
+und es trug meinen Onkel Toby so schön, daß er sich herzlich wenig
+darum bekümmerte, was die Welt davon sagte oder dachte.</p>
+
+<p>Indessen ist's endlich wohl einmal hohe Zeit, daß ich Ihnen eine
+Beschreibung davon gebe. — Um aber mit aller Ordnung zu verfahren, muß
+ich mir nur erst die Erlaubnis ausbitten, Ihnen zu berichten, wie mein
+Onkel Toby darankam.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_9">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Da meines Onkels Toby Wunde, welche er in der Belagerung von Namur
+empfing, ihn zum Dienste untüchtig machte, so ward für gut befunden,
+daß er nach England zurückkehren sollte, um womöglich seinen Schaden
+wieder zurechtbringen zu lassen.</p>
+
+<p>Vier volle Jahre hindurch mußte er teils das Bett, teils sein Zimmer
+hüten. Und während seiner Kur, welche diese ganze Zeit dauerte, litt er
+unsägliche Schmerzen.</p>
+
+<p>Mein Vater fing zu der Zeit eben seine Handlung in London an und
+hatte ein Haus gemietet. Da unter den beiden Brüdern die treueste,
+herzlichste Freundschaft obwaltete, und mein Vater glaubte, mein Onkel
+Toby könne nirgends so gut gewartet und gepflegt werden, als in seinem
+eigenen Hause, so wies er ihm die beste Gelegenheit darin an. — Und
+was noch ein aufrichtigeres Zeichen seiner Zuneigung war, es durfte
+kein Freund oder guter Bekannter ins Haus kommen, er nahm ihn denn
+bei der Hand und führte ihn<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> die Stiegen hinauf, daß er seinen Bruder
+besuchen und eine Stunde vor seinem Bette verschwatzen mußte.</p>
+
+<p>Die Geschichte der Wunde eines Soldaten läßt ihn ihre Schmerzen
+vergessen. Wenigstens dachten die so, die meinen Onkel besuchten, und
+bei ihren täglichen Besuchen lenkten sie, aus einer Höflichkeit, die
+sich auf diesen Glauben gründete, sehr oft die Unterredung auf diesen
+Gegenstand. — Und von diesem Gegenstande lief dann das Gespräch
+gewöhnlich auf die Belagerung selbst hinaus.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_10">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Elftes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Wenn sich ein Mensch einer herrschenden Leidenschaft überläßt, oder mit
+anderen Worten, wenn sein Steckenpferd hartmäulig wird, — so, ade,
+kalte Vernunft und liebe Klugheit!</p>
+
+<p>Meines Onkels Toby Wunde war beinahe geheilt, und sobald sich der
+Wundarzt von seinem Erstaunen erholt hatte und zu Worte kommen konnte,
+sagte er ihm, sie beginne eben, sich zu schließen, und wenn sich keine
+neue Aussplitterung zeigte, wozu kein Schein vorhanden, so würde sie
+in fünf oder sechs Wochen trocken und heil sein. Zwölf Stunden vorher
+würde der Klang so vieler Olympiaden eine Idee von kürzerer Dauer in
+meines Onkels Toby Seele gebracht haben. — Die Sukzession seiner
+Ideen war nunmehr schnell; er kochte vor Ungeduld, seinen Vorsatz
+auszuführen. Und ohne eine lebendige Seele weiter um Rat zu fragen, —
+was ich, nebenher gesagt, für recht halte, wenn man einmal fest willens
+ist, von keiner Seele Rat anzunehmen —, befahl er seinem Bedienten
+Trim unter vier Augen, ein Bündel Charpie und Binden zusammenzupacken
+und eine Kutsche mit Vieren zu bestellen, die den Tag genau um zwölf
+Uhr vor<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> der Türe sein müßte, um welche Zeit, wie er wußte, mein Vater
+an der Börse sein würde. — Nachdem er eine Banknote für den Wundarzt
+wegen seiner Mühe und einen Brief mit dem zärtlichsten Dank für meinen
+Vater auf seinem Tische zurückgelassen, packte er seine Karten und
+Pläne, seine Bücher von der Kriegsbaukunst, seine Instrumente usw.
+zusammen, und mit Hilfe einer Krücke an der einen Seite und Trim auf
+der anderen Stieg er in den Wagen. Und fort nach Shandy-Hall.</p>
+
+<p>Der Grund oder vielmehr die Grille, welche diese schnelle Auswanderung
+veranlaßte, war wie folgt.</p>
+
+<p>Der Tisch in meines Onkels Toby Zimmer, an welchem er den Abend
+vorher saß, ehe sich diese Veränderung zutrug, mit seinen Grundrissen
+usw. um sich her, war ein wenig zu klein für die Menge von großen
+und kleinen Werkzeugen der Wissenschaft, welche gewöhnlich darauf
+durcheinanderlagen. — Da begegnete ihm nun der Zufall, daß er, indem
+er die Hand nach seiner Schnupftabaksdose ausstreckte, seinen Zirkel an
+die Erde warf, und indem er sich bückte, ihn aufzuheben, mit dem Ärmel
+sein Besteck und die Lichtscheren dazu herunterwischte, — und der
+Würfel war ihm auf einmal so unglücklich, daß durch sein Bestreben, die
+Lichtscheren aufzufangen, er den Monsieur Blondel vom Tische warf und
+den Comte de Pagan oben darauf.</p>
+
+<p>Für einen Mann, lahm wie mein Onkel Toby, war es vergebens, darauf
+zu denken, alle diese Übel selbst zu heben. — Er klingelte seinem
+Bedienten Trim. — »Trim,« sagte mein Onkel Toby, »seh Er einmal,
+was ich da für eine Patsche gemacht habe. — Ich muß das Ding besser
+eingerichtet haben, Trim. — Kann Er nicht mein Lineal nehmen und
+die Länge und Breite dieses Tisches messen und dann hingehen und
+einen bestellen, der noch einmal so groß ist?« — »Ja, Euer Gnaden,«
+antwortete Trim und machte<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> seinen Bückling; »aber ich hoffe, Euer
+Gnaden sollen bald so gesund sein, daß Sie nach Ihrem Landgute reisen
+können. Dort, da Euer Gnaden so großen Gefallen am Fortifikationswesen
+haben, könnten wir die Sache ganz Schmuck einrichten.«</p>
+
+<p>Hier muß ich Ihnen Nachricht geben, daß dieser Bediente meines Onkels
+Toby, der allenthalben Trim genannt wurde, in meines Onkels eigener
+Kompagnie Korporal gewesen war. Sein wahrer Name ist James Butler,
+da er aber einmal im Regiment den Zunamen Trim wegbekommen hatte, so
+nannte ihn mein Onkel Toby auch beständig dabei, oder er mußte eben
+nach seiner Art recht böse sein.</p>
+
+<p>Der arme Kerl war zum Dienst untüchtig wegen einer Wunde von einer
+Musketenkugel am linken Knie, die er in der Landauer Bataille, zwei
+Jahre vor der Affäre bei Namur, bekommen hatte. Und weil der Kerl im
+Regiment sehr wohlgelitten und sonst wortgewandt war, so nahm ihn mein
+Onkel zu sich als Bedienten und traf's mit ihm vortrefflich; denn er
+wartete meinem Onkel im Felde und in den Winterquartieren auf, als
+Diener, Stallknecht, Barbier, Koch, Schneider und Krankenwärter; und
+er wartete und pflegte ihn von Anfang bis Ende mit großer Treue und
+Ergebenheit.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby liebte den Menschen auch wieder, und was ihn noch mehr
+an ihn gewöhnte, war die Gleichheit ihrer Kenntnisse. Denn Korporal
+Trim — bei dem Namen werde ich ihn künftig immer nennen — hatte durch
+ein vierjähriges Anhören der Gespräche seines Herrn von befestigten
+Städten, und durch den Vorteil, daß er beständig in seines Herrn Pläne,
+Grundrisse usw. sehen konnte — nicht einmal mitgerechnet, was er als
+Leibdiener von der steckenpferdischen Materie an sich ziehen mußte,
+wenn er auch an und für sich selbst dieser Reiterei nicht ergeben
+war —, nicht wenige Kenntnis von der Wissenschaft der Kriegsführung
+erworben.<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> Und die Köchin und das Kammermädchen waren der Meinung, daß
+er wohl ebensogut eine Festung bestürmen könnte wie sein Herr.</p>
+
+<p>Ich habe nur noch einen Pinselzug an Korporal Trims Charakter zu tun,
+und zwar den einzigen dunkeln Schatten darin: der Kerl mochte gerne
+seinen Senf mit dazugeben oder vielmehr sich selbst sprechen hören.
+Sein Betragen indessen war dabei so ehrerbietig, daß es leicht war,
+ihn beim Stillschweigen zu erhalten, wenn sie ihn einmal darin hatten.
+War aber seine Zunge einmal im Gange, so war kein Aufhalten, sie
+lief immerfort. Die ewigen Euer Gnadens, die er einflickte und sein
+untertäniges Bezeigen sprachen so stark für seine Beredsamkeit, daß er
+Ihnen wohl überlästig, Sie ihm aber nicht böse werden konnten. Meinem
+Onkel Toby begegnete das eine wie das andere sehr selten, wenigstens
+veranlaßte dieser Fehler keine Spaltung unter ihnen. Wie gesagt,
+mein Onkel liebte den Menschen. Und da er beständig seinen Bedienten
+als einen ärmeren Freund betrachtete, konnte er es nicht übers Herz
+bringen, ihm das Maul zu verbieten. So sah Korporal Trim aus.</p>
+
+<p>»Wenn ich mich unterstehen dürfte,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden einen
+guten Rat zu geben und meine Meinung zu sagen?« — »Das darf Er,
+Trim,« sagte mein Onkel Toby, »spreche Er, Sage Er, was Er von der
+Sache denkt, ohne Furcht, guter Trim.« — »Gut denn,« versetzte Trim,
+und ließ nicht dabei die Ohren hängen und kraute auch nicht in den
+Haaren, wie ein Bauernlümmel, sondern strich sich die Haare von der
+Stirn zurück und stand stramm wie vor seiner Rotte. »Ich meine,« sagte
+Korporal Trim, und setzte den linken Fuß, welches der lahme war, ein
+wenig vorwärts, und zeigte mit der offenen Hand nach einem Grundriß
+von Dünkirchen, der mit Nadeln an die Tapete gesteckt war, »ohne Euer
+Gnaden ins Kommando zu fallen,<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> daß die Ravalins da, Basteien, Kurtinen
+und Hornwerke nur ein armseliges, jämmerliches Stück Klitterwerk auf
+dem Papier sind gegen das, was Euer Gnaden und ich daraus machen
+könnten, wenn wir so für uns auf dem Lande wären und hätten nur einen
+Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was
+wir wollten. Der Sommer ist vor der Tür,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden
+könnten dabei sitzen und mir die Nographie« — »Ichnographie muß Er
+Sagen,« fiel ihm mein Onkel ein — »von der Stadt oder Zitadelle,
+wovor Euer Gnaden gern sitzen möchten. — Und auf dem Wall, den ich
+selbst gemacht habe, sollen mich Euer Gnaden harkebusieren lassen,
+wenn ich es nicht fortifiziere, so gut wie es Euer Gnaden wünschen
+mögen.« — »O, das könnte Er wohl,« sagte mein Onkel. — »Denn wenn
+Euer Gnaden,« fuhr der Korporal fort, »mir nur das Polygone mit allen
+Spitzen und Linien angeben können« — »Das kann ich recht gut,« sagte
+mein Onkel —, »so wollte ich mit dem Graben anfangen. Und wenn Euer
+Gnaden mir die gehörige Tiefe und Breite angeben könnten« — »Auf
+ein Haar kann ich das,« sagte mein Onkel —, »so wollte ich die Erde
+nach dieser Hand gegen die Stadt zu aufwerfen, und machte daraus die
+Scharpe, und nach jener Hand, gegen das Feld zu, die Konterscharpe.«
+— »Ganz richtig, Trim,« sagte mein Onkel Toby. — »Und wenn ich es
+ausgetieft hätte, wie es sein sollte, so wollte ich, mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, Gras darüberlegen, wie die feinsten Festungen in Flandern,
+mit Grassoden, wie Euer Gnaden wissen, daß sie sein sollten. Und die
+Wälle und Parapetts wollte ich auch mit Soden machen.« — »Die besten
+Ingenieure nennen es Wasen oder Rasen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.
+— »Soden, Wasen oder Rasen, das will nicht viel tun,« versetzte Trim.
+»Euer Gnaden wissen, sie sind zehnmal besser dazu, als Sand oder
+Mauersteine.« —<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> »Ich weiß es, in gewissen Fällen sind sie's,« sagte
+mein Onkel Toby und nickte mit dem Kopfe. »Denn eine Kanonenkugel geht
+durch den Rasen gerade durch, ohne daß sie Kummer mitnimmt, wodurch der
+Graben verschüttet werden kann, wie es vor dem St. Nikolastor ging, und
+man desto leichter über ihn steigen kann.«</p>
+
+<p>»Euer Gnaden verstehen diese Dinge besser,« versetzte Korporal Trim,
+»als alle Offiziere in des Königs Diensten. Wollen nur Euer Gnaden
+das Tischbestellen gut sein lassen und mich mit sich aufs Land
+nehmen. Ich wollte unter Euer Gnaden Anführung arbeiten wie ein Pferd
+und Fortifikationen machen. Sie sollten so lecker aussehen wie ein
+Butterkuchen, mit allen Batterien, Sappen, Graben und Palisaden, daß
+zwanzig Meilen rundum die Leute sich's nicht verdrießen lassen sollten,
+herzureisen und es sich zu besehen.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby ward im Gesicht rot wie Scharlach, als Trim so
+fortfuhr. Es war aber nicht aus bösem Gewissen, daß er rot wurde, noch
+aus Bescheidenheit oder Ärger. Es war ein freudiges Erröten. Korporal
+Trims Projekt und Beschreibung trieb ihm das Blut zu Kopfe. — »Trim,«
+sagte mein Onkel Toby, »Er hat genug gesagt.« — »Wir könnten an
+ebendem Tage in Kampagne gehen,« fuhr Trim fort, »wenn unsere Völker
+und die Alliierten ins Feld rücken, und eben so geschwind Stadt für
+Stadt einnehmen und demolieren, als —« »Trim,« sprach mein Onkel
+Toby, »sage Er nichts mehr.« — »Euer Gnaden,« sprach Trim immer
+weiter, »könnten in Ihrem Lehnstuhl sitzen« — indem er darauf zeigte
+— »bei dem schönen Wetter, und gäben Ihre Order, und so wollte ich
+—« »Nichts mehr, Trim,« rief mein Onkel Toby. — »Noch dazu wäre es
+für Euer Gnaden nicht allein Vergnügen und guter Zeitvertreib, sondern
+gute, frische Luft, gute Bewegung und gute Gesundheit obendrein,
+und Euer Gnaden Wunde würde in einem Monat zu sein.«<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> — »Er hat
+genug gesagt, Trim,« rief mein Onkel Toby, und griff dabei in seine
+Beinkleidertasche. »Sein Projekt gefällt mir sehr gut.« — »Und wenn
+Euer Gnaden erlauben, so will ich stehenden Fußes hingehen und einen
+Pionierspaten kaufen, den wir mitnehmen, und will eine Schaufel
+bestellen und eine Spitzhacke, und ein paar —« — »Still, still,
+Trim,« sagte mein Onkel Toby, sprang auf ein Bein, ganz von Entzücken
+überwältigt, drückte ein Goldstück in Trims Hand und sprach: »Sage
+Er kein Wort weiter, lieber Bursche, sondern gehe Er den Augenblick
+hinunter, daß ich gleich mein Abendessen bekomme.«</p>
+
+<p>Trim lief hinunter und brachte seinem Herrn das Essen. — Aber da
+stand's. — Trims Operationsplan lief meinem Onkel Toby so im Kopfe
+herum, daß er nichts davon kosten konnte. »Trim,« sagte mein Onkel,
+»bringe Er mich zu Bett.« — Es war auch nichts. — Korporal Trims
+Beschreibung hatte seine Imagination erhitzt. Mein Onkel Toby konnte
+kein Auge zutun. Je mehr er sie betrachtete, desto bezaubernder kam ihm
+die Szene vor. — Und zwei volle Stunden vor Tagesanbruch schon hatte
+er seine endliche Entschließung gefaßt und den ganzen Plan zu seinem
+und Korporal Trims Abmarsch ins reine gebracht.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby hatte ein eigenes kleines, hübsches Landhaus in dem
+Dorfe, wo die Shandyschen Güter lagen; das hatte ihm ein alter Onkel
+vermacht und so viele Ländereien dabei, die jährlich fünfhundert
+Reichstaler Pacht trugen. Von hinten stieß ein Küchengarten an dieses
+Haus von ungefähr einem halben Morgen Land, und hinter dem Garten und
+durch eine hohe Taxushecke davon getrennt, war ein grüner Spielplatz,
+der ungefähr soviel Grundmasse enthielt, wie Korporal Trim wünschte,
+so daß, als Korporal Trim die Worte sagte, »und hätten wir nur einen
+Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span>
+wir wollten«, sich dieser leibhafte grüne Spielplatz auf einmal
+darstellte und im Hui in meines Onkels Phantasie vortrefflich gemalt
+erschien. — Und das war die physische Ursache, die ihn die Farbe
+verändern ließ oder wenigstens seine Gedichtsröte zu dem ungemäßigten
+Grade trieb, von dem ich sprach.</p>
+
+<p>Niemals kann ein Liebhaber nach seiner teuren Geliebten mit mehr
+Hitze und größerer Erwartung reiten oder fahren, als mein Onkel tat,
+um dieses liebe Ding so für sich allein zu genießen. — Ich sage,
+so für sich allein. — Denn er war abgesondert vom Hause durch eine
+hohe Taxushecke, wie ich Ihnen schon gesagt, und an den drei anderen
+Seiten war es vor dem Gesicht der Sterblichen mit dickem, grünem, wild
+verwachsenem Gebüsch verdeckt. So daß der Gedanke, nicht gesehen zu
+werden, nicht gering zu der Hoffnung des Vergnügens beitrug, das sich
+mein Onkel Toby in seinem Gemüt vorbildete. Eitler Gedanke — es mag
+noch so dicht bewachsen sein, noch so einsam scheinen —, zu hoffen,
+liebster Onkel Toby, du könntest ein Ding genießen, das einen ganzen
+Viertelmorgen und einen halben Grund und Boden umfaßt, ohne daß es
+bekannt würde!</p>
+
+<p>Wie mein Onkel Toby und Korporal Trim diese Sache angriffen, nebst
+der Geschichte ihrer Feldzüge, welche gar nicht leer an Begebenheiten
+waren, kann eine ganz interessante Nebenhandlung abgeben, die mit der
+Haupthandlung dieses Dramas fortläuft. — Jetzt muß der Vorhang fallen,
+— der Schauplatz verwandelt sich in das Wohnzimmer mit dem Kaminfeuer.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_11">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p>
+
+<h2>Zwölftes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>»Was mögen sie vorhaben?« sagte mein Vater. — »Ich denke,« antwortete
+mein Onkel Toby, wobei er, wie ich Ihnen sagte, die Pfeife aus dem
+Munde nahm und die Asche ausklopfte. — »Ich denke,« antwortete er, »es
+wäre wohl gut, Bruder, wenn wir klingelten.«</p>
+
+<p>»Höre, Obadiah, was heißt das Gepoltere über unserem Kopfe?« fragte
+mein Vater. »Mein Bruder und ich können kaum hören, was wir sprechen.«</p>
+
+<p>»Herr,« antwortete Obadiah, und beugte seine linke Schulter vor,
+»Madame ist ganz übel geworden.« — »Und was hat Susanna da im Garten
+zu rennen, als wenn ein halbes Dutzend Ehrenräuber hinter ihr wären?«
+— »Herr, sie rennt den kürzesten Weg,« versetzte Obadiah, »die alte
+Bademutter zu holen.« — »So sattelt ein Pferd,« sagte mein Vater, »und
+reitet geschwind zum Doktor Slop, dem Akkoucheur. Wir ließen ihn alle
+grüßen, — und sagt ihm, daß Madame in Kindesnöten ist und daß ich ihn
+bitten lasse, er möchte gleich mit Euch kommen.«</p>
+
+<p>»Es ist sehr närrisch,« sagte mein Vater zu meinem Onkel Toby,
+als Obadiah die Türe zugemacht hatte, »da wir einen so erfahrenen
+Geburtshelfer wie Doktor Slop so ganz in der Nähe haben, daß meine Frau
+bis auf den letzten Augenblick auf ihrer eigensinnigen Grille bestehen
+und das Leben ihres Kindes, das schon sein Teil Leiden gehabt hat, der
+Unwissenheit eines alten Weibes anvertrauen muß. — Und nicht allein
+das Leben meines Kindes, Bruder, sondern auch ihr eigenes und das Leben
+aller der Kinder dazu, die ich hernach vielleicht noch hätte mit ihr
+haben können.«</p>
+
+<p>»Es kann sein, Bruder,« versetzte mein Onkel Toby, »daß sie's tut, um
+die Unkosten zu sparen.« — »Ein Endchen Licht lieber!« erwiderte mein
+Vater. »Der Doktor muß sein<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Geld haben, er tue was dafür oder nicht;
+wo nicht noch mehr, um ihn bei guter Laune zu erhalten.« — »Dann kann
+es wohl aus keiner anderen Ursache sein,« sagte mein Onkel Toby in
+der Arglosigkeit seines Herzens, »als aus Schamhaftigkeit. Vielleicht
+schämte sich meine Schwester,« fuhr er fort, »käme ihr eine Mannsperson
+zu nahe an ***.« Ich will nicht Sagen, ob mein Onkel Seinen Satz
+geschlossen hatte oder nicht. Desto besser für ihn, daß man glaubt,
+er habe seinen Punkt gemacht. Denn nach meiner Meinung hätte er kein
+einziges Wort hinzusetzen können, um ihn zierlicher zu machen.</p>
+
+<p>Hatte hingegen mein Onkel Toby die Periode nicht ganz zu Ende gebracht,
+so hat die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Tabakspfeife plötzlich
+zerbrach, eins der nettesten Exempel von der zierlichen Figur in der
+Redekunst zu danken, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. —
+Hilf Himmel! Wie genau kommt es nicht auf das <em class="antiqua">Poco più</em> und das
+<em class="antiqua">Poco meno</em> der italienischen Artisten, auf das unmerkliche mehr
+oder weniger an, die wahre Schönheitslinie sowohl in einer Periode
+als in einer Statue zu treffen! Wie kann doch der geringste Zug des
+Griffels, des Pinsels, der Feder, des Violinbogens usw. diese wahre,
+sanfte Rundung geben, welche das wahre Vergnügen erregt! O meine
+lieben Landsmänner, seid sorgfältig, seid behutsam mit eurer Zunge,
+und niemals, o niemals laßt es euch aus dem Sinne kommen, an was für
+kleinen Partikeln eure Beredsamkeit hängt und euer Ruhm.</p>
+
+<p>»Meine Schwester schämte sich vielleicht,« sagte mein Onkel Toby, »käme
+ihr eine Mannsperson zu nahe an ***.« Diese Sternchen gemacht, und es
+ist eine Aposiopesis. Die Sternchen weggenommen und dafür geschrieben
+das Gesäß — Zote wird's. Streicht man das Gesäß aus und setzt dafür
+den bedeckten Weg, so wird's eine Metapher. Und da meinem<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> Onkel Toby
+das Fortifikationswesen so sehr im Kopfe lag, so getraue ich mir zu
+sagen, hatte man ihn noch ein Wort hinzusetzen lassen, — so war's das
+Wort.</p>
+
+<p>Ob das aber geschehen oder nicht geschehen, oder ob mein Vater seine
+Tabakspfeife in dem kritischen Augenblick von ungefähr oder aus
+Unwillen zerbrach, wird sich zu rechter Zeit ausweisen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_12">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreizehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Obgleich mein Vater ein guter natürlicher Philosoph war, so war er doch
+auch so etwas von einem Moralisten dabei. Deswegen hätte er, als ein
+solcher, da seine Pfeife in der Mitte entzweibrach, beide Stücke nehmen
+und gelassen ins Kaminfeuer werfen sollen. Und damit gut! — Das ließ
+er aber wohl bleiben. Er warf sie mit aller möglichen Heftigkeit und,
+um der Handlung noch mehr Nachdruck zu geben, Sprang er vom Stuhl auf
+beide Füße, um sie auszuüben.</p>
+
+<p>Dies hatte so etwas Ähnliches von Hitze. Und die Art, womit er auf das,
+was mein Onkel Toby sagte, antwortete, bewies es.</p>
+
+<p>»Schämen,« sagte mein Vater und wiederholte meines Onkels Tobys Worte,
+»käme ihr eine Mannsperson zu nah an. Wahrhaftig, Bruder Toby! Hiobs
+Geduld solltest du ermüden, die ich nicht habe; obgleich schon seine
+Plagen, dünkt mich.« — »Wie so? — Warum? — Worin? — Weswegen? —
+Worüber?« versetzte mein Onkel Toby mit dem größten Erstaunen. — »Wenn
+ich bedenke, daß ein Mann so alt geworden sein kann, wie du, Bruder,
+und noch so wenig Weiberkenntnis hat!« — »Ich kenne von ihnen gar
+nichts,« versetzte mein Onkel Toby, »und ich dächte,« fuhr er fort,
+»der Puff, den ich das Jahr nachher, da Dünkirchen<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> geschleift ward, in
+der Affäre mit der Witwe Wadman bekam, welchen Puff ich, wie du weißt,
+nicht bekommen haben würde, hätte ich nur die geringste Kenntnis vom
+Frauenzimmer gehabt, hätte mir wohl eine gerechte Ursache gegeben, zu
+sagen, daß ich von den Weibern und ihren Sachen weder etwas weiß, noch
+zu wissen verlange.« — »Mich deucht, Bruder,« versetzte mein Vater,
+»soviel könntest du doch wenigstens wissen, das rechte Ende eines
+Weibes vom unrechten zu unterscheiden.«</p>
+
+<p>In Aristoteles' Meisterstücke wird gesagt: »Wenn ein Mensch an etwas
+denkt, das vorbei ist, so sieht er nieder auf die Erde; aber, wenn
+er an etwas denkt, das noch zukünftig ist, so sieht er aufwärts gen
+Himmel.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby dachte also wohl an keins von beiden, denn er sah
+gerade vorwärts. »Rechte Ende!« sagte mein Onkel Toby, murmelte es
+leise in den Bart und blieb dabei, wie er's murmelte, unvermerkt mit
+den Augen an einer kleinen Spalte hängen, die eine losgewichene Fuge
+im Gesimse des Kamins gemacht hatte. — »Rechte Ende eines Weibes! —
+Fürwahr,« sagte mein Onkel, »ich weiß ebensowenig, was das ist, als der
+Mann im Monde. — Und wenn ich auch einen ganzen Monat darauf sänne« —
+er hielt dabei noch immer die Augen auf die losgewichene Fuge —, »so
+weiß ich gewiß, ich würde es nicht ausfindig machen.«</p>
+
+<p>»So will ich's dir sagen, Bruder,« erwiderte mein Vater. —</p>
+
+<p>»Jedes Ding in der Welt,« fuhr mein Vater fort, indem er eine frische
+Pfeife füllte, »jedes Ding in dieser Welt, mein lieber Bruder Toby,
+hat zwei Enden.« — »Nicht immer,« versetzte mein Onkel Toby. — »Zum
+wenigsten,« versetzte mein Vater, »immer zwei Seiten, was auf eins
+ausläuft. — Nun, wenn sich jemand hinsetzt und überlegt mit kaltem
+Blute bei sich selbst, die Gestalt, den Bau, das Beikommensvermögen<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span>
+und die Brauchbarkeit aller Teile des Ganzen an dem Tiere, genannt
+Weib, und vergleicht solche analogisch« — »Ich habe den Sinn dieses
+Wortes niemals deutlich verstanden,« sagte mein Onkel Toby. —
+»Analogie,« versetzte mein Vater, »heißt ein gewisses Verhältnis und
+Übereinstimmung, die verschie —« Hier brach ein vertracktes Klopfen
+an der Türe meines Vaters Definition — wie seine Tabakspfeife —
+in Stücken und zertrat einer der merkwürdigsten und sinnreichsten
+Dissertationen den Kopf, die jemals im Schoße der Spekulation erzeuget
+worden; es gingen einige Monate hin, ehe mein Vater Gelegenheit finden
+konnte, glücklich davon entbunden zu werden. Und bis auf diese Stunde
+ist es — wegen Verwirrung und Mannigfaltigkeit unserer häuslichen
+Unglücksfälle, die sich nun scharenweise auf die Fersen treten —,
+ebenso problematisch, als der Gegenstand der Dissertation selbst — ob
+ich in diesem Buche einen Platz dafür finden werde oder nicht.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_13">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Stellen Sie sich eine kleine, quabbelige, plattnasige Figur von einem
+Doktor Slop vor, von ungefähr vier und einem halben Fuß perpendikularer
+Höhe. Mit einer Breite von Rücken und einer Janitscharentrommel von
+Bauch, worauf sich ein Feldwebel unter der Reitergarde nicht wenig
+hätte einbilden können.</p>
+
+<p>So sah der Umriß von Doktor Slops Figur aus, die, wie Sie wissen, wenn
+Sie Hogarths Zergliederung der Schönheit gelesen haben, wo nicht, so
+wünsche ich, daß Sie solche noch lesen, ebenso gewiß durch drei Züge
+beschrieben und zu Gemüte geführt werden kann wie durch dreihundert.</p>
+
+<p>So einen stellen Sie sich vor, denn so, sage ich, war der Umriß von
+Doktor Slops Figur beschaffen, wie er ganz langsam,<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> Schritt für
+Schritt, durch den Kot daherschwankte, auf dem Rückgrate eines kleinen
+winzigen Rößleins von hübscher Farbe. Aber an Umfang — o weh! — kaum
+soviel, daß es unter einem solchen Packen hätte zum Trott gebracht
+werden können, wären die Wege auch trocken und eben gewesen, was sie
+gar nicht waren. Nun stellen Sie sich Obadiah vor, auf einem Riesen von
+Kutschpferd, das er zum vollen Galopp angetrieben hat, wie er mit aller
+Hast ihm entgegenreitet.</p>
+
+<p>Ich bitte Sie, mein Herr, nehmen Sie doch einen Augenblick Anteil an
+dieser Beschreibung.</p>
+
+<p>Hätte Doktor Slop den Obadiah in einer Entfernung von tausend Schritten
+wahrgenommen, wie er in einem schmalen Fuhrwege so ungeheuerlich
+auf ihn zu jagte, wie der Dreckteufel durch dick und dünn auf allen
+Seiten spritzte und schlenkerte, als er sich näherte, sollte nicht
+ein solches Phänomen mit einem solchen Wirbel von Schlamm und Wasser,
+das sich um seine Achse drehte, dem Doktor Slop in seinen Umständen
+eine weit fürchterlichere Erscheinung sein als der drohendste Komet?
+Nicht einmal seines Kerns, das ist Obadiah und sein Kutschpferd, zu
+gedenken. So war — nach meiner Meinung — sein Wirbel allein genug,
+wo nicht den Doktor, doch wenigstens sein Rößlein zu fassen und rein
+mit fortzureißen. Was denken Sie, wie groß muß die Angst, Schlamm-
+und Wasserscheu des Doktor Slop gewesen sein, wenn Sie lesen, was
+im Augenblick geschehen wird, daß, als er eben so ganz sinnig und
+bedächtig nach Shandy-Hall zuritt, nur noch sechzig Ruten weit davon
+war und fünf von einer scharfen Ecke der Gartenmauer, Obadiah und
+sein Kutschpferd plötzlich wütend um die Ecke und gerade auf ihn
+lossprengten! — Nein, in der ganzen Natur kann nichts Schrecklicheres
+gedacht werden als ein solcher Zusammenstoß. So unerwartet, so übel
+vorbereitet wie der Doktor Slop war, einen solchen Überfall zu erleben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p>
+
+<p>Was konnte Doktor Slop tun? Er bekreuzigte sich. Warum nicht gar? Nun
+ja, mein Herr, der Doktor war ein Katholik. Einerlei; er hätte besser
+getan, sich am Sattelknopf festzuhalten. Das wohl! Ja, wie die Sache
+ging, hätte er lieber ganz und gar nichts tun sollen. Denn wie er das
+Kreuz schlug, ließ er seine Peitsche fallen, und als er solche zwischen
+seinem Knie und dem Sattelleder wieder fangen wollte, verlor er den
+Steigbügel. Und indem er den verlor, verlor er auch den Sitz im Sattel.
+Und über der Menge aller dieser Verluste — was nebenher beweisen
+kann, wie wenig das Bekreuzigen nützt — verlor der arme Doktor
+seine Geistesgegenwart, so daß er, ohne den Überfall von Obadiah zu
+erwarten, sein Tier seinem eigenen Schicksale überließ, seitwärts davon
+herunterpurzelte, ungefähr wie ein Packen Wolle, ohne irgendeine andere
+Folge des Falles, als daß er — wie es natürlich zuging — mit seinem
+breitesten Teile zwölf Zoll tief im Moraste versunken liegen blieb.</p>
+
+<p>Obadiah zog zweimal seine Kapuze vor dem Doktor ab. Einmal, als er
+fiel, und als er ihn sitzen sah wiederum. Unzeitige Höflichkeit!
+Hätte der Kerl nicht lieber sein Pferd anhalten, absteigen und ihm
+helfen können! Er tat alles, mein Herr, was er in seinen Umständen tun
+konnte. Aber der Schuß des Kutschpferdes war zu heftig, daß Obadiah
+nicht sogleich konnte, wie er wollte. Er ritt dreimal in einem Zirkel
+um Doktor Slop herum, ehe er's möglich fand, und zuletzt, als er sein
+Pferd zum Stehen brachte, geschah es mit einem solchen Schwall von
+Schlamm, daß Obadiah lieber eine Meile weit davon hätte sein mögen.
+Kurz, in seinem Leben war Doktor Slop noch nicht so transubstanziert
+worden, seitdem das Transubstanzieren Mode geworden ist.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_14">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p>
+
+<h2>Fünfzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Als Doktor Slop in das Hinterzimmer trat, worin mein Vater und mein
+Onkel saßen und ihre Unterredung über das Frauenzimmer hatten, war
+es schwer zu entscheiden, ob Doktor Slops Gestalt oder Gegenwart
+sie mehr in Verwunderung setzte. Denn weil das Unglück sich nahe
+beim Hause zutrug, daß Obadiah es nicht der Mühe wert hielt, ihm
+wieder aufs Pferd zu helfen, so hatte ihn Obadiah, so wie er war,
+ungestriegelt, ungebürstet und ungespült, mit allen seinen Flecken und
+Klecksen hineingeführt. Er stand wie Hamlets Geist, unbeweglich und
+stumm, anderthalb Minuten an der Zimmertür — Obadiah hielt beständig
+seine Hand angefaßt — in aller Majestät des weichen Urstoffs des
+ersten Menschen. Die hinteren Falten seines Kleides, welche ihm zum
+Kissen gedient, waren gänzlich davon getränkt, und alle übrigen Teile
+desselben waren so über und über gesprenkelt von Obadiahs Schwall, daß
+Sie geschworen hätten — ohne sich etwas im Sinne vorzubehalten —, es
+wäre kein Schmutzkörnchen an ihm verloren oder vorbeigegangen.</p>
+
+<p>Hier war eine schöne Gelegenheit für meinen Onkel Toby, seinerseits
+über meinen guten Vater zu triumphieren. Denn kein Sterblicher, welcher
+den Doktor Slop eingepökelt gesehen, hätte wenigstens das nicht von
+meines Onkels Toby Meinung ableugnen können, »daß meine Schwester es
+nicht gerne hätte, es käme ihr ein solcher Doktor Slop so nahe an
+›***‹«. Allein das war ein <em class="antiqua">Argumentum ad hominem</em>, und weil mein
+Onkel Toby nicht recht gewandt darin war, so können Sie denken, daß er
+sich deswegen nicht gern damit abgab. Nein, die Ursache war — Spott
+und Hohn war seine Sache nicht.</p>
+
+<p>Doktor Slops Gegenwart war um die Zeit ebenso unerklärbar als die Art
+und Weise derselben. Obgleich soviel<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> richtig ist, daß ein Augenblick
+Nachdenkens meinen Vater hätte zurechtweisen können. Denn er hatte erst
+die Woche vorher dem Doktor Slop davon Nachricht gegeben, daß meine
+Mutter am Ende ihrer Rechnung wäre. Und da der Doktor nachher nichts
+weiter davon gehört hatte, so war's natürlich und politisch von ihm,
+einen Spazierritt nach Shandy-Hall zu machen, bloß um zu sehen, wie es
+da stünde.</p>
+
+<p>Allein meines Vaters Gedanken nahmen unglücklicherweise einen
+verkehrten Weg bei der Untersuchung und hielten sich, wie mein allzeit
+fertiger Kritikus, bloß bei dem Klingeln und dem Pochen an der Tür auf,
+maßen den Zeitraum von einem zum andern, und waren dergestalt bei der
+Operation geschäftig, daß sie alles andere in der Welt nichts anging.
+Ein gewöhnlicher Fehler der größten Mathematiker, die mit Macht und
+Gewalt an der Demonstration arbeiten und darüber so sehr ihre Kräfte
+verschwenden, daß sie keine übrig behalten, den Schluß zu ziehen und
+die Anwendung zu machen.</p>
+
+<p>Das Klingeln und das Pochen an der Tür wirkte zwar auch stark auf
+das Sensorium meines Onkels Toby. Sie brachten aber ein ganz anderes
+Gefolge von Gedanken in Gang. Die beiden unvereinbarten Punkte des
+Abstoßes brachten augenblicklich den Stevinus mit in meines Onkels
+Gedanken. Was Stevinus mit dieser Sache zu tun hatte, ist wohl das
+größte Problem von allen; es soll aufgelöst werden. In dem nächsten
+Kapitel aber noch nicht.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_15">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Bücherschreiben, wenn's am rechten Ende angegriffen wird — Sie können
+sich darauf verlassen, daß ich denke, das meinige sei es —, ist nur
+eine andere Benennung für Konversation. Da niemand, der weiß, wie er
+sich in Gesellschaft<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> benehmen muß, es wagen wird, alles herauszusagen,
+so wird kein Schriftsteller, der die Grenzen seines Dekorums und der
+guten Lebensart kennt, so voreilig sein, alles zu denken. Die größte
+Ehrerbietung, die Sie dem Verstande Ihres Lesers erweisen können,
+ist, wenn Sie freundschaft-brüderlich mit ihm teilen und seiner
+Einbildungskraft ebensowohl etwas zu schaffen übrig lassen als Ihrer
+eigenen.</p>
+
+<p>Ich meinesteils lasse es an Höflichkeitsbezeigungen von dieser Art
+niemals fehlen und tue alles, was in meinem Vermögen Steht, seine
+Imagination ebenso geschäftig zu erhalten wie die meinige.</p>
+
+<p>Die Reihe ist jetzt an ihm; ich habe von Doktor Slops jämmerlichem
+Sturz und Fall, von seinem erbärmlichen Aufzuge in dem Hinterzimmer
+eine Beschreibung gegeben. Nun muß seine Einbildung sich eine Weile
+damit beschäftigen.</p>
+
+<p>Der Leser bilde sich also ein, daß Doktor Slop seine Geschichte erzählt
+habe. Mit was für Worten und Vergrößerungen es seiner Phantasie
+beliebt. Er nehme an, daß Obadiah die seinige gleichfalls erzählt
+habe, und mit so traurigen Gebärden und angenommenem Leidwesen,
+als er glaubt, das die beiden Figuren, die nebeneinanderstehen, in
+die beste Gegenhaltung setzen kann. Er bilde sich ein, daß mein
+Vater hinaufgegangen sei, meine Mutter zu sehen. Und um dieses
+Werk der Einbildungskraft zu Ende zu bringen, denke er sich den
+Doktor gewaschen, abgerieben, kondoliert, gratuliert, in einem Paar
+niedergetretener Schuhe, von Obadiah geborgt, nach der Türe gehend und
+im Begriff zu agieren.</p>
+
+<p>Gemach! — gemach, lieber Doktor Slop! — halte deine Hand zurück!
+Stecke sie ruhig wieder in deinen Busen, daß sie warm bleibe. Du weißt
+wenig davon, was für Schwierigkeiten, was für verdeckte Hindernisse
+ihrem Wirken im Wege liegen! Hat man dir, lieber Doktor Slop, hat
+man dir die geheimen Artikel des feierlichen Vertrages anvertraut,
+demzufolge<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> du hierher gebracht bist? Hast du es schon gemerkt, daß
+in diesem Augenblick eine von Lucinens Töchtern über dir steht? Ach,
+es ist leider nur zu wahr! Außerdem, großer Sohn des Pilumnus, was
+kannst du machen? Du bist unbewaffnet erschienen, du hast dein <em class="antiqua">Tire
+tête</em>, deinen neuerfundenen Forceps, dein Crochet, dein Squirt und
+alle deine Rettungs- und Erlösungswerkzeuge zu Hause gelassen. — Beim
+Himmel! Da hängen sie im grünen Filetbeutel, zwischen deinen beiden
+Pistolen, am Kopfende deines Bettes! Klingle! Rufe! Sende Obadiah auf
+dem Kutschpferde zurück, daß er sie in aller Eile herhole.</p>
+
+<p>»Eilet, was Ihr könnt, Obadiah,« sagte mein Vater, »und ich gebe Euch
+einen Gulden.« — »Von mir,« sagte mein Onkel Toby, »noch einen.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_16">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>»Ihre plötzliche unerwartete Ankunft,« sagte mein Onkel Toby zum Doktor
+Slop — alle drei setzten sich beim Kaminfeuer nieder, als mein Onkel
+Toby zu sprechen begann — »erinnerte mich augenblicklich an den großen
+Stevinus, der, wie ich Ihnen sagen muß, mein Leib-Autor ist.« — »So,«
+unterbrach ihn mein Vater, »so will ich vierzig Dukaten gegen einen
+Gulden setzen — welchen ich Obadiah geben kann, wenn er zurückkommt
+—, daß dieser Herr Stevinus ein Ingenieur oder so was ist, oder
+daß er, es sei auch, was es sei, mittelbar oder unmittelbar von der
+Fortifikation geschrieben hat.« —</p>
+
+<p>»Das hat er,« versetzte mein Onkel Toby. »Dacht' ich's nicht?« sagte
+mein Vater. »Ob ich gleich, und sollte mich's das Leben kosten, nicht
+einsehen kann, was zwischen des Herrn Doktors Slop unerwarteter
+Ankunft und einer Abhandlung<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> von der Fortifikation für eine Art
+von Zusammenhang sein kann. Doch hab' ich's gefürchtet. Bruder! wir
+mögen doch sprechen, wovon wir wollen, oder laß die Gelegenheit noch
+so weit weg oder unschicklich für dein Thema sein, so mußt du es
+doch einschieben. Nein, Bruder Toby,« fuhr mein Vater fort. »Nein,
+wahrhaftig, so voll möchte ich doch auch meinen Kopf nicht von Kurtinen
+und Hornwerken haben.« — »Das glaub' ich wohl, daß Sie das nicht
+möchten,« sagte Doktor Slop, indem er einfiel und ganz unmäßig über
+sein Wortspiel lachte.</p>
+
+<p>Dennis, der kritische Meister, konnte ein Wortspiel oder nur einen
+Anschein vom Wortspiele nicht herzlicher verabscheuen und hassen als
+mein Vater. — Er runzelte immer die Stirne, wenn er eins hörte. Aber,
+wenn man ihn in einer ernsthaften Rede durch eine solche Witzelei
+unterbrach, pflegte mein Vater zu sagen, das wäre so gut, als wenn man
+ihm Nasenstüber gäbe. Er wüßte keinen Unterschied.</p>
+
+<p>»Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby zu Slop, »die Kurtinen, wovon mein
+Bruder Shandy spricht, sind nichts weniger als Bettgardinen; obzwar,
+ich weiß wohl, du Cange sagt: ›daß nach aller Wahrscheinlichkeit solche
+ihren Namen von jenen bekommen haben‹. Ebensowenig haben die Hornwerke,
+wovon er spricht, das geringste mit dem Hörnerkrame zu tun, worüber sie
+lachen. Sondern Kurtine, Herr Doktor, ist das Wort, welches wir in der
+Fortifikation gebrauchen, den Teil des Walles damit zu benennen, der
+zwischen zwei Bastionen liegt und solche zusammenfügt. Die Belagerer
+wagen es selten, ihre Attacke gerade auf die Kurtinen zu richten, aus
+dem Grunde, weil sie so gut flankiert sind.« — »Ebenso ist's mit
+den Gardinen,« sagte Doktor Slop lachend. — »Indessen,« fuhr mein
+Onkel Toby fort, »um sie völlig zu decken, pflegen wir gewöhnlich
+Raveline davorzulegen, die wir an der anderen Seite des Grabens
+anbringen. Der gemeine Mann, der wenig<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> von der Fortifikation versteht,
+verwechselt das Ravelin und den halben Mond miteinander, obgleich es
+sehr verschiedene Dinge sind. Nicht in ihrer Bauart oder Figur, denn
+wir machen solche in allen Stufen einander ähnlich. Sie bestehen aus
+zwei Facen, die eine Vorspringespitze mit der Brust ausmachen, nicht
+winkelrecht, sondern wie eine Sehne vom Zirkel.« — »Worin steckt denn
+der Unterschied?« fragte mein Vater ein wenig beißend. — »In ihrer
+Lage,« antwortete mein Onkel Toby. »Denn wenn ein Ravelin vor einer
+Kurtine steht, Bruder, so ist's ein Ravelin, und wenn ein Ravelin vor
+einer Bastion steht, so ist das Ravelin kein Ravelin, sondern ein
+halber Mond. Ebenso ist ein halber Mond, solange er vor seiner Bastion
+steht, ein halber Mond, aber nicht länger. Würde er von der Bastion
+weggenommen und vor eine Kurtine gesetzt, so wäre es nicht mehr ein
+halber Mond. Ein halber Mond ist in dem Falle kein halber Mond, es ist
+weiter nichts als ein Ravelin.« »Ich merke,« sagte mein Vater, »die
+edle Verteidigungskunst hat ihre schwachen Seiten so gut wie andere.«
+— »Die Hornwerke,« — nun, Himmel, sei gnädig! seufzte mein Vater
+— fuhr mein Onkel Toby fort, »die mein Bruder nannte, machen einen
+wichtigen Teil der Außenwerke. Die französischen Ingenieure nennen
+solche <em class="antiqua">Ouvrages à Corne</em>, und wir legen sie gemeiniglich an, um
+solche Stellen zu decken, die wir für Schwächer halten als die übrigen.
+Sie bestehen aus einer Face und einer Flanke oder halben Bastion; sie
+sehen recht hübsch aus, und wenn Sie einen Spaziergang machen wollen,
+so versichere ich Sie, will ich Ihnen eins zeigen, das sich der Mühe
+verlohnen soll. Es ist wahr, wenn wir sie krönen,« fuhr mein Onkel
+Toby fort, »so werden sie viel stärker. Aber dann sind sie auch sehr
+kostbar und nehmen viel Raum weg, so daß sie meiner Meinung nach die
+besten Dienste tun, die Front eines Lagers zu decken. Das doppelte
+Zangenwerk<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> aber —« »Bei der Mutter, die uns gebar! Bruder Toby,«
+sagte mein Vater, der sich nicht länger halten konnte, »du könntest
+einem Heiligen einen Fluch ablocken. Da hast du uns, ich weiß nicht
+wie, ganz unter der Hand wieder mitten in deine alte Brühe gepökelt. —
+Aber dein Kopf ist so voll von diesen verdammten Werken, daß du meine
+Frau in Nöten kreißen, sie schreien hörst, und doch willst du mir den
+Operateur fortschleppen.« — »Akkoucheur höre ich lieber, wenn's Ihnen
+so gefällt,« sagte Doktor Slop. »Nun denn, Akkoucheur! in Gottes Namen!
+Aber ich wünsche die ganze Kriegsbaukunst mit allen ihren Erfindern
+über alle Berge; Tausenden hat sie schon das Leben gekostet, und mir
+wird sie auch noch den Tod bringen. Ich möchte nicht, Bruder Toby, ich
+möchte nicht mein Gehirn so voller Sappen, Minen, Blenden, Schanzkörbe,
+Palisaden, Raveline, halben Monde und wie der Plunder alles heißt,
+haben, und sollte ich Namur und alle Städte in Flandern dazu dafür
+bekommen.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby, der die Beleidigungen geduldig ertragen konnte, nicht
+weil's ihm an Herzhaftigkeit fehlte — ich habe Ihnen gesagt: ›daß er
+ein Mann war, der Mut hatte‹, und will hier hinzusetzen, daß, wenn sich
+eine gerechte Gelegenheit darböte, die solchen aufforderte —, ich
+keinen Mann wüßte, unter dessen Arme ich lieber Schutz suchen möchte.
+Auch das kam nicht von irgendeiner Gefühllosigkeit oder Stumpfheit
+seines Verstandes her, denn er fühlte diese Beleidigung meines
+Vaters so empfindlich, wie ein Mann sie fühlen konnte. Er war von
+friedfertiger, sanftmütiger Natur, kein zänkisches Sonnenstäubchen war
+in ihm, alles war an ihm von so gutartiger Mischung, daß meines Onkels
+Toby Herz kaum zuließ, an einer Fliege Rache zu nehmen. ›Geh‹, sagte
+er eines Tages beim Essen zu einer häßlichen großen Brummfliege, die
+ihm um die Nase summte, ihn die ganze Mahlzeit über jämmerlich gequält
+hatte und die er endlich im<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> Vorbeifliegen haschte, ›ich will dir kein
+Leids tun,‹ stand vom Stuhle auf und ging mit der Fliege in der Hand
+durchs Zimmer. ›Ich will dir kein Haar krümmen. Geh,‹ sagte er, indem
+er das Fenster aufschob und die Hand öffnete, um sie fliegen zu lassen.
+›Geh, armes Ding, mach' daß du wegkommst, warum sollt' ich dir Leides
+tun? Diese Welt hat Raum genug für dich und für mich.‹</p>
+
+<p>Ich war kaum zehn Jahre alt, als dies geschah. Aber, war es, daß die
+Handlung selbst in diesem mitleidigen Alter mit meinen Nerven mehr im
+Einklang stand, daß es augenblicklich meinen ganzen Bau in Schwingungen
+des angenehmsten Gefühls versetzte, oder war es die Art und Weise des
+Ausdrucks, die dazu beitrug, in welchem Grade oder durch welche geheime
+Magie der Ton der Stimme und Harmonie der Bewegung einen Weg zu meinem
+Herzen finden mochten, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß die Lehre
+des unbegrenzten Wohlwollens, die mich damals mein Onkel Toby lehrte
+und mir einprägte, seitdem nie aus meinem Gemüte verloschen ist. Und
+ob ich gleich das, was das Studium der schönen Wissenschaften auf der
+Universität in diesem Punkte an mir getan hat, nicht verachten oder
+die Hilfe einer kostbaren Erziehung zu Hause und hernach in der Fremde
+herabwürdigen will, so denke ich doch oft, daß ich die eine Hälfte
+meiner Güte des Herzens diesem einen zufälligen Eindruck zu verdanken
+habe.</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Dieses kann Eltern und Hofmeistern statt eines ganzen Bandes über
+diese Materie dienen.</em></p>
+
+<p>Diesen Zug in meines Onkels Toby Porträt konnte ich dem Leser
+nicht vermittels ebendes Instrumentes geben, mit welchem ich die
+anderen zeichnete. Dem nämlich, das nichts mehr aufnimmt als die
+bloße steckenpferdische Ähnlichkeit. Dies ist ein Teil seines
+moralischen Charakters. Mein Vater war in dem Punkte der geduldigen
+Verträglichkeit, deren ich<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> erwähnt, viel anders beschaffen, wie
+der Leser schon längst bemerkt haben wird. Er hatte von Natur ein
+weit schärferes und schnelleres Gefühl, begleitet von ein wenig
+mürrischer Gemütsart. Obgleich ihn solches nie zu etwas verleitete,
+das einer Bosheit ähnlich sah, so zeigte sich's doch bei den kleinen
+Verdrießlichkeiten des Lebens in einer drolligen und witzigen Art
+von Unwillen. Dabei war er offenherzig und großmütig und ließ
+sich jederzeit gerne bedeuten. In den kleinen Aufwallungen dieser
+überflüssigen Säure in den Säften gegen andere, besonders aber gegen
+seinen Bruder Toby, den er aufrichtig liebte, fühlte er selbst zehnmal
+mehr Unlust — ausgenommen mit der Geschichte von Tante Dinah oder
+wenn's auf eine Hypothese ankam —, als er verursachte.</p>
+
+<p>Die Charaktere der beiden Brüder, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet,
+warfen Licht übereinander und erschienen in ihren großen Vorzügen in
+dieser Geschichte, die über den Stevinus entstand. Ich brauche dem
+Leser nicht zu sagen, wenn er sich ein Steckenpferd auf der Streu hält,
+daß eines Mannes Steckenpferd ein so empfindlicher Fleck ist, wie er
+nur einen an sich hat, und daß diese unverschuldeten Hiebe, die man dem
+seinigen gab, meinen Onkel nicht unempfindlich ließen. — Nein, wie ich
+oben sagte, mein Onkel Toby fühlte sie wirklich, und sehr schmerzhaft
+dazu.</p>
+
+<p>Nun, mein Herr, was sagte er? Wie betrug er sich? O, mein Herr, groß!
+Denn sobald mein Vater sein Steckenpferd genug gepeitscht hatte,
+wendete er ohne die geringste Hitze sein Gesicht von Doktor Slop
+weg, mit dem er gesprochen hatte, und sah meinem Vater in die Augen,
+mit einer Miene, in der sich soviel Gutherzigkeit, soviel Sanftmut,
+brüderliche Liebe, so unaussprechliche Zärtlichkeit gegen ihn zeigte,
+daß es meinem Vater durchs Herz ging. Er stand hastig von seinem
+Stuhle auf und ergriff meines Onkels Toby beide<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Hände, als er sprach:
+»Bruder Toby, ich bitte um Verzeihung! Vergib mir, ich bitte dich,
+dieses auffahrende Wesen, das mir meine Mutter anerbte.« — »Mein
+liebster, teuerster Bruder,« antwortete mein Onkel Toby, und richtete
+sich mit meines Vaters Hilfe vom Stuhle auf, »sprich nicht mehr davon.
+Ich kann es gerne leiden und wäre es zehnmal mehr, Bruder.« — »Aber
+es ist ungroßmütig,« erwiderte mein Vater, »irgendeinen Menschen zu
+beleidigen, einen Bruder noch ärger. Aber einen Bruder zu beleidigen,
+der so gütig ist, der so wenig reizt, niemals ahndet, es ist
+schändlich. Wahrhaftig, es ist niederträchtig!« — »Ich kann es gerne
+leiden, Bruder,« sagte mein Onkel Toby, »wär's auch fünfzigmal mehr
+gewesen!« — »Überdem,« sagte mein Vater, »was habe ich mich um deinen
+Zeitvertreib und dein Vergnügen zu bekümmern, es sei denn, daß ich's in
+meiner Macht hätte, wie ich's nicht habe, ihr Maß zu vermehren.«</p>
+
+<p>»Bruder Shandy,« antwortete mein Onkel Toby, und sah ihm mit vieler
+Bedeutung ins Angesicht, »hierin irrst du dich sehr! Denn du vermehrst
+mein Vergnügen ungemein dadurch, daß du in deinem Alter die Shandysche
+Familie mit Kindern vermehrst.« — »Dadurch, mein Herr,« sagte Doktor
+Slop, »vermehrt Herr Shandy sein eigenes.« — »Nicht um ein Jota!«
+sagte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_17">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>»Mein Bruder tut es,« sagte mein Onkel Toby, »aus Grundsätzen.« — »Des
+lieben Hausfriedens wegen, denke ich,« sagte Doktor Slop. — »Pscha!«
+sagte mein Vater, »was wollen wir da viel von reden!«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_18">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span></p>
+
+<h2>Neunzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>Obadiah gewann die zwei Gulden ohne Widerrede. Denn er trat mit dem
+grünen Filetbeutel, dessen wir schon erwähnt haben, und worin alle die
+Instrumente klirrten, wie mit einer Jägertasche über der Schulter ins
+Zimmer.</p>
+
+<p>»Mich dünkt,« sagte Doktor Slop und heiterte dabei seine Mienen auf,
+»es wird nun nachgerade Zeit sein, da wir uns jetzt imstande befinden,
+Madame Shandy hilfreiche Hand zu leisten, daß wir hinaufschicken und
+fragen lassen, wie es geht?«</p>
+
+<p>»Ich habe der alten Bademutter befohlen,« antwortete mein Vater, »daß
+sie gleich herunterkommen soll, sobald es ein wenig schwer geht. Denn
+Sie müssen wissen, Herr Doktor,« fuhr er mit einem eckigen Lächeln
+auf dem Gesicht fort, »daß Sie zufolge eines besonderen Traktats, der
+zwischen meiner Frau und mir feierlich ratifiziert ist, bei dieser
+Affäre bloß Hilfstruppe sind. Und das nicht einmal so völlig, wenn die
+alte magere Bademutter ohne Sie zurechtkommen kann. Weiber haben ihre
+eigenen Grillen, und bei Dingen von dieser Art, wo sie die ganze Last
+alleine tragen, und für das Beste der Familien und die Vermehrung der
+Welt so viel aushalten müssen, wollen sie sich das Recht nicht nehmen
+lassen, <em class="antiqua">en souveraines</em> zu entscheiden, in wessen Hände sie
+fallen wollen und wie.«</p>
+
+<p>»Sie haben auch recht,« sagte mein Onkel Toby. — »Aber mein Herr,«
+erwiderte Doktor Slop, welcher tat, als hörte er nicht, was mein Onkel
+Toby sagte, und sich an meinen Vater wandte, »sie täten besser, wenn
+sie in anderen Dingen herrschten. Und ein guter Hausvater, der gerne
+gesunde Kinder haben will, sollte sich dieses Recht abtreten lassen und
+ihnen dafür lieber irgendein anderes einräumen.« — »Ich wüßte nicht,«
+sagte mein Vater, und antwortete ein<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> wenig zu bitter, um ihn bei dem,
+was er sagte, für ganz gleichgültig zu halten, »was wir wohl gegen
+die Wahl, wer die Kinder holen soll, einzuräumen hätten.« — »Alles
+sollte man lieber einräumen,« sagte Doktor Slop. — »Um Vergebung —«
+antwortete mein Onkel Toby. — »Sir,« versetzte Doktor Slop, »Sie
+würden erstaunen, wenn Sie wüßten, wie hoch es in den letzten Jahren in
+allen Zweigen der Geburtshilfe getrieben ist, besonders in dem einzigen
+Punkte, den Fötus behend und wohlbehalten zu extrahieren. Darüber ist
+ein solches Licht aufgegangen, daß ich für mein Teil bezeuge« — hier
+hielt er beide Hände in die Höhe —, »daß ich nicht begreifen kann,
+wie die Weit noch —« — »Ich wünschte,« fiel mein Onkel Toby ein,
+»Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in Flandern
+hatten.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_19">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<p>»Ich wünschte, Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby, und wiederholte
+seinen Wunsch für den Doktor Slop zum zweiten Male, und das mit mehr
+Eifer und Ernst in seiner Art zu wünschen, als er es zuerst gewünscht
+hatte, »Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in
+Flandern hatten.«</p>
+
+<p>Meines Onkels Toby Wunsch tat dem Doktor Slop einen Mißdienst, den sein
+Herz keiner lebendigen Seele zudachte. Denn, mein Herr, er machte ihn
+verwirrt. Er brachte anfänglich seine Ideen in Unordnung und darauf
+zur Flucht, so daß er solche nicht wieder in Reih' und Glied bringen
+konnte, er mochte es anfangen, wie er wollte.</p>
+
+<p>In allen Arten von Disputationen, männlichen oder weiblichen — es sei
+um Ehre, um Brot oder um Liebe, das ändert in der Hauptsache nichts —,
+ist nichts gefährlicher,<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> Madame, als wenn einem ein Wunsch auf diese
+unerwartete Art so ganz in die Quere auf die Haut fährt. Überhaupt
+ist der sicherste Weg für den bewünschten Teil, um den Wunsch in der
+Schwäche aufzufassen, den Augenblick sich zu erheben, auf beide Füße
+zu treten und dem Wünscher etwas von ungefähr ebendem Werte dagegen
+zu wünschen. Dadurch rechnen Sie stehenden Fußes ab, und die Sachen
+bleiben, wie sie waren, Sie können sogar zuweilen den Vorteil des
+Angriffs dadurch gewinnen.</p>
+
+<p>Der Doktor verstand nichts von der Art und Weise dieser Verteidigung.
