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| author | pgww <pgww@lists.pglaf.org> | 2025-07-30 06:22:01 -0700 |
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Das Bild darf von jedermann unbeschränkt +genutzt werden. + +Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~ + +======================================================================= + + + Dieses Buch wurde in der Deutschen + Buch- u. Kunstdruckerei G. m. b. H. + in Zossen gedruckt u. bei der Leipziger + Buchbinderei-Actiengesellschaft + in Leipzig gebunden. + + [Illustration] + + + + + Tristram Shandy + + + + + [Illustration: + + + Die Bücher des Deutschen + Hauses + + Herausgegeben von Rudolf Presber + + Zweite Reihe + + 39. Band + + Die Bücher des Deutschen Hauses] + + + + + [Illustration: + + Das Leben + und die Meinungen von + Herrn Tristram Shandy + + von + + Laurence Sterne + + + Illustriert + von Lovis Corinth + + 1908 + + Buchverlag fürs Deutsche Haus + + Berlin-Leipzig.] + + + + +»Diese Satiren im kleinen mit ihren köstlichen Wahrheiten sind nur mit +den griechischen Klassikern zu vergleichen. Wenn Ihr nicht mit ihm +fühlt, mag er Euch oft kleinlich, frivol, gesucht, kindisch erscheinen. +Habt Ihr aber sein Genie erkannt, werdet Ihr in ihm einen gewaltigen +Lehrer der Menschheit finden.« + + Voltaire über Sterne. + + + + + [Illustration] + + Der arme Yorick + + 1713-1768 + + +Die Welt nannte den Dorfprediger von Sutton und Stillington bei York, +Laurence Sterne, nicht anders als den armen Yorick, nach dem Pfarrer, +den Tristram Shandy so über alles schätzte, daß er ganz gegen seine +Gewohnheit in einem Zuge seine Lebensbeschreibung erzählt, ehe noch +Tristram Shandy selbst -- in dem Buche natürlich -- geboren ist. +»Mancher Zug aus dem Charakter dieses Mannes«, sagt Tristram, »kommt, +wie mich dünkt, den artigen, lustigen Streichen des unnachahmlichen +Ritters la Manche gleich, welchen ich mit all seinen Narrheiten mehr +liebe als den größten Helden des Altertums.« Auf niemanden paßt diese +Schilderung so gut, wie auf Laurence Sterne selbst. Auch er war ein +rechter echter Shandist, ohne welche Eigenschaft er niemals in diesem +kuriosesten aller Leben und Meinungen hätte eine Rolle spielen können, +am wenigsten die des Autors. Laurence Sterne hat auch seine eigene +Biographie geschrieben. In einem Briefe an seine Tochter Lydia, kurz +vor seinem Tode, gibt er alle wesentlichen Daten seines Lebens. + +Die Jugend nimmt den breitesten Raum dieser Beschreibung in Anspruch, +auch darin seinem Tristram Shandy zum mindesten blutsverwandt. Roger +Sterne, sein Vater, war Leutnant im irischen Handaside-Regiment. +Das bedeutete damals ruheloses Umherziehen von Ort zu Ort, von Land +zu Land. Und Frau und Kinder zogen mit durch Wind und Wetter, Sommer +und Winter, von Baracken zu Baracken, wenn sie nicht vorübergehend +bei mildtätigen Verwandten einen Unterschlupf fanden. Zweimal sind +Frau Agnes (sie war die Tochter eines angesehnen Marketenders, »mein +Vater hatte Schulden bei ihr, als er sie heiratete«) und ihre Kinder +bei der Überfahrt von England nach Irland in Lebensgefahr gewesen +und von ihrem Mann schon aufgegeben. Laurence ist das zweite Kind +dieser kriegerischen Ehe. Er wurde in Clonmel im Süden Irlands am +24. November 1713 geboren. Von den fünf Geschwistern, zwei Brüdern +und drei Schwestern, haben nur noch zwei Schwestern mit ihm dieses +entbehrungsvolle Wanderleben ihrer Jugend überstanden. + +Die Familie Sterne hatte bessere Zeiten erlebt, als ihr die +Leutnantsgage von Sternes Vater bereiten konnte, dessen +verschwenderische Güte in Onkel Tobys Zügen verewigt worden ist. »Sie +hätten ihn, Madame, an einem Tage zehnmal hintergehen können, wenn es +Ihnen mit neunen noch nicht genug ist.« -- Roger Sterne war der Enkel +eines Erzbischofs von York, und ein Onkel Laurence Sternes war erster +Pfarrer in York. Ihm verdankte später der junge Vikar, der auf Kosten +eines reichen Vetters und mit einem Stipendiat seines Urgroßvaters in +Cambridge studiert hatte, seine erste Pfründe: Sutton. »In York lernte +ich deine Mutter kennen und machte ihr zwei Jahre lang den Hof. -- Auch +sie war mir herzlich zugetan, hielt sich aber wohl nicht für reich +genug oder mich für zu arm für eine dauernde Verbindung. Sie ging zu +ihrer Schwester nach S., und ich schrieb sehr fleißig. Ich glaube, daß +sie wohl halb entschlossen war mich zu nehmen, ohne es mich merken zu +lassen. -- Nach ihrer Rückkehr wurde sie sehr krank, und als ich eines +Abends bei ihr saß -- ich war sehr traurig, sie so krank zu wissen --, +sagte sie, ›mein lieber Laurey, ich kann nie dein werden, denn ich +glaube sicher, daß ich nicht mehr lange lebe! Ich habe dir aber mein +ganzes Vermögen zugesprochen.‹ Damit zeigte sie mir ihr Testament. +Diese Großmut überwältigte mich. Es gefiel Gott, sie wieder gesund +werden zu lassen, und ich heiratete sie im Jahre 1741. Mein Onkel +(Jaques Sterne, Pfründner von Durham, Vorsänger und Pfründner in York, +mit dem Wohnsitz in York, Vorsteher der Pfarren in Rise und Hornsey mit +Riston, im Ostbezirk der Grafschaft York) und ich standen uns damals +sehr gut. Er verschaffte mir sehr bald eine Pfründe in York. -- Später +kamen wir in Streit, weil ich mich weigerte, Parteiartikel in die +Zeitungen zu schreiben. Er war ein eifriger Parteimann, und ich nicht. +Ich verachtete diese Art Propaganda und hielt mich für zu schade dazu. +Und von da an wurde er mein erbittertster Feind. Durch Vermittelung +meiner Frau erhielt ich noch die Pfründe von Stillington. Einer ihrer +Freunde hatte ihr versprochen, daß, wenn sie einen Geistlichen in +Yorkshire heiratet, er ihr als Zeichen seiner Freundschaft bei der +nächsten Vakanz die Pfründe besorgen werde. Fast zwanzig Jahre blieb +ich in Sutton und übte mein Pfarramt an beiden Orten aus. Die ganze +Zeit erfreute ich mich einer vorzüglichen Gesundheit. Bücher, Malen, +Geige spielen und auf die Jagd gehen, das waren meine Zerstreuungen. +Mit dem Squire der Pfarrei standen wir uns nicht besonders, dafür +verkehrten wir in Stillington mit der Familie C--s, die sehr freundlich +gegen uns war, und das war sehr angenehm für uns, innerhalb einer Meile +so herzliche Freunde zu haben. 1760 mietete ich ein Haus in York für +deine Mutter und dich. Ich selbst ging nach London, für den ersten +Band des Shandy einen Verleger zu suchen. Im selben Jahre bot mir Lord +Falconbridge die Pfarrstelle in Coxwould an, das gegen Sutton ein +lieblicher Wohnsitz genannt werden muß. 1762 ging ich nach Frankreich, +noch vor dem Friedensschluß, und ihr beide folgtet mir. Dann bliebt +ihr drüben. Ich ging erst wieder zwei Jahre darauf nach Italien, um +etwas für meine Gesundheit zu tun. Auf meine dringende Bitte seid +auch ihr jetzt nach England zu mir zurückgekehrt und ich habe die +unbeschreibliche Freude erlebt, mein Kind wiederzusehen, alles, was ich +mir noch wünschen konnte.« + +Es ist kurz hinzuzufügen, was von jenem Leben in den Hauptstädten +London und Paris, das die letzten acht Jahre fast ausfüllt, der Vater +seiner Tochter nicht ausdrücklich hat sagen wollen, aus Zartgefühl +gegen ihre Mutter. Die Ehe war keine glückliche. Das Paar, das sich auf +so romantische Weise gefunden hatte, wurde einer des anderen herzlich +überdrüssig, bevor viele Jahre verflossen waren .. Eine drollige +Mischung von Selbstanklage und Überlegenheit liegt in folgendem +Shandystischen Stoßseufzer: »Ein verteufeltes Glück für einen Mann, +der Herr über die zartesten Vernunftschlüsse ist, ein Weib zu haben, +in dessen Kopf er auf keine Weise einen Gedanken einschmuggeln kann, +der seine Seele vor der Verdammnis rettet.« -- Aber der arme Yorick war +der Meinung, daß dieses mühevolle Leben eine trübe und wertlose Sache +bleiben muß, »Ihr hättet der Liebe denn ...« »Ich liebte eine oder +die andere Prinzessin mein Leben lang. Und ich hoffe, ich werde es so +halten bis zu meinem Ende, denn ich bin davon überzeugt, daß, wenn ich +je einer häßlichen Tat fähig war, es zu einer Zeit war, die zwischen +einer alten und einer neuen Leidenschaft lag.« + +So machte er nacheinander Miß Fourmentelle (einer schönen französischen +Hugenottin), Frau Garrik, Lady Percy und Eliza Draper (der jungen Frau +eines indischen Farmers) den Hof, ohne daß diese Aufzählung Anspruch +auf Vollständigkeit machen kann. »+L'amour n'est rien sans le +sentiment+,« sagte Sterne, »+Mais le sentiment permet tout+,« +hätte er hinzusetzen sollen. Zweien von diesen Frauen gegenüber, Miß +Fourmentelle und Eliza Draper, versteigen sich seine Empfindungen bis +zu dem Ausruf: Möchte Gott uns die Tür zu einem gemeinsamen Leben +öffnen. An seine »+Dear, dear Kitty+« (Miß Fourmentelle) schreibt +er: »Ich bin keine Stunde ohne Wunsch, denn ich wünsche immer, mit +Dir zusammen zu sein.« Ein Jahr darauf hat er sich kopfüber in ein +anderes Gefühl gestürzt, er liegt in den Banden der Lady Percy, deren +Abenteuer London genug Gelegenheiten zu Klatschereien gaben. »Ihre +Augen und Lippen haben einen Mann zum Narren gemacht, den die ganze +Stadt für einen sehr geistreichen Menschen hält.« Laurence Sterne +war über fünfzig und seine Nerven trotz der italienischen Reise +äußerst angegriffen, als er sich zum letzten Male mit dem gewohnten +Erfolg in den Glauben versetzte, daß er liebe. Eliza Draper war +fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte, weil sie das Klima in Indien +nicht vertragen konnte, bei Freunden in London. Sie gehörte zu jenen +interessanten Frauen, die eine körperliche Anfälligkeit dem Manne nur +noch sympathischer macht, weil sie ihm Gelegenheit gibt, in seiner +Zärtlichkeit unermüdlich zu sein. Ganz London wußte von dieser neuen +Liaison des armen Yorick, und irgendein Fant beeilte sich auch, Frau +Sterne in Toulon davon zu unterrichten. Ich will davon nichts wissen, +soll sie geantwortet haben. Später hat sie aber ihrem Gatten die Rolle +des »Braminen«, die er bei der jungen Dame aus Indien spielte, von all +seinen Abenteuern am wenigsten verzeihen können. Als sie mit Lydia nach +York zurückkehrte, war Eliza Draper schon auf der Fahrt nach Bombay. + +Als wollte sich das Schicksal des armen Yorick wirklich seines Autors +bemächtigen, so starb auch Sterne, »ob er gleich dem Anscheine nach +bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, vor Kummer +und Gram. Seine unvorsichtige Scherzhaftigkeit hatte ihn in solche +Schlingen verwickelt, daraus ihn kein Nachwitz losmachen konnte.« Der +Mann, der in Coxwould ein Haus und in York eine Wohnung hatte, dessen +Familie nach fünf Jahren aus Frankreich eben erst zurückgekehrt war, +der vergötterte Liebling der Pariser und Londoner Salons (aber ebenso +hartnäckig von seinen Feinden verfolgt), starb am 16. März 1768 in +einem möblierten Zimmer in der Bondstreet in London. Es lockte ihn +der Ruhm der Großstadt, die Lorbeern der +sentimental Yourney+ +sollten ihn seinen Kummer vergessen machen. Aber er mußte erfahren, +daß auch der berühmteste Witzbold in dem Augenblick von seinen +Freunden vergessen wird, wenn ihn Krankheit abhält, regelmäßig ihre +Abendgesellschaften mit seinen cervantischen Einfällen zu würzen. +Nicht einmal die geizige Vermieterin war bei dem Sterbenden. Und als +ein Diener seiner Freunde sich nach dem Befinden des Herrn Sterne zu +erkundigen kam, fand er einen Toten im Lehnstuhl. Leichenräuber gruben +ihn am Tage seiner Beerdigung aus (es heißt, die Wirtin habe von dem +Erlös ihren Mietzins abgezogen) und verkauften ihn an die Universität +Cambridge, wo ein Professor den armen Yorick wiedererkannte. + +Das achtzehnte Jahrhundert hat seine besten Kinder am +stiefmütterlichsten behandelt. Es gab ihnen die Süßigkeiten eines +ungebundenen (wir sagen galanten) Lebens. Der Kern aber war eine +bittere Mandel. + +Diese Ausgabe bringt die berühmte Übersetzung von Bode, die in +Deutschland unter den vielen Übersetzungen, die sofort auf die +englische Ausgabe folgten, als die bei weitem beste die größte +Verbreitung hatte und an verschiedenen Orten mit und ohne Erlaubnis +nachgedruckt wurde. Ich habe zum besseren Verständnis der kräftigen +Ausdrucksweise, die auch der deutsche Text so gut getroffen hat, die +Interpunktion und einige nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, die dem +Gesichtskreis des modernen Lesers ganz entschwunden sind, geändert. +Im ganzen aber ist der altmodische Stil gewahrt, der die Eigenart des +achtzehnten Jahrhunderts und die unserer Prüderie bisweilen gefährliche +Derbheit bewahrt und rechtfertigt. Den ganzen Text zu bringen ist +uns hier unmöglich. Die zahlreichen längeren Abschweifungen, die sich +Sterne erlaubt, haben es leicht gemacht, dennoch den Charakter des +Ganzen wie im einzelnen zu bewahren sowie die anschauliche Kraft der +Shandystischen Meinungen. + + W. M. + + + + + Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy + + + + + Erstes Kapitel. + + +Am fünften Tage des November 1718, welcher, von der festgesetzten +Ära an gerechnet, neun Kalendermonate so richtig vollmachte, als es +irgendein Ehemann billigerweise erwarten konnte, ward ich, Tristram +Shandy, Erbherr, für diese unsere schäbige, unglücksvolle Welt geboren. +-- Ich wollte, ich wäre im Monde geboren worden oder in jedem anderen +Planeten, nur nicht im Jupiter oder Saturn, weil ich mich gar nicht +mit der Kälte vertragen kann; denn es könnte mir schwerlich in einem +davon schlimmer ergangen sein -- ob ich wohl für die Venus nicht gut +sagen möchte -- als in diesem schmutzigen Lumpendinge von Planeten, +der, wenn ich meines Herzens Meinung, jedoch mit allem Respekt, frei +heraus sagen soll, wohl nur von den Schnitzeln und Feilspänen gemacht +ist, die von den übrigen abfielen. Noch wäre der Planet gut genug, +wäre nur ein Mensch darauf als Erbe zu einem hohen Titel oder großen +Vermögen geboren, oder wüßte er's nur so anzugreifen, daß er zu +großen Ehrenämtern berufen würde, die ihm fein viel Ansehen und Macht +erteilten; aber das ist nun mein Casus nicht, und also -- jedermann +spricht von der Messe, nachdem er auf derselben seinen Handel gemacht +hat; deswegen also, sage ich noch einmal, es ist das elendeste +Lumpending von einer Welt, die jemals gemacht worden; denn ich kann +mit Wahrheit sagen, daß ich von der ersten Stunde an, da ich darin +meinen Atem schöpfte, bis zu der jetzigen, da ich fast gar keinen mehr +schöpfen kann wegen meines Asthmas, das ich mir dadurch zugezogen, daß +ich in Flandern auf Schlittschuhen gegen den Wind lief, ein Spiel der +mutwilligen Dame bin, welche die Welt Fortuna nennt; ob ich ihr gleich +nicht das Unrecht tun und ihr nachsagen will, sie habe mich jemals die +Last irgendeinen großen oder sich auszeichnenden Leidens fühlen lassen, +so bezeuge ich doch mit aller möglichen Friedsamkeit von der Welt, daß +bei allen Auftritten meines Lebens, und an jeder Ecke oder in jedem +Winkel, wo sie mir nur einigermaßen beikommen konnte, sie mir einen +Packen so jämmerlicher Widerwärtigkeiten und Querhändel an den Hals +geworfen hat, als jemals ein kleiner Held hat erdulden müssen. + + [Illustration] + + + + + Zweites Kapitel. + + +Im Anfange des vorhergehenden Kapitels berichtete ich Ihnen ganz +genau, wann ich geboren ward; -- ich berichtete Ihnen aber nicht, wie? +Nein, dieser Umstand ward für ein ganz eigenes Kapitel aufgespart. +-- Überdies, mein Herr, da Sie und ich gewissermaßen einander noch +völlig unbekannt sind, so würde es sich nicht geschickt haben, Sie +sogleich auf einmal mit verschiedenartigen Umständen, die nur mich +angehen, bekannt zu machen. -- Sie müssen ein wenig Geduld haben. Ich +habe es unternommen, wie Sie sehen, nicht bloß mein Leben, sondern +auch meine Meinungen zu schreiben in der Hoffnung und Erwartung, daß, +wenn Sie erst meinen Charakter kennten und wüßten, von was für einem +Schlage von Sterblichen ich bin, das eine Ihnen desto mehr Geschmack +an dem andern beibringen würde. Sowie Sie weiter von mir fortgehen, +wird die kleine Bekanntschaft, die eben unter uns anfängt, zu einer +Vertraulichkeit auszuschlagen, und diese, oder die Schuld müßte an +einem von uns beiden liegen, wird sich in Freundschaft endigen. -- ++O diem præclaram!+ -- Dann wird nichts, was mir begegnet ist, +für Kleinigkeit an sich selbst oder für langweilig in der Erzählung +gehalten werden. Deswegen also, mein liebster Freund und Gefährte, wenn +Sie meinen sollten, ich gehe im Anfange meiner Geschichten ein wenig +sparsam zu Werke, so übersehen Sie's mir, und lassen Sie mich meinen +Gang gehen und meine Historie auf meine Weise erzählen. Oder sollte es +scheinen, daß ich dann und wann auf meinem Wege ein bißchen tändelte +oder für ein paar Minuten, sowie wir weiter kommen, eine Kappe mit +Schellen aufsetzte, so laufen Sie nur nicht gleich davon, sondern haben +Sie die Gefälligkeit und geben mir für ein wenig mehr Weisheit Kredit, +als mir an der Stirne geschrieben steht, und sowie wir fortwackeln, +lachen Sie mit mir oder über mich, oder kurz, tun Sie, was Sie wollen. +Nur ungeduldig müssen Sie nicht werden. + + [Illustration] + + + + + Drittes Kapitel. + + +Mein Vater, müssen Sie wissen, der eigentlich ein Kaufmann war und nach +der Levante handelte, seit einigen Jahren aber den Handel niedergelegt +hatte, um sich auf ein väterliches Landgut in der Grafschaft Z. +zu begeben und daselbst zu leben und zu sterben, war, glaub' ich, +der regelmäßigste Mann in allem, was er tat, es sei Geschäft oder +Zeitvertreib. + +In ebendem Dorfe, worin mein Vater und meine Mutter wohnten, wohnte +auch eine hagere Matrone, eine züchtige, alte, gute Frau von Hebamme, +welche mit Hilfe etwas wenigen, schlechten Menschenverstandes, und +weil sie einige Jahre hindurch alle Hände voll in ihrem Geschäfte zu +tun hatte, wobei sie sich beständig auf ihre Bemühungen sehr wenig, +auf Frau Mutter Natur aber sehr stark verließ, nach ihrer Art keine +geringe Staffel des Ruhms in der Welt erstiegen hatte. -- Bei welchem +Worte Welt ich Euer Hochedelgeboren notwendig sagen muß, daß Sie nicht +denken, ich meine mehr damit als einen kleinen Zirkel, der auf dem +Zirkel der großen Welt beschrieben ist, von vier englischen Meilen im +Durchmesser oder so ungefähr, von welchem die Hütte, worin die gute +alte Frau lebte, als Mittelpunkt angenommen werden muß. -- Sie war, wie +es scheint, in ihrem siebenundvierzigsten Jahre zur Witwe geworden mit +drei oder vier kleinen Kindern in großer Dürftigkeit. Da sie damals +eine Person von ehrbarer Aufführung, ernsthaftem Betragen, ja noch +dazu ein Weibsbild von wenig Worten und obendrein ein Gegenstand des +Mitleids war, deren Armut und das Stillschweigen, womit sie solche +ertrug, desto lauter um freundschaftlichen Beistand rief, so ward die +Frau des Pfarrers am Kirchspiel von Mitleid gerührt. Sie hatte schon +oft einen üblen Umstand beklagt, dem die Herde ihres Eheherrn schon +viele Jahre hindurch ausgesetzt war. Daß nämlich kein solches Ding +als eine Hebamme von irgendeiner Art zu finden war, der Fall mochte +so dringend sein, als er wollte. Man mußte erst sechs oder sieben +lange Meilen danach reiten, welche besagte sieben lange Meilen bei +finsteren Nächten und bösen Wegen, da der Boden in der Gegend umher aus +zähem Lehm bestand, ebenso gut waren als vierzehn und dieses zuweilen +ebensoviel hieß als gar keine Hebamme haben. So hatte die Frau Pfarrer +den Einfall, daß es ein ebensowohl angebrachter Dienst für das ganze +Kirchspiel als für die arme Frau selbst sein würde, wenn man sie ein +wenig in den Anfangsgründen der Kunst unterweisen ließe, damit sie +hernach Hebamme des Kirchspiels werden könnte. Da keine Frau in der +ganzen Gegend geschickter war, ihren entworfenen Plan auszuführen, +so übernahm es die Frau Pastor christlicherweise. Und sie vermochte +über die weibliche Hälfte der Pfarrkinder soviel, daß sie ihn ohne +Schwierigkeit nach allem Herzenswunsch ausführte. In der Tat half auch +in dieser Sache der Pfarrer seiner Frau mit seinem ganzen Ansehen. Um +in der gehörigen Ordnung zu Werke zu gehen und dem guten Geschöpfe +ein ebenso gutes Recht zur Ausübung durch die Gesetze zu geben, als +ihr seine Frau durch Unterweisung gegeben hatte, -- bezahlte er mit +Freuden aus seiner eigenen Tasche das Geld für den Freiheitsbrief +vom Landphysikus, welches sich überhaupt ungefähr auf einen Louisdor +belief. So wurde die gute Frau unter vier Augen völlig in den wahren +und körperlichen Besitz ihres Amtes eingesetzt mit allen seinen +Rechten, Artikeln und Gefällen, wie sie auch immer Namen haben mochten. + +Diese letzten Worte, müssen Sie wissen, standen nicht in dem +alten Formular, nach welchem gewöhnlich solche Freiheitsbriefe +und Vollmachtsscheine lauteten, sondern waren aus einem netten +Formularbuche des Didius eigener Erfindung genommen, welcher, aus +einer besonderen Gabe, alle dergleichen Instrumente zu zerstückeln und +von neuem zusammenzufügen, nicht allein diese herrliche Verbesserung +ausersann, sondern auch mancher von den alten privilegierten Matronen +in der Nachbarschaft den Mund so wässerig machte, daß sie ihren +Freiheitsbrief auffrischen ließ, um diesen seinen Bimbam beigefügt zu +haben. + +Ich gestehe, ich habe Didius wegen dieser Art von seinen Einfällen +niemals beneiden können; aber laß jedermann seinen besonderen +Geschmack. -- Fand nicht +Dr.+ Kunastrokius, dieser große Mann, +in müßigen Stunden darin das größte erdenkliche Vergnügen, daß er +Eselsschwänze klar kämmte und die tauben Haare mit seinen Zähnen +ausrupfte, obgleich er beständig die Haarzange bei sich in der Tasche +trug? Ja, weil Sie doch einmal daraufkommen, mein Herr, hatten nicht +die weisesten Männer zu allen Zeiten, Salomo selbst nicht ausgenommen, +ihre Steckenpferde, ihre Wettrenner, ihre Münzsammlung, ihre Konzilien, +ihre Trommeln, ihre Trompeten, ihre Geigen, ihre Paletten, ihre +chinesischen Porzellanfiguren, ihre Schmetterlinge? Solang' ein Mann +sein Steckenpferd auf der Heerstraße ruhig und friedsam fortreitet und +weder Sie noch mich zwingen will, mit ihm zu reiten, -- ich bitte Sie, +mein Herr, was geht es Sie oder mich an? + + [Illustration] + + + + + Viertes Kapitel. + + +Was für einen Grad des kleinen Verdienstes die wohltätige Handlung zum +Besten der Hebamme mit Recht heischen könnte, oder wem dieses Recht +eigentlich zustand, das scheint beim ersten Anblick nicht wesentlich zu +dieser Geschichte zu gehören. -- Soviel war aber gewiß, daß die Frau +Pastor zu der Zeit mit dem ganzen Ruhm davon durchging. Dennoch kann +ich für mein Leben nicht umhin, zu denken, daß der Pfarrer selbst, ob +er gleich nicht das Glück hatte, zuerst auf den Einfall zu kommen, +dennoch, da er den Augenblick, da ihm die Sache vorgetragen wurde, +herzlich gerne Teil daran nahm und ebenso herzlich gerne sein Geld +hergab sie auszuführen, ein Recht auf etwas, wo nicht zur vollen Hälfte +von aller der Ehre hatte, die ihr gebührte. + +Der Welt gefiel es damals, die Sache anders zu entscheiden. + +Legen Sie das Buch weg, und ich gebe Ihnen einen halben Tag Zeit, eine +wahrscheinliche Mutmaßung von dem Grunde dieses Verfahrens ausfindig zu +machen. + +Man wisse also, daß ungefähr fünf Jahre vor dem Datum, unter welchem +der Hebamme der Freiheitsbrief ausgestellt wurde, von welchem Sie +eine so umständliche Nachricht erhalten, der Pfarrer sich durch einen +Fehler gegen alles Dekorum, den er gegen sich selbst, seinen Stand und +sein Amt begangen, ins Gerede der Leute gebracht hatte. Der bestand +darin, daß er niemals ein anderes oder besseres Pferd ritt als ein +dürres, steifes Roß, ungefähr neuneinhalb Taler wert, welches, um es +kurz zu beschreiben, ein so echter Bruder vom Rosinante war, als ihn +die leibhaftige Ähnlichkeit dazu machen konnte; denn die Beschreibung +fehlte nicht um Haaresbreite. -- Ausgenommen, daß ich mich nicht +erinnere, daß es irgendwo gesagt worden, Rosinante habe sich verfangen +gehabt, und auch dieses, daß Rosinante, wie es die Glückseligkeit fast +aller spanischen Hengste ist, ganz gewiß in allen Punkten ein volles +Pferd war. + +Ich weiß recht gut, daß das Pferd des Helden ein Pferd von sehr +keuscher Aufführung war, und das mag Gelegenheit zu einer gegenseitigen +Meinung gegeben haben. Es ist aber zu gleicher Zeit ebenso gewiß, daß +die Enthaltsamkeit des Rosinante aus keinem körperlichen Mangel oder +irgendeiner andern Ursache herrührte als aus dem Mangel an Temperament +und dem ordentlichen Umlaufe des Bluts. Und erlauben Sie mir, Ihnen zu +sagen, Madame, es gibt manche ehrliche Keuschheit in der Welt, für die +Sie nichts mehr anführen könnten, und stünde auch Ihr Leben darauf. + +Das nebenher. Da meine Absicht ist, jeder Kreatur, die auf der Szene +dieses dramatischen Werkes vorkommt, die strengste Gerechtigkeit +angedeihen zu lassen, so konnte ich diese Distinktion zum Besten Don +Quixotes Pferd nicht unterdrücken. In allen übrigen Punkten sage ich, +war des Pfarrers Pferd ihm völlig gleich; denn es war ein so mageres +und so dünnes, elendes Roß, daß die Demut es in eigener Person hätte +beschreiben können. + +Nach dem Dafürhalten eines Mannes von schwachem Urteile stand es sehr +gut in des Pfarrers Macht, der Figur dieses seines Pferdes aufzuhelfen; +denn er besaß einen sehr hübschen Reitsattel, der auf dem Gesäß mit +grünem Plüsch gepolstert war, ausgeziert mit einer doppelten Reihe +von silbernen Stiften, und ein herrliches Paar glänzender messingener +Steigbügel, eine Schabracke von sehr feinem, grünem Tuche, am Rande mit +schwarzen Spitzen besetzt, wovon lange, schwarze seidene Fransen, mit +goldenen Fäden vermischt, herabhingen. -- Alles dieses hatte er, nebst +mit Silber belegten Stangen und einer gehörig zierlichen Trense in der +Blüte seines Lebens gekauft. -- Da er aber sein Pferd nicht zum Narren +haben wollte, hatte er das alles in seiner Studierstube hinter der Türe +aufgehängt. -- Und statt dessen hatte er ganz ernsthaft gerade solch +einen Zaum und Sattel angeschafft, als sich für die Gestalt und den +Wert eines solchen Tieres eigentlich schickten und gebührten. + +Auf den verschiedenen Ritten in seinem Kirchspiel und gelegentlich +der Besuche bei dem kleinen Landadel, welcher in der Nachbarschaft um +ihn herum wohnte, können Sie leicht begreifen, daß der solchergestalt +ausstaffierte Pfarrer genug zu sehen und zu hören bekommen mußte, um +seine Philosophie vorm Verrosten zu bewahren. Die Wahrheit zu sagen, +er konnte niemals in ein Dorf reiten, oder er zog die Aufmerksamkeit +der Alten und Jungen auf sich. -- Die Arbeit stand still, wenn er +vorbeiritt, -- der Eimer blieb im Brunnen schweben, -- das Spinnrad +vergaß seinen Lauf -- selbst die Häuflein Kinder beim Kügelchen- +oder die größeren Buben beim Münz- und Letterspiel vergaßen alles +und standen mit offenem Munde, bis sie ihn aus dem Gesicht verloren. +Da seine Bewegung nicht die schnellste war, so hatte er gewöhnlich +mehr als zuviel Zeit, seine Beobachtungen anzustellen, das Seufzen +der Ernsthaften und das Lachen der Leichtherzigen zu hören, was er +mit unvergleichlicher Ruhe ertrug. -- Sein Charakter war, er liebte +einen kurzweiligen Einfall im Grunde der Seele, und da er sich selbst +in einer wahren Lächerlichkeit sah, so, pflegte er zu sagen, könnte +er sich über andere Leute nicht ärgern, wenn sie ihn in einem Lichte +erblickten, das ihm selbst so stark auffiele, dergestalt, daß er bei +seinen Freunden, welche wußten, daß die Liebe zum Gelde seine Schwäche +nicht war, und sich daher am wenigsten ein Gewissen daraus machten, ihn +mit seiner drolligen Laune aufzuziehen, anstatt die wahren Ursachen +anzugeben, -- lieber in das Gelächter über sich selbst mit einstimmte. +-- Da er selbst keine Unze Fleisch auf seinen eigenen Knochen trug, +sondern ebenso hager von Ansehen war, wie sein Tier, so behauptete er +zuweilen, das Pferd wäre so gut, als es der Reiter verdiente, beide +machten einen Zentauren -- aus einem Stücke. Zu anderen Zeiten und bei +anderer Laune, wenn er zu stark war, den Versuchungen des falschen +Witzes zu unterliegen, sagte er wohl, er fühlte sich selbst auf +einem guten Wege zur Auszehrung. Ein anderes Mal gab er wohl fünfzig +sonderbare und entgegenstehende Ursachen an, warum er ein demütiges +und wehmütiges Gespenst von keuchendem Rappen lieber ritte als ein +mutiges Pferd. Auf so einem könnte er ganz mechanisch sitzen und nach +Herzenslust +de vanitate mundi et saeculi+ meditieren, so gut, +als ob er einen Totenkopf vor sich stehen hätte. Wenn er so langsam +vor sich hin ritte, könnte er seine Zeit zu allerlei Geistesübungen +ebensogut anwenden, als ob er auf seinem Studierstuhle säße. Er könne +eine Lücke in seiner Predigt -- oder ein Loch in seinen Beinkleidern +-- auf dem einen so gut wie auf dem anderen flicken. -- Munteres +Trottieren und langsames Argumentieren wären wie Witz und Verstand +zwei unverträgliche Bewegungen. Auf seinem Rosse aber könne er alles +miteinander verbinden und vereinigen; er könne darauf das Studieren auf +seine Predigt abwarten und seinen Husten und, falls ihn die Natur dazu +einlüde, seine Mittagsruhe obendrein. Kurz, der Pfarrer führte bei +solchen Angriffen alle Ursachen an, nur die wahre nicht. -- Die wahre +hielt er zurück aus einer bloß ihm eigenen Bedenklichkeit: -- weil er +glaubte, sie mache ihm Ehre. + +Der wahre Knoten der Geschichte aber war folgender: In den ersten +Amtsjahren dieses Mannes, und zu der Zeit, da der prächtige Sattel +und Zaum angeschafft wurden, war es so seine Art oder Eitelkeit, oder +nennen Sie's, wie Sie wollen, auf der entgegengesetzten Seite zuviel +zu tun. In der Sprache des Landes hieß es: er hielte große Stücke auf +einen guten Reithengst. Gewöhnlich hatte er auch einen der besten im +ganzen Kirchspiele sattelfertig im Stalle stehen. Und da die nächste +Hebamme, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht näher beim Dorfe wohnte als +sieben Meilen, in einer Gegend, wo lauter tiefe Wege waren, so fiel's +immer dahin aus, daß selten eine ganze Woche hinging, da nicht an den +armen Mann eine flehentliche Bitte um sein Tier gelangte. Er war kein +hartherziger Mann, und jeder Fall war immer dringender und jammervoller +als der vorige. So lieb er also sein Pferd haben mochte, so konnte er's +doch nicht übers Herz bringen, nein zu sagen. Das Ende vom Liede war +dann gemeiniglich, daß sein Pferd gedrückt war oder Drüsen bekam oder +die Fußgallen oder ward spatlahm oder hatte sich verfangen oder kurz, +hatte einen oder den anderen Fehler bekommen, der es rauhaarig machte +und ihm kein Fleisch auf den Knochen ließ. So hatte er alle neun oder +zehn Monate eine Kracke abstehen und ein gutes Pferd an ihrer Statt +wieder zu kaufen. + +Wie hoch sich, ein Jahr ins andere gerechnet, der Verlust in einer +Solchen Bilanz belaufen mochte, das überlasse ich einer eigentlich dazu +erwählten Zahl von Obmännern zu bestimmen, die selbst bei dergleichen +Handel gelitten haben. -- Aber laß ihn so groß gewesen sein, wie er +wolle, der ehrliche Mann ertrug ihn viele Jahre lang ohne Murren, +bis er endlich, nach zu oft wiederholten Zufällen dieser Art, es für +nötig fand, die Sache in Erwägung zu ziehen, und beim Überrechnen und +Aufsummieren in seinen Gedanken herausbrachte, daß es nicht nur kein +Verhältnis gegen seine übrigen Ausgaben hätte, sondern auch schon +an und für sich ein so lästiger Artikel wäre, daß er ihn unfähig +mache, irgendeine andere großmütige Handlung in seinem Kirchspiel +auszuüben. Zudem machte er die Überlegung, daß er mit der Hälfte dieser +verrittenen Summe zehnmal soviel Gutes tun könnte. Und was noch mehr +Gewicht bei ihm hatte als alle andere Betrachtungen zusammengenommen, +war dies, daß er alle seine Werke der Barmherzigkeit auf einen +besonderen Teil einschränkte, der ihrer nach seiner Einbildung am +wenigsten bedurfte, nämlich den schwangeren und gebärenden Teil seines +Kirchspiels. Er behielt nichts übrig für die Schwachen und Kranken, +nichts für die betagten Alten, nichts für die jammervollen Auftritte, +zu denen er stündlich gerufen wurde, woselbst Armut, Krankheit und +Elend beisammen wohnten. + +Aus diesen Ursachen beschloß er, den Aufwand einzuziehen, und dazu +hatte er, wie's ihm schien, nur zwei mögliche Wege, und diese waren, +entweder sich's zu einem unverbrüchlichen Gesetze zu machen, sein Pferd +niemals wieder auszuleihen, man möchte ihn bitten, so sehr man wollte, +oder sich darein zu finden, daß er den letzten armen Köter von Rappen, +so wie sie ihn zugerichtet hatten, fortritte, mit allen Seinen Fehlern +und Gebrechen, bis ans äußerste Ende des Kirchspiels. + +Da er seiner eigenen Standhaftigkeit nicht traute, erwählte er ganz +getrost den zweiten Weg, und ob er gleich, wie ich gesagt habe, es +hätte zu seiner Ehre verkünden können, so sah er aus Großmut davon +ab und wollte lieber die Verachtung seiner Feinde und das Gelächter +seiner Freunde erdulden, als sich der Mühe unterziehen, eine Geschichte +zu erzählen, welche eine Lobrede auf ihn selbst scheinen möchte. + +Ich habe den höchsten Begriff von den großmütigen und zarten +Gesinnungen dieses ehrwürdigen Geistlichen aus diesem einzigen Zuge in +seinem Charakter gefaßt, der nach meiner Meinung ebensoweit geht als +irgendeine von den treugemeinten Zärtlichkeiten des unvergleichlichen +Ritters v. Mancha, welchen ich, im Vorbeigehen gesagt, mit allen Seinen +Narrheiten lieber habe und viel weiter gereist sein würde, um ihn zu +besuchen, als den größten Helden des Altertums. + +Aber das ist nicht die Moral aus meiner Erzählung. Was ich eigentlich +im Sinne hatte, war, zu zeigen, wie sich die Welt bei dieser ganzen +Sache benahm; denn Sie müssen wissen, solange als diese Aufklärung +dem Pfarrer Ehre gebracht hätte, fand sich keine arme Seele, die +dahinterzukommen vermochte. -- Ich glaube, seine Feinde wollten nicht, +und seine Freunde konnten nicht. -- Aber sobald er sich zum Besten der +Hebamme bemühte und das Geld für ihr Examen und ihren Erlaubnisschein +bezahlte, war das ganze Geheimnis heraus. Jedes Pferd, das ihm +draufgegangen war, und noch ein paar darüber, mit allen Umständen, wie +sie zugrunde gerichtet worden, kamen ans Licht und wurden der Länge +nach her erzählt. Die Geschichte griff um sich wie wildes Feuer. + +Der Pfarrer habe einen neuen Anfall vom Hochmutsteufel bekommen und +stände im Begriff, noch einmal in Seinem Leben wieder ein gutes Pferd +für seinen Leib zu halten, und wenn das geschähe, so wäre es so klar +wie die liebe Sonne am hellen Mittage, daß er die Ausgabe für die +Hebamme in einem einzigen Jahre zehnfach im Sack behielte. Man könne +also beurteilen, was für Absichten er bei dieser Barmherzigkeit gehabt +hätte. + +Was für Absichten er bei dieser oder jeder anderen Handlung in seinem +Leben gehabt, oder vielmehr, was für Meinungen darüber in dem Gehirn +anderer Leute schwammen, war ein Gedanke, der zuviel in seinem eigenen +umherschwamm und ihn zu oft in seiner Ruhe störte, wenn er eines +gesunden Schlafes bedurfte. + +Vor ungefähr zehn Jahren hatte dieser brave Mann das gute Glück, über +diesen Punkt völlig beruhigt zu werden; denn gerade so lange ist es +her, daß er seine Pfarre und zugleich die ganze Welt hinter sich ließ +und einem Richter zur Rechenschaft steht, über den sich zu beklagen er +nicht Ursache haben wird. + +Es gibt ein unvermeidliches Schicksal, das die Handlungen einiger +Menschen begleitet. Laß sie solche einrichten, wie sie wollen; sie +fallen durch ein gewisses Mittelglas, welches die Strahlen dieser +Handlungen so verwirrt und in ihrer wahren Richtung solchergestalt +bricht, daß, mit allen den Ansprüchen auf Lob, welche die +Rechtschaffenheit des Herzens geben kann, diejenigen, die sie ausüben, +gleichwohl leben und sterben müssen, ohne es zu genießen. + +Daß dieses eine Wahrheit sei, davon war dieser Geistliche ein +unangenehmes Beispiel. Um aber zu wissen, wie das zuging und dieses +Wissen Ihnen nützlich zu machen, muß ich ausdrücklich verlangen, daß +Sie die zwei folgenden Kapitel lesen, welche eine solche Skizze von +seinem Leben und Umgange enthalten, daß die Moral zugleich mit darin +ist. Wenn dies geschehen ist und uns kein anderer Stein in den Weg +fällt, dann wollen wir mit der Hebamme weitergehen. + + [Illustration] + + + + + Fünftes Kapitel. + + +Yorick war dieses Geistlichen Name, und was dabei sehr merkwürdig, +wie aus einer sehr alten, auf dickes Pergament geschriebenen +Familiennachricht, die noch gut erhalten ist, hervorgeht, er ist genau +ebenso buchstabiert, seit fast -- auf ein Haar breit hätte ich gesagt +neunhundert Jahren. Ich mag aber meine Zuverlässigkeit dadurch keinem +Zweifel unterwerfen, daß ich eine unwahrscheinliche Wahrheit sage, so +unbezweifelt richtig sie auch an sich selbst ist. Also will ich mich +begnügen, bloß zu sagen, er ist genau ebenso buchstabiert, ohne die +geringste Veränderung oder Versetzung eines einzigen Buchstabens. Hat +dies an dem Hochmute oder an der Schamhaftigkeit ihrer respektiven +Eigner gelegen? Die offenherzige Wahrheit zu sagen, ich glaube, +zuweilen an dem einen und zuweilen an der anderen, nachdem es die +Versuchung so mit sich brachte. Eine häßliche Sache aber bleibt's doch +immer und wird uns eines Tages noch so untereinander vermischen und +vermengen, daß kein Mensch vermögend sein wird, die Finger aufzuheben +und zu schwören, daß sein leiblicher Urgroßvater der Mann war, der +dieses oder jenes tat. + +Diesem Übel war durch die kluge Vorsicht der Yorickschen Vorfahren und +ihre sorgfältige Aufbewahrung des angeführten Pergaments hinlänglich +vorgebaut. Die Urkunde teilt uns ferner mit, daß das Geschlecht +eigentlich dänischen Ursprungs und bereits unter der Regierung des +dänischen Königs Horwendilius nach England verpflanzt worden sei. +An dem Hofe dieses letzteren, scheint es, bekleidete einer von den +Vorfahren unseres Herrn Yorick, von welchem er in gerader Linie +abstammt, bis an das Ende seines Lebens einen ansehnlichen Posten. +Von was für einer Art dieser ansehnliche Posten gewesen, sagt das +Familienregister nicht. Es fügt nur hinzu, daß er seit fast zweihundert +Jahren nicht allein an diesem, sondern beinahe an allen anderen +christlichen Höfen als völlig unnötig eingegangen sei. + +Es ist mir oft in den Kopf gekommen, daß dieser Posten wohl kein +anderer habe sein können als des Königs Oberspaßmacher, und daß Hamlets +Yorick in unserem Shakespeare, dessen dramatische Stücke, wie Sie +wissen, sich oft auf wahre Geschichten gründen, gerade derselbe Mann +war. + +Ich habe nicht Zeit, die dänische Geschichte des Saxo-Grammatikus +nachzuschlagen, um hierüber Gewißheit zu bekommen. Das können Sie +aber ebensogut selbst tun, wenn Sie Muße haben und das Buch unschwer +erhalten können. + +Ich hatte eben nur soviel Zeit auf meinen Reisen durch Dänemark mit +Herrn Neddys ältestem Sohne, den ich 1741 als Hofmeister begleitete und +mit Extrapost durch die meisten Teile von Europa führte, daß die Pferde +rauchten, -- ich hatte eben nur soviel Zeit, sage ich, und zu nichts +mehrerem, die Wahrheit der Bemerkung bestätigt zu finden, die jemand +gemacht, der sich lange in dem Lande aufgehalten hatte, daß nämlich die +Natur weder sehr verschwenderisch noch sehr knickerig mit ihren Gaben +von Genie und Fähigkeiten gegen seine Einwohner sei; -- sondern, gleich +einer klugen Mutter, gegen alle mäßig gütig wäre; daß sie bei der +Austeilung ihrer Geschenke dergestalt Ebenmaß hielte, daß sie solche +so ziemlich einander gleich machte. So daß Sie in diesem Reiche wenige +Beispiele von hervorragenden Genies finden werden, wohl aber ziemlich +viel von gutem natürlichen Alltagsverstande in allen Ständen und bei +allen Leuten, wovon jedermann sein Teil bekommen hat, was denn auch +nach meiner Meinung ganz recht ist. + +Bei uns, sehen Sie, geht die Sache ganz anders zu. Wir stehen alle, +was diese Materie betrifft, sehr hoch oder sehr tief. Sie sind ein +großes Genie, mein Herr, oder fünfzig gegen eins: Sie sind ein großer +Dummkopf. Nicht als ob es so ganz und gar an Mittelstufen fehlte. +-- Nein, so völlig außer aller Regel sind wir nun wohl nicht. Aber +die beiden äußersten Spitzen sind gewöhnlicher und stehen weiter +voneinander in dieser unsteten Insel, wo selbst die Natur in ihren +Gaben und Austeilungen dieser Art höchst willkürlich und eigensinnig +ist. Das Glück selbst kann in Bescherung seiner Habe und Güter nicht +sonderbarer zu Werke gehen als sie. + +Das ist es alles, was mich jemals in meinem Glauben von Yoricks +Abkunft wankend gemacht hat, welcher, soviel ich mich erinnern kann, +und zufolge aller Nachrichten, die ich nur von ihm habe erhalten +können, nicht einen einzigen Tropfen dänisches Blut in seiner ganzen +Mischung zu haben schien. In neunhundert Jahren kann es möglicherweise +alles verlaufen sein. Philosophieren darüber mag ich indessen keinen +Augenblick mit Ihnen. Denn es mag zugegangen sein, wie es wolle, so ist +soviel zuverlässig, daß statt des kalten Phlegmas und der ängstlichen +Regelmäßigkeit des Verstandes und der Laune, die Sie bei einem Manne +von dergleichen Abkunft erwartet hätten --, er vielmehr von so zarter +Körperbeschaffenheit war, als nur immer das mildeste Klima hätte +hervorbringen und zusammensetzen können. Bei allen diesen Segeln +hatte der arme Yorick dennoch keine Unze Ballast geladen. Er hatte +nicht die geringste Weltkenntnis. In einem Alter von einundzwanzig +Jahren wußte er ebensoviel davon, wohin er sein Ruder halten sollte, +als ein unschuldiges Mädchen von dreizehn Jahren, das unter Knaben +die Blindekuh spielt. Sie können sich denken, daß ihn also bei seiner +ersten Ausfahrt der rasche Windstoß seiner Lebensgeister wohl zehnmal +des Tages in fremdes Tauwerk trieb, und da ihm die Ernsthaften und +Bedächtigeren am meisten auf seinem Wege aufstießen, -- so können Sie +sich ebenfalls leicht vorstellen, daß es gerade solche waren, mit +denen er das Unglück hatte, sich am ärgsten zu verwickeln. Ich bin +immer der Meinung, daß eine kleine Mischung von unglücklichem Witz am +Ende der Grund aller dieser Händel war. Yorick hatte, die Wahrheit zu +sagen, von Natur einen unbeweglichen Widerwillen und Abscheu gegen die +Ernsthaftigkeit. Nicht gegen die wirkliche Ernsthaftigkeit; denn er +konnte, wenn's darauf ankam, tage- und wochenlang der ernsthafteste +Sterbliche von der Welt sein. Aber der nachgeäfften Ernsthaftigkeit war +er herzlich feind und kündigte ihr den öffentlichen Krieg an, insofern +sie ein Deckmantel der Unwissenheit oder Narrheit schien. Wo sie ihm +nur aufstieß, sie mochte auch noch so mächtigen Schutz haben, gab er +ihr sehr selten Pardon. + +Zuweilen, nach seiner unbedachtsamen Art zu reden, pflegte er zu +sagen, die affektierte Ernsthaftigkeit sei eine durchtriebene Bübin, +und setzte noch wohl hinzu: von der gefährlichsten Gattung, weil sie +so listig sei. Er glaube im Ernste, sie brächte in einem Jahre mehr +ehrliche, sorglose Leute um ihr Gut und Geld, als Beutelschneider +und Spitzbuben in sieben tun könnten. In der nackten Gemütsart, die +ein fröhliches Herz sehen läßt, sagte er, stecke keine Gefahr als +nur für den Besitzer, dahingegen das wahre Wesen der affektierten +Ernsthaftigkeit Vorsatz und folglich Betrug wäre. Es wäre ein +studierter Kunstgriff, sich bei der Welt das Zutrauen zu erwerben, +als ob man mehr Verstand und Einsicht habe, als in der Tat wahr sei. +Ungeachtet alles dessen, wofür sie gerne gehalten sein wollte, wäre +sie doch nicht besser, sondern oft noch schlimmer als die Definition, +die schon vor langer Zeit ein witziger Franzose von ihr gegeben +hätte: ein geheimnisvolles Bestreben des Körpers, die Gebrechen des +Gemüts zu verbergen. Diese Definition der Ernsthaftigkeit, pflegte +Yorick unbehutsamerweise zu sagen, verdiente mit goldenen Buchstaben +geschrieben zu werden. + +Er war aber, um das Kind beim rechten Namen zu nennen, unerfahren +in der Welt, und unversucht und war ebenso unbedachtsam und töricht +bei jedem andern Vorwurfe des Gesprächs, wobei die Politik gewöhnlich +befiehlt, sich Zwang aufzuerlegen. Yorick nahm keine anderen Eindrücke +an als nur einen. Das war der, welcher aus der Natur der Handlung +entstand, wovon gesprochen wurde, welchen Eindruck er dann gewöhnlich +ohne allen Umschweif geradeheraus sagte, nur zu oft, ohne dabei auf +Person, Zeit oder Ort zu achten, dergestalt, daß, wenn eines niedrigen, +unedlen Verfahrens Erwähnung geschah, er sich niemals einen Augenblick +Zeit ließ, zu überlegen, wer der Held des Stückes sei, von welchem +Stande oder was für Macht er habe, ihm hiernächst zu schaden. Es +war für ihn eine schändliche Handlung, ohne weitere Komplimente -- +der Mann ein schändlicher Kerl und so weiter. Da seine Kommentare +unglücklicherweise zumeist mit einem witzigen Einfall endigten oder +durchgängig von drolligen, launigen Ausdrücken belebt waren, so gab das +seinen Übereilungen Flügel. Mit einem Worte, ob er gleich niemals die +Gelegenheit suchte, sie aber auch selten vermied, wo er geradezu und +ohne viel Umstände heraus sagen konnte, was ihm in den Mund kam, so +hatte er in seinem Leben nur zuviel Versuchung, seinen Witz und seine +Laune, seinen Spott und seine Satiren auszuschütten. Sie gingen aus +Überfluß an Auflesern nicht verloren. + +Was für Folgen das hatte, und was sich Yorick für eine Katastrophe +dadurch zuzog, das können Sie im nächsten Kapitel lesen. + + [Illustration] + + + + + Sechstes Kapitel. + + +Der hypothekarische Gläubiger und der hypothekarische Schuldner denken +über die Länge der Zeit in Geldsachen nicht verschiedener als der +Spötter und der Ausgespottete über die Länge des Gedächtnisses. Doch +hierin geht das Gleichnis unter ihnen, wie die Scholasten es nennen, +auf allen vieren, was, im Vorbeigehen anzumerken, auf einem oder +zweien Füßen mehr ist, als sich einige der besten im Homer rühmen +können. Der eine trägt eine Summe, der andere ein Gelächter auf Kosten +eines Dritten davon und denkt nicht weiter daran. -- In beiden Fällen +gleichwohl laufen die Interessen in die Höhe. Der festgesetzte oder +zufällige Zahlungstag dient nur gerade dazu, die Sache nicht völlig ins +Vergessen kommen zu lassen, bis endlich, zu einer bösen Stunde, der +Gläubiger zu beiden kommt, auf der Stelle sein Kapital mit den vollen +Interessen bis auf den letzten Tag fordert und beide die Gültigkeit +ihrer Obligationen in ihrer ganzen Ausdehnung fühlen läßt. + +Da der Leser (ich kann die Wenns nicht leiden) eine gründliche Kenntnis +der menschlichen Natur hat, so brauche ich nichts mehr zu sagen, um +ihn zu überzeugen, daß mein Held es nicht lange so forttreiben konnte, +ohne eine oder die andere kleine Erfahrung zu machen. Die Wahrheit zu +gestehen, hatte er sich üppigerweise in eine Menge kleiner Buchschulden +von diesem Schlage verwickelt, welche er, ungeachtet Eugenius' häufiger +Warnung, zu sehr auf die leichte Achsel nahm. Er meinte, da er keine +einzige davon aus böser Absicht gemacht, sondern vielmehr aus sehr +redlichem Herzen und aus bloßer aufgeräumter Gemütsart, so würden sie +sich alle bei Gelegenheit von selbst tilgen. + +Eugenius wollte ihm das niemals zugeben und sagte oft zu ihm, daß man +ihm ein oder des andern Tages die Rechnungen gewiß einschicken würde, +und zwar, fügte er oft mit einem traurigen, ahnungsvollen Tone hinzu, +wird man weder Pfennig noch Heller vergessen, worauf Yorick nach seiner +gewöhnlichen Sorglosigkeit des Herzens mit einem: »Warum nicht gar?« +zu antworten pflegte, und fiel das Gespräch im freien Felde vor, mit +einem Linksumkehrt, einem Vor- oder Seitensprunge statt der Antwort. +War er aber beim geselligen Kamine, in einer Ecke hinter einem Tische +und ein paar Lehnstühlen eingeschlossen, wo der arme Sünder stichhalten +mußte und nicht so leicht davonwischen konnte, -- dann fuhr Eugenius +mit seiner Klugheit in ungefähr folgenden Worten fort, die aber ein +wenig besser zusammengefügt waren: + +»Glaube mir, lieber Yorick, diese deine unvorsichtige Scherzhaftigkeit +wird dich früher oder später in solche Schlingen verwickeln, aus +welchen dich kein Nachwitz wird losmachen können. -- Bei diesen +Angriffen seh' ich's zu oft, daß der Mann, über den gelacht wird, +sich in dem Lichte einer beleidigten Person betrachtet, mit allen +den Rechten, die ihm in einer solchen Lage zustehen. Und wenn du +ihn ebenfalls in diesem Lichte betrachtest und seine Freunde, seine +Angehörigen, seine Verwandten und Bundesgenossen zusammenrechnest und +die vielen Rekruten mit in die Glieder stellst, die sich aus Besorgnis +einer gemeinschaftlichen Gefahr in seinem Dienst werden anwerben +lassen, dann ist es keine übertriebene Rechnung, wenn man sagt, für +jede zehn spitzige Einfälle hast du dir hundert Feinde erkauft, du +willst es nicht glauben, bis du so weit gekommen bist, daß dir das +aufgerührte Wespennest um die Ohren summt und dich halbtot gestochen +hat. + +Ich kann von dem Manne, den ich hochachte, nicht argwöhnen, daß ihn der +kleinste Sporn von Milzsucht oder menschenfeindlicher Absicht zu diesen +Angriffen reize. Ich glaube und bin überzeugt, sie sind unschuldig und +bloß als Scherz gemeint. Aber bedenke es wohl, lieber Junge, Narren +können den Unterschied nicht einsehen, und -- Buben wollen nicht. Du +weißt nicht, was es heißt, den einen zu zerren oder mit dem andern zu +tändeln! Wo sie sich jemals zu gemeinsamer Verteidigung zusammentun, +so, glaube mir, werden sie den Krieg gegen dich auf eine solche Art +führen, mein liebster Freund, daß du seiner und deines Lebens dazu +herzlich satt werden wirst. + +Die Rachsucht wird aus einem giftigen Winkel ein ehrenrühriges +Märchen gegen dich richten, welches weder Unschuld des Herzens +noch Unsträflichkeit des Wandels abwehren wird. Die Glückseligkeit +deines Hauses wird erschüttert, dein guter Leumund, worauf sie ruht, +allenthalben verwundet, deine Redlichkeit in Zweifel gezogen, deine +Taten belogen, dein Witz vergessen, deine Gelehrsamkeit mit Füßen +getreten, und, um dir den letzten Auftritt deines Trauerspiels vor die +Augen zu bringen: Grausamkeit und Feigheit, zwei Zwillings-Raufbolde, +die als Mietlinge der Bosheit im Finstern schleichen, werden zugleich +deine Schwachheiten und Irrtümer bestürmen. -- Der beste von uns, mein +teuerster Kumpan, gibt hier Blößen. Und glaube, glaube mir, Yorick, +wenn es einmal, eine besondere Lust zu büßen, beschlossen ist, daß ein +hilfloses unschuldiges Tier geopfert werden soll, so ist es leicht, +in jedem grünen Gebüsche, wohin es sich verirret hat, genug trockenes +Reisholz zum Feuer zu finden, worauf es verbrannt werde.« + +Yorick hörte diese traurige prophetische Rede fast niemals +vorsagen, oder es stahl sich eine Träne aus seinem Auge, welche ein +versprechender Blick begleitete, daß er fürs künftige entschlossen +sei, seinen Klepper mit mehr Mäßigung zu reiten. -- Aber, leider! zu +spät! -- Eine große Verschwörung tat sich zusammen, noch ehe sie zum +erstenmal geweissagt war. Der ganze Plan zum Angriff ward, gerade wie +Eugenius vorhergesagt, auf einmal zur Ausführung gebracht. Mit so +wenig Schonung von Seiten der Verbündeten und so wenig Argwohn von +Seiten Yoricks von dem, was gegen ihn geschmiedet wurde, daß, als der +gutherzige Mann dachte, seine sichere Amtsbeförderung stände in voller +Reife, sie ihn an der Herzwurzel angegriffen hatten. So fiel er, wie +mancher würdige Mann vor ihm gefallen war. + +Yorick betrug sich anfangs eine Zeitlang mit aller ersinnlichen +Tapferkeit, bis er, der Anzahl über und endlich des Elends des Krieges +überdrüssig, am meisten aber der ungroßmütigen Art, womit er geführt +wurde, satt, das Schwert aus der Hand legte. Ob er gleich dem Anschein +nach bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, starb er +dennoch, wie man überall überzeugt war, vor Kummer und Gram. + +Was den Eugenius zu ebender Meinung brachte, war folgendes: + +Wenige Stunden, ehe Yorick seinen Geist aufgab, ging Eugenius zu ihm, +in der Absicht, ihn noch einmal zu sehen und den letzten Abschied +von ihm zu nehmen. Wie er Yoricks Vorhang aufzog und ihn fragte, wie +er sich befinde, sah ihm Yorick ins Gesicht, faßte ihn bei der Hand, +und nachdem er ihm für so manchen Beweis seiner Freundschaft gedankt +hatte, wofür, wenn es ihr Schicksal wollte, daß sie sich künftig wieder +antreffen sollten, er ihm immer mehr und mehr danken wollte, und sagte +zu ihm, in ein paar Stunden würde er seinen Feinden auf ewig das +Nachsehen lassen. -- »Das hoffe ich nicht,« antwortete Eugenius mit dem +zärtlichsten Tone, in dem jemals ein Mann gesprochen hat, wobei ihm die +Tränen die Wange herabrollten. »Das hoffe ich nicht, Yorick,« sagte +er. Yorick antwortete mit einem in die Höhe gerichteten Blicke und mit +einem sanften Drucke, den er Eugenius' Hand gab, und mit sonst nichts. +Aber es ging Eugenius durchs Herz. -- »Komm, komm, Yorick,« erwiderte +Eugenius, indem er sich die Augen wischte und sich wie ein Mann zu +fassen suchte, »sei wohlgemut, mein lieber Bruder. Laß nicht allen Mut +und Standhaftigkeit in dieser Stunde der Prüfung sinken, wo du ihrer +am meisten bedarfst. Wer weiß, was für Hilfe noch vorhanden ist und +was Gottes Macht noch für dich zu tun vermag?« -- Yorick legte seine +Hand auf sein Herz und schüttelte sanft den Kopf. »Ich muß dir sagen,« +fuhr Eugenius fort und weinte bitterlich, als er die Worte sprach, +»ich weiß nicht, wie ich's aushalten soll, mich von dir zu trennen, +Yorick, und möchte gern meiner Hoffnung schmeicheln, daß noch genug +von dir übrig sei, einen Bischof daraus zu machen, und daß ich das +noch erleben werde.« -- »Ich bitte dich, Eugenius,« erwiderte Yorick, +und nahm, so gut er konnte, mit seiner linken Hand die Schlafmütze vom +Kopfe, weil er seine rechte noch immer fest in Eugenius' seiner liegen +hatte, »ich bitte dich, siehe mein Haupt an!« -- »Ich seh' nicht, daß +es ihm etwas schadet!« versetzte Eugenius. »Ach, mein Freund,« sagte +Yorick, »so muß ich dir sagen, daß es so zerschlagen, so mißhandelt +ist von den Streichen, welche mir so unsanft im Finstern versetzt +wurden, daß ich mit Sancho-Pansa sagen möchte, wenn ich wieder aufkäme: +›und sollten denn auch Bischofshüte vom Himmel regnen, so dicht wie +Hagel, es würde doch keiner darauf passen‹.« -- Yoricks letzter Atem +schwebte auf seinen zitternden Lippen, in völliger Bereitschaft zu +entfliehen, als er dieses hervorbrachte. Dennoch brachte er's mit einem +eigentümlichen Tone hervor, und wie er's sprach, konnte Eugenius einen +Strom sanften Feuers bemerken, das sich auf einen Augenblick in seinen +Augen entzündet hatte. Schwaches Gemälde von jenen Blitzen des Witzes, +welche, wie Shakespeare von Yoricks Ahnherrn sagt, gewohnt waren, den +Tisch zu lautem Gelächter zu zwingen. + +Eugenius ward hierdurch überzeugt, daß der Gram seines Freundes Herz +gebrochen habe; er drückte ihm die Hand -- ging leise aus dem Zimmer +und weinte, wie er ging. Yorick folgte ihm mit den Augen bis zur Türe. +Darauf schloß er sie -- und öffnete sie nie wieder. + +Er liegt begraben in einer Ecke seines Kirchhofes, in dem Kirchdorfe +unter einem kunstlosen, platten Marmorstein, den sein Freund Eugenius +mit Erlaubnis seiner Exekutores über sein Grab legte, mit nicht +mehr als diesen drei Worten einer Inschrift, welche als Grab- und +Klageschrift dient: + + »Ach, armer Yorick« + +Zehnmal des Tages hat Yoricks Geist den Trost, seine Gedächtnisschrift +mit einer solchen Mannigfaltigkeit von klagenden Tönen lesen zu hören, +welche Mitleid und Hochachtung für ihn anzeigen. Da ein Fußsteig über +den Kirchhof, dicht an der Seite des Grabes vorbeiführt, so geht kein +Fußgänger vorüber, der nicht einen Augenblick verweilt, einen Blick +daraufwirft und im Weitergehen seufzt: Ach armer Yorick! + + [Illustration] + + + + + Siebentes Kapitel. + + +Eher wollte ich mich unterstehen, das schwerste Problem in der +Geometrie zu lösen, als auf mich zu nehmen, zu erklären, wie ein +Mann von meines Vaters vielem und richtigem Verstande, belesen, und +zwar kritisch in philosophischen Sachen, dabei weise in politischen +Anschlägen und in der Polemik, wie er sehen wird, gar nicht unwissend, +fähig sein konnte, eine Meinung in seinem Kopfe zu unterhalten, die +soweit von allen gewöhnlichen abwich, daß ich besorge, der Leser, wenn +ich ihm solche sage, wofern er nur wenig cholerischen Temperaments ist, +werde den Augenblick das Buch beiseite werfen. Ist er sanguinisch, so +wird er herzlich darüber lachen, und ist er von der ernsthaften und +strengeren Gattung, so wird er solche beim ersten Anblicke, ohne Gnade, +als phantastisch und ausschweifend verdammen. Es ist seine Meinung, +über die Wahl und Beilegung der Taufnamen, worauf nach seiner Ansicht +weit mehr ankäme, als solche Leute, die nur oberflächlich denken, zu +begreifen fähig wären. -- Seine Meinung in diesem Punkte war, daß es +eine sonderbare Art von magischer Kraft gäbe, welche gute oder böse +Namen, wie er sie nannte, unserm Charakter und unserer Aufführung +unwiderstehlich eindrückten. + +Cervantes' Held konnte seinen Punkt nicht ernsthafter behaupten, noch +es ernstlicher meinen oder mehr erzählen von der Macht der Zauberer, +die seine Taten mit Schande befleckten, oder von dem Namen seiner +Dulcinea, der sie mit Ehre bekrönte, als mein Vater von den Namen +Trismegistus oder Archimedes auf der einen Seite oder von Nyky und +Simkin auf der anderen vorzubringen hatte. Wie manche Cäsars und +Pompejen, pflegte er zu sagen, sind durch bloßen Einfluß der Namen +ihrer unwürdig geworden! Und wie manche gibt es, fügte er hinzu, die +ungemein viel Gutes in der Welt gestiftet haben möchten, wäre ihr +Charakter und Mut nicht gänzlich unterdrückt worden. + +Ich seh's Ihnen deutlich an den Augen an, oder wie es sonst traf, +sagte wohl mein Vater, daß Sie dieser meiner Meinung nicht von Herzen +beitreten, welche für diejenigen, fügte er hinzu, die sie nicht +sorgfältig bis auf den Grund gesichtet haben -- ich gestehe es --, +mehr das Ansehen einer Grille als eines geprüften Satzes haben mag. +Dennoch, mein lieber Herr, wenn ich mir nicht zuviel einbilde, Ihren +Charakter zu kennen, so bin ich moralisch gewiß, ich würde nicht wagen, +Ihnen eine Sache vorzulegen, nicht als einem, der Teil am Streit nimmt, +sondern als einem Richter, auf dessen Einsichten und unparteiische +Entscheidung ich mich bei meiner Appellation in dieser Sache sicher +verlassen kann. -- Sie sind eine, von vielen eingeschränkten +Vorurteilen der Erziehung so freie Person wie wenige Menschen, und wenn +ich's wagen darf, noch tiefer in Sie zu dringen, von einer Großmut des +Geistes, die es verschmäht, eine Meinung bloß deswegen zu verwerfen, +weil ihr Anhänger fehlen. Ihren Sohn! Ihren geliebten Sohn, von dessen +sanftem und aufgeräumtem Naturell Sie soviel zu erwarten haben, Ihr +Fritzchen, mein Herr! wollten Sie ihn um alles in der Welt wohl Judas +haben taufen lassen? Möchten Sie wohl, lieber Freund, fuhr er fort, +indem er ihm mit der sanftesten Art seine Hand auf die Brust legte, +-- und mit dem Schmeichelnden und unwiderstehlichen Piano der Stimme, +welche das +Argumentum ad hominem+ seiner Natur nach erheischt, +möchten Sie, mein Herr, wenn ein Jude den Namen für Ihren Sohn +vorgeschlagen und Ihnen dabei seine Geldsäcke angeboten hätte, möchten +Sie wohl in eine solche Entweihung Ihres Sohnes gewilligt haben? O, +mein Gott, sagte er dann, wenn ich Ihr Gemüt recht kenne, ist Ihnen das +unmöglich. Sie hatten das Anerbieten mit Füßen getreten. Mit Abscheu +hätten Sie die Versuchung an den Kopf des Versuchers geworfen. + +Ihre Seelengröße bei dieser Tat, die ich ebenso wie die uneigennützige +Verachtung des Geldes bewundere, die Sie bei diesem ganzen Vorfalle an +den Tag legen, ist wirklich edel, und wodurch sie solches noch mehr +wird, ist das Prinzip, woraus sie entspringt: Wirkungen der Liebe eines +Vaters, nach der Wahrheit und Überzeugung von ebendieser Hypothesis, +nämlich: wäre Ihr Sohn Judas getauft worden, die habsüchtige und +verräterische Idee, die von dem Namen so unzertrennlich ist, würde ihn +sein ganzes Leben durch wie ein Schatten verfolgt und ihn zuletzt, +trotz Ihrem Beispiele, Herr, zu einem Schabhals und Schurken gemacht +haben. + +Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der auf ein solches Argument +zu antworten vermochte. -- Wirklich, aber auch von meinem Vater die +Wahrheit zu sagen: -- er war unwiderstehlich, beides im Verstehen und +Disputieren. Er war zum Redner geboren. Überredung hing an seinen +Lippen, und die Elemente der Logik und Rhetorik waren dergestalt +durch ihn verwebt, und ganz besonders wußte er so schnell und Schlau +die Schwachheiten und Leidenschaften seiner Gegner aufzufinden, daß +die Natur selbst ihr Votum geben würde: dieser Mann ist beredt. Kurz, +mein Vater mochte recht oder unrecht haben, es war in beiden Fällen +viel gewagt, ihn anzugreifen. Und dennoch, es ist wunderbar, hatte +er niemals weder den Cicero noch Quintilian +de oratore+ noch +Isokrates noch Aristoteles oder Longinus unter den Alten, noch den +Vossius noch Scioppius noch Ramus noch Farnabius unter den Neueren +gelesen, und was noch mehr zum Erstaunen ist, so war in seinem +ganzen Leben kein Strahl oder Funke von Subtilität dadurch in seine +Seele gebracht worden, daß er etwa ein Kollegium über irgendeinen +niederländischen Logiker oder Kommentator gehört hätte. Er wußte +nicht einmal, worin der Unterschied zwischen einem Argument +ad +ignorantiam+ und +ad hominem+ bestünde --, so daß ich +mich recht gut erinnere, als er mit mir hingereist war, mich im +Jesuiterkollegio zu N. einschreiben zu lassen, wie mein würdiger Lehrer +und zwei oder drei andere Mitglieder dieser gelehrten Sozietät sich +höchlich wunderten, daß ein Mann, der nicht einmal die Namen seiner +Werkzeuge kannte, dennoch so behende damit arbeiten könnte. + +Damit so gut, als er nur immer konnte, zu arbeiten, dazu ward mein +Vater indessen unaufhörlich gezwungen; denn er hatte wohl tausend +kleine skeptische Ideen von der komischen Gattung zu verfechten, +-- wovon die meisten, wie ich fest glaube, sich anfangs bloß als +sonderbare Einfälle und als vive la bagatelle einschlichen. Mit ihnen +mochte er dann wohl eine halbe Stunde oder so seinen Spaß treiben, +und nachdem er seinen Witz an ihnen geschärft hatte, sie bis auf ein +andermal abtreten lassen. + +Ich führe dieses nicht bloß als eine Hypothese oder Mutmaßung über das +Emporkommen und die Einnistung von meines Vaters sonderbaren Meinungen +an, sondern als eine Warnung für den gelehrten Leser gegen die +unvorsichtige Aufnahme solcher Gäste, welche, nachdem sie einige Jahre +lang in unserem Gehirn haben ungehindert und frei aus und ein gehen +dürfen, endlich gar als Einheimische betrachtet sein wollen. Einige +Zeit arbeiten sie, als Spielten sie nur Pfand; aber gemeiniglich wird +wie bei einem verliebten Paare aus Pfandwechseln Handwechseln. + +Ob das mit meines Vaters sonderbaren Meinungen der Fall war, oder +ob endlich sein Witz seinem Verstande einen blauen Dunst vormachte, +-- oder wiefern er in einigen seiner Meinungen, so sonderbar sie +schienen, völlig recht haben mochte, das soll der Leser an Ort und +Stelle entscheiden. Hier behaupte ich weiter nichts, als daß es mit +dieser einen über den Einfluß der Taufnamen sein ganzer Ernst war. Er +war systematisch und gleich allen Systematikern hätte er Himmel und +Erde bewegt und jedes Ding in der Schöpfung gereckt und gezerrt, um +es seiner Hypothese anzupassen. Kurz, ich sage es noch einmal, es war +sein Ernst, und demzufolge konnte er alle Geduld verlieren, wenn er +Leute, besonders Leute von Stande sah, die es hätten besser wissen +sollen, die sich ebensowenig oder noch weniger darum bekümmerten, wie +ihr Kind genannt werden sollte, als um die Wahl eines Namens für ihren +Schoßhund, ob Ponto oder Cupido. + +Das, sagte er, stünde sehr schlecht. Wenn einmal ein schlechter Name +mit Unrecht und Unbedacht gegeben worden, so ginge es nicht, wie in dem +Falle, da eines Mannes guter Leumund verunglimpft worden, der wieder +verglimpft werden könnte. Da wäre es möglich, daß der, wenn nicht bei +Lebzeiten des Mannes, wenigstens nach seinem Tode wieder gerettet +würde. Bei dem andern aber, sagte er, ließe sich das geschehene Übel +niemals wieder gutmachen. -- + +Es war merkwürdig, daß, obgleich mein Vater, dieser Meinung gemäß, wie +ich Ihnen gesagt habe, gegen gewisse Namen die stärkste Zuneigung oder +Abneigung hatte, es dennoch Namen gab, weiche auf der Wagschale vor ihm +so eben schwebten, daß sie ihm völlig gleichgültig waren. Jack, Dick +und Tom waren in dieser Klasse. Diese nannte mein Vater neutrale Namen +und behauptete von ihnen ohne Satire, daß es von Anbeginn der Welt +her wenigstens ebenso viele Schurken und Narren gegeben wie gute und +kluge Männer, die solche Namen ohne Unterschied geführt hätten. Indem +sie so als gleiche Kräfte in entgegengesetzter Richtung aufeinander +wirkten, hoben sie nach seiner Meinung ihre Wirkungen wechselweise auf, +aus welcher Ursache er, wie er oft erklärte, keinen Kirschkern für die +Wahl unter diesen hingeben möchte. Bob, so hieß mein Bruder, war ein +anderer von dieser neutralen Gattung von Taufnamen, welche weder auf +die eine noch andere Seite wenig wirkten; und da sich mein Vater zu +Epsom befand, als er ihm gegeben ward, so dankte er oft dem Himmel, daß +es kein schlimmerer wäre. Andreas kam ihm fast vor wie eine negative +Größe in der Algebra. Er sei schlechter, sagte er, als nichts. Der +Name Wilhelm war bei ihm in hohem Ansehen, Numps wieder weniger und +Ruprecht, sagte er, sei gar des Teufels. + +Allein, unter allen Namen in der weiten Welt hatte er den +unbezwinglichsten Widerwillen gegen Tristram. -- Von keinem Dinge auf +dem Erdboden hatte er einen niedrigeren und verächtlicheren Begriff, +indem er glaubte, er könne unmöglich +in rerum natura+ etwas +anderes hervorbringen, als was höchst gemein und elend wäre. Ja, mitten +in einem Disput über den Punkt, worin er nicht selten ganz von ungefähr +verwickelt wurde, brach er oft voll Feuer plötzlich ab, stieg eine +Terze und zuweilen eine ganze Quinte über den Grundton seiner Rede +hinauf und fragte seinen Gegner kategorisch, ob er's auf sich nehmen +wolle, zu sagen, er habe sich jemals erinnert, habe jemals gelesen +oder habe jemals erzählen gehört von einem Menschen, der Tristram +geheißen, daß er etwas Großes oder Andenkenswertes verrichtet? -- Nein, +pflegte er zu sagen, Tristram! 's ist eine Unmöglichkeit! + +Was konnte meinem Vater mehr fehlen, als ein Buch zu schreiben, um +diese seine Meinung der Weit mitzuteilen? Sehr wenig Genuß bringt +es dem spekulativen Kopfe, seine Meinung allein zu haben, wenn er +sie nicht zu Markte bringen darf. Gerade das war's, was mein Vater +tat; denn im Jahre 1716, zwei Jahre vor meiner Geburt, machte er +sich darüber her und schrieb ausführliche Dissertationen über das +einzige Wort Tristram, worin er der Welt mit vieler Aufrichtigkeit und +Bescheidenheit die Gründe seines großen Abscheus gegen diesen Namen vor +Augen legte. + +Wenn diese Erzählung mit dem Titelblatte verglichen wird, wird dann +nicht der gutherzige Leser meinen Vater von Herzen bedauern? Wird +es ihn nicht schmerzen, sehen zu müssen, wie einem ordentlichen, +gutgesinnten Manne, der zwar sonderbare, aber doch unschädliche +Meinungen hegt, dergestalt von Widerwärtigkeiten mitgespielt worden +ist, und wenn er ihn auf dem Schauplatze erblickt, wo ihm alle seine +kleinen Systeme und Wünsche über den Haufen geworfen und vereitelt +werden, wenn er einen Troß von Zufällen beständig auf ihn zustürmen +sieht, und zwar auf eine so abgemessene und grausame Weise, als ob's +ausdrücklich darauf angelegt wäre, seine Spekulationen zu verspotten? +mit einem Worte: wenn er so einen Mann in seinen alten Tagen, die nicht +für Kummer und Sorgen gemacht sind, zehnmal täglich an seinen Schmerz +erinnert sieht, wie er zehnmal an einem Tage sein vom Himmel erflehtes +Kind Tristram rufen muß? -- Melancholischer zweisilbiger Klang, der +in seinen Ohren mit Claasklump oder jedem andern Spottnamen unter der +Sonne im Einklang steht! -- Bei seiner Asche schwöre ich's! hat jemals +ein boshafter Geist sich ein Vergnügen oder Geschäft daraus gemacht, +die Vorsätze eines Sterblichen zu vereiteln, so muß es hier gewesen +sein, und wäre es nicht notwendig, daß ich erst geboren sein müßte, ehe +ich getauft werden kann, ich gäbe den Augenblick dem Leser Nachricht +davon. + + [Illustration] + + + + + Achtes Kapitel. + + +»Ich kann nicht begreifen, was das Lärmen und das Hin- und Herlaufen +da oben heißen soll,« sagte mein Vater, und wendete sich nach einem +anderthalbstündigen Stillschweigen an meinen Onkel Toby, der, wie +Sie wissen müssen, an der anderen Seite beim Feuer saß und seine +gesellige Pfeife Tabak in stiller Betrachtung eines neuen schwarzen +Plüsch-Beinkleides, das er trug, immerfort schmauchte. -- »Was mögen +sie vorhaben, Bruder?« sagte mein Vater, »wir können ja kaum unser +eigen Wort hören?« + +»Ich glaube,« antwortete mein Onkel Toby, wobei er die Pfeife aus dem +Munde nahm und den Kopf derselben zwei- oder dreimal auf den Nagel +seines linken Daumens schlug, als er zu reden anfing, »ich glaube,« +sagte er ... Aber um meines Onkels Meinung über diese Sache gehörig zu +fassen, müssen Sie erst ein wenig mit seinem Charakter bekannt sein, +dessen äußeren Umriß ich Ihnen hier auf der Stelle geben will. Hernach +wird der Dialog zwischen ihm und meinem Vater desto besser vonstatten +gehen. + +O, können Sie mir nicht sagen, wie der Mann hieß -- denn ich +schreibe so in der Eile; ich habe weder Zeit, mich zu besinnen noch +nachzuschlagen --, der die Bemerkung zuerst machte, daß unsere +Luft und unser Klima sehr unbeständig seien? Er mag gewesen sein, +wer er will, er hat damit eine gute Bemerkung gemacht. Die daraus +gefolgerte Behauptung aber, daß es daher komme, daß wir eine so +große Mannigfaltigkeit an eigenen und sonderbaren Charakteren haben, +kam nicht von ihm, sie ward von einem anderen Manne, wenigstens +anderthalbhundert Jahre vorher ausfindig gemacht, wie ebenfalls, daß +dieses volle Zeughaus von Originalstoff die wahre und natürliche +Ursache sei, daß unsere Lustspiele viel besser sind als die Lustspiele +der Franzosen oder alle die, welche auf dem festen Lande geschrieben +worden sind oder geschrieben werden können. -- Das ist eine Entdeckung, +die eigentlich erst in der Mitte der Regierung des Königs William +gemacht ward, als der große Dryden, bei Verfertigung einer von seinen +langen Vorreden, wenn ich nicht irre, glücklicherweise darauf verfiel. +In der Tat begann der große Addison in den letzten Jahren der Königin +Anna diese Meinung in Schutz zu nehmen, und erklärte solche der Welt in +ein oder zwei Blättern des »Zuschauers« weitläufiger. Die Entdeckung +war aber nicht sein eigen. Endlich viertens und letztens, daß diese +sonderbare Unregelmäßigkeit in unserem Klima, die eine so sonderbare +Unregelmäßigkeit in unseren Charakteren hervorbringt -- und uns dadurch +gewissermaßen schadlos hält --, indem sie uns etwas gibt, womit wir uns +einen Zeitvertreib machen können, wenn uns das Wetter nicht erlaubt, +über unsere Schwelle zu treten. -- Die Bemerkung ist von mir selbst und +ward von mir ans Tageslicht gebracht, an ebendiesem regnerischen Tage, +dem 26. März 1759 zwischen neun und zehn Uhr des Vormittags. + +Aber ich vergesse meinen Onkel Toby, den wir die ganze Zeit über haben +die Asche aus seiner Pfeife klopfen lassen. + +Sein eigentümlicher Charakter war von der besonderen Gattung, welche +unserem Himmelskreise Ehre machte. Ich würde mich nicht besinnen, +ihn unter dessen vorzüglichste Produkte zu rechnen, hätte er nicht +so viele deutliche Striche von einer Familienähnlichkeit erhalten, +welche bewiesen, daß die Sonderbarkeit seines Tuns und Sagens mehr vom +Geblüte als von Wind oder Wasser herkäme, solche möchten vermischt +oder versetzt sein, wie sie wollten. Deswegen habe ich mich auch oft +gewundert, daß mein Vater, ob ich gleich glaube, daß er seine Ursachen +dazu hatte, wenn er, als ich noch ein Knabe war, gewisse Abweichungen +von meiner natürlichen Bahn bemerkte, niemals versucht hat, solche +aus dieser Ursache zu erklären. -- Denn die ganze Shandysche Familie +bestand aus Originalcharakteren. -- Ich meine die Männlein -- die +Weiblein hatten gar keinen --, ausgenommen meine Großtante Dinah, die +ungefähr vor sechzig Jahren sich mit ihrem Kutscher verheiratete und +vermehrte. Was sie, wie mein Vater, zufolge seiner Meinung von den +Taufnamen, oft zu sagen pfegte, ihren Gevattern und Gevatterinnen zu +verdanken hätte. + +Es wird sehr befremdend scheinen -- und ich möchte ebensolieb dem Leser +ein Rätsel auf die Bahn werfen, welches sonst meine Art nicht ist, +als ihn nach der Ursache herumsinnen lassen --, daß ein Unfall dieser +Art so lange Jahre aufgehoben werden könnte, Friede und Einigkeit zu +stören, welche sonst so herzlich zwischen meinem Vater und Onkel Toby +obwalteten. Man sollte gedacht haben, die ganze Macht des Unglücks +würde sich gleich in der ersten Zeit in der Familie gebrochen und +verloren haben, wie gemeiniglich zu geschehen pflegt. Aber in unserer +Familie nahm alles seine ganz besondere Wendung. Vielleicht hatte +sie damals, als es sich zutrug, ein anderes Kreuz zu tragen. Und da +uns doch Kreuz und Leiden zu unserem Besten gesendet werden, und +dies hier der Shandyschen Familie noch niemals zum Besten gediehen +war, so lag es vielleicht und wartete, bis ihm die rechte Zeit und +Umstände Gelegenheit gaben, seine Dienste auszuüben. -- Bemerken Sie +wohl, ich entscheide hierin nichts. -- Meine Gewohnheit ist immer, +dem Forschbegierigen von verschiedenen Spuren einen Fingerzeig zu +geben, nach welchem er bis zu den ersten Quellen der Begebenheiten +gelangen kann, die ich erzähle. -- Nicht mit dem entscheidenden Tone +des Tacitus, der sich selbst und seine Leser überwitzt, sondern mit +der gehorsamsten Dienstbeflissenheit eines Herzens, das sich bloß dem +Dienst der Forschbegierigen gewidmet hat. -- Für diese schreibe ich -- +und diese werden mich lesen bis -- wenn nur irgendein Lesen wie dieses +so lange aushalten könnte -- bis ans Ende der Welt hinzu. + +Warum also die Ursache des Verdrusses solchergestalt für meinen Vater +und Onkel aufgespart worden, das lasse ich unentschieden. Wie aber und +in was für einer Richtung es wirkte, um Veranlassung zu Mißvergnügen +unter ihnen zu geben, nachdem es einmal in Gang gekommen war, das bin +ich imstande mit großer Genauigkeit zu erklären, und ist wie folgt. + +Mein Onkel Toby Shandy, Madame, war ein Offizier, der neben den +Tugenden, welche gewöhnlich den Charakter eines ehrlichen und +rechtschaffenen Mannes bestimmen, noch eine andere in einem hohen Grade +besaß, die selten oder niemals ins Verzeichnis gesetzt wird. Diese war +eine außerordentliche und unvergleichliche Züchtigkeit der Natur. -- +Doch nehme ich das Wort Natur als Ursache zurück, damit ich nicht eine +Sache vorher abtue, die später vorkommen muß. Ob nämlich diese seine +Züchtigkeit natürlich oder erworben war. -- Auf welche Weise aber mein +Onkel dazu gelangt sein mochte, es war allemal Züchtigkeit im wahrsten +Sinne. Und zwar, Madame, nicht in Worten -- denn er war so unglücklich, +daß er nicht viel Wahl darunter hatte --, sondern in Taten. Und diese +sittsame Zucht beherrschte ihn dergestalt und ging bei ihm so weit, +daß sie womöglich der Züchtigkeit eines Frauenzimmers fast gleichkam. +Dieser weiblichen Sittsamkeit, Madame, und innerlichen Keuschheit der +Sinne und Gedanken Ihres Geschlechts, wodurch Sie dem unserigen so +große Ehrfurcht einflößen. + +Sie werden glauben, Madame, daß mein Onkel Toby alles dieses aus der +wahren Quelle geschöpft habe, -- daß er seine Zeit im Umgange mit +Ihrem Geschlecht zugebracht und daß er durch eine völlige Kenntnis von +Ihnen und durch die Macht der Nachahmung, welche so schöne Beispiele +unwiderstehlich machen, diese liebenswürdige Eigenschaft des Gemüts +erworben habe. + +Ja, ich wollte, daß ich das sagen könnte! -- Doch außer mit seiner +Schwägerin, meines Vaters Frau und meine Mutter, wechselte er mit +einem anderen Frauenzimmer nie drei Worte in ebensoviel Jahren. -- +Nein, er erlangte sie im Wurfe, Madame. -- Im Wurf! -- Ja, Madame, +es kam von einem Stein, der bei der Belagerung von Namur durch eine +Kanonenkugel von einem Hornwerke abgerissen und meinem Onkel Toby +gerade aufs Latzbein geworfen wurde. -- Wie konnte der die Wirkung tun? +Die Erzählung davon, Madame, ist lang und anziehend. Aber ich würde +meine Historie ganz zusammendrängen, wenn ich sie Ihnen hier geben +wollte. Sie ist weiterhin zu einer Episode bestimmt und soll Ihnen mit +allen sich darauf beziehenden Umständen an gehöriger Stelle getreulich +vorgelegt werden. Bis dahin steht es nicht in meiner Gewalt, Ihnen mehr +Licht von der Sache zu geben oder mehr zu sagen, als ich bereits gesagt +habe: -- Daß mein Onkel Toby ein Offizier von einer unvergleichbaren +Züchtigkeit war, welche zufälligerweise durch die beständige Hitze +eines kleinen Familienstolzes verdünnt und verfeinert wurde, so, daß +beide zugleich so bei ihm arbeiteten, daß er die Geschichte von Tante +Dinah niemals erwähnen hören konnte, ohne in heftige Gemütsbewegung +zu geraten. -- Die geringste Anspielung darauf war hinreichend, +ihm das Blut ins Gesicht zu treiben. Wenn aber mein Vater gar in +vermischten Gesellschaften sich weitläufiger darüber ausließ, wozu +er sich oft, um seine Hypothesen zu erläutern, genötigt sah, so fraß +dieser unglückliche Meltau auf einem der schönsten Zweige der Familie, +in meines Onkels Ehrliebe und Züchtigkeit, blutige Wunden; dann nahm +er oft meinen Vater mit aller nur erdenklichen Besorglichkeit auf die +Seite, um ihm vorzustellen, er wolle ihm alles geben, was er in der +Welt hätte, wenn er nur die Geschichte ruhen lassen möchte. + +Mein Vater, glaube ich, hegte die wahrste und zärtlichste Zuneigung für +meinen Onkel Toby, die jemals ein Bruder für den anderen hegte, und +hätte gerne alles auf der Welt getan, was ein Bruder vernünftigerweise +von dem anderen verlangen konnte, um meines Onkels Toby Herz über +diesen oder jeden anderen Punkt zu beruhigen. Aber dieses stand nicht +in seinen Kräften. + +Mein Vater, wie ich Ihnen gesagt habe, war ein Philosoph, haarscharf, +spekulativ, systematisch; und meiner Tante Dinah Geschichte war ihm +von ebensovieler Wichtigkeit, als dem Kopernikus die Retrogadation der +Planeten. -- Die Nebenschliche der Venus aus ihrer geraden Laufbahn +bestätigten das Kopernikanische System, das von ihm seinen Namen +erhielt. Die Nebenschliche der Tante Dinah von ihrer ebenen Bahn taten +ebendie Dienste bei der Errichtung des Systems meines Vaters, das, wie +ich glaube, hinfort beständig nach ihm das Shandysche System heißen +wird. + +Bei jeder anderen Familienkränkung hatte mein Vater, glaube ich, ein +ebenso feines Gefühl der Schamhaftigkeit als irgend jemand. Ich getraue +mir zu sagen, weder er noch Kopernikus würden in beiden Fällen die +Geschichten haben auskommen lassen oder der Welt ein Wort davon gesagt +haben, wäre es nicht, wie sie dachten, aus Pflicht gegen die Wahrheit +gewesen. -- +Amicus Plato+, pflegte mein Vater zu sagen, wobei er +ihm die Worte übersetzte. -- +Amicus Plato+, das heißt, Dinah war +meine Tante; -- +sed magis amica veritas+ -- aber die Wahrheit ist +meine Schwester. + +Diese Uneinigkeit der Meinungen meines Vaters und Onkels war die Quelle +manches brüderlichen Zwistes. Der eine konnte nicht ertragen, daß ein +Familienfleck weitergetragen wurde, der andere konnte schwerlich einen +einzigen Tag hingehen lassen, ohne darauf anzuspielen. + +»Um's Himmels willen,« rief mein Onkel, »und um meinet-, um unserer +aller willen, mein liebster Bruder Shandy, laß doch die Geschichte +unserer Tante und ihre Gebeine in Ruhe schlafen. Wie kannst du so wenig +Gefühl und Mitleid für den guten Namen unserer Familie haben. Wie +kannst du!« -- »Was ist der Name einer Familie gegen eine Hypothese? +-- Ja, wenn ich's recht sagen soll, was das Leben einer Familie?« -- +»Das Leben einer Familie!« sagte dann mein Onkel und fiel dabei in +seinen Lehnstuhl zurück und hob seine Hände, seine Augen und ein Bein +in die Höhe. -- »Ja, das Leben,« sagte darauf mein Vater, seinen Satz +zu behaupten. »Wie manches Tausend wird jährlich -- in allen gesitteten +Reichen wenigstens -- weggeschleudert und für nichts weiter geachtet +als gemeine Luft in Vergleichung mit einer Hypothese?« -- »Nach meinem +geringen Verstande von den Dingen,« antwortete Onkel Toby, »ist ein +jedes solches Beispiel barer Mord, es begehe ihn, wer will.« -- »Da +steckt dein Irrtum,« versetzte mein Vater, »denn wissenschaftlich +darüber zu urteilen, kann es nicht ~Totschlag~, sondern muß es +~Mannesschlag~ heißen.« + +Mein Onkel gab sich niemals damit ab, hierauf mit etwas anderem +zu antworten, als daß er ein halbes Dutzend Takte von seinem +Regimentsmarsch Lillabullero herpfiff. -- Sie müssen wissen, dies war +der gewöhnliche Kanal, durch den er seinem Affekt Luft gab, wenn ihn +etwas ärgerte oder überraschte, -- besonders aber, wenn ihm etwas +gesagt wurde, das er für sehr ungereimt hielt. + +Da noch niemand unter den Schriftstellern über die Logik, oder unter +deren Kommentatoren, soviel ich weiß, für gut befunden hat, dieser +eigenen Gattung von Argument einen Namen zu geben, so nehme ich mir +hier die Freiheit, es selbst zu tun, und das aus zweierlei Ursachen. +Erstens, damit solches, um aller Verwirrung im Disputieren vorzubeugen, +ein für allemal ebensogut von den übrigen Gattungen unterschieden +bleiben möge, als das +Argumentum ad verecundiam, ex absurdo, ex +fortiori+, oder wie es heißen mag. Zweitens, daß noch einmal meine +Kindeskinder, wenn mein Haupt schon längst zur Ruhe niedergelegt ist, +sagen können, daß ihres gelehrten Großvaters Kopf mit ebenso nützlichen +Dingen beschäftigt gewesen sei, als der anderer Leute. -- Daß er für +eins der allertreffendsten -- und wenn der Zweck des Disputierens mehr +der ist, seinen Gegner zum Schweigen zu bringen als ihn zu überzeugen +--, ja, so können sie nach Belieben hinzusetzen, für eines der besten +Argumente in der Disputierkunst einen Namen erfunden und solchen +großmütigerweise in den Schatzkasten der +Ars logica+ geworfen +habe. + +Deswegen also gebiete und verordne ich durch Gegenwärtiges, daß +besagtes Argument künftig bei dem Titel +Argumentum fistulatorium+ +erkannt und distinguiert werde, welchen und keinen anderen ich +ihm hiermit beilege, -- und daß es künftig einerlei Rang mit dem ++Argumentum baculinum+ haben und allemal in einem und ebendem +Kapitel mit diesem abgehandelt werden soll. + + [Illustration] + + + + + Neuntes Kapitel. + + +Wäre ich nicht moralisch gewiß, daß der Leser voller Ungeduld nach +meines Onkels Toby Charakter sein muß, so hätte ich ihn hier vorläufig +überzeugt, daß kein Instrument so geschickt ist, so etwas zu zeichnen, +als das, worauf ich verfallen bin. + +Von einem Manne und seinem Steckenpferde kann ich nun zwar nicht sagen, +daß sie genau so, wie die Seele und der Leib, aufeinander Wirkung und +Gegenwirkung täten. Ohne Zweifel aber ist unter ihnen eine Art von +Kommunikation, und zwar bin ich der Meinung, daß es sehr nach der Art +zugehe wie mit elektrisierten Körpern. + +Nun war das Steckenpferd, welches mein Onkel Toby beständig ritt, +nach meiner Meinung ein Steckenpferd, das schon einer Beschreibung +wert ist. War's auch nur seiner großen Sonderbarkeit wegen; denn Sie +möchten von York nach Dover, von Dover nach Penzanze im Cornwallis, und +von Penzanze wieder nach York gereist sein, und doch auf der ganzen +Heerstraße seinesgleichen nicht gefunden haben. Oder hätten Sie ein +solches gesehen, so hätten Sie noch so eilig sein mögen, Sie hätten +unfehlbar stillhalten müssen, um es zu beschauen. In der Tat war +sein Wuchs und sein Gang so wunderbar und vom Kopfe bis zum Schweife +jedem anderen von der ganzen Gattung so über und über unähnlich, daß +es zuweilen Anlaß zu streiten gab, ob es wirklich ein Steckenpferd +sei oder nicht? Allein wie der Philosoph dem Skeptiker, der ihm die +Wirklichkeit der Bewegung ableugnen wollte, keinen anderen Beweis +entgegensetzte, als daß er auf die Füße trat und durchs Zimmer ging, so +wollte mein Onkel Toby sich keines anderen Arguments bedienen, um zu +beweisen, daß sein Steckenpferd wirklich ein Steckenpferd sei, als daß +er sich daraufsetzte und es vorritt. -- Hernach möchte die Welt den +Punkt entscheiden, wie's ihr gut dünkte. + +Im rechten Ernste, mein Onkel Toby bestieg es mit soviel Wohlgefallen, +und es trug meinen Onkel Toby so schön, daß er sich herzlich wenig +darum bekümmerte, was die Welt davon sagte oder dachte. + +Indessen ist's endlich wohl einmal hohe Zeit, daß ich Ihnen eine +Beschreibung davon gebe. -- Um aber mit aller Ordnung zu verfahren, muß +ich mir nur erst die Erlaubnis ausbitten, Ihnen zu berichten, wie mein +Onkel Toby darankam. + + [Illustration] + + + + + Zehntes Kapitel. + + +Da meines Onkels Toby Wunde, welche er in der Belagerung von Namur +empfing, ihn zum Dienste untüchtig machte, so ward für gut befunden, +daß er nach England zurückkehren sollte, um womöglich seinen Schaden +wieder zurechtbringen zu lassen. + +Vier volle Jahre hindurch mußte er teils das Bett, teils sein Zimmer +hüten. Und während seiner Kur, welche diese ganze Zeit dauerte, litt er +unsägliche Schmerzen. + +Mein Vater fing zu der Zeit eben seine Handlung in London an und +hatte ein Haus gemietet. Da unter den beiden Brüdern die treueste, +herzlichste Freundschaft obwaltete, und mein Vater glaubte, mein Onkel +Toby könne nirgends so gut gewartet und gepflegt werden, als in seinem +eigenen Hause, so wies er ihm die beste Gelegenheit darin an. -- Und +was noch ein aufrichtigeres Zeichen seiner Zuneigung war, es durfte +kein Freund oder guter Bekannter ins Haus kommen, er nahm ihn denn +bei der Hand und führte ihn die Stiegen hinauf, daß er seinen Bruder +besuchen und eine Stunde vor seinem Bette verschwatzen mußte. + +Die Geschichte der Wunde eines Soldaten läßt ihn ihre Schmerzen +vergessen. Wenigstens dachten die so, die meinen Onkel besuchten, und +bei ihren täglichen Besuchen lenkten sie, aus einer Höflichkeit, die +sich auf diesen Glauben gründete, sehr oft die Unterredung auf diesen +Gegenstand. -- Und von diesem Gegenstande lief dann das Gespräch +gewöhnlich auf die Belagerung selbst hinaus. + + [Illustration] + + + + + Elftes Kapitel. + + +Wenn sich ein Mensch einer herrschenden Leidenschaft überläßt, oder mit +anderen Worten, wenn sein Steckenpferd hartmäulig wird, -- so, ade, +kalte Vernunft und liebe Klugheit! + +Meines Onkels Toby Wunde war beinahe geheilt, und sobald sich der +Wundarzt von seinem Erstaunen erholt hatte und zu Worte kommen konnte, +sagte er ihm, sie beginne eben, sich zu schließen, und wenn sich keine +neue Aussplitterung zeigte, wozu kein Schein vorhanden, so würde sie +in fünf oder sechs Wochen trocken und heil sein. Zwölf Stunden vorher +würde der Klang so vieler Olympiaden eine Idee von kürzerer Dauer in +meines Onkels Toby Seele gebracht haben. -- Die Sukzession seiner +Ideen war nunmehr schnell; er kochte vor Ungeduld, seinen Vorsatz +auszuführen. Und ohne eine lebendige Seele weiter um Rat zu fragen, -- +was ich, nebenher gesagt, für recht halte, wenn man einmal fest willens +ist, von keiner Seele Rat anzunehmen --, befahl er seinem Bedienten +Trim unter vier Augen, ein Bündel Charpie und Binden zusammenzupacken +und eine Kutsche mit Vieren zu bestellen, die den Tag genau um zwölf +Uhr vor der Türe sein müßte, um welche Zeit, wie er wußte, mein Vater +an der Börse sein würde. -- Nachdem er eine Banknote für den Wundarzt +wegen seiner Mühe und einen Brief mit dem zärtlichsten Dank für meinen +Vater auf seinem Tische zurückgelassen, packte er seine Karten und +Pläne, seine Bücher von der Kriegsbaukunst, seine Instrumente usw. +zusammen, und mit Hilfe einer Krücke an der einen Seite und Trim auf +der anderen Stieg er in den Wagen. Und fort nach Shandy-Hall. + +Der Grund oder vielmehr die Grille, welche diese schnelle Auswanderung +veranlaßte, war wie folgt. + +Der Tisch in meines Onkels Toby Zimmer, an welchem er den Abend +vorher saß, ehe sich diese Veränderung zutrug, mit seinen Grundrissen +usw. um sich her, war ein wenig zu klein für die Menge von großen +und kleinen Werkzeugen der Wissenschaft, welche gewöhnlich darauf +durcheinanderlagen. -- Da begegnete ihm nun der Zufall, daß er, indem +er die Hand nach seiner Schnupftabaksdose ausstreckte, seinen Zirkel an +die Erde warf, und indem er sich bückte, ihn aufzuheben, mit dem Ärmel +sein Besteck und die Lichtscheren dazu herunterwischte, -- und der +Würfel war ihm auf einmal so unglücklich, daß durch sein Bestreben, die +Lichtscheren aufzufangen, er den Monsieur Blondel vom Tische warf und +den Comte de Pagan oben darauf. + +Für einen Mann, lahm wie mein Onkel Toby, war es vergebens, darauf +zu denken, alle diese Übel selbst zu heben. -- Er klingelte seinem +Bedienten Trim. -- »Trim,« sagte mein Onkel Toby, »seh Er einmal, +was ich da für eine Patsche gemacht habe. -- Ich muß das Ding besser +eingerichtet haben, Trim. -- Kann Er nicht mein Lineal nehmen und +die Länge und Breite dieses Tisches messen und dann hingehen und +einen bestellen, der noch einmal so groß ist?« -- »Ja, Euer Gnaden,« +antwortete Trim und machte seinen Bückling; »aber ich hoffe, Euer +Gnaden sollen bald so gesund sein, daß Sie nach Ihrem Landgute reisen +können. Dort, da Euer Gnaden so großen Gefallen am Fortifikationswesen +haben, könnten wir die Sache ganz Schmuck einrichten.« + +Hier muß ich Ihnen Nachricht geben, daß dieser Bediente meines Onkels +Toby, der allenthalben Trim genannt wurde, in meines Onkels eigener +Kompagnie Korporal gewesen war. Sein wahrer Name ist James Butler, +da er aber einmal im Regiment den Zunamen Trim wegbekommen hatte, so +nannte ihn mein Onkel Toby auch beständig dabei, oder er mußte eben +nach seiner Art recht böse sein. + +Der arme Kerl war zum Dienst untüchtig wegen einer Wunde von einer +Musketenkugel am linken Knie, die er in der Landauer Bataille, zwei +Jahre vor der Affäre bei Namur, bekommen hatte. Und weil der Kerl im +Regiment sehr wohlgelitten und sonst wortgewandt war, so nahm ihn mein +Onkel zu sich als Bedienten und traf's mit ihm vortrefflich; denn er +wartete meinem Onkel im Felde und in den Winterquartieren auf, als +Diener, Stallknecht, Barbier, Koch, Schneider und Krankenwärter; und +er wartete und pflegte ihn von Anfang bis Ende mit großer Treue und +Ergebenheit. + +Mein Onkel Toby liebte den Menschen auch wieder, und was ihn noch mehr +an ihn gewöhnte, war die Gleichheit ihrer Kenntnisse. Denn Korporal +Trim -- bei dem Namen werde ich ihn künftig immer nennen -- hatte durch +ein vierjähriges Anhören der Gespräche seines Herrn von befestigten +Städten, und durch den Vorteil, daß er beständig in seines Herrn Pläne, +Grundrisse usw. sehen konnte -- nicht einmal mitgerechnet, was er als +Leibdiener von der steckenpferdischen Materie an sich ziehen mußte, +wenn er auch an und für sich selbst dieser Reiterei nicht ergeben +war --, nicht wenige Kenntnis von der Wissenschaft der Kriegsführung +erworben. Und die Köchin und das Kammermädchen waren der Meinung, daß +er wohl ebensogut eine Festung bestürmen könnte wie sein Herr. + +Ich habe nur noch einen Pinselzug an Korporal Trims Charakter zu tun, +und zwar den einzigen dunkeln Schatten darin: der Kerl mochte gerne +seinen Senf mit dazugeben oder vielmehr sich selbst sprechen hören. +Sein Betragen indessen war dabei so ehrerbietig, daß es leicht war, +ihn beim Stillschweigen zu erhalten, wenn sie ihn einmal darin hatten. +War aber seine Zunge einmal im Gange, so war kein Aufhalten, sie +lief immerfort. Die ewigen Euer Gnadens, die er einflickte und sein +untertäniges Bezeigen sprachen so stark für seine Beredsamkeit, daß er +Ihnen wohl überlästig, Sie ihm aber nicht böse werden konnten. Meinem +Onkel Toby begegnete das eine wie das andere sehr selten, wenigstens +veranlaßte dieser Fehler keine Spaltung unter ihnen. Wie gesagt, +mein Onkel liebte den Menschen. Und da er beständig seinen Bedienten +als einen ärmeren Freund betrachtete, konnte er es nicht übers Herz +bringen, ihm das Maul zu verbieten. So sah Korporal Trim aus. + +»Wenn ich mich unterstehen dürfte,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden einen +guten Rat zu geben und meine Meinung zu sagen?« -- »Das darf Er, +Trim,« sagte mein Onkel Toby, »spreche Er, Sage Er, was Er von der +Sache denkt, ohne Furcht, guter Trim.« -- »Gut denn,« versetzte Trim, +und ließ nicht dabei die Ohren hängen und kraute auch nicht in den +Haaren, wie ein Bauernlümmel, sondern strich sich die Haare von der +Stirn zurück und stand stramm wie vor seiner Rotte. »Ich meine,« sagte +Korporal Trim, und setzte den linken Fuß, welches der lahme war, ein +wenig vorwärts, und zeigte mit der offenen Hand nach einem Grundriß +von Dünkirchen, der mit Nadeln an die Tapete gesteckt war, »ohne Euer +Gnaden ins Kommando zu fallen, daß die Ravalins da, Basteien, Kurtinen +und Hornwerke nur ein armseliges, jämmerliches Stück Klitterwerk auf +dem Papier sind gegen das, was Euer Gnaden und ich daraus machen +könnten, wenn wir so für uns auf dem Lande wären und hätten nur einen +Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was +wir wollten. Der Sommer ist vor der Tür,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden +könnten dabei sitzen und mir die Nographie« -- »Ichnographie muß Er +Sagen,« fiel ihm mein Onkel ein -- »von der Stadt oder Zitadelle, +wovor Euer Gnaden gern sitzen möchten. -- Und auf dem Wall, den ich +selbst gemacht habe, sollen mich Euer Gnaden harkebusieren lassen, +wenn ich es nicht fortifiziere, so gut wie es Euer Gnaden wünschen +mögen.« -- »O, das könnte Er wohl,« sagte mein Onkel. -- »Denn wenn +Euer Gnaden,« fuhr der Korporal fort, »mir nur das Polygone mit allen +Spitzen und Linien angeben können« -- »Das kann ich recht gut,« sagte +mein Onkel --, »so wollte ich mit dem Graben anfangen. Und wenn Euer +Gnaden mir die gehörige Tiefe und Breite angeben könnten« -- »Auf +ein Haar kann ich das,« sagte mein Onkel --, »so wollte ich die Erde +nach dieser Hand gegen die Stadt zu aufwerfen, und machte daraus die +Scharpe, und nach jener Hand, gegen das Feld zu, die Konterscharpe.« +-- »Ganz richtig, Trim,« sagte mein Onkel Toby. -- »Und wenn ich es +ausgetieft hätte, wie es sein sollte, so wollte ich, mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, Gras darüberlegen, wie die feinsten Festungen in Flandern, +mit Grassoden, wie Euer Gnaden wissen, daß sie sein sollten. Und die +Wälle und Parapetts wollte ich auch mit Soden machen.« -- »Die besten +Ingenieure nennen es Wasen oder Rasen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. +-- »Soden, Wasen oder Rasen, das will nicht viel tun,« versetzte Trim. +»Euer Gnaden wissen, sie sind zehnmal besser dazu, als Sand oder +Mauersteine.« -- »Ich weiß es, in gewissen Fällen sind sie's,« sagte +mein Onkel Toby und nickte mit dem Kopfe. »Denn eine Kanonenkugel geht +durch den Rasen gerade durch, ohne daß sie Kummer mitnimmt, wodurch der +Graben verschüttet werden kann, wie es vor dem St. Nikolastor ging, und +man desto leichter über ihn steigen kann.« + +»Euer Gnaden verstehen diese Dinge besser,« versetzte Korporal Trim, +»als alle Offiziere in des Königs Diensten. Wollen nur Euer Gnaden +das Tischbestellen gut sein lassen und mich mit sich aufs Land +nehmen. Ich wollte unter Euer Gnaden Anführung arbeiten wie ein Pferd +und Fortifikationen machen. Sie sollten so lecker aussehen wie ein +Butterkuchen, mit allen Batterien, Sappen, Graben und Palisaden, daß +zwanzig Meilen rundum die Leute sich's nicht verdrießen lassen sollten, +herzureisen und es sich zu besehen.« + +Mein Onkel Toby ward im Gesicht rot wie Scharlach, als Trim so +fortfuhr. Es war aber nicht aus bösem Gewissen, daß er rot wurde, noch +aus Bescheidenheit oder Ärger. Es war ein freudiges Erröten. Korporal +Trims Projekt und Beschreibung trieb ihm das Blut zu Kopfe. -- »Trim,« +sagte mein Onkel Toby, »Er hat genug gesagt.« -- »Wir könnten an +ebendem Tage in Kampagne gehen,« fuhr Trim fort, »wenn unsere Völker +und die Alliierten ins Feld rücken, und eben so geschwind Stadt für +Stadt einnehmen und demolieren, als --« »Trim,« sprach mein Onkel +Toby, »sage Er nichts mehr.« -- »Euer Gnaden,« sprach Trim immer +weiter, »könnten in Ihrem Lehnstuhl sitzen« -- indem er darauf zeigte +-- »bei dem schönen Wetter, und gäben Ihre Order, und so wollte ich +--« »Nichts mehr, Trim,« rief mein Onkel Toby. -- »Noch dazu wäre es +für Euer Gnaden nicht allein Vergnügen und guter Zeitvertreib, sondern +gute, frische Luft, gute Bewegung und gute Gesundheit obendrein, +und Euer Gnaden Wunde würde in einem Monat zu sein.« -- »Er hat +genug gesagt, Trim,« rief mein Onkel Toby, und griff dabei in seine +Beinkleidertasche. »Sein Projekt gefällt mir sehr gut.« -- »Und wenn +Euer Gnaden erlauben, so will ich stehenden Fußes hingehen und einen +Pionierspaten kaufen, den wir mitnehmen, und will eine Schaufel +bestellen und eine Spitzhacke, und ein paar --« -- »Still, still, +Trim,« sagte mein Onkel Toby, sprang auf ein Bein, ganz von Entzücken +überwältigt, drückte ein Goldstück in Trims Hand und sprach: »Sage +Er kein Wort weiter, lieber Bursche, sondern gehe Er den Augenblick +hinunter, daß ich gleich mein Abendessen bekomme.« + +Trim lief hinunter und brachte seinem Herrn das Essen. -- Aber da +stand's. -- Trims Operationsplan lief meinem Onkel Toby so im Kopfe +herum, daß er nichts davon kosten konnte. »Trim,« sagte mein Onkel, +»bringe Er mich zu Bett.« -- Es war auch nichts. -- Korporal Trims +Beschreibung hatte seine Imagination erhitzt. Mein Onkel Toby konnte +kein Auge zutun. Je mehr er sie betrachtete, desto bezaubernder kam ihm +die Szene vor. -- Und zwei volle Stunden vor Tagesanbruch schon hatte +er seine endliche Entschließung gefaßt und den ganzen Plan zu seinem +und Korporal Trims Abmarsch ins reine gebracht. + +Mein Onkel Toby hatte ein eigenes kleines, hübsches Landhaus in dem +Dorfe, wo die Shandyschen Güter lagen; das hatte ihm ein alter Onkel +vermacht und so viele Ländereien dabei, die jährlich fünfhundert +Reichstaler Pacht trugen. Von hinten stieß ein Küchengarten an dieses +Haus von ungefähr einem halben Morgen Land, und hinter dem Garten und +durch eine hohe Taxushecke davon getrennt, war ein grüner Spielplatz, +der ungefähr soviel Grundmasse enthielt, wie Korporal Trim wünschte, +so daß, als Korporal Trim die Worte sagte, »und hätten wir nur einen +Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was +wir wollten«, sich dieser leibhafte grüne Spielplatz auf einmal +darstellte und im Hui in meines Onkels Phantasie vortrefflich gemalt +erschien. -- Und das war die physische Ursache, die ihn die Farbe +verändern ließ oder wenigstens seine Gedichtsröte zu dem ungemäßigten +Grade trieb, von dem ich sprach. + +Niemals kann ein Liebhaber nach seiner teuren Geliebten mit mehr +Hitze und größerer Erwartung reiten oder fahren, als mein Onkel tat, +um dieses liebe Ding so für sich allein zu genießen. -- Ich sage, +so für sich allein. -- Denn er war abgesondert vom Hause durch eine +hohe Taxushecke, wie ich Ihnen schon gesagt, und an den drei anderen +Seiten war es vor dem Gesicht der Sterblichen mit dickem, grünem, wild +verwachsenem Gebüsch verdeckt. So daß der Gedanke, nicht gesehen zu +werden, nicht gering zu der Hoffnung des Vergnügens beitrug, das sich +mein Onkel Toby in seinem Gemüt vorbildete. Eitler Gedanke -- es mag +noch so dicht bewachsen sein, noch so einsam scheinen --, zu hoffen, +liebster Onkel Toby, du könntest ein Ding genießen, das einen ganzen +Viertelmorgen und einen halben Grund und Boden umfaßt, ohne daß es +bekannt würde! + +Wie mein Onkel Toby und Korporal Trim diese Sache angriffen, nebst +der Geschichte ihrer Feldzüge, welche gar nicht leer an Begebenheiten +waren, kann eine ganz interessante Nebenhandlung abgeben, die mit der +Haupthandlung dieses Dramas fortläuft. -- Jetzt muß der Vorhang fallen, +-- der Schauplatz verwandelt sich in das Wohnzimmer mit dem Kaminfeuer. + + [Illustration] + + + + + Zwölftes Kapitel. + + +»Was mögen sie vorhaben?« sagte mein Vater. -- »Ich denke,« antwortete +mein Onkel Toby, wobei er, wie ich Ihnen sagte, die Pfeife aus dem +Munde nahm und die Asche ausklopfte. -- »Ich denke,« antwortete er, »es +wäre wohl gut, Bruder, wenn wir klingelten.« + +»Höre, Obadiah, was heißt das Gepoltere über unserem Kopfe?« fragte +mein Vater. »Mein Bruder und ich können kaum hören, was wir sprechen.« + +»Herr,« antwortete Obadiah, und beugte seine linke Schulter vor, +»Madame ist ganz übel geworden.« -- »Und was hat Susanna da im Garten +zu rennen, als wenn ein halbes Dutzend Ehrenräuber hinter ihr wären?« +-- »Herr, sie rennt den kürzesten Weg,« versetzte Obadiah, »die alte +Bademutter zu holen.« -- »So sattelt ein Pferd,« sagte mein Vater, »und +reitet geschwind zum Doktor Slop, dem Akkoucheur. Wir ließen ihn alle +grüßen, -- und sagt ihm, daß Madame in Kindesnöten ist und daß ich ihn +bitten lasse, er möchte gleich mit Euch kommen.« + +»Es ist sehr närrisch,« sagte mein Vater zu meinem Onkel Toby, +als Obadiah die Türe zugemacht hatte, »da wir einen so erfahrenen +Geburtshelfer wie Doktor Slop so ganz in der Nähe haben, daß meine Frau +bis auf den letzten Augenblick auf ihrer eigensinnigen Grille bestehen +und das Leben ihres Kindes, das schon sein Teil Leiden gehabt hat, der +Unwissenheit eines alten Weibes anvertrauen muß. -- Und nicht allein +das Leben meines Kindes, Bruder, sondern auch ihr eigenes und das Leben +aller der Kinder dazu, die ich hernach vielleicht noch hätte mit ihr +haben können.« + +»Es kann sein, Bruder,« versetzte mein Onkel Toby, »daß sie's tut, um +die Unkosten zu sparen.« -- »Ein Endchen Licht lieber!« erwiderte mein +Vater. »Der Doktor muß sein Geld haben, er tue was dafür oder nicht; +wo nicht noch mehr, um ihn bei guter Laune zu erhalten.« -- »Dann kann +es wohl aus keiner anderen Ursache sein,« sagte mein Onkel Toby in +der Arglosigkeit seines Herzens, »als aus Schamhaftigkeit. Vielleicht +schämte sich meine Schwester,« fuhr er fort, »käme ihr eine Mannsperson +zu nahe an ***.« Ich will nicht Sagen, ob mein Onkel Seinen Satz +geschlossen hatte oder nicht. Desto besser für ihn, daß man glaubt, +er habe seinen Punkt gemacht. Denn nach meiner Meinung hätte er kein +einziges Wort hinzusetzen können, um ihn zierlicher zu machen. + +Hatte hingegen mein Onkel Toby die Periode nicht ganz zu Ende gebracht, +so hat die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Tabakspfeife plötzlich +zerbrach, eins der nettesten Exempel von der zierlichen Figur in der +Redekunst zu danken, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. -- +Hilf Himmel! Wie genau kommt es nicht auf das +Poco più+ und das ++Poco meno+ der italienischen Artisten, auf das unmerkliche mehr +oder weniger an, die wahre Schönheitslinie sowohl in einer Periode +als in einer Statue zu treffen! Wie kann doch der geringste Zug des +Griffels, des Pinsels, der Feder, des Violinbogens usw. diese wahre, +sanfte Rundung geben, welche das wahre Vergnügen erregt! O meine +lieben Landsmänner, seid sorgfältig, seid behutsam mit eurer Zunge, +und niemals, o niemals laßt es euch aus dem Sinne kommen, an was für +kleinen Partikeln eure Beredsamkeit hängt und euer Ruhm. + +»Meine Schwester schämte sich vielleicht,« sagte mein Onkel Toby, »käme +ihr eine Mannsperson zu nahe an ***.« Diese Sternchen gemacht, und es +ist eine Aposiopesis. Die Sternchen weggenommen und dafür geschrieben +das Gesäß -- Zote wird's. Streicht man das Gesäß aus und setzt dafür +den bedeckten Weg, so wird's eine Metapher. Und da meinem Onkel Toby +das Fortifikationswesen so sehr im Kopfe lag, so getraue ich mir zu +sagen, hatte man ihn noch ein Wort hinzusetzen lassen, -- so war's das +Wort. + +Ob das aber geschehen oder nicht geschehen, oder ob mein Vater seine +Tabakspfeife in dem kritischen Augenblick von ungefähr oder aus +Unwillen zerbrach, wird sich zu rechter Zeit ausweisen. + + [Illustration] + + + + + Dreizehntes Kapitel. + + +Obgleich mein Vater ein guter natürlicher Philosoph war, so war er doch +auch so etwas von einem Moralisten dabei. Deswegen hätte er, als ein +solcher, da seine Pfeife in der Mitte entzweibrach, beide Stücke nehmen +und gelassen ins Kaminfeuer werfen sollen. Und damit gut! -- Das ließ +er aber wohl bleiben. Er warf sie mit aller möglichen Heftigkeit und, +um der Handlung noch mehr Nachdruck zu geben, Sprang er vom Stuhl auf +beide Füße, um sie auszuüben. + +Dies hatte so etwas Ähnliches von Hitze. Und die Art, womit er auf das, +was mein Onkel Toby sagte, antwortete, bewies es. + +»Schämen,« sagte mein Vater und wiederholte meines Onkels Tobys Worte, +»käme ihr eine Mannsperson zu nah an. Wahrhaftig, Bruder Toby! Hiobs +Geduld solltest du ermüden, die ich nicht habe; obgleich schon seine +Plagen, dünkt mich.« -- »Wie so? -- Warum? -- Worin? -- Weswegen? -- +Worüber?« versetzte mein Onkel Toby mit dem größten Erstaunen. -- »Wenn +ich bedenke, daß ein Mann so alt geworden sein kann, wie du, Bruder, +und noch so wenig Weiberkenntnis hat!« -- »Ich kenne von ihnen gar +nichts,« versetzte mein Onkel Toby, »und ich dächte,« fuhr er fort, +»der Puff, den ich das Jahr nachher, da Dünkirchen geschleift ward, in +der Affäre mit der Witwe Wadman bekam, welchen Puff ich, wie du weißt, +nicht bekommen haben würde, hätte ich nur die geringste Kenntnis vom +Frauenzimmer gehabt, hätte mir wohl eine gerechte Ursache gegeben, zu +sagen, daß ich von den Weibern und ihren Sachen weder etwas weiß, noch +zu wissen verlange.« -- »Mich deucht, Bruder,« versetzte mein Vater, +»soviel könntest du doch wenigstens wissen, das rechte Ende eines +Weibes vom unrechten zu unterscheiden.« + +In Aristoteles' Meisterstücke wird gesagt: »Wenn ein Mensch an etwas +denkt, das vorbei ist, so sieht er nieder auf die Erde; aber, wenn +er an etwas denkt, das noch zukünftig ist, so sieht er aufwärts gen +Himmel.« + +Mein Onkel Toby dachte also wohl an keins von beiden, denn er sah +gerade vorwärts. »Rechte Ende!« sagte mein Onkel Toby, murmelte es +leise in den Bart und blieb dabei, wie er's murmelte, unvermerkt mit +den Augen an einer kleinen Spalte hängen, die eine losgewichene Fuge +im Gesimse des Kamins gemacht hatte. -- »Rechte Ende eines Weibes! -- +Fürwahr,« sagte mein Onkel, »ich weiß ebensowenig, was das ist, als der +Mann im Monde. -- Und wenn ich auch einen ganzen Monat darauf sänne« -- +er hielt dabei noch immer die Augen auf die losgewichene Fuge --, »so +weiß ich gewiß, ich würde es nicht ausfindig machen.« + +»So will ich's dir sagen, Bruder,« erwiderte mein Vater. -- + +»Jedes Ding in der Welt,« fuhr mein Vater fort, indem er eine frische +Pfeife füllte, »jedes Ding in dieser Welt, mein lieber Bruder Toby, +hat zwei Enden.« -- »Nicht immer,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Zum +wenigsten,« versetzte mein Vater, »immer zwei Seiten, was auf eins +ausläuft. -- Nun, wenn sich jemand hinsetzt und überlegt mit kaltem +Blute bei sich selbst, die Gestalt, den Bau, das Beikommensvermögen +und die Brauchbarkeit aller Teile des Ganzen an dem Tiere, genannt +Weib, und vergleicht solche analogisch« -- »Ich habe den Sinn dieses +Wortes niemals deutlich verstanden,« sagte mein Onkel Toby. -- +»Analogie,« versetzte mein Vater, »heißt ein gewisses Verhältnis und +Übereinstimmung, die verschie --« Hier brach ein vertracktes Klopfen +an der Türe meines Vaters Definition -- wie seine Tabakspfeife -- +in Stücken und zertrat einer der merkwürdigsten und sinnreichsten +Dissertationen den Kopf, die jemals im Schoße der Spekulation erzeuget +worden; es gingen einige Monate hin, ehe mein Vater Gelegenheit finden +konnte, glücklich davon entbunden zu werden. Und bis auf diese Stunde +ist es -- wegen Verwirrung und Mannigfaltigkeit unserer häuslichen +Unglücksfälle, die sich nun scharenweise auf die Fersen treten --, +ebenso problematisch, als der Gegenstand der Dissertation selbst -- ob +ich in diesem Buche einen Platz dafür finden werde oder nicht. + + [Illustration] + + + + + Vierzehntes Kapitel. + + +Stellen Sie sich eine kleine, quabbelige, plattnasige Figur von einem +Doktor Slop vor, von ungefähr vier und einem halben Fuß perpendikularer +Höhe. Mit einer Breite von Rücken und einer Janitscharentrommel von +Bauch, worauf sich ein Feldwebel unter der Reitergarde nicht wenig +hätte einbilden können. + +So sah der Umriß von Doktor Slops Figur aus, die, wie Sie wissen, wenn +Sie Hogarths Zergliederung der Schönheit gelesen haben, wo nicht, so +wünsche ich, daß Sie solche noch lesen, ebenso gewiß durch drei Züge +beschrieben und zu Gemüte geführt werden kann wie durch dreihundert. + +So einen stellen Sie sich vor, denn so, sage ich, war der Umriß von +Doktor Slops Figur beschaffen, wie er ganz langsam, Schritt für +Schritt, durch den Kot daherschwankte, auf dem Rückgrate eines kleinen +winzigen Rößleins von hübscher Farbe. Aber an Umfang -- o weh! -- kaum +soviel, daß es unter einem solchen Packen hätte zum Trott gebracht +werden können, wären die Wege auch trocken und eben gewesen, was sie +gar nicht waren. Nun stellen Sie sich Obadiah vor, auf einem Riesen von +Kutschpferd, das er zum vollen Galopp angetrieben hat, wie er mit aller +Hast ihm entgegenreitet. + +Ich bitte Sie, mein Herr, nehmen Sie doch einen Augenblick Anteil an +dieser Beschreibung. + +Hätte Doktor Slop den Obadiah in einer Entfernung von tausend Schritten +wahrgenommen, wie er in einem schmalen Fuhrwege so ungeheuerlich +auf ihn zu jagte, wie der Dreckteufel durch dick und dünn auf allen +Seiten spritzte und schlenkerte, als er sich näherte, sollte nicht +ein solches Phänomen mit einem solchen Wirbel von Schlamm und Wasser, +das sich um seine Achse drehte, dem Doktor Slop in seinen Umständen +eine weit fürchterlichere Erscheinung sein als der drohendste Komet? +Nicht einmal seines Kerns, das ist Obadiah und sein Kutschpferd, zu +gedenken. So war -- nach meiner Meinung -- sein Wirbel allein genug, +wo nicht den Doktor, doch wenigstens sein Rößlein zu fassen und rein +mit fortzureißen. Was denken Sie, wie groß muß die Angst, Schlamm- +und Wasserscheu des Doktor Slop gewesen sein, wenn Sie lesen, was +im Augenblick geschehen wird, daß, als er eben so ganz sinnig und +bedächtig nach Shandy-Hall zuritt, nur noch sechzig Ruten weit davon +war und fünf von einer scharfen Ecke der Gartenmauer, Obadiah und +sein Kutschpferd plötzlich wütend um die Ecke und gerade auf ihn +lossprengten! -- Nein, in der ganzen Natur kann nichts Schrecklicheres +gedacht werden als ein solcher Zusammenstoß. So unerwartet, so übel +vorbereitet wie der Doktor Slop war, einen solchen Überfall zu erleben. + +Was konnte Doktor Slop tun? Er bekreuzigte sich. Warum nicht gar? Nun +ja, mein Herr, der Doktor war ein Katholik. Einerlei; er hätte besser +getan, sich am Sattelknopf festzuhalten. Das wohl! Ja, wie die Sache +ging, hätte er lieber ganz und gar nichts tun sollen. Denn wie er das +Kreuz schlug, ließ er seine Peitsche fallen, und als er solche zwischen +seinem Knie und dem Sattelleder wieder fangen wollte, verlor er den +Steigbügel. Und indem er den verlor, verlor er auch den Sitz im Sattel. +Und über der Menge aller dieser Verluste -- was nebenher beweisen +kann, wie wenig das Bekreuzigen nützt -- verlor der arme Doktor +seine Geistesgegenwart, so daß er, ohne den Überfall von Obadiah zu +erwarten, sein Tier seinem eigenen Schicksale überließ, seitwärts davon +herunterpurzelte, ungefähr wie ein Packen Wolle, ohne irgendeine andere +Folge des Falles, als daß er -- wie es natürlich zuging -- mit seinem +breitesten Teile zwölf Zoll tief im Moraste versunken liegen blieb. + +Obadiah zog zweimal seine Kapuze vor dem Doktor ab. Einmal, als er +fiel, und als er ihn sitzen sah wiederum. Unzeitige Höflichkeit! +Hätte der Kerl nicht lieber sein Pferd anhalten, absteigen und ihm +helfen können! Er tat alles, mein Herr, was er in seinen Umständen tun +konnte. Aber der Schuß des Kutschpferdes war zu heftig, daß Obadiah +nicht sogleich konnte, wie er wollte. Er ritt dreimal in einem Zirkel +um Doktor Slop herum, ehe er's möglich fand, und zuletzt, als er sein +Pferd zum Stehen brachte, geschah es mit einem solchen Schwall von +Schlamm, daß Obadiah lieber eine Meile weit davon hätte sein mögen. +Kurz, in seinem Leben war Doktor Slop noch nicht so transubstanziert +worden, seitdem das Transubstanzieren Mode geworden ist. + + [Illustration] + + + + + Fünfzehntes Kapitel. + + +Als Doktor Slop in das Hinterzimmer trat, worin mein Vater und mein +Onkel saßen und ihre Unterredung über das Frauenzimmer hatten, war +es schwer zu entscheiden, ob Doktor Slops Gestalt oder Gegenwart +sie mehr in Verwunderung setzte. Denn weil das Unglück sich nahe +beim Hause zutrug, daß Obadiah es nicht der Mühe wert hielt, ihm +wieder aufs Pferd zu helfen, so hatte ihn Obadiah, so wie er war, +ungestriegelt, ungebürstet und ungespült, mit allen seinen Flecken und +Klecksen hineingeführt. Er stand wie Hamlets Geist, unbeweglich und +stumm, anderthalb Minuten an der Zimmertür -- Obadiah hielt beständig +seine Hand angefaßt -- in aller Majestät des weichen Urstoffs des +ersten Menschen. Die hinteren Falten seines Kleides, welche ihm zum +Kissen gedient, waren gänzlich davon getränkt, und alle übrigen Teile +desselben waren so über und über gesprenkelt von Obadiahs Schwall, daß +Sie geschworen hätten -- ohne sich etwas im Sinne vorzubehalten --, es +wäre kein Schmutzkörnchen an ihm verloren oder vorbeigegangen. + +Hier war eine schöne Gelegenheit für meinen Onkel Toby, seinerseits +über meinen guten Vater zu triumphieren. Denn kein Sterblicher, welcher +den Doktor Slop eingepökelt gesehen, hätte wenigstens das nicht von +meines Onkels Toby Meinung ableugnen können, »daß meine Schwester es +nicht gerne hätte, es käme ihr ein solcher Doktor Slop so nahe an +›***‹«. Allein das war ein +Argumentum ad hominem+, und weil mein +Onkel Toby nicht recht gewandt darin war, so können Sie denken, daß er +sich deswegen nicht gern damit abgab. Nein, die Ursache war -- Spott +und Hohn war seine Sache nicht. + +Doktor Slops Gegenwart war um die Zeit ebenso unerklärbar als die Art +und Weise derselben. Obgleich soviel richtig ist, daß ein Augenblick +Nachdenkens meinen Vater hätte zurechtweisen können. Denn er hatte erst +die Woche vorher dem Doktor Slop davon Nachricht gegeben, daß meine +Mutter am Ende ihrer Rechnung wäre. Und da der Doktor nachher nichts +weiter davon gehört hatte, so war's natürlich und politisch von ihm, +einen Spazierritt nach Shandy-Hall zu machen, bloß um zu sehen, wie es +da stünde. + +Allein meines Vaters Gedanken nahmen unglücklicherweise einen +verkehrten Weg bei der Untersuchung und hielten sich, wie mein allzeit +fertiger Kritikus, bloß bei dem Klingeln und dem Pochen an der Tür auf, +maßen den Zeitraum von einem zum andern, und waren dergestalt bei der +Operation geschäftig, daß sie alles andere in der Welt nichts anging. +Ein gewöhnlicher Fehler der größten Mathematiker, die mit Macht und +Gewalt an der Demonstration arbeiten und darüber so sehr ihre Kräfte +verschwenden, daß sie keine übrig behalten, den Schluß zu ziehen und +die Anwendung zu machen. + +Das Klingeln und das Pochen an der Tür wirkte zwar auch stark auf +das Sensorium meines Onkels Toby. Sie brachten aber ein ganz anderes +Gefolge von Gedanken in Gang. Die beiden unvereinbarten Punkte des +Abstoßes brachten augenblicklich den Stevinus mit in meines Onkels +Gedanken. Was Stevinus mit dieser Sache zu tun hatte, ist wohl das +größte Problem von allen; es soll aufgelöst werden. In dem nächsten +Kapitel aber noch nicht. + + [Illustration] + + + + + Sechzehntes Kapitel. + + +Bücherschreiben, wenn's am rechten Ende angegriffen wird -- Sie können +sich darauf verlassen, daß ich denke, das meinige sei es --, ist nur +eine andere Benennung für Konversation. Da niemand, der weiß, wie er +sich in Gesellschaft benehmen muß, es wagen wird, alles herauszusagen, +so wird kein Schriftsteller, der die Grenzen seines Dekorums und der +guten Lebensart kennt, so voreilig sein, alles zu denken. Die größte +Ehrerbietung, die Sie dem Verstande Ihres Lesers erweisen können, +ist, wenn Sie freundschaft-brüderlich mit ihm teilen und seiner +Einbildungskraft ebensowohl etwas zu schaffen übrig lassen als Ihrer +eigenen. + +Ich meinesteils lasse es an Höflichkeitsbezeigungen von dieser Art +niemals fehlen und tue alles, was in meinem Vermögen Steht, seine +Imagination ebenso geschäftig zu erhalten wie die meinige. + +Die Reihe ist jetzt an ihm; ich habe von Doktor Slops jämmerlichem +Sturz und Fall, von seinem erbärmlichen Aufzuge in dem Hinterzimmer +eine Beschreibung gegeben. Nun muß seine Einbildung sich eine Weile +damit beschäftigen. + +Der Leser bilde sich also ein, daß Doktor Slop seine Geschichte erzählt +habe. Mit was für Worten und Vergrößerungen es seiner Phantasie +beliebt. Er nehme an, daß Obadiah die seinige gleichfalls erzählt +habe, und mit so traurigen Gebärden und angenommenem Leidwesen, +als er glaubt, das die beiden Figuren, die nebeneinanderstehen, in +die beste Gegenhaltung setzen kann. Er bilde sich ein, daß mein +Vater hinaufgegangen sei, meine Mutter zu sehen. Und um dieses +Werk der Einbildungskraft zu Ende zu bringen, denke er sich den +Doktor gewaschen, abgerieben, kondoliert, gratuliert, in einem Paar +niedergetretener Schuhe, von Obadiah geborgt, nach der Türe gehend und +im Begriff zu agieren. + +Gemach! -- gemach, lieber Doktor Slop! -- halte deine Hand zurück! +Stecke sie ruhig wieder in deinen Busen, daß sie warm bleibe. Du weißt +wenig davon, was für Schwierigkeiten, was für verdeckte Hindernisse +ihrem Wirken im Wege liegen! Hat man dir, lieber Doktor Slop, hat +man dir die geheimen Artikel des feierlichen Vertrages anvertraut, +demzufolge du hierher gebracht bist? Hast du es schon gemerkt, daß +in diesem Augenblick eine von Lucinens Töchtern über dir steht? Ach, +es ist leider nur zu wahr! Außerdem, großer Sohn des Pilumnus, was +kannst du machen? Du bist unbewaffnet erschienen, du hast dein +Tire +tête+, deinen neuerfundenen Forceps, dein Crochet, dein Squirt und +alle deine Rettungs- und Erlösungswerkzeuge zu Hause gelassen. -- Beim +Himmel! Da hängen sie im grünen Filetbeutel, zwischen deinen beiden +Pistolen, am Kopfende deines Bettes! Klingle! Rufe! Sende Obadiah auf +dem Kutschpferde zurück, daß er sie in aller Eile herhole. + +»Eilet, was Ihr könnt, Obadiah,« sagte mein Vater, »und ich gebe Euch +einen Gulden.« -- »Von mir,« sagte mein Onkel Toby, »noch einen.« + + [Illustration] + + + + + Siebzehntes Kapitel. + + +»Ihre plötzliche unerwartete Ankunft,« sagte mein Onkel Toby zum Doktor +Slop -- alle drei setzten sich beim Kaminfeuer nieder, als mein Onkel +Toby zu sprechen begann -- »erinnerte mich augenblicklich an den großen +Stevinus, der, wie ich Ihnen sagen muß, mein Leib-Autor ist.« -- »So,« +unterbrach ihn mein Vater, »so will ich vierzig Dukaten gegen einen +Gulden setzen -- welchen ich Obadiah geben kann, wenn er zurückkommt +--, daß dieser Herr Stevinus ein Ingenieur oder so was ist, oder +daß er, es sei auch, was es sei, mittelbar oder unmittelbar von der +Fortifikation geschrieben hat.« -- + +»Das hat er,« versetzte mein Onkel Toby. »Dacht' ich's nicht?« sagte +mein Vater. »Ob ich gleich, und sollte mich's das Leben kosten, nicht +einsehen kann, was zwischen des Herrn Doktors Slop unerwarteter +Ankunft und einer Abhandlung von der Fortifikation für eine Art +von Zusammenhang sein kann. Doch hab' ich's gefürchtet. Bruder! wir +mögen doch sprechen, wovon wir wollen, oder laß die Gelegenheit noch +so weit weg oder unschicklich für dein Thema sein, so mußt du es +doch einschieben. Nein, Bruder Toby,« fuhr mein Vater fort. »Nein, +wahrhaftig, so voll möchte ich doch auch meinen Kopf nicht von Kurtinen +und Hornwerken haben.« -- »Das glaub' ich wohl, daß Sie das nicht +möchten,« sagte Doktor Slop, indem er einfiel und ganz unmäßig über +sein Wortspiel lachte. + +Dennis, der kritische Meister, konnte ein Wortspiel oder nur einen +Anschein vom Wortspiele nicht herzlicher verabscheuen und hassen als +mein Vater. -- Er runzelte immer die Stirne, wenn er eins hörte. Aber, +wenn man ihn in einer ernsthaften Rede durch eine solche Witzelei +unterbrach, pflegte mein Vater zu sagen, das wäre so gut, als wenn man +ihm Nasenstüber gäbe. Er wüßte keinen Unterschied. + +»Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby zu Slop, »die Kurtinen, wovon mein +Bruder Shandy spricht, sind nichts weniger als Bettgardinen; obzwar, +ich weiß wohl, du Cange sagt: ›daß nach aller Wahrscheinlichkeit solche +ihren Namen von jenen bekommen haben‹. Ebensowenig haben die Hornwerke, +wovon er spricht, das geringste mit dem Hörnerkrame zu tun, worüber sie +lachen. Sondern Kurtine, Herr Doktor, ist das Wort, welches wir in der +Fortifikation gebrauchen, den Teil des Walles damit zu benennen, der +zwischen zwei Bastionen liegt und solche zusammenfügt. Die Belagerer +wagen es selten, ihre Attacke gerade auf die Kurtinen zu richten, aus +dem Grunde, weil sie so gut flankiert sind.« -- »Ebenso ist's mit +den Gardinen,« sagte Doktor Slop lachend. -- »Indessen,« fuhr mein +Onkel Toby fort, »um sie völlig zu decken, pflegen wir gewöhnlich +Raveline davorzulegen, die wir an der anderen Seite des Grabens +anbringen. Der gemeine Mann, der wenig von der Fortifikation versteht, +verwechselt das Ravelin und den halben Mond miteinander, obgleich es +sehr verschiedene Dinge sind. Nicht in ihrer Bauart oder Figur, denn +wir machen solche in allen Stufen einander ähnlich. Sie bestehen aus +zwei Facen, die eine Vorspringespitze mit der Brust ausmachen, nicht +winkelrecht, sondern wie eine Sehne vom Zirkel.« -- »Worin steckt denn +der Unterschied?« fragte mein Vater ein wenig beißend. -- »In ihrer +Lage,« antwortete mein Onkel Toby. »Denn wenn ein Ravelin vor einer +Kurtine steht, Bruder, so ist's ein Ravelin, und wenn ein Ravelin vor +einer Bastion steht, so ist das Ravelin kein Ravelin, sondern ein +halber Mond. Ebenso ist ein halber Mond, solange er vor seiner Bastion +steht, ein halber Mond, aber nicht länger. Würde er von der Bastion +weggenommen und vor eine Kurtine gesetzt, so wäre es nicht mehr ein +halber Mond. Ein halber Mond ist in dem Falle kein halber Mond, es ist +weiter nichts als ein Ravelin.« »Ich merke,« sagte mein Vater, »die +edle Verteidigungskunst hat ihre schwachen Seiten so gut wie andere.« +-- »Die Hornwerke,« -- nun, Himmel, sei gnädig! seufzte mein Vater +-- fuhr mein Onkel Toby fort, »die mein Bruder nannte, machen einen +wichtigen Teil der Außenwerke. Die französischen Ingenieure nennen +solche +Ouvrages à Corne+, und wir legen sie gemeiniglich an, um +solche Stellen zu decken, die wir für Schwächer halten als die übrigen. +Sie bestehen aus einer Face und einer Flanke oder halben Bastion; sie +sehen recht hübsch aus, und wenn Sie einen Spaziergang machen wollen, +so versichere ich Sie, will ich Ihnen eins zeigen, das sich der Mühe +verlohnen soll. Es ist wahr, wenn wir sie krönen,« fuhr mein Onkel +Toby fort, »so werden sie viel stärker. Aber dann sind sie auch sehr +kostbar und nehmen viel Raum weg, so daß sie meiner Meinung nach die +besten Dienste tun, die Front eines Lagers zu decken. Das doppelte +Zangenwerk aber --« »Bei der Mutter, die uns gebar! Bruder Toby,« +sagte mein Vater, der sich nicht länger halten konnte, »du könntest +einem Heiligen einen Fluch ablocken. Da hast du uns, ich weiß nicht +wie, ganz unter der Hand wieder mitten in deine alte Brühe gepökelt. -- +Aber dein Kopf ist so voll von diesen verdammten Werken, daß du meine +Frau in Nöten kreißen, sie schreien hörst, und doch willst du mir den +Operateur fortschleppen.« -- »Akkoucheur höre ich lieber, wenn's Ihnen +so gefällt,« sagte Doktor Slop. »Nun denn, Akkoucheur! in Gottes Namen! +Aber ich wünsche die ganze Kriegsbaukunst mit allen ihren Erfindern +über alle Berge; Tausenden hat sie schon das Leben gekostet, und mir +wird sie auch noch den Tod bringen. Ich möchte nicht, Bruder Toby, ich +möchte nicht mein Gehirn so voller Sappen, Minen, Blenden, Schanzkörbe, +Palisaden, Raveline, halben Monde und wie der Plunder alles heißt, +haben, und sollte ich Namur und alle Städte in Flandern dazu dafür +bekommen.« + +Mein Onkel Toby, der die Beleidigungen geduldig ertragen konnte, nicht +weil's ihm an Herzhaftigkeit fehlte -- ich habe Ihnen gesagt: ›daß er +ein Mann war, der Mut hatte‹, und will hier hinzusetzen, daß, wenn sich +eine gerechte Gelegenheit darböte, die solchen aufforderte --, ich +keinen Mann wüßte, unter dessen Arme ich lieber Schutz suchen möchte. +Auch das kam nicht von irgendeiner Gefühllosigkeit oder Stumpfheit +seines Verstandes her, denn er fühlte diese Beleidigung meines +Vaters so empfindlich, wie ein Mann sie fühlen konnte. Er war von +friedfertiger, sanftmütiger Natur, kein zänkisches Sonnenstäubchen war +in ihm, alles war an ihm von so gutartiger Mischung, daß meines Onkels +Toby Herz kaum zuließ, an einer Fliege Rache zu nehmen. ›Geh‹, sagte +er eines Tages beim Essen zu einer häßlichen großen Brummfliege, die +ihm um die Nase summte, ihn die ganze Mahlzeit über jämmerlich gequält +hatte und die er endlich im Vorbeifliegen haschte, ›ich will dir kein +Leids tun,‹ stand vom Stuhle auf und ging mit der Fliege in der Hand +durchs Zimmer. ›Ich will dir kein Haar krümmen. Geh,‹ sagte er, indem +er das Fenster aufschob und die Hand öffnete, um sie fliegen zu lassen. +›Geh, armes Ding, mach' daß du wegkommst, warum sollt' ich dir Leides +tun? Diese Welt hat Raum genug für dich und für mich.‹ + +Ich war kaum zehn Jahre alt, als dies geschah. Aber, war es, daß die +Handlung selbst in diesem mitleidigen Alter mit meinen Nerven mehr im +Einklang stand, daß es augenblicklich meinen ganzen Bau in Schwingungen +des angenehmsten Gefühls versetzte, oder war es die Art und Weise des +Ausdrucks, die dazu beitrug, in welchem Grade oder durch welche geheime +Magie der Ton der Stimme und Harmonie der Bewegung einen Weg zu meinem +Herzen finden mochten, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß die Lehre +des unbegrenzten Wohlwollens, die mich damals mein Onkel Toby lehrte +und mir einprägte, seitdem nie aus meinem Gemüte verloschen ist. Und +ob ich gleich das, was das Studium der schönen Wissenschaften auf der +Universität in diesem Punkte an mir getan hat, nicht verachten oder +die Hilfe einer kostbaren Erziehung zu Hause und hernach in der Fremde +herabwürdigen will, so denke ich doch oft, daß ich die eine Hälfte +meiner Güte des Herzens diesem einen zufälligen Eindruck zu verdanken +habe. + +~Dieses kann Eltern und Hofmeistern statt eines ganzen Bandes über +diese Materie dienen.~ + +Diesen Zug in meines Onkels Toby Porträt konnte ich dem Leser +nicht vermittels ebendes Instrumentes geben, mit welchem ich die +anderen zeichnete. Dem nämlich, das nichts mehr aufnimmt als die +bloße steckenpferdische Ähnlichkeit. Dies ist ein Teil seines +moralischen Charakters. Mein Vater war in dem Punkte der geduldigen +Verträglichkeit, deren ich erwähnt, viel anders beschaffen, wie +der Leser schon längst bemerkt haben wird. Er hatte von Natur ein +weit schärferes und schnelleres Gefühl, begleitet von ein wenig +mürrischer Gemütsart. Obgleich ihn solches nie zu etwas verleitete, +das einer Bosheit ähnlich sah, so zeigte sich's doch bei den kleinen +Verdrießlichkeiten des Lebens in einer drolligen und witzigen Art +von Unwillen. Dabei war er offenherzig und großmütig und ließ +sich jederzeit gerne bedeuten. In den kleinen Aufwallungen dieser +überflüssigen Säure in den Säften gegen andere, besonders aber gegen +seinen Bruder Toby, den er aufrichtig liebte, fühlte er selbst zehnmal +mehr Unlust -- ausgenommen mit der Geschichte von Tante Dinah oder +wenn's auf eine Hypothese ankam --, als er verursachte. + +Die Charaktere der beiden Brüder, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, +warfen Licht übereinander und erschienen in ihren großen Vorzügen in +dieser Geschichte, die über den Stevinus entstand. Ich brauche dem +Leser nicht zu sagen, wenn er sich ein Steckenpferd auf der Streu hält, +daß eines Mannes Steckenpferd ein so empfindlicher Fleck ist, wie er +nur einen an sich hat, und daß diese unverschuldeten Hiebe, die man dem +seinigen gab, meinen Onkel nicht unempfindlich ließen. -- Nein, wie ich +oben sagte, mein Onkel Toby fühlte sie wirklich, und sehr schmerzhaft +dazu. + +Nun, mein Herr, was sagte er? Wie betrug er sich? O, mein Herr, groß! +Denn sobald mein Vater sein Steckenpferd genug gepeitscht hatte, +wendete er ohne die geringste Hitze sein Gesicht von Doktor Slop +weg, mit dem er gesprochen hatte, und sah meinem Vater in die Augen, +mit einer Miene, in der sich soviel Gutherzigkeit, soviel Sanftmut, +brüderliche Liebe, so unaussprechliche Zärtlichkeit gegen ihn zeigte, +daß es meinem Vater durchs Herz ging. Er stand hastig von seinem +Stuhle auf und ergriff meines Onkels Toby beide Hände, als er sprach: +»Bruder Toby, ich bitte um Verzeihung! Vergib mir, ich bitte dich, +dieses auffahrende Wesen, das mir meine Mutter anerbte.« -- »Mein +liebster, teuerster Bruder,« antwortete mein Onkel Toby, und richtete +sich mit meines Vaters Hilfe vom Stuhle auf, »sprich nicht mehr davon. +Ich kann es gerne leiden und wäre es zehnmal mehr, Bruder.« -- »Aber +es ist ungroßmütig,« erwiderte mein Vater, »irgendeinen Menschen zu +beleidigen, einen Bruder noch ärger. Aber einen Bruder zu beleidigen, +der so gütig ist, der so wenig reizt, niemals ahndet, es ist +schändlich. Wahrhaftig, es ist niederträchtig!« -- »Ich kann es gerne +leiden, Bruder,« sagte mein Onkel Toby, »wär's auch fünfzigmal mehr +gewesen!« -- »Überdem,« sagte mein Vater, »was habe ich mich um deinen +Zeitvertreib und dein Vergnügen zu bekümmern, es sei denn, daß ich's in +meiner Macht hätte, wie ich's nicht habe, ihr Maß zu vermehren.« + +»Bruder Shandy,« antwortete mein Onkel Toby, und sah ihm mit vieler +Bedeutung ins Angesicht, »hierin irrst du dich sehr! Denn du vermehrst +mein Vergnügen ungemein dadurch, daß du in deinem Alter die Shandysche +Familie mit Kindern vermehrst.« -- »Dadurch, mein Herr,« sagte Doktor +Slop, »vermehrt Herr Shandy sein eigenes.« -- »Nicht um ein Jota!« +sagte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Achtzehntes Kapitel. + + +»Mein Bruder tut es,« sagte mein Onkel Toby, »aus Grundsätzen.« -- »Des +lieben Hausfriedens wegen, denke ich,« sagte Doktor Slop. -- »Pscha!« +sagte mein Vater, »was wollen wir da viel von reden!« + + [Illustration] + + + + + Neunzehntes Kapitel. + + +Obadiah gewann die zwei Gulden ohne Widerrede. Denn er trat mit dem +grünen Filetbeutel, dessen wir schon erwähnt haben, und worin alle die +Instrumente klirrten, wie mit einer Jägertasche über der Schulter ins +Zimmer. + +»Mich dünkt,« sagte Doktor Slop und heiterte dabei seine Mienen auf, +»es wird nun nachgerade Zeit sein, da wir uns jetzt imstande befinden, +Madame Shandy hilfreiche Hand zu leisten, daß wir hinaufschicken und +fragen lassen, wie es geht?« + +»Ich habe der alten Bademutter befohlen,« antwortete mein Vater, »daß +sie gleich herunterkommen soll, sobald es ein wenig schwer geht. Denn +Sie müssen wissen, Herr Doktor,« fuhr er mit einem eckigen Lächeln +auf dem Gesicht fort, »daß Sie zufolge eines besonderen Traktats, der +zwischen meiner Frau und mir feierlich ratifiziert ist, bei dieser +Affäre bloß Hilfstruppe sind. Und das nicht einmal so völlig, wenn die +alte magere Bademutter ohne Sie zurechtkommen kann. Weiber haben ihre +eigenen Grillen, und bei Dingen von dieser Art, wo sie die ganze Last +alleine tragen, und für das Beste der Familien und die Vermehrung der +Welt so viel aushalten müssen, wollen sie sich das Recht nicht nehmen +lassen, +en souveraines+ zu entscheiden, in wessen Hände sie +fallen wollen und wie.« + +»Sie haben auch recht,« sagte mein Onkel Toby. -- »Aber mein Herr,« +erwiderte Doktor Slop, welcher tat, als hörte er nicht, was mein Onkel +Toby sagte, und sich an meinen Vater wandte, »sie täten besser, wenn +sie in anderen Dingen herrschten. Und ein guter Hausvater, der gerne +gesunde Kinder haben will, sollte sich dieses Recht abtreten lassen und +ihnen dafür lieber irgendein anderes einräumen.« -- »Ich wüßte nicht,« +sagte mein Vater, und antwortete ein wenig zu bitter, um ihn bei dem, +was er sagte, für ganz gleichgültig zu halten, »was wir wohl gegen +die Wahl, wer die Kinder holen soll, einzuräumen hätten.« -- »Alles +sollte man lieber einräumen,« sagte Doktor Slop. -- »Um Vergebung --« +antwortete mein Onkel Toby. -- »Sir,« versetzte Doktor Slop, »Sie +würden erstaunen, wenn Sie wüßten, wie hoch es in den letzten Jahren in +allen Zweigen der Geburtshilfe getrieben ist, besonders in dem einzigen +Punkte, den Fötus behend und wohlbehalten zu extrahieren. Darüber ist +ein solches Licht aufgegangen, daß ich für mein Teil bezeuge« -- hier +hielt er beide Hände in die Höhe --, »daß ich nicht begreifen kann, +wie die Weit noch --« -- »Ich wünschte,« fiel mein Onkel Toby ein, +»Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in Flandern +hatten.« + + [Illustration] + + + + + Zwanzigstes Kapitel. + + +»Ich wünschte, Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby, und wiederholte +seinen Wunsch für den Doktor Slop zum zweiten Male, und das mit mehr +Eifer und Ernst in seiner Art zu wünschen, als er es zuerst gewünscht +hatte, »Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in +Flandern hatten.