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authornfenwick <nfenwick@pglaf.org>2025-03-09 11:21:03 -0700
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--- /dev/null
+++ b/75568-0.txt
@@ -0,0 +1,8968 @@
+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 ***
+
+
+
+=======================================================================
+
+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+as Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurde übernommen; offensichtliche Druckfehler sind
+stillschweigend korrigiert worden.
+
+Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~.
+
+Die Verlagswerbung ist an das Ende des Textes verlegt worden.
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+=======================================================================
+
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+ Franz Schuberts
+ Lebenslied
+
+
+
+
+ Joseph Aug. Lux
+
+
+ Franz Schuberts
+ Lebenslied
+
+
+ Ein
+ Roman
+ der
+ Freundschaft
+
+
+ Sechzehntes bis zwanzigstes Tausend
+
+ Grethlein & Co. G. m. b. H. in Leipzig
+
+
+
+
+ Alle Rechte, insbesondere
+ das der Übersetzung in fremde Sprachen,
+ von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten
+
+ Copyright 1915 by Grethlein & Co. in Leipzig
+ Druck von August Pries
+ in Leipzig
+
+
+
+
+ Vorwort
+
+
+Das bringt die Zeit mit sich:
+
+Wir wollen uns auf unser eigenes Wesen besinnen, um unser Selbst uns
+und den andern zu erklären.
+
+Österreichisches Wesen.
+
+Das will dieser Schubert-Roman. Denn Schubert, das ist das
+Allerösterreichischste.
+
+Also will das Buch die innerste Natur des Österreichertums erschließen
+und den durch äußere Verhältnisse und Veranlagung geschaffenen
+eigentümlichen Seelenzustand des österreichischen Genius darstellen,
+der treffend als österreichische Seelenwundheit bezeichnet wurde.
+
+Zugleich aber will es der bisher noch fehlende wirkliche Wiener
+Schubert-Roman sein, der den Genius frei von der ihm mit Unrecht oft
+angedichteten krankhaften Sentimentalität zeigt. Schubert war kein
+Sentimentalist und noch weniger war er ein Trunkenbold, wenngleich der
+von seinen Duzfreunden gelegentlich aufgebrachte neuerdings allzusehr
+betonte Spottname »Schwammerl« zu diesem Irrtum verführt, der doch
+einmal aus der Welt geschafft werden sollte.
+
+Als Leitgedanke dient mir, was Bauernfeld im Jahre 1857 schrieb: »Das
+äußere Leben Schuberts war übrigens äußerst einfach und trieb sich
+anfangs in den ärmlichen Verhältnissen eines Schullehrers, später
+eines österreichischen Genies herum, eines +exemplar unicum+
+hierzulande, welches, wenn sonst überall, besonders hier gegen Not
+und Dummheit anzukämpfen hatte. Sein inneres Leben mit Freunden und
+Gleichgesinnten bietet aber so wenig biographische Züge dar und ließe
+sich ~etwa nur in einer poetischen Schilderung darstellen~.
+Schubert war gewissermaßen eine Doppelnatur, die Wiener Heiterkeit mit
+einem Zug tiefer Melancholie verwebt und veredelt. Nach innen Poet war
+er und von außen eine Art Genußmensch, dem, persönlich nach der äußeren
+Erscheinung beurteilt, überdies der herkömmliche Geselligkeitsschliff
+fehlte, so daß mancher gebildete Alltagsgesell sich etwas weit Besseres
+dünken mochte als der ungehobelte Sänger der »Müllerlieder« und der
+»Winterreise««.
+
+Der biographischen Züge sind nicht so wenige, als Bauernfeld meint;
+aber sie sind nur äußerliche tote Bruchstücke, wenn sie nicht die Seele
+lebendig macht, die das wesentliche Stück ist, sowohl im Leben wie in
+der Dichtung.
+
+Bauernfeld gebraucht noch nicht das Wort »Seelenwundheit«, aber dem
+Sinn nach steckt es drinnen in der Mischung von Wiener Heiterkeit
+und der veredelnden Melancholie, daraus so tiefe und seelenvolle
+Schöpfungen entstanden sind.
+
+Die österreichische Seele und besonders meine Wiener Heimat zu
+erklären, habe ich schon früher in zahlreichen Werken unternommen,
+ich verweise auf meinen halb autobiographischen Jugendroman: »Der
+Narr vom Kahlenberg« (Amsel Gabesam) oder auf Grillparzers Liebesroman
+»Die Schwestern Fröhlich«; -- vielleicht darf im ferneren Zusammenhang
+auch meine Legendendichtung: »Chevalier Blaubarts Liebesgarten« hier
+noch mitgenannt werden. Doch tragen auch meine anderen Schriften
+diese eingeborene Tendenz, unser österreichisches Wesen recht
+verständlich zu machen. Schließlich ist alles in einem gewissen Sinne
+Selbstdarstellung, auch in scheinbar historischer Form.
+
+Das seelische Fluidum des alten Wien ist ja immer noch heimlich da, die
+Stimme des Genius loci, die fortklingt in den stillen Vorstadtgassen
+und ländlichen Orten am Fuß des Kahlenberges, in denselben Worten und
+Redewendungen, wie sie aus den überlieferten persönlichen Dokumenten
+der Schubertzeit hervortönen.
+
+Da draußen am Rande der Stadt, wo sich der traumhäuptige Wienerwald,
+das sonnige Weinland und die blaublickende Donau zu einem
+unausgesungenen Dreiklang vermählen, zu einer ~echt Schubertschen
+Weise~, liegt auf den Stirnen der schlicht vornehmen Häuser des
+schwindenden Alt-Wien manche kostbare Erinnerung.
+
+Sie waren mir seit jeher ein Lebendiges, diese
+
+
+ Denktafeln in Döbling.
+
+
+ Ich las, allwo die letzten Hütten stehen,
+ Auf Tafeln an den Häuschen, an den schlichten,
+ Von eurem Wohnen dort und eurem Dichten,
+ Grillparzer, Schubert, van Beethoven -- wehen
+
+
+ Fühlt' ich den Geisterhauch, der eure Nähen
+ Umschwebt; es steigt in lieblichen Gesichten
+ Das Bild von jener Zeit empor, der lichten,
+ Die eure Sonnen konnt' im Fenster sehen.
+
+ Ein stiller Weiheglanz ruht auf den Stätten,
+ Die als Vermächtnis wahren eure Spuren,
+ Armselig scheinen fast und tot dagegen
+
+ Die reichen Villen hinter Prachtstaketen,
+ Und schöner leuchten mir ringsum die Fluren,
+ Seit ich die Spuren sah von euren Wegen -- -- --
+
+
+ Joseph Aug. Lux.
+
+
+
+
+ I.
+
+
+ Die jungen Bengel sangen im Kirchenchor.
+
+Man konnte nur ihre Köpfe sehen, über der hohen Brüstung der Empore,
+dicke, kleine, runde Schädel, einer dicht neben dem anderen,
+braungelockt, schwarzgelockt, blondgelockt, rotwangig, pausbackig,
+aufgesperrte rote Mäuler, aus vollem Halse singend, jubelnd,
+schmetternd. Wie die himmlischen Heerscharen. Sängerknaben. So hat
+Luca della Robbia seine Singerlein geformt aus Lehm, in halb erhabener
+Arbeit, weißblau glasiert. -- Nein! So haben die frommen Bildschnitzer
+das Gotteshaus geschmückt, mit fleischfarbigen, pausbackigen,
+lockigen Engelsköpfen, die auf goldenen Flügeln über den Gesimsen und
+Pfeilern auftauchen, die roten Mündchen zum Singen aufgesperrt, oder
+das Fäustchen im behaglichen Hinlümmeln in das verschmierte Antlitz
+gestemmt, kleine, himmlische Flegel, in der Höhe ganz so anzusehen wie
+die plärrenden Sängerbuben auf der Empore, die aber nicht von Lehm und
+nicht von Holz sind, sondern richtig von Fleisch und Blut.
+
+Die Orgel plaudert gemütlich mit, brummbärig, drohend, polternd,
+dann wieder begütigend, zuredend, ermahnend; der Blasebalg ächzt und
+stöhnt asthmatisch, der Organist arbeitet mit Händen und Füßen,
+zieht alle Register auf, und jetzt legt die Stimme mit Donnergewalt
+los aus hundert Pfeifen, daß die Grundfesten erzittern, wie wenn der
+Herr im Zorn spricht und Schweigen gebietet. Aber stärker noch als
+dieses Donnern war der helle Sopran der Knabenstimmen, der durchdringt
+und in die Höhe schmettert, wie Lerchenjubel, höher und höher in
+die Himmelsbläue des Weltdomes, bis zum hohen C hinauf, klar und
+rein, daß selbst die Orgel schmunzelnd aufhorcht und gutmütig leise
+brummt, indessen von den unendlichen Höhen ein eherner Hagel von Tönen
+niederprasselt, als wollte sich dort oben eine Brust zersingen.
+
+Eine Stimme war es, nur eine, die diesen himmelblauen Lerchenstieg
+vermochte.
+
+».... Den hat's der liebe Gott gelehrt!« schmunzelte vergnügt Ruczizka,
+der Dirigent und Lehrer im Konvikt der Sängerknaben. »Verflixter Bub,
+dieser Schubert Franzl!«
+
+Der Schubert Franzl, das war der, der bis zum hohen C hinaufklettern
+konnte. Daran war er zunächst zu erkennen.
+
+»Den kann ich nichts lehren, der hat's vom lieben Gott gelernt!« hatte
+Ruczizka schon einmal früher gesagt.
+
+Das war damals, als der Herr Hofkapellmeister Salieri den Buben dabei
+erwischte, als er Noten hinkritzelte, wie sie ihm gerade in den Sinn
+kamen. Er war in dem kahlen Musikzimmer des Konvikts so in sein Sinnen
+und Kritzeln vertieft, daß er nicht merkte, wie der gewaltige Maestro
+hereinhuschte. Der war lautlos wie eine Katze, ein hurtiges, graues
+Männchen, das seine spitze Nase und seine flinken Äuglein überall
+hatte, wo es etwas zu erschleichen gab.
+
+Schwupp! flog das Blatt in die Höhe und schwebte in den Händen des
+alten Meisters. Da war jetzt nichts zu machen.
+
+»Sapristi! Wo hat Er das her? Selber gemacht?! Er, Er, Er -- alles aus
+diesem dummen, kleinen, dicken Bauernschädel? Malefizbub!«
+
+Schamrot stand der Kleine da vor dem fuchtelnden Italiener.
+
+»Hat Er noch andere Sachen? Wo, wo hat Er? Subito!«
+
+»Verbrennt!« stieß der eingeschüchterte kleine Kerl halb trotzig, halb
+zaghaft hervor.
+
+Darüber fing der Maestro zu strampeln an wie ein Polichinell.
+
+»Verbrennt,« pfauchte er, »Er, Er, Er -- dummer Esel!«
+
+Und warf wütend die Bücheln und Hefte auf dem Tisch durcheinander,
+unter denen beschriebene Notenblätter zum Vorschein kamen, die er
+hastig an sich riß.
+
+»Ecco!« kreischte er auf. Und schon schmiß er die Blätter wütend wieder
+hin, krebsrot im Gesicht.
+
+»Per bacco!« Sein Mund verzog sich, als wollte er ausspucken vor Ekel,
+er ballte die Fäuste und hielt sie bebend dem kleinen Franzl dicht
+unter die Nase, daß dem ganz himmelangst wurde.
+
+»Was hat Er da gemacht?! Wer hat Ihm erlaubt ...?! Er -- Malefiz --
+Malefiz --!«
+
+Zur Entschuldigung wollte das Singerlein sagen, daß es der Übung wegen
+diese kleine Paraphrase auf eine Sonate Mozarts gemacht hat, aber kaum
+war der Name des Unsterblichen seinem Munde entschlüpft, da hätte er
+das Wort gerne wieder zurückgezogen, so fürchterlich war die Wirkung
+auf den giftigen Maestro.
+
+Das Blatt schmiß er zur Erde, trampelte darauf herum, schrie und
+schimpfte auf Italienisch.
+
+Der Kleine ahnte nicht, wie es in der Welt zuging. Er wußte nicht, daß
+Salieri alles haßte, was mit Mozart irgendwie zusammenhing; er wußte
+nicht, daß er als Opernkomponist und Hauptvertreter der italienischen
+Richtung ein geschworener Feind der deutschen Musik war und vermeinte,
+sie in Mozart aufs Haupt schlagen zu können; er wußte nicht, daß
+die Sage umging, Salieri hätte den Schöpfer des Don Juan vergiftet;
+er konnte darum auch nicht wissen, daß die Legende einen wahren
+Kern hatte, denn vergiftet hatte Salieri als rücksichtsloser Gegner
+alle geistigen Brunnen, alle Seelen, alle Meinungen, er und seine
+Partei, die dem Genius Kränkung auf Kränkung bereitete und seinen Tod
+beschleunigen half.
+
+Nichts ahnte der Knabe, daß die Welt dem Auserwählten eine
+Märtyrerkrone bescherte. Er fühlte nur den schäumenden, perlenden
+Zaubertrank der Mozartschen Musik in seiner Seele und sah im Geiste
+den Genius als jungen Gott, vor dem sich die Menschheit in Ehrfurcht
+verneigt. So war es wohl gewesen auf Mozarts Reise nach Prag, aber
+nicht in Wien, wo er ein Verkaufter, Verratener, Verlassener, früh
+dahingerafft, ins Massengrab der Namenlosen sank. Das haben die Gegner
+getan. Und der Volksmund dichtete die Legende, Salieri habe ihn
+vergiftet .....
+
+Und nun fügte es das Schicksal, daß derselbe Geist der Verneinung
+und der Selbstsucht ein junges Genie ans Licht zog, das sein Talent
+an jenem großen Licht entzündete, das er so beharrlich zu verdunkeln
+bemüht war.
+
+»Ruczizka, Ruczizka!« gellte das giftige Männlein in die hallenden
+Gänge hinaus und schärfte dem dienstfertig Herbeigeeilten ein, indem
+er auf den wie ein armer Sünder dastehenden Franzl hinzeigte: »Fest in
+Corda nehmen! Kontrapunkt! Capisce?! Kontrapunkt?!«
+
+Mit glühenden Äuglein, heiserer Stimme und geballten Fäusten gab er
+diese Weisung und verschwand.
+
+War es Lohn oder Strafe? Das wußte der brave Franzl vorderhand
+selber nicht genau, man ist nicht wehleidig, als Zögling ist man es
+ja gewohnt, die Wohltaten wie eine Strafe zu empfangen, während die
+Strafen von den Erziehern mit einem Behagen verabreicht wurden, als
+wären sie Wohltaten.
+
+Jetzt wußte der wackere Böhme Ruczizka, daß er ein Genie unter seinen
+Händen hatte. War ihm früher gar nicht aufgefallen, obzwar der Junge
+seit drei, vier Jahren schon unter seiner Aufsicht stand -- wieso denn
+auch? Ist nicht seine Sache. Als Drillmeister tut man seine Pflicht,
+daß bei den Messen in der Hofkapelle die Soli und Chorpartien richtig
+und geschmackvoll ausgeführt werden und der Herr Hofkapellmeister
+zufrieden ist. Teufel auch, man tut eben seine Pflicht! Man hat sich
+doch um sonst nichts zu kümmern! Man kann doch nicht in jeden Bengel
+hineinsehen! Ist doch einer so ein Schmierfink wie der andere! Man hat
+sich nie weiter gekümmert und ist doch so immer am besten gefahren. Als
+braver Böhm' und Prügelprofoß.
+
+Also, Pflicht ist Pflicht -- man hat seine vorgeschriebenen Stunden
+-- wer mehr tut, ist ein Schuft. Und jetzt Kontrapunkt! Sakramentski,
+ceski heski Kupferstück! Da könnt' man doch gleich Junge kriegen --
+eine stehende Redensart Ruczizkas. Also gut, Kontrapunkt! Na wart',
+Schlingel, wirst dran fressen müssen! Ceski heski -- -- -- --
+
+Aber siehe da, alles geht überraschend leicht und schnell, und es kommt
+alsbald der Punkt, wo Ruczizka sich lächelnd eingesteht: Den kann ich
+nichts lehren, der hat's usw. ....
+
+So ähnlich hatte ein anderer vor ihm gesagt. Das war Schuberts Bruder
+Ignaz, der auf Vaters Geheiß dem Franz den ersten Musikunterricht
+gab. Es hatte aber nicht lange gedauert, da meinte Franz, es ginge
+ohne Lehrer besser. So war es auch, denn Ignaz hatte gegeben, was
+er zu geben hatte, und mußte seinen brüderlichen Schüler als einen
+»übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister« anerkennen. Als
+Knabe meisterte er schon die Violine, die Viola und die Orgel und
+machte sogar als Tonsetzer einige Gehversuche.
+
+»Faules Zeug,« brummte Vater Schulmeister; »das sind so Flausen, die
+sich der Junge in den Kopf setzt, und die ihm beizeiten ausgetrieben
+werden müssen. Soll das eine oder andere Instrument spielen lernen,
+soweit man's als Schulgehilfe braucht, um auch Sonntags in der Kirche
+mitzuhelfen, nichts weiter! Soll aus dir ein Taugenichts werden, ein
+Hungerleider, ein Tagedieb -- ein herumstrolchender Musikant?! Da soll
+ich dir doch gleich eins mit dem spanischen Rohr --! Was mein Sohn ist,
+muß ein ehrlicher Mensch sein; der wird ein Schulmeister, wie sein
+Vater einer ist und wie seine Brüder werden. Also kein Wort mehr -- ich
+habe geredet!«
+
+Bald darauf las der Vater in der amtlichen Wiener Zeitung des Jahres
+1808, daß in der k. k. Hofkapelle einige Sängerknabenstellen neu zu
+besetzen wären. Die Bewerber mußten das zehnte Jahr vollendet haben und
+fähig sein, in die erste lateinische Klasse eintreten zu können. Sie
+verblieben Zöglinge des Konvikts und wären gleichzeitig Schüler des
+akademischen Gymnasiums, das mit dem Konvikt in Verbindung steht.
+
+Dem Vater stieg sofort ein ganzer Seifensieder auf. Das wäre ein
+richtiger Lebensanfang für seinen Franzl! Singen kann er ja,
+Schulbildung hat er auch -- Sopranist in der Hofkapelle, warum denn
+nicht, wenn er dafür eine Freistelle im Konvikt hat und gratis
+das Gymnasium absolviert?! Für einen künftigen Schulmeister ein
+verheißungsvoller Beginn!
+
+Also wanderten Vater und Sohn aus der Vorstadt Liechtental stadtwärts
+nach dem Konvikt am Universitätsplatz, wo die Aufnahmeprüfung
+stattfinden sollte. In seinen blauen Sonntagskleidern schritt Franzl
+neben dem Vater klein und stämmig einher. Ein frisch gebügeltes Hemd
+gab dem Tag festtägliche Weihe. Das hatte die Mutter bereitgelegt. O,
+die war gut! Schmuck sah er aus, der kleine Kerl, weiß und blau wie ein
+Firmling!
+
+Aber der Herr Vater war kritisch. Gab unterwegs allerhand gute Lehren
+und Ermahnungen, wie man sich zu benehmen habe, was man tun und nicht
+tun dürfe, nicht auflümmeln, die Ellbogen nicht durchwetzen, nicht
+nasenbohren, nicht in den Ärmel schneuzen, die Schulbücher nicht
+verkritzeln und was ähnliche liebe Gewohnheiten der holdseligen Jugend
+sind.
+
+Der brave Franzl hörte alles geduldig an und schwieg respektvoll. Der
+Vater wußte schon, daß sein Junge etwas verschlossen und einsilbig war,
+daß er Fremden gegenüber sich nur sehr schwer auftat und dadurch leicht
+unartig erscheint.
+
+»Also nicht aufs Grüßen vergessen, immer ein freundliches Gesicht
+machen, zuvorkommend sein gegen deine Lehrer, verträglich und
+aufmerksam gegen deine Mitschüler. Was schaust denn schon wieder so
+finster drein?!«
+
+»Aber Herr Vater, ich schau' ja eh net finster drein!«
+
+Es war halt schon ein Unglück, daß die Menschen immer glauben, man
+schaut finster drein, wenn man inwendig freundlich und aufmerksam
+zuhorcht.
+
+Der Vater riß dem Jungen den Hut vom Kopf, um ihm besser ins Gesicht zu
+sehen.
+
+»Die Haar -- wie schaun denn deine Haar aus?!«
+
+Die Haare waren ohnehin in Ordnung, die Mutter hatte sie gekämmt und
+gebürstet, mit Schweinefett eingeschmiert, daß sie strichweise glänzten
+-- aber sie waren kraus, etwas sehr kraus -- und ein bißchen lang,
+vielleicht schon ein bißchen zu lang; sie waren in den Nacken hinab
+gewachsen bis unter den blühweißen Hemdkragen. Der Hut hatte sich in
+den Haarschopf fest eingedrückt, und so konnten sie leicht wirr und
+unordentlich erscheinen; aber das waren sie wirklich nicht, wenn man
+mit einem nachsichtigen Blick hinsah; die Mutter hatte sie gescheitelt,
+so gut es ging, und die Lausallee verlief gerade wie eine Pappelschnur.
+
+»Kraupert schaust aus,« entschied der gestrenge Herr Vater. »Wie dir
+die Haar da ins G'nack wachsen, so geht man zu keiner Prüfung!«
+
+Ehe man noch ans Glacis kam und den Häusern der Rossauerlände Adieu
+sagte, wimpelte an einer Stange die Messingschüssel in die Luft mit
+Strahlenreflexen wie die liebe Frau Sonne, ein Ladenschild prangte mit
+einem süßlächelnden Puppenkopf und darunter stand: Heinrich Haarzopf,
+bürgerlicher Bartscherer und Bader.
+
+Und weil noch eine Stunde Zeit war, so entschied der Vater, daß sich
+der Junge jetzt die Haare schneiden lassen müsse, um sich der hohen
+Prüfungskommission würdig zu präsentieren.
+
+»Also marsch hinein!«
+
+Bisher hatte die Mutter den üppig wuchernden Haarschopf mit eigener
+Hand gebändigt. Was eine Mutter nicht alles kann! Hunderterlei
+Gewerbe muß sie beherrschen vom Kerzengießen bis zum Haarschneiden.
+Es ist nicht zum sagen! Nun aber saß Franz zum ersten Male bei einem
+richtigen Friseur wie ein ganz Großer. Mitten unter Spiegeln wie in
+einem Zauberkabinett und angetan mit einem linnenen Mantel, der einmal
+weiß war, halb Derwisch, halb Prinz, umdienert von dem dienstfertigen
+Gehilfen.
+
+»Belieben halbkurz oder ganz fiesko?« Das war eine neue Welt, eine
+neue Sprache, jedenfalls eine neue Erfahrung. Verlegen wendet sich der
+Junge an den Vater, der den Dolmetsch macht.
+
+Ziwitt, ziwitt! macht es die Schere in der Hand des Gehilfen, der bei
+seinen Hantierungen immer die Luft schneidet. Sie macht es wie ein
+Vögelein, das hungrig den Schnabel aufsperrt und um Futter quietscht,
+ehe es gierig in den Haarwald hineinfährt. Alsbald liegen die
+schönen Locken auf dem weißen Mantel und am Boden ringsum, der Junge
+sieht drein wie ein abgeblättertes Birkenstämmchen, der Vater nickt
+befriedigt, aber der eifrige Gehilfe ist noch nicht fertig. Er bemerkt
+einen zarten, ganz schüchternen, weichen Flaum auf des Jungen Oberlippe
+und stellt mit unerschütterlichem Ernst die gewichtige Frage:
+
+»Rasieren angenehm?«
+
+Heiß schießt es dem Jungen ins Gesicht. Er wird blutrot vor Scham.
+
+»Nein!« haucht er zurück und wendet das Antlitz ab, sich zu verbergen.
+
+Der Vater merkt es, er schmunzelt hinter seinem Rücken, er will
+den Sohn nicht verletzen, der sich so leicht geniert. Er hat ihn
+ja so lieb, wenn er auch zuweilen rauh zu ihm ist. Aber nach Vater
+Schulmeisters Anschauung gehört die Strenge zur Liebe und vor allem der
+Grundsatz: man darf die Kinder nicht merken lassen, daß man sie so gern
+hat!
+
+Rasieren angenehm! Das wirkt nach. Das prägt sich unverlöschlich dem
+Gedächtnis ein. Der Ernst des Lebens kommt jetzt heran! Man ist kein
+Knabe mehr, man reift der Männlichkeit entgegen, eine neue Zeit will
+kommen!
+
+Das Hochgefühl sank, als er mit dem Vater am alten Universitätsplatz
+stand. An den hohen, schwärzlichen Palastfronten der Sonnenfelsgasse
+waren die beiden entlang gegangen, bis sich ein mäßig geräumiger
+Platz auftat wie ein schmucker Saal. Rechts die festliche Frontseite
+der Universität mit Säulen und Fenstern im Geist der Zeit der großen
+Maria Theresia; links die Prachtfassade der Kirche zur Zeit der
+Gegenreformation von Ferdinand II. erbaut und dicht an der Kirche
+anschließend, die ganze Langseite des Platzes bildend, ein kahles
+Gemäuer mit kleinen vergitterten Fenstern, einem Gefangenhaus gleich:
+das Konvikt. Nichts Grünes, wohin man sah, nur Mauern in nüchterner
+Feierlichkeit oder in staats- und kirchenherrlicher Pracht.
+
+Das Herz des Elfjährigen krampfte sich zusammen, ja es beginnt eine
+neue Zeit, der Ernst des Lebens tritt hier gewaltig in Erscheinung.
+
+Tapfer schritt er an der Seite des Vaters die Stiegen hinauf, wo
+schon ein heiteres Gewimmel von Knaben war, die, um einen der drei
+Stiftungsplätze zu erobern, ausgezogen waren. Da gab's sofort eine neue
+frische Stimmung. Das Empfindsame, Ängstliche, Weichliche verschwand,
+es lag nicht in Franzls Natur.
+
+»In Gottes Namen!« sagte der Vater Schulmeister, als sich die Türen des
+Prüfungssaales hinter dem Jungen schlossen. Mehr kann man nicht tun als
+seine Pflicht, und die war getan; die Entscheidung liegt bei anderen
+Mächten. In Gottes Namen! Damit vertraute er sich und den Sohn der
+inneren Führung an, die die Oberleitung hatte. So konnte man ruhig und
+ergeben den Gang der Dinge abwarten.
+
+Der innere Kompaß hatte gut geführt. Für den gesunden Liechtentaler
+Buben war die Prüfung ein Kinderspiel, als Erster ging er aus dem
+Wettbewerb hervor und war Sopranist am k. k. Konvikt und zugleich
+Schüler der ersten Lateinklasse.
+
+Jahr um Jahr berichteten die Schulzeugnisse von dem guten Fortgang der
+Studien, und nie fehlte die Anmerkung: »ein besonderes musikalisches
+Talent«. Ein Schriftstück an den Hofmusikgrafen besagt sogar, daß auf
+die musikalische Bildung des Franz Schubert, da er ein so vorzügliches
+Talent zur Tonkunst besitze, eine besondere Sorgfalt verwendet werden
+solle. So kam der Hofkapellmeister Salieri hinter das kleine Genie,
+und so kam der Klavierdrillmeister Ruczizka in den Schriftstücken an
+den Hofmusikgrafen zu den lobenden Anerkennungen wegen der erteilten
+Nebenstunden, zu denen er, Ruczizka, von Amts wegen nicht verpflichtet
+gewesen wäre.
+
+Und so kam es endlich, daß der Vater die systematische musikalische
+Ausbildung des Sohnes gewähren ließ, weil er sie ja auch nicht hindern
+konnte. In Gottes Namen! Andere Mächte bestimmten das Schicksal, er
+konnte nur Ja und Amen sagen. Und sich damit trösten, daß für die
+eigentliche Lebensaufgabe die Lateinschule sorge, die ihm vor allem
+anderen als die Hauptsache erschien.
+
+Aber büffeln und ochsen, Latein und Mathematik, das war dem Jungen
+durchaus nicht die Hauptsache. Viel eher ein lästiges Anhängsel, eine
+unbequeme Draufgabe, die man eben in Kauf nehmen mußte. Ja, wenn man
+oben saß am Chor ganz nahe bei den geflügelten Engelein, umschauert
+von dem Weltgesang der Orgel und von dem Jubel der singenden Geigen,
+da war das Leben herrlich, die eigene Stimme ließ sich von diesen
+tönenden Fittichen tragen und stieg wohl noch ein wenig höher im Chor
+der Seligen.
+
+Aber dann in der öden Grammatikalklasse, das war wie ein Sturz aus
+Himmelsregionen auf die harte Erde. Diese trägen, unergiebigen Stunden
+mit Cornelius Nepos, mit Plutarch und Ovid. Der klassische Dichtergeist
+zu langweiligen Schulpräparaten zerstückt und eingetrocknet wie die
+glanzlosen Schmetterlinge in den Kästen und die gepreßten Pflanzen in
+den Herbarien. Kein Hauch des Lebens mehr darin. Half also wirklich
+nichts als stucken, ochsen, büffeln! Aber das Herz, das Herz war nicht
+dabei. Ein Wunder, daß es dennoch ging, mit Ach und Krach. Nur --
+wenn es dem Gelehrtenhaupt am Katheder zu holperig vorkam, und die
+Exerzitien so gar nicht vom Fleck gehen wollten, dann wetterten die
+saftigsten Schimpfreden auf die Schülerherde nieder.
+
+»Sauknochen, verfluchter! Hast wieder einmal nicht präparieret?! Müßt'
+man dir doch gleich das Buch ums Maul schlagen, bis dir der Kopf
+aufgeht, Lümmel, verstockter!«
+
+Tat aber weiter nicht weh, war wenigstens ein derbes Stück Leben. Ein
+unsanftes Prügelsystem, aber man lernte dabei und kam doch ein Stück
+vorwärts. So waren die Erzieher, gelehrt und zugleich bauernhaft grob.
+Was fest eingebläut war, saß fest. Auch in einem widerspenstigen
+Schädel. Wer gar nicht parieren wollte, wurde hinausgeschmissen. Ein
+Kamerad war schon geflogen, der mit Franz die Aufnahmeprüfung glänzend
+bestanden hatte; ein Dritter, der mit ihm kam, stand am Sprung. Gibt
+nicht viel Federlesen, keine Empfindelei; half auch kein Heulen, kein
+Bitten und Betteln. Unnützer Ballast, fort damit! War gut für die
+anderen. Schlechtes System? I wo! Was haben gute Lehrer mit einem
+schlechten System nicht alles zuwege gebracht! Und konnt' Franzl bei
+allem inneren Widerstreben nicht alle Jahr ein treffliches Zeugnis ins
+väterliche Schulmeisterhaus nach Liechtental schicken? Ja freilich,
+angenehm war der Drill nicht. Fragte auch kein Mensch danach, ob's
+angenehm war oder nicht, und damit Punktum.
+
+Blieb aber die Musik, die das graue Dasein vergoldete, und blieben
+die eigenen Träume, das selbständige Empfinden und Komponieren, süß
+wie eine verbotene und heimliche Liebe, von der der Herr Vater nichts
+wissen durfte. Das Herz -- da drin war es. Und blieben außerdem die
+Kameraden, die Schulfreundschaften, die so fest geschlossen wurden, daß
+sie über die Mauern hinaus fürs Leben halten sollten und meinetwegen
+übers Grab hinaus.
+
+Bim, bim, bim! Des Schuldieners Glocke gellte durchs Haus.
+Zehn-Uhr-Pause. Da gab es für die Bande kein Halten mehr, die in dem
+lästigen Zwang nach Freiheit dürstete. Vor allem aber nach Freßlust.
+Die Zehn-Uhr-Glocke war das Zeichen zum Gabelfrühstück. Mit einem Hallo
+stürmten die Bengel die Treppen herab nach einem der unteren Gänge.
+Dort steigt eben wippend die junge Fanny herauf, des Greislers Tochter
+aus der Bäckerstraße, mit einem großen Korb Fressalien auf dem Kopf,
+die sie in einer Fensternische des ersten Stockflurs während der großen
+Pause feilhält.
+
+Wie eine Göttin der Erde, mit nahrhaften Gaben beladen, schwankt sie
+holdselig herauf, ein braunes, derbes Ding, blatternarbig, barsch und
+kurz angebunden, und trotzdem nicht unhübsch mit ihren weißblitzenden
+Zähnen. Dem für handfeste Schönheit empfänglichen Sinn des Klavier-
+und Knabenbändigers Ruczizka mußte sie tatsächlich als Fee, Nymphe
+oder Göttin vorgekommen sein, daß er sie in einem schäferhaft oder
+mythologisch gestimmten Augenblick wie ein verliebter Faun in die
+nackten, prallen Arme zwickte und der Wehrlosen ein Küßchen zu rauben
+versuchte, während sie mit dem Korb auf dem Kopf hinaufbalancierte.
+
+Wie es geschah, war ein Geheimnis des menschenleeren Korridors
+geblieben. Ein Knall, ein Fall, ein Wehgeschrei, so endete das
+Schäferspiel.
+
+»Sakramentski .....!« Man hat nur den Ausruf gehört, der Liebhaber war
+verschwunden. Denn eben scholl des Schuldieners Glocke mahnend durchs
+Haus, wie weiland die Stimme des Herrn im Paradies nach dem Sündenfall,
+aus den Klassenzimmern wälzte sich die Schuljungenhorde, und die
+braune Fanny stand keuchend und zornbebend vor dem herabgestürzten
+Korb, der seinen duftenden Inhalt über die Steinfliesen ergoß, die
+blonden und braunen, knusperigen Schusterlaberln, die mürben Baunzerln,
+Kipferln, Girafferln, Kaiserweckerln, Stritzerln, Kaiserlaberln, die
+Mohnstritzerln und Salzstangerln, den schweren Laib Hausbrot, die
+dreifach gewundenen Kränze von Knackwürsten, den großen Stritzen
+Butter, den Paprikaspeck und den frischen Maiprimsen.
+
+Fünfzig, hundert Hände langten jauchzend danach, im Nu war der
+Korb wieder gefüllt, ein heiteres Intermezzo für die Jugend, eine
+schmerzliche Viertelstunde für die Fanny, die in wortloser Wut kaum die
+Tränen meistern konnte.
+
+Niemand wußte recht, was geschehen war, aber die Sage ging von einer
+wuchtigen Ohrfeige, die locker in Fannys Hand gewesen war, und von
+einer heißen Wange, die auf einige Stunden das Flammenzeichen der Liebe
+trug und in nassen Umschlägen Kühlung suchte. An jenem Vormittag ward
+Ruczizka nicht mehr gesehen.
+
+Während der Eßpause fanden sich die engeren Freunde mit Franz beim
+Futterkorb zusammen. Holzapfl, der Vordermann der Klasse, der stille,
+sanfte Spaun, um einige Jahre älter als Franz und zugleich sein
+wärmster Vertrauter, Senn, der junge Tiroler, der schon damals Verse zu
+flechten versuchte, und einige andere.
+
+»Einer ist unter uns, der uns einmal alle an Genie überstrahlen wird!«
+hatte Spaun mit Beziehung auf Schubert gesagt, und ein fester Kreis von
+Freunden begann sich um den unscheinbaren Franz zu schließen. Wenn man
+seine helle, jubelnde Stimme auf der Empore hörte, so hätte man nicht
+dieses unansehnliche Bürschchen erwartet, der auch darin der Lerche
+glich, daß soviel Himmelsgabe in so schlicht bescheidenem Äußeren
+steckte.
+
+Wenn man die Sängerknaben nun sah, dann konnte kein Zweifel sein,
+daß sie nicht aus gebranntem Ton und nicht aus Holz waren, sondern
+Fleisch und Bein mit vorzüglichen Freßwerkzeugen und unermeßlichem
+Appetit. Das Dasein unter den himmlischen Heerscharen auf Gottes Chor
+war beseligend, aber auf der Erde war es auch schön, besonders wenn es
+etwas zu essen gab.
+
+Da sah man nun die pausbackigen, rotwangigen, schwarz-, braun-
+und blondgelockten strammen Engelsinger gemütlich eine Knackwurst
+verzehren, die lieblich roch und den anderen den Mund wässerte, so
+ihre Barschaft nur zu einem Schusterlaberl hinreichte. Zu einem
+Schusterlaberl, dick mit Butter bestrichen und so groß und mächtig
+gediehen, als es für einen Kreuzer Konventionsmünze nur denkbar ist.
+
+Mit gierigen Augen hatte jeder das größte Schusterlaberl im Korb
+ergattert. Was ein gesunder Bengel ist, erkennt auf den ersten Blick
+unter Hunderten von Broten jenes, welches das größte Schusterlaberl
+ist. Daß die wohlgeratensten Exemplare die Größe eines Kinderkopfes
+erreichen, ist selbstverständlich. Es ist nicht aus feinstem Mehl
+gebacken, im Gegenteil, es ist so ziemlich das ordinärste Gebäck, aber
+auf dem ganzen Wiener Boden gibt es keinen Jungen, der nicht nach
+dem Schusterlaberl greift, wenn er die Wahl hat. Ein Schusterlaberl,
+mit Butter bestrichen, das ist nach Wiener Volksbegriffen die größte
+Delikatesse. Daran war nicht zu zweifeln, wenn man die Kerle einhauen
+sah, daß es nur so patschte. Mit einem Schusterlaberl in der Hand
+konnte man sich sogar gegen eine Knackwurst oder gegen Wienerwürsteln
+mit Kren behaupten, und das will gewiß etwas sagen.
+
+»Heiße Forellen!« rief die übermütige Fanny, um ihre Ware noch
+verlockender zu machen. Richtig, da schwammen sie, die Wienerwürsteln,
+im brodelnden Kessel hurtig hin und her wie die Forellen, und ein Paar
+nach dem anderen wurde herausgefischt. Knackwürst! Wienerwürstl mit
+Kren! Schusterlaberln mit Butter! Hört es! Der Traum vom Paradies ist
+damit gespickt. Wenn ihr sie nicht genossen habt, dann wißt ihr nicht,
+was gut ist!
+
+»Nun, und heut gar nichts?« wendete sich Fanny an Franzl. Der hat
+einen Stein im Brett bei ihr. Ein extra großes Schusterlaberl, extra
+dick bestrichen, das waren die Zeichen ihrer Gunst. Das braune, herbe,
+blatternarbige Greislermädel verbarg hinter ihrer rauhen Wesensart
+ein weiches Gemüt. Eine schöne Stimme hören, und sie war soviel wie
+verloren. Sie wußte schon, daß Franzl die schönste Stimme unter den
+Jungen hatte. Sie sah ihn nur mehr durch diese Stimme, und jetzt
+dünkte ihr der unscheinbare Junge schön wie ein Märchenprinz. In ihren
+Augen war er, die unansehnliche Lerche, schöner als der herrlichste
+Paradiesvogel. Sie hatte ihn schon in der Kirche gehört, und als er
+kürzlich in der Pause dem Freund Spaun ein selbst komponiertes Liedchen
+leise vorsang, vergaßen ihre flinken Hände, daß sie in wenigen Minuten
+fünfzig und mehr Schusterlaberln mit Butter zu streichen hatten.
+
+Versteinert stand sie da, Mund und Augen weit auf, ein wenig
+vorgeneigt, um keinen Laut zu verlieren, weltentrückt, verzaubert, bis
+zwanzig aufgesperrte hungrige Mäuler, die nach Atzung schrien, sie aus
+ihrem Traum weckten. Ob er ihr das Lied nicht aufschreiben wollte,
+war gegen Schluß der Pause die verstohlene Frage. Er sagte nicht ja
+und nicht nein, er lachte bloß, wohl nur, um seine Verlegenheit zu
+verbergen.
+
+Es war, als ob eine leise, schier unbewußte Berührung der Seelen
+stattgefunden hätte, so blieb etwas bestehen, das man nicht leicht
+irgendwie nennen kann, weil jedes Wort zu schwer dafür ist. Etwas
+schier Unbewußtes, Heimliches, und doch Gefühltes. Ein Strahl von
+mütterlicher Sorgfalt ging von ihr auf ihn über, es materialisierte
+sich in den größten Schusterlaberln mit der dicksten Butter. Aber
+darüber hinaus war noch etwas wie ein Licht da, das wärmte.
+
+»Nun und heut gar nichts?!« fragte sie noch einmal und streifte ihn
+leise an, weil er nichts bestellt hatte.
+
+Er schüttelte nur verneinend den Kopf, aber sie wußte schon!
+Abbrandler! Das heißt, daß er keinen Groschen mehr in der Tasche hatte.
+
+Aber sie schob ihm schon wortlos ein dickbestrichenes Laibchen hin.
+
+Er schob es wieder zurück und sagte halblaut und schier unbefangen,
+obzwar es ziemlich gepreßt klang: »Heut -- nichts!«
+
+Da nahm sie das Brot, drückte es ihm in die Hand, indem sie sich ganz
+nahe an sein Ohr neigte und leise sagte: »Kost' doch nichts!«
+
+Als ob er glühendes Eisen angefaßt hätte, schleuderte er das herrliche,
+hochgebähte, goldblonde, knusperige Schusterlaberl, das mit den dicken
+Butterseiten zusammengeklebt war, neben dem Eßkorb auf das Fensterbrett
+hin, flammendrot im Gesicht, daß es dort in seine zwei Hälften
+zersprang und mit den Butterseiten auf dem staubigen Steinboden lag.
+
+Sie sah ihn einen Augenblick betroffen und schmerzlich an, hob dann
+die Brote auf und legte sie zu den anderen. Mit einem Ruck faßte
+sie den ziemlich geleerten Korb auf, stellte den kaltgewordenen und
+ausgefischten Würstelofen hinein und rauschte ab wie eine beleidigte
+Königin, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
+
+Er war so verdonnert, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, eilte hinauf
+in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett, wühlte den Kopf in die Kissen
+hinein und schluchzte mit halberstickten Ausrufen: »Fanny, Fanny!«
+
+Etwas Seltsames, Beunruhigendes, Niegekanntes, Schmerzvolles, und doch
+zugleich Beseligendes, Wunderbares war über ihn gekommen. Was war es?
+Ach ja, das Leben, das Leben! Die schüchternen Regungen wie ein ganz
+verstohlener Sonnenstrahl und gleich darauf Schauer, Tränenschauer.
+
+Man war kein kleiner Knabe mehr, und auf der Oberlippe sproßte jetzt
+wirklich ein kleines, winziges, schütteres Bärtchen. Es kommt nun doch
+eine andere Zeit!
+
+Am Nachmittag schrieb er seinem Bruder Ferdinand, der war Schulgehilfe
+in der Wiener Vorstadt Lerchenfeld, und schilderte seine Lage. Die
+paar Groschen, die er monatlich vom Herrn Vater bekomme, seien in den
+ersten Tagen beim Teufel, was soll man in der übrigen Zeit tun? Bei
+dem mageren Mittagsmahl, dem erst nach 8-1/2 Stunden ein armseliges
+Nachtmahl folgt, müsse man sich eben in den Pausen mit etwas Stärkendem
+aushelfen. Es würde den Bruder Ferdinand nicht arm machen, wenn er ihm
+monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließe. Spricht doch der Apostel
+Matthäus: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw., und dann
+in Kap. 3, V. 4: Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden
+..... So schließt die Epistel mit dem Aufruf, Ferdinand möge sich doch
+des »liebenden, armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz«
+erinnern.
+
+Der Brief ist fort und damit ein Stein vom Herzen. Was jetzt? Ja,
+richtig: das Lied aufschreiben -- die Fanny muß das Lied haben! Ein
+extra schönes Papier für sie, mit kunstvoll verschlungener Schrift und
+die Noten säuberlich hingesetzt, als ob sie gestochen wären! Darauf
+ein Suchen und Suchen in allen Laden und Heften, aber kein armseliger
+Fetzen Notenpapier ist mehr zu finden. Alles verschmiert. Neues kaufen
+-- aber zum Kuckuck, wenn man keinen Groschen in der Tasche hat! Der
+Mensch ohne Geld ist ein gottverlassenes Geschöpf. Da fehlt es gleich
+an allen Ecken und Enden. Daß man sich ein Schusterlaberl mit Butter
+versagen muß, ist hart genug, aber das ist noch das wenigste; den
+Mangel fühlt man erst, wenn man jemandem was Liebes tun möchte und
+nicht kann, weil man keinen Knopf Geld hat. Schnöder Mammon!
+
+Da kommt Spaun bei der Tür herein, der liebe, innige! Aufgeschossen
+ist er wie eine Hopfenstange, den Kopf mit dem sittsam zurückgekämmten
+Blondhaar und den weiten, wasserblauen Augen hat er vorgeneigt,
+erwartungsvoll.
+
+»Hast was Neues geschrieben?«
+
+Er ist so furchtbar erpicht auf das Neue, das Franz in Noten dichtet.
+
+»Hab' kein Papier!« knurrte Franz etwas borstig.
+
+Da macht der andere schon Kehrt-euch und ist wieder draußen bei der Tür.
+
+Franzl sinniert und sinniert, es vergeht eine halbe Stunde, da kommt
+Spaun wieder angerückt, atemlos, einen großen Pack unter dem Arm, den
+er auf den Tisch legt und sorgfältig auswickelt.
+
+Notenpapier! Große, schöne, dicke Bogen, ein ganzer Stoß, genug, um die
+Unsterblichkeit damit zu bestreiten.
+
+»Da hast jetzt und schreib'!« und ist schon wieder draußen.
+
+»Kerl, lieber, guter!«
+
+So lächelt Franz, setzt sich hin und schreibt.
+
+Am anderen Tag geht er in der Zehnuhrpause in sein Zimmer hinauf. Er
+traut sich nicht herunter, es geniert ihn. Geld hat er ja auch keines
+auf ein Schusterlaberl.
+
+Aber ein Brief ist da.
+
+Bruder Ferdinand schreibt, Franz wird mit dem Nötigen versorgt werden,
+er möchte aber vorerst auf ein paar Tage heimkommen. Der Schulurlaub
+sei unterdessen für ihn schon erwirkt.
+
+So war es auch, auf drei Tage hat er frei.
+
+Und wandert hinaus aus der engen Stadt in die Maiensonne, ins Grüne, wo
+ihn die Wiesen mit tausend Blumenaugen ansehen. Beim Schottentor ist er
+draußen, dann übers Glacis, wo der Wind, der richtige Wiener Lausbub,
+seinen unumschränkten Spiel- und Tummelplatz hat, um diese Zeit kosend
+als Mailüfterl mit Wolken von Fliederduft sanft beladen; im Sommer als
+verrückter Derwisch mit wehendem Mantel aus Staub und ebensolchen
+aufgeplusterten Pumphosen; im Herbst als unwirscher Straßenkehrer, der
+dürre Blätter und Mist dahinfegt oder mit nasser Regenhand den Leuten
+ins Gesicht patscht, die Weiberkittel aufwirbelt und die Parapluies
+umdreht; im Winter ein rauhbeiniger Knecht Ruprecht, der mit flockigem
+Schneebart daherflattert, daß euch die Augen übergehen. Der kann
+grantig und boshaft sein wie ein alter Zucht- und Armenhäusler, aber
+jetzt ist er ein holder Junge, der in den Bäumen säuselt und auf
+sonnenweißen Wolken in gottseliger Bläue segelt.
+
+Und so ist heut auch dem schulvakanten Knaben zumute, dem das Herz
+klopft, als er hinter den mächtigen Häuptern der Kastanien die Häuser
+seiner lieben Liechtentaler Vorstadt auftauchen sieht. Dort hinter den
+Bäumen mit den vielen weißleuchtenden Kerzeln ist das Vaterhaus »zum
+schwarzen Rössel« in der Säulengasse.
+
+Geschwind, geschwind um die Ecke und hineingestürmt mit einem Jubelruf.
+Aber da stockt er schon.
+
+Was ist denn geschehen?
+
+Er spürt ein Zerren im Gesicht, ein Würgen drinnen im Hals; denken kann
+man's nicht. Eine Draperie hängt am Tor; ein Kerl steht heraußen mit
+Glotzaugen und Schnapsnase, einen Dreispitz am Kopf, kurze Hose und
+Strümpfe an den verkrümmten Beinen, ausgelatschte Schnallenschuhe; eine
+Menge Schnüre und Quasten an dem frackähnlichen Rock, der schief sitzt
+wie auf einer Vogelscheuche; schwarz alles, ganz schwarz, schwarz die
+Draperie am Tor, schwarz der aufgedonnerte Frack, der Dreimaster, die
+Hose, die Strümpfe.
+
+Unterm Tor kommt ihm schon der Bruder Ferdinand entgegen, er ist
+ebenfalls schwarz, nur das Gesicht ist rot und die Augen sind
+verschwollen.
+
+»Die Mutter ist tot!« würgt er hastig und tonlos hervor.
+
+»Au, au!« schreit der Heimkehrende auf wie ein getroffenes Tier; und
+schon steht er im Winkel abgewendet und flennt in sich hinein.
+
+Und geht dann, so schnell er kann, die paar Stufen hinauf, und ist ihm,
+als ob er Quadersteine trüge, daß er, von der Last erdrückt, kaum über
+die Schwelle kann.
+
+Drinnen der Vater, sieht um Jahre älter aus, sagt kein Wort; tätschelt
+nur den Buben an Schultern und Kopf, scheu und fast widerwillig;
+schiebt ihn aber gleich von sich zu den Geschwistern hinein.
+
+Die sitzen drin, alle schwarz angezogen, nicht zum Erkennen, stieren
+vor sich hin, nur eins oder das andere heult laut auf, wie's den Franzl
+sieht. Reden aber sonst kein Wort -- einfache Menschen sind karg mit
+Gefühl und Worten, verstecken sich lieber voreinander.
+
+Auch Franzl bringt keinen Ton heraus, geht wie im Traum ins
+Nebenzimmer, das dunkel gähnt mit brennenden Kerzen. Brennen nicht hell
+und froh wie die Blütenkerzlein draußen auf den Bäumen; brennen dunkel
+und weh in der schwarzen Luft und in dem toten Geruch der welkenden
+Blumen. Ist etwas Weißes zwischen dem roten Kerzengefunsel und starrem
+Blätterzeug, hoch geschichtet; jetzt sieht man's vor den betäubten
+Augen; braunlackiertes Holz, der Sarg, weiße Seide, ein gefälteltes
+Brautkleid, wachsgelbe Hände und ein Gesicht, so bekannt und so fremd
+zugleich, so starr und fern.
+
+Mutter! Der Franz spürt sie, er spürte sie schon von weitem, ehe er ans
+Haus kam, im Flur unten umwärmte ihn schon ihre Nähe, im Zimmer draußen
+wußte er sie neben sich, die Luft, die Dinge alle, die Gewohnheit, das
+war sie. Sie lebte, und für das Totsein gab es keinen Begriff.
+
+Er wollte die Tücher wegreißen, die Fenster aufstoßen, Luft und Licht
+herein, die Starre aufrütteln, daß sie das Fremde abschüttle und wieder
+sie sei, die lebte in seinem Fühlen; die ganze fürchterliche Schwere
+der Wirklichkeit wegwischen, die Lüge war, weil sie so unverständlich
+blieb; das Herz schrie auf und tobte nein, nein, nein -- und dennoch
+blieb er steif wie gelähmt, unfähig, etwas zu tun, zu sagen, oder zu
+denken.
+
+Und ging noch die folgenden Tage umher wie betäubt, indessen ein
+widerwärtiges geschäftiges Etwas vor sich ging, die ganze quälende,
+niederdrückende, entsetzliche Bestattungszeremonie, die mit dem
+Herzen nichts zu tun hatte, diese Schaustellung des Schmerzes vor
+den gaffenden Gassen und Fenstern bis zu dem Moment, wo man in der
+Kirche saß bei der Einsegnung und die Orgel lind und leise auf die
+zertretenen Gemüter einsprach. Das war wieder die Stimme der Mutter,
+bald gutmütig greinend, scheltend, verweisend, dann wieder gut zuredend
+und liebkosend; die Härte des Krampfes wollte sich lösen; aber dann
+noch das Schrecklichste, das Niederfahren des Sarges in die Grube, die
+vereinzelten Aufschreie, das dumpfe Dröhnen der auffallenden Schollen,
+das man nicht mehr aus den Ohren bringt -- als ob jede Handvoll Erde
+eine Wunde in den eigenen Leib schlüge!
+
+Fluchtartig ging's aus dem Friedhof fort ins Vaterhaus zurück; die
+Trauerzeichen waren inzwischen weggeschafft worden, die alte Ordnung
+hergestellt, aber die Ödigkeit hatte sich eingenistet. Das Tor war
+wie früher und ebenso die Zimmer, aber im Geist sah man immer die
+Trauertücher draußen hängen und wehen. Im Zimmer tauchte immer der Sarg
+auf an der Stelle, wo er gestanden, die Funsellichter -- schreckhafte
+Eindrücke, und Visionen, die nicht wegzuwischen waren.
+
+Die paar Tage gehen vorüber in Dumpfheit und Zerschlagenheit; Franzl
+ist froh, als die Zeit da ist, ins Konvikt zurückzukehren. Auf dem
+Glacis wirft er sich ins Gras, um, von niemandem gesehen, sich nach
+Herzenslust ausweinen zu können. Dann wandert er stadtwärts und ein
+tröstliches Gefühl gewinnt Oberhand.
+
+»Fanny, Fanny,« denkt er, nein, er denkt es nicht; das Unbewußte in ihm
+denkt es, fühlt es. Das verschnürte Herz, das sich nach Wärme, nach
+Mütterlichkeit, nach Liebe sehnt und sich so schwer und widerwillig
+erschließt, sucht Zuflucht bei dem unwillkürlichen Gedanken an Fanny,
+die jetzt so halb und halb mit dem Bild der Mutter zusammenfließt
+und ihn doch zugleich so ganz eigen bewegt, daß ihn fast ein Zittern
+überfällt.
+
+Nun soll sie das Lied mit den Noten haben, denkt er und ist fast
+aufgeregt in der Vorfreude.
+
+Am anderen Morgen ist er der Erste bei dem Eßkorb, allen anderen Jungen
+voraus. Niemand soll's merken!
+
+»Das Lied, Fräulein Fanny, das Lied -- hier hab' ich's!« stammelte er
+heiß und verwirrt und steckte ihr das zusammengefaltete Blatt in die
+Hand.
+
+Sie sieht ihn eine winzige Weile von oben bis unten an, verzieht
+hochmütig den Mund, schiebt ihm das Blatt zurück und wendet sich ab mit
+der kurzen Bemerkung:
+
+»Brauch's nimmer!«
+
+Das Blatt fällt zur Erde; einer der anstürmenden Kameraden hat es
+erwischt, es verschwindet in den Händen der Freunde, wie so vieles, was
+damals entstanden.
+
+Jetzt hat er Groschen im Sack, aber kaufen tut er nichts; die
+Knackwurst, die Würsteln, die Schusterlaberln -- nein; der Appetit ist
+ihm vergangen.
+
+Aber weinen, nein, das tut er auch nicht. Warum denn? Das Herz setzt
+eine Rinde an; daß ein Krampf darinnen bebt, er will's selber nicht
+wissen.
+
+Gleichmütig plaudert er mit seinen Freunden weiter, bis einer plötzlich
+sagt:
+
+»Du, hör' einmal, was hast denn du für eine Stimm'?«
+
+Fanny blitzt ihn wiederholt spöttisch an, sie hat es gleich gemerkt.
+Die Stimme war geborsten, rauh, unmelodisch, ein Wechsel, wie er bei
+Jünglingen um die Zeit der beginnenden Männlichkeit auftritt. Fanny
+lächelt spöttisch. Lächelte sie über sich, über den Jungen, oder über
+ihre Narretei? Der Zauber war gebrochen.
+
+Der Paradiesvogel stand vor dem ernüchterten Blick wieder unansehnlich
+gleich einer graubraunen Lerche da, ja, er war noch weniger geworden,
+ein grüner Spatz, der ziemlich unharmonisch piepste. Aber das Gold, das
+nicht in der Kehle lag, sondern tiefer in der Brust -- was verstand das
+dumme Greislermädel davon?!
+
+Freilich, ein Sonnenstrahl war erloschen, der zwischen den Mauern
+schüchtern in des Knaben Gemüt gefallen war.
+
+Im Klassenbuch stand jetzt in der Kolonne des Franz Schubert die
+Bemerkung: Mutiert. Mit der Sopranistenherrlichkeit im Sängerchor bei
+den dicken Engelsköpfen war's jetzt vorbei. Das war der natürliche
+Verlauf der Dinge.
+
+Damit erlosch ein weiteres Licht, und die Schatten der Schulmauern
+drückten schwerer als je.
+
+Einige Monate später verließ Spaun die Anstalt, er hatte absolviert.
+
+»Glücklicher, daß du aus diesem Gefängnis gehen darfst!« rief ihm Franz
+zum Abschied nach. Es war ihm jetzt, als müßten die Schulmauern auf
+ihn stürzen, um ihn ganz zu erdrücken. Die Mathematik, da wollte nicht
+alles stimmen. Eine schlechte Note -- die Scharte war auszuwetzen, wenn
+der Stiftungsplan mit dem Stipendium erhalten bleiben sollte. Aber wozu
+ein zweckloses Mühen? Was man eigentlich braucht, hat man vom lieben
+Gott gelernt, die anderen hatten ihr Bestes längst gegeben und sahen
+sich als Meister übermeistert. Es gab Wichtigeres zu erfüllen als
+büffeln und ochsen. So riet die innere Stimme des Genius.
+
+Noch ein Jahr wurde mühselig hingebracht, und dann schlossen sich die
+Türen des Konvikts hinter einem, der aufatmend draußen stand, einen
+letzten Blick auf das düstere, kahle Gemäuer warf und innerlich bebte
+und jubelte: Jetzt kommt eine andere Zeit! Das Leben, das Leben!
+
+
+
+
+ II.
+
+
+Im Schulmeisterhaus am Himmelpfortgrund war wieder fröhliches Leben.
+Die Schatten der Trauer waren vertilgt, ein hübsches junges Weib nahm
+die Stelle der Mutter ein, arbeitete von früh bis abends mit heiterem
+Sinn und sorgte mit gleicher Liebe für alle, als ob die Verstorbene in
+diesem Frauenwesen wieder auferstanden wäre.
+
+Vater Schulmeister vermochte nicht lange ohne Gesponsin zu bleiben;
+kaum ein Jahr nach dem Tode seiner vielgeliebten ersten Ehefrau hatte
+er die Gumpendorfer Fabrikantenstochter, die »wertgeschätzte Jungfrau
+Anna Kleienböck«, gefreit; hat's nicht zu bereuen gehabt, und haben
+alle Kinder, besonders aber der Franzl, eine mütterliche Helferin an
+ihr gefunden. Den Franzl hatte sie namentlich in ihr Herz geschlossen.
+
+Aber der Vater, der macht Augen, als der Bub wieder heimkommt. Hat
+jetzt noch so einen Fresser am Brotsack hängen. War vom richtigen
+Bauernschlag, der Vater Schulmeister, ein dicker, harter Schädel, saß
+ihm der feste Sinn in dem entwickelten Kinn, war einer, der nicht gerne
+nachgab und den Kreuzer zehnmal umdrehte, ehe er ihn auslegte. Ein
+rechtschaffener Mann, der für die Jungen sorgte bis zum Flüggewerden,
+aber dann sollten sie selber schauen, wie sie zu ihrem Futter kämen.
+Sparsamkeit bis zu Knickerei und Geiz, das war Bauerntugend. Und
+die saß fest bei ihm. Wie wär' man denn zu eigenem Grund und Boden
+gekommen, zu einem selbst erwirtschafteten Häusel, wo die Wirtschaft
+am Schnürchen ging, bei dem dürftigen Schulkreuzer, wenn man nicht
+Groschen auf Groschen gelegt hätte?!
+
+Es war an einem schönen Sonntagmorgen, als Franz heimkam. Der Vater saß
+allein in der unteren Stube und frühstückte. Als er des heimkehrenden
+Sohnes ansichtig wurde, schob er rasch den schön gebräunten, innen
+aber dottergelben, flaumigen Gugelhupf unter den Tisch, wo ein Brett
+als offenes Fach eingelassen war. Dann schlürfte er seinen Kaffee leer
+weiter, als ob er nichts dazu zu beißen hätte.
+
+Das Gespräch war ziemlich karg; einsilbige Fragen, einsilbige
+Antworten. Bis der Vater die verfängliche Frage stellte, ob Franz
+nun gedenke, den anderen Familienmitgliedern den mageren Bissen
+wegzuschnappen? Worauf der Sohn flink mit der Antwort bereit war:
+»Meinetwegen, Herr Vater, hätten Sie den Gugelhupf nicht verstecken
+müssen, ich mag ohnedies keinen.« Worauf Vater Schulmeister den
+Gugelhupf wieder hervorholte, aus dem Schrank eine Kaffeetasse nahm,
+dem Franz das Restchen aus den Kannen eingoß und ihm obendrein ein
+gewaltiges Stück von dem verheimlichten Gugelhupf vorsetzte.
+
+Franz ließ sich's wohl schmecken. Er wußte, der Herr Vater hatte nun
+einmal solche Eigenheiten, über die das gute Herz doch immer wieder
+siegte; und dieses gute Herz hatte sich eben seiner bäuerischen
+Filzigkeit geschämt, bei der es sich ertappen ließ, und wollte den
+schlechten Eindruck durch um so größere Freigebigkeit verbessern.
+
+An diesem Tag war kein mahnendes Wort mehr gefallen. Am Nachmittag
+dirigierte Franz das Streichquartett, das sich im musikliebenden
+Schulmeisterhaus sofort gebildet hatte. Die Brüder Ignaz und Ferdinand
+kratzten auf der Geige, der Vater schabte das Violoncello und Franz
+spielte die Viola. Die beiden Violinen knarrten und quietschten
+vor Lust und Freude, sie taten aber so laut und ungeniert, als ob
+sie allein auf der Welt wären. Das Violoncello wollte sich die
+Ungebundenheit der vorlauten Violinen nicht über den väterlichen Kopf
+wachsen lassen. Es strengt seine wohlig dunkle Stimme aus Leibeskräften
+an und plagt sich hinter den beiden Wildfangen mit redlichem Schweiß
+einher, was nicht immer ohne Unfall vonstatten ging; nur die Viola
+flötet süß und geleitet die drei stolpernden Kumpanen mit gelinder
+Festigkeit auf unwegsame Höhen, wo man im himmelhohen Jauchzen hätte
+die Welt umarmen mögen. Aber das gute dicke Violoncello mußte sich
+des öfteren schnaufend die Seiten halten und konnte das Springen und
+Jauchzen nicht so flink mitmachen; bleibt öfters im Notengestrüpp
+hängen, sucht sich zuweilen ebenere Wege und markiert nur so den
+hüpfenden und schwebenden Gang der Melodie.
+
+Lächelt der Sohn, klopft mit dem Fiedelbogen ab und sagt schüchtern:
+»Herr Vater, da muß etwas gefehlt sein ...!« Also werden die
+schwierigen Passagen noch einmal genommen und immer noch einmal, bis es
+der Viola und den beiden Fiedeln gelingt, das schwerfällige Cello mit
+Ach und Krach, aber immerhin mit heiler Haut über Stock und Stein zu
+bringen.
+
+Ist hinterdrein quietschvergnügt über die eigene vermeintliche Leistung
+und Fortschritte, schmunzelt vor Behagen und Selbstachtung und läßt
+sich zur Anerkennung herbei: »Das muß man sagen, können tut er was, der
+Franz, das haut ihm keiner 'runter!«
+
+Und die Brüder sehen voll Bewunderung auf den Franz hin, die Mutter ist
+gerührt, daß ihr die Tränen in den Augen stehen, und streichelt ihm
+scheu und zärtlich über den krausen Schädel, glückselig und erstaunt,
+so plötzlich diese stattlichen jungen Kerle zu Söhnen zu haben und
+besonders einen solchen Meister darunter, der ganz beschämt dasitzt und
+alle Lobeserhebungen bescheidentlich ablehnt. Beinahe hätte sie mit
+ihren warmen, molligen Armen den Lockenkopf abgefangen und ihn nach
+Herzenslust abgebusselt, aber sie getraute sich nicht des Vaters wegen,
+der könnt's vielleicht übel auslegen.
+
+Ist übrigens sehr selten, daß der Herr Vater soviel Lob spendet. Hat
+man kaum je aus seinem Munde gehört. Ist schon genug, wenn er nichts
+sagt, als ein Zeichen, daß er zufrieden ist. Wenn ihm was nicht
+gefällt, dem Herrn Vater, ist er gleich mit dem Tadel bei der Hand,
+dann spart er's nicht, räsoniert, greint, wettert, daß einem angst und
+bang wird. Man ist also nicht verwöhnt. Aber daß ihm auch einmal der
+Mund des Lobes voll überfließen könnte, daran kann man sich eigentlich
+kaum je entsinnen.
+
+Aber das Schönste kommt erst. Der Vater nimmt die Mutter zur Seite, hat
+eine kleine, heimliche Unterredung mit ihr, man sieht, daß ihr Gesicht
+in heller Freude aufleuchtet, und draußen ist sie. Vergnügt und ganz
+erfrischt kehrt der Vater zu den Notenpulten zurück, er ist heute noch
+tatendurstig. Es ist noch eine Stunde zum Nachtmahl, die will der Vater
+nicht verlieren. Also wird noch einmal Musik gemacht, bis es finster
+ist.
+
+Jetzt erscheint wieder die Frau Mutter, ganz erhitzt und fröhlich
+aufgeregt -- mein Gott, das Herdfeuer und die muntere Hast! Der Tisch
+ist fein säuberlich gedeckt. »Kommt's essen!« ruft der Vater und setzt
+sich als der Erste in den bequemen Lehnstuhl am oberen Ende.
+
+Die Buben -- sind eigentlich schon erwachsene junge Männer, bleiben
+aber für den Herrn Vater immer noch die Buben -- lassen sich das
+natürlich nicht zweimal sagen und sitzen schon im nächsten Augenblick
+um den Tisch herum, der heute sogar mit einem weißen Tuch gedeckt ist.
+
+Und Weingläser stehen auch da! Ein jeder spitzt: »Hei, da gibt's was!«
+
+Die Mutter ist schon wieder in der Küche draußen, sie ist in ihrem
+Element, wenn sie so richtig wirtschaften kann, aus dem Vollen heraus.
+Inzwischen wird noch eine Weile über die Musik geschwatzt, Musikanten
+sind leicht durstig und hungrig, besonders aber durstig -- man hat das
+Gefühl, als ob man von einer wunderschönen Landpartie zu Fuß und zu
+Wagen zurückgekommen wäre, die herrlichsten Gegenden und Aussichten
+genossen hätte, von fernen Gipfeln, die man nur träumen könnte. In
+diese ätherblauen Seligkeiten hat der Genius geführt -- ja, so ein
+Streichquartett den lieben Sonntag nachmittag, das ist mehr als ein
+vierspänniger Wagenausflug.
+
+So, und jetzt sitzt man, in die Wirklichkeit zurückgekehrt, mit
+erdenfrohem Behagen und Appetit da, die Gabel in der Faust, und wartet
+mit spähenden Augen der Dinge, die da kommen sollen.
+
+Und da fliegt schon die Tür auf, die junge Frau Mutter rauscht herein,
+daß die weißgestärkten Unterröcke und die Schürzenbandeln fliegen, die
+halbnackten, rundlichen Arme tragen hoch eine große Schüssel, eine
+Duftwolke strömt mit -- hm! daß einem das Maul wässert --, jetzt senkt
+sich die Schüssel auf die Tischmitte herab, ein vierstimmiger Ausruf:
+»Ah, Backhendeln!«
+
+Wiener Backhendeln mit Gurkensalat!
+
+Den Jungen verschlägt's fast den Atem, keiner würde wagen, zuzugreifen,
+sie schauen verzückt auf die Backhendeln und dann verwundert auf den
+Herrn Vater -- das hat man noch nicht erlebt, außer bei der Hochzeit
+mit der jungen guten Stiefmutter -- eine solche Freigebigkeit -- was
+muß denn über ihn gekommen sein?!
+
+Den Vater wandelt jetzt ein Schatten an, er fühlt den verwunderten
+Blick der Söhne, fast dünkt es ihm jetzt eine Verschwendung, er bereut
+es beinahe schon wieder, sich in solche Unkosten gestürzt zu haben, und
+blickt eine Weile sinnend und grüblerisch auf seinen leeren Teller. Die
+Stirn hat Falten, wie immer, wenn er nachrechnet.
+
+Mechanisch erhebt er sich zum Tischgebet. Die jungen Kerle leiern es
+herunter mit langen Zähnen, im Mund lauft jedem das Wasser zusammen,
+man sieht's ihnen ordentlich an -- die Mutter blickt glückselig von
+einem auf den anderen -- der Vater betet laut und langsam aber wie im
+Traum, indessen er im Geiste rechnet und rechnet. Er will, bevor er zu
+essen anhebt, das Exempel lösen, wie er die Mehrkosten von heute im
+Lauf der Woche wieder hereinbringt, um das knickerische Gewissen zu
+beruhigen und obendrein so, daß der eine Fresser, der jetzt mehr da
+ist, dreingeht, ohne daß das Wirtschaftsgeld erhöht werden muß.
+
+Ganz einfach, denkt er, indessen seine Lippen laut und langsam beten,
+Fleisch gibt's die ganze Woche nicht mehr -- Mehlspeisen kosten die
+Hälfte -- sind viel gesünder -- Montag Banadlsuppe, kostet fast
+nichts, heißes Wasser mit Ei und Semmelschnitten, etwas Schmalz; dann
+Erdäpfelnudel mit Semmelbröseln abgeschmalzen, Zwetschgensauce dazu
+-- ist gut und nahrhaft, können bampfen dabei, die Schlinghälse, daß
+sie nicht mehr bah sagen können; Dienstag Grießschmarrn mit gekochten
+Kirschen; Mittwoch Holzhackernockerln aus Wasser und Mehl, läßt man
+ein Ei darüber spazieren, macht's nahrhafter und sieht nach mehr
+aus; Donnerstag Linsen, vielleicht Spiegeleier dazu, wenn's reicht;
+Freitag ist ohnehin Fasttag, gibt's vielleicht Hirsebrei mit geriebenem
+Lebzelten drauf; Samstag Kipfelkoch oder Semmelschmarrn, Bofesen wären
+auch nicht schlecht, vielleicht einen Kirschenstrudel -- die Leibspeise
+-- wenn sie nur nicht zu teuer kommt --, als Nachtmahl gibt's die
+ganze Woche nichts weiter als Butterbrot, zur Abwechslung etwa einmal
+frischen Maiprimsen darauf, und, wenn's hoch kommt, ein paar Kirschen
+nachher, die jetzt wohl billig genug sind; na, und Sonntag vielleicht
+wieder einmal einen Schweinsbraten -- sein Gesicht klärt sich auf,
+indessen er das Kreuz schlägt, das Rechenexempel ist gelöst, er kann
+sich beruhigt mit Frau und Söhnen an den Backhendeln ergötzen: Im Namen
+Gott des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen! Mit
+einem vierstimmigen Echo schließt das Amen.
+
+Dann ein eiliges Sesselrücken, dicht an den Tisch heran, so bequem und
+fest als möglich, die Serviette unters Kinn gesteckt, in den Halskragen
+hineingestopft, der Vater langt mit der Gabel zuerst zu und sticht das
+Pfaffenschnitzel heraus mit etwas gerösteter Petersilie darauf, wegen
+des Wohlgeschmacks, flink hat ein jeder sein Trum auf dem Teller,
+der eine ein solches weißes Bruststück, der andere ein Haxerl, ein
+Stück Flügerl, ein paar Minuten vergehen wortlos, indessen das zarte
+Fleisch mit der schönen braunen, knusperigen Rinde zwischen den Zähnen
+mitsamt den weichen Knöchelchen krachend zerbissen wird und Stück um
+Stück verschwindet. Zu jedem Bissen Fleisch eine tüchtige Gabel voll
+Gurkensalat.
+
+Vater Schubert stößt vertraulich den Franz an und deutet mit dem Messer
+auf das Büchschen Paprika, das am Tisch steht.
+
+»Mußt etwas Paprika auf den Gurkensalat tun! Zum Gurkensalat gehört
+eine Messerspitze Paprika!«
+
+Also streute Franz vorsichtig etwas Paprika auf den Gurkensalat.
+
+Das gibt zu dem Arom eine köstliche Würze, daß man einen brennenden
+Rachen hat wie ein Feuerschlucker.
+
+Die Schüssel ist leer, nur ein Häuflein Knochen ist übriggeblieben
+wie auf einer Schädelstätte. Jeder lehnt sich behaglich und von der
+emsigen Arbeit aufseufzend in den Sessel zurück; die Flammen in der
+Kehle müssen gelöscht werden. Da langt der Vater nach einem Krüglein,
+das unter dem Tisch bei seinen Füßen steht, hebt es sorgfältig prüfend
+ans Licht und schenkt jedem das Glas voll. Gumpoldskirchner!
+
+Zu Backhendeln mit Gurkensalat gehört Gumpoldskirchner, das ist
+stilgerecht. Es könnte auch ein Grinzinger sein, ein Sieveringer, ein
+Alsecker, ein Bisamberger, ein Klosterneuburger, ein Weidlinger, ein
+Kremser, ein Mailberger, ein Haugsdorfer, ja, man würde gar nicht
+fertig in der Aufzählung der vielen guten Tropfen, die zu einer solchen
+Wiener Götterspeise gehören. Jeder hat seine eigene Blume, aber jeder
+paßt dazu. Vater Schubert liebt besonders den Gumpoldskirchner. Er ist
+goldgelb, etwas schwerer wie die anderen, kostet auch etwas mehr, aber
+an hohen Fest- und Feiertagen möcht' man halt auch was Besonderes haben.
+
+Glänzen alsbald die Äuglein, wie der Gottestrank die Zunge hinabläuft,
+inwendig ein behagliches wärmendes Feuer anzündet, daß die Begeisterung
+wach wird und die Zungen sich lösen. Schwebt schon der heilige Geist
+auf sie herab und fängt der eine und andere an, mit Engelszungen zu
+reden. Franz, der wortkarge, der verschlossene, wird gesprächig.
+
+Ist so eine schöne Sache, die Musik, hebt den Menschen ins Himmelreich,
+daß er in lichter blauer Seligkeit hinschwebt, als ob er Flügeln hätte
+und wirklich schon im Paradies wäre. Fällt alles Schwere ab, alle
+Sorge, und selbst was traurig stimmt, wird tröstlich und labesam.
+Ist neben der Musik aber auch was Schönes, Backhendeln essen mit
+Gurkensalat, und Gumpoldskirchner dazu zu trinken! Gewiß! Essen und
+Trinken hält Leib und Seele zusammen. Die Seele schwingt sich auf,
+wandert frank und frei im Reich der Töne, aber sie muß wieder zurück,
+wenn der Leib schwach und hungrig wird, und muß sich wieder stärken mit
+ihm, denn Leib und Seele gehören nun einmal zusammen. Wie könnte sie so
+schöne Lieder erfinden und gottselige Gedanken pflegen, wenn sie nicht
+hin und wieder durch den Leib mit so herrlichem Essen erquickt würde.
+
+Gibt es doch kein Land, wo so erlesene Genüsse zu haben sind, solche
+Backhendeln, solchen feinen Salat und einen so himmlischen Tropfen wie
+diesen Wein! Drum kann auch nirgends die Seele so hoch in Begeisterung
+steigen wie hier, wo sie auch auf Erden sich bereits im Himmelreich
+wähnt. Womit schmeckt denn der Leib diese wunderbaren Gaben, wenn nicht
+mittels der Seele, die es zu schätzen versteht, was ihr hier vorgesetzt
+wird, und die dann noch einmal so herrlich zu singen und sagen weiß.
+Diese Backhühner, dieser Wein muß nicht allein mit dem Leib genossen
+sein, wenn es gut anschlagen soll -- nein, Speis' und Trank ist es für
+die liebe Seele!
+
+Die Mutter lächelt verklärt und schaut gedankenvoll aufs Tischtuch,
+die Brüder schauen mit glosenden Augen bald auf den Vater, bald auf
+den Franz, der eine so verwunderliche Rede hält; Ignaz, der Älteste,
+schaut drein wie ein Gelehrter, mit den dunklen, brennenden Augen
+in dem blassen, schmächtigen Gesicht, der gewaltigen Stirn und dem
+Grübchen im zwiespältigen Kinn -- das haben alle Brüder vom Vater
+her --, ist selbständiger Schullehrer, hätte aber nie gewagt, vor dem
+Vater solche freigeistigen Reden zu führen; Bruder Ferdinand, dieweilen
+noch Schulgehilfe, musik- und sangesbeflissen, lacht mit gutmütigem,
+verschmitztem Bauerngesicht den geliebten Bruder Franz an, und sitzt
+ihm die Freude heimlich in den munter blitzenden Äuglein; Karl, der
+jüngste Bruder, der noch die Kunstschule besucht und Maler werden
+möchte, schaut mit seinem hellen, offenen Künstlerantlitz bewundernd
+hin auf Franz und denkt, so muß man's machen, frisch und keck, dann ist
+der Herr Vater als Wauwau nicht halb so schreckhaft -- rückt näher an
+Franz heran, hängt mit den Augen an seinen Lippen und berauscht sich an
+dessen Worten; nun und der Herr Vater, dem die Weinseligkeit aus den
+Augen tropft, sitzt lächelnd da wie Vater Noah, nickt gutmütig zu dem,
+was der begeisterte Franz faselt, hebt dann selbstvergessen, als ob die
+Buben da nicht seine Söhne, sondern seine Kameraden aus der Jugendzeit
+wären, das Glas, um mit Franz anzustoßen!
+
+Man ist baff! Das hat der Vater nie getan!
+
+Der Herr Vater stoßt mit dem Sohn Franz an, dann stoßt er mit der Frau
+Mutter an, die Gläser klingen zusammen, und jetzt fahren auch die
+anderen herzu und stoßen alle zusammen an.
+
+»Prosit, Herr Vater!« der Franz sagt's, dann sagt's der Ignaz, dann der
+Ferdinand und dann der Karl.
+
+Jetzt schreien es alle vier.
+
+»Prosit, Frau Mutter!« Wieder ist es der Franz, der das sagt. Und jetzt
+fahren wieder die Gläser zusammen, daß es klingt wie ein Glockenspiel,
+und alle schreien lauter als vorher: »Prosit, Frau Mutter!«
+
+Karl, der Jüngste, ist so aufgeregt, daß er fast seinen Wein
+verschüttet. Da sind die kostbaren Tropfen auf das Tischtuch gefallen,
+und schon fliegt sein Blick ängstlich zu dem Vater hinüber, der sich
+die Gelegenheit sonst nicht hätte entgehen lassen, dem Karl eine
+ordentliche Predigt zu halten, wie man sich zu benehmen habe. Die
+schöne Gottesgabe verwüsten -- Bub, wirst noch einmal froh sein, wenn
+du so einen Tropfen hast! Aber heute, nein -- der Herr Vater ist
+gnädig, er tut so, als ob er nichts bemerkt hätte.
+
+Der Schreck ist dem Karl doch gelinde in die Glieder gefahren -- wenn
+der Herr Vater auch heute nichts sagt, das dicke Ende kommt nach!
+Dem Alten ist nicht zu trauen -- er hebt sich's auf morgen auf! Aber
+mit einem Schluck hat Karl die Bänglichkeit hinuntergeschwemmt, die
+Keckheit gewinnt jetzt Macht über ihn, an Franzens Beispiel gestärkt.
+
+»Sind wir lustig heut -- Prosit, Herr Vater!« und hebt mit knabenhafter
+Dreistigkeit das Glas, um mit dem Vater aufs neue anzustoßen.
+
+Läßt aber gleich das Glas wieder sinken vor dem strafenden Blick des
+Vaters.
+
+»Benimm dich!« weist ihn der zurecht. Er kann's nicht leiden, wenn
+sich Kinder übernehmen. Müssen »Sie« zu den Eltern sagen, damit der
+Respekt vor der elterlichen Würde gewahrt bleibt, und möcht' dann so
+ein Junge bei der erstbesten Gelegenheit die strenggezogenen Grenzen
+mir nichts dir nichts verwischen. Sind doch beide nicht zugleich auf
+der Schulbank gesessen -- na also! Spricht's zwar nicht aus, der Herr
+Vater, denkt's aber so ungefähr und redet mehr durch die Augen, die mit
+langem, einschüchterndem Blick auf Karl ruhen, der schon vergeht wie
+ein allzu keckes Flämmchen unter einem großen Löschhut.
+
+Erhebt sich drauf der Herr Vater und sagt kurz und bestimmt: »So -- und
+jetzt schlafen gehen!«
+
+Also gehen alle schlafen, jedes mit dem seligen Gefühl: war ein schöner
+Sonntag heute!
+
+Aber es kann nicht immer gleich schön bleiben, kommen auf gutes Wetter
+immer allemal auch trübe Tage mit Regen und Sturm; und so ist es im
+Leben ein ewiges Schwanken, und sind die himmelblauen Tage im Jahr karg
+gezählt.
+
+Nicht alle Sonntag ist Kirchtag, war auch der nächste Sonntag schön,
+aber nicht ganz so schön. Gab es keine Backhendeln mehr, sondern kaltes
+Schweinernes abends, das von Mittag übriggeblieben war. Schmeckte aber
+auch sehr gut. Gumpoldskirchner gab es ebenfalls nicht, dafür billiges
+Abzugbier -- Fensterschwitz. Macht nichts, wenn es frisch ist, ist es
+recht gut und gesund vor allem, gesund.
+
+Das Streichquartett bleibt jetzt eine ständige Sonntagseinrichtung,
+nimmt auch der Herr Regens chori von der Liechtentaler Kirche teil,
+Herr Michael Holzer, bei dem Franz in seiner Knabenzeit Singunterricht
+genommen hatte. Ist ganz beteppert, der Herr Regens chori, vor lauter
+Hochachtung für das musikalische Genie, kann sich gar nicht genug tun
+mit überschwenglichen Worten über Franzens Kompositionen, daß es dem
+schon zu dumm wird, weil sein alter Lehrer gar so fein und überhöflich
+mit ihm tut, fast genierlich für ihn, den Jungen.
+
+Meint der Herr Regens chori, daß es ihn halt so viel freuen tät',
+wenn der Herr Franz die Erlaubnis geben möcht', etwas aufzuführen
+von ihm nächstens beim hundertjährigen Jubiläum der Liechtentaler
+Kirche -- hätte er doch eine wunderschöne Messe geschrieben noch als
+Konviktsschüler, die an und für sich schon ein Meisterwerk wäre. Da
+wollt' er schon lieber was Neues machen, lächelte Franz, die früheren
+Arbeiten wären doch zu gering, müßt' schon etwas Besonderes werden --
+zur höheren Ehre Gottes!
+
+Befriedigt blickt der Vater auf den Sohn, ist stolz auf ihn -- aber zum
+Kuckuck auch, ist doch nur brotlose Kunst, was er treibt, und von der
+Ehr' kann man allein nicht leben; muß auch tüchtig zugesehen werden,
+daß Franz bald seinen eigenen Brotsack umgehängt bekommt.
+
+War auch nicht viel Zeit vergangen, hat ihn der Vater schon ins
+Amt hineinbugsiert. Ein paar Monate Präparandenschule, dann
+Lehramtsprüfung, und jetzt ist er Schulgehilfe. Ist es gleich
+nebenan in der Säulengasse unter seines Vaters Aufsicht, der sechs
+Schulgehilfen beschäftigt. Franz kriegt dieselbe Bestallung: freies
+Quartier und einen Gulden Wiener Währung pro Monat und Schülerkopf.
+Hat den Vorzug, in Vaters Haus zu wohnen und Kost zu kriegen. Die wird
+ihm freilich berechnet. Bleibt immerhin noch ein Taschengeld für das
+bißchen Kleider und sonstige kleine Bedürfnisse.
+
+Das mit der Messe für die Liechtentaler Kirche geht dem Franz nicht
+aus dem Sinn, in seinem Herzen stürmt es, ist aber eingesperrt den
+lieben langen Tag in den Schulkäfig -- was ist das für ein Leben?!
+Bloß weil es das Brot ist?! Anstatt wie die Lerche in blauer Seligkeit
+zu schweben und den Schöpfer zu preisen, muß er sich abmühen von früh
+bis abends, kleine Rotznasen unterrichten, ABC-Schützen, die auch
+alles andere lieber täten, als still zu sitzen mit den Händen auf der
+Schulbank und aufzumerken.
+
+In Franzens Hirn und Herz flutet es, die Gedanken und Gefühle kochen
+mit eherner Gewalt, sie wollen sich nicht abweisen lassen und flattern
+heran wie Zaubervögel, die Fuß fassen möchten, gehalten sein, um nicht
+hilflos ins unendliche Meer des Vergessens zu sinken. Er will sie
+halten, muß aber an der Schultafel stehen und mit der Kreide Buchstaben
+hinmalen, a, b, c, die von den Buben auf die Schiefertafel nachgekratzt
+werden. Und muß ihnen das Einmaleins vorrechnen: einmal eins ist eins,
+zweimal zwei und so weiter. Dann läßt er es einen nach dem anderen
+auswendig sagen und kritzelt unterdessen hastig die Gedanken hin, die
+aus dem Herzen zum Kopf drängen. Der eine Bub sagt zweimal zwei ist
+drei, der andere zweimal zwei ist fünf -- alles stimmt. Haben es die
+Schüler und der Lehrer gleich gut. Ist ja auch wirklich so: nichts geht
+im Leben so glatt aus, daß man sagen könnte, zweimal zwei ist vier.
+Immer wird's ein bißchen zu wenig oder ein bißchen zu viel, jedenfalls
+ein bißchen anders, so daß zweimal zwei entweder drei oder fünf
+ausmacht.
+
+Oder es guckt der Herr Lehrer selbstvergessen und dem Liederborn
+in seiner Brust lauschend zum Fenster hinaus, wo ein blau-goldener
+Vormittag leuchtet, indessen man in dem kalkweißen Zimmer bei
+langweiligem Tun hocken muß. Gucken auch die Buben zum Fenster hinaus
+und empfinden ungefähr dasselbe. Ertappen sich gegenseitig Lehrer und
+Schüler bei diesen abschweifenden Gedanken, gucken sich gegenseitig an
+und lachen.
+
+Ein Dichterwort flattert unversehens aus Franzens heimlich klingender
+Seele auf: »In Grün will ich mich kleiden.« Unwillkürlich entschlüpft
+es seinen Lippen, sitzen die Buben versteinert da, als ob ein
+Märchenvogel bei dem offenen Fenster hereingeflogen wäre. Fängt einer
+von den ältesten Rangen in der letzten Reihe tölpisch zu lachen an,
+wohl aus Verlegenheit, ducken ihn aber die anderen schon nieder mit
+heimlichen Knüffen und zugerauntem »Kusch!« Wird aber sofort wieder
+das Maul gehalten, und sitzen alle atemlos da, wundersam berührt. Geht
+ein Engel durchs Zimmer, sagen die Leute, wenn plötzlich gespanntes
+Schweigen eintritt. Jetzt war's so. Ein Engel ist durchs Zimmer
+gegangen, der Genius, hat sie alle mit dem Finger ans Herz getupft.
+
+Und Franz, der Schulgehilfe, reißt die Violine aus dem Kasten und
+spielt ihnen sein neuestes Lied vor: »In Grün will ich mich kleiden.«
+
+Nach Hunderten zählen die Schöpfungen, die ihm in diesen Monaten durch
+das graumaschige Netz der eintönigen Tagespflichten als Geschenke des
+Himmels durch die Finger gleiten. Einer ist, der hat in der Tiefe des
+deutschen Herzens das unsterbliche Lied erklingen verspürt -- der
+deutsche Genius hat durch seinen Mund gesprochen: Goethe. Über diesen
+Dichterquell gebeugt, hat Franz das melodische Rauschen vernommen,
+darin der Wald raunt, der Bergstrom braust, das Herz aufschreit in
+Lust und Leid, die Wanderfröhlichkeit jubelt, und die Sehnsucht mit
+blauem Bande lockt; in sein Inneres hineinhorchend wie in einen
+tiefen Märchenbrunnen, hat er das Lied singen gehört. Das deutsche
+Lied. Draußen am Himmelpfortgrund ist es entstanden. Und hat anders
+geklungen als alles, was man je früher gesungen hat. Tiefer, feuriger,
+ergreifender.
+
+Die kleinen Schulbuben verstehen nichts von Musik, aber das Lied,
+dieses und noch manches andere, das ihnen Franz vorspielt und mit
+halblauter Stimme vorsingt, haben sie gleich begriffen.
+
+Franz legt die Geige sachte wieder hin, da bricht der starre Respekt,
+der eine künstliche Spannweite zwischen Lehrer und Schüler herstellt,
+wie eine Eisrinde vor der schmelzenden Glut der Herzen zusammen, die
+Rotzbuben sind aus den Bänken gestürmt und haben ihn jubelnd umdrängt,
+die Hand wollen sie ihm küssen, hinaufgeklettert sind sie an ihm,
+einer über dem anderen. In der Maske des Schulgehilfen haben sie den
+älteren Mitbruder und Kameraden entdeckt, die Kindheit hat ihn gleich
+begriffen, wie alles, was menschlich rein und echt ist. Es bedarf
+keines Nürnberger Trichters, keines Systems, keiner Schulzwangsjacken,
+keines Ochsens und Büffelns, sie haben es von sich aus verstanden.
+Somit wäre das richtige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler,
+gewissermaßen auf du und du, hergestellt.
+
+»Putz' dir die Nasen!« geht die lachende Ermahnung an einen Knirps,
+der sich just vor inniger Freude an Franzens Handrücken abwischt. Hat
+aber kein Bub ein Schneuztuch, macht's ein jeder wie der Bauer mit zwei
+Fingern und dann auf die Erde damit, was im Schulzimmer nicht angeht.
+Fährt man also, wie im Notfall immer, einmal mit dem linken Rockärmel
+um die Nase, dann mit dem rechten, daß die Ärmelenden hart und speckig
+glänzen, wie glasierte Schweinsschwarteln.
+
+Ist ein neuerliches Hallo über den Rotzbuben, daß es laut in den
+Schulgang hinausschallt, worauf der Herr Vater beim Türspalt
+hereinguckt, mißtrauisch über die Ungebundenheit, die gerade nur
+in Franzens Klasse herrscht. Ein Glück, daß im selben Augenblick
+die Glocke schallt und der Vormittagsunterricht zu Ende ist. Vater
+Schulmeister schüttelt den Kopf; er ist gar nicht recht zufrieden mit
+seinem neuen Gehilfen. Daß ein Lehrer die Anhänglichkeit und Liebe
+seiner Knaben zu gewinnen weiß, wäre schon recht; aber wo bleibt der
+schuldige Respekt?! Wo bleiben die Schulreglements?! Der Lehrplan?!
+
+»Lehrplan, Schulordnung, Respekt sind die Hauptsachen, verstanden?!«
+
+In Grün will ich mich kleiden ...! Allein oder mit Bruder Karl, der
+den rechten Landschaftersinn dafür besitzt, spaziert Franz häufig an
+Sommerabenden zwischen den Feldern und Weingärten der benachbarten
+Ortschaften umher! Eine versunkene Welt! Heute ragen nichtssagende
+Zinskasernen in staubigen, lärmenden Straßen in diesen Gegenden, die
+einst ländliche Idyllen waren.
+
+In Grün gebettet zwischen schwellenden Hügeln mit Wein und Wald, liegen
+Währing, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Döbling, ein lieber Kranz
+von Landschaften rund um die alte Wiener Stadt.
+
+Begeisterte Naturgedichte entstanden in der damaligen Zeit, die frohen
+Müllerlieder waren hier für Franz Erlebnis geworden, der sie zum
+erstenmal sang. Er hat sich seine Dichter gefunden, nach Goethe die
+besten, und hat ihren Worten einen klingenden Mund verliehen, denn
+alles, was er hier ansah, war schon heimliche Musik. Er spürte sie
+zutiefst inwendig, und wenn die Dichterworte durch seinen Genius ihr
+klingendes Gefieder erhalten hatten, dann blieben sie auch nicht lange
+daheim in der Schublade, sondern flatterten aus, zu den Freunden in
+die Stadt, zu Spaun, der regelmäßig neue Noten von Franz bekam und sie
+wieder bewundernden Freunden weitergab.
+
+Ein Legendenkranz hatte sich drinnen in der Stadt um den einen
+gebildet, »dessen Ruhm alle anderen überstrahlen sollte«. Er war schon
+berühmt und hatte zahlreiche Anhänger und wußte es nicht, indessen er
+abends als armer und sehnsüchtiger Schulgehilfe zwischen den Feldern
+ging. Und war dennoch auf eine heimliche und sehnsüchtige Weise
+glücklich, wie man es als naturfreudiger Mensch im Schoß solcher
+entzückender Landschaften nur sein konnte. Lieder, wie sie damals aus
+dem Herzen der Menschheit sproßten, blühen dem heutigen Geschlecht
+nicht mehr, die Menschenseele ist unfruchtbar geworden; sie hat den
+blühenden Garten ringsum in eine Wüste verwandelt und fristet in den
+Steinhaufen ein innerlich verarmtes Dasein. Das hätte man damals nicht
+für möglich gehalten.
+
+Eines Spätnachmittags betraten Franz und Karl den Döblinger Friedhof,
+wo die selige Mutter begraben liegt. Steinerne Engel knien zwischen
+dunkelgrünen Zypressen in dem Alt-Wiener Friedhof, Urnen und gestürzte
+Säulen leuchten weiß in ernstem Grün, rote Blumen bluten da und
+dort auf den Gräbern. Der Vater hat einen einfachen Stein über den
+Grabhügel setzen lassen, ein frischer Wiesenstrauß liegt dort zu oben
+auf. Den hat die Stiefmutter niedergelegt, die Jugendfreundin von der
+Verblichenen. Gute Seele! Die Vögel schmettern in den Gebüschen wie in
+einem Lustgarten, die Einsamkeit verbirgt ihr Haupt in dem Schoß der
+Ruhe und des Friedens! Die Trauer war aus dem Herzen geschwunden, die
+Selige stand im Verklärungslicht.
+
+Franz war ernst und hoch gestimmt. »Wir gehen alle in Gott!« sagt er
+plötzlich zu Karl, der zustimmend nickte, den Bruder aber nicht ganz
+begreift. In tiefem Gespräch gehen sie dann in der Dämmerung hin.
+
+Der gläubige Franz! Er ist kein Grübler, kein Eiferer, kein
+Kirchenfanatiker, aber er besitzt ein frommes Gemüt wie jedes echte
+Naturkind. Die Seele weiß sich eins mit dem Geist der Dinge, der
+Natur, der fernen und nahen Lieben. Sie findet ihren inneren Ausgleich
+in dieser Allgegenwart alles Gutem, geheimnisvoll Wirkendem, geistig
+Lebendem und am Weltbau Schaffendem. Für ihn gibt es kein anderes
+hehres Wort dafür als: Gott! Darum gibt es für ihn auch in der Trübnis
+kein Sinken, kein Sich-verloren-wähnen, immer und überall geht er in
+Gott. Seine Seele ist wach und hat alle Fenster auf für die magischen
+Kräfte des Unendlichen, die auf ihn einströmen und das Band waren, das
+ihn mit allem lebendig verknüpfte, was er liebte und ehrte. Hier ist
+der Keimpunkt seines Dichtens und Werdens.
+
+Als sie bei sinkender Nacht heimkehren, ist der Plan seiner Messe,
+die ihm im Kopf herumgeht, fertig. Seine kindliche Dankbarkeit, die
+Anbetung des Unendlichen, das Gedenken an die Verblichenen, das
+göttliche Allgefühl, alles will ausströmen als Gesang, als Jubel
+der Seele. Das hat ihn der liebe Gott gelehrt, dem will er's wieder
+zuwenden. Dem großen, geheimnisvollen, schöpferischen Etwas, das in und
+um ihn ist. Ein ganz Großer hat es ihm zuvorgetan, dem er in Ehrfurcht
+nachblickt; der herrliche, unsterbliche Mozart, dem der kleine,
+ränkesüchtige Salieri so bitter zugesetzt hatte.
+
+Mozart, das war ein Wegweiser zu dem ganz Großen in ihm, auf das er
+horchen mußte. Mozart und dann ein anderer ganz Großer: Herr Ludwig
+van Beethoven, dessen ehrwürdig finsterer Erscheinung er zuweilen auf
+einsamen Wegen ansichtig wird. Alles weicht dem scheu aus -- so gehört
+es sich, wenn ein Gewaltiger kommt.
+
+Trotz aller Schulnöten ist die Messe in zwei Monaten fertig -- gleich
+in Partitur geschrieben mit sämtlichen Chor- und Orchesterstimmen,
+die Prim- und Sekundviolinen je dreifach, die Baßstimmen doppelt in
+F-Dur komponiert -- so schön wie es nur einer kann, dem's der liebe
+Gott eingibt. Gar herrlich soll das Werk am hundertsten Jahrestag der
+Liechtentaler Kirche vom Chor herab erklingen.
+
+Franz leitet die Aufführung, Herr Michael Holzer, der Regens chori,
+sitzt an der Orgel, den Sopransolo singt eine Schöne vom Grund --
+Therese Grob. In der Kirche unter der Menge, die Kopf an Kopf steht,
+lauschen die Freunde Schuberts, die eine große Zahl Sinnesgenossen
+mitgebracht haben. Spaun ist mit einigen Leuten erschienen, die vor
+Begierde auf den jungen Meister brennen, den sie schon aus seinen
+Liederkompositionen schätzen und lieben gelernt haben. Sie lieben
+alle die Musik, der junge Maler Schwind, der Maler Kupelwieser, der
+weltmännische Herr von Schober, der dem Priesterrock entsprungene,
+verschlossene, von innerer Leidenschaft glühende Zensurbeamte und
+Dichter Mayrhofer, von den Konviktsfreunden gar nicht zu reden.
+
+Nun stehen sie in der Kirche und lauschen auf das Trommeln, Pauken und
+Schmettern, das oben angeht, als ob sich der Himmel geöffnet hätte und
+die Heerscharen zu musizieren anfingen.
+
+Zuerst ein stammelndes Geplauder in Tönen, wie wenn ein Kind zum Vater
+redet, zaghaft, dann unbekümmert, vertrauensselig, voll unschuldiger
+Hingabe. Jetzt erhebt sich ein Sopransolo mit klangvoller Macht;
+herrlich steigt die Stimme der Therese Grob aus wirbelnden Tonfluten
+hervor, schlägt schmerzliche Laute, ein demütiges Bitten, die Geigen
+flehen mit, der Chor tritt dazu, die Gefühlswoge steigt höher und
+höher, immer wilder entfaltet sich die blühende Stimme, ringt sich über
+alle Wirren himmelwärts, eine leidenschaftlich Liebende, die zum Herzen
+schreit, zum unendlichen Gnadenherzen, um Erhörung zu erzwingen.
+
+Niemand weiß, daß sie längst Erhörung gefunden hat bei dem
+Meisterlein oben, der das Weltherz in sich fühlt und ganz gerührt
+und hingerissen ist, nicht so sehr von dem eigenen Werk, als von der
+einschmeichelnden Stimme der Therese Grob. Jetzt weiß er selbst zu
+seinem seligen Schmerz, was eine menschliche Stimme bedeuten kann. Er
+hat wahrscheinlich nicht geahnt, was das einfache braune Greislerkind
+in der Stadt, die Fanny, um ihn heimlich gelitten hat; nun leidet er um
+Therese, und ist glücklich, weil er so leidet. Er hat es nicht wissen
+wollen während der Proben, daß es sein Inneres so mächtig ergreift,
+aber schließlich gab es kein Vorbeidenken mehr, er ertappte seine
+Gedanken und Gefühle immer wieder dabei, wie sie mitten im Arbeiten,
+im Schulhalten, im Träumen, im Wachen und Schlafen auskniffen, und
+erwischte sie immer wieder bei dem Bild seines Herzens, der Therese
+Grob und ihrer schönen Stimme.
+
+Nichts nützte es, daß er zählte von eins bis hundert, bis zweihundert,
+bis fünfhundert, abends im Bett, um ohne müßige Träumerei
+einschlafen zu können, half eben alles nichts gegen die beschämende
+Selbsterkenntnis: er war verliebt. Kerl, dummer, närrischer, blöder,
+verliebter! Möchte sich ohrfeigen, vor sich selber verkriechen,
+beschimpft sich, verachtet sich, alles umsonst -- die eigenen
+Koboldgedanken lachen ihn aus. Er kann dem Mädel gar nicht mehr ins
+Gesicht sehen, ist unhöflich mit ihr, verschlossen, fast grob -- und
+möchte zugleich in hilfloser Zärtlichkeit vor ihr vergehen.
+
+Jetzt, wo er als Dirigent oben steht und die Stimme wieder niedersinkt,
+demütig um Erbarmen bettelnd, fühlt er ganz klar, wie es um ihn steht;
+er zittert, daß ihm beinahe der Taktstock entfällt. Die Geigen klagen
+und irren ängstlich umher, ein Fortissimo setzt ein, der Chor tritt mit
+verstärkter Macht auf, und die Stimme wirft sich verzweifelt empor --
+und jetzt ist es, als ob sich der Gnadenschoß auftun würde, Engelschöre
+schmettern aus allen Himmelstiefen die Verkündigung herab, die Stimme
+der Seligen ertönt süß und heilig, die unendlich erlösende Liebe nimmt
+die Flehende in ihr unendliches Reich auf.
+
+Die Freunde drängen nach Schluß dem Choraufgang zu, aber Franz ist
+bereits entschlüpft, einer, der aus dem Gnadenhimmel gestürzt ist und
+keine Erhörung suchen und finden kann. Heimgerannt ist er, um sich
+zu verstecken, in sein Zimmer hinauf, heiß und schmerzvoll, da fährt
+er zurück, ein ungeschlachtes Ding steht da, bleckt ihn mit weißen
+Zähnen an, ein ausgewachsenes, fünfoktaviges Klavier, ein Geschenk
+des Herrn Vater zu dem Tag, wo der begnadete Sohn eine Berühmtheit
+vom Himmelpfortgrund geworden ist. Ja, das ist er imstande, der
+knickerische, tyrannische, rechnerische Hausvater, der jedem den Bissen
+vorrechnet und dann wieder das Herz hat, im rechten Augenblick groß zu
+sein.
+
+Franz steht da wie ein armer Sünder. Ein fürstliches Geschenk! Daß der
+Vater die Spendierhosen angehabt hat, schier wie ein Verschwender,
+das rührt ihn fast zu Tränen. Er dankt mit ein paar trockenen Worten,
+die widerwillig genug klingen. Ja, kann man denn alles sagen, was
+man inwendig hat?! Lieber soll's einem zersprengen, als so kindische
+Gerührtheiten! Er muß sich gleich wegwenden, damit man's nicht merkt,
+was eigentlich in ihm vorgeht.
+
+Aber da kommen schon die anderen angestiefelt, der Herr Regens chori,
+der Herr Fabrikant Grob, mit ihm die Tochter Therese -- o Gott, da
+verschlägt's ihm völlig die Red'.
+
+Sie kommen alle gratulieren, der Herr Regens chori ist gar stolz,
+weil er Schubert seinen einstigen Schüler nennen darf und ein Abglanz
+des Ruhmes auf ihn, den alten Lehrer, fällt; der Herr Fabrikant Grob
+aus der Liechtensteinstraße bittet den Herrn Vater Schulmeister und
+namentlich den berühmten Sohn Franz um die Ehr' ihres Besuches, sie
+hätten selber ein kleines Hausquartett -- es könnte sich natürlich
+nicht messen mit einem solchen vollendeten Meister der Tonkunst,
+wie der Herr Franz -- er möge halt gnädig ein Auge oder alle zwei
+zudrücken, aber die Freude soll er ihnen nicht versagen, zu kommen,
+und wenn die Bitte nicht gar zu verwegen ist, sie durch das Vorspielen
+einiger Sachen zu erfreuen. In der Kirche sei alles hingerissen
+gewesen, die Leute hätten geweint, und er selber ist dagesessen
+wie mitten drin in der Seligkeit. So, und jetzt muß er ein wenig
+verschnaufen.
+
+Therese, schon ein wenig ungeduldig über des Vaters lange Rederei, sie
+hat selber so viel zu sagen, verpaßt natürlich nicht den Einsatz und
+legt nun los wie ein Sturzbach, daß dem armen Schubert gar wirr zu Kopf
+wird. Von ihrem schrecklichen Lampenfieber erzählt sie, daß es ihr
+die Kehle zugeschnürt hat und wie sie mehrmals auf ein Haar daneben
+gesungen hätt' -- ob er denn gar nichts bemerkt hätt', der Herr von
+Schubert?
+
+»Hab' nichts bemerkt,« versetzte er hölzern, »ist ohnehin gegangen wie
+aus einem Wasserröhrl!«
+
+Wasserröhrl?! -- das kühlt auf einen Moment ab wie eine kalte Dusche.
+Therese wird einen Augenblick blaß, Franz wird über und über rot, weil
+er denkt, jetzt hat er was Dummes gesagt. Ja mein, Süßholzraspeln ist
+halt nicht seine Sache. Das muß sie schon verstehen, daß er's gut
+meint. »Ist ohnehin ganz gut gegangen,« fügt er hinzu und glaubt schon,
+weiß Gott was für eine Riesenschmeichelei das jetzt wär'. Ist sehr
+unsicher und beschließt insgeheim, lieber wenig oder gar nichts zu
+sagen, bevor er wieder einen Schnitzer macht.
+
+Das Mädel ist erpicht auf Komplimente, ein Bonbon, eine Schmeichelei,
+sind ja so verwöhnt, die jungen Dinger, schaut ihn fast rührend und
+bittend an, tut gar so schön zu ihm und laßt ihn nimmer aus, damit
+nicht Vater Grob den Herrn Franz in Beschlag legt. Süß kann sie es wie
+eine Turteltaube, redet mit holder Schwatzhaftigkeit vom Hundertsten
+ins Tausendste, redet nicht nur mit dem Plappermäulchen, redet auch mit
+den hurtig herumspringenden Äuglein, redet vor allem mit den Händen,
+die jedes Wort ausführlich begleiten, weiß sich gar nicht zu halten vor
+lauter Temperament -- Wiener Mädel vom Grund!
+
+Er steht da, steif und unbeweglich wie ein Sack, strengt sich an,
+möcht' was Gescheites sagen, fühlt sich ganz blöd, fällt ihm absolut
+nichts ein. Ganz tramhapert ist ihm zumut, und zugleich ist er ganz
+seltsam bewegt von dem lebhaften Mädchen, die aufgeschossen und schlank
+vor ihm steht und sich wiegt wie eine blühende, weißgrüne Staude,
+duftig und schneeweiß gekleidet mit vielen bauschigen Falben, hellgrün
+besetzt, weißen Strümpfen und weit ausgeschnittenen Halbschuhen, die
+mit kreuzweise um das Bein geflochtenen Bändern festgehalten sind. Die
+Ärmeln sind weit und hoch geschoppt, das gibt ihr etwas Rundung, was
+sie nötig hat, der Hals trägt im tiefen Brustausschnitt ein farbiges
+Medaillon an einem schwarzen Samtband, sie scheint um einen Kopf
+größer, vielleicht wegen der hoch aufgetürmten Frisur, die den Scheitel
+mit einem Lockenbau krönt. Das Gesicht wäre hübsch zu nennen, wenn die
+Nase nicht ein wenig zu lang geraten wäre.
+
+Aber ihre Lebhaftigkeit verschönert sie, sie ist immer in Bewegung, das
+verschleiert die Fehler. Er könnte sie nicht beschreiben, die zum Teil
+recht unproportionierten Einzelheiten fallen ihm gar nicht auf, er hat
+nur den Eindruck von etwas sehr Lieblichem als Gesamterscheinung, und
+die Erinnerung ihrer Stimme im Ohr -- so erscheint sie ihm zauberschön.
+Mit einem Wort: er ist weg, ganz weg! Während ihr das Mundwerk geht wie
+ein Mühlenrad, denkt sie beiseite: daß er gar so ein Stockfisch ist und
+nichts sagt als bloß Hm! Ja freilich! Natürlich! So so -- ja ja!
+
+»Also Herr von Schubert,« versichert der Schäker beim Abschied, »eine
+ganze Stunde haben wir verplaudert und lustig war's! Also nicht wahr,
+Sie kommen ganz bestimmt zu uns -- es tät' den Vater halt soviel
+freuen!«
+
+Franz besann sich.
+
+»Das muß ich mir erst überlegen -- wir werden schon sehen .... wissen
+Sie, ich hab' halt so wenig Zeit!«
+
+Das Herz schrie zwar: ja, ja, ich komme gleich, lieber heute als
+morgen, aber die Angst, zudringlich zu erscheinen, legte ihm Worte in
+den Mund, daß es fast wie eine Absage klang. Der Vater Schulmeister
+mußte sich ins Mittel legen und an seiner Statt die Zusage geben.
+
+Hinterher stieg's dem guten Franz zu Kopf, daß er sich so geziert
+hatte. Sie wird doch wohl nicht gekränkt sein? Der Gedanke brachte ihn
+beinahe zur Verzweiflung. Rannte hinaus in die Einsamkeit, zwischen
+den Feldern die halbe Nacht umher. »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß,
+was ich leide ....« Lust und Schmerz wird Gesang. Ein Glück, daß er
+schreiben kann. Musik, o Musik! Sprache der Seele, Sprache der Götter!
+Sprache der Liebe!
+
+Aber Worte müssen dabei sein, Worte! Ein Wort wenigstens. Ein süßes,
+inniges. Lautet: Therese! Muß es wenigstens vor sich hinsagen können,
+muß es hören. O Gott und die Qual, mit niemanden darüber reden zu
+können. Mit den Rötzlingen in der Klasse? Ausgeschlossen! Mit den
+Brüdern? Das ginge schon gar nicht! Man hat sich ja recht gern, aber
+man schämt sich seiner Gefühle voreinander, unter Verwandten ist das
+einmal so. Man läßt nicht gern in sein Inneres hineinschauen.
+
+Bei dem Freund ist das was anderes, den hat man nötig -- als
+Seelengefährten. Ein Glück, daß jetzt einer daherkommt, der
+Erlösung bringt, sonst müßte man sein Geheimnis ja in ein Erdloch
+hineinschreien, damit es nicht die Brust zersprenge. Holzapfl ist es,
+der liebe Kamerad von der Schulbank her. Ein nettes Bürschlein, das
+Gesicht kugelrund, etwas gschaftelhuberisch von Gebaren, wichtig und
+eilig.
+
+Schwärmt natürlich gleich von der Messe, haben alle so ungemein
+bedauert, daß sie den Franz nicht haben sehen können. Hätten gern
+eine kleine Nachfeier veranstaltet, scheint aber schon ordentlich
+stolz geworden zu sein, der Franz, jetzt, wo ihn die Sonne des Ruhmes
+bescheint ..... die Freunde lassen ihn natürlich alle schön grüßen,
+schöne Grüße unbekannterweise auch von Schwind, von Herrn von Schober,
+von Mayrhofer, von dem er übrigens ein Gedicht bringt. Der Spaun
+hat's ihm gegeben, Franz möcht's durchsehen, ob's ihm gefällt, Herrn
+Mayrhofer tät's riesig freuen, wenn es von einem solchen Künstler
+vertont würde. »Am Erlafsee« heißt es ....
+
+Franz nimmt das Gedicht, legt es wortlos hin, packt Holzapfl unterm
+Arm: »Komm, ich muß hinaus an die Luft!« und draußen sind sie alle
+zwei, in irgendeiner Erdfurche zwischen den Feldern und Hügeln, in
+einem Weinbergshohlweg verschwunden.
+
+Wovon reden sie? Von dem großen Ereignis natürlich, von der Messe.
+Franz erklärt und erklärt und beweist ihm haarscharf, daß das Beste des
+Gelingens ihr zu verdanken sei, ihr allein!
+
+»Wem, ihr?«
+
+»Nun ihr -- der Therese. Die Stimm', Freund, daß einem 's Herz in
+der Brust zergeht! Wie soll ich dir's denn sagen .... mein, ich kann
+dir's ja nicht sagen! Ich schäm' mich ja -- aber es muß doch 'raus! Du
+-- lach' mich aber nicht aus! -- Du -- hörst mich?!« Er rüttelt den
+Holzapfl bei den Schultern.
+
+»Ich lach' dich bestimmt nicht aus!« schaut ihm der Holzapfl gerade ins
+Gesicht und tut sehr ernsthaft.
+
+Drückt ihn der Franz auf eine Grasböschung nieder.
+
+»Setz' dich nieder, daß du nicht umfallst. Aber du, wenn'st mich
+auslachst, dann, dann ...«
+
+Der Holzapfl ist platzgespannt im Gesicht vor Erwartung und Neugier.
+Die klugen Äuglein bohren sich fest und fragend in Franz, als wollten
+sie bis auf den Grund des Herzens sehen; aufpassen tut er wie ein
+Haftelmacher, daß ihm kein Wort entginge.
+
+Franz packt ihn jetzt und hält ihn fest. »Du -- dir sag' ich's jetzt
+und niemand auf der Welt! Schwör', daß es unter uns bleibt, schwör'!
+Also -- verschwiegen wie das Grab! So, jetzt will ich dir's sagen --
+weißt du, wenn ich jetzt könnt' -- sie und kein andere!«
+
+Holzapfl springt auf, reißt sich los, schamrot im Gesicht, dem Weinen
+nahe.
+
+»Franz, du -- abtrünnig! Ein Frauenzimmer -- das hätt' ich nie geglaubt
+von dir!«
+
+Sie gehen eine Weile stumm und erregt nebeneinander, Franz begossen wie
+ein Pudel. Geschieht mir schon recht, denkt er, wozu hab' ich's nötig
+gehabt .....
+
+»Ein Frauenzimmer -- zehn Schritte vom Leib!« beginnt Holzapfl zu
+fiebern. »Da bist du schon verloren -- hat Samtpfoten, stecken aber
+Teufelskrallen drin, lassen dich nimmer aus -- bist ihnen verfallen mit
+Leib und Seele. Kommt mir keine an den Leib, eher -- ich weiß nicht,
+was ich eher tät'! Fürchtest du dich denn gar nicht, Franz? Tu's nicht,
+ich bitte dich, tu's nicht! Wir sind deine Freunderln -- sind wir nicht
+genug?! Du uns im Stich lassen, hast nicht genug an uns?! Ich wär' zu
+stolz an deiner Stell'. Was ein rechter Kerl ist wie du, der soll nicht
+einmal hinschauen auf sie. Verachten tu' ich's, das ganze Weibergelump!«
+
+So redet der mannesstolze Jüngling in seiner Ekstase der Keuschheit.
+Franz ist jetzt wirklich beschämt, er empfindet ähnlich, er hat auch
+seinen herben Jünglingsstolz, aber verachten, verachten kann er sie
+just nicht, die Holdinnen, und nun gar Therese! Er verteidigt sich
+und seine Liebe, so gut er kann. Aber es klingt etwas hohl wie eine
+geschwollene Phrase. »Glücklich, der einen wahren Freund findet!« sagt
+er. »Glücklicher, der in seinem Weib eine wahre Freundin findet!«
+
+Der andere ist immer mehr aufgebracht.
+
+»Freundin, sagst du? Gibt es nicht! Puppenköpfe! Steht ihnen nur der
+Sinn nach Bändern und Kram. Tändeln, spielen Fangball mit dir. Ist mit
+ihnen das Unglück in die Welt gekommen. Hätte glücklich gelebt, der
+Adam im Paradies, wär' nicht die Schlange dagewesen mit dem Apfel. Wer
+ist die Schlange? Das Sinnbild des Weibes ist es, ihrer Arglist und
+Falschheit. Ich beschwöre dich, Franz, bei unserer Freundschaft, bei
+deiner Kunst, bei allem, was dir heilig ist, laß ab, laß ab -- oder du
+bist hin!«
+
+So kämpft der Knabenstolz gegen etwas, das er nicht kennt, das er
+fürchtet wie eine dunkle Nacht -- er würde sich nicht so wehren
+dagegen, wenn er ihr nicht schon halb und halb verfallen wäre -- im
+Unbewußten wenigstens.
+
+Sie ringen miteinander mit harten Worten. Franz ist erbost. Er will
+keine Hofmeisterei, er hat nichts getan, weswegen ihn der andere jetzt
+maßregeln dürfte. Die Freiheit muß er haben, er selbst muß er sein
+können -- ob so oder so. Nun bäumt er sich zum erstenmal bewußt auf
+gegen den Freund.
+
+»Laß mich in Ruh'!« braust er auf. »Du, geh -- dein Weg ist dort; ich
+gehe hier, meinen Weg! Servus!«
+
+Und läßt den Verdutzten stehen. Jeder wandert allein fort in Dunkelheit.
+
+Sein Holzpuppengesicht ist knallrot, als er mit den Freunden in der
+Stadt zusammentrifft. »Ein Abtrünniger ist er!« schreit Holzapfl
+den Genossen entgegen. »Seine Freunde hat er vergessen, verraten
+hat er sie, verlassen -- einer Circe ist er ins Netz gegangen, der
+Ehrvergessene!« und erzählt mit fliegendem Atem alles, was er von
+Franz gehört, und noch viel mehr dazu, was ihm die erhitzte Phantasie
+eingibt, die in der Ausmalung verbotener Genüsse schwelgt.
+
+Der romantisch angehauchte Schwind ist dabei, der trägt selbst an
+heimlichem Liebesleid und träumt von einem adligen Fräulein, dem er
+in stummer, ritterlicher Minne huldigt. Der kann bös und gefährlich
+werden, wenn ihm einer an dem Idealen rührt. Fährt auch sofort dem
+sauertöpfigen Holzapfl übers Maul und hält eine Verteidigungsrede auf
+Franz, obschon er ihn noch nicht kennt.
+
+»Jetzt gefällt er mir erst recht, weil ich weiß, daß er die Frauen
+ehrt! Grüßt ihn von mir und sagt ihm, daß ich ihn im Geiste schon heute
+Bruder nenne! Geh', saures Holzapflgesicht!«
+
+»Wie schaut sie denn aus, die Erkorene?« will der stutzerhafte Herr
+von Schober wissen, der im Gegensatz zu Schwind eine etwas lockere
+Weltansicht über die Amourschaften hat.
+
+Holzapfl ist gereizt wegen Schwind und tut auf eigene Faust wissend.
+»Eine Vogelscheuchen ist sie, schielt, hat zwei linke Füß', stoßt
+mit der Zunge an, und ist dumm wie ein Stock -- aber sonst fehlt ihr
+nichts!«
+
+»Hast du sie gesehen?«
+
+»Nein -- gesehen nicht -- aber gehört! War doch die, die am Chor
+gesungen hat!«
+
+Jetzt aber hat der essigsaure Holzapfl auch bei den anderen ausgespielt.
+
+»Der Stimme nach muß sie schön sein wie eine Helena!« versicherte der
+kennerhafte Herr von Schober, der sich in Schönheitsurteilen auf den
+jungen Paris hinausspielt.
+
+Ganz zuletzt läßt sich der ernsthafte Spaun vernehmen: wie dem auch
+sei, es scheint doch etwas Bedenkliches daran zu sein, man müsse sich
+doch umsehen, um den lieben Franz aus einer womöglich gefährlichen
+Umschlingung zu befreien; es sei nicht gut für ihn, draußen in der
+Vorstadt unter kleinen Leuten zu hausen, der Künstler müsse seine
+innere Freiheit bewahren, man sollte ihm häufiger bei einem Glas Punsch
+im engen Freundeskreis das Gemüt erheitern. Es wird beschlossen, daß
+Spaun den Wildling aufsuchen und bewegen soll, öfters in der heiteren
+Tafelrunde zu erscheinen.
+
+Im flaschengrünen Schulmeisterfrack mit großen Knöpfen, hoher
+Halsbinde, daß kaum das Kinn herausguckt, frisch gebügelter
+Nankinghose, derben Halbschuhen mit Schnallen, Notenrollen unterm Arm,
+so betritt der Schulgehilfe und Meisterkompositeur Franz Schubert den
+Salon im Hause Grob. Eine Menge Leute sind da, junges Gfliederwerk
+mit Kichern und Lachen, junge, geckige Herren, Fabrikantenssöhnerln,
+Therese mitten unter ihnen, dann auch behäbige, gesetzte Leute vom
+Schlag des Ehepaares Grob -- musikalischer Abend.
+
+Des Vater Schulmeisters Hausquartett hat ebenfalls allmählich einen
+größeren Kreis angezogen, es mußte außer Haus verlegt werden und
+fand bald bei dem einen oder anderen Musikfreund oder Gönner des
+jungen Schubert statt, eine Zeitlang in der Dorotheergasse, dann im
+Gundlhof, zuletzt am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofen, dem Vater des
+berühmten Malers. Es waren schon förmliche Konzerte, die immer mehr
+Zuhörer anzogen, besonders solche, die Schuberts eigene Kompositionen
+hören wollten -- sie hätten sich, wenn es damals üblich gewesen wäre,
+Schubertverein nennen können.
+
+Der Abend bei Grob war eine neue Sache, der Anfang jener ungezählten
+Schubertiaden in Wiener Bürgerhäusern, die so viel von sich reden
+machten.
+
+Franz, in dem neuen Kreis Menschen ziemlich befangen, machte linkische
+Verbeugungen nach allen Seiten -- elegant sah er ja nicht aus, das
+war nicht seine Sache -- aber die Herzen wendeten sich ihm sofort zu,
+besonders die weiblichen; von der ersten Minute an war er Hahn im
+Korb. Therese tat gar liebreich mit ihm, die Noten hatte er für sie
+gebracht, Neuschöpfungen für ihre Stimme geschrieben, eine Huldigung
+seitens des Genius, die mehr sagte als alle Worte, aber kaum, daß er
+das musikalische Angebinde darzubieten sich getraute.
+
+Er drückte ihr die Notenrollen in die Hand und bat, sie soll's
+einstweilen beiseite legen, und später einmal vielleicht einen Blick
+hineinwerfen, es ist keine so eilige Sache. Sie legte denn auch das
+Geschriebene in unbegreiflicher Achtlosigkeit beiseite, wie er es
+gewünscht, was ihm jetzt aber auch wieder nicht recht war.
+
+Er machte sich gleich am Klavier zu schaffen, und es dauerte nicht
+lange, so hatten sich die Musikfreunde herum gruppiert; das Brodeln und
+Fiedeln konnte angehen.
+
+Therese saß im Halbkreis gegen den dunklen Hintergrund des Zimmers
+inmitten von jungen Männern, wohlig zurückgelehnt, träumerisch, daß es
+scheinen mochte, als wäre sie von der Musik ganz berauscht. Franz, der
+das Klavier bearbeitete, sah durch seine Brille ab und zu einmal hin,
+wenn eine kleine Pause für ihn kam. Aber was war das! Täuschten seine
+Gläser ein Trugbild vor? Sah er Phantome?
+
+Er mußte noch einmal schärfer hinsehen. Beinahe hätte er den Einsatz
+verpaßt und das ganze Orchester umgeschmissen. Richtig, das war kein
+Blendwerk! Sie saß dort im Kreise der jungen Männer und einer dieser
+Pomadenhengste hatte verstohlen den Arm um ihre Mitte geschlungen, und
+sie, sie ließ es ruhig geschehen .... ja noch mehr, sie lehnte sich an
+seine Schulter, während sie sich unbeobachtet wähnte, und verdrehte
+wollüstig die Augen, daß er selbst beschämt und betroffen seinen Blick
+senken mußte.
+
+Das war also keine Täuschung; eine heimliche Liebesszene spielte sich
+dort im Halbdämmer des Zimmers ab. Sie, die Heilige seines Herzens, in
+den Armen eines anderen! Er schlug sein Fortissimo ins Klavier hinein,
+daß die Saiten hätten springen mögen, stärker schrien sie nicht auf als
+die zersprungenen Saiten seines Herzens. Ja -- was war er denn jetzt
+noch, den die Weibsleute liebten und hätschelten?! Ein bloßer Wurstel
+-- es war zum Weinen -- Holzapfl, du hast recht gehabt!
+
+Es war ihm wohl dabei wie einem, der Zahnweh hat und schmerzstillende
+Mittel versucht. Augenblicklich wirkte es ja als angenehme Betäubung,
+er fühlte zwar das Toben inwendig, freute sich aber seiner
+augenblicklichen Empfindungslosigkeit, war sogar guter Dinge den ganzen
+Abend lang -- aber nachher, nachher kam's um so schlimmer.
+
+»Die Liebe hat gelogen --« Er wühlt sein eigenes Wehgefühl in Platens
+Gedicht und spinnt die Melodie heraus, die seinem verwundeten Herzen
+recht war. Drum ist soviel Leben daran, weil alles, was er schafft, mit
+seinem Leben zu tun hat und aus diesen Wurzeln sprießt.
+
+Mit einem Male war's ihm zu eng daheim. Die Schule, das Vaterhaus,
+alles dünkte ihn freudlos und unersprießlich. Seine Sehnsucht irrte
+wieder ins Uferlose, er kleidete sie in Lieder und sang wie ein Vogel
+in der Gefangenschaft. Das Glück, wo blieb das Glück?! Das lag draußen
+irgendwo, fern, im Unbestimmten. Ein Schluck Freiheit, das wäre auch
+zugleich ein Schluck Glück!
+
+In Laibach ist die Stelle eines Musiklehrers in einer öffentlichen
+Musikschule zu besetzen; Bewerber werden gesucht, so meldete die
+amtliche Wiener Zeitung. Dem guten Franz scheint es wie die Grußhand
+der Ferne, die ihm winkt. Ist das die Freiheit? Einerlei, es ist
+einmal etwas anderes, eine Abwechslung in dem ertötenden Gleichmaß.
+Was ist denn Freiheit? Das Recht, sich von einer Abhängigkeit in die
+andere begeben zu dürfen. Gut also, von diesem Recht, das mindeste, was
+der gefesselte Mensch hat, will er Gebrauch machen. Er will sein Glück
+in der weiten Welt versuchen und bewirbt sich. Braucht der Herr Vater
+derweil nicht wissen.
+
+Der gute Vater Schulmeister hatte aber schon seinen eigenen Plan
+gehabt. Der ist klug und vorsorgend und sieht ein, daß der Franz
+höher muß. Auf eigene Faust wirbt er für den Sohn um die erledigte
+Lehrerstelle an der Schottenschule. Der Schottenprälat ist sein Gönner,
+etwas Protektion braucht man immer, und wer es verdient, warum sollte
+der nicht Protektion haben? Doch er am meisten!
+
+Aber so geht's in der Welt, wer's verdient, bekommt's erst recht
+nicht, denn gewöhnlich haben die, die's nicht verdienen, die bessere
+Protektion, und das entscheidet. Kurz, das Gesuch des Vaters
+Schulmeister für seinen Sohn wird abschlägig beschieden. Franzl, du
+hast frühes Pech!
+
+Der Franzl ist fast froh darüber, denn er möchte weit, weit weg. Freut
+sich heimlich auf den Weizen, der ihm in Laibach blühen soll. Um den
+Schnitt zu machen, bedarf es wohl einer ausgiebigen Empfehlung, und der
+Mächtigste, der dort die Entscheidung zu bestimmen vermag, wäre der
+Herr Hofkapellmeister Antonio Salieri.
+
+Die Umstände sind glücklich gefügt; die F-Dur-Messe wird in der
+Augustinerkirche wiederholt. Wie früher Herr Michael Holzer, ist jetzt
+Antonio Salieri stolz auf diesen Schüler und nimmt den Löwenanteil
+seines Erfolges auf sich. Er umarmt Schubert nach der Aufführung:
+»Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird!«
+
+Eine Empfehlung Salieris würde in Laibach die erwünschte Wirkung tun;
+jetzt kann er sie verlangen. Gesagt, getan! Salieri schreibt: »+Io
+qui Sottoscritto affermo+ ....« Klingt zwar ziemlich kühl, das
+Empfehlungsschreiben, aber Salieri braucht nur mit dem kleinen Finger
+zu winken, man versteht schon .... genügt also!
+
+Diesmal nach der Aufführung in der Augustinerkirche ist Franz den
+Freunden nicht entschlüpft, es hat ja auch keine Therese am Chor
+gesungen.
+
+Franz hat ein Notenblatt in der Tasche, das ist für Mayrhofer bestimmt,
+die musikalische Begleitung für das Gedicht »Am Erlafsee«. Von
+Spaun an der Hand geführt, betritt er mit dem Freund ein niedriges,
+langgestrecktes Zimmer in der Wipplingerstraße, das sich halbdunkel wie
+ein Schlauch hinzieht und in einer kreisrunden Erweiterung endet, die
+durch viele Fenster einströmendes Licht empfängt.
+
+Stimmungsvoll ist es in dem Raum, dessen weiße Decke vom Tabaksqualm
+gebräunt ist wie eine gut angerauchte Meerschaumpfeife. Blumen stehen
+am Fenster, ein Kanarienvogel singt, Tabakspfeifen stehen am Ständer
+in Reih' und Glied, Bücherschränke an den Wänden, in der Mitte des
+erweiterten Raumes ein kreisrunder Tisch, gepolsterte Lehnstühle herum,
+denen allerdings hie und da die Roßhaarfüllung aus dem abgenützten
+Leder hervorguckt, im ganzen aber hat die Behausung den freundlichen
+behäbigen Anstrich wie die Wohn- und Studierstube eines alten
+Pfarrhauses.
+
+Mayrhofer, der im Schlafrock, die Pfeife im Mund, bei einem
+aufgeschlagenen Buch sitzt, begrüßt die Ankömmlinge in seiner etwas
+bäurisch priesterlichen Art, die ihm noch vom geistlichen Stift her
+geblieben ist, handfest und herzlich ungeniert, aber mit einem Rest von
+überlegener Würde; sieht auch so seelsorgerisch aus, zugeknöpft bis
+oben, als ob er im Talar dastände.
+
+Ein altes Spinett in der Ecke wird aufgeschlagen, die liebliche Musik,
+die Franz zu dem Gedicht geschrieben hat, erklingt. Mayrhofer verliert
+fast seine sonst zur Schau getragene gemessene Beherrschung, so
+entzückt ist er, und macht in gutmütig scheltender Weise dem stillen
+Spaun den Vorwurf, daß er ihm Schuberts Schöpfungen nicht hoch genug
+gerühmt habe. Franz selber sagt nicht viel, er schaut sich nur den
+Mayrhofer an, der wiederum schaut ihn an, und beide sind von diesem
+Augenblick an in dicker Freundschaft verbunden gewesen. Hat nicht
+vieler Worte bedurft.
+
+Fast so geht's mit Schwind und mit Schober, als der ganze Kreis abends
+mit Schubert beim Wein sitzt. Sie haben ihn alle geliebt, die Freunde,
+vom ersten Augenblick an. Das ist ein Trost, der für manches Leid
+entschädigt. Ja, das ist mehr, das ist ein Glück, es ist eine Kraft!
+Franz hat das beruhigende Gefühl: in diesem Zirkel bist du beschützt,
+hier kann dich kein Übel anwehen, die feindliche Macht wird an diesem
+Bollwerk zuschanden werden!
+
+Da war's dem Franz auf einmal hell und weit in der Brust. Und er
+erkannte: hier ist deine Heimat, wo deine Getreuen sind. Sie saßen mit
+freudigen Gesichtern um ihn herum und feierten seinen jungen Genius.
+Durch den goldgelben Wein, mit dem sie ihm zutranken, blickten sie
+ihn an; stand keiner so hoch wie er und waren ihm doch alle gleich,
+wenigstens durch das Genie der Freundschaft.
+
+Und wie verstanden sie es, dieses Genie der Freundschaft zu betätigen!