+Er wurde dadurch außer aller Fassung gebracht, und die Disputation
+geriet vier ganze Minuten in ein völliges Stocken; fünf Minuten wären
+ihr tödlich gewesen. Mein Vater sah die Gefahr. Die Disputation war
+eine der wichtigsten Disputationen von der ganzen Welt: ob der Sohn
+seines Betens und Arbeitens mit oder ohne Kopf auf die Weit kommen
+sollte! — Er wartete bis auf den letzten Augenblick, um dem Doktor
+Slop sein Recht, zu erwidern, zu lassen. Da er aber merkte, daß er
+irre geworden war, und fortfuhr, mit dem verstörten, bedeutungslosen
+Auge umherzusehen, womit gewöhnlich verblüffte Seelen herumzugaffen
+pflegen, erst in meines Onkels Toby Gesicht, dann in das seinige, dann
+auf, dann nieder, dann ostwärts, dann ostsüdwärts und so weiter an dem
+Gesimse der Wand herumspaziert bis an den gegenüberstehenden Punkt des
+Kompasses, und daß er wirklich schon angefangen hatte, die messingnen
+Tapetennägel an dem Arme seines Lehnstuhles zu zählen, da dachte mein
+Vater, es sei mit meinem Onkel Toby keine Zeit weiter zu verlieren und
+nahm also das Wort auf wie folgt.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_20">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span></p>
+
+ <figure class="figcenter padtop2 illowp52" id="p0801_ill" style="max-width: 42.5em;">
+ <img class="w100" src="images/p0801_ill.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span></p>
+
+<h2>Einundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Bruder Toby,« sagte mein Vater, »ich weiß, du bist ein so ehrlicher
+Mann und hast ein so gutes und aufrichtiges Herz, als jemals Gott
+erschaffen hat. Es ist auch deine Schuld nicht, wenn alle die
+Kinder, welche gezeugt worden sind, können, werden, mögen, sollen
+oder müssen mit dem Kopfe voran auf die Welt kommen; aber glaube es
+mir, lieber Toby, es ist schon genug an den Zufällen, welche ihnen
+unvermeidlicherweise über den Häuptern schweben, an den Gefahren und
+Widerwärtigkeiten, die unsere Kinder umgeben, nachdem sie ihren Weg auf
+die Welt gefunden haben, daß es gar nicht nötig ist, sie auf diesem
+Wege unnötigerweise noch neuen Gefahren bloßzustellen.« — »Sind diese
+Gefahren,« sagte mein Onkel Toby, indem er seine Hand auf meines Vaters
+Knie legte und ihm ganz ernsthaft nach einer Antwort ins Gesicht sah,
+»heutzutage größer, Bruder, als vordem?« — »Bruder Toby,« antwortete
+mein Vater, »wenn ein Kind nur redlicherweise gesund und lebendig auf
+die Welt kam, und sich die Mutter im Wochenbette wohl befand, weiter
+bekümmerten sich unsere Vorfahren um nichts.« — Den Augenblick zog
+mein Onkel Toby seine Hand von meines Vaters Knie weg, lehnte sich ganz
+sanft in seinen Stuhl zurück, hob seinen Kopf so weit in die Höhe, daß
+er eben das Gesims des Zimmers sehen konnte, und alsdann brachte er in
+seinen Backen die Pfeifmuskeln und in seinen Lippen die Gewölbmuskeln
+in die gehörige Lage, um sein gewöhnliches Konzert anzufangen — er
+pfiff seinen Regimentsmarsch.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_21">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Gott segne uns! Meine arme Herrschaft wird ganz ohnmächtig, und sie
+hat keine Wehen mehr, und die Tropfen<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> sind alle geworden, und das
+Julepsglas ist entzweigebrochen, und die Wartefrau hat sich in den
+Arm geschnitten, und das Kind ist, wo's war, und die Bademutter ist
+rücklings übergeschlagen und mit den Lenden auf den Kaminherd gefallen,
+daß sie so schwarz sind, wie eine taube Kohle,« sagte Susanna. —
+»Ich will danach sehen,« sagte Doktor Slop. — »Es ist nicht nötig,«
+versetzte Susanna, »sehen Sie nur nach meiner Herrschaft. Aber die
+Bademutter wollte Ihnen gerne erst Bescheid sagen, wie es steht, und
+läßt Ihnen sagen, Sie sollten gleich heraufkommen, daß sie mit Ihnen
+sprechen könnte.«</p>
+
+<p>Die menschliche Natur äußert sich auf gleiche Weise in allen
+Professionen.</p>
+
+<p>Eben vorher war die Hebamme dem Doktor Slop über den Kopf gesetzt
+worden. Das hatte er noch nicht verdaut. »Nein,« antwortete der
+Doktor, »es wäre wohl ebenso schicklich, wenn die Bademutter zu mir
+herunterkäme.« — »Ich liebe die Subordination,« sagte mein Onkel
+Toby, »wenn die es nicht getan hatte, so weiß ich nicht, was nach der
+Einnahme von Lisle aus der Besatzung von Gant geworden sein möchte
+bei dem Brottumult Anno zehn.« — »Ich ebensowenig,« versetzte Doktor
+Slop, und parodierte meines Onkels Toby steckenreiterische Anmerkung,
+obgleich er selbst ebensowohl auf seinem Steckenpferde saß. »Wüßte Herr
+Kapitän Shandy, was aus der Besatzung da über unserem Kopfe geworden
+sein möchte bei der Unordnung und dem Tumult, worin ich jetzt alles
+finde, täte es nicht die Subordination unter ***, die mir unter meinen
+jetzigen Umständen so glücklich zustatten kommt, sonst hätte es die
+Shandysche Familie fühlen können, solange sie Shandysche Familie heißt.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_22">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span></p>
+
+<h2>Dreiundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Laß uns zurückgehen zu den *** im vorigen Kapitel.</p>
+
+<p>Es ist ein besonderer Griff in der Redekunst — zum wenigsten war es
+einer, da die Beredsamkeit zu Athen und Rom im Flor war, und würde
+es noch sein, wenn unsere Redner Mäntel trügen —, den Namen eines
+Dinges nicht zu nennen, wenn man das Ding selbst bei der Hand hatte,
+es husch vorzuweisen, gerade an dem Orte, wo es nötig war. Eine Wunde,
+eine Narbe, ein Schwert, ein durchlöchertes Gewand, ein blutiger
+Helm, anderthalb Pfund Pottasche in einer Urne, vor allen Dingen aber
+ein zartes Kind in königlichem Putze. Freilich, wenn's noch zu jung
+und die Rede so lang war, als Ciceros zweite Philippische, mußte es
+notwendig des Redners Mantel unsauber machen. Und wiederum, wenn es zu
+alt war, mußte es ihm beschwerlich fallen und seiner Aktion hinderlich
+sein, dergestalt, daß er durch das Kind ebensoviel verlor, wie er
+dadurch gewinnen konnte. Wenn aber ein politischer Redner das wahre
+Alter bis auf eine Minute richtig getroffen, — sein Bambino so listig
+unter seinen Mantel verborgen hatte, daß keine sterbliche Nase es
+riechen konnte, — und es da in einem so entscheidenden Augenblicke
+hervorbrachte, daß keine Seele sagen konnte, es würde bei den Haaren
+herbeigezogen, — o, ihr Herren, da tat es Wunder! Es hat wohl eher die
+Geldbeutel einer halben Nation geöffnet, ihre Gehirne verrückt, ihre
+Grundsätze erschüttert und ihre Staatskunst aus der Angel gehoben.</p>
+
+<p>Solche Taten lassen sich jedoch nicht tun, außer, sage ich, in den
+Staaten und Zeiten, wo die Redner Mäntel trugen. Und zwar hübsch weite,
+meine lieben Brüder, von einigen dreißig oder vierzig Ellen gutem,
+aufrichtigem, superfeinem, rotem Scharlach, mit lang hingegossenen
+Falten, nach hoher,<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> edler Zeichnung in der Draperie. Aus welchem
+allem, mit Euer Hochwohlgeboren gnädigen Erlaubnis, erhellet, daß der
+Verfall der Beredsamkeit an nichts anderem in der Welt liegt als an
+den kurzen Röcken. Unter den unserigen, Madame, können wir nichts mehr
+verbergen, das sich der Mühe verlohnte vorzuweisen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_23">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es fehlte nur um ein Härchen, so wäre Doktor Slop eine Ausnahme von dem
+geworden, was ich hier alles vorgetragen habe; denn da er eben seinen
+grünen Filetbeutel vor sich auf den Knien liegen hatte, als er begann,
+meinen Onkel Toby zu parodieren, so war der für ihn so gut, wie der
+beste Mantel von der Welt. Wes Endes er dann, als er voraussah, seine
+Phrase würde mit seinem neu erfundenen Forceps endigen, seine Hand in
+den Beutel steckte, um solchen bereitzuhalten, an der Stelle damit
+hervorzuwischen, welches, wenn er es recht gemacht hätte, meinen Onkel
+Toby gewiß gesprengt haben würde. In dem Falle wäre der Satz und der
+Beweis in einem Punkte so fest ineinandergelaufen, wie die zwei Linien,
+welche die vorspringende Spitze eines Ravelins machen. Doktor Slop
+hätte sich gewiß herausgezogen, und mein Onkel Toby hätte ebenso leicht
+daran gedacht, zu fliehen, als es mit Sturm zu erobern. Aber Doktor
+Slop kramte so lange dabei, als er ihn herausnehmen wollte, daß die
+ganze Wirkung darüber verloren ging. Und was noch ein zehnmal größeres
+Unglück dabei war — denn ein Unglück kommt selten allein —, sowie er
+den Forceps hervorzog, brachte er schändlicherweise auch die Spritze
+mit zum Vorschein.</p>
+
+<p>Wenn eine Proposition in zweierlei Sinn genommen<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> werden kann, so ist
+es ein Gesetz in der Disputierkunst, daß der andere auf denjenigen von
+beiden antworten mag, der ihm gut oder zuträglich dünkt. Dies brachte
+den Vorteil des Arguments ganz auf meines Onkels Toby Seite. — »Ach,
+lieber Gott,« rief mein Onkel Toby, »werden die Kinder mit einer
+Spritze auf die Weit gebracht?«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_24">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Bei meiner Ehre, Herr Doktor, Sie haben mir mit Ihrem Forceps die Haut
+von meinen beiden Händen rein abgerissen,« rief mein Onkel Toby, »und
+obendrein haben Sie mir alle Knöchel zu Brei gequetscht.« — »'s ist
+Ihre eigene Schuld,« sagte Doktor Slop, »Sie hätten Ihre beiden Hände
+falten und halten sollen wie einen Kindeskopf, wie ich Ihnen sagte,
+und festsitzen.« — »Das tat ich ja,« antwortete mein Onkel Toby. —
+»Ja, so müssen die Zähne meines Forceps nicht recht gefüttert oder das
+Niet zu locker sein, oder auch der Schnitt in meinen Daumen hat mich
+nicht recht ansetzen lassen, oder, es ist auch möglich —« — »Ein
+Glück ist's,« sagte mein Vater und unterbrach das Herrechnen aller
+Möglichkeiten, »daß das Experiment nicht zuerst an meines Kindes Kopf
+gemacht ist.« — »Das hätte ihm nicht soviel schaden sollen, als ich im
+Auge leiden kann,« antwortete Doktor Slop. — »Ich behaupte es,« sagte
+mein Onkel Toby, »es hätte sein Zerebellum zerbrochen oder der Schädel
+hätte so hart sein müssen wie eine Granate, und ein ordentliches
+Pappmus daraus gemacht.« — »Warum nicht gar!« versetzte Doktor Slop;
+»ein Kindskopf ist von Natur so weich wie ein gebratener Apfel. Die
+Suturen geben nach. Und überdem hätte ich's auch hernach bei den Füßen
+holen können.« — »Das sollen Sie wohl bleiben lassen,«<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> sagte Susanna.
+— »Ich wünschte lieber, daß Sie den letzten Weg gleich einschlügen,«
+sagte mein Vater.</p>
+
+<p>»O tun Sie doch das,« setzte mein Onkel Toby hinzu.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_25">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechsundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Es ist zwei Stunden und zehn Minuten, und länger nicht,« schrie mein
+Vater, wobei er auf die Uhr sah, »seitdem Doktor Slop und Obadiah
+angekommen sind. Und ich weiß nicht, Bruder Toby, wie es zugeht, aber
+meinen Gedanken kommt's fast wie hundert Jahre vor.«</p>
+
+<p>Da, mein Herr, nehmen Sie, ich bitte, meine Kappe. Ja, die Schelle nur
+auch, und meine Pantalonsschuhe dazu.</p>
+
+<p>Nun sehen Sie, mein Herr, es steht alles zu Ihrem Dienst. Und es soll
+Ihnen geschenkt sein, wenn Sie mir alle Ihre Aufmerksamkeit für dieses
+Kapitel leihen wollen.</p>
+
+<p>Obgleich mein Vater sagte, er wüßte nicht, wie es zuginge, so wußte
+er doch recht gut, wie es zuging. Und den Augenblick, da er es
+sagte, war er schon in seinem Sinne entschlossen, meinem Onkel Toby
+eine metaphysische Dissertation über die Dauer und ihre simplen
+Modifikationen zu halten, um ihm die Sache klarzumachen und ihm zu
+beweisen, durch welchen Mechanismus und Maßstab im Gehirn es geschehen,
+daß die schnell abwechselnde Folge ihrer Ideen und das beständige
+Überhüpfen ihres Gespräches von einer Sache zur anderen, seitdem Doktor
+Slop zu ihnen ins Zimmer gekommen, eine so kurze Zeit zu einer so
+unbegreiflichen Länge habe ausdehnen können. — »Ich weiß nicht, wie es
+zugeht,« sagte mein Vater, »aber es kommt mir vor wie hundert Jahre.«</p>
+
+<p>»Das kommt bloß von der Folge unserer Ideen,« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span></p>
+
+<p>Mein Vater hatte mit allen Philosophen den Kitzel gemein, über alles,
+was ihm vorkam, zu philosophieren und das Warum zu beweisen. Er
+versprach sich also ein unendliches Vergnügen von seiner Dissertation
+über die Sukzession der Ideen, und dachte meilenweit nicht daran, daß
+mein Onkel Toby ihm Solche vorm Maule wegnehmen würde, der gewöhnlich
+— die ehrliche Seele! — jedes Ding so nahm, wie es vorkam, und unter
+allen Menschen in der Welt sein Gehirn am wenigsten mit abstraktem
+Denken marterte. Die Ideen von Zeit und Raum, oder wie wir zu diesen
+Ideen kommen, oder aus was für Stoff solche geschnitten sind, oder ob
+sie uns angeboren sind, oder ob wir solche hernach erst aufsammeln,
+oder ob wir das tun, wenn wir noch im Kinderröckchen gehen, oder
+erst, wenn wir Beinkleider bekommen haben, nebst tausend anderen
+Untersuchungen und gelehrten Fragen über das <em class="gesperrt">Unendliche</em>,
+die <em class="gesperrt">vorherbestimmte Harmonie</em>, den <em class="gesperrt">freien Willen</em>,
+die <em class="gesperrt">unbedingte Notwendigkeit</em> und dergleichen, über deren
+verzweifelte und unauflösbare Theorien so mancher feine Kopf vor die
+Hunde gegangen ist, taten meines Onkels Toby Kopfe nicht den geringsten
+Schaden. Mein Vater wußte das und erstaunte daher nicht weniger über
+seine Antwort, als er darüber betroffen war.</p>
+
+<p>»Weißt du denn die Theorie von den Ideen?« versetzte mein Vater.</p>
+
+<p>»Gar nicht,« sagte mein Onkel.</p>
+
+<p>»Du hast aber doch einige Ideen,« sagte mein Vater, »von dem, worüber
+du sprichst.«</p>
+
+<p>»Ebensowenig wie mein Pferd,« versetzte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»O lieber Himmel,« rief mein Vater, wobei er die Augen gen Himmel
+richtete und seine beiden Hände zusammenschlug,<span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span> »in deiner
+unschuldigen Unwissenheit, Bruder Toby, liegt eine solche Würde, daß
+es fast schade ist, dich herauszureißen. Ich will dir aber sagen: um
+richtig zu verstehen, was die Zeit ist, ohne welches wir niemals das
+begreifen können, was man unendlich nennt, weil die eine ein Teil des
+anderen ist, müssen wir sorgfältig untersuchen, was das für eine Idee
+sei, die wir von der Dauer haben, bis wir genaue Rechenschaft geben
+können, wie wir dazu gelangt sind.« — »Wem in der Welt geht das was
+an?« sagte mein Onkel Toby. — »<em class="gesperrt">Denn wenn du deine Augen auf das
+Innere deiner Gedanken richtest</em>,« fuhr mein Vater fort, »<em class="gesperrt">und
+solche aufmerksam beobachtest, so wirst du gewahr werden, Bruder,
+daß, derweile du und ich hier sprechen und denken und unsere Pfeife
+rauchen, oder wir auf eine andere Art nach und nach Ideen in unsere
+Seelen bekommen, wir uns bewußt sind, daß wir da sind. Und wenn wir
+die Dauer oder die Währung unseres eigenen Daseins oder eines jeden
+anderen Dinges nach dem Maßstabe der Ideen in unserer Seele schätzen
+und messen, so folgt aus diesem Vorsatze</em> —« — »Du machst, daß mir
+der Kopf schwindelt,« rief mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Nun ist, wir mögen es bemerken oder nicht,« fuhr mein Vater fort, »in
+dem Kopfe eines jeden gesunden Menschen eine regelmäßige Folge der
+Ideen einer oder der anderen Art, welche aufeinander folgen wie —« —
+»ein Artilleriezug?« sagte mein Onkel. — »Warum nicht gar Leichenzug!«
+sagte mein Vater leise. »Welche in unserer Seele in gewissen Abständen
+aufeinander folgen wie die Bilder in der inwendigen Seite einer
+Laterne, die von der Wärme eines Lichts gedreht werden.« — »Ich
+versichere dich,« sagte mein Onkel Toby, »meine drehen sich wie eine
+Rauchfahne.«<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> — »Wenn das ist, Bruder Toby, so habe ich dir über diese
+Materie weiter nichts zu sagen,« versetzte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_26">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Obgleich mein Vater darauf beharrte, das Gespräch nicht fortzusetzen,
+so konnte er doch meines Onkels Toby Rauchfahne nicht aus dem Kopfe
+bringen. So sehr er sich auch anfangs darüber ärgerte, im Grunde
+steckte etwas in der Vergleichung, die seine Einbildungskraft in
+Gang brachte. Deswegen stützte er seinen Ellenbogen auf den Tisch
+und die rechte Seite seines Kopfes mit der flachen Hand und — erst
+aber sah er starr ins Feuer —, begann für sich selbst zu denken
+und darüber zu philosophieren. Da aber seine Lebensgeister von der
+Arbeit, neue Gedanken auszuspähen, und der beständigen Anstrengung
+seines Nachdenkens über die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die im
+Gespräch vorgefallen waren, erschöpft worden, so drehte die Idee von
+der Rauchfahne alle seine Ideen sehr bald über und über und er fiel in
+Schlaf, ehe er's noch merkte.</p>
+
+<p>Meines Onkels Toby Rauchfahne hatte sich noch kein dutzendmal
+herumgedreht, als auch er einschlief. Ich wünsche beiden wohl zu ruhen!
+Doktor Slop hat oben mit der Hebamme und meiner Mutter zu schaffen.
+Trim hat beide Hände voll damit zu tun, daß er aus einem Paar alter
+steifer Reitstiefel ein Paar Mörser macht, die nächsten Sommer bei der
+Belagerung von Messina gebraucht werden sollen, und bohrt ebendiesen
+Augenblick mit einem glühenden Feuerstocher die Zündlöcher hinein.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_27">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Jeden Tag, seit wenigstens zehn ganzen Jahren, beschloß mein Vater,
+es ändern zu lassen. Noch ist's nicht geändert.<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> In keinem anderen
+Haushalt als dem unsrigen hätte man es eine Stunde geduldet. Und was
+Sie noch mehr wundern wird, in keiner Sache von der Welt war mein Vater
+eigener als in Tür und Angel. Und nichtsdestoweniger war er sicherlich,
+nach meiner Meinung, einer von denen, die am meisten dadurch gelitten
+haben. Seine Theorie und seine Praxis lagen sich hierüber beständig
+in den Haaren. Die Stubentüre konnte nicht aufgehen, ohne daß seine
+Philosophie oder seine Grundsätze eine Ohrfeige bekamen. Drei Tropfen
+Öl auf einer Feder und ein guter Schlag mit einem Hammer hätten seine
+Ehre auf einmal gerettet.</p>
+
+<p>Was ist der Mensch für ein widersinniges Ding! Er kränkelt an Wunden,
+die es nur bei ihm steht zu heilen! Sein ganzes Leben ein Widerspruch
+seines besseren Wissens! Seine Vernunft, diese ihm von Gott geschenkte
+teure Gabe — anstatt Öl zur Linderung aufzugießen — dient ihm bloß,
+ihre Reizbarkeit zu erhöhen, ihre Schmerzen zu vervielfältigen und ihn
+dabei ungeduldiger und trauriger zu machen. — Warum, unglückliches
+Geschöpf, bist du so! Ist's nicht genug an den unvermeidlichen Übeln
+dieses Lebens, mußt du denn den Haufen deiner Bekümmernisse noch
+freiwilligerweise vermehren! Da kämpft er gegen Übel an, die nicht zu
+vermeiden sind, und unterwirft sich anderen, welche ein Zehntel von
+der Mühe, die sie ihm machen, ein für allemal von seinem Herzen wälzen
+könnte.</p>
+
+<p>Bei allem, was gut und tugendhaft ist, wenn innerhalb zwanzig Meilen in
+der Runde um Shandy-Hall noch drei Tropfen Öl und ein Hammer zu finden
+sind, so soll die Haspe an der Tür geändert werden. Noch unter dieser
+Regierung!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_28">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p>
+
+<h2>Neunundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als Korporal Trim seine beiden Mörser beschickt hatte, freute er sich
+über die Maßen über das Werk seiner Hände. Und wohl wissend, was es
+seinem Herrn für Vergnügen machen würde, sie zu sehen, konnte er dem
+Verlangen unmöglich widerstehen, solche stehenden Fußes nach seinem
+Zimmer zu bringen.</p>
+
+<p>Außer dem moralischen Satze, auf welchen ich bei Erwähnung der Tür und
+Angel anspielte, hatte ich auch eine spekulative Betrachtung auf dem
+Korn, die daraus entspringt, und das ist diese:</p>
+
+<p>Wäre die Türe aufgegangen und die Haspe in der Angel gelaufen, wie
+Türen eigentlich tun sollten.</p>
+
+<p>Oder zum Beispiel ebenso willig wie unsere Regierung — das ist, wenn
+Euer Hochwohlgeboren von ihr haben, was Sie wünschen, sonst will ich
+mein Gleichnis lassen. — In dem Falle, sage ich, wäre bei Korporal
+Trims Eintreten keine Gefahr weder für den Herrn noch den Bedienten
+gewesen. Im Augenblick, da er gesehen hätte, daß mein Vater und mein
+Onkel Toby fest schliefen — so ehrerbietig war er in seinem Betragen
+—, wäre er mäuschenstill fortgegangen und hätte sie beide in ihren
+Lehnstühlen so süß fortträumen lassen, wie er sie gefunden. Das war
+aber, menschlicherweise davon zu sprechen, so unmöglich, daß während
+der vielen Jahre, da man diese Tür so hatte weiterknarren lassen, und
+unter den vielen Verdrießlichkeiten, die sich mein Vater dadurch zuzog,
+unter andern war auch diese, daß er niemals seine Arme übereinander
+schlug, um sein bißchen Mittagsruhe zu halten, ohne daß der Gedanke,
+daß ihn der erste beste, der die Tür aufmachte, unvermeidlich wecken
+müßte, ihm immer im Kopfe herumlief, und sich so stracks zwischen ihn
+und den ersten balsamischen Vorgeschmack des Schlafes drängte, daß er
+ihm, wie er oft bezeugte, alle seine Annehmlichkeiten raubte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span></p>
+
+<p>Wie kann's, mit Euer Exzellenz Erlaubnis, anders sein, wenn die Sachen
+auf schlechten Angeln laufen?</p>
+
+<p>»Nun, was gibt's? Wer ist da?« rief mein Vater, der den Augenblick
+aufwachte, als die Türe zu knarren begann. »Ich wollte doch wohl
+einmal, daß der Schmied nach der vertrackten Türe sähe!« — »'s
+ist nichts, gnädiger Herr,« sagte Trim, »als zwei Mörser, die ich
+hereinbringe.« — »Ich will hier keinen Lärm haben,« sagte mein Vater
+hastig. »Wenn Doktor Slop Spezereien zu stampfen hat, so mag er's in
+der Küche tun.« — »Mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim, »es sind
+zwei Bombenmörser, zu einer Belagerung auf nächsten Sommer, die ich aus
+einem Paar steifer Reitstiefel gemacht habe. Obadiah hat mir gesagt,
+Euer Gnaden brauchten sie nicht mehr.« — »Hol's der Teufel,« schrie
+mein Vater und sprang fluchend vom Stuhle auf. »Unter aller meiner Fahr
+und Habe ist mir nichts lieber und teurer, als diese Steifstiefel,
+sie kommen noch von unserem Großvater her, Bruder Toby. Es waren
+Erbstücke.« — »Ja, so tut mir's leid,« sagte mein Onkel Toby, »daß
+Trim sie vom Hauptgute getrennt hat.« — »Ich habe nichts aufgetrennt,
+gnädiger Herr,« sagte Trim, »ich habe nur die Stulpen abgeschnitten.«
+— »Ich kann alte Dinge ebensowenig leiden, wie ein anderer,« sagte
+mein Vater; »aber diese Steifstiefel,« fuhr er fort, wobei er bitter
+lächelte, »Bruder, sind seit dem letzten Rebellenkriege beständig bei
+der Familie gewesen. Sir Roger Shandy trug sie in der Schlacht bei
+Marstonmoor. Ich versichere dich, ich hätte sie nicht für zehn Louisdor
+gegeben.« — »Ich will dir das Geld geben, Bruder Shandy,« sagte
+mein Onkel Toby, betrachtete dabei die beiden Mörser mit unendlichem
+Vergnügen und fuhr mit der Hand nach der Geldtasche, wie er sie ansah.
+»Von Herzen gerne will ich dir den Augenblick das Geld dafür bezahlen.«
+—</p>
+
+<p>»Bruder Toby,« versetzte mein Vater mit veränderter<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> Stimme, »du
+bekümmerst dich nicht, was du für Geld verschleuderst und wegwirfst,
+wenn's nur für eine Belagerung ist.« — »Habe ich nicht jährlich
+hundertundvierzig Louisdor Renten und meine Pension dazu?« rief mein
+Onkel Toby. — »Was verschlägt das,« versetzte mein Vater hastig,
+»wenn du zehn Pistolen für ein Paar alte Stiefel gibst, zwölfe für
+deine Pontons und halb soviel für deine holländische Zugbrücke,
+geschweige des kleinen Artillerietrains von messingenen Kanonen, die
+du vorige Woche bestellt hast, nebst zwanzig anderen Zurüstungen für
+die Belagerung von Messina, mehr. — Glaube mir, liebster Bruder
+Toby,« fuhr mein Vater fort, und nahm ihn dabei ganz freundlich bei
+der Hand, »diese deine Kriegsoperationen übersteigen deine Kräfte. Du
+meinst es gut, Bruder, aber sie verleiten dich zu stärkeren Ausgaben
+als du anfangs gedacht hast. Und verlaß dich auf das, was ich sage,
+lieber Toby, sie werden dich endlich noch um all das Deinige und an den
+Bettelstab bringen.« — »Je nun, Bruder, was wär's denn nun auch mehr,«
+versetzte mein Onkel Toby, »solange wir wissen, daß es zum Besten
+unseres Vaterlandes geschieht.«</p>
+
+<p>Mein Vater mußte lächeln, wenn er auch nicht gewollt hätte. Sein Zorn
+war allemal höchstens nur Knallpulver, und Trims Dienstfertigkeit und
+Einfalt und die großmütige, obgleich steckenreiterische Gesinnung
+meines Onkels Toby söhnte sie augenblicklich beide wieder mit ihm aus.</p>
+
+<p>»Großmütige Seelen! — Gott erhalte euch und eure Bombenmörser dazu,«
+sagte mein Vater bei sich selbst.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_29">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Nun ist alles ruhig und still,« rief mein Vater, »da oben wenigstens.
+Ich höre keinen Menschen mehr gehen.<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> Sage Er mir doch, Trim, wer
+ist in der Küche?« — »In der Küche ist niemand,« antwortete Trim
+und machte dabei seinen tiefen Bückling, »außer Doktor Slop.« —
+»Verdammt!« schrie mein Vater und hob sich abermals auf die Füße.
+»Diesen Tag geht doch nicht das geringste seinen ordentlichen Gang.
+Wenn ich an die Sterndeuterei glaubte, Bruder — welches mein Vater,
+unter uns gesagt, tat —, so möchte ich schwören, daß irgendein Planet
+im Zeichen des Krebses über meinem unglücklichen Hause hinge, und jedes
+Ding darin verkehrt gehen ließe. Wie? ich dachte, Doktor Slop wäre oben
+bei meiner Frau, und da sagt Er — — Was hat der Patron in der Küche
+zu suchen?« — »Ja, wenn's Euer Gnaden nicht übelnehmen wollen, er ist
+dabei und macht eine Brücke.« — »Das ist doch sehr gütig von ihm,«
+sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine schönste Empfehlung, Trim,
+und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm von Herzen danke.«</p>
+
+<p>Sie müssen wissen, daß mein Onkel Toby ebensoweit an der richtigen
+Brücke vorbeischoß, als mein Vater an den Mörsern. Um aber zu
+verstehen, wie mein Onkel Toby die Brücke verfehlen konnte, fürchte
+ich, muß ich Ihnen wohl eine genaue Nachricht von dem Wege geben,
+der dahin führte. Oder ich will den Vergleich fahren lassen — denn
+einem Geschichtschreiber ist nichts unanständiger, als wenn er welche
+gebraucht —. Um die Möglichkeit richtig zu begreifen, wie mein Onkel
+Toby sich darin irren konnte, muß ich Ihnen etwas Nachricht von einem
+von Trims Abenteuern erteilen, so ungern ich auch wollte. Ich sage, so
+ungern ich auch wollte, weil die Geschichte hier gar nicht an ihrem
+rechten Orte steht. Denn eigentlich sollte sie erst da vorkommen, wo
+ich die Anekdoten von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten mit der
+Witwe Wadmann erzähle, wobei Trim keine unbeträchtliche Rolle spielt.
+Oder auch in der Mitte der Feldzüge, die er mit meinem Onkel Toby auf
+dem grünen Spielplatze tat.<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> Allein, wenn ich sie bis zu einem von
+diesen Teilen meiner Historie aufspare, so entsteht eine Lücke in der
+Historie, die ich eben vor mir habe. Und erzähle ich's hier, so mähe
+ich mein Korn grün und tu meiner Geschichte dort Schaden.</p>
+
+<p>Was raten mir Euer Hochweisheiten, was soll ich hier tun? —</p>
+
+<p>Erzählen Sie ja gleich, Herr Shandy. — Tristram, du bist nicht klug,
+wenn du's tust!</p>
+
+<p>O, ihr Mächte! — denn Mächte seid ihr, und hohe dazu — welche den
+unsterblichen Menschen das Vermögen verleihen, eine Historie zu
+erzählen, die des Hörens wert sei, die ihr ihm freundlich weiset, wo
+er anfangen muß und wo aufhören, was er hineinbringen muß und was
+herauslassen, wieviel er davon in Schatten zu bringen hat, und wohin
+er seine Lichter verteilen soll! Ihr, die ihr dem weiten Reiche der
+biographischen Freibeuter vorsteht, und die mancherlei Not und Kummer
+seht, in welche eure Untertanen täglich und stündlich geraten, wollt
+ihr mir eins zu Gefallen tun?</p>
+
+<p>Ich ersuche und bitte euch — falls ihr nichts Besseres für uns tun
+wollt — wenn es sich so gebührt und zuträgt, daß in eurem Gebiete drei
+Wege sich kreuzen, wie hier eben geschehen ist, so laßt doch wenigstens
+einen Wegweiser auf den Scheideweg setzen, aus bloßer Barmherzigkeit,
+einem armen Tropf zu raten, welchen von den dreien er nehmen soll.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_30">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Obgleich der Stoß, den mein Onkel Toby das Jahr nach der Scheidung von
+Dünkirchen in seiner Affäre mit der Witwe Wadmann erlitt, ihn in dem
+Vorsatze bestärkt hatte, niemals wieder an das schöne Geschlecht, noch
+an irgend etwas, das dazu gehörte, zu denken, so hatte doch Korporal
+Trim kein<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> solches Bündnis mit sich selbst gemacht. In der Tat war bei
+meines Onkels Toby Begebenheit ein sonderbarer und unbegreiflicher
+Zusammenfluß von Umständen, die ihn unvermerkt leiteten, die schöne und
+starke Zitadelle von einem Weib zu belagern. Trims Begebenheit war kein
+Zusammenfluß von irgend etwas in der Welt, als von ihm und Brigitten in
+der Küche. Doch war, die Wahrheit zu sagen, die Liebe und Ehrerbietung,
+die er gegen seinen Herrn hegte, so groß, und so gern ahmte er ihn
+in allem, was er tat, nach, daß hätte mein Onkel Toby sein Genie und
+seine Zeit darauf verwendet, Spitzen zu klöppeln, ich bin versichert,
+der ehrliche Korporal hätte seine Waffen niedergelegt und wäre seinem
+Beispiel mit Vergnügen gefolgt. Jedesmal, wenn also mein Onkel Toby
+sich bei der Herrschaft setzte, nahm Trim flugs seinen Posten bei der
+Kammerjungfer.</p>
+
+<p>Nach einer ganzen Kette von Angriffen und Verteidigungen während neun
+ganzer Monate, die meines Onkels Toby Belagerung dauerte, wovon alle
+Umstände am gehörigen Ort aufs treulichste erzählt werden sollen, hielt
+es mein ehrlicher Onkel Toby für ratsam, seine Truppen zurückzuziehen
+und die Belagerung mit einigem Verdrusse aufzuheben.</p>
+
+<p>Korporal Trim, wie gesagt, hatte kein solches Bündnis, weder mit sich
+selbst noch mit andern, gemacht. Da ihm die Treue seines Herzens
+indessen nicht erlaubte, in einem Hause aus und ein zu gehen, das sein
+Herr mit Widerwillen verlassen hatte, so begnügte er sich damit, daß er
+seinen Teil der Belagerung in eine Blockade verwandelte. Das heißt, er
+hielt andere entfernt. Denn ob er gleich hernach niemals in ihr Haus
+ging, ward er doch auch seiner Brigitte niemals im Dorfe ansichtig,
+ohne daß er ihr zunickte, zulächelte, winkte oder sie freundlich ansah.
+Und wenn's die Gelegenheit gab, faßte er sie bei der Hand oder fragte
+sie ganz verliebt, wie's ihr ginge. Oder er schenkte ihr ein Band, oder
+zuweilen,<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> doch niemals, als wenn's mit Dekorum geschehen konnte, gab
+er ihr — —</p>
+
+<p>Genau in dieser Lage befanden sich die Sachen fünf Jahre hindurch, vom
+Jahre 1713 an, da Dünkirchen geschleift wurde, bis gegen das Ende des
+Feldzugs meines Onkels Toby, 1718, ungefähr sechs oder sieben Wochen
+vor der Zeit, von der ich spreche. Als Trim, nach seiner Gewohnheit,
+nachdem er meinen Onkel Toby zu Bett gebracht hatte, an einem
+mondhellen Abend hinunterging, um zuzusehen, ob in seiner Fortifikation
+noch alles richtig stünde, spionierte er auf der Wiese, die von dem
+Spielplatze mit grünen Hecken abgesondert war, seine Brigitta aus.</p>
+
+<p>Da der Korporal glaubte, es sei in der ganzen Welt nichts so
+sehenswürdig wie die herrlichen Werke, die er und mein Onkel Toby
+miteinander gemacht hatten, so nahm er sie höflich und mutig bei
+der Hand und führte sie hinein. Dies geschah nicht so heimlich, daß
+es nicht die plapperhafte Trompete der Fama so lange von Ohr zu Ohr
+herumgetragen hätte, bis es endlich wohl an meinen Vater gelangen
+mußte, zugleich mit dem ungünstigen Umstande, daß meines Onkels Toby
+hübsche Zugbrücke, die nach holländischer Manier gebaut und bemalt war
+und ganz über den Graben reichte, in ebender Nacht zerbrochen und,
+der Himmel weiß wie, in tausend Stücke zersplittert worden war. Mein
+Vater, wie Sie bemerkt haben, hatte eben nicht viel Hochachtung für
+meines Onkels Toby Steckenpferd. Er hielt es für das lächerlichste
+Hotthott, das nur jemals ein Kavalier geritten, und konnte niemals
+daran denken, mein Onkel mußte ihm denn eben damit in die Quere reiten,
+ohne zu lächeln. Es konnte also niemals lahm werden oder ihm sonst
+ein Zufall zustoßen, oder es kitzelte meines Vaters Gedanken über die
+Maßen. Allein dies hier war ein Zufall, der seinem Herzen sanfter tat
+als alle, die ihm noch begegnet waren, und er wußte sich eine Freude
+damit zu<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> machen, so oft er wollte. — »Gut, und nicht allzugut, lieber
+Toby,« pflegte er zu sagen, »erzähle uns doch, wie ging's denn mit der
+Brücke eigentlich zu?« — »Wie kannst du mich nur so damit zerren,«
+pflegte wohl mein Onkel Toby zu antworten. — »Ich habe es ja wohl
+zwanzigmal schon erzählt, Wort für Wort, wie ich's von Trim weiß!« —
+»Nun, wie war's denn, Korporal?« rief dann mein Vater und wendete sich
+an Trim. — »Es war ein reines Unglück, wenn's Euer Gnaden verzeihen,
+ich zeigte Brigitte unsere Befestigungen. Und als ich so zu nahe an
+den Rand des Grabens kam, rutschte ich unglücklicherweise hinein.« —
+»Ei, hübsch, Trim!« rief dann mein Vater, wobei er schalkhaft lächelte
+und mit dem Kopfe nickte, ohne ihn zu unterbrechen. »Und da ich mit
+Euer Gnaden Wohlnehmen die Brigitte fest in meinen Armen hielt, zog
+ich sie so mit mir, und da fiel sie rücklings über, gegen die Brücke.«
+— »Und da Trim mit seinem Fuße,« rief mein Onkel Toby und nahm ihm
+die Historie vorm Maule weg, »in die Verschanzung geriet, taumelte er
+auch gegen die Brücke. — Es war ein großes Glück,« pflegte mein Onkel
+hinzuzusetzen, »daß der arme Mensch kein Bein brach.« — »Ja wohl, ja
+wohl!« pflegte mein Vater zu sagen. »Ein Bein ist leicht gebrochen,
+Bruder! besonders in solchen Fällen!« — »Und also brach die Brücke,
+die, mit Euer Gnaden Erlaubnis, nur dünn gemacht war, zwischen uns
+entzwei und ging in tausend Stücke.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby versuchte es niemals, sich gegen den Angriff dieses
+Spotts mit etwas anderem zu wehren, als daß er noch einmal so geschwind
+aus seiner Tabakspfeife dampfte, wodurch er eines Abends eine so
+dicke Wolke machte, daß mein Vater, der ein wenig zur Schwindsucht
+geneigt war, darüber einen erschrecklichen Anfall von Husten bekam.
+Mein Onkel Toby sprang auf, ohne der Schmerzen an seinem Latzbeine zu
+achten, und mit unendlichem Mitleid stand er<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> bei seines Bruders Stuhl,
+klopfte ihm mit einer Hand den Rücken und hielt ihm mit der andern den
+Kopf. Und von Zeit zu Zeit wischte er ihm die Augen mit einem reinen
+holländisch-leinenen Tuche, das er aus der Tasche zog. Die herzlich
+liebevolle Art, womit mein Onkel Toby diese kleinen Dienste leistete,
+durchdrang meinen Vater bis in sein innerstes Eingeweide über den
+Verdruß, den er ihm eben gemacht hatte. Eher soll man mir das Gehirn
+mit einem Mauerbrecher oder gleichviel womit ausstoßen, sagte mein
+Vater zu sich selbst, ehe ich dieser ehrlichen Seele wieder spotte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_31">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als Trim hereinkam und meinem Vater sagte, daß sich Doktor Slop in
+der Küche damit beschäftige, eine Brücke zu machen, war mein Onkel
+Toby — die Geschichte mit den Steifstiefeln hatte eben eine Reihe
+von Kriegsideen in seinem Gehirn in Gang gebracht — der Meinung, daß
+Doktor Slop ein Modell von des Marquis d'Hopitals Brücke machte. »Das
+ist doch sehr gütig von ihm,« sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine
+schönste Empfehlung, Trim, und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm
+von Herzen danke.«</p>
+
+<p>Wäre meines Onkels Toby Kopf ein Raritätenkasten gewesen, und hätte
+mein Vater beständig durchs Glas hineingeschaut, so hätte es ihm
+von dem, was in meines Onkels Toby Hirn herumarbeitete, keinen
+deutlicheren Begriff machen können, als er schon ohnedies hatte. Trotz
+des Mauerbrechers und der heftigen Verwünschungen, die ihm solche
+Hirngespinste schon abgelockt hatten, wollte er eben triumphieren, als
+Trims Antwort plötzlich den Lorbeer von seiner Schläfe und in Stücke
+riß.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_32">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span></p>
+
+<h2>Dreiunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Mit eurer verwünschten Zugbrücke!« sagte mein Vater. »Mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, 's ist eine Brücke in unseres jungen Junkers Nase. Als er
+ihn mit seinem verdammten Klimperkrame auf die Welt geholt hat, so hat
+er ihm die Nase zerdrückt, daß sie so platt in seinem Angesichte ist,
+sagt Susanna, wie ein Pfannkuchen. Nun macht er von einem Lappen Kattun
+und einem Stückchen Fischbein aus Susannens Schnürleibe eine falsche
+Brücke, die sie wieder aufrichten soll.«</p>
+
+<p>»O, Bruder Toby, komm, führe mich sogleich nach meiner Kammer!«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_33">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Von dem ersten Augenblicke an, da ich mich hinsetzte, mein Leben
+zum Vergnügen der Welt und meine Meinungen zu ihrer Belehrung
+aufzuschreiben, hat sich unvermerkt eine Wolke über meinem Vater
+zusammengezogen. Eine Flut von Übeln und Widerwärtigkeiten hat sich
+gegen ihn gehäuft. Nicht das allergeringste, wie er selbst bemerkt, ist
+richtig gegangen, und nun ist das Gewitter reif und wird mit aller Wut
+über seinem Haupte ausbrechen.</p>
+
+<p>Ich gehe an diesen Teil meiner Geschichte mit einem so schweren und
+melancholischen Gemüte, das nur je eine sympathische Seele empfunden
+hat. Meine Nerven werden schlaff, indem ich's erzähle. Bei jeder Zeile,
+die ich schreibe, fühle ich, daß die Lebhaftigkeit meines Pulses sinkt,
+und die sorglose Munterkeit, die mich sonst jeden Tag meines Lebens
+antreibt, tausend Dinge zu sagen und zu schreiben, die ich nicht sagen
+und schreiben sollte. Und in diesem Augenblick, wie ich gerade<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> meine
+Feder in die Tinte tauchte, fiel mir's recht aufs Herz, mit was für
+einer behutsamen Art von kummervoller Bedächtigkeit und Feierlichkeit
+das geschah. Himmel! wie verschieden von dem schnellen Zufahren und
+dem hitzigen Ausspritzen, das du sonst gewohnt bist, Tristram! — in
+anderer Laune. Wenn du die Feder niederwirfst und deine Tinte auf
+deinem Tische und deinen Büchern herumkleckst, als ob deine Feder und
+deine Tinte, deine Bücher und deine Möbel dich kein Geld kosteten.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_34">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich will mich bei langen Beweisen nicht aufhalten. Es ist erwiesen,
+und ich bin davon überzeugt, Madame, so lebhaft als möglich, daß
+beides, Mann und Weib Schmerzen oder Kummer, und, soviel ich weiß, auch
+Vergnügen, in einer horizontalen Lage am besten ertragen.</p>
+
+<p>Sobald mein Vater auf seine Kammer kam, warf er sich der Quere
+nach über das Bett, mit dem heftigsten Unmut, der sich nur denken
+läßt. Dabei aber in der kläglichsten Stellung eines von Kummer
+niedergeschlagenen Mannes, über den jemals das Mitleid eine Träne
+geweint hat. Seine rechte flache Hand empfing, wie er aufs Bett fiel,
+seinen Vorderkopf, bedeckte größtenteils seine beiden Augen. Dann sank
+er sachte nieder mit dem Kopfe (sein Ellenbogen wich hinterwärts), bis
+er mit der Nase das Kopfkissen berührte. Seine linke Hand hing schlaff
+über den Bettrand, die Faust kam auf den Henkel eines Kammertopfes zu
+liegen, der unter dem Bettschurze hervorguckte. Sein rechtes Bein,
+das linke hatte er an den Leib gezogen, hing halb über den Bettrand,
+mit dem Schienbeine auf der Kante des Bretts. Er fühlte es nicht. Ein
+tiefer eingewurzelter Kummer nahm seinen Sitz auf jedem<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> Zuge seines
+Gesichts. Einmal seufzte er, seine Brust hob sich oft, sprach aber kein
+Wort.</p>
+
+<p>Ein alter, auf Tapetenart gestickter Stuhl, mit abgebleichten,
+verwitterten Fransen besetzt, stand am Kopfe des Bettes der Seite
+gegenüber, wo meines Vaters Haupt hing. Mein Onkel Toby setzte sich
+hinein.</p>
+
+<p>Ehe eine Betrübnis ganz verdaut ist, kommt das Trösten immer zu früh,
+und ist sie verdaut, kommt's zu spät. Sie sehen also, Madame, daß
+zwischen beiden Grenzen eine fast haarfeine Linie liegt, die ein
+Tröster zu fassen wissen muß. Mein Onkel Toby griff beständig entweder
+diesseits oder jenseits fehl und pflegte oft zu sagen, er glaubte, daß
+er ebensoleicht die Meereslänge erwischen könnte. Deshalb zog er, als
+er sich in den Stuhl setzte, den Vorhang ein wenig weiter zu, und,
+wie er immer für jedermann eine Träne bereit hatte, zog er ein weißes
+Taschentuch hervor, holte einen tiefen Seufzer und — sagte kein Wort.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_35">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechsunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Es ist nicht alles Gewinn, was in die Kasse fällt.« Und ob also mein
+Vater gleich das Glück hatte, die ältesten Bücher von der Welt zu
+lesen, und dazu an und für sich selbst die eigenartigste Denkungsart
+besaß, womit nur ein Sterblicher beseligt sein mochte, so war er doch
+bei dem allen auch wieder solchen Launen unterworfen, die ihn in die
+sonderbarsten und oft widersinnigsten Verlegenheiten setzten, von denen
+diese eine, die ihm hier über den Hals kam, ein so starkes Beispiel
+ist, wie sich nur irgend anführen läßt.</p>
+
+<p>Freilich, das Eindrücken des Knorpels an der Nase eines Kindes
+durch ein Instrument, wäre es auch nach den besten Regeln der Kunst
+geschehen, sollte wohl jeden Mann in der<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> Welt ärgerlich machen, wenn
+ihm auch schon die Erziehung eines Kindes nicht soviel Mühe und Sorgen
+kostete wie meinem Vater. Dennoch kann es das Übermaß seiner Betrübnis
+nicht entschuldigen, noch die unchristliche Art rechtfertigen, mit
+welcher er sich derselben überließ.</p>
+
+<p>Um dies zu erklären, muß ich ihn auf eine halbe Stunde auf seinem Bette
+liegen und meinen Onkel Toby auf seinem alten Tapetenstuhle bei ihm
+sitzen lassen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_36">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Ich halte es für eine sehr ungewissenhafte Forderung,« rief mein
+Urgroßvater, rollte das Papier zusammen und warf's auf den Tisch. »Aus
+dieser Rechnung erhellt, Madame, daß Sie nur zweitausend Pistolen
+Brautschatz und nicht einen Heller mehr haben. Und doch bestehen Sie
+auf einem Leibgedinge von dreihundert Pistolen jährlich!« —</p>
+
+<p>»Das kommt,« versetzte meine Urgroßmutter, »weil Sie eine kleine oder
+fast gar keine Nase haben, Herr.«</p>
+
+<p>»Verflucht!« schrie mein Urgroßvater, und fuhr mit der Hand nach seiner
+Nase, »so klein ist sie doch auch noch nicht, sie ist einen ganzen Zoll
+länger als meines Vaters Nase.« Nun war aber meines Urgroßvaters Nase
+allen Nasen der Männer, Weiber und Kinder, die Pantagruel auf der Insel
+Ennasin fand, so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Nebenbei gesagt, wenn
+Sie die sonderbare Art und Weise kennen lernen wollen, wie man sich mit
+einem so plattnasigen Volk verschwägern kann, so müssen Sie das Buch
+lesen. — Es von selbst auszufinden, das sollen Sie wohl bleiben lassen.</p>
+
+<p>Herr, sie sah aus wie ein Treffaß.</p>
+
+<p>»'s ist ein ganzer Zoll,« fuhr mein Urgroßvater fort und drückte mit
+Finger und Daumen sein Endchen Nase und<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> wiederholte seine Behauptung:
+»'s ist ein ganzer Zoll, Madame, daß sie länger ist als meines Vaters
+Nase.« — »Sie mögen die Ihres Onkels meinen,« erwiderte meine
+Urgroßmutter.</p>
+
+<p>Mein Urgroßvater ward überführt. Er rollte das Papier wieder auf und
+unterschrieb den Ehevertrag.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_37">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Welch ein unbilliges Leibgedinge, mein Schatz, das wir aus unserem
+kleinen Gute zahlen müssen!« sagte meine Großmutter zu meinem Großvater.</p>
+
+<p>»Mein Vater,« erwiderte mein Großvater, »mein Kind, hatte ebensowenig
+Nase, den Tüpfel ausgenommen, wie mir hier auf der Hand sitzt.«</p>
+
+<p>Nun müssen Sie wissen, daß meine Urgroßmutter meinen Urgroßvater zwölf
+Jahre überlebte, und ihr also mein Großvater die ganze Zeit über immer
+halbjährlich — alle Ostern und Michaelis — ihre hundertundfünfzig
+Pistolen Witwengehalt auszahlen mußte.</p>
+
+<p>Niemand war williger und bereiter, seine Schulden abzutragen, als
+mein Vater. Bis an volle Hundert pflegte er die Pistolen wurfweise
+mit der Miene hinzuschießen, die großmütige Seelen, und auch nur die
+großmütigen Seelen, beim Geben und Bezahlen zu machen pflegen und die
+gleichsam sagt: ich geb's gern. Sobald er aber an die folgenden Fünfzig
+kam, stieß er gewöhnlich ein lautes Hm! aus, rieb sich dabei ganz
+gemächlich mit dem flachen Zeigefinger an der Nase, schob die Hand ganz
+bedächtig unter die Perücke, besah jedes Goldstück, ehe er's weggab,
+auf beiden Seiten, und zählte selten die Fünfzig zu Ende, ohne sein
+Schnupftuch zur Hand zu nehmen und den Angstschweiß von der Stirne zu
+wischen.</p>
+
+<p>Behüte mich, gütiger Himmel, vor solchen Verfolgungsgeistern,<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> welche
+keine Nachsicht mit dergleichen Bewegungen, die in uns vorgehen, haben
+können. Nie, o nie, laß mich in einem Gezelte mit denen liegen, die
+den Bogen immer so hoch spannen und kein Mitleiden mit der Macht der
+Erziehung und mit dem überwiegenden Einflusse der von unseren Voreltern
+geerbten Meinungen haben wollen.</p>
+
+<p>Schon bis ins dritte Glied wenigstens hatte der Glaube an das Glück
+der langen Nasen nach und nach Wurzel in unserer Familie geschlagen.
+Das Hörensagen war ganz auf seiner Seite, und alle halbe Jahre kam
+das Geldausgeben dazu, um ihn zu bestärken, dergestalt, daß meines
+Vaters grillenhafter Kopf weit entfernt war, sich von diesem wie von
+fast allen seinen übrigen sonderbaren Sätzen die Ehre allein anmaßen
+zu können. Denn man konnte sagen, daß er ihn zum großen Teil mit der
+Muttermilch eingesogen hatte. Indessen tat er das seinige dazu. Wenn
+seine Erziehung den Irrtum — falls es einer war — pflanzte, so begoß
+ihn mein Vater und wartete und pflegte ihn bis zur völligen Reife.</p>
+
+<p>Er beteuerte oft, wenn er seine Gedanken über diesen Punkt äußerte,
+daß er nicht begreife, wie die größte Familie in der Welt eine
+ununterbrochene Folge von sechs oder sieben kurzen Nasen gutmachen
+könnte. Und aus dem entgegenstehenden Grunde, pflegte er hinzuzusetzen,
+müßte es eine der unerklärbarsten Erscheinungen im bürgerlichen Leben
+sein, daß dieselbe Anzahl tüchtiger langer Nasen, in gerader Linie
+vererbt, einen Menschen nicht zu den höchsten Ehrenstaffeln erhebe und
+emporschwinge. Mit Selbstgefälligkeit rühmte er's oft, daß die Shandys
+unter Heinrichs <em class="antiqua">VIII.</em> Regierung sehr hoch im Range gewesen und
+ihre Erhebung keinen Staatskniffen zu danken gehabt, sondern nur, sagte
+er, diesem Glücksumstande. Allein, pflegte er hinzuzufügen, das Rad
+habe sich gleich wie bei anderen Familien bis zu dem Schlag von meines
+Urgroßvaters Nase gedreht. Und sie<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> wären niemals wieder in die Höhe
+gekommen. Jawohl, es war ein Treffaß! rief er dann und schüttelte dabei
+den Kopf. Und ein so häßliches, als nur jemals Trumpf geworden ist.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_38">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neununddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Vater lag ausgestreckt auf dem Bette volle anderthalb Stunden so
+still, als hatte die Hand des Todes ihn niedergeschleudert, ehe er
+mit den Zehen des Fußes, der über der Bettkante hieg, auf der Erde
+zu spielen anfing. Meines Onkels Toby Herz fühlte sich dadurch ein
+Pfund leichter. Wenige Augenblicke später bekam auch seine linke Hand,
+mit der er beständig auf den Henkel des Kammertopfes gelegen hatte,
+wieder ihr Gefühl. Er schob ihn ein wenig weiter hinunter. Nachdem das
+geschehen, zog er die Hand herauf an seinen Busen und stieß ein Hm!
+aus. Mein guter Onkel Toby beantwortete es mit unendlichem Vergnügen
+und hätte herzlich gerne einen Trostspruch in die Spalte geimpft, die
+es machte. Da er aber, wie schon gesagt, hierin keine vorzügliche Gabe
+hatte und überdem noch besorgte, es möchte ihm etwas entfahren, das das
+Übel nur ärger machte, so begnügte er sich damit, daß er mit seinem
+Kinn ganz gelassen auf seinem Krückhaken liegen blieb.</p>
+
+<p>Ob nun der Druck von unten meines Onkels Toby Gesicht zu einem
+angenehmeren Oval verkürzte, oder ob die Menschenliebe seines Herzens,
+als er seinen Bruder sich aus dem See seiner Leiden hervorarbeiten sah,
+seine Muskeln angeschwellt hatten, so daß der Druck auf sein Kinn bloß
+die Leutseligkeit verdoppelte, die man vorher darin sah, ist nicht
+schwer zu entscheiden. Mein Vater, als er die Augen auf ihn richtete,
+ward von einem solchen Sonnenscheine aus seinem<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> Gesicht bestrahlt, daß
+dadurch augenblicklich die Starrheit seiner Traurigkeit auftaute.</p>
+
+<p>Er brach folgendermaßen das Stillschweigen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_39">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Hat wohl jemals, Bruder Toby,« sagte mein Vater, indem er sich auf
+seinen Ellenbogen stemmte und sich nach der anderen Seite des Bettes
+kehrte, während mein Onkel Toby auf dem alten befransten Stuhle saß und
+das Kinn auf seine Krücke gestützt hielt, »ein armer, unglücklicher
+Mann so vielen Hieben standhalten müssen?« — »Die meisten, die ich
+habe austeilen sehen,« sagte mein Onkel Toby, »bekam ein Grenadier.
+Ich glaube« — hier klingelte er mit der Glocke, Trim zu rufen —
+»in Mackays Regiment.« — Hätte mein Onkel Toby meinem Vater eine
+Musketenkugel durchs Herz gejagt, er hätte nicht plötzlicher Knall und
+Fall mit der Nase aufs Kissen fallen können.</p>
+
+<p>»Gott bewahre!« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_40">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»War's nicht in Makays Regiment,« fragte mein Onkel Toby, »als zu
+Brügge der Grenadier der Dukaten wegen so erschrecklich viele Hiebe
+bekam?« — »Ach lieber Gott, er hatte keine Schuld!« schrie Trim mit
+einem tiefen Seufzer. »Und er ward, mit Euer Gnaden Erlaubnis zu
+melden, fast zu Tode gepeitscht. Sie hätten ihn lieber totschießen
+sollen, wie er sie bat, so wäre er gerade in den Himmel gefahren, denn
+er war so unschuldig wie Euer Gnaden.« — »Dank Ihm, Trim,« sagte mein
+Onkel Toby. — »Ich kann niemals<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> an sein,« fuhr Trim fort, »oder
+meines armen Bruders Tom Unglück denken, denn wir waren alle drei
+Schulkameraden, ohne daß ich weinen muß wie 'ne alte Vettel.« — »Man
+ist nicht gleich eine alte Vettel, wenn man weint, Trim; mir kommen
+selbst zuweilen Tränen in die Augen.« — »Ich hab's Euer Gnaden wohl
+angemerkt,« versetzte Trim, »und darum schäme ich mich auch nicht
+davor. Wenn man aber, mit Euer Gnaden Respekt,« fuhr Trim fort, wobei
+sich eine Träne in seinen Augenwinkel drängte, als er sprach, »wenn
+man aber an zwei so brave Jungen denkt, die ein so warmes und schönes
+Herz hatten, wie sie nur je aus Gottes Backofen kommen können, so ganz
+ehrlicher Leute Kinder, die so ganz in Gottes Namen in die weite Welt
+gehen, sich in etwas zu versuchen, und müssen dann so in die Patsche
+fallen! Armer Tom, so behandelt zu werden! Und in der Welt nichts getan
+haben, als eine Judenwitwe gefreit, die Bratwürste verkaufte! Und des
+armen Dick Johnsens Seele aus dem Leibe zu karbatschen, und das wegen
+der Dukaten, die ein anderer Mann in seinen Rucksack gesteckt hatte! —
+O, so was nenne ich Unglück,« rief Trim, und langte sein Taschentuch
+hervor. »Unglück, Euer Gnaden, daß man seine blutigen Tränen darüber
+weinen sollte.«</p>
+
+<p>Meinem Vater trat die Schamröte ins Gesicht.</p>
+
+<p>»Es wäre schade, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wenn Er jemals selbst
+Not und Sorgen erleben sollte! Er beklagt andere Leute so gutherzig!«
+— »Ach lieber Gott!« versetzte der Korporal, und sein Gesicht heiterte
+sich auf. »Euer Gnaden wissen ja, ich habe weder Weib noch Kind, ich
+kann keine Not und Sorgen in dieser Welt haben.« — Mein Vater mußte
+lächeln. — »So wenig, als ein Mensch haben kann, Trim,« erwiderte mein
+Onkel Toby; »ich kann auch nicht absehen, was ein Mann von einem so
+zufriedenen Herzen wie Er für Kummer leiden könnte; es sei denn Furcht<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span>
+vor Armut in seinen alten Tagen. Wenn Er nicht mehr dienen kann, Trim,
+wenn Ihm alle seine Freunde abgestorben sind —« — »So arg wird's, mit
+Euer Gnaden Wohlnehmen, nicht werden,« versetzte Trim. — »Ich wollte
+aber auch nicht, Trim, daß es so arg werden sollte,« erwiderte mein
+Onkel Toby, »und eben deswegen,« fuhr er fort, wobei er die Krücke
+niederwarf und sich auf seine Füße stellte, als er das Wort <em class="gesperrt">eben
+deswegen</em> aussprach, »soll Er, Trim, für seine vieljährige Treue
+gegen mich und für sein gutes Herz, davon ich soviele Proben habe,
+solange sein Herr noch einen Gulden im Vermögen hat, keinen anderen
+Menschen um das geringste ansprechen.« Trim bestrebte sich, meinem
+Onkel Toby zu danken, konnte aber nicht. Die Tränen liefen ihm häufiger
+die Wangen hinunter, als er sie abwischen konnte. Er legte seine Hände
+auf seine Brust, bückte sich bis auf die Erde und machte die Türe zu.</p>
+
+<p>»Ich habe Trim meinen grünen Spielplatz vermacht,« rief mein Onkel
+Toby. — Mein Vater lächelte. — »Ich habe ihm dazu jährlich ein
+Gewisses verschrieben,« fuhr mein Onkel Toby fort. — Mein Vater ward
+ernsthaft.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_41">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ist dies wohl eine schickliche Zeit, sagte mein Vater zu sich selbst,
+von Vermächtnissen und von Grenadieren zu sprechen?</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_42">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreiundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als mein Onkel Toby zuerst des Grenadiers erwähnte, fiel mein Vater,
+sagte ich, mit der Nase platt aufs Kissen, und das so schnell, als
+ob ihn mein Onkel Toby erschossen<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> hätte. Es wurde aber nicht dabei
+gesagt, daß jedes andere Glied und Gelenk meines Vaters im selben
+Augenblick mit seiner Nase wieder in die vorhin beschriebene Stellung
+verfiel, so daß, als Trim hinausging und mein Vater Lust bekam, das
+Bett zu verlassen, er alle die vorhergehenden kleinen Bewegungen
+noch einmal durchlaufen mußte, ehe er's bewerkstelligen konnte. —
+Stellungen sind nichts, Madame. In dem Übergange von einer Stellung
+zur anderen, gleichwie man die Dissonanzen präpariert und hernach in
+Konsonanzen auflöst, darin steckt alles.</p>
+
+<p>Aus dieser Ursache pedalierte mein Vater von neuem sein Stückchen,
+stieß den Kammertopf noch ein wenig weiter unter das Bett, tat sein
+Hm! — richtete sich auf seinen Ellenbogen in die Höhe und wollte eben
+meinen Onkel Toby anreden, als er sich besann, wie schlecht es ihm
+vorher in dieser Stellung gelungen sei. Er machte sich also auf die
+Füße, und nachdem er dreimal auf und nieder gegangen war, blieb er vor
+meinem Onkel Toby stehen. Und indem er den Vorderfinger seiner rechten
+Hand in die flache Linke legte und sich ein wenig niederbeugte, redete
+er meinen Onkel Toby folgendermaßen an:</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_43">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Wenn ich so meine Gedanken habe, Bruder Toby, über den Menschen, und
+so diese Seite an ihm beschaue, die sein Leben so manchen Ursachen der
+Mühseligkeit bloßstellt, — wenn ich so bedenke, Bruder Toby, wie oft
+wir das Jammerbrot essen, und daß wir dazu geboren sind, wie zu unserem
+Erbschaftsteile.« — »Ich ward zu nichts geboren,« sagte mein Onkel
+Toby und fiel meinem Vater in die Rede, »als zu meiner Monatsgage.«
+— »Seht doch,« sagte mein Vater,<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> »hat dir mein Onkel nicht jährlich
+hundertundzwanzig Pistolen vermacht?« — »Ja, wie hätte ich's sonst
+machen sollen?« erwiderte mein Onkel Toby. — »Das ist eine andere
+Frage,« sagte mein Vater ein wenig mürrisch. »Aber ich sage, Toby, wenn
+man so die Liste von Klitterschulden und täglichen Items durchläuft,
+womit das Herz des Menschen belastet und beschwert ist, so muß man sich
+wundern, durch was für heimliche Zuflüsse das Gemüt instand gesetzt
+wird, es auszuhalten und noch die Auflagen so abzutragen, die unserer
+Natur aufgebürdet sind.« — »Durch Hilfe des allmächtigen Gottes,« rief
+mein Onkel Toby mit gen Himmel gerichteten Augen und festgefalteten
+Händen, »geschieht das. Nicht durch unsere eigene Kraft, Bruder
+Walter. Eine Schildwache in einem hölzernen Schilderhäuschen könnte
+ebensoleicht gegen ein Detachement von fünfzig Mann standhalten wollen.
+Die Gnade und der Beistand des allerliebreichsten Wesens hält uns
+aufrecht.« — »Das heißt den Knoten zerhauen,« sagte mein Vater, »und
+nicht auflösen. Aber erlaube mir, Bruder, daß ich dich ein wenig tiefer
+ins Geheimnis einführe.«</p>
+
+<p>»Gern, gern,« erwiderte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>Mein Vater änderte alsobald die Stellung, in der er war, in die
+Stellung, in der Raffael in seiner Athenienser Schule den Sokrates
+so vortrefflich dargestellt hat. In welcher Stellung, wie Euer
+Kennerschaft wissen, sogar die eigentümliche Lehrart des Sokrates
+ausgedrückt liegt. Denn er hält den Zeigefinger seiner linken Hand
+zwischen dem Zeigefinger und Daumen seiner Rechten, und scheint zu dem
+Gauche, den er zurechtweisen will, zu sagen: »Das räumst du mir ein und
+dies und dies, und das frage ich nicht einmal, weil's natürlich von
+selbst folgt.«</p>
+
+<p>So stand mein Vater, hielt den einen Zeigefinger zwischen dem anderen
+Zeigefinger und Daumen, und philosophierte mit meinem Onkel Toby, der
+auf dem alten Tapetenstuhle<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> saß, der mit abgebleichten, verwitterten
+Fransen besetzt war. — O Garrick, was würdest du mit deiner Kunst
+hieraus für einen reichhaltigen Auftritt machen! Und wie gerne schrieb
+ich noch so einen, um mich an deine Unsterblichkeit zu schmiegen und
+mich dahinter der meinigen zu versichern.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_44">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Obgleich der Mensch das herrlichste Fuhrwerk von allen ist,« sagte
+mein Vater, »so ist's gleichwohl dabei so leicht gebaut und so wackelnd
+gefügt, daß die harten Püffe und Stöße, die es in dieser höckerigen
+Fahrt des Lebens ausstehen muß, jeden Tag es wohl zwölfmal umwerfen und
+in Stücke bröckeln würden, hätten wir nicht, mein lieber Toby, eine
+geheime Stahlfeder in uns.« — »Das muß wohl, meine ich,« sagte mein
+Onkel Toby, »nichts anderes sein als die Religion.« — »Will die meines
+Kindes Nase ansetzen?« rief mein Vater, indem er den Finger losließ
+und eine Hand gegen die andere schlug. — »Sie macht alles eben und
+schlicht,« antwortete mein Onkel Toby. — »Das mag figürlich recht wohl
+sein, mein guter Toby,« sagte mein Vater. »Die Stahlfeder aber, von der
+ich spreche, ist diejenige große und elastische Kraft in unserem Wesen,
+den Übeln entgegenzuwirken, die wie eine verborgen angebrachte Feder in
+einem gutgemachten Wagen zwar nicht den Stoß abwendet, aber doch macht,
+daß wir ihn weniger fühlen.«</p>
+
+<p>»Und siehe nun, mein lieber Bruder,« sagte mein Vater, und faßte
+seinen Zeigefinger wieder, als er näher zur Hauptsache kam. »Wäre mein
+Kind ganz und gut zur Welt gekommen, dann wäre es nicht an seinem
+köstlichsten Gliede ein Märtyrer geworden. Siehe, so ein Grillenfänger
+und Sonderling ich der Welt in meiner Meinung über die Taufnamen<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> auch
+immer scheinen mag, so ist doch der Himmel mein Zeuge, daß ich in der
+Ergießung der heißesten Wünsche für die Wohlfahrt meines Kindes nie
+gewünscht habe, sein Haupt mit mehr Ruhm und Ehre zu krönen, als womit
+Georg und Eduard es bekränzen könnten.</p>
+
+<p>Aber nun, leider,« fuhr mein Vater fort, »da ihm das größte Unglück
+überkommen ist, muß ich dem entgegenwirken und es durch das größte
+Glück aufheben.</p>
+
+<p>Er soll <em class="gesperrt">Trismegistus</em> getauft werden, Bruder.«</p>
+
+<p>»Daß es gut anschlage, wünsche ich!« versetzte mein Onkel Toby und
+stand dabei auf.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_45">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechsundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Was für ein Kapitel von Glückschancen,« sagte mein Vater, wobei er auf
+dem ersten Treppenabsatze sich umkehrte, als er mit meinem Onkel Toby
+hinuntergehen wollte. »Was für ein Kapitel von Chancen zeigen uns nicht
+die Begebnisse dieser Welt. Nimm Feder und Tinte, Bruder Toby, und
+kalkuliere einmal richtig.« — »Ich weiß soviel von der Kalkulation als
+das Geländer da!« Er schlug dabei mit der Krücke darauf, die glitt aber
+ab und versetzte meinem Vater einen derben Schlag vors Schienbein. »Es
+war hundert gegen eins!« rief mein Onkel Toby. — »Ich meinte,« sagte
+mein Vater und rieb sich das Schienbein, »ich meinte, du wüßtest nichts
+von Kalkulationen, Bruder Toby.« — »Ich kann nichts dafür, es ist ein
+Zufall.« — »So ist das Kapitel um eins vermehrt,« versetzte mein Vater.</p>
+
+<p>Die zweifache Gelegenheit, da mein Vater eine witzige Antwort anbringen
+konnte, vertrieb ihm auf einmal die Schmerzen aus dem Schienbein. Es
+war ein Glück. — Schon wieder eine Chance. — Sonst wüßte die Welt
+bis auf den<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> heutigen Tag noch nicht, was mein Vater kalkuliert haben
+wollte. Es zu erraten, dafür war keine einzige Chance. — Was für ein
+glückliches Kapitel von Chancen dieses geworden ist! Dadurch habe ich
+die Mühe, ausdrücklich eins darüber zu schreiben, und wahrhaftig, ich
+habe ohnedies schon alle Hände voll zu tun.</p>
+
+<p>»Nimm Feder und Tinte zur Hand, und kalkuliere genau, Bruder Toby,«
+sagte mein Vater. »Und es wird herauskommen wie eine Million zu eins,
+daß der Rand des Forceps so unglücklicherweise unter allen Gliedern
+des Körpers gerade auf das eine fallen und es niederdrücken mußte, das
+zugleich das Glück unserer Familie mit unterdrückt.«</p>
+
+<p>»Es hätte ärger werden können,« versetzte mein Onkel Toby. — »Das sehe
+ich nicht ein,« sagte mein Vater. — »Wenn das Kind verkehrt gelegen
+hätte, was meinst du,« sagte mein Onkel Toby, »wie sich's Doktor Slop
+entfallen ließ!«</p>
+
+<p>Mein Vater dachte eine halbe Minute nach, sah auf die Erde, legte
+seinen Finger locker an seine Stirn:</p>
+
+<p>»Wahr!« sagte er.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_46">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ist's nicht eine Schande, zwei Kapitel aus dem zu machen, was vorging,
+unterdessen man die Treppe hinunterstieg? Denn weiter als bis zum
+ersten Treppenstuhle sind wir noch nicht gekommen und haben noch
+fünfzehn Stufen bis ganz hinunter. Und nach meines Vaters und meines
+Onkels Toby Gesprächigkeit zu urteilen, kann's noch ebensoviel Kapitel
+geben wie Stufen. Lassen Sie's gehen, mein Herr, ich kann ebensowenig
+dafür als für meinen Tod. Da kommt mir's auf einmal vor, als gäbe mir's
+einer ein: Laß den Vorhang fallen, Shandy.<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> Ich ließ ihn fallen. Zieh
+eine Querlinie über dein Papier, Tristram! Ratsch! da steht sie — und
+heida! zu einem neuen Kapitel.</p>
+
+<p>Kein Lineal habe ich, nach dem ich mich in diesem Geschäfte richte. Und
+hätte ich eins, da ich lieber alles aus freier Faust tue, ich bräche es
+lieber vor den Knien in Stücke und würfe es ins Feuer. Werde ich warm?