« + +Meines Onkels Toby Wunsch tat dem Doktor Slop einen Mißdienst, den sein +Herz keiner lebendigen Seele zudachte. Denn, mein Herr, er machte ihn +verwirrt. Er brachte anfänglich seine Ideen in Unordnung und darauf +zur Flucht, so daß er solche nicht wieder in Reih' und Glied bringen +konnte, er mochte es anfangen, wie er wollte. + +In allen Arten von Disputationen, männlichen oder weiblichen -- es sei +um Ehre, um Brot oder um Liebe, das ändert in der Hauptsache nichts --, +ist nichts gefährlicher, Madame, als wenn einem ein Wunsch auf diese +unerwartete Art so ganz in die Quere auf die Haut fährt. Überhaupt +ist der sicherste Weg für den bewünschten Teil, um den Wunsch in der +Schwäche aufzufassen, den Augenblick sich zu erheben, auf beide Füße +zu treten und dem Wünscher etwas von ungefähr ebendem Werte dagegen +zu wünschen. Dadurch rechnen Sie stehenden Fußes ab, und die Sachen +bleiben, wie sie waren, Sie können sogar zuweilen den Vorteil des +Angriffs dadurch gewinnen. + +Der Doktor verstand nichts von der Art und Weise dieser Verteidigung. +Er wurde dadurch außer aller Fassung gebracht, und die Disputation +geriet vier ganze Minuten in ein völliges Stocken; fünf Minuten wären +ihr tödlich gewesen. Mein Vater sah die Gefahr. Die Disputation war +eine der wichtigsten Disputationen von der ganzen Welt: ob der Sohn +seines Betens und Arbeitens mit oder ohne Kopf auf die Weit kommen +sollte! -- Er wartete bis auf den letzten Augenblick, um dem Doktor +Slop sein Recht, zu erwidern, zu lassen. Da er aber merkte, daß er +irre geworden war, und fortfuhr, mit dem verstörten, bedeutungslosen +Auge umherzusehen, womit gewöhnlich verblüffte Seelen herumzugaffen +pflegen, erst in meines Onkels Toby Gesicht, dann in das seinige, dann +auf, dann nieder, dann ostwärts, dann ostsüdwärts und so weiter an dem +Gesimse der Wand herumspaziert bis an den gegenüberstehenden Punkt des +Kompasses, und daß er wirklich schon angefangen hatte, die messingnen +Tapetennägel an dem Arme seines Lehnstuhles zu zählen, da dachte mein +Vater, es sei mit meinem Onkel Toby keine Zeit weiter zu verlieren und +nahm also das Wort auf wie folgt. + + [Illustration] + + + [Illustration] + + + + + Einundzwanzigstes Kapitel. + + +»Bruder Toby,« sagte mein Vater, »ich weiß, du bist ein so ehrlicher +Mann und hast ein so gutes und aufrichtiges Herz, als jemals Gott +erschaffen hat. Es ist auch deine Schuld nicht, wenn alle die +Kinder, welche gezeugt worden sind, können, werden, mögen, sollen +oder müssen mit dem Kopfe voran auf die Welt kommen; aber glaube es +mir, lieber Toby, es ist schon genug an den Zufällen, welche ihnen +unvermeidlicherweise über den Häuptern schweben, an den Gefahren und +Widerwärtigkeiten, die unsere Kinder umgeben, nachdem sie ihren Weg auf +die Welt gefunden haben, daß es gar nicht nötig ist, sie auf diesem +Wege unnötigerweise noch neuen Gefahren bloßzustellen.« -- »Sind diese +Gefahren,« sagte mein Onkel Toby, indem er seine Hand auf meines Vaters +Knie legte und ihm ganz ernsthaft nach einer Antwort ins Gesicht sah, +»heutzutage größer, Bruder, als vordem?« -- »Bruder Toby,« antwortete +mein Vater, »wenn ein Kind nur redlicherweise gesund und lebendig auf +die Welt kam, und sich die Mutter im Wochenbette wohl befand, weiter +bekümmerten sich unsere Vorfahren um nichts.« -- Den Augenblick zog +mein Onkel Toby seine Hand von meines Vaters Knie weg, lehnte sich ganz +sanft in seinen Stuhl zurück, hob seinen Kopf so weit in die Höhe, daß +er eben das Gesims des Zimmers sehen konnte, und alsdann brachte er in +seinen Backen die Pfeifmuskeln und in seinen Lippen die Gewölbmuskeln +in die gehörige Lage, um sein gewöhnliches Konzert anzufangen -- er +pfiff seinen Regimentsmarsch. + + [Illustration] + + + + + Zweiundzwanzigstes Kapitel. + + +»Gott segne uns! Meine arme Herrschaft wird ganz ohnmächtig, und sie +hat keine Wehen mehr, und die Tropfen sind alle geworden, und das +Julepsglas ist entzweigebrochen, und die Wartefrau hat sich in den +Arm geschnitten, und das Kind ist, wo's war, und die Bademutter ist +rücklings übergeschlagen und mit den Lenden auf den Kaminherd gefallen, +daß sie so schwarz sind, wie eine taube Kohle,« sagte Susanna. -- +»Ich will danach sehen,« sagte Doktor Slop. -- »Es ist nicht nötig,« +versetzte Susanna, »sehen Sie nur nach meiner Herrschaft. Aber die +Bademutter wollte Ihnen gerne erst Bescheid sagen, wie es steht, und +läßt Ihnen sagen, Sie sollten gleich heraufkommen, daß sie mit Ihnen +sprechen könnte.« + +Die menschliche Natur äußert sich auf gleiche Weise in allen +Professionen. + +Eben vorher war die Hebamme dem Doktor Slop über den Kopf gesetzt +worden. Das hatte er noch nicht verdaut. »Nein,« antwortete der +Doktor, »es wäre wohl ebenso schicklich, wenn die Bademutter zu mir +herunterkäme.« -- »Ich liebe die Subordination,« sagte mein Onkel +Toby, »wenn die es nicht getan hatte, so weiß ich nicht, was nach der +Einnahme von Lisle aus der Besatzung von Gant geworden sein möchte +bei dem Brottumult Anno zehn.« -- »Ich ebensowenig,« versetzte Doktor +Slop, und parodierte meines Onkels Toby steckenreiterische Anmerkung, +obgleich er selbst ebensowohl auf seinem Steckenpferde saß. »Wüßte Herr +Kapitän Shandy, was aus der Besatzung da über unserem Kopfe geworden +sein möchte bei der Unordnung und dem Tumult, worin ich jetzt alles +finde, täte es nicht die Subordination unter ***, die mir unter meinen +jetzigen Umständen so glücklich zustatten kommt, sonst hätte es die +Shandysche Familie fühlen können, solange sie Shandysche Familie +heißt.« + + [Illustration] + + + + + Dreiundzwanzigstes Kapitel. + + +Laß uns zurückgehen zu den *** im vorigen Kapitel. + +Es ist ein besonderer Griff in der Redekunst -- zum wenigsten war es +einer, da die Beredsamkeit zu Athen und Rom im Flor war, und würde +es noch sein, wenn unsere Redner Mäntel trügen --, den Namen eines +Dinges nicht zu nennen, wenn man das Ding selbst bei der Hand hatte, +es husch vorzuweisen, gerade an dem Orte, wo es nötig war. Eine Wunde, +eine Narbe, ein Schwert, ein durchlöchertes Gewand, ein blutiger +Helm, anderthalb Pfund Pottasche in einer Urne, vor allen Dingen aber +ein zartes Kind in königlichem Putze. Freilich, wenn's noch zu jung +und die Rede so lang war, als Ciceros zweite Philippische, mußte es +notwendig des Redners Mantel unsauber machen. Und wiederum, wenn es zu +alt war, mußte es ihm beschwerlich fallen und seiner Aktion hinderlich +sein, dergestalt, daß er durch das Kind ebensoviel verlor, wie er +dadurch gewinnen konnte. Wenn aber ein politischer Redner das wahre +Alter bis auf eine Minute richtig getroffen, -- sein Bambino so listig +unter seinen Mantel verborgen hatte, daß keine sterbliche Nase es +riechen konnte, -- und es da in einem so entscheidenden Augenblicke +hervorbrachte, daß keine Seele sagen konnte, es würde bei den Haaren +herbeigezogen, -- o, ihr Herren, da tat es Wunder! Es hat wohl eher die +Geldbeutel einer halben Nation geöffnet, ihre Gehirne verrückt, ihre +Grundsätze erschüttert und ihre Staatskunst aus der Angel gehoben. + +Solche Taten lassen sich jedoch nicht tun, außer, sage ich, in den +Staaten und Zeiten, wo die Redner Mäntel trugen. Und zwar hübsch weite, +meine lieben Brüder, von einigen dreißig oder vierzig Ellen gutem, +aufrichtigem, superfeinem, rotem Scharlach, mit lang hingegossenen +Falten, nach hoher, edler Zeichnung in der Draperie. Aus welchem +allem, mit Euer Hochwohlgeboren gnädigen Erlaubnis, erhellet, daß der +Verfall der Beredsamkeit an nichts anderem in der Welt liegt als an +den kurzen Röcken. Unter den unserigen, Madame, können wir nichts mehr +verbergen, das sich der Mühe verlohnte vorzuweisen. + + [Illustration] + + + + + Vierundzwanzigstes Kapitel. + + +Es fehlte nur um ein Härchen, so wäre Doktor Slop eine Ausnahme von dem +geworden, was ich hier alles vorgetragen habe; denn da er eben seinen +grünen Filetbeutel vor sich auf den Knien liegen hatte, als er begann, +meinen Onkel Toby zu parodieren, so war der für ihn so gut, wie der +beste Mantel von der Welt. Wes Endes er dann, als er voraussah, seine +Phrase würde mit seinem neu erfundenen Forceps endigen, seine Hand in +den Beutel steckte, um solchen bereitzuhalten, an der Stelle damit +hervorzuwischen, welches, wenn er es recht gemacht hätte, meinen Onkel +Toby gewiß gesprengt haben würde. In dem Falle wäre der Satz und der +Beweis in einem Punkte so fest ineinandergelaufen, wie die zwei Linien, +welche die vorspringende Spitze eines Ravelins machen. Doktor Slop +hätte sich gewiß herausgezogen, und mein Onkel Toby hätte ebenso leicht +daran gedacht, zu fliehen, als es mit Sturm zu erobern. Aber Doktor +Slop kramte so lange dabei, als er ihn herausnehmen wollte, daß die +ganze Wirkung darüber verloren ging. Und was noch ein zehnmal größeres +Unglück dabei war -- denn ein Unglück kommt selten allein --, sowie er +den Forceps hervorzog, brachte er schändlicherweise auch die Spritze +mit zum Vorschein. + +Wenn eine Proposition in zweierlei Sinn genommen werden kann, so ist +es ein Gesetz in der Disputierkunst, daß der andere auf denjenigen von +beiden antworten mag, der ihm gut oder zuträglich dünkt. Dies brachte +den Vorteil des Arguments ganz auf meines Onkels Toby Seite. -- »Ach, +lieber Gott,« rief mein Onkel Toby, »werden die Kinder mit einer +Spritze auf die Weit gebracht?« + + [Illustration] + + + + + Fünfundzwanzigstes Kapitel. + + +»Bei meiner Ehre, Herr Doktor, Sie haben mir mit Ihrem Forceps die Haut +von meinen beiden Händen rein abgerissen,« rief mein Onkel Toby, »und +obendrein haben Sie mir alle Knöchel zu Brei gequetscht.« -- »'s ist +Ihre eigene Schuld,« sagte Doktor Slop, »Sie hätten Ihre beiden Hände +falten und halten sollen wie einen Kindeskopf, wie ich Ihnen sagte, +und festsitzen.« -- »Das tat ich ja,« antwortete mein Onkel Toby. -- +»Ja, so müssen die Zähne meines Forceps nicht recht gefüttert oder das +Niet zu locker sein, oder auch der Schnitt in meinen Daumen hat mich +nicht recht ansetzen lassen, oder, es ist auch möglich --« -- »Ein +Glück ist's,« sagte mein Vater und unterbrach das Herrechnen aller +Möglichkeiten, »daß das Experiment nicht zuerst an meines Kindes Kopf +gemacht ist.« -- »Das hätte ihm nicht soviel schaden sollen, als ich im +Auge leiden kann,« antwortete Doktor Slop. -- »Ich behaupte es,« sagte +mein Onkel Toby, »es hätte sein Zerebellum zerbrochen oder der Schädel +hätte so hart sein müssen wie eine Granate, und ein ordentliches +Pappmus daraus gemacht.« -- »Warum nicht gar!« versetzte Doktor Slop; +»ein Kindskopf ist von Natur so weich wie ein gebratener Apfel. Die +Suturen geben nach. Und überdem hätte ich's auch hernach bei den Füßen +holen können.« -- »Das sollen Sie wohl bleiben lassen,« sagte Susanna. +-- »Ich wünschte lieber, daß Sie den letzten Weg gleich einschlügen,« +sagte mein Vater. + +»O tun Sie doch das,« setzte mein Onkel Toby hinzu. + + [Illustration] + + + + + Sechsundzwanzigstes Kapitel. + + +»Es ist zwei Stunden und zehn Minuten, und länger nicht,« schrie mein +Vater, wobei er auf die Uhr sah, »seitdem Doktor Slop und Obadiah +angekommen sind. Und ich weiß nicht, Bruder Toby, wie es zugeht, aber +meinen Gedanken kommt's fast wie hundert Jahre vor.« + +Da, mein Herr, nehmen Sie, ich bitte, meine Kappe. Ja, die Schelle nur +auch, und meine Pantalonsschuhe dazu. + +Nun sehen Sie, mein Herr, es steht alles zu Ihrem Dienst. Und es soll +Ihnen geschenkt sein, wenn Sie mir alle Ihre Aufmerksamkeit für dieses +Kapitel leihen wollen. + +Obgleich mein Vater sagte, er wüßte nicht, wie es zuginge, so wußte +er doch recht gut, wie es zuging. Und den Augenblick, da er es +sagte, war er schon in seinem Sinne entschlossen, meinem Onkel Toby +eine metaphysische Dissertation über die Dauer und ihre simplen +Modifikationen zu halten, um ihm die Sache klarzumachen und ihm zu +beweisen, durch welchen Mechanismus und Maßstab im Gehirn es geschehen, +daß die schnell abwechselnde Folge ihrer Ideen und das beständige +Überhüpfen ihres Gespräches von einer Sache zur anderen, seitdem Doktor +Slop zu ihnen ins Zimmer gekommen, eine so kurze Zeit zu einer so +unbegreiflichen Länge habe ausdehnen können. -- »Ich weiß nicht, wie es +zugeht,« sagte mein Vater, »aber es kommt mir vor wie hundert Jahre.« + +»Das kommt bloß von der Folge unserer Ideen,« sagte mein Onkel Toby. + +Mein Vater hatte mit allen Philosophen den Kitzel gemein, über +alles, was ihm vorkam, zu philosophieren und das Warum zu beweisen. +Er versprach sich also ein unendliches Vergnügen von seiner +Dissertation über die Sukzession der Ideen, und dachte meilenweit +nicht daran, daß mein Onkel Toby ihm Solche vorm Maule wegnehmen +würde, der gewöhnlich -- die ehrliche Seele! -- jedes Ding so nahm, +wie es vorkam, und unter allen Menschen in der Welt sein Gehirn am +wenigsten mit abstraktem Denken marterte. Die Ideen von Zeit und +Raum, oder wie wir zu diesen Ideen kommen, oder aus was für Stoff +solche geschnitten sind, oder ob sie uns angeboren sind, oder ob wir +solche hernach erst aufsammeln, oder ob wir das tun, wenn wir noch im +Kinderröckchen gehen, oder erst, wenn wir Beinkleider bekommen haben, +nebst tausend anderen Untersuchungen und gelehrten Fragen über das +~Unendliche~, die ~vorherbestimmte Harmonie~, den ~freien Willen~, die +~unbedingte Notwendigkeit~ und dergleichen, über deren verzweifelte und +unauflösbare Theorien so mancher feine Kopf vor die Hunde gegangen ist, +taten meines Onkels Toby Kopfe nicht den geringsten Schaden. Mein Vater +wußte das und erstaunte daher nicht weniger über seine Antwort, als er +darüber betroffen war. + +»Weißt du denn die Theorie von den Ideen?« versetzte mein Vater. + +»Gar nicht,« sagte mein Onkel. + +»Du hast aber doch einige Ideen,« sagte mein Vater, »von dem, worüber +du sprichst.« + +»Ebensowenig wie mein Pferd,« versetzte mein Onkel Toby. + +»O lieber Himmel,« rief mein Vater, wobei er die Augen gen Himmel +richtete und seine beiden Hände zusammenschlug, »in deiner +unschuldigen Unwissenheit, Bruder Toby, liegt eine solche Würde, daß +es fast schade ist, dich herauszureißen. Ich will dir aber sagen: um +richtig zu verstehen, was die Zeit ist, ohne welches wir niemals das +begreifen können, was man unendlich nennt, weil die eine ein Teil des +anderen ist, müssen wir sorgfältig untersuchen, was das für eine Idee +sei, die wir von der Dauer haben, bis wir genaue Rechenschaft geben +können, wie wir dazu gelangt sind.« -- »Wem in der Welt geht das was +an?« sagte mein Onkel Toby. -- »~Denn wenn du deine Augen auf das +Innere deiner Gedanken richtest~,« fuhr mein Vater fort, »~und +solche aufmerksam beobachtest, so wirst du gewahr werden, Bruder, +daß, derweile du und ich hier sprechen und denken und unsere Pfeife +rauchen, oder wir auf eine andere Art nach und nach Ideen in unsere +Seelen bekommen, wir uns bewußt sind, daß wir da sind. Und wenn wir +die Dauer oder die Währung unseres eigenen Daseins oder eines jeden +anderen Dinges nach dem Maßstabe der Ideen in unserer Seele schätzen +und messen, so folgt aus diesem Vorsatze~ --« -- »Du machst, daß mir +der Kopf schwindelt,« rief mein Onkel Toby. + +»Nun ist, wir mögen es bemerken oder nicht,« fuhr mein Vater fort, »in +dem Kopfe eines jeden gesunden Menschen eine regelmäßige Folge der +Ideen einer oder der anderen Art, welche aufeinander folgen wie --« -- +»ein Artilleriezug?« sagte mein Onkel. -- »Warum nicht gar Leichenzug!« +sagte mein Vater leise. »Welche in unserer Seele in gewissen Abständen +aufeinander folgen wie die Bilder in der inwendigen Seite einer +Laterne, die von der Wärme eines Lichts gedreht werden.« -- »Ich +versichere dich,« sagte mein Onkel Toby, »meine drehen sich wie eine +Rauchfahne.« -- »Wenn das ist, Bruder Toby, so habe ich dir über diese +Materie weiter nichts zu sagen,« versetzte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Siebenundzwanzigstes Kapitel. + + +Obgleich mein Vater darauf beharrte, das Gespräch nicht fortzusetzen, +so konnte er doch meines Onkels Toby Rauchfahne nicht aus dem Kopfe +bringen. So sehr er sich auch anfangs darüber ärgerte, im Grunde +steckte etwas in der Vergleichung, die seine Einbildungskraft in +Gang brachte. Deswegen stützte er seinen Ellenbogen auf den Tisch +und die rechte Seite seines Kopfes mit der flachen Hand und -- erst +aber sah er starr ins Feuer --, begann für sich selbst zu denken +und darüber zu philosophieren. Da aber seine Lebensgeister von der +Arbeit, neue Gedanken auszuspähen, und der beständigen Anstrengung +seines Nachdenkens über die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die im +Gespräch vorgefallen waren, erschöpft worden, so drehte die Idee von +der Rauchfahne alle seine Ideen sehr bald über und über und er fiel in +Schlaf, ehe er's noch merkte. + +Meines Onkels Toby Rauchfahne hatte sich noch kein dutzendmal +herumgedreht, als auch er einschlief. Ich wünsche beiden wohl zu ruhen! +Doktor Slop hat oben mit der Hebamme und meiner Mutter zu schaffen. +Trim hat beide Hände voll damit zu tun, daß er aus einem Paar alter +steifer Reitstiefel ein Paar Mörser macht, die nächsten Sommer bei der +Belagerung von Messina gebraucht werden sollen, und bohrt ebendiesen +Augenblick mit einem glühenden Feuerstocher die Zündlöcher hinein. + + [Illustration] + + + + + Achtundzwanzigstes Kapitel. + + +Jeden Tag, seit wenigstens zehn ganzen Jahren, beschloß mein Vater, +es ändern zu lassen. Noch ist's nicht geändert. In keinem anderen +Haushalt als dem unsrigen hätte man es eine Stunde geduldet. Und was +Sie noch mehr wundern wird, in keiner Sache von der Welt war mein Vater +eigener als in Tür und Angel. Und nichtsdestoweniger war er sicherlich, +nach meiner Meinung, einer von denen, die am meisten dadurch gelitten +haben. Seine Theorie und seine Praxis lagen sich hierüber beständig +in den Haaren. Die Stubentüre konnte nicht aufgehen, ohne daß seine +Philosophie oder seine Grundsätze eine Ohrfeige bekamen. Drei Tropfen +Öl auf einer Feder und ein guter Schlag mit einem Hammer hätten seine +Ehre auf einmal gerettet. + +Was ist der Mensch für ein widersinniges Ding! Er kränkelt an Wunden, +die es nur bei ihm steht zu heilen! Sein ganzes Leben ein Widerspruch +seines besseren Wissens! Seine Vernunft, diese ihm von Gott geschenkte +teure Gabe -- anstatt Öl zur Linderung aufzugießen -- dient ihm bloß, +ihre Reizbarkeit zu erhöhen, ihre Schmerzen zu vervielfältigen und ihn +dabei ungeduldiger und trauriger zu machen. -- Warum, unglückliches +Geschöpf, bist du so! Ist's nicht genug an den unvermeidlichen Übeln +dieses Lebens, mußt du denn den Haufen deiner Bekümmernisse noch +freiwilligerweise vermehren! Da kämpft er gegen Übel an, die nicht zu +vermeiden sind, und unterwirft sich anderen, welche ein Zehntel von +der Mühe, die sie ihm machen, ein für allemal von seinem Herzen wälzen +könnte. + +Bei allem, was gut und tugendhaft ist, wenn innerhalb zwanzig Meilen in +der Runde um Shandy-Hall noch drei Tropfen Öl und ein Hammer zu finden +sind, so soll die Haspe an der Tür geändert werden. Noch unter dieser +Regierung! + + [Illustration] + + + + + Neunundzwanzigstes Kapitel. + + +Als Korporal Trim seine beiden Mörser beschickt hatte, freute er sich +über die Maßen über das Werk seiner Hände. Und wohl wissend, was es +seinem Herrn für Vergnügen machen würde, sie zu sehen, konnte er dem +Verlangen unmöglich widerstehen, solche stehenden Fußes nach seinem +Zimmer zu bringen. + +Außer dem moralischen Satze, auf welchen ich bei Erwähnung der Tür und +Angel anspielte, hatte ich auch eine spekulative Betrachtung auf dem +Korn, die daraus entspringt, und das ist diese: + +Wäre die Türe aufgegangen und die Haspe in der Angel gelaufen, wie +Türen eigentlich tun sollten. + +Oder zum Beispiel ebenso willig wie unsere Regierung -- das ist, wenn +Euer Hochwohlgeboren von ihr haben, was Sie wünschen, sonst will ich +mein Gleichnis lassen. -- In dem Falle, sage ich, wäre bei Korporal +Trims Eintreten keine Gefahr weder für den Herrn noch den Bedienten +gewesen. Im Augenblick, da er gesehen hätte, daß mein Vater und mein +Onkel Toby fest schliefen -- so ehrerbietig war er in seinem Betragen +--, wäre er mäuschenstill fortgegangen und hätte sie beide in ihren +Lehnstühlen so süß fortträumen lassen, wie er sie gefunden. Das war +aber, menschlicherweise davon zu sprechen, so unmöglich, daß während +der vielen Jahre, da man diese Tür so hatte weiterknarren lassen, und +unter den vielen Verdrießlichkeiten, die sich mein Vater dadurch zuzog, +unter andern war auch diese, daß er niemals seine Arme übereinander +schlug, um sein bißchen Mittagsruhe zu halten, ohne daß der Gedanke, +daß ihn der erste beste, der die Tür aufmachte, unvermeidlich wecken +müßte, ihm immer im Kopfe herumlief, und sich so stracks zwischen ihn +und den ersten balsamischen Vorgeschmack des Schlafes drängte, daß er +ihm, wie er oft bezeugte, alle seine Annehmlichkeiten raubte. + +Wie kann's, mit Euer Exzellenz Erlaubnis, anders sein, wenn die Sachen +auf schlechten Angeln laufen? + +»Nun, was gibt's? Wer ist da?« rief mein Vater, der den Augenblick +aufwachte, als die Türe zu knarren begann. »Ich wollte doch wohl +einmal, daß der Schmied nach der vertrackten Türe sähe!« -- »'s +ist nichts, gnädiger Herr,« sagte Trim, »als zwei Mörser, die ich +hereinbringe.« -- »Ich will hier keinen Lärm haben,« sagte mein Vater +hastig. »Wenn Doktor Slop Spezereien zu stampfen hat, so mag er's in +der Küche tun.« -- »Mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim, »es sind +zwei Bombenmörser, zu einer Belagerung auf nächsten Sommer, die ich aus +einem Paar steifer Reitstiefel gemacht habe. Obadiah hat mir gesagt, +Euer Gnaden brauchten sie nicht mehr.« -- »Hol's der Teufel,« schrie +mein Vater und sprang fluchend vom Stuhle auf. »Unter aller meiner Fahr +und Habe ist mir nichts lieber und teurer, als diese Steifstiefel, +sie kommen noch von unserem Großvater her, Bruder Toby. Es waren +Erbstücke.« -- »Ja, so tut mir's leid,« sagte mein Onkel Toby, »daß +Trim sie vom Hauptgute getrennt hat.« -- »Ich habe nichts aufgetrennt, +gnädiger Herr,« sagte Trim, »ich habe nur die Stulpen abgeschnitten.« +-- »Ich kann alte Dinge ebensowenig leiden, wie ein anderer,« sagte +mein Vater; »aber diese Steifstiefel,« fuhr er fort, wobei er bitter +lächelte, »Bruder, sind seit dem letzten Rebellenkriege beständig bei +der Familie gewesen. Sir Roger Shandy trug sie in der Schlacht bei +Marstonmoor. Ich versichere dich, ich hätte sie nicht für zehn Louisdor +gegeben.« -- »Ich will dir das Geld geben, Bruder Shandy,« sagte +mein Onkel Toby, betrachtete dabei die beiden Mörser mit unendlichem +Vergnügen und fuhr mit der Hand nach der Geldtasche, wie er sie ansah. +»Von Herzen gerne will ich dir den Augenblick das Geld dafür bezahlen.« +-- + +»Bruder Toby,« versetzte mein Vater mit veränderter Stimme, »du +bekümmerst dich nicht, was du für Geld verschleuderst und wegwirfst, +wenn's nur für eine Belagerung ist.« -- »Habe ich nicht jährlich +hundertundvierzig Louisdor Renten und meine Pension dazu?« rief mein +Onkel Toby. -- »Was verschlägt das,« versetzte mein Vater hastig, +»wenn du zehn Pistolen für ein Paar alte Stiefel gibst, zwölfe für +deine Pontons und halb soviel für deine holländische Zugbrücke, +geschweige des kleinen Artillerietrains von messingenen Kanonen, die +du vorige Woche bestellt hast, nebst zwanzig anderen Zurüstungen für +die Belagerung von Messina, mehr. -- Glaube mir, liebster Bruder +Toby,« fuhr mein Vater fort, und nahm ihn dabei ganz freundlich bei +der Hand, »diese deine Kriegsoperationen übersteigen deine Kräfte. Du +meinst es gut, Bruder, aber sie verleiten dich zu stärkeren Ausgaben +als du anfangs gedacht hast. Und verlaß dich auf das, was ich sage, +lieber Toby, sie werden dich endlich noch um all das Deinige und an den +Bettelstab bringen.« -- »Je nun, Bruder, was wär's denn nun auch mehr,« +versetzte mein Onkel Toby, »solange wir wissen, daß es zum Besten +unseres Vaterlandes geschieht.« + +Mein Vater mußte lächeln, wenn er auch nicht gewollt hätte. Sein Zorn +war allemal höchstens nur Knallpulver, und Trims Dienstfertigkeit und +Einfalt und die großmütige, obgleich steckenreiterische Gesinnung +meines Onkels Toby söhnte sie augenblicklich beide wieder mit ihm aus. + +»Großmütige Seelen! -- Gott erhalte euch und eure Bombenmörser dazu,« +sagte mein Vater bei sich selbst. + + [Illustration] + + + + + Dreißigstes Kapitel. + + +»Nun ist alles ruhig und still,« rief mein Vater, »da oben wenigstens. +Ich höre keinen Menschen mehr gehen. Sage Er mir doch, Trim, wer +ist in der Küche?« -- »In der Küche ist niemand,« antwortete Trim +und machte dabei seinen tiefen Bückling, »außer Doktor Slop.« -- +»Verdammt!« schrie mein Vater und hob sich abermals auf die Füße. +»Diesen Tag geht doch nicht das geringste seinen ordentlichen Gang. +Wenn ich an die Sterndeuterei glaubte, Bruder -- welches mein Vater, +unter uns gesagt, tat --, so möchte ich schwören, daß irgendein Planet +im Zeichen des Krebses über meinem unglücklichen Hause hinge, und jedes +Ding darin verkehrt gehen ließe. Wie? ich dachte, Doktor Slop wäre oben +bei meiner Frau, und da sagt Er -- -- Was hat der Patron in der Küche +zu suchen?« -- »Ja, wenn's Euer Gnaden nicht übelnehmen wollen, er ist +dabei und macht eine Brücke.« -- »Das ist doch sehr gütig von ihm,« +sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine schönste Empfehlung, Trim, +und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm von Herzen danke.« + +Sie müssen wissen, daß mein Onkel Toby ebensoweit an der richtigen +Brücke vorbeischoß, als mein Vater an den Mörsern. Um aber zu +verstehen, wie mein Onkel Toby die Brücke verfehlen konnte, fürchte +ich, muß ich Ihnen wohl eine genaue Nachricht von dem Wege geben, +der dahin führte. Oder ich will den Vergleich fahren lassen -- denn +einem Geschichtschreiber ist nichts unanständiger, als wenn er welche +gebraucht --. Um die Möglichkeit richtig zu begreifen, wie mein Onkel +Toby sich darin irren konnte, muß ich Ihnen etwas Nachricht von einem +von Trims Abenteuern erteilen, so ungern ich auch wollte. Ich sage, so +ungern ich auch wollte, weil die Geschichte hier gar nicht an ihrem +rechten Orte steht. Denn eigentlich sollte sie erst da vorkommen, wo +ich die Anekdoten von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten mit der +Witwe Wadmann erzähle, wobei Trim keine unbeträchtliche Rolle spielt. +Oder auch in der Mitte der Feldzüge, die er mit meinem Onkel Toby auf +dem grünen Spielplatze tat. Allein, wenn ich sie bis zu einem von +diesen Teilen meiner Historie aufspare, so entsteht eine Lücke in der +Historie, die ich eben vor mir habe. Und erzähle ich's hier, so mähe +ich mein Korn grün und tu meiner Geschichte dort Schaden. + +Was raten mir Euer Hochweisheiten, was soll ich hier tun? -- + +Erzählen Sie ja gleich, Herr Shandy. -- Tristram, du bist nicht klug, +wenn du's tust! + +O, ihr Mächte! -- denn Mächte seid ihr, und hohe dazu -- welche den +unsterblichen Menschen das Vermögen verleihen, eine Historie zu +erzählen, die des Hörens wert sei, die ihr ihm freundlich weiset, wo +er anfangen muß und wo aufhören, was er hineinbringen muß und was +herauslassen, wieviel er davon in Schatten zu bringen hat, und wohin +er seine Lichter verteilen soll! Ihr, die ihr dem weiten Reiche der +biographischen Freibeuter vorsteht, und die mancherlei Not und Kummer +seht, in welche eure Untertanen täglich und stündlich geraten, wollt +ihr mir eins zu Gefallen tun? + +Ich ersuche und bitte euch -- falls ihr nichts Besseres für uns tun +wollt -- wenn es sich so gebührt und zuträgt, daß in eurem Gebiete drei +Wege sich kreuzen, wie hier eben geschehen ist, so laßt doch wenigstens +einen Wegweiser auf den Scheideweg setzen, aus bloßer Barmherzigkeit, +einem armen Tropf zu raten, welchen von den dreien er nehmen soll. + + [Illustration] + + + + + Einunddreißigstes Kapitel. + + +Obgleich der Stoß, den mein Onkel Toby das Jahr nach der Scheidung von +Dünkirchen in seiner Affäre mit der Witwe Wadmann erlitt, ihn in dem +Vorsatze bestärkt hatte, niemals wieder an das schöne Geschlecht, noch +an irgend etwas, das dazu gehörte, zu denken, so hatte doch Korporal +Trim kein solches Bündnis mit sich selbst gemacht. In der Tat war bei +meines Onkels Toby Begebenheit ein sonderbarer und unbegreiflicher +Zusammenfluß von Umständen, die ihn unvermerkt leiteten, die schöne und +starke Zitadelle von einem Weib zu belagern. Trims Begebenheit war kein +Zusammenfluß von irgend etwas in der Welt, als von ihm und Brigitten in +der Küche. Doch war, die Wahrheit zu sagen, die Liebe und Ehrerbietung, +die er gegen seinen Herrn hegte, so groß, und so gern ahmte er ihn +in allem, was er tat, nach, daß hätte mein Onkel Toby sein Genie und +seine Zeit darauf verwendet, Spitzen zu klöppeln, ich bin versichert, +der ehrliche Korporal hätte seine Waffen niedergelegt und wäre seinem +Beispiel mit Vergnügen gefolgt. Jedesmal, wenn also mein Onkel Toby +sich bei der Herrschaft setzte, nahm Trim flugs seinen Posten bei der +Kammerjungfer. + +Nach einer ganzen Kette von Angriffen und Verteidigungen während neun +ganzer Monate, die meines Onkels Toby Belagerung dauerte, wovon alle +Umstände am gehörigen Ort aufs treulichste erzählt werden sollen, hielt +es mein ehrlicher Onkel Toby für ratsam, seine Truppen zurückzuziehen +und die Belagerung mit einigem Verdrusse aufzuheben. + +Korporal Trim, wie gesagt, hatte kein solches Bündnis, weder mit sich +selbst noch mit andern, gemacht. Da ihm die Treue seines Herzens +indessen nicht erlaubte, in einem Hause aus und ein zu gehen, das sein +Herr mit Widerwillen verlassen hatte, so begnügte er sich damit, daß er +seinen Teil der Belagerung in eine Blockade verwandelte. Das heißt, er +hielt andere entfernt. Denn ob er gleich hernach niemals in ihr Haus +ging, ward er doch auch seiner Brigitte niemals im Dorfe ansichtig, +ohne daß er ihr zunickte, zulächelte, winkte oder sie freundlich ansah. +Und wenn's die Gelegenheit gab, faßte er sie bei der Hand oder fragte +sie ganz verliebt, wie's ihr ginge. Oder er schenkte ihr ein Band, oder +zuweilen, doch niemals, als wenn's mit Dekorum geschehen konnte, gab +er ihr -- -- + +Genau in dieser Lage befanden sich die Sachen fünf Jahre hindurch, vom +Jahre 1713 an, da Dünkirchen geschleift wurde, bis gegen das Ende des +Feldzugs meines Onkels Toby, 1718, ungefähr sechs oder sieben Wochen +vor der Zeit, von der ich spreche. Als Trim, nach seiner Gewohnheit, +nachdem er meinen Onkel Toby zu Bett gebracht hatte, an einem +mondhellen Abend hinunterging, um zuzusehen, ob in seiner Fortifikation +noch alles richtig stünde, spionierte er auf der Wiese, die von dem +Spielplatze mit grünen Hecken abgesondert war, seine Brigitta aus. + +Da der Korporal glaubte, es sei in der ganzen Welt nichts so +sehenswürdig wie die herrlichen Werke, die er und mein Onkel Toby +miteinander gemacht hatten, so nahm er sie höflich und mutig bei +der Hand und führte sie hinein. Dies geschah nicht so heimlich, daß +es nicht die plapperhafte Trompete der Fama so lange von Ohr zu Ohr +herumgetragen hätte, bis es endlich wohl an meinen Vater gelangen +mußte, zugleich mit dem ungünstigen Umstande, daß meines Onkels Toby +hübsche Zugbrücke, die nach holländischer Manier gebaut und bemalt war +und ganz über den Graben reichte, in ebender Nacht zerbrochen und, +der Himmel weiß wie, in tausend Stücke zersplittert worden war. Mein +Vater, wie Sie bemerkt haben, hatte eben nicht viel Hochachtung für +meines Onkels Toby Steckenpferd. Er hielt es für das lächerlichste +Hotthott, das nur jemals ein Kavalier geritten, und konnte niemals +daran denken, mein Onkel mußte ihm denn eben damit in die Quere reiten, +ohne zu lächeln. Es konnte also niemals lahm werden oder ihm sonst +ein Zufall zustoßen, oder es kitzelte meines Vaters Gedanken über die +Maßen. Allein dies hier war ein Zufall, der seinem Herzen sanfter tat +als alle, die ihm noch begegnet waren, und er wußte sich eine Freude +damit zu machen, so oft er wollte. -- »Gut, und nicht allzugut, lieber +Toby,« pflegte er zu sagen, »erzähle uns doch, wie ging's denn mit der +Brücke eigentlich zu?« -- »Wie kannst du mich nur so damit zerren,« +pflegte wohl mein Onkel Toby zu antworten. -- »Ich habe es ja wohl +zwanzigmal schon erzählt, Wort für Wort, wie ich's von Trim weiß!« -- +»Nun, wie war's denn, Korporal?« rief dann mein Vater und wendete sich +an Trim. -- »Es war ein reines Unglück, wenn's Euer Gnaden verzeihen, +ich zeigte Brigitte unsere Befestigungen. Und als ich so zu nahe an +den Rand des Grabens kam, rutschte ich unglücklicherweise hinein.« -- +»Ei, hübsch, Trim!« rief dann mein Vater, wobei er schalkhaft lächelte +und mit dem Kopfe nickte, ohne ihn zu unterbrechen. »Und da ich mit +Euer Gnaden Wohlnehmen die Brigitte fest in meinen Armen hielt, zog +ich sie so mit mir, und da fiel sie rücklings über, gegen die Brücke.« +-- »Und da Trim mit seinem Fuße,« rief mein Onkel Toby und nahm ihm +die Historie vorm Maule weg, »in die Verschanzung geriet, taumelte er +auch gegen die Brücke. -- Es war ein großes Glück,« pflegte mein Onkel +hinzuzusetzen, »daß der arme Mensch kein Bein brach.« -- »Ja wohl, ja +wohl!« pflegte mein Vater zu sagen. »Ein Bein ist leicht gebrochen, +Bruder! besonders in solchen Fällen!« -- »Und also brach die Brücke, +die, mit Euer Gnaden Erlaubnis, nur dünn gemacht war, zwischen uns +entzwei und ging in tausend Stücke.« + +Mein Onkel Toby versuchte es niemals, sich gegen den Angriff dieses +Spotts mit etwas anderem zu wehren, als daß er noch einmal so geschwind +aus seiner Tabakspfeife dampfte, wodurch er eines Abends eine so +dicke Wolke machte, daß mein Vater, der ein wenig zur Schwindsucht +geneigt war, darüber einen erschrecklichen Anfall von Husten bekam. +Mein Onkel Toby sprang auf, ohne der Schmerzen an seinem Latzbeine zu +achten, und mit unendlichem Mitleid stand er bei seines Bruders Stuhl, +klopfte ihm mit einer Hand den Rücken und hielt ihm mit der andern den +Kopf. Und von Zeit zu Zeit wischte er ihm die Augen mit einem reinen +holländisch-leinenen Tuche, das er aus der Tasche zog. Die herzlich +liebevolle Art, womit mein Onkel Toby diese kleinen Dienste leistete, +durchdrang meinen Vater bis in sein innerstes Eingeweide über den +Verdruß, den er ihm eben gemacht hatte. Eher soll man mir das Gehirn +mit einem Mauerbrecher oder gleichviel womit ausstoßen, sagte mein +Vater zu sich selbst, ehe ich dieser ehrlichen Seele wieder spotte. + + [Illustration] + + + + + Zweiunddreißigstes Kapitel. + + +Als Trim hereinkam und meinem Vater sagte, daß sich Doktor Slop in +der Küche damit beschäftige, eine Brücke zu machen, war mein Onkel +Toby -- die Geschichte mit den Steifstiefeln hatte eben eine Reihe +von Kriegsideen in seinem Gehirn in Gang gebracht -- der Meinung, daß +Doktor Slop ein Modell von des Marquis d'Hopitals Brücke machte. »Das +ist doch sehr gütig von ihm,« sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine +schönste Empfehlung, Trim, und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm +von Herzen danke.« + +Wäre meines Onkels Toby Kopf ein Raritätenkasten gewesen, und hätte +mein Vater beständig durchs Glas hineingeschaut, so hätte es ihm +von dem, was in meines Onkels Toby Hirn herumarbeitete, keinen +deutlicheren Begriff machen können, als er schon ohnedies hatte. Trotz +des Mauerbrechers und der heftigen Verwünschungen, die ihm solche +Hirngespinste schon abgelockt hatten, wollte er eben triumphieren, als +Trims Antwort plötzlich den Lorbeer von seiner Schläfe und in Stücke +riß. + + [Illustration] + + + + + Dreiunddreißigstes Kapitel. + + +»Mit eurer verwünschten Zugbrücke!« sagte mein Vater. »Mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, 's ist eine Brücke in unseres jungen Junkers Nase. Als er +ihn mit seinem verdammten Klimperkrame auf die Welt geholt hat, so hat +er ihm die Nase zerdrückt, daß sie so platt in seinem Angesichte ist, +sagt Susanna, wie ein Pfannkuchen. Nun macht er von einem Lappen Kattun +und einem Stückchen Fischbein aus Susannens Schnürleibe eine falsche +Brücke, die sie wieder aufrichten soll.« + +»O, Bruder Toby, komm, führe mich sogleich nach meiner Kammer!« + + [Illustration] + + + + + Vierunddreißigstes Kapitel. + + +Von dem ersten Augenblicke an, da ich mich hinsetzte, mein Leben +zum Vergnügen der Welt und meine Meinungen zu ihrer Belehrung +aufzuschreiben, hat sich unvermerkt eine Wolke über meinem Vater +zusammengezogen. Eine Flut von Übeln und Widerwärtigkeiten hat sich +gegen ihn gehäuft. Nicht das allergeringste, wie er selbst bemerkt, ist +richtig gegangen, und nun ist das Gewitter reif und wird mit aller Wut +über seinem Haupte ausbrechen. + +Ich gehe an diesen Teil meiner Geschichte mit einem so schweren und +melancholischen Gemüte, das nur je eine sympathische Seele empfunden +hat. Meine Nerven werden schlaff, indem ich's erzähle. Bei jeder Zeile, +die ich schreibe, fühle ich, daß die Lebhaftigkeit meines Pulses sinkt, +und die sorglose Munterkeit, die mich sonst jeden Tag meines Lebens +antreibt, tausend Dinge zu sagen und zu schreiben, die ich nicht sagen +und schreiben sollte. Und in diesem Augenblick, wie ich gerade meine +Feder in die Tinte tauchte, fiel mir's recht aufs Herz, mit was für +einer behutsamen Art von kummervoller Bedächtigkeit und Feierlichkeit +das geschah. Himmel! wie verschieden von dem schnellen Zufahren und +dem hitzigen Ausspritzen, das du sonst gewohnt bist, Tristram! -- in +anderer Laune. Wenn du die Feder niederwirfst und deine Tinte auf +deinem Tische und deinen Büchern herumkleckst, als ob deine Feder und +deine Tinte, deine Bücher und deine Möbel dich kein Geld kosteten. + + [Illustration] + + + + + Fünfunddreißigstes Kapitel. + + +Ich will mich bei langen Beweisen nicht aufhalten. Es ist erwiesen, +und ich bin davon überzeugt, Madame, so lebhaft als möglich, daß +beides, Mann und Weib Schmerzen oder Kummer, und, soviel ich weiß, auch +Vergnügen, in einer horizontalen Lage am besten ertragen. + +Sobald mein Vater auf seine Kammer kam, warf er sich der Quere +nach über das Bett, mit dem heftigsten Unmut, der sich nur denken +läßt. Dabei aber in der kläglichsten Stellung eines von Kummer +niedergeschlagenen Mannes, über den jemals das Mitleid eine Träne +geweint hat. Seine rechte flache Hand empfing, wie er aufs Bett fiel, +seinen Vorderkopf, bedeckte größtenteils seine beiden Augen. Dann sank +er sachte nieder mit dem Kopfe (sein Ellenbogen wich hinterwärts), bis +er mit der Nase das Kopfkissen berührte. Seine linke Hand hing schlaff +über den Bettrand, die Faust kam auf den Henkel eines Kammertopfes zu +liegen, der unter dem Bettschurze hervorguckte. Sein rechtes Bein, +das linke hatte er an den Leib gezogen, hing halb über den Bettrand, +mit dem Schienbeine auf der Kante des Bretts. Er fühlte es nicht. Ein +tiefer eingewurzelter Kummer nahm seinen Sitz auf jedem Zuge seines +Gesichts. Einmal seufzte er, seine Brust hob sich oft, sprach aber kein +Wort. + +Ein alter, auf Tapetenart gestickter Stuhl, mit abgebleichten, +verwitterten Fransen besetzt, stand am Kopfe des Bettes der Seite +gegenüber, wo meines Vaters Haupt hing. Mein Onkel Toby setzte sich +hinein. + +Ehe eine Betrübnis ganz verdaut ist, kommt das Trösten immer zu früh, +und ist sie verdaut, kommt's zu spät. Sie sehen also, Madame, daß +zwischen beiden Grenzen eine fast haarfeine Linie liegt, die ein +Tröster zu fassen wissen muß. Mein Onkel Toby griff beständig entweder +diesseits oder jenseits fehl und pflegte oft zu sagen, er glaubte, daß +er ebensoleicht die Meereslänge erwischen könnte. Deshalb zog er, als +er sich in den Stuhl setzte, den Vorhang ein wenig weiter zu, und, +wie er immer für jedermann eine Träne bereit hatte, zog er ein weißes +Taschentuch hervor, holte einen tiefen Seufzer und -- sagte kein Wort. + + [Illustration] + + + + + Sechsunddreißigstes Kapitel. + + +»Es ist nicht alles Gewinn, was in die Kasse fällt.« Und ob also mein +Vater gleich das Glück hatte, die ältesten Bücher von der Welt zu +lesen, und dazu an und für sich selbst die eigenartigste Denkungsart +besaß, womit nur ein Sterblicher beseligt sein mochte, so war er doch +bei dem allen auch wieder solchen Launen unterworfen, die ihn in die +sonderbarsten und oft widersinnigsten Verlegenheiten setzten, von denen +diese eine, die ihm hier über den Hals kam, ein so starkes Beispiel +ist, wie sich nur irgend anführen läßt. + +Freilich, das Eindrücken des Knorpels an der Nase eines Kindes +durch ein Instrument, wäre es auch nach den besten Regeln der Kunst +geschehen, sollte wohl jeden Mann in der Welt ärgerlich machen, wenn +ihm auch schon die Erziehung eines Kindes nicht soviel Mühe und Sorgen +kostete wie meinem Vater. Dennoch kann es das Übermaß seiner Betrübnis +nicht entschuldigen, noch die unchristliche Art rechtfertigen, mit +welcher er sich derselben überließ. + +Um dies zu erklären, muß ich ihn auf eine halbe Stunde auf seinem Bette +liegen und meinen Onkel Toby auf seinem alten Tapetenstuhle bei ihm +sitzen lassen. + + [Illustration] + + + + + Siebenunddreißigstes Kapitel. + + +»Ich halte es für eine sehr ungewissenhafte Forderung,« rief mein +Urgroßvater, rollte das Papier zusammen und warf's auf den Tisch. »Aus +dieser Rechnung erhellt, Madame, daß Sie nur zweitausend Pistolen +Brautschatz und nicht einen Heller mehr haben. Und doch bestehen Sie +auf einem Leibgedinge von dreihundert Pistolen jährlich!« -- + +»Das kommt,« versetzte meine Urgroßmutter, »weil Sie eine kleine oder +fast gar keine Nase haben, Herr.« + +»Verflucht!« schrie mein Urgroßvater, und fuhr mit der Hand nach seiner +Nase, »so klein ist sie doch auch noch nicht, sie ist einen ganzen Zoll +länger als meines Vaters Nase.« Nun war aber meines Urgroßvaters Nase +allen Nasen der Männer, Weiber und Kinder, die Pantagruel auf der Insel +Ennasin fand, so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Nebenbei gesagt, wenn +Sie die sonderbare Art und Weise kennen lernen wollen, wie man sich mit +einem so plattnasigen Volk verschwägern kann, so müssen Sie das Buch +lesen. -- Es von selbst auszufinden, das sollen Sie wohl bleiben +lassen. + +Herr, sie sah aus wie ein Treffaß. + +»'s ist ein ganzer Zoll,« fuhr mein Urgroßvater fort und drückte mit +Finger und Daumen sein Endchen Nase und wiederholte seine Behauptung: +»'s ist ein ganzer Zoll, Madame, daß sie länger ist als meines Vaters +Nase.« -- »Sie mögen die Ihres Onkels meinen,« erwiderte meine +Urgroßmutter. + +Mein Urgroßvater ward überführt. Er rollte das Papier wieder auf und +unterschrieb den Ehevertrag. + + [Illustration] + + + + + Achtunddreißigstes Kapitel. + + +»Welch ein unbilliges Leibgedinge, mein Schatz, das wir aus unserem +kleinen Gute zahlen müssen!« sagte meine Großmutter zu meinem +Großvater. + +»Mein Vater,« erwiderte mein Großvater, »mein Kind, hatte ebensowenig +Nase, den Tüpfel ausgenommen, wie mir hier auf der Hand sitzt.« + +Nun müssen Sie wissen, daß meine Urgroßmutter meinen Urgroßvater zwölf +Jahre überlebte, und ihr also mein Großvater die ganze Zeit über immer +halbjährlich -- alle Ostern und Michaelis -- ihre hundertundfünfzig +Pistolen Witwengehalt auszahlen mußte. + +Niemand war williger und bereiter, seine Schulden abzutragen, als +mein Vater. Bis an volle Hundert pflegte er die Pistolen wurfweise +mit der Miene hinzuschießen, die großmütige Seelen, und auch nur die +großmütigen Seelen, beim Geben und Bezahlen zu machen pflegen und die +gleichsam sagt: ich geb's gern. Sobald er aber an die folgenden Fünfzig +kam, stieß er gewöhnlich ein lautes Hm! aus, rieb sich dabei ganz +gemächlich mit dem flachen Zeigefinger an der Nase, schob die Hand ganz +bedächtig unter die Perücke, besah jedes Goldstück, ehe er's weggab, +auf beiden Seiten, und zählte selten die Fünfzig zu Ende, ohne sein +Schnupftuch zur Hand zu nehmen und den Angstschweiß von der Stirne zu +wischen. + +Behüte mich, gütiger Himmel, vor solchen Verfolgungsgeistern, welche +keine Nachsicht mit dergleichen Bewegungen, die in uns vorgehen, haben +können. Nie, o nie, laß mich in einem Gezelte mit denen liegen, die +den Bogen immer so hoch spannen und kein Mitleiden mit der Macht der +Erziehung und mit dem überwiegenden Einflusse der von unseren Voreltern +geerbten Meinungen haben wollen. + +Schon bis ins dritte Glied wenigstens hatte der Glaube an das Glück +der langen Nasen nach und nach Wurzel in unserer Familie geschlagen. +Das Hörensagen war ganz auf seiner Seite, und alle halbe Jahre kam +das Geldausgeben dazu, um ihn zu bestärken, dergestalt, daß meines +Vaters grillenhafter Kopf weit entfernt war, sich von diesem wie von +fast allen seinen übrigen sonderbaren Sätzen die Ehre allein anmaßen +zu können. Denn man konnte sagen, daß er ihn zum großen Teil mit der +Muttermilch eingesogen hatte. Indessen tat er das seinige dazu. Wenn +seine Erziehung den Irrtum -- falls es einer war -- pflanzte, so begoß +ihn mein Vater und wartete und pflegte ihn bis zur völligen Reife. + +Er beteuerte oft, wenn er seine Gedanken über diesen Punkt äußerte, +daß er nicht begreife, wie die größte Familie in der Welt eine +ununterbrochene Folge von sechs oder sieben kurzen Nasen gutmachen +könnte. Und aus dem entgegenstehenden Grunde, pflegte er hinzuzusetzen, +müßte es eine der unerklärbarsten Erscheinungen im bürgerlichen Leben +sein, daß dieselbe Anzahl tüchtiger langer Nasen, in gerader Linie +vererbt, einen Menschen nicht zu den höchsten Ehrenstaffeln erhebe und +emporschwinge. Mit Selbstgefälligkeit rühmte er's oft, daß die Shandys +unter Heinrichs +VIII.+ Regierung sehr hoch im Range gewesen und +ihre Erhebung keinen Staatskniffen zu danken gehabt, sondern nur, sagte +er, diesem Glücksumstande. Allein, pflegte er hinzuzufügen, das Rad +habe sich gleich wie bei anderen Familien bis zu dem Schlag von meines +Urgroßvaters Nase gedreht. Und sie wären niemals wieder in die Höhe +gekommen. Jawohl, es war ein Treffaß! rief er dann und schüttelte dabei +den Kopf. Und ein so häßliches, als nur jemals Trumpf geworden ist. + + [Illustration] + + + + + Neununddreißigstes Kapitel. + + +Mein Vater lag ausgestreckt auf dem Bette volle anderthalb Stunden so +still, als hatte die Hand des Todes ihn niedergeschleudert, ehe er +mit den Zehen des Fußes, der über der Bettkante hieg, auf der Erde +zu spielen anfing. Meines Onkels Toby Herz fühlte sich dadurch ein +Pfund leichter. Wenige Augenblicke später bekam auch seine linke Hand, +mit der er beständig auf den Henkel des Kammertopfes gelegen hatte, +wieder ihr Gefühl. Er schob ihn ein wenig weiter hinunter. Nachdem das +geschehen, zog er die Hand herauf an seinen Busen und stieß ein Hm! +aus. Mein guter Onkel Toby beantwortete es mit unendlichem Vergnügen +und hätte herzlich gerne einen Trostspruch in die Spalte geimpft, die +es machte. Da er aber, wie schon gesagt, hierin keine vorzügliche Gabe +hatte und überdem noch besorgte, es möchte ihm etwas entfahren, das das +Übel nur ärger machte, so begnügte er sich damit, daß er mit seinem +Kinn ganz gelassen auf seinem Krückhaken liegen blieb. + +Ob nun der Druck von unten meines Onkels Toby Gesicht zu einem +angenehmeren Oval verkürzte, oder ob die Menschenliebe seines Herzens, +als er seinen Bruder sich aus dem See seiner Leiden hervorarbeiten sah, +seine Muskeln angeschwellt hatten, so daß der Druck auf sein Kinn bloß +die Leutseligkeit verdoppelte, die man vorher darin sah, ist nicht +schwer zu entscheiden. Mein Vater, als er die Augen auf ihn richtete, +ward von einem solchen Sonnenscheine aus seinem Gesicht bestrahlt, daß +dadurch augenblicklich die Starrheit seiner Traurigkeit auftaute. + +Er brach folgendermaßen das Stillschweigen. + + [Illustration] + + + + + Vierzigstes Kapitel. + + +»Hat wohl jemals, Bruder Toby,« sagte mein Vater, indem er sich auf +seinen Ellenbogen stemmte und sich nach der anderen Seite des Bettes +kehrte, während mein Onkel Toby auf dem alten befransten Stuhle saß und +das Kinn auf seine Krücke gestützt hielt, »ein armer, unglücklicher +Mann so vielen Hieben standhalten müssen?« -- »Die meisten, die ich +habe austeilen sehen,« sagte mein Onkel Toby, »bekam ein Grenadier. +Ich glaube« -- hier klingelte er mit der Glocke, Trim zu rufen -- +»in Mackays Regiment.« -- Hätte mein Onkel Toby meinem Vater eine +Musketenkugel durchs Herz gejagt, er hätte nicht plötzlicher Knall und +Fall mit der Nase aufs Kissen fallen können. + +»Gott bewahre!« sagte mein Onkel Toby. + +[Illustration] + + + + + Einundvierzigstes Kapitel. + + +»War's nicht in Makays Regiment,« fragte mein Onkel Toby, »als zu +Brügge der Grenadier der Dukaten wegen so erschrecklich viele Hiebe +bekam?« -- »Ach lieber Gott, er hatte keine Schuld!« schrie Trim mit +einem tiefen Seufzer. »Und er ward, mit Euer Gnaden Erlaubnis zu +melden, fast zu Tode gepeitscht. Sie hätten ihn lieber totschießen +sollen, wie er sie bat, so wäre er gerade in den Himmel gefahren, denn +er war so unschuldig wie Euer Gnaden.« -- »Dank Ihm, Trim,« sagte mein +Onkel Toby. -- »Ich kann niemals an sein,« fuhr Trim fort, »oder +meines armen Bruders Tom Unglück denken, denn wir waren alle drei +Schulkameraden, ohne daß ich weinen muß wie 'ne alte Vettel.« -- »Man +ist nicht gleich eine alte Vettel, wenn man weint, Trim; mir kommen +selbst zuweilen Tränen in die Augen.« -- »Ich hab's Euer Gnaden wohl +angemerkt,« versetzte Trim, »und darum schäme ich mich auch nicht +davor. Wenn man aber, mit Euer Gnaden Respekt,« fuhr Trim fort, wobei +sich eine Träne in seinen Augenwinkel drängte, als er sprach, »wenn +man aber an zwei so brave Jungen denkt, die ein so warmes und schönes +Herz hatten, wie sie nur je aus Gottes Backofen kommen können, so ganz +ehrlicher Leute Kinder, die so ganz in Gottes Namen in die weite Welt +gehen, sich in etwas zu versuchen, und müssen dann so in die Patsche +fallen! Armer Tom, so behandelt zu werden! Und in der Welt nichts getan +haben, als eine Judenwitwe gefreit, die Bratwürste verkaufte! Und des +armen Dick Johnsens Seele aus dem Leibe zu karbatschen, und das wegen +der Dukaten, die ein anderer Mann in seinen Rucksack gesteckt hatte! -- +O, so was nenne ich Unglück,« rief Trim, und langte sein Taschentuch +hervor. »Unglück, Euer Gnaden, daß man seine blutigen Tränen darüber +weinen sollte.« + +Meinem Vater trat die Schamröte ins Gesicht. + +»Es wäre schade, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wenn Er jemals selbst +Not und Sorgen erleben sollte! Er beklagt andere Leute so gutherzig!« +-- »Ach lieber Gott!« versetzte der Korporal, und sein Gesicht heiterte +sich auf. »Euer Gnaden wissen ja, ich habe weder Weib noch Kind, ich +kann keine Not und Sorgen in dieser Welt haben.« -- Mein Vater mußte +lächeln. -- »So wenig, als ein Mensch haben kann, Trim,« erwiderte mein +Onkel Toby; »ich kann auch nicht absehen, was ein Mann von einem so +zufriedenen Herzen wie Er für Kummer leiden könnte; es sei denn Furcht +vor Armut in seinen alten Tagen. Wenn Er nicht mehr dienen kann, Trim, +wenn Ihm alle seine Freunde abgestorben sind --« -- »So arg wird's, mit +Euer Gnaden Wohlnehmen, nicht werden,« versetzte Trim. -- »Ich wollte +aber auch nicht, Trim, daß es so arg werden sollte,« erwiderte mein +Onkel Toby, »und eben deswegen,« fuhr er fort, wobei er die Krücke +niederwarf und sich auf seine Füße stellte, als er das Wort ~eben +deswegen~ aussprach, »soll Er, Trim, für seine vieljährige Treue +gegen mich und für sein gutes Herz, davon ich soviele Proben habe, +solange sein Herr noch einen Gulden im Vermögen hat, keinen anderen +Menschen um das geringste ansprechen.« Trim bestrebte sich, meinem +Onkel Toby zu danken, konnte aber nicht. Die Tränen liefen ihm häufiger +die Wangen hinunter, als er sie abwischen konnte. Er legte seine Hände +auf seine Brust, bückte sich bis auf die Erde und machte die Türe zu. + +»Ich habe Trim meinen grünen Spielplatz vermacht,« rief mein Onkel +Toby. -- Mein Vater lächelte. -- »Ich habe ihm dazu jährlich ein +Gewisses verschrieben,« fuhr mein Onkel Toby fort. -- Mein Vater ward +ernsthaft. + + [Illustration] + + + + + Zweiundvierzigstes Kapitel. + + +Ist dies wohl eine schickliche Zeit, sagte mein Vater zu sich selbst, +von Vermächtnissen und von Grenadieren zu sprechen? + + [Illustration] + + + + + Dreiundvierzigstes Kapitel. + + +Als mein Onkel Toby zuerst des Grenadiers erwähnte, fiel mein Vater, +sagte ich, mit der Nase platt aufs Kissen, und das so schnell, als +ob ihn mein Onkel Toby erschossen hätte. Es wurde aber nicht dabei +gesagt, daß jedes andere Glied und Gelenk meines Vaters im selben +Augenblick mit seiner Nase wieder in die vorhin beschriebene Stellung +verfiel, so daß, als Trim hinausging und mein Vater Lust bekam, das +Bett zu verlassen, er alle die vorhergehenden kleinen Bewegungen +noch einmal durchlaufen mußte, ehe er's bewerkstelligen konnte. -- +Stellungen sind nichts, Madame. In dem Übergange von einer Stellung +zur anderen, gleichwie man die Dissonanzen präpariert und hernach in +Konsonanzen auflöst, darin steckt alles. + +Aus dieser Ursache pedalierte mein Vater von neuem sein Stückchen, +stieß den Kammertopf noch ein wenig weiter unter das Bett, tat sein +Hm! -- richtete sich auf seinen Ellenbogen in die Höhe und wollte eben +meinen Onkel Toby anreden, als er sich besann, wie schlecht es ihm +vorher in dieser Stellung gelungen sei. Er machte sich also auf die +Füße, und nachdem er dreimal auf und nieder gegangen war, blieb er vor +meinem Onkel Toby stehen. Und indem er den Vorderfinger seiner rechten +Hand in die flache Linke legte und sich ein wenig niederbeugte, redete +er meinen Onkel Toby folgendermaßen an: + + [Illustration] + + + + + Vierundvierzigstes Kapitel. + + +»Wenn ich so meine Gedanken habe, Bruder Toby, über den Menschen, und +so diese Seite an ihm beschaue, die sein Leben so manchen Ursachen der +Mühseligkeit bloßstellt, -- wenn ich so bedenke, Bruder Toby, wie oft +wir das Jammerbrot essen, und daß wir dazu geboren sind, wie zu unserem +Erbschaftsteile.« -- »Ich ward zu nichts geboren,« sagte mein Onkel +Toby und fiel meinem Vater in die Rede, »als zu meiner Monatsgage.« +-- »Seht doch,« sagte mein Vater, »hat dir mein Onkel nicht jährlich +hundertundzwanzig Pistolen vermacht?« -- »Ja, wie hätte ich's sonst +machen sollen?« erwiderte mein Onkel Toby. -- »Das ist eine andere +Frage,« sagte mein Vater ein wenig mürrisch. »Aber ich sage, Toby, wenn +man so die Liste von Klitterschulden und täglichen Items durchläuft, +womit das Herz des Menschen belastet und beschwert ist, so muß man sich +wundern, durch was für heimliche Zuflüsse das Gemüt instand gesetzt +wird, es auszuhalten und noch die Auflagen so abzutragen, die unserer +Natur aufgebürdet sind.« -- »Durch Hilfe des allmächtigen Gottes,« rief +mein Onkel Toby mit gen Himmel gerichteten Augen und festgefalteten +Händen, »geschieht das. Nicht durch unsere eigene Kraft, Bruder +Walter. Eine Schildwache in einem hölzernen Schilderhäuschen könnte +ebensoleicht gegen ein Detachement von fünfzig Mann standhalten wollen. +Die Gnade und der Beistand des allerliebreichsten Wesens hält uns +aufrecht.« -- »Das heißt den Knoten zerhauen,« sagte mein Vater, »und +nicht auflösen. Aber erlaube mir, Bruder, daß ich dich ein wenig tiefer +ins Geheimnis einführe.« + +»Gern, gern,« erwiderte mein Onkel Toby. + +Mein Vater änderte alsobald die Stellung, in der er war, in die +Stellung, in der Raffael in seiner Athenienser Schule den Sokrates +so vortrefflich dargestellt hat. In welcher Stellung, wie Euer +Kennerschaft wissen, sogar die eigentümliche Lehrart des Sokrates +ausgedrückt liegt. Denn er hält den Zeigefinger seiner linken Hand +zwischen dem Zeigefinger und Daumen seiner Rechten, und scheint zu dem +Gauche, den er zurechtweisen will, zu sagen: »Das räumst du mir ein und +dies und dies, und das frage ich nicht einmal, weil's natürlich von +selbst folgt.« + +So stand mein Vater, hielt den einen Zeigefinger zwischen dem anderen +Zeigefinger und Daumen, und philosophierte mit meinem Onkel Toby, der +auf dem alten Tapetenstuhle saß, der mit abgebleichten, verwitterten +Fransen besetzt war. -- O Garrick, was würdest du mit deiner Kunst +hieraus für einen reichhaltigen Auftritt machen! Und wie gerne schrieb +ich noch so einen, um mich an deine Unsterblichkeit zu schmiegen und +mich dahinter der meinigen zu versichern. + + [Illustration] + + + + + Fünfundvierzigstes Kapitel. + + +»Obgleich der Mensch das herrlichste Fuhrwerk von allen ist,« sagte +mein Vater, »so ist's gleichwohl dabei so leicht gebaut und so wackelnd +gefügt, daß die harten Püffe und Stöße, die es in dieser höckerigen +Fahrt des Lebens ausstehen muß, jeden Tag es wohl zwölfmal umwerfen und +in Stücke bröckeln würden, hätten wir nicht, mein lieber Toby, eine +geheime Stahlfeder in uns.« -- »Das muß wohl, meine ich,« sagte mein +Onkel Toby, »nichts anderes sein als die Religion.« -- »Will die meines +Kindes Nase ansetzen?« rief mein Vater, indem er den Finger losließ +und eine Hand gegen die andere schlug. -- »Sie macht alles eben und +schlicht,« antwortete mein Onkel Toby. -- »Das mag figürlich recht wohl +sein, mein guter Toby,« sagte mein Vater. »Die Stahlfeder aber, von der +ich spreche, ist diejenige große und elastische Kraft in unserem Wesen, +den Übeln entgegenzuwirken, die wie eine verborgen angebrachte Feder in +einem gutgemachten Wagen zwar nicht den Stoß abwendet, aber doch macht, +daß wir ihn weniger fühlen.« + +»Und siehe nun, mein lieber Bruder,« sagte mein Vater, und faßte +seinen Zeigefinger wieder, als er näher zur Hauptsache kam. »Wäre mein +Kind ganz und gut zur Welt gekommen, dann wäre es nicht an seinem +köstlichsten Gliede ein Märtyrer geworden. Siehe, so ein Grillenfänger +und Sonderling ich der Welt in meiner Meinung über die Taufnamen auch +immer scheinen mag, so ist doch der Himmel mein Zeuge, daß ich in der +Ergießung der heißesten Wünsche für die Wohlfahrt meines Kindes nie +gewünscht habe, sein Haupt mit mehr Ruhm und Ehre zu krönen, als womit +Georg und Eduard es bekränzen könnten. + +Aber nun, leider,« fuhr mein Vater fort, »da ihm das größte Unglück +überkommen ist, muß ich dem entgegenwirken und es durch das größte +Glück aufheben. + +Er soll ~Trismegistus~ getauft werden, Bruder.« + +»Daß es gut anschlage, wünsche ich!« versetzte mein Onkel Toby und +stand dabei auf. + + [Illustration] + + + + + Sechsundvierzigstes Kapitel. + + +»Was für ein Kapitel von Glückschancen,« sagte mein Vater, wobei er auf +dem ersten Treppenabsatze sich umkehrte, als er mit meinem Onkel Toby +hinuntergehen wollte. »Was für ein Kapitel von Chancen zeigen uns nicht +die Begebnisse dieser Welt. Nimm Feder und Tinte, Bruder Toby, und +kalkuliere einmal richtig.« -- »Ich weiß soviel von der Kalkulation als +das Geländer da!« Er schlug dabei mit der Krücke darauf, die glitt aber +ab und versetzte meinem Vater einen derben Schlag vors Schienbein. »Es +war hundert gegen eins!« rief mein Onkel Toby. -- »Ich meinte,« sagte +mein Vater und rieb sich das Schienbein, »ich meinte, du wüßtest nichts +von Kalkulationen, Bruder Toby.« -- »Ich kann nichts dafür, es ist ein +Zufall.« -- »So ist das Kapitel um eins vermehrt,« versetzte mein +Vater. + +Die zweifache Gelegenheit, da mein Vater eine witzige Antwort anbringen +konnte, vertrieb ihm auf einmal die Schmerzen aus dem Schienbein. Es +war ein Glück. -- Schon wieder eine Chance. -- Sonst wüßte die Welt +bis auf den heutigen Tag noch nicht, was mein Vater kalkuliert haben +wollte. Es zu erraten, dafür war keine einzige Chance. -- Was für ein +glückliches Kapitel von Chancen dieses geworden ist! Dadurch habe ich +die Mühe, ausdrücklich eins darüber zu schreiben, und wahrhaftig, ich +habe ohnedies schon alle Hände voll zu tun. + +»Nimm Feder und Tinte zur Hand, und kalkuliere genau, Bruder Toby,« +sagte mein Vater. »Und es wird herauskommen wie eine Million zu eins, +daß der Rand des Forceps so unglücklicherweise unter allen Gliedern +des Körpers gerade auf das eine fallen und es niederdrücken mußte, das +zugleich das Glück unserer Familie mit unterdrückt.« + +»Es hätte ärger werden können,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Das sehe +ich nicht ein,« sagte mein Vater. -- »Wenn das Kind verkehrt gelegen +hätte, was meinst du,« sagte mein Onkel Toby, »wie sich's Doktor Slop +entfallen ließ!« + +Mein Vater dachte eine halbe Minute nach, sah auf die Erde, legte +seinen Finger locker an seine Stirn: + +»Wahr!« sagte er. + + [Illustration] + + + + + Siebenundvierzigstes Kapitel. + + +Ist's nicht eine Schande, zwei Kapitel aus dem zu machen, was vorging, +unterdessen man die Treppe hinunterstieg? Denn weiter als bis zum +ersten Treppenstuhle sind wir noch nicht gekommen und haben noch +fünfzehn Stufen bis ganz hinunter. Und nach meines Vaters und meines +Onkels Toby Gesprächigkeit zu urteilen, kann's noch ebensoviel Kapitel +geben wie Stufen. Lassen Sie's gehen, mein Herr, ich kann ebensowenig +dafür als für meinen Tod. Da kommt mir's auf einmal vor, als gäbe mir's +einer ein: Laß den Vorhang fallen, Shandy. Ich ließ ihn fallen. Zieh +eine Querlinie über dein Papier, Tristram! Ratsch! da steht sie -- und +heida! zu einem neuen Kapitel. + +Kein Lineal habe ich, nach dem ich mich in diesem Geschäfte richte. Und +hätte ich eins, da ich lieber alles aus freier Faust tue, ich bräche es +lieber vor den Knien in Stücke und würfe es ins Feuer. Werde ich warm? +Ja, ich werde es, und die Ursache läßt es nicht anders zu. Seht doch! +Soll sich der Mann nach Regeln und Linealen richten, oder sie nach ihm? + + [Illustration] + + + + + Achtundvierzigstes Kapitel. + + +»Wir wollen noch alles wieder in Ordnung bringen,« sagte mein Vater, +als er den Fuß auf den ersten Tritt vom Treppenabsatz setzte. »Dieser +Trismegistus,« fuhr mein Vater fort, indem er das Bein wieder zurückzog +und sich zu meinem Onkel Toby wandte, »war das größte, Toby, von allen +irdischen Wesen. Er war der größte König, der größte Gesetzgeber, der +größte Philosoph, und der größte Priester.« »Und Ingenieur!« sagte mein +Onkel Toby. + +»Versteht sich,« sagte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Neunundvierzigstes Kapitel. + + +»Was macht Ihre Wochenbetterin?« Schrie mein Vater, der abermal den +Schritt vom Treppenabsatz heruntertat und Susanna anrief, die er eben +unten an der Stiege mit einem großen Nadelkissen vorbeigehen sah. »Was +macht Ihre Wochenbetterin?« -- »Recht gut, nach den Umständen,« sagte +Susanna im Vorbeigehen, ohne heraufzusehen. -- »Was für ein Tor ich +bin!« sagte mein Vater, der sein Bein abermals zurückzog. »Laß das +Befinden sein, wie es will, Bruder Toby, so ist das die ewige Antwort. +Und wie ist's mit dem Kinde? Keine Antwort. Und wo ist Herr Doktor +Slop?« fuhr mein Vater fort, mit lauterer Stimme, und sah dabei übers +Geländer. Fort war Susanna. + +»Unter allen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte mein Vater und ging +über den Treppenabsatz, um sich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen, +derweile er meinem Onkel Toby die Sache vortrug. »Unter allen den +verworrenen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte er, »davon man, du +kannst dich auf meine Erfahrung verlassen, Bruder Toby, davon man +mehr Esel bepacken könnte, als Hiobs ganze Herde Esel ausmachte, ist +keins so schwer zu lösen als dieses, daß, Sobald die Frau des Hauses +in die Wochen gekommen, jedes Weibsbild im Hause, von Madame ihrem +Kammermädchen an bis auf das geringste Scheuermädchen, einen Zoll höher +wächst, und sich dieses einzigen Zolls wegen mehr in die Brust wirft +als aller ihrer übrigen Zölle wegen zusammengenommen.« + +»Ich denke vielmehr,« antwortete mein Onkel Toby, »daß wir es sind, +die einen Zoll einschrumpfen. Wenn ich nur einer schwangeren Frau +ansichtig werde! -- Es ist eine schwere Last, die dieser Hälfte unserer +Mitgeschöpfe aufgelegt ist, Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby. +»'s ist wohl eine klägliche Bürde,« fuhr er fort, und schüttelte den +Kopf. -- »Ja, ja, 's ist eine mühselige Sache,« sagte mein Vater, und +schüttelte seinen Kopf gleichfalls. Aber seitdem das Kopfschütteln Mode +gewesen ist, schüttelten nie zugleich zwei Köpfe konzertmäßig zusammen +aus so verschiedenen Ursachen. + + »Gott bewahre } + »Der Henker hole } sie alle,« + +sagten mein Onkel Toby und mein Vater zugleich bei sich. + + [Illustration] + + + + + Fünfzigstes Kapitel. + + +Holla! -- guter Freund, Lastträger! Da hat Er drei Groschen, geh' Er +doch nach jenem Buchladen und hole Er mir einen handfesten Kritiker +her. Ich will gerne einem jeden von ihnen einen Gulden geben, wenn er +mir mit seinen kritischen Seiten und Winden helfen will, meinen Vater +und meinen Onkel Toby die Treppe herunter und zu Bette zu bringen. + +Es ist die höchste Zeit; denn außer dem kleinen Nicker, den sie taten, +derweile Trim die Steifstiefel bohrte, und wovon, nebenher gesagt, +mein Vater keinen Nutzen hatte, wegen der bösen Türangel, haben sie +seit neun Stunden vor der Zeit, da Doktor Slop von Obadiah in die +Hinterstube geführt ward, kein Auge zugetan. + +Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben ein so geschäftsvoller Tag +sein und soviel Zeit wegnehmen, wahrhaftig: so -- + +Ich will die Periode nicht ausschreiben, bis ich eine Bemerkung über +den sonderbaren Zustand der Sache, zwischen dem Leser und mir selbst, +so wie gerade jetzt die Sachen stehen, gemacht habe. Eine Bemerkung, +die noch niemals auf einen biographischen Schriftsteller, solange die +Welt steht, gepaßt hat, und, wie ich glaube, auf niemand anderes wird +anwendbar werden, bis zu ihrem letzten Untergange, außer auf mich. +Und deshalb, schon der Neuheit wegen, wird solche Euer Wohlgeboren +Aufmerksamkeit wert sein. + +Ich bin diesen Monat ein ganzes Jahr älter als heute vor zwölf Monaten, +und da ich, wie Sie sehen, schon fast bis auf die Hälfte meines Buches +gelangt bin -- und noch nicht weiter als bis auf den ersten Tag meines +Lebens gekommen bin, so ist es demonstrativ klar, daß ich schon jetzt +dreihundertvierundsechzig Tage mehr zu schreiben habe als ich zuerst +begann, daß ich, anstatt, wie ein gewöhnlicher Schriftsteller getan, +mit dem, was ich daran getan, weiterzukommen vielmehr gerade soviel +Bände zurückgekommen bin. Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben +ein so geschäftiger Tag sein, wie dieser? -- Und warum nicht? -- Warum +sollten sie kürzer abgefertigt werden? Da ich auf diese Weise gerade +dreihundertvierundsechzig Tage geschwinder lebte, als ich schreibe, so +muß, mit Euer Wohlgeboren Erlaubnis, daraus folgen, daß ich, je mehr +ich zu schreiben haben werde, und folglich, je mehr Euer Wohlgeboren +lesen, je mehr werden Euer Wohlgeboren zu lesen haben. + +Wird dies zuträglich sein für Euer Wohlgeboren Augen? + +Für meine wenigstens, und, sollten mir meine Meinungen nicht den Hals +kosten, so seh' ich schon, werde ich von diesem meinem Leben ein +hübsches Leben führen, oder, mit andern Worten, ich werde ein paar +hübsche Leben zugleich führen. + +Der Vorschlag, jedes Jahr zwölf Bände, oder jeden Monat einen zu +geben, verändert meine Aussicht gar nicht. -- Laß mich schreiben, wie +ich mag und wie ich will, nach Horazens Rat, mitten in meine Materie +hineinfallen, ich werde mich niemals einholen. Trotz alles Treibens und +Peitschens, wenn auch das Ärgste zum Argen kommen sollte, habe ich doch +immer einen Tag vor meiner Feder voraus. -- Ein Tag ist genug für zwei +Bände, und zwei Bände werden genug sein für ein Jahr. + +Der Himmel gebe nur seinen Segen zur Papiermacherei unter dieser +glückverkündenden Regierung, die für uns angefangen hat. Wie ich das +Vertrauen habe, er werde alles übrige segnen, was darunter vorgenommen +wird. + +Die Vernehmung der Gänse -- o, die macht mir keinen Kummer -- die Natur +ist immer gütig. An Werkzeug zum Schreiben wird mir's nie gebrechen. + +So, also, guter Freund, haben Sie meinen Vater und meinen Onkel +Toby die Treppen herunter und zu Bette gebracht? Und wie haben Sie +das zustande gebracht? Sie ließen unten vor der Treppe einen Vorhang +fallen. -- Ich dachte gleich, daß es nicht anders gehen würde. Da haben +Sie einen Gulden für Ihre Mühe. + + [Illustration] + + + + + Einundfünfzigstes Kapitel. + + +»So gebe Sie mir meine Beinkleider vom Stuhle her,« sagte mein Vater zu +Susanna. »Sie haben keinen Augenblick Zeit, sich anzukleiden, Herr,« +sagte Susanna. »Das Kind ist so schwarz im Gesichte, wie mein --« »Wie +Ihr, was?« sagte mein Vater. Denn wie alle Rhetoriker, war er ein +sorgfältiger Untersucher der Gleichnisse. »O, Himmel, Herr, das Kind +hat die Bangigkeit.« -- »Und wo ist Herr Yorick?« »Ist nirgends zu +finden,« sagte Susanna, »aber sein Kaplan ist im Besuchzimmer und hat's +Kind schon auf dem Arme, und wartet auf den Namen. Und Madame sagte +mir, ich sollte geschwind laufen und fragen, weil doch Herr Kapitän +Shandy Gevatter ist, ob's nicht nach ihm heißen sollte.« + +»Wenn man gewiß wüßte,« sagte mein Vater zu sich selbst und strich die +Augenbrauen, »daß das Kind nicht aufkäme, täte man gut, dem Bruder Toby +das Kompliment zu machen. 's wäre in dem Fall schade, einen so großen +Namen wie Trismegistus daran zu verschwenden. Aber es kann besser +werden.« -- + +»Nein, nein,« sagte mein Vater zu Susanna, »ich will aufstehen.« -- +»'s ist keine Zeit,« schrie Susanna, »das Kind ist so schwarz wie mein +Schuh.« -- »Trismegistus,« sagte mein Vater. »Aber warte Sie, Sie ist +ein durchlöchertes Sieb, Susanna,« setzte mein Vater hinzu. »Kann Sie +wohl Tris-me-gi-stus in Ihrem Kopfe über die Galerie tragen, ohne +etwas davon zu verlieren.« -- »Das dächt' ich!« rief Susanna, und +schlug mit aufgeworfener Nase die Tür zu. »Ich will mich hängen lassen, +wenn ich's denke,« sagte mein Vater, und sprang im Finstern aus dem +Bette und suchte nach seinen Beinkleidern. + +Susanna rannte eilig über die Galerie. + +Mein Vater tat, was er konnte, seine Beinkleider zu finden. + +Susanna gewann den Vorsprung und behielt ihn. »'s ist Tris -- oder +so was,« rief Susanna. »Es ist kein anderer christlicher Name in der +Welt,« sagte der Kaplan, »der mit Tris anfängt, als Tristram.« »Ja, ja. +Tristram-gi-stus,« sagte Susanna. + +»'s ist nichts zu gistussen dabei,« sagte der Kaplan, »'s ist mein +eigener Name,« und fuhr dabei mit der Hand ins Taufbecken. »Tristram!« +sagte er, »ich -- usw.« So ward ich Tristram getauft, und Tristram +werde ich wohl heißen bis an mein seliges Ende. + +Mein Vater folgte der Susanna, mit dem Schlafrocke über dem Arme und +mit nichts weiter am Leibe als seinen Beinkleidern, die, der Eile +wegen, nur mit einem Knopf zugeknöpft waren. Und dieser Knopf saß, der +Eile wegen, nur halb in seinem Knopfloche. + +»Sie hat doch den Namen nicht vergessen?« schrie mein Vater, als er die +Tür nur erst halb geöffnet hatte. -- »Nein, nein,« sagte der Kaplan, +mit einem schlauen Tone. -- »Und das Kind ist besser,« rief Susanna. +-- »Und was macht Ihre Wöchnerin?« -- »Recht gut, nach den Umständen,« +sagte Susanna. -- »Pitsch!« sagte mein Vater, und der Hosenknopf sprang +aus dem Knopfloche. So daß, ob das Pitsch auf die Susanna oder auf das +Knopfloch ging, ob es eine Interjektion der Verachtung oder der Scham +war, im Zweifel ist und so lange im Zweifel bleiben wird, bis ich Zeit +gewinne. + +Alles Licht, was ich für jetzt dem Leser geben kann, besteht darin, daß +mein Vater in dem Augenblick, da er pitsch! sagte, sich herumdrehte, +mit der einen Hand seine Beinkleider in die Höhe hielt und mit dem +Schlafrock auf dem anderen Arme wieder über die Galerie hin nach seinem +Bette ging, etwas langsamer, als er gekommen war. + + [Illustration] + + + + + Zweiundfünfzigstes Kapitel. + + +»Wenn's meine Frau nur wagen will, Bruder Toby, so sollen sie +Trismegistus anziehen und zu uns herunterbringen, derweile du und ich +unseren Tee trinken. -- Geh Er, Obadiah, und sage Er Susanna, sie soll +hierherkommen.« + +»Sie ist eben hinaufgerannt,« antwortete Obadiah, »und seufzt und heult +und ringt die Hände, als ob ihr das Herz in Stücke springen wollte.« -- + +»Das werden hübsche sechs Wochen werden,« sagte mein Vater, wendete +sich von Obadiah weg und sah meinem Onkel Toby einige Zeit steif ins +Gesicht. »Hübsche sechs Wochen werden wir erleben, Bruder Tob,« sagte +mein Vater und stemmte seine Arme in die Seiten. »Feuer, Wasser, +Weiber, Wind -- Bruder Toby!« -- »'s ist wieder ein Unglück,« sagte +mein Onkel Toby. »Das ist's,« sagte mein Vater. »So viele widersinnige +Elemente, die losbrechen und in jedem Winkel dieses Hauses im Triumph +herumfahren. Es fruchtet der Ruhe einer Familie sehr wenig, Bruder +Toby, daß du und ich über uns selbst Meister sind und hier still und +ruhig sitzen, derweile solch ein Sturm über unseren Häuptern pfeift.« + +»Und was hat Sie denn zu winseln, Susanna?« -- »Sie haben das +Kind Tristram getauft -- und meine Madame hat darüber eben einen +hysterischen Anfall gehabt. -- Nein, ich kann nichts dafür,« sagte +Susanna, »ich hab's ihm recht gesagt, Tristramgistus.« + +»Mache nur Tee für dich alleine, Bruder Toby,« sagte mein Vater und +nahm seinen Hut von der Wand. Wie verschieden aber von Aufwallungen und +Bewegungen, die sich ein gewöhnlicher Leser dabei vorstellen möchte! + +Er sprach in der sanftesten Modulation und nahm den Hut mit der +gelindesten Bewegung seines Armes herab, die nur jemals die Betrübnis +mit der Harmonie zusammenbrachte. + +»Geh Er nach dem Spielplatze und rufe Er Trim,« sagte mein Onkel Toby +zu Obadiah, sobald mein Vater das Zimmer verließ. + + [Illustration] + + + + + Dreiundfünfzigstes Kapitel. + + +Als das Unglück mit meiner Nase so schwer auf meines Vaters Haupt fiel, +wie sich der Leser erinnert, ging er flugs treppauf und warf sich +über sein Bette. Hieraus, oder er müßte eine tiefe Einsicht in die +menschliche Natur haben, wird er geneigt sein, eine Reihe ebensolcher +steigender und fallender Bewegungen über das Unglück mit meinem Namen +von ihm zu erwarten. Nichts! + +Das verschiedene Gewicht, mein teurer Herr. Ja was, Gewicht? Das +verschiedene Gepäck zweier Widerwärtigkeiten, von einer -- macht schon +eine himmelweite Verschiedenheit in unserer Art und Weise, wie wir +solche aufnehmen und tragen. Noch keine halbe Stunde ist es her, daß +ich -- in der großen Eile und Hast eines armen Teufels, der ums liebe +tägliche Brot schreibt -- einen druckfertigen Bogen, den ich eben +sorgfältig rein abgeschrieben hatte, anstatt der Kladde patsch ins +Feuer warf. + +Stracks riß ich mir die Perücke ab und warf sie mit aller möglichen +Gewalt gerade auf den Balken. Ich fing sie zwar im Herunterfallen +wieder auf. Aber damit war's auch vorbei, und denke ich auch nicht, +daß sonst etwas in der Natur mir eine so unmittelbare Erleichterung +verschafft hätte. Sie, die teure Göttin, treibt uns durch eine +plötzliche Anwandlung, in allen aufreizenden Fällen, zu einem Ausfalle +mit diesem oder jenem Gliede. Oder sie wirft uns an diesen oder jenen +Platz oder an diese oder jene Stellung des Körpers. Wir wissen nicht, +wie? Merken Sie aber, Madame, wir sind von Geheimnissen und Rätseln +umringt. Die einfachsten Dinge, die uns umgeben, haben ihre dunklen +Seiten, die der Scharfsichtigste nicht durchschauen kann. Selbst der +hellste und größte Kopf unter uns befindet sich fast bei jedem Riß im +Werke der Natur in Verlegenheit und weiß nicht, was er daraus machen +soll. Dieses so gut wie tausend andere Dinge fallen auf eine solche Art +für uns aus, von der wir zwar die Ursache nicht ergründen, von der wir +aber, mit Euer Hochwürden und Euer Wohlgeboren Genehmigung den Nutzen +ziehen können. Und das ist genug für uns. + +Nun konnte mein Vater sich ums Leben mit dieser Betrübnis nicht +niederlegen, konnte sie auch nicht, wie die andere, die Treppen +hinauftragen. Er ging ganz gesetzt damit spazieren zum Fischteiche. + +Hätte mein Vater den Kopf in die Hand gelegt, und eine Stunde darüber +nachgedacht, welchen Weg er nehmen müßte, die Vernunft mit aller ihrer +Stärke hätte ihm nichts Besseres anweisen können. Herr, es steckt so +etwas in den Fischteichen! Was es aber ist, das überlasse ich den +Systemschmieden und Fischteichgräbern untereinander ausfindig zu +machen. Für die erste aufwallende Leidenschaft ist ein Spaziergang +zum Fischteich etwas unbegreiflich Besänftigendes, daß ich mich oft +gewundert habe, wie weder Pythagoras, noch Plato, noch Solon, noch +Lykurg, noch Mohammed oder sonst einer der berühmten Gesetzgeber jemals +das geringste davon erwähnt haben. + + [Illustration] + + + + + Vierundfünfzigstes Kapitel. + + +»Euer Gnaden,« sagte Trim und machte die Tür zu, ehe er zu reden +begann, »haben, glaube ich, von dem Unglück gehört, das vorgefallen +ist.« -- »O ja, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es geht mir sehr nahe.« +-- »Mir geht's auch recht nahe, ich hoffe aber, Euer Gnaden,« erwiderte +Trim, »kennen mich und wollen also nur nicht glauben, daß ich die +geringste Schuld daran habe.« -- »Er, Trim?« rief mein Onkel Toby, +und sah ihm gütig ins Gesicht. »Susannens und des Kaplans Unverstand +ist's.« -- »Aber, Euer Gnaden, was konnten die miteinander im Garten zu +schaffen haben?« -- »Auf der Galerie, meint Er, Trim,« erwiderte mein +Onkel Toby. + +Trim merkte, daß er auf einer falschen Fährte sei und brach mit +einem tiefen Bückling kurz ab. Zwei Unglücke, sagte der Korporal bei +sich selbst, sind mindestens zweimal soviel, als für eine Nachricht +erforderlich ist. Das Unheil, das die Kuh in unseren Fortifikationen +angerichtet hat, kann ich dem gnädigen Herrn schon hernach erzählen. +Trims listige Kasuisterei unter dem Deckmantel seines tiefen Bücklings +kam allem Argwohn meines Onkels Toby zuvor, der also mit dem, was er +Trim zu sagen hatte, fortfuhr: + +»Ich für mein Teil, Trim, sehe wenig oder gar keinen Unterschied +dabei, ob mein Neffe Tristram oder Trismegistus heißt. Da aber die +Sache meinem Bruder so sehr zu Herzen geht, Trim, so wollte ich noch +gerne hundert Louisdor aus meiner Tasche drum geben, daß es nicht +geschehen wäre.« -- »Hundert Louisdor, Euer Gnaden!« erwiderte Trim. +-- »Ich würde nicht einen Heller für diese Taufe geben.« -- »Ich gäbe +auch nichts drum, Trim, wenn's nur auf mich ankäme,« sagte mein Onkel +Toby. »Aber mein Bruder, der sich darüber nichts singen noch Sagen +läßt, behauptet, daß an dem Taufnamen viel mehr gelegen ist, als +Ungelehrte wohl meinen! Denn er sagt, solange die Welt steht, hätte +noch kein Mann, der Tristram geheißen, eine große oder heldenmäßige Tat +ausgerichtet. Ja, wenn's nach ihm geht, Trim, so kann ein Mensch weder +gelehrt sein, noch weise, noch tapfer, der nicht --« »'s ist nichts +dran, mit Euer Gnaden Wohlnehmen. -- Ich focht ebensogut,« versetzte +der Korporal, »als ich im Regimente Trim hieß, als da sie mich Jakob +Butler hießen.« -- »Was mich anbelangt, ob ich mich gleich vor Eigenlob +schämen würde, Trim, aber hätte ich auch Alexander geheißen, ich hätte +doch bei Namur nicht mehr tun können als meine Pflicht.« -- »Gott ehre +mir Euer Gnaden,« schrie Trim, und avancierte bei den Worten drei +Schritte. »Denkt ein Mann wohl an seinen Taufnamen, wenn er ins Treffen +geht?« -- »Oder, Trim, wenn er in den Laufgräben steht?« schrie mein +Onkel Toby mit standhaftem Blick. -- »Oder wenn er auf eine Bresche +losmarschiert?« sagte Trim und drang zwischen zwei Stühle. -- »Oder +die Linien verstärkt?« schrie mein Onkel Toby, wobei er aufstand und +seine Krücke fällte, wie eine Picke. »Oder dem feindlichen Pluto in das +Weiße im Auge sieht,« rief Trim, indem er mit seinem Stocke einen Hieb +ausführte. »Oder wenn er einen Wall hinaufmarschiert,« rief mein Onkel +Toby, wobei er erhitzt aussah und seinen Fuß auf den Stuhl setzte. + + [Illustration] + + + + + Fünfundfünfzigstes Kapitel. + + +Mein Vater war von seinem Spaziergange nach dem Fischteiche +zurückgekommen und öffnete die Türe des Zimmers, gerade in der größten +Hitze des Angriffs, als eben mein Onkel Toby den Wall hinanmarschierte +und Trim wieder laden wollte. In seinem Leben war mein Onkel Toby noch +auf keinem so verzweifelten Galopp überrascht worden. O, lieber Onkel +Toby! hätte nicht eine wichtigere Sache alle bare Beredsamkeit meines +Vaters erheischt -- wie lahm und jämmerlich würdest du mit deinem armen +Steckenpferde davongekommen sein. + +Mein Vater hing seinen Hut mit ebender Miene wieder auf, mit der er +ihn vom Nagel genommen hatte. Und als er einen flüchtigen Blick auf +die Unordnung im Zimmer getan hatte, nahm er einen von den Stühlen, +aus denen der Korporal eine Bresche gemacht hatte, setzte ihn meinem +Onkel Toby gegenüber, ließ sich darauf nieder, und sobald das Teezeug +weggenommen und die Türe zugemacht war, brach er in ein Klagelied aus, +wie folgt: + + + ~Klagelied meines Vaters~. + +»Es ist hinfort umsonst,« sagte mein Vater und wendete sich ebensogut +an des Ernulphus Fluchbuch, das auf einer Ecke des Kamingesimses lag, +als an meinen Onkel Toby, der darunter saß, mit der mürrischsten +Eintönigkeit, die sich erdenken läßt, »gegen diese bitterste von allen +menschlichen Überzeugungen zu kämpfen, wie ich bisher getan. -- Ich +seh' es klar, mag sein wegen einer meiner Sünden, Bruder Toby, oder +wegen der Sünden und Torheiten des Geschlechts der Shandys, daß der +Himmel für gut gefunden hat, mit seiner schwersten Artillerie gegen +mich auszurücken, und daß die Wohlfahrt meines Kindes das Zentrum ist, +auf welches sie mit aller ihrer Macht hinzielt.« -- »So was kann einem +die ganze Weit um die Ohren herumschleudern, Bruder Walther!« sagte +mein Onkel Toby. -- »Wär' es. -- Unglücklicher Tristram! Kind des +Zorns! Kind welker Lenden! der Unterbrechung! des Mißverständnisses! +des Mißvergnügens! Was ist für ein einziges Unheil oder Unglück in dem +Buche embryonischer Übel, das deinen Bau aus seinen Fugen bringen oder +deine Fibern verwirren konnte, das nicht auf deinen Kopf gefallen +wäre, noch ehe du einmal in die Welt gekommen. Was für Übel auf deinen +Weg -- was für Übel nachher! -- Gezeugt in den abnehmenden Tagen +deines Vaters, da schon das Siegel seiner Geister und seines Körpers +anfing stumpf zu werden, da Lebenswärme und Lebenssäfte, Elemente, +welche die deinigen hätten stählen sollen, schon im Verfliegen waren, +und nichts übrigblieb, wodurch dein Keim zu stärken, als Negationen +-- 's ist nicht sonderlich erklecklich, Bruder Toby. Wie ist uns der +Paß verhauen! Du weißt, wie's zugegangen ist, Bruder Toby. 's ist zu +melancholisch, es hier zu wiederholen, wie die wenigen Lebensgeister, +die ich noch in der Welt besaß, und mit welchen Gedächtnis, Phantasie, +Genie und Fähigkeiten hätten hinbegleitet werden sollen: wie sie auf +einmal auseinandergestöbert, verblüfft, verjagt, verschlagen und zu +allem Henker gehetzt wurden. -- + +»Aber was war das alles, mein lieber Toby, gegen den Schaden und +Nachteil, der uns dadurch zugefügt ist, daß das Kind mit dem Kopfe +zuerst auf die Welt gekommen ist. Alles, was ich bei der allgemeinen +Verwüstung seiner Bildung wünschte, war, diesen kleinen Verstandskasten +unversehrt und ganz zu erhalten. -- + +»Was für einen Purzelbaum hat, bei aller meiner Vorsicht, mein +System mit dem Kinde schon im Mutterleibe machen müssen. Sein Kopf +mußte der Hand der Gewalttätigkeit herhalten und einem Drucke von +vierhundertsiebzig schweren Pfund, so ganz senkrecht auf seinen +Scheitel -- daß es noch neunzig Prozent Assekuranz steht, ob das feine +Netzwerk des Verstandgewebes nicht in tausend Fetzen zerrissen und +zerschlissen ist. + +»Noch wäre ihm zu helfen gewesen! Narr, Geck, Laffe, man gebe ihm nur +eine Nase; Krüppel, Zwerg, Greiferbart, Tölpel -- laß ihn gebildet +sein, wie er will --, das Glückspförtchen steht offen. + +»Aber noch, Bruder Toby, war nach alle diesem ein Wurf mit dem Würfel +für unser Kind übrig. -- O Tristram! Tristram! Tristram!« + +»Wir wollen zum Herrn Yorick schicken,« sagte mein Onkel Toby. + +»Schicke zu wem du willst!« erwiderte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Sechsundfünfzigstes Kapitel. + + +»Sagen Sie, kann dem Dinge noch Wandel geschaffen werden, Yorick?« +sagte mein Vater, »denn nach meiner Meinung,« fuhr er fort, »geht's +nicht.« -- »Ich verstehe mich wenig aufs geistliche Recht,« erwiderte +Yorick. »Weil ich aber unter allen Übeln die Ungewißheit für das +quälendste halte, so müssen wir doch wenigstens zu wissen bekommen, +ob es auch das ärgste ist.« -- »Ich hasse die großen Mahlzeiten,« +sagte mein Vater. -- »Auf die Größe der Mahlzeit kommt's hier nicht +an,« antwortete Yorick. »Wir wollen ja nur, Herr Shandy, auf den Grund +der Sache kommen, ob sich der Name umtauschen läßt. Und da die Bärte +so mancher Kommissarien, Konsistorialen, Advokaten, Deputierten, +Registratoren und der geschicktesten unserer Schultheologen nebst +anderen morgen sich an einem Tische versammeln werden, und Didius Sie +so dringend eingeladen hat, wer wollte wohl in Ihrer Verlegenheit eine +so schöne Gelegenheit versäumen? Es wird nichts weiter nötig sein, als +daß wir Didius benachrichtigen, und daß er nach Tische das Gespräch auf +die Materie bringe.« -- »So soll,« sagte mein Vater und schlug beide +Hände zusammen, »mein Bruder Toby mit uns gehen.« + +»Laß Er meine alte Knotenperücke,« sagte mein Onkel Toby, »und +meine gestickte Montierung die ganze Nacht am Feuer hangen, Trim.« + + [Illustration] + + + + + Achtundfünfzigstes Kapitel. + + +Sie haben ganz recht, Herr, hier fehlt ein ganzes Kapitel, und daraus +entsteht in dem Buche eine Lücke von zehn Seiten. Und doch ist der +Buchbinder weder ein Dummkopf, noch ein Schelm, noch ein Tölpel. Auch +ist das Buch um keinen Tüttel unvollkommener -- dadurch wenigstens +nicht! Vielmehr ist das Buch dadurch, daß das Kapitel fehlt, besser und +vollkommener, als wenn's da wäre, wie ich solches Euer Hochwürden auf +folgende Weise demonstriere. -- Nebenbei möchte es eine Frage sein, ob +nicht der Versuch eben so glücklich mit verschiedenen anderen Kapiteln +angestellt werden könnte. Aber wie Euer Hochwürden zugeben werden, das +Versuchanstellen über Kapitel geht ins Unendliche. Wir haben schon +genug davon, und so mag's hierbei beruhen. + +Allein bevor ich meine Demonstration beginne, lassen Sie mich Ihnen +nur noch sagen: das Kapitel, welches ich ausgerissen habe und an +welchem Sie sonst, statt diesem, eben gelegen haben würden, war die +Beschreibung des Rittes meines Vaters, meines Onkel Tobys, Trims und +Obadiahs zu der Visitation zu ***. + +»Wir wollen in der Kutsche hinfahren,« sagte mein Vater. »Hör' Er, +ist das Wappen geändert, Obadiah?« -- Es würde meiner Erzählung viel +Vorteil getan haben, wenn ich es damit angefangen hätte, Ihnen zu +sagen, daß damals, als meiner Mutter Wappen zu dem Shandyschen gefügt +und die Kutsche bei meines Vaters Verheiratung von neuem angemalt ward, +es sich so gefügt hatte, daß der Kutschenmaler, es sei nun, daß er +alles mit der linken Hand gemacht hatte wie Turpilius, der Römer, oder +Hans Holbein von Basel, oder daß der Fehler mehr an seinem Kopfe als +an seiner Hand lag, oder war's gar der unglückliche, schiefe Gang, +welchen alles, was unsere Familie betraf, zu nehmen geneigt war. Genug, +es fügte sich so zu unserer Kränkung, daß anstatt des Bandes, welches +wir seit Heinrichs +VIII.+ Zeiten mit Ehren führten, durch eine +von diesen Fatalitäten ein Riemen quer durch das ganze Schild des +Shandyschen Wappens gezogen wurde. Kaum sollte man es glauben, daß das +Gemüt eines so vernünftigen Mannes wie mein Vater war, sich soviel aus +einer solchen Kleinigkeit machen könne. Der Name Kutsche -- gleichviel +wessen -- oder Kutscher, oder Kutschpferd, oder Kutscherlohn konnte +niemals in seiner Gegenwart ausgesprochen werden, ohne daß er sich über +dieses schändliche Malzeichen der Seitenabkunft auf seinen Kutschtüren +beklagte. Er konnte niemals ein- oder aussteigen, er mußte erst die +Wappen begucken. Er tat dann allemal ein Gelübde, das sollte doch das +letztemal sein, daß er seinen Fuß hineinsetzte, bis aus dem Riemen ein +Band gemacht würde. Aber es ging eben wie mit dem Türknarren. Es war +eins von den vielen Dingen, von denen auf den Tafeln des Verhängnisses +geschrieben war: es sollte immer vom Ändern und Bessern gesprochen, und +-- wie in weiseren Familien als der unserigen -- nie was daraus werden. + +»Hat der Maler das Wappen an der Kutsche übergebürstet? sage ich,« +sagte mein Vater. -- »Die Kutsche inwendig und die Sitzkissen habe +ich rein ausgebürstet,« antwortete Obadiah, »der Maler hat nichts +gebürstet.« -- »Wir wollen reiten,« sagte mein Vater zu Yorick. -- »Von +allen Dingen in der Welt, die Politik ausgenommen, ist die Heraldik den +Geistlichen am wenigsten bekannt,« sagte Yorick. -- »Das tut nichts,« +sagte mein Vater. »Ich möchte doch nicht gerne mit einer solchen Sau +in meinem Wappenschilde aufziehen.« -- »Was ist's denn, ob der breite +Strich rechts oder links durchs Schild geht,« sagte mein Onkel Toby. -- +»Wenn dir Band oder Riemen gleich ist, so kannst du mit Tante Dinah +und dem Riemen im Wappen zu der Visitation fahren, wenn du Lust hast.« +-- + +Mein armer Onkel Toby wurde rot im Gesicht. Mein Vater ärgerte sich +über sich selbst. »Nein, mein lieber Bruder Toby,« sagte mein Vater +und änderte den Ton. »Sieh nur, wenn ich lange auf den dumpfigen +Kutschpolstern säße, da könnte ich wieder das Hüftweh an den Hals +bekommen wie vorigen Dezember, Januar und Februar. Tue mir's also zum +Gefallen und reite meiner Frau ihr Pferd. Und da Sie doch predigen +sollen, lieber Yorick, so tun Sie wohl am besten, daß Sie vorausreiten +und mich mit meinem Bruder Toby langsam nachfolgen lassen.« + +Das Kapitel nun, das ich gezwungen war, auszureißen, war die +Beschreibung dieser Kavalkade, bei welcher Korporal Trim und Kutscher +Obadiah auf zwei Kutschpferden in einem Gliede langsam als Patrouille +voranritten, derweile mein Onkel Toby in seiner gestickten Montierung +und Knotenperücke mit meinem Vater Rang und Reihe hielt in tiefen Wegen +und Untersuchungen über den Vorzug der Lehr- und Wehrkunst, die die +Oberhand gewinnen könnte. + +Das Gemälde dieser Reise, da ich sie wieder ansehe, hebt sich so weit +über den Stil und die Manier alles übrigen, was ich vermochte in +diesem Buche zu malen, daß es nicht darin bleiben konnte, ohne jeden +anderen Auftritt zu verdunkeln und das nötige Ebenmaß -- im Guten oder +Schlechten -- zwischen Kapitel und Kapitel zu stören, aus dem die +richtige und harmonische Proportion eines ganzen Werkes entsteht. Ich +selbst habe freilich das Handwerk noch nicht lange getrieben, um laut +mitzusprechen. Aber, so meine ich, ein Buch schreiben ist in der Welt +nichts weiter, als einen Gesang so vor sich hin in den Bart singen. -- +Wenn Sie nur in der Melodie bleiben, Madame, Sie mögen hoch oder tief +anfangen. + +Das ist, wenn Euer Hochwürden nicht ungütig vermerken wollen, die +Ursache, warum einige der flachsten und schlechtesten Werke (mein Onkel +Toby horchte bei dem Worte Werke schon hoch auf, ob nicht mehr von +Fortifikationen vorkommen würde, als ihm Yorick eines Abends dieses +sagte) so guten Abgang finden. + + [Illustration] + + + + + Neunundfünfzigstes Kapitel. + + +»Seht nur, schneidet er's nicht in lauter Fidibusse und teilt's herum, +die Pfeifen damit anzuzünden!« -- »Es ist schändlich,« antwortete +Didius. -- »Das sollte ihm nicht so frei hingehen,« sagte Doktor +Kysarcius, einer von den Kysarciis aus den Niederlanden. + +»Mich dünkt,« sagte Didius, wobei er halb vom Stuhle aufstand, um eine +große Kanne und eine kleine Weinflasche wegzurücken, die in gerader +Linie zwischen ihm und Yorick standen, »diesen satirischen Streich +hätten Sie hier wohl unterlassen, Herr Yorick, und an einem anderen +Orte, bei einer schicklicheren Gelegenheit wenigstens, ihre Verachtung +über unsere abgelegte Verrichtung anbringen mögen. Wenn die Predigt +nicht mehr wert ist, als die Pfeife damit anzuzünden, mein Herr, so war +sie gewiß nicht gut genug, vor einer so gelehrten Versammlung gehalten +zu werden. Und war sie gut genug, vor einer so gekehrten Versammlung +gehalten zu werden, mein Herr, so war sie gewiß zu gut, daß Sie hernach +Ihre Pfeifen damit anzünden.« + +Ich habe ihn, sagte Didius bei sich selbst, in der Klemme. An einem der +Gründe muß er hängen bleiben. Laß ihn sehen, wie er sich loshilft. + +»Die Geburt dieser Predigt,« sagte Yorick, »hat mir so unsägliche +Schmerzen gekostet, daß ich Ihnen beteuere, Herr Didius, lieber will +ich -- und womöglich mein Gaul mit mir -- tausendmal die Märtyrerkrone +verdienen, als mich noch einmal hinsetzen und eine ähnliche machen. Ich +bin am verkehrten Ende davon entbunden. Sie ging mir vom Kopfe ab und +sollte vom Herzen kommen. Und wegen der Wehen, die sie mir sowohl beim +Aufschreiben wie beim Predigen gemacht hat, räche ich mich auf diese +Weise an ihr. Eine Predigt, die den Umfang unserer Belesenheit oder die +Feinheit unseres Witzes zeigen will vor den Augen des großen Haufens +mit seinem bißchen Gelehrsamkeit, die mit einigen schimmernden Worten, +die aber wenig Licht und noch weniger Wärme enthalten, überfirnißt +ist, einen Schacher treiben, das ist eine unredliche Verwendung der +armseligen, einzigen halben Stunde, die man uns wöchentlich einräumt. +Das heißt nicht das Evangelium, das heißt sich selbst predigen. Ich +meinesteils,« fuhr Yorick fort, »ich möchte lieber fünf Worte so +schußgerade ans Herz --« Als Yorick das Wort schußgerade aussprach, +stand mein Onkel Toby auf, um etwas über die Brustwehren zu sagen, als +ein einziges Wort, das sich an der anderen Seite des Tisches hören +ließ, aller Ohren auf sich zog. Ein Wort, das man unter allen im besten +Wörterbuche, am wenigsten an diesem Orte erwarten sollte. Ein Wort, +das ich mich schäme zu schreiben, aber geschrieben, gelesen werden +muß; illegal, paradox. Spekulieren Sie auf zehntausend Spekulationen, +in sich selbst multipliziert, recken und strecken Sie Ihre Einbildung, +soviel Sie wollen, Sie treffen es nicht. Kurz, im nächsten Kapitel will +ich's sagen. + + [Illustration] + + + + + Sechzigstes Kapitel. + + +»Blitz!« -- -- -- -- -- -- -- -- + + * * * * * + +-- -- -- »B--tz!« rief Phutatorius halb leise, aber doch so laut, daß +es überall gehört wurde, und das Seltsame dabei war, daß es mit einer +Miene im Gesicht und mit einem Tone in der Stimme ausgesprochen wurde, +die etwas zwischen einem Erstaunen und einem körperlichen Schmerz +anzeigte. + +Einer oder zwei, die sehr helle Ohren hatten, und das verschmolzene +Verhältnis der beiden Töne ebenso deutlich unterscheiden konnten wie +eine Terzie oder Quinte oder jeden anderen Klang in der Musik, wußten +am allerwenigsten, was sie daraus machen sollten. Der Akkord an sich +war gut, gehörte aber zu einer weitentlegenen Tonart. Kurz, mit aller +ihrer Gelehrsamkeit saßen sie da! + +Andere, welche nichts von musikalischen Verhältnissen wußten und bloß +ihr Ohr auf den Sinn des Wortes wendeten, dachten, Phutatorius, der ein +wenig cholerischen Temperaments war, wollte Didius das Schwert aus der +Hand nehmen, um Yorick tüchtig eins auf die Krone zu geben. Und das +verzweifelte Wörtlein B--tz wäre die Einleitung zu einer Rede, die eine +unsanfte Behandlung ankündigte, so daß meines Onkels Toby gutes Herz +schon Angst für ihn hatte, was der arme Yorick nicht würde aushalten +müssen. Als man aber sah, daß Phutatorius schwieg, ohne Lust zu zeigen +oder einen Versuch zu machen fortzufahren, so fing eine dritte Partie +an zu glauben, daß es nichts weiter gewesen sei als ein unfreiwilliges +Atemschöpfen, so ganz von selbst und von ungefähr in einem Bettelfluch +zusammengefahren wäre, ohne die Eigenschaft oder Sünde desselben zu +haben. + +Andere, und besonders einer oder zwei, welche dicht bei ihm saßen, +betrachteten es hingegen als einen wirklichen und wesentlichen Fluch, +der mit Fleiß und Bedacht gegen Yorick ausgestoßen worden, gegen den er +bekanntermaßen nicht gut gesinnt war. Welch besagter Fluch, nach meines +Vaters Schlüssen darüber, schon in dem Augenblicke ganz geprickelt +und prall in Herrn Phutatorius' Gallenblase obenauf geschwommen, und +also natürlicherweise und nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge bei +dem ersten Zurückfluß des Blutes hervorgerufen werden mußte, der in +Phutatorius' rechter Herzkammer durch den überraschenden Stoß, den eine +so sonderbare Predigertheorie ihm beibrachte, entstand. + +Wie witzig wir doch über mißverstandene Begebnisse philosophieren +können! + +Es war keine Seele, die sich nicht in ihren Gedanken über das +einsilbige Wort, das dem Phutatorius entfahren, beschäftigte, die es +nicht für bekannt annahm und daraus als aus einem Vordersatz folgerte: +daß nämlich Phutatorius in seinen Gedanken mit dem Zwist beschäftigt +sei, der zwischen Didius und Yorick entstanden. Und freilich, da er +erst den einen und dann den anderen mit der Miene eines Mannes ansah, +der darauf achtet, was in der Gesellschaft vorgeht, so hatte man nicht +anders denken können. In der Tat aber wußte Phutatorius kein Wort von +allem, was vorging. Seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit waren +gänzlich auf das gerichtet, was eben in dem Augenblicke in der Gegend +seiner Pluderhosen, und zwar an einer Stelle in denselben vorging, +die er vor bösen Zufällen zu bewachen die höchste Ursache hatte. +Deswegen, obgleich er das aufmerksamste Gesicht von der Welt machte +und allmählich jeden Nerv und jeden Muskel in seinem Gericht so scharf +angezogen hatte, wie das Instrument es nur aushalten wollte, um, wie +man dafür hielt, dem Yorick, der ihm gegenübersaß, eine derbe Antwort +zu versetzen, so war doch, wie ich sage, kein Yorick in irgendeinem von +den Gemächern von Phutatorius' Gehirn anzutreffen. Die wahre Ursache +seiner Ausrufung lag wenigstens etliche Fuß tiefer. + +Ich will mich bemühen, Ihnen dieses mit aller ersinnlichen Züchtigkeit +zu erklären. + +Sie müssen sich also berichten lassen, daß Gastripheres, der kurz +vorher, ehe man sich zu Tische setzte, ein wenig in die Küche ging, +um zu sehen, wie es darin stände, auf der Anrichtebank einen Korb +mit schönen Kastanien erblickte und befohlen hatte, daß sie ein paar +hundert davon braten und solche gleich zum Nachtisch heiß aufsetzen +sollten. Gastripheres gab seinem Befehle dadurch noch einen größeren +Nachdruck, daß er sagte, Didius und besonders Phutatorius wären +Liebhaber davon. + +Ungefähr zwei Minuten vorher, ehe mein Onkel Toby Yoricks Rede +unterbrach, wurden Gastripheres Kastanien hereingebracht. Und da es dem +Aufwärter noch im frischen Andenken war, daß Phutatorius sie so gerne +möchte, so setzte er solche dicht vor ihm hin, auf einem Teller in +einem sauberen, damastnen Tellertuch. + +Lag es nun an der physischen Unmöglichkeit, daß nicht ein halbes +Dutzend Hände zugleich in das Tellertuch fahren konnten, ohne daß +die eine oder die andere Kastanie, von mehr Feuer und Rinde als die +übrigen, in Bewegung geriet, oder -- kurz, so war's: eine rollte über +den Tisch und herunter. Und da Phutatorius mit auseinandergesperrten +Knien daruntersaß, so fiel solche senkrecht in die ganz eigene Öffnung +in Phutatorius' Beinkleidern, für welche ich, zur Schande unserer +Sprache oder auch meines Gedächtnisses sei es gesagt, kein keusches +Wort finden kann. Sie müssen sich damit begnügen, wenn ich sage, es war +die ganz eigene Öffnung, welche, den strengen Wohlstandsgesetzen in +allen hübschen Gesellschaften zufolge, gleich dem Tempel des Janus -- +in Friedenszeiten wenigstens -- völlig geschlossen sein sollen. + +Die Verabsäumung dieser Vorsicht -- welches zugleich dem Phutatorius +und allen Menschenkindern eine Warnung sein mag -- hatte dem Zufall +eine Pforte geöffnet. + +Alles, was mir als Geschichtschreiber obliegt, ist, das Begebnis +darzustellen und es dem Leser glaublich zu machen, daß der Hiatus in +Phutatorius' Beinkleidern geräumig genug war, die Kastanie aufzunehmen, +und daß die Kastanie auf eine oder die andere Weise senkrecht und +zischend heiß hineinfiel, ohne daß Phutatorius oder sonst jemand es +gewahr wurde. + +Die natürliche Wärme, die die Kastanie verbreitete, war die ersten +zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden nicht unangenehm und tat weiter +nichts, als Phutatorius' Aufmerksamkeit auf die Stelle zu richten. +Wie aber die Hitze gradweise zunahm und in einigen Sekunden mehr über +den Punkt der angenehmen Empfindungen hinausging und darauf mit aller +Eile in das Gebiet der Schmerzen drang, tummelte sich Phutatorius' +Seele mit allen seinen Ideen, seinen Gedanken, einer Aufmerksamkeit, +seiner Imagination, seinem Verstande, seinen Entschließungen, seinen +Überlegungen, seinem Urteile, seinem Gedächtnisse, seiner Phantasie, +mit zehn Bataillonen Lebensgeistern über Hals und Kopf durch +verschiedene Wege und Steige hinunter nach dem Orte, dem die Gefahr +drohte, und ließen alle seine oberen Plätze, wie Sie sich vorstellen +können, so leer, wie mein Geldbeutel ist. + +Nach den besten Berichten, die ihm alle diese Boten zurückzubringen +vermochten, war Phutatorius nicht imstande, das Geheimnis einzusehen, +das unten vorging. Er hatte keine Art von Vermutung, was zum Henker es +wohl sein möchte. Indessen, da er nicht wußte, wie die wahre Ursache +ausfallen möchte, hielt er es für das klügste, es womöglich wie ein +Stoiker zu ertragen, was er auch mit Hilfe einiger Zuckungen im Gesicht +und einigem Maulspitzen glücklich durchgesetzt hätte, wenn nur seine +Einbildung aus dem Spiele geblieben wäre. -- Aber bei Dingen von +dieser Art ist die Brunst der Einbildung unbezähmlich; es hob sich +plötzlich ein Gedanke in seinem Gemüt, daß, obgleich es einem Schmerz +von glühender Hitze ähnlich sei, es dennoch ebensogut ein Biß wie ein +Brand sein könnte, und wenn dem so, auch wohl eine Eidechse oder Otter +oder ein anderes häßliches Ungeziefer heraufgekrochen sein könnte, das +seine Zähne -- der gräßliche Gedanke daran und ein frischer Schmerz, +den ihm in diesem Augenblick die Kastanie verursachte, überfielen +Phutatorius mit einem plötzlichen Schrecken, und in der ersten +Überrumpelung und Bestürzung brachte es ihn -- wie es wohl den besten +Generälen auf der Welt ergangen ist -- gänzlich aus seiner Fassung. +Die Wirkung davon war, daß er gleich aufsprang, und im Aufspringen +stieß er die Silbe aus, über die schon soviel gesprochen ist, mit dem +Ausrufungszeichen dahinter, das, obgleich nicht so völlig geistig +anständig, doch immer noch so wenig war, wie nur ein Mensch bei +solcher Gelegenheit sagen konnte, und das auch, nebenbei bemerkt -- +geistig wohlanständig oder nicht -- Phutatorius ebensowenig wie die +Veranlassung desselben in seiner Gewalt hatte. + +Obgleich dies nun beim Erzählen einige Zeit weggenommen hat, so +dauerte doch der ganze Vorgang selbst wenig mehr Zeit, als Phutatorius +brauchte, die Kastanie hervorzulangen und solche mit Heftigkeit auf den +Fußboden zu werfen, -- und Yorick von seinem Stuhle aufzustehen und die +Kastanie aufzuheben. + +Es ist der Mühe wert, zu bemerken, was für mächtigen Einfluß +geringfügige Umstände auf das Gemüt haben, von was für einem +unglaublichen Gewicht sie bei der Bildung und Richtung unserer +Meinungen sowohl von Menschen als Sachen sind, -- daß Kleinigkeiten, so +leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele führen und ihn darin so +tief einpflanzen können, daß keine Batterie von Demonstrationen stark +genug ist, ihn herauszukanonieren. + +Yorick, sagte ich, nahm die Kastanie auf, die Phutatorius im Zorn +niedergeworfen hatte. Die Tat war unerheblich; ich schäme mich, Grund +und Ursache davon anzugeben. Er tat es aus keiner anderen Ursache, als +weil er dachte, die Kastanie sei trotz der Begebenheit noch ebenso +gut als vorher, und eine gute Kastanie sei immer des Aufnehmens wert. +Dieser Umstand aber, so geringfügig er war, wirkte in Phutatorius' Kopf +ganz anders. Er betrachtete Yoricks Handlung, da er vom Stuhle aufstand +und die Kastanie aufnahm, als ein deutliches Geständnis seinerseits, +daß die Kastanie eigentlich ihm gehöre, und folglich, daß es der Eigner +der Kastanie und sonst niemand gewesen sein müßte, der ihm damit einen +solchen Possen gespielt habe. Was ihn in dieser Meinung sehr bestärkte, +war dies: die Tafel war länglich und sehr schmal, und Yorick, der dem +Phutatorius gerade gegenübersaß, hatte die schönste Gelegenheit, die +Kastanie hineinzustecken --, folglich mußte er es getan haben. Ein mehr +als bloß argwöhnischer Blick, den Phutatorius jetzt auf Yorick warf, +zeigte diese Meinung zu klar an. Da man natürlicherweise voraussetzte, +daß Phutatorius mehr von der Sache wüßte als sonst jemand, so +wurde seine Meinung die allgemeine, und aus einer von allen bisher +angeführten sehr verschiedenen Ursache hielt man es in kurzer Zeit für +völlig ausgemacht. + +Dieses, wie der Leser von Anfang bis Ende gesehen hat, war so grundlos +wie die Träume der Philosophie. Yorick war freilich, wie Shakespeare +von seinem Urahnen sagte, ein Mann, der Kurzweil trieb; aber seine +Kurzweil war mit etwas vermischt, das ihn sowohl von diesem als manchen +anderen beleidigenden Possen abhielt, die man ihm unverdienterweise +aufpackte. Aber all sein Leben lang hatte er das Unglück, daß man ihm +tausend Dinge zur Last legte, die er gesagt oder getan haben sollte, +deren seine Natur -- oder meine Hochachtung blendet mich -- unfähig +war. Alles, was ich an ihm tadle, oder vielmehr, weswegen ich ihn +bald tadle, bald liebe, war seine eigene Gemütsart, die ihm niemals +gestattete, sich Mühe zu geben, der Welt aus ihrem Traume zu helfen, +so sehr es auch in seiner Gewalt stand. Bei jeder üblen Nachrede von +der Art machte er's gerade eben so, wie bei der Geschichte mit seinem +mageren Klepper. Er hätte es zu seiner Ehre an den Tag legen können, +aber sein Sinn war darüber erhaben. Überdem sah er auf den Erfinder, +Verbreiter und gläubigen Hörer solcher boshaften und ehrenrührigen +Sagereien verächtlich herab. Er konnte sich nicht so tief herablassen, +ihnen seine Geschichte zu erzählen, und so erwartete er's von der Zeit +und Wahrheit, daß die es für ihn tun würden. + +Diese heroische Gesinnung zog ihm mancherlei Unbequemlichkeiten zu. +Bei der gegenwärtigen Geschichte folgte darauf eine rachsüchtige +Feindschaft des Phutatorius, der, wie Yorick eben mit seiner Kastanie +fertig war, zum zweiten Male vom Stuhle aufstand, um es ihm zu +verstehen zu geben, welches er freilich nur mit einem Lächeln tat und +den Worten, er wolle darauf bedacht sein, ihm die Gefälligkeit nicht zu +vergessen. Allein, Sie müssen zwei Dinge sorgfältig unterscheiden und +in Ihrem Herzen bewahren. + +Das Lächeln galt der Gesellschaft. + +Die Drohung galt Yorick. + + [Illustration] + + + + + Einundsechzigstes Kapitel. + + +»Ja,« sagte Didius, indem er aufstand und seine rechte Hand mit +ausgespreizten Fingern auf seine Brust legte, wäre ein solches Versehen +mit dem Taufnamen vor der Reformation gemacht -- es war vorgestern, da +es gemacht wurde, sagte mein Onkel Toby bei sich selbst --, da noch der +Taufaktus in Latein gehalten ward -- nein, 's war in der Muttersprache, +sagte mein Onkel --, so hatte vielerlei Irrtum dabei vorgehen können; +nach dem Beispiele verschiedener dekretierter Fälle hätte dann die +Taufe für null und nichtig erklärt und die Macht erteilt werden können, +dem Kinde einen neuen Namen zu geben. Hätte zum Beispiel ein Priester, +was wegen der Unwissenheit in der lateinischen Sprache so unerhört eben +nicht war, Hans Graubarts Kind getauft: +in nomino patriæ et filia et +spiritum sanctos+, so wäre die Taufe für ungültig gehalten worden.« +-- »Um Vergebung,« erwiderte Kysarcius, »in dem Falle wäre, da der +Fehler nur in den Endungen steckte, die Taufe gültig geblieben. Um sie +ungültig zu machen, hätte der Fehler des Priesters auf die erste Silbe +eines jeden Namens fallen müssen, und nicht wie in Ihrem Beispiele, auf +die letzte.« + +Mein Vater fand seines Herzens Freude an dergleichen Subtilitäten und +hörte mit unendlicher Aufmerksamkeit zu. + +»Gastripheres zum Beispiel,« fuhr Kysarcius fort, »tauft Hans +Strodlings Kind +in Gomine gatris etc. etc.+ anstatt +in +Nomine patris+ usw., heißt das eine Taufe? -- Nein, sagen die +geschicktesten Kanonisten, um so weniger, weil die Wurzeln eines jeden +Wortes aufgerissen und ihr Sinn auf einen entfernten und ganz andern +Gegenstand verpflanzt worden. Denn +Gomine+ heißt ebensowenig +im Namen, als +gatris+ eines Vaters.« -- »Was heißen sie denn?« +sagte mein Onkel Toby. -- »Gar nichts,« sagte Yorick. »Ergo,« sagte +Kysarcius, »ist eine solche Taufe ungültig.« -- »Was zu beweisen war,« +antwortete Yorick in einem Tone von zwei Teilen Scherz und einem Teile +Ernst. + +»In dem angeführten Falle aber,« fuhr Kysarcius fort, »wo +patrim+ +statt +patris+, +filia+ statt +filii+ usw. gesagt wird, +ist das nur ein Fehler in der Endung, und die Wurzeln der Worte sind +unangetastet, und ihre Äste, hierhin oder dorthin, können die Taufe +nicht ungültig machen. Um so weniger als in den Worten derselbe Sinn +bleibt wie vorher. -- Und davon, mein lieber Herr Amtsbruder Didius, +haben wir einen ähnlichen Fall in einem Dekrete der Dekretalien +des Papstes Leo +III.+« -- »Meines Bruders Kind,« rief mein +Onkel Toby, »hat aber nichts mit dem Papste zu schaffen. Es ist ja +erwiesenermaßen das Kind eines protestantischen Mannes, das man +Tristram getauft hat gegen Wunsch und Willen seines Vaters, seiner +Mutter und aller übrigen Blutsverwandten.« + +»Wenn nur der Wunsch und Wille,« sagte Kysarcius und fiel meinem Onkel +Toby in die Rede, »derer ein Gewicht haben soll, die mit Herrn Shandys +Kind in Blutsverwandtschaft stehen, so kommt Madame Shandy unter allen +Menschen doch dabei am wenigsten in Betracht.« Mein Onkel Toby legte +seine Pfeife nieder, und mein Vater rückte mit seinem Stuhle noch näher +an den Tisch, um das Ende einer so seltsamen Einleitung zu hören. + +»Es ist nicht nur, mein Herr Kapitän Shandy, unter den besten +Rechtslehrern und Advokaten des Landes,« fuhr Kysarcius fort, +»die Frage aufgeworfen worden, ~ob die Mutter mit ihrem Kinde +in Blutsverwandtschaft steht~, sondern sie ist wirklich nach +vielen unparteiischen Untersuchungen und Hin- und Widerreden darüber +verneinend entschieden, nämlich ~daß die Mutter keine Blutsverwandte +ihres Kindes sei~.« + +Mein Vater legte den Augenblick seine Hand auf meines Onkels Toby +Mund, unter dem Scheine, als ob er ihm etwas ins Ohr flüsterte. In der +Tat aber, weil er sein Maultier fürchtete. Und da er herzlich Lust +hatte, über einen so hübschen Vorwurf noch mehr zu hören, so bat er +meinen Onkel Toby, er möchte sie ihm doch um's Himmels willen nicht +verderben. Mein Onkel Toby nickte mit dem Kopfe und begnügte sich +damit, daß er seinen Regimentsmarsch in Gedanken pfiff. Kysarcius, +Didius und Triptolemius fuhren mit dem Gespräch fort. + +»Diese Entscheidung,« sprach Kysarcius weiter, »so sehr sie auch gegen +den Strom der allgemeinen Meinung anzuschwimmen scheinen mag, hat +dennoch die Vernunft sehr auf ihrer Seite und ist durch den berühmten +Rechtsfall, der nach dem Herzog von Suffolk genannt wird, außer allen +Zweifel gesetzt werden.« -- »Brook führte ihn an,« sagte Triptolemius. +-- »Und Lord Coke erwähnt seiner gleichfalls,« fügte Didius hinzu. -- +»Sie können ihn auch im Swimburn, von den Testamenten, finden,« sagte +Kysarcius. + +»Der Rechtshandel, Herr Shandy, war dieser: + +Unter der Regierung Eduards +VI.+ machte Karl, Herzog von Suffolk, +der aus dem zweiten Bette einen Sohn und aus dem ersten eine Tochter +hatte, sein Testament, darin er seine Güter dem Sohn vermachte, und +starb darauf. Nach ihm starb der Sohn gleichfalls, aber ohne Testament, +ohne Weib und ohne Kind. -- Seine Mutter und seine Schwester von +Vatersseite -- denn sie war aus der ersten Ehe --, überlebten ihn. Die +Mutter übernahm die Administration von ihres Sohnes Gütern, zufolge des +einundzwanzigsten Artikels der Statuten Heinrichs +VIII.+, in dem +es heißt: ›Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, so +soll die Administration seiner Güter der Person anheimfallen, die mit +ihm im nächsten Grade der Blutsverwandtschaft steht‹. + +Da also die Administration der Mutter zugestanden worden, machte die +Schwester von väterlicher Seite vor dem geistlichen Gerichte eine +Klage anhängig, worin sie anführte: 1. daß sie selbst die nächste +Blutsverwandte sei, und 2. daß die Mutter mit dem Erblasser in gar +keiner Blutsverwandtschaft stände. Daher bat sie das Gericht, daß +solches die der Mutter zugesprochene Administration widerrufen und ihr, +vigore des besagten Artikels, als nächster Blutsverwandten zugeurteilt +werden möge. + +Hierüber wurden, weil es ein wichtiger Prozeß war, an dessen Ausgang +viel gelegen, und in der Folge mancher wichtiger Rechtshandel danach +entschieden werden möchte, die gelehrtesten Männer, sowohl in den +Rechten des engländischen Reichs als im Römischen Rechte konsultiert: +ob die Mutter eine Blutsverwandte ihres Kindes sei oder nicht. +Worüber dann nicht nur die weltlichen, sondern auch die geistlichen +Rechtslehrer, die +Juris consulti+, die +Juris prudentes+, +die Zivilsten, die Advokaten, die Kommissarien, die Richter der +Konsistorial- und Prärogativgerichte zu York und Canterbury nebst den +Doktoren und Lizentiaten alle einstimmig der Meinung waren: die Mutter +sei keine Blutsverwandte ihres Kindes.« + +»Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu?« sagte mein Onkel Toby. + +Das Unerwartete bei meines Onkels Toby Frage machte den Kysarcius +verwirrter, als der geschickteste Advokat hätte tun können. -- Er +schwieg eine völlige Minute und sah meinem Onkel Toby starr ins +Gesicht, ohne zu antworten. Und in der einzigen Minute warf ihn +Triptolemius hinter sich und führte den Reihen wie folgt: + +[Illustration] + +»In den Rechten ist es ein Grundsatz,« sagte Triptolemius, »daß die +Dinge darin nicht aufsteigen, sondern absteigen; und ich zweifle nicht, +daher muß es geleitet werden, daß, so wahr es ist, daß das Kind vom +Blute der Eltern sein mag, dennoch die Eltern nicht von seinem +Blute sind. Da die Eltern nicht von dem Kinde gezeuget werden, sondern +das Kind von den Eltern. Denn so steht geschrieben: +Liberi sunt de +sanguine Patris et Matris, sed Pater et Mater non sunt de sanguine +librorum.+« + +»Das beweiset aber zuviel,« rief Didius, »denn nach dieser angeführten +Autorität würde nicht bloß das folgen, was in der Tat von allen Seiten +zugestanden wird, daß die Mutter keine Blutsverwandte ihres Kindes +ist, sondern der Vater ebensowenig.« -- »Es wird auch für die beste +Meinung gehalten,« sagte Triptolemius, »weil der Vater, die Mutter und +das Kind, ob es gleich drei Personen sind, nur -- +una caro+ -- +ein Fleisch und folglich keinen Grad von Verwandtschaft ausmachen oder +~in der Natur~ erlangen können.« -- »Da treiben Sie Ihren Beweis +abermals zu weit,« rief Didius. »Denn in der Natur ist kein Verbot +wie im levitischen Gesetze, daß jemand mit seiner Großmutter ein Kind +haben könne.« -- »Das ist das +Argumentum commune+,« setzte Yorick +hinzu. -- »'s ist so gut,« sagte Eugenius, und nahm Seinen Hut in die +Hand, »wie Sie's verdienen.« + +Die Gesellschaft brach auf. + + [Illustration] + + + + + Zweiundsechzigstes Kapitel. + + +»Nun,« sagte mein Onkel Toby, der sich auf Herrn Yorick stützte, +welcher ihm mit meinem Vater gemächlich die Treppen hinunterhalf. +Erschrecken Sie nur nicht, Madame, dieses Treppengespräch ist nicht so +lang wie das vorige. -- »Nun, lieber Herr Yorick,« sagte mein Onkel +Toby, »auf welche Art ist denn endlich die Sache mit Tristram von +diesen gelehrten Männern entschieden?« -- »Sehr hinlänglich,« versetzte +Yorick. »Kein Sterblicher hat was damit zu schaffen, mein lieber Herr +Kapitän, denn Madame Shandy, die Mutter, ist nichts weniger als seine +Blutsverwandte. Und da doch die mütterliche Seite die sicherste ist, +so ist folglich Herr Shandy ihm noch weniger, als nicht. Kurz, er ist +nicht so nahe mit ihm verwandt, Herr, wie ich --« + +»Das kann wohl sein,« sagte mein Vater mit Kopfschütteln. + +»Laß die Gelehrten sagen, was sie wollen, es muß doch gewiß eine Art,« +sagte mein Onkel Toby, »von Blutsfreundschaft zwischen der Herzogin von +Suffolk und ihrem Sohne gewesen sein.« -- + +»Die Ungelehrten sind,« sagte Yorick, »noch bis auf diese Stunde +ebender Meinung.« + + [Illustration] + + + + + Dreiundsechzigstes Kapitel. + + +Ob mein Vater gleich von den Subtilitäten dieser Unterredung mächtig +gekitzelt ward, so ging's doch damit wie mit der Salbe auf einem +gebrochenen Knochen. Sobald er zu Hause angekommen, fiel die Last +seiner Betrübnis desto schwerer auf ihn zurück. Wie's immer zu gehen +pflegt, wenn der Stab, worauf wir uns lehnten, ausweicht. Er geriet +ins Nachdenken, ging häufig nach dem Fischteiche, ließ eine Krempe +von seinem Hute nieder, seufzte öfters, fuhr niemand mehr hitzig an. +Und da die schnellen Anwandlungen des Zorns, die einen Menschen so +auffahren lassen, so sehr die Ausdünstung und Verdauung befördern, wie +Hippokrates sagt, so wäre er gewiß aus Mangel daran krank geworden, +wenn nicht noch eben zu rechter Zeit seine Gedanken davon abgekehrt und +seine Gesundheit durch einen frischen Troß von Unruhen erlöst worden +wäre, die ihm meine Tante Dinah mit einem Vermächtnis von fünf- bis +sechstausend Talern hinterließ. + +Mein Vater hatte kaum den Brief gelesen, als er die Sache gleich beim +rechten Zipfel faßte und seinen Kopf ängstete und plagte, wie er's am +besten zur Ehre der Familie anlegen sollte. Wohl hundertundfünfzig +wundersame Projekte nisteten sich, eins nach dem andern, in sein +Gehirn. Er wollte dies tun und das -- und das andere. -- Er wollte nach +Rom, es dem Papste abprozessieren, wollte Aktien kaufen, John Hobson +sein Landgut abfeilschen, er wollte einen neuen Giebel vor seinem Hause +heraufziehen und einen neuen Flügel dranbauen. An dieser Seite des +Baches stand eine hübsche Wassermühle, und er wollte jenseits, gerade +gegenüber, eine Windmühle bauen, der hübschen Symmetrie wegen. Vor +allen Dingen aber in der Welt wollte er das große Ochsenmoor bestellen +und meinen Bruder Bobby auf Reisen schicken. + +Da aber die Summe endlich war, und folglich nicht alles ausrichten +konnte und in der Tat sehr wenig von all diesem gehörig und gut, so +schienen von allen Projekten, die sich bei dieser Gelegenheit darboten, +die beiden letzten den tiefsten Eindruck zu machen. Er würde sich auch +gewiß zu beiden zugleich entschlossen haben, wenn's nicht der kleine, +eben erwähnte Umstand gehindert hätte, der ihn allerdings in die +Notwendigkeit versetzte, sich entweder für das eine oder das andere zu +erklären. + +Dies war nicht so leicht geschehen; denn so gewiß es ist, daß mein +Vater schon längst sein Herz auf diesen wesentlichen Teil der Erziehung +meines Bruders eingestellt und wie ein kluger Mann beschlossen +hatte, ihn von dem ersten Gelde, das ihm von der zweiten Dividende +der Mississippiaktien einliefe, seine Reise antreten zu lassen, so +hatte doch das Ochsenmoor, ein hübscher, großer, brachliegender, +dem Shandyschen Gute zugehöriger Anger, fast ebenso alte Rechte und +Ansprüche. Er hatte schon lange und ernstlich darauf gesonnen, es unter +Pflug und Egge zu bringen. + +Da ihn aber bisher noch kein solcher Zusammenfluß von Dingen gedrängt, +auszumachen, welches von beiden das älteste oder beste Recht hätte, so +hatte er sich wie ein weiser Mann enthalten, sich in eine kritische +Untersuchung darüber einzulassen. Dergestalt also, daß, nachdem alle +übrigen Projekte bei dieser Krise den Laufpaß erhalten, die beiden +alten, das Ochsenmoor und mein Bruder darüber wieder unter sich +stritten -- sie waren einander dergestalt gewachsen, daß sie manchen +nicht geringen Kampf im Kopfe des alten Herrn veranlaßten --, welches +zuerst in Gang gebracht werden sollte. + +Die Leute haben gut lachen, die Sache war so: + +Es war beständig in der Familie Brauch gewesen und war durch die +Verjährung gleichsam ein Recht geworden, daß der älteste Sohn, bevor er +heiratete, in fremde Gebiete freien Ein-, Aus- und Zugang haben mußte. +Nicht nur um durch die Leibesübung und häufige Veränderung der Luft +ein eigenes persönliches Gebiet zu verbessern, sondern auch zum reinen +Vergnügen seiner Phantasie. Daß man ihm, weil er sagen konnte, ich bin +gereist, eine bunte Feder mehr in den Schwanz setzte. -- +Tantum +valet+, pflegte mein Vater zu sagen, +quantum sonat+. + +Da dieses nun ein vernünftiger und also ein allerchristlicher Brauch +war -- wenn man ihn ohne Warum und Weswegen aufsetzte -- und dadurch +das erste Exempel gegeben würde, daß ein Shandyscher Erbe nicht +in einer Postchaise durch Europa kutschiert worden, und zwar bloß +deswegen, weil er noch ein Knabe war, so hieß das ärger mit ihm +umspringen, als mit einem Heiden und Türken. + +Auf der anderen Seite war der Fall des Ochsenmoores ebenso dringend. + +Den ersten Kaufschilling nicht mitgerechnet, der achthundert Louisdor +betrug, hatte es der Familie schon vor fünfzehn Jahren noch andere +achthundert an Prozeßkosten gefressen. Der Himmel weiß, wie manchen +Ärger und Verdruß man dadurch hatte. + +Überdem war es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein beständiges +Eigentumsstück der Shandyschen Familie, und ob es gleich groß und +breit vor dem Hause lag und man an einer Seite die Wassermühle sah und +an der anderen die projektierte Windmühle sehen sollte, von der oben +gesprochen worden -- und aus allen diesen Gründen das begründetste +Recht vor allen ändern Grundstücken auf die Pflege und Fürsorge der +Familie zu haben schien: -- so war es dennoch durch ein unbegreifliches +Schicksal, dem sowohl die Menschen, wie der Grund, den sie betreten, +unterworfen sind, -- die ganze Zeit her schändlich übersehen worden. +Es hatte, die Wahrheit zu gestehen, dadurch so sehr gelitten, daß dem +Manne, sagte Obadiah, der wüßte, was Land wäre, und darüber ritte +und sähe, in welchen kläglichen Umständen es läge, das Herz im Leibe +darüber bluten müßte. + +Indessen, da weder der Ankauf dieses Grundstücks, noch seine Lage, +so gut sie auch war, meines Vaters Werk waren, so hatte er gemeint, +daß es ihn eigentlich nichts anginge. Bis vor fünfzehn Jahren der +oben erwähnte verdammte Grenzprozeß losbrach, der als meines Vaters +eigentümliche Tat und Handlung zugleich alle anderen Gründe zu seinem +Besten aufweckte. Nachdem er sie alle aufgezählt hatte, fand er, daß er +nicht nur des Nutzens, sondern auch der Ehre wegen verpflichtet sei, +etwas dafür zu tun, und daß es jetzt Zeit sei oder niemals. + +Es muß ein Unglück dazu geschlagen sein, daß die Gründe auf beiden +Seiten so völlig gleichwiegend waren. Denn ob mein Vater sie +unter allen Umständen und in allerlei Gemütsverfassungen abwog -- +manche kummervolle Stunde in sehr tiefen und abstrakten Gedanken +darüber hinbrachte, heute Bücher von der Landwirtschaft, morgen +Reisebeschreibungen las, alle Leidenschaften beiseitesetzte, die +Gründe auf beiden Seiten mit allen ihren Umständen beleuchtete, +täglich mit meinem Onkel Toby darüber Rat pflog, mit Yorick darüber +philosophierte und über die ganze Sache, das Ochsenmoor betreffend, mit +Obadiah sich besprach, so ergab sich doch in all der Zeit nichts, was +so stark für das eine sprach, das sich nicht auch ganz genau auf das +andere anwenden ließ, oder doch wenigstens durch eine oder die andere +Rücksicht, von gleichem Gewicht, die Schalen gleichschwebend hielt. + +Soviel war unstreitig gewiß, wenn das Ochsenmoor in gute Hände geriet +und gehörig bearbeitet würde, so müßte es ein ganz anderes Ansehen in +der Welt haben, als es der Fall war oder in seiner jetzigen Verfassung +jemals tun konnte. Das war aber auch, Obadiah mochte sagen, was er +wollte, alles haarklein von meinem Bruder Bobby wahr. + +In Ansehung des Einträglichen, gestehe ich, schien der Streit dem +ersten Augenblicke nach nicht so unentschieden unter den beiden; denn +so oft mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und sich darüber her +machte, zu berechnen, was die Ausgaben für Aufbrechen, Ausbrennen, +Einhägen usw. des Ochsenmoors betrügen, und dagegen den sicheren +Profit, den es ihm wieder bringen müßte, so war der letzte, auf die +Art, wie er das Exempel ansetzte, so unglaublich überwiegend, daß man +hätte schwören sollen, das Ochsenmoor müßte die Oberhand behalten. +Denn es war klar, er müßte gleich das erste Jahr über hundert Last +Rapssamen ziehen, die Last zu hundert Taler gerechnet. Hierauf das +zweite Jahr eine vortreffliche Weizenernte. Das Jahr darauf, um es +nur gering anzuschlagen, hundert, nach aller Wahrscheinlichkeit aber +hundertfünfzig, wo nicht zweihundert Wispel Bohnen und Erbsen, nicht +zu gedenken der unendlichen Menge Kartoffeln. -- Aber dann klopfte der +Gedanke, daß er derweile meinen Bruder auferzöge wie ein Schwein, das +sie fressen sollte, wieder in seinem Kopfe an und ließ den lieben +alten Herrn in solcher Unentschlossenheit, daß er, wie er oft meinem +Onkel Toby erklärte, ebensowenig wußte, was er tun sollte wie sein +Absatz. + +Kein Mensch als er, der es gefühlt hat, kann sich vorstellen, was für +eine Not es ist, wenn ein Mann von zwei Projekten von gleicher Stärke +gezerrt wird, die ihn beide gleich hartnäckig in entgegenstehender +Richtung ziehen und reißen. Denn, nicht zu gedenken der Verwüstung, +die solches natürlicherweise in dem ganzen feineren Systeme der Nerven +anrichten muß, welche, wie Sie wissen, die Lebensgeister und subtileren +Säfte vom Herzen nach dem Haupte und so weiter führen: -- so ist es +nicht zu sagen, in was für einem hohen Grade ein so widersinniges +Reiben schon auf die gröberen und solideren Teile wirkt, indem es, +sooft es vorwärts geht oder rückwärts, allemal das Fett eines Mannes +schmilzt und seine Kräfte schwächt. + +Mein Vater wäre diesem Übel erlegen, so gewiß als er dem mit meinem +Taufnamen erlag, wäre er nicht aus diesem eben so erlöset, wie aus +jenem: durch ein frisches Übel, das Unglück von meines Bruders Bobby +Tod. + +Was ist des Menschen Leben! Ist's nicht bald hier, bald dort? Aus einer +Sorge in die andere? Eine Ursache des Verdrusses zugeknöpft, eine +andere wieder auf! + + [Illustration] + + + + + Vierundsechzigstes Kapitel. + + +Als mein Vater den Brief empfing, der ihm die traurige Nachricht von +meines Bruders Bobby Tode gab, saß er eben über der Berechnung der +Kosten der Extrapost für ihn von Calais nach Paris und so weiter nach +Lyon. + +Es war eine unglückliche Reise. Mein Vater mußte jeden Schritt noch +einmal durchreisen und seine Berechnung von vorne wieder anfangen, als +er bereits fast bis ans Ende gelangt war. Denn Obadiah machte die Türe +auf, ihm zu sagen, es sei keine Hefe mehr im Hause, und ihn zu fragen, +ob er nicht morgen früh das große Kutschpferd nehmen und hinreiten +sollte, welche zu holen. »Meinethalben, Obadiah,« sagte mein Vater und +ließ sich in seiner Reise nicht irremachen, »nehme Er das Kutschpferd +und damit gut!« -- »Aber es hat ein Eisen verloren, das arme Tier!« +sagte Obadiah. -- »Das arme Tier,« sagte mein Onkel Toby und +wiederholte die Schwingungen der Note wie eine rein gestimmte Saite. -- +»So nehme Er den Schottländer,« sagte mein Vater hastig. -- »Der ist +so gedrückt, daß er um alles in der Welt keinen Sattel leiden kann,« +sagte Obadiah. -- »Mit dem Pferde ist auch immer was; so nehme Er den +Patrioten,« rief mein Vater, »und mache Er die Türe zu.« -- »Patriot +ist verkauft,« sagte Obadiah. -- »Da seh' mir einer!« schrie mein Vater +und machte eine Pause und sah meinem Onkel Toby ins Gesicht, als ob die +Sache sich nicht wirklich so verhalten könnte. -- »Euer Gnaden befahlen +mir ja im letzten April, daß ich ihn verkaufen sollte,« sagte Obadiah. +-- »Nun, so mag Er zu Fuß gehen,« rief mein Vater. -- »Ich gehe auch +lieber, als ich reite,« sagte Obadiah und machte die Türe zu. + +»Was für ein Geplage!« schrie mein Vater und fuhr mit seiner Berechnung +fort. -- »Aber die Wege stehen unter Wasser,« sagte Obadiah und machte +die Türe wieder auf. + +Bis auf diesen Augenblick hatte mein Vater mit einer Karte von Sanson +und einem Buche von den Postrassen vor sich seine Hand auf den Knauf +des Zirkels gehalten, mit einer Spitze auf Nevers, als die letzte +Station, welche er bezahlt hatte, -- in der Absicht, von da mit seiner +Reise und Berechnung weiterzugehen, sobald Obadiah aus der Türe wäre. +-- Dieser zweite Überfall von Obadiah aber, indem er die Türe öffnete +und das ganze Land unter Wasser setzte, war zu arg. -- Er ließ den +Zirkel fahren -- oder vielmehr er warf ihn mit einer vermischten +Bewegung von Zufall und Zorn auf den Tisch. Nunmehr blieb ihm nichts +weiter übrig, als -- wie manche andere -- eben so klug wieder nach +Calais zurückzugehen, wie er von dort abgereist war. + +Als der Brief ins Zimmer gebracht wurde, welcher die Nachricht von +meines Bruders Tode enthielt, war mein Vater mit seiner Reise schon +abermals so weit gekommen, daß der Zirkel nur noch einen Schritt tun +durfte, so war er wieder auf der nämlichen Station zu Nevers. -- »Mit +Ihrer Erlaubnis, Herr Sanson,« drückte die Zirkelspitze durch Nevers +in den Tisch und nickte meinem Onkel Toby zu, um zu sehen, was der +Brief sagte. »Zweimal an einem Abend vor einem so lumpigen Städtchen +als Nevers wieder umzukehren, ist für einen englischen Herrn und seinen +Sohn zu viel, Herr Sanson. Ist's nicht wahr, Toby?« fügte mein Vater +mit einem scherzhaften Tone hinzu. -- »Es müßte denn eine Garnison +darin liegen,« sagte mein Onkel Toby. -- »Alsdann bin ich ein Geck,« +sagte mein Vater lächelnd und bei sich selbst, »solange ich lebe.« +-- Damit nickte er zum zweiten Male, und indem er seinen Zirkel auf +Nevers mit der einen und sein Buch von den Postrassen mit der anderen +Hand hielt, halb rechnend und halb zuhörend, lehnte er sich mit seinen +beiden Ellenbogen auf den Tisch. Mein Onkel Toby überlas leise den +Brief. -- -- -- -- -- -- + + * * * * * + +»Er ist abgereist,« sagte mein Onkel Toby. -- »Wohin, wer?« rief mein +Vater. -- »Mein Neffe,« sagte mein Onkel Toby. -- »Was, ohne Urlaub, +ohne Geld und ohne Wechsel? Ohne Hofmeister?« rief mein Vater mit +Erstaunen. -- »Nein, er ist gestorben, mein lieber Bruder,« sagte mein +Onkel Toby. -- »Und nicht krank gewesen?« schrie mein Vater wieder. -- +»Das kann ich nicht sagen,« sagte mein Onkel Toby mit leiser Stimme und +holte dabei einen tiefen Seufzer aus dem Grunde seines Herzens. »Er +ist krank genug gewesen, armer Knabe, dafür bin ich Bürge, denn er ist +gestorben!« + +Als der Agrippina der Tod ihres Sohnes bekannt gemacht wurde, erzählt +Tacitus, konnte sie die Heftigkeit ihres Schmerzes nicht mäßigen und +habe ihre Beschäftigung abgebrochen. -- Mein Vater steckte seinen +Zirkel noch fester in Nevers hinein. -- Was für Verschiedenheiten! +Seins war freilich ein Rechnungsgeschäft. Agrippinas muß ein ganz +anderes Geschäft gewesen sein, wie könnte man sonst Schlüsse aus der +Historie ziehen wollen? + +Was mein Vater weiter tat, das verdient nach meiner Meinung ein eigenes +Kapitel. + + [Illustration] + + + + + Fünfundsechzigstes Kapitel. + + +Und ein Kapitel soll es haben, und zwar ein Kapitel, das sich gewaschen +hat. -- Also nehmen Sie sich in acht! + +Es ist entweder Plato oder Plutarch, oder Seneka oder Xenophon, oder +Epiktet oder Theophrast, oder Lucian -- oder jemand anders vielleicht +aus neueren Zeiten -- Cordan oder Buddeus, oder Petrach oder Stella --, +es kann auch wohl ein Gottesgelehrter oder Kirchenvater sein, welcher +behauptet, daß es ein unwiderstehlicher und natürlicher Hang ist, den +Verlust unserer Freunde oder Kinder zu beweinen. Seneka -- dies weiß +ich zuverlässig -- sagt uns irgendwo, daß dergleichen Betrübnisse sich +am besten durch diesen besonderen Kanal ausleeren. Demzufolge finden +wir, daß David um seinen Sohn Absalom weinte, Adrian um seinen Sohn +Antinous, Niobe um ihre Kinder, und daß Apollodorus und Krito beide um +Sokrates Tränen vergossen, bevor er starb. + +Mein Vater behandelte seine Betrübnis auf eine andere Manier, und +zwar ganz verschieden von den meisten Menschen unter den Alten oder +Neueren; denn er weinte sie nicht etwa weg, wie die Hebräer und +Lateiner, verschlief sie nicht wie die Lappländer, erhing sie nicht wie +die Engländer und ersäufte sie nicht wie die Deutschen, noch fluchte, +verdammte, bannte, reimte oder pfiff er sie weg. + +Er ward ihrer indessen doch los. + +Wollen Euer Hochwohlgeboren mir erlauben, daß ich hier eine Historie +einschalte? + +Als Tullius seiner Tochter Tullia beraubt wurde, nahm er sich's anfangs +sehr zu Herzen. Er hörte auf die Stimme der Natur, und nach dieser +modulierte er seine eigene. -- O meine Tullia! Meine Tochter! Mein +Kind! Noch, noch, noch bist du's! warst es, o meine Tullia! Meine +Tullia! Mich dünkt, ich sehe meine Tullia, ich höre meine Tullia, ich +spreche mit meiner Tullia. -- Allein sobald er sich im Zeughause der +Philosophie umsah und bedachte, was sich über die Veranlassung für +vortreffliche Sachen sagen ließen -- kein Mensch auf der Welt vermag +sich's vorzustellen --, sagte der große Redner, wie glücklich, wie +fröhlich es ihn machte. + +Mein Vater dachte ebenso hoch von seiner Beredsamkeit wie Marcus +Tullius Cicero nur immer von seiner. Und wenn ich nicht ganz und gar +falsch berichtet bin, mit ebensoviel Grund. Es war wirklich seine +Stärke -- und seine Schwäche dazu. Seine Stärke, denn er war beredt +von Natur. Seine Schwäche, denn sie spielte ihm stündlich Streiche. +Wenn ein Vorfall in seinem Leben ihm nur Anlaß gab, seine Gaben zu +zeigen oder etwas Kluges, Witziges oder Satirisches zu sagen -- ein +systematisches Unglück ausgenommen --, so hatte er, was er wollte. Ein +Glück, welches meines Vaters Zunge fesselte, und ein Unglück, welches +solche auf eine gute Art in freien Gang setzte, waren ihm ziemlich +gleich willkommen. Zuweilen gar das Unglück am angenehmsten; denn wenn +zum Beispiel das Vergnügen des Redehaltens sich wie zehn, und der +Verdruß des Unglücks nur wie fünf verhielt, gewann mein Vater Hundert +auf Hundert, und befand sich folglich so wohl dabei, als wenn ihn gar +nichts überkommen wäre. + +Aus diesem Knäuel entwickelt sich alles, was sonst in meines Vaters +häuslichem Charakter zusammenhängend scheinen möchte. Nämlich, +daß bei den Gelegenheiten zum Ärger, die die Nachlässigkeit oder +Tölpelei des Gesindes oder andere in einer Haushaltung unvermeidliche +Verdrießlichkeiten hervorbrachten, sein Zorn oder vielmehr die Dauer +desselben niemals das war, was man vermutete. + +Mein Vater hatte eine kleine Stute, die er sehr liebte; dieser hatte +er einen sehr schönen arabischen Hengst zugegeben, um ein Füllen für +seinen eigenen Sattel von ihr zu erzielen. Er war lebhaft in allen +seinen Projekten; also sprach er täglich von dem Füllen wie von einem +wirklich vorhandenen Dinge, das schon geworfen, gezähmt, gezäumt und +zum Reiten gesattelt vor seiner Türe stände, das er nur besteigen +dürfte. Durch ein oder zwei Versehen des Obadiah kam es, daß aus meines +Vaters Erwartung nichts anderes wurde als ein Maulesel, und zwar in +seiner Art so häßlich, wie nur einer, der einen Esel zum Vater hat, +sein kann. + +Meine Mutter und mein Onkel Toby meinten nicht anders, als mein Vater +würde Obadiah den bittersten Dampf antun und das bittere Leben würde +kein Ende nehmen. -- »Nun seh Er einmal, Schäker,« rief mein Vater und +wies auf den Maulesel, »was er gemacht hat!