+Sammelten sorgfältig alles Geschriebene von ihm, dessen sie habhaft
+werden konnten, und trugen die Freude darüber in alle Welt, als
+Verkünder des jetzigen Meisterleins. Aber der treueste Johannes war
+der sanfte Spaun. Hat einen blühenden Strauß von Melodien, die Franz
+um Goethes Lieder gewoben, an Seine Exzellenz nach Weimar geschickt
+mit einem längeren, devoten Schreiben dazu. Der Künstler wünsche diese
+Sammlung Seiner Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen .... Ich,
+einer seiner Freunde, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu
+bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe würde gesorgt werden usw.
+usw.
+
+Die Anerkennung Goethes, die Annahme der Widmung soll den
+Schöpfungen den Weg in die Öffentlichkeit erleichtern und ihnen den
+buchhändlerischen Erfolg sichern -- aber Goethe gibt keine Antwort. So
+schwer hat es der werdende Genius bei den Zeitgenossen, den großen und
+den kleinen! Zeitgenosse, das Wort wird bald einen bösen Klang haben!
+
+»Macht nichts,« tröstet Spaun, »muß auch so gehen. Und wenn du sie
+eingräbst, deine Werke, so werden sie von selber herauswachsen, so
+stark ist die Kraft darin. Lauheit, Teilnahmslosigkeit, ja, selbst
+Widersacherei werden am Schluß Spott und Schande haben!«
+
+»Liegt nichts dran,« nickt Franz, »muß auch so gehen.«
+
+Hebt Schwind sein Glas, trinkt Franz zu, bedeutsam: »Auf unsere Lieben!«
+
+Die anderen verstehen gleich, wo er hinaus will. Aha, denkt der
+Schober, daher geht der Wind und ist alsbald in seinem Fahrwasser; er
+hat ja eine so großartige Suada, daß Franz nur so aufhorcht. Und so
+sind sie gleich mitten drin in der Debatte um Frauenzimmer, um Liebe
+und Ehe. Gehen's gleich gründlich an, die Neunmalgescheiten!
+
+Da auf einmal läßt sich Franz vernehmen, wettert gar schrecklich gegen
+das schöne Geschlecht, tut sich wirklich als grimmiger Weiberverächter
+auf und hat's besonders scharf gegen die Ehe, die er als etwas
+Schreckliches für den freien Mann schildert, der Herr Naseweis. Alle
+horchen verwundert auf und schauen jetzt auf den Holzapfl, der dasitzt
+wie ein Lügner. Kann doch kein wahres Wort dran sein an allem, was er
+über den ahnungslosen Franz geschwatzt hat! Holzapfl, Holzapfl!
+
+Der schaut ganz dumm drein! Entweder lügt Franz jetzt, oder er hat
+früher gelogen -- Holzapfl kennt sich nicht aus.
+
+»Da sieht man wieder,« ergreift Spaun das Wort, »wie unser Schubert
+gesund ist, gesund im innersten Kern -- und wie dagegen der Holzapfl
+krank ist, krank und wurmstichig!«
+
+Der springt auf und protestiert lebhaft, daß er krank sein soll. Er
+sei sein Leben nicht einen Tag krank gewesen, er fühle sich so gesund
+wie nur je einer.
+
+»Ja, aber,« läßt sich Schwind vernehmen, »du leidest eben an
+ausschweifender Phantasie, du wurmstichiger Holzapfl, du!«
+
+Darüber ist großes Gelächter, daß der trockene Holzapfl an einer
+ausschweifenden Phantasie leiden soll, und so bleibt es unter der
+freundlichen Stimmung des Abends verborgen, daß Holzapfl so wenig
+reinen Mund halten konnte, ja, daß er Schubert eigentlich ein wenig
+angeschwärzt hatte. Und wird zur Wiedervergeltung von den anderen als
+räudiges Schaf behandelt.
+
+Das Verhältnis zu Salieri nimmt eine Wendung, als der Italiener einige
+der nächsten geistlichen Kompositionen Schuberts zu Gehör bekommt. Hat
+der Schüler alle Ermahnungen, sich italienische Meister zum Vorbild zu
+nehmen, in den Wind geschlagen? Die B-Messe zeigt es sehr deutlich. Die
+war unverkennbar einem Boden entsprossen, den so Mächtige wie Beethoven
+und vor ihm Mozart und früher Haydn gepflügt und ertragreich gemacht
+haben. Der Italiener hatte eine feine Witterung: Was Schubert machte,
+war nicht fremdes Gewächs, künstlich in heimische Erde verpflanzt,
+das war Ureigenes, an deutschen Meistern Erstarktes, vor allem
+aber Selbstempfundenes: deutsches Gemüt war darin und außerdem das
+Köstlichste: Heimatsgefühl.
+
+Jetzt begann ein Nörgeln und Tadeln, dies und jenes war nicht recht,
+der gepriesene Schüler hatte zu gehorchen und nach Salieris Pfeife zu
+tanzen, sonst waren die Gnaden verscherzt. Es wäre ja klug gewesen, den
+Mantel nach dem Wind zu hängen, und jeder Streber hätte zum Schein
+wenigstens so getan, um die Gunst des Fürsprechers zu erhalten; aber
+die Heuchelei war dem guten Franz nicht gegeben. Er stand schon zu fest
+auf eigenen Füßen im Gefühl seiner Meisterschaft und durfte lächelnd
+den unduldsamen Zuchtmeister über die Achsel ansehen.
+
+Er ließ sich eine Weile gutmütig die Kritik gefallen, verlor dann die
+Geduld und erklärte, jeder müsse als fertiger Künstler auf seine innere
+Stimme horchen, nicht auf das Gerede von außen -- mit dieser Absage an
+Salieri war auch der Bruch vollzogen.
+
+Er bekam's bald zu fühlen, der Franz; aus Laibach kam endlich der
+Bescheid, daß die Stelle schon vergeben sei, ein vorgeschobener
+Günstling Salieris hatte sie unter der Hand bekommen. Der Traum von
+Ferne, Welt und Freiheit war vorderhand zerronnen -- armer Franz; er
+hatte wirklich Pech in solchen Dingen von allem Anfang an. Oder war es
+Glück? War ihm ein anderer Weg vorgezeichnet, der ihn seiner Bestimmung
+näher führte?
+
+Wer vermag's zu sagen?!
+
+Wohin nun, da alle Auswege verrammelt schienen? Die Freunde in der
+Stadt, die waren ein Stück Freiheit, die Zuflucht. Aber von diesen war
+er getrennt durch lästige und drückend empfundene Alltagspflichten
+im Schulhaus. Die Freiheit, das war die unbekannte Menschheit, die
+schon auf ihn aufmerksam zu werden begann. Aber kein Weg und kein Steg
+führte in dieses gesuchte Land. Recht klein und elend kam er sich vor
+als armer Schulgehilfe vom Himmelpfortgrund. Still war er, wenig froh,
+die Sonne erschien ihm kalt, die Blüten welkt, das Leben alt, leerer
+Schall, was sie daheim redeten, ein Fremdling, er, im gewohnten Kreis.
+
+Und das gesuchte Land, das geahnte, nie gekannte, das hoffnungsgrüne,
+wo seine Freunde gingen, wo und immer wo? Im Reich der Dichtung fand er
+verwandte Stimmungen und Schicksale; er ergriff sie als Selbsterlebtes
+und Selbsterlittenes und gab zu den tief empfundenen Versen, die er
+sich erwählt hatte, gleich sein eigenes singendes Herz dazu.
+
+Was ihm die größte Last war, seine kleinen ungeschneuzten Schulbuben,
+denen hinten das weiße Tüchel heraushing, das war nicht selten genug
+auch sein Trost. Die ließen sich gern erzählen, wenn ihm das Herz voll
+war, und saßen still und aufmerksam und sahen so verzückt drein, daß
+sie den verschmierten Engelsköpfen glichen, die auf goldenen Flügeln in
+der Kirchenempore schwebten, wo er selbst einst singend oben gesessen
+hatte. Er erzählte gern den Buben von den großen Meistern, die er
+verehrte. Und die Buben liebten ihn, weil er so zu ihnen redete, als ob
+sie erwachsen und seinesgleichen wären, die ihn verstehen mußten. Sie
+verstanden ihn vielleicht auch, auf ihre Weise.
+
+»Einer lebte hier, dessen Genius Licht über den ganzen Erdball
+verbreitet hat,« so predigte er in einer gesegneten Stunde der
+Kinderschar. »War auch ein Österreicher, wie ich und wie du und du
+und wir alle hier zusammen. Hatte den schönen Namen Mozart, den ihr
+mir nimmer vergessen dürft, denkt an ihn, wenn ihr am Sonntag in der
+Kirche die große Messe hört. Vergeßt nicht, daß er himmlische Klänge
+ins Leben gebracht hat, die in der Welt nicht mehr vergehen können.
+Das war aber kein armer Schulgehilfe, wie ich, sondern ein gefeierter
+Meister. Konnte nicht abends vorlieb nehmen mit einem Stückel Brot
+und ein paar Äpfeln dazu, und mit den Hennen schlafen gehen, sondern
+gab ein festliches Gastmahl, mit Kerzen in silbernen Leuchtern,
+seltenen Blumen und Früchten, schäumenden Bechern, lud die Menschheit
+zu sich ein und kredenzte ihr den perlenden Trank seines Herzens.
+Verschenkte sich so allen und der ganzen Welt, berauschte sich an der
+emporziehenden Sternenpracht vor den geöffneten Türen des Balkons,
+rief die unendlichen Mächte, zog sie in seinen Bann, bis die Steine
+unten am Marktplatz zu leben anfingen und der tote Gast schwerfällig
+vom Monument heraufstieg und, o Schreck, plötzlich im Saal stand, die
+blaue Nacht mit ihren Sternen als Hintergrund des steinernen Mannes.
+Zuerst ein Adagio D-Moll, nur einige Takte, dann regnen schon eisige
+Posaunenklänge durch das nächtliche Blau, die Sterne tropfen, die Töne
+gellen auf wie ein silberner Hagel im kristallenen Becken, alle Schauer
+des Himmels und der Hölle umwehen ihn. Furchtbar schmettert der Geist
+den Choral: ›Dein Lachen endet vor der Morgenröte!‹ Die Furcht befällt
+ihn -- doch ist es bloß die Angst, er könnte nicht vollenden, was er
+so herrlich begonnen. Wenn ihn diese Nacht der Tod anfiele, und er das
+Werk bis zu diesem Punkte lassen müßte, er könnte die ewige Ruhe nicht
+finden. ›Wohlan, toter Gast, stoß' an!‹ und gießt seine Feuerseele in
+ein letztes Glas. Hat die Menschheit alle Schauer der Unendlichkeit
+getrunken an seinem Gastmahl, hat in den Finsternissen des Lebens den
+Himmelsschein der Ewigkeit verspürt, o Mozart, unsterblicher Mozart!«
+
+Da war es in diesem Augenblick, als ob wirklich der steinerne Gast in
+der Tür stand, so fuhr der Schreck dem begeisterten Schulgehilfen in
+die Glieder. Der gestrenge Herr Vater war's, der schon die längste Zeit
+hinter der Tür gehorcht hatte, was denn der Franz nur anstelle, daß es
+so mäuschenstill in der Klasse wäre. Und hat den Franz mit feurigen
+Zungen reden gehört. Stand jetzt stumm und drohend in der Tür, und es
+war wirklich so, als ob alle Schauer der Verdammnis den guten Franz
+umwehen sollten. War auch schon die Welt entzaubert, die Engelsköpfe,
+die in Reihen Bank für Bank verzückt gelauscht hatten, sie waren jetzt
+wieder Schmutzfinken geworden. Die selige Stunde war verströmt, die
+Welt lag wieder Grau in Grau.
+
+Nachher ging der Tanz los. Was er denn für ein unsinniges Zeug den
+Jungen vorschwatze, wo keiner noch rechtschaffen lesen, schreiben und
+rechnen kann?! Heißt man das nicht Zeit vergeuden? Und den Buben die
+Köpfe verdrehen? Daß sie erst recht untauglich werden zu dem Bißchen,
+was sie fürs Leben brauchen! Hol' doch der Kuckuck diese Extravaganzen,
+hat ein ordentlicher Schullehrer auf den Lehrplan zu schauen oder soll
+sich zum Teufel scheren!
+
+Das läßt sich Franz nicht zweimal sagen.
+
+»Herr Vater, ich bin nichts für einen Schullehrer. Lasen Sie mich
+gehen!«
+
+Jetzt ist die Reihe an dem Vater, der Verdutzte zu sein. Er zieht
+sofort andere Saiten auf in der Meinung, er hätte den Jungen zu hart
+angelassen. Also:
+
+»Was sind das jetzt für Sachen?! Von was willst denn leben, ha? Ein
+Geschäft muß der Mensch haben; sei froh, daß du in der Schul' sein
+darfst!«
+
+Franz schüttelt abwehrend den Kopf.
+
+»Nein, nein, Herr Vater, damit geht's nimmer. Mich müßt' eigentlich der
+Staat erhalten. Ich bin eben für nichts anderes als fürs Komponieren!«
+
+Dem Vater reißt die Geduld.
+
+»Der Staat soll dich erhalten, meinst?« höhnt er. »Du bist mir ein
+sauberer Patron! Möchtst wohl den ganzen Tag spazieren gehen und dich
+zahlen lassen dafür, pfui Teufel! Hast etwa keine Zeit zum Komponieren
+nach der Schul'? Hast du's bisher gekonnt, wirst es weiter auch können,
+verstanden?«
+
+Aber der Stein ist bereits im Rollen, da gibt es kein Aufhalten mehr.
+
+»Sind's mir nicht bös, Herr Vater, aber keinen Schritt mach' ich mehr
+ins Schulzimmer. Ich kann nicht mehr -- ich kann's einfach nicht!«
+
+Er will's in Freiheit versuchen, auf eigene Faust. Und pocht auf die
+hundert Gulden, sein erstes verdientes Geld, das er kürzlich von einem
+Gönner für eine Kantate erhalten hat. Er wird sich schon durchbeißen.
+Haben's andere gekonnt, warum sollte nicht auch er?! Und wenn's nicht
+anders ist, lieber den Bettelstab, aber die Freiheit, das hohe,
+ersehnte Gut, die Lebensluft, die sein Genius braucht, die Freiheit
+also, die kann er nicht länger opfern.
+
+Da wird der Alte fuchsteufelswild, die angeborene bäurische Abneigung
+gegen die Freizügigen bricht in harten Worten hervor. Sein Junge, ein
+verlorener Sohn, ein herumziehender Musikant ohne festen Halt im Leben,
+ohne Besitz, ohne Amt -- er hat noch vom Dorf her die Verachtung für
+solche wurzellockere Existenzen -- das alles will nicht in seinen
+kreuzbraven, eigensinnigen, grauen Schädel. Daß der Franz sein Amt vom
+lieben Gott hat, weiß er wohl, aber um leben zu können, muß man sein
+Amt von den Menschen bekommen.
+
+»Es leid't mich nimmer zu Haus, Vater, ich muß einmal fort, sonst geh'
+ich zugrund'!«
+
+Da wird der Vater rauh: »Sollst nicht zugrund' gehen zu Haus, wenn'st
+lieber in der Fremde zugrund' gehen willst! Dann geh' halt -- geh' aber
+gleich, geh'!«
+
+Der Vater wendet sich ab; der teuerste Sohn hat ihn ins Herz getroffen,
+man soll nicht sehen, wie weh ihm ist; aber jetzt ist er fertig mit
+ihm. Der Bruch ist geschehen.
+
+Franz geht. Das Vaterhaus ist zu eng geworden. Er braucht Luft,
+Freiheit, er will wachsen, in die Welt hinein wachsen. Leben, o Leben!
+
+
+
+
+ III.
+
+
+Wandert der Jüngling stadtwärts, den Weg, den er als Knäblein an des
+Vaters Seite gegangen war. Muß daran denken, und will ihn die Rührung
+fast übermannen. Ist aber bald wieder frohen und leichten Herzens, geht
+es doch der heißersehnten Freiheit entgegen! --
+
+Freiheit! Den Zauberklang des Wortes kann nur der erfassen, der
+drückendem Zwang entgangen ist. Alles dunkel Geahnte, innig Ersehnte
+ist in diesem Wort wie in einem rosafarbenen Nebel eingeschlossen,
+Welt, Schaffen, das bißchen Ruhm, alles, was das Leben ausmacht. An
+die Freuden denkt man, nicht an die Leiden, mit denen der Pfad ins
+Ungewisse belagert ist. Durch! Der Genius muß durch -- ein blaues
+Himmelsziel vor sich, sein Weg.
+
+Wien, einziges, liebes Wien! Wie ein Blumentopf steht es auf grünem
+Rasen mit seinen Gärten über den Stadtmauern und dem kunstvoll
+gemeißelten Himmelsstab in seiner Mitte, dem alten Steffel! In der
+Mitte vom Glacis in der Richtung zum Schottentor heben sich ein paar
+Hüte grüßend in die Luft, die Leute treten scheu zur Seite vor einem
+kleinen, stämmigen Mann, der den alten Zylinder tief in das runenhafte
+Gesicht gedrückt hat und daherstürmt in wogenden Gedanken, und weder
+hört noch sieht.
+
+Ausweichen, ausweichen! Seiner Eingebung folgend, sprang Franz behend
+auf die andere Seite des Gehweges und reißt sofort seinen Hut bis zur
+Erde. Ein verlorener Blick aus dem weltfernen Titanenantlitz streift
+ihn und macht sein Herz fast stillstehen vor Ehrfurcht und Freude.
+
+Ein gutes Zeichen, ein gutes Vorzeichen! wollte bebend die innere
+Stimme wissen, die es als glückbringend deutete, daß Franz bei seinem
+ersten erfolgreichen Schritt dem Gewaltigsten begegnet hatte, den er
+neben dem Göttlichsten als meisterliches Vorbild anbetete: Herrn Ludwig
+van Beethoven. Der war kein göttlicher Gastgeber alten seigneuralen
+Stils in schwarzseidenen Hosen, seidenen Strümpfen, Schuhen mit
+vergoldeten Schnallen, blauseidener Weste und goldgesticktem braunem
+Überrock, wie der himmlische Meister Wolfgang Amadeus, sondern der
+war mit seinem verwühlten Haupt, seinem unordentlich zugeknöpften
+schlichten Rock ein leidenschaftlicher Himmelstürmer und Götterstürzer,
+einer, der um das Menschsein wußte, um das Furchtbarste und
+Erhabenste, um alle Erdenpein und Größe, um alle Verlassenheit und
+Selbstgottherrlichkeit -- ein Offenbarer, ein Verkünder, ein Tragiker!
+Der trug die Krone der Freiheit, von der der Jüngling nicht wissen
+konnte, daß es eine Dornenkrone ist.
+
+Was stehst du nun, junges Meisterlein, und starrst ihm nach mit einem
+visionären Blick, als ob du eine Erscheinung gehabt hättest?!
+
+E -- fis -- g -- h -- ais! klang es plötzlich auf in der Brust. Franz
+konnte das Tiefste, das er empfand, nicht anders denken, als in Noten.
+Ein Ton, der sich wie eine Erleuchtung einstellte, bang und fragend wie
+ein schüchternes Pochen am Tor des Unendlichen.
+
+E -- fis -- g -- h -- ais -- -- Der tragische Akkord wollte sich
+nicht mehr abweisen lassen. Er klang als Grundton immer durch auch
+in den heitersten Momenten und da am stärksten; er war nun einmal in
+der Welt und hatte seinen eigenen Sinn wie eine Mahnung, die dann am
+furchtbarsten war, wenn sie nach Zeiten des Vergessens plötzlich wieder
+die Seele mit allen Bangnissen zum Aufschauern brachte.
+
+Eine helle Empfindung gewann Oberhand; sie jubelte als lebensfrohe
+Melodie über den dunklen Schauern.
+
+Franz war gedankenvoll durchs Schottentor gekommen, auf der Freiung
+stand er aufatmend still. Die schönen Adelspaläste, die Baumkronen
+über den geheimnisvollen Mauern, umschlossene Gärten mitten in der
+Stadt! Die Schottenkirche, alle Pracht ergriff ihn, als ob er sie zum
+erstenmal sehen würde.
+
+»Was möchten's denn, gnä' Herr?!« fleanschte ihn eine schwammige
+Öbstlerin gutmütig an. Eilig rannte er weiter aus dem Marktgewühl, am
+tiefen Graben vorbei, wo der Alserbach ging, der klaräugig blickende,
+gleich einem zwischen Weinbergen und Wiesenrainen spielenden hurtigen
+Knaben, den es nach der Stadt drängte -- was war er dort geworden? Eine
+schmutzige üble Gosse, die sich scheu in dunklen Gewölben verkroch --
+wie ein Schrei klang es schmerzlich auf in der Brust: e -- fis -- g --
+h -- ais!
+
+Und nun bergan zum Hof, wo der gelbe Stellwagen von der Grinzinger
+Allee hereinholperte, staubig, von müden, mageren Rossen gezogen, ein
+Gruß vom Land herein, von Wein und Heurigenmusik; hoch aufgepackt als
+heitere Fracht alle städtische Sehnsucht nach dem Grünen!
+
+Mein Gott, diese Blumen am Hof, ein ganzer Markt, wie schön! Ja, ja,
+die Stadt braucht Blumen, man kann nicht genug haben in den Mauern;
+wenn man draußen lebt, ahnt man gar nicht, wie notwendig sie sind, und
+daß es soviel auf einem Platz geben kann, und der Duft!
+
+Mit all diesen müßigen Gedanken und verzücktem Umherschauen vergeht die
+Zeit, die Uhr unter den Atlanten mit der Weltkugel am Hof zeigt bald
+Zwölf, also weiter, weiter durch die enge Bognergasse zum Graben hinaus.
+
+Herrgott, ist da wieder eine Pracht, diese Frauenzimmer, nein, nicht
+zum sagen! Mudlsauber -- eine schöner wie die andere! Wird einem ganz
+wurlert! Und die lieben Gesichterln -- wie sie lachen und umschauen,
+und wieder lachen -- jetzt weiß er nicht, soll er sie grüßen, kennt er
+sie, oder kennt sie ihn, oder will sie ihn kennen lernen -- er möcht'
+jedenfalls -- aber die vielen Leute -- und die eleganten Schwasser,
+die hinterher scharwenzeln. -- Jessas! und jetzt schaut sie wieder um
+-- bocksteif steht er da, weiß sich nicht zu helfen, eng und schwül
+wird ihm, daß er schwitzt, er schaut ratlos um und um, sein Blick
+gleitet die Dreifaltigkeitssäule hinauf, die sich mit barocker Ekstase
+emporwirft voll unendlichem Verlangen.
+
+E -- fis -- g -- h -- ais!
+
+»Servus, Servus! Landschulmeister, himmlischer, wie kommst du auf
+einmal dahergestiefelt um zwölf Uhr mittags am Graben?!« jauchzt
+plötzlich einer der eleganten Stadtfräcke hinter ihm, hat ihn schon
+abgefaßt und auf offener Straße umarmt.
+
+»Schober, lieber Schober!«
+
+Kurze, hastige Erzählung Franzens über Woher und Wohin.
+
+»Hast den Schulmeister an den Nagel gehängt, endlich, endlich, es war
+die höchste Zeit! Wo wohnst du denn?«
+
+Ja, richtig, wo er wohnt, an das hat Franz noch nicht gedacht. »Ich
+weiß nicht!«
+
+»Köstlich,« ruft Schober, »wohn' bei mir! Ich hab' ein Zimmer frei,
+kost' dich nichts, kannst bleiben, solang' du magst, mir ist's eine
+Freud'!«
+
+Franz lehnt lächelnd ab, vorläufig wenigstens -- wozu schmarotzen? Hat
+ja Geld in der Tasche, bare hundert Gulden!
+
+Schober hat es um diese Zeit eilig, der Mittagsbummel am Graben war
+die Stunde, wo die Löwen auf Beute gehen; soviel Schönes, als es da zu
+sehen gab -- da war nicht zu zaudern. »Also Servus, auf Wiedersehen!«
+
+Beim Stock-im-Eisen, am Ende des Grabens, steht er und schaut sich die
+vielen Nägel an, die in legendenhafter Zeit die Schmiedgesellen in den
+Baumstamm eingetrieben haben, und wundert sich in seiner beschaulichen
+Weise aufs neue, wie die Kerle so ausgezeichnet die Nägel alle auf ihre
+Köpfe getroffen haben. So muß man's auch machen, die Nägel auf alle
+Köpfe treffen, dann ist man der richtige Schmied seines Glückes. Aber
+er denkt nicht daran, daß er ja auch seines Glückes Schmiedgesell ist,
+und haarscharf, wenn nicht die Nagelköpfe, so doch Notenköpfe trifft,
+das Meisterstück, worauf es bei ihm ankommt!
+
+»Servus!« tönt eine Stimme weich und einschmeichelnd, er wirft sofort
+den Kopf herum. »Ach, lieber Hüttenbrenner!« und schaut in das kluge
+Gesicht des guten philosophischen Anselm, der zuerst Kleriker war, dann
+Jurist, und zugleich in Schuberts Konviktszeit bei Salieri Kontrapunkt
+studiert hat. Jetzt hat er seine Seele ganz der Musik verschrieben.
+
+Ein rasches, wechselseitiges Fragen, und alles ist klar.
+
+»Magst bei mir wohnen, ein Kanapee steht zur Verfügung! Nicht? Aber
+wir sehen uns jetzt öfter, gelt? Du weißt ja, im Café Bogner, bei der
+lustigen Blunzen, kommen wir täglich zusammen. Kommst bestimmt! Alsdann
+Pfüat!« Händeschütteln, die Freunde trennen sich.
+
+Über der Stadt schwingen Glocken, eine tönende Flut, ein Bronzeregen,
+ehern und gewaltig, als ob die Glocken in der Brust schwingen würden.
+Die Glocken von St. Stephan. Franz kann nicht widerstehen, einen Blick
+muß er in die Stephanskirche tun, eine liebe, alte Gewohnheit.
+
+Der Dom ist die steinerne Blume der Stadt, der liebe Wienerwald mit
+seinen Blümelein und seinem Getier lebt in den himmelhohen Kapitälen.
+Und allerlei spukhaftes Fabelwesen treibt sein Spiel an den steinernen
+Wurzeln, läuft auf den behauenen Sockeln oder kauert in den schwarzen
+Nischen. Ein herrliches, steinernes Bilderbuch -- die alten Meister
+hatten Phantasie. Franz fühlt sich ihnen verwandt.
+
+Eine Hand legt sich auf seine Schulter. »Freund, du hier?«
+
+Franz sieht zu dem Dunklen, Zugeknöpften hinter sich hinauf, die
+starre, melancholische Maske Mayrhofers schaut ihm entgegen. Arm in Arm
+schreiten sie aus dem Dom.
+
+»Kannst bei mir wohnen, das Zimmer neben mir wart' auf dich!«
+
+Herrgott, wie sie sich alle um ihn reißen! Er nimmt's nicht an, aber
+wohl tut's doch!
+
+Später in der Kärntnerstraße trifft er den Pianisten Jenger, mit dem
+er durch Hüttenbrenner befreundet wurde, und der außerhalb seiner
+Kanzleistunden mit Frau Musika in der wildesten und beglückendsten Ehe
+lebt.
+
+Jetzt fängt auch der an:
+
+»Das wär' ein herrliches Dasein, eine Zigeunerwirtschaft unter einem
+Dach, du, ich und unsere gemeinsame Geliebte, die holde Frau Musika!
+Schlag' ein!« Es ist schon zum Lachen! Sind liebe, gute Kerle, alle
+miteinander!
+
+Es ist nicht Zeit, lang Standerln zu machen, Franz will beizeiten nach
+»Schwindien«.
+
+»Schwindien?«
+
+»Nun ja, freilich; das heißt, zu Schwind, ins Mondscheinhaus, drüben
+bei der Karlskirche überm Glacis.«
+
+So ist Franz zum anderen Ende der Stadt wieder hinausgegangen, wo
+drüben die Karlskirche steht, eine Madonna im Grünen. Das graue,
+einstöckige Haus in nächster Nähe mit dem ummauerten Hof ist das
+Mondscheinhaus, wo die Romantik blüht. Ein Blick von dort über die
+Stadt mit dem Kahlengebirge dahinter, das vergißt man nicht mehr. So
+viele Poesie! Schubert singt es, Schwind malt es, ein anderer dichtet
+es, jeder wie ihm der Schnabel gewachsen ist, die Hauptsache, daß man's
+nur spürt.
+
+Die im Mondscheinhaus spüren's. Franz schleicht heran, im Hof hört
+man schon die drei Brüder Schwind, die sich sehr laut aufführen. Was
+tun sie? Dreinhauen tun's. Hauen aufeinander, daß es schallt wie
+bei Dreschern auf der Tenne, oder bei Teppichklopfern, prügeln sich
+gegenseitig mit alten Säbeln, rostigen Schilden, daß die Köpfe unter
+den verbeulten Helmen brummen, und schreien dazu, was sie nur aus der
+Gurgel bringen, volltönende, herrliche Worte, auf die man unwillkürlich
+hinhören muß. Was sind es? Nibelungenverse. »Er schlug damit den ersten
+Schlag. Hei, hei! Volker, Spielmann, wie rührst du den Fiedelbogen!«
+
+So macht der fröhliche Knabensinn, der noch unverkümmert in den jungen
+Männern steckt, aus einer turnerischen Übung ein ganzes Ritterspiel.
+Ein echter Schwind.
+
+Die Kämpfer sind müde und machen eine Pause. Franz pocht an das Tor.
+Kein Laut regt sich mehr. Grad' so, als ob das Haus ausgestorben wäre.
+
+Haben sie sich am End' gegenseitig erschlagen, denkt Franz und klettert
+auf die Mauer hinauf. Das Schauspiel, das sich ihm darbietet, ist
+wunderlich genug. Die drei Helden, mit altem Rüstzeug angetan wie die
+Schmierenkomödianten eines Bauerntheaters, schleichen mit aufgeregten
+Mienen auf den Zehenspitzen ans Tor, der Älteste guckt durchs
+Schlüsselloch -- da hat Moritz den Eindringling schon über der Mauer
+entdeckt.
+
+»Kerl, elender, blöder, mistiger, lieber, guter -- dein Glück, daß du
+da bist! Sei aber froh, daß du kein Gläubiger bist!«
+
+Der Jubel ist jetzt erst recht groß, anstatt eines gefürchteten
+Gläubigers den lieben Freund zu erblicken, der zwar die Mauer
+hinaufzuklettern vermochte, aber nicht herunterkam. Eine kleine
+Tracht freundschaftlicher Prügel muß er sich in seiner Hilflosigkeit
+schon gefallen lassen. Nach diesen stärkenden Leibesübungen kehrt
+der gewohnte Männerernst wieder zurück. Schön ist es in dem Hof,
+den die Brüder in ein stimmungsvolles schwindisches Gartenbild
+verwandelt haben. Mit Rasen ist er bewachsen, eine Fliederlaube
+steht im Hintergrund, Akazien und Holunderbäume sind hinzugepflanzt,
+einige Blumenbeete, dazu noch etliche Oleander in Kübeln -- das ist
+»Schwindien«, die Heimat der schönsten romantischen Malerträume. Und
+weil man nichts tat, ohne den Dingen einen besonderen Sinn zu geben,
+so nannten die Brüder diesen Gartenhof mitsamt den zu ebener Erde
+liegenden Wohnräumen ihre Burg Malepartus.
+
+Gewohnt, gelebt, gearbeitet wurde in der schönen Jahreszeit mehr in
+der Laube als in den Zimmern. Da lag noch das Arbeitszeug herum --
+Neujahrskarten wurden gezeichnet und Krampusse gemalt -- wofür? Dumme
+Frage, für den kommenden Christkindlmarkt am Hof, Fronarbeit, mit der
+sich der junge ringende Genius die Freiheit für seine Kunst und seine
+Studien erkaufen muß. Denn manchmal ist Schmalhans Küchenmeister seit
+dem Tode des Vaters, und mit Schuldscheinen bewehrte Feinde belagern
+oft die Burg Malepartus. Aber Künstlerfreude und Jugendsinn lassen
+keinen Schatten dauernd aufkommen, besonders solange »Goldstaub«
+im Tabaksbeutel ist -- und den hat heute Schubert in reicher Menge
+mitgebracht.
+
+»Bruder, am besten, du bleibst bei uns! Wir richten uns häuslich ein.
+Platz ist genug, ein Zimmer kannst du haben, was du singst, male ich
+-- kann man sich ein trefflicheres Accompagnement denken?! In dieser
+schönen Jahreszeit tragen wir die Matratzen heraus und schlafen
+nachts im Freien unter duftendem Flieder und niederrieselndem gelben
+Goldregen. Da blühen Träume, Bilder und Musik -- schöner findest du es
+nirgends!«
+
+Für diese Nacht beschloß Schubert zu bleiben -- die Träume unter dem
+Fliederbaum und Goldregen waren gar zu verlockend. Ein mannshohes
+Schild mußte weggehoben werden, ein Türke war darauf gemalt noch frisch
+von Farben.
+
+»Fürs Café Bogner -- so bezahlt man seine Schulden!« erklärte Schwind.
+»Morgen ist die feierliche Hinsetzung dieses ›Kunstwerks‹ -- das gibt
+wieder Kredit auf ein Jahr!«
+
+Gegen Abend wurden in der Laube die Pfeifen entzündet, und die
+klausnerische Seligkeit begann, von der Schwind immer und immer
+träumte. Die Wolken stiegen wie Weihrauch, Flieder und Akazien
+dufteten, die Sterne leuchteten, Träume umwoben die Stirnen, das Glück
+war vollkommen.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a -- --
+
+Die Cellos in der Brust erheben den schmerzlich süßen Sang, wohl und
+wehe ist ihm -- das Glück, das Glück!
+
+Am anderen Morgen geht das Wohnungsuchen an in den engen traulichen
+Gassen der inneren Stadt. Die Sonne fällt schräg in die blitzenden
+Fenster der leicht gekrümmten Hauswände, ein Lied trällert, ein
+Kopf lugt da und dort heraus, ein Tüchlein um die Frisur gebunden,
+wäschermädelartig, mit zwei koketten Zipfeln nach vorne -- sie sind
+so lustig beim Zimmerfegen in aller Früh, die holden Weiblein! Und
+auf Reinlichkeit sind sie wie der Teufel: nur gleich zum Fenster
+hinaus mit dem Staubtuch, die ganze Ladung dem Vorübergehenden auf den
+Kopf: Unrat, zusammengedrehte Haarbüschel -- das ist aber noch nicht
+das Schlimmste, wenn nicht zufällig auch einmal was Lebendiges dabei
+ist, ein Läuslein, ein Wänzlein, ein Flöhlein. Sind ja so übertrieben
+reinlich, dulden nichts Unsauberes, heißt es gleich, hinaus damit! Also
+gib fein acht, lieber Morgenwanderer, wenn du durch enge Wiener Gassen
+lustwandelst!
+
+Spaziert Franz unverdrossen die Kreuz und Quer, gaßauf, gaßab, hält an
+jedem Tor, wo ein weißer Zettel hängt und wie eine Geisterhand winkt:
+»Elegant möbliertes Zimmer für einen soliden Herrn .....«
+
+Unzählige Treppen gibt es zu steigen, eine Wanderung, die steil hinauf-
+und hinuntergeht im geklüfteten Stadtgebirge. Das Bilderbuch der Stadt
+rollt sich auf bei dieser seltsamen Wanderung, die keinem Junggesellen
+erspart bleibt. Es ist zwar immer dasselbe Bild bürgerlicher
+Zwischenstufen, ein krampfhaftes Pflanzmachen, dahinter die heimliche
+Misere, ein elendes Durchfretten, ein ewiges Wursteln ..... immer
+dasselbe Thema, aber welche Variationen im Menschlichen!
+
+Eine hübsche Witwe tut sehr fesch, will ihn gar nicht mehr fortlassen,
+sitzt plaudernd da mit übereinandergeschlagenen Beinen: »O, Sie werden
+sich sehr wohl fühlen!« Mehr als ihre Worte sagen es ihre Mienen und
+ihre Augen. Er wäre froh, wenn er schon draußen wäre, er fühlt sich gar
+nicht wohl, er sitzt wie auf glühenden Kohlen.
+
+Bei einer Witwe, die so hübsch und lustig dreinschaut, nein, das geht
+doch nicht. Was würden die Leute dazu sagen, die Freunde und nun gar
+die Brüder, wenn sie kämen, und erst, was Gott verhüte, der gestrenge
+Herr Vater! Die Hänseleien von den einen, die stillen oder gar lauten
+Vorwürfe von den andern -- er möchte keines von beiden riskieren. Er
+ist das wirklich, was auf dem Zettel verlangt wird, »ein solider Herr«!
+Er ist hochrot im Gesicht, als er wieder unten auf der Straße steht,
+und jetzt ärgert er sich über sich selber. »Dumm von mir ...«, aber man
+ist manchmal so und manchmal so .....
+
+Und fort geht das Suchen -- schließlich wird's ihm ein Bild des
+Lebens: Suchen und Suchen, kaum ein Finden, schließlich immer nur ein
+Vorliebnehmen.
+
+Des Auf- und Abkletterns müde geworden, hat er am Schluß
+vorliebgenommen und sitzt als Zimmerherr in einer geräumigen Stube mit
+altväterischen wackligen Möbeln. Nun ist er in seiner höchsteigenen
+Behausung für monatlich dreißig Gulden Wiener Währung samt Frühstück.
+Ein sündhafter Preis! Warum hat er's genommen? Das Suchen war ihm schon
+zuwider, vielleicht aber hat ihn auch das Mitleid bestimmt. Er hat ein
+weites Herz und denkt sich, wegen so ein paar Netsch mehr oder weniger
+....
+
+Die Quartierfrau, ein abgehetztes Weib, hat ihm in fünf Minuten ihre
+ganze Lebensgeschichte erzählt, sie ist eine »bessere Frau«, was sie
+wiederholt unterstreicht, und die Mali, ihre Tochter, das liebe, gute
+Kind, lernt Französisch und Klavier und kann eine ausgezeichnete
+Torte machen!! Sie ist so furchtbar häuslich! Sie behauptet, daß die
+Erziehung des Kindes so furchtbar viel Geld kostet, aber eine gute
+Bildung sei wohl die beste Mitgift! Ein vernünftiger Mann würde bei
+einem Mädchen doch lieber auf Bildung und Häuslichkeit sehen als auf
+Geld! Der neue Zimmerherr wird sich wie zu Hause fühlen!
+
+Es gelingt ihm endlich, ihrem Wortschwall Einhalt zu gebieten und sie
+zur Tür hinauszuschieben, dann hört er sie im Hintergrund des dunklen
+Flures, der von Waschdunst und Küchengerüchen erfüllt ist, mit der
+Mali, dem guten, lieben Kind, keifen: »Was stehst denn, Trampel,
+schau', daß d' in Schwung kommst ...« So sieht's mit der Erziehung aus,
+die furchtbar viel Geld kost' ....
+
+Es ist aber nicht tragisch zu nehmen, das Zünglein hängt gar locker und
+ist mit einem Schimpfwort rasch fertig. Das kommt bei besseren Leuten
+auch vor -- es gehört zur Gemütlichkeit.
+
+Ein Klavier steht in der Ecke, verstaubt, verstimmt, es muß erst
+instand gesetzt werden. Ein Glück, daß es überhaupt da ist. Also rasch
+den Klavierstimmer ins Haus! Die gute Mali -- ob die je im Leben eine
+Klaviertaste angerührt hat? Aber das bißchen Pflanz -- es ist ja so
+notwendig zum Leben, der Traum von Glück, ein goldener Schein, der das
+graue Elend ein bißchen überleuchtet!
+
+Als dem Klavier wieder wohlgestimmte, klare, reine Töne entsteigen, und
+die von Arbeitsdrang erfüllte Brust sich in Noten entladen darf, da
+ist das Gemach hell und freundlich geworden und die Geister der Sorge,
+die es bewohnten, sind entwichen. Die Seele schwebt in wolkenloser
+Seligkeit und ein Celloton singt in H-Moll aus blauer Ferne:
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a .....!
+
+Ein schwebender Klang, der sein hoffnungsreiches Glücksgefühl umspielt.
+Wenn er in sich hineinhorcht, kann er ihn jetzt wieder vernehmen, immer
+und immer wieder.
+
+Der Ton entschwebt, wenn er ihn fassen will, verdrängt von dem
+singenden, rauschenden Quell in seiner Seele, der ins Leben will, der
+Menschheit zur ewigen Freude. Herrlich ist es, so in Freiheit zu leben
+und im goldenen Überfluß zu schwelgen! Mit vollen Händen kann er sich
+verschenken, so stark und schier unerschöpflich ist der innere Quell!
+
+Der graue Vormittag gehört dieser stürmischen Arbeit. Mit allen Kräften
+der Seele ist er seinem Werk gewidmet, vom frühen Morgen an bis zur
+Mittagsstunde. Dann ist er erschöpft, leer, ausgepumpt, sucht Erholung
+und Ablenkung und findet sie bei den Freunden. Schon beim Mittagessen
+trifft er den einen oder anderen im Gasthaus »zur schwarzen Katze«,
+»zur Schnecke«, »zur Eiche«, beim »roten« oder beim »blauen Igel«, wo
+abwechselnd das bescheidene Mittagsmahl eingenommen wird.
+
+Gleicht ein Beisel dem andern, der Fußboden ist voll Flecken und
+Schmier, der Kellnerfrack ist es ebenso, der einmal schwarz war und
+jetzt grau ist wie der Boden, der einmal weiß war. Es geht gemütlich
+her, der Wirt, der Zahlkellner, der Speisenträger, der Pinckerl
+schießen herum, Herr von Schubert hin, Herr von Schubert her, vier
+oder sechs Hände entreißen ihm Hut, Stock und Überrock, noch ehe der
+Ankömmling weiß, wie ihm geschieht, leiert ihn der Pikkolo an wie
+ein Ratschenbub und zählt alle Getränksorten her, der Speisenträger
+memoriert die Speisenkarte: Fleckerlsuppe, Nudelsuppe, Kaiserschöberl
+-- schönes Rindfleisch, Herr von Schubert, ein schwarzes Scherzel,
+ein Kavalierspitz, ein Kruspelspitz, nicht zu fett, ein bisserl
+unterspickt, Zwiebelsauce oder eingebrannte Erdäpfl dazu, oder rote
+Rüben, Schnittlauchsauce -- vielleicht einen schönen Kalbsschlögel,
+einen Nierenbraten, Kaiserfleisch, Schöpsernes, Roastbeef --
+
+Halt, halt! Der Kopf wirbelt einem schon! Jetzt kennt man sich in
+den kulinarischen Genüssen erst recht nimmer aus. Zeit lassen! Die
+Speisenkarte her!
+
+Inzwischen wird von allen Seiten geschrien, dem einen geht die
+Bedienung zu langsam, dem anderen, der seine Suppe noch nicht
+ausgelöffelt hat und schon das Rindfleisch kriegt, geht sie zu schnell,
+keiner ist zufrieden, ein jeder möcht' etwas anderes -- die Aufregung!
+Das Schimpfen, das Gelächter, das Tellerklappern, das Geschrei,
+die durcheinander schwirrenden Dissonanzen -- wobei sich alles in
+Wohlgefallen und Gemütlichkeit wieder auflöst -- es wirkt auf die
+abgespannten Nerven doch wieder belebend wie ein erfrischendes Bad. Und
+hat man heute über den Schlangenfraß geschimpft und es verschworen,
+das verfluchte Saubeisel nicht mehr zu betreten, so ist man am
+anderen Tage um so pünktlicher wieder da. Es ist keiner glücklich,
+wenn er nicht ein bißchen räsonnieren kann. Die Wiener Tugenden und
+Untugenden, die waren, sind und sein werden -- man hat sie in der
+knappen Mittagsstunde beisammen, während der Fütterung entfalten sie
+ihre Blüte. Man ist gereizt wie eine hungrige Bestie, wenn man kommt,
+und wenn man geatzt ist, geht man als friedfertiger Mensch von dannen.
+Wohin?
+
+Natürlich ins Kaffeehaus zu einem Schwarzen und einer Pfeife Tabak, die
+der Höhepunkt des Diners ist. Das Essen ist nur der Umweg zu diesem
+Göttergenuß. Also geradewegs zur »lustigen Blunzen«, wo Schwinds Schild
+mit dem Türken richtig in ganzer Farbenpracht prangt.
+
+»Schani, trag' den Garten außi!« Also trug an schönen Tagen Schani,
+der Kellnerjunge, unter Beihilfe des Feuerburschen den Garten hinaus,
+nämlich die Holzkübel mit den Efeuwänden, die am Trottoir vor dem
+Café einen kleinen imaginären Gartenbezirk bilden mit einigen
+Marmortischchen darin. So sitzt man draußen im Freien an schönen Tagen.
+Fast angenehmer ist es aber drinnen in dem gewölbten Raum, wo der
+Feuerbursch am Herd die Bohnen röstet, daß der frische Kaffeegeruch
+stark und würzig den Raum durchströmt. Eine ältliche Kassiererin sitzt
+im Büfett und liest in einem Romanbüchel, ein paar Herren im dämmerigen
+Hintergrund halten starr die Zeitung vor sich hin oder sitzen in
+bequemen Lehnsesseln zurückgelehnt, zuweilen glaubt man sich in eine
+Sägemühle versetzt, ein verdächtiges Geräusch rasselt von hinten her,
+steigt höher und höher, und wenn es den Klimax erreicht hat, reißt es
+plötzlich ab, ein tiefes Schnarchen: jeder macht seinen Nipfetzer.
+
+Der Kellner streicht lautlos hin und her wie auf Samtpfoten, damit
+er keinen von den Herren aufweckt. Nur vom Billard her tönt das
+gedämpfte Rollen der Kugeln, nebst dem Summen der Fliegen an den
+Fensterscheiben, eine angenehme, einschläfernde Musik. Am schönsten ist
+es, am Fenster zu sitzen, hinauszublicken auf die alten Häuserfronten
+mit bequemen Portalen, verwittertem, steinernem Wappenschild darüber,
+schmiedeeisernen Balkonen und ähnlichem, ehrwürdigem Zierat. Da sitzt
+man in Betrachtung dieser Dinge, schlürft seinen Schwarzen, schmaucht
+sein Pfeifchen, schaut in die Zeitung, tut zwischendurch selbst so
+ein kleines Nickerlein, oder ergötzt sich, wenn die Freunde da sind,
+an dem Gespräch, das alsdann immer munter fließt. Die Welt täglich
+niederreißen, neu und schöner wieder aufbauen -- dadurch wird die
+schwarze Kaffeestunde ereignisvoll und fruchtbar.
+
+Die paar Stunden nachher während des Nachmittags vergehen auch so; die
+Blume der Freundschaft entfaltet sich am herrlichsten erst abends.
+Da sitzt man mit den geliebten Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln,
+wie Franz seine Getreuen nennt, oft in fröhlicher Tafelrunde über
+die gewöhnliche Sperrstunde hinaus beisammen, und zuweilen hallen
+die schlafenden Gassen von der lauten, singfrohen Ausgelassenheit
+der Jünglinge, die Schwinds Stift in einem übermütigen Augenblick
+festgehalten hat, wie sie vor einem unvollendeten Neubau stehen und ein
+Ständchen vor den leeren Fenstern darbringen. Die herrlichsten Lieder
+steigen in das Nichts empor, die Schöne fehlt, für deren Ohren sie
+bestimmt sind, die ist nur erträumt da, und an ihrer Stelle antwortet
+das Echo in den Schatten des leeren Hauses.
+
+So geht es derzeit noch dem Meisterlein, die Freunde sind da, der
+Genius hat ihn geküßt, aber wo ist die Menschheit, seine Gaben zu
+empfangen und den schuldigen Dank zu spenden?
+
+Einerlei, der junge Meister denkt nicht daran, es ist ihm vor allem
+darum zu tun, sich im Schaffen auszuwirken und den inneren Schatz zu
+heben, der sein Erbteil geworden war. Die Freunde wissen es, die seine
+Schöpfungen in Abschriften von Hand zu Hand geben, kein Abend vergeht,
+wo sie nicht bewundernd von den neuen Köstlichkeiten erzählen, die
+Schubert in seinen fieberhaften Arbeitsstunden an den Tag gefördert hat.
+
+Äußerlich war es nur ein kleines Leben, das der junge Schubert
+genießerisch führte. Aber in diesen scheinbar nichtigen Dingen war
+wienerischer Geist, sein vegetatives Sein lebte davon, der innere
+Mensch, der sich an dieser geheimnisvollen Kraft aufbaute. Ein Narr,
+der mehr verlangt als diese einfache seelische Hausmannskost, die
+Mutter Heimat gibt. Schuberts Sein war mit allen Wurzeln in dem
+Boden dieser Wiener Heimat verwachsen; er lebte im Alltag, wie alle
+anderen lebten, nur mit dem Unterschied, daß er als der schöpferische
+Mensch es verstand, aus der groben Alltagskost das geheimnisvolle
+wienerische Fluidum abzuleiten, aus den Wurzeln in die Krone, wo es
+liedhaft ertönte, als unsterblicher Sang auf die einzige, süße, liebe,
+unvergleichliche, schöne Weanastadt!
+
+Ein Ton schwebt über diesem Dasein, darin die Seele der Stadt war, vor
+allem die Seele Schuberts: g -- d -- g -- fis ...!
+
+Immer wieder klingt dieser milde, tröstliche Satz durch, mannigfach
+verschlungen und variiert, wie der Anfang einer Sinfonie seines Lebens.
+Daß man es doch fassen könnte, hinstellen als unvergleichliches
+Gleichnis seiner selbst! Und immer wieder, mannigfach unterbrochen von
+dunkleren, schmerzlicheren Gewalten, setzt dieser verhaltene, heiter
+ernste Takt ein, immer wieder, ohne zu vollenden .......
+
+Aber das fröhliche Herrenleben neigt sich zu einem sehr betrüblichen
+Ende. In den zwei armseligen und doch so folgenschweren Wörtchen
+spiegelt sich das Schicksalsbild: kein Geld!
+
+Hundert Gulden dauern nicht ewig, auch nicht in jenen Tagen, wo sich
+unendlich mehr damit richten ließ. Man ist zwar kein Leichtfuß, aber
+man ist auch kein Sparer und kein Knicker, und wer sich jede Freude
+versagt, wird auch wenig Freude geben.
+
+Franz knirscht: Verflucht auch! Die anderen sollen's nicht merken, er
+will's vor sich selber nicht wissen, will sich nicht stören lassen,
+nicht beirren lassen, arbeitet drauf los. Die Arbeit hat ja das Gute,
+daß sie von den Trübnissen erlöst und daß man sich als Herr des Lebens
+fühlt, solange sie dauert und glückt. Aber dann, in den Stunden der
+Erschöpfung, dann führt Frau Sorge das Wort. Sollte der Herr Vater
+recht haben: ein verlorener Musikant?! Nein, nein -- man muß sich halt
+tüchtig durchbeißen, fest zusammenhalten die paar Knöpf', die man noch
+in der Hosentasche hat, und Stunden geben, mehr Stunden!
+
+Einige Schüler hat er schon. Aber die sind halt das Kreuz seines
+Lebens. Fressen die schönste Zeit und beste Kraft weg für nichts und
+wieder nichts. Diese Stockfisch', diese vernagelten!
+
+Einige Haustöchter aus guten Familien nehmen Unterricht bei ihm. Sie
+schrecken vor dem Schwierigsten nicht zurück; was sie am wenigsten
+können und verstehen, reizt sie am meisten. Es bringt den armen Franz
+zur Verzweiflung. Dieses Haustöchtergeklimper! Heiliger Beethoven!
+Muß deine Feuerseele so unters Klavier fallen! Muß es wirklich sein?!
+Mamsell, Mamsell!
+
+Es muß wirklich sein. Mamsell ist sonst gekränkt und gibt die Stunden
+auf. So also sieht die Freiheit aus?! Dreimal gefesselt vom Mangel,
+von der Frone und der Schaffensnot. Die Tage im Schulhaus -- was war
+das für eine sorglose, glückliche Zeit! Er könnte ja zurückkehren, der
+Vater würde ihn mit offenen Armen aufnehmen, ein reuig heimkehrender
+Sohn! Aber er schleudert den Gedanken ergrimmt von sich: Feigheit,
+erbärmliche Feigheit! Einem jungen Menschen geht es nicht schlecht,
+auch wenn er kein Geld hat. Ein junger Mensch, der Talent hat und
+arbeiten kann, ist reich. Reich, ja, das ist unser Franz, sitzt bei
+goldenen Schätzen -- nur abbeißen kann er nichts davon!
+
+»Unbegreiflich, daß ein Mensch, wie du, nicht schon längst einen
+Verleger gefunden hat!« wundert sich Spaun und nimmt die Sache gleich
+energisch in die Hand. Wozu noch warten? Die Manuskripte stauen sich in
+Schuberts Mappen und Tischladen. »Ich hab' mit Diabelli gesprochen, er
+hat von dir schon gehört, geh' nur getrost hin.« So der liebe Freund.
+
+Franz faßt ein Herz. Er ist scheu vor fremden Leuten, und nun gar als
+einer, der nichts bringt, sondern viel eher fordert! Es kostet viele
+Überwindung, bis er sich auf den Weg macht.
+
+Endlich sitzt er im Geschäftsladen des Wiener Druckgewaltigen. Er muß
+warten, ehe sich ihm die Tür des Chefzimmers gnädig erschließt. Eine
+Viertelstunde vergeht, eine halbe Stunde -- das zermürbt den Menschen.
+Entweder er lehnt sich auf und geht davon, nicht ohne einen kräftigen
+Fluch zur Tür hineinzuschleudern, oder aber er knickt zusammen und
+versinkt zu einem Häuflein Elend.
+
+Die Faust geballt, den Fluch auf den Lippen, will der Künstler seiner
+Menschheitwürde den rechten Ausdruck verleihen, aber der Gedanke an die
+Geldnot zwingt ihn nieder. Er gibt sich und dem Protzen da drinnen noch
+fünf Minuten Frist, dann noch fünf Minuten -- endlich! es ist ein Glück
+für den da drinnen, daß er den Künstler nun rufen läßt.
+
+Der steht nun demütig und verzagt vor dem gerissenen Geschäftsmann, der
+ihn wie einen Bettler empfängt. Fürs erste, daß er auf den schüchternen
+Gruß des Eintretenden gar nicht antwortet. Er streift ihn nur mit einem
+flüchtigen Blick aus der Brille, dann sieht er ihn überhaupt nicht
+mehr an. Es ist ein Geschäftskniff. Man darf den jungen, schaffenden
+Talenten nicht zeigen, daß man sie braucht. Sonst werden sie in ihren
+Forderungen unverschämt. Man muß sie so lange als möglich zappeln
+lassen, bis ihnen das Wasser ins Maul rinnt, dann macht man den Fang!
+Das ist die Geschäftsethik der Herren Diabelli und Genossen.
+
+Franz stammelt unverständlich etwas vor sich hin und legt ein Notenpack
+auf den Tisch. Der Verleger blättert oberflächlich eine Weile herum,
+schiebt das Ganze wieder zurück und sagt:
+
+»Nicht zu brauchen! Viel zu schwer! Das Publikum verlangt leichtere
+Sachen. Ihr Herren Künstler glaubt immer, es muß durchaus nach eurem
+Sinn gehen. Wer soll denn das Zeug verkaufen? Aber ihr denkt halt,
+es tut nichts, wenn der Verleger sein Geld verliert! Es tut ja was!
+Verstehen Sie mich?! Könnt' verhungern alle miteinand' mit eurem
+verfluchten Eigensinn! Also lassen Sie sich's gesagt sein, machen's
+leichtere Sachen, dann können's wiederkommen!«
+
+Draußen war Franz, er wußte nicht wie, der Schädel brummte ihm, das
+Gesicht war hochrot, es war ihm, als ob er einen Schlag bekommen hätte.
+Schnurstracks ist er heimgestürmt, aber das Heim ist auch keine rechte
+Zuflucht mehr. Die Quartiergeberin hat's Grüßen verlernt, wenn sie
+ihn sieht. Das macht die unbezahlte Wochenrechnung. Aber so geht's:
+gestern war man noch ein gnä' Herr, heute ist man ein Lump! Das ist
+die Psychologie der kleinen Leute, die eine feine Witterung für die
+jeweilige Finanzlage haben. Verfluchte Bagage! Mali, das liebe, gute
+Kind, ist alle Augenblicke in der Tür gesteckt, hat sich immer was
+zu schaffen gewußt im Zimmer, war nie um einen Vorwand verlegen, und
+blieb dann länger als nötig war, weil sie »gern etwas abgespickt hätte
+beim Klavier ....« Dann bringt sie gelegentlich ein Stück Sonntagstorte
+eigenes Fabrikat »zum Kosten«!
+
+Franz ist gutmütig und gibt ihr einige Gratisunterweisungen in leichten
+Klavierübungen. Aber Mali hat dumme Finger und ist ganz talentlos .....
+Schließlich ist ihr ja auch nicht ums Klavierspielen zu tun.
+
+Die Mutter steht dahinter und schürt und schürt. Sie hat's schwer im
+Leben und möchte das liebe, gute Kind gar zu gern versorgt wissen.
+Aber Franz ist keiner, der sich einlullen läßt mit Schmachten und
+Sonntagstorten, einspinnen und einnähen, bis es heißt, entweder Schuft
+oder Trottel! Trottel, wenn man picken bleibt, Schuft, wenn man die
+Kleine sitzen läßt. Franz ist weder für das eine noch für das andere
+geboren. Weder Schuft noch Trottel -- das hat die arme Frau schließlich
+doch gemerkt. Sie kuppelt auch nur so lang, als sie glaubt, daß der
+»gnä' Herr« bei Kasse ist. »Ah, das ist so einer!« tippt sich die Alte
+an den Kopf. »Ist nicht weit her mit der Marie (Geld)! Ich hab' mir's
+doch gleich gedacht. Na, wart', mein lieber Gschwuf: so etwas könnt'
+man brauchen!« So wird das gemütliche Heim allmählich eine Hölle.
+
+Aber auch im Wirtsbeisel verändert sich die Stimmung. Hut, Stock und
+Überrock wird einem nicht mehr aus der Hand gerissen, der schofle Gast
+mag sich nur selber bemühen. Der Fraß wird einem ziemlich achtlos
+hingeschoben, jetzt kannst du drei-, viermal klingeln, bis so ein Lakl
+die Ohren auftut. Hat man denn einen Geruch an sich, wenn einem das
+Geld knapp wird? Es muß wohl so sein. Wer kein Geld hat, ist soviel wie
+ein Pestkranker. Der soll sich nur gleich begraben lassen. Kein Hund
+nimmt ein Stückel Brot von ihm!
+
+Franz ist nicht der Mann, sich die Misere anmerken zu lassen. Aber
+da hat er sich verrechnet in der Kennerschaft der dienstbeflissenen
+Menschheit. Das sind geübte Menschenkenner, die dienstbaren Geister,
+und wissen genau, was es bedeutet, wenn der Herr von Schubert auf
+das Fleisch verzichtet und sich mit Linsen und Spiegeleiern begnügt,
+oder abends bestenfalls Augsburger mit Erdäpfl ißt, ein kleines Glas
+Bier dazu, wenn auch der Durst noch so groß ist und -- was das größte
+Verbrechen ist -- mit dem Trinkgeld zu sparen anfängt. Der Schmutzian,
+der notige!
+
+Armut ist keine Schande. Sie ist mehr: ein Unglück ist sie, eine
+Schmach! Zuweilen lastet es mit großer Wucht auf dem empfindlichen
+Gemüt. Und herzzerreißend klagen die Geigen, Violen und Fagotten in der
+Brust: e -- fis -- g -- h -- ais ....... Wie schwere Gewitterstürme
+stöhnen die Kontrabässe drohend und unheilvoll tief unten: c -- c -- c
+....
+
+Ist denn in dieser infamen Welt, wo jeder Vogel sein Futter findet,
+kein Platz für den gottbegnadeten Künstler?
+
+Es ist die Stimmung, in der der Galgenhumor erwacht. Den Freunden
+geht's mit wenigen Ausnahmen auch nicht besser. Was ist eine Zeit
+wert, die so ausgezeichnete Kerle darben läßt? Das gemeinsame Leid
+macht stark. Was sind die Freunde doch für Mutmacher! Der Wert der
+Freundschaft, nie steht er höher als in solchen Tagen. Es sind ihrer zu
+viele, einer hält den anderen, sie wissen, die Zukunft gehört ihnen,
+trotzig fordern sie die Gegenwart heraus. Aus dieser inneren Gewißheit
+schöpfen sie den Humor, der sie selbst in dieser mißlichen Lage
+beneidenswert macht.
+
+Das Verlegerunglück wird gehörig belacht und auf diese Weise der
+Bitterkeit entkleidet. »Der Diabelli wird dich noch um Verzeihung
+bitten und froh sein, wenn er die Brosamen aufheben darf, die von
+deinem Tisch fallen, du Reicher im Genieland!« entschied Spaun.
+»Hilft aber alles nichts, du mußt vorerst mehr in der Gesellschaft
+herumgereicht werden, bis der Kerl leckere Zähne kriegt!«
+
+Schober hat wichtige Verbindungen angeknüpft. Er hat den Baron
+Schönstein, der in seinen adeligen Zirkeln als Liedersänger glänzt, für
+Schubert zu interessieren gewußt. Der aristokratische Amateur erkannte
+sofort: hier ist ein Besonderer! Er ist Feuer und Flamme für ihn, rührt
+die Propagandatrommel und erweckt in seinen exklusiven Kreisen die
+Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Eines Tages empfängt Franz eine
+Einladung in das Haus der Fürstin Soundso. »Dein Glück ist gemacht!«
+erklärten die Freunde. Gemach, gemach, ihr lieben Heißsporne, auch
+damit hat es seine Wege!
+
+Franz sitzt am Klavier, Schönstein singt. Die aristokratische
+Gesellschaft ist entzückt, besonders aber die Damen. Sie können
+sich nicht genug tun mit feurigen Anerkennungen und Glückwünschen.
+Aber die Begeisterung gilt nur dem Sänger, Schubert sitzt am
+Klavier, unbeachtet, vergessen, niemand von den Herrschaften würdigt
+ihn eines Wortes oder auch nur eines Blickes. Die Fürstin, ihrer
+Hausfrauenpflicht eingedenk, erinnert sich des Meisterleins, wenngleich
+ein wenig spät. Sie will die Vernachlässigung gutmachen, sie spendet
+dem Unbeachteten freundliche Worte des Lobes; sie ahnt dunkel, daß
+etwas nicht ganz in Ordnung ist, und tröstet ihn darüber, daß der
+Sänger seiner Lieder den Lorbeer allein einheimse, der eigentlich zum
+größeren Teil ihm gehöre, dem Schöpfer der Lieder. Aber die Menschen,
+die unter dem starken Eindruck eines guten Vortrages ständen, seien nun
+einmal so.
+
+Franz lehnt bescheiden ab: »Geben Sie sich diesfalls nur keine Müh',
+Frau Fürstin, ich bin's ja gewohnt, übersehen zu werden; ja, wenn ich
+aufrichtig sein soll, so ist mir das sogar recht lieb -- wissen Sie --
+ich fühle mich dadurch weniger geniert ......«
+
+Das war kindlich aufrichtig, sogar rührend -- ob es die Fürstin
+verstanden hat? Sie wußte jedenfalls die Form zu wahren und es am
+Schlusse so zu wenden, daß die jungen Damen der Gesellschaft dem
+bescheidenen Meister pflichtschuldigst einige Artigkeiten sagten. Dem
+war es aber erst recht zuwider.
+
+Und als ihn die Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, die ihn schon
+desselben Abends in der lustigen Blunzen erwarteten, bestürmten und vor
+Neugierde brannten, was er vor dem auserwählten Damenkreis für eine
+Wirkung erzielt habe, da sagte er unwirsch: »Ach, diese Frauenzimmer
+sind mir zuwider mit ihren Artigkeiten; sie verstehen von der Musik
+nichts, und was sie mir da sagen, geht ihnen nicht vom Herzen ...«
+
+Der Versuch schien also fehlgeschlagen. Doch Schober hatte schon wieder
+einen neuen Ausweg gefunden. »Morgen abend seid ihr bei mir eingeladen,
+und was meinst du, Franz, wer kommt? Kein Geringerer als der
+Hofopernsänger Vogl, der große Vogl, Philosoph und gewaltiger Sänger
+-- nun, so freu' dich doch, du hast doch nichts sehnlicher gewünscht,
+als den großen Vogl kennen zu lernen. Ja, weißt du überhaupt, was das
+heißt, wenn der deine Lieder öffentlich singt? Das heißt soviel, als
+daß du dann ein gemachter Mann bist .....«
+
+Aber dem Franz ist es heute einerlei, er hat schon so viele
+Enttäuschungen erlebt; immer, wenn es hieß, dann bist du ein gemachter
+Mann, war es in der Regel für die Katz'. So mit Goethe, mit Salieri,
+mit Diabelli, mit Schönstein, mit all den bürgerlichen Kreisen, in
+denen er verkehrte, und die ihn wie einen Wunderknaben anstaunten,
+da und dort auch verhätschelten, oder wie ihren lieben Wurstel
+behandelten, besonders die Frauenzimmer -- ein gemachter Mann war er
+darum noch lange nicht, obzwar es bei jeder neuen Bekanntschaft so
+oft hieß: wenn sich der oder der für dich interessiert, dann bist du
+ein gemachter Mann! Das Gegenteil war der Fall. Schulden hatte er
+auf dem Buckel und wußte sich nicht zu retten vor Sorgen. Jede neue
+Erfahrung zugleich auch eine Enttäuschung. Kein Wunder also, daß er in
+einem Augenblick des Mißmuts nicht viel hielt von der oft gewünschten
+Bekanntschaft mit Vogl, und daß es ihm für diesen Augenblick wenigstens
+Wurst war.
+
+»Da hört sich aber doch alles auf,« legte jetzt Schober los, »meinst
+du, daß es so leicht war, den Vogl soweit zu bringen? Nun kann ich dir
+ja reinen Wein einschenken -- fürs erste wollte er überhaupt von dir
+nichts wissen! Verstehst du? Nichts wissen wollte er von dir!« Und nun
+erzählte er weitläufig, was es für Schwierigkeiten gekostet habe, den
+ablehnenden Sänger umzustimmen.
+
+Ja, warum wollte er denn nichts wissen von unserem Franz? So eine
+Gemeinheit!
+
+Na, na, na -- ist deswegen noch keine Gemeinheit! Es gibt eine Masse
+junger Genies, die entdeckt werden wollen, in der Regel stellt sich
+doch immer wieder heraus, daß es nicht weit her ist damit. Ist es da
+zu verwundern, wenn ein berühmter Sänger, der auf diese Weise schon
+hundertmal getäuscht worden ist, es sich zum hunderteintenmal gehörig
+überlegt? Und dann sei nicht zu vergessen, daß ein Künstler wie Vogl
+mit Musik überfüttert werde; was Wunder also, wenn er sich lieber
+sehnt, von ihr loszukommen, als immer noch neue zu entdecken ..
+
+Die Erzählung Schobers fand allgemeine Mißbilligung, der Hochmut des
+Sängers wurde mit scharfen Worten getadelt, nur Schubert ergriff
+jetzt seine Partei: es sei doch ganz natürlich, daß der Mann seine
+Ruh' haben will, und es wäre viel eher zu verwundern, wenn die
+Antwort auf Schobers Begehren anders ausgefallen wäre. »So und nicht
+anders hab' ich's immer erwartet!« erklärte er zum Schluß nicht ohne
+pessimistischen Anflug eines, der, durch die Erfahrung gewitzigt, seine
+Sach' auf nichts gestellt hat. So war er wenigstens vor allzu schwerer
+Enttäuschung geschützt.
+
+Am anderen Abend auf dem Weg zu Schober klopft ihm aber doch das
+Herz aus zweifacher Angst: entweder, daß der Gewaltige nicht kommen
+würde, oder daß er am Ende wirklich erscheinen könnte ... Beides war
+für den Weltscheuen und doch sehnlich Begehrenden in gleicher Weise
+beunruhigend.
+
+Die jungen Kerle saßen bei Schober zusammen, sie hatten schon ein
+bißchen musiziert, da tat sich um die festgesetzte Stunde die Tür auf
+und herein schritt mit großer Miene der unnahbar tuende Vogl.
+
+»O Gott! Welche Ehre -- die Auszeichnung ....« Franz stammelte einige
+unzusammenhängende Worte, daß er nun die Ehre der Bekanntschaft
+haben soll und so weiter. Vogl schaut den Kleinen von oben bis unten
+an, rümpft die Nase und geht, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen,
+gravitätisch an ihm vorbei.
+
+Du lieber Himmel! Der Anfang war unselig genug. Franz war jetzt ganz
+auf den Mund geschlagen, auch den anderen entsank der Mut. Es herrschte
+auf einige Augenblicke das Gefühl der tödlichsten Verlegenheit.
+
+Nun war Vogl der erste, der eine Entspannung herbeiführte. »Also, was
+haben Sie denn da?!« Er sagte es, aber es klang nicht sehr aufmunternd.
+
+Dabei nahm er ein Notenblatt zur Hand, das wie eine Leimspindel für den
+Vogl aufgerichtet war. Er überflog das Lied, summte es mehr, als er es
+sang, legte es wieder hin und sagte: »Na, ist grad' nicht so übel!« Das
+klang nicht sonderlich begeistert.
+
+Aber er wurde wärmer und wärmer bei den späteren Liedern, die er
+anfangs nur mit halber Stimme sang; schließlich sah er sich den jungen
+Mann schärfer an und wurde freundlicher und freundlicher. Beim Weggehen
+klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Es steckt etwas in Ihnen,
+aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden
+Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen!«
+
+Er ging weg, ohne etwas vom Wiederkommen zu sagen, man wußte nicht
+recht, wie man dran war mit ihm. Also wieder ein fehlgeschlagener
+Versuch?
+
+Da gab selbst Schober die Hoffnung auf: »Er ist halt schon zu alt und
+will sich von der Musik und von der Singerei ganz zurückziehen. Das
+Kloster steckt ihm noch im Leib; wer im Kloster erzogen worden ist, dem
+bleibt für sein Leben was hängen. Jetzt sitzt er am liebsten wie der
+heilige Hieronymus in seiner Klause, hat seine Hund' und Kanarienvögel
+um sich her, die Nase in der Bibel, im Marc Aurel, im Epiktet -- er ist
+eben ein wunderlicher Kauz! Denkt euch, ein dramatischer Sänger, der in
+den Theaterpausen lateinische und griechische Klassiker liest in der
+Ursprache -- ist euch schon so etwas vorgekommen?«
+
+»Schade,« sagte Schubert, »ich wollt', es gäbe mehr solcher Leute!«
+Die Idee eines freien Klosters schwebt ihm oft durch den Sinn, eines
+weltlichen Klosters, wie er und Schwind oft zusammen träumen; Vogl als
+Prior -- man malt sich jetzt die Sache hübsch aus, Schwinds Phantasie
+tut das ihrige dazu: jeder in brauner Mönchskutte als Klausner, in
+herrlicher Waldgegend auf schwellenden Moosbänken sitzend, in sinniger
+Betrachtung versunken, die Pfeife im Mund, einen Bierkrug neben sich,
+saftiges, schwarzes Brot, einen Bund Radieschen, von Weltsorgen
+frei, der Kunst, der Schönheit, der Naturbetrachtung lebend -- der
+Gedanke wäre nicht übel. Aber so halb und halb lebt man ohnehin
+in Brüdergemeinschaft, wenn es auch bei diesen Klausnern in einem
+weltlichen Ton hergeht.
+
+Ist übrigens ein wunderlicher Kauz, der Vogl. Er hält mit dem Lob gegen
+Schubert und seine Freunde sehr zurück, aber durch dritte Personen
+ward erfahren, wie enthusiastisch er die Lieder des jungen Genius vor
+anderen rühmte.
+
+Und eines Abends erschien er unangemeldet bei diesen Weltbrüdern
+und kam dann immer wieder, sang Lied auf Lied von Schubert und
+fand es immer unbegreiflicher, wie solche Tiefe und Reife aus dem
+jungen kleinen Mann, der auf den ersten Blick so unbedeutend schien,
+hervorkommen konnte. Der alte Junggesell, der schon daran dachte,
+sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, hat neue Kunstbegeisterung aus
+Schuberts Liedern geschöpft -- Franz hatte nun wirklich einen neuen
+Freund und Fürsprecher, dessen Stimme gehört werden mußte.
+
+Aber auch die Beziehungen mit Baron Schönstein erwiesen sich jetzt von
+einigem Wert -- kurz und gut, Franz erhielt den Antrag, die gräflich
+Esterhazysche Familie zum Sommeraufenthalt auf das Gut Zelez in Ungarn
+zu begleiten und während dieser Zeit den Musikunterricht der beiden
+Komtessen zu leiten.
+
+Es war, als ob eine unsichtbare rettende Hand eingegriffen hätte, um
+den Schmachtenden von dem unerträglichen Druck der niederen kleinen
+Alltagssorgen, die am schwersten drücken, zu befreien. Ein Sommer auf
+dem Land, die Ferne, eine neue Welt und noch dazu sorgenfrei -- das war
+die ersehnte Freiheit! Auch Schober ging für eine Zeit weg, Goethes
+Wilhelm Meister ließ ihm keine Ruh', er wollte es einmal in diesem Stil
+versuchen, halb Schauspieler, halb Dichter, halb Mäzen, dilettierender
+Künstler auf allen Gebieten, der seine vielseitigen Gaben im Strome des
+Lebens versuchen will.
+
+Spaun, Mayrhofer bereiteten sich auf längeren Urlaub vor, Schwind geht
+auf eine Studienwanderung, der große Kreis von Familien, in denen man
+verkehrte, geht im Sommer »aufs Land«. Die Fenster in den heißen Gassen
+schließen sich, sie senken gleichsam die Lider, Wien versinkt in seinen
+Dornröschenschlaf. Nur wer kein Geld hat und wirklich nicht anders
+kann, bleibt da.
+
+Die Vorsehung hat diesmal für Franz ein gnädiges Erbarmen gehabt. Auf
+nach Ungarn! Auf Wiedersehen im Herbst! Adieu, lieber Spaun! Adieu,
+lieber Schober! Adieu, lieber Schwind! Bruderherz! Grüßt mir den Vogl!
+Behüt' Gott alle miteinander! Behüt', behüt', behüt'!
+
+Behüt' dich Gott, liebes Wien!
+
+
+
+
+ IV.
+
+
+Vierzig schnatternde Gänse reißen den guten Franz aus dem Morgentraum.
+Vierzig ungarische Gänse, die zu gleicher Zeit zu schnattern anfangen,
+als müßten sie das Kapitol retten -- dagegen kann der bleiernste Schlaf
+nicht bestehen. Franz fährt wirr in die Höhe. Er ist noch gar nicht bei
+sich.
+
+»Was ist denn los!« Er reibt sich die Augen, schaut um sich -- da hängt
+ein farbig gestickter Klingelzug, in einer halbrunden Nische steht ein
+zylindrischer glasierter Kachelofen, dort ein Waschtisch, in der Mitte
+ein einfaches Tischchen mit weißem Tintenzeug aus Steingut, zwei Stühle
+mit geblumten Polstersitzen, ein geblumtes Fauteuil, ein altes Klavier,
+durch das kleine Fenster schaut grünes Gezweig herein, silbergrau
+flimmert es durch das Blattwerk: die Morgendämmerung.
+
+Eine neue, ungewohnte Umgebung. »Wo bin ich?« Franz hat Mühe, seine
+Gedanken zusammenzuholen. Das ohrenzerreißende Schnattern draußen --
+reden ungarisch, die Gänse -- jetzt hat er sich zusammengeklaubt und
+zurechtgefunden.
+
+»So also sieht das Zimmerchen aus, das für die Dauer des
+Sommeraufenthaltes auf Schloß Zelez mir gehört! Nicht übel! Das
+Fenster, das Grün davor, der Ofen, die blumigen Stühle -- es hat
+Stimmung!«
+
+Der Klingelzug -- mit heiliger Scheu betrachtet er ihn. Ein breites
+Band mit bunter Kreuzsticharbeit bedeckt, wahrhaftig eine Zier der
+kleinen Stube. Er braucht im Bette nur die Hand auszustrecken, ein
+Riß, und es müssen schon die Diener des Schlosses herbeifliegen, nach
+den Wünschen des Gastes zu fragen. Es zuckt in seinen Fingern -- aber
+möge ihn der Himmel bewahren, wirklich zu ziehen! Gestern abend bei
+der Ankunft hat ihm der Herr Kammerdiener gesagt, es sei nicht üblich,
+die Klingel zu ziehen. »Es wird ohnehin gesorgt werden, daß es zur
+rechten Zeit da ist, was dem Herrn Professor zukommt. Also, angenehme
+Nachtruhe, Herr Professor!« Sagt es und zieht sich mit würdevoller
+Miene zurück.
+
+Der gräfliche Herr Kammerdiener muß wissen, was Sitte ist. Seine
+Gnaden, der Herr Kammerdiener wünschen auch nicht übermäßig gestört
+zu werden, ist aber sonst ein umgänglicher Mann, wohlwollend,
+herablassend, ganz nach Herrenart. Er geizt mit Titeln nicht, er ist
+den »Professor« gewissermaßen sich selber schuldig; mit geringeren
+Leuten würde er sich gar nicht abgeben. Franz hätte aus Bescheidenheit
+ohnehin nie den Klingelzug angerührt, aber jetzt malt ihm seine erregte
+Phantasie die beschämenden Folgen aus, wenn er sich wirklich vergessen
+würde. Nein, nein, lieber sollte ihn doch gleich die Erde verschlingen.
+
+Mit einem Satz ist er aus dem Bett heraus, zum Fenster hin. Die
+wundervolle Morgenluft, die da hereinströmt! Köstlich, das erste
+Erwachen auf dem Lande! Diese Würze -- die Erde hat hier einen
+anderen Geruch als daheim. Ein fremdes Land. Man ist gespannt auf die
+Entdeckungen, die bevorstehen. Gestern abend, diese Müdigkeit, man
+hat gar nicht Zeit und Sinn gehabt, sich umzusehen. Man war ja wie
+zerschlagen nach der langen Fahrt im Postwagen. Aber schön war es,
+seltsam schön.
+
+Jetzt kehren die Bilder zurück, die man unterwegs erschaut hat. Auf
+dieser Fahrt durch die Ebene, die weit geöffnet dalag wie die Hand
+Gottes, eine riesige Blumen- und Fruchtschale. Unaufhaltsam ging's
+weiter durch endlose alte Alleen, staubweiße Straßen, vorbei an
+kühlen, dunklen Kirchen, geduckten Dörfern, hellen Schlössern, immer
+weiter, weiter gegen Osten. Fliegende Wolkenschatten huschten gleich
+wandernden Gedanken über das klare Antlitz der Ebene, sie atmete
+sichtbar und erregt, wenn sich der Wind in die hohen Pappeln legte,
+und war still und traurig, wenn sich der Himmel trübte, und war ein
+Lächeln über und über, wenn die Sonne aus den Wolken trat. Die Felder
+standen fruchtschwer, und die Weiber mit den roten Kopftücheln sahen
+aus wie Mohnblüten im gelben Stroh. Ein schönes Stück Welt hat man im
+Flug gesehen, aber das Beste sollte erst kommen, denn hier im Schlosse
+begann ein neues ungewohntes Leben für Franz.
+
+Dort im Grünen watschelten die weißen Gänse und riefen den
+heraufziehenden Morgen an. In niedrigen Zeilen gingen die
+Wirtschaftsgebäude hin bis hinunter zum Ententeich, der, von hier
+gesehen, wie ein kleiner Handspiegel draußen lag. Uralte Bäume
+schoben ihre mächtigen Häupter über die hochgezogenen Dächer der
+Wirtschaftsanlagen empor. Der Park von Zelez! Die Lage war schön, das
+hat man gestern bei der Ankunft schon gemerkt. Freilich, hier, im
+Hintertrakt des Schlosses, wo sich das Zimmerchen für den Herrn Musikus
+befand, war noch nicht viel zu sehen.
+
+Mit dem Schlaf war es jetzt vorbei. Schnell in die Kleider geschlüpft,
+leise, um niemanden zu stören, und hinaus in die Morgenfrische! Aber
+draußen war es inzwischen auch schon lebendig geworden. Um vier Uhr
+früh regt sich schon das Leben auf dem Gutshof. Es ist nicht so wie in
+der Stadt, wo man sich um acht Uhr morgens den Schlaf aus den Augen
+reibt.
+
+Da guckt ein hübscher Kopf zur Tür herein. Das Stubenmädchen. »Guten
+Morgen, Herr Musikdirektor!« Sie hat ihn gestern abend so freundlich
+angelacht und erkundigt sich nun, ob er gut geschlafen oder ob er
+schon das Frühstück wünsche, und nach hundert anderen Kleinigkeiten.
+Wahrhaftig, eine gute, mitfühlende Seele! Man hat Freunde gewonnen
+auf den ersten Blick, die Gefühle erwachen unter dem Anhauch der
+Weiblichkeit, man fühlt sich schon wie zu Hause.
+
+Und jetzt durch den Park in einem weiten Bogen um das Herrenhaus, man
+möchte das Schloßantlitz sehen. Da, über dem tauglitzernden, weiten,
+grünen Rasen steht es und leuchtet weiß. Ein behäbiger, breiter
+Mittelbau mit dreieckigem Giebel und französischem Dache, den breiten
+Flur von dickgepolstertem Efeu flankiert, links und rechts breite
+Gebäudeflügel mit hohen Dächern, grünen Fensterläden, ländlich, behäbig
+und zugleich so vornehm!
+
+Franz tritt nicht heraus aus dem Buschwerk, er möchte nicht gesehen
+werden, er ist so schüchtern. Auf dem Rückweg begegnet er einem jungen
+Mann im Walde mit einem Buch. Der Sohn des Inspektors. Ein junger
+Philosoph, der die Ferien daheim zubringt. Sie grüßen sich schweigend.
+In der Nähe des Gutshofes begegnet ihm der Inspektor selbst. »Guten
+Morgen, Herr Kapellmeister!« ruft er schon von weitem, bleibt stehen
+und beginnt ein Gespräch über Musik. Er rühmt sich seiner eigenen
+Musiktalente. O weh: ist schon gefehlt! Aber man muß gute Miene machen,
+es sind die Leute, auf die man angewiesen ist.
+
+Im Wirtschaftsflügel erscheint die Frau Inspektor am Fenster. Sie
+will als Gnädige behandelt sein und gibt sich mit einer gezierten
+Vornehmheit, als ob sie die Gräfin selber wäre. Sie nickt und setzt mit
+deutlicher Unterscheidung hinzu: »Morgen, Herr Musiklehrer!«
+
+Man hat so ziemlich schon das ganze Grafengesinde am Morgen begrüßt,
+den jungen Doktor, der mit seinen vierundzwanzig Jahren kränklich
+tut wie eine alte Dame, den Rentmeister, der herumsteigt wie ein
+großer, dicker, roter Puterhahn, den Koch, der sehr fidel tut, die
+Kammerjungfer, die alte Kinderfrau, den etwas unwirschen Beschließer,
+die beiden Stallmeister. Das sind die Leute, zu denen man jetzt
+gehörte. Soviel Menschen, so viele Titel haben sie dem armen Schubert
+an den Kopf geworfen, daß er wirklich nicht mehr weiß, was eigentlich
+für eine Rolle am Gutshof er zu spielen bestimmt ist.
+
+Auf dem Zimmer steht bereits das Frühstück: Kaffee, ein Ei, etwas
+Butter und zwei Brötchen. Sehr splendid! Franz hat das dankbare
+Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Endlich einmal nicht denken zu
+müssen: wovon werde ich heute leben, wo werde ich das Nötige morgen
+hernehmen und übermorgen? Wird es reichen für den heutigen Tag? Was
+kann ich mir vom Mund absparen, um das Dasein zu fristen, so lange,
+bis das kärgliche Stundengeld wieder bezahlt wird? Das ist jetzt
+alles von ihm genommen. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht -- so
+frei, so leicht, so unbeschwert von Sorgen, arbeiten können, ohne den
+fürchterlichen Druck der Lebensnot zu spüren! Von nichts gehemmt kann
+der Born der Erfindung springen, mächtiger und reichlicher als zuvor!
+
+Die Frühstunden bis elf Uhr vormittags gehören ihm und seiner Arbeit.
+Um elf Uhr erwarten ihn die beiden Komtessen Marie und Karoline
+im Musikzimmer. Das ist ein großer, hübscher Gesellschaftsraum an
+der Vorderseite des Schlosses mit dem Blick auf den Rasenteppich;
+ein schmales, langes Klavier steht in der Ecke und verstellt eine
+weiße Glastür, die oben in einem halbkreisförmigen Bogen endet,
+ganz empiremäßig, und mit weißen Linnenvorhängen bespannt ist. In
+der Fensternische steht eine blumige Polstergarnitur mit Sofa,
+hohen Fauteuils und einem Tisch in der Mitte, der auf einem Bein
+mit breitem Sockel steht. Auf der anderen Seite des langen Saales
+steht ein Schreibtisch beim Fenster, und in der Ecke ein langer,
+niederer Lesetisch mit vielen bequemen Stühlen herum. Familienbilder
+hängen an den Wänden in Türhöhe, darunter eine Unzahl Miniaturen, in
+kleinen Schränkchen an den Pfeilern und in der Ecke befindet sich
+edles Porzellan. Der glattgewichste Parkettboden blinkt spiegelhell.
+Freundlich, behaglich und vornehm ist es in dem Raum.
+
+Die beiden Komtessen behandeln ihn wie einen Bruder. Sie sind
+aufmerksam und liebevoll mit ihm, gar nicht scheu; besonders Karoline
+geht so liebreich mit ihm um, daß er selbst alle Sprödigkeit verliert
+und sich alsbald natürlich gibt wie unter seinesgleichen. Auch sie
+nennen ihn zuerst »Herr Professor«. Seine Verzweiflung darüber
+gibt ihnen zu lachen, das Eis ist damit gebrochen gewesen, aus dem
+»Professor« wird wieder der Herr Schubert, er avanciert zum »lieben
+Herrn Schubert«, der »Herr« fällt als überflüssige Förmlichkeit fort;
+auf der Stufenleiter zum Komtessenherzen rückt er vor zum »Franzi«,
+manchmal zum »lieben Franzi«, dies aber nur unter Ausschluß fremder
+Zuhörer.
+
+Auch die Frau Gräfin ist freundlich, gutmütig, eigentlich nicht
+herzlich, nicht warm, aber wohltemperiert. Immer gleichmäßig,
+gleichmäßig lauwarm mit unverändert zur Schau getragener wohlwollender
+Miene. Sie gibt sich so einfach, so leutselig, dabei so leise und
+zurückhaltend, daß die Leute sagen: die Gräfin ist ein Engel! Sie
+tut, als ob sie von Standesunterschieden nichts wüßte, aber hinter
+ihrer klugbedachten Art liegt die ganze unaufgedeckte Kluft, durch
+die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen fernhält. Ihr Stolz trägt
+die Maske herzgewinnender Bescheidenheit, aber es ist nicht Herz in
+ihrem Gehaben, sondern nur die unerhörte Zucht des aristokratischen
+Selbstgefühls.
+
+Franz fühlt es, wieweit alles Menschliche bei ihr vom Standesbewußtsein
+bestimmt und abgezirkelt ist; ihre Freundlichkeit hat anfangs etwas
+Bedrückendes, Demütigendes für ihn, aber man gewöhnt sich daran.
+Sie liebt die Musik, es ist die einzige Brücke zwischen ihm und der
+Gräfin -- aber sie erkennt in ihm nicht den Genius, der Königen im
+Range gleichkommt; er bleibt in ihren Augen nur der bessere Diener,
+der das Klavier bedient, den Unterricht erteilt und nebenher sich in
+Komposition versucht.
+
+Es liegt ein schmerzlicher Stachel in dieser Erkenntnis, aber die Milde
+der Gräfin schafft eine solche Linderung um die stille Demütigung, daß
+die Auflehnung ganz hilflos wird. So großartig versteht sie die Welt
+in Schranken zu halten und eine Art luftleere Sphäre um sich herum zu
+schaffen, daß nichts Lebendiges an sie heran kann. Diese aufreizende,
+ewig gleichgestimmte Freundlichkeit! Franz, der angefangen hatte, sich
+darüber zu ärgern, muß schließlich damit enden, indem er sie ob dieser
+Kunst bewundert.
+
+Die zwei Musikstunden am Vormittag vergehen im Flug. Die beiden
+Komtessen sind ja so gute Kinder! Um halb zwei Uhr wird zu Mittag
+gegessen. Franz speist mit der Herrschaft. Das ist das einzig
+Unangenehme in dem Schlaraffenland. Man fühlt sich so geniert. Und
+gar der Herr Graf! Wenn der kommt, dann sinkt alle Unbefangenheit auf
+den Gefrierpunkt herab. Wenn Franz vor einem Menschen ein Bangen hat,
+so ist es dieser robuste Mann mit dem geröteten Gesicht, den herrisch
+dreinblickenden Augen und dem brutal rücksichtslosen Ausdruck seines
+Gesichts.
+
+Der Graf küßt der Gräfin die Hand, spricht im Kreis der Familie
+nie anders als mit gedämpfter Stimme, ist dem armen Franz gegenüber
+von einer Zurückhaltung, die so eisig ist, daß die wohlgemessene
+Freundlichkeit der Gräfin dagegen wie ein heißer Quell von Herzlichkeit
+wirkt. Kaum, daß der Graf fünf Worte je mit ihm gesprochen hat. Während
+er sich mit leiser Stimme nach den Fortschritten seiner unbekümmert
+plaudernden Töchter erkundigt, denkt der stillsitzende Franz an die
+furchtbare Donnergewalt und an die Flut von Schimpfreden, die er am
+Morgen vom Stallgebäude her aus dem Munde des Grafen gehört hat. Dem
+seiner Zartheit ist nicht zu trauen!
+
+Das Mittagessen ist so einfach wie möglich. Suppe, Fleisch, Gemüse,
+etwas Mehlspeise, Obst. Am Freitag gibt es Fisch. Zweimal die
+Woche entfällt das Fleisch; ab und zu gibt es Entenbraten. Wiener
+Bürgersleute leben weitaus üppiger, eine Kost wie diese haben auch
+die gewöhnlichsten Leute der Stadt. Freilich die Zubereitung ist über
+alle Begriffe gut. Aber dem guten Franz mundet's trotzdem nicht. Das
+Ungewohnte der Lage -- diese verflixte Schüchternheit!
+
+Zu Abend speist Franz ebenfalls mit den Herrschaften. Ein Ei,
+Butterbrot, ein Glas Milch, später etwas Kompott. Herrgott, ist das
+eine Sparsamkeit! denkt sich Franz. Grenzt schier an Geiz! Ist aber
+nicht so. Ist bloß raffinierte Zucht, die solche Prachtexemplare
+aristokratischer Menschen erzeugt. Die Komtessen Marie und Karoline,
+was sind das für herrlich blühende Mädchengestalten. Und einfach,
+einfach -- man sollte es nicht glauben! Ein schlichtes, weißes
+Kleidchen -- eine bürgerliche Mutter würde sich ein Gewissen daraus
+machen, die Tochter so schlicht zu halten. Die Leute würden denken,
+man habe nichts anzuziehen, also wird die Tochter wie ein Palmesel
+herausgeputzt. Aber die adeligen Fräuleins können sich den Luxus der
+allergrößten Enthaltsamkeit und Einfachheit erlauben. Es ist wirklich
+das Allerkomplizierteste, diese Einfachheit!
+
+Franz wundert sich, keinen Tropfen Wein oder Bier, weder zu Mittag
+noch zu Abend. Woher nur der Herr Graf sein rotes Gesicht hat?! Der
+Kammerdiener erklärt es: »No, ganz einfach; fahrt Graf mit Viererzug
+nach Eisenstadt die Woche drei-, viermal, da fließt Sekt in Strömen --
+aber zu Hause, nicht einen Tropfen!«
+
+Aber das Gesinde hat eine andere Lebensführung. Da gibt's Bier und Wein
+zu Abend, mächtigen Schweinsbraten, mittags Geflügel, ja, da lebt man
+hochherrschaftlich! Der Herr Rentmeister läßt sich nichts abgehen, der
+Herr Inspektor hält nicht weniger auf guten Tisch, jeder trachtet, daß
+er nicht zu kurz kommt bei den Genüssen dieser Erde. Nur wenn in der
+gräflichen Familie Gesellschaft ist, darf Franz auf seinem Zimmer oder
+im Inspektorflügel essen. Er gehört zur Familie, wenn sonst niemand
+da ist, im übrigen wird er dem Grafengesinde zugezählt. Hier kann man
+wieder ganz Mensch sein! Es tut so gut, aus den dünnen Höhen einmal
+wieder herabzusteigen und festen Fußes auf der Erde zu wandern. Ein
+Glas Bier zu trinken, einen Becher Wein -- der Herr Kammerdiener hat
+immer einen guten Tropfen auf der Seite und fragt des öfteren, ob er
+nicht vielleicht ein Glas voll abends aufs Zimmer stellen darf, nach
+dem frugalen herrschaftlichen Souper.
+
+Die vertrauliche Frage läßt tief blicken, aber die Heimlichtuerei ist
+dem guten Franz zuwider; er lehnt es ab, obgleich die Zunge danach
+lechzt -- er lebt jetzt als richtiger Puritaner. Nur bei dem Essen im
+Inspektorflügel, da legt er sich keinen Zwang auf, es geschieht offen
+und vor aller Augen -- du lieber Gott! weswegen hast du denn einen so
+guten Tropfen wachsen lassen, wenn ihn der Mensch verschmähen soll?!
+Nur keinen Spott über diese Himmelsgaben -- alles, was gut ist und das
+Herz erfreut, soll der Mensch genießen dürfen, das ist sein Standpunkt.
+Die übertriebene Frugalität in Ehren, ist aber nicht jedermanns Sache,
+und der Künstler ist am wenigsten Kostverächter.
+
+Es kommen abends öfters Zigeuner vorbei und spielen beim
+Inspektorflügel auf, ganz unten, wo die Linde steht, in der Nähe vom
+Ententeich. Ist das eine Musik, die sich glühendheiß in die Adern
+ergießt und das entschlafene Feuer weckt! Schwer und sehnsüchtig
+wird einem dabei. Die braunen Pußtasöhne stehen unter dem Baum und
+geigen, wie es ihnen der liebe Gott diktiert. Auch die haben's von
+niemandem sonst gelernt, aber es klingt anders, ganz anders, als es
+Schubert weiß. Schwermütig, wild aufjauchzend, fortreißend in wilder
+Leidenschaft, besinnungslos und wieder hinklagend wie der unendliche
+Sehnsuchtshauch der Pußta. Wild ergreift es die Menschen, die Knechte
+in weißen, weiten, gefransten Hosen, die bis unters Knie über die
+Röhrenstiefel hängen, eine enge, kurze Jacke an, ein rundes Hütlein am
+Kopf, reißen die Mägde an sich, und nun wirbeln sie hin in Raserei.
+
+Eine neue Welt geht vor den Sinnen des jungen Künstlers auf, der fremde
+Quell von Tönen, der ihm da entgegensprudelt, ist nicht verloren, er
+weckt einen verwandten Ton in seiner Brust, irgendwie tritt der neue
+Zufluß in seinem eigenen Melodienstrom verwandelt zutage.
+
+Rosa, das Stubenmädchen, wird elegisch bei der Zigeunermusik. Sie ist
+nicht mehr ganz jung, hat mancherlei Erfahrung, aber das Herz -- das
+Herz ist noch töricht.
+
+Und dieses Herz hat sie auf der Zunge; sie begleitet ihre Geständnisse
+mit einem frommen Augenaufschlag: »Ich kann halt nicht nein sagen --
+die Männer sind so schlimm --« Ob er ein Liebchen in der Stadt gelassen
+hat, fragt sie Franz, weil er immer so ernst und traurig sei. Sie will
+ihn trösten.
+
+Warum!
+
+O, sie weiß, was das heißt, wenn man ein Liebchen verloren hat. Da geht
+man herum wie ein halb Gestorbener. Ihr ist es auch einmal so gegangen.
+Sie hat geglaubt, sie könnte es nicht überleben. Und hat es doch
+überlebt. Aber wie -- fragt nur nicht wie!
+
+Sie lehnt sich an Franz' Schulter und fährt mit dem Zipfel ihrer
+Schürze an die Augen.
+
+»So gelockte Haare hat er gehabt wie der Herr Kapellmeister! Drum waren
+Sie mir gleich so sympathisch -- ich habe es Ihnen angesehen. Sie haben
+ein Herz im Leib -- o, auf den ersten Blick habe ich gewußt, wieviel es
+geschlagen hat!«
+
+Aber Franz schweigt. Er kann Rührseligkeiten nicht leiden, und dann
+ist dort der Herr Beschließer, der macht schon ganz fürchterliche
+Augen, er ist eifersüchtig auf den Musikus.
+
+Franz wird sozusagen auf Händen getragen, auf Frauenhänden, das läßt
+man sich gern gefallen. Warum sollte er unfreundlich sein gegen Rosa.
+Sie ist hübsch, und Sympathie verpflichtet. Sie leistet ihm gar zu
+gern Gesellschaft und vertraut ihm ihre Geheimnisse an, wenn sie den
+Kaffee bringt, und dabei verplauscht sie sich gern ein bißchen. Aber
+da schleicht schon der argwöhnische Höllenhund von einem Beschließer
+vor der Tür herum und guckt durchs Schlüsselloch, ob er nicht
+etwas bemerken könnte, um Skandal zu schlagen. Teufel auch, soll
+umherschleichen, der schlechte Kerl -- soll man etwa nicht ein Wort
+reden dürfen miteinander?
+
+Aber Franz ist nicht nur von dem weiblichen Gesinde auf Händen
+getragen, er wird auch von gräflichen Händen auf Rosen gebettet. Die
+beiden Komtessen haben ihn ins Herz geschlossen. Am meisten Karoline.
+Die kalte Freundlichkeit der Gräfin, der rohe Hochmut des Grafen -- es
+wird reichlich wett gemacht durch die natürliche, unschuldige, echt
+menschliche Zuneigung der beiden Komtessen. Wie Kameraden wandern sie
+mit ihm nachmittags in den Park hinaus, streichen zwischen den Feldern
+umher, zwischen den Weingärten; zur linken Seite und zur rechten Seite
+hat sich ein Komteßlein eingehängt, und beide wetteifern im Schöntun.
+Er muß Fangen mit ihnen spielen, in ihren dünnen, weißen Kleidern jagen
+sie behend neben ihm her wie die Jagdgöttinnen aus den nachgedunkelten
+Dianabildern im gräflichen Hausflur.
+
+Mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen rennt er nach, bis ihm der Atem
+zu kurz wird, er kann die Jungfrauen nicht einholen, die leichtfüßig
+und schlank wie junge Rehe vor ihm einherspringen. Aber sie machen's
+ihm leicht, die lassen sich gutwillig fangen, und dann muß er hinknien,
+sie winden ihm ein Blumensträußlein, er muß sich's aufs Haupt setzen
+lassen, Karoline streichelt mit zarten, gräflichen Fingern über seinen
+Scheitel, und beide werden nicht müde, seine wirren Locken zu bewundern.
+
+Es wird ihm ganz heiß und eng, ein so reiner, seliger Hauch von Liebe
+geht von den beiden Mädchen auf ihn über, er fühlt wie ein arkadischer
+Schäfer und möchte die beiden Schäferinnen an sein Herz ziehen -- aber
+er bittet die jungen Damen, daß man jetzt heimgehen soll, die Mama
+könnte sonst schimpfen!
+
+Da lachen ihn beide aus, fassen ihn bei den Haaren und bei den Ohren
+und knuffen ihn zärtlich ab, und wenn ihm das Herz fast vergeht vor
+Wonne und Weh, er muß fein schweigen und tun, als ob er so wenig spürt
+wie etwa der Pudel, der sich ähnliche Liebkosungen ruhigen Gemütes
+gefallen läßt.
+
+Nur in Noten, in Melodien darf das Geständnis seiner Liebe ausströmen.
+In Tönen darf er träumen »von Lieb' um Liebe, von einer schönen Maid,
+von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit ...« Wenn er in
+seinem Zimmer sitzt, dann wird das Herz noch einmal so wach. Bei den
+Blättern, die er mit krausen Zeichen, Punkten und Strichen bedeckt,
+denkt er dem Traume nach, das Herz schlägt geschwind -- er sitzt hier
+allein, aber wenn er die Augen schließt, drängt es sich liebend an
+ihn -- jetzt ist der einsam Schaffende nicht mehr allein. Die Augen
+schließt er wieder, das Herz schlägt stürmisch und heiß, am Fenster
+grünen die Blätter, wann -- »wann halt' ich mein Liebchen im Arm ...?!«
+So jubelt ein herzvoll sehnsüchtiger Sang in seiner Brust und hat
+alsbald Gestalt als Lied, um ewig fortzuklingen in der Welt von Seele
+zu Seele.
+
+Tra--ra! Tra--ra! Ein Horn schmettert draußen, er schmeißt den
+Federkiel hin und springt ans Fenster -- die Post fährt vorbei. Was hat
+es nur, das Herz, daß es so hoch aufspringt?
+
+Die Post kommt von der Straße her, die weit, weit zurückläuft -- die
+Post kommt von der Stadt, wo man so glücklich war im Leiden, ja, so
+glücklich war! Was machen sie alle? Die lieben Freunde, was macht
+der Herr Vater, die Frau Mutter, was machen die Brüder? In dieser
+Einsamkeit, in der man lebt, sind einem die Fernen näher als sonst.
+
+Rosa huscht ins Zimmer herein, lautlos wie ein Kätzchen. Und hat
+sich schon an Franz geschmiegt beim Fenster. »Ein Brief vom Liebchen
+da?« Sie möchte gar zu gern etwas Näheres über den Herzensbefund des
+verschlossenen Franz wissen. Ob er nicht doch ein Liebchen hat, daß er
+so gar nicht verstehen will, wenn sie ihm ihr eigenes Herz schon auf
+dem Präsentierteller entgegenbringt. Ach, die Rosa ist feurig, sie weiß
+ihn gehörig in die Enge zu treiben beim dicht umblätterten Fenster, wo
+der Herr Beschließer durchs Schlüsselloch nicht hinblicken kann. Aber
+Franz weiß sich immer noch aus der Schlinge zu ziehen, obzwar es ihm
+manchmal selber schwer genug ankommt. Wenn er sich einmal vergäße,
+denkt er, dann ist kein Halten mehr! Und wie leicht ist es geschehen.
+
+»Halt, Fräulein Rosa, ich glaube, der Beschließer ..!« das war bisher
+immer noch von der Wirkung eines kalten Wasserstrahls, um Rosas
+glühendes Verlangen in geziemenden Schranken zu halten. Aber wer weiß,
+was jetzt geschehen wäre, wenn nicht der Herr Schwager draußen sein
+gelbes Gefährt angehalten und Briefe an den Herrn Kompositeur Franz
+Schubert abgegeben hätte.
+
+Rosa läßt sich alles haarklein berichten, wer geschrieben hat und was
+in den Briefen steht, sie kann es nicht glauben, daß einer so streng
+gegen sich und schier ohne Liebesbegehren sein mag, wenn er nicht
+doch am Ende irgendwo ein Liebchen versteckt hätte. Aber es sind
+wirklich nur Briefe von den Anverwandten. Der Herr Vater schreibt
+sogar eigenhändig, es freue ihn, daß es dem Sohn gut gehe und daß er
+bei so hohen Herrschaften Anerkennung und Stellung gefunden habe --
+es scheint, daß er sich mit dem Sohn in seinem Herzen ausgesöhnt hat,
+nachdem dieser doch etwas wie ein Amt bekleidet.
+
+Also, ein ganz verlorener Musikant, das ist der Franz nun doch
+nicht mehr. Der Bruder Ferdinand berichtet, daß die Frau Mutter den
+gewünschten Nachtrab von Schnupftüchern, Halstüchern und Strümpfen
+schickt und daß die bestellten kasimirnen Beinkleider unterwegs seien;
+sie denke in mütterlicher Sorgfalt an Franz .... Die Briefe klingen
+alle etwas steif und hölzern, es ist keine rechte Erlösung darin. Wo
+bleiben die Freunde, daß sie kein Wort schreiben?
+
+»Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz, was
+drängst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz!«
+
+Die arme Rosa kennt sich gar nicht mehr aus mit dem wunderlichen
+Musikanten, der ihr dieses eigen komponierte Liedchen von der Post
+vorträllert; sie hat schon ganz den Kopf verloren, wie wird das noch
+enden, wie?
+
+»Sie schlimmer Herr Franz!«
+
+Der Sommer vergeht, der Herbst kommt, und immer dieses Leben, dieses
+wohlgemessene, äußerlich glückvolle, sorgenfreie, innerlich drangvoll
+begehrende und immer wieder spröd sich versagende! Hundertmal fährt
+der Postillon vorüber, immer wandern die Gedanken mit, man möchte
+aufschreien: halt, Schwager, halt, nimm mich mit! Zurück in die Stadt!
+Zurück in die sehnsüchtig begehrte Wienerstadt, die alles einschließt,
+was das Leben an Glückseligkeit gewähren kann. O Wien, Wien, Wien!
+
+»Willst wohl einmal herübersehen und fragen, wie es dort mag gehen,
+mein Herz -- mein Herz?!«
+
+Ja, ja, so fragt das Herz, das allzu unruhige, stürmende, pochende! Die
+Herbstabende sind lau und gnadenvoll, die Bäume im Park prangen in den
+Farben der Dukaten, alten Münzen, Medaillen, grün und gold -- es ist
+eine Jahreszeit zum träumerischen Sinnen.
+
+Nach dem Abendessen an der gräflichen Tafel wird noch ein kleiner
+Spaziergang gemacht. Zigeuner treten auf den grünen Plan und bringen
+der Herrschaft ein Ständchen. Ein schäumender Trank, diese Musik, die
+das Blut rebellisch macht und den Zwang doppelt unerträglich!
+
+Komtesse Karoline hatte sich mit Franz unter den dunklen Bäumen des
+Parks verloren. Er redet etwas von den Empfindungen, die diese Musik
+auslöst.
+
+»Diese braunen Kerle, sie leben das richtige Künstlerdasein. Das
+Leben verraucht, verträumt, vergeigt, so ist es auf göttergleiche Art
+genossen. Und dann kommen sie und spielen einem die Seligkeiten ihres
+genossenen Glückes vor, daß einem die Brust zerspringen möchte ..«
+
+Er hatte nicht vollendet, da fühlte er sich plötzlich umfaßt, zwei
+weiße, weiche Arme warfen sich um seinen Hals, ein schlanker,
+dufthauchender, gertenhaft biegsamer Körper zog ihn an sich, ein
+frischer Mund suchte seine Lippen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.
+
+»Franz, lieber Franz, ich hab' dich ja so lieb ....«
+
+Er wußte jetzt wirklich nicht, wie ihm geschah. Das schöne, adelige
+Fräulein -- die Liebe hatte ihn jetzt umfangen, diese Seligkeit, die
+still Angebetete in seinen Armen zu halten, und zugleich die Qual,
+nein, die Scham, sie spröd von sich weisen zu müssen. Er machte ihre
+Hände los, die sich um seinen Nacken fest ineinander gekrampft hatten.
+
+»Komtesse Karoline -- ich bitte -- bedenken Sie doch -- ich bin nur ein
+ganz elender bürgerlicher Erdenwurm, der nicht die Augen so hoch zu
+erheben sich vermessen darf -- meine unbegrenzte Verehrung -- aber wir
+müssen doch vernünftig sein -- der Herr Papa -- und die Frau Mama ....«
+
+Ja, es war zum Heulen. Und wenn er zugrunde gehen hätte müssen -- das
+Vertrauen mißbrauchen, nein! Der mit allem Schein der Freundlichkeit
+und Milde verhüllte Abstand, den die Gräfin aufrechtzuerhalten wußte,
+das wirkte auf ihn mit einer stärkeren Zucht, als es der brutale
+Hochmut des Grafen oder die Furcht vor dessen Zorn sein konnte;
+der Graf würde vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor einem
+Totschlag -- aber das war nicht der Grund, weswegen Franz sich eine so
+übermenschliche Herrschaft auferlegen konnte; es war der innere Takt,
+der bei aller Liebe zu dem Mädchen sich als Hüter ihrer Ehre fühlte und
+nur zu gut wußte, daß der Abstand zweier Welten zwischen ihm und ihr
+lag -- sie mußte am jenseitigen Ufer bleiben.
+
+Manches liebe Wort ward unter den Bäumen noch gesprochen, es gab Tränen
+und eine letzte Süßigkeit, die im freiwilligen Entsagen liegt -- der
+Kies knirscht, wie sie mit elastischen Schritten wegeilt, zum Schloß
+hin, rein und weiß schwebt sie durch das späte Dämmerlicht.
+
+Die Zigeuner spielen jetzt fern, an der Linde beim Ententeich; Franz
+ist allein in der Einsamkeit seines Zimmers; draußen ist helles frohes
+Leben, Tanz und Lust bei der Linde -- die Welt scheint hier so ruhig
+und so licht!
+
+Aber so elend, so elend war er nie, wie jetzt; er war es nie, wenn die
+Stürme tobten, wie er es jetzt ist, in der Stille dieses Lebens.
+
+»Ich wußte, daß Sie hier auf mich warten -- alle sind bei den
+Zigeunern, auch der Beschließer, der gemeine Kerl! Franz, haben Sie
+denn kein Herz?«
+
+Eher zu viel als zu wenig! Aber es gehört der einzigen Geliebten, mit
+der er am liebsten allein ist, die er in seinem Zimmer, in seinem
+Klavier, in seiner Brust verbirgt und die ihm alle Geständnisse
+abverlangt, alle Prüfungen und Nöte der Liebe, alles sehnsüchtige
+Verlangen und schmerzliche Entsagen.
+
+Aber die Stunde ist gefährlich, und Jungfer Rosa setzt ihm hart zu.
+Wie wird dieses Herz bestehen zwischen der keuschen, reinen Liebe des
+adeligen Mädchens und dem glutvollen Verlangen dieses unbekümmerten
+Volkskindes? Und diese Musik, die so verführerisch und sinnenerregend
+herüberklingt -- aber man ist kein frivoler Laffe, und man hat es
+schwer mit sich selbst. Die widersprechenden Empfindungen beschwören
+einen solchen Konflikt, man kämpft einen schweren Kampf, und die Liebe,
+wenn sie einmal kommt und ihn segnen will, vermehrt nur seine Pein. Im
+Lied allein kann er hoffen, seine Erlösung zu finden.
+
+Am anderen Morgen ist Sonntag, Franz ist in der Dorfkirche unten, er
+hört sich die Predigt an. Wo bleibt diesmal die befreiende Stimmung,
+die er im Gotteshause immer gefunden? Liegt es an ihm, oder ist der
+polternde Kapuziner auf der Kanzel schuld, der auf die Bauernschädel
+herabdonnert, mit Ludern und Kanaillen herumwirft, einen Totenkopf von
+der Kanzel herab zeigt: »Da seht her, ihr gukerscheckigen Gfrieser,
+so werdet ihr einmal ausschauen ....« und dann hebt erst recht die
+Moralpauke an: »Da geht der Bursch mit dem Mensch ins Wirtshaus, tanzt
+die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder und stehen ihrer
+drei wieder auf ....«
+
+Dem guten Franz wird es unerträglich, er trachtet hinauszukommen ins
+Freie. Hier unter den Bäumen ist wahrer Gottesdienst.
+
+Der Schwager Postillon war da und hat Briefe gebracht. Bruder
+Ferdinand möchte das Klavier von Franz kaufen, er tut dabei so
+zimperlich, als ob er nicht dem Bruder, sondern einem wildfremden
+Menschen schriebe. Es ist wirklich zum Ärgerlichwerden -- schenken will
+ihm Franz das Klavier, aber nur nicht so schreiben soll er, so devot
+und vorsichtig, es ist wirklich kränkend.
+
+Aber aller Ärger ist verflogen, als er den nächsten Brief öffnet, den
+die Freunde zusammen schreiben. Ein wahres Freudengeschrei erhebt er,
+es ist, als ob er die Lieben, einen nach dem anderen, selbst in den
+Armen hielte, so berauscht ist er von Glück.
+
+Die Briefe der Freunde, so spärlich sie auch kommen, sie sind das
+einzige und wahre Glück, das er in diesen Tagen genießt. Er kann es
+ihnen nicht dringend genug auftragen, soviel wie möglich zu schreiben,
+er darbt danach, jede Zeile von ihnen ist Himmelsbrot.
+
+»Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Schwind! Lieber
+Soundso! Daß ihr mir ja gleich wieder schreibt, hört ihr? Sonst, sonst,
+sonst ...«
+
+So stürmt es in seinen Briefen an die Freunde.
+
+Sie fehlen ihm zu seinem vollen Glück.
+
+Das Leben ist hier leicht und schön, Frauengunst blüht ihm, der Sorgen
+ist er entbunden -- aber es ist doch nicht das Rechte. Das Glück, wo
+ist das Glück? Es ist dort, wo seine Freunde sind. Es ist dort, wo die
+süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach erklingt.
+
+So still verfließt das Dasein hier! Man hat viel freie Zeit, aber es
+ist nicht die Freiheit, die man braucht. Man steht wie ein Rößlein
+an der Krippe und ist schließlich des goldenen Hafers überdrüssig.
+Man zerrt an der Kette und beneidet die wilden Gefährten, die mit
+dem Sturmwind um die Wette jagen. Wo bleibt der Sturm, das Lebenshaus
+zu durchrütteln mit seiner prachtvoll schauerlichen Musik, die alle
+Seelentiefen aufrührt und alle Winkel mit frischem, lebendigem Hauch
+erfüllt? Der Künstler braucht es, die Geruhsamkeit tut ihm auf die
+Dauer nicht gut, das Blut wird träg im Wohlleben, und der schöpferische
+Born droht in der Einförmigkeit des Daseins zu versiegen.
+
+Die Zigeuner, die das Leben verrauchen, verträumen und vergeigen, sie
+haben nach Künstlerermessen das bessere Los gewählt.
+
+Die späten Herbsttage drücken schwer auf das Gemüt mit ihrer
+Melancholie. Franz zählt die Tage, Stunden, bis es wieder heimwärts
+geht nach Wien und die Bürde von Stellung und Beruf wieder von ihm
+genommen ist, die härter drückt als alle kleinen Lebenssorgen, denen er
+vor einem halben Jahr entronnen war.
+
+»Ach, daß die Luft so ruhig, ach, daß die Welt so licht! Als noch die
+Stürme tobten, war ich so elend, so elend nicht!«
+
+Die Post kommt und geht wie immer, und endlich, o glücklicher Tag,
+nimmt sie Franzens Reisegepäck auf. Die Liederfracht ist schwer, aber
+das Herz ist leicht. Die Rosa muß es nun wohl glauben, daß er in der
+Ferne ein liebes Liebchen hat -- doch wie es heißt? Sie hätte es gar zu
+gern gewußt. Sie hat geschmollt, weil er ein gar so sprödes Herz besaß,
+und endlich hat sie den Beschließer erhört, denn das war ihr Fehler und
+ihre Tugend, daß sie halt nicht nein sagen konnte!
+
+Adieu Rosa, »und wenn Sie es durchaus wissen wollen, wie mein liebes
+Liebchen heißt, so sei es jetzt gesagt: Wien heißt es, Wien, das
+geschmähte, verlassene, verwünschte -- vor allem aber geliebte und mit
+Sehnsuchtsgedanken behütete!«
+
+Rosa lacht und dreht ihm den Rücken.
+
+Als Franz beim Schwager vorne saß und die lichte Straße in der
+verhaltenen Stimmung eines graublauen Herbsttages hinfuhr, nahm
+er immer wieder einen mit Seidenpapier umwickelten Gegenstand
+aus der Brusttasche, um ihn innig zu betrachten; -- eine
+kleine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Wappen darin, ein
+Abschiedsgeschenk der Komtesse Karoline, für das sie das Nadelgeld
+eines ganzen Monats aufgewendet hatte.
+
+So endete ein Idyll, dem ewige Fortdauer beschieden sein sollte, denn
+jedesmal, wenn die Wolken dem Pfeifchen entstiegen, mußte in dem
+seligen Zustand der Entrücktheit ihr Bild in dem bläulichen Flor der
+Wolken aufschimmern.
+
+Er mußte lächeln bei diesem Gedanken -- das Herz jubelte der Wiener
+Heimat und den Freunden entgegen, aber in dem Jubel war eine Träne, sie
+galt der heimlich und entsagend geliebten Gräfin Karoline.
+
+
+
+
+ V.
+
+
+Die Freunde sitzen wieder beisammen und singen wie die Jünglinge im
+Feuerofen. »Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal
+des Menschen, wie gleichst du dem Wind!«
+
+Der schwärmerische, geheimnisvolle Ton der Männerstimmen zittert weich
+und kraftvoll, eine tönende Woge, ein sanfter, klingender Hauch, der
+anschwillt wie Orgelgebraus, wie Waldrauschen, wie Bergstromgetos --
+so klingt »der Gesang der Geister über den Wassern«. Die eigentümlich
+ergreifende Schönheit des Männerchors war Schuberts Entdeckung. Aus dem
+Kreis der Freunde wuchs ein Quartett hervor, das sich zuweilen zu einem
+achtstimmigen Chor verdoppelte. Jeden Donnerstag fanden sich die jungen
+Kerle zusammen, um ihrer Singlust zu genügen.
+
+Hier schöpfte Franz die Anregung zu einer neuen Kunstgattung, er war so
+eigentlich der Begründer des Männerquartetts. Jeden Donnerstag mußte
+er neue Noten in der Tasche haben, sonst war es gefehlt. Da fielen
+sie über ihn her: »Was, du hast nichts Neues? Du hast wirklich nichts
+Neues? Schandkerl, wir schlagen dich tot. Mausetot! Noten her oder das
+Leben!«
+
+So erpicht waren sie alle auf neue Gesänge. Herrgott, das war ein
+Druck, dem schwer zu widerstehen war. Da mußte die schöpferische Ader
+ergiebig sein, wenn solch gute Geister wachten und die Faulheit zum
+Teufel jagten. Da gab's also keine Ausrede. Vogel, sing' oder stirb!
+
+Jetzt sitzen sie alle da, wollen den Schnabel aufreißen und brauchen
+dazu musikalische Atzung. »Ist doch deine Pflicht, Franzl, dafür zu
+sorgen!«
+
+Ist in tausend Verlegenheiten, der gute Franz, hat an diesem Donnerstag
+richtig nichts in der Tasche. Hat es vollständig verschwitzt, daß
+Donnerstag das Quartett stattfindet und um jeden Preis ein neues Stückl
+singen will. Sie freuen sich ja alle so, die ganze Woche darauf, und
+jeder ist schon neugierig, was er sich denn zum nächsten Male wieder
+zusammengedichtet haben wird, der verflixte Herrgottsmusikant!
+
+Aber dieses eine Mal kommt er wirklich mit leeren Händen. Nicht einen
+Fetzen Noten hat er bei sich. Er sieht das unverhohlene Leidwesen
+seiner Freunde, sie sind enttäuscht -- das geht ihm nahe.
+
+»Enttäuschung? -- Nein, das sollt ihr nicht erleben an mir! Laßt mich
+jetzt fünf Minuten in Ruh' -- dann sollt ihr sehen!« Hat er auch die
+Noten nicht auf dem Papier, so hat er sie doch in der Brust. Ein
+Gedicht trägt er in der Tasche. »Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem
+Finger ....« Das Gedicht hat er sich abgeschrieben. Es ist von einem,
+den sie einmal zu den größten zählen werden. Ein junger Poet, Franz
+kennt ihn nicht und fühlt sich dennoch mächtig zu ihm hingezogen.
+Vielleicht daß Mayrhofer, der Zensurgewaltige, Rat weiß. Doch später,
+später davon! Jetzt das Gedicht und der Gesang! Das Gedicht hat er sich
+aus einem Musenalmanach abgeschrieben, und jetzt sitzt er in der Ecke,
+weltvergessend, bezaubert von den Versen, die Noten fliegen und purzeln
+nur so aus seiner Hand aufs Papier; nach einer Viertelstunde wendet er
+sich zu den Freunden: »So, jetzt haben wir's!«
+
+»Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ...«
+
+Bebend vor verhaltener Glut und Kraft, entfalten sich die blühenden
+Männerstimmen des Quartetts: Leise, leise .. Zuerst wie ein
+schmeichelnder Windhauch, der mit Blättergeflüster und Fliederduft die
+Geliebte umschmeichelt und dann immer stürmischer und drängender -- wie
+könnte die Erkorene der werbenden Kraft dieses Ständchens widerstehen?
+
+Eine der blühendsten Schöpfungen ist im Handumdrehen entstanden. So mir
+nichts, dir nichts. Wo er es nur hernimmt, in dieser Geschwindigkeit,
+dieser unglaubliche Franz? Das ist das Rätsel. Gibt es ihm ein Gott
+ein? Wird wohl so sein. Tut unter dem Anhauch eines genialen Dichters,
+eines persönlichen Erlebnisses, eines rätselhaften Drängens in seiner
+Brust die Seele weit und horchend auf, daß die himmlischen Geister des
+Unendlichen auf ihn einströmen. Er hört sie singen, die himmlischen
+Heerscharen um Gottes Thron, oder wenn ihr so lieber wollt, die
+sphärischen Mächte, er hört sie singen draußen in der Unendlichkeit
+und eigentlich tief drinnen in der eigenen Brust, er braucht nur
+hineinzuhorchen in sich und in Noten abzuschreiben, was er drinnen
+hört, und gibt es dann hin -- sein eigenes Herz und seine Seele ist
+mit dabei. Ja, seht ihr, so wird's gemacht!
+
+»Teufelskerl, himmlischer, laß dich umarmen!« Schober gebärdet sich wie
+verrückt; der hohe, schlanke, junge Mann hebt den kleinen, untersetzten
+Schubert im Sturm der Begeisterung hoch, wirbelt ihn ein paarmal um
+die eigene Achse herum, auch die anderen müssen ihn stürmisch umarmen,
+sie gebärden sich wie die Tollhäusler. Dann singen sie wieder wie die
+Jünglinge im Feuerofen, im Feuerofen der Liebe, der Freundschaft, der
+Begeisterung.
+
+Man sieht es klar, was diese Freundschaft wert ist. Sind alle junge
+Kampeln, nicht sehr einflußreich, sie können alle zusammen nicht
+bewirken, daß dem armen Schubert aus seiner genialen Schaffenskraft ein
+wenn auch noch so kärglicher Verdienst fließt, wenigstens soviel Lohn,
+als ein Packträger die Woche verdient -- sie geben sich alle Mühe, aber
+es gelingt nicht, und wirklich scheint es, als ob die Schöpfung Gottes,
+die so viele unnütze Kostgänger ernährt, gewöhnliche und wertlose
+Kreaturen, nur für den begnadeten Genius, dem Bringer neuer Schönheit
+und neuer Kunst, den Tisch zu decken vergessen hätte. Nicht soviel
+können die Freunde bewirken, daß der gute Franz Kost, Quartier und
+anständige Kleider bestreiten kann -- je reicher die Welt an ihm wird,
+desto ärmer ist er.
+
+Die Freunde selbst bereichern sich an ihm, es fließt ihnen soviel
+Schönheit und Kraft von ihm her zu, und sie haben ihren kleinen
+Egoismus dabei. Die meisten von ihnen sind Dichter, Schober, Mayrhofer
+und so weiter, sie wissen, daß der Weg zur Ewigkeit ihrer Schöpfungen
+nur über Schubert geht, der ihre Verse vertont. Andere, wie Vogl und
+Schönstein, glänzen durch den Vortrag der Lieder, aber den Löwenanteil
+des Ruhmes ernten sie selbst. Sie geben sich alle Mühe um Franz, sie
+tun es ja sich selbst zuliebe, nur schade, daß Franz so wenig davon hat.
+
+Es kommt ihm aber auch gar nicht darauf an. Er denkt nicht nach darüber
+-- es täte auch gar nicht gut -- der Wert der Freundschaft liegt für
+ihn wo anders. Daß er zum freudigen Schaffen so gedrängt und gestachelt
+wird, das verdankt er ihnen. Und das ist das Größte und Wertvollste,
+das er sich wünschen mag. Darin zeigt sich im rechten Sinn, was
+Freundschaft bedeuten kann. Sie macht ihm Mut zu sich selbst, zu
+seinem Können, zu seiner Bestimmung, das ist unendlich mehr als Pump
+und Borgerei. Vor ihren Augen ist er nicht arm, sondern ein großer
+und reicher Geber, von dem sie alle empfangen, und wenn sie ihm auch
+gelegentlich unter die Arme greifen mit dem Nötigsten, was man für den
+Alltag braucht, so ist keine Rede von Leihen und Zurückgeben, sondern
+es ist nur eine kleine Erkenntlichkeit in der geringsten Form, für das
+große Empfangene.
+
+Und wenn sie beisammen sitzen, ist alle Bangigkeit und Schicksalsfurcht
+vergessen, die in einsamen Stunden jeden überkommt, jetzt ist Freude,
+Hoffnungsmut und Überwinderstolz um sie, ein Gastmahl von Königen,
+wenngleich sie nur vom Blatt essen, Wurst in Papier, und dünnes Bier
+dazu trinken. Eine Kraftquelle sind die Freunde für ihn, ein Ansporn
+und eine Seelenzuflucht, aber auch er ist Mutspender und Kraftquelle
+für die Freunde.
+
+Schwind, der tiefe und verstehende, drückt es aus.
+
+»Nichts ist so wichtig für den Künstlermenschen, als zu wissen, wo er
+schöpfen muß. Du gehörst da her, Schubert, wo du zu Haus bist! Zelez
+war nichts für dich! Hier in Wien springen deine Quellen, deine inneren
+Quellen!«
+
+Schubert schmaucht aus dem Meerschaumpfeifchen. Sein Blick geht den
+entschwebenden Wölkchen nach, ein süßes Traumbild will vor seinen Augen
+zerfließen.
+
+»Na na -- Zelez hat auch sein Gutes gehabt!« und dabei betrachtet er
+zärtlich sein Meerschaumpfeifchen.
+
+Aber ganz unrecht hat Schwind nicht. In Zelez hat er gelebt wie der
+Mops im Paletot -- was war denn dabei herausgekommen? Einige Lieder,
+die von seinen kleinen Schmerzen erzählen. Das Herz der Menschheit ist
+darin, ja, ja, aber die großen Werke, die er sich vorgenommen hat --
+wo sind die geblieben? Zelez war ein Stück längst begehrter sorgloser
+Freiheit -- Großes hat er dort gestalten wollen; aber die Zeit zerrann
+unter seinen Händen. Das Große und Neue erstand erst wieder, als er
+daheim war in der geliebten Vaterstadt, wo ihn soviel bedrückte, im
+Kreis der Freunde, die eifersüchtig wachten, daß er sich ja keine Ruhe
+gönne. Hier war ihm wieder der Knopf aufgegangen -- warum nicht dort,
+wo die Umstände äußerlich viel günstiger waren? Es ist wirklich der
+Rede wert, er spricht sich mit den Freunden darüber aus.
+
+Der Schwind hat wieder das rechte Wort gefunden.
+
+»Das in Zelez war nicht die Freiheit -- das war nicht Herrentum,
+sondern nur versüßter Lakaiendienst, Herr deiner selbst, deiner Zeit,
+deiner Wege bist du hier, wo du keinem Geringeren untertan bist als
+dir selber. Und wenn du hier auch zehnmal nichts hast, so hast du
+doch die Freiheit, zu leben, zu denken, zu reden, zu singen, wie dir
+der Schnabel gewachsen ist. Verhungern wirst du nicht. Also kann dir
+überhaupt nichts geschehen. Der Künstler kann nur einen Herrn über
+sich vertragen, und das ist er selber. Sei du -- du, dann ist Gott mit
+dir! Man sieht es ja: was hast du alles aus dem Ärmel gebeutelt in
+den paar Wochen, seit du wieder hier bist. Das sind Gewächse, die im
+Herrschaftshaus zu Zelez nicht gezogen werden können. Dort gedeihen sie
+nicht. Na, hab' ich recht, oder hab' ich unrecht?!«
+
+Recht hat er, der gedankentiefe, romantische und doch so weltkluge
+Schwind. Natürlich hat er recht! Das weiß Schubert ganz genau, so
+gescheit ist er auch; was Schwind sagt, das hat er längst gefühlt.
+Wortlos nickt er ihm zu.
+
+Freilich, ein kleiner innerer Vorbehalt ist dabei. Was Zelez nützte,
+das kann man nicht wissen. Alles Erleben und Umsetzen in Kunst
+vollzieht sich geheimnisvoll. Oft ist die Zeit des Müßiggangs die
+fruchtbarste. Man kann nicht mathematisch nachrechnen, ob ein Eindruck,
+eine Erfahrung auch wirklich befruchtend war. Sie wirkten oft erst in
+der dritten Potenz, mittelbar. Und wenn es nichts weiter war als die
+Zeit der Ruhe, der Entspannung, so war es von um so größerem Wert.
+Seine Kraft hat geruht, seine Gesundheit ist gefestigt, sein Aussehen
+blühend. Sein Vorrat an schöpferischer Essenz vermehrt.
+
+Der Mensch braucht einen gewissen Überschuß, von dem er zehren kann.
+Wer weiß, ob er jetzt soviel neue und herrliche Sachen hätte aus dem
+Ärmel schütteln können, wenn nicht diese kurze Brachzeit vorangegangen
+wäre.
+
+Wenn er so sein Pfeifchen in Brand hält, geht ein Strom von Liebe und
+feurigen Gedanken auf ihn ein. Dieses Pfeifchen ist nicht nur ein
+Nasenwärmer, sondern vor allem ein Seelenwärmer. Und wieviel man ihm
+verdankt an zarten Empfindungen, die wieder ausklingen und in der
+menschlichen Seele einen verwandten Ton erwecken, das ist gar nicht zu
+ermessen. Rosa ist vergessen; sie war von gewöhnlichem Schlag und hatte
+nichts zu geben, was Wert behielt. Aber das Grafenkind -- etwas Liebes
+und Feines ging von ihr aus, das spürte er jetzt stärker als früher,
+und das war gut.
+
+Mit diesem Pfeiflein, das Liebe erweckte und die Seele fruchtbar
+machte, konnte man sich nicht mehr arm fühlen, auch wenn man sonst
+nichts besaß. Die kasimirne Hose hatte ihren Glanz längst eingebüßt und
+war ein bißchen zerfranst, die Wäsche, die Frau Mutter geliefert hatte,
+war nicht immer in bester Ordnung gehalten, und das Geld, das man in
+Zelez ersparte, hatte wie immer einen heilen Schweif. Es war nicht zu
+halten.
+
+Der Herr Vater war abermals bös geworden, weil Franz sein herrenloses
+Musikantenleben aufs neue aufnahm, die Verbindung mit dem Elternhaus
+war wieder einmal unterbrochen. Eigenes Heim besaß der Franz nicht,
+er lebte bei Schober in der Tuchlauben, hatte ein Zimmerchen dort mit
+einem Klavier, einen Tisch, ein paar wacklige Sessel, einen Schrank,
+eine Bettstelle, alles sehr dürftig und nicht eben freundlich, denn das
+einzige Fenster des Zimmerchens ging in einen lichtarmen Hof hinaus.
+Man war eben Gast und mußte sich bequemen.
+
+Franz sah übrigens nicht sonderlich auf diese äußerlichen Dinge, wenn
+er nur ein Obdach hatte und schreiben konnte -- während der Arbeit war
+er in einer lichtvollen, seligen Welt.
+
+Schober selbst hatte zwei Zimmer nach vorne, ein kleines Schlafzimmer
+und ein gediegenes Arbeitszimmer mit schweren Empiremöbeln, wie es
+einem jungen Bonvivant jener Tage angemessen war. Aber ein prunkvolles
+Arbeitszimmer allein macht nicht glücklich. Auch Schober hatte sein
+Leid, so gut wie Mayrhofer und alle andern. Sie waren tragische
+Freunde, nur mit dem Unterschied, daß jeden der Schuh wo anders drückte.