+Ja, ich werde es, und die Ursache läßt es nicht anders zu. Seht doch!
+Soll sich der Mann nach Regeln und Linealen richten, oder sie nach ihm?</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_47">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Wir wollen noch alles wieder in Ordnung bringen,« sagte mein Vater,
+als er den Fuß auf den ersten Tritt vom Treppenabsatz setzte. »Dieser
+Trismegistus,« fuhr mein Vater fort, indem er das Bein wieder zurückzog
+und sich zu meinem Onkel Toby wandte, »war das größte, Toby, von allen
+irdischen Wesen. Er war der größte König, der größte Gesetzgeber, der
+größte Philosoph, und der größte Priester.« »Und Ingenieur!« sagte mein
+Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Versteht sich,« sagte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_48">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Was macht Ihre Wochenbetterin?« Schrie mein Vater, der abermal den
+Schritt vom Treppenabsatz heruntertat und Susanna anrief, die er eben
+unten an der Stiege mit einem großen Nadelkissen vorbeigehen sah. »Was
+macht Ihre Wochenbetterin?« — »Recht gut, nach den Umständen,« sagte
+Susanna im Vorbeigehen, ohne heraufzusehen. — »Was für ein Tor ich
+bin!« sagte mein Vater, der sein Bein abermals<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> zurückzog. »Laß das
+Befinden sein, wie es will, Bruder Toby, so ist das die ewige Antwort.
+Und wie ist's mit dem Kinde? Keine Antwort. Und wo ist Herr Doktor
+Slop?« fuhr mein Vater fort, mit lauterer Stimme, und sah dabei übers
+Geländer. Fort war Susanna.</p>
+
+<p>»Unter allen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte mein Vater und ging
+über den Treppenabsatz, um sich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen,
+derweile er meinem Onkel Toby die Sache vortrug. »Unter allen den
+verworrenen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte er, »davon man, du
+kannst dich auf meine Erfahrung verlassen, Bruder Toby, davon man
+mehr Esel bepacken könnte, als Hiobs ganze Herde Esel ausmachte, ist
+keins so schwer zu lösen als dieses, daß, Sobald die Frau des Hauses
+in die Wochen gekommen, jedes Weibsbild im Hause, von Madame ihrem
+Kammermädchen an bis auf das geringste Scheuermädchen, einen Zoll höher
+wächst, und sich dieses einzigen Zolls wegen mehr in die Brust wirft
+als aller ihrer übrigen Zölle wegen zusammengenommen.«</p>
+
+<p>»Ich denke vielmehr,« antwortete mein Onkel Toby, »daß wir es sind,
+die einen Zoll einschrumpfen. Wenn ich nur einer schwangeren Frau
+ansichtig werde! — Es ist eine schwere Last, die dieser Hälfte unserer
+Mitgeschöpfe aufgelegt ist, Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby.
+»'s ist wohl eine klägliche Bürde,« fuhr er fort, und schüttelte den
+Kopf. — »Ja, ja, 's ist eine mühselige Sache,« sagte mein Vater, und
+schüttelte seinen Kopf gleichfalls. Aber seitdem das Kopfschütteln Mode
+gewesen ist, schüttelten nie zugleich zwei Köpfe konzertmäßig zusammen
+aus so verschiedenen Ursachen.</p>
+
+<p>
+<span style="margin-left: 1em;">»Gott bewahre&nbsp; &nbsp;&nbsp;&#8201; }</span><br>
+<span style="margin-left: 2em;">»Der Henker hole } sie alle,«</span><br>
+</p>
+
+<p>sagten mein Onkel Toby und mein Vater zugleich bei sich.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_49">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span></p>
+
+<h2>Fünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Holla! — guter Freund, Lastträger! Da hat Er drei Groschen, geh' Er
+doch nach jenem Buchladen und hole Er mir einen handfesten Kritiker
+her. Ich will gerne einem jeden von ihnen einen Gulden geben, wenn er
+mir mit seinen kritischen Seiten und Winden helfen will, meinen Vater
+und meinen Onkel Toby die Treppe herunter und zu Bette zu bringen.</p>
+
+<p>Es ist die höchste Zeit; denn außer dem kleinen Nicker, den sie taten,
+derweile Trim die Steifstiefel bohrte, und wovon, nebenher gesagt,
+mein Vater keinen Nutzen hatte, wegen der bösen Türangel, haben sie
+seit neun Stunden vor der Zeit, da Doktor Slop von Obadiah in die
+Hinterstube geführt ward, kein Auge zugetan.</p>
+
+<p>Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben ein so geschäftsvoller Tag
+sein und soviel Zeit wegnehmen, wahrhaftig: so —</p>
+
+<p>Ich will die Periode nicht ausschreiben, bis ich eine Bemerkung über
+den sonderbaren Zustand der Sache, zwischen dem Leser und mir selbst,
+so wie gerade jetzt die Sachen stehen, gemacht habe. Eine Bemerkung,
+die noch niemals auf einen biographischen Schriftsteller, solange die
+Welt steht, gepaßt hat, und, wie ich glaube, auf niemand anderes wird
+anwendbar werden, bis zu ihrem letzten Untergange, außer auf mich.
+Und deshalb, schon der Neuheit wegen, wird solche Euer Wohlgeboren
+Aufmerksamkeit wert sein.</p>
+
+<p>Ich bin diesen Monat ein ganzes Jahr älter als heute vor zwölf Monaten,
+und da ich, wie Sie sehen, schon fast bis auf die Hälfte meines Buches
+gelangt bin — und noch nicht weiter als bis auf den ersten Tag meines
+Lebens gekommen bin, so ist es demonstrativ klar, daß ich schon jetzt
+dreihundertvierundsechzig Tage mehr zu schreiben habe als ich<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> zuerst
+begann, daß ich, anstatt, wie ein gewöhnlicher Schriftsteller getan,
+mit dem, was ich daran getan, weiterzukommen vielmehr gerade soviel
+Bände zurückgekommen bin. Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben
+ein so geschäftiger Tag sein, wie dieser? — Und warum nicht? — Warum
+sollten sie kürzer abgefertigt werden? Da ich auf diese Weise gerade
+dreihundertvierundsechzig Tage geschwinder lebte, als ich schreibe, so
+muß, mit Euer Wohlgeboren Erlaubnis, daraus folgen, daß ich, je mehr
+ich zu schreiben haben werde, und folglich, je mehr Euer Wohlgeboren
+lesen, je mehr werden Euer Wohlgeboren zu lesen haben.</p>
+
+<p>Wird dies zuträglich sein für Euer Wohlgeboren Augen?</p>
+
+<p>Für meine wenigstens, und, sollten mir meine Meinungen nicht den Hals
+kosten, so seh' ich schon, werde ich von diesem meinem Leben ein
+hübsches Leben führen, oder, mit andern Worten, ich werde ein paar
+hübsche Leben zugleich führen.</p>
+
+<p>Der Vorschlag, jedes Jahr zwölf Bände, oder jeden Monat einen zu
+geben, verändert meine Aussicht gar nicht. — Laß mich schreiben, wie
+ich mag und wie ich will, nach Horazens Rat, mitten in meine Materie
+hineinfallen, ich werde mich niemals einholen. Trotz alles Treibens und
+Peitschens, wenn auch das Ärgste zum Argen kommen sollte, habe ich doch
+immer einen Tag vor meiner Feder voraus. — Ein Tag ist genug für zwei
+Bände, und zwei Bände werden genug sein für ein Jahr.</p>
+
+<p>Der Himmel gebe nur seinen Segen zur Papiermacherei unter dieser
+glückverkündenden Regierung, die für uns angefangen hat. Wie ich das
+Vertrauen habe, er werde alles übrige segnen, was darunter vorgenommen
+wird.</p>
+
+<p>Die Vernehmung der Gänse — o, die macht mir keinen Kummer — die Natur
+ist immer gütig. An Werkzeug zum Schreiben wird mir's nie gebrechen.</p>
+
+<p>So, also, guter Freund, haben Sie meinen Vater und<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> meinen Onkel
+Toby die Treppen herunter und zu Bette gebracht? Und wie haben Sie
+das zustande gebracht? Sie ließen unten vor der Treppe einen Vorhang
+fallen. — Ich dachte gleich, daß es nicht anders gehen würde. Da haben
+Sie einen Gulden für Ihre Mühe.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_50">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»So gebe Sie mir meine Beinkleider vom Stuhle her,« sagte mein Vater zu
+Susanna. »Sie haben keinen Augenblick Zeit, sich anzukleiden, Herr,«
+sagte Susanna. »Das Kind ist so schwarz im Gesichte, wie mein —« »Wie
+Ihr, was?« sagte mein Vater. Denn wie alle Rhetoriker, war er ein
+sorgfältiger Untersucher der Gleichnisse. »O, Himmel, Herr, das Kind
+hat die Bangigkeit.« — »Und wo ist Herr Yorick?« »Ist nirgends zu
+finden,« sagte Susanna, »aber sein Kaplan ist im Besuchzimmer und hat's
+Kind schon auf dem Arme, und wartet auf den Namen. Und Madame sagte
+mir, ich sollte geschwind laufen und fragen, weil doch Herr Kapitän
+Shandy Gevatter ist, ob's nicht nach ihm heißen sollte.«</p>
+
+<p>»Wenn man gewiß wüßte,« sagte mein Vater zu sich selbst und strich die
+Augenbrauen, »daß das Kind nicht aufkäme, täte man gut, dem Bruder Toby
+das Kompliment zu machen. 's wäre in dem Fall schade, einen so großen
+Namen wie Trismegistus daran zu verschwenden. Aber es kann besser
+werden.« —</p>
+
+<p>»Nein, nein,« sagte mein Vater zu Susanna, »ich will aufstehen.« —
+»'s ist keine Zeit,« schrie Susanna, »das Kind ist so schwarz wie mein
+Schuh.« — »Trismegistus,« sagte mein Vater. »Aber warte Sie, Sie ist
+ein durchlöchertes Sieb, Susanna,« setzte mein Vater hinzu. »Kann Sie
+wohl Tris-me-gi-stus in Ihrem Kopfe über die Galerie tragen, ohne
+etwas<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> davon zu verlieren.« — »Das dächt' ich!« rief Susanna, und
+schlug mit aufgeworfener Nase die Tür zu. »Ich will mich hängen lassen,
+wenn ich's denke,« sagte mein Vater, und sprang im Finstern aus dem
+Bette und suchte nach seinen Beinkleidern.</p>
+
+<p>Susanna rannte eilig über die Galerie.</p>
+
+<p>Mein Vater tat, was er konnte, seine Beinkleider zu finden.</p>
+
+<p>Susanna gewann den Vorsprung und behielt ihn. »'s ist Tris — oder
+so was,« rief Susanna. »Es ist kein anderer christlicher Name in der
+Welt,« sagte der Kaplan, »der mit Tris anfängt, als Tristram.« »Ja, ja.
+Tristram-gi-stus,« sagte Susanna.</p>
+
+<p>»'s ist nichts zu gistussen dabei,« sagte der Kaplan, »'s ist mein
+eigener Name,« und fuhr dabei mit der Hand ins Taufbecken. »Tristram!«
+sagte er, »ich — usw.« So ward ich Tristram getauft, und Tristram
+werde ich wohl heißen bis an mein seliges Ende.</p>
+
+<p>Mein Vater folgte der Susanna, mit dem Schlafrocke über dem Arme und
+mit nichts weiter am Leibe als seinen Beinkleidern, die, der Eile
+wegen, nur mit einem Knopf zugeknöpft waren. Und dieser Knopf saß, der
+Eile wegen, nur halb in seinem Knopfloche.</p>
+
+<p>»Sie hat doch den Namen nicht vergessen?« schrie mein Vater, als er die
+Tür nur erst halb geöffnet hatte. — »Nein, nein,« sagte der Kaplan,
+mit einem schlauen Tone. — »Und das Kind ist besser,« rief Susanna.
+— »Und was macht Ihre Wöchnerin?« — »Recht gut, nach den Umständen,«
+sagte Susanna. — »Pitsch!« sagte mein Vater, und der Hosenknopf sprang
+aus dem Knopfloche. So daß, ob das Pitsch auf die Susanna oder auf das
+Knopfloch ging, ob es eine Interjektion der Verachtung oder der Scham
+war, im Zweifel ist und so lange im Zweifel bleiben wird, bis ich Zeit
+gewinne.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p>
+
+<p>Alles Licht, was ich für jetzt dem Leser geben kann, besteht darin, daß
+mein Vater in dem Augenblick, da er pitsch! sagte, sich herumdrehte,
+mit der einen Hand seine Beinkleider in die Höhe hielt und mit dem
+Schlafrock auf dem anderen Arme wieder über die Galerie hin nach seinem
+Bette ging, etwas langsamer, als er gekommen war.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_51">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Wenn's meine Frau nur wagen will, Bruder Toby, so sollen sie
+Trismegistus anziehen und zu uns herunterbringen, derweile du und ich
+unseren Tee trinken. — Geh Er, Obadiah, und sage Er Susanna, sie soll
+hierherkommen.«</p>
+
+<p>»Sie ist eben hinaufgerannt,« antwortete Obadiah, »und seufzt und heult
+und ringt die Hände, als ob ihr das Herz in Stücke springen wollte.« —</p>
+
+<p>»Das werden hübsche sechs Wochen werden,« sagte mein Vater, wendete
+sich von Obadiah weg und sah meinem Onkel Toby einige Zeit steif ins
+Gesicht. »Hübsche sechs Wochen werden wir erleben, Bruder Tob,« sagte
+mein Vater und stemmte seine Arme in die Seiten. »Feuer, Wasser,
+Weiber, Wind — Bruder Toby!« — »'s ist wieder ein Unglück,« sagte
+mein Onkel Toby. »Das ist's,« sagte mein Vater. »So viele widersinnige
+Elemente, die losbrechen und in jedem Winkel dieses Hauses im Triumph
+herumfahren. Es fruchtet der Ruhe einer Familie sehr wenig, Bruder
+Toby, daß du und ich über uns selbst Meister sind und hier still und
+ruhig sitzen, derweile solch ein Sturm über unseren Häuptern pfeift.«</p>
+
+<p>»Und was hat Sie denn zu winseln, Susanna?« — »Sie haben das
+Kind Tristram getauft — und meine Madame hat darüber eben einen
+hysterischen Anfall gehabt. — Nein,<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> ich kann nichts dafür,« sagte
+Susanna, »ich hab's ihm recht gesagt, Tristramgistus.«</p>
+
+<p>»Mache nur Tee für dich alleine, Bruder Toby,« sagte mein Vater und
+nahm seinen Hut von der Wand. Wie verschieden aber von Aufwallungen und
+Bewegungen, die sich ein gewöhnlicher Leser dabei vorstellen möchte!</p>
+
+<p>Er sprach in der sanftesten Modulation und nahm den Hut mit der
+gelindesten Bewegung seines Armes herab, die nur jemals die Betrübnis
+mit der Harmonie zusammenbrachte.</p>
+
+<p>»Geh Er nach dem Spielplatze und rufe Er Trim,« sagte mein Onkel Toby
+zu Obadiah, sobald mein Vater das Zimmer verließ.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_52">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreiundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als das Unglück mit meiner Nase so schwer auf meines Vaters Haupt fiel,
+wie sich der Leser erinnert, ging er flugs treppauf und warf sich
+über sein Bette. Hieraus, oder er müßte eine tiefe Einsicht in die
+menschliche Natur haben, wird er geneigt sein, eine Reihe ebensolcher
+steigender und fallender Bewegungen über das Unglück mit meinem Namen
+von ihm zu erwarten. Nichts!</p>
+
+<p>Das verschiedene Gewicht, mein teurer Herr. Ja was, Gewicht? Das
+verschiedene Gepäck zweier Widerwärtigkeiten, von einer — macht schon
+eine himmelweite Verschiedenheit in unserer Art und Weise, wie wir
+solche aufnehmen und tragen. Noch keine halbe Stunde ist es her, daß
+ich — in der großen Eile und Hast eines armen Teufels, der ums liebe
+tägliche Brot schreibt — einen druckfertigen Bogen, den ich eben
+sorgfältig rein abgeschrieben hatte, anstatt der Kladde patsch ins
+Feuer warf.</p>
+
+<p>Stracks riß ich mir die Perücke ab und warf sie mit aller möglichen
+Gewalt gerade auf den Balken. Ich fing sie zwar<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> im Herunterfallen
+wieder auf. Aber damit war's auch vorbei, und denke ich auch nicht,
+daß sonst etwas in der Natur mir eine so unmittelbare Erleichterung
+verschafft hätte. Sie, die teure Göttin, treibt uns durch eine
+plötzliche Anwandlung, in allen aufreizenden Fällen, zu einem Ausfalle
+mit diesem oder jenem Gliede. Oder sie wirft uns an diesen oder jenen
+Platz oder an diese oder jene Stellung des Körpers. Wir wissen nicht,
+wie? Merken Sie aber, Madame, wir sind von Geheimnissen und Rätseln
+umringt. Die einfachsten Dinge, die uns umgeben, haben ihre dunklen
+Seiten, die der Scharfsichtigste nicht durchschauen kann. Selbst der
+hellste und größte Kopf unter uns befindet sich fast bei jedem Riß im
+Werke der Natur in Verlegenheit und weiß nicht, was er daraus machen
+soll. Dieses so gut wie tausend andere Dinge fallen auf eine solche Art
+für uns aus, von der wir zwar die Ursache nicht ergründen, von der wir
+aber, mit Euer Hochwürden und Euer Wohlgeboren Genehmigung den Nutzen
+ziehen können. Und das ist genug für uns.</p>
+
+<p>Nun konnte mein Vater sich ums Leben mit dieser Betrübnis nicht
+niederlegen, konnte sie auch nicht, wie die andere, die Treppen
+hinauftragen. Er ging ganz gesetzt damit spazieren zum Fischteiche.</p>
+
+<p>Hätte mein Vater den Kopf in die Hand gelegt, und eine Stunde darüber
+nachgedacht, welchen Weg er nehmen müßte, die Vernunft mit aller ihrer
+Stärke hätte ihm nichts Besseres anweisen können. Herr, es steckt so
+etwas in den Fischteichen! Was es aber ist, das überlasse ich den
+Systemschmieden und Fischteichgräbern untereinander ausfindig zu
+machen. Für die erste aufwallende Leidenschaft ist ein Spaziergang
+zum Fischteich etwas unbegreiflich Besänftigendes, daß ich mich oft
+gewundert habe, wie weder Pythagoras, noch Plato, noch Solon, noch
+Lykurg, noch Mohammed oder sonst einer der berühmten Gesetzgeber jemals
+das geringste davon erwähnt haben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_53">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Euer Gnaden,« sagte Trim und machte die Tür zu, ehe er zu reden
+begann, »haben, glaube ich, von dem Unglück gehört, das vorgefallen
+ist.« — »O ja, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es geht mir sehr nahe.«
+— »Mir geht's auch recht nahe, ich hoffe aber, Euer Gnaden,« erwiderte
+Trim, »kennen mich und wollen also nur nicht glauben, daß ich die
+geringste Schuld daran habe.« — »Er, Trim?« rief mein Onkel Toby,
+und sah ihm gütig ins Gesicht. »Susannens und des Kaplans Unverstand
+ist's.« — »Aber, Euer Gnaden, was konnten die miteinander im Garten zu
+schaffen haben?« — »Auf der Galerie, meint Er, Trim,« erwiderte mein
+Onkel Toby.</p>
+
+<p>Trim merkte, daß er auf einer falschen Fährte sei und brach mit
+einem tiefen Bückling kurz ab. Zwei Unglücke, sagte der Korporal bei
+sich selbst, sind mindestens zweimal soviel, als für eine Nachricht
+erforderlich ist. Das Unheil, das die Kuh in unseren Fortifikationen
+angerichtet hat, kann ich dem gnädigen Herrn schon hernach erzählen.
+Trims listige Kasuisterei unter dem Deckmantel seines tiefen Bücklings
+kam allem Argwohn meines Onkels Toby zuvor, der also mit dem, was er
+Trim zu sagen hatte, fortfuhr:</p>
+
+<p>»Ich für mein Teil, Trim, sehe wenig oder gar keinen Unterschied
+dabei, ob mein Neffe Tristram oder Trismegistus heißt. Da aber die
+Sache meinem Bruder so sehr zu Herzen geht, Trim, so wollte ich noch
+gerne hundert Louisdor aus meiner Tasche drum geben, daß es nicht
+geschehen wäre.« — »Hundert Louisdor, Euer Gnaden!« erwiderte Trim.
+— »Ich würde nicht einen Heller für diese Taufe geben.« — »Ich gäbe
+auch nichts drum, Trim, wenn's nur auf mich ankäme,« sagte mein Onkel
+Toby. »Aber mein Bruder, der sich darüber nichts singen noch Sagen
+läßt, behauptet, daß an dem Taufnamen<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> viel mehr gelegen ist, als
+Ungelehrte wohl meinen! Denn er sagt, solange die Welt steht, hätte
+noch kein Mann, der Tristram geheißen, eine große oder heldenmäßige Tat
+ausgerichtet. Ja, wenn's nach ihm geht, Trim, so kann ein Mensch weder
+gelehrt sein, noch weise, noch tapfer, der nicht —« »'s ist nichts
+dran, mit Euer Gnaden Wohlnehmen. — Ich focht ebensogut,« versetzte
+der Korporal, »als ich im Regimente Trim hieß, als da sie mich Jakob
+Butler hießen.« — »Was mich anbelangt, ob ich mich gleich vor Eigenlob
+schämen würde, Trim, aber hätte ich auch Alexander geheißen, ich hätte
+doch bei Namur nicht mehr tun können als meine Pflicht.« — »Gott ehre
+mir Euer Gnaden,« schrie Trim, und avancierte bei den Worten drei
+Schritte. »Denkt ein Mann wohl an seinen Taufnamen, wenn er ins Treffen
+geht?« — »Oder, Trim, wenn er in den Laufgräben steht?« schrie mein
+Onkel Toby mit standhaftem Blick. — »Oder wenn er auf eine Bresche
+losmarschiert?« sagte Trim und drang zwischen zwei Stühle. — »Oder
+die Linien verstärkt?« schrie mein Onkel Toby, wobei er aufstand und
+seine Krücke fällte, wie eine Picke. »Oder dem feindlichen Pluto in das
+Weiße im Auge sieht,« rief Trim, indem er mit seinem Stocke einen Hieb
+ausführte. »Oder wenn er einen Wall hinaufmarschiert,« rief mein Onkel
+Toby, wobei er erhitzt aussah und seinen Fuß auf den Stuhl setzte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_54">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Vater war von seinem Spaziergange nach dem Fischteiche
+zurückgekommen und öffnete die Türe des Zimmers, gerade in der größten
+Hitze des Angriffs, als eben mein Onkel Toby den Wall hinanmarschierte
+und Trim wieder laden wollte. In seinem Leben war mein Onkel Toby noch
+auf<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> keinem so verzweifelten Galopp überrascht worden. O, lieber Onkel
+Toby! hätte nicht eine wichtigere Sache alle bare Beredsamkeit meines
+Vaters erheischt — wie lahm und jämmerlich würdest du mit deinem armen
+Steckenpferde davongekommen sein.</p>
+
+<p>Mein Vater hing seinen Hut mit ebender Miene wieder auf, mit der er
+ihn vom Nagel genommen hatte. Und als er einen flüchtigen Blick auf
+die Unordnung im Zimmer getan hatte, nahm er einen von den Stühlen,
+aus denen der Korporal eine Bresche gemacht hatte, setzte ihn meinem
+Onkel Toby gegenüber, ließ sich darauf nieder, und sobald das Teezeug
+weggenommen und die Türe zugemacht war, brach er in ein Klagelied aus,
+wie folgt:</p>
+
+
+<p class="center"><em class="gesperrt">Klagelied meines Vaters.</em></p>
+
+<p>»Es ist hinfort umsonst,« sagte mein Vater und wendete sich ebensogut
+an des Ernulphus Fluchbuch, das auf einer Ecke des Kamingesimses lag,
+als an meinen Onkel Toby, der darunter saß, mit der mürrischsten
+Eintönigkeit, die sich erdenken läßt, »gegen diese bitterste von allen
+menschlichen Überzeugungen zu kämpfen, wie ich bisher getan. — Ich
+seh' es klar, mag sein wegen einer meiner Sünden, Bruder Toby, oder
+wegen der Sünden und Torheiten des Geschlechts der Shandys, daß der
+Himmel für gut gefunden hat, mit seiner schwersten Artillerie gegen
+mich auszurücken, und daß die Wohlfahrt meines Kindes das Zentrum ist,
+auf welches sie mit aller ihrer Macht hinzielt.« — »So was kann einem
+die ganze Weit um die Ohren herumschleudern, Bruder Walther!« sagte
+mein Onkel Toby. — »Wär' es. — Unglücklicher Tristram! Kind des
+Zorns! Kind welker Lenden! der Unterbrechung! des Mißverständnisses!
+des Mißvergnügens! Was ist für ein einziges Unheil oder Unglück in dem
+Buche embryonischer Übel, das deinen Bau aus seinen Fugen bringen oder
+deine Fibern verwirren konnte, das nicht auf deinen<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> Kopf gefallen
+wäre, noch ehe du einmal in die Welt gekommen. Was für Übel auf deinen
+Weg — was für Übel nachher! — Gezeugt in den abnehmenden Tagen
+deines Vaters, da schon das Siegel seiner Geister und seines Körpers
+anfing stumpf zu werden, da Lebenswärme und Lebenssäfte, Elemente,
+welche die deinigen hätten stählen sollen, schon im Verfliegen waren,
+und nichts übrigblieb, wodurch dein Keim zu stärken, als Negationen
+— 's ist nicht sonderlich erklecklich, Bruder Toby. Wie ist uns der
+Paß verhauen! Du weißt, wie's zugegangen ist, Bruder Toby. 's ist zu
+melancholisch, es hier zu wiederholen, wie die wenigen Lebensgeister,
+die ich noch in der Welt besaß, und mit welchen Gedächtnis, Phantasie,
+Genie und Fähigkeiten hätten hinbegleitet werden sollen: wie sie auf
+einmal auseinandergestöbert, verblüfft, verjagt, verschlagen und zu
+allem Henker gehetzt wurden. —</p>
+
+<p>»Aber was war das alles, mein lieber Toby, gegen den Schaden und
+Nachteil, der uns dadurch zugefügt ist, daß das Kind mit dem Kopfe
+zuerst auf die Welt gekommen ist. Alles, was ich bei der allgemeinen
+Verwüstung seiner Bildung wünschte, war, diesen kleinen Verstandskasten
+unversehrt und ganz zu erhalten. —</p>
+
+<p>»Was für einen Purzelbaum hat, bei aller meiner Vorsicht, mein
+System mit dem Kinde schon im Mutterleibe machen müssen. Sein Kopf
+mußte der Hand der Gewalttätigkeit herhalten und einem Drucke von
+vierhundertsiebzig schweren Pfund, so ganz senkrecht auf seinen
+Scheitel — daß es noch neunzig Prozent Assekuranz steht, ob das feine
+Netzwerk des Verstandgewebes nicht in tausend Fetzen zerrissen und
+zerschlissen ist.</p>
+
+<p>»Noch wäre ihm zu helfen gewesen! Narr, Geck, Laffe, man gebe ihm nur
+eine Nase; Krüppel, Zwerg, Greiferbart, Tölpel — laß ihn gebildet
+sein, wie er will —, das Glückspförtchen steht offen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p>
+
+<p>»Aber noch, Bruder Toby, war nach alle diesem ein Wurf mit dem Würfel
+für unser Kind übrig. — O Tristram! Tristram! Tristram!«</p>
+
+<p>»Wir wollen zum Herrn Yorick schicken,« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Schicke zu wem du willst!« erwiderte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_55">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechsundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Sagen Sie, kann dem Dinge noch Wandel geschaffen werden, Yorick?«
+sagte mein Vater, »denn nach meiner Meinung,« fuhr er fort, »geht's
+nicht.« — »Ich verstehe mich wenig aufs geistliche Recht,« erwiderte
+Yorick. »Weil ich aber unter allen Übeln die Ungewißheit für das
+quälendste halte, so müssen wir doch wenigstens zu wissen bekommen,
+ob es auch das ärgste ist.« — »Ich hasse die großen Mahlzeiten,«
+sagte mein Vater. — »Auf die Größe der Mahlzeit kommt's hier nicht
+an,« antwortete Yorick. »Wir wollen ja nur, Herr Shandy, auf den Grund
+der Sache kommen, ob sich der Name umtauschen läßt. Und da die Bärte
+so mancher Kommissarien, Konsistorialen, Advokaten, Deputierten,
+Registratoren und der geschicktesten unserer Schultheologen nebst
+anderen morgen sich an einem Tische versammeln werden, und Didius Sie
+so dringend eingeladen hat, wer wollte wohl in Ihrer Verlegenheit eine
+so schöne Gelegenheit versäumen? Es wird nichts weiter nötig sein, als
+daß wir Didius benachrichtigen, und daß er nach Tische das Gespräch auf
+die Materie bringe.« — »So soll,« sagte mein Vater und schlug beide
+Hände zusammen, »mein Bruder Toby mit uns gehen.«</p>
+
+<p>»Laß Er meine alte Knotenperücke,« sagte mein Onkel Toby, »und
+meine gestickte Montierung die ganze Nacht am Feuer hangen, Trim.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_57">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span></p>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowp53" id="p1281_ill" style="max-width: 42.5em;">
+ <img class="w100" src="images/p1281_ill.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Sie haben ganz recht, Herr, hier fehlt ein ganzes Kapitel, und daraus
+entsteht in dem Buche eine Lücke von zehn Seiten. Und doch ist der
+Buchbinder weder ein Dummkopf, noch ein Schelm, noch ein Tölpel. Auch
+ist das Buch um keinen Tüttel unvollkommener — dadurch wenigstens
+nicht! Vielmehr ist das Buch dadurch, daß das Kapitel fehlt, besser und
+vollkommener, als wenn's da wäre, wie ich solches Euer Hochwürden auf
+folgende Weise demonstriere. — Nebenbei möchte es eine Frage sein, ob
+nicht der Versuch eben so glücklich mit verschiedenen anderen Kapiteln
+angestellt werden könnte. Aber wie Euer Hochwürden zugeben werden, das
+Versuchanstellen über Kapitel geht ins Unendliche. Wir haben schon
+genug davon, und so mag's hierbei beruhen.</p>
+
+<p>Allein bevor ich meine Demonstration beginne, lassen Sie mich Ihnen
+nur noch sagen: das Kapitel, welches ich ausgerissen habe und an
+welchem Sie sonst, statt diesem, eben gelegen haben würden, war die
+Beschreibung des Rittes meines Vaters, meines Onkel Tobys, Trims und
+Obadiahs zu der Visitation zu ***.</p>
+
+<p>»Wir wollen in der Kutsche hinfahren,« sagte mein Vater. »Hör' Er,
+ist das Wappen geändert, Obadiah?« — Es würde meiner Erzählung viel
+Vorteil getan haben, wenn ich es damit angefangen hätte, Ihnen zu
+sagen, daß damals, als meiner Mutter Wappen zu dem Shandyschen gefügt
+und die Kutsche bei meines Vaters Verheiratung von neuem angemalt ward,
+es sich so gefügt hatte, daß der Kutschenmaler, es sei nun, daß er
+alles mit der linken Hand gemacht hatte wie Turpilius, der Römer, oder
+Hans Holbein von Basel, oder daß der Fehler mehr an seinem Kopfe als
+an seiner Hand lag, oder war's gar der unglückliche, schiefe Gang,<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span>
+welchen alles, was unsere Familie betraf, zu nehmen geneigt war. Genug,
+es fügte sich so zu unserer Kränkung, daß anstatt des Bandes, welches
+wir seit Heinrichs <em class="antiqua">VIII.</em> Zeiten mit Ehren führten, durch eine
+von diesen Fatalitäten ein Riemen quer durch das ganze Schild des
+Shandyschen Wappens gezogen wurde. Kaum sollte man es glauben, daß das
+Gemüt eines so vernünftigen Mannes wie mein Vater war, sich soviel aus
+einer solchen Kleinigkeit machen könne. Der Name Kutsche — gleichviel
+wessen — oder Kutscher, oder Kutschpferd, oder Kutscherlohn konnte
+niemals in seiner Gegenwart ausgesprochen werden, ohne daß er sich über
+dieses schändliche Malzeichen der Seitenabkunft auf seinen Kutschtüren
+beklagte. Er konnte niemals ein- oder aussteigen, er mußte erst die
+Wappen begucken. Er tat dann allemal ein Gelübde, das sollte doch das
+letztemal sein, daß er seinen Fuß hineinsetzte, bis aus dem Riemen ein
+Band gemacht würde. Aber es ging eben wie mit dem Türknarren. Es war
+eins von den vielen Dingen, von denen auf den Tafeln des Verhängnisses
+geschrieben war: es sollte immer vom Ändern und Bessern gesprochen, und
+— wie in weiseren Familien als der unserigen — nie was daraus werden.</p>
+
+<p>»Hat der Maler das Wappen an der Kutsche übergebürstet? sage ich,«
+sagte mein Vater. — »Die Kutsche inwendig und die Sitzkissen habe
+ich rein ausgebürstet,« antwortete Obadiah, »der Maler hat nichts
+gebürstet.« — »Wir wollen reiten,« sagte mein Vater zu Yorick. — »Von
+allen Dingen in der Welt, die Politik ausgenommen, ist die Heraldik den
+Geistlichen am wenigsten bekannt,« sagte Yorick. — »Das tut nichts,«
+sagte mein Vater. »Ich möchte doch nicht gerne mit einer solchen Sau
+in meinem Wappenschilde aufziehen.« — »Was ist's denn, ob der breite
+Strich rechts oder links durchs Schild geht,« sagte mein Onkel Toby. —
+»Wenn dir Band oder Riemen gleich ist, so kannst du<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> mit Tante Dinah
+und dem Riemen im Wappen zu der Visitation fahren, wenn du Lust hast.«
+—</p>
+
+<p>Mein armer Onkel Toby wurde rot im Gesicht. Mein Vater ärgerte sich
+über sich selbst. »Nein, mein lieber Bruder Toby,« sagte mein Vater
+und änderte den Ton. »Sieh nur, wenn ich lange auf den dumpfigen
+Kutschpolstern säße, da könnte ich wieder das Hüftweh an den Hals
+bekommen wie vorigen Dezember, Januar und Februar. Tue mir's also zum
+Gefallen und reite meiner Frau ihr Pferd. Und da Sie doch predigen
+sollen, lieber Yorick, so tun Sie wohl am besten, daß Sie vorausreiten
+und mich mit meinem Bruder Toby langsam nachfolgen lassen.«</p>
+
+<p>Das Kapitel nun, das ich gezwungen war, auszureißen, war die
+Beschreibung dieser Kavalkade, bei welcher Korporal Trim und Kutscher
+Obadiah auf zwei Kutschpferden in einem Gliede langsam als Patrouille
+voranritten, derweile mein Onkel Toby in seiner gestickten Montierung
+und Knotenperücke mit meinem Vater Rang und Reihe hielt in tiefen Wegen
+und Untersuchungen über den Vorzug der Lehr- und Wehrkunst, die die
+Oberhand gewinnen könnte.</p>
+
+<p>Das Gemälde dieser Reise, da ich sie wieder ansehe, hebt sich so weit
+über den Stil und die Manier alles übrigen, was ich vermochte in
+diesem Buche zu malen, daß es nicht darin bleiben konnte, ohne jeden
+anderen Auftritt zu verdunkeln und das nötige Ebenmaß — im Guten oder
+Schlechten — zwischen Kapitel und Kapitel zu stören, aus dem die
+richtige und harmonische Proportion eines ganzen Werkes entsteht. Ich
+selbst habe freilich das Handwerk noch nicht lange getrieben, um laut
+mitzusprechen. Aber, so meine ich, ein Buch schreiben ist in der Welt
+nichts weiter, als einen Gesang so vor sich hin in den Bart singen. —
+Wenn Sie nur in der Melodie bleiben, Madame, Sie mögen hoch oder tief
+anfangen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p>
+
+<p>Das ist, wenn Euer Hochwürden nicht ungütig vermerken wollen, die
+Ursache, warum einige der flachsten und schlechtesten Werke (mein Onkel
+Toby horchte bei dem Worte Werke schon hoch auf, ob nicht mehr von
+Fortifikationen vorkommen würde, als ihm Yorick eines Abends dieses
+sagte) so guten Abgang finden.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_58">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunundfünfzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Seht nur, schneidet er's nicht in lauter Fidibusse und teilt's herum,
+die Pfeifen damit anzuzünden!« — »Es ist schändlich,« antwortete
+Didius. — »Das sollte ihm nicht so frei hingehen,« sagte Doktor
+Kysarcius, einer von den Kysarciis aus den Niederlanden.</p>
+
+<p>»Mich dünkt,« sagte Didius, wobei er halb vom Stuhle aufstand, um eine
+große Kanne und eine kleine Weinflasche wegzurücken, die in gerader
+Linie zwischen ihm und Yorick standen, »diesen satirischen Streich
+hätten Sie hier wohl unterlassen, Herr Yorick, und an einem anderen
+Orte, bei einer schicklicheren Gelegenheit wenigstens, ihre Verachtung
+über unsere abgelegte Verrichtung anbringen mögen. Wenn die Predigt
+nicht mehr wert ist, als die Pfeife damit anzuzünden, mein Herr, so war
+sie gewiß nicht gut genug, vor einer so gelehrten Versammlung gehalten
+zu werden. Und war sie gut genug, vor einer so gekehrten Versammlung
+gehalten zu werden, mein Herr, so war sie gewiß zu gut, daß Sie hernach
+Ihre Pfeifen damit anzünden.«</p>
+
+<p>Ich habe ihn, sagte Didius bei sich selbst, in der Klemme. An einem der
+Gründe muß er hängen bleiben. Laß ihn sehen, wie er sich loshilft.</p>
+
+<p>»Die Geburt dieser Predigt,« sagte Yorick, »hat mir so unsägliche
+Schmerzen gekostet, daß ich Ihnen beteuere, Herr<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> Didius, lieber will
+ich — und womöglich mein Gaul mit mir — tausendmal die Märtyrerkrone
+verdienen, als mich noch einmal hinsetzen und eine ähnliche machen. Ich
+bin am verkehrten Ende davon entbunden. Sie ging mir vom Kopfe ab und
+sollte vom Herzen kommen. Und wegen der Wehen, die sie mir sowohl beim
+Aufschreiben wie beim Predigen gemacht hat, räche ich mich auf diese
+Weise an ihr. Eine Predigt, die den Umfang unserer Belesenheit oder die
+Feinheit unseres Witzes zeigen will vor den Augen des großen Haufens
+mit seinem bißchen Gelehrsamkeit, die mit einigen schimmernden Worten,
+die aber wenig Licht und noch weniger Wärme enthalten, überfirnißt
+ist, einen Schacher treiben, das ist eine unredliche Verwendung der
+armseligen, einzigen halben Stunde, die man uns wöchentlich einräumt.
+Das heißt nicht das Evangelium, das heißt sich selbst predigen. Ich
+meinesteils,« fuhr Yorick fort, »ich möchte lieber fünf Worte so
+schußgerade ans Herz —« Als Yorick das Wort schußgerade aussprach,
+stand mein Onkel Toby auf, um etwas über die Brustwehren zu sagen, als
+ein einziges Wort, das sich an der anderen Seite des Tisches hören
+ließ, aller Ohren auf sich zog. Ein Wort, das man unter allen im besten
+Wörterbuche, am wenigsten an diesem Orte erwarten sollte. Ein Wort,
+das ich mich schäme zu schreiben, aber geschrieben, gelesen werden
+muß; illegal, paradox. Spekulieren Sie auf zehntausend Spekulationen,
+in sich selbst multipliziert, recken und strecken Sie Ihre Einbildung,
+soviel Sie wollen, Sie treffen es nicht. Kurz, im nächsten Kapitel will
+ich's sagen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_59">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Blitz!« — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —</p>
+<p>— — — »B—tz!« rief Phutatorius halb leise, aber doch<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> so laut, daß
+es überall gehört wurde, und das Seltsame dabei war, daß es mit einer
+Miene im Gesicht und mit einem Tone in der Stimme ausgesprochen wurde,
+die etwas zwischen einem Erstaunen und einem körperlichen Schmerz
+anzeigte.</p>
+
+<p>Einer oder zwei, die sehr helle Ohren hatten, und das verschmolzene
+Verhältnis der beiden Töne ebenso deutlich unterscheiden konnten wie
+eine Terzie oder Quinte oder jeden anderen Klang in der Musik, wußten
+am allerwenigsten, was sie daraus machen sollten. Der Akkord an sich
+war gut, gehörte aber zu einer weitentlegenen Tonart. Kurz, mit aller
+ihrer Gelehrsamkeit saßen sie da!</p>
+
+<p>Andere, welche nichts von musikalischen Verhältnissen wußten und bloß
+ihr Ohr auf den Sinn des Wortes wendeten, dachten, Phutatorius, der ein
+wenig cholerischen Temperaments war, wollte Didius das Schwert aus der
+Hand nehmen, um Yorick tüchtig eins auf die Krone zu geben. Und das
+verzweifelte Wörtlein B—tz wäre die Einleitung zu einer Rede, die eine
+unsanfte Behandlung ankündigte, so daß meines Onkels Toby gutes Herz
+schon Angst für ihn hatte, was der arme Yorick nicht würde aushalten
+müssen. Als man aber sah, daß Phutatorius schwieg, ohne Lust zu zeigen
+oder einen Versuch zu machen fortzufahren, so fing eine dritte Partie
+an zu glauben, daß es nichts weiter gewesen sei als ein unfreiwilliges
+Atemschöpfen, so ganz von selbst und von ungefähr in einem Bettelfluch
+zusammengefahren wäre, ohne die Eigenschaft oder Sünde desselben zu
+haben.</p>
+
+<p>Andere, und besonders einer oder zwei, welche dicht bei ihm saßen,
+betrachteten es hingegen als einen wirklichen und wesentlichen Fluch,
+der mit Fleiß und Bedacht gegen Yorick ausgestoßen worden, gegen den er
+bekanntermaßen nicht gut gesinnt war. Welch besagter Fluch, nach meines
+Vaters<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Schlüssen darüber, schon in dem Augenblicke ganz geprickelt
+und prall in Herrn Phutatorius' Gallenblase obenauf geschwommen, und
+also natürlicherweise und nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge bei
+dem ersten Zurückfluß des Blutes hervorgerufen werden mußte, der in
+Phutatorius' rechter Herzkammer durch den überraschenden Stoß, den eine
+so sonderbare Predigertheorie ihm beibrachte, entstand.</p>
+
+<p>Wie witzig wir doch über mißverstandene Begebnisse philosophieren
+können!</p>
+
+<p>Es war keine Seele, die sich nicht in ihren Gedanken über das
+einsilbige Wort, das dem Phutatorius entfahren, beschäftigte, die es
+nicht für bekannt annahm und daraus als aus einem Vordersatz folgerte:
+daß nämlich Phutatorius in seinen Gedanken mit dem Zwist beschäftigt
+sei, der zwischen Didius und Yorick entstanden. Und freilich, da er
+erst den einen und dann den anderen mit der Miene eines Mannes ansah,
+der darauf achtet, was in der Gesellschaft vorgeht, so hatte man nicht
+anders denken können. In der Tat aber wußte Phutatorius kein Wort von
+allem, was vorging. Seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit waren
+gänzlich auf das gerichtet, was eben in dem Augenblicke in der Gegend
+seiner Pluderhosen, und zwar an einer Stelle in denselben vorging,
+die er vor bösen Zufällen zu bewachen die höchste Ursache hatte.
+Deswegen, obgleich er das aufmerksamste Gesicht von der Welt machte
+und allmählich jeden Nerv und jeden Muskel in seinem Gericht so scharf
+angezogen hatte, wie das Instrument es nur aushalten wollte, um, wie
+man dafür hielt, dem Yorick, der ihm gegenübersaß, eine derbe Antwort
+zu versetzen, so war doch, wie ich sage, kein Yorick in irgendeinem von
+den Gemächern von Phutatorius' Gehirn anzutreffen. Die wahre Ursache
+seiner Ausrufung lag wenigstens etliche Fuß tiefer.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p>
+
+<p>Ich will mich bemühen, Ihnen dieses mit aller ersinnlichen Züchtigkeit
+zu erklären.</p>
+
+<p>Sie müssen sich also berichten lassen, daß Gastripheres, der kurz
+vorher, ehe man sich zu Tische setzte, ein wenig in die Küche ging,
+um zu sehen, wie es darin stände, auf der Anrichtebank einen Korb
+mit schönen Kastanien erblickte und befohlen hatte, daß sie ein paar
+hundert davon braten und solche gleich zum Nachtisch heiß aufsetzen
+sollten. Gastripheres gab seinem Befehle dadurch noch einen größeren
+Nachdruck, daß er sagte, Didius und besonders Phutatorius wären
+Liebhaber davon.</p>
+
+<p>Ungefähr zwei Minuten vorher, ehe mein Onkel Toby Yoricks Rede
+unterbrach, wurden Gastripheres Kastanien hereingebracht. Und da es dem
+Aufwärter noch im frischen Andenken war, daß Phutatorius sie so gerne
+möchte, so setzte er solche dicht vor ihm hin, auf einem Teller in
+einem sauberen, damastnen Tellertuch.</p>
+
+<p>Lag es nun an der physischen Unmöglichkeit, daß nicht ein halbes
+Dutzend Hände zugleich in das Tellertuch fahren konnten, ohne daß
+die eine oder die andere Kastanie, von mehr Feuer und Rinde als die
+übrigen, in Bewegung geriet, oder — kurz, so war's: eine rollte über
+den Tisch und herunter. Und da Phutatorius mit auseinandergesperrten
+Knien daruntersaß, so fiel solche senkrecht in die ganz eigene Öffnung
+in Phutatorius' Beinkleidern, für welche ich, zur Schande unserer
+Sprache oder auch meines Gedächtnisses sei es gesagt, kein keusches
+Wort finden kann. Sie müssen sich damit begnügen, wenn ich sage, es war
+die ganz eigene Öffnung, welche, den strengen Wohlstandsgesetzen in
+allen hübschen Gesellschaften zufolge, gleich dem Tempel des Janus —
+in Friedenszeiten wenigstens — völlig geschlossen sein sollen.</p>
+
+<p>Die Verabsäumung dieser Vorsicht — welches zugleich<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> dem Phutatorius
+und allen Menschenkindern eine Warnung sein mag — hatte dem Zufall
+eine Pforte geöffnet.</p>
+
+<p>Alles, was mir als Geschichtschreiber obliegt, ist, das Begebnis
+darzustellen und es dem Leser glaublich zu machen, daß der Hiatus in
+Phutatorius' Beinkleidern geräumig genug war, die Kastanie aufzunehmen,
+und daß die Kastanie auf eine oder die andere Weise senkrecht und
+zischend heiß hineinfiel, ohne daß Phutatorius oder sonst jemand es
+gewahr wurde.</p>
+
+<p>Die natürliche Wärme, die die Kastanie verbreitete, war die ersten
+zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden nicht unangenehm und tat weiter
+nichts, als Phutatorius' Aufmerksamkeit auf die Stelle zu richten.
+Wie aber die Hitze gradweise zunahm und in einigen Sekunden mehr über
+den Punkt der angenehmen Empfindungen hinausging und darauf mit aller
+Eile in das Gebiet der Schmerzen drang, tummelte sich Phutatorius'
+Seele mit allen seinen Ideen, seinen Gedanken, einer Aufmerksamkeit,
+seiner Imagination, seinem Verstande, seinen Entschließungen, seinen
+Überlegungen, seinem Urteile, seinem Gedächtnisse, seiner Phantasie,
+mit zehn Bataillonen Lebensgeistern über Hals und Kopf durch
+verschiedene Wege und Steige hinunter nach dem Orte, dem die Gefahr
+drohte, und ließen alle seine oberen Plätze, wie Sie sich vorstellen
+können, so leer, wie mein Geldbeutel ist.</p>
+
+<p>Nach den besten Berichten, die ihm alle diese Boten zurückzubringen
+vermochten, war Phutatorius nicht imstande, das Geheimnis einzusehen,
+das unten vorging. Er hatte keine Art von Vermutung, was zum Henker es
+wohl sein möchte. Indessen, da er nicht wußte, wie die wahre Ursache
+ausfallen möchte, hielt er es für das klügste, es womöglich wie ein
+Stoiker zu ertragen, was er auch mit Hilfe einiger Zuckungen im Gesicht
+und einigem Maulspitzen glücklich durchgesetzt hätte, wenn nur seine
+Einbildung aus dem Spiele<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> geblieben wäre. — Aber bei Dingen von
+dieser Art ist die Brunst der Einbildung unbezähmlich; es hob sich
+plötzlich ein Gedanke in seinem Gemüt, daß, obgleich es einem Schmerz
+von glühender Hitze ähnlich sei, es dennoch ebensogut ein Biß wie ein
+Brand sein könnte, und wenn dem so, auch wohl eine Eidechse oder Otter
+oder ein anderes häßliches Ungeziefer heraufgekrochen sein könnte, das
+seine Zähne — der gräßliche Gedanke daran und ein frischer Schmerz,
+den ihm in diesem Augenblick die Kastanie verursachte, überfielen
+Phutatorius mit einem plötzlichen Schrecken, und in der ersten
+Überrumpelung und Bestürzung brachte es ihn — wie es wohl den besten
+Generälen auf der Welt ergangen ist — gänzlich aus seiner Fassung.
+Die Wirkung davon war, daß er gleich aufsprang, und im Aufspringen
+stieß er die Silbe aus, über die schon soviel gesprochen ist, mit dem
+Ausrufungszeichen dahinter, das, obgleich nicht so völlig geistig
+anständig, doch immer noch so wenig war, wie nur ein Mensch bei
+solcher Gelegenheit sagen konnte, und das auch, nebenbei bemerkt —
+geistig wohlanständig oder nicht — Phutatorius ebensowenig wie die
+Veranlassung desselben in seiner Gewalt hatte.</p>
+
+<p>Obgleich dies nun beim Erzählen einige Zeit weggenommen hat, so
+dauerte doch der ganze Vorgang selbst wenig mehr Zeit, als Phutatorius
+brauchte, die Kastanie hervorzulangen und solche mit Heftigkeit auf den
+Fußboden zu werfen, — und Yorick von seinem Stuhle aufzustehen und die
+Kastanie aufzuheben.</p>
+
+<p>Es ist der Mühe wert, zu bemerken, was für mächtigen Einfluß
+geringfügige Umstände auf das Gemüt haben, von was für einem
+unglaublichen Gewicht sie bei der Bildung und Richtung unserer
+Meinungen sowohl von Menschen als Sachen sind, — daß Kleinigkeiten, so
+leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele führen und ihn darin so
+tief<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span> einpflanzen können, daß keine Batterie von Demonstrationen stark
+genug ist, ihn herauszukanonieren.</p>
+
+<p>Yorick, sagte ich, nahm die Kastanie auf, die Phutatorius im Zorn
+niedergeworfen hatte. Die Tat war unerheblich; ich schäme mich, Grund
+und Ursache davon anzugeben. Er tat es aus keiner anderen Ursache, als
+weil er dachte, die Kastanie sei trotz der Begebenheit noch ebenso
+gut als vorher, und eine gute Kastanie sei immer des Aufnehmens wert.
+Dieser Umstand aber, so geringfügig er war, wirkte in Phutatorius' Kopf
+ganz anders. Er betrachtete Yoricks Handlung, da er vom Stuhle aufstand
+und die Kastanie aufnahm, als ein deutliches Geständnis seinerseits,
+daß die Kastanie eigentlich ihm gehöre, und folglich, daß es der Eigner
+der Kastanie und sonst niemand gewesen sein müßte, der ihm damit einen
+solchen Possen gespielt habe. Was ihn in dieser Meinung sehr bestärkte,
+war dies: die Tafel war länglich und sehr schmal, und Yorick, der dem
+Phutatorius gerade gegenübersaß, hatte die schönste Gelegenheit, die
+Kastanie hineinzustecken —, folglich mußte er es getan haben. Ein mehr
+als bloß argwöhnischer Blick, den Phutatorius jetzt auf Yorick warf,
+zeigte diese Meinung zu klar an. Da man natürlicherweise voraussetzte,
+daß Phutatorius mehr von der Sache wüßte als sonst jemand, so
+wurde seine Meinung die allgemeine, und aus einer von allen bisher
+angeführten sehr verschiedenen Ursache hielt man es in kurzer Zeit für
+völlig ausgemacht.</p>
+
+<p>Dieses, wie der Leser von Anfang bis Ende gesehen hat, war so grundlos
+wie die Träume der Philosophie. Yorick war freilich, wie Shakespeare
+von seinem Urahnen sagte, ein Mann, der Kurzweil trieb; aber seine
+Kurzweil war mit etwas vermischt, das ihn sowohl von diesem als manchen
+anderen beleidigenden Possen abhielt, die man ihm unverdienterweise
+aufpackte. Aber all sein Leben lang hatte er<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> das Unglück, daß man ihm
+tausend Dinge zur Last legte, die er gesagt oder getan haben sollte,
+deren seine Natur — oder meine Hochachtung blendet mich — unfähig
+war. Alles, was ich an ihm tadle, oder vielmehr, weswegen ich ihn
+bald tadle, bald liebe, war seine eigene Gemütsart, die ihm niemals
+gestattete, sich Mühe zu geben, der Welt aus ihrem Traume zu helfen,
+so sehr es auch in seiner Gewalt stand. Bei jeder üblen Nachrede von
+der Art machte er's gerade eben so, wie bei der Geschichte mit seinem
+mageren Klepper. Er hätte es zu seiner Ehre an den Tag legen können,
+aber sein Sinn war darüber erhaben. Überdem sah er auf den Erfinder,
+Verbreiter und gläubigen Hörer solcher boshaften und ehrenrührigen
+Sagereien verächtlich herab. Er konnte sich nicht so tief herablassen,
+ihnen seine Geschichte zu erzählen, und so erwartete er's von der Zeit
+und Wahrheit, daß die es für ihn tun würden.</p>
+
+<p>Diese heroische Gesinnung zog ihm mancherlei Unbequemlichkeiten zu.
+Bei der gegenwärtigen Geschichte folgte darauf eine rachsüchtige
+Feindschaft des Phutatorius, der, wie Yorick eben mit seiner Kastanie
+fertig war, zum zweiten Male vom Stuhle aufstand, um es ihm zu
+verstehen zu geben, welches er freilich nur mit einem Lächeln tat und
+den Worten, er wolle darauf bedacht sein, ihm die Gefälligkeit nicht zu
+vergessen. Allein, Sie müssen zwei Dinge sorgfältig unterscheiden und
+in Ihrem Herzen bewahren.</p>
+
+<p>Das Lächeln galt der Gesellschaft.</p>
+
+<p>Die Drohung galt Yorick.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_60">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p>
+
+<h2>Einundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Ja,« sagte Didius, indem er aufstand und seine rechte Hand mit
+ausgespreizten Fingern auf seine Brust legte, wäre ein solches Versehen
+mit dem Taufnamen vor der Reformation gemacht — es war vorgestern, da
+es gemacht wurde, sagte mein Onkel Toby bei sich selbst —, da noch der
+Taufaktus in Latein gehalten ward — nein, 's war in der Muttersprache,
+sagte mein Onkel —, so hatte vielerlei Irrtum dabei vorgehen können;
+nach dem Beispiele verschiedener dekretierter Fälle hätte dann die
+Taufe für null und nichtig erklärt und die Macht erteilt werden können,
+dem Kinde einen neuen Namen zu geben. Hätte zum Beispiel ein Priester,
+was wegen der Unwissenheit in der lateinischen Sprache so unerhört eben
+nicht war, Hans Graubarts Kind getauft: <em class="antiqua">in nomino patriæ et filia et
+spiritum sanctos</em>, so wäre die Taufe für ungültig gehalten worden.«
+— »Um Vergebung,« erwiderte Kysarcius, »in dem Falle wäre, da der
+Fehler nur in den Endungen steckte, die Taufe gültig geblieben. Um sie
+ungültig zu machen, hätte der Fehler des Priesters auf die erste Silbe
+eines jeden Namens fallen müssen, und nicht wie in Ihrem Beispiele, auf
+die letzte.«</p>
+
+<p>Mein Vater fand seines Herzens Freude an dergleichen Subtilitäten und
+hörte mit unendlicher Aufmerksamkeit zu.</p>
+
+<p>»Gastripheres zum Beispiel,« fuhr Kysarcius fort, »tauft Hans
+Strodlings Kind <em class="antiqua">in Gomine gatris etc. etc.</em> anstatt <em class="antiqua">in
+Nomine patris</em> usw., heißt das eine Taufe? — Nein, sagen die
+geschicktesten Kanonisten, um so weniger, weil die Wurzeln eines jeden
+Wortes aufgerissen und ihr Sinn auf einen entfernten und ganz andern
+Gegenstand verpflanzt worden. Denn <em class="antiqua">Gomine</em> heißt ebensowenig
+im Namen, als <em class="antiqua">gatris</em> eines Vaters.« — »Was heißen sie denn?«
+sagte mein Onkel Toby. — »Gar nichts,« sagte Yorick. »Ergo,« sagte
+Kysarcius,<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> »ist eine solche Taufe ungültig.« — »Was zu beweisen war,«
+antwortete Yorick in einem Tone von zwei Teilen Scherz und einem Teile
+Ernst.</p>
+
+<p>»In dem angeführten Falle aber,« fuhr Kysarcius fort, »wo <em class="antiqua">patrim</em>
+statt <em class="antiqua">patris</em>, <em class="antiqua">filia</em> statt <em class="antiqua">filii</em> usw. gesagt wird,
+ist das nur ein Fehler in der Endung, und die Wurzeln der Worte sind
+unangetastet, und ihre Äste, hierhin oder dorthin, können die Taufe
+nicht ungültig machen. Um so weniger als in den Worten derselbe Sinn
+bleibt wie vorher. — Und davon, mein lieber Herr Amtsbruder Didius,
+haben wir einen ähnlichen Fall in einem Dekrete der Dekretalien
+des Papstes Leo <em class="antiqua">III.</em>« — »Meines Bruders Kind,« rief mein
+Onkel Toby, »hat aber nichts mit dem Papste zu schaffen. Es ist ja
+erwiesenermaßen das Kind eines protestantischen Mannes, das man
+Tristram getauft hat gegen Wunsch und Willen seines Vaters, seiner
+Mutter und aller übrigen Blutsverwandten.«</p>
+
+<p>»Wenn nur der Wunsch und Wille,« sagte Kysarcius und fiel meinem Onkel
+Toby in die Rede, »derer ein Gewicht haben soll, die mit Herrn Shandys
+Kind in Blutsverwandtschaft stehen, so kommt Madame Shandy unter allen
+Menschen doch dabei am wenigsten in Betracht.« Mein Onkel Toby legte
+seine Pfeife nieder, und mein Vater rückte mit seinem Stuhle noch näher
+an den Tisch, um das Ende einer so seltsamen Einleitung zu hören.</p>
+
+<p>»Es ist nicht nur, mein Herr Kapitän Shandy, unter den besten
+Rechtslehrern und Advokaten des Landes,« fuhr Kysarcius fort,
+»die Frage aufgeworfen worden, <em class="gesperrt">ob die Mutter mit ihrem Kinde
+in Blutsverwandtschaft steht</em>, sondern sie ist wirklich nach
+vielen unparteiischen Untersuchungen und Hin- und Widerreden darüber
+verneinend entschieden, nämlich <em class="gesperrt">daß die Mutter keine Blutsverwandte
+ihres Kindes sei</em>.«</p>
+
+<p>Mein Vater legte den Augenblick seine Hand auf meines<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> Onkels Toby
+Mund, unter dem Scheine, als ob er ihm etwas ins Ohr flüsterte. In der
+Tat aber, weil er sein Maultier fürchtete. Und da er herzlich Lust
+hatte, über einen so hübschen Vorwurf noch mehr zu hören, so bat er
+meinen Onkel Toby, er möchte sie ihm doch um's Himmels willen nicht
+verderben. Mein Onkel Toby nickte mit dem Kopfe und begnügte sich
+damit, daß er seinen Regimentsmarsch in Gedanken pfiff. Kysarcius,
+Didius und Triptolemius fuhren mit dem Gespräch fort.</p>
+
+<p>»Diese Entscheidung,« sprach Kysarcius weiter, »so sehr sie auch gegen
+den Strom der allgemeinen Meinung anzuschwimmen scheinen mag, hat
+dennoch die Vernunft sehr auf ihrer Seite und ist durch den berühmten
+Rechtsfall, der nach dem Herzog von Suffolk genannt wird, außer allen
+Zweifel gesetzt werden.« — »Brook führte ihn an,« sagte Triptolemius.
+— »Und Lord Coke erwähnt seiner gleichfalls,« fügte Didius hinzu. —
+»Sie können ihn auch im Swimburn, von den Testamenten, finden,« sagte
+Kysarcius.</p>
+
+<p>»Der Rechtshandel, Herr Shandy, war dieser:</p>
+
+<p>Unter der Regierung Eduards <em class="antiqua">VI.</em> machte Karl, Herzog von Suffolk,
+der aus dem zweiten Bette einen Sohn und aus dem ersten eine Tochter
+hatte, sein Testament, darin er seine Güter dem Sohn vermachte, und
+starb darauf. Nach ihm starb der Sohn gleichfalls, aber ohne Testament,
+ohne Weib und ohne Kind. — Seine Mutter und seine Schwester von
+Vatersseite — denn sie war aus der ersten Ehe —, überlebten ihn. Die
+Mutter übernahm die Administration von ihres Sohnes Gütern, zufolge des
+einundzwanzigsten Artikels der Statuten Heinrichs <em class="antiqua">VIII.</em>, in dem
+es heißt: ›Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, so
+soll die Administration seiner Güter der Person anheimfallen, die mit
+ihm im nächsten Grade der Blutsverwandtschaft steht‹.</p>
+
+<p>Da also die Administration der Mutter zugestanden worden,<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> machte die
+Schwester von väterlicher Seite vor dem geistlichen Gerichte eine
+Klage anhängig, worin sie anführte: 1. daß sie selbst die nächste
+Blutsverwandte sei, und 2. daß die Mutter mit dem Erblasser in gar
+keiner Blutsverwandtschaft stände. Daher bat sie das Gericht, daß
+solches die der Mutter zugesprochene Administration widerrufen und ihr,
+vigore des besagten Artikels, als nächster Blutsverwandten zugeurteilt
+werden möge.</p>
+
+<p>Hierüber wurden, weil es ein wichtiger Prozeß war, an dessen Ausgang
+viel gelegen, und in der Folge mancher wichtiger Rechtshandel danach
+entschieden werden möchte, die gelehrtesten Männer, sowohl in den
+Rechten des engländischen Reichs als im Römischen Rechte konsultiert:
+ob die Mutter eine Blutsverwandte ihres Kindes sei oder nicht.