« -- »Das habe ich nicht +getan,« sagte Obadiah. -- »Woher kann ich das wissen?« versetzte mein +Vater. + +Triumph über diese witzige Antwort schwamm in meines Vaters Auge. Das +attische Salz brachte Wasser hinein. Und somit hörte Obadiah kein Wort +weiter darüber. + +Nun laßt uns zurückkehren zu meines Bruders Tode. + +Die Philosophie hat auf jede Sache einen hübschen Spruch. Auf den Tod +hat sie eine ganze Schnur voll; das Unglück war nur, daß sie alle auf +einmal auf meines Vaters Kopf losstürzten und es schwer war, sie so +aneinanderzureihen, daß ein hübsches beschauliches Ganzes daraus wurde. +Er nahm sie also, wie sie kamen. + +»Es ist ein unvermeidliches Geschick. Das erste Gesetz im allgemeinen +Gesetzbuche. Es ist eine unwiderrufliche Parlamentsakte, mein lieber +Bruder: alles muß sterben. « + +»Wenn mein Sohn nicht hätte sterben können, das wäre Ursache zum +Verwundern gewesen, nicht, daß er gestorben ist. Monarchen und Prinzen +tanzen mit uns in einem Reigen. + +Sterben ist der große, der Nation schuldige Zoll und Tribut. Gräber +und Monumente, die unser Gedächtnis verewigen sollten, bezahlen solche +selbst, und die stolzeste Pyramide unter allen, die Reichtum und Kunst +errichtet, hat ihre Spitze verloren und liegt dort in großen Trümmern +in entferntem Anblicke des Wanderers.« Mein Vater fand, daß es ihm +sehr gut tat, und fuhr fort: »Ganze Reiche und Länder, und Flecken +und Städte, haben sie nicht ihre Perioden? Denn wenn die Prinzipia +und Kräfte, welche sie zuerst gründeten und zusammenfügten, ihre +verschiedenen Evolutionen bewirkt haben, so fallen sie zusammen.« -- +»Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby bei dem Worte Evolutionen +und legte seine Pfeife nieder. -- »Revolutionen wollte ich sagen,« +unterbrach ihn mein Vater, »wahrhaftig, Revolutionen wollte ich sagen, +Bruder Toby; Evolutionen ist Unsinn.« -- »Unsinn ist's doch auch +nicht,« sagte mein Onkel Toby. -- »Aber ist's nicht Unsinn, den Faden +eines solchen Gesprächs über eine solche Veranlassung zu zerreißen?« +rief mein Vater. »Höre, lieber Toby,« fuhr mein Vater fort und faßte +ihn bei der Hand, »höre, höre, ich bitte dich, unterbrich mich nicht in +dieser Krisis!« -- Mein Onkel Toby nahm seine Pfeife in seinen Mund. + +»Wo ist Troja und Mykenä, und Theben und Delos, und Persopolis und +Agrigent?« fuhr mein Vater fort, wobei er sein Buch von den Postrassen +wieder aufnahm, das er niedergelegt hatte. »Wo, mein Bruder Toby, +wo sind Ninive und Babylon, und Cizicum und Mitileno geblieben? Die +schönsten Städte, über welche jemals die Sonne aufgegangen, sind jetzt +nicht mehr da. Die Namen sind nur noch übrig, und diese -- denn viele +davon werden falsch buchstabiert - zerstäuben auch schon wie Wurmmehl +und werden mit der Zeit vergessen und mit allen anderen Dingen in eine +ewige Nacht gehüllt werden. Die Welt selbst, Bruder Toby, muß, muß ein +Ende nehmen. + +Auf der Rückkehr aus Asien, da ich von Ägina nach Megara segelte« -- +wann mag das wohl gewesen sein, dachte mein Onkel Toby --, »begann +ich das Land umher zu beschauen. Ägina lag hinter mir, Megara vor +mir, Pyräus zu meiner Rechten, Korinth zur Linken. Was für blühende +Städte, nun liegen sie auf der Erde im Staube! Ach, ach! sagte ich zu +mir selbst, daß einen Mann die Ruhe seiner Seele stören kann über den +Verlust eines Kindes, wenn so gewaltige Trümmer so fürchterlich vor +seinem Anblicke liegen. Bedenke, sagte ich abermals zu mir selbst, +bedenke, du bist ein Mensch!« + +Nun sehen Sie, mein Onkel Toby wußte nicht, daß dieser letzte Paragraph +ein Auszug aus Servius Sulpicius' Trostschreiben an den Cicero war. +Der ehrliche Mann war ebensowenig in den Fragmenten wie in den ganzen +Stücken der Altertümer bewandert. Und da mein Vater, als er noch Anteil +am Handel hatte, drei bis vier Reisen nach der Levante gemacht und +einmal ganze anderthalb Jahre sich zu Zanthen aufgehalten hatte, so kam +mein Onkel Toby natürlich auf den Gedanken, mein Vater müsse einstmals +einen Abstecher durch den Archipelagus nach Asien gemacht haben, und +daß dieser ganze Segeleikram, mit Ägina hinten, Megara vorne und Pyräus +zur Rechten usw. nichts anderes sei, als der wahre Weg und Lauf der +Reise und der Betrachtungen meines Vaters. + +Es war ganz in seiner Manier; mancher Kritikus würde wohl zwei +Stockwerke höher auf noch schlechterem Grund gebaut haben. -- »Sage mir +doch, Bruder,« sagte mein Onkel Toby und legte das Ende seiner Pfeife +auf meines Vaters Hand, als eine freundschaftliche behende Art des +Indieredefallens, wobei er jedoch wartete, bis sein Bruder einen Punkt +machte, »in welchem Jahre unseres Herrn war das?« -- »In keinem Jahre +unseres Herrn,« versetzte mein Vater. -- »Das ist unmöglich!« rief mein +Onkel Toby. -- »Du Taubenkopf,« sagte mein Vater, »es war vierzig Jahre +vor Christi Geburt.« + +Meinem Onkel Toby blieb nur unter zwei Dingen die Wahl: entweder zu +glauben, sein Bruder sei der ewige Jude oder der Verlust seines Sohnes +habe ihm das Gehirn verrückt. »Gott im Himmel und auf Erden möge ihn +beschützen und genesen lassen!« sagte mein Onkel Toby, indem er mit +Tränen in den Augen still in seinem Herzen für meinen Vater betete. + +Mein Vater brachte die Tränen gehörig in Rechnung und fuhr frisch mit +seiner Rede fort. + +»Es gibt keine so große Ungleichheit, Bruder Toby, zwischen Gutem und +Bösem, wie sich die Welt einbildet« -- diese Art zu beginnen, war, +beiläufig gesagt, eben nicht sehr tüchtig, meinem Onkel Toby seinen +Argwohn zu benehmen --; »Arbeit, Sorgen, Betrübnis, Krankheit, Not und +Mangel sind Brühen über das Leben.« -- »Wünsche wohl zu bekommen!« +sagte mein Onkel Toby bei sich selbst. + +»Mein Sohn ist tot! -- Desto besser. Eine Schande wär's, in einem +solchen Sturme nur einen Anker zu haben. + +Allein er hat uns verlassen und kehrt nicht wieder! Mag's! Er ist nur +den Händen seines Barbiers entronnen, ehe ihm sein Haar ausfiel. Er ist +nur von einer Mahlzeit aufgestanden, ehe er den Magen überladen hat, +von einem Gelage, ehe er trunken worden. + +Die Thrazier weinten, wenn ein Kind geboren wurde« -- »und wir waren +auch nicht weit davon,« sagte mein Onkel Toby --, »und schmausten und +lebten fröhlich, wenn ein Mensch aus der Welt ging; und das mit Recht. +Der Tod öffnet die Pforte des Nachruhms und schließt die Pforte des +Neides hinter sich zu. Er entledigt den Gefangenen von seinen Ketten +und gibt das Werk des Tagelöhners den Händen eines anderen. + +Zeige mir den Mann, der weiß, was das Leben ist, der es fürchtet, und +ich zeige dir einen Gefangenen, der seine Freiheit scheut. + +Ist es nicht besser, mein lieber Bruder Toby -- denn merke dir, unsere +Lüste sind eigentliche Gebrechen --, ist es nicht besser, gar keinen +Hunger zu haben, als zu essen? Keinen Durst, als eine Mixtur zu nehmen, +um ihn zu stillen? + +Der Tod ist nichts Grauenvolles, Bruder Toby, in seinen Blicken, als +was er vom Ächzen und den Zuckungen borgt, und von dem Nasenschneuzen +und Augenwischen mit den Gardinenzipfeln in dem Krankenzimmer eines +Sterbenden. Nimm ihm das, was bleibt er?« -- »Er ist besser in der +Schlacht als auf dem Bette,« sagte mein Onkel Toby. -- »Nimm ihm +seine Bahre, seine feierliche Stille, seinen schwarzen Flor, seine +Federbüsche, Sargschilde und andere solche mechanische Hilfsmittel, +was bleibt er? Besser in der Schlacht?« fuhr mein Vater lächelnd +fort, denn meinen Bruder Bobby hatte er rein vergessen. »Nirgends +ist er furchtbar. Denn sieh nur, Bruder Toby: wenn wir sind, so ist +der Tod nicht; und ist der Tod, so sind wir nicht.« -- Mein Onkel +Toby legte seine Pfeife nieder, um den Satz nachzudenken. Meines +Vaters Beredsamkeit war zu reißend, um auf einen Menschen zu warten, +fortströmte sie, und zog meines Onkel Tobys Ideen mit sich dahin. + +»Deswegen ist es,« fuhr mein Vater fort, »der Mühe wert zu bemerken, +wie wenig Schrecken die Annäherung des Todes großen Männern +verursacht hat. Vespasianus starb scherzend auf seinem Nachtstuhle, +Galba mit einem Sittenspruche, Septimus Severus machte eben eine +Depesche, Tiberius machte jemandem etwas weis, und Cäsar Augustus ein +Kompliment.« -- »Ich hoffe, es war ein aufrichtiges,« sagte mein Onkel +Toby. + +»Es war an seine Gemahlin,« sagte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Sechsundsechzigstes Kapitel. + + +»Und endlich und zuletzt -- denn unter allen den ausgewählten +Anekdoten, welche die Geschichte über diese Materie aufweisen kann,« +fuhr mein Vater fort -- »ziert diese wie ein vergoldetes Kuppeldach das +ganze Gebäude. + +Es ist die von Kornelius Gallus, dem Prätor, die du gewiß gelesen +hast, Bruder Toby.« -- »Ich habe sie gewiß nicht gelesen,« erwiderte +mein Onkel. -- »Er starb,« sagte mein Vater, »als er -- -- -- -- -- -- +--« -- »Nun, wenn's seine Ehefrau war,« sagte mein Onkel Toby, »so +konnte nichts Anstößiges dabei sein.« -- »Das ist mehr, als ich weiß,« +versetzte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Siebenundsechzigstes Kapitel. + + +Meine Mutter ging eben ganz leise im Finstern den Gang entlang, der auf +die Stube stieß, als mein Onkel Toby das Wort Ehefrau aussprach. Das +Wort ist an sich schon sehr tönend, und Obadiah war ihm noch dadurch +zu Hilfe gekommen, daß er die Türe nur ans Schloß gelehnt hatte, so, +daß meine Mutter genug davon hörte, um zu glauben, man spräche eben +von ihr. Sie legte deswegen einen Finger über ihre beiden Lippen, +hielt den Atem an, beugte den Kopf ein wenig seitwärts nieder, nicht +nach der Türe hin, sondern davon ab, daß ihr Ohr an die Spalte kam, +und horchte aus allen Kräften. Der römische Horcher mit der Göttin des +Stillschweigens hinter sich, könnte keinen schöneren Gedanken zu einem +Gemmenschnitt gegeben haben. + +In dieser Stellung bin ich willens, sie fünf Minuten stehen zu lassen, +bis ich die Sachen in der Küche zu ebender Periode geführt habe. + + [Illustration] + + + + + Achtundsechzigstes Kapitel. + + +»Unser Junker in London ist tot!« sagte Obadiah. + +Ein grüner Atlasmorgenrock meiner Mutter, der schon zweimal aufgeputzt +worden, war die erste Idee, welche Obadiahs Ausrufung in Susannas Kopf +brachte. Locke hatte wohl recht, ein Kapitel über die Unvollkommenheit +der Worte zu schreiben. »Nun,« sagte Susanna, »so müssen wir alle +trauern.« -- Aber merken Sie's noch einmal: das Wort trauern, +ungeachtet Susanna es selbst brauchte, verfehlte dennoch seine Wirkung. +Es erweckte keine einzige in Schwarz oder Grau gefärbte Idee, alles war +grün, der grüne Atlasmorgenrock hing noch da. + +»O! meine arme Madame wird den Tod davon bekommen,« rief Susanna. Nun +folgte meiner Mutter ganzer Kleidervorrat. Was für eine Prozession! +Ihr rotdamastnes, ihr orangefarbenes, ihr weiß und gelb gestreiftes, +ihr braun taffetnes Kleid, ihre Spitzenkopfzeuge, ihre Morgenröcke +und ausgenähten Unterröcke. Alles, bis auf den geringsten Lappen, +ging durch die Musterung. »Nein, das überlebt sie gewiß nicht,« sagte +Susanna. + +Wir hatten ein dickes, närrisches Küchenmensch, mein Vater, glaube ich, +behielt sie wegen ihrer Einfalt. Sie hatte sich den ganzen Herbst mit +der Wassersucht geschleppt. »Er ist tot!« sagte Obadiah. »Er ist ganz +gewiß tot!« -- »Ich nicht,« sagte das närrische Küchenmensch. + +»Das gibt hier betrübte Zeiten, Trim!« rief Susanna und wischte sich +die Augen, als Trim in die Küche trat. »Junker Bobby ist tot und +begraben.« Das Begräbnis war eine Interpolation von Susannas Erfindung. +»Nun müssen wir alle trauern,« sagte Susanna. + +»Das hoffe ich nicht,« sagte Trim. -- »Er hofft nicht!« sagte Susanna +ganz ernsthaft. Die Trauer mochte noch so sehr in Susannens Kopfe +herumlaufen, in Trims kam sie nicht. -- »Ich hoffe,« sagte Trim, sich +deutlicher zu erklären, »ich hoffe zu Gott, die Nachricht soll falsch +sein.« -- »Den Brief habe ich mit meinen eigenen Ohren lesen hören,« +antwortete Obadiah. »Und nun werden wir 'n hübsch Stück Arbeit kriegen, +mit dem alten Ochsenmoore, das werden wir nun wohl roden und reuten +müssen.« -- »O! er ist tot,« sagte Susanna. -- »So tot,« sagte das +Küchenmensch, »als ich lebe.« + +»Ich beklage ihn von ganzem Herzen,« sagte Trim mit einem Seufzer. -- +»Der arme Mensch! Der arme Junker! Der arme Herr!« + +»Vorige Pfingsten tat er noch leben,« sagte der Kutscher. -- +»Pfingsten! Ach was hat Pfingsten, Jonathan,« -- so hieß der Kutscher +-- rief Trim und streckte seinen rechten Arm aus, »oder Fasten oder +alles, was vorbei ist, damit zu tun? Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr +der Korporal fort -- er stieß dabei mit seinem Stecken perpendikulär +auf den Boden, um gleichsam eine Idee von Gesundheit und Festigkeit zu +geben --. »Und sind wir nicht« -- dabei warf er seinen Hut auf den Flur +-- »dahin in einem Hui!« -- Es war ordentlich rührend! Susanna brach in +eine Tränenflut aus. »Wir sind weder Stein noch Stöcke.« -- Jonathan, +Obadiah, die Köchin, alle wurden weichherzig. Das dicke Küchenmensch +selbst, das eben einen Fischkessel auf den Knien hatte und scheuerte, +ward davon angegriffen. Die ganze Küche drängte sich um den Korporal +herum. + +Da ich nun ganz deutlich gewahr werde, daß die Erhaltung unserer +Konstitution im kirchlichen und weltlichen Staate, und wohl gar die +Erhaltung der ganzen Welt, oder was einerlei ist, die Verteilung +und das Gleichgewicht des Vermögens und der Gewalt in derselben in +der Beredsamkeit des Korporals vorkommen kann, so bitte ich um dero +Aufmerksamkeit. Euer Hochwürden, Wohlgeboren können allemal wieder zehn +Seiten hindurch, an welcher andern Stelle des Buches Sie wollen, ganz +ruhig schlafen. + +Ich sagte: wir wären weder Steine noch Stöcke, ganz gut. Ich hätte +hinzufügen sollen, auch keine Engel -- ich wollte, wir wären's! +--, sondern Mensch in Fleisch gekleidet und von unserer Einbildung +beherrscht. Und was es zwischen der und unseren sieben Sinnen, +besonders einigen darunter, für ein herrliches Stück Arbeit setzt, für +meinen eigenen Teil muß ich's gestehen, schäme ich mich zu bekennen. +Laß es genug sein, zu behaupten, daß von allen diesen Sinnen das +Gesicht -- denn dem Gefühle spreche ich's ohne weiteres ab -- den +schnellsten Verkehr mit der Seele hat, einen härteren Anstoß gibt +und etwas Unaussprechlicheres in der Phantasie läßt, als Worte weder +annehmen oder auch zuweilen los werden können. + +Ich bin ein wenig umhergeschlendert -- tut nichts! 's ist der +Gesundheit halber! -- Laß uns nur wieder in Gedanken zur Sterblichkeit +und zu Trims Hut zurückkehren. »Sind wir nicht jetzund hier, und in +einem Hui dahin?« Was steckte denn wohl in den Worten? -- Es war eine +von den unbescholtenen Wahrheiten, die wir das Glück haben können, alle +Tage zu hören; und hätte sich Trim nicht auf seinen Hut mehr verlassen +können, als auf seinen Kopf, nichts hätte er damit ausgerichtet. + +»Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr der Korporal fort, »und sind wir +nicht« -- wobei er seinen Hut plump auf die Fliesen fallen ließ und +pausierte, ehe er das Wort sagte -- »dahin in einem Hui?« Der Fall des +Hutes war so, als ob ein schwerer Klumpen Ton in den Kopf geknetet +gewesen wäre. Nichts hätte das Gefühl der Sterblichkeit, von dem er +der Vorläufer und das Vorbild war, so gut auszudrücken vermocht. Seine +Hand schien darunter zu verschwinden. Er fiel wie tot. Des Korporals +Auge war darauf geheftet wie auf eine Leiche. Susanna brach in eine +Tränenflut aus. + +Nun gibt es zehntausend und zehntausendmal zehntausend -- denn Materie +und Bewegung sind unendlich -- Art und Weisen, wie man einen Hut +auf die Erde fallen lassen kann, ohne daß es wirke. Hätte er ihn +geschleudert, geschlenkert, geworfen, hingeschmissen, hingegossen, oder +ihn in irgendeiner möglichen Richtung unter der Sonne sinken oder +fallen lassen, oder in der besten Richtung, die man ihm geben könnte, +hätte er ihn fallen lassen wie einen Gänsekopf, wie ein Tölpel, wie +ein Esel, oder hätte er dabei, oder auch nur nachher ausgesehen wie +ein Dummbart, wie ein Tropf, wie ein Gimpel -- vorbei war's, und die +Wirkung aufs Herz wäre verloren gegangen. + +Ihr, die ihr diese mächtige Welt und ihre mächtigen Angelegenheiten +mit der Esse der Beredsamkeit regieret. -- Die ihr sie erhitzt und +kältet und schmelzt und zerlaßt und dann wieder härtet, ihr, die ihr +die Leidenschaften mit diesem Hebezeuge kehrt und wendet, und wenn +es geschehen, die Besitzer derselben dahinbringt, wohin ihr wollt. +Ihr endlich, die ihr Menschen wie Truthähne mit einer Gerte und rotem +Haderlumpen zu Markte treibt, und, warum auch nicht ihr, die ihr euch +so treiben laßt -- zieht eure Anmerkungen -- zieht eure Anmerkungen, +ich bitte euch, aus Trims Hute. + + [Illustration] + + + + + Neunundsechzigstes Kapitel. + + +Halt! -- Ich habe eine kleine Rechnung mit dem Leser abzutun, ehe Trim +mit seiner Rede fortfahren kann. -- In zwei Minuten soll's geschehen +sein. + +Unter verschiedenen anderen Buchschulden, welche ich zu gehöriger +Zeit alle entrichten werde, bekenne ich mich als ein Schuldner der +Welt wegen zwei Items. Ein Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern, +welche ich in den vorhergehenden Kapiteln meines Werkes versprach und +willens war, noch dies Jahr abzubezahlen. Da mir aber einige von dero +Hochwürden und Wohlgeboren sagten, daß diese Subjekte, so miteinander +verbunden, besonders die Moral der Welt in Gefahr bringen möchten, so +ersuche ich, daß man mir die Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern +schenken möge, und daß man an deren Stelle das letzte für Lieb und +Willen nehmen wolle, welches, mit Euer Hochwürden Wohlnehmen, weiter +nichts ist, als ein Kapitel von Kammerzofen, grünen Schlafröcken und +alten Hüten. + +Trim nahm den seinigen von der Erde auf, setzte ihn auf seinen Kopf und +fuhr darauf in seiner Rede vom Tode fort, auf die Art und Weise, wie +folgt. + + [Illustration] + + + + + Siebzigstes Kapitel. + + +»Für uns, Jonathan, die wir keine Sorgen und keinen Mangel kennen, die +hier im Dienste sind, bei zwei der besten Herren (ausgenommen, was mich +anbelangt, Seine königliche Majestät, König Wilhelm +III.+, dem +ich die Ehre gehabt habe zu dienen, sowohl in Irland wie in Flandern), +ja, das gestehe ich, da ist von Pfingsten bis Advent nicht lange. Es +ist fast nichts; aber für diejenigen, die den Tod recht kennen und +wissen, was er für eine Zerstörung Jerusalems anrichten kann, ehe sich +ein Mensch einmal auf seinem Absatze herumdrehen kann, ja, für die +ist's eine lange Zeit. -- O, Jonathan, einem gutherzigen Menschen muß +das Herz im Leibe bluten,« fuhr der Korporal Trim fort und richtete +sich stramm auf, »wenn man bedenkt, wie mancher ehrliche, brave Kerl +seit der Zeit tief unter die Erde gesteckt worden! -- Und glaube mir +nur, Suschen,« fügte der Korporal hinzu und wendete sich an Susanna, +deren Augen im Wasser schwammen, »ehe diese Zeit wieder herumkommt, +wird auch manch helles Auge dunkel sein.« -- Susanna ließ das Wort +nicht auf die Erde fallen, sie weinte, aber sie knickselte auch. -- +»Sind wir nicht,« fuhr Trim fort und sah dabei immer die Susanna an, +»sind wir nicht wie eine Blume auf dem Felde?« -- Ein Hochmutstränchen +schlich sich zwischen jedes Paar Tränen der Demut, sonst hätte keine +Zunge Susannas Betrübnis aussprechen können. »Ist nicht alles Fleisch +wie Heu? Es ist Leim, es ist Kot.« Alle sahen den Augenblick auf das +Küchenmädchen, das eben einen Fischkessel scheuerte. Es war nicht +recht. + +»Was ist das niedlichste Geschöpf, das jemals ein Mann angesehen hat!« +-- »Ich könnte es gar nicht müde werden, Trim so sprechen zu hören,« +sagte Susanna. -- »Was ist es?« -- Susanna legte ihre Hand auf Trims +Schulter -- »als Koder und Moder!« Susanna zog ihre Hand zurück. + +»Dafür eben mag ich euch leiden. Diese herzlabende Mixtur in euch, +teure Geschöpfe, macht euch zu dem, was ihr seid. Wer euch deswegen +hasset, der -- alles, was ich dazu sagen kann, ist --, der hat entweder +einen Kürbis statt des Kopfes auf dem Rumpfe, oder einen Holzapfel +statt des Herzens im Leibe. Wenn er anatomiert wird, wird sich's +zeigen, daß ich recht habe.« + + [Illustration] + + + + + Einundsiebzigstes Kapitel. + + +Ob Susanna dadurch, daß sie die Hand zu plötzlich von Trims Schulter +zog (da sich ihre Leidenschaft so schnell herumwarf) die Kette seiner +Betrachtungen ein wenig unterbrach, oder ob der Korporal zu argwöhnen +begann, daß er dem Magister ins Gehege geraten, und mehr wie ein +Prediger als in seiner eigenen Person redete, oder ob -- -- -- -- -- +-- Oder ob --, denn in allen solchen Fällen kann ein erfindungsreiches +Genie mit Freuden ein paar Seiten mit Voraussetzungen anfüllen. -- Was +von all diesem die Ursache war, das mag der scharfsinnige Sonstjemand +ausmachen. -- Soviel ist wenigstens gewiß, der Korporal fuhr mit seiner +Standrede also fort: + +»Für mein Teil kann ich sagen, daß ich, außen vor der Türe, mir nichts +aus dem Leben mache, nicht das!« -- setzte der Korporal hinzu und +machte ein Schnippchen mit den Fingern. Aber mit einem Anstande, den +kein anderer als der Korporal der Empfindung hätte geben können. »In +einer Schlacht achte ich den Tod nicht das ... Laß ihn mich nur nicht +wie eine feige Memme überrumpeln, wie den armen Paul Gibbins, da er +seine Flinte auswusch. -- Was ist er denn? Ein Klapp des Hahns an den +Pfannendeckel, ein Puff mit dem Bajonett ein Zoll tief hier oder da, +das ist alles. Sieh das Glied hinab, rechts. Sieh! da liegt Jakob! Gut! +'s ist so gut, als ob er Rittmeister geworden wäre. -- Nein, 's ist +Dirk. Nun, so ist's für Jakob ebensogut. Laß fallen, was fällt, wir +avancieren. In der Hitze des Treffens fühlt man sogar die Wunde nicht, +wenn er kommt. Das beste ist, man sieht ihm in die Augen. Der Mann, +welcher flieht, ist in zehnmal größerer Gefahr als der, der ihm in den +Rachen marschiert. Ich habe ihm wohl hundertmal,« setzte der Korporal +hinzu, »in die Fresse gesehen und ich weiß, was er ist. Nichts, gar +nichts ist er, Obadiah, im Felde!« -- »Ja, aber im Hause ist er sehr +graulich,« sagte Obadiah. -- »Ich scher' mich nicht darum, ich,« sagte +Jonathan, »wenn ich auf dem Kutschbock sitze.« -- »Im Bette, meine ich, +muß es wohl am natürlichsten sein,« sagte Susanna. -- »Und könnte ich +ihm aus dem Wege, wenn ich in das elendeste Kalbsfell kröche, daraus +jemals ein Schnappsack gemacht ist, so tät' ich's da,« sagte Trim. + +»Natürlich ist natürlich,« sagte Jonathan. -- »Und deswegen,« rief +Susanna, »bedaure ich meine Madame so herzlich. Sie wird es in ihrem +Leben nicht überwinden.« -- »Und ich, ich bedaure den Kapitän am +meisten in der ganzen Familie,« antwortete Trim. »Madame wird sich +das Herz erleichtern durch Weinen, und der alte Herr durch sein +Sprechen darüber, aber mein armer Herr wird alles stillschweigend bei +sich behalten. Ich werde ihn einen ganzen Monat lang im Bette seufzen +hören, wie er um den Leutnant Le Fever tat. --›O, Euer Gnaden müssen +nicht kläglich seufzen,‹ sagte ich dann zu ihm, wenn ich neben ihm lag. +-- ›Ich kann nicht dafür, Trim,‹ sagte dann der Kapitän. ›'s ist ein +so melancholischer Zufall, ich kann's nicht aus dem Kopfe kriegen.‹ +--›Euer Gnaden fürchten sich ja selbst vor dem Tode nicht.‹ -- ›Ich +hoffe,‹ pflegte er dann zu sagen, ›ich fürchte mich vor nichts, als was +Böses zu tun. -- Gut so!‹ pflegte er hinzuzusetzen, ›es gehe, wie es +gehe, für Le Fevers Knaben will ich sorgen.‹ Und damit, wie mit einem +schmerzlindernden Tranke, fiel Seine Gnaden in Schlaf.« + +»Ich mag Trims Historien vom Kapitän gerne hören,« sagte Susanna. -- +»'s ist ein so gutherziger Herr,« sagte Obadiah, »als jemals Atem +holte.« -- »Das sollt' ich meinen,« sagte der Korporal, »und so brav +obendrein, als jemals vor einer Division aufmarschiert ist. -- 's war +niemals ein besserer Offizier in des Königs Armee oder ein besserer +Mann in Gottes weiter Welt. Er ging auf die Mündung einer Kanone los, +und wenn er auch die glühende Lunte schon am Zündloch sähe. Und doch +hat er dabei ein so weiches Herz wie ein Kind, gegen andere Leute. Er +könnte keinem jungen Hühnchen was zuleide tun.« -- »Ja, lieber wollt' +ich so einen Herrn,« sagte Jonathan, »das Jahr für fünfunddreißig Taler +Lohn fahren als viele andere für vierzig.« -- »Dank, Jonathan, für die +fünf Taler. Ebensogut, Jonathan,« sagte der Korporal, und schüttelte +ihm die Hand, »als ob du mir das bare Geld in die Hand gezählt hättest. +-- Ich, bis an mein letztes Ende wollte ich ihm aus Liebe dienen. -- +Er handelt an mir wie ein Freund und Bruder. Und wenn ich's gewiß +wüßte, daß mein armer Bruder Thomas tot wäre,« fuhr der Korporal fort +und zog sein Schnupftuch aus der Tasche »und hätte ich fünftausend +Taler im Vermögen, ich vermachte es dem Kapitän bis auf den letzten +Groschen.« -- Trim konnte sich bei diesem testatorischen Beweise von +seiner Zuneigung gegen den Kapitän der Tränen nicht erwehren. -- Die +ganze Küche ward gerührt. -- »Komm' Er, hört Er, und erzähle uns die +Geschichte von dem armen Leutnant,« sagte Susanna. »Von Herzen gern,« +antwortete der Korporal. + +Susanna, die Köchin, Jonathan, Obadiah und der Korporal Trim machten +einen Kreis um das Feuer, und so bald das Küchenmädchen die Küchentüre +zugemacht hatte, fing der Korporal an. + + [Illustration] + + + + + Zweiundsiebzigstes Kapitel. + + +Ich will ein Türke sein, wenn ich nicht meine Mutter ebenso rein +vergessen hatte, als ob mich die Natur aufgepflastert und am Ufer +des Nils nackt niedergesetzt hätte, ohne mir eine zu geben. Ihr ganz +gehorsamster Diener, Madame! Ich habe Ihnen sehr viel Mühe gemacht. +Ich wünsche, es möchte anschlagen! Sie haben mir aber noch eine große +Öffnung im Rücken gelassen. Und da, hier vorne, ist ein großes Stück +abgefallen. Was soll ich mit diesem Fuße anfangen? Damit werde ich +England niemals erreichen. + +Ich meinesteils wundere mich über nichts, und mein Urteil hat mich +in meinem Leben so oft mißgeleitet, daß ich ihm niemals recht traue, +es mag richtig sein oder falsch, wenigstens bin ich selten heiß bei +kalten Gegenständen. Dem allen ungeachtet, verehre ich die Wahrheit so +aufrichtig, wie nur jemand tun kann. Und wenn sie uns aus den Augen +entkommen, und ein Mensch nimmt mich gelassen bei der Hand, um sie +miteinander zu suchen, wie eine Sache, die wir beide verloren haben +und ohne die wir doch nicht raten können, so gehe ich mit ihm bis an +der Welt Ende. Das Disputieren aber hasse ich, und deswegen -- wenn's +nicht auf Glaubens- oder solche Sachen ankommt, die die menschliche +Gesellschaft betreffen -- werde ich fast immer lieber alles zugeben, +was mir nicht im ersten engen Wege den Hals zuschnürt, als mich dazu +bringen lassen. Nur das Ersticken ist mir zuwider, und stinkender +Qualm am ärgsten. Aus dieser Ursache faßte ich gleich von Anbeginn den +Entschluß, daß, wenn ja die Armee der Märtyrer verstärkt oder eine neue +errichtet werden sollte, ich auf keine Weise was damit zu schaffen +haben wollte. + + [Illustration] + + + + + Dreiundsiebzigstes Kapitel. + + +Aber wieder zu meiner Mutter zu kommen. -- + +Meines Onkels Toby Meinung, Madame, daß nichts Böses dabei sein könnte, +oder vielmehr das Wort Ehefrau -- denn das war alles, was meine Mutter +davon hörte --, faßte sie bei der schwachen Seite des ganzen weiblichen +Geschlechts. Sie müssen mich nicht falsch verstehen; ich meine ihre +Neugierde. Sie schloß flugs, man spräche von ihr; und wenn Sie den +Glauben bei ihr annehmen, so werden Sie leicht begreifen, wie sie +jedes Wort, das mein Vater sagte, auf sich oder auf ihre häuslichen +Angelegenheiten deutete. + +Sagen Sie mir doch, Madame, ich bitte, in welcher Gasse wohnt die Dame, +die es nicht ebenso getan hätte. + +Mein Vater hatte einen Sprung auf Sokrates' Tod getan und gab meinem +Onkel Toby einen Auszug aus seiner Schutzrede vor seinen Richtern. +Sie war unwiderstehlich; nicht die Rede des Sokrates, sondern die +Versuchung, die meinen Vater dazu trieb. Er selbst hatte das Jahr +vorher, ehe er den Handel niederlegte, das Leben des Sokrates[1] zu +schreiben angefangen. Ich fürchte, das eben förderte seinen Entschluß, +aus dem Handel zu scheiden. Also war niemand fähiger, mit so vollen +Segeln und mit solcher hohen Flut von heroischer Beredsamkeit über die +Gelegenheit daherzufahren als mein Vater. Es gibt keine Periode in +Sokrates' Rede, die mit einem kürzeren Worte schließt als: sterbliche +Hülle verlassend, oder: ewiger Vernichtung geweiht --, oder einen +geringeren Gedanken in der Mitte derselben hatte als: sein oder nicht +sein. -- Der Übergang zu einem neuen unversuchten Zustande der Dinge +oder zu einem langen, einem tiefen, einem ruhigen Schlafe ohne Träume, +ohne Auffahren: daß wir und unsere Kinder geboren sind, zu sterben, +aber keiner von uns geboren zu Sklaven. -- Nein, da irre ich; das war +eine Stelle aus Eleazars Rede, wie uns solche Josephus aufbewahrt +hat. Eleazar gesteht, er habe es von den Philosophen aus Indien. Nach +aller Wahrscheinlichkeit hat Alexander der Große bei seinem Einfall in +Indien, nachdem er Persien mit Krieg überzogen, unter den mancherlei +Dingen, die er gestohlen, auch dieses Sortiment Beute gemacht, von dem +es dann, wo nicht den ganzen Weg durch ihn allein -- denn wir wissen +alle, daß er zu Babylon starb --, wenigstens durch einige von seinen +Marodeurs nach Griechenland gebracht ist. Von Griechenland kam es nach +Rom, von Rom nach Frankreich und von Frankreich nach England. So kommen +die Sachen herum. + +Zu Lande kann ich mir keinen anderen Weg denken. + +Zu Wasser konnte das Sortiment ganz gemächlich den Ganges herunter- in +den Sinus Gangeticus oder die Bai von Bengalen und so in das Indische +Meer kommen, und indem es den Weg des Handels nahm -- der Weg über Cap +de bonne espérance war damals noch nicht entdeckt --, konnte es mit +anderen Gewürz- und Spezereiwaren übers Rote Meer nach Joddah, dem +Hafen von Mekka, oder nach Tor oder Suez, zwei Städtchen im Innersten +des Golfo, gebracht werden. Von da mit den Karawanen nach Coptos, das +nur drei Tagereisen davon liegt. Dann den Nil herunter geraden Weges +nach Alexandria, woselbst das Sortiment gerade unten an der Treppe der +Alexandrinischen Bibliothek ausgeschifft werden konnte. Und aus diesem +Packhause konnte es geholt werden. Gott segne uns, was in den Zeiten +die Gelehrten für einen Handel betrieben! + + [Illustration] + + + + + Vierundsiebzigstes Kapitel. + + +Sehen Sie, mein Vater hatte eine Art an sich, so ein wenig wie Hiob, +falls jemals ein solcher Mann gelebt hat. Wo nicht, so ist nichts +weiter dabei. + +Obgleich, im Vorbeigehen gesagt, unsere Herren Gelehrten einige +Schwierigkeiten finden, die Zeit zu bestimmen, in welcher ein so großer +Mann lebte -- ob z. B. vor oder nach den Patriarchen usw. --, so war +es doch ein wenig hart, nun sogleich deswegen zu behaupten, daß er +nie gelebt habe. Mein Vater, sage ich, hatte eine Art an sich, wenn +ihm etwas sehr in die Quere ging, besonders im ersten Anfalle seiner +Ungeduld, sich zu wundern, warum er geboren worden, zu wünschen, daß +er unter der Erde läge -- zuweilen noch ärger. Und wenn die Reizung +sehr weit ging und Betrübnis seine Lippen mit mehr als gewöhnlichen +Kräften berührte: -- Herr, Sie hätten ihn kaum von Sokrates selbst +unterscheiden können. Jedes Wort schmeckte nach der Empfindung einer +Seele, die das Leben gering achtet und sich um alle seine Ereignisse +wenig kümmert. Weswegen denn auch meiner Mutter, obgleich sie nicht +viel Belesenheit hatte, der Auszug aus Sokrates' Schutzrede, den eben +mein Vater meinem Onkel Toby gab, nicht ganz neu war. Sie hörte solchem +mit kaltem Verstande zu und hätte so bis zum Ende zugehört, hatte nicht +mein Vater -- so ohne alle Ursache und Gelegenheit -- einen Sprung +zu der Stelle in der Schutzrede getan, wo der große Philosoph seine +Freunde, seine Verwandten und Kinder herzählt und dabei den Vorteil +verachtet, den er dadurch gewinnen könnte, wenn er solchergestalt die +Leidenschaften seiner Richter auf seine Seite zöge. »Ich habe Freunde, +ich habe Anverwandte, ich habe drei verlassene Kinder,« sagte Sokrates. + +»So?« sagte meine Mutter und machte die Türe auf. »Das ist eins mehr, +Herr Shandy, als ich weiß.« + +»Wahrhaftig, und ich habe eins weniger!« sagte mein Vater, stand auf +und ging zur Türe hinaus. + + [Illustration] + + + + + Fünfundsiebzigstes Kapitel. + + +»Es sind Sokrates seine Kinder,« sagte mein Onkel Toby. -- »Der ist +schon wohl hundert Jahre tot,« sagte meine Mutter. + +Mein Onkel Toby verstand sich nicht auf die Chronologie. Und da er sich +also nicht ohne Schiff aufs Meer wagen wollte, legte er ganz gelassen +seine Pfeife auf den Tisch nieder, stand auf, faßte meine Mutter sehr +freundschaftlich bei der Hand, und ohne ihr noch ein anderes Wort, +weder im Guten noch im Bösen zu sagen, führte er sie hinaus zu meinem +Vater, daß der die Erklärung selbst zustande bringen möchte. + +Pling -- twing -- twang -- prut -- trut. Es ist ein altes Brett von +einer Geige. Wissen Sie, ob meine Geige stimmt oder nicht? Trut ... +prut ... Es sollen reine Quinten sein. Die Saiten sind grundfalsch. -- +Tr ... +G+, +D+, +A+, +E+, twang, -- der Steg ist eine Meile zu hoch +und der Stimmstock liegt gar überm Haufen. Sonst -- trut, prut -- höre, +ist der Ton so übel nicht. Didl, didl, didl, didl, didl, didl, dum. Vor +wahren Kennern ist gut spielen, aber dort steht ein Mann, dort -- nein, +den mit dem Bündel unter dem Arme meine ich nicht -- den feierlichen +Mann im schwarzen Rocke? -- Nicht doch! Auch den Herrn da mit dem Degen +nicht! -- Herr, der Kalliope selbst möchte ich lieber ein Kaprizzio +vorspielen, als vor dem Manne meinen Bogen über die Saiten hin und +her ziehen. Und doch setze ich meine Cremoneser Geige gegen eine +Maultrommel -- und das ist wohl die ungleichste musikalische Wette, die +jemals gewettet ist --, daß ich diesen Augenblick dreihundertundfünfzig +Meilen weit aus meiner Geige neben den Ton greifen will, ohne daß es +einem einzigen Nerven in seinen beiden Ohren wehetun soll. Twadl didl, +twedl didl, twidl didl, twodl didl, twudl didl, -- prut -- trut -- +krisch -- krasch -- krasch. Sie können's nicht mehr aushalten, Herr? +Das sehe ich. Sie sehen aber, ihm tut's nicht weh. Und nähme auch +Apollo selbst nach mir seine Leier, er bringt es nicht zustande, daß es +ihm sanft tut. + +Didl didl, didl didl, didl didl -- hum -- dum -- drum. + +Euer Gnaden und Hochwürden lieben die Musik -- und Gott hat ihnen +allen gesunde Ohren gegeben -- und einige unter ihnen spielen selbst +vortrefflich -- trut -- prut -- prut -- trut. + +O, ich kenne jemand, bei dem ich ganze Tage sitzen und zuhören möchte, +dessen ganze Kunst darin besteht, daß er für die Empfindsamen spielt, +der mich mit Freuden und Hoffnungen beseelt und die geheimsten +Triebfedern meines Herzens in Bewegung setzt. Wenn Sie mich um zwanzig +Taler ansprechen wollen, welches gewöhnlich vierzig mehr sind, als ich +missen kann, oder Sie, mein Herr Apotheker oder Schneider, gerne Ihre +Rechnungen bezahlt haben wollten, dann müßten Sie kommen. + + [Illustration] + + + + + Siebenundsiebzigstes Kapitel. + + +Das erste, was meinem Vater einfiel, nachdem die Sachen in der +Haushaltung ein wenig in Ordnung gebracht waren und Susanna von meiner +Mutter grünem Atlasmorgenrock Besitz genommen hatte, war, sich nach +dem Beispiele Xenophons ganz gelassen hinzusetzen und eine +Tristra +pædia+ oder Erziehungssystem für mich zu schreiben. + +Zu dem Ende sammelte er erst seine einzelnen Gedanken, Einfälle und +hingeworfenen Ideen und verband sie hernach dergestalt, daß solche ein +Erziehungsinstitut für meine Kinder- und Jünglingsjahre ausmachten. +Ich war meines Vaters letzter Satz; meinen Bruder Bobby hatte er rein +verloren; von mir, nach seiner eigenen Berechnung, schon dreiviertel. +Das ist, er war in seinen ersten großen Chancen für mich unglücklich +gewesen: meiner Zeugung, meiner Nase und meinem Namen. Es blieb ihm nur +noch diese eine. Demzufolge war mein Vater ebenso andächtig darüber +her, als es mein Onkel Toby über die Lehre von den Gesetzen der +Bewegung gewesen war. Der Unterschied unter beiden war, daß mein Onkel +Toby seine ganze Wissenschaft von den Gesetzen der Bewegung aus dem +Nikolaus Tartaglia hernahm. Mein Vater spann die seinige bis auf den +letzten Faden aus seinem eigenen Gehirn oder haspelte und zwirnte, was +alle übrigen Spinner und Spinnerinnen vor ihm gesponnen hatten, daß er +beinahe ebendieselbe Arbeit damit hatte. + +In ungefähr drei Jahren und etwas darüber war mein Vater mit +seinem Werke schon bis auf die Hälfte fertig. Gleich allen anderen +Schriftstellern stieß er auf Schwierigkeiten. Er dachte, er würde +alles, was er zu sagen hätte, so in die Kürze ziehen können, daß, wenn +alles fertig und eingebunden wäre, meine Mutter es aufgerollt in ihrem +Besteck tragen könnte. Die Materien wachsen uns unter den Händen. Nun +sage ein Mann einmal: komm, ich will einen Duodezband schreiben. + +Mein Vater indessen arbeitete daran mit dem mühsamsten Fleiße, ging in +jeder Zeile Schritt vor Schritt mit ebender Vorsicht und Behutsamkeit +-- obgleich ich nicht sagen kann, aus einer ebenso frommen Ursache +--, welche Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, bei der +Ausfeilung seiner Galatea anwendete. Wobei Seine Hochwürden Eminenz +von Benevent fast vierzig Jahre von dero Leben zubrachten, und als das +Ding endlich ans Licht kam, war es nicht über die Hälfte der Dicke +eines Taschenkalenders. Wie es der heilige Mann anfing, wenn er nicht +den größten Teil seiner Zeit damit hinbrachte, seinen Bart zu kämmen +oder mit seinem Kaplan Brett zu spielen, -- das könnte einem jeden +Sterblichen, dem man das Geheimnis nicht sagte, den Kopf verrücken. +Es ist deshalb wohl wert, daß man's der Welt erklärt, wär's auch nur, +um die wenigen in derselben aufzumuntern, die nicht sowohl um Brot +schreiben wie um Ruhm. + +Ich gestehe, wäre Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, +für dessen Andenken -- ungeachtet seiner Galatea -- ich die höchste +Ehrerbietung hege, wäre er, mein Herr, ein magerer Skribent gewesen, +von stumpfem Witz, langsamen Begriffen, von verstopftem Kopfe und so +mehr, er und seine Galatea möchten meinetwegen bis zu Methusalems +Alter miteinander fortgeholpert sein, die Erscheinung wäre keiner +Parenthese wert gewesen. + +Aber das Gegenteil gerade war die Wahrheit. Johann de la Casse war ein +Genie von großen Fähigkeiten und fruchtbarer Phantasie. Und doch, bei +allen diesen großen Naturgaben lag er zugleich an einer Kraftlosigkeit +danieder, daß er an einem langen Sommertage nicht über anderthalb +Zeilen zustande bringen konnte. Dieses Unvermögen Seiner Eminenz kam +von einer Meinung, womit Seine Eminenz behaftet waren. Besagte Meinung +war nämlich diese: Sooft ein Christ sich hinsetzte, ein Buch zu +schreiben, nicht bloß zu seinem eigenen Zeitvertreibe, sondern seine +Absicht und sein Zweck mögen sogar +bona fide+ sein, so wären +seine ersten Einfälle allemal Versuchungen des Bösen. Dies wäre der +Fall mit gewöhnlichen Schriftstellern; wenn aber gar eine Person von +ehrwürdigem Charakter und hohem Stande entweder in der Kirche oder +im Staate einmal Autor würde, so behauptete er, daß von demselben +Augenblicke an, da ein solcher die Feder in die Hand nähme, alle Teufel +in der Hölle aus ihren Löchern hervorkämen, um ihn zu verlocken. Das +wäre ihre Walpurgisnacht. Jeder Gedanke, der erste und letzte, sei +verfänglich, ob scheinbar oder wirklich gut, gleichviel, in was für +Gestalt oder Farben er sich der Imagination darstellen möchte: es +wäre dennoch ein Streich eines oder des anderen von den Teufeln, der +auf ihn gerichtet sei und welcher abpariert werden müßte. -- So daß +der Stand eines Schriftstellers, er möchte es nun glauben wollen oder +nicht, nicht sowohl ein Stand der Feder als des Schwertes sei. Seine +Probejahre wären wie die eines jeden Kriegsmannes auf diesem Erdboden. +In beiden, bei dem einen wie bei dem anderen, käme es nicht halb soviel +auf den Grad des Verstandes als des Widerstandes an. + +Meinem Vater behagte diese Theorie des Johann de la Casse, Erzbischofs +von Benevent, außerordentlich. Wäre sein Glaube nicht ein wenig dabei +in die Enge gekommen, ich glaube, er hätte die besten zehn Äcker von +den Shandyschen Gütern darum gegeben, daß er sie selbst erfunden haben +möchte. Wie viel oder wenig mein Vater an einen Teufel glaubte, das +wird sich erweisen, wenn ich in der Folge dieses Werkes von meines +Vaters Meinungen in der Religion sprechen werde. Hier ist's genug, zu +sagen, da er von dem buchstäblichen Sinne dieser Lehre nicht die Ehre +haben konnte, so begnügte er sich mit dem Allegorischen. Er pflegte oft +zu sagen, besonders wenn seine Feder ein wenig stätisch war, es wäre +unter dem Schleier des Johann de la Casse parabolischer Vorstellung +ebensoviel Sinn, Wahrheit und Wissenschaft verborgen, wie man nur in +irgendeiner poetischen Fiktion oder mystischen Erzählung des Altertums +fände. -- »Vorurteil der Erziehung,« pflegte er zu sagen, »das ist +der Satan, und die Menge derselben, welche wir mit der Muttermilch +einsaugen, sind alle Teufel. Wir werden von ihnen verfolgt, Bruder +Toby, bei unseren Untersuchungen und Ausarbeitungen. Wäre ein Mann dumm +genug, ihren Zudringlichkeiten so zahmerweise nachzugeben, was würde +aus seinem Buche werden? Nichts!« pflegte er hinzuzusetzen, und warf +seine Feder an die Erde, daß es krachte. »Nichts als ein Gemengsel +von dem Ammengeklatsche und dem Unsinn der alten Weiber -- von beiden +Geschlechtern -- aus dem ganzen Reiche.« + +Dies ist die beste Ursache, die ich von dem langsamen Fortgange, +den mein Vater bei seiner +Tristra pædia+ machte, anzugeben +entschlossen bin, an welcher er, wie gesagt, drei Jahre und etwas +darüber unermüdlich arbeitete und zuletzt kaum -- nach seiner eigenen +Berechnung -- die Hälfte seines Planes ausgeführt hatte. Das Unglück +dabei war, daß ich die ganze Zeit über völlig versäumt und meiner +Mutter überlassen wurde. Und was fast ebenso schlimm war, durch die +Verzögerung wurde der erste Teil des Werkes, an den mein Vater den +meisten Fleiß verwendet hatte, völlig unbrauchbar. Jeden Tag wurden +eine oder ein paar Seiten unnütz. + +Gewiß muß es eine Rute für den Stolz der menschlichen Weisheit geben; +da auch die Weisesten unter uns allen sich so übereilen und ewig ihren +Zweck, durch die unmäßige Hitze ihn zu erhaschen, verfehlen müssen. + +Kurz, mein Vater hielt sich so lange bei seinem Widerstand auf -- oder +mit anderen Worten --, er förderte sein Werk so ungemein langsam, +und ich begann so flink zu leben und zu wachsen, daß, wenn nicht ein +Zufall dazwischengekommen wäre -- der, wenn wir so weit gelangt sind +und es mit Wohlanständigkeit geschehen kann, keinen Augenblick länger +vor meinem Leser verheimlicht werden soll --, ich wahrhaftig glaube, +ich hätte an meinem Vater vorbei gelebt, und hätte ihm eine Sonnenuhr +zeichnen lassen, um solche unter die Erde zu vergraben. + + [Illustration] + + + + + Achtundsiebzigstes Kapitel. + + +Es war nichts, ich verlor keine zwei Tropfen Bluts dabei. Es war nicht +der Mühe wert, einen Wundarzt zu rufen, und hätte er Türe an Türe bei +uns gewohnt -- Tausende leiden aus Wahl, was ich aus Zufall litt. -- +Doktor Slop machte zehnmal mehr Aufhebens davon, als nötig war. -- +Einige Leute bringen sich dadurch empor, daß sie die Kunst verstehen, +großes Gewicht an dünnen Draht zu hängen. Und ich muß noch bis auf den +heutigen Tag (den 10. August 1761) den Ruhm dieses Mannes mit bezahlen. +O, es sollte wohl einen Stein ärgern, zu sehen, wie es in dieser +Welt hergeht! Das Stubenmädchen hatte keinen -- -- -- unter dem Bette +gelassen. »Kann das Kind sich nicht behelfen,« sagte Susanna, indem +sie bei den Worten mit einer Hand das Fallfenster aufschob und mit +der andern mich ins Fenster stellte, »kann das Kind es nur einmal so +machen, daß es -- --?« + +Ich war fünf Jahre alt. Susanna bedachte nicht, daß in unserer Familie +nichts am rechten Haken hing. Und klapps! schoß das Fallfenster wie der +Blitz auf uns herab. »Nichts übrig,« schrie Susanna, »nichts übrig für +mich, als aus dem Lande zu laufen.« + +Meines Onkels Toby Haus war eine viel bessere Freistatt. Also floh +Susanna dahin. + + [Illustration] + + + + + Neunundsiebzigstes Kapitel. + + +Als Susanna dem Korporal den Unfall mit dem Fallfenster erzählte, nebst +allen Umständen, die meinen Mord -- wie sie es nannte -- begleitet +hatten, trat ihm das Blut aus den Wangen zurück. Da alle, die zum +Morden beitragen, Totschläger sind, sagte Trimm sein Gewissen, daß +er ebenso schuldig sei wie Susanna. Und wenn der Satz wahr wäre, so +hätte mein Onkel Toby das Blutbad ebensogut vor Gott zu verantworten +gehabt wie einer von ihnen beiden. Auf diese Weise hätten weder +Vernunft noch Instinkt, einzeln oder zusammen, Susanna unmöglich nach +einer besseren Freistatt führen können. Dieses der Einbildung des +Lesers anheimzugeben, wäre vergebens. Nur zu irgendeiner Hypothese zu +gelangen, die einigen Stich hielte, müßte er sein Gehirn wundpeitschen +-- und es ohne das zu tun --, müßte er ein Gehirn haben, wie noch kein +Leser vor ihm gehabt hat. -- Warum sollte ich ihn einer solchen Prüfung +oder Tortur aussetzen? Es ist meine eigene Sache, ich will es selbst +erklären. + + + [Illustration] + + + + + Achtzigstes Kapitel. + + +»Schade, Trim!« sagte mein Onkel Toby, mit seiner Hand auf Trims +Schulter gelehnt, als sie beide standen und ihre Werke besahen, »daß +wir nicht ein paar Feldstücke haben, die wir in die Schießscharten +dieser neuen Redoute pflanzen könnten. Das würde alle jene Linien +decken und die Attacke an der Seite vollkommen machen. Laß Er mir ein +paar gießen, Trim.« + +»Euer Gnaden sollen sie haben,« versetzte Trim, »ehe es morgen Tag +wird.« + +Es war Trim eine Herzensfreude, und seinem anschlägigen Kopfe fehlte +es niemals an Einfällen, meinem Onkel Toby in seinen Feldzügen +mit allem an die Hand zu gehen, was nur immer seine Phantasie für +nötig erachtete. Wäre es auch sein letzter harter Taler gewesen, +er hätte sich hingesetzt und einen Ringkragen daraus gehämmert, um +dem geringsten Wunsche seines Herrn zuvorzukommen. Der Korporal +hatte schon, vermittels der Enden von meines Onkels Toby Dachröhren, +des Bleis aus seinen Dachrinnen, seines eingeschmolzenen zinnernen +Barbierbeckens, und da er zuletzt, wie Ludwig +XIV.+, bis zu den +Kirchspitzen gegangen, um das überflüssige Blei usw. zu holen, in +ebendem Feldzuge nicht weniger als acht neue Batteriestücke nebst drei +halben Feldschlangen ins Lager geliefert. Meines Onkels Begehren nach +noch zwei Kanonen für die Redoute hatte den Korporal von neuem Hand ans +Werk legen lassen. Da sich aber nichts Besseres darbot, hatte er die +beiden bleiernen Gegengewichte von den Fallfenstern in der Ammenstube +genommen. Und da die Rollen, worauf diese Gegengewichte liefen, nachdem +diese fort, unnütz waren, so hatte er sie gleichfalls mitgehen heißen, +um ein Paar Räder zu einer von ihren Lafetten daraus zu machen. + +Er hatte jedes Fenster in meines Onkels Toby Hause, lange vorher schon, +auf ebendie Art beraubt, obgleich nicht eben auf diese Weise. Denn +zuweilen fehlte es ihm an Rollen und nicht am Blei. Alsdann begann +er mit den Rollen. Wenn dann die Rollen fort waren, so ward das Blei +unnütz und mußte dann auch zum Schmelzlöffel. + +Man könnte hieraus ganz behende eine wichtige Moral ziehen, aber ich +habe nicht Zeit. Genug, wenn ich sage, die Plünderung mochte anfangen, +wo sie wollte, es war für die Fallfenster gleich schlimm. + + [Illustration] + + + + + Einundachtzigstes Kapitel. + + +Der Korporal hatte bei diesem Ingenieurstreiche seine Maßregeln nicht +so schlecht genommen, daß er nicht das ganze Geheimnis hätte für sich +behalten und Susanna dem ganzen Gewichte der Attacke aussetzen können. +Allein wahrer Tapferkeit ist's nicht genug, sich so durchzuhelfen. +Der Korporal, ob als General oder als Trainkommissarius -- das tut +nichts --, hatte die Fenster in einen Zustand versetzt, ohne den, wie +er glaubte, das Unglück nicht hätte geschehen können, wenigstens nicht +unter Susannas Händen. Wie hätten sich Eure Gnaden dabei benommen? Er +beschloß auf der Stelle, sich nicht hinter Susanna zu verkriechen, +sondern sie zu decken. Und mit dieser Entschließung marschierte er +geradeswegs ins Wohnzimmer, um meinem Onkel das Manöver vorzulegen. + +Mein Onkel Toby hatte eben dem Herrn Yorick eine Beschreibung von der +Schlacht bei Steenkirchen gemacht und von der sonderbaren Abordnung des +Grafen Solms, welcher der Infanterie befohlen Halt zu machen und der +Kavallerie zu marschieren, wo sie nicht agieren konnte. Das war gerade +gegen die Order des Königs und zog den Verlust der Bataille nach sich. + +In einigen Haushaltungen gibt es Vorfälle, die sich so genau an das, +was folgen soll, anschmiegen, daß es kaum durch die Erfindung der +dramatischen Schriftsteller besser ausgedacht werden konnte, die aus +alten Zeiten meine ich. + +Trim bestrebte sich, seine Historie dadurch, daß er seinen Zeigefinger +flach auf den Tisch legte und mit der Handkante in einem scharfen +Winkel daraufschlug, so zu erzählen, daß sie Priester und Jungfrauen +hätten anhören können. Und nachdem die Historie erzählt, ging der +Dialog fort, wie folgt. + + [Illustration] + + + + + Zweiundachtzigstes Kapitel. + + +»Ich wollte mich lieber in der Türkenallee totpeitschen lassen,« rief +der Korporal, »als leiden, daß dem Frauenzimmerchen deswegen Leides +geschehe. -- Es war meine Schuld, Euer Gnaden, nicht ihre.« + +»Korporal Trim,« erwiderte mein Onkel Toby, wobei er seinen Hut +aufsetzte, der auf dem Tische lag, »wenn man das eine Schuld nennen +kann, was der Dienst unumgänglich notwendig macht, so bin ich's +unstreitig, auf den sie fällt. Er gehorchte dem Kommando.« + +»Hätte der Graf Solms, mein guter Trim, es bei der Steenkircher +Schlacht ebenso gemacht,« sagte Yorick ein wenig spaßhaft zu dem +Korporal, der im Rückzug von einem Dragoner übergeritten worden, »so +hätte er Ihn gerettet.« -- »Gerettet!« schrie Trim und fiel ihm in die +Rede. »Fünf ganze Regimenter, Hochehrwürden, hätte er gerettet. Da war +Cutts, Mackays, Angus, Grahams und Levens Regiment, die wurden alle in +die Pfanne gehauen. Unserer Leibgarde wäre es nicht besser gegangen, +hätten's nicht etliche Regimenter vom rechten Flügel verhindert, welche +ihnen beherzt zu Hilfe kamen und den Feind erst auf sich abfeuern +ließen, ehe eine Seele von ihnen einen Hahn abdrückte. Sie haben +dabei den Himmel mit verdient,« setzte Trim hinzu. »Trim hat recht,« +sagte mein Onkel Toby und nickte Yorick zu. »Er hat ganz recht.« -- +»Was wollte er damit, daß er die Reiter aufmarschieren ließ,« fuhr +der Korporal fort. »Wo das Terrain so knapp war und die Franzosen +solch eine Nation von Hecken, von Koppeln, von Graben und in die +Kreuz und Quer umgehackten Bäumen hatten, daß man ihnen nicht an den +Leib kommen konnte -- wie sie's immer machen --. Graf Solms sollte +uns hinkommandiert haben. Wir hätten ihnen Schuß um Schuß ganz anders +einheizen wollen. Die Kavallerie konnte nicht ankommen. Aber wie ging's +ihm auch dafür? Wurde ihm nicht gleich die nächste Kampagne darauf bei +Landen der Fuß abgeschossen?« -- »Der arme Trim bekam da seine Wunde,« +sagte mein Onkel Toby. -- »Ich hatte es keinem Menschen sonst, mit Euer +Gnaden Wohlnehmen, zu danken als dem Grafen Solms. Hätten wir sie zu +Steenkirchen brav zusammengeschossen, so hätten sie bei Landen nicht +stehen können.« -- »Vielleicht, und vielleicht auch nicht, Trim,« +sagte mein Onkel Toby. »Denn wenn sie nur ein Holz vor sich kriegen +oder einen Augenblick Zeit gewinnen können, sich einzugraben, so +ist's eine Nation, die einen immer bald hinten, bald vorne neckt und +zwickt. Man kommt nicht anders mit ihnen aus, als man muß ihnen nur +kaltblütig auf die Haut rücken, ihr Feuer aushalten und dann frisch +über sie herfallen.« -- »Piff, paff,« setzte Trim hinzu. »Zu Fuß und zu +Pferde,« sagte mein Onkel Toby. -- »Was hast du, was kannst du,« sagte +Trim. -- »Links und rechts,« rief mein Onkel Toby. -- »Feuer auf die +Hunde!« schrie der Korporal. Das Treffen war hitzig, Yorick rückte der +Sicherheit wegen seinen Stuhl ein wenig auf die Seite und nach einer +Minute Pause ließ mein Onkel Toby seine Stimme um eine Sekunde sinken +und faßte das Gespräch wieder auf, wie folgt: + + + [Illustration] + + + + + Dreiundachtzigstes Kapitel. + + +»Der König Wilhelm,« sagte mein Onkel Toby, wobei er sich an Yorick +wendete, »verhängte eine solche Ungnade über den Grafen Solms, daß +er ihn einige Monate lang nicht vor sich kommen lassen wollte.« -- +»Ich besorge,« antwortete Yorick, »unser Herr Shandy wird ebenso +ungnädig auf den Korporal sein wie der König auf den Grafen.« -- »Es +würde aber hier ganz sonderbar hart sein, wenn Korporal Trim, dessen +Aufführung bei dieser Sache der Aufführung des Grafen so schnurstracks +entgegengesetzt ist, das Schicksal haben sollte, mit einerlei Ungnade +belohnt zu werden. Zu oft geht's leider so in dieser Welt! -- Ich +wollte eine Mine anzünden,« rief mein Onkel Toby und stand dabei auf, +»und meine Fortifikationen samt meinem Hause in die Luft sprengen, +und wir wollten uns lieber unter dem Schutt begraben lassen, ehe ich +dabeistehen und das ansehen wollte.« -- Trim machte einen kleinen, aber +dankbaren Bückling gegen seinen Herrn. Und so endigt das Kapitel. + + [Illustration] + + + + + Vierundachtzigstes Kapitel. + + +»Wohlan, Herr Yorick,« erwiderte mein Onkel Toby, »Sie und ich wollen +in Front voraufgehen. Er, Korporal, Er kann ein paar Schritte hinter +uns nachfolgen.« -- »Und Susanna, wenn es Euer Gnaden erlauben, soll +in der Arrieregarde folgen,« sagte Trim. Es war eine vortreffliche +Disposition. + +In dieser Ordnung, ohne klingendes Spiel und fliegende Fahnen, +marschierten sie langsam vor meines Onkels Toby Hause nach Shandy-Hall. + +»Ich wollte,« sagte Trim, als sie durch den Torweg zogen, »ich hatte +statt des Bleis an den Fallfenstern die Enden von den Dachröhren an der +Kirche abgeschlagen, wie ich schon einmal zu tun willens war.« -- »Laß +er des Endenabschlagens genug sein,« versetzte Yorick. + + [Illustration] + + + + + Fünfundachtzigstes Kapitel. + + +So manche Zeichnung auch von meinem Vater gegeben worden und so ähnlich +sie ihm auch in seinen verschiedenen Mienen und Stellungen sein mögen, +so kann doch weder eine noch alle zusammengenommen dem Leser eine Art +von Vorhersehen verschaffen, wie mein Vater bei neuen Vorfällen und +Begebenheiten des Lebens denken, sprechen oder handeln würde. Die +Endlosigkeit des Sonderbaren in seinem Charakter und der zufälligen +Bestimmungen, bei welchem Ende er eine Sache angreifen würde, ging so +weit, mein Herr, daß solche einen Strich durch alle ihre Berechnungen +machte. -- Die Sache war, sein Pfad lag von dem, worauf die meisten +Menschen wandeln, so weit seitwärts, daß jedes Ding, was ihm vorkam, +seinem Auge in einer eigenen Gestalt und Richtung erschien. Ganz +verschieden von der Höhe und Breite, in der es andere Menschenkinder +erblickten. Mit anderen Worten: es war ein ganz anderes Ding und ward +denn auch ganz anders betrachtet. + +Dies ist die wahre Ursache, warum meine liebe Jenny und ich sowohl als +alle Welt um uns her soviel Hader um nichts haben. Sie sieht auf ihr +Äußeres und ich auf ihr Inneres. Wie ist es möglich, daß wir über ihren +Wert einig werden sollten. + + [Illustration] + + + + + Sechsundachtzigstes Kapitel. + + +Es ist eine ausgemachte Sache -- und ich führe es hier zu Konfuzius' +Troste an, der die Gabe hat, sich beim Erzählen einer schlechten +Geschichte gar weidlich zu verwickeln, daß es, wofern er nur die +Geschichte nicht ganz von der Leine läßt, er mag rückwärts oder +vorwärts gehen, so wird es ihm nicht als Entgleisung angerechnet. + +Dieses vorausgesetzt, will ich von diesem Privileg des freien +Zurückgehens selbst Gebrauch machen. + + [Illustration] + + + + + Siebenundachtzigstes Kapitel. + + +Fünfzigtausend Körbe mit Teufeln geladen -- ich meine nicht des +Erzbischofs von Beneventos, sondern Rabelais' Teufel -- denen die +Schwänze dicht am Rumpfe abgehackt worden, könnten den Hals nicht so +höllisch darüber aufgerissen haben, wie ich bei meinem Unfall tat. +Mein Geschrei lockte meine Mutter den Augenblick nach der Kinderstube, +so daß Susanna nur ebensoviel Zeit hatte, durch die Hintertreppe zu +entwischen, als meine Mutter die große Stiege heraufkam. + +Nun wäre ich freilich alt genug gewesen, diese Historie selbst zu +erzählen, und jung genug, hoffe ich, es zu tun, ohne Arges daraus zu +haben; aber Susanna hatte es in ihrer Furcht, als sie an der Küche +vorbeiging, der Köchin in Eile überliefert. Die Köchin hatte es +mit einem Kommentar dem Jonathan und Jonathan dem Obadiah erzählt. +Dergestalt, daß, nachdem mein Vater ein halbes Dutzend Male geklingelt +hatte, zu erfahren, was da oben vorginge, Obadiah bereits imstande war, +ihm genaue Nachricht zugeben, was und wie es sich zugetragen hätte. -- +»Dacht' ich's nicht!« sagte mein Vater, warf seinen Schlafrock über und +stürmte so die Treppe hinauf. + +Aus diesem sollte man fast schließen -- obgleich ich für meinen Teil es +ein wenig in Zweifel ziehe --, daß mein Vater schon vor dieser Zeit das +merkwürdige Kapitel in der +Tristra pædia+ wirklich geschrieben +haben müßte, welches für mich das Originellste und Unterhaltendste im +ganzen Buche ist -- ich meine das Kapitel von den Fallfenstern, mit +einer derben Strafpredigt am Ende desselben, über die Vergessenheit der +Stubenmädchen. Ich habe nur zwei Ursachen, anders zu denken. + +Erstlich, wäre die Sache in seine Gedanken gekommen, bevor der Unfall +geschah, so würde mein Vater ein für allemal das Fallfenster zugenagelt +haben. Was er, wenn man bedenkt, wie sauer ihm das Bücherschreiben +wurde, mit zehnmal leichterer Mühe hätte tun können, als das Kapitel +schreiben. Dieser Grund, sehe ich schon, könnte auch dazu angewendet +werden, daß er das Kapitel auch nach dem Vorfall nicht geschrieben +habe. Ist aber nicht nötig, ihn dazu zu verwenden, wegen der zweiten +Ursache nicht, welche ich die Ehre habe, der Welt zur Unterstützung +meiner Meinung vorzulegen: warum mein Vater das Kapitel von den +Fallfenstern und Kammergefässen zu der besagten Zeit nicht geschrieben +haben könne. Und das ist diese: Daß, um die +Tristra pædia+ +vollständig zu machen, ich selbst das Kapitel geschrieben habe. + + [Illustration] + + + + + Achtundachtzigstes Kapitel. + + +Mein Vater setzte seine Brille auf -- beguckte -- nahm sie wieder ab +-- legte sie ins Futteral -- alles in weniger als einer vollen Minute. +Ohne die Lippen zu öffnen, kehrte er sich um und ging plötzlich die +Treppe hinunter. Meine Mutter dachte, er wäre hinuntergegangen, um +gezupftes Leinen und Wundbalsam zu holen. Als sie ihn aber mit ein +paar Foliobänden unter dem Arme und Obadiah mit einem großen Lesepuite +hinter ihm hereintreten sah, meinte sie nichts anderes, als es sei ein +Kräuterbuch, und zog ihm also einen Stuhl an die Seite des Bettes, +damit er mit Bequemlichkeit ein Heilkraut suchen könnte. + +»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte mein Vater und schlug die +Sektion auf: +de sede vel subjecto circumcisionis+. Denn er +hatte Spender +de legibus Hebræorum ritualibus+ heraufgebracht +und den Maimonides, um uns alle miteinander zu konfrontieren und zu +examinieren. -- + +»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte er. -- »Wenn ich nur erst weiß, +was für ein Kraut.« -- »Wenn du das wissen willst, mußt du nach dem +Doktor Slop schicken.« + +Meine Mutter ging hinunter, und mein Vater las die Sektion weiter, wie +folgt: + + * * * * * + +-- -- »recht gut,« sagte mein Vater, -- -- -- -- -- -- -- -- »Ja, wenn +die Unbequemlichkeit dabei ist.« Und nun, ohne sich einen Augenblick +dabei aufzuhalten, ob die Juden es von den Ägyptern oder die Ägypter +von den Juden hatten, stand er auf. Nachdem er mit der flachen Hand +zwei- oder dreimal über die Stirn gefahren war -- so wie wir wohl die +Fußtapfen der Sorge wegzuwischen pflegen, wenn ein Unglück uns nicht +so hart getreten, wie wir fürchteten -- schlug er das Buch zu und ging +hinunter. »Nun denn,« sagte er, und sowie er den Fuß auf einen andern +Tritt Setzte, nannte er dabei den Namen je einer großen Nation: »Wenn +die Ägypter, die Syrer, die Phönizier, die Araber, die Kappadozier, die +Kolchier und die Troglodyten es taten, wenn Solon und Pythagoras es +auch unterließen, wer ist Tristram, wer bin ich, daß ich mich über die +Sache einen Augenblick übel gebärden sollte?« + + [Illustration] + + + + + Neunundachtzigstes Kapitel. + + +»Lieber Yorick,« sagte mein Vater lächelnd -- denn Yorick war aus dem +Gliede getreten, da er mit meinem Onkel Toby durch den engen Gang +gekommen war, und trat also zuerst in das Wohnzimmer --, »finden Sie +nicht auch, daß unser Tristram da sich es um alle Sakramente recht +sauer werden lassen muß? Wohl niemals ist das Kind eines Juden, +Christen, Türken oder Heiden auf eine so krumme und schiefe Art zu +seinen Religionsgebräuchen gekommen.« -- »Ich hoffe doch, daß es nichts +auf sich haben wird,« sagte Yorick. »Es muß ganz gewiß,« fuhr mein +Vater fort, »eben der Henker in irgendeiner Gegend der Ekliptik los +gewesen sein, als dieses Zweiglein aus meinem Stamme gebildet worden.« +-- »Das können Sie besser beurteilen als ich,« erwiderte Yorick. -- +»Die Astrologen wissen's besser, wie wir alle beide,« sagte mein Vater. +»Die gedritte oder gesechste Scheine müssen übereinandergesprungen +sein, oder die Gegenscheine ihrer Aszendenten haben es nicht getroffen, +wie sie sollten, oder die Zeugevorsteher -- wie sie sie nennen -- haben +eben Verstecken gespielt, oder es ist sonst etwas, entweder unten oder +oben mit uns nicht recht gewesen.« + +»Wohl möglich,« antwortete Yorick. »Aber,« schrie mein Onkel Toby, +»hat das Kind auch großen Schaden genommen?« -- »Die Troglodyten sagen +nein,« versetzte mein Vater. -- »Und Ihre Theologen, Yorick, sagen uns +--« -- »Theologisch gesprochen?« sagte Yorick. + +»Ich weiß nicht gewiß,« erwiderte mein Vater. »Aber sie sagen uns, +Bruder Toby, daß es ihm Vorteil tue.« -- »Vorausgesetzt,« sagte Yorick, +»daß Sie ihn nach Ägypten reisen lassen.« -- »Was das anbelangt,« +antwortete mein Vater, »so wird er den Vorteil haben, wenn er die +Pyramiden sieht.« + +»Nun, so ist doch jedes Wort hiervon,« sagte mein Onkel Toby, »für mich +so gut wie Arabisch.« -- »Ich wünschte,« sagte Yorick, »es wäre so für +die halbe Welt.« + +»Ilus,« fuhr mein Vater fort, »beschnitt eines Morgens sein ganzes +Kriegsheer.« -- »Doch nicht ohne Kriegsrecht?« rief mein Onkel Toby. +»Obgleich die Gelehrten,« fuhr er fort, ohne auf meines Onkels Toby +Frage zu achten, sondern an Yorick sich wendend, »sehr geteilter +Ansicht darüber sind, wer dieser Ilus war. Einige sagen Saturnus, +andere das höchste Wesen. Andere nichts weiter als Generalbrigadier +unter Pharao-neco.« -- »Es sei, wer es sei,« sagte mein Onkel Toby, +»ich sehe nicht, nach was für einem Punkt aus den Kriegsartikeln er es +rechtfertigen kann.« + + [Illustration] + + + + + Neunzigstes Kapitel. + + +»Sie sehen, es ist hohe Zeit,« sagte mein Vater, indem er sich zugleich +an meinen Onkel Toby und Herrn Yorick wendete, »daß man den Knaben den +Weiberhänden wegnimmt und ihn einem eigenen Hofmeister in die Hände +gibt. Marcus Antonius nahm auf einmal vierzehn Hofmeister, seinen Sohn +Commodus zu erziehen. In sechs Wochen gab er fünf davon den Abschied. +-- Ich weiß recht gut,« fuhr mein Vater fort, »daß Commodus' Mutter zu +der Zeit, als sie mit ihm schwanger ward, in einen Fechter verliebt +war, woraus sich eine Menge von den Grausamkeiten erklären lassen, die +er beging, als er Kaiser wurde. -- Aber ich bin doch immer der Meinung, +daß diese fünf, welche Antonius verabschiedete, dem Gemüt des Commodus +in der kurzen Zeit mehr Schaden taten, als die übrigen neun in ihrem +ganzen Leben gutzumachen vermochten. + +Da ich nun die Person, die um meinen Sohn sein soll, als einen Spiegel +betrachte, in weichem er sich von morgens bis abends erblicken und nach +dem er seine Blicke, Mienen und Gebärden und vielleicht die innigsten +Empfindungen seines Herzens einrichten muß, so möchte ich gerne, mein +lieber Yorick, einen haben, der, wenn es möglich, über und über poliert +und dazu tüchtig wäre, daß sich mein Kind darin spiegelte.« -- »Das ist +recht vernünftig,« sagte mein Onkel Toby bei sich selbst. + +»Es gibt,« fuhr mein Vater fort, »einen gewissen Anstand und eine +gewisse Bewegung des Körpers und aller seiner Glieder sowohl im Handeln +als im Reden, welche von der inneren Güte eines Menschen zeugen. +Es wundert mich keineswegs, daß Gregorius von Nazianzum, als er am +Julian die schnellen und unsteten Gebärden wahrnahm, voraussagte, daß +er eines Tages abtrünnig werden würde. Oder daß St. Ambrosius seinen +Amanuensem wegen einer unanständigen Bewegung mit dem Kopfe, der wie +ein Dreschflegel hin und her ging, wegjagte. Oder daß Demokritus gleich +merkte, daß Protagoras ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel +Reisholz binden und die dünnsten Reiser in die Mitte legen sah. Es gibt +tausend unbemerkte Öffnungen,« fuhr mein Vater fort, »durch die ein +scharfes Auge auf einmal die Seele entdecken kann. Ich behaupte, daß +ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut niederlegen kann, wenn er in ein +Zimmer kommt, oder aufnehmen, wenn er hinausgeht, ohne daß ihm etwas +entwischt, das ihn verrät. + +Dieser Gründe wegen,« fuhr mein Vater fort, »darf der Hofmeister, den +ich erwählen werde, weder lispeln noch schielen oder blinzeln, weder +laut reden noch störrisch oder närrisch aussehen, weder die Lippen +beißen noch mit den Zähnen knirschen, weder durch die Nase sprechen +noch darin wühlen oder sie mit den Fingern putzen. + +Er soll weder geschwind gehen noch langsam, nicht sich einhängen, +denn das ist Faulheit, noch seine Arme bummeln lassen, denn das ist +tölpelhaft, noch seine Hände in den Taschen verstecken, denn das ist +abgeschmackt. + +Er soll auch nicht schlagen, nicht kratzen, nicht kneifen, nicht +kitzeln, nicht beißen, keine Nägel abschneiden, keinen Schleim +hinunterwürgen, nicht ausspucken, nicht ausrotzen, nicht trommeln mit +Füßen oder Fingern, wenn er in Gesellschaft ist, noch -- nach Erasmus +-- mit jemand sprechen, wenn er Wasser läßt. Er soll auch auf kein +totes Aas oder einen Auswurf mit dem Finger weisen.« -- »Nun, da haben +wir wieder ganz unvernünftiges Zeug!« sagte mein Onkel Toby bei sich +selbst. + +»Ich will haben, er soll,« fuhr mein Vater fort, »freundlich sein, +munter, aufgeweckt, und dabei klug, aufmerksam auf sein Geschäft, +wachsam, verschlagen, erfindsam, schnell in Auflösung der Zweifel und +spekulativer Fragen; soll bedächtig, vernünftig und gelehrt sein.« -- +»Und warum nicht auch bescheiden und mäßig, und sanftmütig und gut?« +sagte Yorick. -- »Und warum nicht auch,« schrie mein Onkel Toby, +»freimütig und großmütig, und guttätig und herzhaft?« -- »Das soll er, +mein lieber Toby,« versetzte mein Vater, wobei er aufstand und ihm +die Hand schüttelte. -- »Gut, Bruder Walther,« antwortete mein Onkel +Toby, der gleichfalls aus seinem Stuhle aufstand und seine Pfeife +niederlegte, um meines Vaters andere Hand zu erfassen. »Ich bitte dich +ergebenst, daß ich dir den Sohn des armen Le Fevers empfehlen dürfte.« +Eine Freudenträne blitzte wie der schönste Brillant in meines Onkels +Toby Auge, und eine andere, die das Paar vollmachte, im Auge des +Korporals, als der Vorschlag getan ward. + +Le Fevers schwebte meinem Onkel Toby die ganze Zeit über in den +Gedanken, da mein Vater ihm und Herrn Yorick beschrieb, was für eine +Art von Person er zum Hofmeister für mich haben wollte. Da aber +anfangs mein Vater meinem Onkel Toby in Ansehung der Vollkommenheiten +ein wenig zu begehrlich schien, enthielt er sich, Le Fevers' Namen zu +nennen, bis endlich der Charakter durch die Dazwischenkunft des Herrn +Yorick unvermutet auf jemand hinauslief, der Mut hätte, großmütig und +gutherzig wäre. So rückte ihm solches Le Fevers' Bild wieder näher vor +die Seele und legte sein Bestes meinem Onkel Toby so innig ans Herz, +daß er augenblicklich vom Stuhle aufstand und seine Pfeife niederlegte, +um meines Vaters beide Hände zu fassen. »Ich bitte, Bruder Walther,« +sagte mein Onkel Toby, »laß dir Le Fevers' Sohn dazu empfohlen sein.« +-- »Ich bitte gleichfalls darum,« fügte Yorick hinzu. -- »Er hat ein +gutes Herz,« sagte mein Onkel Toby. -- »Und ein braves dazu, mit Euer +Gnaden Erlaubnis,« sagte der Korporal. -- »Die besten Herzen, Trim, +sind immer die bravsten,« versetzte mein Onkel Toby. -- »Und die +größten alten Memmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, bei unserem Regiment, +waren allzeit die ärgsten Leutequäler. Da war der Sergeant Kumbart und +der Fähnrich --« + +»Da wollen wir,« sagte mein Vater, »ein andermal von sprechen.« + + [Illustration] + + + + + Einundneunzigstes Kapitel. + + +Wenn der Leser keinen deutlichen Begriff von den anderthalb Ruten +Landes hat, welches am Ende von meines Onkels Toby Küchengarten liegt +und welches die Szene so mancher seiner süßen Stunden war, so liegt die +Schuld nicht an mir, sondern an seiner Imagination. Denn ich hab's ihm +doch wahrhaftig so kindisch deutlich beschrieben, daß ich mich fast +selbst davor schäme. + +Als die Göttin des Schicksals eines Nachmittags einen Blick in die +großen Begebenheiten der künftigen Zeiten tat und übersann, zu welchem +Zwecke diese kleine Verwicklung durch ein in diamantene Tafeln +gegrabenes Dekret bestimmt sei, gab sie der Natur einen Wink. Mehr +brauchte sie nicht. + +Die Natur warf eine halbe Schaufel voll ihrer bestartigsten Erdmischung +darauf, die gerade so viel von zähem Ton enthielt, als nötig war, um +die Winkel und Einschnitte der Festung haltbar zu machen, und doch so +wenig, daß es nicht an Hacke und Spaten klebte, und daß bei schlechtem +Wetter die Werke von so großer Herrlichkeit nicht das Ansehen eines +Sudels bekämen. + +Mein Onkel kam herunter, wie der Leser belehrt ist, und hatte die +Grundrisse von fast allen festen Städten in Italien und Flandern bei +sich. -- Der Herzog von Marlborough oder die Alliierten mochten also +eine Stadt belagern, welche sie wollten, mein Onkel Toby war allemal +fertig und bereit. + +Seine Weise, eine der natürlichsten von der Welt, war diese: Sobald nur +eine Festung eingeschlossen war -- und noch früher, wenn der Vorsatz +bekannt war --, nahm er den Grundriß derselben zur Hand -- die Stadt +mochte sein, welche es wollte -- und vergrößerte den Maßstab nach dem +genauen Umfange seines grünen Spielplatzes. Dann trug er vermittels +einer Rolle Bindfaden und einer Anzahl kleiner Pflöcke, die er an den +verschiedenen Ecken und Winkeln in die Erde schlagen ließ, alle Linien +von seinem Papier auf die Fläche dieses Platzes. Wenn er darauf das +Profil des Platzes mit seinen Werken hatte, um die Breite und Tiefe +der Gräben, die Abschüssigkeit der Wälle und die genaue Höhe der +verschiedenen Brustwehren zu bestimmen, so stellte er den Korporal ans +Werk. Und es ging hübsch vonstatten. Die Gutartigkeit des Bodens, die +Gutartigkeit des Werkes selbst, und vornehmlich die Gutartigkeit des +Gemüts meines Onkels Toby, der vom Morgen bis Abend dabeisaß und mit +dem Korporal freundlich von ihren Taten plauderte, ließen der Arbeit +weiter nichts als die Zeremonie des Namens. + +Wenn auf diese Weise die Festung vollendet und in gehörigen +Verteidigungsstand gesetzt worden war, wurde sie eingeschlossen. Mein +Onkel Toby und der Korporal fingen an, die erste Parallele zu ziehen. +Ich bitte, mich in meiner Geschichte dadurch nicht zu stören, daß man +etwa sagen möchte, die erste Parallele sollte wenigstens dreihundert +Ruten weit von der Festung entfernt sein, und ich habe nicht einen +einzigen Zoll breit dazu freigelassen. Denn mein Onkel Toby nahm +sich die Freiheit, in seinem Küchengarten um sich zu greifen, um die +Werke auf dem Spielplatze desto größer machen zu können. Aus dieser +Ursache ging er gewöhnlich mit seiner ersten und zweiten Parallele +zwischen zwei Reihen von Kraut- und Blumenkohl hindurch. Das Bequeme +und Unbequeme hierbei soll weitläufig erwogen werden in der Geschichte +von meines Onkels Toby und des Korporals Feldzügen, wovon dieses, was +ich jetzt schreibe, nur eine Skizze ist, und wenn ich recht mutmaße -- +aber wie's mit allem Mutmaßen geht! --, mit drei Seiten abgetan sein +wird. Die Feldzüge selbst werden ebensoviel Bücher ausmachen. Deswegen +besorge ich, es möchte ein zu großes Gewicht von einer Art Materie für +ein so lockeres Werk sein wie dieses, wenn ich solche, wie ich einst +willens war, fragmentweise hier einschaltete. Nein, es ist besser, ich +lasse sie besonders drucken. -- Wir wollen's überlegen! -- Nehmen Sie +unterdessen mit folgender Skizze davon fürlieb. + + [Illustration] + + + + + Zweiundneunzigstes Kapitel. + + +Wenn die Stadt mit ihren Festungswerken zustande gebracht war, fingen +mein Onkel Toby und der Korporal an, ihre erste Parallele zu ziehen, +nicht aufs Geratewohl oder so, sondern aus ebenden Punkten und in +ebenden Distanzen, wie die Alliierten die ihrigen begonnen hatten. Sie +richteten ihren Aufmarsch und ihre Attacken genau nach der Nachricht +ein, die mein Onkel Toby durch die Zeitungen empfing. Auf diese Weise +gingen sie die ganze Belagerung durch, Schritt für Schritt mit den +Alliierten. Machte der Herzog von Marlborough ein Lager, so machte +mein Onkel Toby sein Lager auch. Und wenn die Face einer Bastei +niedergeschossen oder ein Außenwerk ruiniert wurde, nahm der Korporal +seine Hacke und tat desgleichen. Und sofort gewannen sie Terrain und +bemeisterten sich eines Werkes nach dem anderen, bis die Stadt in ihre +Hände fiel. + +Für jemanden, der an anderer Leute Glückseligkeit Vergnügen fand, +konnte in der Welt kein herrlicherer Anblick sein, als an einem Morgen +eines Posttages, wenn die Nachricht kam, daß der Herzog von Marlborough +eine brauchbare Bresche dem Hauptwalle der Stadt beigebracht hätte, +hinter der Taxushecke zu stehen und die Emsigkeit zu beobachten, mit +der mein Onkel Toby und der Korporal hinter ihm anrückten. Der eine mit +der Zeitung in der Hand, der andere mit einem Spaten auf der Schulter, +den Inhalt ins Werk zu setzen. Was für eine Herzensfreude leuchtete aus +meines Onkels Toby Blicken, wenn er den Wall hinanmarschierte! Welch +ein inniges Vergnügen schwamm in seinen Augen, wenn er vor dem Korporal +stand und ihm den Zeitungsartikel bei der Arbeit zehnmal vorlas, damit +er nicht aus Versehen die Bresche einen Zoll zu weit machte oder einen +Zoll zu eng ließ. Wurde aber erst die Einfallsbresche geschlagen und +der Korporal half ihm hinauf und folgte ihm mit der Fahne in der Hand. +um sie auf den Wall zu pflanzen -- Himmel! Erde! Meer! -- Aber was +sollen die Apostrophen? -- Aus allen Elementen, naß oder trocken, ist +noch niemals ein so berauschender Trank verfertigt worden. + +Auf dieser Bahn des Vergnügens wandelten sie ununterbrochen, +ausgenommen wenn zuweilen starker Westwind war, so acht oder zehn +Tage das niederländische Postschiff aufhielt und sie so lange auf der +Folter ließ. Aber auch das war doch nur die Folter glücklicher Leute. +Auf dieser Bahn, sage ich, wandelten mein Onkel Toby und Trim manche +Jahre fort, und jedes Jahr und zuweilen jeder Monat brachte, nach der +Erfindung des einen oder des anderen von beiden, in ihren Operationen +eine oder die andere neue Erfindung oder listige und nützliche +Verbesserung hervor, welche ihnen bei der Ausführung allemal neue +Quellen des Vergnügens eröffnete. + +Die Kampagne des ersten Jahres wurde von Anfang bis Ende in der einfach +ungekünstelten Art geführt, wie ich erzählt habe. + +Im zweiten Jahre, in welchem mein Onkel Toby Lüttich und Roermond +einnahm, dachte er, er könnte wohl die Kosten für vier hübsche +Zugbrücken daran wagen. Von einem Paar derselben habe ich bereits in +den vorigen Teilen dieses Werkes eine genaue Beschreibung gegeben. + +Gegen das Ende ebendieses Jahres tat er ein paar Tore mit Fallgattern +hinzu. Die letzteren aber wurden nachher als Orgelstücke besser +genutzt; und im Winter desselben Jahres spendierte sich mein Onkel Toby +statt eines neuen Kleides, das er sich sonst allemal zu Weihnachten +machen ließ, ein schönes Schilderhaus, das er an die Ecke des grünen +Spielplatzes stellte. Zwischen diesem und dem Fuße des Walles ließ +er eine kleine Art von Esplanade, auf welcher er und der Korporal +konferieren und Kriegsrat halten konnten. + +Das Schilderhaus war dazu, wenn's regnen sollte. + +Alles dieses wurde den folgenden Frühling dreimal weiß übermalt. +Dadurch setzte sich mein Onkel Toby in den Stand, mit vieler Pracht ins +Feld zu rücken. + +Mein Vater pflegte oft zu Yorick zu sagen, wenn irgendein anderer +Sterblicher in der ganzen Welt, als sein Bruder Toby, so etwas getan +hätte, so würde jedermann es angesehen haben als die feinste und +bitterste Satire auf die paradierende und prachtsüchtige Weise, mit +welcher Ludwig +XIV.+ vom Anfange des Krieges an, besonders aber +ebendieses Jahr, ins Feld gerückt war. Aber meinem Bruder Toby, pflegte +mein Vater hinzuzusetzen, der gutherzigen Seele, kommt nie in den Sinn, +jemanden zu beleidigen. + +Aber laßt uns fortfahren. + + [Illustration] + + + + + Dreiundneunzigstes Kapitel. + + +Ich muß anmerken, daß, obgleich bei dem Feldzuge des ersten Jahres +das Wort Stadt oft vorkommt, dennoch damals noch keine Stadt in dem +Polygone war. Dieser Zusatz wurde erst in dem Sommer gemacht, der +auf den Frühling folgte, in welchem die Brücken und das Schilderhaus +angemalt wurden. Es war das dritte Jahr der Feldzüge meines Onkels +Toby. Da, nachdem Amberg, Bonn, Rheinburg und Huy und Limburg +nacheinander von ihnen eingenommen worden, dem Korporal der Gedanke +kam, daß man von der Einnahme so vieler Städte spräche, ohne eine +einzige Stadt davon aufweisen zu können, wäre eine dumme Art zu Werke +zu gehen. Also schlug er meinem Onkel Toby vor, daß sie sich ein +kleines Modell von einer Stadt bauen lassen müßten. Sie brauchte nur +von Tannenlatten zusammengeschlagen, dann angemalt, in das Polygon +hineingesetzt und für alle Städte benutzt werden. + +Mein Onkel Toby fühlte augenblicklich das Gute an dem Projekt und +genehmigte es auf der Stelle; nur mit dem Zusatz von zwei ganz eigenen +Verbesserungen, auf welche er sich fast ebensoviel einbildete, als ob +er der erste Erfinder des Projekts selbst gewesen wäre. + +Die eine war, die Stadt sollte ganz genau in dem Geschmacke derjenigen +gebaut werden, die sie sehr wahrscheinlicherweise würde vorstellen +müssen. -- Mit kleinen Fensterscheiben und den hohen Giebelenden der +Häuser nach der Gasse usw., wie in Gent und Brügge und den übrigen +brabantischen und flandrischen Städten. + +Die andere war, die Häuser sollten nicht eins ins andere gebaut werden, +wie der Korporal vorschlug, sondern jedes Haus sollte für sich sein, so +daß man es an- oder abhacken könne, um sie in den Grundriß einer jeden +Stadt bringen zu können. Dies wurde den Augenblick vorgenommen, und +mancher glückwünschende Blick wurde zwischen meinem Onkel Toby und dem +Korporal Trim gewechselt, während der Zeit, daß der Zimmermann das Werk +machte. + +Sie tat ihnen außerordentliche Dienste den nächsten Sommer. Die Stadt +war ein wahrer Proteus. Sie war Landen und Trarbach, und Santvliet und +Drusen, und Hagenau -- und dann wurde sie wieder Ostende und Menin, und +Aeth und Dendermonde. + +Fürwahr, seit Sodom und Gomorrha hat noch keine Stadt so mancherlei +Rollen gespielt, als meines Onkels Toby Stadt spielte. + +Im vierten Jahre dachte mein Onkel Toby, eine Stadt ohne eine Kirche +habe ein so kahles Ansehen, und tat eine recht hübsche Kirche mit einem +Glockenturme hinzu. Trim hätte auch gerne Glocken hinein gehabt, mein +Onkel Toby aber sagte, das Metall könnte besser zu Kanonen vergossen +werden. + +Dies führte in der nächsten Kampagne zu einem halben Dutzend +messingener Feldstücke. Drei und drei an jeder Seite von meines +Onkels Toby Schilderhaus. In kurzer Zeit führten diese zu einem +etwas größeren Artillerietrain. Und so immer weiter, wie es allemal +bei steckenpferdischen Geschichten hergehen muß. Von Kanonen von +halbzölligem Kaliber, bis es endlich bis zu meines Vaters weiten +Steifstiefeln hinanstieg. + +Das Jahr darauf, in welchem Lisle belagert wurde, und am Ende dessen +Gent und Brügge in unsere Hände fielen, ging's meinem Onkel Toby sehr +hart um die gehörige Munition. Ich sage, gehörige Munition, weil sein +Geschütz kein Pulver vertragen konnte; und ein Glück für die Shandysche +Familie war das! Denn so voll standen die Zeitungen vom Anfang +bis zu Ende der Belagerung, von dem unaufhörlichen Feuer, das die +Belagerer unterhalten hätten, -- und so erhitzt war meines Onkels Toby +Imagination von den Nachrichten davon, daß er sonst ganz gewiß sein Hab +und Gut verschossen hätte. + +Etwas war also nötig, statt dessen unterzuschieben, zumal in einem +oder zwei der heftigsten Paroxismen der Belagerung, um etwas in der +Einbildung einem beständigen Feuer Ähnliches zu unterhalten. Und dieses +Etwas schaffte der Korporal, dessen vorzügliche Stärke im Erfinden +bestand, durch ein von ihm ganz neu erdachtes Batteriefeuer. Ohne +welches die militärischen Kritiker an meines Onkels Toby Apparates +daran auszusetzen gefunden hätten, daß eins der notwendigsten +Erfordernisse dabei fehlte. + +Dies wird nicht schlechter erklärt werden, wenn ich, wie ich gewöhnlich +pflege, ein wenig von der Sache abgehe. + + [Illustration] + + + + + Vierundneunzigstes Kapitel. + + +Unter zwei oder drei anderen Lappalien, die an sich selbst nichts +bedeuteten, aber dadurch einen großen Wert bekamen, daß sie der arme +Thomas, des Korporals unglücklicher Bruder, mit der Nachricht von +seiner Verheiratung mit der Judenwitwe überschickt hatte, waren: Eine +Reitmütze und zwei türkische Tabakspfeifen. + +Die Reitmütze will ich gelegentlich beschreiben. Die türkischen +Tabakspfeifen hatten nichts Besonderes; sie waren gemacht und gezieret +wie alle übrigen, mit biegsamen Röhren von Saffian mit Golddraht, und +auf den Enden mit kleinen Mundstücken, das an der einen von Elfenbein +und das an der ändern von schwarz Ebenholz mit Silber eingefaßt. + +Mein Vater, der alle Dinge von einem ändern Gesichtspunkte aus ansah +wie die übrigen Menschen, wollte dem Korporal sagen, er hatte diese +beiden Geschenke mehr als ein Zeichen der Ekelheit als der Gewogenheit +seines Bruders zu betrachten. -- »Seinem Bruder Thomas ekelte davor, +Trim,« sagte er, »eine Mütze aufzusetzen, die ein Jude getragen, +oder aus einer Pfeife zu rauchen, die ein Jude im Mund gehabt.« -- +»Gott Segne Euer Gnaden,« erwiderte der Korporal -- und führte einen +wichtigen Grund fürs Gegenteil an --, »wie reimte sich das?« -- + +Die Reitmütze war scharlachfarben, von dem feinsten spanischen Tuche, +in der Wolle gefärbt, rundum mit Rauchwerk besetzt, ausgenommen eine +vier Finger breite Kappe vorne, von hellblauem, ein wenig gesticktem +Tuche. Sie schien einem portugiesischen Quartiermeister, nicht zu Fuße, +sondern zu Pferde, wie der Name schon andeutet, gehört zu haben. + +Der Korporal tat nicht wenig groß damit, sowohl wegen ihres eigenen +Wertes als wegen des Gebers, und setzte sie deswegen selten oder +niemals auf, außer an Galatagen. Dennoch ward wohl niemals eine +Reitmütze zu so mancherlei gebraucht. Denn bei allen streitigen +Punkten, im Kriegs- oder Küchenwesen, wenn nur der Korporal gewiß +wußte, daß er recht hätte, brauchte er sie, als Wette, als Beteurung +oder als Geschenk. + +Die Reihe war jetzt an ihr als Geschenk. + +»Ich will gehalten sein,« sagte der Korporal, der mit sich selber +sprach, »dem ersten besten Bettler, der vor die Türe kommt, meine +Reitmütze zu schenken, wenn ich die Sache nicht so mache, daß der +gnädige Herr seine Lust und Freude daran haben soll.« + +Die Ausführung ward nicht weiter hinausgeschoben als bis auf den +folgenden Morgen, welches eben der Morgen war, da auf die Konterskarpe, +zwischen der niederen Dudane und dem Andreastore zur Rechten, und zur +Linken zwischen St. Magdalenen und dem Flusse, Sturm gelaufen wurde. + +Da dieses die merkwürdigste Attacke im ganzen Kriege war, die tapferste +und hartnäckigste auf beiden Seiten, und ich muß hinzusetzen, die +blutigste dazu, denn sie kostete die Alliierten selbst diesen Morgen +über elfhundert Mann, so schickte sich mein Onkel Toby mit mehr als +gewöhnlicher Feierlichkeit dazu an. + +Den Abend vorher, als mein Onkel Toby zu Bette ging, befahl er, seine +Dreiknotenperücke, welche manches Jahr, die Haarseite nach innen +gekehrt, im Winkel einer alten Feldkiste gelegen hatte, die beim Bette +stand, hervorzusuchen und für morgen früh auf den Deckel bereit zu +legen. Und das erste, was er des Morgens noch im bloßen Hemde tat, als +er aus dem Bette gestiegen, nachdem er die rauhe Seite auswärts gekehrt +hatte, war, daß er sie aufsetzte. Als das geschehen, tat er darauf auch +die Beinkleider an, und sobald er den Gürtel zugeknöpft, schnallte er +auch das Degengehänge um und hatte schon den Degen halb hineingesteckt, +als er merkte, daß er sich den Bart abnehmen lassen müßte, und daß +sich das mit dem Degen an der Seite nicht schicke. Er legte ihn also +ab. Als er Weste und Rock anlegen wollte, fand mein Onkel dasselbe +Hindernis an der Perücke. Also kam die auch herunter: so, daß durch ein +Hindernis hier und durch ein Hindernis dort, wie es immer geht, wenn +ein Mensch in der größten Eile ist, die Uhr zehn schlug. Das war eine +halbe Stunde später, als mein Onkel gewöhnlich ausrückte. + + [Illustration] + + + + + Fünfundneunzigstes Kapitel. + + +Mein Onkel Toby war kaum um die Ecke seiner Taxushecke gekommen, die +seinen Küchengarten von dem grünen Spielplatz trennte, als er gewahr +ward, daß der Korporal die Attacke bereits ohne ihn angefangen hatte. + +Laßt mich hier ein wenig verweilen und Ihnen ein Gemälde von den +Anstalten des Korporals machen und von dem Korporal selbst, in der +heftigsten Hitze dieser Attacke, wie sie meinem Onkel Toby in die Augen +fiel, als er auf das Schilderhaus losging, wo der Korporal in der +Arbeit war. Denn in der ganzen Natur gibt's nicht dergleichen -- und +aus allem, was in ihren Werken Groteskes und Seltsames zu finden ist, +läßt sich kein Ähnliches zusammenbringen. + +Der Korporal. -- + +Tretet leise auf seinen Staub, ihr Männer von Genie, denn euch war er +nahe verwandt. + +Haltet sein Grab vom Unkraut rein, ihr Männer von gutem Herzen, denn +er war euer Bruder. -- O, Korporal! hätte ich dich doch jetzt, jetzt, +da ich imstande bin, dir eine Mahlzeit zu geben und dir Schutz zu +verleihen. -- Wie wollte ich dein warten und pflegen! Deine liebe +Reitmütze solltest du tragen, jede Stunde des Tages und jeden Tag +der Woche. Und wäre sie abgetragen, ich wollte dir ein paar andere +ebenso gute kaufen. Aber, leider! leider! leider, ach! Jetzt, da ich +das kann, trotz Ihro Hochwürden, ist die Gelegenheit dahin! -- Denn du +bist dahin. Dein Genius flog auf zu den Sternen, von wannen er kam. +Und dieses, dein warmes Herz, mit allen seinen großmütigen offenen +Gefäßen, ist zu einem Erdenkloß des Jammertals zerdrückt. Doch was -- +was ist das gegen jenes künftige trauervolle Blatt, wo ich das sammetne +Leichentuch betrachte, verziert mit dem kriegerischen Ehrenzeichen +deines Herrn -- des ersten -- des besten der geschaffenen Wesen, wo +ich dich erblicken werde, du getreuer Knecht, wie du seinen Degen und +Scheide mit zitternder Hand kreuzweise über seinen Sarg legst und +dann aschbleich zur Türe hinaustrittst, sein Trauerpferd beim Zaume +zu fassen und hinter seiner Barre zu führen, wie er von dir begehrte. +Wo alle Systeme meines Vaters vor seinem Kummer dahinsinken, und ich +ihn sehen werde, wie er trotz seiner Philosophie den goldgefirnißten +Wappenschild betrachtet, zweimal die Brille von der Nase nimmt, den Tau +wegzuwischen, den die Natur daraufgoß. Wenn ich ihn sehe, wie er den +Rosmarinzweig mit stummem Jammer ins Grab wirft, der durch mein Ohr +schallet: O, Toby, in welchem Winkel der Erde soll ich den suchen, der +dir gliche? -- + +Gütige Mächte! die ihr vor grauen Zeiten die Lippen des Stummen +geöffnet und die Zunge des Stammlers recht sprechen gelehrt. Komme ich +einst bis zu diesem trauervollen Blatte, dann, o dann rührt mich an, +mit allgewaltiger Hand! + + [Illustration] + + + + + Sechsundneunzigstes Kapitel. + + +Der Korporal, der den Abend vorher in seinem Sinne beschlossen hatte, +dem Mangel des erwünschten Etwas, das ein ununterbrochenes Feuer auf +den Feind während der Hitze der Attacke vorstellen könnte, abzuhelfen, +hatte damals keine andere Idee in seinem Kopfe gefaßt, als ein +Kunststück zu erfinden, wie er aus einem der sechs Feldstücke meines +Onkels Toby, die zu beiden Seiten seines Schilderhauses gepflanzt +waren, Tabaksrauch nach der Stadt hin dampfen möchte. Da ihm nun +zugleich die Mittel einfielen, wie er's bewerkstelligen könnte, so +hatte er zwar seine Reitmütze verpfändet, hielt sie aber, wegen der +Zuversicht zu seinem Projekte, in gar keiner Gefahr. + +Nachdem er hin und her überlegt hatte, machte er es bald ausfindig, +daß vermittels seiner zwei türkischen Tabakspfeifen, mit Hilfe von +drei kleinen Röhren von Schafsleder, an jedem von ihren unteren +Enden, an welchen ebenso viele dünne Sauger befestigt waren, die +auf die Zündlöcher paßten, mit Ton an die Kanone geklebt und dann +an den Stellen, wo sie in die Saffianröhre gingen, mit gewächster +Seide hermetisch verschlossen würden --, er imstande sein müßte, alle +sechs Feldstücke auf einmal abzubrennen, und zwar mit ebensovieler +Leichtigkeit, als ob's nur eine wäre. + +Sage doch niemand mehr, daß es Zähne und Zacken gebe, woraus man nicht +Winke zur Verbesserung der menschlichen Wissenschaften entlehnen +könne! -- Sage kein Mensch ferner, aus was für Art Körpern eine Fackel +zur vollkommenen Aufklärung der Künste und Wissenschaften gemacht, +oder nicht gemacht werden kann. -- Himmel! du weißt, wie sehr ich sie +liebhabe. Du kennst die Geheimnisse meines Herzens, und daß ich diesen +Augenblick mein Hemd hingäbe. -- Du bist nicht klug, Shandy, sagte +Eugenius, denn du hast nur ein Dutzend in deinem Vermögen, und da +bliebe es ja nicht mehr voll. -- + +Wenn auch, Eugenius, das Hemde vom Leibe gäbe ich hin und ließe Zunder +für ein Feuerzeug daraus brennen, wäre es nur nütze, einen hitzigen +Forscher bei der Untersuchung zu unterstützen, der untersuchen will, +wie viele Funken auf einen guten Schlag ein guter Stahl und Stein in +die Zunderpfanne schlagen könne. -- Glauben Sie nicht, daß er, indem er +diese hineinschlüge -- er gar wohl etwas herausbringen könnte? + +Doch dies Projekt bei Gelegenheit. + +Der Korporal saß den größten Teil der Nacht darüber, dieses zustande zu +bringen. Und nachdem er eine hinlängliche Probe mit seinem Geschütze +angestellt, da er's mit Tabak bis an die Mündung voll geladen hatte, +ging er vergnügt zu Bette. + + [Illustration] + + + + + Siebenundneunzigstes Kapitel. + + +Der Korporal hatte sich ungefähr zehn Minuten vor meinem Onkel Toby +hinausgeschlichen, um seine Anstalten in Ordnung zu bringen und dem +Feinde nur eine oder zwei Salven zu geben, ehe mein Onkel Toby käme. + +Zu diesem Ende hatte er die sechs Feldstücke zusammen, dicht +beieinander, bei meines Onkels Toby Schilderhause in Fronte gestellt, +und nur etliche Fuß Platz zwischen den dreien rechter Hand und den +dreien linker Hand gelassen, um Raum zum Laden usw. zu behalten und +vielleicht auch, wer weiß, um zwei Batterien zu haben, die ihm nach +seinen Gedanken doppelt soviel Ehre brachten als eine. + +Hinter der Linie, dieser Öffnung gegenüber, den Rücken nach der Türe +des Schilderhauses gekehrt, aus Furcht, überflügelt zu werden, hatte +der Korporal sehr weislich seinen Posten genommen. -- Er hielt die +Röhre mit Elfenbein, zur Batterie rechter Hand gehörend, zwischen +Finger und Daumen seiner Rechten und die Röhre aus mit Silber +belegtem Ebenholze, zur Batterie linker Hand gehörend, zwischen +Daumen und Finger der anderen. Mit seinem rechten Knie fest auf den +Boden gestemmt, als ob er im ersten Gliede im Anschlage läge, schoß +der Korporal mit seiner Reitmütze auf dem Kopfe mit seinen beiden +Kreuzbatterien zugleich gar gewaltig auf die Kontergarde, welche die +Konterskarpe deckte, wo diesen Morgen die Attacke geschehen sollte. +Sein erster Vorsatz war, wie gesagt, nichts weiter, als einen Puff oder +ein paar zu geben. Aber das Vergnügen, sowohl über die Püffe als am +Puffen hatte sich unbemerkt des Korporals bemächtigt und ihn von Puff +zu Puff bis zur vollen Attacke geführt, gegen die Zeit, als mein Onkel +Toby zu ihm stieß. + +Ein Glück war es für meinen Vater, daß mein Onkel Toby nicht ebenden +Tag sein Testament machte. + + [Illustration] + + + + + Achtundneunzigstes Kapitel. + + +Mein Onkel Toby nahm das Pfeifenröhrchen mit Elfenbein aus der Hand des +Korporals, besah es eine halbe Minute und gab's ihm wieder. + +In weniger als zwei Minuten nahm mein Onkel Toby das Rohr wieder vom +Korporal und führte es den halben Weg zum Munde. Dann gab er's zum +zweiten Male hastig zurück. + +Der Korporal verdoppelte den Angriff. Mein Onkel Toby lächelte, sah +wieder ernsthaft aus, lächelte wieder einen Augenblick. Dann sah er +wieder lange Zeit ernsthaft zu. -- »Geb' Er mir das Röhrchen mit +Elfenbein, Trim,« sagte mein Onkel Toby. Mein Onkel Toby brachte es +bis an die Lippen, zog es gleich wieder zurück, sah ein wenig umher +über die Buschhecken. In seinem Leben hatte meinem Onkel Toby nicht so +der Mund nach einer Pfeife gewässert. -- Mein Onkel Toby begab sich mit +der Pfeife in der Hand in sein Schilderhaus. -- + +Liebster Onkel Toby! O gehen Sie doch nicht mit der Pfeife ins +Schilderhaus, ich bitte! Wie ist einem Menschen mit solch einem Dinge +in einem solchen Winkel zu trauen! + + [Illustration] + + + + + Neunundneunzigstes Kapitel. + + +Ich bitte, der Leser wolle mir beistehen, meines Onkels Toby grobes +Geschütz hinter die Szene abzufahren, sein Schilderhaus abzubrechen und +das Theater womöglich von den Hornwerken und Halbmonden zu räumen und +das übrige Kriegsgeräte aus dem Wege zu schaffen. Wenn das geschehen +ist, mein lieber Freund Garrick, wollen wir die Lichter sauber putzen, +das Theater mit einem neuen Besen fegen, den Vorhang aufziehen und +meinen Onkel Toby in einem neuen Charakter auftreten lassen, in welchem +die Welt keine Idee haben kann, wie er agieren wird. Und dennoch, wenn +Mitleiden mit der Liebe verschwistert ist und Tapferkeit mit ihr in +keiner Feindschaft lebt, so haben Sie in diesen Stücken schon genug +von meinem Onkel Toby gesehen, um diese Familienähnlichkeit unter +den beiden Leidenschaften -- wo nur eine da ist -- nach Herzenslust +auszuspähen. + +Eitle Wissenschaft! Du kommst uns in keinem Falle dieser Art zustatten. +Und in jedem anderen läßt du uns stecken. + +Bei meinem Onkel Toby, Madame, befand sich eine so edle Einfalt des +Herzens, welche ihn so weit von den krummen Wegen, auf welchen die +Dinge dieser Art gemeiniglich zu wandern pflegen, ableitete, daß Sie +-- daß Sie es sich nicht vorstellen können. Dabei fand sich ferner +eine solche arglose treuherzige Art zu denken und eine solche von +allem Mißtrauen entfernte Unwissenheit in der Kenntnis der mancherlei +Falten des weiblichen Herzens. Und so nackend und wehrlos stand er da +vor Ihnen, wenn er nicht eben mit einer Belagerung beschäftigt war, +daß Sie hinter dem ersten besten von Ihren krummen Wegen hätten stehen +und meinen Onkel Toby zehnmal an einem Tage durch und durch schießen +können, wenn Sie mit neunmal an einem Tage noch nicht genug gehabt +hätten, Madame. + +Neben alle diesem, Madame, und was auf der anderen Seite wieder +ebensoviel verdarb, hatte mein Onkel Toby diese unvergleichbare +Züchtigkeit der Natur, von der ich Ihnen schon erzählt habe, und +welche, beiläufig gesagt, beständig bei seinen Empfindungen Schildwache +stand, daß Sie ebensoleicht hätten -- aber wo gerate ich hin? Diese +Betrachtungen strömen mir wenigstens zehn Seiten zu früh zu und nehmen +die Zeit weg, die ich auf Fakta verwenden sollte. + + [Illustration] + + + + + Hundertstes Kapitel. + + +Unter den wenigen echten Söhnen Adams, deren Brust niemals den +Pfeil der Liebe empfunden haben -- als ausgemacht angenommen, daß +alle Weiberhasser unechte Kinder sind --, haben die größten Helden +der älteren und neueren Geschichte schon neun Zehntel von der Ehre +dahin. Um dieser Helden wollte ich, daß ich den Schlüssel zu meiner +Schreibstube wieder aus dem Ziehbrunnen herauf hatte. Nur auf fünf +Minuten, um ihre Namen anführen zu können. Aus dem Kopfe weiß ich sie +nicht. Je nun! begnügen Sie sich für jetzt statt ihrer, mit diesen: + +Da war der große König Aldrovandus, und Bosphorus, und Capadocius, und +Dardanus, und Pontus und Asius -- nicht zu gedenken des stahlherzigen +Karls +XII.+, mit dem selbst die Gräfin K... nichts anfangen +kannte. -- Da waren Babilonicus, und Mediterraneus, und Polixenes, und +Persicus, und Prusicus, wovon nicht einer -- ausgenommen Capadocius +und Pontus, weiche beide ein wenig verdächtig waren -- seine Brust +der Göttin zuneigte. -- Denn, die Wahrheit zu sagen, sie hatten alle +miteinander wohl sonst etwas zu tun. Und so war's mit meinem Onkel +Toby, bis das Schicksal, bis die Göttin des Schicksals, sage ich, +welche ihm den Ruhm beneidete, daß sein Name mit Aldrovandus und den +übrigen auf die Nachkommenschaft kommen sollte, hämischerweise den +Utrechter Frieden ausheckte. + +Glauben Sie mir, mein Herr, das war in dem Jahre ihre heimtückischste +Tat. + + [Illustration] + + + + + Hunderterstes Kapitel. + + +Unter den manchen üblen Folgen des Utrechter Traktates war auch +diese, daß nicht viel fehlte, so hätte mein Onkel Toby einen Ekel an +den Belagerungen bekommen. Und ob er gleich seine Belagerungslust +nachher wieder bekam, so ließ doch selbst Calais keine tiefere Narbe +in dem Herzen der Königin Marie, als Utrecht im Herzen meines Onkels +Toby. Bis an sein seliges Ende konnte er Utrecht niemals gelassen +nennen hören, nicht einmal einen Artikel lesen, der aus der Utrechter +Zeitung genommen war, ohne einen Seufzer zu holen, als ob ihm das Herz +zerspringen wollte. + +Mein Vater, der ein großer Ursachenkrämer war und folglich eine +gefährliche Person für einen Mann, der in seiner Gegenwart lachte oder +weinte -- denn gemeiniglich wußte er die Ursache, warum Sie beides +täten, weit besser wie Sie selbst --, suchte beständig meinen Onkel +Toby bei solchen Gelegenheiten zu trösten -- auf eine Art zwar, welche +deutlich verriet, er bilde sich ein, meinem Onkel Toby ginge bei der +ganzen Sache nichts so sehr zu Herzen als sein liebes Steckenpferd. +»Laß nur gut sein, Bruder Toby,« pflegte er zu sagen, »wenn es Gottes +Wille ist, werden wir bald wieder neuen Krieg haben. Und wenn der +losgeht, wenn sich die kriegführenden Mächte auch aufhingen, können sie +uns doch nicht aus dem Spiele lassen. Ich will doch einmal sehen, mein +lieber Toby,« pflegte er hinzuzusetzen, »ob sie Länder nehmen können +ohne Städte, oder Städte ohne Belagerungen.« + +Mein Onkel Toby konnte diesen Rückenhieb nach seinem Steckenpferde +niemals freundlich hinnehmen. -- Er hielt den Hieb für ungroßmütig. Und +zwar um so mehr, da er nicht auf das Pferd treffen konnte, ohne den +Reiter mit zu treffen, und zwar auf den schimpflichsten Fleck an seinem +Leichname, wohin ein Hieb fallen kann. Sonach legte er bei diesen +Gelegenheiten allemal die Pfeife mit mehr Feuer als gewöhnlich auf den +Tisch, um sich zu verteidigen. + +Heute vor zwei Jahren sagte ich dem Leser, daß mein Onkel Toby nicht +beredt gewesen -- und gab auf dieser Seite hier ein Beispiel vom +Gegenteil. -- Ich wiederhole die Bemerkung und bringe ein Faktum bei, +welches ihr abermals widerspricht. Er war nicht beredt. Es fiel meinem +Onkel Toby schwer, lange Reden zu halten, und die geblümelten haßte +er. Es gab aber Gelegenheiten, da der Strom den Mann mit fortriß und +dergestalt gegen seinen gewöhnlichen Lauf anstürzte, daß mein Onkel +Toby auf eine Zeitlang in einigen Stücken dem Tertullus gleichkam, ihn +in anderen aber, nach meiner Meinung, unendlich weit übertraf. + +Mein Vater fand an einer von diesen Schutzreden meines Onkels +Toby, die er eines Abends vor ihm und Yorick gehalten hatte, ein so +außerordentliches Gefallen, daß er sie aufschrieb, ehe er zu Bette +ging. + + [Illustration] + + + + + Hundertzweites Kapitel. + + +Ich erzählte dem christlichen Leser. -- Ich sage christlichen, weil ich +hoffe, daß er das ist. Wenn er's nicht ist, so tut mir's seinetwegen +leid -- und ich bitte ihn nur, der Sache reiflich nachzudenken und +nicht die Schuld so ganz auf dieses Buch zu schieben. + +Ich erzählte ihm, mein Herr, denn bei meiner Treue, wenn ein Mensch +seine Historie auf eine so seltsame Art erzählt wie ich die meinige, +so muß er wohl alle Augenblicke zurück- oder vorwärtsgehen, um in +des Lesers Gedächtnis hübsch alles beieinander zu behalten. Ich +meinerseits, wenn ich's jetzt nicht noch mehr und fleißiger täte als +vorher, so tut sich so vielerlei schwankende zweideutige Materie mit +so vielen Lücken und Brüchen hervor. Und die Sterne, welche ich in +einigen der dunkelsten Gänge aufhänge, leisten so wenig Dienste, weil +ich weiß, daß sich die Welt bei allem Lichte, das ihr die Sonne Selbst +am hellsten Mittage gibt, so leicht verirren kann, daß -- und nun, da, +sehen Sie, habe ich mich selbst verirrt! + +Aber es ist meines Vaters Schuld. Und wenn einst mein Gehirn anatomiert +wird, so werden Sie ohne Brille sehen können, daß er einen groben, +unebenen Faden hat mit durchschleichen lassen, wie man zuweilen in +einem ausgeschossenen Stück Leinwand die ganze Webe hindurchlaufen +sieht und fühlt, wenn man auch nur einen -- da hängen schon wieder ein +paar Lichtlein! -- oder eine Aderlaßbinde oder einen Däumling daraus +schneiden will. -- + ++Quanto id diligentias in liberis Procreandis cavendum+, sagt +Cardan, welcher alles wohl überlegt; da Sie sehen, daß es mir +moralischerweise unmöglich ist, dieses wieder herum- und dahin zu +winden, wo ich anfing, es herauszuziehen, so will ich das Kapitel +lieber noch einmal anfangen. + + [Illustration] + + + + + Hundertdrittes Kapitel. + + +Ich erzählte dem christlichen Leser im Anfange des Kapitels, welches +vor meines Onkels Toby Schutzrede vorhergeht -- obgleich in einem +anderen Gleichnisse, als das ist, dessen ich mich jetzt bedienen +werde --, daß der Utrechter Frieden auf ein Haar breit eine ebenso +große Entfremdung zwischen meinem Onkel Toby und seinem Steckenpferde +hervorgebracht hätte, wie er unter der Königin und den übrigen +verbundenen Mächten veranlaßte. + +Es gibt eine verächtliche Art, mit der ein Mann zuweilen von seinem +Pferde absitzt, die etwa sagt: »Lieber wollte ich all mein Lebelang zu +Fuße gehen, Bestie, als mein Bein wieder über deinen Rücken bringen!« +-- Nun konnte man von meinem Onkel Toby nicht sagen, daß er auf diese +Art abgesessen sei. Gewissermaßen und nach dem strengen Sprachgebrauche +konnte man gar nicht einmal sagen, er sei abgesessen, sondern hätte +richtiger sagen müssen, er sei vom Pferde abgesetzt, und ein wenig +tückischerweise; das machte, daß mein Onkel Toby es noch zehnmal übler +nahm. Aber laß die Staatsroßkämme das unter sich abtun, wie sie wollen. + +Es brachte, sage ich, eine Art von Entfremdung zwischen meinem Onkel +Toby und seinem Steckenpferde hervor. -- Vom Monat März bis November, +den Sommer, nachdem der Friede geschlossen worden, brauchte er's fast +gar nicht, außer wenn er etwa einmal einen ganz kurzen Ritt tat, um +eben nur zuzusehen, ob der Hafen und die Werke von Dünkirchen versenkt +und geschleift wären, wie die Zeitungen berichtet hatten. + +Die Franzosen ließen es den ganzen Sommer bei dieser Sache so langsam +angehen. Monsieur Tugghe, der Deputierte des Dünkirchener Magistrats, +übergab der Königin so manche rührende Bittschrift, worin er Ihre +Majestät anflehte, doch ihre Donnerkeile auf die anderen Werke fallen +zu lassen, die sich ihre Ungnade könnten zugezogen haben, -- und um +Schonung -- um Schonung des Befestigungswerkes, das in seiner nackten +Lage nichts weiter sein könnte als ein Gegenstand des Mitleidens. Und +die Königin, welche -- als ein Frauenzimmer -- erbittlichen Herzens +war -- und ihre Minister gleichfalls --, konnte es nicht übers Herz +bringen, daß die Stadt so entblößt würde, aus der besonderen Ursache -- + + * * * * * + +-- -- so daß es also im ganzen meinem Onkel Toby sehr sauer gemacht +wurde. Um so mehr, da drei volle Monate noch darüber hingingen, +in denen er und der Korporal die Stadt aufgebaut und in gehörigen +Stand gesetzt hatten, um sie schleifen zu können, ehe es ihm die +verschiedenen Kommandanten, Kommissarien, Deputierte, Negotiateurs und +Intendanten erlaubten, sich daran zu machen. -- Schlimmer, schlimmer +Zwischenraum der Untätigkeit. + +Der Korporal war dafür, die Schleifung damit anzufangen, daß sie eine +Bresche in den Wall oder die Hauptfestung der Stadt machten. -- »Nein, +Korporal, das geht nicht,« sagte mein Onkel Toby, »denn wenn wir so +mit der Stadt zu Werke gehen, so wird die englische Garnison keinen +Augenblick darin sicher sein. Denn wenn die Franzosen falsch sind --« +-- »Sie sind so falsch, mit Euer Gnaden Erlaubnis, so falsch wie +der Satan,« sagte der Korporal. -- »Das tut mir allemal leid, wenn +ich's höre, Trim,« sagte mein Onkel Toby; »denn es fehlt ihnen nicht +an persönlicher Herzhaftigkeit. Und wenn eine Bresche in dem Walle +ist, können sie dadurch hineindringen und sich zum Herrn des Ortes +machen, wenn sie nur wollen.« -- »Laß sie einmal hineindringen,« +sagte der Korporal, und hob seinen Pionierspaten mit beiden Händen +in die Höhe, als ob er um sich hauen wollte. »Laß sie hineindringen, +Euer Gnaden, sage ich, wenn sie's sich unterstehen.« -- »In Fällen +wie dieser, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, wobei er die Hand bis +auf die Mitte seines Stockes hinunterrutschen ließ und ihn darauf als +einen Kommandostab mit ausgestrecktem Zeigefinger faßte, »muß sich +der Kommandant nicht darum bekümmern, was sich der Feind unterstehen +oder nicht unterstehen möchte: er muß auf seiner Hut sein. Wir wollen +mit den Außenwerken anfangen, sowohl nach der See- als Landseite. +Fort Louis soll das erste sein, das ist am weitesten entlegen und +soll zuerst demoliert werden. Dann die übrigen, alle eins nach dem +anderen, wie sie liegen, links und rechts, wie wir uns nach der Stadt +zurückziehen. Dann wollen wir die Dudane abtragen, hernach den Hafen +versenken, uns in die Zitadelle ziehen, sie in die Luft sprengen, und +wenn wir das getan haben, Korporal, dann zu Schiffe und nach England.« +-- »Da sind wir,« sagte der Korporal, der zur Besinnung kam. -- »Es ist +ja wahr,« sagte mein Onkel Toby und sah nach der Kirche. + + [Illustration] + + + + + Hundertviertes Kapitel. + + +Ein Kriegsrat oder ein paar von dieser entzückenden täuschenden +Gattung, gepflogen zwischen meinem Onkel Toby und Trim, über die +Schleifung von Dünkirchen, brachten auf einen Augenblick die Ideen von +den Vergnügungen wieder in Reih und Glieder, welche gar davonwischen +wollten. -- Aber es ging damit nur schlaff her. Der Zauber schwächte +das Gemüt nur mehr. Die Göttin des Schlafes kam mit ihrem stummen +Gefolge ins einsame Wohnzimmer geschlichen und hüllte meines Onkels +Toby Kopf in ihren flornen Mantel. Und die Verdrossenheit mit ihren +schlaffen Fiebern und unbestimmtem Auge setzte sich ruhig bei ihm in +seinen Lehnstuhl hin. Amberg und Rheinburg, und Limburg und Huy, und +Bonn jagten nicht mehr dies Jahr -- und die Prospekte von Landen und +Trarbach, und Drusen und Dendermonde nicht im anderen Jahre das Blut +herum. Die Sappen, Minen, Schirme, Schanzkörbe und Palisaden wehrten +diesen schönen Feind der Ruhe des Menschen nicht länger ab. Nicht +mehr konnte mein Onkel Toby, wenn er bei seinem gekochten Ei zum +Abendessen die französischen Linien passierte, tiefer hinein ins Herz +von Frankreich dringen, über die Oyes setzen, die ganze Pikardie offen +hinter sich liegen lassen, bis vor die Tore von Paris marschieren und +mit lauter Bildern von Ehre und Ruhm einschlafen. Nicht mehr sollte es +ihm träumen, er habe das britische Panier auf den Turm der Bastille +gepflanzt, und erwachen, da es ihm noch im Kopfe flatterte. + +Liebreichere Erscheinungen, sanftere Regungen stahlen sich unvermerkt +in seinen Schlummer, -- die Drommete des Krieges entfiel seiner Hand. +Er ergriff dafür die Laute, das liebliche Instrument! Unter allen +anderen das delikateste, das schwerste! -- Wie wirst du sie spielen, +liebster Onkel Toby! + + [Illustration] + + + + + Hundertfünftes Kapitel. + + +Freilich habe ich's ein- oder ein paarmal nach meiner unbedachtsamen +Weise ausgeplaudert; ich verließ mich darauf, daß die folgenden +Nachrichten von den Liebesbegebenheiten meines Onkels Toby und der +Witwe Wadmann, sobald ich nur Zeit gewinne sie zu schreiben, eins +der vollständigsten Systeme -- sowohl nach den elementarischen als +praktischen Teilen der Liebe -- enthalten würden, die nur jemals +der Welt vorgelegt worden; aber müssen Sie sich deswegen nun gleich +einbilden, ich werde mit einer Beschreibung des Amor anfangen? -- Ob er +halb Gott ist und halb Teufel, wie Plotinus behauptet. + +Oder nach einer kritischeren Gleichung, die das Ganze der Liebe durch +zehn Einheiten ausdrückt, mit dem Ficinus zu bestimmen, wie viele von +diesen Einheiten zum ersten und wie viele zum zweiten gehören. -- Oder +ob Amor über und über, vom Kopfe bis zum Schwanze, ein großer Teufel +ist, wie Plato sich unterstanden hat zu entscheiden. Über welchen +platonischen Einfall ich meine Meinung nicht sagen mag. Aber meine +Meinung vom Plato ist diese, daß er in diesem Beispiel sich als ein +Mann zeigt, der sehr viel Ähnliches in seiner Gemütsart und Philosophie +mit dem Doktor Baynyard hatte. Welcher Baynyard ein großer Feind von +spanischen Fliegen war und sich einbildete, ein halbes Dutzend, auf +einmal gelegt, würde einen Menschen ebensosicher dem Grabe zuführen, +wie ein mit sechsen bespannter Leichenwagen, und daher den übereilten +Schluß machte: der Teufel selbst sei in der Welt nichts anderes als +eine große spanische Brummfliege. + +Das sind solche Untersuchungen, womit mein Vater, der sich einen +großen Vorrat von dergleichen Wissenschaft aufgestapelt hatte, in dem +Fortgange des Liebeshandels meines Onkels Toby sehr geschäftig sein +wird. Soviel muß ich voraussagen, daß er von seiner Theorie der Liebe +-- womit er, beiläufig gesagt, es so zu machen wußte, daß er meines +Onkels Toby Gemüt ebensosehr damit kreuzigte als Amors selbst -- nur +einen Ausfall in die Praxis tat, und vermittels eines in Kampfer +getränkten Wachstuches, das er Mittel fand, dem Schneider für Zwillich +aufzuhängen, als er eben meinem Onkel Toby ein Paar neue Beinkleider +machte, brachte er bei meinem Onkel Toby ebendie Wirkung wie Gordonius, +und ohne den bösen Geruch, hervor. + +Was dies für Veränderungen hervorbrachte, wird man gehörigen Ortes +lesen. Alles, was nötig ist, der Anekdote hinzugesetzt zu werden, ist +dieses: Was es auch für Wirkung auf meinen Onkel Toby haben mochte, es +hatte eine häßliche Wirkung auf das Haus. -- Und hätte es mein Onkel +nicht, so wie er tat, ganz gelassen niedergeschmaucht, es hätte auch +auf meinen Vater eine häßliche Wirkung tun können. + + [Illustration] + + + + + Hundertsechstes Kapitel. + + +Es wird sich bei Gelegenheit schon von selbst finden. -- Alles, was +ich hier verfechte, ist, daß ich nicht notwendig mit einer Definition +der Liebe anfangen muß. Und solange ich meine Historie wegerzählen und +sie mit dem Worte selbst verständlich sein kann, ohne einen anderen +Begriff damit zu verknüpfen, als den ich mit allen Leuten gemein habe, +warum sollte ich einen Augenblick vor der Zeit davon abgehen? -- Kann +ich erst nicht mehr weiter und sehe ich mich von allen Seiten in diesem +mystischen Labyrinth verwickelt, so wird meine Meinung von selbst dazu +kommen und mich herausführen. + +Für jetzt, hoffe ich, wird man mich hinlänglich verstehen, wenn ich +dem Leser sage: mein Onkel Toby ward verliebt. + +Ich kann nicht sagen, daß mir die Redensart gefiele; gar nicht! Denn +wenn man sagt, ein Mann ist verliebt, oder er ist heftig verliebt, +oder gar er ist rasend verliebt, oder noch ärger, er ist mit Haut +und Haar verliebt --, so wollen diese unter den Leuten gang und +gäben Redensarten allemal soviel mit andeuten, daß der Zustand eines +Menschen, welcher liebt, unnatürlich und gefährlich sei. -- Das heißt +der Meinung des Plato Anhänger machen, welche ich bei aller seiner +Göttlichkeit für verdammlich und ketzerisch halte. Doch genug davon. + +Lieben und Verliebtsein mag also sein, was es will: mein Onkel ward +verliebt. + +Und vermutlich, gütiger Leser, bei einer solchen Untersuchung würdest +du es selbst. Denn nie sahen deine Augen oder begehrten deine Begierden +auf dieser weiten Welt ein Ding, das begehrenswürdiger gewesen wäre als +die Witwe Wadmann. + + [Illustration] + + + + + Hundertsiebentes Kapitel. + + +Um es recht zu fassen, fordern Sie Tinte und Feder. Hier ist reines +Papier für Sie. -- Setzen Sie sich, Herr, malen Sie sich eine Witwe +Wadmann, wie's Ihnen gelüstet. Ihrer Geliebten so ähnlich, wie Sie +können. Ihrer Frau so unähnlich, wie Ihnen Ihr Gewissen erlauben will. +Mir ist's gleich; machen Sie sich's nur selbst zu Danke. + +Ist in der ganzen Schöpfung noch etwas so Liebreizendes -- etwas so +Vollkommenes anzutreffen! + +Nun, lieber Herr, war es wohl ein Wunder, daß mein Onkel Toby nicht +widerstehen konnte? + +O dreimal glückseliges Buch! Du hast doch wenigstens eine Seite in +deinem Bande, welche die Bosheit nicht anschwärzen und die Dummheit +nicht mißdeuten kann. + + [Illustration] + + + + + Hundertachtes Kapitel. + + +Da Susanna durch einen Expressen von Jungfer Brigitte Nachricht +erhielt, daß mein Onkel Toby in ihre Herrschaft verliebt sei, schon +fünfzehn Tage vorher, ehe sich's zutrug, und Susanna das Wesentliche +dieser expressen Nachricht den folgenden Tag gleich meiner Mutter +mitteilte, so hat mir das Gelegenheit gegeben, gerade vierzehn Tage +früher von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten zu schreiben, als +er sie wirklich hatte. + +»Ich habe dir was Neues zu sagen, lieber Walther,« sagte meine Mutter, +»das dich sehr erstaunen wird.« + +Bitte zu merken, daß mein Vater eben die Beschwerlichkeiten des +Ehestandes überdachte, als meine Mutter das Stillschweigen brach. + +»Bruder Toby,« sagte sie, »ist mit Frau Wadmann versprochen.« + +»Nun, so soll er in seinem Leben nicht wieder diagonal im Bette liegen, +da stehe ich ihm für,« sagte mein Vater. + +Meinem Vater war es ein herznagender Verdruß, daß meine Mutter ihn +niemals fragte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand. + +Daß sie kein gelehrtes Frauenzimmer ist, pflegte mein Vater zu sagen, +das ist ihr Unglück und nicht ihre Schuld. Aber fragen könnte sie doch. + +Meine Mutter tat das niemals. Kurz, sie ging am Ende aus der Welt, ohne +zu wissen, ob sie sich rund drehte, ob sie stillstände. Mein Vater +hatte es ihr ganz dienstfertigerweise wohl tausendmal gesagt, wie es +damit wäre. Aber sie konnte es gar nicht behalten. + +Aus dieser Ursache ging ein Gespräch unter ihnen selten weiter, als +Proposition, Replik und Duplik. Wenn die vorbei, holte er gewöhnlich +auf ein paar Minuten Atem und schlenderte dann weiter. + +»Wenn er sich verheiratet,« sagte meine Mutter, »so verlieren wir doch +immer dabei.« + +»Nicht einen Kirschkern,« sagte mein Vater. »Er mag das seinige +ebensolieb auf diese Art als auf eine andere verschießen.« + +»Es ist wohl wahr,« sagte meine Mutter. Und hiermit endigten sich +Proposition, Replik und Duplik, wovon ich Ihnen sprach. + +»So hat er doch noch wohl einigen Zeitvertreib,« sagte mein Vater. + +»Sehr angenehmen,« antwortete meine Mutter, »wenn er Kinder bekommen +sollte.« + +»Gott verzeihe mir meine Sünden!« sagte mein Vater bei sich selbst. + + [Illustration] + + + + + Hundertneuntes Kapitel. + + +Mein Onkel Toby und der Korporal waren mit solcher Hitze und Übereilung +aufgebrochen, um von dem Stücke Landes Besitz zu nehmen, von dem +wir so oft gesprochen haben, damit sie ihren Feldzug ebenso früh +eröffnen könnten als die übrigen Alliierten, daß sie darüber einen der +allerunentbehrlichsten Artikel bei der ganzen Sache vergessen hatten. +Es war weder ein Pionierspaten, noch eine Pickelhacke, noch eine +Schaufel. + +Es war ein Schlafbett. Da Shandy-Hall noch nicht mit Hausgerät +versehen, und das kleine Wirtshaus, in welchem der arme Le Fevers +starb, noch nicht gebaut war, war mein Onkel Toby genötigt, in +Madame Wadmanns Hause auf eine Nacht oder ein paar mit einem +Bette vorliebzunehmen, so lange, bis Korporal Trim -- der zu den +Eigenschaften eines vortrefflichen Bedienten, Stallknechts, Kochs, +Schneiders, Baders und Ingenieurs auch noch die Eigenschaften +eines vortrefflichen Tapezierers hinzufügte -- mit der Hilfe eines +Zimmermanns und eines Schneiders in meines Onkels Toby Hause selbst +eines zustande brachte. + +Eine Tochter Evens, denn das war unsere Witwe Wadmann, und der ganze +Charakter, den ich von ihr zu geben willens bin, ist: + +»~Sie war ein vollkommenes Frauenzimmer.~« + +Sie wäre zehn Meilen weit davon besser daran gewesen -- oder auch in +ihrem warmen Bette -- oder wenn sie mit ihrem Taschenmesser gespielt +hätte -- oder womit sie sonst wollte, anstatt einen Mann zum Gegenstand +ihrer Aufmerksamkeit zu machen, wenn das Haus mit allem ihrem Geräte +ihr eigen ist. + +Wenn ein Frauenzimmer außer dem Hause und bei hellem Tageslichte es in +ihrer Gewalt hat, physikalisch von der Sache zu reden, einen Mann in +mancherlei Lichte zu betrachten, so hat es nichts zu bedeuten. Aber +hier, fange sie es an, wie sie will, kann sie ihn in keinerlei Lichte +sehen, oder es klebt ihm beständig etwas an, das zu ihrer eigenen +Fahr und Habe gehört, bis sie ihn endlich so lange und oft in dieser +Verbindung erblickt, daß er selbst ein Artikel in diesem Inventario +wird. + +Und dann, gute Nacht! + +Doch das gehört nicht zum System; denn das habe ich schon oben +vorgelegt. Auch nicht zum Katechismus. Denn ich lege für niemand ein +Glaubensbekenntnis ab als für mich selbst. Es ist auch keine Tatsache, +wenigstens nicht, soviel ich wüßte, sondern die Sache ist kopulativisch +und soll die folgende einleiten. + + [Illustration] + + + + + Hundertzehntes Kapitel. + + +Ich sage es nicht in Ansehung ihrer verschiedenen Feinheit oder +Weise, noch in Ansehung der Stärke ihrer Windlaschen. Aber sagen Sie +selbst, sind nicht die Nachthemden von den Taghemden in diesem Stücke +ebensosehr verschieden wie in jedem andern in der Welt, daß sie diese +so weit in der Länge übertreffen, daß, wenn Sie sich darin niedergelegt +haben, solche ebensoweit über die Füße reichen, als die Füße aus den +Taghemden hervorstehen? + +Der Witwe Wadmanns Nachthemden -- ich glaube es war unter der Regierung +des Königs Wilhelm und der Königin Anna so die Mode -- waren wenigstens +solchergestalt zugeschnitten. Und wenn die Mode abgekommen ist -- denn +in Italien sind sie ganz verschwunden --, desto schlimmer für das +Publikum. Sie waren zweieinhalb Brabanter Ellen lang; wenn man also auf +ein mäßiges Frauenzimmer zwei Ellen rechnet, so hatte sie eine halbe +Elle übrig, womit sie machen konnte, was sie wollte. + +Nun war es von einer kleinen Pflege zur andern, woran sie sich in den +schaurigen Winternächten während ihres siebenjährigen Witwenstandes +gewöhnt hatte, unvermerkt dahin gediehen und zu einer von den Regeln +der Schlafkammer geworden, daß, sobald Madame Wadmann zu Bette gebracht +worden und ihre Füße völlig ausgestreckt hatte, wovon sie der Brigitte +allemal ein Zeichen gab, Brigitte mit allem gehörigen Dekorum, nachdem +sie erst die Bettlaken zu den Füßen auseinandergeschlagen, die halbe +Elle Leinwand, von der wir hier sprechen, faßte, solche behende und +mit beiden Händen stramm herunterzog, nach der Länge in vier oder fünf +ebene Falten legte, eine große Stecknadel von ihrem Ärmel nahm und +damit, die Spitze nach sich gekehrt, diese Falten ein wenig über dem +Saume alle fest zusammensteckte. Wenn das geschehen, deckte sie zu den +Füßen alles wieder hübsch warm zu und wünschte ihrer Madame eine gute +Nacht. + +Dies war ein beständiger Gebrauch und litt keine Abänderung als diese: +daß bei frostigen und stürmischen Nächten, wenn Brigitte das Bette zu +den Füßen öffnete usw., um diese ihre Pflicht zu verrichten, sie kein +anderes Thermometer als ihr eigenes Gefühl zu Rate zog. So verrichtete +sie es stehend, kniend oder kauernd, je nach den verschiedenen Graden +ihres Glaubens, ihrer Liebe oder Hoffnung, in denen sie sich ebenden +Abend gegen ihre Herrschaft befand. In jedem anderen Betracht war die +Etikette unverbrüchlich und konnte mit der allermechanischsten von +jeder Kammer im ganzen Christentume um den Vorzug streiten. + +Den ersten Abend, sobald der Korporal meinen Onkel Toby nach seiner +Schlafkammer hinaufgebracht hatte, was um zehn Uhr war, warf sich +Madame Wadmann in ihren Lehnstuhl, schlug ihr rechtes Bein über das +linke, wodurch sie einen Ruheplatz für ihren Ellenbogen machte, legte +ihren Kopf in ihre Hand, und so gestützt saß sie bis Mitternacht und +dachte der Sache, für und gegen dieselbe, nach. + +Den zweiten Abend ging sie vor ihr Schreibpult, und nachdem sie +Brigitten befohlen, ein paar frische Lichter zu bringen und auf den +Tisch zu legen, suchte sie ihren Ehekontrakt hervor und las ihn sehr +andächtig durch. Und den dritten Abend -- der der letzte von meines +Onkels Toby Bleiben war --, als Brigitte das Nachthemde niedergezogen +hatte und dabei war, die Nadel einzustecken, stieß sie mit einem Stoße +mit beiden Fersen zugleich ihr die Stecknadel aus der Hand. Nieder +fiel auch die Etikette und zertrümmerte in tausend Sonnenstäubchen. + +Aus welchem allen es dann ganz deutlich erhellte, daß die Witwe Wadmann +in meinen Onkel Toby verliebt war. + + [Illustration] + + + + + Hundertelftes Kapitel. + + +Mein Onkel Toby hatte damals seinen Kopf mit anderen Dingen angefüllt, +so daß er erst nach der Schleifung von Dünkirchen, als alle anderen +Höflichkeiten von Europa abgemacht worden, Muße fand, diese zu +erwidern. + +Dieses machte einen Waffenstillstand -- das heißt in Ansehung meines +Onkels Toby, auf seiten der Witwe Wadmann aber eine Vakanz -- von fast +elf Jahren. Da aber in allen Fällen dieser Art es der zweite Schlag +ist, er geschehe, so spät er wolle, der die Kriegshändel befestigt, so +ist es dieser Ursache wegen, daß ich es lieber die Liebeshändel meines +Onkels Toby mit Madame Wadmann, als die Liebeshändel der Madame Wadmann +mit meinem Onkel Toby nenne. + +Dies ist keine Distinktion, weil kein Unterschied vorhanden ist. + +Es ist nicht wie die Geschichte des alten aufgekrempten Hutes und des +aufgekrempten alten Hutes, worüber Euer Hochwürden sich so oft einander +in den Haaren gelegen, sondern hier ist ein Unterschied in der Natur +der Dinge. -- + +Und zwar erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, meine hochzuverehrenden +Herren, ein sehr großer. + + [Illustration] + + + + + Hundertzwölftes Kapitel. + + +Da nun die Witwe Wadmann meinen Onkel Toby liebte, und mein Onkel Toby +die Witwe Wadmann nicht liebte, so war für die Witwe Wadmann nichts +anderes zu tun als fortzufahren, meinen Onkel Toby zu lieben, oder es +bleiben zu lassen. + +Die Witwe Wadmann wollte so wenig das eine wie das andere tun. + +Gütiger Himmel! Aber ich vergesse, daß ich so ein bißchen von ihrer +Gemütsart an mir habe. Denn sooft es sich begibt, wie es wohl zuweilen +geschieht, wenn eben Tag und Nacht gleich sind, daß eine irdische +Göttin bald dies ist, bald das und bald jenes, daß ich ihretwegen mein +Frühstück nicht verzehren kann und sie sich keinen schweren Schilling +darum bekümmert, ob ich mein Frühstück verzehre oder nicht. Verdammt +mit ihr! Und damit schicke ich sie nach der Tartarei, und von der +Tartarei nach Terra del Fuogo und so weiter zu Meister Hämmerling. +Kurz, es gibt keine höllische Nische, da ich nicht Ihro Gottheiten +fasse und hineinpacke. + +Allein, weil das Herz zärtlich ist und es auf diesem Strome der +Leidenschaften zehnmal in einer Minute Ebbe und Flut wird, so bringe +ich sie wieder zurück. Und da ich in allen Dingen bis aufs Äußerste +gehe, versetze ich sie in den Himmel, mitten in die Milchstraße. + +Glänzendstes unter den Gestirnen! O, schütte deinen Einfluß auf ihn, +der -- hole sie der Henker, mitsamt ihrem Einflusse. Denn bei dem Worte +reißt mir alle Geduld aus! Wohl bekomm's ihm! -- + +Bei allem, was rauh und geschlitzt ist, rufe ich, und nehme meine +Pelzmütze ab und lasse meinen Finger rund laufen, keinen Groschen gäbe +ich für ein Dutzend solcher! + +Es ist gleichwohl eine vortreffliche Mütze, sage ich dann wieder -- +indem ich sie auf den Kopf setze und auf die Ohren festdrücke --, und +ist warm und weich, besonders wenn Sie sie mit dem Haare streicheln, +aber leider! So gut wird mir's niemals gehen -- und damit hat denn +meine Philosophie abermals Schiffbruch gelitten --. + +Nein, an die Pastete werde ich wohl keinen Finger bringen -- hier +zerbreche ich meine Metapher --. + +Rinde und Krumen, + +Gefüllsel und Rand, + +Deckel und Boden -- ich verabscheue es, hasse es, verwerfe es -- mir +ekelt schon vom Ansehen. + +Es ist nichts als Pfeffer + Knoblauch + Kaviar + Salz und + + Teufelsdreck -- + +beim großen Erzkoch aller Köche, welcher, denke ich, vom Morgen bis +Abend nichts anderes tut, als daß er beim Feuer sitzt und hitzige +Gerichte für uns aussinnt, ich rühre es nicht an, um die Welt -- + +O, Tristram! Tristram! rief Jenny. + +O, Jenny! Jenny! versetzte ich und fuhr fort mit dem hundertdreizehnten +Kapitel. + + [Illustration] + + + + + Hundertdreizehntes Kapitel. + + +Die Göttinnen des Schicksals, welchen ganz gewiß alles von dieser +Liebesgeschichte der Witwe Wadmann mit meinem Onkel Toby vorher bekannt +war, hatten von der ersten Schöpfung der Materie und Bewegung an -- +und zwar mit mehr Gütigkeit, als sie bei Dingen von dieser Art pflegen +-- einen Strang von Ursachen und Wirkungen gesponnen, die so fest +aneinanderhingen, daß es meinem Onkel Toby kaum möglich gewesen, in +irgendeinem anderen Hause zu wohnen oder einen anderen Garten in der +Christenheit zu besitzen als gerade das Haus und den Garten, die dicht +an der Witwe Wadmanns Haus und Garten lagen. Dieses nebst dem Vorteile +einer dichten Laube in Madame Wadmanns Garten, die in meines Onkels +Toby grüne Hecke hineingepflanzt war, gab ihr alle die Gelegenheiten an +die Hand, deren die Kriegskunst der Liebe bedurfte. Sie konnte meines +Onkels Toby Bewegungen wahrnehmen, und seine Entschlüsse im Kriegsrate +wußte sie gleichfalls alle. Und da sein verdachtloses Herz dem Korporal +durch die Vermittlung der Brigitte Erlaubnis erteilt hatte, ihr ein +kleines Heckenpförtchen zu machen, um desto mehr Raum zum Spazieren +zu gewinnen, sah sie sich dadurch imstande, ihre Approchen bis dicht +an die Türe des Schilderhauses zu führen und zuweilen zur schuldigen +Danksagung eine Attacke zu machen und ihr Bestes zu versuchen, meinen +Onkel mit diesem seinem eigenen Schilderhause in die Luft zu sprengen. + + [Illustration] + + + + + Hundertvierzehntes Kapitel. + + +Es ist Jammer und schade -- aber mir nicht weniger aus meiner täglichen +Beobachtung des Menschen gewiß, daß er wie eine Kerze an beiden Enden +angezündet werden kann. Woferne nur der Docht weit genug hervorsteht. +Ist keiner da und er wird unten angezündet, so, weil in dem Falle die +Flamme gewöhnlich das Unglück hat, sich selbst auszulöschen, geht's +wieder nicht. + +Was mich anbelangt, könnte ich's immer selbst einrichten, von welchem +Ende an ich brennen wollte -- denn ich kann den Gedanken nicht +ausstehen, so viehdumm zu brennen --, so sollte mich eine ehrliche +Hausfrau allemal bei der Spitze anzünden. Denn alsdann könnte ich +hübsch mit Ehren herunterbrennen. Das heißt von meinem Kopfe bis zu +meinem Herzen, von meiner Leber bis zu meinen Eingeweiden, und so den +Weg der mesenterischen Venen und Arterien herunter, durch alle die +Windungen und Seitenschnitte der Intestinen und ihrer Häute, bis zum +blinden Darm. + +»Ich bitte Sie, Herr Doktor Slop,« sagte mein Onkel Toby und fiel ihm +in die Rede, als er in einem Gespräch an dem Abende, da meine Mutter +von mir entbunden ward, des blinden Darms erwähnte. »Ich bitte Sie,« +sagte mein Onkel Toby, »sagen Sie mir doch, welches ist der blinde +Darm? Denn ich versichere Sie, so alt ich bin, weiß ich doch bis diesen +Tag noch nicht, wo er liegt.« + +»Der blinde Darm,« antwortete Doktor Slop, »liegt zwischen dem Illion +und Kolon.« + +»Bei einem Manne?« sagte mein Vater. + +»Es ist genau ebenso bei den Weibern,« versetzte Doktor Slop. + +»Das ist mehr, als ich weiß,« sagte mein Vater. + + [Illustration] + + + + + Hundertfünfzehntes Kapitel. + + +Und so, um mit beiden Systemen gewiß zu gehen, beschloß die Witwe +Wadmann, meinen Onkel Toby weder an dem einen noch anderem Ende +anzuzünden, sondern, wie das Licht eines Verschwenders, womöglich an +beiden Enden zugleich. + +Nun hätte sie sieben ausgeschlagene Jahre hindurch alle militärischen +Polterkammern, beides, der Infanterie und Kavallerie mit +eingeschlossen, vom großen Arsenal in Venedig an bis auf den Tower +in London (exklusive) durchkramen und ihre Brigitte zur Hilfe nehmen +mögen, -- Madame Wadmann hätte doch keine zu ihrem Zweck so dienliche +Blende finden können, als was ihr der Behelf meines Onkels Toby in +seinen Belagerungen ganz bereit in die Hände gab. + +Mich dünkt, ich habe Ihnen noch nicht gesagt -- ich weiß es jedoch +nicht, es kann wohl sein; wie ihm aber sei, es ist eins von den vielen +Dingen, die ein Mann lieber noch einmal tun, als darüber streiten +sollte --, was für eine Stadt oder Festung der Korporal eben während +ihres Feldzuges unter der Arbeit haben mochte, mein Onkel Toby +war allemal besorgt, einen Grundriß des Platzes an der inwendigen +Seite seines Schilderhauses gegen seine linke Hand oben am Rande +mit zwei oder drei Nadeln festzustecken. Unten hing er lose, um ihn +mit Bequemlichkeit näher vors Gesicht zu bringen usw., wie es die +Gelegenheit so mit sich brachte. Dergestalt, daß, wenn Madame Wadmann +eine Attacke beschlossen, sie nichts weiter zu tun nötig hatte, +nachdem sie bis an die Türe des Schilderhauses avanciert war, als +ihre rechte Hand auszustrecken. Und indem sie mit derselben Bewegung +ihren linken Fuß hineinrücken ließ, brauchte sie nur die Karte, den +Grundriß, die Zeichnung oder was es sonst war, zu ergreifen, solchem +mit ausgestrecktem Halse auf halbem Wege zu begegnen und es nach sich +zu ziehen. Wodurch meines Onkels Toby Leidenschaften unfehlbar Feuer +fangen mußten. Denn er faßte beständig den anderen Zipfel der Karte mit +seiner linken Hand und begann, mit dem Ende seiner Tabakspfeife in der +anderen, eine Erklärung. + +Wenn die Attacke bis zu diesem Punkte gediehen war --. Die Welt wird +natürlicherweise die Gründe der folgenden Kriegslist der Madame Wadmann +billigen, welche darin bestand, daß sie, sobald sie nur dazu kommen +konnte, meinem Onkel Toby die Tabakspfeife aus der Hand nahm, was sie +unter diesem oder jenem Vorwande, gewöhnlich aber unter dem, daß sie +eine Redoute oder Brustwehr auf dem Risse deutlicher gezeigt haben +möchte, zu bewerkstelligen wußte, ehe noch mein Onkel Toby -- die gute +Seele! -- ein halbes Dutzend Ruten damit marschiert war. + +Es nötigte meinen Onkel Toby, seinen Zeigefinger zu gebrauchen. Die +Veränderung, die es in der Attacke veranlaßte, war diese: Wenn in dem +ersten Falle Madame Wadmann mit der Spitze ihres Zeigefingers an dem +Ende der Tabakspfeife meines Onkels Toby herumfuhr, da hätte sie auf +den Linien herumreisen mögen von Dan gen Berseba -- hätten meines +Onkels Toby Linien sich so weit erstreckt --, ohne daß es die geringste +Wirkung getan hätte. Denn weil in dem Ende der Tabakspfeife kein Blut +und keine Lebensgeister waren, so konnte es keine Empfindungen erregen. +Es konnte weder durch Pulsation Feuer geben noch durch Sympathie +welches fangen. Es war bloß Schmauch. + +Dahingegen, wenn sie meines Onkels Toby Zeigefinger mit dem ihrigen +folgte, Finger an Finger, durch alle Krümmungen und Spitzen seiner +Werke, ihn zuweilen an der Seite drückte, dann mit ihrem Finger auf +seinen Nagel trat, dann damit über seinen her stolperte, ihn bald hier +tippte, bald da und so fort, setzte das wenigstens etwas in Bewegung. + +Dieses waren zwar nur leichte Scharmützel und fielen in einiger +Entfernung vom Hauptkorps ab, zettelten aber das übrige herbei. +Wenn dann, wie gewöhnlich, die Karte wieder an die Wand des +Schilderhauses herniederfiel, so pflegte mein Onkel Toby mit der +größten Treuherzigkeit seine flache Hand daraufzuhalten, um mit seiner +Erklärung fortzufahren. Madame Wadmann, durch ein Manöver so schnell +wie Gedanken, hielt eben so gewiß ihre Hand dicht bei der seinigen. +Dieses eröffnete auf einmal eine Kommunikation, die weit genug war, +jede Empfindung hin und her passieren zu lassen, wie sie eine Person, +die in dem elementarischen und praktischen Teile der Liebe bewandert +war, sich nicht schöner wünschen konnte. + +Sobald sie ihren Zeigefinger (wie vorher) mit dem Zeigefinger +meines Onkels Toby in eine Parallele brachte, brachte solches ganz +unvermeidlich auch den Daumen ins Feuer -- und der Zeigefinger und +Daumen einmal im Treffen, zogen eben so natürlicherweise die ganze Hand +ins Gemenge. Deine, mein liebster Onkel Toby, war doch nun niemals +auf der rechten Stelle. -- Madame Wadmann mußte sie immer aufheben +oder sie hatte zu tun immer mit dem sanftesten Stoßen, Schieben oder +zweideutigen Drängen und Drücken, die eine den Platz zu verändernde +Hand nur immer leiden mag, ein Haar breit aus dem Wege zu rücken. + +Derweil dieses vorging, wie hätte sie's vergessen können, ihn empfinden +zu lassen, daß es ihr eigenes Bein sei (und sonst keines Menschen), das +ihn unten am Schilderhause sanft an seiner Wade drückte. + +Da also mein Onkel Toby auf diese Weise attackiert und ihm auf beiden +Flügeln hart zugesetzt wurde, war es ein Wunder, wenn solches zuweilen +sein Zentrum in Unordnung brachte? -- + +»Das hole der Henker!