+
+Schober sprach nicht gern von seiner Kunstreise, es war eine
+Enttäuschung gewesen. Er hatte sich als Schauspieler versucht, aber so
+leicht ging es doch nicht, als er sich's vorgestellt hatte. Er war mehr
+Komödiant des Lebens, spielte den verfluchten Kerl, war unwiderstehlich
+vor den Frauen -- aber auf der Bühne versagten die glänzenden
+Eigenschaften des Weltmannes. Es bedurfte dort anderer, grellerer
+Mittel, die ihm nicht zu Gebote standen. Kurz und gut, Schober redet
+nicht gern davon. Er ist begnadeter Dilettant und hat ein neues
+Steckenpferd, das er jetzt mit Hingebung reiten will: den Pegasus. Eine
+neue Lust, noch mehr aber ein neuer Schmerz.
+
+Ein anderer ist, dem die Dichtkunst ebenfalls mehr Schmerz ist als
+Lust: Mayrhofer. Er steht der Literatur nahe von Beruf und aus Neigung.
+Von Beruf aus ist er dazu verhalten, dem Flügelroß die Schwingen
+zu beschneiden, daß es nicht allzu freiheitlich ausgreife und die
+Staatsraison vor den Kopf schlage. So muß er denn von Staats wegen für
+diesen ungezügelten Renner eine Zwangsjacke bereithalten. Das ist sein
+Amt als Zensor.
+
+Der geschworene Feind der dichterischen Freiheit ist aber selbst
+Dichter -- hier klafft der Riß. Neigung und Pflicht stehen miteinander
+in Konflikt. Aber Pflicht ist Pflicht. Seine Dichterneigung ist
+Privatsache, sie verstößt nicht gegen sein Beamtengewissen. Täte sie
+es doch! Hier ist der tragische Punkt in seinem Leben. Er fühlt es
+dunkel: als Dichter lebt er aus zweiter Hand. Der Quell rauscht nicht
+in seinem Innern, er trinkt aus fremden Bechern. Er ahmt nicht nach,
+aber es fehlt ihm doch das Echte, Ursprüngliche. Was er schreibt, ist
+Almanachpoesie. Sein Leben krankt daran. Sein Geist versinkt oft in
+trübe Melancholie -- wenn Schubert nicht wäre, o Leben, es wäre zum
+Verzweifeln!
+
+Aber Schubert gibt den lahmen Versen Flügel. »Gib uns ein Stück von
+dir!« So meint Mayrhofer und meint Schober. Vielleicht wäre dann
+jeder ein ganzer Dichter. Schober findet für das, was ihm fehlt,
+einen inneren Ausgleich durch seine gesellschaftlichen Triumphe. Er
+lebt als Mann des guten Geschmacks, der angenehmen Geselligkeit,
+des Kunstverständnisses, des Sammlers -- auch ein Beruf. Er sammelt
+Spazierstöcke und ist Schuberts Freund -- bei Gott, es gibt sehr viele
+Menschen, die weniger leisten.
+
+Bei Mayrhofer sitzt der Stachel tiefer. Zensor zu sein, ist keine große
+Ehre, besonders wenn man selber Dichtersmann sein will. Er ringt um
+den Segen der Muse: »Ich lass' dich nicht, es sei denn ....« Aber die
+Muse verhüllt schamhaft ihr Angesicht vor ihm, sie wendet sich ab,
+mehr erschreckt als beglückt von seinen gewalttätigen Liebkosungen.
+Verbitterung bemächtigte sich seines Gemüts; darunter begannen auch die
+Freunde zu leiden, besonders Schubert.
+
+Franz liebte den Freund; der war um so und so viele Jahre älter, sehr
+belesen, tief und ernst angelegt, krankhaft ehrgeizig und wunderlich
+durch seine unselige Leidenschaft zur Poesie. Als Dichter erging es
+ihm so wie früher als Priester, er hat es nie zu den letzten Weihen
+gebracht. Um so härter war er im Urteil über andere. Das war nun gar
+nicht nach Schuberts Sinn.
+
+Mayrhofer hatte allerlei zu kritisieren an den Versen: »Leise, leise
+...« Spürte er den kommenden Genius, den er leugnen wollte, weil er
+klein gegen ihn erscheinen mußte?
+
+»In diesem Punkte gehen unsere Wege auseinander!« erklärte Schubert
+resolut. Und bewies, wie herrlich die Verse seien, aus echtem Gefühl
+entsprungen, aus einem Guß. Das verstimmte Mayrhofer noch mehr. Er
+vergrub sich in Trotz und Einsamkeit und ließ sich tagelang nicht
+sehen. Dann kam er wieder -- er brauchte ein Stück Schubert, ein
+bißchen Illusion, neue Hoffnung auf Gelingen, sonst war das Leben
+nichts wert. Aber alles, was recht ist -- in diesem einen Punkt mußte
+man Franz nachgeben: er duldete nicht, daß man gelungene Leistungen
+anderer heruntersetzte.
+
+Mit Spaun und Hüttenbrenner betritt Mayrhofer Schuberts Klause in der
+Tuchlauben. Sie finden ihn eben dabei, als er die »Wanderlieder« von
+Kreutzer durchspielt.
+
+»Laß das Zeug,« sagt Hüttenbrenner, »und sing' uns lieber ein paar
+Lieder von dir!« Das ist auch die Meinung der anderen.
+
+Sind aber schön angekommen alle Drei. »Wie kann man so ungerecht sein?
+Die Lieder sind sehr schön, ich wollte, ich hätte sie geschrieben!«
+
+So war er; er war zu sehr ein Eigener und war zu reich an Können und
+Gemüt, als daß er auf andere hätte scheel hinsehen mögen. Er vergönnte
+jedem das Seine und war eher zu einem Lob als zu einem Tadel bereit.
+
+So wäre es ja ein ganz sorgloses Dasein gewesen, man hätte guter Dinge
+sein können und war es ja auch, wenn man mit den Freunden beisammen saß
+und die Leistung der arbeitsreichen Tagesstunden zum besten gab. Da war
+die Sorge und die Furcht vor dem Morgen und Übermorgen verscheucht,
+aber freilich nur so lange, bis der Alltag mit seinen niederen,
+hundsgemeinen Anliegen anklopfte.
+
+Aber der Alltag ist schon ein solcher ruppiger Gesell, ein
+Beutelschneider, der einem schwer auf dem Geldsack liegt und alle fünf
+Minuten andere Forderungen hat. Er katzenbuckelt, ein grinsender Lakai,
+wenn man wie ein gnädiger Herr tief hineingreifen und die Goldstücke
+springen lassen kann; er wird sackgrob wie ein Packträger, aufdringlich
+wie ein Schuldenmahner und unverschämt wie ein Skandalmacher, wenn man
+mit den Moneten nicht nachkann.
+
+In aller Früh schon geht es an. Ein Blick in den Spiegel, der stellt
+sofort die unverschämt vertrauliche Frage: Herr von Schubert, wollen
+Sie sich nicht vielleicht zum Bartscherer verfügen, gleich links um
+die Ecke in der Naglergasse? Es wäre schon die höchste Zeit! -- Aus
+notgedrungener Sparsamkeit denkt man, es hat Zeit bis morgen, und geht
+den ganzen Tag herum wie ein Gezeichneter, ein Sträfling, dem die
+Stoppeln im Gesicht stehen. Oder der Spiegel sagt: Herr von Schubert,
+frische Wäsche -- ein unsauberer Kragen, ein zerknittertes Hemd, beide
+kleiden schlecht!
+
+Ja freilich -- wo ist denn die Büglerin geblieben, die vor acht Tagen
+die Wäsche hätte bringen sollen? Es wird doch nicht wegen der lumpigen
+Rechnung sein, die schon zweimal stehen geblieben ist? Läuft man denn
+davon, ist das Geld nicht sicher? Ungehöriges Mißtrauen! Soll man
+deswegen herumrennen wie ein Schwein? -- Aber so ist der Alltag: wer
+nicht zahlen kann, der soll sich schämen, über die Straße zu gehen.
+
+Im Gasthaus, im Café hat man ja etwas Kredit. Ab und zu verdient man
+auch ein paar Groschen, es wird diese oder jene kleine Komposition
+bestellt, Kirchensachen, na, das wirft ja gerade soviel ab, um kleine
+Schulden zu bezahlen, dann lebt man wieder weiter -- auf Kreide.
+
+Aber was man notwendig braucht, Theater und Konzert, das kann man nicht
+auf Pump nehmen. Und teuer sind die Eintrittskarten -- als ob wirklich
+nur reiche Leute ein Kunstbedürfnis hätten, wenngleich es unter den
+Freunden ausgemacht ist, daß sie von dem wahren Wesen der Kunst am
+wenigsten verstehen.
+
+Abends singt die Milder in der Hofoper. Bei dem Wort Milder wird allen
+wonnig zumut. Der Vogl und die Milder. Höheres gibt es nicht in der
+dramatischen Gesangskunst. In diesem Urteil sind die Freunde einig.
+
+Was die Milder betrifft, so kommt noch hinzu, daß neben der Künstlerin
+auch das Weib zur Begeisterung und leidenschaftlichen Verehrung
+entflammt. Sie war früher in Wien und ist jetzt in Berlin; sie kommt
+nur mehr gelegentlich als Gast an die Wiener Hofoper. Schober kennt sie
+aus seinen oberflächlichen Beziehungen zum Theater; er hat ihr einige
+Lieder Schuberts geschickt und besitzt einen sehr herzlichen Brief
+von ihr; tagelang geht die Schwärmerei um die Sängerin, doch so, daß
+die Aufzählung ihrer weiblichen Reize den größeren Teil ausmacht und
+fast wichtiger scheint, als die Bewertung ihrer unzweifelhaft großen
+künstlerischen Mittel.
+
+Wenn es von einem Frauenwesen hieß: »Du, die hat Augen wie die Milder,«
+oder: »die lächelt ein Mildersches Lächeln,« so bedeutete es soviel,
+als daß die Betreffende eine ausgemachte Schönheit sei und daß man
+nichts Eiligeres zu tun hätte, als sich Hals über Kopf unglücklich in
+sie zu verlieben. Wer es nun immer war, ein Kind der Dienstbarkeit,
+ein Mädchen aus dem Volke, eine Dame der Gesellschaft, man sah sie nur
+mehr durch diese Augen oder durch dieses Lächeln, und dann waren alle
+unsterblich in sie verschossen. Darin glich einer dem andern.
+
+Die Abende, an denen die Milder sang, zu versäumen, wäre eine solche
+Kardinalsünde, daß man dafür verdiente, in der Hölle zu schmoren. Das
+Leid darob wäre für den armen Schubert eine dreifache Hölle gewesen;
+der muß ein so frommes Gemüt, wie er, zu entgehen wissen. Also muß
+Freund Schober für die Billette aufkommen.
+
+»Aber selbstverständlich, lieber Freund!« Er ist immer so nett, der
+scharmante Schober. Es ist freilich etwas dabei, das dem Franz gegen
+den Strich geht. Er ist und bleibt empfindlich. Ein so harter und
+schwieliger Schuldenmacher zu werden, der kaltblütig alles für sich
+begehrt, ohne Entgelt, das kann er nicht.
+
+Er leidet immer mehr unter dem Druck der Verhältnisse. Schober weiß es
+nicht, er hätte es ihm gewiß ausgeredet. Aber es ist nicht die Art des
+Franz, sich über so heikle Dinge zu erschließen. Nur zu Schwind äußert
+er sich gelegentlich und nur ganz beiläufig; denn zu Schwind kann er
+reden wie zu sich selbst, der steht ihm innerlich am nächsten, mit ihm
+ist er am meisten verwandt, sie sind beide gleich arm an Gut und Geld
+und gleich reich an Kunst und gleich groß an Gefühl.
+
+»Nicht wahr,« hebt Franz an, »man kann bei einem guten Freunde wohnen,
+man kann sich bewirten lassen, aber man kann nicht das Taschengeld von
+ihm nehmen, man kann nicht seine Stiefel anziehen, man kann nicht seine
+Beinkleider tragen -- mit einem Wort, man kann sich von ihm weder ein
+Gewand schenken lassen, noch auf seine Kosten einen neuen Anzug machen
+lassen ....«
+
+Schwind versteht ihn, bei dem bedarf es nicht vieler Worte, der weiß
+um alle Lebensnot und Künstlersehnsucht, und wenn beide in Schweigen
+beisammen sitzen, so geht ein Strom von Trost und Linderung von einem
+auf den andern über.
+
+Einsam ist jeder, aber es tut wohl zu wissen, daß der Mitbruder in der
+Zelle nebenan um alle Gebundenheit dieses Erdendaseins weiß und mit
+seinem Mitgefühl nahe ist. Auch darin liegt etwas von der Kostbarkeit
+der wahren Freundschaft.
+
+Die Abende in der Oper gleichen dem Traum vom Paradies. Die Musik ist
+Blech, die Bühne ist Pappendeckel, die Sänger und Sängerinnen sind
+beschmierte Larven, aber Leben, Schönheit, Wohlklang, Seele bekommt
+alles erst, wenn die Milder auf der Szene steht. Wenn sie geht, sinkt
+alles wieder in die nichtige Armseligkeit zurück. Wenn sie singt, dann
+fällt alles Weh ab, man vergißt, daß man ein unruhig klopfendes Herz
+hat, einen brummigen Schädel von der Hitze, brennende Augen von der
+schlechten Beleuchtung, einen knurrenden Magen und andere menschliche
+Übel; man fühlt sich in einer beglückenden Seelengemeinschaft mit der
+schönen Besitzerin dieser herrlichen Stimme, dieser strahlenden Augen
+und dieses berückenden Lächelns, und hat nur das eine dumpfe Bedauern,
+daß, wenn sie jetzt von der Szene abgeht, alles nur holde Lüge war,
+und daß man wieder in Dumpfheit und Verlassenheit allein dasteht,
+ein armseliger Schlucker, beschwert mit einer großen, unerfüllbaren
+Sehnsucht.
+
+Nach der Vorstellung soll Schubert, von Schober geführt, in der
+Garderobe der Künstlerin erscheinen. Sie will den Schöpfer der Lieder
+kennen lernen, die sie in Berlin gesungen und mit denen sie viel
+Aufsehen gemacht hat.
+
+Als Schober sich nach dem Freunde umsieht, war der weg. Einfach
+entwischt. »Was ist das für eine Art? Was wird die Milder dazu sagen?«
+
+Schober ist außer sich. Er kann die Torheit nicht begreifen. Zuerst
+Sehnsucht, Begeisterung, Schwärmerei, man könnte sagen Verliebtheit,
+und wenn es drum und drauf ankommt, reißt er aus und versteckt sich wie
+ein furchtsames Knäblein. »Schämen soll er sich!«
+
+»Das verstehst du eben nicht!« erklärt Schwind, dem die
+draufgängerische Art Schobers zuwider ist. »Ich an seiner Stelle hätte
+es genau so gemacht.«
+
+»Was gibt es da zu verstehen? Feigheit ist es, Mangel an guter Art,
+Launenhaftigkeit ....« Nein, Schober versteht es wirklich nicht. Aber
+Schwind versteht es, der blickt tiefer und erkennt Zusammenhänge, die
+der andere nicht ahnt.
+
+Anna Milder ist abgereist. Ein neuer Stern ist auf dem Horizont der
+Freunde aufgetaucht, Therese Puffer. Sie ist eine der eleganten Frauen,
+die in den Wiener Salons verkehrt, wo Musik gepflegt wird. Sie ist
+Konzertsängerin, aber nicht aus Beruf. Die Kunst ist nicht der Zweck,
+sondern vielmehr der Schmuck ihres Lebens.
+
+Die Freunde streiten, wer schöner sei, die Milder oder die Puffer.
+
+»Die Milder hat eine schönere Stimme!« sagt der eine. »Aber die Puffer
+hat die edlere Gestalt!« meint der andere. »Die Augen hat sie von der
+Milder!« entscheidet der Dritte. »Nein, das Lächeln hat sie von ihr!«
+behauptet der Vierte.
+
+»Jedenfalls verdient sie, daß man sich so unglücklich als möglich in
+sie verliebt!« erklärt der kundige Schober. Es war gar nicht nötig,
+das erst zu sagen, denn heimlich träumt schon jeder von ihr. Schwind
+zeichnet sie als Melusine, Franz gedenkt ihrer in seinem Lied »Des
+Schäfers Klage ...« »Da stehet von schönen Blumen, da stehet die ganze
+Wiese so voll; ich breche sie, ohne zu wissen, wem ich sie geben soll.
+Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum. Die Türe
+dort bleibet verschlossen; doch alles ist leider ein Traum ..«
+
+Die Türe dort bleibt verschlossen .... Nämlich die Türe vom »roten
+Igel«, dem Vereinshaus, wo Konzertabend ist. Da drinnen hinter
+den hellerleuchteten Bogenfenstern mit weißen Sprossen, die wie
+Sonnenstrahlen ausgreifen, sitzt eine erlesene Gesellschaft; Therese
+Puffer singt. -- Was singt sie? Ein Lied von Schubert. »Und Regen,
+Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum ....«
+
+Die schöne dunkle Frauenstimme breitet ihren weichen Flor über die
+entzückten Hörer, auf den einsam Lauernden draußen fällt noch ein
+verwehender Klang ab. Der steht draußen und paßt an der Tür, und nun
+bricht der Sturm los, Händeklatschen und Beifallsjubel der Menge.
+
+Der Beifall will nicht enden, er schwillt an wie ein Orkan, und da ist
+ihm, als ob er in dem Brausen seinen Namen hörte.
+
+In der Tat, sie rufen drinnen nach ihm! Schubert soll sich zeigen! Sie
+klatschen wie wütend, sie schreien seinen Namen, sie trampeln mit den
+Füßen. Er steht draußen und weiß nicht, ob er fliehen soll oder in den
+Saal hineineilen. Es drängt ihn zur Flucht -- ganz wie neulich, als er
+die angebetete Milder hätte sehen sollen. Warum, Warum? Schwind hat es
+begriffen. Der -- ja, dem ist nichts Menschliches fremd.
+
+Franz sieht sich bei dem armen Öllicht, das vor der Tür hängt, prüfend
+von oben bis unten an, ehe er es wagen würde, auf die Klinke zu
+drücken, prüft genau seine abgetragenen Schuhe, seine verknitterte
+Hose, seinen schäbigen Rock -- nein, nein, um keinen Preis da hinein!
+Er will fliehen, sich verstecken -- die Armut bedrückt ihn, er mag sich
+den Leuten nicht so zeigen, wie es wirklich um ihn steht.
+
+Das ist es, was Schwind sofort verstanden hat, und was Franz doch nicht
+sagen wollte aus seelischer Schamhaftigkeit. Und diese Schamhaftigkeit
+hält ihn jetzt wieder ab, dem Ruf zu folgen. »Und Regen, Sturm
+und Gewitter verpass' ich unter dem Baum -- die Türe dort bleibet
+verschlossen, doch alles ist leider ein Traum.«
+
+Franz will fort, und doch ist es, als ob der Lärm drinnen eine magische
+Gewalt über ihn hätte, die ihn festbannt. Er bleibt stehen wider
+Willen, lauschend auf das, was nun kommt, auf das Stühlerücken und
+das Stimmengewirr -- und da fliegt schon die Türe auf, ein blendender
+Lichtkegel fällt in die dunkle Straße, ein Strom von Menschen quillt
+hervor mit erhitzten, geröteten Gesichtern und befeuerter Seele; er
+hat gerade noch soviel Zeit, sich unter das dunkle Gesims zu ducken --
+die festlich gestimmten Frauen und Mädchen gehen vorbei, die schwärmen
+von Schuberts Lied, aber ihn kennen sie nicht, sie gehen achtlos an
+ihm vorüber, die eine oder andere schaut gleichgültig den wildfremden
+und unscheinbaren Menschen an, niemand hat eine Ahnung, daß er es ist,
+von dem sie schwärmen, und den sie sich wahrscheinlich ganz anders
+vorstellen, als jungen, verklärten Helden im himmelblauen und rosaroten
+Licht.
+
+Das Glück ist mit Weh gemischt wie immer; die Freude über den Erfolg
+und die kleine Bitternis, mit seiner Person im Dunkeln stehen zu
+müssen -- Armut ist ein brennendes Hemd, und wer damit bekleidet ist,
+zeigt sich nicht gern vor Menschen. Vielleicht wäre man schon weiter
+in der öffentlichen Gunst und in der äußeren Wohlfahrt, wenn man es
+besser verstände, sich öffentlich zu zeigen, sich zu inszenieren, den
+Tageshelden zu spielen -- aber just das ist ihm verwehrt. Vogl hat
+recht: »Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan!« Das heißt
+mit anderen Worten: Sie werden es in dieser Welt schwer haben, sich
+durchzusetzen. Sie werden für Ihre Kunst leiden und ihr zuliebe die
+Märtyrerkrone tragen müssen -- wie übrigens jeder echte Künstler, der
+das Tiefste geben will.
+
+Aber Franz hat nicht Zeit, nachzudenken, alles das liegt keimhaft in
+seinem Gefühl, im winzigen Aufleuchten eines Augenblicks offenbart
+sich ihm diese ganze Erkenntnis. Dort hört er schon eine wohlbekannte
+liebe Stimme, die sagt: »Ich möcht' doch eigentlich wissen, wo der
+Kerl steckt! Wenn mich nicht alles täuscht, so ist es eine heimliche
+Liebschaft!«
+
+Der so daher redet, das ist ein ganz Feiner, der selber bis über den
+Kopf in den Techtel-Mechteln steckt. Der Anselm Hüttenbrenner ist
+es, und zu dem er es sagt, das ist der Salonlöwe Schober. Sie kommen
+als die Letzten heraus. Jetzt ist das Entrinnen schwer. Im nächsten
+Augenblick mußten sie ihn entdecken. Da ruft schon der Schober freudig
+aus: »Da ist er ja!« Und eine süßflötende Frauenstimme wiederholt
+entzückt: »Da ist er ja!« Es ist die Stimme der Melusine, die sich in
+Begleitung der beiden Ritter befindet: Therese Puffer.
+
+Von den Freunden ans Licht gezogen, steht er nun vor der Schönen und
+ist ganz behext von ihren sprechenden Augen und ihrem zauberhaften
+Lächeln. Er will etwas stammeln, ein paar Worte des Dankes, und geht
+auf sie zu, sie aber, noch ganz beglückt, förmlich berauscht von dem
+Triumph, den sie nicht nur ihrer Schönheit, sondern diesmal ganz
+bestimmt den Schubertschen Liedern verdankt, breitet unwillkürlich die
+Arme aus und ruft in überströmender Gefühlsseligkeit: »Es war zu schön,
+ich kann nicht anders, ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.«
+
+Ein paar volle Arme, weich und rund, ein stürmisch atmender Busen,
+graublaue Nixenaugen, so tief, daß man schwer zurückfindet, ein seltsam
+verlockendes Lächeln, ein blühender Mund -- für den Augenblick ist
+Franz in diese Herrlichkeiten hineingesunken -- ach, es war nur ein
+einziger, winziger Augenblick, und dann war es vorbei -- beide waren
+etwas verlegen, Franz über und über rot -- so muß dem Adam im Paradies
+zumute gewesen sein.
+
+Gern hätte er die ewige Seligkeit hingegeben für die Wiederholung
+dieses Augenblicks, der ein ganzes Paradies erschloß, aber es war nun
+einmal vorbei, die schöne Fee Melusine, wie sie unter den Freunden
+genannt wurde, faßte sich rasch und ward wieder ganz Dame. Es nützte
+also nichts, daß die beiden Kavaliere Schober und Hüttenbrenner für
+sich eine ähnliche Gunst begehrten.
+
+»Es hat dem Künstler gegolten!« sagte sie und verstand es
+vortrefflich, die aufflammende Begehrlichkeit der beiden Ehrenkavaliere
+in Schranken zu halten. Oder wenn das Feuerlein gar zu sehr unter
+die Asche kroch, soweit zu schüren, daß sie wieder in sanftem
+Glühen standen. In diesem Zustand des Glühens wußte sie die ganze
+Männergesellschaft zu halten. Wenn aber irgendeiner in verheerenden
+Brand auszuarten drohte, dann hatte sie auch die kalte Dusche bereit.
+
+»Sie ist eine Kokette!« behauptete Schober ärgerlich und verriet
+dadurch, daß er nichts erreicht hatte.
+
+»Sie hat ein Fischherz!« lästerte Hüttenbrenner, der noch empfindlicher
+abgeblitzt war.
+
+»Sie ist eine Donaufrau,« sagte Schwind, »nixenkühl und gefährlich.
+Sie trinkt Seelen aus!« Die Seele hat er dazu gegeben, der sie als
+Melusine zeichnete, und einen Ritter dazu, der unter Felsen und
+seltsam verschlungenen Baumwurzeln am träumerischen Waldquell ihrer
+Stimme lauscht. Der Ritter war er selber, verloren an die romantische
+Melusine. Schubert sagte nichts. Sein Herz stand in weißer Glut. Der
+selige Augenblick war kurz, aber die Erinnerung blieb -- ein heißer
+Quell, bis ans Lebensende wird er ihn nicht vergessen. Und der heiße
+Quell drängt brausend empor, wird Lust, wird Leid und wird Genesung.
+
+Der Winter vergeht, der Frühling ist da, mit lichtgrünen Händen winkt
+der traumhäuptige Wienerwald in die Stadt herein, winkt und winkt,
+daß einem ganz eng ums Herz wird. Die Mauern sind eine drückende
+Umschnürung, man will wieder frei atmen können, atmen mit dem
+Windhauch auf wogenden Wiesen, atmen mit dem tiefen Waldaufrauschen!
+Hinaus, hinaus!
+
+»Morgen ist Lämmerhüpfen bei der Karoline Pichlerin,« berichtet
+Schober, »fünfzig junge Mädchen, weiß wie Schnee und rosenrot -- die
+Pichlerin läßt dich grüßen, du sollst kommen. Also Franz, sei kein
+Narr, das sind Menschen, die du brauchst, lauter junges Mädchenvolk
+mit Klavierfingern und Piepsstimmen und Herzen wie Vogelnestern, darin
+deine Liedlein nisten können. Also komm' und leg' deine musikalischen
+Kuckuckseier hinein!«
+
+»Laßt mich in Ruh'! Soll ich die Augen verdrehen und Süßholz raspeln?
+Soll ich affig tun und gespreizt und geziert Menuett tanzen, hab' ich
+diese fade und lächerliche Mode nicht längst auf der Weste? Also,
+lieber Freund, geh' nur allein, wenn du es nicht lassen kannst!«
+
+Nein! Da müßt' man schon ein Zierbengel sein wie der gute Schober
+selber, um Gefallen darin zu finden, vor allem müßte man was
+Anständiges anzuziehen haben, und das hat man eben nicht. Aber der
+liebe Himmel weiß am Ende vielleicht doch, warum er dem Franz aus
+einem so lächerlichen und rein äußerlichen Grund vielerlei Entsagung
+auferlegt. Die Vorsehung verschließt ihm viele Wege und treibt ihn
+auf andere, wo vielleicht mehr für den inneren Menschen zu holen
+ist, und der Künstler eine größere Ausbeute gewinnt als im seichten
+Gesellschaftsgetriebe. Was haben einem die Leute zu sagen? Nichtige
+Schmeicheleien -- die vom wahren Wesen der Kunst was verstehen, die
+sind doch sehr selten.
+
+Es treibt ihn von den Menschen weg hinaus zum Stadttor, wo ihm der
+Petrus den grünen Schlüssel gibt; dort bedarf es keiner schönen
+Kleider, keiner Geckerei, keiner Komplimente, dort kann man sein, wie
+man mag, dort ist man mit sich und seinem Gott allein. Und wenn einen
+Gott recht lieb hat, dann gibt er einem ein herziges Mädel dazu. So
+gehörte sich's zur waldgrünen Einsamkeit.
+
+Ein herziges Mädel -- er wüßte schon eins. Hat Augen wie die Melusine,
+lacht ebenso, nur Kuß hat sie ihm noch keinen gegeben. Aber das kann
+kommen. Eine große Schranke ist zwischen ihm und Melusine, und alle
+Sehnsucht fliegt nicht drüber, wohin also Herz mit deiner Liebe? Da muß
+man sich schon an einfachere Kost halten, die Kinder des Volkes sind
+nicht so gespreizt, und schön sind sie auch, ebenso schön, und haben
+solche Augen und ein solches Lächeln. Das ist Fanny im Wirtshaus am
+Himmel.
+
+»Eine Mühle seh' ich blinken aus den Erlen heraus ..«
+
+Wenn es auch keine Mühle ist, so sind es doch die Erlen am Bach; und
+ist nicht Rädergebraus, so ist doch Blätterrauschen ums trauliche Haus,
+und die Fenster sind blank, und Fannys Augen sind so licht, so licht
+und klar wie die Blumen am Bach. »Ich frage keine Blume, ich frage
+keinen Stern, sie können mir alle nicht sagen, was ich erführ so gern.
+Ich bin ja auch kein Gärtner, die Sterne stehen zu hoch, mein Bächlein
+will ich fragen, ob mich mein Herz belog ...«
+
+Er wandert mit Müllerliedern im Herzen, er gibt ihnen Klang und Ton und
+denkt dabei an Fanny.
+
+»Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in
+jeden Kieselstein, ich möcht' es sä'n auf jedes frische Beet mit
+Kressensamen, der es schnell verrät, auf jeden weißen Zettel möcht'
+ich's schreiben ....«
+
+Nur seinem Mund gebietet er Schweigen.
+
+»Und ich bleibe dabei, der hat eine heimliche Gspusi,« schwört Stein
+und Bein der ewig in Liebesnöten schmachtende Hüttenbrenner; »so tut
+nur einer, der irgendwo ein Mädel hat und es nicht anschaun lassen
+will, Duckmauser, vertrackter!«
+
+Aber der Franz verrät nicht, mit wem er geht.
+
+Er blinzelt nur listig aus seinen Brillengläsern hervor. »Mit wem ich
+geh'? Mit wem sonst als mit meinem Stecken, mein Wanderstecken ist mein
+Gespons!« und lächelt wieder so listig, daß ihm die anderen erst recht
+nicht glauben.
+
+»Du kannst mir's ja sagen, was du für ein Pantscherl hast!« drängt der
+Hüttenbrenner, bringt aber nichts heraus und gibt schließlich selber
+zu: »Gib einem guten Freunde dein Leben in die Hand, deine Ehre, dein
+Gut und Geld -- er wird dich nicht betrügen und belügen; gibst du ihm
+aber dein Mädel zum Pfand, dann mach's Kreuz drüber!« Er muß es wissen,
+er hat Erfahrung, der lockere Zeisig! Das hat Franz aber ohne ihn
+gewußt und hat fein geschwiegen dazu.
+
+Am Hof steht der gelbe Wagen, mit dem fährt man hinaus ins Ätherblaue.
+Fährt oft hinaus, der stille Franz, und vergißt darob manche Einladung
+bei guten Leuten, denen er auf vieles Drängen zugesagt hat, und weiß
+gar nicht, wo er die Entschuldigungen hernehmen soll. »Ach, wenn Sie
+wüßten, wie unmöglich es mir gemacht wurde, Sie würden mir gewiß
+verzeihen!« Der liebe Gott, der die Verliebten zusammentreibt, der weiß
+es, das genügt!
+
+Sitzt also Franz in dem gelben Rumpelkasten und fährt ins Land der
+Liebe, daß ihm alle Knochen wehtun. Unterwegs springt er aus: »Halt!
+Muß schauen, was die Frau Mutter macht!«
+
+Und biegt in die Säulengasse ein, nachmittags, wenn der Herr Vater
+Schule hält. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Aber die Frau
+Mutter, die hat allemal ein paar Taler im Strumpf, und da fällt für
+einen armen, notleidenden Musikanten immer etwas ab.
+
+»Schau' nur, daß dich der Vater nicht sieht! Aber wart', auf ein
+Schalerl Kaffee kannst noch sitzen bleiben!«
+
+So bleibt er noch sitzen auf die Länge eines Schalerl Kaffee. Hätte
+sich aber beinahe verplaudert, Himmelfix ...! Guckt richtig der Herr
+Vater bei der Tür herein.
+
+»Ja schau', der Herr Franz!« Diese förmliche Anrede bedeutete nichts
+Gutes. Und bald geht's los aus einem anderen Ton.
+
+»Ist doch zum Disparatwerden!« jammert der Alte. »Daß die Kinder so
+verschieden sind und daß grad' du daneben geraten mußt. Franz, Franz!«
+Der Alte greift sich an den grauen Schädel und tanzt vor ihm herum.
+
+»Sind doch keine zwei Menschen gleich auf der Welt, warum sollen denn
+die Kinder nicht verschieden sein, jedes auf seine Art ....?! Ist
+deswegen noch lange keine Ursache, von daneben geraten zu reden!«
+wehrt sich der Sohn. Dann mault wieder der Alte. Aber der Sohn beharrt
+eigensinnig: »Ist doch ein Glück, daß die Menschen verschieden auf
+die Welt kommen und nicht alle gleich wie die Rechenpfennig, muß daher
+jedes auf seine eigene Art werden und gehen, wohin es jedes treibt.
+Bringt doch jedes sein eigenes Schicksal mit auf die Welt, das muß doch
+der Herr Vater endlich einsehen! Menschen sind keine toten Sachen,
+mit denen man beliebig schaltet und waltet .... und so ist es mit den
+Kindern. Die sind auch kein Eigentum, mit dem man beliebig verfährt,
+vielmehr sind sie den Eltern vom Himmel verliehen worden mitsamt der
+Pflicht, darauf zu achten, daß jedes in der ihm eigenen Richtung
+wachsen kann und darf.
+
+Ja, Herr Vater, der liebe Gott weiß schon, was er will, und was der
+Mensch als sein Eigenstes hat, das hat er nicht vom Herrn Vater und
+nicht von der Frau Mutter, das hat ihm schon der liebe Gott gegeben,
+und zwar vom Mutterleib an. Oder soll der Herr Vater das Geheimnis
+von der wahren göttlichen Empfängnis nicht verstehen, das sich immer
+und immer wieder bei jeder Mutter vollzieht?! Habt ihr mir das Talent
+gegeben, hat es irgend jemand in unserer Familie gehabt? Nein. Es ist
+mir geworden, wie dem Menschen überhaupt je die Gaben werden -- das
+wird kein Sterblicher ergründen! Es ist nicht immer leicht, dem Guten
+zu dienen, das einem im Leben vorgezeichnet ist -- macht mir's nicht
+schwerer, als es ist, Herr Vater!«
+
+Der Alte war fassungslos über diese Rede. Es muß etwas dabei gewesen
+sein, das jeden Widerspruch erstickte -- er wußte es nicht, was man
+darauf sagen sollt', und weil ihm wirklich nichts Rechtes einfiel, und
+der väterliche Respekt doch irgendwie den Schein retten wollte, so tat
+er ganz erbost und stapfte aus dem Zimmer hinaus.
+
+»Jetzt hast ihn aber wirklich bös gemacht, Franz -- aber ganz unrecht
+hast du nicht in dem, was du sagst ...«
+
+Die Mutter, die selber ein Kind unter dem Herzen trug, war
+empfänglicher für eine große, einfache Wahrheit.
+
+Franz ging; er litt, weil der Vater litt -- aber die Wahrheit mußte
+heraus, und bei allem Leid war es ihm leichter ums Herz.
+
+Der Flieder duftet, ein Vogel singt, und draußen am Sieveringer
+Bach singt auch schon das eigene Herz: »War es also gemeint, mein
+rauschender Freund? Dein Singen, dein Klingen war es also gemeint?
+Zur Müllerin hin! so lautet der Sinn. Gelt, hab' ich's verstanden?
+Zur Müllerin hin! Hat sie dich geschickt, oder hast mich berückt? Das
+möcht' ich noch wissen, ob sie dich geschickt, ob sie dich geschickt.
+Nun, wie's auch sein mag, ich gebe mich drein, was ich such', ist
+gefunden, wie's immer mag sein ....«
+
+Ja, in Sievering, da ist's zaubervoll! Da ist der Wind ein Kuß, da
+rauscht in den Brunnen der Wein, da schaut die Liebe aus jedem Fenster
+heraus, aus jedem blauen Äuglein! Da kommen ihm schon die alten
+Weiber entgegen, die Lotterieschwestern vom Agnesbründl, mit bunten
+Papiermützen auf dem Kopf, das Gesicht voll Rausch, und gewinstsichere
+Lotterienummern in der Tasche, die sie nachts in der Quelle der
+heiligen Agnes erschaut haben.
+
+Rechts geht der Gspöttgraben hinauf, der führt zum Himmel. Ein weißer
+Kleiderzipfel funselt ihm vor den Augen. Schon ist er im Gebüsch
+verschwunden. Ein Liebespaar, das nicht gesehen werden mag!
+
+Franz denkt: »Nur keine Angst, ich schau' ohnedies nicht hin, also
+nein, bitte! Geniert euch nur nicht! Ich hab' nur so vorbeigeblinzelt,
+nicht mehr!« Also nur keinen Spott! Wer im Gspöttgraben spottet, dem
+passiert leicht was Unangenehmes. Und wer auf Liebeswegen geht, der muß
+sich ganz besonders vor Unannehmlichkeiten hüten. Überdies, wenn Franz
+ein Liebespaar sieht, ist er selber mehr verlegen als die Verliebten.
+Ob's denen auch so geht? Ihm geht es so!
+
+Steil geht's aufwärts. Droben am Himmel rauschen hundertjährige Bäume
+um den Saal des Gasthauses. Ein Klavier steht drinnen, verstaubt und
+verstimmt, das nimmt nun Franz, wenn er kommt, fest in die Arbeit. Und
+was ihm unterwegs eingefallen ist, das blüht jetzt hervor zu einem
+blühenden Strauß von Tönen. Die lachende Fanny bringt ihm den Wein, sie
+hört ihm gern zu, dem seltsamen Musikanten.
+
+»Nach Arbeit ich frug, nun hab' ich genug, für die Hände, fürs Herze,
+vollauf genug, vollauf genug!«
+
+An freien Nachmittagen kommt junges Wienervolk hier zusammen, um zu
+tanzen. Sie tanzen nicht Menuett wie die feinen Leute in der Stadt, sie
+tanzen Ländler und Walzer zu einer Klarinette, einer Gitarre und einer
+Ziehharmonika. Ist das ein Schleifen und Wirbeln, ein rhythmisches
+Wiegen, Walzer, Walzer! Ach und die herzigen Mädeln, und dazu der
+Fliederhauch des Abends und der heitere Kuß der Sommernacht, und vor
+allem die stumme, gotterfüllte Ekstase des Tanzes!
+
+Sie sind auch nicht geziert und gespreizt, diese kleinen, netten
+Verkäuferinnen, Modistinnen, Näherinnen und was sie sonst alle sind.
+Hier fragt man nicht nach Herkommen, nach Stellung und Würde, hier
+will man tanzen und lieben und weiter nichts. Hier ist man Mensch und
+genießt den Augenblick, der so reich ist an Glück!
+
+Stolze, schöne Fee Melusine, dort unten in der Stadt, wie sollt' man
+das vergebliche Sehnen ertragen, wenn nicht deine niederen, aber nicht
+weniger schönen Schwestern wären, mildtätig genug, dieses Liebessehnen
+zu stillen!
+
+Wenn man nicht ganz genau hinsieht, so kann man sich einbilden, die
+Fanny hat genau denselben Mund und dasselbe Lächeln wie Melusine. Der
+Kuß schmeckt fast ebenso, endlich hat er ihn auch hier bekommen -- ist
+wohlfeil übrigens hier draußen! Und was ihm etwa noch fehlen sollte,
+das ersetzt er reichlich durch die Menge. Wie feuriger Sternenregen
+regnen die Küsse durch die blauschwarze Frühlingsnacht, der tramhaperte
+Wienerwald sieht mit verschränkten Armen gemütvoll zu; unzählbar die
+Liebespaare, die er in seinen schützenden grünen Falten birgt.
+
+Fanny ist innig und beglückt, als sie mit Franz Arm in Arm auf den
+einsamen Waldpfaden im Umkreis der Wirtschaft herumspaziert. Mit
+rührender Aufrichtigkeit gesteht sie: »Es war seit undenklicher Zeit
+mein innigster Wunsch, einmal so mit einem Herrn zu gehen, und jetzt
+hat sich der Wunsch erfüllt!«
+
+Süßer Fratz! Was soll man da für eine Antwort geben? Man gibt ihr einen
+schallenden Kuß, die Leute mögen schauen, wie sie wollen, es ist
+jetzt die Reihe an den anderen, verlegen zu werden, und obendrein sind
+ohnehin keine Leute da.
+
+Aber damit war es gefehlt. »Ha!« schreit eine Stimme auf, ein junger
+Mensch mit einem Mädel im Arm sitzt auf einer halbversteckten Waldbank,
+zehn Schritte von dem verstörten Franz. Franz glaubt, er müßte in die
+Erde versinken: »Also du, Hüttenbrenner!«
+
+Der lacht verschmitzt und doch zugleich etwas verlegen und ruft ihm zu:
+»Hast nicht den Schober gesehen, er ist nicht weit!« und kichert in
+sich hinein.
+
+Sie erholen sich alle von dem anstrengenden Minnedienst am Hof der
+schönen Melusine. Hier am Himmel gibt es keine kalte Koketterie,
+kein feurig tuendes Fischherz -- hier ist alles selbstverständliche
+Erfüllung, nahrhafte Kost fürs Herz, Hausmannskost.
+
+Jetzt weiß man, wo Franz die vielen Tänze her hat, die er schreibt,
+die sogenannten »Deutschen« und die Walzer, die er jedesmal wie einen
+Strauß frischer Waldblumen von einer solchen heimlichen Reise ins
+Land der Liebe heimbringt. Dort draußen sind sie ihm entgegengeblüht,
+auf all den Schubertschen Wegen, die in den grünen, liebreichen und
+weinseligen Wienerwald führen.
+
+Schwind steht Kopf vor Entzücken über die Deutschen, über diese Walzer.
+»Das ist die blühendste Musik, die ich je gehört hab', quellfrisch aus
+dem Herzen, aus dem Herzen des Wienerwalds --« vor allem aus Schuberts
+Herzen -- Schwind kann nicht genug kriegen, Franz muß sie immer und
+immer wieder spielen.
+
+Drinnen in der Stadt fangen die feinen Töchter schon an, Walzer zu
+tanzen. Das haben sie ihm zu danken, der den Tanz im Grünen erlauscht,
+erlebt und aufs neue zum Erklingen gebracht hat. Jetzt sitzt er ihnen
+in den Klavierfingern, dann geht er siedend ins Blut und jetzt wirbelt
+er schon in den Beinen.
+
+Und der den Zaubertrank schöpfte, den geheimnisvollen Jungbrunnen des
+Wienerwalds -- der geht still und unscheinbar dahin, nur im engen
+Kreis gekannt und geliebt; für die anderen ist er ein Name wie tausend
+andere, flüchtig genannt, vergessen und verweht. Noch denkt man nicht
+daran, daß man sich ihn merken müsse.
+
+
+
+
+ VI.
+
+
+Der Sommer brachte einige Veränderungen. Das Schicksal warf die Freunde
+durcheinander wie Spielbälle. Den einen riß es dahin, den andern
+dorthin. Der treue Spaun war bereits seit einiger Zeit nach Linz
+versetzt worden, in seine Heimatstadt, und schrieb sehnsüchtige Briefe,
+daß Franz doch kommen und eine Zeitlang in der schmucken Donaustadt
+verleben möchte. Jenger mußte von Amts wegen nach Graz -- in seinen
+freien Stunden fungierte er als Sekretär des dortigen Musikvereins;
+Anselm Hüttenbrenner zog ihm nach.
+
+»Zehn Jahre werden vergehen, ehe man dich wieder sieht!« prophezeite
+Franz dem Hüttenbrenner beim Abschied. Es schien, als sollte er recht
+behalten.
+
+Anselm suchte eine Stellung, er bekam sie durch Jenger und wurde
+Dirigent des Steyrischen Musikvereins. Was Franz, der begnadete,
+trotz aller Anstrengungen, trotz aller vorzüglichen Zeugnisse und
+Empfehlungen, trotz Meisterschaft nicht erlangen konnte, das fanden die
+kleinen Talente im Handumdrehen, Würden, Ämter, Einkommen. Es ging mit
+seltsamen Dingen zu; woran lag es, daß er, der Berufene, nicht den Weg
+zu den leichten Erfolgen fand. War es ein Verhängnis, war es ein Glück?
+
+Daß es auch in Graz hübsche Mädchen gebe, das erfuhr man bald aus
+Anselms Briefen. Auch daß er in einem Zauberkreis festsitze und darüber
+alle Welt vergäße. Der losen Mädchen wegen die Freunde zu vergessen,
+das mochte dem Franz nicht gefallen. »So hol' doch der Teufel alle
+Mädeln,« wetterte er in einem Brief, »wenn du dich gar so von ihnen
+behexen läßt.«
+
+Erst hinterher kam es heraus, daß es die Position war, die Anselm in
+Graz festhielt.
+
+Beide, er und Jenger, wollten in Graz den Boden lockern für das
+Verständnis Schubertscher Schöpfungen. Freilich komponiert Anselm
+selber, zwei Sinfonien hat er in Arbeit, aber herzeigen tut er nichts,
+so sehr ihn Franz mit Freundeseifer drängt. Er ist lieb und gut, der
+Anselm, aber -- was soll man denken? »Immer ein wenig versteckenspielen
+-- mir gefällt die Leisetreterei nicht!« polterte Mayrhofer.
+
+Franz bleibt arglos. »Recht hat er, jetzt kann er sagen wie Cäsar,
+lieber in Graz der Erste, als in Wien der Zweite. Gott gesegne es ihm!«
+
+Also das muß man sagen, Neid kennt der Franz nicht; er läßt jedem
+seine persönliche Art und bleibt bei der seinigen. Er berichtet ganz
+offenherzig nach Graz über sein eigenes Leben und Schaffen. Daß er,
+Franz, auf Vogls Veranlassung die Musik zu einem Singspiel geschrieben
+hat, daß es aber trotz Vogl schwer sei, »wider Kanaillen wie Weigl,
+Treitschke usw. zu manövrieren. Drum gibt man statt meiner Operette
+andere Ludern, wo einem die Haare zu Berg stehen ....« daß ihm aber
+trotzdem allerhand neue Operngedanken durch den Kopf gehen und so
+weiter.
+
+Ferner, daß Schober eine Sommerreise unternommen, und daß er, Franz,
+sein Heim bei Mayrhofer in der Wipplingerstraße aufgeschlagen hat.
+Sein Zimmer bestünde dort allerdings nur aus einem winzigen Alkoven,
+gerade groß genug für das Bett und einen grünen Vorhang, aber es sei
+angenehm und freundlich zu hausen in dem halbrunden Zimmer mit den
+vielen Fenstern, den schönen Büchern, dem Klavier und dem philosophisch
+angelegten Freund Mayrhofer.
+
+So führten sie eigentlich ein recht ungeniertes Junggesellenleben
+zu zweit, das in der Hauptsache der Musik, der Dichtkunst und der
+philosophischen Unterhaltung gewidmet sei. Der Bruder Anselms sei
+jetzt häufig da; Joseph Hüttenbrenner, der geradewegs aus der Schule
+Sokrates-Plato käme und sich liebevoll bemühe, Anselms verwaiste
+Freundesstelle einzunehmen.
+
+Eine elegische Bemerkung fließt ein über das allzu rasche Schwinden
+des Liebesfrühlings -- daß der wilde Rosenstrauch der Liebe draußen
+am Himmel am Verblühen ist, sagte er gerade nicht, das gehört auf ein
+anderes Blatt, aber der Freund mag sich's denken, zumindest kann er
+es daraus entnehmen, daß Franz so auffallend heftig alle Mädchen zum
+Teufel wünscht. Er bringt jetzt nur mehr wenig Walzer und Tänze von
+seinen Streifzügen mit heim -- auch das gibt zu denken, wenn Anselm
+versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Er habe jetzt ernstere Sachen
+im Kopf, er denke viel an die Milder, und dabei habe er sich immer mehr
+in die Therese verschaut, Melusine, die er seine tragische Muse nennt.
+Von einer geht ein sanftes Band zur anderen, das ihn gefangen hält. Man
+weiß schon, wohin es ihn zieht. Zum Theater.
+
+Unter den Freunden gibt es darüber nicht geringes Aufsehen. Joseph
+Hüttenbrenner schärft seinem Bruder Anselm in den Briefen ein: »Für
+dermalen laß dir's angelegen sein, für Schubert ein Opernbuch zu
+schreiben; es fällt nebstbei auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden
+in Europa genannt werden -- Schubert wird wirklich, ein neuer Arion, am
+musikalischen Himmel glänzen usw. usw.«
+
+Holzapfl, obgleich nur mehr selten im Freundeskreis gesehen, berichtet
+nach Linz an Stadler, einen gemeinsamen Konviktsfreund: »Ich weiß, er
+(Franz) schreibt auf Vogls Veranlassung und also nicht ohne Ursache,
+aufzuführende Operetten, Opern und andere große Dinge, die ich weder
+weiß noch höre; aber es ist so ....«
+
+Einer sagt's dem andern, keiner weiß was Genaues, alle spitzen die
+Ohren, jeder dichtet und hat schon einen großartigen Opernstoff in
+petto -- die Zaunkönige möchten mit dem Adler fliegen -- das Theater,
+ja, das Theater ist das Tor zur Weltberühmtheit. Die Freunde ereifern
+sich, jetzt muß Schuberts Stern leuchtend aufgehen, er lächelt und läßt
+sie reden in ihrem blinden Enthusiasmus. Was helfen die trügerischen
+Worte -- das Leben macht sich von selbst und meist anders, ganz anders
+als man denkt.
+
+So stehen die Tage im Hochsommer.
+
+»Kauft's ein'n Lavendel, zwei Kreuzer ein Büschel Lavendel! Ein'n
+Lavendel kauft's!«
+
+Der einförmige Klagegesang des Lavendelweibes zieht durch die
+sommerstillen Gassen.
+
+Das lockt und zieht -- ein Gruß aus duftenden Sommerwiesen, Wald
+und Bergwiesen, die von fern in die Stadt leuchten, grüngoldener
+Wienerwald. Der läßt einen nicht in Ruh'. Am wenigsten ein sinniges
+Musikanten- und Poetengemüt, wie es Franz zu eigen war.
+
+Die Liebe liebt das Wandern -- also auf und ins Grüne hinaus jeden
+freien Nachmittag und Abend. »Fanny, liebe Fanny!« so hat es vor
+kurzem noch geheißen. Aber die Sonnenwende ist herum, oder war es die
+Herzenswende?
+
+»Fanny, Herzensfanny, was haben sie denn mit dir gemacht?« Das
+Wienerwaldkind am Himmel hat wenig Zeit für das Singerlein. »Mit so
+einem Herrn zu gehen, war immer deine größte Sehnsucht, soviel ich weiß
+-- und jetzt?« Die Frage hat er auf der Zunge, sie rutscht ihm endlich
+heraus.
+
+Sie ist schnippisch, dreht ihm flink den Rücken und sagt: »Ja, das war
+im Mai -- jetzt ist Juli, da ist es mir zu heiß.«
+
+»Dummes Mädel, mich hältst du nicht für einen Narren ...« Er läßt sich
+eine Zeitlang nicht blicken.
+
+Dann aber treibt ihn wieder ein ungewisses Etwas. Also wandert er mit
+seinem Stock das Gspöttgräblein wieder hinauf -- »denn die Liebe liebt
+das Wandern.«
+
+Summt sich dabei eins: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du heut so
+stumm, will ja nur eines wissen, ein Wörtchen um und um, ein Wörtchen
+um und um. Ja, heißt das eine Wörtchen, das andere heißet Nein, die
+beiden Wörtchen schließen die ganze Welt mir ein.«
+
+Das Haus am Himmel steht einsam an Wochentagen, so ist es der Liebe
+recht. »Fanny, liebste Fanny, wo steckst du heut?« Sie hat ihn gewiß
+kommen gesehen und läßt ihn heute zappeln. »Schaut sie auch nicht zum
+Fenster heraus, so schaue ich doch zum Fenster hinein -- ist also
+einerlei!«
+
+Da steht der kleine Musikus vor dem etwas hochgelegenen Fenster, ein
+wenig muß er sich an dem Gesims emporziehen, und späht in den Raum
+hinein.
+
+Nein, Fanny hat ihn nicht kommen gesehen, ahnungslos sitzt sie drin an
+einem Tisch und neben ihr sitzt so ein frecher Kerl beim Wein und hat
+den Arm um sie geschlungen. Sie sitzen allein in der Stube, und sie
+schauen sich so sengend heiß an, als ob sie jeden Moment Feuer fangen
+müßten.
+
+Auch dem Franz schießt Feuer in die Augen -- oder war es das Wasser?
+Einen kleinen Bremsler hat es ihm doch gegeben, er rennt vom Haus
+weg und waldein. »Mit so einem Herrn zu gehen, das war immer meine
+Sehnsucht!« Er hört die Worte noch immer, sie klingen jetzt wie Hohn.
+Dem andern sagt sie gewiß dasselbe, und der ist bezaubert davon, so wie
+es auch er war. Ach, der Zauber ist süß, und wer ihn verliert, der ist
+elend dran.
+
+Franz ist ins Grüne hineingerannt, jeder Weg war ihm recht. Nur immer
+fort ins Grüne: »In Grün will ich mich kleiden!« Feuer und Wasser
+stehen ihm in den Augen.
+
+»In Grün will ich mich kleiden, in grüne Tränen weiden -- will suchen
+einen Zypressenhain, eine Heide von grünen Rosmarein --«
+
+Feuer und Wasser, das lebt wie Hund und Katz'. Dem Franz ist jetzt
+wirklich traurig zumute. Aber es dauert nicht lange, so haben Feuer und
+Wasser einander aufgefressen, und wären es Hund und Katz' gewesen, so
+wäre kaum ein Schwanzstückl übriggeblieben.
+
+Jetzt muß Franz schon lachen über sich selber. Er hat nämlich eine
+Stimme in sich, die in allen lächerlichen oder empfindsamen Situationen
+erwacht und leise fragt: »Franz, dummer Kerl, schämst dich nicht?«
+Gegen diese innere Stimme war nicht aufzukommen. Sie pflegte, wenn
+nichts anderes half, einen schlechten Witz zu reißen, und dann
+war alles Krankhafte, Sentimentale geliefert. So gesund war Franz
+innerlich, so kerngesund!
+
+Und jetzt lachte er schon im seligen Humor: »Grabt mir ein Grab im
+Wasen, deckt mich mit grünem Rasen -- kein Kreuzlein schwarz, kein
+Blümlein bunt, grün, alles grün so rings und rund -- so rings und rund
+--«
+
+Und lief so rings und rund -- so rings und rund und lief sich gesund,
+ganz gesund im grünen Wienerwald. Es war völlig dunkel, als er am Haus
+am Himmel wieder vorbeiging, die Fenster waren ohne Licht, die Türen
+geschlossen, alles schlief. Klopfenden Herzens schlich Franz näher, ein
+kleiner Spotteufel ward in ihm rege, er wollte nicht fortgehen ohne
+Abschied. »Will dich im Traum nicht stören, wär' schad' um deine Ruh'
+-- schreib' im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht! Damit du mögest
+sehen, an dich hab' ich gedacht!«
+
+Schreibt also im Vorübergehen ans Tor ihr: Gute Nacht! und hat ein
+kleines Sterbekreuzel daneben hingemalt.
+
+Gute Nacht! Die Liebe ist gestorben -- wo, wo ist sie gestorben im
+grünen, grünen Wienerwald? Wo findet ihr den Zypressenhain, wo das Grab
+im Wasen, wo das Kreuzlein schwarz (außer an der Tür!)? Nichts kündet
+euch den Liebestod, grün ist alles, so rings und rund! Ist die Liebe
+wirklich gestorben?
+
+Nein, sie lebt, sie lebt in den Tänzen, Liedern und Weisen, die Franz
+bei seinem Wandern im grünen Land der Liebe heimgebracht hat.
+
+Das grüne Wogen ist darin, die heitere Sinneslust, die gotterfüllte
+Ekstase, das Schleifen und Wiegen -- vielleicht auch die heimliche
+Träne, die aus dem Herzen hineingeflossen ist, das Schönste und
+Ergreifendste daran, sein Eigenstes!
+
+Aber es konnte nicht immer bei dem bleiben -- denn die Liebe liebt das
+Wandern -- Gott hat sie so gemacht! -- von einem zu dem andern -- Gott
+hat sie so gemacht!
+
+Franz steigt zur Stadt ab, in der da und dort noch Lichter glühen.
+Er ist getröstet und beruhigt. Ein inniger Quell von Trost erquickt
+ihn, wie immer. Er denkt an die Stadt unten, die so unendlich viel
+umschließt, und denkt recht eigentlich an die Eine, Unvergleichliche,
+die unter den Freunden Melusine genannt wird und die alles verkörpert,
+was das Herz im unbestimmten Verlangen ersehnt: die Kunst, die Liebe,
+die Stadt, alles dies und noch viel mehr drückt sich in seiner
+Sehnsucht aus, und diese Sehnsucht hat den Namen Melusine. Wenn ein
+kleiner Liebeskummer einbricht, dann steht ihr Bild groß vor Augen,
+eine anziehende magische Kraft, die verhütet, daß sich das Herz in
+kleinen Liebeständeleien verirrt oder gar verliert.
+
+Todmüde wirft sich Franz um Mitternacht ins Bett, ein bleierner
+Schlaf drückt ihn nieder, er erwacht am anderen Morgen mit einem
+katzenjämmerlichen Gefühl. Etwas hat man verloren, und war es auch nur
+eine Illusion. Aber das Dasein besteht nur aus Illusionen, also hat
+man ein Stück Dasein verloren. Das Leben ist wieder um einen Schatten
+tiefer.
+
+Ein Glück, daß ein Brief von Vogl da ist, der sich zum Sommer in seiner
+Vaterstadt Steyr befindet. Vogl fühlt sich einsam, er möchte sich
+mit neuer Musik auffrischen, Schuberts Lieder sind ein Jungbrunnen
+für ihn, Franz möge doch nach Steyr kommen und den Sommer mit ihm in
+Oberösterreich zubringen.
+
+Wenn von Steyr die Rede ist, geht auch dem Mayrhofer das Herz auf. Er
+ist ja selber Steyrer. »Die Steyrer singen gern,« rühmt Mayrhofer,
+»das kommt von der blauen Enns, die so stattlich um die Stadt rauscht,
+oder von der grünen Steyr, die ihr singend in die Arme stürzt -- also
+merk' auf, Steyr ist was für dich! Vor den Mädeln nimm dich in acht,
+haben Augen blau wie die Enns, spielen aber die grünen Lichter der
+Steyr drin -- ist ihnen nicht zu trauen, diesem Blau und diesem Grün,
+haben gefährliche Tiefen, Wirbel und Strudel, es reißt dich hinein, du
+weißt nicht wie ...« Spielt sich gar zu sehr auf den väterlichen Warner
+hinaus, der weiberfeindlich gesinnte Mayrhofer.
+
+Jetzt hat die Sonne wieder neues Licht. Vogls Einladung, das läßt man
+sich nicht zweimal sagen. Man sieht dabei ein Stück Welt, besucht in
+Linz die Freunde, die schon so oft geschrieben haben, ob er denn gar
+nicht kommen mag -- also jetzt wird es Ernst. Es treibt ihn förmlich
+hinaus. Kleingeld hat er in der Tasche, »Die Zwillingsbrüder«, wenn
+auch nicht aufgeführt, haben wenigstens einen Vorschuß gebracht; es
+langt. Ach, Berge, Städte, Freunde! Die Brust wird wieder weit.
+
+Ja -- die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht -- von einem
+zu dem andern, Gott hat sie so gemacht!
+
+Die Reisetasche her: sie hat einen mächtigen Bügel, aber die schöne
+Stickerei auf der Außenseite ist längst verblichen; die Tasche ist
+vom Herrn Vater, dem hat sie schon vor langen Jahren auch gedient.
+Bedachtsam schiebt Franz die wenigen Habseligkeiten hinein, die er
+braucht, etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, einen Anzug -- der alte dient
+auf der Reise und auf der Wanderschaft -- so, das wäre jetzt alles,
+bis auf die Noten und das Notenpapier, es nimmt den größten Raum ein.
+Zum Platzen vollgestopft ist die Tasche, und schwer! Schwer von der
+musikalischen Fracht, der geschriebenen und der ungeschriebenen.
+
+Jetzt wird noch das Ränzel gespickt mit allerhand Kleinigkeiten, die
+man unterwegs braucht, vor allem mit guten Freßsachen. Andächtig
+schiebt er ein Päckchen ums andere hinein, die er vormittags eingekauft
+hat, steckt ab und zu einmal die Nase zum Papier, hm! duftet fein! Zwei
+Paar Tiroler Landjäger, davon kann ein Mensch acht Tage lang leben,
+ein Stück ungarische Salami, noch etliche andere Wurstzipfel, einen
+echten Emmentaler, ein Stück ungarischen Paprikaspeck, eine Anzahl
+Brote, damit ist man versorgt -- jetzt kann kommen, was mag, man ist
+gegen die Wechselfälle des Schicksals für mannigen Tag vorgesehen. Am
+Abend wird der Abschied gefeiert, Mayrhofer, Schwind, Holzapfl, Joseph
+Hüttenbrenner sind dabei. Jeder verspricht nachzukommen, in einem Monat
+vielleicht, in drei Wochen, in vierzehn Tagen. Beim Abschied schwelgt
+man schon in der Freude des Wiedersehens. Man hat soviel Vorsätze
+und genießt es im voraus, oft der einzige Genuß. Den lassen sich die
+Freunde nicht entgehen, sie sitzen und trinken und schwärmen bis tief
+in die Nacht.
+
+Am anderen Morgen in aller Früh geht der Postwagen. Der Schlaf ist
+verflogen, als Franz beim Kutscher vorne sitzt und die Linzer Straße
+hinausfährt. Die Stadt versinkt hinter seinem Rücken: Leb' wohl, schöne
+Fee Melusine! Der Wienerwald erhebt sich links und rechts schwellend
+grün, Kuppe über Kuppe, ein wogender Ozean von Grün. Und drüben, ja
+drüben, ist das versunkene Haus am Himmel. »Leb' wohl, Fanny, leb' wohl
+auf Nimmerwiedersehen! Der Teufel hol' die Mädels!« So schnell kriegt
+ihn jetzt keine mehr dran.
+
+Ist das eine Seligkeit, so drauflos zu fahren ins grüne Meer von
+Niederösterreich. Der Wagen geht dahin wie ein gelbes Schiff durch die
+grünen Fluten von Wiesen und Wäldern. Alles ist neu und festtäglich,
+was man sieht, die Bauersleute, die zu Fuß oder zu Wagen dahinziehen,
+das Treiben in den Herbergen beim Pferdewechsel, es geht zu wie im
+ewigen Leben. Die Sorgen, die Schmerzen hat man zu Haus gelassen,
+man fühlt sich wie Gott in Frankreich. Fast so wie auf der Reise nach
+Zelez, eigentlich aber besser, denn nach Zelez ging's doch in eine wenn
+auch sanfte Abhängigkeit, hier aber reist man der ungebundenen Freiheit
+entgegen. Kein Amt, keine Pflicht wartet und legt am Ziel neue Fesseln
+an. Ein ganzer Sommer steht noch bevor, ein Sommer der Kunst und des
+heiteren Daseins, der vegetative Mensch lebt und atmet Glück.
+
+Die tausend Fenster rechts, das ist das Melkerstift, die funkelnden
+Türme gehören dazu, jetzt blitzt der Silberstreifen der Donau auf,
+weiter draußen das Kirchlein am Berg, das ist Maria-Taferl, weiße
+Schlösser, Burgruinen, Wein, Strom und Wald -- die Augen können
+sich nicht satt trinken an all diesen Herrlichkeiten, die Augen und
+das Herz! Kaum hat man es erschaut, ist es schon vorbei, das gelbe
+Gefährt schwankt wieder in den Wogen von Grün dahin, andere steingraue
+Städtlein stehen auf, einzelne breite Gehöfte lugen zwischen Obstbäumen
+hervor. Das Land trägt ein buntes Gesicht und gleicht einem gesegneten
+Garten, es ist das liebliche Oberösterreich. Ein Fluß wälzt schäumende
+Fluten daher, das ist die Enns.
+
+Endlich am zweiten Abend schwankt der gelbe Wagen zwischen engen
+Gassen, hinauf, hinab, über ein holperiges Pflaster, ein Engpaß von
+Gemäuern schließt sich zusammen, eine Menge Läden sind darin, Menschen
+und Wagen drängen sich durch, dann tut sich ein unendlich weiter,
+schmuckvoller Platz auf mit alten, reichverzierten Patrizierhäusern,
+kunstvoll verschnörkelten Wirtshausschildern aus Schmiedeeisen,
+rostbraun und golden, hinter den steinernen Toren stille klösterliche
+Haushöfe mit weißen Arkaden und pendelnden Blumen -- das ist die schöne
+Stadt Steyr, um die sich die blaue Enns und der grüne Steyrfluß zu
+einer blaugrünen Masche knüpfen.
+
+Man ist am Ziel.
+
+Franz klettert vom Wagen herab, die Knochen im Leib sind ihm förmlich
+zerdroschen von der Ratterei des Wagens, kaum daß er auf den Beinen
+stehen kann. Da ist er schon von einer Menge Leute umringt, die ihn
+herzlich und teils sogar respektvoll begrüßen, der gravitätische Vogl
+an der Spitze, der ihn gönnerhaft den Honoratioren vorstellt, dem Herrn
+Silvester Paumgartner, Hausbesitzer, Vizefaktor der Eisengewerkschaft,
+Besitzer einer wertvollen Instrumentensammlung; dem Herrn Advokaten
+Schellmann, Freund Vogls und leidenschaftlicher Klavierspieler, in
+dessen Haus am Platz für Franz ein Zimmer im zweiten Stock reserviert
+ist; dann dem Herrn Kaufmann Joseph von Koller und seiner Tochter
+Josephine, die als Sängerin und Pianistin einen k. k. Provinzialruhm
+genießt; endlich die Frauen, Töchter und deren Freundinnen, eine Schar
+von Mädchen und alle blitzsauber! Wird ihm gleich etwas bang dabei, die
+Sehnsucht fängt zu schwellen an, die Traurigkeit gewinnt Oberhand. »Was
+machen's denn für ein Gesicht!« stößt ihn Vogl an, der immer gern ein
+wenig hofmeistert.
+
+Franz redet sich auf seine Müdigkeit aus, im übrigen denkt er, der
+Mensch wird doch ein Gesicht machen dürfen, wie es ihm paßt. Es ist ihm
+zuwider, daß Vogl gar zu gern den Protektor hervorkehrt. Immerhin, er
+meint's gut, aber zuwider ist es doch ...
+
+Eine richtige Schwelgerei in Musik geht los. Die Steyrer sind ganz
+baff über die Kunst, die Franz im Verein mit Vogl hervorzaubert. Wenn
+Vogl singt und Franz ihn am Klavier begleitet, so daß sie in solchen
+Augenblicken eins zu sein scheinen, dann reißen die Zuhörer Mund und
+Augen auf, fassungslos vor Staunen und Entzücken. Daß es so was gibt,
+ist für sie völlig neu und unerhört.
+
+Wenn in der k. k. Provinz die Begeisterung entfesselt ist, dann gehen
+die Wogen sehr hoch. Es sind gesunde, ungebrochene Naturen, die können
+was leisten. Dem Franz kommt's vor, als ob von nun an alle Tag Sonntag
+wäre.
+
+Der neue Kreis von lieben, eifrigen Menschen gibt sich alle
+erdenkliche Mühe, um ihm das Leben so angenehm als möglich zu machen.
+Am rührendsten ist Silvester Paumgartner. Er führt ihn in der Stadt
+umher, zeigt ihm diese und jene Besonderheit und weiß von allen
+Dingen die Geschichte. Am liebsten freilich läßt sich Franz in die
+Eigentümlichkeiten der Stadt von Josephine einweihen, die ihn immer
+häufiger zu Spaziergängen einladet. Im Haus bei Schellmann sind allein
+acht Mädchen, mudlsauber alle, und alle gehen dem jungen Meister
+liebreich um den Bart. Er ist Hahn im Korb und läßt sich wohl geschehen.
+
+Wenn nicht am hübschesten, aber doch am interessantesten ist die
+Josephine. Sie gibt sich exzentrisch und spielt sich auf die
+Weltdame hinaus. Es liegt ihr nichts daran, daß die Leute die Köpfe
+zusammenstecken und sich ein wenig mokieren über sie. Wenn sie nicht so
+überschlank wäre, dann könnte man an die Fee Melusine denken, überlegt
+Franz; freilich mit dem weiteren Unterschied noch, daß Therese im
+wirklichen Sinn Dame ist, während die exzentrische Josephine trotz
+ihrer anscheinend freien Art nicht ganz das Provinzielle abstreifen
+kann.
+
+»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt!« sagt sie ihm schon in den
+ersten Tagen.
+
+Er aber denkt: »Mich kriegst du nicht dran!« Sie gehen am Vormittag
+über die Ölstiege zur Enns hinab auf den Schiffweg. Der dunkle
+Stationsweg mit den roten ewigen Lichtlein an den Heiligenbildern in
+diesem steinernen Schacht hat so eine eigene Stimmung. Das Mädchen
+bleibt gerne stehen auf den steinernen Stufen in dem halbdunklen Gang,
+plaudert und schaut ihm ins Gesicht. Ihre Augen geben grüne Lichter --
+Mayrhofer hat recht: »Nimm dich in acht, der Zauber ist gefährlich ...«
+
+Am Schiffweg unten kommt schon die blaublickende Enns daher mit Singen
+und Rauschen. Wundervoller Sang, die rollenden Kiesel am Ufer klingen
+geheimnisvoll mit. Josephine angelt mit den Augen. Die sind jetzt hell
+und klar und blau wie die Wasser der Enns. Forellen schießen im Strom
+daher, dem Franz ist es so wohl wie den Fischen im Wasser, und er
+denkt: »Angle nur zu, mich fängst du so wenig wie die Forellen, solang
+es vor mir so klar und licht ist ..«
+
+Josephine redet von der Liebe. »Den ich einmal wollte, der ist
+gestorben, und den ich jetzt möchte, der weiß es nicht, oder tut er
+vielleicht nur so?«
+
+Franz hütet sich zu fragen: »Wer?« Er greift fest ins Klavier, sie
+spielen vierhändig. Ein neues Werk wächst unter seinen Händen, das
+Singen und Rauschen der Enns ist darin, das Schießen der Forellen, das
+Haschen und Fangenwollen, das hurtige Enteilen; in munteren Läufen
+trillert eine Stimme, die rollenden Kiesel am Schiffweg singen mit.
+Sonnenschein und Frohsinn ist darüber -- ein volles Glück neigt sich
+herab, Franz tut es der Forelle gleich, die in glashellen Fluten
+aufwärts schwimmt -- in Laune und Übermut ringt er sich nach heiteren
+Höhen empor.
+
+Tagelange Fahrten werden ins Land unternommen, nach Kremsmünster, nach
+Florian in die geistlichen Stifte, überall sind die Sänger, Künstler
+und Freunde in Ehren empfangen und gefeiert. In Kremsmünster schließt
+sich ein Student der Sängerfahrt an, er will nach Wien reisen, er
+verbummelt seine Tage, so stark hält ihn Schuberts Musik gefangen.
+Endlich reißt er sich los, sonst wird ihm das Geld zu knapp. »Er
+soll in meinem Bett schlafen für die Tage, die er in Wien weilt!« so
+schreibt Franz dem Mayrhofer. »Sie haben doch ein gutes Herz!« sagt
+Josephine, die dabei ist, als Franz dem Studenten den Empfehlungsbrief
+zum Abschied gibt.
+
+»Sie haben doch ein gutes Herz!« wiederholt sie später öfter, wenn
+sie die Ölstiege zum Schiffweg hinabgehen, und bleibt stehen: »Sie
+verdienen dafür belohnt zu werden.« Sie macht dabei so eigentümliche
+Augen, daß der Franz wegsehen muß, sonst zappelt er wirklich wie die
+Forelle an der Angel.
+
+»Kriegst mich nicht dran!« denkt er beharrlich, aber so ganz
+selbstsicher ist er nicht.
+
+Das begonnene Werk wächst weiter, es will sich glücklich vollenden.
+
+»Sie komischer Mensch, wenn ich ein Mann wäre wie Sie, ich würde mir
+die Trauben nicht in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten.«
+
+Die Trauben in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten, das will
+er auch nicht, dazu ist er Mann genug; aber es ist ihm zuwider, wenn
+sie sich gar so aufdrängen, die Trauben; da verlieren sie an Reiz, und
+er denkt sich: Justament nicht! Ein Glück, daß er am nächsten Tag nach
+Linz muß auf ein paar Tage, die Sehnsucht nach den Freunden drängt,
+sonst hätte er, wer weiß es, wirklich zugeschnappt.
+
+Mayrhofer und Schwind kommen ja doch nicht, trotz aller guten
+Absichten, aber Spaun in Linz, den man so lange schon nicht gesehen
+hat, und Stadler, ein Konviktsgenosse, der ihn als Musikfreund näher
+kennt, die will er bei dieser Gelegenheit sehen. Vielleicht, daß sie
+dann einen Gegenbesuch in Steyr machen.
+
+Linz an der Donau mit dem Pöstlingberg, das ist eine schmucke
+Stadtschöne. Mit Spaun und Stadler kommt er zu Linzer Kunstfreunden,
+er ist da und dort zu Besuch, die Menschen sind stilvoll wie
+alte Porträts, am Kaffeetisch werden ihm zu Ehren die kostbaren
+Porzellanschränke aufgetan, er trinkt aus alten vergoldeten und
+kunstreich bemalten Schalen, er betrachtet die Bilder an den Wänden,
+die schweren eingelegten Möbel, die schönen illustrierten Bücher in
+den Schränken, alles, was er sieht und kennen lernt, ist gesättigt mit
+Kunst und Geschmack; es ist eine neue wundervolle Welt im Kleinen.
+
+Abends vereinigen sich die jungen Freunde in einem alten gewölbten
+Lokal, wo man den besten Wein kriegt und der aus dem Stift Kremsmünster
+stammt. Zum Nachtmahl gibt's eine Hausspezialität: »Katzengeschrei.«
+Dreierlei Fleisch in Würfel geschnitten, Kalbfleisch, Schweinefleisch,
+Rindfleisch, mit würziger Sauce und großen Semmelknödeln dazu -- es
+schmeckt herrlich. Und dann der Wein drauf -- kein Wunder, daß allen
+das Herz aufgeht und die Zunge überfließt. Was tut man, wenn der
+Wein endlich Herz und Zunge aufgeriegelt hat? Man singt. Man singt,
+daß die Gasse klingt und die Leute in den dunklen Fenstern die Köpfe
+herausstecken und die halbe Nacht lang andächtig zuhören.
+
+Schließlich aber ist der Wein der Stärkere, der Gesang wird übermütig,
+er gluckst, hopst, lacht, torkelt, lallt -- es wird ein richtiges
+Katzengeschrei. Da schließen sich die Fenster, denn es wird bald
+wirklich zum Steinerweichen.
+
+Aber es ist nichts Arges dabei, man geht in Seligkeit von dannen. Und
+merkwürdig. Wie kann man denn, wenn einem die Trauben schon in den Mund
+hängen, vergessen, zuzubeißen? Es will dem Franz jetzt nicht aus dem
+Sinn. Blaue Augen mit grünen Lichtern funkeln vor ihm noch im Traum.
+Die ganze Nacht denkt er an Josephine.
+
+Zappelt jetzt die Forelle an der Angel?
+
+Am nächsten Tag kehrt er nach Steyr zurück. Die Enns rauscht und singt.
+Er hat ihr Rauschen und Singen eingefangen, ein sonniges, glühendes
+Werk ist ihm entstanden, die frohen Steyrertage sind darin, sein
+ganzes Glück dieser Zeit -- Forellenquintett heißt es, er schenkt es
+dem Silvester Paumgartner, der sich trotz des Altersunterschiedes als
+wärmster und aufmerksamster Freund erwiesen hat.
+
+Eigentlich wollte er es der Josephine schenken. Aber im letzten
+Augenblick besann er sich eines anderen. Sie sprach wieder von der
+Liebe und neckte ihn, weil er tat, wie der keusche Joseph. Er aber
+hatte schon Feuer gefangen -- die Trauben, die so tief hangen, die
+wollte er nun doch nicht unverkostet lassen.
+
+Aber blitzschnell bog sie ihm aus. »Nein, nein!« In ihren Augen
+blitzten die grünen Lichter. »Vor einigen Tagen war ich bereit -- alles
+hätte ich gewährt, ich hatte es mir fest vorgenommen -- warum sind Sie,
+anstatt mich zu erwarten, nach Linz gefahren?«
+
+»Warum?« Jetzt wußte Franz, sie spielt gern die Verwegene und
+Leidenschaftliche, aber sie ist es gar nicht; sie tut nur so und hält
+ihn zum besten. Sie glaubt, das ist jetzt à la Mode, und meint weiß
+Gott, was für gefährliche Abenteuer sie überstanden hat.
+
+»Warum? Das will ich Ihnen auf dem Klavier sagen.«
+
+Jetzt hat Franz das Heft in der Hand; ein paar Takte, ein kleiner Sang:
+»Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem
+andern, Gott hat sie so gemacht!«
+
+Das Liebesspiel ist aus, wer hat das Nachsehen? Auf alle Fälle
+hat Franz gewonnen; was er gewonnen, klingt fort in seinem
+Forellenquintett, fort ins Ewige.
+
+Ade, du muntere, fröhliche Stadt, ade! Der Herbst ist da, aber das
+Scheiden von hier ist nicht leicht.
+
+Ein so voller, schöner Sommer -- und zum Schluß die unausgesprochene
+bange Frage: »Wann werde ich je wieder so glücklich sein?«
+
+
+
+
+ VII.
+
+
+Im Gundelhof ist alle Freitag musikalische Soiree bei dem Wiener
+Rechtsanwalt Dr. Ignaz von Sonnleithner. Der alte Herr von Sonnleithner
+scheint im Leben ein ziemlich trockener Patron, eine etwas nüchterne
+und schwunglose Advokatennatur, nur bei der Musik hat er sein Herz
+entdeckt. Eine kleine Gesellschaft von Musikfreunden findet sich
+seit Jahren an den Freitagabenden bei ihm ein, der Andrang ist mit
+der Zeit so groß, daß Eintrittskarten verabreicht werden; was zuerst
+eine private Liebhaberei war, wird nach und nach eine mehr und mehr
+öffentliche Einrichtung; die Gesellschaft der Wiener Musikfreunde
+bildet sich als Pflegestätte edler Musik heraus. Sie wird so groß, daß
+sie einen Ableger entsendet, den kleinen Musikverein, der sich auf
+intimere Veranstaltungen verlegt und ebenfalls aus dem Privatsalon in
+den Konzertsaal hinüberwächst.
+
+Schubert ist dort kein Unbekannter mehr, wenigstens dem Namen nach;
+als er noch der Schulgehilfe vom Himmelpfortgrunde war, ist eine
+Kantate von ihm im Gundelhof aufgeführt worden. Der Sohn Leopold
+von Sonnleithner, ebenfalls Konviktszögling, hat seither eifrig
+Schubertsche Blätter gesammelt, die in Abschriften von Hand zu Hand
+gingen, und die ihm neuerdings durch Joseph Hüttenbrenner reichlicher
+zufließen.
+
+Den Mittelpunkt der Gesellschaft der Musikfreunde bilden drei liebliche
+Schwestern, die in ihrer Dreieinheit die Wiener Muse des Gesangs
+verkörpern. Sie heißen Schwestern Fröhlich. Wenn der Name genannt wird,
+dann leuchten die Gesichter auf, ein freundliches Lächeln erwacht. So
+groß ist die Wirkung, die von den Schwestern ausgeht.
+
+Zu den Fröhlichs in der Singerstraße kommt Leopold eines Tages mit
+Noten von Franz. »Die Lieder sind von einem jungen Menschen --
+vielleicht probiert ihr sie; sie sollen recht gut sein.« Mehr sagt er
+nicht. Die Schwestern sollen selber sehen, was dran ist.
+
+Die Lieblichste von den Dreien, Kathi, setzt sich gleich ans Klavier,
+versucht die Begleitung und singt mit halber Stimme. Das erste
+Lied ist der »Erlkönig«. Im Nebenzimmer befindet sich der Vetter
+Sonnleithners, der junge und schon vielgenannte Dichter der »Ahnfrau«,
+Franz Grillparzer, Kathi ist seine Braut. Das ist der, von dem Schubert
+des öfteren schwärmt und den er so gern zu seinen Freunden zählen
+möchte. Außer Grillparzer ist Gymnich da, ein junger, blasser Mensch,
+brustleidend, Besitzer einer außerordentlich schönen Stimme, in seinen
+Nebenstunden Beamter -- die meisten sind Beamte in ihren Nebenstunden,
+auch so Große wie Grillparzer, die Kunst ist brotlos, und Genies wie
+Schubert und Schwind müssen darben.
+
+Auf einmal horcht Gymnich auf, tritt ins Klavierzimmer zu Kathi: »Was
+spielen Sie denn da? Ist das Ihre Phantasie?«
+
+»Nein! Ein junger Mensch hat es gemacht, ich kenne ihn nicht näher,
+doch warten Sie: wie heißt er? Schubert! Den Namen hab' ich schon
+nennen gehört, aber ich weiß nicht wann und wo -- einerlei. Schön,
+nicht wahr?«
+
+Gymnich ist außer sich. »Das ist ja herrlich, das ist etwas ganz
+Außergewöhnliches! Lassen Sie doch sehen!«
+
+Jetzt singt er, Kathi begleitet ihn. Die Männerstimme bringt es jetzt
+klar heraus, was in dem Lied steckt, alle Schauer, alle Abgründe -- die
+Zuhörer sind hingerissen.
+
+Die anderen Blätter werden durchgespielt, man kann sich kaum mehr
+trennen davon, den ganzen Abend lang werden diese Lieder gesungen und
+wieder gesungen.
+
+»Und der Mann lebt in Wien? Und wir kennen ihn nicht? Sonnleithner, das
+ist eine Schande! Sie müssen ihn zu uns bringen, und zwar gleich, in
+diesen Tagen noch, morgen, übermorgen. Verstanden?!«
+
+»Ja.« Leopold Sonnleithner hat verstanden. Am dritten Tage kommt
+er mit Franz, den er am Rockärmel hält. Es war nicht ganz leicht,
+fast mit Gewalt und Joseph Hüttenbrenners Unterstützung hat man ihn
+hergeschleppt. Die Aussicht, Grillparzer zu treffen, den er so gern
+kennen lernen möchte, wirkte eher als Abschreckung, so geniert fühlte
+er sich. Da standen sich nun die beiden gegenüber, sie waren neugierig
+aufeinander und fanden nicht das rechte Wort, das die Brücke hätte sein
+können von Herz zu Herz.
+
+Grillparzer war verschlossen seiner Gewohnheit gemäß, Schubert war
+scheu und ging gleich ans Klavier; was aber die Worte nicht zu binden
+vermochten, das vollbrachten die Töne, die unter den meisterlichen
+Fingern dem Instrument entstiegen, und außerdem wußten die drei
+Schwestern als freundliche Grazien mit den beiden, die sich schwer
+taten, so umzugehen, daß allen leicht und wohl wurde. So entstand eine
+wortlose, zurückhaltende Freundschaft, von der man nicht mehr wußte,
+als daß sie da war, und daß sanfte und liebreiche Frauenhände die Bande
+zu einem ganz haltbaren Knoten geschlungen haben. Zu den Schwestern
+Fröhlich kam nun Franz öfter und öfter.
+
+Bald hernach sang Gymnich den »Erlkönig« im Gundelhof an einem Freitag
+abend. Die Leute waren bezaubert.
+
+»Wie geht es denn eigentlich zu, daß so ein Mensch nicht schon
+längst berühmt ist, eine anerkannte Größe in der Welt?!« Dem alten
+Sonnleithner war es völlig unbegreiflich.
+
+»Wie es zugeht? Ungerecht geht's zu in der Welt, elend -- fragen Sie
+den Herrn Verleger Diabelli oder Haßlinger, dann wird es Ihnen klar
+sein ...« so redet Joseph Hüttenbrenner, der ein getreuer Famulus
+Schuberts geworden war und immer eifriger begann, den Verwalter des
+Genius zu spielen. Er erzählte wahrheitsgetreu, wie die Lage war.
+
+»Unsinn, ist doch ein aufgelegtes, gutes Geschäft, wenn man's so
+betrachten will, vom Verlegerstandpunkt,« entgegnete der alte
+Sonnleithner in seiner etwas barschen, trockenen Weise; »da muß halt
+was getan werden, warum soll denn der Verleger nicht wollen? Werd'
+einmal selber reden mit ihm.«
+
+Es hat aber dem Herrn Advokaten nicht viel genützt, weder bei dem
+einen, noch bei dem anderen, keiner traut sich recht, einen Pfennig
+anzulegen, sind alle mitsamt erbärmliche Drücker, die ein Geschäft erst
+machen, wenn sie den Profit schon von vornherein gesichert und bar auf
+dem Tisch liegen haben.
+
+Wenn doch der Herr Doktor und die vielen Freunde sich zusammentäten
+und die Kosten aufbrächten, dann wollte sich der Herr Verleger schon
+eher bereit finden lassen, die Sache in Kommission zu nehmen und den
+Profit einzustecken -- nun ja, warum denn nicht! Man tut ja gern was
+für ein junges Genie; aber auf Verlegerunkosten -- nein! Wütend geht
+Sonnleithner heim, er wendete hin und her, wie sich's machen ließe --
+jedenfalls, jetzt gibt's kein Lockerlassen mehr!
+
+Inzwischen findet ein öffentlicher Abend im kleinen Musikverein statt,
+Gymnich singt den »Erlkönig« im Konzertsaal. Das hat jetzt eine
+durchschlagendere Kraft als alle früheren Veranstaltungen in privaten
+Zirkeln und Wohltätigkeitsakademien. Das Publikum ist rasend, der
+Komponist wird herausgestampft, diesmal haben ihn die Freunde nicht
+entwischen lassen. Hüttenbrenner, Schober, Mayrhofer, sie haben zu
+tun, ihn vom Künstlerzimmer aus aufs Podium zu bringen. Jetzt steht er
+oben mit etwas verwursteltem Frack, macht ein paar linkische Kratzfüße
+vor der begeisterten Menge -- und weg ist er, fluchtartig herunter und
+verschwunden. Keine Macht der Erde bringt ihn mehr herauf, er ist froh,
+daß es überstanden ist. Aber soviel steht fest, der junge Meister ist
+entdeckt.
+
+Sein Schaffen im Verborgenen war einem Strom vergleichbar, der viel
+verzweigte unterirdische Gänge wählt und nur da und dort mit einer
+prachtvoll strömenden Welle an die Oberfläche tritt. In der Tiefe wühlt
+er sein Bett und sammelt im Verborgenen seine Gewässer; kann aber
+nimmer lang dauern, da muß der Strom hervorbrechen ans Tageslicht in
+voller Kraft und Herrlichkeit, der Welt ein neues Licht zu geben. Wer
+hineinschaut, sieht Sonne, Mond und Sterne darin, und das eigene Herz
+und das Rauschen singt jedem, der es hört, in der eigenen Brust drin.
+
+Das war so jetzt um diese Zeit.
+
+Mit einem Male wird es an allen Ecken und Enden lebendig. Der
+Opernsänger Jäger hat in Wien und in Dresden gesungen, der Vogl
+singt die herrliche Ballade vor einer adeligen Damenakademie im
+Konzertsaal, die Zeitungen fangen an, sich zu interessieren, sie
+bringen spaltenlange Berichte, das Publikum ist wie rasend -- Franz ist
+ein gemachter Mann. Der Hofmusikgraf Dietrichstein, der Operndirektor
+Mosel, der Hofmusikdirektor Salieri, sie stellen ihm alle glänzende
+Empfehlungsschreiben aus -- schöne Worte, verdientes Geld wäre ihm aber
+lieber gewesen, dem Franz, der jetzt unter einer wahren Traufe von
+Anerkennungen steht und dabei arm ist wie eine Kirchenmaus.
+
+Die Freunde feiern den Gefeierten. Sie kommen aus Vogls Konzert ins
+Stammbeisel, wo sie Schubert erwartet. Sie sind noch ganz aufgeregt
+und erhitzt von dem Erlebten.
+
+»Vogl hat den ›Erlkönig‹ wiederholen müssen, so begeistert waren die
+Leute!« schreit ihm der erste gleich entgegen. Und nun geht es an ein
+eifriges Erzählen und Luftschlösserbauen.
+
+Schwind, der sonst Verträumte und Wortkarge, ist jetzt der Eifrigste,
+den Erfolg des Freundes zu rühmen und die Wirkung auszumalen, die
+Schuberts Wunderhorn auf die Seelen ausgeübt hat. Er selber hat
+Erlkönige in der Mappe, er, der malende Schubert, die Musik ist seine
+stille Liebe; was Franz geleistet hat, er kann es am besten sagen.
+
+»Da haben die Leute, denen sonst die Ohren verstopft sind, doch endlich
+gemerkt, daß hier ein völlig neuer, noch nie dagewesener Ton erklungen
+ist -- der hat sie in der Seele gepackt, daß sie auf einmal gar nicht
+gewußt haben, wie ihnen geschieht ...«
+
+Und nun geht es an ein schwärmerisches Nachgenießen, ein jeder will
+sagen, worin das Geheimnis Schuberts besteht, am besten gelingt es dem
+Schwind.
+
+»Franz soll weghören, er könnt' mir am Ende zu eitel werden!« hebt er
+also an.
+
+Franz denkt tiefer in sein Glas hinein; sie können reden, was sie
+wollen, er hat seine eigenen Gedankenwege.
+
+»Seht also her!« erklärt Schwind, den sie den Cherubim nennen, sich und
+den anderen: »Wieviel Musik in der deutschen Sprache ist, das wissen
+wir jetzt durch unseren verflixten Franzl. Das hat keiner vor ihm
+verstanden, und wer weiß, ob je einer nach ihm es je wieder vermögen
+wird.«
+
+Da wirft einer ein: »Nun, und Karl Maria Weber, ist der gar nichts? Und
+Meister Wolfgang Amadeus? Die beiden haben doch auch Melodien aus dem
+grauen Dasein herausgeklopft, wie weiland Moses Wasser aus dem Felsen
+....« Der kleine Widerspruchsteufel ist der Holzapfl.
+
+»Ganz richtig!« entgegnet der Cherubim und dreht den Spieß um. »Nimm
+also zum Vergleich Karl Maria und selbst den himmlischen Wolfgang
+Amadeus. Haben herrliche Melodien erfunden, darüber ist nicht zu
+streiten. Aber der wundervolle Klang tritt unbekümmert auf dem Text
+herum, Musik und Worte tun so, als ob sie nichts miteinander zu tun
+hätten. Bilden zusammen eine schlechte Ehe, darin jedes auf eigene
+Faust sein Vergnügen sucht. Mit dieser Luderei hat Franzl tüchtig
+aufgeräumt. Wenn der ein Wort in die Hand nimmt, klingt es auf voll
+Leben und Musik, daß man ganz betroffen ist. Er setzt es hin, daß es
+seinen richtigen Tonwert hat, mit einemmal kommt Farbe, Bewegung in die
+Sprache, du hörst das Gefühl hinter dem Wort aufklingen, und hinter dem
+Gefühl das Urgefühl, wodurch es mit allen Menschenherzen aufs gleiche
+verbunden ist. So wie er hat es noch keiner fertig gebracht, in das
+Innere der Handlung zu greifen.
+
+Vergegenwärtigt euch nur einmal, wie er in der Melodieführung die
+abwechselnden Gefühle des Vaters, des Kindes und des Erlkönigs
+dramatisch herausarbeitet, verstärkt, steigert, daß es einem eiskalt
+über den Rücken läuft, während die Begleitmusik das Äußere der
+Handlung hinzubringt, den Galopp des Pferdes, das Brausen des Sturmes,
+daß einem nur so gleich die Haare zu Berg stehen. Das Tragische in
+dem Gedicht ist nicht durch süßliche Glätte verschmiert, hier wird
+es im Gegenteil durch eine schroffe, und eher eckige als schmiegsame
+Melodie zu einem markerschütternden Aufschrei gebracht, der die ganze
+furchtbare Tiefe der Dichtung aufreißt, das mystische Tor, hinter dem
+der Tod lauert .... Das haben die versulzten Hirne endlich begriffen --
+Franz, es kann dir nichts mehr geschehen, du bist oben! Prost! -- mir
+ist wohl und leicht, deinetwegen!«
+
+Der kongeniale Freund war ein guter Fürsprecher, sein Herz schlug
+im gleichen Takt, ihm kam es zu, das Wesen Schuberts auszusprechen.
+Das Tiefste freilich vermochte niemand zu sagen, wenn im liebevollen
+Drängen der Freunde immer wieder die bewundernde Frage auftauchte, wo
+er sie denn hernimmt, die vielen genialen Gedanken, der Himmelsakra
+übereinand?!
+
+Je nun, wo er sie hernimmt, der Himmelsakra? Das weiß nur einer, in
+dem die Himmelsmächte fast ebenso rumoren, wie in dem stillen Franz,
+von dem ein gutes Wort sagt, der liebe Gott hat's ihm gegeben. Es gibt
+kein besseres, wenn es nur recht verstanden wird; Cherubim weiß es, er
+schweigt fein still zu den Fragen und lächelt Franz zu -- es geht die
+anderen nichts an.
+
+Holzapfl setzt einen Dämpfer auf.
+
+»O du essigsaures Holzapflgesicht!«
+
+Er läßt sich aber nicht irre machen, er muß den Tropfen Wermut in den
+Freudenbecher tun: »Also daß die Begeisterung des Publikums wohl
+auch für den ›Wanderer‹ auf gleicher Höhe geblieben, aber bei dem
+›Gesang der Geister über den Wassern‹ bedenklich herabgesunken und sich
+eigentlich in Befremden verwandelt hätte.«
+
+»Das ist eben ein Beweis,« braust Schwind auf, »daß die verfilzten
+Ohrwascheln der lieben Zeitgenossen erst noch ganz gehörig aufgestemmt
+werden müssen, ehe sie für die Offenbarungen des Genius empfänglich
+werden. Den ›Erlkönig‹ haben sie glücklich begriffen und meinen,
+jetzt müßte alles drehorgelhaft im Erlkönigton weitergehen -- lauter
+Erlkönige, damit die faule Bande in ihrer angeborenen Denkfaulheit
+und Bequemlichkeit nicht gestört werde. Daß sie durch den ›Gesang der
+Geister über den Wassern‹ durch einen neuen Geniestoß aus der süßen
+Gewohnheit aufgeschreckt werden, das geht ihnen schon gegen den Strich.
+
+Jetzt kann es zehn Jahre dauern, bis sie diesen zweiten Streich
+verdauen. Dann stehen sie Kopf voll Entzücken, indessen der Künstler
+schon wieder weiß Gott wo ist. Bedenkt doch, ihr Lieben, daß der
+›Erlkönig‹ schon vor fünf Jahren komponiert worden ist -- es ist
+verhältnismäßig ohnehin schnell gegangen mit seiner Popularität.
+Es wäre aber interessant, auszurechnen, wie viele Jahrzehnte die
+Allgemeinheit in der Regel braucht, um den Genius wirklich zu
+begreifen.« Und mit einem boshaften Seitenblick fügt er hinzu: »Soviel
+aber wird dem Publikum klar -- der Holzapfl fällt nicht weit vom Stamm!«
+
+Der hat jetzt sein Teil.
+
+Dafür rächt sich Holzapfl wieder auf seine Art und bringt in den
+nächsten Tagen ein Zeitungsblatt mit einer Kritik, die er den Freunden
+nicht ganz ohne heimliche Genugtuung vorsetzt. »Der Tonsetzer,« so
+lautet der Konzertbericht, »gleicht in solchen Kompositionen einem
+Großfuhrmann, der achtspännig fährt, bald rechts, bald links, also
+ausweicht, dann umkehrt und dieses Spiel immerfort treibt, ohne auf
+eine Straße zu kommen ....«
+
+In dem geheimnisvollen Auf und Ab und Hin und Her der wallenden Geister
+will der Kritiker einen Großfuhrmann erkennen, der achtspännig fährt.
+Darüber erhebt sich im Freundeskreise ein unverlöschliches Gelächter.
+
+Dem beispiellosen Erfolg hat es übrigens kaum geschadet, daß der
+»Gesang der Geister über den Wassern« vorderhand unverstanden bleibt.
+Hat ebensowenig geschadet, daß die beiden ersten Opern Schuberts,
+»Die Zwillinge« und die »Zauberharfe«, erfolglos geblieben. Geld hat
+er keines mehr gesehen dafür, es war verlorene Arbeit. Ein erster
+tastender Versuch. Schlechte Texte, ja, das war das Malheur. Aber
+einer, der als Lyriker in den vertonten Gedichten eine so gewaltige
+dramatische Kraft bekundete, der war für die Oper geboren. Von dem war
+Neues und Unerhörtes zu erwarten, nur Zeit! Zeit, einen guten Stoff,
+vor allem aber einen sorgenfreien Kopf und ungestörte Arbeitsruhe. Aber
+da hapert's schon. Zeit, Sorgenfreiheit und Arbeitsruhe, das bedeutet
+Geld, Geld und wiederum Geld. Woher nehmen und nicht stehlen?
+
+Was ist das für ein Zustand? Ein Mann steht auf der Höhe der
+Meisterschaft, erntet Ruhm, Anerkennung, aber es hilft alles nichts.
+Er steht da, gebunden an Händen und Füßen, ohne Geld, ohne Verleger --
+wie soll da ein Mensch weiter kommen? »Ihr seht, das Beste, was man
+hat und macht, das ist und bleibt brotlose Kunst.« Aber Schwind weiß es
+besser: »Brotlose Kunst hat die Eigenschaft, sich mit der Zeit in Gold
+umzusetzen, man muß nur warten können.«
+
+»Nun ja, warten, warten -- meinetwegen; um Gold ist mir nicht zu tun,
+sondern um Schaffen; aber ein Mensch, der arbeiten will, der muß auch
+leben können. Anerkennungen, Lobeserhebungen, schöne Worte -- davon
+kannst nicht abbeißen, kannst keinen Zins bezahlen, keinen Schneider
+entlohnen, nichts, nichts; höchstens das Maul auf den Nagel hängen, als
+das einzige, das einem übrigbleibt.«
+
+Geduld, Geduld, alles kommt. Die Freunde schießen durcheinander. Joseph
+Hüttenbrenner geht bei Sonnleithner aus und ein, dort bereitet sich
+eine ernste Sache vor.
+
+Die beiden Sonnleithner, Vogl, Schönstein, Grillparzer, die Schwestern
+Fröhlich, ein ganzer Kreis von Verehrern bilden ein Komitee, sie wollen
+den »Erlkönig« auf eigene Kosten stechen lassen und bei Diabelli
+kommissionsweise verlegen.
+
+Franz hat sich wieder in seine Arbeit eingesponnen und sitzt in seiner
+Klause. Ist der einzige Trost, die Übel der Welt gehen an der Tür
+vorüber, wenn man bei der Arbeit sitzt.
+
+Sonnleithner ist schon ganz ärgerlich, Franz müßte sich mehr zeigen, er
+sollte einer Sängerin, dem Fräulein Linhardt nämlich, den »Jüngling«
+einstudieren, für seinen Geisterchor am Freitagabend. »Warum kommt er
+denn nicht? Warum kommt er denn nicht?!« setzt sich hin und schreibt
+dem Hüttenbrenner ein paar ärgerliche Zeilen, er müßte sich billig
+wundern, daß Schubert sich gar nicht bei ihm sehen ließe, da er doch
+wegen seinem »Erlkönig« und wegen anderer Angelegenheiten ihn dringend
+zu sprechen habe.
+
+Diese »anderen Angelegenheiten« sind indessen schon im Gang, am
+nächsten Freitagabend kann Sonnleithner den Gästen verkünden, daß die
+Ballade erschienen sei -- noch am selben Abend haben hundert ihre Namen
+in die Subskriptionsliste gezeichnet. Macht ein schönes Geld aus, der
+Preis ist nicht gering, die Kosten kommen glatt herein, ein schöner
+Überschuß dazu -- der fließt in die Tasche Schuberts.
+
+Der Anfang ist gemacht, die Sache zieht, Diabelli merkt, hier kann
+man einen Schnitt machen. Es dauert nicht lange, erscheint wieder ein
+Heft und wieder eines, ein Geriß ist darum wie beim Bäcker um die
+frischen Semmeln. Alle drei, vier Wochen ein neues Heft mit mehreren
+Liedern. Kein Konzert wird gegeben, wo nicht eine oder mehrere Sachen
+von Schubert gesungen werden. Die Zeitungen singen sein Lob in allen
+Tonarten. Das Meisterlein steht auf der Höhe seines Ruhms.
+
+Jetzt klimpern auch die Taler um ihn herum. Es ist ja verhältnismäßig
+bescheiden, was er einnimmt, aber trotzdem, einen solchen Wohlstand
+hatte er noch nie gehabt wie jetzt.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a -- ! --
+
+Der tröstliche Satz klingt immer wieder durch sein Gemüt. Er löst sich
+auf, verschwebt und kommt unversehens wieder hervor, immer wieder ein
+verheißender Anfang.
+
+Jetzt hat die ängstliche Sparerei ein Ende, ein Flascherl Tokaier
+mehr für die lieben Freunde, was liegt da daran, man läßt die paar
+Kröten springen, in ein paar Wochen sind sie wieder hereingebracht,
+es erscheint ein neues Heft, der Born ist unerschöpflich, und wenn
+ihm wirklich einmal der Draht ausgeht, so ist schon dafür gesorgt,
+daß andere Quellen springen. Das haben die lieben Freunde getan. »Die
+Anerkennungsschreiben von den Herren Gönnern, was sind sie denn wert,
+wenn man sie nicht zu Geld machen kann?«
+
+Der schlaue Hüttenbrenner weiß guten Rat. Er besorgt den Verkehr mit
+dem Verleger, führt Rechnung, nimmt Franz alle Geschäfte ab, schreibt
+Briefe für ihn, tut alle Sekretärdienste, und tut es mit einer
+Hingebung, als ob es um das eigene Wohl und Wehe ginge. Der sorgt auch
+dafür, daß die Hefte mit Dedikationen erscheinen.
+
+Meistens lassen es die also geehrten Gönner bei schönen Dankesworten
+bewendet sein, zuweilen aber bringt es einen Ehrensold ein, so von
+dem Grafen de Fries und von dem Erzbischof Ladislaus von Pyrker, der
+als Dichter einen nicht unbedeutenden Ruhm genießt und von dem ihm
+gewidmeten »Wanderer« entzückt und ergriffen ist.
+
+Eine Hand voll Geld fällt bei diesen Gelegenheiten für Franz ab, der
+kann's gut brauchen, es wächst ihm kein Moos und kein Schimmel darauf.
+
+Unheimlich, wie unter den freundlichen Sonnenblicken des Schicksals
+die Arbeitsleistung wächst. Der Schädel brummt zwar gewaltig,
+als ob er zerspringen wollte, nach der Fieberhitze des Schaffens
+hämmert es drinnen lange nach und will gar nicht zur Ruhe kommen
+-- da hilft nichts als die Zuflucht ins Grüne oder am besten noch
+in die feuchtfröhliche Tafelrunde der Freunde, um mit einem Glas
+Wein das Arbeitsfieber zu schlagen. Fieber gegen Fieber -- aber am
+nächsten Morgen ist er wieder geladen mit allen Schöpferkräften der
+Unendlichkeit, sie zersprengen schier das Gefäß -- die Losung ist
+arbeiten, er meint, es müßte ihn sonst zerreißen.
+
+Sein Ruhm hat mit einemmal schnelle Beine und rennt mit
+Siebenmeilenstiefeln durch die Welt. Wien, Dresden, Berlin -- überall
+bekommt der Name Schubert einen Klang. Die Hefte gehen reißend ab.
+Wieviel der Diabelli verkauft, weiß man nicht genau. Der Joseph
+Hüttenbrenner hat seine liebe Not. »Bandit!« flucht er und wirft
+eifrig die Angel aus, ob denn nicht ein anständiger reichsdeutscher
+Musikverleger zu gewinnen wäre.
+
+»Besitzt doch Wien dermalen wieder ein Talent, das bereits die
+allgemeine Aufmerksamkeit erregt und schon zum Liebling des hiesigen
+Publikums geworden ist -- kurz und ohne Übertreibung gesagt, es ist ein
+zweiter Beethoven; dieser unsterbliche Mann sagt von ihm gar, dieser
+wird mich noch übertreffen ....« So schreibt Joseph Hüttenbrenner nach
+Leipzig an K. F. Peters.
+
+Aber auch dieser Verlagsgewaltige ist harthörig; man müsse doch erst
+abwarten -- welche Menge früherer Werke Mozarts sei überhaupt nicht
+gedruckt worden, da müsse sich ein junger Künstler schon bescheiden,
+die Erfahrung allein muß lehren, ob er den ganz Großen gleichzustellen
+sei, kurz, ein Hin- und Herreden, halb ja, halb nein, man weiß nicht
+recht, will er, will er nicht, aber soviel steht fest, das ganze
+Manöver hat doch den einzigen Zweck, den Preis zu drücken. Ist doch
+der eine einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert! Er will
+bitter werden, aber er besinnt sich. Geduld also -- man kann ja warten,
+bis der Rechte kommt. Es eilt nicht. Einstweilen ist man ja bei
+Diabelli in sicheren Räuberhänden.
+
+Überall, wo konzertiert wird, erklingt auch Schubert. Graz kann nicht
+zurückbleiben, wo so treue Eideshelfer wirken wie Jenger und Anselm.
+Von den Grazer Aufführungen melden alsbald die Zeitungen, ebenso von
+den Linzer, wo Spaun und Freunde hinter der Sache her sind.
+
+Aber der Anselm ist ein wunderlicher Kauz, den läßt der Ruhm des
+»Erlkönig« nicht schlafen. Der Ehrgeiz stachelt ihn, er möchte den
+jungen Meister übermeistern. Fiedelbum! Flugs hat er aus dem »Erlkönig«
+einen Erlkönigwalzer komponiert. Fiedelbum! Ei verflucht!
+
+Schwind ist ehrlich entrüstet: »Das ist mir aber ein lieblicher Kauz!
+Der versteht's! Was Schubert fürs Herz entdeckt hat, macht er für
+die Beine zurecht! Daran mögt ihr erkennen, wie der unseren Franz
+verstanden hat!«
+
+Für den Spott brauchte der treue Anselm jetzt nicht zu sorgen.
+Fiedelbum!
+
+»Na, na!« winkt Franz ab. Er rechnet dem Freunde in Graz die
+Entgleisung nicht allzu schwer an. Fiedelbum! Der hat's selber zu
+tragen und wird sich ein zweites Mal hüten. Fiedelbum!
+
+Mehr denn je stehen dem Liechtentaler Schulmeisterssohn die Türen der
+Salons offen -- mehr denn je sucht er den Händen zu entwischen, die
+nach ihm greifen. Die Arbeit und die Freundschaft sind die Gottheiten,
+deren Dienst er fast ausschließlich geweiht ist. Und selbst die
+Freundschaft muß sich zuweilen bescheiden, denn eine dritte Gottheit
+ist, die ihn mit magischer Gewalt zu sich heranzieht -- die Einsamkeit.
+Das können viele nicht begreifen.
+
+Der alte Doktor Sonnleithner wird fast ernstlich bös über die
+notorische Unverläßlichkeit des Schützlings. »Für den man soviel getan
+hat!«
+
+»Also warum kommt er nicht? Warum kommt er denn nicht?!«
+
+»Mit Verlaub, der Herr Schubert ist in Atzenbrugg!« entschuldigt Joseph
+Hüttenbrenner.
+
+»Also immer auf Duliäh -- muß denn das Gerstel auf einmal durchgebracht
+sein!« knurrt der Alte.
+
+»Entschuldigen's, Herr Doktor, aber so ist es auch wieder nicht!« sagt
+Joseph zur Verteidigung des Freundes.
+
+»Nein, gewiß nicht! Gearbeitet hat er wie ein Pferd, mein Gott, wenn
+ich das alles denken müßte, mir ging der Kopf auseinander. Ein paar
+Tage aufs Land, das wird er sich doch vergönnen dürfen, nach all den
+Strapazen .....«
+
+Dagegen läßt sich allerdings nichts einwenden.
+
+»Auf nach Atzenbrugg!« Das ist ein Ruf, dem Franz nicht widerstehen
+kann.
+
+Schober ist der Rädelsführer; bei Atzenbrugg hat sein Oheim ein Schloß,
+dahin werden Wanderfahrten unternommen, an denen fast der ganze
+Freundeskreis teilnimmt.
+
+Franz fühlt sich müde und ausgepumpt, er weiß nicht recht, soll er oder
+soll er nicht. An der Wand hängt die Gitarre, eine Saite ist gerissen,
+das grüne Band fängt an zu bleichen. Sie hat schon lange nicht im
+fröhlichen Verein gezirpt auf einer lustigen Fahrt ins Grüne und Blaue.
+»Schade um das schöne, grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand.
+Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern!« Das ist die
+innere Stimme, die immer guten Rat weiß, es ist gut, ihr zu gehorchen.
+
+»Also auf nach Atzenbrugg!«
+
+Lieblich ist's, zwischen den Pappelreihen hinzufahren, die die weiße
+Landstraße grün besäumen und mit ihren aus- und eingeschwungenen
+Zeilen hoch in der Landschaft stehen. Weit, weit kann man die grüne
+Wand verfolgen, die sich über Tal und Hügel schwingt. Man fährt in
+einer offenen Chaise, die viele Querbänke hat und ganz besetzt ist mit
+lustigem Volk. Zeiserlwagen, so nennt ihn ein launiges Wort. Aber die
+Wiener Laune ist meistens etwas gepfeffert und hält sich an drastische
+Ausdrücke. Sie zieht es vor, dieses Gefährt vergleichsweise einen
+Kalbelwagen zu nennen. Der edle Reisewirt, der den Kalbelwagen für den
+Freundeskreis gestiftet hat, ist Schober, der sich auf der Fahrt nach
+Atzenbrugg als Mäzen fühlt.
+
+»Ich fahre mit,« erklärt Schubert, »aber eine Bedingung ist dabei --
+daß Melusine kommt, und daß mir der Platz an ihrer Seite bleibt!«
+
+»Mir blutet das Herz,« versichert Schober treuherzig scheinheilig,
+»aber den Platz an der Sonne tret' ich dir ab, weil du es bist.«
+
+Franz wohnt im Rossauer Schulhaus bei seinem Bruder Ferdinand, der vom
+Schulgehilfen längst zum Schulleiter vorgerückt ist und knapp vor der
+Beförderung zum Schulinspektor steht. Mit Bruder Ferdinand hat Franz
+seit jeher ein wärmeres Verhältnis gehabt. Aus der Blutsverwandtschaft
+wird die höher geartete seelisch bestimmte Lebensfreundschaft.
+Ferdinand ist stolz, den berühmten Bruder zu beherbergen, von dem jetzt
+alle Welt redet. Er weiß, daß der Herr Vater ganz von Hochachtung
+erfüllt ist für den genialen Franz, dessen junger Ruhm einen
+Lichtstrahl auf das bescheidene Elternhaus und dessen Insassen wirft.
+Der Bruder Ferdinand, der in der Rossauer Schule wohnt, hat sich's
+nun nicht nehmen lassen, Franz zu beherbergen, solange dieser bei ihm
+wohnen mag.
+
+Und jetzt das Aufsehen, als Schober zur festgesetzten Stunde mit
+dem Kalbelwagen vorfährt, zweispännig, Peitsche und Pferdemähnen
+bändergeschmückt, wie zu einer Maifahrt, und richtig: auf der ersten
+Bankreihe sitzt groß und stattlich Melusine, märchenhaft anzusehen,
+wie eine Wald- und Quellennymphe, die geradewegs aus der Legende auf
+einem Kalbelwagen mitten in die staunende Stadt fährt. Dem Franz
+pumpert das Herz, als er mit dem Ränzel um die Schultern und der
+Gitarre in der Hand, an der das grüne Lautenband weht, hinaufsteigt in
+den Zeiserlwagen und neben der holden Therese Platz nimmt. In allen
+Fenstern liegen neugierige Köpfe und munkeln über das wundersame
+Gefährt: »Macht er denn Hochzeit, der Bruder des Herrn Schulleiter?!
+Ist wohl eine reiche Braut -- mein Gott! Und schön zum Verrücktwerden!
+Schaut sie's an, die wunderbaren Haar, leuchten wie eine Krone, und die
+Augen sind blau und tief wie zwei Edelsteine, und das liebe Gesichtel,
+und der Mund wie ein Röserl, und die Gestalt, viel größer als er,
+gewachsen wie ein Bäumerl und rundum was dran, nun ja, freilich, alles
+was sich gehört -- nur so zum Anbeißen, rein zum Vergaffen!«
+
+Ein Peitschenknall, die Pferde greifen aus, weg sind sie; die Leute
+der grünen Torgasse haben Gesprächsstoff noch gut für zwei Tage, ein
+Märchenschimmer war in ihre Gasse gefallen.
+
+Dem Franz ist selig zumut wie einem richtigen Märchenprinzen. Da kommt
+die Liebe auf dem Zeiserlwagen in seine Gasse gefahren, er sitzt mit
+der bändergeschmückten Gitarre neben ihr, wie er es geträumt hat, er
+schaut in ihre rätselhaft tiefen Augen, ein seltsamer, quellfrischer
+Hauch geht von ihr aus, er ist ganz verzaubert. Aber es wird ihm gleich
+auch bänglich zumut, denn er findet nicht die rechten Worte, die Schöne
+zu unterhalten. Wenn er allein ist, dann wüßte er viel zu sagen, aber
+vor ihr ist er befangen, und er kommt sich stockdumm vor. Ein Glück,
+daß sie nach kurzer Fahrt wieder vor einem Haus halten.
+
+Da springt ein junges, nicht unhübsches, lebhaftes Mädchen hervor,
+Netty Hönig, eine Freundin Theresens, und ihr Bruder Hönig, beide
+geschniegelt und gebügelt, sind ja wohlhabender Leute Kind und
+geldstolz; reiben sich gern an Künstlern, mit denen sie freilich
+scharmant umzugehen wissen. Hätte ihnen der Geldstolz auch wenig
+gefrommt in einem Kreis, wo der einzige gültige Adelsbrief auf die
+Schubertsche Formel lauten mußte: »Kann er was?«, eine Geniemarke,
+die im Sprachgebrauch der Freunde auf die Scherzform abgeglättet
+wurde: »Kanevas?« Hönig war kein Kanevas, und all sein Geld half ihm
+höchstens zu einem geduldeten niederen Laientum, mit dem besonders der
+ungeschminkte Schubert nicht viel Geschichten machte: »Also hockt's
+auf, Gesindel!«
+
+Aber mit dem Aufhocken geht's nicht so schnell. Sie müssen auf eine
+Dritte warten, die jetzt aus dem Hausflur herauskommt, die liebliche
+Johanna Lutz, mit ihren blonden Stirnfränschen über den hellen,
+gescheit blickenden Augen in dem herzigen Gesicht. Das ist die
+Braut des Leopold Kupelwieser, sie muß sich hinter der Netty Hönig
+verschanzen, damit kein dummes Gerede entsteht, während hinwiederum die
+Netty als Gardedame ihren Bruder mit dem Fledermausgesicht hat. Auch
+für Therese ist Netty das Paravent der Sitte und Ehrbarkeit, kurz eines
+muß dem anderen Mauer stehen, um solcherart der albernen Konvention ein
+Schnippchen zu schlagen, darin ja die Jugend nicht verlegen ist.
+
+Da kommt er schon daher, der Leopold »Kupel«, wie ihn die Freunde
+mit einer beliebten Abkürzung nennen, ein hoher, gerade gewachsener
+Bursch mit schwärmerisch in die Ferne blickenden Augen, als Maler das
+klassische Gegenstück zu dem romantischen Schwind. Er schaut nach Rom
+und nach der Antike aus, genau so schwärmerisch, wie Schwind nach
+den mittelalterlichen Burgen, nach Rittern, Waldgeistern und Elfen
+ausschaut.
+
+»Grüß Gott, edler Kupel!« Die Anrede klingt schon wärmer, als sie dem
+Hönig geklungen hat. Aber der lange Kupel, der sich mit einem Satz
+hinaufschwingt, dicht neben die zarte Lutz hin und Hand in Hand mit ihr
+zusammensitzt, der gehört mit in die priesterliche Kaste der Kanevas.
+
+»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« greift Schubert in die Saiten der
+Gitarre. Worte hat er nicht viel zu geben, er sagt's lieber in Tönen,
+was ihn erfüllt. Eine stille Heiterkeit ist über ihn gekommen, er fühlt
+sich wunschlos glücklich neben der schönen Melusine.
+
+»Die Musik klingt aber traurig!« ist Hönig vermessen genug, zu sagen.
+
+»Dummer Kerl,« brummt Schubert und gibt's ihm zurück, »haben Sie schon
+eine lustige Musik gehört? Ich nicht!« Der Hönig ist blamiert, man
+sieht, er ist kein Kanevas, sonst wäre ihm eine so alberne Äußerung
+nicht passiert. »Wie kann denn Musik lustig sein, wenn sie von dem
+Herzen singt? Wenn sie von Lust singt, klingt es wie Weh, und wenn sie
+von Weh singt, ist es die Lust!«
+
+Das könnt' er dem Pfründner jetzt sagen, der sich mit all seinem Geld
+nicht einen Fuß breit von dem Seelenland kaufen kann, so gern er
+möchte, wo er, Franz, unumschränkter König und Gebieter ist mitsamt
+den paar Getreuen, die an seiner Seite sind. Er könnte ihm jetzt das
+auseinandersetzen, was er denkt, aber wozu denn? Es steht gar nicht
+dafür!
+
+»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« Mit Gitarregezirp, Gelächter und
+Fröhlichkeit geht's von Haus zu Haus, wo Freunde wohnen, die mitkommen.
+
+»An mein Herz, geliebter Cherubim!« so lautet der Gruß in Schwindien.
+
+Schwind will sich neben Therese setzen, der heimliche Ritter neben die
+Quellenfrau Melusine. Aber neben Melusine hat sich bereits das listige
+Fledermäuslein eingenistet, Hönig, und läßt nicht locker.
+
+»O du abscheulicher Flederwisch mit den ewig feuchten Lippen, von
+denen die klebrige Schmeichelrede trenzt -- was soll denn das viele
+Schwatzen?!« Die Schöne wendet sich lachend von ihm ab, aber der
+Häßliche hat die Gabe der unterhaltenden Worte, sie muß halt immer
+wieder hinhören, und wenn ein schiecher Kerl hübsch zu plaudern weiß,
+so dauert's nicht lange, und er gleicht einem Apoll.
+
+»Wirst dir aber wenig herausfetzen, wenn auch deine Rede Honig ist, du
+garstiges Schwatzmaul!« dachte Franz und zupfte seine Gitarre.
+
+Schwind hat sich neben Netty Hönig gesetzt, es scheint, daß er dem
+munteren Mädchen sein Herz verpfänden will.
+
+Mit Klimbim und Trara ging's also die Alleen entlang und zwischen
+Hügeln und Kornfeldern hin.
+
+Klim bim! zirpte die Gitarre, und eine Stimme summte dazu: »Ich hab'
+das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern! Weil unsere Lieb' ist
+immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn, drum haben wir es
+gern, drum haben wir es gern! Nun schlinge in die Locken dein das grüne
+Band gefällig ein, du hast ja 's Grün so gern, du hast ja 's Grün so
+gern! Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe
+thront, dann hab' ich 's Grün erst gern, dann hab' ich 's Grün erst
+gern!«
+
+Summte und sang es der Fee Melusine ins Ohr.
+
+Sie hatte auch das Grün so gern und ging auf den Spaß ein und ließ das
+grüne Lautenband um ihre festgesteckten Locken flattern. Dafür band
+sich Franz die Gitarre mit einem Stricklein über die Schultern fest.
+»Mit all deinen honigbestrichenen Leimruten, lieber Hönig, wirst du
+nichts fangen!« Die Musik war die stärkere Lockung, und das Herz hing
+in dem Lautenband wie das Vöglein in einer Schlinge.
+
+In nächster Nähe von Atzenbrugg thronte auf einem Hügel das Schloß
+Ochsenburg, dem Bischof Hofrat von Dankesreither gehörig; in diesen
+Tagen aber machte der elegante Neffe Schober die Honneurs, bewirtete
+die Wiener Freunde drei Tage lang. Der Wagen fuhr in den Hauptplatz
+mit der schönen, wolkengetürmten Dreifaltigkeitssäule, die ein
+kleiner Zwillingsbruder der Säule am Graben in Wien zu sein schien,
+die Herren sprangen ab, die Dämchen durften sitzen bleiben, indessen
+der zweispännige Wagen langsam den Hügel hinaufkroch und durch den
+breiten, kühlen Flur zwischen den gewaltigen, halbrunden Ecktürmen
+in den weinbewachsenen Hofraum einfuhr. Gott, war es da schön in dem
+grasbestandenen Hof mit dem alten Ziehbrunnen, so recht ein Schmaus für
+das romantische Gemüt Schwinds.
+
+Einfach war das Mobiliar in dem langen Speisesaal, den weiten
+Wohnräumen und den Schlafzimmern, altes, gebrechliches Gerümpel in
+dicken, gewölbten, weiß getünchten Mauern, in Wänden, sanft gekrümmt
+unter der Last des Alters, voll Runzeln wie ein Greisenantlitz und
+zugleich wetterhart und eisenfresserisch in der trotzigen Wucht mit dem
+gewaltigen Dachhelm und der knarrenden, rostigen Wetterfahne oben.
+
+Jetzt war junges Leben in den alten hallenden Gängen und luftigen
+Arkaden oder den Hofgewölben und Vorratskammern, drei Tage lang in
+der Zeit, da der Herr Bischof und Oheim in der Gasteiner Ache sein
+Zipperlein kurierte. Die Knechte und Mägde rissen Maul und Augen auf
+über das lustige Leben, in der Küche drehte sich der Spieß, als ob ein
+ganzer Ochse in der Ochsenburg gebraten werden müßte. Alle Hände der
+dienstbaren Geister hatten vollauf zu tun, wenn der Herr Neffe als
+Flottwell mit seinen Freunden kam.
+
+Ein dreitägiges Fest mit Landpartien, Schmaus, Tanz und Musik -- es
+vergeht wie ein Traum. Die Kunst war die Hauptsache bei dem Gastmahl,
+und Franz ward infolgedessen, ohne es recht zu wollen, oder vielleicht
+auch ohne es recht zu ahnen, der geistige Mittelpunkt des Festes. Wie
+immer wurde etwas daraus, das den Namen Schubertiade erhielt. Um Musik,
+Gesang und Dichtung war die Lebensfreude gruppiert, und siehe da, der
+Bescheidenste, Borstigste, Scheueste, Einsamste ward zum König des
+Tages.
+
+Der Kleine am Klavier hatte alle am Bändel -- er hätte sich kraft
+seines Genius als Herrscher fühlen mögen, aber er saß in Demut da und
+schien zu darben bei dem Fest, dem er so recht eigentlich die seelische
+Weihe gab. Therese sang seine Lieder, die er begleitete, ihr junger,
+blühender Körper erbebte unter dem Sturmlied der Leidenschaft und
+Sehnsucht, die ziellos verströmte. Seine Finger gingen mechanisch über
+die Tasten, er hatte ein unendlich trauriges und wehmütiges Gefühl.
+
+»Wie kommt es denn nur,« mochte seine innere Stimme fragen, »daß ich
+nicht weiterkomme mit all meiner Liebe? Da steht sie, die Herrliche,
+geschüttelt wie ein junges Bäumchen unter dem Frühlingsbrausen, das
+mit Verzweiflung und Tränengewalt kommt, und ich stehe dabei dreifach
+geschlagen und gebunden, ein armer, hilfloser Narr, und weiß mir nicht
+zu helfen, indessen dieser Hönig, der dreiste Bengel, so tun darf, als
+hätte er gewonnenes Spiel! Warum soll ich nicht auch so tun? Hab' ich
+nicht zehnmal mehr Recht darauf? Aber --«
+
+Dieses Aber, das er vor sich nicht gelten lassen wollte! Er schlug in
+die Tasten hinein, der inneren Stimme Schweigen zu gebieten. Bum, bum,
+bum! Aber der Macht der inneren Stimme kann keine Tongewalt der Erde
+Herr werden.
+
+»Weil du nichts bist und nichts hast und es deshalb nicht wagen darfst,
+das schöne Kind aus dem reichen Hause für dich zu begehren. Und wenn
+du es wolltest, wer sagt dir, daß sie dich liebt und daß sie dich
+nicht mit einem mitleidigen Lächeln vertröstet und heimschickt mit
+dem Zuckerbrot einer unverbindlichen Liebkosung wie damals? Wenn es
+dem Hönig einfiele, ihre Hand zu begehren, der brauchte nicht viel um
+Liebe zu fragen, der fordert sie einfach, und was er fordert, wird ihm
+gegeben werden. Warum, warum? Mit welchem Recht? Mit dem Recht der
+Seele? O nein! Du altmodischer, idealistischer Tor! Mit dem Recht des
+Geldes, dem schmutzigsten und ungerechtesten Recht --«
+
+So haderte seine Seele mit dem Schicksal und behauptete mit blindem
+Eigensinn: »Es ist so!« obgleich im verlöschenden Bewußtsein die
+Erkenntnisspur verblieb: »Es ist auch wieder nicht so!« Aber daran
+war kein Zweifel, daß seine Lieder und alles, was er schuf, aus dem
+Aufruhr seiner Gefühle hervorquoll und von dem Schmerz seiner Seele
+geboren war. Wenn es ihnen auch unbegreiflich schien, so mußten es
+jene ahnen, die um ihn waren, als er ihnen seinen »Wanderer« vorsang.
+Am meisten ahnte es vielleicht Therese. Es ist wahr, die Sänger im
+Konzertsaal sangen das Lied kunstvoll, aber keiner so ergreifend bei
+aller Schlichtheit als Franz selber. Melusine, die Feine, hatte es
+sogleich erraten.
+
+»Ich wandle still, bin wenig froh, und immer fragt der Seufzer, wo?«
+
+Noch ehe der Gesang beginnt, dämmert die Wehmut dieser Verse in den
+einleitenden Akkorden auf. Das heiter-wehmütige Gefühl der Sehnsucht
+mit all den heftig aus dem Gefühl hervordrängenden Fragen versinkt in
+die Trostlosigkeit jener dumpfen Akkorde, die alles dunkel Geahnte zur
+hoffnungslosen, tragischen Gewißheit bringen: »Wo du nicht bist, dort
+ist das Glück!«
+
+Die Musik gleicht seiner eigenen Seelenlandschaft, hohe, leuchtende
+Gipfel sind darin, wo alles Selige und Heitere lebt, danach sich das
+Gemüt sehnt, aber die edlen Schatten der Melancholie lagern auf dem
+Weg in der Tiefe, den Franz wandert. Doch der Weg der Seele führt
+über Berg und Tal in stark bewegten Kurven und ist bald im Tale der
+Tränen und bald wieder auf den lichten Höhen der Seligkeit. Sie stehen
+dicht beieinander, diese Höhen und Tiefen -- das tragische Bild seines
+inneren Lebens.
+
+»Es ist so,« schreit die Seele auf in ihrer Qual -- »es ist wieder
+nicht so!« lächelt der nächste Augenblick.
+
+Und was er vorhin von Hönig dachte und von Therese, das hat sich jetzt
+ganz und gar widerlegt, als Melusine beim Gute-Nacht-Sagen das grüne
+Band hervorzog und ein gutes herziges Wort daran knüpfte.
+
+»Nie hab' ich so frei und leicht gesungen als heute, ich bin
+abergläubisch -- vielleicht hat's dieses da gemacht --«
+
+Dabei schob sie das verblichene Lautenband in ihren Busen: »Hier will
+ich es tragen -- gute Nacht!« und war verschwunden wie eine flüchtige,
+klingende Welle.
+
+Franz lag im Bett und konnte nicht schlafen.
+
+»Warum hab' ich ihr nicht gesagt, wie es mir ist da drin? Warum?« Aber
+er hat es so schwer mit sich selbst, er kann sich nicht erschließen.
+Die Worte sind zu hart, zu dürftig, zu klobig, es müßte über ihn kommen
+wie ein Gewittersturm, wie ein Erdbeben, das die Klüfte aufreißt -- er
+kann seine Seele nicht zeigen, es sei denn in Einsamkeit, und dann wird
+es Musik.
+
+Sie versteht ihn, aber sie versteht ihn doch wieder nicht!
+
+Das alte Spiel: es ist so -- es ist doch wieder nicht so!
+
+Morgen wird er ihr es sagen, all sein Fürchten, all sein Hoffen.
+Morgen, wenn der große Augenblick wiederkehrt. Aber er weiß schon
+wiederum auch: er kehrt nicht wieder ....
+
+Knarr, knarr! singt die Wetterfahne auf dem Dach.
+
+»Sie pfeift dich aus!« denkt der Schlaflose in seiner Kammer. »Es ist
+des Hauses aufgestecktes Schild -- ein Narr, der hier sucht ein treues
+Frauenbild.«
+
+Der Wind spielt mit seinem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut!
+
+Knarr, knarr!
+
+Das Schicksal pfeift ihn aus, und seine innere Stimme lacht auf wie
+zum Hohn: »Ha, ha! Laß ab -- sie ist eine reiche Braut!«
+
+Er ist nicht der einzige Schlaflose in diesem Gemäuer. In der Kammer
+nebenan liegt Schwind, auch er hört die Wetterfahne und denkt und
+denkt. Er hat sein Herz vollends verloren an Netty Hönig.
+
+Knarr, knarr! krächzt die Fahne auf dem Dach mit rostiger Stimme. Das
+Herz knarrt dazu, als ob der eiserne Stab sich darin um und um drehte.
+»Ach Netty, Netty -- wärst du nicht eine so reiche Braut!«
+
+Ja, sie haben's nicht leicht, diese beiden!
+
+Die Festtage vergehen, der ersehnte Augenblick hat sich nicht
+wiederholt, das Herz ist voll und schwer von Liebesworten, die nicht
+gesprochen wurden. Nichts kann mehr brennen als solche feurige Worte,
+die man hinunterschlucken muß und deren Qual nur gemildert wird von
+verschluckten Tränen, die nach ihnen geweint werden.
+
+Franz fragt sich vergebens: »Warum ist dies alles?«
+
+Aber nicht einmal dem intimsten Freunde vertraut er sich an, dem
+Schwind, der die gleichen Schmerzen trägt.
+
+Äußerlich ist es nur eine stille Traurigkeit, die man ihm anmerkt,
+aber das ist man bei Franz gewohnt, wenn er gerade nicht lichterloh in
+Flammen steht.
+
+»Es ist einmal so!« sagt eine Stimme inwendig.
+
+Die Abreise kommt, das erlösende Wort ist nicht gesprochen. Es schnürt
+ihm die Kehle zu, wenn er daran denkt; keinen Laut brächte er hervor.
+Melusine ist gleichmäßig freundlich und liebreich, aber ihr Wesen ist
+allzu geglättet, jeder Versuch, ihr näher zu kommen, gleitet ab; wenn
+sie nicht will, ist es vergebens. Das erfährt auch der Hönig, diese
+dreiste Hufeisennase.