+Worüber dann nicht nur die weltlichen, sondern auch die geistlichen
+Rechtslehrer, die <em class="antiqua">Juris consulti</em>, die <em class="antiqua">Juris prudentes</em>,
+die Zivilsten, die Advokaten, die Kommissarien, die Richter der
+Konsistorial- und Prärogativgerichte zu York und Canterbury nebst den
+Doktoren und Lizentiaten alle einstimmig der Meinung waren: die Mutter
+sei keine Blutsverwandte ihres Kindes.«</p>
+
+<p>»Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu?« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>Das Unerwartete bei meines Onkels Toby Frage machte den Kysarcius
+verwirrter, als der geschickteste Advokat hätte tun können. — Er
+schwieg eine völlige Minute und sah meinem Onkel Toby starr ins
+Gesicht, ohne zu antworten. Und in der einzigen Minute warf ihn
+Triptolemius hinter sich und führte den Reihen wie folgt:</p>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowp100" id="p1441_ill" style="max-width: 59.375em;">
+ <img class="w100" src="images/p1441_ill.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<p>»In den Rechten ist es ein Grundsatz,« sagte Triptolemius, »daß die
+Dinge darin nicht aufsteigen, sondern absteigen; und ich zweifle nicht,
+daher muß es geleitet werden, daß, so wahr es ist, daß das Kind vom
+Blute der Eltern sein<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> mag, dennoch die Eltern nicht von seinem
+Blute sind. Da die Eltern nicht von dem Kinde gezeuget werden, sondern
+das Kind von den Eltern. Denn so steht geschrieben: <em class="antiqua">Liberi sunt de
+sanguine Patris et Matris, sed Pater et Mater non sunt de sanguine
+librorum.</em>«</p>
+
+<p>»Das beweiset aber zuviel,« rief Didius, »denn nach dieser angeführten
+Autorität würde nicht bloß das folgen, was in der Tat von allen Seiten
+zugestanden wird, daß die Mutter keine Blutsverwandte ihres Kindes
+ist, sondern der Vater ebensowenig.« — »Es wird auch für die beste
+Meinung gehalten,« sagte Triptolemius, »weil der Vater, die Mutter und
+das Kind, ob es gleich drei Personen sind, nur — <em class="antiqua">una caro</em> —
+ein Fleisch und folglich keinen Grad von Verwandtschaft ausmachen oder
+<em class="gesperrt">in der Natur</em> erlangen können.« — »Da treiben Sie Ihren Beweis
+abermals zu weit,« rief Didius. »Denn in der Natur ist kein Verbot
+wie im levitischen Gesetze, daß jemand mit seiner Großmutter ein Kind
+haben könne.« — »Das ist das <em class="antiqua">Argumentum commune</em>,« setzte Yorick
+hinzu. — »'s ist so gut,« sagte Eugenius, und nahm Seinen Hut in die
+Hand, »wie Sie's verdienen.«</p>
+
+<p>Die Gesellschaft brach auf.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_61">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Nun,« sagte mein Onkel Toby, der sich auf Herrn Yorick stützte,
+welcher ihm mit meinem Vater gemächlich die Treppen hinunterhalf.
+Erschrecken Sie nur nicht, Madame, dieses Treppengespräch ist nicht so
+lang wie das vorige. — »Nun, lieber Herr Yorick,« sagte mein Onkel
+Toby, »auf welche Art ist denn endlich die Sache mit Tristram von
+diesen gelehrten Männern entschieden?« — »Sehr hinlänglich,« versetzte
+Yorick. »Kein Sterblicher hat was damit zu schaffen,<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> mein lieber Herr
+Kapitän, denn Madame Shandy, die Mutter, ist nichts weniger als seine
+Blutsverwandte. Und da doch die mütterliche Seite die sicherste ist,
+so ist folglich Herr Shandy ihm noch weniger, als nicht. Kurz, er ist
+nicht so nahe mit ihm verwandt, Herr, wie ich —«</p>
+
+<p>»Das kann wohl sein,« sagte mein Vater mit Kopfschütteln.</p>
+
+<p>»Laß die Gelehrten sagen, was sie wollen, es muß doch gewiß eine Art,«
+sagte mein Onkel Toby, »von Blutsfreundschaft zwischen der Herzogin von
+Suffolk und ihrem Sohne gewesen sein.« —</p>
+
+<p>»Die Ungelehrten sind,« sagte Yorick, »noch bis auf diese Stunde
+ebender Meinung.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_62">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreiundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ob mein Vater gleich von den Subtilitäten dieser Unterredung mächtig
+gekitzelt ward, so ging's doch damit wie mit der Salbe auf einem
+gebrochenen Knochen. Sobald er zu Hause angekommen, fiel die Last
+seiner Betrübnis desto schwerer auf ihn zurück. Wie's immer zu gehen
+pflegt, wenn der Stab, worauf wir uns lehnten, ausweicht. Er geriet
+ins Nachdenken, ging häufig nach dem Fischteiche, ließ eine Krempe
+von seinem Hute nieder, seufzte öfters, fuhr niemand mehr hitzig an.
+Und da die schnellen Anwandlungen des Zorns, die einen Menschen so
+auffahren lassen, so sehr die Ausdünstung und Verdauung befördern, wie
+Hippokrates sagt, so wäre er gewiß aus Mangel daran krank geworden,
+wenn nicht noch eben zu rechter Zeit seine Gedanken davon abgekehrt und
+seine Gesundheit durch einen frischen Troß von Unruhen erlöst worden
+wäre, die ihm meine Tante Dinah mit einem Vermächtnis von fünf- bis
+sechstausend Talern hinterließ.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span></p>
+
+<p>Mein Vater hatte kaum den Brief gelesen, als er die Sache gleich beim
+rechten Zipfel faßte und seinen Kopf ängstete und plagte, wie er's am
+besten zur Ehre der Familie anlegen sollte. Wohl hundertundfünfzig
+wundersame Projekte nisteten sich, eins nach dem andern, in sein
+Gehirn. Er wollte dies tun und das — und das andere. — Er wollte nach
+Rom, es dem Papste abprozessieren, wollte Aktien kaufen, John Hobson
+sein Landgut abfeilschen, er wollte einen neuen Giebel vor seinem Hause
+heraufziehen und einen neuen Flügel dranbauen. An dieser Seite des
+Baches stand eine hübsche Wassermühle, und er wollte jenseits, gerade
+gegenüber, eine Windmühle bauen, der hübschen Symmetrie wegen. Vor
+allen Dingen aber in der Welt wollte er das große Ochsenmoor bestellen
+und meinen Bruder Bobby auf Reisen schicken.</p>
+
+<p>Da aber die Summe endlich war, und folglich nicht alles ausrichten
+konnte und in der Tat sehr wenig von all diesem gehörig und gut, so
+schienen von allen Projekten, die sich bei dieser Gelegenheit darboten,
+die beiden letzten den tiefsten Eindruck zu machen. Er würde sich auch
+gewiß zu beiden zugleich entschlossen haben, wenn's nicht der kleine,
+eben erwähnte Umstand gehindert hätte, der ihn allerdings in die
+Notwendigkeit versetzte, sich entweder für das eine oder das andere zu
+erklären.</p>
+
+<p>Dies war nicht so leicht geschehen; denn so gewiß es ist, daß mein
+Vater schon längst sein Herz auf diesen wesentlichen Teil der Erziehung
+meines Bruders eingestellt und wie ein kluger Mann beschlossen
+hatte, ihn von dem ersten Gelde, das ihm von der zweiten Dividende
+der Mississippiaktien einliefe, seine Reise antreten zu lassen, so
+hatte doch das Ochsenmoor, ein hübscher, großer, brachliegender,
+dem Shandyschen Gute zugehöriger Anger, fast ebenso alte Rechte und
+Ansprüche. Er hatte schon lange und ernstlich darauf gesonnen, es unter
+Pflug und Egge zu bringen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p>
+
+<p>Da ihn aber bisher noch kein solcher Zusammenfluß von Dingen gedrängt,
+auszumachen, welches von beiden das älteste oder beste Recht hätte, so
+hatte er sich wie ein weiser Mann enthalten, sich in eine kritische
+Untersuchung darüber einzulassen. Dergestalt also, daß, nachdem alle
+übrigen Projekte bei dieser Krise den Laufpaß erhalten, die beiden
+alten, das Ochsenmoor und mein Bruder darüber wieder unter sich
+stritten — sie waren einander dergestalt gewachsen, daß sie manchen
+nicht geringen Kampf im Kopfe des alten Herrn veranlaßten —, welches
+zuerst in Gang gebracht werden sollte.</p>
+
+<p>Die Leute haben gut lachen, die Sache war so:</p>
+
+<p>Es war beständig in der Familie Brauch gewesen und war durch die
+Verjährung gleichsam ein Recht geworden, daß der älteste Sohn, bevor er
+heiratete, in fremde Gebiete freien Ein-, Aus- und Zugang haben mußte.
+Nicht nur um durch die Leibesübung und häufige Veränderung der Luft
+ein eigenes persönliches Gebiet zu verbessern, sondern auch zum reinen
+Vergnügen seiner Phantasie. Daß man ihm, weil er sagen konnte, ich bin
+gereist, eine bunte Feder mehr in den Schwanz setzte. — <em class="antiqua">Tantum
+valet</em>, pflegte mein Vater zu sagen, <em class="antiqua">quantum sonat</em>.</p>
+
+<p>Da dieses nun ein vernünftiger und also ein allerchristlicher Brauch
+war — wenn man ihn ohne Warum und Weswegen aufsetzte — und dadurch
+das erste Exempel gegeben würde, daß ein Shandyscher Erbe nicht
+in einer Postchaise durch Europa kutschiert worden, und zwar bloß
+deswegen, weil er noch ein Knabe war, so hieß das ärger mit ihm
+umspringen, als mit einem Heiden und Türken.</p>
+
+<p>Auf der anderen Seite war der Fall des Ochsenmoores ebenso dringend.</p>
+
+<p>Den ersten Kaufschilling nicht mitgerechnet, der achthundert Louisdor
+betrug, hatte es der Familie schon vor fünfzehn Jahren noch andere
+achthundert an Prozeßkosten<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> gefressen. Der Himmel weiß, wie manchen
+Ärger und Verdruß man dadurch hatte.</p>
+
+<p>Überdem war es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein beständiges
+Eigentumsstück der Shandyschen Familie, und ob es gleich groß und
+breit vor dem Hause lag und man an einer Seite die Wassermühle sah und
+an der anderen die projektierte Windmühle sehen sollte, von der oben
+gesprochen worden — und aus allen diesen Gründen das begründetste
+Recht vor allen ändern Grundstücken auf die Pflege und Fürsorge der
+Familie zu haben schien: — so war es dennoch durch ein unbegreifliches
+Schicksal, dem sowohl die Menschen, wie der Grund, den sie betreten,
+unterworfen sind, — die ganze Zeit her schändlich übersehen worden.
+Es hatte, die Wahrheit zu gestehen, dadurch so sehr gelitten, daß dem
+Manne, sagte Obadiah, der wüßte, was Land wäre, und darüber ritte
+und sähe, in welchen kläglichen Umständen es läge, das Herz im Leibe
+darüber bluten müßte.</p>
+
+<p>Indessen, da weder der Ankauf dieses Grundstücks, noch seine Lage,
+so gut sie auch war, meines Vaters Werk waren, so hatte er gemeint,
+daß es ihn eigentlich nichts anginge. Bis vor fünfzehn Jahren der
+oben erwähnte verdammte Grenzprozeß losbrach, der als meines Vaters
+eigentümliche Tat und Handlung zugleich alle anderen Gründe zu seinem
+Besten aufweckte. Nachdem er sie alle aufgezählt hatte, fand er, daß er
+nicht nur des Nutzens, sondern auch der Ehre wegen verpflichtet sei,
+etwas dafür zu tun, und daß es jetzt Zeit sei oder niemals.</p>
+
+<p>Es muß ein Unglück dazu geschlagen sein, daß die Gründe auf beiden
+Seiten so völlig gleichwiegend waren. Denn ob mein Vater sie
+unter allen Umständen und in allerlei Gemütsverfassungen abwog —
+manche kummervolle Stunde in sehr tiefen und abstrakten Gedanken
+darüber hinbrachte, heute Bücher von der Landwirtschaft, morgen
+Reisebeschreibungen<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> las, alle Leidenschaften beiseitesetzte, die
+Gründe auf beiden Seiten mit allen ihren Umständen beleuchtete,
+täglich mit meinem Onkel Toby darüber Rat pflog, mit Yorick darüber
+philosophierte und über die ganze Sache, das Ochsenmoor betreffend, mit
+Obadiah sich besprach, so ergab sich doch in all der Zeit nichts, was
+so stark für das eine sprach, das sich nicht auch ganz genau auf das
+andere anwenden ließ, oder doch wenigstens durch eine oder die andere
+Rücksicht, von gleichem Gewicht, die Schalen gleichschwebend hielt.</p>
+
+<p>Soviel war unstreitig gewiß, wenn das Ochsenmoor in gute Hände geriet
+und gehörig bearbeitet würde, so müßte es ein ganz anderes Ansehen in
+der Welt haben, als es der Fall war oder in seiner jetzigen Verfassung
+jemals tun konnte. Das war aber auch, Obadiah mochte sagen, was er
+wollte, alles haarklein von meinem Bruder Bobby wahr.</p>
+
+<p>In Ansehung des Einträglichen, gestehe ich, schien der Streit dem
+ersten Augenblicke nach nicht so unentschieden unter den beiden; denn
+so oft mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und sich darüber her
+machte, zu berechnen, was die Ausgaben für Aufbrechen, Ausbrennen,
+Einhägen usw. des Ochsenmoors betrügen, und dagegen den sicheren
+Profit, den es ihm wieder bringen müßte, so war der letzte, auf die
+Art, wie er das Exempel ansetzte, so unglaublich überwiegend, daß man
+hätte schwören sollen, das Ochsenmoor müßte die Oberhand behalten.
+Denn es war klar, er müßte gleich das erste Jahr über hundert Last
+Rapssamen ziehen, die Last zu hundert Taler gerechnet. Hierauf das
+zweite Jahr eine vortreffliche Weizenernte. Das Jahr darauf, um es
+nur gering anzuschlagen, hundert, nach aller Wahrscheinlichkeit aber
+hundertfünfzig, wo nicht zweihundert Wispel Bohnen und Erbsen, nicht
+zu gedenken der unendlichen Menge Kartoffeln. — Aber dann klopfte der
+Gedanke, daß er derweile meinen Bruder auferzöge wie ein Schwein, das
+sie fressen sollte, wieder in<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> seinem Kopfe an und ließ den lieben
+alten Herrn in solcher Unentschlossenheit, daß er, wie er oft meinem
+Onkel Toby erklärte, ebensowenig wußte, was er tun sollte wie sein
+Absatz.</p>
+
+<p>Kein Mensch als er, der es gefühlt hat, kann sich vorstellen, was für
+eine Not es ist, wenn ein Mann von zwei Projekten von gleicher Stärke
+gezerrt wird, die ihn beide gleich hartnäckig in entgegenstehender
+Richtung ziehen und reißen. Denn, nicht zu gedenken der Verwüstung,
+die solches natürlicherweise in dem ganzen feineren Systeme der Nerven
+anrichten muß, welche, wie Sie wissen, die Lebensgeister und subtileren
+Säfte vom Herzen nach dem Haupte und so weiter führen: — so ist es
+nicht zu sagen, in was für einem hohen Grade ein so widersinniges
+Reiben schon auf die gröberen und solideren Teile wirkt, indem es,
+sooft es vorwärts geht oder rückwärts, allemal das Fett eines Mannes
+schmilzt und seine Kräfte schwächt.</p>
+
+<p>Mein Vater wäre diesem Übel erlegen, so gewiß als er dem mit meinem
+Taufnamen erlag, wäre er nicht aus diesem eben so erlöset, wie aus
+jenem: durch ein frisches Übel, das Unglück von meines Bruders Bobby
+Tod.</p>
+
+<p>Was ist des Menschen Leben! Ist's nicht bald hier, bald dort? Aus einer
+Sorge in die andere? Eine Ursache des Verdrusses zugeknöpft, eine
+andere wieder auf!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_63">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als mein Vater den Brief empfing, der ihm die traurige Nachricht von
+meines Bruders Bobby Tode gab, saß er eben über der Berechnung der
+Kosten der Extrapost für ihn von Calais nach Paris und so weiter nach
+Lyon.</p>
+
+<p>Es war eine unglückliche Reise. Mein Vater mußte jeden Schritt noch
+einmal durchreisen und seine Berechnung<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> von vorne wieder anfangen, als
+er bereits fast bis ans Ende gelangt war. Denn Obadiah machte die Türe
+auf, ihm zu sagen, es sei keine Hefe mehr im Hause, und ihn zu fragen,
+ob er nicht morgen früh das große Kutschpferd nehmen und hinreiten
+sollte, welche zu holen. »Meinethalben, Obadiah,« sagte mein Vater und
+ließ sich in seiner Reise nicht irremachen, »nehme Er das Kutschpferd
+und damit gut!« — »Aber es hat ein Eisen verloren, das arme Tier!«
+sagte Obadiah. — »Das arme Tier,« sagte mein Onkel Toby und
+wiederholte die Schwingungen der Note wie eine rein gestimmte Saite. —
+»So nehme Er den Schottländer,« sagte mein Vater hastig. — »Der ist
+so gedrückt, daß er um alles in der Welt keinen Sattel leiden kann,«
+sagte Obadiah. — »Mit dem Pferde ist auch immer was; so nehme Er den
+Patrioten,« rief mein Vater, »und mache Er die Türe zu.« — »Patriot
+ist verkauft,« sagte Obadiah. — »Da seh' mir einer!« schrie mein Vater
+und machte eine Pause und sah meinem Onkel Toby ins Gesicht, als ob die
+Sache sich nicht wirklich so verhalten könnte. — »Euer Gnaden befahlen
+mir ja im letzten April, daß ich ihn verkaufen sollte,« sagte Obadiah.
+— »Nun, so mag Er zu Fuß gehen,« rief mein Vater. — »Ich gehe auch
+lieber, als ich reite,« sagte Obadiah und machte die Türe zu.</p>
+
+<p>»Was für ein Geplage!« schrie mein Vater und fuhr mit seiner Berechnung
+fort. — »Aber die Wege stehen unter Wasser,« sagte Obadiah und machte
+die Türe wieder auf.</p>
+
+<p>Bis auf diesen Augenblick hatte mein Vater mit einer Karte von Sanson
+und einem Buche von den Postrassen vor sich seine Hand auf den Knauf
+des Zirkels gehalten, mit einer Spitze auf Nevers, als die letzte
+Station, welche er bezahlt hatte, — in der Absicht, von da mit seiner
+Reise und Berechnung weiterzugehen, sobald Obadiah aus der Türe wäre.
+— Dieser zweite Überfall von Obadiah aber, indem<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> er die Türe öffnete
+und das ganze Land unter Wasser setzte, war zu arg. — Er ließ den
+Zirkel fahren — oder vielmehr er warf ihn mit einer vermischten
+Bewegung von Zufall und Zorn auf den Tisch. Nunmehr blieb ihm nichts
+weiter übrig, als — wie manche andere — eben so klug wieder nach
+Calais zurückzugehen, wie er von dort abgereist war.</p>
+
+<p>Als der Brief ins Zimmer gebracht wurde, welcher die Nachricht von
+meines Bruders Tode enthielt, war mein Vater mit seiner Reise schon
+abermals so weit gekommen, daß der Zirkel nur noch einen Schritt tun
+durfte, so war er wieder auf der nämlichen Station zu Nevers. — »Mit
+Ihrer Erlaubnis, Herr Sanson,« drückte die Zirkelspitze durch Nevers
+in den Tisch und nickte meinem Onkel Toby zu, um zu sehen, was der
+Brief sagte. »Zweimal an einem Abend vor einem so lumpigen Städtchen
+als Nevers wieder umzukehren, ist für einen englischen Herrn und seinen
+Sohn zu viel, Herr Sanson. Ist's nicht wahr, Toby?« fügte mein Vater
+mit einem scherzhaften Tone hinzu. — »Es müßte denn eine Garnison
+darin liegen,« sagte mein Onkel Toby. — »Alsdann bin ich ein Geck,«
+sagte mein Vater lächelnd und bei sich selbst, »solange ich lebe.«
+— Damit nickte er zum zweiten Male, und indem er seinen Zirkel auf
+Nevers mit der einen und sein Buch von den Postrassen mit der anderen
+Hand hielt, halb rechnend und halb zuhörend, lehnte er sich mit seinen
+beiden Ellenbogen auf den Tisch. Mein Onkel Toby überlas leise den
+Brief. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>»Er ist abgereist,« sagte mein Onkel Toby. — »Wohin, wer?« rief mein
+Vater. — »Mein Neffe,« sagte mein Onkel Toby. — »Was, ohne Urlaub,
+ohne Geld und ohne Wechsel? Ohne Hofmeister?« rief mein Vater mit
+Erstaunen. — »Nein,<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> er ist gestorben, mein lieber Bruder,« sagte mein
+Onkel Toby. — »Und nicht krank gewesen?« schrie mein Vater wieder. —
+»Das kann ich nicht sagen,« sagte mein Onkel Toby mit leiser Stimme und
+holte dabei einen tiefen Seufzer aus dem Grunde seines Herzens. »Er
+ist krank genug gewesen, armer Knabe, dafür bin ich Bürge, denn er ist
+gestorben!«</p>
+
+<p>Als der Agrippina der Tod ihres Sohnes bekannt gemacht wurde, erzählt
+Tacitus, konnte sie die Heftigkeit ihres Schmerzes nicht mäßigen und
+habe ihre Beschäftigung abgebrochen. — Mein Vater steckte seinen
+Zirkel noch fester in Nevers hinein. — Was für Verschiedenheiten!
+Seins war freilich ein Rechnungsgeschäft. Agrippinas muß ein ganz
+anderes Geschäft gewesen sein, wie könnte man sonst Schlüsse aus der
+Historie ziehen wollen?</p>
+
+<p>Was mein Vater weiter tat, das verdient nach meiner Meinung ein eigenes
+Kapitel.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_64">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Und ein Kapitel soll es haben, und zwar ein Kapitel, das sich gewaschen
+hat. — Also nehmen Sie sich in acht!</p>
+
+<p>Es ist entweder Plato oder Plutarch, oder Seneka oder Xenophon, oder
+Epiktet oder Theophrast, oder Lucian — oder jemand anders vielleicht
+aus neueren Zeiten — Cordan oder Buddeus, oder Petrach oder Stella —,
+es kann auch wohl ein Gottesgelehrter oder Kirchenvater sein, welcher
+behauptet, daß es ein unwiderstehlicher und natürlicher Hang ist, den
+Verlust unserer Freunde oder Kinder zu beweinen. Seneka — dies weiß
+ich zuverlässig — sagt uns irgendwo, daß dergleichen Betrübnisse sich
+am besten durch diesen besonderen Kanal ausleeren. Demzufolge finden
+wir, daß David um seinen Sohn Absalom weinte, Adrian um seinen Sohn<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span>
+Antinous, Niobe um ihre Kinder, und daß Apollodorus und Krito beide um
+Sokrates Tränen vergossen, bevor er starb.</p>
+
+<p>Mein Vater behandelte seine Betrübnis auf eine andere Manier, und
+zwar ganz verschieden von den meisten Menschen unter den Alten oder
+Neueren; denn er weinte sie nicht etwa weg, wie die Hebräer und
+Lateiner, verschlief sie nicht wie die Lappländer, erhing sie nicht wie
+die Engländer und ersäufte sie nicht wie die Deutschen, noch fluchte,
+verdammte, bannte, reimte oder pfiff er sie weg.</p>
+
+<p>Er ward ihrer indessen doch los.</p>
+
+<p>Wollen Euer Hochwohlgeboren mir erlauben, daß ich hier eine Historie
+einschalte?</p>
+
+<p>Als Tullius seiner Tochter Tullia beraubt wurde, nahm er sich's anfangs
+sehr zu Herzen. Er hörte auf die Stimme der Natur, und nach dieser
+modulierte er seine eigene. — O meine Tullia! Meine Tochter! Mein
+Kind! Noch, noch, noch bist du's! warst es, o meine Tullia! Meine
+Tullia! Mich dünkt, ich sehe meine Tullia, ich höre meine Tullia, ich
+spreche mit meiner Tullia. — Allein sobald er sich im Zeughause der
+Philosophie umsah und bedachte, was sich über die Veranlassung für
+vortreffliche Sachen sagen ließen — kein Mensch auf der Welt vermag
+sich's vorzustellen —, sagte der große Redner, wie glücklich, wie
+fröhlich es ihn machte.</p>
+
+<p>Mein Vater dachte ebenso hoch von seiner Beredsamkeit wie Marcus
+Tullius Cicero nur immer von seiner. Und wenn ich nicht ganz und gar
+falsch berichtet bin, mit ebensoviel Grund. Es war wirklich seine
+Stärke — und seine Schwäche dazu. Seine Stärke, denn er war beredt
+von Natur. Seine Schwäche, denn sie spielte ihm stündlich Streiche.
+Wenn ein Vorfall in seinem Leben ihm nur Anlaß gab, seine Gaben zu
+zeigen oder etwas Kluges, Witziges oder Satirisches zu sagen — ein
+systematisches Unglück ausgenommen<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> —, so hatte er, was er wollte. Ein
+Glück, welches meines Vaters Zunge fesselte, und ein Unglück, welches
+solche auf eine gute Art in freien Gang setzte, waren ihm ziemlich
+gleich willkommen. Zuweilen gar das Unglück am angenehmsten; denn wenn
+zum Beispiel das Vergnügen des Redehaltens sich wie zehn, und der
+Verdruß des Unglücks nur wie fünf verhielt, gewann mein Vater Hundert
+auf Hundert, und befand sich folglich so wohl dabei, als wenn ihn gar
+nichts überkommen wäre.</p>
+
+<p>Aus diesem Knäuel entwickelt sich alles, was sonst in meines Vaters
+häuslichem Charakter zusammenhängend scheinen möchte. Nämlich,
+daß bei den Gelegenheiten zum Ärger, die die Nachlässigkeit oder
+Tölpelei des Gesindes oder andere in einer Haushaltung unvermeidliche
+Verdrießlichkeiten hervorbrachten, sein Zorn oder vielmehr die Dauer
+desselben niemals das war, was man vermutete.</p>
+
+<p>Mein Vater hatte eine kleine Stute, die er sehr liebte; dieser hatte
+er einen sehr schönen arabischen Hengst zugegeben, um ein Füllen für
+seinen eigenen Sattel von ihr zu erzielen. Er war lebhaft in allen
+seinen Projekten; also sprach er täglich von dem Füllen wie von einem
+wirklich vorhandenen Dinge, das schon geworfen, gezähmt, gezäumt und
+zum Reiten gesattelt vor seiner Türe stände, das er nur besteigen
+dürfte. Durch ein oder zwei Versehen des Obadiah kam es, daß aus meines
+Vaters Erwartung nichts anderes wurde als ein Maulesel, und zwar in
+seiner Art so häßlich, wie nur einer, der einen Esel zum Vater hat,
+sein kann.</p>
+
+<p>Meine Mutter und mein Onkel Toby meinten nicht anders, als mein Vater
+würde Obadiah den bittersten Dampf antun und das bittere Leben würde
+kein Ende nehmen. — »Nun seh Er einmal, Schäker,« rief mein Vater und
+wies auf den Maulesel, »was er gemacht hat!« — »Das habe<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> ich nicht
+getan,« sagte Obadiah. — »Woher kann ich das wissen?« versetzte mein
+Vater.</p>
+
+<p>Triumph über diese witzige Antwort schwamm in meines Vaters Auge. Das
+attische Salz brachte Wasser hinein. Und somit hörte Obadiah kein Wort
+weiter darüber.</p>
+
+<p>Nun laßt uns zurückkehren zu meines Bruders Tode.</p>
+
+<p>Die Philosophie hat auf jede Sache einen hübschen Spruch. Auf den Tod
+hat sie eine ganze Schnur voll; das Unglück war nur, daß sie alle auf
+einmal auf meines Vaters Kopf losstürzten und es schwer war, sie so
+aneinanderzureihen, daß ein hübsches beschauliches Ganzes daraus wurde.
+Er nahm sie also, wie sie kamen.</p>
+
+<p>»Es ist ein unvermeidliches Geschick. Das erste Gesetz im allgemeinen
+Gesetzbuche. Es ist eine unwiderrufliche Parlamentsakte, mein lieber
+Bruder: alles muß sterben. «</p>
+
+<p>»Wenn mein Sohn nicht hätte sterben können, das wäre Ursache zum
+Verwundern gewesen, nicht, daß er gestorben ist. Monarchen und Prinzen
+tanzen mit uns in einem Reigen.</p>
+
+<p>Sterben ist der große, der Nation schuldige Zoll und Tribut. Gräber
+und Monumente, die unser Gedächtnis verewigen sollten, bezahlen solche
+selbst, und die stolzeste Pyramide unter allen, die Reichtum und Kunst
+errichtet, hat ihre Spitze verloren und liegt dort in großen Trümmern
+in entferntem Anblicke des Wanderers.« Mein Vater fand, daß es ihm
+sehr gut tat, und fuhr fort: »Ganze Reiche und Länder, und Flecken
+und Städte, haben sie nicht ihre Perioden? Denn wenn die Prinzipia
+und Kräfte, welche sie zuerst gründeten und zusammenfügten, ihre
+verschiedenen Evolutionen bewirkt haben, so fallen sie zusammen.« —
+»Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby bei dem Worte Evolutionen
+und legte seine Pfeife nieder. — »Revolutionen wollte ich sagen,«
+unterbrach ihn mein Vater, »wahrhaftig, Revolutionen wollte ich sagen,
+Bruder Toby; Evolutionen ist Unsinn.« — »Unsinn<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> ist's doch auch
+nicht,« sagte mein Onkel Toby. — »Aber ist's nicht Unsinn, den Faden
+eines solchen Gesprächs über eine solche Veranlassung zu zerreißen?«
+rief mein Vater. »Höre, lieber Toby,« fuhr mein Vater fort und faßte
+ihn bei der Hand, »höre, höre, ich bitte dich, unterbrich mich nicht in
+dieser Krisis!« — Mein Onkel Toby nahm seine Pfeife in seinen Mund.</p>
+
+<p>»Wo ist Troja und Mykenä, und Theben und Delos, und Persopolis und
+Agrigent?« fuhr mein Vater fort, wobei er sein Buch von den Postrassen
+wieder aufnahm, das er niedergelegt hatte. »Wo, mein Bruder Toby,
+wo sind Ninive und Babylon, und Cizicum und Mitileno geblieben? Die
+schönsten Städte, über welche jemals die Sonne aufgegangen, sind jetzt
+nicht mehr da. Die Namen sind nur noch übrig, und diese — denn viele
+davon werden falsch buchstabiert - zerstäuben auch schon wie Wurmmehl
+und werden mit der Zeit vergessen und mit allen anderen Dingen in eine
+ewige Nacht gehüllt werden. Die Welt selbst, Bruder Toby, muß, muß ein
+Ende nehmen.</p>
+
+<p>Auf der Rückkehr aus Asien, da ich von Ägina nach Megara segelte« —
+wann mag das wohl gewesen sein, dachte mein Onkel Toby —, »begann
+ich das Land umher zu beschauen. Ägina lag hinter mir, Megara vor
+mir, Pyräus zu meiner Rechten, Korinth zur Linken. Was für blühende
+Städte, nun liegen sie auf der Erde im Staube! Ach, ach! sagte ich zu
+mir selbst, daß einen Mann die Ruhe seiner Seele stören kann über den
+Verlust eines Kindes, wenn so gewaltige Trümmer so fürchterlich vor
+seinem Anblicke liegen. Bedenke, sagte ich abermals zu mir selbst,
+bedenke, du bist ein Mensch!«</p>
+
+<p>Nun sehen Sie, mein Onkel Toby wußte nicht, daß dieser letzte Paragraph
+ein Auszug aus Servius Sulpicius' Trostschreiben an den Cicero war.
+Der ehrliche Mann war<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> ebensowenig in den Fragmenten wie in den ganzen
+Stücken der Altertümer bewandert. Und da mein Vater, als er noch Anteil
+am Handel hatte, drei bis vier Reisen nach der Levante gemacht und
+einmal ganze anderthalb Jahre sich zu Zanthen aufgehalten hatte, so kam
+mein Onkel Toby natürlich auf den Gedanken, mein Vater müsse einstmals
+einen Abstecher durch den Archipelagus nach Asien gemacht haben, und
+daß dieser ganze Segeleikram, mit Ägina hinten, Megara vorne und Pyräus
+zur Rechten usw. nichts anderes sei, als der wahre Weg und Lauf der
+Reise und der Betrachtungen meines Vaters.</p>
+
+<p>Es war ganz in seiner Manier; mancher Kritikus würde wohl zwei
+Stockwerke höher auf noch schlechterem Grund gebaut haben. — »Sage mir
+doch, Bruder,« sagte mein Onkel Toby und legte das Ende seiner Pfeife
+auf meines Vaters Hand, als eine freundschaftliche behende Art des
+Indieredefallens, wobei er jedoch wartete, bis sein Bruder einen Punkt
+machte, »in welchem Jahre unseres Herrn war das?« — »In keinem Jahre
+unseres Herrn,« versetzte mein Vater. — »Das ist unmöglich!« rief mein
+Onkel Toby. — »Du Taubenkopf,« sagte mein Vater, »es war vierzig Jahre
+vor Christi Geburt.«</p>
+
+<p>Meinem Onkel Toby blieb nur unter zwei Dingen die Wahl: entweder zu
+glauben, sein Bruder sei der ewige Jude oder der Verlust seines Sohnes
+habe ihm das Gehirn verrückt. »Gott im Himmel und auf Erden möge ihn
+beschützen und genesen lassen!« sagte mein Onkel Toby, indem er mit
+Tränen in den Augen still in seinem Herzen für meinen Vater betete.</p>
+
+<p>Mein Vater brachte die Tränen gehörig in Rechnung und fuhr frisch mit
+seiner Rede fort.</p>
+
+<p>»Es gibt keine so große Ungleichheit, Bruder Toby, zwischen Gutem und
+Bösem, wie sich die Welt einbildet« —<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> diese Art zu beginnen, war,
+beiläufig gesagt, eben nicht sehr tüchtig, meinem Onkel Toby seinen
+Argwohn zu benehmen —; »Arbeit, Sorgen, Betrübnis, Krankheit, Not und
+Mangel sind Brühen über das Leben.« — »Wünsche wohl zu bekommen!«
+sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.</p>
+
+<p>»Mein Sohn ist tot! — Desto besser. Eine Schande wär's, in einem
+solchen Sturme nur einen Anker zu haben.</p>
+
+<p>Allein er hat uns verlassen und kehrt nicht wieder! Mag's! Er ist nur
+den Händen seines Barbiers entronnen, ehe ihm sein Haar ausfiel. Er ist
+nur von einer Mahlzeit aufgestanden, ehe er den Magen überladen hat,
+von einem Gelage, ehe er trunken worden.</p>
+
+<p>Die Thrazier weinten, wenn ein Kind geboren wurde« — »und wir waren
+auch nicht weit davon,« sagte mein Onkel Toby —, »und schmausten und
+lebten fröhlich, wenn ein Mensch aus der Welt ging; und das mit Recht.
+Der Tod öffnet die Pforte des Nachruhms und schließt die Pforte des
+Neides hinter sich zu. Er entledigt den Gefangenen von seinen Ketten
+und gibt das Werk des Tagelöhners den Händen eines anderen.</p>
+
+<p>Zeige mir den Mann, der weiß, was das Leben ist, der es fürchtet, und
+ich zeige dir einen Gefangenen, der seine Freiheit scheut.</p>
+
+<p>Ist es nicht besser, mein lieber Bruder Toby — denn merke dir, unsere
+Lüste sind eigentliche Gebrechen —, ist es nicht besser, gar keinen
+Hunger zu haben, als zu essen? Keinen Durst, als eine Mixtur zu nehmen,
+um ihn zu stillen?</p>
+
+<p>Der Tod ist nichts Grauenvolles, Bruder Toby, in seinen Blicken, als
+was er vom Ächzen und den Zuckungen borgt, und von dem Nasenschneuzen
+und Augenwischen mit den Gardinenzipfeln in dem Krankenzimmer eines
+Sterbenden. Nimm ihm das, was bleibt er?« — »Er ist besser in der
+Schlacht als auf dem Bette,« sagte mein Onkel Toby. — »Nimm<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> ihm
+seine Bahre, seine feierliche Stille, seinen schwarzen Flor, seine
+Federbüsche, Sargschilde und andere solche mechanische Hilfsmittel,
+was bleibt er? Besser in der Schlacht?« fuhr mein Vater lächelnd
+fort, denn meinen Bruder Bobby hatte er rein vergessen. »Nirgends
+ist er furchtbar. Denn sieh nur, Bruder Toby: wenn wir sind, so ist
+der Tod nicht; und ist der Tod, so sind wir nicht.« — Mein Onkel
+Toby legte seine Pfeife nieder, um den Satz nachzudenken. Meines
+Vaters Beredsamkeit war zu reißend, um auf einen Menschen zu warten,
+fortströmte sie, und zog meines Onkel Tobys Ideen mit sich dahin.</p>
+
+<p>»Deswegen ist es,« fuhr mein Vater fort, »der Mühe wert zu bemerken,
+wie wenig Schrecken die Annäherung des Todes großen Männern
+verursacht hat. Vespasianus starb scherzend auf seinem Nachtstuhle,
+Galba mit einem Sittenspruche, Septimus Severus machte eben eine
+Depesche, Tiberius machte jemandem etwas weis, und Cäsar Augustus ein
+Kompliment.« — »Ich hoffe, es war ein aufrichtiges,« sagte mein Onkel
+Toby.</p>
+
+<p>»Es war an seine Gemahlin,« sagte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_65">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Sechsundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Und endlich und zuletzt — denn unter allen den ausgewählten
+Anekdoten, welche die Geschichte über diese Materie aufweisen kann,«
+fuhr mein Vater fort — »ziert diese wie ein vergoldetes Kuppeldach das
+ganze Gebäude.</p>
+
+<p>Es ist die von Kornelius Gallus, dem Prätor, die du gewiß gelesen
+hast, Bruder Toby.« — »Ich habe sie gewiß nicht gelesen,« erwiderte
+mein Onkel. — »Er starb,« sagte mein Vater, »als er — — — — — —
+—«<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> — »Nun, wenn's seine Ehefrau war,« sagte mein Onkel Toby, »so
+konnte nichts Anstößiges dabei sein.« — »Das ist mehr, als ich weiß,«
+versetzte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_66">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Meine Mutter ging eben ganz leise im Finstern den Gang entlang, der auf
+die Stube stieß, als mein Onkel Toby das Wort Ehefrau aussprach. Das
+Wort ist an sich schon sehr tönend, und Obadiah war ihm noch dadurch
+zu Hilfe gekommen, daß er die Türe nur ans Schloß gelehnt hatte, so,
+daß meine Mutter genug davon hörte, um zu glauben, man spräche eben
+von ihr. Sie legte deswegen einen Finger über ihre beiden Lippen,
+hielt den Atem an, beugte den Kopf ein wenig seitwärts nieder, nicht
+nach der Türe hin, sondern davon ab, daß ihr Ohr an die Spalte kam,
+und horchte aus allen Kräften. Der römische Horcher mit der Göttin des
+Stillschweigens hinter sich, könnte keinen schöneren Gedanken zu einem
+Gemmenschnitt gegeben haben.</p>
+
+<p>In dieser Stellung bin ich willens, sie fünf Minuten stehen zu lassen,
+bis ich die Sachen in der Küche zu ebender Periode geführt habe.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_67">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Unser Junker in London ist tot!« sagte Obadiah.</p>
+
+<p>Ein grüner Atlasmorgenrock meiner Mutter, der schon zweimal aufgeputzt
+worden, war die erste Idee, welche Obadiahs Ausrufung in Susannas Kopf
+brachte. Locke hatte wohl recht, ein Kapitel über die Unvollkommenheit
+der Worte zu schreiben. »Nun,« sagte Susanna, »so müssen wir alle<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span>
+trauern.« — Aber merken Sie's noch einmal: das Wort trauern,
+ungeachtet Susanna es selbst brauchte, verfehlte dennoch seine Wirkung.
+Es erweckte keine einzige in Schwarz oder Grau gefärbte Idee, alles war
+grün, der grüne Atlasmorgenrock hing noch da.</p>
+
+<p>»O! meine arme Madame wird den Tod davon bekommen,« rief Susanna. Nun
+folgte meiner Mutter ganzer Kleidervorrat. Was für eine Prozession!
+Ihr rotdamastnes, ihr orangefarbenes, ihr weiß und gelb gestreiftes,
+ihr braun taffetnes Kleid, ihre Spitzenkopfzeuge, ihre Morgenröcke
+und ausgenähten Unterröcke. Alles, bis auf den geringsten Lappen,
+ging durch die Musterung. »Nein, das überlebt sie gewiß nicht,« sagte
+Susanna.</p>
+
+<p>Wir hatten ein dickes, närrisches Küchenmensch, mein Vater, glaube ich,
+behielt sie wegen ihrer Einfalt. Sie hatte sich den ganzen Herbst mit
+der Wassersucht geschleppt. »Er ist tot!« sagte Obadiah. »Er ist ganz
+gewiß tot!« — »Ich nicht,« sagte das närrische Küchenmensch.</p>
+
+<p>»Das gibt hier betrübte Zeiten, Trim!« rief Susanna und wischte sich
+die Augen, als Trim in die Küche trat. »Junker Bobby ist tot und
+begraben.« Das Begräbnis war eine Interpolation von Susannas Erfindung.
+»Nun müssen wir alle trauern,« sagte Susanna.</p>
+
+<p>»Das hoffe ich nicht,« sagte Trim. — »Er hofft nicht!« sagte Susanna
+ganz ernsthaft. Die Trauer mochte noch so sehr in Susannens Kopfe
+herumlaufen, in Trims kam sie nicht. — »Ich hoffe,« sagte Trim, sich
+deutlicher zu erklären, »ich hoffe zu Gott, die Nachricht soll falsch
+sein.« — »Den Brief habe ich mit meinen eigenen Ohren lesen hören,«
+antwortete Obadiah. »Und nun werden wir 'n hübsch Stück Arbeit kriegen,
+mit dem alten Ochsenmoore, das werden wir nun wohl roden und reuten
+müssen.« — »O! er ist tot,«<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> sagte Susanna. — »So tot,« sagte das
+Küchenmensch, »als ich lebe.«</p>
+
+<p>»Ich beklage ihn von ganzem Herzen,« sagte Trim mit einem Seufzer. —
+»Der arme Mensch! Der arme Junker! Der arme Herr!«</p>
+
+<p>»Vorige Pfingsten tat er noch leben,« sagte der Kutscher. —
+»Pfingsten! Ach was hat Pfingsten, Jonathan,« — so hieß der Kutscher
+— rief Trim und streckte seinen rechten Arm aus, »oder Fasten oder
+alles, was vorbei ist, damit zu tun? Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr
+der Korporal fort — er stieß dabei mit seinem Stecken perpendikulär
+auf den Boden, um gleichsam eine Idee von Gesundheit und Festigkeit zu
+geben —. »Und sind wir nicht« — dabei warf er seinen Hut auf den Flur
+— »dahin in einem Hui!« — Es war ordentlich rührend! Susanna brach in
+eine Tränenflut aus. »Wir sind weder Stein noch Stöcke.« — Jonathan,
+Obadiah, die Köchin, alle wurden weichherzig. Das dicke Küchenmensch
+selbst, das eben einen Fischkessel auf den Knien hatte und scheuerte,
+ward davon angegriffen. Die ganze Küche drängte sich um den Korporal
+herum.</p>
+
+<p>Da ich nun ganz deutlich gewahr werde, daß die Erhaltung unserer
+Konstitution im kirchlichen und weltlichen Staate, und wohl gar die
+Erhaltung der ganzen Welt, oder was einerlei ist, die Verteilung
+und das Gleichgewicht des Vermögens und der Gewalt in derselben in
+der Beredsamkeit des Korporals vorkommen kann, so bitte ich um dero
+Aufmerksamkeit. Euer Hochwürden, Wohlgeboren können allemal wieder zehn
+Seiten hindurch, an welcher andern Stelle des Buches Sie wollen, ganz
+ruhig schlafen.</p>
+
+<p>Ich sagte: wir wären weder Steine noch Stöcke, ganz gut. Ich hätte
+hinzufügen sollen, auch keine Engel — ich wollte, wir wären's!
+—, sondern Mensch in Fleisch gekleidet und von unserer Einbildung
+beherrscht. Und was es zwischen der<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> und unseren sieben Sinnen,
+besonders einigen darunter, für ein herrliches Stück Arbeit setzt, für
+meinen eigenen Teil muß ich's gestehen, schäme ich mich zu bekennen.
+Laß es genug sein, zu behaupten, daß von allen diesen Sinnen das
+Gesicht — denn dem Gefühle spreche ich's ohne weiteres ab — den
+schnellsten Verkehr mit der Seele hat, einen härteren Anstoß gibt
+und etwas Unaussprechlicheres in der Phantasie läßt, als Worte weder
+annehmen oder auch zuweilen los werden können.</p>
+
+<p>Ich bin ein wenig umhergeschlendert — tut nichts! 's ist der
+Gesundheit halber! — Laß uns nur wieder in Gedanken zur Sterblichkeit
+und zu Trims Hut zurückkehren. »Sind wir nicht jetzund hier, und in
+einem Hui dahin?« Was steckte denn wohl in den Worten? — Es war eine
+von den unbescholtenen Wahrheiten, die wir das Glück haben können, alle
+Tage zu hören; und hätte sich Trim nicht auf seinen Hut mehr verlassen
+können, als auf seinen Kopf, nichts hätte er damit ausgerichtet.</p>
+
+<p>»Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr der Korporal fort, »und sind wir
+nicht« — wobei er seinen Hut plump auf die Fliesen fallen ließ und
+pausierte, ehe er das Wort sagte — »dahin in einem Hui?« Der Fall des
+Hutes war so, als ob ein schwerer Klumpen Ton in den Kopf geknetet
+gewesen wäre. Nichts hätte das Gefühl der Sterblichkeit, von dem er
+der Vorläufer und das Vorbild war, so gut auszudrücken vermocht. Seine
+Hand schien darunter zu verschwinden. Er fiel wie tot. Des Korporals
+Auge war darauf geheftet wie auf eine Leiche. Susanna brach in eine
+Tränenflut aus.</p>
+
+<p>Nun gibt es zehntausend und zehntausendmal zehntausend — denn Materie
+und Bewegung sind unendlich — Art und Weisen, wie man einen Hut
+auf die Erde fallen lassen kann, ohne daß es wirke. Hätte er ihn
+geschleudert, geschlenkert, geworfen, hingeschmissen, hingegossen, oder
+ihn in irgendeiner<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> möglichen Richtung unter der Sonne sinken oder
+fallen lassen, oder in der besten Richtung, die man ihm geben könnte,
+hätte er ihn fallen lassen wie einen Gänsekopf, wie ein Tölpel, wie
+ein Esel, oder hätte er dabei, oder auch nur nachher ausgesehen wie
+ein Dummbart, wie ein Tropf, wie ein Gimpel — vorbei war's, und die
+Wirkung aufs Herz wäre verloren gegangen.</p>
+
+<p>Ihr, die ihr diese mächtige Welt und ihre mächtigen Angelegenheiten
+mit der Esse der Beredsamkeit regieret. — Die ihr sie erhitzt und
+kältet und schmelzt und zerlaßt und dann wieder härtet, ihr, die ihr
+die Leidenschaften mit diesem Hebezeuge kehrt und wendet, und wenn
+es geschehen, die Besitzer derselben dahinbringt, wohin ihr wollt.
+Ihr endlich, die ihr Menschen wie Truthähne mit einer Gerte und rotem
+Haderlumpen zu Markte treibt, und, warum auch nicht ihr, die ihr euch
+so treiben laßt — zieht eure Anmerkungen — zieht eure Anmerkungen,
+ich bitte euch, aus Trims Hute.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_68">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunundsechzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Halt! — Ich habe eine kleine Rechnung mit dem Leser abzutun, ehe Trim
+mit seiner Rede fortfahren kann. — In zwei Minuten soll's geschehen
+sein.</p>
+
+<p>Unter verschiedenen anderen Buchschulden, welche ich zu gehöriger
+Zeit alle entrichten werde, bekenne ich mich als ein Schuldner der
+Welt wegen zwei Items. Ein Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern,
+welche ich in den vorhergehenden Kapiteln meines Werkes versprach und
+willens war, noch dies Jahr abzubezahlen. Da mir aber einige von dero
+Hochwürden und Wohlgeboren sagten, daß diese Subjekte, so miteinander
+verbunden, besonders die Moral der Welt in Gefahr bringen möchten, so
+ersuche ich, daß man mir die<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern
+schenken möge, und daß man an deren Stelle das letzte für Lieb und
+Willen nehmen wolle, welches, mit Euer Hochwürden Wohlnehmen, weiter
+nichts ist, als ein Kapitel von Kammerzofen, grünen Schlafröcken und
+alten Hüten.</p>
+
+<p>Trim nahm den seinigen von der Erde auf, setzte ihn auf seinen Kopf und
+fuhr darauf in seiner Rede vom Tode fort, auf die Art und Weise, wie
+folgt.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_69">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Für uns, Jonathan, die wir keine Sorgen und keinen Mangel kennen, die
+hier im Dienste sind, bei zwei der besten Herren (ausgenommen, was mich
+anbelangt, Seine königliche Majestät, König Wilhelm <em class="antiqua">III.</em>, dem
+ich die Ehre gehabt habe zu dienen, sowohl in Irland wie in Flandern),
+ja, das gestehe ich, da ist von Pfingsten bis Advent nicht lange. Es
+ist fast nichts; aber für diejenigen, die den Tod recht kennen und
+wissen, was er für eine Zerstörung Jerusalems anrichten kann, ehe sich
+ein Mensch einmal auf seinem Absatze herumdrehen kann, ja, für die
+ist's eine lange Zeit. — O, Jonathan, einem gutherzigen Menschen muß
+das Herz im Leibe bluten,« fuhr der Korporal Trim fort und richtete
+sich stramm auf, »wenn man bedenkt, wie mancher ehrliche, brave Kerl
+seit der Zeit tief unter die Erde gesteckt worden! — Und glaube mir
+nur, Suschen,« fügte der Korporal hinzu und wendete sich an Susanna,
+deren Augen im Wasser schwammen, »ehe diese Zeit wieder herumkommt,
+wird auch manch helles Auge dunkel sein.« — Susanna ließ das Wort
+nicht auf die Erde fallen, sie weinte, aber sie knickselte auch. —
+»Sind wir nicht,« fuhr Trim fort und sah dabei immer die Susanna an,
+»sind wir nicht wie eine Blume auf dem Felde?« — Ein Hochmutstränchen<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span>
+schlich sich zwischen jedes Paar Tränen der Demut, sonst hätte keine
+Zunge Susannas Betrübnis aussprechen können. »Ist nicht alles Fleisch
+wie Heu? Es ist Leim, es ist Kot.« Alle sahen den Augenblick auf das
+Küchenmädchen, das eben einen Fischkessel scheuerte. Es war nicht recht.</p>
+
+<p>»Was ist das niedlichste Geschöpf, das jemals ein Mann angesehen hat!«
+— »Ich könnte es gar nicht müde werden, Trim so sprechen zu hören,«
+sagte Susanna. — »Was ist es?« — Susanna legte ihre Hand auf Trims
+Schulter — »als Koder und Moder!« Susanna zog ihre Hand zurück.</p>
+
+<p>»Dafür eben mag ich euch leiden. Diese herzlabende Mixtur in euch,
+teure Geschöpfe, macht euch zu dem, was ihr seid. Wer euch deswegen
+hasset, der — alles, was ich dazu sagen kann, ist —, der hat entweder
+einen Kürbis statt des Kopfes auf dem Rumpfe, oder einen Holzapfel
+statt des Herzens im Leibe. Wenn er anatomiert wird, wird sich's
+zeigen, daß ich recht habe.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_70">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ob Susanna dadurch, daß sie die Hand zu plötzlich von Trims Schulter
+zog (da sich ihre Leidenschaft so schnell herumwarf) die Kette seiner
+Betrachtungen ein wenig unterbrach, oder ob der Korporal zu argwöhnen
+begann, daß er dem Magister ins Gehege geraten, und mehr wie ein
+Prediger als in seiner eigenen Person redete, oder ob — — — — —
+— Oder ob —, denn in allen solchen Fällen kann ein erfindungsreiches
+Genie mit Freuden ein paar Seiten mit Voraussetzungen anfüllen. — Was
+von all diesem die Ursache war, das mag der scharfsinnige Sonstjemand
+ausmachen. — Soviel ist wenigstens gewiß, der Korporal fuhr mit seiner
+Standrede also fort:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p>
+
+<p>»Für mein Teil kann ich sagen, daß ich, außen vor der Türe, mir nichts
+aus dem Leben mache, nicht das!« — setzte der Korporal hinzu und
+machte ein Schnippchen mit den Fingern. Aber mit einem Anstande, den
+kein anderer als der Korporal der Empfindung hätte geben können. »In
+einer Schlacht achte ich den Tod nicht das ... Laß ihn mich nur nicht
+wie eine feige Memme überrumpeln, wie den armen Paul Gibbins, da er
+seine Flinte auswusch. — Was ist er denn? Ein Klapp des Hahns an den
+Pfannendeckel, ein Puff mit dem Bajonett ein Zoll tief hier oder da,
+das ist alles. Sieh das Glied hinab, rechts. Sieh! da liegt Jakob! Gut!
+'s ist so gut, als ob er Rittmeister geworden wäre. — Nein, 's ist
+Dirk. Nun, so ist's für Jakob ebensogut. Laß fallen, was fällt, wir
+avancieren. In der Hitze des Treffens fühlt man sogar die Wunde nicht,
+wenn er kommt. Das beste ist, man sieht ihm in die Augen. Der Mann,
+welcher flieht, ist in zehnmal größerer Gefahr als der, der ihm in den
+Rachen marschiert. Ich habe ihm wohl hundertmal,« setzte der Korporal
+hinzu, »in die Fresse gesehen und ich weiß, was er ist. Nichts, gar
+nichts ist er, Obadiah, im Felde!« — »Ja, aber im Hause ist er sehr
+graulich,« sagte Obadiah. — »Ich scher' mich nicht darum, ich,« sagte
+Jonathan, »wenn ich auf dem Kutschbock sitze.« — »Im Bette, meine ich,
+muß es wohl am natürlichsten sein,« sagte Susanna. — »Und könnte ich
+ihm aus dem Wege, wenn ich in das elendeste Kalbsfell kröche, daraus
+jemals ein Schnappsack gemacht ist, so tät' ich's da,« sagte Trim.</p>
+
+<p>»Natürlich ist natürlich,« sagte Jonathan. — »Und deswegen,« rief
+Susanna, »bedaure ich meine Madame so herzlich. Sie wird es in ihrem
+Leben nicht überwinden.« — »Und ich, ich bedaure den Kapitän am
+meisten in der ganzen Familie,« antwortete Trim. »Madame wird sich
+das Herz erleichtern durch Weinen, und der alte Herr durch sein<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span>
+Sprechen darüber, aber mein armer Herr wird alles stillschweigend bei
+sich behalten. Ich werde ihn einen ganzen Monat lang im Bette seufzen
+hören, wie er um den Leutnant Le Fever tat. —›O, Euer Gnaden müssen
+nicht kläglich seufzen,‹ sagte ich dann zu ihm, wenn ich neben ihm lag.
+— ›Ich kann nicht dafür, Trim,‹ sagte dann der Kapitän. ›'s ist ein
+so melancholischer Zufall, ich kann's nicht aus dem Kopfe kriegen.‹
+—›Euer Gnaden fürchten sich ja selbst vor dem Tode nicht.‹ — ›Ich
+hoffe,‹ pflegte er dann zu sagen, ›ich fürchte mich vor nichts, als was
+Böses zu tun. — Gut so!‹ pflegte er hinzuzusetzen, ›es gehe, wie es
+gehe, für Le Fevers Knaben will ich sorgen.‹ Und damit, wie mit einem
+schmerzlindernden Tranke, fiel Seine Gnaden in Schlaf.«</p>
+
+<p>»Ich mag Trims Historien vom Kapitän gerne hören,« sagte Susanna. —
+»'s ist ein so gutherziger Herr,« sagte Obadiah, »als jemals Atem
+holte.« — »Das sollt' ich meinen,« sagte der Korporal, »und so brav
+obendrein, als jemals vor einer Division aufmarschiert ist. — 's war
+niemals ein besserer Offizier in des Königs Armee oder ein besserer
+Mann in Gottes weiter Welt. Er ging auf die Mündung einer Kanone los,
+und wenn er auch die glühende Lunte schon am Zündloch sähe. Und doch
+hat er dabei ein so weiches Herz wie ein Kind, gegen andere Leute. Er
+könnte keinem jungen Hühnchen was zuleide tun.« — »Ja, lieber wollt'
+ich so einen Herrn,« sagte Jonathan, »das Jahr für fünfunddreißig Taler
+Lohn fahren als viele andere für vierzig.« — »Dank, Jonathan, für die
+fünf Taler. Ebensogut, Jonathan,« sagte der Korporal, und schüttelte
+ihm die Hand, »als ob du mir das bare Geld in die Hand gezählt hättest.
+— Ich, bis an mein letztes Ende wollte ich ihm aus Liebe dienen. —
+Er handelt an mir wie ein Freund und Bruder. Und wenn ich's gewiß
+wüßte, daß mein armer Bruder Thomas tot wäre,« fuhr der Korporal fort
+und zog sein Schnupftuch aus der<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> Tasche »und hätte ich fünftausend
+Taler im Vermögen, ich vermachte es dem Kapitän bis auf den letzten
+Groschen.« — Trim konnte sich bei diesem testatorischen Beweise von
+seiner Zuneigung gegen den Kapitän der Tränen nicht erwehren. — Die
+ganze Küche ward gerührt. — »Komm' Er, hört Er, und erzähle uns die
+Geschichte von dem armen Leutnant,« sagte Susanna. »Von Herzen gern,«
+antwortete der Korporal.</p>
+
+<p>Susanna, die Köchin, Jonathan, Obadiah und der Korporal Trim machten
+einen Kreis um das Feuer, und so bald das Küchenmädchen die Küchentüre
+zugemacht hatte, fing der Korporal an.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_71">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich will ein Türke sein, wenn ich nicht meine Mutter ebenso rein
+vergessen hatte, als ob mich die Natur aufgepflastert und am Ufer
+des Nils nackt niedergesetzt hätte, ohne mir eine zu geben. Ihr ganz
+gehorsamster Diener, Madame! Ich habe Ihnen sehr viel Mühe gemacht.
+Ich wünsche, es möchte anschlagen! Sie haben mir aber noch eine große
+Öffnung im Rücken gelassen. Und da, hier vorne, ist ein großes Stück
+abgefallen. Was soll ich mit diesem Fuße anfangen? Damit werde ich
+England niemals erreichen.</p>
+
+<p>Ich meinesteils wundere mich über nichts, und mein Urteil hat mich
+in meinem Leben so oft mißgeleitet, daß ich ihm niemals recht traue,
+es mag richtig sein oder falsch, wenigstens bin ich selten heiß bei
+kalten Gegenständen. Dem allen ungeachtet, verehre ich die Wahrheit so
+aufrichtig, wie nur jemand tun kann. Und wenn sie uns aus den Augen
+entkommen, und ein Mensch nimmt mich gelassen bei der Hand, um sie
+miteinander zu suchen, wie eine Sache, die wir<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> beide verloren haben
+und ohne die wir doch nicht raten können, so gehe ich mit ihm bis an
+der Welt Ende. Das Disputieren aber hasse ich, und deswegen — wenn's
+nicht auf Glaubens- oder solche Sachen ankommt, die die menschliche
+Gesellschaft betreffen — werde ich fast immer lieber alles zugeben,
+was mir nicht im ersten engen Wege den Hals zuschnürt, als mich dazu
+bringen lassen. Nur das Ersticken ist mir zuwider, und stinkender
+Qualm am ärgsten. Aus dieser Ursache faßte ich gleich von Anbeginn den
+Entschluß, daß, wenn ja die Armee der Märtyrer verstärkt oder eine neue
+errichtet werden sollte, ich auf keine Weise was damit zu schaffen
+haben wollte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_72">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreiundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Aber wieder zu meiner Mutter zu kommen. —</p>
+
+<p>Meines Onkels Toby Meinung, Madame, daß nichts Böses dabei sein könnte,
+oder vielmehr das Wort Ehefrau — denn das war alles, was meine Mutter
+davon hörte —, faßte sie bei der schwachen Seite des ganzen weiblichen
+Geschlechts. Sie müssen mich nicht falsch verstehen; ich meine ihre
+Neugierde. Sie schloß flugs, man spräche von ihr; und wenn Sie den
+Glauben bei ihr annehmen, so werden Sie leicht begreifen, wie sie
+jedes Wort, das mein Vater sagte, auf sich oder auf ihre häuslichen
+Angelegenheiten deutete.</p>
+
+<p>Sagen Sie mir doch, Madame, ich bitte, in welcher Gasse wohnt die Dame,
+die es nicht ebenso getan hätte.</p>
+
+<p>Mein Vater hatte einen Sprung auf Sokrates' Tod getan und gab meinem
+Onkel Toby einen Auszug aus seiner Schutzrede vor seinen Richtern.
+Sie war unwiderstehlich; nicht die Rede des Sokrates, sondern die
+Versuchung, die meinen Vater dazu trieb. Er selbst hatte das Jahr
+vorher,<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> ehe er den Handel niederlegte, das Leben des Sokrates<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> zu
+schreiben angefangen. Ich fürchte, das eben förderte seinen Entschluß,
+aus dem Handel zu scheiden. Also war niemand fähiger, mit so vollen
+Segeln und mit solcher hohen Flut von heroischer Beredsamkeit über die
+Gelegenheit daherzufahren als mein Vater. Es gibt keine Periode in
+Sokrates' Rede, die mit einem kürzeren Worte schließt als: sterbliche
+Hülle verlassend, oder: ewiger Vernichtung geweiht —, oder einen
+geringeren Gedanken in der Mitte derselben hatte als: sein oder nicht
+sein. — Der Übergang zu einem neuen unversuchten Zustande der Dinge
+oder zu einem langen, einem tiefen, einem ruhigen Schlafe ohne Träume,
+ohne Auffahren: daß wir und unsere Kinder geboren sind, zu sterben,
+aber keiner von uns geboren zu Sklaven. — Nein, da irre ich; das war
+eine Stelle aus Eleazars Rede, wie uns solche Josephus aufbewahrt
+hat. Eleazar gesteht, er habe es von den Philosophen aus Indien. Nach
+aller Wahrscheinlichkeit hat Alexander der Große bei seinem Einfall in
+Indien, nachdem er Persien mit Krieg überzogen, unter den mancherlei
+Dingen, die er gestohlen, auch dieses Sortiment Beute gemacht, von dem
+es dann, wo nicht den ganzen Weg durch ihn allein — denn wir wissen
+alle, daß er zu Babylon starb —, wenigstens durch einige von seinen
+Marodeurs nach Griechenland gebracht ist. Von Griechenland kam es nach
+Rom, von Rom nach Frankreich und von Frankreich nach England. So kommen
+die Sachen herum.</p>
+
+<p>Zu Lande kann ich mir keinen anderen Weg denken.</p>
+
+<p>Zu Wasser konnte das Sortiment ganz gemächlich den<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> Ganges herunter- in
+den Sinus Gangeticus oder die Bai von Bengalen und so in das Indische
+Meer kommen, und indem es den Weg des Handels nahm — der Weg über Cap
+de bonne espérance war damals noch nicht entdeckt —, konnte es mit
+anderen Gewürz- und Spezereiwaren übers Rote Meer nach Joddah, dem
+Hafen von Mekka, oder nach Tor oder Suez, zwei Städtchen im Innersten
+des Golfo, gebracht werden. Von da mit den Karawanen nach Coptos, das
+nur drei Tagereisen davon liegt. Dann den Nil herunter geraden Weges
+nach Alexandria, woselbst das Sortiment gerade unten an der Treppe der
+Alexandrinischen Bibliothek ausgeschifft werden konnte. Und aus diesem
+Packhause konnte es geholt werden. Gott segne uns, was in den Zeiten
+die Gelehrten für einen Handel betrieben!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_73">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Sehen Sie, mein Vater hatte eine Art an sich, so ein wenig wie Hiob,
+falls jemals ein solcher Mann gelebt hat. Wo nicht, so ist nichts
+weiter dabei.</p>
+
+<p>Obgleich, im Vorbeigehen gesagt, unsere Herren Gelehrten einige
+Schwierigkeiten finden, die Zeit zu bestimmen, in welcher ein so großer
+Mann lebte — ob z. B. vor oder nach den Patriarchen usw. —, so war
+es doch ein wenig hart, nun sogleich deswegen zu behaupten, daß er
+nie gelebt habe. Mein Vater, sage ich, hatte eine Art an sich, wenn
+ihm etwas sehr in die Quere ging, besonders im ersten Anfalle seiner
+Ungeduld, sich zu wundern, warum er geboren worden, zu wünschen, daß
+er unter der Erde läge — zuweilen noch ärger. Und wenn die Reizung
+sehr weit ging und Betrübnis seine Lippen mit mehr als gewöhnlichen
+Kräften berührte: — Herr, Sie hätten ihn kaum von Sokrates selbst
+unterscheiden<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> können. Jedes Wort schmeckte nach der Empfindung einer
+Seele, die das Leben gering achtet und sich um alle seine Ereignisse
+wenig kümmert. Weswegen denn auch meiner Mutter, obgleich sie nicht
+viel Belesenheit hatte, der Auszug aus Sokrates' Schutzrede, den eben
+mein Vater meinem Onkel Toby gab, nicht ganz neu war. Sie hörte solchem
+mit kaltem Verstande zu und hätte so bis zum Ende zugehört, hatte nicht
+mein Vater — so ohne alle Ursache und Gelegenheit — einen Sprung
+zu der Stelle in der Schutzrede getan, wo der große Philosoph seine
+Freunde, seine Verwandten und Kinder herzählt und dabei den Vorteil
+verachtet, den er dadurch gewinnen könnte, wenn er solchergestalt die
+Leidenschaften seiner Richter auf seine Seite zöge. »Ich habe Freunde,
+ich habe Anverwandte, ich habe drei verlassene Kinder,« sagte Sokrates.</p>
+
+<p>»So?« sagte meine Mutter und machte die Türe auf. »Das ist eins mehr,
+Herr Shandy, als ich weiß.«</p>
+
+<p>»Wahrhaftig, und ich habe eins weniger!« sagte mein Vater, stand auf
+und ging zur Türe hinaus.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_74">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Es sind Sokrates seine Kinder,« sagte mein Onkel Toby. — »Der ist
+schon wohl hundert Jahre tot,« sagte meine Mutter.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby verstand sich nicht auf die Chronologie. Und da er sich
+also nicht ohne Schiff aufs Meer wagen wollte, legte er ganz gelassen
+seine Pfeife auf den Tisch nieder, stand auf, faßte meine Mutter sehr
+freundschaftlich bei der Hand, und ohne ihr noch ein anderes Wort,
+weder im Guten noch im Bösen zu sagen, führte er sie hinaus zu meinem
+Vater, daß der die Erklärung selbst zustande bringen möchte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span></p>
+
+<p>Pling — twing — twang — prut — trut. Es ist ein altes Brett von
+einer Geige. Wissen Sie, ob meine Geige stimmt oder nicht? Trut ...