« sagte mein Onkel Toby. + + [Illustration] + + + + + Hundertsechzehntes Kapitel. + + +Diese Attacken von Madame Wadmann, wie Sie leicht denken können, waren +von verschiedener Art. So voneinander unterschieden wie die Attacken, +von denen die Geschichte voll ist. Und das aus einerlei Ursachen. Ein +zuschauender General würde ihnen den Namen Attacken kaum geben. -- +Oder täte er's, würde er sie doch alle über einen Kamm scheren. Aber +für solche Herren schreibe ich nicht. Es wird Zeit genug sein, mehr +Genauigkeit in meinen Beschreibungen anzuwenden, wenn ich erst zu ihnen +komme, welches in einigen Kapiteln noch nicht geschehen wird. Zu diesem +habe ich weiter nichts hinzuzusetzen, als daß in meinem Bündel von +Originalpapieren und Zeichnungen, welche mein Vater die Sorgfalt gehabt +hat besonders aufzurollen, sich ein Grundriß von Bouchain befindet, der +noch völlig gut konserviert ist -- und es bleiben soll, solange ich +imstande bin, etwas zu konservieren --, auf dessen unterem Rande an +der rechten Seite noch die Flecken von Finger und Daumen sind, womit +Schnupftabak genommen worden. Und es ist nach allen Gründen von der +Welt zu mutmaßen, daß es Madame Wadmanns Finger waren. Denn die Seite +des Randes gegenüber, welche nach meiner Vermutung die meines Onkels +Toby war, ist ganz und gar rein. + +Dieses scheint ein authentisches Protokoll von einer von diesen +Attacken zu sein. Denn man sieht noch die Spuren von zwei Nadelstichen, +die zwar schon teils wieder zugegangen, aber dennoch an der oberen +Seite der Karte sichtbar und ohne allen Widerspruch die leibhaften +Löcher sind, durch welche sie im Schilderhause angesteckt gewesen ist. + +Bei allem, was priesterlich heißt, ich schätze die kostbare Reliquie +mit ihren Mälern und Löchern höher, als alle übrigen Reliquien +zusammengenommen! -- Allemal ausgenommen, wenn ich über diese Materie +schreibe, sind die Löcher, welche Sankta Radagunda in der Wüste in ihr +Fleisch bekam, welche Ihnen auf Ihrer Reise von Fesse nach Clugny die +Nonnen dieses Namens aus christlicher Milde zeigen werden. + + [Illustration] + + + + + Hundertsiebzehntes Kapitel. + + +»Ich glaube, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Korporal Trim, +»die Fortifikationen sind genug abgetragen, und der Hafen ist nun +ausgefüllt, so hoch, wie auf dem Plan gesagt ist.« -- »Ich denke es +auch,« erwiderte mein Onkel Toby mit einem halb unterdrückten Seufzer. +»Aber gehe Er nach meinem Zimmer, Trim, und hole er die Traktaten, sie +liegen auf dem Tische.« + +»Sie haben da sechs Wochen lang gelegen,« versetzte der Korporal, »bis +heute morgen, da hat die alte Frau Feuer damit angemacht.« + +»Nun,« sagte mein Onkel Toby, »so haben unsere Dienste ein Ende.« -- +»Um so mehr,« sagte Korporal Trim, »ist's, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, +Jammer und schade.« Mit diesen Worten warf er seinen Spaten in den +Schiebkarren, der bei ihm stand, mit einer Miene, welche die größte +Trostlosigkeit ausdrückte, die man sich nur denken kann, und wendete +sich schwermütig herum, seine Pickelhacke, seine Schaufel, Steckpflöcke +und das andere kleine Kriegsgerät zusammenzusuchen, um es aus dem Felde +zu führen, -- als ein tiefes Ach! aus dem Schilderhause, das aus dünnen +Schaldielen gemacht war und also den Schall um so trauriger nachhallen +ließ, ihn daran verhinderte. + +»Nein,« sagte der Korporal bei sich selbst, »ich will's morgen früh +tun, ehe der Herr Kapitän aufsteht.« + +Damit nahm er seinen Spaten wieder aus dem Schiebkarren hervor, mit ein +wenig Erde darauf, als ob er eine Stelle am Fuße des Walles damit ebnen +wollte. In der eigentlichen Absicht aber, sich seinem Herrn zu nähern, +um ihm die Grillen zu vertreiben. Er lockerte ein paar Rasen, stieß die +Ecken mit seinem Spaten ab, und nachdem er mit der Fläche ein- oder +ein paarmal leise darauf geklopft hatte, setzte er sich dicht zu den +Füßen meines Onkels Toby nieder und hob an wie folgt. + + [Illustration] + + + + + Hundertachtzehntes Kapitel. + + +»Es wäre wohl ewig schade, ob ich schon glaube, mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, daß ich wohl nur einfältiges Zeug vorbringen werde, für 'n +Soldaten.« + +»Ein Soldat,« rief mein Onkel Toby und fiel dem Korporal in die Rede, +»hat darin nichts voraus, Trim; er kann ebensowohl einfältiges Zeug +hervorbringen wie ein Gelehrter.« -- »Aber nicht so oft, mit Euer +Gnaden Wohlnehmen,« versetzte der Korporal. -- Mein Onkel Toby nickte +Beifall. + +»Es wäre denn also ewig schade,« sagte der Korporal und warf seine +Augen auf Dünkirchen und den Hafen, wie Servius Sulpicius, als er aus +Asien zurückkam und von Ägina gen Megara segelte, seine Augen auf +Korinth und Pyräus richtete. + +»Es wäre ewig schade, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, diese Werke zu +demolieren -- und ewig schade, wenn man sie hätte stehen lassen.« + +»Er hat recht, Trim, in beiden Stücken,« sagte mein Onkel Toby. -- +»Das,« fuhr Korporal Trim fort, »ist die Ursache, warum ich von +Anbeginn ihrer Schleifung bis ans Ende nicht ein einziges Mal gepfiffen +oder gesungen, oder gelacht oder geweint, oder von unseren alten Taten +gesprochen oder Euer Gnaden ein einziges Histörchen erzählt habe, gut +oder schlecht.« + +»Er hat viel Gutes an sich, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Und ich +lobe es an Ihm, da Er doch sein Histörchen erzählen mag, daß Er unter +allen, die Er mir erzählt, um mir meine Schmerzen vergessen zu machen +oder mir meine Grillen zu vertreiben, Er mir selten ein schlechtes +erzählt hat.« + +»Das kommt davon, mit Euer Gnaden gütiger Erlaubnis, daß sie alle wahr +sind, wenn ich die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben +Schlössern nicht mitrechne. Denn sie gehen alle zusammen mich selbst +was an.« + +»Und ebendarum mag ich sie wohl leiden,« sagte mein Onkel Toby. »Aber +was für eine Historie ist denn das? Er hat mich ja recht neugierig +gemacht.« + +»Euer Gnaden können's gleich hören, wenn ich's erzählen soll.« + +»Nur,« sagte mein Onkel Toby und sah von neuem nach Dünkirchen und +dem Hafen hin, »nur muß es keine lustige sein. Wer sich eine lustige +Historie erzählen lassen will, Trim, der muß ohnedem schon aufgeräumt +sein, sonst geht's nicht. Und so wie mir jetzt zumute ist, würde Er +wohl nicht die Freude haben, daß ich über Seine Historie lachte.« + +»Lustig ist sie ganz und gar nicht,« versetzte der Korporal. + +»Gar zu ernsthaft möchte ich sie aber auch nicht haben,« setzte mein +Onkel Toby hinzu. -- »Es ist weder das eine noch das andere,« erwiderte +der Korporal, »und wird für Euer Gnaden recht passen.« -- »Nun, so +nehme ich sie zu herzlichem Danke an,« rief mein Onkel Toby. »Sei Er +nur so gut und fange Er an, Trim.« + +Der Korporal machte seine Reverenz; und obgleich es nicht so leicht +ist, als man wohl glaubt, eine welke Reitmütze mit einem schicklichen +Anstande abzunehmen -- oder etwa um ein Haar leichter, nach meiner +Ansicht, wenn ein Mensch auf gut türkisch auf der Erde kauert, einen so +ehrfurchtsvollen, tiefen Bückling zu machen, wie der Korporal gewohnt +war, so tat es Trim doch dadurch, daß er seine rechte flache Hand, mit +der er nach seinem Herrn hin saß, ein wenig hinterwärts hinter seinem +Körper aufs Gras fallen ließ, damit er sich besser vornüberbeugen +könnte. Und er tat es durch eine ungezwungene Zusammenklemmung seiner +beiden Vorderfinger und des Daumens seiner linken Hand, wodurch der +Umfang der Mütze kleiner wurde, und man eher hätte sagen können, +er habe sie abgedrückt als abgerissen, und zwar auf eine bessere +Weise als die Lage, darin er war, es zu versprechen schien. Und +nachdem er ein paarmal hm! hm! gesagt hatte, um den Ton ausfindig zu +machen, in welchem die Historien am besten gehen und welche in seines +Herrn Gemütsart am besten eingreifen möchte, wechselte er nur einen +vertraulich freundlichen Blick mit ihm und begann also: + + + ~Die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben Schlössern~. + +»Es war einmal ein König von Böhmen --« + +Wie der Korporal die Grenzen von Böhmen beschritt, nötigte ihn mein +Onkel Toby, auf einen Augenblick innezuhalten. Er hatte barhaupt +begonnen, indem er seine Reitmütze, die er am Ende des vorigen Kapitels +abgezogen, neben sich auf der Erde hatte liegen lassen. + +Das Auge der Güte späht auf alles. -- Der Korporal hatte also noch +nicht völlig die fünf ersten Worte seiner Historie hervorgebracht, als +mein Onkel Toby bereits mit seinem spanischen Rohre zweimal die Mütze +frageweise angerührt hatte -- gleichsam, um zu sagen: warum setzt Er +sie nicht auf, Trim? Trim hob sie mit der ehrerbietigsten Langsamkeit +auf, und indem er dabei, wie er's tat, einen demütigen Blick auf das +gestickte Vorderblatt warf, das jämmerlich abgebleicht und daneben in +den besten Blumen und kühnsten Zügen der Stickerei abgeschlissen war, +legte er sie von neuem zwischen seine beiden Beine, um über den Umstand +zu moralisieren. + +»Leider ist jedes Wort von dem nur zu wahr,« rief mein Onkel Toby, »was +Er da anmerken will.« + +»Nichts in dieser Welt, Trim, ist gemacht, daß es ewig halten soll.« + +»Aber wenn die Andenken deiner Liebe und Treue, liebster Thomas, sich +verschleißen,« sagte Trim, »was sollen wir dann sagen?« -- + +»Er hat nicht nötig, das geringste weiter zu sagen,« rief mein +Onkel Toby. »Und wenn auch ein Mensch sein Gehirn bis an den lieben +Jüngsten Tag zermarterte, Trim, ich glaube, so könnte er es doch nicht +herausfinden.« + +Da der Korporal merkte, daß mein Onkel Toby recht hatte, und daß es +für den Witz eines Menschen vergebens sein würde, darauf zu sinnen, +eine reinere Moral aus seiner Mütze zu ziehen, so ließ er's dabei +bewenden und setzte sie auf, fuhr mit seiner Hand über die Stirne, um +eine tiefsinnige Runzel wegzureiben, die der Text und die Nutzanwendung +miteinander gezeuget hatten, und wendete sich wieder, mit dem vorigen +Blicke und Tone in der Stimme, zu seiner Historie vom Könige von Böhmen +und seinen sieben Schlössern. + + + ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~. + + Fortsetzung. + +»Es war einmal ein König von Böhmen, aber unter was für einer +Regierung, wenn es nicht unter seiner eigenen war, das kann ich Euer +Gnaden nicht sagen --« + +»Das verlange ich von Ihm auch nicht, Trim, gar nicht,« sagte mein +Onkel Toby. + +»Es war ein Weilchen vorher, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ehe die Hünen +anfingen keine Kinder mehr zu kriegen. Aber in was für einem Jahr +Christi es war --« + +»Da gebe ich keinen roten Heller um, ob ich das weiß, oder nicht,« +sagte mein Onkel Toby. + +»Ja, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine Historie kriegt doch so ein +besser Ausgehen danach.« + +»Es ist Seine Historie, Trim, schmücke Er sie aus nach Seinem eigenen +Gutdünken und verlege Er sie, auf welches Jahr Er will,« sagte mein +Onkel Toby und sah ihn spaßhaft an. »Verleg' Er sie, auf welches Jahr +Er nur Lust hat. Ich bin's von Herzen zufrieden.« + +Der Korporal verneigte sich; denn, von jedem Jahrhunderte und von +jedem einzelnen Jahr dieses Jahrhunderts, vom Anbeginn der Schöpfung +bis zur Sündflut, und von der Sündflut bis zu Abrahams Geburt, durch +alle Wallfahrten der Leben der Erzväter bis auf den Ausgang der Kinder +Israel aus Ägypten -- und alle Dynastien, Olympiaden, Urbiconditas und +andere merkwürdige Epochen der verschiedenen Völkerschaften auf dem +Erdboden, bis zu Christi Geburt, und von da an bis auf den eigentlichen +Augenblick, in welchem Trim seine Historie erzählte --, dieses weite +Meer der Zeit, mit allen seinen Abgründen, hatte mein Onkel Toby seiner +Wahl überlassen. Aber wie die Bescheidenheit das kaum mit einem Finger +zu berühren pflegt, was ihr die Freigebigkeit mit beiden offenen Händen +darbeut, so begnügte sich der Korporal mit dem schlechtesten Jahre aus +dem ganzen Bausch, welches, um die Herren Kameralisten, Projektisten +und Lottologisten abzuhalten, daß sie sich durchs Zanken darüber nicht +das Fleisch von den Knochen nagen -- ob das Jahr nicht allemal das +letzt zurückgelegte Jahr des zuletzt abgelegten Kalenders sei -- ich +Ihnen deutlich sagen muß: aus anderen, ganz anderen Ursachen aber, als +Sie denken. + +Es war das Jahr, das ihm am nächsten war, zu sagen, das Jahr unseres +Herrn siebzehnhundertundzwölfe. Weil in diesem Jahr der Herzog von +Ormond in Flandern sein Wesen trieb, nahm es der Korporal und trat +damit von neuem seine Reise nach Böhmen an. + + + ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~. + + Fortsetzung. + +»Es war im Jahre unseres Herrn eintausendsiebenhundertundzwölf, mit +Euer Gnaden Wohlnehmen --« + +»Die Wahrheit zu sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »würde mir +jedes andere Jahr lieber gewesen sein, nicht nur des üblen Kleckses +wegen, den dieses Jahr in unserer Geschichte von England macht. Weil +unsere Völker aus dem Felde geführt wurden und man sich weigerte, +die Belagerung von Ovesnoy zu decken, ungeachtet Fagel die Werke mit +solcher unglaublicher Herzhaftigkeit fortführte, -- sondern auch seiner +eigenen Historie wegen, Trim. Weil, wenn darin -- wie ich aus einigen +Worten, die Ihm entfallen sind, schließen muß -- wenn Riesen, oder, wie +Er es nennt, Hünen darin vorkommen.« + +»Nur ein einziger, mit Euer Gnaden Wohlnehmen.« + +»Das ist so gut wie zwanzig,« sagte mein Onkel Toby. »Er hätte ihn +einige sieben- oder achthundert Jahre zurück aus dem Schusse bringen +sollen, sowohl wegen der Kunstrichter als anderer Leute. Deswegen +möchte ich Ihm wohl raten, wenn Er es jemals wieder erzählt --« + +»Wenn ich nur so lange lebe, daß ich einmal damit zu Ende komme, so +will ich's,« sagte Trim, »in meinem Leben nicht wieder erzählen, weder +einem Manne, noch einer Frau, noch einem Kinde.« -- »Nun, nun!« sagte +mein Onkel Toby. Aber mit einer so zuredenden Stimme sagte er's, daß +der Korporal mit mehr Freudigkeit fortfuhr als zuvor. + + + ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~. + + Fortsetzung. + +»Es war einmal, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, erhob +dabei seine Stimme und rieb sich freudig die Hände, wie er begann, »ein +König von Böhmen --« + +»Laß Er das Jahr nur aus, Trim,« sagte mein Onkel Toby, indem er sich +vorne überbückte und seine Hand vertraulich auf des Korporals Schulter +legte, um seiner Unterbrechung das Unangenehme zu benehmen. -- »Laß +Er's nur ganz aus, Trim. Eine Historie kann recht gut sein, ohne solche +Genauigkeit, man müßte es denn ganz sicher wissen.« + +»Sicher wissen!« sagte der Korporal und schüttelte den Kopf. + +»Richtig,« antwortete mein Onkel Toby. »Es ist so leicht nicht, für +jemand, der nicht tiefer studiert hat, wie Er und ich, der selten +weiter vor sich hin sieht als aufs Ende seiner Muskete oder weiter +hinter sich als nach seinem Schnappsacke, und also von solchen Dingen +nicht viel versteht.« + +»Jawohl, jawohl, Euer Gnaden,« sagte der Korporal, der sowohl durch die +Art wie durch das, was mein Onkel sagte, hingerissen ward, »er hat wohl +sonst was zu tun. Ist er nicht in einer Schlacht oder auf dem Marsche +oder in Garnison auf der Wache, so hat er, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, +sein Gewehr zu putzen, sein Lederzeug zu kollern und zu wichsen, seine +großen und kleinen Montierungsstücke unter der Nadel zu halten, sein +Haar zu kräuseln und zu pudern, daß er immer so schmuck ist wie auf der +Parade. Was hat ein Soldat nötig,« setzte der Korporal hinzu, »daß er +sich um die Geographie bekümmert, Euer Gnaden.« + +»Chronologie will Er sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Denn die +Geographie, sieht Er, die kann er nicht entbehren. Er muß mit jedem +Lande und mit seinen Grenzen genau bekannt sein, wohin ihn sein Beruf +führt. Er sollte jede Stadt, jeden Flecken, jedes Dorf und jede Meierei +kennen, mit den Heerstraßen, Fußsteigen und Hohlwegen, die dahin gehen. +Er sollte über keinen Fluß oder Bach kommen oder er sollte gleich beim +ersten Anblick zu sagen wissen, wie er heißt, in was für einem Gebirge +er entspringt, was er für einen Lauf nimmt, wo er schiffbar ist, wo +man durchwaten kann und wo er zu tief ist. Er sollte die Fruchtbarkeit +eines jeden Tales ebenso gut wissen, wie der Bauer, der es bepflügt, +und sollte es beschreiben, oder, wenn's begehrt wird, imstande sein, +eine richtige Karte aufnehmen zu können, von allen Planen, Defileen, +Werken, Anhöhen, Waldungen, Morästen, wo seine Armee durch- oder +vorbeimarschieren muß. Er sollte ihre Produkte, ihre Pflanzen, ihre +Mineralien, ihre Wasser, ihre Art Vieh, ihre Witterung, ihre Winde, +ihre Hitze und Kälte, ihre Einwohner, ihre Gebräuche, ihre Sprache, +Sitten und sogar ihre Religion kennen.« + +»Wäre es sonst wohl begreiflich, Korporal,« fuhr mein Onkel Toby fort +und richtete sich in seinem Schilderhause in die Höhe, wie er bei +diesem Teile seiner Rede warm wurde, »daß Marlborough seine Armee +von den Ufern der Maas bis Belburg führen konnte? Von Belburg nach +Kerpenord -- konnte der Korporal nicht länger sitzen --. Von Kerpenord, +Trim, nach Kalsacken, von Kalsacken nach Neudorf, von Neudorf nach +Landenburg, von Landenburg nach Mildenheim, von Mildenheim nach +Elchingen, von Elchingen nach Gingen, von Gingen nach Balmerchofen, von +Balmerchofen nach Schellenberg. Wo er die feindlichen Werke überfiel, +sich eine Passage über die Donau erzwang, über den Lechfluß setzte, +mit seinem Heere bis ins Herz des Deutschen Reiches drang, an der +Spitze desselben durch Freiburg, Hohenwert und Schönefeld marschierte, +bis zu dem Schlachtfelde bei Blenheim und Höchstädt? -- So groß er war, +Korporal, er hätte keinen Fußbreit avancieren oder den Marsch von einem +einzigen Tage anordnen können, ohne Hilfe der Geographie. + +»Die Chronologie aber, das gesteh' ich, Trim,« fuhr mein Onkel Toby +fort und setzte sich wieder ganz kalt in seinem Schilderhause nieder, +»die scheint unter allen anderen eine Wissenschaft zu sein, deren ein +Soldat am ersten entraten könnte. Wenn's nicht wegen der Einsichten +wäre, die sie ihm eines Tages erteilen muß, wenn er ausmachen will, um +welche Zeit das Pulver erfunden worden, dessen greuliche Verwüstung, da +es wie der Donner alles vor sich niederreißet, eine neue Zeitrechnung +für unsere Kriegskunst beginnt. Es hat die Natur des Angreifens und +des Verteidigens sowohl zur See als zu Lande so durchgängig verändert +und hat dabei soviel Kunst und Geschicklichkeit erweckt, daß die Welt +darüber, den eigentlichen Zeitpunkt der Entdeckung auszumachen, nicht +zu genau, noch zu forschbegierig sein kann: Zu wissen, welch großer +Mann der Erfinder war und was für Veranlassung ihn darauf führte.« + +»Ich bin weit entfernt,« fuhr mein Onkel Toby fort, »das zu bestreiten, +worin die Geschichtschreiber übereinstimmen, daß im Jahre 1380, unter +der Regierung Wenzeslaus', ein Sohn Karls +IV.+, ein gewisser +Mönch namens Schwarz den Venetianern in ihrem Kriege mit den Genuesern +den Gebrauch des Pulvers angab. Aber das ist gewiß, der erste war +er nicht. Weil, wenn wir dem Don Pedro, Bischof von Leon, Glauben +beimessen dürfen.« -- + +»Wie kamen denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, Mönche und Bischöfe dazu, +daß sie ihre Nase so oft ins Pulver steckten?« -- »Gott weiß es,« +sagte mein Onkel Toby. -- »Seine Vorsehung weiß alles zum besten zu +lenken, und er behauptet in seiner Chronik vom König Alphonsus, welcher +Toledo eroberte, daß im Jahre 1343, volle dreißig Jahre früher, das +Geheimnis des Pulvers ganz bekannt gewesen und mit Nutzen gebraucht +sei, von Mauren und Christen, nicht nur in ihren Seetreffen um diese +Zeit und bei vielen anderen von ihren merkwürdigen Belagerungen +in Spanien und in der Barbarei. Der ganzen Welt ist es bekannt, +daß der Mönch Bacon ausdrücklich darüber geschrieben und der Welt +großmütigerweise das Rezept gegeben hat, wie man es machen kann, schon +länger als hundertundfünfzig Jahre vorher, ehe Schwarz geboren war. Und +jeder weiß auch, daß die Chinesen,« fügte mein Onkel Toby hinzu, »uns +mit unserer Rechnung noch mehr in Verlegenheit setzen, indem sie sich +der Erfindung sogar noch einige hundert Jahre vor ihm rühmen.« + +»Das Chinesenvolk ist wohl ein ganzes Lügenpack, glaub' ich,« schrie +Trim. + +»Sie mögen wohl in dieser Sache,« sagte mein Onkel Toby, »ein wenig +irre sein, wie es für mich ganz deutlich erhellet aus dem elenden +Zustande, worin sich gegenwärtig ihre Kriegsbaukunst befindet, welche +in der Welt in weiter nichts begeht als in einem Graben mit einem Walle +von Ziegelsteinen ohne Flanken. Und, was sie uns für eine Bastion, +an jeder Ecke desselben, geben wollen, ist ein Ding, das lebhaftig +aussieht, wie -- --« »Wie eins von meinen sieben Schlössern, mit Euer +Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim. + +Obgleich mein Onkel Toby um ein Gleichnis in der äußersten Verlegenheit +war, so lehnte er doch Trims Anerbieten in ganz höflicher Weise ab, +bis Trim sagte, er habe doch noch ein ganzes halbes Dutzend in Böhmen, +damit er nichts anzufangen wüßte, und mein Onkel Toby über den lustigen +Spaß des Korporals so vergnügt wurde, daß er seine Dissertation über +das Schießpulver abbrach -- und den Korporal bat, er möchte nur stracks +mit seiner Historie vom Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern +fortfahren. + + [Illustration] + + + + + ~Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern~. + + Fortsetzung. + +»Dieser unglückliche König von Böhmen,« sagte Trim -- »War er also +unglücklich?« rief mein Onkel Toby. Denn er war in seine Dissertation +über das Schießpulver und andere Kriegshändel so verwickelt gewesen, +daß, obgleich er von dem Korporal verlangt hatte, er sollte fortfahren, +dennoch seine häufigen Unterbrechungen ihm nicht mehr stark genug +im Andenken waren, um das Beiwort nicht zu erklären. »War er also +unglücklich, Trim?« sagte mein Onkel Toby mit gerührter Stimme. + +Der Korporal, nachdem er erst das Wort mit allen gleichbedeutenden +zu allen Henkern gewünscht hatte, begann den Augenblick, die +hauptsächlichsten Begebenheiten seines Königs von Böhmen in Gedanken +durchzulaufen. Aus einer jeden derselben aber erhellte, daß er +einer der glücklichsten Menschen war, die jemals in der Welt gelebt +haben. Das brachte den Korporal zum Stocken; denn er wollte nicht +gerne das Beiwort zurücknehmen -- und noch weniger es erklären -- +am allerwenigsten aber seine Historie drehen und winden -- wie +systematische Historiker -- um sie seinem System anzupassen. Er blickte +also meinem Onkel Toby ins Angesicht um Beistand. Da er aber sah, daß +das gerade die Sache wäre, die mein Onkel Toby von ihm erwartete, fuhr +er nach einigen Hms! und Jas fort: + +»Der König von Böhmen,« versetzte der Korporal, »war mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, als wenn ich so sagen wollte, unglücklich darin, daß er +große Lust und Vergnügen an der Schiffahrt fand und an allen Arten von +Seesachen --, und da es sich nun begab, daß in dem ganzen böhmischen +Königreiche keine Stadt mit einem Seehafen war --« + +»Ich glaub's wohl! wie hätte das auch zugehen sollen, Trim?« rief mein +Onkel Toby. »Da Böhmen allenthalben festes Land ist, so konnte es sich +nicht anders begeben.« -- »Es hätte doch wohl,« sagte Trim, »wenn's +Gottes Wille gewesen wäre.« -- + +Mein Onkel Toby sprach niemals von dem Wesen und den Eigenschaften +Gottes außer mit der ehrfurchtsvollsten und zurückhaltendsten +Behutsamkeit. + +»Ich glaube nicht,« erwiderte mein Onkel Toby nach einigem Nachdenken. +»Denn da es festes Land ist, wie ich gesagt habe, und Schlesien und +Mähren gegen Osten, die Lausitz und Obersachsen gegen Norden, das +Fränkische gegen Westen und Bayern gegen Süden gelegen hat, so hätte +Böhmen nicht an die See gerückt werden können, oder es wäre nicht mehr +Böhmen geblieben. Ebensowenig konnte auf der andern Seite die See nach +Böhmen kommen, ohne einen großen Teil von Deutschland zu überschwemmen +und Millionen von armen Einwohnern zu verschlingen, die sich dagegen +nicht schützen können.« -- »Sünd' und Schande!« schrie Trim. »Welches,« +setzte mein Onkel Toby mit Sanftmut hinzu, »einen solchen Mangel an +Barmherzigkeit in Ihm anzeigen würde, der der Menschen Vater ist, daß +ich glaube, Trim, die Sache konnte sich auf keinerlei Art und Weise +begeben.« + +Der Korporal machte die Verbeugung der unverstellten Überzeugung und +fuhr fort: + +»Da es sich nun an einem schönen Sommerabend begab, daß der König von +Böhmen mit seiner Königin und Hofleuten ausging« -- »Ha! ja! da ist +das Wort begab recht, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »denn der König von +Böhmen konnte mit seiner Königin ausgehen oder es unterlassen. Das war +eine zufällige Sache und konnte sich begeben, je nachdem es der Zufall +mit sich brachte.« + +»Der König William hatte den Glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß +alles schon so für uns in der Welt vorher bestimmt wäre. Das ging so +weit, daß er oft zu seinen Soldaten zu sagen pflegte, daß eine jedwede +Kugel ein Billett hätte.« -- »Es war ein großer Mann,« sagte mein Onkel +Toby. -- »Und ich glaube noch bis auf diese Stunde,« fuhr der Korporal +fort, »daß der Schuß, der mich in der Schlacht bei Landen zum Invaliden +machte, ganz allein darum auf mein Knie gezielt wurde, damit ich aus +seinem Dienste heraus und in Euer Gnaden Dienste kommen mußte, worin +ich es soviel besser auf meine alten Tage haben sollte.« »Ehrlicher +Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es soll niemals anders ausgelegt werden +können.« + +Die Herzen, sowohl des Herrn als des Dieners, waren zu schneller +Ergießung gleich stark geneigt. -- Es erfolgte ein kurzes +Stillschweigen. + +»Und noch dazu,« sagte der Korporal und nahm das Wort wieder, aber +mit heitererem Gesichte und Tone, »wäre es nicht dieser einzige Schuß +gewesen, ich wäre Ihnen, Euer Gnaden, in meinem Leben nicht verliebt +worden.« -- + +»So? ist Er einmal verliebt gewesen, Trim?« sagte mein Onkel Toby +lächelnd. + +»Ja, was wollte ich nicht!« versetzte der Korporal. »Bis über Kopf und +Ohren! mit Euer Gnaden Wohlnehmen.« + +»Ei, sag' Er mir doch, wann, wo und wie das zuging? Ich habe ja noch +kein Wort davon gehört,« sagte mein Onkel Toby. »Ich wollte doch wohl +sagen, daß es das ganze Regiment bis auf den Steckenknecht gewußt +hätte.« -- »So ist's hohe Zeit, daß ich's auch erfahre,« sagte mein +Onkel Toby. -- »Euer Gnaden,« sagte der Korporal, »werden sich noch +wohl mit Unlust an die greuliche Verwüstung und Konfusion unseres +Lagers und unserer Armee nach der Affäre bei Landen erinnern. Da war +an kein Kommando mehr zu denken. Ein jeder mochte zusehen, wie er sich +rettete. Und hätten's nicht die Regimenter von Windham, Lumley und +Galway getan, welche noch die Retirade über die Brücke zu Neerspeeken +deckten, so hätte der König selbst kaum darüber kommen können. -- Sie +setzten ihm, wie Euer Gnaden wissen, an allen Seiten hart zu.« + +»Der tapfere Herr!« schrie mein Onkel Toby, von seinem Enthusiasmus +ergriffen. »Diesen Augenblick, da alles vorbei ist, sehe ich ihn noch +an mir vorbeireiten, Korporal, nach dem linken Flügel, um den Rest der +engländischen Kavallerie herbeizuführen, um den rechten zu unterstützen +und den Lorbeer von Luxemburgs Stirne zu reißen, wenn's noch möglich +wäre. Ich sehe ihn, wie eben der Knoten von seiner Schärpe abgeschossen +ist und wie er dem Galwayischen Regimente neuen Mut einspricht. Er +reitet vor der Linie hinauf. Nun wendet er sich um und greift an ihrer +Spitze den Conti an. Brav! brav wahrhaftig,« rief mein Onkel Toby. »Er +verdient eine Krone! -- so gewiß wie ein Dieb den Strick,« jauchzte +Trim. + +Mein Onkel Toby kannte des Korporals Treue als Untertan. -- Sonst war +die Vergleichung gar nicht nach seinem Sinne. Sie gefiel dem Korporal +selbst auch nicht so ganz, sobald er sie gemacht hatte. -- Aber sie war +heraus. Er konnte also nichts weiter dabei tun, als nur fortfahren. + +»Da der Haufen der Verwundeten erstaunlich groß war und niemand Zeit +hatte, an was anderes zu denken als seine eigene Sicherheit --« -- +»Aber Talmash,« sagte mein Onkel Toby, »führte doch die Infanterie mit +großer Klugheit ab.« -- »Ich aber ward auf dem Felde liegen gelassen,« +sagte der Korporal. »Das ward Er; armer Mensch!« versetzte mein Onkel +Toby. -- »So, daß es den andern Tag Mittag wurde,« fuhr der Korporal +fort, »ehe ich ausgewechselt und mit dreizehn oder vierzehn andern auf +den Karren geladen wurde, der uns nach unserem Hospital bringen sollte. + +»Es ist, mit Euer Gnaden Erlaubnis, kein Glied am ganzen Leibe, wo eine +Wunde mehr unausstehliche Schmerzen macht als am Knie.« -- + +»Das Latzbein ausgenommen,« sagte mein Onkel Toby. -- »Wenn's Euer +Gnaden nicht übelnehmen wollen, so glaub' ich, daß, nach meiner +Meinung, das Knie das schmerzlichste sein muß. Denn da sind soviel +Sehnen und soviel andere, wie heißt es? herum her.« + +»Ebendeswegen,« sagte mein Onkel Toby, »kommt's, daß das Latzbein +unendlich empfindlicher ist. Da liegen nicht nur ebensoviel Sehnen und +andere, wie es heißt? -- denn ich kenne ihre Namen ebensowenig wie Er +-- umher, sondern auch -- --« + +Madame Wadmann, die die ganze Zeit über in ihrer Laube gewesen, hielt +geschwind den Atem an, zog die Nadel aus ihrer Kappe unterm Kinn, +schlug sie in die Höhe und stellte sich auf die Zehen eines Fußes. + +Der Streit ward freundschaftlich und mit gleichem Nachdruck zwischen +meinem Onkel Toby und Korporal Trim eine Zeitlang fortgesetzt. Bis +sich endlich Trim besann, daß er öfters über meines Onkels Toby +Leiden geweint, über sein eigenes aber nie eine Träne vergossen habe, +und deswegen nachzugeben dachte, was ihm aber mein Onkel Toby nicht +gestatten wollte. »Das beweist nichts, Trim,« sagte er, »als die Güte +seines Herzens.« + +Daher also, ob die Pein einer Wunde am Latzbein (+Caeteris +paribus+) größer ist als die Pein einer Wunde am Knie, oder -- + +Ob die Pein einer Wunde am Knie nicht größer ist als die Pein einer +Wunde am Latzbein? -- eine Sache ist, die bis auf den heutigen Tag +unentschieden bleibt. + + [Illustration] + + + + + Hundertneunzehntes Kapitel. + + +»Die Schmerzen an meinem Knie,« fuhr der Korporal fort, »waren an +und für sich schon erschrecklich groß; und beim Rumpeln des Karrens, +bei dem entsetzlich ausgefahrenen Wege, welche das Übel immer ärger +machten, wollte mir die Seele aus dem Leibe fahren. Und so war das +viele verlorene Blut und der Mangel an Pflege und ein Fieber, das ich +noch dazu ankommen fühlte --« der arme Mensch, sagte mein Onkel Toby +--; »alles das zusammen war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, zuviel für +mich.« + +»Ich klagte mein Elend einem jungen Frauenzimmerchen in einem +Bauernhause, vor dem unser Karren, der der letzte in dem Zuge +war, stillgehalten hatte. Sie hatten mir hereingeholfen, und +das Frauenzimmerchen hatte ein Glas Herzstärkung aus der Tasche +hervorgelangt und tröpfelte es auf ein Stückchen Zucker. Und als sie +sah, daß es mir guttat, hatte sie mir's zum zweiten- und drittenmal +eingegeben. Und so sagte ich ihr, mit Euer Gnaden Erlaubnis, was ich +für einen Jammer hatte. Und sagte ihr, daß es mir so unausstehlich +wäre, daß ich lieber auf dem Bette liegen -- und wendete meinen Kopf +nach einem, das in der Ecke der Stube stand -- und sterben wollte als +weiterfahren. Und als sie sich die Mühe gab, mich dahin zu führen, +kriegte ich 'ne Ohnmacht in ihren Armen. -- Es war so 'ne gute Seele, +wie Euer Gnaden,« sagte der Korporal und wischte sich die Augen, »hören +werden.« + +»Ich hätte gedacht, die Liebe wäre was Lustiges,« sagte mein Onkel +Toby. + +»Es ist so was Ernsthaftes zuweilen, mit Euer Gnaden Erlaubnis, als nur +was von der Welt. + +»Auf das Zureden des Frauenzimmerchens,« fuhr der Korporal fort, »fuhr +der Karren mit der blessierten Mannschaft ohne mich weiter. Sie hatte +ihnen versichert, ich würde daran sterben, wenn ich wieder auf den +Karren käme. Und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in +einem stillen, ruhigen Bauernhause, und war sonst kein Mensch mit mir +drinnen als das Frauenzimmerchen und der Bauer und seine Frau. Ich +lag quer überm Bett in der Ecke der Stube, mit meinem Bein auf dem +Stuhle, und das Frauenzimmerchen saß bei mir und hielt ihren Zipfel +vom Schnupftuche, den sie in Essig getaucht hatte, mit einer Hand vor +meiner Nase und rieb mir mit der andern die Schläfe. + +»Ich hielt sie erst für die Tochter des Bauern (denn es war kein +Krug) und hatte ihr deswegen einen kleinen Beutel mit achtzehn Gulden +hingegeben, welche mir mein armer Bruder Thomas (hier wischte Trim +seine Augen) mit einem Rekruten zum Andenken geschickt hatte, als er +eben nach Lissabon gehen wollte. + +»Ich habe Euer Gnaden die klägliche Historie noch kein Mal erzählt.« +Hier wischte sich Trim zum dritten Male die Augen. + +»Das Frauenzimmerchen rief den alten Mann und seine Frau her in die +Stube und wies ihnen das Geld, daß sie mir ein Bett geben sollten und +die kleine Pflege, die ich nötig hätte, bis ich erst ins Hospital +gebracht werden könnte. Gut so, mein guter Freund, sagte sie und +knüpfte den Beutel zu, -- ich will seine Ausgeberin sein. Aber da ich +damit allein wohl nicht genug zu tun habe, so will ich auch seine +Wärterin sein. + +»Nach der Manier, womit sie das sagte, und nach ihrer Tracht, die +ich nun ein bißchen genauer examinierte, dachte ich wohl, daß das +Frauenzimmerchen wohl nicht des Bauern Tochter sein könnte. + +»Sie ging schwarz vom Kopfe bis zu den Füßen und hatte ihre Haare +unter einer weißleinenen Haube, die ihr ganz dicht am Kopfe lag. Es +war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine von der Art Nonnen, die es in +Brabant soviel gibt und die sie frei herumgehen lassen.« -- »Aus +seiner Beschreibung, Trim, sollte ich schließen, daß es eine junge +Begyne gewesen, von denen man sonst nirgends welche findet, als in +den Niederlanden, und in Amsterdam auch. Sie sind darin von Nonnen +unterschieden, daß sie ihr Kloster verlassen können, wenn sie heiraten +wollen. Sie besuchen die Kranken und pflegen sie nach ihrem Gelübde. +Ich wollte aber lieber, sie täten's aus gutem Herzen.« + +»Sie hat mir oft gesagt, sie tät's aus Liebe zum Heilande. Das wollte +mir nicht recht gefallen.« -- »Ich glaube, Trim, wir haben beide +unrecht,« sagte mein Onkel Toby. »Wir wollen den Pfarrer Yorick darum +fragen, wenn er heute abend nach meines Bruders Hause kommt. Erinnere +Er mich nur daran.« + +»Die junge Begyne,« fuhr der Korporal fort, »hatte kaum das Wort +ausgesagt, daß sie meine Krankenwärterin sein wollte, als sie wie der +Wind hinging, ihren Dienst anzutreten und was für mich zurechtzumachen. +Es währte nicht lange -- ob schon es mich lange dünkte --, so kam sie +wieder und hatte Flanell und dergleichen geholt. Und als sie mir mein +Knie ein paar gute Stunden lang gekühlt und dergleichen und mir einen +kleinen Napf Hafersuppe zu essen gegeben hatte, wünschte sie mir wohl +zu schlafen und versprach des Morgens früh wiederzukommen. -- Aber, +Euer Gnaden, sie wünschte mir was, das ich nicht haben konnte. Mein +Fieber wurde die Nacht sehr stark. Ihre Gestalt richtete großes Unheil +in meinem Kopfe an. Ich tat die ganze Nacht nichts, als daß ich immer +die Welt in zwei Stücken schnitt, um ihr eine Hälfte abzugeben. Und +alle Augenblicke weinte ich wieder, daß ich nichts hatte, als einen +Tornister und achtzehn Gulden, mit ihr zu teilen. + +»Die ganze Nacht stand die hübsche Begyne wie ein Engel vor meinem +Bette, zog den Vorhang weg und gab mir was ein. -- Und ich wachte erst +aus meinen Träumen dadurch auf, daß sie kam, wie sie versprochen hatte +und mir wirklich eingab. Es ist gewißlich wahr, sie kam fast gar nicht +von mir weg, und ich war so daran gewöhnt, von ihren Händen mein Leben +zu nehmen, daß mir ganz bange ums Herz wurde und bleich im Gesicht, +wenn sie nur aus der Türe ging. Und dabei doch,« fuhr der Korporal fort +und machte eine der sonderbarsten Anmerkungen darüber, + +»war's keine Liebe. + + Es war an einem Sonntagnachmittag. + Der alte Mann und seine Frau waren ausgegangen. + Es war im ganzen Hause alles mausestill. + Auf dem Hofe krähte weder Huhn noch Hahn, + Als die hübsche Begyne kam und mich besuchte. + +»Meine Wunde war nun auf gutem Wege der Besserung. Die Geschwulst hatte +sich schon seit einiger Zeit gelegt, aber es folgte darauf sowohl über +als unter dem Knie ein so unerträgliches Jucken, daß ich die ganze +Nacht hatte kein Auge davor zutun können. + +»Laß Er mich sehen, sagte sie, und kniete gerade vor meinem Knie auf +die Erde nieder und begriff die Stelle unten daran. + +»Es muß nur ein bißchen gerieben werden, sagte die Begyne. Damit legte +sie das Bettlaken darüber und fing + + [Illustration] + +an, mit ihrem vordersten Finger hin und her zu reiben unter dem Flanell +herum, das über dem Verband gebunden war. + +»In fünf oder sechs Minuten fühlte ich schon ein bißchen von der Spitze +ihres Fingers -- und bald darauf streckte sie ihn auch aus und rieb mit +zwei Fingern eine lange Weile so rund herum; da fiel mir's ein, daß +ich verliebt werden würde. Ich wurde ganz rot im Gesicht, als ich sah +was sie für eine weiße Hand hatte. Ja, Euer Gnaden, ich werde eine so +schneeweiße Hand nicht wieder zu sehen kriegen, solange ich lebe.« + +»An der Stelle nicht,« sagte mein Onkel Toby. + +Es war zwar für den Korporal die ernsthafteste Verzweiflung von der +Welt, er konnte aber doch nicht unterlassen zu schmunzeln. + +»Als die junge Begyne sah,« fuhr der Korporal fort, »daß es gewaltig +half, nachdem sie ein Weilchen mit zwei Fingern gerieben hatte, fing +sie endlich an, mit dreien zu reiben, bis sie endlich nach und nach +auch den vierten dazunahm und nun mit der ganzen Hand rieb. Ich will, +mit Euer Gnaden Wohlnehmen, kein Wort wieder von schneeweißen Händen +sagen -- aber sie war so weich, so weich, weicher als Atlas.« + +»Höre Er, Trim, lobe Er sie, soviel als Er will,« sagte mein Onkel +Toby, »ich werde seine Erzählung mit desto größerem Vergnügen hören.« +-- Der Korporal dankte seinem Herrn ohne alle Verstellung. Da er aber +nichts weiter von der Hand der Begyne zu sagen hatte als ebendasselbe +noch einmal, so ging er weiter, zu ihrer Wirkung. + +»Die schöne Begyne,« sagte der Korporal, »rieb immer, immer weg mit +ihrer ganzen Hand unter meinem Knie, bis ich besorgte, ihr Eifer würde +sie müde machen. Ich wollte noch wohl tausendmal mehr tun, sagte +sie, aus Liebe zum Heilande. Und wie sie das sagte, fuhr sie über +den Flanell herüber nach der Stelle über dem Knie, worüber ich auch +geklagt hatte, und rieb sie ebenfalls. + +»Nun merkte ich, daß ich anfing verliebt zu werden. + +»Als sie das Reiben, Reiben, Reiben so forttrieb, so fühlte ich, mit +Euer Gnaden Erlaubnis, daß es unter ihrer Hand anfing und sich durch +alle meine Glieder ausstreckte. + +»Je mehr sie rieb und je längere Züge sie tat, je mehr zündete sich +das Feuer in meinen Adern an, bis endlich meine Verliebtheit auf den +höchsten Gipfel stieg -- ich ergriff ihre Hand --« + +»Und Er drückte sie an seine Lippen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. + +Ob es mit des Korporals Verliebtheit genau so ablief, wie mein Onkel +Toby es beschrieb, das ist keine wesentliche Sache. Genug, daß sie +alles das Wesentliche aller verliebten Romane in sich enthielt, welche +von Anbeginn der Welt her geschrieben sind. + + [Illustration] + + + + + Hundertzwanzigstes Kapitel. + + +Sobald der Korporal seiner Liebesgeschichte, oder vielmehr mein Onkel +Toby an seiner Statt, ein Ende gemacht hatte, -- marschierte Madame +Wadmann ohne Sang und Klang aus ihrer Laube, steckte ihre Haube wieder +unterm Kinn zu, passierte das kleine Heckenpförtchen und avancierte +langsam auf meines Onkels Toby Schilderhaus los. Die Disposition, +welche Trim in seinem Gemüte gemacht hatte, war ein zu vorteilhafter +Umstand, ihn nicht zu nützen. + +Die Attacke ward beschlossen; sie war dadurch noch mehr begünstigt, +daß mein Onkel Toby dem Korporal befohlen hatte, den Spaten, die +Pionierschaufel, die Steckpflöcke und das übrige Kriegsgerät, welches +auf dem Platze, wo Dünkirchen gestanden, zerstreut herumlag, aus dem +Felde zu fahren. Der Korporal war abmarschiert -- das Feld war offen. + +Nun überlegen Sie, mein Herr, wie unvernünftig es sei, sowohl beim +Fechten und Schreiben als sonst bei irgend etwas, das man vorhat -- +es sei gereimt oder nicht --, nach einem Plane zu handeln. Denn wenn +jemals ein Plan, von allen Umständen unabhängig betrachtet, verdiente +mit goldenen Buchstaben registriert zu werden -- ich meine in den +utopischen Archiven --, so war es gewiß der Plan von Madame Wadmanns +planmäßiger Attacke auf meinen Onkel Toby in seinem Schilderhause. -- +Nun aber war der Plan, der eben bei dieser Gelegenheit daran hing, +der Plan von Dünkirchen -- und die Geschichte von Dünkirchen eine +niederschlagende Geschichte, welche sich jedem Eindrucke widersetzte, +den sie machen konnte. Und überdem, hätte sie ihm auch folgen können, +war das Manöver mit den Fingern und der Hand bei der Attacke im +Schilderhause durch das Manöver der Begyne in Trims Geschichte so sehr +weit übertroffen, daß gerade dadurch diese besondere Attacke, so sehr +sie auch vorher gelang, die allerherzloseste Attacke war, die nur +gemacht werden konnte. + +O, man lasse für so etwas das Frauenzimmer nur sorgen! Madame Wadmann +hatte kaum das Heckenpförtchen geöffnet, als ihr Genie sich schon ein +bloßem Spiel aus den veränderten Umständen machte. + +Sie entwarf augenblicklich eine neue Attacke. + + [Illustration] + + + + + Hunderteinundzwanzigstes Kapitel. + + +»Ich bin halb von Sinnen, Herr Kapitän,« sagte Madame Wadmann und hielt +ihr weiß holländisch-leinen Schnupftuch vor ihr linkes Auge, wie sie +sich der Türe von meines Onkels Toby Schilderhause näherte. »Eine Mücke +oder ein Sandkorn oder so etwas, ich weiß nicht was, ist mir da in mein +Auge gekommen. -- O sehen Sie mir doch einmal hinein -- es ist nicht im +Weißen.« + +Sowie sie das sagte, drängte sie sich zu meinem Onkel Toby hinein auf +die Ecke von seiner Bank und gab ihm Gelegenheit, es zu tun, ohne daß +er aufzustehen brauchte. »Ich bitte, sehen Sie doch hinein!« sagte sie. + +Gute ehrliche Seele! Du sahest hinein mit ebensoviel Unschuld des +Herzens, als jemals ein Kind in einen Kasten voll schöner Raritäten +geguckt hat, und es wäre eine ebenso große Sünde, dir etwas zuleide zu +tun. + +Will ein Mensch aus freien Stücken in dergleichen Dinger hineingucken, +so habe ich nichts dazu zu sagen. + +Das tat mein Onkel Toby niemals; und ich will für ihn Bürge sein, daß +er vom Julimonat bis zum Januar -- welches, wie Sie wissen, die heißen +und kalten Monate in sich faßt -- ruhig auf einem Sofa gesessen hätte +bei einem eben so schönen Auge als das Auge der thrazischen Rhodope, +ohne daß er imstande gewesen wäre zu sagen, ob es ein blaues oder ein +schwarzes gewesen. + +Die Schwierigkeit war, meinen Onkel Toby dahin zu bringen, daß er nur +überall in eins sähe. + +Die ist überstiegen. Und: + +Ich sehe ihn dort mit seiner Pfeife in seiner Hand, die Asche +herausfallend, wie er guckt und guckt, dann sich die Augen reibt und +wiederum guckt, mit zweimal soviel Treuherzigkeit, als Galilei nach +einem Flecken in der Sonne guckte. + +Vergebens! Denn bei allen Mächten, welche die Sehwerkzeuge beseelen, +der Witwe Wadmann linkes Auge scheint diesen Augenblick ebenso helle +wie ihr rechtes. Es schwimmt darin weder Mücke, weder Sand, weder +Staub, weder Kaff, weder Fleck, noch Teilchen von undurchsichtiger +Materie. -- Du findest nichts darin, mein liebster Onkel von +väterlicher Seite, als ein liebliches loderndes Feuer, welches +verstohlenerweise aus jedem seiner Punkte in allen Richtungen heraus in +deines schießt. Guckst du, mein Onkel Toby, nach diesem Stäubchen noch +einen Augenblick länger -- so bist du verloren. + + [Illustration] + + + + + Hundertzweiundzwanzigstes Kapitel. + + +Ein Auge ist darin ganz vollkommen einer Kanone gleich, daß es nicht +sowohl das Auge oder die Kanone an und für sich selbst tut, als die +Richtung des Auges und die Richtung der Kanone, wodurch das eine und +die andere so viele Verwüstung anrichten. Ich halte das Gleichnis nicht +für schlecht. Indessen, da ich's ebensowohl des Nutzens als der Zierde +wegen gemacht und an die Spitze des Kapitels gestellt habe, so ist +alles, was ich dafür zur Vergeltung verlange, dieses, daß Sie solches, +sooft ich von Madame Wadmanns Augen spreche -- einmal in den nächsten +Perioden ausgenommen -- im Sinne behalten mögen. + +»Ich versichere Sie, Madame,« sagte mein Onkel Toby, »ich kann ganz und +gar nichts in Ihrem Auge gewahr werden.« + +»Es ist nicht im Weißen,« sagte Madame Wadmann. Mein Onkel Toby guckte +aus allen Kräften und Vermögen in den Stern. + +Nun war von allen Augen, die jemals geschaffen sind -- von Ihren +eigenen, gnädige Frau, bis auf die Augen der Venus zurück, welches +doch wahrhaftig ein so buhlend Paar Augen waren, wie jemals in einem +Kopfe gestanden --, kein einziges Auge so geschickt, meinen Onkel +Toby um seine Ruhe zu bringen, wie gerade dasselbige Auge, in welches +er da hineinsah. Es war kein rollendes Auge, Madame, kein tobendes +oder mutwilliges, auch war's kein funkelndes, kein drohendes oder +befehlendes Auge, das stracks viel fordern und ertrotzen wollte. +Das hätte auf einmal jene Milch der menschlichen Natur gerinnen +gemacht, aus der mein Onkel Toby gemolken war. Sondern es war ein +Auge voll sanften Grußes und lieblicher Antworten. Es sprach nicht +wie ein Trompetenregister in einer schlechtgebauten Orgel, in welchem +Tone manches Auge, dem man etwas sagt, eine kreischende Unterredung +führt, -- sondern es lispelte leise, gleich dem leisen Röcheln einer +sterbenden Heiligen: + +»Wie können Sie ohne alle Pflege leben, Herr Kapitän Shandy, und so +einsam, ohne einen Busen, an den Sie Ihr Haupt lehnen oder dem Sie Ihre +Sorgen vertrauen könnten?« + +Es war ein Auge -- + +Aber ich werde mich noch selbst darin verlieben, wenn ich nur noch ein +Wort weiter davon sage. + +Meinem Onkel Toby machte es den Garaus. + + [Illustration] + + + + + Hundertdreiundzwanzigstes Kapitel. + + +Nichts setzt die Charaktere meines Vaters und meines Onkels Toby in +ein unterhaltenderes Licht als ihre verschiedene Art des Betragens bei +einerlei Zufalle. -- Denn ich nenne die Liebe keinen Unfall, aus der +Überzeugung, in der ich bin, daß das Herz eines Menschen beständig +dadurch besser wird. -- Gütiger Gott! Was müßte aus dem Herzen meines +Onkels Toby geworden sein, das ohnedem schon lauter Güte war. + +Mein Vater, wie aus vielen seiner Papiere erhellt, war dieser +Leidenschaft sehr unterworfen, ehe er heiratete. Wegen einer etwas +säuerlichen Art von schnurriger Ungeduld in seinem Wesen aber wollte +er sich, sooft es ihn überkam, niemals als ein Christ darin finden, +sondern tobte und schnaubte und stampfte und schlug hinten aus und +stellte sich ungebärdig und schrieb so bittere Stachelschriften gegen +das Auge, wie jemals ein Mann geschrieben hat. Eine findet sich noch, +die er gegen irgendeines oder das andere Auge geschrieben hat, das ihn +drei Nächte hintereinander am Schlaf gehindert hatte. Er hebt in der +ersten Aufwallung seines Zorns also an: + + »Ein Satan ist's -- und tut solch Unheil wirken, + Als niemals noch geschah von Heiden, Juden, Türken.«[2] + +Kurz zu sagen, während des ganzen Anfalls tat mein Vater nichts als +schimpfen und schmähen. Es ging sogar bis zum vermaledeien. Nur tat er +das nicht so methodisch wie Ernulphus. Da war er zu hitzig zu. Denn +obgleich mein Vater mit der unbiegsamsten Gemütsart von der Welt dieses +und jenes und alles unter der Sonne zu vermaledeien pflegte, was seine +Liebe entzündete oder begünstigte, so schloß er doch niemals sein +Vermaledeiungskapitel dagegen, ohne sich im Kauf mit zu verwünschen: +als einen der größten Gimpel und Faselhänse, wie er zu sagen pflegte, +die nur jemals in Gottes weiter Welt herumgelaufen wären. + +Mein Onkel Toby dagegen fand sich darin, wie ein Lamm -- saß still +und ließ das Gift in seinen Adern wirken, ohne Widerstand zu tun. -- +In der schärfsten Eiterung seiner Wunde (wie bei der Wunde an seinem +Latzbein) ließ er sich niemals ein störrisches oder mißvergnügtes +Wort entfallen. Er tadelte weder Himmel noch Erde, dachte oder sagte +niemals Schmähungen gegen jemanden oder jemandes Glied. Er saß einsam +und ernst mit seiner Pfeife, sah auf sein lahmes Bein, hauchte ein +empfindsames Ach! aus der Brust, das sich mit dem Schmauche vermischte +und keinem Sterblichen lästig fiel. + +Er fand sich darin wie ein Lamm, sage ich. + + [Illustration] + + + + + Hundertvierundzwanzigstes Kapitel. + + +Die Welt schämt sich, tugendhaft zu sein. Mein Onkel Toby wußte wenig +von der Welt; und deswegen, als er fühlte, daß er in die Witwe Wadmann +verliebt wäre, fiel es ihm ebensowenig ein, daß die Sache ein Geheimnis +sein müßte, als wenn Madame Wadmann ihn mit einem Bugmesser in die +Finger geschnitten hätte. Und hätte er es auch anders verstanden: Da er +einmal seinen Trim beständig als einen ärmeren Freund betrachtete, und +von Tag zu Tag neue Ursache fand, ihm als einem solchen zu begegnen, so +würde das keine Änderung in der Art gemacht haben, womit er ihm von der +Sache Nachricht gab. + +»Ich bin verliebt, ehrlicher Trim!« sagte mein Onkel Toby. + + [Illustration] + + + + + Hundertfünfundzwanzigstes Kapitel. + + +»Verliebt!« sagte der Korporal, »Euer Gnaden befanden sich doch +vorgestern noch ganz wohl, als ich Euer Gnaden die Historie vom Könige +von Böhmen erzählte.« -- »Böhmen!« sagte mein Onkel Toby und dachte +lange nach. »Was ist aus der Historie geworden, Trim?« + +»Wir müssen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ungefähr davon abgekommen +sein. Aber Euer Gnaden waren ebensoweit vom Verliebtsein weg, als ich +es bin.« + +»Es war eben, als Er mit dem Schiebkarren abmarschierte -- mit der +Witwe Wadmann,« sagte mein Onkel Toby. »Hier hat sie eine Kugel sitzen +lassen,« setzte mein Onkel Toby hinzu und zeigte auf seine Brust. + +»Sie kann mit Euer Gnaden Erlaubnis ebensowenig eine Belagerung +aushalten, wie sie fliegen kann,« schrie der Korporal. + +»Da wir aber Nachbarn sind, Trim, so ist es doch wohl der beste Weg, +denke ich, ihr es erst in aller Güte anzuzeigen,« sagte mein Onkel +Toby. + +»Wenn ich so frei sein dürfte,« sagte der Korporal, »Euer Gnaden einen +anderen guten Rat zu geben --« + +»Warum spräche ich sonst mit Ihm davon, Trim?« sagte mein Onkel Toby. + +»So würde ich damit anfangen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß ich +wieder eine derbe donnernde Attacke auf sie machte und es ihr hernach +in aller Güte mitteilte. Denn wenn sie vorher den geringsten Wind davon +bekommt, daß Euer Gnaden verliebt sind --« »Ach, lieber Himmel! Sie +weiß noch ebensowenig davon, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wie ein +Kind, das noch geboren werden soll.« + +Die guten Seelen! + +Madame Wadmann hatte es schon, mit allen Umständen, ihrer Brigitte +vierundzwanzig Stunden vorher erzählt und saß in ebendem Augenblicke +und hielt Kriegsrat mit ihr über einige kleine Zweifel, wie die Sache +ablaufen möchte, die ihr der Meister Hämmerling, der bei solchen +Vorfällen niemals zu schlafen pflegt, in den Kopf gesetzt hatte, ehe er +ihr erlauben wollte, daß sie ihr +Te deum+ mit Ruhe halb aussänge +-- + +»Mir ist erschrecklich bange,« sagte Madame Wadmann, »im Fall ich ihn +heiraten sollte, Brigitte, daß der gute Kapitän mit seiner ungeheuren +Wunde in der Hüfte niemals recht gesund sein möchte.« -- »Sie mag wohl +nicht so schlimm sein,« versetzte Brigitte, »als Sie denken, und ich +glaube auch überdem,« fügte sie hinzu, »daß sie zugeheilt ist.« -- + +»Das möchte ich doch wohl wissen, bloß seinetwegen,« sagte Madame +Wadmann. + +»Wir wollen erfahren, wie lang und breit sie ist,« antwortete Jungfer +Brigitte, »ehe noch zehn Tage vorbei sind. Denn derweile der Herr +Kapitän Ihnen seine Aufwartung macht, wird sein Korporal Trim, das +weiß ich, seine Liebe bei mir anbringen wollen. Und ich will ihn ruhig +machen lassen, was er will,« setzte Brigitte hinzu, »um alles von ihm +herauszukriegen.« + +Die Maßregeln wurden den Augenblick genommen. Und mein Onkel Toby und +der Korporal gingen weiter mit den ihrigen. + +»Nun,« sagte der Korporal, wobei er seine linke Hand in die Seite +stemmte und mit der rechten einen solchen Schwung durch die Luft tat, +der einen glücklichen Ausgang -- und mehr nichts -- versprach. »Wenn +Euer Gnaden mir die Erlaubnis geben wollen, den Plan zu dieser Attacke +zu machen.« -- + +»Er wird mir damit einen großen Gefallen erweisen, Trim,« sagte mein +Onkel Toby. »Und da ich schon vorher sehe, daß er ihn als mein Adjutant +wird mit helfen ausführen müssen, so hat er hier ein paar Gulden, daß +er sein Patent in ein Glas Wein tauchen kann.« + +»Nun, so wollen wir denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der +Korporal -- und machte dabei einen Bückling für sein Avancement -- +»damit anfangen, daß wir Euer Gnaden besetzte Kleider aus dem großen +Feldkasten hervorholen und brav auslüften lassen, und wollen die +Aufschläge mit Gold auf die Ärmel heften. Und ich will die weiße +Knotenperücke frisch aufwickeln und zum Schneider gehen, daß er Euer +Gnaden scharlachene Hosen kehrt.« + +»Ich tue wohl besser, Trim, daß ich die rotplüschenen anziehe,« sagte +mein Onkel Toby. »Die werden zu schlecht sitzen,« sagte der Korporal. + + [Illustration] + + + + + Hundertsechsundzwanzigstes Kapitel. + + +»Putz' Er meinen Degen mit einer Bürste und ein wenig Kreide.« -- »Es +soll geschehen, wie Euer Gnaden befehlen,« versetzte Trim. + + [Illustration] + + + + + Hundertsiebenundzwanzigstes Kapitel. + + +Unterdessen mein Vater seine schriftliche Instruktion abfaßte, waren +mein Onkel Toby und der Korporal beschäftigt, alles auf die Attacke +vorzubereiten. Da der Gedanke, die feinen scharlachenen Beinkleider +kehren zu lassen, aufgegeben war -- fürs erste zum wenigsten --, blieb +nichts mehr im Wege, warum sie weiter hinausgesetzt werden müßte, als +auf den nächsten Morgen. Also ward sie auf elf Uhr festgesetzt. + +»Komm, mein Kind,« sagte mein Vater zu meiner Mutter. »Es wird für +einen Bruder und eine Schwester ganz wohlgetan sein, wenn wir beide ein +wenig nach meines Bruders Hause hinübergehen und ihm bei seiner Attacke +ein wenig mit Rat und Tat beistehen.« + +Mein Onkel Toby und der Korporal Trim waren schon seit einiger Zeit in +vollem Putze, und als mein Vater und meine Mutter hereintraten, standen +sie, da es eben elf Uhr schlug, schon auf dem Sprunge, den Marsch mit +dem linken Fuße anzutreten. Die Beschreibung hiervon aber ist mehr +wert, als in das Ende eines Kapitels, wie dieses, hineingewebt zu +werden. + +Mein Vater hatte nur gerade soviel Zeit, seine Instruktion meinem Onkel +Toby in die Rocktasche zu stecken und ihm, mit meiner Mutter zugleich, +viel Glück zu seiner Attacke zu wünschen. + +»Ich hätte wohl Lust,« sagte meine Mutter, »durchs Schlüsselloch zu +gucken, aus Neugierde.« -- »Nenne nur das Kind beim rechten Namen, mein +Schatz,« sagte mein Vater -- + +»Und gucke durchs Schlüsselloch, solange wie du willst.« + + [Illustration] + + + + + Hundertachtundzwanzigstes Kapitel. + + +Obgleich der Korporal sein Wort ehrlich gehalten und meines Onkels Toby +große Dreiknotenperücke auf Pfeifenstiele gewickelt hatte, so war doch +die Zeit zu kurz, daß es sonderlich große Wirkung hätte tun können. +Sie war manches liebe Jahr in einer Ecke seines alten Feldkastens +zusammengequetscht worden. Und da sich schlimme Falten nicht so leicht +herausmachen lassen und ihm der Handgriff mit den Enden von Talgkerzen +nicht so geläufig war, so war es keine so lenksame Arbeit, wie man wohl +denken möchte. Der Korporal trat wohl ein Schock Male mit funkelnden +Augen und beiden Armen ausgestreckt in gerader Linie von ihr zurück, um +ihr, wo möglich, eine bessere Miene einzuflößen. Hätte die Grämlichkeit +einen Blick darauf geworfen, es würde Ihro grämlichen Gnaden ein +Schmunzeln abgelockt haben. -- Sie fiel allenthalben in Locken, nur +nicht da, wo es der Korporal haben wollte und wo eine oder ein paar +Wellen ihr nach seiner Meinung würden Ehre gemacht haben. Da hätte er +ebensoleicht einen Toten erwecken können. + +So sah sie aus -- oder vielmehr, so würde sie auf jedem anderen +Gesichte ausgesehen haben. Der sanfte Blick der Güte aber, der auf +dem Gesichte meines Onkels Toby saß, machte jedes Ding in seiner Nähe +mit so unwiderstehlicher Macht sich selbst ähnlich. Und dabei hatte +die Natur mit so leserlichen Buchstaben in jeden Zug seiner Miene +geschrieben: ~ein feiner Mann~, daß ihn selbst sein abgebleichter +goldener Tressenhut und die große Hutschleife von schlaffem Taffetband +gut kleidete. Obgleich an sich selbst kein Scherflein wert, wurden +sie doch den Augenblick, da mein Onkel Toby sie aufsetzte, Dinge von +Bedeutung und schienen ausdrücklich von der Hand der Wissenschaft +ausgesucht zu sein, ihm ein Ansehen zu geben. + +Nichts in dieser Welt hätte so kräftig zu diesem Endzwecke beitragen +können, wie meines Onkels Toby blaues Kleid mit Gold, wäre nicht +gewissermaßen Fülle mit zur Grazie erforderlich gewesen. In einem +Zeitraume von fünfzehn oder sechzehn Jahren, seitdem es gemacht worden, +war das blaue Kleid mit Gold meinem Onkel Toby durch ein völlig +untätiges Leben -- denn er kam selten weiter als nach seinem grünen +Spielplatze -- so kläglich eng geworden, daß es den Korporal große Mühe +und Künste kostete, ehe er ihn hineinbringen konnte. Das Aufheften der +Aufschläge hatte nicht viel geholfen. Es war indessen vorne und hinten +und auf den Taschen und Schößen usw. mit Tressen besetzt, nach der Mode +unter des Königs Wilhelm Regierung. Um die Beschreibung abzukürzen, +schienen sie diesen Morgen in der Sonne so glänzend und machten ein so +metallisches und tapferes Ansehen, daß mein Onkel Toby, wenn er auf +eine kriegerische Attacke mit Schild und Speer ausgegangen wäre, nichts +Besseres nach seinem Sinne hätte ausfinden können. + +Was die feinen scharlachenen Beinkleider anbetrifft: die waren von dem +Schneider in der inwendigen Naht aufgetrennt, und weiter hatte er sich +nicht darum bekümmert. + +Ja, Madame! -- Aber laß uns unserer Einbildung nicht die Zügel +schießen. Genug, sie wurden den Abend vorher für unbrauchbar erklärt, +und da in meines Onkels Toby Garderobe keine Wahl war, so blieb es bei +seinen rotplüschenen. + +Der Korporal hatte sich mit der Regimentsuniform herausstaffiert. Das +Haar unter seiner Reitmütze zusammengeknotet, die er des Endes neu +aufgebürstet hatte, marschierte er in einer Distanz von drei Schritten +hinter seinem Herrn. Ein Hauch von militärischem Stolze hatte seine +Vorärmel über den Händen hervorgezupft. Auf eine derselben hatte der +Korporal an einem ledernen Bande, das unter dem Knoten in eine Quaste +geschnitzelt war, seinen Stock hängen. + +Mein Onkel Toby trug seinen Stock wie einen Speer. + +Es sieht doch wenigstens nicht übel aus, sagte mein Vater bei sich +selbst. + + [Illustration] + + + + + Hundertneunundzwanzigstes Kapitel. + + +Mein Onkel Toby wendete sich mit dem Gesichte mehr als einmal herum, um +zu sehen, wie ihn das Hintertreffen, der Korporal, unterstützte. Und +sooft er das tat, machte der Korporal mit seinem Stock einen Schwung in +die Luft -- doch nicht prahlerischerweise. Mit dem leisesten Tone des +ehrerbietigsten Zuredens hieß das soviel wie: »Nichts gefürchtet!« + +Mein Onkel Toby aber fürchtete, und zwar gar herzlich. Er hatte +noch nicht einmal -- wie ihm mein Vater vorgeworfen hatte -- das +rechte Ende eines Frauenzimmers vom unrechten unterscheiden gelernt. +Deswegen war er niemals an seiner rechten Stelle, wenn er nahe bei +einem sein mußte. Ausgenommen, wenn es in Kummer und Betrübnis war. +Alsdann war sein Mitleiden unendlich; auch hätte der liebreichste +Ritter aus dem vorigen Jahrhunderte nicht weiter reisen können -- auf +einem Beine wenigstens nicht --, um eine Träne von einem weiblichen +Auge zu wischen. Und dennoch, das eine Mal nicht gerechnet, da ihn +Madame Wadmann dazu überlistete, hatte er niemals steif in eines +hineingesehen, und pflegte oft in der Einfalt seines Herzens zu meinem +Vater zu sagen, das wäre fast ebenso arg -- wo nicht ebenso laut -- wie +unzüchtig reden. + +»Und nun, wenn's das wäre?« pflegte mein Vater zu antworten. + + [Illustration] + + + + + Hundertdreißigstes Kapitel. + + +»Sie kann's doch nicht,« sagte mein Onkel Toby und machte Halt, als sie +bis auf zehn Schritte von Madame Wadmanns Haustüre aufmarschiert waren +-- »sie kann's doch nicht übelnehmen, Korporal?« + +»Sie wird's nehmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, +»eben wie es die Witwe zu Lisbon von meinem Bruder Thomas nahm.« + +»Und wie war das?« sagte mein Onkel Toby und machte fast völlig Front +herum gegen den Korporal. + +»Euer Gnaden,« versetzte der Korporal, »wissen meines Bruders Tom +Unglück. Aber diese Sache hat nichts weiter damit zu tun als nur: +hätte Tom die jüdische Witwe nicht gefreiet, oder wäre es des lieben +Herrgotts Wille gewesen, daß sie Schweinefleisch in ihre Würstchen +getan hätten, so hätten sie die ehrliche Haut meines Bruders nicht +aus seinem warmen Bette geholt und zur Inquisition geschleppt. -- -- +Es ist ein verdammtes Loch,« fügte der Korporal hinzu und schüttelte +den Kopf. »Wenn einmal erst ein armer Kerl, mit Euer Gnaden Erlaubnis, +darin ist, so ist kein Herauskommen wieder.« + +»Sehr wahr!« versetzte mein Onkel Toby und sah nach Madame Wadmanns +Hause, als er das sagte. + +»Nichts,« fuhr der Korporal fort, »kann wohl so elend sein wie eine +ewige Gefangenschaft, und nichts süßer, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, als +die Freiheit.« + +»Nichts, Trim,« sagte mein Onkel Toby, in tiefen Gedanken -- + +»Solange ein Mensch frei ist,« rief der Korporal und Schwang dabei +seinen Stock, wie hier + +[Illustration] + +Ein ganzes Tausend von meines Vaters subtilsten Syllogismen hätte +nichts Stärkeres für den Ehelosenstand sagen können. + +Mein Onkel Toby sah ernsthaft nach seinem Landhäuschen und dem grünen +Spielplatze zurück. + + [Illustration] + + + + + Hunderteinunddreißigstes Kapitel. + + +Als mein Onkel Toby und der Korporal bis ans Ende der Allee marschiert +waren, fiel es ihnen ein, daß ihr Geschäft eines anderen Weges läge. +Sie machten also linksum und marschierten geradeswegs auf Madame +Wadmanns Türe zu. + +»Es soll gut gehen, Euer Gnaden,« sagte der Korporal und legte dabei +seine Hand an seine Reitmütze, als er an ihm vorbeiging, um an die +Türe zu klopfen. Mein Onkel Toby, gegen seine sonst unveränderliche +Gewohnheit, seinem treuen Diener zu begegnen, antwortete ihm weder +Gutes noch Böses. Das lag daran, daß er seine Ideen noch nicht völlig +in Ordnung gebracht hatte. Er wünschte noch erst einmal in Konferenz zu +treten. Und als der Korporal die drei Stufen vor der Türe hinaufging, +stieß er zweimal hm! aus. Ein Teil von meines Onkels Toby sehr +bescheidener Herzhaftigkeit flog mit jedem Hm! zu dem Korporal hin. Der +stand eine ganze Minute lang mit dem aufgehobenen Türklopfer in der +Hand und wußte kaum, warum. -- Brigitte stand inwendig auf Vorposten +mit ihrem Finger und Daumen an der Klinke, erstarrt vor Erwartung der +Dinge. Madame Wadmann, mit einem Auge voller Bereitwilligkeit, die +Blume noch einmal zu opfern, saß atemlos hinter dem Vorhange vor dem +Fenster in ihrer Schlafkammer und bemerkte die Annäherung. + +»Trim!« sagte mein Onkel Toby -- --. Aber als er die Worte aussprach, +war die Minute verstrichen, und Trim ließ den Klopfer fallen. + +Mein Onkel Toby, als er gewahr wurde, daß solches alle seine Hoffnung +zu einer Konferenz den Kopf eingeschlagen hätte, -- pfiff den +Lillabullero. + + [Illustration] + + + + + Hundertzweiunddreißigstes Kapitel. + + +Da Jungfer Brigitte schon mit Finger und Daumen die Klinke gefaßt +hielt, so klopfte der Korporal nicht so oft, wie vielleicht Euer Gnaden +Schneider tun muß. Ich hätte mein Beispiel schon ein wenig mehr in +die Nähe nehmen können, denn ich bin dem meinigen wenigstens über die +hundert Taler schuldig und wundere mich über des Mannes Geduld. + +Aber das geht keinem Menschen etwas an; nur soviel, es ist eine +verdammte Sache, in Schulden zu stecken, und es scheint ein für allemal +ein feindliches Schicksal über die Schatzkammern gewisser guter +Prinzen zu walten, besonders über die von unserem Hause, das keine +Kameralwissenschaft in Fesseln zu legen vermag. Ich meinesteils bin +überzeugt, es ist kein anderer Prinz, Prälat, Papst, Potentat, groß +oder klein in der Welt, der in seinem Herzen mehr und eifriger wünscht +als ich, mit der ganzen Welt Saldo zu sein, oder dazu dienlichere +Mittel brauchte. Ich gebe niemals über einen Dukaten, gehe nicht in +Stulpenstiefeln, kaufe keine Zahnstocher, lege das ganze Jahr nicht +ein Viergroschenstück für Bänder und Spitzen an. Die sechs Monate, die +ich auf dem Lande zubringe, lebe ich so kärglich, daß ich mit aller +Gutherzigkeit von der Welt Rousseau meilenweit zurücklasse, denn ich +halte mir weder Kerl noch Jungen, noch Pferd noch Kuh, noch Hund noch +Katze, noch irgendein lebendiges Ding, das ißt oder trinkt, ausgenommen +ein armes dünnes Stück von einer Vestale, mein Feuer zu unterhalten, +die gewöhnlich eben so schlechten Appetit hat wie ich selbst. -- Wenn +Sie aber denken, das mache mich zum Philosophen, so möchte ich, meine +guten Leutchen, keinen Strohhalm für ihr Urteil geben! + +Wahre Philosophie --. Aber der Gedanke läßt sich unmöglich abhandeln, +derweil mein Onkel Toby den Lillabullero pfeift. + +»Laßt uns ins Haus gehen.« + + [Illustration] + + + + + Hundertdreiunddreißigstes Kapitel. + + + + + Hundertvierunddreißigstes Kapitel. + + + + + Hundertfünfunddreißigstes Kapitel. + + +»Sie sollen die eigentliche Stelle sehen, Madame,« sagte mein Onkel +Toby. + +Dieses erheischt abermals eine Erklärung. Es zeigt, wie wenig man aus +bloßen Worten lernen kann. Wir müssen zu der ersten Quelle zurückgehen. + +Um nun den Nebel aufzuhellen, welcher über diesen drei Seiten liegt, +muß ich mich bestreben, selbst so hell und deutlich zu sehen wie +möglich. + +Reiben Sie Ihre Hände dreimal über Ihre Stirnen, -- schneuzen Sie sich, +-- reinigen Sie die Schleimdrüsen, -- niesen Sie, meine lieben Freunde! +-- So! Gott helf! + +Nun kommen Sie mir aus aller Macht zu Hilfe. + +Wir leben in unserer Welt, an allen Seiten mit Geheimnissen und Rätseln +umgeben. Also tut's nichts, sonst schiene es wunderbar, daß die Natur, +welche alle Dinge so zweckmäßig macht und selten oder niemals irrt (es +sei denn aus Spielerei), indem sie allem, was durch ihre Hand geht, sie +bestimme es für den Pflug, für die Karawane oder für den Karren -- oder +was für ein Geschöpf sie modelliert, wär's auch nur ein Eselsfüllen +--, solche Bildung und Fähigkeiten gibt und mitteilt, daß Sie sicher +sind, das Ding zu bekommen, was Sie verlangen; -- daß die Natur, sage +ich, doch zu gleicher Zeit beständig so fortpfuscht, wenn sie ein so +einfältiges Ding macht wie einen Ehemann. + +Liegt das an der Wahl des Erdkloßes oder daß solcher häufig durchs +Kneten verdorben wird. Durch zu häufiges Kneten, wissen Sie, kann der +Leim und ein Ehemann einerseits zu krustig werden, anderseits durch +Mangel an Wärme nicht krustig genug. Oder ist diese große Künstlerin +nicht aufmerksam genug auf die kleinen platonischen Bedürfnisse +desjenigen Teils des menschlichen Geschlechts, zu dessen Gebrauch sie +diesen macht? -- Oder weiß die gnädige Frau zuweilen selbst nicht +recht, was für eine Art Ehemann es sein soll? -- Kurz, das alles weiß +ich nicht. Nach dem Abendessen wollen wir davon sprechen. + +Es ist genug, daß weder die Bemerkung selbst noch die daraus gemachte +Folgerung im geringsten für die Sache sind, sondern vielmehr dagegen. +Weil in Ansehung der Fähigkeiten meines Onkels Toby zum heiligen +Ehestande nichts in der Welt besser sein konnte. Die Natur hatte ihn +aus dem besten und gutartigsten Leim gebildet, hatte solchen mit ihrer +eigenen Milch eingeweicht und den sanftesten Geist hineingeblasen. Sie +machte ihn durch und durch tapfer, großmütig und menschlich. Sie hatte +sein Herz mit Treue und gutem Glauben angefüllt, und hatte jede Leitung +zu demselben zur Mitteilung der zärtlichsten Dienste eingerichtet. Sie +hatte noch bei dem allen die anderen Ursachen mit in Betracht gezogen, +weswegen der Ehestand eingesetzt wurde. + +Und hatte also -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- + * * * * * + +Der Segen war auch durch meines Onkels Toby Wunde nicht von ihm +genommen. + + [Illustration] + + + + + Hundertsechsunddreißigstes Kapitel. + + +Jungfer Brigitte hatte den ganzen Vorrat von Ehre, den eine arme +Zofe aufbringen konnte, darauf verpfändet, daß sie, noch ehe zehn +Tage vergingen, die Sache von Grund aus wissen wollte. Und sie hatte +einen der unbestrittensten Vorsätze gefaßt; derweil mein Onkel Toby +seine Liebe bei ihrer Herrschaft antrüge, würde der Korporal nichts +Besseres zu tun finden, als ihr die seinige anzutragen. »Und ich will +ihm soviel Willen lassen, wie er will,« sagte Brigitte, »um es aus ihm +herauszubringen.« + +Madame Wadmann aber war entschlossen, ihre Karten selbst zu spielen. +Es bedurfte bei ihr keines Zuredens. Ein Kind hätte ihm in die Karten +gucken können. Er spielte mit solcher Offenherzigkeit und Ehrlichkeit +alle seine Trümpfe aus der Hand und hatte sowenig Arg daraus, wie man +sich mit Aß und Dame hinter die Hand bringen müßte, -- und so nackt und +wehrlos saß er da mit Madame Wadmann auf einem Sofa beisammen, daß ein +großmütiges Herz geweint haben würde, ihm das Spiel abzugewinnen. + +Laß uns die Metapher beiseitesetzen. + + [Illustration] + + + + + Hundertsiebenunddreißigstes Kapitel. + + +Und die Geschichte dazu, wenn's Ihnen beliebt! Denn obgleich ich +beständig mit solchem herzlichen Verlangen auf diese Stelle zugeeilt +bin, wohl wissend, daß es von allem, was ich der Welt vorzusetzen +habe, der beste Leckerbissen ist, so will ich doch jetzt, da ich dabei +angelangt bin, gerne einem jeden meine Feder übergeben, die Historie +an meiner Statt fortzusetzen. Ich sehe die Schwierigkeit dieser +Beschreibungen ein, die ich vorhabe, und fühle meinen Mangel an +Kräften. + +Ich habe wenigstens den einen Trost, daß ich diese Woche an die acht +Unzen Blut in einem sehr tückischen Fieber verloren habe, das mich +überfiel, als ich dieses Kapitel anfing. Daß ich also noch einige +Hoffnung habe, es könne eher an den seriösen und kugelförmigen Teilen +des Blutes liegen, als an der subtilen Aura des Gehirns. -- Es sei, +wie ihm wolle. Eine Anrufung kann nicht schaden! Und ich überlasse es +völlig dem Angerufenen, mir's einzublasen oder einzuspritzen, wie er's +für nützlich findet. + + + ~Die Anrufung~. + +Gütiger Spiritus der angenehmen Laune, der du vormals auf der leichten +Feder meines geliebten Cervantes saßest. Du, der du täglich durch seine +Fensterscheiben schlüpftest und die Dämmerung seines Gefängnisses durch +deine Gegenwart in hellen Mittagsschein verkehrtest, seinen kleinen +Wasserkrug mit himmlischem Nektar vermischtest und die ganze Zeit, da +er von Sancho und seinem Herrn schrieb, deinen mystischen Mantel über +seinen welken Stummel warfst[3] und ihn weit über alle Übel seines +Lebens breitetest. + +Kehre bei mir ein, ich bitte dich! Siehe diese Beinkleider! Mehr habe +ich nicht in dieser Welt. Diesen häßlichen Riß bekamen sie zu Lyon. -- + +Meine Hemden! Siehe, was für ein schreckliches Schisma sich unter ihnen +hervorgetan hat. Denn die vorderen Zipfel sind in der Lombardei und das +übrige davon hier. Nie hatte ich mehr als sechs, und eine listige Hexe +von Wäscherin zu Mailand schnitt mir von fünf die Zipfel ab. Doch um +ihr nicht Unrecht zu tun, sie tat es mit Bescheidenheit. + +Und dennoch, trotz alledem und einem Pistolenfeuerzeug, das mir noch +dazu in Sienna weggemaust ward, und daß ich zweimal fünf Paoli für zwei +harte Eier bezahlen mußte, einmal zu Radioffini und das andere Mal zu +Capua, -- halte ich eine Reise durch Frankreich und Italien -- nur muß +ein Mensch auf dem ganzen Wege nicht ärgerlich werden -- für keine so +schlimme Reise, wie einige Leute Ihnen gern weismachen möchten. Es muß +zuweilen auf und nieder gehen. Wie Henker wollten wir sonst zu den +Tälern gelangen, in denen die Natur so manche Tafel des Vergnügens für +uns gedeckt hat. Unklug ist's, sich einzubilden, sie werden uns ihr +Fuhrwerk leihen, daß wir es umsonst in Stücken zerbrechen können. Und +wenn Sie nicht zwölf Sous bezahlen, ihre Räder zu schmieren, woher +sollte der arme Bauer Butter zu seinem Brote nehmen? -- Wirklich, +wir erwarten zuviel -- und für das Paar Lire, das man Ihnen für Ihr +Abendessen und Bette zuviel abnimmt, was machen denn am Ende die aus? +Wer wollte darüber seine Philosophie verwirren? Um's Himmels und um +Ihrer selbst willen, zahlen Sie -- zahlen Sie mit zwei offenen Händen! +Lieber, als bei Ihrem Abfahren eine vereitelte Hoffnung auf dem Auge +der hübschen Wirtin und ihrer schönen Tochter sitzen zu lassen. Und +noch dazu, mein lieber Herr, nehmen Sie einen schwesterlichen Kuß von +beiden. Jeder ist seinen Louisdor wert. Ich wenigstens tat es! -- + +Denn da mir den ganzen Weg über meines Onkels Toby Liebesgeschichte im +Kopfe herumlief, tat solche die nämliche Wirkung auf mich, als wäre +es meine eigene gewesen. -- Ich befand mich in dem vollkommensten +Zustande der Güte und des Wohlwollens und fühle bei jeder Erschütterung +des Wagens die Schwingungen der sanftesten Harmonie, dergestalt, daß +mir's keinen Unterschied machte, ob die Wege höckerig waren oder eben. +Alles, was ich sah oder womit ich zu tun hatte, fiel auf eine geheime +Springfeder des Empfindens oder Entzückens. + +Es waren die lieblichsten Töne, die je mein Ohr berührt hatten; und +den Augenblick ließ ich das Vorderglas nieder, um sie deutlicher zu +hören. -- »Es ist Maria,« sagte der Postillon, der es bemerkte, daß +ich horchte. -- »Die arme Maria,« fuhr er fort und bog sich dabei nach +einer Seite, um mich sie sehen zu lassen, denn er saß in gerader Linie +zwischen uns, »sitzt auf dem Rasen und spielt auf ihrer Flöte ihren +Vespergesang, mit ihrer kleinen Ziege neben ihr.« + +Der junge Kerl brachte dies mit einem Tone und Blicke hervor, +die so völlig rein zu einem gefühlvollen Herzen gestimmt waren, +daß ich augenblicklich ein Gelübde tat, ich wollte ihm ein +Vierundzwanzigsousstück geben, wenn ich nach Moulins käme. + +»Und wer ist die arme Maria?« sagte ich. + +»Die Liebe und das allgemeine Bedauern aller Dorfschaften um uns +herum,« sagte der Postillon. »Es ist erst drei Jahre her, daß die Sonne +auf kein schöneres, witzigeres und liebenswürdigeres Mädchen schien. +Und Maria verdiente ein besseres Schicksal, als daß ihr ein Eheverbot +angelegt würde, und das durch die Kunstgriffe des Pfarrers, der sie +aufbieten sollte.« + +Er wollte weiterreden, als Maria, die eine kurze Pause gemacht hatte, +die Flöte in den Mund nahm und den Gesang von neuem begann. Es waren +dieselben Noten, aber sie waren zehnmal lieblicher. »Es ist das +Abendlied an die heilige Jungfrau,« sagte der junge Mann. »Aber wer +es sie spielen gelehrt oder wie sie zu ihrer Flöte gekommen, das weiß +kein Mensch. Wir denken, der Himmel hat ihr zu beiden verholfen. Denn +solange es in ihrem Kopfe nicht richtig ist, scheint das ihr einziges +Labsal zu sein. -- Sie hat die Flöte noch niemals aus der Hand gelegt, +sondern darauf ihr Abendlied beständig fast Nacht und Tag gespielt.« + +Der Postillon erzählte dieses mit so vieler Bescheidenheit und solcher +natürlichen Beredsamkeit, daß ich mich nicht enthalten konnte, etwas in +seinem Gesicht zu entziffern, das über seinen Stand wäre. Und ich würde +sein Gesicht ausgeforscht haben, hätte nicht Marias Gesicht so völligen +Besitz von mir genommen. + +Wir waren um diese Zeit fast bis an den Rasen gekommen, auf welchem +Maria saß. Sie trug ein weißes feines Mieder, und ihre Haare, bis auf +zwei Locken, waren in ein seidenes Netz aufgebunden, in das an der +einen Seite ein wenig phantastisch ein paar Olivenblätter geflochten +waren. Sie war schön; und wenn ich jemals die ganze Stärke eines +redlichen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick, da +ich sie sah. + +»Gott steh' ihr bei! Armes Mädchen! Sie haben mehr als hundert Messen +in den verschiedenen Dorf- und Klosterkirchen um uns herum für sie +lesen lassen. Aber es hat nichts geholfen. Wir haben doch noch +Hoffnung, denn sie ist zuweilen auf kurze Zeit ganz verständig, daß sie +die heilige Mutter Gottes wieder zurechtbringen wird. Ihre Eltern aber, +die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und meinen, +daß sie ihre Sinne auf immer verloren hat.« + +Als der Postillon das sagte, machte Maria eine so melancholische +Kadenz, so zärtlich und wehklagend, daß ich aus dem Wagen sprang, ihr +zu helfen, und fand mich zwischen ihr und ihrer Ziege sitzend, ehe ich +aus meinem Enthusiasmus wieder zu mir selbst kam. + +Maria sah einige Zeit ganz starr auf mich und dann auf ihre Ziege -- +und dann wieder auf mich -- und dann wieder auf ihre Ziege, und so +fort, eins um das andere. + +»Nun, Maria,« sagte ich sanft, »was für eine Ähnlichkeit findet Sie?« + +Ich bitte den redlichen Leser, mir zu glauben, daß die Frage aus der +demütigsten Überzeugung geschah, daß der Mensch ein Tier sei. In der +ehrwürdigen Gegenwart des Elends hätte ich mir keinen unzeitigen Scherz +entfallen lassen mögen, hätte ich dadurch einen Anspruch auf den besten +Witz erlangen können, den Rabelais jemals ausgelassen hat. Und dennoch, +ich bekenne es, tat mir's im Herzen wehe. Ich wurde über den bloßen +Gedanken daran so unruhig, daß ich schwur, ich wollte mich mein ganzes +Leben auf Weisheit legen und nichts als ernsthafte Sittensprüche sagen +-- und niemals, niemals wieder versuchen, mit Mann, Weib oder Kind +Schnurren zu treiben, solange ich lebte. + +Was das betrifft, Wischiwaschi für Sie zu schreiben, -- ich glaube, das +war ein Vorbehalt --; aber das überlasse ich der Welt. + +Lebe wohl, Maria! Lebe wohl, armes unglückliches Mädchen! + +Zu einer anderen Zeit, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deine +Leiden von deinen eigenen Lippen. -- Aber ich irrte mich. Denn ebenden +Augenblick nahm sie ihre Flöte und erzählte mir damit eine solche +Geschichte des Jammers, daß ich aufstand und mit schwankendem Schritt +langsam nach meinem Wagen ging. + +Was für ein vortreffliches Wirtshaus zu Moulins! + + [Illustration] + + + + + Hundertachtunddreißigstes Kapitel. + + +Wenn wir bis ans Ende dieses Kapitels gekommen sind, aber nicht eher, +müssen wir alle wieder zu den beiden in Blanko gelassenen Kapiteln +zurückkehren. Ihretwegen liegt meine Ehre schon eine halbe Stunde +und blutet. Ich stille es dadurch, daß ich einen von meinen gelben +Pantoffeln abziehe und ihn aus allen meinen Kräften an die Wand +gegenüber werfe, mit der Erklärung dahinter: + +Was für eine Ähnlichkeit auch unter der Hälfte von allen Kapiteln +sein mag, die in der Welt geschrieben sind, oder, wenn ich mich nicht +gröblich irre, eben jetzt geschrieben werden: -- so war es doch ganz +so zufällig, wie der Schaum an Zeus' Pferden, daß in diesen beiden +Kapiteln, wie in der Hälfte von »allen«, auch nichts stand. Überdem +habe ich auch für ein Kapitel, in welchem nichts steht, allemal +Respekt. Und in Betracht, was für schlimmere Sachen es in der Welt +gibt, halte ich so etwas für keinen schicklichen Gegenstand der Satire. + +Warum wurden sie denn in Blanko gelassen? Und hier, ohne meine Antwort +zu erwarten, werde ich Dummkopf, Pinsel, Gimpel, Gelbschnabel, +Firlefanz, Ölgötze, Langohr, Brausebart und mit anderen unverdaulichen +Namen mehr gescholten werden, wie sie jemals die Kuchenbäcker von +Lernee den Schäfern des Königs Garagantnas in die Zähne warfen; und +mögen sie's tun, wie Brigitte sagte, soviel als sie gelüstet; denn wie +war es möglich, daß sie die Notwendigkeit vorhersehen konnten, in die +ich gesetzt war, das hundertachtunddreißigste Kapitel meines Buches +früher zu schreiben als das hundertdreiunddreißigste usw.? + +Ich nehme es ihnen also nicht übel. Alles, was ich wünsche, ist, daß es +der Welt eine Lehre sein möchte: »~Die Leute ihre Historien auf ihre +eigene Art erzählen zu lassen.~« + + [Illustration] + + + + + Das 132. Kapitel. + + +Da Jungfer Brigitte die Türe öffnete, ehe der Korporal noch einmal +recht geklopft hatte, so war zwischen dem und der Einführung meines +Onkels Toby ins Besuchszimmer die Zeit so kurz, daß Madame Wadmann nur +ebensoviel Zeit hatte, hinter dem Vorhange wegzuwischen, eine Bibel auf +den Tisch zu legen und ein paar Schritte gegen die Türe zu gehen, um +ihn zu empfangen. + +Mein Onkel Toby begrüßte Madame Wadmann nach der Weise, wie im Jahre +unseres Herrn eintausendsiebenhundertunddreizehn das Frauenzimmer von +Mannspersonen begrüßt ward. Darauf machte er rechtsum, ging in einem +Gliede mit ihr zum Kanapee und in drei kleinen Worten, doch nicht, +bevor er sich gesetzt hatte, auch nicht, nachdem er sich gesetzt hatte, +sondern indem er sich setzte, sagte er ihr, er liebte sie. + +Madame Wadmann sah natürlicherweise nieder auf eine Naht, die sie +in ihrer Schürze aufgetrennt hatte, und erwartete alle Augenblicke, +daß mein Onkel weitergehen würde. Allein, da er keine Gabe zur +Amplifikation hatte, und Liebe dazu noch eine Sache war, mit der er +unter allen am wenigsten meisterlich umzugehen wußte, so ließ er's, +nachdem er Madame Wadmann einmal gesagt hatte, daß er sie liebte, damit +gut sein und ließ die Sache durch sich selbst wirken. + +Mein Vater hatte beständig seine herzliche Freude über dies System +meines Onkels Toby, wie er's fälschlich nannte, und pflegte oft zu +sagen, hätte sein Bruder zu diesem Prozesse nur noch das Feuer von +einer Pfeife Tabak setzen können, er hätte damit flugs, wenn nur irgend +etwas Wahres an einem spanischen Sprichworte wäre, seinen Weg zu den +Herzen der Hälfte von allen Weibern auf der Erdkugel gefunden. + +Mein Onkel Toby verstand niemals, was mein Vater damit sagen wollte. +Ebensowenig will ich voreilig sein und mehr daraus schließen als die +Verwerfung eines Irrtums, in welchem der große Haufen in der Welt +steckt. -- Aber die Franzosen, Mann für Mann, glauben fast eben so +himmelfest daran wie an die körperliche Gegenwart, daß von Liebe reden +Liebe sei. + +Nach diesem Rezept möchte ich ebensogut eine Blutwurst machen wollen. + +Laß uns weitergehen. Madame Wadmann saß in der Erwartung, daß er es +täte, bis fast auf den ersten Pulsschlag ~der~ Minute, in der das +Stillschweigen von einer Seite oder der anderen gewöhnlich unanständig +wird. Dann rückte sie ein wenig näher zu ihm. Und indem sie ihre Augen +aufhob, errötete sie ein wenig, nahm den Ausforderungshandschuh oder, +wenn Sie das lieber hören, das Gespräch auf und fing die Unterredung +mit meinem Onkel Toby folgendermaßen an: + +»Die Sorgen und die Beschwerlichkeiten des Ehestandes,« sagte Madame +Wadmann, »sind sehr groß.« -- »Das sind sie, glaube ich,« sagte mein +Onkel Toby. -- »Wenn also eine Person,« fuhr Madame Wadmann fort, +»so ruhig leben kann wie Sie, so glücklich, Herr Kapitän, durch sich +selbst, durch Ihre Freunde und durch Ihren Zeitvertreib, so wundere ich +mich, was Sie für Ursachen haben können, sich in diesen neuen Stand zu +begeben.« + +»Sie stehen,« sagte mein Onkel Toby, »alle in dem Buch geschrieben, +woraus der Prediger bei der Trauung vorliest.« + +Bis dahin ging mein Onkel Toby mit Behutsamkeit, blieb auf seiner Tiefe +und ließ Madame Wadmann über dem Abgrunde segeln nach ihrem eigenen +Gefallen. + +»Was die Kinder anbelangt,« sagte Madame Wadmann, »obgleich vielleicht +ein hauptsächlicher Zweck der Einsetzung der Ehe und ein natürlicher +Wunsch, wie ich glaube, aller Eheleute, so wissen wir gar wohl, daß +sie gewisse Sorgen und sehr ungewisse Freuden machen! Und, mein lieber +Herr Kapitän, was hat man für das Herzeleid, was für Vergeltung für die +manchen zärtlichen, unruhigen Bekümmernisse einer leidenden wehrlosen +Mutter, die sie auf die Welt bringen muß?« -- »Ich bekenne,« sagte mein +Onkel Toby, von mitleidigem Gefühl ergriffen, »ich kenne keine, es sei +denn das Vergnügen, womit es dem lieben Gott gefallen hat --.« + +»Ein Wischiwaschi,« sagte sie. + + + + + Das 133. Kapitel. + + +Nun gibt es eine solche unendliche Menge von Tönen, Klängen, Weisen, +Melodien, Mienen, Blicken und Akzenten, womit das Wort Wischiwaschi in +allen solchen Fällen wie dieser ausgesprochen werden kann. Und jedes +darunter drückt ihm einen von den anderen so verschiedenen Sinn und +Verstand ein, wie Schmutz von Reinlichkeit sind. So daß die Kasuisten +-- denn in dieser Betrachtung ist es ein Gewissensfall -- nicht weniger +als vierzehntausend Fälle aufrechnen, in welchen man es richtig oder +falsch sagen kann. + +Madame Wadmann sagte ihr Wischiwaschi so, daß es meinem Onkel Toby all +sein bescheidenes Blut in die Wangen trieb. Da er dergestalt fühlte, +daß er unversehenerweise über seine Tiefe hinausgeraten sein müßte, +brach er kurz ab. Und ohne sich weiter auf die Sorgen oder Freuden des +Ehestandes einzulassen, legte er seine Hand auf sein Herz und tat sein +Anerbieten, solche, wie sie vorkämen, auf sich zu nehmen und mit ihr zu +teilen. + +Als mein Onkel Toby dieses gesagt hatte, mochte er's nicht gerne noch +einmal sagen. Da er dabei seine Augen auf die Bibel warf, welche Madame +Wadmann auf den Tisch gelegt hatte, nahm er sie in die Hand. Und da ihm +gleich -- der gute Mann! -- eine vor allen anderen sehr interessante +Stelle auffiel -- es war die Belagerung von Jericho --, so machte er +sich daran, sie zu überlesen. Indessen ließ er seinen Heiratsantrag, +wie er vorher mit seiner Liebeserklärung gemacht hatte, durch sich +selbst bei ihr wirken. Nun wirkte er weder als ein Adstringens noch als +ein Solvens, weder als Opium noch als Chinarinde, weder als Merkurius +noch als Stechdorn noch als irgendein Apothekermittel, welches die +Natur der Welt verliehen hat. Kurz, er wirkte ganz und gar nicht bei +ihr. Und das lag daran, daß vorher schon etwas bei ihr in Wirkung war. +-- Was ich für ein Plappermaul bin! Ein dutzendmal wohl habe ich schon +vorher gesagt, was es war. Aber es ist noch Feuer in der Materie. -- +Nur zu! + + [Illustration] + + + + + Hundertneununddreißigstes Kapitel. + + +Es ist für einen völlig Fremden, der von London nach Edinburg reist, +sehr natürlich, ehe er ausreiset, zu fragen, wieviel Meilen es bis York +ist. Welches ungefähr die Hälfte des Weges ausmacht. Auch wundert sich +niemand darüber, wenn er in seinen Fragen fortfährt und sich nach der +Stadt, Einrichtung, den Zünften usw. erkundigt. + +Ebenso natürlich war es für Madame Wadmann, deren erster Ehemann +beständig das Hüftweh gehabt hatte, daß sie zu erfahren wünschte, wie +weit es von der Hüfte bis zum Latzbeine sei. Und wieviel sie ungefähr +mehr oder weniger, als Frau, in ihrem Gemüte, von dem einen oder dem +anderen Falle zu leiden haben möchte. + +Sie hatte also Drakes Anatomie von einem Ende zum andern durchgelesen. + +Sie hatte gleichfalls mit ihrem eigenen Verstande darüber +philosophiert, Theorema festgesetzt, Folgerungen daraus gezogen, und -- +war zu keinem Schlusse gekommen. + +Um die Sache deutlich zu erfahren, hatte sie den Doktor Slop zweimal +gefragt, ob wohl der gute Kapitän Shandy jemals von seiner Wunde +hergestellt werden könnte. + +»Er ist hergestellt,« sagte Doktor Slop beidemal. + +»Wie, völlig?« + +»Völlig, Madame.« + +»Aber was verstehen Sie unter der Herstellung eigentlich?« sagte Madame +Wadmann. + +Doktor Slop war der ärgste Stümper unter der Sonne im Definieren. Also +konnte Madame Wadmann nicht erfahren, was sie wissen wollte. Kurz, es +gab keinen Weg, es herauszubringen, sie würde denn meinen Onkel Toby +selbst fragen. + +Es gibt bei Erkundigungen dieser Art einen so menschenfreundlichen +Ton, der den Verdacht in Schlaf singt. -- Und halb bin ich überzeugt, +die Schlange in ihrem Gespräche mit Mutter Eva mußte ihm ziemlich +nahekommen. Denn die weibliche Neigung, sich betrügen zu lassen, konnte +doch so stark nicht sein, daß sie sonst so verwegen gewesen sein würde, +mit dem Teufel selbst zu kosen. Aber es gibt einen menschenfreundlichen +Ton, wie soll ich ihn beschreiben? -- Es ist ein Ton, der die Wahrheit +mit einem Gewande bedeckt und dem Frager ein Recht gibt, ebenso +unanständig darüber zu sein wie Ihr Wundarzt. + +»War es ohne alle Gnade? + +»War es erträglicher im Bette? + +»Konnte er dabei auf beiden Seiten gleich gut liegen? + +»Konnte er dabei noch zu Pferde sitzen? + +»War die Bewegung dabei schädlich? usf.« wurden so zärtlich +ausgesprochen und dergestalt auf meines Onkels Toby Herz gerichtet, daß +jedes Item davon zehnmal tiefer in dasselbe sank, als die Schmerzen +selbst. -- Als aber Madame rund um Namur herumging, um an meines Onkels +Toby Wunde am Latzbeine zu gelangen, und ihn dahin brachte, die Spitze +der äußersten Konterskarpe zu attackieren, pelemele mit den Holländern, +mit dem Degen in der Faust, die Kontergarde St. Roch einzunehmen -- +und alsdann mit rührenden Tönen sein Ohr erfüllte, ihn blutend bei der +Hand nahm und aus der Schußlinie führte, sich ihre Augen wischte, als +er in sein Zelt getragen wurde -- Himmel! Erde! See! -- alles ward +emporgerichtet. -- Die Quellen der Natur stiegen über ihre natürliche +Höhe hinauf. -- Ein Engel des Mitleids saß ihm zur Seite auf dem Sofa. +Sein Herz glühte von Feuer. Und hätte er tausend Herzen gehabt, er +hätte sie alle an Madame Wadmann verloren. + +»Und in welcher Gegend, lieber Herr Kapitän,« fragte Madame Wadmann +ein wenig aufdringlich, »empfingen Sie diese häßliche Wunde?« -- Als +sie diese Frage tat, warf Madame Wadmann einen Seitenblick auf den +Hüftengurt von meines Onkels Toby rotplüschenen Beinkleidern, indem sie +natürlicherweise als die kürzeste Antwort erwartete, mein Onkel Toby +würde seinen Zeigefinger auf die Stelle legen. -- Es fiel anders aus. +Denn, da mein Onkel Toby seine Wunde vor dem St. Nikolaustore bekommen +hatte, in einer von den Traversen der vorspringenden Spitze der halben +Bastion Sankt Roch gegenüber, so konnte er allemal eine Nadel auf +die eigentliche Stelle stecken, wo er stand, als ihn der Stein traf. +Dieses traf augenblicklich meines Onkels Toby Sensorium. Und zugleich +damit die große Karte von der Stadt und Zitadelle von Namur und ihren +Gegenden, welche er sich gekauft und mit Hilfe des Korporals während +seiner langwierigen Krankheit auf ein Brett geklebt hatte. Sie hatte +seitdem beständig mit anderem militärischen Poltergeräte in einer +Dachkammer gelegen, und also ward der Korporal dahin detachiert, sie +herzuholen. + +Mein Onkel Toby maß mit Madame Wadmanns Scheren dreißig Ruten ab, von +der äußersten Spitze vor dem St. Nikolaustore, und legte mit einer +so jüngferlichen Bescheidenheit ihren Finger auf die Stelle, daß die +Göttin der Wohlanständigkeit, wenn sie damals vorhanden -- wo nicht, +so war's ihr Schatten --, ihren Kopf schüttelte und indem sie mit +einem Finger vor ihren Augen hin und her fuhr, ihr verbot, den Irrtum +aufzudecken. + +Unglückliche Madame Wadmann! -- + +Denn durch nichts kann ich diesem Kapitel ein lebhaftes Ende geben, +wie durch eine Apostrophe an dich! -- Aber mein Herz sagt mir, daß in +einer so kritischen Lage eine Apostrophe nur ein verstecktes Höhnen +sei, und lieber, ehe ich ein in Nöten steckendes Frauenzimmer verhöhnen +wollte, laß das Kapitel dahinfahren zum Meister Hämmerling! Wenn sich +nur ein verdammter Kunstrichter in Lohn und Brot die Mühe geben will, +es mitzunehmen. + + [Illustration] + + + + + Hundertvierzigstes Kapitel. + + +Meines Onkels Toby Karte wird hinunter in die Küche genommen. + + [Illustration] + + + + + Hunderteinundvierzigstes Kapitel. + + +»Und hier ist die Maas -- und hier die Sambre,« sagte der Korporal und +wies mit seiner etwas ausgestreckten rechten Hand auf die Karte und +hatte die linke auf Brigittens Schulter. Aber nicht auf der Schulter, +die ihm zunächst. -- »Und dies,« sagte er, »ist die Stadt Namur. +-- Und dies die Zitadelle. Und hier liegen die Franzosen. Und hier +liegt mein Herr und ich. Und in diesem verdammten Graben,« sagte der +Korporal und faßte sie bei der Hand, »bekam er die Wunde, welche ihn +so jämmerlich zerquetschte: hier.« Und so wie er das sagte, drückte er +ihre auswendige Hand an die Stelle -- und ließ sie fallen. + +»Wir dachten, Herr Trim, es wäre mehr nach der Mitte hin gewesen,« +sagte Jungfer Brigitte. -- + +»Das hätte uns unser Lebtage unglücklich gemacht,« sagte der Korporal. + +»Und hätte meine Madame auch eine unglückliche Frau bleiben lassen,« +sagte Brigitte. + +Der Korporal versetzte nichts anderes auf diese Antwort, als daß er +Brigitten einen Kuß gab. + +»Komm, komm,« sagte Brigitte und hielt das Auswendige ihrer rechten +Hand in der Fläche des Horizonts und wischte mit den Fingern der +anderen Hand darüber hin. Was nicht hätte geschehen können, wäre nur +die geringste Warze oder Minderung im Wege gewesen. »Wort für Wort eine +Unwahrheit,« rief der Korporal, ehe sie noch halb ausgeredet hatte. + +»Ich weiß aber,« sagte Brigitte, »von glaubwürdigen Leuten, daß es die +Wahrheit ist.« + +»Auf meine Ehre,« sagte der Korporal und legte seine Hand aufs Herz und +ward, indem er sprach, vor edlem Zorne rot. »Es ist eine Erdichtung, +Jungfer Brigitte, so falsch wie die Hölle.« -- »Nicht,« sagte Brigitte +und fiel ihm in die Rede, »daß ich oder meine Madame uns das geringste +daraus machten, ob es so ist oder nicht. Nur soviel, wenn man sich +verheiratet, so gehört es denn doch ein bißchen mit dazu.« + +Es war ein wenig unglücklich für Jungfer Brigitte, daß sie den Angriff +mit ihren Handgriffen begonnen hatte, denn der Korporal augenblicklich +-- -- -- -- -- -- -- + + [Illustration] + + + + + Hundertzweiundvierzigstes Kapitel. + + +Es war das kurz vorübergehende Streiten in den nassen Augenlidern eines +Aprilmorgens: »Ob Brigitte lachen oder weinen sollte.« + +Sie ergriff ein Mangelholz. -- Es war zehn gegen eins, sie hätte +gelacht -- + +Sie legte solches nieder -- sie weinte; und hätte nur eine Zähre nach +Bitterkeit geschmeckt, das Herz des Korporals würde voll Bekümmernis +gewesen sein, daß er das Argument gebraucht hatte. Allein der Korporal +verstand sich wenigstens um eine Quarte besser als mein Onkel Toby aufs +Frauenzimmer. Demzufolge bestürmte er Jungfer Brigitte auf diese +Manier. + +»Ich weiß, Jungfer Brigitte,« sagte der Korporal und gab ihr einen +sehr ehrerbietigen Kuß, »daß du von Natur gut und bescheiden und +obendrein ein so großmütiges Mädchen bist, daß du, wenn ich dich recht +kenne, keinem Wurm etwas zuleide tun und noch weniger einen so braven +und würdigen Mann an seiner Ehre kränken wolltest, wie mein Kapitän +ist, und wollte dich dafür zur Gräfin machen. Aber man hat dir was +weisgemacht und dich betrogen, liebste Brigitte, wie es einem Mädchen +oft geht, mehr um anderen einen Gefallen zu tun als sich selbst.« + +Brigitten träufelten die Tränen aus den Augen über die Empfindungen, +die der Korporal in ihr erregte. + +»Sage mir, -- sag' mir also, meine liebste Brigitte,« fuhr der +Korporal fort, wobei er sie an der Hand faßte, welche ihr an der Seite +niederhing und ihr einen zweiten Kuß gab, »wessen Argwohn hat dich +verführet?« + +Brigitte schluchzte ein paarmal und tat darauf die Augen auf. Der +Korporal trocknete sie mit dem Zipfel ihrer Schürze. Sie tat alsdann +ihr Herz auf und erzählte ihm alles. [Illustration] + + [Illustration] + + + + + Hundertdreiundvierzigstes Kapitel. + + +Mein Onkel Toby und der Korporal hatten den größten Teil der Kampagne +ihrer Operation getrennt fortgesetzt. Es war zwischen ihnen die +Kommunikation aller Nachrichten von dem, was der eine oder andere getan +hatte, so rein abgeschnitten, als ob sie durch die Maas und Sambre +voneinander getrennt gewesen wären. + +Mein Onkel Toby seinerseits war jeden Nachmittag in seinem roten Kleide +mit Silber oder wechselweise mit seinem blauen mit Golde ausgerückt und +hatte darin eine unendliche Menge Attacken ausgehalten, ohne überhaupt +zu wissen, daß es Attacken gewesen, und hatte also nichts zu berichten. + +Der Korporal seinerseits, indem er Brigitten genommen, hatte große +Vorteile dadurch gewonnen und hatte also viel zu berichten. Worin aber +die Vorteile bestanden, sowie die Art und Weise, wodurch er solche +gewonnen, erforderten einen so geschickten Historiker, daß der Korporal +es nicht wagen durfte, sich damit abzugeben. So empfindlich er auch +gegen die Ehre war, so hätte er doch lieber sein ganzes Leben hindurch +mit unbekränzter Glatze gehen als seines Herrn Züchtigkeit nur auf +einen Augenblick Gewalt antun mögen. + +Bester unter allen redlichen und treuen Knechten! -- Doch, ich habe +dich, Trim! bereits einmal vorher apostrophiert. -- Und könnte ich dich +auch apotheosieren -- in guter Gesellschaft, meine ich -- ich täte es +ohne Zeremonien, gleich auf folgender Seite. + + [Illustration] + + + + + Hundertvierundvierzigstes Kapitel. + + +Nun hatte mein Onkel Toby eines Abends seine Pfeife auf den Tisch +niedergelegt und zählte in Gedanken an seinen Fingern -- beim Daumen +anfangend -- Madame Wadmanns Vollkommenheiten her. Eine nach der +andern: und da es ihm zwei- oder dreimal begegnet war, entweder, +weil er eine oder die andere ausgelassen, oder die andere zweimal +gezählt, daß er sich jämmerlich verrechnete, ehe er noch bis zu seinem +Mittelfinger kam. -- »Hör' Er, Trim,« sagte er und nahm seine Pfeife +wieder auf, »bring' Er mir Tinte und Feder.« Trim brachte Papier dazu. + +»Nehme Er einen Bogen, Trim,« sagte mein Onkel Toby und gab ihm +zugleich ein Zeichen mit seiner Pfeife, daß er einen Stuhl nehmen und +sich zu ihm an den Tisch niedersetzen sollte. Der Korporal gehorchte, +legte das Papier gerade vor sich nieder, nahm eine Feder und tunkte +solche in die Tinte. + +»Sie besitzt tausend Tugenden, Trim!« sagte mein Onkel Toby. + +»Soll ich die aufschreiben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen?« fragte der +Korporal. + +»Sie müssen aber nach ihrem Range gestellt werden,« erwiderte mein +Onkel Toby. »Denn, Trim, die, welche mich vor allen anderen am +meisten einnimmt und welche mir Bürge für alle übrigen wird, ist +ihr mitleidiges Gemüt und die ganz ausnehmende Menschlichkeit ihres +Charakters. -- Ich beteure es,« fügte mein Onkel Toby hinzu und +sah dabei, wie er es beteuerte, oben nach der Gipsdecke, »wäre ich +tausendmal ihr Bruder, Trim, sie könnte sich nicht mehr und zärtlicher +nach meinem Leiden erkundigen, ob solche gleich vorüber sind.« + +Der Korporal tat keine andere Widerrede gegen meines Onkels Toby +Beteuerung als einen kurzen Husten. Er tunkte die Feder zum zweitenmal +ein. Und mein Onkel Toby zeigte mit dem Ende seiner Pfeife so dicht an +den obersten Rand des Bogens auf der linken Ecke, als er nur konnte. -- +Und der Korporal schrieb dahin das Wort: + +»Menschlichkeit« -- -- -- -- -- -- -- -- wie hier. + +»Sag' Er mir doch, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, sobald als Trim es +getan hatte -- »wie oft erkundigt sich wohl Seine Brigitte nach Seiner +Wunde an Seiner Kniescheibe, die Er in der Schlacht bei Landen +empfing?« + +»Sie erkundigt sich, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, gar niemals danach.« + +»Das, Korporal,« sagte mein Onkel Toby mit allem Triumphe, den ihm die +Güte seines Herzens erlaubte, »das zeigt den Unterschied im Charakter +der Herrschaft und des Kammermädchens. Hätte das Kriegsglück mich +ebenden Unfall betreffen lassen, so würde Madame Wadmann sich nach +allen Umständen dabei wohl hundertmal erkundigt haben.« -- »Sie würde +sich zehnmal so oft nach Euer Gnaden Wunde am Latzbein erkundigt +haben.« -- »Der Schmerz ist gleich unausstehlich, Trim. Und das +Mitleiden nimmt ebensoviel Anteil an der einen Wunde wie an der +andern.« + +»Der liebe Gott vergelt's Euer Gnaden!« rief der Korporal. -- »Was hat +denn das Mitleid eines Frauenzimmers mit der Wunde eines Mannes an +seiner Kniescheibe zu schaffen? Wäre Euer Gnaden Kniescheibe in der +Schlacht bei Landen in hunderttausend Splitter zerschossen, Madame +Wadmann würde sich den Kopf ebensowenig darüber zerbrochen haben wie +Brigitte. Und zwar weil,« setzte der Korporal hinzu, indem er leiser, +obgleich ganz vernehmlich sprach, als er seinen Grund anführte. -- + +»Weil das Knie soweit von dem Hauptwerke abliegt, dahingegen, wie Euer +Gnaden wissen, das Latzbein dicht an der Kurtine des Ortes liegt.« + +Mein Onkel Toby pfiff eine lange Note, aber so leise, daß man es kaum +über den Tisch hinüber hören konnte. + +Der Korporal war zu weit gegangen, um zurückzuziehen. Er sagte das +Übrige in drei Worten. + +Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so leise auf den Kaminrost, als ob +sie aus den ausgefaserten Fäden eines Spinnengewebes gesponnen gewesen. + +»Laß uns nach meines Bruders Shandy Hause gehen,« sagte er. + + [Illustration] + + + + + Hundertfünfundvierzigstes Kapitel. + + +Wir werden gerade soviel Zeit haben unterdessen, daß mein Onkel Toby +und Trim nach meines Vaters Hause gehen, Ihnen zu berichten, daß Madame +Wadmann einige Monate vorher, ehe dieses vorging, meine Mutter zur +Vertrauten gemacht hatte, und daß Jungfer Brigitte, die sowohl ihre +eigene Bürde zu tragen hatte als die Bürde des Geheimnisses ihrer +Herrschaft, sich von beiden gegen die Susanna hinter der Gartenmauer +glücklich entladen hatte. + +Was meine Mutter anbetrifft, so sah die gar nichts in der ganzen Sache, +worüber Aufhebens zu machen gewesen. + +Allein Susanna war alleine genug, ein Familiengeheimnis auszubringen. +Denn sie teilte es augenblicklich dem Jonathan durch Zeichen mit. Und +Jonathan sagte es der Köchin, als sie eine Hammelkeule am Feuer begoß. +Die Köchin verkaufte es mit etwas Bratenfett für einen Dreier an den +Postillon, der es mit dem Milchmädchen um etwas von ebendem Werte +umstutzte. Und obgleich es auf dem Heuschober geflüstert wurde, hatte +doch die Fama die Noten mit ihrer ehernen Trompete aufgefaßt und vom +Giebel des Hauses umhergeblasen. -- Mit einem Worte, es war im ganzen +Dorfe oder fünf Meilen in der Runde kein altes Weib, die nicht gewußt, +warum es mit meines Onkels Toby Belagerung so langsam zuginge, und +welches die geheimen Artikel wären, die die Übergabe verzögerten. + +Mein Vater, dessen Gewohnheit es war, jede Begebenheit in der Welt zu +einer Hypothese zu zwängen, wodurch kein Mensch der Wahrheit einen +solchen Drang antat wie er, hatte eben das Gerücht vernommen, als +mein Onkel Toby ausging. Und da er über die Beleidigung, die seinem +Bruder dadurch widerfuhr, plötzlich Feuer fing, war er dabei, dem Herrn +Yorick, ungeachtet meine Mutter dabeisaß, zu demonstrieren, nicht nur, +daß der Satan in den Weibern stecke, sondern daß jedes Übel und jede +Unordnung in der Welt, sie habe Namen, wie sie wolle, vom ersten Falle +Adams bis hinab zu meines Onkels Toby seinem -- inklusive -- auf eine +oder die andere Art diesem zügellosen Wesen zuzuschreiben sei. + +Yorick stand eben im Begriff, meines Vaters Hypothese ein wenig zu +mäßigen, als mein Onkel Toby mit Zeichen unendlicher Gutherzigkeit +und Verzeihung in seinen Blicken ins Zimmer trat und meines Vaters +Beredsamkeit gegen die Leidenschaft von neuem anfachte. Und da er eben +nicht sehr sanft in der Wahl seiner Worte war, wenn er im Eifer redete, +so brach er, sobald mein Onkel Toby sich ans Feuer gesetzt und seine +Pfeife gefüllt hatte, folgendergestalt los: + + [Illustration] + + + + + Hundertsechsundvierzigstes Kapitel. + + +»Daß für die Erhaltung eines so großen, erhabenen und göttlichen +Wesens, wie der Mensch ist, Anstalten und Vorkehrungen gemacht werden +müssen, das bin ich sehr entfernt zu leugnen. Die Philosophie aber +sagt von jeder Sache ihre Meinung frei heraus. Und deswegen denke +und behaupte ich, es sei ein Jammer, daß es durch eine Leidenschaft +geschehen sollte, welche die Seelenkräfte nieder- und alle Weisheit, +Betrachtungen und Wirkungen der Seele zurückhält. -- Eine Leidenschaft, +mein Schatz,« fuhr mein Vater fort und wendete sich an meine Mutter, +»welche den Weisen mit den Törichten zusammen paaret und sie gleich +macht, und uns aus unseren Höhlen und Schlupfwinkeln mehr als Satire +und vierfüßige Tiere hervorgehen läßt, denn als Menschen. + +»Ich weiß es, daß man sagen wird,« fuhr mein Vater fort, »daß sie, an +sich selbst und ohne Nebenabsicht betrachtet, so gut wie Hunger, Durst +oder Schlaf eine Sache sei, die weder gut noch böse, noch schändlich +oder dergleichen sei. -- Warum denn aber sträubte sich die Delikatesse +des Diogenes und Platos so heftig dagegen? Und warum löschen wir, wenn +wir darauf denken, einen Menschen zu pflanzen, das Licht aus? Und aus +was für Ursache ist es, daß alles Dahingehörige -- die Zurüstungen -- +die Werkzeuge und was nur dabei erforderlich ist, als Sachen angesehen +werden, die man keinem reinen Gemüte durch Sprache, Übersetzung oder +Umschreibung von irgendeiner Art verständlich machen dürfe? -- + +»Die Handlung, einen Menschen zu töten oder zu vernichten,« fuhr mein +Vater fort und erhub seine Stimme, wobei er sich an meinen Onkel Toby +wendete, »ist, wie du siehst, rühmlich. Und die Waffen, womit wir +sie verrichten, sind ehrenvoll. Wir marschieren damit auf unseren +Schultern, wir prunken damit an unseren Hüften, wir vergolden sie, wir +schnitzeln sie, wir legen sie aus, wir besetzen sie mit Edelsteinen. +Ja, wenn's auch nur eine lumpige Kanone ist, so gießen wir einen Zierat +auf ihre Traube.« + +Mein Onkel Toby legte seine Pfeife nieder, um für ein besseres Beiwort +zu bitten. Und Yorick machte sich fertig, die ganze Hypothese über den +Haufen zu kanonieren. -- + +Als Obadiah mitten ins Zimmer mit einer Klage hereinbrach, die um ein +unmittelbares Gehör schrie. + +Die Sache war diese: + +Mein Vater war, entweder nach einer lang hergebrachten Gewohnheit oder +als Inhaber des großen Zehntens verpflichtet, einen Bullen für die +Gemeinde zu halten, und Obadiah hatte den vorigen Sommer eines Tages +seine Kuh zu einem kurzen Morgenbesuche zu ihm geführt. Ich sage, eines +Tages, weil es der Zufall so mit sich brachte, daß es an ebendem Tage +war, an welchem er mit meines Vaters Hausmagd verheiratet wurde. So +daß die Rechnungen von einer Zeit an liefen. Deshalb also, da Obadiahs +Ehefrau niederkam, dankte Obadiah Gott. + +»Nun,« sagte Obadiah, »krieg' ich auch ein Kalb.« Und Obadiah ging +täglich hin, nach seiner Kuh zu sehen. + +»Sie wird den Montag kalben, oder Dienstag, oder Mittwoch spätestens.« + +Die Kuh kalbte nicht. »Nein, vor künftiger Woche wird sie nicht +kalben.« -- Die Kuh schob es entsetzlich lang auf. Bis am Ende der +sechs Wochen Obadiahs Verdacht -- wie der Verdacht eines guten Mannes +-- auf den Bullen fiel. + +Nun war die Gemeinde sehr stark, und meines Vaters Bulle, die Wahrheit +von ihm zu sagen, seinem Geschäft gar nicht gewachsen, er hatte sich +aber, auf eine oder die andere Art in die Bedienung geschlichen. -- +Und weil er seine Sache mit einem steifen Amtsgesichte verrichtete, so +hatte mein Vater eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten gefaßt. + +»Die meisten Hauswirte glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte +Obadiah, »daß die Schuld an dem Bullen liegt.« -- + +»Aber kann nicht auch eine Kuh unfruchtbar sein?« erwiderte mein Vater +und wendete sich an den Doktor Slop. + +»Das kommt nicht vor,« sagte Doktor Slop. »Aber Obadiah seine Frau kann +sehr leicht zu früh gekommen sein. Sage Er doch, hat das Kind Haare auf +seinem Kopfe?« setzte Doktor Slop hinzu. -- + +»Es ist ebenso haarig, wie ich selbst,« sagte Obadiah. + +Obadiah war in drei Wochen nicht barbiert worden. -- »Hu--u--u!« rief +mein Vater, und begann seine Rede mit einer pfeifenden Ausrufung: »da +haben wir's, Bruder Toby! Da könnte mein armer Bulle, der so gut ist, +wie ein Bulle bei Kühen sein kann und in züchtigeren Zeiten für die +Europa selbst gut genug gewesen wäre, ginge er nur auf zwei Beinen, +vors Ehegericht geschleppt werden und seinen guten Namen einbüßen. +Welcher für einen Dorfbullen, Bruder Toby, ebensoviel wert ist wie das +Leben.« + +»Du liebe Zeit,« sagte meine Mutter, »worüber macht ihr denn solchen +Lärm?« + +»Sie geißeln den toten Hahn, weil die Henne ein Windei gelegt hat,« +sagte Yorick. Es war ein hübsches Geschichtchen! + + [Illustration] + + [Illustration: + + Typographmaschinensatz der + Deutschen Buch- und Kunstdruckerei, G. m. b. H., + Zossen--Berlin +SW. 11+] + + + + +Die Bücher des Deutschen Hauses + +Herausgegeben von ~Rudolf Presber~. + +In gleicher Ausstattung gelangen zur Ausgabe: + + + +I.+ Reihe: Buch 1 - 25, ++II.+ Reihe: Buch 26 - 50. + + 1. ~Goethe~: Die Leiden des jungen Werther. + + 2. ~Otto Ludwig~: Zwischen Himmel und Erde. + + 3. ~E. T. A. Hoffmann~: Die Elixiere des Teufels. + + 4. ~Friedrich Spielhagen~: Deutsche Pioniere. + + 5. ~Zschokke~: Hans Dampf. Kleine Ursachen. + + 6. ~Max Kretzer~: Die Sphinx in Trauer. + + 7. ~Thackeray~: Der Diamant. + + 8. ~Balzac~: Die Frau von dreißig Jahren. + + 9. ~Brüder Grimm~: Märchen. + + 10. ~Dickens~: Weihnachtserzählungen. + + 11. ~Nicolai~: Zur Neujahrszeit. + + 12. ~Tolstoi~: Die Kosaken. + + 13. ~Karl Grunert~: Der Marsspion. + + 14. ~Spanische Novellen.~ + + 15. ~Hans Hauptmann~: Auf tönernen Füßen. + + 16. ~Henri Murger~: Bohême. + + 17. ~Deutscher Humor.~: 1. Band. + + 18. ~Björnson~: Synöve Solbakken. + + 19. ~Jean Paul~: +Dr.+ Katzenbergers Badereise. + + 20. ~Gespensternovellen.~ + + 21. ~Canter~: Fahrendes Volk. + + 22. ~Gerstäcker~: Die Flußpiraten. 1. Bd. + + 23. ~Gerstäcker~: Die Flußpiraten. 2. Bd. + + 24. ~Deutscher Humor~: 2. Band. + + 25. ~Puschkin~: Pique Dame. + + 26. ~Heinrich von Kleist~: Novellen. + + 27. ~Levin Schücking~: Agathens Geheimnis. + + 28. ~Walter Harlan~: Die Dichterbörse. + + 29. ~Karl Immermann~: Der Oberhof. + + 30. ~Gogol~: Novellen. + + 31. ~Friedrich von Oppeln-Bronikowski~: Der Rebell. + + 32. ~Charles Dickens~: Klein Dorrit +I.+ + + 33. ~Charles Dickens~: Klein Dorrit +II.+ + + 34. ~Richard Nordhausen~: Die rote Tinktur. + + 35. ~Guy de Maupassant~: Novellen. + + 36. ~Ed. A. Poe~: Die denkwürdigen Erlebnisse des A. G. Pym. + + 37. ~Margarete Wolff-Meder~: In den Sielen. + + 38. ~Arthur Achleitner~: Geschichten aus den deutschen Alpen. + + 39. ~Sterne~: Tristram Shandy. + + 40. ~Max Bittrich~: Spreewaldgeschichten. + + 41. ~Cervantes~: Don Quixote +I.+ + + 42. ~Cervantes~: Don Quixote +II.+ + + 43. ~Hermann Heiberg~: Fluch der Schönheit. + + 44. ~Joseph von Eichendorff~: Aus dem Leben eines Taugenichts. + + 45. ~Léon de Tinseau~: Der Mitgiftjäger. + + 46. ~Max Nordau~: Zur linken Hand +I.+ + + 47. ~Max Nordau~: Zur linken Hand +II.+ + + 48. ~Verga~: Novellen. + + 49. ~Emil Zola~: Ein Blättlein Liebe. + + 50. ~Fritz Reuter~: Ut mine Stromtid. + + +Jeder Band 75 Pfg. -- 1 Krone -- 1 Frc. + + + + +Fußnoten: + +[1] Mein Vater wollte niemals einwilligen, dies Buch drucken zu lassen; +es befindet sich nebst einigen andern von seinen Abhandlungen im +Manuskript bei der Familie, welche alle, oder doch größtenteils, zu +seiner Zeit gedruckt werden sollen. + +[2] »Dieses soll meines Vaters Leben des Sokrates usw. mit beigedruckt +werden.« + +[3] Er hatte in der Schlacht bei Lepanto eine Hand verloren. + + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76593 *** diff --git a/76593-h/76593-h.htm b/76593-h/76593-h.htm new file mode 100644 index 0000000..a4a3312 --- /dev/null +++ b/76593-h/76593-h.htm @@ -0,0 +1,10589 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; 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Schreibweise und Interpunktion +des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden.</p> +<p class="p0">Am Ende der Kapitel 82, 88, 93, 104 und 105 ist die fehlende Dekoration +eingefügt worden.</p> +<p class="p0">Das Umschlagbild wurde vom Bearbeiter umgestaltet. Ein Urheberrecht +wird nicht geltend gemacht. Das Bild darf von jedermann unbeschränkt genutzt werden.</p> +<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p> +</div> + +<figure class="figcenter illowp56" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> +</figure> + +<div class="eng"> +<div class="center padtop1 mtop3 mbot3"> +Dieses Buch wurde in der Deutschen<br> +Buch- u. Kunstdruckerei G. m. b. H.<br> +in Zossen gedruckt u. bei der Leipziger<br> +☐ Buchbinderei-Actiengesellschaft ☐<br> +===== in Leipzig gebunden. ===== +</div> +</div> + +<figure class="figleft padtop2 illowe9" id="signet"> + <img class="w100" src="images/signet.jpg" alt="signet"> +</figure> + +<h2 class="p4 mright5 mbot3">Tristram Shandy</h2> + +<div class="chapter"> + +<figure class="figcenter padbot2 illowp52" id="p0020_title" style="max-width: 43.75em;"> + <img class="w100" src="images/p0020_title.jpg" alt="reihentitel"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h1> Das Leben<br> +und die Meinungen von<br> +Herrn Tristram Shandy</h1> + +<p class="s5 center mtop2">von</p> + +<p class="s2 center mbot3">Laurence Sterne</p> +<p class="mtop2 center">Illustriert<br> +von Lovis Corinth</p> + +<p class="s5 center mtop3 mbot2">1908<br> +Buchverlag fürs Deutsche Haus<br> +Berlin-Leipzig</p> + +<figure class="figcenter padtop3 padbot3 illowp52" id="p0030_title" style="max-width: 43.75em;"> + <img class="w100" src="images/p0030_title.jpg" alt="titelblatt"> +</figure> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p class="center">Diese Satiren im kleinen mit ihren<br> +köstlichen Wahrheiten sind nur mit den<br> +griechischen Klassikern zu vergleichen.<br> +Wenn Ihr nicht mit ihm fühlt, mag er<br> +Euch oft kleinlich, frivol, gesucht, kindisch<br> +erscheinen. Habt Ihr aber sein Genie<br> +erkannt, werdet Ihr in ihm einen gewaltigen<br> +Lehrer der Menschheit finden.«</p> + + +<p class="right">Voltaire über Sterne.</p> + +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span></p> + +<figure class="figcenter padtop3 illowp100" id="chapter_deco" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/chapter_deco.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<p>Die Welt nannte den Dorfprediger von Sutton und Stillington bei York, +Laurence Sterne, nicht anders als den armen Yorick, nach dem Pfarrer, +den Tristram Shandy so über alles schätzte, daß er ganz gegen seine +Gewohnheit in einem Zuge seine Lebensbeschreibung erzählt, ehe noch +Tristram Shandy selbst — in dem Buche natürlich — geboren ist. +»Mancher Zug aus dem Charakter dieses Mannes«, sagt Tristram, »kommt, +wie mich dünkt, den artigen, lustigen Streichen des unnachahmlichen +Ritters la Manche gleich, welchen ich mit all seinen Narrheiten mehr +liebe als den größten Helden des Altertums.« Auf niemanden paßt diese +Schilderung so gut, wie auf Laurence Sterne selbst. Auch er war ein +rechter echter Shandist, ohne welche Eigenschaft er niemals in diesem +kuriosesten aller Leben und Meinungen hätte eine Rolle spielen können, +am wenigsten die des Autors. Laurence Sterne hat auch seine eigene +Biographie geschrieben. In einem Briefe an seine Tochter Lydia, kurz +vor seinem Tode, gibt er alle wesentlichen Daten seines Lebens.</p> + +<p>Die Jugend nimmt den breitesten Raum dieser Beschreibung in Anspruch, +auch darin seinem Tristram Shandy zum mindesten blutsverwandt. Roger +Sterne, sein Vater, war Leutnant<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> im irischen Handaside-Regiment. +Das bedeutete damals ruheloses Umherziehen von Ort zu Ort, von Land +zu Land. Und Frau und Kinder zogen mit durch Wind und Wetter, Sommer +und Winter, von Baracken zu Baracken, wenn sie nicht vorübergehend +bei mildtätigen Verwandten einen Unterschlupf fanden. Zweimal sind +Frau Agnes (sie war die Tochter eines angesehnen Marketenders, »mein +Vater hatte Schulden bei ihr, als er sie heiratete«) und ihre Kinder +bei der Überfahrt von England nach Irland in Lebensgefahr gewesen +und von ihrem Mann schon aufgegeben. Laurence ist das zweite Kind +dieser kriegerischen Ehe. Er wurde in Clonmel im Süden Irlands am +24. November 1713 geboren. Von den fünf Geschwistern, zwei Brüdern +und drei Schwestern, haben nur noch zwei Schwestern mit ihm dieses +entbehrungsvolle Wanderleben ihrer Jugend überstanden.</p> + +<p>Die Familie Sterne hatte bessere Zeiten erlebt, als ihr die +Leutnantsgage von Sternes Vater bereiten konnte, dessen +verschwenderische Güte in Onkel Tobys Zügen verewigt worden ist. »Sie +hätten ihn, Madame, an einem Tage zehnmal hintergehen können, wenn es +Ihnen mit neunen noch nicht genug ist.« — Roger Sterne war der Enkel +eines Erzbischofs von York, und ein Onkel Laurence Sternes war erster +Pfarrer in York. Ihm verdankte später der junge Vikar, der auf Kosten +eines reichen Vetters und mit einem Stipendiat seines Urgroßvaters in +Cambridge studiert hatte, seine erste Pfründe: Sutton. »In York lernte +ich deine Mutter kennen und machte ihr zwei Jahre lang den Hof. — Auch +sie war mir herzlich zugetan, hielt sich aber wohl nicht für reich +genug oder mich<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> für zu arm für eine dauernde Verbindung. Sie ging zu +ihrer Schwester nach S., und ich schrieb sehr fleißig. Ich glaube, daß +sie wohl halb entschlossen war mich zu nehmen, ohne es mich merken zu +lassen. — Nach ihrer Rückkehr wurde sie sehr krank, und als ich eines +Abends bei ihr saß — ich war sehr traurig, sie so krank zu wissen —, +sagte sie, ›mein lieber Laurey, ich kann nie dein werden, denn ich +glaube sicher, daß ich nicht mehr lange lebe! Ich habe dir aber mein +ganzes Vermögen zugesprochen.‹ Damit zeigte sie mir ihr Testament. +Diese Großmut überwältigte mich. Es gefiel Gott, sie wieder gesund +werden zu lassen, und ich heiratete sie im Jahre 1741. Mein Onkel +(Jaques Sterne, Pfründner von Durham, Vorsänger und Pfründner in York, +mit dem Wohnsitz in York, Vorsteher der Pfarren in Rise und Hornsey mit +Riston, im Ostbezirk der Grafschaft York) und ich standen uns damals +sehr gut. Er verschaffte mir sehr bald eine Pfründe in York. — Später +kamen wir in Streit, weil ich mich weigerte, Parteiartikel in die +Zeitungen zu schreiben. Er war ein eifriger Parteimann, und ich nicht. +Ich verachtete diese Art Propaganda und hielt mich für zu schade dazu. +Und von da an wurde er mein erbittertster Feind. Durch Vermittelung +meiner Frau erhielt ich noch die Pfründe von Stillington. Einer ihrer +Freunde hatte ihr versprochen, daß, wenn sie einen Geistlichen in +Yorkshire heiratet, er ihr als Zeichen seiner Freundschaft bei der +nächsten Vakanz die Pfründe besorgen werde. Fast zwanzig Jahre blieb +ich in Sutton und übte mein Pfarramt an beiden Orten aus. Die ganze +Zeit erfreute ich mich einer vorzüglichen Gesundheit. Bücher,<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> Malen, +Geige spielen und auf die Jagd gehen, das waren meine Zerstreuungen. +Mit dem Squire der Pfarrei standen wir uns nicht besonders, dafür +verkehrten wir in Stillington mit der Familie C—s, die sehr freundlich +gegen uns war, und das war sehr angenehm für uns, innerhalb einer Meile +so herzliche Freunde zu haben. 1760 mietete ich ein Haus in York für +deine Mutter und dich. Ich selbst ging nach London, für den ersten +Band des Shandy einen Verleger zu suchen. Im selben Jahre bot mir Lord +Falconbridge die Pfarrstelle in Coxwould an, das gegen Sutton ein +lieblicher Wohnsitz genannt werden muß. 1762 ging ich nach Frankreich, +noch vor dem Friedensschluß, und ihr beide folgtet mir. Dann bliebt +ihr drüben. Ich ging erst wieder zwei Jahre darauf nach Italien, um +etwas für meine Gesundheit zu tun. Auf meine dringende Bitte seid +auch ihr jetzt nach England zu mir zurückgekehrt und ich habe die +unbeschreibliche Freude erlebt, mein Kind wiederzusehen, alles, was ich +mir noch wünschen konnte.«</p> + +<p>Es ist kurz hinzuzufügen, was von jenem Leben in den Hauptstädten +London und Paris, das die letzten acht Jahre fast ausfüllt, der Vater +seiner Tochter nicht ausdrücklich hat sagen wollen, aus Zartgefühl +gegen ihre Mutter. Die Ehe war keine glückliche. Das Paar, das sich auf +so romantische Weise gefunden hatte, wurde einer des anderen herzlich +überdrüssig, bevor viele Jahre verflossen waren .. Eine drollige +Mischung von Selbstanklage und Überlegenheit liegt in folgendem +Shandystischen Stoßseufzer: »Ein verteufeltes Glück für einen Mann, +der Herr über die zartesten Vernunftschlüsse ist, ein Weib zu haben, +in dessen Kopf er auf keine Weise<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> einen Gedanken einschmuggeln kann, +der seine Seele vor der Verdammnis rettet.« — Aber der arme Yorick war +der Meinung, daß dieses mühevolle Leben eine trübe und wertlose Sache +bleiben muß, »Ihr hättet der Liebe denn ...« »Ich liebte eine oder +die andere Prinzessin mein Leben lang. Und ich hoffe, ich werde es so +halten bis zu meinem Ende, denn ich bin davon überzeugt, daß, wenn ich +je einer häßlichen Tat fähig war, es zu einer Zeit war, die zwischen +einer alten und einer neuen Leidenschaft lag.«</p> + +<p>So machte er nacheinander Miß Fourmentelle (einer schönen französischen +Hugenottin), Frau Garrik, Lady Percy und Eliza Draper (der jungen Frau +eines indischen Farmers) den Hof, ohne daß diese Aufzählung Anspruch +auf Vollständigkeit machen kann. »<em class="antiqua">L'amour n'est rien sans le +sentiment</em>,« sagte Sterne, »<em class="antiqua">Mais le sentiment permet tout</em>,« +hätte er hinzusetzen sollen. Zweien von diesen Frauen gegenüber, Miß +Fourmentelle und Eliza Draper, versteigen sich seine Empfindungen bis +zu dem Ausruf: Möchte Gott uns die Tür zu einem gemeinsamen Leben +öffnen. An seine »<em class="antiqua">Dear, dear Kitty</em>« (Miß Fourmentelle) schreibt +er: »Ich bin keine Stunde ohne Wunsch, denn ich wünsche immer, mit +Dir zusammen zu sein.« Ein Jahr darauf hat er sich kopfüber in ein +anderes Gefühl gestürzt, er liegt in den Banden der Lady Percy, deren +Abenteuer London genug Gelegenheiten zu Klatschereien gaben. »Ihre +Augen und Lippen haben einen Mann zum Narren gemacht, den die ganze +Stadt für einen sehr geistreichen Menschen hält.« Laurence Sterne +war über fünfzig und seine Nerven trotz der italienischen Reise +äußerst angegriffen, als er sich<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> zum letzten Male mit dem gewohnten +Erfolg in den Glauben versetzte, daß er liebe. Eliza Draper war +fünfundzwanzig Jahre alt und wohnte, weil sie das Klima in Indien +nicht vertragen konnte, bei Freunden in London. Sie gehörte zu jenen +interessanten Frauen, die eine körperliche Anfälligkeit dem Manne nur +noch sympathischer macht, weil sie ihm Gelegenheit gibt, in seiner +Zärtlichkeit unermüdlich zu sein. Ganz London wußte von dieser neuen +Liaison des armen Yorick, und irgendein Fant beeilte sich auch, Frau +Sterne in Toulon davon zu unterrichten. Ich will davon nichts wissen, +soll sie geantwortet haben. Später hat sie aber ihrem Gatten die Rolle +des »Braminen«, die er bei der jungen Dame aus Indien spielte, von all +seinen Abenteuern am wenigsten verzeihen können. Als sie mit Lydia nach +York zurückkehrte, war Eliza Draper schon auf der Fahrt nach Bombay.</p> + +<p>Als wollte sich das Schicksal des armen Yorick wirklich seines Autors +bemächtigen, so starb auch Sterne, »ob er gleich dem Anscheine nach +bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, vor Kummer +und Gram. Seine unvorsichtige Scherzhaftigkeit hatte ihn in solche +Schlingen verwickelt, daraus ihn kein Nachwitz losmachen konnte.« Der +Mann, der in Coxwould ein Haus und in York eine Wohnung hatte, dessen +Familie nach fünf Jahren aus Frankreich eben erst zurückgekehrt war, +der vergötterte Liebling der Pariser und Londoner Salons (aber ebenso +hartnäckig von seinen Feinden verfolgt), starb am 16. März 1768 in +einem möblierten Zimmer in der Bondstreet in London. Es lockte ihn +der Ruhm der Großstadt, die Lorbeern der <em class="antiqua">sentimental Yourney</em> +sollten ihn seinen<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> Kummer vergessen machen. Aber er mußte erfahren, +daß auch der berühmteste Witzbold in dem Augenblick von seinen +Freunden vergessen wird, wenn ihn Krankheit abhält, regelmäßig ihre +Abendgesellschaften mit seinen cervantischen Einfällen zu würzen. +Nicht einmal die geizige Vermieterin war bei dem Sterbenden. Und als +ein Diener seiner Freunde sich nach dem Befinden des Herrn Sterne zu +erkundigen kam, fand er einen Toten im Lehnstuhl. Leichenräuber gruben +ihn am Tage seiner Beerdigung aus (es heißt, die Wirtin habe von dem +Erlös ihren Mietzins abgezogen) und verkauften ihn an die Universität +Cambridge, wo ein Professor den armen Yorick wiedererkannte.</p> + +<p>Das achtzehnte Jahrhundert hat seine besten Kinder am +stiefmütterlichsten behandelt. Es gab ihnen die Süßigkeiten eines +ungebundenen (wir sagen galanten) Lebens. Der Kern aber war eine +bittere Mandel.</p> + +<p>Diese Ausgabe bringt die berühmte Übersetzung von Bode, die in +Deutschland unter den vielen Übersetzungen, die sofort auf die +englische Ausgabe folgten, als die bei weitem beste die größte +Verbreitung hatte und an verschiedenen Orten mit und ohne Erlaubnis +nachgedruckt wurde. Ich habe zum besseren Verständnis der kräftigen +Ausdrucksweise, die auch der deutsche Text so gut getroffen hat, die +Interpunktion und einige nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, die dem +Gesichtskreis des modernen Lesers ganz entschwunden sind, geändert. +Im ganzen aber ist der altmodische Stil gewahrt, der die Eigenart des +achtzehnten Jahrhunderts und die unserer Prüderie bisweilen gefährliche +Derbheit bewahrt und rechtfertigt. Den<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> ganzen Text zu bringen ist +uns hier unmöglich. Die zahlreichen längeren Abschweifungen, die sich +Sterne erlaubt, haben es leicht gemacht, dennoch den Charakter des +Ganzen wie im einzelnen zu bewahren sowie die anschauliche Kraft der +Shandystischen Meinungen.</p> + +<p class="mright5">W. M.</p> + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p> + +<hr class="full"> + +<p class="s2 center mtop3"><b>Das Leben und die<br> + Meinungen von Herrn Tristram Shandy</b></p> +</div> + +<h2>Erstes Kapitel.</h2> + +<p>Am fünften Tage des November 1718, welcher, von der festgesetzten +Ära an gerechnet, neun Kalendermonate so richtig vollmachte, als es +irgendein Ehemann billigerweise erwarten konnte, ward ich, Tristram +Shandy, Erbherr, für diese unsere schäbige, unglücksvolle Welt geboren. +— Ich wollte, ich wäre im Monde geboren worden oder in jedem anderen +Planeten, nur nicht im Jupiter oder Saturn, weil ich mich gar nicht +mit der Kälte vertragen kann; denn es könnte mir schwerlich in einem +davon schlimmer ergangen sein — ob ich wohl für die Venus nicht gut +sagen möchte — als in diesem schmutzigen Lumpendinge von Planeten, +der, wenn ich meines Herzens Meinung, jedoch mit allem Respekt, frei +heraus sagen soll, wohl nur von den Schnitzeln und Feilspänen gemacht +ist, die von den übrigen abfielen. Noch wäre der Planet gut genug, +wäre nur ein Mensch darauf als Erbe zu einem hohen Titel oder großen +Vermögen geboren, oder wüßte er's nur so anzugreifen, daß er zu +großen Ehrenämtern berufen würde, die ihm fein viel Ansehen und Macht +erteilten; aber das ist nun mein Casus nicht, und also — jedermann +spricht von der Messe, nachdem er auf derselben seinen Handel gemacht +hat; deswegen also, sage ich noch einmal, es ist das elendeste +Lumpending von einer Welt, die jemals gemacht worden; denn ich kann +mit Wahrheit sagen, daß ich von der ersten Stunde an, da ich darin<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> +meinen Atem schöpfte, bis zu der jetzigen, da ich fast gar keinen mehr +schöpfen kann wegen meines Asthmas, das ich mir dadurch zugezogen, daß +ich in Flandern auf Schlittschuhen gegen den Wind lief, ein Spiel der +mutwilligen Dame bin, welche die Welt Fortuna nennt; ob ich ihr gleich +nicht das Unrecht tun und ihr nachsagen will, sie habe mich jemals die +Last irgendeinen großen oder sich auszeichnenden Leidens fühlen lassen, +so bezeuge ich doch mit aller möglichen Friedsamkeit von der Welt, daß +bei allen Auftritten meines Lebens, und an jeder Ecke oder in jedem +Winkel, wo sie mir nur einigermaßen beikommen konnte, sie mir einen +Packen so jämmerlicher Widerwärtigkeiten und Querhändel an den Hals +geworfen hat, als jemals ein kleiner Held hat erdulden müssen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_1"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Zweites Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Im Anfange des vorhergehenden Kapitels berichtete ich Ihnen ganz +genau, wann ich geboren ward; — ich berichtete Ihnen aber nicht, wie? +Nein, dieser Umstand ward für ein ganz eigenes Kapitel aufgespart. +— Überdies, mein Herr, da Sie und ich gewissermaßen einander noch +völlig unbekannt sind, so würde es sich nicht geschickt haben, Sie +sogleich auf einmal mit verschiedenartigen Umständen, die nur mich +angehen, bekannt zu machen. — Sie müssen ein wenig Geduld haben. Ich +habe es unternommen, wie Sie sehen, nicht bloß mein Leben, sondern +auch meine Meinungen zu schreiben in der Hoffnung und Erwartung, daß, +wenn Sie erst meinen Charakter kennten und wüßten, von was für einem +Schlage von Sterblichen ich bin, das eine Ihnen desto mehr Geschmack +an dem andern beibringen würde. Sowie Sie weiter von mir fortgehen, +wird die kleine Bekanntschaft, die eben unter uns anfängt, zu einer +Vertraulichkeit auszuschlagen,<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> und diese, oder die Schuld müßte an +einem von uns beiden liegen, wird sich in Freundschaft endigen. — +<em class="antiqua">O diem præclaram!</em> — Dann wird nichts, was mir begegnet ist, +für Kleinigkeit an sich selbst oder für langweilig in der Erzählung +gehalten werden. Deswegen also, mein liebster Freund und Gefährte, wenn +Sie meinen sollten, ich gehe im Anfange meiner Geschichten ein wenig +sparsam zu Werke, so übersehen Sie's mir, und lassen Sie mich meinen +Gang gehen und meine Historie auf meine Weise erzählen. Oder sollte es +scheinen, daß ich dann und wann auf meinem Wege ein bißchen tändelte +oder für ein paar Minuten, sowie wir weiter kommen, eine Kappe mit +Schellen aufsetzte, so laufen Sie nur nicht gleich davon, sondern haben +Sie die Gefälligkeit und geben mir für ein wenig mehr Weisheit Kredit, +als mir an der Stirne geschrieben steht, und sowie wir fortwackeln, +lachen Sie mit mir oder über mich, oder kurz, tun Sie, was Sie wollen. +Nur ungeduldig müssen Sie nicht werden.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_2"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Drittes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Mein Vater, müssen Sie wissen, der eigentlich ein Kaufmann war und nach +der Levante handelte, seit einigen Jahren aber den Handel niedergelegt +hatte, um sich auf ein väterliches Landgut in der Grafschaft Z. +zu begeben und daselbst zu leben und zu sterben, war, glaub' ich, +der regelmäßigste Mann in allem, was er tat, es sei Geschäft oder +Zeitvertreib.</p> + +<p>In ebendem Dorfe, worin mein Vater und meine Mutter wohnten, wohnte +auch eine hagere Matrone, eine züchtige, alte, gute Frau von Hebamme, +welche mit Hilfe etwas wenigen, schlechten Menschenverstandes, und +weil sie einige Jahre hindurch alle Hände voll in ihrem Geschäfte zu +tun hatte, wobei sie sich beständig auf ihre Bemühungen sehr wenig, +auf Frau<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> Mutter Natur aber sehr stark verließ, nach ihrer Art keine +geringe Staffel des Ruhms in der Welt erstiegen hatte. — Bei welchem +Worte Welt ich Euer Hochedelgeboren notwendig sagen muß, daß Sie nicht +denken, ich meine mehr damit als einen kleinen Zirkel, der auf dem +Zirkel der großen Welt beschrieben ist, von vier englischen Meilen im +Durchmesser oder so ungefähr, von welchem die Hütte, worin die gute +alte Frau lebte, als Mittelpunkt angenommen werden muß. — Sie war, wie +es scheint, in ihrem siebenundvierzigsten Jahre zur Witwe geworden mit +drei oder vier kleinen Kindern in großer Dürftigkeit. Da sie damals +eine Person von ehrbarer Aufführung, ernsthaftem Betragen, ja noch +dazu ein Weibsbild von wenig Worten und obendrein ein Gegenstand des +Mitleids war, deren Armut und das Stillschweigen, womit sie solche +ertrug, desto lauter um freundschaftlichen Beistand rief, so ward die +Frau des Pfarrers am Kirchspiel von Mitleid gerührt. Sie hatte schon +oft einen üblen Umstand beklagt, dem die Herde ihres Eheherrn schon +viele Jahre hindurch ausgesetzt war. Daß nämlich kein solches Ding +als eine Hebamme von irgendeiner Art zu finden war, der Fall mochte +so dringend sein, als er wollte. Man mußte erst sechs oder sieben +lange Meilen danach reiten, welche besagte sieben lange Meilen bei +finsteren Nächten und bösen Wegen, da der Boden in der Gegend umher aus +zähem Lehm bestand, ebenso gut waren als vierzehn und dieses zuweilen +ebensoviel hieß als gar keine Hebamme haben. So hatte die Frau Pfarrer +den Einfall, daß es ein ebensowohl angebrachter Dienst für das ganze +Kirchspiel als für die arme Frau selbst sein würde, wenn man sie ein +wenig in den Anfangsgründen der Kunst unterweisen ließe, damit sie +hernach Hebamme des Kirchspiels werden könnte. Da keine Frau in der +ganzen Gegend geschickter war, ihren entworfenen Plan auszuführen, +so übernahm es die Frau Pastor christlicherweise. Und sie vermochte<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> +über die weibliche Hälfte der Pfarrkinder soviel, daß sie ihn ohne +Schwierigkeit nach allem Herzenswunsch ausführte. In der Tat half auch +in dieser Sache der Pfarrer seiner Frau mit seinem ganzen Ansehen. Um +in der gehörigen Ordnung zu Werke zu gehen und dem guten Geschöpfe +ein ebenso gutes Recht zur Ausübung durch die Gesetze zu geben, als +ihr seine Frau durch Unterweisung gegeben hatte, — bezahlte er mit +Freuden aus seiner eigenen Tasche das Geld für den Freiheitsbrief +vom Landphysikus, welches sich überhaupt ungefähr auf einen Louisdor +belief. So wurde die gute Frau unter vier Augen völlig in den wahren +und körperlichen Besitz ihres Amtes eingesetzt mit allen seinen +Rechten, Artikeln und Gefällen, wie sie auch immer Namen haben mochten.