+
+»Auf der Heimfahrt, auf der Heimfahrt!« denkt Franz und reimt sich
+schon manches liebe Wort zusammen.
+
+Aber mit der gemeinsamen Heimfahrt wird es nichts. Schober hat es im
+Rat der Götter anders beschlossen. Man weiß ja: er trägt sich mit einem
+Opernstoff, den Schubert komponieren soll. Ach ja, das ist der Weg zum
+neuen Ruhm, zu dem heißersehnten Ziel, wo er stehen möchte neben dem
+großen Wolfgang Amadeus oder zumindest neben dem volksmäßigeren Karl
+Maria.
+
+»Du wirst höher greifen als Weber im ›Freischütz‹! Ja, das wirst du!«
+Die Freunde wissen es.
+
+Einer, der hinter jedem Vers den heroischen Schritt des Dramas
+aufklingen läßt, der ist berufen, der Oper neues Leben zu geben.
+
+»Es verpflichtet dich, vorsichtig zu sein in der Wahl des Stoffes!«
+warnt der treue Schwind. »Du brauchst einen Text, darin die Worte
+sparsam gewählt und mit Kraft gesättigt sind -- dann wirst du
+einen neuen Opernstil schaffen. Verzettle deine Kraft nicht an dem
+geschwätzigen Schund, der sich fast in allen Werken dieser Art breit
+macht. Laß dir deine Erfahrungen mit den ›Zwillingsbrüdern‹ und der
+›Zauberharfe‹ zur Warnung sein!«
+
+Schober gibt seine halb vollendete Dichtung »Alfonso und Estrella«
+zum besten, Franz ist entzückt, Schwind schüttelt denklich den Kopf.
+Der Cherubim ist in einer unangenehmen Zwickmühle. Er möchte Franz
+vor einer unnötigen Zeitvergeudung der kostbaren Kraft bewahren und
+andererseits dem geliebten Schober nicht wehe tun. Was tun also? Den
+Freund dem Freunde opfern? Ein Schuft, wer mit der Wahrheit allzu
+ängstlich umgeht!
+
+»Tu's nicht, Franz,« ratet Schwind, »es ist nichts daran an der
+ganzen Großmutsgeschichte. Eine unklare Handlung, ein breites
+Geschwätz, Liebe, Politik und Langweile durcheinander gemischt. Das
+spanisch-maurische Kostüm kann es nicht retten. Geh' vorsichtig um mit
+deiner Kraft, verwende sie aufs beste, sonst kommst du leicht auf den
+Holzweg. Es wäre schade um dich und um deine gute Sache.«
+
+Aber Franz ist blind und taub gegen diese Einwendungen. So begeistert
+ist er von Schobers Dichtung.
+
+»Am besten, wir lassen das lose Pack allein heimfahren und richten uns
+hier häuslich ein!« schlägt Schober vor.
+
+»Im Herbste kommen wir nach Wien zurück und haben die fertige Oper in
+der Tasche. Dann, Freund, mit fester Hand den Lorbeerbaum geschüttelt,
+daß es nur so die Dukaten herunterregnet!«
+
+Der Plan ist verführerisch. Warum sollte er nicht gelingen? Schober
+hat Beziehungen zur Bühne, Vogl wird das Seine tun, die Anna Milder in
+Berlin hat sich selber angetragen, alle Hebel in Bewegung zu setzen,
+wenn eine Rolle für sie darin ist, also bitte, warum denn nicht?
+
+Nun stand Franz als Minneheld zwischen zwei Frauen, der irdischen
+und der himmlischen Liebe. Und sollte sich für die eine oder andere
+entscheiden. Es war wirklich schwer, Mensch zu sein.
+
+Soll er nun schmachtend auf dem Kalbelwagen neben der Fee Melusine
+sitzen und herumdrücken an dem, was er sich doch nicht recht zu sagen
+getraut, oder soll er dem Wink seiner Muse folgen und den Weg des
+Einsamen gehen?
+
+Es müßte nicht Franz Schubert sein, wenn er sich nicht sofort
+des Rechten bedacht hätte. Also tapfer den aufquellenden Schmerz
+hinuntergewürgt und Adieu gesagt der berückenden Fee Melusine. Den
+rätselhaft tiefen Blick aus ihren graublauen Augen wird er nicht
+vergessen, der drückt ihm das Herz nun gar wehvoll zu Boden. Aber eine
+Hoffnung blüht: mit der neuen Oper in der Hand ist er ein gemachter
+Mann. Hat sie Erfolg, was gar nicht zu zweifeln ist, dann bedeutet's
+Ehre und Gewinn. Und dann macht ihm kein Hönig, und wär' er der
+protzigste Geldsack, sein Recht auf dem Wagen der Liebe streitig. Also
+vorläufig, und immer vorläufig tapfer entsagen, um den hohen ewigen
+Preis zu gewinnen.
+
+Er muß sich rasch umwenden, als die Fräuleins mit ihren Rittern
+tücherschwenkend davonfahren, Hönig neben Melusine.
+
+»Dummer Junge, möchtst heulen wie ein Schloßhund, pfui Teufel, schäm'
+dich!« meldet sich die Stimme inwendig.
+
+Es reißt ihn auf dem Absatz herum und im Sturm hinauf ans Klavier. Den
+Schmerz muß er in der Tonflut ersäufen.
+
+»Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wanderer gehn, suche mir
+versteckte Stege, durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts
+begangen, daß ich Menschen sollte scheun, welch ein törichtes Verlangen
+treibt mich in die Wüsteneien? Weiser stehen auf den Wegen, weisen auf
+die Städte zu, und ich wandere sondermaßen ohne Ruh' und suche Ruh'.
+Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße
+muß ich gehen, die noch keiner ging zurück ....«
+
+Wenn er sein Leben überdachte, dann sah er einen Weg, den keiner ging;
+unsichtbaren Wegweisern war er gefolgt, sie weisen weiter und weiter,
+und er wußte schon, daß er folgen werde, wenn er auch allein gehen
+mußte.
+
+Einstweilen hatte er ja einen lieben Gefährten bei sich.
+
+Schober schmiedete Verse aus Leibeskräften, und Franz ließ herrliche
+Melodien daraus entstehen, leicht und blühend waren die Gedanken, die
+aus seinem musikalischen Herzen hervorwuchsen.
+
+»In sehr glücklicher Jugendschwärmerei, aber auch in sehr großer
+Unschuld des Geistes und Herzens,« berichtet Schober nach Wien, »wird
+das Werk gezeugt -- es gedeiht!«
+
+O Unschuld! Die beiden Kumpane lebten recht vergnüglich hin, was
+das äußere Leben betrifft. Der Oheim kehrte aus Gastein zurück, den
+Dichtergenossen wurde es in Ochsenburg zu eintönig, sie verlegten
+ihr Quartier in das nahe St. Pölten, wo sie sich in einem Zimmer mit
+zwei Ehebetten, einem Sofa, einem Fortepiano häuslich und heimisch
+eingerichtet haben. Als sie im Spätherbst nach Wien kamen, konnten sie
+sich fühlen wie Hans im Glück, der einen Goldschatz im Ränzel trug.
+
+Aber mit diesem Schatz geht das Leiden an. Die Oper wandert von Kanzlei
+zu Kanzlei, sie hat nach Art der Brieftauben die verhängnisvolle
+Neigung, immer wieder zum Ausgangspunkte zurückzukehren. Spaun in
+Linz, der sich immer auf dem Laufenden erhält, brennt vor Neugier.
+
+»Möcht' es doch endlich sein!« wünscht er aus tiefem Herzen. Trübselig
+genug schreibt Franz dem Freunde: »Mit der Oper ist es in Wien nichts,
+ich habe sie zurückbegehrt und erhalten. Auch ist Vogl wirklich vom
+Theater weg. Ich werde sie in kurzem entweder nach Dresden, von wo ich
+von Weber einen vielversprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin
+schicken. Mir ginge es sonst ziemlich gut, wenn mich die schändliche
+Geschichte mit der Oper nicht so kränkte ....«
+
+Die Hoffnung auf Berlin hing mit der angebeteten Milder zusammen. Sie
+schreibt ihm, wie sehr sie seine Lieder entzückten und welchen Beifall
+sie in der Gesellschaft finden. Sie möchte haben, daß er ein Gedicht
+eigens für sie komponiert, aber es ist ein Pferdefuß dabei, denn sie
+fügt hinzu, es müßte für ein großes Publikum berechnet sein. Was
+heißt das? Sie hat außerdem vernommen, daß er Opern geschrieben hat,
+und fragt ihn, ob sie sich nicht für ihn bei der Berliner Intendanz
+verwenden soll.
+
+»Aber natürlich!« Die Protektion ist gut zu brauchen, also flugs mit
+der Oper nach Berlin.
+
+Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch. Die Milder schreibt, daß
+»Alfonso und Estrella« durchaus kein Glück in Berlin machen würden. Und
+damit ist die Sache erledigt.
+
+Franz hat ihr den »Gesang der Zuleika« und einige andere Konzertsachen
+gewidmet, aber es ist nicht das, was die Milder für das große Publikum
+meint. Sie schreibt ihm darüber: »Zuleikas zweiter Gesang ist
+himmlisch und bringt mich jedesmal zu Tränen. Es ist unbeschreiblich,
+allen möglichen Zauber und Sehnsucht haben Sie da hineingebracht, so
+wie im ersten Gesang der Zuleika und im >Geheimnis<. Zu bedauern ist
+nur, daß man alle diese unendlichen Schönheiten nicht dem Publikum
+vorsingen kann, weil die Menge leider nur Ohrenschmaus haben will ....«
+
+Ach du lieber Himmel!
+
+Aber schon der nächste Brief berichtet, daß die Zuleika dennoch
+unendlich gefallen habe; die Milder war zu ängstlich wie alle
+Theaterleute, wenn es ums liebe Publikum geht; daran scheitert soviel
+Kunst.
+
+Aber auch mit Karl Maria von Weber, der sich in Dresden für ihn
+verwenden soll, ist es eine so eigene Sache.
+
+Karl Maria kommt nach Wien zu den Proben seiner Oper »Euryanthe« und
+wird als musikalische Berühmtheit, die von »draußen« kommt, in den
+Salons serviert. Bei Sonnleithner lernt ihn Schubert kennen. Der
+Meister des »Freischütz« weiß genau, daß der junge Wiener Genius die
+Welt mit Licht zu überstrahlen berufen sei ... Als Konkurrent hilft man
+nicht gern einem, der groß zu werden verspricht und das eigene Licht
+verdunkeln könnte. Kurzum, Karl Maria ist bei aller Liebenswürdigkeit
+auf der Hut.
+
+Franz weiß nichts von Kollegenneid und ist naiv genug, zu glauben, daß
+alles mit rechten Dingen zugeht. Er ist begeistert vom »Freischütz«
+und zollt dem berühmten Genossen unverhohlene Bewunderung. Und gibt
+zugleich mit seinem Vertrauen das Herz hin.
+
+»Frau von Chezi, die Textdichterin Ihrer ›Euryanthe‹, hat auch mir ein
+Buch geliefert -- ich bin schon mit Feuereifer an der Arbeit. Sie sehen
+also, daß wir schon vom Parnaß her verwandt sind ...«
+
+Das ist ein echter Franz. Die Mißerfolge können ihn nicht klein
+kriegen. Neue Opernwerke wachsen aus Herz und Hirn hervor. »Rosamunde«
+entsteht, trotzdem Schwind wettert: »Dieser verhängnisvolle
+Blaustrumpf, den hat der Teufel nach Wien gebracht! Daß gerade du zum
+Opfer fallen mußt!«
+
+Karl Maria scheint nicht sehr erbaut über die Eröffnung.
+
+Franz hat ihm Stücke daraus vorgespielt. Die Ouvertüre war zuerst für
+»Alfonso und Estrella« geschrieben, Franz hatte sie als zu aufhauerisch
+verworfen, in »Rosamunde« war sie gut zu verwenden. Das reizende,
+schlanke, feingliederige Musikstück entzückte die Freunde.
+
+Nur Weber blieb kühl.
+
+»Hm ja, wirklich nicht übel, ganz hübsche Einfälle -- aber soviel kann
+ich Ihnen voraussagen: der dramatische Versuch als Ganzes wird nicht
+gelingen.«
+
+Neidhammel!
+
+Schwind war entrüstet über die absprechende Meinung.
+
+Er selbst hatte schwere Bedenken wegen des Textes, aber »Versuch« --
+das war eine glatte Gemeinheit. Und »hübsch« -- ei verflucht! »Hübsch,
+das sagt man von einem Kravattel!« erboste sich Schwind. »Und Versuch
+-- das müßte er doch wissen, daß die ›Rosamunde‹ kein Versuch ist, der
+Herr Kollege, der anscheinend an der musikalischen Gelbsucht leidet!«
+
+Weber dirigierte die Erstaufführung seiner »Euryanthe« selbst.
+Natürlich ging Franz hinein, fünf Gulden der Platz -- er zahlte auch
+für Schwind das Billett, macht zehn Gulden -- davon konnte man damals
+einen Monat lang leben; aber Franz war kein Sparer und kein Knicker, am
+allerwenigsten, wenn es um die Kunst ging oder um die Freundschaft. Wer
+gerade Geld hatte, zahlte -- Franz tat es gern, denn Schwind war fast
+noch schlechter daran, sein Genius konnte in Wien gar keine Anerkennung
+finden, und Geld hatte er fast nie in der Tasche.
+
+Mit Weber, der sich in den Tagen seines Wiener Aufenthaltes dem
+Freundeskreis angeschlossen hatte, saßen sie fast täglich im
+Bognerschen Café und abends im »grünen Anker« zusammen.
+
+»Nun, wie hat Ihnen meine Oper gefallen?!« fragte Karl Maria am Tage
+nach »Euryanthes« Premiere.
+
+Franz war immer ein Michel Gradaus, er verübelte es auch anderen nicht,
+wenn sie ihre Meinung rund heraus sagten, nur ehrlich mußte sie sein.
+
+Er nahm sich auch jetzt kein Blatt vor den Mund: »Einiges hat mir recht
+gut gefallen, aber für meinen Geschmack ist zu wenig Melodie daran --
+wissen Sie was: Der ›Freischütz‹ ist mir lieber!«
+
+»Bravo!« applaudierte Schwind. Der hätte jetzt hinzufügen können: Der
+Text ist miserabel, aber daran ist die verflixte Chezi schuld ... Doch
+Schwind verkniff sich diese Äußerung und legte einen vergifteten Pfeil
+auf seinen Köcher.
+
+»Hm, ja, nicht übel! Wirklich ganz hübsch! Aber der dramatische Versuch
+ist doch nicht gelungen!«
+
+Der Streich war heimgezahlt. Karl Maria erhob sich und verabschiedete
+sich kalt und gemessen. Das Ende der Bekanntschaft war bedeutend
+weniger freundlich als der Anfang, und von »Alfonso und Estrella« war
+in Dresden keine Rede mehr.
+
+Dafür gelangte in Wien die »Rosamunde« zur Annahme.
+
+Bei allem, was Schwind gegen die Textdichterin einzuwenden hatte, die
+Aufführung war ihr zu danken. Die Chezi hatte nämlich die Gewohnheit,
+so lange lästig zu fallen, bis man Ja und Amen sagte, um nur Ruh' zu
+haben vor ihr. So war es in der Oper.
+
+Was Schwind befürchtet hatte, traf ein. Es war ein nicht zu
+verhüllender Mißerfolg, den der unerträglich geschmacklose Text
+verschuldet hatte.
+
+Schwind, Joseph Hüttenbrenner, Mayrhofer, alle Freunde und Schubert
+gingen mit Herzklopfen hinein.
+
+»Diese heillose Frau von Chezi!« so beginnt Schwinds Bericht an
+Schober, der wieder unterwegs ist und sich selber sucht. »Franz
+hat wieder einen ganzen Reichtum von Perlen hingestreut, die auch
+gebührend beachtet wurden, besonders die Ouvertüre. Wie ich immer sage:
+ein Ziselieren im Kleinen, eine lyrische Ausbeutung des einzelnen
+Wortes, was in dem geschwätzigen, inhaltslosen Text leider zu lauter
+verpufften Wirkungen führt. Ein herrliches Feuer, an dem sich das Herz
+der Menschheit erwärmen müßte, wird hier mißbraucht, um dichterische
+Wassersuppen gar zu kochen. Sie mundete niemand. Der arme Schubert!
+Er hätte einen Stoff gebraucht, der machtvoll ist durch die Größe und
+Einfachheit des Wortes. Hat wieder einen Fehlgriff getan, der sich
+bitter rächen muß. Daß es ein sanfter Durchfall war, läßt sich leider
+nicht leugnen. Die Aufführung hat ihm mehr geschadet als genützt, er
+hat buchstäblich umsonst gearbeitet ....«
+
+Ungefähr so lautete das Urteil des Freundes, der den Schlag härter
+empfand, als wenn er ihm geschehen wäre.
+
+Auch damit hatte er recht, Franz hatte buchstäblich umsonst gearbeitet.
+Nach dem Mißerfolg der »Rosamunde« trauten sich die Bühnen erst recht
+nicht an seine Opern heran. In rascher Folge waren neue Bühnenwerke
+entstanden, »Fierrabras«, »Die Verschworenen oder der häusliche Krieg«,
+ein vielversprechendes Fragment »Sakontala«, sie lagen alle neben
+»Estrella« und »Rosamunde« friedlich in der Tischlade oder kehrten nach
+vergeblichen Rundreisen über die Theaterkanzleien dahin zurück. Wieviel
+Lebenskraft und Schöpferwille ward hier fruchtlos vertan!
+
+Auf die Epoche des glänzenden Aufstieges schien eine Zeit der
+Mißgeschicke gekommen zu sein. Sind es die biblischen sieben Jahre,
+in denen sich der Schicksalsstern entweder in aufsteigender oder wie
+jetzt in absteigender Linie bewegt? Man weiß es nicht, man nimmt's
+gleichmütig hin, man kann nichts Besseres tun als seine Pflicht und
+warten, bis günstigere Zeiten kommen.
+
+»Wenn nur der Verleger nicht so gewissenlos wäre!«
+
+Damit ist der Diabelli gemeint, der ihm das Verlagsrecht für seine
+erfolgreichsten Liederhefte für ein Butterbrot abzuluchsen verstand und
+ihn bei den kommissionsweisen Sachen noch obendrein übers Ohr haute
+nach Noten. Um der Unverschämtheit die Krone aufzusetzen, schließt er
+jetzt eine Rechnung ab, bei der Franz, anstatt Geld zu bekommen, noch
+fünfzig Gulden zu zahlen hätte.
+
+»Ein sauberer Patron!« Franz wirft ihm die ganze Wahrheit an den
+Kopf. Sie ist knüppeldick genug, um dem Faß den Boden auszuschlagen.
+Es ist nicht nur die ewige Betrügerei -- die Skrupellosigkeit dieses
+Geschäftsmannes vergreift sich auch an dem geistigen Gut, die
+Lieder und Tänze kommen vielfach verstümmelt und mit entstellenden
+Zusätzen heraus, die nach des Verlegers Meinung die Schöpfungen
+»publikumsreifer« machen sollten. Der geduldige Franz ist darüber aus
+dem Häuschen; in einer Aufwallung des gerechten Zorns richtet er eine
+geharnischte Absage an seinen Ausbeuter, und damit war ein für allemal
+reiner Tisch gemacht.
+
+Das Suchen von Verleger zu Verleger geht nun erst recht an. Wie es
+manche verstehen, die üble Lage des Künstlers auszunützen! Da sind
+einige, die würden mit ein oder zwei Stücken den Anfang machen (werden
+sich freuen!), nur zahlen wollen sie nichts -- als Entgelt einige
+Freiexemplare! Später, ja, wenn sie den Profit gemacht hätten, würden
+sie ihm für weitere Sachen eine bare Entschädigung geben; er wird mit
+Phrasen abgespeist, als ob er noch ein blutjunger Anfänger wäre.
+
+Wien schwelgt in Schubertscher Musik, sein Ruhm ist begründet auch
+in anderen Städten -- dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Ein
+schwieriges Problem, ohne Amt und ohne festes Einkommen der Kunst zu
+leben. Er will es fertigbringen!
+
+Ein Es-Dur-Trio, unter Brüdern hundert Gulden wert, bietet er der Firma
+Probst an.
+
+Sie möchte gern, o ja! -- Nur ein Haken ist dabei.
+
+»Gern sind wir erbötig, zur Verbreitung Ihres Künstlerrufes beizutragen
+.... leider wird der eigene, sowohl oft geniale als wohl auch mitunter
+etwas seltsame Gang Ihrer Geistesschöpfungen in unserem Publikum noch
+nicht genug verstanden ....«
+
+Immer die nämlichen, geschraubten Wendungen, die den Vertrieb der Werke
+schwierig hinstellen, um den Preis zu drücken.
+
+»Ja, wenn einmal das Eis gebrochen ist ...« Sie versprechen ihm goldene
+Berge, aber für später, später .... Zukunftsmusik!
+
+Kurz und gut, statt der verlangten hundert Gulden schickt ihm die Firma
+zwanzig Gulden.
+
+»Wenn es Ihnen zu wenig ist, dann schicken Sie das Geld gefälligst
+wieder zurück ....«
+
+Wenn die Not am höchsten, ist der Hungerlohn am nächsten! Die zwanzig
+Gulden haben schon hundert Herren, also ist vom Zurückschicken kaum die
+Rede! Grausame Heimtücke!
+
+Da ist noch Artaria, aber der ist wirklich anständig, schier ein Mäzen,
+der zahlt dreihundert Gulden für eine Sinfonie, freilich muß er noch
+ein kleines Klavierstück darauf kriegen -- das Heft kostet sechs Gulden
+Ladenpreis, hundert Hände greifen danach im Augenblick des Erscheinens
+-- die Zahlen werfen ein Streiflicht auf die Verlegerbriefe.
+
+Nun, Gott sei Dank, wenn es auch nicht Geld regnete, so tröpfelt's
+doch hin und wieder, und wenn vollständige Dürre eintritt, dann
+helfen die Dedikationen über das Gröbste hinweg. Der Gesellschaft
+der Musikfreunde hat er eine Sinfonie gewidmet, sie weist ihm einen
+Ehrensold von hundert Gulden an. Die Hand Sonnleithners ist dahinter zu
+spüren. Klingende Münze kann man gut brauchen in so sündteuren Zeiten,
+aber es glückt nicht immer. Schöne Worte fallen häufiger ab als Dukaten.
+
+Der Herr Bischof von Dankesreither in St. Pölten bedankt sich
+schönstens und ist freigebig mit schmeichelhaften Redensarten, aber
+es fällt ihm gar nicht ein, etwas springen zu lassen. Die Linzer
+Musikfreunde ernennen ihn zum Ehrenmitglied, die Grazer tun dasselbe
+auf Betreiben Jengers. Anselm Hüttenbrenner tut sehr wichtig mit der
+Überweisung der Urkunde -- es ist eine Ehre für Franz, er kann sich
+das Blatt vor den Spiegel stecken, er kann aber auch den Mund an den
+Nagel daneben hängen, er kann es ganz leicht, weil's nicht immer was zu
+beißen und zu nagen gab.
+
+Aber trotzdem -- Franz läßt sich nicht lumpen, er will dem Musikverein
+ein Geschenk machen, das mit seinem Menschheitswert das Blatt vorm
+Spiegel himmelhoch übertrumpft.
+
+»Um auch in Tönen meinen lebhaften Dank auszudrücken, werde ich mir die
+Freiheit nehmen, dem löblichen Verein ehestens eine meiner Sinfonien in
+Partitur zu überreichen ....«
+
+Er spürt in seiner Brust ein neues Wogen und Singen: einen
+vertraulichen Klang aus früher Zeit.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a .....
+
+Die Geigen in seiner Brust schreien es in die Höhe; und immer wieder
+kehrt die Melodie, immer wieder reißt sie ab und sucht mit rührender
+Sorgfalt das Gesangsthema in neuen Variationen zu ergreifen .... Das
+sinfonische Tongemälde wird ein Abbild seiner Seele, ein erschütterndes
+Bekenntnis.
+
+Er ist kein armer Mann, er ist ein Krösus, der aus vollen Händen gibt.
+
+Draußen in den Weindörfern, in Währing, Weinhaus, Heiligenstadt,
+Grinzing, verbirgt einer sein Haupt in grüner Einsamkeit, ein ganz
+Großer, zu dem Franz jetzt aufsieht wie zu dem einzigen Stern über
+sich. Der geht auch einem unsichtbaren Wegweiser nach, unbegangene
+Pfade, weitab von allem Gewöhnlichen und hoch durch unwegsame Gebirge
+der Seele. Einer, der die Märtyrerkrone um seiner Kunst willen trägt,
+und zu dem das Meisterlein mit Ehrfurcht emporstarrt. Das ist Ludwig
+van Beethoven.
+
+Er möchte sich ihm nähern, aber eine unüberwindliche Scheu vor diesem
+Gewaltigen zwingt ihn, im weiten Bogen auszuweichen. Er getraut sich
+nicht; heimlich geht er auf den Spuren des Gewaltigen, draußen zwischen
+den Weinbergen und kleinen Winzerhäusern.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a ....
+
+Dieses Lebenslied mit all den hoffnungsvollen Anfängen darin läßt ihn
+nicht mehr los.
+
+Franz schafft mit Zyklopenhänden. Jahr um Jahr, ohne Unterlaß -- das
+Arbeitsfieber ist sein normaler Zustand, er denkt nicht daran, daß es
+anders sein könnte. Erlösung, Vergessen, alle Rauschseligkeiten des
+Glücks gibt ihm diese heiße, verzehrende Arbeit. Sein Genius leuchtet
+auf wie eine mächtige Flamme, aber Franz merkt nicht, daß er der Kerze
+gleicht, die an beiden Enden brennt.
+
+»Was ist mit mir?« sagt er eines Tages zu Schober. »Das Essen schmeckt
+mir nicht, ich kann nachts nicht schlafen, die Töne hämmern mir im
+Hirn, die Noten fliegen nur so zu, aber wenn ich nachts aufstehe, um
+sie festzuhalten, sind sie entflohen, ausgelöscht, nicht zu fassen
+.... Am Morgen ist mir dann der Schädel dumpf und schwer, ich ziehe an
+der Arbeitslast, als wäre sie ein Wagen voll Pflastersteine, und muß
+ziehen, ziehen, weil ich muß und nicht anders kann ....«
+
+»Du mußt dich schonen, Freund, du bist überarbeitet, lasse es sein auf
+kurze Zeit, sammle deine Kräfte, und alles wird wieder flott gehen ...«
+
+Aber der hatte schön reden. Man brauchte Geld und mußte verdienen. Wenn
+man statt hundert Gulden nur zwanzig bekommt und die hundert braucht,
+muß man fünfmal mehr machen oder fünfmal so schnell arbeiten.
+
+Aber das ist es nicht allein.
+
+»Weißt du denn nicht, daß Arbeiten das Paradies und Nichtarbeiten die
+Hölle für mich ist!« und jeden Tag kämpft er sich durch, aus der Hölle
+in das Paradies empor, um wieder hoffnungslos in die Hölle seiner
+Ohnmacht zurückzusinken. Aber die Sinfonie muß werden, mag auch ein
+Stück Gesundheit darauf gehen, das bringt man alles wieder ein, nur
+das Werk soll nicht erkalten, rein und volltönig muß es erklingen wie
+eine Glocke, es gibt vorher keine Schonung, und nun alles daran, was
+an Kraft aufzubieten ist! Ein Lebenslied, diese H-Moll-Sinfonie, sein
+Höchstes und Tiefstes soll es umfassen ..
+
+Und wieder jubeln die Geigen in die Höhe: g -- d -- g -- fis -- g
+-- a ..... um nach kräftigen, harten Akkorden wieder abzureißen. Er
+schleppt sich hin, ist krank und weiß nicht, wie und wo. Die Schmerzen
+sitzen bald da, bald dort, der Kopf ist müde, es ist, als ob die Kraft
+plötzlich irgendwie einen Knick bekommen hätte.
+
+E -- fis -- g -- h -- ais ...
+
+Geigen, Violen und Fagotte brachen in ein herzzerreißendes Klagen aus,
+die Bässe sinken hoffnungslos herab auf das tiefe C; wie einzelne
+Lichtblicke brechen Teile des Gesangsthemas durch, um sogleich wieder
+in dem düsteren Nachtgemälde zu ersterben, die Celli und Kontrabässe
+wälzen dunkle Tonfluten herauf, c -- c -- c -- gleich gewitterhaften
+Wolkenmassen, schmetternde Blechakkorde fallen ein wie strahlende
+Blitze, dazu ein helles Geigenmotiv, das empor will wie zu Anfang, um
+gleich wieder nach hartem, erbittertem Kampf zusammenzubrechen .... Die
+Erschöpfung ist eingetreten, noch ehe das sinfonische Gemälde, ein Bild
+seines Lebens, vollendet ist.
+
+Franz ist zusammengebrochen. Die Nervenkraft ist erschöpft. Seltene
+Träume suchen ihn heim. Er fühlt sich als Bruder vieler Brüder und
+Schwestern, die Vergangenheit wogt daher in phantastischen Bildern, er
+sieht die Leiche seiner Mutter, der Vater erscheint ihm, er hat Streit
+mit ihm und entflieht; er wandert in ferne, unbekannte Gegenden, es ist
+ihm, als ob Jahre in dem Traum vorübergingen, seine Lieder umtönen ihn,
+die Liebe, die er gesungen, fühlt er als Schmerz, und der Schmerz, den
+er singt, wandelt sich in Liebe. Ein Traumbild jagt das andere. Sie
+haften in seinem Gedächtnis, er schreibt sie nachträglich auf wie eine
+allegorische Erzählung und schließt mit den Worten ».... und ich fühle
+die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch
+meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme
+und weinte. Noch mehr aber ich.«
+
+Franz liegt im Spital, er hat alle Haare verloren. Als er nach Wochen
+das Krankenhaus verläßt, präsentiert er sich seinen Freunden in einer
+gemütlichen Perücke. Er kommt überdies nicht mit leeren Händen. Die
+Krankheit war im gewissen Sinne eine Wohltäterin. Es war die Zeit der
+Ruhe und des Kräftesammelns. Aber die Katz' kann das Mausen nicht
+lassen, im Spitalbett hat er wieder zu komponieren angefangen. Kleine,
+leichte Sachen zwar, ein paar Dutzend Deutsche, einer schöner als der
+andere, galante, liebliche, bacchantische und fugierte -- zum Entzücken
+Schwinds, der alles getreulich an Schober berichtet, der noch immer in
+der Welt herumirrt und es wieder mit der Schauspielerei hat. Er ist in
+Breslau und möchte genau wissen, wie es Franz geht.
+
+»Er hat wieder seine Perücke abgelegt und zeigt einen lieblichen
+Schneckerlanflug,« berichtet Schwind nach Breslau.
+
+Und später heißt es, Franz habe sich einer neuen Behandlung unterzogen,
+und dann erst habe sich die Krankheit gebrochen. Aber er müsse mit sich
+vorsichtig umgehen wie mit einem rohen Ei ... »-- er lebt noch immer
+einen Tag von Banaderln, den anderen von einem Schnitzel und trinkt
+schwelgerisch Tee, dazu geht er öfters baden und ist unmenschlich
+fleißig ....«
+
+Unmenschlich fleißig, das ist er wohl. Er fühlt sich verjüngt und
+will wieder losstürmen. Aber halt, so wie früher geht's doch nicht
+mehr. Rasch tritt die Erschöpfung ein, der alte Zustand ist wieder da.
+Schlaflose Nächte und ein Hirn, das fort und fort rattert wie eine
+leere Maschine. Ein tüchtiges Glas Wein abends, ja, das hilft noch --
+den Tee hat er über, etwas Bettschwere abends hilft ihm eher, heitere
+Geselligkeit, die Freunde; wie in allen seinen Lebenskrisen sind sie
+Trost und Rettung. An die Liebe wagt er jetzt kaum zu denken. Er
+hofft auf später. Alles läßt sich noch einholen, alles Versäumte und
+Verfehlte. Nur Zeit!
+
+Das Lebensbild in H-Moll liegt noch da, unvollendet.
+
+Rasch entschlossen tut er die unfertige Sinfonie in ein Kuvert und
+schickt sie nach Graz als Geschenk an den Steiermärkischen Musikverein.
+Er löst sein Wort ein und gibt ein Werk von erschütternder Gewalt hin
+für einen nichtigen Wisch Papier.
+
+Anselm Hüttenbrenner als Musikdirektor empfängt es und verschließt es
+in eine Schublade. Was für ein Dämon hat Freund Anselm behext? Das ist
+ja gerade so, als wollte er den ergreifenden Aufschrei einer Seele
+mit einem Bahrtuch ersticken?! Wenn Franz das wüßte ... Aber der ahnt
+nichts und vertraut dem Freunde.
+
+Langsam will er hinaufklimmen zur Höhe seiner alten Kraft. Langsam,
+langsam. Manchmal hat es ja den Anschein, als wäre er wieder ganz
+oben, manchmal. Er schreibt schon lange an einem Oktett, es sprüht von
+Lebenskraft, gerät fast außer Rand und Band, wuchert über an Schönheit
+und Wohllaut, etwas eigenwillig und barock in der Form, so recht
+süddeutsch, so recht österreichisch, ein ganzer und echter Schubert.
+Mit dem größten Eifer schreibt er daran; langsam, langsam geht es
+vorwärts. Schwind kommt zu ihm, Franz schreibt und schreibt. Er sagt
+nur, ohne aufzublicken: »Grüß dich Gott! Wie geht's?«
+
+»Gut!« -- Jetzt kann aber Schwind lange warten, bis der andere wieder
+einen Ton von sich gibt. Der schreibt und schreibt und läßt sich nicht
+beirren. Der liebe Besuch, so lieb er ihm auch ist, er kann getrost
+wieder gehen. Wenn Franz bei der Arbeit ist, gibt's keine Audienz.
+
+Aber dann kommen Tage, wo er sich wieder von der stolzen Höhe seiner
+Kraft herabgeschleudert fühlt und wie zerschmettert am Boden liegt.
+
+Vielleicht wenn er aufs Land ginge, die Natur hat verborgene
+Heilkräfte. Er fühlt etwas Sehnsucht nach Bergen, nach Waldluft. Er
+möchte sich verkriechen wie ein verwundetes Tier in Einsamkeit. »In
+Grün will ich mich kleiden ...«
+
+Ein Glück, daß ihn Vogl mitnimmt nach Steyr.
+
+Er fühlt das Leiden wie eine dunkle Nacht über sich, und er findet sich
+bald ein Gleichnis dazu, dem er aus tiefster Herzensnot eine Stimme
+geben kann. Ist es nicht, als ob ihm eine Krähe folgt, der sein Leib
+bereits verfallen ist? Wenn er flieht, dann zieht sie ihm nach.
+
+»Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen, ist bis heute für und
+für um mein Haupt geflogen. Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht
+verlassen, meinst wohl, bald als Beute hier meinen Leib zu fassen?
+Nun, es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe. Krähe, laß mich
+endlich sehn Treue bis zum Grabe!«
+
+Er lebt in Steyr bei Vogl in tiefster Einsamkeit, fast verborgen, und
+kehrt nach einigen Wochen nach Wien zurück. Die Krähe, die ihm von der
+Stadt aufs Land gefolgt war, begleitete ihn vom Land in die Stadt.
+
+Franz redet nicht gern über seinen Zustand; er schweigt und brütet
+vor sich hin, wenn er gefragt wird. Anders ist es, wenn er mit einem
+abwesenden Freunde brieflich eine Zwiesprache hält. Beim Schreiben
+drängen die zurückgestauten Gefühle mit Macht hervor, und so kommt der
+herzergreifende Brief zustande, den er an den Freund Kupel schreibt,
+der nach Rom gegangen ist, um die Sehnsucht seines Herzens an der
+Antike zu stillen. Als ob die Entfernung geeignet wäre, die Seelen
+einander näherzubringen, so schüttet Franz in dem Brief an Kupel sein
+Herz aus:
+
+».... mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten,
+elendesten Menschen auf der Welt. Denk' dir einen Menschen, dessen
+Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung
+darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denk' dir
+einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichts
+geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten
+als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden
+droht, und frage dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch
+ist? -- Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer
+und nimmermehr -- so kann ich wohl jetzt alle Tage singen, denn jede
+Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen,
+und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und
+freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich
+besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete
+....«
+
+Sein Gemüt ist düster umwölkt -- er trinkt den Leidenskelch auf seinem
+Ölberg.
+
+Was wird aus diesem Leben -- geht es wieder aufwärts, oder kommt es
+ganz auf den Hund?
+
+
+
+
+ VIII.
+
+
+Johanna Lutz, die Feine, Liebliche, geht an dem Haus auf der
+Stubenbastei vorbei, wo jetzt Franz wohnt. Sie hat von Schwind gehört,
+daß er sich auf Anraten seines Arztes vierzehn Tage einschließen
+und fasten will. Im Vorbeigehen schaut sie hinauf und ist zu Tod
+erschrocken.
+
+»Mein Gott, da sind ja alle Fenster offen! Da muß etwas geschehen sein!
+Das ist rein so, als ob jemand herausgestorben wäre!«
+
+Sie weiß, daß Franz nie ein Fenster öffnet. Solange er zu Hause ist,
+bleibt alles bumfest zu, so luftscheu ist er.
+
+Sie traut sich gar nicht zur Hausmeisterin hinein, um zu fragen, was
+denn geschehen ist.
+
+»Dumm von mir!« schilt sie sich, als sie zu Hause ist. Es läßt ihr
+keine Ruhe. Eilends ein paar Zeilen an Schwind, er soll doch nachsehen,
+was los ist. Es käme ihr alles so sonderbar vor.
+
+Am Nachmittag kommt Schwind zu ihr, bringt ihr einige neue Schubertsche
+Lieder und Deutsche und die Nachricht dazu: »Ja, ja, Franz ist
+ausgeflogen und wird sobald nicht wieder zu sehen sein. Darüber kann
+ein halbes Jahr vergehen. Tief im Ungarland sitzt er -- in Zelez!«
+
+Die zarte Lutz atmet auf. »Gott sei Dank, mir ist ein Stein vom
+Herzen!« Sie hat soviel mütterliche Sorge um die Freunde Kupels,
+besonders um Franz, über den sie fleißig ihrem Verlobten nach Rom
+berichtet, der im Café Greco sitzt und mit den Gedanken in der Heimat
+weilt -- er will genau wissen, was vorgeht; Franz macht ihm Sorge.
+
+Der Cherubim wettert und flucht über das saure Leben.
+
+»Der Kupel ist fort, der Schober flaniert in Breslau herum, und nun
+hat auch Franz die Schnapsidee und ist zu den Schnauzbartlern gegangen
+.... Himmel! Teufel! Da sitzt man mutterseelenallein -- ohne Geld, ohne
+Freund. Uff! Rein zum Verrecken! Die andern Freunderln? Hol' sie der
+Kuckuck -- einer ist pflichtig, der andere zweifelhaft, der dritte fad
+und der ganze Haufen gar nichts! Franz, Franz, Schober, Kupel -- warum
+habt ihr mir das angetan? Wenn ich jetzt nicht Sie hätte, Johanna, und
+die Netty Hönig, ach, die liebe Netty, wissen Sie -- die Netty -- ach,
+ich kann Ihnen gar nicht sagen -- wenn ich nicht wüßte, daß die Netty
+-- -- Ich weiß oft gar nicht, bin ich es oder bin ich es nicht -- o
+Franz, Franz, Franz!«
+
+Er ist ganz komisch in seiner Mischung von Ärger und Liebe,
+Verzweiflung und Seligkeit. Er greint und raunzt über Franz, aber er
+meint es nicht bös damit, er hat ihm selbst zugeredet, den Antrag des
+Grafen Esterhazy anzunehmen und wieder nach Zelez zu gehen.
+
+Franz hätte es vielleicht nicht mehr getan. Der erste Aufenthalt war
+schon nicht sehr ersprießlich gewesen, es war damals eine kleine Zeit
+des Stillstandes für ihn. Zwar hat er ja manche liebe Erinnerungen
+mitgenommen und bewahrt -- zweimal dasselbe birgt die Gefahr der
+Ernüchterung. Aber die Zeiten waren jetzt anders, er mußte leben wie
+eine Pflanze, und der Stillstand war ihm ein Schutz. Er brauchte
+ein Asyl, regelmäßiges, einfaches Leben unter einem gemessenen
+sanften Zwang, vor allem keine Sorgen. Er fühlte sich innerlich als
+Menschenruine; das Lebenshaus war halb eingesunken, der Regen fiel ihm
+durchs Dach, die Türen und Fenster klapperten, die Dielen ächzten, der
+Tod ging um, und draußen, ja draußen flog die Krähe um und um.
+
+Das Wankende mußte gestützt werden, Zeit und Ruhe waren nötig, die
+Schäden auszuflicken, dafür war Zelez der rechte Ort. Ein Asyl, ein
+Asyl!
+
+Der Bruder Ferdinand, Schulleiter in der Rossau, hat in der schweren
+Zeit ein wachsames Auge auf Franz. Nun aber waren schon drei Wochen
+vergangen, die Brüder hatten sich nicht gesehen. Franz kam doch sonst
+alle Wochen einmal zu ihm hinaus, seit er nicht mehr im Schulhause
+wohnte; er brachte den Nachmittag und Abend bei Ferdinand zu, und nach
+dem gemeinsamen Essen ging er beizeiten heim, um noch vor Torschluß
+sein Quartier auf der Stubenbastei zu erreichen. Allerdings, Franz
+hatte eine Fastenkur vor, die vierzehn Tage dauern sollte; er wollte
+einsiedlerisch leben und so wenig als möglich vor die Türe gehen. Nun
+aber sind es drei Wochen her, das macht den Ferdinand unruhig. An einem
+schulfreien Tag macht er sich auf, selbst einmal nachzusehen, was denn
+auf der Stubenbastei los sei.
+
+»Seit acht Tagen ist er fort, nach Ungarn -- wie heißt es denn
+gleich?« sagt die Hausmeisterin, die zugleich bei Franz Bedienerin ist.
+»Zelez -- ja, so hat's geheißen!«
+
+»Daß er mir gar nichts geschrieben hat!« verwundert sich Ferdinand.
+
+»Ja, es war halt ein bisserl geschwind!« erklärt die Hausmeisterin.
+»Am Tage vorher hat er mir noch gesagt, daß er nach Ungarn gehen soll,
+er hätte aber wenig Lust dazu; nun, und am anderen Tage war schon der
+Reisewagen des Herrn Grafen vorm Haus.«
+
+Es ging dem Bruder Ferdinand so wie den andern Freunden; die Stadt war
+mit einemmal leer und stumm für sie, seit Franz dahin war.
+
+Mit stiller Trauer bog Ferdinand in die Wollzeile ein, dann in die
+nahe Schulerstraße, die weniger lärmend war, und blieb vor dem Gasthof
+»König von Ungarn« stehen. Es war knapp vor Zwölf, also beschloß er,
+hier zu Mittag zu essen. Im Hof drin war es schön zu sitzen unter
+den Efeuwänden und den Oleanderbäumen. Er zerschnitt ein saftiges
+Stück Rindfleisch, tunkte es in Semmelkrenn, die Küche war gut, es
+waren nur wenige Gäste da, und in dem schönen Hofraum herrschte eine
+patrizierhafte Ruhe und Ordnung. Die Mittagsglocken von dem nahen St.
+Stephan tönten herüber in hallenden, zitternden Wellenkreisen, es war
+schön anzuhören, aber Ferdinand war in Gedanken bei seinem Rindfleisch
+und zugleich bei Franz, und die Stadt hatte schier keinen Klang mehr,
+weil dieser Genius fort war. Die Glocken schwiegen; in der momentanen
+Stille fiel es Ferdinand auf, daß feierlich geläutet worden war. Er
+sah auf, in dem dreieckigen Giebel des weißgetünchten Hofes war eine
+Uhr zu sehen, die eben jetzt die Mittagsstunde anschlug. Sie begann
+zu schlagen, und als die zwölf Schläge vorüber waren, spielte sie mit
+einer feinen, metallenen Stimme ein Musikstück. Einen Walzer.
+
+»O Gott! Was ist denn das? Das ist ja -- ein Walzer von Franz? Ein
+Schubertscher Walzer!« Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, dem
+Ferdinand -- unwillkürlich stürzten Tränen aus seinen Augen und fielen
+salzig auf den Teller vor ihm.
+
+Es war ja gerade so, als ob Franz ihn riefe mit Geisterstimme, die dort
+oben in der Uhr aufklang!
+
+Das Uhrwerk schwieg, Ferdinand saß noch eine Weile da, ganz ergriffen
+und wehmutsvoll, dann ging er eilends heim, er mußte schreiben, sofort
+nach Zelez schreiben, was ihm begegnet war.
+
+Aber die Scheu, sein Innerstes vor dem Bruder zu zeigen, läßt es nicht
+zu, den Satz zu vollenden; er deutet mit halben Worten an, was er sagen
+will. Brüder sind oft so zueinander, bei aller Liebe und Freundschaft.
+
+Franz hat in Zelez sein altes Zimmer bezogen; er sieht durch das
+grünumlaubte Fenster hinaus auf den Ententeich und auf die Straße
+jenseits der Linden, wo die Post vorüberfährt. Er hört das Horn in der
+Ferne erklingen -- »was hat es, daß es so hoch aufspringt, mein Herz?«
+
+Alles scheint unverändert wie vor so vielen Jahren, dieselben Leute
+sind noch da, dieselben Gewohnheiten, dieselbe Tageseinteilung, nur
+statt Rosa, die nicht Nein sagen konnte, bedient ihn eine alte Magd,
+die mürrisch und halb taub ist. Um so besser -- so gibt es keinen
+Plausch, kein Augenverdrehen, nichts -- er ist nicht aufgelegt zu
+solchen Dingen. Der Kammerdiener behandelt ihn mit wohlwollender
+Herablassung als guten Bekannten, und im Inspektorflügel ist er ein
+gern gesehener Gast.
+
+Im Herrenhaus ist regeres Leben als früher, in einem fort gibt's
+Besuch, Kavaliere und Damen, zu Pferd und zu Wagen, Ausflüge und Jagden
+werden veranstaltet, sonst aber geht die einfache Lebensweise fort.
+Die beiden Komtessen Marie und Karoline sind stattlich herangeblüht,
+aber sie sind noch immer so schlicht und herzgewinnend wie früher,
+besonders die Karoline. Freilich, mit dem kindischen Herumtollen, Arm
+in Arm mit Franz, mit dem großen Übermut und Glück der ersten Jugend
+ist es vorbei. Wenn sie es nicht selbst gesagt hätte, Franz wußte es
+gleich am ersten Tage durch den mitteilungsbedürftigen Kammerdiener,
+daß der schlanke, dunkeläugige Kavalier, Graf Folliot von Creeneville,
+Karolinens Verlobter ist, und daß der junge Graf Breuner, das blonde,
+schmächtige Gegenstück zu Folliot, für die dunkeläugige Komtesse
+Marie ausersehen ist, die sich zu einer recht kapriziösen Schönheit
+herausgemaust hat.
+
+Franz ist ganz steif vor Verlegenheit und Verwirrung, als er sich
+der Komtesse Karoline wieder gegenübersieht, aber ihre anmutige
+Unbefangenheit hilft ihm, daß er sich nach und nach wieder erfängt. Im
+Herbst ist Hochzeit, und Karoline freut sich, daß Franz hier ist; er
+muß es ihr versprechen, bei der Tafel zu sein, sie möchte ihn in ihrer
+Nähe wissen.
+
+Er zappelt von einem Bein aufs andere und stammelt so eine Art
+Glückwunsch daher. Natürlich fängt er es dabei wieder drollig
+ungeschickt an: »Jessas, Komtesse, wie mich das freut -- nun, ich
+gratuliere herzlich dazu; der Herr Graf, ein so feiner Kavalier --
+aber daß ich bei der Tafel bin, das wird doch nicht recht gehen -- ich
+schau' ja gar nichts gleich!«
+
+Neben dem eleganten Edelmann schaut er freilich gar nichts gleich, ein
+ziemlich ruppiges Singerlein, aber die Komtesse hat ein unbändiges
+Vergnügen an seiner drolligen Unbeholfenheit, und die frühere
+Herzlichkeit ist im Nu wieder hergestellt.
+
+Daß ihn die Verlobung Karolinens gar so freut, das war doch ein
+bißchen dick aufgetragen; er hat einen verwunderten Blick Karolinens
+aufgefangen -- ob sie es wohl nicht übelnimmt? Es war das einzige
+Zeichen, daß die Liebesstunde nicht vergessen ist, ein kleines
+Geheimnis, von Vertrauen und Freundschaft behütet.
+
+Mit den beiden jungen Edelleuten weiß sich Franz so gut wie nichts
+anzufangen. Die reden meistenteils von Jagen und Reiten und Pferden
+und Hunden; davon versteht er nichts; und von der Musik verstehen die
+anderen nichts.
+
+Unter den Dauergästen befindet sich auch Karl von Schönstein, der
+einzige, der mit der Schubertschen Musik wirklich vertraut ist und bei
+der Schicksalsfügung, die Franz wieder nach Zelez gebracht hat, den
+Drahtzieher gespielt hat; er ist mit dem väterlichen Grafen Esterhazy
+intim befreundet, die beiden unterhalten sich gern auf eigene Faust;
+um was es dabei geht, hat Franz an dem zufällig aufgeschnappten Wort
+erkannt, als der eine von den beiden von seiner herzigen Rozier sprach,
+die Franz dem Namen nach kannte -- eine vom Ballett; die unter
+Geflüster und Gelächter geführte Unterhaltung war also nichts für
+fremde Ohren.
+
+Zuweilen kamen Zigeuner und spielten unter der Linde; Franz saß in
+seinem Zimmer, rauchte sein Meerschaumpfeiflein, dachte vergangener
+Zeiten und vergaß in diesem wehmütigen Glück die Gegenwart. Oder er
+komponierte, er hatte Zeit und Ruhe; oft vergingen Tage, ohne daß man
+ihn begehrte, es sei denn, daß Schönstein singen wollte, oder die
+Komtesse Karoline eine vierhändige Übung versuchte, aber auch dies nur
+selten, oder daß er eine seiner Sachen vorspielte, für die indessen
+außer den beiden Komtessen und Schönstein kaum jemand im Herrenhaus ein
+besonderes Verständnis aufbrachte.
+
+Verträumt, verraucht, vergeigt, so fließen die Tage gleichförmig hin,
+einer wie der andere.
+
+Nur wenn die Post vorüberfährt, springt das Herz auf.
+
+Der Vater hat geschrieben, er gibt ihm gute Lehren. Er ist ja
+Jugendlehrer, der immer gern moralisiert, aber aus dem Tadler ist ein
+Tröster geworden. »Wir dürfen, ja wir wollen sogar die unschuldigen
+Lebensfreuden froh und mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig genießen,«
+ermuntert er den Franz, »wir müssen aber auch in trüben Umständen den
+Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat Gottes und
+führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten Ziel. Wo ist auch
+ein großer Mann in der Geschichte zu finden, der nicht durch Leiden und
+standhaftes Ausharren den Triumph errungen hätte. Darum möchte ich auch
+jene, die ich vorzüglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen!«
+
+Daß er soviel Liebe in ein paar Briefseiten legen kann, mehr als man
+je im Leben aus seinem Munde erfahren hat, das hätte man doch nicht
+erwartet. Dem Franz gehen fast die Augen über vor Rührung.
+
+Und nun gar der Bruder Ferdinand mit seinen Tränen, als er beim »König
+von Ungarn« Schuberts Walzer in der Uhr spielen hörte, und sich fast
+schämt, es hineinzuschreiben, daß ihm richtige Tränen entrollt waren
+beim Rindfleisch mit Semmelkrenn .....
+
+»Warum getraust du dich nicht, mir das zu schreiben?« erwidert Franz in
+seinem Brief.
+
+»Es werden die Tränen gewesen sein, die ich so oft geweint habe, und
+die in meinen Liedern und Walzern klingen, darum ist es so über dich
+gekommen, als du beim »König von Ungarn« die kleine lustige Sache von
+mir in der Uhr spielen hörtest .... oder kamen dir alle die Tränen, die
+du mich schon weinen sahst, ins Gedächtnis? ... Damit dich diese Zeilen
+nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht
+heiteren Gemüts, so beeile ich mich, dich des Gegenteils zu versichern.
+Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder
+Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes
+fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine
+Phantasie (Gott sei es gedankt!) soviel als möglich zu verschönern
+suche ..«
+
+Er schreibt sich alles von der Seele herunter, in Briefen und in Musik,
+und wenn die miserable Wirklichkeit Macht gewinnt, zündet er sein
+Pfeiflein an und sieht in den blauen Wölkchen die Menschen und Dinge
+neuerdings von jugendlicher Glorie umgeben. Dann steht die Sehnsucht
+auf, er muß seiner Bedrängnis Luft machen, nochmals Papier und Feder
+her, niemals fühlt er die Freunde so nahe als jetzt, da er mit ihnen
+von Seele zu Seele redet.
+
+»Wären wir nur beisammen, du, Schwind, Kupel und ich,« schreibt er
+dem Schober, »dann sollte mir jedes Mißgeschick nur leichte Ware
+sein, so aber sind wir getrennt, jeder in einem anderen Winkel, und
+das ist eigentlich mein Unglück. Ich möchte mit Goethe ausrufen: Wer
+bringt mir eine Stunde jener goldenen Zeit zurück! Jener Zeit, wo wir
+traulich beieinander saßen und jeder seine Kunstkinder den andern mit
+mütterlicher Scheu aufdeckte, das Urteil, welches Liebe und Wahrheit
+aussprechen würden, nicht ohne einige Sorgen erwartend; jener Zeit, wo
+einer den anderen begeisterte und so ein vereintes Bestreben nach dem
+Schönsten alle beseelte. Nun sitz' ich allein hier im tiefen Ungarland,
+in das ich mich leider zum zweiten Male locken ließ, ohne auch nur
+einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheites Wort reden könnte
+...«
+
+Und dem lieben Schwind gelten folgende Worte: »... ich würde mich hier
+recht wohl befinden, hätte ich dich, Schober und Kupelwieser bei mir,
+so aber verspüre ich, trotz des bewußten anziehenden Sternes, manchmal
+eine verfluchte Sehnsucht nach Wien ....«
+
+Vielleicht ist es ein Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit, daß er
+sich heftig fort sehnt. Oder ist es der anziehende bewußte Stern,
+der still und klar über seinen Träumen steht und nun zitternd zu
+entschwinden droht?
+
+Eine heftige Unruhe ergreift ihn -- die Hochzeitsvorbereitungen nehmen
+im Herrenhaus ein schnelles Tempo an.
+
+»Ich alter Esel,« schlägt er sich vor die Stirn, »was kümmert's mich?«
+
+Der Herbst ist schön wie damals, das stimmt traurig.
+
+Morgen ist Polterabend, da muß Franz spielen, Schönstein singt und dann
+wird getanzt. Und übermorgen?
+
+»Aber Sie versprechen mir, bei der Tafel zu sein?!« drängt Karoline.
+
+»Ich möchte schon jetzt alles Glück und Wohlergehen fürs Leben
+wünschen, aber ich bitt' tausendmal um Verzeihung -- nicht wahr, bei
+der Tafel muß ich nicht sein?! Ich pass' ja gar nicht hin -- ich wüßt'
+nicht einmal, was ich reden sollt'! Die hohen Herrschaften -- ja
+wirklich, da bin ich immer ganz dumm im Kopf!«
+
+Also nein, um keinen Preis wäre er dazu zu bringen.
+
+Karoline gibt ihm die Hand. Er beugt sich nieder, die Hand zu küssen.
+
+»Bleiben wir gute Kameraden!« sagt sie, und ihre Stimme zittert leicht;
+sie will noch etwas sagen, aber sie hält inne und drückt und schüttelt
+seine Hand wie ein richtiger lieber Kamerad, der von dannen geht.
+Franz rennt weg, um nicht aufzuheulen. Es waren die letzten Worte mit
+Komtesse Karoline. Ein Abschied für immer.
+
+Am Hochzeitstag geht er nicht aus seiner Kammer. Während sie
+drüben tafeln im Herrenhaus, sitzt er hinten und hat seine eigene,
+schmerzlich-selige Feier für sich. Er zündet seine Pfeife an, der
+Opferrauch steigt, der anziehende bewußte Stern tritt aus dem
+bläulichen Gewölk hervor, die schlanke Komtesse Karoline, wie sie im
+herbstlichen Park vor so und so vielen Jahren ihre edel geformten Arme
+um seinen Hals geworfen hat .... er pafft und pafft, das zarte Bild
+entschwindet -- in den dicken Nebeln, die ihm Herz und Hirn umwallen,
+steht eine andere Erscheinung auf und erfüllt ihn mit brennender
+Sehnsucht: Melusine ....
+
+Er wischt sich über die Wangen, sie sind trocken, und trocken ist sein
+Auge. In seiner Brust tönt ein weher Klang, er weiß es nicht, daß seine
+Tränen nach innen fallen. Aber drinnen sind sie, in seinen Liedern und
+Gesängen, und die Verse, die er sucht und vertont, die kommen ihm nicht
+von ungefähr zu; sie sind wie Spiegel, darinnen er seine eigenen Züge
+erblickt.
+
+»Gefrorene Tropfen fallen von meinen Wangen ab; ob es mir denn
+entgangen, daß ich geweinet hab'? Ei, Tränen, meine Tränen, und seid
+ihr gar so lau, daß ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgentau, und
+dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr
+zerschmelzen des ganzen Winters Eis ....«
+
+Aber das Eis zerschmilzt nicht, es bleibt alles hübsch drinnen in der
+Brust und in den Gesängen, und nicht jeder spürt's, wie es Bruder
+Ferdinand einmal, nur einmal gespürt hat, als der Walzer aus der Uhr
+hervortanzte und plötzlich Tränen niederfielen.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a -- --
+
+Das Lebenslied klingt so heiter, aber wißt ihr denn, was dahinter steht?
+
+E -- fis -- g -- h -- ais -- --
+
+In Graz liegt's versperrt in einer Schublade, unvollendet -- aber
+in Franz klingt es weiter, immer klingt es von neuem auf, immer
+wieder ein Anfang, ein heiter-tröstlicher Aufblick; immer wieder ein
+hervorquellender Schmerz, ein Zusammenbrechen .... Franz schaut so
+phlegmatisch drein wie ein wurstiger Gesell; ihm merkt man nichts an.
+
+Schönstein ist wütend auf ihn bei der Heimreise.
+
+»Dieser Schubert mit seinem Phlegma!« Hat er das Wagenfenster am
+Rückteil eingeschlagen, daß der kalte Ostwind hereinfährt und die
+herzige Rozier, die dem Schönstein entgegengereist war, beinahe einen
+Schnupfen gekriegt hätte!
+
+Die Rückkehr nach Wien ist allemal ein Seelenfest für Franz und die
+Freunde. Johanna Lutz, die Mütterliche, hat ihre helle Freude an ihm,
+weil er so gut aussieht.
+
+»Schubert scheint gesund und ist himmlisch leichtsinnig ....« schreibt
+sie ihrem Erwählten nach Rom.
+
+»Daß Kupel noch immer nicht da ist!« klagt Franz. »Und Schober, der
+schönste Mann Wiens, der Abgott aller Weibsen! Was tut der in Breslau
+so lange?«
+
+»Den Kasperl spielt er, es ist seine Glanzrolle!« gibt Schwind trocken
+zurück. »Ist das nicht ein tiefer Fall von der Höhe seiner Pläne und
+Erwartungen?«
+
+»Er hält die Welt zum besten, die einzig mögliche Art, mit ihr zu
+verkehren ....« Das ist die Meinung Schuberts.
+
+Sie lassen den lieben fernen Freund hoch leben. Die Gläser klingen
+zusammen, man ist wie ausgehungert auf heitere Geselligkeit, wenn man
+nach Wien zurückkommt und hat soviel einzuholen. In Zelez hat man
+sich kasteit, jetzt darf man das Rädchen wieder ein bißchen laufen
+lassen. Wein, Punsch, Kaffee, Tabak, die unsterblichen Güter der Heimat
+-- die sind doch für die Seele da und nicht für den Leib, und Franz
+ist immer mehr für die Seele gewesen. Also lebt man wieder himmlisch
+leichtsinnig. Oder tut wenigstens so. Dieser Franz mit seinem Phlegma,
+wer kennt sich denn aus bei ihm?
+
+»Wo nur der Mayrhofer steckt?« Beim Wein, der die Zungen und Herzen
+löst, kommt es zur Sprache.
+
+»Die Freundschaft mit ihm ist Absterbens, Amen!« erklärt Franz auf die
+Frage Schwinds.
+
+»Eifern tut er, euretwegen. Er glaubt, es wird ihm was genommen, weil
+wir, du, Schober, ich und Spaun so gut harmonieren. Er will der einzige
+und ausschließliche Freund sein, die anderen will er kaltgestellt
+wissen. Und weil ich dafür nicht zu haben bin, ist er unverträglich
+geworden. Schad' um ihn, er war mir ein lieber Freund ....«
+
+Hin ist hin. So mancher, der im Laufe der Jahre nicht mithalten konnte,
+ist abgefallen, sang- und klanglos wie der Holzapfl, aber keiner
+so beklagt wie der gemütstiefe Mayrhofer, der sich grollend in die
+Einsamkeit zurückzieht. Sein Verstummen schmerzt Franz, vielleicht
+bedarf es nur des erlösenden Wortes, um ein neues, besseres Verstehen
+anzubahnen. Aber jeder schweigt. Es ist auch manchmal so unter denen,
+die sich lieben und verstehen sollten.
+
+Ein anderer ist dafür gewonnen, der die Freundschaft mit Schubert ernst
+und heiß nimmt. Der junge Eduard von Bauernfeld. Er ist Dichter und
+nebenher Beamter, ein Sprudelkopf, der tausend Ideen hat, unzufrieden
+ist, über die Politik schimpft, und bei all diesen Vorzügen nur
+einen kleinen Mangel hat, nämlich kein Geld. Er besitzt also alle
+Eigenschaften, die notwendig sind, um in den Freundeskreis eintreten zu
+können. Vor allem ist er ein »Kanevas«. Jahrelang ist er auf Schuberts
+Spuren, endlich gelingt es ihm, die nähere Bekanntschaft zu machen.
+Schwind ist der Vermittler.
+
+Franz wohnt jetzt in Schwindien, er hat ein hübsches Zimmer gleich
+im Haus nebenan, wo das Wirtshaus ist. Sie stecken ja sowieso immer
+beisammen, er und der Cherubim, der einzige Vertraute, den er jetzt in
+Wien hat; also ergibt sich das von selbst, daß sie so nahe beieinander
+wohnen.
+
+Abends rückt ihm Schwind mit Bauernfeld auf die Bude. Der neue
+Bundesgenosse hat einige wenige Sachen mitgebracht, Tagebücher,
+Entwürfe, Dichtungen. Es wird vorgelesen. Zuerst Stellen aus
+dem Tagebuch. Bauernfeld hat seit Jahren alle seine Eindrücke
+aufgezeichnet. Die stärksten heißen Schubert. Franz kann es jetzt
+hören, was Bauernfeld schon vor Jahren schrieb, »Kärntnertortheater,
+Goethes ›Laune des Verliebten‹ machte kein Glück, das Beste ein
+Quartett von Schubert. Ein herrlicher Mensch! Den muß ich kennen
+lernen.«
+
+So lange hat es gebraucht, bis sich die Wohlgesinnten wirklich finden.
+Jetzt aber muß der Bund besiegelt werden, man will Bruderschaft
+trinken. Dazu gehört natürlich edles Getränk. Franz kehrt die Taschen
+um und um, kein luckerter Zweier fällt heraus, Schwind unterzieht seine
+Taschen ebenfalls einer vergeblichen Brandschatzung, das gleiche tut
+Bauernfeld, sie bringen beim besten Willen das Nötige nicht zusammen.
+Schuldig bleiben!
+
+»Leicht gesagt, mein Lieber, aber der Wirt hat schon die Kreide
+verschrieben!«
+
+»Verdient es denn diese infame Welt, so ausgezeichnete Kerle zu
+besitzen, wie wir drei sind?« haut Bauernfeld auf.
+
+»Gemach, lieber Freund!« gebietet Franz und öffnet ein Fach im Schrank.
+Hier liegen noch ein paar Stückel Zucker vom Frühstückskaffee. Am Tisch
+steht eine Flasche Wasser, davon schenkt er drei Gläser voll.
+
+»Warum soll die Freundschaft nicht das Wunder vollbringen und Wasser
+in Wein verwandeln?« Dann tut er in jedes Glas ein Stück Zucker, jeder
+rührt mit einem Löffel um und um und dann stoßen sie mit den Gläsern an
+und trinken Bruderschaft mit Zuckerwasser. Das Feuer der Begeisterung
+bringen sie aus Eigenem auf, das Zuckerwasser in Schwindien schmeckt
+besser als der Tokaier in Zelez.
+
+»Laßt Rauch aufsteigen! Die Freundschaft verlangt ein Brandopfer!«
+gebietet der Cherubim mit priesterlicher Würde und schmeißt seinen
+Tabaksbeutel hin: »Hier ist der Goldstaub.« Neue Verlegenheit. Eine
+dritte Pfeife fehlt.
+
+»Was liegt denn dort?« Der spähende Schwind hat ein passendes Ding
+entdeckt.
+
+»Du, sei so gut -- mein Augengläserfutteral!«
+
+»Das hat uns ein Gott gesandt!« erwidert Schwind und hat im
+Handumdrehen eine Pfeife daraus fabriziert. Franz muß es geschehen
+lassen. Der Rauch steigt auf, ein wenig brenzlig zwar, aber der Himmel
+ist dem Opfer gnädig, es ist keinem schlecht geworden dabei. Bei
+Zuckerwasser und Tabaksqualm wird gelesen bis in die Nacht. Ein Drama
+ist es, das Bauernfeld zu Gehör bringt.
+
+»Du wärst mir der Rechte für eine neue Oper!« erklärt Franz. Der Löwe
+hat wieder Blut geleckt. Er denkt an die »bezauberte Rose«. Bauernfeld
+soll ihm das Gedicht dramatisieren. Aber dem geht ein »Graf von
+Gleichen« durch den Kopf -- Janitscharen und Rittertum, romantische
+Minne und Gattenliebe, ein türkisch christliches Brouillon.
+
+»Uj jegerl,« schreit Schwind auf, »wenn's nur nicht ein zweiter Fall
+›Alfonso und Estrella‹ wird!«
+
+»Laß gut sein!« wehrt Schubert den besorgten Schwind ab. Und nun geht's
+an ein Entwerfen und Planen die ganze Nacht lang. Und als die liebe
+Sonne am anderen Morgen warm ins Zimmer scheint, findet sie die drei
+Kunstzigeuner im tiefen Schlaf, der eine im Bett, der andere auf dem
+Kanapee, der dritte auf ein paar zusammengeschobenen Stühlen -- der
+Traum von Kunst, Ruhm und Liebe geht weiter.
+
+So läßt sich alles gut an bei seiner Rückkehr. Kann man denn irgendwo
+glücklicher sein als hier zu Haus? Wenn Franz, als er in Zelez war,
+an Wien dachte, ging es glühendheiß in seinem Herzen auf. Die Stadt
+verdichtete sich zu einem Frauenbild, und das Frauenbild, darin er Wien
+sah, hatte die Züge der Melusine, ihre Augen, ihr Lächeln .... O Liebe,
+Liebe! War es die Sehnsucht nach Wien, oder war es die Sehnsucht nach
+Melusine, die ihn trieb? Es war beides in einem. Und er war so kühn in
+der Ferne, wenn er an die Geliebte dachte, und war so zaghaft, wenn er
+sie sah, die Liebliche, Hohe, Feine ....
+
+Die Zeit verschärfte seine Sehnsucht, es ist schon so lange her, daß er
+Melusine nicht mehr gesehen, er hatte sich geschämt, weil er durch die
+Krankheit so heruntergekommen ausgesehen hatte -- aber jetzt war er,
+Gott sei es gedankt, so leidlich wieder in Ordnung, er brauchte sich
+nicht mehr zu verstecken. Nur schade, schade, daß es gerade bei den
+Hönigs war, wo man Therese begegnen konnte. Sie verkehrte jetzt viel in
+diesem Haus.
+
+»Ich kann mir nicht helfen, aber der junge Hönig gehört zu den wenigen
+Menschen, gegen die ich von vornherein eine instinktive Abneigung habe;
+er hat mir nichts getan, im Gegenteil, er behandelt mich so vorsichtig
+und apart, wie ein dreckiges Hölzl, immer nur mit Handschuhen, aber es
+ist etwas an ihm, das mir gegen den Strich geht, ohne daß ich recht
+weiß was!« erklärt sich Franz dem Schwind, als sie unterwegs sind zu
+den Hönigs.
+
+»Hm -- und die Netty?« wirft Schwind lauernd ein.
+
+»Ach, die ist ja ein ganz lieber Kerl!« meint Franz so oben hin.
+
+Schwind leuchtet auf. »Nicht wahr? Ach, die, sie ist ein herziger
+Schatz! Die und keine andere! Du mußt wissen: treu wie Gold!«
+
+Franz pfeift leise vor sich hin, ein Lied, das er irgendwo gesungen;
+er weiß gar nicht mehr, daß es von ihm selber ist. Wo war es nur, daß
+es ihm zuerst in den Sinn kam? War es nicht in Atzenbrugg? »Er hätt'
+es eher bemerken sollen, des Hauses aufgestecktes Schild, so hätt' er
+nimmer suchen wollen im Haus ein treues Frauenbild ...«
+
+»Ja, ja, in Atzenbrugg!« Schwind bestätigt es. Dort war es zum
+erstenmal gesungen worden.
+
+Mit leisem Bangen treten sie bei den Hönigs ein. Man hat immer ein
+leises Bangen, wenn man in der Liebsten Haus eintritt. Aber es ist
+noch etwas anderes dabei. Eine brennende Unruhe, ein böser Argwohn.
+Die Netty ist ein lieber Kerl, das ist wahr, aber sie ist zu sehr
+verzuckert, es ist nicht alles echt -- und treu wie Gold, das ist schon
+ganz und gar ein Unsinn, denn weniger treu als Gold kann auf Erden kaum
+etwas sein.
+
+Sie ist so zuckersüß, die Netty, aber in ihrem Gesicht sitzen lauter
+Spotteufeln drin.
+
+Franz sieht sich rasch um, Therese ist nicht da. Seine Unruhe steigert
+sich, er kann sich schließlich nicht enthalten zu fragen.
+
+»Ja,« lautet etwas gedehnt die Antwort aus Nettys Mund, »wahrscheinlich
+hat sie keine Zeit -- vielleicht auch keine Lust.«
+
+Das hat es neulich auch schon geheißen und jedesmal, wenn Franz
+gekommen ist. Er bemerkt, wie Netty mit dem Bruder einen raschen Blick
+wechselt und beide eine höhnische Miene aufsetzen. Franz wird stumm,
+sein Gemüt verdüstert sich. Die Lustigkeit um ihn herum wird lauter,
+er versinkt immer tiefer in Trauer. In Gedanken ist er weit, weit weg,
+er hört die Wetterfahne auf dem Dach, der rostige Stab dreht sich um
+und um und quietscht auf in der eigenen Brust, als ob er tief drin im
+Herzen steckte. Der Schicksalswind hat wieder umgeschlagen und spielt
+drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut.
+
+»Was fragen sie nach meinen Schmerzen ....«
+
+Unbändiges Gelächter ist um ihn herum. Cherubim wird hereingeführt in
+Weiberkleidern, die er auf Nettys Geheiß anziehen mußte.
+
+»Hier ist Kolombine,« sagte sie zu Franz, »ich gratuliere Ihnen zu
+dieser lieblichen Braut. Jetzt müssen Sie aber fein artig sein und brav
+den Wurstel weiter spielen.«
+
+»Wurstel? Bin ich ein Wurstel?!«
+
+Er sagt es mit einer solchen tragischen Bitterkeit, daß das Gelächter
+mit vermehrter Heftigkeit hervorbricht. Schwind, von Netty am
+Narrenseil geführt, spielt die Rolle weiter. Mit verstellter Stimme
+beteuert er als Kolombine seine Liebe zu dem Wurstel und will ihm um
+den Hals fallen. Er merkt es nicht, daß dem Franz der ungehörige Spaß
+über die Hutschnur geht.
+
+Die Komödie ist voll böser Anspielungen, Franz spürt es und steht
+bleich und ernst unter den Lachenden da. Mit einem Ruck schleudert er
+den nichts ahnenden Cherubim von sich, rafft seine Noten zusammen und
+geht schweigend aus dem Zimmer.
+
+Das Gelächter erstarrt, alle sehen sich verlegen an.
+
+»Es war doch nur ein ganz unschuldiger Scherz ...« beteuert Netty etwas
+beschämt.
+
+»Natürlich, nur ein unschuldiger Scherz!« bestätigt Schwind und eilt
+dem Freunde nach. »Franz, ein unschuldiger Scherz -- geh', komm', sei
+nicht kindisch ...«
+
+Franz stürmt hinaus und fort.
+
+Unverrichteter Sache kehrt Schwind in das Gesellschaftszimmer zurück,
+er hat noch immer die Weiberkleider an. Jetzt ist aber allen das Lachen
+vergangen. Die Netty hat ein böses Gewissen: »Versteht er denn so
+wenig Spaß?« Schwind zuckt die Achseln: »Man kennt sich nicht aus mit
+ihm!«
+
+Zum ersten Male, daß eine Verstimmung zwischen den engsten Freunden
+eingetreten ist. Mit den Hönigs ist er jetzt fertig, Franz. Schwind,
+der Netty verteidigt, mag jetzt sagen, was er will. Franz ist kein
+Freund von derben Späßen; sein zur Schau getragenes Phlegma täuscht
+viele Menschen. Sie halten ihn für einen Dickhäuter. Aber dabei hat
+sich Netty verrechnet. War nicht die äußerlich zur Schau getragene
+Rauheit und Wurstigkeit ein bloßer Schutzmantel für die allzu
+empfindliche Seele? Das Heiligste seines Herzens verträgt keinen Hohn,
+nicht einmal leisen Spott, wenn er auch sonst für Humor und gute Laune
+Sinn hat. Hier ist eine Grenze gezogen, er duldet nicht, daß sie jemand
+verletze. Das demütige Meisterlein kann Unglück und Verkennung duldend
+hinnehmen, er bleibt gleichmütig gegen die Schläge des Schicksals, sie
+nennen ihn darum einen Phlegmatiker; aber wehe, wer vermessen genug
+ist, die Seele herunterzuziehen! Ein gerechter edler Stolz flammt
+empört auf -- man ahnt nicht, welche Hoheitsgefühle in dem bescheidenen
+Mann wohnen; bei aller Demut, er weiß, wer er ist.
+
+Schwind, der so tief in die Brust des Freundes blickt, hätte es wissen
+müssen -- er weiß es wohl und leidet an dem Unrecht, zugleich ist aber
+auch der Trotz über ihn gekommen, die Liebe hat ihn geschlagen, und er
+vergißt darüber fast den Freund. Jetzt ist das Schmollen an den beiden
+-- die Verstimmung ist da, sie dauert fort, weil sich jeder scheut,
+das Vorgefallene noch einmal zu berühren und reinen Tisch zu machen.
+
+Franz ist entschlossen, sein Dasein auf eine gesicherte Basis zu
+bringen -- er will sein Recht auf Glück in diesem Leben geltend machen.
+Er geht direkt aufs Ziel los.
+
+Salieri ist in Pension gegangen. Es werden zwei Stellen frei, die eines
+Vize-Hofkapellmeisters und die eines Opernkapellmeisters. Franz bewirbt
+sich um die eine wie um die andere. Jetzt können ihm die Zeugnisse und
+Anerkennungen von Graf Dietrichstein und anderer Machthaber den rechten
+Dienst erweisen. Er richtet sein Gesuch direkt an den Kaiser. Was aber
+die stärkste Wirkung tun wird, ist der ausdrückliche Nachweis, daß er
+bei Hofkapellmeister Antonio Salieri das Komponieren gelernt hat.
+
+Das Gefühl der Beschämung beschleicht ihn einen Augenblick lang, daß
+er, dessen geniale Meisterschaft in der Welt feststeht, sich auf
+läppische Schulzeugnisse berufen muß. Aber die Formalität verlangt es.
+Hat er es denn wirklich von Salieri gelernt? Er hätte besser sagen
+müssen, daß er es vom lieben Gott gelernt hat! Das müßte man wissen!
+Wie aber, wenn die Welt der Formalitäten auf Antonio Salieri ein
+größeres Gewicht legt als auf den lieben Gott selber? Dann konnte von
+Salieris Gnaden jeder Erstbeste, der kräftigere Protektion besaß, den
+Vorrang gewinnen ....
+
+Nun aber, man muß nicht gleich das Schlimmste denken, vom inneren Beruf
+aus war Franz der Erste, daran konnte niemand mehr zweifeln, also
+hatte man eine schöne und berechtigte Hoffnung. Als wohlbestallter
+Hofkapellmeister brauchte man sich nicht mehr zu scheuen -- und
+das Glück, das einst auf dem Kalbelwagen märchenhaft in seine Gasse
+gefahren kam, konnte man dann ohne Umstände ergreifen und festhalten.
+Melusine hieß das Glück, und der Kalbelwagen konnte dann ein richtiger
+Brautwagen sein, in dem sie beide zur Kirche fuhren.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a -- --
+
+Wie in ganz frühen Tagen jubelt aufs neue eine ganz helle
+Hoffnungsfreude auf.
+
+Es muß was geschehen, auch Schober schreibt es, er meint, der
+Enthusiasmus für Franz müßte aufs neue im Publikum belebt werden, und
+es wäre gut, wenn es bald geschähe.
+
+Franz arbeitet ja mit Bienenfleiß. Ein quellender Reichtum von Melodien
+entsteigt blühend seiner Brust. Aber es ist schwer, die Begeisterung
+der Menge auf ihrer ursprünglichen Höhe fortzuerhalten. Es bedürfte
+wieder einer ganz großen Tat -- Schober hat vielleicht recht, wenn
+er andeuten will, daß seit Jahren ein Stillstand eingetreten ist,
+wenn auch nur scheinbar. Es bedürfte einer ganz großen Tat -- einer
+gelungenen Oper etwa, Bauernfeld ist jetzt seine Hoffnung -- oder
+vielleicht eines großen Konzerts mit einer neuen Instrumentalsache,
+einer Sinfonie -- er trägt sich mit dem Gedanken daran -- ein großes
+Konzert, wie es Beethoven veranstaltet -- vielleicht über ein Jahr,
+dann wird Franz hervortreten, bedeutender, stärker als je. Der
+Lebensplan ist fertig, mit neuer, entschlossener Kraft schreitet Franz
+dem Gipfel zu.
+
+Zunächst also diese Sinfonie -- Landeinsamkeit will er dazu, grüne
+Berge, einen Ort, wo man Gutes genossen und einiges Glück erfahren hat.
+
+Im Mai ist Vogl wieder auf sein Steyrer Landgut gegangen, er denkt an
+Kunstreisen in Oberösterreich und Salzburg und kann Franz dabei nicht
+entbehren. Dem sind seit seinem Zwist mit Schwind die Wiener Tage leer
+und unersprießlich geworden, ein paar Tage will er in Linz bleiben,
+ehe er nach Steyr geht, den lieben Spaun will er ans Herz drücken,
+einem Freund muß er sich erschließen können, jetzt, wo er in Wien keine
+Seelenzuflucht hat -- kurz, eines schönen Morgens ist er zum Schrecken
+Schwinds dahin und sitzt alsbald in Linz, wo er sich vor ärgerlicher
+Verzweiflung die Haare rauft, denn Spaun ist über alle Berge, ein paar
+Tage vorher ist er von Amts wegen nach Lemberg abgereist und wird vor
+Jahr und Tag kaum an die Wiederkehr denken können.
+
+»Aufhängen könnt' ich mich vor Kummer und Verzweiflung,« schreibt er im
+drolligen Ärger dem Freund nach Lemberg. »Da sitze ich jetzt in Linz,
+schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitze, habe ein Heft neuer
+Lieder, und der Freund ist nicht da! Ein Glück, daß der Jägermayer
+ein gutes Bier hat und daß auf dem Pöstlingberg ein anständiger Wein
+zu haben ist, das gibt neuen Lebensmut ...« Ottenwalt, der Schwager
+Spauns, ist entzückt von dem Gast, der ganze Linzer-Kreis schwelgt
+in Begeisterung, kein Wölkchen trübt die blauselige Heiterkeit der
+Linzer Tage. Dazu noch ein lieber, offenherziger Brief von Schwind --
+das hat gerade noch gefehlt, um das innere Gleichgewicht so halbwegs
+wiederherzustellen.
+
+Er hat es nicht ausgehalten, der Cherubim; das ganze Ärgernis ist ihm
+nahe gegangen. Man kann doch eines kleinen Mißverständnisses wegen eine
+Freundschaft nicht preisgeben, die mit dem ganzen bisherigen Leben
+verknüpft ist. Oder es geht doch gleichzeitig mit ein Stück Seele
+darauf. Und das ist schon der halbe Tod. Also frisch von der Leber
+weg geredet -- diese verteufelten boshaften Späße, die er nicht habe
+unterdrücken können, so sehr sie ihm selber wehe tun. »Da kommen die
+anderen und spotten und lauern in Verbindung mit Gedanken herum ... und
+wir lassen sie anfangs gewähren, dann tun wir selber mit .... nun ja,
+der Mensch ist schon einmal so unüberlegt .... und so verliert sich
+Unersetzliches um den Spottpreis ....«
+
+Er kann die qualvollen Gedanken nicht los werden, er muß durch ein
+offenes Bekenntnis seine Seele befreien. Er ist doch gewohnt, solange
+er Franz und Schober kennt, sich in allen Dingen verstanden und geliebt
+zu sehen. So möge das Böse aus der Welt geschafft sein, indem man sich
+ordentlich ausredet. Franz möge ihm hierüber antworten so grob und so
+aufrichtig, als er es nur vermag, aber nur nicht dieses Schweigen, das
+ihm ans Herz greift. Dann habe er noch von Netty zu sagen, daß sie es
+wirklich nicht so arg gemeint habe. Sie bereue schon aufs heftigste
+ihre unüberlegte Stichelei, sie sei ganz unglücklich darüber, daß Franz
+schlecht über sie denke, sie ist wirklich nicht so, wie sie scheint.
+
+Es hätte nicht halb so vieler Worte bedurft, um Franz wieder zu
+versöhnen, der ja nur darauf wartet, daß der andere ein gutes Wort
+gibt. Er ist ja auch gar nicht bös, und was die Netty betrifft -- ach,
+diese unvermeidliche Netty! -- so soll sie sich nur keinen Kummer
+machen, er denkt ja gar nicht mehr daran, es sei ja ohnedies alles in
+schönster Ordnung. Schwind zu verlieren, das ist ihm ganz undenkbar.
+Sie gehören nun einmal zusammen für dieses Dasein, und keine Netty
+der Welt sei imstande, das Freundschaftsband, das stärker ist als das
+dickste Tau, zu durchschneiden. Nun wäre auch das wieder ins richtige
+Geleise gebracht -- o Gott, ginge es doch so auch mit anderen Dingen,
+die man ungeklärt durchs Leben schleppt und die das Herz so schwer
+machen, daß man ins Gras hinuntersinken möchte und vermeint, nicht
+mehr aufstehen zu können. Jetzt heißt es wieder: »Grabt mir ein Grab
+im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen, kein Kreuzlein schwarz, kein
+Blümlein bunt ...« Aber um wieviel schmerzlicher klingt das Lied heute
+als in den Herzenständeleien vor so und so vielen Jahren.
+
+Die schönen Linzer Tage gehen vorüber wie im Traum, in Steyr wendet
+sich bereits das Schicksalsblatt.
+
+»Werde ich hier noch einmal so glücklich sein wie einst?«
+
+Er weiß nicht wie, eine geheime Anhänglichkeit an Josephine lockt ihn
+dabei. Sie ist ja in manchem geziert und unnatürlich, aber sie hat
+ein gutes Herz, dafür ist er dankbar wie ein Kind. Er ist zum Manne
+gereift, aber eigentlich ist er im Herzen ein Kind geblieben wie
+damals, da er noch als Sängerknabe neben den pausbäckigen Engelsköpfen
+auf der Empore saß.
+
+Unterwegs nach Steyr ist er im Stift St. Florian zu Gast und sitzt
+in dem gewaltigen Gotteshaus an der Orgel, die ein Wunder an Größe
+und Klangfülle ist. Himmlische Musik entströmt seinen Händen.
+Selige Erinnerungen quellen auf aus der Sängerknabenzeit, eine
+echt Schubertsche Liedweise fließt ein, dann drohende Tremoli und
+der eigensinnige Aufschrei aus einer geängstigten Seele, der das
+Menschenherz erschüttern muß.
+
+»Wo er es nur hernimmt, der kleine, unscheinbare Meister?« denken
+auch die geistlichen Herren im Stift, dasselbe, was alle schon
+gedacht haben. »Der liebe Gott hat's ihn gelehrt!« es gibt kein
+schöneres Wort. Aber auch kein tieferes. Für die Welt ist er ein
+Gebender -- in der Stunde der Schöpfung ist er ein Empfangender, ein
+von Gott Empfangender. Ein Kind ist er geblieben mit seinem naiven
+Wunderglauben, aber auch mit seinen Fieberträumen, ein Kind in der Hand
+Gottes. Gerade dieses Kindsein befähigt ihn zum Aussprechen dieses
+Tiefsten, er stammelt es wie ein Gebet. Es ist nicht mit dem Verstand
+gemacht, es ist mit dem Herzen gemacht, und darum ist soviel Herzblut
+darin und soviel aufseufzende kindliche Glückseligkeit, und zugleich
+sind so viele Tränen darin, die nach innen geweinten ....
+
+Vogl sagt immer, daß er nicht mit Bewußtsein schaffe, und daß ihm
+das Geschaffene oft selbst nicht verständlich sei. Aber die in Linz,
+Ottenwalt und der ganze Kreis um ihn, waren bezaubert von der Tiefe
+und Klarheit seines Erkennens. Franz saß unter ihnen wie Jesus im
+Tempel. So heiter und jugendlich sorglos war es nicht mehr wie vor
+Jahren beim Katzengeschrei, aber es war doch auch ein inniges Fest
+der Seelen. Ottenwalt wußte so schön zuzuhören und mußte immer mehr
+erstaunen über diesen Geist, dem das Tiefste einfach war wie jede echte
+Wahrheit. Er verstand Franz besser: »Wie kann man sagen, daß ihm die
+eigene Kunst kaum offenbar und verständlich sei? Der Schlichtheit und
+Kindlichkeit seines Gemüts ist mehr offenbar, als wir uns alle in
+unserer Schulweisheit träumen lassen. Die Kindlichkeit ist ein Beweis
+seines Genies ....«
+
+Der Ottenwalt verstand es eigentlich besser als Vogl. In Linz hatten
+sie begriffen, was Franz war. Sie erlebten ihn wie ein Stück Natur,
+wie einen Baum, einen Berg, den Wind. So erlebte ihn auch Schwind,
+der ähnlich war, so erlebten ihn Spaun, Schober und Bauernfeld. Darum
+liebten sie ihn alle so sehr.
+
+Franz an der Orgel in St. Florian phantasierte und dachte an die Linzer
+Freunde und dachte voraus an das kleine Glück in Steyr, und die Orgel
+jubelte und sang dazu. Ein vergangenes Glück noch einmal erleben zu
+dürfen, welche Gnade! Seine Seele war geöffnet dem Unendlichen, sie
+empfing von Gott und wußte um neue Schätze, die sie zu geben hatte. Sie
+war zur Fruchtbarkeit gestimmt und kannte nichts Seligeres, als mit all
+ihrem Reichtum zu verströmen.
+
+Die Sehnsucht trieb ihn weiter, altem Glück entgegen. Er dachte
+innig an Josephine, das Weibliche zog ihn an, denn es war auch das
+Mütterliche. Er war wieder ganz Kind und seine Seele suchte Zuflucht
+bei der Freundin.
+
+Vor zwei Jahren, als er sich in Not und Krankheit im Hause Vogls
+verbarg, da war sie freilich etwas sonderbar gewesen, die gute Freundin.
+
+»Sie müssen wissen, daß ich ein Tagebuch führe,« hatte sie ihm gesagt,
+»man erlebt soviel, auch Sie kommen darin vor ...«
+
+»Schneegans!« hatte er damals gedacht und war ärgerlich über dieses
+Blaustrumpfgetue. Diese Sentimentalität war ihm zuwider, er machte sich
+lustig über sie und hatte sie ziemlich schlecht behandelt.
+
+»Es ist nicht mehr dasselbe wie früher,« sagte sie beim Abschied,
+»etwas ist am Tod da drinnen.« Und dann zog sie das Tagebuch hervor und
+fügte hinzu: »Meine Liebe ist in diesem Buche begraben.«
+
+»Wird nicht schad' drum gewesen sein ...« dachte er und drehte sich um.
+
+Aber alle diese herzlosen Narreteien waren vergessen, er war von
+Zärtlichkeit erfüllt, je näher er der Stadt kam.
+
+»Könnte ich wieder so glücklich sein wie damals ... Es wird nicht so
+ernst gewesen sein mit dem Absterbens-Amen der Liebe, sie kann eben
+nicht leben ohne Marotte, aber im Grunde ist sie doch eine treue Seele
+....« Und er nahm sich vor, recht gut zu sein, er war jetzt dankbar für
+das bißchen Herz.
+
+Man soll dasselbe nicht zweimal erleben, er hat die Enttäuschung schon
+in Zelez erfahren und muß nun neuerdings daran glauben.
+
+Wo war die Josephine geblieben mit ihrer Verliebtheit, ihrer Sucht
+nach den kleinen Abenteuern des Herzens, mit dem Kult, den sie um das
+Meisterlein trieb?
+
+Sie hatte den Krämer gegenüber geheiratet, sie war steif und dumm
+geworden, keine Spur von der früheren Originalität, es war wirklich
+etwas tot in ihrem Herzen ..
+
+»Mein Mann ist Kaufmann, Kaffee en gros ...« Sie legte Wert auf den
+Zusatz »Kaffee en gros«. Und wiederholte bei jeder Gelegenheit:
+»Kaufmann, aber ich bitte, Kaffee en gros ....«
+
+Franz lächelte über diese provinzlerische Großmannssucht: »Kaffee en
+gros ...« Es war doch wirklich zu dumm. »Kaffee en gros --« Schade um
+sie, oder wenigstens um die hübsche Erinnerung. Aber dieses »Kaffee en
+gros« zog alles ins Lächerliche.
+
+Und Vogl? Ei, der war auch nicht mehr derselbe. Auch er ging auf
+Freiersfüßen, der Weltweise, den Alter nicht vor Torheit schützte, und
+gedachte seine achtzehnjährige Schülerin zu heiraten. So suchte jeder
+ein Stück realen Glückes zu verwirklichen, und er, der Begnadete, mußte
+still und arm vorübergehen.
+
+E -- fis -- g -- h -- ais -- --
+
+Dieser eigensinnige Aufschrei der gequälten Seele.
+
+Das Glück hängt nicht am Ort, wo wir es zu finden wähnen, dachte er,
+wir können es nicht suchen außerhalb uns; in der eigenen Seele muß es
+zu finden sein, es existiert nirgends sonst auf Erden.
+
+Und er war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schöpfen.
+
+Noch einmal zog Vogl aus mit ihm zu Kampf und Sieg. Sich selbst zur
+Verherrlichung, Franz war nur der Schleppträger seines Ruhms. In
+Gmunden lebten sie, Franz wohnte beim Kaufmann Traweger, der ein
+schönes Klavier besaß und ein stiller Verehrer seiner Kunst war. Was in
+einer seligen Stunde auf der Orgel zu St. Florian erklungen, als er in
+weltentrückten Träumereien auf der Empore gesessen war, das brach mit
+neuer, wunderbarer Kraft hervor, indessen der musikfreundliche Herr
+Traweger aufhorchend auf dem Kanapee saß, andächtig wie in der Kirche,
+und nicht genug staunen konnte über den wundersamen Gast. Und auch er
+mochte denken:
+
+»Wo er es denn her hat?«
+
+Der am Klavier stammelte, jauchzte und weinte wie ein Kind. Gott hat
+es so gewollt. Er hat's ihn gelehrt. Nicht er sang, es sang in ihm,
+alle Menschenlust und Erdenpein, das Herzblut strömte darin. Stückweise
+entquoll die sinfonische Dichtung der kindlichen Seele und der
+meisterlichen Hand.
+
+So war es in Salzburg, und in den Pausen, wo die Unlust und
+Erdenschwere über ihn kam, schrieb er Reisebeschreibungen für seinen
+Bruder, ein äußerliches Bild der gesehenen Dinge, uff! daß ihm die
+Schwarten krachten.
+
+Und dann, Gastein, wo er Gast des Bischofs Pyrker war, seines Gönners,
+der ihm für die Wandererphantasie einmal eine schöne Handvoll Dukaten
+zufließen hat lassen. Das war ein bischöflicher Segen, der dem Leib und
+der Seele wohlgetan hat.
+
+Hier sprang der heiße Quell aus dem Erdinnern, dicht neben dem Eishauch
+der Gletscher.
+
+Und der Quell, der so heiß im Innern glüht, und der kalte Hauch, der
+von draußen her weht, die feindlichen Gegensätze des Lebens, sie waren
+mit drinnen in dem, was er sang und dichtete. Und die Berge waren
+drinnen, die steingrauen Städte, und was er dort erlebte, das verwehte
+Glück, die Liebe, der Schmerz.
+
+Gasteiner Sinfonie, so nannte er die Bruchstücke, sie sollten eine
+Stufe sein zu dem Lebensbau.
+
+Das große Konzert, vielleicht auch die Oper, die ihm Bauernfeld
+versprochen, das wohlbestallte Amt eines Vize-Kapellmeisters, das
+wären Dinge! Das Kind erwachte in der Seele und baute ein luftiges
+Kartenhaus. In Träumen wohnt alles so schön beisammen. Aber es sind
+doch alles Dinge, die möglich sind, nicht nur möglich, sondern höchst
+wahrscheinlich. Er ist jetzt entschlossen, das Glück mit fester Hand
+zu ergreifen. Er braucht es nur bei sich zu suchen, in seinem eigenen
+Willen, dann ist das Kartenhaus nicht mehr Kartenhaus, ein festgebautes
+Schloß, mit einem schönen kupfernen Dachhelm, mit einer Wetterfahne
+darauf, die knarrt und knarrt, der Wind spielt mit ihr auf dem Dach so
+laut, daß man es im Schlafen hört, aber der Wind, der Schicksalswind,
+spielt nicht mehr drin mit dem Herzen, das ist ruhig und in sicherer
+Hand, in seiner Liebsten Hand, die hält das Glück, die hält sein Herz,
+er braucht nur zu kommen und sagen: Hier bin ich, das hab' ich, und
+jetzt nimm mich, nimm mich, wie ich bin, ein ganzes Kind, und du, meine
+Geliebte, du bist mein Gefährte, mein Stab, meine Zuflucht, mein Trost,
+mein alles, du, die eine, so bin ich gesegnet mit Weh und Glück, du
+treues Frauenbild, du geliebte Melusine, zu der mein Genius aufblickt,
+ich lebe durch dich -- für dich -- sei mein!
+
+
+
+
+ IX.
+
+
+Diddel dum, diddel dum, diddel dum -- diddel dei, diddel dei, diddel
+dei -- diddel dum, diddel dei! Die Klarinette girrt und gellt vor
+Lachen, von der brummbärigen Baßgeige in die Höhe geschwenkt beim Tanz,
+ehrbarlich zappelt das Klavizimbel mit, getreulich geführt von dem
+behaglichen wohlgesetzten Cello -- diddel dei, diddel dei, hei, hei,
+hei, hei -- diddel dum, diddel bum, dum, dum, bum, bum!
+
+Franz schabt das Cello, dunkeltönig jubeln die Saiten, als wären sie
+vom lieben Gott selber gestrichen, Franz spürte es inwendig, bis in
+die Gedärme hinein. Er spielt mit einigen Freunden zur Hochzeit auf,
+Johanna Lutz und Kupel, der endlich aus klassischem Land Heimgekehrte,
+sind nun ein Paar. Diddel dei, diddel dum!
+
+Das Blondhaar glänzt wie Goldgeschmeide auf dem sinnenden Haupt der
+zarten Lutz. Sie sieht heute gar elfenhaft aus neben dem großen,
+gebräunten Kupel, der wie ein junger, iliadischer Krieger anzuschauen
+ist. Er hat den Arm leicht um die Lutz gelegt: »Vivat Kupel, du hast
+den Preis gewonnen!« So denkt Franz, der vom Podium herab die Tafel
+überschaut: Ein schönes Paar die zwei -- diddel dum, diddel dum!
+
+Neben Johanna sitzt Schwind, der ist heute so seltsam, er dreht
+Brotkügelchen, spielt mit den Fingern, preßt dann fest die Hände
+ineinander, schaut öfters stier in die Luft -- was hat er denn? Er hat
+was, Franz bemerkt es von oben, wie fleißig er auch fiedelt. Netty
+Hönig sitzt neben ihm unten, die sind beide so einsilbig, Schwind und
+die Netty. Da geht was vor. Diddel dum!
+
+Weiter an der Tafel sitzt groß und stattlich wie eine Märchenfee die
+rätselhaft schöne Melusine. Ein magisches Band ist gewoben von ihm zu
+ihr, und seine Blicke schweifen immer herunter auf sie. »Ja, ja, weil
+unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn --«
+diddel dum, diddel dum! Ob sie noch das grüne Lautenband besitzt? Warum
+sie es nicht in den Locken trägt -- wie damals? Sie hat ja 's Grün
+so gern?! Diddel dum! Sie hat es wohl tief versenkt in die Nähe des
+Herzens .... Diddel dum! »Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann
+weiß ich, wo die Liebe thront ...« Diddel dei, diddel dei, diddel dum,
+dum, bum!
+
+Ist der Schober aber redselig, spielt wieder den verfluchten Kerl --
+alle Weibsen um ihn herum verzückt wie vor einem Halbgott -- und dieses
+verliebte Geschau -- hält er sie alle zum besten oder ist es ihm ernst
+damit? Halb Don Juan, halb Don Quichote -- daß er nur wieder da ist!
+Diddel dum! Musik und Gedanken geraten dem Franz wie italienischer
+Salat durcheinander, während er das Cello schabt.
+
+Diddel dum! Der Hönig, dieses ausgewässerte Gesicht, gar nicht genugtun
+kann er sich mit übertriebener Aufmerksamkeit für Melusine. Will sie
+nach einer Pomeranze greifen, schwupp hat er schon den Fruchtaufsatz
+in der Hand, die Serviette fällt ihr herunter, wie ein Käsperl ist er
+in der Versenkung verschwunden. Sie greift nach der Fingerschale, die
+ohnehin ganz bei ihr steht, aber nein, der zudringliche Kerl greift
+ihr wieder zuvor, er muß die Schale halten, indessen sie ihre rosigen
+Fingerspitzen eintaucht -- und dieser ekelhaft lüsterne Blick von ihm,
+hat er nicht etwas Affenartiges? Ja, das ist's, ein kompletter Affe!
+Merkt er denn noch immer nicht, daß sie, die Wald- und Quellenfee, ihm
+kaum einmal dankend zunickt, Luft ist er für sie, vollständig Luft, o
+die Holdselige!
+
+Jetzt schaut sie wieder herüber, Franz senkt sich tiefer auf das Cello,
+es schluchzt und jubelt. Diddel dum, diddel dum, diddel dum!
+
+In dem Geschrei, Gelächter und Gefiedel schwingt sich eine Stimme
+empor, die Ruhe gebietet. Das ist einer von den Freunden Hönigs. Franz
+denkt nicht gut von diesen Freunden. »Was soll mir diese Reihe von ganz
+gewöhnlichen Studenten und Beamten? Was gehen die mich an? Ist es nicht
+der Mohn? Oder ist es der Bruchmann? -- Nein, der Mohn ist es!« Er
+bittet um Ruhe.
+
+Alles schweigt, Musik, Gelächter und Geträtsche, mäuschenstill ist
+alles. »Was sagt der Mohn? Hör' ich recht? Lauter, lauter, oder ich
+schmeiß' dir meinen Fiedelbogen in das verlogene Maul ...«
+
+Die Stimme Mohns ist klar und vernehmlich: »... das alles möchte ich
+euch zu wissen geben, ihr lieben Freunde, daß neben dem geliebten und
+verehrten Hochzeitspaar soeben eine Verlobung stattgefunden hat:
+Fräulein Therese Puffer und der liebe Freund Hönig, sie leben hoch!
+Dreimal hoch! Musik! Einen Tusch! Ha, faules Musikantenvolk!« Der
+Dirigent am Cello rührt sich nicht.
+
+»Dreimal hoch!« Der ganze Chor brüllt es, die Gläser fahren zusammen,
+die Klarinette, die Baßgeige, das Klavizimbel, sie fallen mit ein,
+unordentlich, kopflos, es klingt ein klein wenig wie Katzenmusik. Das
+Cello rührt sich nicht. Schier die Darmsaiten sind ihm abgerissen,
+heftig und schmerzlich, als ob sie Franz im Leib hätte.
+
+Knarr, knarr! Die Wetterfahne hat sich umgedreht. Knarr, knarr! Als
+ob der rostige Stab mitten durch die Brust ginge, das Herz ward dabei
+schier entzweigedrückt. »So hätt' er nimmer suchen wollen, im Haus ein
+treues Frauenbild! Der Wind spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem
+Dach, nur nicht so laut, was fragen sie nach meinen Schmerzen? -- Sie
+ist ja eine reiche Braut!«
+
+Das längst gesungene Lied wacht auf mit allen Schmerzen, jetzt ist es
+Begebenheit geworden.
+
+Er nimmt sein Cello zwischen die Knie und streicht ganz zärtlich und
+sacht über die Saiten. Es weint und schluchzt jetzt für ihn, indessen
+er den anderen zum Tanz aufspielt, die unten mit heißem Atem Brust an
+Brust herumschwenken. Was im Innern vorgeht, man merkt es ihm nicht
+an, was kümmert's auch die andern! Er hat sein phlegmatisches Gesicht
+aufgesetzt. Nur daß der Kopf einige Zoll tiefer und schwerer über dem
+schluchzenden Cello hängt. Diddel dum!
+
+Melusine, die Nixenkühle, tanzt in des andern Arm. Nicht des Besten
+Braut ist sie geworden, sondern des Reichsten! Der hat sie ihm vor der
+Nase weggeschnappt. So geht's im Leben. Diddel dum!
+
+Einer hat sich zu ihm geflüchtet, der Frack ist ihm hinten zerrissen,
+wie ein Häufchen Elend hockt er am Podium dicht bei Franz.
+
+»Was ist mit dir, Schwind? Geh', schau', du bist ja ganz zerrissen!«
+
+Der hebt ein zuckendes Gesicht zu ihm empor.
+
+»Zerrissen? Ja, das bin ich. Zerrissen -- inwendig -- ganz in Fetzen
+zerrissen!«
+
+»So, so!« Franz sagt nicht mehr. Er weiß schon, was los ist. Die
+Aufregung Schwinds vorhin, der hat einen schwerwiegenden Entschluß
+gefaßt -- mein Gott, wo alles liebt .... »und jetzt bist du ....«
+
+Der Zerknirschte nickt traurig und ergänzt den Gedanken: »--
+abgeblitzt!«
+
+Fiedelbum!
+
+»Hab' ich's nicht immer gesagt -- diese Hönigs!« raunt es vom Cello
+herab.
+
+Der unten am Podium hockt, möchte vergehen vor Weh und Ach. Traurige
+Hochzeitsgäste, diese zwei, der Musikant und sein Leidensbruder.
+
+»Du tust, als ob dir nichts geschehen wäre ...« gibt der unten zurück.
+
+»Sei still, sonst ....« klingt's hinter dem Cello hervor.
+
+Fiedelbum!
+
+Nachts am Heimweg gehen die zwei stumm nebeneinander her.
+
+»Mich leidet es nimmer daheim,« fängt endlich der Cherubim an. »Ich
+muß fort, hier kommt man auf keinen grünen Zweig ... Ich gehe mit
+meiner Kunst ...«
+
+»Und das Herz? Kannst du das auch mitnehmen? Das ist verwachsen mit
+dieser Luft, aber auch die Kunst ist verwachsen mit diesem Herzen, mit
+dieser Luft, mit diesem Boden, mit dieser Stadt, dieser verruchten,
+miserablen, in Grund und Boden verwünschten, treulosen, undankbaren,
+launenhaften und leider viel zu sehr geliebten ... Eine Buhlin ist sie,
+die sich wegwirft an den, der das meiste Geld hat .... man hat zu viel
+Herz, daran geht unsereiner zugrunde ...«
+
+»Herz?!« Der Cherubim tut, als ob das Herz für ihn keinen Sinn hätte.
+»Herz? Man hat es in den Staub getreten, zertrampelt, ich fühle nichts
+mehr da drin als wie eine namenlose Abscheu ....«
+
+Der andere seufzt: »Sie ist eine reiche Braut ...«
+
+»Reden wir nicht mehr darüber, Servus!«
+
+»Servus!«
+
+E -- fis -- g -- h -- ais -- --
+
+Der Verzweiflungsakkord kommt nicht mehr zur Ruhe.
+
+Das Leben geht fort, es macht sich von selbst. Franz wundert sich jeden
+Morgen, daß immer wieder ein neuer Tag anbricht, trotzdem er oft meint,
+es müßte aus sein. Mit seiner Bewerbung um die Kapellmeisterstellen ist
+er durchgesaust. Ihm ist es einerlei. Ganz Wurst! Er erzählt es mit
+einer Art Galgenhumor den Freunden.
+
+»Ist doch allen hier so gegangen, die etwas Großes und Ernstes gewollt
+haben, warum soll's denn mir anders gehen?! Sie haben den Mozart nicht
+wollen, wie man sieht, wollen sie auch den Grillparzer nicht und setzen
+ihm einen Dämpfer nach dem anderen auf, daß er sich ganz menschenscheu
+verkriecht, und Beethoven -- für den soll im Ausland gesammelt werden,
+wie man hört; im Vergleich mit diesen Großen bin ich ja herrlich daran
+-- ich dürfte mich ja eigentlich gar nicht beklagen, wenn ich auf die
+anderen hinsehe ....«
+
+»Freunde, auswandern! Ich gehe nach München, dort lebt die Kunst!«
+
+Bauernfeld haut fürchterlich auf. Er schimpft über diese Zustände wie
+ein Rohrspatz. Aber auswandern? »Nein, Freunde --« Er ist durchaus
+dagegen.
+
+»Wohin soll denn der Österreicher auswandern? Gibt es doch keinen
+Fleck auf der Erde mehr, der so schön ist als gerade seine Heimat.
+Hier wurzelt seine Gefühls- und Denkweise, er muß so singen, reden,
+schreiben, malen können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Stimme
+des Genius loci will erklingen -- sie redet nirgends so laut als hier.
+Die Welt hat ihr Herz entdeckt -- und dieses Herz der Welt ist Wien und
+Österreich. Was dieses Herz ist, haben wir der Menschheit zu verkünden,
+Schubert, Schwind, Grillparzer und wir alle zusammen. Wo können wir es
+besser als hier, wo unsere inneren Quellen springen, wo unsere Kraft
+wurzelt? Und von hier sollen wir fortgehen? Das wäre eine Viecherei;
+unser Bestes schöpfen wir hier, vergiß das nicht, lieber Bruder
+Schwind! Hier sind wir glücklich, obschon wir leiden; und wir leiden,
+obschon wir glücklich sind ...«
+
+Franz horcht aufmerksam zu, er nickt stumm mit dem Kopf, es ist etwas
+Wahres daran an dem, was der beredsame Bauernfeld sagt.
+
+Schober ist auch seiner Meinung, obschon aus einem Grund, der weniger
+tief liegt. »Man findet es nirgends besser auf der Welt, meistens weit
+schlechter,« läßt er sich vernehmen; »diesen Tabak, diesen Kaffee,
+diesen Wein und diese Weiber -- so herrlich wachsen sie nicht einmal in
+Sachsen!«
+
+»Schäker!«
+
+Aber der Schwind wird ernstlich bös über den liebenswürdig eitlen,
+tändelnden Schober.
+
+»Du hast dir noch nicht ein Stückel Brot selber verdient, also weißt du
+einen Schmarrn vom Leben! Ein Kerl, der den ganzen Tag nichts tut als
+vor dem Spiegel stehen und Weiberkitteln nachrennen, der hat hier nicht
+mitzureden. Um schaffen zu können, muß der Mensch leben, er muß essen,
+das Nötige verdienen -- hier kann der Mensch, wenn er sonst nichts hat
+als sein Talent, verhungern. Und darum bleibt nichts anderes übrig als
+zu gehen.«
+
+Mayrhofer, der Lodernde, am inneren Feuer Verglühende, hat Anfälle von
+Reue; in solchen lichten Augenblicken kommt er aus seiner freiwilligen
+Verbannung und Einsamkeit hervor, sitzt in dem geselligen Kreis der
+Jungen, um dann wieder um so menschenscheuer und grollender in seine
+mönchische Weltflucht zurückzukehren.
+
+Was da geredet wurde, ist Wasser auf seine Mühle. Er hat das Zeug
+zum Freiheitsapostel und Demokraten und hält jetzt eine wilde Rede
+gegen Bevormundung, Unterdrückung und Polizeigewalt. »Denkfreiheit,
+Redefreiheit, Aktionsfreiheit,« das sind seine Schlagworte.
+
+Das wäre alles sehr schön, meint Bauernfeld, wenn es nicht bloß die
+Faust in der Tasche wäre. Wie es denn käme, daß Mayrhofer trotzdem als
+Zensurbeamter weiter helfe, den Geist der Freiheit zu knebeln anstatt
+zu befreien -- eine Einwendung, die den zwiespältigen Mayrhofer wieder
+gehörig verschnupft.
+
+»Daß die lieben Zeitgenossen doch immer nur dazu da sind, sich dem
+Bedeutenden hemmend in den Weg zu stellen!« eifert Bauernfeld. »Drum,
+Freund, müssen wir dableiben und gegen diese erbärmliche Welt so
+lange protestieren, bis sie sich zu schämen anfängt, daß sie es so
+ausgezeichneten Kerlen, wie wir sind, so sauer hat werden lassen.«
+
+Die Stimmung wird immer lauter und gemütlicher; die Seelenverfassung
+der Freunde ist dem Gedeihen des Galgenhumors recht günstig. Äußerlich
+geht es oft bei unbändiger Lustigkeit her; aber das ist äußerlich. Wie
+es bei Franz innerlich aussieht, das weiß keiner so recht; allerdings,
+die Lieder sind Verräter. Seine »Winterreise« erscheint, die Freunde
+schütteln den Kopf, zunächst mehr befremdet als ergriffen.
+
+»Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu sehn, und ich
+bleibe vor den Bäumen oftmals in Gedanken stehn; schaue nach dem einen
+Blatte, hänge meine Hoffnung dran; spielt der Wind mit meinem Blatte,
+zittr' ich, was ich zittern kann. Ach, und fällt das Blatt zu Boden,
+fällt mit ihm die Hoffnung ab. Fall' ich selber mit zu Boden, wein' --
+wein' auf meiner Hoffnung Grab, wein' -- wein' auf meiner Hoffnung Grab
+...«
+
+Mit heimlichem Grauen starrten die Freunde in dieses Tal der Tränen.
+Düstere Nachtgemälde rollten sich in den Liedern auf, der Schmerz
+wühlte darin, und das Licht der Hoffnung schien erloschen.
+
+»Gar so melancholisch ...«, meinte der eine wie der andere. »Mehr
+Heiterkeit, mehr Lebensfreude -- Kopf in die Höhe, Franz!«
+
+Sie haben leicht reden, diese anderen; aber die Melancholie kommt eben
+daher, daß die Seele den grausamen Nüchternheiten des Lebens allzusehr
+unbewehrt und verwundbar gegenübersteht; sie leidet, aber dieses Leiden
+ist zugleich der Zoll, den sie bezahlen muß dafür, daß ihr gegeben ist,
+soviel auszusagen. So wendet sich alles Leid wieder zum Segen, es wird
+ein neuer Schatz für die Menschheit -- das Herz, das die Welt hier
+entdeckt hat in der Wiener Heimat, in diesen Liedern zuckt und blutet
+es.
+
+»Wißt ihr denn auch, wie die Ausgabe der Liederserie ›Winterreise‹
+zustande gekommen ist? Fragt den Freund Lachner!«
+
+Lachner ist aus München nach Wien gekommen, ein junger Musiker, der
+als Feldherrnstab den Dirigentenstock im Tornister trägt. Einstweilen
+muß der Feldherr des Orchesters buchstäblich das Kalbfell schlagen, er
+ist aushilfsweise Paukenschläger in der Oper, und das ist auch keine
+Kleinigkeit. Aber seine Sehnsucht ist zurück auf die Münchener Heimat
+gerichtet, er wartet nur auf den günstigen Wind, um mit vollen Segeln
+zurückzusteuern geradewegs zum Dirigentenpult als Ziel. Daß er Schwind
+mitnimmt, das scheint schon ziemlich abgemacht. Auch Schubert hat er
+sich dick angefreundet, sie stecken immer beisammen.
+
+Franz ist wie gewöhnlich in Geldnot und will rasch etwas verklopfen.
+Eine Liederserie liegt bereit, Lachner soll sie zum Verleger Haßlinger
+tragen und trachten, soviel als möglich herauszuschinden. Von
+Geschäftssachen versteht er auch soviel wie der Esel vom Zitherspiel,
+allerdings hat er den guten Willen. Er soll keineswegs ohne Geld
+kommen, verkitscht muß werden um jeden Preis -- also gut.
+
+Mit den Noten unterm Arm macht sich Lachner auf den Weg. Was er da
+trägt, ist ein Vermögen -- in Geld umgesetzt, es kann ein hübsches
+Sümmchen geben. Siegesbewußt ist er ausgegangen -- gedeftet kommt er
+heim; der Erlös, den er Schubert auf den Tisch legt, beträgt bare --
+sechs Gulden.
+
+»Ist das alles?« fragt Schubert. »Für alle Lieder?!«
+
+Kleinlaut erwiderte Lachner: »Schmählich, nicht wahr? Das hab' ich
+schlecht gemacht -- ich hätte die Noten nicht dort lassen sollen --
+weißt du was, ich trag's Geld wieder zurück!«
+
+Kaltblütig steckt Franz das Geld ein. »Zurückgeben?! Was fang' ich denn
+an? Der Verleger ist zwar schäbig -- aber was dich betrifft, du hast es
+ausgezeichnet gemacht!«
+
+Sechs Gulden -- das ist in Anbetracht des hingegebenen Wertes ein
+Bettelpfennig. Damit macht man keine weiten Sprünge. Und was dann?
+Morgen, übermorgen, nächste Woche? Man läßt den lieben Gott sorgen
+dafür. Der schafft Rat. Summt dem Franz schon wieder ein Lied im Kopf
+-- wirklich, der liebe Gott schafft Rat, alle Tag' und alle Stund'.
+
+»Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern
+dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her, und
+sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Und er läßt es gehen,
+alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still.
+Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern
+deine Leier drehen?«
+
+Die »Winterreise« setzt sich fort, dafür ist gesorgt. Er und der
+Leiermann -- die sind schier eins.
+
+»Ist's euch zu melancholisch, Freunde?!« Wollen sie es nicht begreifen,
+daß seine Schöpfungen nicht nur aus seinem musikalischen Gefühl
+entspringen, sondern daß sie auch aus seinen Schmerzen entstanden sind
+und darin am tiefsten greifen? Sie möchten ihn lustig sehen.
+
+»Nun denn, bin ich nicht auch lustig unter euch?«
+
+Ja, das ist er, fröhlich unter den Fröhlichen. Bauernfeld sagt's ja
+immer: »Franz, der hat die rechte Mischung von Idealem und Realem --
+die Erde ist ihm schön ....«
+
+Das Rechte aber weiß eigentlich keiner.
+
+Für die Aufheiterung ist in der Tat auch reichlich gesorgt. Es scheint,
+daß ein stillschweigender Pakt unter den Freunden besteht. Im Gasthaus
+zum »grünen Anker« sind sie fast täglich abends zu fröhlicher Runde
+vereinigt. Spaun ist nach Wien übersiedelt und führt ein großes Haus.
+Glänzende Schubertiaden finden hier statt, aber nachher geht's immer
+noch zum »grünen Anker«; die Stimme des Herzens klingt immer erst
+voll aus, wenn man so gemütlich und zwanglos beieinander sitzt. Man
+kann sich schwer trennen in solchen befeuerten Stunden, wo der Wein
+die Zungen löst, und so sitzt man hübsch lange beieinander, das ist
+begreiflich. Vor Mitternacht denkt keiner ans Heimgehen, meistens wird
+es geraume Zeit nach Mitternacht.
+
+»Wirtshaus, wir schämen uns -- hat uns ergötzt; Faulheit, wir grämen
+uns -- hat uns geletzt!« so jubiliert Bauernfeld.
+
+Zugleich aber schwärmt man fleißig aus ins Grüne, wenn es die
+Jahreszeit und der Geldbeutel erlauben; Fahrten nach Atzenbrugg
+werden unternommen, in größerer Gesellschaft oder zuweilen
+auch im engsten Vereine, Franz, Schwind und Bauernfeld, die in
+innigster Schicksalsverwandtschaft zueinander stehen und darum ein
+unzertrennliches Kleeblatt bilden. Der bischöfliche Schloßherr auf
+Ochsenburg würde das Kleeblatt allzu liederlich finden, man begnügt
+sich mit der Unterkunft bei der Aumüllerin in Atzenbrugg und nimmt
+aus Sparsamkeit nur ein Zimmer, sie müssen zu dritt in einem breiten
+Ehebett schlafen.
+
+Diese äußerlich dürftigen Umstände kitzeln wieder die humoristische
+Ader, und die Lustigkeit wächst; die Atzenbrugger Tage sind immer eine
+Festzeit. Man lacht und ist guter Dinge, aber die Seele weint; es
+ist zwar keine Wetterfahne auf dem Dach, aber man spürt das Knarren
+inwendig, und die alten Wunden bluten. »Was fragen sie nach meinen
+Schmerzen?«
+
+Dem Schwind ergeht es ähnlich. Doch einer verbirgt den Schmerz vor dem
+anderen, jeder tut auf seine Weise rauh und unverwundbar. Sind beide
+im Herzen große Kinder.
+
+Den einen wie den anderen überkommt gelegentlich das Verlangen, aus
+der inneren Einsamkeit vollends hervorzugehen, die Seelenkammern weit
+aufzuschließen und sie dem Auge der Freundschaft und der Liebe zu
+zeigen. Jeder macht immer wieder einmal einen Anlauf dazu und redet so
+um die Dinge herum.
+
+Franz, zuweilen philosophisch aufgelegt, macht einen Vorstoß. »Keiner,
+der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern
+versteht! Man glaubt zueinander zu gehen, und man geht immer nur
+nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt!«
+
+Schwind versteht, was er sagen will, er leidet unter derselben Qual.
+Sie machen beide die Erfahrung, daß die Einsamkeit der innere Schutz
+der Seele, zugleich aber auch der Kerker dieser Seele ist. Sie rütteln
+beide an den verschlossenen Türen und reiben sich wund an den ehernen
+Mauern. Ihr Tiefstes und Bestes möchten sie voreinander aussagen und
+können es nicht.
+
+»Wir alle gleichen Gefangenen in unterirdischen Burgverließen,«
+erklärt sich Schwind, »jeder ist verurteilt, mit einem bestimmten Teil
+seines Wesens allein zu sein in der Kammer seiner Einsamkeit, und wir
+können uns höchstens durch ein sinnreiches Klopfsystem untereinander
+verständigen. Die Poesie und Kunst sind in den Verließen der Einsamkeit
+geboren, sie sind das Klopfsystem, die Gleichnisse, durch die wir
+einander erraten können ...«
+
+Wie groß auch die Hingabe der Freundschaft ist, wie rein auch das
+Herz ist von Trug, wie unverbrüchlich auch die Treue ist und die
+Aufrichtigkeit, sie kommen oft über das Nächste und Einfachste
+nicht hinaus. In dieser Not suchen sie die Sterne, suchen sie Gott,
+der sie ihre Kunst gelehrt, suchen sie das Schweigen, denn in dem
+Schweigen erraten sich die getrennten und doch so verwandten Seelen
+am leichtesten. Es ist der tiefste Punkt des Verstehens -- eine
+Gemeinsamkeit von Einsamkeit.
+
+In dieser Kunst des beredten Schweigens sind beide Meister. Sie können
+stundenlang im Grünen sitzen beim Wein und den schweigenden Gedanken
+zuhören, die durchs Gemüt sinken. Höchstens daß der eine oder andere
+einmal seufzend unterbricht: »Ja, ja!« oder daß es dem einen oder
+anderen zu dumm wird und daß er ungeduldig auffährt: »So, jetzt aber
+schweigen wir von was anderem!«
+
+Nicht weniger eifrig als früher lenkt Franz seine Wanderschritte hinaus
+nach Heiligenstadt oder Grinzing, wo der liebe Gott mit dem Finger
+winkt, das heimliche große Licht ist draußen verborgen, Ludwig van
+Beethoven, um so lieber wandelt man die Wege nach diesem klassischen
+Wiener Boden.
+
+Sitzt Schwind am Zeichentisch und mag sich nicht trennen von seinen
+Gesichten, die er mit dem Stift verewigt, dann weiß Franz eine
+Zauberformel: »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau ...« Dieser
+Lockung kann Schwind nicht widerstehen. Ein paar Stunden Ätherblau
+im Grünen ist reicher an künstlerischer Eingebung als viele Tage am
+Zeichentisch. Also auf und hinaus! Aber sie bleiben nicht allein, der
+Schober ist mit von der Partie, der Bauernfeld, zuweilen der Spaun oder
+an seiner Stelle der Lachner. Bald sind sie ihrer fünf und freuen sich
+im Grünen.
+
+Ein gottseliges Leben ist in den Heiligenstädter, Grinzinger oder
+Sieveringer Hausgärten, wo der Heurige ausgeschenkt wird. Unter ein
+paar Bäumen sind rohgezimmerte Bänke und Tische in die Erde gerammt,
+hier sieht die Welt friedvoll und heiter aus. Der Salamucci geht um mit
+ungarischer Salami, mit echter Veroneser und Mortadella, mit Emmentaler
+Käs' und Butter, und wer nicht sein Geselchtes im Papierl mitgebracht
+hat -- es gibt auch Schlemmer, die nicht ohne Brathendel in der
+Rocktasche auf den Plan treten --, der kann sich für billiges Geld vom
+Salamucci Wurst und Käse aufschneiden lassen. Es langt fürs leibliche
+Wohlsein und paßt gut zum Wein. Unaufhörlich kräht der Brotschani
+mit hellem Sopran: »Schani Brot! Schani Brot!« Es geht zu wie im
+Himmelreich, alle Mühsal und Pein ist von der Seele genommen.
+
+Franz hebt das Glas, der rauschselige, trostbringende, grüngoldene Wein
+ist der Hüter seiner Muse, die Vergangenheit wird lebendig, der Traum
+von Glück verklärt das Herz.
+
+Man ist Gottes voll. Und was tut man, wenn man Gottes voll ist? Man
+hebt zu singen an, als säße man auf einer lichten Wolkenbank, so ein
+rechter Himmelsmusikant, und schaut gemütlich auf diese bucklige Welt
+herab. So gesehen, schaut sie recht schön aus, man könnte schier seine
+Freude daran haben. Da ist die Stadt, hier der liebe Wienerwald und
+dann über Berg und Tal noch manches andere, wohlbekannte Städtlein,
+und wachsen viele schöne Mädchennamen da und dort. Man hat sie alle
+gekannt, sie sind dem Herzen nahe, eine wie die andere, und jetzt,
+wo man tief ins Weinglas hineinschaut, sieht man manch holdes Bild
+aufsteigen.
+
+So sitzen die fünf im Grünen, sie sind augenblicklich ein gar
+fröhliches Quintett und singen aus Leibeskräften, als säßen sie neben
+geflügelten Engelsköpfen hoch oben auf einem Kirchenchor. Und ist es
+auch nichts Heiliges, was sie singen, so ist es darum just auch nichts
+Schlechtes, denn was sie singen, das sind diese süßen Mädchennamen,
+die dem Herzen, ach! allzu nahe stehen. Fanny, Therese, Anna, Rosa,
+Karoline, Josephine, Netty, Melusine!
+
+Am besten von allen singt Franz, der arme Schulmeisterssohn; darum
+lieben sie ihn auch alle so sehr, die Freunde, die mit ihm zechen,
+der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der
+schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein, der
+all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein
+Herzeleid in Gold verwandelt. Die süßen Mädchennamen fließen in dem
+Gesang der Liebe zusammen in eins, es ist die unsterbliche Geliebte,
+die er besingt, die bald so und so hieß und eigentlich aber nur einen
+Namen hatte. Es ist die Heimatstadt Wien selbst, die er in Melusine, in
+Fanny, in Karoline, in Rosa, in Josephine, in Therese so unglücklich
+liebte, diese unsterbliche Geliebte, die ihm die tiefen Herzenswunden
+geschlagen, und die ihn mit Schmerz gesegnet, auf daß er seine Freude
+singen möge.
+
+Die süßen Namen der Liebe, das Herz der Menschheit, die
+schmerzverklärte Freude, dies alles und noch viel mehr ist in Franz
+Schuberts Lebenslied.
+
+Die Welt des Haders und der Zwietracht horcht auf, die fünf singen im
+Grünen wie die Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen -- der
+finster blickende Herr Ludwig van Beethoven, der große Tragiker, der
+sich in den bäuerlichen Weinbergshäusern versteckt und in seiner großen
+Menschheitssinfonie das Lied der Freude singt, der hätte ein Vergnügen
+an dem Quintett gehabt.
+
+Die Seele hat soviel Kraft und Gesundheit, um auch in diesen trüben
+Zeiten Augenblicke zu finden, wo der Himmel offen steht.
+
+G -- d -- g -- fis -- g -- a -- -- --
+
+Aber der schwer erkaufte Frieden hält nicht lange.
+
+Der Himmel über ihm ist wolkenlos, doch am Horizont lauert schon neues
+Unheil. Es bricht immer dann am stärksten hervor, wenn er glaubt,
+daß alles überwunden sei. In steilen Linien auf und ab bewegt sich
+die Schicksalskurve, heute hoch oben, morgen tief unten. Sonnige
+Werke entstehen neben den Ausbrüchen tiefster Verzweiflung und
+Seelenqual. Das heitere Es-Dur-Trio neben dem grausigen Nachtstück der
+»Winterreise«.
+
+»Fröhlich, Freunde, fröhlich! Sagt ihr, es wohne nicht die Fröhlichkeit
+unter meinem Dach?! Spitzt jetzt gefälligst eure Ohren, dann werdet ihr
+sie vernehmen!«
+
+Die Freunde rasen vor Entzücken über das Es-Dur-Trio.
+
+»So gefällst uns! Ein echter Schubert! Erfüllt das Herz mit heiterem
+Glück bis in alle Winkel! Scheucht alles Dunkle auf, jagt alle
+Nachtgespenster von dannen .... erquickt die Seele mit neuem
+Lebensmut, reißt den Himmel auf über ihr, daß sie hineinschaue in
+wogendes Weiß und Blau und Ströme von Glückseligkeit niederstürzen
+fühlt aus leuchtenden Höhen ...«
+
+Das ist schon wahr, was die Freunde in ihrer überschäumenden
+Begeisterung sagen.
+
+»Aber diese schauerlichen Lieder der ›Winterreise‹, die wollen mir noch
+nicht ein ...« meint Spaun.
+
+Sie vermögen es alle nicht zu erkennen, daß in diesen »schauerlichen
+Liedern« Franz am meisten er selbst ist. Seine tiefsten persönlichen
+Ahnungen sprechen sich darin aus, in die dunkelsten Abgründe seiner
+Seele lassen die Lieder hineinblicken. Ihre ergreifende Größe und
+Schmerzensgewalt läßt sie dem Buch Hiob vergleichbar erscheinen. Ein
+solcher Leidensmann ist der nun Dreißigjährige, der sich zugleich zu
+dieser kindlich jubelnden Höhe seines Trios aufzuschwingen versteht.
+
+In diesen jähen Gefühlslinien bewegt sich sein Lebenslied: eine heitere
+Liedweise als Grundton, dann ein jähes Abbrechen, ein qualvoller
+Aufschrei der gemarterten Seele: e -- fis -- g -- h -- ais .....
+
+Es fehlt nicht an Anlässen, die tief in sein empfindliches Seelenleben
+hineingreifen und diesen erschreckenden Umschlag bewirken. Er hat
+die verhängnisvolle Gabe, den Anstoß wie eine rollende Kugel in der
+gleichen Richtung weiterzutreiben, bis alle Seelentiefen aufgepeitscht
+sind .... In dieser Widerstandslosigkeit seiner Seele gegen die Schläge
+des Schicksals ist er Empfangender; er gleicht den Stoß in seinem
+Innern aus, indem er sich durch sein Schaffen befreit, insofern ist er
+ein Gebender. Was er dafür hingibt, ist ein Stück Leben. Der Erlös
+dafür? Dieser Schandlohn von sechs Gulden, wenn es nur der einzige Fall
+wäre! Ein Werkelmann verdient mehr!
+
+Aber das ist es nicht, was ihn um und um stürzt. Das Leben ist auch
+sonst gespickt mit tragischen Ansätzen, die die Neigung haben,
+auszuwachsen und die Seele zu erschüttern.
+
+Daß Jenger aus Graz nach Wien zurückgekehrt, das wäre ja ein freudiger
+Anlaß. Aber was alles drum und dran hängt! Sein erster Weg ist in das
+Frühwirtsche Haus auf der Wieden nächst der Karlskirche, wo Franz noch
+immer wohnt. In Schwindien also. In aller Frühe kommt er angestiefelt,
+Franz liegt noch im Bett. Die gestrige Nachtschwärmerei -- es ist
+wieder hoch hergegangen im »grünen Anker« -- vielleicht geniert er sich
+auch ein bißchen: »Du mußt wissen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe
+-- es wird nimmer so recht mit der Gesundheit -- Leib und Seele wollen
+nicht mehr zusammenhalten -- außer bei einem Glas Wein, da hat man ja
+einen so täuschenden Schein von Kraft und Courage, aber sonst -- man
+gibt zuviel her bei der Arbeit ...« Ist ja auch was Wahres dran.
+
+Franz läßt sich das Schalerl Kaffee mit den zwei Kipferln, die die
+Quartiergeberin bringt, schmecken, indessen Jenger bei ihm am Bettrand
+sitzt und erzählt und erzählt. Alle Grazer Neuigkeiten schüttet er aus,
+einen ganzen Sack voll.
+
+»Also du mußt nach Graz kommen! Du hast Freunde dort, nicht zum sagen!
+Das Ehepaar Pachler ist geradezu vernarrt in deine Musik, na, wie
+überhaupt alle. Sind recht liebe Leute, die Pachlers. Wohnen großartig
+im Hallerschlössel ganz nahe bei der Stadt, das ist was für dich.
+Grazer Patrizier, mußt du wissen, du sollst ein paar Wochen bei ihnen
+wohnen, sie laden dich ein, ich möchte ihnen nur gleich schreiben, daß
+du wirklich kommst ....«
+
+Vom Hundertsten kommt er ins Tausendste, auf einmal sieht er auf die
+Uhr und springt auf.