+prut ... Es sollen reine Quinten sein. Die Saiten sind grundfalsch.
+— Tr ... <em class="antiqua">G</em>, <em class="antiqua">D</em>, <em class="antiqua">A</em>, <em class="antiqua">E</em>, twang, — der Steg
+ist eine Meile zu hoch und der Stimmstock liegt gar überm Haufen.
+Sonst — trut, prut — höre, ist der Ton so übel nicht. Didl, didl,
+didl, didl, didl, didl, dum. Vor wahren Kennern ist gut spielen, aber
+dort steht ein Mann, dort — nein, den mit dem Bündel unter dem Arme
+meine ich nicht — den feierlichen Mann im schwarzen Rocke? — Nicht
+doch! Auch den Herrn da mit dem Degen nicht! — Herr, der Kalliope
+selbst möchte ich lieber ein Kaprizzio vorspielen, als vor dem Manne
+meinen Bogen über die Saiten hin und her ziehen. Und doch setze ich
+meine Cremoneser Geige gegen eine Maultrommel — und das ist wohl die
+ungleichste musikalische Wette, die jemals gewettet ist —, daß ich
+diesen Augenblick dreihundertundfünfzig Meilen weit aus meiner Geige
+neben den Ton greifen will, ohne daß es einem einzigen Nerven in seinen
+beiden Ohren wehetun soll. Twadl didl, twedl didl, twidl didl, twodl
+didl, twudl didl, — prut — trut — krisch — krasch — krasch. Sie
+können's nicht mehr aushalten, Herr? Das sehe ich. Sie sehen aber, ihm
+tut's nicht weh. Und nähme auch Apollo selbst nach mir seine Leier, er
+bringt es nicht zustande, daß es ihm sanft tut.</p>
+
+<p>Didl didl, didl didl, didl didl — hum — dum — drum.</p>
+
+<p>Euer Gnaden und Hochwürden lieben die Musik — und Gott hat ihnen
+allen gesunde Ohren gegeben — und einige unter ihnen spielen selbst
+vortrefflich — trut — prut — prut — trut.</p>
+
+<p>O, ich kenne jemand, bei dem ich ganze Tage sitzen und zuhören möchte,
+dessen ganze Kunst darin besteht, daß er für die Empfindsamen spielt,
+der mich mit Freuden und<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> Hoffnungen beseelt und die geheimsten
+Triebfedern meines Herzens in Bewegung setzt. Wenn Sie mich um zwanzig
+Taler ansprechen wollen, welches gewöhnlich vierzig mehr sind, als ich
+missen kann, oder Sie, mein Herr Apotheker oder Schneider, gerne Ihre
+Rechnungen bezahlt haben wollten, dann müßten Sie kommen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_76">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Das erste, was meinem Vater einfiel, nachdem die Sachen in der
+Haushaltung ein wenig in Ordnung gebracht waren und Susanna von meiner
+Mutter grünem Atlasmorgenrock Besitz genommen hatte, war, sich nach
+dem Beispiele Xenophons ganz gelassen hinzusetzen und eine <em class="antiqua">Tristra
+pædia</em> oder Erziehungssystem für mich zu schreiben.</p>
+
+<p>Zu dem Ende sammelte er erst seine einzelnen Gedanken, Einfälle und
+hingeworfenen Ideen und verband sie hernach dergestalt, daß solche ein
+Erziehungsinstitut für meine Kinder- und Jünglingsjahre ausmachten.
+Ich war meines Vaters letzter Satz; meinen Bruder Bobby hatte er rein
+verloren; von mir, nach seiner eigenen Berechnung, schon dreiviertel.
+Das ist, er war in seinen ersten großen Chancen für mich unglücklich
+gewesen: meiner Zeugung, meiner Nase und meinem Namen. Es blieb ihm nur
+noch diese eine. Demzufolge war mein Vater ebenso andächtig darüber
+her, als es mein Onkel Toby über die Lehre von den Gesetzen der
+Bewegung gewesen war. Der Unterschied unter beiden war, daß mein Onkel
+Toby seine ganze Wissenschaft von den Gesetzen der Bewegung aus dem
+Nikolaus Tartaglia hernahm. Mein Vater spann die seinige bis auf den
+letzten Faden aus seinem eigenen Gehirn oder haspelte und zwirnte, was
+alle<span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span> übrigen Spinner und Spinnerinnen vor ihm gesponnen hatten, daß er
+beinahe ebendieselbe Arbeit damit hatte.</p>
+
+<p>In ungefähr drei Jahren und etwas darüber war mein Vater mit
+seinem Werke schon bis auf die Hälfte fertig. Gleich allen anderen
+Schriftstellern stieß er auf Schwierigkeiten. Er dachte, er würde
+alles, was er zu sagen hätte, so in die Kürze ziehen können, daß, wenn
+alles fertig und eingebunden wäre, meine Mutter es aufgerollt in ihrem
+Besteck tragen könnte. Die Materien wachsen uns unter den Händen. Nun
+sage ein Mann einmal: komm, ich will einen Duodezband schreiben.</p>
+
+<p>Mein Vater indessen arbeitete daran mit dem mühsamsten Fleiße, ging in
+jeder Zeile Schritt vor Schritt mit ebender Vorsicht und Behutsamkeit
+— obgleich ich nicht sagen kann, aus einer ebenso frommen Ursache
+—, welche Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, bei der
+Ausfeilung seiner Galatea anwendete. Wobei Seine Hochwürden Eminenz
+von Benevent fast vierzig Jahre von dero Leben zubrachten, und als das
+Ding endlich ans Licht kam, war es nicht über die Hälfte der Dicke
+eines Taschenkalenders. Wie es der heilige Mann anfing, wenn er nicht
+den größten Teil seiner Zeit damit hinbrachte, seinen Bart zu kämmen
+oder mit seinem Kaplan Brett zu spielen, — das könnte einem jeden
+Sterblichen, dem man das Geheimnis nicht sagte, den Kopf verrücken.
+Es ist deshalb wohl wert, daß man's der Welt erklärt, wär's auch nur,
+um die wenigen in derselben aufzumuntern, die nicht sowohl um Brot
+schreiben wie um Ruhm.</p>
+
+<p>Ich gestehe, wäre Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent,
+für dessen Andenken — ungeachtet seiner Galatea — ich die höchste
+Ehrerbietung hege, wäre er, mein Herr, ein magerer Skribent gewesen,
+von stumpfem Witz, langsamen Begriffen, von verstopftem Kopfe und so
+mehr,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> er und seine Galatea möchten meinetwegen bis zu Methusalems
+Alter miteinander fortgeholpert sein, die Erscheinung wäre keiner
+Parenthese wert gewesen.</p>
+
+<p>Aber das Gegenteil gerade war die Wahrheit. Johann de la Casse war ein
+Genie von großen Fähigkeiten und fruchtbarer Phantasie. Und doch, bei
+allen diesen großen Naturgaben lag er zugleich an einer Kraftlosigkeit
+danieder, daß er an einem langen Sommertage nicht über anderthalb
+Zeilen zustande bringen konnte. Dieses Unvermögen Seiner Eminenz kam
+von einer Meinung, womit Seine Eminenz behaftet waren. Besagte Meinung
+war nämlich diese: Sooft ein Christ sich hinsetzte, ein Buch zu
+schreiben, nicht bloß zu seinem eigenen Zeitvertreibe, sondern seine
+Absicht und sein Zweck mögen sogar <em class="antiqua">bona fide</em> sein, so wären
+seine ersten Einfälle allemal Versuchungen des Bösen. Dies wäre der
+Fall mit gewöhnlichen Schriftstellern; wenn aber gar eine Person von
+ehrwürdigem Charakter und hohem Stande entweder in der Kirche oder
+im Staate einmal Autor würde, so behauptete er, daß von demselben
+Augenblicke an, da ein solcher die Feder in die Hand nähme, alle Teufel
+in der Hölle aus ihren Löchern hervorkämen, um ihn zu verlocken. Das
+wäre ihre Walpurgisnacht. Jeder Gedanke, der erste und letzte, sei
+verfänglich, ob scheinbar oder wirklich gut, gleichviel, in was für
+Gestalt oder Farben er sich der Imagination darstellen möchte: es
+wäre dennoch ein Streich eines oder des anderen von den Teufeln, der
+auf ihn gerichtet sei und welcher abpariert werden müßte. — So daß
+der Stand eines Schriftstellers, er möchte es nun glauben wollen oder
+nicht, nicht sowohl ein Stand der Feder als des Schwertes sei. Seine
+Probejahre wären wie die eines jeden Kriegsmannes auf diesem Erdboden.
+In beiden, bei dem einen wie bei dem anderen, käme es nicht halb soviel
+auf den Grad des Verstandes als des Widerstandes an.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span></p>
+
+<p>Meinem Vater behagte diese Theorie des Johann de la Casse, Erzbischofs
+von Benevent, außerordentlich. Wäre sein Glaube nicht ein wenig dabei
+in die Enge gekommen, ich glaube, er hätte die besten zehn Äcker von
+den Shandyschen Gütern darum gegeben, daß er sie selbst erfunden haben
+möchte. Wie viel oder wenig mein Vater an einen Teufel glaubte, das
+wird sich erweisen, wenn ich in der Folge dieses Werkes von meines
+Vaters Meinungen in der Religion sprechen werde. Hier ist's genug, zu
+sagen, da er von dem buchstäblichen Sinne dieser Lehre nicht die Ehre
+haben konnte, so begnügte er sich mit dem Allegorischen. Er pflegte oft
+zu sagen, besonders wenn seine Feder ein wenig stätisch war, es wäre
+unter dem Schleier des Johann de la Casse parabolischer Vorstellung
+ebensoviel Sinn, Wahrheit und Wissenschaft verborgen, wie man nur in
+irgendeiner poetischen Fiktion oder mystischen Erzählung des Altertums
+fände. — »Vorurteil der Erziehung,« pflegte er zu sagen, »das ist
+der Satan, und die Menge derselben, welche wir mit der Muttermilch
+einsaugen, sind alle Teufel. Wir werden von ihnen verfolgt, Bruder
+Toby, bei unseren Untersuchungen und Ausarbeitungen. Wäre ein Mann dumm
+genug, ihren Zudringlichkeiten so zahmerweise nachzugeben, was würde
+aus seinem Buche werden? Nichts!« pflegte er hinzuzusetzen, und warf
+seine Feder an die Erde, daß es krachte. »Nichts als ein Gemengsel
+von dem Ammengeklatsche und dem Unsinn der alten Weiber — von beiden
+Geschlechtern — aus dem ganzen Reiche.«</p>
+
+<p>Dies ist die beste Ursache, die ich von dem langsamen Fortgange,
+den mein Vater bei seiner <em class="antiqua">Tristra pædia</em> machte, anzugeben
+entschlossen bin, an welcher er, wie gesagt, drei Jahre und etwas
+darüber unermüdlich arbeitete und zuletzt kaum — nach seiner eigenen
+Berechnung — die Hälfte seines Planes ausgeführt hatte. Das Unglück
+dabei war, daß ich<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> die ganze Zeit über völlig versäumt und meiner
+Mutter überlassen wurde. Und was fast ebenso schlimm war, durch die
+Verzögerung wurde der erste Teil des Werkes, an den mein Vater den
+meisten Fleiß verwendet hatte, völlig unbrauchbar. Jeden Tag wurden
+eine oder ein paar Seiten unnütz.</p>
+
+<p>Gewiß muß es eine Rute für den Stolz der menschlichen Weisheit geben;
+da auch die Weisesten unter uns allen sich so übereilen und ewig ihren
+Zweck, durch die unmäßige Hitze ihn zu erhaschen, verfehlen müssen.</p>
+
+<p>Kurz, mein Vater hielt sich so lange bei seinem Widerstand auf — oder
+mit anderen Worten —, er förderte sein Werk so ungemein langsam,
+und ich begann so flink zu leben und zu wachsen, daß, wenn nicht ein
+Zufall dazwischengekommen wäre — der, wenn wir so weit gelangt sind
+und es mit Wohlanständigkeit geschehen kann, keinen Augenblick länger
+vor meinem Leser verheimlicht werden soll —, ich wahrhaftig glaube,
+ich hätte an meinem Vater vorbei gelebt, und hätte ihm eine Sonnenuhr
+zeichnen lassen, um solche unter die Erde zu vergraben.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_77">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es war nichts, ich verlor keine zwei Tropfen Bluts dabei. Es war nicht
+der Mühe wert, einen Wundarzt zu rufen, und hätte er Türe an Türe bei
+uns gewohnt — Tausende leiden aus Wahl, was ich aus Zufall litt. —
+Doktor Slop machte zehnmal mehr Aufhebens davon, als nötig war. —
+Einige Leute bringen sich dadurch empor, daß sie die Kunst verstehen,
+großes Gewicht an dünnen Draht zu hängen. Und ich muß noch bis auf den
+heutigen Tag (den 10. August 1761) den Ruhm dieses Mannes mit bezahlen.
+O, es sollte wohl<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> einen Stein ärgern, zu sehen, wie es in dieser
+Welt hergeht! Das Stubenmädchen hatte keinen — — — unter dem Bette
+gelassen. »Kann das Kind sich nicht behelfen,« sagte Susanna, indem
+sie bei den Worten mit einer Hand das Fallfenster aufschob und mit
+der andern mich ins Fenster stellte, »kann das Kind es nur einmal so
+machen, daß es — —?«</p>
+
+<p>Ich war fünf Jahre alt. Susanna bedachte nicht, daß in unserer Familie
+nichts am rechten Haken hing. Und klapps! schoß das Fallfenster wie der
+Blitz auf uns herab. »Nichts übrig,« schrie Susanna, »nichts übrig für
+mich, als aus dem Lande zu laufen.«</p>
+
+<p>Meines Onkels Toby Haus war eine viel bessere Freistatt. Also floh
+Susanna dahin.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_78">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunundsiebzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als Susanna dem Korporal den Unfall mit dem Fallfenster erzählte, nebst
+allen Umständen, die meinen Mord — wie sie es nannte — begleitet
+hatten, trat ihm das Blut aus den Wangen zurück. Da alle, die zum
+Morden beitragen, Totschläger sind, sagte Trimm sein Gewissen, daß
+er ebenso schuldig sei wie Susanna. Und wenn der Satz wahr wäre, so
+hätte mein Onkel Toby das Blutbad ebensogut vor Gott zu verantworten
+gehabt wie einer von ihnen beiden. Auf diese Weise hätten weder
+Vernunft noch Instinkt, einzeln oder zusammen, Susanna unmöglich nach
+einer besseren Freistatt führen können. Dieses der Einbildung des
+Lesers anheimzugeben, wäre vergebens. Nur zu irgendeiner Hypothese zu
+gelangen, die einigen Stich hielte, müßte er sein Gehirn wundpeitschen
+— und es ohne das zu tun —, müßte er ein Gehirn haben, wie noch kein
+Leser vor ihm gehabt hat. — Warum sollte ich ihn einer solchen Prüfung
+oder Tortur aussetzen? Es ist meine eigene Sache, ich will es selbst
+erklären.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_79">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Schade, Trim!« sagte mein Onkel Toby, mit seiner Hand auf Trims
+Schulter gelehnt, als sie beide standen und ihre Werke besahen, »daß
+wir nicht ein paar Feldstücke haben, die wir in die Schießscharten
+dieser neuen Redoute pflanzen könnten. Das würde alle jene Linien
+decken und die Attacke an der Seite vollkommen machen. Laß Er mir ein
+paar gießen, Trim.«</p>
+
+<p>»Euer Gnaden sollen sie haben,« versetzte Trim, »ehe es morgen Tag
+wird.«</p>
+
+<p>Es war Trim eine Herzensfreude, und seinem anschlägigen Kopfe fehlte
+es niemals an Einfällen, meinem Onkel Toby in seinen Feldzügen
+mit allem an die Hand zu gehen, was nur immer seine Phantasie für
+nötig erachtete. Wäre es auch sein letzter harter Taler gewesen,
+er hätte sich hingesetzt und einen Ringkragen daraus gehämmert, um
+dem geringsten Wunsche seines Herrn zuvorzukommen. Der Korporal
+hatte schon, vermittels der Enden von meines Onkels Toby Dachröhren,
+des Bleis aus seinen Dachrinnen, seines eingeschmolzenen zinnernen
+Barbierbeckens, und da er zuletzt, wie Ludwig <em class="antiqua">XIV.</em>, bis zu den
+Kirchspitzen gegangen, um das überflüssige Blei usw. zu holen, in
+ebendem Feldzuge nicht weniger als acht neue Batteriestücke nebst drei
+halben Feldschlangen ins Lager geliefert. Meines Onkels Begehren nach
+noch zwei Kanonen für die Redoute hatte den Korporal von neuem Hand ans
+Werk legen lassen. Da sich aber nichts Besseres darbot, hatte er die
+beiden bleiernen Gegengewichte von den Fallfenstern in der Ammenstube
+genommen. Und da die Rollen, worauf diese Gegengewichte liefen, nachdem
+diese fort, unnütz waren, so hatte er sie gleichfalls mitgehen heißen,
+um ein Paar Räder zu einer von ihren Lafetten daraus zu machen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span></p>
+
+<p>Er hatte jedes Fenster in meines Onkels Toby Hause, lange vorher schon,
+auf ebendie Art beraubt, obgleich nicht eben auf diese Weise. Denn
+zuweilen fehlte es ihm an Rollen und nicht am Blei. Alsdann begann
+er mit den Rollen. Wenn dann die Rollen fort waren, so ward das Blei
+unnütz und mußte dann auch zum Schmelzlöffel.</p>
+
+<p>Man könnte hieraus ganz behende eine wichtige Moral ziehen, aber ich
+habe nicht Zeit. Genug, wenn ich sage, die Plünderung mochte anfangen,
+wo sie wollte, es war für die Fallfenster gleich schlimm.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_80">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Der Korporal hatte bei diesem Ingenieurstreiche seine Maßregeln nicht
+so schlecht genommen, daß er nicht das ganze Geheimnis hätte für sich
+behalten und Susanna dem ganzen Gewichte der Attacke aussetzen können.
+Allein wahrer Tapferkeit ist's nicht genug, sich so durchzuhelfen.
+Der Korporal, ob als General oder als Trainkommissarius — das tut
+nichts —, hatte die Fenster in einen Zustand versetzt, ohne den, wie
+er glaubte, das Unglück nicht hätte geschehen können, wenigstens nicht
+unter Susannas Händen. Wie hätten sich Eure Gnaden dabei benommen? Er
+beschloß auf der Stelle, sich nicht hinter Susanna zu verkriechen,
+sondern sie zu decken. Und mit dieser Entschließung marschierte er
+geradeswegs ins Wohnzimmer, um meinem Onkel das Manöver vorzulegen.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby hatte eben dem Herrn Yorick eine Beschreibung von der
+Schlacht bei Steenkirchen gemacht und von der sonderbaren Abordnung des
+Grafen Solms, welcher der Infanterie befohlen Halt zu machen und der
+Kavallerie zu marschieren, wo sie nicht agieren konnte. Das war gerade
+gegen die Order des Königs und zog den Verlust der Bataille nach sich.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span></p>
+
+<p>In einigen Haushaltungen gibt es Vorfälle, die sich so genau an das,
+was folgen soll, anschmiegen, daß es kaum durch die Erfindung der
+dramatischen Schriftsteller besser ausgedacht werden konnte, die aus
+alten Zeiten meine ich.</p>
+
+<p>Trim bestrebte sich, seine Historie dadurch, daß er seinen Zeigefinger
+flach auf den Tisch legte und mit der Handkante in einem scharfen
+Winkel daraufschlug, so zu erzählen, daß sie Priester und Jungfrauen
+hätten anhören können. Und nachdem die Historie erzählt, ging der
+Dialog fort, wie folgt.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_81">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Zweiundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Ich wollte mich lieber in der Türkenallee totpeitschen lassen,« rief
+der Korporal, »als leiden, daß dem Frauenzimmerchen deswegen Leides
+geschehe. — Es war meine Schuld, Euer Gnaden, nicht ihre.«</p>
+
+<p>»Korporal Trim,« erwiderte mein Onkel Toby, wobei er seinen Hut
+aufsetzte, der auf dem Tische lag, »wenn man das eine Schuld nennen
+kann, was der Dienst unumgänglich notwendig macht, so bin ich's
+unstreitig, auf den sie fällt. Er gehorchte dem Kommando.«</p>
+
+<p>»Hätte der Graf Solms, mein guter Trim, es bei der Steenkircher
+Schlacht ebenso gemacht,« sagte Yorick ein wenig spaßhaft zu dem
+Korporal, der im Rückzug von einem Dragoner übergeritten worden, »so
+hätte er Ihn gerettet.« — »Gerettet!« schrie Trim und fiel ihm in die
+Rede. »Fünf ganze Regimenter, Hochehrwürden, hätte er gerettet. Da war
+Cutts, Mackays, Angus, Grahams und Levens Regiment, die wurden alle in
+die Pfanne gehauen. Unserer Leibgarde wäre es nicht besser gegangen,
+hätten's nicht etliche Regimenter vom rechten Flügel verhindert, welche
+ihnen beherzt zu Hilfe kamen und den Feind erst auf sich abfeuern
+ließen, ehe eine<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> Seele von ihnen einen Hahn abdrückte. Sie haben
+dabei den Himmel mit verdient,« setzte Trim hinzu. »Trim hat recht,«
+sagte mein Onkel Toby und nickte Yorick zu. »Er hat ganz recht.« —
+»Was wollte er damit, daß er die Reiter aufmarschieren ließ,« fuhr
+der Korporal fort. »Wo das Terrain so knapp war und die Franzosen
+solch eine Nation von Hecken, von Koppeln, von Graben und in die
+Kreuz und Quer umgehackten Bäumen hatten, daß man ihnen nicht an den
+Leib kommen konnte — wie sie's immer machen —. Graf Solms sollte
+uns hinkommandiert haben. Wir hätten ihnen Schuß um Schuß ganz anders
+einheizen wollen. Die Kavallerie konnte nicht ankommen. Aber wie ging's
+ihm auch dafür? Wurde ihm nicht gleich die nächste Kampagne darauf bei
+Landen der Fuß abgeschossen?« — »Der arme Trim bekam da seine Wunde,«
+sagte mein Onkel Toby. — »Ich hatte es keinem Menschen sonst, mit Euer
+Gnaden Wohlnehmen, zu danken als dem Grafen Solms. Hätten wir sie zu
+Steenkirchen brav zusammengeschossen, so hätten sie bei Landen nicht
+stehen können.« — »Vielleicht, und vielleicht auch nicht, Trim,«
+sagte mein Onkel Toby. »Denn wenn sie nur ein Holz vor sich kriegen
+oder einen Augenblick Zeit gewinnen können, sich einzugraben, so
+ist's eine Nation, die einen immer bald hinten, bald vorne neckt und
+zwickt. Man kommt nicht anders mit ihnen aus, als man muß ihnen nur
+kaltblütig auf die Haut rücken, ihr Feuer aushalten und dann frisch
+über sie herfallen.« — »Piff, paff,« setzte Trim hinzu. »Zu Fuß und zu
+Pferde,« sagte mein Onkel Toby. — »Was hast du, was kannst du,« sagte
+Trim. — »Links und rechts,« rief mein Onkel Toby. — »Feuer auf die
+Hunde!« schrie der Korporal. Das Treffen war hitzig, Yorick rückte der
+Sicherheit wegen seinen Stuhl ein wenig auf die Seite und nach einer
+Minute Pause ließ mein Onkel Toby seine Stimme um eine Sekunde sinken
+und faßte das Gespräch wieder auf, wie folgt:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span></p>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_82">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreiundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Der König Wilhelm,« sagte mein Onkel Toby, wobei er sich an Yorick
+wendete, »verhängte eine Solche Ungnade über den Grafen Solms, daß
+er ihn einige Monate lang nicht vor sich kommen lassen wollte.« —
+»Ich besorge,« antwortete Yorick, »unser Herr Shandy wird ebenso
+ungnädig auf den Korporal sein wie der König auf den Grafen.« — »Es
+würde aber hier ganz sonderbar hart sein, wenn Korporal Trim, dessen
+Aufführung bei dieser Sache der Aufführung des Grafen so schnurstracks
+entgegengesetzt ist, das Schicksal haben sollte, mit einerlei Ungnade
+belohnt zu werden. Zu oft geht's leider so in dieser Welt! — Ich
+wollte eine Mine anzünden,« rief mein Onkel Toby und stand dabei auf,
+»und meine Fortifikationen samt meinem Hause in die Luft sprengen,
+und wir wollten uns lieber unter dem Schutt begraben lassen, ehe ich
+dabeistehen und das ansehen wollte.« — Trim machte einen kleinen, aber
+dankbaren Bückling gegen seinen Herrn. Und so endigt das Kapitel.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_83">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Wohlan, Herr Yorick,« erwiderte mein Onkel Toby, »Sie und ich wollen
+in Front voraufgehen. Er, Korporal, Er kann ein paar Schritte hinter
+uns nachfolgen.« — »Und Susanna, wenn es Euer Gnaden erlauben, soll
+in der Arrieregarde folgen,« sagte Trim. Es war eine vortreffliche
+Disposition.</p>
+
+<p>In dieser Ordnung, ohne klingendes Spiel und fliegende Fahnen,
+marschierten sie langsam vor meines Onkels Toby Hause nach Shandy-Hall.</p>
+
+<p>»Ich wollte,« sagte Trim, als sie durch den Torweg<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> zogen, »ich hatte
+statt des Bleis an den Fallfenstern die Enden von den Dachröhren an der
+Kirche abgeschlagen, wie ich schon einmal zu tun willens war.« — »Laß
+er des Endenabschlagens genug sein,« versetzte Yorick.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_84">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>So manche Zeichnung auch von meinem Vater gegeben worden und so ähnlich
+sie ihm auch in seinen verschiedenen Mienen und Stellungen sein mögen,
+so kann doch weder eine noch alle zusammengenommen dem Leser eine Art
+von Vorhersehen verschaffen, wie mein Vater bei neuen Vorfällen und
+Begebenheiten des Lebens denken, sprechen oder handeln würde. Die
+Endlosigkeit des Sonderbaren in seinem Charakter und der zufälligen
+Bestimmungen, bei welchem Ende er eine Sache angreifen würde, ging so
+weit, mein Herr, daß solche einen Strich durch alle ihre Berechnungen
+machte. — Die Sache war, sein Pfad lag von dem, worauf die meisten
+Menschen wandeln, so weit seitwärts, daß jedes Ding, was ihm vorkam,
+seinem Auge in einer eigenen Gestalt und Richtung erschien. Ganz
+verschieden von der Höhe und Breite, in der es andere Menschenkinder
+erblickten. Mit anderen Worten: es war ein ganz anderes Ding und ward
+denn auch ganz anders betrachtet.</p>
+
+<p>Dies ist die wahre Ursache, warum meine liebe Jenny und ich sowohl als
+alle Welt um uns her soviel Hader um nichts haben. Sie sieht auf ihr
+Äußeres und ich auf ihr Inneres. Wie ist es möglich, daß wir über ihren
+Wert einig werden sollten.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_85">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p>
+
+<h2>Sechsundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es ist eine ausgemachte Sache — und ich führe es hier zu Konfuzius'
+Troste an, der die Gabe hat, sich beim Erzählen einer schlechten
+Geschichte gar weidlich zu verwickeln, daß es, wofern er nur die
+Geschichte nicht ganz von der Leine läßt, er mag rückwärts oder
+vorwärts gehen, so wird es ihm nicht als Entgleisung angerechnet.</p>
+
+<p>Dieses vorausgesetzt, will ich von diesem Privileg des freien
+Zurückgehens selbst Gebrauch machen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_86">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Fünfzigtausend Körbe mit Teufeln geladen — ich meine nicht des
+Erzbischofs von Beneventos, sondern Rabelais' Teufel — denen die
+Schwänze dicht am Rumpfe abgehackt worden, könnten den Hals nicht so
+höllisch darüber aufgerissen haben, wie ich bei meinem Unfall tat.
+Mein Geschrei lockte meine Mutter den Augenblick nach der Kinderstube,
+so daß Susanna nur ebensoviel Zeit hatte, durch die Hintertreppe zu
+entwischen, als meine Mutter die große Stiege heraufkam.</p>
+
+<p>Nun wäre ich freilich alt genug gewesen, diese Historie selbst zu
+erzählen, und jung genug, hoffe ich, es zu tun, ohne Arges daraus zu
+haben; aber Susanna hatte es in ihrer Furcht, als sie an der Küche
+vorbeiging, der Köchin in Eile überliefert. Die Köchin hatte es
+mit einem Kommentar dem Jonathan und Jonathan dem Obadiah erzählt.
+Dergestalt, daß, nachdem mein Vater ein halbes Dutzend Male geklingelt
+hatte, zu erfahren, was da oben vorginge, Obadiah bereits imstande war,
+ihm genaue Nachricht zugeben, was und wie es sich zugetragen hätte. —
+»Dacht' ich's nicht!« sagte mein Vater, warf seinen Schlafrock über und
+stürmte so die Treppe hinauf.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span></p>
+
+<p>Aus diesem sollte man fast schließen — obgleich ich für meinen Teil es
+ein wenig in Zweifel ziehe —, daß mein Vater schon vor dieser Zeit das
+merkwürdige Kapitel in der <em class="antiqua">Tristra pædia</em> wirklich geschrieben
+haben müßte, welches für mich das Originellste und Unterhaltendste im
+ganzen Buche ist — ich meine das Kapitel von den Fallfenstern, mit
+einer derben Strafpredigt am Ende desselben, über die Vergessenheit der
+Stubenmädchen. Ich habe nur zwei Ursachen, anders zu denken.</p>
+
+<p>Erstlich, wäre die Sache in seine Gedanken gekommen, bevor der Unfall
+geschah, so würde mein Vater ein für allemal das Fallfenster zugenagelt
+haben. Was er, wenn man bedenkt, wie sauer ihm das Bücherschreiben
+wurde, mit zehnmal leichterer Mühe hätte tun können, als das Kapitel
+schreiben. Dieser Grund, sehe ich schon, könnte auch dazu angewendet
+werden, daß er das Kapitel auch nach dem Vorfall nicht geschrieben
+habe. Ist aber nicht nötig, ihn dazu zu verwenden, wegen der zweiten
+Ursache nicht, welche ich die Ehre habe, der Welt zur Unterstützung
+meiner Meinung vorzulegen: warum mein Vater das Kapitel von den
+Fallfenstern und Kammergefässen zu der besagten Zeit nicht geschrieben
+haben könne. Und das ist diese: Daß, um die <em class="antiqua">Tristra pædia</em>
+vollständig zu machen, ich selbst das Kapitel geschrieben habe.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_87">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Vater setzte seine Brille auf — beguckte — nahm sie wieder ab
+— legte sie ins Futteral — alles in weniger als einer vollen Minute.
+Ohne die Lippen zu öffnen, kehrte er sich um und ging plötzlich die
+Treppe hinunter. Meine Mutter dachte, er wäre hinuntergegangen, um
+gezupftes Leinen<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> und Wundbalsam zu holen. Als sie ihn aber mit ein
+paar Foliobänden unter dem Arme und Obadiah mit einem großen Lesepuite
+hinter ihm hereintreten sah, meinte sie nichts anderes, als es sei ein
+Kräuterbuch, und zog ihm also einen Stuhl an die Seite des Bettes,
+damit er mit Bequemlichkeit ein Heilkraut suchen könnte.</p>
+
+<p>»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte mein Vater und schlug die
+Sektion auf: <em class="antiqua">de sede vel subjecto circumcisionis</em>. Denn er
+hatte Spender <em class="antiqua">de legibus Hebræorum ritualibus</em> heraufgebracht
+und den Maimonides, um uns alle miteinander zu konfrontieren und zu
+examinieren. —</p>
+
+<p>»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte er. — »Wenn ich nur erst weiß,
+was für ein Kraut.« — »Wenn du das wissen willst, mußt du nach dem
+Doktor Slop schicken.«</p>
+
+<p>Meine Mutter ging hinunter, und mein Vater las die Sektion weiter, wie
+folgt:<br>
+— — — — — — — —— — — — — — — —— — — — — — — —— — — — — — — —— — — — —
+— — »recht gut,« sagte mein Vater, — — — — — — — — — — — — — — — — —
+— — — — — — — —»Ja, wenn
+die Unbequemlichkeit dabei ist.« Und nun, ohne sich einen Augenblick
+dabei aufzuhalten, ob die Juden es von den Ägyptern oder die Ägypter
+von den Juden hatten, stand er auf. Nachdem er mit der flachen Hand
+zwei- oder dreimal über die Stirn gefahren war — so wie wir wohl die
+Fußtapfen der Sorge wegzuwischen pflegen, wenn ein Unglück uns nicht
+so hart getreten, wie wir fürchteten — schlug er das Buch zu und ging
+hinunter. »Nun denn,« sagte er, und sowie er den Fuß auf einen andern
+Tritt Setzte, nannte er dabei den Namen je einer großen Nation: »Wenn
+die Ägypter, die Syrer, die Phönizier, die Araber, die Kappadozier, die
+Kolchier und die Troglodyten es taten, wenn Solon und Pythagoras es
+auch unterließen, wer ist Tristram, wer bin ich, daß ich mich über die
+Sache einen Augenblick übel gebärden sollte?«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_88">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunundachtzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Lieber Yorick,« sagte mein Vater lächelnd — denn Yorick war aus dem
+Gliede getreten, da er mit meinem Onkel Toby durch den engen Gang
+gekommen war, und trat also zuerst in das Wohnzimmer —, »finden Sie
+nicht auch, daß unser Tristram da sich es um alle Sakramente recht
+sauer werden lassen muß? Wohl niemals ist das Kind eines Juden,
+Christen, Türken oder Heiden auf eine so krumme und schiefe Art zu
+seinen Religionsgebräuchen gekommen.« — »Ich hoffe doch, daß es nichts
+auf sich haben wird,« sagte Yorick. »Es muß ganz gewiß,« fuhr mein
+Vater fort, »eben der Henker in irgendeiner Gegend der Ekliptik los
+gewesen sein, als dieses Zweiglein aus meinem Stamme gebildet worden.«
+— »Das können Sie besser beurteilen als ich,« erwiderte Yorick. —
+»Die Astrologen wissen's besser, wie wir alle beide,« sagte mein Vater.
+»Die gedritte oder gesechste Scheine müssen übereinandergesprungen
+sein, oder die Gegenscheine ihrer Aszendenten haben es nicht getroffen,
+wie sie sollten, oder die Zeugevorsteher — wie sie sie nennen — haben
+eben Verstecken gespielt, oder es ist sonst etwas, entweder unten oder
+oben mit uns nicht recht gewesen.«</p>
+
+<p>»Wohl möglich,« antwortete Yorick. »Aber,« schrie mein Onkel Toby,
+»hat das Kind auch großen Schaden genommen?« — »Die Troglodyten sagen
+nein,« versetzte mein Vater. — »Und Ihre Theologen, Yorick, sagen uns
+—« — »Theologisch gesprochen?« sagte Yorick.</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht gewiß,« erwiderte mein Vater. »Aber sie sagen uns,
+Bruder Toby, daß es ihm Vorteil tue.« — »Vorausgesetzt,« sagte Yorick,
+»daß Sie ihn nach Ägypten reisen lassen.« — »Was das anbelangt,«
+antwortete mein Vater, »so wird er den Vorteil haben, wenn er die
+Pyramiden sieht.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span></p>
+
+<p>»Nun, so ist doch jedes Wort hiervon,« sagte mein Onkel Toby, »für mich
+so gut wie Arabisch.« — »Ich wünschte,« sagte Yorick, »es wäre so für
+die halbe Welt.«</p>
+
+<p>»Ilus,« fuhr mein Vater fort, »beschnitt eines Morgens sein ganzes
+Kriegsheer.« — »Doch nicht ohne Kriegsrecht?« rief mein Onkel Toby.
+»Obgleich die Gelehrten,« fuhr er fort, ohne auf meines Onkels Toby
+Frage zu achten, sondern an Yorick sich wendend, »sehr geteilter
+Ansicht darüber sind, wer dieser Ilus war. Einige sagen Saturnus,
+andere das höchste Wesen. Andere nichts weiter als Generalbrigadier
+unter Pharao-neco.« — »Es sei, wer es sei,« sagte mein Onkel Toby,
+»ich sehe nicht, nach was für einem Punkt aus den Kriegsartikeln er es
+rechtfertigen kann.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_89">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Sie sehen, es ist hohe Zeit,« sagte mein Vater, indem er sich zugleich
+an meinen Onkel Toby und Herrn Yorick wendete, »daß man den Knaben den
+Weiberhänden wegnimmt und ihn einem eigenen Hofmeister in die Hände
+gibt. Marcus Antonius nahm auf einmal vierzehn Hofmeister, seinen Sohn
+Commodus zu erziehen. In sechs Wochen gab er fünf davon den Abschied.
+— Ich weiß recht gut,« fuhr mein Vater fort, »daß Commodus' Mutter zu
+der Zeit, als sie mit ihm schwanger ward, in einen Fechter verliebt
+war, woraus sich eine Menge von den Grausamkeiten erklären lassen, die
+er beging, als er Kaiser wurde. — Aber ich bin doch immer der Meinung,
+daß diese fünf, welche Antonius verabschiedete, dem Gemüt des Commodus
+in der kurzen Zeit mehr Schaden taten, als die übrigen neun in ihrem
+ganzen Leben gutzumachen vermochten.</p>
+
+<p>Da ich nun die Person, die um meinen Sohn sein soll,<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> als einen Spiegel
+betrachte, in weichem er sich von morgens bis abends erblicken und nach
+dem er seine Blicke, Mienen und Gebärden und vielleicht die innigsten
+Empfindungen seines Herzens einrichten muß, so möchte ich gerne, mein
+lieber Yorick, einen haben, der, wenn es möglich, über und über poliert
+und dazu tüchtig wäre, daß sich mein Kind darin spiegelte.« — »Das ist
+recht vernünftig,« sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.</p>
+
+<p>»Es gibt,« fuhr mein Vater fort, »einen gewissen Anstand und eine
+gewisse Bewegung des Körpers und aller seiner Glieder sowohl im Handeln
+als im Reden, welche von der inneren Güte eines Menschen zeugen.
+Es wundert mich keineswegs, daß Gregorius von Nazianzum, als er am
+Julian die schnellen und unsteten Gebärden wahrnahm, voraussagte, daß
+er eines Tages abtrünnig werden würde. Oder daß St. Ambrosius seinen
+Amanuensem wegen einer unanständigen Bewegung mit dem Kopfe, der wie
+ein Dreschflegel hin und her ging, wegjagte. Oder daß Demokritus gleich
+merkte, daß Protagoras ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel
+Reisholz binden und die dünnsten Reiser in die Mitte legen sah. Es gibt
+tausend unbemerkte Öffnungen,« fuhr mein Vater fort, »durch die ein
+scharfes Auge auf einmal die Seele entdecken kann. Ich behaupte, daß
+ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut niederlegen kann, wenn er in ein
+Zimmer kommt, oder aufnehmen, wenn er hinausgeht, ohne daß ihm etwas
+entwischt, das ihn verrät.</p>
+
+<p>Dieser Gründe wegen,« fuhr mein Vater fort, »darf der Hofmeister, den
+ich erwählen werde, weder lispeln noch schielen oder blinzeln, weder
+laut reden noch störrisch oder närrisch aussehen, weder die Lippen
+beißen noch mit den Zähnen knirschen, weder durch die Nase sprechen
+noch darin wühlen oder sie mit den Fingern putzen.</p>
+
+<p>Er soll weder geschwind gehen noch langsam, nicht sich<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> einhängen,
+denn das ist Faulheit, noch seine Arme bummeln lassen, denn das ist
+tölpelhaft, noch seine Hände in den Taschen verstecken, denn das ist
+abgeschmackt.</p>
+
+<p>Er soll auch nicht schlagen, nicht kratzen, nicht kneifen, nicht
+kitzeln, nicht beißen, keine Nägel abschneiden, keinen Schleim
+hinunterwürgen, nicht ausspucken, nicht ausrotzen, nicht trommeln mit
+Füßen oder Fingern, wenn er in Gesellschaft ist, noch — nach Erasmus
+— mit jemand sprechen, wenn er Wasser läßt. Er soll auch auf kein
+totes Aas oder einen Auswurf mit dem Finger weisen.« — »Nun, da haben
+wir wieder ganz unvernünftiges Zeug!« sagte mein Onkel Toby bei sich
+selbst.</p>
+
+<p>»Ich will haben, er soll,« fuhr mein Vater fort, »freundlich sein,
+munter, aufgeweckt, und dabei klug, aufmerksam auf sein Geschäft,
+wachsam, verschlagen, erfindsam, schnell in Auflösung der Zweifel und
+spekulativer Fragen; soll bedächtig, vernünftig und gelehrt sein.« —
+»Und warum nicht auch bescheiden und mäßig, und sanftmütig und gut?«
+sagte Yorick. — »Und warum nicht auch,« schrie mein Onkel Toby,
+»freimütig und großmütig, und guttätig und herzhaft?« — »Das soll er,
+mein lieber Toby,« versetzte mein Vater, wobei er aufstand und ihm
+die Hand schüttelte. — »Gut, Bruder Walther,« antwortete mein Onkel
+Toby, der gleichfalls aus seinem Stuhle aufstand und seine Pfeife
+niederlegte, um meines Vaters andere Hand zu erfassen. »Ich bitte dich
+ergebenst, daß ich dir den Sohn des armen Le Fevers empfehlen dürfte.«
+Eine Freudenträne blitzte wie der schönste Brillant in meines Onkels
+Toby Auge, und eine andere, die das Paar vollmachte, im Auge des
+Korporals, als der Vorschlag getan ward.</p>
+
+<p>Le Fevers schwebte meinem Onkel Toby die ganze Zeit über in den
+Gedanken, da mein Vater ihm und Herrn Yorick beschrieb, was für eine
+Art von Person er zum Hofmeister<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> für mich haben wollte. Da aber
+anfangs mein Vater meinem Onkel Toby in Ansehung der Vollkommenheiten
+ein wenig zu begehrlich schien, enthielt er sich, Le Fevers' Namen zu
+nennen, bis endlich der Charakter durch die Dazwischenkunft des Herrn
+Yorick unvermutet auf jemand hinauslief, der Mut hätte, großmütig und
+gutherzig wäre. So rückte ihm solches Le Fevers' Bild wieder näher vor
+die Seele und legte sein Bestes meinem Onkel Toby so innig ans Herz,
+daß er augenblicklich vom Stuhle aufstand und seine Pfeife niederlegte,
+um meines Vaters beide Hände zu fassen. »Ich bitte, Bruder Walther,«
+sagte mein Onkel Toby, »laß dir Le Fevers' Sohn dazu empfohlen sein.«
+— »Ich bitte gleichfalls darum,« fügte Yorick hinzu. — »Er hat ein
+gutes Herz,« sagte mein Onkel Toby. — »Und ein braves dazu, mit Euer
+Gnaden Erlaubnis,« sagte der Korporal. — »Die besten Herzen, Trim,
+sind immer die bravsten,« versetzte mein Onkel Toby. — »Und die
+größten alten Memmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, bei unserem Regiment,
+waren allzeit die ärgsten Leutequäler. Da war der Sergeant Kumbart und
+der Fähnrich —«</p>
+
+<p>»Da wollen wir,« sagte mein Vater, »ein andermal von sprechen.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_90">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Einundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Wenn der Leser keinen deutlichen Begriff von den anderthalb Ruten
+Landes hat, welches am Ende von meines Onkels Toby Küchengarten liegt
+und welches die Szene so mancher seiner süßen Stunden war, so liegt die
+Schuld nicht an mir, sondern an seiner Imagination. Denn ich hab's ihm
+doch wahrhaftig so kindisch deutlich beschrieben, daß ich mich fast
+selbst davor schäme.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span></p>
+
+<p>Als die Göttin des Schicksals eines Nachmittags einen Blick in die
+großen Begebenheiten der künftigen Zeiten tat und übersann, zu welchem
+Zwecke diese kleine Verwicklung durch ein in diamantene Tafeln
+gegrabenes Dekret bestimmt sei, gab sie der Natur einen Wink. Mehr
+brauchte sie nicht.</p>
+
+<p>Die Natur warf eine halbe Schaufel voll ihrer bestartigsten Erdmischung
+darauf, die gerade so viel von zähem Ton enthielt, als nötig war, um
+die Winkel und Einschnitte der Festung haltbar zu machen, und doch so
+wenig, daß es nicht an Hacke und Spaten klebte, und daß bei schlechtem
+Wetter die Werke von so großer Herrlichkeit nicht das Ansehen eines
+Sudels bekämen.</p>
+
+<p>Mein Onkel kam herunter, wie der Leser belehrt ist, und hatte die
+Grundrisse von fast allen festen Städten in Italien und Flandern bei
+sich. — Der Herzog von Marlborough oder die Alliierten mochten also
+eine Stadt belagern, welche sie wollten, mein Onkel Toby war allemal
+fertig und bereit.</p>
+
+<p>Seine Weise, eine der natürlichsten von der Welt, war diese: Sobald nur
+eine Festung eingeschlossen war — und noch früher, wenn der Vorsatz
+bekannt war —, nahm er den Grundriß derselben zur Hand — die Stadt
+mochte sein, welche es wollte — und vergrößerte den Maßstab nach dem
+genauen Umfange seines grünen Spielplatzes. Dann trug er vermittels
+einer Rolle Bindfaden und einer Anzahl kleiner Pflöcke, die er an den
+verschiedenen Ecken und Winkeln in die Erde schlagen ließ, alle Linien
+von seinem Papier auf die Fläche dieses Platzes. Wenn er darauf das
+Profil des Platzes mit seinen Werken hatte, um die Breite und Tiefe
+der Gräben, die Abschüssigkeit der Wälle und die genaue Höhe der
+verschiedenen Brustwehren zu bestimmen, so stellte er den Korporal ans
+Werk. Und es ging hübsch vonstatten. Die Gutartigkeit des Bodens, die
+Gutartigkeit des Werkes<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> selbst, und vornehmlich die Gutartigkeit des
+Gemüts meines Onkels Toby, der vom Morgen bis Abend dabeisaß und mit
+dem Korporal freundlich von ihren Taten plauderte, ließen der Arbeit
+weiter nichts als die Zeremonie des Namens.</p>
+
+<p>Wenn auf diese Weise die Festung vollendet und in gehörigen
+Verteidigungsstand gesetzt worden war, wurde sie eingeschlossen. Mein
+Onkel Toby und der Korporal fingen an, die erste Parallele zu ziehen.
+Ich bitte, mich in meiner Geschichte dadurch nicht zu stören, daß man
+etwa sagen möchte, die erste Parallele sollte wenigstens dreihundert
+Ruten weit von der Festung entfernt sein, und ich habe nicht einen
+einzigen Zoll breit dazu freigelassen. Denn mein Onkel Toby nahm
+sich die Freiheit, in seinem Küchengarten um sich zu greifen, um die
+Werke auf dem Spielplatze desto größer machen zu können. Aus dieser
+Ursache ging er gewöhnlich mit seiner ersten und zweiten Parallele
+zwischen zwei Reihen von Kraut- und Blumenkohl hindurch. Das Bequeme
+und Unbequeme hierbei soll weitläufig erwogen werden in der Geschichte
+von meines Onkels Toby und des Korporals Feldzügen, wovon dieses, was
+ich jetzt schreibe, nur eine Skizze ist, und wenn ich recht mutmaße —
+aber wie's mit allem Mutmaßen geht! —, mit drei Seiten abgetan sein
+wird. Die Feldzüge selbst werden ebensoviel Bücher ausmachen. Deswegen
+besorge ich, es möchte ein zu großes Gewicht von einer Art Materie für
+ein so lockeres Werk sein wie dieses, wenn ich solche, wie ich einst
+willens war, fragmentweise hier einschaltete. Nein, es ist besser, ich
+lasse sie besonders drucken. — Wir wollen's überlegen! — Nehmen Sie
+unterdessen mit folgender Skizze davon fürlieb.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_91">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span></p>
+
+<h2>Zweiundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Wenn die Stadt mit ihren Festungswerken zustande gebracht war, fingen
+mein Onkel Toby und der Korporal an, ihre erste Parallele zu ziehen,
+nicht aufs Geratewohl oder so, sondern aus ebenden Punkten und in
+ebenden Distanzen, wie die Alliierten die ihrigen begonnen hatten. Sie
+richteten ihren Aufmarsch und ihre Attacken genau nach der Nachricht
+ein, die mein Onkel Toby durch die Zeitungen empfing. Auf diese Weise
+gingen sie die ganze Belagerung durch, Schritt für Schritt mit den
+Alliierten. Machte der Herzog von Marlborough ein Lager, so machte
+mein Onkel Toby sein Lager auch. Und wenn die Face einer Bastei
+niedergeschossen oder ein Außenwerk ruiniert wurde, nahm der Korporal
+seine Hacke und tat desgleichen. Und sofort gewannen sie Terrain und
+bemeisterten sich eines Werkes nach dem anderen, bis die Stadt in ihre
+Hände fiel.</p>
+
+<p>Für jemanden, der an anderer Leute Glückseligkeit Vergnügen fand,
+konnte in der Welt kein herrlicherer Anblick sein, als an einem Morgen
+eines Posttages, wenn die Nachricht kam, daß der Herzog von Marlborough
+eine brauchbare Bresche dem Hauptwalle der Stadt beigebracht hätte,
+hinter der Taxushecke zu stehen und die Emsigkeit zu beobachten, mit
+der mein Onkel Toby und der Korporal hinter ihm anrückten. Der eine mit
+der Zeitung in der Hand, der andere mit einem Spaten auf der Schulter,
+den Inhalt ins Werk zu setzen. Was für eine Herzensfreude leuchtete aus
+meines Onkels Toby Blicken, wenn er den Wall hinanmarschierte! Welch
+ein inniges Vergnügen schwamm in seinen Augen, wenn er vor dem Korporal
+stand und ihm den Zeitungsartikel bei der Arbeit zehnmal vorlas, damit
+er nicht aus Versehen die Bresche einen Zoll zu weit machte oder einen
+Zoll zu eng ließ. Wurde aber erst die Einfallsbresche geschlagen<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> und
+der Korporal half ihm hinauf und folgte ihm mit der Fahne in der Hand.
+um sie auf den Wall zu pflanzen — Himmel! Erde! Meer! — Aber was
+sollen die Apostrophen? — Aus allen Elementen, naß oder trocken, ist
+noch niemals ein so berauschender Trank verfertigt worden.</p>
+
+<p>Auf dieser Bahn des Vergnügens wandelten sie ununterbrochen,
+ausgenommen wenn zuweilen starker Westwind war, so acht oder zehn
+Tage das niederländische Postschiff aufhielt und sie so lange auf der
+Folter ließ. Aber auch das war doch nur die Folter glücklicher Leute.
+Auf dieser Bahn, sage ich, wandelten mein Onkel Toby und Trim manche
+Jahre fort, und jedes Jahr und zuweilen jeder Monat brachte, nach der
+Erfindung des einen oder des anderen von beiden, in ihren Operationen
+eine oder die andere neue Erfindung oder listige und nützliche
+Verbesserung hervor, welche ihnen bei der Ausführung allemal neue
+Quellen des Vergnügens eröffnete.</p>
+
+<p>Die Kampagne des ersten Jahres wurde von Anfang bis Ende in der einfach
+ungekünstelten Art geführt, wie ich erzählt habe.</p>
+
+<p>Im zweiten Jahre, in welchem mein Onkel Toby Lüttich und Roermond
+einnahm, dachte er, er könnte wohl die Kosten für vier hübsche
+Zugbrücken daran wagen. Von einem Paar derselben habe ich bereits in
+den vorigen Teilen dieses Werkes eine genaue Beschreibung gegeben.</p>
+
+<p>Gegen das Ende ebendieses Jahres tat er ein paar Tore mit Fallgattern
+hinzu. Die letzteren aber wurden nachher als Orgelstücke besser
+genutzt; und im Winter desselben Jahres spendierte sich mein Onkel Toby
+statt eines neuen Kleides, das er sich sonst allemal zu Weihnachten
+machen ließ, ein schönes Schilderhaus, das er an die Ecke des grünen
+Spielplatzes stellte. Zwischen diesem und dem Fuße des Walles<span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span> ließ
+er eine kleine Art von Esplanade, auf welcher er und der Korporal
+konferieren und Kriegsrat halten konnten.</p>
+
+<p>Das Schilderhaus war dazu, wenn's regnen sollte.</p>
+
+<p>Alles dieses wurde den folgenden Frühling dreimal weiß übermalt.
+Dadurch setzte sich mein Onkel Toby in den Stand, mit vieler Pracht ins
+Feld zu rücken.</p>
+
+<p>Mein Vater pflegte oft zu Yorick zu sagen, wenn irgendein anderer
+Sterblicher in der ganzen Welt, als sein Bruder Toby, so etwas getan
+hätte, so würde jedermann es angesehen haben als die feinste und
+bitterste Satire auf die paradierende und prachtsüchtige Weise, mit
+welcher Ludwig <em class="antiqua">XIV.</em> vom Anfange des Krieges an, besonders aber
+ebendieses Jahr, ins Feld gerückt war. Aber meinem Bruder Toby, pflegte
+mein Vater hinzuzusetzen, der gutherzigen Seele, kommt nie in den Sinn,
+jemanden zu beleidigen.</p>
+
+<p>Aber laßt uns fortfahren.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_92">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Dreiundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich muß anmerken, daß, obgleich bei dem Feldzuge des ersten Jahres
+das Wort Stadt oft vorkommt, dennoch damals noch keine Stadt in dem
+Polygone war. Dieser Zusatz wurde erst in dem Sommer gemacht, der
+auf den Frühling folgte, in welchem die Brücken und das Schilderhaus
+angemalt wurden. Es war das dritte Jahr der Feldzüge meines Onkels
+Toby. Da, nachdem Amberg, Bonn, Rheinburg und Huy und Limburg
+nacheinander von ihnen eingenommen worden, dem Korporal der Gedanke
+kam, daß man von der Einnahme so vieler Städte spräche, ohne eine
+einzige Stadt davon aufweisen zu können, wäre eine dumme Art zu Werke
+zu gehen. Also schlug er meinem Onkel Toby vor, daß sie sich ein
+kleines Modell von einer Stadt bauen lassen<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> müßten. Sie brauchte nur
+von Tannenlatten zusammengeschlagen, dann angemalt, in das Polygon
+hineingesetzt und für alle Städte benutzt werden.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby fühlte augenblicklich das Gute an dem Projekt und
+genehmigte es auf der Stelle; nur mit dem Zusatz von zwei ganz eigenen
+Verbesserungen, auf welche er sich fast ebensoviel einbildete, als ob
+er der erste Erfinder des Projekts selbst gewesen wäre.</p>
+
+<p>Die eine war, die Stadt sollte ganz genau in dem Geschmacke derjenigen
+gebaut werden, die sie sehr wahrscheinlicherweise würde vorstellen
+müssen. — Mit kleinen Fensterscheiben und den hohen Giebelenden der
+Häuser nach der Gasse usw., wie in Gent und Brügge und den übrigen
+brabantischen und flandrischen Städten.</p>
+
+<p>Die andere war, die Häuser sollten nicht eins ins andere gebaut werden,
+wie der Korporal vorschlug, sondern jedes Haus sollte für sich sein, so
+daß man es an- oder abhacken könne, um sie in den Grundriß einer jeden
+Stadt bringen zu können. Dies wurde den Augenblick vorgenommen, und
+mancher glückwünschende Blick wurde zwischen meinem Onkel Toby und dem
+Korporal Trim gewechselt, während der Zeit, daß der Zimmermann das Werk
+machte.</p>
+
+<p>Sie tat ihnen außerordentliche Dienste den nächsten Sommer. Die Stadt
+war ein wahrer Proteus. Sie war Landen und Trarbach, und Santvliet und
+Drusen, und Hagenau — und dann wurde sie wieder Ostende und Menin, und
+Aeth und Dendermonde.</p>
+
+<p>Fürwahr, seit Sodom und Gomorrha hat noch keine Stadt so mancherlei
+Rollen gespielt, als meines Onkels Toby Stadt spielte.</p>
+
+<p>Im vierten Jahre dachte mein Onkel Toby, eine Stadt ohne eine Kirche
+habe ein so kahles Ansehen, und tat eine recht hübsche Kirche mit einem
+Glockenturme hinzu. Trim<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> hätte auch gerne Glocken hinein gehabt, mein
+Onkel Toby aber sagte, das Metall könnte besser zu Kanonen vergossen
+werden.</p>
+
+<p>Dies führte in der nächsten Kampagne zu einem halben Dutzend
+messingener Feldstücke. Drei und drei an jeder Seite von meines
+Onkels Toby Schilderhaus. In kurzer Zeit führten diese zu einem
+etwas größeren Artillerietrain. Und so immer weiter, wie es allemal
+bei steckenpferdischen Geschichten hergehen muß. Von Kanonen von
+halbzölligem Kaliber, bis es endlich bis zu meines Vaters weiten
+Steifstiefeln hinanstieg.</p>
+
+<p>Das Jahr darauf, in welchem Lisle belagert wurde, und am Ende dessen
+Gent und Brügge in unsere Hände fielen, ging's meinem Onkel Toby sehr
+hart um die gehörige Munition. Ich sage, gehörige Munition, weil sein
+Geschütz kein Pulver vertragen konnte; und ein Glück für die Shandysche
+Familie war das! Denn so voll standen die Zeitungen vom Anfang
+bis zu Ende der Belagerung, von dem unaufhörlichen Feuer, das die
+Belagerer unterhalten hätten, — und so erhitzt war meines Onkels Toby
+Imagination von den Nachrichten davon, daß er sonst ganz gewiß sein Hab
+und Gut verschossen hätte.</p>
+
+<p>Etwas war also nötig, statt dessen unterzuschieben, zumal in einem
+oder zwei der heftigsten Paroxismen der Belagerung, um etwas in der
+Einbildung einem beständigen Feuer Ähnliches zu unterhalten. Und dieses
+Etwas schaffte der Korporal, dessen vorzügliche Stärke im Erfinden
+bestand, durch ein von ihm ganz neu erdachtes Batteriefeuer. Ohne
+welches die militärischen Kritiker an meines Onkels Toby Apparates
+daran auszusetzen gefunden hätten, daß eins der notwendigsten
+Erfordernisse dabei fehlte.</p>
+
+<p>Dies wird nicht schlechter erklärt werden, wenn ich, wie ich gewöhnlich
+pflege, ein wenig von der Sache abgehe.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_93">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Vierundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Unter zwei oder drei anderen Lappalien, die an sich selbst nichts
+bedeuteten, aber dadurch einen großen Wert bekamen, daß sie der arme
+Thomas, des Korporals unglücklicher Bruder, mit der Nachricht von
+seiner Verheiratung mit der Judenwitwe überschickt hatte, waren: Eine
+Reitmütze und zwei türkische Tabakspfeifen.</p>
+
+<p>Die Reitmütze will ich gelegentlich beschreiben. Die türkischen
+Tabakspfeifen hatten nichts Besonderes; sie waren gemacht und gezieret
+wie alle übrigen, mit biegsamen Röhren von Saffian mit Golddraht, und
+auf den Enden mit kleinen Mundstücken, das an der einen von Elfenbein
+und das an der ändern von schwarz Ebenholz mit Silber eingefaßt.</p>
+
+<p>Mein Vater, der alle Dinge von einem ändern Gesichtspunkte aus ansah
+wie die übrigen Menschen, wollte dem Korporal sagen, er hatte diese
+beiden Geschenke mehr als ein Zeichen der Ekelheit als der Gewogenheit
+seines Bruders zu betrachten. — »Seinem Bruder Thomas ekelte davor,
+Trim,« sagte er, »eine Mütze aufzusetzen, die ein Jude getragen,
+oder aus einer Pfeife zu rauchen, die ein Jude im Mund gehabt.« —
+»Gott Segne Euer Gnaden,« erwiderte der Korporal — und führte einen
+wichtigen Grund fürs Gegenteil an —, »wie reimte sich das?« —</p>
+
+<p>Die Reitmütze war scharlachfarben, von dem feinsten spanischen Tuche,
+in der Wolle gefärbt, rundum mit Rauchwerk besetzt, ausgenommen eine
+vier Finger breite Kappe vorne, von hellblauem, ein wenig gesticktem
+Tuche. Sie schien einem portugiesischen Quartiermeister, nicht zu Fuße,
+sondern zu Pferde, wie der Name schon andeutet, gehört zu haben.</p>
+
+<p>Der Korporal tat nicht wenig groß damit, sowohl wegen ihres eigenen
+Wertes als wegen des Gebers, und setzte sie deswegen selten oder
+niemals auf, außer an Galatagen. Dennoch<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> ward wohl niemals eine
+Reitmütze zu so mancherlei gebraucht. Denn bei allen streitigen
+Punkten, im Kriegs- oder Küchenwesen, wenn nur der Korporal gewiß
+wußte, daß er recht hätte, brauchte er sie, als Wette, als Beteurung
+oder als Geschenk.</p>
+
+<p>Die Reihe war jetzt an ihr als Geschenk.</p>
+
+<p>»Ich will gehalten sein,« sagte der Korporal, der mit sich selber
+sprach, »dem ersten besten Bettler, der vor die Türe kommt, meine
+Reitmütze zu schenken, wenn ich die Sache nicht so mache, daß der
+gnädige Herr seine Lust und Freude daran haben soll.«</p>
+
+<p>Die Ausführung ward nicht weiter hinausgeschoben als bis auf den
+folgenden Morgen, welches eben der Morgen war, da auf die Konterskarpe,
+zwischen der niederen Dudane und dem Andreastore zur Rechten, und zur
+Linken zwischen St. Magdalenen und dem Flusse, Sturm gelaufen wurde.</p>
+
+<p>Da dieses die merkwürdigste Attacke im ganzen Kriege war, die tapferste
+und hartnäckigste auf beiden Seiten, und ich muß hinzusetzen, die
+blutigste dazu, denn sie kostete die Alliierten selbst diesen Morgen
+über elfhundert Mann, so schickte sich mein Onkel Toby mit mehr als
+gewöhnlicher Feierlichkeit dazu an.</p>
+
+<p>Den Abend vorher, als mein Onkel Toby zu Bette ging, befahl er, seine
+Dreiknotenperücke, welche manches Jahr, die Haarseite nach innen
+gekehrt, im Winkel einer alten Feldkiste gelegen hatte, die beim Bette
+stand, hervorzusuchen und für morgen früh auf den Deckel bereit zu
+legen. Und das erste, was er des Morgens noch im bloßen Hemde tat, als
+er aus dem Bette gestiegen, nachdem er die rauhe Seite auswärts gekehrt
+hatte, war, daß er sie aufsetzte. Als das geschehen, tat er darauf auch
+die Beinkleider an, und sobald er den Gürtel zugeknöpft, schnallte er
+auch das Degengehänge um und hatte schon den Degen halb hineingesteckt,
+als er merkte, daß er<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> sich den Bart abnehmen lassen müßte, und daß
+sich das mit dem Degen an der Seite nicht schicke. Er legte ihn also
+ab. Als er Weste und Rock anlegen wollte, fand mein Onkel dasselbe
+Hindernis an der Perücke. Also kam die auch herunter: so, daß durch ein
+Hindernis hier und durch ein Hindernis dort, wie es immer geht, wenn
+ein Mensch in der größten Eile ist, die Uhr zehn schlug. Das war eine
+halbe Stunde später, als mein Onkel gewöhnlich ausrückte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_94">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Fünfundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Onkel Toby war kaum um die Ecke seiner Taxushecke gekommen, die
+seinen Küchengarten von dem grünen Spielplatz trennte, als er gewahr
+ward, daß der Korporal die Attacke bereits ohne ihn angefangen hatte.</p>
+
+<p>Laßt mich hier ein wenig verweilen und Ihnen ein Gemälde von den
+Anstalten des Korporals machen und von dem Korporal selbst, in der
+heftigsten Hitze dieser Attacke, wie sie meinem Onkel Toby in die Augen
+fiel, als er auf das Schilderhaus losging, wo der Korporal in der
+Arbeit war. Denn in der ganzen Natur gibt's nicht dergleichen — und
+aus allem, was in ihren Werken Groteskes und Seltsames zu finden ist,
+läßt sich kein Ähnliches zusammenbringen.</p>
+
+<p>Der Korporal. —</p>
+
+<p>Tretet leise auf seinen Staub, ihr Männer von Genie, denn euch war er
+nahe verwandt.</p>
+
+<p>Haltet sein Grab vom Unkraut rein, ihr Männer von gutem Herzen, denn
+er war euer Bruder. — O, Korporal! hätte ich dich doch jetzt, jetzt,
+da ich imstande bin, dir eine Mahlzeit zu geben und dir Schutz zu
+verleihen. — Wie wollte ich dein warten und pflegen! Deine liebe
+Reitmütze solltest du tragen, jede Stunde des Tages und jeden Tag
+der Woche.<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> Und wäre sie abgetragen, ich wollte dir ein paar andere
+ebenso gute kaufen. Aber, leider! leider! leider, ach! Jetzt, da ich
+das kann, trotz Ihro Hochwürden, ist die Gelegenheit dahin! — Denn du
+bist dahin. Dein Genius flog auf zu den Sternen, von wannen er kam.