</p> + +<p>Diese letzten Worte, müssen Sie wissen, standen nicht in dem +alten Formular, nach welchem gewöhnlich solche Freiheitsbriefe +und Vollmachtsscheine lauteten, sondern waren aus einem netten +Formularbuche des Didius eigener Erfindung genommen, welcher, aus +einer besonderen Gabe, alle dergleichen Instrumente zu zerstückeln und +von neuem zusammenzufügen, nicht allein diese herrliche Verbesserung +ausersann, sondern auch mancher von den alten privilegierten Matronen +in der Nachbarschaft den Mund so wässerig machte, daß sie ihren +Freiheitsbrief auffrischen ließ, um diesen seinen Bimbam beigefügt zu +haben.</p> + +<p>Ich gestehe, ich habe Didius wegen dieser Art von seinen Einfällen +niemals beneiden können; aber laß jedermann seinen besonderen +Geschmack. — Fand nicht <em class="antiqua">Dr.</em> Kunastrokius, dieser große Mann, +in müßigen Stunden darin das größte erdenkliche Vergnügen, daß er +Eselsschwänze klar kämmte und die tauben Haare mit seinen Zähnen +ausrupfte, obgleich er beständig die Haarzange bei sich in der Tasche +trug? Ja, weil Sie doch einmal daraufkommen, mein Herr, hatten nicht +die weisesten Männer zu allen Zeiten, Salomo selbst nicht ausgenommen,<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> +ihre Steckenpferde, ihre Wettrenner, ihre Münzsammlung, ihre Konzilien, +ihre Trommeln, ihre Trompeten, ihre Geigen, ihre Paletten, ihre +chinesischen Porzellanfiguren, ihre Schmetterlinge? Solang' ein Mann +sein Steckenpferd auf der Heerstraße ruhig und friedsam fortreitet und +weder Sie noch mich zwingen will, mit ihm zu reiten, — ich bitte Sie, +mein Herr, was geht es Sie oder mich an?</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_3"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Viertes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Was für einen Grad des kleinen Verdienstes die wohltätige Handlung zum +Besten der Hebamme mit Recht heischen könnte, oder wem dieses Recht +eigentlich zustand, das scheint beim ersten Anblick nicht wesentlich zu +dieser Geschichte zu gehören. — Soviel war aber gewiß, daß die Frau +Pastor zu der Zeit mit dem ganzen Ruhm davon durchging. Dennoch kann +ich für mein Leben nicht umhin, zu denken, daß der Pfarrer selbst, ob +er gleich nicht das Glück hatte, zuerst auf den Einfall zu kommen, +dennoch, da er den Augenblick, da ihm die Sache vorgetragen wurde, +herzlich gerne Teil daran nahm und ebenso herzlich gerne sein Geld +hergab sie auszuführen, ein Recht auf etwas, wo nicht zur vollen Hälfte +von aller der Ehre hatte, die ihr gebührte.</p> + +<p>Der Welt gefiel es damals, die Sache anders zu entscheiden.</p> + +<p>Legen Sie das Buch weg, und ich gebe Ihnen einen halben Tag Zeit, eine +wahrscheinliche Mutmaßung von dem Grunde dieses Verfahrens ausfindig zu +machen.</p> + +<p>Man wisse also, daß ungefähr fünf Jahre vor dem Datum, unter welchem +der Hebamme der Freiheitsbrief ausgestellt wurde, von welchem Sie +eine so umständliche Nachricht erhalten, der Pfarrer sich durch einen +Fehler gegen alles<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> Dekorum, den er gegen sich selbst, seinen Stand und +sein Amt begangen, ins Gerede der Leute gebracht hatte. Der bestand +darin, daß er niemals ein anderes oder besseres Pferd ritt als ein +dürres, steifes Roß, ungefähr neuneinhalb Taler wert, welches, um es +kurz zu beschreiben, ein so echter Bruder vom Rosinante war, als ihn +die leibhaftige Ähnlichkeit dazu machen konnte; denn die Beschreibung +fehlte nicht um Haaresbreite. — Ausgenommen, daß ich mich nicht +erinnere, daß es irgendwo gesagt worden, Rosinante habe sich verfangen +gehabt, und auch dieses, daß Rosinante, wie es die Glückseligkeit fast +aller spanischen Hengste ist, ganz gewiß in allen Punkten ein volles +Pferd war.</p> + +<p>Ich weiß recht gut, daß das Pferd des Helden ein Pferd von sehr +keuscher Aufführung war, und das mag Gelegenheit zu einer gegenseitigen +Meinung gegeben haben. Es ist aber zu gleicher Zeit ebenso gewiß, daß +die Enthaltsamkeit des Rosinante aus keinem körperlichen Mangel oder +irgendeiner andern Ursache herrührte als aus dem Mangel an Temperament +und dem ordentlichen Umlaufe des Bluts. Und erlauben Sie mir, Ihnen zu +sagen, Madame, es gibt manche ehrliche Keuschheit in der Welt, für die +Sie nichts mehr anführen könnten, und stünde auch Ihr Leben darauf.</p> + +<p>Das nebenher. Da meine Absicht ist, jeder Kreatur, die auf der Szene +dieses dramatischen Werkes vorkommt, die strengste Gerechtigkeit +angedeihen zu lassen, so konnte ich diese Distinktion zum Besten Don +Quixotes Pferd nicht unterdrücken. In allen übrigen Punkten sage ich, +war des Pfarrers Pferd ihm völlig gleich; denn es war ein so mageres +und so dünnes, elendes Roß, daß die Demut es in eigener Person hätte +beschreiben können.</p> + +<p>Nach dem Dafürhalten eines Mannes von schwachem Urteile stand es sehr +gut in des Pfarrers Macht, der Figur dieses seines Pferdes aufzuhelfen; +denn er besaß einen sehr<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> hübschen Reitsattel, der auf dem Gesäß mit +grünem Plüsch gepolstert war, ausgeziert mit einer doppelten Reihe +von silbernen Stiften, und ein herrliches Paar glänzender messingener +Steigbügel, eine Schabracke von sehr feinem, grünem Tuche, am Rande mit +schwarzen Spitzen besetzt, wovon lange, schwarze seidene Fransen, mit +goldenen Fäden vermischt, herabhingen. — Alles dieses hatte er, nebst +mit Silber belegten Stangen und einer gehörig zierlichen Trense in der +Blüte seines Lebens gekauft. — Da er aber sein Pferd nicht zum Narren +haben wollte, hatte er das alles in seiner Studierstube hinter der Türe +aufgehängt. — Und statt dessen hatte er ganz ernsthaft gerade solch +einen Zaum und Sattel angeschafft, als sich für die Gestalt und den +Wert eines solchen Tieres eigentlich schickten und gebührten.</p> + +<p>Auf den verschiedenen Ritten in seinem Kirchspiel und gelegentlich +der Besuche bei dem kleinen Landadel, welcher in der Nachbarschaft um +ihn herum wohnte, können Sie leicht begreifen, daß der solchergestalt +ausstaffierte Pfarrer genug zu sehen und zu hören bekommen mußte, um +seine Philosophie vorm Verrosten zu bewahren. Die Wahrheit zu sagen, +er konnte niemals in ein Dorf reiten, oder er zog die Aufmerksamkeit +der Alten und Jungen auf sich. — Die Arbeit stand still, wenn er +vorbeiritt, — der Eimer blieb im Brunnen schweben, — das Spinnrad +vergaß seinen Lauf — selbst die Häuflein Kinder beim Kügelchen- +oder die größeren Buben beim Münz- und Letterspiel vergaßen alles +und standen mit offenem Munde, bis sie ihn aus dem Gesicht verloren. +Da seine Bewegung nicht die schnellste war, so hatte er gewöhnlich +mehr als zuviel Zeit, seine Beobachtungen anzustellen, das Seufzen +der Ernsthaften und das Lachen der Leichtherzigen zu hören, was er +mit unvergleichlicher Ruhe ertrug. — Sein Charakter war, er liebte +einen kurzweiligen Einfall im Grunde der Seele, und da er sich selbst +in einer<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> wahren Lächerlichkeit sah, so, pflegte er zu sagen, könnte +er sich über andere Leute nicht ärgern, wenn sie ihn in einem Lichte +erblickten, das ihm selbst so stark auffiele, dergestalt, daß er bei +seinen Freunden, welche wußten, daß die Liebe zum Gelde seine Schwäche +nicht war, und sich daher am wenigsten ein Gewissen daraus machten, ihn +mit seiner drolligen Laune aufzuziehen, anstatt die wahren Ursachen +anzugeben, — lieber in das Gelächter über sich selbst mit einstimmte. +— Da er selbst keine Unze Fleisch auf seinen eigenen Knochen trug, +sondern ebenso hager von Ansehen war, wie sein Tier, so behauptete er +zuweilen, das Pferd wäre so gut, als es der Reiter verdiente, beide +machten einen Zentauren — aus einem Stücke. Zu anderen Zeiten und bei +anderer Laune, wenn er zu stark war, den Versuchungen des falschen +Witzes zu unterliegen, sagte er wohl, er fühlte sich selbst auf +einem guten Wege zur Auszehrung. Ein anderes Mal gab er wohl fünfzig +sonderbare und entgegenstehende Ursachen an, warum er ein demütiges +und wehmütiges Gespenst von keuchendem Rappen lieber ritte als ein +mutiges Pferd. Auf so einem könnte er ganz mechanisch sitzen und nach +Herzenslust <em class="antiqua">de vanitate mundi et saeculi</em> meditieren, so gut, +als ob er einen Totenkopf vor sich stehen hätte. Wenn er so langsam +vor sich hin ritte, könnte er seine Zeit zu allerlei Geistesübungen +ebensogut anwenden, als ob er auf seinem Studierstuhle säße. Er könne +eine Lücke in seiner Predigt — oder ein Loch in seinen Beinkleidern +— auf dem einen so gut wie auf dem anderen flicken. — Munteres +Trottieren und langsames Argumentieren wären wie Witz und Verstand +zwei unverträgliche Bewegungen. Auf seinem Rosse aber könne er alles +miteinander verbinden und vereinigen; er könne darauf das Studieren auf +seine Predigt abwarten und seinen Husten und, falls ihn die Natur dazu +einlüde, seine Mittagsruhe obendrein. Kurz, der Pfarrer<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> führte bei +solchen Angriffen alle Ursachen an, nur die wahre nicht. — Die wahre +hielt er zurück aus einer bloß ihm eigenen Bedenklichkeit: — weil er +glaubte, sie mache ihm Ehre.</p> + +<p>Der wahre Knoten der Geschichte aber war folgender: In den ersten +Amtsjahren dieses Mannes, und zu der Zeit, da der prächtige Sattel +und Zaum angeschafft wurden, war es so seine Art oder Eitelkeit, oder +nennen Sie's, wie Sie wollen, auf der entgegengesetzten Seite zuviel +zu tun. In der Sprache des Landes hieß es: er hielte große Stücke auf +einen guten Reithengst. Gewöhnlich hatte er auch einen der besten im +ganzen Kirchspiele sattelfertig im Stalle stehen. Und da die nächste +Hebamme, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht näher beim Dorfe wohnte als +sieben Meilen, in einer Gegend, wo lauter tiefe Wege waren, so fiel's +immer dahin aus, daß selten eine ganze Woche hinging, da nicht an den +armen Mann eine flehentliche Bitte um sein Tier gelangte. Er war kein +hartherziger Mann, und jeder Fall war immer dringender und jammervoller +als der vorige. So lieb er also sein Pferd haben mochte, so konnte er's +doch nicht übers Herz bringen, nein zu sagen. Das Ende vom Liede war +dann gemeiniglich, daß sein Pferd gedrückt war oder Drüsen bekam oder +die Fußgallen oder ward spatlahm oder hatte sich verfangen oder kurz, +hatte einen oder den anderen Fehler bekommen, der es rauhaarig machte +und ihm kein Fleisch auf den Knochen ließ. So hatte er alle neun oder +zehn Monate eine Kracke abstehen und ein gutes Pferd an ihrer Statt +wieder zu kaufen.</p> + +<p>Wie hoch sich, ein Jahr ins andere gerechnet, der Verlust in einer +Solchen Bilanz belaufen mochte, das überlasse ich einer eigentlich dazu +erwählten Zahl von Obmännern zu bestimmen, die selbst bei dergleichen +Handel gelitten haben. — Aber laß ihn so groß gewesen sein, wie er +wolle, der<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> ehrliche Mann ertrug ihn viele Jahre lang ohne Murren, +bis er endlich, nach zu oft wiederholten Zufällen dieser Art, es für +nötig fand, die Sache in Erwägung zu ziehen, und beim Überrechnen und +Aufsummieren in seinen Gedanken herausbrachte, daß es nicht nur kein +Verhältnis gegen seine übrigen Ausgaben hätte, sondern auch schon +an und für sich ein so lästiger Artikel wäre, daß er ihn unfähig +mache, irgendeine andere großmütige Handlung in seinem Kirchspiel +auszuüben. Zudem machte er die Überlegung, daß er mit der Hälfte dieser +verrittenen Summe zehnmal soviel Gutes tun könnte. Und was noch mehr +Gewicht bei ihm hatte als alle andere Betrachtungen zusammengenommen, +war dies, daß er alle seine Werke der Barmherzigkeit auf einen +besonderen Teil einschränkte, der ihrer nach seiner Einbildung am +wenigsten bedurfte, nämlich den schwangeren und gebärenden Teil seines +Kirchspiels. Er behielt nichts übrig für die Schwachen und Kranken, +nichts für die betagten Alten, nichts für die jammervollen Auftritte, +zu denen er stündlich gerufen wurde, woselbst Armut, Krankheit und +Elend beisammen wohnten.</p> + +<p>Aus diesen Ursachen beschloß er, den Aufwand einzuziehen, und dazu +hatte er, wie's ihm schien, nur zwei mögliche Wege, und diese waren, +entweder sich's zu einem unverbrüchlichen Gesetze zu machen, sein Pferd +niemals wieder auszuleihen, man möchte ihn bitten, so sehr man wollte, +oder sich darein zu finden, daß er den letzten armen Köter von Rappen, +so wie sie ihn zugerichtet hatten, fortritte, mit allen Seinen Fehlern +und Gebrechen, bis ans äußerste Ende des Kirchspiels.</p> + +<p>Da er seiner eigenen Standhaftigkeit nicht traute, erwählte er ganz +getrost den zweiten Weg, und ob er gleich, wie ich gesagt habe, es +hätte zu seiner Ehre verkünden können, so sah er aus Großmut davon +ab und wollte lieber die Verachtung<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> seiner Feinde und das Gelächter +seiner Freunde erdulden, als sich der Mühe unterziehen, eine Geschichte +zu erzählen, welche eine Lobrede auf ihn selbst scheinen möchte.</p> + +<p>Ich habe den höchsten Begriff von den großmütigen und zarten +Gesinnungen dieses ehrwürdigen Geistlichen aus diesem einzigen Zuge in +seinem Charakter gefaßt, der nach meiner Meinung ebensoweit geht als +irgendeine von den treugemeinten Zärtlichkeiten des unvergleichlichen +Ritters v. Mancha, welchen ich, im Vorbeigehen gesagt, mit allen Seinen +Narrheiten lieber habe und viel weiter gereist sein würde, um ihn zu +besuchen, als den größten Helden des Altertums.</p> + +<p>Aber das ist nicht die Moral aus meiner Erzählung. Was ich eigentlich +im Sinne hatte, war, zu zeigen, wie sich die Welt bei dieser ganzen +Sache benahm; denn Sie müssen wissen, solange als diese Aufklärung +dem Pfarrer Ehre gebracht hätte, fand sich keine arme Seele, die +dahinterzukommen vermochte. — Ich glaube, seine Feinde wollten nicht, +und seine Freunde konnten nicht. — Aber sobald er sich zum Besten der +Hebamme bemühte und das Geld für ihr Examen und ihren Erlaubnisschein +bezahlte, war das ganze Geheimnis heraus. Jedes Pferd, das ihm +draufgegangen war, und noch ein paar darüber, mit allen Umständen, wie +sie zugrunde gerichtet worden, kamen ans Licht und wurden der Länge +nach her erzählt. Die Geschichte griff um sich wie wildes Feuer.</p> + +<p>Der Pfarrer habe einen neuen Anfall vom Hochmutsteufel bekommen und +stände im Begriff, noch einmal in Seinem Leben wieder ein gutes Pferd +für seinen Leib zu halten, und wenn das geschähe, so wäre es so klar +wie die liebe Sonne am hellen Mittage, daß er die Ausgabe für die +Hebamme in einem einzigen Jahre zehnfach im Sack behielte. Man könne +also beurteilen, was für Absichten er bei dieser Barmherzigkeit gehabt +hätte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span></p> + +<p>Was für Absichten er bei dieser oder jeder anderen Handlung in seinem +Leben gehabt, oder vielmehr, was für Meinungen darüber in dem Gehirn +anderer Leute schwammen, war ein Gedanke, der zuviel in seinem eigenen +umherschwamm und ihn zu oft in seiner Ruhe störte, wenn er eines +gesunden Schlafes bedurfte.</p> + +<p>Vor ungefähr zehn Jahren hatte dieser brave Mann das gute Glück, über +diesen Punkt völlig beruhigt zu werden; denn gerade so lange ist es +her, daß er seine Pfarre und zugleich die ganze Welt hinter sich ließ +und einem Richter zur Rechenschaft steht, über den sich zu beklagen er +nicht Ursache haben wird.</p> + +<p>Es gibt ein unvermeidliches Schicksal, das die Handlungen einiger +Menschen begleitet. Laß sie solche einrichten, wie sie wollen; sie +fallen durch ein gewisses Mittelglas, welches die Strahlen dieser +Handlungen so verwirrt und in ihrer wahren Richtung solchergestalt +bricht, daß, mit allen den Ansprüchen auf Lob, welche die +Rechtschaffenheit des Herzens geben kann, diejenigen, die sie ausüben, +gleichwohl leben und sterben müssen, ohne es zu genießen.</p> + +<p>Daß dieses eine Wahrheit sei, davon war dieser Geistliche ein +unangenehmes Beispiel. Um aber zu wissen, wie das zuging und dieses +Wissen Ihnen nützlich zu machen, muß ich ausdrücklich verlangen, daß +Sie die zwei folgenden Kapitel lesen, welche eine solche Skizze von +seinem Leben und Umgange enthalten, daß die Moral zugleich mit darin +ist. Wenn dies geschehen ist und uns kein anderer Stein in den Weg +fällt, dann wollen wir mit der Hebamme weitergehen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_4"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p> + +<h2>Fünftes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Yorick war dieses Geistlichen Name, und was dabei sehr merkwürdig, +wie aus einer sehr alten, auf dickes Pergament geschriebenen +Familiennachricht, die noch gut erhalten ist, hervorgeht, er ist genau +ebenso buchstabiert, seit fast — auf ein Haar breit hätte ich gesagt +neunhundert Jahren. Ich mag aber meine Zuverlässigkeit dadurch keinem +Zweifel unterwerfen, daß ich eine unwahrscheinliche Wahrheit sage, so +unbezweifelt richtig sie auch an sich selbst ist. Also will ich mich +begnügen, bloß zu sagen, er ist genau ebenso buchstabiert, ohne die +geringste Veränderung oder Versetzung eines einzigen Buchstabens. Hat +dies an dem Hochmute oder an der Schamhaftigkeit ihrer respektiven +Eigner gelegen? Die offenherzige Wahrheit zu sagen, ich glaube, +zuweilen an dem einen und zuweilen an der anderen, nachdem es die +Versuchung so mit sich brachte. Eine häßliche Sache aber bleibt's doch +immer und wird uns eines Tages noch so untereinander vermischen und +vermengen, daß kein Mensch vermögend sein wird, die Finger aufzuheben +und zu schwören, daß sein leiblicher Urgroßvater der Mann war, der +dieses oder jenes tat.</p> + +<p>Diesem Übel war durch die kluge Vorsicht der Yorickschen Vorfahren und +ihre sorgfältige Aufbewahrung des angeführten Pergaments hinlänglich +vorgebaut. Die Urkunde teilt uns ferner mit, daß das Geschlecht +eigentlich dänischen Ursprungs und bereits unter der Regierung des +dänischen Königs Horwendilius nach England verpflanzt worden sei. +An dem Hofe dieses letzteren, scheint es, bekleidete einer von den +Vorfahren unseres Herrn Yorick, von welchem er in gerader Linie +abstammt, bis an das Ende seines Lebens einen ansehnlichen Posten. +Von was für einer Art dieser ansehnliche Posten gewesen, sagt das +Familienregister nicht. Es fügt nur hinzu, daß er seit fast zweihundert +Jahren nicht allein an<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> diesem, sondern beinahe an allen anderen +christlichen Höfen als völlig unnötig eingegangen sei.</p> + +<p>Es ist mir oft in den Kopf gekommen, daß dieser Posten wohl kein +anderer habe sein können als des Königs Oberspaßmacher, und daß Hamlets +Yorick in unserem Shakespeare, dessen dramatische Stücke, wie Sie +wissen, sich oft auf wahre Geschichten gründen, gerade derselbe Mann +war.</p> + +<p>Ich habe nicht Zeit, die dänische Geschichte des Saxo-Grammatikus +nachzuschlagen, um hierüber Gewißheit zu bekommen. Das können Sie +aber ebensogut selbst tun, wenn Sie Muße haben und das Buch unschwer +erhalten können.</p> + +<p>Ich hatte eben nur soviel Zeit auf meinen Reisen durch Dänemark mit +Herrn Neddys ältestem Sohne, den ich 1741 als Hofmeister begleitete und +mit Extrapost durch die meisten Teile von Europa führte, daß die Pferde +rauchten, — ich hatte eben nur soviel Zeit, sage ich, und zu nichts +mehrerem, die Wahrheit der Bemerkung bestätigt zu finden, die jemand +gemacht, der sich lange in dem Lande aufgehalten hatte, daß nämlich die +Natur weder sehr verschwenderisch noch sehr knickerig mit ihren Gaben +von Genie und Fähigkeiten gegen seine Einwohner sei; — sondern, gleich +einer klugen Mutter, gegen alle mäßig gütig wäre; daß sie bei der +Austeilung ihrer Geschenke dergestalt Ebenmaß hielte, daß sie solche +so ziemlich einander gleich machte. So daß Sie in diesem Reiche wenige +Beispiele von hervorragenden Genies finden werden, wohl aber ziemlich +viel von gutem natürlichen Alltagsverstande in allen Ständen und bei +allen Leuten, wovon jedermann sein Teil bekommen hat, was denn auch +nach meiner Meinung ganz recht ist.</p> + +<p>Bei uns, sehen Sie, geht die Sache ganz anders zu. Wir stehen alle, +was diese Materie betrifft, sehr hoch oder sehr tief. Sie sind ein +großes Genie, mein Herr, oder fünfzig gegen eins: Sie sind ein großer +Dummkopf. Nicht als ob<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> es so ganz und gar an Mittelstufen fehlte. +— Nein, so völlig außer aller Regel sind wir nun wohl nicht. Aber +die beiden äußersten Spitzen sind gewöhnlicher und stehen weiter +voneinander in dieser unsteten Insel, wo selbst die Natur in ihren +Gaben und Austeilungen dieser Art höchst willkürlich und eigensinnig +ist. Das Glück selbst kann in Bescherung seiner Habe und Güter nicht +sonderbarer zu Werke gehen als sie.</p> + +<p>Das ist es alles, was mich jemals in meinem Glauben von Yoricks +Abkunft wankend gemacht hat, welcher, soviel ich mich erinnern kann, +und zufolge aller Nachrichten, die ich nur von ihm habe erhalten +können, nicht einen einzigen Tropfen dänisches Blut in seiner ganzen +Mischung zu haben schien. In neunhundert Jahren kann es möglicherweise +alles verlaufen sein. Philosophieren darüber mag ich indessen keinen +Augenblick mit Ihnen. Denn es mag zugegangen sein, wie es wolle, so ist +soviel zuverlässig, daß statt des kalten Phlegmas und der ängstlichen +Regelmäßigkeit des Verstandes und der Laune, die Sie bei einem Manne +von dergleichen Abkunft erwartet hätten —, er vielmehr von so zarter +Körperbeschaffenheit war, als nur immer das mildeste Klima hätte +hervorbringen und zusammensetzen können. Bei allen diesen Segeln +hatte der arme Yorick dennoch keine Unze Ballast geladen. Er hatte +nicht die geringste Weltkenntnis. In einem Alter von einundzwanzig +Jahren wußte er ebensoviel davon, wohin er sein Ruder halten sollte, +als ein unschuldiges Mädchen von dreizehn Jahren, das unter Knaben +die Blindekuh spielt. Sie können sich denken, daß ihn also bei seiner +ersten Ausfahrt der rasche Windstoß seiner Lebensgeister wohl zehnmal +des Tages in fremdes Tauwerk trieb, und da ihm die Ernsthaften und +Bedächtigeren am meisten auf seinem Wege aufstießen, — so können Sie +sich ebenfalls leicht vorstellen, daß es gerade solche waren, mit +denen er das Unglück hatte, sich<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> am ärgsten zu verwickeln. Ich bin +immer der Meinung, daß eine kleine Mischung von unglücklichem Witz am +Ende der Grund aller dieser Händel war. Yorick hatte, die Wahrheit zu +sagen, von Natur einen unbeweglichen Widerwillen und Abscheu gegen die +Ernsthaftigkeit. Nicht gegen die wirkliche Ernsthaftigkeit; denn er +konnte, wenn's darauf ankam, tage- und wochenlang der ernsthafteste +Sterbliche von der Welt sein. Aber der nachgeäfften Ernsthaftigkeit war +er herzlich feind und kündigte ihr den öffentlichen Krieg an, insofern +sie ein Deckmantel der Unwissenheit oder Narrheit schien. Wo sie ihm +nur aufstieß, sie mochte auch noch so mächtigen Schutz haben, gab er +ihr sehr selten Pardon.</p> + +<p>Zuweilen, nach seiner unbedachtsamen Art zu reden, pflegte er zu +sagen, die affektierte Ernsthaftigkeit sei eine durchtriebene Bübin, +und setzte noch wohl hinzu: von der gefährlichsten Gattung, weil sie +so listig sei. Er glaube im Ernste, sie brächte in einem Jahre mehr +ehrliche, sorglose Leute um ihr Gut und Geld, als Beutelschneider +und Spitzbuben in sieben tun könnten. In der nackten Gemütsart, die +ein fröhliches Herz sehen läßt, sagte er, stecke keine Gefahr als +nur für den Besitzer, dahingegen das wahre Wesen der affektierten +Ernsthaftigkeit Vorsatz und folglich Betrug wäre. Es wäre ein +studierter Kunstgriff, sich bei der Welt das Zutrauen zu erwerben, +als ob man mehr Verstand und Einsicht habe, als in der Tat wahr sei. +Ungeachtet alles dessen, wofür sie gerne gehalten sein wollte, wäre +sie doch nicht besser, sondern oft noch schlimmer als die Definition, +die schon vor langer Zeit ein witziger Franzose von ihr gegeben +hätte: ein geheimnisvolles Bestreben des Körpers, die Gebrechen des +Gemüts zu verbergen. Diese Definition der Ernsthaftigkeit, pflegte +Yorick unbehutsamerweise zu sagen, verdiente mit goldenen Buchstaben +geschrieben zu werden.</p> + +<p>Er war aber, um das Kind beim rechten Namen zu<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> nennen, unerfahren +in der Welt, und unversucht und war ebenso unbedachtsam und töricht +bei jedem andern Vorwurfe des Gesprächs, wobei die Politik gewöhnlich +befiehlt, sich Zwang aufzuerlegen. Yorick nahm keine anderen Eindrücke +an als nur einen. Das war der, welcher aus der Natur der Handlung +entstand, wovon gesprochen wurde, welchen Eindruck er dann gewöhnlich +ohne allen Umschweif geradeheraus sagte, nur zu oft, ohne dabei auf +Person, Zeit oder Ort zu achten, dergestalt, daß, wenn eines niedrigen, +unedlen Verfahrens Erwähnung geschah, er sich niemals einen Augenblick +Zeit ließ, zu überlegen, wer der Held des Stückes sei, von welchem +Stande oder was für Macht er habe, ihm hiernächst zu schaden. Es +war für ihn eine schändliche Handlung, ohne weitere Komplimente — +der Mann ein schändlicher Kerl und so weiter. Da seine Kommentare +unglücklicherweise zumeist mit einem witzigen Einfall endigten oder +durchgängig von drolligen, launigen Ausdrücken belebt waren, so gab das +seinen Übereilungen Flügel. Mit einem Worte, ob er gleich niemals die +Gelegenheit suchte, sie aber auch selten vermied, wo er geradezu und +ohne viel Umstände heraus sagen konnte, was ihm in den Mund kam, so +hatte er in seinem Leben nur zuviel Versuchung, seinen Witz und seine +Laune, seinen Spott und seine Satiren auszuschütten. Sie gingen aus +Überfluß an Auflesern nicht verloren.</p> + +<p>Was für Folgen das hatte, und was sich Yorick für eine Katastrophe +dadurch zuzog, das können Sie im nächsten Kapitel lesen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_5"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Sechstes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Der hypothekarische Gläubiger und der hypothekarische Schuldner denken +über die Länge der Zeit in Geldsachen<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> nicht verschiedener als der +Spötter und der Ausgespottete über die Länge des Gedächtnisses. Doch +hierin geht das Gleichnis unter ihnen, wie die Scholasten es nennen, +auf allen vieren, was, im Vorbeigehen anzumerken, auf einem oder +zweien Füßen mehr ist, als sich einige der besten im Homer rühmen +können. Der eine trägt eine Summe, der andere ein Gelächter auf Kosten +eines Dritten davon und denkt nicht weiter daran. — In beiden Fällen +gleichwohl laufen die Interessen in die Höhe. Der festgesetzte oder +zufällige Zahlungstag dient nur gerade dazu, die Sache nicht völlig ins +Vergessen kommen zu lassen, bis endlich, zu einer bösen Stunde, der +Gläubiger zu beiden kommt, auf der Stelle sein Kapital mit den vollen +Interessen bis auf den letzten Tag fordert und beide die Gültigkeit +ihrer Obligationen in ihrer ganzen Ausdehnung fühlen läßt.</p> + +<p>Da der Leser (ich kann die Wenns nicht leiden) eine gründliche Kenntnis +der menschlichen Natur hat, so brauche ich nichts mehr zu sagen, um +ihn zu überzeugen, daß mein Held es nicht lange so forttreiben konnte, +ohne eine oder die andere kleine Erfahrung zu machen. Die Wahrheit zu +gestehen, hatte er sich üppigerweise in eine Menge kleiner Buchschulden +von diesem Schlage verwickelt, welche er, ungeachtet Eugenius' häufiger +Warnung, zu sehr auf die leichte Achsel nahm. Er meinte, da er keine +einzige davon aus böser Absicht gemacht, sondern vielmehr aus sehr +redlichem Herzen und aus bloßer aufgeräumter Gemütsart, so würden sie +sich alle bei Gelegenheit von selbst tilgen.</p> + +<p>Eugenius wollte ihm das niemals zugeben und sagte oft zu ihm, daß man +ihm ein oder des andern Tages die Rechnungen gewiß einschicken würde, +und zwar, fügte er oft mit einem traurigen, ahnungsvollen Tone hinzu, +wird man weder Pfennig noch Heller vergessen, worauf Yorick nach seiner +gewöhnlichen Sorglosigkeit des Herzens mit einem:<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> »Warum nicht gar?« +zu antworten pflegte, und fiel das Gespräch im freien Felde vor, mit +einem Linksumkehrt, einem Vor- oder Seitensprunge statt der Antwort. +War er aber beim geselligen Kamine, in einer Ecke hinter einem Tische +und ein paar Lehnstühlen eingeschlossen, wo der arme Sünder stichhalten +mußte und nicht so leicht davonwischen konnte, — dann fuhr Eugenius +mit seiner Klugheit in ungefähr folgenden Worten fort, die aber ein +wenig besser zusammengefügt waren:</p> + +<p>»Glaube mir, lieber Yorick, diese deine unvorsichtige Scherzhaftigkeit +wird dich früher oder später in solche Schlingen verwickeln, aus +welchen dich kein Nachwitz wird losmachen können. — Bei diesen +Angriffen seh' ich's zu oft, daß der Mann, über den gelacht wird, +sich in dem Lichte einer beleidigten Person betrachtet, mit allen +den Rechten, die ihm in einer solchen Lage zustehen. Und wenn du +ihn ebenfalls in diesem Lichte betrachtest und seine Freunde, seine +Angehörigen, seine Verwandten und Bundesgenossen zusammenrechnest und +die vielen Rekruten mit in die Glieder stellst, die sich aus Besorgnis +einer gemeinschaftlichen Gefahr in seinem Dienst werden anwerben +lassen, dann ist es keine übertriebene Rechnung, wenn man sagt, für +jede zehn spitzige Einfälle hast du dir hundert Feinde erkauft, du +willst es nicht glauben, bis du so weit gekommen bist, daß dir das +aufgerührte Wespennest um die Ohren summt und dich halbtot gestochen +hat.</p> + +<p>Ich kann von dem Manne, den ich hochachte, nicht argwöhnen, daß ihn der +kleinste Sporn von Milzsucht oder menschenfeindlicher Absicht zu diesen +Angriffen reize. Ich glaube und bin überzeugt, sie sind unschuldig und +bloß als Scherz gemeint. Aber bedenke es wohl, lieber Junge, Narren +können den Unterschied nicht einsehen, und — Buben wollen nicht. Du +weißt nicht, was es heißt, den einen zu zerren oder mit dem andern zu +tändeln! Wo sie sich jemals zu<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> gemeinsamer Verteidigung zusammentun, +so, glaube mir, werden sie den Krieg gegen dich auf eine solche Art +führen, mein liebster Freund, daß du seiner und deines Lebens dazu +herzlich satt werden wirst.</p> + +<p>Die Rachsucht wird aus einem giftigen Winkel ein ehrenrühriges +Märchen gegen dich richten, welches weder Unschuld des Herzens +noch Unsträflichkeit des Wandels abwehren wird. Die Glückseligkeit +deines Hauses wird erschüttert, dein guter Leumund, worauf sie ruht, +allenthalben verwundet, deine Redlichkeit in Zweifel gezogen, deine +Taten belogen, dein Witz vergessen, deine Gelehrsamkeit mit Füßen +getreten, und, um dir den letzten Auftritt deines Trauerspiels vor die +Augen zu bringen: Grausamkeit und Feigheit, zwei Zwillings-Raufbolde, +die als Mietlinge der Bosheit im Finstern schleichen, werden zugleich +deine Schwachheiten und Irrtümer bestürmen. — Der beste von uns, mein +teuerster Kumpan, gibt hier Blößen. Und glaube, glaube mir, Yorick, +wenn es einmal, eine besondere Lust zu büßen, beschlossen ist, daß ein +hilfloses unschuldiges Tier geopfert werden soll, so ist es leicht, +in jedem grünen Gebüsche, wohin es sich verirret hat, genug trockenes +Reisholz zum Feuer zu finden, worauf es verbrannt werde.«</p> + +<p>Yorick hörte diese traurige prophetische Rede fast niemals +vorsagen, oder es stahl sich eine Träne aus seinem Auge, welche ein +versprechender Blick begleitete, daß er fürs künftige entschlossen +sei, seinen Klepper mit mehr Mäßigung zu reiten. — Aber, leider! zu +spät! — Eine große Verschwörung tat sich zusammen, noch ehe sie zum +erstenmal geweissagt war. Der ganze Plan zum Angriff ward, gerade wie +Eugenius vorhergesagt, auf einmal zur Ausführung gebracht. Mit so +wenig Schonung von Seiten der Verbündeten und so wenig Argwohn von +Seiten Yoricks von dem, was gegen ihn geschmiedet wurde, daß, als der +gutherzige Mann dachte, seine sichere Amtsbeförderung stände in voller +Reife, sie ihn an<span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span> der Herzwurzel angegriffen hatten. So fiel er, wie +mancher würdige Mann vor ihm gefallen war.</p> + +<p>Yorick betrug sich anfangs eine Zeitlang mit aller ersinnlichen +Tapferkeit, bis er, der Anzahl über und endlich des Elends des Krieges +überdrüssig, am meisten aber der ungroßmütigen Art, womit er geführt +wurde, satt, das Schwert aus der Hand legte. Ob er gleich dem Anschein +nach bis auf den letzten Augenblick den Mut nicht sinken ließ, starb er +dennoch, wie man überall überzeugt war, vor Kummer und Gram.</p> + +<p>Was den Eugenius zu ebender Meinung brachte, war folgendes:</p> + +<p>Wenige Stunden, ehe Yorick seinen Geist aufgab, ging Eugenius zu ihm, +in der Absicht, ihn noch einmal zu sehen und den letzten Abschied +von ihm zu nehmen. Wie er Yoricks Vorhang aufzog und ihn fragte, wie +er sich befinde, sah ihm Yorick ins Gesicht, faßte ihn bei der Hand, +und nachdem er ihm für so manchen Beweis seiner Freundschaft gedankt +hatte, wofür, wenn es ihr Schicksal wollte, daß sie sich künftig wieder +antreffen sollten, er ihm immer mehr und mehr danken wollte, und sagte +zu ihm, in ein paar Stunden würde er seinen Feinden auf ewig das +Nachsehen lassen. — »Das hoffe ich nicht,« antwortete Eugenius mit dem +zärtlichsten Tone, in dem jemals ein Mann gesprochen hat, wobei ihm die +Tränen die Wange herabrollten. »Das hoffe ich nicht, Yorick,« sagte +er. Yorick antwortete mit einem in die Höhe gerichteten Blicke und mit +einem sanften Drucke, den er Eugenius' Hand gab, und mit sonst nichts. +Aber es ging Eugenius durchs Herz. — »Komm, komm, Yorick,« erwiderte +Eugenius, indem er sich die Augen wischte und sich wie ein Mann zu +fassen suchte, »sei wohlgemut, mein lieber Bruder. Laß nicht allen Mut +und Standhaftigkeit in dieser Stunde der Prüfung sinken, wo du ihrer +am meisten bedarfst. Wer weiß, was für Hilfe<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> noch vorhanden ist und +was Gottes Macht noch für dich zu tun vermag?« — Yorick legte seine +Hand auf sein Herz und schüttelte sanft den Kopf. »Ich muß dir sagen,« +fuhr Eugenius fort und weinte bitterlich, als er die Worte sprach, +»ich weiß nicht, wie ich's aushalten soll, mich von dir zu trennen, +Yorick, und möchte gern meiner Hoffnung schmeicheln, daß noch genug +von dir übrig sei, einen Bischof daraus zu machen, und daß ich das +noch erleben werde.« — »Ich bitte dich, Eugenius,« erwiderte Yorick, +und nahm, so gut er konnte, mit seiner linken Hand die Schlafmütze vom +Kopfe, weil er seine rechte noch immer fest in Eugenius' seiner liegen +hatte, »ich bitte dich, siehe mein Haupt an!« — »Ich seh' nicht, daß +es ihm etwas schadet!« versetzte Eugenius. »Ach, mein Freund,« sagte +Yorick, »so muß ich dir sagen, daß es so zerschlagen, so mißhandelt +ist von den Streichen, welche mir so unsanft im Finstern versetzt +wurden, daß ich mit Sancho-Pansa sagen möchte, wenn ich wieder aufkäme: +›und sollten denn auch Bischofshüte vom Himmel regnen, so dicht wie +Hagel, es würde doch keiner darauf passen‹.« — Yoricks letzter Atem +schwebte auf seinen zitternden Lippen, in völliger Bereitschaft zu +entfliehen, als er dieses hervorbrachte. Dennoch brachte er's mit einem +eigentümlichen Tone hervor, und wie er's sprach, konnte Eugenius einen +Strom sanften Feuers bemerken, das sich auf einen Augenblick in seinen +Augen entzündet hatte. Schwaches Gemälde von jenen Blitzen des Witzes, +welche, wie Shakespeare von Yoricks Ahnherrn sagt, gewohnt waren, den +Tisch zu lautem Gelächter zu zwingen.</p> + +<p>Eugenius ward hierdurch überzeugt, daß der Gram seines Freundes Herz +gebrochen habe; er drückte ihm die Hand — ging leise aus dem Zimmer +und weinte, wie er ging. Yorick folgte ihm mit den Augen bis zur Türe. +Darauf schloß er sie — und öffnete sie nie wieder.</p> + +<p>Er liegt begraben in einer Ecke seines Kirchhofes, in<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> dem Kirchdorfe +unter einem kunstlosen, platten Marmorstein, den sein Freund Eugenius +mit Erlaubnis seiner Exekutores über sein Grab legte, mit nicht +mehr als diesen drei Worten einer Inschrift, welche als Grab- und +Klageschrift dient:</p> + +<div class="text-box"> +<p>»Ach, armer Yorick«</p> +</div> + +<p>Zehnmal des Tages hat Yoricks Geist den Trost, seine Gedächtnisschrift +mit einer solchen Mannigfaltigkeit von klagenden Tönen lesen zu hören, +welche Mitleid und Hochachtung für ihn anzeigen. Da ein Fußsteig über +den Kirchhof, dicht an der Seite des Grabes vorbeiführt, so geht kein +Fußgänger vorüber, der nicht einen Augenblick verweilt, einen Blick +daraufwirft und im Weitergehen seufzt: Ach armer Yorick!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_6"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Siebentes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Eher wollte ich mich unterstehen, das schwerste Problem in der +Geometrie zu lösen, als auf mich zu nehmen, zu erklären, wie ein +Mann von meines Vaters vielem und richtigem Verstande, belesen, und +zwar kritisch in philosophischen Sachen, dabei weise in politischen +Anschlägen und in der Polemik, wie er sehen wird, gar nicht unwissend, +fähig sein konnte, eine Meinung in seinem Kopfe zu unterhalten, die +soweit von allen gewöhnlichen abwich, daß ich besorge, der Leser, wenn +ich ihm solche sage, wofern er nur wenig cholerischen Temperaments ist, +werde den Augenblick das Buch beiseite werfen. Ist er sanguinisch, so +wird er herzlich darüber lachen, und ist er von der ernsthaften und +strengeren Gattung, so wird er solche beim ersten Anblicke, ohne Gnade, +als phantastisch und ausschweifend verdammen. Es ist seine Meinung, +über die Wahl und Beilegung der Taufnamen, worauf nach seiner Ansicht +weit mehr ankäme, als solche<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> Leute, die nur oberflächlich denken, zu +begreifen fähig wären. — Seine Meinung in diesem Punkte war, daß es +eine sonderbare Art von magischer Kraft gäbe, welche gute oder böse +Namen, wie er sie nannte, unserm Charakter und unserer Aufführung +unwiderstehlich eindrückten.</p> + +<p>Cervantes' Held konnte seinen Punkt nicht ernsthafter behaupten, noch +es ernstlicher meinen oder mehr erzählen von der Macht der Zauberer, +die seine Taten mit Schande befleckten, oder von dem Namen seiner +Dulcinea, der sie mit Ehre bekrönte, als mein Vater von den Namen +Trismegistus oder Archimedes auf der einen Seite oder von Nyky und +Simkin auf der anderen vorzubringen hatte. Wie manche Cäsars und +Pompejen, pflegte er zu sagen, sind durch bloßen Einfluß der Namen +ihrer unwürdig geworden! Und wie manche gibt es, fügte er hinzu, die +ungemein viel Gutes in der Welt gestiftet haben möchten, wäre ihr +Charakter und Mut nicht gänzlich unterdrückt worden.</p> + +<p>Ich seh's Ihnen deutlich an den Augen an, oder wie es sonst traf, +sagte wohl mein Vater, daß Sie dieser meiner Meinung nicht von Herzen +beitreten, welche für diejenigen, fügte er hinzu, die sie nicht +sorgfältig bis auf den Grund gesichtet haben — ich gestehe es —, +mehr das Ansehen einer Grille als eines geprüften Satzes haben mag. +Dennoch, mein lieber Herr, wenn ich mir nicht zuviel einbilde, Ihren +Charakter zu kennen, so bin ich moralisch gewiß, ich würde nicht wagen, +Ihnen eine Sache vorzulegen, nicht als einem, der Teil am Streit nimmt, +sondern als einem Richter, auf dessen Einsichten und unparteiische +Entscheidung ich mich bei meiner Appellation in dieser Sache sicher +verlassen kann. — Sie sind eine, von vielen eingeschränkten +Vorurteilen der Erziehung so freie Person wie wenige Menschen, und wenn +ich's wagen darf, noch tiefer in Sie zu dringen, von einer Großmut des +Geistes, die es verschmäht, eine Meinung bloß deswegen zu verwerfen,<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> +weil ihr Anhänger fehlen. Ihren Sohn! Ihren geliebten Sohn, von dessen +sanftem und aufgeräumtem Naturell Sie soviel zu erwarten haben, Ihr +Fritzchen, mein Herr! wollten Sie ihn um alles in der Welt wohl Judas +haben taufen lassen? Möchten Sie wohl, lieber Freund, fuhr er fort, +indem er ihm mit der sanftesten Art seine Hand auf die Brust legte, +— und mit dem Schmeichelnden und unwiderstehlichen Piano der Stimme, +welche das <em class="antiqua">Argumentum ad hominem</em> seiner Natur nach erheischt, +möchten Sie, mein Herr, wenn ein Jude den Namen für Ihren Sohn +vorgeschlagen und Ihnen dabei seine Geldsäcke angeboten hätte, möchten +Sie wohl in eine solche Entweihung Ihres Sohnes gewilligt haben? O, +mein Gott, sagte er dann, wenn ich Ihr Gemüt recht kenne, ist Ihnen das +unmöglich. Sie hatten das Anerbieten mit Füßen getreten. Mit Abscheu +hätten Sie die Versuchung an den Kopf des Versuchers geworfen.</p> + +<p>Ihre Seelengröße bei dieser Tat, die ich ebenso wie die uneigennützige +Verachtung des Geldes bewundere, die Sie bei diesem ganzen Vorfalle an +den Tag legen, ist wirklich edel, und wodurch sie solches noch mehr +wird, ist das Prinzip, woraus sie entspringt: Wirkungen der Liebe eines +Vaters, nach der Wahrheit und Überzeugung von ebendieser Hypothesis, +nämlich: wäre Ihr Sohn Judas getauft worden, die habsüchtige und +verräterische Idee, die von dem Namen so unzertrennlich ist, würde ihn +sein ganzes Leben durch wie ein Schatten verfolgt und ihn zuletzt, +trotz Ihrem Beispiele, Herr, zu einem Schabhals und Schurken gemacht +haben.</p> + +<p>Ich habe noch keinen Menschen gekannt, der auf ein solches Argument +zu antworten vermochte. — Wirklich, aber auch von meinem Vater die +Wahrheit zu sagen: — er war unwiderstehlich, beides im Verstehen und +Disputieren. Er war zum Redner geboren. Überredung hing an seinen +Lippen, und die Elemente der Logik und Rhetorik waren dergestalt<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> +durch ihn verwebt, und ganz besonders wußte er so schnell und Schlau +die Schwachheiten und Leidenschaften seiner Gegner aufzufinden, daß +die Natur selbst ihr Votum geben würde: dieser Mann ist beredt. Kurz, +mein Vater mochte recht oder unrecht haben, es war in beiden Fällen +viel gewagt, ihn anzugreifen. Und dennoch, es ist wunderbar, hatte +er niemals weder den Cicero noch Quintilian <em class="antiqua">de oratore</em> noch +Isokrates noch Aristoteles oder Longinus unter den Alten, noch den +Vossius noch Scioppius noch Ramus noch Farnabius unter den Neueren +gelesen, und was noch mehr zum Erstaunen ist, so war in seinem +ganzen Leben kein Strahl oder Funke von Subtilität dadurch in seine +Seele gebracht worden, daß er etwa ein Kollegium über irgendeinen +niederländischen Logiker oder Kommentator gehört hätte. Er wußte +nicht einmal, worin der Unterschied zwischen einem Argument <em class="antiqua">ad +ignorantiam</em> und <em class="antiqua">ad hominem</em> bestünde —, so daß ich +mich recht gut erinnere, als er mit mir hingereist war, mich im +Jesuiterkollegio zu N. einschreiben zu lassen, wie mein würdiger Lehrer +und zwei oder drei andere Mitglieder dieser gelehrten Sozietät sich +höchlich wunderten, daß ein Mann, der nicht einmal die Namen seiner +Werkzeuge kannte, dennoch so behende damit arbeiten könnte.</p> + +<p>Damit so gut, als er nur immer konnte, zu arbeiten, dazu ward mein +Vater indessen unaufhörlich gezwungen; denn er hatte wohl tausend +kleine skeptische Ideen von der komischen Gattung zu verfechten, +— wovon die meisten, wie ich fest glaube, sich anfangs bloß als +sonderbare Einfälle und als vive la bagatelle einschlichen. Mit ihnen +mochte er dann wohl eine halbe Stunde oder so seinen Spaß treiben, +und nachdem er seinen Witz an ihnen geschärft hatte, sie bis auf ein +andermal abtreten lassen.</p> + +<p>Ich führe dieses nicht bloß als eine Hypothese oder Mutmaßung über das +Emporkommen und die Einnistung von<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> meines Vaters sonderbaren Meinungen +an, sondern als eine Warnung für den gelehrten Leser gegen die +unvorsichtige Aufnahme solcher Gäste, welche, nachdem sie einige Jahre +lang in unserem Gehirn haben ungehindert und frei aus und ein gehen +dürfen, endlich gar als Einheimische betrachtet sein wollen. Einige +Zeit arbeiten sie, als Spielten sie nur Pfand; aber gemeiniglich wird +wie bei einem verliebten Paare aus Pfandwechseln Handwechseln.</p> + +<p>Ob das mit meines Vaters sonderbaren Meinungen der Fall war, oder +ob endlich sein Witz seinem Verstande einen blauen Dunst vormachte, +— oder wiefern er in einigen seiner Meinungen, so sonderbar sie +schienen, völlig recht haben mochte, das soll der Leser an Ort und +Stelle entscheiden. Hier behaupte ich weiter nichts, als daß es mit +dieser einen über den Einfluß der Taufnamen sein ganzer Ernst war. Er +war systematisch und gleich allen Systematikern hätte er Himmel und +Erde bewegt und jedes Ding in der Schöpfung gereckt und gezerrt, um +es seiner Hypothese anzupassen. Kurz, ich sage es noch einmal, es war +sein Ernst, und demzufolge konnte er alle Geduld verlieren, wenn er +Leute, besonders Leute von Stande sah, die es hätten besser wissen +sollen, die sich ebensowenig oder noch weniger darum bekümmerten, wie +ihr Kind genannt werden sollte, als um die Wahl eines Namens für ihren +Schoßhund, ob Ponto oder Cupido.</p> + +<p>Das, sagte er, stünde sehr schlecht. Wenn einmal ein schlechter Name +mit Unrecht und Unbedacht gegeben worden, so ginge es nicht, wie in dem +Falle, da eines Mannes guter Leumund verunglimpft worden, der wieder +verglimpft werden könnte. Da wäre es möglich, daß der, wenn nicht bei +Lebzeiten des Mannes, wenigstens nach seinem Tode wieder gerettet +würde. Bei dem andern aber, sagte er, ließe sich das geschehene Übel +niemals wieder gutmachen. —</p> + +<p>Es war merkwürdig, daß, obgleich mein Vater, dieser<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> Meinung gemäß, wie +ich Ihnen gesagt habe, gegen gewisse Namen die stärkste Zuneigung oder +Abneigung hatte, es dennoch Namen gab, weiche auf der Wagschale vor ihm +so eben schwebten, daß sie ihm völlig gleichgültig waren. Jack, Dick +und Tom waren in dieser Klasse. Diese nannte mein Vater neutrale Namen +und behauptete von ihnen ohne Satire, daß es von Anbeginn der Welt +her wenigstens ebenso viele Schurken und Narren gegeben wie gute und +kluge Männer, die solche Namen ohne Unterschied geführt hätten. Indem +sie so als gleiche Kräfte in entgegengesetzter Richtung aufeinander +wirkten, hoben sie nach seiner Meinung ihre Wirkungen wechselweise auf, +aus welcher Ursache er, wie er oft erklärte, keinen Kirschkern für die +Wahl unter diesen hingeben möchte. Bob, so hieß mein Bruder, war ein +anderer von dieser neutralen Gattung von Taufnamen, welche weder auf +die eine noch andere Seite wenig wirkten; und da sich mein Vater zu +Epsom befand, als er ihm gegeben ward, so dankte er oft dem Himmel, daß +es kein schlimmerer wäre. Andreas kam ihm fast vor wie eine negative +Größe in der Algebra. Er sei schlechter, sagte er, als nichts. Der +Name Wilhelm war bei ihm in hohem Ansehen, Numps wieder weniger und +Ruprecht, sagte er, sei gar des Teufels.</p> + +<p>Allein, unter allen Namen in der weiten Welt hatte er den +unbezwinglichsten Widerwillen gegen Tristram. — Von keinem Dinge auf +dem Erdboden hatte er einen niedrigeren und verächtlicheren Begriff, +indem er glaubte, er könne unmöglich <em class="antiqua">in rerum natura</em> etwas +anderes hervorbringen, als was höchst gemein und elend wäre. Ja, mitten +in einem Disput über den Punkt, worin er nicht selten ganz von ungefähr +verwickelt wurde, brach er oft voll Feuer plötzlich ab, stieg eine +Terze und zuweilen eine ganze Quinte über den Grundton seiner Rede +hinauf und fragte seinen Gegner kategorisch, ob er's auf sich nehmen +wolle, zu sagen, er habe sich<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> jemals erinnert, habe jemals gelesen +oder habe jemals erzählen gehört von einem Menschen, der Tristram +geheißen, daß er etwas Großes oder Andenkenswertes verrichtet? — Nein, +pflegte er zu sagen, Tristram! 's ist eine Unmöglichkeit!</p> + +<p>Was konnte meinem Vater mehr fehlen, als ein Buch zu schreiben, um +diese seine Meinung der Weit mitzuteilen? Sehr wenig Genuß bringt +es dem spekulativen Kopfe, seine Meinung allein zu haben, wenn er +sie nicht zu Markte bringen darf. Gerade das war's, was mein Vater +tat; denn im Jahre 1716, zwei Jahre vor meiner Geburt, machte er +sich darüber her und schrieb ausführliche Dissertationen über das +einzige Wort Tristram, worin er der Welt mit vieler Aufrichtigkeit und +Bescheidenheit die Gründe seines großen Abscheus gegen diesen Namen vor +Augen legte.</p> + +<p>Wenn diese Erzählung mit dem Titelblatte verglichen wird, wird dann +nicht der gutherzige Leser meinen Vater von Herzen bedauern? Wird +es ihn nicht schmerzen, sehen zu müssen, wie einem ordentlichen, +gutgesinnten Manne, der zwar sonderbare, aber doch unschädliche +Meinungen hegt, dergestalt von Widerwärtigkeiten mitgespielt worden +ist, und wenn er ihn auf dem Schauplatze erblickt, wo ihm alle seine +kleinen Systeme und Wünsche über den Haufen geworfen und vereitelt +werden, wenn er einen Troß von Zufällen beständig auf ihn zustürmen +sieht, und zwar auf eine so abgemessene und grausame Weise, als ob's +ausdrücklich darauf angelegt wäre, seine Spekulationen zu verspotten? +mit einem Worte: wenn er so einen Mann in seinen alten Tagen, die nicht +für Kummer und Sorgen gemacht sind, zehnmal täglich an seinen Schmerz +erinnert sieht, wie er zehnmal an einem Tage sein vom Himmel erflehtes +Kind Tristram rufen muß? — Melancholischer zweisilbiger Klang, der +in seinen Ohren mit Claasklump oder jedem andern Spottnamen unter der +Sonne im Einklang steht! — Bei seiner Asche schwöre ich's! hat jemals<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> +ein boshafter Geist sich ein Vergnügen oder Geschäft daraus gemacht, +die Vorsätze eines Sterblichen zu vereiteln, so muß es hier gewesen +sein, und wäre es nicht notwendig, daß ich erst geboren sein müßte, ehe +ich getauft werden kann, ich gäbe den Augenblick dem Leser Nachricht +davon.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_7"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Achtes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>»Ich kann nicht begreifen, was das Lärmen und das Hin- und Herlaufen +da oben heißen soll,« sagte mein Vater, und wendete sich nach einem +anderthalbstündigen Stillschweigen an meinen Onkel Toby, der, wie +Sie wissen müssen, an der anderen Seite beim Feuer saß und seine +gesellige Pfeife Tabak in stiller Betrachtung eines neuen schwarzen +Plüsch-Beinkleides, das er trug, immerfort schmauchte. — »Was mögen +sie vorhaben, Bruder?« sagte mein Vater, »wir können ja kaum unser +eigen Wort hören?«</p> + +<p>»Ich glaube,« antwortete mein Onkel Toby, wobei er die Pfeife aus dem +Munde nahm und den Kopf derselben zwei- oder dreimal auf den Nagel +seines linken Daumens schlug, als er zu reden anfing, »ich glaube,« +sagte er ... Aber um meines Onkels Meinung über diese Sache gehörig zu +fassen, müssen Sie erst ein wenig mit seinem Charakter bekannt sein, +dessen äußeren Umriß ich Ihnen hier auf der Stelle geben will. Hernach +wird der Dialog zwischen ihm und meinem Vater desto besser vonstatten +gehen.</p> + +<p>O, können Sie mir nicht sagen, wie der Mann hieß — denn ich +schreibe so in der Eile; ich habe weder Zeit, mich zu besinnen noch +nachzuschlagen —, der die Bemerkung zuerst machte, daß unsere +Luft und unser Klima sehr unbeständig seien? Er mag gewesen sein, +wer er will, er hat damit eine gute Bemerkung gemacht. Die daraus +gefolgerte<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> Behauptung aber, daß es daher komme, daß wir eine so +große Mannigfaltigkeit an eigenen und sonderbaren Charakteren haben, +kam nicht von ihm, sie ward von einem anderen Manne, wenigstens +anderthalbhundert Jahre vorher ausfindig gemacht, wie ebenfalls, daß +dieses volle Zeughaus von Originalstoff die wahre und natürliche +Ursache sei, daß unsere Lustspiele viel besser sind als die Lustspiele +der Franzosen oder alle die, welche auf dem festen Lande geschrieben +worden sind oder geschrieben werden können. — Das ist eine Entdeckung, +die eigentlich erst in der Mitte der Regierung des Königs William +gemacht ward, als der große Dryden, bei Verfertigung einer von seinen +langen Vorreden, wenn ich nicht irre, glücklicherweise darauf verfiel. +In der Tat begann der große Addison in den letzten Jahren der Königin +Anna diese Meinung in Schutz zu nehmen, und erklärte solche der Welt in +ein oder zwei Blättern des »Zuschauers« weitläufiger. Die Entdeckung +war aber nicht sein eigen. Endlich viertens und letztens, daß diese +sonderbare Unregelmäßigkeit in unserem Klima, die eine so sonderbare +Unregelmäßigkeit in unseren Charakteren hervorbringt — und uns dadurch +gewissermaßen schadlos hält —, indem sie uns etwas gibt, womit wir uns +einen Zeitvertreib machen können, wenn uns das Wetter nicht erlaubt, +über unsere Schwelle zu treten. — Die Bemerkung ist von mir selbst und +ward von mir ans Tageslicht gebracht, an ebendiesem regnerischen Tage, +dem 26. März 1759 zwischen neun und zehn Uhr des Vormittags.</p> + +<p>Aber ich vergesse meinen Onkel Toby, den wir die ganze Zeit über haben +die Asche aus seiner Pfeife klopfen lassen.</p> + +<p>Sein eigentümlicher Charakter war von der besonderen Gattung, welche +unserem Himmelskreise Ehre machte. Ich würde mich nicht besinnen, +ihn unter dessen vorzüglichste Produkte zu rechnen, hätte er nicht +so viele deutliche Striche<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> von einer Familienähnlichkeit erhalten, +welche bewiesen, daß die Sonderbarkeit seines Tuns und Sagens mehr vom +Geblüte als von Wind oder Wasser herkäme, solche möchten vermischt +oder versetzt sein, wie sie wollten. Deswegen habe ich mich auch oft +gewundert, daß mein Vater, ob ich gleich glaube, daß er seine Ursachen +dazu hatte, wenn er, als ich noch ein Knabe war, gewisse Abweichungen +von meiner natürlichen Bahn bemerkte, niemals versucht hat, solche +aus dieser Ursache zu erklären. — Denn die ganze Shandysche Familie +bestand aus Originalcharakteren. — Ich meine die Männlein — die +Weiblein hatten gar keinen —, ausgenommen meine Großtante Dinah, die +ungefähr vor sechzig Jahren sich mit ihrem Kutscher verheiratete und +vermehrte. Was sie, wie mein Vater, zufolge seiner Meinung von den +Taufnamen, oft zu sagen pfegte, ihren Gevattern und Gevatterinnen zu +verdanken hätte.</p> + +<p>Es wird sehr befremdend scheinen — und ich möchte ebensolieb dem Leser +ein Rätsel auf die Bahn werfen, welches sonst meine Art nicht ist, +als ihn nach der Ursache herumsinnen lassen —, daß ein Unfall dieser +Art so lange Jahre aufgehoben werden könnte, Friede und Einigkeit zu +stören, welche sonst so herzlich zwischen meinem Vater und Onkel Toby +obwalteten. Man sollte gedacht haben, die ganze Macht des Unglücks +würde sich gleich in der ersten Zeit in der Familie gebrochen und +verloren haben, wie gemeiniglich zu geschehen pflegt. Aber in unserer +Familie nahm alles seine ganz besondere Wendung. Vielleicht hatte +sie damals, als es sich zutrug, ein anderes Kreuz zu tragen. Und da +uns doch Kreuz und Leiden zu unserem Besten gesendet werden, und +dies hier der Shandyschen Familie noch niemals zum Besten gediehen +war, so lag es vielleicht und wartete, bis ihm die rechte Zeit und +Umstände Gelegenheit gaben, seine Dienste auszuüben. — Bemerken Sie +wohl, ich entscheide<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> hierin nichts. — Meine Gewohnheit ist immer, +dem Forschbegierigen von verschiedenen Spuren einen Fingerzeig zu +geben, nach welchem er bis zu den ersten Quellen der Begebenheiten +gelangen kann, die ich erzähle. — Nicht mit dem entscheidenden Tone +des Tacitus, der sich selbst und seine Leser überwitzt, sondern mit +der gehorsamsten Dienstbeflissenheit eines Herzens, das sich bloß dem +Dienst der Forschbegierigen gewidmet hat. — Für diese schreibe ich — +und diese werden mich lesen bis — wenn nur irgendein Lesen wie dieses +so lange aushalten könnte — bis ans Ende der Welt hinzu.</p> + +<p>Warum also die Ursache des Verdrusses solchergestalt für meinen Vater +und Onkel aufgespart worden, das lasse ich unentschieden. Wie aber und +in was für einer Richtung es wirkte, um Veranlassung zu Mißvergnügen +unter ihnen zu geben, nachdem es einmal in Gang gekommen war, das bin +ich imstande mit großer Genauigkeit zu erklären, und ist wie folgt.</p> + +<p>Mein Onkel Toby Shandy, Madame, war ein Offizier, der neben den +Tugenden, welche gewöhnlich den Charakter eines ehrlichen und +rechtschaffenen Mannes bestimmen, noch eine andere in einem hohen Grade +besaß, die selten oder niemals ins Verzeichnis gesetzt wird. Diese war +eine außerordentliche und unvergleichliche Züchtigkeit der Natur. — +Doch nehme ich das Wort Natur als Ursache zurück, damit ich nicht eine +Sache vorher abtue, die später vorkommen muß. Ob nämlich diese seine +Züchtigkeit natürlich oder erworben war. — Auf welche Weise aber mein +Onkel dazu gelangt sein mochte, es war allemal Züchtigkeit im wahrsten +Sinne. Und zwar, Madame, nicht in Worten — denn er war so unglücklich, +daß er nicht viel Wahl darunter hatte —, sondern in Taten. Und diese +sittsame Zucht beherrschte ihn dergestalt und ging bei ihm so weit, +daß sie womöglich der<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> Züchtigkeit eines Frauenzimmers fast gleichkam. +Dieser weiblichen Sittsamkeit, Madame, und innerlichen Keuschheit der +Sinne und Gedanken Ihres Geschlechts, wodurch Sie dem unserigen so +große Ehrfurcht einflößen.</p> + +<p>Sie werden glauben, Madame, daß mein Onkel Toby alles dieses aus der +wahren Quelle geschöpft habe, — daß er seine Zeit im Umgange mit +Ihrem Geschlecht zugebracht und daß er durch eine völlige Kenntnis von +Ihnen und durch die Macht der Nachahmung, welche so schöne Beispiele +unwiderstehlich machen, diese liebenswürdige Eigenschaft des Gemüts +erworben habe.</p> + +<p>Ja, ich wollte, daß ich das sagen könnte! — Doch außer mit seiner +Schwägerin, meines Vaters Frau und meine Mutter, wechselte er mit +einem anderen Frauenzimmer nie drei Worte in ebensoviel Jahren. — +Nein, er erlangte sie im Wurfe, Madame. — Im Wurf! — Ja, Madame, +es kam von einem Stein, der bei der Belagerung von Namur durch eine +Kanonenkugel von einem Hornwerke abgerissen und meinem Onkel Toby +gerade aufs Latzbein geworfen wurde. — Wie konnte der die Wirkung tun? +Die Erzählung davon, Madame, ist lang und anziehend. Aber ich würde +meine Historie ganz zusammendrängen, wenn ich sie Ihnen hier geben +wollte. Sie ist weiterhin zu einer Episode bestimmt und soll Ihnen mit +allen sich darauf beziehenden Umständen an gehöriger Stelle getreulich +vorgelegt werden. Bis dahin steht es nicht in meiner Gewalt, Ihnen mehr +Licht von der Sache zu geben oder mehr zu sagen, als ich bereits gesagt +habe: — Daß mein Onkel Toby ein Offizier von einer unvergleichbaren +Züchtigkeit war, welche zufälligerweise durch die beständige Hitze +eines kleinen Familienstolzes verdünnt und verfeinert wurde, so, daß +beide zugleich so bei ihm arbeiteten, daß er die Geschichte von Tante +Dinah niemals erwähnen hören konnte, ohne in heftige Gemütsbewegung +zu geraten. —<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> Die geringste Anspielung darauf war hinreichend, +ihm das Blut ins Gesicht zu treiben. Wenn aber mein Vater gar in +vermischten Gesellschaften sich weitläufiger darüber ausließ, wozu +er sich oft, um seine Hypothesen zu erläutern, genötigt sah, so fraß +dieser unglückliche Meltau auf einem der schönsten Zweige der Familie, +in meines Onkels Ehrliebe und Züchtigkeit, blutige Wunden; dann nahm +er oft meinen Vater mit aller nur erdenklichen Besorglichkeit auf die +Seite, um ihm vorzustellen, er wolle ihm alles geben, was er in der +Welt hätte, wenn er nur die Geschichte ruhen lassen möchte.</p> + +<p>Mein Vater, glaube ich, hegte die wahrste und zärtlichste Zuneigung für +meinen Onkel Toby, die jemals ein Bruder für den anderen hegte, und +hätte gerne alles auf der Welt getan, was ein Bruder vernünftigerweise +von dem anderen verlangen konnte, um meines Onkels Toby Herz über +diesen oder jeden anderen Punkt zu beruhigen. Aber dieses stand nicht +in seinen Kräften.</p> + +<p>Mein Vater, wie ich Ihnen gesagt habe, war ein Philosoph, haarscharf, +spekulativ, systematisch; und meiner Tante Dinah Geschichte war ihm +von ebensovieler Wichtigkeit, als dem Kopernikus die Retrogadation der +Planeten. — Die Nebenschliche der Venus aus ihrer geraden Laufbahn +bestätigten das Kopernikanische System, das von ihm seinen Namen +erhielt. Die Nebenschliche der Tante Dinah von ihrer ebenen Bahn taten +ebendie Dienste bei der Errichtung des Systems meines Vaters, das, wie +ich glaube, hinfort beständig nach ihm das Shandysche System heißen +wird.</p> + +<p>Bei jeder anderen Familienkränkung hatte mein Vater, glaube ich, ein +ebenso feines Gefühl der Schamhaftigkeit als irgend jemand. Ich getraue +mir zu sagen, weder er noch Kopernikus würden in beiden Fällen die +Geschichten haben auskommen lassen oder der Welt ein Wort davon gesagt +haben, wäre es nicht, wie sie dachten, aus Pflicht<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> gegen die Wahrheit +gewesen. — <em class="antiqua">Amicus Plato</em>, pflegte mein Vater zu sagen, wobei er +ihm die Worte übersetzte. — <em class="antiqua">Amicus Plato</em>, das heißt, Dinah war +meine Tante; — <em class="antiqua">sed magis amica veritas</em> — aber die Wahrheit ist +meine Schwester.</p> + +<p>Diese Uneinigkeit der Meinungen meines Vaters und Onkels war die Quelle +manches brüderlichen Zwistes. Der eine konnte nicht ertragen, daß ein +Familienfleck weitergetragen wurde, der andere konnte schwerlich einen +einzigen Tag hingehen lassen, ohne darauf anzuspielen.</p> + +<p>»Um's Himmels willen,« rief mein Onkel, »und um meinet-, um unserer +aller willen, mein liebster Bruder Shandy, laß doch die Geschichte +unserer Tante und ihre Gebeine in Ruhe schlafen. Wie kannst du so wenig +Gefühl und Mitleid für den guten Namen unserer Familie haben. Wie +kannst du!« — »Was ist der Name einer Familie gegen eine Hypothese? +— Ja, wenn ich's recht sagen soll, was das Leben einer Familie?« — +»Das Leben einer Familie!« sagte dann mein Onkel und fiel dabei in +seinen Lehnstuhl zurück und hob seine Hände, seine Augen und ein Bein +in die Höhe. — »Ja, das Leben,« sagte darauf mein Vater, seinen Satz +zu behaupten. »Wie manches Tausend wird jährlich — in allen gesitteten +Reichen wenigstens — weggeschleudert und für nichts weiter geachtet +als gemeine Luft in Vergleichung mit einer Hypothese?« — »Nach meinem +geringen Verstande von den Dingen,« antwortete Onkel Toby, »ist ein +jedes solches Beispiel barer Mord, es begehe ihn, wer will.« — »Da +steckt dein Irrtum,« versetzte mein Vater, »denn wissenschaftlich +darüber zu urteilen, kann es nicht <em class="gesperrt">Totschlag</em>, sondern muß es +<em class="gesperrt">Mannesschlag</em> heißen.«</p> + +<p>Mein Onkel gab sich niemals damit ab, hierauf mit etwas anderem +zu antworten, als daß er ein halbes Dutzend Takte von seinem +Regimentsmarsch Lillabullero herpfiff. — Sie müssen wissen, dies war +der gewöhnliche Kanal, durch<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> den er seinem Affekt Luft gab, wenn ihn +etwas ärgerte oder überraschte, — besonders aber, wenn ihm etwas +gesagt wurde, das er für sehr ungereimt hielt.</p> + +<p>Da noch niemand unter den Schriftstellern über die Logik, oder unter +deren Kommentatoren, soviel ich weiß, für gut befunden hat, dieser +eigenen Gattung von Argument einen Namen zu geben, so nehme ich mir +hier die Freiheit, es selbst zu tun, und das aus zweierlei Ursachen. +Erstens, damit solches, um aller Verwirrung im Disputieren vorzubeugen, +ein für allemal ebensogut von den übrigen Gattungen unterschieden +bleiben möge, als das <em class="antiqua">Argumentum ad verecundiam, ex absurdo, ex +fortiori</em>, oder wie es heißen mag. Zweitens, daß noch einmal meine +Kindeskinder, wenn mein Haupt schon längst zur Ruhe niedergelegt ist, +sagen können, daß ihres gelehrten Großvaters Kopf mit ebenso nützlichen +Dingen beschäftigt gewesen sei, als der anderer Leute. — Daß er für +eins der allertreffendsten — und wenn der Zweck des Disputierens mehr +der ist, seinen Gegner zum Schweigen zu bringen als ihn zu überzeugen +—, ja, so können sie nach Belieben hinzusetzen, für eines der besten +Argumente in der Disputierkunst einen Namen erfunden und solchen +großmütigerweise in den Schatzkasten der <em class="antiqua">Ars logica</em> geworfen +habe.</p> + +<p>Deswegen also gebiete und verordne ich durch Gegenwärtiges, daß +besagtes Argument künftig bei dem Titel <em class="antiqua">Argumentum fistulatorium</em> +erkannt und distinguiert werde, welchen und keinen anderen ich +ihm hiermit beilege, — und daß es künftig einerlei Rang mit dem +<em class="antiqua">Argumentum baculinum</em> haben und allemal in einem und ebendem +Kapitel mit diesem abgehandelt werden soll.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_8"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span></p> + +<h2>Neuntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Wäre ich nicht moralisch gewiß, daß der Leser voller Ungeduld nach +meines Onkels Toby Charakter sein muß, so hätte ich ihn hier vorläufig +überzeugt, daß kein Instrument so geschickt ist, so etwas zu zeichnen, +als das, worauf ich verfallen bin.</p> + +<p>Von einem Manne und seinem Steckenpferde kann ich nun zwar nicht sagen, +daß sie genau so, wie die Seele und der Leib, aufeinander Wirkung und +Gegenwirkung täten. Ohne Zweifel aber ist unter ihnen eine Art von +Kommunikation, und zwar bin ich der Meinung, daß es sehr nach der Art +zugehe wie mit elektrisierten Körpern.</p> + +<p>Nun war das Steckenpferd, welches mein Onkel Toby beständig ritt, +nach meiner Meinung ein Steckenpferd, das schon einer Beschreibung +wert ist. War's auch nur seiner großen Sonderbarkeit wegen; denn Sie +möchten von York nach Dover, von Dover nach Penzanze im Cornwallis, und +von Penzanze wieder nach York gereist sein, und doch auf der ganzen +Heerstraße seinesgleichen nicht gefunden haben. Oder hätten Sie ein +solches gesehen, so hätten Sie noch so eilig sein mögen, Sie hätten +unfehlbar stillhalten müssen, um es zu beschauen. In der Tat war +sein Wuchs und sein Gang so wunderbar und vom Kopfe bis zum Schweife +jedem anderen von der ganzen Gattung so über und über unähnlich, daß +es zuweilen Anlaß zu streiten gab, ob es wirklich ein Steckenpferd +sei oder nicht? Allein wie der Philosoph dem Skeptiker, der ihm die +Wirklichkeit der Bewegung ableugnen wollte, keinen anderen Beweis +entgegensetzte, als daß er auf die Füße trat und durchs Zimmer ging, so +wollte mein Onkel Toby sich keines anderen Arguments bedienen, um zu +beweisen, daß sein Steckenpferd wirklich ein Steckenpferd sei, als daß +er sich daraufsetzte und es vorritt. — Hernach<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> möchte die Welt den +Punkt entscheiden, wie's ihr gut dünkte.</p> + +<p>Im rechten Ernste, mein Onkel Toby bestieg es mit soviel Wohlgefallen, +und es trug meinen Onkel Toby so schön, daß er sich herzlich wenig +darum bekümmerte, was die Welt davon sagte oder dachte.</p> + +<p>Indessen ist's endlich wohl einmal hohe Zeit, daß ich Ihnen eine +Beschreibung davon gebe. — Um aber mit aller Ordnung zu verfahren, muß +ich mir nur erst die Erlaubnis ausbitten, Ihnen zu berichten, wie mein +Onkel Toby darankam.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_9"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Zehntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Da meines Onkels Toby Wunde, welche er in der Belagerung von Namur +empfing, ihn zum Dienste untüchtig machte, so ward für gut befunden, +daß er nach England zurückkehren sollte, um womöglich seinen Schaden +wieder zurechtbringen zu lassen.</p> + +<p>Vier volle Jahre hindurch mußte er teils das Bett, teils sein Zimmer +hüten. Und während seiner Kur, welche diese ganze Zeit dauerte, litt er +unsägliche Schmerzen.</p> + +<p>Mein Vater fing zu der Zeit eben seine Handlung in London an und +hatte ein Haus gemietet. Da unter den beiden Brüdern die treueste, +herzlichste Freundschaft obwaltete, und mein Vater glaubte, mein Onkel +Toby könne nirgends so gut gewartet und gepflegt werden, als in seinem +eigenen Hause, so wies er ihm die beste Gelegenheit darin an. — Und +was noch ein aufrichtigeres Zeichen seiner Zuneigung war, es durfte +kein Freund oder guter Bekannter ins Haus kommen, er nahm ihn denn +bei der Hand und führte ihn<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> die Stiegen hinauf, daß er seinen Bruder +besuchen und eine Stunde vor seinem Bette verschwatzen mußte.</p> + +<p>Die Geschichte der Wunde eines Soldaten läßt ihn ihre Schmerzen +vergessen. Wenigstens dachten die so, die meinen Onkel besuchten, und +bei ihren täglichen Besuchen lenkten sie, aus einer Höflichkeit, die +sich auf diesen Glauben gründete, sehr oft die Unterredung auf diesen +Gegenstand. — Und von diesem Gegenstande lief dann das Gespräch +gewöhnlich auf die Belagerung selbst hinaus.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_10"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Elftes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Wenn sich ein Mensch einer herrschenden Leidenschaft überläßt, oder mit +anderen Worten, wenn sein Steckenpferd hartmäulig wird, — so, ade, +kalte Vernunft und liebe Klugheit!</p> + +<p>Meines Onkels Toby Wunde war beinahe geheilt, und sobald sich der +Wundarzt von seinem Erstaunen erholt hatte und zu Worte kommen konnte, +sagte er ihm, sie beginne eben, sich zu schließen, und wenn sich keine +neue Aussplitterung zeigte, wozu kein Schein vorhanden, so würde sie +in fünf oder sechs Wochen trocken und heil sein. Zwölf Stunden vorher +würde der Klang so vieler Olympiaden eine Idee von kürzerer Dauer in +meines Onkels Toby Seele gebracht haben. — Die Sukzession seiner +Ideen war nunmehr schnell; er kochte vor Ungeduld, seinen Vorsatz +auszuführen. Und ohne eine lebendige Seele weiter um Rat zu fragen, — +was ich, nebenher gesagt, für recht halte, wenn man einmal fest willens +ist, von keiner Seele Rat anzunehmen —, befahl er seinem Bedienten +Trim unter vier Augen, ein Bündel Charpie und Binden zusammenzupacken +und eine Kutsche mit Vieren zu bestellen, die den Tag genau um zwölf +Uhr vor<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> der Türe sein müßte, um welche Zeit, wie er wußte, mein Vater +an der Börse sein würde. — Nachdem er eine Banknote für den Wundarzt +wegen seiner Mühe und einen Brief mit dem zärtlichsten Dank für meinen +Vater auf seinem Tische zurückgelassen, packte er seine Karten und +Pläne, seine Bücher von der Kriegsbaukunst, seine Instrumente usw. +zusammen, und mit Hilfe einer Krücke an der einen Seite und Trim auf +der anderen Stieg er in den Wagen. Und fort nach Shandy-Hall.</p> + +<p>Der Grund oder vielmehr die Grille, welche diese schnelle Auswanderung +veranlaßte, war wie folgt.</p> + +<p>Der Tisch in meines Onkels Toby Zimmer, an welchem er den Abend +vorher saß, ehe sich diese Veränderung zutrug, mit seinen Grundrissen +usw. um sich her, war ein wenig zu klein für die Menge von großen +und kleinen Werkzeugen der Wissenschaft, welche gewöhnlich darauf +durcheinanderlagen. — Da begegnete ihm nun der Zufall, daß er, indem +er die Hand nach seiner Schnupftabaksdose ausstreckte, seinen Zirkel an +die Erde warf, und indem er sich bückte, ihn aufzuheben, mit dem Ärmel +sein Besteck und die Lichtscheren dazu herunterwischte, — und der +Würfel war ihm auf einmal so unglücklich, daß durch sein Bestreben, die +Lichtscheren aufzufangen, er den Monsieur Blondel vom Tische warf und +den Comte de Pagan oben darauf.</p> + +<p>Für einen Mann, lahm wie mein Onkel Toby, war es vergebens, darauf +zu denken, alle diese Übel selbst zu heben. — Er klingelte seinem +Bedienten Trim. — »Trim,« sagte mein Onkel Toby, »seh Er einmal, +was ich da für eine Patsche gemacht habe. — Ich muß das Ding besser +eingerichtet haben, Trim. — Kann Er nicht mein Lineal nehmen und +die Länge und Breite dieses Tisches messen und dann hingehen und +einen bestellen, der noch einmal so groß ist?« — »Ja, Euer Gnaden,« +antwortete Trim und machte<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> seinen Bückling; »aber ich hoffe, Euer +Gnaden sollen bald so gesund sein, daß Sie nach Ihrem Landgute reisen +können. Dort, da Euer Gnaden so großen Gefallen am Fortifikationswesen +haben, könnten wir die Sache ganz Schmuck einrichten.«</p> + +<p>Hier muß ich Ihnen Nachricht geben, daß dieser Bediente meines Onkels +Toby, der allenthalben Trim genannt wurde, in meines Onkels eigener +Kompagnie Korporal gewesen war. Sein wahrer Name ist James Butler, +da er aber einmal im Regiment den Zunamen Trim wegbekommen hatte, so +nannte ihn mein Onkel Toby auch beständig dabei, oder er mußte eben +nach seiner Art recht böse sein.</p> + +<p>Der arme Kerl war zum Dienst untüchtig wegen einer Wunde von einer +Musketenkugel am linken Knie, die er in der Landauer Bataille, zwei +Jahre vor der Affäre bei Namur, bekommen hatte. Und weil der Kerl im +Regiment sehr wohlgelitten und sonst wortgewandt war, so nahm ihn mein +Onkel zu sich als Bedienten und traf's mit ihm vortrefflich; denn er +wartete meinem Onkel im Felde und in den Winterquartieren auf, als +Diener, Stallknecht, Barbier, Koch, Schneider und Krankenwärter; und +er wartete und pflegte ihn von Anfang bis Ende mit großer Treue und +Ergebenheit.</p> + +<p>Mein Onkel Toby liebte den Menschen auch wieder, und was ihn noch mehr +an ihn gewöhnte, war die Gleichheit ihrer Kenntnisse. Denn Korporal +Trim — bei dem Namen werde ich ihn künftig immer nennen — hatte durch +ein vierjähriges Anhören der Gespräche seines Herrn von befestigten +Städten, und durch den Vorteil, daß er beständig in seines Herrn Pläne, +Grundrisse usw. sehen konnte — nicht einmal mitgerechnet, was er als +Leibdiener von der steckenpferdischen Materie an sich ziehen mußte, +wenn er auch an und für sich selbst dieser Reiterei nicht ergeben +war —, nicht wenige Kenntnis von der Wissenschaft der Kriegsführung +erworben.<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> Und die Köchin und das Kammermädchen waren der Meinung, daß +er wohl ebensogut eine Festung bestürmen könnte wie sein Herr.</p> + +<p>Ich habe nur noch einen Pinselzug an Korporal Trims Charakter zu tun, +und zwar den einzigen dunkeln Schatten darin: der Kerl mochte gerne +seinen Senf mit dazugeben oder vielmehr sich selbst sprechen hören. +Sein Betragen indessen war dabei so ehrerbietig, daß es leicht war, +ihn beim Stillschweigen zu erhalten, wenn sie ihn einmal darin hatten. +War aber seine Zunge einmal im Gange, so war kein Aufhalten, sie +lief immerfort. Die ewigen Euer Gnadens, die er einflickte und sein +untertäniges Bezeigen sprachen so stark für seine Beredsamkeit, daß er +Ihnen wohl überlästig, Sie ihm aber nicht böse werden konnten. Meinem +Onkel Toby begegnete das eine wie das andere sehr selten, wenigstens +veranlaßte dieser Fehler keine Spaltung unter ihnen. Wie gesagt, +mein Onkel liebte den Menschen. Und da er beständig seinen Bedienten +als einen ärmeren Freund betrachtete, konnte er es nicht übers Herz +bringen, ihm das Maul zu verbieten. So sah Korporal Trim aus.</p> + +<p>»Wenn ich mich unterstehen dürfte,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden einen +guten Rat zu geben und meine Meinung zu sagen?« — »Das darf Er, +Trim,« sagte mein Onkel Toby, »spreche Er, Sage Er, was Er von der +Sache denkt, ohne Furcht, guter Trim.« — »Gut denn,« versetzte Trim, +und ließ nicht dabei die Ohren hängen und kraute auch nicht in den +Haaren, wie ein Bauernlümmel, sondern strich sich die Haare von der +Stirn zurück und stand stramm wie vor seiner Rotte. »Ich meine,« sagte +Korporal Trim, und setzte den linken Fuß, welches der lahme war, ein +wenig vorwärts, und zeigte mit der offenen Hand nach einem Grundriß +von Dünkirchen, der mit Nadeln an die Tapete gesteckt war, »ohne Euer +Gnaden ins Kommando zu fallen,<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> daß die Ravalins da, Basteien, Kurtinen +und Hornwerke nur ein armseliges, jämmerliches Stück Klitterwerk auf +dem Papier sind gegen das, was Euer Gnaden und ich daraus machen +könnten, wenn wir so für uns auf dem Lande wären und hätten nur einen +Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was +wir wollten. Der Sommer ist vor der Tür,« fuhr Trim fort, »Euer Gnaden +könnten dabei sitzen und mir die Nographie« — »Ichnographie muß Er +Sagen,« fiel ihm mein Onkel ein — »von der Stadt oder Zitadelle, +wovor Euer Gnaden gern sitzen möchten. — Und auf dem Wall, den ich +selbst gemacht habe, sollen mich Euer Gnaden harkebusieren lassen, +wenn ich es nicht fortifiziere, so gut wie es Euer Gnaden wünschen +mögen.« — »O, das könnte Er wohl,« sagte mein Onkel. — »Denn wenn +Euer Gnaden,« fuhr der Korporal fort, »mir nur das Polygone mit allen +Spitzen und Linien angeben können« — »Das kann ich recht gut,« sagte +mein Onkel —, »so wollte ich mit dem Graben anfangen. Und wenn Euer +Gnaden mir die gehörige Tiefe und Breite angeben könnten« — »Auf +ein Haar kann ich das,« sagte mein Onkel —, »so wollte ich die Erde +nach dieser Hand gegen die Stadt zu aufwerfen, und machte daraus die +Scharpe, und nach jener Hand, gegen das Feld zu, die Konterscharpe.« +— »Ganz richtig, Trim,« sagte mein Onkel Toby. — »Und wenn ich es +ausgetieft hätte, wie es sein sollte, so wollte ich, mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, Gras darüberlegen, wie die feinsten Festungen in Flandern, +mit Grassoden, wie Euer Gnaden wissen, daß sie sein sollten. Und die +Wälle und Parapetts wollte ich auch mit Soden machen.« — »Die besten +Ingenieure nennen es Wasen oder Rasen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. +— »Soden, Wasen oder Rasen, das will nicht viel tun,« versetzte Trim. +»Euer Gnaden wissen, sie sind zehnmal besser dazu, als Sand oder +Mauersteine.« —<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> »Ich weiß es, in gewissen Fällen sind sie's,« sagte +mein Onkel Toby und nickte mit dem Kopfe. »Denn eine Kanonenkugel geht +durch den Rasen gerade durch, ohne daß sie Kummer mitnimmt, wodurch der +Graben verschüttet werden kann, wie es vor dem St. Nikolastor ging, und +man desto leichter über ihn steigen kann.«</p> + +<p>»Euer Gnaden verstehen diese Dinge besser,« versetzte Korporal Trim, +»als alle Offiziere in des Königs Diensten. Wollen nur Euer Gnaden +das Tischbestellen gut sein lassen und mich mit sich aufs Land +nehmen. Ich wollte unter Euer Gnaden Anführung arbeiten wie ein Pferd +und Fortifikationen machen. Sie sollten so lecker aussehen wie ein +Butterkuchen, mit allen Batterien, Sappen, Graben und Palisaden, daß +zwanzig Meilen rundum die Leute sich's nicht verdrießen lassen sollten, +herzureisen und es sich zu besehen.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby ward im Gesicht rot wie Scharlach, als Trim so +fortfuhr. Es war aber nicht aus bösem Gewissen, daß er rot wurde, noch +aus Bescheidenheit oder Ärger. Es war ein freudiges Erröten. Korporal +Trims Projekt und Beschreibung trieb ihm das Blut zu Kopfe. — »Trim,« +sagte mein Onkel Toby, »Er hat genug gesagt.« — »Wir könnten an +ebendem Tage in Kampagne gehen,« fuhr Trim fort, »wenn unsere Völker +und die Alliierten ins Feld rücken, und eben so geschwind Stadt für +Stadt einnehmen und demolieren, als —« »Trim,« sprach mein Onkel +Toby, »sage Er nichts mehr.« — »Euer Gnaden,« sprach Trim immer +weiter, »könnten in Ihrem Lehnstuhl sitzen« — indem er darauf zeigte +— »bei dem schönen Wetter, und gäben Ihre Order, und so wollte ich +—« »Nichts mehr, Trim,« rief mein Onkel Toby. — »Noch dazu wäre es +für Euer Gnaden nicht allein Vergnügen und guter Zeitvertreib, sondern +gute, frische Luft, gute Bewegung und gute Gesundheit obendrein, +und Euer Gnaden Wunde würde in einem Monat zu sein.«<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> — »Er hat +genug gesagt, Trim,« rief mein Onkel Toby, und griff dabei in seine +Beinkleidertasche. »Sein Projekt gefällt mir sehr gut.« — »Und wenn +Euer Gnaden erlauben, so will ich stehenden Fußes hingehen und einen +Pionierspaten kaufen, den wir mitnehmen, und will eine Schaufel +bestellen und eine Spitzhacke, und ein paar —« — »Still, still, +Trim,« sagte mein Onkel Toby, sprang auf ein Bein, ganz von Entzücken +überwältigt, drückte ein Goldstück in Trims Hand und sprach: »Sage +Er kein Wort weiter, lieber Bursche, sondern gehe Er den Augenblick +hinunter, daß ich gleich mein Abendessen bekomme.«</p> + +<p>Trim lief hinunter und brachte seinem Herrn das Essen. — Aber da +stand's. — Trims Operationsplan lief meinem Onkel Toby so im Kopfe +herum, daß er nichts davon kosten konnte. »Trim,« sagte mein Onkel, +»bringe Er mich zu Bett.« — Es war auch nichts. — Korporal Trims +Beschreibung hatte seine Imagination erhitzt. Mein Onkel Toby konnte +kein Auge zutun. Je mehr er sie betrachtete, desto bezaubernder kam ihm +die Szene vor. — Und zwei volle Stunden vor Tagesanbruch schon hatte +er seine endliche Entschließung gefaßt und den ganzen Plan zu seinem +und Korporal Trims Abmarsch ins reine gebracht.</p> + +<p>Mein Onkel Toby hatte ein eigenes kleines, hübsches Landhaus in dem +Dorfe, wo die Shandyschen Güter lagen; das hatte ihm ein alter Onkel +vermacht und so viele Ländereien dabei, die jährlich fünfhundert +Reichstaler Pacht trugen. Von hinten stieß ein Küchengarten an dieses +Haus von ungefähr einem halben Morgen Land, und hinter dem Garten und +durch eine hohe Taxushecke davon getrennt, war ein grüner Spielplatz, +der ungefähr soviel Grundmasse enthielt, wie Korporal Trim wünschte, +so daß, als Korporal Trim die Worte sagte, »und hätten wir nur einen +Viertelmorgen und ein halbes Terrain, womit wir machen könnten, was<span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span> +wir wollten«, sich dieser leibhafte grüne Spielplatz auf einmal +darstellte und im Hui in meines Onkels Phantasie vortrefflich gemalt +erschien. — Und das war die physische Ursache, die ihn die Farbe +verändern ließ oder wenigstens seine Gedichtsröte zu dem ungemäßigten +Grade trieb, von dem ich sprach.</p> + +<p>Niemals kann ein Liebhaber nach seiner teuren Geliebten mit mehr +Hitze und größerer Erwartung reiten oder fahren, als mein Onkel tat, +um dieses liebe Ding so für sich allein zu genießen. — Ich sage, +so für sich allein. — Denn er war abgesondert vom Hause durch eine +hohe Taxushecke, wie ich Ihnen schon gesagt, und an den drei anderen +Seiten war es vor dem Gesicht der Sterblichen mit dickem, grünem, wild +verwachsenem Gebüsch verdeckt. So daß der Gedanke, nicht gesehen zu +werden, nicht gering zu der Hoffnung des Vergnügens beitrug, das sich +mein Onkel Toby in seinem Gemüt vorbildete. Eitler Gedanke — es mag +noch so dicht bewachsen sein, noch so einsam scheinen —, zu hoffen, +liebster Onkel Toby, du könntest ein Ding genießen, das einen ganzen +Viertelmorgen und einen halben Grund und Boden umfaßt, ohne daß es +bekannt würde!</p> + +<p>Wie mein Onkel Toby und Korporal Trim diese Sache angriffen, nebst +der Geschichte ihrer Feldzüge, welche gar nicht leer an Begebenheiten +waren, kann eine ganz interessante Nebenhandlung abgeben, die mit der +Haupthandlung dieses Dramas fortläuft. — Jetzt muß der Vorhang fallen, +— der Schauplatz verwandelt sich in das Wohnzimmer mit dem Kaminfeuer.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_11"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p> + +<h2>Zwölftes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>»Was mögen sie vorhaben?« sagte mein Vater. — »Ich denke,« antwortete +mein Onkel Toby, wobei er, wie ich Ihnen sagte, die Pfeife aus dem +Munde nahm und die Asche ausklopfte. — »Ich denke,« antwortete er, »es +wäre wohl gut, Bruder, wenn wir klingelten.«</p> + +<p>»Höre, Obadiah, was heißt das Gepoltere über unserem Kopfe?« fragte +mein Vater. »Mein Bruder und ich können kaum hören, was wir sprechen.«</p> + +<p>»Herr,« antwortete Obadiah, und beugte seine linke Schulter vor, +»Madame ist ganz übel geworden.« — »Und was hat Susanna da im Garten +zu rennen, als wenn ein halbes Dutzend Ehrenräuber hinter ihr wären?« +— »Herr, sie rennt den kürzesten Weg,« versetzte Obadiah, »die alte +Bademutter zu holen.« — »So sattelt ein Pferd,« sagte mein Vater, »und +reitet geschwind zum Doktor Slop, dem Akkoucheur. Wir ließen ihn alle +grüßen, — und sagt ihm, daß Madame in Kindesnöten ist und daß ich ihn +bitten lasse, er möchte gleich mit Euch kommen.«</p> + +<p>»Es ist sehr närrisch,« sagte mein Vater zu meinem Onkel Toby, +als Obadiah die Türe zugemacht hatte, »da wir einen so erfahrenen +Geburtshelfer wie Doktor Slop so ganz in der Nähe haben, daß meine Frau +bis auf den letzten Augenblick auf ihrer eigensinnigen Grille bestehen +und das Leben ihres Kindes, das schon sein Teil Leiden gehabt hat, der +Unwissenheit eines alten Weibes anvertrauen muß. — Und nicht allein +das Leben meines Kindes, Bruder, sondern auch ihr eigenes und das Leben +aller der Kinder dazu, die ich hernach vielleicht noch hätte mit ihr +haben können.«</p> + +<p>»Es kann sein, Bruder,« versetzte mein Onkel Toby, »daß sie's tut, um +die Unkosten zu sparen.« — »Ein Endchen Licht lieber!« erwiderte mein +Vater. »Der Doktor muß sein<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> Geld haben, er tue was dafür oder nicht; +wo nicht noch mehr, um ihn bei guter Laune zu erhalten.« — »Dann kann +es wohl aus keiner anderen Ursache sein,« sagte mein Onkel Toby in +der Arglosigkeit seines Herzens, »als aus Schamhaftigkeit. Vielleicht +schämte sich meine Schwester,« fuhr er fort, »käme ihr eine Mannsperson +zu nahe an ***.« Ich will nicht Sagen, ob mein Onkel Seinen Satz +geschlossen hatte oder nicht. Desto besser für ihn, daß man glaubt, +er habe seinen Punkt gemacht. Denn nach meiner Meinung hätte er kein +einziges Wort hinzusetzen können, um ihn zierlicher zu machen.</p> + +<p>Hatte hingegen mein Onkel Toby die Periode nicht ganz zu Ende gebracht, +so hat die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Tabakspfeife plötzlich +zerbrach, eins der nettesten Exempel von der zierlichen Figur in der +Redekunst zu danken, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. — +Hilf Himmel! Wie genau kommt es nicht auf das <em class="antiqua">Poco più</em> und das +<em class="antiqua">Poco meno</em> der italienischen Artisten, auf das unmerkliche mehr +oder weniger an, die wahre Schönheitslinie sowohl in einer Periode +als in einer Statue zu treffen! Wie kann doch der geringste Zug des +Griffels, des Pinsels, der Feder, des Violinbogens usw. diese wahre, +sanfte Rundung geben, welche das wahre Vergnügen erregt! O meine +lieben Landsmänner, seid sorgfältig, seid behutsam mit eurer Zunge, +und niemals, o niemals laßt es euch aus dem Sinne kommen, an was für +kleinen Partikeln eure Beredsamkeit hängt und euer Ruhm.</p> + +<p>»Meine Schwester schämte sich vielleicht,« sagte mein Onkel Toby, »käme +ihr eine Mannsperson zu nahe an ***.« Diese Sternchen gemacht, und es +ist eine Aposiopesis. Die Sternchen weggenommen und dafür geschrieben +das Gesäß — Zote wird's. Streicht man das Gesäß aus und setzt dafür +den bedeckten Weg, so wird's eine Metapher. Und da meinem<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> Onkel Toby +das Fortifikationswesen so sehr im Kopfe lag, so getraue ich mir zu +sagen, hatte man ihn noch ein Wort hinzusetzen lassen, — so war's das +Wort.</p> + +<p>Ob das aber geschehen oder nicht geschehen, oder ob mein Vater seine +Tabakspfeife in dem kritischen Augenblick von ungefähr oder aus +Unwillen zerbrach, wird sich zu rechter Zeit ausweisen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_12"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Dreizehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Obgleich mein Vater ein guter natürlicher Philosoph war, so war er doch +auch so etwas von einem Moralisten dabei. Deswegen hätte er, als ein +solcher, da seine Pfeife in der Mitte entzweibrach, beide Stücke nehmen +und gelassen ins Kaminfeuer werfen sollen. Und damit gut! — Das ließ +er aber wohl bleiben. Er warf sie mit aller möglichen Heftigkeit und, +um der Handlung noch mehr Nachdruck zu geben, Sprang er vom Stuhl auf +beide Füße, um sie auszuüben.</p> + +<p>Dies hatte so etwas Ähnliches von Hitze. Und die Art, womit er auf das, +was mein Onkel Toby sagte, antwortete, bewies es.</p> + +<p>»Schämen,« sagte mein Vater und wiederholte meines Onkels Tobys Worte, +»käme ihr eine Mannsperson zu nah an. Wahrhaftig, Bruder Toby! Hiobs +Geduld solltest du ermüden, die ich nicht habe; obgleich schon seine +Plagen, dünkt mich.« — »Wie so? — Warum? — Worin? — Weswegen? — +Worüber?« versetzte mein Onkel Toby mit dem größten Erstaunen. — »Wenn +ich bedenke, daß ein Mann so alt geworden sein kann, wie du, Bruder, +und noch so wenig Weiberkenntnis hat!« — »Ich kenne von ihnen gar +nichts,« versetzte mein Onkel Toby, »und ich dächte,« fuhr er fort, +»der Puff, den ich das Jahr nachher, da Dünkirchen<span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span> geschleift ward, in +der Affäre mit der Witwe Wadman bekam, welchen Puff ich, wie du weißt, +nicht bekommen haben würde, hätte ich nur die geringste Kenntnis vom +Frauenzimmer gehabt, hätte mir wohl eine gerechte Ursache gegeben, zu +sagen, daß ich von den Weibern und ihren Sachen weder etwas weiß, noch +zu wissen verlange.« — »Mich deucht, Bruder,« versetzte mein Vater, +»soviel könntest du doch wenigstens wissen, das rechte Ende eines +Weibes vom unrechten zu unterscheiden.«</p> + +<p>In Aristoteles' Meisterstücke wird gesagt: »Wenn ein Mensch an etwas +denkt, das vorbei ist, so sieht er nieder auf die Erde; aber, wenn +er an etwas denkt, das noch zukünftig ist, so sieht er aufwärts gen +Himmel.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby dachte also wohl an keins von beiden, denn er sah +gerade vorwärts. »Rechte Ende!« sagte mein Onkel Toby, murmelte es +leise in den Bart und blieb dabei, wie er's murmelte, unvermerkt mit +den Augen an einer kleinen Spalte hängen, die eine losgewichene Fuge +im Gesimse des Kamins gemacht hatte. — »Rechte Ende eines Weibes! — +Fürwahr,« sagte mein Onkel, »ich weiß ebensowenig, was das ist, als der +Mann im Monde. — Und wenn ich auch einen ganzen Monat darauf sänne« — +er hielt dabei noch immer die Augen auf die losgewichene Fuge —, »so +weiß ich gewiß, ich würde es nicht ausfindig machen.«</p> + +<p>»So will ich's dir sagen, Bruder,« erwiderte mein Vater. —</p> + +<p>»Jedes Ding in der Welt,« fuhr mein Vater fort, indem er eine frische +Pfeife füllte, »jedes Ding in dieser Welt, mein lieber Bruder Toby, +hat zwei Enden.« — »Nicht immer,« versetzte mein Onkel Toby. — »Zum +wenigsten,« versetzte mein Vater, »immer zwei Seiten, was auf eins +ausläuft. — Nun, wenn sich jemand hinsetzt und überlegt mit kaltem +Blute bei sich selbst, die Gestalt, den Bau, das Beikommensvermögen<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> +und die Brauchbarkeit aller Teile des Ganzen an dem Tiere, genannt +Weib, und vergleicht solche analogisch« — »Ich habe den Sinn dieses +Wortes niemals deutlich verstanden,« sagte mein Onkel Toby. — +»Analogie,« versetzte mein Vater, »heißt ein gewisses Verhältnis und +Übereinstimmung, die verschie —« Hier brach ein vertracktes Klopfen +an der Türe meines Vaters Definition — wie seine Tabakspfeife — +in Stücken und zertrat einer der merkwürdigsten und sinnreichsten +Dissertationen den Kopf, die jemals im Schoße der Spekulation erzeuget +worden; es gingen einige Monate hin, ehe mein Vater Gelegenheit finden +konnte, glücklich davon entbunden zu werden. Und bis auf diese Stunde +ist es — wegen Verwirrung und Mannigfaltigkeit unserer häuslichen +Unglücksfälle, die sich nun scharenweise auf die Fersen treten —, +ebenso problematisch, als der Gegenstand der Dissertation selbst — ob +ich in diesem Buche einen Platz dafür finden werde oder nicht.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_13"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Vierzehntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Stellen Sie sich eine kleine, quabbelige, plattnasige Figur von einem +Doktor Slop vor, von ungefähr vier und einem halben Fuß perpendikularer +Höhe. Mit einer Breite von Rücken und einer Janitscharentrommel von +Bauch, worauf sich ein Feldwebel unter der Reitergarde nicht wenig +hätte einbilden können.</p> + +<p>So sah der Umriß von Doktor Slops Figur aus, die, wie Sie wissen, wenn +Sie Hogarths Zergliederung der Schönheit gelesen haben, wo nicht, so +wünsche ich, daß Sie solche noch lesen, ebenso gewiß durch drei Züge +beschrieben und zu Gemüte geführt werden kann wie durch dreihundert.</p> + +<p>So einen stellen Sie sich vor, denn so, sage ich, war der Umriß von +Doktor Slops Figur beschaffen, wie er ganz langsam,<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> Schritt für +Schritt, durch den Kot daherschwankte, auf dem Rückgrate eines kleinen +winzigen Rößleins von hübscher Farbe. Aber an Umfang — o weh! — kaum +soviel, daß es unter einem solchen Packen hätte zum Trott gebracht +werden können, wären die Wege auch trocken und eben gewesen, was sie +gar nicht waren. Nun stellen Sie sich Obadiah vor, auf einem Riesen von +Kutschpferd, das er zum vollen Galopp angetrieben hat, wie er mit aller +Hast ihm entgegenreitet.</p> + +<p>Ich bitte Sie, mein Herr, nehmen Sie doch einen Augenblick Anteil an +dieser Beschreibung.</p> + +<p>Hätte Doktor Slop den Obadiah in einer Entfernung von tausend Schritten +wahrgenommen, wie er in einem schmalen Fuhrwege so ungeheuerlich +auf ihn zu jagte, wie der Dreckteufel durch dick und dünn auf allen +Seiten spritzte und schlenkerte, als er sich näherte, sollte nicht +ein solches Phänomen mit einem solchen Wirbel von Schlamm und Wasser, +das sich um seine Achse drehte, dem Doktor Slop in seinen Umständen +eine weit fürchterlichere Erscheinung sein als der drohendste Komet? +Nicht einmal seines Kerns, das ist Obadiah und sein Kutschpferd, zu +gedenken. So war — nach meiner Meinung — sein Wirbel allein genug, +wo nicht den Doktor, doch wenigstens sein Rößlein zu fassen und rein +mit fortzureißen. Was denken Sie, wie groß muß die Angst, Schlamm- +und Wasserscheu des Doktor Slop gewesen sein, wenn Sie lesen, was +im Augenblick geschehen wird, daß, als er eben so ganz sinnig und +bedächtig nach Shandy-Hall zuritt, nur noch sechzig Ruten weit davon +war und fünf von einer scharfen Ecke der Gartenmauer, Obadiah und +sein Kutschpferd plötzlich wütend um die Ecke und gerade auf ihn +lossprengten! — Nein, in der ganzen Natur kann nichts Schrecklicheres +gedacht werden als ein solcher Zusammenstoß. So unerwartet, so übel +vorbereitet wie der Doktor Slop war, einen solchen Überfall zu erleben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p> + +<p>Was konnte Doktor Slop tun? Er bekreuzigte sich. Warum nicht gar? Nun +ja, mein Herr, der Doktor war ein Katholik. Einerlei; er hätte besser +getan, sich am Sattelknopf festzuhalten. Das wohl! Ja, wie die Sache +ging, hätte er lieber ganz und gar nichts tun sollen. Denn wie er das +Kreuz schlug, ließ er seine Peitsche fallen, und als er solche zwischen +seinem Knie und dem Sattelleder wieder fangen wollte, verlor er den +Steigbügel. Und indem er den verlor, verlor er auch den Sitz im Sattel. +Und über der Menge aller dieser Verluste — was nebenher beweisen +kann, wie wenig das Bekreuzigen nützt — verlor der arme Doktor +seine Geistesgegenwart, so daß er, ohne den Überfall von Obadiah zu +erwarten, sein Tier seinem eigenen Schicksale überließ, seitwärts davon +herunterpurzelte, ungefähr wie ein Packen Wolle, ohne irgendeine andere +Folge des Falles, als daß er — wie es natürlich zuging — mit seinem +breitesten Teile zwölf Zoll tief im Moraste versunken liegen blieb.</p> + +<p>Obadiah zog zweimal seine Kapuze vor dem Doktor ab. Einmal, als er +fiel, und als er ihn sitzen sah wiederum. Unzeitige Höflichkeit! +Hätte der Kerl nicht lieber sein Pferd anhalten, absteigen und ihm +helfen können! Er tat alles, mein Herr, was er in seinen Umständen tun +konnte. Aber der Schuß des Kutschpferdes war zu heftig, daß Obadiah +nicht sogleich konnte, wie er wollte. Er ritt dreimal in einem Zirkel +um Doktor Slop herum, ehe er's möglich fand, und zuletzt, als er sein +Pferd zum Stehen brachte, geschah es mit einem solchen Schwall von +Schlamm, daß Obadiah lieber eine Meile weit davon hätte sein mögen. +Kurz, in seinem Leben war Doktor Slop noch nicht so transubstanziert +worden, seitdem das Transubstanzieren Mode geworden ist.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_14"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p> + +<h2>Fünfzehntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Als Doktor Slop in das Hinterzimmer trat, worin mein Vater und mein +Onkel saßen und ihre Unterredung über das Frauenzimmer hatten, war +es schwer zu entscheiden, ob Doktor Slops Gestalt oder Gegenwart +sie mehr in Verwunderung setzte. Denn weil das Unglück sich nahe +beim Hause zutrug, daß Obadiah es nicht der Mühe wert hielt, ihm +wieder aufs Pferd zu helfen, so hatte ihn Obadiah, so wie er war, +ungestriegelt, ungebürstet und ungespült, mit allen seinen Flecken und +Klecksen hineingeführt. Er stand wie Hamlets Geist, unbeweglich und +stumm, anderthalb Minuten an der Zimmertür — Obadiah hielt beständig +seine Hand angefaßt — in aller Majestät des weichen Urstoffs des +ersten Menschen. Die hinteren Falten seines Kleides, welche ihm zum +Kissen gedient, waren gänzlich davon getränkt, und alle übrigen Teile +desselben waren so über und über gesprenkelt von Obadiahs Schwall, daß +Sie geschworen hätten — ohne sich etwas im Sinne vorzubehalten —, es +wäre kein Schmutzkörnchen an ihm verloren oder vorbeigegangen.</p> + +<p>Hier war eine schöne Gelegenheit für meinen Onkel Toby, seinerseits +über meinen guten Vater zu triumphieren. Denn kein Sterblicher, welcher +den Doktor Slop eingepökelt gesehen, hätte wenigstens das nicht von +meines Onkels Toby Meinung ableugnen können, »daß meine Schwester es +nicht gerne hätte, es käme ihr ein solcher Doktor Slop so nahe an +›***‹«. Allein das war ein <em class="antiqua">Argumentum ad hominem</em>, und weil mein +Onkel Toby nicht recht gewandt darin war, so können Sie denken, daß er +sich deswegen nicht gern damit abgab. Nein, die Ursache war — Spott +und Hohn war seine Sache nicht.</p> + +<p>Doktor Slops Gegenwart war um die Zeit ebenso unerklärbar als die Art +und Weise derselben. Obgleich soviel<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> richtig ist, daß ein Augenblick +Nachdenkens meinen Vater hätte zurechtweisen können. Denn er hatte erst +die Woche vorher dem Doktor Slop davon Nachricht gegeben, daß meine +Mutter am Ende ihrer Rechnung wäre. Und da der Doktor nachher nichts +weiter davon gehört hatte, so war's natürlich und politisch von ihm, +einen Spazierritt nach Shandy-Hall zu machen, bloß um zu sehen, wie es +da stünde.</p> + +<p>Allein meines Vaters Gedanken nahmen unglücklicherweise einen +verkehrten Weg bei der Untersuchung und hielten sich, wie mein allzeit +fertiger Kritikus, bloß bei dem Klingeln und dem Pochen an der Tür auf, +maßen den Zeitraum von einem zum andern, und waren dergestalt bei der +Operation geschäftig, daß sie alles andere in der Welt nichts anging. +Ein gewöhnlicher Fehler der größten Mathematiker, die mit Macht und +Gewalt an der Demonstration arbeiten und darüber so sehr ihre Kräfte +verschwenden, daß sie keine übrig behalten, den Schluß zu ziehen und +die Anwendung zu machen.</p> + +<p>Das Klingeln und das Pochen an der Tür wirkte zwar auch stark auf +das Sensorium meines Onkels Toby. Sie brachten aber ein ganz anderes +Gefolge von Gedanken in Gang. Die beiden unvereinbarten Punkte des +Abstoßes brachten augenblicklich den Stevinus mit in meines Onkels +Gedanken. Was Stevinus mit dieser Sache zu tun hatte, ist wohl das +größte Problem von allen; es soll aufgelöst werden. In dem nächsten +Kapitel aber noch nicht.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_15"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Sechzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Bücherschreiben, wenn's am rechten Ende angegriffen wird — Sie können +sich darauf verlassen, daß ich denke, das meinige sei es —, ist nur +eine andere Benennung für Konversation. Da niemand, der weiß, wie er +sich in Gesellschaft<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> benehmen muß, es wagen wird, alles herauszusagen, +so wird kein Schriftsteller, der die Grenzen seines Dekorums und der +guten Lebensart kennt, so voreilig sein, alles zu denken. Die größte +Ehrerbietung, die Sie dem Verstande Ihres Lesers erweisen können, +ist, wenn Sie freundschaft-brüderlich mit ihm teilen und seiner +Einbildungskraft ebensowohl etwas zu schaffen übrig lassen als Ihrer +eigenen.</p> + +<p>Ich meinesteils lasse es an Höflichkeitsbezeigungen von dieser Art +niemals fehlen und tue alles, was in meinem Vermögen Steht, seine +Imagination ebenso geschäftig zu erhalten wie die meinige.</p> + +<p>Die Reihe ist jetzt an ihm; ich habe von Doktor Slops jämmerlichem +Sturz und Fall, von seinem erbärmlichen Aufzuge in dem Hinterzimmer +eine Beschreibung gegeben. Nun muß seine Einbildung sich eine Weile +damit beschäftigen.</p> + +<p>Der Leser bilde sich also ein, daß Doktor Slop seine Geschichte erzählt +habe. Mit was für Worten und Vergrößerungen es seiner Phantasie +beliebt. Er nehme an, daß Obadiah die seinige gleichfalls erzählt +habe, und mit so traurigen Gebärden und angenommenem Leidwesen, +als er glaubt, das die beiden Figuren, die nebeneinanderstehen, in +die beste Gegenhaltung setzen kann. Er bilde sich ein, daß mein +Vater hinaufgegangen sei, meine Mutter zu sehen. Und um dieses +Werk der Einbildungskraft zu Ende zu bringen, denke er sich den +Doktor gewaschen, abgerieben, kondoliert, gratuliert, in einem Paar +niedergetretener Schuhe, von Obadiah geborgt, nach der Türe gehend und +im Begriff zu agieren.</p> + +<p>Gemach! — gemach, lieber Doktor Slop! — halte deine Hand zurück! +Stecke sie ruhig wieder in deinen Busen, daß sie warm bleibe. Du weißt +wenig davon, was für Schwierigkeiten, was für verdeckte Hindernisse +ihrem Wirken im Wege liegen! Hat man dir, lieber Doktor Slop, hat +man dir die geheimen Artikel des feierlichen Vertrages anvertraut, +demzufolge<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> du hierher gebracht bist? Hast du es schon gemerkt, daß +in diesem Augenblick eine von Lucinens Töchtern über dir steht? Ach, +es ist leider nur zu wahr! Außerdem, großer Sohn des Pilumnus, was +kannst du machen? Du bist unbewaffnet erschienen, du hast dein <em class="antiqua">Tire +tête</em>, deinen neuerfundenen Forceps, dein Crochet, dein Squirt und +alle deine Rettungs- und Erlösungswerkzeuge zu Hause gelassen. — Beim +Himmel! Da hängen sie im grünen Filetbeutel, zwischen deinen beiden +Pistolen, am Kopfende deines Bettes! Klingle! Rufe! Sende Obadiah auf +dem Kutschpferde zurück, daß er sie in aller Eile herhole.</p> + +<p>»Eilet, was Ihr könnt, Obadiah,« sagte mein Vater, »und ich gebe Euch +einen Gulden.« — »Von mir,« sagte mein Onkel Toby, »noch einen.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_16"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Siebzehntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>»Ihre plötzliche unerwartete Ankunft,« sagte mein Onkel Toby zum Doktor +Slop — alle drei setzten sich beim Kaminfeuer nieder, als mein Onkel +Toby zu sprechen begann — »erinnerte mich augenblicklich an den großen +Stevinus, der, wie ich Ihnen sagen muß, mein Leib-Autor ist.« — »So,« +unterbrach ihn mein Vater, »so will ich vierzig Dukaten gegen einen +Gulden setzen — welchen ich Obadiah geben kann, wenn er zurückkommt +—, daß dieser Herr Stevinus ein Ingenieur oder so was ist, oder +daß er, es sei auch, was es sei, mittelbar oder unmittelbar von der +Fortifikation geschrieben hat.« —</p> + +<p>»Das hat er,« versetzte mein Onkel Toby. »Dacht' ich's nicht?« sagte +mein Vater. »Ob ich gleich, und sollte mich's das Leben kosten, nicht +einsehen kann, was zwischen des Herrn Doktors Slop unerwarteter +Ankunft und einer Abhandlung<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> von der Fortifikation für eine Art +von Zusammenhang sein kann. Doch hab' ich's gefürchtet. Bruder! wir +mögen doch sprechen, wovon wir wollen, oder laß die Gelegenheit noch +so weit weg oder unschicklich für dein Thema sein, so mußt du es +doch einschieben. Nein, Bruder Toby,« fuhr mein Vater fort. »Nein, +wahrhaftig, so voll möchte ich doch auch meinen Kopf nicht von Kurtinen +und Hornwerken haben.« — »Das glaub' ich wohl, daß Sie das nicht +möchten,« sagte Doktor Slop, indem er einfiel und ganz unmäßig über +sein Wortspiel lachte.</p> + +<p>Dennis, der kritische Meister, konnte ein Wortspiel oder nur einen +Anschein vom Wortspiele nicht herzlicher verabscheuen und hassen als +mein Vater. — Er runzelte immer die Stirne, wenn er eins hörte. Aber, +wenn man ihn in einer ernsthaften Rede durch eine solche Witzelei +unterbrach, pflegte mein Vater zu sagen, das wäre so gut, als wenn man +ihm Nasenstüber gäbe. Er wüßte keinen Unterschied.</p> + +<p>»Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby zu Slop, »die Kurtinen, wovon mein +Bruder Shandy spricht, sind nichts weniger als Bettgardinen; obzwar, +ich weiß wohl, du Cange sagt: ›daß nach aller Wahrscheinlichkeit solche +ihren Namen von jenen bekommen haben‹. Ebensowenig haben die Hornwerke, +wovon er spricht, das geringste mit dem Hörnerkrame zu tun, worüber sie +lachen. Sondern Kurtine, Herr Doktor, ist das Wort, welches wir in der +Fortifikation gebrauchen, den Teil des Walles damit zu benennen, der +zwischen zwei Bastionen liegt und solche zusammenfügt. Die Belagerer +wagen es selten, ihre Attacke gerade auf die Kurtinen zu richten, aus +dem Grunde, weil sie so gut flankiert sind.« — »Ebenso ist's mit +den Gardinen,« sagte Doktor Slop lachend. — »Indessen,« fuhr mein +Onkel Toby fort, »um sie völlig zu decken, pflegen wir gewöhnlich +Raveline davorzulegen, die wir an der anderen Seite des Grabens +anbringen. Der gemeine Mann, der wenig<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> von der Fortifikation versteht, +verwechselt das Ravelin und den halben Mond miteinander, obgleich es +sehr verschiedene Dinge sind. Nicht in ihrer Bauart oder Figur, denn +wir machen solche in allen Stufen einander ähnlich. Sie bestehen aus +zwei Facen, die eine Vorspringespitze mit der Brust ausmachen, nicht +winkelrecht, sondern wie eine Sehne vom Zirkel.« — »Worin steckt denn +der Unterschied?« fragte mein Vater ein wenig beißend. — »In ihrer +Lage,« antwortete mein Onkel Toby. »Denn wenn ein Ravelin vor einer +Kurtine steht, Bruder, so ist's ein Ravelin, und wenn ein Ravelin vor +einer Bastion steht, so ist das Ravelin kein Ravelin, sondern ein +halber Mond. Ebenso ist ein halber Mond, solange er vor seiner Bastion +steht, ein halber Mond, aber nicht länger. Würde er von der Bastion +weggenommen und vor eine Kurtine gesetzt, so wäre es nicht mehr ein +halber Mond. Ein halber Mond ist in dem Falle kein halber Mond, es ist +weiter nichts als ein Ravelin.« »Ich merke,« sagte mein Vater, »die +edle Verteidigungskunst hat ihre schwachen Seiten so gut wie andere.« +— »Die Hornwerke,« — nun, Himmel, sei gnädig! seufzte mein Vater +— fuhr mein Onkel Toby fort, »die mein Bruder nannte, machen einen +wichtigen Teil der Außenwerke. Die französischen Ingenieure nennen +solche <em class="antiqua">Ouvrages à Corne</em>, und wir legen sie gemeiniglich an, um +solche Stellen zu decken, die wir für Schwächer halten als die übrigen. +Sie bestehen aus einer Face und einer Flanke oder halben Bastion; sie +sehen recht hübsch aus, und wenn Sie einen Spaziergang machen wollen, +so versichere ich Sie, will ich Ihnen eins zeigen, das sich der Mühe +verlohnen soll. Es ist wahr, wenn wir sie krönen,« fuhr mein Onkel +Toby fort, »so werden sie viel stärker. Aber dann sind sie auch sehr +kostbar und nehmen viel Raum weg, so daß sie meiner Meinung nach die +besten Dienste tun, die Front eines Lagers zu decken. Das doppelte +Zangenwerk<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> aber —« »Bei der Mutter, die uns gebar! Bruder Toby,« +sagte mein Vater, der sich nicht länger halten konnte, »du könntest +einem Heiligen einen Fluch ablocken. Da hast du uns, ich weiß nicht +wie, ganz unter der Hand wieder mitten in deine alte Brühe gepökelt. — +Aber dein Kopf ist so voll von diesen verdammten Werken, daß du meine +Frau in Nöten kreißen, sie schreien hörst, und doch willst du mir den +Operateur fortschleppen.« — »Akkoucheur höre ich lieber, wenn's Ihnen +so gefällt,« sagte Doktor Slop. »Nun denn, Akkoucheur! in Gottes Namen! +Aber ich wünsche die ganze Kriegsbaukunst mit allen ihren Erfindern +über alle Berge; Tausenden hat sie schon das Leben gekostet, und mir +wird sie auch noch den Tod bringen. Ich möchte nicht, Bruder Toby, ich +möchte nicht mein Gehirn so voller Sappen, Minen, Blenden, Schanzkörbe, +Palisaden, Raveline, halben Monde und wie der Plunder alles heißt, +haben, und sollte ich Namur und alle Städte in Flandern dazu dafür +bekommen.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby, der die Beleidigungen geduldig ertragen konnte, nicht +weil's ihm an Herzhaftigkeit fehlte — ich habe Ihnen gesagt: ›daß er +ein Mann war, der Mut hatte‹, und will hier hinzusetzen, daß, wenn sich +eine gerechte Gelegenheit darböte, die solchen aufforderte —, ich +keinen Mann wüßte, unter dessen Arme ich lieber Schutz suchen möchte. +Auch das kam nicht von irgendeiner Gefühllosigkeit oder Stumpfheit +seines Verstandes her, denn er fühlte diese Beleidigung meines +Vaters so empfindlich, wie ein Mann sie fühlen konnte. Er war von +friedfertiger, sanftmütiger Natur, kein zänkisches Sonnenstäubchen war +in ihm, alles war an ihm von so gutartiger Mischung, daß meines Onkels +Toby Herz kaum zuließ, an einer Fliege Rache zu nehmen. ›Geh‹, sagte +er eines Tages beim Essen zu einer häßlichen großen Brummfliege, die +ihm um die Nase summte, ihn die ganze Mahlzeit über jämmerlich gequält +hatte und die er endlich im<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> Vorbeifliegen haschte, ›ich will dir kein +Leids tun,‹ stand vom Stuhle auf und ging mit der Fliege in der Hand +durchs Zimmer. ›Ich will dir kein Haar krümmen. Geh,‹ sagte er, indem +er das Fenster aufschob und die Hand öffnete, um sie fliegen zu lassen. +›Geh, armes Ding, mach' daß du wegkommst, warum sollt' ich dir Leides +tun? Diese Welt hat Raum genug für dich und für mich.‹</p> + +<p>Ich war kaum zehn Jahre alt, als dies geschah. Aber, war es, daß die +Handlung selbst in diesem mitleidigen Alter mit meinen Nerven mehr im +Einklang stand, daß es augenblicklich meinen ganzen Bau in Schwingungen +des angenehmsten Gefühls versetzte, oder war es die Art und Weise des +Ausdrucks, die dazu beitrug, in welchem Grade oder durch welche geheime +Magie der Ton der Stimme und Harmonie der Bewegung einen Weg zu meinem +Herzen finden mochten, weiß ich nicht. Das aber weiß ich, daß die Lehre +des unbegrenzten Wohlwollens, die mich damals mein Onkel Toby lehrte +und mir einprägte, seitdem nie aus meinem Gemüte verloschen ist. Und +ob ich gleich das, was das Studium der schönen Wissenschaften auf der +Universität in diesem Punkte an mir getan hat, nicht verachten oder +die Hilfe einer kostbaren Erziehung zu Hause und hernach in der Fremde +herabwürdigen will, so denke ich doch oft, daß ich die eine Hälfte +meiner Güte des Herzens diesem einen zufälligen Eindruck zu verdanken +habe.</p> + +<p><em class="gesperrt">Dieses kann Eltern und Hofmeistern statt eines ganzen Bandes über +diese Materie dienen.</em></p> + +<p>Diesen Zug in meines Onkels Toby Porträt konnte ich dem Leser +nicht vermittels ebendes Instrumentes geben, mit welchem ich die +anderen zeichnete. Dem nämlich, das nichts mehr aufnimmt als die +bloße steckenpferdische Ähnlichkeit. Dies ist ein Teil seines +moralischen Charakters. Mein Vater war in dem Punkte der geduldigen +Verträglichkeit, deren ich<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> erwähnt, viel anders beschaffen, wie +der Leser schon längst bemerkt haben wird. Er hatte von Natur ein +weit schärferes und schnelleres Gefühl, begleitet von ein wenig +mürrischer Gemütsart. Obgleich ihn solches nie zu etwas verleitete, +das einer Bosheit ähnlich sah, so zeigte sich's doch bei den kleinen +Verdrießlichkeiten des Lebens in einer drolligen und witzigen Art +von Unwillen. Dabei war er offenherzig und großmütig und ließ +sich jederzeit gerne bedeuten. In den kleinen Aufwallungen dieser +überflüssigen Säure in den Säften gegen andere, besonders aber gegen +seinen Bruder Toby, den er aufrichtig liebte, fühlte er selbst zehnmal +mehr Unlust — ausgenommen mit der Geschichte von Tante Dinah oder +wenn's auf eine Hypothese ankam —, als er verursachte.</p> + +<p>Die Charaktere der beiden Brüder, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, +warfen Licht übereinander und erschienen in ihren großen Vorzügen in +dieser Geschichte, die über den Stevinus entstand. Ich brauche dem +Leser nicht zu sagen, wenn er sich ein Steckenpferd auf der Streu hält, +daß eines Mannes Steckenpferd ein so empfindlicher Fleck ist, wie er +nur einen an sich hat, und daß diese unverschuldeten Hiebe, die man dem +seinigen gab, meinen Onkel nicht unempfindlich ließen. — Nein, wie ich +oben sagte, mein Onkel Toby fühlte sie wirklich, und sehr schmerzhaft +dazu.</p> + +<p>Nun, mein Herr, was sagte er? Wie betrug er sich? O, mein Herr, groß! +Denn sobald mein Vater sein Steckenpferd genug gepeitscht hatte, +wendete er ohne die geringste Hitze sein Gesicht von Doktor Slop +weg, mit dem er gesprochen hatte, und sah meinem Vater in die Augen, +mit einer Miene, in der sich soviel Gutherzigkeit, soviel Sanftmut, +brüderliche Liebe, so unaussprechliche Zärtlichkeit gegen ihn zeigte, +daß es meinem Vater durchs Herz ging. Er stand hastig von seinem +Stuhle auf und ergriff meines Onkels Toby beide<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Hände, als er sprach: +»Bruder Toby, ich bitte um Verzeihung! Vergib mir, ich bitte dich, +dieses auffahrende Wesen, das mir meine Mutter anerbte.« — »Mein +liebster, teuerster Bruder,« antwortete mein Onkel Toby, und richtete +sich mit meines Vaters Hilfe vom Stuhle auf, »sprich nicht mehr davon. +Ich kann es gerne leiden und wäre es zehnmal mehr, Bruder.« — »Aber +es ist ungroßmütig,« erwiderte mein Vater, »irgendeinen Menschen zu +beleidigen, einen Bruder noch ärger. Aber einen Bruder zu beleidigen, +der so gütig ist, der so wenig reizt, niemals ahndet, es ist +schändlich. Wahrhaftig, es ist niederträchtig!« — »Ich kann es gerne +leiden, Bruder,« sagte mein Onkel Toby, »wär's auch fünfzigmal mehr +gewesen!« — »Überdem,« sagte mein Vater, »was habe ich mich um deinen +Zeitvertreib und dein Vergnügen zu bekümmern, es sei denn, daß ich's in +meiner Macht hätte, wie ich's nicht habe, ihr Maß zu vermehren.«</p> + +<p>»Bruder Shandy,« antwortete mein Onkel Toby, und sah ihm mit vieler +Bedeutung ins Angesicht, »hierin irrst du dich sehr! Denn du vermehrst +mein Vergnügen ungemein dadurch, daß du in deinem Alter die Shandysche +Familie mit Kindern vermehrst.« — »Dadurch, mein Herr,« sagte Doktor +Slop, »vermehrt Herr Shandy sein eigenes.« — »Nicht um ein Jota!« +sagte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_17"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Achtzehntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>»Mein Bruder tut es,« sagte mein Onkel Toby, »aus Grundsätzen.« — »Des +lieben Hausfriedens wegen, denke ich,« sagte Doktor Slop. — »Pscha!« +sagte mein Vater, »was wollen wir da viel von reden!«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_18"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span></p> + +<h2>Neunzehntes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>Obadiah gewann die zwei Gulden ohne Widerrede. Denn er trat mit dem +grünen Filetbeutel, dessen wir schon erwähnt haben, und worin alle die +Instrumente klirrten, wie mit einer Jägertasche über der Schulter ins +Zimmer.</p> + +<p>»Mich dünkt,« sagte Doktor Slop und heiterte dabei seine Mienen auf, +»es wird nun nachgerade Zeit sein, da wir uns jetzt imstande befinden, +Madame Shandy hilfreiche Hand zu leisten, daß wir hinaufschicken und +fragen lassen, wie es geht?«</p> + +<p>»Ich habe der alten Bademutter befohlen,« antwortete mein Vater, »daß +sie gleich herunterkommen soll, sobald es ein wenig schwer geht. Denn +Sie müssen wissen, Herr Doktor,« fuhr er mit einem eckigen Lächeln +auf dem Gesicht fort, »daß Sie zufolge eines besonderen Traktats, der +zwischen meiner Frau und mir feierlich ratifiziert ist, bei dieser +Affäre bloß Hilfstruppe sind. Und das nicht einmal so völlig, wenn die +alte magere Bademutter ohne Sie zurechtkommen kann. Weiber haben ihre +eigenen Grillen, und bei Dingen von dieser Art, wo sie die ganze Last +alleine tragen, und für das Beste der Familien und die Vermehrung der +Welt so viel aushalten müssen, wollen sie sich das Recht nicht nehmen +lassen, <em class="antiqua">en souveraines</em> zu entscheiden, in wessen Hände sie +fallen wollen und wie.«</p> + +<p>»Sie haben auch recht,« sagte mein Onkel Toby. — »Aber mein Herr,« +erwiderte Doktor Slop, welcher tat, als hörte er nicht, was mein Onkel +Toby sagte, und sich an meinen Vater wandte, »sie täten besser, wenn +sie in anderen Dingen herrschten. Und ein guter Hausvater, der gerne +gesunde Kinder haben will, sollte sich dieses Recht abtreten lassen und +ihnen dafür lieber irgendein anderes einräumen.« — »Ich wüßte nicht,« +sagte mein Vater, und antwortete ein<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> wenig zu bitter, um ihn bei dem, +was er sagte, für ganz gleichgültig zu halten, »was wir wohl gegen +die Wahl, wer die Kinder holen soll, einzuräumen hätten.« — »Alles +sollte man lieber einräumen,« sagte Doktor Slop. — »Um Vergebung —« +antwortete mein Onkel Toby. — »Sir,« versetzte Doktor Slop, »Sie +würden erstaunen, wenn Sie wüßten, wie hoch es in den letzten Jahren in +allen Zweigen der Geburtshilfe getrieben ist, besonders in dem einzigen +Punkte, den Fötus behend und wohlbehalten zu extrahieren. Darüber ist +ein solches Licht aufgegangen, daß ich für mein Teil bezeuge« — hier +hielt er beide Hände in die Höhe —, »daß ich nicht begreifen kann, +wie die Weit noch —« — »Ich wünschte,« fiel mein Onkel Toby ein, +»Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in Flandern +hatten.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_19"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Zwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + +<p>»Ich wünschte, Herr Doktor,« sagte mein Onkel Toby, und wiederholte +seinen Wunsch für den Doktor Slop zum zweiten Male, und das mit mehr +Eifer und Ernst in seiner Art zu wünschen, als er es zuerst gewünscht +hatte, »Sie hätten gesehen, was für erstaunlich große Armeen wir in +Flandern hatten.«</p> + +<p>Meines Onkels Toby Wunsch tat dem Doktor Slop einen Mißdienst, den sein +Herz keiner lebendigen Seele zudachte. Denn, mein Herr, er machte ihn +verwirrt. Er brachte anfänglich seine Ideen in Unordnung und darauf +zur Flucht, so daß er solche nicht wieder in Reih' und Glied bringen +konnte, er mochte es anfangen, wie er wollte.</p> + +<p>In allen Arten von Disputationen, männlichen oder weiblichen — es sei +um Ehre, um Brot oder um Liebe, das ändert in der Hauptsache nichts —, +ist nichts gefährlicher,<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> Madame, als wenn einem ein Wunsch auf diese +unerwartete Art so ganz in die Quere auf die Haut fährt. Überhaupt +ist der sicherste Weg für den bewünschten Teil, um den Wunsch in der +Schwäche aufzufassen, den Augenblick sich zu erheben, auf beide Füße +zu treten und dem Wünscher etwas von ungefähr ebendem Werte dagegen +zu wünschen. Dadurch rechnen Sie stehenden Fußes ab, und die Sachen +bleiben, wie sie waren, Sie können sogar zuweilen den Vorteil des +Angriffs dadurch gewinnen.</p> + +<p>Der Doktor verstand nichts von der Art und Weise dieser Verteidigung. +Er wurde dadurch außer aller Fassung gebracht, und die Disputation +geriet vier ganze Minuten in ein völliges Stocken; fünf Minuten wären +ihr tödlich gewesen. Mein Vater sah die Gefahr. Die Disputation war +eine der wichtigsten Disputationen von der ganzen Welt: ob der Sohn +seines Betens und Arbeitens mit oder ohne Kopf auf die Weit kommen +sollte! — Er wartete bis auf den letzten Augenblick, um dem Doktor +Slop sein Recht, zu erwidern, zu lassen. Da er aber merkte, daß er +irre geworden war, und fortfuhr, mit dem verstörten, bedeutungslosen +Auge umherzusehen, womit gewöhnlich verblüffte Seelen herumzugaffen +pflegen, erst in meines Onkels Toby Gesicht, dann in das seinige, dann +auf, dann nieder, dann ostwärts, dann ostsüdwärts und so weiter an dem +Gesimse der Wand herumspaziert bis an den gegenüberstehenden Punkt des +Kompasses, und daß er wirklich schon angefangen hatte, die messingnen +Tapetennägel an dem Arme seines Lehnstuhles zu zählen, da dachte mein +Vater, es sei mit meinem Onkel Toby keine Zeit weiter zu verlieren und +nahm also das Wort auf wie folgt.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_20"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span></p> + + <figure class="figcenter padtop2 illowp52" id="p0801_ill" style="max-width: 42.5em;"> + <img class="w100" src="images/p0801_ill.jpg" alt=""> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span></p> + +<h2>Einundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Bruder Toby,« sagte mein Vater, »ich weiß, du bist ein so ehrlicher +Mann und hast ein so gutes und aufrichtiges Herz, als jemals Gott +erschaffen hat. Es ist auch deine Schuld nicht, wenn alle die +Kinder, welche gezeugt worden sind, können, werden, mögen, sollen +oder müssen mit dem Kopfe voran auf die Welt kommen; aber glaube es +mir, lieber Toby, es ist schon genug an den Zufällen, welche ihnen +unvermeidlicherweise über den Häuptern schweben, an den Gefahren und +Widerwärtigkeiten, die unsere Kinder umgeben, nachdem sie ihren Weg auf +die Welt gefunden haben, daß es gar nicht nötig ist, sie auf diesem +Wege unnötigerweise noch neuen Gefahren bloßzustellen.« — »Sind diese +Gefahren,« sagte mein Onkel Toby, indem er seine Hand auf meines Vaters +Knie legte und ihm ganz ernsthaft nach einer Antwort ins Gesicht sah, +»heutzutage größer, Bruder, als vordem?« — »Bruder Toby,« antwortete +mein Vater, »wenn ein Kind nur redlicherweise gesund und lebendig auf +die Welt kam, und sich die Mutter im Wochenbette wohl befand, weiter +bekümmerten sich unsere Vorfahren um nichts.« — Den Augenblick zog +mein Onkel Toby seine Hand von meines Vaters Knie weg, lehnte sich ganz +sanft in seinen Stuhl zurück, hob seinen Kopf so weit in die Höhe, daß +er eben das Gesims des Zimmers sehen konnte, und alsdann brachte er in +seinen Backen die Pfeifmuskeln und in seinen Lippen die Gewölbmuskeln +in die gehörige Lage, um sein gewöhnliches Konzert anzufangen — er +pfiff seinen Regimentsmarsch.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_21"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Gott segne uns! Meine arme Herrschaft wird ganz ohnmächtig, und sie +hat keine Wehen mehr, und die Tropfen<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> sind alle geworden, und das +Julepsglas ist entzweigebrochen, und die Wartefrau hat sich in den +Arm geschnitten, und das Kind ist, wo's war, und die Bademutter ist +rücklings übergeschlagen und mit den Lenden auf den Kaminherd gefallen, +daß sie so schwarz sind, wie eine taube Kohle,« sagte Susanna. — +»Ich will danach sehen,« sagte Doktor Slop. — »Es ist nicht nötig,« +versetzte Susanna, »sehen Sie nur nach meiner Herrschaft. Aber die +Bademutter wollte Ihnen gerne erst Bescheid sagen, wie es steht, und +läßt Ihnen sagen, Sie sollten gleich heraufkommen, daß sie mit Ihnen +sprechen könnte.«</p> + +<p>Die menschliche Natur äußert sich auf gleiche Weise in allen +Professionen.</p> + +<p>Eben vorher war die Hebamme dem Doktor Slop über den Kopf gesetzt +worden. Das hatte er noch nicht verdaut. »Nein,« antwortete der +Doktor, »es wäre wohl ebenso schicklich, wenn die Bademutter zu mir +herunterkäme.« — »Ich liebe die Subordination,« sagte mein Onkel +Toby, »wenn die es nicht getan hatte, so weiß ich nicht, was nach der +Einnahme von Lisle aus der Besatzung von Gant geworden sein möchte +bei dem Brottumult Anno zehn.« — »Ich ebensowenig,« versetzte Doktor +Slop, und parodierte meines Onkels Toby steckenreiterische Anmerkung, +obgleich er selbst ebensowohl auf seinem Steckenpferde saß. »Wüßte Herr +Kapitän Shandy, was aus der Besatzung da über unserem Kopfe geworden +sein möchte bei der Unordnung und dem Tumult, worin ich jetzt alles +finde, täte es nicht die Subordination unter ***, die mir unter meinen +jetzigen Umständen so glücklich zustatten kommt, sonst hätte es die +Shandysche Familie fühlen können, solange sie Shandysche Familie heißt.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_22"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span></p> + +<h2>Dreiundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Laß uns zurückgehen zu den *** im vorigen Kapitel.</p> + +<p>Es ist ein besonderer Griff in der Redekunst — zum wenigsten war es +einer, da die Beredsamkeit zu Athen und Rom im Flor war, und würde +es noch sein, wenn unsere Redner Mäntel trügen —, den Namen eines +Dinges nicht zu nennen, wenn man das Ding selbst bei der Hand hatte, +es husch vorzuweisen, gerade an dem Orte, wo es nötig war. Eine Wunde, +eine Narbe, ein Schwert, ein durchlöchertes Gewand, ein blutiger +Helm, anderthalb Pfund Pottasche in einer Urne, vor allen Dingen aber +ein zartes Kind in königlichem Putze. Freilich, wenn's noch zu jung +und die Rede so lang war, als Ciceros zweite Philippische, mußte es +notwendig des Redners Mantel unsauber machen. Und wiederum, wenn es zu +alt war, mußte es ihm beschwerlich fallen und seiner Aktion hinderlich +sein, dergestalt, daß er durch das Kind ebensoviel verlor, wie er +dadurch gewinnen konnte. Wenn aber ein politischer Redner das wahre +Alter bis auf eine Minute richtig getroffen, — sein Bambino so listig +unter seinen Mantel verborgen hatte, daß keine sterbliche Nase es +riechen konnte, — und es da in einem so entscheidenden Augenblicke +hervorbrachte, daß keine Seele sagen konnte, es würde bei den Haaren +herbeigezogen, — o, ihr Herren, da tat es Wunder! Es hat wohl eher die +Geldbeutel einer halben Nation geöffnet, ihre Gehirne verrückt, ihre +Grundsätze erschüttert und ihre Staatskunst aus der Angel gehoben.</p> + +<p>Solche Taten lassen sich jedoch nicht tun, außer, sage ich, in den +Staaten und Zeiten, wo die Redner Mäntel trugen. Und zwar hübsch weite, +meine lieben Brüder, von einigen dreißig oder vierzig Ellen gutem, +aufrichtigem, superfeinem, rotem Scharlach, mit lang hingegossenen +Falten, nach hoher,<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> edler Zeichnung in der Draperie. Aus welchem +allem, mit Euer Hochwohlgeboren gnädigen Erlaubnis, erhellet, daß der +Verfall der Beredsamkeit an nichts anderem in der Welt liegt als an +den kurzen Röcken. Unter den unserigen, Madame, können wir nichts mehr +verbergen, das sich der Mühe verlohnte vorzuweisen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_23"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es fehlte nur um ein Härchen, so wäre Doktor Slop eine Ausnahme von dem +geworden, was ich hier alles vorgetragen habe; denn da er eben seinen +grünen Filetbeutel vor sich auf den Knien liegen hatte, als er begann, +meinen Onkel Toby zu parodieren, so war der für ihn so gut, wie der +beste Mantel von der Welt. Wes Endes er dann, als er voraussah, seine +Phrase würde mit seinem neu erfundenen Forceps endigen, seine Hand in +den Beutel steckte, um solchen bereitzuhalten, an der Stelle damit +hervorzuwischen, welches, wenn er es recht gemacht hätte, meinen Onkel +Toby gewiß gesprengt haben würde. In dem Falle wäre der Satz und der +Beweis in einem Punkte so fest ineinandergelaufen, wie die zwei Linien, +welche die vorspringende Spitze eines Ravelins machen. Doktor Slop +hätte sich gewiß herausgezogen, und mein Onkel Toby hätte ebenso leicht +daran gedacht, zu fliehen, als es mit Sturm zu erobern. Aber Doktor +Slop kramte so lange dabei, als er ihn herausnehmen wollte, daß die +ganze Wirkung darüber verloren ging. Und was noch ein zehnmal größeres +Unglück dabei war — denn ein Unglück kommt selten allein —, sowie er +den Forceps hervorzog, brachte er schändlicherweise auch die Spritze +mit zum Vorschein.</p> + +<p>Wenn eine Proposition in zweierlei Sinn genommen<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> werden kann, so ist +es ein Gesetz in der Disputierkunst, daß der andere auf denjenigen von +beiden antworten mag, der ihm gut oder zuträglich dünkt. Dies brachte +den Vorteil des Arguments ganz auf meines Onkels Toby Seite. — »Ach, +lieber Gott,« rief mein Onkel Toby, »werden die Kinder mit einer +Spritze auf die Weit gebracht?«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_24"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Bei meiner Ehre, Herr Doktor, Sie haben mir mit Ihrem Forceps die Haut +von meinen beiden Händen rein abgerissen,« rief mein Onkel Toby, »und +obendrein haben Sie mir alle Knöchel zu Brei gequetscht.« — »'s ist +Ihre eigene Schuld,« sagte Doktor Slop, »Sie hätten Ihre beiden Hände +falten und halten sollen wie einen Kindeskopf, wie ich Ihnen sagte, +und festsitzen.« — »Das tat ich ja,« antwortete mein Onkel Toby. — +»Ja, so müssen die Zähne meines Forceps nicht recht gefüttert oder das +Niet zu locker sein, oder auch der Schnitt in meinen Daumen hat mich +nicht recht ansetzen lassen, oder, es ist auch möglich —« — »Ein +Glück ist's,« sagte mein Vater und unterbrach das Herrechnen aller +Möglichkeiten, »daß das Experiment nicht zuerst an meines Kindes Kopf +gemacht ist.« — »Das hätte ihm nicht soviel schaden sollen, als ich im +Auge leiden kann,« antwortete Doktor Slop. — »Ich behaupte es,« sagte +mein Onkel Toby, »es hätte sein Zerebellum zerbrochen oder der Schädel +hätte so hart sein müssen wie eine Granate, und ein ordentliches +Pappmus daraus gemacht.« — »Warum nicht gar!« versetzte Doktor Slop; +»ein Kindskopf ist von Natur so weich wie ein gebratener Apfel. Die +Suturen geben nach. Und überdem hätte ich's auch hernach bei den Füßen +holen können.« — »Das sollen Sie wohl bleiben lassen,«<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> sagte Susanna. +— »Ich wünschte lieber, daß Sie den letzten Weg gleich einschlügen,« +sagte mein Vater.</p> + +<p>»O tun Sie doch das,« setzte mein Onkel Toby hinzu.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_25"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Sechsundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Es ist zwei Stunden und zehn Minuten, und länger nicht,« schrie mein +Vater, wobei er auf die Uhr sah, »seitdem Doktor Slop und Obadiah +angekommen sind. Und ich weiß nicht, Bruder Toby, wie es zugeht, aber +meinen Gedanken kommt's fast wie hundert Jahre vor.«</p> + +<p>Da, mein Herr, nehmen Sie, ich bitte, meine Kappe. Ja, die Schelle nur +auch, und meine Pantalonsschuhe dazu.</p> + +<p>Nun sehen Sie, mein Herr, es steht alles zu Ihrem Dienst. Und es soll +Ihnen geschenkt sein, wenn Sie mir alle Ihre Aufmerksamkeit für dieses +Kapitel leihen wollen.</p> + +<p>Obgleich mein Vater sagte, er wüßte nicht, wie es zuginge, so wußte +er doch recht gut, wie es zuging. Und den Augenblick, da er es +sagte, war er schon in seinem Sinne entschlossen, meinem Onkel Toby +eine metaphysische Dissertation über die Dauer und ihre simplen +Modifikationen zu halten, um ihm die Sache klarzumachen und ihm zu +beweisen, durch welchen Mechanismus und Maßstab im Gehirn es geschehen, +daß die schnell abwechselnde Folge ihrer Ideen und das beständige +Überhüpfen ihres Gespräches von einer Sache zur anderen, seitdem Doktor +Slop zu ihnen ins Zimmer gekommen, eine so kurze Zeit zu einer so +unbegreiflichen Länge habe ausdehnen können. — »Ich weiß nicht, wie es +zugeht,« sagte mein Vater, »aber es kommt mir vor wie hundert Jahre.«</p> + +<p>»Das kommt bloß von der Folge unserer Ideen,« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span></p> + +<p>Mein Vater hatte mit allen Philosophen den Kitzel gemein, über alles, +was ihm vorkam, zu philosophieren und das Warum zu beweisen. Er +versprach sich also ein unendliches Vergnügen von seiner Dissertation +über die Sukzession der Ideen, und dachte meilenweit nicht daran, daß +mein Onkel Toby ihm Solche vorm Maule wegnehmen würde, der gewöhnlich +— die ehrliche Seele! — jedes Ding so nahm, wie es vorkam, und unter +allen Menschen in der Welt sein Gehirn am wenigsten mit abstraktem +Denken marterte. Die Ideen von Zeit und Raum, oder wie wir zu diesen +Ideen kommen, oder aus was für Stoff solche geschnitten sind, oder ob +sie uns angeboren sind, oder ob wir solche hernach erst aufsammeln, +oder ob wir das tun, wenn wir noch im Kinderröckchen gehen, oder +erst, wenn wir Beinkleider bekommen haben, nebst tausend anderen +Untersuchungen und gelehrten Fragen über das <em class="gesperrt">Unendliche</em>, +die <em class="gesperrt">vorherbestimmte Harmonie</em>, den <em class="gesperrt">freien Willen</em>, +die <em class="gesperrt">unbedingte Notwendigkeit</em> und dergleichen, über deren +verzweifelte und unauflösbare Theorien so mancher feine Kopf vor die +Hunde gegangen ist, taten meines Onkels Toby Kopfe nicht den geringsten +Schaden. Mein Vater wußte das und erstaunte daher nicht weniger über +seine Antwort, als er darüber betroffen war.