+
+Warum er es denn so eilig hat? Er möchte noch vormittags hinaus in die
+Schwarzspanierstraße -- Apropos, es ist wahrscheinlich, daß auch der
+Anselm Hüttenbrenner her muß. »Gebe Gott, daß es nicht so schlimm wird.«
+
+»Was ist denn los? Schwarzspanierstraße? In die Beethovensche Gegend?«
+
+»Ja, weißt du denn nicht --? Man fürchtet, es geht zu Ende mit ihm ....
+seit acht Tagen ringt er mit dem Tod. Schindler, sein Vertrauter, hat's
+geschrieben.«
+
+Mit einem Satz ist Franz aus dem Bett.
+
+»Beethoven am Sterben? O Gott!« Das große Licht, zu dem er anbetend
+aufblickt, am Erlöschen?
+
+Jenger ist schon bei der Türe hinaus.
+
+Hastig kleidet sich Franz an. Die Gefühle wirbeln durcheinander. Er
+kann keinen klaren Gedanken fassen. Der Tag vergeht, heute kann er
+keine Note schreiben. Er versucht dies und das und legt es wieder
+hin. So voll Unruhe ist er. Er fühlt es ganz genau: es kommt etwas
+daher, das ihn trifft wie einen persönlichen Verlust. Wie hat er sich
+hingesehnt nach dem Gewaltigen, der ihm wie ein Wegweiser erscheint
+nach den höchsten Zielen ... Aber er hat es nicht gewagt, er hat Angst
+vor dem ganz Großen, seine Erfahrungen mit Goethe haben ihn ganz
+eingeschüchtert. Wie oft hat er dem Olympier nach Weimar geschrieben,
+er hat ihm Stöße von Liedern geschickt -- mit keiner Zeile hat er
+geantwortet, Franz existiert für ihn nicht, die Hekatombe hat nicht
+Gnade gefunden in den Augen des Göttlichen.
+
+Aber das war noch zu ertragen. Beethoven steht ihm näher als Vorbild
+auf seinem ureigensten Felde. Er fürchtet, es könnte ihm mit dem
+Schöpfer der »Eroika« und der unsterblichen »Neunten« ähnlich ergehen.
+Es wäre ein Verdammungsurteil für das zaghafte Meisterlein -- nein, er
+versucht's lieber nicht ....
+
+Und jetzt krampft sich ihm das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß er
+etwas versäumt hatte und daß es etwa zu spät sein könnte .... Da lebt
+man in derselben Stadt, begegnet einander zuweilen in den Straßen oder
+in den einsamen Feldwegen, weiß sich im Geist so nahe und kehrt lieber
+um auf halbem Wege aus begreiflicher Scheu ..... und erfährt erst durch
+Leute, die von fern kommen, daß der Tod an sein Haus pocht. So groß ist
+die Einsamkeit um den Titanen, daß keiner den Weg zu ihm findet, bis
+auf einen .... es greift Franz kalt an die Brust: auch seine Einsamkeit
+wird keiner durchdringen, bis auf einen .....
+
+»Wann ist es denn gewesen, daß ich Beethoven zuletzt gesehen habe?«
+Franz denkt nach. »Bei seinem letzten großen Konzert war es, wo er
+selbst die ›Neunte‹ dirigierte, diese Sinfonie der Menschheit ....«
+
+Ganz richtig, es ist das letztemal gewesen, da man Beethoven am
+Dirigentenpult gesehen hat. Er ist damals schon entrückt gewesen,
+menschenentrückt durch seine Taubheit und Unnahbarkeit, weltentrückt
+durch seinen Genius .... Das waren keine irdischen Klänge mehr, deren
+Glanz er vor den Hörern ausbreitet, die kamen aus höheren Welten, über
+den Schrei der verzweifelten Menschheit rauschten die Stimmen der
+Seligen auf. Er hörte sie nicht mit dem leiblichen Ohr, aber mit dem
+geistigen vernimmt er sie um so gewisser.
+
+Der letzte Ton verklingt, die Zuschauer wagen es nicht, sich zu
+rühren vor Andacht und Ehrfurcht, der Meister steht noch oben mit dem
+Taktstock, blickt starr auf das Pult vor sich hin und dirigiert weiter
+aus dem Gedächtnis. Die geschriebene Sinfonie ist zu Ende, der letzte
+Ton verhallt, ein Musiker nach dem andern verläßt still das Podium,
+nur der Tragiker steht noch oben und gibt den Takt. Seine Taubheit ist
+so groß, daß er sein eigenes Werk nicht mit dem leiblichen Ohr gehört
+hat, aber die Hellhörigkeit seiner Seele ist so unendlich, daß er
+den Weltgesang weiter hört und fort und fort den Takt dazu gibt. Die
+Sinfonie ist nicht zu Ende für ihn .....
+
+Die Leute sitzen unten und wagen es nicht, sich zu rühren, sie sind
+erschüttert von dem tragischen Anblick, viele weinen vor Rührung. Da
+wagt es einer der Musiker, der hinter ihm in den Saal geschlichen ist,
+den Lauschenden, von ewigen Harmonien Umfluteten leise am Rock zu
+zupfen. Beethoven wendet sich um, wie aus allen Himmeln gestürzt, mit
+einem Blick des Entsetzens schaut er sich um und flieht.
+
+Der Vorgang schneidet ins Herz, diesen entsetzten Blick vergißt
+keiner, der ihn gesehen. Franz sieht alles klar wieder vor Augen. Die
+bloße Erinnerung ergreift ihn mit der gleichen Heftigkeit wie jener
+Augenblick. War es nicht so, daß der Geist des großen Meisters damals
+schon entrückt war über die Menschen hinweg in lichte Seligkeiten und
+dem himmlischen Wegweiser in seiner Einsamkeit folgte eine Straße
+entlang, »die noch keiner ging zurück«?
+
+Das Zerren an dem Rock riß ihn zurück in die Wirklichkeit, vor der sich
+sein Blick entsetzte. Er floh, er vergrub sich vor den Menschen, und
+jetzt rüstete seine Seele zum letzten Male zur großen Heimreise. »Wird
+ihn noch einer zurückrufen können, soll er gehen, ohne daß ich ihn
+gegrüßt und ihm gedankt habe?«
+
+Einige Tage verstrichen. Das große Sterben drüben in der
+Schwarzspanierstraße machte endlich von sich reden. Die Trauer breitete
+ihren Flor aus. Das Herz der Stadt zitterte, man hörte den Tod, wie er
+durch die Gassen ging.
+
+Jenger ließ sich nicht blicken. Endlich, endlich kam er zurück. Anselm
+mit ihm. Schwarze Röcke, Zylinder, Flöre an dem Arm. Ihre Mienen
+verkündeten schon von weitem: Beethoven tot!
+
+In der Tiefe wühlte und bohrte der Schmerzensquell, aber er brach nicht
+hervor unter dem Schutt und Geröll. Das Phlegma, sagen die Leute.
+
+Mit diesem anscheinenden Phlegma ging Franz in der Mitte zwischen
+Jenger und Anselm Hüttenbrenner.
+
+»Wenn schon nicht im Leben, so will ich im Tod bei ihm gewesen sein!«
+sagte Franz mitten unter dem Schweigen.
+
+Sie gingen hinüber ins Trauerhaus.
+
+»Schindler erzählt, daß oft von dir die Rede war bei Beethoven!« weiß
+Jenger. »Er hat viel Gutes von dir gesagt, es war ihm aber aufgefallen,
+daß du dich immer versteckst ... ›Der kommt nach mir,‹ soll der Meister
+einmal gesagt haben.«
+
+Franz ging stumm zwischen den beiden, das Herz schlug ihm gewaltig,
+je näher sie dem Schwarzspanierhause kamen. Beim Tor wurde ihm ganz
+schwach, er mußte ein wenig verschnaufen. Keine Macht hätte ihn die
+Stiege hinaufgebracht, wenn er allein gewesen wäre. Diese zwei nahmen
+ihn unterm Arm und stiegen hinauf. Im Vorzimmer oben empfing sie ein
+grauhaariger Mensch, der nur flüsterte und den dreien durch Zeichen mit
+der Hand bedeutete, einzutreten. Sie durchschritten ein Zimmer; der
+Flügel stand darin, Stöße von Noten lagen darauf und am Boden umher,
+eine schreckliche Verwahrlosung und Verödung grinste aus allen Winkeln,
+Leichengeruch schlug ihnen entgegen ...
+
+Im nächsten Zimmer lag der große Tote. Franz starrte in das zerklüftete
+Antlitz, in diese Züge, die nach innen gewendet waren und entrückt von
+dem Hinaushorchen und Lauschen unendlicher Harmonien .... jetzt war
+es ein zertrümmertes Steingebirge mit den gewaltsamen Spuren eines
+beendeten Götterkampfes. Einer schreckensvollen Ruine glich dieser
+irdische Rest, nachdem der Geist entflohen war.
+
+Es war zu qualvoll, in diese Walstatt zu sehen, Franz riß sich los und
+stürmte fort. Am nächsten Tag ging er im Trauerzug als Kerzenträger. An
+dem Zyklopentor des Währinger Friedhofs hielt Anschütz eine gewaltige
+Rede von Grillparzer, der Sarg schwankte wie ein schwarzes Schiff in
+diesen Hafen, Franz hatte zuweilen das Gefühl, als ging' es mit ihm
+selber zu Grab. Gottes Finger rührte an sein Herz, aus der dunkelsten
+Tiefe der Seele antwortete eine Stimme diesem Pochen, und was sie
+antwortete, sollte später im Hiobsbuch seiner »Winterreise« stehen:
+
+»Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht. Allhier will ich
+einkehren, hab' ich bei mir gedacht. Ihr grünen Totenkränze könnt
+wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus
+ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt, bin matt zum
+Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt. O unbarmherzige Schenke,
+doch weisest du mich ab? Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer
+Wanderstab, nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!«
+
+Besonders in diesem letzten Wirtshaus winkt Gottes Finger fast wie beim
+Heurigen.
+
+Zwei Freunde begleiten Franz am Heimweg. Unterwegs kehren sie noch ein
+und sitzen in der Weinstube auf der »Mehlgrube«. Franz ist ganz in sich
+gekehrt. Er schenkt das erste Glas voll, erhebt es und leert es in
+einem Zug auf das Andenken des Heroen, den sie eben zu Grabe geleitet
+haben. Er schenkt ein zweites Glas ein, er sieht die beiden anderen
+ernst an und sagt: »Und jetzt trink' ich das zweite Glas auf den, der
+ihm von uns als Erster nachfolgt ....«
+
+Damit hat's noch seine guten Wege. So viele Wirtshäuser man schon
+gesehen und darin zur kühlen Rast geweilt hat, man wird noch durch
+manches Wirtshäuslein kommen, ehe man zu dem letzten anlangt. Und der
+sich matt zum Niedersinken fühlt und tödlich schwer verletzt, der muß
+sich nun schon weiter helfen, weiter, nur weiter, an seinem treuen
+Wanderstab.
+
+Unter den vielen Wirtshäuslein, die Franz auf seiner Lebensfahrt als
+erquickliche Stationen befunden hat, gilt das »Blumenstöckel« im
+Ballgassel als keines der schlechtesten. Es ist ein gemütliches Beisel,
+wie er es gern hat, mit einem Glassalon nach der Hofseite, wo ein paar
+Bäume stehen. In dem weißen Glassalon ist es gut zu sitzen in den
+linden Sommernächten, wenn der herbe Geruch des Götterbaumes durch die
+geöffneten Fensterflügel hereinstreicht.
+
+Anna Milder ist wieder zum Gastspiel in Wien, ihre Augen, ihr Lächeln,
+ihre Stimme riegelt alle bittersüßen Erinnerungen auf, ganz traumselig
+geht Franz mit Spaun und Mayrhofer, dem wieder einmal Umgänglichen,
+nach dem Opernabend ins »Blumenstöckel«.
+
+Mayrhofer und Spaun schimpfen über die Wiener, die um die warme
+Jahreszeit nicht mehr ins Theater zu bringen sind. Die »Iphigenie«
+wurde vor einem fast leeren Hause gesungen. Um so voller war es dafür
+beim »Blumenstöckel«. Mit Mühe und Not erobert man einen leeren Tisch
+im weißen Glassalon.
+
+Beim Essen und Trinken vergeht leicht die Zeit, es ist bald an
+Mitternacht; die Leibesstärkung hat die Seelenkraft erhöht, die
+Begeisterung über die Eindrücke des Abends strömt in lauten Worten aus.
+Es geht ziemlich ungeniert her, der Glassalon ist um die späte Stunde
+fast leer geworden, nur am Nebentisch sitzen einige Gäste, die jedes
+Wort aufschnappen. Die Augen, das Lächeln, die Stimme der Anna Milder,
+in allen Tönen der Bewunderung wird sie gepriesen. Vor allem diese
+Stimme!
+
+Franz schwärmt irgend was von dem Ideal der dramatischen Gesangskunst.
+Da fängt einer am Nebentisch laut zu höhnen an, Spaun kennt ihn, es ist
+ein Universitätsprofessor; er hat vielleicht schon zu tief ins Glas
+geguckt, jedenfalls scheint er zur Stänkerei aufgelegt. Und legt auch
+schon los, so halb und halb zum Freundestisch herüber.
+
+»Das nennt man Stimme? Gekräht hat sie wie ein Hahn; die kann ja
+überhaupt nicht singen, weder Läufer noch Triller versteht sie zu
+machen, ist doch eine Schande, die als Primadonna herzubringen -- das
+soll man sich vorsetzen lassen für sein gutes Geld ....?!«
+
+»So ein unverschämter Kerl!« Fast zugleich springen Mayrhofer und
+Schubert auf; Franz schmeißt sein gefülltes Glas hin, so kochend vor
+Wut hat man ihn noch nie gesehen. Er könnte dem Kerl am Nebentisch an
+die Gurgel springen, mit Mühe wird er zurückgehalten. Es ist nicht
+das erstemal, daß er ganz aus dem Häuschen gerät, wenn sich einer an
+dem versündigt, was ihm heilig ist. Ein Schimpfduett hebt an, daß es
+schauerlich anzuhören ist.
+
+Aber der andere drüben ist auch nicht maulfaul, und ein Dickschädel ist
+er obendrein, von Nachgeben ist keine Rede. Es gibt einen richtigen
+Wirtshausskandal. Franz ist kaum mehr zu halten, eine blutige Keilerei
+scheint unvermeidlich, die Begleiter des ungebärdigen Professors
+sind besonnen genug, den Halbbetrunkenen unterm Arm zu fassen und
+hinauszuexpedieren.
+
+Die drei Freunde bleiben allein im Glassalon zurück. Sie haben wohl das
+Feld behauptet, aber die wüste Wirtshausstreiterei ist gerade auch kein
+erquickliches Erlebnis. Man fragt sich, wo nimmt denn so ein gemeiner
+Kerl das Recht her, in den Seelengarten des anderen einzubrechen und
+die schönsten Blumen zu zerstampfen? Wenn man auch seinen Mann gestellt
+und den Kerl zu Paaren getrieben hat, so bleibt doch ein widerwärtiges
+Gefühl zurück.
+
+Man ist in seinen zartesten und reinsten Empfindungen gedemütigt,
+mißhandelt, besudelt worden, und dazu hat man das niederdrückende
+Gefühl, daß man der Dummheit und Gemeinheit wehrlos ausgeliefert ist.
+Da soll doch ein Himmeldonnerwetter dreinfahren! Die ganze erbärmliche
+Welt könnte man zerschmeißen. Es kocht in Franz, kreideweiß sitzt er
+vor dem Tisch, eine Zeit vergeht, er redet kein Wort.
+
+Da packt er plötzlich ein Glas und schmeißt es in die Ecke. Klirr! ist
+es in tausend Scherben. Das wirkt wie eine Entspannung. Ein zweites
+Glas fliegt nach. Klirr! ist das eine Freude, wenn alles in Scherben
+geht! Die Wasserflasche, ein Schock Teller, die Karaffe mit Essig und
+Öl, die Salzfässer, der Senftiegel -- klirr, klirr, tschin! Jetzt sind
+auch ein paar Fensterscheiben des Glassalons durch. Es hagelt Glas.
+
+Die Kellner stürzen herbei, stehen an der Tür, reißen Maul und
+Augen auf und lassen es gewähren. Sie denken schon mit heimlicher
+Schadenfreude an die fabelhafte Rechnung, die sie hernach schreiben
+werden.
+
+Mayrhofer und Spaun sind nicht imstande, Franz zu bändigen, der außer
+sich ist. Riesenkräfte sind in dem kleinen, etwas aufgeschwemmten
+Körper lebendig geworden. Elektrische Schläge gehen von den plötzlich
+straff gespannten und steinhart gewordenen Muskeln aus, die Freunde,
+die ihm in die Arme fallen wollen, fliegen unter der heftigen Abstoßung
+weg, als wären sie Spielbälle.
+
+Und nun packt Franz mit seinen zarten Händen den großen Wirtshaustisch,
+hebt ihn hoch in die Luft und bum! fliegt der schwere Tisch in die Ecke
+zu den Scherben, daß das Glas aufspritzt wie Wasser. Dann der nächste
+Tisch, Bum und Krach! die Stühle nach, und nicht eher ist Ruhe, als bis
+der ganze Glassalon einem Trümmerhaufen gleicht.
+
+Alles Elend, aller Ärger, alle Demütigung und Zurücksetzung, alles Leid
+und aller Hohn, die ihm in diesem Leben zuteil geworden sind, drängen
+herauf aus der Seele, die sich befreien will. Und mit jedem Stück, das
+hinfliegt und in Scherben geht, löst sich ein Stück Unrecht, das man
+erdulden hat müssen; es ist wie ein Erbrechen aus Ekel über den ganzen
+Unrat dieser erbärmlichen Welt, den man hinunterwürgen hat müssen. Nur
+daß er selber am Schluß auf diesem höllischen Misthaufen liegt, ein
+armer, schmerzverkrümmter Hiob.
+
+So schaut der Franz mit seinem Phlegma aus?! Wer soll sich da
+auskennen? Man weiß nicht, was in diesem sonderbaren verschlossenen
+Gemüt steckt!
+
+Kopfschüttelnd lesen die Freunde das unselige Meisterlein auf, das
+jetzt einem hilflosen Kinde mitten im zerschmetterten Spielzeug
+gleicht. Er ist kaum seiner Sinne mächtig und kann sich nicht allein
+erheben. Wie gelähmt ist er am ganzen Körper. Er wird in einen Wagen
+gehoben, die Freunde bringen ihn heim. Dann liegt er tagelang zu Bett
+und ist krank. Das Übel, das ihn vor Jahren befallen und ihn nie mehr
+ganz verlassen hat, ist schlimmer als je geworden. Die Krähe, die Krähe
+-- stärker vernimmt die Seele das Fittichschlagen dieses Todesboten.
+
+»Eine Krähe ... ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen ...«
+
+Er summt das Lied aus der »Winterreise« vor sich hin, als ob er
+Zwiesprach' halten würde mit dem Symbol.
+
+»Nun, es wird nicht mehr weit geh'n an dem Wanderstabe, Krähe, laß mich
+endlich sehn, Treue bis zum Grabe ....«
+
+Der Skandal beim »Blumenstöckel« hatte flinke Beine wie jeder Skandal
+und lief besonders hurtig um in einer Stadt wie Wien, die seit jeher
+ein empfängliches Ohr für solche Chronik hat und mit ihrer angeborenen
+Göttergabe der Phantasie die Geschichte auszuschmücken versteht, bis
+sie so klingt, wie es die Leute am liebsten hören. Weil die Menschen
+sich am größten vorkommen, wenn sie die Schadenfreude in Mitleid hüllen
+können, so hören sie es am liebsten, daß einer ganz herunter ist, bis
+auf den Grund; es gewährt ihnen das Gefühl der Erhebung, den leidenden
+Mitbruder so in Staub zu sehen wie den armen Zöllner -- »Herr, ich
+danke dir, daß ich nicht bin wie jener ...« es ist das fadenscheinige
+Mäntelchen der Nächstenliebe, aus deren Löchern allzuoft die
+scheinheilige Selbstgerechtigkeit der sittlichen Entrüstung wie ein
+schmutziger Hemdzipfel hervorguckt ....
+
+»Haben Sie schon das Neueste gehört? Im Rausch hat er alles krumm und
+klein geschlagen -- der Bsuff!
+
+Schad' um den talentierten Menschen -- es geht bergab mit ihm -- ein
+rechter Bruder Saufaus ist er geworden --«
+
+In dieser Form gelangt die Legende den Schwestern Fröhlich zu Ohren.
+Sie sind von aufrichtigem Mitgefühl bewegt -- daß Franz sich vom
+gesellschaftlichen Verkehr immer mehr zurückzieht und nur mehr im Kreis
+seiner Wein-, Punsch- und Kaffeebrüderln gesehen wird, wenn er nicht
+allein herumschwärmt, ist freilich eine bedauerliche Bestätigung der
+bösen Mär.
+
+Die Schwestern veranstalteten ein Ständchen zu Ehren der Gosmar,
+ihrer einstigen Schülerin und besseren Freundin, Franz hat für dieses
+Fest einen Chor nach Grillparzers Versen »Zögernd leise ...« für
+Mädchenstimmen komponiert -- er soll es selbst dirigieren, das war die
+Verabredung.
+
+Die Schülerinnen der Fröhlich, ein weißer Mädchenflor, werden in drei
+Stellwagen am Hof gestopft, die gelben Wagen holpern mit Singsang
+hinaus zum Langschen Haus in Döbling, wo die Gosmar wohnt, ein Klavier
+wird heimlich unter ihre Gartenfenster geschoben -- alles klappt, nur
+der Musikus ist nicht da. Kathi nimmt sich vor, ihm gehörig den Kopf zu
+waschen.
+
+Schon am nächsten Tag hat sie ihn aufgestöbert, er lächelt: »Ach ja,
+ich hab' ganz vergessen darauf!«
+
+Es bleibt ihm aber nicht geschenkt. In einigen Tagen bringen die
+Schwestern das Ständchen im Musikvereinssaal in der Tuchlauben zur
+Aufführung, man sollte schon beginnen -- wer wieder nicht kommt, das
+ist der Franz.
+
+Der Kathi ist gar zu leid. »Schade, daß er es auch heute nicht hören
+sollte!« sagt sie zu Jenger. Ein Hofrat Walcher ist da, der weiß
+Bescheid, »Musikanten trinken gern -- wahrscheinlich sitzt er wieder
+bei Wanner ›zur Eiche‹ auf der Brandstätte, dort gibt's gutes Bier, die
+Musiker kommen dort gern zusammen --«
+
+»Natürlich schon wieder im Wirtshaus!« ruft Kathi ärgerlich aus,
+Jenger muß sich sofort auf die Strümpfe machen und Franz herbeiholen.
+Richtig sitzt er dort in aller Gemütlichkeit, aber er hat sich sofort
+aufgemacht und ist mit Jenger gerade noch zur rechten Zeit ins Konzert
+gekommen.
+
+»Nun?!« Kathi hat Haare auf den Zähnen, was sie einmal anfaßt, läßt
+sie nicht mehr locker. »Nun?!« ihre erwartungsvolle Frage nach der
+Aufführung. Franz ist ganz verklärt: »Wahrhaftig, ich hab' nicht
+gedacht, daß es so schön wär' ....« Die Stimmung ist so versöhnlich,
+sie hat wirklich nicht das Herz, jetzt mit der Moralpauke loszulegen --
+aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nächstens also, in der eigenen
+Wohnung, dann wird sie es ihm gründlich besorgen.
+
+Da kann sie aber lang warten. Mit keinem Auge ist Franz zu erblicken.
+Argwöhnisch, wie Kathi ist, meint sie, er gehe ihr geflissentlich aus
+dem Weg. Ein Zufall führt sie mit ihm auf der Straße zusammen, sie
+nimmt ihn gleich ordentlich ins Gebet, die handfest Zupackende.
+
+Ob er nicht wüßte, wie ihre Adresse laute -- und ob er nicht immer
+offene Türen in ihrem Hause gefunden habe?! Was das also jetzt für
+eine Art sei?! Und das mit dem Trinken -- ein Wirtshausbrüderl, ein
+Liederlich, ein Nachtschwärmer, ein Trunkenbold -- o pfui!
+
+Sie meint es so gut und aufrichtig und möchte ihn auf den rechten Weg
+zurückbringen, es ist ihr heilig damit. Er spürt die edle Absicht und
+ist darum gar nicht böse. Er lächelt nur ein bißchen zu ihren Worten
+und lenkt ganz sachte ab: »Schönen Dank für die gute Meinung, aber
+soviel als mir die Leute andichten, könnt' ich ja gar nicht vertragen
+-- jetzt schon gar nicht, bei meiner wackeligen Gesundheit -- nur grad'
+soviel, als sich gehört, um ein bißchen bei Stimmung zu bleiben, oder
+das bißchen Schlaf zu finden -- also nur grad' soviel, als der liebe
+Gott erlaubt hat, keinen Tropfen drüber, ist doch eine heikle Sache wie
+mit jeder Medizin --«
+
+Er lächelt so weh dazu, daß ihr gleich die Strafpredigt vergeht und
+daß sie in liebreichen, tröstenden Worten auf ihn einredet, die gütig
+Verstehende, er möge sich nur nichts abgehen lassen, immer auch kräftig
+essen dazu und sich's wohl schmecken lassen, die Medizin -- --
+
+Das sieht sie jetzt klar; die Leute haben gelogen, ein Bsuff ist er
+nicht, o nein! Ein ganzer, wirklicher, tiefer und darum leidender
+Mensch ist er -- -- sie weiß nicht warum, aber auf einmal stehen ihr
+die Augen voll Tränen ......
+
+Der September läßt sich wunderschön an, Wetter- und Geldverhältnisse
+sind gleich gut wie selten im Jahr, die Sorgen, die Krankheit scheinen
+entrückt -- die Krähe schwebt hoch und fern -- ein kleines schwarzes
+Pünktchen, nicht größer wie eine Schwalbe im Himmelblau.
+
+Mit dem Grazer Ehepaar hat ein gar freundlicher Briefwechsel
+stattgefunden -- Jenger ist mit Franz über alle Berge zu Besuch im
+Hallerschlössel. Vier Wochen sind sie aus -- dem Franz hat's wohlgetan.
+Sein gewitterbanges Herz hat einen Sonnenstrahl empfangen, der trotz
+der Wolken nicht mehr vergeht -- in diesem Sonnenfleck des Herzens
+taucht das Hallerschlössel mit seinen vier Ecktürmen auf, der Grazer
+Schloßberg, die Stadt mit ihren Kirchen, das lachende Antlitz der
+steirischen Landschaft mit grünschwellenden Hügeln, Obstgefilden
+und Weingärten, das gastfreundlich eifrige Ehepaar Pachler, die
+Gesangsvereine, die Mädchen und Frauen, das liebevolle Drängen und
+Feiern um ihn und er mitten drinnen, hochgeehrt und gepriesen -- von
+diesem Sonnenblick kann er auch in den trüben Tagen Freude und Trost
+schöpfen wie aus einem unerschöpflichen Brunnen von Licht.
+
+»Wien will mir noch nicht recht in den Kopf,« lautete sein Dankbrief
+an die Pachlerin, »'s ist freilich ein wenig groß, dafür aber leer
+an Herzlichkeit, Offenheit, an wirklichen Gedanken, an vernünftigen
+Worten und besonders an geistvollen Taten. Man weiß nicht recht, ist
+man gescheit oder dumm, soviel wird hier durcheinander geplaudert, und
+zu einer innigen Fröhlichkeit gelangt man selten oder nie. 's ist zwar
+möglich, daß ich selbst viel schuld daran bin mit meiner langsamen Art,
+zu erwärmen. In Graz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene
+Weise, mit- und nebeneinander zu sein ...«
+
+Er tut sich bei seiner Rückkehr diesmal schwerer mit der Heimat als je
+früher. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht ihn jetzt, wenn er durch
+die Gassen geht, an Wohnungen vorüber, wo einst das Glück gehaust hat.
+Und kommt er am nächtlichen Heimweg dort einsam vorüber, dann starrt er
+wohl in die Höh', als müßt' er ein Gesicht erkennen, das er so innig
+geliebt hat, wie er diese Stadt selber liebt, mit der er in den Stunden
+des Haders oft bitter und schier ungerecht streng ist. Die einzige,
+unsterbliche Geliebte, die ihm soviel und noch mehr war wie alle
+zusammen, die er liebend gekannt hat, sie hat ihn schier vergessen,
+aber sein Herz will's nicht fassen und geht eigensinnig die alten Wege
+seiner Qual.
+
+»Still ist die Nacht -- es ruhen die Gassen, in diesem Hause wohnte
+mein Schatz; sie hat schon längst die Stadt verlassen, doch steht noch
+das Haus auf demselben Platz. Da steht auch ein Mensch und starrt in
+die Höhe, und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; -- mir graust es,
+wenn ich sein Antlitz sehe, der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. Du
+Doppelgänger, du bleicher Geselle! Was äffst du nach mein Liebesleid,
+das mich gequält auf dieser Stelle -- so manche Nacht in alter Zeit --?«
+
+Das Herz schreit es auf -- nach der »Winterreise« der schmerzlichste
+Akzent seines »Schwanengesangs«, die Seelenbeichte in Tönen -- nicht
+dem liebsten Freund würde er sein tiefstes Geheimnis in dürren Worten
+preisgeben, so schwer hat er es mit sich -- bei seinem Phlegma --
+bei seiner langsamen Art, zu erwärmen -- niemand weiß, was in dem
+verschlossenen, oft rauh und kurz angebundenen Menschlein steckt --
+nur wenn er in seiner Sprache redet, in Musik, dann ist alles tief
+Verborgene klar -- -- Immer ist es der Schmerz, der der Seele hilft,
+fruchtbar zu werden. Der Tod Beethovens wirkt tief nach, in einem
+höheren Leben steht er dem Vollendeten näher als früher im niederen
+Alltag. Er geht immer weiter seine einsame Straße, den inneren
+Wegweisern entlang aufwärts zur Höhe, wo er den Verewigten wandern
+sieht. Aufs äußerste angespannt ist sein inneres Lauschen, gewaltig
+strömt es auf ihn ein. Ein ganz Großes entsteht, die C-Dur-Sinfonie,
+gleichsam mit einem Ruck ist er oben, ganz dicht bei Beethoven.
+
+Aber auch in anderer Weise fühlt er die Meisterhand, die ihn führt. Das
+große Konzert Beethovens war ihm ein Wink gewesen. Damals sagte er den
+Freunden: »Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein
+ähnliches Konzert zu geben.«
+
+Gott will es; es sind zwar viele Hemmungen zu überwinden, innere und
+äußere, nach mancher Verzögerung verwirklicht es sich doch, was einmal
+innerlich so fest beschlossen erscheint. Es ist eine der wenigen
+Erfüllungen, die ihm von seinen vielen Hoffnungen beschert wird.
+
+Franz wohnt nicht mehr in Schwindien, er hat sein Heim wieder in der
+Tuchlauben aufgeschlagen, der weite Weg von der Karlskirche her wird
+ihm zu mühsam, er will wieder im Kern der Stadt sein. Es hat sein Gutes
+jetzt, wo es soviel zu tun gibt, die Vorbereitungen zum Konzert, der
+fieberhafte Arbeitsdrang, das Schaffen, das so recht eigentlich ein
+wehevolles Gebären ist. Vielleicht wäre es mit dem Konzert noch immer
+nicht soweit gediehen, wenn nicht ein äußerer Hebel mithilft.
+
+Franz ist ja ein schweres Fuhrwerk und kann sich schwer zu dem bringen,
+was mit der Öffentlichkeit zu tun hat. Die Wünsche eilen voraus, aber
+das Fuhrwerk geht langsam und bleibt oft stecken. Mutter Not greift
+jetzt in die Speichen; der Geldmangel ist empfindlich, es muß endlich
+einmal wieder etwas Entscheidendes geschehen. Man hat so viele Nöte
+mit gutem Humor ausgehalten, daß man glauben könnte, er sei es schon
+so gewöhnt. Denn schließlich bekommt auch die Seele Schwielen und wird
+abgestumpft gegen die Härten des Daseins.
+
+Aber es zeigt sich jetzt, daß Franz immer empfindlicher wird, seine
+Seele kann keine Schwielen kriegen. Diese Empfindlichkeit peitscht ihn
+auf und spornt ihn an, sonst wäre es auch diesmal kaum soweit gekommen.
+Freilich hat er in Schindler, der so viele Jahre der treue Diener
+Beethovens war, einen erfahrenen Helfer gefunden. Der läßt nicht locker
+und treibt immer wieder an, wenn Franz kopfscheu wird. Das ist ein Mann
+der Praxis. »Nur nicht verzagen, hübsch gescheit handeln und vor allem
+nicht widerspenstig sein!«
+
+So kutschiert man unter dem Hütt! und Hott! Schindlers allgemach um
+alle Ecken herum und ist fast schon am Ziel. Das Konzert ist für einen
+Tag im März angesagt, muß aber verschoben werden und fällt wie durch
+eine Fügung gerade auf den Tag, an dem ein Jahr vorher Beethoven
+gestorben ist. Der Erfolg ist ungeheuer, es zeigt sich, daß der Ruhm
+des jungen Genius auch in diesen scheinbar stillen Jahren gewachsen
+ist. Ein schönes Stück Geld fließt in die Tasche des kleinen Meisters,
+die Not hat für ein Zeitlein wieder ein Ende.
+
+Als der Sommer herankommt, sitzt Franz leider schon wieder ganz auf dem
+Trockenen. So dringend eine Erholungsreise war, in diesem Sommer ist
+nicht daran zu denken. Aus Graz kommen süße Locktöne, das Herz möchte
+ja, aber der Geldbeutel erlaubt's nicht. Wenn man mit der Sehnsucht
+fliegen könnte, wäre man ja schon über Berg und Tal, indessen sitzt
+man bangen Herzens in der heißen Stadt und kann höchstens im Geist den
+hochbeschwingten Flug unternehmen. Das ist ein strenges Glück, die
+Arbeit -- wenn man so recht darein versenkt ist und all ihre Gnaden
+spürt, geht man Gotteswege; das Irdische, das oft allzu schwere Bürde
+wird, fällt ab, halb schwebt man schon im Paradies.
+
+Wie ein Rausch kommt es über Franz. Er singt sich von der Erde
+empor in den Himmel hinein. »Domine Deus«, mit lauter Stimme ruft
+der Chor den Namen des Herrn -- es ist die berühmte Es-Dur-Messe --
+die Leiden erscheinen im Verklärungslicht, im Agnus Dei klingt --
+ein Geheimzeichen für den Wissenden! -- der Schmerzensakzent des
+»Doppelgängers« auf: »... da steht auch ein Mensch und starrt in die
+Höh' und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; mir graust es, wenn ich
+sein Antlitz sehe -- der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt ...«
+
+In veränderter Gestalt klagt das Liebesleid des Meisterleins zum Himmel
+empor -- im Unendlichen will er Erlösung finden.
+
+Nebenher entsteht das schöne Streichquartett in C-Moll, außerdem
+vollendet sich der Zyklus seines »Schwanengesangs«. Es ist eine schöne
+Lebensreise im eigenen Schaffensbezirk, wo Himmel und Erde ineinander
+ruhen. Es ist das Land, das er als »Wanderer« gesucht und geahnt, »das
+Land, das Land so hoffnungsgrün, so hoffnungsgrün, das Land, wo meine
+Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn,
+das Land, das meine Sprache spricht ....«
+
+Das sind die Stunden der gesegneten Arbeit mit ihren tröstlichen
+Augenblicken. Aber diese leuchtenden Höhenwege werden steiler,
+seltener, kürzer. Der Alltag umklammert ihn mehr denn je mit seinen
+Leiden und Bedrängnissen. »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte
+welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall, ich bin ein
+Fremdling überall ...«
+
+Im Sommer wird sein Zustand so bedenklich, daß sein Arzt ihm dringend
+nahelegt, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einer Gegend, wo er rasch
+das Grüne erreicht. Franz gibt seine Stadtwohnung auf und mietet sich
+bei seinem Bruder Ferdinand ein, der jetzt in der Kettenbrückengasse
+wohnt. Der Wienfluß mit seinen Auen ist in der Nähe; nur ein paar
+Schritte vom Haus, und er ist im Freien.
+
+Er ist nun aus der Stadt gezogen, die alten Schmerzen hat er gern
+zurückgelassen, aber das unerträgliche Kopfweh will nicht vergehen.
+Das Lied von der Krähe kommt ihm immer wieder in den Sinn. »Krähe,
+wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen? Meinst wohl bald als
+Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun es wird nicht weit mehr gehn an
+dem Wanderstabe ....«
+
+Franz schleppt sich hin von Woche zu Woche, bald liegt er zu Bett, dann
+rafft er sich auf und sucht Zerstreuung im Freundeskreis, aber es ist
+nicht mehr das Rechte. Schwind nimmt Abschied, er geht nach München,
+mit einer trüben Ahnung im Herzen sieht Franz den Freund scheiden, als
+ob er es für immer wäre. Eine dreitägige Pilgerfahrt mit dem Bruder
+Ferdinand zu Haydns Grab in Eisenstadt hält er noch mit Mühe und Not
+aus.
+
+Einige Tage später läßt er im Gasthaus einen Fisch stehen, ein
+plötzlicher Ekel erfaßt ihn, er muß wieder zu Bett.
+
+Nach einiger Zeit empfängt Schober einen Brief von ihm: »Ich bin krank,
+ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken und wandle
+matt und schwankend vom Sessel zum Bett und zurück ....« Er bittet
+ihn um Lektüre -- Indianergeschichten, Abenteurerphantasien in fernen
+Landen; er sucht die Fernen. Die Freunde, Spaun, Lachner, Bauernfeld,
+Mayrhofer, Hüttenbrenner besuchen ihn, als sie eintreten, wendet er
+sich im Bett um, deutet mit der Hand an die Wand: »Hier ist mein Ende!«
+
+Am Abend stellen sich Delirien ein, mit Mühe wird er im Bett
+zurückgehalten. Zwei Tage darauf empfangen die Freunde und alle, die
+ihn geliebt haben, die erschütternde Nachricht: Franz Schubert am
+Nervenfieber gestorben!
+
+Bauernfeld rennt klagend von einem zum anderen: »Die ehrlichste Seele,
+der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner!«
+
+Im Gewand des Einsiedlers, um die Schläfen den Lorbeer, so wird er zu
+Grab getragen. Er kehrt ein ins letzte Wirtshaus, nach dem er sich
+so heftig gesehnt. Grüne Totenkränze sind ausgesteckt, fast ähnlich
+wie beim Heurigen, wo der Herrgott mit dem Finger winkt. »Ihr grünen
+Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins
+kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt?
+...«
+
+Diesmal hat sich für ihn eine kühle Kammer aufgetan zur ewigen Rast in
+der Nähe Beethovens.
+
+Auf dem Heimweg vom Friedhof versammeln sich die Freunde, die ihm am
+nächsten gestanden waren. Sie möchten so gern sagen, wie ihnen um Franz
+ist, und bringen es nicht zuwege; jeder möchte es sagen, aber alles
+Sagen war nur ein Stammeln.
+
+Einer steht plötzlich auf und macht es allen klar, die es wissen
+möchten: unser großer Freund ist gestorben, aber seine Seele klingt
+fort, sie ist die tönende Seele dieser Stadt ....... Sage mir keiner,
+der brave Schulmeistersohn war trunken und darum sei er so früh
+verdorben, denn das ist falsch. Er war trunken von Seligkeit und
+Leid, und wenn es die allzu Braven sein »Verderben« nennen, gut, dann
+war es ein göttliches Verderbnis, daraus seine schmerzlich süßen,
+unsterblichen Lieder quollen, darin nicht nur der Wein singt, nicht
+nur die Lerche jubiliert, nicht nur das Bächlein weint und die stummen
+Forellen mitsingen in dem seligen Quintett, sondern vor allem das
+eigene Herz, das Herz dieser Stadt, dieser gottgesegneten, verruchten,
+alten, ewig jungen geliebten Heimat, die er in Not und Tränen zu
+preisen nicht müde wurde, singend zu preisen wie einer der Jünglinge
+im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen und so laut, daß seine Stimme über
+Länder und Meere reichen und in der Wüste gehört werden muß, überall
+wo ein Mensch ringt in Lust und Qual, mit sich allein, und das Herz
+aufschreit, dieses gemarterte von sieben Schwertern durchbohrte,
+aus allen Wunden blutende und in Tränen lächelnde, über allen Jammer
+dieser Erde triumphierende, über allen Horizonten leuchtende Herz der
+Welt .......... Darum haben alle den gottseligen Schulmeisterssohn vom
+Himmelpfortgrund so sehr geliebt, die Namen, die er singt, die Freunde,
+die mit ihm zechen, der Wirt, der ihm aufkreidet, der Forellenbach,
+der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin
+zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein Gottes, der all sein
+Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid
+in Gold verwandelt. Und darum ist er so reich gestorben, daß wir
+alle seine Schuldner geworden sind, der Freund, der ihm borgte, die
+Mietfrau, die den Zins nicht gleich bekam, der Wirt, der die Kreide
+verschrieb, die Mädchen, die mit seinem Herzen spielten, und die ganze
+große unbekannte Menschheit .......... Wenn er sang, dann stand die
+Lerche still, dann hielt der Bach den Atem an, dann hoben die munteren
+Forellen ihre Köpfe aus den Wellen, dann sangen sie leise mit, und ihr,
+ihr alle sanget leise mit. Und die Welt des Haders, der Zwietracht
+sang mit und der große Chor schallte aus allen Tiefen, von allen Höhen
+....... Immer noch hören wir den Bach glucksen und schluchzen, wir
+hören die stummen Forellen, die mitsingen, wir hören den Chor der selig
+Leidenden, wir hören die Weinbergsfreudenstimmen von allen Höhen, wir
+hören den Sang der Liebe durch die ungezählten süßen Namen rauschen,
+die ihn als ebenso viele hold weibliche Verkörperungen umgaukeln --
+er will sie fassen, sie zerfließen, immer wieder fließen sie in eine
+zusammen, in diese eine große unsterbliche Geliebte; die Heimatstadt,
+die der Sänger in scheuer Minne wahrhaft geliebt hat ........ Und diese
+launische, undankbare, vergeßliche, eitle, oberflächliche, einfältige,
+kindliche, herzensfrohe, tiefe, beglückende und zugleich so betrübende,
+geschmähte, verfluchte, vor allem aber geliebte Stadt, sie hat uns --
+sie hat ihm alle Wunden geschlagen, sie hat ihn mit Schmerzen gesegnet,
+damit er von ihr zu singen und zu sagen wisse und wir mit ihm, diese
+einzige, große unsterbliche Geliebte -- -- -- -- -- -- -- Diese Heimat
+-- kennt ihr sie? Dort sind die Hügel belaubt und schlafen unter Reben,
+des Gottes voll; dort ist der Wind ein Kuß und der Sturm ein Lied. Dort
+plaudern die Bäche eine vertraute Sprache wie nirgend auf der Welt;
+dort fließt in den Brunnen das Wasser des Lebens und in den Gärten
+blüht die Liebe. Dort grüßen tausend Hände den Verstoßenen, wie sie
+ihn verstoßen und gegrüßt haben, den Sänger der Heimat, dem sie es so
+schwer gemacht haben, wie jedem, der Edles und Großes wollte -- dem
+sie es so schwer gemacht haben und von dem sie schließlich ein Lied
+wie einen Denkstein im Herzen tragen ....... Laßt uns daran denken --
+immer wieder muß ich daran denken, wenn ich die alten Wege gehe, den
+Forellenbach entlang, an dem auch er so oft gestanden war, sinnend und
+lauschend, den Sang der leisen Wellen und der munteren Forellen zu
+erhorchen und das Summen der Freude, die noch in allen Reben schläft,
+den ganzen Berg hinan. Laßt mich daran denken, wenn ich sehe, was sie
+aus der geheiligten alten Heimat gemacht haben ....... Wie sieht
+es zuweilen wirklich aus, das äußere Bruchstück der Heimat, die wir
+inwendig im Licht der Verklärung sehen als wesentliches Stück unserer
+Seele? In der ersten grünen Schenke gibt's Streit, ich gehe vorüber;
+in der zweiten werden wüste Gassenhauer gesungen, ich gehe wieder
+vorüber; über duftende Hausgärten her kommt eine keifende Stimme; ein
+geschminktes Frauenzimmer vertritt mir den Weg. Ach, es ist nicht immer
+die Liebe, die in den Gärten blüht; es ist nicht immer die Freude, die
+aus dem Weinglas getrunken wird; es ist nicht immer die unsterbliche
+Geliebte, die uns begegnet. Und selbst mein unvergeßlicher, klaräugiger
+Forellenbach ist eine dicke, schmutzige, übelriechende Gosse geworden
+und es sind längst keine Forellen mehr darin ....... Vielleicht sind
+niemals Forellen darin gewesen -- aber was tut's? Wenn ich über alle
+diese Ärgernisse und Wirrungen des äußeren Lebens genau hinaushorche,
+wenn ich genau in mich hineinhorche, dann werden die geliebten Stimmen
+wieder lebendig, mit tausend unsichtbaren Händen grüßt der Genius loci
+den Verstoßenen und hält ihn liebevoll geschäftig fest; ich fühle
+es, daß wir alle, was uns auch trennt, irgendwie zusammengehören
+in dem großen Seelenkonzert, darin der brave Schulmeisterssohn vom
+Himmelpfortgrund den Taktstock führt ....... wir sind Brüder und
+Freunde geworden durch ihn, das Herz der Stadt hat eine Stimme bekommen
+und diese Stimme ist er, unser Schubert. Er gehört zu jenen, um
+derentwillen unsere Stadt immer geehrt und geliebt werden wird, trotz
+-- trotz allem ..............
+
+Also sprach der eine und schloß mit den Worten: Brüder und Freunde in
+Ewigkeit -- sind wir mit ihm auch vorläufig zu Ende -- so ist es darum
+noch lange nicht zu Ende. Oh, noch lange nicht zu Ende! Hört es doch
+-- die Seele klingt fort, das Herz singt in seinem Lebenslied, der
+heimliche Sang der tiefen Brunnen, es singt von ihm und dieser Stadt,
+der großen unsterblichen Geliebten ................
+
+
+ -- Ende --
+
+
+
+
+ Vom Verfasser dieses Romans
+
+ sind im gleichen Verlag erschienen:
+
+
+ Amsel Gabesam
+
+ Der Narr vom Kahlenberg
+
+ Roman
+
+
+ Auf deutscher Straße
+
+ Amsel Gabesams Wanderjahre
+
+ Roman
+
+
+ Chevalier Blaubarts Liebesgarten
+
+ Roman
+
+
+ Die Vision der lieben Frau
+
+ Ein Münchner Künstlerroman
+
+
+ Das große Bauernsterben
+
+ Das Buch eines Glaubenskrieges
+
+
+ Kultur der Seele
+
+ Lebensweisheit nicht ohne Humor in einem modernen Erbauungsbuch
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 ***
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+ Franz Schuberts Lebenslied, | Project Gutenberg
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+<body>
+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 ***</div>
+
+<div class="transnote">
+<p class="s4 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler sind
+stillschweigend korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p>
+<p class="p0">Die Verlagswerbung ist an das Ende des Textes verlegt worden.</p>
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowp46" id="cover">
+ <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p class="s4 p2 center"><b>Franz Schuberts</b><br>
+Lebenslied</p>
+<hr class="r5">
+</div>
+
+<div class="chapter">
+<p class="s2 p4 center"><b>Joseph Aug. Lux</b></p><br>
+<h1>Franz Schuberts<br>
+Lebenslied</h1><br>
+
+<p class="s4 center">Ein<br>
+Roman<br>
+der<br>
+Freundschaft</p><br>
+
+<p class="p6 center">Sechzehntes bis zwanzigstes Tausend</p>
+
+<p class="center">Grethlein &amp; Co. G. m. b. H. in Leipzig</p>
+</div>
+
+<hr class="r5">
+
+<div class="chapter">
+<p class="p6 center">
+Alle Rechte, insbesondere<br>
+das der Übersetzung in fremde Sprachen,<br>
+von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten<br>
+</p>
+<hr class="r5">
+<p class="p4 center">
+Copyright 1915 by Grethlein &amp; Co. in Leipzig<br>
+Druck von August Pries<br>
+in Leipzig<br>
+</p>
+</div>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowe4" id="illu-001">
+ <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="deko">
+</figure>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<h2 class="nobreak">Vorwort</h2>
+</div>
+
+<p>Das bringt die Zeit mit sich:</p>
+
+<p>Wir wollen uns auf unser eigenes Wesen besinnen, um unser Selbst uns
+und den andern zu erklären.</p>
+
+<p>Österreichisches Wesen.</p>
+
+<p>Das will dieser Schubert-Roman. Denn Schubert, das ist das
+Allerösterreichischste.</p>
+
+<p>Also will das Buch die innerste Natur des Österreichertums erschließen
+und den durch äußere Verhältnisse und Veranlagung geschaffenen
+eigentümlichen Seelenzustand des österreichischen Genius darstellen,
+der treffend als österreichische Seelenwundheit bezeichnet wurde.</p>
+
+<p>Zugleich aber will es der bisher noch fehlende wirkliche Wiener
+Schubert-Roman sein, der den Genius frei von der ihm mit Unrecht oft
+angedichteten krankhaften Sentimentalität zeigt. Schubert war kein
+Sentimentalist und noch weniger war er ein Trunkenbold, wenngleich der
+von seinen Duzfreunden gelegentlich aufgebrachte neuerdings allzusehr
+betonte Spottname »Schwammerl« zu diesem Irrtum verführt, der doch
+einmal aus der Welt geschafft werden sollte.</p>
+
+<p>Als Leitgedanke dient mir, was Bauernfeld im Jahre 1857 schrieb: »Das
+äußere Leben Schuberts war<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> übrigens äußerst einfach und trieb sich
+anfangs in den ärmlichen Verhältnissen eines Schullehrers, später
+eines österreichischen Genies herum, eines <span class="antiqua">exemplar unicum</span>
+hierzulande, welches, wenn sonst überall, besonders hier gegen Not
+und Dummheit anzukämpfen hatte. Sein inneres Leben mit Freunden und
+Gleichgesinnten bietet aber so wenig biographische Züge dar und ließe
+sich <em class="gesperrt">etwa nur in einer poetischen Schilderung darstellen</em>.
+Schubert war gewissermaßen eine Doppelnatur, die Wiener Heiterkeit mit
+einem Zug tiefer Melancholie verwebt und veredelt. Nach innen Poet war
+er und von außen eine Art Genußmensch, dem, persönlich nach der äußeren
+Erscheinung beurteilt, überdies der herkömmliche Geselligkeitsschliff
+fehlte, so daß mancher gebildete Alltagsgesell sich etwas weit Besseres
+dünken mochte als der ungehobelte Sänger der »Müllerlieder« und der
+»Winterreise««.</p>
+
+<p>Der biographischen Züge sind nicht so wenige, als Bauernfeld meint;
+aber sie sind nur äußerliche tote Bruchstücke, wenn sie nicht die Seele
+lebendig macht, die das wesentliche Stück ist, sowohl im Leben wie in
+der Dichtung.</p>
+
+<p>Bauernfeld gebraucht noch nicht das Wort »Seelenwundheit«, aber dem
+Sinn nach steckt es drinnen in der Mischung von Wiener Heiterkeit
+und der veredelnden Melancholie, daraus so tiefe und seelenvolle
+Schöpfungen entstanden sind.</p>
+
+<p>Die österreichische Seele und besonders meine Wiener Heimat zu
+erklären, habe ich schon früher in zahlreichen Werken unternommen,
+ich verweise auf meinen halb autobiographischen<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> Jugendroman: »Der
+Narr vom Kahlenberg« (Amsel Gabesam) oder auf Grillparzers Liebesroman
+»Die Schwestern Fröhlich«; — vielleicht darf im ferneren Zusammenhang
+auch meine Legendendichtung: »Chevalier Blaubarts Liebesgarten« hier
+noch mitgenannt werden. Doch tragen auch meine anderen Schriften
+diese eingeborene Tendenz, unser österreichisches Wesen recht
+verständlich zu machen. Schließlich ist alles in einem gewissen Sinne
+Selbstdarstellung, auch in scheinbar historischer Form.</p>
+
+<p>Das seelische Fluidum des alten Wien ist ja immer noch heimlich da, die
+Stimme des Genius loci, die fortklingt in den stillen Vorstadtgassen
+und ländlichen Orten am Fuß des Kahlenberges, in denselben Worten und
+Redewendungen, wie sie aus den überlieferten persönlichen Dokumenten
+der Schubertzeit hervortönen.</p>
+
+<p>Da draußen am Rande der Stadt, wo sich der traumhäuptige Wienerwald,
+das sonnige Weinland und die blaublickende Donau zu einem
+unausgesungenen Dreiklang vermählen, zu einer <em class="gesperrt">echt Schubertschen
+Weise</em>, liegt auf den Stirnen der schlicht vornehmen Häuser des
+schwindenden Alt-Wien manche kostbare Erinnerung.</p>
+
+<p>Sie waren mir seit jeher ein Lebendiges, diese</p>
+
+<p class="lft20">Denktafeln in Döbling.</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent4">Ich las, allwo die letzten Hütten stehen,</div>
+ <div class="verse indent4">Auf Tafeln an den Häuschen, an den schlichten,</div>
+ <div class="verse indent4">Von eurem Wohnen dort und eurem Dichten,</div>
+ <div class="verse indent4">Grillparzer, Schubert, van Beethoven — wehen</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p>
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent4">Fühlt' ich den Geisterhauch, der eure Nähen</div>
+ <div class="verse indent4">Umschwebt; es steigt in lieblichen Gesichten</div>
+ <div class="verse indent4">Das Bild von jener Zeit empor, der lichten,</div>
+ <div class="verse indent4">Die eure Sonnen konnt' im Fenster sehen.</div>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent4">Ein stiller Weiheglanz ruht auf den Stätten,</div>
+ <div class="verse indent4">Die als Vermächtnis wahren eure Spuren,</div>
+ <div class="verse indent4">Armselig scheinen fast und tot dagegen</div>
+ </div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent4">Die reichen Villen hinter Prachtstaketen,</div>
+ <div class="verse indent4">Und schöner leuchten mir ringsum die Fluren,</div>
+ <div class="verse indent4">Seit ich die Spuren sah von euren Wegen — — —</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p class="r20">Joseph Aug. Lux.</p><br>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="I">I.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Die jungen Bengel sangen im Kirchenchor.</p>
+
+<p>Man konnte nur ihre Köpfe sehen, über der hohen Brüstung der Empore,
+dicke, kleine, runde Schädel, einer dicht neben dem anderen,
+braungelockt, schwarzgelockt, blondgelockt, rotwangig, pausbackig,
+aufgesperrte rote Mäuler, aus vollem Halse singend, jubelnd,
+schmetternd. Wie die himmlischen Heerscharen. Sängerknaben. So hat
+Luca della Robbia seine Singerlein geformt aus Lehm, in halb erhabener
+Arbeit, weißblau glasiert. — Nein! So haben die frommen Bildschnitzer
+das Gotteshaus geschmückt, mit fleischfarbigen, pausbackigen,
+lockigen Engelsköpfen, die auf goldenen Flügeln über den Gesimsen und
+Pfeilern auftauchen, die roten Mündchen zum Singen aufgesperrt, oder
+das Fäustchen im behaglichen Hinlümmeln in das verschmierte Antlitz
+gestemmt, kleine, himmlische Flegel, in der Höhe ganz so anzusehen wie
+die plärrenden Sängerbuben auf der Empore, die aber nicht von Lehm und
+nicht von Holz sind, sondern richtig von Fleisch und Blut.</p>
+
+<p>Die Orgel plaudert gemütlich mit, brummbärig, drohend, polternd,
+dann wieder begütigend, zuredend, ermahnend; der Blasebalg ächzt und
+stöhnt asthmatisch, der Organist<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> arbeitet mit Händen und Füßen,
+zieht alle Register auf, und jetzt legt die Stimme mit Donnergewalt
+los aus hundert Pfeifen, daß die Grundfesten erzittern, wie wenn der
+Herr im Zorn spricht und Schweigen gebietet. Aber stärker noch als
+dieses Donnern war der helle Sopran der Knabenstimmen, der durchdringt
+und in die Höhe schmettert, wie Lerchenjubel, höher und höher in
+die Himmelsbläue des Weltdomes, bis zum hohen C hinauf, klar und
+rein, daß selbst die Orgel schmunzelnd aufhorcht und gutmütig leise
+brummt, indessen von den unendlichen Höhen ein eherner Hagel von Tönen
+niederprasselt, als wollte sich dort oben eine Brust zersingen.</p>
+
+<p>Eine Stimme war es, nur eine, die diesen himmelblauen Lerchenstieg
+vermochte.</p>
+
+<p>».... Den hat's der liebe Gott gelehrt!« schmunzelte vergnügt Ruczizka,
+der Dirigent und Lehrer im Konvikt der Sängerknaben. »Verflixter Bub,
+dieser Schubert Franzl!«</p>
+
+<p>Der Schubert Franzl, das war der, der bis zum hohen C hinaufklettern
+konnte. Daran war er zunächst zu erkennen.</p>
+
+<p>»Den kann ich nichts lehren, der hat's vom lieben Gott gelernt!« hatte
+Ruczizka schon einmal früher gesagt.</p>
+
+<p>Das war damals, als der Herr Hofkapellmeister Salieri den Buben dabei
+erwischte, als er Noten hinkritzelte, wie sie ihm gerade in den Sinn
+kamen. Er war in dem kahlen Musikzimmer des Konvikts so in sein Sinnen
+und Kritzeln vertieft, daß er nicht merkte, wie der gewaltige Maestro
+hereinhuschte. Der war lautlos wie eine Katze, ein hurtiges, graues
+Männchen, das seine spitze Nase und seine<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> flinken Äuglein überall
+hatte, wo es etwas zu erschleichen gab.</p>
+
+<p>Schwupp! flog das Blatt in die Höhe und schwebte in den Händen des
+alten Meisters. Da war jetzt nichts zu machen.</p>
+
+<p>»Sapristi! Wo hat Er das her? Selber gemacht?! Er, Er, Er — alles aus
+diesem dummen, kleinen, dicken Bauernschädel? Malefizbub!«</p>
+
+<p>Schamrot stand der Kleine da vor dem fuchtelnden Italiener.</p>
+
+<p>»Hat Er noch andere Sachen? Wo, wo hat Er? Subito!«</p>
+
+<p>»Verbrennt!« stieß der eingeschüchterte kleine Kerl halb trotzig, halb
+zaghaft hervor.</p>
+
+<p>Darüber fing der Maestro zu strampeln an wie ein Polichinell.</p>
+
+<p>»Verbrennt,« pfauchte er, »Er, Er, Er — dummer Esel!«</p>
+
+<p>Und warf wütend die Bücheln und Hefte auf dem Tisch durcheinander,
+unter denen beschriebene Notenblätter zum Vorschein kamen, die er
+hastig an sich riß.</p>
+
+<p>»Ecco!« kreischte er auf. Und schon schmiß er die Blätter wütend wieder
+hin, krebsrot im Gesicht.</p>
+
+<p>»Per bacco!« Sein Mund verzog sich, als wollte er ausspucken vor Ekel,
+er ballte die Fäuste und hielt sie bebend dem kleinen Franzl dicht
+unter die Nase, daß dem ganz himmelangst wurde.</p>
+
+<p>»Was hat Er da gemacht?! Wer hat Ihm erlaubt ...?! Er — Malefiz —
+Malefiz —!«</p>
+
+<p>Zur Entschuldigung wollte das Singerlein sagen, daß es<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> der Übung wegen
+diese kleine Paraphrase auf eine Sonate Mozarts gemacht hat, aber kaum
+war der Name des Unsterblichen seinem Munde entschlüpft, da hätte er
+das Wort gerne wieder zurückgezogen, so fürchterlich war die Wirkung
+auf den giftigen Maestro.</p>
+
+<p>Das Blatt schmiß er zur Erde, trampelte darauf herum, schrie und
+schimpfte auf Italienisch.</p>
+
+<p>Der Kleine ahnte nicht, wie es in der Welt zuging. Er wußte nicht, daß
+Salieri alles haßte, was mit Mozart irgendwie zusammenhing; er wußte
+nicht, daß er als Opernkomponist und Hauptvertreter der italienischen
+Richtung ein geschworener Feind der deutschen Musik war und vermeinte,
+sie in Mozart aufs Haupt schlagen zu können; er wußte nicht, daß
+die Sage umging, Salieri hätte den Schöpfer des Don Juan vergiftet;
+er konnte darum auch nicht wissen, daß die Legende einen wahren
+Kern hatte, denn vergiftet hatte Salieri als rücksichtsloser Gegner
+alle geistigen Brunnen, alle Seelen, alle Meinungen, er und seine
+Partei, die dem Genius Kränkung auf Kränkung bereitete und seinen Tod
+beschleunigen half.</p>
+
+<p>Nichts ahnte der Knabe, daß die Welt dem Auserwählten eine
+Märtyrerkrone bescherte. Er fühlte nur den schäumenden, perlenden
+Zaubertrank der Mozartschen Musik in seiner Seele und sah im Geiste
+den Genius als jungen Gott, vor dem sich die Menschheit in Ehrfurcht
+verneigt. So war es wohl gewesen auf Mozarts Reise nach Prag, aber
+nicht in Wien, wo er ein Verkaufter, Verratener, Verlassener, früh
+dahingerafft, ins Massengrab der Namenlosen sank. Das haben die Gegner
+getan. Und der<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> Volksmund dichtete die Legende, Salieri habe ihn
+vergiftet .....</p>
+
+<p>Und nun fügte es das Schicksal, daß derselbe Geist der Verneinung
+und der Selbstsucht ein junges Genie ans Licht zog, das sein Talent
+an jenem großen Licht entzündete, das er so beharrlich zu verdunkeln
+bemüht war.</p>
+
+<p>»Ruczizka, Ruczizka!« gellte das giftige Männlein in die hallenden
+Gänge hinaus und schärfte dem dienstfertig Herbeigeeilten ein, indem
+er auf den wie ein armer Sünder dastehenden Franzl hinzeigte: »Fest in
+Corda nehmen! Kontrapunkt! Capisce?! Kontrapunkt?!«</p>
+
+<p>Mit glühenden Äuglein, heiserer Stimme und geballten Fäusten gab er
+diese Weisung und verschwand.</p>
+
+<p>War es Lohn oder Strafe? Das wußte der brave Franzl vorderhand
+selber nicht genau, man ist nicht wehleidig, als Zögling ist man es
+ja gewohnt, die Wohltaten wie eine Strafe zu empfangen, während die
+Strafen von den Erziehern mit einem Behagen verabreicht wurden, als
+wären sie Wohltaten.</p>
+
+<p>Jetzt wußte der wackere Böhme Ruczizka, daß er ein Genie unter seinen
+Händen hatte. War ihm früher gar nicht aufgefallen, obzwar der Junge
+seit drei, vier Jahren schon unter seiner Aufsicht stand — wieso denn
+auch? Ist nicht seine Sache. Als Drillmeister tut man seine Pflicht,
+daß bei den Messen in der Hofkapelle die Soli und Chorpartien richtig
+und geschmackvoll ausgeführt werden und der Herr Hofkapellmeister
+zufrieden ist. Teufel auch, man tut eben seine Pflicht! Man hat sich
+doch um sonst nichts zu kümmern! Man kann doch nicht in jeden Bengel
+hineinsehen! Ist doch einer so ein Schmierfink wie der<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> andere! Man hat
+sich nie weiter gekümmert und ist doch so immer am besten gefahren. Als
+braver Böhm' und Prügelprofoß.</p>
+
+<p>Also, Pflicht ist Pflicht — man hat seine vorgeschriebenen Stunden
+— wer mehr tut, ist ein Schuft. Und jetzt Kontrapunkt! Sakramentski,
+ceski heski Kupferstück! Da könnt' man doch gleich Junge kriegen —
+eine stehende Redensart Ruczizkas. Also gut, Kontrapunkt! Na wart',
+Schlingel, wirst dran fressen müssen! Ceski heski — — — —</p>
+
+<p>Aber siehe da, alles geht überraschend leicht und schnell, und es kommt
+alsbald der Punkt, wo Ruczizka sich lächelnd eingesteht: Den kann ich
+nichts lehren, der hat's usw. ....</p>
+
+<p>So ähnlich hatte ein anderer vor ihm gesagt. Das war Schuberts Bruder
+Ignaz, der auf Vaters Geheiß dem Franz den ersten Musikunterricht
+gab. Es hatte aber nicht lange gedauert, da meinte Franz, es ginge
+ohne Lehrer besser. So war es auch, denn Ignaz hatte gegeben, was
+er zu geben hatte, und mußte seinen brüderlichen Schüler als einen
+»übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister« anerkennen. Als
+Knabe meisterte er schon die Violine, die Viola und die Orgel und
+machte sogar als Tonsetzer einige Gehversuche.</p>
+
+<p>»Faules Zeug,« brummte Vater Schulmeister; »das sind so Flausen, die
+sich der Junge in den Kopf setzt, und die ihm beizeiten ausgetrieben
+werden müssen. Soll das eine oder andere Instrument spielen lernen,
+soweit man's als Schulgehilfe braucht, um auch Sonntags in der Kirche
+mitzuhelfen, nichts weiter! Soll aus dir ein Taugenichts<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> werden, ein
+Hungerleider, ein Tagedieb — ein herumstrolchender Musikant?! Da soll
+ich dir doch gleich eins mit dem spanischen Rohr —! Was mein Sohn ist,
+muß ein ehrlicher Mensch sein; der wird ein Schulmeister, wie sein
+Vater einer ist und wie seine Brüder werden. Also kein Wort mehr — ich
+habe geredet!«</p>
+
+<p>Bald darauf las der Vater in der amtlichen Wiener Zeitung des Jahres
+1808, daß in der k. k. Hofkapelle einige Sängerknabenstellen neu zu
+besetzen wären. Die Bewerber mußten das zehnte Jahr vollendet haben und
+fähig sein, in die erste lateinische Klasse eintreten zu können. Sie
+verblieben Zöglinge des Konvikts und wären gleichzeitig Schüler des
+akademischen Gymnasiums, das mit dem Konvikt in Verbindung steht.</p>
+
+<p>Dem Vater stieg sofort ein ganzer Seifensieder auf. Das wäre ein
+richtiger Lebensanfang für seinen Franzl! Singen kann er ja,
+Schulbildung hat er auch — Sopranist in der Hofkapelle, warum denn
+nicht, wenn er dafür eine Freistelle im Konvikt hat und gratis
+das Gymnasium absolviert?! Für einen künftigen Schulmeister ein
+verheißungsvoller Beginn!</p>
+
+<p>Also wanderten Vater und Sohn aus der Vorstadt Liechtental stadtwärts
+nach dem Konvikt am Universitätsplatz, wo die Aufnahmeprüfung
+stattfinden sollte. In seinen blauen Sonntagskleidern schritt Franzl
+neben dem Vater klein und stämmig einher. Ein frisch gebügeltes Hemd
+gab dem Tag festtägliche Weihe. Das hatte die Mutter bereitgelegt. O,
+die war gut! Schmuck sah er aus, der kleine Kerl, weiß und blau wie ein
+Firmling!</p>
+
+<p>Aber der Herr Vater war kritisch. Gab unterwegs allerhand<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> gute Lehren
+und Ermahnungen, wie man sich zu benehmen habe, was man tun und nicht
+tun dürfe, nicht auflümmeln, die Ellbogen nicht durchwetzen, nicht
+nasenbohren, nicht in den Ärmel schneuzen, die Schulbücher nicht
+verkritzeln und was ähnliche liebe Gewohnheiten der holdseligen Jugend
+sind.</p>
+
+<p>Der brave Franzl hörte alles geduldig an und schwieg respektvoll. Der
+Vater wußte schon, daß sein Junge etwas verschlossen und einsilbig war,
+daß er Fremden gegenüber sich nur sehr schwer auftat und dadurch leicht
+unartig erscheint.</p>
+
+<p>»Also nicht aufs Grüßen vergessen, immer ein freundliches Gesicht
+machen, zuvorkommend sein gegen deine Lehrer, verträglich und
+aufmerksam gegen deine Mitschüler. Was schaust denn schon wieder so
+finster drein?!«</p>
+
+<p>»Aber Herr Vater, ich schau' ja eh net finster drein!«</p>
+
+<p>Es war halt schon ein Unglück, daß die Menschen immer glauben, man
+schaut finster drein, wenn man inwendig freundlich und aufmerksam
+zuhorcht.</p>
+
+<p>Der Vater riß dem Jungen den Hut vom Kopf, um ihm besser ins Gesicht zu
+sehen.</p>
+
+<p>»Die Haar — wie schaun denn deine Haar aus?!«</p>
+
+<p>Die Haare waren ohnehin in Ordnung, die Mutter hatte sie gekämmt und
+gebürstet, mit Schweinefett eingeschmiert, daß sie strichweise glänzten
+— aber sie waren kraus, etwas sehr kraus — und ein bißchen lang,
+vielleicht schon ein bißchen zu lang; sie waren in den Nacken hinab
+gewachsen bis unter den blühweißen Hemdkragen. Der Hut hatte sich in
+den Haarschopf fest eingedrückt, und so<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> konnten sie leicht wirr und
+unordentlich erscheinen; aber das waren sie wirklich nicht, wenn man
+mit einem nachsichtigen Blick hinsah; die Mutter hatte sie gescheitelt,
+so gut es ging, und die Lausallee verlief gerade wie eine Pappelschnur.</p>
+
+<p>»Kraupert schaust aus,« entschied der gestrenge Herr Vater. »Wie dir
+die Haar da ins G'nack wachsen, so geht man zu keiner Prüfung!«</p>
+
+<p>Ehe man noch ans Glacis kam und den Häusern der Rossauerlände Adieu
+sagte, wimpelte an einer Stange die Messingschüssel in die Luft mit
+Strahlenreflexen wie die liebe Frau Sonne, ein Ladenschild prangte mit
+einem süßlächelnden Puppenkopf und darunter stand: Heinrich Haarzopf,
+bürgerlicher Bartscherer und Bader.</p>
+
+<p>Und weil noch eine Stunde Zeit war, so entschied der Vater, daß sich
+der Junge jetzt die Haare schneiden lassen müsse, um sich der hohen
+Prüfungskommission würdig zu präsentieren.</p>
+
+<p>»Also marsch hinein!«</p>
+
+<p>Bisher hatte die Mutter den üppig wuchernden Haarschopf mit eigener
+Hand gebändigt. Was eine Mutter nicht alles kann! Hunderterlei
+Gewerbe muß sie beherrschen vom Kerzengießen bis zum Haarschneiden.
+Es ist nicht zum sagen! Nun aber saß Franz zum ersten Male bei einem
+richtigen Friseur wie ein ganz Großer. Mitten unter Spiegeln wie in
+einem Zauberkabinett und angetan mit einem linnenen Mantel, der einmal
+weiß war, halb Derwisch, halb Prinz, umdienert von dem dienstfertigen
+Gehilfen.</p>
+
+<p>»Belieben halbkurz oder ganz fiesko?« Das war eine<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> neue Welt, eine
+neue Sprache, jedenfalls eine neue Erfahrung. Verlegen wendet sich der
+Junge an den Vater, der den Dolmetsch macht.</p>
+
+<p>Ziwitt, ziwitt! macht es die Schere in der Hand des Gehilfen, der bei
+seinen Hantierungen immer die Luft schneidet. Sie macht es wie ein
+Vögelein, das hungrig den Schnabel aufsperrt und um Futter quietscht,
+ehe es gierig in den Haarwald hineinfährt. Alsbald liegen die
+schönen Locken auf dem weißen Mantel und am Boden ringsum, der Junge
+sieht drein wie ein abgeblättertes Birkenstämmchen, der Vater nickt
+befriedigt, aber der eifrige Gehilfe ist noch nicht fertig. Er bemerkt
+einen zarten, ganz schüchternen, weichen Flaum auf des Jungen Oberlippe
+und stellt mit unerschütterlichem Ernst die gewichtige Frage:</p>
+
+<p>»Rasieren angenehm?«</p>
+
+<p>Heiß schießt es dem Jungen ins Gesicht. Er wird blutrot vor Scham.</p>
+
+<p>»Nein!« haucht er zurück und wendet das Antlitz ab, sich zu verbergen.</p>
+
+<p>Der Vater merkt es, er schmunzelt hinter seinem Rücken, er will
+den Sohn nicht verletzen, der sich so leicht geniert. Er hat ihn
+ja so lieb, wenn er auch zuweilen rauh zu ihm ist. Aber nach Vater
+Schulmeisters Anschauung gehört die Strenge zur Liebe und vor allem der
+Grundsatz: man darf die Kinder nicht merken lassen, daß man sie so gern
+hat!</p>
+
+<p>Rasieren angenehm! Das wirkt nach. Das prägt sich unverlöschlich dem
+Gedächtnis ein. Der Ernst des Lebens kommt jetzt heran! Man ist kein
+Knabe mehr, man<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> reift der Männlichkeit entgegen, eine neue Zeit will
+kommen!</p>
+
+<p>Das Hochgefühl sank, als er mit dem Vater am alten Universitätsplatz
+stand. An den hohen, schwärzlichen Palastfronten der Sonnenfelsgasse
+waren die beiden entlang gegangen, bis sich ein mäßig geräumiger
+Platz auftat wie ein schmucker Saal. Rechts die festliche Frontseite
+der Universität mit Säulen und Fenstern im Geist der Zeit der großen
+Maria Theresia; links die Prachtfassade der Kirche zur Zeit der
+Gegenreformation von Ferdinand II. erbaut und dicht an der Kirche
+anschließend, die ganze Langseite des Platzes bildend, ein kahles
+Gemäuer mit kleinen vergitterten Fenstern, einem Gefangenhaus gleich:
+das Konvikt. Nichts Grünes, wohin man sah, nur Mauern in nüchterner
+Feierlichkeit oder in staats- und kirchenherrlicher Pracht.</p>
+
+<p>Das Herz des Elfjährigen krampfte sich zusammen, ja es beginnt eine
+neue Zeit, der Ernst des Lebens tritt hier gewaltig in Erscheinung.</p>
+
+<p>Tapfer schritt er an der Seite des Vaters die Stiegen hinauf, wo
+schon ein heiteres Gewimmel von Knaben war, die, um einen der drei
+Stiftungsplätze zu erobern, ausgezogen waren. Da gab's sofort eine neue
+frische Stimmung. Das Empfindsame, Ängstliche, Weichliche verschwand,
+es lag nicht in Franzls Natur.</p>
+
+<p>»In Gottes Namen!« sagte der Vater Schulmeister, als sich die Türen des
+Prüfungssaales hinter dem Jungen schlossen. Mehr kann man nicht tun als
+seine Pflicht, und die war getan; die Entscheidung liegt bei anderen
+Mächten. In Gottes Namen! Damit vertraute er sich<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> und den Sohn der
+inneren Führung an, die die Oberleitung hatte. So konnte man ruhig und
+ergeben den Gang der Dinge abwarten.</p>
+
+<p>Der innere Kompaß hatte gut geführt. Für den gesunden Liechtentaler
+Buben war die Prüfung ein Kinderspiel, als Erster ging er aus dem
+Wettbewerb hervor und war Sopranist am k. k. Konvikt und zugleich
+Schüler der ersten Lateinklasse.</p>
+
+<p>Jahr um Jahr berichteten die Schulzeugnisse von dem guten Fortgang der
+Studien, und nie fehlte die Anmerkung: »ein besonderes musikalisches
+Talent«. Ein Schriftstück an den Hofmusikgrafen besagt sogar, daß auf
+die musikalische Bildung des Franz Schubert, da er ein so vorzügliches
+Talent zur Tonkunst besitze, eine besondere Sorgfalt verwendet werden
+solle. So kam der Hofkapellmeister Salieri hinter das kleine Genie,
+und so kam der Klavierdrillmeister Ruczizka in den Schriftstücken an
+den Hofmusikgrafen zu den lobenden Anerkennungen wegen der erteilten
+Nebenstunden, zu denen er, Ruczizka, von Amts wegen nicht verpflichtet
+gewesen wäre.</p>
+
+<p>Und so kam es endlich, daß der Vater die systematische musikalische
+Ausbildung des Sohnes gewähren ließ, weil er sie ja auch nicht hindern
+konnte. In Gottes Namen! Andere Mächte bestimmten das Schicksal, er
+konnte nur Ja und Amen sagen. Und sich damit trösten, daß für die
+eigentliche Lebensaufgabe die Lateinschule sorge, die ihm vor allem
+anderen als die Hauptsache erschien.</p>
+
+<p>Aber büffeln und ochsen, Latein und Mathematik, das war dem Jungen
+durchaus nicht die Hauptsache. Viel eher ein lästiges Anhängsel, eine
+unbequeme Draufgabe,<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> die man eben in Kauf nehmen mußte. Ja, wenn man
+oben saß am Chor ganz nahe bei den geflügelten Engelein, umschauert
+von dem Weltgesang der Orgel und von dem Jubel der singenden Geigen,
+da war das Leben herrlich, die eigene Stimme ließ sich von diesen
+tönenden Fittichen tragen und stieg wohl noch ein wenig höher im Chor
+der Seligen.</p>
+
+<p>Aber dann in der öden Grammatikalklasse, das war wie ein Sturz aus
+Himmelsregionen auf die harte Erde. Diese trägen, unergiebigen Stunden
+mit Cornelius Nepos, mit Plutarch und Ovid. Der klassische Dichtergeist
+zu langweiligen Schulpräparaten zerstückt und eingetrocknet wie die
+glanzlosen Schmetterlinge in den Kästen und die gepreßten Pflanzen in
+den Herbarien. Kein Hauch des Lebens mehr darin. Half also wirklich
+nichts als stucken, ochsen, büffeln! Aber das Herz, das Herz war nicht
+dabei. Ein Wunder, daß es dennoch ging, mit Ach und Krach. Nur —
+wenn es dem Gelehrtenhaupt am Katheder zu holperig vorkam, und die
+Exerzitien so gar nicht vom Fleck gehen wollten, dann wetterten die
+saftigsten Schimpfreden auf die Schülerherde nieder.</p>
+
+<p>»Sauknochen, verfluchter! Hast wieder einmal nicht präparieret?! Müßt'
+man dir doch gleich das Buch ums Maul schlagen, bis dir der Kopf
+aufgeht, Lümmel, verstockter!«</p>
+
+<p>Tat aber weiter nicht weh, war wenigstens ein derbes Stück Leben. Ein
+unsanftes Prügelsystem, aber man lernte dabei und kam doch ein Stück
+vorwärts. So waren die Erzieher, gelehrt und zugleich bauernhaft grob.
+Was fest eingebläut war, saß fest. Auch in einem widerspenstigen<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span>
+Schädel. Wer gar nicht parieren wollte, wurde hinausgeschmissen. Ein
+Kamerad war schon geflogen, der mit Franz die Aufnahmeprüfung glänzend
+bestanden hatte; ein Dritter, der mit ihm kam, stand am Sprung. Gibt
+nicht viel Federlesen, keine Empfindelei; half auch kein Heulen, kein
+Bitten und Betteln. Unnützer Ballast, fort damit! War gut für die
+anderen. Schlechtes System? I wo! Was haben gute Lehrer mit einem
+schlechten System nicht alles zuwege gebracht! Und konnt' Franzl bei
+allem inneren Widerstreben nicht alle Jahr ein treffliches Zeugnis ins
+väterliche Schulmeisterhaus nach Liechtental schicken? Ja freilich,
+angenehm war der Drill nicht. Fragte auch kein Mensch danach, ob's
+angenehm war oder nicht, und damit Punktum.</p>
+
+<p>Blieb aber die Musik, die das graue Dasein vergoldete, und blieben
+die eigenen Träume, das selbständige Empfinden und Komponieren, süß
+wie eine verbotene und heimliche Liebe, von der der Herr Vater nichts
+wissen durfte. Das Herz — da drin war es. Und blieben außerdem die
+Kameraden, die Schulfreundschaften, die so fest geschlossen wurden, daß
+sie über die Mauern hinaus fürs Leben halten sollten und meinetwegen
+übers Grab hinaus.</p>
+
+<p>Bim, bim, bim! Des Schuldieners Glocke gellte durchs Haus.
+Zehn-Uhr-Pause. Da gab es für die Bande kein Halten mehr, die in dem
+lästigen Zwang nach Freiheit dürstete. Vor allem aber nach Freßlust.
+Die Zehn-Uhr-Glocke war das Zeichen zum Gabelfrühstück. Mit einem Hallo
+stürmten die Bengel die Treppen herab nach einem der unteren Gänge.
+Dort steigt eben wippend die junge<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> Fanny herauf, des Greislers Tochter
+aus der Bäckerstraße, mit einem großen Korb Fressalien auf dem Kopf,
+die sie in einer Fensternische des ersten Stockflurs während der großen
+Pause feilhält.</p>
+
+<p>Wie eine Göttin der Erde, mit nahrhaften Gaben beladen, schwankt sie
+holdselig herauf, ein braunes, derbes Ding, blatternarbig, barsch und
+kurz angebunden, und trotzdem nicht unhübsch mit ihren weißblitzenden
+Zähnen. Dem für handfeste Schönheit empfänglichen Sinn des Klavier-
+und Knabenbändigers Ruczizka mußte sie tatsächlich als Fee, Nymphe
+oder Göttin vorgekommen sein, daß er sie in einem schäferhaft oder
+mythologisch gestimmten Augenblick wie ein verliebter Faun in die
+nackten, prallen Arme zwickte und der Wehrlosen ein Küßchen zu rauben
+versuchte, während sie mit dem Korb auf dem Kopf hinaufbalancierte.</p>
+
+<p>Wie es geschah, war ein Geheimnis des menschenleeren Korridors
+geblieben. Ein Knall, ein Fall, ein Wehgeschrei, so endete das
+Schäferspiel.</p>
+
+<p>»Sakramentski .....!« Man hat nur den Ausruf gehört, der Liebhaber war
+verschwunden. Denn eben scholl des Schuldieners Glocke mahnend durchs
+Haus, wie weiland die Stimme des Herrn im Paradies nach dem Sündenfall,
+aus den Klassenzimmern wälzte sich die Schuljungenhorde, und die
+braune Fanny stand keuchend und zornbebend vor dem herabgestürzten
+Korb, der seinen duftenden Inhalt über die Steinfliesen ergoß, die
+blonden und braunen, knusperigen Schusterlaberln, die mürben Baunzerln,
+Kipferln, Girafferln, Kaiserweckerln, Stritzerln, Kaiserlaberln, die
+Mohnstritzerln und Salzstangerln,<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> den schweren Laib Hausbrot, die
+dreifach gewundenen Kränze von Knackwürsten, den großen Stritzen
+Butter, den Paprikaspeck und den frischen Maiprimsen.</p>
+
+<p>Fünfzig, hundert Hände langten jauchzend danach, im Nu war der
+Korb wieder gefüllt, ein heiteres Intermezzo für die Jugend, eine
+schmerzliche Viertelstunde für die Fanny, die in wortloser Wut kaum die
+Tränen meistern konnte.</p>
+
+<p>Niemand wußte recht, was geschehen war, aber die Sage ging von einer
+wuchtigen Ohrfeige, die locker in Fannys Hand gewesen war, und von
+einer heißen Wange, die auf einige Stunden das Flammenzeichen der Liebe
+trug und in nassen Umschlägen Kühlung suchte. An jenem Vormittag ward
+Ruczizka nicht mehr gesehen.</p>
+
+<p>Während der Eßpause fanden sich die engeren Freunde mit Franz beim
+Futterkorb zusammen. Holzapfl, der Vordermann der Klasse, der stille,
+sanfte Spaun, um einige Jahre älter als Franz und zugleich sein
+wärmster Vertrauter, Senn, der junge Tiroler, der schon damals Verse zu
+flechten versuchte, und einige andere.</p>
+
+<p>»Einer ist unter uns, der uns einmal alle an Genie überstrahlen wird!«
+hatte Spaun mit Beziehung auf Schubert gesagt, und ein fester Kreis von
+Freunden begann sich um den unscheinbaren Franz zu schließen. Wenn man
+seine helle, jubelnde Stimme auf der Empore hörte, so hätte man nicht
+dieses unansehnliche Bürschchen erwartet, der auch darin der Lerche
+glich, daß soviel Himmelsgabe in so schlicht bescheidenem Äußeren
+steckte.</p>
+
+<p>Wenn man die Sängerknaben nun sah, dann konnte kein Zweifel sein,
+daß sie nicht aus gebranntem Ton und nicht<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> aus Holz waren, sondern
+Fleisch und Bein mit vorzüglichen Freßwerkzeugen und unermeßlichem
+Appetit. Das Dasein unter den himmlischen Heerscharen auf Gottes Chor
+war beseligend, aber auf der Erde war es auch schön, besonders wenn es
+etwas zu essen gab.</p>
+
+<p>Da sah man nun die pausbackigen, rotwangigen, schwarz-, braun-
+und blondgelockten strammen Engelsinger gemütlich eine Knackwurst
+verzehren, die lieblich roch und den anderen den Mund wässerte, so
+ihre Barschaft nur zu einem Schusterlaberl hinreichte. Zu einem
+Schusterlaberl, dick mit Butter bestrichen und so groß und mächtig
+gediehen, als es für einen Kreuzer Konventionsmünze nur denkbar ist.</p>
+
+<p>Mit gierigen Augen hatte jeder das größte Schusterlaberl im Korb
+ergattert. Was ein gesunder Bengel ist, erkennt auf den ersten Blick
+unter Hunderten von Broten jenes, welches das größte Schusterlaberl
+ist. Daß die wohlgeratensten Exemplare die Größe eines Kinderkopfes
+erreichen, ist selbstverständlich. Es ist nicht aus feinstem Mehl
+gebacken, im Gegenteil, es ist so ziemlich das ordinärste Gebäck, aber
+auf dem ganzen Wiener Boden gibt es keinen Jungen, der nicht nach
+dem Schusterlaberl greift, wenn er die Wahl hat. Ein Schusterlaberl,
+mit Butter bestrichen, das ist nach Wiener Volksbegriffen die größte
+Delikatesse. Daran war nicht zu zweifeln, wenn man die Kerle einhauen
+sah, daß es nur so patschte. Mit einem Schusterlaberl in der Hand
+konnte man sich sogar gegen eine Knackwurst oder gegen Wienerwürsteln
+mit Kren behaupten, und das will gewiß etwas sagen.</p>
+
+<p>»Heiße Forellen!« rief die übermütige Fanny, um ihre<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> Ware noch
+verlockender zu machen. Richtig, da schwammen sie, die Wienerwürsteln,
+im brodelnden Kessel hurtig hin und her wie die Forellen, und ein Paar
+nach dem anderen wurde herausgefischt. Knackwürst! Wienerwürstl mit
+Kren! Schusterlaberln mit Butter! Hört es! Der Traum vom Paradies ist
+damit gespickt. Wenn ihr sie nicht genossen habt, dann wißt ihr nicht,
+was gut ist!</p>
+
+<p>»Nun, und heut gar nichts?« wendete sich Fanny an Franzl. Der hat
+einen Stein im Brett bei ihr. Ein extra großes Schusterlaberl, extra
+dick bestrichen, das waren die Zeichen ihrer Gunst. Das braune, herbe,
+blatternarbige Greislermädel verbarg hinter ihrer rauhen Wesensart
+ein weiches Gemüt. Eine schöne Stimme hören, und sie war soviel wie
+verloren. Sie wußte schon, daß Franzl die schönste Stimme unter den
+Jungen hatte. Sie sah ihn nur mehr durch diese Stimme, und jetzt
+dünkte ihr der unscheinbare Junge schön wie ein Märchenprinz. In ihren
+Augen war er, die unansehnliche Lerche, schöner als der herrlichste
+Paradiesvogel. Sie hatte ihn schon in der Kirche gehört, und als er
+kürzlich in der Pause dem Freund Spaun ein selbst komponiertes Liedchen
+leise vorsang, vergaßen ihre flinken Hände, daß sie in wenigen Minuten
+fünfzig und mehr Schusterlaberln mit Butter zu streichen hatten.</p>
+
+<p>Versteinert stand sie da, Mund und Augen weit auf, ein wenig
+vorgeneigt, um keinen Laut zu verlieren, weltentrückt, verzaubert, bis
+zwanzig aufgesperrte hungrige Mäuler, die nach Atzung schrien, sie aus
+ihrem Traum weckten. Ob er ihr das Lied nicht aufschreiben wollte,
+war gegen Schluß der Pause die verstohlene Frage. Er<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> sagte nicht ja
+und nicht nein, er lachte bloß, wohl nur, um seine Verlegenheit zu
+verbergen.</p>
+
+<p>Es war, als ob eine leise, schier unbewußte Berührung der Seelen
+stattgefunden hätte, so blieb etwas bestehen, das man nicht leicht
+irgendwie nennen kann, weil jedes Wort zu schwer dafür ist. Etwas
+schier Unbewußtes, Heimliches, und doch Gefühltes. Ein Strahl von
+mütterlicher Sorgfalt ging von ihr auf ihn über, es materialisierte
+sich in den größten Schusterlaberln mit der dicksten Butter. Aber
+darüber hinaus war noch etwas wie ein Licht da, das wärmte.</p>
+
+<p>»Nun und heut gar nichts?!« fragte sie noch einmal und streifte ihn
+leise an, weil er nichts bestellt hatte.</p>
+
+<p>Er schüttelte nur verneinend den Kopf, aber sie wußte schon!
+Abbrandler! Das heißt, daß er keinen Groschen mehr in der Tasche hatte.</p>
+
+<p>Aber sie schob ihm schon wortlos ein dickbestrichenes Laibchen hin.</p>
+
+<p>Er schob es wieder zurück und sagte halblaut und schier unbefangen,
+obzwar es ziemlich gepreßt klang: »Heut — nichts!«</p>
+
+<p>Da nahm sie das Brot, drückte es ihm in die Hand, indem sie sich ganz
+nahe an sein Ohr neigte und leise sagte: »Kost' doch nichts!«</p>
+
+<p>Als ob er glühendes Eisen angefaßt hätte, schleuderte er das herrliche,
+hochgebähte, goldblonde, knusperige Schusterlaberl, das mit den dicken
+Butterseiten zusammengeklebt war, neben dem Eßkorb auf das Fensterbrett
+hin, flammendrot im Gesicht, daß es dort in seine zwei Hälften<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span>
+zersprang und mit den Butterseiten auf dem staubigen Steinboden lag.</p>
+
+<p>Sie sah ihn einen Augenblick betroffen und schmerzlich an, hob dann
+die Brote auf und legte sie zu den anderen. Mit einem Ruck faßte
+sie den ziemlich geleerten Korb auf, stellte den kaltgewordenen und
+ausgefischten Würstelofen hinein und rauschte ab wie eine beleidigte
+Königin, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.</p>
+
+<p>Er war so verdonnert, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, eilte hinauf
+in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett, wühlte den Kopf in die Kissen
+hinein und schluchzte mit halberstickten Ausrufen: »Fanny, Fanny!«</p>
+
+<p>Etwas Seltsames, Beunruhigendes, Niegekanntes, Schmerzvolles, und doch
+zugleich Beseligendes, Wunderbares war über ihn gekommen. Was war es?
+Ach ja, das Leben, das Leben! Die schüchternen Regungen wie ein ganz
+verstohlener Sonnenstrahl und gleich darauf Schauer, Tränenschauer.</p>
+
+<p>Man war kein kleiner Knabe mehr, und auf der Oberlippe sproßte jetzt
+wirklich ein kleines, winziges, schütteres Bärtchen. Es kommt nun doch
+eine andere Zeit!</p>
+
+<p>Am Nachmittag schrieb er seinem Bruder Ferdinand, der war Schulgehilfe
+in der Wiener Vorstadt Lerchenfeld, und schilderte seine Lage. Die
+paar Groschen, die er monatlich vom Herrn Vater bekomme, seien in den
+ersten Tagen beim Teufel, was soll man in der übrigen Zeit tun? Bei
+dem mageren Mittagsmahl, dem erst nach 8-1/2 Stunden ein armseliges
+Nachtmahl folgt, müsse man sich eben in den Pausen mit etwas Stärkendem
+aushelfen. Es würde den Bruder Ferdinand nicht arm machen, wenn er ihm<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span>
+monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließe. Spricht doch der Apostel
+Matthäus: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw., und dann
+in Kap. 3, V. 4: Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden
+..... So schließt die Epistel mit dem Aufruf, Ferdinand möge sich doch
+des »liebenden, armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz«
+erinnern.</p>
+
+<p>Der Brief ist fort und damit ein Stein vom Herzen. Was jetzt? Ja,
+richtig: das Lied aufschreiben — die Fanny muß das Lied haben! Ein
+extra schönes Papier für sie, mit kunstvoll verschlungener Schrift und
+die Noten säuberlich hingesetzt, als ob sie gestochen wären! Darauf
+ein Suchen und Suchen in allen Laden und Heften, aber kein armseliger
+Fetzen Notenpapier ist mehr zu finden. Alles verschmiert. Neues kaufen
+— aber zum Kuckuck, wenn man keinen Groschen in der Tasche hat! Der
+Mensch ohne Geld ist ein gottverlassenes Geschöpf. Da fehlt es gleich
+an allen Ecken und Enden. Daß man sich ein Schusterlaberl mit Butter
+versagen muß, ist hart genug, aber das ist noch das wenigste; den
+Mangel fühlt man erst, wenn man jemandem was Liebes tun möchte und
+nicht kann, weil man keinen Knopf Geld hat. Schnöder Mammon!</p>
+
+<p>Da kommt Spaun bei der Tür herein, der liebe, innige! Aufgeschossen
+ist er wie eine Hopfenstange, den Kopf mit dem sittsam zurückgekämmten
+Blondhaar und den weiten, wasserblauen Augen hat er vorgeneigt,
+erwartungsvoll.</p>
+
+<p>»Hast was Neues geschrieben?«</p>
+
+<p>Er ist so furchtbar erpicht auf das Neue, das Franz in Noten dichtet.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span></p>
+
+<p>»Hab' kein Papier!« knurrte Franz etwas borstig.</p>
+
+<p>Da macht der andere schon Kehrt-euch und ist wieder draußen bei der Tür.</p>
+
+<p>Franzl sinniert und sinniert, es vergeht eine halbe Stunde, da kommt
+Spaun wieder angerückt, atemlos, einen großen Pack unter dem Arm, den
+er auf den Tisch legt und sorgfältig auswickelt.</p>
+
+<p>Notenpapier! Große, schöne, dicke Bogen, ein ganzer Stoß, genug, um die
+Unsterblichkeit damit zu bestreiten.</p>
+
+<p>»Da hast jetzt und schreib'!« und ist schon wieder draußen.</p>
+
+<p>»Kerl, lieber, guter!«</p>
+
+<p>So lächelt Franz, setzt sich hin und schreibt.</p>
+
+<p>Am anderen Tag geht er in der Zehnuhrpause in sein Zimmer hinauf. Er
+traut sich nicht herunter, es geniert ihn. Geld hat er ja auch keines
+auf ein Schusterlaberl.</p>
+
+<p>Aber ein Brief ist da.</p>
+
+<p>Bruder Ferdinand schreibt, Franz wird mit dem Nötigen versorgt werden,
+er möchte aber vorerst auf ein paar Tage heimkommen. Der Schulurlaub
+sei unterdessen für ihn schon erwirkt.</p>
+
+<p>So war es auch, auf drei Tage hat er frei.</p>
+
+<p>Und wandert hinaus aus der engen Stadt in die Maiensonne, ins Grüne, wo
+ihn die Wiesen mit tausend Blumenaugen ansehen. Beim Schottentor ist er
+draußen, dann übers Glacis, wo der Wind, der richtige Wiener Lausbub,
+seinen unumschränkten Spiel- und Tummelplatz hat, um diese Zeit kosend
+als Mailüfterl mit Wolken von Fliederduft sanft beladen; im Sommer als
+verrückter Derwisch mit wehendem Mantel aus Staub und<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> ebensolchen
+aufgeplusterten Pumphosen; im Herbst als unwirscher Straßenkehrer, der
+dürre Blätter und Mist dahinfegt oder mit nasser Regenhand den Leuten
+ins Gesicht patscht, die Weiberkittel aufwirbelt und die Parapluies
+umdreht; im Winter ein rauhbeiniger Knecht Ruprecht, der mit flockigem
+Schneebart daherflattert, daß euch die Augen übergehen. Der kann
+grantig und boshaft sein wie ein alter Zucht- und Armenhäusler, aber
+jetzt ist er ein holder Junge, der in den Bäumen säuselt und auf
+sonnenweißen Wolken in gottseliger Bläue segelt.</p>
+
+<p>Und so ist heut auch dem schulvakanten Knaben zumute, dem das Herz
+klopft, als er hinter den mächtigen Häuptern der Kastanien die Häuser
+seiner lieben Liechtentaler Vorstadt auftauchen sieht. Dort hinter den
+Bäumen mit den vielen weißleuchtenden Kerzeln ist das Vaterhaus »zum
+schwarzen Rössel« in der Säulengasse.</p>
+
+<p>Geschwind, geschwind um die Ecke und hineingestürmt mit einem Jubelruf.
+Aber da stockt er schon.</p>
+
+<p>Was ist denn geschehen?</p>
+
+<p>Er spürt ein Zerren im Gesicht, ein Würgen drinnen im Hals; denken kann
+man's nicht. Eine Draperie hängt am Tor; ein Kerl steht heraußen mit
+Glotzaugen und Schnapsnase, einen Dreispitz am Kopf, kurze Hose und
+Strümpfe an den verkrümmten Beinen, ausgelatschte Schnallenschuhe; eine
+Menge Schnüre und Quasten an dem frackähnlichen Rock, der schief sitzt
+wie auf einer Vogelscheuche; schwarz alles, ganz schwarz, schwarz die
+Draperie am Tor, schwarz der aufgedonnerte Frack, der Dreimaster, die
+Hose, die Strümpfe.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p>
+
+<p>Unterm Tor kommt ihm schon der Bruder Ferdinand entgegen, er ist
+ebenfalls schwarz, nur das Gesicht ist rot und die Augen sind
+verschwollen.</p>
+
+<p>»Die Mutter ist tot!« würgt er hastig und tonlos hervor.</p>
+
+<p>»Au, au!« schreit der Heimkehrende auf wie ein getroffenes Tier; und
+schon steht er im Winkel abgewendet und flennt in sich hinein.</p>
+
+<p>Und geht dann, so schnell er kann, die paar Stufen hinauf, und ist ihm,
+als ob er Quadersteine trüge, daß er, von der Last erdrückt, kaum über
+die Schwelle kann.</p>
+
+<p>Drinnen der Vater, sieht um Jahre älter aus, sagt kein Wort; tätschelt
+nur den Buben an Schultern und Kopf, scheu und fast widerwillig;
+schiebt ihn aber gleich von sich zu den Geschwistern hinein.</p>
+
+<p>Die sitzen drin, alle schwarz angezogen, nicht zum Erkennen, stieren
+vor sich hin, nur eins oder das andere heult laut auf, wie's den Franzl
+sieht. Reden aber sonst kein Wort — einfache Menschen sind karg mit
+Gefühl und Worten, verstecken sich lieber voreinander.</p>
+
+<p>Auch Franzl bringt keinen Ton heraus, geht wie im Traum ins
+Nebenzimmer, das dunkel gähnt mit brennenden Kerzen. Brennen nicht hell
+und froh wie die Blütenkerzlein draußen auf den Bäumen; brennen dunkel
+und weh in der schwarzen Luft und in dem toten Geruch der welkenden
+Blumen. Ist etwas Weißes zwischen dem roten Kerzengefunsel und starrem
+Blätterzeug, hoch geschichtet; jetzt sieht man's vor den betäubten
+Augen; braunlackiertes Holz, der Sarg, weiße Seide, ein gefälteltes<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span>
+Brautkleid, wachsgelbe Hände und ein Gesicht, so bekannt und so fremd
+zugleich, so starr und fern.</p>
+
+<p>Mutter! Der Franz spürt sie, er spürte sie schon von weitem, ehe er ans
+Haus kam, im Flur unten umwärmte ihn schon ihre Nähe, im Zimmer draußen
+wußte er sie neben sich, die Luft, die Dinge alle, die Gewohnheit, das
+war sie. Sie lebte, und für das Totsein gab es keinen Begriff.</p>
+
+<p>Er wollte die Tücher wegreißen, die Fenster aufstoßen, Luft und Licht
+herein, die Starre aufrütteln, daß sie das Fremde abschüttle und wieder
+sie sei, die lebte in seinem Fühlen; die ganze fürchterliche Schwere
+der Wirklichkeit wegwischen, die Lüge war, weil sie so unverständlich
+blieb; das Herz schrie auf und tobte nein, nein, nein — und dennoch
+blieb er steif wie gelähmt, unfähig, etwas zu tun, zu sagen, oder zu
+denken.</p>
+
+<p>Und ging noch die folgenden Tage umher wie betäubt, indessen ein
+widerwärtiges geschäftiges Etwas vor sich ging, die ganze quälende,
+niederdrückende, entsetzliche Bestattungszeremonie, die mit dem
+Herzen nichts zu tun hatte, diese Schaustellung des Schmerzes vor
+den gaffenden Gassen und Fenstern bis zu dem Moment, wo man in der
+Kirche saß bei der Einsegnung und die Orgel lind und leise auf die
+zertretenen Gemüter einsprach. Das war wieder die Stimme der Mutter,
+bald gutmütig greinend, scheltend, verweisend, dann wieder gut zuredend
+und liebkosend; die Härte des Krampfes wollte sich lösen; aber dann
+noch das Schrecklichste, das Niederfahren des Sarges in die Grube, die
+vereinzelten Aufschreie, das dumpfe Dröhnen der auffallenden Schollen,
+das man<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> nicht mehr aus den Ohren bringt — als ob jede Handvoll Erde
+eine Wunde in den eigenen Leib schlüge!</p>
+
+<p>Fluchtartig ging's aus dem Friedhof fort ins Vaterhaus zurück; die
+Trauerzeichen waren inzwischen weggeschafft worden, die alte Ordnung
+hergestellt, aber die Ödigkeit hatte sich eingenistet. Das Tor war
+wie früher und ebenso die Zimmer, aber im Geist sah man immer die
+Trauertücher draußen hängen und wehen. Im Zimmer tauchte immer der Sarg
+auf an der Stelle, wo er gestanden, die Funsellichter — schreckhafte
+Eindrücke, und Visionen, die nicht wegzuwischen waren.</p>
+
+<p>Die paar Tage gehen vorüber in Dumpfheit und Zerschlagenheit; Franzl
+ist froh, als die Zeit da ist, ins Konvikt zurückzukehren. Auf dem
+Glacis wirft er sich ins Gras, um, von niemandem gesehen, sich nach
+Herzenslust ausweinen zu können. Dann wandert er stadtwärts und ein
+tröstliches Gefühl gewinnt Oberhand.</p>
+
+<p>»Fanny, Fanny,« denkt er, nein, er denkt es nicht; das Unbewußte in ihm
+denkt es, fühlt es. Das verschnürte Herz, das sich nach Wärme, nach
+Mütterlichkeit, nach Liebe sehnt und sich so schwer und widerwillig
+erschließt, sucht Zuflucht bei dem unwillkürlichen Gedanken an Fanny,
+die jetzt so halb und halb mit dem Bild der Mutter zusammenfließt
+und ihn doch zugleich so ganz eigen bewegt, daß ihn fast ein Zittern
+überfällt.</p>
+
+<p>Nun soll sie das Lied mit den Noten haben, denkt er und ist fast
+aufgeregt in der Vorfreude.</p>
+
+<p>Am anderen Morgen ist er der Erste bei dem Eßkorb, allen anderen Jungen
+voraus. Niemand soll's merken!</p>
+
+<p>»Das Lied, Fräulein Fanny, das Lied — hier hab'<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> ich's!« stammelte er
+heiß und verwirrt und steckte ihr das zusammengefaltete Blatt in die
+Hand.</p>
+
+<p>Sie sieht ihn eine winzige Weile von oben bis unten an, verzieht
+hochmütig den Mund, schiebt ihm das Blatt zurück und wendet sich ab mit
+der kurzen Bemerkung:</p>
+
+<p>»Brauch's nimmer!«</p>
+
+<p>Das Blatt fällt zur Erde; einer der anstürmenden Kameraden hat es
+erwischt, es verschwindet in den Händen der Freunde, wie so vieles, was
+damals entstanden.</p>
+
+<p>Jetzt hat er Groschen im Sack, aber kaufen tut er nichts; die
+Knackwurst, die Würsteln, die Schusterlaberln — nein; der Appetit ist
+ihm vergangen.</p>
+
+<p>Aber weinen, nein, das tut er auch nicht. Warum denn? Das Herz setzt
+eine Rinde an; daß ein Krampf darinnen bebt, er will's selber nicht
+wissen.</p>
+
+<p>Gleichmütig plaudert er mit seinen Freunden weiter, bis einer plötzlich
+sagt:</p>
+
+<p>»Du, hör' einmal, was hast denn du für eine Stimm'?«</p>
+
+<p>Fanny blitzt ihn wiederholt spöttisch an, sie hat es gleich gemerkt.
+Die Stimme war geborsten, rauh, unmelodisch, ein Wechsel, wie er bei
+Jünglingen um die Zeit der beginnenden Männlichkeit auftritt. Fanny
+lächelt spöttisch. Lächelte sie über sich, über den Jungen, oder über
+ihre Narretei? Der Zauber war gebrochen.</p>
+
+<p>Der Paradiesvogel stand vor dem ernüchterten Blick wieder unansehnlich
+gleich einer graubraunen Lerche da, ja, er war noch weniger geworden,
+ein grüner Spatz, der ziemlich unharmonisch piepste. Aber das Gold, das
+nicht in der Kehle lag, sondern tiefer in der Brust — was verstand das
+dumme Greislermädel davon?!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span></p>
+
+<p>Freilich, ein Sonnenstrahl war erloschen, der zwischen den Mauern
+schüchtern in des Knaben Gemüt gefallen war.</p>
+
+<p>Im Klassenbuch stand jetzt in der Kolonne des Franz Schubert die
+Bemerkung: Mutiert. Mit der Sopranistenherrlichkeit im Sängerchor bei
+den dicken Engelsköpfen war's jetzt vorbei. Das war der natürliche
+Verlauf der Dinge.</p>
+
+<p>Damit erlosch ein weiteres Licht, und die Schatten der Schulmauern
+drückten schwerer als je.</p>
+
+<p>Einige Monate später verließ Spaun die Anstalt, er hatte absolviert.</p>
+
+<p>»Glücklicher, daß du aus diesem Gefängnis gehen darfst!« rief ihm Franz
+zum Abschied nach. Es war ihm jetzt, als müßten die Schulmauern auf
+ihn stürzen, um ihn ganz zu erdrücken. Die Mathematik, da wollte nicht
+alles stimmen. Eine schlechte Note — die Scharte war auszuwetzen, wenn
+der Stiftungsplan mit dem Stipendium erhalten bleiben sollte. Aber wozu
+ein zweckloses Mühen? Was man eigentlich braucht, hat man vom lieben
+Gott gelernt, die anderen hatten ihr Bestes längst gegeben und sahen
+sich als Meister übermeistert. Es gab Wichtigeres zu erfüllen als
+büffeln und ochsen. So riet die innere Stimme des Genius.</p>
+
+<p>Noch ein Jahr wurde mühselig hingebracht, und dann schlossen sich die
+Türen des Konvikts hinter einem, der aufatmend draußen stand, einen
+letzten Blick auf das düstere, kahle Gemäuer warf und innerlich bebte
+und jubelte: Jetzt kommt eine andere Zeit! Das Leben, das Leben!</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="II">II.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Im Schulmeisterhaus am Himmelpfortgrund war wieder fröhliches Leben.
+Die Schatten der Trauer waren vertilgt, ein hübsches junges Weib nahm
+die Stelle der Mutter ein, arbeitete von früh bis abends mit heiterem
+Sinn und sorgte mit gleicher Liebe für alle, als ob die Verstorbene in
+diesem Frauenwesen wieder auferstanden wäre.</p>
+
+<p>Vater Schulmeister vermochte nicht lange ohne Gesponsin zu bleiben;
+kaum ein Jahr nach dem Tode seiner vielgeliebten ersten Ehefrau hatte
+er die Gumpendorfer Fabrikantenstochter, die »wertgeschätzte Jungfrau
+Anna Kleienböck«, gefreit; hat's nicht zu bereuen gehabt, und haben
+alle Kinder, besonders aber der Franzl, eine mütterliche Helferin an
+ihr gefunden. Den Franzl hatte sie namentlich in ihr Herz geschlossen.</p>
+
+<p>Aber der Vater, der macht Augen, als der Bub wieder heimkommt. Hat
+jetzt noch so einen Fresser am Brotsack hängen. War vom richtigen
+Bauernschlag, der Vater Schulmeister, ein dicker, harter Schädel, saß
+ihm der feste Sinn in dem entwickelten Kinn, war einer, der nicht gerne
+nachgab und den Kreuzer zehnmal umdrehte, ehe er ihn auslegte. Ein
+rechtschaffener Mann, der für die<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> Jungen sorgte bis zum Flüggewerden,
+aber dann sollten sie selber schauen, wie sie zu ihrem Futter kämen.
+Sparsamkeit bis zu Knickerei und Geiz, das war Bauerntugend. Und
+die saß fest bei ihm. Wie wär' man denn zu eigenem Grund und Boden
+gekommen, zu einem selbst erwirtschafteten Häusel, wo die Wirtschaft
+am Schnürchen ging, bei dem dürftigen Schulkreuzer, wenn man nicht
+Groschen auf Groschen gelegt hätte?!</p>
+
+<p>Es war an einem schönen Sonntagmorgen, als Franz heimkam. Der Vater saß
+allein in der unteren Stube und frühstückte. Als er des heimkehrenden
+Sohnes ansichtig wurde, schob er rasch den schön gebräunten, innen
+aber dottergelben, flaumigen Gugelhupf unter den Tisch, wo ein Brett
+als offenes Fach eingelassen war. Dann schlürfte er seinen Kaffee leer
+weiter, als ob er nichts dazu zu beißen hätte.</p>
+
+<p>Das Gespräch war ziemlich karg; einsilbige Fragen, einsilbige
+Antworten. Bis der Vater die verfängliche Frage stellte, ob Franz
+nun gedenke, den anderen Familienmitgliedern den mageren Bissen
+wegzuschnappen? Worauf der Sohn flink mit der Antwort bereit war:
+»Meinetwegen, Herr Vater, hätten Sie den Gugelhupf nicht verstecken
+müssen, ich mag ohnedies keinen.« Worauf Vater Schulmeister den
+Gugelhupf wieder hervorholte, aus dem Schrank eine Kaffeetasse nahm,
+dem Franz das Restchen aus den Kannen eingoß und ihm obendrein ein
+gewaltiges Stück von dem verheimlichten Gugelhupf vorsetzte.</p>
+
+<p>Franz ließ sich's wohl schmecken. Er wußte, der Herr Vater hatte nun
+einmal solche Eigenheiten, über die das gute Herz doch immer wieder
+siegte; und dieses gute Herz<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> hatte sich eben seiner bäuerischen
+Filzigkeit geschämt, bei der es sich ertappen ließ, und wollte den
+schlechten Eindruck durch um so größere Freigebigkeit verbessern.</p>
+
+<p>An diesem Tag war kein mahnendes Wort mehr gefallen. Am Nachmittag
+dirigierte Franz das Streichquartett, das sich im musikliebenden
+Schulmeisterhaus sofort gebildet hatte. Die Brüder Ignaz und Ferdinand
+kratzten auf der Geige, der Vater schabte das Violoncello und Franz
+spielte die Viola. Die beiden Violinen knarrten und quietschten
+vor Lust und Freude, sie taten aber so laut und ungeniert, als ob
+sie allein auf der Welt wären. Das Violoncello wollte sich die
+Ungebundenheit der vorlauten Violinen nicht über den väterlichen Kopf
+wachsen lassen. Es strengt seine wohlig dunkle Stimme aus Leibeskräften
+an und plagt sich hinter den beiden Wildfangen mit redlichem Schweiß
+einher, was nicht immer ohne Unfall vonstatten ging; nur die Viola
+flötet süß und geleitet die drei stolpernden Kumpanen mit gelinder
+Festigkeit auf unwegsame Höhen, wo man im himmelhohen Jauchzen hätte
+die Welt umarmen mögen. Aber das gute dicke Violoncello mußte sich
+des öfteren schnaufend die Seiten halten und konnte das Springen und
+Jauchzen nicht so flink mitmachen; bleibt öfters im Notengestrüpp
+hängen, sucht sich zuweilen ebenere Wege und markiert nur so den
+hüpfenden und schwebenden Gang der Melodie.</p>
+
+<p>Lächelt der Sohn, klopft mit dem Fiedelbogen ab und sagt schüchtern:
+»Herr Vater, da muß etwas gefehlt sein ...!« Also werden die
+schwierigen Passagen noch einmal genommen und immer noch einmal, bis es
+der Viola und den beiden Fiedeln gelingt, das schwerfällige<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> Cello mit
+Ach und Krach, aber immerhin mit heiler Haut über Stock und Stein zu
+bringen.</p>
+
+<p>Ist hinterdrein quietschvergnügt über die eigene vermeintliche Leistung
+und Fortschritte, schmunzelt vor Behagen und Selbstachtung und läßt
+sich zur Anerkennung herbei: »Das muß man sagen, können tut er was, der
+Franz, das haut ihm keiner 'runter!«</p>
+
+<p>Und die Brüder sehen voll Bewunderung auf den Franz hin, die Mutter ist
+gerührt, daß ihr die Tränen in den Augen stehen, und streichelt ihm
+scheu und zärtlich über den krausen Schädel, glückselig und erstaunt,
+so plötzlich diese stattlichen jungen Kerle zu Söhnen zu haben und
+besonders einen solchen Meister darunter, der ganz beschämt dasitzt und
+alle Lobeserhebungen bescheidentlich ablehnt. Beinahe hätte sie mit
+ihren warmen, molligen Armen den Lockenkopf abgefangen und ihn nach
+Herzenslust abgebusselt, aber sie getraute sich nicht des Vaters wegen,
+der könnt's vielleicht übel auslegen.</p>
+
+<p>Ist übrigens sehr selten, daß der Herr Vater soviel Lob spendet. Hat
+man kaum je aus seinem Munde gehört. Ist schon genug, wenn er nichts
+sagt, als ein Zeichen, daß er zufrieden ist. Wenn ihm was nicht
+gefällt, dem Herrn Vater, ist er gleich mit dem Tadel bei der Hand,
+dann spart er's nicht, räsoniert, greint, wettert, daß einem angst und
+bang wird. Man ist also nicht verwöhnt. Aber daß ihm auch einmal der
+Mund des Lobes voll überfließen könnte, daran kann man sich eigentlich
+kaum je entsinnen.</p>
+
+<p>Aber das Schönste kommt erst. Der Vater nimmt die Mutter zur Seite, hat
+eine kleine, heimliche Unterredung<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> mit ihr, man sieht, daß ihr Gesicht
+in heller Freude aufleuchtet, und draußen ist sie. Vergnügt und ganz
+erfrischt kehrt der Vater zu den Notenpulten zurück, er ist heute noch
+tatendurstig. Es ist noch eine Stunde zum Nachtmahl, die will der Vater
+nicht verlieren. Also wird noch einmal Musik gemacht, bis es finster
+ist.</p>
+
+<p>Jetzt erscheint wieder die Frau Mutter, ganz erhitzt und fröhlich
+aufgeregt — mein Gott, das Herdfeuer und die muntere Hast! Der Tisch
+ist fein säuberlich gedeckt. »Kommt's essen!« ruft der Vater und setzt
+sich als der Erste in den bequemen Lehnstuhl am oberen Ende.</p>
+
+<p>Die Buben — sind eigentlich schon erwachsene junge Männer, bleiben
+aber für den Herrn Vater immer noch die Buben — lassen sich das
+natürlich nicht zweimal sagen und sitzen schon im nächsten Augenblick
+um den Tisch herum, der heute sogar mit einem weißen Tuch gedeckt ist.</p>
+
+<p>Und Weingläser stehen auch da! Ein jeder spitzt: »Hei, da gibt's was!«</p>
+
+<p>Die Mutter ist schon wieder in der Küche draußen, sie ist in ihrem
+Element, wenn sie so richtig wirtschaften kann, aus dem Vollen heraus.
+Inzwischen wird noch eine Weile über die Musik geschwatzt, Musikanten
+sind leicht durstig und hungrig, besonders aber durstig — man hat das
+Gefühl, als ob man von einer wunderschönen Landpartie zu Fuß und zu
+Wagen zurückgekommen wäre, die herrlichsten Gegenden und Aussichten
+genossen hätte, von fernen Gipfeln, die man nur träumen könnte. In
+diese ätherblauen Seligkeiten hat der Genius geführt — ja, so<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> ein
+Streichquartett den lieben Sonntag nachmittag, das ist mehr als ein
+vierspänniger Wagenausflug.</p>
+
+<p>So, und jetzt sitzt man, in die Wirklichkeit zurückgekehrt, mit
+erdenfrohem Behagen und Appetit da, die Gabel in der Faust, und wartet
+mit spähenden Augen der Dinge, die da kommen sollen.</p>
+
+<p>Und da fliegt schon die Tür auf, die junge Frau Mutter rauscht herein,
+daß die weißgestärkten Unterröcke und die Schürzenbandeln fliegen, die
+halbnackten, rundlichen Arme tragen hoch eine große Schüssel, eine
+Duftwolke strömt mit — hm! daß einem das Maul wässert —, jetzt senkt
+sich die Schüssel auf die Tischmitte herab, ein vierstimmiger Ausruf:
+»Ah, Backhendeln!«</p>
+
+<p>Wiener Backhendeln mit Gurkensalat!</p>
+
+<p>Den Jungen verschlägt's fast den Atem, keiner würde wagen, zuzugreifen,
+sie schauen verzückt auf die Backhendeln und dann verwundert auf den
+Herrn Vater — das hat man noch nicht erlebt, außer bei der Hochzeit
+mit der jungen guten Stiefmutter — eine solche Freigebigkeit — was
+muß denn über ihn gekommen sein?!</p>
+
+<p>Den Vater wandelt jetzt ein Schatten an, er fühlt den verwunderten
+Blick der Söhne, fast dünkt es ihm jetzt eine Verschwendung, er bereut
+es beinahe schon wieder, sich in solche Unkosten gestürzt zu haben, und
+blickt eine Weile sinnend und grüblerisch auf seinen leeren Teller. Die
+Stirn hat Falten, wie immer, wenn er nachrechnet.</p>
+
+<p>Mechanisch erhebt er sich zum Tischgebet. Die jungen Kerle leiern es
+herunter mit langen Zähnen, im Mund lauft jedem das Wasser zusammen,
+man sieht's ihnen ordentlich an — die Mutter blickt glückselig von
+einem auf<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> den anderen — der Vater betet laut und langsam aber wie im
+Traum, indessen er im Geiste rechnet und rechnet. Er will, bevor er zu
+essen anhebt, das Exempel lösen, wie er die Mehrkosten von heute im
+Lauf der Woche wieder hereinbringt, um das knickerische Gewissen zu
+beruhigen und obendrein so, daß der eine Fresser, der jetzt mehr da
+ist, dreingeht, ohne daß das Wirtschaftsgeld erhöht werden muß.</p>
+
+<p>Ganz einfach, denkt er, indessen seine Lippen laut und langsam beten,
+Fleisch gibt's die ganze Woche nicht mehr — Mehlspeisen kosten die
+Hälfte — sind viel gesünder — Montag Banadlsuppe, kostet fast
+nichts, heißes Wasser mit Ei und Semmelschnitten, etwas Schmalz; dann
+Erdäpfelnudel mit Semmelbröseln abgeschmalzen, Zwetschgensauce dazu
+— ist gut und nahrhaft, können bampfen dabei, die Schlinghälse, daß
+sie nicht mehr bah sagen können; Dienstag Grießschmarrn mit gekochten
+Kirschen; Mittwoch Holzhackernockerln aus Wasser und Mehl, läßt man
+ein Ei darüber spazieren, macht's nahrhafter und sieht nach mehr
+aus; Donnerstag Linsen, vielleicht Spiegeleier dazu, wenn's reicht;
+Freitag ist ohnehin Fasttag, gibt's vielleicht Hirsebrei mit geriebenem
+Lebzelten drauf; Samstag Kipfelkoch oder Semmelschmarrn, Bofesen wären
+auch nicht schlecht, vielleicht einen Kirschenstrudel — die Leibspeise
+— wenn sie nur nicht zu teuer kommt —, als Nachtmahl gibt's die
+ganze Woche nichts weiter als Butterbrot, zur Abwechslung etwa einmal
+frischen Maiprimsen darauf, und, wenn's hoch kommt, ein paar Kirschen
+nachher, die jetzt wohl billig genug sind; na, und Sonntag vielleicht
+wieder einmal einen<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> Schweinsbraten — sein Gesicht klärt sich auf,
+indessen er das Kreuz schlägt, das Rechenexempel ist gelöst, er kann
+sich beruhigt mit Frau und Söhnen an den Backhendeln ergötzen: Im Namen
+Gott des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen! Mit
+einem vierstimmigen Echo schließt das Amen.</p>
+
+<p>Dann ein eiliges Sesselrücken, dicht an den Tisch heran, so bequem und
+fest als möglich, die Serviette unters Kinn gesteckt, in den Halskragen
+hineingestopft, der Vater langt mit der Gabel zuerst zu und sticht das
+Pfaffenschnitzel heraus mit etwas gerösteter Petersilie darauf, wegen
+des Wohlgeschmacks, flink hat ein jeder sein Trum auf dem Teller,
+der eine ein solches weißes Bruststück, der andere ein Haxerl, ein
+Stück Flügerl, ein paar Minuten vergehen wortlos, indessen das zarte
+Fleisch mit der schönen braunen, knusperigen Rinde zwischen den Zähnen
+mitsamt den weichen Knöchelchen krachend zerbissen wird und Stück um
+Stück verschwindet. Zu jedem Bissen Fleisch eine tüchtige Gabel voll
+Gurkensalat.</p>
+
+<p>Vater Schubert stößt vertraulich den Franz an und deutet mit dem Messer
+auf das Büchschen Paprika, das am Tisch steht.</p>
+
+<p>»Mußt etwas Paprika auf den Gurkensalat tun! Zum Gurkensalat gehört
+eine Messerspitze Paprika!«</p>
+
+<p>Also streute Franz vorsichtig etwas Paprika auf den Gurkensalat.</p>
+
+<p>Das gibt zu dem Arom eine köstliche Würze, daß man einen brennenden
+Rachen hat wie ein Feuerschlucker.</p>
+
+<p>Die Schüssel ist leer, nur ein Häuflein Knochen ist übriggeblieben
+wie auf einer Schädelstätte. Jeder lehnt sich<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> behaglich und von der
+emsigen Arbeit aufseufzend in den Sessel zurück; die Flammen in der
+Kehle müssen gelöscht werden. Da langt der Vater nach einem Krüglein,
+das unter dem Tisch bei seinen Füßen steht, hebt es sorgfältig prüfend
+ans Licht und schenkt jedem das Glas voll. Gumpoldskirchner!</p>
+
+<p>Zu Backhendeln mit Gurkensalat gehört Gumpoldskirchner, das ist
+stilgerecht. Es könnte auch ein Grinzinger sein, ein Sieveringer, ein
+Alsecker, ein Bisamberger, ein Klosterneuburger, ein Weidlinger, ein
+Kremser, ein Mailberger, ein Haugsdorfer, ja, man würde gar nicht
+fertig in der Aufzählung der vielen guten Tropfen, die zu einer solchen
+Wiener Götterspeise gehören. Jeder hat seine eigene Blume, aber jeder
+paßt dazu. Vater Schubert liebt besonders den Gumpoldskirchner. Er ist
+goldgelb, etwas schwerer wie die anderen, kostet auch etwas mehr, aber
+an hohen Fest- und Feiertagen möcht' man halt auch was Besonderes haben.</p>
+
+<p>Glänzen alsbald die Äuglein, wie der Gottestrank die Zunge hinabläuft,
+inwendig ein behagliches wärmendes Feuer anzündet, daß die Begeisterung
+wach wird und die Zungen sich lösen. Schwebt schon der heilige Geist
+auf sie herab und fängt der eine und andere an, mit Engelszungen zu
+reden. Franz, der wortkarge, der verschlossene, wird gesprächig.</p>
+
+<p>Ist so eine schöne Sache, die Musik, hebt den Menschen ins Himmelreich,
+daß er in lichter blauer Seligkeit hinschwebt, als ob er Flügeln hätte
+und wirklich schon im Paradies wäre. Fällt alles Schwere ab, alle
+Sorge, und selbst was traurig stimmt, wird tröstlich und labesam.<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span>
+Ist neben der Musik aber auch was Schönes, Backhendeln essen mit
+Gurkensalat, und Gumpoldskirchner dazu zu trinken! Gewiß! Essen und
+Trinken hält Leib und Seele zusammen. Die Seele schwingt sich auf,
+wandert frank und frei im Reich der Töne, aber sie muß wieder zurück,
+wenn der Leib schwach und hungrig wird, und muß sich wieder stärken mit
+ihm, denn Leib und Seele gehören nun einmal zusammen. Wie könnte sie so
+schöne Lieder erfinden und gottselige Gedanken pflegen, wenn sie nicht
+hin und wieder durch den Leib mit so herrlichem Essen erquickt würde.</p>
+
+<p>Gibt es doch kein Land, wo so erlesene Genüsse zu haben sind, solche
+Backhendeln, solchen feinen Salat und einen so himmlischen Tropfen wie
+diesen Wein! Drum kann auch nirgends die Seele so hoch in Begeisterung
+steigen wie hier, wo sie auch auf Erden sich bereits im Himmelreich
+wähnt. Womit schmeckt denn der Leib diese wunderbaren Gaben, wenn nicht
+mittels der Seele, die es zu schätzen versteht, was ihr hier vorgesetzt
+wird, und die dann noch einmal so herrlich zu singen und sagen weiß.
+Diese Backhühner, dieser Wein muß nicht allein mit dem Leib genossen
+sein, wenn es gut anschlagen soll — nein, Speis' und Trank ist es für
+die liebe Seele!</p>
+
+<p>Die Mutter lächelt verklärt und schaut gedankenvoll aufs Tischtuch,
+die Brüder schauen mit glosenden Augen bald auf den Vater, bald auf
+den Franz, der eine so verwunderliche Rede hält; Ignaz, der Älteste,
+schaut drein wie ein Gelehrter, mit den dunklen, brennenden Augen
+in dem blassen, schmächtigen Gesicht, der gewaltigen Stirn und dem
+Grübchen im zwiespältigen Kinn — das haben<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> alle Brüder vom Vater
+her —, ist selbständiger Schullehrer, hätte aber nie gewagt, vor dem
+Vater solche freigeistigen Reden zu führen; Bruder Ferdinand, dieweilen
+noch Schulgehilfe, musik- und sangesbeflissen, lacht mit gutmütigem,
+verschmitztem Bauerngesicht den geliebten Bruder Franz an, und sitzt
+ihm die Freude heimlich in den munter blitzenden Äuglein; Karl, der
+jüngste Bruder, der noch die Kunstschule besucht und Maler werden
+möchte, schaut mit seinem hellen, offenen Künstlerantlitz bewundernd
+hin auf Franz und denkt, so muß man's machen, frisch und keck, dann ist
+der Herr Vater als Wauwau nicht halb so schreckhaft — rückt näher an
+Franz heran, hängt mit den Augen an seinen Lippen und berauscht sich an
+dessen Worten; nun und der Herr Vater, dem die Weinseligkeit aus den
+Augen tropft, sitzt lächelnd da wie Vater Noah, nickt gutmütig zu dem,
+was der begeisterte Franz faselt, hebt dann selbstvergessen, als ob die
+Buben da nicht seine Söhne, sondern seine Kameraden aus der Jugendzeit
+wären, das Glas, um mit Franz anzustoßen!</p>
+
+<p>Man ist baff! Das hat der Vater nie getan!</p>
+
+<p>Der Herr Vater stoßt mit dem Sohn Franz an, dann stoßt er mit der Frau
+Mutter an, die Gläser klingen zusammen, und jetzt fahren auch die
+anderen herzu und stoßen alle zusammen an.</p>
+
+<p>»Prosit, Herr Vater!« der Franz sagt's, dann sagt's der Ignaz, dann der
+Ferdinand und dann der Karl.</p>
+
+<p>Jetzt schreien es alle vier.</p>
+
+<p>»Prosit, Frau Mutter!« Wieder ist es der Franz, der das sagt. Und jetzt
+fahren wieder die Gläser zusammen,<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> daß es klingt wie ein Glockenspiel,
+und alle schreien lauter als vorher: »Prosit, Frau Mutter!«</p>
+
+<p>Karl, der Jüngste, ist so aufgeregt, daß er fast seinen Wein
+verschüttet. Da sind die kostbaren Tropfen auf das Tischtuch gefallen,
+und schon fliegt sein Blick ängstlich zu dem Vater hinüber, der sich
+die Gelegenheit sonst nicht hätte entgehen lassen, dem Karl eine
+ordentliche Predigt zu halten, wie man sich zu benehmen habe. Die
+schöne Gottesgabe verwüsten — Bub, wirst noch einmal froh sein, wenn
+du so einen Tropfen hast! Aber heute, nein — der Herr Vater ist
+gnädig, er tut so, als ob er nichts bemerkt hätte.</p>
+
+<p>Der Schreck ist dem Karl doch gelinde in die Glieder gefahren — wenn
+der Herr Vater auch heute nichts sagt, das dicke Ende kommt nach!
+Dem Alten ist nicht zu trauen — er hebt sich's auf morgen auf! Aber
+mit einem Schluck hat Karl die Bänglichkeit hinuntergeschwemmt, die
+Keckheit gewinnt jetzt Macht über ihn, an Franzens Beispiel gestärkt.</p>
+
+<p>»Sind wir lustig heut — Prosit, Herr Vater!« und hebt mit knabenhafter
+Dreistigkeit das Glas, um mit dem Vater aufs neue anzustoßen.</p>
+
+<p>Läßt aber gleich das Glas wieder sinken vor dem strafenden Blick des
+Vaters.</p>
+
+<p>»Benimm dich!« weist ihn der zurecht. Er kann's nicht leiden, wenn
+sich Kinder übernehmen. Müssen »Sie« zu den Eltern sagen, damit der
+Respekt vor der elterlichen Würde gewahrt bleibt, und möcht' dann so
+ein Junge bei der erstbesten Gelegenheit die strenggezogenen Grenzen
+mir nichts dir nichts verwischen. Sind doch beide nicht<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> zugleich auf
+der Schulbank gesessen — na also! Spricht's zwar nicht aus, der Herr
+Vater, denkt's aber so ungefähr und redet mehr durch die Augen, die mit
+langem, einschüchterndem Blick auf Karl ruhen, der schon vergeht wie
+ein allzu keckes Flämmchen unter einem großen Löschhut.</p>
+
+<p>Erhebt sich drauf der Herr Vater und sagt kurz und bestimmt: »So — und
+jetzt schlafen gehen!«</p>
+
+<p>Also gehen alle schlafen, jedes mit dem seligen Gefühl: war ein schöner
+Sonntag heute!</p>
+
+<p>Aber es kann nicht immer gleich schön bleiben, kommen auf gutes Wetter
+immer allemal auch trübe Tage mit Regen und Sturm; und so ist es im
+Leben ein ewiges Schwanken, und sind die himmelblauen Tage im Jahr karg
+gezählt.</p>
+
+<p>Nicht alle Sonntag ist Kirchtag, war auch der nächste Sonntag schön,
+aber nicht ganz so schön. Gab es keine Backhendeln mehr, sondern kaltes
+Schweinernes abends, das von Mittag übriggeblieben war. Schmeckte aber
+auch sehr gut. Gumpoldskirchner gab es ebenfalls nicht, dafür billiges
+Abzugbier — Fensterschwitz. Macht nichts, wenn es frisch ist, ist es
+recht gut und gesund vor allem, gesund.</p>
+
+<p>Das Streichquartett bleibt jetzt eine ständige Sonntagseinrichtung,
+nimmt auch der Herr Regens chori von der Liechtentaler Kirche teil,
+Herr Michael Holzer, bei dem Franz in seiner Knabenzeit Singunterricht
+genommen hatte. Ist ganz beteppert, der Herr Regens chori, vor lauter
+Hochachtung für das musikalische Genie, kann sich gar nicht genug tun
+mit überschwenglichen Worten über<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> Franzens Kompositionen, daß es dem
+schon zu dumm wird, weil sein alter Lehrer gar so fein und überhöflich
+mit ihm tut, fast genierlich für ihn, den Jungen.</p>
+
+<p>Meint der Herr Regens chori, daß es ihn halt so viel freuen tät',
+wenn der Herr Franz die Erlaubnis geben möcht', etwas aufzuführen
+von ihm nächstens beim hundertjährigen Jubiläum der Liechtentaler
+Kirche — hätte er doch eine wunderschöne Messe geschrieben noch als
+Konviktsschüler, die an und für sich schon ein Meisterwerk wäre. Da
+wollt' er schon lieber was Neues machen, lächelte Franz, die früheren
+Arbeiten wären doch zu gering, müßt' schon etwas Besonderes werden —
+zur höheren Ehre Gottes!</p>
+
+<p>Befriedigt blickt der Vater auf den Sohn, ist stolz auf ihn — aber zum
+Kuckuck auch, ist doch nur brotlose Kunst, was er treibt, und von der
+Ehr' kann man allein nicht leben; muß auch tüchtig zugesehen werden,
+daß Franz bald seinen eigenen Brotsack umgehängt bekommt.</p>
+
+<p>War auch nicht viel Zeit vergangen, hat ihn der Vater schon ins
+Amt hineinbugsiert. Ein paar Monate Präparandenschule, dann
+Lehramtsprüfung, und jetzt ist er Schulgehilfe. Ist es gleich
+nebenan in der Säulengasse unter seines Vaters Aufsicht, der sechs
+Schulgehilfen beschäftigt. Franz kriegt dieselbe Bestallung: freies
+Quartier und einen Gulden Wiener Währung pro Monat und Schülerkopf.