+Und dieses, dein warmes Herz, mit allen seinen großmütigen offenen
+Gefäßen, ist zu einem Erdenkloß des Jammertals zerdrückt. Doch was —
+was ist das gegen jenes künftige trauervolle Blatt, wo ich das sammetne
+Leichentuch betrachte, verziert mit dem kriegerischen Ehrenzeichen
+deines Herrn — des ersten — des besten der geschaffenen Wesen, wo
+ich dich erblicken werde, du getreuer Knecht, wie du seinen Degen und
+Scheide mit zitternder Hand kreuzweise über seinen Sarg legst und
+dann aschbleich zur Türe hinaustrittst, sein Trauerpferd beim Zaume
+zu fassen und hinter seiner Barre zu führen, wie er von dir begehrte.
+Wo alle Systeme meines Vaters vor seinem Kummer dahinsinken, und ich
+ihn sehen werde, wie er trotz seiner Philosophie den goldgefirnißten
+Wappenschild betrachtet, zweimal die Brille von der Nase nimmt, den Tau
+wegzuwischen, den die Natur daraufgoß. Wenn ich ihn sehe, wie er den
+Rosmarinzweig mit stummem Jammer ins Grab wirft, der durch mein Ohr
+schallet: O, Toby, in welchem Winkel der Erde soll ich den suchen, der
+dir gliche? —</p>
+
+<p>Gütige Mächte! die ihr vor grauen Zeiten die Lippen des Stummen
+geöffnet und die Zunge des Stammlers recht sprechen gelehrt. Komme ich
+einst bis zu diesem trauervollen Blatte, dann, o dann rührt mich an,
+mit allgewaltiger Hand!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_95">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span></p>
+
+<h2>Sechsundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Der Korporal, der den Abend vorher in seinem Sinne beschlossen hatte,
+dem Mangel des erwünschten Etwas, das ein ununterbrochenes Feuer auf
+den Feind während der Hitze der Attacke vorstellen könnte, abzuhelfen,
+hatte damals keine andere Idee in seinem Kopfe gefaßt, als ein
+Kunststück zu erfinden, wie er aus einem der sechs Feldstücke meines
+Onkels Toby, die zu beiden Seiten seines Schilderhauses gepflanzt
+waren, Tabaksrauch nach der Stadt hin dampfen möchte. Da ihm nun
+zugleich die Mittel einfielen, wie er's bewerkstelligen könnte, so
+hatte er zwar seine Reitmütze verpfändet, hielt sie aber, wegen der
+Zuversicht zu seinem Projekte, in gar keiner Gefahr.</p>
+
+<p>Nachdem er hin und her überlegt hatte, machte er es bald ausfindig,
+daß vermittels seiner zwei türkischen Tabakspfeifen, mit Hilfe von
+drei kleinen Röhren von Schafsleder, an jedem von ihren unteren
+Enden, an welchen ebenso viele dünne Sauger befestigt waren, die
+auf die Zündlöcher paßten, mit Ton an die Kanone geklebt und dann
+an den Stellen, wo sie in die Saffianröhre gingen, mit gewächster
+Seide hermetisch verschlossen würden —, er imstande sein müßte, alle
+sechs Feldstücke auf einmal abzubrennen, und zwar mit ebensovieler
+Leichtigkeit, als ob's nur eine wäre.</p>
+
+<p>Sage doch niemand mehr, daß es Zähne und Zacken gebe, woraus man nicht
+Winke zur Verbesserung der menschlichen Wissenschaften entlehnen
+könne! — Sage kein Mensch ferner, aus was für Art Körpern eine Fackel
+zur vollkommenen Aufklärung der Künste und Wissenschaften gemacht,
+oder nicht gemacht werden kann. — Himmel! du weißt, wie sehr ich sie
+liebhabe. Du kennst die Geheimnisse meines Herzens, und daß ich diesen
+Augenblick mein Hemd hingäbe. — Du bist nicht klug, Shandy, sagte
+Eugenius, denn du hast nur<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> ein Dutzend in deinem Vermögen, und da
+bliebe es ja nicht mehr voll. —</p>
+
+<p>Wenn auch, Eugenius, das Hemde vom Leibe gäbe ich hin und ließe Zunder
+für ein Feuerzeug daraus brennen, wäre es nur nütze, einen hitzigen
+Forscher bei der Untersuchung zu unterstützen, der untersuchen will,
+wie viele Funken auf einen guten Schlag ein guter Stahl und Stein in
+die Zunderpfanne schlagen könne. — Glauben Sie nicht, daß er, indem er
+diese hineinschlüge — er gar wohl etwas herausbringen könnte?</p>
+
+<p>Doch dies Projekt bei Gelegenheit.</p>
+
+<p>Der Korporal saß den größten Teil der Nacht darüber, dieses zustande zu
+bringen. Und nachdem er eine hinlängliche Probe mit seinem Geschütze
+angestellt, da er's mit Tabak bis an die Mündung voll geladen hatte,
+ging er vergnügt zu Bette.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_96">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Siebenundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Der Korporal hatte sich ungefähr zehn Minuten vor meinem Onkel Toby
+hinausgeschlichen, um seine Anstalten in Ordnung zu bringen und dem
+Feinde nur eine oder zwei Salven zu geben, ehe mein Onkel Toby käme.</p>
+
+<p>Zu diesem Ende hatte er die sechs Feldstücke zusammen, dicht
+beieinander, bei meines Onkels Toby Schilderhause in Fronte gestellt,
+und nur etliche Fuß Platz zwischen den dreien rechter Hand und den
+dreien linker Hand gelassen, um Raum zum Laden usw. zu behalten und
+vielleicht auch, wer weiß, um zwei Batterien zu haben, die ihm nach
+seinen Gedanken doppelt soviel Ehre brachten als eine.</p>
+
+<p>Hinter der Linie, dieser Öffnung gegenüber, den Rücken nach der Türe
+des Schilderhauses gekehrt, aus Furcht, überflügelt<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> zu werden, hatte
+der Korporal sehr weislich seinen Posten genommen. — Er hielt die
+Röhre mit Elfenbein, zur Batterie rechter Hand gehörend, zwischen
+Finger und Daumen seiner Rechten und die Röhre aus mit Silber
+belegtem Ebenholze, zur Batterie linker Hand gehörend, zwischen
+Daumen und Finger der anderen. Mit seinem rechten Knie fest auf den
+Boden gestemmt, als ob er im ersten Gliede im Anschlage läge, schoß
+der Korporal mit seiner Reitmütze auf dem Kopfe mit seinen beiden
+Kreuzbatterien zugleich gar gewaltig auf die Kontergarde, welche die
+Konterskarpe deckte, wo diesen Morgen die Attacke geschehen sollte.
+Sein erster Vorsatz war, wie gesagt, nichts weiter, als einen Puff oder
+ein paar zu geben. Aber das Vergnügen, sowohl über die Püffe als am
+Puffen hatte sich unbemerkt des Korporals bemächtigt und ihn von Puff
+zu Puff bis zur vollen Attacke geführt, gegen die Zeit, als mein Onkel
+Toby zu ihm stieß.</p>
+
+<p>Ein Glück war es für meinen Vater, daß mein Onkel Toby nicht ebenden
+Tag sein Testament machte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_97">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Achtundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Onkel Toby nahm das Pfeifenröhrchen mit Elfenbein aus der Hand des
+Korporals, besah es eine halbe Minute und gab's ihm wieder.</p>
+
+<p>In weniger als zwei Minuten nahm mein Onkel Toby das Rohr wieder vom
+Korporal und führte es den halben Weg zum Munde. Dann gab er's zum
+zweiten Male hastig zurück.</p>
+
+<p>Der Korporal verdoppelte den Angriff. Mein Onkel Toby lächelte, sah
+wieder ernsthaft aus, lächelte wieder einen Augenblick. Dann sah er
+wieder lange Zeit ernsthaft zu. — »Geb' Er mir das Röhrchen mit
+Elfenbein, Trim,« sagte mein<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> Onkel Toby. Mein Onkel Toby brachte es
+bis an die Lippen, zog es gleich wieder zurück, sah ein wenig umher
+über die Buschhecken. In seinem Leben hatte meinem Onkel Toby nicht so
+der Mund nach einer Pfeife gewässert. — Mein Onkel Toby begab sich mit
+der Pfeife in der Hand in sein Schilderhaus. —</p>
+
+<p>Liebster Onkel Toby! O gehen Sie doch nicht mit der Pfeife ins
+Schilderhaus, ich bitte! Wie ist einem Menschen mit solch einem Dinge
+in einem solchen Winkel zu trauen!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_98">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Neunundneunzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich bitte, der Leser wolle mir beistehen, meines Onkels Toby grobes
+Geschütz hinter die Szene abzufahren, sein Schilderhaus abzubrechen und
+das Theater womöglich von den Hornwerken und Halbmonden zu räumen und
+das übrige Kriegsgeräte aus dem Wege zu schaffen. Wenn das geschehen
+ist, mein lieber Freund Garrick, wollen wir die Lichter sauber putzen,
+das Theater mit einem neuen Besen fegen, den Vorhang aufziehen und
+meinen Onkel Toby in einem neuen Charakter auftreten lassen, in welchem
+die Welt keine Idee haben kann, wie er agieren wird. Und dennoch, wenn
+Mitleiden mit der Liebe verschwistert ist und Tapferkeit mit ihr in
+keiner Feindschaft lebt, so haben Sie in diesen Stücken schon genug
+von meinem Onkel Toby gesehen, um diese Familienähnlichkeit unter
+den beiden Leidenschaften — wo nur eine da ist — nach Herzenslust
+auszuspähen.</p>
+
+<p>Eitle Wissenschaft! Du kommst uns in keinem Falle dieser Art zustatten.
+Und in jedem anderen läßt du uns stecken.</p>
+
+<p>Bei meinem Onkel Toby, Madame, befand sich eine so edle Einfalt des
+Herzens, welche ihn so weit von den krummen<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> Wegen, auf welchen die
+Dinge dieser Art gemeiniglich zu wandern pflegen, ableitete, daß Sie
+— daß Sie es sich nicht vorstellen können. Dabei fand sich ferner
+eine solche arglose treuherzige Art zu denken und eine solche von
+allem Mißtrauen entfernte Unwissenheit in der Kenntnis der mancherlei
+Falten des weiblichen Herzens. Und so nackend und wehrlos stand er da
+vor Ihnen, wenn er nicht eben mit einer Belagerung beschäftigt war,
+daß Sie hinter dem ersten besten von Ihren krummen Wegen hätten stehen
+und meinen Onkel Toby zehnmal an einem Tage durch und durch schießen
+können, wenn Sie mit neunmal an einem Tage noch nicht genug gehabt
+hätten, Madame.</p>
+
+<p>Neben alle diesem, Madame, und was auf der anderen Seite wieder
+ebensoviel verdarb, hatte mein Onkel Toby diese unvergleichbare
+Züchtigkeit der Natur, von der ich Ihnen schon erzählt habe, und
+welche, beiläufig gesagt, beständig bei seinen Empfindungen Schildwache
+stand, daß Sie ebensoleicht hätten — aber wo gerate ich hin? Diese
+Betrachtungen strömen mir wenigstens zehn Seiten zu früh zu und nehmen
+die Zeit weg, die ich auf Fakta verwenden sollte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_99">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Unter den wenigen echten Söhnen Adams, deren Brust niemals den
+Pfeil der Liebe empfunden haben — als ausgemacht angenommen, daß
+alle Weiberhasser unechte Kinder sind —, haben die größten Helden
+der älteren und neueren Geschichte schon neun Zehntel von der Ehre
+dahin. Um dieser Helden wollte ich, daß ich den Schlüssel zu meiner
+Schreibstube wieder aus dem Ziehbrunnen herauf hatte. Nur auf fünf
+Minuten, um ihre Namen anführen zu können. Aus dem Kopfe weiß ich sie
+nicht. Je nun! begnügen Sie sich für jetzt statt ihrer, mit diesen:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span></p>
+
+<p>Da war der große König Aldrovandus, und Bosphorus, und Capadocius, und
+Dardanus, und Pontus und Asius — nicht zu gedenken des stahlherzigen
+Karls <em class="antiqua">XII.</em>, mit dem selbst die Gräfin K... nichts anfangen
+kannte. — Da waren Babilonicus, und Mediterraneus, und Polixenes, und
+Persicus, und Prusicus, wovon nicht einer — ausgenommen Capadocius
+und Pontus, weiche beide ein wenig verdächtig waren — seine Brust
+der Göttin zuneigte. — Denn, die Wahrheit zu sagen, sie hatten alle
+miteinander wohl sonst etwas zu tun. Und so war's mit meinem Onkel
+Toby, bis das Schicksal, bis die Göttin des Schicksals, sage ich,
+welche ihm den Ruhm beneidete, daß sein Name mit Aldrovandus und den
+übrigen auf die Nachkommenschaft kommen sollte, hämischerweise den
+Utrechter Frieden ausheckte.</p>
+
+<p>Glauben Sie mir, mein Herr, das war in dem Jahre ihre heimtückischste
+Tat.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_100">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hunderterstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Unter den manchen üblen Folgen des Utrechter Traktates war auch
+diese, daß nicht viel fehlte, so hätte mein Onkel Toby einen Ekel an
+den Belagerungen bekommen. Und ob er gleich seine Belagerungslust
+nachher wieder bekam, so ließ doch selbst Calais keine tiefere Narbe
+in dem Herzen der Königin Marie, als Utrecht im Herzen meines Onkels
+Toby. Bis an sein seliges Ende konnte er Utrecht niemals gelassen
+nennen hören, nicht einmal einen Artikel lesen, der aus der Utrechter
+Zeitung genommen war, ohne einen Seufzer zu holen, als ob ihm das Herz
+zerspringen wollte.</p>
+
+<p>Mein Vater, der ein großer Ursachenkrämer war und folglich eine
+gefährliche Person für einen Mann, der in seiner Gegenwart lachte oder
+weinte — denn gemeiniglich wußte er<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> die Ursache, warum Sie beides
+täten, weit besser wie Sie selbst —, suchte beständig meinen Onkel
+Toby bei solchen Gelegenheiten zu trösten — auf eine Art zwar, welche
+deutlich verriet, er bilde sich ein, meinem Onkel Toby ginge bei der
+ganzen Sache nichts so sehr zu Herzen als sein liebes Steckenpferd.
+»Laß nur gut sein, Bruder Toby,« pflegte er zu sagen, »wenn es Gottes
+Wille ist, werden wir bald wieder neuen Krieg haben. Und wenn der
+losgeht, wenn sich die kriegführenden Mächte auch aufhingen, können sie
+uns doch nicht aus dem Spiele lassen. Ich will doch einmal sehen, mein
+lieber Toby,« pflegte er hinzuzusetzen, »ob sie Länder nehmen können
+ohne Städte, oder Städte ohne Belagerungen.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby konnte diesen Rückenhieb nach seinem Steckenpferde
+niemals freundlich hinnehmen. — Er hielt den Hieb für ungroßmütig. Und
+zwar um so mehr, da er nicht auf das Pferd treffen konnte, ohne den
+Reiter mit zu treffen, und zwar auf den schimpflichsten Fleck an seinem
+Leichname, wohin ein Hieb fallen kann. Sonach legte er bei diesen
+Gelegenheiten allemal die Pfeife mit mehr Feuer als gewöhnlich auf den
+Tisch, um sich zu verteidigen.</p>
+
+<p>Heute vor zwei Jahren sagte ich dem Leser, daß mein Onkel Toby nicht
+beredt gewesen — und gab auf dieser Seite hier ein Beispiel vom
+Gegenteil. — Ich wiederhole die Bemerkung und bringe ein Faktum bei,
+welches ihr abermals widerspricht. Er war nicht beredt. Es fiel meinem
+Onkel Toby schwer, lange Reden zu halten, und die geblümelten haßte
+er. Es gab aber Gelegenheiten, da der Strom den Mann mit fortriß und
+dergestalt gegen seinen gewöhnlichen Lauf anstürzte, daß mein Onkel
+Toby auf eine Zeitlang in einigen Stücken dem Tertullus gleichkam, ihn
+in anderen aber, nach meiner Meinung, unendlich weit übertraf.</p>
+
+<p>Mein Vater fand an einer von diesen Schutzreden meines<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> Onkels
+Toby, die er eines Abends vor ihm und Yorick gehalten hatte, ein so
+außerordentliches Gefallen, daß er sie aufschrieb, ehe er zu Bette ging.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_101">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertzweites Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich erzählte dem christlichen Leser. — Ich sage christlichen, weil ich
+hoffe, daß er das ist. Wenn er's nicht ist, so tut mir's seinetwegen
+leid — und ich bitte ihn nur, der Sache reiflich nachzudenken und
+nicht die Schuld so ganz auf dieses Buch zu schieben.</p>
+
+<p>Ich erzählte ihm, mein Herr, denn bei meiner Treue, wenn ein Mensch
+seine Historie auf eine so seltsame Art erzählt wie ich die meinige,
+so muß er wohl alle Augenblicke zurück- oder vorwärtsgehen, um in
+des Lesers Gedächtnis hübsch alles beieinander zu behalten. Ich
+meinerseits, wenn ich's jetzt nicht noch mehr und fleißiger täte als
+vorher, so tut sich so vielerlei schwankende zweideutige Materie mit
+so vielen Lücken und Brüchen hervor. Und die Sterne, welche ich in
+einigen der dunkelsten Gänge aufhänge, leisten so wenig Dienste, weil
+ich weiß, daß sich die Welt bei allem Lichte, das ihr die Sonne Selbst
+am hellsten Mittage gibt, so leicht verirren kann, daß — und nun, da,
+sehen Sie, habe ich mich selbst verirrt!</p>
+
+<p>Aber es ist meines Vaters Schuld. Und wenn einst mein Gehirn anatomiert
+wird, so werden Sie ohne Brille sehen können, daß er einen groben,
+unebenen Faden hat mit durchschleichen lassen, wie man zuweilen in
+einem ausgeschossenen Stück Leinwand die ganze Webe hindurchlaufen
+sieht und fühlt, wenn man auch nur einen — da hängen schon wieder ein
+paar Lichtlein! — oder eine Aderlaßbinde oder einen Däumling daraus
+schneiden will. —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span></p>
+
+<p><em class="antiqua">Quanto id diligentias in liberis Procreandis cavendum</em>, sagt
+Cardan, welcher alles wohl überlegt; da Sie sehen, daß es mir
+moralischerweise unmöglich ist, dieses wieder herum- und dahin zu
+winden, wo ich anfing, es herauszuziehen, so will ich das Kapitel
+lieber noch einmal anfangen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_102">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertdrittes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich erzählte dem christlichen Leser im Anfange des Kapitels, welches
+vor meines Onkels Toby Schutzrede vorhergeht — obgleich in einem
+anderen Gleichnisse, als das ist, dessen ich mich jetzt bedienen
+werde —, daß der Utrechter Frieden auf ein Haar breit eine ebenso
+große Entfremdung zwischen meinem Onkel Toby und seinem Steckenpferde
+hervorgebracht hätte, wie er unter der Königin und den übrigen
+verbundenen Mächten veranlaßte.</p>
+
+<p>Es gibt eine verächtliche Art, mit der ein Mann zuweilen von seinem
+Pferde absitzt, die etwa sagt: »Lieber wollte ich all mein Lebelang zu
+Fuße gehen, Bestie, als mein Bein wieder über deinen Rücken bringen!«
+— Nun konnte man von meinem Onkel Toby nicht sagen, daß er auf diese
+Art abgesessen sei. Gewissermaßen und nach dem strengen Sprachgebrauche
+konnte man gar nicht einmal sagen, er sei abgesessen, sondern hätte
+richtiger sagen müssen, er sei vom Pferde abgesetzt, und ein wenig
+tückischerweise; das machte, daß mein Onkel Toby es noch zehnmal übler
+nahm. Aber laß die Staatsroßkämme das unter sich abtun, wie sie wollen.</p>
+
+<p>Es brachte, sage ich, eine Art von Entfremdung zwischen meinem Onkel
+Toby und seinem Steckenpferde hervor. — Vom Monat März bis November,
+den Sommer, nachdem der Friede geschlossen worden, brauchte er's fast
+gar nicht,<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> außer wenn er etwa einmal einen ganz kurzen Ritt tat, um
+eben nur zuzusehen, ob der Hafen und die Werke von Dünkirchen versenkt
+und geschleift wären, wie die Zeitungen berichtet hatten.</p>
+
+<p>Die Franzosen ließen es den ganzen Sommer bei dieser Sache so langsam
+angehen. Monsieur Tugghe, der Deputierte des Dünkirchener Magistrats,
+übergab der Königin so manche rührende Bittschrift, worin er Ihre
+Majestät anflehte, doch ihre Donnerkeile auf die anderen Werke fallen
+zu lassen, die sich ihre Ungnade könnten zugezogen haben, — und um
+Schonung — um Schonung des Befestigungswerkes, das in seiner nackten
+Lage nichts weiter sein könnte als ein Gegenstand des Mitleidens. Und
+die Königin, welche — als ein Frauenzimmer — erbittlichen Herzens
+war — und ihre Minister gleichfalls —, konnte es nicht übers Herz
+bringen, daß die Stadt so entblößt würde, aus der besonderen Ursache —
+— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —
+— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —
+— — so daß es also im ganzen meinem Onkel Toby sehr sauer gemacht
+wurde. Um so mehr, da drei volle Monate noch darüber hingingen,
+in denen er und der Korporal die Stadt aufgebaut und in gehörigen
+Stand gesetzt hatten, um sie schleifen zu können, ehe es ihm die
+verschiedenen Kommandanten, Kommissarien, Deputierte, Negotiateurs und
+Intendanten erlaubten, sich daran zu machen. — Schlimmer, schlimmer
+Zwischenraum der Untätigkeit.</p>
+
+<p>Der Korporal war dafür, die Schleifung damit anzufangen, daß sie eine
+Bresche in den Wall oder die Hauptfestung der Stadt machten. — »Nein,
+Korporal, das geht nicht,« sagte mein Onkel Toby, »denn wenn wir so
+mit der Stadt zu Werke gehen, so wird die englische Garnison keinen
+Augenblick darin sicher sein. Denn wenn die Franzosen falsch sind —«
+— »Sie sind so falsch, mit Euer Gnaden<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> Erlaubnis, so falsch wie
+der Satan,« sagte der Korporal. — »Das tut mir allemal leid, wenn
+ich's höre, Trim,« sagte mein Onkel Toby; »denn es fehlt ihnen nicht
+an persönlicher Herzhaftigkeit. Und wenn eine Bresche in dem Walle
+ist, können sie dadurch hineindringen und sich zum Herrn des Ortes
+machen, wenn sie nur wollen.« — »Laß sie einmal hineindringen,«
+sagte der Korporal, und hob seinen Pionierspaten mit beiden Händen
+in die Höhe, als ob er um sich hauen wollte. »Laß sie hineindringen,
+Euer Gnaden, sage ich, wenn sie's sich unterstehen.« — »In Fällen
+wie dieser, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, wobei er die Hand bis
+auf die Mitte seines Stockes hinunterrutschen ließ und ihn darauf als
+einen Kommandostab mit ausgestrecktem Zeigefinger faßte, »muß sich
+der Kommandant nicht darum bekümmern, was sich der Feind unterstehen
+oder nicht unterstehen möchte: er muß auf seiner Hut sein. Wir wollen
+mit den Außenwerken anfangen, sowohl nach der See- als Landseite.
+Fort Louis soll das erste sein, das ist am weitesten entlegen und
+soll zuerst demoliert werden. Dann die übrigen, alle eins nach dem
+anderen, wie sie liegen, links und rechts, wie wir uns nach der Stadt
+zurückziehen. Dann wollen wir die Dudane abtragen, hernach den Hafen
+versenken, uns in die Zitadelle ziehen, sie in die Luft sprengen, und
+wenn wir das getan haben, Korporal, dann zu Schiffe und nach England.«
+— »Da sind wir,« sagte der Korporal, der zur Besinnung kam. — »Es ist
+ja wahr,« sagte mein Onkel Toby und sah nach der Kirche.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_103">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span></p>
+
+<h2>Hundertviertes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ein Kriegsrat oder ein paar von dieser entzückenden täuschenden
+Gattung, gepflogen zwischen meinem Onkel Toby und Trim, über die
+Schleifung von Dünkirchen, brachten auf einen Augenblick die Ideen von
+den Vergnügungen wieder in Reih und Glieder, welche gar davonwischen
+wollten. — Aber es ging damit nur schlaff her. Der Zauber schwächte
+das Gemüt nur mehr. Die Göttin des Schlafes kam mit ihrem stummen
+Gefolge ins einsame Wohnzimmer geschlichen und hüllte meines Onkels
+Toby Kopf in ihren flornen Mantel. Und die Verdrossenheit mit ihren
+schlaffen Fiebern und unbestimmtem Auge setzte sich ruhig bei ihm in
+seinen Lehnstuhl hin. Amberg und Rheinburg, und Limburg und Huy, und
+Bonn jagten nicht mehr dies Jahr — und die Prospekte von Landen und
+Trarbach, und Drusen und Dendermonde nicht im anderen Jahre das Blut
+herum. Die Sappen, Minen, Schirme, Schanzkörbe und Palisaden wehrten
+diesen schönen Feind der Ruhe des Menschen nicht länger ab. Nicht
+mehr konnte mein Onkel Toby, wenn er bei seinem gekochten Ei zum
+Abendessen die französischen Linien passierte, tiefer hinein ins Herz
+von Frankreich dringen, über die Oyes setzen, die ganze Pikardie offen
+hinter sich liegen lassen, bis vor die Tore von Paris marschieren und
+mit lauter Bildern von Ehre und Ruhm einschlafen. Nicht mehr sollte es
+ihm träumen, er habe das britische Panier auf den Turm der Bastille
+gepflanzt, und erwachen, da es ihm noch im Kopfe flatterte.</p>
+
+<p>Liebreichere Erscheinungen, sanftere Regungen stahlen sich unvermerkt
+in seinen Schlummer, — die Drommete des Krieges entfiel seiner Hand.
+Er ergriff dafür die Laute, das liebliche Instrument! Unter allen
+anderen das delikateste, das schwerste! — Wie wirst du sie spielen,
+liebster Onkel Toby!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_104">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span></p>
+
+<h2>Hundertfünftes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Freilich habe ich's ein- oder ein paarmal nach meiner unbedachtsamen
+Weise ausgeplaudert; ich verließ mich darauf, daß die folgenden
+Nachrichten von den Liebesbegebenheiten meines Onkels Toby und der
+Witwe Wadmann, sobald ich nur Zeit gewinne sie zu schreiben, eins
+der vollständigsten Systeme — sowohl nach den elementarischen als
+praktischen Teilen der Liebe — enthalten würden, die nur jemals
+der Welt vorgelegt worden; aber müssen Sie sich deswegen nun gleich
+einbilden, ich werde mit einer Beschreibung des Amor anfangen? — Ob er
+halb Gott ist und halb Teufel, wie Plotinus behauptet.</p>
+
+<p>Oder nach einer kritischeren Gleichung, die das Ganze der Liebe durch
+zehn Einheiten ausdrückt, mit dem Ficinus zu bestimmen, wie viele von
+diesen Einheiten zum ersten und wie viele zum zweiten gehören. — Oder
+ob Amor über und über, vom Kopfe bis zum Schwanze, ein großer Teufel
+ist, wie Plato sich unterstanden hat zu entscheiden. Über welchen
+platonischen Einfall ich meine Meinung nicht sagen mag. Aber meine
+Meinung vom Plato ist diese, daß er in diesem Beispiel sich als ein
+Mann zeigt, der sehr viel Ähnliches in seiner Gemütsart und Philosophie
+mit dem Doktor Baynyard hatte. Welcher Baynyard ein großer Feind von
+spanischen Fliegen war und sich einbildete, ein halbes Dutzend, auf
+einmal gelegt, würde einen Menschen ebensosicher dem Grabe zuführen,
+wie ein mit sechsen bespannter Leichenwagen, und daher den übereilten
+Schluß machte: der Teufel selbst sei in der Welt nichts anderes als
+eine große spanische Brummfliege.</p>
+
+<p>Das sind solche Untersuchungen, womit mein Vater, der sich einen
+großen Vorrat von dergleichen Wissenschaft aufgestapelt hatte, in dem
+Fortgange des Liebeshandels meines<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> Onkels Toby sehr geschäftig sein
+wird. Soviel muß ich voraussagen, daß er von seiner Theorie der Liebe
+— womit er, beiläufig gesagt, es so zu machen wußte, daß er meines
+Onkels Toby Gemüt ebensosehr damit kreuzigte als Amors selbst — nur
+einen Ausfall in die Praxis tat, und vermittels eines in Kampfer
+getränkten Wachstuches, das er Mittel fand, dem Schneider für Zwillich
+aufzuhängen, als er eben meinem Onkel Toby ein Paar neue Beinkleider
+machte, brachte er bei meinem Onkel Toby ebendie Wirkung wie Gordonius,
+und ohne den bösen Geruch, hervor.</p>
+
+<p>Was dies für Veränderungen hervorbrachte, wird man gehörigen Ortes
+lesen. Alles, was nötig ist, der Anekdote hinzugesetzt zu werden, ist
+dieses: Was es auch für Wirkung auf meinen Onkel Toby haben mochte, es
+hatte eine häßliche Wirkung auf das Haus. — Und hätte es mein Onkel
+nicht, so wie er tat, ganz gelassen niedergeschmaucht, es hätte auch
+auf meinen Vater eine häßliche Wirkung tun können.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_105">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsechstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es wird sich bei Gelegenheit schon von selbst finden. — Alles, was
+ich hier verfechte, ist, daß ich nicht notwendig mit einer Definition
+der Liebe anfangen muß. Und solange ich meine Historie wegerzählen und
+sie mit dem Worte selbst verständlich sein kann, ohne einen anderen
+Begriff damit zu verknüpfen, als den ich mit allen Leuten gemein habe,
+warum sollte ich einen Augenblick vor der Zeit davon abgehen? — Kann
+ich erst nicht mehr weiter und sehe ich mich von allen Seiten in diesem
+mystischen Labyrinth verwickelt, so wird meine Meinung von selbst dazu
+kommen und mich herausführen.</p>
+
+<p>Für jetzt, hoffe ich, wird man mich hinlänglich verstehen,<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> wenn ich
+dem Leser sage: mein Onkel Toby ward verliebt.</p>
+
+<p>Ich kann nicht sagen, daß mir die Redensart gefiele; gar nicht! Denn
+wenn man sagt, ein Mann ist verliebt, oder er ist heftig verliebt,
+oder gar er ist rasend verliebt, oder noch ärger, er ist mit Haut
+und Haar verliebt —, so wollen diese unter den Leuten gang und
+gäben Redensarten allemal soviel mit andeuten, daß der Zustand eines
+Menschen, welcher liebt, unnatürlich und gefährlich sei. — Das heißt
+der Meinung des Plato Anhänger machen, welche ich bei aller seiner
+Göttlichkeit für verdammlich und ketzerisch halte. Doch genug davon.</p>
+
+<p>Lieben und Verliebtsein mag also sein, was es will: mein Onkel ward
+verliebt.</p>
+
+<p>Und vermutlich, gütiger Leser, bei einer solchen Untersuchung würdest
+du es selbst. Denn nie sahen deine Augen oder begehrten deine Begierden
+auf dieser weiten Welt ein Ding, das begehrenswürdiger gewesen wäre als
+die Witwe Wadmann.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_106">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsiebentes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Um es recht zu fassen, fordern Sie Tinte und Feder. Hier ist reines
+Papier für Sie. — Setzen Sie sich, Herr, malen Sie sich eine Witwe
+Wadmann, wie's Ihnen gelüstet. Ihrer Geliebten so ähnlich, wie Sie
+können. Ihrer Frau so unähnlich, wie Ihnen Ihr Gewissen erlauben will.
+Mir ist's gleich; machen Sie sich's nur selbst zu Danke.</p>
+
+<p>Ist in der ganzen Schöpfung noch etwas so Liebreizendes — etwas so
+Vollkommenes anzutreffen!</p>
+
+<p>Nun, lieber Herr, war es wohl ein Wunder, daß mein Onkel Toby nicht
+widerstehen konnte?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span></p>
+
+<p>O dreimal glückseliges Buch! Du hast doch wenigstens eine Seite in
+deinem Bande, welche die Bosheit nicht anschwärzen und die Dummheit
+nicht mißdeuten kann.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_107">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertachtes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Da Susanna durch einen Expressen von Jungfer Brigitte Nachricht
+erhielt, daß mein Onkel Toby in ihre Herrschaft verliebt sei, schon
+fünfzehn Tage vorher, ehe sich's zutrug, und Susanna das Wesentliche
+dieser expressen Nachricht den folgenden Tag gleich meiner Mutter
+mitteilte, so hat mir das Gelegenheit gegeben, gerade vierzehn Tage
+früher von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten zu schreiben, als
+er sie wirklich hatte.</p>
+
+<p>»Ich habe dir was Neues zu sagen, lieber Walther,« sagte meine Mutter,
+»das dich sehr erstaunen wird.«</p>
+
+<p>Bitte zu merken, daß mein Vater eben die Beschwerlichkeiten des
+Ehestandes überdachte, als meine Mutter das Stillschweigen brach.</p>
+
+<p>»Bruder Toby,« sagte sie, »ist mit Frau Wadmann versprochen.«</p>
+
+<p>»Nun, so soll er in seinem Leben nicht wieder diagonal im Bette liegen,
+da stehe ich ihm für,« sagte mein Vater.</p>
+
+<p>Meinem Vater war es ein herznagender Verdruß, daß meine Mutter ihn
+niemals fragte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand.</p>
+
+<p>Daß sie kein gelehrtes Frauenzimmer ist, pflegte mein Vater zu sagen,
+das ist ihr Unglück und nicht ihre Schuld. Aber fragen könnte sie doch.</p>
+
+<p>Meine Mutter tat das niemals. Kurz, sie ging am Ende aus der Welt, ohne
+zu wissen, ob sie sich rund drehte, ob sie stillstände. Mein Vater
+hatte es ihr ganz dienstfertigerweise<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> wohl tausendmal gesagt, wie es
+damit wäre. Aber sie konnte es gar nicht behalten.</p>
+
+<p>Aus dieser Ursache ging ein Gespräch unter ihnen selten weiter, als
+Proposition, Replik und Duplik. Wenn die vorbei, holte er gewöhnlich
+auf ein paar Minuten Atem und schlenderte dann weiter.</p>
+
+<p>»Wenn er sich verheiratet,« sagte meine Mutter, »so verlieren wir doch
+immer dabei.«</p>
+
+<p>»Nicht einen Kirschkern,« sagte mein Vater. »Er mag das seinige
+ebensolieb auf diese Art als auf eine andere verschießen.«</p>
+
+<p>»Es ist wohl wahr,« sagte meine Mutter. Und hiermit endigten sich
+Proposition, Replik und Duplik, wovon ich Ihnen sprach.</p>
+
+<p>»So hat er doch noch wohl einigen Zeitvertreib,« sagte mein Vater.</p>
+
+<p>»Sehr angenehmen,« antwortete meine Mutter, »wenn er Kinder bekommen
+sollte.«</p>
+
+<p>»Gott verzeihe mir meine Sünden!« sagte mein Vater bei sich selbst.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_108">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertneuntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Onkel Toby und der Korporal waren mit solcher Hitze und Übereilung
+aufgebrochen, um von dem Stücke Landes Besitz zu nehmen, von dem
+wir so oft gesprochen haben, damit sie ihren Feldzug ebenso früh
+eröffnen könnten als die übrigen Alliierten, daß sie darüber einen der
+allerunentbehrlichsten Artikel bei der ganzen Sache vergessen hatten.
+Es war weder ein Pionierspaten, noch eine Pickelhacke, noch eine
+Schaufel.</p>
+
+<p>Es war ein Schlafbett. Da Shandy-Hall noch nicht mit<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> Hausgerät
+versehen, und das kleine Wirtshaus, in welchem der arme Le Fevers
+starb, noch nicht gebaut war, war mein Onkel Toby genötigt, in
+Madame Wadmanns Hause auf eine Nacht oder ein paar mit einem
+Bette vorliebzunehmen, so lange, bis Korporal Trim — der zu den
+Eigenschaften eines vortrefflichen Bedienten, Stallknechts, Kochs,
+Schneiders, Baders und Ingenieurs auch noch die Eigenschaften
+eines vortrefflichen Tapezierers hinzufügte — mit der Hilfe eines
+Zimmermanns und eines Schneiders in meines Onkels Toby Hause selbst
+eines zustande brachte.</p>
+
+<p>Eine Tochter Evens, denn das war unsere Witwe Wadmann, und der ganze
+Charakter, den ich von ihr zu geben willens bin, ist:</p>
+
+<p>»<em class="gesperrt">Sie war ein vollkommenes Frauenzimmer.</em>«</p>
+
+<p>Sie wäre zehn Meilen weit davon besser daran gewesen — oder auch in
+ihrem warmen Bette — oder wenn sie mit ihrem Taschenmesser gespielt
+hätte — oder womit sie sonst wollte, anstatt einen Mann zum Gegenstand
+ihrer Aufmerksamkeit zu machen, wenn das Haus mit allem ihrem Geräte
+ihr eigen ist.</p>
+
+<p>Wenn ein Frauenzimmer außer dem Hause und bei hellem Tageslichte es in
+ihrer Gewalt hat, physikalisch von der Sache zu reden, einen Mann in
+mancherlei Lichte zu betrachten, so hat es nichts zu bedeuten. Aber
+hier, fange sie es an, wie sie will, kann sie ihn in keinerlei Lichte
+sehen, oder es klebt ihm beständig etwas an, das zu ihrer eigenen
+Fahr und Habe gehört, bis sie ihn endlich so lange und oft in dieser
+Verbindung erblickt, daß er selbst ein Artikel in diesem Inventario
+wird.</p>
+
+<p>Und dann, gute Nacht!</p>
+
+<p>Doch das gehört nicht zum System; denn das habe ich schon oben
+vorgelegt. Auch nicht zum Katechismus. Denn ich lege für niemand ein
+Glaubensbekenntnis ab als für mich<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> selbst. Es ist auch keine Tatsache,
+wenigstens nicht, soviel ich wüßte, sondern die Sache ist kopulativisch
+und soll die folgende einleiten.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_109">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ich sage es nicht in Ansehung ihrer verschiedenen Feinheit oder
+Weise, noch in Ansehung der Stärke ihrer Windlaschen. Aber sagen Sie
+selbst, sind nicht die Nachthemden von den Taghemden in diesem Stücke
+ebensosehr verschieden wie in jedem andern in der Welt, daß sie diese
+so weit in der Länge übertreffen, daß, wenn Sie sich darin niedergelegt
+haben, solche ebensoweit über die Füße reichen, als die Füße aus den
+Taghemden hervorstehen?</p>
+
+<p>Der Witwe Wadmanns Nachthemden — ich glaube es war unter der Regierung
+des Königs Wilhelm und der Königin Anna so die Mode — waren wenigstens
+solchergestalt zugeschnitten. Und wenn die Mode abgekommen ist — denn
+in Italien sind sie ganz verschwunden —, desto schlimmer für das
+Publikum. Sie waren zweieinhalb Brabanter Ellen lang; wenn man also auf
+ein mäßiges Frauenzimmer zwei Ellen rechnet, so hatte sie eine halbe
+Elle übrig, womit sie machen konnte, was sie wollte.</p>
+
+<p>Nun war es von einer kleinen Pflege zur andern, woran sie sich in den
+schaurigen Winternächten während ihres siebenjährigen Witwenstandes
+gewöhnt hatte, unvermerkt dahin gediehen und zu einer von den Regeln
+der Schlafkammer geworden, daß, sobald Madame Wadmann zu Bette gebracht
+worden und ihre Füße völlig ausgestreckt hatte, wovon sie der Brigitte
+allemal ein Zeichen gab, Brigitte mit allem gehörigen Dekorum, nachdem
+sie erst die Bettlaken zu den Füßen auseinandergeschlagen, die halbe
+Elle Leinwand, von<span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span> der wir hier sprechen, faßte, solche behende und
+mit beiden Händen stramm herunterzog, nach der Länge in vier oder fünf
+ebene Falten legte, eine große Stecknadel von ihrem Ärmel nahm und
+damit, die Spitze nach sich gekehrt, diese Falten ein wenig über dem
+Saume alle fest zusammensteckte. Wenn das geschehen, deckte sie zu den
+Füßen alles wieder hübsch warm zu und wünschte ihrer Madame eine gute
+Nacht.</p>
+
+<p>Dies war ein beständiger Gebrauch und litt keine Abänderung als diese:
+daß bei frostigen und stürmischen Nächten, wenn Brigitte das Bette zu
+den Füßen öffnete usw., um diese ihre Pflicht zu verrichten, sie kein
+anderes Thermometer als ihr eigenes Gefühl zu Rate zog. So verrichtete
+sie es stehend, kniend oder kauernd, je nach den verschiedenen Graden
+ihres Glaubens, ihrer Liebe oder Hoffnung, in denen sie sich ebenden
+Abend gegen ihre Herrschaft befand. In jedem anderen Betracht war die
+Etikette unverbrüchlich und konnte mit der allermechanischsten von
+jeder Kammer im ganzen Christentume um den Vorzug streiten.</p>
+
+<p>Den ersten Abend, sobald der Korporal meinen Onkel Toby nach seiner
+Schlafkammer hinaufgebracht hatte, was um zehn Uhr war, warf sich
+Madame Wadmann in ihren Lehnstuhl, schlug ihr rechtes Bein über das
+linke, wodurch sie einen Ruheplatz für ihren Ellenbogen machte, legte
+ihren Kopf in ihre Hand, und so gestützt saß sie bis Mitternacht und
+dachte der Sache, für und gegen dieselbe, nach.</p>
+
+<p>Den zweiten Abend ging sie vor ihr Schreibpult, und nachdem sie
+Brigitten befohlen, ein paar frische Lichter zu bringen und auf den
+Tisch zu legen, suchte sie ihren Ehekontrakt hervor und las ihn sehr
+andächtig durch. Und den dritten Abend — der der letzte von meines
+Onkels Toby Bleiben war —, als Brigitte das Nachthemde niedergezogen
+hatte und dabei war, die Nadel einzustecken, stieß sie mit einem Stoße
+mit beiden Fersen zugleich ihr die Stecknadel<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> aus der Hand. Nieder
+fiel auch die Etikette und zertrümmerte in tausend Sonnenstäubchen.</p>
+
+<p>Aus welchem allen es dann ganz deutlich erhellte, daß die Witwe Wadmann
+in meinen Onkel Toby verliebt war.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_110">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertelftes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Onkel Toby hatte damals seinen Kopf mit anderen Dingen angefüllt,
+so daß er erst nach der Schleifung von Dünkirchen, als alle anderen
+Höflichkeiten von Europa abgemacht worden, Muße fand, diese zu erwidern.</p>
+
+<p>Dieses machte einen Waffenstillstand — das heißt in Ansehung meines
+Onkels Toby, auf seiten der Witwe Wadmann aber eine Vakanz — von fast
+elf Jahren. Da aber in allen Fällen dieser Art es der zweite Schlag
+ist, er geschehe, so spät er wolle, der die Kriegshändel befestigt, so
+ist es dieser Ursache wegen, daß ich es lieber die Liebeshändel meines
+Onkels Toby mit Madame Wadmann, als die Liebeshändel der Madame Wadmann
+mit meinem Onkel Toby nenne.</p>
+
+<p>Dies ist keine Distinktion, weil kein Unterschied vorhanden ist.</p>
+
+<p>Es ist nicht wie die Geschichte des alten aufgekrempten Hutes und des
+aufgekrempten alten Hutes, worüber Euer Hochwürden sich so oft einander
+in den Haaren gelegen, sondern hier ist ein Unterschied in der Natur
+der Dinge. —</p>
+
+<p>Und zwar erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, meine hochzuverehrenden
+Herren, ein sehr großer.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_111">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertzwölftes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Da nun die Witwe Wadmann meinen Onkel Toby liebte, und mein Onkel Toby
+die Witwe Wadmann nicht liebte,<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> so war für die Witwe Wadmann nichts
+anderes zu tun als fortzufahren, meinen Onkel Toby zu lieben, oder es
+bleiben zu lassen.</p>
+
+<p>Die Witwe Wadmann wollte so wenig das eine wie das andere tun.</p>
+
+<p>Gütiger Himmel! Aber ich vergesse, daß ich so ein bißchen von ihrer
+Gemütsart an mir habe. Denn sooft es sich begibt, wie es wohl zuweilen
+geschieht, wenn eben Tag und Nacht gleich sind, daß eine irdische
+Göttin bald dies ist, bald das und bald jenes, daß ich ihretwegen mein
+Frühstück nicht verzehren kann und sie sich keinen schweren Schilling
+darum bekümmert, ob ich mein Frühstück verzehre oder nicht. Verdammt
+mit ihr! Und damit schicke ich sie nach der Tartarei, und von der
+Tartarei nach Terra del Fuogo und so weiter zu Meister Hämmerling.
+Kurz, es gibt keine höllische Nische, da ich nicht Ihro Gottheiten
+fasse und hineinpacke.</p>
+
+<p>Allein, weil das Herz zärtlich ist und es auf diesem Strome der
+Leidenschaften zehnmal in einer Minute Ebbe und Flut wird, so bringe
+ich sie wieder zurück. Und da ich in allen Dingen bis aufs Äußerste
+gehe, versetze ich sie in den Himmel, mitten in die Milchstraße.</p>
+
+<p>Glänzendstes unter den Gestirnen! O, schütte deinen Einfluß auf ihn,
+der — hole sie der Henker, mitsamt ihrem Einflusse. Denn bei dem Worte
+reißt mir alle Geduld aus! Wohl bekomm's ihm! —</p>
+
+<p>Bei allem, was rauh und geschlitzt ist, rufe ich, und nehme meine
+Pelzmütze ab und lasse meinen Finger rund laufen, keinen Groschen gäbe
+ich für ein Dutzend solcher!</p>
+
+<p>Es ist gleichwohl eine vortreffliche Mütze, sage ich dann wieder —
+indem ich sie auf den Kopf setze und auf die Ohren festdrücke —, und
+ist warm und weich, besonders wenn Sie sie mit dem Haare streicheln,
+aber leider! So gut wird mir's<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> niemals gehen — und damit hat denn
+meine Philosophie abermals Schiffbruch gelitten —.</p>
+
+<p>Nein, an die Pastete werde ich wohl keinen Finger bringen — hier
+zerbreche ich meine Metapher —.</p>
+
+<p>Rinde und Krumen,</p>
+
+<p>Gefüllsel und Rand,</p>
+
+<p>Deckel und Boden — ich verabscheue es, hasse es, verwerfe es — mir
+ekelt schon vom Ansehen.</p>
+
+<p>Es ist nichts als Pfeffer<br>
+<span style="margin-left: 7.5em;">Knoblauch</span><br>
+<span style="margin-left: 7.5em;">Kaviar</span><br>
+<span style="margin-left: 7.5em;">Salz und</span><br>
+<span style="margin-left: 7.5em;">Teufelsdreck --</span><br>
+</p>
+
+<p>beim großen Erzkoch aller Köche, welcher, denke ich, vom Morgen bis
+Abend nichts anderes tut, als daß er beim Feuer sitzt und hitzige
+Gerichte für uns aussinnt, ich rühre es nicht an, um die Welt —</p>
+
+<p>O, Tristram! Tristram! rief Jenny.</p>
+
+<p>O, Jenny! Jenny! versetzte ich und fuhr fort mit dem hundertdreizehnten
+Kapitel.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_112">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertdreizehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Die Göttinnen des Schicksals, welchen ganz gewiß alles von dieser
+Liebesgeschichte der Witwe Wadmann mit meinem Onkel Toby vorher bekannt
+war, hatten von der ersten Schöpfung der Materie und Bewegung an —
+und zwar mit mehr Gütigkeit, als sie bei Dingen von dieser Art pflegen
+— einen Strang von Ursachen und Wirkungen gesponnen, die so fest
+aneinanderhingen, daß es meinem Onkel Toby kaum möglich gewesen, in
+irgendeinem anderen Hause zu wohnen oder einen anderen Garten in der
+Christenheit zu<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span> besitzen als gerade das Haus und den Garten, die dicht
+an der Witwe Wadmanns Haus und Garten lagen. Dieses nebst dem Vorteile
+einer dichten Laube in Madame Wadmanns Garten, die in meines Onkels
+Toby grüne Hecke hineingepflanzt war, gab ihr alle die Gelegenheiten an
+die Hand, deren die Kriegskunst der Liebe bedurfte. Sie konnte meines
+Onkels Toby Bewegungen wahrnehmen, und seine Entschlüsse im Kriegsrate
+wußte sie gleichfalls alle. Und da sein verdachtloses Herz dem Korporal
+durch die Vermittlung der Brigitte Erlaubnis erteilt hatte, ihr ein
+kleines Heckenpförtchen zu machen, um desto mehr Raum zum Spazieren
+zu gewinnen, sah sie sich dadurch imstande, ihre Approchen bis dicht
+an die Türe des Schilderhauses zu führen und zuweilen zur schuldigen
+Danksagung eine Attacke zu machen und ihr Bestes zu versuchen, meinen
+Onkel mit diesem seinem eigenen Schilderhause in die Luft zu sprengen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_113">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertvierzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es ist Jammer und schade — aber mir nicht weniger aus meiner täglichen
+Beobachtung des Menschen gewiß, daß er wie eine Kerze an beiden Enden
+angezündet werden kann. Woferne nur der Docht weit genug hervorsteht.
+Ist keiner da und er wird unten angezündet, so, weil in dem Falle die
+Flamme gewöhnlich das Unglück hat, sich selbst auszulöschen, geht's
+wieder nicht.</p>
+
+<p>Was mich anbelangt, könnte ich's immer selbst einrichten, von welchem
+Ende an ich brennen wollte — denn ich kann den Gedanken nicht
+ausstehen, so viehdumm zu brennen —, so sollte mich eine ehrliche
+Hausfrau allemal bei der Spitze anzünden. Denn alsdann könnte ich
+hübsch mit Ehren herunterbrennen.<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> Das heißt von meinem Kopfe bis zu
+meinem Herzen, von meiner Leber bis zu meinen Eingeweiden, und so den
+Weg der mesenterischen Venen und Arterien herunter, durch alle die
+Windungen und Seitenschnitte der Intestinen und ihrer Häute, bis zum
+blinden Darm.</p>
+
+<p>»Ich bitte Sie, Herr Doktor Slop,« sagte mein Onkel Toby und fiel ihm
+in die Rede, als er in einem Gespräch an dem Abende, da meine Mutter
+von mir entbunden ward, des blinden Darms erwähnte. »Ich bitte Sie,«
+sagte mein Onkel Toby, »sagen Sie mir doch, welches ist der blinde
+Darm? Denn ich versichere Sie, so alt ich bin, weiß ich doch bis diesen
+Tag noch nicht, wo er liegt.«</p>
+
+<p>»Der blinde Darm,« antwortete Doktor Slop, »liegt zwischen dem Illion
+und Kolon.«</p>
+
+<p>»Bei einem Manne?« sagte mein Vater.</p>
+
+<p>»Es ist genau ebenso bei den Weibern,« versetzte Doktor Slop.</p>
+
+<p>»Das ist mehr, als ich weiß,« sagte mein Vater.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_114">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertfünfzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Und so, um mit beiden Systemen gewiß zu gehen, beschloß die Witwe
+Wadmann, meinen Onkel Toby weder an dem einen noch anderem Ende
+anzuzünden, sondern, wie das Licht eines Verschwenders, womöglich an
+beiden Enden zugleich.</p>
+
+<p>Nun hätte sie sieben ausgeschlagene Jahre hindurch alle militärischen
+Polterkammern, beides, der Infanterie und Kavallerie mit
+eingeschlossen, vom großen Arsenal in Venedig an bis auf den Tower
+in London (exklusive) durchkramen und ihre Brigitte zur Hilfe nehmen
+mögen, — Madame<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> Wadmann hätte doch keine zu ihrem Zweck so dienliche
+Blende finden können, als was ihr der Behelf meines Onkels Toby in
+seinen Belagerungen ganz bereit in die Hände gab.</p>
+
+<p>Mich dünkt, ich habe Ihnen noch nicht gesagt — ich weiß es jedoch
+nicht, es kann wohl sein; wie ihm aber sei, es ist eins von den vielen
+Dingen, die ein Mann lieber noch einmal tun, als darüber streiten
+sollte —, was für eine Stadt oder Festung der Korporal eben während
+ihres Feldzuges unter der Arbeit haben mochte, mein Onkel Toby
+war allemal besorgt, einen Grundriß des Platzes an der inwendigen
+Seite seines Schilderhauses gegen seine linke Hand oben am Rande
+mit zwei oder drei Nadeln festzustecken. Unten hing er lose, um ihn
+mit Bequemlichkeit näher vors Gesicht zu bringen usw., wie es die
+Gelegenheit so mit sich brachte. Dergestalt, daß, wenn Madame Wadmann
+eine Attacke beschlossen, sie nichts weiter zu tun nötig hatte,
+nachdem sie bis an die Türe des Schilderhauses avanciert war, als
+ihre rechte Hand auszustrecken. Und indem sie mit derselben Bewegung
+ihren linken Fuß hineinrücken ließ, brauchte sie nur die Karte, den
+Grundriß, die Zeichnung oder was es sonst war, zu ergreifen, solchem
+mit ausgestrecktem Halse auf halbem Wege zu begegnen und es nach sich
+zu ziehen. Wodurch meines Onkels Toby Leidenschaften unfehlbar Feuer
+fangen mußten. Denn er faßte beständig den anderen Zipfel der Karte mit
+seiner linken Hand und begann, mit dem Ende seiner Tabakspfeife in der
+anderen, eine Erklärung.</p>
+
+<p>Wenn die Attacke bis zu diesem Punkte gediehen war —. Die Welt wird
+natürlicherweise die Gründe der folgenden Kriegslist der Madame Wadmann
+billigen, welche darin bestand, daß sie, sobald sie nur dazu kommen
+konnte, meinem Onkel Toby die Tabakspfeife aus der Hand nahm, was sie
+unter diesem oder jenem Vorwande, gewöhnlich aber unter dem, daß sie
+eine Redoute oder Brustwehr auf dem Risse<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> deutlicher gezeigt haben
+möchte, zu bewerkstelligen wußte, ehe noch mein Onkel Toby — die gute
+Seele! — ein halbes Dutzend Ruten damit marschiert war.</p>
+
+<p>Es nötigte meinen Onkel Toby, seinen Zeigefinger zu gebrauchen. Die
+Veränderung, die es in der Attacke veranlaßte, war diese: Wenn in dem
+ersten Falle Madame Wadmann mit der Spitze ihres Zeigefingers an dem
+Ende der Tabakspfeife meines Onkels Toby herumfuhr, da hätte sie auf
+den Linien herumreisen mögen von Dan gen Berseba — hätten meines
+Onkels Toby Linien sich so weit erstreckt —, ohne daß es die geringste
+Wirkung getan hätte. Denn weil in dem Ende der Tabakspfeife kein Blut
+und keine Lebensgeister waren, so konnte es keine Empfindungen erregen.
+Es konnte weder durch Pulsation Feuer geben noch durch Sympathie
+welches fangen. Es war bloß Schmauch.</p>
+
+<p>Dahingegen, wenn sie meines Onkels Toby Zeigefinger mit dem ihrigen
+folgte, Finger an Finger, durch alle Krümmungen und Spitzen seiner
+Werke, ihn zuweilen an der Seite drückte, dann mit ihrem Finger auf
+seinen Nagel trat, dann damit über seinen her stolperte, ihn bald hier
+tippte, bald da und so fort, setzte das wenigstens etwas in Bewegung.</p>
+
+<p>Dieses waren zwar nur leichte Scharmützel und fielen in einiger
+Entfernung vom Hauptkorps ab, zettelten aber das übrige herbei.
+Wenn dann, wie gewöhnlich, die Karte wieder an die Wand des
+Schilderhauses herniederfiel, so pflegte mein Onkel Toby mit der
+größten Treuherzigkeit seine flache Hand daraufzuhalten, um mit seiner
+Erklärung fortzufahren. Madame Wadmann, durch ein Manöver so schnell
+wie Gedanken, hielt eben so gewiß ihre Hand dicht bei der seinigen.
+Dieses eröffnete auf einmal eine Kommunikation, die weit genug war,
+jede Empfindung hin und her passieren zu lassen, wie sie eine Person,
+die in dem elementarischen und praktischen<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> Teile der Liebe bewandert
+war, sich nicht schöner wünschen konnte.</p>
+
+<p>Sobald sie ihren Zeigefinger (wie vorher) mit dem Zeigefinger
+meines Onkels Toby in eine Parallele brachte, brachte solches ganz
+unvermeidlich auch den Daumen ins Feuer — und der Zeigefinger und
+Daumen einmal im Treffen, zogen eben so natürlicherweise die ganze Hand
+ins Gemenge. Deine, mein liebster Onkel Toby, war doch nun niemals
+auf der rechten Stelle. — Madame Wadmann mußte sie immer aufheben
+oder sie hatte zu tun immer mit dem sanftesten Stoßen, Schieben oder
+zweideutigen Drängen und Drücken, die eine den Platz zu verändernde
+Hand nur immer leiden mag, ein Haar breit aus dem Wege zu rücken.</p>
+
+<p>Derweil dieses vorging, wie hätte sie's vergessen können, ihn empfinden
+zu lassen, daß es ihr eigenes Bein sei (und sonst keines Menschen), das
+ihn unten am Schilderhause sanft an seiner Wade drückte.</p>
+
+<p>Da also mein Onkel Toby auf diese Weise attackiert und ihm auf beiden
+Flügeln hart zugesetzt wurde, war es ein Wunder, wenn solches zuweilen
+sein Zentrum in Unordnung brachte? —</p>
+
+<p>»Das hole der Henker!« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_115">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsechzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Diese Attacken von Madame Wadmann, wie Sie leicht denken können, waren
+von verschiedener Art. So voneinander unterschieden wie die Attacken,
+von denen die Geschichte voll ist. Und das aus einerlei Ursachen. Ein
+zuschauender General würde ihnen den Namen Attacken kaum geben. —
+Oder täte er's, würde er sie doch alle über einen<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> Kamm scheren. Aber
+für solche Herren schreibe ich nicht. Es wird Zeit genug sein, mehr
+Genauigkeit in meinen Beschreibungen anzuwenden, wenn ich erst zu ihnen
+komme, welches in einigen Kapiteln noch nicht geschehen wird. Zu diesem
+habe ich weiter nichts hinzuzusetzen, als daß in meinem Bündel von
+Originalpapieren und Zeichnungen, welche mein Vater die Sorgfalt gehabt
+hat besonders aufzurollen, sich ein Grundriß von Bouchain befindet, der
+noch völlig gut konserviert ist — und es bleiben soll, solange ich
+imstande bin, etwas zu konservieren —, auf dessen unterem Rande an
+der rechten Seite noch die Flecken von Finger und Daumen sind, womit
+Schnupftabak genommen worden. Und es ist nach allen Gründen von der
+Welt zu mutmaßen, daß es Madame Wadmanns Finger waren. Denn die Seite
+des Randes gegenüber, welche nach meiner Vermutung die meines Onkels
+Toby war, ist ganz und gar rein.</p>
+
+<p>Dieses scheint ein authentisches Protokoll von einer von diesen
+Attacken zu sein. Denn man sieht noch die Spuren von zwei Nadelstichen,
+die zwar schon teils wieder zugegangen, aber dennoch an der oberen
+Seite der Karte sichtbar und ohne allen Widerspruch die leibhaften
+Löcher sind, durch welche sie im Schilderhause angesteckt gewesen ist.</p>
+
+<p>Bei allem, was priesterlich heißt, ich schätze die kostbare Reliquie
+mit ihren Mälern und Löchern höher, als alle übrigen Reliquien
+zusammengenommen! — Allemal ausgenommen, wenn ich über diese Materie
+schreibe, sind die Löcher, welche Sankta Radagunda in der Wüste in ihr
+Fleisch bekam, welche Ihnen auf Ihrer Reise von Fesse nach Clugny die
+Nonnen dieses Namens aus christlicher Milde zeigen werden.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_116">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span></p>
+
+<h2>Hundertsiebzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Ich glaube, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Korporal Trim,
+»die Fortifikationen sind genug abgetragen, und der Hafen ist nun
+ausgefüllt, so hoch, wie auf dem Plan gesagt ist.« — »Ich denke es
+auch,« erwiderte mein Onkel Toby mit einem halb unterdrückten Seufzer.