</p> + +<p>»Weißt du denn die Theorie von den Ideen?« versetzte mein Vater.</p> + +<p>»Gar nicht,« sagte mein Onkel.</p> + +<p>»Du hast aber doch einige Ideen,« sagte mein Vater, »von dem, worüber +du sprichst.«</p> + +<p>»Ebensowenig wie mein Pferd,« versetzte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»O lieber Himmel,« rief mein Vater, wobei er die Augen gen Himmel +richtete und seine beiden Hände zusammenschlug,<span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span> »in deiner +unschuldigen Unwissenheit, Bruder Toby, liegt eine solche Würde, daß +es fast schade ist, dich herauszureißen. Ich will dir aber sagen: um +richtig zu verstehen, was die Zeit ist, ohne welches wir niemals das +begreifen können, was man unendlich nennt, weil die eine ein Teil des +anderen ist, müssen wir sorgfältig untersuchen, was das für eine Idee +sei, die wir von der Dauer haben, bis wir genaue Rechenschaft geben +können, wie wir dazu gelangt sind.« — »Wem in der Welt geht das was +an?« sagte mein Onkel Toby. — »<em class="gesperrt">Denn wenn du deine Augen auf das +Innere deiner Gedanken richtest</em>,« fuhr mein Vater fort, »<em class="gesperrt">und +solche aufmerksam beobachtest, so wirst du gewahr werden, Bruder, +daß, derweile du und ich hier sprechen und denken und unsere Pfeife +rauchen, oder wir auf eine andere Art nach und nach Ideen in unsere +Seelen bekommen, wir uns bewußt sind, daß wir da sind. Und wenn wir +die Dauer oder die Währung unseres eigenen Daseins oder eines jeden +anderen Dinges nach dem Maßstabe der Ideen in unserer Seele schätzen +und messen, so folgt aus diesem Vorsatze</em> —« — »Du machst, daß mir +der Kopf schwindelt,« rief mein Onkel Toby.</p> + +<p>»Nun ist, wir mögen es bemerken oder nicht,« fuhr mein Vater fort, »in +dem Kopfe eines jeden gesunden Menschen eine regelmäßige Folge der +Ideen einer oder der anderen Art, welche aufeinander folgen wie —« — +»ein Artilleriezug?« sagte mein Onkel. — »Warum nicht gar Leichenzug!« +sagte mein Vater leise. »Welche in unserer Seele in gewissen Abständen +aufeinander folgen wie die Bilder in der inwendigen Seite einer +Laterne, die von der Wärme eines Lichts gedreht werden.« — »Ich +versichere dich,« sagte mein Onkel Toby, »meine drehen sich wie eine +Rauchfahne.«<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> — »Wenn das ist, Bruder Toby, so habe ich dir über diese +Materie weiter nichts zu sagen,« versetzte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_26"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Obgleich mein Vater darauf beharrte, das Gespräch nicht fortzusetzen, +so konnte er doch meines Onkels Toby Rauchfahne nicht aus dem Kopfe +bringen. So sehr er sich auch anfangs darüber ärgerte, im Grunde +steckte etwas in der Vergleichung, die seine Einbildungskraft in +Gang brachte. Deswegen stützte er seinen Ellenbogen auf den Tisch +und die rechte Seite seines Kopfes mit der flachen Hand und — erst +aber sah er starr ins Feuer —, begann für sich selbst zu denken +und darüber zu philosophieren. Da aber seine Lebensgeister von der +Arbeit, neue Gedanken auszuspähen, und der beständigen Anstrengung +seines Nachdenkens über die Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die im +Gespräch vorgefallen waren, erschöpft worden, so drehte die Idee von +der Rauchfahne alle seine Ideen sehr bald über und über und er fiel in +Schlaf, ehe er's noch merkte.</p> + +<p>Meines Onkels Toby Rauchfahne hatte sich noch kein dutzendmal +herumgedreht, als auch er einschlief. Ich wünsche beiden wohl zu ruhen! +Doktor Slop hat oben mit der Hebamme und meiner Mutter zu schaffen. +Trim hat beide Hände voll damit zu tun, daß er aus einem Paar alter +steifer Reitstiefel ein Paar Mörser macht, die nächsten Sommer bei der +Belagerung von Messina gebraucht werden sollen, und bohrt ebendiesen +Augenblick mit einem glühenden Feuerstocher die Zündlöcher hinein.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_27"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Jeden Tag, seit wenigstens zehn ganzen Jahren, beschloß mein Vater, +es ändern zu lassen. Noch ist's nicht geändert.<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> In keinem anderen +Haushalt als dem unsrigen hätte man es eine Stunde geduldet. Und was +Sie noch mehr wundern wird, in keiner Sache von der Welt war mein Vater +eigener als in Tür und Angel. Und nichtsdestoweniger war er sicherlich, +nach meiner Meinung, einer von denen, die am meisten dadurch gelitten +haben. Seine Theorie und seine Praxis lagen sich hierüber beständig +in den Haaren. Die Stubentüre konnte nicht aufgehen, ohne daß seine +Philosophie oder seine Grundsätze eine Ohrfeige bekamen. Drei Tropfen +Öl auf einer Feder und ein guter Schlag mit einem Hammer hätten seine +Ehre auf einmal gerettet.</p> + +<p>Was ist der Mensch für ein widersinniges Ding! Er kränkelt an Wunden, +die es nur bei ihm steht zu heilen! Sein ganzes Leben ein Widerspruch +seines besseren Wissens! Seine Vernunft, diese ihm von Gott geschenkte +teure Gabe — anstatt Öl zur Linderung aufzugießen — dient ihm bloß, +ihre Reizbarkeit zu erhöhen, ihre Schmerzen zu vervielfältigen und ihn +dabei ungeduldiger und trauriger zu machen. — Warum, unglückliches +Geschöpf, bist du so! Ist's nicht genug an den unvermeidlichen Übeln +dieses Lebens, mußt du denn den Haufen deiner Bekümmernisse noch +freiwilligerweise vermehren! Da kämpft er gegen Übel an, die nicht zu +vermeiden sind, und unterwirft sich anderen, welche ein Zehntel von +der Mühe, die sie ihm machen, ein für allemal von seinem Herzen wälzen +könnte.</p> + +<p>Bei allem, was gut und tugendhaft ist, wenn innerhalb zwanzig Meilen in +der Runde um Shandy-Hall noch drei Tropfen Öl und ein Hammer zu finden +sind, so soll die Haspe an der Tür geändert werden. Noch unter dieser +Regierung!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_28"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p> + +<h2>Neunundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als Korporal Trim seine beiden Mörser beschickt hatte, freute er sich +über die Maßen über das Werk seiner Hände. Und wohl wissend, was es +seinem Herrn für Vergnügen machen würde, sie zu sehen, konnte er dem +Verlangen unmöglich widerstehen, solche stehenden Fußes nach seinem +Zimmer zu bringen.</p> + +<p>Außer dem moralischen Satze, auf welchen ich bei Erwähnung der Tür und +Angel anspielte, hatte ich auch eine spekulative Betrachtung auf dem +Korn, die daraus entspringt, und das ist diese:</p> + +<p>Wäre die Türe aufgegangen und die Haspe in der Angel gelaufen, wie +Türen eigentlich tun sollten.</p> + +<p>Oder zum Beispiel ebenso willig wie unsere Regierung — das ist, wenn +Euer Hochwohlgeboren von ihr haben, was Sie wünschen, sonst will ich +mein Gleichnis lassen. — In dem Falle, sage ich, wäre bei Korporal +Trims Eintreten keine Gefahr weder für den Herrn noch den Bedienten +gewesen. Im Augenblick, da er gesehen hätte, daß mein Vater und mein +Onkel Toby fest schliefen — so ehrerbietig war er in seinem Betragen +—, wäre er mäuschenstill fortgegangen und hätte sie beide in ihren +Lehnstühlen so süß fortträumen lassen, wie er sie gefunden. Das war +aber, menschlicherweise davon zu sprechen, so unmöglich, daß während +der vielen Jahre, da man diese Tür so hatte weiterknarren lassen, und +unter den vielen Verdrießlichkeiten, die sich mein Vater dadurch zuzog, +unter andern war auch diese, daß er niemals seine Arme übereinander +schlug, um sein bißchen Mittagsruhe zu halten, ohne daß der Gedanke, +daß ihn der erste beste, der die Tür aufmachte, unvermeidlich wecken +müßte, ihm immer im Kopfe herumlief, und sich so stracks zwischen ihn +und den ersten balsamischen Vorgeschmack des Schlafes drängte, daß er +ihm, wie er oft bezeugte, alle seine Annehmlichkeiten raubte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span></p> + +<p>Wie kann's, mit Euer Exzellenz Erlaubnis, anders sein, wenn die Sachen +auf schlechten Angeln laufen?</p> + +<p>»Nun, was gibt's? Wer ist da?« rief mein Vater, der den Augenblick +aufwachte, als die Türe zu knarren begann. »Ich wollte doch wohl +einmal, daß der Schmied nach der vertrackten Türe sähe!« — »'s +ist nichts, gnädiger Herr,« sagte Trim, »als zwei Mörser, die ich +hereinbringe.« — »Ich will hier keinen Lärm haben,« sagte mein Vater +hastig. »Wenn Doktor Slop Spezereien zu stampfen hat, so mag er's in +der Küche tun.« — »Mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim, »es sind +zwei Bombenmörser, zu einer Belagerung auf nächsten Sommer, die ich aus +einem Paar steifer Reitstiefel gemacht habe. Obadiah hat mir gesagt, +Euer Gnaden brauchten sie nicht mehr.« — »Hol's der Teufel,« schrie +mein Vater und sprang fluchend vom Stuhle auf. »Unter aller meiner Fahr +und Habe ist mir nichts lieber und teurer, als diese Steifstiefel, +sie kommen noch von unserem Großvater her, Bruder Toby. Es waren +Erbstücke.« — »Ja, so tut mir's leid,« sagte mein Onkel Toby, »daß +Trim sie vom Hauptgute getrennt hat.« — »Ich habe nichts aufgetrennt, +gnädiger Herr,« sagte Trim, »ich habe nur die Stulpen abgeschnitten.« +— »Ich kann alte Dinge ebensowenig leiden, wie ein anderer,« sagte +mein Vater; »aber diese Steifstiefel,« fuhr er fort, wobei er bitter +lächelte, »Bruder, sind seit dem letzten Rebellenkriege beständig bei +der Familie gewesen. Sir Roger Shandy trug sie in der Schlacht bei +Marstonmoor. Ich versichere dich, ich hätte sie nicht für zehn Louisdor +gegeben.« — »Ich will dir das Geld geben, Bruder Shandy,« sagte +mein Onkel Toby, betrachtete dabei die beiden Mörser mit unendlichem +Vergnügen und fuhr mit der Hand nach der Geldtasche, wie er sie ansah. +»Von Herzen gerne will ich dir den Augenblick das Geld dafür bezahlen.« +—</p> + +<p>»Bruder Toby,« versetzte mein Vater mit veränderter<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> Stimme, »du +bekümmerst dich nicht, was du für Geld verschleuderst und wegwirfst, +wenn's nur für eine Belagerung ist.« — »Habe ich nicht jährlich +hundertundvierzig Louisdor Renten und meine Pension dazu?« rief mein +Onkel Toby. — »Was verschlägt das,« versetzte mein Vater hastig, +»wenn du zehn Pistolen für ein Paar alte Stiefel gibst, zwölfe für +deine Pontons und halb soviel für deine holländische Zugbrücke, +geschweige des kleinen Artillerietrains von messingenen Kanonen, die +du vorige Woche bestellt hast, nebst zwanzig anderen Zurüstungen für +die Belagerung von Messina, mehr. — Glaube mir, liebster Bruder +Toby,« fuhr mein Vater fort, und nahm ihn dabei ganz freundlich bei +der Hand, »diese deine Kriegsoperationen übersteigen deine Kräfte. Du +meinst es gut, Bruder, aber sie verleiten dich zu stärkeren Ausgaben +als du anfangs gedacht hast. Und verlaß dich auf das, was ich sage, +lieber Toby, sie werden dich endlich noch um all das Deinige und an den +Bettelstab bringen.« — »Je nun, Bruder, was wär's denn nun auch mehr,« +versetzte mein Onkel Toby, »solange wir wissen, daß es zum Besten +unseres Vaterlandes geschieht.«</p> + +<p>Mein Vater mußte lächeln, wenn er auch nicht gewollt hätte. Sein Zorn +war allemal höchstens nur Knallpulver, und Trims Dienstfertigkeit und +Einfalt und die großmütige, obgleich steckenreiterische Gesinnung +meines Onkels Toby söhnte sie augenblicklich beide wieder mit ihm aus.</p> + +<p>»Großmütige Seelen! — Gott erhalte euch und eure Bombenmörser dazu,« +sagte mein Vater bei sich selbst.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_29"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Nun ist alles ruhig und still,« rief mein Vater, »da oben wenigstens. +Ich höre keinen Menschen mehr gehen.<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> Sage Er mir doch, Trim, wer +ist in der Küche?« — »In der Küche ist niemand,« antwortete Trim +und machte dabei seinen tiefen Bückling, »außer Doktor Slop.« — +»Verdammt!« schrie mein Vater und hob sich abermals auf die Füße. +»Diesen Tag geht doch nicht das geringste seinen ordentlichen Gang. +Wenn ich an die Sterndeuterei glaubte, Bruder — welches mein Vater, +unter uns gesagt, tat —, so möchte ich schwören, daß irgendein Planet +im Zeichen des Krebses über meinem unglücklichen Hause hinge, und jedes +Ding darin verkehrt gehen ließe. Wie? ich dachte, Doktor Slop wäre oben +bei meiner Frau, und da sagt Er — — Was hat der Patron in der Küche +zu suchen?« — »Ja, wenn's Euer Gnaden nicht übelnehmen wollen, er ist +dabei und macht eine Brücke.« — »Das ist doch sehr gütig von ihm,« +sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine schönste Empfehlung, Trim, +und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm von Herzen danke.«</p> + +<p>Sie müssen wissen, daß mein Onkel Toby ebensoweit an der richtigen +Brücke vorbeischoß, als mein Vater an den Mörsern. Um aber zu +verstehen, wie mein Onkel Toby die Brücke verfehlen konnte, fürchte +ich, muß ich Ihnen wohl eine genaue Nachricht von dem Wege geben, +der dahin führte. Oder ich will den Vergleich fahren lassen — denn +einem Geschichtschreiber ist nichts unanständiger, als wenn er welche +gebraucht —. Um die Möglichkeit richtig zu begreifen, wie mein Onkel +Toby sich darin irren konnte, muß ich Ihnen etwas Nachricht von einem +von Trims Abenteuern erteilen, so ungern ich auch wollte. Ich sage, so +ungern ich auch wollte, weil die Geschichte hier gar nicht an ihrem +rechten Orte steht. Denn eigentlich sollte sie erst da vorkommen, wo +ich die Anekdoten von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten mit der +Witwe Wadmann erzähle, wobei Trim keine unbeträchtliche Rolle spielt. +Oder auch in der Mitte der Feldzüge, die er mit meinem Onkel Toby auf +dem grünen Spielplatze tat.<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> Allein, wenn ich sie bis zu einem von +diesen Teilen meiner Historie aufspare, so entsteht eine Lücke in der +Historie, die ich eben vor mir habe. Und erzähle ich's hier, so mähe +ich mein Korn grün und tu meiner Geschichte dort Schaden.</p> + +<p>Was raten mir Euer Hochweisheiten, was soll ich hier tun? —</p> + +<p>Erzählen Sie ja gleich, Herr Shandy. — Tristram, du bist nicht klug, +wenn du's tust!</p> + +<p>O, ihr Mächte! — denn Mächte seid ihr, und hohe dazu — welche den +unsterblichen Menschen das Vermögen verleihen, eine Historie zu +erzählen, die des Hörens wert sei, die ihr ihm freundlich weiset, wo +er anfangen muß und wo aufhören, was er hineinbringen muß und was +herauslassen, wieviel er davon in Schatten zu bringen hat, und wohin +er seine Lichter verteilen soll! Ihr, die ihr dem weiten Reiche der +biographischen Freibeuter vorsteht, und die mancherlei Not und Kummer +seht, in welche eure Untertanen täglich und stündlich geraten, wollt +ihr mir eins zu Gefallen tun?</p> + +<p>Ich ersuche und bitte euch — falls ihr nichts Besseres für uns tun +wollt — wenn es sich so gebührt und zuträgt, daß in eurem Gebiete drei +Wege sich kreuzen, wie hier eben geschehen ist, so laßt doch wenigstens +einen Wegweiser auf den Scheideweg setzen, aus bloßer Barmherzigkeit, +einem armen Tropf zu raten, welchen von den dreien er nehmen soll.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_30"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Einunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Obgleich der Stoß, den mein Onkel Toby das Jahr nach der Scheidung von +Dünkirchen in seiner Affäre mit der Witwe Wadmann erlitt, ihn in dem +Vorsatze bestärkt hatte, niemals wieder an das schöne Geschlecht, noch +an irgend etwas, das dazu gehörte, zu denken, so hatte doch Korporal +Trim kein<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> solches Bündnis mit sich selbst gemacht. In der Tat war bei +meines Onkels Toby Begebenheit ein sonderbarer und unbegreiflicher +Zusammenfluß von Umständen, die ihn unvermerkt leiteten, die schöne und +starke Zitadelle von einem Weib zu belagern. Trims Begebenheit war kein +Zusammenfluß von irgend etwas in der Welt, als von ihm und Brigitten in +der Küche. Doch war, die Wahrheit zu sagen, die Liebe und Ehrerbietung, +die er gegen seinen Herrn hegte, so groß, und so gern ahmte er ihn +in allem, was er tat, nach, daß hätte mein Onkel Toby sein Genie und +seine Zeit darauf verwendet, Spitzen zu klöppeln, ich bin versichert, +der ehrliche Korporal hätte seine Waffen niedergelegt und wäre seinem +Beispiel mit Vergnügen gefolgt. Jedesmal, wenn also mein Onkel Toby +sich bei der Herrschaft setzte, nahm Trim flugs seinen Posten bei der +Kammerjungfer.</p> + +<p>Nach einer ganzen Kette von Angriffen und Verteidigungen während neun +ganzer Monate, die meines Onkels Toby Belagerung dauerte, wovon alle +Umstände am gehörigen Ort aufs treulichste erzählt werden sollen, hielt +es mein ehrlicher Onkel Toby für ratsam, seine Truppen zurückzuziehen +und die Belagerung mit einigem Verdrusse aufzuheben.</p> + +<p>Korporal Trim, wie gesagt, hatte kein solches Bündnis, weder mit sich +selbst noch mit andern, gemacht. Da ihm die Treue seines Herzens +indessen nicht erlaubte, in einem Hause aus und ein zu gehen, das sein +Herr mit Widerwillen verlassen hatte, so begnügte er sich damit, daß er +seinen Teil der Belagerung in eine Blockade verwandelte. Das heißt, er +hielt andere entfernt. Denn ob er gleich hernach niemals in ihr Haus +ging, ward er doch auch seiner Brigitte niemals im Dorfe ansichtig, +ohne daß er ihr zunickte, zulächelte, winkte oder sie freundlich ansah. +Und wenn's die Gelegenheit gab, faßte er sie bei der Hand oder fragte +sie ganz verliebt, wie's ihr ginge. Oder er schenkte ihr ein Band, oder +zuweilen,<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> doch niemals, als wenn's mit Dekorum geschehen konnte, gab +er ihr — —</p> + +<p>Genau in dieser Lage befanden sich die Sachen fünf Jahre hindurch, vom +Jahre 1713 an, da Dünkirchen geschleift wurde, bis gegen das Ende des +Feldzugs meines Onkels Toby, 1718, ungefähr sechs oder sieben Wochen +vor der Zeit, von der ich spreche. Als Trim, nach seiner Gewohnheit, +nachdem er meinen Onkel Toby zu Bett gebracht hatte, an einem +mondhellen Abend hinunterging, um zuzusehen, ob in seiner Fortifikation +noch alles richtig stünde, spionierte er auf der Wiese, die von dem +Spielplatze mit grünen Hecken abgesondert war, seine Brigitta aus.</p> + +<p>Da der Korporal glaubte, es sei in der ganzen Welt nichts so +sehenswürdig wie die herrlichen Werke, die er und mein Onkel Toby +miteinander gemacht hatten, so nahm er sie höflich und mutig bei +der Hand und führte sie hinein. Dies geschah nicht so heimlich, daß +es nicht die plapperhafte Trompete der Fama so lange von Ohr zu Ohr +herumgetragen hätte, bis es endlich wohl an meinen Vater gelangen +mußte, zugleich mit dem ungünstigen Umstande, daß meines Onkels Toby +hübsche Zugbrücke, die nach holländischer Manier gebaut und bemalt war +und ganz über den Graben reichte, in ebender Nacht zerbrochen und, +der Himmel weiß wie, in tausend Stücke zersplittert worden war. Mein +Vater, wie Sie bemerkt haben, hatte eben nicht viel Hochachtung für +meines Onkels Toby Steckenpferd. Er hielt es für das lächerlichste +Hotthott, das nur jemals ein Kavalier geritten, und konnte niemals +daran denken, mein Onkel mußte ihm denn eben damit in die Quere reiten, +ohne zu lächeln. Es konnte also niemals lahm werden oder ihm sonst +ein Zufall zustoßen, oder es kitzelte meines Vaters Gedanken über die +Maßen. Allein dies hier war ein Zufall, der seinem Herzen sanfter tat +als alle, die ihm noch begegnet waren, und er wußte sich eine Freude +damit zu<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> machen, so oft er wollte. — »Gut, und nicht allzugut, lieber +Toby,« pflegte er zu sagen, »erzähle uns doch, wie ging's denn mit der +Brücke eigentlich zu?« — »Wie kannst du mich nur so damit zerren,« +pflegte wohl mein Onkel Toby zu antworten. — »Ich habe es ja wohl +zwanzigmal schon erzählt, Wort für Wort, wie ich's von Trim weiß!« — +»Nun, wie war's denn, Korporal?« rief dann mein Vater und wendete sich +an Trim. — »Es war ein reines Unglück, wenn's Euer Gnaden verzeihen, +ich zeigte Brigitte unsere Befestigungen. Und als ich so zu nahe an +den Rand des Grabens kam, rutschte ich unglücklicherweise hinein.« — +»Ei, hübsch, Trim!« rief dann mein Vater, wobei er schalkhaft lächelte +und mit dem Kopfe nickte, ohne ihn zu unterbrechen. »Und da ich mit +Euer Gnaden Wohlnehmen die Brigitte fest in meinen Armen hielt, zog +ich sie so mit mir, und da fiel sie rücklings über, gegen die Brücke.« +— »Und da Trim mit seinem Fuße,« rief mein Onkel Toby und nahm ihm +die Historie vorm Maule weg, »in die Verschanzung geriet, taumelte er +auch gegen die Brücke. — Es war ein großes Glück,« pflegte mein Onkel +hinzuzusetzen, »daß der arme Mensch kein Bein brach.« — »Ja wohl, ja +wohl!« pflegte mein Vater zu sagen. »Ein Bein ist leicht gebrochen, +Bruder! besonders in solchen Fällen!« — »Und also brach die Brücke, +die, mit Euer Gnaden Erlaubnis, nur dünn gemacht war, zwischen uns +entzwei und ging in tausend Stücke.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby versuchte es niemals, sich gegen den Angriff dieses +Spotts mit etwas anderem zu wehren, als daß er noch einmal so geschwind +aus seiner Tabakspfeife dampfte, wodurch er eines Abends eine so +dicke Wolke machte, daß mein Vater, der ein wenig zur Schwindsucht +geneigt war, darüber einen erschrecklichen Anfall von Husten bekam. +Mein Onkel Toby sprang auf, ohne der Schmerzen an seinem Latzbeine zu +achten, und mit unendlichem Mitleid stand er<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> bei seines Bruders Stuhl, +klopfte ihm mit einer Hand den Rücken und hielt ihm mit der andern den +Kopf. Und von Zeit zu Zeit wischte er ihm die Augen mit einem reinen +holländisch-leinenen Tuche, das er aus der Tasche zog. Die herzlich +liebevolle Art, womit mein Onkel Toby diese kleinen Dienste leistete, +durchdrang meinen Vater bis in sein innerstes Eingeweide über den +Verdruß, den er ihm eben gemacht hatte. Eher soll man mir das Gehirn +mit einem Mauerbrecher oder gleichviel womit ausstoßen, sagte mein +Vater zu sich selbst, ehe ich dieser ehrlichen Seele wieder spotte.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_31"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als Trim hereinkam und meinem Vater sagte, daß sich Doktor Slop in +der Küche damit beschäftige, eine Brücke zu machen, war mein Onkel +Toby — die Geschichte mit den Steifstiefeln hatte eben eine Reihe +von Kriegsideen in seinem Gehirn in Gang gebracht — der Meinung, daß +Doktor Slop ein Modell von des Marquis d'Hopitals Brücke machte. »Das +ist doch sehr gütig von ihm,« sagte mein Onkel Toby. »Sage Er ihm meine +schönste Empfehlung, Trim, und sage Er dem Herrn Doktor, daß ich ihm +von Herzen danke.«</p> + +<p>Wäre meines Onkels Toby Kopf ein Raritätenkasten gewesen, und hätte +mein Vater beständig durchs Glas hineingeschaut, so hätte es ihm +von dem, was in meines Onkels Toby Hirn herumarbeitete, keinen +deutlicheren Begriff machen können, als er schon ohnedies hatte. Trotz +des Mauerbrechers und der heftigen Verwünschungen, die ihm solche +Hirngespinste schon abgelockt hatten, wollte er eben triumphieren, als +Trims Antwort plötzlich den Lorbeer von seiner Schläfe und in Stücke +riß.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_32"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span></p> + +<h2>Dreiunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Mit eurer verwünschten Zugbrücke!« sagte mein Vater. »Mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, 's ist eine Brücke in unseres jungen Junkers Nase. Als er +ihn mit seinem verdammten Klimperkrame auf die Welt geholt hat, so hat +er ihm die Nase zerdrückt, daß sie so platt in seinem Angesichte ist, +sagt Susanna, wie ein Pfannkuchen. Nun macht er von einem Lappen Kattun +und einem Stückchen Fischbein aus Susannens Schnürleibe eine falsche +Brücke, die sie wieder aufrichten soll.«</p> + +<p>»O, Bruder Toby, komm, führe mich sogleich nach meiner Kammer!«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_33"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Von dem ersten Augenblicke an, da ich mich hinsetzte, mein Leben +zum Vergnügen der Welt und meine Meinungen zu ihrer Belehrung +aufzuschreiben, hat sich unvermerkt eine Wolke über meinem Vater +zusammengezogen. Eine Flut von Übeln und Widerwärtigkeiten hat sich +gegen ihn gehäuft. Nicht das allergeringste, wie er selbst bemerkt, ist +richtig gegangen, und nun ist das Gewitter reif und wird mit aller Wut +über seinem Haupte ausbrechen.</p> + +<p>Ich gehe an diesen Teil meiner Geschichte mit einem so schweren und +melancholischen Gemüte, das nur je eine sympathische Seele empfunden +hat. Meine Nerven werden schlaff, indem ich's erzähle. Bei jeder Zeile, +die ich schreibe, fühle ich, daß die Lebhaftigkeit meines Pulses sinkt, +und die sorglose Munterkeit, die mich sonst jeden Tag meines Lebens +antreibt, tausend Dinge zu sagen und zu schreiben, die ich nicht sagen +und schreiben sollte. Und in diesem Augenblick, wie ich gerade<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> meine +Feder in die Tinte tauchte, fiel mir's recht aufs Herz, mit was für +einer behutsamen Art von kummervoller Bedächtigkeit und Feierlichkeit +das geschah. Himmel! wie verschieden von dem schnellen Zufahren und +dem hitzigen Ausspritzen, das du sonst gewohnt bist, Tristram! — in +anderer Laune. Wenn du die Feder niederwirfst und deine Tinte auf +deinem Tische und deinen Büchern herumkleckst, als ob deine Feder und +deine Tinte, deine Bücher und deine Möbel dich kein Geld kosteten.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_34"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich will mich bei langen Beweisen nicht aufhalten. Es ist erwiesen, +und ich bin davon überzeugt, Madame, so lebhaft als möglich, daß +beides, Mann und Weib Schmerzen oder Kummer, und, soviel ich weiß, auch +Vergnügen, in einer horizontalen Lage am besten ertragen.</p> + +<p>Sobald mein Vater auf seine Kammer kam, warf er sich der Quere +nach über das Bett, mit dem heftigsten Unmut, der sich nur denken +läßt. Dabei aber in der kläglichsten Stellung eines von Kummer +niedergeschlagenen Mannes, über den jemals das Mitleid eine Träne +geweint hat. Seine rechte flache Hand empfing, wie er aufs Bett fiel, +seinen Vorderkopf, bedeckte größtenteils seine beiden Augen. Dann sank +er sachte nieder mit dem Kopfe (sein Ellenbogen wich hinterwärts), bis +er mit der Nase das Kopfkissen berührte. Seine linke Hand hing schlaff +über den Bettrand, die Faust kam auf den Henkel eines Kammertopfes zu +liegen, der unter dem Bettschurze hervorguckte. Sein rechtes Bein, +das linke hatte er an den Leib gezogen, hing halb über den Bettrand, +mit dem Schienbeine auf der Kante des Bretts. Er fühlte es nicht. Ein +tiefer eingewurzelter Kummer nahm seinen Sitz auf jedem<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> Zuge seines +Gesichts. Einmal seufzte er, seine Brust hob sich oft, sprach aber kein +Wort.</p> + +<p>Ein alter, auf Tapetenart gestickter Stuhl, mit abgebleichten, +verwitterten Fransen besetzt, stand am Kopfe des Bettes der Seite +gegenüber, wo meines Vaters Haupt hing. Mein Onkel Toby setzte sich +hinein.</p> + +<p>Ehe eine Betrübnis ganz verdaut ist, kommt das Trösten immer zu früh, +und ist sie verdaut, kommt's zu spät. Sie sehen also, Madame, daß +zwischen beiden Grenzen eine fast haarfeine Linie liegt, die ein +Tröster zu fassen wissen muß. Mein Onkel Toby griff beständig entweder +diesseits oder jenseits fehl und pflegte oft zu sagen, er glaubte, daß +er ebensoleicht die Meereslänge erwischen könnte. Deshalb zog er, als +er sich in den Stuhl setzte, den Vorhang ein wenig weiter zu, und, +wie er immer für jedermann eine Träne bereit hatte, zog er ein weißes +Taschentuch hervor, holte einen tiefen Seufzer und — sagte kein Wort.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_35"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Sechsunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Es ist nicht alles Gewinn, was in die Kasse fällt.« Und ob also mein +Vater gleich das Glück hatte, die ältesten Bücher von der Welt zu +lesen, und dazu an und für sich selbst die eigenartigste Denkungsart +besaß, womit nur ein Sterblicher beseligt sein mochte, so war er doch +bei dem allen auch wieder solchen Launen unterworfen, die ihn in die +sonderbarsten und oft widersinnigsten Verlegenheiten setzten, von denen +diese eine, die ihm hier über den Hals kam, ein so starkes Beispiel +ist, wie sich nur irgend anführen läßt.</p> + +<p>Freilich, das Eindrücken des Knorpels an der Nase eines Kindes +durch ein Instrument, wäre es auch nach den besten Regeln der Kunst +geschehen, sollte wohl jeden Mann in der<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> Welt ärgerlich machen, wenn +ihm auch schon die Erziehung eines Kindes nicht soviel Mühe und Sorgen +kostete wie meinem Vater. Dennoch kann es das Übermaß seiner Betrübnis +nicht entschuldigen, noch die unchristliche Art rechtfertigen, mit +welcher er sich derselben überließ.</p> + +<p>Um dies zu erklären, muß ich ihn auf eine halbe Stunde auf seinem Bette +liegen und meinen Onkel Toby auf seinem alten Tapetenstuhle bei ihm +sitzen lassen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_36"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Ich halte es für eine sehr ungewissenhafte Forderung,« rief mein +Urgroßvater, rollte das Papier zusammen und warf's auf den Tisch. »Aus +dieser Rechnung erhellt, Madame, daß Sie nur zweitausend Pistolen +Brautschatz und nicht einen Heller mehr haben. Und doch bestehen Sie +auf einem Leibgedinge von dreihundert Pistolen jährlich!« —</p> + +<p>»Das kommt,« versetzte meine Urgroßmutter, »weil Sie eine kleine oder +fast gar keine Nase haben, Herr.«</p> + +<p>»Verflucht!« schrie mein Urgroßvater, und fuhr mit der Hand nach seiner +Nase, »so klein ist sie doch auch noch nicht, sie ist einen ganzen Zoll +länger als meines Vaters Nase.« Nun war aber meines Urgroßvaters Nase +allen Nasen der Männer, Weiber und Kinder, die Pantagruel auf der Insel +Ennasin fand, so ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Nebenbei gesagt, wenn +Sie die sonderbare Art und Weise kennen lernen wollen, wie man sich mit +einem so plattnasigen Volk verschwägern kann, so müssen Sie das Buch +lesen. — Es von selbst auszufinden, das sollen Sie wohl bleiben lassen.</p> + +<p>Herr, sie sah aus wie ein Treffaß.</p> + +<p>»'s ist ein ganzer Zoll,« fuhr mein Urgroßvater fort und drückte mit +Finger und Daumen sein Endchen Nase und<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> wiederholte seine Behauptung: +»'s ist ein ganzer Zoll, Madame, daß sie länger ist als meines Vaters +Nase.« — »Sie mögen die Ihres Onkels meinen,« erwiderte meine +Urgroßmutter.</p> + +<p>Mein Urgroßvater ward überführt. Er rollte das Papier wieder auf und +unterschrieb den Ehevertrag.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_37"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Welch ein unbilliges Leibgedinge, mein Schatz, das wir aus unserem +kleinen Gute zahlen müssen!« sagte meine Großmutter zu meinem Großvater.</p> + +<p>»Mein Vater,« erwiderte mein Großvater, »mein Kind, hatte ebensowenig +Nase, den Tüpfel ausgenommen, wie mir hier auf der Hand sitzt.«</p> + +<p>Nun müssen Sie wissen, daß meine Urgroßmutter meinen Urgroßvater zwölf +Jahre überlebte, und ihr also mein Großvater die ganze Zeit über immer +halbjährlich — alle Ostern und Michaelis — ihre hundertundfünfzig +Pistolen Witwengehalt auszahlen mußte.</p> + +<p>Niemand war williger und bereiter, seine Schulden abzutragen, als +mein Vater. Bis an volle Hundert pflegte er die Pistolen wurfweise +mit der Miene hinzuschießen, die großmütige Seelen, und auch nur die +großmütigen Seelen, beim Geben und Bezahlen zu machen pflegen und die +gleichsam sagt: ich geb's gern. Sobald er aber an die folgenden Fünfzig +kam, stieß er gewöhnlich ein lautes Hm! aus, rieb sich dabei ganz +gemächlich mit dem flachen Zeigefinger an der Nase, schob die Hand ganz +bedächtig unter die Perücke, besah jedes Goldstück, ehe er's weggab, +auf beiden Seiten, und zählte selten die Fünfzig zu Ende, ohne sein +Schnupftuch zur Hand zu nehmen und den Angstschweiß von der Stirne zu +wischen.</p> + +<p>Behüte mich, gütiger Himmel, vor solchen Verfolgungsgeistern,<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> welche +keine Nachsicht mit dergleichen Bewegungen, die in uns vorgehen, haben +können. Nie, o nie, laß mich in einem Gezelte mit denen liegen, die +den Bogen immer so hoch spannen und kein Mitleiden mit der Macht der +Erziehung und mit dem überwiegenden Einflusse der von unseren Voreltern +geerbten Meinungen haben wollen.</p> + +<p>Schon bis ins dritte Glied wenigstens hatte der Glaube an das Glück +der langen Nasen nach und nach Wurzel in unserer Familie geschlagen. +Das Hörensagen war ganz auf seiner Seite, und alle halbe Jahre kam +das Geldausgeben dazu, um ihn zu bestärken, dergestalt, daß meines +Vaters grillenhafter Kopf weit entfernt war, sich von diesem wie von +fast allen seinen übrigen sonderbaren Sätzen die Ehre allein anmaßen +zu können. Denn man konnte sagen, daß er ihn zum großen Teil mit der +Muttermilch eingesogen hatte. Indessen tat er das seinige dazu. Wenn +seine Erziehung den Irrtum — falls es einer war — pflanzte, so begoß +ihn mein Vater und wartete und pflegte ihn bis zur völligen Reife.</p> + +<p>Er beteuerte oft, wenn er seine Gedanken über diesen Punkt äußerte, +daß er nicht begreife, wie die größte Familie in der Welt eine +ununterbrochene Folge von sechs oder sieben kurzen Nasen gutmachen +könnte. Und aus dem entgegenstehenden Grunde, pflegte er hinzuzusetzen, +müßte es eine der unerklärbarsten Erscheinungen im bürgerlichen Leben +sein, daß dieselbe Anzahl tüchtiger langer Nasen, in gerader Linie +vererbt, einen Menschen nicht zu den höchsten Ehrenstaffeln erhebe und +emporschwinge. Mit Selbstgefälligkeit rühmte er's oft, daß die Shandys +unter Heinrichs <em class="antiqua">VIII.</em> Regierung sehr hoch im Range gewesen und +ihre Erhebung keinen Staatskniffen zu danken gehabt, sondern nur, sagte +er, diesem Glücksumstande. Allein, pflegte er hinzuzufügen, das Rad +habe sich gleich wie bei anderen Familien bis zu dem Schlag von meines +Urgroßvaters Nase gedreht. Und sie<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> wären niemals wieder in die Höhe +gekommen. Jawohl, es war ein Treffaß! rief er dann und schüttelte dabei +den Kopf. Und ein so häßliches, als nur jemals Trumpf geworden ist.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_38"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neununddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Vater lag ausgestreckt auf dem Bette volle anderthalb Stunden so +still, als hatte die Hand des Todes ihn niedergeschleudert, ehe er +mit den Zehen des Fußes, der über der Bettkante hieg, auf der Erde +zu spielen anfing. Meines Onkels Toby Herz fühlte sich dadurch ein +Pfund leichter. Wenige Augenblicke später bekam auch seine linke Hand, +mit der er beständig auf den Henkel des Kammertopfes gelegen hatte, +wieder ihr Gefühl. Er schob ihn ein wenig weiter hinunter. Nachdem das +geschehen, zog er die Hand herauf an seinen Busen und stieß ein Hm! +aus. Mein guter Onkel Toby beantwortete es mit unendlichem Vergnügen +und hätte herzlich gerne einen Trostspruch in die Spalte geimpft, die +es machte. Da er aber, wie schon gesagt, hierin keine vorzügliche Gabe +hatte und überdem noch besorgte, es möchte ihm etwas entfahren, das das +Übel nur ärger machte, so begnügte er sich damit, daß er mit seinem +Kinn ganz gelassen auf seinem Krückhaken liegen blieb.</p> + +<p>Ob nun der Druck von unten meines Onkels Toby Gesicht zu einem +angenehmeren Oval verkürzte, oder ob die Menschenliebe seines Herzens, +als er seinen Bruder sich aus dem See seiner Leiden hervorarbeiten sah, +seine Muskeln angeschwellt hatten, so daß der Druck auf sein Kinn bloß +die Leutseligkeit verdoppelte, die man vorher darin sah, ist nicht +schwer zu entscheiden. Mein Vater, als er die Augen auf ihn richtete, +ward von einem solchen Sonnenscheine aus seinem<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> Gesicht bestrahlt, daß +dadurch augenblicklich die Starrheit seiner Traurigkeit auftaute.</p> + +<p>Er brach folgendermaßen das Stillschweigen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_39"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Hat wohl jemals, Bruder Toby,« sagte mein Vater, indem er sich auf +seinen Ellenbogen stemmte und sich nach der anderen Seite des Bettes +kehrte, während mein Onkel Toby auf dem alten befransten Stuhle saß und +das Kinn auf seine Krücke gestützt hielt, »ein armer, unglücklicher +Mann so vielen Hieben standhalten müssen?« — »Die meisten, die ich +habe austeilen sehen,« sagte mein Onkel Toby, »bekam ein Grenadier. +Ich glaube« — hier klingelte er mit der Glocke, Trim zu rufen — +»in Mackays Regiment.« — Hätte mein Onkel Toby meinem Vater eine +Musketenkugel durchs Herz gejagt, er hätte nicht plötzlicher Knall und +Fall mit der Nase aufs Kissen fallen können.</p> + +<p>»Gott bewahre!« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_40"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Einundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»War's nicht in Makays Regiment,« fragte mein Onkel Toby, »als zu +Brügge der Grenadier der Dukaten wegen so erschrecklich viele Hiebe +bekam?« — »Ach lieber Gott, er hatte keine Schuld!« schrie Trim mit +einem tiefen Seufzer. »Und er ward, mit Euer Gnaden Erlaubnis zu +melden, fast zu Tode gepeitscht. Sie hätten ihn lieber totschießen +sollen, wie er sie bat, so wäre er gerade in den Himmel gefahren, denn +er war so unschuldig wie Euer Gnaden.« — »Dank Ihm, Trim,« sagte mein +Onkel Toby. — »Ich kann niemals<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> an sein,« fuhr Trim fort, »oder +meines armen Bruders Tom Unglück denken, denn wir waren alle drei +Schulkameraden, ohne daß ich weinen muß wie 'ne alte Vettel.« — »Man +ist nicht gleich eine alte Vettel, wenn man weint, Trim; mir kommen +selbst zuweilen Tränen in die Augen.« — »Ich hab's Euer Gnaden wohl +angemerkt,« versetzte Trim, »und darum schäme ich mich auch nicht +davor. Wenn man aber, mit Euer Gnaden Respekt,« fuhr Trim fort, wobei +sich eine Träne in seinen Augenwinkel drängte, als er sprach, »wenn +man aber an zwei so brave Jungen denkt, die ein so warmes und schönes +Herz hatten, wie sie nur je aus Gottes Backofen kommen können, so ganz +ehrlicher Leute Kinder, die so ganz in Gottes Namen in die weite Welt +gehen, sich in etwas zu versuchen, und müssen dann so in die Patsche +fallen! Armer Tom, so behandelt zu werden! Und in der Welt nichts getan +haben, als eine Judenwitwe gefreit, die Bratwürste verkaufte! Und des +armen Dick Johnsens Seele aus dem Leibe zu karbatschen, und das wegen +der Dukaten, die ein anderer Mann in seinen Rucksack gesteckt hatte! — +O, so was nenne ich Unglück,« rief Trim, und langte sein Taschentuch +hervor. »Unglück, Euer Gnaden, daß man seine blutigen Tränen darüber +weinen sollte.«</p> + +<p>Meinem Vater trat die Schamröte ins Gesicht.</p> + +<p>»Es wäre schade, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wenn Er jemals selbst +Not und Sorgen erleben sollte! Er beklagt andere Leute so gutherzig!« +— »Ach lieber Gott!« versetzte der Korporal, und sein Gesicht heiterte +sich auf. »Euer Gnaden wissen ja, ich habe weder Weib noch Kind, ich +kann keine Not und Sorgen in dieser Welt haben.« — Mein Vater mußte +lächeln. — »So wenig, als ein Mensch haben kann, Trim,« erwiderte mein +Onkel Toby; »ich kann auch nicht absehen, was ein Mann von einem so +zufriedenen Herzen wie Er für Kummer leiden könnte; es sei denn Furcht<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> +vor Armut in seinen alten Tagen. Wenn Er nicht mehr dienen kann, Trim, +wenn Ihm alle seine Freunde abgestorben sind —« — »So arg wird's, mit +Euer Gnaden Wohlnehmen, nicht werden,« versetzte Trim. — »Ich wollte +aber auch nicht, Trim, daß es so arg werden sollte,« erwiderte mein +Onkel Toby, »und eben deswegen,« fuhr er fort, wobei er die Krücke +niederwarf und sich auf seine Füße stellte, als er das Wort <em class="gesperrt">eben +deswegen</em> aussprach, »soll Er, Trim, für seine vieljährige Treue +gegen mich und für sein gutes Herz, davon ich soviele Proben habe, +solange sein Herr noch einen Gulden im Vermögen hat, keinen anderen +Menschen um das geringste ansprechen.« Trim bestrebte sich, meinem +Onkel Toby zu danken, konnte aber nicht. Die Tränen liefen ihm häufiger +die Wangen hinunter, als er sie abwischen konnte. Er legte seine Hände +auf seine Brust, bückte sich bis auf die Erde und machte die Türe zu.</p> + +<p>»Ich habe Trim meinen grünen Spielplatz vermacht,« rief mein Onkel +Toby. — Mein Vater lächelte. — »Ich habe ihm dazu jährlich ein +Gewisses verschrieben,« fuhr mein Onkel Toby fort. — Mein Vater ward +ernsthaft.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_41"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ist dies wohl eine schickliche Zeit, sagte mein Vater zu sich selbst, +von Vermächtnissen und von Grenadieren zu sprechen?</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_42"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreiundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als mein Onkel Toby zuerst des Grenadiers erwähnte, fiel mein Vater, +sagte ich, mit der Nase platt aufs Kissen, und das so schnell, als +ob ihn mein Onkel Toby erschossen<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> hätte. Es wurde aber nicht dabei +gesagt, daß jedes andere Glied und Gelenk meines Vaters im selben +Augenblick mit seiner Nase wieder in die vorhin beschriebene Stellung +verfiel, so daß, als Trim hinausging und mein Vater Lust bekam, das +Bett zu verlassen, er alle die vorhergehenden kleinen Bewegungen +noch einmal durchlaufen mußte, ehe er's bewerkstelligen konnte. — +Stellungen sind nichts, Madame. In dem Übergange von einer Stellung +zur anderen, gleichwie man die Dissonanzen präpariert und hernach in +Konsonanzen auflöst, darin steckt alles.</p> + +<p>Aus dieser Ursache pedalierte mein Vater von neuem sein Stückchen, +stieß den Kammertopf noch ein wenig weiter unter das Bett, tat sein +Hm! — richtete sich auf seinen Ellenbogen in die Höhe und wollte eben +meinen Onkel Toby anreden, als er sich besann, wie schlecht es ihm +vorher in dieser Stellung gelungen sei. Er machte sich also auf die +Füße, und nachdem er dreimal auf und nieder gegangen war, blieb er vor +meinem Onkel Toby stehen. Und indem er den Vorderfinger seiner rechten +Hand in die flache Linke legte und sich ein wenig niederbeugte, redete +er meinen Onkel Toby folgendermaßen an:</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_43"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Wenn ich so meine Gedanken habe, Bruder Toby, über den Menschen, und +so diese Seite an ihm beschaue, die sein Leben so manchen Ursachen der +Mühseligkeit bloßstellt, — wenn ich so bedenke, Bruder Toby, wie oft +wir das Jammerbrot essen, und daß wir dazu geboren sind, wie zu unserem +Erbschaftsteile.« — »Ich ward zu nichts geboren,« sagte mein Onkel +Toby und fiel meinem Vater in die Rede, »als zu meiner Monatsgage.« +— »Seht doch,« sagte mein Vater,<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> »hat dir mein Onkel nicht jährlich +hundertundzwanzig Pistolen vermacht?« — »Ja, wie hätte ich's sonst +machen sollen?« erwiderte mein Onkel Toby. — »Das ist eine andere +Frage,« sagte mein Vater ein wenig mürrisch. »Aber ich sage, Toby, wenn +man so die Liste von Klitterschulden und täglichen Items durchläuft, +womit das Herz des Menschen belastet und beschwert ist, so muß man sich +wundern, durch was für heimliche Zuflüsse das Gemüt instand gesetzt +wird, es auszuhalten und noch die Auflagen so abzutragen, die unserer +Natur aufgebürdet sind.« — »Durch Hilfe des allmächtigen Gottes,« rief +mein Onkel Toby mit gen Himmel gerichteten Augen und festgefalteten +Händen, »geschieht das. Nicht durch unsere eigene Kraft, Bruder +Walter. Eine Schildwache in einem hölzernen Schilderhäuschen könnte +ebensoleicht gegen ein Detachement von fünfzig Mann standhalten wollen. +Die Gnade und der Beistand des allerliebreichsten Wesens hält uns +aufrecht.« — »Das heißt den Knoten zerhauen,« sagte mein Vater, »und +nicht auflösen. Aber erlaube mir, Bruder, daß ich dich ein wenig tiefer +ins Geheimnis einführe.«</p> + +<p>»Gern, gern,« erwiderte mein Onkel Toby.</p> + +<p>Mein Vater änderte alsobald die Stellung, in der er war, in die +Stellung, in der Raffael in seiner Athenienser Schule den Sokrates +so vortrefflich dargestellt hat. In welcher Stellung, wie Euer +Kennerschaft wissen, sogar die eigentümliche Lehrart des Sokrates +ausgedrückt liegt. Denn er hält den Zeigefinger seiner linken Hand +zwischen dem Zeigefinger und Daumen seiner Rechten, und scheint zu dem +Gauche, den er zurechtweisen will, zu sagen: »Das räumst du mir ein und +dies und dies, und das frage ich nicht einmal, weil's natürlich von +selbst folgt.«</p> + +<p>So stand mein Vater, hielt den einen Zeigefinger zwischen dem anderen +Zeigefinger und Daumen, und philosophierte mit meinem Onkel Toby, der +auf dem alten Tapetenstuhle<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> saß, der mit abgebleichten, verwitterten +Fransen besetzt war. — O Garrick, was würdest du mit deiner Kunst +hieraus für einen reichhaltigen Auftritt machen! Und wie gerne schrieb +ich noch so einen, um mich an deine Unsterblichkeit zu schmiegen und +mich dahinter der meinigen zu versichern.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_44"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Obgleich der Mensch das herrlichste Fuhrwerk von allen ist,« sagte +mein Vater, »so ist's gleichwohl dabei so leicht gebaut und so wackelnd +gefügt, daß die harten Püffe und Stöße, die es in dieser höckerigen +Fahrt des Lebens ausstehen muß, jeden Tag es wohl zwölfmal umwerfen und +in Stücke bröckeln würden, hätten wir nicht, mein lieber Toby, eine +geheime Stahlfeder in uns.« — »Das muß wohl, meine ich,« sagte mein +Onkel Toby, »nichts anderes sein als die Religion.« — »Will die meines +Kindes Nase ansetzen?« rief mein Vater, indem er den Finger losließ +und eine Hand gegen die andere schlug. — »Sie macht alles eben und +schlicht,« antwortete mein Onkel Toby. — »Das mag figürlich recht wohl +sein, mein guter Toby,« sagte mein Vater. »Die Stahlfeder aber, von der +ich spreche, ist diejenige große und elastische Kraft in unserem Wesen, +den Übeln entgegenzuwirken, die wie eine verborgen angebrachte Feder in +einem gutgemachten Wagen zwar nicht den Stoß abwendet, aber doch macht, +daß wir ihn weniger fühlen.«</p> + +<p>»Und siehe nun, mein lieber Bruder,« sagte mein Vater, und faßte +seinen Zeigefinger wieder, als er näher zur Hauptsache kam. »Wäre mein +Kind ganz und gut zur Welt gekommen, dann wäre es nicht an seinem +köstlichsten Gliede ein Märtyrer geworden. Siehe, so ein Grillenfänger +und Sonderling ich der Welt in meiner Meinung über die Taufnamen<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> auch +immer scheinen mag, so ist doch der Himmel mein Zeuge, daß ich in der +Ergießung der heißesten Wünsche für die Wohlfahrt meines Kindes nie +gewünscht habe, sein Haupt mit mehr Ruhm und Ehre zu krönen, als womit +Georg und Eduard es bekränzen könnten.</p> + +<p>Aber nun, leider,« fuhr mein Vater fort, »da ihm das größte Unglück +überkommen ist, muß ich dem entgegenwirken und es durch das größte +Glück aufheben.</p> + +<p>Er soll <em class="gesperrt">Trismegistus</em> getauft werden, Bruder.«</p> + +<p>»Daß es gut anschlage, wünsche ich!« versetzte mein Onkel Toby und +stand dabei auf.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_45"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Sechsundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Was für ein Kapitel von Glückschancen,« sagte mein Vater, wobei er auf +dem ersten Treppenabsatze sich umkehrte, als er mit meinem Onkel Toby +hinuntergehen wollte. »Was für ein Kapitel von Chancen zeigen uns nicht +die Begebnisse dieser Welt. Nimm Feder und Tinte, Bruder Toby, und +kalkuliere einmal richtig.« — »Ich weiß soviel von der Kalkulation als +das Geländer da!« Er schlug dabei mit der Krücke darauf, die glitt aber +ab und versetzte meinem Vater einen derben Schlag vors Schienbein. »Es +war hundert gegen eins!« rief mein Onkel Toby. — »Ich meinte,« sagte +mein Vater und rieb sich das Schienbein, »ich meinte, du wüßtest nichts +von Kalkulationen, Bruder Toby.« — »Ich kann nichts dafür, es ist ein +Zufall.« — »So ist das Kapitel um eins vermehrt,« versetzte mein Vater.</p> + +<p>Die zweifache Gelegenheit, da mein Vater eine witzige Antwort anbringen +konnte, vertrieb ihm auf einmal die Schmerzen aus dem Schienbein. Es +war ein Glück. — Schon wieder eine Chance. — Sonst wüßte die Welt +bis auf den<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> heutigen Tag noch nicht, was mein Vater kalkuliert haben +wollte. Es zu erraten, dafür war keine einzige Chance. — Was für ein +glückliches Kapitel von Chancen dieses geworden ist! Dadurch habe ich +die Mühe, ausdrücklich eins darüber zu schreiben, und wahrhaftig, ich +habe ohnedies schon alle Hände voll zu tun.</p> + +<p>»Nimm Feder und Tinte zur Hand, und kalkuliere genau, Bruder Toby,« +sagte mein Vater. »Und es wird herauskommen wie eine Million zu eins, +daß der Rand des Forceps so unglücklicherweise unter allen Gliedern +des Körpers gerade auf das eine fallen und es niederdrücken mußte, das +zugleich das Glück unserer Familie mit unterdrückt.«</p> + +<p>»Es hätte ärger werden können,« versetzte mein Onkel Toby. — »Das sehe +ich nicht ein,« sagte mein Vater. — »Wenn das Kind verkehrt gelegen +hätte, was meinst du,« sagte mein Onkel Toby, »wie sich's Doktor Slop +entfallen ließ!«</p> + +<p>Mein Vater dachte eine halbe Minute nach, sah auf die Erde, legte +seinen Finger locker an seine Stirn:</p> + +<p>»Wahr!« sagte er.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_46"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ist's nicht eine Schande, zwei Kapitel aus dem zu machen, was vorging, +unterdessen man die Treppe hinunterstieg? Denn weiter als bis zum +ersten Treppenstuhle sind wir noch nicht gekommen und haben noch +fünfzehn Stufen bis ganz hinunter. Und nach meines Vaters und meines +Onkels Toby Gesprächigkeit zu urteilen, kann's noch ebensoviel Kapitel +geben wie Stufen. Lassen Sie's gehen, mein Herr, ich kann ebensowenig +dafür als für meinen Tod. Da kommt mir's auf einmal vor, als gäbe mir's +einer ein: Laß den Vorhang fallen, Shandy.<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> Ich ließ ihn fallen. Zieh +eine Querlinie über dein Papier, Tristram! Ratsch! da steht sie — und +heida! zu einem neuen Kapitel.</p> + +<p>Kein Lineal habe ich, nach dem ich mich in diesem Geschäfte richte. Und +hätte ich eins, da ich lieber alles aus freier Faust tue, ich bräche es +lieber vor den Knien in Stücke und würfe es ins Feuer. Werde ich warm? +Ja, ich werde es, und die Ursache läßt es nicht anders zu. Seht doch! +Soll sich der Mann nach Regeln und Linealen richten, oder sie nach ihm?</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_47"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Wir wollen noch alles wieder in Ordnung bringen,« sagte mein Vater, +als er den Fuß auf den ersten Tritt vom Treppenabsatz setzte. »Dieser +Trismegistus,« fuhr mein Vater fort, indem er das Bein wieder zurückzog +und sich zu meinem Onkel Toby wandte, »war das größte, Toby, von allen +irdischen Wesen. Er war der größte König, der größte Gesetzgeber, der +größte Philosoph, und der größte Priester.« »Und Ingenieur!« sagte mein +Onkel Toby.</p> + +<p>»Versteht sich,« sagte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_48"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Was macht Ihre Wochenbetterin?« Schrie mein Vater, der abermal den +Schritt vom Treppenabsatz heruntertat und Susanna anrief, die er eben +unten an der Stiege mit einem großen Nadelkissen vorbeigehen sah. »Was +macht Ihre Wochenbetterin?« — »Recht gut, nach den Umständen,« sagte +Susanna im Vorbeigehen, ohne heraufzusehen. — »Was für ein Tor ich +bin!« sagte mein Vater, der sein Bein abermals<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> zurückzog. »Laß das +Befinden sein, wie es will, Bruder Toby, so ist das die ewige Antwort. +Und wie ist's mit dem Kinde? Keine Antwort. Und wo ist Herr Doktor +Slop?« fuhr mein Vater fort, mit lauterer Stimme, und sah dabei übers +Geländer. Fort war Susanna.</p> + +<p>»Unter allen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte mein Vater und ging +über den Treppenabsatz, um sich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen, +derweile er meinem Onkel Toby die Sache vortrug. »Unter allen den +verworrenen Rätseln des ehelichen Lebens,« sagte er, »davon man, du +kannst dich auf meine Erfahrung verlassen, Bruder Toby, davon man +mehr Esel bepacken könnte, als Hiobs ganze Herde Esel ausmachte, ist +keins so schwer zu lösen als dieses, daß, Sobald die Frau des Hauses +in die Wochen gekommen, jedes Weibsbild im Hause, von Madame ihrem +Kammermädchen an bis auf das geringste Scheuermädchen, einen Zoll höher +wächst, und sich dieses einzigen Zolls wegen mehr in die Brust wirft +als aller ihrer übrigen Zölle wegen zusammengenommen.«</p> + +<p>»Ich denke vielmehr,« antwortete mein Onkel Toby, »daß wir es sind, +die einen Zoll einschrumpfen. Wenn ich nur einer schwangeren Frau +ansichtig werde! — Es ist eine schwere Last, die dieser Hälfte unserer +Mitgeschöpfe aufgelegt ist, Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby. +»'s ist wohl eine klägliche Bürde,« fuhr er fort, und schüttelte den +Kopf. — »Ja, ja, 's ist eine mühselige Sache,« sagte mein Vater, und +schüttelte seinen Kopf gleichfalls. Aber seitdem das Kopfschütteln Mode +gewesen ist, schüttelten nie zugleich zwei Köpfe konzertmäßig zusammen +aus so verschiedenen Ursachen.</p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»Gott bewahre   }</span><br> +<span style="margin-left: 2em;">»Der Henker hole } sie alle,«</span><br> +</p> + +<p>sagten mein Onkel Toby und mein Vater zugleich bei sich.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_49"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span></p> + +<h2>Fünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Holla! — guter Freund, Lastträger! Da hat Er drei Groschen, geh' Er +doch nach jenem Buchladen und hole Er mir einen handfesten Kritiker +her. Ich will gerne einem jeden von ihnen einen Gulden geben, wenn er +mir mit seinen kritischen Seiten und Winden helfen will, meinen Vater +und meinen Onkel Toby die Treppe herunter und zu Bette zu bringen.</p> + +<p>Es ist die höchste Zeit; denn außer dem kleinen Nicker, den sie taten, +derweile Trim die Steifstiefel bohrte, und wovon, nebenher gesagt, +mein Vater keinen Nutzen hatte, wegen der bösen Türangel, haben sie +seit neun Stunden vor der Zeit, da Doktor Slop von Obadiah in die +Hinterstube geführt ward, kein Auge zugetan.</p> + +<p>Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben ein so geschäftsvoller Tag +sein und soviel Zeit wegnehmen, wahrhaftig: so —</p> + +<p>Ich will die Periode nicht ausschreiben, bis ich eine Bemerkung über +den sonderbaren Zustand der Sache, zwischen dem Leser und mir selbst, +so wie gerade jetzt die Sachen stehen, gemacht habe. Eine Bemerkung, +die noch niemals auf einen biographischen Schriftsteller, solange die +Welt steht, gepaßt hat, und, wie ich glaube, auf niemand anderes wird +anwendbar werden, bis zu ihrem letzten Untergange, außer auf mich. +Und deshalb, schon der Neuheit wegen, wird solche Euer Wohlgeboren +Aufmerksamkeit wert sein.</p> + +<p>Ich bin diesen Monat ein ganzes Jahr älter als heute vor zwölf Monaten, +und da ich, wie Sie sehen, schon fast bis auf die Hälfte meines Buches +gelangt bin — und noch nicht weiter als bis auf den ersten Tag meines +Lebens gekommen bin, so ist es demonstrativ klar, daß ich schon jetzt +dreihundertvierundsechzig Tage mehr zu schreiben habe als ich<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> zuerst +begann, daß ich, anstatt, wie ein gewöhnlicher Schriftsteller getan, +mit dem, was ich daran getan, weiterzukommen vielmehr gerade soviel +Bände zurückgekommen bin. Sollte noch jemals ein Tag in meinem Leben +ein so geschäftiger Tag sein, wie dieser? — Und warum nicht? — Warum +sollten sie kürzer abgefertigt werden? Da ich auf diese Weise gerade +dreihundertvierundsechzig Tage geschwinder lebte, als ich schreibe, so +muß, mit Euer Wohlgeboren Erlaubnis, daraus folgen, daß ich, je mehr +ich zu schreiben haben werde, und folglich, je mehr Euer Wohlgeboren +lesen, je mehr werden Euer Wohlgeboren zu lesen haben.</p> + +<p>Wird dies zuträglich sein für Euer Wohlgeboren Augen?</p> + +<p>Für meine wenigstens, und, sollten mir meine Meinungen nicht den Hals +kosten, so seh' ich schon, werde ich von diesem meinem Leben ein +hübsches Leben führen, oder, mit andern Worten, ich werde ein paar +hübsche Leben zugleich führen.</p> + +<p>Der Vorschlag, jedes Jahr zwölf Bände, oder jeden Monat einen zu +geben, verändert meine Aussicht gar nicht. — Laß mich schreiben, wie +ich mag und wie ich will, nach Horazens Rat, mitten in meine Materie +hineinfallen, ich werde mich niemals einholen. Trotz alles Treibens und +Peitschens, wenn auch das Ärgste zum Argen kommen sollte, habe ich doch +immer einen Tag vor meiner Feder voraus. — Ein Tag ist genug für zwei +Bände, und zwei Bände werden genug sein für ein Jahr.</p> + +<p>Der Himmel gebe nur seinen Segen zur Papiermacherei unter dieser +glückverkündenden Regierung, die für uns angefangen hat. Wie ich das +Vertrauen habe, er werde alles übrige segnen, was darunter vorgenommen +wird.</p> + +<p>Die Vernehmung der Gänse — o, die macht mir keinen Kummer — die Natur +ist immer gütig. An Werkzeug zum Schreiben wird mir's nie gebrechen.</p> + +<p>So, also, guter Freund, haben Sie meinen Vater und<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> meinen Onkel +Toby die Treppen herunter und zu Bette gebracht? Und wie haben Sie +das zustande gebracht? Sie ließen unten vor der Treppe einen Vorhang +fallen. — Ich dachte gleich, daß es nicht anders gehen würde. Da haben +Sie einen Gulden für Ihre Mühe.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_50"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Einundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»So gebe Sie mir meine Beinkleider vom Stuhle her,« sagte mein Vater zu +Susanna. »Sie haben keinen Augenblick Zeit, sich anzukleiden, Herr,« +sagte Susanna. »Das Kind ist so schwarz im Gesichte, wie mein —« »Wie +Ihr, was?« sagte mein Vater. Denn wie alle Rhetoriker, war er ein +sorgfältiger Untersucher der Gleichnisse. »O, Himmel, Herr, das Kind +hat die Bangigkeit.« — »Und wo ist Herr Yorick?« »Ist nirgends zu +finden,« sagte Susanna, »aber sein Kaplan ist im Besuchzimmer und hat's +Kind schon auf dem Arme, und wartet auf den Namen. Und Madame sagte +mir, ich sollte geschwind laufen und fragen, weil doch Herr Kapitän +Shandy Gevatter ist, ob's nicht nach ihm heißen sollte.«</p> + +<p>»Wenn man gewiß wüßte,« sagte mein Vater zu sich selbst und strich die +Augenbrauen, »daß das Kind nicht aufkäme, täte man gut, dem Bruder Toby +das Kompliment zu machen. 's wäre in dem Fall schade, einen so großen +Namen wie Trismegistus daran zu verschwenden. Aber es kann besser +werden.« —</p> + +<p>»Nein, nein,« sagte mein Vater zu Susanna, »ich will aufstehen.« — +»'s ist keine Zeit,« schrie Susanna, »das Kind ist so schwarz wie mein +Schuh.« — »Trismegistus,« sagte mein Vater. »Aber warte Sie, Sie ist +ein durchlöchertes Sieb, Susanna,« setzte mein Vater hinzu. »Kann Sie +wohl Tris-me-gi-stus in Ihrem Kopfe über die Galerie tragen, ohne +etwas<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> davon zu verlieren.« — »Das dächt' ich!« rief Susanna, und +schlug mit aufgeworfener Nase die Tür zu. »Ich will mich hängen lassen, +wenn ich's denke,« sagte mein Vater, und sprang im Finstern aus dem +Bette und suchte nach seinen Beinkleidern.</p> + +<p>Susanna rannte eilig über die Galerie.</p> + +<p>Mein Vater tat, was er konnte, seine Beinkleider zu finden.</p> + +<p>Susanna gewann den Vorsprung und behielt ihn. »'s ist Tris — oder +so was,« rief Susanna. »Es ist kein anderer christlicher Name in der +Welt,« sagte der Kaplan, »der mit Tris anfängt, als Tristram.« »Ja, ja. +Tristram-gi-stus,« sagte Susanna.</p> + +<p>»'s ist nichts zu gistussen dabei,« sagte der Kaplan, »'s ist mein +eigener Name,« und fuhr dabei mit der Hand ins Taufbecken. »Tristram!« +sagte er, »ich — usw.« So ward ich Tristram getauft, und Tristram +werde ich wohl heißen bis an mein seliges Ende.</p> + +<p>Mein Vater folgte der Susanna, mit dem Schlafrocke über dem Arme und +mit nichts weiter am Leibe als seinen Beinkleidern, die, der Eile +wegen, nur mit einem Knopf zugeknöpft waren. Und dieser Knopf saß, der +Eile wegen, nur halb in seinem Knopfloche.</p> + +<p>»Sie hat doch den Namen nicht vergessen?« schrie mein Vater, als er die +Tür nur erst halb geöffnet hatte. — »Nein, nein,« sagte der Kaplan, +mit einem schlauen Tone. — »Und das Kind ist besser,« rief Susanna. +— »Und was macht Ihre Wöchnerin?« — »Recht gut, nach den Umständen,« +sagte Susanna. — »Pitsch!« sagte mein Vater, und der Hosenknopf sprang +aus dem Knopfloche. So daß, ob das Pitsch auf die Susanna oder auf das +Knopfloch ging, ob es eine Interjektion der Verachtung oder der Scham +war, im Zweifel ist und so lange im Zweifel bleiben wird, bis ich Zeit +gewinne.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p> + +<p>Alles Licht, was ich für jetzt dem Leser geben kann, besteht darin, daß +mein Vater in dem Augenblick, da er pitsch! sagte, sich herumdrehte, +mit der einen Hand seine Beinkleider in die Höhe hielt und mit dem +Schlafrock auf dem anderen Arme wieder über die Galerie hin nach seinem +Bette ging, etwas langsamer, als er gekommen war.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_51"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Wenn's meine Frau nur wagen will, Bruder Toby, so sollen sie +Trismegistus anziehen und zu uns herunterbringen, derweile du und ich +unseren Tee trinken. — Geh Er, Obadiah, und sage Er Susanna, sie soll +hierherkommen.«</p> + +<p>»Sie ist eben hinaufgerannt,« antwortete Obadiah, »und seufzt und heult +und ringt die Hände, als ob ihr das Herz in Stücke springen wollte.« —</p> + +<p>»Das werden hübsche sechs Wochen werden,« sagte mein Vater, wendete +sich von Obadiah weg und sah meinem Onkel Toby einige Zeit steif ins +Gesicht. »Hübsche sechs Wochen werden wir erleben, Bruder Tob,« sagte +mein Vater und stemmte seine Arme in die Seiten. »Feuer, Wasser, +Weiber, Wind — Bruder Toby!« — »'s ist wieder ein Unglück,« sagte +mein Onkel Toby. »Das ist's,« sagte mein Vater. »So viele widersinnige +Elemente, die losbrechen und in jedem Winkel dieses Hauses im Triumph +herumfahren. Es fruchtet der Ruhe einer Familie sehr wenig, Bruder +Toby, daß du und ich über uns selbst Meister sind und hier still und +ruhig sitzen, derweile solch ein Sturm über unseren Häuptern pfeift.«</p> + +<p>»Und was hat Sie denn zu winseln, Susanna?« — »Sie haben das +Kind Tristram getauft — und meine Madame hat darüber eben einen +hysterischen Anfall gehabt. — Nein,<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> ich kann nichts dafür,« sagte +Susanna, »ich hab's ihm recht gesagt, Tristramgistus.«</p> + +<p>»Mache nur Tee für dich alleine, Bruder Toby,« sagte mein Vater und +nahm seinen Hut von der Wand. Wie verschieden aber von Aufwallungen und +Bewegungen, die sich ein gewöhnlicher Leser dabei vorstellen möchte!</p> + +<p>Er sprach in der sanftesten Modulation und nahm den Hut mit der +gelindesten Bewegung seines Armes herab, die nur jemals die Betrübnis +mit der Harmonie zusammenbrachte.</p> + +<p>»Geh Er nach dem Spielplatze und rufe Er Trim,« sagte mein Onkel Toby +zu Obadiah, sobald mein Vater das Zimmer verließ.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_52"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreiundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als das Unglück mit meiner Nase so schwer auf meines Vaters Haupt fiel, +wie sich der Leser erinnert, ging er flugs treppauf und warf sich +über sein Bette. Hieraus, oder er müßte eine tiefe Einsicht in die +menschliche Natur haben, wird er geneigt sein, eine Reihe ebensolcher +steigender und fallender Bewegungen über das Unglück mit meinem Namen +von ihm zu erwarten. Nichts!</p> + +<p>Das verschiedene Gewicht, mein teurer Herr. Ja was, Gewicht? Das +verschiedene Gepäck zweier Widerwärtigkeiten, von einer — macht schon +eine himmelweite Verschiedenheit in unserer Art und Weise, wie wir +solche aufnehmen und tragen. Noch keine halbe Stunde ist es her, daß +ich — in der großen Eile und Hast eines armen Teufels, der ums liebe +tägliche Brot schreibt — einen druckfertigen Bogen, den ich eben +sorgfältig rein abgeschrieben hatte, anstatt der Kladde patsch ins +Feuer warf.</p> + +<p>Stracks riß ich mir die Perücke ab und warf sie mit aller möglichen +Gewalt gerade auf den Balken. Ich fing sie zwar<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> im Herunterfallen +wieder auf. Aber damit war's auch vorbei, und denke ich auch nicht, +daß sonst etwas in der Natur mir eine so unmittelbare Erleichterung +verschafft hätte. Sie, die teure Göttin, treibt uns durch eine +plötzliche Anwandlung, in allen aufreizenden Fällen, zu einem Ausfalle +mit diesem oder jenem Gliede. Oder sie wirft uns an diesen oder jenen +Platz oder an diese oder jene Stellung des Körpers. Wir wissen nicht, +wie? Merken Sie aber, Madame, wir sind von Geheimnissen und Rätseln +umringt. Die einfachsten Dinge, die uns umgeben, haben ihre dunklen +Seiten, die der Scharfsichtigste nicht durchschauen kann. Selbst der +hellste und größte Kopf unter uns befindet sich fast bei jedem Riß im +Werke der Natur in Verlegenheit und weiß nicht, was er daraus machen +soll. Dieses so gut wie tausend andere Dinge fallen auf eine solche Art +für uns aus, von der wir zwar die Ursache nicht ergründen, von der wir +aber, mit Euer Hochwürden und Euer Wohlgeboren Genehmigung den Nutzen +ziehen können. Und das ist genug für uns.</p> + +<p>Nun konnte mein Vater sich ums Leben mit dieser Betrübnis nicht +niederlegen, konnte sie auch nicht, wie die andere, die Treppen +hinauftragen. Er ging ganz gesetzt damit spazieren zum Fischteiche.</p> + +<p>Hätte mein Vater den Kopf in die Hand gelegt, und eine Stunde darüber +nachgedacht, welchen Weg er nehmen müßte, die Vernunft mit aller ihrer +Stärke hätte ihm nichts Besseres anweisen können. Herr, es steckt so +etwas in den Fischteichen! Was es aber ist, das überlasse ich den +Systemschmieden und Fischteichgräbern untereinander ausfindig zu +machen. Für die erste aufwallende Leidenschaft ist ein Spaziergang +zum Fischteich etwas unbegreiflich Besänftigendes, daß ich mich oft +gewundert habe, wie weder Pythagoras, noch Plato, noch Solon, noch +Lykurg, noch Mohammed oder sonst einer der berühmten Gesetzgeber jemals +das geringste davon erwähnt haben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span></p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_53"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Euer Gnaden,« sagte Trim und machte die Tür zu, ehe er zu reden +begann, »haben, glaube ich, von dem Unglück gehört, das vorgefallen +ist.« — »O ja, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es geht mir sehr nahe.« +— »Mir geht's auch recht nahe, ich hoffe aber, Euer Gnaden,« erwiderte +Trim, »kennen mich und wollen also nur nicht glauben, daß ich die +geringste Schuld daran habe.« — »Er, Trim?« rief mein Onkel Toby, +und sah ihm gütig ins Gesicht. »Susannens und des Kaplans Unverstand +ist's.« — »Aber, Euer Gnaden, was konnten die miteinander im Garten zu +schaffen haben?« — »Auf der Galerie, meint Er, Trim,« erwiderte mein +Onkel Toby.</p> + +<p>Trim merkte, daß er auf einer falschen Fährte sei und brach mit +einem tiefen Bückling kurz ab. Zwei Unglücke, sagte der Korporal bei +sich selbst, sind mindestens zweimal soviel, als für eine Nachricht +erforderlich ist. Das Unheil, das die Kuh in unseren Fortifikationen +angerichtet hat, kann ich dem gnädigen Herrn schon hernach erzählen. +Trims listige Kasuisterei unter dem Deckmantel seines tiefen Bücklings +kam allem Argwohn meines Onkels Toby zuvor, der also mit dem, was er +Trim zu sagen hatte, fortfuhr:</p> + +<p>»Ich für mein Teil, Trim, sehe wenig oder gar keinen Unterschied +dabei, ob mein Neffe Tristram oder Trismegistus heißt. Da aber die +Sache meinem Bruder so sehr zu Herzen geht, Trim, so wollte ich noch +gerne hundert Louisdor aus meiner Tasche drum geben, daß es nicht +geschehen wäre.« — »Hundert Louisdor, Euer Gnaden!« erwiderte Trim. +— »Ich würde nicht einen Heller für diese Taufe geben.« — »Ich gäbe +auch nichts drum, Trim, wenn's nur auf mich ankäme,« sagte mein Onkel +Toby. »Aber mein Bruder, der sich darüber nichts singen noch Sagen +läßt, behauptet, daß an dem Taufnamen<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> viel mehr gelegen ist, als +Ungelehrte wohl meinen! Denn er sagt, solange die Welt steht, hätte +noch kein Mann, der Tristram geheißen, eine große oder heldenmäßige Tat +ausgerichtet. Ja, wenn's nach ihm geht, Trim, so kann ein Mensch weder +gelehrt sein, noch weise, noch tapfer, der nicht —« »'s ist nichts +dran, mit Euer Gnaden Wohlnehmen. — Ich focht ebensogut,« versetzte +der Korporal, »als ich im Regimente Trim hieß, als da sie mich Jakob +Butler hießen.« — »Was mich anbelangt, ob ich mich gleich vor Eigenlob +schämen würde, Trim, aber hätte ich auch Alexander geheißen, ich hätte +doch bei Namur nicht mehr tun können als meine Pflicht.« — »Gott ehre +mir Euer Gnaden,« schrie Trim, und avancierte bei den Worten drei +Schritte. »Denkt ein Mann wohl an seinen Taufnamen, wenn er ins Treffen +geht?« — »Oder, Trim, wenn er in den Laufgräben steht?« schrie mein +Onkel Toby mit standhaftem Blick. — »Oder wenn er auf eine Bresche +losmarschiert?« sagte Trim und drang zwischen zwei Stühle. — »Oder +die Linien verstärkt?« schrie mein Onkel Toby, wobei er aufstand und +seine Krücke fällte, wie eine Picke. »Oder dem feindlichen Pluto in das +Weiße im Auge sieht,« rief Trim, indem er mit seinem Stocke einen Hieb +ausführte. »Oder wenn er einen Wall hinaufmarschiert,« rief mein Onkel +Toby, wobei er erhitzt aussah und seinen Fuß auf den Stuhl setzte.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_54"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Vater war von seinem Spaziergange nach dem Fischteiche +zurückgekommen und öffnete die Türe des Zimmers, gerade in der größten +Hitze des Angriffs, als eben mein Onkel Toby den Wall hinanmarschierte +und Trim wieder laden wollte. In seinem Leben war mein Onkel Toby noch +auf<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> keinem so verzweifelten Galopp überrascht worden. O, lieber Onkel +Toby! hätte nicht eine wichtigere Sache alle bare Beredsamkeit meines +Vaters erheischt — wie lahm und jämmerlich würdest du mit deinem armen +Steckenpferde davongekommen sein.</p> + +<p>Mein Vater hing seinen Hut mit ebender Miene wieder auf, mit der er +ihn vom Nagel genommen hatte. Und als er einen flüchtigen Blick auf +die Unordnung im Zimmer getan hatte, nahm er einen von den Stühlen, +aus denen der Korporal eine Bresche gemacht hatte, setzte ihn meinem +Onkel Toby gegenüber, ließ sich darauf nieder, und sobald das Teezeug +weggenommen und die Türe zugemacht war, brach er in ein Klagelied aus, +wie folgt:</p> + + +<p class="center"><em class="gesperrt">Klagelied meines Vaters.</em></p> + +<p>»Es ist hinfort umsonst,« sagte mein Vater und wendete sich ebensogut +an des Ernulphus Fluchbuch, das auf einer Ecke des Kamingesimses lag, +als an meinen Onkel Toby, der darunter saß, mit der mürrischsten +Eintönigkeit, die sich erdenken läßt, »gegen diese bitterste von allen +menschlichen Überzeugungen zu kämpfen, wie ich bisher getan. — Ich +seh' es klar, mag sein wegen einer meiner Sünden, Bruder Toby, oder +wegen der Sünden und Torheiten des Geschlechts der Shandys, daß der +Himmel für gut gefunden hat, mit seiner schwersten Artillerie gegen +mich auszurücken, und daß die Wohlfahrt meines Kindes das Zentrum ist, +auf welches sie mit aller ihrer Macht hinzielt.« — »So was kann einem +die ganze Weit um die Ohren herumschleudern, Bruder Walther!« sagte +mein Onkel Toby. — »Wär' es. — Unglücklicher Tristram! Kind des +Zorns! Kind welker Lenden! der Unterbrechung! des Mißverständnisses! +des Mißvergnügens! Was ist für ein einziges Unheil oder Unglück in dem +Buche embryonischer Übel, das deinen Bau aus seinen Fugen bringen oder +deine Fibern verwirren konnte, das nicht auf deinen<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> Kopf gefallen +wäre, noch ehe du einmal in die Welt gekommen. Was für Übel auf deinen +Weg — was für Übel nachher! — Gezeugt in den abnehmenden Tagen +deines Vaters, da schon das Siegel seiner Geister und seines Körpers +anfing stumpf zu werden, da Lebenswärme und Lebenssäfte, Elemente, +welche die deinigen hätten stählen sollen, schon im Verfliegen waren, +und nichts übrigblieb, wodurch dein Keim zu stärken, als Negationen +— 's ist nicht sonderlich erklecklich, Bruder Toby. Wie ist uns der +Paß verhauen! Du weißt, wie's zugegangen ist, Bruder Toby. 's ist zu +melancholisch, es hier zu wiederholen, wie die wenigen Lebensgeister, +die ich noch in der Welt besaß, und mit welchen Gedächtnis, Phantasie, +Genie und Fähigkeiten hätten hinbegleitet werden sollen: wie sie auf +einmal auseinandergestöbert, verblüfft, verjagt, verschlagen und zu +allem Henker gehetzt wurden. —</p> + +<p>»Aber was war das alles, mein lieber Toby, gegen den Schaden und +Nachteil, der uns dadurch zugefügt ist, daß das Kind mit dem Kopfe +zuerst auf die Welt gekommen ist. Alles, was ich bei der allgemeinen +Verwüstung seiner Bildung wünschte, war, diesen kleinen Verstandskasten +unversehrt und ganz zu erhalten. —</p> + +<p>»Was für einen Purzelbaum hat, bei aller meiner Vorsicht, mein +System mit dem Kinde schon im Mutterleibe machen müssen. Sein Kopf +mußte der Hand der Gewalttätigkeit herhalten und einem Drucke von +vierhundertsiebzig schweren Pfund, so ganz senkrecht auf seinen +Scheitel — daß es noch neunzig Prozent Assekuranz steht, ob das feine +Netzwerk des Verstandgewebes nicht in tausend Fetzen zerrissen und +zerschlissen ist.</p> + +<p>»Noch wäre ihm zu helfen gewesen! Narr, Geck, Laffe, man gebe ihm nur +eine Nase; Krüppel, Zwerg, Greiferbart, Tölpel — laß ihn gebildet +sein, wie er will —, das Glückspförtchen steht offen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p> + +<p>»Aber noch, Bruder Toby, war nach alle diesem ein Wurf mit dem Würfel +für unser Kind übrig. — O Tristram! Tristram! Tristram!«</p> + +<p>»Wir wollen zum Herrn Yorick schicken,« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»Schicke zu wem du willst!« erwiderte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_55"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Sechsundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Sagen Sie, kann dem Dinge noch Wandel geschaffen werden, Yorick?« +sagte mein Vater, »denn nach meiner Meinung,« fuhr er fort, »geht's +nicht.« — »Ich verstehe mich wenig aufs geistliche Recht,« erwiderte +Yorick. »Weil ich aber unter allen Übeln die Ungewißheit für das +quälendste halte, so müssen wir doch wenigstens zu wissen bekommen, +ob es auch das ärgste ist.« — »Ich hasse die großen Mahlzeiten,« +sagte mein Vater. — »Auf die Größe der Mahlzeit kommt's hier nicht +an,« antwortete Yorick. »Wir wollen ja nur, Herr Shandy, auf den Grund +der Sache kommen, ob sich der Name umtauschen läßt. Und da die Bärte +so mancher Kommissarien, Konsistorialen, Advokaten, Deputierten, +Registratoren und der geschicktesten unserer Schultheologen nebst +anderen morgen sich an einem Tische versammeln werden, und Didius Sie +so dringend eingeladen hat, wer wollte wohl in Ihrer Verlegenheit eine +so schöne Gelegenheit versäumen? Es wird nichts weiter nötig sein, als +daß wir Didius benachrichtigen, und daß er nach Tische das Gespräch auf +die Materie bringe.« — »So soll,« sagte mein Vater und schlug beide +Hände zusammen, »mein Bruder Toby mit uns gehen.«</p> + +<p>»Laß Er meine alte Knotenperücke,« sagte mein Onkel Toby, »und +meine gestickte Montierung die ganze Nacht am Feuer hangen, Trim.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span></p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_57"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span></p> + +<figure class="figcenter padtop2 illowp53" id="p1281_ill" style="max-width: 42.5em;"> + <img class="w100" src="images/p1281_ill.jpg" alt=""> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Sie haben ganz recht, Herr, hier fehlt ein ganzes Kapitel, und daraus +entsteht in dem Buche eine Lücke von zehn Seiten. Und doch ist der +Buchbinder weder ein Dummkopf, noch ein Schelm, noch ein Tölpel. Auch +ist das Buch um keinen Tüttel unvollkommener — dadurch wenigstens +nicht! Vielmehr ist das Buch dadurch, daß das Kapitel fehlt, besser und +vollkommener, als wenn's da wäre, wie ich solches Euer Hochwürden auf +folgende Weise demonstriere. — Nebenbei möchte es eine Frage sein, ob +nicht der Versuch eben so glücklich mit verschiedenen anderen Kapiteln +angestellt werden könnte. Aber wie Euer Hochwürden zugeben werden, das +Versuchanstellen über Kapitel geht ins Unendliche. Wir haben schon +genug davon, und so mag's hierbei beruhen.</p> + +<p>Allein bevor ich meine Demonstration beginne, lassen Sie mich Ihnen +nur noch sagen: das Kapitel, welches ich ausgerissen habe und an +welchem Sie sonst, statt diesem, eben gelegen haben würden, war die +Beschreibung des Rittes meines Vaters, meines Onkel Tobys, Trims und +Obadiahs zu der Visitation zu ***.</p> + +<p>»Wir wollen in der Kutsche hinfahren,« sagte mein Vater. »Hör' Er, +ist das Wappen geändert, Obadiah?« — Es würde meiner Erzählung viel +Vorteil getan haben, wenn ich es damit angefangen hätte, Ihnen zu +sagen, daß damals, als meiner Mutter Wappen zu dem Shandyschen gefügt +und die Kutsche bei meines Vaters Verheiratung von neuem angemalt ward, +es sich so gefügt hatte, daß der Kutschenmaler, es sei nun, daß er +alles mit der linken Hand gemacht hatte wie Turpilius, der Römer, oder +Hans Holbein von Basel, oder daß der Fehler mehr an seinem Kopfe als +an seiner Hand lag, oder war's gar der unglückliche, schiefe Gang,<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> +welchen alles, was unsere Familie betraf, zu nehmen geneigt war. Genug, +es fügte sich so zu unserer Kränkung, daß anstatt des Bandes, welches +wir seit Heinrichs <em class="antiqua">VIII.</em> Zeiten mit Ehren führten, durch eine +von diesen Fatalitäten ein Riemen quer durch das ganze Schild des +Shandyschen Wappens gezogen wurde. Kaum sollte man es glauben, daß das +Gemüt eines so vernünftigen Mannes wie mein Vater war, sich soviel aus +einer solchen Kleinigkeit machen könne. Der Name Kutsche — gleichviel +wessen — oder Kutscher, oder Kutschpferd, oder Kutscherlohn konnte +niemals in seiner Gegenwart ausgesprochen werden, ohne daß er sich über +dieses schändliche Malzeichen der Seitenabkunft auf seinen Kutschtüren +beklagte. Er konnte niemals ein- oder aussteigen, er mußte erst die +Wappen begucken. Er tat dann allemal ein Gelübde, das sollte doch das +letztemal sein, daß er seinen Fuß hineinsetzte, bis aus dem Riemen ein +Band gemacht würde. Aber es ging eben wie mit dem Türknarren. Es war +eins von den vielen Dingen, von denen auf den Tafeln des Verhängnisses +geschrieben war: es sollte immer vom Ändern und Bessern gesprochen, und +— wie in weiseren Familien als der unserigen — nie was daraus werden.</p> + +<p>»Hat der Maler das Wappen an der Kutsche übergebürstet? sage ich,« +sagte mein Vater. — »Die Kutsche inwendig und die Sitzkissen habe +ich rein ausgebürstet,« antwortete Obadiah, »der Maler hat nichts +gebürstet.« — »Wir wollen reiten,« sagte mein Vater zu Yorick. — »Von +allen Dingen in der Welt, die Politik ausgenommen, ist die Heraldik den +Geistlichen am wenigsten bekannt,« sagte Yorick. — »Das tut nichts,« +sagte mein Vater. »Ich möchte doch nicht gerne mit einer solchen Sau +in meinem Wappenschilde aufziehen.« — »Was ist's denn, ob der breite +Strich rechts oder links durchs Schild geht,« sagte mein Onkel Toby. — +»Wenn dir Band oder Riemen gleich ist, so kannst du<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> mit Tante Dinah +und dem Riemen im Wappen zu der Visitation fahren, wenn du Lust hast.« +—</p> + +<p>Mein armer Onkel Toby wurde rot im Gesicht. Mein Vater ärgerte sich +über sich selbst. »Nein, mein lieber Bruder Toby,« sagte mein Vater +und änderte den Ton. »Sieh nur, wenn ich lange auf den dumpfigen +Kutschpolstern säße, da könnte ich wieder das Hüftweh an den Hals +bekommen wie vorigen Dezember, Januar und Februar. Tue mir's also zum +Gefallen und reite meiner Frau ihr Pferd. Und da Sie doch predigen +sollen, lieber Yorick, so tun Sie wohl am besten, daß Sie vorausreiten +und mich mit meinem Bruder Toby langsam nachfolgen lassen.«</p> + +<p>Das Kapitel nun, das ich gezwungen war, auszureißen, war die +Beschreibung dieser Kavalkade, bei welcher Korporal Trim und Kutscher +Obadiah auf zwei Kutschpferden in einem Gliede langsam als Patrouille +voranritten, derweile mein Onkel Toby in seiner gestickten Montierung +und Knotenperücke mit meinem Vater Rang und Reihe hielt in tiefen Wegen +und Untersuchungen über den Vorzug der Lehr- und Wehrkunst, die die +Oberhand gewinnen könnte.</p> + +<p>Das Gemälde dieser Reise, da ich sie wieder ansehe, hebt sich so weit +über den Stil und die Manier alles übrigen, was ich vermochte in +diesem Buche zu malen, daß es nicht darin bleiben konnte, ohne jeden +anderen Auftritt zu verdunkeln und das nötige Ebenmaß — im Guten oder +Schlechten — zwischen Kapitel und Kapitel zu stören, aus dem die +richtige und harmonische Proportion eines ganzen Werkes entsteht. Ich +selbst habe freilich das Handwerk noch nicht lange getrieben, um laut +mitzusprechen. Aber, so meine ich, ein Buch schreiben ist in der Welt +nichts weiter, als einen Gesang so vor sich hin in den Bart singen. — +Wenn Sie nur in der Melodie bleiben, Madame, Sie mögen hoch oder tief +anfangen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p> + +<p>Das ist, wenn Euer Hochwürden nicht ungütig vermerken wollen, die +Ursache, warum einige der flachsten und schlechtesten Werke (mein Onkel +Toby horchte bei dem Worte Werke schon hoch auf, ob nicht mehr von +Fortifikationen vorkommen würde, als ihm Yorick eines Abends dieses +sagte) so guten Abgang finden.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_58"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunundfünfzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Seht nur, schneidet er's nicht in lauter Fidibusse und teilt's herum, +die Pfeifen damit anzuzünden!« — »Es ist schändlich,« antwortete +Didius. — »Das sollte ihm nicht so frei hingehen,« sagte Doktor +Kysarcius, einer von den Kysarciis aus den Niederlanden.</p> + +<p>»Mich dünkt,« sagte Didius, wobei er halb vom Stuhle aufstand, um eine +große Kanne und eine kleine Weinflasche wegzurücken, die in gerader +Linie zwischen ihm und Yorick standen, »diesen satirischen Streich +hätten Sie hier wohl unterlassen, Herr Yorick, und an einem anderen +Orte, bei einer schicklicheren Gelegenheit wenigstens, ihre Verachtung +über unsere abgelegte Verrichtung anbringen mögen. Wenn die Predigt +nicht mehr wert ist, als die Pfeife damit anzuzünden, mein Herr, so war +sie gewiß nicht gut genug, vor einer so gelehrten Versammlung gehalten +zu werden. Und war sie gut genug, vor einer so gekehrten Versammlung +gehalten zu werden, mein Herr, so war sie gewiß zu gut, daß Sie hernach +Ihre Pfeifen damit anzünden.«</p> + +<p>Ich habe ihn, sagte Didius bei sich selbst, in der Klemme. An einem der +Gründe muß er hängen bleiben. Laß ihn sehen, wie er sich loshilft.</p> + +<p>»Die Geburt dieser Predigt,« sagte Yorick, »hat mir so unsägliche +Schmerzen gekostet, daß ich Ihnen beteuere, Herr<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> Didius, lieber will +ich — und womöglich mein Gaul mit mir — tausendmal die Märtyrerkrone +verdienen, als mich noch einmal hinsetzen und eine ähnliche machen. Ich +bin am verkehrten Ende davon entbunden. Sie ging mir vom Kopfe ab und +sollte vom Herzen kommen. Und wegen der Wehen, die sie mir sowohl beim +Aufschreiben wie beim Predigen gemacht hat, räche ich mich auf diese +Weise an ihr. Eine Predigt, die den Umfang unserer Belesenheit oder die +Feinheit unseres Witzes zeigen will vor den Augen des großen Haufens +mit seinem bißchen Gelehrsamkeit, die mit einigen schimmernden Worten, +die aber wenig Licht und noch weniger Wärme enthalten, überfirnißt +ist, einen Schacher treiben, das ist eine unredliche Verwendung der +armseligen, einzigen halben Stunde, die man uns wöchentlich einräumt. +Das heißt nicht das Evangelium, das heißt sich selbst predigen. Ich +meinesteils,« fuhr Yorick fort, »ich möchte lieber fünf Worte so +schußgerade ans Herz —« Als Yorick das Wort schußgerade aussprach, +stand mein Onkel Toby auf, um etwas über die Brustwehren zu sagen, als +ein einziges Wort, das sich an der anderen Seite des Tisches hören +ließ, aller Ohren auf sich zog. Ein Wort, das man unter allen im besten +Wörterbuche, am wenigsten an diesem Orte erwarten sollte. Ein Wort, +das ich mich schäme zu schreiben, aber geschrieben, gelesen werden +muß; illegal, paradox. Spekulieren Sie auf zehntausend Spekulationen, +in sich selbst multipliziert, recken und strecken Sie Ihre Einbildung, +soviel Sie wollen, Sie treffen es nicht. Kurz, im nächsten Kapitel will +ich's sagen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_59"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Sechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Blitz!« — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —</p> +<p>— — — »B—tz!« rief Phutatorius halb leise, aber doch<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> so laut, daß +es überall gehört wurde, und das Seltsame dabei war, daß es mit einer +Miene im Gesicht und mit einem Tone in der Stimme ausgesprochen wurde, +die etwas zwischen einem Erstaunen und einem körperlichen Schmerz +anzeigte.</p> + +<p>Einer oder zwei, die sehr helle Ohren hatten, und das verschmolzene +Verhältnis der beiden Töne ebenso deutlich unterscheiden konnten wie +eine Terzie oder Quinte oder jeden anderen Klang in der Musik, wußten +am allerwenigsten, was sie daraus machen sollten. Der Akkord an sich +war gut, gehörte aber zu einer weitentlegenen Tonart. Kurz, mit aller +ihrer Gelehrsamkeit saßen sie da!</p> + +<p>Andere, welche nichts von musikalischen Verhältnissen wußten und bloß +ihr Ohr auf den Sinn des Wortes wendeten, dachten, Phutatorius, der ein +wenig cholerischen Temperaments war, wollte Didius das Schwert aus der +Hand nehmen, um Yorick tüchtig eins auf die Krone zu geben. Und das +verzweifelte Wörtlein B—tz wäre die Einleitung zu einer Rede, die eine +unsanfte Behandlung ankündigte, so daß meines Onkels Toby gutes Herz +schon Angst für ihn hatte, was der arme Yorick nicht würde aushalten +müssen. Als man aber sah, daß Phutatorius schwieg, ohne Lust zu zeigen +oder einen Versuch zu machen fortzufahren, so fing eine dritte Partie +an zu glauben, daß es nichts weiter gewesen sei als ein unfreiwilliges +Atemschöpfen, so ganz von selbst und von ungefähr in einem Bettelfluch +zusammengefahren wäre, ohne die Eigenschaft oder Sünde desselben zu +haben.</p> + +<p>Andere, und besonders einer oder zwei, welche dicht bei ihm saßen, +betrachteten es hingegen als einen wirklichen und wesentlichen Fluch, +der mit Fleiß und Bedacht gegen Yorick ausgestoßen worden, gegen den er +bekanntermaßen nicht gut gesinnt war. Welch besagter Fluch, nach meines +Vaters<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Schlüssen darüber, schon in dem Augenblicke ganz geprickelt +und prall in Herrn Phutatorius' Gallenblase obenauf geschwommen, und +also natürlicherweise und nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge bei +dem ersten Zurückfluß des Blutes hervorgerufen werden mußte, der in +Phutatorius' rechter Herzkammer durch den überraschenden Stoß, den eine +so sonderbare Predigertheorie ihm beibrachte, entstand.</p> + +<p>Wie witzig wir doch über mißverstandene Begebnisse philosophieren +können!</p> + +<p>Es war keine Seele, die sich nicht in ihren Gedanken über das +einsilbige Wort, das dem Phutatorius entfahren, beschäftigte, die es +nicht für bekannt annahm und daraus als aus einem Vordersatz folgerte: +daß nämlich Phutatorius in seinen Gedanken mit dem Zwist beschäftigt +sei, der zwischen Didius und Yorick entstanden. Und freilich, da er +erst den einen und dann den anderen mit der Miene eines Mannes ansah, +der darauf achtet, was in der Gesellschaft vorgeht, so hatte man nicht +anders denken können. In der Tat aber wußte Phutatorius kein Wort von +allem, was vorging. Seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit waren +gänzlich auf das gerichtet, was eben in dem Augenblicke in der Gegend +seiner Pluderhosen, und zwar an einer Stelle in denselben vorging, +die er vor bösen Zufällen zu bewachen die höchste Ursache hatte. +Deswegen, obgleich er das aufmerksamste Gesicht von der Welt machte +und allmählich jeden Nerv und jeden Muskel in seinem Gericht so scharf +angezogen hatte, wie das Instrument es nur aushalten wollte, um, wie +man dafür hielt, dem Yorick, der ihm gegenübersaß, eine derbe Antwort +zu versetzen, so war doch, wie ich sage, kein Yorick in irgendeinem von +den Gemächern von Phutatorius' Gehirn anzutreffen. Die wahre Ursache +seiner Ausrufung lag wenigstens etliche Fuß tiefer.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p> + +<p>Ich will mich bemühen, Ihnen dieses mit aller ersinnlichen Züchtigkeit +zu erklären.</p> + +<p>Sie müssen sich also berichten lassen, daß Gastripheres, der kurz +vorher, ehe man sich zu Tische setzte, ein wenig in die Küche ging, +um zu sehen, wie es darin stände, auf der Anrichtebank einen Korb +mit schönen Kastanien erblickte und befohlen hatte, daß sie ein paar +hundert davon braten und solche gleich zum Nachtisch heiß aufsetzen +sollten. Gastripheres gab seinem Befehle dadurch noch einen größeren +Nachdruck, daß er sagte, Didius und besonders Phutatorius wären +Liebhaber davon.</p> + +<p>Ungefähr zwei Minuten vorher, ehe mein Onkel Toby Yoricks Rede +unterbrach, wurden Gastripheres Kastanien hereingebracht. Und da es dem +Aufwärter noch im frischen Andenken war, daß Phutatorius sie so gerne +möchte, so setzte er solche dicht vor ihm hin, auf einem Teller in +einem sauberen, damastnen Tellertuch.</p> + +<p>Lag es nun an der physischen Unmöglichkeit, daß nicht ein halbes +Dutzend Hände zugleich in das Tellertuch fahren konnten, ohne daß +die eine oder die andere Kastanie, von mehr Feuer und Rinde als die +übrigen, in Bewegung geriet, oder — kurz, so war's: eine rollte über +den Tisch und herunter. Und da Phutatorius mit auseinandergesperrten +Knien daruntersaß, so fiel solche senkrecht in die ganz eigene Öffnung +in Phutatorius' Beinkleidern, für welche ich, zur Schande unserer +Sprache oder auch meines Gedächtnisses sei es gesagt, kein keusches +Wort finden kann. Sie müssen sich damit begnügen, wenn ich sage, es war +die ganz eigene Öffnung, welche, den strengen Wohlstandsgesetzen in +allen hübschen Gesellschaften zufolge, gleich dem Tempel des Janus — +in Friedenszeiten wenigstens — völlig geschlossen sein sollen.</p> + +<p>Die Verabsäumung dieser Vorsicht — welches zugleich<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> dem Phutatorius +und allen Menschenkindern eine Warnung sein mag — hatte dem Zufall +eine Pforte geöffnet.</p> + +<p>Alles, was mir als Geschichtschreiber obliegt, ist, das Begebnis +darzustellen und es dem Leser glaublich zu machen, daß der Hiatus in +Phutatorius' Beinkleidern geräumig genug war, die Kastanie aufzunehmen, +und daß die Kastanie auf eine oder die andere Weise senkrecht und +zischend heiß hineinfiel, ohne daß Phutatorius oder sonst jemand es +gewahr wurde.</p> + +<p>Die natürliche Wärme, die die Kastanie verbreitete, war die ersten +zwanzig bis fünfundzwanzig Sekunden nicht unangenehm und tat weiter +nichts, als Phutatorius' Aufmerksamkeit auf die Stelle zu richten. +Wie aber die Hitze gradweise zunahm und in einigen Sekunden mehr über +den Punkt der angenehmen Empfindungen hinausging und darauf mit aller +Eile in das Gebiet der Schmerzen drang, tummelte sich Phutatorius' +Seele mit allen seinen Ideen, seinen Gedanken, einer Aufmerksamkeit, +seiner Imagination, seinem Verstande, seinen Entschließungen, seinen +Überlegungen, seinem Urteile, seinem Gedächtnisse, seiner Phantasie, +mit zehn Bataillonen Lebensgeistern über Hals und Kopf durch +verschiedene Wege und Steige hinunter nach dem Orte, dem die Gefahr +drohte, und ließen alle seine oberen Plätze, wie Sie sich vorstellen +können, so leer, wie mein Geldbeutel ist.</p> + +<p>Nach den besten Berichten, die ihm alle diese Boten zurückzubringen +vermochten, war Phutatorius nicht imstande, das Geheimnis einzusehen, +das unten vorging. Er hatte keine Art von Vermutung, was zum Henker es +wohl sein möchte. Indessen, da er nicht wußte, wie die wahre Ursache +ausfallen möchte, hielt er es für das klügste, es womöglich wie ein +Stoiker zu ertragen, was er auch mit Hilfe einiger Zuckungen im Gesicht +und einigem Maulspitzen glücklich durchgesetzt hätte, wenn nur seine +Einbildung aus dem Spiele<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> geblieben wäre. — Aber bei Dingen von +dieser Art ist die Brunst der Einbildung unbezähmlich; es hob sich +plötzlich ein Gedanke in seinem Gemüt, daß, obgleich es einem Schmerz +von glühender Hitze ähnlich sei, es dennoch ebensogut ein Biß wie ein +Brand sein könnte, und wenn dem so, auch wohl eine Eidechse oder Otter +oder ein anderes häßliches Ungeziefer heraufgekrochen sein könnte, das +seine Zähne — der gräßliche Gedanke daran und ein frischer Schmerz, +den ihm in diesem Augenblick die Kastanie verursachte, überfielen +Phutatorius mit einem plötzlichen Schrecken, und in der ersten +Überrumpelung und Bestürzung brachte es ihn — wie es wohl den besten +Generälen auf der Welt ergangen ist — gänzlich aus seiner Fassung. +Die Wirkung davon war, daß er gleich aufsprang, und im Aufspringen +stieß er die Silbe aus, über die schon soviel gesprochen ist, mit dem +Ausrufungszeichen dahinter, das, obgleich nicht so völlig geistig +anständig, doch immer noch so wenig war, wie nur ein Mensch bei +solcher Gelegenheit sagen konnte, und das auch, nebenbei bemerkt — +geistig wohlanständig oder nicht — Phutatorius ebensowenig wie die +Veranlassung desselben in seiner Gewalt hatte.</p> + +<p>Obgleich dies nun beim Erzählen einige Zeit weggenommen hat, so +dauerte doch der ganze Vorgang selbst wenig mehr Zeit, als Phutatorius +brauchte, die Kastanie hervorzulangen und solche mit Heftigkeit auf den +Fußboden zu werfen, — und Yorick von seinem Stuhle aufzustehen und die +Kastanie aufzuheben.</p> + +<p>Es ist der Mühe wert, zu bemerken, was für mächtigen Einfluß +geringfügige Umstände auf das Gemüt haben, von was für einem +unglaublichen Gewicht sie bei der Bildung und Richtung unserer +Meinungen sowohl von Menschen als Sachen sind, — daß Kleinigkeiten, so +leicht wie die Luft, einen Glauben in die Seele führen und ihn darin so +tief<span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span> einpflanzen können, daß keine Batterie von Demonstrationen stark +genug ist, ihn herauszukanonieren.</p> + +<p>Yorick, sagte ich, nahm die Kastanie auf, die Phutatorius im Zorn +niedergeworfen hatte. Die Tat war unerheblich; ich schäme mich, Grund +und Ursache davon anzugeben. Er tat es aus keiner anderen Ursache, als +weil er dachte, die Kastanie sei trotz der Begebenheit noch ebenso +gut als vorher, und eine gute Kastanie sei immer des Aufnehmens wert. +Dieser Umstand aber, so geringfügig er war, wirkte in Phutatorius' Kopf +ganz anders. Er betrachtete Yoricks Handlung, da er vom Stuhle aufstand +und die Kastanie aufnahm, als ein deutliches Geständnis seinerseits, +daß die Kastanie eigentlich ihm gehöre, und folglich, daß es der Eigner +der Kastanie und sonst niemand gewesen sein müßte, der ihm damit einen +solchen Possen gespielt habe. Was ihn in dieser Meinung sehr bestärkte, +war dies: die Tafel war länglich und sehr schmal, und Yorick, der dem +Phutatorius gerade gegenübersaß, hatte die schönste Gelegenheit, die +Kastanie hineinzustecken —, folglich mußte er es getan haben. Ein mehr +als bloß argwöhnischer Blick, den Phutatorius jetzt auf Yorick warf, +zeigte diese Meinung zu klar an. Da man natürlicherweise voraussetzte, +daß Phutatorius mehr von der Sache wüßte als sonst jemand, so +wurde seine Meinung die allgemeine, und aus einer von allen bisher +angeführten sehr verschiedenen Ursache hielt man es in kurzer Zeit für +völlig ausgemacht.</p> + +<p>Dieses, wie der Leser von Anfang bis Ende gesehen hat, war so grundlos +wie die Träume der Philosophie. Yorick war freilich, wie Shakespeare +von seinem Urahnen sagte, ein Mann, der Kurzweil trieb; aber seine +Kurzweil war mit etwas vermischt, das ihn sowohl von diesem als manchen +anderen beleidigenden Possen abhielt, die man ihm unverdienterweise +aufpackte. Aber all sein Leben lang hatte er<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> das Unglück, daß man ihm +tausend Dinge zur Last legte, die er gesagt oder getan haben sollte, +deren seine Natur — oder meine Hochachtung blendet mich — unfähig +war. Alles, was ich an ihm tadle, oder vielmehr, weswegen ich ihn +bald tadle, bald liebe, war seine eigene Gemütsart, die ihm niemals +gestattete, sich Mühe zu geben, der Welt aus ihrem Traume zu helfen, +so sehr es auch in seiner Gewalt stand. Bei jeder üblen Nachrede von +der Art machte er's gerade eben so, wie bei der Geschichte mit seinem +mageren Klepper. Er hätte es zu seiner Ehre an den Tag legen können, +aber sein Sinn war darüber erhaben. Überdem sah er auf den Erfinder, +Verbreiter und gläubigen Hörer solcher boshaften und ehrenrührigen +Sagereien verächtlich herab. Er konnte sich nicht so tief herablassen, +ihnen seine Geschichte zu erzählen, und so erwartete er's von der Zeit +und Wahrheit, daß die es für ihn tun würden.</p> + +<p>Diese heroische Gesinnung zog ihm mancherlei Unbequemlichkeiten zu. +Bei der gegenwärtigen Geschichte folgte darauf eine rachsüchtige +Feindschaft des Phutatorius, der, wie Yorick eben mit seiner Kastanie +fertig war, zum zweiten Male vom Stuhle aufstand, um es ihm zu +verstehen zu geben, welches er freilich nur mit einem Lächeln tat und +den Worten, er wolle darauf bedacht sein, ihm die Gefälligkeit nicht zu +vergessen. Allein, Sie müssen zwei Dinge sorgfältig unterscheiden und +in Ihrem Herzen bewahren.</p> + +<p>Das Lächeln galt der Gesellschaft.</p> + +<p>Die Drohung galt Yorick.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_60"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p> + +<h2>Einundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Ja,« sagte Didius, indem er aufstand und seine rechte Hand mit +ausgespreizten Fingern auf seine Brust legte, wäre ein solches Versehen +mit dem Taufnamen vor der Reformation gemacht — es war vorgestern, da +es gemacht wurde, sagte mein Onkel Toby bei sich selbst —, da noch der +Taufaktus in Latein gehalten ward — nein, 's war in der Muttersprache, +sagte mein Onkel —, so hatte vielerlei Irrtum dabei vorgehen können; +nach dem Beispiele verschiedener dekretierter Fälle hätte dann die +Taufe für null und nichtig erklärt und die Macht erteilt werden können, +dem Kinde einen neuen Namen zu geben. Hätte zum Beispiel ein Priester, +was wegen der Unwissenheit in der lateinischen Sprache so unerhört eben +nicht war, Hans Graubarts Kind getauft: <em class="antiqua">in nomino patriæ et filia et +spiritum sanctos</em>, so wäre die Taufe für ungültig gehalten worden.« +— »Um Vergebung,« erwiderte Kysarcius, »in dem Falle wäre, da der +Fehler nur in den Endungen steckte, die Taufe gültig geblieben. Um sie +ungültig zu machen, hätte der Fehler des Priesters auf die erste Silbe +eines jeden Namens fallen müssen, und nicht wie in Ihrem Beispiele, auf +die letzte.«</p> + +<p>Mein Vater fand seines Herzens Freude an dergleichen Subtilitäten und +hörte mit unendlicher Aufmerksamkeit zu.</p> + +<p>»Gastripheres zum Beispiel,« fuhr Kysarcius fort, »tauft Hans +Strodlings Kind <em class="antiqua">in Gomine gatris etc. etc.</em> anstatt <em class="antiqua">in +Nomine patris</em> usw., heißt das eine Taufe? — Nein, sagen die +geschicktesten Kanonisten, um so weniger, weil die Wurzeln eines jeden +Wortes aufgerissen und ihr Sinn auf einen entfernten und ganz andern +Gegenstand verpflanzt worden. Denn <em class="antiqua">Gomine</em> heißt ebensowenig +im Namen, als <em class="antiqua">gatris</em> eines Vaters.« — »Was heißen sie denn?« +sagte mein Onkel Toby. — »Gar nichts,« sagte Yorick. »Ergo,« sagte +Kysarcius,<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> »ist eine solche Taufe ungültig.« — »Was zu beweisen war,« +antwortete Yorick in einem Tone von zwei Teilen Scherz und einem Teile +Ernst.</p> + +<p>»In dem angeführten Falle aber,« fuhr Kysarcius fort, »wo <em class="antiqua">patrim</em> +statt <em class="antiqua">patris</em>, <em class="antiqua">filia</em> statt <em class="antiqua">filii</em> usw. gesagt wird, +ist das nur ein Fehler in der Endung, und die Wurzeln der Worte sind +unangetastet, und ihre Äste, hierhin oder dorthin, können die Taufe +nicht ungültig machen. Um so weniger als in den Worten derselbe Sinn +bleibt wie vorher. — Und davon, mein lieber Herr Amtsbruder Didius, +haben wir einen ähnlichen Fall in einem Dekrete der Dekretalien +des Papstes Leo <em class="antiqua">III.</em>« — »Meines Bruders Kind,« rief mein +Onkel Toby, »hat aber nichts mit dem Papste zu schaffen. Es ist ja +erwiesenermaßen das Kind eines protestantischen Mannes, das man +Tristram getauft hat gegen Wunsch und Willen seines Vaters, seiner +Mutter und aller übrigen Blutsverwandten.«</p> + +<p>»Wenn nur der Wunsch und Wille,« sagte Kysarcius und fiel meinem Onkel +Toby in die Rede, »derer ein Gewicht haben soll, die mit Herrn Shandys +Kind in Blutsverwandtschaft stehen, so kommt Madame Shandy unter allen +Menschen doch dabei am wenigsten in Betracht.« Mein Onkel Toby legte +seine Pfeife nieder, und mein Vater rückte mit seinem Stuhle noch näher +an den Tisch, um das Ende einer so seltsamen Einleitung zu hören.</p> + +<p>»Es ist nicht nur, mein Herr Kapitän Shandy, unter den besten +Rechtslehrern und Advokaten des Landes,« fuhr Kysarcius fort, +»die Frage aufgeworfen worden, <em class="gesperrt">ob die Mutter mit ihrem Kinde +in Blutsverwandtschaft steht</em>, sondern sie ist wirklich nach +vielen unparteiischen Untersuchungen und Hin- und Widerreden darüber +verneinend entschieden, nämlich <em class="gesperrt">daß die Mutter keine Blutsverwandte +ihres Kindes sei</em>.«</p> + +<p>Mein Vater legte den Augenblick seine Hand auf meines<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> Onkels Toby +Mund, unter dem Scheine, als ob er ihm etwas ins Ohr flüsterte. In der +Tat aber, weil er sein Maultier fürchtete. Und da er herzlich Lust +hatte, über einen so hübschen Vorwurf noch mehr zu hören, so bat er +meinen Onkel Toby, er möchte sie ihm doch um's Himmels willen nicht +verderben. Mein Onkel Toby nickte mit dem Kopfe und begnügte sich +damit, daß er seinen Regimentsmarsch in Gedanken pfiff. Kysarcius, +Didius und Triptolemius fuhren mit dem Gespräch fort.</p> + +<p>»Diese Entscheidung,« sprach Kysarcius weiter, »so sehr sie auch gegen +den Strom der allgemeinen Meinung anzuschwimmen scheinen mag, hat +dennoch die Vernunft sehr auf ihrer Seite und ist durch den berühmten +Rechtsfall, der nach dem Herzog von Suffolk genannt wird, außer allen +Zweifel gesetzt werden.« — »Brook führte ihn an,« sagte Triptolemius. +— »Und Lord Coke erwähnt seiner gleichfalls,« fügte Didius hinzu. — +»Sie können ihn auch im Swimburn, von den Testamenten, finden,« sagte +Kysarcius.</p> + +<p>»Der Rechtshandel, Herr Shandy, war dieser:</p> + +<p>Unter der Regierung Eduards <em class="antiqua">VI.</em> machte Karl, Herzog von Suffolk, +der aus dem zweiten Bette einen Sohn und aus dem ersten eine Tochter +hatte, sein Testament, darin er seine Güter dem Sohn vermachte, und +starb darauf. Nach ihm starb der Sohn gleichfalls, aber ohne Testament, +ohne Weib und ohne Kind. — Seine Mutter und seine Schwester von +Vatersseite — denn sie war aus der ersten Ehe —, überlebten ihn. Die +Mutter übernahm die Administration von ihres Sohnes Gütern, zufolge des +einundzwanzigsten Artikels der Statuten Heinrichs <em class="antiqua">VIII.</em>, in dem +es heißt: ›Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament zu hinterlassen, so +soll die Administration seiner Güter der Person anheimfallen, die mit +ihm im nächsten Grade der Blutsverwandtschaft steht‹.</p> + +<p>Da also die Administration der Mutter zugestanden worden,<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> machte die +Schwester von väterlicher Seite vor dem geistlichen Gerichte eine +Klage anhängig, worin sie anführte: 1. daß sie selbst die nächste +Blutsverwandte sei, und 2. daß die Mutter mit dem Erblasser in gar +keiner Blutsverwandtschaft stände. Daher bat sie das Gericht, daß +solches die der Mutter zugesprochene Administration widerrufen und ihr, +vigore des besagten Artikels, als nächster Blutsverwandten zugeurteilt +werden möge.</p> + +<p>Hierüber wurden, weil es ein wichtiger Prozeß war, an dessen Ausgang +viel gelegen, und in der Folge mancher wichtiger Rechtshandel danach +entschieden werden möchte, die gelehrtesten Männer, sowohl in den +Rechten des engländischen Reichs als im Römischen Rechte konsultiert: +ob die Mutter eine Blutsverwandte ihres Kindes sei oder nicht. +Worüber dann nicht nur die weltlichen, sondern auch die geistlichen +Rechtslehrer, die <em class="antiqua">Juris consulti</em>, die <em class="antiqua">Juris prudentes</em>, +die Zivilsten, die Advokaten, die Kommissarien, die Richter der +Konsistorial- und Prärogativgerichte zu York und Canterbury nebst den +Doktoren und Lizentiaten alle einstimmig der Meinung waren: die Mutter +sei keine Blutsverwandte ihres Kindes.«</p> + +<p>»Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu?« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>Das Unerwartete bei meines Onkels Toby Frage machte den Kysarcius +verwirrter, als der geschickteste Advokat hätte tun können. — Er +schwieg eine völlige Minute und sah meinem Onkel Toby starr ins +Gesicht, ohne zu antworten. Und in der einzigen Minute warf ihn +Triptolemius hinter sich und führte den Reihen wie folgt:</p> + +<figure class="figcenter padtop2 illowp100" id="p1441_ill" style="max-width: 59.375em;"> + <img class="w100" src="images/p1441_ill.jpg" alt=""> +</figure> + +<p>»In den Rechten ist es ein Grundsatz,« sagte Triptolemius, »daß die +Dinge darin nicht aufsteigen, sondern absteigen; und ich zweifle nicht, +daher muß es geleitet werden, daß, so wahr es ist, daß das Kind vom +Blute der Eltern sein<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> mag, dennoch die Eltern nicht von seinem +Blute sind. Da die Eltern nicht von dem Kinde gezeuget werden, sondern +das Kind von den Eltern. Denn so steht geschrieben: <em class="antiqua">Liberi sunt de +sanguine Patris et Matris, sed Pater et Mater non sunt de sanguine +librorum.</em>«</p> + +<p>»Das beweiset aber zuviel,« rief Didius, »denn nach dieser angeführten +Autorität würde nicht bloß das folgen, was in der Tat von allen Seiten +zugestanden wird, daß die Mutter keine Blutsverwandte ihres Kindes +ist, sondern der Vater ebensowenig.« — »Es wird auch für die beste +Meinung gehalten,« sagte Triptolemius, »weil der Vater, die Mutter und +das Kind, ob es gleich drei Personen sind, nur — <em class="antiqua">una caro</em> — +ein Fleisch und folglich keinen Grad von Verwandtschaft ausmachen oder +<em class="gesperrt">in der Natur</em> erlangen können.« — »Da treiben Sie Ihren Beweis +abermals zu weit,« rief Didius. »Denn in der Natur ist kein Verbot +wie im levitischen Gesetze, daß jemand mit seiner Großmutter ein Kind +haben könne.« — »Das ist das <em class="antiqua">Argumentum commune</em>,« setzte Yorick +hinzu. — »'s ist so gut,« sagte Eugenius, und nahm Seinen Hut in die +Hand, »wie Sie's verdienen.«</p> + +<p>Die Gesellschaft brach auf.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_61"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Nun,« sagte mein Onkel Toby, der sich auf Herrn Yorick stützte, +welcher ihm mit meinem Vater gemächlich die Treppen hinunterhalf. +Erschrecken Sie nur nicht, Madame, dieses Treppengespräch ist nicht so +lang wie das vorige. — »Nun, lieber Herr Yorick,« sagte mein Onkel +Toby, »auf welche Art ist denn endlich die Sache mit Tristram von +diesen gelehrten Männern entschieden?« — »Sehr hinlänglich,« versetzte +Yorick. »Kein Sterblicher hat was damit zu schaffen,<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> mein lieber Herr +Kapitän, denn Madame Shandy, die Mutter, ist nichts weniger als seine +Blutsverwandte. Und da doch die mütterliche Seite die sicherste ist, +so ist folglich Herr Shandy ihm noch weniger, als nicht. Kurz, er ist +nicht so nahe mit ihm verwandt, Herr, wie ich —«</p> + +<p>»Das kann wohl sein,« sagte mein Vater mit Kopfschütteln.</p> + +<p>»Laß die Gelehrten sagen, was sie wollen, es muß doch gewiß eine Art,« +sagte mein Onkel Toby, »von Blutsfreundschaft zwischen der Herzogin von +Suffolk und ihrem Sohne gewesen sein.« —</p> + +<p>»Die Ungelehrten sind,« sagte Yorick, »noch bis auf diese Stunde +ebender Meinung.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_62"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreiundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ob mein Vater gleich von den Subtilitäten dieser Unterredung mächtig +gekitzelt ward, so ging's doch damit wie mit der Salbe auf einem +gebrochenen Knochen. Sobald er zu Hause angekommen, fiel die Last +seiner Betrübnis desto schwerer auf ihn zurück. Wie's immer zu gehen +pflegt, wenn der Stab, worauf wir uns lehnten, ausweicht. Er geriet +ins Nachdenken, ging häufig nach dem Fischteiche, ließ eine Krempe +von seinem Hute nieder, seufzte öfters, fuhr niemand mehr hitzig an. +Und da die schnellen Anwandlungen des Zorns, die einen Menschen so +auffahren lassen, so sehr die Ausdünstung und Verdauung befördern, wie +Hippokrates sagt, so wäre er gewiß aus Mangel daran krank geworden, +wenn nicht noch eben zu rechter Zeit seine Gedanken davon abgekehrt und +seine Gesundheit durch einen frischen Troß von Unruhen erlöst worden +wäre, die ihm meine Tante Dinah mit einem Vermächtnis von fünf- bis +sechstausend Talern hinterließ.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span></p> + +<p>Mein Vater hatte kaum den Brief gelesen, als er die Sache gleich beim +rechten Zipfel faßte und seinen Kopf ängstete und plagte, wie er's am +besten zur Ehre der Familie anlegen sollte. Wohl hundertundfünfzig +wundersame Projekte nisteten sich, eins nach dem andern, in sein +Gehirn. Er wollte dies tun und das — und das andere. — Er wollte nach +Rom, es dem Papste abprozessieren, wollte Aktien kaufen, John Hobson +sein Landgut abfeilschen, er wollte einen neuen Giebel vor seinem Hause +heraufziehen und einen neuen Flügel dranbauen. An dieser Seite des +Baches stand eine hübsche Wassermühle, und er wollte jenseits, gerade +gegenüber, eine Windmühle bauen, der hübschen Symmetrie wegen. Vor +allen Dingen aber in der Welt wollte er das große Ochsenmoor bestellen +und meinen Bruder Bobby auf Reisen schicken.</p> + +<p>Da aber die Summe endlich war, und folglich nicht alles ausrichten +konnte und in der Tat sehr wenig von all diesem gehörig und gut, so +schienen von allen Projekten, die sich bei dieser Gelegenheit darboten, +die beiden letzten den tiefsten Eindruck zu machen. Er würde sich auch +gewiß zu beiden zugleich entschlossen haben, wenn's nicht der kleine, +eben erwähnte Umstand gehindert hätte, der ihn allerdings in die +Notwendigkeit versetzte, sich entweder für das eine oder das andere zu +erklären.</p> + +<p>Dies war nicht so leicht geschehen; denn so gewiß es ist, daß mein +Vater schon längst sein Herz auf diesen wesentlichen Teil der Erziehung +meines Bruders eingestellt und wie ein kluger Mann beschlossen +hatte, ihn von dem ersten Gelde, das ihm von der zweiten Dividende +der Mississippiaktien einliefe, seine Reise antreten zu lassen, so +hatte doch das Ochsenmoor, ein hübscher, großer, brachliegender, +dem Shandyschen Gute zugehöriger Anger, fast ebenso alte Rechte und +Ansprüche. Er hatte schon lange und ernstlich darauf gesonnen, es unter +Pflug und Egge zu bringen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p> + +<p>Da ihn aber bisher noch kein solcher Zusammenfluß von Dingen gedrängt, +auszumachen, welches von beiden das älteste oder beste Recht hätte, so +hatte er sich wie ein weiser Mann enthalten, sich in eine kritische +Untersuchung darüber einzulassen. Dergestalt also, daß, nachdem alle +übrigen Projekte bei dieser Krise den Laufpaß erhalten, die beiden +alten, das Ochsenmoor und mein Bruder darüber wieder unter sich +stritten — sie waren einander dergestalt gewachsen, daß sie manchen +nicht geringen Kampf im Kopfe des alten Herrn veranlaßten —, welches +zuerst in Gang gebracht werden sollte.</p> + +<p>Die Leute haben gut lachen, die Sache war so:</p> + +<p>Es war beständig in der Familie Brauch gewesen und war durch die +Verjährung gleichsam ein Recht geworden, daß der älteste Sohn, bevor er +heiratete, in fremde Gebiete freien Ein-, Aus- und Zugang haben mußte. +Nicht nur um durch die Leibesübung und häufige Veränderung der Luft +ein eigenes persönliches Gebiet zu verbessern, sondern auch zum reinen +Vergnügen seiner Phantasie. Daß man ihm, weil er sagen konnte, ich bin +gereist, eine bunte Feder mehr in den Schwanz setzte. — <em class="antiqua">Tantum +valet</em>, pflegte mein Vater zu sagen, <em class="antiqua">quantum sonat</em>.</p> + +<p>Da dieses nun ein vernünftiger und also ein allerchristlicher Brauch +war — wenn man ihn ohne Warum und Weswegen aufsetzte — und dadurch +das erste Exempel gegeben würde, daß ein Shandyscher Erbe nicht +in einer Postchaise durch Europa kutschiert worden, und zwar bloß +deswegen, weil er noch ein Knabe war, so hieß das ärger mit ihm +umspringen, als mit einem Heiden und Türken.</p> + +<p>Auf der anderen Seite war der Fall des Ochsenmoores ebenso dringend.</p> + +<p>Den ersten Kaufschilling nicht mitgerechnet, der achthundert Louisdor +betrug, hatte es der Familie schon vor fünfzehn Jahren noch andere +achthundert an Prozeßkosten<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> gefressen. Der Himmel weiß, wie manchen +Ärger und Verdruß man dadurch hatte.</p> + +<p>Überdem war es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ein beständiges +Eigentumsstück der Shandyschen Familie, und ob es gleich groß und +breit vor dem Hause lag und man an einer Seite die Wassermühle sah und +an der anderen die projektierte Windmühle sehen sollte, von der oben +gesprochen worden — und aus allen diesen Gründen das begründetste +Recht vor allen ändern Grundstücken auf die Pflege und Fürsorge der +Familie zu haben schien: — so war es dennoch durch ein unbegreifliches +Schicksal, dem sowohl die Menschen, wie der Grund, den sie betreten, +unterworfen sind, — die ganze Zeit her schändlich übersehen worden. +Es hatte, die Wahrheit zu gestehen, dadurch so sehr gelitten, daß dem +Manne, sagte Obadiah, der wüßte, was Land wäre, und darüber ritte +und sähe, in welchen kläglichen Umständen es läge, das Herz im Leibe +darüber bluten müßte.</p> + +<p>Indessen, da weder der Ankauf dieses Grundstücks, noch seine Lage, +so gut sie auch war, meines Vaters Werk waren, so hatte er gemeint, +daß es ihn eigentlich nichts anginge. Bis vor fünfzehn Jahren der +oben erwähnte verdammte Grenzprozeß losbrach, der als meines Vaters +eigentümliche Tat und Handlung zugleich alle anderen Gründe zu seinem +Besten aufweckte. Nachdem er sie alle aufgezählt hatte, fand er, daß er +nicht nur des Nutzens, sondern auch der Ehre wegen verpflichtet sei, +etwas dafür zu tun, und daß es jetzt Zeit sei oder niemals.</p> + +<p>Es muß ein Unglück dazu geschlagen sein, daß die Gründe auf beiden +Seiten so völlig gleichwiegend waren. Denn ob mein Vater sie +unter allen Umständen und in allerlei Gemütsverfassungen abwog — +manche kummervolle Stunde in sehr tiefen und abstrakten Gedanken +darüber hinbrachte, heute Bücher von der Landwirtschaft, morgen +Reisebeschreibungen<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> las, alle Leidenschaften beiseitesetzte, die +Gründe auf beiden Seiten mit allen ihren Umständen beleuchtete, +täglich mit meinem Onkel Toby darüber Rat pflog, mit Yorick darüber +philosophierte und über die ganze Sache, das Ochsenmoor betreffend, mit +Obadiah sich besprach, so ergab sich doch in all der Zeit nichts, was +so stark für das eine sprach, das sich nicht auch ganz genau auf das +andere anwenden ließ, oder doch wenigstens durch eine oder die andere +Rücksicht, von gleichem Gewicht, die Schalen gleichschwebend hielt.</p> + +<p>Soviel war unstreitig gewiß, wenn das Ochsenmoor in gute Hände geriet +und gehörig bearbeitet würde, so müßte es ein ganz anderes Ansehen in +der Welt haben, als es der Fall war oder in seiner jetzigen Verfassung +jemals tun konnte. Das war aber auch, Obadiah mochte sagen, was er +wollte, alles haarklein von meinem Bruder Bobby wahr.</p> + +<p>In Ansehung des Einträglichen, gestehe ich, schien der Streit dem +ersten Augenblicke nach nicht so unentschieden unter den beiden; denn +so oft mein Vater Feder und Tinte zur Hand nahm und sich darüber her +machte, zu berechnen, was die Ausgaben für Aufbrechen, Ausbrennen, +Einhägen usw. des Ochsenmoors betrügen, und dagegen den sicheren +Profit, den es ihm wieder bringen müßte, so war der letzte, auf die +Art, wie er das Exempel ansetzte, so unglaublich überwiegend, daß man +hätte schwören sollen, das Ochsenmoor müßte die Oberhand behalten. +Denn es war klar, er müßte gleich das erste Jahr über hundert Last +Rapssamen ziehen, die Last zu hundert Taler gerechnet. Hierauf das +zweite Jahr eine vortreffliche Weizenernte. Das Jahr darauf, um es +nur gering anzuschlagen, hundert, nach aller Wahrscheinlichkeit aber +hundertfünfzig, wo nicht zweihundert Wispel Bohnen und Erbsen, nicht +zu gedenken der unendlichen Menge Kartoffeln. — Aber dann klopfte der +Gedanke, daß er derweile meinen Bruder auferzöge wie ein Schwein, das +sie fressen sollte, wieder in<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> seinem Kopfe an und ließ den lieben +alten Herrn in solcher Unentschlossenheit, daß er, wie er oft meinem +Onkel Toby erklärte, ebensowenig wußte, was er tun sollte wie sein +Absatz.</p> + +<p>Kein Mensch als er, der es gefühlt hat, kann sich vorstellen, was für +eine Not es ist, wenn ein Mann von zwei Projekten von gleicher Stärke +gezerrt wird, die ihn beide gleich hartnäckig in entgegenstehender +Richtung ziehen und reißen. Denn, nicht zu gedenken der Verwüstung, +die solches natürlicherweise in dem ganzen feineren Systeme der Nerven +anrichten muß, welche, wie Sie wissen, die Lebensgeister und subtileren +Säfte vom Herzen nach dem Haupte und so weiter führen: — so ist es +nicht zu sagen, in was für einem hohen Grade ein so widersinniges +Reiben schon auf die gröberen und solideren Teile wirkt, indem es, +sooft es vorwärts geht oder rückwärts, allemal das Fett eines Mannes +schmilzt und seine Kräfte schwächt.</p> + +<p>Mein Vater wäre diesem Übel erlegen, so gewiß als er dem mit meinem +Taufnamen erlag, wäre er nicht aus diesem eben so erlöset, wie aus +jenem: durch ein frisches Übel, das Unglück von meines Bruders Bobby +Tod.</p> + +<p>Was ist des Menschen Leben! Ist's nicht bald hier, bald dort? Aus einer +Sorge in die andere? Eine Ursache des Verdrusses zugeknöpft, eine +andere wieder auf!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_63"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als mein Vater den Brief empfing, der ihm die traurige Nachricht von +meines Bruders Bobby Tode gab, saß er eben über der Berechnung der +Kosten der Extrapost für ihn von Calais nach Paris und so weiter nach +Lyon.</p> + +<p>Es war eine unglückliche Reise. Mein Vater mußte jeden Schritt noch +einmal durchreisen und seine Berechnung<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> von vorne wieder anfangen, als +er bereits fast bis ans Ende gelangt war. Denn Obadiah machte die Türe +auf, ihm zu sagen, es sei keine Hefe mehr im Hause, und ihn zu fragen, +ob er nicht morgen früh das große Kutschpferd nehmen und hinreiten +sollte, welche zu holen. »Meinethalben, Obadiah,« sagte mein Vater und +ließ sich in seiner Reise nicht irremachen, »nehme Er das Kutschpferd +und damit gut!« — »Aber es hat ein Eisen verloren, das arme Tier!« +sagte Obadiah. — »Das arme Tier,« sagte mein Onkel Toby und +wiederholte die Schwingungen der Note wie eine rein gestimmte Saite. — +»So nehme Er den Schottländer,« sagte mein Vater hastig. — »Der ist +so gedrückt, daß er um alles in der Welt keinen Sattel leiden kann,« +sagte Obadiah. — »Mit dem Pferde ist auch immer was; so nehme Er den +Patrioten,« rief mein Vater, »und mache Er die Türe zu.« — »Patriot +ist verkauft,« sagte Obadiah. — »Da seh' mir einer!« schrie mein Vater +und machte eine Pause und sah meinem Onkel Toby ins Gesicht, als ob die +Sache sich nicht wirklich so verhalten könnte. — »Euer Gnaden befahlen +mir ja im letzten April, daß ich ihn verkaufen sollte,« sagte Obadiah. +— »Nun, so mag Er zu Fuß gehen,« rief mein Vater. — »Ich gehe auch +lieber, als ich reite,« sagte Obadiah und machte die Türe zu.</p> + +<p>»Was für ein Geplage!« schrie mein Vater und fuhr mit seiner Berechnung +fort. — »Aber die Wege stehen unter Wasser,« sagte Obadiah und machte +die Türe wieder auf.</p> + +<p>Bis auf diesen Augenblick hatte mein Vater mit einer Karte von Sanson +und einem Buche von den Postrassen vor sich seine Hand auf den Knauf +des Zirkels gehalten, mit einer Spitze auf Nevers, als die letzte +Station, welche er bezahlt hatte, — in der Absicht, von da mit seiner +Reise und Berechnung weiterzugehen, sobald Obadiah aus der Türe wäre. +— Dieser zweite Überfall von Obadiah aber, indem<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> er die Türe öffnete +und das ganze Land unter Wasser setzte, war zu arg. — Er ließ den +Zirkel fahren — oder vielmehr er warf ihn mit einer vermischten +Bewegung von Zufall und Zorn auf den Tisch. Nunmehr blieb ihm nichts +weiter übrig, als — wie manche andere — eben so klug wieder nach +Calais zurückzugehen, wie er von dort abgereist war.</p> + +<p>Als der Brief ins Zimmer gebracht wurde, welcher die Nachricht von +meines Bruders Tode enthielt, war mein Vater mit seiner Reise schon +abermals so weit gekommen, daß der Zirkel nur noch einen Schritt tun +durfte, so war er wieder auf der nämlichen Station zu Nevers. — »Mit +Ihrer Erlaubnis, Herr Sanson,« drückte die Zirkelspitze durch Nevers +in den Tisch und nickte meinem Onkel Toby zu, um zu sehen, was der +Brief sagte. »Zweimal an einem Abend vor einem so lumpigen Städtchen +als Nevers wieder umzukehren, ist für einen englischen Herrn und seinen +Sohn zu viel, Herr Sanson. Ist's nicht wahr, Toby?« fügte mein Vater +mit einem scherzhaften Tone hinzu. — »Es müßte denn eine Garnison +darin liegen,« sagte mein Onkel Toby. — »Alsdann bin ich ein Geck,« +sagte mein Vater lächelnd und bei sich selbst, »solange ich lebe.« +— Damit nickte er zum zweiten Male, und indem er seinen Zirkel auf +Nevers mit der einen und sein Buch von den Postrassen mit der anderen +Hand hielt, halb rechnend und halb zuhörend, lehnte er sich mit seinen +beiden Ellenbogen auf den Tisch. Mein Onkel Toby überlas leise den +Brief. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>»Er ist abgereist,« sagte mein Onkel Toby. — »Wohin, wer?« rief mein +Vater. — »Mein Neffe,« sagte mein Onkel Toby. — »Was, ohne Urlaub, +ohne Geld und ohne Wechsel? Ohne Hofmeister?« rief mein Vater mit +Erstaunen. — »Nein,<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> er ist gestorben, mein lieber Bruder,« sagte mein +Onkel Toby. — »Und nicht krank gewesen?« schrie mein Vater wieder. — +»Das kann ich nicht sagen,« sagte mein Onkel Toby mit leiser Stimme und +holte dabei einen tiefen Seufzer aus dem Grunde seines Herzens. »Er +ist krank genug gewesen, armer Knabe, dafür bin ich Bürge, denn er ist +gestorben!«</p> + +<p>Als der Agrippina der Tod ihres Sohnes bekannt gemacht wurde, erzählt +Tacitus, konnte sie die Heftigkeit ihres Schmerzes nicht mäßigen und +habe ihre Beschäftigung abgebrochen. — Mein Vater steckte seinen +Zirkel noch fester in Nevers hinein. — Was für Verschiedenheiten! +Seins war freilich ein Rechnungsgeschäft. Agrippinas muß ein ganz +anderes Geschäft gewesen sein, wie könnte man sonst Schlüsse aus der +Historie ziehen wollen?</p> + +<p>Was mein Vater weiter tat, das verdient nach meiner Meinung ein eigenes +Kapitel.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_64"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Und ein Kapitel soll es haben, und zwar ein Kapitel, das sich gewaschen +hat. — Also nehmen Sie sich in acht!</p> + +<p>Es ist entweder Plato oder Plutarch, oder Seneka oder Xenophon, oder +Epiktet oder Theophrast, oder Lucian — oder jemand anders vielleicht +aus neueren Zeiten — Cordan oder Buddeus, oder Petrach oder Stella —, +es kann auch wohl ein Gottesgelehrter oder Kirchenvater sein, welcher +behauptet, daß es ein unwiderstehlicher und natürlicher Hang ist, den +Verlust unserer Freunde oder Kinder zu beweinen. Seneka — dies weiß +ich zuverlässig — sagt uns irgendwo, daß dergleichen Betrübnisse sich +am besten durch diesen besonderen Kanal ausleeren. Demzufolge finden +wir, daß David um seinen Sohn Absalom weinte, Adrian um seinen Sohn<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> +Antinous, Niobe um ihre Kinder, und daß Apollodorus und Krito beide um +Sokrates Tränen vergossen, bevor er starb.</p> + +<p>Mein Vater behandelte seine Betrübnis auf eine andere Manier, und +zwar ganz verschieden von den meisten Menschen unter den Alten oder +Neueren; denn er weinte sie nicht etwa weg, wie die Hebräer und +Lateiner, verschlief sie nicht wie die Lappländer, erhing sie nicht wie +die Engländer und ersäufte sie nicht wie die Deutschen, noch fluchte, +verdammte, bannte, reimte oder pfiff er sie weg.</p> + +<p>Er ward ihrer indessen doch los.</p> + +<p>Wollen Euer Hochwohlgeboren mir erlauben, daß ich hier eine Historie +einschalte?</p> + +<p>Als Tullius seiner Tochter Tullia beraubt wurde, nahm er sich's anfangs +sehr zu Herzen. Er hörte auf die Stimme der Natur, und nach dieser +modulierte er seine eigene. — O meine Tullia! Meine Tochter! Mein +Kind! Noch, noch, noch bist du's! warst es, o meine Tullia! Meine +Tullia! Mich dünkt, ich sehe meine Tullia, ich höre meine Tullia, ich +spreche mit meiner Tullia. — Allein sobald er sich im Zeughause der +Philosophie umsah und bedachte, was sich über die Veranlassung für +vortreffliche Sachen sagen ließen — kein Mensch auf der Welt vermag +sich's vorzustellen —, sagte der große Redner, wie glücklich, wie +fröhlich es ihn machte.</p> + +<p>Mein Vater dachte ebenso hoch von seiner Beredsamkeit wie Marcus +Tullius Cicero nur immer von seiner. Und wenn ich nicht ganz und gar +falsch berichtet bin, mit ebensoviel Grund. Es war wirklich seine +Stärke — und seine Schwäche dazu. Seine Stärke, denn er war beredt +von Natur. Seine Schwäche, denn sie spielte ihm stündlich Streiche. +Wenn ein Vorfall in seinem Leben ihm nur Anlaß gab, seine Gaben zu +zeigen oder etwas Kluges, Witziges oder Satirisches zu sagen — ein +systematisches Unglück ausgenommen<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> —, so hatte er, was er wollte. Ein +Glück, welches meines Vaters Zunge fesselte, und ein Unglück, welches +solche auf eine gute Art in freien Gang setzte, waren ihm ziemlich +gleich willkommen. Zuweilen gar das Unglück am angenehmsten; denn wenn +zum Beispiel das Vergnügen des Redehaltens sich wie zehn, und der +Verdruß des Unglücks nur wie fünf verhielt, gewann mein Vater Hundert +auf Hundert, und befand sich folglich so wohl dabei, als wenn ihn gar +nichts überkommen wäre.</p> + +<p>Aus diesem Knäuel entwickelt sich alles, was sonst in meines Vaters +häuslichem Charakter zusammenhängend scheinen möchte. Nämlich, +daß bei den Gelegenheiten zum Ärger, die die Nachlässigkeit oder +Tölpelei des Gesindes oder andere in einer Haushaltung unvermeidliche +Verdrießlichkeiten hervorbrachten, sein Zorn oder vielmehr die Dauer +desselben niemals das war, was man vermutete.</p> + +<p>Mein Vater hatte eine kleine Stute, die er sehr liebte; dieser hatte +er einen sehr schönen arabischen Hengst zugegeben, um ein Füllen für +seinen eigenen Sattel von ihr zu erzielen. Er war lebhaft in allen +seinen Projekten; also sprach er täglich von dem Füllen wie von einem +wirklich vorhandenen Dinge, das schon geworfen, gezähmt, gezäumt und +zum Reiten gesattelt vor seiner Türe stände, das er nur besteigen +dürfte. Durch ein oder zwei Versehen des Obadiah kam es, daß aus meines +Vaters Erwartung nichts anderes wurde als ein Maulesel, und zwar in +seiner Art so häßlich, wie nur einer, der einen Esel zum Vater hat, +sein kann.</p> + +<p>Meine Mutter und mein Onkel Toby meinten nicht anders, als mein Vater +würde Obadiah den bittersten Dampf antun und das bittere Leben würde +kein Ende nehmen. — »Nun seh Er einmal, Schäker,« rief mein Vater und +wies auf den Maulesel, »was er gemacht hat!« — »Das habe<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> ich nicht +getan,« sagte Obadiah. — »Woher kann ich das wissen?« versetzte mein +Vater.</p> + +<p>Triumph über diese witzige Antwort schwamm in meines Vaters Auge. Das +attische Salz brachte Wasser hinein. Und somit hörte Obadiah kein Wort +weiter darüber.</p> + +<p>Nun laßt uns zurückkehren zu meines Bruders Tode.</p> + +<p>Die Philosophie hat auf jede Sache einen hübschen Spruch. Auf den Tod +hat sie eine ganze Schnur voll; das Unglück war nur, daß sie alle auf +einmal auf meines Vaters Kopf losstürzten und es schwer war, sie so +aneinanderzureihen, daß ein hübsches beschauliches Ganzes daraus wurde. +Er nahm sie also, wie sie kamen.</p> + +<p>»Es ist ein unvermeidliches Geschick. Das erste Gesetz im allgemeinen +Gesetzbuche. Es ist eine unwiderrufliche Parlamentsakte, mein lieber +Bruder: alles muß sterben. «</p> + +<p>»Wenn mein Sohn nicht hätte sterben können, das wäre Ursache zum +Verwundern gewesen, nicht, daß er gestorben ist. Monarchen und Prinzen +tanzen mit uns in einem Reigen.</p> + +<p>Sterben ist der große, der Nation schuldige Zoll und Tribut. Gräber +und Monumente, die unser Gedächtnis verewigen sollten, bezahlen solche +selbst, und die stolzeste Pyramide unter allen, die Reichtum und Kunst +errichtet, hat ihre Spitze verloren und liegt dort in großen Trümmern +in entferntem Anblicke des Wanderers.« Mein Vater fand, daß es ihm +sehr gut tat, und fuhr fort: »Ganze Reiche und Länder, und Flecken +und Städte, haben sie nicht ihre Perioden? Denn wenn die Prinzipia +und Kräfte, welche sie zuerst gründeten und zusammenfügten, ihre +verschiedenen Evolutionen bewirkt haben, so fallen sie zusammen.« — +»Bruder Walther,« sagte mein Onkel Toby bei dem Worte Evolutionen +und legte seine Pfeife nieder. — »Revolutionen wollte ich sagen,« +unterbrach ihn mein Vater, »wahrhaftig, Revolutionen wollte ich sagen, +Bruder Toby; Evolutionen ist Unsinn.« — »Unsinn<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> ist's doch auch +nicht,« sagte mein Onkel Toby. — »Aber ist's nicht Unsinn, den Faden +eines solchen Gesprächs über eine solche Veranlassung zu zerreißen?« +rief mein Vater. »Höre, lieber Toby,« fuhr mein Vater fort und faßte +ihn bei der Hand, »höre, höre, ich bitte dich, unterbrich mich nicht in +dieser Krisis!« — Mein Onkel Toby nahm seine Pfeife in seinen Mund.</p> + +<p>»Wo ist Troja und Mykenä, und Theben und Delos, und Persopolis und +Agrigent?« fuhr mein Vater fort, wobei er sein Buch von den Postrassen +wieder aufnahm, das er niedergelegt hatte. »Wo, mein Bruder Toby, +wo sind Ninive und Babylon, und Cizicum und Mitileno geblieben? Die +schönsten Städte, über welche jemals die Sonne aufgegangen, sind jetzt +nicht mehr da. Die Namen sind nur noch übrig, und diese — denn viele +davon werden falsch buchstabiert - zerstäuben auch schon wie Wurmmehl +und werden mit der Zeit vergessen und mit allen anderen Dingen in eine +ewige Nacht gehüllt werden. Die Welt selbst, Bruder Toby, muß, muß ein +Ende nehmen.