+Hat den Vorzug, in Vaters Haus zu wohnen und Kost zu kriegen. Die wird
+ihm freilich berechnet. Bleibt immerhin noch ein Taschengeld für das
+bißchen Kleider und sonstige kleine Bedürfnisse.</p>
+
+<p>Das mit der Messe für die Liechtentaler Kirche geht dem<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> Franz nicht
+aus dem Sinn, in seinem Herzen stürmt es, ist aber eingesperrt den
+lieben langen Tag in den Schulkäfig — was ist das für ein Leben?!
+Bloß weil es das Brot ist?! Anstatt wie die Lerche in blauer Seligkeit
+zu schweben und den Schöpfer zu preisen, muß er sich abmühen von früh
+bis abends, kleine Rotznasen unterrichten, ABC-Schützen, die auch
+alles andere lieber täten, als still zu sitzen mit den Händen auf der
+Schulbank und aufzumerken.</p>
+
+<p>In Franzens Hirn und Herz flutet es, die Gedanken und Gefühle kochen
+mit eherner Gewalt, sie wollen sich nicht abweisen lassen und flattern
+heran wie Zaubervögel, die Fuß fassen möchten, gehalten sein, um nicht
+hilflos ins unendliche Meer des Vergessens zu sinken. Er will sie
+halten, muß aber an der Schultafel stehen und mit der Kreide Buchstaben
+hinmalen, a, b, c, die von den Buben auf die Schiefertafel nachgekratzt
+werden. Und muß ihnen das Einmaleins vorrechnen: einmal eins ist eins,
+zweimal zwei und so weiter. Dann läßt er es einen nach dem anderen
+auswendig sagen und kritzelt unterdessen hastig die Gedanken hin, die
+aus dem Herzen zum Kopf drängen. Der eine Bub sagt zweimal zwei ist
+drei, der andere zweimal zwei ist fünf — alles stimmt. Haben es die
+Schüler und der Lehrer gleich gut. Ist ja auch wirklich so: nichts geht
+im Leben so glatt aus, daß man sagen könnte, zweimal zwei ist vier.
+Immer wird's ein bißchen zu wenig oder ein bißchen zu viel, jedenfalls
+ein bißchen anders, so daß zweimal zwei entweder drei oder fünf
+ausmacht.</p>
+
+<p>Oder es guckt der Herr Lehrer selbstvergessen und dem<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> Liederborn
+in seiner Brust lauschend zum Fenster hinaus, wo ein blau-goldener
+Vormittag leuchtet, indessen man in dem kalkweißen Zimmer bei
+langweiligem Tun hocken muß. Gucken auch die Buben zum Fenster hinaus
+und empfinden ungefähr dasselbe. Ertappen sich gegenseitig Lehrer und
+Schüler bei diesen abschweifenden Gedanken, gucken sich gegenseitig an
+und lachen.</p>
+
+<p>Ein Dichterwort flattert unversehens aus Franzens heimlich klingender
+Seele auf: »In Grün will ich mich kleiden.« Unwillkürlich entschlüpft
+es seinen Lippen, sitzen die Buben versteinert da, als ob ein
+Märchenvogel bei dem offenen Fenster hereingeflogen wäre. Fängt einer
+von den ältesten Rangen in der letzten Reihe tölpisch zu lachen an,
+wohl aus Verlegenheit, ducken ihn aber die anderen schon nieder mit
+heimlichen Knüffen und zugerauntem »Kusch!« Wird aber sofort wieder
+das Maul gehalten, und sitzen alle atemlos da, wundersam berührt. Geht
+ein Engel durchs Zimmer, sagen die Leute, wenn plötzlich gespanntes
+Schweigen eintritt. Jetzt war's so. Ein Engel ist durchs Zimmer
+gegangen, der Genius, hat sie alle mit dem Finger ans Herz getupft.</p>
+
+<p>Und Franz, der Schulgehilfe, reißt die Violine aus dem Kasten und
+spielt ihnen sein neuestes Lied vor: »In Grün will ich mich kleiden.«</p>
+
+<p>Nach Hunderten zählen die Schöpfungen, die ihm in diesen Monaten durch
+das graumaschige Netz der eintönigen Tagespflichten als Geschenke des
+Himmels durch die Finger gleiten. Einer ist, der hat in der Tiefe des
+deutschen Herzens das unsterbliche Lied erklingen verspürt — der
+deutsche Genius hat durch seinen Mund gesprochen:<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Goethe. Über diesen
+Dichterquell gebeugt, hat Franz das melodische Rauschen vernommen,
+darin der Wald raunt, der Bergstrom braust, das Herz aufschreit in
+Lust und Leid, die Wanderfröhlichkeit jubelt, und die Sehnsucht mit
+blauem Bande lockt; in sein Inneres hineinhorchend wie in einen
+tiefen Märchenbrunnen, hat er das Lied singen gehört. Das deutsche
+Lied. Draußen am Himmelpfortgrund ist es entstanden. Und hat anders
+geklungen als alles, was man je früher gesungen hat. Tiefer, feuriger,
+ergreifender.</p>
+
+<p>Die kleinen Schulbuben verstehen nichts von Musik, aber das Lied,
+dieses und noch manches andere, das ihnen Franz vorspielt und mit
+halblauter Stimme vorsingt, haben sie gleich begriffen.</p>
+
+<p>Franz legt die Geige sachte wieder hin, da bricht der starre Respekt,
+der eine künstliche Spannweite zwischen Lehrer und Schüler herstellt,
+wie eine Eisrinde vor der schmelzenden Glut der Herzen zusammen, die
+Rotzbuben sind aus den Bänken gestürmt und haben ihn jubelnd umdrängt,
+die Hand wollen sie ihm küssen, hinaufgeklettert sind sie an ihm,
+einer über dem anderen. In der Maske des Schulgehilfen haben sie den
+älteren Mitbruder und Kameraden entdeckt, die Kindheit hat ihn gleich
+begriffen, wie alles, was menschlich rein und echt ist. Es bedarf
+keines Nürnberger Trichters, keines Systems, keiner Schulzwangsjacken,
+keines Ochsens und Büffelns, sie haben es von sich aus verstanden.
+Somit wäre das richtige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler,
+gewissermaßen auf du und du, hergestellt.</p>
+
+<p>»Putz' dir die Nasen!« geht die lachende Ermahnung an<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> einen Knirps,
+der sich just vor inniger Freude an Franzens Handrücken abwischt. Hat
+aber kein Bub ein Schneuztuch, macht's ein jeder wie der Bauer mit zwei
+Fingern und dann auf die Erde damit, was im Schulzimmer nicht angeht.
+Fährt man also, wie im Notfall immer, einmal mit dem linken Rockärmel
+um die Nase, dann mit dem rechten, daß die Ärmelenden hart und speckig
+glänzen, wie glasierte Schweinsschwarteln.</p>
+
+<p>Ist ein neuerliches Hallo über den Rotzbuben, daß es laut in den
+Schulgang hinausschallt, worauf der Herr Vater beim Türspalt
+hereinguckt, mißtrauisch über die Ungebundenheit, die gerade nur
+in Franzens Klasse herrscht. Ein Glück, daß im selben Augenblick
+die Glocke schallt und der Vormittagsunterricht zu Ende ist. Vater
+Schulmeister schüttelt den Kopf; er ist gar nicht recht zufrieden mit
+seinem neuen Gehilfen. Daß ein Lehrer die Anhänglichkeit und Liebe
+seiner Knaben zu gewinnen weiß, wäre schon recht; aber wo bleibt der
+schuldige Respekt?! Wo bleiben die Schulreglements?! Der Lehrplan?!</p>
+
+<p>»Lehrplan, Schulordnung, Respekt sind die Hauptsachen, verstanden?!«</p>
+
+<p>In Grün will ich mich kleiden ...! Allein oder mit Bruder Karl, der
+den rechten Landschaftersinn dafür besitzt, spaziert Franz häufig an
+Sommerabenden zwischen den Feldern und Weingärten der benachbarten
+Ortschaften umher! Eine versunkene Welt! Heute ragen nichtssagende
+Zinskasernen in staubigen, lärmenden Straßen in diesen Gegenden, die
+einst ländliche Idyllen waren.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span></p>
+
+<p>In Grün gebettet zwischen schwellenden Hügeln mit Wein und Wald, liegen
+Währing, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Döbling, ein lieber Kranz
+von Landschaften rund um die alte Wiener Stadt.</p>
+
+<p>Begeisterte Naturgedichte entstanden in der damaligen Zeit, die frohen
+Müllerlieder waren hier für Franz Erlebnis geworden, der sie zum
+erstenmal sang. Er hat sich seine Dichter gefunden, nach Goethe die
+besten, und hat ihren Worten einen klingenden Mund verliehen, denn
+alles, was er hier ansah, war schon heimliche Musik. Er spürte sie
+zutiefst inwendig, und wenn die Dichterworte durch seinen Genius ihr
+klingendes Gefieder erhalten hatten, dann blieben sie auch nicht lange
+daheim in der Schublade, sondern flatterten aus, zu den Freunden in
+die Stadt, zu Spaun, der regelmäßig neue Noten von Franz bekam und sie
+wieder bewundernden Freunden weitergab.</p>
+
+<p>Ein Legendenkranz hatte sich drinnen in der Stadt um den einen
+gebildet, »dessen Ruhm alle anderen überstrahlen sollte«. Er war schon
+berühmt und hatte zahlreiche Anhänger und wußte es nicht, indessen er
+abends als armer und sehnsüchtiger Schulgehilfe zwischen den Feldern
+ging. Und war dennoch auf eine heimliche und sehnsüchtige Weise
+glücklich, wie man es als naturfreudiger Mensch im Schoß solcher
+entzückender Landschaften nur sein konnte. Lieder, wie sie damals aus
+dem Herzen der Menschheit sproßten, blühen dem heutigen Geschlecht
+nicht mehr, die Menschenseele ist unfruchtbar geworden; sie hat den
+blühenden Garten ringsum in eine Wüste verwandelt und fristet in den
+Steinhaufen ein innerlich verarmtes<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> Dasein. Das hätte man damals nicht
+für möglich gehalten.</p>
+
+<p>Eines Spätnachmittags betraten Franz und Karl den Döblinger Friedhof,
+wo die selige Mutter begraben liegt. Steinerne Engel knien zwischen
+dunkelgrünen Zypressen in dem Alt-Wiener Friedhof, Urnen und gestürzte
+Säulen leuchten weiß in ernstem Grün, rote Blumen bluten da und
+dort auf den Gräbern. Der Vater hat einen einfachen Stein über den
+Grabhügel setzen lassen, ein frischer Wiesenstrauß liegt dort zu oben
+auf. Den hat die Stiefmutter niedergelegt, die Jugendfreundin von der
+Verblichenen. Gute Seele! Die Vögel schmettern in den Gebüschen wie in
+einem Lustgarten, die Einsamkeit verbirgt ihr Haupt in dem Schoß der
+Ruhe und des Friedens! Die Trauer war aus dem Herzen geschwunden, die
+Selige stand im Verklärungslicht.</p>
+
+<p>Franz war ernst und hoch gestimmt. »Wir gehen alle in Gott!« sagt er
+plötzlich zu Karl, der zustimmend nickte, den Bruder aber nicht ganz
+begreift. In tiefem Gespräch gehen sie dann in der Dämmerung hin.</p>
+
+<p>Der gläubige Franz! Er ist kein Grübler, kein Eiferer, kein
+Kirchenfanatiker, aber er besitzt ein frommes Gemüt wie jedes echte
+Naturkind. Die Seele weiß sich eins mit dem Geist der Dinge, der
+Natur, der fernen und nahen Lieben. Sie findet ihren inneren Ausgleich
+in dieser Allgegenwart alles Gutem, geheimnisvoll Wirkendem, geistig
+Lebendem und am Weltbau Schaffendem. Für ihn gibt es kein anderes
+hehres Wort dafür als: Gott! Darum gibt es für ihn auch in der Trübnis
+kein Sinken, kein Sich-verloren-wähnen, immer und überall geht er in<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span>
+Gott. Seine Seele ist wach und hat alle Fenster auf für die magischen
+Kräfte des Unendlichen, die auf ihn einströmen und das Band waren, das
+ihn mit allem lebendig verknüpfte, was er liebte und ehrte. Hier ist
+der Keimpunkt seines Dichtens und Werdens.</p>
+
+<p>Als sie bei sinkender Nacht heimkehren, ist der Plan seiner Messe,
+die ihm im Kopf herumgeht, fertig. Seine kindliche Dankbarkeit, die
+Anbetung des Unendlichen, das Gedenken an die Verblichenen, das
+göttliche Allgefühl, alles will ausströmen als Gesang, als Jubel
+der Seele. Das hat ihn der liebe Gott gelehrt, dem will er's wieder
+zuwenden. Dem großen, geheimnisvollen, schöpferischen Etwas, das in und
+um ihn ist. Ein ganz Großer hat es ihm zuvorgetan, dem er in Ehrfurcht
+nachblickt; der herrliche, unsterbliche Mozart, dem der kleine,
+ränkesüchtige Salieri so bitter zugesetzt hatte.</p>
+
+<p>Mozart, das war ein Wegweiser zu dem ganz Großen in ihm, auf das er
+horchen mußte. Mozart und dann ein anderer ganz Großer: Herr Ludwig
+van Beethoven, dessen ehrwürdig finsterer Erscheinung er zuweilen auf
+einsamen Wegen ansichtig wird. Alles weicht dem scheu aus — so gehört
+es sich, wenn ein Gewaltiger kommt.</p>
+
+<p>Trotz aller Schulnöten ist die Messe in zwei Monaten fertig — gleich
+in Partitur geschrieben mit sämtlichen Chor- und Orchesterstimmen,
+die Prim- und Sekundviolinen je dreifach, die Baßstimmen doppelt in
+F-Dur komponiert — so schön wie es nur einer kann, dem's der liebe
+Gott eingibt. Gar herrlich soll das Werk am hundertsten Jahrestag der
+Liechtentaler Kirche vom Chor herab erklingen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span></p>
+
+<p>Franz leitet die Aufführung, Herr Michael Holzer, der Regens chori,
+sitzt an der Orgel, den Sopransolo singt eine Schöne vom Grund —
+Therese Grob. In der Kirche unter der Menge, die Kopf an Kopf steht,
+lauschen die Freunde Schuberts, die eine große Zahl Sinnesgenossen
+mitgebracht haben. Spaun ist mit einigen Leuten erschienen, die vor
+Begierde auf den jungen Meister brennen, den sie schon aus seinen
+Liederkompositionen schätzen und lieben gelernt haben. Sie lieben
+alle die Musik, der junge Maler Schwind, der Maler Kupelwieser, der
+weltmännische Herr von Schober, der dem Priesterrock entsprungene,
+verschlossene, von innerer Leidenschaft glühende Zensurbeamte und
+Dichter Mayrhofer, von den Konviktsfreunden gar nicht zu reden.</p>
+
+<p>Nun stehen sie in der Kirche und lauschen auf das Trommeln, Pauken und
+Schmettern, das oben angeht, als ob sich der Himmel geöffnet hätte und
+die Heerscharen zu musizieren anfingen.</p>
+
+<p>Zuerst ein stammelndes Geplauder in Tönen, wie wenn ein Kind zum Vater
+redet, zaghaft, dann unbekümmert, vertrauensselig, voll unschuldiger
+Hingabe. Jetzt erhebt sich ein Sopransolo mit klangvoller Macht;
+herrlich steigt die Stimme der Therese Grob aus wirbelnden Tonfluten
+hervor, schlägt schmerzliche Laute, ein demütiges Bitten, die Geigen
+flehen mit, der Chor tritt dazu, die Gefühlswoge steigt höher und
+höher, immer wilder entfaltet sich die blühende Stimme, ringt sich über
+alle Wirren himmelwärts, eine leidenschaftlich Liebende, die zum Herzen
+schreit, zum unendlichen Gnadenherzen, um Erhörung zu erzwingen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p>
+
+<p>Niemand weiß, daß sie längst Erhörung gefunden hat bei dem
+Meisterlein oben, der das Weltherz in sich fühlt und ganz gerührt
+und hingerissen ist, nicht so sehr von dem eigenen Werk, als von der
+einschmeichelnden Stimme der Therese Grob. Jetzt weiß er selbst zu
+seinem seligen Schmerz, was eine menschliche Stimme bedeuten kann. Er
+hat wahrscheinlich nicht geahnt, was das einfache braune Greislerkind
+in der Stadt, die Fanny, um ihn heimlich gelitten hat; nun leidet er um
+Therese, und ist glücklich, weil er so leidet. Er hat es nicht wissen
+wollen während der Proben, daß es sein Inneres so mächtig ergreift,
+aber schließlich gab es kein Vorbeidenken mehr, er ertappte seine
+Gedanken und Gefühle immer wieder dabei, wie sie mitten im Arbeiten,
+im Schulhalten, im Träumen, im Wachen und Schlafen auskniffen, und
+erwischte sie immer wieder bei dem Bild seines Herzens, der Therese
+Grob und ihrer schönen Stimme.</p>
+
+<p>Nichts nützte es, daß er zählte von eins bis hundert, bis zweihundert,
+bis fünfhundert, abends im Bett, um ohne müßige Träumerei
+einschlafen zu können, half eben alles nichts gegen die beschämende
+Selbsterkenntnis: er war verliebt. Kerl, dummer, närrischer, blöder,
+verliebter! Möchte sich ohrfeigen, vor sich selber verkriechen,
+beschimpft sich, verachtet sich, alles umsonst — die eigenen
+Koboldgedanken lachen ihn aus. Er kann dem Mädel gar nicht mehr ins
+Gesicht sehen, ist unhöflich mit ihr, verschlossen, fast grob — und
+möchte zugleich in hilfloser Zärtlichkeit vor ihr vergehen.</p>
+
+<p>Jetzt, wo er als Dirigent oben steht und die Stimme wieder niedersinkt,
+demütig um Erbarmen bettelnd, fühlt<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> er ganz klar, wie es um ihn steht;
+er zittert, daß ihm beinahe der Taktstock entfällt. Die Geigen klagen
+und irren ängstlich umher, ein Fortissimo setzt ein, der Chor tritt mit
+verstärkter Macht auf, und die Stimme wirft sich verzweifelt empor —
+und jetzt ist es, als ob sich der Gnadenschoß auftun würde, Engelschöre
+schmettern aus allen Himmelstiefen die Verkündigung herab, die Stimme
+der Seligen ertönt süß und heilig, die unendlich erlösende Liebe nimmt
+die Flehende in ihr unendliches Reich auf.</p>
+
+<p>Die Freunde drängen nach Schluß dem Choraufgang zu, aber Franz ist
+bereits entschlüpft, einer, der aus dem Gnadenhimmel gestürzt ist und
+keine Erhörung suchen und finden kann. Heimgerannt ist er, um sich
+zu verstecken, in sein Zimmer hinauf, heiß und schmerzvoll, da fährt
+er zurück, ein ungeschlachtes Ding steht da, bleckt ihn mit weißen
+Zähnen an, ein ausgewachsenes, fünfoktaviges Klavier, ein Geschenk
+des Herrn Vater zu dem Tag, wo der begnadete Sohn eine Berühmtheit
+vom Himmelpfortgrund geworden ist. Ja, das ist er imstande, der
+knickerische, tyrannische, rechnerische Hausvater, der jedem den Bissen
+vorrechnet und dann wieder das Herz hat, im rechten Augenblick groß zu
+sein.</p>
+
+<p>Franz steht da wie ein armer Sünder. Ein fürstliches Geschenk! Daß der
+Vater die Spendierhosen angehabt hat, schier wie ein Verschwender,
+das rührt ihn fast zu Tränen. Er dankt mit ein paar trockenen Worten,
+die widerwillig genug klingen. Ja, kann man denn alles sagen, was
+man inwendig hat?! Lieber soll's einem zersprengen, als so kindische
+Gerührtheiten! Er muß<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> sich gleich wegwenden, damit man's nicht merkt,
+was eigentlich in ihm vorgeht.</p>
+
+<p>Aber da kommen schon die anderen angestiefelt, der Herr Regens chori,
+der Herr Fabrikant Grob, mit ihm die Tochter Therese — o Gott, da
+verschlägt's ihm völlig die Red'.</p>
+
+<p>Sie kommen alle gratulieren, der Herr Regens chori ist gar stolz,
+weil er Schubert seinen einstigen Schüler nennen darf und ein Abglanz
+des Ruhmes auf ihn, den alten Lehrer, fällt; der Herr Fabrikant Grob
+aus der Liechtensteinstraße bittet den Herrn Vater Schulmeister und
+namentlich den berühmten Sohn Franz um die Ehr' ihres Besuches, sie
+hätten selber ein kleines Hausquartett — es könnte sich natürlich
+nicht messen mit einem solchen vollendeten Meister der Tonkunst,
+wie der Herr Franz — er möge halt gnädig ein Auge oder alle zwei
+zudrücken, aber die Freude soll er ihnen nicht versagen, zu kommen,
+und wenn die Bitte nicht gar zu verwegen ist, sie durch das Vorspielen
+einiger Sachen zu erfreuen. In der Kirche sei alles hingerissen
+gewesen, die Leute hätten geweint, und er selber ist dagesessen
+wie mitten drin in der Seligkeit. So, und jetzt muß er ein wenig
+verschnaufen.</p>
+
+<p>Therese, schon ein wenig ungeduldig über des Vaters lange Rederei, sie
+hat selber so viel zu sagen, verpaßt natürlich nicht den Einsatz und
+legt nun los wie ein Sturzbach, daß dem armen Schubert gar wirr zu Kopf
+wird. Von ihrem schrecklichen Lampenfieber erzählt sie, daß es ihr
+die Kehle zugeschnürt hat und wie sie mehrmals auf ein Haar daneben
+gesungen hätt' — ob er denn gar nichts bemerkt hätt', der Herr von
+Schubert?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span></p>
+
+<p>»Hab' nichts bemerkt,« versetzte er hölzern, »ist ohnehin gegangen wie
+aus einem Wasserröhrl!«</p>
+
+<p>Wasserröhrl?! — das kühlt auf einen Moment ab wie eine kalte Dusche.
+Therese wird einen Augenblick blaß, Franz wird über und über rot, weil
+er denkt, jetzt hat er was Dummes gesagt. Ja mein, Süßholzraspeln ist
+halt nicht seine Sache. Das muß sie schon verstehen, daß er's gut
+meint. »Ist ohnehin ganz gut gegangen,« fügt er hinzu und glaubt schon,
+weiß Gott was für eine Riesenschmeichelei das jetzt wär'. Ist sehr
+unsicher und beschließt insgeheim, lieber wenig oder gar nichts zu
+sagen, bevor er wieder einen Schnitzer macht.</p>
+
+<p>Das Mädel ist erpicht auf Komplimente, ein Bonbon, eine Schmeichelei,
+sind ja so verwöhnt, die jungen Dinger, schaut ihn fast rührend und
+bittend an, tut gar so schön zu ihm und laßt ihn nimmer aus, damit
+nicht Vater Grob den Herrn Franz in Beschlag legt. Süß kann sie es wie
+eine Turteltaube, redet mit holder Schwatzhaftigkeit vom Hundertsten
+ins Tausendste, redet nicht nur mit dem Plappermäulchen, redet auch mit
+den hurtig herumspringenden Äuglein, redet vor allem mit den Händen,
+die jedes Wort ausführlich begleiten, weiß sich gar nicht zu halten vor
+lauter Temperament — Wiener Mädel vom Grund!</p>
+
+<p>Er steht da, steif und unbeweglich wie ein Sack, strengt sich an,
+möcht' was Gescheites sagen, fühlt sich ganz blöd, fällt ihm absolut
+nichts ein. Ganz tramhapert ist ihm zumut, und zugleich ist er ganz
+seltsam bewegt von dem lebhaften Mädchen, die aufgeschossen und schlank
+vor ihm steht und sich wiegt wie eine blühende, weißgrüne Staude,<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span>
+duftig und schneeweiß gekleidet mit vielen bauschigen Falben, hellgrün
+besetzt, weißen Strümpfen und weit ausgeschnittenen Halbschuhen, die
+mit kreuzweise um das Bein geflochtenen Bändern festgehalten sind. Die
+Ärmeln sind weit und hoch geschoppt, das gibt ihr etwas Rundung, was
+sie nötig hat, der Hals trägt im tiefen Brustausschnitt ein farbiges
+Medaillon an einem schwarzen Samtband, sie scheint um einen Kopf
+größer, vielleicht wegen der hoch aufgetürmten Frisur, die den Scheitel
+mit einem Lockenbau krönt. Das Gesicht wäre hübsch zu nennen, wenn die
+Nase nicht ein wenig zu lang geraten wäre.</p>
+
+<p>Aber ihre Lebhaftigkeit verschönert sie, sie ist immer in Bewegung, das
+verschleiert die Fehler. Er könnte sie nicht beschreiben, die zum Teil
+recht unproportionierten Einzelheiten fallen ihm gar nicht auf, er hat
+nur den Eindruck von etwas sehr Lieblichem als Gesamterscheinung, und
+die Erinnerung ihrer Stimme im Ohr — so erscheint sie ihm zauberschön.
+Mit einem Wort: er ist weg, ganz weg! Während ihr das Mundwerk geht wie
+ein Mühlenrad, denkt sie beiseite: daß er gar so ein Stockfisch ist und
+nichts sagt als bloß Hm! Ja freilich! Natürlich! So so — ja ja!</p>
+
+<p>»Also Herr von Schubert,« versichert der Schäker beim Abschied, »eine
+ganze Stunde haben wir verplaudert und lustig war's! Also nicht wahr,
+Sie kommen ganz bestimmt zu uns — es tät' den Vater halt soviel
+freuen!«</p>
+
+<p>Franz besann sich.</p>
+
+<p>»Das muß ich mir erst überlegen — wir werden schon sehen .... wissen
+Sie, ich hab' halt so wenig Zeit!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span></p>
+
+<p>Das Herz schrie zwar: ja, ja, ich komme gleich, lieber heute als
+morgen, aber die Angst, zudringlich zu erscheinen, legte ihm Worte in
+den Mund, daß es fast wie eine Absage klang. Der Vater Schulmeister
+mußte sich ins Mittel legen und an seiner Statt die Zusage geben.</p>
+
+<p>Hinterher stieg's dem guten Franz zu Kopf, daß er sich so geziert
+hatte. Sie wird doch wohl nicht gekränkt sein? Der Gedanke brachte ihn
+beinahe zur Verzweiflung. Rannte hinaus in die Einsamkeit, zwischen
+den Feldern die halbe Nacht umher. »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß,
+was ich leide ....« Lust und Schmerz wird Gesang. Ein Glück, daß er
+schreiben kann. Musik, o Musik! Sprache der Seele, Sprache der Götter!
+Sprache der Liebe!</p>
+
+<p>Aber Worte müssen dabei sein, Worte! Ein Wort wenigstens. Ein süßes,
+inniges. Lautet: Therese! Muß es wenigstens vor sich hinsagen können,
+muß es hören. O Gott und die Qual, mit niemanden darüber reden zu
+können. Mit den Rötzlingen in der Klasse? Ausgeschlossen! Mit den
+Brüdern? Das ginge schon gar nicht! Man hat sich ja recht gern, aber
+man schämt sich seiner Gefühle voreinander, unter Verwandten ist das
+einmal so. Man läßt nicht gern in sein Inneres hineinschauen.</p>
+
+<p>Bei dem Freund ist das was anderes, den hat man nötig — als
+Seelengefährten. Ein Glück, daß jetzt einer daherkommt, der
+Erlösung bringt, sonst müßte man sein Geheimnis ja in ein Erdloch
+hineinschreien, damit es nicht die Brust zersprenge. Holzapfl ist es,
+der liebe Kamerad von der Schulbank her. Ein nettes Bürschlein, das
+Gesicht<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> kugelrund, etwas gschaftelhuberisch von Gebaren, wichtig und
+eilig.</p>
+
+<p>Schwärmt natürlich gleich von der Messe, haben alle so ungemein
+bedauert, daß sie den Franz nicht haben sehen können. Hätten gern
+eine kleine Nachfeier veranstaltet, scheint aber schon ordentlich
+stolz geworden zu sein, der Franz, jetzt, wo ihn die Sonne des Ruhmes
+bescheint ..... die Freunde lassen ihn natürlich alle schön grüßen,
+schöne Grüße unbekannterweise auch von Schwind, von Herrn von Schober,
+von Mayrhofer, von dem er übrigens ein Gedicht bringt. Der Spaun
+hat's ihm gegeben, Franz möcht's durchsehen, ob's ihm gefällt, Herrn
+Mayrhofer tät's riesig freuen, wenn es von einem solchen Künstler
+vertont würde. »Am Erlafsee« heißt es ....</p>
+
+<p>Franz nimmt das Gedicht, legt es wortlos hin, packt Holzapfl unterm
+Arm: »Komm, ich muß hinaus an die Luft!« und draußen sind sie alle
+zwei, in irgendeiner Erdfurche zwischen den Feldern und Hügeln, in
+einem Weinbergshohlweg verschwunden.</p>
+
+<p>Wovon reden sie? Von dem großen Ereignis natürlich, von der Messe.
+Franz erklärt und erklärt und beweist ihm haarscharf, daß das Beste des
+Gelingens ihr zu verdanken sei, ihr allein!</p>
+
+<p>»Wem, ihr?«</p>
+
+<p>»Nun ihr — der Therese. Die Stimm', Freund, daß einem 's Herz in
+der Brust zergeht! Wie soll ich dir's denn sagen .... mein, ich kann
+dir's ja nicht sagen! Ich schäm' mich ja — aber es muß doch 'raus! Du
+— lach' mich aber nicht aus! — Du — hörst mich?!« Er rüttelt den
+Holzapfl bei den Schultern.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p>
+
+<p>»Ich lach' dich bestimmt nicht aus!« schaut ihm der Holzapfl gerade ins
+Gesicht und tut sehr ernsthaft.</p>
+
+<p>Drückt ihn der Franz auf eine Grasböschung nieder.</p>
+
+<p>»Setz' dich nieder, daß du nicht umfallst. Aber du, wenn'st mich
+auslachst, dann, dann ...«</p>
+
+<p>Der Holzapfl ist platzgespannt im Gesicht vor Erwartung und Neugier.
+Die klugen Äuglein bohren sich fest und fragend in Franz, als wollten
+sie bis auf den Grund des Herzens sehen; aufpassen tut er wie ein
+Haftelmacher, daß ihm kein Wort entginge.</p>
+
+<p>Franz packt ihn jetzt und hält ihn fest. »Du — dir sag' ich's jetzt
+und niemand auf der Welt! Schwör', daß es unter uns bleibt, schwör'!
+Also — verschwiegen wie das Grab! So, jetzt will ich dir's sagen —
+weißt du, wenn ich jetzt könnt' — sie und kein andere!«</p>
+
+<p>Holzapfl springt auf, reißt sich los, schamrot im Gesicht, dem Weinen
+nahe.</p>
+
+<p>»Franz, du — abtrünnig! Ein Frauenzimmer — das hätt' ich nie geglaubt
+von dir!«</p>
+
+<p>Sie gehen eine Weile stumm und erregt nebeneinander, Franz begossen wie
+ein Pudel. Geschieht mir schon recht, denkt er, wozu hab' ich's nötig
+gehabt .....</p>
+
+<p>»Ein Frauenzimmer — zehn Schritte vom Leib!« beginnt Holzapfl zu
+fiebern. »Da bist du schon verloren — hat Samtpfoten, stecken aber
+Teufelskrallen drin, lassen dich nimmer aus — bist ihnen verfallen mit
+Leib und Seele. Kommt mir keine an den Leib, eher — ich weiß nicht,
+was ich eher tät'! Fürchtest du dich denn gar nicht, Franz? Tu's nicht,
+ich bitte dich, tu's nicht! Wir sind deine Freunderln — sind wir nicht
+genug?! Du uns<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> im Stich lassen, hast nicht genug an uns?! Ich wär' zu
+stolz an deiner Stell'. Was ein rechter Kerl ist wie du, der soll nicht
+einmal hinschauen auf sie. Verachten tu' ich's, das ganze Weibergelump!«</p>
+
+<p>So redet der mannesstolze Jüngling in seiner Ekstase der Keuschheit.
+Franz ist jetzt wirklich beschämt, er empfindet ähnlich, er hat auch
+seinen herben Jünglingsstolz, aber verachten, verachten kann er sie
+just nicht, die Holdinnen, und nun gar Therese! Er verteidigt sich
+und seine Liebe, so gut er kann. Aber es klingt etwas hohl wie eine
+geschwollene Phrase. »Glücklich, der einen wahren Freund findet!« sagt
+er. »Glücklicher, der in seinem Weib eine wahre Freundin findet!«</p>
+
+<p>Der andere ist immer mehr aufgebracht.</p>
+
+<p>»Freundin, sagst du? Gibt es nicht! Puppenköpfe! Steht ihnen nur der
+Sinn nach Bändern und Kram. Tändeln, spielen Fangball mit dir. Ist mit
+ihnen das Unglück in die Welt gekommen. Hätte glücklich gelebt, der
+Adam im Paradies, wär' nicht die Schlange dagewesen mit dem Apfel. Wer
+ist die Schlange? Das Sinnbild des Weibes ist es, ihrer Arglist und
+Falschheit. Ich beschwöre dich, Franz, bei unserer Freundschaft, bei
+deiner Kunst, bei allem, was dir heilig ist, laß ab, laß ab — oder du
+bist hin!«</p>
+
+<p>So kämpft der Knabenstolz gegen etwas, das er nicht kennt, das er
+fürchtet wie eine dunkle Nacht — er würde sich nicht so wehren
+dagegen, wenn er ihr nicht schon halb und halb verfallen wäre — im
+Unbewußten wenigstens.</p>
+
+<p>Sie ringen miteinander mit harten Worten. Franz ist erbost. Er will
+keine Hofmeisterei, er hat nichts getan,<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> weswegen ihn der andere jetzt
+maßregeln dürfte. Die Freiheit muß er haben, er selbst muß er sein
+können — ob so oder so. Nun bäumt er sich zum erstenmal bewußt auf
+gegen den Freund.</p>
+
+<p>»Laß mich in Ruh'!« braust er auf. »Du, geh — dein Weg ist dort; ich
+gehe hier, meinen Weg! Servus!«</p>
+
+<p>Und läßt den Verdutzten stehen. Jeder wandert allein fort in Dunkelheit.</p>
+
+<p>Sein Holzpuppengesicht ist knallrot, als er mit den Freunden in der
+Stadt zusammentrifft. »Ein Abtrünniger ist er!« schreit Holzapfl
+den Genossen entgegen. »Seine Freunde hat er vergessen, verraten
+hat er sie, verlassen — einer Circe ist er ins Netz gegangen, der
+Ehrvergessene!« und erzählt mit fliegendem Atem alles, was er von
+Franz gehört, und noch viel mehr dazu, was ihm die erhitzte Phantasie
+eingibt, die in der Ausmalung verbotener Genüsse schwelgt.</p>
+
+<p>Der romantisch angehauchte Schwind ist dabei, der trägt selbst an
+heimlichem Liebesleid und träumt von einem adligen Fräulein, dem er
+in stummer, ritterlicher Minne huldigt. Der kann bös und gefährlich
+werden, wenn ihm einer an dem Idealen rührt. Fährt auch sofort dem
+sauertöpfigen Holzapfl übers Maul und hält eine Verteidigungsrede auf
+Franz, obschon er ihn noch nicht kennt.</p>
+
+<p>»Jetzt gefällt er mir erst recht, weil ich weiß, daß er die Frauen
+ehrt! Grüßt ihn von mir und sagt ihm, daß ich ihn im Geiste schon heute
+Bruder nenne! Geh', saures Holzapflgesicht!«</p>
+
+<p>»Wie schaut sie denn aus, die Erkorene?« will der<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> stutzerhafte Herr
+von Schober wissen, der im Gegensatz zu Schwind eine etwas lockere
+Weltansicht über die Amourschaften hat.</p>
+
+<p>Holzapfl ist gereizt wegen Schwind und tut auf eigene Faust wissend.
+»Eine Vogelscheuchen ist sie, schielt, hat zwei linke Füß', stoßt
+mit der Zunge an, und ist dumm wie ein Stock — aber sonst fehlt ihr
+nichts!«</p>
+
+<p>»Hast du sie gesehen?«</p>
+
+<p>»Nein — gesehen nicht — aber gehört! War doch die, die am Chor
+gesungen hat!«</p>
+
+<p>Jetzt aber hat der essigsaure Holzapfl auch bei den anderen ausgespielt.</p>
+
+<p>»Der Stimme nach muß sie schön sein wie eine Helena!« versicherte der
+kennerhafte Herr von Schober, der sich in Schönheitsurteilen auf den
+jungen Paris hinausspielt.</p>
+
+<p>Ganz zuletzt läßt sich der ernsthafte Spaun vernehmen: wie dem auch
+sei, es scheint doch etwas Bedenkliches daran zu sein, man müsse sich
+doch umsehen, um den lieben Franz aus einer womöglich gefährlichen
+Umschlingung zu befreien; es sei nicht gut für ihn, draußen in der
+Vorstadt unter kleinen Leuten zu hausen, der Künstler müsse seine
+innere Freiheit bewahren, man sollte ihm häufiger bei einem Glas Punsch
+im engen Freundeskreis das Gemüt erheitern. Es wird beschlossen, daß
+Spaun den Wildling aufsuchen und bewegen soll, öfters in der heiteren
+Tafelrunde zu erscheinen.</p>
+
+<p>Im flaschengrünen Schulmeisterfrack mit großen Knöpfen, hoher
+Halsbinde, daß kaum das Kinn herausguckt, frisch gebügelter
+Nankinghose, derben Halbschuhen mit Schnallen, Notenrollen unterm Arm,
+so betritt der Schulgehilfe<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> und Meisterkompositeur Franz Schubert den
+Salon im Hause Grob. Eine Menge Leute sind da, junges Gfliederwerk
+mit Kichern und Lachen, junge, geckige Herren, Fabrikantenssöhnerln,
+Therese mitten unter ihnen, dann auch behäbige, gesetzte Leute vom
+Schlag des Ehepaares Grob — musikalischer Abend.</p>
+
+<p>Des Vater Schulmeisters Hausquartett hat ebenfalls allmählich einen
+größeren Kreis angezogen, es mußte außer Haus verlegt werden und
+fand bald bei dem einen oder anderen Musikfreund oder Gönner des
+jungen Schubert statt, eine Zeitlang in der Dorotheergasse, dann im
+Gundlhof, zuletzt am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofen, dem Vater des
+berühmten Malers. Es waren schon förmliche Konzerte, die immer mehr
+Zuhörer anzogen, besonders solche, die Schuberts eigene Kompositionen
+hören wollten — sie hätten sich, wenn es damals üblich gewesen wäre,
+Schubertverein nennen können.</p>
+
+<p>Der Abend bei Grob war eine neue Sache, der Anfang jener ungezählten
+Schubertiaden in Wiener Bürgerhäusern, die so viel von sich reden
+machten.</p>
+
+<p>Franz, in dem neuen Kreis Menschen ziemlich befangen, machte linkische
+Verbeugungen nach allen Seiten — elegant sah er ja nicht aus, das
+war nicht seine Sache — aber die Herzen wendeten sich ihm sofort zu,
+besonders die weiblichen; von der ersten Minute an war er Hahn im
+Korb. Therese tat gar liebreich mit ihm, die Noten hatte er für sie
+gebracht, Neuschöpfungen für ihre Stimme geschrieben, eine Huldigung
+seitens des Genius, die mehr sagte als alle Worte, aber kaum, daß er
+das musikalische Angebinde darzubieten sich getraute.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p>
+
+<p>Er drückte ihr die Notenrollen in die Hand und bat, sie soll's
+einstweilen beiseite legen, und später einmal vielleicht einen Blick
+hineinwerfen, es ist keine so eilige Sache. Sie legte denn auch das
+Geschriebene in unbegreiflicher Achtlosigkeit beiseite, wie er es
+gewünscht, was ihm jetzt aber auch wieder nicht recht war.</p>
+
+<p>Er machte sich gleich am Klavier zu schaffen, und es dauerte nicht
+lange, so hatten sich die Musikfreunde herum gruppiert; das Brodeln und
+Fiedeln konnte angehen.</p>
+
+<p>Therese saß im Halbkreis gegen den dunklen Hintergrund des Zimmers
+inmitten von jungen Männern, wohlig zurückgelehnt, träumerisch, daß es
+scheinen mochte, als wäre sie von der Musik ganz berauscht. Franz, der
+das Klavier bearbeitete, sah durch seine Brille ab und zu einmal hin,
+wenn eine kleine Pause für ihn kam. Aber was war das! Täuschten seine
+Gläser ein Trugbild vor? Sah er Phantome?</p>
+
+<p>Er mußte noch einmal schärfer hinsehen. Beinahe hätte er den Einsatz
+verpaßt und das ganze Orchester umgeschmissen. Richtig, das war kein
+Blendwerk! Sie saß dort im Kreise der jungen Männer und einer dieser
+Pomadenhengste hatte verstohlen den Arm um ihre Mitte geschlungen, und
+sie, sie ließ es ruhig geschehen .... ja noch mehr, sie lehnte sich an
+seine Schulter, während sie sich unbeobachtet wähnte, und verdrehte
+wollüstig die Augen, daß er selbst beschämt und betroffen seinen Blick
+senken mußte.</p>
+
+<p>Das war also keine Täuschung; eine heimliche Liebesszene spielte sich
+dort im Halbdämmer des Zimmers ab. Sie, die Heilige seines Herzens, in
+den Armen eines<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> anderen! Er schlug sein Fortissimo ins Klavier hinein,
+daß die Saiten hätten springen mögen, stärker schrien sie nicht auf als
+die zersprungenen Saiten seines Herzens. Ja — was war er denn jetzt
+noch, den die Weibsleute liebten und hätschelten?! Ein bloßer Wurstel
+— es war zum Weinen — Holzapfl, du hast recht gehabt!</p>
+
+<p>Es war ihm wohl dabei wie einem, der Zahnweh hat und schmerzstillende
+Mittel versucht. Augenblicklich wirkte es ja als angenehme Betäubung,
+er fühlte zwar das Toben inwendig, freute sich aber seiner
+augenblicklichen Empfindungslosigkeit, war sogar guter Dinge den ganzen
+Abend lang — aber nachher, nachher kam's um so schlimmer.</p>
+
+<p>»Die Liebe hat gelogen —« Er wühlt sein eigenes Wehgefühl in Platens
+Gedicht und spinnt die Melodie heraus, die seinem verwundeten Herzen
+recht war. Drum ist soviel Leben daran, weil alles, was er schafft, mit
+seinem Leben zu tun hat und aus diesen Wurzeln sprießt.</p>
+
+<p>Mit einem Male war's ihm zu eng daheim. Die Schule, das Vaterhaus,
+alles dünkte ihn freudlos und unersprießlich. Seine Sehnsucht irrte
+wieder ins Uferlose, er kleidete sie in Lieder und sang wie ein Vogel
+in der Gefangenschaft. Das Glück, wo blieb das Glück?! Das lag draußen
+irgendwo, fern, im Unbestimmten. Ein Schluck Freiheit, das wäre auch
+zugleich ein Schluck Glück!</p>
+
+<p>In Laibach ist die Stelle eines Musiklehrers in einer öffentlichen
+Musikschule zu besetzen; Bewerber werden gesucht, so meldete die
+amtliche Wiener Zeitung. Dem guten Franz scheint es wie die Grußhand
+der Ferne, die ihm winkt. Ist das die Freiheit? Einerlei, es ist
+einmal<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> etwas anderes, eine Abwechslung in dem ertötenden Gleichmaß.
+Was ist denn Freiheit? Das Recht, sich von einer Abhängigkeit in die
+andere begeben zu dürfen. Gut also, von diesem Recht, das mindeste, was
+der gefesselte Mensch hat, will er Gebrauch machen. Er will sein Glück
+in der weiten Welt versuchen und bewirbt sich. Braucht der Herr Vater
+derweil nicht wissen.</p>
+
+<p>Der gute Vater Schulmeister hatte aber schon seinen eigenen Plan
+gehabt. Der ist klug und vorsorgend und sieht ein, daß der Franz
+höher muß. Auf eigene Faust wirbt er für den Sohn um die erledigte
+Lehrerstelle an der Schottenschule. Der Schottenprälat ist sein Gönner,
+etwas Protektion braucht man immer, und wer es verdient, warum sollte
+der nicht Protektion haben? Doch er am meisten!</p>
+
+<p>Aber so geht's in der Welt, wer's verdient, bekommt's erst recht
+nicht, denn gewöhnlich haben die, die's nicht verdienen, die bessere
+Protektion, und das entscheidet. Kurz, das Gesuch des Vaters
+Schulmeister für seinen Sohn wird abschlägig beschieden. Franzl, du
+hast frühes Pech!</p>
+
+<p>Der Franzl ist fast froh darüber, denn er möchte weit, weit weg. Freut
+sich heimlich auf den Weizen, der ihm in Laibach blühen soll. Um den
+Schnitt zu machen, bedarf es wohl einer ausgiebigen Empfehlung, und der
+Mächtigste, der dort die Entscheidung zu bestimmen vermag, wäre der
+Herr Hofkapellmeister Antonio Salieri.</p>
+
+<p>Die Umstände sind glücklich gefügt; die F-Dur-Messe wird in der
+Augustinerkirche wiederholt. Wie früher Herr Michael Holzer, ist jetzt
+Antonio Salieri stolz auf diesen Schüler und nimmt den Löwenanteil
+seines Erfolges<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> auf sich. Er umarmt Schubert nach der Aufführung:
+»Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird!«</p>
+
+<p>Eine Empfehlung Salieris würde in Laibach die erwünschte Wirkung tun;
+jetzt kann er sie verlangen. Gesagt, getan! Salieri schreibt: »<span class="antiqua">Io
+qui Sottoscritto affermo</span> ....« Klingt zwar ziemlich kühl, das
+Empfehlungsschreiben, aber Salieri braucht nur mit dem kleinen Finger
+zu winken, man versteht schon .... genügt also!</p>
+
+<p>Diesmal nach der Aufführung in der Augustinerkirche ist Franz den
+Freunden nicht entschlüpft, es hat ja auch keine Therese am Chor
+gesungen.</p>
+
+<p>Franz hat ein Notenblatt in der Tasche, das ist für Mayrhofer bestimmt,
+die musikalische Begleitung für das Gedicht »Am Erlafsee«. Von
+Spaun an der Hand geführt, betritt er mit dem Freund ein niedriges,
+langgestrecktes Zimmer in der Wipplingerstraße, das sich halbdunkel wie
+ein Schlauch hinzieht und in einer kreisrunden Erweiterung endet, die
+durch viele Fenster einströmendes Licht empfängt.</p>
+
+<p>Stimmungsvoll ist es in dem Raum, dessen weiße Decke vom Tabaksqualm
+gebräunt ist wie eine gut angerauchte Meerschaumpfeife. Blumen stehen
+am Fenster, ein Kanarienvogel singt, Tabakspfeifen stehen am Ständer
+in Reih' und Glied, Bücherschränke an den Wänden, in der Mitte des
+erweiterten Raumes ein kreisrunder Tisch, gepolsterte Lehnstühle herum,
+denen allerdings hie und da die Roßhaarfüllung aus dem abgenützten
+Leder hervorguckt, im ganzen aber hat die Behausung den freundlichen<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span>
+behäbigen Anstrich wie die Wohn- und Studierstube eines alten
+Pfarrhauses.</p>
+
+<p>Mayrhofer, der im Schlafrock, die Pfeife im Mund, bei einem
+aufgeschlagenen Buch sitzt, begrüßt die Ankömmlinge in seiner etwas
+bäurisch priesterlichen Art, die ihm noch vom geistlichen Stift her
+geblieben ist, handfest und herzlich ungeniert, aber mit einem Rest von
+überlegener Würde; sieht auch so seelsorgerisch aus, zugeknöpft bis
+oben, als ob er im Talar dastände.</p>
+
+<p>Ein altes Spinett in der Ecke wird aufgeschlagen, die liebliche Musik,
+die Franz zu dem Gedicht geschrieben hat, erklingt. Mayrhofer verliert
+fast seine sonst zur Schau getragene gemessene Beherrschung, so
+entzückt ist er, und macht in gutmütig scheltender Weise dem stillen
+Spaun den Vorwurf, daß er ihm Schuberts Schöpfungen nicht hoch genug
+gerühmt habe. Franz selber sagt nicht viel, er schaut sich nur den
+Mayrhofer an, der wiederum schaut ihn an, und beide sind von diesem
+Augenblick an in dicker Freundschaft verbunden gewesen. Hat nicht
+vieler Worte bedurft.</p>
+
+<p>Fast so geht's mit Schwind und mit Schober, als der ganze Kreis abends
+mit Schubert beim Wein sitzt. Sie haben ihn alle geliebt, die Freunde,
+vom ersten Augenblick an. Das ist ein Trost, der für manches Leid
+entschädigt. Ja, das ist mehr, das ist ein Glück, es ist eine Kraft!
+Franz hat das beruhigende Gefühl: in diesem Zirkel bist du beschützt,
+hier kann dich kein Übel anwehen, die feindliche Macht wird an diesem
+Bollwerk zuschanden werden!</p>
+
+<p>Da war's dem Franz auf einmal hell und weit in der<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> Brust. Und er
+erkannte: hier ist deine Heimat, wo deine Getreuen sind. Sie saßen mit
+freudigen Gesichtern um ihn herum und feierten seinen jungen Genius.
+Durch den goldgelben Wein, mit dem sie ihm zutranken, blickten sie
+ihn an; stand keiner so hoch wie er und waren ihm doch alle gleich,
+wenigstens durch das Genie der Freundschaft.</p>
+
+<p>Und wie verstanden sie es, dieses Genie der Freundschaft zu betätigen!
+Sammelten sorgfältig alles Geschriebene von ihm, dessen sie habhaft
+werden konnten, und trugen die Freude darüber in alle Welt, als
+Verkünder des jetzigen Meisterleins. Aber der treueste Johannes war
+der sanfte Spaun. Hat einen blühenden Strauß von Melodien, die Franz
+um Goethes Lieder gewoben, an Seine Exzellenz nach Weimar geschickt
+mit einem längeren, devoten Schreiben dazu. Der Künstler wünsche diese
+Sammlung Seiner Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen .... Ich,
+einer seiner Freunde, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu
+bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe würde gesorgt werden usw.
+usw.</p>
+
+<p>Die Anerkennung Goethes, die Annahme der Widmung soll den
+Schöpfungen den Weg in die Öffentlichkeit erleichtern und ihnen den
+buchhändlerischen Erfolg sichern — aber Goethe gibt keine Antwort. So
+schwer hat es der werdende Genius bei den Zeitgenossen, den großen und
+den kleinen! Zeitgenosse, das Wort wird bald einen bösen Klang haben!</p>
+
+<p>»Macht nichts,« tröstet Spaun, »muß auch so gehen. Und wenn du sie
+eingräbst, deine Werke, so werden sie von selber herauswachsen, so
+stark ist die Kraft darin.<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> Lauheit, Teilnahmslosigkeit, ja, selbst
+Widersacherei werden am Schluß Spott und Schande haben!«</p>
+
+<p>»Liegt nichts dran,« nickt Franz, »muß auch so gehen.«</p>
+
+<p>Hebt Schwind sein Glas, trinkt Franz zu, bedeutsam: »Auf unsere Lieben!«</p>
+
+<p>Die anderen verstehen gleich, wo er hinaus will. Aha, denkt der
+Schober, daher geht der Wind und ist alsbald in seinem Fahrwasser; er
+hat ja eine so großartige Suada, daß Franz nur so aufhorcht. Und so
+sind sie gleich mitten drin in der Debatte um Frauenzimmer, um Liebe
+und Ehe. Gehen's gleich gründlich an, die Neunmalgescheiten!</p>
+
+<p>Da auf einmal läßt sich Franz vernehmen, wettert gar schrecklich gegen
+das schöne Geschlecht, tut sich wirklich als grimmiger Weiberverächter
+auf und hat's besonders scharf gegen die Ehe, die er als etwas
+Schreckliches für den freien Mann schildert, der Herr Naseweis. Alle
+horchen verwundert auf und schauen jetzt auf den Holzapfl, der dasitzt
+wie ein Lügner. Kann doch kein wahres Wort dran sein an allem, was er
+über den ahnungslosen Franz geschwatzt hat! Holzapfl, Holzapfl!</p>
+
+<p>Der schaut ganz dumm drein! Entweder lügt Franz jetzt, oder er hat
+früher gelogen — Holzapfl kennt sich nicht aus.</p>
+
+<p>»Da sieht man wieder,« ergreift Spaun das Wort, »wie unser Schubert
+gesund ist, gesund im innersten Kern — und wie dagegen der Holzapfl
+krank ist, krank und wurmstichig!«</p>
+
+<p>Der springt auf und protestiert lebhaft, daß er krank sein<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> soll. Er
+sei sein Leben nicht einen Tag krank gewesen, er fühle sich so gesund
+wie nur je einer.</p>
+
+<p>»Ja, aber,« läßt sich Schwind vernehmen, »du leidest eben an
+ausschweifender Phantasie, du wurmstichiger Holzapfl, du!«</p>
+
+<p>Darüber ist großes Gelächter, daß der trockene Holzapfl an einer
+ausschweifenden Phantasie leiden soll, und so bleibt es unter der
+freundlichen Stimmung des Abends verborgen, daß Holzapfl so wenig
+reinen Mund halten konnte, ja, daß er Schubert eigentlich ein wenig
+angeschwärzt hatte. Und wird zur Wiedervergeltung von den anderen als
+räudiges Schaf behandelt.</p>
+
+<p>Das Verhältnis zu Salieri nimmt eine Wendung, als der Italiener einige
+der nächsten geistlichen Kompositionen Schuberts zu Gehör bekommt. Hat
+der Schüler alle Ermahnungen, sich italienische Meister zum Vorbild zu
+nehmen, in den Wind geschlagen? Die B-Messe zeigt es sehr deutlich. Die
+war unverkennbar einem Boden entsprossen, den so Mächtige wie Beethoven
+und vor ihm Mozart und früher Haydn gepflügt und ertragreich gemacht
+haben. Der Italiener hatte eine feine Witterung: Was Schubert machte,
+war nicht fremdes Gewächs, künstlich in heimische Erde verpflanzt,
+das war Ureigenes, an deutschen Meistern Erstarktes, vor allem
+aber Selbstempfundenes: deutsches Gemüt war darin und außerdem das
+Köstlichste: Heimatsgefühl.</p>
+
+<p>Jetzt begann ein Nörgeln und Tadeln, dies und jenes war nicht recht,
+der gepriesene Schüler hatte zu gehorchen und nach Salieris Pfeife zu
+tanzen, sonst waren die Gnaden verscherzt. Es wäre ja klug gewesen, den
+Mantel<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> nach dem Wind zu hängen, und jeder Streber hätte zum Schein
+wenigstens so getan, um die Gunst des Fürsprechers zu erhalten; aber
+die Heuchelei war dem guten Franz nicht gegeben. Er stand schon zu fest
+auf eigenen Füßen im Gefühl seiner Meisterschaft und durfte lächelnd
+den unduldsamen Zuchtmeister über die Achsel ansehen.</p>
+
+<p>Er ließ sich eine Weile gutmütig die Kritik gefallen, verlor dann die
+Geduld und erklärte, jeder müsse als fertiger Künstler auf seine innere
+Stimme horchen, nicht auf das Gerede von außen — mit dieser Absage an
+Salieri war auch der Bruch vollzogen.</p>
+
+<p>Er bekam's bald zu fühlen, der Franz; aus Laibach kam endlich der
+Bescheid, daß die Stelle schon vergeben sei, ein vorgeschobener
+Günstling Salieris hatte sie unter der Hand bekommen. Der Traum von
+Ferne, Welt und Freiheit war vorderhand zerronnen — armer Franz; er
+hatte wirklich Pech in solchen Dingen von allem Anfang an. Oder war es
+Glück? War ihm ein anderer Weg vorgezeichnet, der ihn seiner Bestimmung
+näher führte?</p>
+
+<p>Wer vermag's zu sagen?!</p>
+
+<p>Wohin nun, da alle Auswege verrammelt schienen? Die Freunde in der
+Stadt, die waren ein Stück Freiheit, die Zuflucht. Aber von diesen war
+er getrennt durch lästige und drückend empfundene Alltagspflichten
+im Schulhaus. Die Freiheit, das war die unbekannte Menschheit, die
+schon auf ihn aufmerksam zu werden begann. Aber kein Weg und kein Steg
+führte in dieses gesuchte Land. Recht klein und elend kam er sich vor
+als armer Schulgehilfe vom Himmelpfortgrund. Still war er, wenig froh,
+die Sonne erschien ihm kalt, die Blüten welkt, das Leben alt, leerer<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span>
+Schall, was sie daheim redeten, ein Fremdling, er, im gewohnten Kreis.</p>
+
+<p>Und das gesuchte Land, das geahnte, nie gekannte, das hoffnungsgrüne,
+wo seine Freunde gingen, wo und immer wo? Im Reich der Dichtung fand er
+verwandte Stimmungen und Schicksale; er ergriff sie als Selbsterlebtes
+und Selbsterlittenes und gab zu den tief empfundenen Versen, die er
+sich erwählt hatte, gleich sein eigenes singendes Herz dazu.</p>
+
+<p>Was ihm die größte Last war, seine kleinen ungeschneuzten Schulbuben,
+denen hinten das weiße Tüchel heraushing, das war nicht selten genug
+auch sein Trost. Die ließen sich gern erzählen, wenn ihm das Herz voll
+war, und saßen still und aufmerksam und sahen so verzückt drein, daß
+sie den verschmierten Engelsköpfen glichen, die auf goldenen Flügeln in
+der Kirchenempore schwebten, wo er selbst einst singend oben gesessen
+hatte. Er erzählte gern den Buben von den großen Meistern, die er
+verehrte. Und die Buben liebten ihn, weil er so zu ihnen redete, als ob
+sie erwachsen und seinesgleichen wären, die ihn verstehen mußten. Sie
+verstanden ihn vielleicht auch, auf ihre Weise.</p>
+
+<p>»Einer lebte hier, dessen Genius Licht über den ganzen Erdball
+verbreitet hat,« so predigte er in einer gesegneten Stunde der
+Kinderschar. »War auch ein Österreicher, wie ich und wie du und du
+und wir alle hier zusammen. Hatte den schönen Namen Mozart, den ihr
+mir nimmer vergessen dürft, denkt an ihn, wenn ihr am Sonntag in der
+Kirche die große Messe hört. Vergeßt nicht, daß er himmlische Klänge
+ins Leben gebracht hat, die in der Welt<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> nicht mehr vergehen können.
+Das war aber kein armer Schulgehilfe, wie ich, sondern ein gefeierter
+Meister. Konnte nicht abends vorlieb nehmen mit einem Stückel Brot
+und ein paar Äpfeln dazu, und mit den Hennen schlafen gehen, sondern
+gab ein festliches Gastmahl, mit Kerzen in silbernen Leuchtern,
+seltenen Blumen und Früchten, schäumenden Bechern, lud die Menschheit
+zu sich ein und kredenzte ihr den perlenden Trank seines Herzens.
+Verschenkte sich so allen und der ganzen Welt, berauschte sich an der
+emporziehenden Sternenpracht vor den geöffneten Türen des Balkons,
+rief die unendlichen Mächte, zog sie in seinen Bann, bis die Steine
+unten am Marktplatz zu leben anfingen und der tote Gast schwerfällig
+vom Monument heraufstieg und, o Schreck, plötzlich im Saal stand, die
+blaue Nacht mit ihren Sternen als Hintergrund des steinernen Mannes.
+Zuerst ein Adagio D-Moll, nur einige Takte, dann regnen schon eisige
+Posaunenklänge durch das nächtliche Blau, die Sterne tropfen, die Töne
+gellen auf wie ein silberner Hagel im kristallenen Becken, alle Schauer
+des Himmels und der Hölle umwehen ihn. Furchtbar schmettert der Geist
+den Choral: ›Dein Lachen endet vor der Morgenröte!‹ Die Furcht befällt
+ihn — doch ist es bloß die Angst, er könnte nicht vollenden, was er
+so herrlich begonnen. Wenn ihn diese Nacht der Tod anfiele, und er das
+Werk bis zu diesem Punkte lassen müßte, er könnte die ewige Ruhe nicht
+finden. ›Wohlan, toter Gast, stoß' an!‹ und gießt seine Feuerseele in
+ein letztes Glas. Hat die Menschheit alle Schauer der Unendlichkeit
+getrunken an seinem Gastmahl, hat in den Finsternissen des Lebens den
+Himmelsschein<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> der Ewigkeit verspürt, o Mozart, unsterblicher Mozart!«</p>
+
+<p>Da war es in diesem Augenblick, als ob wirklich der steinerne Gast in
+der Tür stand, so fuhr der Schreck dem begeisterten Schulgehilfen in
+die Glieder. Der gestrenge Herr Vater war's, der schon die längste Zeit
+hinter der Tür gehorcht hatte, was denn der Franz nur anstelle, daß es
+so mäuschenstill in der Klasse wäre. Und hat den Franz mit feurigen
+Zungen reden gehört. Stand jetzt stumm und drohend in der Tür, und es
+war wirklich so, als ob alle Schauer der Verdammnis den guten Franz
+umwehen sollten. War auch schon die Welt entzaubert, die Engelsköpfe,
+die in Reihen Bank für Bank verzückt gelauscht hatten, sie waren jetzt
+wieder Schmutzfinken geworden. Die selige Stunde war verströmt, die
+Welt lag wieder Grau in Grau.</p>
+
+<p>Nachher ging der Tanz los. Was er denn für ein unsinniges Zeug den
+Jungen vorschwatze, wo keiner noch rechtschaffen lesen, schreiben und
+rechnen kann?! Heißt man das nicht Zeit vergeuden? Und den Buben die
+Köpfe verdrehen? Daß sie erst recht untauglich werden zu dem Bißchen,
+was sie fürs Leben brauchen! Hol' doch der Kuckuck diese Extravaganzen,
+hat ein ordentlicher Schullehrer auf den Lehrplan zu schauen oder soll
+sich zum Teufel scheren!</p>
+
+<p>Das läßt sich Franz nicht zweimal sagen.</p>
+
+<p>»Herr Vater, ich bin nichts für einen Schullehrer. Lasen Sie mich
+gehen!«</p>
+
+<p>Jetzt ist die Reihe an dem Vater, der Verdutzte zu sein.<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> Er zieht
+sofort andere Saiten auf in der Meinung, er hätte den Jungen zu hart
+angelassen. Also:</p>
+
+<p>»Was sind das jetzt für Sachen?! Von was willst denn leben, ha? Ein
+Geschäft muß der Mensch haben; sei froh, daß du in der Schul' sein
+darfst!«</p>
+
+<p>Franz schüttelt abwehrend den Kopf.</p>
+
+<p>»Nein, nein, Herr Vater, damit geht's nimmer. Mich müßt' eigentlich der
+Staat erhalten. Ich bin eben für nichts anderes als fürs Komponieren!«</p>
+
+<p>Dem Vater reißt die Geduld.</p>
+
+<p>»Der Staat soll dich erhalten, meinst?« höhnt er. »Du bist mir ein
+sauberer Patron! Möchtst wohl den ganzen Tag spazieren gehen und dich
+zahlen lassen dafür, pfui Teufel! Hast etwa keine Zeit zum Komponieren
+nach der Schul'? Hast du's bisher gekonnt, wirst es weiter auch können,
+verstanden?«</p>
+
+<p>Aber der Stein ist bereits im Rollen, da gibt es kein Aufhalten mehr.</p>
+
+<p>»Sind's mir nicht bös, Herr Vater, aber keinen Schritt mach' ich mehr
+ins Schulzimmer. Ich kann nicht mehr — ich kann's einfach nicht!«</p>
+
+<p>Er will's in Freiheit versuchen, auf eigene Faust. Und pocht auf die
+hundert Gulden, sein erstes verdientes Geld, das er kürzlich von einem
+Gönner für eine Kantate erhalten hat. Er wird sich schon durchbeißen.
+Haben's andere gekonnt, warum sollte nicht auch er?! Und wenn's nicht
+anders ist, lieber den Bettelstab, aber die Freiheit, das hohe,
+ersehnte Gut, die Lebensluft, die sein Genius braucht, die Freiheit
+also, die kann er nicht länger opfern.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p>
+
+<p>Da wird der Alte fuchsteufelswild, die angeborene bäurische Abneigung
+gegen die Freizügigen bricht in harten Worten hervor. Sein Junge, ein
+verlorener Sohn, ein herumziehender Musikant ohne festen Halt im Leben,
+ohne Besitz, ohne Amt — er hat noch vom Dorf her die Verachtung für
+solche wurzellockere Existenzen — das alles will nicht in seinen
+kreuzbraven, eigensinnigen, grauen Schädel. Daß der Franz sein Amt vom
+lieben Gott hat, weiß er wohl, aber um leben zu können, muß man sein
+Amt von den Menschen bekommen.</p>
+
+<p>»Es leid't mich nimmer zu Haus, Vater, ich muß einmal fort, sonst geh'
+ich zugrund'!«</p>
+
+<p>Da wird der Vater rauh: »Sollst nicht zugrund' gehen zu Haus, wenn'st
+lieber in der Fremde zugrund' gehen willst! Dann geh' halt — geh' aber
+gleich, geh'!«</p>
+
+<p>Der Vater wendet sich ab; der teuerste Sohn hat ihn ins Herz getroffen,
+man soll nicht sehen, wie weh ihm ist; aber jetzt ist er fertig mit
+ihm. Der Bruch ist geschehen.</p>
+
+<p>Franz geht. Das Vaterhaus ist zu eng geworden. Er braucht Luft,
+Freiheit, er will wachsen, in die Welt hinein wachsen. Leben, o Leben!</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="III">III.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Wandert der Jüngling stadtwärts, den Weg, den er als Knäblein an des
+Vaters Seite gegangen war. Muß daran denken, und will ihn die Rührung
+fast übermannen. Ist aber bald wieder frohen und leichten Herzens, geht
+es doch der heißersehnten Freiheit entgegen! —</p>
+
+<p>Freiheit! Den Zauberklang des Wortes kann nur der erfassen, der
+drückendem Zwang entgangen ist. Alles dunkel Geahnte, innig Ersehnte
+ist in diesem Wort wie in einem rosafarbenen Nebel eingeschlossen,
+Welt, Schaffen, das bißchen Ruhm, alles, was das Leben ausmacht. An
+die Freuden denkt man, nicht an die Leiden, mit denen der Pfad ins
+Ungewisse belagert ist. Durch! Der Genius muß durch — ein blaues
+Himmelsziel vor sich, sein Weg.</p>
+
+<p>Wien, einziges, liebes Wien! Wie ein Blumentopf steht es auf grünem
+Rasen mit seinen Gärten über den Stadtmauern und dem kunstvoll
+gemeißelten Himmelsstab in seiner Mitte, dem alten Steffel! In der
+Mitte vom Glacis in der Richtung zum Schottentor heben sich ein paar
+Hüte grüßend in die Luft, die Leute treten scheu zur Seite vor einem
+kleinen, stämmigen Mann, der den alten Zylinder tief in das runenhafte
+Gesicht gedrückt hat und<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> daherstürmt in wogenden Gedanken, und weder
+hört noch sieht.</p>
+
+<p>Ausweichen, ausweichen! Seiner Eingebung folgend, sprang Franz behend
+auf die andere Seite des Gehweges und reißt sofort seinen Hut bis zur
+Erde. Ein verlorener Blick aus dem weltfernen Titanenantlitz streift
+ihn und macht sein Herz fast stillstehen vor Ehrfurcht und Freude.</p>
+
+<p>Ein gutes Zeichen, ein gutes Vorzeichen! wollte bebend die innere
+Stimme wissen, die es als glückbringend deutete, daß Franz bei seinem
+ersten erfolgreichen Schritt dem Gewaltigsten begegnet hatte, den er
+neben dem Göttlichsten als meisterliches Vorbild anbetete: Herrn Ludwig
+van Beethoven. Der war kein göttlicher Gastgeber alten seigneuralen
+Stils in schwarzseidenen Hosen, seidenen Strümpfen, Schuhen mit
+vergoldeten Schnallen, blauseidener Weste und goldgesticktem braunem
+Überrock, wie der himmlische Meister Wolfgang Amadeus, sondern der
+war mit seinem verwühlten Haupt, seinem unordentlich zugeknöpften
+schlichten Rock ein leidenschaftlicher Himmelstürmer und Götterstürzer,
+einer, der um das Menschsein wußte, um das Furchtbarste und
+Erhabenste, um alle Erdenpein und Größe, um alle Verlassenheit und
+Selbstgottherrlichkeit — ein Offenbarer, ein Verkünder, ein Tragiker!
+Der trug die Krone der Freiheit, von der der Jüngling nicht wissen
+konnte, daß es eine Dornenkrone ist.</p>
+
+<p>Was stehst du nun, junges Meisterlein, und starrst ihm nach mit einem
+visionären Blick, als ob du eine Erscheinung gehabt hättest?!</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais! klang es plötzlich auf in der<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Brust. Franz
+konnte das Tiefste, das er empfand, nicht anders denken, als in Noten.
+Ein Ton, der sich wie eine Erleuchtung einstellte, bang und fragend wie
+ein schüchternes Pochen am Tor des Unendlichen.</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais — — Der tragische Akkord wollte sich
+nicht mehr abweisen lassen. Er klang als Grundton immer durch auch
+in den heitersten Momenten und da am stärksten; er war nun einmal in
+der Welt und hatte seinen eigenen Sinn wie eine Mahnung, die dann am
+furchtbarsten war, wenn sie nach Zeiten des Vergessens plötzlich wieder
+die Seele mit allen Bangnissen zum Aufschauern brachte.</p>
+
+<p>Eine helle Empfindung gewann Oberhand; sie jubelte als lebensfrohe
+Melodie über den dunklen Schauern.</p>
+
+<p>Franz war gedankenvoll durchs Schottentor gekommen, auf der Freiung
+stand er aufatmend still. Die schönen Adelspaläste, die Baumkronen
+über den geheimnisvollen Mauern, umschlossene Gärten mitten in der
+Stadt! Die Schottenkirche, alle Pracht ergriff ihn, als ob er sie zum
+erstenmal sehen würde.</p>
+
+<p>»Was möchten's denn, gnä' Herr?!« fleanschte ihn eine schwammige
+Öbstlerin gutmütig an. Eilig rannte er weiter aus dem Marktgewühl, am
+tiefen Graben vorbei, wo der Alserbach ging, der klaräugig blickende,
+gleich einem zwischen Weinbergen und Wiesenrainen spielenden hurtigen
+Knaben, den es nach der Stadt drängte — was war er dort geworden? Eine
+schmutzige üble Gosse, die sich scheu in dunklen Gewölben verkroch —
+wie ein Schrei klang es schmerzlich auf in der Brust: e — fis — g —
+h — ais!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p>
+
+<p>Und nun bergan zum Hof, wo der gelbe Stellwagen von der Grinzinger
+Allee hereinholperte, staubig, von müden, mageren Rossen gezogen, ein
+Gruß vom Land herein, von Wein und Heurigenmusik; hoch aufgepackt als
+heitere Fracht alle städtische Sehnsucht nach dem Grünen!</p>
+
+<p>Mein Gott, diese Blumen am Hof, ein ganzer Markt, wie schön! Ja, ja,
+die Stadt braucht Blumen, man kann nicht genug haben in den Mauern;
+wenn man draußen lebt, ahnt man gar nicht, wie notwendig sie sind, und
+daß es soviel auf einem Platz geben kann, und der Duft!</p>
+
+<p>Mit all diesen müßigen Gedanken und verzücktem Umherschauen vergeht die
+Zeit, die Uhr unter den Atlanten mit der Weltkugel am Hof zeigt bald
+Zwölf, also weiter, weiter durch die enge Bognergasse zum Graben hinaus.</p>
+
+<p>Herrgott, ist da wieder eine Pracht, diese Frauenzimmer, nein, nicht
+zum sagen! Mudlsauber — eine schöner wie die andere! Wird einem ganz
+wurlert! Und die lieben Gesichterln — wie sie lachen und umschauen,
+und wieder lachen — jetzt weiß er nicht, soll er sie grüßen, kennt er
+sie, oder kennt sie ihn, oder will sie ihn kennen lernen — er möcht'
+jedenfalls — aber die vielen Leute — und die eleganten Schwasser,
+die hinterher scharwenzeln. — Jessas! und jetzt schaut sie wieder um
+— bocksteif steht er da, weiß sich nicht zu helfen, eng und schwül
+wird ihm, daß er schwitzt, er schaut ratlos um und um, sein Blick
+gleitet die Dreifaltigkeitssäule hinauf, die sich mit barocker Ekstase
+emporwirft voll unendlichem Verlangen.</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais!</p>
+
+<p>»Servus, Servus! Landschulmeister, himmlischer, wie kommst du auf
+einmal dahergestiefelt um zwölf Uhr mittags<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> am Graben?!« jauchzt
+plötzlich einer der eleganten Stadtfräcke hinter ihm, hat ihn schon
+abgefaßt und auf offener Straße umarmt.</p>
+
+<p>»Schober, lieber Schober!«</p>
+
+<p>Kurze, hastige Erzählung Franzens über Woher und Wohin.</p>
+
+<p>»Hast den Schulmeister an den Nagel gehängt, endlich, endlich, es war
+die höchste Zeit! Wo wohnst du denn?«</p>
+
+<p>Ja, richtig, wo er wohnt, an das hat Franz noch nicht gedacht. »Ich
+weiß nicht!«</p>
+
+<p>»Köstlich,« ruft Schober, »wohn' bei mir! Ich hab' ein Zimmer frei,
+kost' dich nichts, kannst bleiben, solang' du magst, mir ist's eine
+Freud'!«</p>
+
+<p>Franz lehnt lächelnd ab, vorläufig wenigstens — wozu schmarotzen? Hat
+ja Geld in der Tasche, bare hundert Gulden!</p>
+
+<p>Schober hat es um diese Zeit eilig, der Mittagsbummel am Graben war
+die Stunde, wo die Löwen auf Beute gehen; soviel Schönes, als es da zu
+sehen gab — da war nicht zu zaudern. »Also Servus, auf Wiedersehen!«</p>
+
+<p>Beim Stock-im-Eisen, am Ende des Grabens, steht er und schaut sich die
+vielen Nägel an, die in legendenhafter Zeit die Schmiedgesellen in den
+Baumstamm eingetrieben haben, und wundert sich in seiner beschaulichen
+Weise aufs neue, wie die Kerle so ausgezeichnet die Nägel alle auf ihre
+Köpfe getroffen haben. So muß man's auch machen, die Nägel auf alle
+Köpfe treffen, dann ist man der richtige Schmied seines Glückes. Aber
+er denkt nicht daran, daß er ja auch seines Glückes Schmiedgesell ist,
+und haarscharf,<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> wenn nicht die Nagelköpfe, so doch Notenköpfe trifft,
+das Meisterstück, worauf es bei ihm ankommt!</p>
+
+<p>»Servus!« tönt eine Stimme weich und einschmeichelnd, er wirft sofort
+den Kopf herum. »Ach, lieber Hüttenbrenner!« und schaut in das kluge
+Gesicht des guten philosophischen Anselm, der zuerst Kleriker war, dann
+Jurist, und zugleich in Schuberts Konviktszeit bei Salieri Kontrapunkt
+studiert hat. Jetzt hat er seine Seele ganz der Musik verschrieben.</p>
+
+<p>Ein rasches, wechselseitiges Fragen, und alles ist klar.</p>
+
+<p>»Magst bei mir wohnen, ein Kanapee steht zur Verfügung! Nicht? Aber
+wir sehen uns jetzt öfter, gelt? Du weißt ja, im Café Bogner, bei der
+lustigen Blunzen, kommen wir täglich zusammen. Kommst bestimmt! Alsdann
+Pfüat!« Händeschütteln, die Freunde trennen sich.</p>
+
+<p>Über der Stadt schwingen Glocken, eine tönende Flut, ein Bronzeregen,
+ehern und gewaltig, als ob die Glocken in der Brust schwingen würden.
+Die Glocken von St. Stephan. Franz kann nicht widerstehen, einen Blick
+muß er in die Stephanskirche tun, eine liebe, alte Gewohnheit.</p>
+
+<p>Der Dom ist die steinerne Blume der Stadt, der liebe Wienerwald mit
+seinen Blümelein und seinem Getier lebt in den himmelhohen Kapitälen.
+Und allerlei spukhaftes Fabelwesen treibt sein Spiel an den steinernen
+Wurzeln, läuft auf den behauenen Sockeln oder kauert in den schwarzen
+Nischen. Ein herrliches, steinernes Bilderbuch — die alten Meister
+hatten Phantasie. Franz fühlt sich ihnen verwandt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p>
+
+<p>Eine Hand legt sich auf seine Schulter. »Freund, du hier?«</p>
+
+<p>Franz sieht zu dem Dunklen, Zugeknöpften hinter sich hinauf, die
+starre, melancholische Maske Mayrhofers schaut ihm entgegen. Arm in Arm
+schreiten sie aus dem Dom.</p>
+
+<p>»Kannst bei mir wohnen, das Zimmer neben mir wart' auf dich!«</p>
+
+<p>Herrgott, wie sie sich alle um ihn reißen! Er nimmt's nicht an, aber
+wohl tut's doch!</p>
+
+<p>Später in der Kärntnerstraße trifft er den Pianisten Jenger, mit dem
+er durch Hüttenbrenner befreundet wurde, und der außerhalb seiner
+Kanzleistunden mit Frau Musika in der wildesten und beglückendsten Ehe
+lebt.</p>
+
+<p>Jetzt fängt auch der an:</p>
+
+<p>»Das wär' ein herrliches Dasein, eine Zigeunerwirtschaft unter einem
+Dach, du, ich und unsere gemeinsame Geliebte, die holde Frau Musika!
+Schlag' ein!« Es ist schon zum Lachen! Sind liebe, gute Kerle, alle
+miteinander!</p>
+
+<p>Es ist nicht Zeit, lang Standerln zu machen, Franz will beizeiten nach
+»Schwindien«.</p>
+
+<p>»Schwindien?«</p>
+
+<p>»Nun ja, freilich; das heißt, zu Schwind, ins Mondscheinhaus, drüben
+bei der Karlskirche überm Glacis.«</p>
+
+<p>So ist Franz zum anderen Ende der Stadt wieder hinausgegangen, wo
+drüben die Karlskirche steht, eine Madonna im Grünen. Das graue,
+einstöckige Haus in nächster Nähe mit dem ummauerten Hof ist das
+Mondscheinhaus, wo die Romantik blüht. Ein Blick von dort über die<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span>
+Stadt mit dem Kahlengebirge dahinter, das vergißt man nicht mehr. So
+viele Poesie! Schubert singt es, Schwind malt es, ein anderer dichtet
+es, jeder wie ihm der Schnabel gewachsen ist, die Hauptsache, daß man's
+nur spürt.</p>
+
+<p>Die im Mondscheinhaus spüren's. Franz schleicht heran, im Hof hört
+man schon die drei Brüder Schwind, die sich sehr laut aufführen. Was
+tun sie? Dreinhauen tun's. Hauen aufeinander, daß es schallt wie
+bei Dreschern auf der Tenne, oder bei Teppichklopfern, prügeln sich
+gegenseitig mit alten Säbeln, rostigen Schilden, daß die Köpfe unter
+den verbeulten Helmen brummen, und schreien dazu, was sie nur aus der
+Gurgel bringen, volltönende, herrliche Worte, auf die man unwillkürlich
+hinhören muß. Was sind es? Nibelungenverse. »Er schlug damit den ersten
+Schlag. Hei, hei! Volker, Spielmann, wie rührst du den Fiedelbogen!«</p>
+
+<p>So macht der fröhliche Knabensinn, der noch unverkümmert in den jungen
+Männern steckt, aus einer turnerischen Übung ein ganzes Ritterspiel.
+Ein echter Schwind.</p>
+
+<p>Die Kämpfer sind müde und machen eine Pause. Franz pocht an das Tor.
+Kein Laut regt sich mehr. Grad' so, als ob das Haus ausgestorben wäre.</p>
+
+<p>Haben sie sich am End' gegenseitig erschlagen, denkt Franz und klettert
+auf die Mauer hinauf. Das Schauspiel, das sich ihm darbietet, ist
+wunderlich genug. Die drei Helden, mit altem Rüstzeug angetan wie die
+Schmierenkomödianten eines Bauerntheaters, schleichen mit aufgeregten
+Mienen auf den Zehenspitzen ans Tor, der Älteste guckt durchs
+Schlüsselloch — da hat Moritz den Eindringling schon über der Mauer
+entdeckt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p>
+
+<p>»Kerl, elender, blöder, mistiger, lieber, guter — dein Glück, daß du
+da bist! Sei aber froh, daß du kein Gläubiger bist!«</p>
+
+<p>Der Jubel ist jetzt erst recht groß, anstatt eines gefürchteten
+Gläubigers den lieben Freund zu erblicken, der zwar die Mauer
+hinaufzuklettern vermochte, aber nicht herunterkam. Eine kleine
+Tracht freundschaftlicher Prügel muß er sich in seiner Hilflosigkeit
+schon gefallen lassen. Nach diesen stärkenden Leibesübungen kehrt
+der gewohnte Männerernst wieder zurück. Schön ist es in dem Hof,
+den die Brüder in ein stimmungsvolles schwindisches Gartenbild
+verwandelt haben. Mit Rasen ist er bewachsen, eine Fliederlaube
+steht im Hintergrund, Akazien und Holunderbäume sind hinzugepflanzt,
+einige Blumenbeete, dazu noch etliche Oleander in Kübeln — das ist
+»Schwindien«, die Heimat der schönsten romantischen Malerträume. Und
+weil man nichts tat, ohne den Dingen einen besonderen Sinn zu geben,
+so nannten die Brüder diesen Gartenhof mitsamt den zu ebener Erde
+liegenden Wohnräumen ihre Burg Malepartus.</p>
+
+<p>Gewohnt, gelebt, gearbeitet wurde in der schönen Jahreszeit mehr in
+der Laube als in den Zimmern. Da lag noch das Arbeitszeug herum —
+Neujahrskarten wurden gezeichnet und Krampusse gemalt — wofür? Dumme
+Frage, für den kommenden Christkindlmarkt am Hof, Fronarbeit, mit der
+sich der junge ringende Genius die Freiheit für seine Kunst und seine
+Studien erkaufen muß. Denn manchmal ist Schmalhans Küchenmeister seit
+dem Tode des Vaters, und mit Schuldscheinen bewehrte Feinde belagern
+oft die Burg Malepartus. Aber Künstlerfreude<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> und Jugendsinn lassen
+keinen Schatten dauernd aufkommen, besonders solange »Goldstaub«
+im Tabaksbeutel ist — und den hat heute Schubert in reicher Menge
+mitgebracht.</p>
+
+<p>»Bruder, am besten, du bleibst bei uns! Wir richten uns häuslich ein.
+Platz ist genug, ein Zimmer kannst du haben, was du singst, male ich
+— kann man sich ein trefflicheres Accompagnement denken?! In dieser
+schönen Jahreszeit tragen wir die Matratzen heraus und schlafen
+nachts im Freien unter duftendem Flieder und niederrieselndem gelben
+Goldregen. Da blühen Träume, Bilder und Musik — schöner findest du es
+nirgends!«</p>
+
+<p>Für diese Nacht beschloß Schubert zu bleiben — die Träume unter dem
+Fliederbaum und Goldregen waren gar zu verlockend. Ein mannshohes
+Schild mußte weggehoben werden, ein Türke war darauf gemalt noch frisch
+von Farben.</p>
+
+<p>»Fürs Café Bogner — so bezahlt man seine Schulden!« erklärte Schwind.
+»Morgen ist die feierliche Hinsetzung dieses ›Kunstwerks‹ — das gibt
+wieder Kredit auf ein Jahr!«</p>
+
+<p>Gegen Abend wurden in der Laube die Pfeifen entzündet, und die
+klausnerische Seligkeit begann, von der Schwind immer und immer
+träumte. Die Wolken stiegen wie Weihrauch, Flieder und Akazien
+dufteten, die Sterne leuchteten, Träume umwoben die Stirnen, das Glück
+war vollkommen.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a — —</p>
+
+<p>Die Cellos in der Brust erheben den schmerzlich süßen Sang, wohl und
+wehe ist ihm — das Glück, das Glück!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p>
+
+<p>Am anderen Morgen geht das Wohnungsuchen an in den engen traulichen
+Gassen der inneren Stadt. Die Sonne fällt schräg in die blitzenden
+Fenster der leicht gekrümmten Hauswände, ein Lied trällert, ein
+Kopf lugt da und dort heraus, ein Tüchlein um die Frisur gebunden,
+wäschermädelartig, mit zwei koketten Zipfeln nach vorne — sie sind
+so lustig beim Zimmerfegen in aller Früh, die holden Weiblein! Und
+auf Reinlichkeit sind sie wie der Teufel: nur gleich zum Fenster
+hinaus mit dem Staubtuch, die ganze Ladung dem Vorübergehenden auf den
+Kopf: Unrat, zusammengedrehte Haarbüschel — das ist aber noch nicht
+das Schlimmste, wenn nicht zufällig auch einmal was Lebendiges dabei
+ist, ein Läuslein, ein Wänzlein, ein Flöhlein. Sind ja so übertrieben
+reinlich, dulden nichts Unsauberes, heißt es gleich, hinaus damit! Also
+gib fein acht, lieber Morgenwanderer, wenn du durch enge Wiener Gassen
+lustwandelst!</p>
+
+<p>Spaziert Franz unverdrossen die Kreuz und Quer, gaßauf, gaßab, hält an
+jedem Tor, wo ein weißer Zettel hängt und wie eine Geisterhand winkt:
+»Elegant möbliertes Zimmer für einen soliden Herrn .....«</p>
+
+<p>Unzählige Treppen gibt es zu steigen, eine Wanderung, die steil hinauf-
+und hinuntergeht im geklüfteten Stadtgebirge. Das Bilderbuch der Stadt
+rollt sich auf bei dieser seltsamen Wanderung, die keinem Junggesellen
+erspart bleibt. Es ist zwar immer dasselbe Bild bürgerlicher
+Zwischenstufen, ein krampfhaftes Pflanzmachen, dahinter die heimliche
+Misere, ein elendes Durchfretten, ein ewiges Wursteln ..... immer
+dasselbe Thema, aber welche Variationen im Menschlichen!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span></p>
+
+<p>Eine hübsche Witwe tut sehr fesch, will ihn gar nicht mehr fortlassen,
+sitzt plaudernd da mit übereinandergeschlagenen Beinen: »O, Sie werden
+sich sehr wohl fühlen!« Mehr als ihre Worte sagen es ihre Mienen und
+ihre Augen. Er wäre froh, wenn er schon draußen wäre, er fühlt sich gar
+nicht wohl, er sitzt wie auf glühenden Kohlen.</p>
+
+<p>Bei einer Witwe, die so hübsch und lustig dreinschaut, nein, das geht
+doch nicht. Was würden die Leute dazu sagen, die Freunde und nun gar
+die Brüder, wenn sie kämen, und erst, was Gott verhüte, der gestrenge
+Herr Vater! Die Hänseleien von den einen, die stillen oder gar lauten
+Vorwürfe von den andern — er möchte keines von beiden riskieren. Er
+ist das wirklich, was auf dem Zettel verlangt wird, »ein solider Herr«!
+Er ist hochrot im Gesicht, als er wieder unten auf der Straße steht,
+und jetzt ärgert er sich über sich selber. »Dumm von mir ...«, aber man
+ist manchmal so und manchmal so .....</p>
+
+<p>Und fort geht das Suchen — schließlich wird's ihm ein Bild des
+Lebens: Suchen und Suchen, kaum ein Finden, schließlich immer nur ein
+Vorliebnehmen.</p>
+
+<p>Des Auf- und Abkletterns müde geworden, hat er am Schluß
+vorliebgenommen und sitzt als Zimmerherr in einer geräumigen Stube mit
+altväterischen wackligen Möbeln. Nun ist er in seiner höchsteigenen
+Behausung für monatlich dreißig Gulden Wiener Währung samt Frühstück.
+Ein sündhafter Preis! Warum hat er's genommen? Das Suchen war ihm schon
+zuwider, vielleicht aber hat ihn auch das Mitleid bestimmt. Er hat ein<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span>
+weites Herz und denkt sich, wegen so ein paar Netsch mehr oder weniger
+....</p>
+
+<p>Die Quartierfrau, ein abgehetztes Weib, hat ihm in fünf Minuten ihre
+ganze Lebensgeschichte erzählt, sie ist eine »bessere Frau«, was sie
+wiederholt unterstreicht, und die Mali, ihre Tochter, das liebe, gute
+Kind, lernt Französisch und Klavier und kann eine ausgezeichnete
+Torte machen!! Sie ist so furchtbar häuslich! Sie behauptet, daß die
+Erziehung des Kindes so furchtbar viel Geld kostet, aber eine gute
+Bildung sei wohl die beste Mitgift! Ein vernünftiger Mann würde bei
+einem Mädchen doch lieber auf Bildung und Häuslichkeit sehen als auf
+Geld! Der neue Zimmerherr wird sich wie zu Hause fühlen!</p>
+
+<p>Es gelingt ihm endlich, ihrem Wortschwall Einhalt zu gebieten und sie
+zur Tür hinauszuschieben, dann hört er sie im Hintergrund des dunklen
+Flures, der von Waschdunst und Küchengerüchen erfüllt ist, mit der
+Mali, dem guten, lieben Kind, keifen: »Was stehst denn, Trampel,
+schau', daß d' in Schwung kommst ...« So sieht's mit der Erziehung aus,
+die furchtbar viel Geld kost' ....</p>
+
+<p>Es ist aber nicht tragisch zu nehmen, das Zünglein hängt gar locker und
+ist mit einem Schimpfwort rasch fertig. Das kommt bei besseren Leuten
+auch vor — es gehört zur Gemütlichkeit.</p>
+
+<p>Ein Klavier steht in der Ecke, verstaubt, verstimmt, es muß erst
+instand gesetzt werden. Ein Glück, daß es überhaupt da ist. Also rasch
+den Klavierstimmer ins Haus! Die gute Mali — ob die je im Leben eine
+Klaviertaste angerührt hat? Aber das bißchen Pflanz — es ist ja so
+notwendig zum Leben, der Traum von Glück, ein goldener<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> Schein, der das
+graue Elend ein bißchen überleuchtet!</p>
+
+<p>Als dem Klavier wieder wohlgestimmte, klare, reine Töne entsteigen, und
+die von Arbeitsdrang erfüllte Brust sich in Noten entladen darf, da
+ist das Gemach hell und freundlich geworden und die Geister der Sorge,
+die es bewohnten, sind entwichen. Die Seele schwebt in wolkenloser
+Seligkeit und ein Celloton singt in H-Moll aus blauer Ferne:</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a .....!</p>
+
+<p>Ein schwebender Klang, der sein hoffnungsreiches Glücksgefühl umspielt.
+Wenn er in sich hineinhorcht, kann er ihn jetzt wieder vernehmen, immer
+und immer wieder.</p>
+
+<p>Der Ton entschwebt, wenn er ihn fassen will, verdrängt von dem
+singenden, rauschenden Quell in seiner Seele, der ins Leben will, der
+Menschheit zur ewigen Freude. Herrlich ist es, so in Freiheit zu leben
+und im goldenen Überfluß zu schwelgen! Mit vollen Händen kann er sich
+verschenken, so stark und schier unerschöpflich ist der innere Quell!</p>
+
+<p>Der graue Vormittag gehört dieser stürmischen Arbeit. Mit allen Kräften
+der Seele ist er seinem Werk gewidmet, vom frühen Morgen an bis zur
+Mittagsstunde. Dann ist er erschöpft, leer, ausgepumpt, sucht Erholung
+und Ablenkung und findet sie bei den Freunden. Schon beim Mittagessen
+trifft er den einen oder anderen im Gasthaus »zur schwarzen Katze«,
+»zur Schnecke«, »zur Eiche«, beim »roten« oder beim »blauen Igel«, wo
+abwechselnd das bescheidene Mittagsmahl eingenommen wird.</p>
+
+<p>Gleicht ein Beisel dem andern, der Fußboden ist voll<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> Flecken und
+Schmier, der Kellnerfrack ist es ebenso, der einmal schwarz war und
+jetzt grau ist wie der Boden, der einmal weiß war. Es geht gemütlich
+her, der Wirt, der Zahlkellner, der Speisenträger, der Pinckerl
+schießen herum, Herr von Schubert hin, Herr von Schubert her, vier
+oder sechs Hände entreißen ihm Hut, Stock und Überrock, noch ehe der
+Ankömmling weiß, wie ihm geschieht, leiert ihn der Pikkolo an wie
+ein Ratschenbub und zählt alle Getränksorten her, der Speisenträger
+memoriert die Speisenkarte: Fleckerlsuppe, Nudelsuppe, Kaiserschöberl
+— schönes Rindfleisch, Herr von Schubert, ein schwarzes Scherzel,
+ein Kavalierspitz, ein Kruspelspitz, nicht zu fett, ein bisserl
+unterspickt, Zwiebelsauce oder eingebrannte Erdäpfl dazu, oder rote
+Rüben, Schnittlauchsauce — vielleicht einen schönen Kalbsschlögel,
+einen Nierenbraten, Kaiserfleisch, Schöpsernes, Roastbeef —</p>
+
+<p>Halt, halt! Der Kopf wirbelt einem schon! Jetzt kennt man sich in
+den kulinarischen Genüssen erst recht nimmer aus. Zeit lassen! Die
+Speisenkarte her!</p>
+
+<p>Inzwischen wird von allen Seiten geschrien, dem einen geht die
+Bedienung zu langsam, dem anderen, der seine Suppe noch nicht
+ausgelöffelt hat und schon das Rindfleisch kriegt, geht sie zu schnell,
+keiner ist zufrieden, ein jeder möcht' etwas anderes — die Aufregung!
+Das Schimpfen, das Gelächter, das Tellerklappern, das Geschrei,
+die durcheinander schwirrenden Dissonanzen — wobei sich alles in
+Wohlgefallen und Gemütlichkeit wieder auflöst — es wirkt auf die
+abgespannten Nerven doch wieder belebend wie ein erfrischendes Bad. Und
+hat man heute über den Schlangenfraß geschimpft und es verschworen,<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span>
+das verfluchte Saubeisel nicht mehr zu betreten, so ist man am
+anderen Tage um so pünktlicher wieder da. Es ist keiner glücklich,
+wenn er nicht ein bißchen räsonnieren kann. Die Wiener Tugenden und
+Untugenden, die waren, sind und sein werden — man hat sie in der
+knappen Mittagsstunde beisammen, während der Fütterung entfalten sie
+ihre Blüte. Man ist gereizt wie eine hungrige Bestie, wenn man kommt,
+und wenn man geatzt ist, geht man als friedfertiger Mensch von dannen.
+Wohin?</p>
+
+<p>Natürlich ins Kaffeehaus zu einem Schwarzen und einer Pfeife Tabak, die
+der Höhepunkt des Diners ist. Das Essen ist nur der Umweg zu diesem
+Göttergenuß. Also geradewegs zur »lustigen Blunzen«, wo Schwinds Schild
+mit dem Türken richtig in ganzer Farbenpracht prangt.</p>
+
+<p>»Schani, trag' den Garten außi!« Also trug an schönen Tagen Schani,
+der Kellnerjunge, unter Beihilfe des Feuerburschen den Garten hinaus,
+nämlich die Holzkübel mit den Efeuwänden, die am Trottoir vor dem
+Café einen kleinen imaginären Gartenbezirk bilden mit einigen
+Marmortischchen darin. So sitzt man draußen im Freien an schönen Tagen.
+Fast angenehmer ist es aber drinnen in dem gewölbten Raum, wo der
+Feuerbursch am Herd die Bohnen röstet, daß der frische Kaffeegeruch
+stark und würzig den Raum durchströmt. Eine ältliche Kassiererin sitzt
+im Büfett und liest in einem Romanbüchel, ein paar Herren im dämmerigen
+Hintergrund halten starr die Zeitung vor sich hin oder sitzen in
+bequemen Lehnsesseln zurückgelehnt, zuweilen glaubt man sich in eine
+Sägemühle versetzt, ein verdächtiges Geräusch rasselt von hinten her,<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span>
+steigt höher und höher, und wenn es den Klimax erreicht hat, reißt es
+plötzlich ab, ein tiefes Schnarchen: jeder macht seinen Nipfetzer.</p>
+
+<p>Der Kellner streicht lautlos hin und her wie auf Samtpfoten, damit
+er keinen von den Herren aufweckt. Nur vom Billard her tönt das
+gedämpfte Rollen der Kugeln, nebst dem Summen der Fliegen an den
+Fensterscheiben, eine angenehme, einschläfernde Musik. Am schönsten ist
+es, am Fenster zu sitzen, hinauszublicken auf die alten Häuserfronten
+mit bequemen Portalen, verwittertem, steinernem Wappenschild darüber,
+schmiedeeisernen Balkonen und ähnlichem, ehrwürdigem Zierat. Da sitzt
+man in Betrachtung dieser Dinge, schlürft seinen Schwarzen, schmaucht
+sein Pfeifchen, schaut in die Zeitung, tut zwischendurch selbst so
+ein kleines Nickerlein, oder ergötzt sich, wenn die Freunde da sind,
+an dem Gespräch, das alsdann immer munter fließt. Die Welt täglich
+niederreißen, neu und schöner wieder aufbauen — dadurch wird die
+schwarze Kaffeestunde ereignisvoll und fruchtbar.</p>
+
+<p>Die paar Stunden nachher während des Nachmittags vergehen auch so; die
+Blume der Freundschaft entfaltet sich am herrlichsten erst abends.
+Da sitzt man mit den geliebten Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln,
+wie Franz seine Getreuen nennt, oft in fröhlicher Tafelrunde über
+die gewöhnliche Sperrstunde hinaus beisammen, und zuweilen hallen
+die schlafenden Gassen von der lauten, singfrohen Ausgelassenheit
+der Jünglinge, die Schwinds Stift in einem übermütigen Augenblick
+festgehalten hat, wie sie vor einem unvollendeten Neubau stehen und ein
+Ständchen vor den leeren Fenstern darbringen. Die herrlichsten<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> Lieder
+steigen in das Nichts empor, die Schöne fehlt, für deren Ohren sie
+bestimmt sind, die ist nur erträumt da, und an ihrer Stelle antwortet
+das Echo in den Schatten des leeren Hauses.</p>
+
+<p>So geht es derzeit noch dem Meisterlein, die Freunde sind da, der
+Genius hat ihn geküßt, aber wo ist die Menschheit, seine Gaben zu
+empfangen und den schuldigen Dank zu spenden?</p>
+
+<p>Einerlei, der junge Meister denkt nicht daran, es ist ihm vor allem
+darum zu tun, sich im Schaffen auszuwirken und den inneren Schatz zu
+heben, der sein Erbteil geworden war. Die Freunde wissen es, die seine
+Schöpfungen in Abschriften von Hand zu Hand geben, kein Abend vergeht,
+wo sie nicht bewundernd von den neuen Köstlichkeiten erzählen, die
+Schubert in seinen fieberhaften Arbeitsstunden an den Tag gefördert hat.</p>
+
+<p>Äußerlich war es nur ein kleines Leben, das der junge Schubert
+genießerisch führte. Aber in diesen scheinbar nichtigen Dingen war
+wienerischer Geist, sein vegetatives Sein lebte davon, der innere
+Mensch, der sich an dieser geheimnisvollen Kraft aufbaute. Ein Narr,
+der mehr verlangt als diese einfache seelische Hausmannskost, die
+Mutter Heimat gibt. Schuberts Sein war mit allen Wurzeln in dem
+Boden dieser Wiener Heimat verwachsen; er lebte im Alltag, wie alle
+anderen lebten, nur mit dem Unterschied, daß er als der schöpferische
+Mensch es verstand, aus der groben Alltagskost das geheimnisvolle
+wienerische Fluidum abzuleiten, aus den Wurzeln in die Krone, wo es
+liedhaft ertönte, als unsterblicher Sang<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> auf die einzige, süße, liebe,
+unvergleichliche, schöne Weanastadt!</p>
+
+<p>Ein Ton schwebt über diesem Dasein, darin die Seele der Stadt war, vor
+allem die Seele Schuberts: g — d — g — fis ...!</p>
+
+<p>Immer wieder klingt dieser milde, tröstliche Satz durch, mannigfach
+verschlungen und variiert, wie der Anfang einer Sinfonie seines Lebens.
+Daß man es doch fassen könnte, hinstellen als unvergleichliches
+Gleichnis seiner selbst! Und immer wieder, mannigfach unterbrochen von
+dunkleren, schmerzlicheren Gewalten, setzt dieser verhaltene, heiter
+ernste Takt ein, immer wieder, ohne zu vollenden .......</p>
+
+<p>Aber das fröhliche Herrenleben neigt sich zu einem sehr betrüblichen
+Ende. In den zwei armseligen und doch so folgenschweren Wörtchen
+spiegelt sich das Schicksalsbild: kein Geld!</p>
+
+<p>Hundert Gulden dauern nicht ewig, auch nicht in jenen Tagen, wo sich
+unendlich mehr damit richten ließ. Man ist zwar kein Leichtfuß, aber
+man ist auch kein Sparer und kein Knicker, und wer sich jede Freude
+versagt, wird auch wenig Freude geben.</p>
+
+<p>Franz knirscht: Verflucht auch! Die anderen sollen's nicht merken, er
+will's vor sich selber nicht wissen, will sich nicht stören lassen,
+nicht beirren lassen, arbeitet drauf los. Die Arbeit hat ja das Gute,
+daß sie von den Trübnissen erlöst und daß man sich als Herr des Lebens
+fühlt, solange sie dauert und glückt. Aber dann, in den Stunden der
+Erschöpfung, dann führt Frau Sorge das Wort. Sollte der Herr Vater
+recht haben: ein verlorener Musikant?!<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> Nein, nein — man muß sich halt
+tüchtig durchbeißen, fest zusammenhalten die paar Knöpf', die man noch
+in der Hosentasche hat, und Stunden geben, mehr Stunden!</p>
+
+<p>Einige Schüler hat er schon. Aber die sind halt das Kreuz seines
+Lebens. Fressen die schönste Zeit und beste Kraft weg für nichts und
+wieder nichts. Diese Stockfisch', diese vernagelten!</p>
+
+<p>Einige Haustöchter aus guten Familien nehmen Unterricht bei ihm. Sie
+schrecken vor dem Schwierigsten nicht zurück; was sie am wenigsten
+können und verstehen, reizt sie am meisten. Es bringt den armen Franz
+zur Verzweiflung. Dieses Haustöchtergeklimper! Heiliger Beethoven!
+Muß deine Feuerseele so unters Klavier fallen! Muß es wirklich sein?!
+Mamsell, Mamsell!</p>
+
+<p>Es muß wirklich sein. Mamsell ist sonst gekränkt und gibt die Stunden
+auf. So also sieht die Freiheit aus?! Dreimal gefesselt vom Mangel,
+von der Frone und der Schaffensnot. Die Tage im Schulhaus — was war
+das für eine sorglose, glückliche Zeit! Er könnte ja zurückkehren, der
+Vater würde ihn mit offenen Armen aufnehmen, ein reuig heimkehrender
+Sohn! Aber er schleudert den Gedanken ergrimmt von sich: Feigheit,
+erbärmliche Feigheit! Einem jungen Menschen geht es nicht schlecht,
+auch wenn er kein Geld hat. Ein junger Mensch, der Talent hat und
+arbeiten kann, ist reich. Reich, ja, das ist unser Franz, sitzt bei
+goldenen Schätzen — nur abbeißen kann er nichts davon!</p>
+
+<p>»Unbegreiflich, daß ein Mensch, wie du, nicht schon längst einen
+Verleger gefunden hat!« wundert sich Spaun<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> und nimmt die Sache gleich
+energisch in die Hand. Wozu noch warten? Die Manuskripte stauen sich in
+Schuberts Mappen und Tischladen. »Ich hab' mit Diabelli gesprochen, er
+hat von dir schon gehört, geh' nur getrost hin.« So der liebe Freund.</p>
+
+<p>Franz faßt ein Herz. Er ist scheu vor fremden Leuten, und nun gar als
+einer, der nichts bringt, sondern viel eher fordert! Es kostet viele
+Überwindung, bis er sich auf den Weg macht.</p>
+
+<p>Endlich sitzt er im Geschäftsladen des Wiener Druckgewaltigen. Er muß
+warten, ehe sich ihm die Tür des Chefzimmers gnädig erschließt. Eine
+Viertelstunde vergeht, eine halbe Stunde — das zermürbt den Menschen.
+Entweder er lehnt sich auf und geht davon, nicht ohne einen kräftigen
+Fluch zur Tür hineinzuschleudern, oder aber er knickt zusammen und
+versinkt zu einem Häuflein Elend.</p>
+
+<p>Die Faust geballt, den Fluch auf den Lippen, will der Künstler seiner
+Menschheitwürde den rechten Ausdruck verleihen, aber der Gedanke an die
+Geldnot zwingt ihn nieder. Er gibt sich und dem Protzen da drinnen noch
+fünf Minuten Frist, dann noch fünf Minuten — endlich! es ist ein Glück
+für den da drinnen, daß er den Künstler nun rufen läßt.</p>
+
+<p>Der steht nun demütig und verzagt vor dem gerissenen Geschäftsmann, der
+ihn wie einen Bettler empfängt. Fürs erste, daß er auf den schüchternen
+Gruß des Eintretenden gar nicht antwortet. Er streift ihn nur mit einem
+flüchtigen Blick aus der Brille, dann sieht er ihn überhaupt nicht
+mehr an. Es ist ein Geschäftskniff. Man<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> darf den jungen, schaffenden
+Talenten nicht zeigen, daß man sie braucht. Sonst werden sie in ihren
+Forderungen unverschämt. Man muß sie so lange als möglich zappeln
+lassen, bis ihnen das Wasser ins Maul rinnt, dann macht man den Fang!
+Das ist die Geschäftsethik der Herren Diabelli und Genossen.</p>
+
+<p>Franz stammelt unverständlich etwas vor sich hin und legt ein Notenpack
+auf den Tisch. Der Verleger blättert oberflächlich eine Weile herum,
+schiebt das Ganze wieder zurück und sagt:</p>
+
+<p>»Nicht zu brauchen! Viel zu schwer! Das Publikum verlangt leichtere
+Sachen. Ihr Herren Künstler glaubt immer, es muß durchaus nach eurem
+Sinn gehen. Wer soll denn das Zeug verkaufen? Aber ihr denkt halt,
+es tut nichts, wenn der Verleger sein Geld verliert! Es tut ja was!
+Verstehen Sie mich?! Könnt' verhungern alle miteinand' mit eurem
+verfluchten Eigensinn! Also lassen Sie sich's gesagt sein, machen's
+leichtere Sachen, dann können's wiederkommen!«</p>
+
+<p>Draußen war Franz, er wußte nicht wie, der Schädel brummte ihm, das
+Gesicht war hochrot, es war ihm, als ob er einen Schlag bekommen hätte.
+Schnurstracks ist er heimgestürmt, aber das Heim ist auch keine rechte
+Zuflucht mehr. Die Quartiergeberin hat's Grüßen verlernt, wenn sie
+ihn sieht. Das macht die unbezahlte Wochenrechnung. Aber so geht's:
+gestern war man noch ein gnä' Herr, heute ist man ein Lump! Das ist
+die Psychologie der kleinen Leute, die eine feine Witterung für die
+jeweilige Finanzlage haben. Verfluchte Bagage! Mali, das liebe, gute
+Kind, ist alle Augenblicke in der Tür gesteckt,<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> hat sich immer was
+zu schaffen gewußt im Zimmer, war nie um einen Vorwand verlegen, und
+blieb dann länger als nötig war, weil sie »gern etwas abgespickt hätte
+beim Klavier ....« Dann bringt sie gelegentlich ein Stück Sonntagstorte
+eigenes Fabrikat »zum Kosten«!</p>
+
+<p>Franz ist gutmütig und gibt ihr einige Gratisunterweisungen in leichten
+Klavierübungen. Aber Mali hat dumme Finger und ist ganz talentlos .....
+Schließlich ist ihr ja auch nicht ums Klavierspielen zu tun.</p>
+
+<p>Die Mutter steht dahinter und schürt und schürt. Sie hat's schwer im
+Leben und möchte das liebe, gute Kind gar zu gern versorgt wissen.
+Aber Franz ist keiner, der sich einlullen läßt mit Schmachten und
+Sonntagstorten, einspinnen und einnähen, bis es heißt, entweder Schuft
+oder Trottel! Trottel, wenn man picken bleibt, Schuft, wenn man die
+Kleine sitzen läßt. Franz ist weder für das eine noch für das andere
+geboren. Weder Schuft noch Trottel — das hat die arme Frau schließlich
+doch gemerkt. Sie kuppelt auch nur so lang, als sie glaubt, daß der
+»gnä' Herr« bei Kasse ist. »Ah, das ist so einer!« tippt sich die Alte
+an den Kopf. »Ist nicht weit her mit der Marie (Geld)! Ich hab' mir's
+doch gleich gedacht. Na, wart', mein lieber Gschwuf: so etwas könnt'
+man brauchen!« So wird das gemütliche Heim allmählich eine Hölle.</p>
+
+<p>Aber auch im Wirtsbeisel verändert sich die Stimmung. Hut, Stock und
+Überrock wird einem nicht mehr aus der Hand gerissen, der schofle Gast
+mag sich nur selber bemühen. Der Fraß wird einem ziemlich achtlos
+hingeschoben, jetzt kannst du drei-, viermal klingeln, bis so<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> ein Lakl
+die Ohren auftut. Hat man denn einen Geruch an sich, wenn einem das
+Geld knapp wird? Es muß wohl so sein. Wer kein Geld hat, ist soviel wie
+ein Pestkranker. Der soll sich nur gleich begraben lassen. Kein Hund
+nimmt ein Stückel Brot von ihm!</p>
+
+<p>Franz ist nicht der Mann, sich die Misere anmerken zu lassen. Aber
+da hat er sich verrechnet in der Kennerschaft der dienstbeflissenen
+Menschheit. Das sind geübte Menschenkenner, die dienstbaren Geister,
+und wissen genau, was es bedeutet, wenn der Herr von Schubert auf
+das Fleisch verzichtet und sich mit Linsen und Spiegeleiern begnügt,
+oder abends bestenfalls Augsburger mit Erdäpfl ißt, ein kleines Glas
+Bier dazu, wenn auch der Durst noch so groß ist und — was das größte
+Verbrechen ist — mit dem Trinkgeld zu sparen anfängt. Der Schmutzian,
+der notige!</p>
+
+<p>Armut ist keine Schande. Sie ist mehr: ein Unglück ist sie, eine
+Schmach! Zuweilen lastet es mit großer Wucht auf dem empfindlichen
+Gemüt. Und herzzerreißend klagen die Geigen, Violen und Fagotten in der
+Brust: e — fis — g — h — ais ....... Wie schwere Gewitterstürme
+stöhnen die Kontrabässe drohend und unheilvoll tief unten: c — c — c
+....</p>
+
+<p>Ist denn in dieser infamen Welt, wo jeder Vogel sein Futter findet,
+kein Platz für den gottbegnadeten Künstler?</p>
+
+<p>Es ist die Stimmung, in der der Galgenhumor erwacht. Den Freunden
+geht's mit wenigen Ausnahmen auch nicht besser. Was ist eine Zeit
+wert, die so ausgezeichnete Kerle darben läßt? Das gemeinsame Leid
+macht stark.<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> Was sind die Freunde doch für Mutmacher! Der Wert der
+Freundschaft, nie steht er höher als in solchen Tagen. Es sind ihrer zu
+viele, einer hält den anderen, sie wissen, die Zukunft gehört ihnen,
+trotzig fordern sie die Gegenwart heraus. Aus dieser inneren Gewißheit
+schöpfen sie den Humor, der sie selbst in dieser mißlichen Lage
+beneidenswert macht.</p>
+
+<p>Das Verlegerunglück wird gehörig belacht und auf diese Weise der
+Bitterkeit entkleidet. »Der Diabelli wird dich noch um Verzeihung
+bitten und froh sein, wenn er die Brosamen aufheben darf, die von
+deinem Tisch fallen, du Reicher im Genieland!« entschied Spaun.
+»Hilft aber alles nichts, du mußt vorerst mehr in der Gesellschaft
+herumgereicht werden, bis der Kerl leckere Zähne kriegt!«</p>
+
+<p>Schober hat wichtige Verbindungen angeknüpft. Er hat den Baron
+Schönstein, der in seinen adeligen Zirkeln als Liedersänger glänzt, für
+Schubert zu interessieren gewußt. Der aristokratische Amateur erkannte
+sofort: hier ist ein Besonderer! Er ist Feuer und Flamme für ihn, rührt
+die Propagandatrommel und erweckt in seinen exklusiven Kreisen die
+Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Eines Tages empfängt Franz eine
+Einladung in das Haus der Fürstin Soundso. »Dein Glück ist gemacht!«
+erklärten die Freunde. Gemach, gemach, ihr lieben Heißsporne, auch
+damit hat es seine Wege!</p>
+
+<p>Franz sitzt am Klavier, Schönstein singt. Die aristokratische
+Gesellschaft ist entzückt, besonders aber die Damen. Sie können
+sich nicht genug tun mit feurigen Anerkennungen und Glückwünschen.
+Aber die Begeisterung gilt nur<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> dem Sänger, Schubert sitzt am
+Klavier, unbeachtet, vergessen, niemand von den Herrschaften würdigt
+ihn eines Wortes oder auch nur eines Blickes. Die Fürstin, ihrer
+Hausfrauenpflicht eingedenk, erinnert sich des Meisterleins, wenngleich
+ein wenig spät. Sie will die Vernachlässigung gutmachen, sie spendet
+dem Unbeachteten freundliche Worte des Lobes; sie ahnt dunkel, daß
+etwas nicht ganz in Ordnung ist, und tröstet ihn darüber, daß der
+Sänger seiner Lieder den Lorbeer allein einheimse, der eigentlich zum
+größeren Teil ihm gehöre, dem Schöpfer der Lieder. Aber die Menschen,
+die unter dem starken Eindruck eines guten Vortrages ständen, seien nun
+einmal so.</p>
+
+<p>Franz lehnt bescheiden ab: »Geben Sie sich diesfalls nur keine Müh',
+Frau Fürstin, ich bin's ja gewohnt, übersehen zu werden; ja, wenn ich
+aufrichtig sein soll, so ist mir das sogar recht lieb — wissen Sie —
+ich fühle mich dadurch weniger geniert ......«</p>
+
+<p>Das war kindlich aufrichtig, sogar rührend — ob es die Fürstin
+verstanden hat? Sie wußte jedenfalls die Form zu wahren und es am
+Schlusse so zu wenden, daß die jungen Damen der Gesellschaft dem
+bescheidenen Meister pflichtschuldigst einige Artigkeiten sagten. Dem
+war es aber erst recht zuwider.</p>
+
+<p>Und als ihn die Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, die ihn schon
+desselben Abends in der lustigen Blunzen erwarteten, bestürmten und vor
+Neugierde brannten, was er vor dem auserwählten Damenkreis für eine
+Wirkung erzielt habe, da sagte er unwirsch: »Ach, diese Frauenzimmer
+sind mir zuwider mit ihren Artigkeiten; sie verstehen<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> von der Musik
+nichts, und was sie mir da sagen, geht ihnen nicht vom Herzen ...«</p>
+
+<p>Der Versuch schien also fehlgeschlagen. Doch Schober hatte schon wieder
+einen neuen Ausweg gefunden. »Morgen abend seid ihr bei mir eingeladen,
+und was meinst du, Franz, wer kommt? Kein Geringerer als der
+Hofopernsänger Vogl, der große Vogl, Philosoph und gewaltiger Sänger
+— nun, so freu' dich doch, du hast doch nichts sehnlicher gewünscht,
+als den großen Vogl kennen zu lernen. Ja, weißt du überhaupt, was das
+heißt, wenn der deine Lieder öffentlich singt? Das heißt soviel, als
+daß du dann ein gemachter Mann bist .....«</p>
+
+<p>Aber dem Franz ist es heute einerlei, er hat schon so viele
+Enttäuschungen erlebt; immer, wenn es hieß, dann bist du ein gemachter
+Mann, war es in der Regel für die Katz'. So mit Goethe, mit Salieri,
+mit Diabelli, mit Schönstein, mit all den bürgerlichen Kreisen, in
+denen er verkehrte, und die ihn wie einen Wunderknaben anstaunten,
+da und dort auch verhätschelten, oder wie ihren lieben Wurstel
+behandelten, besonders die Frauenzimmer — ein gemachter Mann war er
+darum noch lange nicht, obzwar es bei jeder neuen Bekanntschaft so
+oft hieß: wenn sich der oder der für dich interessiert, dann bist du
+ein gemachter Mann! Das Gegenteil war der Fall. Schulden hatte er
+auf dem Buckel und wußte sich nicht zu retten vor Sorgen. Jede neue
+Erfahrung zugleich auch eine Enttäuschung. Kein Wunder also, daß er in
+einem Augenblick des Mißmuts nicht viel hielt von der oft gewünschten
+Bekanntschaft mit Vogl, und daß es ihm für diesen Augenblick wenigstens
+Wurst war.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span></p>
+
+<p>»Da hört sich aber doch alles auf,« legte jetzt Schober los, »meinst
+du, daß es so leicht war, den Vogl soweit zu bringen? Nun kann ich dir
+ja reinen Wein einschenken — fürs erste wollte er überhaupt von dir
+nichts wissen! Verstehst du? Nichts wissen wollte er von dir!« Und nun
+erzählte er weitläufig, was es für Schwierigkeiten gekostet habe, den
+ablehnenden Sänger umzustimmen.</p>
+
+<p>Ja, warum wollte er denn nichts wissen von unserem Franz? So eine
+Gemeinheit!</p>
+
+<p>Na, na, na — ist deswegen noch keine Gemeinheit! Es gibt eine Masse
+junger Genies, die entdeckt werden wollen, in der Regel stellt sich
+doch immer wieder heraus, daß es nicht weit her ist damit. Ist es da
+zu verwundern, wenn ein berühmter Sänger, der auf diese Weise schon
+hundertmal getäuscht worden ist, es sich zum hunderteintenmal gehörig
+überlegt? Und dann sei nicht zu vergessen, daß ein Künstler wie Vogl
+mit Musik überfüttert werde; was Wunder also, wenn er sich lieber
+sehnt, von ihr loszukommen, als immer noch neue zu entdecken ..</p>
+
+<p>Die Erzählung Schobers fand allgemeine Mißbilligung, der Hochmut des
+Sängers wurde mit scharfen Worten getadelt, nur Schubert ergriff
+jetzt seine Partei: es sei doch ganz natürlich, daß der Mann seine
+Ruh' haben will, und es wäre viel eher zu verwundern, wenn die
+Antwort auf Schobers Begehren anders ausgefallen wäre. »So und nicht
+anders hab' ich's immer erwartet!« erklärte er zum Schluß nicht ohne
+pessimistischen Anflug eines, der, durch die Erfahrung gewitzigt, seine
+Sach' auf nichts gestellt hat. So war er wenigstens vor allzu schwerer
+Enttäuschung geschützt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span></p>
+
+<p>Am anderen Abend auf dem Weg zu Schober klopft ihm aber doch das
+Herz aus zweifacher Angst: entweder, daß der Gewaltige nicht kommen
+würde, oder daß er am Ende wirklich erscheinen könnte ... Beides war
+für den Weltscheuen und doch sehnlich Begehrenden in gleicher Weise
+beunruhigend.</p>
+
+<p>Die jungen Kerle saßen bei Schober zusammen, sie hatten schon ein
+bißchen musiziert, da tat sich um die festgesetzte Stunde die Tür auf
+und herein schritt mit großer Miene der unnahbar tuende Vogl.</p>
+
+<p>»O Gott! Welche Ehre — die Auszeichnung ....« Franz stammelte einige
+unzusammenhängende Worte, daß er nun die Ehre der Bekanntschaft
+haben soll und so weiter. Vogl schaut den Kleinen von oben bis unten
+an, rümpft die Nase und geht, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen,
+gravitätisch an ihm vorbei.</p>
+
+<p>Du lieber Himmel! Der Anfang war unselig genug. Franz war jetzt ganz
+auf den Mund geschlagen, auch den anderen entsank der Mut. Es herrschte
+auf einige Augenblicke das Gefühl der tödlichsten Verlegenheit.</p>
+
+<p>Nun war Vogl der erste, der eine Entspannung herbeiführte. »Also, was
+haben Sie denn da?!« Er sagte es, aber es klang nicht sehr aufmunternd.</p>
+
+<p>Dabei nahm er ein Notenblatt zur Hand, das wie eine Leimspindel für den
+Vogl aufgerichtet war. Er überflog das Lied, summte es mehr, als er es
+sang, legte es wieder hin und sagte: »Na, ist grad' nicht so übel!« Das
+klang nicht sonderlich begeistert.</p>
+
+<p>Aber er wurde wärmer und wärmer bei den späteren Liedern, die er
+anfangs nur mit halber Stimme sang;<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> schließlich sah er sich den jungen
+Mann schärfer an und wurde freundlicher und freundlicher. Beim Weggehen
+klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Es steckt etwas in Ihnen,
+aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden
+Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen!«</p>
+
+<p>Er ging weg, ohne etwas vom Wiederkommen zu sagen, man wußte nicht
+recht, wie man dran war mit ihm. Also wieder ein fehlgeschlagener
+Versuch?</p>
+
+<p>Da gab selbst Schober die Hoffnung auf: »Er ist halt schon zu alt und
+will sich von der Musik und von der Singerei ganz zurückziehen. Das
+Kloster steckt ihm noch im Leib; wer im Kloster erzogen worden ist, dem
+bleibt für sein Leben was hängen. Jetzt sitzt er am liebsten wie der
+heilige Hieronymus in seiner Klause, hat seine Hund' und Kanarienvögel
+um sich her, die Nase in der Bibel, im Marc Aurel, im Epiktet — er ist
+eben ein wunderlicher Kauz! Denkt euch, ein dramatischer Sänger, der in
+den Theaterpausen lateinische und griechische Klassiker liest in der
+Ursprache — ist euch schon so etwas vorgekommen?«</p>
+
+<p>»Schade,« sagte Schubert, »ich wollt', es gäbe mehr solcher Leute!«
+Die Idee eines freien Klosters schwebt ihm oft durch den Sinn, eines
+weltlichen Klosters, wie er und Schwind oft zusammen träumen; Vogl als
+Prior — man malt sich jetzt die Sache hübsch aus, Schwinds Phantasie
+tut das ihrige dazu: jeder in brauner Mönchskutte als Klausner, in
+herrlicher Waldgegend auf schwellenden Moosbänken sitzend, in sinniger
+Betrachtung versunken, die Pfeife im Mund, einen Bierkrug neben sich,
+saftiges,<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> schwarzes Brot, einen Bund Radieschen, von Weltsorgen
+frei, der Kunst, der Schönheit, der Naturbetrachtung lebend — der
+Gedanke wäre nicht übel. Aber so halb und halb lebt man ohnehin
+in Brüdergemeinschaft, wenn es auch bei diesen Klausnern in einem
+weltlichen Ton hergeht.</p>
+
+<p>Ist übrigens ein wunderlicher Kauz, der Vogl. Er hält mit dem Lob gegen
+Schubert und seine Freunde sehr zurück, aber durch dritte Personen
+ward erfahren, wie enthusiastisch er die Lieder des jungen Genius vor
+anderen rühmte.</p>
+
+<p>Und eines Abends erschien er unangemeldet bei diesen Weltbrüdern
+und kam dann immer wieder, sang Lied auf Lied von Schubert und
+fand es immer unbegreiflicher, wie solche Tiefe und Reife aus dem
+jungen kleinen Mann, der auf den ersten Blick so unbedeutend schien,
+hervorkommen konnte. Der alte Junggesell, der schon daran dachte,
+sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, hat neue Kunstbegeisterung aus
+Schuberts Liedern geschöpft — Franz hatte nun wirklich einen neuen
+Freund und Fürsprecher, dessen Stimme gehört werden mußte.</p>
+
+<p>Aber auch die Beziehungen mit Baron Schönstein erwiesen sich jetzt von
+einigem Wert — kurz und gut, Franz erhielt den Antrag, die gräflich
+Esterhazysche Familie zum Sommeraufenthalt auf das Gut Zelez in Ungarn
+zu begleiten und während dieser Zeit den Musikunterricht der beiden
+Komtessen zu leiten.</p>
+
+<p>Es war, als ob eine unsichtbare rettende Hand eingegriffen hätte, um
+den Schmachtenden von dem unerträglichen Druck der niederen kleinen
+Alltagssorgen, die am schwersten<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> drücken, zu befreien. Ein Sommer auf
+dem Land, die Ferne, eine neue Welt und noch dazu sorgenfrei — das war
+die ersehnte Freiheit! Auch Schober ging für eine Zeit weg, Goethes
+Wilhelm Meister ließ ihm keine Ruh', er wollte es einmal in diesem Stil
+versuchen, halb Schauspieler, halb Dichter, halb Mäzen, dilettierender
+Künstler auf allen Gebieten, der seine vielseitigen Gaben im Strome des
+Lebens versuchen will.</p>
+
+<p>Spaun, Mayrhofer bereiteten sich auf längeren Urlaub vor, Schwind geht
+auf eine Studienwanderung, der große Kreis von Familien, in denen man
+verkehrte, geht im Sommer »aufs Land«. Die Fenster in den heißen Gassen
+schließen sich, sie senken gleichsam die Lider, Wien versinkt in seinen
+Dornröschenschlaf. Nur wer kein Geld hat und wirklich nicht anders
+kann, bleibt da.</p>
+
+<p>Die Vorsehung hat diesmal für Franz ein gnädiges Erbarmen gehabt. Auf
+nach Ungarn! Auf Wiedersehen im Herbst! Adieu, lieber Spaun! Adieu,
+lieber Schober! Adieu, lieber Schwind! Bruderherz! Grüßt mir den Vogl!
+Behüt' Gott alle miteinander! Behüt', behüt', behüt'!</p>
+
+<p>Behüt' dich Gott, liebes Wien!</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="IV">IV.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Vierzig schnatternde Gänse reißen den guten Franz aus dem Morgentraum.