+»Aber gehe Er nach meinem Zimmer, Trim, und hole er die Traktaten, sie
+liegen auf dem Tische.«</p>
+
+<p>»Sie haben da sechs Wochen lang gelegen,« versetzte der Korporal, »bis
+heute morgen, da hat die alte Frau Feuer damit angemacht.«</p>
+
+<p>»Nun,« sagte mein Onkel Toby, »so haben unsere Dienste ein Ende.« —
+»Um so mehr,« sagte Korporal Trim, »ist's, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,
+Jammer und schade.« Mit diesen Worten warf er seinen Spaten in den
+Schiebkarren, der bei ihm stand, mit einer Miene, welche die größte
+Trostlosigkeit ausdrückte, die man sich nur denken kann, und wendete
+sich schwermütig herum, seine Pickelhacke, seine Schaufel, Steckpflöcke
+und das andere kleine Kriegsgerät zusammenzusuchen, um es aus dem Felde
+zu führen, — als ein tiefes Ach! aus dem Schilderhause, das aus dünnen
+Schaldielen gemacht war und also den Schall um so trauriger nachhallen
+ließ, ihn daran verhinderte.</p>
+
+<p>»Nein,« sagte der Korporal bei sich selbst, »ich will's morgen früh
+tun, ehe der Herr Kapitän aufsteht.«</p>
+
+<p>Damit nahm er seinen Spaten wieder aus dem Schiebkarren hervor, mit ein
+wenig Erde darauf, als ob er eine Stelle am Fuße des Walles damit ebnen
+wollte. In der eigentlichen Absicht aber, sich seinem Herrn zu nähern,
+um ihm die Grillen zu vertreiben. Er lockerte ein paar Rasen, stieß die
+Ecken mit seinem Spaten ab, und nachdem er mit<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> der Fläche ein- oder
+ein paarmal leise darauf geklopft hatte, setzte er sich dicht zu den
+Füßen meines Onkels Toby nieder und hob an wie folgt.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_117">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertachtzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Es wäre wohl ewig schade, ob ich schon glaube, mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, daß ich wohl nur einfältiges Zeug vorbringen werde, für 'n
+Soldaten.«</p>
+
+<p>»Ein Soldat,« rief mein Onkel Toby und fiel dem Korporal in die Rede,
+»hat darin nichts voraus, Trim; er kann ebensowohl einfältiges Zeug
+hervorbringen wie ein Gelehrter.« — »Aber nicht so oft, mit Euer
+Gnaden Wohlnehmen,« versetzte der Korporal. — Mein Onkel Toby nickte
+Beifall.</p>
+
+<p>»Es wäre denn also ewig schade,« sagte der Korporal und warf seine
+Augen auf Dünkirchen und den Hafen, wie Servius Sulpicius, als er aus
+Asien zurückkam und von Ägina gen Megara segelte, seine Augen auf
+Korinth und Pyräus richtete.</p>
+
+<p>»Es wäre ewig schade, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, diese Werke zu
+demolieren — und ewig schade, wenn man sie hätte stehen lassen.«</p>
+
+<p>»Er hat recht, Trim, in beiden Stücken,« sagte mein Onkel Toby. —
+»Das,« fuhr Korporal Trim fort, »ist die Ursache, warum ich von
+Anbeginn ihrer Schleifung bis ans Ende nicht ein einziges Mal gepfiffen
+oder gesungen, oder gelacht oder geweint, oder von unseren alten Taten
+gesprochen oder Euer Gnaden ein einziges Histörchen erzählt habe, gut
+oder schlecht.«</p>
+
+<p>»Er hat viel Gutes an sich, Trim,« sagte mein Onkel<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> Toby. »Und ich
+lobe es an Ihm, da Er doch sein Histörchen erzählen mag, daß Er unter
+allen, die Er mir erzählt, um mir meine Schmerzen vergessen zu machen
+oder mir meine Grillen zu vertreiben, Er mir selten ein schlechtes
+erzählt hat.«</p>
+
+<p>»Das kommt davon, mit Euer Gnaden gütiger Erlaubnis, daß sie alle wahr
+sind, wenn ich die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben
+Schlössern nicht mitrechne. Denn sie gehen alle zusammen mich selbst
+was an.«</p>
+
+<p>»Und ebendarum mag ich sie wohl leiden,« sagte mein Onkel Toby. »Aber
+was für eine Historie ist denn das? Er hat mich ja recht neugierig
+gemacht.«</p>
+
+<p>»Euer Gnaden können's gleich hören, wenn ich's erzählen soll.«</p>
+
+<p>»Nur,« sagte mein Onkel Toby und sah von neuem nach Dünkirchen und
+dem Hafen hin, »nur muß es keine lustige sein. Wer sich eine lustige
+Historie erzählen lassen will, Trim, der muß ohnedem schon aufgeräumt
+sein, sonst geht's nicht. Und so wie mir jetzt zumute ist, würde Er
+wohl nicht die Freude haben, daß ich über Seine Historie lachte.«</p>
+
+<p>»Lustig ist sie ganz und gar nicht,« versetzte der Korporal.</p>
+
+<p>»Gar zu ernsthaft möchte ich sie aber auch nicht haben,« setzte mein
+Onkel Toby hinzu. — »Es ist weder das eine noch das andere,« erwiderte
+der Korporal, »und wird für Euer Gnaden recht passen.« — »Nun, so
+nehme ich sie zu herzlichem Danke an,« rief mein Onkel Toby. »Sei Er
+nur so gut und fange Er an, Trim.«</p>
+
+<p>Der Korporal machte seine Reverenz; und obgleich es nicht so leicht
+ist, als man wohl glaubt, eine welke Reitmütze mit einem schicklichen
+Anstande abzunehmen — oder etwa um ein Haar leichter, nach meiner
+Ansicht, wenn ein Mensch auf gut türkisch auf der Erde kauert, einen so
+ehrfurchtsvollen,<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> tiefen Bückling zu machen, wie der Korporal gewohnt
+war, so tat es Trim doch dadurch, daß er seine rechte flache Hand, mit
+der er nach seinem Herrn hin saß, ein wenig hinterwärts hinter seinem
+Körper aufs Gras fallen ließ, damit er sich besser vornüberbeugen
+könnte. Und er tat es durch eine ungezwungene Zusammenklemmung seiner
+beiden Vorderfinger und des Daumens seiner linken Hand, wodurch der
+Umfang der Mütze kleiner wurde, und man eher hätte sagen können,
+er habe sie abgedrückt als abgerissen, und zwar auf eine bessere
+Weise als die Lage, darin er war, es zu versprechen schien. Und
+nachdem er ein paarmal hm! hm! gesagt hatte, um den Ton ausfindig zu
+machen, in welchem die Historien am besten gehen und welche in seines
+Herrn Gemütsart am besten eingreifen möchte, wechselte er nur einen
+vertraulich freundlichen Blick mit ihm und begann also:</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p>
+
+<p>»Es war einmal ein König von Böhmen —«</p>
+
+<p>Wie der Korporal die Grenzen von Böhmen beschritt, nötigte ihn mein
+Onkel Toby, auf einen Augenblick innezuhalten. Er hatte barhaupt
+begonnen, indem er seine Reitmütze, die er am Ende des vorigen Kapitels
+abgezogen, neben sich auf der Erde hatte liegen lassen.</p>
+
+<p>Das Auge der Güte späht auf alles. — Der Korporal hatte also noch
+nicht völlig die fünf ersten Worte seiner Historie hervorgebracht, als
+mein Onkel Toby bereits mit seinem spanischen Rohre zweimal die Mütze
+frageweise angerührt hatte — gleichsam, um zu sagen: warum setzt Er
+sie nicht auf, Trim? Trim hob sie mit der ehrerbietigsten Langsamkeit
+auf, und indem er dabei, wie er's tat, einen demütigen Blick auf das
+gestickte Vorderblatt warf, das jämmerlich abgebleicht<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> und daneben in
+den besten Blumen und kühnsten Zügen der Stickerei abgeschlissen war,
+legte er sie von neuem zwischen seine beiden Beine, um über den Umstand
+zu moralisieren.</p>
+
+<p>»Leider ist jedes Wort von dem nur zu wahr,« rief mein Onkel Toby, »was
+Er da anmerken will.«</p>
+
+<p>»Nichts in dieser Welt, Trim, ist gemacht, daß es ewig halten soll.«</p>
+
+<p>»Aber wenn die Andenken deiner Liebe und Treue, liebster Thomas, sich
+verschleißen,« sagte Trim, »was sollen wir dann sagen?« —</p>
+
+<p>»Er hat nicht nötig, das geringste weiter zu sagen,« rief mein
+Onkel Toby. »Und wenn auch ein Mensch sein Gehirn bis an den lieben
+Jüngsten Tag zermarterte, Trim, ich glaube, so könnte er es doch nicht
+herausfinden.«</p>
+
+<p>Da der Korporal merkte, daß mein Onkel Toby recht hatte, und daß es
+für den Witz eines Menschen vergebens sein würde, darauf zu sinnen,
+eine reinere Moral aus seiner Mütze zu ziehen, so ließ er's dabei
+bewenden und setzte sie auf, fuhr mit seiner Hand über die Stirne, um
+eine tiefsinnige Runzel wegzureiben, die der Text und die Nutzanwendung
+miteinander gezeuget hatten, und wendete sich wieder, mit dem vorigen
+Blicke und Tone in der Stimme, zu seiner Historie vom Könige von Böhmen
+und seinen sieben Schlössern.</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p>
+
+<p class="center">Fortsetzung.</p>
+
+<p>»Es war einmal ein König von Böhmen, aber unter was für einer
+Regierung, wenn es nicht unter seiner eigenen war, das kann ich Euer
+Gnaden nicht sagen —«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span></p>
+
+<p>»Das verlange ich von Ihm auch nicht, Trim, gar nicht,« sagte mein
+Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Es war ein Weilchen vorher, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ehe die Hünen
+anfingen keine Kinder mehr zu kriegen. Aber in was für einem Jahr
+Christi es war —«</p>
+
+<p>»Da gebe ich keinen roten Heller um, ob ich das weiß, oder nicht,«
+sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Ja, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine Historie kriegt doch so ein
+besser Ausgehen danach.«</p>
+
+<p>»Es ist Seine Historie, Trim, schmücke Er sie aus nach Seinem eigenen
+Gutdünken und verlege Er sie, auf welches Jahr Er will,« sagte mein
+Onkel Toby und sah ihn spaßhaft an. »Verleg' Er sie, auf welches Jahr
+Er nur Lust hat. Ich bin's von Herzen zufrieden.«</p>
+
+<p>Der Korporal verneigte sich; denn, von jedem Jahrhunderte und von
+jedem einzelnen Jahr dieses Jahrhunderts, vom Anbeginn der Schöpfung
+bis zur Sündflut, und von der Sündflut bis zu Abrahams Geburt, durch
+alle Wallfahrten der Leben der Erzväter bis auf den Ausgang der Kinder
+Israel aus Ägypten — und alle Dynastien, Olympiaden, Urbiconditas und
+andere merkwürdige Epochen der verschiedenen Völkerschaften auf dem
+Erdboden, bis zu Christi Geburt, und von da an bis auf den eigentlichen
+Augenblick, in welchem Trim seine Historie erzählte —, dieses weite
+Meer der Zeit, mit allen seinen Abgründen, hatte mein Onkel Toby seiner
+Wahl überlassen. Aber wie die Bescheidenheit das kaum mit einem Finger
+zu berühren pflegt, was ihr die Freigebigkeit mit beiden offenen Händen
+darbeut, so begnügte sich der Korporal mit dem schlechtesten Jahre aus
+dem ganzen Bausch, welches, um die Herren Kameralisten, Projektisten
+und Lottologisten abzuhalten, daß sie sich durchs Zanken darüber nicht
+das Fleisch von den Knochen nagen — ob das Jahr nicht allemal das
+letzt zurückgelegte Jahr des zuletzt abgelegten Kalenders<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> sei — ich
+Ihnen deutlich sagen muß: aus anderen, ganz anderen Ursachen aber, als
+Sie denken.</p>
+
+<p>Es war das Jahr, das ihm am nächsten war, zu sagen, das Jahr unseres
+Herrn siebzehnhundertundzwölfe. Weil in diesem Jahr der Herzog von
+Ormond in Flandern sein Wesen trieb, nahm es der Korporal und trat
+damit von neuem seine Reise nach Böhmen an.</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p>
+
+<p class="center">Fortsetzung.</p>
+
+<p>»Es war im Jahre unseres Herrn eintausendsiebenhundertundzwölf, mit
+Euer Gnaden Wohlnehmen —«</p>
+
+<p>»Die Wahrheit zu sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »würde mir
+jedes andere Jahr lieber gewesen sein, nicht nur des üblen Kleckses
+wegen, den dieses Jahr in unserer Geschichte von England macht. Weil
+unsere Völker aus dem Felde geführt wurden und man sich weigerte,
+die Belagerung von Ovesnoy zu decken, ungeachtet Fagel die Werke mit
+solcher unglaublicher Herzhaftigkeit fortführte, — sondern auch seiner
+eigenen Historie wegen, Trim. Weil, wenn darin — wie ich aus einigen
+Worten, die Ihm entfallen sind, schließen muß — wenn Riesen, oder, wie
+Er es nennt, Hünen darin vorkommen.«</p>
+
+<p>»Nur ein einziger, mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«</p>
+
+<p>»Das ist so gut wie zwanzig,« sagte mein Onkel Toby. »Er hätte ihn
+einige sieben- oder achthundert Jahre zurück aus dem Schusse bringen
+sollen, sowohl wegen der Kunstrichter als anderer Leute. Deswegen
+möchte ich Ihm wohl raten, wenn Er es jemals wieder erzählt —«</p>
+
+<p>»Wenn ich nur so lange lebe, daß ich einmal damit zu Ende komme, so
+will ich's,« sagte Trim, »in meinem Leben nicht wieder erzählen, weder
+einem Manne, noch einer Frau,<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> noch einem Kinde.« — »Nun, nun!« sagte
+mein Onkel Toby. Aber mit einer so zuredenden Stimme sagte er's, daß
+der Korporal mit mehr Freudigkeit fortfuhr als zuvor.</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p>
+
+<p class="center">Fortsetzung.</p>
+
+<p>»Es war einmal, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, erhob
+dabei seine Stimme und rieb sich freudig die Hände, wie er begann, »ein
+König von Böhmen —«</p>
+
+<p>»Laß Er das Jahr nur aus, Trim,« sagte mein Onkel Toby, indem er sich
+vorne überbückte und seine Hand vertraulich auf des Korporals Schulter
+legte, um seiner Unterbrechung das Unangenehme zu benehmen. — »Laß
+Er's nur ganz aus, Trim. Eine Historie kann recht gut sein, ohne solche
+Genauigkeit, man müßte es denn ganz sicher wissen.«</p>
+
+<p>»Sicher wissen!« sagte der Korporal und schüttelte den Kopf.</p>
+
+<p>»Richtig,« antwortete mein Onkel Toby. »Es ist so leicht nicht, für
+jemand, der nicht tiefer studiert hat, wie Er und ich, der selten
+weiter vor sich hin sieht als aufs Ende seiner Muskete oder weiter
+hinter sich als nach seinem Schnappsacke, und also von solchen Dingen
+nicht viel versteht.«</p>
+
+<p>»Jawohl, jawohl, Euer Gnaden,« sagte der Korporal, der sowohl durch die
+Art wie durch das, was mein Onkel sagte, hingerissen ward, »er hat wohl
+sonst was zu tun. Ist er nicht in einer Schlacht oder auf dem Marsche
+oder in Garnison auf der Wache, so hat er, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,
+sein Gewehr zu putzen, sein Lederzeug zu kollern und zu wichsen, seine
+großen und kleinen Montierungsstücke unter der Nadel zu halten, sein
+Haar zu kräuseln und zu pudern, daß er immer so schmuck ist wie auf der
+Parade. Was hat<span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span> ein Soldat nötig,« setzte der Korporal hinzu, »daß er
+sich um die Geographie bekümmert, Euer Gnaden.«</p>
+
+<p>»Chronologie will Er sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Denn die
+Geographie, sieht Er, die kann er nicht entbehren. Er muß mit jedem
+Lande und mit seinen Grenzen genau bekannt sein, wohin ihn sein Beruf
+führt. Er sollte jede Stadt, jeden Flecken, jedes Dorf und jede Meierei
+kennen, mit den Heerstraßen, Fußsteigen und Hohlwegen, die dahin gehen.
+Er sollte über keinen Fluß oder Bach kommen oder er sollte gleich beim
+ersten Anblick zu sagen wissen, wie er heißt, in was für einem Gebirge
+er entspringt, was er für einen Lauf nimmt, wo er schiffbar ist, wo
+man durchwaten kann und wo er zu tief ist. Er sollte die Fruchtbarkeit
+eines jeden Tales ebenso gut wissen, wie der Bauer, der es bepflügt,
+und sollte es beschreiben, oder, wenn's begehrt wird, imstande sein,
+eine richtige Karte aufnehmen zu können, von allen Planen, Defileen,
+Werken, Anhöhen, Waldungen, Morästen, wo seine Armee durch- oder
+vorbeimarschieren muß. Er sollte ihre Produkte, ihre Pflanzen, ihre
+Mineralien, ihre Wasser, ihre Art Vieh, ihre Witterung, ihre Winde,
+ihre Hitze und Kälte, ihre Einwohner, ihre Gebräuche, ihre Sprache,
+Sitten und sogar ihre Religion kennen.«</p>
+
+<p>»Wäre es sonst wohl begreiflich, Korporal,« fuhr mein Onkel Toby fort
+und richtete sich in seinem Schilderhause in die Höhe, wie er bei
+diesem Teile seiner Rede warm wurde, »daß Marlborough seine Armee
+von den Ufern der Maas bis Belburg führen konnte? Von Belburg nach
+Kerpenord — konnte der Korporal nicht länger sitzen —. Von Kerpenord,
+Trim, nach Kalsacken, von Kalsacken nach Neudorf, von Neudorf nach
+Landenburg, von Landenburg nach Mildenheim, von Mildenheim nach
+Elchingen, von Elchingen nach Gingen, von Gingen nach Balmerchofen, von
+Balmerchofen nach Schellenberg. Wo er die feindlichen Werke überfiel,
+sich eine<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> Passage über die Donau erzwang, über den Lechfluß setzte,
+mit seinem Heere bis ins Herz des Deutschen Reiches drang, an der
+Spitze desselben durch Freiburg, Hohenwert und Schönefeld marschierte,
+bis zu dem Schlachtfelde bei Blenheim und Höchstädt? — So groß er war,
+Korporal, er hätte keinen Fußbreit avancieren oder den Marsch von einem
+einzigen Tage anordnen können, ohne Hilfe der Geographie.</p>
+
+<p>»Die Chronologie aber, das gesteh' ich, Trim,« fuhr mein Onkel Toby
+fort und setzte sich wieder ganz kalt in seinem Schilderhause nieder,
+»die scheint unter allen anderen eine Wissenschaft zu sein, deren ein
+Soldat am ersten entraten könnte. Wenn's nicht wegen der Einsichten
+wäre, die sie ihm eines Tages erteilen muß, wenn er ausmachen will, um
+welche Zeit das Pulver erfunden worden, dessen greuliche Verwüstung, da
+es wie der Donner alles vor sich niederreißet, eine neue Zeitrechnung
+für unsere Kriegskunst beginnt. Es hat die Natur des Angreifens und
+des Verteidigens sowohl zur See als zu Lande so durchgängig verändert
+und hat dabei soviel Kunst und Geschicklichkeit erweckt, daß die Welt
+darüber, den eigentlichen Zeitpunkt der Entdeckung auszumachen, nicht
+zu genau, noch zu forschbegierig sein kann: Zu wissen, welch großer
+Mann der Erfinder war und was für Veranlassung ihn darauf führte.«</p>
+
+<p>»Ich bin weit entfernt,« fuhr mein Onkel Toby fort, »das zu bestreiten,
+worin die Geschichtschreiber übereinstimmen, daß im Jahre 1380, unter
+der Regierung Wenzeslaus', ein Sohn Karls <em class="antiqua">IV.</em>, ein gewisser
+Mönch namens Schwarz den Venetianern in ihrem Kriege mit den Genuesern
+den Gebrauch des Pulvers angab. Aber das ist gewiß, der erste war
+er nicht. Weil, wenn wir dem Don Pedro, Bischof von Leon, Glauben
+beimessen dürfen.« —</p>
+
+<p>»Wie kamen denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, Mönche und Bischöfe dazu,
+daß sie ihre Nase so oft ins Pulver<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> steckten?« — »Gott weiß es,«
+sagte mein Onkel Toby. — »Seine Vorsehung weiß alles zum besten zu
+lenken, und er behauptet in seiner Chronik vom König Alphonsus, welcher
+Toledo eroberte, daß im Jahre 1343, volle dreißig Jahre früher, das
+Geheimnis des Pulvers ganz bekannt gewesen und mit Nutzen gebraucht
+sei, von Mauren und Christen, nicht nur in ihren Seetreffen um diese
+Zeit und bei vielen anderen von ihren merkwürdigen Belagerungen
+in Spanien und in der Barbarei. Der ganzen Welt ist es bekannt,
+daß der Mönch Bacon ausdrücklich darüber geschrieben und der Welt
+großmütigerweise das Rezept gegeben hat, wie man es machen kann, schon
+länger als hundertundfünfzig Jahre vorher, ehe Schwarz geboren war. Und
+jeder weiß auch, daß die Chinesen,« fügte mein Onkel Toby hinzu, »uns
+mit unserer Rechnung noch mehr in Verlegenheit setzen, indem sie sich
+der Erfindung sogar noch einige hundert Jahre vor ihm rühmen.«</p>
+
+<p>»Das Chinesenvolk ist wohl ein ganzes Lügenpack, glaub' ich,« schrie
+Trim.</p>
+
+<p>»Sie mögen wohl in dieser Sache,« sagte mein Onkel Toby, »ein wenig
+irre sein, wie es für mich ganz deutlich erhellet aus dem elenden
+Zustande, worin sich gegenwärtig ihre Kriegsbaukunst befindet, welche
+in der Welt in weiter nichts begeht als in einem Graben mit einem Walle
+von Ziegelsteinen ohne Flanken. Und, was sie uns für eine Bastion,
+an jeder Ecke desselben, geben wollen, ist ein Ding, das lebhaftig
+aussieht, wie — —« »Wie eins von meinen sieben Schlössern, mit Euer
+Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim.</p>
+
+<p>Obgleich mein Onkel Toby um ein Gleichnis in der äußersten Verlegenheit
+war, so lehnte er doch Trims Anerbieten in ganz höflicher Weise ab,
+bis Trim sagte, er habe doch noch ein ganzes halbes Dutzend in Böhmen,
+damit er nichts anzufangen wüßte, und mein Onkel Toby über den lustigen
+Spaß des Korporals so vergnügt wurde, daß er seine<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> Dissertation über
+das Schießpulver abbrach — und den Korporal bat, er möchte nur stracks
+mit seiner Historie vom Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern
+fortfahren.</p><br>
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p>
+
+<p class="center">Fortsetzung.</p>
+
+<p>»Dieser unglückliche König von Böhmen,« sagte Trim — »War er also
+unglücklich?« rief mein Onkel Toby. Denn er war in seine Dissertation
+über das Schießpulver und andere Kriegshändel so verwickelt gewesen,
+daß, obgleich er von dem Korporal verlangt hatte, er sollte fortfahren,
+dennoch seine häufigen Unterbrechungen ihm nicht mehr stark genug
+im Andenken waren, um das Beiwort nicht zu erklären. »War er also
+unglücklich, Trim?« sagte mein Onkel Toby mit gerührter Stimme.</p>
+
+<p>Der Korporal, nachdem er erst das Wort mit allen gleichbedeutenden
+zu allen Henkern gewünscht hatte, begann den Augenblick, die
+hauptsächlichsten Begebenheiten seines Königs von Böhmen in Gedanken
+durchzulaufen. Aus einer jeden derselben aber erhellte, daß er
+einer der glücklichsten Menschen war, die jemals in der Welt gelebt
+haben. Das brachte den Korporal zum Stocken; denn er wollte nicht
+gerne das Beiwort zurücknehmen — und noch weniger es erklären —
+am allerwenigsten aber seine Historie drehen und winden — wie
+systematische Historiker — um sie seinem System anzupassen. Er blickte
+also meinem Onkel Toby ins Angesicht um Beistand. Da er aber sah, daß
+das gerade die Sache wäre, die mein Onkel Toby von ihm erwartete, fuhr
+er nach einigen Hms! und Jas fort:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span></p>
+
+<p>»Der König von Böhmen,« versetzte der Korporal, »war mit Euer Gnaden
+Wohlnehmen, als wenn ich so sagen wollte, unglücklich darin, daß er
+große Lust und Vergnügen an der Schiffahrt fand und an allen Arten von
+Seesachen —, und da es sich nun begab, daß in dem ganzen böhmischen
+Königreiche keine Stadt mit einem Seehafen war —«</p>
+
+<p>»Ich glaub's wohl! wie hätte das auch zugehen sollen, Trim?« rief mein
+Onkel Toby. »Da Böhmen allenthalben festes Land ist, so konnte es sich
+nicht anders begeben.« — »Es hätte doch wohl,« sagte Trim, »wenn's
+Gottes Wille gewesen wäre.« —</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby sprach niemals von dem Wesen und den Eigenschaften
+Gottes außer mit der ehrfurchtsvollsten und zurückhaltendsten
+Behutsamkeit.</p>
+
+<p>»Ich glaube nicht,« erwiderte mein Onkel Toby nach einigem Nachdenken.
+»Denn da es festes Land ist, wie ich gesagt habe, und Schlesien und
+Mähren gegen Osten, die Lausitz und Obersachsen gegen Norden, das
+Fränkische gegen Westen und Bayern gegen Süden gelegen hat, so hätte
+Böhmen nicht an die See gerückt werden können, oder es wäre nicht mehr
+Böhmen geblieben. Ebensowenig konnte auf der andern Seite die See nach
+Böhmen kommen, ohne einen großen Teil von Deutschland zu überschwemmen
+und Millionen von armen Einwohnern zu verschlingen, die sich dagegen
+nicht schützen können.« — »Sünd' und Schande!« schrie Trim. »Welches,«
+setzte mein Onkel Toby mit Sanftmut hinzu, »einen solchen Mangel an
+Barmherzigkeit in Ihm anzeigen würde, der der Menschen Vater ist, daß
+ich glaube, Trim, die Sache konnte sich auf keinerlei Art und Weise
+begeben.«</p>
+
+<p>Der Korporal machte die Verbeugung der unverstellten Überzeugung und
+fuhr fort:</p>
+
+<p>»Da es sich nun an einem schönen Sommerabend begab, daß der König von
+Böhmen mit seiner Königin und Hofleuten<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> ausging« — »Ha! ja! da ist
+das Wort begab recht, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »denn der König von
+Böhmen konnte mit seiner Königin ausgehen oder es unterlassen. Das war
+eine zufällige Sache und konnte sich begeben, je nachdem es der Zufall
+mit sich brachte.«</p>
+
+<p>»Der König William hatte den Glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß
+alles schon so für uns in der Welt vorher bestimmt wäre. Das ging so
+weit, daß er oft zu seinen Soldaten zu sagen pflegte, daß eine jedwede
+Kugel ein Billett hätte.« — »Es war ein großer Mann,« sagte mein Onkel
+Toby. — »Und ich glaube noch bis auf diese Stunde,« fuhr der Korporal
+fort, »daß der Schuß, der mich in der Schlacht bei Landen zum Invaliden
+machte, ganz allein darum auf mein Knie gezielt wurde, damit ich aus
+seinem Dienste heraus und in Euer Gnaden Dienste kommen mußte, worin
+ich es soviel besser auf meine alten Tage haben sollte.« »Ehrlicher
+Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es soll niemals anders ausgelegt werden
+können.«</p>
+
+<p>Die Herzen, sowohl des Herrn als des Dieners, waren zu schneller
+Ergießung gleich stark geneigt. — Es erfolgte ein kurzes
+Stillschweigen.</p>
+
+<p>»Und noch dazu,« sagte der Korporal und nahm das Wort wieder, aber
+mit heitererem Gesichte und Tone, »wäre es nicht dieser einzige Schuß
+gewesen, ich wäre Ihnen, Euer Gnaden, in meinem Leben nicht verliebt
+worden.« —</p>
+
+<p>»So? ist Er einmal verliebt gewesen, Trim?« sagte mein Onkel Toby
+lächelnd.</p>
+
+<p>»Ja, was wollte ich nicht!« versetzte der Korporal. »Bis über Kopf und
+Ohren! mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«</p>
+
+<p>»Ei, sag' Er mir doch, wann, wo und wie das zuging? Ich habe ja noch
+kein Wort davon gehört,« sagte mein Onkel Toby. »Ich wollte doch wohl
+sagen, daß es das ganze Regiment bis auf den Steckenknecht gewußt
+hätte.« — »So ist's<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> hohe Zeit, daß ich's auch erfahre,« sagte mein
+Onkel Toby. — »Euer Gnaden,« sagte der Korporal, »werden sich noch
+wohl mit Unlust an die greuliche Verwüstung und Konfusion unseres
+Lagers und unserer Armee nach der Affäre bei Landen erinnern. Da war
+an kein Kommando mehr zu denken. Ein jeder mochte zusehen, wie er sich
+rettete. Und hätten's nicht die Regimenter von Windham, Lumley und
+Galway getan, welche noch die Retirade über die Brücke zu Neerspeeken
+deckten, so hätte der König selbst kaum darüber kommen können. — Sie
+setzten ihm, wie Euer Gnaden wissen, an allen Seiten hart zu.«</p>
+
+<p>»Der tapfere Herr!« schrie mein Onkel Toby, von seinem Enthusiasmus
+ergriffen. »Diesen Augenblick, da alles vorbei ist, sehe ich ihn noch
+an mir vorbeireiten, Korporal, nach dem linken Flügel, um den Rest der
+engländischen Kavallerie herbeizuführen, um den rechten zu unterstützen
+und den Lorbeer von Luxemburgs Stirne zu reißen, wenn's noch möglich
+wäre. Ich sehe ihn, wie eben der Knoten von seiner Schärpe abgeschossen
+ist und wie er dem Galwayischen Regimente neuen Mut einspricht. Er
+reitet vor der Linie hinauf. Nun wendet er sich um und greift an ihrer
+Spitze den Conti an. Brav! brav wahrhaftig,« rief mein Onkel Toby. »Er
+verdient eine Krone! — so gewiß wie ein Dieb den Strick,« jauchzte
+Trim.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby kannte des Korporals Treue als Untertan. — Sonst war
+die Vergleichung gar nicht nach seinem Sinne. Sie gefiel dem Korporal
+selbst auch nicht so ganz, sobald er sie gemacht hatte. — Aber sie war
+heraus. Er konnte also nichts weiter dabei tun, als nur fortfahren.</p>
+
+<p>»Da der Haufen der Verwundeten erstaunlich groß war und niemand Zeit
+hatte, an was anderes zu denken als seine eigene Sicherheit —« —
+»Aber Talmash,« sagte mein Onkel Toby, »führte doch die Infanterie mit
+großer Klugheit ab.« — »Ich aber ward auf dem Felde liegen gelassen,«
+sagte<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> der Korporal. »Das ward Er; armer Mensch!« versetzte mein Onkel
+Toby. — »So, daß es den andern Tag Mittag wurde,« fuhr der Korporal
+fort, »ehe ich ausgewechselt und mit dreizehn oder vierzehn andern auf
+den Karren geladen wurde, der uns nach unserem Hospital bringen sollte.</p>
+
+<p>»Es ist, mit Euer Gnaden Erlaubnis, kein Glied am ganzen Leibe, wo eine
+Wunde mehr unausstehliche Schmerzen macht als am Knie.« —</p>
+
+<p>»Das Latzbein ausgenommen,« sagte mein Onkel Toby. — »Wenn's Euer
+Gnaden nicht übelnehmen wollen, so glaub' ich, daß, nach meiner
+Meinung, das Knie das schmerzlichste sein muß. Denn da sind soviel
+Sehnen und soviel andere, wie heißt es? herum her.«</p>
+
+<p>»Ebendeswegen,« sagte mein Onkel Toby, »kommt's, daß das Latzbein
+unendlich empfindlicher ist. Da liegen nicht nur ebensoviel Sehnen und
+andere, wie es heißt? — denn ich kenne ihre Namen ebensowenig wie Er
+— umher, sondern auch — —«</p>
+
+<p>Madame Wadmann, die die ganze Zeit über in ihrer Laube gewesen, hielt
+geschwind den Atem an, zog die Nadel aus ihrer Kappe unterm Kinn,
+schlug sie in die Höhe und stellte sich auf die Zehen eines Fußes.</p>
+
+<p>Der Streit ward freundschaftlich und mit gleichem Nachdruck zwischen
+meinem Onkel Toby und Korporal Trim eine Zeitlang fortgesetzt. Bis
+sich endlich Trim besann, daß er öfters über meines Onkels Toby
+Leiden geweint, über sein eigenes aber nie eine Träne vergossen habe,
+und deswegen nachzugeben dachte, was ihm aber mein Onkel Toby nicht
+gestatten wollte. »Das beweist nichts, Trim,« sagte er, »als die Güte
+seines Herzens.«</p>
+
+<p>Daher also, ob die Pein einer Wunde am Latzbein (<em class="antiqua">Caeteris
+paribus</em>) größer ist als die Pein einer Wunde am Knie, oder —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span></p>
+
+<p>Ob die Pein einer Wunde am Knie nicht größer ist als die Pein einer
+Wunde am Latzbein? — eine Sache ist, die bis auf den heutigen Tag
+unentschieden bleibt.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_118">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertneunzehntes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Die Schmerzen an meinem Knie,« fuhr der Korporal fort, »waren an
+und für sich schon erschrecklich groß; und beim Rumpeln des Karrens,
+bei dem entsetzlich ausgefahrenen Wege, welche das Übel immer ärger
+machten, wollte mir die Seele aus dem Leibe fahren. Und so war das
+viele verlorene Blut und der Mangel an Pflege und ein Fieber, das ich
+noch dazu ankommen fühlte —« der arme Mensch, sagte mein Onkel Toby
+—; »alles das zusammen war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, zuviel für
+mich.«</p>
+
+<p>»Ich klagte mein Elend einem jungen Frauenzimmerchen in einem
+Bauernhause, vor dem unser Karren, der der letzte in dem Zuge
+war, stillgehalten hatte. Sie hatten mir hereingeholfen, und
+das Frauenzimmerchen hatte ein Glas Herzstärkung aus der Tasche
+hervorgelangt und tröpfelte es auf ein Stückchen Zucker. Und als sie
+sah, daß es mir guttat, hatte sie mir's zum zweiten- und drittenmal
+eingegeben. Und so sagte ich ihr, mit Euer Gnaden Erlaubnis, was ich
+für einen Jammer hatte. Und sagte ihr, daß es mir so unausstehlich
+wäre, daß ich lieber auf dem Bette liegen — und wendete meinen Kopf
+nach einem, das in der Ecke der Stube stand — und sterben wollte als
+weiterfahren. Und als sie sich die Mühe gab, mich dahin zu führen,
+kriegte ich 'ne Ohnmacht in ihren Armen. — Es war so 'ne gute Seele,
+wie Euer Gnaden,« sagte der Korporal und wischte sich die Augen, »hören
+werden.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p>
+
+<p>»Ich hätte gedacht, die Liebe wäre was Lustiges,« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Es ist so was Ernsthaftes zuweilen, mit Euer Gnaden Erlaubnis, als nur
+was von der Welt.</p>
+
+<p>»Auf das Zureden des Frauenzimmerchens,« fuhr der Korporal fort, »fuhr
+der Karren mit der blessierten Mannschaft ohne mich weiter. Sie hatte
+ihnen versichert, ich würde daran sterben, wenn ich wieder auf den
+Karren käme. Und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in
+einem stillen, ruhigen Bauernhause, und war sonst kein Mensch mit mir
+drinnen als das Frauenzimmerchen und der Bauer und seine Frau. Ich
+lag quer überm Bett in der Ecke der Stube, mit meinem Bein auf dem
+Stuhle, und das Frauenzimmerchen saß bei mir und hielt ihren Zipfel
+vom Schnupftuche, den sie in Essig getaucht hatte, mit einer Hand vor
+meiner Nase und rieb mir mit der andern die Schläfe.</p>
+
+<p>»Ich hielt sie erst für die Tochter des Bauern (denn es war kein
+Krug) und hatte ihr deswegen einen kleinen Beutel mit achtzehn Gulden
+hingegeben, welche mir mein armer Bruder Thomas (hier wischte Trim
+seine Augen) mit einem Rekruten zum Andenken geschickt hatte, als er
+eben nach Lissabon gehen wollte.</p>
+
+<p>»Ich habe Euer Gnaden die klägliche Historie noch kein Mal erzählt.«
+Hier wischte sich Trim zum dritten Male die Augen.</p>
+
+<p>»Das Frauenzimmerchen rief den alten Mann und seine Frau her in die
+Stube und wies ihnen das Geld, daß sie mir ein Bett geben sollten und
+die kleine Pflege, die ich nötig hätte, bis ich erst ins Hospital
+gebracht werden könnte. Gut so, mein guter Freund, sagte sie und
+knüpfte den Beutel zu, — ich will seine Ausgeberin sein. Aber da ich
+damit allein wohl nicht genug zu tun habe, so will ich auch seine
+Wärterin sein.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span></p>
+
+<p>»Nach der Manier, womit sie das sagte, und nach ihrer Tracht, die
+ich nun ein bißchen genauer examinierte, dachte ich wohl, daß das
+Frauenzimmerchen wohl nicht des Bauern Tochter sein könnte.</p>
+
+<p>»Sie ging schwarz vom Kopfe bis zu den Füßen und hatte ihre Haare
+unter einer weißleinenen Haube, die ihr ganz dicht am Kopfe lag. Es
+war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine von der Art Nonnen, die es in
+Brabant soviel gibt und die sie frei herumgehen lassen.« — »Aus
+seiner Beschreibung, Trim, sollte ich schließen, daß es eine junge
+Begyne gewesen, von denen man sonst nirgends welche findet, als in
+den Niederlanden, und in Amsterdam auch. Sie sind darin von Nonnen
+unterschieden, daß sie ihr Kloster verlassen können, wenn sie heiraten
+wollen. Sie besuchen die Kranken und pflegen sie nach ihrem Gelübde.
+Ich wollte aber lieber, sie täten's aus gutem Herzen.«</p>
+
+<p>»Sie hat mir oft gesagt, sie tät's aus Liebe zum Heilande. Das wollte
+mir nicht recht gefallen.« — »Ich glaube, Trim, wir haben beide
+unrecht,« sagte mein Onkel Toby. »Wir wollen den Pfarrer Yorick darum
+fragen, wenn er heute abend nach meines Bruders Hause kommt. Erinnere
+Er mich nur daran.«</p>
+
+<p>»Die junge Begyne,« fuhr der Korporal fort, »hatte kaum das Wort
+ausgesagt, daß sie meine Krankenwärterin sein wollte, als sie wie der
+Wind hinging, ihren Dienst anzutreten und was für mich zurechtzumachen.
+Es währte nicht lange — ob schon es mich lange dünkte —, so kam sie
+wieder und hatte Flanell und dergleichen geholt. Und als sie mir mein
+Knie ein paar gute Stunden lang gekühlt und dergleichen und mir einen
+kleinen Napf Hafersuppe zu essen gegeben hatte, wünschte sie mir wohl
+zu schlafen und versprach des Morgens früh wiederzukommen. — Aber,
+Euer Gnaden, sie wünschte mir was, das ich nicht haben konnte. Mein
+Fieber wurde<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> die Nacht sehr stark. Ihre Gestalt richtete großes Unheil
+in meinem Kopfe an. Ich tat die ganze Nacht nichts, als daß ich immer
+die Welt in zwei Stücken schnitt, um ihr eine Hälfte abzugeben. Und
+alle Augenblicke weinte ich wieder, daß ich nichts hatte, als einen
+Tornister und achtzehn Gulden, mit ihr zu teilen.</p>
+
+<p>»Die ganze Nacht stand die hübsche Begyne wie ein Engel vor meinem
+Bette, zog den Vorhang weg und gab mir was ein. — Und ich wachte erst
+aus meinen Träumen dadurch auf, daß sie kam, wie sie versprochen hatte
+und mir wirklich eingab. Es ist gewißlich wahr, sie kam fast gar nicht
+von mir weg, und ich war so daran gewöhnt, von ihren Händen mein Leben
+zu nehmen, daß mir ganz bange ums Herz wurde und bleich im Gesicht,
+wenn sie nur aus der Türe ging. Und dabei doch,« fuhr der Korporal fort
+und machte eine der sonderbarsten Anmerkungen darüber,</p>
+
+<p class="center"><em class="gesperrt">»war's keine Liebe</em>.</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Es war an einem Sonntagnachmittag.</div>
+ <div class="verse indent0">Der alte Mann und seine Frau waren ausgegangen.</div>
+ <div class="verse indent0">Es war im ganzen Hause alles mausestill.</div>
+ <div class="verse indent0">Auf dem Hofe krähte weder Huhn noch Hahn,</div>
+ <div class="verse indent0">Als die hübsche Begyne kam und mich besuchte.</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span></p>
+
+<p>»Meine Wunde war nun auf gutem Wege der Besserung. Die Geschwulst hatte
+sich schon seit einiger Zeit gelegt, aber es folgte darauf sowohl über
+als unter dem Knie ein so unerträgliches Jucken, daß ich die ganze
+Nacht hatte kein Auge davor zutun können.</p>
+
+<p>»Laß Er mich sehen, sagte sie, und kniete gerade vor meinem Knie auf
+die Erde nieder und begriff die Stelle unten daran.</p>
+
+<p>»Es muß nur ein bißchen gerieben werden, sagte die Begyne. Damit legte
+sie das Bettlaken darüber und fing<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span>
+an, mit ihrem vordersten Finger hin und her zu reiben unter dem Flanell
+herum, das über dem Verband gebunden war.</p>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowp52" id="p2561_ill" style="max-width: 41.9375em;">
+ <img class="w100" src="images/p2561_ill.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<p>»In fünf oder sechs Minuten fühlte ich schon ein bißchen von der Spitze
+ihres Fingers — und bald darauf streckte sie ihn auch aus und rieb mit
+zwei Fingern eine lange Weile so rund herum; da fiel mir's ein, daß
+ich verliebt werden würde. Ich wurde ganz rot im Gesicht, als ich sah
+was sie für eine weiße Hand hatte. Ja, Euer Gnaden, ich werde eine so
+schneeweiße Hand nicht wieder zu sehen kriegen, solange ich lebe.«</p>
+
+<p>»An der Stelle nicht,« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>Es war zwar für den Korporal die ernsthafteste Verzweiflung von der
+Welt, er konnte aber doch nicht unterlassen zu schmunzeln.</p>
+
+<p>»Als die junge Begyne sah,« fuhr der Korporal fort, »daß es gewaltig
+half, nachdem sie ein Weilchen mit zwei Fingern gerieben hatte, fing
+sie endlich an, mit dreien zu reiben, bis sie endlich nach und nach
+auch den vierten dazunahm und nun mit der ganzen Hand rieb. Ich will,
+mit Euer Gnaden Wohlnehmen, kein Wort wieder von schneeweißen Händen
+sagen — aber sie war so weich, so weich, weicher als Atlas.«</p>
+
+<p>»Höre Er, Trim, lobe Er sie, soviel als Er will,« sagte mein Onkel
+Toby, »ich werde seine Erzählung mit desto größerem Vergnügen hören.«
+— Der Korporal dankte seinem Herrn ohne alle Verstellung. Da er aber
+nichts weiter von der Hand der Begyne zu sagen hatte als ebendasselbe
+noch einmal, so ging er weiter, zu ihrer Wirkung.</p>
+
+<p>»Die schöne Begyne,« sagte der Korporal, »rieb immer, immer weg mit
+ihrer ganzen Hand unter meinem Knie, bis ich besorgte, ihr Eifer würde
+sie müde machen. Ich wollte noch wohl tausendmal mehr tun, sagte
+sie, aus Liebe zum Heilande. Und wie sie das sagte, fuhr sie über
+den Flanell<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> herüber nach der Stelle über dem Knie, worüber ich auch
+geklagt hatte, und rieb sie ebenfalls.</p>
+
+<p>»Nun merkte ich, daß ich anfing verliebt zu werden.</p>
+
+<p>»Als sie das Reiben, Reiben, Reiben so forttrieb, so fühlte ich, mit
+Euer Gnaden Erlaubnis, daß es unter ihrer Hand anfing und sich durch
+alle meine Glieder ausstreckte.</p>
+
+<p>»Je mehr sie rieb und je längere Züge sie tat, je mehr zündete sich
+das Feuer in meinen Adern an, bis endlich meine Verliebtheit auf den
+höchsten Gipfel stieg — ich ergriff ihre Hand —«</p>
+
+<p>»Und Er drückte sie an seine Lippen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>Ob es mit des Korporals Verliebtheit genau so ablief, wie mein Onkel
+Toby es beschrieb, das ist keine wesentliche Sache. Genug, daß sie
+alles das Wesentliche aller verliebten Romane in sich enthielt, welche
+von Anbeginn der Welt her geschrieben sind.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_119">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Sobald der Korporal seiner Liebesgeschichte, oder vielmehr mein Onkel
+Toby an seiner Statt, ein Ende gemacht hatte, — marschierte Madame
+Wadmann ohne Sang und Klang aus ihrer Laube, steckte ihre Haube wieder
+unterm Kinn zu, passierte das kleine Heckenpförtchen und avancierte
+langsam auf meines Onkels Toby Schilderhaus los. Die Disposition,
+welche Trim in seinem Gemüte gemacht hatte, war ein zu vorteilhafter
+Umstand, ihn nicht zu nützen.</p>
+
+<p>Die Attacke ward beschlossen; sie war dadurch noch mehr begünstigt,
+daß mein Onkel Toby dem Korporal befohlen hatte, den Spaten, die
+Pionierschaufel, die Steckpflöcke und das<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> übrige Kriegsgerät, welches
+auf dem Platze, wo Dünkirchen gestanden, zerstreut herumlag, aus dem
+Felde zu fahren. Der Korporal war abmarschiert — das Feld war offen.</p>
+
+<p>Nun überlegen Sie, mein Herr, wie unvernünftig es sei, sowohl beim
+Fechten und Schreiben als sonst bei irgend etwas, das man vorhat —
+es sei gereimt oder nicht —, nach einem Plane zu handeln. Denn wenn
+jemals ein Plan, von allen Umständen unabhängig betrachtet, verdiente
+mit goldenen Buchstaben registriert zu werden — ich meine in den
+utopischen Archiven —, so war es gewiß der Plan von Madame Wadmanns
+planmäßiger Attacke auf meinen Onkel Toby in seinem Schilderhause. —
+Nun aber war der Plan, der eben bei dieser Gelegenheit daran hing,
+der Plan von Dünkirchen — und die Geschichte von Dünkirchen eine
+niederschlagende Geschichte, welche sich jedem Eindrucke widersetzte,
+den sie machen konnte. Und überdem, hätte sie ihm auch folgen können,
+war das Manöver mit den Fingern und der Hand bei der Attacke im
+Schilderhause durch das Manöver der Begyne in Trims Geschichte so sehr
+weit übertroffen, daß gerade dadurch diese besondere Attacke, so sehr
+sie auch vorher gelang, die allerherzloseste Attacke war, die nur
+gemacht werden konnte.</p>
+
+<p>O, man lasse für so etwas das Frauenzimmer nur sorgen! Madame Wadmann
+hatte kaum das Heckenpförtchen geöffnet, als ihr Genie sich schon ein
+bloßem Spiel aus den veränderten Umständen machte.</p>
+
+<p>Sie entwarf augenblicklich eine neue Attacke.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_120">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hunderteinundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Ich bin halb von Sinnen, Herr Kapitän,« sagte Madame Wadmann und hielt
+ihr weiß holländisch-leinen Schnupftuch<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> vor ihr linkes Auge, wie sie
+sich der Türe von meines Onkels Toby Schilderhause näherte. »Eine Mücke
+oder ein Sandkorn oder so etwas, ich weiß nicht was, ist mir da in mein
+Auge gekommen. — O sehen Sie mir doch einmal hinein — es ist nicht im
+Weißen.«</p>
+
+<p>Sowie sie das sagte, drängte sie sich zu meinem Onkel Toby hinein auf
+die Ecke von seiner Bank und gab ihm Gelegenheit, es zu tun, ohne daß
+er aufzustehen brauchte. »Ich bitte, sehen Sie doch hinein!« sagte sie.</p>
+
+<p>Gute ehrliche Seele! Du sahest hinein mit ebensoviel Unschuld des
+Herzens, als jemals ein Kind in einen Kasten voll schöner Raritäten
+geguckt hat, und es wäre eine ebenso große Sünde, dir etwas zuleide zu
+tun.</p>
+
+<p>Will ein Mensch aus freien Stücken in dergleichen Dinger hineingucken,
+so habe ich nichts dazu zu sagen.</p>
+
+<p>Das tat mein Onkel Toby niemals; und ich will für ihn Bürge sein, daß
+er vom Julimonat bis zum Januar — welches, wie Sie wissen, die heißen
+und kalten Monate in sich faßt — ruhig auf einem Sofa gesessen hätte
+bei einem eben so schönen Auge als das Auge der thrazischen Rhodope,
+ohne daß er imstande gewesen wäre zu sagen, ob es ein blaues oder ein
+schwarzes gewesen.</p>
+
+<p>Die Schwierigkeit war, meinen Onkel Toby dahin zu bringen, daß er nur
+überall in eins sähe.</p>
+
+<p>Die ist überstiegen. Und:</p>
+
+<p>Ich sehe ihn dort mit seiner Pfeife in seiner Hand, die Asche
+herausfallend, wie er guckt und guckt, dann sich die Augen reibt und
+wiederum guckt, mit zweimal soviel Treuherzigkeit, als Galilei nach
+einem Flecken in der Sonne guckte.</p>
+
+<p>Vergebens! Denn bei allen Mächten, welche die Sehwerkzeuge beseelen,
+der Witwe Wadmann linkes Auge scheint diesen Augenblick ebenso helle
+wie ihr rechtes. Es schwimmt<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> darin weder Mücke, weder Sand, weder
+Staub, weder Kaff, weder Fleck, noch Teilchen von undurchsichtiger
+Materie. — Du findest nichts darin, mein liebster Onkel von
+väterlicher Seite, als ein liebliches loderndes Feuer, welches
+verstohlenerweise aus jedem seiner Punkte in allen Richtungen heraus in
+deines schießt. Guckst du, mein Onkel Toby, nach diesem Stäubchen noch
+einen Augenblick länger — so bist du verloren.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_121">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertzweiundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Ein Auge ist darin ganz vollkommen einer Kanone gleich, daß es nicht
+sowohl das Auge oder die Kanone an und für sich selbst tut, als die
+Richtung des Auges und die Richtung der Kanone, wodurch das eine und
+die andere so viele Verwüstung anrichten. Ich halte das Gleichnis nicht
+für schlecht. Indessen, da ich's ebensowohl des Nutzens als der Zierde
+wegen gemacht und an die Spitze des Kapitels gestellt habe, so ist
+alles, was ich dafür zur Vergeltung verlange, dieses, daß Sie solches,
+sooft ich von Madame Wadmanns Augen spreche — einmal in den nächsten
+Perioden ausgenommen — im Sinne behalten mögen.</p>
+
+<p>»Ich versichere Sie, Madame,« sagte mein Onkel Toby, »ich kann ganz und
+gar nichts in Ihrem Auge gewahr werden.«</p>
+
+<p>»Es ist nicht im Weißen,« sagte Madame Wadmann. Mein Onkel Toby guckte
+aus allen Kräften und Vermögen in den Stern.</p>
+
+<p>Nun war von allen Augen, die jemals geschaffen sind — von Ihren
+eigenen, gnädige Frau, bis auf die Augen der Venus zurück, welches
+doch wahrhaftig ein so buhlend Paar Augen waren, wie jemals in einem
+Kopfe gestanden —, kein<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> einziges Auge so geschickt, meinen Onkel
+Toby um seine Ruhe zu bringen, wie gerade dasselbige Auge, in welches
+er da hineinsah. Es war kein rollendes Auge, Madame, kein tobendes
+oder mutwilliges, auch war's kein funkelndes, kein drohendes oder
+befehlendes Auge, das stracks viel fordern und ertrotzen wollte.
+Das hätte auf einmal jene Milch der menschlichen Natur gerinnen
+gemacht, aus der mein Onkel Toby gemolken war. Sondern es war ein
+Auge voll sanften Grußes und lieblicher Antworten. Es sprach nicht
+wie ein Trompetenregister in einer schlechtgebauten Orgel, in welchem
+Tone manches Auge, dem man etwas sagt, eine kreischende Unterredung
+führt, — sondern es lispelte leise, gleich dem leisen Röcheln einer
+sterbenden Heiligen:</p>
+
+<p>»Wie können Sie ohne alle Pflege leben, Herr Kapitän Shandy, und so
+einsam, ohne einen Busen, an den Sie Ihr Haupt lehnen oder dem Sie Ihre
+Sorgen vertrauen könnten?«</p>
+
+<p>Es war ein Auge —</p>
+
+<p>Aber ich werde mich noch selbst darin verlieben, wenn ich nur noch ein
+Wort weiter davon sage.</p>
+
+<p>Meinem Onkel Toby machte es den Garaus.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_122">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertdreiundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Nichts setzt die Charaktere meines Vaters und meines Onkels Toby in
+ein unterhaltenderes Licht als ihre verschiedene Art des Betragens bei
+einerlei Zufalle. — Denn ich nenne die Liebe keinen Unfall, aus der
+Überzeugung, in der ich bin, daß das Herz eines Menschen beständig
+dadurch besser wird. — Gütiger Gott! Was müßte aus dem Herzen meines
+Onkels Toby geworden sein, das ohnedem schon lauter Güte war.</p>
+
+<p>Mein Vater, wie aus vielen seiner Papiere erhellt, war<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> dieser
+Leidenschaft sehr unterworfen, ehe er heiratete. Wegen einer etwas
+säuerlichen Art von schnurriger Ungeduld in seinem Wesen aber wollte
+er sich, sooft es ihn überkam, niemals als ein Christ darin finden,
+sondern tobte und schnaubte und stampfte und schlug hinten aus und
+stellte sich ungebärdig und schrieb so bittere Stachelschriften gegen
+das Auge, wie jemals ein Mann geschrieben hat. Eine findet sich noch,
+die er gegen irgendeines oder das andere Auge geschrieben hat, das ihn
+drei Nächte hintereinander am Schlaf gehindert hatte. Er hebt in der
+ersten Aufwallung seines Zorns also an:</p>
+
+<p>
+<span style="margin-left: 1em;">»Ein Satan ist's — und tut solch Unheil wirken,</span><br>
+<span style="margin-left: 1em;">Als niemals noch geschah von Heiden, Juden, Türken.«<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a></span><br>
+</p>
+
+<p>Kurz zu sagen, während des ganzen Anfalls tat mein Vater nichts als
+schimpfen und schmähen. Es ging sogar bis zum vermaledeien. Nur tat er
+das nicht so methodisch wie Ernulphus. Da war er zu hitzig zu. Denn
+obgleich mein Vater mit der unbiegsamsten Gemütsart von der Welt dieses
+und jenes und alles unter der Sonne zu vermaledeien pflegte, was seine
+Liebe entzündete oder begünstigte, so schloß er doch niemals sein
+Vermaledeiungskapitel dagegen, ohne sich im Kauf mit zu verwünschen:
+als einen der größten Gimpel und Faselhänse, wie er zu sagen pflegte,
+die nur jemals in Gottes weiter Welt herumgelaufen wären.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby dagegen fand sich darin, wie ein Lamm — saß still
+und ließ das Gift in seinen Adern wirken, ohne Widerstand zu tun. —
+In der schärfsten Eiterung seiner Wunde (wie bei der Wunde an seinem
+Latzbein) ließ er sich niemals ein störrisches oder mißvergnügtes
+Wort entfallen. Er tadelte weder Himmel noch Erde, dachte oder sagte
+niemals Schmähungen gegen jemanden oder jemandes Glied. Er<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> saß einsam
+und ernst mit seiner Pfeife, sah auf sein lahmes Bein, hauchte ein
+empfindsames Ach! aus der Brust, das sich mit dem Schmauche vermischte
+und keinem Sterblichen lästig fiel.</p>
+
+<p>Er fand sich darin wie ein Lamm, sage ich.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_123">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertvierundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Die Welt schämt sich, tugendhaft zu sein. Mein Onkel Toby wußte wenig
+von der Welt; und deswegen, als er fühlte, daß er in die Witwe Wadmann
+verliebt wäre, fiel es ihm ebensowenig ein, daß die Sache ein Geheimnis
+sein müßte, als wenn Madame Wadmann ihn mit einem Bugmesser in die
+Finger geschnitten hätte. Und hätte er es auch anders verstanden: Da er
+einmal seinen Trim beständig als einen ärmeren Freund betrachtete, und
+von Tag zu Tag neue Ursache fand, ihm als einem solchen zu begegnen, so
+würde das keine Änderung in der Art gemacht haben, womit er ihm von der
+Sache Nachricht gab.</p>
+
+<p>»Ich bin verliebt, ehrlicher Trim!« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_124">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertfünfundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Verliebt!« sagte der Korporal, »Euer Gnaden befanden sich doch
+vorgestern noch ganz wohl, als ich Euer Gnaden die Historie vom Könige
+von Böhmen erzählte.« — »Böhmen!« sagte mein Onkel Toby und dachte
+lange nach. »Was ist aus der Historie geworden, Trim?«</p>
+
+<p>»Wir müssen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ungefähr<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> davon abgekommen
+sein. Aber Euer Gnaden waren ebensoweit vom Verliebtsein weg, als ich
+es bin.«</p>
+
+<p>»Es war eben, als Er mit dem Schiebkarren abmarschierte — mit der
+Witwe Wadmann,« sagte mein Onkel Toby. »Hier hat sie eine Kugel sitzen
+lassen,« setzte mein Onkel Toby hinzu und zeigte auf seine Brust.</p>
+
+<p>»Sie kann mit Euer Gnaden Erlaubnis ebensowenig eine Belagerung
+aushalten, wie sie fliegen kann,« schrie der Korporal.</p>
+
+<p>»Da wir aber Nachbarn sind, Trim, so ist es doch wohl der beste Weg,
+denke ich, ihr es erst in aller Güte anzuzeigen,« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Wenn ich so frei sein dürfte,« sagte der Korporal, »Euer Gnaden einen
+anderen guten Rat zu geben —«</p>
+
+<p>»Warum spräche ich sonst mit Ihm davon, Trim?« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»So würde ich damit anfangen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß ich
+wieder eine derbe donnernde Attacke auf sie machte und es ihr hernach
+in aller Güte mitteilte. Denn wenn sie vorher den geringsten Wind davon
+bekommt, daß Euer Gnaden verliebt sind —« »Ach, lieber Himmel! Sie
+weiß noch ebensowenig davon, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wie ein
+Kind, das noch geboren werden soll.«</p>
+
+<p>Die guten Seelen!</p>
+
+<p>Madame Wadmann hatte es schon, mit allen Umständen, ihrer Brigitte
+vierundzwanzig Stunden vorher erzählt und saß in ebendem Augenblicke
+und hielt Kriegsrat mit ihr über einige kleine Zweifel, wie die Sache
+ablaufen möchte, die ihr der Meister Hämmerling, der bei solchen
+Vorfällen niemals zu schlafen pflegt, in den Kopf gesetzt hatte, ehe er
+ihr erlauben wollte, daß sie ihr <em class="antiqua">Te deum</em> mit Ruhe halb aussänge
+—</p>
+
+<p>»Mir ist erschrecklich bange,« sagte Madame Wadmann,<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> »im Fall ich ihn
+heiraten sollte, Brigitte, daß der gute Kapitän mit seiner ungeheuren
+Wunde in der Hüfte niemals recht gesund sein möchte.« — »Sie mag wohl
+nicht so schlimm sein,« versetzte Brigitte, »als Sie denken, und ich
+glaube auch überdem,« fügte sie hinzu, »daß sie zugeheilt ist.« —</p>
+
+<p>»Das möchte ich doch wohl wissen, bloß seinetwegen,« sagte Madame
+Wadmann.</p>
+
+<p>»Wir wollen erfahren, wie lang und breit sie ist,« antwortete Jungfer
+Brigitte, »ehe noch zehn Tage vorbei sind. Denn derweile der Herr
+Kapitän Ihnen seine Aufwartung macht, wird sein Korporal Trim, das
+weiß ich, seine Liebe bei mir anbringen wollen. Und ich will ihn ruhig
+machen lassen, was er will,« setzte Brigitte hinzu, »um alles von ihm
+herauszukriegen.«</p>
+
+<p>Die Maßregeln wurden den Augenblick genommen. Und mein Onkel Toby und
+der Korporal gingen weiter mit den ihrigen.</p>
+
+<p>»Nun,« sagte der Korporal, wobei er seine linke Hand in die Seite
+stemmte und mit der rechten einen solchen Schwung durch die Luft tat,
+der einen glücklichen Ausgang — und mehr nichts — versprach. »Wenn
+Euer Gnaden mir die Erlaubnis geben wollen, den Plan zu dieser Attacke
+zu machen.« —</p>
+
+<p>»Er wird mir damit einen großen Gefallen erweisen, Trim,« sagte mein
+Onkel Toby. »Und da ich schon vorher sehe, daß er ihn als mein Adjutant
+wird mit helfen ausführen müssen, so hat er hier ein paar Gulden, daß
+er sein Patent in ein Glas Wein tauchen kann.«</p>
+
+<p>»Nun, so wollen wir denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der
+Korporal — und machte dabei einen Bückling für sein Avancement —
+»damit anfangen, daß wir Euer Gnaden besetzte Kleider aus dem großen
+Feldkasten hervorholen und brav auslüften lassen, und wollen die
+Aufschläge mit Gold auf die Ärmel heften. Und ich will die weiße<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span>
+Knotenperücke frisch aufwickeln und zum Schneider gehen, daß er Euer
+Gnaden scharlachene Hosen kehrt.«</p>
+
+<p>»Ich tue wohl besser, Trim, daß ich die rotplüschenen anziehe,« sagte
+mein Onkel Toby. »Die werden zu schlecht sitzen,« sagte der Korporal.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_125">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsechsundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Putz' Er meinen Degen mit einer Bürste und ein wenig Kreide.« — »Es
+soll geschehen, wie Euer Gnaden befehlen,« versetzte Trim.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_126">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsiebenundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Unterdessen mein Vater seine schriftliche Instruktion abfaßte, waren
+mein Onkel Toby und der Korporal beschäftigt, alles auf die Attacke
+vorzubereiten. Da der Gedanke, die feinen scharlachenen Beinkleider
+kehren zu lassen, aufgegeben war — fürs erste zum wenigsten —, blieb
+nichts mehr im Wege, warum sie weiter hinausgesetzt werden müßte, als
+auf den nächsten Morgen. Also ward sie auf elf Uhr festgesetzt.</p>
+
+<p>»Komm, mein Kind,« sagte mein Vater zu meiner Mutter. »Es wird für
+einen Bruder und eine Schwester ganz wohlgetan sein, wenn wir beide ein
+wenig nach meines Bruders Hause hinübergehen und ihm bei seiner Attacke
+ein wenig mit Rat und Tat beistehen.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby und der Korporal Trim waren schon seit einiger Zeit in
+vollem Putze, und als mein Vater und meine Mutter hereintraten, standen
+sie, da es eben elf Uhr schlug, schon auf dem Sprunge, den Marsch mit
+dem linken<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> Fuße anzutreten. Die Beschreibung hiervon aber ist mehr
+wert, als in das Ende eines Kapitels, wie dieses, hineingewebt zu
+werden.</p>
+
+<p>Mein Vater hatte nur gerade soviel Zeit, seine Instruktion meinem Onkel
+Toby in die Rocktasche zu stecken und ihm, mit meiner Mutter zugleich,
+viel Glück zu seiner Attacke zu wünschen.</p>
+
+<p>»Ich hätte wohl Lust,« sagte meine Mutter, »durchs Schlüsselloch zu
+gucken, aus Neugierde.« — »Nenne nur das Kind beim rechten Namen, mein
+Schatz,« sagte mein Vater —</p>
+
+<p>»Und gucke durchs Schlüsselloch, solange wie du willst.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_127">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertachtundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Obgleich der Korporal sein Wort ehrlich gehalten und meines Onkels Toby
+große Dreiknotenperücke auf Pfeifenstiele gewickelt hatte, so war doch
+die Zeit zu kurz, daß es sonderlich große Wirkung hätte tun können.
+Sie war manches liebe Jahr in einer Ecke seines alten Feldkastens
+zusammengequetscht worden. Und da sich schlimme Falten nicht so leicht
+herausmachen lassen und ihm der Handgriff mit den Enden von Talgkerzen
+nicht so geläufig war, so war es keine so lenksame Arbeit, wie man wohl
+denken möchte. Der Korporal trat wohl ein Schock Male mit funkelnden
+Augen und beiden Armen ausgestreckt in gerader Linie von ihr zurück, um
+ihr, wo möglich, eine bessere Miene einzuflößen. Hätte die Grämlichkeit
+einen Blick darauf geworfen, es würde Ihro grämlichen Gnaden ein
+Schmunzeln abgelockt haben. — Sie fiel allenthalben in Locken, nur
+nicht da, wo es der Korporal haben wollte und wo eine oder ein paar
+Wellen ihr nach seiner<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> Meinung würden Ehre gemacht haben. Da hätte er
+ebensoleicht einen Toten erwecken können.</p>
+
+<p>So sah sie aus — oder vielmehr, so würde sie auf jedem anderen
+Gesichte ausgesehen haben. Der sanfte Blick der Güte aber, der auf
+dem Gesichte meines Onkels Toby saß, machte jedes Ding in seiner Nähe
+mit so unwiderstehlicher Macht sich selbst ähnlich. Und dabei hatte
+die Natur mit so leserlichen Buchstaben in jeden Zug seiner Miene
+geschrieben: <em class="gesperrt">ein feiner Mann</em>, daß ihn selbst sein abgebleichter
+goldener Tressenhut und die große Hutschleife von schlaffem Taffetband
+gut kleidete. Obgleich an sich selbst kein Scherflein wert, wurden
+sie doch den Augenblick, da mein Onkel Toby sie aufsetzte, Dinge von
+Bedeutung und schienen ausdrücklich von der Hand der Wissenschaft
+ausgesucht zu sein, ihm ein Ansehen zu geben.</p>
+
+<p>Nichts in dieser Welt hätte so kräftig zu diesem Endzwecke beitragen
+können, wie meines Onkels Toby blaues Kleid mit Gold, wäre nicht
+gewissermaßen Fülle mit zur Grazie erforderlich gewesen. In einem
+Zeitraume von fünfzehn oder sechzehn Jahren, seitdem es gemacht worden,
+war das blaue Kleid mit Gold meinem Onkel Toby durch ein völlig
+untätiges Leben — denn er kam selten weiter als nach seinem grünen
+Spielplatze — so kläglich eng geworden, daß es den Korporal große Mühe
+und Künste kostete, ehe er ihn hineinbringen konnte. Das Aufheften der
+Aufschläge hatte nicht viel geholfen. Es war indessen vorne und hinten
+und auf den Taschen und Schößen usw. mit Tressen besetzt, nach der Mode
+unter des Königs Wilhelm Regierung. Um die Beschreibung abzukürzen,
+schienen sie diesen Morgen in der Sonne so glänzend und machten ein so
+metallisches und tapferes Ansehen, daß mein Onkel Toby, wenn er auf
+eine kriegerische Attacke mit Schild und Speer ausgegangen wäre, nichts
+Besseres nach seinem Sinne hätte ausfinden können.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span></p>
+
+<p>Was die feinen scharlachenen Beinkleider anbetrifft: die waren von dem
+Schneider in der inwendigen Naht aufgetrennt, und weiter hatte er sich
+nicht darum bekümmert.</p>
+
+<p>Ja, Madame! — Aber laß uns unserer Einbildung nicht die Zügel
+schießen. Genug, sie wurden den Abend vorher für unbrauchbar erklärt,
+und da in meines Onkels Toby Garderobe keine Wahl war, so blieb es bei
+seinen rotplüschenen.</p>
+
+<p>Der Korporal hatte sich mit der Regimentsuniform herausstaffiert. Das
+Haar unter seiner Reitmütze zusammengeknotet, die er des Endes neu
+aufgebürstet hatte, marschierte er in einer Distanz von drei Schritten
+hinter seinem Herrn. Ein Hauch von militärischem Stolze hatte seine
+Vorärmel über den Händen hervorgezupft. Auf eine derselben hatte der
+Korporal an einem ledernen Bande, das unter dem Knoten in eine Quaste
+geschnitzelt war, seinen Stock hängen.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby trug seinen Stock wie einen Speer.</p>
+
+<p>Es sieht doch wenigstens nicht übel aus, sagte mein Vater bei sich
+selbst.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_128">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertneunundzwanzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Onkel Toby wendete sich mit dem Gesichte mehr als einmal herum, um
+zu sehen, wie ihn das Hintertreffen, der Korporal, unterstützte. Und
+sooft er das tat, machte der Korporal mit seinem Stock einen Schwung in
+die Luft — doch nicht prahlerischerweise. Mit dem leisesten Tone des
+ehrerbietigsten Zuredens hieß das soviel wie: »Nichts gefürchtet!«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby aber fürchtete, und zwar gar herzlich. Er hatte
+noch nicht einmal — wie ihm mein Vater vorgeworfen hatte — das
+rechte Ende eines Frauenzimmers vom unrechten unterscheiden gelernt.