</p> + +<p>Auf der Rückkehr aus Asien, da ich von Ägina nach Megara segelte« — +wann mag das wohl gewesen sein, dachte mein Onkel Toby —, »begann +ich das Land umher zu beschauen. Ägina lag hinter mir, Megara vor +mir, Pyräus zu meiner Rechten, Korinth zur Linken. Was für blühende +Städte, nun liegen sie auf der Erde im Staube! Ach, ach! sagte ich zu +mir selbst, daß einen Mann die Ruhe seiner Seele stören kann über den +Verlust eines Kindes, wenn so gewaltige Trümmer so fürchterlich vor +seinem Anblicke liegen. Bedenke, sagte ich abermals zu mir selbst, +bedenke, du bist ein Mensch!«</p> + +<p>Nun sehen Sie, mein Onkel Toby wußte nicht, daß dieser letzte Paragraph +ein Auszug aus Servius Sulpicius' Trostschreiben an den Cicero war. +Der ehrliche Mann war<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> ebensowenig in den Fragmenten wie in den ganzen +Stücken der Altertümer bewandert. Und da mein Vater, als er noch Anteil +am Handel hatte, drei bis vier Reisen nach der Levante gemacht und +einmal ganze anderthalb Jahre sich zu Zanthen aufgehalten hatte, so kam +mein Onkel Toby natürlich auf den Gedanken, mein Vater müsse einstmals +einen Abstecher durch den Archipelagus nach Asien gemacht haben, und +daß dieser ganze Segeleikram, mit Ägina hinten, Megara vorne und Pyräus +zur Rechten usw. nichts anderes sei, als der wahre Weg und Lauf der +Reise und der Betrachtungen meines Vaters.</p> + +<p>Es war ganz in seiner Manier; mancher Kritikus würde wohl zwei +Stockwerke höher auf noch schlechterem Grund gebaut haben. — »Sage mir +doch, Bruder,« sagte mein Onkel Toby und legte das Ende seiner Pfeife +auf meines Vaters Hand, als eine freundschaftliche behende Art des +Indieredefallens, wobei er jedoch wartete, bis sein Bruder einen Punkt +machte, »in welchem Jahre unseres Herrn war das?« — »In keinem Jahre +unseres Herrn,« versetzte mein Vater. — »Das ist unmöglich!« rief mein +Onkel Toby. — »Du Taubenkopf,« sagte mein Vater, »es war vierzig Jahre +vor Christi Geburt.«</p> + +<p>Meinem Onkel Toby blieb nur unter zwei Dingen die Wahl: entweder zu +glauben, sein Bruder sei der ewige Jude oder der Verlust seines Sohnes +habe ihm das Gehirn verrückt. »Gott im Himmel und auf Erden möge ihn +beschützen und genesen lassen!« sagte mein Onkel Toby, indem er mit +Tränen in den Augen still in seinem Herzen für meinen Vater betete.</p> + +<p>Mein Vater brachte die Tränen gehörig in Rechnung und fuhr frisch mit +seiner Rede fort.</p> + +<p>»Es gibt keine so große Ungleichheit, Bruder Toby, zwischen Gutem und +Bösem, wie sich die Welt einbildet« —<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> diese Art zu beginnen, war, +beiläufig gesagt, eben nicht sehr tüchtig, meinem Onkel Toby seinen +Argwohn zu benehmen —; »Arbeit, Sorgen, Betrübnis, Krankheit, Not und +Mangel sind Brühen über das Leben.« — »Wünsche wohl zu bekommen!« +sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.</p> + +<p>»Mein Sohn ist tot! — Desto besser. Eine Schande wär's, in einem +solchen Sturme nur einen Anker zu haben.</p> + +<p>Allein er hat uns verlassen und kehrt nicht wieder! Mag's! Er ist nur +den Händen seines Barbiers entronnen, ehe ihm sein Haar ausfiel. Er ist +nur von einer Mahlzeit aufgestanden, ehe er den Magen überladen hat, +von einem Gelage, ehe er trunken worden.</p> + +<p>Die Thrazier weinten, wenn ein Kind geboren wurde« — »und wir waren +auch nicht weit davon,« sagte mein Onkel Toby —, »und schmausten und +lebten fröhlich, wenn ein Mensch aus der Welt ging; und das mit Recht. +Der Tod öffnet die Pforte des Nachruhms und schließt die Pforte des +Neides hinter sich zu. Er entledigt den Gefangenen von seinen Ketten +und gibt das Werk des Tagelöhners den Händen eines anderen.</p> + +<p>Zeige mir den Mann, der weiß, was das Leben ist, der es fürchtet, und +ich zeige dir einen Gefangenen, der seine Freiheit scheut.</p> + +<p>Ist es nicht besser, mein lieber Bruder Toby — denn merke dir, unsere +Lüste sind eigentliche Gebrechen —, ist es nicht besser, gar keinen +Hunger zu haben, als zu essen? Keinen Durst, als eine Mixtur zu nehmen, +um ihn zu stillen?</p> + +<p>Der Tod ist nichts Grauenvolles, Bruder Toby, in seinen Blicken, als +was er vom Ächzen und den Zuckungen borgt, und von dem Nasenschneuzen +und Augenwischen mit den Gardinenzipfeln in dem Krankenzimmer eines +Sterbenden. Nimm ihm das, was bleibt er?« — »Er ist besser in der +Schlacht als auf dem Bette,« sagte mein Onkel Toby. — »Nimm<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> ihm +seine Bahre, seine feierliche Stille, seinen schwarzen Flor, seine +Federbüsche, Sargschilde und andere solche mechanische Hilfsmittel, +was bleibt er? Besser in der Schlacht?« fuhr mein Vater lächelnd +fort, denn meinen Bruder Bobby hatte er rein vergessen. »Nirgends +ist er furchtbar. Denn sieh nur, Bruder Toby: wenn wir sind, so ist +der Tod nicht; und ist der Tod, so sind wir nicht.« — Mein Onkel +Toby legte seine Pfeife nieder, um den Satz nachzudenken. Meines +Vaters Beredsamkeit war zu reißend, um auf einen Menschen zu warten, +fortströmte sie, und zog meines Onkel Tobys Ideen mit sich dahin.</p> + +<p>»Deswegen ist es,« fuhr mein Vater fort, »der Mühe wert zu bemerken, +wie wenig Schrecken die Annäherung des Todes großen Männern +verursacht hat. Vespasianus starb scherzend auf seinem Nachtstuhle, +Galba mit einem Sittenspruche, Septimus Severus machte eben eine +Depesche, Tiberius machte jemandem etwas weis, und Cäsar Augustus ein +Kompliment.« — »Ich hoffe, es war ein aufrichtiges,« sagte mein Onkel +Toby.</p> + +<p>»Es war an seine Gemahlin,« sagte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_65"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Sechsundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Und endlich und zuletzt — denn unter allen den ausgewählten +Anekdoten, welche die Geschichte über diese Materie aufweisen kann,« +fuhr mein Vater fort — »ziert diese wie ein vergoldetes Kuppeldach das +ganze Gebäude.</p> + +<p>Es ist die von Kornelius Gallus, dem Prätor, die du gewiß gelesen +hast, Bruder Toby.« — »Ich habe sie gewiß nicht gelesen,« erwiderte +mein Onkel. — »Er starb,« sagte mein Vater, »als er — — — — — — +—«<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> — »Nun, wenn's seine Ehefrau war,« sagte mein Onkel Toby, »so +konnte nichts Anstößiges dabei sein.« — »Das ist mehr, als ich weiß,« +versetzte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_66"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Meine Mutter ging eben ganz leise im Finstern den Gang entlang, der auf +die Stube stieß, als mein Onkel Toby das Wort Ehefrau aussprach. Das +Wort ist an sich schon sehr tönend, und Obadiah war ihm noch dadurch +zu Hilfe gekommen, daß er die Türe nur ans Schloß gelehnt hatte, so, +daß meine Mutter genug davon hörte, um zu glauben, man spräche eben +von ihr. Sie legte deswegen einen Finger über ihre beiden Lippen, +hielt den Atem an, beugte den Kopf ein wenig seitwärts nieder, nicht +nach der Türe hin, sondern davon ab, daß ihr Ohr an die Spalte kam, +und horchte aus allen Kräften. Der römische Horcher mit der Göttin des +Stillschweigens hinter sich, könnte keinen schöneren Gedanken zu einem +Gemmenschnitt gegeben haben.</p> + +<p>In dieser Stellung bin ich willens, sie fünf Minuten stehen zu lassen, +bis ich die Sachen in der Küche zu ebender Periode geführt habe.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_67"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Unser Junker in London ist tot!« sagte Obadiah.</p> + +<p>Ein grüner Atlasmorgenrock meiner Mutter, der schon zweimal aufgeputzt +worden, war die erste Idee, welche Obadiahs Ausrufung in Susannas Kopf +brachte. Locke hatte wohl recht, ein Kapitel über die Unvollkommenheit +der Worte zu schreiben. »Nun,« sagte Susanna, »so müssen wir alle<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> +trauern.« — Aber merken Sie's noch einmal: das Wort trauern, +ungeachtet Susanna es selbst brauchte, verfehlte dennoch seine Wirkung. +Es erweckte keine einzige in Schwarz oder Grau gefärbte Idee, alles war +grün, der grüne Atlasmorgenrock hing noch da.</p> + +<p>»O! meine arme Madame wird den Tod davon bekommen,« rief Susanna. Nun +folgte meiner Mutter ganzer Kleidervorrat. Was für eine Prozession! +Ihr rotdamastnes, ihr orangefarbenes, ihr weiß und gelb gestreiftes, +ihr braun taffetnes Kleid, ihre Spitzenkopfzeuge, ihre Morgenröcke +und ausgenähten Unterröcke. Alles, bis auf den geringsten Lappen, +ging durch die Musterung. »Nein, das überlebt sie gewiß nicht,« sagte +Susanna.</p> + +<p>Wir hatten ein dickes, närrisches Küchenmensch, mein Vater, glaube ich, +behielt sie wegen ihrer Einfalt. Sie hatte sich den ganzen Herbst mit +der Wassersucht geschleppt. »Er ist tot!« sagte Obadiah. »Er ist ganz +gewiß tot!« — »Ich nicht,« sagte das närrische Küchenmensch.</p> + +<p>»Das gibt hier betrübte Zeiten, Trim!« rief Susanna und wischte sich +die Augen, als Trim in die Küche trat. »Junker Bobby ist tot und +begraben.« Das Begräbnis war eine Interpolation von Susannas Erfindung. +»Nun müssen wir alle trauern,« sagte Susanna.</p> + +<p>»Das hoffe ich nicht,« sagte Trim. — »Er hofft nicht!« sagte Susanna +ganz ernsthaft. Die Trauer mochte noch so sehr in Susannens Kopfe +herumlaufen, in Trims kam sie nicht. — »Ich hoffe,« sagte Trim, sich +deutlicher zu erklären, »ich hoffe zu Gott, die Nachricht soll falsch +sein.« — »Den Brief habe ich mit meinen eigenen Ohren lesen hören,« +antwortete Obadiah. »Und nun werden wir 'n hübsch Stück Arbeit kriegen, +mit dem alten Ochsenmoore, das werden wir nun wohl roden und reuten +müssen.« — »O! er ist tot,«<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> sagte Susanna. — »So tot,« sagte das +Küchenmensch, »als ich lebe.«</p> + +<p>»Ich beklage ihn von ganzem Herzen,« sagte Trim mit einem Seufzer. — +»Der arme Mensch! Der arme Junker! Der arme Herr!«</p> + +<p>»Vorige Pfingsten tat er noch leben,« sagte der Kutscher. — +»Pfingsten! Ach was hat Pfingsten, Jonathan,« — so hieß der Kutscher +— rief Trim und streckte seinen rechten Arm aus, »oder Fasten oder +alles, was vorbei ist, damit zu tun? Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr +der Korporal fort — er stieß dabei mit seinem Stecken perpendikulär +auf den Boden, um gleichsam eine Idee von Gesundheit und Festigkeit zu +geben —. »Und sind wir nicht« — dabei warf er seinen Hut auf den Flur +— »dahin in einem Hui!« — Es war ordentlich rührend! Susanna brach in +eine Tränenflut aus. »Wir sind weder Stein noch Stöcke.« — Jonathan, +Obadiah, die Köchin, alle wurden weichherzig. Das dicke Küchenmensch +selbst, das eben einen Fischkessel auf den Knien hatte und scheuerte, +ward davon angegriffen. Die ganze Küche drängte sich um den Korporal +herum.</p> + +<p>Da ich nun ganz deutlich gewahr werde, daß die Erhaltung unserer +Konstitution im kirchlichen und weltlichen Staate, und wohl gar die +Erhaltung der ganzen Welt, oder was einerlei ist, die Verteilung +und das Gleichgewicht des Vermögens und der Gewalt in derselben in +der Beredsamkeit des Korporals vorkommen kann, so bitte ich um dero +Aufmerksamkeit. Euer Hochwürden, Wohlgeboren können allemal wieder zehn +Seiten hindurch, an welcher andern Stelle des Buches Sie wollen, ganz +ruhig schlafen.</p> + +<p>Ich sagte: wir wären weder Steine noch Stöcke, ganz gut. Ich hätte +hinzufügen sollen, auch keine Engel — ich wollte, wir wären's! +—, sondern Mensch in Fleisch gekleidet und von unserer Einbildung +beherrscht. Und was es zwischen der<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> und unseren sieben Sinnen, +besonders einigen darunter, für ein herrliches Stück Arbeit setzt, für +meinen eigenen Teil muß ich's gestehen, schäme ich mich zu bekennen. +Laß es genug sein, zu behaupten, daß von allen diesen Sinnen das +Gesicht — denn dem Gefühle spreche ich's ohne weiteres ab — den +schnellsten Verkehr mit der Seele hat, einen härteren Anstoß gibt +und etwas Unaussprechlicheres in der Phantasie läßt, als Worte weder +annehmen oder auch zuweilen los werden können.</p> + +<p>Ich bin ein wenig umhergeschlendert — tut nichts! 's ist der +Gesundheit halber! — Laß uns nur wieder in Gedanken zur Sterblichkeit +und zu Trims Hut zurückkehren. »Sind wir nicht jetzund hier, und in +einem Hui dahin?« Was steckte denn wohl in den Worten? — Es war eine +von den unbescholtenen Wahrheiten, die wir das Glück haben können, alle +Tage zu hören; und hätte sich Trim nicht auf seinen Hut mehr verlassen +können, als auf seinen Kopf, nichts hätte er damit ausgerichtet.</p> + +<p>»Sind wir nicht jetzund hier,« fuhr der Korporal fort, »und sind wir +nicht« — wobei er seinen Hut plump auf die Fliesen fallen ließ und +pausierte, ehe er das Wort sagte — »dahin in einem Hui?« Der Fall des +Hutes war so, als ob ein schwerer Klumpen Ton in den Kopf geknetet +gewesen wäre. Nichts hätte das Gefühl der Sterblichkeit, von dem er +der Vorläufer und das Vorbild war, so gut auszudrücken vermocht. Seine +Hand schien darunter zu verschwinden. Er fiel wie tot. Des Korporals +Auge war darauf geheftet wie auf eine Leiche. Susanna brach in eine +Tränenflut aus.</p> + +<p>Nun gibt es zehntausend und zehntausendmal zehntausend — denn Materie +und Bewegung sind unendlich — Art und Weisen, wie man einen Hut +auf die Erde fallen lassen kann, ohne daß es wirke. Hätte er ihn +geschleudert, geschlenkert, geworfen, hingeschmissen, hingegossen, oder +ihn in irgendeiner<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> möglichen Richtung unter der Sonne sinken oder +fallen lassen, oder in der besten Richtung, die man ihm geben könnte, +hätte er ihn fallen lassen wie einen Gänsekopf, wie ein Tölpel, wie +ein Esel, oder hätte er dabei, oder auch nur nachher ausgesehen wie +ein Dummbart, wie ein Tropf, wie ein Gimpel — vorbei war's, und die +Wirkung aufs Herz wäre verloren gegangen.</p> + +<p>Ihr, die ihr diese mächtige Welt und ihre mächtigen Angelegenheiten +mit der Esse der Beredsamkeit regieret. — Die ihr sie erhitzt und +kältet und schmelzt und zerlaßt und dann wieder härtet, ihr, die ihr +die Leidenschaften mit diesem Hebezeuge kehrt und wendet, und wenn +es geschehen, die Besitzer derselben dahinbringt, wohin ihr wollt. +Ihr endlich, die ihr Menschen wie Truthähne mit einer Gerte und rotem +Haderlumpen zu Markte treibt, und, warum auch nicht ihr, die ihr euch +so treiben laßt — zieht eure Anmerkungen — zieht eure Anmerkungen, +ich bitte euch, aus Trims Hute.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_68"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunundsechzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Halt! — Ich habe eine kleine Rechnung mit dem Leser abzutun, ehe Trim +mit seiner Rede fortfahren kann. — In zwei Minuten soll's geschehen +sein.</p> + +<p>Unter verschiedenen anderen Buchschulden, welche ich zu gehöriger +Zeit alle entrichten werde, bekenne ich mich als ein Schuldner der +Welt wegen zwei Items. Ein Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern, +welche ich in den vorhergehenden Kapiteln meines Werkes versprach und +willens war, noch dies Jahr abzubezahlen. Da mir aber einige von dero +Hochwürden und Wohlgeboren sagten, daß diese Subjekte, so miteinander +verbunden, besonders die Moral der Welt in Gefahr bringen möchten, so +ersuche ich, daß man mir die<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Kapitel von Kammerzofen und Knopflöchern +schenken möge, und daß man an deren Stelle das letzte für Lieb und +Willen nehmen wolle, welches, mit Euer Hochwürden Wohlnehmen, weiter +nichts ist, als ein Kapitel von Kammerzofen, grünen Schlafröcken und +alten Hüten.</p> + +<p>Trim nahm den seinigen von der Erde auf, setzte ihn auf seinen Kopf und +fuhr darauf in seiner Rede vom Tode fort, auf die Art und Weise, wie +folgt.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_69"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Für uns, Jonathan, die wir keine Sorgen und keinen Mangel kennen, die +hier im Dienste sind, bei zwei der besten Herren (ausgenommen, was mich +anbelangt, Seine königliche Majestät, König Wilhelm <em class="antiqua">III.</em>, dem +ich die Ehre gehabt habe zu dienen, sowohl in Irland wie in Flandern), +ja, das gestehe ich, da ist von Pfingsten bis Advent nicht lange. Es +ist fast nichts; aber für diejenigen, die den Tod recht kennen und +wissen, was er für eine Zerstörung Jerusalems anrichten kann, ehe sich +ein Mensch einmal auf seinem Absatze herumdrehen kann, ja, für die +ist's eine lange Zeit. — O, Jonathan, einem gutherzigen Menschen muß +das Herz im Leibe bluten,« fuhr der Korporal Trim fort und richtete +sich stramm auf, »wenn man bedenkt, wie mancher ehrliche, brave Kerl +seit der Zeit tief unter die Erde gesteckt worden! — Und glaube mir +nur, Suschen,« fügte der Korporal hinzu und wendete sich an Susanna, +deren Augen im Wasser schwammen, »ehe diese Zeit wieder herumkommt, +wird auch manch helles Auge dunkel sein.« — Susanna ließ das Wort +nicht auf die Erde fallen, sie weinte, aber sie knickselte auch. — +»Sind wir nicht,« fuhr Trim fort und sah dabei immer die Susanna an, +»sind wir nicht wie eine Blume auf dem Felde?« — Ein Hochmutstränchen<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> +schlich sich zwischen jedes Paar Tränen der Demut, sonst hätte keine +Zunge Susannas Betrübnis aussprechen können. »Ist nicht alles Fleisch +wie Heu? Es ist Leim, es ist Kot.« Alle sahen den Augenblick auf das +Küchenmädchen, das eben einen Fischkessel scheuerte. Es war nicht recht.</p> + +<p>»Was ist das niedlichste Geschöpf, das jemals ein Mann angesehen hat!« +— »Ich könnte es gar nicht müde werden, Trim so sprechen zu hören,« +sagte Susanna. — »Was ist es?« — Susanna legte ihre Hand auf Trims +Schulter — »als Koder und Moder!« Susanna zog ihre Hand zurück.</p> + +<p>»Dafür eben mag ich euch leiden. Diese herzlabende Mixtur in euch, +teure Geschöpfe, macht euch zu dem, was ihr seid. Wer euch deswegen +hasset, der — alles, was ich dazu sagen kann, ist —, der hat entweder +einen Kürbis statt des Kopfes auf dem Rumpfe, oder einen Holzapfel +statt des Herzens im Leibe. Wenn er anatomiert wird, wird sich's +zeigen, daß ich recht habe.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_70"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Einundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ob Susanna dadurch, daß sie die Hand zu plötzlich von Trims Schulter +zog (da sich ihre Leidenschaft so schnell herumwarf) die Kette seiner +Betrachtungen ein wenig unterbrach, oder ob der Korporal zu argwöhnen +begann, daß er dem Magister ins Gehege geraten, und mehr wie ein +Prediger als in seiner eigenen Person redete, oder ob — — — — — +— Oder ob —, denn in allen solchen Fällen kann ein erfindungsreiches +Genie mit Freuden ein paar Seiten mit Voraussetzungen anfüllen. — Was +von all diesem die Ursache war, das mag der scharfsinnige Sonstjemand +ausmachen. — Soviel ist wenigstens gewiß, der Korporal fuhr mit seiner +Standrede also fort:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p> + +<p>»Für mein Teil kann ich sagen, daß ich, außen vor der Türe, mir nichts +aus dem Leben mache, nicht das!« — setzte der Korporal hinzu und +machte ein Schnippchen mit den Fingern. Aber mit einem Anstande, den +kein anderer als der Korporal der Empfindung hätte geben können. »In +einer Schlacht achte ich den Tod nicht das ... Laß ihn mich nur nicht +wie eine feige Memme überrumpeln, wie den armen Paul Gibbins, da er +seine Flinte auswusch. — Was ist er denn? Ein Klapp des Hahns an den +Pfannendeckel, ein Puff mit dem Bajonett ein Zoll tief hier oder da, +das ist alles. Sieh das Glied hinab, rechts. Sieh! da liegt Jakob! Gut! +'s ist so gut, als ob er Rittmeister geworden wäre. — Nein, 's ist +Dirk. Nun, so ist's für Jakob ebensogut. Laß fallen, was fällt, wir +avancieren. In der Hitze des Treffens fühlt man sogar die Wunde nicht, +wenn er kommt. Das beste ist, man sieht ihm in die Augen. Der Mann, +welcher flieht, ist in zehnmal größerer Gefahr als der, der ihm in den +Rachen marschiert. Ich habe ihm wohl hundertmal,« setzte der Korporal +hinzu, »in die Fresse gesehen und ich weiß, was er ist. Nichts, gar +nichts ist er, Obadiah, im Felde!« — »Ja, aber im Hause ist er sehr +graulich,« sagte Obadiah. — »Ich scher' mich nicht darum, ich,« sagte +Jonathan, »wenn ich auf dem Kutschbock sitze.« — »Im Bette, meine ich, +muß es wohl am natürlichsten sein,« sagte Susanna. — »Und könnte ich +ihm aus dem Wege, wenn ich in das elendeste Kalbsfell kröche, daraus +jemals ein Schnappsack gemacht ist, so tät' ich's da,« sagte Trim.</p> + +<p>»Natürlich ist natürlich,« sagte Jonathan. — »Und deswegen,« rief +Susanna, »bedaure ich meine Madame so herzlich. Sie wird es in ihrem +Leben nicht überwinden.« — »Und ich, ich bedaure den Kapitän am +meisten in der ganzen Familie,« antwortete Trim. »Madame wird sich +das Herz erleichtern durch Weinen, und der alte Herr durch sein<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> +Sprechen darüber, aber mein armer Herr wird alles stillschweigend bei +sich behalten. Ich werde ihn einen ganzen Monat lang im Bette seufzen +hören, wie er um den Leutnant Le Fever tat. —›O, Euer Gnaden müssen +nicht kläglich seufzen,‹ sagte ich dann zu ihm, wenn ich neben ihm lag. +— ›Ich kann nicht dafür, Trim,‹ sagte dann der Kapitän. ›'s ist ein +so melancholischer Zufall, ich kann's nicht aus dem Kopfe kriegen.‹ +—›Euer Gnaden fürchten sich ja selbst vor dem Tode nicht.‹ — ›Ich +hoffe,‹ pflegte er dann zu sagen, ›ich fürchte mich vor nichts, als was +Böses zu tun. — Gut so!‹ pflegte er hinzuzusetzen, ›es gehe, wie es +gehe, für Le Fevers Knaben will ich sorgen.‹ Und damit, wie mit einem +schmerzlindernden Tranke, fiel Seine Gnaden in Schlaf.«</p> + +<p>»Ich mag Trims Historien vom Kapitän gerne hören,« sagte Susanna. — +»'s ist ein so gutherziger Herr,« sagte Obadiah, »als jemals Atem +holte.« — »Das sollt' ich meinen,« sagte der Korporal, »und so brav +obendrein, als jemals vor einer Division aufmarschiert ist. — 's war +niemals ein besserer Offizier in des Königs Armee oder ein besserer +Mann in Gottes weiter Welt. Er ging auf die Mündung einer Kanone los, +und wenn er auch die glühende Lunte schon am Zündloch sähe. Und doch +hat er dabei ein so weiches Herz wie ein Kind, gegen andere Leute. Er +könnte keinem jungen Hühnchen was zuleide tun.« — »Ja, lieber wollt' +ich so einen Herrn,« sagte Jonathan, »das Jahr für fünfunddreißig Taler +Lohn fahren als viele andere für vierzig.« — »Dank, Jonathan, für die +fünf Taler. Ebensogut, Jonathan,« sagte der Korporal, und schüttelte +ihm die Hand, »als ob du mir das bare Geld in die Hand gezählt hättest. +— Ich, bis an mein letztes Ende wollte ich ihm aus Liebe dienen. — +Er handelt an mir wie ein Freund und Bruder. Und wenn ich's gewiß +wüßte, daß mein armer Bruder Thomas tot wäre,« fuhr der Korporal fort +und zog sein Schnupftuch aus der<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> Tasche »und hätte ich fünftausend +Taler im Vermögen, ich vermachte es dem Kapitän bis auf den letzten +Groschen.« — Trim konnte sich bei diesem testatorischen Beweise von +seiner Zuneigung gegen den Kapitän der Tränen nicht erwehren. — Die +ganze Küche ward gerührt. — »Komm' Er, hört Er, und erzähle uns die +Geschichte von dem armen Leutnant,« sagte Susanna. »Von Herzen gern,« +antwortete der Korporal.</p> + +<p>Susanna, die Köchin, Jonathan, Obadiah und der Korporal Trim machten +einen Kreis um das Feuer, und so bald das Küchenmädchen die Küchentüre +zugemacht hatte, fing der Korporal an.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_71"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich will ein Türke sein, wenn ich nicht meine Mutter ebenso rein +vergessen hatte, als ob mich die Natur aufgepflastert und am Ufer +des Nils nackt niedergesetzt hätte, ohne mir eine zu geben. Ihr ganz +gehorsamster Diener, Madame! Ich habe Ihnen sehr viel Mühe gemacht. +Ich wünsche, es möchte anschlagen! Sie haben mir aber noch eine große +Öffnung im Rücken gelassen. Und da, hier vorne, ist ein großes Stück +abgefallen. Was soll ich mit diesem Fuße anfangen? Damit werde ich +England niemals erreichen.</p> + +<p>Ich meinesteils wundere mich über nichts, und mein Urteil hat mich +in meinem Leben so oft mißgeleitet, daß ich ihm niemals recht traue, +es mag richtig sein oder falsch, wenigstens bin ich selten heiß bei +kalten Gegenständen. Dem allen ungeachtet, verehre ich die Wahrheit so +aufrichtig, wie nur jemand tun kann. Und wenn sie uns aus den Augen +entkommen, und ein Mensch nimmt mich gelassen bei der Hand, um sie +miteinander zu suchen, wie eine Sache, die wir<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> beide verloren haben +und ohne die wir doch nicht raten können, so gehe ich mit ihm bis an +der Welt Ende. Das Disputieren aber hasse ich, und deswegen — wenn's +nicht auf Glaubens- oder solche Sachen ankommt, die die menschliche +Gesellschaft betreffen — werde ich fast immer lieber alles zugeben, +was mir nicht im ersten engen Wege den Hals zuschnürt, als mich dazu +bringen lassen. Nur das Ersticken ist mir zuwider, und stinkender +Qualm am ärgsten. Aus dieser Ursache faßte ich gleich von Anbeginn den +Entschluß, daß, wenn ja die Armee der Märtyrer verstärkt oder eine neue +errichtet werden sollte, ich auf keine Weise was damit zu schaffen +haben wollte.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_72"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreiundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Aber wieder zu meiner Mutter zu kommen. —</p> + +<p>Meines Onkels Toby Meinung, Madame, daß nichts Böses dabei sein könnte, +oder vielmehr das Wort Ehefrau — denn das war alles, was meine Mutter +davon hörte —, faßte sie bei der schwachen Seite des ganzen weiblichen +Geschlechts. Sie müssen mich nicht falsch verstehen; ich meine ihre +Neugierde. Sie schloß flugs, man spräche von ihr; und wenn Sie den +Glauben bei ihr annehmen, so werden Sie leicht begreifen, wie sie +jedes Wort, das mein Vater sagte, auf sich oder auf ihre häuslichen +Angelegenheiten deutete.</p> + +<p>Sagen Sie mir doch, Madame, ich bitte, in welcher Gasse wohnt die Dame, +die es nicht ebenso getan hätte.</p> + +<p>Mein Vater hatte einen Sprung auf Sokrates' Tod getan und gab meinem +Onkel Toby einen Auszug aus seiner Schutzrede vor seinen Richtern. +Sie war unwiderstehlich; nicht die Rede des Sokrates, sondern die +Versuchung, die meinen Vater dazu trieb. Er selbst hatte das Jahr +vorher,<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> ehe er den Handel niederlegte, das Leben des Sokrates<a id="FNAnker_1" href="#Fussnote_1" class="fnanchor">[1]</a> zu +schreiben angefangen. Ich fürchte, das eben förderte seinen Entschluß, +aus dem Handel zu scheiden. Also war niemand fähiger, mit so vollen +Segeln und mit solcher hohen Flut von heroischer Beredsamkeit über die +Gelegenheit daherzufahren als mein Vater. Es gibt keine Periode in +Sokrates' Rede, die mit einem kürzeren Worte schließt als: sterbliche +Hülle verlassend, oder: ewiger Vernichtung geweiht —, oder einen +geringeren Gedanken in der Mitte derselben hatte als: sein oder nicht +sein. — Der Übergang zu einem neuen unversuchten Zustande der Dinge +oder zu einem langen, einem tiefen, einem ruhigen Schlafe ohne Träume, +ohne Auffahren: daß wir und unsere Kinder geboren sind, zu sterben, +aber keiner von uns geboren zu Sklaven. — Nein, da irre ich; das war +eine Stelle aus Eleazars Rede, wie uns solche Josephus aufbewahrt +hat. Eleazar gesteht, er habe es von den Philosophen aus Indien. Nach +aller Wahrscheinlichkeit hat Alexander der Große bei seinem Einfall in +Indien, nachdem er Persien mit Krieg überzogen, unter den mancherlei +Dingen, die er gestohlen, auch dieses Sortiment Beute gemacht, von dem +es dann, wo nicht den ganzen Weg durch ihn allein — denn wir wissen +alle, daß er zu Babylon starb —, wenigstens durch einige von seinen +Marodeurs nach Griechenland gebracht ist. Von Griechenland kam es nach +Rom, von Rom nach Frankreich und von Frankreich nach England. So kommen +die Sachen herum.</p> + +<p>Zu Lande kann ich mir keinen anderen Weg denken.</p> + +<p>Zu Wasser konnte das Sortiment ganz gemächlich den<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> Ganges herunter- in +den Sinus Gangeticus oder die Bai von Bengalen und so in das Indische +Meer kommen, und indem es den Weg des Handels nahm — der Weg über Cap +de bonne espérance war damals noch nicht entdeckt —, konnte es mit +anderen Gewürz- und Spezereiwaren übers Rote Meer nach Joddah, dem +Hafen von Mekka, oder nach Tor oder Suez, zwei Städtchen im Innersten +des Golfo, gebracht werden. Von da mit den Karawanen nach Coptos, das +nur drei Tagereisen davon liegt. Dann den Nil herunter geraden Weges +nach Alexandria, woselbst das Sortiment gerade unten an der Treppe der +Alexandrinischen Bibliothek ausgeschifft werden konnte. Und aus diesem +Packhause konnte es geholt werden. Gott segne uns, was in den Zeiten +die Gelehrten für einen Handel betrieben!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_73"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Sehen Sie, mein Vater hatte eine Art an sich, so ein wenig wie Hiob, +falls jemals ein solcher Mann gelebt hat. Wo nicht, so ist nichts +weiter dabei.</p> + +<p>Obgleich, im Vorbeigehen gesagt, unsere Herren Gelehrten einige +Schwierigkeiten finden, die Zeit zu bestimmen, in welcher ein so großer +Mann lebte — ob z. B. vor oder nach den Patriarchen usw. —, so war +es doch ein wenig hart, nun sogleich deswegen zu behaupten, daß er +nie gelebt habe. Mein Vater, sage ich, hatte eine Art an sich, wenn +ihm etwas sehr in die Quere ging, besonders im ersten Anfalle seiner +Ungeduld, sich zu wundern, warum er geboren worden, zu wünschen, daß +er unter der Erde läge — zuweilen noch ärger. Und wenn die Reizung +sehr weit ging und Betrübnis seine Lippen mit mehr als gewöhnlichen +Kräften berührte: — Herr, Sie hätten ihn kaum von Sokrates selbst +unterscheiden<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> können. Jedes Wort schmeckte nach der Empfindung einer +Seele, die das Leben gering achtet und sich um alle seine Ereignisse +wenig kümmert. Weswegen denn auch meiner Mutter, obgleich sie nicht +viel Belesenheit hatte, der Auszug aus Sokrates' Schutzrede, den eben +mein Vater meinem Onkel Toby gab, nicht ganz neu war. Sie hörte solchem +mit kaltem Verstande zu und hätte so bis zum Ende zugehört, hatte nicht +mein Vater — so ohne alle Ursache und Gelegenheit — einen Sprung +zu der Stelle in der Schutzrede getan, wo der große Philosoph seine +Freunde, seine Verwandten und Kinder herzählt und dabei den Vorteil +verachtet, den er dadurch gewinnen könnte, wenn er solchergestalt die +Leidenschaften seiner Richter auf seine Seite zöge. »Ich habe Freunde, +ich habe Anverwandte, ich habe drei verlassene Kinder,« sagte Sokrates.</p> + +<p>»So?« sagte meine Mutter und machte die Türe auf. »Das ist eins mehr, +Herr Shandy, als ich weiß.«</p> + +<p>»Wahrhaftig, und ich habe eins weniger!« sagte mein Vater, stand auf +und ging zur Türe hinaus.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_74"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Es sind Sokrates seine Kinder,« sagte mein Onkel Toby. — »Der ist +schon wohl hundert Jahre tot,« sagte meine Mutter.</p> + +<p>Mein Onkel Toby verstand sich nicht auf die Chronologie. Und da er sich +also nicht ohne Schiff aufs Meer wagen wollte, legte er ganz gelassen +seine Pfeife auf den Tisch nieder, stand auf, faßte meine Mutter sehr +freundschaftlich bei der Hand, und ohne ihr noch ein anderes Wort, +weder im Guten noch im Bösen zu sagen, führte er sie hinaus zu meinem +Vater, daß der die Erklärung selbst zustande bringen möchte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span></p> + +<p>Pling — twing — twang — prut — trut. Es ist ein altes Brett von +einer Geige. Wissen Sie, ob meine Geige stimmt oder nicht? Trut ... +prut ... Es sollen reine Quinten sein. Die Saiten sind grundfalsch. +— Tr ... <em class="antiqua">G</em>, <em class="antiqua">D</em>, <em class="antiqua">A</em>, <em class="antiqua">E</em>, twang, — der Steg +ist eine Meile zu hoch und der Stimmstock liegt gar überm Haufen. +Sonst — trut, prut — höre, ist der Ton so übel nicht. Didl, didl, +didl, didl, didl, didl, dum. Vor wahren Kennern ist gut spielen, aber +dort steht ein Mann, dort — nein, den mit dem Bündel unter dem Arme +meine ich nicht — den feierlichen Mann im schwarzen Rocke? — Nicht +doch! Auch den Herrn da mit dem Degen nicht! — Herr, der Kalliope +selbst möchte ich lieber ein Kaprizzio vorspielen, als vor dem Manne +meinen Bogen über die Saiten hin und her ziehen. Und doch setze ich +meine Cremoneser Geige gegen eine Maultrommel — und das ist wohl die +ungleichste musikalische Wette, die jemals gewettet ist —, daß ich +diesen Augenblick dreihundertundfünfzig Meilen weit aus meiner Geige +neben den Ton greifen will, ohne daß es einem einzigen Nerven in seinen +beiden Ohren wehetun soll. Twadl didl, twedl didl, twidl didl, twodl +didl, twudl didl, — prut — trut — krisch — krasch — krasch. Sie +können's nicht mehr aushalten, Herr? Das sehe ich. Sie sehen aber, ihm +tut's nicht weh. Und nähme auch Apollo selbst nach mir seine Leier, er +bringt es nicht zustande, daß es ihm sanft tut.</p> + +<p>Didl didl, didl didl, didl didl — hum — dum — drum.</p> + +<p>Euer Gnaden und Hochwürden lieben die Musik — und Gott hat ihnen +allen gesunde Ohren gegeben — und einige unter ihnen spielen selbst +vortrefflich — trut — prut — prut — trut.</p> + +<p>O, ich kenne jemand, bei dem ich ganze Tage sitzen und zuhören möchte, +dessen ganze Kunst darin besteht, daß er für die Empfindsamen spielt, +der mich mit Freuden und<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> Hoffnungen beseelt und die geheimsten +Triebfedern meines Herzens in Bewegung setzt. Wenn Sie mich um zwanzig +Taler ansprechen wollen, welches gewöhnlich vierzig mehr sind, als ich +missen kann, oder Sie, mein Herr Apotheker oder Schneider, gerne Ihre +Rechnungen bezahlt haben wollten, dann müßten Sie kommen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_76"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Das erste, was meinem Vater einfiel, nachdem die Sachen in der +Haushaltung ein wenig in Ordnung gebracht waren und Susanna von meiner +Mutter grünem Atlasmorgenrock Besitz genommen hatte, war, sich nach +dem Beispiele Xenophons ganz gelassen hinzusetzen und eine <em class="antiqua">Tristra +pædia</em> oder Erziehungssystem für mich zu schreiben.</p> + +<p>Zu dem Ende sammelte er erst seine einzelnen Gedanken, Einfälle und +hingeworfenen Ideen und verband sie hernach dergestalt, daß solche ein +Erziehungsinstitut für meine Kinder- und Jünglingsjahre ausmachten. +Ich war meines Vaters letzter Satz; meinen Bruder Bobby hatte er rein +verloren; von mir, nach seiner eigenen Berechnung, schon dreiviertel. +Das ist, er war in seinen ersten großen Chancen für mich unglücklich +gewesen: meiner Zeugung, meiner Nase und meinem Namen. Es blieb ihm nur +noch diese eine. Demzufolge war mein Vater ebenso andächtig darüber +her, als es mein Onkel Toby über die Lehre von den Gesetzen der +Bewegung gewesen war. Der Unterschied unter beiden war, daß mein Onkel +Toby seine ganze Wissenschaft von den Gesetzen der Bewegung aus dem +Nikolaus Tartaglia hernahm. Mein Vater spann die seinige bis auf den +letzten Faden aus seinem eigenen Gehirn oder haspelte und zwirnte, was +alle<span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span> übrigen Spinner und Spinnerinnen vor ihm gesponnen hatten, daß er +beinahe ebendieselbe Arbeit damit hatte.</p> + +<p>In ungefähr drei Jahren und etwas darüber war mein Vater mit +seinem Werke schon bis auf die Hälfte fertig. Gleich allen anderen +Schriftstellern stieß er auf Schwierigkeiten. Er dachte, er würde +alles, was er zu sagen hätte, so in die Kürze ziehen können, daß, wenn +alles fertig und eingebunden wäre, meine Mutter es aufgerollt in ihrem +Besteck tragen könnte. Die Materien wachsen uns unter den Händen. Nun +sage ein Mann einmal: komm, ich will einen Duodezband schreiben.</p> + +<p>Mein Vater indessen arbeitete daran mit dem mühsamsten Fleiße, ging in +jeder Zeile Schritt vor Schritt mit ebender Vorsicht und Behutsamkeit +— obgleich ich nicht sagen kann, aus einer ebenso frommen Ursache +—, welche Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, bei der +Ausfeilung seiner Galatea anwendete. Wobei Seine Hochwürden Eminenz +von Benevent fast vierzig Jahre von dero Leben zubrachten, und als das +Ding endlich ans Licht kam, war es nicht über die Hälfte der Dicke +eines Taschenkalenders. Wie es der heilige Mann anfing, wenn er nicht +den größten Teil seiner Zeit damit hinbrachte, seinen Bart zu kämmen +oder mit seinem Kaplan Brett zu spielen, — das könnte einem jeden +Sterblichen, dem man das Geheimnis nicht sagte, den Kopf verrücken. +Es ist deshalb wohl wert, daß man's der Welt erklärt, wär's auch nur, +um die wenigen in derselben aufzumuntern, die nicht sowohl um Brot +schreiben wie um Ruhm.</p> + +<p>Ich gestehe, wäre Johann de la Casse, der Erzbischof von Benevent, +für dessen Andenken — ungeachtet seiner Galatea — ich die höchste +Ehrerbietung hege, wäre er, mein Herr, ein magerer Skribent gewesen, +von stumpfem Witz, langsamen Begriffen, von verstopftem Kopfe und so +mehr,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> er und seine Galatea möchten meinetwegen bis zu Methusalems +Alter miteinander fortgeholpert sein, die Erscheinung wäre keiner +Parenthese wert gewesen.</p> + +<p>Aber das Gegenteil gerade war die Wahrheit. Johann de la Casse war ein +Genie von großen Fähigkeiten und fruchtbarer Phantasie. Und doch, bei +allen diesen großen Naturgaben lag er zugleich an einer Kraftlosigkeit +danieder, daß er an einem langen Sommertage nicht über anderthalb +Zeilen zustande bringen konnte. Dieses Unvermögen Seiner Eminenz kam +von einer Meinung, womit Seine Eminenz behaftet waren. Besagte Meinung +war nämlich diese: Sooft ein Christ sich hinsetzte, ein Buch zu +schreiben, nicht bloß zu seinem eigenen Zeitvertreibe, sondern seine +Absicht und sein Zweck mögen sogar <em class="antiqua">bona fide</em> sein, so wären +seine ersten Einfälle allemal Versuchungen des Bösen. Dies wäre der +Fall mit gewöhnlichen Schriftstellern; wenn aber gar eine Person von +ehrwürdigem Charakter und hohem Stande entweder in der Kirche oder +im Staate einmal Autor würde, so behauptete er, daß von demselben +Augenblicke an, da ein solcher die Feder in die Hand nähme, alle Teufel +in der Hölle aus ihren Löchern hervorkämen, um ihn zu verlocken. Das +wäre ihre Walpurgisnacht. Jeder Gedanke, der erste und letzte, sei +verfänglich, ob scheinbar oder wirklich gut, gleichviel, in was für +Gestalt oder Farben er sich der Imagination darstellen möchte: es +wäre dennoch ein Streich eines oder des anderen von den Teufeln, der +auf ihn gerichtet sei und welcher abpariert werden müßte. — So daß +der Stand eines Schriftstellers, er möchte es nun glauben wollen oder +nicht, nicht sowohl ein Stand der Feder als des Schwertes sei. Seine +Probejahre wären wie die eines jeden Kriegsmannes auf diesem Erdboden. +In beiden, bei dem einen wie bei dem anderen, käme es nicht halb soviel +auf den Grad des Verstandes als des Widerstandes an.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span></p> + +<p>Meinem Vater behagte diese Theorie des Johann de la Casse, Erzbischofs +von Benevent, außerordentlich. Wäre sein Glaube nicht ein wenig dabei +in die Enge gekommen, ich glaube, er hätte die besten zehn Äcker von +den Shandyschen Gütern darum gegeben, daß er sie selbst erfunden haben +möchte. Wie viel oder wenig mein Vater an einen Teufel glaubte, das +wird sich erweisen, wenn ich in der Folge dieses Werkes von meines +Vaters Meinungen in der Religion sprechen werde. Hier ist's genug, zu +sagen, da er von dem buchstäblichen Sinne dieser Lehre nicht die Ehre +haben konnte, so begnügte er sich mit dem Allegorischen. Er pflegte oft +zu sagen, besonders wenn seine Feder ein wenig stätisch war, es wäre +unter dem Schleier des Johann de la Casse parabolischer Vorstellung +ebensoviel Sinn, Wahrheit und Wissenschaft verborgen, wie man nur in +irgendeiner poetischen Fiktion oder mystischen Erzählung des Altertums +fände. — »Vorurteil der Erziehung,« pflegte er zu sagen, »das ist +der Satan, und die Menge derselben, welche wir mit der Muttermilch +einsaugen, sind alle Teufel. Wir werden von ihnen verfolgt, Bruder +Toby, bei unseren Untersuchungen und Ausarbeitungen. Wäre ein Mann dumm +genug, ihren Zudringlichkeiten so zahmerweise nachzugeben, was würde +aus seinem Buche werden? Nichts!« pflegte er hinzuzusetzen, und warf +seine Feder an die Erde, daß es krachte. »Nichts als ein Gemengsel +von dem Ammengeklatsche und dem Unsinn der alten Weiber — von beiden +Geschlechtern — aus dem ganzen Reiche.«</p> + +<p>Dies ist die beste Ursache, die ich von dem langsamen Fortgange, +den mein Vater bei seiner <em class="antiqua">Tristra pædia</em> machte, anzugeben +entschlossen bin, an welcher er, wie gesagt, drei Jahre und etwas +darüber unermüdlich arbeitete und zuletzt kaum — nach seiner eigenen +Berechnung — die Hälfte seines Planes ausgeführt hatte. Das Unglück +dabei war, daß ich<span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span> die ganze Zeit über völlig versäumt und meiner +Mutter überlassen wurde. Und was fast ebenso schlimm war, durch die +Verzögerung wurde der erste Teil des Werkes, an den mein Vater den +meisten Fleiß verwendet hatte, völlig unbrauchbar. Jeden Tag wurden +eine oder ein paar Seiten unnütz.</p> + +<p>Gewiß muß es eine Rute für den Stolz der menschlichen Weisheit geben; +da auch die Weisesten unter uns allen sich so übereilen und ewig ihren +Zweck, durch die unmäßige Hitze ihn zu erhaschen, verfehlen müssen.</p> + +<p>Kurz, mein Vater hielt sich so lange bei seinem Widerstand auf — oder +mit anderen Worten —, er förderte sein Werk so ungemein langsam, +und ich begann so flink zu leben und zu wachsen, daß, wenn nicht ein +Zufall dazwischengekommen wäre — der, wenn wir so weit gelangt sind +und es mit Wohlanständigkeit geschehen kann, keinen Augenblick länger +vor meinem Leser verheimlicht werden soll —, ich wahrhaftig glaube, +ich hätte an meinem Vater vorbei gelebt, und hätte ihm eine Sonnenuhr +zeichnen lassen, um solche unter die Erde zu vergraben.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_77"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es war nichts, ich verlor keine zwei Tropfen Bluts dabei. Es war nicht +der Mühe wert, einen Wundarzt zu rufen, und hätte er Türe an Türe bei +uns gewohnt — Tausende leiden aus Wahl, was ich aus Zufall litt. — +Doktor Slop machte zehnmal mehr Aufhebens davon, als nötig war. — +Einige Leute bringen sich dadurch empor, daß sie die Kunst verstehen, +großes Gewicht an dünnen Draht zu hängen. Und ich muß noch bis auf den +heutigen Tag (den 10. August 1761) den Ruhm dieses Mannes mit bezahlen. +O, es sollte wohl<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> einen Stein ärgern, zu sehen, wie es in dieser +Welt hergeht! Das Stubenmädchen hatte keinen — — — unter dem Bette +gelassen. »Kann das Kind sich nicht behelfen,« sagte Susanna, indem +sie bei den Worten mit einer Hand das Fallfenster aufschob und mit +der andern mich ins Fenster stellte, »kann das Kind es nur einmal so +machen, daß es — —?«</p> + +<p>Ich war fünf Jahre alt. Susanna bedachte nicht, daß in unserer Familie +nichts am rechten Haken hing. Und klapps! schoß das Fallfenster wie der +Blitz auf uns herab. »Nichts übrig,« schrie Susanna, »nichts übrig für +mich, als aus dem Lande zu laufen.«</p> + +<p>Meines Onkels Toby Haus war eine viel bessere Freistatt. Also floh +Susanna dahin.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_78"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunundsiebzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als Susanna dem Korporal den Unfall mit dem Fallfenster erzählte, nebst +allen Umständen, die meinen Mord — wie sie es nannte — begleitet +hatten, trat ihm das Blut aus den Wangen zurück. Da alle, die zum +Morden beitragen, Totschläger sind, sagte Trimm sein Gewissen, daß +er ebenso schuldig sei wie Susanna. Und wenn der Satz wahr wäre, so +hätte mein Onkel Toby das Blutbad ebensogut vor Gott zu verantworten +gehabt wie einer von ihnen beiden. Auf diese Weise hätten weder +Vernunft noch Instinkt, einzeln oder zusammen, Susanna unmöglich nach +einer besseren Freistatt führen können. Dieses der Einbildung des +Lesers anheimzugeben, wäre vergebens. Nur zu irgendeiner Hypothese zu +gelangen, die einigen Stich hielte, müßte er sein Gehirn wundpeitschen +— und es ohne das zu tun —, müßte er ein Gehirn haben, wie noch kein +Leser vor ihm gehabt hat. — Warum sollte ich ihn einer solchen Prüfung +oder Tortur aussetzen? Es ist meine eigene Sache, ich will es selbst +erklären.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span></p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_79"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Schade, Trim!« sagte mein Onkel Toby, mit seiner Hand auf Trims +Schulter gelehnt, als sie beide standen und ihre Werke besahen, »daß +wir nicht ein paar Feldstücke haben, die wir in die Schießscharten +dieser neuen Redoute pflanzen könnten. Das würde alle jene Linien +decken und die Attacke an der Seite vollkommen machen. Laß Er mir ein +paar gießen, Trim.«</p> + +<p>»Euer Gnaden sollen sie haben,« versetzte Trim, »ehe es morgen Tag +wird.«</p> + +<p>Es war Trim eine Herzensfreude, und seinem anschlägigen Kopfe fehlte +es niemals an Einfällen, meinem Onkel Toby in seinen Feldzügen +mit allem an die Hand zu gehen, was nur immer seine Phantasie für +nötig erachtete. Wäre es auch sein letzter harter Taler gewesen, +er hätte sich hingesetzt und einen Ringkragen daraus gehämmert, um +dem geringsten Wunsche seines Herrn zuvorzukommen. Der Korporal +hatte schon, vermittels der Enden von meines Onkels Toby Dachröhren, +des Bleis aus seinen Dachrinnen, seines eingeschmolzenen zinnernen +Barbierbeckens, und da er zuletzt, wie Ludwig <em class="antiqua">XIV.</em>, bis zu den +Kirchspitzen gegangen, um das überflüssige Blei usw. zu holen, in +ebendem Feldzuge nicht weniger als acht neue Batteriestücke nebst drei +halben Feldschlangen ins Lager geliefert. Meines Onkels Begehren nach +noch zwei Kanonen für die Redoute hatte den Korporal von neuem Hand ans +Werk legen lassen. Da sich aber nichts Besseres darbot, hatte er die +beiden bleiernen Gegengewichte von den Fallfenstern in der Ammenstube +genommen. Und da die Rollen, worauf diese Gegengewichte liefen, nachdem +diese fort, unnütz waren, so hatte er sie gleichfalls mitgehen heißen, +um ein Paar Räder zu einer von ihren Lafetten daraus zu machen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span></p> + +<p>Er hatte jedes Fenster in meines Onkels Toby Hause, lange vorher schon, +auf ebendie Art beraubt, obgleich nicht eben auf diese Weise. Denn +zuweilen fehlte es ihm an Rollen und nicht am Blei. Alsdann begann +er mit den Rollen. Wenn dann die Rollen fort waren, so ward das Blei +unnütz und mußte dann auch zum Schmelzlöffel.</p> + +<p>Man könnte hieraus ganz behende eine wichtige Moral ziehen, aber ich +habe nicht Zeit. Genug, wenn ich sage, die Plünderung mochte anfangen, +wo sie wollte, es war für die Fallfenster gleich schlimm.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_80"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Einundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Der Korporal hatte bei diesem Ingenieurstreiche seine Maßregeln nicht +so schlecht genommen, daß er nicht das ganze Geheimnis hätte für sich +behalten und Susanna dem ganzen Gewichte der Attacke aussetzen können. +Allein wahrer Tapferkeit ist's nicht genug, sich so durchzuhelfen. +Der Korporal, ob als General oder als Trainkommissarius — das tut +nichts —, hatte die Fenster in einen Zustand versetzt, ohne den, wie +er glaubte, das Unglück nicht hätte geschehen können, wenigstens nicht +unter Susannas Händen. Wie hätten sich Eure Gnaden dabei benommen? Er +beschloß auf der Stelle, sich nicht hinter Susanna zu verkriechen, +sondern sie zu decken. Und mit dieser Entschließung marschierte er +geradeswegs ins Wohnzimmer, um meinem Onkel das Manöver vorzulegen.</p> + +<p>Mein Onkel Toby hatte eben dem Herrn Yorick eine Beschreibung von der +Schlacht bei Steenkirchen gemacht und von der sonderbaren Abordnung des +Grafen Solms, welcher der Infanterie befohlen Halt zu machen und der +Kavallerie zu marschieren, wo sie nicht agieren konnte. Das war gerade +gegen die Order des Königs und zog den Verlust der Bataille nach sich.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span></p> + +<p>In einigen Haushaltungen gibt es Vorfälle, die sich so genau an das, +was folgen soll, anschmiegen, daß es kaum durch die Erfindung der +dramatischen Schriftsteller besser ausgedacht werden konnte, die aus +alten Zeiten meine ich.</p> + +<p>Trim bestrebte sich, seine Historie dadurch, daß er seinen Zeigefinger +flach auf den Tisch legte und mit der Handkante in einem scharfen +Winkel daraufschlug, so zu erzählen, daß sie Priester und Jungfrauen +hätten anhören können. Und nachdem die Historie erzählt, ging der +Dialog fort, wie folgt.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_81"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Zweiundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Ich wollte mich lieber in der Türkenallee totpeitschen lassen,« rief +der Korporal, »als leiden, daß dem Frauenzimmerchen deswegen Leides +geschehe. — Es war meine Schuld, Euer Gnaden, nicht ihre.«</p> + +<p>»Korporal Trim,« erwiderte mein Onkel Toby, wobei er seinen Hut +aufsetzte, der auf dem Tische lag, »wenn man das eine Schuld nennen +kann, was der Dienst unumgänglich notwendig macht, so bin ich's +unstreitig, auf den sie fällt. Er gehorchte dem Kommando.«</p> + +<p>»Hätte der Graf Solms, mein guter Trim, es bei der Steenkircher +Schlacht ebenso gemacht,« sagte Yorick ein wenig spaßhaft zu dem +Korporal, der im Rückzug von einem Dragoner übergeritten worden, »so +hätte er Ihn gerettet.« — »Gerettet!« schrie Trim und fiel ihm in die +Rede. »Fünf ganze Regimenter, Hochehrwürden, hätte er gerettet. Da war +Cutts, Mackays, Angus, Grahams und Levens Regiment, die wurden alle in +die Pfanne gehauen. Unserer Leibgarde wäre es nicht besser gegangen, +hätten's nicht etliche Regimenter vom rechten Flügel verhindert, welche +ihnen beherzt zu Hilfe kamen und den Feind erst auf sich abfeuern +ließen, ehe eine<span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span> Seele von ihnen einen Hahn abdrückte. Sie haben +dabei den Himmel mit verdient,« setzte Trim hinzu. »Trim hat recht,« +sagte mein Onkel Toby und nickte Yorick zu. »Er hat ganz recht.« — +»Was wollte er damit, daß er die Reiter aufmarschieren ließ,« fuhr +der Korporal fort. »Wo das Terrain so knapp war und die Franzosen +solch eine Nation von Hecken, von Koppeln, von Graben und in die +Kreuz und Quer umgehackten Bäumen hatten, daß man ihnen nicht an den +Leib kommen konnte — wie sie's immer machen —. Graf Solms sollte +uns hinkommandiert haben. Wir hätten ihnen Schuß um Schuß ganz anders +einheizen wollen. Die Kavallerie konnte nicht ankommen. Aber wie ging's +ihm auch dafür? Wurde ihm nicht gleich die nächste Kampagne darauf bei +Landen der Fuß abgeschossen?« — »Der arme Trim bekam da seine Wunde,« +sagte mein Onkel Toby. — »Ich hatte es keinem Menschen sonst, mit Euer +Gnaden Wohlnehmen, zu danken als dem Grafen Solms. Hätten wir sie zu +Steenkirchen brav zusammengeschossen, so hätten sie bei Landen nicht +stehen können.« — »Vielleicht, und vielleicht auch nicht, Trim,« +sagte mein Onkel Toby. »Denn wenn sie nur ein Holz vor sich kriegen +oder einen Augenblick Zeit gewinnen können, sich einzugraben, so +ist's eine Nation, die einen immer bald hinten, bald vorne neckt und +zwickt. Man kommt nicht anders mit ihnen aus, als man muß ihnen nur +kaltblütig auf die Haut rücken, ihr Feuer aushalten und dann frisch +über sie herfallen.« — »Piff, paff,« setzte Trim hinzu. »Zu Fuß und zu +Pferde,« sagte mein Onkel Toby. — »Was hast du, was kannst du,« sagte +Trim. — »Links und rechts,« rief mein Onkel Toby. — »Feuer auf die +Hunde!« schrie der Korporal. Das Treffen war hitzig, Yorick rückte der +Sicherheit wegen seinen Stuhl ein wenig auf die Seite und nach einer +Minute Pause ließ mein Onkel Toby seine Stimme um eine Sekunde sinken +und faßte das Gespräch wieder auf, wie folgt:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span></p> + + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_82"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreiundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Der König Wilhelm,« sagte mein Onkel Toby, wobei er sich an Yorick +wendete, »verhängte eine Solche Ungnade über den Grafen Solms, daß +er ihn einige Monate lang nicht vor sich kommen lassen wollte.« — +»Ich besorge,« antwortete Yorick, »unser Herr Shandy wird ebenso +ungnädig auf den Korporal sein wie der König auf den Grafen.« — »Es +würde aber hier ganz sonderbar hart sein, wenn Korporal Trim, dessen +Aufführung bei dieser Sache der Aufführung des Grafen so schnurstracks +entgegengesetzt ist, das Schicksal haben sollte, mit einerlei Ungnade +belohnt zu werden. Zu oft geht's leider so in dieser Welt! — Ich +wollte eine Mine anzünden,« rief mein Onkel Toby und stand dabei auf, +»und meine Fortifikationen samt meinem Hause in die Luft sprengen, +und wir wollten uns lieber unter dem Schutt begraben lassen, ehe ich +dabeistehen und das ansehen wollte.« — Trim machte einen kleinen, aber +dankbaren Bückling gegen seinen Herrn. Und so endigt das Kapitel.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_83"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Wohlan, Herr Yorick,« erwiderte mein Onkel Toby, »Sie und ich wollen +in Front voraufgehen. Er, Korporal, Er kann ein paar Schritte hinter +uns nachfolgen.« — »Und Susanna, wenn es Euer Gnaden erlauben, soll +in der Arrieregarde folgen,« sagte Trim. Es war eine vortreffliche +Disposition.</p> + +<p>In dieser Ordnung, ohne klingendes Spiel und fliegende Fahnen, +marschierten sie langsam vor meines Onkels Toby Hause nach Shandy-Hall.</p> + +<p>»Ich wollte,« sagte Trim, als sie durch den Torweg<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> zogen, »ich hatte +statt des Bleis an den Fallfenstern die Enden von den Dachröhren an der +Kirche abgeschlagen, wie ich schon einmal zu tun willens war.« — »Laß +er des Endenabschlagens genug sein,« versetzte Yorick.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_84"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>So manche Zeichnung auch von meinem Vater gegeben worden und so ähnlich +sie ihm auch in seinen verschiedenen Mienen und Stellungen sein mögen, +so kann doch weder eine noch alle zusammengenommen dem Leser eine Art +von Vorhersehen verschaffen, wie mein Vater bei neuen Vorfällen und +Begebenheiten des Lebens denken, sprechen oder handeln würde. Die +Endlosigkeit des Sonderbaren in seinem Charakter und der zufälligen +Bestimmungen, bei welchem Ende er eine Sache angreifen würde, ging so +weit, mein Herr, daß solche einen Strich durch alle ihre Berechnungen +machte. — Die Sache war, sein Pfad lag von dem, worauf die meisten +Menschen wandeln, so weit seitwärts, daß jedes Ding, was ihm vorkam, +seinem Auge in einer eigenen Gestalt und Richtung erschien. Ganz +verschieden von der Höhe und Breite, in der es andere Menschenkinder +erblickten. Mit anderen Worten: es war ein ganz anderes Ding und ward +denn auch ganz anders betrachtet.</p> + +<p>Dies ist die wahre Ursache, warum meine liebe Jenny und ich sowohl als +alle Welt um uns her soviel Hader um nichts haben. Sie sieht auf ihr +Äußeres und ich auf ihr Inneres. Wie ist es möglich, daß wir über ihren +Wert einig werden sollten.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_85"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p> + +<h2>Sechsundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es ist eine ausgemachte Sache — und ich führe es hier zu Konfuzius' +Troste an, der die Gabe hat, sich beim Erzählen einer schlechten +Geschichte gar weidlich zu verwickeln, daß es, wofern er nur die +Geschichte nicht ganz von der Leine läßt, er mag rückwärts oder +vorwärts gehen, so wird es ihm nicht als Entgleisung angerechnet.</p> + +<p>Dieses vorausgesetzt, will ich von diesem Privileg des freien +Zurückgehens selbst Gebrauch machen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_86"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Fünfzigtausend Körbe mit Teufeln geladen — ich meine nicht des +Erzbischofs von Beneventos, sondern Rabelais' Teufel — denen die +Schwänze dicht am Rumpfe abgehackt worden, könnten den Hals nicht so +höllisch darüber aufgerissen haben, wie ich bei meinem Unfall tat. +Mein Geschrei lockte meine Mutter den Augenblick nach der Kinderstube, +so daß Susanna nur ebensoviel Zeit hatte, durch die Hintertreppe zu +entwischen, als meine Mutter die große Stiege heraufkam.</p> + +<p>Nun wäre ich freilich alt genug gewesen, diese Historie selbst zu +erzählen, und jung genug, hoffe ich, es zu tun, ohne Arges daraus zu +haben; aber Susanna hatte es in ihrer Furcht, als sie an der Küche +vorbeiging, der Köchin in Eile überliefert. Die Köchin hatte es +mit einem Kommentar dem Jonathan und Jonathan dem Obadiah erzählt. +Dergestalt, daß, nachdem mein Vater ein halbes Dutzend Male geklingelt +hatte, zu erfahren, was da oben vorginge, Obadiah bereits imstande war, +ihm genaue Nachricht zugeben, was und wie es sich zugetragen hätte. — +»Dacht' ich's nicht!« sagte mein Vater, warf seinen Schlafrock über und +stürmte so die Treppe hinauf.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span></p> + +<p>Aus diesem sollte man fast schließen — obgleich ich für meinen Teil es +ein wenig in Zweifel ziehe —, daß mein Vater schon vor dieser Zeit das +merkwürdige Kapitel in der <em class="antiqua">Tristra pædia</em> wirklich geschrieben +haben müßte, welches für mich das Originellste und Unterhaltendste im +ganzen Buche ist — ich meine das Kapitel von den Fallfenstern, mit +einer derben Strafpredigt am Ende desselben, über die Vergessenheit der +Stubenmädchen. Ich habe nur zwei Ursachen, anders zu denken.</p> + +<p>Erstlich, wäre die Sache in seine Gedanken gekommen, bevor der Unfall +geschah, so würde mein Vater ein für allemal das Fallfenster zugenagelt +haben. Was er, wenn man bedenkt, wie sauer ihm das Bücherschreiben +wurde, mit zehnmal leichterer Mühe hätte tun können, als das Kapitel +schreiben. Dieser Grund, sehe ich schon, könnte auch dazu angewendet +werden, daß er das Kapitel auch nach dem Vorfall nicht geschrieben +habe. Ist aber nicht nötig, ihn dazu zu verwenden, wegen der zweiten +Ursache nicht, welche ich die Ehre habe, der Welt zur Unterstützung +meiner Meinung vorzulegen: warum mein Vater das Kapitel von den +Fallfenstern und Kammergefässen zu der besagten Zeit nicht geschrieben +haben könne. Und das ist diese: Daß, um die <em class="antiqua">Tristra pædia</em> +vollständig zu machen, ich selbst das Kapitel geschrieben habe.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_87"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Vater setzte seine Brille auf — beguckte — nahm sie wieder ab +— legte sie ins Futteral — alles in weniger als einer vollen Minute. +Ohne die Lippen zu öffnen, kehrte er sich um und ging plötzlich die +Treppe hinunter. Meine Mutter dachte, er wäre hinuntergegangen, um +gezupftes Leinen<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> und Wundbalsam zu holen. Als sie ihn aber mit ein +paar Foliobänden unter dem Arme und Obadiah mit einem großen Lesepuite +hinter ihm hereintreten sah, meinte sie nichts anderes, als es sei ein +Kräuterbuch, und zog ihm also einen Stuhl an die Seite des Bettes, +damit er mit Bequemlichkeit ein Heilkraut suchen könnte.</p> + +<p>»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte mein Vater und schlug die +Sektion auf: <em class="antiqua">de sede vel subjecto circumcisionis</em>. Denn er +hatte Spender <em class="antiqua">de legibus Hebræorum ritualibus</em> heraufgebracht +und den Maimonides, um uns alle miteinander zu konfrontieren und zu +examinieren. —</p> + +<p>»Wenn es nur recht geraten ist,« sagte er. — »Wenn ich nur erst weiß, +was für ein Kraut.« — »Wenn du das wissen willst, mußt du nach dem +Doktor Slop schicken.«</p> + +<p>Meine Mutter ging hinunter, und mein Vater las die Sektion weiter, wie +folgt:<br> +— — — — — — — —— — — — — — — —— — — — — — — —— — — — — — — —— — — — — +— — »recht gut,« sagte mein Vater, — — — — — — — — — — — — — — — — — +— — — — — — — —»Ja, wenn +die Unbequemlichkeit dabei ist.« Und nun, ohne sich einen Augenblick +dabei aufzuhalten, ob die Juden es von den Ägyptern oder die Ägypter +von den Juden hatten, stand er auf. Nachdem er mit der flachen Hand +zwei- oder dreimal über die Stirn gefahren war — so wie wir wohl die +Fußtapfen der Sorge wegzuwischen pflegen, wenn ein Unglück uns nicht +so hart getreten, wie wir fürchteten — schlug er das Buch zu und ging +hinunter. »Nun denn,« sagte er, und sowie er den Fuß auf einen andern +Tritt Setzte, nannte er dabei den Namen je einer großen Nation: »Wenn +die Ägypter, die Syrer, die Phönizier, die Araber, die Kappadozier, die +Kolchier und die Troglodyten es taten, wenn Solon und Pythagoras es +auch unterließen, wer ist Tristram, wer bin ich, daß ich mich über die +Sache einen Augenblick übel gebärden sollte?«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_88"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunundachtzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Lieber Yorick,« sagte mein Vater lächelnd — denn Yorick war aus dem +Gliede getreten, da er mit meinem Onkel Toby durch den engen Gang +gekommen war, und trat also zuerst in das Wohnzimmer —, »finden Sie +nicht auch, daß unser Tristram da sich es um alle Sakramente recht +sauer werden lassen muß? Wohl niemals ist das Kind eines Juden, +Christen, Türken oder Heiden auf eine so krumme und schiefe Art zu +seinen Religionsgebräuchen gekommen.« — »Ich hoffe doch, daß es nichts +auf sich haben wird,« sagte Yorick. »Es muß ganz gewiß,« fuhr mein +Vater fort, »eben der Henker in irgendeiner Gegend der Ekliptik los +gewesen sein, als dieses Zweiglein aus meinem Stamme gebildet worden.« +— »Das können Sie besser beurteilen als ich,« erwiderte Yorick. — +»Die Astrologen wissen's besser, wie wir alle beide,« sagte mein Vater. +»Die gedritte oder gesechste Scheine müssen übereinandergesprungen +sein, oder die Gegenscheine ihrer Aszendenten haben es nicht getroffen, +wie sie sollten, oder die Zeugevorsteher — wie sie sie nennen — haben +eben Verstecken gespielt, oder es ist sonst etwas, entweder unten oder +oben mit uns nicht recht gewesen.«</p> + +<p>»Wohl möglich,« antwortete Yorick. »Aber,« schrie mein Onkel Toby, +»hat das Kind auch großen Schaden genommen?« — »Die Troglodyten sagen +nein,« versetzte mein Vater. — »Und Ihre Theologen, Yorick, sagen uns +—« — »Theologisch gesprochen?« sagte Yorick.</p> + +<p>»Ich weiß nicht gewiß,« erwiderte mein Vater. »Aber sie sagen uns, +Bruder Toby, daß es ihm Vorteil tue.« — »Vorausgesetzt,« sagte Yorick, +»daß Sie ihn nach Ägypten reisen lassen.« — »Was das anbelangt,« +antwortete mein Vater, »so wird er den Vorteil haben, wenn er die +Pyramiden sieht.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span></p> + +<p>»Nun, so ist doch jedes Wort hiervon,« sagte mein Onkel Toby, »für mich +so gut wie Arabisch.« — »Ich wünschte,« sagte Yorick, »es wäre so für +die halbe Welt.«</p> + +<p>»Ilus,« fuhr mein Vater fort, »beschnitt eines Morgens sein ganzes +Kriegsheer.« — »Doch nicht ohne Kriegsrecht?« rief mein Onkel Toby. +»Obgleich die Gelehrten,« fuhr er fort, ohne auf meines Onkels Toby +Frage zu achten, sondern an Yorick sich wendend, »sehr geteilter +Ansicht darüber sind, wer dieser Ilus war. Einige sagen Saturnus, +andere das höchste Wesen. Andere nichts weiter als Generalbrigadier +unter Pharao-neco.« — »Es sei, wer es sei,« sagte mein Onkel Toby, +»ich sehe nicht, nach was für einem Punkt aus den Kriegsartikeln er es +rechtfertigen kann.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_89"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Sie sehen, es ist hohe Zeit,« sagte mein Vater, indem er sich zugleich +an meinen Onkel Toby und Herrn Yorick wendete, »daß man den Knaben den +Weiberhänden wegnimmt und ihn einem eigenen Hofmeister in die Hände +gibt. Marcus Antonius nahm auf einmal vierzehn Hofmeister, seinen Sohn +Commodus zu erziehen. In sechs Wochen gab er fünf davon den Abschied. +— Ich weiß recht gut,« fuhr mein Vater fort, »daß Commodus' Mutter zu +der Zeit, als sie mit ihm schwanger ward, in einen Fechter verliebt +war, woraus sich eine Menge von den Grausamkeiten erklären lassen, die +er beging, als er Kaiser wurde. — Aber ich bin doch immer der Meinung, +daß diese fünf, welche Antonius verabschiedete, dem Gemüt des Commodus +in der kurzen Zeit mehr Schaden taten, als die übrigen neun in ihrem +ganzen Leben gutzumachen vermochten.</p> + +<p>Da ich nun die Person, die um meinen Sohn sein soll,<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> als einen Spiegel +betrachte, in weichem er sich von morgens bis abends erblicken und nach +dem er seine Blicke, Mienen und Gebärden und vielleicht die innigsten +Empfindungen seines Herzens einrichten muß, so möchte ich gerne, mein +lieber Yorick, einen haben, der, wenn es möglich, über und über poliert +und dazu tüchtig wäre, daß sich mein Kind darin spiegelte.« — »Das ist +recht vernünftig,« sagte mein Onkel Toby bei sich selbst.</p> + +<p>»Es gibt,« fuhr mein Vater fort, »einen gewissen Anstand und eine +gewisse Bewegung des Körpers und aller seiner Glieder sowohl im Handeln +als im Reden, welche von der inneren Güte eines Menschen zeugen. +Es wundert mich keineswegs, daß Gregorius von Nazianzum, als er am +Julian die schnellen und unsteten Gebärden wahrnahm, voraussagte, daß +er eines Tages abtrünnig werden würde. Oder daß St. Ambrosius seinen +Amanuensem wegen einer unanständigen Bewegung mit dem Kopfe, der wie +ein Dreschflegel hin und her ging, wegjagte. Oder daß Demokritus gleich +merkte, daß Protagoras ein Gelehrter wäre, weil er ihn ein Bündel +Reisholz binden und die dünnsten Reiser in die Mitte legen sah. Es gibt +tausend unbemerkte Öffnungen,« fuhr mein Vater fort, »durch die ein +scharfes Auge auf einmal die Seele entdecken kann. Ich behaupte, daß +ein vernünftiger Mann nicht seinen Hut niederlegen kann, wenn er in ein +Zimmer kommt, oder aufnehmen, wenn er hinausgeht, ohne daß ihm etwas +entwischt, das ihn verrät.</p> + +<p>Dieser Gründe wegen,« fuhr mein Vater fort, »darf der Hofmeister, den +ich erwählen werde, weder lispeln noch schielen oder blinzeln, weder +laut reden noch störrisch oder närrisch aussehen, weder die Lippen +beißen noch mit den Zähnen knirschen, weder durch die Nase sprechen +noch darin wühlen oder sie mit den Fingern putzen.</p> + +<p>Er soll weder geschwind gehen noch langsam, nicht sich<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> einhängen, +denn das ist Faulheit, noch seine Arme bummeln lassen, denn das ist +tölpelhaft, noch seine Hände in den Taschen verstecken, denn das ist +abgeschmackt.</p> + +<p>Er soll auch nicht schlagen, nicht kratzen, nicht kneifen, nicht +kitzeln, nicht beißen, keine Nägel abschneiden, keinen Schleim +hinunterwürgen, nicht ausspucken, nicht ausrotzen, nicht trommeln mit +Füßen oder Fingern, wenn er in Gesellschaft ist, noch — nach Erasmus +— mit jemand sprechen, wenn er Wasser läßt. Er soll auch auf kein +totes Aas oder einen Auswurf mit dem Finger weisen.« — »Nun, da haben +wir wieder ganz unvernünftiges Zeug!« sagte mein Onkel Toby bei sich +selbst.</p> + +<p>»Ich will haben, er soll,« fuhr mein Vater fort, »freundlich sein, +munter, aufgeweckt, und dabei klug, aufmerksam auf sein Geschäft, +wachsam, verschlagen, erfindsam, schnell in Auflösung der Zweifel und +spekulativer Fragen; soll bedächtig, vernünftig und gelehrt sein.« — +»Und warum nicht auch bescheiden und mäßig, und sanftmütig und gut?« +sagte Yorick. — »Und warum nicht auch,« schrie mein Onkel Toby, +»freimütig und großmütig, und guttätig und herzhaft?« — »Das soll er, +mein lieber Toby,« versetzte mein Vater, wobei er aufstand und ihm +die Hand schüttelte. — »Gut, Bruder Walther,« antwortete mein Onkel +Toby, der gleichfalls aus seinem Stuhle aufstand und seine Pfeife +niederlegte, um meines Vaters andere Hand zu erfassen. »Ich bitte dich +ergebenst, daß ich dir den Sohn des armen Le Fevers empfehlen dürfte.« +Eine Freudenträne blitzte wie der schönste Brillant in meines Onkels +Toby Auge, und eine andere, die das Paar vollmachte, im Auge des +Korporals, als der Vorschlag getan ward.</p> + +<p>Le Fevers schwebte meinem Onkel Toby die ganze Zeit über in den +Gedanken, da mein Vater ihm und Herrn Yorick beschrieb, was für eine +Art von Person er zum Hofmeister<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> für mich haben wollte. Da aber +anfangs mein Vater meinem Onkel Toby in Ansehung der Vollkommenheiten +ein wenig zu begehrlich schien, enthielt er sich, Le Fevers' Namen zu +nennen, bis endlich der Charakter durch die Dazwischenkunft des Herrn +Yorick unvermutet auf jemand hinauslief, der Mut hätte, großmütig und +gutherzig wäre. So rückte ihm solches Le Fevers' Bild wieder näher vor +die Seele und legte sein Bestes meinem Onkel Toby so innig ans Herz, +daß er augenblicklich vom Stuhle aufstand und seine Pfeife niederlegte, +um meines Vaters beide Hände zu fassen. »Ich bitte, Bruder Walther,« +sagte mein Onkel Toby, »laß dir Le Fevers' Sohn dazu empfohlen sein.« +— »Ich bitte gleichfalls darum,« fügte Yorick hinzu. — »Er hat ein +gutes Herz,« sagte mein Onkel Toby. — »Und ein braves dazu, mit Euer +Gnaden Erlaubnis,« sagte der Korporal. — »Die besten Herzen, Trim, +sind immer die bravsten,« versetzte mein Onkel Toby. — »Und die +größten alten Memmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, bei unserem Regiment, +waren allzeit die ärgsten Leutequäler. Da war der Sergeant Kumbart und +der Fähnrich —«</p> + +<p>»Da wollen wir,« sagte mein Vater, »ein andermal von sprechen.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_90"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Einundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Wenn der Leser keinen deutlichen Begriff von den anderthalb Ruten +Landes hat, welches am Ende von meines Onkels Toby Küchengarten liegt +und welches die Szene so mancher seiner süßen Stunden war, so liegt die +Schuld nicht an mir, sondern an seiner Imagination. Denn ich hab's ihm +doch wahrhaftig so kindisch deutlich beschrieben, daß ich mich fast +selbst davor schäme.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span></p> + +<p>Als die Göttin des Schicksals eines Nachmittags einen Blick in die +großen Begebenheiten der künftigen Zeiten tat und übersann, zu welchem +Zwecke diese kleine Verwicklung durch ein in diamantene Tafeln +gegrabenes Dekret bestimmt sei, gab sie der Natur einen Wink. Mehr +brauchte sie nicht.</p> + +<p>Die Natur warf eine halbe Schaufel voll ihrer bestartigsten Erdmischung +darauf, die gerade so viel von zähem Ton enthielt, als nötig war, um +die Winkel und Einschnitte der Festung haltbar zu machen, und doch so +wenig, daß es nicht an Hacke und Spaten klebte, und daß bei schlechtem +Wetter die Werke von so großer Herrlichkeit nicht das Ansehen eines +Sudels bekämen.</p> + +<p>Mein Onkel kam herunter, wie der Leser belehrt ist, und hatte die +Grundrisse von fast allen festen Städten in Italien und Flandern bei +sich. — Der Herzog von Marlborough oder die Alliierten mochten also +eine Stadt belagern, welche sie wollten, mein Onkel Toby war allemal +fertig und bereit.</p> + +<p>Seine Weise, eine der natürlichsten von der Welt, war diese: Sobald nur +eine Festung eingeschlossen war — und noch früher, wenn der Vorsatz +bekannt war —, nahm er den Grundriß derselben zur Hand — die Stadt +mochte sein, welche es wollte — und vergrößerte den Maßstab nach dem +genauen Umfange seines grünen Spielplatzes. Dann trug er vermittels +einer Rolle Bindfaden und einer Anzahl kleiner Pflöcke, die er an den +verschiedenen Ecken und Winkeln in die Erde schlagen ließ, alle Linien +von seinem Papier auf die Fläche dieses Platzes. Wenn er darauf das +Profil des Platzes mit seinen Werken hatte, um die Breite und Tiefe +der Gräben, die Abschüssigkeit der Wälle und die genaue Höhe der +verschiedenen Brustwehren zu bestimmen, so stellte er den Korporal ans +Werk. Und es ging hübsch vonstatten. Die Gutartigkeit des Bodens, die +Gutartigkeit des Werkes<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> selbst, und vornehmlich die Gutartigkeit des +Gemüts meines Onkels Toby, der vom Morgen bis Abend dabeisaß und mit +dem Korporal freundlich von ihren Taten plauderte, ließen der Arbeit +weiter nichts als die Zeremonie des Namens.</p> + +<p>Wenn auf diese Weise die Festung vollendet und in gehörigen +Verteidigungsstand gesetzt worden war, wurde sie eingeschlossen. Mein +Onkel Toby und der Korporal fingen an, die erste Parallele zu ziehen. +Ich bitte, mich in meiner Geschichte dadurch nicht zu stören, daß man +etwa sagen möchte, die erste Parallele sollte wenigstens dreihundert +Ruten weit von der Festung entfernt sein, und ich habe nicht einen +einzigen Zoll breit dazu freigelassen. Denn mein Onkel Toby nahm +sich die Freiheit, in seinem Küchengarten um sich zu greifen, um die +Werke auf dem Spielplatze desto größer machen zu können. Aus dieser +Ursache ging er gewöhnlich mit seiner ersten und zweiten Parallele +zwischen zwei Reihen von Kraut- und Blumenkohl hindurch. Das Bequeme +und Unbequeme hierbei soll weitläufig erwogen werden in der Geschichte +von meines Onkels Toby und des Korporals Feldzügen, wovon dieses, was +ich jetzt schreibe, nur eine Skizze ist, und wenn ich recht mutmaße — +aber wie's mit allem Mutmaßen geht! —, mit drei Seiten abgetan sein +wird. Die Feldzüge selbst werden ebensoviel Bücher ausmachen. Deswegen +besorge ich, es möchte ein zu großes Gewicht von einer Art Materie für +ein so lockeres Werk sein wie dieses, wenn ich solche, wie ich einst +willens war, fragmentweise hier einschaltete. Nein, es ist besser, ich +lasse sie besonders drucken. — Wir wollen's überlegen! — Nehmen Sie +unterdessen mit folgender Skizze davon fürlieb.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_91"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span></p> + +<h2>Zweiundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Wenn die Stadt mit ihren Festungswerken zustande gebracht war, fingen +mein Onkel Toby und der Korporal an, ihre erste Parallele zu ziehen, +nicht aufs Geratewohl oder so, sondern aus ebenden Punkten und in +ebenden Distanzen, wie die Alliierten die ihrigen begonnen hatten. Sie +richteten ihren Aufmarsch und ihre Attacken genau nach der Nachricht +ein, die mein Onkel Toby durch die Zeitungen empfing. Auf diese Weise +gingen sie die ganze Belagerung durch, Schritt für Schritt mit den +Alliierten. Machte der Herzog von Marlborough ein Lager, so machte +mein Onkel Toby sein Lager auch. Und wenn die Face einer Bastei +niedergeschossen oder ein Außenwerk ruiniert wurde, nahm der Korporal +seine Hacke und tat desgleichen. Und sofort gewannen sie Terrain und +bemeisterten sich eines Werkes nach dem anderen, bis die Stadt in ihre +Hände fiel.</p> + +<p>Für jemanden, der an anderer Leute Glückseligkeit Vergnügen fand, +konnte in der Welt kein herrlicherer Anblick sein, als an einem Morgen +eines Posttages, wenn die Nachricht kam, daß der Herzog von Marlborough +eine brauchbare Bresche dem Hauptwalle der Stadt beigebracht hätte, +hinter der Taxushecke zu stehen und die Emsigkeit zu beobachten, mit +der mein Onkel Toby und der Korporal hinter ihm anrückten. Der eine mit +der Zeitung in der Hand, der andere mit einem Spaten auf der Schulter, +den Inhalt ins Werk zu setzen. Was für eine Herzensfreude leuchtete aus +meines Onkels Toby Blicken, wenn er den Wall hinanmarschierte! Welch +ein inniges Vergnügen schwamm in seinen Augen, wenn er vor dem Korporal +stand und ihm den Zeitungsartikel bei der Arbeit zehnmal vorlas, damit +er nicht aus Versehen die Bresche einen Zoll zu weit machte oder einen +Zoll zu eng ließ. Wurde aber erst die Einfallsbresche geschlagen<span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span> und +der Korporal half ihm hinauf und folgte ihm mit der Fahne in der Hand. +um sie auf den Wall zu pflanzen — Himmel! Erde! Meer! — Aber was +sollen die Apostrophen? — Aus allen Elementen, naß oder trocken, ist +noch niemals ein so berauschender Trank verfertigt worden.</p> + +<p>Auf dieser Bahn des Vergnügens wandelten sie ununterbrochen, +ausgenommen wenn zuweilen starker Westwind war, so acht oder zehn +Tage das niederländische Postschiff aufhielt und sie so lange auf der +Folter ließ. Aber auch das war doch nur die Folter glücklicher Leute. +Auf dieser Bahn, sage ich, wandelten mein Onkel Toby und Trim manche +Jahre fort, und jedes Jahr und zuweilen jeder Monat brachte, nach der +Erfindung des einen oder des anderen von beiden, in ihren Operationen +eine oder die andere neue Erfindung oder listige und nützliche +Verbesserung hervor, welche ihnen bei der Ausführung allemal neue +Quellen des Vergnügens eröffnete.</p> + +<p>Die Kampagne des ersten Jahres wurde von Anfang bis Ende in der einfach +ungekünstelten Art geführt, wie ich erzählt habe.</p> + +<p>Im zweiten Jahre, in welchem mein Onkel Toby Lüttich und Roermond +einnahm, dachte er, er könnte wohl die Kosten für vier hübsche +Zugbrücken daran wagen. Von einem Paar derselben habe ich bereits in +den vorigen Teilen dieses Werkes eine genaue Beschreibung gegeben.</p> + +<p>Gegen das Ende ebendieses Jahres tat er ein paar Tore mit Fallgattern +hinzu. Die letzteren aber wurden nachher als Orgelstücke besser +genutzt; und im Winter desselben Jahres spendierte sich mein Onkel Toby +statt eines neuen Kleides, das er sich sonst allemal zu Weihnachten +machen ließ, ein schönes Schilderhaus, das er an die Ecke des grünen +Spielplatzes stellte. Zwischen diesem und dem Fuße des Walles<span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span> ließ +er eine kleine Art von Esplanade, auf welcher er und der Korporal +konferieren und Kriegsrat halten konnten.</p> + +<p>Das Schilderhaus war dazu, wenn's regnen sollte.</p> + +<p>Alles dieses wurde den folgenden Frühling dreimal weiß übermalt. +Dadurch setzte sich mein Onkel Toby in den Stand, mit vieler Pracht ins +Feld zu rücken.</p> + +<p>Mein Vater pflegte oft zu Yorick zu sagen, wenn irgendein anderer +Sterblicher in der ganzen Welt, als sein Bruder Toby, so etwas getan +hätte, so würde jedermann es angesehen haben als die feinste und +bitterste Satire auf die paradierende und prachtsüchtige Weise, mit +welcher Ludwig <em class="antiqua">XIV.</em> vom Anfange des Krieges an, besonders aber +ebendieses Jahr, ins Feld gerückt war. Aber meinem Bruder Toby, pflegte +mein Vater hinzuzusetzen, der gutherzigen Seele, kommt nie in den Sinn, +jemanden zu beleidigen.</p> + +<p>Aber laßt uns fortfahren.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_92"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Dreiundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich muß anmerken, daß, obgleich bei dem Feldzuge des ersten Jahres +das Wort Stadt oft vorkommt, dennoch damals noch keine Stadt in dem +Polygone war. Dieser Zusatz wurde erst in dem Sommer gemacht, der +auf den Frühling folgte, in welchem die Brücken und das Schilderhaus +angemalt wurden. Es war das dritte Jahr der Feldzüge meines Onkels +Toby. Da, nachdem Amberg, Bonn, Rheinburg und Huy und Limburg +nacheinander von ihnen eingenommen worden, dem Korporal der Gedanke +kam, daß man von der Einnahme so vieler Städte spräche, ohne eine +einzige Stadt davon aufweisen zu können, wäre eine dumme Art zu Werke +zu gehen. Also schlug er meinem Onkel Toby vor, daß sie sich ein +kleines Modell von einer Stadt bauen lassen<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> müßten. Sie brauchte nur +von Tannenlatten zusammengeschlagen, dann angemalt, in das Polygon +hineingesetzt und für alle Städte benutzt werden.</p> + +<p>Mein Onkel Toby fühlte augenblicklich das Gute an dem Projekt und +genehmigte es auf der Stelle; nur mit dem Zusatz von zwei ganz eigenen +Verbesserungen, auf welche er sich fast ebensoviel einbildete, als ob +er der erste Erfinder des Projekts selbst gewesen wäre.</p> + +<p>Die eine war, die Stadt sollte ganz genau in dem Geschmacke derjenigen +gebaut werden, die sie sehr wahrscheinlicherweise würde vorstellen +müssen. — Mit kleinen Fensterscheiben und den hohen Giebelenden der +Häuser nach der Gasse usw., wie in Gent und Brügge und den übrigen +brabantischen und flandrischen Städten.</p> + +<p>Die andere war, die Häuser sollten nicht eins ins andere gebaut werden, +wie der Korporal vorschlug, sondern jedes Haus sollte für sich sein, so +daß man es an- oder abhacken könne, um sie in den Grundriß einer jeden +Stadt bringen zu können. Dies wurde den Augenblick vorgenommen, und +mancher glückwünschende Blick wurde zwischen meinem Onkel Toby und dem +Korporal Trim gewechselt, während der Zeit, daß der Zimmermann das Werk +machte.</p> + +<p>Sie tat ihnen außerordentliche Dienste den nächsten Sommer. Die Stadt +war ein wahrer Proteus. Sie war Landen und Trarbach, und Santvliet und +Drusen, und Hagenau — und dann wurde sie wieder Ostende und Menin, und +Aeth und Dendermonde.</p> + +<p>Fürwahr, seit Sodom und Gomorrha hat noch keine Stadt so mancherlei +Rollen gespielt, als meines Onkels Toby Stadt spielte.</p> + +<p>Im vierten Jahre dachte mein Onkel Toby, eine Stadt ohne eine Kirche +habe ein so kahles Ansehen, und tat eine recht hübsche Kirche mit einem +Glockenturme hinzu. Trim<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> hätte auch gerne Glocken hinein gehabt, mein +Onkel Toby aber sagte, das Metall könnte besser zu Kanonen vergossen +werden.</p> + +<p>Dies führte in der nächsten Kampagne zu einem halben Dutzend +messingener Feldstücke. Drei und drei an jeder Seite von meines +Onkels Toby Schilderhaus. In kurzer Zeit führten diese zu einem +etwas größeren Artillerietrain. Und so immer weiter, wie es allemal +bei steckenpferdischen Geschichten hergehen muß. Von Kanonen von +halbzölligem Kaliber, bis es endlich bis zu meines Vaters weiten +Steifstiefeln hinanstieg.</p> + +<p>Das Jahr darauf, in welchem Lisle belagert wurde, und am Ende dessen +Gent und Brügge in unsere Hände fielen, ging's meinem Onkel Toby sehr +hart um die gehörige Munition. Ich sage, gehörige Munition, weil sein +Geschütz kein Pulver vertragen konnte; und ein Glück für die Shandysche +Familie war das! Denn so voll standen die Zeitungen vom Anfang +bis zu Ende der Belagerung, von dem unaufhörlichen Feuer, das die +Belagerer unterhalten hätten, — und so erhitzt war meines Onkels Toby +Imagination von den Nachrichten davon, daß er sonst ganz gewiß sein Hab +und Gut verschossen hätte.</p> + +<p>Etwas war also nötig, statt dessen unterzuschieben, zumal in einem +oder zwei der heftigsten Paroxismen der Belagerung, um etwas in der +Einbildung einem beständigen Feuer Ähnliches zu unterhalten. Und dieses +Etwas schaffte der Korporal, dessen vorzügliche Stärke im Erfinden +bestand, durch ein von ihm ganz neu erdachtes Batteriefeuer. Ohne +welches die militärischen Kritiker an meines Onkels Toby Apparates +daran auszusetzen gefunden hätten, daß eins der notwendigsten +Erfordernisse dabei fehlte.</p> + +<p>Dies wird nicht schlechter erklärt werden, wenn ich, wie ich gewöhnlich +pflege, ein wenig von der Sache abgehe.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span></p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_93"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Vierundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Unter zwei oder drei anderen Lappalien, die an sich selbst nichts +bedeuteten, aber dadurch einen großen Wert bekamen, daß sie der arme +Thomas, des Korporals unglücklicher Bruder, mit der Nachricht von +seiner Verheiratung mit der Judenwitwe überschickt hatte, waren: Eine +Reitmütze und zwei türkische Tabakspfeifen.</p> + +<p>Die Reitmütze will ich gelegentlich beschreiben. Die türkischen +Tabakspfeifen hatten nichts Besonderes; sie waren gemacht und gezieret +wie alle übrigen, mit biegsamen Röhren von Saffian mit Golddraht, und +auf den Enden mit kleinen Mundstücken, das an der einen von Elfenbein +und das an der ändern von schwarz Ebenholz mit Silber eingefaßt.</p> + +<p>Mein Vater, der alle Dinge von einem ändern Gesichtspunkte aus ansah +wie die übrigen Menschen, wollte dem Korporal sagen, er hatte diese +beiden Geschenke mehr als ein Zeichen der Ekelheit als der Gewogenheit +seines Bruders zu betrachten. — »Seinem Bruder Thomas ekelte davor, +Trim,« sagte er, »eine Mütze aufzusetzen, die ein Jude getragen, +oder aus einer Pfeife zu rauchen, die ein Jude im Mund gehabt.« — +»Gott Segne Euer Gnaden,« erwiderte der Korporal — und führte einen +wichtigen Grund fürs Gegenteil an —, »wie reimte sich das?« —</p> + +<p>Die Reitmütze war scharlachfarben, von dem feinsten spanischen Tuche, +in der Wolle gefärbt, rundum mit Rauchwerk besetzt, ausgenommen eine +vier Finger breite Kappe vorne, von hellblauem, ein wenig gesticktem +Tuche. Sie schien einem portugiesischen Quartiermeister, nicht zu Fuße, +sondern zu Pferde, wie der Name schon andeutet, gehört zu haben.</p> + +<p>Der Korporal tat nicht wenig groß damit, sowohl wegen ihres eigenen +Wertes als wegen des Gebers, und setzte sie deswegen selten oder +niemals auf, außer an Galatagen. Dennoch<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> ward wohl niemals eine +Reitmütze zu so mancherlei gebraucht. Denn bei allen streitigen +Punkten, im Kriegs- oder Küchenwesen, wenn nur der Korporal gewiß +wußte, daß er recht hätte, brauchte er sie, als Wette, als Beteurung +oder als Geschenk.</p> + +<p>Die Reihe war jetzt an ihr als Geschenk.</p> + +<p>»Ich will gehalten sein,« sagte der Korporal, der mit sich selber +sprach, »dem ersten besten Bettler, der vor die Türe kommt, meine +Reitmütze zu schenken, wenn ich die Sache nicht so mache, daß der +gnädige Herr seine Lust und Freude daran haben soll.«</p> + +<p>Die Ausführung ward nicht weiter hinausgeschoben als bis auf den +folgenden Morgen, welches eben der Morgen war, da auf die Konterskarpe, +zwischen der niederen Dudane und dem Andreastore zur Rechten, und zur +Linken zwischen St. Magdalenen und dem Flusse, Sturm gelaufen wurde.</p> + +<p>Da dieses die merkwürdigste Attacke im ganzen Kriege war, die tapferste +und hartnäckigste auf beiden Seiten, und ich muß hinzusetzen, die +blutigste dazu, denn sie kostete die Alliierten selbst diesen Morgen +über elfhundert Mann, so schickte sich mein Onkel Toby mit mehr als +gewöhnlicher Feierlichkeit dazu an.</p> + +<p>Den Abend vorher, als mein Onkel Toby zu Bette ging, befahl er, seine +Dreiknotenperücke, welche manches Jahr, die Haarseite nach innen +gekehrt, im Winkel einer alten Feldkiste gelegen hatte, die beim Bette +stand, hervorzusuchen und für morgen früh auf den Deckel bereit zu +legen. Und das erste, was er des Morgens noch im bloßen Hemde tat, als +er aus dem Bette gestiegen, nachdem er die rauhe Seite auswärts gekehrt +hatte, war, daß er sie aufsetzte. Als das geschehen, tat er darauf auch +die Beinkleider an, und sobald er den Gürtel zugeknöpft, schnallte er +auch das Degengehänge um und hatte schon den Degen halb hineingesteckt, +als er merkte, daß er<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> sich den Bart abnehmen lassen müßte, und daß +sich das mit dem Degen an der Seite nicht schicke. Er legte ihn also +ab. Als er Weste und Rock anlegen wollte, fand mein Onkel dasselbe +Hindernis an der Perücke. Also kam die auch herunter: so, daß durch ein +Hindernis hier und durch ein Hindernis dort, wie es immer geht, wenn +ein Mensch in der größten Eile ist, die Uhr zehn schlug. Das war eine +halbe Stunde später, als mein Onkel gewöhnlich ausrückte.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_94"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Fünfundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Onkel Toby war kaum um die Ecke seiner Taxushecke gekommen, die +seinen Küchengarten von dem grünen Spielplatz trennte, als er gewahr +ward, daß der Korporal die Attacke bereits ohne ihn angefangen hatte.</p> + +<p>Laßt mich hier ein wenig verweilen und Ihnen ein Gemälde von den +Anstalten des Korporals machen und von dem Korporal selbst, in der +heftigsten Hitze dieser Attacke, wie sie meinem Onkel Toby in die Augen +fiel, als er auf das Schilderhaus losging, wo der Korporal in der +Arbeit war. Denn in der ganzen Natur gibt's nicht dergleichen — und +aus allem, was in ihren Werken Groteskes und Seltsames zu finden ist, +läßt sich kein Ähnliches zusammenbringen.</p> + +<p>Der Korporal. —</p> + +<p>Tretet leise auf seinen Staub, ihr Männer von Genie, denn euch war er +nahe verwandt.</p> + +<p>Haltet sein Grab vom Unkraut rein, ihr Männer von gutem Herzen, denn +er war euer Bruder. — O, Korporal! hätte ich dich doch jetzt, jetzt, +da ich imstande bin, dir eine Mahlzeit zu geben und dir Schutz zu +verleihen. — Wie wollte ich dein warten und pflegen! Deine liebe +Reitmütze solltest du tragen, jede Stunde des Tages und jeden Tag +der Woche.<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> Und wäre sie abgetragen, ich wollte dir ein paar andere +ebenso gute kaufen. Aber, leider! leider! leider, ach! Jetzt, da ich +das kann, trotz Ihro Hochwürden, ist die Gelegenheit dahin! — Denn du +bist dahin. Dein Genius flog auf zu den Sternen, von wannen er kam. +Und dieses, dein warmes Herz, mit allen seinen großmütigen offenen +Gefäßen, ist zu einem Erdenkloß des Jammertals zerdrückt. Doch was — +was ist das gegen jenes künftige trauervolle Blatt, wo ich das sammetne +Leichentuch betrachte, verziert mit dem kriegerischen Ehrenzeichen +deines Herrn — des ersten — des besten der geschaffenen Wesen, wo +ich dich erblicken werde, du getreuer Knecht, wie du seinen Degen und +Scheide mit zitternder Hand kreuzweise über seinen Sarg legst und +dann aschbleich zur Türe hinaustrittst, sein Trauerpferd beim Zaume +zu fassen und hinter seiner Barre zu führen, wie er von dir begehrte. +Wo alle Systeme meines Vaters vor seinem Kummer dahinsinken, und ich +ihn sehen werde, wie er trotz seiner Philosophie den goldgefirnißten +Wappenschild betrachtet, zweimal die Brille von der Nase nimmt, den Tau +wegzuwischen, den die Natur daraufgoß. Wenn ich ihn sehe, wie er den +Rosmarinzweig mit stummem Jammer ins Grab wirft, der durch mein Ohr +schallet: O, Toby, in welchem Winkel der Erde soll ich den suchen, der +dir gliche? —</p> + +<p>Gütige Mächte! die ihr vor grauen Zeiten die Lippen des Stummen +geöffnet und die Zunge des Stammlers recht sprechen gelehrt. Komme ich +einst bis zu diesem trauervollen Blatte, dann, o dann rührt mich an, +mit allgewaltiger Hand!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_95"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span></p> + +<h2>Sechsundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Der Korporal, der den Abend vorher in seinem Sinne beschlossen hatte, +dem Mangel des erwünschten Etwas, das ein ununterbrochenes Feuer auf +den Feind während der Hitze der Attacke vorstellen könnte, abzuhelfen, +hatte damals keine andere Idee in seinem Kopfe gefaßt, als ein +Kunststück zu erfinden, wie er aus einem der sechs Feldstücke meines +Onkels Toby, die zu beiden Seiten seines Schilderhauses gepflanzt +waren, Tabaksrauch nach der Stadt hin dampfen möchte. Da ihm nun +zugleich die Mittel einfielen, wie er's bewerkstelligen könnte, so +hatte er zwar seine Reitmütze verpfändet, hielt sie aber, wegen der +Zuversicht zu seinem Projekte, in gar keiner Gefahr.</p> + +<p>Nachdem er hin und her überlegt hatte, machte er es bald ausfindig, +daß vermittels seiner zwei türkischen Tabakspfeifen, mit Hilfe von +drei kleinen Röhren von Schafsleder, an jedem von ihren unteren +Enden, an welchen ebenso viele dünne Sauger befestigt waren, die +auf die Zündlöcher paßten, mit Ton an die Kanone geklebt und dann +an den Stellen, wo sie in die Saffianröhre gingen, mit gewächster +Seide hermetisch verschlossen würden —, er imstande sein müßte, alle +sechs Feldstücke auf einmal abzubrennen, und zwar mit ebensovieler +Leichtigkeit, als ob's nur eine wäre.</p> + +<p>Sage doch niemand mehr, daß es Zähne und Zacken gebe, woraus man nicht +Winke zur Verbesserung der menschlichen Wissenschaften entlehnen +könne! — Sage kein Mensch ferner, aus was für Art Körpern eine Fackel +zur vollkommenen Aufklärung der Künste und Wissenschaften gemacht, +oder nicht gemacht werden kann. — Himmel! du weißt, wie sehr ich sie +liebhabe. Du kennst die Geheimnisse meines Herzens, und daß ich diesen +Augenblick mein Hemd hingäbe. — Du bist nicht klug, Shandy, sagte +Eugenius, denn du hast nur<span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span> ein Dutzend in deinem Vermögen, und da +bliebe es ja nicht mehr voll. —</p> + +<p>Wenn auch, Eugenius, das Hemde vom Leibe gäbe ich hin und ließe Zunder +für ein Feuerzeug daraus brennen, wäre es nur nütze, einen hitzigen +Forscher bei der Untersuchung zu unterstützen, der untersuchen will, +wie viele Funken auf einen guten Schlag ein guter Stahl und Stein in +die Zunderpfanne schlagen könne. — Glauben Sie nicht, daß er, indem er +diese hineinschlüge — er gar wohl etwas herausbringen könnte?</p> + +<p>Doch dies Projekt bei Gelegenheit.</p> + +<p>Der Korporal saß den größten Teil der Nacht darüber, dieses zustande zu +bringen. Und nachdem er eine hinlängliche Probe mit seinem Geschütze +angestellt, da er's mit Tabak bis an die Mündung voll geladen hatte, +ging er vergnügt zu Bette.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_96"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Siebenundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Der Korporal hatte sich ungefähr zehn Minuten vor meinem Onkel Toby +hinausgeschlichen, um seine Anstalten in Ordnung zu bringen und dem +Feinde nur eine oder zwei Salven zu geben, ehe mein Onkel Toby käme.</p> + +<p>Zu diesem Ende hatte er die sechs Feldstücke zusammen, dicht +beieinander, bei meines Onkels Toby Schilderhause in Fronte gestellt, +und nur etliche Fuß Platz zwischen den dreien rechter Hand und den +dreien linker Hand gelassen, um Raum zum Laden usw. zu behalten und +vielleicht auch, wer weiß, um zwei Batterien zu haben, die ihm nach +seinen Gedanken doppelt soviel Ehre brachten als eine.</p> + +<p>Hinter der Linie, dieser Öffnung gegenüber, den Rücken nach der Türe +des Schilderhauses gekehrt, aus Furcht, überflügelt<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> zu werden, hatte +der Korporal sehr weislich seinen Posten genommen. — Er hielt die +Röhre mit Elfenbein, zur Batterie rechter Hand gehörend, zwischen +Finger und Daumen seiner Rechten und die Röhre aus mit Silber +belegtem Ebenholze, zur Batterie linker Hand gehörend, zwischen +Daumen und Finger der anderen. Mit seinem rechten Knie fest auf den +Boden gestemmt, als ob er im ersten Gliede im Anschlage läge, schoß +der Korporal mit seiner Reitmütze auf dem Kopfe mit seinen beiden +Kreuzbatterien zugleich gar gewaltig auf die Kontergarde, welche die +Konterskarpe deckte, wo diesen Morgen die Attacke geschehen sollte. +Sein erster Vorsatz war, wie gesagt, nichts weiter, als einen Puff oder +ein paar zu geben. Aber das Vergnügen, sowohl über die Püffe als am +Puffen hatte sich unbemerkt des Korporals bemächtigt und ihn von Puff +zu Puff bis zur vollen Attacke geführt, gegen die Zeit, als mein Onkel +Toby zu ihm stieß.</p> + +<p>Ein Glück war es für meinen Vater, daß mein Onkel Toby nicht ebenden +Tag sein Testament machte.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_97"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Achtundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Onkel Toby nahm das Pfeifenröhrchen mit Elfenbein aus der Hand des +Korporals, besah es eine halbe Minute und gab's ihm wieder.</p> + +<p>In weniger als zwei Minuten nahm mein Onkel Toby das Rohr wieder vom +Korporal und führte es den halben Weg zum Munde. Dann gab er's zum +zweiten Male hastig zurück.</p> + +<p>Der Korporal verdoppelte den Angriff. Mein Onkel Toby lächelte, sah +wieder ernsthaft aus, lächelte wieder einen Augenblick. Dann sah er +wieder lange Zeit ernsthaft zu. — »Geb' Er mir das Röhrchen mit +Elfenbein, Trim,« sagte mein<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> Onkel Toby. Mein Onkel Toby brachte es +bis an die Lippen, zog es gleich wieder zurück, sah ein wenig umher +über die Buschhecken. In seinem Leben hatte meinem Onkel Toby nicht so +der Mund nach einer Pfeife gewässert. — Mein Onkel Toby begab sich mit +der Pfeife in der Hand in sein Schilderhaus. —</p> + +<p>Liebster Onkel Toby! O gehen Sie doch nicht mit der Pfeife ins +Schilderhaus, ich bitte! Wie ist einem Menschen mit solch einem Dinge +in einem solchen Winkel zu trauen!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_98"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Neunundneunzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich bitte, der Leser wolle mir beistehen, meines Onkels Toby grobes +Geschütz hinter die Szene abzufahren, sein Schilderhaus abzubrechen und +das Theater womöglich von den Hornwerken und Halbmonden zu räumen und +das übrige Kriegsgeräte aus dem Wege zu schaffen. Wenn das geschehen +ist, mein lieber Freund Garrick, wollen wir die Lichter sauber putzen, +das Theater mit einem neuen Besen fegen, den Vorhang aufziehen und +meinen Onkel Toby in einem neuen Charakter auftreten lassen, in welchem +die Welt keine Idee haben kann, wie er agieren wird. Und dennoch, wenn +Mitleiden mit der Liebe verschwistert ist und Tapferkeit mit ihr in +keiner Feindschaft lebt, so haben Sie in diesen Stücken schon genug +von meinem Onkel Toby gesehen, um diese Familienähnlichkeit unter +den beiden Leidenschaften — wo nur eine da ist — nach Herzenslust +auszuspähen.</p> + +<p>Eitle Wissenschaft! Du kommst uns in keinem Falle dieser Art zustatten. +Und in jedem anderen läßt du uns stecken.</p> + +<p>Bei meinem Onkel Toby, Madame, befand sich eine so edle Einfalt des +Herzens, welche ihn so weit von den krummen<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> Wegen, auf welchen die +Dinge dieser Art gemeiniglich zu wandern pflegen, ableitete, daß Sie +— daß Sie es sich nicht vorstellen können. Dabei fand sich ferner +eine solche arglose treuherzige Art zu denken und eine solche von +allem Mißtrauen entfernte Unwissenheit in der Kenntnis der mancherlei +Falten des weiblichen Herzens. Und so nackend und wehrlos stand er da +vor Ihnen, wenn er nicht eben mit einer Belagerung beschäftigt war, +daß Sie hinter dem ersten besten von Ihren krummen Wegen hätten stehen +und meinen Onkel Toby zehnmal an einem Tage durch und durch schießen +können, wenn Sie mit neunmal an einem Tage noch nicht genug gehabt +hätten, Madame.</p> + +<p>Neben alle diesem, Madame, und was auf der anderen Seite wieder +ebensoviel verdarb, hatte mein Onkel Toby diese unvergleichbare +Züchtigkeit der Natur, von der ich Ihnen schon erzählt habe, und +welche, beiläufig gesagt, beständig bei seinen Empfindungen Schildwache +stand, daß Sie ebensoleicht hätten — aber wo gerate ich hin? Diese +Betrachtungen strömen mir wenigstens zehn Seiten zu früh zu und nehmen +die Zeit weg, die ich auf Fakta verwenden sollte.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_99"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Unter den wenigen echten Söhnen Adams, deren Brust niemals den +Pfeil der Liebe empfunden haben — als ausgemacht angenommen, daß +alle Weiberhasser unechte Kinder sind —, haben die größten Helden +der älteren und neueren Geschichte schon neun Zehntel von der Ehre +dahin. Um dieser Helden wollte ich, daß ich den Schlüssel zu meiner +Schreibstube wieder aus dem Ziehbrunnen herauf hatte. Nur auf fünf +Minuten, um ihre Namen anführen zu können. Aus dem Kopfe weiß ich sie +nicht. Je nun! begnügen Sie sich für jetzt statt ihrer, mit diesen:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span></p> + +<p>Da war der große König Aldrovandus, und Bosphorus, und Capadocius, und +Dardanus, und Pontus und Asius — nicht zu gedenken des stahlherzigen +Karls <em class="antiqua">XII.</em>, mit dem selbst die Gräfin K... nichts anfangen +kannte. — Da waren Babilonicus, und Mediterraneus, und Polixenes, und +Persicus, und Prusicus, wovon nicht einer — ausgenommen Capadocius +und Pontus, weiche beide ein wenig verdächtig waren — seine Brust +der Göttin zuneigte. — Denn, die Wahrheit zu sagen, sie hatten alle +miteinander wohl sonst etwas zu tun. Und so war's mit meinem Onkel +Toby, bis das Schicksal, bis die Göttin des Schicksals, sage ich, +welche ihm den Ruhm beneidete, daß sein Name mit Aldrovandus und den +übrigen auf die Nachkommenschaft kommen sollte, hämischerweise den +Utrechter Frieden ausheckte.</p> + +<p>Glauben Sie mir, mein Herr, das war in dem Jahre ihre heimtückischste +Tat.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_100"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hunderterstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Unter den manchen üblen Folgen des Utrechter Traktates war auch +diese, daß nicht viel fehlte, so hätte mein Onkel Toby einen Ekel an +den Belagerungen bekommen. Und ob er gleich seine Belagerungslust +nachher wieder bekam, so ließ doch selbst Calais keine tiefere Narbe +in dem Herzen der Königin Marie, als Utrecht im Herzen meines Onkels +Toby. Bis an sein seliges Ende konnte er Utrecht niemals gelassen +nennen hören, nicht einmal einen Artikel lesen, der aus der Utrechter +Zeitung genommen war, ohne einen Seufzer zu holen, als ob ihm das Herz +zerspringen wollte.</p> + +<p>Mein Vater, der ein großer Ursachenkrämer war und folglich eine +gefährliche Person für einen Mann, der in seiner Gegenwart lachte oder +weinte — denn gemeiniglich wußte er<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> die Ursache, warum Sie beides +täten, weit besser wie Sie selbst —, suchte beständig meinen Onkel +Toby bei solchen Gelegenheiten zu trösten — auf eine Art zwar, welche +deutlich verriet, er bilde sich ein, meinem Onkel Toby ginge bei der +ganzen Sache nichts so sehr zu Herzen als sein liebes Steckenpferd. +»Laß nur gut sein, Bruder Toby,« pflegte er zu sagen, »wenn es Gottes +Wille ist, werden wir bald wieder neuen Krieg haben. Und wenn der +losgeht, wenn sich die kriegführenden Mächte auch aufhingen, können sie +uns doch nicht aus dem Spiele lassen. Ich will doch einmal sehen, mein +lieber Toby,« pflegte er hinzuzusetzen, »ob sie Länder nehmen können +ohne Städte, oder Städte ohne Belagerungen.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby konnte diesen Rückenhieb nach seinem Steckenpferde +niemals freundlich hinnehmen. — Er hielt den Hieb für ungroßmütig. Und +zwar um so mehr, da er nicht auf das Pferd treffen konnte, ohne den +Reiter mit zu treffen, und zwar auf den schimpflichsten Fleck an seinem +Leichname, wohin ein Hieb fallen kann. Sonach legte er bei diesen +Gelegenheiten allemal die Pfeife mit mehr Feuer als gewöhnlich auf den +Tisch, um sich zu verteidigen.</p> + +<p>Heute vor zwei Jahren sagte ich dem Leser, daß mein Onkel Toby nicht +beredt gewesen — und gab auf dieser Seite hier ein Beispiel vom +Gegenteil. — Ich wiederhole die Bemerkung und bringe ein Faktum bei, +welches ihr abermals widerspricht. Er war nicht beredt. Es fiel meinem +Onkel Toby schwer, lange Reden zu halten, und die geblümelten haßte +er. Es gab aber Gelegenheiten, da der Strom den Mann mit fortriß und +dergestalt gegen seinen gewöhnlichen Lauf anstürzte, daß mein Onkel +Toby auf eine Zeitlang in einigen Stücken dem Tertullus gleichkam, ihn +in anderen aber, nach meiner Meinung, unendlich weit übertraf.</p> + +<p>Mein Vater fand an einer von diesen Schutzreden meines<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> Onkels +Toby, die er eines Abends vor ihm und Yorick gehalten hatte, ein so +außerordentliches Gefallen, daß er sie aufschrieb, ehe er zu Bette ging.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_101"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertzweites Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich erzählte dem christlichen Leser. — Ich sage christlichen, weil ich +hoffe, daß er das ist. Wenn er's nicht ist, so tut mir's seinetwegen +leid — und ich bitte ihn nur, der Sache reiflich nachzudenken und +nicht die Schuld so ganz auf dieses Buch zu schieben.</p> + +<p>Ich erzählte ihm, mein Herr, denn bei meiner Treue, wenn ein Mensch +seine Historie auf eine so seltsame Art erzählt wie ich die meinige, +so muß er wohl alle Augenblicke zurück- oder vorwärtsgehen, um in +des Lesers Gedächtnis hübsch alles beieinander zu behalten. Ich +meinerseits, wenn ich's jetzt nicht noch mehr und fleißiger täte als +vorher, so tut sich so vielerlei schwankende zweideutige Materie mit +so vielen Lücken und Brüchen hervor. Und die Sterne, welche ich in +einigen der dunkelsten Gänge aufhänge, leisten so wenig Dienste, weil +ich weiß, daß sich die Welt bei allem Lichte, das ihr die Sonne Selbst +am hellsten Mittage gibt, so leicht verirren kann, daß — und nun, da, +sehen Sie, habe ich mich selbst verirrt!</p> + +<p>Aber es ist meines Vaters Schuld. Und wenn einst mein Gehirn anatomiert +wird, so werden Sie ohne Brille sehen können, daß er einen groben, +unebenen Faden hat mit durchschleichen lassen, wie man zuweilen in +einem ausgeschossenen Stück Leinwand die ganze Webe hindurchlaufen +sieht und fühlt, wenn man auch nur einen — da hängen schon wieder ein +paar Lichtlein! — oder eine Aderlaßbinde oder einen Däumling daraus +schneiden will. —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span></p> + +<p><em class="antiqua">Quanto id diligentias in liberis Procreandis cavendum</em>, sagt +Cardan, welcher alles wohl überlegt; da Sie sehen, daß es mir +moralischerweise unmöglich ist, dieses wieder herum- und dahin zu +winden, wo ich anfing, es herauszuziehen, so will ich das Kapitel +lieber noch einmal anfangen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_102"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertdrittes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich erzählte dem christlichen Leser im Anfange des Kapitels, welches +vor meines Onkels Toby Schutzrede vorhergeht — obgleich in einem +anderen Gleichnisse, als das ist, dessen ich mich jetzt bedienen +werde —, daß der Utrechter Frieden auf ein Haar breit eine ebenso +große Entfremdung zwischen meinem Onkel Toby und seinem Steckenpferde +hervorgebracht hätte, wie er unter der Königin und den übrigen +verbundenen Mächten veranlaßte.</p> + +<p>Es gibt eine verächtliche Art, mit der ein Mann zuweilen von seinem +Pferde absitzt, die etwa sagt: »Lieber wollte ich all mein Lebelang zu +Fuße gehen, Bestie, als mein Bein wieder über deinen Rücken bringen!« +— Nun konnte man von meinem Onkel Toby nicht sagen, daß er auf diese +Art abgesessen sei. Gewissermaßen und nach dem strengen Sprachgebrauche +konnte man gar nicht einmal sagen, er sei abgesessen, sondern hätte +richtiger sagen müssen, er sei vom Pferde abgesetzt, und ein wenig +tückischerweise; das machte, daß mein Onkel Toby es noch zehnmal übler +nahm. Aber laß die Staatsroßkämme das unter sich abtun, wie sie wollen.</p> + +<p>Es brachte, sage ich, eine Art von Entfremdung zwischen meinem Onkel +Toby und seinem Steckenpferde hervor. — Vom Monat März bis November, +den Sommer, nachdem der Friede geschlossen worden, brauchte er's fast +gar nicht,<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> außer wenn er etwa einmal einen ganz kurzen Ritt tat, um +eben nur zuzusehen, ob der Hafen und die Werke von Dünkirchen versenkt +und geschleift wären, wie die Zeitungen berichtet hatten.</p> + +<p>Die Franzosen ließen es den ganzen Sommer bei dieser Sache so langsam +angehen. Monsieur Tugghe, der Deputierte des Dünkirchener Magistrats, +übergab der Königin so manche rührende Bittschrift, worin er Ihre +Majestät anflehte, doch ihre Donnerkeile auf die anderen Werke fallen +zu lassen, die sich ihre Ungnade könnten zugezogen haben, — und um +Schonung — um Schonung des Befestigungswerkes, das in seiner nackten +Lage nichts weiter sein könnte als ein Gegenstand des Mitleidens. Und +die Königin, welche — als ein Frauenzimmer — erbittlichen Herzens +war — und ihre Minister gleichfalls —, konnte es nicht übers Herz +bringen, daß die Stadt so entblößt würde, aus der besonderen Ursache — +— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — +— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — +— — so daß es also im ganzen meinem Onkel Toby sehr sauer gemacht +wurde. Um so mehr, da drei volle Monate noch darüber hingingen, +in denen er und der Korporal die Stadt aufgebaut und in gehörigen +Stand gesetzt hatten, um sie schleifen zu können, ehe es ihm die +verschiedenen Kommandanten, Kommissarien, Deputierte, Negotiateurs und +Intendanten erlaubten, sich daran zu machen. — Schlimmer, schlimmer +Zwischenraum der Untätigkeit.</p> + +<p>Der Korporal war dafür, die Schleifung damit anzufangen, daß sie eine +Bresche in den Wall oder die Hauptfestung der Stadt machten. — »Nein, +Korporal, das geht nicht,« sagte mein Onkel Toby, »denn wenn wir so +mit der Stadt zu Werke gehen, so wird die englische Garnison keinen +Augenblick darin sicher sein. Denn wenn die Franzosen falsch sind —« +— »Sie sind so falsch, mit Euer Gnaden<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> Erlaubnis, so falsch wie +der Satan,« sagte der Korporal. — »Das tut mir allemal leid, wenn +ich's höre, Trim,« sagte mein Onkel Toby; »denn es fehlt ihnen nicht +an persönlicher Herzhaftigkeit. Und wenn eine Bresche in dem Walle +ist, können sie dadurch hineindringen und sich zum Herrn des Ortes +machen, wenn sie nur wollen.« — »Laß sie einmal hineindringen,« +sagte der Korporal, und hob seinen Pionierspaten mit beiden Händen +in die Höhe, als ob er um sich hauen wollte. »Laß sie hineindringen, +Euer Gnaden, sage ich, wenn sie's sich unterstehen.« — »In Fällen +wie dieser, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, wobei er die Hand bis +auf die Mitte seines Stockes hinunterrutschen ließ und ihn darauf als +einen Kommandostab mit ausgestrecktem Zeigefinger faßte, »muß sich +der Kommandant nicht darum bekümmern, was sich der Feind unterstehen +oder nicht unterstehen möchte: er muß auf seiner Hut sein. Wir wollen +mit den Außenwerken anfangen, sowohl nach der See- als Landseite. +Fort Louis soll das erste sein, das ist am weitesten entlegen und +soll zuerst demoliert werden. Dann die übrigen, alle eins nach dem +anderen, wie sie liegen, links und rechts, wie wir uns nach der Stadt +zurückziehen. Dann wollen wir die Dudane abtragen, hernach den Hafen +versenken, uns in die Zitadelle ziehen, sie in die Luft sprengen, und +wenn wir das getan haben, Korporal, dann zu Schiffe und nach England.« +— »Da sind wir,« sagte der Korporal, der zur Besinnung kam. — »Es ist +ja wahr,« sagte mein Onkel Toby und sah nach der Kirche.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_103"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span></p> + +<h2>Hundertviertes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ein Kriegsrat oder ein paar von dieser entzückenden täuschenden +Gattung, gepflogen zwischen meinem Onkel Toby und Trim, über die +Schleifung von Dünkirchen, brachten auf einen Augenblick die Ideen von +den Vergnügungen wieder in Reih und Glieder, welche gar davonwischen +wollten. — Aber es ging damit nur schlaff her. Der Zauber schwächte +das Gemüt nur mehr. Die Göttin des Schlafes kam mit ihrem stummen +Gefolge ins einsame Wohnzimmer geschlichen und hüllte meines Onkels +Toby Kopf in ihren flornen Mantel. Und die Verdrossenheit mit ihren +schlaffen Fiebern und unbestimmtem Auge setzte sich ruhig bei ihm in +seinen Lehnstuhl hin. Amberg und Rheinburg, und Limburg und Huy, und +Bonn jagten nicht mehr dies Jahr — und die Prospekte von Landen und +Trarbach, und Drusen und Dendermonde nicht im anderen Jahre das Blut +herum. Die Sappen, Minen, Schirme, Schanzkörbe und Palisaden wehrten +diesen schönen Feind der Ruhe des Menschen nicht länger ab. Nicht +mehr konnte mein Onkel Toby, wenn er bei seinem gekochten Ei zum +Abendessen die französischen Linien passierte, tiefer hinein ins Herz +von Frankreich dringen, über die Oyes setzen, die ganze Pikardie offen +hinter sich liegen lassen, bis vor die Tore von Paris marschieren und +mit lauter Bildern von Ehre und Ruhm einschlafen. Nicht mehr sollte es +ihm träumen, er habe das britische Panier auf den Turm der Bastille +gepflanzt, und erwachen, da es ihm noch im Kopfe flatterte.</p> + +<p>Liebreichere Erscheinungen, sanftere Regungen stahlen sich unvermerkt +in seinen Schlummer, — die Drommete des Krieges entfiel seiner Hand. +Er ergriff dafür die Laute, das liebliche Instrument! Unter allen +anderen das delikateste, das schwerste! — Wie wirst du sie spielen, +liebster Onkel Toby!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_104"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span></p> + +<h2>Hundertfünftes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Freilich habe ich's ein- oder ein paarmal nach meiner unbedachtsamen +Weise ausgeplaudert; ich verließ mich darauf, daß die folgenden +Nachrichten von den Liebesbegebenheiten meines Onkels Toby und der +Witwe Wadmann, sobald ich nur Zeit gewinne sie zu schreiben, eins +der vollständigsten Systeme — sowohl nach den elementarischen als +praktischen Teilen der Liebe — enthalten würden, die nur jemals +der Welt vorgelegt worden; aber müssen Sie sich deswegen nun gleich +einbilden, ich werde mit einer Beschreibung des Amor anfangen? — Ob er +halb Gott ist und halb Teufel, wie Plotinus behauptet.</p> + +<p>Oder nach einer kritischeren Gleichung, die das Ganze der Liebe durch +zehn Einheiten ausdrückt, mit dem Ficinus zu bestimmen, wie viele von +diesen Einheiten zum ersten und wie viele zum zweiten gehören. — Oder +ob Amor über und über, vom Kopfe bis zum Schwanze, ein großer Teufel +ist, wie Plato sich unterstanden hat zu entscheiden. Über welchen +platonischen Einfall ich meine Meinung nicht sagen mag. Aber meine +Meinung vom Plato ist diese, daß er in diesem Beispiel sich als ein +Mann zeigt, der sehr viel Ähnliches in seiner Gemütsart und Philosophie +mit dem Doktor Baynyard hatte. Welcher Baynyard ein großer Feind von +spanischen Fliegen war und sich einbildete, ein halbes Dutzend, auf +einmal gelegt, würde einen Menschen ebensosicher dem Grabe zuführen, +wie ein mit sechsen bespannter Leichenwagen, und daher den übereilten +Schluß machte: der Teufel selbst sei in der Welt nichts anderes als +eine große spanische Brummfliege.</p> + +<p>Das sind solche Untersuchungen, womit mein Vater, der sich einen +großen Vorrat von dergleichen Wissenschaft aufgestapelt hatte, in dem +Fortgange des Liebeshandels meines<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> Onkels Toby sehr geschäftig sein +wird. Soviel muß ich voraussagen, daß er von seiner Theorie der Liebe +— womit er, beiläufig gesagt, es so zu machen wußte, daß er meines +Onkels Toby Gemüt ebensosehr damit kreuzigte als Amors selbst — nur +einen Ausfall in die Praxis tat, und vermittels eines in Kampfer +getränkten Wachstuches, das er Mittel fand, dem Schneider für Zwillich +aufzuhängen, als er eben meinem Onkel Toby ein Paar neue Beinkleider +machte, brachte er bei meinem Onkel Toby ebendie Wirkung wie Gordonius, +und ohne den bösen Geruch, hervor.</p> + +<p>Was dies für Veränderungen hervorbrachte, wird man gehörigen Ortes +lesen. Alles, was nötig ist, der Anekdote hinzugesetzt zu werden, ist +dieses: Was es auch für Wirkung auf meinen Onkel Toby haben mochte, es +hatte eine häßliche Wirkung auf das Haus. — Und hätte es mein Onkel +nicht, so wie er tat, ganz gelassen niedergeschmaucht, es hätte auch +auf meinen Vater eine häßliche Wirkung tun können.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_105"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsechstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es wird sich bei Gelegenheit schon von selbst finden. — Alles, was +ich hier verfechte, ist, daß ich nicht notwendig mit einer Definition +der Liebe anfangen muß. Und solange ich meine Historie wegerzählen und +sie mit dem Worte selbst verständlich sein kann, ohne einen anderen +Begriff damit zu verknüpfen, als den ich mit allen Leuten gemein habe, +warum sollte ich einen Augenblick vor der Zeit davon abgehen? — Kann +ich erst nicht mehr weiter und sehe ich mich von allen Seiten in diesem +mystischen Labyrinth verwickelt, so wird meine Meinung von selbst dazu +kommen und mich herausführen.</p> + +<p>Für jetzt, hoffe ich, wird man mich hinlänglich verstehen,<span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span> wenn ich +dem Leser sage: mein Onkel Toby ward verliebt.</p> + +<p>Ich kann nicht sagen, daß mir die Redensart gefiele; gar nicht! Denn +wenn man sagt, ein Mann ist verliebt, oder er ist heftig verliebt, +oder gar er ist rasend verliebt, oder noch ärger, er ist mit Haut +und Haar verliebt —, so wollen diese unter den Leuten gang und +gäben Redensarten allemal soviel mit andeuten, daß der Zustand eines +Menschen, welcher liebt, unnatürlich und gefährlich sei. — Das heißt +der Meinung des Plato Anhänger machen, welche ich bei aller seiner +Göttlichkeit für verdammlich und ketzerisch halte. Doch genug davon.</p> + +<p>Lieben und Verliebtsein mag also sein, was es will: mein Onkel ward +verliebt.</p> + +<p>Und vermutlich, gütiger Leser, bei einer solchen Untersuchung würdest +du es selbst. Denn nie sahen deine Augen oder begehrten deine Begierden +auf dieser weiten Welt ein Ding, das begehrenswürdiger gewesen wäre als +die Witwe Wadmann.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_106"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsiebentes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Um es recht zu fassen, fordern Sie Tinte und Feder. Hier ist reines +Papier für Sie. — Setzen Sie sich, Herr, malen Sie sich eine Witwe +Wadmann, wie's Ihnen gelüstet. Ihrer Geliebten so ähnlich, wie Sie +können. Ihrer Frau so unähnlich, wie Ihnen Ihr Gewissen erlauben will. +Mir ist's gleich; machen Sie sich's nur selbst zu Danke.</p> + +<p>Ist in der ganzen Schöpfung noch etwas so Liebreizendes — etwas so +Vollkommenes anzutreffen!</p> + +<p>Nun, lieber Herr, war es wohl ein Wunder, daß mein Onkel Toby nicht +widerstehen konnte?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span></p> + +<p>O dreimal glückseliges Buch! Du hast doch wenigstens eine Seite in +deinem Bande, welche die Bosheit nicht anschwärzen und die Dummheit +nicht mißdeuten kann.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_107"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertachtes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Da Susanna durch einen Expressen von Jungfer Brigitte Nachricht +erhielt, daß mein Onkel Toby in ihre Herrschaft verliebt sei, schon +fünfzehn Tage vorher, ehe sich's zutrug, und Susanna das Wesentliche +dieser expressen Nachricht den folgenden Tag gleich meiner Mutter +mitteilte, so hat mir das Gelegenheit gegeben, gerade vierzehn Tage +früher von meines Onkels Toby Liebesangelegenheiten zu schreiben, als +er sie wirklich hatte.</p> + +<p>»Ich habe dir was Neues zu sagen, lieber Walther,« sagte meine Mutter, +»das dich sehr erstaunen wird.«</p> + +<p>Bitte zu merken, daß mein Vater eben die Beschwerlichkeiten des +Ehestandes überdachte, als meine Mutter das Stillschweigen brach.</p> + +<p>»Bruder Toby,« sagte sie, »ist mit Frau Wadmann versprochen.«</p> + +<p>»Nun, so soll er in seinem Leben nicht wieder diagonal im Bette liegen, +da stehe ich ihm für,« sagte mein Vater.</p> + +<p>Meinem Vater war es ein herznagender Verdruß, daß meine Mutter ihn +niemals fragte, wenn er etwas sagte, das sie nicht verstand.</p> + +<p>Daß sie kein gelehrtes Frauenzimmer ist, pflegte mein Vater zu sagen, +das ist ihr Unglück und nicht ihre Schuld. Aber fragen könnte sie doch.</p> + +<p>Meine Mutter tat das niemals. Kurz, sie ging am Ende aus der Welt, ohne +zu wissen, ob sie sich rund drehte, ob sie stillstände. Mein Vater +hatte es ihr ganz dienstfertigerweise<span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span> wohl tausendmal gesagt, wie es +damit wäre. Aber sie konnte es gar nicht behalten.</p> + +<p>Aus dieser Ursache ging ein Gespräch unter ihnen selten weiter, als +Proposition, Replik und Duplik. Wenn die vorbei, holte er gewöhnlich +auf ein paar Minuten Atem und schlenderte dann weiter.</p> + +<p>»Wenn er sich verheiratet,« sagte meine Mutter, »so verlieren wir doch +immer dabei.«</p> + +<p>»Nicht einen Kirschkern,« sagte mein Vater. »Er mag das seinige +ebensolieb auf diese Art als auf eine andere verschießen.«</p> + +<p>»Es ist wohl wahr,« sagte meine Mutter. Und hiermit endigten sich +Proposition, Replik und Duplik, wovon ich Ihnen sprach.</p> + +<p>»So hat er doch noch wohl einigen Zeitvertreib,« sagte mein Vater.</p> + +<p>»Sehr angenehmen,« antwortete meine Mutter, »wenn er Kinder bekommen +sollte.«</p> + +<p>»Gott verzeihe mir meine Sünden!« sagte mein Vater bei sich selbst.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_108"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertneuntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Onkel Toby und der Korporal waren mit solcher Hitze und Übereilung +aufgebrochen, um von dem Stücke Landes Besitz zu nehmen, von dem +wir so oft gesprochen haben, damit sie ihren Feldzug ebenso früh +eröffnen könnten als die übrigen Alliierten, daß sie darüber einen der +allerunentbehrlichsten Artikel bei der ganzen Sache vergessen hatten. +Es war weder ein Pionierspaten, noch eine Pickelhacke, noch eine +Schaufel.</p> + +<p>Es war ein Schlafbett. Da Shandy-Hall noch nicht mit<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> Hausgerät +versehen, und das kleine Wirtshaus, in welchem der arme Le Fevers +starb, noch nicht gebaut war, war mein Onkel Toby genötigt, in +Madame Wadmanns Hause auf eine Nacht oder ein paar mit einem +Bette vorliebzunehmen, so lange, bis Korporal Trim — der zu den +Eigenschaften eines vortrefflichen Bedienten, Stallknechts, Kochs, +Schneiders, Baders und Ingenieurs auch noch die Eigenschaften +eines vortrefflichen Tapezierers hinzufügte — mit der Hilfe eines +Zimmermanns und eines Schneiders in meines Onkels Toby Hause selbst +eines zustande brachte.</p> + +<p>Eine Tochter Evens, denn das war unsere Witwe Wadmann, und der ganze +Charakter, den ich von ihr zu geben willens bin, ist:</p> + +<p>»<em class="gesperrt">Sie war ein vollkommenes Frauenzimmer.</em>«</p> + +<p>Sie wäre zehn Meilen weit davon besser daran gewesen — oder auch in +ihrem warmen Bette — oder wenn sie mit ihrem Taschenmesser gespielt +hätte — oder womit sie sonst wollte, anstatt einen Mann zum Gegenstand +ihrer Aufmerksamkeit zu machen, wenn das Haus mit allem ihrem Geräte +ihr eigen ist.</p> + +<p>Wenn ein Frauenzimmer außer dem Hause und bei hellem Tageslichte es in +ihrer Gewalt hat, physikalisch von der Sache zu reden, einen Mann in +mancherlei Lichte zu betrachten, so hat es nichts zu bedeuten. Aber +hier, fange sie es an, wie sie will, kann sie ihn in keinerlei Lichte +sehen, oder es klebt ihm beständig etwas an, das zu ihrer eigenen +Fahr und Habe gehört, bis sie ihn endlich so lange und oft in dieser +Verbindung erblickt, daß er selbst ein Artikel in diesem Inventario +wird.</p> + +<p>Und dann, gute Nacht!</p> + +<p>Doch das gehört nicht zum System; denn das habe ich schon oben +vorgelegt. Auch nicht zum Katechismus. Denn ich lege für niemand ein +Glaubensbekenntnis ab als für mich<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> selbst. Es ist auch keine Tatsache, +wenigstens nicht, soviel ich wüßte, sondern die Sache ist kopulativisch +und soll die folgende einleiten.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_109"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ich sage es nicht in Ansehung ihrer verschiedenen Feinheit oder +Weise, noch in Ansehung der Stärke ihrer Windlaschen. Aber sagen Sie +selbst, sind nicht die Nachthemden von den Taghemden in diesem Stücke +ebensosehr verschieden wie in jedem andern in der Welt, daß sie diese +so weit in der Länge übertreffen, daß, wenn Sie sich darin niedergelegt +haben, solche ebensoweit über die Füße reichen, als die Füße aus den +Taghemden hervorstehen?</p> + +<p>Der Witwe Wadmanns Nachthemden — ich glaube es war unter der Regierung +des Königs Wilhelm und der Königin Anna so die Mode — waren wenigstens +solchergestalt zugeschnitten. Und wenn die Mode abgekommen ist — denn +in Italien sind sie ganz verschwunden —, desto schlimmer für das +Publikum. Sie waren zweieinhalb Brabanter Ellen lang; wenn man also auf +ein mäßiges Frauenzimmer zwei Ellen rechnet, so hatte sie eine halbe +Elle übrig, womit sie machen konnte, was sie wollte.</p> + +<p>Nun war es von einer kleinen Pflege zur andern, woran sie sich in den +schaurigen Winternächten während ihres siebenjährigen Witwenstandes +gewöhnt hatte, unvermerkt dahin gediehen und zu einer von den Regeln +der Schlafkammer geworden, daß, sobald Madame Wadmann zu Bette gebracht +worden und ihre Füße völlig ausgestreckt hatte, wovon sie der Brigitte +allemal ein Zeichen gab, Brigitte mit allem gehörigen Dekorum, nachdem +sie erst die Bettlaken zu den Füßen auseinandergeschlagen, die halbe +Elle Leinwand, von<span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span> der wir hier sprechen, faßte, solche behende und +mit beiden Händen stramm herunterzog, nach der Länge in vier oder fünf +ebene Falten legte, eine große Stecknadel von ihrem Ärmel nahm und +damit, die Spitze nach sich gekehrt, diese Falten ein wenig über dem +Saume alle fest zusammensteckte. Wenn das geschehen, deckte sie zu den +Füßen alles wieder hübsch warm zu und wünschte ihrer Madame eine gute +Nacht.</p> + +<p>Dies war ein beständiger Gebrauch und litt keine Abänderung als diese: +daß bei frostigen und stürmischen Nächten, wenn Brigitte das Bette zu +den Füßen öffnete usw., um diese ihre Pflicht zu verrichten, sie kein +anderes Thermometer als ihr eigenes Gefühl zu Rate zog. So verrichtete +sie es stehend, kniend oder kauernd, je nach den verschiedenen Graden +ihres Glaubens, ihrer Liebe oder Hoffnung, in denen sie sich ebenden +Abend gegen ihre Herrschaft befand. In jedem anderen Betracht war die +Etikette unverbrüchlich und konnte mit der allermechanischsten von +jeder Kammer im ganzen Christentume um den Vorzug streiten.</p> + +<p>Den ersten Abend, sobald der Korporal meinen Onkel Toby nach seiner +Schlafkammer hinaufgebracht hatte, was um zehn Uhr war, warf sich +Madame Wadmann in ihren Lehnstuhl, schlug ihr rechtes Bein über das +linke, wodurch sie einen Ruheplatz für ihren Ellenbogen machte, legte +ihren Kopf in ihre Hand, und so gestützt saß sie bis Mitternacht und +dachte der Sache, für und gegen dieselbe, nach.</p> + +<p>Den zweiten Abend ging sie vor ihr Schreibpult, und nachdem sie +Brigitten befohlen, ein paar frische Lichter zu bringen und auf den +Tisch zu legen, suchte sie ihren Ehekontrakt hervor und las ihn sehr +andächtig durch. Und den dritten Abend — der der letzte von meines +Onkels Toby Bleiben war —, als Brigitte das Nachthemde niedergezogen +hatte und dabei war, die Nadel einzustecken, stieß sie mit einem Stoße +mit beiden Fersen zugleich ihr die Stecknadel<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> aus der Hand. Nieder +fiel auch die Etikette und zertrümmerte in tausend Sonnenstäubchen.</p> + +<p>Aus welchem allen es dann ganz deutlich erhellte, daß die Witwe Wadmann +in meinen Onkel Toby verliebt war.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_110"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertelftes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Onkel Toby hatte damals seinen Kopf mit anderen Dingen angefüllt, +so daß er erst nach der Schleifung von Dünkirchen, als alle anderen +Höflichkeiten von Europa abgemacht worden, Muße fand, diese zu erwidern.</p> + +<p>Dieses machte einen Waffenstillstand — das heißt in Ansehung meines +Onkels Toby, auf seiten der Witwe Wadmann aber eine Vakanz — von fast +elf Jahren. Da aber in allen Fällen dieser Art es der zweite Schlag +ist, er geschehe, so spät er wolle, der die Kriegshändel befestigt, so +ist es dieser Ursache wegen, daß ich es lieber die Liebeshändel meines +Onkels Toby mit Madame Wadmann, als die Liebeshändel der Madame Wadmann +mit meinem Onkel Toby nenne.</p> + +<p>Dies ist keine Distinktion, weil kein Unterschied vorhanden ist.</p> + +<p>Es ist nicht wie die Geschichte des alten aufgekrempten Hutes und des +aufgekrempten alten Hutes, worüber Euer Hochwürden sich so oft einander +in den Haaren gelegen, sondern hier ist ein Unterschied in der Natur +der Dinge. —</p> + +<p>Und zwar erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, meine hochzuverehrenden +Herren, ein sehr großer.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_111"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertzwölftes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Da nun die Witwe Wadmann meinen Onkel Toby liebte, und mein Onkel Toby +die Witwe Wadmann nicht liebte,<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> so war für die Witwe Wadmann nichts +anderes zu tun als fortzufahren, meinen Onkel Toby zu lieben, oder es +bleiben zu lassen.</p> + +<p>Die Witwe Wadmann wollte so wenig das eine wie das andere tun.</p> + +<p>Gütiger Himmel! Aber ich vergesse, daß ich so ein bißchen von ihrer +Gemütsart an mir habe. Denn sooft es sich begibt, wie es wohl zuweilen +geschieht, wenn eben Tag und Nacht gleich sind, daß eine irdische +Göttin bald dies ist, bald das und bald jenes, daß ich ihretwegen mein +Frühstück nicht verzehren kann und sie sich keinen schweren Schilling +darum bekümmert, ob ich mein Frühstück verzehre oder nicht. Verdammt +mit ihr! Und damit schicke ich sie nach der Tartarei, und von der +Tartarei nach Terra del Fuogo und so weiter zu Meister Hämmerling. +Kurz, es gibt keine höllische Nische, da ich nicht Ihro Gottheiten +fasse und hineinpacke.</p> + +<p>Allein, weil das Herz zärtlich ist und es auf diesem Strome der +Leidenschaften zehnmal in einer Minute Ebbe und Flut wird, so bringe +ich sie wieder zurück. Und da ich in allen Dingen bis aufs Äußerste +gehe, versetze ich sie in den Himmel, mitten in die Milchstraße.</p> + +<p>Glänzendstes unter den Gestirnen! O, schütte deinen Einfluß auf ihn, +der — hole sie der Henker, mitsamt ihrem Einflusse. Denn bei dem Worte +reißt mir alle Geduld aus! Wohl bekomm's ihm! —</p> + +<p>Bei allem, was rauh und geschlitzt ist, rufe ich, und nehme meine +Pelzmütze ab und lasse meinen Finger rund laufen, keinen Groschen gäbe +ich für ein Dutzend solcher!</p> + +<p>Es ist gleichwohl eine vortreffliche Mütze, sage ich dann wieder — +indem ich sie auf den Kopf setze und auf die Ohren festdrücke —, und +ist warm und weich, besonders wenn Sie sie mit dem Haare streicheln, +aber leider! So gut wird mir's<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> niemals gehen — und damit hat denn +meine Philosophie abermals Schiffbruch gelitten —.</p> + +<p>Nein, an die Pastete werde ich wohl keinen Finger bringen — hier +zerbreche ich meine Metapher —.</p> + +<p>Rinde und Krumen,</p> + +<p>Gefüllsel und Rand,</p> + +<p>Deckel und Boden — ich verabscheue es, hasse es, verwerfe es — mir +ekelt schon vom Ansehen.</p> + +<p>Es ist nichts als Pfeffer<br> +<span style="margin-left: 7.5em;">Knoblauch</span><br> +<span style="margin-left: 7.5em;">Kaviar</span><br> +<span style="margin-left: 7.5em;">Salz und</span><br> +<span style="margin-left: 7.5em;">Teufelsdreck --</span><br> +</p> + +<p>beim großen Erzkoch aller Köche, welcher, denke ich, vom Morgen bis +Abend nichts anderes tut, als daß er beim Feuer sitzt und hitzige +Gerichte für uns aussinnt, ich rühre es nicht an, um die Welt —</p> + +<p>O, Tristram! Tristram! rief Jenny.</p> + +<p>O, Jenny! Jenny! versetzte ich und fuhr fort mit dem hundertdreizehnten +Kapitel.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_112"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertdreizehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Die Göttinnen des Schicksals, welchen ganz gewiß alles von dieser +Liebesgeschichte der Witwe Wadmann mit meinem Onkel Toby vorher bekannt +war, hatten von der ersten Schöpfung der Materie und Bewegung an — +und zwar mit mehr Gütigkeit, als sie bei Dingen von dieser Art pflegen +— einen Strang von Ursachen und Wirkungen gesponnen, die so fest +aneinanderhingen, daß es meinem Onkel Toby kaum möglich gewesen, in +irgendeinem anderen Hause zu wohnen oder einen anderen Garten in der +Christenheit zu<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span> besitzen als gerade das Haus und den Garten, die dicht +an der Witwe Wadmanns Haus und Garten lagen. Dieses nebst dem Vorteile +einer dichten Laube in Madame Wadmanns Garten, die in meines Onkels +Toby grüne Hecke hineingepflanzt war, gab ihr alle die Gelegenheiten an +die Hand, deren die Kriegskunst der Liebe bedurfte. Sie konnte meines +Onkels Toby Bewegungen wahrnehmen, und seine Entschlüsse im Kriegsrate +wußte sie gleichfalls alle. Und da sein verdachtloses Herz dem Korporal +durch die Vermittlung der Brigitte Erlaubnis erteilt hatte, ihr ein +kleines Heckenpförtchen zu machen, um desto mehr Raum zum Spazieren +zu gewinnen, sah sie sich dadurch imstande, ihre Approchen bis dicht +an die Türe des Schilderhauses zu führen und zuweilen zur schuldigen +Danksagung eine Attacke zu machen und ihr Bestes zu versuchen, meinen +Onkel mit diesem seinem eigenen Schilderhause in die Luft zu sprengen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_113"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertvierzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es ist Jammer und schade — aber mir nicht weniger aus meiner täglichen +Beobachtung des Menschen gewiß, daß er wie eine Kerze an beiden Enden +angezündet werden kann. Woferne nur der Docht weit genug hervorsteht. +Ist keiner da und er wird unten angezündet, so, weil in dem Falle die +Flamme gewöhnlich das Unglück hat, sich selbst auszulöschen, geht's +wieder nicht.