+Vierzig ungarische Gänse, die zu gleicher Zeit zu schnattern anfangen,
+als müßten sie das Kapitol retten — dagegen kann der bleiernste Schlaf
+nicht bestehen. Franz fährt wirr in die Höhe. Er ist noch gar nicht bei
+sich.</p>
+
+<p>»Was ist denn los!« Er reibt sich die Augen, schaut um sich — da hängt
+ein farbig gestickter Klingelzug, in einer halbrunden Nische steht ein
+zylindrischer glasierter Kachelofen, dort ein Waschtisch, in der Mitte
+ein einfaches Tischchen mit weißem Tintenzeug aus Steingut, zwei Stühle
+mit geblumten Polstersitzen, ein geblumtes Fauteuil, ein altes Klavier,
+durch das kleine Fenster schaut grünes Gezweig herein, silbergrau
+flimmert es durch das Blattwerk: die Morgendämmerung.</p>
+
+<p>Eine neue, ungewohnte Umgebung. »Wo bin ich?« Franz hat Mühe, seine
+Gedanken zusammenzuholen. Das ohrenzerreißende Schnattern draußen —
+reden ungarisch, die Gänse — jetzt hat er sich zusammengeklaubt und
+zurechtgefunden.</p>
+
+<p>»So also sieht das Zimmerchen aus, das für die Dauer des
+Sommeraufenthaltes auf Schloß Zelez mir gehört!<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> Nicht übel! Das
+Fenster, das Grün davor, der Ofen, die blumigen Stühle — es hat
+Stimmung!«</p>
+
+<p>Der Klingelzug — mit heiliger Scheu betrachtet er ihn. Ein breites
+Band mit bunter Kreuzsticharbeit bedeckt, wahrhaftig eine Zier der
+kleinen Stube. Er braucht im Bette nur die Hand auszustrecken, ein
+Riß, und es müssen schon die Diener des Schlosses herbeifliegen, nach
+den Wünschen des Gastes zu fragen. Es zuckt in seinen Fingern — aber
+möge ihn der Himmel bewahren, wirklich zu ziehen! Gestern abend bei
+der Ankunft hat ihm der Herr Kammerdiener gesagt, es sei nicht üblich,
+die Klingel zu ziehen. »Es wird ohnehin gesorgt werden, daß es zur
+rechten Zeit da ist, was dem Herrn Professor zukommt. Also, angenehme
+Nachtruhe, Herr Professor!« Sagt es und zieht sich mit würdevoller
+Miene zurück.</p>
+
+<p>Der gräfliche Herr Kammerdiener muß wissen, was Sitte ist. Seine
+Gnaden, der Herr Kammerdiener wünschen auch nicht übermäßig gestört
+zu werden, ist aber sonst ein umgänglicher Mann, wohlwollend,
+herablassend, ganz nach Herrenart. Er geizt mit Titeln nicht, er ist
+den »Professor« gewissermaßen sich selber schuldig; mit geringeren
+Leuten würde er sich gar nicht abgeben. Franz hätte aus Bescheidenheit
+ohnehin nie den Klingelzug angerührt, aber jetzt malt ihm seine erregte
+Phantasie die beschämenden Folgen aus, wenn er sich wirklich vergessen
+würde. Nein, nein, lieber sollte ihn doch gleich die Erde verschlingen.</p>
+
+<p>Mit einem Satz ist er aus dem Bett heraus, zum Fenster hin. Die
+wundervolle Morgenluft, die da hereinströmt! Köstlich, das erste
+Erwachen auf dem Lande! Diese<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> Würze — die Erde hat hier einen
+anderen Geruch als daheim. Ein fremdes Land. Man ist gespannt auf die
+Entdeckungen, die bevorstehen. Gestern abend, diese Müdigkeit, man
+hat gar nicht Zeit und Sinn gehabt, sich umzusehen. Man war ja wie
+zerschlagen nach der langen Fahrt im Postwagen. Aber schön war es,
+seltsam schön.</p>
+
+<p>Jetzt kehren die Bilder zurück, die man unterwegs erschaut hat. Auf
+dieser Fahrt durch die Ebene, die weit geöffnet dalag wie die Hand
+Gottes, eine riesige Blumen- und Fruchtschale. Unaufhaltsam ging's
+weiter durch endlose alte Alleen, staubweiße Straßen, vorbei an
+kühlen, dunklen Kirchen, geduckten Dörfern, hellen Schlössern, immer
+weiter, weiter gegen Osten. Fliegende Wolkenschatten huschten gleich
+wandernden Gedanken über das klare Antlitz der Ebene, sie atmete
+sichtbar und erregt, wenn sich der Wind in die hohen Pappeln legte,
+und war still und traurig, wenn sich der Himmel trübte, und war ein
+Lächeln über und über, wenn die Sonne aus den Wolken trat. Die Felder
+standen fruchtschwer, und die Weiber mit den roten Kopftücheln sahen
+aus wie Mohnblüten im gelben Stroh. Ein schönes Stück Welt hat man im
+Flug gesehen, aber das Beste sollte erst kommen, denn hier im Schlosse
+begann ein neues ungewohntes Leben für Franz.</p>
+
+<p>Dort im Grünen watschelten die weißen Gänse und riefen den
+heraufziehenden Morgen an. In niedrigen Zeilen gingen die
+Wirtschaftsgebäude hin bis hinunter zum Ententeich, der, von hier
+gesehen, wie ein kleiner Handspiegel draußen lag. Uralte Bäume
+schoben ihre mächtigen Häupter über die hochgezogenen Dächer der<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span>
+Wirtschaftsanlagen empor. Der Park von Zelez! Die Lage war schön, das
+hat man gestern bei der Ankunft schon gemerkt. Freilich, hier, im
+Hintertrakt des Schlosses, wo sich das Zimmerchen für den Herrn Musikus
+befand, war noch nicht viel zu sehen.</p>
+
+<p>Mit dem Schlaf war es jetzt vorbei. Schnell in die Kleider geschlüpft,
+leise, um niemanden zu stören, und hinaus in die Morgenfrische! Aber
+draußen war es inzwischen auch schon lebendig geworden. Um vier Uhr
+früh regt sich schon das Leben auf dem Gutshof. Es ist nicht so wie in
+der Stadt, wo man sich um acht Uhr morgens den Schlaf aus den Augen
+reibt.</p>
+
+<p>Da guckt ein hübscher Kopf zur Tür herein. Das Stubenmädchen. »Guten
+Morgen, Herr Musikdirektor!« Sie hat ihn gestern abend so freundlich
+angelacht und erkundigt sich nun, ob er gut geschlafen oder ob er
+schon das Frühstück wünsche, und nach hundert anderen Kleinigkeiten.
+Wahrhaftig, eine gute, mitfühlende Seele! Man hat Freunde gewonnen
+auf den ersten Blick, die Gefühle erwachen unter dem Anhauch der
+Weiblichkeit, man fühlt sich schon wie zu Hause.</p>
+
+<p>Und jetzt durch den Park in einem weiten Bogen um das Herrenhaus, man
+möchte das Schloßantlitz sehen. Da, über dem tauglitzernden, weiten,
+grünen Rasen steht es und leuchtet weiß. Ein behäbiger, breiter
+Mittelbau mit dreieckigem Giebel und französischem Dache, den breiten
+Flur von dickgepolstertem Efeu flankiert, links und rechts breite
+Gebäudeflügel mit hohen Dächern, grünen Fensterläden, ländlich, behäbig
+und zugleich so vornehm!</p>
+
+<p>Franz tritt nicht heraus aus dem Buschwerk, er möchte<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> nicht gesehen
+werden, er ist so schüchtern. Auf dem Rückweg begegnet er einem jungen
+Mann im Walde mit einem Buch. Der Sohn des Inspektors. Ein junger
+Philosoph, der die Ferien daheim zubringt. Sie grüßen sich schweigend.
+In der Nähe des Gutshofes begegnet ihm der Inspektor selbst. »Guten
+Morgen, Herr Kapellmeister!« ruft er schon von weitem, bleibt stehen
+und beginnt ein Gespräch über Musik. Er rühmt sich seiner eigenen
+Musiktalente. O weh: ist schon gefehlt! Aber man muß gute Miene machen,
+es sind die Leute, auf die man angewiesen ist.</p>
+
+<p>Im Wirtschaftsflügel erscheint die Frau Inspektor am Fenster. Sie
+will als Gnädige behandelt sein und gibt sich mit einer gezierten
+Vornehmheit, als ob sie die Gräfin selber wäre. Sie nickt und setzt mit
+deutlicher Unterscheidung hinzu: »Morgen, Herr Musiklehrer!«</p>
+
+<p>Man hat so ziemlich schon das ganze Grafengesinde am Morgen begrüßt,
+den jungen Doktor, der mit seinen vierundzwanzig Jahren kränklich
+tut wie eine alte Dame, den Rentmeister, der herumsteigt wie ein
+großer, dicker, roter Puterhahn, den Koch, der sehr fidel tut, die
+Kammerjungfer, die alte Kinderfrau, den etwas unwirschen Beschließer,
+die beiden Stallmeister. Das sind die Leute, zu denen man jetzt
+gehörte. Soviel Menschen, so viele Titel haben sie dem armen Schubert
+an den Kopf geworfen, daß er wirklich nicht mehr weiß, was eigentlich
+für eine Rolle am Gutshof er zu spielen bestimmt ist.</p>
+
+<p>Auf dem Zimmer steht bereits das Frühstück: Kaffee, ein Ei, etwas
+Butter und zwei Brötchen. Sehr splendid!<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> Franz hat das dankbare
+Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Endlich einmal nicht denken zu
+müssen: wovon werde ich heute leben, wo werde ich das Nötige morgen
+hernehmen und übermorgen? Wird es reichen für den heutigen Tag? Was
+kann ich mir vom Mund absparen, um das Dasein zu fristen, so lange,
+bis das kärgliche Stundengeld wieder bezahlt wird? Das ist jetzt
+alles von ihm genommen. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht — so
+frei, so leicht, so unbeschwert von Sorgen, arbeiten können, ohne den
+fürchterlichen Druck der Lebensnot zu spüren! Von nichts gehemmt kann
+der Born der Erfindung springen, mächtiger und reichlicher als zuvor!</p>
+
+<p>Die Frühstunden bis elf Uhr vormittags gehören ihm und seiner Arbeit.
+Um elf Uhr erwarten ihn die beiden Komtessen Marie und Karoline
+im Musikzimmer. Das ist ein großer, hübscher Gesellschaftsraum an
+der Vorderseite des Schlosses mit dem Blick auf den Rasenteppich;
+ein schmales, langes Klavier steht in der Ecke und verstellt eine
+weiße Glastür, die oben in einem halbkreisförmigen Bogen endet,
+ganz empiremäßig, und mit weißen Linnenvorhängen bespannt ist. In
+der Fensternische steht eine blumige Polstergarnitur mit Sofa,
+hohen Fauteuils und einem Tisch in der Mitte, der auf einem Bein
+mit breitem Sockel steht. Auf der anderen Seite des langen Saales
+steht ein Schreibtisch beim Fenster, und in der Ecke ein langer,
+niederer Lesetisch mit vielen bequemen Stühlen herum. Familienbilder
+hängen an den Wänden in Türhöhe, darunter eine Unzahl Miniaturen, in
+kleinen Schränkchen an den Pfeilern und in der Ecke befindet sich
+edles Porzellan. Der glattgewichste Parkettboden blinkt<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> spiegelhell.
+Freundlich, behaglich und vornehm ist es in dem Raum.</p>
+
+<p>Die beiden Komtessen behandeln ihn wie einen Bruder. Sie sind
+aufmerksam und liebevoll mit ihm, gar nicht scheu; besonders Karoline
+geht so liebreich mit ihm um, daß er selbst alle Sprödigkeit verliert
+und sich alsbald natürlich gibt wie unter seinesgleichen. Auch sie
+nennen ihn zuerst »Herr Professor«. Seine Verzweiflung darüber
+gibt ihnen zu lachen, das Eis ist damit gebrochen gewesen, aus dem
+»Professor« wird wieder der Herr Schubert, er avanciert zum »lieben
+Herrn Schubert«, der »Herr« fällt als überflüssige Förmlichkeit fort;
+auf der Stufenleiter zum Komtessenherzen rückt er vor zum »Franzi«,
+manchmal zum »lieben Franzi«, dies aber nur unter Ausschluß fremder
+Zuhörer.</p>
+
+<p>Auch die Frau Gräfin ist freundlich, gutmütig, eigentlich nicht
+herzlich, nicht warm, aber wohltemperiert. Immer gleichmäßig,
+gleichmäßig lauwarm mit unverändert zur Schau getragener wohlwollender
+Miene. Sie gibt sich so einfach, so leutselig, dabei so leise und
+zurückhaltend, daß die Leute sagen: die Gräfin ist ein Engel! Sie
+tut, als ob sie von Standesunterschieden nichts wüßte, aber hinter
+ihrer klugbedachten Art liegt die ganze unaufgedeckte Kluft, durch
+die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen fernhält. Ihr Stolz trägt
+die Maske herzgewinnender Bescheidenheit, aber es ist nicht Herz in
+ihrem Gehaben, sondern nur die unerhörte Zucht des aristokratischen
+Selbstgefühls.</p>
+
+<p>Franz fühlt es, wieweit alles Menschliche bei ihr vom Standesbewußtsein
+bestimmt und abgezirkelt ist; ihre<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> Freundlichkeit hat anfangs etwas
+Bedrückendes, Demütigendes für ihn, aber man gewöhnt sich daran.
+Sie liebt die Musik, es ist die einzige Brücke zwischen ihm und der
+Gräfin — aber sie erkennt in ihm nicht den Genius, der Königen im
+Range gleichkommt; er bleibt in ihren Augen nur der bessere Diener,
+der das Klavier bedient, den Unterricht erteilt und nebenher sich in
+Komposition versucht.</p>
+
+<p>Es liegt ein schmerzlicher Stachel in dieser Erkenntnis, aber die Milde
+der Gräfin schafft eine solche Linderung um die stille Demütigung, daß
+die Auflehnung ganz hilflos wird. So großartig versteht sie die Welt
+in Schranken zu halten und eine Art luftleere Sphäre um sich herum zu
+schaffen, daß nichts Lebendiges an sie heran kann. Diese aufreizende,
+ewig gleichgestimmte Freundlichkeit! Franz, der angefangen hatte, sich
+darüber zu ärgern, muß schließlich damit enden, indem er sie ob dieser
+Kunst bewundert.</p>
+
+<p>Die zwei Musikstunden am Vormittag vergehen im Flug. Die beiden
+Komtessen sind ja so gute Kinder! Um halb zwei Uhr wird zu Mittag
+gegessen. Franz speist mit der Herrschaft. Das ist das einzig
+Unangenehme in dem Schlaraffenland. Man fühlt sich so geniert. Und
+gar der Herr Graf! Wenn der kommt, dann sinkt alle Unbefangenheit auf
+den Gefrierpunkt herab. Wenn Franz vor einem Menschen ein Bangen hat,
+so ist es dieser robuste Mann mit dem geröteten Gesicht, den herrisch
+dreinblickenden Augen und dem brutal rücksichtslosen Ausdruck seines
+Gesichts.</p>
+
+<p>Der Graf küßt der Gräfin die Hand, spricht im Kreis der<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> Familie
+nie anders als mit gedämpfter Stimme, ist dem armen Franz gegenüber
+von einer Zurückhaltung, die so eisig ist, daß die wohlgemessene
+Freundlichkeit der Gräfin dagegen wie ein heißer Quell von Herzlichkeit
+wirkt. Kaum, daß der Graf fünf Worte je mit ihm gesprochen hat. Während
+er sich mit leiser Stimme nach den Fortschritten seiner unbekümmert
+plaudernden Töchter erkundigt, denkt der stillsitzende Franz an die
+furchtbare Donnergewalt und an die Flut von Schimpfreden, die er am
+Morgen vom Stallgebäude her aus dem Munde des Grafen gehört hat. Dem
+seiner Zartheit ist nicht zu trauen!</p>
+
+<p>Das Mittagessen ist so einfach wie möglich. Suppe, Fleisch, Gemüse,
+etwas Mehlspeise, Obst. Am Freitag gibt es Fisch. Zweimal die
+Woche entfällt das Fleisch; ab und zu gibt es Entenbraten. Wiener
+Bürgersleute leben weitaus üppiger, eine Kost wie diese haben auch
+die gewöhnlichsten Leute der Stadt. Freilich die Zubereitung ist über
+alle Begriffe gut. Aber dem guten Franz mundet's trotzdem nicht. Das
+Ungewohnte der Lage — diese verflixte Schüchternheit!</p>
+
+<p>Zu Abend speist Franz ebenfalls mit den Herrschaften. Ein Ei,
+Butterbrot, ein Glas Milch, später etwas Kompott. Herrgott, ist das
+eine Sparsamkeit! denkt sich Franz. Grenzt schier an Geiz! Ist aber
+nicht so. Ist bloß raffinierte Zucht, die solche Prachtexemplare
+aristokratischer Menschen erzeugt. Die Komtessen Marie und Karoline,
+was sind das für herrlich blühende Mädchengestalten. Und einfach,
+einfach — man sollte es nicht glauben! Ein schlichtes, weißes
+Kleidchen — eine bürgerliche Mutter<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> würde sich ein Gewissen daraus
+machen, die Tochter so schlicht zu halten. Die Leute würden denken,
+man habe nichts anzuziehen, also wird die Tochter wie ein Palmesel
+herausgeputzt. Aber die adeligen Fräuleins können sich den Luxus der
+allergrößten Enthaltsamkeit und Einfachheit erlauben. Es ist wirklich
+das Allerkomplizierteste, diese Einfachheit!</p>
+
+<p>Franz wundert sich, keinen Tropfen Wein oder Bier, weder zu Mittag
+noch zu Abend. Woher nur der Herr Graf sein rotes Gesicht hat?! Der
+Kammerdiener erklärt es: »No, ganz einfach; fahrt Graf mit Viererzug
+nach Eisenstadt die Woche drei-, viermal, da fließt Sekt in Strömen —
+aber zu Hause, nicht einen Tropfen!«</p>
+
+<p>Aber das Gesinde hat eine andere Lebensführung. Da gibt's Bier und Wein
+zu Abend, mächtigen Schweinsbraten, mittags Geflügel, ja, da lebt man
+hochherrschaftlich! Der Herr Rentmeister läßt sich nichts abgehen, der
+Herr Inspektor hält nicht weniger auf guten Tisch, jeder trachtet, daß
+er nicht zu kurz kommt bei den Genüssen dieser Erde. Nur wenn in der
+gräflichen Familie Gesellschaft ist, darf Franz auf seinem Zimmer oder
+im Inspektorflügel essen. Er gehört zur Familie, wenn sonst niemand
+da ist, im übrigen wird er dem Grafengesinde zugezählt. Hier kann man
+wieder ganz Mensch sein! Es tut so gut, aus den dünnen Höhen einmal
+wieder herabzusteigen und festen Fußes auf der Erde zu wandern. Ein
+Glas Bier zu trinken, einen Becher Wein — der Herr Kammerdiener hat
+immer einen guten Tropfen auf der Seite und fragt des öfteren, ob er
+nicht vielleicht ein<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> Glas voll abends aufs Zimmer stellen darf, nach
+dem frugalen herrschaftlichen Souper.</p>
+
+<p>Die vertrauliche Frage läßt tief blicken, aber die Heimlichtuerei ist
+dem guten Franz zuwider; er lehnt es ab, obgleich die Zunge danach
+lechzt — er lebt jetzt als richtiger Puritaner. Nur bei dem Essen im
+Inspektorflügel, da legt er sich keinen Zwang auf, es geschieht offen
+und vor aller Augen — du lieber Gott! weswegen hast du denn einen so
+guten Tropfen wachsen lassen, wenn ihn der Mensch verschmähen soll?!
+Nur keinen Spott über diese Himmelsgaben — alles, was gut ist und das
+Herz erfreut, soll der Mensch genießen dürfen, das ist sein Standpunkt.
+Die übertriebene Frugalität in Ehren, ist aber nicht jedermanns Sache,
+und der Künstler ist am wenigsten Kostverächter.</p>
+
+<p>Es kommen abends öfters Zigeuner vorbei und spielen beim
+Inspektorflügel auf, ganz unten, wo die Linde steht, in der Nähe vom
+Ententeich. Ist das eine Musik, die sich glühendheiß in die Adern
+ergießt und das entschlafene Feuer weckt! Schwer und sehnsüchtig
+wird einem dabei. Die braunen Pußtasöhne stehen unter dem Baum und
+geigen, wie es ihnen der liebe Gott diktiert. Auch die haben's von
+niemandem sonst gelernt, aber es klingt anders, ganz anders, als es
+Schubert weiß. Schwermütig, wild aufjauchzend, fortreißend in wilder
+Leidenschaft, besinnungslos und wieder hinklagend wie der unendliche
+Sehnsuchtshauch der Pußta. Wild ergreift es die Menschen, die Knechte
+in weißen, weiten, gefransten Hosen, die bis unters Knie über die
+Röhrenstiefel hängen, eine enge, kurze Jacke an, ein rundes Hütlein<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> am
+Kopf, reißen die Mägde an sich, und nun wirbeln sie hin in Raserei.</p>
+
+<p>Eine neue Welt geht vor den Sinnen des jungen Künstlers auf, der fremde
+Quell von Tönen, der ihm da entgegensprudelt, ist nicht verloren, er
+weckt einen verwandten Ton in seiner Brust, irgendwie tritt der neue
+Zufluß in seinem eigenen Melodienstrom verwandelt zutage.</p>
+
+<p>Rosa, das Stubenmädchen, wird elegisch bei der Zigeunermusik. Sie ist
+nicht mehr ganz jung, hat mancherlei Erfahrung, aber das Herz — das
+Herz ist noch töricht.</p>
+
+<p>Und dieses Herz hat sie auf der Zunge; sie begleitet ihre Geständnisse
+mit einem frommen Augenaufschlag: »Ich kann halt nicht nein sagen —
+die Männer sind so schlimm —« Ob er ein Liebchen in der Stadt gelassen
+hat, fragt sie Franz, weil er immer so ernst und traurig sei. Sie will
+ihn trösten.</p>
+
+<p>Warum!</p>
+
+<p>O, sie weiß, was das heißt, wenn man ein Liebchen verloren hat. Da geht
+man herum wie ein halb Gestorbener. Ihr ist es auch einmal so gegangen.
+Sie hat geglaubt, sie könnte es nicht überleben. Und hat es doch
+überlebt. Aber wie — fragt nur nicht wie!</p>
+
+<p>Sie lehnt sich an Franz' Schulter und fährt mit dem Zipfel ihrer
+Schürze an die Augen.</p>
+
+<p>»So gelockte Haare hat er gehabt wie der Herr Kapellmeister! Drum waren
+Sie mir gleich so sympathisch — ich habe es Ihnen angesehen. Sie haben
+ein Herz im Leib — o, auf den ersten Blick habe ich gewußt, wieviel es
+geschlagen hat!«</p>
+
+<p>Aber Franz schweigt. Er kann Rührseligkeiten nicht<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> leiden, und dann
+ist dort der Herr Beschließer, der macht schon ganz fürchterliche
+Augen, er ist eifersüchtig auf den Musikus.</p>
+
+<p>Franz wird sozusagen auf Händen getragen, auf Frauenhänden, das läßt
+man sich gern gefallen. Warum sollte er unfreundlich sein gegen Rosa.
+Sie ist hübsch, und Sympathie verpflichtet. Sie leistet ihm gar zu
+gern Gesellschaft und vertraut ihm ihre Geheimnisse an, wenn sie den
+Kaffee bringt, und dabei verplauscht sie sich gern ein bißchen. Aber
+da schleicht schon der argwöhnische Höllenhund von einem Beschließer
+vor der Tür herum und guckt durchs Schlüsselloch, ob er nicht
+etwas bemerken könnte, um Skandal zu schlagen. Teufel auch, soll
+umherschleichen, der schlechte Kerl — soll man etwa nicht ein Wort
+reden dürfen miteinander?</p>
+
+<p>Aber Franz ist nicht nur von dem weiblichen Gesinde auf Händen
+getragen, er wird auch von gräflichen Händen auf Rosen gebettet. Die
+beiden Komtessen haben ihn ins Herz geschlossen. Am meisten Karoline.
+Die kalte Freundlichkeit der Gräfin, der rohe Hochmut des Grafen — es
+wird reichlich wett gemacht durch die natürliche, unschuldige, echt
+menschliche Zuneigung der beiden Komtessen. Wie Kameraden wandern sie
+mit ihm nachmittags in den Park hinaus, streichen zwischen den Feldern
+umher, zwischen den Weingärten; zur linken Seite und zur rechten Seite
+hat sich ein Komteßlein eingehängt, und beide wetteifern im Schöntun.
+Er muß Fangen mit ihnen spielen, in ihren dünnen, weißen Kleidern jagen
+sie behend neben ihm her wie die Jagdgöttinnen aus den nachgedunkelten
+Dianabildern im gräflichen Hausflur.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span></p>
+
+<p>Mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen rennt er nach, bis ihm der Atem
+zu kurz wird, er kann die Jungfrauen nicht einholen, die leichtfüßig
+und schlank wie junge Rehe vor ihm einherspringen. Aber sie machen's
+ihm leicht, die lassen sich gutwillig fangen, und dann muß er hinknien,
+sie winden ihm ein Blumensträußlein, er muß sich's aufs Haupt setzen
+lassen, Karoline streichelt mit zarten, gräflichen Fingern über seinen
+Scheitel, und beide werden nicht müde, seine wirren Locken zu bewundern.</p>
+
+<p>Es wird ihm ganz heiß und eng, ein so reiner, seliger Hauch von Liebe
+geht von den beiden Mädchen auf ihn über, er fühlt wie ein arkadischer
+Schäfer und möchte die beiden Schäferinnen an sein Herz ziehen — aber
+er bittet die jungen Damen, daß man jetzt heimgehen soll, die Mama
+könnte sonst schimpfen!</p>
+
+<p>Da lachen ihn beide aus, fassen ihn bei den Haaren und bei den Ohren
+und knuffen ihn zärtlich ab, und wenn ihm das Herz fast vergeht vor
+Wonne und Weh, er muß fein schweigen und tun, als ob er so wenig spürt
+wie etwa der Pudel, der sich ähnliche Liebkosungen ruhigen Gemütes
+gefallen läßt.</p>
+
+<p>Nur in Noten, in Melodien darf das Geständnis seiner Liebe ausströmen.
+In Tönen darf er träumen »von Lieb' um Liebe, von einer schönen Maid,
+von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit ...« Wenn er in
+seinem Zimmer sitzt, dann wird das Herz noch einmal so wach. Bei den
+Blättern, die er mit krausen Zeichen, Punkten und Strichen bedeckt,
+denkt er dem Traume nach, das Herz schlägt geschwind — er sitzt hier
+allein, aber wenn er die Augen schließt, drängt es sich liebend an<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span>
+ihn — jetzt ist der einsam Schaffende nicht mehr allein. Die Augen
+schließt er wieder, das Herz schlägt stürmisch und heiß, am Fenster
+grünen die Blätter, wann — »wann halt' ich mein Liebchen im Arm ...?!«
+So jubelt ein herzvoll sehnsüchtiger Sang in seiner Brust und hat
+alsbald Gestalt als Lied, um ewig fortzuklingen in der Welt von Seele
+zu Seele.</p>
+
+<p>Tra—ra! Tra—ra! Ein Horn schmettert draußen, er schmeißt den
+Federkiel hin und springt ans Fenster — die Post fährt vorbei. Was hat
+es nur, das Herz, daß es so hoch aufspringt?</p>
+
+<p>Die Post kommt von der Straße her, die weit, weit zurückläuft — die
+Post kommt von der Stadt, wo man so glücklich war im Leiden, ja, so
+glücklich war! Was machen sie alle? Die lieben Freunde, was macht
+der Herr Vater, die Frau Mutter, was machen die Brüder? In dieser
+Einsamkeit, in der man lebt, sind einem die Fernen näher als sonst.</p>
+
+<p>Rosa huscht ins Zimmer herein, lautlos wie ein Kätzchen. Und hat
+sich schon an Franz geschmiegt beim Fenster. »Ein Brief vom Liebchen
+da?« Sie möchte gar zu gern etwas Näheres über den Herzensbefund des
+verschlossenen Franz wissen. Ob er nicht doch ein Liebchen hat, daß er
+so gar nicht verstehen will, wenn sie ihm ihr eigenes Herz schon auf
+dem Präsentierteller entgegenbringt. Ach, die Rosa ist feurig, sie weiß
+ihn gehörig in die Enge zu treiben beim dicht umblätterten Fenster, wo
+der Herr Beschließer durchs Schlüsselloch nicht hinblicken kann. Aber
+Franz weiß sich immer noch aus der Schlinge zu ziehen, obzwar es ihm
+manchmal selber schwer genug<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> ankommt. Wenn er sich einmal vergäße,
+denkt er, dann ist kein Halten mehr! Und wie leicht ist es geschehen.</p>
+
+<p>»Halt, Fräulein Rosa, ich glaube, der Beschließer ..!« das war bisher
+immer noch von der Wirkung eines kalten Wasserstrahls, um Rosas
+glühendes Verlangen in geziemenden Schranken zu halten. Aber wer weiß,
+was jetzt geschehen wäre, wenn nicht der Herr Schwager draußen sein
+gelbes Gefährt angehalten und Briefe an den Herrn Kompositeur Franz
+Schubert abgegeben hätte.</p>
+
+<p>Rosa läßt sich alles haarklein berichten, wer geschrieben hat und was
+in den Briefen steht, sie kann es nicht glauben, daß einer so streng
+gegen sich und schier ohne Liebesbegehren sein mag, wenn er nicht
+doch am Ende irgendwo ein Liebchen versteckt hätte. Aber es sind
+wirklich nur Briefe von den Anverwandten. Der Herr Vater schreibt
+sogar eigenhändig, es freue ihn, daß es dem Sohn gut gehe und daß er
+bei so hohen Herrschaften Anerkennung und Stellung gefunden habe —
+es scheint, daß er sich mit dem Sohn in seinem Herzen ausgesöhnt hat,
+nachdem dieser doch etwas wie ein Amt bekleidet.</p>
+
+<p>Also, ein ganz verlorener Musikant, das ist der Franz nun doch
+nicht mehr. Der Bruder Ferdinand berichtet, daß die Frau Mutter den
+gewünschten Nachtrab von Schnupftüchern, Halstüchern und Strümpfen
+schickt und daß die bestellten kasimirnen Beinkleider unterwegs seien;
+sie denke in mütterlicher Sorgfalt an Franz .... Die Briefe klingen
+alle etwas steif und hölzern, es ist keine rechte Erlösung darin. Wo
+bleiben die Freunde, daß sie kein Wort schreiben?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span></p>
+
+<p>»Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz, was
+drängst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz!«</p>
+
+<p>Die arme Rosa kennt sich gar nicht mehr aus mit dem wunderlichen
+Musikanten, der ihr dieses eigen komponierte Liedchen von der Post
+vorträllert; sie hat schon ganz den Kopf verloren, wie wird das noch
+enden, wie?</p>
+
+<p>»Sie schlimmer Herr Franz!«</p>
+
+<p>Der Sommer vergeht, der Herbst kommt, und immer dieses Leben, dieses
+wohlgemessene, äußerlich glückvolle, sorgenfreie, innerlich drangvoll
+begehrende und immer wieder spröd sich versagende! Hundertmal fährt
+der Postillon vorüber, immer wandern die Gedanken mit, man möchte
+aufschreien: halt, Schwager, halt, nimm mich mit! Zurück in die Stadt!
+Zurück in die sehnsüchtig begehrte Wienerstadt, die alles einschließt,
+was das Leben an Glückseligkeit gewähren kann. O Wien, Wien, Wien!</p>
+
+<p>»Willst wohl einmal herübersehen und fragen, wie es dort mag gehen,
+mein Herz — mein Herz?!«</p>
+
+<p>Ja, ja, so fragt das Herz, das allzu unruhige, stürmende, pochende! Die
+Herbstabende sind lau und gnadenvoll, die Bäume im Park prangen in den
+Farben der Dukaten, alten Münzen, Medaillen, grün und gold — es ist
+eine Jahreszeit zum träumerischen Sinnen.</p>
+
+<p>Nach dem Abendessen an der gräflichen Tafel wird noch ein kleiner
+Spaziergang gemacht. Zigeuner treten auf den grünen Plan und bringen
+der Herrschaft ein Ständchen. Ein schäumender Trank, diese Musik, die
+das Blut rebellisch macht und den Zwang doppelt unerträglich!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p>
+
+<p>Komtesse Karoline hatte sich mit Franz unter den dunklen Bäumen des
+Parks verloren. Er redet etwas von den Empfindungen, die diese Musik
+auslöst.</p>
+
+<p>»Diese braunen Kerle, sie leben das richtige Künstlerdasein. Das
+Leben verraucht, verträumt, vergeigt, so ist es auf göttergleiche Art
+genossen. Und dann kommen sie und spielen einem die Seligkeiten ihres
+genossenen Glückes vor, daß einem die Brust zerspringen möchte ..«</p>
+
+<p>Er hatte nicht vollendet, da fühlte er sich plötzlich umfaßt, zwei
+weiße, weiche Arme warfen sich um seinen Hals, ein schlanker,
+dufthauchender, gertenhaft biegsamer Körper zog ihn an sich, ein
+frischer Mund suchte seine Lippen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.</p>
+
+<p>»Franz, lieber Franz, ich hab' dich ja so lieb ....«</p>
+
+<p>Er wußte jetzt wirklich nicht, wie ihm geschah. Das schöne, adelige
+Fräulein — die Liebe hatte ihn jetzt umfangen, diese Seligkeit, die
+still Angebetete in seinen Armen zu halten, und zugleich die Qual,
+nein, die Scham, sie spröd von sich weisen zu müssen. Er machte ihre
+Hände los, die sich um seinen Nacken fest ineinander gekrampft hatten.</p>
+
+<p>»Komtesse Karoline — ich bitte — bedenken Sie doch — ich bin nur ein
+ganz elender bürgerlicher Erdenwurm, der nicht die Augen so hoch zu
+erheben sich vermessen darf — meine unbegrenzte Verehrung — aber wir
+müssen doch vernünftig sein — der Herr Papa — und die Frau Mama ....«</p>
+
+<p>Ja, es war zum Heulen. Und wenn er zugrunde gehen hätte müssen — das
+Vertrauen mißbrauchen, nein! Der mit allem Schein der Freundlichkeit
+und Milde verhüllte<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> Abstand, den die Gräfin aufrechtzuerhalten wußte,
+das wirkte auf ihn mit einer stärkeren Zucht, als es der brutale
+Hochmut des Grafen oder die Furcht vor dessen Zorn sein konnte;
+der Graf würde vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor einem
+Totschlag — aber das war nicht der Grund, weswegen Franz sich eine so
+übermenschliche Herrschaft auferlegen konnte; es war der innere Takt,
+der bei aller Liebe zu dem Mädchen sich als Hüter ihrer Ehre fühlte und
+nur zu gut wußte, daß der Abstand zweier Welten zwischen ihm und ihr
+lag — sie mußte am jenseitigen Ufer bleiben.</p>
+
+<p>Manches liebe Wort ward unter den Bäumen noch gesprochen, es gab Tränen
+und eine letzte Süßigkeit, die im freiwilligen Entsagen liegt — der
+Kies knirscht, wie sie mit elastischen Schritten wegeilt, zum Schloß
+hin, rein und weiß schwebt sie durch das späte Dämmerlicht.</p>
+
+<p>Die Zigeuner spielen jetzt fern, an der Linde beim Ententeich; Franz
+ist allein in der Einsamkeit seines Zimmers; draußen ist helles frohes
+Leben, Tanz und Lust bei der Linde — die Welt scheint hier so ruhig
+und so licht!</p>
+
+<p>Aber so elend, so elend war er nie, wie jetzt; er war es nie, wenn die
+Stürme tobten, wie er es jetzt ist, in der Stille dieses Lebens.</p>
+
+<p>»Ich wußte, daß Sie hier auf mich warten — alle sind bei den
+Zigeunern, auch der Beschließer, der gemeine Kerl! Franz, haben Sie
+denn kein Herz?«</p>
+
+<p>Eher zu viel als zu wenig! Aber es gehört der einzigen Geliebten, mit
+der er am liebsten allein ist, die er in seinem Zimmer, in seinem
+Klavier, in seiner Brust verbirgt und die ihm alle Geständnisse
+abverlangt, alle<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> Prüfungen und Nöte der Liebe, alles sehnsüchtige
+Verlangen und schmerzliche Entsagen.</p>
+
+<p>Aber die Stunde ist gefährlich, und Jungfer Rosa setzt ihm hart zu.
+Wie wird dieses Herz bestehen zwischen der keuschen, reinen Liebe des
+adeligen Mädchens und dem glutvollen Verlangen dieses unbekümmerten
+Volkskindes? Und diese Musik, die so verführerisch und sinnenerregend
+herüberklingt — aber man ist kein frivoler Laffe, und man hat es
+schwer mit sich selbst. Die widersprechenden Empfindungen beschwören
+einen solchen Konflikt, man kämpft einen schweren Kampf, und die Liebe,
+wenn sie einmal kommt und ihn segnen will, vermehrt nur seine Pein. Im
+Lied allein kann er hoffen, seine Erlösung zu finden.</p>
+
+<p>Am anderen Morgen ist Sonntag, Franz ist in der Dorfkirche unten, er
+hört sich die Predigt an. Wo bleibt diesmal die befreiende Stimmung,
+die er im Gotteshause immer gefunden? Liegt es an ihm, oder ist der
+polternde Kapuziner auf der Kanzel schuld, der auf die Bauernschädel
+herabdonnert, mit Ludern und Kanaillen herumwirft, einen Totenkopf von
+der Kanzel herab zeigt: »Da seht her, ihr gukerscheckigen Gfrieser,
+so werdet ihr einmal ausschauen ....« und dann hebt erst recht die
+Moralpauke an: »Da geht der Bursch mit dem Mensch ins Wirtshaus, tanzt
+die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder und stehen ihrer
+drei wieder auf ....«</p>
+
+<p>Dem guten Franz wird es unerträglich, er trachtet hinauszukommen ins
+Freie. Hier unter den Bäumen ist wahrer Gottesdienst.</p>
+
+<p>Der Schwager Postillon war da und hat Briefe gebracht.<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Bruder
+Ferdinand möchte das Klavier von Franz kaufen, er tut dabei so
+zimperlich, als ob er nicht dem Bruder, sondern einem wildfremden
+Menschen schriebe. Es ist wirklich zum Ärgerlichwerden — schenken will
+ihm Franz das Klavier, aber nur nicht so schreiben soll er, so devot
+und vorsichtig, es ist wirklich kränkend.</p>
+
+<p>Aber aller Ärger ist verflogen, als er den nächsten Brief öffnet, den
+die Freunde zusammen schreiben. Ein wahres Freudengeschrei erhebt er,
+es ist, als ob er die Lieben, einen nach dem anderen, selbst in den
+Armen hielte, so berauscht ist er von Glück.</p>
+
+<p>Die Briefe der Freunde, so spärlich sie auch kommen, sie sind das
+einzige und wahre Glück, das er in diesen Tagen genießt. Er kann es
+ihnen nicht dringend genug auftragen, soviel wie möglich zu schreiben,
+er darbt danach, jede Zeile von ihnen ist Himmelsbrot.</p>
+
+<p>»Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Schwind! Lieber
+Soundso! Daß ihr mir ja gleich wieder schreibt, hört ihr? Sonst, sonst,
+sonst ...«</p>
+
+<p>So stürmt es in seinen Briefen an die Freunde.</p>
+
+<p>Sie fehlen ihm zu seinem vollen Glück.</p>
+
+<p>Das Leben ist hier leicht und schön, Frauengunst blüht ihm, der Sorgen
+ist er entbunden — aber es ist doch nicht das Rechte. Das Glück, wo
+ist das Glück? Es ist dort, wo seine Freunde sind. Es ist dort, wo die
+süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach erklingt.</p>
+
+<p>So still verfließt das Dasein hier! Man hat viel freie Zeit, aber es
+ist nicht die Freiheit, die man braucht. Man steht wie ein Rößlein
+an der Krippe und ist schließlich des goldenen Hafers überdrüssig.
+Man zerrt an der Kette<span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span> und beneidet die wilden Gefährten, die mit
+dem Sturmwind um die Wette jagen. Wo bleibt der Sturm, das Lebenshaus
+zu durchrütteln mit seiner prachtvoll schauerlichen Musik, die alle
+Seelentiefen aufrührt und alle Winkel mit frischem, lebendigem Hauch
+erfüllt? Der Künstler braucht es, die Geruhsamkeit tut ihm auf die
+Dauer nicht gut, das Blut wird träg im Wohlleben, und der schöpferische
+Born droht in der Einförmigkeit des Daseins zu versiegen.</p>
+
+<p>Die Zigeuner, die das Leben verrauchen, verträumen und vergeigen, sie
+haben nach Künstlerermessen das bessere Los gewählt.</p>
+
+<p>Die späten Herbsttage drücken schwer auf das Gemüt mit ihrer
+Melancholie. Franz zählt die Tage, Stunden, bis es wieder heimwärts
+geht nach Wien und die Bürde von Stellung und Beruf wieder von ihm
+genommen ist, die härter drückt als alle kleinen Lebenssorgen, denen er
+vor einem halben Jahr entronnen war.</p>
+
+<p>»Ach, daß die Luft so ruhig, ach, daß die Welt so licht! Als noch die
+Stürme tobten, war ich so elend, so elend nicht!«</p>
+
+<p>Die Post kommt und geht wie immer, und endlich, o glücklicher Tag,
+nimmt sie Franzens Reisegepäck auf. Die Liederfracht ist schwer, aber
+das Herz ist leicht. Die Rosa muß es nun wohl glauben, daß er in der
+Ferne ein liebes Liebchen hat — doch wie es heißt? Sie hätte es gar zu
+gern gewußt. Sie hat geschmollt, weil er ein gar so sprödes Herz besaß,
+und endlich hat sie den Beschließer erhört, denn das war ihr Fehler und
+ihre Tugend, daß sie halt nicht nein sagen konnte!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span></p>
+
+<p>Adieu Rosa, »und wenn Sie es durchaus wissen wollen, wie mein liebes
+Liebchen heißt, so sei es jetzt gesagt: Wien heißt es, Wien, das
+geschmähte, verlassene, verwünschte — vor allem aber geliebte und mit
+Sehnsuchtsgedanken behütete!«</p>
+
+<p>Rosa lacht und dreht ihm den Rücken.</p>
+
+<p>Als Franz beim Schwager vorne saß und die lichte Straße in der
+verhaltenen Stimmung eines graublauen Herbsttages hinfuhr, nahm
+er immer wieder einen mit Seidenpapier umwickelten Gegenstand
+aus der Brusttasche, um ihn innig zu betrachten; — eine
+kleine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Wappen darin, ein
+Abschiedsgeschenk der Komtesse Karoline, für das sie das Nadelgeld
+eines ganzen Monats aufgewendet hatte.</p>
+
+<p>So endete ein Idyll, dem ewige Fortdauer beschieden sein sollte, denn
+jedesmal, wenn die Wolken dem Pfeifchen entstiegen, mußte in dem
+seligen Zustand der Entrücktheit ihr Bild in dem bläulichen Flor der
+Wolken aufschimmern.</p>
+
+<p>Er mußte lächeln bei diesem Gedanken — das Herz jubelte der Wiener
+Heimat und den Freunden entgegen, aber in dem Jubel war eine Träne, sie
+galt der heimlich und entsagend geliebten Gräfin Karoline.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="V">V.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Die Freunde sitzen wieder beisammen und singen wie die Jünglinge im
+Feuerofen. »Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal
+des Menschen, wie gleichst du dem Wind!«</p>
+
+<p>Der schwärmerische, geheimnisvolle Ton der Männerstimmen zittert weich
+und kraftvoll, eine tönende Woge, ein sanfter, klingender Hauch, der
+anschwillt wie Orgelgebraus, wie Waldrauschen, wie Bergstromgetos —
+so klingt »der Gesang der Geister über den Wassern«. Die eigentümlich
+ergreifende Schönheit des Männerchors war Schuberts Entdeckung. Aus dem
+Kreis der Freunde wuchs ein Quartett hervor, das sich zuweilen zu einem
+achtstimmigen Chor verdoppelte. Jeden Donnerstag fanden sich die jungen
+Kerle zusammen, um ihrer Singlust zu genügen.</p>
+
+<p>Hier schöpfte Franz die Anregung zu einer neuen Kunstgattung, er war so
+eigentlich der Begründer des Männerquartetts. Jeden Donnerstag mußte
+er neue Noten in der Tasche haben, sonst war es gefehlt. Da fielen
+sie über ihn her: »Was, du hast nichts Neues? Du hast wirklich nichts
+Neues? Schandkerl, wir schlagen dich tot. Mausetot! Noten her oder das
+Leben!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p>
+
+<p>So erpicht waren sie alle auf neue Gesänge. Herrgott, das war ein
+Druck, dem schwer zu widerstehen war. Da mußte die schöpferische Ader
+ergiebig sein, wenn solch gute Geister wachten und die Faulheit zum
+Teufel jagten. Da gab's also keine Ausrede. Vogel, sing' oder stirb!</p>
+
+<p>Jetzt sitzen sie alle da, wollen den Schnabel aufreißen und brauchen
+dazu musikalische Atzung. »Ist doch deine Pflicht, Franzl, dafür zu
+sorgen!«</p>
+
+<p>Ist in tausend Verlegenheiten, der gute Franz, hat an diesem Donnerstag
+richtig nichts in der Tasche. Hat es vollständig verschwitzt, daß
+Donnerstag das Quartett stattfindet und um jeden Preis ein neues Stückl
+singen will. Sie freuen sich ja alle so, die ganze Woche darauf, und
+jeder ist schon neugierig, was er sich denn zum nächsten Male wieder
+zusammengedichtet haben wird, der verflixte Herrgottsmusikant!</p>
+
+<p>Aber dieses eine Mal kommt er wirklich mit leeren Händen. Nicht einen
+Fetzen Noten hat er bei sich. Er sieht das unverhohlene Leidwesen
+seiner Freunde, sie sind enttäuscht — das geht ihm nahe.</p>
+
+<p>»Enttäuschung? — Nein, das sollt ihr nicht erleben an mir! Laßt mich
+jetzt fünf Minuten in Ruh' — dann sollt ihr sehen!« Hat er auch die
+Noten nicht auf dem Papier, so hat er sie doch in der Brust. Ein
+Gedicht trägt er in der Tasche. »Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem
+Finger ....« Das Gedicht hat er sich abgeschrieben. Es ist von einem,
+den sie einmal zu den größten zählen werden. Ein junger Poet, Franz
+kennt ihn nicht und fühlt sich dennoch mächtig zu ihm hingezogen.
+Vielleicht daß<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> Mayrhofer, der Zensurgewaltige, Rat weiß. Doch später,
+später davon! Jetzt das Gedicht und der Gesang! Das Gedicht hat er sich
+aus einem Musenalmanach abgeschrieben, und jetzt sitzt er in der Ecke,
+weltvergessend, bezaubert von den Versen, die Noten fliegen und purzeln
+nur so aus seiner Hand aufs Papier; nach einer Viertelstunde wendet er
+sich zu den Freunden: »So, jetzt haben wir's!«</p>
+
+<p>»Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ...«</p>
+
+<p>Bebend vor verhaltener Glut und Kraft, entfalten sich die blühenden
+Männerstimmen des Quartetts: Leise, leise .. Zuerst wie ein
+schmeichelnder Windhauch, der mit Blättergeflüster und Fliederduft die
+Geliebte umschmeichelt und dann immer stürmischer und drängender — wie
+könnte die Erkorene der werbenden Kraft dieses Ständchens widerstehen?</p>
+
+<p>Eine der blühendsten Schöpfungen ist im Handumdrehen entstanden. So mir
+nichts, dir nichts. Wo er es nur hernimmt, in dieser Geschwindigkeit,
+dieser unglaubliche Franz? Das ist das Rätsel. Gibt es ihm ein Gott
+ein? Wird wohl so sein. Tut unter dem Anhauch eines genialen Dichters,
+eines persönlichen Erlebnisses, eines rätselhaften Drängens in seiner
+Brust die Seele weit und horchend auf, daß die himmlischen Geister des
+Unendlichen auf ihn einströmen. Er hört sie singen, die himmlischen
+Heerscharen um Gottes Thron, oder wenn ihr so lieber wollt, die
+sphärischen Mächte, er hört sie singen draußen in der Unendlichkeit
+und eigentlich tief drinnen in der eigenen Brust, er braucht nur
+hineinzuhorchen in sich und in Noten abzuschreiben, was er drinnen
+hört, und gibt es<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> dann hin — sein eigenes Herz und seine Seele ist
+mit dabei. Ja, seht ihr, so wird's gemacht!</p>
+
+<p>»Teufelskerl, himmlischer, laß dich umarmen!« Schober gebärdet sich wie
+verrückt; der hohe, schlanke, junge Mann hebt den kleinen, untersetzten
+Schubert im Sturm der Begeisterung hoch, wirbelt ihn ein paarmal um
+die eigene Achse herum, auch die anderen müssen ihn stürmisch umarmen,
+sie gebärden sich wie die Tollhäusler. Dann singen sie wieder wie die
+Jünglinge im Feuerofen, im Feuerofen der Liebe, der Freundschaft, der
+Begeisterung.</p>
+
+<p>Man sieht es klar, was diese Freundschaft wert ist. Sind alle junge
+Kampeln, nicht sehr einflußreich, sie können alle zusammen nicht
+bewirken, daß dem armen Schubert aus seiner genialen Schaffenskraft ein
+wenn auch noch so kärglicher Verdienst fließt, wenigstens soviel Lohn,
+als ein Packträger die Woche verdient — sie geben sich alle Mühe, aber
+es gelingt nicht, und wirklich scheint es, als ob die Schöpfung Gottes,
+die so viele unnütze Kostgänger ernährt, gewöhnliche und wertlose
+Kreaturen, nur für den begnadeten Genius, dem Bringer neuer Schönheit
+und neuer Kunst, den Tisch zu decken vergessen hätte. Nicht soviel
+können die Freunde bewirken, daß der gute Franz Kost, Quartier und
+anständige Kleider bestreiten kann — je reicher die Welt an ihm wird,
+desto ärmer ist er.</p>
+
+<p>Die Freunde selbst bereichern sich an ihm, es fließt ihnen soviel
+Schönheit und Kraft von ihm her zu, und sie haben ihren kleinen
+Egoismus dabei. Die meisten von ihnen sind Dichter, Schober, Mayrhofer
+und so weiter, sie wissen, daß der Weg zur Ewigkeit ihrer Schöpfungen
+nur über Schubert geht, der ihre Verse vertont. Andere,<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> wie Vogl und
+Schönstein, glänzen durch den Vortrag der Lieder, aber den Löwenanteil
+des Ruhmes ernten sie selbst. Sie geben sich alle Mühe um Franz, sie
+tun es ja sich selbst zuliebe, nur schade, daß Franz so wenig davon hat.</p>
+
+<p>Es kommt ihm aber auch gar nicht darauf an. Er denkt nicht nach darüber
+— es täte auch gar nicht gut — der Wert der Freundschaft liegt für
+ihn wo anders. Daß er zum freudigen Schaffen so gedrängt und gestachelt
+wird, das verdankt er ihnen. Und das ist das Größte und Wertvollste,
+das er sich wünschen mag. Darin zeigt sich im rechten Sinn, was
+Freundschaft bedeuten kann. Sie macht ihm Mut zu sich selbst, zu
+seinem Können, zu seiner Bestimmung, das ist unendlich mehr als Pump
+und Borgerei. Vor ihren Augen ist er nicht arm, sondern ein großer
+und reicher Geber, von dem sie alle empfangen, und wenn sie ihm auch
+gelegentlich unter die Arme greifen mit dem Nötigsten, was man für den
+Alltag braucht, so ist keine Rede von Leihen und Zurückgeben, sondern
+es ist nur eine kleine Erkenntlichkeit in der geringsten Form, für das
+große Empfangene.</p>
+
+<p>Und wenn sie beisammen sitzen, ist alle Bangigkeit und Schicksalsfurcht
+vergessen, die in einsamen Stunden jeden überkommt, jetzt ist Freude,
+Hoffnungsmut und Überwinderstolz um sie, ein Gastmahl von Königen,
+wenngleich sie nur vom Blatt essen, Wurst in Papier, und dünnes Bier
+dazu trinken. Eine Kraftquelle sind die Freunde für ihn, ein Ansporn
+und eine Seelenzuflucht, aber auch er ist Mutspender und Kraftquelle
+für die Freunde.</p>
+
+<p>Schwind, der tiefe und verstehende, drückt es aus.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p>
+
+<p>»Nichts ist so wichtig für den Künstlermenschen, als zu wissen, wo er
+schöpfen muß. Du gehörst da her, Schubert, wo du zu Haus bist! Zelez
+war nichts für dich! Hier in Wien springen deine Quellen, deine inneren
+Quellen!«</p>
+
+<p>Schubert schmaucht aus dem Meerschaumpfeifchen. Sein Blick geht den
+entschwebenden Wölkchen nach, ein süßes Traumbild will vor seinen Augen
+zerfließen.</p>
+
+<p>»Na na — Zelez hat auch sein Gutes gehabt!« und dabei betrachtet er
+zärtlich sein Meerschaumpfeifchen.</p>
+
+<p>Aber ganz unrecht hat Schwind nicht. In Zelez hat er gelebt wie der
+Mops im Paletot — was war denn dabei herausgekommen? Einige Lieder,
+die von seinen kleinen Schmerzen erzählen. Das Herz der Menschheit ist
+darin, ja, ja, aber die großen Werke, die er sich vorgenommen hat —
+wo sind die geblieben? Zelez war ein Stück längst begehrter sorgloser
+Freiheit — Großes hat er dort gestalten wollen; aber die Zeit zerrann
+unter seinen Händen. Das Große und Neue erstand erst wieder, als er
+daheim war in der geliebten Vaterstadt, wo ihn soviel bedrückte, im
+Kreis der Freunde, die eifersüchtig wachten, daß er sich ja keine Ruhe
+gönne. Hier war ihm wieder der Knopf aufgegangen — warum nicht dort,
+wo die Umstände äußerlich viel günstiger waren? Es ist wirklich der
+Rede wert, er spricht sich mit den Freunden darüber aus.</p>
+
+<p>Der Schwind hat wieder das rechte Wort gefunden.</p>
+
+<p>»Das in Zelez war nicht die Freiheit — das war nicht Herrentum,
+sondern nur versüßter Lakaiendienst, Herr<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> deiner selbst, deiner Zeit,
+deiner Wege bist du hier, wo du keinem Geringeren untertan bist als
+dir selber. Und wenn du hier auch zehnmal nichts hast, so hast du
+doch die Freiheit, zu leben, zu denken, zu reden, zu singen, wie dir
+der Schnabel gewachsen ist. Verhungern wirst du nicht. Also kann dir
+überhaupt nichts geschehen. Der Künstler kann nur einen Herrn über
+sich vertragen, und das ist er selber. Sei du — du, dann ist Gott mit
+dir! Man sieht es ja: was hast du alles aus dem Ärmel gebeutelt in
+den paar Wochen, seit du wieder hier bist. Das sind Gewächse, die im
+Herrschaftshaus zu Zelez nicht gezogen werden können. Dort gedeihen sie
+nicht. Na, hab' ich recht, oder hab' ich unrecht?!«</p>
+
+<p>Recht hat er, der gedankentiefe, romantische und doch so weltkluge
+Schwind. Natürlich hat er recht! Das weiß Schubert ganz genau, so
+gescheit ist er auch; was Schwind sagt, das hat er längst gefühlt.
+Wortlos nickt er ihm zu.</p>
+
+<p>Freilich, ein kleiner innerer Vorbehalt ist dabei. Was Zelez nützte,
+das kann man nicht wissen. Alles Erleben und Umsetzen in Kunst
+vollzieht sich geheimnisvoll. Oft ist die Zeit des Müßiggangs die
+fruchtbarste. Man kann nicht mathematisch nachrechnen, ob ein Eindruck,
+eine Erfahrung auch wirklich befruchtend war. Sie wirkten oft erst in
+der dritten Potenz, mittelbar. Und wenn es nichts weiter war als die
+Zeit der Ruhe, der Entspannung, so war es von um so größerem Wert.
+Seine Kraft hat geruht, seine Gesundheit ist gefestigt, sein Aussehen
+blühend. Sein Vorrat an schöpferischer Essenz vermehrt.</p>
+
+<p>Der Mensch braucht einen gewissen Überschuß, von dem er zehren kann.
+Wer weiß, ob er jetzt soviel neue und herrliche<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> Sachen hätte aus dem
+Ärmel schütteln können, wenn nicht diese kurze Brachzeit vorangegangen
+wäre.</p>
+
+<p>Wenn er so sein Pfeifchen in Brand hält, geht ein Strom von Liebe und
+feurigen Gedanken auf ihn ein. Dieses Pfeifchen ist nicht nur ein
+Nasenwärmer, sondern vor allem ein Seelenwärmer. Und wieviel man ihm
+verdankt an zarten Empfindungen, die wieder ausklingen und in der
+menschlichen Seele einen verwandten Ton erwecken, das ist gar nicht zu
+ermessen. Rosa ist vergessen; sie war von gewöhnlichem Schlag und hatte
+nichts zu geben, was Wert behielt. Aber das Grafenkind — etwas Liebes
+und Feines ging von ihr aus, das spürte er jetzt stärker als früher,
+und das war gut.</p>
+
+<p>Mit diesem Pfeiflein, das Liebe erweckte und die Seele fruchtbar
+machte, konnte man sich nicht mehr arm fühlen, auch wenn man sonst
+nichts besaß. Die kasimirne Hose hatte ihren Glanz längst eingebüßt und
+war ein bißchen zerfranst, die Wäsche, die Frau Mutter geliefert hatte,
+war nicht immer in bester Ordnung gehalten, und das Geld, das man in
+Zelez ersparte, hatte wie immer einen heilen Schweif. Es war nicht zu
+halten.</p>
+
+<p>Der Herr Vater war abermals bös geworden, weil Franz sein herrenloses
+Musikantenleben aufs neue aufnahm, die Verbindung mit dem Elternhaus
+war wieder einmal unterbrochen. Eigenes Heim besaß der Franz nicht,
+er lebte bei Schober in der Tuchlauben, hatte ein Zimmerchen dort mit
+einem Klavier, einen Tisch, ein paar wacklige Sessel, einen Schrank,
+eine Bettstelle, alles sehr dürftig und nicht eben freundlich, denn das
+einzige Fenster<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> des Zimmerchens ging in einen lichtarmen Hof hinaus.
+Man war eben Gast und mußte sich bequemen.</p>
+
+<p>Franz sah übrigens nicht sonderlich auf diese äußerlichen Dinge, wenn
+er nur ein Obdach hatte und schreiben konnte — während der Arbeit war
+er in einer lichtvollen, seligen Welt.</p>
+
+<p>Schober selbst hatte zwei Zimmer nach vorne, ein kleines Schlafzimmer
+und ein gediegenes Arbeitszimmer mit schweren Empiremöbeln, wie es
+einem jungen Bonvivant jener Tage angemessen war. Aber ein prunkvolles
+Arbeitszimmer allein macht nicht glücklich. Auch Schober hatte sein
+Leid, so gut wie Mayrhofer und alle andern. Sie waren tragische
+Freunde, nur mit dem Unterschied, daß jeden der Schuh wo anders drückte.</p>
+
+<p>Schober sprach nicht gern von seiner Kunstreise, es war eine
+Enttäuschung gewesen. Er hatte sich als Schauspieler versucht, aber so
+leicht ging es doch nicht, als er sich's vorgestellt hatte. Er war mehr
+Komödiant des Lebens, spielte den verfluchten Kerl, war unwiderstehlich
+vor den Frauen — aber auf der Bühne versagten die glänzenden
+Eigenschaften des Weltmannes. Es bedurfte dort anderer, grellerer
+Mittel, die ihm nicht zu Gebote standen. Kurz und gut, Schober redet
+nicht gern davon. Er ist begnadeter Dilettant und hat ein neues
+Steckenpferd, das er jetzt mit Hingebung reiten will: den Pegasus. Eine
+neue Lust, noch mehr aber ein neuer Schmerz.</p>
+
+<p>Ein anderer ist, dem die Dichtkunst ebenfalls mehr Schmerz ist als
+Lust: Mayrhofer. Er steht der Literatur nahe von Beruf und aus Neigung.
+Von Beruf aus ist er dazu verhalten, dem Flügelroß die Schwingen
+zu beschneiden,<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> daß es nicht allzu freiheitlich ausgreife und die
+Staatsraison vor den Kopf schlage. So muß er denn von Staats wegen für
+diesen ungezügelten Renner eine Zwangsjacke bereithalten. Das ist sein
+Amt als Zensor.</p>
+
+<p>Der geschworene Feind der dichterischen Freiheit ist aber selbst
+Dichter — hier klafft der Riß. Neigung und Pflicht stehen miteinander
+in Konflikt. Aber Pflicht ist Pflicht. Seine Dichterneigung ist
+Privatsache, sie verstößt nicht gegen sein Beamtengewissen. Täte sie
+es doch! Hier ist der tragische Punkt in seinem Leben. Er fühlt es
+dunkel: als Dichter lebt er aus zweiter Hand. Der Quell rauscht nicht
+in seinem Innern, er trinkt aus fremden Bechern. Er ahmt nicht nach,
+aber es fehlt ihm doch das Echte, Ursprüngliche. Was er schreibt, ist
+Almanachpoesie. Sein Leben krankt daran. Sein Geist versinkt oft in
+trübe Melancholie — wenn Schubert nicht wäre, o Leben, es wäre zum
+Verzweifeln!</p>
+
+<p>Aber Schubert gibt den lahmen Versen Flügel. »Gib uns ein Stück von
+dir!« So meint Mayrhofer und meint Schober. Vielleicht wäre dann
+jeder ein ganzer Dichter. Schober findet für das, was ihm fehlt,
+einen inneren Ausgleich durch seine gesellschaftlichen Triumphe. Er
+lebt als Mann des guten Geschmacks, der angenehmen Geselligkeit,
+des Kunstverständnisses, des Sammlers — auch ein Beruf. Er sammelt
+Spazierstöcke und ist Schuberts Freund — bei Gott, es gibt sehr viele
+Menschen, die weniger leisten.</p>
+
+<p>Bei Mayrhofer sitzt der Stachel tiefer. Zensor zu sein, ist keine große
+Ehre, besonders wenn man selber Dichtersmann sein will. Er ringt um
+den Segen der Muse: »Ich<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> lass' dich nicht, es sei denn ....« Aber die
+Muse verhüllt schamhaft ihr Angesicht vor ihm, sie wendet sich ab,
+mehr erschreckt als beglückt von seinen gewalttätigen Liebkosungen.
+Verbitterung bemächtigte sich seines Gemüts; darunter begannen auch die
+Freunde zu leiden, besonders Schubert.</p>
+
+<p>Franz liebte den Freund; der war um so und so viele Jahre älter, sehr
+belesen, tief und ernst angelegt, krankhaft ehrgeizig und wunderlich
+durch seine unselige Leidenschaft zur Poesie. Als Dichter erging es
+ihm so wie früher als Priester, er hat es nie zu den letzten Weihen
+gebracht. Um so härter war er im Urteil über andere. Das war nun gar
+nicht nach Schuberts Sinn.</p>
+
+<p>Mayrhofer hatte allerlei zu kritisieren an den Versen: »Leise, leise
+...« Spürte er den kommenden Genius, den er leugnen wollte, weil er
+klein gegen ihn erscheinen mußte?</p>
+
+<p>»In diesem Punkte gehen unsere Wege auseinander!« erklärte Schubert
+resolut. Und bewies, wie herrlich die Verse seien, aus echtem Gefühl
+entsprungen, aus einem Guß. Das verstimmte Mayrhofer noch mehr. Er
+vergrub sich in Trotz und Einsamkeit und ließ sich tagelang nicht
+sehen. Dann kam er wieder — er brauchte ein Stück Schubert, ein
+bißchen Illusion, neue Hoffnung auf Gelingen, sonst war das Leben
+nichts wert. Aber alles, was recht ist — in diesem einen Punkt mußte
+man Franz nachgeben: er duldete nicht, daß man gelungene Leistungen
+anderer heruntersetzte.</p>
+
+<p>Mit Spaun und Hüttenbrenner betritt Mayrhofer Schuberts Klause in der
+Tuchlauben. Sie finden ihn eben<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> dabei, als er die »Wanderlieder« von
+Kreutzer durchspielt.</p>
+
+<p>»Laß das Zeug,« sagt Hüttenbrenner, »und sing' uns lieber ein paar
+Lieder von dir!« Das ist auch die Meinung der anderen.</p>
+
+<p>Sind aber schön angekommen alle Drei. »Wie kann man so ungerecht sein?
+Die Lieder sind sehr schön, ich wollte, ich hätte sie geschrieben!«</p>
+
+<p>So war er; er war zu sehr ein Eigener und war zu reich an Können und
+Gemüt, als daß er auf andere hätte scheel hinsehen mögen. Er vergönnte
+jedem das Seine und war eher zu einem Lob als zu einem Tadel bereit.</p>
+
+<p>So wäre es ja ein ganz sorgloses Dasein gewesen, man hätte guter Dinge
+sein können und war es ja auch, wenn man mit den Freunden beisammen saß
+und die Leistung der arbeitsreichen Tagesstunden zum besten gab. Da war
+die Sorge und die Furcht vor dem Morgen und Übermorgen verscheucht,
+aber freilich nur so lange, bis der Alltag mit seinen niederen,
+hundsgemeinen Anliegen anklopfte.</p>
+
+<p>Aber der Alltag ist schon ein solcher ruppiger Gesell, ein
+Beutelschneider, der einem schwer auf dem Geldsack liegt und alle fünf
+Minuten andere Forderungen hat. Er katzenbuckelt, ein grinsender Lakai,
+wenn man wie ein gnädiger Herr tief hineingreifen und die Goldstücke
+springen lassen kann; er wird sackgrob wie ein Packträger, aufdringlich
+wie ein Schuldenmahner und unverschämt wie ein Skandalmacher, wenn man
+mit den Moneten nicht nachkann.</p>
+
+<p>In aller Früh schon geht es an. Ein Blick in den Spiegel, der stellt
+sofort die unverschämt vertrauliche Frage:<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> Herr von Schubert, wollen
+Sie sich nicht vielleicht zum Bartscherer verfügen, gleich links um
+die Ecke in der Naglergasse? Es wäre schon die höchste Zeit! — Aus
+notgedrungener Sparsamkeit denkt man, es hat Zeit bis morgen, und geht
+den ganzen Tag herum wie ein Gezeichneter, ein Sträfling, dem die
+Stoppeln im Gesicht stehen. Oder der Spiegel sagt: Herr von Schubert,
+frische Wäsche — ein unsauberer Kragen, ein zerknittertes Hemd, beide
+kleiden schlecht!</p>
+
+<p>Ja freilich — wo ist denn die Büglerin geblieben, die vor acht Tagen
+die Wäsche hätte bringen sollen? Es wird doch nicht wegen der lumpigen
+Rechnung sein, die schon zweimal stehen geblieben ist? Läuft man denn
+davon, ist das Geld nicht sicher? Ungehöriges Mißtrauen! Soll man
+deswegen herumrennen wie ein Schwein? — Aber so ist der Alltag: wer
+nicht zahlen kann, der soll sich schämen, über die Straße zu gehen.</p>
+
+<p>Im Gasthaus, im Café hat man ja etwas Kredit. Ab und zu verdient man
+auch ein paar Groschen, es wird diese oder jene kleine Komposition
+bestellt, Kirchensachen, na, das wirft ja gerade soviel ab, um kleine
+Schulden zu bezahlen, dann lebt man wieder weiter — auf Kreide.</p>
+
+<p>Aber was man notwendig braucht, Theater und Konzert, das kann man nicht
+auf Pump nehmen. Und teuer sind die Eintrittskarten — als ob wirklich
+nur reiche Leute ein Kunstbedürfnis hätten, wenngleich es unter den
+Freunden ausgemacht ist, daß sie von dem wahren Wesen der Kunst am
+wenigsten verstehen.</p>
+
+<p>Abends singt die Milder in der Hofoper. Bei dem Wort Milder wird allen
+wonnig zumut. Der Vogl und die<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> Milder. Höheres gibt es nicht in der
+dramatischen Gesangskunst. In diesem Urteil sind die Freunde einig.</p>
+
+<p>Was die Milder betrifft, so kommt noch hinzu, daß neben der Künstlerin
+auch das Weib zur Begeisterung und leidenschaftlichen Verehrung
+entflammt. Sie war früher in Wien und ist jetzt in Berlin; sie kommt
+nur mehr gelegentlich als Gast an die Wiener Hofoper. Schober kennt sie
+aus seinen oberflächlichen Beziehungen zum Theater; er hat ihr einige
+Lieder Schuberts geschickt und besitzt einen sehr herzlichen Brief
+von ihr; tagelang geht die Schwärmerei um die Sängerin, doch so, daß
+die Aufzählung ihrer weiblichen Reize den größeren Teil ausmacht und
+fast wichtiger scheint, als die Bewertung ihrer unzweifelhaft großen
+künstlerischen Mittel.</p>
+
+<p>Wenn es von einem Frauenwesen hieß: »Du, die hat Augen wie die Milder,«
+oder: »die lächelt ein Mildersches Lächeln,« so bedeutete es soviel,
+als daß die Betreffende eine ausgemachte Schönheit sei und daß man
+nichts Eiligeres zu tun hätte, als sich Hals über Kopf unglücklich in
+sie zu verlieben. Wer es nun immer war, ein Kind der Dienstbarkeit,
+ein Mädchen aus dem Volke, eine Dame der Gesellschaft, man sah sie nur
+mehr durch diese Augen oder durch dieses Lächeln, und dann waren alle
+unsterblich in sie verschossen. Darin glich einer dem andern.</p>
+
+<p>Die Abende, an denen die Milder sang, zu versäumen, wäre eine solche
+Kardinalsünde, daß man dafür verdiente, in der Hölle zu schmoren. Das
+Leid darob wäre für den armen Schubert eine dreifache Hölle gewesen;
+der muß ein so frommes Gemüt, wie er, zu entgehen<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> wissen. Also muß
+Freund Schober für die Billette aufkommen.</p>
+
+<p>»Aber selbstverständlich, lieber Freund!« Er ist immer so nett, der
+scharmante Schober. Es ist freilich etwas dabei, das dem Franz gegen
+den Strich geht. Er ist und bleibt empfindlich. Ein so harter und
+schwieliger Schuldenmacher zu werden, der kaltblütig alles für sich
+begehrt, ohne Entgelt, das kann er nicht.</p>
+
+<p>Er leidet immer mehr unter dem Druck der Verhältnisse. Schober weiß es
+nicht, er hätte es ihm gewiß ausgeredet. Aber es ist nicht die Art des
+Franz, sich über so heikle Dinge zu erschließen. Nur zu Schwind äußert
+er sich gelegentlich und nur ganz beiläufig; denn zu Schwind kann er
+reden wie zu sich selbst, der steht ihm innerlich am nächsten, mit ihm
+ist er am meisten verwandt, sie sind beide gleich arm an Gut und Geld
+und gleich reich an Kunst und gleich groß an Gefühl.</p>
+
+<p>»Nicht wahr,« hebt Franz an, »man kann bei einem guten Freunde wohnen,
+man kann sich bewirten lassen, aber man kann nicht das Taschengeld von
+ihm nehmen, man kann nicht seine Stiefel anziehen, man kann nicht seine
+Beinkleider tragen — mit einem Wort, man kann sich von ihm weder ein
+Gewand schenken lassen, noch auf seine Kosten einen neuen Anzug machen
+lassen ....«</p>
+
+<p>Schwind versteht ihn, bei dem bedarf es nicht vieler Worte, der weiß
+um alle Lebensnot und Künstlersehnsucht, und wenn beide in Schweigen
+beisammen sitzen, so geht ein Strom von Trost und Linderung von einem
+auf den andern über.</p>
+
+<p>Einsam ist jeder, aber es tut wohl zu wissen, daß der<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> Mitbruder in der
+Zelle nebenan um alle Gebundenheit dieses Erdendaseins weiß und mit
+seinem Mitgefühl nahe ist. Auch darin liegt etwas von der Kostbarkeit
+der wahren Freundschaft.</p>
+
+<p>Die Abende in der Oper gleichen dem Traum vom Paradies. Die Musik ist
+Blech, die Bühne ist Pappendeckel, die Sänger und Sängerinnen sind
+beschmierte Larven, aber Leben, Schönheit, Wohlklang, Seele bekommt
+alles erst, wenn die Milder auf der Szene steht. Wenn sie geht, sinkt
+alles wieder in die nichtige Armseligkeit zurück. Wenn sie singt, dann
+fällt alles Weh ab, man vergißt, daß man ein unruhig klopfendes Herz
+hat, einen brummigen Schädel von der Hitze, brennende Augen von der
+schlechten Beleuchtung, einen knurrenden Magen und andere menschliche
+Übel; man fühlt sich in einer beglückenden Seelengemeinschaft mit der
+schönen Besitzerin dieser herrlichen Stimme, dieser strahlenden Augen
+und dieses berückenden Lächelns, und hat nur das eine dumpfe Bedauern,
+daß, wenn sie jetzt von der Szene abgeht, alles nur holde Lüge war,
+und daß man wieder in Dumpfheit und Verlassenheit allein dasteht,
+ein armseliger Schlucker, beschwert mit einer großen, unerfüllbaren
+Sehnsucht.</p>
+
+<p>Nach der Vorstellung soll Schubert, von Schober geführt, in der
+Garderobe der Künstlerin erscheinen. Sie will den Schöpfer der Lieder
+kennen lernen, die sie in Berlin gesungen und mit denen sie viel
+Aufsehen gemacht hat.</p>
+
+<p>Als Schober sich nach dem Freunde umsieht, war der weg. Einfach
+entwischt. »Was ist das für eine Art? Was wird die Milder dazu sagen?«</p>
+
+<p>Schober ist außer sich. Er kann die Torheit nicht begreifen.<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> Zuerst
+Sehnsucht, Begeisterung, Schwärmerei, man könnte sagen Verliebtheit,
+und wenn es drum und drauf ankommt, reißt er aus und versteckt sich wie
+ein furchtsames Knäblein. »Schämen soll er sich!«</p>
+
+<p>»Das verstehst du eben nicht!« erklärt Schwind, dem die
+draufgängerische Art Schobers zuwider ist. »Ich an seiner Stelle hätte
+es genau so gemacht.«</p>
+
+<p>»Was gibt es da zu verstehen? Feigheit ist es, Mangel an guter Art,
+Launenhaftigkeit ....« Nein, Schober versteht es wirklich nicht. Aber
+Schwind versteht es, der blickt tiefer und erkennt Zusammenhänge, die
+der andere nicht ahnt.</p>
+
+<p>Anna Milder ist abgereist. Ein neuer Stern ist auf dem Horizont der
+Freunde aufgetaucht, Therese Puffer. Sie ist eine der eleganten Frauen,
+die in den Wiener Salons verkehrt, wo Musik gepflegt wird. Sie ist
+Konzertsängerin, aber nicht aus Beruf. Die Kunst ist nicht der Zweck,
+sondern vielmehr der Schmuck ihres Lebens.</p>
+
+<p>Die Freunde streiten, wer schöner sei, die Milder oder die Puffer.</p>
+
+<p>»Die Milder hat eine schönere Stimme!« sagt der eine. »Aber die Puffer
+hat die edlere Gestalt!« meint der andere. »Die Augen hat sie von der
+Milder!« entscheidet der Dritte. »Nein, das Lächeln hat sie von ihr!«
+behauptet der Vierte.</p>
+
+<p>»Jedenfalls verdient sie, daß man sich so unglücklich als möglich in
+sie verliebt!« erklärt der kundige Schober. Es war gar nicht nötig,
+das erst zu sagen, denn heimlich träumt schon jeder von ihr. Schwind
+zeichnet sie als Melusine, Franz gedenkt ihrer in seinem Lied »Des<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span>
+Schäfers Klage ...« »Da stehet von schönen Blumen, da stehet die ganze
+Wiese so voll; ich breche sie, ohne zu wissen, wem ich sie geben soll.
+Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum. Die Türe
+dort bleibet verschlossen; doch alles ist leider ein Traum ..«</p>
+
+<p>Die Türe dort bleibt verschlossen .... Nämlich die Türe vom »roten
+Igel«, dem Vereinshaus, wo Konzertabend ist. Da drinnen hinter
+den hellerleuchteten Bogenfenstern mit weißen Sprossen, die wie
+Sonnenstrahlen ausgreifen, sitzt eine erlesene Gesellschaft; Therese
+Puffer singt. — Was singt sie? Ein Lied von Schubert. »Und Regen,
+Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum ....«</p>
+
+<p>Die schöne dunkle Frauenstimme breitet ihren weichen Flor über die
+entzückten Hörer, auf den einsam Lauernden draußen fällt noch ein
+verwehender Klang ab. Der steht draußen und paßt an der Tür, und nun
+bricht der Sturm los, Händeklatschen und Beifallsjubel der Menge.</p>
+
+<p>Der Beifall will nicht enden, er schwillt an wie ein Orkan, und da ist
+ihm, als ob er in dem Brausen seinen Namen hörte.</p>
+
+<p>In der Tat, sie rufen drinnen nach ihm! Schubert soll sich zeigen! Sie
+klatschen wie wütend, sie schreien seinen Namen, sie trampeln mit den
+Füßen. Er steht draußen und weiß nicht, ob er fliehen soll oder in den
+Saal hineineilen. Es drängt ihn zur Flucht — ganz wie neulich, als er
+die angebetete Milder hätte sehen sollen. Warum, Warum? Schwind hat es
+begriffen. Der — ja, dem ist nichts Menschliches fremd.</p>
+
+<p>Franz sieht sich bei dem armen Öllicht, das vor der Tür hängt, prüfend
+von oben bis unten an, ehe er es wagen<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> würde, auf die Klinke zu
+drücken, prüft genau seine abgetragenen Schuhe, seine verknitterte
+Hose, seinen schäbigen Rock — nein, nein, um keinen Preis da hinein!
+Er will fliehen, sich verstecken — die Armut bedrückt ihn, er mag sich
+den Leuten nicht so zeigen, wie es wirklich um ihn steht.</p>
+
+<p>Das ist es, was Schwind sofort verstanden hat, und was Franz doch nicht
+sagen wollte aus seelischer Schamhaftigkeit. Und diese Schamhaftigkeit
+hält ihn jetzt wieder ab, dem Ruf zu folgen. »Und Regen, Sturm
+und Gewitter verpass' ich unter dem Baum — die Türe dort bleibet
+verschlossen, doch alles ist leider ein Traum.«</p>
+
+<p>Franz will fort, und doch ist es, als ob der Lärm drinnen eine magische
+Gewalt über ihn hätte, die ihn festbannt. Er bleibt stehen wider
+Willen, lauschend auf das, was nun kommt, auf das Stühlerücken und
+das Stimmengewirr — und da fliegt schon die Türe auf, ein blendender
+Lichtkegel fällt in die dunkle Straße, ein Strom von Menschen quillt
+hervor mit erhitzten, geröteten Gesichtern und befeuerter Seele; er
+hat gerade noch soviel Zeit, sich unter das dunkle Gesims zu ducken —
+die festlich gestimmten Frauen und Mädchen gehen vorbei, die schwärmen
+von Schuberts Lied, aber ihn kennen sie nicht, sie gehen achtlos an
+ihm vorüber, die eine oder andere schaut gleichgültig den wildfremden
+und unscheinbaren Menschen an, niemand hat eine Ahnung, daß er es ist,
+von dem sie schwärmen, und den sie sich wahrscheinlich ganz anders
+vorstellen, als jungen, verklärten Helden im himmelblauen und rosaroten
+Licht.</p>
+
+<p>Das Glück ist mit Weh gemischt wie immer; die Freude<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> über den Erfolg
+und die kleine Bitternis, mit seiner Person im Dunkeln stehen zu
+müssen — Armut ist ein brennendes Hemd, und wer damit bekleidet ist,
+zeigt sich nicht gern vor Menschen. Vielleicht wäre man schon weiter
+in der öffentlichen Gunst und in der äußeren Wohlfahrt, wenn man es
+besser verstände, sich öffentlich zu zeigen, sich zu inszenieren, den
+Tageshelden zu spielen — aber just das ist ihm verwehrt. Vogl hat
+recht: »Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan!« Das heißt
+mit anderen Worten: Sie werden es in dieser Welt schwer haben, sich
+durchzusetzen. Sie werden für Ihre Kunst leiden und ihr zuliebe die
+Märtyrerkrone tragen müssen — wie übrigens jeder echte Künstler, der
+das Tiefste geben will.</p>
+
+<p>Aber Franz hat nicht Zeit, nachzudenken, alles das liegt keimhaft in
+seinem Gefühl, im winzigen Aufleuchten eines Augenblicks offenbart
+sich ihm diese ganze Erkenntnis. Dort hört er schon eine wohlbekannte
+liebe Stimme, die sagt: »Ich möcht' doch eigentlich wissen, wo der
+Kerl steckt! Wenn mich nicht alles täuscht, so ist es eine heimliche
+Liebschaft!«</p>
+
+<p>Der so daher redet, das ist ein ganz Feiner, der selber bis über den
+Kopf in den Techtel-Mechteln steckt. Der Anselm Hüttenbrenner ist
+es, und zu dem er es sagt, das ist der Salonlöwe Schober. Sie kommen
+als die Letzten heraus. Jetzt ist das Entrinnen schwer. Im nächsten
+Augenblick mußten sie ihn entdecken. Da ruft schon der Schober freudig
+aus: »Da ist er ja!« Und eine süßflötende Frauenstimme wiederholt
+entzückt: »Da ist er ja!« Es<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> ist die Stimme der Melusine, die sich in
+Begleitung der beiden Ritter befindet: Therese Puffer.</p>
+
+<p>Von den Freunden ans Licht gezogen, steht er nun vor der Schönen und
+ist ganz behext von ihren sprechenden Augen und ihrem zauberhaften
+Lächeln. Er will etwas stammeln, ein paar Worte des Dankes, und geht
+auf sie zu, sie aber, noch ganz beglückt, förmlich berauscht von dem
+Triumph, den sie nicht nur ihrer Schönheit, sondern diesmal ganz
+bestimmt den Schubertschen Liedern verdankt, breitet unwillkürlich die
+Arme aus und ruft in überströmender Gefühlsseligkeit: »Es war zu schön,
+ich kann nicht anders, ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.«</p>
+
+<p>Ein paar volle Arme, weich und rund, ein stürmisch atmender Busen,
+graublaue Nixenaugen, so tief, daß man schwer zurückfindet, ein seltsam
+verlockendes Lächeln, ein blühender Mund — für den Augenblick ist
+Franz in diese Herrlichkeiten hineingesunken — ach, es war nur ein
+einziger, winziger Augenblick, und dann war es vorbei — beide waren
+etwas verlegen, Franz über und über rot — so muß dem Adam im Paradies
+zumute gewesen sein.</p>
+
+<p>Gern hätte er die ewige Seligkeit hingegeben für die Wiederholung
+dieses Augenblicks, der ein ganzes Paradies erschloß, aber es war nun
+einmal vorbei, die schöne Fee Melusine, wie sie unter den Freunden
+genannt wurde, faßte sich rasch und ward wieder ganz Dame. Es nützte
+also nichts, daß die beiden Kavaliere Schober und Hüttenbrenner für
+sich eine ähnliche Gunst begehrten.</p>
+
+<p>»Es hat dem Künstler gegolten!« sagte sie und verstand<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> es
+vortrefflich, die aufflammende Begehrlichkeit der beiden Ehrenkavaliere
+in Schranken zu halten. Oder wenn das Feuerlein gar zu sehr unter
+die Asche kroch, soweit zu schüren, daß sie wieder in sanftem
+Glühen standen. In diesem Zustand des Glühens wußte sie die ganze
+Männergesellschaft zu halten. Wenn aber irgendeiner in verheerenden
+Brand auszuarten drohte, dann hatte sie auch die kalte Dusche bereit.</p>
+
+<p>»Sie ist eine Kokette!« behauptete Schober ärgerlich und verriet
+dadurch, daß er nichts erreicht hatte.</p>
+
+<p>»Sie hat ein Fischherz!« lästerte Hüttenbrenner, der noch empfindlicher
+abgeblitzt war.</p>
+
+<p>»Sie ist eine Donaufrau,« sagte Schwind, »nixenkühl und gefährlich.
+Sie trinkt Seelen aus!« Die Seele hat er dazu gegeben, der sie als
+Melusine zeichnete, und einen Ritter dazu, der unter Felsen und
+seltsam verschlungenen Baumwurzeln am träumerischen Waldquell ihrer
+Stimme lauscht. Der Ritter war er selber, verloren an die romantische
+Melusine. Schubert sagte nichts. Sein Herz stand in weißer Glut. Der
+selige Augenblick war kurz, aber die Erinnerung blieb — ein heißer
+Quell, bis ans Lebensende wird er ihn nicht vergessen. Und der heiße
+Quell drängt brausend empor, wird Lust, wird Leid und wird Genesung.</p>
+
+<p>Der Winter vergeht, der Frühling ist da, mit lichtgrünen Händen winkt
+der traumhäuptige Wienerwald in die Stadt herein, winkt und winkt,
+daß einem ganz eng ums Herz wird. Die Mauern sind eine drückende
+Umschnürung, man will wieder frei atmen können, atmen mit dem<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span>
+Windhauch auf wogenden Wiesen, atmen mit dem tiefen Waldaufrauschen!
+Hinaus, hinaus!</p>
+
+<p>»Morgen ist Lämmerhüpfen bei der Karoline Pichlerin,« berichtet
+Schober, »fünfzig junge Mädchen, weiß wie Schnee und rosenrot — die
+Pichlerin läßt dich grüßen, du sollst kommen. Also Franz, sei kein
+Narr, das sind Menschen, die du brauchst, lauter junges Mädchenvolk
+mit Klavierfingern und Piepsstimmen und Herzen wie Vogelnestern, darin
+deine Liedlein nisten können. Also komm' und leg' deine musikalischen
+Kuckuckseier hinein!«</p>
+
+<p>»Laßt mich in Ruh'! Soll ich die Augen verdrehen und Süßholz raspeln?
+Soll ich affig tun und gespreizt und geziert Menuett tanzen, hab' ich
+diese fade und lächerliche Mode nicht längst auf der Weste? Also,
+lieber Freund, geh' nur allein, wenn du es nicht lassen kannst!«</p>
+
+<p>Nein! Da müßt' man schon ein Zierbengel sein wie der gute Schober
+selber, um Gefallen darin zu finden, vor allem müßte man was
+Anständiges anzuziehen haben, und das hat man eben nicht. Aber der
+liebe Himmel weiß am Ende vielleicht doch, warum er dem Franz aus
+einem so lächerlichen und rein äußerlichen Grund vielerlei Entsagung
+auferlegt. Die Vorsehung verschließt ihm viele Wege und treibt ihn
+auf andere, wo vielleicht mehr für den inneren Menschen zu holen
+ist, und der Künstler eine größere Ausbeute gewinnt als im seichten
+Gesellschaftsgetriebe. Was haben einem die Leute zu sagen? Nichtige
+Schmeicheleien — die vom wahren Wesen der Kunst was verstehen, die
+sind doch sehr selten.</p>
+
+<p>Es treibt ihn von den Menschen weg hinaus zum Stadttor, wo ihm der
+Petrus den grünen Schlüssel gibt; dort<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> bedarf es keiner schönen
+Kleider, keiner Geckerei, keiner Komplimente, dort kann man sein, wie
+man mag, dort ist man mit sich und seinem Gott allein. Und wenn einen
+Gott recht lieb hat, dann gibt er einem ein herziges Mädel dazu. So
+gehörte sich's zur waldgrünen Einsamkeit.</p>
+
+<p>Ein herziges Mädel — er wüßte schon eins. Hat Augen wie die Melusine,
+lacht ebenso, nur Kuß hat sie ihm noch keinen gegeben. Aber das kann
+kommen. Eine große Schranke ist zwischen ihm und Melusine, und alle
+Sehnsucht fliegt nicht drüber, wohin also Herz mit deiner Liebe? Da muß
+man sich schon an einfachere Kost halten, die Kinder des Volkes sind
+nicht so gespreizt, und schön sind sie auch, ebenso schön, und haben
+solche Augen und ein solches Lächeln. Das ist Fanny im Wirtshaus am
+Himmel.</p>
+
+<p>»Eine Mühle seh' ich blinken aus den Erlen heraus ..«</p>
+
+<p>Wenn es auch keine Mühle ist, so sind es doch die Erlen am Bach; und
+ist nicht Rädergebraus, so ist doch Blätterrauschen ums trauliche Haus,
+und die Fenster sind blank, und Fannys Augen sind so licht, so licht
+und klar wie die Blumen am Bach. »Ich frage keine Blume, ich frage
+keinen Stern, sie können mir alle nicht sagen, was ich erführ so gern.
+Ich bin ja auch kein Gärtner, die Sterne stehen zu hoch, mein Bächlein
+will ich fragen, ob mich mein Herz belog ...«</p>
+
+<p>Er wandert mit Müllerliedern im Herzen, er gibt ihnen Klang und Ton und
+denkt dabei an Fanny.</p>
+
+<p>»Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in
+jeden Kieselstein, ich möcht' es sä'n auf jedes frische<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> Beet mit
+Kressensamen, der es schnell verrät, auf jeden weißen Zettel möcht'
+ich's schreiben ....«</p>
+
+<p>Nur seinem Mund gebietet er Schweigen.</p>
+
+<p>»Und ich bleibe dabei, der hat eine heimliche Gspusi,« schwört Stein
+und Bein der ewig in Liebesnöten schmachtende Hüttenbrenner; »so tut
+nur einer, der irgendwo ein Mädel hat und es nicht anschaun lassen
+will, Duckmauser, vertrackter!«</p>
+
+<p>Aber der Franz verrät nicht, mit wem er geht.</p>
+
+<p>Er blinzelt nur listig aus seinen Brillengläsern hervor. »Mit wem ich
+geh'? Mit wem sonst als mit meinem Stecken, mein Wanderstecken ist mein
+Gespons!« und lächelt wieder so listig, daß ihm die anderen erst recht
+nicht glauben.</p>
+
+<p>»Du kannst mir's ja sagen, was du für ein Pantscherl hast!« drängt der
+Hüttenbrenner, bringt aber nichts heraus und gibt schließlich selber
+zu: »Gib einem guten Freunde dein Leben in die Hand, deine Ehre, dein
+Gut und Geld — er wird dich nicht betrügen und belügen; gibst du ihm
+aber dein Mädel zum Pfand, dann mach's Kreuz drüber!« Er muß es wissen,
+er hat Erfahrung, der lockere Zeisig! Das hat Franz aber ohne ihn
+gewußt und hat fein geschwiegen dazu.</p>
+
+<p>Am Hof steht der gelbe Wagen, mit dem fährt man hinaus ins Ätherblaue.
+Fährt oft hinaus, der stille Franz, und vergißt darob manche Einladung
+bei guten Leuten, denen er auf vieles Drängen zugesagt hat, und weiß
+gar nicht, wo er die Entschuldigungen hernehmen soll. »Ach, wenn Sie
+wüßten, wie unmöglich es mir gemacht wurde,<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> Sie würden mir gewiß
+verzeihen!« Der liebe Gott, der die Verliebten zusammentreibt, der weiß
+es, das genügt!</p>
+
+<p>Sitzt also Franz in dem gelben Rumpelkasten und fährt ins Land der
+Liebe, daß ihm alle Knochen wehtun. Unterwegs springt er aus: »Halt!
+Muß schauen, was die Frau Mutter macht!«</p>
+
+<p>Und biegt in die Säulengasse ein, nachmittags, wenn der Herr Vater
+Schule hält. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Aber die Frau
+Mutter, die hat allemal ein paar Taler im Strumpf, und da fällt für
+einen armen, notleidenden Musikanten immer etwas ab.</p>
+
+<p>»Schau' nur, daß dich der Vater nicht sieht! Aber wart', auf ein
+Schalerl Kaffee kannst noch sitzen bleiben!«</p>
+
+<p>So bleibt er noch sitzen auf die Länge eines Schalerl Kaffee. Hätte
+sich aber beinahe verplaudert, Himmelfix ...! Guckt richtig der Herr
+Vater bei der Tür herein.</p>
+
+<p>»Ja schau', der Herr Franz!« Diese förmliche Anrede bedeutete nichts
+Gutes. Und bald geht's los aus einem anderen Ton.</p>
+
+<p>»Ist doch zum Disparatwerden!« jammert der Alte. »Daß die Kinder so
+verschieden sind und daß grad' du daneben geraten mußt. Franz, Franz!«
+Der Alte greift sich an den grauen Schädel und tanzt vor ihm herum.</p>
+
+<p>»Sind doch keine zwei Menschen gleich auf der Welt, warum sollen denn
+die Kinder nicht verschieden sein, jedes auf seine Art ....?! Ist
+deswegen noch lange keine Ursache, von daneben geraten zu reden!«
+wehrt sich der Sohn. Dann mault wieder der Alte. Aber der Sohn beharrt
+eigensinnig: »Ist doch ein Glück, daß die Menschen<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> verschieden auf
+die Welt kommen und nicht alle gleich wie die Rechenpfennig, muß daher
+jedes auf seine eigene Art werden und gehen, wohin es jedes treibt.
+Bringt doch jedes sein eigenes Schicksal mit auf die Welt, das muß doch
+der Herr Vater endlich einsehen! Menschen sind keine toten Sachen,
+mit denen man beliebig schaltet und waltet .... und so ist es mit den
+Kindern. Die sind auch kein Eigentum, mit dem man beliebig verfährt,
+vielmehr sind sie den Eltern vom Himmel verliehen worden mitsamt der
+Pflicht, darauf zu achten, daß jedes in der ihm eigenen Richtung
+wachsen kann und darf.</p>
+
+<p>Ja, Herr Vater, der liebe Gott weiß schon, was er will, und was der
+Mensch als sein Eigenstes hat, das hat er nicht vom Herrn Vater und
+nicht von der Frau Mutter, das hat ihm schon der liebe Gott gegeben,
+und zwar vom Mutterleib an. Oder soll der Herr Vater das Geheimnis
+von der wahren göttlichen Empfängnis nicht verstehen, das sich immer
+und immer wieder bei jeder Mutter vollzieht?! Habt ihr mir das Talent
+gegeben, hat es irgend jemand in unserer Familie gehabt? Nein. Es ist
+mir geworden, wie dem Menschen überhaupt je die Gaben werden — das
+wird kein Sterblicher ergründen! Es ist nicht immer leicht, dem Guten
+zu dienen, das einem im Leben vorgezeichnet ist — macht mir's nicht
+schwerer, als es ist, Herr Vater!«</p>
+
+<p>Der Alte war fassungslos über diese Rede. Es muß etwas dabei gewesen
+sein, das jeden Widerspruch erstickte — er wußte es nicht, was man
+darauf sagen sollt', und weil ihm wirklich nichts Rechtes einfiel, und
+der<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> väterliche Respekt doch irgendwie den Schein retten wollte, so tat
+er ganz erbost und stapfte aus dem Zimmer hinaus.</p>
+
+<p>»Jetzt hast ihn aber wirklich bös gemacht, Franz — aber ganz unrecht
+hast du nicht in dem, was du sagst ...«</p>
+
+<p>Die Mutter, die selber ein Kind unter dem Herzen trug, war
+empfänglicher für eine große, einfache Wahrheit.</p>
+
+<p>Franz ging; er litt, weil der Vater litt — aber die Wahrheit mußte
+heraus, und bei allem Leid war es ihm leichter ums Herz.</p>
+
+<p>Der Flieder duftet, ein Vogel singt, und draußen am Sieveringer
+Bach singt auch schon das eigene Herz: »War es also gemeint, mein
+rauschender Freund? Dein Singen, dein Klingen war es also gemeint?
+Zur Müllerin hin! so lautet der Sinn. Gelt, hab' ich's verstanden?
+Zur Müllerin hin! Hat sie dich geschickt, oder hast mich berückt? Das
+möcht' ich noch wissen, ob sie dich geschickt, ob sie dich geschickt.
+Nun, wie's auch sein mag, ich gebe mich drein, was ich such', ist
+gefunden, wie's immer mag sein ....«</p>
+
+<p>Ja, in Sievering, da ist's zaubervoll! Da ist der Wind ein Kuß, da
+rauscht in den Brunnen der Wein, da schaut die Liebe aus jedem Fenster
+heraus, aus jedem blauen Äuglein! Da kommen ihm schon die alten
+Weiber entgegen, die Lotterieschwestern vom Agnesbründl, mit bunten
+Papiermützen auf dem Kopf, das Gesicht voll Rausch, und gewinstsichere
+Lotterienummern in der Tasche, die sie nachts in der Quelle der
+heiligen Agnes erschaut haben.</p>
+
+<p>Rechts geht der Gspöttgraben hinauf, der führt zum Himmel. Ein weißer
+Kleiderzipfel funselt ihm vor den Augen.<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> Schon ist er im Gebüsch
+verschwunden. Ein Liebespaar, das nicht gesehen werden mag!</p>
+
+<p>Franz denkt: »Nur keine Angst, ich schau' ohnedies nicht hin, also
+nein, bitte! Geniert euch nur nicht! Ich hab' nur so vorbeigeblinzelt,
+nicht mehr!« Also nur keinen Spott! Wer im Gspöttgraben spottet, dem
+passiert leicht was Unangenehmes. Und wer auf Liebeswegen geht, der muß
+sich ganz besonders vor Unannehmlichkeiten hüten. Überdies, wenn Franz
+ein Liebespaar sieht, ist er selber mehr verlegen als die Verliebten.
+Ob's denen auch so geht? Ihm geht es so!</p>
+
+<p>Steil geht's aufwärts. Droben am Himmel rauschen hundertjährige Bäume
+um den Saal des Gasthauses. Ein Klavier steht drinnen, verstaubt und
+verstimmt, das nimmt nun Franz, wenn er kommt, fest in die Arbeit. Und
+was ihm unterwegs eingefallen ist, das blüht jetzt hervor zu einem
+blühenden Strauß von Tönen. Die lachende Fanny bringt ihm den Wein, sie
+hört ihm gern zu, dem seltsamen Musikanten.</p>
+
+<p>»Nach Arbeit ich frug, nun hab' ich genug, für die Hände, fürs Herze,
+vollauf genug, vollauf genug!«</p>
+
+<p>An freien Nachmittagen kommt junges Wienervolk hier zusammen, um zu
+tanzen. Sie tanzen nicht Menuett wie die feinen Leute in der Stadt, sie
+tanzen Ländler und Walzer zu einer Klarinette, einer Gitarre und einer
+Ziehharmonika. Ist das ein Schleifen und Wirbeln, ein rhythmisches
+Wiegen, Walzer, Walzer! Ach und die herzigen Mädeln, und dazu der
+Fliederhauch des Abends und der heitere Kuß der Sommernacht, und vor
+allem die stumme, gotterfüllte Ekstase des Tanzes!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span></p>
+
+<p>Sie sind auch nicht geziert und gespreizt, diese kleinen, netten
+Verkäuferinnen, Modistinnen, Näherinnen und was sie sonst alle sind.
+Hier fragt man nicht nach Herkommen, nach Stellung und Würde, hier
+will man tanzen und lieben und weiter nichts. Hier ist man Mensch und
+genießt den Augenblick, der so reich ist an Glück!</p>
+
+<p>Stolze, schöne Fee Melusine, dort unten in der Stadt, wie sollt' man
+das vergebliche Sehnen ertragen, wenn nicht deine niederen, aber nicht
+weniger schönen Schwestern wären, mildtätig genug, dieses Liebessehnen
+zu stillen!</p>
+
+<p>Wenn man nicht ganz genau hinsieht, so kann man sich einbilden, die
+Fanny hat genau denselben Mund und dasselbe Lächeln wie Melusine. Der
+Kuß schmeckt fast ebenso, endlich hat er ihn auch hier bekommen — ist
+wohlfeil übrigens hier draußen! Und was ihm etwa noch fehlen sollte,
+das ersetzt er reichlich durch die Menge. Wie feuriger Sternenregen
+regnen die Küsse durch die blauschwarze Frühlingsnacht, der tramhaperte
+Wienerwald sieht mit verschränkten Armen gemütvoll zu; unzählbar die
+Liebespaare, die er in seinen schützenden grünen Falten birgt.</p>
+
+<p>Fanny ist innig und beglückt, als sie mit Franz Arm in Arm auf den
+einsamen Waldpfaden im Umkreis der Wirtschaft herumspaziert. Mit
+rührender Aufrichtigkeit gesteht sie: »Es war seit undenklicher Zeit
+mein innigster Wunsch, einmal so mit einem Herrn zu gehen, und jetzt
+hat sich der Wunsch erfüllt!«</p>
+
+<p>Süßer Fratz! Was soll man da für eine Antwort geben? Man gibt ihr einen
+schallenden Kuß, die Leute mögen<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> schauen, wie sie wollen, es ist
+jetzt die Reihe an den anderen, verlegen zu werden, und obendrein sind
+ohnehin keine Leute da.</p>
+
+<p>Aber damit war es gefehlt. »Ha!« schreit eine Stimme auf, ein junger
+Mensch mit einem Mädel im Arm sitzt auf einer halbversteckten Waldbank,
+zehn Schritte von dem verstörten Franz. Franz glaubt, er müßte in die
+Erde versinken: »Also du, Hüttenbrenner!«</p>
+
+<p>Der lacht verschmitzt und doch zugleich etwas verlegen und ruft ihm zu:
+»Hast nicht den Schober gesehen, er ist nicht weit!« und kichert in
+sich hinein.</p>
+
+<p>Sie erholen sich alle von dem anstrengenden Minnedienst am Hof der
+schönen Melusine. Hier am Himmel gibt es keine kalte Koketterie,
+kein feurig tuendes Fischherz — hier ist alles selbstverständliche
+Erfüllung, nahrhafte Kost fürs Herz, Hausmannskost.</p>
+
+<p>Jetzt weiß man, wo Franz die vielen Tänze her hat, die er schreibt,
+die sogenannten »Deutschen« und die Walzer, die er jedesmal wie einen
+Strauß frischer Waldblumen von einer solchen heimlichen Reise ins
+Land der Liebe heimbringt. Dort draußen sind sie ihm entgegengeblüht,
+auf all den Schubertschen Wegen, die in den grünen, liebreichen und
+weinseligen Wienerwald führen.</p>
+
+<p>Schwind steht Kopf vor Entzücken über die Deutschen, über diese Walzer.
+»Das ist die blühendste Musik, die ich je gehört hab', quellfrisch aus
+dem Herzen, aus dem Herzen des Wienerwalds —« vor allem aus Schuberts
+Herzen — Schwind kann nicht genug kriegen, Franz muß sie immer und
+immer wieder spielen.</p>
+
+<p>Drinnen in der Stadt fangen die feinen Töchter schon an,<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Walzer zu
+tanzen. Das haben sie ihm zu danken, der den Tanz im Grünen erlauscht,
+erlebt und aufs neue zum Erklingen gebracht hat. Jetzt sitzt er ihnen
+in den Klavierfingern, dann geht er siedend ins Blut und jetzt wirbelt
+er schon in den Beinen.</p>
+
+<p>Und der den Zaubertrank schöpfte, den geheimnisvollen Jungbrunnen des
+Wienerwalds — der geht still und unscheinbar dahin, nur im engen
+Kreis gekannt und geliebt; für die anderen ist er ein Name wie tausend
+andere, flüchtig genannt, vergessen und verweht. Noch denkt man nicht
+daran, daß man sich ihn merken müsse.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="VI">VI.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Der Sommer brachte einige Veränderungen. Das Schicksal warf die Freunde
+durcheinander wie Spielbälle. Den einen riß es dahin, den andern
+dorthin. Der treue Spaun war bereits seit einiger Zeit nach Linz
+versetzt worden, in seine Heimatstadt, und schrieb sehnsüchtige Briefe,
+daß Franz doch kommen und eine Zeitlang in der schmucken Donaustadt
+verleben möchte. Jenger mußte von Amts wegen nach Graz — in seinen
+freien Stunden fungierte er als Sekretär des dortigen Musikvereins;
+Anselm Hüttenbrenner zog ihm nach.</p>
+
+<p>»Zehn Jahre werden vergehen, ehe man dich wieder sieht!« prophezeite
+Franz dem Hüttenbrenner beim Abschied. Es schien, als sollte er recht
+behalten.</p>
+
+<p>Anselm suchte eine Stellung, er bekam sie durch Jenger und wurde
+Dirigent des Steyrischen Musikvereins. Was Franz, der begnadete,
+trotz aller Anstrengungen, trotz aller vorzüglichen Zeugnisse und
+Empfehlungen, trotz Meisterschaft nicht erlangen konnte, das fanden die
+kleinen Talente im Handumdrehen, Würden, Ämter, Einkommen. Es ging mit
+seltsamen Dingen zu; woran lag es, daß er, der Berufene, nicht den Weg
+zu den leichten Erfolgen fand. War es ein Verhängnis, war es ein Glück?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p>
+
+<p>Daß es auch in Graz hübsche Mädchen gebe, das erfuhr man bald aus
+Anselms Briefen. Auch daß er in einem Zauberkreis festsitze und darüber
+alle Welt vergäße. Der losen Mädchen wegen die Freunde zu vergessen,
+das mochte dem Franz nicht gefallen. »So hol' doch der Teufel alle
+Mädeln,« wetterte er in einem Brief, »wenn du dich gar so von ihnen
+behexen läßt.«</p>
+
+<p>Erst hinterher kam es heraus, daß es die Position war, die Anselm in
+Graz festhielt.</p>
+
+<p>Beide, er und Jenger, wollten in Graz den Boden lockern für das
+Verständnis Schubertscher Schöpfungen. Freilich komponiert Anselm
+selber, zwei Sinfonien hat er in Arbeit, aber herzeigen tut er nichts,
+so sehr ihn Franz mit Freundeseifer drängt. Er ist lieb und gut, der
+Anselm, aber — was soll man denken? »Immer ein wenig versteckenspielen
+— mir gefällt die Leisetreterei nicht!« polterte Mayrhofer.</p>
+
+<p>Franz bleibt arglos. »Recht hat er, jetzt kann er sagen wie Cäsar,
+lieber in Graz der Erste, als in Wien der Zweite. Gott gesegne es ihm!«</p>
+
+<p>Also das muß man sagen, Neid kennt der Franz nicht; er läßt jedem
+seine persönliche Art und bleibt bei der seinigen. Er berichtet ganz
+offenherzig nach Graz über sein eigenes Leben und Schaffen. Daß er,
+Franz, auf Vogls Veranlassung die Musik zu einem Singspiel geschrieben
+hat, daß es aber trotz Vogl schwer sei, »wider Kanaillen wie Weigl,
+Treitschke usw. zu manövrieren. Drum gibt man statt meiner Operette
+andere Ludern, wo einem die Haare zu Berg stehen ....« daß ihm aber
+trotzdem<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> allerhand neue Operngedanken durch den Kopf gehen und so
+weiter.</p>
+
+<p>Ferner, daß Schober eine Sommerreise unternommen, und daß er, Franz,
+sein Heim bei Mayrhofer in der Wipplingerstraße aufgeschlagen hat.
+Sein Zimmer bestünde dort allerdings nur aus einem winzigen Alkoven,
+gerade groß genug für das Bett und einen grünen Vorhang, aber es sei
+angenehm und freundlich zu hausen in dem halbrunden Zimmer mit den
+vielen Fenstern, den schönen Büchern, dem Klavier und dem philosophisch
+angelegten Freund Mayrhofer.</p>
+
+<p>So führten sie eigentlich ein recht ungeniertes Junggesellenleben
+zu zweit, das in der Hauptsache der Musik, der Dichtkunst und der
+philosophischen Unterhaltung gewidmet sei. Der Bruder Anselms sei
+jetzt häufig da; Joseph Hüttenbrenner, der geradewegs aus der Schule
+Sokrates-Plato käme und sich liebevoll bemühe, Anselms verwaiste
+Freundesstelle einzunehmen.</p>
+
+<p>Eine elegische Bemerkung fließt ein über das allzu rasche Schwinden
+des Liebesfrühlings — daß der wilde Rosenstrauch der Liebe draußen
+am Himmel am Verblühen ist, sagte er gerade nicht, das gehört auf ein
+anderes Blatt, aber der Freund mag sich's denken, zumindest kann er
+es daraus entnehmen, daß Franz so auffallend heftig alle Mädchen zum
+Teufel wünscht. Er bringt jetzt nur mehr wenig Walzer und Tänze von
+seinen Streifzügen mit heim — auch das gibt zu denken, wenn Anselm
+versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Er habe jetzt ernstere Sachen
+im Kopf, er denke viel an die Milder, und dabei habe er sich immer mehr
+in die Therese verschaut, Melusine,<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> die er seine tragische Muse nennt.
+Von einer geht ein sanftes Band zur anderen, das ihn gefangen hält. Man
+weiß schon, wohin es ihn zieht. Zum Theater.</p>
+
+<p>Unter den Freunden gibt es darüber nicht geringes Aufsehen. Joseph
+Hüttenbrenner schärft seinem Bruder Anselm in den Briefen ein: »Für
+dermalen laß dir's angelegen sein, für Schubert ein Opernbuch zu
+schreiben; es fällt nebstbei auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden
+in Europa genannt werden — Schubert wird wirklich, ein neuer Arion, am
+musikalischen Himmel glänzen usw. usw.«</p>
+
+<p>Holzapfl, obgleich nur mehr selten im Freundeskreis gesehen, berichtet
+nach Linz an Stadler, einen gemeinsamen Konviktsfreund: »Ich weiß, er
+(Franz) schreibt auf Vogls Veranlassung und also nicht ohne Ursache,
+aufzuführende Operetten, Opern und andere große Dinge, die ich weder
+weiß noch höre; aber es ist so ....«</p>
+
+<p>Einer sagt's dem andern, keiner weiß was Genaues, alle spitzen die
+Ohren, jeder dichtet und hat schon einen großartigen Opernstoff in
+petto — die Zaunkönige möchten mit dem Adler fliegen — das Theater,
+ja, das Theater ist das Tor zur Weltberühmtheit. Die Freunde ereifern
+sich, jetzt muß Schuberts Stern leuchtend aufgehen, er lächelt und läßt
+sie reden in ihrem blinden Enthusiasmus. Was helfen die trügerischen
+Worte — das Leben macht sich von selbst und meist anders, ganz anders
+als man denkt.</p>
+
+<p>So stehen die Tage im Hochsommer.</p>
+
+<p>»Kauft's ein'n Lavendel, zwei Kreuzer ein Büschel Lavendel! Ein'n
+Lavendel kauft's!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span></p>
+
+<p>Der einförmige Klagegesang des Lavendelweibes zieht durch die
+sommerstillen Gassen.</p>
+
+<p>Das lockt und zieht — ein Gruß aus duftenden Sommerwiesen, Wald
+und Bergwiesen, die von fern in die Stadt leuchten, grüngoldener
+Wienerwald. Der läßt einen nicht in Ruh'. Am wenigsten ein sinniges
+Musikanten- und Poetengemüt, wie es Franz zu eigen war.</p>
+
+<p>Die Liebe liebt das Wandern — also auf und ins Grüne hinaus jeden
+freien Nachmittag und Abend. »Fanny, liebe Fanny!« so hat es vor
+kurzem noch geheißen. Aber die Sonnenwende ist herum, oder war es die
+Herzenswende?</p>
+
+<p>»Fanny, Herzensfanny, was haben sie denn mit dir gemacht?« Das
+Wienerwaldkind am Himmel hat wenig Zeit für das Singerlein. »Mit so
+einem Herrn zu gehen, war immer deine größte Sehnsucht, soviel ich weiß
+— und jetzt?« Die Frage hat er auf der Zunge, sie rutscht ihm endlich
+heraus.</p>
+
+<p>Sie ist schnippisch, dreht ihm flink den Rücken und sagt: »Ja, das war
+im Mai — jetzt ist Juli, da ist es mir zu heiß.«</p>
+
+<p>»Dummes Mädel, mich hältst du nicht für einen Narren ...« Er läßt sich
+eine Zeitlang nicht blicken.</p>
+
+<p>Dann aber treibt ihn wieder ein ungewisses Etwas. Also wandert er mit
+seinem Stock das Gspöttgräblein wieder hinauf — »denn die Liebe liebt
+das Wandern.«</p>
+
+<p>Summt sich dabei eins: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du heut so
+stumm, will ja nur eines wissen, ein Wörtchen um und um, ein Wörtchen
+um und um. Ja, heißt<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> das eine Wörtchen, das andere heißet Nein, die
+beiden Wörtchen schließen die ganze Welt mir ein.«</p>
+
+<p>Das Haus am Himmel steht einsam an Wochentagen, so ist es der Liebe
+recht. »Fanny, liebste Fanny, wo steckst du heut?« Sie hat ihn gewiß
+kommen gesehen und läßt ihn heute zappeln. »Schaut sie auch nicht zum
+Fenster heraus, so schaue ich doch zum Fenster hinein — ist also
+einerlei!«</p>
+
+<p>Da steht der kleine Musikus vor dem etwas hochgelegenen Fenster, ein
+wenig muß er sich an dem Gesims emporziehen, und späht in den Raum
+hinein.</p>
+
+<p>Nein, Fanny hat ihn nicht kommen gesehen, ahnungslos sitzt sie drin an
+einem Tisch und neben ihr sitzt so ein frecher Kerl beim Wein und hat
+den Arm um sie geschlungen. Sie sitzen allein in der Stube, und sie
+schauen sich so sengend heiß an, als ob sie jeden Moment Feuer fangen
+müßten.</p>
+
+<p>Auch dem Franz schießt Feuer in die Augen — oder war es das Wasser?
+Einen kleinen Bremsler hat es ihm doch gegeben, er rennt vom Haus
+weg und waldein. »Mit so einem Herrn zu gehen, das war immer meine
+Sehnsucht!« Er hört die Worte noch immer, sie klingen jetzt wie Hohn.
+Dem andern sagt sie gewiß dasselbe, und der ist bezaubert davon, so wie
+es auch er war. Ach, der Zauber ist süß, und wer ihn verliert, der ist
+elend dran.</p>
+
+<p>Franz ist ins Grüne hineingerannt, jeder Weg war ihm recht. Nur immer
+fort ins Grüne: »In Grün will ich mich kleiden!« Feuer und Wasser
+stehen ihm in den Augen.</p>
+
+<p>»In Grün will ich mich kleiden, in grüne Tränen weiden<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> — will suchen
+einen Zypressenhain, eine Heide von grünen Rosmarein —«</p>
+
+<p>Feuer und Wasser, das lebt wie Hund und Katz'. Dem Franz ist jetzt
+wirklich traurig zumute. Aber es dauert nicht lange, so haben Feuer und
+Wasser einander aufgefressen, und wären es Hund und Katz' gewesen, so
+wäre kaum ein Schwanzstückl übriggeblieben.</p>
+
+<p>Jetzt muß Franz schon lachen über sich selber. Er hat nämlich eine
+Stimme in sich, die in allen lächerlichen oder empfindsamen Situationen
+erwacht und leise fragt: »Franz, dummer Kerl, schämst dich nicht?«
+Gegen diese innere Stimme war nicht aufzukommen. Sie pflegte, wenn
+nichts anderes half, einen schlechten Witz zu reißen, und dann
+war alles Krankhafte, Sentimentale geliefert. So gesund war Franz
+innerlich, so kerngesund!</p>
+
+<p>Und jetzt lachte er schon im seligen Humor: »Grabt mir ein Grab im
+Wasen, deckt mich mit grünem Rasen — kein Kreuzlein schwarz, kein
+Blümlein bunt, grün, alles grün so rings und rund — so rings und rund
+—«</p>
+
+<p>Und lief so rings und rund — so rings und rund und lief sich gesund,
+ganz gesund im grünen Wienerwald. Es war völlig dunkel, als er am Haus
+am Himmel wieder vorbeiging, die Fenster waren ohne Licht, die Türen
+geschlossen, alles schlief. Klopfenden Herzens schlich Franz näher, ein
+kleiner Spotteufel ward in ihm rege, er wollte nicht fortgehen ohne
+Abschied. »Will dich im Traum nicht stören, wär' schad' um deine Ruh'
+— schreib' im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht! Damit du mögest
+sehen, an dich hab' ich gedacht!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span></p>
+
+<p>Schreibt also im Vorübergehen ans Tor ihr: Gute Nacht! und hat ein
+kleines Sterbekreuzel daneben hingemalt.</p>
+
+<p>Gute Nacht! Die Liebe ist gestorben — wo, wo ist sie gestorben im
+grünen, grünen Wienerwald? Wo findet ihr den Zypressenhain, wo das Grab
+im Wasen, wo das Kreuzlein schwarz (außer an der Tür!)? Nichts kündet
+euch den Liebestod, grün ist alles, so rings und rund! Ist die Liebe
+wirklich gestorben?</p>
+
+<p>Nein, sie lebt, sie lebt in den Tänzen, Liedern und Weisen, die Franz
+bei seinem Wandern im grünen Land der Liebe heimgebracht hat.</p>
+
+<p>Das grüne Wogen ist darin, die heitere Sinneslust, die gotterfüllte
+Ekstase, das Schleifen und Wiegen — vielleicht auch die heimliche
+Träne, die aus dem Herzen hineingeflossen ist, das Schönste und
+Ergreifendste daran, sein Eigenstes!</p>
+
+<p>Aber es konnte nicht immer bei dem bleiben — denn die Liebe liebt das
+Wandern — Gott hat sie so gemacht! — von einem zu dem andern — Gott
+hat sie so gemacht!</p>
+
+<p>Franz steigt zur Stadt ab, in der da und dort noch Lichter glühen.
+Er ist getröstet und beruhigt. Ein inniger Quell von Trost erquickt
+ihn, wie immer. Er denkt an die Stadt unten, die so unendlich viel
+umschließt, und denkt recht eigentlich an die Eine, Unvergleichliche,
+die unter den Freunden Melusine genannt wird und die alles verkörpert,
+was das Herz im unbestimmten Verlangen ersehnt: die Kunst, die Liebe,
+die Stadt, alles dies und noch viel mehr drückt sich in seiner
+Sehnsucht aus, und diese Sehnsucht hat den Namen Melusine. Wenn ein
+kleiner Liebeskummer einbricht, dann steht ihr Bild groß<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> vor Augen,
+eine anziehende magische Kraft, die verhütet, daß sich das Herz in
+kleinen Liebeständeleien verirrt oder gar verliert.</p>
+
+<p>Todmüde wirft sich Franz um Mitternacht ins Bett, ein bleierner
+Schlaf drückt ihn nieder, er erwacht am anderen Morgen mit einem
+katzenjämmerlichen Gefühl. Etwas hat man verloren, und war es auch nur
+eine Illusion. Aber das Dasein besteht nur aus Illusionen, also hat
+man ein Stück Dasein verloren. Das Leben ist wieder um einen Schatten
+tiefer.</p>
+
+<p>Ein Glück, daß ein Brief von Vogl da ist, der sich zum Sommer in seiner
+Vaterstadt Steyr befindet. Vogl fühlt sich einsam, er möchte sich
+mit neuer Musik auffrischen, Schuberts Lieder sind ein Jungbrunnen
+für ihn, Franz möge doch nach Steyr kommen und den Sommer mit ihm in
+Oberösterreich zubringen.</p>
+
+<p>Wenn von Steyr die Rede ist, geht auch dem Mayrhofer das Herz auf. Er
+ist ja selber Steyrer. »Die Steyrer singen gern,« rühmt Mayrhofer,
+»das kommt von der blauen Enns, die so stattlich um die Stadt rauscht,
+oder von der grünen Steyr, die ihr singend in die Arme stürzt — also
+merk' auf, Steyr ist was für dich! Vor den Mädeln nimm dich in acht,
+haben Augen blau wie die Enns, spielen aber die grünen Lichter der
+Steyr drin — ist ihnen nicht zu trauen, diesem Blau und diesem Grün,
+haben gefährliche Tiefen, Wirbel und Strudel, es reißt dich hinein, du
+weißt nicht wie ...« Spielt sich gar zu sehr auf den väterlichen Warner
+hinaus, der weiberfeindlich gesinnte Mayrhofer.</p>
+
+<p>Jetzt hat die Sonne wieder neues Licht. Vogls Einladung,<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> das läßt man
+sich nicht zweimal sagen. Man sieht dabei ein Stück Welt, besucht in
+Linz die Freunde, die schon so oft geschrieben haben, ob er denn gar
+nicht kommen mag — also jetzt wird es Ernst. Es treibt ihn förmlich
+hinaus. Kleingeld hat er in der Tasche, »Die Zwillingsbrüder«, wenn
+auch nicht aufgeführt, haben wenigstens einen Vorschuß gebracht; es
+langt. Ach, Berge, Städte, Freunde! Die Brust wird wieder weit.</p>
+
+<p>Ja — die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht — von einem
+zu dem andern, Gott hat sie so gemacht!</p>
+
+<p>Die Reisetasche her: sie hat einen mächtigen Bügel, aber die schöne
+Stickerei auf der Außenseite ist längst verblichen; die Tasche ist
+vom Herrn Vater, dem hat sie schon vor langen Jahren auch gedient.
+Bedachtsam schiebt Franz die wenigen Habseligkeiten hinein, die er
+braucht, etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, einen Anzug — der alte dient
+auf der Reise und auf der Wanderschaft — so, das wäre jetzt alles,
+bis auf die Noten und das Notenpapier, es nimmt den größten Raum ein.
+Zum Platzen vollgestopft ist die Tasche, und schwer! Schwer von der
+musikalischen Fracht, der geschriebenen und der ungeschriebenen.</p>
+
+<p>Jetzt wird noch das Ränzel gespickt mit allerhand Kleinigkeiten, die
+man unterwegs braucht, vor allem mit guten Freßsachen. Andächtig
+schiebt er ein Päckchen ums andere hinein, die er vormittags eingekauft
+hat, steckt ab und zu einmal die Nase zum Papier, hm! duftet fein! Zwei
+Paar Tiroler Landjäger, davon kann ein Mensch acht Tage lang leben,
+ein Stück ungarische Salami, noch etliche<span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span> andere Wurstzipfel, einen
+echten Emmentaler, ein Stück ungarischen Paprikaspeck, eine Anzahl
+Brote, damit ist man versorgt — jetzt kann kommen, was mag, man ist
+gegen die Wechselfälle des Schicksals für mannigen Tag vorgesehen. Am
+Abend wird der Abschied gefeiert, Mayrhofer, Schwind, Holzapfl, Joseph
+Hüttenbrenner sind dabei. Jeder verspricht nachzukommen, in einem Monat
+vielleicht, in drei Wochen, in vierzehn Tagen. Beim Abschied schwelgt
+man schon in der Freude des Wiedersehens. Man hat soviel Vorsätze
+und genießt es im voraus, oft der einzige Genuß. Den lassen sich die
+Freunde nicht entgehen, sie sitzen und trinken und schwärmen bis tief
+in die Nacht.</p>
+
+<p>Am anderen Morgen in aller Früh geht der Postwagen. Der Schlaf ist
+verflogen, als Franz beim Kutscher vorne sitzt und die Linzer Straße
+hinausfährt. Die Stadt versinkt hinter seinem Rücken: Leb' wohl, schöne
+Fee Melusine! Der Wienerwald erhebt sich links und rechts schwellend
+grün, Kuppe über Kuppe, ein wogender Ozean von Grün. Und drüben, ja
+drüben, ist das versunkene Haus am Himmel. »Leb' wohl, Fanny, leb' wohl
+auf Nimmerwiedersehen! Der Teufel hol' die Mädels!« So schnell kriegt
+ihn jetzt keine mehr dran.</p>
+
+<p>Ist das eine Seligkeit, so drauflos zu fahren ins grüne Meer von
+Niederösterreich. Der Wagen geht dahin wie ein gelbes Schiff durch die
+grünen Fluten von Wiesen und Wäldern. Alles ist neu und festtäglich,
+was man sieht, die Bauersleute, die zu Fuß oder zu Wagen dahinziehen,
+das Treiben in den Herbergen beim Pferdewechsel, es geht zu wie im
+ewigen Leben. Die Sorgen,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> die Schmerzen hat man zu Haus gelassen,
+man fühlt sich wie Gott in Frankreich. Fast so wie auf der Reise nach
+Zelez, eigentlich aber besser, denn nach Zelez ging's doch in eine wenn
+auch sanfte Abhängigkeit, hier aber reist man der ungebundenen Freiheit
+entgegen. Kein Amt, keine Pflicht wartet und legt am Ziel neue Fesseln
+an. Ein ganzer Sommer steht noch bevor, ein Sommer der Kunst und des
+heiteren Daseins, der vegetative Mensch lebt und atmet Glück.</p>
+
+<p>Die tausend Fenster rechts, das ist das Melkerstift, die funkelnden
+Türme gehören dazu, jetzt blitzt der Silberstreifen der Donau auf,
+weiter draußen das Kirchlein am Berg, das ist Maria-Taferl, weiße
+Schlösser, Burgruinen, Wein, Strom und Wald — die Augen können
+sich nicht satt trinken an all diesen Herrlichkeiten, die Augen und
+das Herz! Kaum hat man es erschaut, ist es schon vorbei, das gelbe
+Gefährt schwankt wieder in den Wogen von Grün dahin, andere steingraue
+Städtlein stehen auf, einzelne breite Gehöfte lugen zwischen Obstbäumen
+hervor. Das Land trägt ein buntes Gesicht und gleicht einem gesegneten
+Garten, es ist das liebliche Oberösterreich. Ein Fluß wälzt schäumende
+Fluten daher, das ist die Enns.</p>
+
+<p>Endlich am zweiten Abend schwankt der gelbe Wagen zwischen engen
+Gassen, hinauf, hinab, über ein holperiges Pflaster, ein Engpaß von
+Gemäuern schließt sich zusammen, eine Menge Läden sind darin, Menschen
+und Wagen drängen sich durch, dann tut sich ein unendlich weiter,
+schmuckvoller Platz auf mit alten, reichverzierten Patrizierhäusern,
+kunstvoll verschnörkelten Wirtshausschildern aus Schmiedeeisen,
+rostbraun und golden, hinter den<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> steinernen Toren stille klösterliche
+Haushöfe mit weißen Arkaden und pendelnden Blumen — das ist die schöne
+Stadt Steyr, um die sich die blaue Enns und der grüne Steyrfluß zu
+einer blaugrünen Masche knüpfen.</p>
+
+<p>Man ist am Ziel.</p>
+
+<p>Franz klettert vom Wagen herab, die Knochen im Leib sind ihm förmlich
+zerdroschen von der Ratterei des Wagens, kaum daß er auf den Beinen
+stehen kann. Da ist er schon von einer Menge Leute umringt, die ihn
+herzlich und teils sogar respektvoll begrüßen, der gravitätische Vogl
+an der Spitze, der ihn gönnerhaft den Honoratioren vorstellt, dem Herrn
+Silvester Paumgartner, Hausbesitzer, Vizefaktor der Eisengewerkschaft,
+Besitzer einer wertvollen Instrumentensammlung; dem Herrn Advokaten
+Schellmann, Freund Vogls und leidenschaftlicher Klavierspieler, in
+dessen Haus am Platz für Franz ein Zimmer im zweiten Stock reserviert
+ist; dann dem Herrn Kaufmann Joseph von Koller und seiner Tochter
+Josephine, die als Sängerin und Pianistin einen k. k. Provinzialruhm
+genießt; endlich die Frauen, Töchter und deren Freundinnen, eine Schar
+von Mädchen und alle blitzsauber! Wird ihm gleich etwas bang dabei, die
+Sehnsucht fängt zu schwellen an, die Traurigkeit gewinnt Oberhand. »Was
+machen's denn für ein Gesicht!« stößt ihn Vogl an, der immer gern ein
+wenig hofmeistert.</p>
+
+<p>Franz redet sich auf seine Müdigkeit aus, im übrigen denkt er, der
+Mensch wird doch ein Gesicht machen dürfen, wie es ihm paßt. Es ist ihm
+zuwider, daß Vogl gar zu gern den Protektor hervorkehrt. Immerhin, er
+meint's gut, aber zuwider ist es doch ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span></p>
+
+<p>Eine richtige Schwelgerei in Musik geht los. Die Steyrer sind ganz
+baff über die Kunst, die Franz im Verein mit Vogl hervorzaubert. Wenn
+Vogl singt und Franz ihn am Klavier begleitet, so daß sie in solchen
+Augenblicken eins zu sein scheinen, dann reißen die Zuhörer Mund und
+Augen auf, fassungslos vor Staunen und Entzücken. Daß es so was gibt,
+ist für sie völlig neu und unerhört.</p>
+
+<p>Wenn in der k. k. Provinz die Begeisterung entfesselt ist, dann gehen
+die Wogen sehr hoch. Es sind gesunde, ungebrochene Naturen, die können
+was leisten. Dem Franz kommt's vor, als ob von nun an alle Tag Sonntag
+wäre.</p>
+
+<p>Der neue Kreis von lieben, eifrigen Menschen gibt sich alle
+erdenkliche Mühe, um ihm das Leben so angenehm als möglich zu machen.
+Am rührendsten ist Silvester Paumgartner. Er führt ihn in der Stadt
+umher, zeigt ihm diese und jene Besonderheit und weiß von allen
+Dingen die Geschichte. Am liebsten freilich läßt sich Franz in die
+Eigentümlichkeiten der Stadt von Josephine einweihen, die ihn immer
+häufiger zu Spaziergängen einladet. Im Haus bei Schellmann sind allein
+acht Mädchen, mudlsauber alle, und alle gehen dem jungen Meister
+liebreich um den Bart. Er ist Hahn im Korb und läßt sich wohl geschehen.</p>
+
+<p>Wenn nicht am hübschesten, aber doch am interessantesten ist die
+Josephine. Sie gibt sich exzentrisch und spielt sich auf die
+Weltdame hinaus. Es liegt ihr nichts daran, daß die Leute die Köpfe
+zusammenstecken und sich ein wenig mokieren über sie. Wenn sie nicht so
+überschlank wäre, dann könnte man an die Fee Melusine denken, überlegt
+Franz; freilich mit dem weiteren Unterschied noch,<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> daß Therese im
+wirklichen Sinn Dame ist, während die exzentrische Josephine trotz
+ihrer anscheinend freien Art nicht ganz das Provinzielle abstreifen
+kann.</p>
+
+<p>»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt!« sagt sie ihm schon in den
+ersten Tagen.</p>
+
+<p>Er aber denkt: »Mich kriegst du nicht dran!« Sie gehen am Vormittag
+über die Ölstiege zur Enns hinab auf den Schiffweg. Der dunkle
+Stationsweg mit den roten ewigen Lichtlein an den Heiligenbildern in
+diesem steinernen Schacht hat so eine eigene Stimmung. Das Mädchen
+bleibt gerne stehen auf den steinernen Stufen in dem halbdunklen Gang,
+plaudert und schaut ihm ins Gesicht. Ihre Augen geben grüne Lichter —
+Mayrhofer hat recht: »Nimm dich in acht, der Zauber ist gefährlich ...«</p>
+
+<p>Am Schiffweg unten kommt schon die blaublickende Enns daher mit Singen
+und Rauschen. Wundervoller Sang, die rollenden Kiesel am Ufer klingen
+geheimnisvoll mit. Josephine angelt mit den Augen. Die sind jetzt hell
+und klar und blau wie die Wasser der Enns. Forellen schießen im Strom
+daher, dem Franz ist es so wohl wie den Fischen im Wasser, und er
+denkt: »Angle nur zu, mich fängst du so wenig wie die Forellen, solang
+es vor mir so klar und licht ist ..«</p>
+
+<p>Josephine redet von der Liebe. »Den ich einmal wollte, der ist
+gestorben, und den ich jetzt möchte, der weiß es nicht, oder tut er
+vielleicht nur so?«</p>
+
+<p>Franz hütet sich zu fragen: »Wer?« Er greift fest ins Klavier, sie
+spielen vierhändig. Ein neues Werk wächst unter seinen Händen, das
+Singen und Rauschen der Enns ist darin, das Schießen der Forellen, das
+Haschen und<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> Fangenwollen, das hurtige Enteilen; in munteren Läufen
+trillert eine Stimme, die rollenden Kiesel am Schiffweg singen mit.
+Sonnenschein und Frohsinn ist darüber — ein volles Glück neigt sich
+herab, Franz tut es der Forelle gleich, die in glashellen Fluten
+aufwärts schwimmt — in Laune und Übermut ringt er sich nach heiteren
+Höhen empor.</p>
+
+<p>Tagelange Fahrten werden ins Land unternommen, nach Kremsmünster, nach
+Florian in die geistlichen Stifte, überall sind die Sänger, Künstler
+und Freunde in Ehren empfangen und gefeiert. In Kremsmünster schließt
+sich ein Student der Sängerfahrt an, er will nach Wien reisen, er
+verbummelt seine Tage, so stark hält ihn Schuberts Musik gefangen.