+Deswegen war er niemals<span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span> an seiner rechten Stelle, wenn er nahe bei
+einem sein mußte. Ausgenommen, wenn es in Kummer und Betrübnis war.
+Alsdann war sein Mitleiden unendlich; auch hätte der liebreichste
+Ritter aus dem vorigen Jahrhunderte nicht weiter reisen können — auf
+einem Beine wenigstens nicht —, um eine Träne von einem weiblichen
+Auge zu wischen. Und dennoch, das eine Mal nicht gerechnet, da ihn
+Madame Wadmann dazu überlistete, hatte er niemals steif in eines
+hineingesehen, und pflegte oft in der Einfalt seines Herzens zu meinem
+Vater zu sagen, das wäre fast ebenso arg — wo nicht ebenso laut — wie
+unzüchtig reden.</p>
+
+<p>»Und nun, wenn's das wäre?« pflegte mein Vater zu antworten.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_129">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertdreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Sie kann's doch nicht,« sagte mein Onkel Toby und machte Halt, als sie
+bis auf zehn Schritte von Madame Wadmanns Haustüre aufmarschiert waren
+— »sie kann's doch nicht übelnehmen, Korporal?«</p>
+
+<p>»Sie wird's nehmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal,
+»eben wie es die Witwe zu Lisbon von meinem Bruder Thomas nahm.«</p>
+
+<p>»Und wie war das?« sagte mein Onkel Toby und machte fast völlig Front
+herum gegen den Korporal.</p>
+
+<p>»Euer Gnaden,« versetzte der Korporal, »wissen meines Bruders Tom
+Unglück. Aber diese Sache hat nichts weiter damit zu tun als nur:
+hätte Tom die jüdische Witwe nicht gefreiet, oder wäre es des lieben
+Herrgotts Wille gewesen, daß sie Schweinefleisch in ihre Würstchen
+getan hätten, so hätten sie die ehrliche Haut meines Bruders nicht
+aus seinem warmen Bette geholt und zur Inquisition geschleppt. — —
+Es ist<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> ein verdammtes Loch,« fügte der Korporal hinzu und schüttelte
+den Kopf. »Wenn einmal erst ein armer Kerl, mit Euer Gnaden Erlaubnis,
+darin ist, so ist kein Herauskommen wieder.«</p>
+
+<p>»Sehr wahr!« versetzte mein Onkel Toby und sah nach Madame Wadmanns
+Hause, als er das sagte.</p>
+
+<p>»Nichts,« fuhr der Korporal fort, »kann wohl so elend sein wie eine
+ewige Gefangenschaft, und nichts süßer, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, als
+die Freiheit.«</p>
+
+<p>»Nichts, Trim,« sagte mein Onkel Toby, in tiefen Gedanken —</p>
+
+<p>»Solange ein Mensch frei ist,« rief der Korporal und Schwang dabei
+seinen Stock, wie hier</p>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowe12" id="p2720_ill">
+ <img class="w100" src="images/p2720_ill.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span></p>
+
+<p>Ein ganzes Tausend von meines Vaters subtilsten Syllogismen hätte
+nichts Stärkeres für den Ehelosenstand sagen können.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby sah ernsthaft nach seinem Landhäuschen und dem grünen
+Spielplatze zurück.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_130">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hunderteinunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Als mein Onkel Toby und der Korporal bis ans Ende der Allee marschiert
+waren, fiel es ihnen ein, daß ihr Geschäft eines anderen Weges läge.
+Sie machten also linksum und marschierten geradeswegs auf Madame
+Wadmanns Türe zu.</p>
+
+<p>»Es soll gut gehen, Euer Gnaden,« sagte der Korporal und legte dabei
+seine Hand an seine Reitmütze, als er an ihm vorbeiging, um an die
+Türe zu klopfen. Mein Onkel Toby, gegen seine sonst unveränderliche
+Gewohnheit, seinem treuen Diener zu begegnen, antwortete ihm weder
+Gutes noch Böses. Das lag daran, daß er seine Ideen noch nicht völlig
+in Ordnung gebracht hatte. Er wünschte noch erst einmal in Konferenz zu
+treten. Und als der Korporal die drei Stufen vor der Türe hinaufging,
+stieß er zweimal hm! aus. Ein Teil von meines Onkels Toby sehr
+bescheidener Herzhaftigkeit flog mit jedem Hm! zu dem Korporal hin. Der
+stand eine ganze Minute lang mit dem aufgehobenen Türklopfer in der
+Hand und wußte kaum, warum. — Brigitte stand inwendig auf Vorposten
+mit ihrem Finger und Daumen an der Klinke, erstarrt vor Erwartung der
+Dinge. Madame Wadmann, mit einem Auge voller Bereitwilligkeit, die
+Blume noch einmal zu opfern, saß atemlos hinter dem Vorhange vor dem
+Fenster in ihrer Schlafkammer und bemerkte die Annäherung.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p>
+
+<p>»Trim!« sagte mein Onkel Toby — —. Aber als er die Worte aussprach,
+war die Minute verstrichen, und Trim ließ den Klopfer fallen.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby, als er gewahr wurde, daß solches alle seine Hoffnung
+zu einer Konferenz den Kopf eingeschlagen hätte, — pfiff den
+Lillabullero.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_131">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertzweiunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Da Jungfer Brigitte schon mit Finger und Daumen die Klinke gefaßt
+hielt, so klopfte der Korporal nicht so oft, wie vielleicht Euer Gnaden
+Schneider tun muß. Ich hätte mein Beispiel schon ein wenig mehr in
+die Nähe nehmen können, denn ich bin dem meinigen wenigstens über die
+hundert Taler schuldig und wundere mich über des Mannes Geduld.</p>
+
+<p>Aber das geht keinem Menschen etwas an; nur soviel, es ist eine
+verdammte Sache, in Schulden zu stecken, und es scheint ein für allemal
+ein feindliches Schicksal über die Schatzkammern gewisser guter
+Prinzen zu walten, besonders über die von unserem Hause, das keine
+Kameralwissenschaft in Fesseln zu legen vermag. Ich meinesteils bin
+überzeugt, es ist kein anderer Prinz, Prälat, Papst, Potentat, groß
+oder klein in der Welt, der in seinem Herzen mehr und eifriger wünscht
+als ich, mit der ganzen Welt Saldo zu sein, oder dazu dienlichere
+Mittel brauchte. Ich gebe niemals über einen Dukaten, gehe nicht in
+Stulpenstiefeln, kaufe keine Zahnstocher, lege das ganze Jahr nicht
+ein Viergroschenstück für Bänder und Spitzen an. Die sechs Monate, die
+ich auf dem Lande zubringe, lebe ich so kärglich, daß ich mit aller
+Gutherzigkeit von der Welt Rousseau meilenweit<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> zurücklasse, denn ich
+halte mir weder Kerl noch Jungen, noch Pferd noch Kuh, noch Hund noch
+Katze, noch irgendein lebendiges Ding, das ißt oder trinkt, ausgenommen
+ein armes dünnes Stück von einer Vestale, mein Feuer zu unterhalten,
+die gewöhnlich eben so schlechten Appetit hat wie ich selbst. — Wenn
+Sie aber denken, das mache mich zum Philosophen, so möchte ich, meine
+guten Leutchen, keinen Strohhalm für ihr Urteil geben!</p>
+
+<p>Wahre Philosophie —. Aber der Gedanke läßt sich unmöglich abhandeln,
+derweil mein Onkel Toby den Lillabullero pfeift.</p>
+
+<p>»Laßt uns ins Haus gehen.«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_132">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span></p>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span></p>
+<h2>Hundertdreiunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_133">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span></p>
+<h2>Hundertvierunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_134">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertfünfunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Sie sollen die eigentliche Stelle sehen, Madame,« sagte mein Onkel
+Toby.</p>
+
+<p>Dieses erheischt abermals eine Erklärung. Es zeigt, wie wenig man aus
+bloßen Worten lernen kann. Wir müssen zu der ersten Quelle zurückgehen.</p>
+
+<p>Um nun den Nebel aufzuhellen, welcher über diesen drei Seiten liegt,
+muß ich mich bestreben, selbst so hell und deutlich zu sehen wie
+möglich.</p>
+
+<p>Reiben Sie Ihre Hände dreimal über Ihre Stirnen, — schneuzen Sie sich,
+— reinigen Sie die Schleimdrüsen, — niesen Sie, meine lieben Freunde!
+— So! Gott helf!</p>
+
+<p>Nun kommen Sie mir aus aller Macht zu Hilfe.</p>
+
+<p>Wir leben in unserer Welt, an allen Seiten mit Geheimnissen und Rätseln
+umgeben. Also tut's nichts, sonst schiene es wunderbar, daß die Natur,
+welche alle Dinge so zweckmäßig macht und selten oder niemals irrt (es
+sei denn aus Spielerei), indem sie allem, was durch ihre Hand geht, sie
+bestimme es für den Pflug, für die Karawane oder für den Karren — oder
+was für ein Geschöpf sie modelliert, wär's auch nur ein Eselsfüllen
+—, solche Bildung und Fähigkeiten gibt und mitteilt, daß Sie sicher
+sind, das Ding zu bekommen, was Sie verlangen; — daß die Natur, sage
+ich, doch zu gleicher Zeit beständig so fortpfuscht, wenn sie ein so
+einfältiges Ding macht wie einen Ehemann.</p>
+
+<p>Liegt das an der Wahl des Erdkloßes oder daß solcher häufig durchs
+Kneten verdorben wird. Durch zu häufiges Kneten, wissen Sie, kann der
+Leim und ein Ehemann einerseits zu krustig werden, anderseits durch
+Mangel an Wärme nicht krustig genug. Oder ist diese große Künstlerin
+nicht<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> aufmerksam genug auf die kleinen platonischen Bedürfnisse
+desjenigen Teils des menschlichen Geschlechts, zu dessen Gebrauch sie
+diesen macht? — Oder weiß die gnädige Frau zuweilen selbst nicht
+recht, was für eine Art Ehemann es sein soll? — Kurz, das alles weiß
+ich nicht. Nach dem Abendessen wollen wir davon sprechen.</p>
+
+<p>Es ist genug, daß weder die Bemerkung selbst noch die daraus gemachte
+Folgerung im geringsten für die Sache sind, sondern vielmehr dagegen.
+Weil in Ansehung der Fähigkeiten meines Onkels Toby zum heiligen
+Ehestande nichts in der Welt besser sein konnte. Die Natur hatte ihn
+aus dem besten und gutartigsten Leim gebildet, hatte solchen mit ihrer
+eigenen Milch eingeweicht und den sanftesten Geist hineingeblasen. Sie
+machte ihn durch und durch tapfer, großmütig und menschlich. Sie hatte
+sein Herz mit Treue und gutem Glauben angefüllt, und hatte jede Leitung
+zu demselben zur Mitteilung der zärtlichsten Dienste eingerichtet. Sie
+hatte noch bei dem allen die anderen Ursachen mit in Betracht gezogen,
+weswegen der Ehestand eingesetzt wurde.</p>
+
+<p>Und hatte also — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —</p>
+
+<p>Der Segen war auch durch meines Onkels Toby Wunde nicht von ihm
+genommen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_135">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsechsunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Jungfer Brigitte hatte den ganzen Vorrat von Ehre, den eine arme
+Zofe aufbringen konnte, darauf verpfändet, daß sie, noch ehe zehn
+Tage vergingen, die Sache von Grund aus wissen wollte. Und sie hatte
+einen der unbestrittensten Vorsätze gefaßt; derweil mein Onkel Toby
+seine Liebe bei<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> ihrer Herrschaft antrüge, würde der Korporal nichts
+Besseres zu tun finden, als ihr die seinige anzutragen. »Und ich will
+ihm soviel Willen lassen, wie er will,« sagte Brigitte, »um es aus ihm
+herauszubringen.«</p>
+
+<p>Madame Wadmann aber war entschlossen, ihre Karten selbst zu spielen.
+Es bedurfte bei ihr keines Zuredens. Ein Kind hätte ihm in die Karten
+gucken können. Er spielte mit solcher Offenherzigkeit und Ehrlichkeit
+alle seine Trümpfe aus der Hand und hatte sowenig Arg daraus, wie man
+sich mit Aß und Dame hinter die Hand bringen müßte, — und so nackt und
+wehrlos saß er da mit Madame Wadmann auf einem Sofa beisammen, daß ein
+großmütiges Herz geweint haben würde, ihm das Spiel abzugewinnen.</p>
+
+<p>Laß uns die Metapher beiseitesetzen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_136">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertsiebenunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Und die Geschichte dazu, wenn's Ihnen beliebt! Denn obgleich ich
+beständig mit solchem herzlichen Verlangen auf diese Stelle zugeeilt
+bin, wohl wissend, daß es von allem, was ich der Welt vorzusetzen
+habe, der beste Leckerbissen ist, so will ich doch jetzt, da ich dabei
+angelangt bin, gerne einem jeden meine Feder übergeben, die Historie
+an meiner Statt fortzusetzen. Ich sehe die Schwierigkeit dieser
+Beschreibungen ein, die ich vorhabe, und fühle meinen Mangel an Kräften.</p>
+
+<p>Ich habe wenigstens den einen Trost, daß ich diese Woche an die acht
+Unzen Blut in einem sehr tückischen Fieber verloren habe, das mich
+überfiel, als ich dieses Kapitel anfing. Daß ich also noch einige
+Hoffnung habe, es könne eher an den seriösen und kugelförmigen Teilen
+des Blutes liegen, als an der subtilen Aura des Gehirns. — Es sei,
+wie ihm<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> wolle. Eine Anrufung kann nicht schaden! Und ich überlasse es
+völlig dem Angerufenen, mir's einzublasen oder einzuspritzen, wie er's
+für nützlich findet.</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Anrufung</em>.</p>
+
+<p>Gütiger Spiritus der angenehmen Laune, der du vormals auf der leichten
+Feder meines geliebten Cervantes saßest. Du, der du täglich durch seine
+Fensterscheiben schlüpftest und die Dämmerung seines Gefängnisses durch
+deine Gegenwart in hellen Mittagsschein verkehrtest, seinen kleinen
+Wasserkrug mit himmlischem Nektar vermischtest und die ganze Zeit, da
+er von Sancho und seinem Herrn schrieb, deinen mystischen Mantel über
+seinen welken Stummel warfst<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a> und ihn weit über alle Übel seines
+Lebens breitetest.</p>
+
+<p>Kehre bei mir ein, ich bitte dich! Siehe diese Beinkleider! Mehr habe
+ich nicht in dieser Welt. Diesen häßlichen Riß bekamen sie zu Lyon. —</p>
+
+<p>Meine Hemden! Siehe, was für ein schreckliches Schisma sich unter ihnen
+hervorgetan hat. Denn die vorderen Zipfel sind in der Lombardei und das
+übrige davon hier. Nie hatte ich mehr als sechs, und eine listige Hexe
+von Wäscherin zu Mailand schnitt mir von fünf die Zipfel ab. Doch um
+ihr nicht Unrecht zu tun, sie tat es mit Bescheidenheit.</p>
+
+<p>Und dennoch, trotz alledem und einem Pistolenfeuerzeug, das mir noch
+dazu in Sienna weggemaust ward, und daß ich zweimal fünf Paoli für zwei
+harte Eier bezahlen mußte, einmal zu Radioffini und das andere Mal zu
+Capua, — halte ich eine Reise durch Frankreich und Italien — nur muß
+ein Mensch auf dem ganzen Wege nicht ärgerlich werden — für keine so
+schlimme Reise, wie einige Leute Ihnen gern weismachen möchten. Es muß
+zuweilen auf und nieder<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> gehen. Wie Henker wollten wir sonst zu den
+Tälern gelangen, in denen die Natur so manche Tafel des Vergnügens für
+uns gedeckt hat. Unklug ist's, sich einzubilden, sie werden uns ihr
+Fuhrwerk leihen, daß wir es umsonst in Stücken zerbrechen können. Und
+wenn Sie nicht zwölf Sous bezahlen, ihre Räder zu schmieren, woher
+sollte der arme Bauer Butter zu seinem Brote nehmen? — Wirklich,
+wir erwarten zuviel — und für das Paar Lire, das man Ihnen für Ihr
+Abendessen und Bette zuviel abnimmt, was machen denn am Ende die aus?
+Wer wollte darüber seine Philosophie verwirren? Um's Himmels und um
+Ihrer selbst willen, zahlen Sie — zahlen Sie mit zwei offenen Händen!
+Lieber, als bei Ihrem Abfahren eine vereitelte Hoffnung auf dem Auge
+der hübschen Wirtin und ihrer schönen Tochter sitzen zu lassen. Und
+noch dazu, mein lieber Herr, nehmen Sie einen schwesterlichen Kuß von
+beiden. Jeder ist seinen Louisdor wert. Ich wenigstens tat es! —</p>
+
+<p>Denn da mir den ganzen Weg über meines Onkels Toby Liebesgeschichte im
+Kopfe herumlief, tat solche die nämliche Wirkung auf mich, als wäre
+es meine eigene gewesen. — Ich befand mich in dem vollkommensten
+Zustande der Güte und des Wohlwollens und fühle bei jeder Erschütterung
+des Wagens die Schwingungen der sanftesten Harmonie, dergestalt, daß
+mir's keinen Unterschied machte, ob die Wege höckerig waren oder eben.
+Alles, was ich sah oder womit ich zu tun hatte, fiel auf eine geheime
+Springfeder des Empfindens oder Entzückens.</p>
+
+<p>Es waren die lieblichsten Töne, die je mein Ohr berührt hatten; und
+den Augenblick ließ ich das Vorderglas nieder, um sie deutlicher zu
+hören. — »Es ist Maria,« sagte der Postillon, der es bemerkte, daß
+ich horchte. — »Die arme Maria,« fuhr er fort und bog sich dabei nach
+einer Seite, um mich sie sehen zu lassen, denn er saß in gerader Linie<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span>
+zwischen uns, »sitzt auf dem Rasen und spielt auf ihrer Flöte ihren
+Vespergesang, mit ihrer kleinen Ziege neben ihr.«</p>
+
+<p>Der junge Kerl brachte dies mit einem Tone und Blicke hervor,
+die so völlig rein zu einem gefühlvollen Herzen gestimmt waren,
+daß ich augenblicklich ein Gelübde tat, ich wollte ihm ein
+Vierundzwanzigsousstück geben, wenn ich nach Moulins käme.</p>
+
+<p>»Und wer ist die arme Maria?« sagte ich.</p>
+
+<p>»Die Liebe und das allgemeine Bedauern aller Dorfschaften um uns
+herum,« sagte der Postillon. »Es ist erst drei Jahre her, daß die Sonne
+auf kein schöneres, witzigeres und liebenswürdigeres Mädchen schien.
+Und Maria verdiente ein besseres Schicksal, als daß ihr ein Eheverbot
+angelegt würde, und das durch die Kunstgriffe des Pfarrers, der sie
+aufbieten sollte.«</p>
+
+<p>Er wollte weiterreden, als Maria, die eine kurze Pause gemacht hatte,
+die Flöte in den Mund nahm und den Gesang von neuem begann. Es waren
+dieselben Noten, aber sie waren zehnmal lieblicher. »Es ist das
+Abendlied an die heilige Jungfrau,« sagte der junge Mann. »Aber wer
+es sie spielen gelehrt oder wie sie zu ihrer Flöte gekommen, das weiß
+kein Mensch. Wir denken, der Himmel hat ihr zu beiden verholfen. Denn
+solange es in ihrem Kopfe nicht richtig ist, scheint das ihr einziges
+Labsal zu sein. — Sie hat die Flöte noch niemals aus der Hand gelegt,
+sondern darauf ihr Abendlied beständig fast Nacht und Tag gespielt.«</p>
+
+<p>Der Postillon erzählte dieses mit so vieler Bescheidenheit und solcher
+natürlichen Beredsamkeit, daß ich mich nicht enthalten konnte, etwas in
+seinem Gesicht zu entziffern, das über seinen Stand wäre. Und ich würde
+sein Gesicht ausgeforscht haben, hätte nicht Marias Gesicht so völligen
+Besitz von mir genommen.</p>
+
+<p>Wir waren um diese Zeit fast bis an den Rasen gekommen,<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> auf welchem
+Maria saß. Sie trug ein weißes feines Mieder, und ihre Haare, bis auf
+zwei Locken, waren in ein seidenes Netz aufgebunden, in das an der
+einen Seite ein wenig phantastisch ein paar Olivenblätter geflochten
+waren. Sie war schön; und wenn ich jemals die ganze Stärke eines
+redlichen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick, da
+ich sie sah.</p>
+
+<p>»Gott steh' ihr bei! Armes Mädchen! Sie haben mehr als hundert Messen
+in den verschiedenen Dorf- und Klosterkirchen um uns herum für sie
+lesen lassen. Aber es hat nichts geholfen. Wir haben doch noch
+Hoffnung, denn sie ist zuweilen auf kurze Zeit ganz verständig, daß sie
+die heilige Mutter Gottes wieder zurechtbringen wird. Ihre Eltern aber,
+die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und meinen,
+daß sie ihre Sinne auf immer verloren hat.«</p>
+
+<p>Als der Postillon das sagte, machte Maria eine so melancholische
+Kadenz, so zärtlich und wehklagend, daß ich aus dem Wagen sprang, ihr
+zu helfen, und fand mich zwischen ihr und ihrer Ziege sitzend, ehe ich
+aus meinem Enthusiasmus wieder zu mir selbst kam.</p>
+
+<p>Maria sah einige Zeit ganz starr auf mich und dann auf ihre Ziege —
+und dann wieder auf mich — und dann wieder auf ihre Ziege, und so
+fort, eins um das andere.</p>
+
+<p>»Nun, Maria,« sagte ich sanft, »was für eine Ähnlichkeit findet Sie?«</p>
+
+<p>Ich bitte den redlichen Leser, mir zu glauben, daß die Frage aus der
+demütigsten Überzeugung geschah, daß der Mensch ein Tier sei. In der
+ehrwürdigen Gegenwart des Elends hätte ich mir keinen unzeitigen Scherz
+entfallen lassen mögen, hätte ich dadurch einen Anspruch auf den besten
+Witz erlangen können, den Rabelais jemals ausgelassen hat. Und dennoch,
+ich bekenne es, tat mir's im Herzen wehe. Ich wurde über den bloßen
+Gedanken daran so unruhig,<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> daß ich schwur, ich wollte mich mein ganzes
+Leben auf Weisheit legen und nichts als ernsthafte Sittensprüche sagen
+— und niemals, niemals wieder versuchen, mit Mann, Weib oder Kind
+Schnurren zu treiben, solange ich lebte.</p>
+
+<p>Was das betrifft, Wischiwaschi für Sie zu schreiben, — ich glaube, das
+war ein Vorbehalt —; aber das überlasse ich der Welt.</p>
+
+<p>Lebe wohl, Maria! Lebe wohl, armes unglückliches Mädchen!</p>
+
+<p>Zu einer anderen Zeit, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deine
+Leiden von deinen eigenen Lippen. — Aber ich irrte mich. Denn ebenden
+Augenblick nahm sie ihre Flöte und erzählte mir damit eine solche
+Geschichte des Jammers, daß ich aufstand und mit schwankendem Schritt
+langsam nach meinem Wagen ging.</p>
+
+<p>Was für ein vortreffliches Wirtshaus zu Moulins!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_137">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertachtunddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Wenn wir bis ans Ende dieses Kapitels gekommen sind, aber nicht eher,
+müssen wir alle wieder zu den beiden in Blanko gelassenen Kapiteln
+zurückkehren. Ihretwegen liegt meine Ehre schon eine halbe Stunde
+und blutet. Ich stille es dadurch, daß ich einen von meinen gelben
+Pantoffeln abziehe und ihn aus allen meinen Kräften an die Wand
+gegenüber werfe, mit der Erklärung dahinter:</p>
+
+<p>Was für eine Ähnlichkeit auch unter der Hälfte von allen Kapiteln
+sein mag, die in der Welt geschrieben sind, oder, wenn ich mich nicht
+gröblich irre, eben jetzt geschrieben werden: — so war es doch ganz
+so zufällig, wie der Schaum an Zeus' Pferden, daß in diesen beiden
+Kapiteln, wie in der<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> Hälfte von »allen«, auch nichts stand. Überdem
+habe ich auch für ein Kapitel, in welchem nichts steht, allemal
+Respekt. Und in Betracht, was für schlimmere Sachen es in der Welt
+gibt, halte ich so etwas für keinen schicklichen Gegenstand der Satire.</p>
+
+<p>Warum wurden sie denn in Blanko gelassen? Und hier, ohne meine Antwort
+zu erwarten, werde ich Dummkopf, Pinsel, Gimpel, Gelbschnabel,
+Firlefanz, Ölgötze, Langohr, Brausebart und mit anderen unverdaulichen
+Namen mehr gescholten werden, wie sie jemals die Kuchenbäcker von
+Lernee den Schäfern des Königs Garagantnas in die Zähne warfen; und
+mögen sie's tun, wie Brigitte sagte, soviel als sie gelüstet; denn wie
+war es möglich, daß sie die Notwendigkeit vorhersehen konnten, in die
+ich gesetzt war, das hundertachtunddreißigste Kapitel meines Buches
+früher zu schreiben als das hundertdreiunddreißigste usw.?</p>
+
+<p>Ich nehme es ihnen also nicht übel. Alles, was ich wünsche, ist, daß es
+der Welt eine Lehre sein möchte: »<em class="gesperrt">Die Leute ihre Historien auf ihre
+eigene Art erzählen zu lassen.</em>«</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_138">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2 class="s5"><i>Das 132. Kapitel</i>.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Da Jungfer Brigitte die Türe öffnete, ehe der Korporal noch einmal
+recht geklopft hatte, so war zwischen dem und der Einführung meines
+Onkels Toby ins Besuchszimmer die Zeit so kurz, daß Madame Wadmann nur
+ebensoviel Zeit hatte, hinter dem Vorhange wegzuwischen, eine Bibel auf
+den Tisch zu legen und ein paar Schritte gegen die Türe zu gehen, um
+ihn zu empfangen.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby begrüßte Madame Wadmann nach<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> der Weise, wie im Jahre
+unseres Herrn eintausendsiebenhundertunddreizehn das Frauenzimmer von
+Mannspersonen begrüßt ward. Darauf machte er rechtsum, ging in einem
+Gliede mit ihr zum Kanapee und in drei kleinen Worten, doch nicht,
+bevor er sich gesetzt hatte, auch nicht, nachdem er sich gesetzt hatte,
+sondern indem er sich setzte, sagte er ihr, er liebte sie.</p>
+
+<p>Madame Wadmann sah natürlicherweise nieder auf eine Naht, die sie
+in ihrer Schürze aufgetrennt hatte, und erwartete alle Augenblicke,
+daß mein Onkel weitergehen würde. Allein, da er keine Gabe zur
+Amplifikation hatte, und Liebe dazu noch eine Sache war, mit der er
+unter allen am wenigsten meisterlich umzugehen wußte, so ließ er's,
+nachdem er Madame Wadmann einmal gesagt hatte, daß er sie liebte, damit
+gut sein und ließ die Sache durch sich selbst wirken.</p>
+
+<p>Mein Vater hatte beständig seine herzliche Freude über dies System
+meines Onkels Toby, wie er's fälschlich nannte, und pflegte oft zu
+sagen, hätte sein Bruder zu diesem Prozesse nur noch das Feuer von
+einer Pfeife Tabak setzen können, er hätte damit flugs, wenn nur irgend
+etwas Wahres an einem spanischen Sprichworte wäre, seinen Weg zu den
+Herzen der Hälfte von allen Weibern auf der Erdkugel gefunden.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby verstand niemals, was mein Vater damit sagen wollte.
+Ebensowenig will ich voreilig sein und mehr daraus schließen als die
+Verwerfung eines Irrtums, in welchem der große Haufen in der Welt
+steckt. — Aber die Franzosen, Mann für Mann, glauben fast eben so
+himmelfest daran wie an die körperliche Gegenwart, daß von Liebe reden
+Liebe sei.</p>
+
+<p>Nach diesem Rezept möchte ich ebensogut eine Blutwurst machen wollen.</p>
+
+<p>Laß uns weitergehen. Madame Wadmann saß in der Erwartung, daß er es
+täte, bis fast auf den ersten Pulsschlag<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> <em class="gesperrt">der</em> Minute, in der das
+Stillschweigen von einer Seite oder der anderen gewöhnlich unanständig
+wird. Dann rückte sie ein wenig näher zu ihm. Und indem sie ihre Augen
+aufhob, errötete sie ein wenig, nahm den Ausforderungshandschuh oder,
+wenn Sie das lieber hören, das Gespräch auf und fing die Unterredung
+mit meinem Onkel Toby folgendermaßen an:</p>
+
+<p>»Die Sorgen und die Beschwerlichkeiten des Ehestandes,« sagte Madame
+Wadmann, »sind sehr groß.« — »Das sind sie, glaube ich,« sagte mein
+Onkel Toby. — »Wenn also eine Person,« fuhr Madame Wadmann fort,
+»so ruhig leben kann wie Sie, so glücklich, Herr Kapitän, durch sich
+selbst, durch Ihre Freunde und durch Ihren Zeitvertreib, so wundere ich
+mich, was Sie für Ursachen haben können, sich in diesen neuen Stand zu
+begeben.«</p>
+
+<p>»Sie stehen,« sagte mein Onkel Toby, »alle in dem Buch geschrieben,
+woraus der Prediger bei der Trauung vorliest.«</p>
+
+<p>Bis dahin ging mein Onkel Toby mit Behutsamkeit, blieb auf seiner Tiefe
+und ließ Madame Wadmann über dem Abgrunde segeln nach ihrem eigenen
+Gefallen.</p>
+
+<p>»Was die Kinder anbelangt,« sagte Madame Wadmann, »obgleich vielleicht
+ein hauptsächlicher Zweck der Einsetzung der Ehe und ein natürlicher
+Wunsch, wie ich glaube, aller Eheleute, so wissen wir gar wohl, daß
+sie gewisse Sorgen und sehr ungewisse Freuden machen! Und, mein lieber
+Herr Kapitän, was hat man für das Herzeleid, was für Vergeltung für die
+manchen zärtlichen, unruhigen Bekümmernisse einer leidenden wehrlosen
+Mutter, die sie auf die Welt bringen muß?« — »Ich bekenne,« sagte mein
+Onkel Toby, von mitleidigem Gefühl ergriffen, »ich kenne keine, es sei
+denn das Vergnügen, womit es dem lieben Gott gefallen hat —.«</p>
+
+<p>»Ein Wischiwaschi,« sagte sie.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_139">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span></p>
+
+<h2 class="s5"><i>Das 133. Kapitel</i>.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Nun gibt es eine solche unendliche Menge von Tönen, Klängen, Weisen,
+Melodien, Mienen, Blicken und Akzenten, womit das Wort Wischiwaschi in
+allen solchen Fällen wie dieser ausgesprochen werden kann. Und jedes
+darunter drückt ihm einen von den anderen so verschiedenen Sinn und
+Verstand ein, wie Schmutz von Reinlichkeit sind. So daß die Kasuisten
+— denn in dieser Betrachtung ist es ein Gewissensfall — nicht weniger
+als vierzehntausend Fälle aufrechnen, in welchen man es richtig oder
+falsch sagen kann.</p>
+
+<p>Madame Wadmann sagte ihr Wischiwaschi so, daß es meinem Onkel Toby all
+sein bescheidenes Blut in die Wangen trieb. Da er dergestalt fühlte,
+daß er unversehenerweise über seine Tiefe hinausgeraten sein müßte,
+brach er kurz ab. Und ohne sich weiter auf die Sorgen oder Freuden des
+Ehestandes einzulassen, legte er seine Hand auf sein Herz und tat sein
+Anerbieten, solche, wie sie vorkämen, auf sich zu nehmen und mit ihr zu
+teilen.</p>
+
+<p>Als mein Onkel Toby dieses gesagt hatte, mochte er's nicht gerne noch
+einmal sagen. Da er dabei seine Augen auf die Bibel warf, welche Madame
+Wadmann auf den Tisch gelegt hatte, nahm er sie in die Hand. Und da ihm
+gleich — der gute Mann! — eine vor allen anderen sehr interessante
+Stelle auffiel — es war die Belagerung von Jericho —, so machte er
+sich daran, sie zu überlesen. Indessen ließ er seinen Heiratsantrag,
+wie er vorher mit seiner Liebeserklärung gemacht hatte, durch sich
+selbst bei ihr wirken. Nun wirkte er weder als ein Adstringens noch als
+ein Solvens, weder als Opium noch als Chinarinde, weder als Merkurius
+noch als Stechdorn noch als irgendein Apothekermittel, welches die
+Natur der Welt verliehen hat. Kurz, er wirkte ganz und gar nicht bei
+ihr. Und das lag daran,<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> daß vorher schon etwas bei ihr in Wirkung war.
+— Was ich für ein Plappermaul bin! Ein dutzendmal wohl habe ich schon
+vorher gesagt, was es war. Aber es ist noch Feuer in der Materie. —
+Nur zu!</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_140">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertneununddreißigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es ist für einen völlig Fremden, der von London nach Edinburg reist,
+sehr natürlich, ehe er ausreiset, zu fragen, wieviel Meilen es bis York
+ist. Welches ungefähr die Hälfte des Weges ausmacht. Auch wundert sich
+niemand darüber, wenn er in seinen Fragen fortfährt und sich nach der
+Stadt, Einrichtung, den Zünften usw. erkundigt.</p>
+
+<p>Ebenso natürlich war es für Madame Wadmann, deren erster Ehemann
+beständig das Hüftweh gehabt hatte, daß sie zu erfahren wünschte, wie
+weit es von der Hüfte bis zum Latzbeine sei. Und wieviel sie ungefähr
+mehr oder weniger, als Frau, in ihrem Gemüte, von dem einen oder dem
+anderen Falle zu leiden haben möchte.</p>
+
+<p>Sie hatte also Drakes Anatomie von einem Ende zum andern durchgelesen.</p>
+
+<p>Sie hatte gleichfalls mit ihrem eigenen Verstande darüber
+philosophiert, Theorema festgesetzt, Folgerungen daraus gezogen, und —
+war zu keinem Schlusse gekommen.</p>
+
+<p>Um die Sache deutlich zu erfahren, hatte sie den Doktor Slop zweimal
+gefragt, ob wohl der gute Kapitän Shandy jemals von seiner Wunde
+hergestellt werden könnte.</p>
+
+<p>»Er ist hergestellt,« sagte Doktor Slop beidemal.</p>
+
+<p>»Wie, völlig?«</p>
+
+<p>»Völlig, Madame.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span></p>
+
+<p>»Aber was verstehen Sie unter der Herstellung eigentlich?« sagte Madame
+Wadmann.</p>
+
+<p>Doktor Slop war der ärgste Stümper unter der Sonne im Definieren. Also
+konnte Madame Wadmann nicht erfahren, was sie wissen wollte. Kurz, es
+gab keinen Weg, es herauszubringen, sie würde denn meinen Onkel Toby
+selbst fragen.</p>
+
+<p>Es gibt bei Erkundigungen dieser Art einen so menschenfreundlichen
+Ton, der den Verdacht in Schlaf singt. — Und halb bin ich überzeugt,
+die Schlange in ihrem Gespräche mit Mutter Eva mußte ihm ziemlich
+nahekommen. Denn die weibliche Neigung, sich betrügen zu lassen, konnte
+doch so stark nicht sein, daß sie sonst so verwegen gewesen sein würde,
+mit dem Teufel selbst zu kosen. Aber es gibt einen menschenfreundlichen
+Ton, wie soll ich ihn beschreiben? — Es ist ein Ton, der die Wahrheit
+mit einem Gewande bedeckt und dem Frager ein Recht gibt, ebenso
+unanständig darüber zu sein wie Ihr Wundarzt.</p>
+
+<p>»War es ohne alle Gnade?</p>
+
+<p>»War es erträglicher im Bette?</p>
+
+<p>»Konnte er dabei auf beiden Seiten gleich gut liegen?</p>
+
+<p>»Konnte er dabei noch zu Pferde sitzen?</p>
+
+<p>»War die Bewegung dabei schädlich? usf.« wurden so zärtlich
+ausgesprochen und dergestalt auf meines Onkels Toby Herz gerichtet, daß
+jedes Item davon zehnmal tiefer in dasselbe sank, als die Schmerzen
+selbst. — Als aber Madame rund um Namur herumging, um an meines Onkels
+Toby Wunde am Latzbeine zu gelangen, und ihn dahin brachte, die Spitze
+der äußersten Konterskarpe zu attackieren, pelemele mit den Holländern,
+mit dem Degen in der Faust, die Kontergarde St. Roch einzunehmen —
+und alsdann mit rührenden Tönen sein Ohr erfüllte, ihn blutend bei der
+Hand nahm und aus der Schußlinie führte, sich ihre Augen wischte, als
+er in<span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span> sein Zelt getragen wurde — Himmel! Erde! See! — alles ward
+emporgerichtet. — Die Quellen der Natur stiegen über ihre natürliche
+Höhe hinauf. — Ein Engel des Mitleids saß ihm zur Seite auf dem Sofa.
+Sein Herz glühte von Feuer. Und hätte er tausend Herzen gehabt, er
+hätte sie alle an Madame Wadmann verloren.</p>
+
+<p>»Und in welcher Gegend, lieber Herr Kapitän,« fragte Madame Wadmann
+ein wenig aufdringlich, »empfingen Sie diese häßliche Wunde?« — Als
+sie diese Frage tat, warf Madame Wadmann einen Seitenblick auf den
+Hüftengurt von meines Onkels Toby rotplüschenen Beinkleidern, indem sie
+natürlicherweise als die kürzeste Antwort erwartete, mein Onkel Toby
+würde seinen Zeigefinger auf die Stelle legen. — Es fiel anders aus.
+Denn, da mein Onkel Toby seine Wunde vor dem St. Nikolaustore bekommen
+hatte, in einer von den Traversen der vorspringenden Spitze der halben
+Bastion Sankt Roch gegenüber, so konnte er allemal eine Nadel auf
+die eigentliche Stelle stecken, wo er stand, als ihn der Stein traf.
+Dieses traf augenblicklich meines Onkels Toby Sensorium. Und zugleich
+damit die große Karte von der Stadt und Zitadelle von Namur und ihren
+Gegenden, welche er sich gekauft und mit Hilfe des Korporals während
+seiner langwierigen Krankheit auf ein Brett geklebt hatte. Sie hatte
+seitdem beständig mit anderem militärischen Poltergeräte in einer
+Dachkammer gelegen, und also ward der Korporal dahin detachiert, sie
+herzuholen.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby maß mit Madame Wadmanns Scheren dreißig Ruten ab, von
+der äußersten Spitze vor dem St. Nikolaustore, und legte mit einer
+so jüngferlichen Bescheidenheit ihren Finger auf die Stelle, daß die
+Göttin der Wohlanständigkeit, wenn sie damals vorhanden — wo nicht,
+so war's ihr Schatten —, ihren Kopf schüttelte und indem<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> sie mit
+einem Finger vor ihren Augen hin und her fuhr, ihr verbot, den Irrtum
+aufzudecken.</p>
+
+<p>Unglückliche Madame Wadmann! —</p>
+
+<p>Denn durch nichts kann ich diesem Kapitel ein lebhaftes Ende geben,
+wie durch eine Apostrophe an dich! — Aber mein Herz sagt mir, daß in
+einer so kritischen Lage eine Apostrophe nur ein verstecktes Höhnen
+sei, und lieber, ehe ich ein in Nöten steckendes Frauenzimmer verhöhnen
+wollte, laß das Kapitel dahinfahren zum Meister Hämmerling! Wenn sich
+nur ein verdammter Kunstrichter in Lohn und Brot die Mühe geben will,
+es mitzunehmen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_141">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Meines Onkels Toby Karte wird hinunter in die Küche genommen.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_142">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hunderteinundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Und hier ist die Maas — und hier die Sambre,« sagte der Korporal und
+wies mit seiner etwas ausgestreckten rechten Hand auf die Karte und
+hatte die linke auf Brigittens Schulter. Aber nicht auf der Schulter,
+die ihm zunächst. — »Und dies,« sagte er, »ist die Stadt Namur.
+— Und dies die Zitadelle. Und hier liegen die Franzosen. Und hier
+liegt mein Herr und ich. Und in diesem verdammten Graben,« sagte der
+Korporal und faßte sie bei der Hand, »bekam er die Wunde, welche ihn
+so jämmerlich zerquetschte: hier.« Und so wie er das sagte, drückte er
+ihre auswendige Hand an die Stelle — und ließ sie fallen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span></p>
+
+<p>»Wir dachten, Herr Trim, es wäre mehr nach der Mitte hin gewesen,«
+sagte Jungfer Brigitte. —</p>
+
+<p>»Das hätte uns unser Lebtage unglücklich gemacht,« sagte der Korporal.</p>
+
+<p>»Und hätte meine Madame auch eine unglückliche Frau bleiben lassen,«
+sagte Brigitte.</p>
+
+<p>Der Korporal versetzte nichts anderes auf diese Antwort, als daß er
+Brigitten einen Kuß gab.</p>
+
+<p>»Komm, komm,« sagte Brigitte und hielt das Auswendige ihrer rechten
+Hand in der Fläche des Horizonts und wischte mit den Fingern der
+anderen Hand darüber hin. Was nicht hätte geschehen können, wäre nur
+die geringste Warze oder Minderung im Wege gewesen. »Wort für Wort eine
+Unwahrheit,« rief der Korporal, ehe sie noch halb ausgeredet hatte.</p>
+
+<p>»Ich weiß aber,« sagte Brigitte, »von glaubwürdigen Leuten, daß es die
+Wahrheit ist.«</p>
+
+<p>»Auf meine Ehre,« sagte der Korporal und legte seine Hand aufs Herz und
+ward, indem er sprach, vor edlem Zorne rot. »Es ist eine Erdichtung,
+Jungfer Brigitte, so falsch wie die Hölle.« — »Nicht,« sagte Brigitte
+und fiel ihm in die Rede, »daß ich oder meine Madame uns das geringste
+daraus machten, ob es so ist oder nicht. Nur soviel, wenn man sich
+verheiratet, so gehört es denn doch ein bißchen mit dazu.«</p>
+
+<p>Es war ein wenig unglücklich für Jungfer Brigitte, daß sie den Angriff
+mit ihren Handgriffen begonnen hatte, denn der Korporal augenblicklich
+— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — — — — — —
+— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — — — — — </p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_143">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span></p>
+
+<h2>Hundertzweiundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es war das kurz vorübergehende Streiten in den nassen Augenlidern eines
+Aprilmorgens: »Ob Brigitte lachen oder weinen sollte.«</p>
+
+<p>Sie ergriff ein Mangelholz. — Es war zehn gegen eins, sie hätte
+gelacht —</p>
+
+<p>Sie legte solches nieder — sie weinte; und hätte nur eine Zähre nach
+Bitterkeit geschmeckt, das Herz des Korporals würde voll Bekümmernis
+gewesen sein, daß er das Argument gebraucht hatte. Allein der Korporal
+verstand sich wenigstens um eine Quarte besser als mein Onkel Toby aufs
+Frauenzimmer. Demzufolge bestürmte er Jungfer Brigitte auf diese Manier.</p>
+
+<p>»Ich weiß, Jungfer Brigitte,« sagte der Korporal und gab ihr einen
+sehr ehrerbietigen Kuß, »daß du von Natur gut und bescheiden und
+obendrein ein so großmütiges Mädchen bist, daß du, wenn ich dich recht
+kenne, keinem Wurm etwas zuleide tun und noch weniger einen so braven
+und würdigen Mann an seiner Ehre kränken wolltest, wie mein Kapitän
+ist, und wollte dich dafür zur Gräfin machen. Aber man hat dir was
+weisgemacht und dich betrogen, liebste Brigitte, wie es einem Mädchen
+oft geht, mehr um anderen einen Gefallen zu tun als sich selbst.«</p>
+
+<p>Brigitten träufelten die Tränen aus den Augen über die Empfindungen,
+die der Korporal in ihr erregte.</p>
+
+<p>»Sage mir, — sag' mir also, meine liebste Brigitte,« fuhr der
+Korporal fort, wobei er sie an der Hand faßte, welche ihr an der Seite
+niederhing und ihr einen zweiten Kuß gab, »wessen Argwohn hat dich
+verführet?«</p>
+
+<p>Brigitte schluchzte ein paarmal und tat darauf die Augen auf. Der
+Korporal trocknete sie mit dem Zipfel ihrer Schürze. Sie tat alsdann
+ihr Herz auf und erzählte ihm alles.<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_144">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<h2>Hundertdreiundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Mein Onkel Toby und der Korporal hatten den größten Teil der Kampagne
+ihrer Operation getrennt fortgesetzt. Es war zwischen ihnen die
+Kommunikation aller Nachrichten von dem, was der eine oder andere getan
+hatte, so rein abgeschnitten, als ob sie durch die Maas und Sambre
+voneinander getrennt gewesen wären.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby seinerseits war jeden Nachmittag in seinem roten Kleide
+mit Silber oder wechselweise mit seinem blauen mit Golde ausgerückt und
+hatte darin eine unendliche Menge Attacken ausgehalten, ohne überhaupt
+zu wissen, daß es Attacken gewesen, und hatte also nichts zu berichten.</p>
+
+<p>Der Korporal seinerseits, indem er Brigitten genommen, hatte große
+Vorteile dadurch gewonnen und hatte also viel zu berichten. Worin aber
+die Vorteile bestanden, sowie die Art und Weise, wodurch er solche
+gewonnen, erforderten einen so geschickten Historiker, daß der Korporal
+es nicht wagen durfte, sich damit abzugeben. So empfindlich er auch
+gegen die Ehre war, so hätte er doch lieber sein ganzes Leben hindurch
+mit unbekränzter Glatze gehen als seines Herrn Züchtigkeit nur auf
+einen Augenblick Gewalt antun mögen.</p>
+
+<p>Bester unter allen redlichen und treuen Knechten! — Doch, ich habe
+dich, Trim! bereits einmal vorher apostrophiert. — Und könnte ich dich
+auch apotheosieren — in guter Gesellschaft, meine ich — ich täte es
+ohne Zeremonien, gleich auf folgender Seite.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_145">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span></p>
+
+<h2>Hundertvierundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Nun hatte mein Onkel Toby eines Abends seine Pfeife auf den Tisch
+niedergelegt und zählte in Gedanken an seinen Fingern — beim Daumen
+anfangend — Madame Wadmanns Vollkommenheiten her. Eine nach der
+andern: und da es ihm zwei- oder dreimal begegnet war, entweder,
+weil er eine oder die andere ausgelassen, oder die andere zweimal
+gezählt, daß er sich jämmerlich verrechnete, ehe er noch bis zu seinem
+Mittelfinger kam. — »Hör' Er, Trim,« sagte er und nahm seine Pfeife
+wieder auf, »bring' Er mir Tinte und Feder.« Trim brachte Papier dazu.</p>
+
+<p>»Nehme Er einen Bogen, Trim,« sagte mein Onkel Toby und gab ihm
+zugleich ein Zeichen mit seiner Pfeife, daß er einen Stuhl nehmen und
+sich zu ihm an den Tisch niedersetzen sollte. Der Korporal gehorchte,
+legte das Papier gerade vor sich nieder, nahm eine Feder und tunkte
+solche in die Tinte.</p>
+
+<p>»Sie besitzt tausend Tugenden, Trim!« sagte mein Onkel Toby.</p>
+
+<p>»Soll ich die aufschreiben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen?« fragte der
+Korporal.</p>
+
+<p>»Sie müssen aber nach ihrem Range gestellt werden,« erwiderte mein
+Onkel Toby. »Denn, Trim, die, welche mich vor allen anderen am
+meisten einnimmt und welche mir Bürge für alle übrigen wird, ist
+ihr mitleidiges Gemüt und die ganz ausnehmende Menschlichkeit ihres
+Charakters. — Ich beteure es,« fügte mein Onkel Toby hinzu und
+sah dabei, wie er es beteuerte, oben nach der Gipsdecke, »wäre ich
+tausendmal ihr Bruder, Trim, sie könnte sich nicht mehr und zärtlicher
+nach meinem Leiden erkundigen, ob solche gleich vorüber sind.«</p>
+
+<p>Der Korporal tat keine andere Widerrede gegen meines Onkels Toby
+Beteuerung als einen kurzen Husten. Er tunkte<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> die Feder zum zweitenmal
+ein. Und mein Onkel Toby zeigte mit dem Ende seiner Pfeife so dicht an
+den obersten Rand des Bogens auf der linken Ecke, als er nur konnte. —
+Und der Korporal schrieb dahin das Wort:</p>
+
+<p>»Menschlichkeit« — — — — — — — — — — — —— — — — — —— — — — — —— — — — — —</p>
+<p>— wie hier.</p>
+
+<p>»Sag' Er mir doch, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, sobald als Trim es
+getan hatte — »wie oft erkundigt sich wohl Seine Brigitte nach Seiner
+Wunde an Seiner Kniescheibe, die Er in der Schlacht bei Landen empfing?«</p>
+
+<p>»Sie erkundigt sich, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, gar niemals danach.«</p>
+
+<p>»Das, Korporal,« sagte mein Onkel Toby mit allem Triumphe, den ihm die
+Güte seines Herzens erlaubte, »das zeigt den Unterschied im Charakter
+der Herrschaft und des Kammermädchens. Hätte das Kriegsglück mich
+ebenden Unfall betreffen lassen, so würde Madame Wadmann sich nach
+allen Umständen dabei wohl hundertmal erkundigt haben.« — »Sie würde
+sich zehnmal so oft nach Euer Gnaden Wunde am Latzbein erkundigt
+haben.« — »Der Schmerz ist gleich unausstehlich, Trim. Und das
+Mitleiden nimmt ebensoviel Anteil an der einen Wunde wie an der andern.«</p>
+
+<p>»Der liebe Gott vergelt's Euer Gnaden!« rief der Korporal. — »Was hat
+denn das Mitleid eines Frauenzimmers mit der Wunde eines Mannes an
+seiner Kniescheibe zu schaffen? Wäre Euer Gnaden Kniescheibe in der
+Schlacht bei Landen in hunderttausend Splitter zerschossen, Madame
+Wadmann würde sich den Kopf ebensowenig darüber zerbrochen haben wie
+Brigitte. Und zwar weil,« setzte der Korporal hinzu, indem er leiser,
+obgleich ganz vernehmlich sprach, als er seinen Grund anführte. —</p>
+
+<p>»Weil das Knie soweit von dem Hauptwerke abliegt,<span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span> dahingegen, wie Euer
+Gnaden wissen, das Latzbein dicht an der Kurtine des Ortes liegt.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby pfiff eine lange Note, aber so leise, daß man es kaum
+über den Tisch hinüber hören konnte.</p>
+
+<p>Der Korporal war zu weit gegangen, um zurückzuziehen. Er sagte das
+Übrige in drei Worten.</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so leise auf den Kaminrost, als ob
+sie aus den ausgefaserten Fäden eines Spinnengewebes gesponnen gewesen.</p>
+
+<p>»Laß uns nach meines Bruders Shandy Hause gehen,« sagte er.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<h2>Hundertfünfundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Wir werden gerade soviel Zeit haben unterdessen, daß mein Onkel Toby
+und Trim nach meines Vaters Hause gehen, Ihnen zu berichten, daß Madame
+Wadmann einige Monate vorher, ehe dieses vorging, meine Mutter zur
+Vertrauten gemacht hatte, und daß Jungfer Brigitte, die sowohl ihre
+eigene Bürde zu tragen hatte als die Bürde des Geheimnisses ihrer
+Herrschaft, sich von beiden gegen die Susanna hinter der Gartenmauer
+glücklich entladen hatte.</p>
+
+<p>Was meine Mutter anbetrifft, so sah die gar nichts in der ganzen Sache,
+worüber Aufhebens zu machen gewesen.</p>
+
+<p>Allein Susanna war alleine genug, ein Familiengeheimnis auszubringen.
+Denn sie teilte es augenblicklich dem Jonathan durch Zeichen mit. Und
+Jonathan sagte es der Köchin, als sie eine Hammelkeule am Feuer begoß.
+Die Köchin verkaufte es mit etwas Bratenfett für einen Dreier an den
+Postillon, der es mit dem Milchmädchen um etwas von ebendem Werte
+umstutzte. Und obgleich es auf dem Heuschober geflüstert wurde, hatte
+doch die Fama die Noten mit ihrer<span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span> ehernen Trompete aufgefaßt und vom
+Giebel des Hauses umhergeblasen. — Mit einem Worte, es war im ganzen
+Dorfe oder fünf Meilen in der Runde kein altes Weib, die nicht gewußt,
+warum es mit meines Onkels Toby Belagerung so langsam zuginge, und
+welches die geheimen Artikel wären, die die Übergabe verzögerten.</p>
+
+<p>Mein Vater, dessen Gewohnheit es war, jede Begebenheit in der Welt zu
+einer Hypothese zu zwängen, wodurch kein Mensch der Wahrheit einen
+solchen Drang antat wie er, hatte eben das Gerücht vernommen, als
+mein Onkel Toby ausging. Und da er über die Beleidigung, die seinem
+Bruder dadurch widerfuhr, plötzlich Feuer fing, war er dabei, dem Herrn
+Yorick, ungeachtet meine Mutter dabeisaß, zu demonstrieren, nicht nur,
+daß der Satan in den Weibern stecke, sondern daß jedes Übel und jede
+Unordnung in der Welt, sie habe Namen, wie sie wolle, vom ersten Falle
+Adams bis hinab zu meines Onkels Toby seinem — inklusive — auf eine
+oder die andere Art diesem zügellosen Wesen zuzuschreiben sei.</p>
+
+<p>Yorick stand eben im Begriff, meines Vaters Hypothese ein wenig zu
+mäßigen, als mein Onkel Toby mit Zeichen unendlicher Gutherzigkeit
+und Verzeihung in seinen Blicken ins Zimmer trat und meines Vaters
+Beredsamkeit gegen die Leidenschaft von neuem anfachte. Und da er eben
+nicht sehr sanft in der Wahl seiner Worte war, wenn er im Eifer redete,
+so brach er, sobald mein Onkel Toby sich ans Feuer gesetzt und seine
+Pfeife gefüllt hatte, folgendergestalt los:</p>
+
+<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_147">
+ <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span></p>
+
+<h2>Hundertsechsundvierzigstes Kapitel.</h2>
+</div>
+
+
+<p>»Daß für die Erhaltung eines so großen, erhabenen und göttlichen
+Wesens, wie der Mensch ist, Anstalten und Vorkehrungen gemacht werden
+müssen, das bin ich sehr entfernt zu leugnen. Die Philosophie aber
+sagt von jeder Sache ihre Meinung frei heraus. Und deswegen denke
+und behaupte ich, es sei ein Jammer, daß es durch eine Leidenschaft
+geschehen sollte, welche die Seelenkräfte nieder- und alle Weisheit,
+Betrachtungen und Wirkungen der Seele zurückhält. — Eine Leidenschaft,
+mein Schatz,« fuhr mein Vater fort und wendete sich an meine Mutter,
+»welche den Weisen mit den Törichten zusammen paaret und sie gleich
+macht, und uns aus unseren Höhlen und Schlupfwinkeln mehr als Satire
+und vierfüßige Tiere hervorgehen läßt, denn als Menschen.</p>
+
+<p>»Ich weiß es, daß man sagen wird,« fuhr mein Vater fort, »daß sie, an
+sich selbst und ohne Nebenabsicht betrachtet, so gut wie Hunger, Durst
+oder Schlaf eine Sache sei, die weder gut noch böse, noch schändlich
+oder dergleichen sei. — Warum denn aber sträubte sich die Delikatesse
+des Diogenes und Platos so heftig dagegen? Und warum löschen wir, wenn
+wir darauf denken, einen Menschen zu pflanzen, das Licht aus? Und aus
+was für Ursache ist es, daß alles Dahingehörige — die Zurüstungen —
+die Werkzeuge und was nur dabei erforderlich ist, als Sachen angesehen
+werden, die man keinem reinen Gemüte durch Sprache, Übersetzung oder
+Umschreibung von irgendeiner Art verständlich machen dürfe? —</p>
+
+<p>»Die Handlung, einen Menschen zu töten oder zu vernichten,« fuhr mein
+Vater fort und erhub seine Stimme, wobei er sich an meinen Onkel Toby
+wendete, »ist, wie du siehst, rühmlich. Und die Waffen, womit wir
+sie verrichten, sind ehrenvoll. Wir marschieren damit auf unseren
+Schultern, wir prunken damit an unseren Hüften, wir vergolden sie,<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> wir
+schnitzeln sie, wir legen sie aus, wir besetzen sie mit Edelsteinen.
+Ja, wenn's auch nur eine lumpige Kanone ist, so gießen wir einen Zierat
+auf ihre Traube.«</p>
+
+<p>Mein Onkel Toby legte seine Pfeife nieder, um für ein besseres Beiwort
+zu bitten. Und Yorick machte sich fertig, die ganze Hypothese über den
+Haufen zu kanonieren. —</p>
+
+<p>Als Obadiah mitten ins Zimmer mit einer Klage hereinbrach, die um ein
+unmittelbares Gehör schrie.</p>
+
+<p>Die Sache war diese:</p>
+
+<p>Mein Vater war, entweder nach einer lang hergebrachten Gewohnheit oder
+als Inhaber des großen Zehntens verpflichtet, einen Bullen für die
+Gemeinde zu halten, und Obadiah hatte den vorigen Sommer eines Tages
+seine Kuh zu einem kurzen Morgenbesuche zu ihm geführt. Ich sage, eines
+Tages, weil es der Zufall so mit sich brachte, daß es an ebendem Tage
+war, an welchem er mit meines Vaters Hausmagd verheiratet wurde. So
+daß die Rechnungen von einer Zeit an liefen. Deshalb also, da Obadiahs
+Ehefrau niederkam, dankte Obadiah Gott.</p>
+
+<p>»Nun,« sagte Obadiah, »krieg' ich auch ein Kalb.« Und Obadiah ging
+täglich hin, nach seiner Kuh zu sehen.</p>
+
+<p>»Sie wird den Montag kalben, oder Dienstag, oder Mittwoch spätestens.«</p>
+
+<p>Die Kuh kalbte nicht. »Nein, vor künftiger Woche wird sie nicht
+kalben.« — Die Kuh schob es entsetzlich lang auf. Bis am Ende der
+sechs Wochen Obadiahs Verdacht — wie der Verdacht eines guten Mannes
+— auf den Bullen fiel.</p>
+
+<p>Nun war die Gemeinde sehr stark, und meines Vaters Bulle, die Wahrheit
+von ihm zu sagen, seinem Geschäft gar nicht gewachsen, er hatte sich
+aber, auf eine oder die andere Art in die Bedienung geschlichen. —
+Und weil er seine Sache mit einem steifen Amtsgesichte verrichtete, so
+hatte mein Vater eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten gefaßt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span></p>
+
+<p>»Die meisten Hauswirte glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte
+Obadiah, »daß die Schuld an dem Bullen liegt.« —</p>
+
+<p>»Aber kann nicht auch eine Kuh unfruchtbar sein?« erwiderte mein Vater
+und wendete sich an den Doktor Slop.</p>
+
+<p>»Das kommt nicht vor,« sagte Doktor Slop. »Aber Obadiah seine Frau kann
+sehr leicht zu früh gekommen sein. Sage Er doch, hat das Kind Haare auf
+seinem Kopfe?« setzte Doktor Slop hinzu. —</p>
+
+<p>»Es ist ebenso haarig, wie ich selbst,« sagte Obadiah.</p>
+
+<p>Obadiah war in drei Wochen nicht barbiert worden. — »Hu—u—u!« rief
+mein Vater, und begann seine Rede mit einer pfeifenden Ausrufung: »da
+haben wir's, Bruder Toby! Da könnte mein armer Bulle, der so gut ist,
+wie ein Bulle bei Kühen sein kann und in züchtigeren Zeiten für die
+Europa selbst gut genug gewesen wäre, ginge er nur auf zwei Beinen,
+vors Ehegericht geschleppt werden und seinen guten Namen einbüßen.
+Welcher für einen Dorfbullen, Bruder Toby, ebensoviel wert ist wie das
+Leben.«</p>
+
+<p>»Du liebe Zeit,« sagte meine Mutter, »worüber macht ihr denn solchen
+Lärm?«</p>
+
+<p>»Sie geißeln den toten Hahn, weil die Henne ein Windei gelegt hat,«
+sagte Yorick. Es war ein hübsches Geschichtchen!</p>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowe11" id="p3030_deco_2">
+ <img class="w100" src="images/p3030_deco.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<figure class="figcenter padtop2 illowe15" id="p3040_deco">
+ <img class="w100" src="images/p3040_deco.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<hr class="full x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+
+<p class="s2 center">Die Bücher des Deutschen Hauses</p>
+</div>
+
+<p class="center p2">Herausgegeben von <em class="gesperrt">Rudolf Presber</em>.</p>
+
+<hr class="r5">
+
+<p class="center">In gleicher Ausstattung gelangen zur Ausgabe:</p>
+
+<p class="mleft10 p2">&nbsp;&nbsp;I. <em class="gesperrt">Reihe</em>: Buch &nbsp; 1 - 25,</p>
+<p class="mleft10">II. <em class="gesperrt">Reihe</em>: Buch 26 - 50.</p>
+
+<div class="eng">
+<div class="list-container">
+
+<ol class="buecher">
+
+<li><em class="gesperrt">Goethe</em>: Die Leiden des jungen Werther.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Otto Ludwig</em>: Zwischen Himmel und Erde.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">E. T. A. Hoffmann</em>: Die Elixiere des Teufels.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Friedrich Spielhagen</em>: Deutsche Pioniere.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Zschokke</em>: Hans Dampf. Kleine Ursachen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Max Kretzer</em>: Die Sphinx in Trauer.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Thackeray</em>: Der Diamant.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Balzac</em>: Die Frau von dreißig Jahren.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Brüder Grimm</em>: Märchen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Dickens</em>: Weihnachtserzählungen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Nicolai</em>: Zur Neujahrszeit.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Tolstoi</em>: Die Kosaken.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Karl Grunert</em>: Der Marsspion.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Spanische Novellen.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Hans Hauptmann</em>: Auf tönernen Füßen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Henri Murger</em>: Bohême.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Deutscher Humor.</em>: 1. Band.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Björnson</em>: Synöve Solbakken.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Jean Paul</em>: <em class="antiqua">Dr.</em> Katzenbergers Badereise.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Gespensternovellen.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Canter</em>: Fahrendes Volk.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Gerstäcker</em>: Die Flußpiraten. 1. Bd.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Gerstäcker</em>: Die Flußpiraten. 2. Bd.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Deutscher Humor</em>: 2. Band.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Puschkin</em>: Pique Dame.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Heinrich von Kleist</em>: Novellen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Levin Schücking</em>: Agathens Geheimnis.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Walter Harlan</em>: Die Dichterbörse.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Karl Immermann</em>: Der Oberhof.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Gogol</em>: Novellen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Friedrich von Oppeln-Bronikowski</em>: Der Rebell.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Charles Dickens</em>: Klein Dorrit <em class="antiqua">I.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Charles Dickens</em>: Klein Dorrit <em class="antiqua">II.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Richard Nordhausen</em>: Die rote Tinktur.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Guy de Maupassant</em>: Novellen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Ed. A. Poe</em>: Die denkwürdigen Erlebnisse des A. G. Pym.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Margarete Wolff-Meder</em>: In den Sielen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Arthur Achleitner</em>: Geschichten aus den deutschen Alpen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Sterne</em>: Tristram Shandy.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Max Bittrich</em>: Spreewaldgeschichten.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Cervantes</em>: Don Quixote <em class="antiqua">I.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Cervantes</em>: Don Quixote <em class="antiqua">II.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Hermann Heiberg</em>: Fluch der Schönheit.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Joseph von Eichendorff</em>: Aus dem Leben eines Taugenichts.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Léon de Tinseau</em>: Der Mitgiftjäger.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Max Nordau</em>: Zur linken Hand <em class="antiqua">I.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Max Nordau</em>: Zur linken Hand <em class="antiqua">II.</em></li>
+
+<li><em class="gesperrt">Verga</em>: Novellen.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Emil Zola</em>: Ein Blättlein Liebe.</li>
+
+<li><em class="gesperrt">Fritz Reuter</em>: Ut mine Stromtid.</li>
+</ol>
+</div>
+</div>
+
+<p class="s3 center mbot2">Jeder Band 75 Pfg. — 1 Krone — 1 Frc.</p>
+
+
+
+
+
+<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3>
+
+<div class="footnote">
+
+<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Mein Vater wollte niemals einwilligen, dies Buch
+drucken zu lassen; es befindet sich nebst einigen andern von seinen
+Abhandlungen im Manuskript bei der Familie, welche alle, oder doch
+größtenteils, zu seiner Zeit gedruckt werden sollen.</p>
+
+</div>
+
+<div class="footnote">
+
+<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> »Dieses soll meines Vaters Leben des Sokrates usw. mit
+beigedruckt werden.«</p>
+
+</div>
+
+<div class="footnote">
+
+<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Er hatte in der Schlacht bei Lepanto eine Hand verloren.</p>
+
+</div>
+</div>
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76593 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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