</p> + +<p>Was mich anbelangt, könnte ich's immer selbst einrichten, von welchem +Ende an ich brennen wollte — denn ich kann den Gedanken nicht +ausstehen, so viehdumm zu brennen —, so sollte mich eine ehrliche +Hausfrau allemal bei der Spitze anzünden. Denn alsdann könnte ich +hübsch mit Ehren herunterbrennen.<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> Das heißt von meinem Kopfe bis zu +meinem Herzen, von meiner Leber bis zu meinen Eingeweiden, und so den +Weg der mesenterischen Venen und Arterien herunter, durch alle die +Windungen und Seitenschnitte der Intestinen und ihrer Häute, bis zum +blinden Darm.</p> + +<p>»Ich bitte Sie, Herr Doktor Slop,« sagte mein Onkel Toby und fiel ihm +in die Rede, als er in einem Gespräch an dem Abende, da meine Mutter +von mir entbunden ward, des blinden Darms erwähnte. »Ich bitte Sie,« +sagte mein Onkel Toby, »sagen Sie mir doch, welches ist der blinde +Darm? Denn ich versichere Sie, so alt ich bin, weiß ich doch bis diesen +Tag noch nicht, wo er liegt.«</p> + +<p>»Der blinde Darm,« antwortete Doktor Slop, »liegt zwischen dem Illion +und Kolon.«</p> + +<p>»Bei einem Manne?« sagte mein Vater.</p> + +<p>»Es ist genau ebenso bei den Weibern,« versetzte Doktor Slop.</p> + +<p>»Das ist mehr, als ich weiß,« sagte mein Vater.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_114"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertfünfzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Und so, um mit beiden Systemen gewiß zu gehen, beschloß die Witwe +Wadmann, meinen Onkel Toby weder an dem einen noch anderem Ende +anzuzünden, sondern, wie das Licht eines Verschwenders, womöglich an +beiden Enden zugleich.</p> + +<p>Nun hätte sie sieben ausgeschlagene Jahre hindurch alle militärischen +Polterkammern, beides, der Infanterie und Kavallerie mit +eingeschlossen, vom großen Arsenal in Venedig an bis auf den Tower +in London (exklusive) durchkramen und ihre Brigitte zur Hilfe nehmen +mögen, — Madame<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> Wadmann hätte doch keine zu ihrem Zweck so dienliche +Blende finden können, als was ihr der Behelf meines Onkels Toby in +seinen Belagerungen ganz bereit in die Hände gab.</p> + +<p>Mich dünkt, ich habe Ihnen noch nicht gesagt — ich weiß es jedoch +nicht, es kann wohl sein; wie ihm aber sei, es ist eins von den vielen +Dingen, die ein Mann lieber noch einmal tun, als darüber streiten +sollte —, was für eine Stadt oder Festung der Korporal eben während +ihres Feldzuges unter der Arbeit haben mochte, mein Onkel Toby +war allemal besorgt, einen Grundriß des Platzes an der inwendigen +Seite seines Schilderhauses gegen seine linke Hand oben am Rande +mit zwei oder drei Nadeln festzustecken. Unten hing er lose, um ihn +mit Bequemlichkeit näher vors Gesicht zu bringen usw., wie es die +Gelegenheit so mit sich brachte. Dergestalt, daß, wenn Madame Wadmann +eine Attacke beschlossen, sie nichts weiter zu tun nötig hatte, +nachdem sie bis an die Türe des Schilderhauses avanciert war, als +ihre rechte Hand auszustrecken. Und indem sie mit derselben Bewegung +ihren linken Fuß hineinrücken ließ, brauchte sie nur die Karte, den +Grundriß, die Zeichnung oder was es sonst war, zu ergreifen, solchem +mit ausgestrecktem Halse auf halbem Wege zu begegnen und es nach sich +zu ziehen. Wodurch meines Onkels Toby Leidenschaften unfehlbar Feuer +fangen mußten. Denn er faßte beständig den anderen Zipfel der Karte mit +seiner linken Hand und begann, mit dem Ende seiner Tabakspfeife in der +anderen, eine Erklärung.</p> + +<p>Wenn die Attacke bis zu diesem Punkte gediehen war —. Die Welt wird +natürlicherweise die Gründe der folgenden Kriegslist der Madame Wadmann +billigen, welche darin bestand, daß sie, sobald sie nur dazu kommen +konnte, meinem Onkel Toby die Tabakspfeife aus der Hand nahm, was sie +unter diesem oder jenem Vorwande, gewöhnlich aber unter dem, daß sie +eine Redoute oder Brustwehr auf dem Risse<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> deutlicher gezeigt haben +möchte, zu bewerkstelligen wußte, ehe noch mein Onkel Toby — die gute +Seele! — ein halbes Dutzend Ruten damit marschiert war.</p> + +<p>Es nötigte meinen Onkel Toby, seinen Zeigefinger zu gebrauchen. Die +Veränderung, die es in der Attacke veranlaßte, war diese: Wenn in dem +ersten Falle Madame Wadmann mit der Spitze ihres Zeigefingers an dem +Ende der Tabakspfeife meines Onkels Toby herumfuhr, da hätte sie auf +den Linien herumreisen mögen von Dan gen Berseba — hätten meines +Onkels Toby Linien sich so weit erstreckt —, ohne daß es die geringste +Wirkung getan hätte. Denn weil in dem Ende der Tabakspfeife kein Blut +und keine Lebensgeister waren, so konnte es keine Empfindungen erregen. +Es konnte weder durch Pulsation Feuer geben noch durch Sympathie +welches fangen. Es war bloß Schmauch.</p> + +<p>Dahingegen, wenn sie meines Onkels Toby Zeigefinger mit dem ihrigen +folgte, Finger an Finger, durch alle Krümmungen und Spitzen seiner +Werke, ihn zuweilen an der Seite drückte, dann mit ihrem Finger auf +seinen Nagel trat, dann damit über seinen her stolperte, ihn bald hier +tippte, bald da und so fort, setzte das wenigstens etwas in Bewegung.</p> + +<p>Dieses waren zwar nur leichte Scharmützel und fielen in einiger +Entfernung vom Hauptkorps ab, zettelten aber das übrige herbei. +Wenn dann, wie gewöhnlich, die Karte wieder an die Wand des +Schilderhauses herniederfiel, so pflegte mein Onkel Toby mit der +größten Treuherzigkeit seine flache Hand daraufzuhalten, um mit seiner +Erklärung fortzufahren. Madame Wadmann, durch ein Manöver so schnell +wie Gedanken, hielt eben so gewiß ihre Hand dicht bei der seinigen. +Dieses eröffnete auf einmal eine Kommunikation, die weit genug war, +jede Empfindung hin und her passieren zu lassen, wie sie eine Person, +die in dem elementarischen und praktischen<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> Teile der Liebe bewandert +war, sich nicht schöner wünschen konnte.</p> + +<p>Sobald sie ihren Zeigefinger (wie vorher) mit dem Zeigefinger +meines Onkels Toby in eine Parallele brachte, brachte solches ganz +unvermeidlich auch den Daumen ins Feuer — und der Zeigefinger und +Daumen einmal im Treffen, zogen eben so natürlicherweise die ganze Hand +ins Gemenge. Deine, mein liebster Onkel Toby, war doch nun niemals +auf der rechten Stelle. — Madame Wadmann mußte sie immer aufheben +oder sie hatte zu tun immer mit dem sanftesten Stoßen, Schieben oder +zweideutigen Drängen und Drücken, die eine den Platz zu verändernde +Hand nur immer leiden mag, ein Haar breit aus dem Wege zu rücken.</p> + +<p>Derweil dieses vorging, wie hätte sie's vergessen können, ihn empfinden +zu lassen, daß es ihr eigenes Bein sei (und sonst keines Menschen), das +ihn unten am Schilderhause sanft an seiner Wade drückte.</p> + +<p>Da also mein Onkel Toby auf diese Weise attackiert und ihm auf beiden +Flügeln hart zugesetzt wurde, war es ein Wunder, wenn solches zuweilen +sein Zentrum in Unordnung brachte? —</p> + +<p>»Das hole der Henker!« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_115"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsechzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Diese Attacken von Madame Wadmann, wie Sie leicht denken können, waren +von verschiedener Art. So voneinander unterschieden wie die Attacken, +von denen die Geschichte voll ist. Und das aus einerlei Ursachen. Ein +zuschauender General würde ihnen den Namen Attacken kaum geben. — +Oder täte er's, würde er sie doch alle über einen<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> Kamm scheren. Aber +für solche Herren schreibe ich nicht. Es wird Zeit genug sein, mehr +Genauigkeit in meinen Beschreibungen anzuwenden, wenn ich erst zu ihnen +komme, welches in einigen Kapiteln noch nicht geschehen wird. Zu diesem +habe ich weiter nichts hinzuzusetzen, als daß in meinem Bündel von +Originalpapieren und Zeichnungen, welche mein Vater die Sorgfalt gehabt +hat besonders aufzurollen, sich ein Grundriß von Bouchain befindet, der +noch völlig gut konserviert ist — und es bleiben soll, solange ich +imstande bin, etwas zu konservieren —, auf dessen unterem Rande an +der rechten Seite noch die Flecken von Finger und Daumen sind, womit +Schnupftabak genommen worden. Und es ist nach allen Gründen von der +Welt zu mutmaßen, daß es Madame Wadmanns Finger waren. Denn die Seite +des Randes gegenüber, welche nach meiner Vermutung die meines Onkels +Toby war, ist ganz und gar rein.</p> + +<p>Dieses scheint ein authentisches Protokoll von einer von diesen +Attacken zu sein. Denn man sieht noch die Spuren von zwei Nadelstichen, +die zwar schon teils wieder zugegangen, aber dennoch an der oberen +Seite der Karte sichtbar und ohne allen Widerspruch die leibhaften +Löcher sind, durch welche sie im Schilderhause angesteckt gewesen ist.</p> + +<p>Bei allem, was priesterlich heißt, ich schätze die kostbare Reliquie +mit ihren Mälern und Löchern höher, als alle übrigen Reliquien +zusammengenommen! — Allemal ausgenommen, wenn ich über diese Materie +schreibe, sind die Löcher, welche Sankta Radagunda in der Wüste in ihr +Fleisch bekam, welche Ihnen auf Ihrer Reise von Fesse nach Clugny die +Nonnen dieses Namens aus christlicher Milde zeigen werden.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_116"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span></p> + +<h2>Hundertsiebzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Ich glaube, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte Korporal Trim, +»die Fortifikationen sind genug abgetragen, und der Hafen ist nun +ausgefüllt, so hoch, wie auf dem Plan gesagt ist.« — »Ich denke es +auch,« erwiderte mein Onkel Toby mit einem halb unterdrückten Seufzer. +»Aber gehe Er nach meinem Zimmer, Trim, und hole er die Traktaten, sie +liegen auf dem Tische.«</p> + +<p>»Sie haben da sechs Wochen lang gelegen,« versetzte der Korporal, »bis +heute morgen, da hat die alte Frau Feuer damit angemacht.«</p> + +<p>»Nun,« sagte mein Onkel Toby, »so haben unsere Dienste ein Ende.« — +»Um so mehr,« sagte Korporal Trim, »ist's, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, +Jammer und schade.« Mit diesen Worten warf er seinen Spaten in den +Schiebkarren, der bei ihm stand, mit einer Miene, welche die größte +Trostlosigkeit ausdrückte, die man sich nur denken kann, und wendete +sich schwermütig herum, seine Pickelhacke, seine Schaufel, Steckpflöcke +und das andere kleine Kriegsgerät zusammenzusuchen, um es aus dem Felde +zu führen, — als ein tiefes Ach! aus dem Schilderhause, das aus dünnen +Schaldielen gemacht war und also den Schall um so trauriger nachhallen +ließ, ihn daran verhinderte.</p> + +<p>»Nein,« sagte der Korporal bei sich selbst, »ich will's morgen früh +tun, ehe der Herr Kapitän aufsteht.«</p> + +<p>Damit nahm er seinen Spaten wieder aus dem Schiebkarren hervor, mit ein +wenig Erde darauf, als ob er eine Stelle am Fuße des Walles damit ebnen +wollte. In der eigentlichen Absicht aber, sich seinem Herrn zu nähern, +um ihm die Grillen zu vertreiben. Er lockerte ein paar Rasen, stieß die +Ecken mit seinem Spaten ab, und nachdem er mit<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> der Fläche ein- oder +ein paarmal leise darauf geklopft hatte, setzte er sich dicht zu den +Füßen meines Onkels Toby nieder und hob an wie folgt.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_117"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertachtzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Es wäre wohl ewig schade, ob ich schon glaube, mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, daß ich wohl nur einfältiges Zeug vorbringen werde, für 'n +Soldaten.«</p> + +<p>»Ein Soldat,« rief mein Onkel Toby und fiel dem Korporal in die Rede, +»hat darin nichts voraus, Trim; er kann ebensowohl einfältiges Zeug +hervorbringen wie ein Gelehrter.« — »Aber nicht so oft, mit Euer +Gnaden Wohlnehmen,« versetzte der Korporal. — Mein Onkel Toby nickte +Beifall.</p> + +<p>»Es wäre denn also ewig schade,« sagte der Korporal und warf seine +Augen auf Dünkirchen und den Hafen, wie Servius Sulpicius, als er aus +Asien zurückkam und von Ägina gen Megara segelte, seine Augen auf +Korinth und Pyräus richtete.</p> + +<p>»Es wäre ewig schade, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, diese Werke zu +demolieren — und ewig schade, wenn man sie hätte stehen lassen.«</p> + +<p>»Er hat recht, Trim, in beiden Stücken,« sagte mein Onkel Toby. — +»Das,« fuhr Korporal Trim fort, »ist die Ursache, warum ich von +Anbeginn ihrer Schleifung bis ans Ende nicht ein einziges Mal gepfiffen +oder gesungen, oder gelacht oder geweint, oder von unseren alten Taten +gesprochen oder Euer Gnaden ein einziges Histörchen erzählt habe, gut +oder schlecht.«</p> + +<p>»Er hat viel Gutes an sich, Trim,« sagte mein Onkel<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> Toby. »Und ich +lobe es an Ihm, da Er doch sein Histörchen erzählen mag, daß Er unter +allen, die Er mir erzählt, um mir meine Schmerzen vergessen zu machen +oder mir meine Grillen zu vertreiben, Er mir selten ein schlechtes +erzählt hat.«</p> + +<p>»Das kommt davon, mit Euer Gnaden gütiger Erlaubnis, daß sie alle wahr +sind, wenn ich die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben +Schlössern nicht mitrechne. Denn sie gehen alle zusammen mich selbst +was an.«</p> + +<p>»Und ebendarum mag ich sie wohl leiden,« sagte mein Onkel Toby. »Aber +was für eine Historie ist denn das? Er hat mich ja recht neugierig +gemacht.«</p> + +<p>»Euer Gnaden können's gleich hören, wenn ich's erzählen soll.«</p> + +<p>»Nur,« sagte mein Onkel Toby und sah von neuem nach Dünkirchen und +dem Hafen hin, »nur muß es keine lustige sein. Wer sich eine lustige +Historie erzählen lassen will, Trim, der muß ohnedem schon aufgeräumt +sein, sonst geht's nicht. Und so wie mir jetzt zumute ist, würde Er +wohl nicht die Freude haben, daß ich über Seine Historie lachte.«</p> + +<p>»Lustig ist sie ganz und gar nicht,« versetzte der Korporal.</p> + +<p>»Gar zu ernsthaft möchte ich sie aber auch nicht haben,« setzte mein +Onkel Toby hinzu. — »Es ist weder das eine noch das andere,« erwiderte +der Korporal, »und wird für Euer Gnaden recht passen.« — »Nun, so +nehme ich sie zu herzlichem Danke an,« rief mein Onkel Toby. »Sei Er +nur so gut und fange Er an, Trim.«</p> + +<p>Der Korporal machte seine Reverenz; und obgleich es nicht so leicht +ist, als man wohl glaubt, eine welke Reitmütze mit einem schicklichen +Anstande abzunehmen — oder etwa um ein Haar leichter, nach meiner +Ansicht, wenn ein Mensch auf gut türkisch auf der Erde kauert, einen so +ehrfurchtsvollen,<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> tiefen Bückling zu machen, wie der Korporal gewohnt +war, so tat es Trim doch dadurch, daß er seine rechte flache Hand, mit +der er nach seinem Herrn hin saß, ein wenig hinterwärts hinter seinem +Körper aufs Gras fallen ließ, damit er sich besser vornüberbeugen +könnte. Und er tat es durch eine ungezwungene Zusammenklemmung seiner +beiden Vorderfinger und des Daumens seiner linken Hand, wodurch der +Umfang der Mütze kleiner wurde, und man eher hätte sagen können, +er habe sie abgedrückt als abgerissen, und zwar auf eine bessere +Weise als die Lage, darin er war, es zu versprechen schien. Und +nachdem er ein paarmal hm! hm! gesagt hatte, um den Ton ausfindig zu +machen, in welchem die Historien am besten gehen und welche in seines +Herrn Gemütsart am besten eingreifen möchte, wechselte er nur einen +vertraulich freundlichen Blick mit ihm und begann also:</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie vom König von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p> + +<p>»Es war einmal ein König von Böhmen —«</p> + +<p>Wie der Korporal die Grenzen von Böhmen beschritt, nötigte ihn mein +Onkel Toby, auf einen Augenblick innezuhalten. Er hatte barhaupt +begonnen, indem er seine Reitmütze, die er am Ende des vorigen Kapitels +abgezogen, neben sich auf der Erde hatte liegen lassen.</p> + +<p>Das Auge der Güte späht auf alles. — Der Korporal hatte also noch +nicht völlig die fünf ersten Worte seiner Historie hervorgebracht, als +mein Onkel Toby bereits mit seinem spanischen Rohre zweimal die Mütze +frageweise angerührt hatte — gleichsam, um zu sagen: warum setzt Er +sie nicht auf, Trim? Trim hob sie mit der ehrerbietigsten Langsamkeit +auf, und indem er dabei, wie er's tat, einen demütigen Blick auf das +gestickte Vorderblatt warf, das jämmerlich abgebleicht<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> und daneben in +den besten Blumen und kühnsten Zügen der Stickerei abgeschlissen war, +legte er sie von neuem zwischen seine beiden Beine, um über den Umstand +zu moralisieren.</p> + +<p>»Leider ist jedes Wort von dem nur zu wahr,« rief mein Onkel Toby, »was +Er da anmerken will.«</p> + +<p>»Nichts in dieser Welt, Trim, ist gemacht, daß es ewig halten soll.«</p> + +<p>»Aber wenn die Andenken deiner Liebe und Treue, liebster Thomas, sich +verschleißen,« sagte Trim, »was sollen wir dann sagen?« —</p> + +<p>»Er hat nicht nötig, das geringste weiter zu sagen,« rief mein +Onkel Toby. »Und wenn auch ein Mensch sein Gehirn bis an den lieben +Jüngsten Tag zermarterte, Trim, ich glaube, so könnte er es doch nicht +herausfinden.«</p> + +<p>Da der Korporal merkte, daß mein Onkel Toby recht hatte, und daß es +für den Witz eines Menschen vergebens sein würde, darauf zu sinnen, +eine reinere Moral aus seiner Mütze zu ziehen, so ließ er's dabei +bewenden und setzte sie auf, fuhr mit seiner Hand über die Stirne, um +eine tiefsinnige Runzel wegzureiben, die der Text und die Nutzanwendung +miteinander gezeuget hatten, und wendete sich wieder, mit dem vorigen +Blicke und Tone in der Stimme, zu seiner Historie vom Könige von Böhmen +und seinen sieben Schlössern.</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p> + +<p class="center">Fortsetzung.</p> + +<p>»Es war einmal ein König von Böhmen, aber unter was für einer +Regierung, wenn es nicht unter seiner eigenen war, das kann ich Euer +Gnaden nicht sagen —«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span></p> + +<p>»Das verlange ich von Ihm auch nicht, Trim, gar nicht,« sagte mein +Onkel Toby.</p> + +<p>»Es war ein Weilchen vorher, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ehe die Hünen +anfingen keine Kinder mehr zu kriegen. Aber in was für einem Jahr +Christi es war —«</p> + +<p>»Da gebe ich keinen roten Heller um, ob ich das weiß, oder nicht,« +sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»Ja, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine Historie kriegt doch so ein +besser Ausgehen danach.«</p> + +<p>»Es ist Seine Historie, Trim, schmücke Er sie aus nach Seinem eigenen +Gutdünken und verlege Er sie, auf welches Jahr Er will,« sagte mein +Onkel Toby und sah ihn spaßhaft an. »Verleg' Er sie, auf welches Jahr +Er nur Lust hat. Ich bin's von Herzen zufrieden.«</p> + +<p>Der Korporal verneigte sich; denn, von jedem Jahrhunderte und von +jedem einzelnen Jahr dieses Jahrhunderts, vom Anbeginn der Schöpfung +bis zur Sündflut, und von der Sündflut bis zu Abrahams Geburt, durch +alle Wallfahrten der Leben der Erzväter bis auf den Ausgang der Kinder +Israel aus Ägypten — und alle Dynastien, Olympiaden, Urbiconditas und +andere merkwürdige Epochen der verschiedenen Völkerschaften auf dem +Erdboden, bis zu Christi Geburt, und von da an bis auf den eigentlichen +Augenblick, in welchem Trim seine Historie erzählte —, dieses weite +Meer der Zeit, mit allen seinen Abgründen, hatte mein Onkel Toby seiner +Wahl überlassen. Aber wie die Bescheidenheit das kaum mit einem Finger +zu berühren pflegt, was ihr die Freigebigkeit mit beiden offenen Händen +darbeut, so begnügte sich der Korporal mit dem schlechtesten Jahre aus +dem ganzen Bausch, welches, um die Herren Kameralisten, Projektisten +und Lottologisten abzuhalten, daß sie sich durchs Zanken darüber nicht +das Fleisch von den Knochen nagen — ob das Jahr nicht allemal das +letzt zurückgelegte Jahr des zuletzt abgelegten Kalenders<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> sei — ich +Ihnen deutlich sagen muß: aus anderen, ganz anderen Ursachen aber, als +Sie denken.</p> + +<p>Es war das Jahr, das ihm am nächsten war, zu sagen, das Jahr unseres +Herrn siebzehnhundertundzwölfe. Weil in diesem Jahr der Herzog von +Ormond in Flandern sein Wesen trieb, nahm es der Korporal und trat +damit von neuem seine Reise nach Böhmen an.</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p> + +<p class="center">Fortsetzung.</p> + +<p>»Es war im Jahre unseres Herrn eintausendsiebenhundertundzwölf, mit +Euer Gnaden Wohlnehmen —«</p> + +<p>»Die Wahrheit zu sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »würde mir +jedes andere Jahr lieber gewesen sein, nicht nur des üblen Kleckses +wegen, den dieses Jahr in unserer Geschichte von England macht. Weil +unsere Völker aus dem Felde geführt wurden und man sich weigerte, +die Belagerung von Ovesnoy zu decken, ungeachtet Fagel die Werke mit +solcher unglaublicher Herzhaftigkeit fortführte, — sondern auch seiner +eigenen Historie wegen, Trim. Weil, wenn darin — wie ich aus einigen +Worten, die Ihm entfallen sind, schließen muß — wenn Riesen, oder, wie +Er es nennt, Hünen darin vorkommen.«</p> + +<p>»Nur ein einziger, mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«</p> + +<p>»Das ist so gut wie zwanzig,« sagte mein Onkel Toby. »Er hätte ihn +einige sieben- oder achthundert Jahre zurück aus dem Schusse bringen +sollen, sowohl wegen der Kunstrichter als anderer Leute. Deswegen +möchte ich Ihm wohl raten, wenn Er es jemals wieder erzählt —«</p> + +<p>»Wenn ich nur so lange lebe, daß ich einmal damit zu Ende komme, so +will ich's,« sagte Trim, »in meinem Leben nicht wieder erzählen, weder +einem Manne, noch einer Frau,<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> noch einem Kinde.« — »Nun, nun!« sagte +mein Onkel Toby. Aber mit einer so zuredenden Stimme sagte er's, daß +der Korporal mit mehr Freudigkeit fortfuhr als zuvor.</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p> + +<p class="center">Fortsetzung.</p> + +<p>»Es war einmal, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, erhob +dabei seine Stimme und rieb sich freudig die Hände, wie er begann, »ein +König von Böhmen —«</p> + +<p>»Laß Er das Jahr nur aus, Trim,« sagte mein Onkel Toby, indem er sich +vorne überbückte und seine Hand vertraulich auf des Korporals Schulter +legte, um seiner Unterbrechung das Unangenehme zu benehmen. — »Laß +Er's nur ganz aus, Trim. Eine Historie kann recht gut sein, ohne solche +Genauigkeit, man müßte es denn ganz sicher wissen.«</p> + +<p>»Sicher wissen!« sagte der Korporal und schüttelte den Kopf.</p> + +<p>»Richtig,« antwortete mein Onkel Toby. »Es ist so leicht nicht, für +jemand, der nicht tiefer studiert hat, wie Er und ich, der selten +weiter vor sich hin sieht als aufs Ende seiner Muskete oder weiter +hinter sich als nach seinem Schnappsacke, und also von solchen Dingen +nicht viel versteht.«</p> + +<p>»Jawohl, jawohl, Euer Gnaden,« sagte der Korporal, der sowohl durch die +Art wie durch das, was mein Onkel sagte, hingerissen ward, »er hat wohl +sonst was zu tun. Ist er nicht in einer Schlacht oder auf dem Marsche +oder in Garnison auf der Wache, so hat er, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, +sein Gewehr zu putzen, sein Lederzeug zu kollern und zu wichsen, seine +großen und kleinen Montierungsstücke unter der Nadel zu halten, sein +Haar zu kräuseln und zu pudern, daß er immer so schmuck ist wie auf der +Parade. Was hat<span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span> ein Soldat nötig,« setzte der Korporal hinzu, »daß er +sich um die Geographie bekümmert, Euer Gnaden.«</p> + +<p>»Chronologie will Er sagen, Trim,« sagte mein Onkel Toby. »Denn die +Geographie, sieht Er, die kann er nicht entbehren. Er muß mit jedem +Lande und mit seinen Grenzen genau bekannt sein, wohin ihn sein Beruf +führt. Er sollte jede Stadt, jeden Flecken, jedes Dorf und jede Meierei +kennen, mit den Heerstraßen, Fußsteigen und Hohlwegen, die dahin gehen. +Er sollte über keinen Fluß oder Bach kommen oder er sollte gleich beim +ersten Anblick zu sagen wissen, wie er heißt, in was für einem Gebirge +er entspringt, was er für einen Lauf nimmt, wo er schiffbar ist, wo +man durchwaten kann und wo er zu tief ist. Er sollte die Fruchtbarkeit +eines jeden Tales ebenso gut wissen, wie der Bauer, der es bepflügt, +und sollte es beschreiben, oder, wenn's begehrt wird, imstande sein, +eine richtige Karte aufnehmen zu können, von allen Planen, Defileen, +Werken, Anhöhen, Waldungen, Morästen, wo seine Armee durch- oder +vorbeimarschieren muß. Er sollte ihre Produkte, ihre Pflanzen, ihre +Mineralien, ihre Wasser, ihre Art Vieh, ihre Witterung, ihre Winde, +ihre Hitze und Kälte, ihre Einwohner, ihre Gebräuche, ihre Sprache, +Sitten und sogar ihre Religion kennen.«</p> + +<p>»Wäre es sonst wohl begreiflich, Korporal,« fuhr mein Onkel Toby fort +und richtete sich in seinem Schilderhause in die Höhe, wie er bei +diesem Teile seiner Rede warm wurde, »daß Marlborough seine Armee +von den Ufern der Maas bis Belburg führen konnte? Von Belburg nach +Kerpenord — konnte der Korporal nicht länger sitzen —. Von Kerpenord, +Trim, nach Kalsacken, von Kalsacken nach Neudorf, von Neudorf nach +Landenburg, von Landenburg nach Mildenheim, von Mildenheim nach +Elchingen, von Elchingen nach Gingen, von Gingen nach Balmerchofen, von +Balmerchofen nach Schellenberg. Wo er die feindlichen Werke überfiel, +sich eine<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> Passage über die Donau erzwang, über den Lechfluß setzte, +mit seinem Heere bis ins Herz des Deutschen Reiches drang, an der +Spitze desselben durch Freiburg, Hohenwert und Schönefeld marschierte, +bis zu dem Schlachtfelde bei Blenheim und Höchstädt? — So groß er war, +Korporal, er hätte keinen Fußbreit avancieren oder den Marsch von einem +einzigen Tage anordnen können, ohne Hilfe der Geographie.</p> + +<p>»Die Chronologie aber, das gesteh' ich, Trim,« fuhr mein Onkel Toby +fort und setzte sich wieder ganz kalt in seinem Schilderhause nieder, +»die scheint unter allen anderen eine Wissenschaft zu sein, deren ein +Soldat am ersten entraten könnte. Wenn's nicht wegen der Einsichten +wäre, die sie ihm eines Tages erteilen muß, wenn er ausmachen will, um +welche Zeit das Pulver erfunden worden, dessen greuliche Verwüstung, da +es wie der Donner alles vor sich niederreißet, eine neue Zeitrechnung +für unsere Kriegskunst beginnt. Es hat die Natur des Angreifens und +des Verteidigens sowohl zur See als zu Lande so durchgängig verändert +und hat dabei soviel Kunst und Geschicklichkeit erweckt, daß die Welt +darüber, den eigentlichen Zeitpunkt der Entdeckung auszumachen, nicht +zu genau, noch zu forschbegierig sein kann: Zu wissen, welch großer +Mann der Erfinder war und was für Veranlassung ihn darauf führte.«</p> + +<p>»Ich bin weit entfernt,« fuhr mein Onkel Toby fort, »das zu bestreiten, +worin die Geschichtschreiber übereinstimmen, daß im Jahre 1380, unter +der Regierung Wenzeslaus', ein Sohn Karls <em class="antiqua">IV.</em>, ein gewisser +Mönch namens Schwarz den Venetianern in ihrem Kriege mit den Genuesern +den Gebrauch des Pulvers angab. Aber das ist gewiß, der erste war +er nicht. Weil, wenn wir dem Don Pedro, Bischof von Leon, Glauben +beimessen dürfen.« —</p> + +<p>»Wie kamen denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, Mönche und Bischöfe dazu, +daß sie ihre Nase so oft ins Pulver<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> steckten?« — »Gott weiß es,« +sagte mein Onkel Toby. — »Seine Vorsehung weiß alles zum besten zu +lenken, und er behauptet in seiner Chronik vom König Alphonsus, welcher +Toledo eroberte, daß im Jahre 1343, volle dreißig Jahre früher, das +Geheimnis des Pulvers ganz bekannt gewesen und mit Nutzen gebraucht +sei, von Mauren und Christen, nicht nur in ihren Seetreffen um diese +Zeit und bei vielen anderen von ihren merkwürdigen Belagerungen +in Spanien und in der Barbarei. Der ganzen Welt ist es bekannt, +daß der Mönch Bacon ausdrücklich darüber geschrieben und der Welt +großmütigerweise das Rezept gegeben hat, wie man es machen kann, schon +länger als hundertundfünfzig Jahre vorher, ehe Schwarz geboren war. Und +jeder weiß auch, daß die Chinesen,« fügte mein Onkel Toby hinzu, »uns +mit unserer Rechnung noch mehr in Verlegenheit setzen, indem sie sich +der Erfindung sogar noch einige hundert Jahre vor ihm rühmen.«</p> + +<p>»Das Chinesenvolk ist wohl ein ganzes Lügenpack, glaub' ich,« schrie +Trim.</p> + +<p>»Sie mögen wohl in dieser Sache,« sagte mein Onkel Toby, »ein wenig +irre sein, wie es für mich ganz deutlich erhellet aus dem elenden +Zustande, worin sich gegenwärtig ihre Kriegsbaukunst befindet, welche +in der Welt in weiter nichts begeht als in einem Graben mit einem Walle +von Ziegelsteinen ohne Flanken. Und, was sie uns für eine Bastion, +an jeder Ecke desselben, geben wollen, ist ein Ding, das lebhaftig +aussieht, wie — —« »Wie eins von meinen sieben Schlössern, mit Euer +Gnaden Wohlnehmen,« sagte Trim.</p> + +<p>Obgleich mein Onkel Toby um ein Gleichnis in der äußersten Verlegenheit +war, so lehnte er doch Trims Anerbieten in ganz höflicher Weise ab, +bis Trim sagte, er habe doch noch ein ganzes halbes Dutzend in Böhmen, +damit er nichts anzufangen wüßte, und mein Onkel Toby über den lustigen +Spaß des Korporals so vergnügt wurde, daß er seine<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> Dissertation über +das Schießpulver abbrach — und den Korporal bat, er möchte nur stracks +mit seiner Historie vom Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern +fortfahren.</p><br> + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Historie des Königs von Böhmen und seinen sieben Schlössern</em>.</p> + +<p class="center">Fortsetzung.</p> + +<p>»Dieser unglückliche König von Böhmen,« sagte Trim — »War er also +unglücklich?« rief mein Onkel Toby. Denn er war in seine Dissertation +über das Schießpulver und andere Kriegshändel so verwickelt gewesen, +daß, obgleich er von dem Korporal verlangt hatte, er sollte fortfahren, +dennoch seine häufigen Unterbrechungen ihm nicht mehr stark genug +im Andenken waren, um das Beiwort nicht zu erklären. »War er also +unglücklich, Trim?« sagte mein Onkel Toby mit gerührter Stimme.</p> + +<p>Der Korporal, nachdem er erst das Wort mit allen gleichbedeutenden +zu allen Henkern gewünscht hatte, begann den Augenblick, die +hauptsächlichsten Begebenheiten seines Königs von Böhmen in Gedanken +durchzulaufen. Aus einer jeden derselben aber erhellte, daß er +einer der glücklichsten Menschen war, die jemals in der Welt gelebt +haben. Das brachte den Korporal zum Stocken; denn er wollte nicht +gerne das Beiwort zurücknehmen — und noch weniger es erklären — +am allerwenigsten aber seine Historie drehen und winden — wie +systematische Historiker — um sie seinem System anzupassen. Er blickte +also meinem Onkel Toby ins Angesicht um Beistand. Da er aber sah, daß +das gerade die Sache wäre, die mein Onkel Toby von ihm erwartete, fuhr +er nach einigen Hms! und Jas fort:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span></p> + +<p>»Der König von Böhmen,« versetzte der Korporal, »war mit Euer Gnaden +Wohlnehmen, als wenn ich so sagen wollte, unglücklich darin, daß er +große Lust und Vergnügen an der Schiffahrt fand und an allen Arten von +Seesachen —, und da es sich nun begab, daß in dem ganzen böhmischen +Königreiche keine Stadt mit einem Seehafen war —«</p> + +<p>»Ich glaub's wohl! wie hätte das auch zugehen sollen, Trim?« rief mein +Onkel Toby. »Da Böhmen allenthalben festes Land ist, so konnte es sich +nicht anders begeben.« — »Es hätte doch wohl,« sagte Trim, »wenn's +Gottes Wille gewesen wäre.« —</p> + +<p>Mein Onkel Toby sprach niemals von dem Wesen und den Eigenschaften +Gottes außer mit der ehrfurchtsvollsten und zurückhaltendsten +Behutsamkeit.</p> + +<p>»Ich glaube nicht,« erwiderte mein Onkel Toby nach einigem Nachdenken. +»Denn da es festes Land ist, wie ich gesagt habe, und Schlesien und +Mähren gegen Osten, die Lausitz und Obersachsen gegen Norden, das +Fränkische gegen Westen und Bayern gegen Süden gelegen hat, so hätte +Böhmen nicht an die See gerückt werden können, oder es wäre nicht mehr +Böhmen geblieben. Ebensowenig konnte auf der andern Seite die See nach +Böhmen kommen, ohne einen großen Teil von Deutschland zu überschwemmen +und Millionen von armen Einwohnern zu verschlingen, die sich dagegen +nicht schützen können.« — »Sünd' und Schande!« schrie Trim. »Welches,« +setzte mein Onkel Toby mit Sanftmut hinzu, »einen solchen Mangel an +Barmherzigkeit in Ihm anzeigen würde, der der Menschen Vater ist, daß +ich glaube, Trim, die Sache konnte sich auf keinerlei Art und Weise +begeben.«</p> + +<p>Der Korporal machte die Verbeugung der unverstellten Überzeugung und +fuhr fort:</p> + +<p>»Da es sich nun an einem schönen Sommerabend begab, daß der König von +Böhmen mit seiner Königin und Hofleuten<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> ausging« — »Ha! ja! da ist +das Wort begab recht, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »denn der König von +Böhmen konnte mit seiner Königin ausgehen oder es unterlassen. Das war +eine zufällige Sache und konnte sich begeben, je nachdem es der Zufall +mit sich brachte.«</p> + +<p>»Der König William hatte den Glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß +alles schon so für uns in der Welt vorher bestimmt wäre. Das ging so +weit, daß er oft zu seinen Soldaten zu sagen pflegte, daß eine jedwede +Kugel ein Billett hätte.« — »Es war ein großer Mann,« sagte mein Onkel +Toby. — »Und ich glaube noch bis auf diese Stunde,« fuhr der Korporal +fort, »daß der Schuß, der mich in der Schlacht bei Landen zum Invaliden +machte, ganz allein darum auf mein Knie gezielt wurde, damit ich aus +seinem Dienste heraus und in Euer Gnaden Dienste kommen mußte, worin +ich es soviel besser auf meine alten Tage haben sollte.« »Ehrlicher +Trim,« sagte mein Onkel Toby, »es soll niemals anders ausgelegt werden +können.«</p> + +<p>Die Herzen, sowohl des Herrn als des Dieners, waren zu schneller +Ergießung gleich stark geneigt. — Es erfolgte ein kurzes +Stillschweigen.</p> + +<p>»Und noch dazu,« sagte der Korporal und nahm das Wort wieder, aber +mit heitererem Gesichte und Tone, »wäre es nicht dieser einzige Schuß +gewesen, ich wäre Ihnen, Euer Gnaden, in meinem Leben nicht verliebt +worden.« —</p> + +<p>»So? ist Er einmal verliebt gewesen, Trim?« sagte mein Onkel Toby +lächelnd.</p> + +<p>»Ja, was wollte ich nicht!« versetzte der Korporal. »Bis über Kopf und +Ohren! mit Euer Gnaden Wohlnehmen.«</p> + +<p>»Ei, sag' Er mir doch, wann, wo und wie das zuging? Ich habe ja noch +kein Wort davon gehört,« sagte mein Onkel Toby. »Ich wollte doch wohl +sagen, daß es das ganze Regiment bis auf den Steckenknecht gewußt +hätte.« — »So ist's<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> hohe Zeit, daß ich's auch erfahre,« sagte mein +Onkel Toby. — »Euer Gnaden,« sagte der Korporal, »werden sich noch +wohl mit Unlust an die greuliche Verwüstung und Konfusion unseres +Lagers und unserer Armee nach der Affäre bei Landen erinnern. Da war +an kein Kommando mehr zu denken. Ein jeder mochte zusehen, wie er sich +rettete. Und hätten's nicht die Regimenter von Windham, Lumley und +Galway getan, welche noch die Retirade über die Brücke zu Neerspeeken +deckten, so hätte der König selbst kaum darüber kommen können. — Sie +setzten ihm, wie Euer Gnaden wissen, an allen Seiten hart zu.«</p> + +<p>»Der tapfere Herr!« schrie mein Onkel Toby, von seinem Enthusiasmus +ergriffen. »Diesen Augenblick, da alles vorbei ist, sehe ich ihn noch +an mir vorbeireiten, Korporal, nach dem linken Flügel, um den Rest der +engländischen Kavallerie herbeizuführen, um den rechten zu unterstützen +und den Lorbeer von Luxemburgs Stirne zu reißen, wenn's noch möglich +wäre. Ich sehe ihn, wie eben der Knoten von seiner Schärpe abgeschossen +ist und wie er dem Galwayischen Regimente neuen Mut einspricht. Er +reitet vor der Linie hinauf. Nun wendet er sich um und greift an ihrer +Spitze den Conti an. Brav! brav wahrhaftig,« rief mein Onkel Toby. »Er +verdient eine Krone! — so gewiß wie ein Dieb den Strick,« jauchzte +Trim.</p> + +<p>Mein Onkel Toby kannte des Korporals Treue als Untertan. — Sonst war +die Vergleichung gar nicht nach seinem Sinne. Sie gefiel dem Korporal +selbst auch nicht so ganz, sobald er sie gemacht hatte. — Aber sie war +heraus. Er konnte also nichts weiter dabei tun, als nur fortfahren.</p> + +<p>»Da der Haufen der Verwundeten erstaunlich groß war und niemand Zeit +hatte, an was anderes zu denken als seine eigene Sicherheit —« — +»Aber Talmash,« sagte mein Onkel Toby, »führte doch die Infanterie mit +großer Klugheit ab.« — »Ich aber ward auf dem Felde liegen gelassen,« +sagte<span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span> der Korporal. »Das ward Er; armer Mensch!« versetzte mein Onkel +Toby. — »So, daß es den andern Tag Mittag wurde,« fuhr der Korporal +fort, »ehe ich ausgewechselt und mit dreizehn oder vierzehn andern auf +den Karren geladen wurde, der uns nach unserem Hospital bringen sollte.</p> + +<p>»Es ist, mit Euer Gnaden Erlaubnis, kein Glied am ganzen Leibe, wo eine +Wunde mehr unausstehliche Schmerzen macht als am Knie.« —</p> + +<p>»Das Latzbein ausgenommen,« sagte mein Onkel Toby. — »Wenn's Euer +Gnaden nicht übelnehmen wollen, so glaub' ich, daß, nach meiner +Meinung, das Knie das schmerzlichste sein muß. Denn da sind soviel +Sehnen und soviel andere, wie heißt es? herum her.«</p> + +<p>»Ebendeswegen,« sagte mein Onkel Toby, »kommt's, daß das Latzbein +unendlich empfindlicher ist. Da liegen nicht nur ebensoviel Sehnen und +andere, wie es heißt? — denn ich kenne ihre Namen ebensowenig wie Er +— umher, sondern auch — —«</p> + +<p>Madame Wadmann, die die ganze Zeit über in ihrer Laube gewesen, hielt +geschwind den Atem an, zog die Nadel aus ihrer Kappe unterm Kinn, +schlug sie in die Höhe und stellte sich auf die Zehen eines Fußes.</p> + +<p>Der Streit ward freundschaftlich und mit gleichem Nachdruck zwischen +meinem Onkel Toby und Korporal Trim eine Zeitlang fortgesetzt. Bis +sich endlich Trim besann, daß er öfters über meines Onkels Toby +Leiden geweint, über sein eigenes aber nie eine Träne vergossen habe, +und deswegen nachzugeben dachte, was ihm aber mein Onkel Toby nicht +gestatten wollte. »Das beweist nichts, Trim,« sagte er, »als die Güte +seines Herzens.«</p> + +<p>Daher also, ob die Pein einer Wunde am Latzbein (<em class="antiqua">Caeteris +paribus</em>) größer ist als die Pein einer Wunde am Knie, oder —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span></p> + +<p>Ob die Pein einer Wunde am Knie nicht größer ist als die Pein einer +Wunde am Latzbein? — eine Sache ist, die bis auf den heutigen Tag +unentschieden bleibt.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_118"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertneunzehntes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Die Schmerzen an meinem Knie,« fuhr der Korporal fort, »waren an +und für sich schon erschrecklich groß; und beim Rumpeln des Karrens, +bei dem entsetzlich ausgefahrenen Wege, welche das Übel immer ärger +machten, wollte mir die Seele aus dem Leibe fahren. Und so war das +viele verlorene Blut und der Mangel an Pflege und ein Fieber, das ich +noch dazu ankommen fühlte —« der arme Mensch, sagte mein Onkel Toby +—; »alles das zusammen war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, zuviel für +mich.«</p> + +<p>»Ich klagte mein Elend einem jungen Frauenzimmerchen in einem +Bauernhause, vor dem unser Karren, der der letzte in dem Zuge +war, stillgehalten hatte. Sie hatten mir hereingeholfen, und +das Frauenzimmerchen hatte ein Glas Herzstärkung aus der Tasche +hervorgelangt und tröpfelte es auf ein Stückchen Zucker. Und als sie +sah, daß es mir guttat, hatte sie mir's zum zweiten- und drittenmal +eingegeben. Und so sagte ich ihr, mit Euer Gnaden Erlaubnis, was ich +für einen Jammer hatte. Und sagte ihr, daß es mir so unausstehlich +wäre, daß ich lieber auf dem Bette liegen — und wendete meinen Kopf +nach einem, das in der Ecke der Stube stand — und sterben wollte als +weiterfahren. Und als sie sich die Mühe gab, mich dahin zu führen, +kriegte ich 'ne Ohnmacht in ihren Armen. — Es war so 'ne gute Seele, +wie Euer Gnaden,« sagte der Korporal und wischte sich die Augen, »hören +werden.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p> + +<p>»Ich hätte gedacht, die Liebe wäre was Lustiges,« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»Es ist so was Ernsthaftes zuweilen, mit Euer Gnaden Erlaubnis, als nur +was von der Welt.</p> + +<p>»Auf das Zureden des Frauenzimmerchens,« fuhr der Korporal fort, »fuhr +der Karren mit der blessierten Mannschaft ohne mich weiter. Sie hatte +ihnen versichert, ich würde daran sterben, wenn ich wieder auf den +Karren käme. Und als ich wieder zu mir selbst kam, fand ich mich in +einem stillen, ruhigen Bauernhause, und war sonst kein Mensch mit mir +drinnen als das Frauenzimmerchen und der Bauer und seine Frau. Ich +lag quer überm Bett in der Ecke der Stube, mit meinem Bein auf dem +Stuhle, und das Frauenzimmerchen saß bei mir und hielt ihren Zipfel +vom Schnupftuche, den sie in Essig getaucht hatte, mit einer Hand vor +meiner Nase und rieb mir mit der andern die Schläfe.</p> + +<p>»Ich hielt sie erst für die Tochter des Bauern (denn es war kein +Krug) und hatte ihr deswegen einen kleinen Beutel mit achtzehn Gulden +hingegeben, welche mir mein armer Bruder Thomas (hier wischte Trim +seine Augen) mit einem Rekruten zum Andenken geschickt hatte, als er +eben nach Lissabon gehen wollte.</p> + +<p>»Ich habe Euer Gnaden die klägliche Historie noch kein Mal erzählt.« +Hier wischte sich Trim zum dritten Male die Augen.</p> + +<p>»Das Frauenzimmerchen rief den alten Mann und seine Frau her in die +Stube und wies ihnen das Geld, daß sie mir ein Bett geben sollten und +die kleine Pflege, die ich nötig hätte, bis ich erst ins Hospital +gebracht werden könnte. Gut so, mein guter Freund, sagte sie und +knüpfte den Beutel zu, — ich will seine Ausgeberin sein. Aber da ich +damit allein wohl nicht genug zu tun habe, so will ich auch seine +Wärterin sein.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span></p> + +<p>»Nach der Manier, womit sie das sagte, und nach ihrer Tracht, die +ich nun ein bißchen genauer examinierte, dachte ich wohl, daß das +Frauenzimmerchen wohl nicht des Bauern Tochter sein könnte.</p> + +<p>»Sie ging schwarz vom Kopfe bis zu den Füßen und hatte ihre Haare +unter einer weißleinenen Haube, die ihr ganz dicht am Kopfe lag. Es +war, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, eine von der Art Nonnen, die es in +Brabant soviel gibt und die sie frei herumgehen lassen.« — »Aus +seiner Beschreibung, Trim, sollte ich schließen, daß es eine junge +Begyne gewesen, von denen man sonst nirgends welche findet, als in +den Niederlanden, und in Amsterdam auch. Sie sind darin von Nonnen +unterschieden, daß sie ihr Kloster verlassen können, wenn sie heiraten +wollen. Sie besuchen die Kranken und pflegen sie nach ihrem Gelübde. +Ich wollte aber lieber, sie täten's aus gutem Herzen.«</p> + +<p>»Sie hat mir oft gesagt, sie tät's aus Liebe zum Heilande. Das wollte +mir nicht recht gefallen.« — »Ich glaube, Trim, wir haben beide +unrecht,« sagte mein Onkel Toby. »Wir wollen den Pfarrer Yorick darum +fragen, wenn er heute abend nach meines Bruders Hause kommt. Erinnere +Er mich nur daran.«</p> + +<p>»Die junge Begyne,« fuhr der Korporal fort, »hatte kaum das Wort +ausgesagt, daß sie meine Krankenwärterin sein wollte, als sie wie der +Wind hinging, ihren Dienst anzutreten und was für mich zurechtzumachen. +Es währte nicht lange — ob schon es mich lange dünkte —, so kam sie +wieder und hatte Flanell und dergleichen geholt. Und als sie mir mein +Knie ein paar gute Stunden lang gekühlt und dergleichen und mir einen +kleinen Napf Hafersuppe zu essen gegeben hatte, wünschte sie mir wohl +zu schlafen und versprach des Morgens früh wiederzukommen. — Aber, +Euer Gnaden, sie wünschte mir was, das ich nicht haben konnte. Mein +Fieber wurde<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> die Nacht sehr stark. Ihre Gestalt richtete großes Unheil +in meinem Kopfe an. Ich tat die ganze Nacht nichts, als daß ich immer +die Welt in zwei Stücken schnitt, um ihr eine Hälfte abzugeben. Und +alle Augenblicke weinte ich wieder, daß ich nichts hatte, als einen +Tornister und achtzehn Gulden, mit ihr zu teilen.</p> + +<p>»Die ganze Nacht stand die hübsche Begyne wie ein Engel vor meinem +Bette, zog den Vorhang weg und gab mir was ein. — Und ich wachte erst +aus meinen Träumen dadurch auf, daß sie kam, wie sie versprochen hatte +und mir wirklich eingab. Es ist gewißlich wahr, sie kam fast gar nicht +von mir weg, und ich war so daran gewöhnt, von ihren Händen mein Leben +zu nehmen, daß mir ganz bange ums Herz wurde und bleich im Gesicht, +wenn sie nur aus der Türe ging. Und dabei doch,« fuhr der Korporal fort +und machte eine der sonderbarsten Anmerkungen darüber,</p> + +<p class="center"><em class="gesperrt">»war's keine Liebe</em>.</p> + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Es war an einem Sonntagnachmittag.</div> + <div class="verse indent0">Der alte Mann und seine Frau waren ausgegangen.</div> + <div class="verse indent0">Es war im ganzen Hause alles mausestill.</div> + <div class="verse indent0">Auf dem Hofe krähte weder Huhn noch Hahn,</div> + <div class="verse indent0">Als die hübsche Begyne kam und mich besuchte.</div> + </div> +</div> +</div> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span></p> + +<p>»Meine Wunde war nun auf gutem Wege der Besserung. Die Geschwulst hatte +sich schon seit einiger Zeit gelegt, aber es folgte darauf sowohl über +als unter dem Knie ein so unerträgliches Jucken, daß ich die ganze +Nacht hatte kein Auge davor zutun können.</p> + +<p>»Laß Er mich sehen, sagte sie, und kniete gerade vor meinem Knie auf +die Erde nieder und begriff die Stelle unten daran.</p> + +<p>»Es muß nur ein bißchen gerieben werden, sagte die Begyne. Damit legte +sie das Bettlaken darüber und fing<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> +an, mit ihrem vordersten Finger hin und her zu reiben unter dem Flanell +herum, das über dem Verband gebunden war.</p> + +<figure class="figcenter padtop2 illowp52" id="p2561_ill" style="max-width: 41.9375em;"> + <img class="w100" src="images/p2561_ill.jpg" alt=""> +</figure> + +<p>»In fünf oder sechs Minuten fühlte ich schon ein bißchen von der Spitze +ihres Fingers — und bald darauf streckte sie ihn auch aus und rieb mit +zwei Fingern eine lange Weile so rund herum; da fiel mir's ein, daß +ich verliebt werden würde. Ich wurde ganz rot im Gesicht, als ich sah +was sie für eine weiße Hand hatte. Ja, Euer Gnaden, ich werde eine so +schneeweiße Hand nicht wieder zu sehen kriegen, solange ich lebe.«</p> + +<p>»An der Stelle nicht,« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>Es war zwar für den Korporal die ernsthafteste Verzweiflung von der +Welt, er konnte aber doch nicht unterlassen zu schmunzeln.</p> + +<p>»Als die junge Begyne sah,« fuhr der Korporal fort, »daß es gewaltig +half, nachdem sie ein Weilchen mit zwei Fingern gerieben hatte, fing +sie endlich an, mit dreien zu reiben, bis sie endlich nach und nach +auch den vierten dazunahm und nun mit der ganzen Hand rieb. Ich will, +mit Euer Gnaden Wohlnehmen, kein Wort wieder von schneeweißen Händen +sagen — aber sie war so weich, so weich, weicher als Atlas.«</p> + +<p>»Höre Er, Trim, lobe Er sie, soviel als Er will,« sagte mein Onkel +Toby, »ich werde seine Erzählung mit desto größerem Vergnügen hören.« +— Der Korporal dankte seinem Herrn ohne alle Verstellung. Da er aber +nichts weiter von der Hand der Begyne zu sagen hatte als ebendasselbe +noch einmal, so ging er weiter, zu ihrer Wirkung.</p> + +<p>»Die schöne Begyne,« sagte der Korporal, »rieb immer, immer weg mit +ihrer ganzen Hand unter meinem Knie, bis ich besorgte, ihr Eifer würde +sie müde machen. Ich wollte noch wohl tausendmal mehr tun, sagte +sie, aus Liebe zum Heilande. Und wie sie das sagte, fuhr sie über +den Flanell<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> herüber nach der Stelle über dem Knie, worüber ich auch +geklagt hatte, und rieb sie ebenfalls.</p> + +<p>»Nun merkte ich, daß ich anfing verliebt zu werden.</p> + +<p>»Als sie das Reiben, Reiben, Reiben so forttrieb, so fühlte ich, mit +Euer Gnaden Erlaubnis, daß es unter ihrer Hand anfing und sich durch +alle meine Glieder ausstreckte.</p> + +<p>»Je mehr sie rieb und je längere Züge sie tat, je mehr zündete sich +das Feuer in meinen Adern an, bis endlich meine Verliebtheit auf den +höchsten Gipfel stieg — ich ergriff ihre Hand —«</p> + +<p>»Und Er drückte sie an seine Lippen, Trim,« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>Ob es mit des Korporals Verliebtheit genau so ablief, wie mein Onkel +Toby es beschrieb, das ist keine wesentliche Sache. Genug, daß sie +alles das Wesentliche aller verliebten Romane in sich enthielt, welche +von Anbeginn der Welt her geschrieben sind.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_119"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Sobald der Korporal seiner Liebesgeschichte, oder vielmehr mein Onkel +Toby an seiner Statt, ein Ende gemacht hatte, — marschierte Madame +Wadmann ohne Sang und Klang aus ihrer Laube, steckte ihre Haube wieder +unterm Kinn zu, passierte das kleine Heckenpförtchen und avancierte +langsam auf meines Onkels Toby Schilderhaus los. Die Disposition, +welche Trim in seinem Gemüte gemacht hatte, war ein zu vorteilhafter +Umstand, ihn nicht zu nützen.</p> + +<p>Die Attacke ward beschlossen; sie war dadurch noch mehr begünstigt, +daß mein Onkel Toby dem Korporal befohlen hatte, den Spaten, die +Pionierschaufel, die Steckpflöcke und das<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> übrige Kriegsgerät, welches +auf dem Platze, wo Dünkirchen gestanden, zerstreut herumlag, aus dem +Felde zu fahren. Der Korporal war abmarschiert — das Feld war offen.</p> + +<p>Nun überlegen Sie, mein Herr, wie unvernünftig es sei, sowohl beim +Fechten und Schreiben als sonst bei irgend etwas, das man vorhat — +es sei gereimt oder nicht —, nach einem Plane zu handeln. Denn wenn +jemals ein Plan, von allen Umständen unabhängig betrachtet, verdiente +mit goldenen Buchstaben registriert zu werden — ich meine in den +utopischen Archiven —, so war es gewiß der Plan von Madame Wadmanns +planmäßiger Attacke auf meinen Onkel Toby in seinem Schilderhause. — +Nun aber war der Plan, der eben bei dieser Gelegenheit daran hing, +der Plan von Dünkirchen — und die Geschichte von Dünkirchen eine +niederschlagende Geschichte, welche sich jedem Eindrucke widersetzte, +den sie machen konnte. Und überdem, hätte sie ihm auch folgen können, +war das Manöver mit den Fingern und der Hand bei der Attacke im +Schilderhause durch das Manöver der Begyne in Trims Geschichte so sehr +weit übertroffen, daß gerade dadurch diese besondere Attacke, so sehr +sie auch vorher gelang, die allerherzloseste Attacke war, die nur +gemacht werden konnte.</p> + +<p>O, man lasse für so etwas das Frauenzimmer nur sorgen! Madame Wadmann +hatte kaum das Heckenpförtchen geöffnet, als ihr Genie sich schon ein +bloßem Spiel aus den veränderten Umständen machte.</p> + +<p>Sie entwarf augenblicklich eine neue Attacke.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_120"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hunderteinundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Ich bin halb von Sinnen, Herr Kapitän,« sagte Madame Wadmann und hielt +ihr weiß holländisch-leinen Schnupftuch<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> vor ihr linkes Auge, wie sie +sich der Türe von meines Onkels Toby Schilderhause näherte. »Eine Mücke +oder ein Sandkorn oder so etwas, ich weiß nicht was, ist mir da in mein +Auge gekommen. — O sehen Sie mir doch einmal hinein — es ist nicht im +Weißen.«</p> + +<p>Sowie sie das sagte, drängte sie sich zu meinem Onkel Toby hinein auf +die Ecke von seiner Bank und gab ihm Gelegenheit, es zu tun, ohne daß +er aufzustehen brauchte. »Ich bitte, sehen Sie doch hinein!« sagte sie.</p> + +<p>Gute ehrliche Seele! Du sahest hinein mit ebensoviel Unschuld des +Herzens, als jemals ein Kind in einen Kasten voll schöner Raritäten +geguckt hat, und es wäre eine ebenso große Sünde, dir etwas zuleide zu +tun.</p> + +<p>Will ein Mensch aus freien Stücken in dergleichen Dinger hineingucken, +so habe ich nichts dazu zu sagen.</p> + +<p>Das tat mein Onkel Toby niemals; und ich will für ihn Bürge sein, daß +er vom Julimonat bis zum Januar — welches, wie Sie wissen, die heißen +und kalten Monate in sich faßt — ruhig auf einem Sofa gesessen hätte +bei einem eben so schönen Auge als das Auge der thrazischen Rhodope, +ohne daß er imstande gewesen wäre zu sagen, ob es ein blaues oder ein +schwarzes gewesen.</p> + +<p>Die Schwierigkeit war, meinen Onkel Toby dahin zu bringen, daß er nur +überall in eins sähe.</p> + +<p>Die ist überstiegen. Und:</p> + +<p>Ich sehe ihn dort mit seiner Pfeife in seiner Hand, die Asche +herausfallend, wie er guckt und guckt, dann sich die Augen reibt und +wiederum guckt, mit zweimal soviel Treuherzigkeit, als Galilei nach +einem Flecken in der Sonne guckte.</p> + +<p>Vergebens! Denn bei allen Mächten, welche die Sehwerkzeuge beseelen, +der Witwe Wadmann linkes Auge scheint diesen Augenblick ebenso helle +wie ihr rechtes. Es schwimmt<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> darin weder Mücke, weder Sand, weder +Staub, weder Kaff, weder Fleck, noch Teilchen von undurchsichtiger +Materie. — Du findest nichts darin, mein liebster Onkel von +väterlicher Seite, als ein liebliches loderndes Feuer, welches +verstohlenerweise aus jedem seiner Punkte in allen Richtungen heraus in +deines schießt. Guckst du, mein Onkel Toby, nach diesem Stäubchen noch +einen Augenblick länger — so bist du verloren.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_121"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertzweiundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Ein Auge ist darin ganz vollkommen einer Kanone gleich, daß es nicht +sowohl das Auge oder die Kanone an und für sich selbst tut, als die +Richtung des Auges und die Richtung der Kanone, wodurch das eine und +die andere so viele Verwüstung anrichten. Ich halte das Gleichnis nicht +für schlecht. Indessen, da ich's ebensowohl des Nutzens als der Zierde +wegen gemacht und an die Spitze des Kapitels gestellt habe, so ist +alles, was ich dafür zur Vergeltung verlange, dieses, daß Sie solches, +sooft ich von Madame Wadmanns Augen spreche — einmal in den nächsten +Perioden ausgenommen — im Sinne behalten mögen.</p> + +<p>»Ich versichere Sie, Madame,« sagte mein Onkel Toby, »ich kann ganz und +gar nichts in Ihrem Auge gewahr werden.«</p> + +<p>»Es ist nicht im Weißen,« sagte Madame Wadmann. Mein Onkel Toby guckte +aus allen Kräften und Vermögen in den Stern.</p> + +<p>Nun war von allen Augen, die jemals geschaffen sind — von Ihren +eigenen, gnädige Frau, bis auf die Augen der Venus zurück, welches +doch wahrhaftig ein so buhlend Paar Augen waren, wie jemals in einem +Kopfe gestanden —, kein<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> einziges Auge so geschickt, meinen Onkel +Toby um seine Ruhe zu bringen, wie gerade dasselbige Auge, in welches +er da hineinsah. Es war kein rollendes Auge, Madame, kein tobendes +oder mutwilliges, auch war's kein funkelndes, kein drohendes oder +befehlendes Auge, das stracks viel fordern und ertrotzen wollte. +Das hätte auf einmal jene Milch der menschlichen Natur gerinnen +gemacht, aus der mein Onkel Toby gemolken war. Sondern es war ein +Auge voll sanften Grußes und lieblicher Antworten. Es sprach nicht +wie ein Trompetenregister in einer schlechtgebauten Orgel, in welchem +Tone manches Auge, dem man etwas sagt, eine kreischende Unterredung +führt, — sondern es lispelte leise, gleich dem leisen Röcheln einer +sterbenden Heiligen:</p> + +<p>»Wie können Sie ohne alle Pflege leben, Herr Kapitän Shandy, und so +einsam, ohne einen Busen, an den Sie Ihr Haupt lehnen oder dem Sie Ihre +Sorgen vertrauen könnten?«</p> + +<p>Es war ein Auge —</p> + +<p>Aber ich werde mich noch selbst darin verlieben, wenn ich nur noch ein +Wort weiter davon sage.</p> + +<p>Meinem Onkel Toby machte es den Garaus.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_122"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertdreiundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Nichts setzt die Charaktere meines Vaters und meines Onkels Toby in +ein unterhaltenderes Licht als ihre verschiedene Art des Betragens bei +einerlei Zufalle. — Denn ich nenne die Liebe keinen Unfall, aus der +Überzeugung, in der ich bin, daß das Herz eines Menschen beständig +dadurch besser wird. — Gütiger Gott! Was müßte aus dem Herzen meines +Onkels Toby geworden sein, das ohnedem schon lauter Güte war.</p> + +<p>Mein Vater, wie aus vielen seiner Papiere erhellt, war<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> dieser +Leidenschaft sehr unterworfen, ehe er heiratete. Wegen einer etwas +säuerlichen Art von schnurriger Ungeduld in seinem Wesen aber wollte +er sich, sooft es ihn überkam, niemals als ein Christ darin finden, +sondern tobte und schnaubte und stampfte und schlug hinten aus und +stellte sich ungebärdig und schrieb so bittere Stachelschriften gegen +das Auge, wie jemals ein Mann geschrieben hat. Eine findet sich noch, +die er gegen irgendeines oder das andere Auge geschrieben hat, das ihn +drei Nächte hintereinander am Schlaf gehindert hatte. Er hebt in der +ersten Aufwallung seines Zorns also an:</p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»Ein Satan ist's — und tut solch Unheil wirken,</span><br> +<span style="margin-left: 1em;">Als niemals noch geschah von Heiden, Juden, Türken.«<a id="FNAnker_2" href="#Fussnote_2" class="fnanchor">[2]</a></span><br> +</p> + +<p>Kurz zu sagen, während des ganzen Anfalls tat mein Vater nichts als +schimpfen und schmähen. Es ging sogar bis zum vermaledeien. Nur tat er +das nicht so methodisch wie Ernulphus. Da war er zu hitzig zu. Denn +obgleich mein Vater mit der unbiegsamsten Gemütsart von der Welt dieses +und jenes und alles unter der Sonne zu vermaledeien pflegte, was seine +Liebe entzündete oder begünstigte, so schloß er doch niemals sein +Vermaledeiungskapitel dagegen, ohne sich im Kauf mit zu verwünschen: +als einen der größten Gimpel und Faselhänse, wie er zu sagen pflegte, +die nur jemals in Gottes weiter Welt herumgelaufen wären.</p> + +<p>Mein Onkel Toby dagegen fand sich darin, wie ein Lamm — saß still +und ließ das Gift in seinen Adern wirken, ohne Widerstand zu tun. — +In der schärfsten Eiterung seiner Wunde (wie bei der Wunde an seinem +Latzbein) ließ er sich niemals ein störrisches oder mißvergnügtes +Wort entfallen. Er tadelte weder Himmel noch Erde, dachte oder sagte +niemals Schmähungen gegen jemanden oder jemandes Glied. Er<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> saß einsam +und ernst mit seiner Pfeife, sah auf sein lahmes Bein, hauchte ein +empfindsames Ach! aus der Brust, das sich mit dem Schmauche vermischte +und keinem Sterblichen lästig fiel.</p> + +<p>Er fand sich darin wie ein Lamm, sage ich.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_123"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertvierundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Die Welt schämt sich, tugendhaft zu sein. Mein Onkel Toby wußte wenig +von der Welt; und deswegen, als er fühlte, daß er in die Witwe Wadmann +verliebt wäre, fiel es ihm ebensowenig ein, daß die Sache ein Geheimnis +sein müßte, als wenn Madame Wadmann ihn mit einem Bugmesser in die +Finger geschnitten hätte. Und hätte er es auch anders verstanden: Da er +einmal seinen Trim beständig als einen ärmeren Freund betrachtete, und +von Tag zu Tag neue Ursache fand, ihm als einem solchen zu begegnen, so +würde das keine Änderung in der Art gemacht haben, womit er ihm von der +Sache Nachricht gab.</p> + +<p>»Ich bin verliebt, ehrlicher Trim!« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_124"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertfünfundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Verliebt!« sagte der Korporal, »Euer Gnaden befanden sich doch +vorgestern noch ganz wohl, als ich Euer Gnaden die Historie vom Könige +von Böhmen erzählte.« — »Böhmen!« sagte mein Onkel Toby und dachte +lange nach. »Was ist aus der Historie geworden, Trim?«</p> + +<p>»Wir müssen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, ungefähr<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> davon abgekommen +sein. Aber Euer Gnaden waren ebensoweit vom Verliebtsein weg, als ich +es bin.«</p> + +<p>»Es war eben, als Er mit dem Schiebkarren abmarschierte — mit der +Witwe Wadmann,« sagte mein Onkel Toby. »Hier hat sie eine Kugel sitzen +lassen,« setzte mein Onkel Toby hinzu und zeigte auf seine Brust.</p> + +<p>»Sie kann mit Euer Gnaden Erlaubnis ebensowenig eine Belagerung +aushalten, wie sie fliegen kann,« schrie der Korporal.</p> + +<p>»Da wir aber Nachbarn sind, Trim, so ist es doch wohl der beste Weg, +denke ich, ihr es erst in aller Güte anzuzeigen,« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»Wenn ich so frei sein dürfte,« sagte der Korporal, »Euer Gnaden einen +anderen guten Rat zu geben —«</p> + +<p>»Warum spräche ich sonst mit Ihm davon, Trim?« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»So würde ich damit anfangen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, daß ich +wieder eine derbe donnernde Attacke auf sie machte und es ihr hernach +in aller Güte mitteilte. Denn wenn sie vorher den geringsten Wind davon +bekommt, daß Euer Gnaden verliebt sind —« »Ach, lieber Himmel! Sie +weiß noch ebensowenig davon, Trim,« sagte mein Onkel Toby, »wie ein +Kind, das noch geboren werden soll.«</p> + +<p>Die guten Seelen!</p> + +<p>Madame Wadmann hatte es schon, mit allen Umständen, ihrer Brigitte +vierundzwanzig Stunden vorher erzählt und saß in ebendem Augenblicke +und hielt Kriegsrat mit ihr über einige kleine Zweifel, wie die Sache +ablaufen möchte, die ihr der Meister Hämmerling, der bei solchen +Vorfällen niemals zu schlafen pflegt, in den Kopf gesetzt hatte, ehe er +ihr erlauben wollte, daß sie ihr <em class="antiqua">Te deum</em> mit Ruhe halb aussänge +—</p> + +<p>»Mir ist erschrecklich bange,« sagte Madame Wadmann,<span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span> »im Fall ich ihn +heiraten sollte, Brigitte, daß der gute Kapitän mit seiner ungeheuren +Wunde in der Hüfte niemals recht gesund sein möchte.« — »Sie mag wohl +nicht so schlimm sein,« versetzte Brigitte, »als Sie denken, und ich +glaube auch überdem,« fügte sie hinzu, »daß sie zugeheilt ist.« —</p> + +<p>»Das möchte ich doch wohl wissen, bloß seinetwegen,« sagte Madame +Wadmann.</p> + +<p>»Wir wollen erfahren, wie lang und breit sie ist,« antwortete Jungfer +Brigitte, »ehe noch zehn Tage vorbei sind. Denn derweile der Herr +Kapitän Ihnen seine Aufwartung macht, wird sein Korporal Trim, das +weiß ich, seine Liebe bei mir anbringen wollen. Und ich will ihn ruhig +machen lassen, was er will,« setzte Brigitte hinzu, »um alles von ihm +herauszukriegen.«</p> + +<p>Die Maßregeln wurden den Augenblick genommen. Und mein Onkel Toby und +der Korporal gingen weiter mit den ihrigen.</p> + +<p>»Nun,« sagte der Korporal, wobei er seine linke Hand in die Seite +stemmte und mit der rechten einen solchen Schwung durch die Luft tat, +der einen glücklichen Ausgang — und mehr nichts — versprach. »Wenn +Euer Gnaden mir die Erlaubnis geben wollen, den Plan zu dieser Attacke +zu machen.« —</p> + +<p>»Er wird mir damit einen großen Gefallen erweisen, Trim,« sagte mein +Onkel Toby. »Und da ich schon vorher sehe, daß er ihn als mein Adjutant +wird mit helfen ausführen müssen, so hat er hier ein paar Gulden, daß +er sein Patent in ein Glas Wein tauchen kann.«</p> + +<p>»Nun, so wollen wir denn, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der +Korporal — und machte dabei einen Bückling für sein Avancement — +»damit anfangen, daß wir Euer Gnaden besetzte Kleider aus dem großen +Feldkasten hervorholen und brav auslüften lassen, und wollen die +Aufschläge mit Gold auf die Ärmel heften. Und ich will die weiße<span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span> +Knotenperücke frisch aufwickeln und zum Schneider gehen, daß er Euer +Gnaden scharlachene Hosen kehrt.«</p> + +<p>»Ich tue wohl besser, Trim, daß ich die rotplüschenen anziehe,« sagte +mein Onkel Toby. »Die werden zu schlecht sitzen,« sagte der Korporal.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_125"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsechsundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Putz' Er meinen Degen mit einer Bürste und ein wenig Kreide.« — »Es +soll geschehen, wie Euer Gnaden befehlen,« versetzte Trim.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_126"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsiebenundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Unterdessen mein Vater seine schriftliche Instruktion abfaßte, waren +mein Onkel Toby und der Korporal beschäftigt, alles auf die Attacke +vorzubereiten. Da der Gedanke, die feinen scharlachenen Beinkleider +kehren zu lassen, aufgegeben war — fürs erste zum wenigsten —, blieb +nichts mehr im Wege, warum sie weiter hinausgesetzt werden müßte, als +auf den nächsten Morgen. Also ward sie auf elf Uhr festgesetzt.</p> + +<p>»Komm, mein Kind,« sagte mein Vater zu meiner Mutter. »Es wird für +einen Bruder und eine Schwester ganz wohlgetan sein, wenn wir beide ein +wenig nach meines Bruders Hause hinübergehen und ihm bei seiner Attacke +ein wenig mit Rat und Tat beistehen.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby und der Korporal Trim waren schon seit einiger Zeit in +vollem Putze, und als mein Vater und meine Mutter hereintraten, standen +sie, da es eben elf Uhr schlug, schon auf dem Sprunge, den Marsch mit +dem linken<span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span> Fuße anzutreten. Die Beschreibung hiervon aber ist mehr +wert, als in das Ende eines Kapitels, wie dieses, hineingewebt zu +werden.</p> + +<p>Mein Vater hatte nur gerade soviel Zeit, seine Instruktion meinem Onkel +Toby in die Rocktasche zu stecken und ihm, mit meiner Mutter zugleich, +viel Glück zu seiner Attacke zu wünschen.</p> + +<p>»Ich hätte wohl Lust,« sagte meine Mutter, »durchs Schlüsselloch zu +gucken, aus Neugierde.« — »Nenne nur das Kind beim rechten Namen, mein +Schatz,« sagte mein Vater —</p> + +<p>»Und gucke durchs Schlüsselloch, solange wie du willst.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_127"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertachtundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Obgleich der Korporal sein Wort ehrlich gehalten und meines Onkels Toby +große Dreiknotenperücke auf Pfeifenstiele gewickelt hatte, so war doch +die Zeit zu kurz, daß es sonderlich große Wirkung hätte tun können. +Sie war manches liebe Jahr in einer Ecke seines alten Feldkastens +zusammengequetscht worden. Und da sich schlimme Falten nicht so leicht +herausmachen lassen und ihm der Handgriff mit den Enden von Talgkerzen +nicht so geläufig war, so war es keine so lenksame Arbeit, wie man wohl +denken möchte. Der Korporal trat wohl ein Schock Male mit funkelnden +Augen und beiden Armen ausgestreckt in gerader Linie von ihr zurück, um +ihr, wo möglich, eine bessere Miene einzuflößen. Hätte die Grämlichkeit +einen Blick darauf geworfen, es würde Ihro grämlichen Gnaden ein +Schmunzeln abgelockt haben. — Sie fiel allenthalben in Locken, nur +nicht da, wo es der Korporal haben wollte und wo eine oder ein paar +Wellen ihr nach seiner<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> Meinung würden Ehre gemacht haben. Da hätte er +ebensoleicht einen Toten erwecken können.</p> + +<p>So sah sie aus — oder vielmehr, so würde sie auf jedem anderen +Gesichte ausgesehen haben. Der sanfte Blick der Güte aber, der auf +dem Gesichte meines Onkels Toby saß, machte jedes Ding in seiner Nähe +mit so unwiderstehlicher Macht sich selbst ähnlich. Und dabei hatte +die Natur mit so leserlichen Buchstaben in jeden Zug seiner Miene +geschrieben: <em class="gesperrt">ein feiner Mann</em>, daß ihn selbst sein abgebleichter +goldener Tressenhut und die große Hutschleife von schlaffem Taffetband +gut kleidete. Obgleich an sich selbst kein Scherflein wert, wurden +sie doch den Augenblick, da mein Onkel Toby sie aufsetzte, Dinge von +Bedeutung und schienen ausdrücklich von der Hand der Wissenschaft +ausgesucht zu sein, ihm ein Ansehen zu geben.</p> + +<p>Nichts in dieser Welt hätte so kräftig zu diesem Endzwecke beitragen +können, wie meines Onkels Toby blaues Kleid mit Gold, wäre nicht +gewissermaßen Fülle mit zur Grazie erforderlich gewesen. In einem +Zeitraume von fünfzehn oder sechzehn Jahren, seitdem es gemacht worden, +war das blaue Kleid mit Gold meinem Onkel Toby durch ein völlig +untätiges Leben — denn er kam selten weiter als nach seinem grünen +Spielplatze — so kläglich eng geworden, daß es den Korporal große Mühe +und Künste kostete, ehe er ihn hineinbringen konnte. Das Aufheften der +Aufschläge hatte nicht viel geholfen. Es war indessen vorne und hinten +und auf den Taschen und Schößen usw. mit Tressen besetzt, nach der Mode +unter des Königs Wilhelm Regierung. Um die Beschreibung abzukürzen, +schienen sie diesen Morgen in der Sonne so glänzend und machten ein so +metallisches und tapferes Ansehen, daß mein Onkel Toby, wenn er auf +eine kriegerische Attacke mit Schild und Speer ausgegangen wäre, nichts +Besseres nach seinem Sinne hätte ausfinden können.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span></p> + +<p>Was die feinen scharlachenen Beinkleider anbetrifft: die waren von dem +Schneider in der inwendigen Naht aufgetrennt, und weiter hatte er sich +nicht darum bekümmert.</p> + +<p>Ja, Madame! — Aber laß uns unserer Einbildung nicht die Zügel +schießen. Genug, sie wurden den Abend vorher für unbrauchbar erklärt, +und da in meines Onkels Toby Garderobe keine Wahl war, so blieb es bei +seinen rotplüschenen.</p> + +<p>Der Korporal hatte sich mit der Regimentsuniform herausstaffiert. Das +Haar unter seiner Reitmütze zusammengeknotet, die er des Endes neu +aufgebürstet hatte, marschierte er in einer Distanz von drei Schritten +hinter seinem Herrn. Ein Hauch von militärischem Stolze hatte seine +Vorärmel über den Händen hervorgezupft. Auf eine derselben hatte der +Korporal an einem ledernen Bande, das unter dem Knoten in eine Quaste +geschnitzelt war, seinen Stock hängen.</p> + +<p>Mein Onkel Toby trug seinen Stock wie einen Speer.</p> + +<p>Es sieht doch wenigstens nicht übel aus, sagte mein Vater bei sich +selbst.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_128"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertneunundzwanzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Onkel Toby wendete sich mit dem Gesichte mehr als einmal herum, um +zu sehen, wie ihn das Hintertreffen, der Korporal, unterstützte. Und +sooft er das tat, machte der Korporal mit seinem Stock einen Schwung in +die Luft — doch nicht prahlerischerweise. Mit dem leisesten Tone des +ehrerbietigsten Zuredens hieß das soviel wie: »Nichts gefürchtet!«</p> + +<p>Mein Onkel Toby aber fürchtete, und zwar gar herzlich. Er hatte +noch nicht einmal — wie ihm mein Vater vorgeworfen hatte — das +rechte Ende eines Frauenzimmers vom unrechten unterscheiden gelernt. +Deswegen war er niemals<span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span> an seiner rechten Stelle, wenn er nahe bei +einem sein mußte. Ausgenommen, wenn es in Kummer und Betrübnis war. +Alsdann war sein Mitleiden unendlich; auch hätte der liebreichste +Ritter aus dem vorigen Jahrhunderte nicht weiter reisen können — auf +einem Beine wenigstens nicht —, um eine Träne von einem weiblichen +Auge zu wischen. Und dennoch, das eine Mal nicht gerechnet, da ihn +Madame Wadmann dazu überlistete, hatte er niemals steif in eines +hineingesehen, und pflegte oft in der Einfalt seines Herzens zu meinem +Vater zu sagen, das wäre fast ebenso arg — wo nicht ebenso laut — wie +unzüchtig reden.</p> + +<p>»Und nun, wenn's das wäre?« pflegte mein Vater zu antworten.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_129"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertdreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Sie kann's doch nicht,« sagte mein Onkel Toby und machte Halt, als sie +bis auf zehn Schritte von Madame Wadmanns Haustüre aufmarschiert waren +— »sie kann's doch nicht übelnehmen, Korporal?«</p> + +<p>»Sie wird's nehmen, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte der Korporal, +»eben wie es die Witwe zu Lisbon von meinem Bruder Thomas nahm.«</p> + +<p>»Und wie war das?« sagte mein Onkel Toby und machte fast völlig Front +herum gegen den Korporal.</p> + +<p>»Euer Gnaden,« versetzte der Korporal, »wissen meines Bruders Tom +Unglück. Aber diese Sache hat nichts weiter damit zu tun als nur: +hätte Tom die jüdische Witwe nicht gefreiet, oder wäre es des lieben +Herrgotts Wille gewesen, daß sie Schweinefleisch in ihre Würstchen +getan hätten, so hätten sie die ehrliche Haut meines Bruders nicht +aus seinem warmen Bette geholt und zur Inquisition geschleppt. — — +Es ist<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> ein verdammtes Loch,« fügte der Korporal hinzu und schüttelte +den Kopf. »Wenn einmal erst ein armer Kerl, mit Euer Gnaden Erlaubnis, +darin ist, so ist kein Herauskommen wieder.«</p> + +<p>»Sehr wahr!« versetzte mein Onkel Toby und sah nach Madame Wadmanns +Hause, als er das sagte.</p> + +<p>»Nichts,« fuhr der Korporal fort, »kann wohl so elend sein wie eine +ewige Gefangenschaft, und nichts süßer, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, als +die Freiheit.«</p> + +<p>»Nichts, Trim,« sagte mein Onkel Toby, in tiefen Gedanken —</p> + +<p>»Solange ein Mensch frei ist,« rief der Korporal und Schwang dabei +seinen Stock, wie hier</p> + +<figure class="figcenter padtop2 illowe12" id="p2720_ill"> + <img class="w100" src="images/p2720_ill.jpg" alt=""> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span></p> + +<p>Ein ganzes Tausend von meines Vaters subtilsten Syllogismen hätte +nichts Stärkeres für den Ehelosenstand sagen können.</p> + +<p>Mein Onkel Toby sah ernsthaft nach seinem Landhäuschen und dem grünen +Spielplatze zurück.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_130"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hunderteinunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Als mein Onkel Toby und der Korporal bis ans Ende der Allee marschiert +waren, fiel es ihnen ein, daß ihr Geschäft eines anderen Weges läge. +Sie machten also linksum und marschierten geradeswegs auf Madame +Wadmanns Türe zu.</p> + +<p>»Es soll gut gehen, Euer Gnaden,« sagte der Korporal und legte dabei +seine Hand an seine Reitmütze, als er an ihm vorbeiging, um an die +Türe zu klopfen. Mein Onkel Toby, gegen seine sonst unveränderliche +Gewohnheit, seinem treuen Diener zu begegnen, antwortete ihm weder +Gutes noch Böses. Das lag daran, daß er seine Ideen noch nicht völlig +in Ordnung gebracht hatte. Er wünschte noch erst einmal in Konferenz zu +treten. Und als der Korporal die drei Stufen vor der Türe hinaufging, +stieß er zweimal hm! aus. Ein Teil von meines Onkels Toby sehr +bescheidener Herzhaftigkeit flog mit jedem Hm! zu dem Korporal hin. Der +stand eine ganze Minute lang mit dem aufgehobenen Türklopfer in der +Hand und wußte kaum, warum. — Brigitte stand inwendig auf Vorposten +mit ihrem Finger und Daumen an der Klinke, erstarrt vor Erwartung der +Dinge. Madame Wadmann, mit einem Auge voller Bereitwilligkeit, die +Blume noch einmal zu opfern, saß atemlos hinter dem Vorhange vor dem +Fenster in ihrer Schlafkammer und bemerkte die Annäherung.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p> + +<p>»Trim!« sagte mein Onkel Toby — —. Aber als er die Worte aussprach, +war die Minute verstrichen, und Trim ließ den Klopfer fallen.</p> + +<p>Mein Onkel Toby, als er gewahr wurde, daß solches alle seine Hoffnung +zu einer Konferenz den Kopf eingeschlagen hätte, — pfiff den +Lillabullero.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_131"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertzweiunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Da Jungfer Brigitte schon mit Finger und Daumen die Klinke gefaßt +hielt, so klopfte der Korporal nicht so oft, wie vielleicht Euer Gnaden +Schneider tun muß. Ich hätte mein Beispiel schon ein wenig mehr in +die Nähe nehmen können, denn ich bin dem meinigen wenigstens über die +hundert Taler schuldig und wundere mich über des Mannes Geduld.</p> + +<p>Aber das geht keinem Menschen etwas an; nur soviel, es ist eine +verdammte Sache, in Schulden zu stecken, und es scheint ein für allemal +ein feindliches Schicksal über die Schatzkammern gewisser guter +Prinzen zu walten, besonders über die von unserem Hause, das keine +Kameralwissenschaft in Fesseln zu legen vermag. Ich meinesteils bin +überzeugt, es ist kein anderer Prinz, Prälat, Papst, Potentat, groß +oder klein in der Welt, der in seinem Herzen mehr und eifriger wünscht +als ich, mit der ganzen Welt Saldo zu sein, oder dazu dienlichere +Mittel brauchte. Ich gebe niemals über einen Dukaten, gehe nicht in +Stulpenstiefeln, kaufe keine Zahnstocher, lege das ganze Jahr nicht +ein Viergroschenstück für Bänder und Spitzen an. Die sechs Monate, die +ich auf dem Lande zubringe, lebe ich so kärglich, daß ich mit aller +Gutherzigkeit von der Welt Rousseau meilenweit<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> zurücklasse, denn ich +halte mir weder Kerl noch Jungen, noch Pferd noch Kuh, noch Hund noch +Katze, noch irgendein lebendiges Ding, das ißt oder trinkt, ausgenommen +ein armes dünnes Stück von einer Vestale, mein Feuer zu unterhalten, +die gewöhnlich eben so schlechten Appetit hat wie ich selbst. — Wenn +Sie aber denken, das mache mich zum Philosophen, so möchte ich, meine +guten Leutchen, keinen Strohhalm für ihr Urteil geben!</p> + +<p>Wahre Philosophie —. Aber der Gedanke läßt sich unmöglich abhandeln, +derweil mein Onkel Toby den Lillabullero pfeift.</p> + +<p>»Laßt uns ins Haus gehen.«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_132"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + + +<p><span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span></p> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span></p> +<h2>Hundertdreiunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_133"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span></p> +<h2>Hundertvierunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_134"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertfünfunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Sie sollen die eigentliche Stelle sehen, Madame,« sagte mein Onkel +Toby.</p> + +<p>Dieses erheischt abermals eine Erklärung. Es zeigt, wie wenig man aus +bloßen Worten lernen kann. Wir müssen zu der ersten Quelle zurückgehen.</p> + +<p>Um nun den Nebel aufzuhellen, welcher über diesen drei Seiten liegt, +muß ich mich bestreben, selbst so hell und deutlich zu sehen wie +möglich.</p> + +<p>Reiben Sie Ihre Hände dreimal über Ihre Stirnen, — schneuzen Sie sich, +— reinigen Sie die Schleimdrüsen, — niesen Sie, meine lieben Freunde! +— So! Gott helf!</p> + +<p>Nun kommen Sie mir aus aller Macht zu Hilfe.</p> + +<p>Wir leben in unserer Welt, an allen Seiten mit Geheimnissen und Rätseln +umgeben. Also tut's nichts, sonst schiene es wunderbar, daß die Natur, +welche alle Dinge so zweckmäßig macht und selten oder niemals irrt (es +sei denn aus Spielerei), indem sie allem, was durch ihre Hand geht, sie +bestimme es für den Pflug, für die Karawane oder für den Karren — oder +was für ein Geschöpf sie modelliert, wär's auch nur ein Eselsfüllen +—, solche Bildung und Fähigkeiten gibt und mitteilt, daß Sie sicher +sind, das Ding zu bekommen, was Sie verlangen; — daß die Natur, sage +ich, doch zu gleicher Zeit beständig so fortpfuscht, wenn sie ein so +einfältiges Ding macht wie einen Ehemann.</p> + +<p>Liegt das an der Wahl des Erdkloßes oder daß solcher häufig durchs +Kneten verdorben wird. Durch zu häufiges Kneten, wissen Sie, kann der +Leim und ein Ehemann einerseits zu krustig werden, anderseits durch +Mangel an Wärme nicht krustig genug. Oder ist diese große Künstlerin +nicht<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> aufmerksam genug auf die kleinen platonischen Bedürfnisse +desjenigen Teils des menschlichen Geschlechts, zu dessen Gebrauch sie +diesen macht? — Oder weiß die gnädige Frau zuweilen selbst nicht +recht, was für eine Art Ehemann es sein soll? — Kurz, das alles weiß +ich nicht. Nach dem Abendessen wollen wir davon sprechen.</p> + +<p>Es ist genug, daß weder die Bemerkung selbst noch die daraus gemachte +Folgerung im geringsten für die Sache sind, sondern vielmehr dagegen. +Weil in Ansehung der Fähigkeiten meines Onkels Toby zum heiligen +Ehestande nichts in der Welt besser sein konnte. Die Natur hatte ihn +aus dem besten und gutartigsten Leim gebildet, hatte solchen mit ihrer +eigenen Milch eingeweicht und den sanftesten Geist hineingeblasen. Sie +machte ihn durch und durch tapfer, großmütig und menschlich. Sie hatte +sein Herz mit Treue und gutem Glauben angefüllt, und hatte jede Leitung +zu demselben zur Mitteilung der zärtlichsten Dienste eingerichtet. Sie +hatte noch bei dem allen die anderen Ursachen mit in Betracht gezogen, +weswegen der Ehestand eingesetzt wurde.</p> + +<p>Und hatte also — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —</p> + +<p>Der Segen war auch durch meines Onkels Toby Wunde nicht von ihm +genommen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_135"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsechsunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Jungfer Brigitte hatte den ganzen Vorrat von Ehre, den eine arme +Zofe aufbringen konnte, darauf verpfändet, daß sie, noch ehe zehn +Tage vergingen, die Sache von Grund aus wissen wollte. Und sie hatte +einen der unbestrittensten Vorsätze gefaßt; derweil mein Onkel Toby +seine Liebe bei<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> ihrer Herrschaft antrüge, würde der Korporal nichts +Besseres zu tun finden, als ihr die seinige anzutragen. »Und ich will +ihm soviel Willen lassen, wie er will,« sagte Brigitte, »um es aus ihm +herauszubringen.«</p> + +<p>Madame Wadmann aber war entschlossen, ihre Karten selbst zu spielen. +Es bedurfte bei ihr keines Zuredens. Ein Kind hätte ihm in die Karten +gucken können. Er spielte mit solcher Offenherzigkeit und Ehrlichkeit +alle seine Trümpfe aus der Hand und hatte sowenig Arg daraus, wie man +sich mit Aß und Dame hinter die Hand bringen müßte, — und so nackt und +wehrlos saß er da mit Madame Wadmann auf einem Sofa beisammen, daß ein +großmütiges Herz geweint haben würde, ihm das Spiel abzugewinnen.</p> + +<p>Laß uns die Metapher beiseitesetzen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_136"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertsiebenunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Und die Geschichte dazu, wenn's Ihnen beliebt! Denn obgleich ich +beständig mit solchem herzlichen Verlangen auf diese Stelle zugeeilt +bin, wohl wissend, daß es von allem, was ich der Welt vorzusetzen +habe, der beste Leckerbissen ist, so will ich doch jetzt, da ich dabei +angelangt bin, gerne einem jeden meine Feder übergeben, die Historie +an meiner Statt fortzusetzen. Ich sehe die Schwierigkeit dieser +Beschreibungen ein, die ich vorhabe, und fühle meinen Mangel an Kräften.</p> + +<p>Ich habe wenigstens den einen Trost, daß ich diese Woche an die acht +Unzen Blut in einem sehr tückischen Fieber verloren habe, das mich +überfiel, als ich dieses Kapitel anfing. Daß ich also noch einige +Hoffnung habe, es könne eher an den seriösen und kugelförmigen Teilen +des Blutes liegen, als an der subtilen Aura des Gehirns. — Es sei, +wie ihm<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> wolle. Eine Anrufung kann nicht schaden! Und ich überlasse es +völlig dem Angerufenen, mir's einzublasen oder einzuspritzen, wie er's +für nützlich findet.</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Anrufung</em>.</p> + +<p>Gütiger Spiritus der angenehmen Laune, der du vormals auf der leichten +Feder meines geliebten Cervantes saßest. Du, der du täglich durch seine +Fensterscheiben schlüpftest und die Dämmerung seines Gefängnisses durch +deine Gegenwart in hellen Mittagsschein verkehrtest, seinen kleinen +Wasserkrug mit himmlischem Nektar vermischtest und die ganze Zeit, da +er von Sancho und seinem Herrn schrieb, deinen mystischen Mantel über +seinen welken Stummel warfst<a id="FNAnker_3" href="#Fussnote_3" class="fnanchor">[3]</a> und ihn weit über alle Übel seines +Lebens breitetest.</p> + +<p>Kehre bei mir ein, ich bitte dich! Siehe diese Beinkleider! Mehr habe +ich nicht in dieser Welt. Diesen häßlichen Riß bekamen sie zu Lyon. —</p> + +<p>Meine Hemden! Siehe, was für ein schreckliches Schisma sich unter ihnen +hervorgetan hat. Denn die vorderen Zipfel sind in der Lombardei und das +übrige davon hier. Nie hatte ich mehr als sechs, und eine listige Hexe +von Wäscherin zu Mailand schnitt mir von fünf die Zipfel ab. Doch um +ihr nicht Unrecht zu tun, sie tat es mit Bescheidenheit.</p> + +<p>Und dennoch, trotz alledem und einem Pistolenfeuerzeug, das mir noch +dazu in Sienna weggemaust ward, und daß ich zweimal fünf Paoli für zwei +harte Eier bezahlen mußte, einmal zu Radioffini und das andere Mal zu +Capua, — halte ich eine Reise durch Frankreich und Italien — nur muß +ein Mensch auf dem ganzen Wege nicht ärgerlich werden — für keine so +schlimme Reise, wie einige Leute Ihnen gern weismachen möchten. Es muß +zuweilen auf und nieder<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> gehen. Wie Henker wollten wir sonst zu den +Tälern gelangen, in denen die Natur so manche Tafel des Vergnügens für +uns gedeckt hat. Unklug ist's, sich einzubilden, sie werden uns ihr +Fuhrwerk leihen, daß wir es umsonst in Stücken zerbrechen können. Und +wenn Sie nicht zwölf Sous bezahlen, ihre Räder zu schmieren, woher +sollte der arme Bauer Butter zu seinem Brote nehmen? — Wirklich, +wir erwarten zuviel — und für das Paar Lire, das man Ihnen für Ihr +Abendessen und Bette zuviel abnimmt, was machen denn am Ende die aus? +Wer wollte darüber seine Philosophie verwirren? Um's Himmels und um +Ihrer selbst willen, zahlen Sie — zahlen Sie mit zwei offenen Händen! +Lieber, als bei Ihrem Abfahren eine vereitelte Hoffnung auf dem Auge +der hübschen Wirtin und ihrer schönen Tochter sitzen zu lassen. Und +noch dazu, mein lieber Herr, nehmen Sie einen schwesterlichen Kuß von +beiden. Jeder ist seinen Louisdor wert. Ich wenigstens tat es! —</p> + +<p>Denn da mir den ganzen Weg über meines Onkels Toby Liebesgeschichte im +Kopfe herumlief, tat solche die nämliche Wirkung auf mich, als wäre +es meine eigene gewesen. — Ich befand mich in dem vollkommensten +Zustande der Güte und des Wohlwollens und fühle bei jeder Erschütterung +des Wagens die Schwingungen der sanftesten Harmonie, dergestalt, daß +mir's keinen Unterschied machte, ob die Wege höckerig waren oder eben. +Alles, was ich sah oder womit ich zu tun hatte, fiel auf eine geheime +Springfeder des Empfindens oder Entzückens.</p> + +<p>Es waren die lieblichsten Töne, die je mein Ohr berührt hatten; und +den Augenblick ließ ich das Vorderglas nieder, um sie deutlicher zu +hören. — »Es ist Maria,« sagte der Postillon, der es bemerkte, daß +ich horchte. — »Die arme Maria,« fuhr er fort und bog sich dabei nach +einer Seite, um mich sie sehen zu lassen, denn er saß in gerader Linie<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> +zwischen uns, »sitzt auf dem Rasen und spielt auf ihrer Flöte ihren +Vespergesang, mit ihrer kleinen Ziege neben ihr.«</p> + +<p>Der junge Kerl brachte dies mit einem Tone und Blicke hervor, +die so völlig rein zu einem gefühlvollen Herzen gestimmt waren, +daß ich augenblicklich ein Gelübde tat, ich wollte ihm ein +Vierundzwanzigsousstück geben, wenn ich nach Moulins käme.</p> + +<p>»Und wer ist die arme Maria?« sagte ich.</p> + +<p>»Die Liebe und das allgemeine Bedauern aller Dorfschaften um uns +herum,« sagte der Postillon. »Es ist erst drei Jahre her, daß die Sonne +auf kein schöneres, witzigeres und liebenswürdigeres Mädchen schien. +Und Maria verdiente ein besseres Schicksal, als daß ihr ein Eheverbot +angelegt würde, und das durch die Kunstgriffe des Pfarrers, der sie +aufbieten sollte.«</p> + +<p>Er wollte weiterreden, als Maria, die eine kurze Pause gemacht hatte, +die Flöte in den Mund nahm und den Gesang von neuem begann. Es waren +dieselben Noten, aber sie waren zehnmal lieblicher. »Es ist das +Abendlied an die heilige Jungfrau,« sagte der junge Mann. »Aber wer +es sie spielen gelehrt oder wie sie zu ihrer Flöte gekommen, das weiß +kein Mensch. Wir denken, der Himmel hat ihr zu beiden verholfen. Denn +solange es in ihrem Kopfe nicht richtig ist, scheint das ihr einziges +Labsal zu sein. — Sie hat die Flöte noch niemals aus der Hand gelegt, +sondern darauf ihr Abendlied beständig fast Nacht und Tag gespielt.«</p> + +<p>Der Postillon erzählte dieses mit so vieler Bescheidenheit und solcher +natürlichen Beredsamkeit, daß ich mich nicht enthalten konnte, etwas in +seinem Gesicht zu entziffern, das über seinen Stand wäre. Und ich würde +sein Gesicht ausgeforscht haben, hätte nicht Marias Gesicht so völligen +Besitz von mir genommen.</p> + +<p>Wir waren um diese Zeit fast bis an den Rasen gekommen,<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> auf welchem +Maria saß. Sie trug ein weißes feines Mieder, und ihre Haare, bis auf +zwei Locken, waren in ein seidenes Netz aufgebunden, in das an der +einen Seite ein wenig phantastisch ein paar Olivenblätter geflochten +waren. Sie war schön; und wenn ich jemals die ganze Stärke eines +redlichen Herzeleids empfunden habe, so war es in dem Augenblick, da +ich sie sah.</p> + +<p>»Gott steh' ihr bei! Armes Mädchen! Sie haben mehr als hundert Messen +in den verschiedenen Dorf- und Klosterkirchen um uns herum für sie +lesen lassen. Aber es hat nichts geholfen. Wir haben doch noch +Hoffnung, denn sie ist zuweilen auf kurze Zeit ganz verständig, daß sie +die heilige Mutter Gottes wieder zurechtbringen wird. Ihre Eltern aber, +die sie am besten kennen, haben alle Hoffnung aufgegeben und meinen, +daß sie ihre Sinne auf immer verloren hat.«</p> + +<p>Als der Postillon das sagte, machte Maria eine so melancholische +Kadenz, so zärtlich und wehklagend, daß ich aus dem Wagen sprang, ihr +zu helfen, und fand mich zwischen ihr und ihrer Ziege sitzend, ehe ich +aus meinem Enthusiasmus wieder zu mir selbst kam.</p> + +<p>Maria sah einige Zeit ganz starr auf mich und dann auf ihre Ziege — +und dann wieder auf mich — und dann wieder auf ihre Ziege, und so +fort, eins um das andere.</p> + +<p>»Nun, Maria,« sagte ich sanft, »was für eine Ähnlichkeit findet Sie?«</p> + +<p>Ich bitte den redlichen Leser, mir zu glauben, daß die Frage aus der +demütigsten Überzeugung geschah, daß der Mensch ein Tier sei. In der +ehrwürdigen Gegenwart des Elends hätte ich mir keinen unzeitigen Scherz +entfallen lassen mögen, hätte ich dadurch einen Anspruch auf den besten +Witz erlangen können, den Rabelais jemals ausgelassen hat. Und dennoch, +ich bekenne es, tat mir's im Herzen wehe. Ich wurde über den bloßen +Gedanken daran so unruhig,<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> daß ich schwur, ich wollte mich mein ganzes +Leben auf Weisheit legen und nichts als ernsthafte Sittensprüche sagen +— und niemals, niemals wieder versuchen, mit Mann, Weib oder Kind +Schnurren zu treiben, solange ich lebte.</p> + +<p>Was das betrifft, Wischiwaschi für Sie zu schreiben, — ich glaube, das +war ein Vorbehalt —; aber das überlasse ich der Welt.</p> + +<p>Lebe wohl, Maria! Lebe wohl, armes unglückliches Mädchen!</p> + +<p>Zu einer anderen Zeit, aber nicht jetzt, höre ich vielleicht deine +Leiden von deinen eigenen Lippen. — Aber ich irrte mich. Denn ebenden +Augenblick nahm sie ihre Flöte und erzählte mir damit eine solche +Geschichte des Jammers, daß ich aufstand und mit schwankendem Schritt +langsam nach meinem Wagen ging.</p> + +<p>Was für ein vortreffliches Wirtshaus zu Moulins!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_137"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertachtunddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Wenn wir bis ans Ende dieses Kapitels gekommen sind, aber nicht eher, +müssen wir alle wieder zu den beiden in Blanko gelassenen Kapiteln +zurückkehren. Ihretwegen liegt meine Ehre schon eine halbe Stunde +und blutet. Ich stille es dadurch, daß ich einen von meinen gelben +Pantoffeln abziehe und ihn aus allen meinen Kräften an die Wand +gegenüber werfe, mit der Erklärung dahinter:</p> + +<p>Was für eine Ähnlichkeit auch unter der Hälfte von allen Kapiteln +sein mag, die in der Welt geschrieben sind, oder, wenn ich mich nicht +gröblich irre, eben jetzt geschrieben werden: — so war es doch ganz +so zufällig, wie der Schaum an Zeus' Pferden, daß in diesen beiden +Kapiteln, wie in der<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> Hälfte von »allen«, auch nichts stand. Überdem +habe ich auch für ein Kapitel, in welchem nichts steht, allemal +Respekt. Und in Betracht, was für schlimmere Sachen es in der Welt +gibt, halte ich so etwas für keinen schicklichen Gegenstand der Satire.</p> + +<p>Warum wurden sie denn in Blanko gelassen? Und hier, ohne meine Antwort +zu erwarten, werde ich Dummkopf, Pinsel, Gimpel, Gelbschnabel, +Firlefanz, Ölgötze, Langohr, Brausebart und mit anderen unverdaulichen +Namen mehr gescholten werden, wie sie jemals die Kuchenbäcker von +Lernee den Schäfern des Königs Garagantnas in die Zähne warfen; und +mögen sie's tun, wie Brigitte sagte, soviel als sie gelüstet; denn wie +war es möglich, daß sie die Notwendigkeit vorhersehen konnten, in die +ich gesetzt war, das hundertachtunddreißigste Kapitel meines Buches +früher zu schreiben als das hundertdreiunddreißigste usw.?</p> + +<p>Ich nehme es ihnen also nicht übel. Alles, was ich wünsche, ist, daß es +der Welt eine Lehre sein möchte: »<em class="gesperrt">Die Leute ihre Historien auf ihre +eigene Art erzählen zu lassen.</em>«</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_138"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2 class="s5"><i>Das 132. Kapitel</i>.</h2> +</div> + + +<p>Da Jungfer Brigitte die Türe öffnete, ehe der Korporal noch einmal +recht geklopft hatte, so war zwischen dem und der Einführung meines +Onkels Toby ins Besuchszimmer die Zeit so kurz, daß Madame Wadmann nur +ebensoviel Zeit hatte, hinter dem Vorhange wegzuwischen, eine Bibel auf +den Tisch zu legen und ein paar Schritte gegen die Türe zu gehen, um +ihn zu empfangen.</p> + +<p>Mein Onkel Toby begrüßte Madame Wadmann nach<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> der Weise, wie im Jahre +unseres Herrn eintausendsiebenhundertunddreizehn das Frauenzimmer von +Mannspersonen begrüßt ward. Darauf machte er rechtsum, ging in einem +Gliede mit ihr zum Kanapee und in drei kleinen Worten, doch nicht, +bevor er sich gesetzt hatte, auch nicht, nachdem er sich gesetzt hatte, +sondern indem er sich setzte, sagte er ihr, er liebte sie.</p> + +<p>Madame Wadmann sah natürlicherweise nieder auf eine Naht, die sie +in ihrer Schürze aufgetrennt hatte, und erwartete alle Augenblicke, +daß mein Onkel weitergehen würde. Allein, da er keine Gabe zur +Amplifikation hatte, und Liebe dazu noch eine Sache war, mit der er +unter allen am wenigsten meisterlich umzugehen wußte, so ließ er's, +nachdem er Madame Wadmann einmal gesagt hatte, daß er sie liebte, damit +gut sein und ließ die Sache durch sich selbst wirken.</p> + +<p>Mein Vater hatte beständig seine herzliche Freude über dies System +meines Onkels Toby, wie er's fälschlich nannte, und pflegte oft zu +sagen, hätte sein Bruder zu diesem Prozesse nur noch das Feuer von +einer Pfeife Tabak setzen können, er hätte damit flugs, wenn nur irgend +etwas Wahres an einem spanischen Sprichworte wäre, seinen Weg zu den +Herzen der Hälfte von allen Weibern auf der Erdkugel gefunden.</p> + +<p>Mein Onkel Toby verstand niemals, was mein Vater damit sagen wollte. +Ebensowenig will ich voreilig sein und mehr daraus schließen als die +Verwerfung eines Irrtums, in welchem der große Haufen in der Welt +steckt. — Aber die Franzosen, Mann für Mann, glauben fast eben so +himmelfest daran wie an die körperliche Gegenwart, daß von Liebe reden +Liebe sei.</p> + +<p>Nach diesem Rezept möchte ich ebensogut eine Blutwurst machen wollen.</p> + +<p>Laß uns weitergehen. Madame Wadmann saß in der Erwartung, daß er es +täte, bis fast auf den ersten Pulsschlag<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> <em class="gesperrt">der</em> Minute, in der das +Stillschweigen von einer Seite oder der anderen gewöhnlich unanständig +wird. Dann rückte sie ein wenig näher zu ihm. Und indem sie ihre Augen +aufhob, errötete sie ein wenig, nahm den Ausforderungshandschuh oder, +wenn Sie das lieber hören, das Gespräch auf und fing die Unterredung +mit meinem Onkel Toby folgendermaßen an:</p> + +<p>»Die Sorgen und die Beschwerlichkeiten des Ehestandes,« sagte Madame +Wadmann, »sind sehr groß.« — »Das sind sie, glaube ich,« sagte mein +Onkel Toby. — »Wenn also eine Person,« fuhr Madame Wadmann fort, +»so ruhig leben kann wie Sie, so glücklich, Herr Kapitän, durch sich +selbst, durch Ihre Freunde und durch Ihren Zeitvertreib, so wundere ich +mich, was Sie für Ursachen haben können, sich in diesen neuen Stand zu +begeben.«</p> + +<p>»Sie stehen,« sagte mein Onkel Toby, »alle in dem Buch geschrieben, +woraus der Prediger bei der Trauung vorliest.«</p> + +<p>Bis dahin ging mein Onkel Toby mit Behutsamkeit, blieb auf seiner Tiefe +und ließ Madame Wadmann über dem Abgrunde segeln nach ihrem eigenen +Gefallen.</p> + +<p>»Was die Kinder anbelangt,« sagte Madame Wadmann, »obgleich vielleicht +ein hauptsächlicher Zweck der Einsetzung der Ehe und ein natürlicher +Wunsch, wie ich glaube, aller Eheleute, so wissen wir gar wohl, daß +sie gewisse Sorgen und sehr ungewisse Freuden machen! Und, mein lieber +Herr Kapitän, was hat man für das Herzeleid, was für Vergeltung für die +manchen zärtlichen, unruhigen Bekümmernisse einer leidenden wehrlosen +Mutter, die sie auf die Welt bringen muß?« — »Ich bekenne,« sagte mein +Onkel Toby, von mitleidigem Gefühl ergriffen, »ich kenne keine, es sei +denn das Vergnügen, womit es dem lieben Gott gefallen hat —.«</p> + +<p>»Ein Wischiwaschi,« sagte sie.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_139"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span></p> + +<h2 class="s5"><i>Das 133. Kapitel</i>.</h2> +</div> + + +<p>Nun gibt es eine solche unendliche Menge von Tönen, Klängen, Weisen, +Melodien, Mienen, Blicken und Akzenten, womit das Wort Wischiwaschi in +allen solchen Fällen wie dieser ausgesprochen werden kann. Und jedes +darunter drückt ihm einen von den anderen so verschiedenen Sinn und +Verstand ein, wie Schmutz von Reinlichkeit sind. So daß die Kasuisten +— denn in dieser Betrachtung ist es ein Gewissensfall — nicht weniger +als vierzehntausend Fälle aufrechnen, in welchen man es richtig oder +falsch sagen kann.</p> + +<p>Madame Wadmann sagte ihr Wischiwaschi so, daß es meinem Onkel Toby all +sein bescheidenes Blut in die Wangen trieb. Da er dergestalt fühlte, +daß er unversehenerweise über seine Tiefe hinausgeraten sein müßte, +brach er kurz ab. Und ohne sich weiter auf die Sorgen oder Freuden des +Ehestandes einzulassen, legte er seine Hand auf sein Herz und tat sein +Anerbieten, solche, wie sie vorkämen, auf sich zu nehmen und mit ihr zu +teilen.</p> + +<p>Als mein Onkel Toby dieses gesagt hatte, mochte er's nicht gerne noch +einmal sagen. Da er dabei seine Augen auf die Bibel warf, welche Madame +Wadmann auf den Tisch gelegt hatte, nahm er sie in die Hand. Und da ihm +gleich — der gute Mann! — eine vor allen anderen sehr interessante +Stelle auffiel — es war die Belagerung von Jericho —, so machte er +sich daran, sie zu überlesen. Indessen ließ er seinen Heiratsantrag, +wie er vorher mit seiner Liebeserklärung gemacht hatte, durch sich +selbst bei ihr wirken. Nun wirkte er weder als ein Adstringens noch als +ein Solvens, weder als Opium noch als Chinarinde, weder als Merkurius +noch als Stechdorn noch als irgendein Apothekermittel, welches die +Natur der Welt verliehen hat. Kurz, er wirkte ganz und gar nicht bei +ihr. Und das lag daran,<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> daß vorher schon etwas bei ihr in Wirkung war. +— Was ich für ein Plappermaul bin! Ein dutzendmal wohl habe ich schon +vorher gesagt, was es war. Aber es ist noch Feuer in der Materie. — +Nur zu!</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_140"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertneununddreißigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es ist für einen völlig Fremden, der von London nach Edinburg reist, +sehr natürlich, ehe er ausreiset, zu fragen, wieviel Meilen es bis York +ist. Welches ungefähr die Hälfte des Weges ausmacht. Auch wundert sich +niemand darüber, wenn er in seinen Fragen fortfährt und sich nach der +Stadt, Einrichtung, den Zünften usw. erkundigt.</p> + +<p>Ebenso natürlich war es für Madame Wadmann, deren erster Ehemann +beständig das Hüftweh gehabt hatte, daß sie zu erfahren wünschte, wie +weit es von der Hüfte bis zum Latzbeine sei. Und wieviel sie ungefähr +mehr oder weniger, als Frau, in ihrem Gemüte, von dem einen oder dem +anderen Falle zu leiden haben möchte.</p> + +<p>Sie hatte also Drakes Anatomie von einem Ende zum andern durchgelesen.</p> + +<p>Sie hatte gleichfalls mit ihrem eigenen Verstande darüber +philosophiert, Theorema festgesetzt, Folgerungen daraus gezogen, und — +war zu keinem Schlusse gekommen.</p> + +<p>Um die Sache deutlich zu erfahren, hatte sie den Doktor Slop zweimal +gefragt, ob wohl der gute Kapitän Shandy jemals von seiner Wunde +hergestellt werden könnte.</p> + +<p>»Er ist hergestellt,« sagte Doktor Slop beidemal.</p> + +<p>»Wie, völlig?«</p> + +<p>»Völlig, Madame.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span></p> + +<p>»Aber was verstehen Sie unter der Herstellung eigentlich?« sagte Madame +Wadmann.</p> + +<p>Doktor Slop war der ärgste Stümper unter der Sonne im Definieren. Also +konnte Madame Wadmann nicht erfahren, was sie wissen wollte. Kurz, es +gab keinen Weg, es herauszubringen, sie würde denn meinen Onkel Toby +selbst fragen.</p> + +<p>Es gibt bei Erkundigungen dieser Art einen so menschenfreundlichen +Ton, der den Verdacht in Schlaf singt. — Und halb bin ich überzeugt, +die Schlange in ihrem Gespräche mit Mutter Eva mußte ihm ziemlich +nahekommen. Denn die weibliche Neigung, sich betrügen zu lassen, konnte +doch so stark nicht sein, daß sie sonst so verwegen gewesen sein würde, +mit dem Teufel selbst zu kosen. Aber es gibt einen menschenfreundlichen +Ton, wie soll ich ihn beschreiben? — Es ist ein Ton, der die Wahrheit +mit einem Gewande bedeckt und dem Frager ein Recht gibt, ebenso +unanständig darüber zu sein wie Ihr Wundarzt.</p> + +<p>»War es ohne alle Gnade?</p> + +<p>»War es erträglicher im Bette?</p> + +<p>»Konnte er dabei auf beiden Seiten gleich gut liegen?</p> + +<p>»Konnte er dabei noch zu Pferde sitzen?</p> + +<p>»War die Bewegung dabei schädlich? usf.« wurden so zärtlich +ausgesprochen und dergestalt auf meines Onkels Toby Herz gerichtet, daß +jedes Item davon zehnmal tiefer in dasselbe sank, als die Schmerzen +selbst. — Als aber Madame rund um Namur herumging, um an meines Onkels +Toby Wunde am Latzbeine zu gelangen, und ihn dahin brachte, die Spitze +der äußersten Konterskarpe zu attackieren, pelemele mit den Holländern, +mit dem Degen in der Faust, die Kontergarde St. Roch einzunehmen — +und alsdann mit rührenden Tönen sein Ohr erfüllte, ihn blutend bei der +Hand nahm und aus der Schußlinie führte, sich ihre Augen wischte, als +er in<span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span> sein Zelt getragen wurde — Himmel! Erde! See! — alles ward +emporgerichtet. — Die Quellen der Natur stiegen über ihre natürliche +Höhe hinauf. — Ein Engel des Mitleids saß ihm zur Seite auf dem Sofa. +Sein Herz glühte von Feuer. Und hätte er tausend Herzen gehabt, er +hätte sie alle an Madame Wadmann verloren.</p> + +<p>»Und in welcher Gegend, lieber Herr Kapitän,« fragte Madame Wadmann +ein wenig aufdringlich, »empfingen Sie diese häßliche Wunde?« — Als +sie diese Frage tat, warf Madame Wadmann einen Seitenblick auf den +Hüftengurt von meines Onkels Toby rotplüschenen Beinkleidern, indem sie +natürlicherweise als die kürzeste Antwort erwartete, mein Onkel Toby +würde seinen Zeigefinger auf die Stelle legen. — Es fiel anders aus. +Denn, da mein Onkel Toby seine Wunde vor dem St. Nikolaustore bekommen +hatte, in einer von den Traversen der vorspringenden Spitze der halben +Bastion Sankt Roch gegenüber, so konnte er allemal eine Nadel auf +die eigentliche Stelle stecken, wo er stand, als ihn der Stein traf. +Dieses traf augenblicklich meines Onkels Toby Sensorium. Und zugleich +damit die große Karte von der Stadt und Zitadelle von Namur und ihren +Gegenden, welche er sich gekauft und mit Hilfe des Korporals während +seiner langwierigen Krankheit auf ein Brett geklebt hatte. Sie hatte +seitdem beständig mit anderem militärischen Poltergeräte in einer +Dachkammer gelegen, und also ward der Korporal dahin detachiert, sie +herzuholen.</p> + +<p>Mein Onkel Toby maß mit Madame Wadmanns Scheren dreißig Ruten ab, von +der äußersten Spitze vor dem St. Nikolaustore, und legte mit einer +so jüngferlichen Bescheidenheit ihren Finger auf die Stelle, daß die +Göttin der Wohlanständigkeit, wenn sie damals vorhanden — wo nicht, +so war's ihr Schatten —, ihren Kopf schüttelte und indem<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> sie mit +einem Finger vor ihren Augen hin und her fuhr, ihr verbot, den Irrtum +aufzudecken.</p> + +<p>Unglückliche Madame Wadmann! —</p> + +<p>Denn durch nichts kann ich diesem Kapitel ein lebhaftes Ende geben, +wie durch eine Apostrophe an dich! — Aber mein Herz sagt mir, daß in +einer so kritischen Lage eine Apostrophe nur ein verstecktes Höhnen +sei, und lieber, ehe ich ein in Nöten steckendes Frauenzimmer verhöhnen +wollte, laß das Kapitel dahinfahren zum Meister Hämmerling! Wenn sich +nur ein verdammter Kunstrichter in Lohn und Brot die Mühe geben will, +es mitzunehmen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_141"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Meines Onkels Toby Karte wird hinunter in die Küche genommen.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_142"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hunderteinundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Und hier ist die Maas — und hier die Sambre,« sagte der Korporal und +wies mit seiner etwas ausgestreckten rechten Hand auf die Karte und +hatte die linke auf Brigittens Schulter. Aber nicht auf der Schulter, +die ihm zunächst. — »Und dies,« sagte er, »ist die Stadt Namur. +— Und dies die Zitadelle. Und hier liegen die Franzosen. Und hier +liegt mein Herr und ich. Und in diesem verdammten Graben,« sagte der +Korporal und faßte sie bei der Hand, »bekam er die Wunde, welche ihn +so jämmerlich zerquetschte: hier.« Und so wie er das sagte, drückte er +ihre auswendige Hand an die Stelle — und ließ sie fallen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span></p> + +<p>»Wir dachten, Herr Trim, es wäre mehr nach der Mitte hin gewesen,« +sagte Jungfer Brigitte. —</p> + +<p>»Das hätte uns unser Lebtage unglücklich gemacht,« sagte der Korporal.</p> + +<p>»Und hätte meine Madame auch eine unglückliche Frau bleiben lassen,« +sagte Brigitte.</p> + +<p>Der Korporal versetzte nichts anderes auf diese Antwort, als daß er +Brigitten einen Kuß gab.</p> + +<p>»Komm, komm,« sagte Brigitte und hielt das Auswendige ihrer rechten +Hand in der Fläche des Horizonts und wischte mit den Fingern der +anderen Hand darüber hin. Was nicht hätte geschehen können, wäre nur +die geringste Warze oder Minderung im Wege gewesen. »Wort für Wort eine +Unwahrheit,« rief der Korporal, ehe sie noch halb ausgeredet hatte.</p> + +<p>»Ich weiß aber,« sagte Brigitte, »von glaubwürdigen Leuten, daß es die +Wahrheit ist.«</p> + +<p>»Auf meine Ehre,« sagte der Korporal und legte seine Hand aufs Herz und +ward, indem er sprach, vor edlem Zorne rot. »Es ist eine Erdichtung, +Jungfer Brigitte, so falsch wie die Hölle.« — »Nicht,« sagte Brigitte +und fiel ihm in die Rede, »daß ich oder meine Madame uns das geringste +daraus machten, ob es so ist oder nicht. Nur soviel, wenn man sich +verheiratet, so gehört es denn doch ein bißchen mit dazu.«</p> + +<p>Es war ein wenig unglücklich für Jungfer Brigitte, daß sie den Angriff +mit ihren Handgriffen begonnen hatte, denn der Korporal augenblicklich +— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — — — — — — +— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — —— — — — — — — — — — </p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_143"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span></p> + +<h2>Hundertzweiundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Es war das kurz vorübergehende Streiten in den nassen Augenlidern eines +Aprilmorgens: »Ob Brigitte lachen oder weinen sollte.«</p> + +<p>Sie ergriff ein Mangelholz. — Es war zehn gegen eins, sie hätte +gelacht —</p> + +<p>Sie legte solches nieder — sie weinte; und hätte nur eine Zähre nach +Bitterkeit geschmeckt, das Herz des Korporals würde voll Bekümmernis +gewesen sein, daß er das Argument gebraucht hatte. Allein der Korporal +verstand sich wenigstens um eine Quarte besser als mein Onkel Toby aufs +Frauenzimmer. Demzufolge bestürmte er Jungfer Brigitte auf diese Manier.</p> + +<p>»Ich weiß, Jungfer Brigitte,« sagte der Korporal und gab ihr einen +sehr ehrerbietigen Kuß, »daß du von Natur gut und bescheiden und +obendrein ein so großmütiges Mädchen bist, daß du, wenn ich dich recht +kenne, keinem Wurm etwas zuleide tun und noch weniger einen so braven +und würdigen Mann an seiner Ehre kränken wolltest, wie mein Kapitän +ist, und wollte dich dafür zur Gräfin machen. Aber man hat dir was +weisgemacht und dich betrogen, liebste Brigitte, wie es einem Mädchen +oft geht, mehr um anderen einen Gefallen zu tun als sich selbst.«</p> + +<p>Brigitten träufelten die Tränen aus den Augen über die Empfindungen, +die der Korporal in ihr erregte.</p> + +<p>»Sage mir, — sag' mir also, meine liebste Brigitte,« fuhr der +Korporal fort, wobei er sie an der Hand faßte, welche ihr an der Seite +niederhing und ihr einen zweiten Kuß gab, »wessen Argwohn hat dich +verführet?«</p> + +<p>Brigitte schluchzte ein paarmal und tat darauf die Augen auf. Der +Korporal trocknete sie mit dem Zipfel ihrer Schürze. Sie tat alsdann +ihr Herz auf und erzählte ihm alles.<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span></p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_144"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<h2>Hundertdreiundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Mein Onkel Toby und der Korporal hatten den größten Teil der Kampagne +ihrer Operation getrennt fortgesetzt. Es war zwischen ihnen die +Kommunikation aller Nachrichten von dem, was der eine oder andere getan +hatte, so rein abgeschnitten, als ob sie durch die Maas und Sambre +voneinander getrennt gewesen wären.</p> + +<p>Mein Onkel Toby seinerseits war jeden Nachmittag in seinem roten Kleide +mit Silber oder wechselweise mit seinem blauen mit Golde ausgerückt und +hatte darin eine unendliche Menge Attacken ausgehalten, ohne überhaupt +zu wissen, daß es Attacken gewesen, und hatte also nichts zu berichten.</p> + +<p>Der Korporal seinerseits, indem er Brigitten genommen, hatte große +Vorteile dadurch gewonnen und hatte also viel zu berichten. Worin aber +die Vorteile bestanden, sowie die Art und Weise, wodurch er solche +gewonnen, erforderten einen so geschickten Historiker, daß der Korporal +es nicht wagen durfte, sich damit abzugeben. So empfindlich er auch +gegen die Ehre war, so hätte er doch lieber sein ganzes Leben hindurch +mit unbekränzter Glatze gehen als seines Herrn Züchtigkeit nur auf +einen Augenblick Gewalt antun mögen.</p> + +<p>Bester unter allen redlichen und treuen Knechten! — Doch, ich habe +dich, Trim! bereits einmal vorher apostrophiert. — Und könnte ich dich +auch apotheosieren — in guter Gesellschaft, meine ich — ich täte es +ohne Zeremonien, gleich auf folgender Seite.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_145"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span></p> + +<h2>Hundertvierundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Nun hatte mein Onkel Toby eines Abends seine Pfeife auf den Tisch +niedergelegt und zählte in Gedanken an seinen Fingern — beim Daumen +anfangend — Madame Wadmanns Vollkommenheiten her. Eine nach der +andern: und da es ihm zwei- oder dreimal begegnet war, entweder, +weil er eine oder die andere ausgelassen, oder die andere zweimal +gezählt, daß er sich jämmerlich verrechnete, ehe er noch bis zu seinem +Mittelfinger kam. — »Hör' Er, Trim,« sagte er und nahm seine Pfeife +wieder auf, »bring' Er mir Tinte und Feder.« Trim brachte Papier dazu.</p> + +<p>»Nehme Er einen Bogen, Trim,« sagte mein Onkel Toby und gab ihm +zugleich ein Zeichen mit seiner Pfeife, daß er einen Stuhl nehmen und +sich zu ihm an den Tisch niedersetzen sollte. Der Korporal gehorchte, +legte das Papier gerade vor sich nieder, nahm eine Feder und tunkte +solche in die Tinte.</p> + +<p>»Sie besitzt tausend Tugenden, Trim!« sagte mein Onkel Toby.</p> + +<p>»Soll ich die aufschreiben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen?« fragte der +Korporal.</p> + +<p>»Sie müssen aber nach ihrem Range gestellt werden,« erwiderte mein +Onkel Toby. »Denn, Trim, die, welche mich vor allen anderen am +meisten einnimmt und welche mir Bürge für alle übrigen wird, ist +ihr mitleidiges Gemüt und die ganz ausnehmende Menschlichkeit ihres +Charakters. — Ich beteure es,« fügte mein Onkel Toby hinzu und +sah dabei, wie er es beteuerte, oben nach der Gipsdecke, »wäre ich +tausendmal ihr Bruder, Trim, sie könnte sich nicht mehr und zärtlicher +nach meinem Leiden erkundigen, ob solche gleich vorüber sind.«</p> + +<p>Der Korporal tat keine andere Widerrede gegen meines Onkels Toby +Beteuerung als einen kurzen Husten. Er tunkte<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> die Feder zum zweitenmal +ein. Und mein Onkel Toby zeigte mit dem Ende seiner Pfeife so dicht an +den obersten Rand des Bogens auf der linken Ecke, als er nur konnte. — +Und der Korporal schrieb dahin das Wort:</p> + +<p>»Menschlichkeit« — — — — — — — — — — — —— — — — — —— — — — — —— — — — — —</p> +<p>— wie hier.</p> + +<p>»Sag' Er mir doch, Korporal,« sagte mein Onkel Toby, sobald als Trim es +getan hatte — »wie oft erkundigt sich wohl Seine Brigitte nach Seiner +Wunde an Seiner Kniescheibe, die Er in der Schlacht bei Landen empfing?«</p> + +<p>»Sie erkundigt sich, mit Euer Gnaden Wohlnehmen, gar niemals danach.«</p> + +<p>»Das, Korporal,« sagte mein Onkel Toby mit allem Triumphe, den ihm die +Güte seines Herzens erlaubte, »das zeigt den Unterschied im Charakter +der Herrschaft und des Kammermädchens. Hätte das Kriegsglück mich +ebenden Unfall betreffen lassen, so würde Madame Wadmann sich nach +allen Umständen dabei wohl hundertmal erkundigt haben.« — »Sie würde +sich zehnmal so oft nach Euer Gnaden Wunde am Latzbein erkundigt +haben.« — »Der Schmerz ist gleich unausstehlich, Trim. Und das +Mitleiden nimmt ebensoviel Anteil an der einen Wunde wie an der andern.«</p> + +<p>»Der liebe Gott vergelt's Euer Gnaden!« rief der Korporal. — »Was hat +denn das Mitleid eines Frauenzimmers mit der Wunde eines Mannes an +seiner Kniescheibe zu schaffen? Wäre Euer Gnaden Kniescheibe in der +Schlacht bei Landen in hunderttausend Splitter zerschossen, Madame +Wadmann würde sich den Kopf ebensowenig darüber zerbrochen haben wie +Brigitte. Und zwar weil,« setzte der Korporal hinzu, indem er leiser, +obgleich ganz vernehmlich sprach, als er seinen Grund anführte. —</p> + +<p>»Weil das Knie soweit von dem Hauptwerke abliegt,<span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span> dahingegen, wie Euer +Gnaden wissen, das Latzbein dicht an der Kurtine des Ortes liegt.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby pfiff eine lange Note, aber so leise, daß man es kaum +über den Tisch hinüber hören konnte.</p> + +<p>Der Korporal war zu weit gegangen, um zurückzuziehen. Er sagte das +Übrige in drei Worten.</p> + +<p>Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so leise auf den Kaminrost, als ob +sie aus den ausgefaserten Fäden eines Spinnengewebes gesponnen gewesen.</p> + +<p>»Laß uns nach meines Bruders Shandy Hause gehen,« sagte er.</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<h2>Hundertfünfundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>Wir werden gerade soviel Zeit haben unterdessen, daß mein Onkel Toby +und Trim nach meines Vaters Hause gehen, Ihnen zu berichten, daß Madame +Wadmann einige Monate vorher, ehe dieses vorging, meine Mutter zur +Vertrauten gemacht hatte, und daß Jungfer Brigitte, die sowohl ihre +eigene Bürde zu tragen hatte als die Bürde des Geheimnisses ihrer +Herrschaft, sich von beiden gegen die Susanna hinter der Gartenmauer +glücklich entladen hatte.</p> + +<p>Was meine Mutter anbetrifft, so sah die gar nichts in der ganzen Sache, +worüber Aufhebens zu machen gewesen.</p> + +<p>Allein Susanna war alleine genug, ein Familiengeheimnis auszubringen. +Denn sie teilte es augenblicklich dem Jonathan durch Zeichen mit. Und +Jonathan sagte es der Köchin, als sie eine Hammelkeule am Feuer begoß. +Die Köchin verkaufte es mit etwas Bratenfett für einen Dreier an den +Postillon, der es mit dem Milchmädchen um etwas von ebendem Werte +umstutzte. Und obgleich es auf dem Heuschober geflüstert wurde, hatte +doch die Fama die Noten mit ihrer<span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span> ehernen Trompete aufgefaßt und vom +Giebel des Hauses umhergeblasen. — Mit einem Worte, es war im ganzen +Dorfe oder fünf Meilen in der Runde kein altes Weib, die nicht gewußt, +warum es mit meines Onkels Toby Belagerung so langsam zuginge, und +welches die geheimen Artikel wären, die die Übergabe verzögerten.</p> + +<p>Mein Vater, dessen Gewohnheit es war, jede Begebenheit in der Welt zu +einer Hypothese zu zwängen, wodurch kein Mensch der Wahrheit einen +solchen Drang antat wie er, hatte eben das Gerücht vernommen, als +mein Onkel Toby ausging. Und da er über die Beleidigung, die seinem +Bruder dadurch widerfuhr, plötzlich Feuer fing, war er dabei, dem Herrn +Yorick, ungeachtet meine Mutter dabeisaß, zu demonstrieren, nicht nur, +daß der Satan in den Weibern stecke, sondern daß jedes Übel und jede +Unordnung in der Welt, sie habe Namen, wie sie wolle, vom ersten Falle +Adams bis hinab zu meines Onkels Toby seinem — inklusive — auf eine +oder die andere Art diesem zügellosen Wesen zuzuschreiben sei.</p> + +<p>Yorick stand eben im Begriff, meines Vaters Hypothese ein wenig zu +mäßigen, als mein Onkel Toby mit Zeichen unendlicher Gutherzigkeit +und Verzeihung in seinen Blicken ins Zimmer trat und meines Vaters +Beredsamkeit gegen die Leidenschaft von neuem anfachte. Und da er eben +nicht sehr sanft in der Wahl seiner Worte war, wenn er im Eifer redete, +so brach er, sobald mein Onkel Toby sich ans Feuer gesetzt und seine +Pfeife gefüllt hatte, folgendergestalt los:</p> + +<figure class="figcenter illowe4 padtop2" id="deco_147"> + <img class="w100" src="images/deco.jpg" alt="deco"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span></p> + +<h2>Hundertsechsundvierzigstes Kapitel.</h2> +</div> + + +<p>»Daß für die Erhaltung eines so großen, erhabenen und göttlichen +Wesens, wie der Mensch ist, Anstalten und Vorkehrungen gemacht werden +müssen, das bin ich sehr entfernt zu leugnen. Die Philosophie aber +sagt von jeder Sache ihre Meinung frei heraus. Und deswegen denke +und behaupte ich, es sei ein Jammer, daß es durch eine Leidenschaft +geschehen sollte, welche die Seelenkräfte nieder- und alle Weisheit, +Betrachtungen und Wirkungen der Seele zurückhält. — Eine Leidenschaft, +mein Schatz,« fuhr mein Vater fort und wendete sich an meine Mutter, +»welche den Weisen mit den Törichten zusammen paaret und sie gleich +macht, und uns aus unseren Höhlen und Schlupfwinkeln mehr als Satire +und vierfüßige Tiere hervorgehen läßt, denn als Menschen.</p> + +<p>»Ich weiß es, daß man sagen wird,« fuhr mein Vater fort, »daß sie, an +sich selbst und ohne Nebenabsicht betrachtet, so gut wie Hunger, Durst +oder Schlaf eine Sache sei, die weder gut noch böse, noch schändlich +oder dergleichen sei. — Warum denn aber sträubte sich die Delikatesse +des Diogenes und Platos so heftig dagegen? Und warum löschen wir, wenn +wir darauf denken, einen Menschen zu pflanzen, das Licht aus? Und aus +was für Ursache ist es, daß alles Dahingehörige — die Zurüstungen — +die Werkzeuge und was nur dabei erforderlich ist, als Sachen angesehen +werden, die man keinem reinen Gemüte durch Sprache, Übersetzung oder +Umschreibung von irgendeiner Art verständlich machen dürfe? —</p> + +<p>»Die Handlung, einen Menschen zu töten oder zu vernichten,« fuhr mein +Vater fort und erhub seine Stimme, wobei er sich an meinen Onkel Toby +wendete, »ist, wie du siehst, rühmlich. Und die Waffen, womit wir +sie verrichten, sind ehrenvoll. Wir marschieren damit auf unseren +Schultern, wir prunken damit an unseren Hüften, wir vergolden sie,<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> wir +schnitzeln sie, wir legen sie aus, wir besetzen sie mit Edelsteinen. +Ja, wenn's auch nur eine lumpige Kanone ist, so gießen wir einen Zierat +auf ihre Traube.«</p> + +<p>Mein Onkel Toby legte seine Pfeife nieder, um für ein besseres Beiwort +zu bitten. Und Yorick machte sich fertig, die ganze Hypothese über den +Haufen zu kanonieren. —</p> + +<p>Als Obadiah mitten ins Zimmer mit einer Klage hereinbrach, die um ein +unmittelbares Gehör schrie.</p> + +<p>Die Sache war diese:</p> + +<p>Mein Vater war, entweder nach einer lang hergebrachten Gewohnheit oder +als Inhaber des großen Zehntens verpflichtet, einen Bullen für die +Gemeinde zu halten, und Obadiah hatte den vorigen Sommer eines Tages +seine Kuh zu einem kurzen Morgenbesuche zu ihm geführt. Ich sage, eines +Tages, weil es der Zufall so mit sich brachte, daß es an ebendem Tage +war, an welchem er mit meines Vaters Hausmagd verheiratet wurde. So +daß die Rechnungen von einer Zeit an liefen. Deshalb also, da Obadiahs +Ehefrau niederkam, dankte Obadiah Gott.</p> + +<p>»Nun,« sagte Obadiah, »krieg' ich auch ein Kalb.« Und Obadiah ging +täglich hin, nach seiner Kuh zu sehen.</p> + +<p>»Sie wird den Montag kalben, oder Dienstag, oder Mittwoch spätestens.«</p> + +<p>Die Kuh kalbte nicht. »Nein, vor künftiger Woche wird sie nicht +kalben.« — Die Kuh schob es entsetzlich lang auf. Bis am Ende der +sechs Wochen Obadiahs Verdacht — wie der Verdacht eines guten Mannes +— auf den Bullen fiel.</p> + +<p>Nun war die Gemeinde sehr stark, und meines Vaters Bulle, die Wahrheit +von ihm zu sagen, seinem Geschäft gar nicht gewachsen, er hatte sich +aber, auf eine oder die andere Art in die Bedienung geschlichen. — +Und weil er seine Sache mit einem steifen Amtsgesichte verrichtete, so +hatte mein Vater eine hohe Meinung von seinen Fähigkeiten gefaßt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span></p> + +<p>»Die meisten Hauswirte glauben, mit Euer Gnaden Wohlnehmen,« sagte +Obadiah, »daß die Schuld an dem Bullen liegt.« —</p> + +<p>»Aber kann nicht auch eine Kuh unfruchtbar sein?« erwiderte mein Vater +und wendete sich an den Doktor Slop.</p> + +<p>»Das kommt nicht vor,« sagte Doktor Slop. »Aber Obadiah seine Frau kann +sehr leicht zu früh gekommen sein. Sage Er doch, hat das Kind Haare auf +seinem Kopfe?« setzte Doktor Slop hinzu. —</p> + +<p>»Es ist ebenso haarig, wie ich selbst,« sagte Obadiah.</p> + +<p>Obadiah war in drei Wochen nicht barbiert worden. — »Hu—u—u!« rief +mein Vater, und begann seine Rede mit einer pfeifenden Ausrufung: »da +haben wir's, Bruder Toby! Da könnte mein armer Bulle, der so gut ist, +wie ein Bulle bei Kühen sein kann und in züchtigeren Zeiten für die +Europa selbst gut genug gewesen wäre, ginge er nur auf zwei Beinen, +vors Ehegericht geschleppt werden und seinen guten Namen einbüßen. +Welcher für einen Dorfbullen, Bruder Toby, ebensoviel wert ist wie das +Leben.«</p> + +<p>»Du liebe Zeit,« sagte meine Mutter, »worüber macht ihr denn solchen +Lärm?«</p> + +<p>»Sie geißeln den toten Hahn, weil die Henne ein Windei gelegt hat,« +sagte Yorick. Es war ein hübsches Geschichtchen!</p> + +<figure class="figcenter padtop2 illowe11" id="p3030_deco_2"> + <img class="w100" src="images/p3030_deco.jpg" alt=""> +</figure> + +<figure class="figcenter padtop2 illowe15" id="p3040_deco"> + <img class="w100" src="images/p3040_deco.jpg" alt=""> +</figure> + +<hr class="full x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> + +<p class="s2 center">Die Bücher des Deutschen Hauses</p> +</div> + +<p class="center p2">Herausgegeben von <em class="gesperrt">Rudolf Presber</em>.</p> + +<hr class="r5"> + +<p class="center">In gleicher Ausstattung gelangen zur Ausgabe:</p> + +<p class="mleft10 p2"> I. <em class="gesperrt">Reihe</em>: Buch 1 - 25,</p> +<p class="mleft10">II. <em class="gesperrt">Reihe</em>: Buch 26 - 50.</p> + +<div class="eng"> +<div class="list-container"> + +<ol class="buecher"> + +<li><em class="gesperrt">Goethe</em>: Die Leiden des jungen Werther.</li> + +<li><em class="gesperrt">Otto Ludwig</em>: Zwischen Himmel und Erde.</li> + +<li><em class="gesperrt">E. T. A. Hoffmann</em>: Die Elixiere des Teufels.</li> + +<li><em class="gesperrt">Friedrich Spielhagen</em>: Deutsche Pioniere.</li> + +<li><em class="gesperrt">Zschokke</em>: Hans Dampf. Kleine Ursachen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Max Kretzer</em>: Die Sphinx in Trauer.</li> + +<li><em class="gesperrt">Thackeray</em>: Der Diamant.</li> + +<li><em class="gesperrt">Balzac</em>: Die Frau von dreißig Jahren.</li> + +<li><em class="gesperrt">Brüder Grimm</em>: Märchen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Dickens</em>: Weihnachtserzählungen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Nicolai</em>: Zur Neujahrszeit.</li> + +<li><em class="gesperrt">Tolstoi</em>: Die Kosaken.</li> + +<li><em class="gesperrt">Karl Grunert</em>: Der Marsspion.</li> + +<li><em class="gesperrt">Spanische Novellen.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Hans Hauptmann</em>: Auf tönernen Füßen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Henri Murger</em>: Bohême.</li> + +<li><em class="gesperrt">Deutscher Humor.</em>: 1. Band.</li> + +<li><em class="gesperrt">Björnson</em>: Synöve Solbakken.</li> + +<li><em class="gesperrt">Jean Paul</em>: <em class="antiqua">Dr.</em> Katzenbergers Badereise.</li> + +<li><em class="gesperrt">Gespensternovellen.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Canter</em>: Fahrendes Volk.</li> + +<li><em class="gesperrt">Gerstäcker</em>: Die Flußpiraten. 1. Bd.</li> + +<li><em class="gesperrt">Gerstäcker</em>: Die Flußpiraten. 2. Bd.</li> + +<li><em class="gesperrt">Deutscher Humor</em>: 2. Band.</li> + +<li><em class="gesperrt">Puschkin</em>: Pique Dame.</li> + +<li><em class="gesperrt">Heinrich von Kleist</em>: Novellen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Levin Schücking</em>: Agathens Geheimnis.</li> + +<li><em class="gesperrt">Walter Harlan</em>: Die Dichterbörse.</li> + +<li><em class="gesperrt">Karl Immermann</em>: Der Oberhof.</li> + +<li><em class="gesperrt">Gogol</em>: Novellen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Friedrich von Oppeln-Bronikowski</em>: Der Rebell.</li> + +<li><em class="gesperrt">Charles Dickens</em>: Klein Dorrit <em class="antiqua">I.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Charles Dickens</em>: Klein Dorrit <em class="antiqua">II.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Richard Nordhausen</em>: Die rote Tinktur.</li> + +<li><em class="gesperrt">Guy de Maupassant</em>: Novellen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Ed. A. Poe</em>: Die denkwürdigen Erlebnisse des A. G. Pym.</li> + +<li><em class="gesperrt">Margarete Wolff-Meder</em>: In den Sielen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Arthur Achleitner</em>: Geschichten aus den deutschen Alpen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Sterne</em>: Tristram Shandy.</li> + +<li><em class="gesperrt">Max Bittrich</em>: Spreewaldgeschichten.</li> + +<li><em class="gesperrt">Cervantes</em>: Don Quixote <em class="antiqua">I.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Cervantes</em>: Don Quixote <em class="antiqua">II.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Hermann Heiberg</em>: Fluch der Schönheit.</li> + +<li><em class="gesperrt">Joseph von Eichendorff</em>: Aus dem Leben eines Taugenichts.</li> + +<li><em class="gesperrt">Léon de Tinseau</em>: Der Mitgiftjäger.</li> + +<li><em class="gesperrt">Max Nordau</em>: Zur linken Hand <em class="antiqua">I.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Max Nordau</em>: Zur linken Hand <em class="antiqua">II.</em></li> + +<li><em class="gesperrt">Verga</em>: Novellen.</li> + +<li><em class="gesperrt">Emil Zola</em>: Ein Blättlein Liebe.</li> + +<li><em class="gesperrt">Fritz Reuter</em>: Ut mine Stromtid.</li> +</ol> +</div> +</div> + +<p class="s3 center mbot2">Jeder Band 75 Pfg. — 1 Krone — 1 Frc.</p> + + + + + +<div class="footnotes"><h3>Fußnoten:</h3> + +<div class="footnote"> + +<p><a id="Fussnote_1" href="#FNAnker_1" class="label">[1]</a> Mein Vater wollte niemals einwilligen, dies Buch +drucken zu lassen; es befindet sich nebst einigen andern von seinen +Abhandlungen im Manuskript bei der Familie, welche alle, oder doch +größtenteils, zu seiner Zeit gedruckt werden sollen.</p> + +</div> + +<div class="footnote"> + +<p><a id="Fussnote_2" href="#FNAnker_2" class="label">[2]</a> »Dieses soll meines Vaters Leben des Sokrates usw. mit +beigedruckt werden.«</p> + +</div> + +<div class="footnote"> + +<p><a id="Fussnote_3" href="#FNAnker_3" class="label">[3]</a> Er hatte in der Schlacht bei Lepanto eine Hand verloren.</p> + +</div> +</div> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 76593 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/76593-h/images/chapter_deco.jpg b/76593-h/images/chapter_deco.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..a81a876 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/chapter_deco.jpg diff --git a/76593-h/images/cover.jpg b/76593-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..e0d319b --- /dev/null +++ b/76593-h/images/cover.jpg diff --git a/76593-h/images/deco.jpg b/76593-h/images/deco.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..38429c0 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/deco.jpg diff --git a/76593-h/images/p0020_title.jpg b/76593-h/images/p0020_title.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..f53b19c --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p0020_title.jpg diff --git a/76593-h/images/p0030_title.jpg b/76593-h/images/p0030_title.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..38a4ce0 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p0030_title.jpg diff --git a/76593-h/images/p0801_ill.jpg b/76593-h/images/p0801_ill.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..86ebf81 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p0801_ill.jpg diff --git a/76593-h/images/p1281_ill.jpg b/76593-h/images/p1281_ill.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..76d4af5 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p1281_ill.jpg diff --git a/76593-h/images/p1441_ill.jpg b/76593-h/images/p1441_ill.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..420e08e --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p1441_ill.jpg diff --git a/76593-h/images/p2561_ill.jpg b/76593-h/images/p2561_ill.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..fe53a4e --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p2561_ill.jpg diff --git a/76593-h/images/p2720_ill.jpg b/76593-h/images/p2720_ill.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..fa329a4 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p2720_ill.jpg diff --git a/76593-h/images/p3030_deco.jpg b/76593-h/images/p3030_deco.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..cc51ef8 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p3030_deco.jpg diff --git a/76593-h/images/p3040_deco.jpg b/76593-h/images/p3040_deco.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..934ae6f --- /dev/null +++ b/76593-h/images/p3040_deco.jpg diff --git a/76593-h/images/signet.jpg b/76593-h/images/signet.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..0d82890 --- /dev/null +++ b/76593-h/images/signet.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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