+Endlich reißt er sich los, sonst wird ihm das Geld zu knapp. »Er
+soll in meinem Bett schlafen für die Tage, die er in Wien weilt!« so
+schreibt Franz dem Mayrhofer. »Sie haben doch ein gutes Herz!« sagt
+Josephine, die dabei ist, als Franz dem Studenten den Empfehlungsbrief
+zum Abschied gibt.</p>
+
+<p>»Sie haben doch ein gutes Herz!« wiederholt sie später öfter, wenn
+sie die Ölstiege zum Schiffweg hinabgehen, und bleibt stehen: »Sie
+verdienen dafür belohnt zu werden.« Sie macht dabei so eigentümliche
+Augen, daß der Franz wegsehen muß, sonst zappelt er wirklich wie die
+Forelle an der Angel.</p>
+
+<p>»Kriegst mich nicht dran!« denkt er beharrlich, aber so ganz
+selbstsicher ist er nicht.</p>
+
+<p>Das begonnene Werk wächst weiter, es will sich glücklich vollenden.</p>
+
+<p>»Sie komischer Mensch, wenn ich ein Mann wäre wie<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> Sie, ich würde mir
+die Trauben nicht in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten.«</p>
+
+<p>Die Trauben in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten, das will
+er auch nicht, dazu ist er Mann genug; aber es ist ihm zuwider, wenn
+sie sich gar so aufdrängen, die Trauben; da verlieren sie an Reiz, und
+er denkt sich: Justament nicht! Ein Glück, daß er am nächsten Tag nach
+Linz muß auf ein paar Tage, die Sehnsucht nach den Freunden drängt,
+sonst hätte er, wer weiß es, wirklich zugeschnappt.</p>
+
+<p>Mayrhofer und Schwind kommen ja doch nicht, trotz aller guten
+Absichten, aber Spaun in Linz, den man so lange schon nicht gesehen
+hat, und Stadler, ein Konviktsgenosse, der ihn als Musikfreund näher
+kennt, die will er bei dieser Gelegenheit sehen. Vielleicht, daß sie
+dann einen Gegenbesuch in Steyr machen.</p>
+
+<p>Linz an der Donau mit dem Pöstlingberg, das ist eine schmucke
+Stadtschöne. Mit Spaun und Stadler kommt er zu Linzer Kunstfreunden,
+er ist da und dort zu Besuch, die Menschen sind stilvoll wie
+alte Porträts, am Kaffeetisch werden ihm zu Ehren die kostbaren
+Porzellanschränke aufgetan, er trinkt aus alten vergoldeten und
+kunstreich bemalten Schalen, er betrachtet die Bilder an den Wänden,
+die schweren eingelegten Möbel, die schönen illustrierten Bücher in
+den Schränken, alles, was er sieht und kennen lernt, ist gesättigt mit
+Kunst und Geschmack; es ist eine neue wundervolle Welt im Kleinen.</p>
+
+<p>Abends vereinigen sich die jungen Freunde in einem alten gewölbten
+Lokal, wo man den besten Wein kriegt und der aus dem Stift Kremsmünster
+stammt. Zum Nachtmahl<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> gibt's eine Hausspezialität: »Katzengeschrei.«
+Dreierlei Fleisch in Würfel geschnitten, Kalbfleisch, Schweinefleisch,
+Rindfleisch, mit würziger Sauce und großen Semmelknödeln dazu — es
+schmeckt herrlich. Und dann der Wein drauf — kein Wunder, daß allen
+das Herz aufgeht und die Zunge überfließt. Was tut man, wenn der
+Wein endlich Herz und Zunge aufgeriegelt hat? Man singt. Man singt,
+daß die Gasse klingt und die Leute in den dunklen Fenstern die Köpfe
+herausstecken und die halbe Nacht lang andächtig zuhören.</p>
+
+<p>Schließlich aber ist der Wein der Stärkere, der Gesang wird übermütig,
+er gluckst, hopst, lacht, torkelt, lallt — es wird ein richtiges
+Katzengeschrei. Da schließen sich die Fenster, denn es wird bald
+wirklich zum Steinerweichen.</p>
+
+<p>Aber es ist nichts Arges dabei, man geht in Seligkeit von dannen. Und
+merkwürdig. Wie kann man denn, wenn einem die Trauben schon in den Mund
+hängen, vergessen, zuzubeißen? Es will dem Franz jetzt nicht aus dem
+Sinn. Blaue Augen mit grünen Lichtern funkeln vor ihm noch im Traum.
+Die ganze Nacht denkt er an Josephine.</p>
+
+<p>Zappelt jetzt die Forelle an der Angel?</p>
+
+<p>Am nächsten Tag kehrt er nach Steyr zurück. Die Enns rauscht und singt.
+Er hat ihr Rauschen und Singen eingefangen, ein sonniges, glühendes
+Werk ist ihm entstanden, die frohen Steyrertage sind darin, sein
+ganzes Glück dieser Zeit — Forellenquintett heißt es, er schenkt es
+dem Silvester Paumgartner, der sich trotz des Altersunterschiedes als
+wärmster und aufmerksamster Freund erwiesen hat.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span></p>
+
+<p>Eigentlich wollte er es der Josephine schenken. Aber im letzten
+Augenblick besann er sich eines anderen. Sie sprach wieder von der
+Liebe und neckte ihn, weil er tat, wie der keusche Joseph. Er aber
+hatte schon Feuer gefangen — die Trauben, die so tief hangen, die
+wollte er nun doch nicht unverkostet lassen.</p>
+
+<p>Aber blitzschnell bog sie ihm aus. »Nein, nein!« In ihren Augen
+blitzten die grünen Lichter. »Vor einigen Tagen war ich bereit — alles
+hätte ich gewährt, ich hatte es mir fest vorgenommen — warum sind Sie,
+anstatt mich zu erwarten, nach Linz gefahren?«</p>
+
+<p>»Warum?« Jetzt wußte Franz, sie spielt gern die Verwegene und
+Leidenschaftliche, aber sie ist es gar nicht; sie tut nur so und hält
+ihn zum besten. Sie glaubt, das ist jetzt à la Mode, und meint weiß
+Gott, was für gefährliche Abenteuer sie überstanden hat.</p>
+
+<p>»Warum? Das will ich Ihnen auf dem Klavier sagen.«</p>
+
+<p>Jetzt hat Franz das Heft in der Hand; ein paar Takte, ein kleiner Sang:
+»Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem
+andern, Gott hat sie so gemacht!«</p>
+
+<p>Das Liebesspiel ist aus, wer hat das Nachsehen? Auf alle Fälle
+hat Franz gewonnen; was er gewonnen, klingt fort in seinem
+Forellenquintett, fort ins Ewige.</p>
+
+<p>Ade, du muntere, fröhliche Stadt, ade! Der Herbst ist da, aber das
+Scheiden von hier ist nicht leicht.</p>
+
+<p>Ein so voller, schöner Sommer — und zum Schluß die unausgesprochene
+bange Frage: »Wann werde ich je wieder so glücklich sein?«</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="VII">VII.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Im Gundelhof ist alle Freitag musikalische Soiree bei dem Wiener
+Rechtsanwalt Dr. Ignaz von Sonnleithner. Der alte Herr von Sonnleithner
+scheint im Leben ein ziemlich trockener Patron, eine etwas nüchterne
+und schwunglose Advokatennatur, nur bei der Musik hat er sein Herz
+entdeckt. Eine kleine Gesellschaft von Musikfreunden findet sich
+seit Jahren an den Freitagabenden bei ihm ein, der Andrang ist mit
+der Zeit so groß, daß Eintrittskarten verabreicht werden; was zuerst
+eine private Liebhaberei war, wird nach und nach eine mehr und mehr
+öffentliche Einrichtung; die Gesellschaft der Wiener Musikfreunde
+bildet sich als Pflegestätte edler Musik heraus. Sie wird so groß, daß
+sie einen Ableger entsendet, den kleinen Musikverein, der sich auf
+intimere Veranstaltungen verlegt und ebenfalls aus dem Privatsalon in
+den Konzertsaal hinüberwächst.</p>
+
+<p>Schubert ist dort kein Unbekannter mehr, wenigstens dem Namen nach;
+als er noch der Schulgehilfe vom Himmelpfortgrunde war, ist eine
+Kantate von ihm im Gundelhof aufgeführt worden. Der Sohn Leopold
+von Sonnleithner, ebenfalls Konviktszögling, hat seither eifrig
+Schubertsche Blätter gesammelt, die in Abschriften von Hand<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> zu Hand
+gingen, und die ihm neuerdings durch Joseph Hüttenbrenner reichlicher
+zufließen.</p>
+
+<p>Den Mittelpunkt der Gesellschaft der Musikfreunde bilden drei liebliche
+Schwestern, die in ihrer Dreieinheit die Wiener Muse des Gesangs
+verkörpern. Sie heißen Schwestern Fröhlich. Wenn der Name genannt wird,
+dann leuchten die Gesichter auf, ein freundliches Lächeln erwacht. So
+groß ist die Wirkung, die von den Schwestern ausgeht.</p>
+
+<p>Zu den Fröhlichs in der Singerstraße kommt Leopold eines Tages mit
+Noten von Franz. »Die Lieder sind von einem jungen Menschen —
+vielleicht probiert ihr sie; sie sollen recht gut sein.« Mehr sagt er
+nicht. Die Schwestern sollen selber sehen, was dran ist.</p>
+
+<p>Die Lieblichste von den Dreien, Kathi, setzt sich gleich ans Klavier,
+versucht die Begleitung und singt mit halber Stimme. Das erste
+Lied ist der »Erlkönig«. Im Nebenzimmer befindet sich der Vetter
+Sonnleithners, der junge und schon vielgenannte Dichter der »Ahnfrau«,
+Franz Grillparzer, Kathi ist seine Braut. Das ist der, von dem Schubert
+des öfteren schwärmt und den er so gern zu seinen Freunden zählen
+möchte. Außer Grillparzer ist Gymnich da, ein junger, blasser Mensch,
+brustleidend, Besitzer einer außerordentlich schönen Stimme, in seinen
+Nebenstunden Beamter — die meisten sind Beamte in ihren Nebenstunden,
+auch so Große wie Grillparzer, die Kunst ist brotlos, und Genies wie
+Schubert und Schwind müssen darben.</p>
+
+<p>Auf einmal horcht Gymnich auf, tritt ins Klavierzimmer<span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span> zu Kathi: »Was
+spielen Sie denn da? Ist das Ihre Phantasie?«</p>
+
+<p>»Nein! Ein junger Mensch hat es gemacht, ich kenne ihn nicht näher,
+doch warten Sie: wie heißt er? Schubert! Den Namen hab' ich schon
+nennen gehört, aber ich weiß nicht wann und wo — einerlei. Schön,
+nicht wahr?«</p>
+
+<p>Gymnich ist außer sich. »Das ist ja herrlich, das ist etwas ganz
+Außergewöhnliches! Lassen Sie doch sehen!«</p>
+
+<p>Jetzt singt er, Kathi begleitet ihn. Die Männerstimme bringt es jetzt
+klar heraus, was in dem Lied steckt, alle Schauer, alle Abgründe — die
+Zuhörer sind hingerissen.</p>
+
+<p>Die anderen Blätter werden durchgespielt, man kann sich kaum mehr
+trennen davon, den ganzen Abend lang werden diese Lieder gesungen und
+wieder gesungen.</p>
+
+<p>»Und der Mann lebt in Wien? Und wir kennen ihn nicht? Sonnleithner, das
+ist eine Schande! Sie müssen ihn zu uns bringen, und zwar gleich, in
+diesen Tagen noch, morgen, übermorgen. Verstanden?!«</p>
+
+<p>»Ja.« Leopold Sonnleithner hat verstanden. Am dritten Tage kommt
+er mit Franz, den er am Rockärmel hält. Es war nicht ganz leicht,
+fast mit Gewalt und Joseph Hüttenbrenners Unterstützung hat man ihn
+hergeschleppt. Die Aussicht, Grillparzer zu treffen, den er so gern
+kennen lernen möchte, wirkte eher als Abschreckung, so geniert fühlte
+er sich. Da standen sich nun die beiden gegenüber, sie waren neugierig
+aufeinander und fanden nicht das rechte Wort, das die Brücke hätte sein
+können von Herz zu Herz.</p>
+
+<p>Grillparzer war verschlossen seiner Gewohnheit gemäß,<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> Schubert war
+scheu und ging gleich ans Klavier; was aber die Worte nicht zu binden
+vermochten, das vollbrachten die Töne, die unter den meisterlichen
+Fingern dem Instrument entstiegen, und außerdem wußten die drei
+Schwestern als freundliche Grazien mit den beiden, die sich schwer
+taten, so umzugehen, daß allen leicht und wohl wurde. So entstand eine
+wortlose, zurückhaltende Freundschaft, von der man nicht mehr wußte,
+als daß sie da war, und daß sanfte und liebreiche Frauenhände die Bande
+zu einem ganz haltbaren Knoten geschlungen haben. Zu den Schwestern
+Fröhlich kam nun Franz öfter und öfter.</p>
+
+<p>Bald hernach sang Gymnich den »Erlkönig« im Gundelhof an einem Freitag
+abend. Die Leute waren bezaubert.</p>
+
+<p>»Wie geht es denn eigentlich zu, daß so ein Mensch nicht schon
+längst berühmt ist, eine anerkannte Größe in der Welt?!« Dem alten
+Sonnleithner war es völlig unbegreiflich.</p>
+
+<p>»Wie es zugeht? Ungerecht geht's zu in der Welt, elend — fragen Sie
+den Herrn Verleger Diabelli oder Haßlinger, dann wird es Ihnen klar
+sein ...« so redet Joseph Hüttenbrenner, der ein getreuer Famulus
+Schuberts geworden war und immer eifriger begann, den Verwalter des
+Genius zu spielen. Er erzählte wahrheitsgetreu, wie die Lage war.</p>
+
+<p>»Unsinn, ist doch ein aufgelegtes, gutes Geschäft, wenn man's so
+betrachten will, vom Verlegerstandpunkt,« entgegnete der alte
+Sonnleithner in seiner etwas barschen, trockenen Weise; »da muß halt
+was getan werden, warum<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> soll denn der Verleger nicht wollen? Werd'
+einmal selber reden mit ihm.«</p>
+
+<p>Es hat aber dem Herrn Advokaten nicht viel genützt, weder bei dem
+einen, noch bei dem anderen, keiner traut sich recht, einen Pfennig
+anzulegen, sind alle mitsamt erbärmliche Drücker, die ein Geschäft erst
+machen, wenn sie den Profit schon von vornherein gesichert und bar auf
+dem Tisch liegen haben.</p>
+
+<p>Wenn doch der Herr Doktor und die vielen Freunde sich zusammentäten
+und die Kosten aufbrächten, dann wollte sich der Herr Verleger schon
+eher bereit finden lassen, die Sache in Kommission zu nehmen und den
+Profit einzustecken — nun ja, warum denn nicht! Man tut ja gern was
+für ein junges Genie; aber auf Verlegerunkosten — nein! Wütend geht
+Sonnleithner heim, er wendete hin und her, wie sich's machen ließe —
+jedenfalls, jetzt gibt's kein Lockerlassen mehr!</p>
+
+<p>Inzwischen findet ein öffentlicher Abend im kleinen Musikverein statt,
+Gymnich singt den »Erlkönig« im Konzertsaal. Das hat jetzt eine
+durchschlagendere Kraft als alle früheren Veranstaltungen in privaten
+Zirkeln und Wohltätigkeitsakademien. Das Publikum ist rasend, der
+Komponist wird herausgestampft, diesmal haben ihn die Freunde nicht
+entwischen lassen. Hüttenbrenner, Schober, Mayrhofer, sie haben zu
+tun, ihn vom Künstlerzimmer aus aufs Podium zu bringen. Jetzt steht er
+oben mit etwas verwursteltem Frack, macht ein paar linkische Kratzfüße
+vor der begeisterten Menge — und weg ist er, fluchtartig herunter und
+verschwunden. Keine Macht der Erde bringt ihn mehr herauf, er ist froh,
+daß es überstanden<span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span> ist. Aber soviel steht fest, der junge Meister ist
+entdeckt.</p>
+
+<p>Sein Schaffen im Verborgenen war einem Strom vergleichbar, der viel
+verzweigte unterirdische Gänge wählt und nur da und dort mit einer
+prachtvoll strömenden Welle an die Oberfläche tritt. In der Tiefe wühlt
+er sein Bett und sammelt im Verborgenen seine Gewässer; kann aber
+nimmer lang dauern, da muß der Strom hervorbrechen ans Tageslicht in
+voller Kraft und Herrlichkeit, der Welt ein neues Licht zu geben. Wer
+hineinschaut, sieht Sonne, Mond und Sterne darin, und das eigene Herz
+und das Rauschen singt jedem, der es hört, in der eigenen Brust drin.</p>
+
+<p>Das war so jetzt um diese Zeit.</p>
+
+<p>Mit einem Male wird es an allen Ecken und Enden lebendig. Der
+Opernsänger Jäger hat in Wien und in Dresden gesungen, der Vogl
+singt die herrliche Ballade vor einer adeligen Damenakademie im
+Konzertsaal, die Zeitungen fangen an, sich zu interessieren, sie
+bringen spaltenlange Berichte, das Publikum ist wie rasend — Franz ist
+ein gemachter Mann. Der Hofmusikgraf Dietrichstein, der Operndirektor
+Mosel, der Hofmusikdirektor Salieri, sie stellen ihm alle glänzende
+Empfehlungsschreiben aus — schöne Worte, verdientes Geld wäre ihm aber
+lieber gewesen, dem Franz, der jetzt unter einer wahren Traufe von
+Anerkennungen steht und dabei arm ist wie eine Kirchenmaus.</p>
+
+<p>Die Freunde feiern den Gefeierten. Sie kommen aus Vogls Konzert ins
+Stammbeisel, wo sie Schubert erwartet.<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> Sie sind noch ganz aufgeregt
+und erhitzt von dem Erlebten.</p>
+
+<p>»Vogl hat den ›Erlkönig‹ wiederholen müssen, so begeistert waren die
+Leute!« schreit ihm der erste gleich entgegen. Und nun geht es an ein
+eifriges Erzählen und Luftschlösserbauen.</p>
+
+<p>Schwind, der sonst Verträumte und Wortkarge, ist jetzt der Eifrigste,
+den Erfolg des Freundes zu rühmen und die Wirkung auszumalen, die
+Schuberts Wunderhorn auf die Seelen ausgeübt hat. Er selber hat
+Erlkönige in der Mappe, er, der malende Schubert, die Musik ist seine
+stille Liebe; was Franz geleistet hat, er kann es am besten sagen.</p>
+
+<p>»Da haben die Leute, denen sonst die Ohren verstopft sind, doch endlich
+gemerkt, daß hier ein völlig neuer, noch nie dagewesener Ton erklungen
+ist — der hat sie in der Seele gepackt, daß sie auf einmal gar nicht
+gewußt haben, wie ihnen geschieht ...«</p>
+
+<p>Und nun geht es an ein schwärmerisches Nachgenießen, ein jeder will
+sagen, worin das Geheimnis Schuberts besteht, am besten gelingt es dem
+Schwind.</p>
+
+<p>»Franz soll weghören, er könnt' mir am Ende zu eitel werden!« hebt er
+also an.</p>
+
+<p>Franz denkt tiefer in sein Glas hinein; sie können reden, was sie
+wollen, er hat seine eigenen Gedankenwege.</p>
+
+<p>»Seht also her!« erklärt Schwind, den sie den Cherubim nennen, sich und
+den anderen: »Wieviel Musik in der deutschen Sprache ist, das wissen
+wir jetzt durch unseren verflixten Franzl. Das hat keiner vor ihm
+verstanden,<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> und wer weiß, ob je einer nach ihm es je wieder vermögen
+wird.«</p>
+
+<p>Da wirft einer ein: »Nun, und Karl Maria Weber, ist der gar nichts? Und
+Meister Wolfgang Amadeus? Die beiden haben doch auch Melodien aus dem
+grauen Dasein herausgeklopft, wie weiland Moses Wasser aus dem Felsen
+....« Der kleine Widerspruchsteufel ist der Holzapfl.</p>
+
+<p>»Ganz richtig!« entgegnet der Cherubim und dreht den Spieß um. »Nimm
+also zum Vergleich Karl Maria und selbst den himmlischen Wolfgang
+Amadeus. Haben herrliche Melodien erfunden, darüber ist nicht zu
+streiten. Aber der wundervolle Klang tritt unbekümmert auf dem Text
+herum, Musik und Worte tun so, als ob sie nichts miteinander zu tun
+hätten. Bilden zusammen eine schlechte Ehe, darin jedes auf eigene
+Faust sein Vergnügen sucht. Mit dieser Luderei hat Franzl tüchtig
+aufgeräumt. Wenn der ein Wort in die Hand nimmt, klingt es auf voll
+Leben und Musik, daß man ganz betroffen ist. Er setzt es hin, daß es
+seinen richtigen Tonwert hat, mit einemmal kommt Farbe, Bewegung in die
+Sprache, du hörst das Gefühl hinter dem Wort aufklingen, und hinter dem
+Gefühl das Urgefühl, wodurch es mit allen Menschenherzen aufs gleiche
+verbunden ist. So wie er hat es noch keiner fertig gebracht, in das
+Innere der Handlung zu greifen.</p>
+
+<p>Vergegenwärtigt euch nur einmal, wie er in der Melodieführung die
+abwechselnden Gefühle des Vaters, des Kindes und des Erlkönigs
+dramatisch herausarbeitet, verstärkt, steigert, daß es einem eiskalt
+über den Rücken läuft,<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> während die Begleitmusik das Äußere der
+Handlung hinzubringt, den Galopp des Pferdes, das Brausen des Sturmes,
+daß einem nur so gleich die Haare zu Berg stehen. Das Tragische in
+dem Gedicht ist nicht durch süßliche Glätte verschmiert, hier wird
+es im Gegenteil durch eine schroffe, und eher eckige als schmiegsame
+Melodie zu einem markerschütternden Aufschrei gebracht, der die ganze
+furchtbare Tiefe der Dichtung aufreißt, das mystische Tor, hinter dem
+der Tod lauert .... Das haben die versulzten Hirne endlich begriffen —
+Franz, es kann dir nichts mehr geschehen, du bist oben! Prost! — mir
+ist wohl und leicht, deinetwegen!«</p>
+
+<p>Der kongeniale Freund war ein guter Fürsprecher, sein Herz schlug
+im gleichen Takt, ihm kam es zu, das Wesen Schuberts auszusprechen.
+Das Tiefste freilich vermochte niemand zu sagen, wenn im liebevollen
+Drängen der Freunde immer wieder die bewundernde Frage auftauchte, wo
+er sie denn hernimmt, die vielen genialen Gedanken, der Himmelsakra
+übereinand?!</p>
+
+<p>Je nun, wo er sie hernimmt, der Himmelsakra? Das weiß nur einer, in
+dem die Himmelsmächte fast ebenso rumoren, wie in dem stillen Franz,
+von dem ein gutes Wort sagt, der liebe Gott hat's ihm gegeben. Es gibt
+kein besseres, wenn es nur recht verstanden wird; Cherubim weiß es, er
+schweigt fein still zu den Fragen und lächelt Franz zu — es geht die
+anderen nichts an.</p>
+
+<p>Holzapfl setzt einen Dämpfer auf.</p>
+
+<p>»O du essigsaures Holzapflgesicht!«</p>
+
+<p>Er läßt sich aber nicht irre machen, er muß den Tropfen Wermut in den
+Freudenbecher tun: »Also daß die Begeisterung<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> des Publikums wohl
+auch für den ›Wanderer‹ auf gleicher Höhe geblieben, aber bei dem
+›Gesang der Geister über den Wassern‹ bedenklich herabgesunken und sich
+eigentlich in Befremden verwandelt hätte.«</p>
+
+<p>»Das ist eben ein Beweis,« braust Schwind auf, »daß die verfilzten
+Ohrwascheln der lieben Zeitgenossen erst noch ganz gehörig aufgestemmt
+werden müssen, ehe sie für die Offenbarungen des Genius empfänglich
+werden. Den ›Erlkönig‹ haben sie glücklich begriffen und meinen,
+jetzt müßte alles drehorgelhaft im Erlkönigton weitergehen — lauter
+Erlkönige, damit die faule Bande in ihrer angeborenen Denkfaulheit
+und Bequemlichkeit nicht gestört werde. Daß sie durch den ›Gesang der
+Geister über den Wassern‹ durch einen neuen Geniestoß aus der süßen
+Gewohnheit aufgeschreckt werden, das geht ihnen schon gegen den Strich.</p>
+
+<p>Jetzt kann es zehn Jahre dauern, bis sie diesen zweiten Streich
+verdauen. Dann stehen sie Kopf voll Entzücken, indessen der Künstler
+schon wieder weiß Gott wo ist. Bedenkt doch, ihr Lieben, daß der
+›Erlkönig‹ schon vor fünf Jahren komponiert worden ist — es ist
+verhältnismäßig ohnehin schnell gegangen mit seiner Popularität.
+Es wäre aber interessant, auszurechnen, wie viele Jahrzehnte die
+Allgemeinheit in der Regel braucht, um den Genius wirklich zu
+begreifen.« Und mit einem boshaften Seitenblick fügt er hinzu: »Soviel
+aber wird dem Publikum klar — der Holzapfl fällt nicht weit vom Stamm!«</p>
+
+<p>Der hat jetzt sein Teil.</p>
+
+<p>Dafür rächt sich Holzapfl wieder auf seine Art und bringt in den
+nächsten Tagen ein Zeitungsblatt mit einer Kritik,<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> die er den Freunden
+nicht ganz ohne heimliche Genugtuung vorsetzt. »Der Tonsetzer,« so
+lautet der Konzertbericht, »gleicht in solchen Kompositionen einem
+Großfuhrmann, der achtspännig fährt, bald rechts, bald links, also
+ausweicht, dann umkehrt und dieses Spiel immerfort treibt, ohne auf
+eine Straße zu kommen ....«</p>
+
+<p>In dem geheimnisvollen Auf und Ab und Hin und Her der wallenden Geister
+will der Kritiker einen Großfuhrmann erkennen, der achtspännig fährt.
+Darüber erhebt sich im Freundeskreise ein unverlöschliches Gelächter.</p>
+
+<p>Dem beispiellosen Erfolg hat es übrigens kaum geschadet, daß der
+»Gesang der Geister über den Wassern« vorderhand unverstanden bleibt.
+Hat ebensowenig geschadet, daß die beiden ersten Opern Schuberts,
+»Die Zwillinge« und die »Zauberharfe«, erfolglos geblieben. Geld hat
+er keines mehr gesehen dafür, es war verlorene Arbeit. Ein erster
+tastender Versuch. Schlechte Texte, ja, das war das Malheur. Aber
+einer, der als Lyriker in den vertonten Gedichten eine so gewaltige
+dramatische Kraft bekundete, der war für die Oper geboren. Von dem war
+Neues und Unerhörtes zu erwarten, nur Zeit! Zeit, einen guten Stoff,
+vor allem aber einen sorgenfreien Kopf und ungestörte Arbeitsruhe. Aber
+da hapert's schon. Zeit, Sorgenfreiheit und Arbeitsruhe, das bedeutet
+Geld, Geld und wiederum Geld. Woher nehmen und nicht stehlen?</p>
+
+<p>Was ist das für ein Zustand? Ein Mann steht auf der Höhe der
+Meisterschaft, erntet Ruhm, Anerkennung, aber es hilft alles nichts.
+Er steht da, gebunden an Händen und Füßen, ohne Geld, ohne Verleger —
+wie soll da ein Mensch weiter kommen? »Ihr seht, das Beste, was man<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span>
+hat und macht, das ist und bleibt brotlose Kunst.« Aber Schwind weiß es
+besser: »Brotlose Kunst hat die Eigenschaft, sich mit der Zeit in Gold
+umzusetzen, man muß nur warten können.«</p>
+
+<p>»Nun ja, warten, warten — meinetwegen; um Gold ist mir nicht zu tun,
+sondern um Schaffen; aber ein Mensch, der arbeiten will, der muß auch
+leben können. Anerkennungen, Lobeserhebungen, schöne Worte — davon
+kannst nicht abbeißen, kannst keinen Zins bezahlen, keinen Schneider
+entlohnen, nichts, nichts; höchstens das Maul auf den Nagel hängen, als
+das einzige, das einem übrigbleibt.«</p>
+
+<p>Geduld, Geduld, alles kommt. Die Freunde schießen durcheinander. Joseph
+Hüttenbrenner geht bei Sonnleithner aus und ein, dort bereitet sich
+eine ernste Sache vor.</p>
+
+<p>Die beiden Sonnleithner, Vogl, Schönstein, Grillparzer, die Schwestern
+Fröhlich, ein ganzer Kreis von Verehrern bilden ein Komitee, sie wollen
+den »Erlkönig« auf eigene Kosten stechen lassen und bei Diabelli
+kommissionsweise verlegen.</p>
+
+<p>Franz hat sich wieder in seine Arbeit eingesponnen und sitzt in seiner
+Klause. Ist der einzige Trost, die Übel der Welt gehen an der Tür
+vorüber, wenn man bei der Arbeit sitzt.</p>
+
+<p>Sonnleithner ist schon ganz ärgerlich, Franz müßte sich mehr zeigen, er
+sollte einer Sängerin, dem Fräulein Linhardt nämlich, den »Jüngling«
+einstudieren, für seinen Geisterchor am Freitagabend. »Warum kommt er
+denn nicht? Warum kommt er denn nicht?!« setzt sich hin und<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> schreibt
+dem Hüttenbrenner ein paar ärgerliche Zeilen, er müßte sich billig
+wundern, daß Schubert sich gar nicht bei ihm sehen ließe, da er doch
+wegen seinem »Erlkönig« und wegen anderer Angelegenheiten ihn dringend
+zu sprechen habe.</p>
+
+<p>Diese »anderen Angelegenheiten« sind indessen schon im Gang, am
+nächsten Freitagabend kann Sonnleithner den Gästen verkünden, daß die
+Ballade erschienen sei — noch am selben Abend haben hundert ihre Namen
+in die Subskriptionsliste gezeichnet. Macht ein schönes Geld aus, der
+Preis ist nicht gering, die Kosten kommen glatt herein, ein schöner
+Überschuß dazu — der fließt in die Tasche Schuberts.</p>
+
+<p>Der Anfang ist gemacht, die Sache zieht, Diabelli merkt, hier kann
+man einen Schnitt machen. Es dauert nicht lange, erscheint wieder ein
+Heft und wieder eines, ein Geriß ist darum wie beim Bäcker um die
+frischen Semmeln. Alle drei, vier Wochen ein neues Heft mit mehreren
+Liedern. Kein Konzert wird gegeben, wo nicht eine oder mehrere Sachen
+von Schubert gesungen werden. Die Zeitungen singen sein Lob in allen
+Tonarten. Das Meisterlein steht auf der Höhe seines Ruhms.</p>
+
+<p>Jetzt klimpern auch die Taler um ihn herum. Es ist ja verhältnismäßig
+bescheiden, was er einnimmt, aber trotzdem, einen solchen Wohlstand
+hatte er noch nie gehabt wie jetzt.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a — ! —</p>
+
+<p>Der tröstliche Satz klingt immer wieder durch sein Gemüt. Er löst sich
+auf, verschwebt und kommt unversehens wieder hervor, immer wieder ein
+verheißender Anfang.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span></p>
+
+<p>Jetzt hat die ängstliche Sparerei ein Ende, ein Flascherl Tokaier
+mehr für die lieben Freunde, was liegt da daran, man läßt die paar
+Kröten springen, in ein paar Wochen sind sie wieder hereingebracht,
+es erscheint ein neues Heft, der Born ist unerschöpflich, und wenn
+ihm wirklich einmal der Draht ausgeht, so ist schon dafür gesorgt,
+daß andere Quellen springen. Das haben die lieben Freunde getan. »Die
+Anerkennungsschreiben von den Herren Gönnern, was sind sie denn wert,
+wenn man sie nicht zu Geld machen kann?«</p>
+
+<p>Der schlaue Hüttenbrenner weiß guten Rat. Er besorgt den Verkehr mit
+dem Verleger, führt Rechnung, nimmt Franz alle Geschäfte ab, schreibt
+Briefe für ihn, tut alle Sekretärdienste, und tut es mit einer
+Hingebung, als ob es um das eigene Wohl und Wehe ginge. Der sorgt auch
+dafür, daß die Hefte mit Dedikationen erscheinen.</p>
+
+<p>Meistens lassen es die also geehrten Gönner bei schönen Dankesworten
+bewendet sein, zuweilen aber bringt es einen Ehrensold ein, so von
+dem Grafen de Fries und von dem Erzbischof Ladislaus von Pyrker, der
+als Dichter einen nicht unbedeutenden Ruhm genießt und von dem ihm
+gewidmeten »Wanderer« entzückt und ergriffen ist.</p>
+
+<p>Eine Hand voll Geld fällt bei diesen Gelegenheiten für Franz ab, der
+kann's gut brauchen, es wächst ihm kein Moos und kein Schimmel darauf.</p>
+
+<p>Unheimlich, wie unter den freundlichen Sonnenblicken des Schicksals
+die Arbeitsleistung wächst. Der Schädel brummt zwar gewaltig,
+als ob er zerspringen wollte, nach der Fieberhitze des Schaffens
+hämmert es drinnen lange nach und will gar nicht zur Ruhe kommen
+— da hilft<span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span> nichts als die Zuflucht ins Grüne oder am besten noch
+in die feuchtfröhliche Tafelrunde der Freunde, um mit einem Glas
+Wein das Arbeitsfieber zu schlagen. Fieber gegen Fieber — aber am
+nächsten Morgen ist er wieder geladen mit allen Schöpferkräften der
+Unendlichkeit, sie zersprengen schier das Gefäß — die Losung ist
+arbeiten, er meint, es müßte ihn sonst zerreißen.</p>
+
+<p>Sein Ruhm hat mit einemmal schnelle Beine und rennt mit
+Siebenmeilenstiefeln durch die Welt. Wien, Dresden, Berlin — überall
+bekommt der Name Schubert einen Klang. Die Hefte gehen reißend ab.
+Wieviel der Diabelli verkauft, weiß man nicht genau. Der Joseph
+Hüttenbrenner hat seine liebe Not. »Bandit!« flucht er und wirft
+eifrig die Angel aus, ob denn nicht ein anständiger reichsdeutscher
+Musikverleger zu gewinnen wäre.</p>
+
+<p>»Besitzt doch Wien dermalen wieder ein Talent, das bereits die
+allgemeine Aufmerksamkeit erregt und schon zum Liebling des hiesigen
+Publikums geworden ist — kurz und ohne Übertreibung gesagt, es ist ein
+zweiter Beethoven; dieser unsterbliche Mann sagt von ihm gar, dieser
+wird mich noch übertreffen ....« So schreibt Joseph Hüttenbrenner nach
+Leipzig an K. F. Peters.</p>
+
+<p>Aber auch dieser Verlagsgewaltige ist harthörig; man müsse doch erst
+abwarten — welche Menge früherer Werke Mozarts sei überhaupt nicht
+gedruckt worden, da müsse sich ein junger Künstler schon bescheiden,
+die Erfahrung allein muß lehren, ob er den ganz Großen gleichzustellen
+sei, kurz, ein Hin- und Herreden, halb ja, halb nein, man weiß nicht
+recht, will er, will er nicht, aber soviel steht fest, das ganze
+Manöver hat doch den einzigen<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> Zweck, den Preis zu drücken. Ist doch
+der eine einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert! Er will
+bitter werden, aber er besinnt sich. Geduld also — man kann ja warten,
+bis der Rechte kommt. Es eilt nicht. Einstweilen ist man ja bei
+Diabelli in sicheren Räuberhänden.</p>
+
+<p>Überall, wo konzertiert wird, erklingt auch Schubert. Graz kann nicht
+zurückbleiben, wo so treue Eideshelfer wirken wie Jenger und Anselm.
+Von den Grazer Aufführungen melden alsbald die Zeitungen, ebenso von
+den Linzer, wo Spaun und Freunde hinter der Sache her sind.</p>
+
+<p>Aber der Anselm ist ein wunderlicher Kauz, den läßt der Ruhm des
+»Erlkönig« nicht schlafen. Der Ehrgeiz stachelt ihn, er möchte den
+jungen Meister übermeistern. Fiedelbum! Flugs hat er aus dem »Erlkönig«
+einen Erlkönigwalzer komponiert. Fiedelbum! Ei verflucht!</p>
+
+<p>Schwind ist ehrlich entrüstet: »Das ist mir aber ein lieblicher Kauz!
+Der versteht's! Was Schubert fürs Herz entdeckt hat, macht er für
+die Beine zurecht! Daran mögt ihr erkennen, wie der unseren Franz
+verstanden hat!«</p>
+
+<p>Für den Spott brauchte der treue Anselm jetzt nicht zu sorgen.
+Fiedelbum!</p>
+
+<p>»Na, na!« winkt Franz ab. Er rechnet dem Freunde in Graz die
+Entgleisung nicht allzu schwer an. Fiedelbum! Der hat's selber zu
+tragen und wird sich ein zweites Mal hüten. Fiedelbum!</p>
+
+<p>Mehr denn je stehen dem Liechtentaler Schulmeisterssohn die Türen der
+Salons offen — mehr denn je sucht er den Händen zu entwischen, die
+nach ihm greifen. Die Arbeit<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> und die Freundschaft sind die Gottheiten,
+deren Dienst er fast ausschließlich geweiht ist. Und selbst die
+Freundschaft muß sich zuweilen bescheiden, denn eine dritte Gottheit
+ist, die ihn mit magischer Gewalt zu sich heranzieht — die Einsamkeit.
+Das können viele nicht begreifen.</p>
+
+<p>Der alte Doktor Sonnleithner wird fast ernstlich bös über die
+notorische Unverläßlichkeit des Schützlings. »Für den man soviel getan
+hat!«</p>
+
+<p>»Also warum kommt er nicht? Warum kommt er denn nicht?!«</p>
+
+<p>»Mit Verlaub, der Herr Schubert ist in Atzenbrugg!« entschuldigt Joseph
+Hüttenbrenner.</p>
+
+<p>»Also immer auf Duliäh — muß denn das Gerstel auf einmal durchgebracht
+sein!« knurrt der Alte.</p>
+
+<p>»Entschuldigen's, Herr Doktor, aber so ist es auch wieder nicht!« sagt
+Joseph zur Verteidigung des Freundes.</p>
+
+<p>»Nein, gewiß nicht! Gearbeitet hat er wie ein Pferd, mein Gott, wenn
+ich das alles denken müßte, mir ging der Kopf auseinander. Ein paar
+Tage aufs Land, das wird er sich doch vergönnen dürfen, nach all den
+Strapazen .....«</p>
+
+<p>Dagegen läßt sich allerdings nichts einwenden.</p>
+
+<p>»Auf nach Atzenbrugg!« Das ist ein Ruf, dem Franz nicht widerstehen
+kann.</p>
+
+<p>Schober ist der Rädelsführer; bei Atzenbrugg hat sein Oheim ein Schloß,
+dahin werden Wanderfahrten unternommen, an denen fast der ganze
+Freundeskreis teilnimmt.</p>
+
+<p>Franz fühlt sich müde und ausgepumpt, er weiß nicht recht, soll er oder
+soll er nicht. An der Wand hängt die<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> Gitarre, eine Saite ist gerissen,
+das grüne Band fängt an zu bleichen. Sie hat schon lange nicht im
+fröhlichen Verein gezirpt auf einer lustigen Fahrt ins Grüne und Blaue.
+»Schade um das schöne, grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand.
+Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern!« Das ist die
+innere Stimme, die immer guten Rat weiß, es ist gut, ihr zu gehorchen.</p>
+
+<p>»Also auf nach Atzenbrugg!«</p>
+
+<p>Lieblich ist's, zwischen den Pappelreihen hinzufahren, die die weiße
+Landstraße grün besäumen und mit ihren aus- und eingeschwungenen
+Zeilen hoch in der Landschaft stehen. Weit, weit kann man die grüne
+Wand verfolgen, die sich über Tal und Hügel schwingt. Man fährt in
+einer offenen Chaise, die viele Querbänke hat und ganz besetzt ist mit
+lustigem Volk. Zeiserlwagen, so nennt ihn ein launiges Wort. Aber die
+Wiener Laune ist meistens etwas gepfeffert und hält sich an drastische
+Ausdrücke. Sie zieht es vor, dieses Gefährt vergleichsweise einen
+Kalbelwagen zu nennen. Der edle Reisewirt, der den Kalbelwagen für den
+Freundeskreis gestiftet hat, ist Schober, der sich auf der Fahrt nach
+Atzenbrugg als Mäzen fühlt.</p>
+
+<p>»Ich fahre mit,« erklärt Schubert, »aber eine Bedingung ist dabei —
+daß Melusine kommt, und daß mir der Platz an ihrer Seite bleibt!«</p>
+
+<p>»Mir blutet das Herz,« versichert Schober treuherzig scheinheilig,
+»aber den Platz an der Sonne tret' ich dir ab, weil du es bist.«</p>
+
+<p>Franz wohnt im Rossauer Schulhaus bei seinem Bruder Ferdinand, der vom
+Schulgehilfen längst zum Schulleiter<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> vorgerückt ist und knapp vor der
+Beförderung zum Schulinspektor steht. Mit Bruder Ferdinand hat Franz
+seit jeher ein wärmeres Verhältnis gehabt. Aus der Blutsverwandtschaft
+wird die höher geartete seelisch bestimmte Lebensfreundschaft.
+Ferdinand ist stolz, den berühmten Bruder zu beherbergen, von dem jetzt
+alle Welt redet. Er weiß, daß der Herr Vater ganz von Hochachtung
+erfüllt ist für den genialen Franz, dessen junger Ruhm einen
+Lichtstrahl auf das bescheidene Elternhaus und dessen Insassen wirft.
+Der Bruder Ferdinand, der in der Rossauer Schule wohnt, hat sich's
+nun nicht nehmen lassen, Franz zu beherbergen, solange dieser bei ihm
+wohnen mag.</p>
+
+<p>Und jetzt das Aufsehen, als Schober zur festgesetzten Stunde mit
+dem Kalbelwagen vorfährt, zweispännig, Peitsche und Pferdemähnen
+bändergeschmückt, wie zu einer Maifahrt, und richtig: auf der ersten
+Bankreihe sitzt groß und stattlich Melusine, märchenhaft anzusehen,
+wie eine Wald- und Quellennymphe, die geradewegs aus der Legende auf
+einem Kalbelwagen mitten in die staunende Stadt fährt. Dem Franz
+pumpert das Herz, als er mit dem Ränzel um die Schultern und der
+Gitarre in der Hand, an der das grüne Lautenband weht, hinaufsteigt in
+den Zeiserlwagen und neben der holden Therese Platz nimmt. In allen
+Fenstern liegen neugierige Köpfe und munkeln über das wundersame
+Gefährt: »Macht er denn Hochzeit, der Bruder des Herrn Schulleiter?!
+Ist wohl eine reiche Braut — mein Gott! Und schön zum Verrücktwerden!
+Schaut sie's an, die wunderbaren Haar, leuchten wie eine Krone, und die
+Augen sind blau und tief wie zwei Edelsteine, und das liebe Gesichtel,
+und der<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> Mund wie ein Röserl, und die Gestalt, viel größer als er,
+gewachsen wie ein Bäumerl und rundum was dran, nun ja, freilich, alles
+was sich gehört — nur so zum Anbeißen, rein zum Vergaffen!«</p>
+
+<p>Ein Peitschenknall, die Pferde greifen aus, weg sind sie; die Leute
+der grünen Torgasse haben Gesprächsstoff noch gut für zwei Tage, ein
+Märchenschimmer war in ihre Gasse gefallen.</p>
+
+<p>Dem Franz ist selig zumut wie einem richtigen Märchenprinzen. Da kommt
+die Liebe auf dem Zeiserlwagen in seine Gasse gefahren, er sitzt mit
+der bändergeschmückten Gitarre neben ihr, wie er es geträumt hat, er
+schaut in ihre rätselhaft tiefen Augen, ein seltsamer, quellfrischer
+Hauch geht von ihr aus, er ist ganz verzaubert. Aber es wird ihm gleich
+auch bänglich zumut, denn er findet nicht die rechten Worte, die Schöne
+zu unterhalten. Wenn er allein ist, dann wüßte er viel zu sagen, aber
+vor ihr ist er befangen, und er kommt sich stockdumm vor. Ein Glück,
+daß sie nach kurzer Fahrt wieder vor einem Haus halten.</p>
+
+<p>Da springt ein junges, nicht unhübsches, lebhaftes Mädchen hervor,
+Netty Hönig, eine Freundin Theresens, und ihr Bruder Hönig, beide
+geschniegelt und gebügelt, sind ja wohlhabender Leute Kind und
+geldstolz; reiben sich gern an Künstlern, mit denen sie freilich
+scharmant umzugehen wissen. Hätte ihnen der Geldstolz auch wenig
+gefrommt in einem Kreis, wo der einzige gültige Adelsbrief auf die
+Schubertsche Formel lauten mußte: »Kann er was?«, eine Geniemarke,
+die im Sprachgebrauch der Freunde auf die Scherzform abgeglättet
+wurde: »Kanevas?« Hönig war kein Kanevas, und all sein Geld half<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> ihm
+höchstens zu einem geduldeten niederen Laientum, mit dem besonders der
+ungeschminkte Schubert nicht viel Geschichten machte: »Also hockt's
+auf, Gesindel!«</p>
+
+<p>Aber mit dem Aufhocken geht's nicht so schnell. Sie müssen auf eine
+Dritte warten, die jetzt aus dem Hausflur herauskommt, die liebliche
+Johanna Lutz, mit ihren blonden Stirnfränschen über den hellen,
+gescheit blickenden Augen in dem herzigen Gesicht. Das ist die
+Braut des Leopold Kupelwieser, sie muß sich hinter der Netty Hönig
+verschanzen, damit kein dummes Gerede entsteht, während hinwiederum die
+Netty als Gardedame ihren Bruder mit dem Fledermausgesicht hat. Auch
+für Therese ist Netty das Paravent der Sitte und Ehrbarkeit, kurz eines
+muß dem anderen Mauer stehen, um solcherart der albernen Konvention ein
+Schnippchen zu schlagen, darin ja die Jugend nicht verlegen ist.</p>
+
+<p>Da kommt er schon daher, der Leopold »Kupel«, wie ihn die Freunde
+mit einer beliebten Abkürzung nennen, ein hoher, gerade gewachsener
+Bursch mit schwärmerisch in die Ferne blickenden Augen, als Maler das
+klassische Gegenstück zu dem romantischen Schwind. Er schaut nach Rom
+und nach der Antike aus, genau so schwärmerisch, wie Schwind nach
+den mittelalterlichen Burgen, nach Rittern, Waldgeistern und Elfen
+ausschaut.</p>
+
+<p>»Grüß Gott, edler Kupel!« Die Anrede klingt schon wärmer, als sie dem
+Hönig geklungen hat. Aber der lange Kupel, der sich mit einem Satz
+hinaufschwingt, dicht neben die zarte Lutz hin und Hand in Hand mit ihr
+zusammensitzt, der gehört mit in die priesterliche Kaste der Kanevas.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span></p>
+
+<p>»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« greift Schubert in die Saiten der
+Gitarre. Worte hat er nicht viel zu geben, er sagt's lieber in Tönen,
+was ihn erfüllt. Eine stille Heiterkeit ist über ihn gekommen, er fühlt
+sich wunschlos glücklich neben der schönen Melusine.</p>
+
+<p>»Die Musik klingt aber traurig!« ist Hönig vermessen genug, zu sagen.</p>
+
+<p>»Dummer Kerl,« brummt Schubert und gibt's ihm zurück, »haben Sie schon
+eine lustige Musik gehört? Ich nicht!« Der Hönig ist blamiert, man
+sieht, er ist kein Kanevas, sonst wäre ihm eine so alberne Äußerung
+nicht passiert. »Wie kann denn Musik lustig sein, wenn sie von dem
+Herzen singt? Wenn sie von Lust singt, klingt es wie Weh, und wenn sie
+von Weh singt, ist es die Lust!«</p>
+
+<p>Das könnt' er dem Pfründner jetzt sagen, der sich mit all seinem Geld
+nicht einen Fuß breit von dem Seelenland kaufen kann, so gern er
+möchte, wo er, Franz, unumschränkter König und Gebieter ist mitsamt
+den paar Getreuen, die an seiner Seite sind. Er könnte ihm jetzt das
+auseinandersetzen, was er denkt, aber wozu denn? Es steht gar nicht
+dafür!</p>
+
+<p>»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« Mit Gitarregezirp, Gelächter und
+Fröhlichkeit geht's von Haus zu Haus, wo Freunde wohnen, die mitkommen.</p>
+
+<p>»An mein Herz, geliebter Cherubim!« so lautet der Gruß in Schwindien.</p>
+
+<p>Schwind will sich neben Therese setzen, der heimliche Ritter neben die
+Quellenfrau Melusine. Aber neben Melusine hat sich bereits das listige
+Fledermäuslein eingenistet, Hönig, und läßt nicht locker.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span></p>
+
+<p>»O du abscheulicher Flederwisch mit den ewig feuchten Lippen, von
+denen die klebrige Schmeichelrede trenzt — was soll denn das viele
+Schwatzen?!« Die Schöne wendet sich lachend von ihm ab, aber der
+Häßliche hat die Gabe der unterhaltenden Worte, sie muß halt immer
+wieder hinhören, und wenn ein schiecher Kerl hübsch zu plaudern weiß,
+so dauert's nicht lange, und er gleicht einem Apoll.</p>
+
+<p>»Wirst dir aber wenig herausfetzen, wenn auch deine Rede Honig ist, du
+garstiges Schwatzmaul!« dachte Franz und zupfte seine Gitarre.</p>
+
+<p>Schwind hat sich neben Netty Hönig gesetzt, es scheint, daß er dem
+munteren Mädchen sein Herz verpfänden will.</p>
+
+<p>Mit Klimbim und Trara ging's also die Alleen entlang und zwischen
+Hügeln und Kornfeldern hin.</p>
+
+<p>Klim bim! zirpte die Gitarre, und eine Stimme summte dazu: »Ich hab'
+das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern! Weil unsere Lieb' ist
+immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn, drum haben wir es
+gern, drum haben wir es gern! Nun schlinge in die Locken dein das grüne
+Band gefällig ein, du hast ja 's Grün so gern, du hast ja 's Grün so
+gern! Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe
+thront, dann hab' ich 's Grün erst gern, dann hab' ich 's Grün erst
+gern!«</p>
+
+<p>Summte und sang es der Fee Melusine ins Ohr.</p>
+
+<p>Sie hatte auch das Grün so gern und ging auf den Spaß ein und ließ das
+grüne Lautenband um ihre festgesteckten Locken flattern. Dafür band
+sich Franz die Gitarre mit<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> einem Stricklein über die Schultern fest.
+»Mit all deinen honigbestrichenen Leimruten, lieber Hönig, wirst du
+nichts fangen!« Die Musik war die stärkere Lockung, und das Herz hing
+in dem Lautenband wie das Vöglein in einer Schlinge.</p>
+
+<p>In nächster Nähe von Atzenbrugg thronte auf einem Hügel das Schloß
+Ochsenburg, dem Bischof Hofrat von Dankesreither gehörig; in diesen
+Tagen aber machte der elegante Neffe Schober die Honneurs, bewirtete
+die Wiener Freunde drei Tage lang. Der Wagen fuhr in den Hauptplatz
+mit der schönen, wolkengetürmten Dreifaltigkeitssäule, die ein
+kleiner Zwillingsbruder der Säule am Graben in Wien zu sein schien,
+die Herren sprangen ab, die Dämchen durften sitzen bleiben, indessen
+der zweispännige Wagen langsam den Hügel hinaufkroch und durch den
+breiten, kühlen Flur zwischen den gewaltigen, halbrunden Ecktürmen
+in den weinbewachsenen Hofraum einfuhr. Gott, war es da schön in dem
+grasbestandenen Hof mit dem alten Ziehbrunnen, so recht ein Schmaus für
+das romantische Gemüt Schwinds.</p>
+
+<p>Einfach war das Mobiliar in dem langen Speisesaal, den weiten
+Wohnräumen und den Schlafzimmern, altes, gebrechliches Gerümpel in
+dicken, gewölbten, weiß getünchten Mauern, in Wänden, sanft gekrümmt
+unter der Last des Alters, voll Runzeln wie ein Greisenantlitz und
+zugleich wetterhart und eisenfresserisch in der trotzigen Wucht mit dem
+gewaltigen Dachhelm und der knarrenden, rostigen Wetterfahne oben.</p>
+
+<p>Jetzt war junges Leben in den alten hallenden Gängen und luftigen
+Arkaden oder den Hofgewölben und Vorratskammern,<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> drei Tage lang in
+der Zeit, da der Herr Bischof und Oheim in der Gasteiner Ache sein
+Zipperlein kurierte. Die Knechte und Mägde rissen Maul und Augen auf
+über das lustige Leben, in der Küche drehte sich der Spieß, als ob ein
+ganzer Ochse in der Ochsenburg gebraten werden müßte. Alle Hände der
+dienstbaren Geister hatten vollauf zu tun, wenn der Herr Neffe als
+Flottwell mit seinen Freunden kam.</p>
+
+<p>Ein dreitägiges Fest mit Landpartien, Schmaus, Tanz und Musik — es
+vergeht wie ein Traum. Die Kunst war die Hauptsache bei dem Gastmahl,
+und Franz ward infolgedessen, ohne es recht zu wollen, oder vielleicht
+auch ohne es recht zu ahnen, der geistige Mittelpunkt des Festes. Wie
+immer wurde etwas daraus, das den Namen Schubertiade erhielt. Um Musik,
+Gesang und Dichtung war die Lebensfreude gruppiert, und siehe da, der
+Bescheidenste, Borstigste, Scheueste, Einsamste ward zum König des
+Tages.</p>
+
+<p>Der Kleine am Klavier hatte alle am Bändel — er hätte sich kraft
+seines Genius als Herrscher fühlen mögen, aber er saß in Demut da und
+schien zu darben bei dem Fest, dem er so recht eigentlich die seelische
+Weihe gab. Therese sang seine Lieder, die er begleitete, ihr junger,
+blühender Körper erbebte unter dem Sturmlied der Leidenschaft und
+Sehnsucht, die ziellos verströmte. Seine Finger gingen mechanisch über
+die Tasten, er hatte ein unendlich trauriges und wehmütiges Gefühl.</p>
+
+<p>»Wie kommt es denn nur,« mochte seine innere Stimme fragen, »daß ich
+nicht weiterkomme mit all meiner Liebe? Da steht sie, die Herrliche,
+geschüttelt wie ein junges<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> Bäumchen unter dem Frühlingsbrausen, das
+mit Verzweiflung und Tränengewalt kommt, und ich stehe dabei dreifach
+geschlagen und gebunden, ein armer, hilfloser Narr, und weiß mir nicht
+zu helfen, indessen dieser Hönig, der dreiste Bengel, so tun darf, als
+hätte er gewonnenes Spiel! Warum soll ich nicht auch so tun? Hab' ich
+nicht zehnmal mehr Recht darauf? Aber —«</p>
+
+<p>Dieses Aber, das er vor sich nicht gelten lassen wollte! Er schlug in
+die Tasten hinein, der inneren Stimme Schweigen zu gebieten. Bum, bum,
+bum! Aber der Macht der inneren Stimme kann keine Tongewalt der Erde
+Herr werden.</p>
+
+<p>»Weil du nichts bist und nichts hast und es deshalb nicht wagen darfst,
+das schöne Kind aus dem reichen Hause für dich zu begehren. Und wenn
+du es wolltest, wer sagt dir, daß sie dich liebt und daß sie dich
+nicht mit einem mitleidigen Lächeln vertröstet und heimschickt mit
+dem Zuckerbrot einer unverbindlichen Liebkosung wie damals? Wenn es
+dem Hönig einfiele, ihre Hand zu begehren, der brauchte nicht viel um
+Liebe zu fragen, der fordert sie einfach, und was er fordert, wird ihm
+gegeben werden. Warum, warum? Mit welchem Recht? Mit dem Recht der
+Seele? O nein! Du altmodischer, idealistischer Tor! Mit dem Recht des
+Geldes, dem schmutzigsten und ungerechtesten Recht —«</p>
+
+<p>So haderte seine Seele mit dem Schicksal und behauptete mit blindem
+Eigensinn: »Es ist so!« obgleich im verlöschenden Bewußtsein die
+Erkenntnisspur verblieb: »Es ist auch wieder nicht so!« Aber daran
+war kein Zweifel, daß seine Lieder und alles, was er schuf, aus dem
+Aufruhr<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> seiner Gefühle hervorquoll und von dem Schmerz seiner Seele
+geboren war. Wenn es ihnen auch unbegreiflich schien, so mußten es
+jene ahnen, die um ihn waren, als er ihnen seinen »Wanderer« vorsang.
+Am meisten ahnte es vielleicht Therese. Es ist wahr, die Sänger im
+Konzertsaal sangen das Lied kunstvoll, aber keiner so ergreifend bei
+aller Schlichtheit als Franz selber. Melusine, die Feine, hatte es
+sogleich erraten.</p>
+
+<p>»Ich wandle still, bin wenig froh, und immer fragt der Seufzer, wo?«</p>
+
+<p>Noch ehe der Gesang beginnt, dämmert die Wehmut dieser Verse in den
+einleitenden Akkorden auf. Das heiter-wehmütige Gefühl der Sehnsucht
+mit all den heftig aus dem Gefühl hervordrängenden Fragen versinkt in
+die Trostlosigkeit jener dumpfen Akkorde, die alles dunkel Geahnte zur
+hoffnungslosen, tragischen Gewißheit bringen: »Wo du nicht bist, dort
+ist das Glück!«</p>
+
+<p>Die Musik gleicht seiner eigenen Seelenlandschaft, hohe, leuchtende
+Gipfel sind darin, wo alles Selige und Heitere lebt, danach sich das
+Gemüt sehnt, aber die edlen Schatten der Melancholie lagern auf dem
+Weg in der Tiefe, den Franz wandert. Doch der Weg der Seele führt
+über Berg und Tal in stark bewegten Kurven und ist bald im Tale der
+Tränen und bald wieder auf den lichten Höhen der Seligkeit. Sie stehen
+dicht beieinander, diese Höhen und Tiefen — das tragische Bild seines
+inneren Lebens.</p>
+
+<p>»Es ist so,« schreit die Seele auf in ihrer Qual — »es ist wieder
+nicht so!« lächelt der nächste Augenblick.</p>
+
+<p>Und was er vorhin von Hönig dachte und von Therese, das hat sich jetzt
+ganz und gar widerlegt, als Melusine<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> beim Gute-Nacht-Sagen das grüne
+Band hervorzog und ein gutes herziges Wort daran knüpfte.</p>
+
+<p>»Nie hab' ich so frei und leicht gesungen als heute, ich bin
+abergläubisch — vielleicht hat's dieses da gemacht —«</p>
+
+<p>Dabei schob sie das verblichene Lautenband in ihren Busen: »Hier will
+ich es tragen — gute Nacht!« und war verschwunden wie eine flüchtige,
+klingende Welle.</p>
+
+<p>Franz lag im Bett und konnte nicht schlafen.</p>
+
+<p>»Warum hab' ich ihr nicht gesagt, wie es mir ist da drin? Warum?« Aber
+er hat es so schwer mit sich selbst, er kann sich nicht erschließen.
+Die Worte sind zu hart, zu dürftig, zu klobig, es müßte über ihn kommen
+wie ein Gewittersturm, wie ein Erdbeben, das die Klüfte aufreißt — er
+kann seine Seele nicht zeigen, es sei denn in Einsamkeit, und dann wird
+es Musik.</p>
+
+<p>Sie versteht ihn, aber sie versteht ihn doch wieder nicht!</p>
+
+<p>Das alte Spiel: es ist so — es ist doch wieder nicht so!</p>
+
+<p>Morgen wird er ihr es sagen, all sein Fürchten, all sein Hoffen.
+Morgen, wenn der große Augenblick wiederkehrt. Aber er weiß schon
+wiederum auch: er kehrt nicht wieder ....</p>
+
+<p>Knarr, knarr! singt die Wetterfahne auf dem Dach.</p>
+
+<p>»Sie pfeift dich aus!« denkt der Schlaflose in seiner Kammer. »Es ist
+des Hauses aufgestecktes Schild — ein Narr, der hier sucht ein treues
+Frauenbild.«</p>
+
+<p>Der Wind spielt mit seinem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut!</p>
+
+<p>Knarr, knarr!</p>
+
+<p>Das Schicksal pfeift ihn aus, und seine innere Stimme<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> lacht auf wie
+zum Hohn: »Ha, ha! Laß ab — sie ist eine reiche Braut!«</p>
+
+<p>Er ist nicht der einzige Schlaflose in diesem Gemäuer. In der Kammer
+nebenan liegt Schwind, auch er hört die Wetterfahne und denkt und
+denkt. Er hat sein Herz vollends verloren an Netty Hönig.</p>
+
+<p>Knarr, knarr! krächzt die Fahne auf dem Dach mit rostiger Stimme. Das
+Herz knarrt dazu, als ob der eiserne Stab sich darin um und um drehte.
+»Ach Netty, Netty — wärst du nicht eine so reiche Braut!«</p>
+
+<p>Ja, sie haben's nicht leicht, diese beiden!</p>
+
+<p>Die Festtage vergehen, der ersehnte Augenblick hat sich nicht
+wiederholt, das Herz ist voll und schwer von Liebesworten, die nicht
+gesprochen wurden. Nichts kann mehr brennen als solche feurige Worte,
+die man hinunterschlucken muß und deren Qual nur gemildert wird von
+verschluckten Tränen, die nach ihnen geweint werden.</p>
+
+<p>Franz fragt sich vergebens: »Warum ist dies alles?«</p>
+
+<p>Aber nicht einmal dem intimsten Freunde vertraut er sich an, dem
+Schwind, der die gleichen Schmerzen trägt.</p>
+
+<p>Äußerlich ist es nur eine stille Traurigkeit, die man ihm anmerkt,
+aber das ist man bei Franz gewohnt, wenn er gerade nicht lichterloh in
+Flammen steht.</p>
+
+<p>»Es ist einmal so!« sagt eine Stimme inwendig.</p>
+
+<p>Die Abreise kommt, das erlösende Wort ist nicht gesprochen. Es schnürt
+ihm die Kehle zu, wenn er daran denkt; keinen Laut brächte er hervor.
+Melusine ist gleichmäßig freundlich und liebreich, aber ihr Wesen ist
+allzu geglättet, jeder Versuch, ihr näher zu kommen, gleitet ab;<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> wenn
+sie nicht will, ist es vergebens. Das erfährt auch der Hönig, diese
+dreiste Hufeisennase.</p>
+
+<p>»Auf der Heimfahrt, auf der Heimfahrt!« denkt Franz und reimt sich
+schon manches liebe Wort zusammen.</p>
+
+<p>Aber mit der gemeinsamen Heimfahrt wird es nichts. Schober hat es im
+Rat der Götter anders beschlossen. Man weiß ja: er trägt sich mit einem
+Opernstoff, den Schubert komponieren soll. Ach ja, das ist der Weg zum
+neuen Ruhm, zu dem heißersehnten Ziel, wo er stehen möchte neben dem
+großen Wolfgang Amadeus oder zumindest neben dem volksmäßigeren Karl
+Maria.</p>
+
+<p>»Du wirst höher greifen als Weber im ›Freischütz‹! Ja, das wirst du!«
+Die Freunde wissen es.</p>
+
+<p>Einer, der hinter jedem Vers den heroischen Schritt des Dramas
+aufklingen läßt, der ist berufen, der Oper neues Leben zu geben.</p>
+
+<p>»Es verpflichtet dich, vorsichtig zu sein in der Wahl des Stoffes!«
+warnt der treue Schwind. »Du brauchst einen Text, darin die Worte
+sparsam gewählt und mit Kraft gesättigt sind — dann wirst du
+einen neuen Opernstil schaffen. Verzettle deine Kraft nicht an dem
+geschwätzigen Schund, der sich fast in allen Werken dieser Art breit
+macht. Laß dir deine Erfahrungen mit den ›Zwillingsbrüdern‹ und der
+›Zauberharfe‹ zur Warnung sein!«</p>
+
+<p>Schober gibt seine halb vollendete Dichtung »Alfonso und Estrella«
+zum besten, Franz ist entzückt, Schwind schüttelt denklich den Kopf.
+Der Cherubim ist in einer unangenehmen Zwickmühle. Er möchte Franz
+vor einer unnötigen Zeitvergeudung der kostbaren Kraft bewahren und
+andererseits dem geliebten Schober nicht wehe tun.<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> Was tun also? Den
+Freund dem Freunde opfern? Ein Schuft, wer mit der Wahrheit allzu
+ängstlich umgeht!</p>
+
+<p>»Tu's nicht, Franz,« ratet Schwind, »es ist nichts daran an der
+ganzen Großmutsgeschichte. Eine unklare Handlung, ein breites
+Geschwätz, Liebe, Politik und Langweile durcheinander gemischt. Das
+spanisch-maurische Kostüm kann es nicht retten. Geh' vorsichtig um mit
+deiner Kraft, verwende sie aufs beste, sonst kommst du leicht auf den
+Holzweg. Es wäre schade um dich und um deine gute Sache.«</p>
+
+<p>Aber Franz ist blind und taub gegen diese Einwendungen. So begeistert
+ist er von Schobers Dichtung.</p>
+
+<p>»Am besten, wir lassen das lose Pack allein heimfahren und richten uns
+hier häuslich ein!« schlägt Schober vor.</p>
+
+<p>»Im Herbste kommen wir nach Wien zurück und haben die fertige Oper in
+der Tasche. Dann, Freund, mit fester Hand den Lorbeerbaum geschüttelt,
+daß es nur so die Dukaten herunterregnet!«</p>
+
+<p>Der Plan ist verführerisch. Warum sollte er nicht gelingen? Schober
+hat Beziehungen zur Bühne, Vogl wird das Seine tun, die Anna Milder in
+Berlin hat sich selber angetragen, alle Hebel in Bewegung zu setzen,
+wenn eine Rolle für sie darin ist, also bitte, warum denn nicht?</p>
+
+<p>Nun stand Franz als Minneheld zwischen zwei Frauen, der irdischen
+und der himmlischen Liebe. Und sollte sich für die eine oder andere
+entscheiden. Es war wirklich schwer, Mensch zu sein.</p>
+
+<p>Soll er nun schmachtend auf dem Kalbelwagen neben der Fee Melusine
+sitzen und herumdrücken an dem, was er<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> sich doch nicht recht zu sagen
+getraut, oder soll er dem Wink seiner Muse folgen und den Weg des
+Einsamen gehen?</p>
+
+<p>Es müßte nicht Franz Schubert sein, wenn er sich nicht sofort
+des Rechten bedacht hätte. Also tapfer den aufquellenden Schmerz
+hinuntergewürgt und Adieu gesagt der berückenden Fee Melusine. Den
+rätselhaft tiefen Blick aus ihren graublauen Augen wird er nicht
+vergessen, der drückt ihm das Herz nun gar wehvoll zu Boden. Aber eine
+Hoffnung blüht: mit der neuen Oper in der Hand ist er ein gemachter
+Mann. Hat sie Erfolg, was gar nicht zu zweifeln ist, dann bedeutet's
+Ehre und Gewinn. Und dann macht ihm kein Hönig, und wär' er der
+protzigste Geldsack, sein Recht auf dem Wagen der Liebe streitig. Also
+vorläufig, und immer vorläufig tapfer entsagen, um den hohen ewigen
+Preis zu gewinnen.</p>
+
+<p>Er muß sich rasch umwenden, als die Fräuleins mit ihren Rittern
+tücherschwenkend davonfahren, Hönig neben Melusine.</p>
+
+<p>»Dummer Junge, möchtst heulen wie ein Schloßhund, pfui Teufel, schäm'
+dich!« meldet sich die Stimme inwendig.</p>
+
+<p>Es reißt ihn auf dem Absatz herum und im Sturm hinauf ans Klavier. Den
+Schmerz muß er in der Tonflut ersäufen.</p>
+
+<p>»Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wanderer gehn, suche mir
+versteckte Stege, durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts
+begangen, daß ich Menschen sollte scheun, welch ein törichtes Verlangen
+treibt mich in die Wüsteneien? Weiser stehen auf den<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> Wegen, weisen auf
+die Städte zu, und ich wandere sondermaßen ohne Ruh' und suche Ruh'.
+Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße
+muß ich gehen, die noch keiner ging zurück ....«</p>
+
+<p>Wenn er sein Leben überdachte, dann sah er einen Weg, den keiner ging;
+unsichtbaren Wegweisern war er gefolgt, sie weisen weiter und weiter,
+und er wußte schon, daß er folgen werde, wenn er auch allein gehen
+mußte.</p>
+
+<p>Einstweilen hatte er ja einen lieben Gefährten bei sich.</p>
+
+<p>Schober schmiedete Verse aus Leibeskräften, und Franz ließ herrliche
+Melodien daraus entstehen, leicht und blühend waren die Gedanken, die
+aus seinem musikalischen Herzen hervorwuchsen.</p>
+
+<p>»In sehr glücklicher Jugendschwärmerei, aber auch in sehr großer
+Unschuld des Geistes und Herzens,« berichtet Schober nach Wien, »wird
+das Werk gezeugt — es gedeiht!«</p>
+
+<p>O Unschuld! Die beiden Kumpane lebten recht vergnüglich hin, was
+das äußere Leben betrifft. Der Oheim kehrte aus Gastein zurück, den
+Dichtergenossen wurde es in Ochsenburg zu eintönig, sie verlegten
+ihr Quartier in das nahe St. Pölten, wo sie sich in einem Zimmer mit
+zwei Ehebetten, einem Sofa, einem Fortepiano häuslich und heimisch
+eingerichtet haben. Als sie im Spätherbst nach Wien kamen, konnten sie
+sich fühlen wie Hans im Glück, der einen Goldschatz im Ränzel trug.</p>
+
+<p>Aber mit diesem Schatz geht das Leiden an. Die Oper wandert von Kanzlei
+zu Kanzlei, sie hat nach Art der Brieftauben die verhängnisvolle
+Neigung, immer wieder zum Ausgangspunkte zurückzukehren. Spaun in
+Linz,<span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span> der sich immer auf dem Laufenden erhält, brennt vor Neugier.</p>
+
+<p>»Möcht' es doch endlich sein!« wünscht er aus tiefem Herzen. Trübselig
+genug schreibt Franz dem Freunde: »Mit der Oper ist es in Wien nichts,
+ich habe sie zurückbegehrt und erhalten. Auch ist Vogl wirklich vom
+Theater weg. Ich werde sie in kurzem entweder nach Dresden, von wo ich
+von Weber einen vielversprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin
+schicken. Mir ginge es sonst ziemlich gut, wenn mich die schändliche
+Geschichte mit der Oper nicht so kränkte ....«</p>
+
+<p>Die Hoffnung auf Berlin hing mit der angebeteten Milder zusammen. Sie
+schreibt ihm, wie sehr sie seine Lieder entzückten und welchen Beifall
+sie in der Gesellschaft finden. Sie möchte haben, daß er ein Gedicht
+eigens für sie komponiert, aber es ist ein Pferdefuß dabei, denn sie
+fügt hinzu, es müßte für ein großes Publikum berechnet sein. Was
+heißt das? Sie hat außerdem vernommen, daß er Opern geschrieben hat,
+und fragt ihn, ob sie sich nicht für ihn bei der Berliner Intendanz
+verwenden soll.</p>
+
+<p>»Aber natürlich!« Die Protektion ist gut zu brauchen, also flugs mit
+der Oper nach Berlin.</p>
+
+<p>Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch. Die Milder schreibt, daß
+»Alfonso und Estrella« durchaus kein Glück in Berlin machen würden. Und
+damit ist die Sache erledigt.</p>
+
+<p>Franz hat ihr den »Gesang der Zuleika« und einige andere Konzertsachen
+gewidmet, aber es ist nicht das, was die Milder für das große Publikum
+meint. Sie schreibt ihm darüber: »Zuleikas zweiter Gesang ist
+himmlisch<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> und bringt mich jedesmal zu Tränen. Es ist unbeschreiblich,
+allen möglichen Zauber und Sehnsucht haben Sie da hineingebracht, so
+wie im ersten Gesang der Zuleika und im &gt;Geheimnis&lt;. Zu bedauern ist
+nur, daß man alle diese unendlichen Schönheiten nicht dem Publikum
+vorsingen kann, weil die Menge leider nur Ohrenschmaus haben will ....«</p>
+
+<p>Ach du lieber Himmel!</p>
+
+<p>Aber schon der nächste Brief berichtet, daß die Zuleika dennoch
+unendlich gefallen habe; die Milder war zu ängstlich wie alle
+Theaterleute, wenn es ums liebe Publikum geht; daran scheitert soviel
+Kunst.</p>
+
+<p>Aber auch mit Karl Maria von Weber, der sich in Dresden für ihn
+verwenden soll, ist es eine so eigene Sache.</p>
+
+<p>Karl Maria kommt nach Wien zu den Proben seiner Oper »Euryanthe« und
+wird als musikalische Berühmtheit, die von »draußen« kommt, in den
+Salons serviert. Bei Sonnleithner lernt ihn Schubert kennen. Der
+Meister des »Freischütz« weiß genau, daß der junge Wiener Genius die
+Welt mit Licht zu überstrahlen berufen sei ... Als Konkurrent hilft man
+nicht gern einem, der groß zu werden verspricht und das eigene Licht
+verdunkeln könnte. Kurzum, Karl Maria ist bei aller Liebenswürdigkeit
+auf der Hut.</p>
+
+<p>Franz weiß nichts von Kollegenneid und ist naiv genug, zu glauben, daß
+alles mit rechten Dingen zugeht. Er ist begeistert vom »Freischütz«
+und zollt dem berühmten Genossen unverhohlene Bewunderung. Und gibt
+zugleich mit seinem Vertrauen das Herz hin.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span></p>
+
+<p>»Frau von Chezi, die Textdichterin Ihrer ›Euryanthe‹, hat auch mir ein
+Buch geliefert — ich bin schon mit Feuereifer an der Arbeit. Sie sehen
+also, daß wir schon vom Parnaß her verwandt sind ...«</p>
+
+<p>Das ist ein echter Franz. Die Mißerfolge können ihn nicht klein
+kriegen. Neue Opernwerke wachsen aus Herz und Hirn hervor. »Rosamunde«
+entsteht, trotzdem Schwind wettert: »Dieser verhängnisvolle
+Blaustrumpf, den hat der Teufel nach Wien gebracht! Daß gerade du zum
+Opfer fallen mußt!«</p>
+
+<p>Karl Maria scheint nicht sehr erbaut über die Eröffnung.</p>
+
+<p>Franz hat ihm Stücke daraus vorgespielt. Die Ouvertüre war zuerst für
+»Alfonso und Estrella« geschrieben, Franz hatte sie als zu aufhauerisch
+verworfen, in »Rosamunde« war sie gut zu verwenden. Das reizende,
+schlanke, feingliederige Musikstück entzückte die Freunde.</p>
+
+<p>Nur Weber blieb kühl.</p>
+
+<p>»Hm ja, wirklich nicht übel, ganz hübsche Einfälle — aber soviel kann
+ich Ihnen voraussagen: der dramatische Versuch als Ganzes wird nicht
+gelingen.«</p>
+
+<p>Neidhammel!</p>
+
+<p>Schwind war entrüstet über die absprechende Meinung.</p>
+
+<p>Er selbst hatte schwere Bedenken wegen des Textes, aber »Versuch« —
+das war eine glatte Gemeinheit. Und »hübsch« — ei verflucht! »Hübsch,
+das sagt man von einem Kravattel!« erboste sich Schwind. »Und Versuch
+— das müßte er doch wissen, daß die ›Rosamunde‹ kein Versuch ist, der
+Herr Kollege, der anscheinend an der musikalischen Gelbsucht leidet!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span></p>
+
+<p>Weber dirigierte die Erstaufführung seiner »Euryanthe« selbst.
+Natürlich ging Franz hinein, fünf Gulden der Platz — er zahlte auch
+für Schwind das Billett, macht zehn Gulden — davon konnte man damals
+einen Monat lang leben; aber Franz war kein Sparer und kein Knicker, am
+allerwenigsten, wenn es um die Kunst ging oder um die Freundschaft. Wer
+gerade Geld hatte, zahlte — Franz tat es gern, denn Schwind war fast
+noch schlechter daran, sein Genius konnte in Wien gar keine Anerkennung
+finden, und Geld hatte er fast nie in der Tasche.</p>
+
+<p>Mit Weber, der sich in den Tagen seines Wiener Aufenthaltes dem
+Freundeskreis angeschlossen hatte, saßen sie fast täglich im
+Bognerschen Café und abends im »grünen Anker« zusammen.</p>
+
+<p>»Nun, wie hat Ihnen meine Oper gefallen?!« fragte Karl Maria am Tage
+nach »Euryanthes« Premiere.</p>
+
+<p>Franz war immer ein Michel Gradaus, er verübelte es auch anderen nicht,
+wenn sie ihre Meinung rund heraus sagten, nur ehrlich mußte sie sein.</p>
+
+<p>Er nahm sich auch jetzt kein Blatt vor den Mund: »Einiges hat mir recht
+gut gefallen, aber für meinen Geschmack ist zu wenig Melodie daran —
+wissen Sie was: Der ›Freischütz‹ ist mir lieber!«</p>
+
+<p>»Bravo!« applaudierte Schwind. Der hätte jetzt hinzufügen können: Der
+Text ist miserabel, aber daran ist die verflixte Chezi schuld ... Doch
+Schwind verkniff sich diese Äußerung und legte einen vergifteten Pfeil
+auf seinen Köcher.</p>
+
+<p>»Hm, ja, nicht übel! Wirklich ganz hübsch! Aber der dramatische Versuch
+ist doch nicht gelungen!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span></p>
+
+<p>Der Streich war heimgezahlt. Karl Maria erhob sich und verabschiedete
+sich kalt und gemessen. Das Ende der Bekanntschaft war bedeutend
+weniger freundlich als der Anfang, und von »Alfonso und Estrella« war
+in Dresden keine Rede mehr.</p>
+
+<p>Dafür gelangte in Wien die »Rosamunde« zur Annahme.</p>
+
+<p>Bei allem, was Schwind gegen die Textdichterin einzuwenden hatte, die
+Aufführung war ihr zu danken. Die Chezi hatte nämlich die Gewohnheit,
+so lange lästig zu fallen, bis man Ja und Amen sagte, um nur Ruh' zu
+haben vor ihr. So war es in der Oper.</p>
+
+<p>Was Schwind befürchtet hatte, traf ein. Es war ein nicht zu
+verhüllender Mißerfolg, den der unerträglich geschmacklose Text
+verschuldet hatte.</p>
+
+<p>Schwind, Joseph Hüttenbrenner, Mayrhofer, alle Freunde und Schubert
+gingen mit Herzklopfen hinein.</p>
+
+<p>»Diese heillose Frau von Chezi!« so beginnt Schwinds Bericht an
+Schober, der wieder unterwegs ist und sich selber sucht. »Franz
+hat wieder einen ganzen Reichtum von Perlen hingestreut, die auch
+gebührend beachtet wurden, besonders die Ouvertüre. Wie ich immer sage:
+ein Ziselieren im Kleinen, eine lyrische Ausbeutung des einzelnen
+Wortes, was in dem geschwätzigen, inhaltslosen Text leider zu lauter
+verpufften Wirkungen führt. Ein herrliches Feuer, an dem sich das Herz
+der Menschheit erwärmen müßte, wird hier mißbraucht, um dichterische
+Wassersuppen gar zu kochen. Sie mundete niemand. Der arme Schubert!
+Er hätte einen Stoff gebraucht, der machtvoll ist durch die Größe und
+Einfachheit des Wortes. Hat wieder einen Fehlgriff getan, der sich
+bitter rächen<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> muß. Daß es ein sanfter Durchfall war, läßt sich leider
+nicht leugnen. Die Aufführung hat ihm mehr geschadet als genützt, er
+hat buchstäblich umsonst gearbeitet ....«</p>
+
+<p>Ungefähr so lautete das Urteil des Freundes, der den Schlag härter
+empfand, als wenn er ihm geschehen wäre.</p>
+
+<p>Auch damit hatte er recht, Franz hatte buchstäblich umsonst gearbeitet.
+Nach dem Mißerfolg der »Rosamunde« trauten sich die Bühnen erst recht
+nicht an seine Opern heran. In rascher Folge waren neue Bühnenwerke
+entstanden, »Fierrabras«, »Die Verschworenen oder der häusliche Krieg«,
+ein vielversprechendes Fragment »Sakontala«, sie lagen alle neben
+»Estrella« und »Rosamunde« friedlich in der Tischlade oder kehrten nach
+vergeblichen Rundreisen über die Theaterkanzleien dahin zurück. Wieviel
+Lebenskraft und Schöpferwille ward hier fruchtlos vertan!</p>
+
+<p>Auf die Epoche des glänzenden Aufstieges schien eine Zeit der
+Mißgeschicke gekommen zu sein. Sind es die biblischen sieben Jahre,
+in denen sich der Schicksalsstern entweder in aufsteigender oder wie
+jetzt in absteigender Linie bewegt? Man weiß es nicht, man nimmt's
+gleichmütig hin, man kann nichts Besseres tun als seine Pflicht und
+warten, bis günstigere Zeiten kommen.</p>
+
+<p>»Wenn nur der Verleger nicht so gewissenlos wäre!«</p>
+
+<p>Damit ist der Diabelli gemeint, der ihm das Verlagsrecht für seine
+erfolgreichsten Liederhefte für ein Butterbrot abzuluchsen verstand und
+ihn bei den kommissionsweisen Sachen noch obendrein übers Ohr haute
+nach Noten. Um der Unverschämtheit die Krone aufzusetzen, schließt er<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span>
+jetzt eine Rechnung ab, bei der Franz, anstatt Geld zu bekommen, noch
+fünfzig Gulden zu zahlen hätte.</p>
+
+<p>»Ein sauberer Patron!« Franz wirft ihm die ganze Wahrheit an den
+Kopf. Sie ist knüppeldick genug, um dem Faß den Boden auszuschlagen.
+Es ist nicht nur die ewige Betrügerei — die Skrupellosigkeit dieses
+Geschäftsmannes vergreift sich auch an dem geistigen Gut, die
+Lieder und Tänze kommen vielfach verstümmelt und mit entstellenden
+Zusätzen heraus, die nach des Verlegers Meinung die Schöpfungen
+»publikumsreifer« machen sollten. Der geduldige Franz ist darüber aus
+dem Häuschen; in einer Aufwallung des gerechten Zorns richtet er eine
+geharnischte Absage an seinen Ausbeuter, und damit war ein für allemal
+reiner Tisch gemacht.</p>
+
+<p>Das Suchen von Verleger zu Verleger geht nun erst recht an. Wie es
+manche verstehen, die üble Lage des Künstlers auszunützen! Da sind
+einige, die würden mit ein oder zwei Stücken den Anfang machen (werden
+sich freuen!), nur zahlen wollen sie nichts — als Entgelt einige
+Freiexemplare! Später, ja, wenn sie den Profit gemacht hätten, würden
+sie ihm für weitere Sachen eine bare Entschädigung geben; er wird mit
+Phrasen abgespeist, als ob er noch ein blutjunger Anfänger wäre.</p>
+
+<p>Wien schwelgt in Schubertscher Musik, sein Ruhm ist begründet auch
+in anderen Städten — dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Ein
+schwieriges Problem, ohne Amt und ohne festes Einkommen der Kunst zu
+leben. Er will es fertigbringen!</p>
+
+<p>Ein Es-Dur-Trio, unter Brüdern hundert Gulden wert, bietet er der Firma
+Probst an.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span></p>
+
+<p>Sie möchte gern, o ja! — Nur ein Haken ist dabei.</p>
+
+<p>»Gern sind wir erbötig, zur Verbreitung Ihres Künstlerrufes beizutragen
+.... leider wird der eigene, sowohl oft geniale als wohl auch mitunter
+etwas seltsame Gang Ihrer Geistesschöpfungen in unserem Publikum noch
+nicht genug verstanden ....«</p>
+
+<p>Immer die nämlichen, geschraubten Wendungen, die den Vertrieb der Werke
+schwierig hinstellen, um den Preis zu drücken.</p>
+
+<p>»Ja, wenn einmal das Eis gebrochen ist ...« Sie versprechen ihm goldene
+Berge, aber für später, später .... Zukunftsmusik!</p>
+
+<p>Kurz und gut, statt der verlangten hundert Gulden schickt ihm die Firma
+zwanzig Gulden.</p>
+
+<p>»Wenn es Ihnen zu wenig ist, dann schicken Sie das Geld gefälligst
+wieder zurück ....«</p>
+
+<p>Wenn die Not am höchsten, ist der Hungerlohn am nächsten! Die zwanzig
+Gulden haben schon hundert Herren, also ist vom Zurückschicken kaum die
+Rede! Grausame Heimtücke!</p>
+
+<p>Da ist noch Artaria, aber der ist wirklich anständig, schier ein Mäzen,
+der zahlt dreihundert Gulden für eine Sinfonie, freilich muß er noch
+ein kleines Klavierstück darauf kriegen — das Heft kostet sechs Gulden
+Ladenpreis, hundert Hände greifen danach im Augenblick des Erscheinens
+— die Zahlen werfen ein Streiflicht auf die Verlegerbriefe.</p>
+
+<p>Nun, Gott sei Dank, wenn es auch nicht Geld regnete, so tröpfelt's
+doch hin und wieder, und wenn vollständige Dürre eintritt, dann
+helfen die Dedikationen über das<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> Gröbste hinweg. Der Gesellschaft
+der Musikfreunde hat er eine Sinfonie gewidmet, sie weist ihm einen
+Ehrensold von hundert Gulden an. Die Hand Sonnleithners ist dahinter zu
+spüren. Klingende Münze kann man gut brauchen in so sündteuren Zeiten,
+aber es glückt nicht immer. Schöne Worte fallen häufiger ab als Dukaten.</p>
+
+<p>Der Herr Bischof von Dankesreither in St. Pölten bedankt sich
+schönstens und ist freigebig mit schmeichelhaften Redensarten, aber
+es fällt ihm gar nicht ein, etwas springen zu lassen. Die Linzer
+Musikfreunde ernennen ihn zum Ehrenmitglied, die Grazer tun dasselbe
+auf Betreiben Jengers. Anselm Hüttenbrenner tut sehr wichtig mit der
+Überweisung der Urkunde — es ist eine Ehre für Franz, er kann sich
+das Blatt vor den Spiegel stecken, er kann aber auch den Mund an den
+Nagel daneben hängen, er kann es ganz leicht, weil's nicht immer was zu
+beißen und zu nagen gab.</p>
+
+<p>Aber trotzdem — Franz läßt sich nicht lumpen, er will dem Musikverein
+ein Geschenk machen, das mit seinem Menschheitswert das Blatt vorm
+Spiegel himmelhoch übertrumpft.</p>
+
+<p>»Um auch in Tönen meinen lebhaften Dank auszudrücken, werde ich mir die
+Freiheit nehmen, dem löblichen Verein ehestens eine meiner Sinfonien in
+Partitur zu überreichen ....«</p>
+
+<p>Er spürt in seiner Brust ein neues Wogen und Singen: einen
+vertraulichen Klang aus früher Zeit.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a .....</p>
+
+<p>Die Geigen in seiner Brust schreien es in die Höhe; und immer wieder
+kehrt die Melodie, immer wieder reißt sie<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> ab und sucht mit rührender
+Sorgfalt das Gesangsthema in neuen Variationen zu ergreifen .... Das
+sinfonische Tongemälde wird ein Abbild seiner Seele, ein erschütterndes
+Bekenntnis.</p>
+
+<p>Er ist kein armer Mann, er ist ein Krösus, der aus vollen Händen gibt.</p>
+
+<p>Draußen in den Weindörfern, in Währing, Weinhaus, Heiligenstadt,
+Grinzing, verbirgt einer sein Haupt in grüner Einsamkeit, ein ganz
+Großer, zu dem Franz jetzt aufsieht wie zu dem einzigen Stern über
+sich. Der geht auch einem unsichtbaren Wegweiser nach, unbegangene
+Pfade, weitab von allem Gewöhnlichen und hoch durch unwegsame Gebirge
+der Seele. Einer, der die Märtyrerkrone um seiner Kunst willen trägt,
+und zu dem das Meisterlein mit Ehrfurcht emporstarrt. Das ist Ludwig
+van Beethoven.</p>
+
+<p>Er möchte sich ihm nähern, aber eine unüberwindliche Scheu vor diesem
+Gewaltigen zwingt ihn, im weiten Bogen auszuweichen. Er getraut sich
+nicht; heimlich geht er auf den Spuren des Gewaltigen, draußen zwischen
+den Weinbergen und kleinen Winzerhäusern.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a ....</p>
+
+<p>Dieses Lebenslied mit all den hoffnungsvollen Anfängen darin läßt ihn
+nicht mehr los.</p>
+
+<p>Franz schafft mit Zyklopenhänden. Jahr um Jahr, ohne Unterlaß — das
+Arbeitsfieber ist sein normaler Zustand, er denkt nicht daran, daß es
+anders sein könnte. Erlösung, Vergessen, alle Rauschseligkeiten des
+Glücks gibt ihm diese heiße, verzehrende Arbeit. Sein Genius leuchtet
+auf wie eine mächtige Flamme, aber Franz merkt<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> nicht, daß er der Kerze
+gleicht, die an beiden Enden brennt.</p>
+
+<p>»Was ist mit mir?« sagt er eines Tages zu Schober. »Das Essen schmeckt
+mir nicht, ich kann nachts nicht schlafen, die Töne hämmern mir im
+Hirn, die Noten fliegen nur so zu, aber wenn ich nachts aufstehe, um
+sie festzuhalten, sind sie entflohen, ausgelöscht, nicht zu fassen
+.... Am Morgen ist mir dann der Schädel dumpf und schwer, ich ziehe an
+der Arbeitslast, als wäre sie ein Wagen voll Pflastersteine, und muß
+ziehen, ziehen, weil ich muß und nicht anders kann ....«</p>
+
+<p>»Du mußt dich schonen, Freund, du bist überarbeitet, lasse es sein auf
+kurze Zeit, sammle deine Kräfte, und alles wird wieder flott gehen ...«</p>
+
+<p>Aber der hatte schön reden. Man brauchte Geld und mußte verdienen. Wenn
+man statt hundert Gulden nur zwanzig bekommt und die hundert braucht,
+muß man fünfmal mehr machen oder fünfmal so schnell arbeiten.</p>
+
+<p>Aber das ist es nicht allein.</p>
+
+<p>»Weißt du denn nicht, daß Arbeiten das Paradies und Nichtarbeiten die
+Hölle für mich ist!« und jeden Tag kämpft er sich durch, aus der Hölle
+in das Paradies empor, um wieder hoffnungslos in die Hölle seiner
+Ohnmacht zurückzusinken. Aber die Sinfonie muß werden, mag auch ein
+Stück Gesundheit darauf gehen, das bringt man alles wieder ein, nur
+das Werk soll nicht erkalten, rein und volltönig muß es erklingen wie
+eine Glocke, es gibt vorher keine Schonung, und nun alles daran, was
+an Kraft aufzubieten ist! Ein Lebenslied, diese H-Moll-Sinfonie, sein
+Höchstes und Tiefstes soll es umfassen ..</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span></p>
+
+<p>Und wieder jubeln die Geigen in die Höhe: g — d — g — fis — g
+— a ..... um nach kräftigen, harten Akkorden wieder abzureißen. Er
+schleppt sich hin, ist krank und weiß nicht, wie und wo. Die Schmerzen
+sitzen bald da, bald dort, der Kopf ist müde, es ist, als ob die Kraft
+plötzlich irgendwie einen Knick bekommen hätte.</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais ...</p>
+
+<p>Geigen, Violen und Fagotte brachen in ein herzzerreißendes Klagen aus,
+die Bässe sinken hoffnungslos herab auf das tiefe C; wie einzelne
+Lichtblicke brechen Teile des Gesangsthemas durch, um sogleich wieder
+in dem düsteren Nachtgemälde zu ersterben, die Celli und Kontrabässe
+wälzen dunkle Tonfluten herauf, c — c — c — gleich gewitterhaften
+Wolkenmassen, schmetternde Blechakkorde fallen ein wie strahlende
+Blitze, dazu ein helles Geigenmotiv, das empor will wie zu Anfang, um
+gleich wieder nach hartem, erbittertem Kampf zusammenzubrechen .... Die
+Erschöpfung ist eingetreten, noch ehe das sinfonische Gemälde, ein Bild
+seines Lebens, vollendet ist.</p>
+
+<p>Franz ist zusammengebrochen. Die Nervenkraft ist erschöpft. Seltene
+Träume suchen ihn heim. Er fühlt sich als Bruder vieler Brüder und
+Schwestern, die Vergangenheit wogt daher in phantastischen Bildern, er
+sieht die Leiche seiner Mutter, der Vater erscheint ihm, er hat Streit
+mit ihm und entflieht; er wandert in ferne, unbekannte Gegenden, es ist
+ihm, als ob Jahre in dem Traum vorübergingen, seine Lieder umtönen ihn,
+die Liebe, die er gesungen, fühlt er als Schmerz, und der Schmerz, den
+er singt, wandelt sich in Liebe. Ein Traumbild jagt das<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> andere. Sie
+haften in seinem Gedächtnis, er schreibt sie nachträglich auf wie eine
+allegorische Erzählung und schließt mit den Worten ».... und ich fühle
+die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch
+meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme
+und weinte. Noch mehr aber ich.«</p>
+
+<p>Franz liegt im Spital, er hat alle Haare verloren. Als er nach Wochen
+das Krankenhaus verläßt, präsentiert er sich seinen Freunden in einer
+gemütlichen Perücke. Er kommt überdies nicht mit leeren Händen. Die
+Krankheit war im gewissen Sinne eine Wohltäterin. Es war die Zeit der
+Ruhe und des Kräftesammelns. Aber die Katz' kann das Mausen nicht
+lassen, im Spitalbett hat er wieder zu komponieren angefangen. Kleine,
+leichte Sachen zwar, ein paar Dutzend Deutsche, einer schöner als der
+andere, galante, liebliche, bacchantische und fugierte — zum Entzücken
+Schwinds, der alles getreulich an Schober berichtet, der noch immer in
+der Welt herumirrt und es wieder mit der Schauspielerei hat. Er ist in
+Breslau und möchte genau wissen, wie es Franz geht.</p>
+
+<p>»Er hat wieder seine Perücke abgelegt und zeigt einen lieblichen
+Schneckerlanflug,« berichtet Schwind nach Breslau.</p>
+
+<p>Und später heißt es, Franz habe sich einer neuen Behandlung unterzogen,
+und dann erst habe sich die Krankheit gebrochen. Aber er müsse mit sich
+vorsichtig umgehen wie mit einem rohen Ei ... »— er lebt noch immer
+einen Tag von Banaderln, den anderen von einem Schnitzel<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> und trinkt
+schwelgerisch Tee, dazu geht er öfters baden und ist unmenschlich
+fleißig ....«</p>
+
+<p>Unmenschlich fleißig, das ist er wohl. Er fühlt sich verjüngt und
+will wieder losstürmen. Aber halt, so wie früher geht's doch nicht
+mehr. Rasch tritt die Erschöpfung ein, der alte Zustand ist wieder da.
+Schlaflose Nächte und ein Hirn, das fort und fort rattert wie eine
+leere Maschine. Ein tüchtiges Glas Wein abends, ja, das hilft noch —
+den Tee hat er über, etwas Bettschwere abends hilft ihm eher, heitere
+Geselligkeit, die Freunde; wie in allen seinen Lebenskrisen sind sie
+Trost und Rettung. An die Liebe wagt er jetzt kaum zu denken. Er
+hofft auf später. Alles läßt sich noch einholen, alles Versäumte und
+Verfehlte. Nur Zeit!</p>
+
+<p>Das Lebensbild in H-Moll liegt noch da, unvollendet.</p>
+
+<p>Rasch entschlossen tut er die unfertige Sinfonie in ein Kuvert und
+schickt sie nach Graz als Geschenk an den Steiermärkischen Musikverein.
+Er löst sein Wort ein und gibt ein Werk von erschütternder Gewalt hin
+für einen nichtigen Wisch Papier.</p>
+
+<p>Anselm Hüttenbrenner als Musikdirektor empfängt es und verschließt es
+in eine Schublade. Was für ein Dämon hat Freund Anselm behext? Das ist
+ja gerade so, als wollte er den ergreifenden Aufschrei einer Seele
+mit einem Bahrtuch ersticken?! Wenn Franz das wüßte ... Aber der ahnt
+nichts und vertraut dem Freunde.</p>
+
+<p>Langsam will er hinaufklimmen zur Höhe seiner alten Kraft. Langsam,
+langsam. Manchmal hat es ja den Anschein, als wäre er wieder ganz
+oben, manchmal. Er schreibt schon lange an einem Oktett, es sprüht von
+Lebenskraft,<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> gerät fast außer Rand und Band, wuchert über an Schönheit
+und Wohllaut, etwas eigenwillig und barock in der Form, so recht
+süddeutsch, so recht österreichisch, ein ganzer und echter Schubert.
+Mit dem größten Eifer schreibt er daran; langsam, langsam geht es
+vorwärts. Schwind kommt zu ihm, Franz schreibt und schreibt. Er sagt
+nur, ohne aufzublicken: »Grüß dich Gott! Wie geht's?«</p>
+
+<p>»Gut!« — Jetzt kann aber Schwind lange warten, bis der andere wieder
+einen Ton von sich gibt. Der schreibt und schreibt und läßt sich nicht
+beirren. Der liebe Besuch, so lieb er ihm auch ist, er kann getrost
+wieder gehen. Wenn Franz bei der Arbeit ist, gibt's keine Audienz.</p>
+
+<p>Aber dann kommen Tage, wo er sich wieder von der stolzen Höhe seiner
+Kraft herabgeschleudert fühlt und wie zerschmettert am Boden liegt.</p>
+
+<p>Vielleicht wenn er aufs Land ginge, die Natur hat verborgene
+Heilkräfte. Er fühlt etwas Sehnsucht nach Bergen, nach Waldluft. Er
+möchte sich verkriechen wie ein verwundetes Tier in Einsamkeit. »In
+Grün will ich mich kleiden ...«</p>
+
+<p>Ein Glück, daß ihn Vogl mitnimmt nach Steyr.</p>
+
+<p>Er fühlt das Leiden wie eine dunkle Nacht über sich, und er findet sich
+bald ein Gleichnis dazu, dem er aus tiefster Herzensnot eine Stimme
+geben kann. Ist es nicht, als ob ihm eine Krähe folgt, der sein Leib
+bereits verfallen ist? Wenn er flieht, dann zieht sie ihm nach.</p>
+
+<p>»Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen, ist bis heute für und
+für um mein Haupt geflogen. Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht
+verlassen, meinst wohl,<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> bald als Beute hier meinen Leib zu fassen?
+Nun, es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe. Krähe, laß mich
+endlich sehn Treue bis zum Grabe!«</p>
+
+<p>Er lebt in Steyr bei Vogl in tiefster Einsamkeit, fast verborgen, und
+kehrt nach einigen Wochen nach Wien zurück. Die Krähe, die ihm von der
+Stadt aufs Land gefolgt war, begleitete ihn vom Land in die Stadt.</p>
+
+<p>Franz redet nicht gern über seinen Zustand; er schweigt und brütet
+vor sich hin, wenn er gefragt wird. Anders ist es, wenn er mit einem
+abwesenden Freunde brieflich eine Zwiesprache hält. Beim Schreiben
+drängen die zurückgestauten Gefühle mit Macht hervor, und so kommt der
+herzergreifende Brief zustande, den er an den Freund Kupel schreibt,
+der nach Rom gegangen ist, um die Sehnsucht seines Herzens an der
+Antike zu stillen. Als ob die Entfernung geeignet wäre, die Seelen
+einander näherzubringen, so schüttet Franz in dem Brief an Kupel sein
+Herz aus:</p>
+
+<p>».... mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten,
+elendesten Menschen auf der Welt. Denk' dir einen Menschen, dessen
+Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung
+darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denk' dir
+einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichts
+geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten
+als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden
+droht, und frage dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch
+ist? — Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer
+und nimmermehr — so kann ich wohl jetzt alle Tage<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> singen, denn jede
+Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen,
+und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und
+freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich
+besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete
+....«</p>
+
+<p>Sein Gemüt ist düster umwölkt — er trinkt den Leidenskelch auf seinem
+Ölberg.</p>
+
+<p>Was wird aus diesem Leben — geht es wieder aufwärts, oder kommt es
+ganz auf den Hund?</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="VIII">VIII.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Johanna Lutz, die Feine, Liebliche, geht an dem Haus auf der
+Stubenbastei vorbei, wo jetzt Franz wohnt. Sie hat von Schwind gehört,
+daß er sich auf Anraten seines Arztes vierzehn Tage einschließen
+und fasten will. Im Vorbeigehen schaut sie hinauf und ist zu Tod
+erschrocken.</p>
+
+<p>»Mein Gott, da sind ja alle Fenster offen! Da muß etwas geschehen sein!
+Das ist rein so, als ob jemand herausgestorben wäre!«</p>
+
+<p>Sie weiß, daß Franz nie ein Fenster öffnet. Solange er zu Hause ist,
+bleibt alles bumfest zu, so luftscheu ist er.</p>
+
+<p>Sie traut sich gar nicht zur Hausmeisterin hinein, um zu fragen, was
+denn geschehen ist.</p>
+
+<p>»Dumm von mir!« schilt sie sich, als sie zu Hause ist. Es läßt ihr
+keine Ruhe. Eilends ein paar Zeilen an Schwind, er soll doch nachsehen,
+was los ist. Es käme ihr alles so sonderbar vor.</p>
+
+<p>Am Nachmittag kommt Schwind zu ihr, bringt ihr einige neue Schubertsche
+Lieder und Deutsche und die Nachricht dazu: »Ja, ja, Franz ist
+ausgeflogen und wird sobald nicht wieder zu sehen sein. Darüber kann
+ein halbes Jahr vergehen. Tief im Ungarland sitzt er — in Zelez!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span></p>
+
+<p>Die zarte Lutz atmet auf. »Gott sei Dank, mir ist ein Stein vom
+Herzen!« Sie hat soviel mütterliche Sorge um die Freunde Kupels,
+besonders um Franz, über den sie fleißig ihrem Verlobten nach Rom
+berichtet, der im Café Greco sitzt und mit den Gedanken in der Heimat
+weilt — er will genau wissen, was vorgeht; Franz macht ihm Sorge.</p>
+
+<p>Der Cherubim wettert und flucht über das saure Leben.</p>
+
+<p>»Der Kupel ist fort, der Schober flaniert in Breslau herum, und nun
+hat auch Franz die Schnapsidee und ist zu den Schnauzbartlern gegangen
+.... Himmel! Teufel! Da sitzt man mutterseelenallein — ohne Geld, ohne
+Freund. Uff! Rein zum Verrecken! Die andern Freunderln? Hol' sie der
+Kuckuck — einer ist pflichtig, der andere zweifelhaft, der dritte fad
+und der ganze Haufen gar nichts! Franz, Franz, Schober, Kupel — warum
+habt ihr mir das angetan? Wenn ich jetzt nicht Sie hätte, Johanna, und
+die Netty Hönig, ach, die liebe Netty, wissen Sie — die Netty — ach,
+ich kann Ihnen gar nicht sagen — wenn ich nicht wüßte, daß die Netty
+— — Ich weiß oft gar nicht, bin ich es oder bin ich es nicht — o
+Franz, Franz, Franz!«</p>
+
+<p>Er ist ganz komisch in seiner Mischung von Ärger und Liebe,
+Verzweiflung und Seligkeit. Er greint und raunzt über Franz, aber er
+meint es nicht bös damit, er hat ihm selbst zugeredet, den Antrag des
+Grafen Esterhazy anzunehmen und wieder nach Zelez zu gehen.</p>
+
+<p>Franz hätte es vielleicht nicht mehr getan. Der erste Aufenthalt war
+schon nicht sehr ersprießlich gewesen, es war damals eine kleine Zeit
+des Stillstandes für ihn. Zwar<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> hat er ja manche liebe Erinnerungen
+mitgenommen und bewahrt — zweimal dasselbe birgt die Gefahr der
+Ernüchterung. Aber die Zeiten waren jetzt anders, er mußte leben wie
+eine Pflanze, und der Stillstand war ihm ein Schutz. Er brauchte
+ein Asyl, regelmäßiges, einfaches Leben unter einem gemessenen
+sanften Zwang, vor allem keine Sorgen. Er fühlte sich innerlich als
+Menschenruine; das Lebenshaus war halb eingesunken, der Regen fiel ihm
+durchs Dach, die Türen und Fenster klapperten, die Dielen ächzten, der
+Tod ging um, und draußen, ja draußen flog die Krähe um und um.</p>
+
+<p>Das Wankende mußte gestützt werden, Zeit und Ruhe waren nötig, die
+Schäden auszuflicken, dafür war Zelez der rechte Ort. Ein Asyl, ein
+Asyl!</p>
+
+<p>Der Bruder Ferdinand, Schulleiter in der Rossau, hat in der schweren
+Zeit ein wachsames Auge auf Franz. Nun aber waren schon drei Wochen
+vergangen, die Brüder hatten sich nicht gesehen. Franz kam doch sonst
+alle Wochen einmal zu ihm hinaus, seit er nicht mehr im Schulhause
+wohnte; er brachte den Nachmittag und Abend bei Ferdinand zu, und nach
+dem gemeinsamen Essen ging er beizeiten heim, um noch vor Torschluß
+sein Quartier auf der Stubenbastei zu erreichen. Allerdings, Franz
+hatte eine Fastenkur vor, die vierzehn Tage dauern sollte; er wollte
+einsiedlerisch leben und so wenig als möglich vor die Türe gehen. Nun
+aber sind es drei Wochen her, das macht den Ferdinand unruhig. An einem
+schulfreien Tag macht er sich auf, selbst einmal nachzusehen, was denn
+auf der Stubenbastei los sei.</p>
+
+<p>»Seit acht Tagen ist er fort, nach Ungarn — wie heißt es<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> denn
+gleich?« sagt die Hausmeisterin, die zugleich bei Franz Bedienerin ist.
+»Zelez — ja, so hat's geheißen!«</p>
+
+<p>»Daß er mir gar nichts geschrieben hat!« verwundert sich Ferdinand.</p>
+
+<p>»Ja, es war halt ein bisserl geschwind!« erklärt die Hausmeisterin.
+»Am Tage vorher hat er mir noch gesagt, daß er nach Ungarn gehen soll,
+er hätte aber wenig Lust dazu; nun, und am anderen Tage war schon der
+Reisewagen des Herrn Grafen vorm Haus.«</p>
+
+<p>Es ging dem Bruder Ferdinand so wie den andern Freunden; die Stadt war
+mit einemmal leer und stumm für sie, seit Franz dahin war.</p>
+
+<p>Mit stiller Trauer bog Ferdinand in die Wollzeile ein, dann in die
+nahe Schulerstraße, die weniger lärmend war, und blieb vor dem Gasthof
+»König von Ungarn« stehen. Es war knapp vor Zwölf, also beschloß er,
+hier zu Mittag zu essen. Im Hof drin war es schön zu sitzen unter
+den Efeuwänden und den Oleanderbäumen. Er zerschnitt ein saftiges
+Stück Rindfleisch, tunkte es in Semmelkrenn, die Küche war gut, es
+waren nur wenige Gäste da, und in dem schönen Hofraum herrschte eine
+patrizierhafte Ruhe und Ordnung. Die Mittagsglocken von dem nahen St.
+Stephan tönten herüber in hallenden, zitternden Wellenkreisen, es war
+schön anzuhören, aber Ferdinand war in Gedanken bei seinem Rindfleisch
+und zugleich bei Franz, und die Stadt hatte schier keinen Klang mehr,
+weil dieser Genius fort war. Die Glocken schwiegen; in der momentanen
+Stille fiel es Ferdinand auf, daß feierlich geläutet worden war. Er
+sah auf, in dem dreieckigen Giebel des weißgetünchten Hofes war eine<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span>
+Uhr zu sehen, die eben jetzt die Mittagsstunde anschlug. Sie begann
+zu schlagen, und als die zwölf Schläge vorüber waren, spielte sie mit
+einer feinen, metallenen Stimme ein Musikstück. Einen Walzer.</p>
+
+<p>»O Gott! Was ist denn das? Das ist ja — ein Walzer von Franz? Ein
+Schubertscher Walzer!« Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, dem
+Ferdinand — unwillkürlich stürzten Tränen aus seinen Augen und fielen
+salzig auf den Teller vor ihm.</p>
+
+<p>Es war ja gerade so, als ob Franz ihn riefe mit Geisterstimme, die dort
+oben in der Uhr aufklang!</p>
+
+<p>Das Uhrwerk schwieg, Ferdinand saß noch eine Weile da, ganz ergriffen
+und wehmutsvoll, dann ging er eilends heim, er mußte schreiben, sofort
+nach Zelez schreiben, was ihm begegnet war.</p>
+
+<p>Aber die Scheu, sein Innerstes vor dem Bruder zu zeigen, läßt es nicht
+zu, den Satz zu vollenden; er deutet mit halben Worten an, was er sagen
+will. Brüder sind oft so zueinander, bei aller Liebe und Freundschaft.</p>
+
+<p>Franz hat in Zelez sein altes Zimmer bezogen; er sieht durch das
+grünumlaubte Fenster hinaus auf den Ententeich und auf die Straße
+jenseits der Linden, wo die Post vorüberfährt. Er hört das Horn in der
+Ferne erklingen — »was hat es, daß es so hoch aufspringt, mein Herz?«</p>
+
+<p>Alles scheint unverändert wie vor so vielen Jahren, dieselben Leute
+sind noch da, dieselben Gewohnheiten, dieselbe Tageseinteilung, nur
+statt Rosa, die nicht Nein sagen konnte, bedient ihn eine alte Magd,
+die mürrisch und halb taub ist. Um so besser — so gibt es keinen<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span>
+Plausch, kein Augenverdrehen, nichts — er ist nicht aufgelegt zu
+solchen Dingen. Der Kammerdiener behandelt ihn mit wohlwollender
+Herablassung als guten Bekannten, und im Inspektorflügel ist er ein
+gern gesehener Gast.</p>
+
+<p>Im Herrenhaus ist regeres Leben als früher, in einem fort gibt's
+Besuch, Kavaliere und Damen, zu Pferd und zu Wagen, Ausflüge und Jagden
+werden veranstaltet, sonst aber geht die einfache Lebensweise fort.
+Die beiden Komtessen Marie und Karoline sind stattlich herangeblüht,
+aber sie sind noch immer so schlicht und herzgewinnend wie früher,
+besonders die Karoline. Freilich, mit dem kindischen Herumtollen, Arm
+in Arm mit Franz, mit dem großen Übermut und Glück der ersten Jugend
+ist es vorbei. Wenn sie es nicht selbst gesagt hätte, Franz wußte es
+gleich am ersten Tage durch den mitteilungsbedürftigen Kammerdiener,
+daß der schlanke, dunkeläugige Kavalier, Graf Folliot von Creeneville,
+Karolinens Verlobter ist, und daß der junge Graf Breuner, das blonde,
+schmächtige Gegenstück zu Folliot, für die dunkeläugige Komtesse
+Marie ausersehen ist, die sich zu einer recht kapriziösen Schönheit
+herausgemaust hat.</p>
+
+<p>Franz ist ganz steif vor Verlegenheit und Verwirrung, als er sich
+der Komtesse Karoline wieder gegenübersieht, aber ihre anmutige
+Unbefangenheit hilft ihm, daß er sich nach und nach wieder erfängt. Im
+Herbst ist Hochzeit, und Karoline freut sich, daß Franz hier ist; er
+muß es ihr versprechen, bei der Tafel zu sein, sie möchte ihn in ihrer
+Nähe wissen.</p>
+
+<p>Er zappelt von einem Bein aufs andere und stammelt so<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> eine Art
+Glückwunsch daher. Natürlich fängt er es dabei wieder drollig
+ungeschickt an: »Jessas, Komtesse, wie mich das freut — nun, ich
+gratuliere herzlich dazu; der Herr Graf, ein so feiner Kavalier —
+aber daß ich bei der Tafel bin, das wird doch nicht recht gehen — ich
+schau' ja gar nichts gleich!«</p>
+
+<p>Neben dem eleganten Edelmann schaut er freilich gar nichts gleich, ein
+ziemlich ruppiges Singerlein, aber die Komtesse hat ein unbändiges
+Vergnügen an seiner drolligen Unbeholfenheit, und die frühere
+Herzlichkeit ist im Nu wieder hergestellt.</p>
+
+<p>Daß ihn die Verlobung Karolinens gar so freut, das war doch ein
+bißchen dick aufgetragen; er hat einen verwunderten Blick Karolinens
+aufgefangen — ob sie es wohl nicht übelnimmt? Es war das einzige
+Zeichen, daß die Liebesstunde nicht vergessen ist, ein kleines
+Geheimnis, von Vertrauen und Freundschaft behütet.</p>
+
+<p>Mit den beiden jungen Edelleuten weiß sich Franz so gut wie nichts
+anzufangen. Die reden meistenteils von Jagen und Reiten und Pferden
+und Hunden; davon versteht er nichts; und von der Musik verstehen die
+anderen nichts.</p>
+
+<p>Unter den Dauergästen befindet sich auch Karl von Schönstein, der
+einzige, der mit der Schubertschen Musik wirklich vertraut ist und bei
+der Schicksalsfügung, die Franz wieder nach Zelez gebracht hat, den
+Drahtzieher gespielt hat; er ist mit dem väterlichen Grafen Esterhazy
+intim befreundet, die beiden unterhalten sich gern auf eigene Faust;
+um was es dabei geht, hat Franz an dem zufällig aufgeschnappten Wort
+erkannt, als der eine von den beiden von seiner herzigen Rozier sprach,
+die Franz dem<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> Namen nach kannte — eine vom Ballett; die unter
+Geflüster und Gelächter geführte Unterhaltung war also nichts für
+fremde Ohren.</p>
+
+<p>Zuweilen kamen Zigeuner und spielten unter der Linde; Franz saß in
+seinem Zimmer, rauchte sein Meerschaumpfeiflein, dachte vergangener
+Zeiten und vergaß in diesem wehmütigen Glück die Gegenwart. Oder er
+komponierte, er hatte Zeit und Ruhe; oft vergingen Tage, ohne daß man
+ihn begehrte, es sei denn, daß Schönstein singen wollte, oder die
+Komtesse Karoline eine vierhändige Übung versuchte, aber auch dies nur
+selten, oder daß er eine seiner Sachen vorspielte, für die indessen
+außer den beiden Komtessen und Schönstein kaum jemand im Herrenhaus ein
+besonderes Verständnis aufbrachte.</p>
+
+<p>Verträumt, verraucht, vergeigt, so fließen die Tage gleichförmig hin,
+einer wie der andere.</p>
+
+<p>Nur wenn die Post vorüberfährt, springt das Herz auf.</p>
+
+<p>Der Vater hat geschrieben, er gibt ihm gute Lehren. Er ist ja
+Jugendlehrer, der immer gern moralisiert, aber aus dem Tadler ist ein
+Tröster geworden. »Wir dürfen, ja wir wollen sogar die unschuldigen
+Lebensfreuden froh und mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig genießen,«
+ermuntert er den Franz, »wir müssen aber auch in trüben Umständen den
+Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat Gottes und
+führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten Ziel. Wo ist auch
+ein großer Mann in der Geschichte zu finden, der nicht durch Leiden und
+standhaftes Ausharren den Triumph errungen hätte. Darum möchte ich auch
+jene, die ich vorzüglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span></p>
+
+<p>Daß er soviel Liebe in ein paar Briefseiten legen kann, mehr als man
+je im Leben aus seinem Munde erfahren hat, das hätte man doch nicht
+erwartet. Dem Franz gehen fast die Augen über vor Rührung.</p>
+
+<p>Und nun gar der Bruder Ferdinand mit seinen Tränen, als er beim »König
+von Ungarn« Schuberts Walzer in der Uhr spielen hörte, und sich fast
+schämt, es hineinzuschreiben, daß ihm richtige Tränen entrollt waren
+beim Rindfleisch mit Semmelkrenn .....</p>
+
+<p>»Warum getraust du dich nicht, mir das zu schreiben?« erwidert Franz in
+seinem Brief.</p>
+
+<p>»Es werden die Tränen gewesen sein, die ich so oft geweint habe, und
+die in meinen Liedern und Walzern klingen, darum ist es so über dich
+gekommen, als du beim »König von Ungarn« die kleine lustige Sache von
+mir in der Uhr spielen hörtest .... oder kamen dir alle die Tränen, die
+du mich schon weinen sahst, ins Gedächtnis? ... Damit dich diese Zeilen
+nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht
+heiteren Gemüts, so beeile ich mich, dich des Gegenteils zu versichern.
+Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder
+Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes
+fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine
+Phantasie (Gott sei es gedankt!) soviel als möglich zu verschönern
+suche ..«</p>
+
+<p>Er schreibt sich alles von der Seele herunter, in Briefen und in Musik,
+und wenn die miserable Wirklichkeit Macht gewinnt, zündet er sein
+Pfeiflein an und sieht in den blauen Wölkchen die Menschen und Dinge
+neuerdings von jugendlicher Glorie umgeben. Dann steht die Sehnsucht<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span>
+auf, er muß seiner Bedrängnis Luft machen, nochmals Papier und Feder
+her, niemals fühlt er die Freunde so nahe als jetzt, da er mit ihnen
+von Seele zu Seele redet.</p>
+
+<p>»Wären wir nur beisammen, du, Schwind, Kupel und ich,« schreibt er
+dem Schober, »dann sollte mir jedes Mißgeschick nur leichte Ware
+sein, so aber sind wir getrennt, jeder in einem anderen Winkel, und
+das ist eigentlich mein Unglück. Ich möchte mit Goethe ausrufen: Wer
+bringt mir eine Stunde jener goldenen Zeit zurück! Jener Zeit, wo wir
+traulich beieinander saßen und jeder seine Kunstkinder den andern mit
+mütterlicher Scheu aufdeckte, das Urteil, welches Liebe und Wahrheit
+aussprechen würden, nicht ohne einige Sorgen erwartend; jener Zeit, wo
+einer den anderen begeisterte und so ein vereintes Bestreben nach dem
+Schönsten alle beseelte. Nun sitz' ich allein hier im tiefen Ungarland,
+in das ich mich leider zum zweiten Male locken ließ, ohne auch nur
+einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheites Wort reden könnte
+...«</p>
+
+<p>Und dem lieben Schwind gelten folgende Worte: »... ich würde mich hier
+recht wohl befinden, hätte ich dich, Schober und Kupelwieser bei mir,
+so aber verspüre ich, trotz des bewußten anziehenden Sternes, manchmal
+eine verfluchte Sehnsucht nach Wien ....«</p>
+
+<p>Vielleicht ist es ein Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit, daß er
+sich heftig fort sehnt. Oder ist es der anziehende bewußte Stern,
+der still und klar über seinen Träumen steht und nun zitternd zu
+entschwinden droht?</p>
+
+<p>Eine heftige Unruhe ergreift ihn — die Hochzeitsvorbereitungen<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> nehmen
+im Herrenhaus ein schnelles Tempo an.</p>
+
+<p>»Ich alter Esel,« schlägt er sich vor die Stirn, »was kümmert's mich?«</p>
+
+<p>Der Herbst ist schön wie damals, das stimmt traurig.</p>
+
+<p>Morgen ist Polterabend, da muß Franz spielen, Schönstein singt und dann
+wird getanzt. Und übermorgen?</p>
+
+<p>»Aber Sie versprechen mir, bei der Tafel zu sein?!« drängt Karoline.</p>
+
+<p>»Ich möchte schon jetzt alles Glück und Wohlergehen fürs Leben
+wünschen, aber ich bitt' tausendmal um Verzeihung — nicht wahr, bei
+der Tafel muß ich nicht sein?! Ich pass' ja gar nicht hin — ich wüßt'
+nicht einmal, was ich reden sollt'! Die hohen Herrschaften — ja
+wirklich, da bin ich immer ganz dumm im Kopf!«</p>
+
+<p>Also nein, um keinen Preis wäre er dazu zu bringen.</p>
+
+<p>Karoline gibt ihm die Hand. Er beugt sich nieder, die Hand zu küssen.</p>
+
+<p>»Bleiben wir gute Kameraden!« sagt sie, und ihre Stimme zittert leicht;
+sie will noch etwas sagen, aber sie hält inne und drückt und schüttelt
+seine Hand wie ein richtiger lieber Kamerad, der von dannen geht.
+Franz rennt weg, um nicht aufzuheulen. Es waren die letzten Worte mit
+Komtesse Karoline. Ein Abschied für immer.</p>
+
+<p>Am Hochzeitstag geht er nicht aus seiner Kammer. Während sie
+drüben tafeln im Herrenhaus, sitzt er hinten und hat seine eigene,
+schmerzlich-selige Feier für sich. Er zündet seine Pfeife an, der
+Opferrauch steigt, der anziehende bewußte Stern tritt aus dem
+bläulichen Gewölk hervor, die schlanke Komtesse Karoline, wie sie im
+herbstlichen<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> Park vor so und so vielen Jahren ihre edel geformten Arme
+um seinen Hals geworfen hat .... er pafft und pafft, das zarte Bild
+entschwindet — in den dicken Nebeln, die ihm Herz und Hirn umwallen,
+steht eine andere Erscheinung auf und erfüllt ihn mit brennender
+Sehnsucht: Melusine ....</p>
+
+<p>Er wischt sich über die Wangen, sie sind trocken, und trocken ist sein
+Auge. In seiner Brust tönt ein weher Klang, er weiß es nicht, daß seine
+Tränen nach innen fallen. Aber drinnen sind sie, in seinen Liedern und
+Gesängen, und die Verse, die er sucht und vertont, die kommen ihm nicht
+von ungefähr zu; sie sind wie Spiegel, darinnen er seine eigenen Züge
+erblickt.</p>
+
+<p>»Gefrorene Tropfen fallen von meinen Wangen ab; ob es mir denn
+entgangen, daß ich geweinet hab'? Ei, Tränen, meine Tränen, und seid
+ihr gar so lau, daß ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgentau, und
+dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr
+zerschmelzen des ganzen Winters Eis ....«</p>
+
+<p>Aber das Eis zerschmilzt nicht, es bleibt alles hübsch drinnen in der
+Brust und in den Gesängen, und nicht jeder spürt's, wie es Bruder
+Ferdinand einmal, nur einmal gespürt hat, als der Walzer aus der Uhr
+hervortanzte und plötzlich Tränen niederfielen.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a — —</p>
+
+<p>Das Lebenslied klingt so heiter, aber wißt ihr denn, was dahinter steht?</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais — —</p>
+
+<p>In Graz liegt's versperrt in einer Schublade, unvollendet — aber
+in Franz klingt es weiter, immer klingt es von<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> neuem auf, immer
+wieder ein Anfang, ein heiter-tröstlicher Aufblick; immer wieder ein
+hervorquellender Schmerz, ein Zusammenbrechen .... Franz schaut so
+phlegmatisch drein wie ein wurstiger Gesell; ihm merkt man nichts an.</p>
+
+<p>Schönstein ist wütend auf ihn bei der Heimreise.</p>
+
+<p>»Dieser Schubert mit seinem Phlegma!« Hat er das Wagenfenster am
+Rückteil eingeschlagen, daß der kalte Ostwind hereinfährt und die
+herzige Rozier, die dem Schönstein entgegengereist war, beinahe einen
+Schnupfen gekriegt hätte!</p>
+
+<p>Die Rückkehr nach Wien ist allemal ein Seelenfest für Franz und die
+Freunde. Johanna Lutz, die Mütterliche, hat ihre helle Freude an ihm,
+weil er so gut aussieht.</p>
+
+<p>»Schubert scheint gesund und ist himmlisch leichtsinnig ....« schreibt
+sie ihrem Erwählten nach Rom.</p>
+
+<p>»Daß Kupel noch immer nicht da ist!« klagt Franz. »Und Schober, der
+schönste Mann Wiens, der Abgott aller Weibsen! Was tut der in Breslau
+so lange?«</p>
+
+<p>»Den Kasperl spielt er, es ist seine Glanzrolle!« gibt Schwind trocken
+zurück. »Ist das nicht ein tiefer Fall von der Höhe seiner Pläne und
+Erwartungen?«</p>
+
+<p>»Er hält die Welt zum besten, die einzig mögliche Art, mit ihr zu
+verkehren ....« Das ist die Meinung Schuberts.</p>
+
+<p>Sie lassen den lieben fernen Freund hoch leben. Die Gläser klingen
+zusammen, man ist wie ausgehungert auf heitere Geselligkeit, wenn man
+nach Wien zurückkommt und hat soviel einzuholen. In Zelez hat man
+sich kasteit, jetzt darf man das Rädchen wieder ein bißchen laufen<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span>
+lassen. Wein, Punsch, Kaffee, Tabak, die unsterblichen Güter der Heimat
+— die sind doch für die Seele da und nicht für den Leib, und Franz
+ist immer mehr für die Seele gewesen. Also lebt man wieder himmlisch
+leichtsinnig. Oder tut wenigstens so. Dieser Franz mit seinem Phlegma,
+wer kennt sich denn aus bei ihm?</p>
+
+<p>»Wo nur der Mayrhofer steckt?« Beim Wein, der die Zungen und Herzen
+löst, kommt es zur Sprache.</p>
+
+<p>»Die Freundschaft mit ihm ist Absterbens, Amen!« erklärt Franz auf die
+Frage Schwinds.</p>
+
+<p>»Eifern tut er, euretwegen. Er glaubt, es wird ihm was genommen, weil
+wir, du, Schober, ich und Spaun so gut harmonieren. Er will der einzige
+und ausschließliche Freund sein, die anderen will er kaltgestellt
+wissen. Und weil ich dafür nicht zu haben bin, ist er unverträglich
+geworden. Schad' um ihn, er war mir ein lieber Freund ....«</p>
+
+<p>Hin ist hin. So mancher, der im Laufe der Jahre nicht mithalten konnte,
+ist abgefallen, sang- und klanglos wie der Holzapfl, aber keiner
+so beklagt wie der gemütstiefe Mayrhofer, der sich grollend in die
+Einsamkeit zurückzieht. Sein Verstummen schmerzt Franz, vielleicht
+bedarf es nur des erlösenden Wortes, um ein neues, besseres Verstehen
+anzubahnen. Aber jeder schweigt. Es ist auch manchmal so unter denen,
+die sich lieben und verstehen sollten.</p>
+
+<p>Ein anderer ist dafür gewonnen, der die Freundschaft mit Schubert ernst
+und heiß nimmt. Der junge Eduard von Bauernfeld. Er ist Dichter und
+nebenher Beamter, ein Sprudelkopf, der tausend Ideen hat, unzufrieden
+ist, über die Politik schimpft, und bei all diesen Vorzügen nur<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span>
+einen kleinen Mangel hat, nämlich kein Geld. Er besitzt also alle
+Eigenschaften, die notwendig sind, um in den Freundeskreis eintreten zu
+können. Vor allem ist er ein »Kanevas«. Jahrelang ist er auf Schuberts
+Spuren, endlich gelingt es ihm, die nähere Bekanntschaft zu machen.
+Schwind ist der Vermittler.</p>
+
+<p>Franz wohnt jetzt in Schwindien, er hat ein hübsches Zimmer gleich
+im Haus nebenan, wo das Wirtshaus ist. Sie stecken ja sowieso immer
+beisammen, er und der Cherubim, der einzige Vertraute, den er jetzt in
+Wien hat; also ergibt sich das von selbst, daß sie so nahe beieinander
+wohnen.</p>
+
+<p>Abends rückt ihm Schwind mit Bauernfeld auf die Bude. Der neue
+Bundesgenosse hat einige wenige Sachen mitgebracht, Tagebücher,
+Entwürfe, Dichtungen. Es wird vorgelesen. Zuerst Stellen aus
+dem Tagebuch. Bauernfeld hat seit Jahren alle seine Eindrücke
+aufgezeichnet. Die stärksten heißen Schubert. Franz kann es jetzt
+hören, was Bauernfeld schon vor Jahren schrieb, »Kärntnertortheater,
+Goethes ›Laune des Verliebten‹ machte kein Glück, das Beste ein
+Quartett von Schubert. Ein herrlicher Mensch! Den muß ich kennen
+lernen.«</p>
+
+<p>So lange hat es gebraucht, bis sich die Wohlgesinnten wirklich finden.
+Jetzt aber muß der Bund besiegelt werden, man will Bruderschaft
+trinken. Dazu gehört natürlich edles Getränk. Franz kehrt die Taschen
+um und um, kein luckerter Zweier fällt heraus, Schwind unterzieht seine
+Taschen ebenfalls einer vergeblichen Brandschatzung, das gleiche tut
+Bauernfeld, sie bringen beim besten Willen das Nötige nicht zusammen.
+Schuldig bleiben!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span></p>
+
+<p>»Leicht gesagt, mein Lieber, aber der Wirt hat schon die Kreide
+verschrieben!«</p>
+
+<p>»Verdient es denn diese infame Welt, so ausgezeichnete Kerle zu
+besitzen, wie wir drei sind?« haut Bauernfeld auf.</p>
+
+<p>»Gemach, lieber Freund!« gebietet Franz und öffnet ein Fach im Schrank.
+Hier liegen noch ein paar Stückel Zucker vom Frühstückskaffee. Am Tisch
+steht eine Flasche Wasser, davon schenkt er drei Gläser voll.</p>
+
+<p>»Warum soll die Freundschaft nicht das Wunder vollbringen und Wasser
+in Wein verwandeln?« Dann tut er in jedes Glas ein Stück Zucker, jeder
+rührt mit einem Löffel um und um und dann stoßen sie mit den Gläsern an
+und trinken Bruderschaft mit Zuckerwasser. Das Feuer der Begeisterung
+bringen sie aus Eigenem auf, das Zuckerwasser in Schwindien schmeckt
+besser als der Tokaier in Zelez.</p>
+
+<p>»Laßt Rauch aufsteigen! Die Freundschaft verlangt ein Brandopfer!«
+gebietet der Cherubim mit priesterlicher Würde und schmeißt seinen
+Tabaksbeutel hin: »Hier ist der Goldstaub.« Neue Verlegenheit. Eine
+dritte Pfeife fehlt.</p>
+
+<p>»Was liegt denn dort?« Der spähende Schwind hat ein passendes Ding
+entdeckt.</p>
+
+<p>»Du, sei so gut — mein Augengläserfutteral!«</p>
+
+<p>»Das hat uns ein Gott gesandt!« erwidert Schwind und hat im
+Handumdrehen eine Pfeife daraus fabriziert. Franz muß es geschehen
+lassen. Der Rauch steigt auf, ein wenig brenzlig zwar, aber der Himmel
+ist dem Opfer gnädig, es ist keinem schlecht geworden dabei. Bei
+Zuckerwasser<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> und Tabaksqualm wird gelesen bis in die Nacht. Ein Drama
+ist es, das Bauernfeld zu Gehör bringt.</p>
+
+<p>»Du wärst mir der Rechte für eine neue Oper!« erklärt Franz. Der Löwe
+hat wieder Blut geleckt. Er denkt an die »bezauberte Rose«. Bauernfeld
+soll ihm das Gedicht dramatisieren. Aber dem geht ein »Graf von
+Gleichen« durch den Kopf — Janitscharen und Rittertum, romantische
+Minne und Gattenliebe, ein türkisch christliches Brouillon.</p>
+
+<p>»Uj jegerl,« schreit Schwind auf, »wenn's nur nicht ein zweiter Fall
+›Alfonso und Estrella‹ wird!«</p>
+
+<p>»Laß gut sein!« wehrt Schubert den besorgten Schwind ab. Und nun geht's
+an ein Entwerfen und Planen die ganze Nacht lang. Und als die liebe
+Sonne am anderen Morgen warm ins Zimmer scheint, findet sie die drei
+Kunstzigeuner im tiefen Schlaf, der eine im Bett, der andere auf dem
+Kanapee, der dritte auf ein paar zusammengeschobenen Stühlen — der
+Traum von Kunst, Ruhm und Liebe geht weiter.</p>
+
+<p>So läßt sich alles gut an bei seiner Rückkehr. Kann man denn irgendwo
+glücklicher sein als hier zu Haus? Wenn Franz, als er in Zelez war,
+an Wien dachte, ging es glühendheiß in seinem Herzen auf. Die Stadt
+verdichtete sich zu einem Frauenbild, und das Frauenbild, darin er Wien
+sah, hatte die Züge der Melusine, ihre Augen, ihr Lächeln .... O Liebe,
+Liebe! War es die Sehnsucht nach Wien, oder war es die Sehnsucht nach
+Melusine, die ihn trieb? Es war beides in einem. Und er war so kühn in
+der Ferne, wenn er an die Geliebte dachte, und war so zaghaft, wenn er
+sie sah, die Liebliche, Hohe, Feine ....</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p>
+
+<p>Die Zeit verschärfte seine Sehnsucht, es ist schon so lange her, daß er
+Melusine nicht mehr gesehen, er hatte sich geschämt, weil er durch die
+Krankheit so heruntergekommen ausgesehen hatte — aber jetzt war er,
+Gott sei es gedankt, so leidlich wieder in Ordnung, er brauchte sich
+nicht mehr zu verstecken. Nur schade, schade, daß es gerade bei den
+Hönigs war, wo man Therese begegnen konnte. Sie verkehrte jetzt viel in
+diesem Haus.</p>
+
+<p>»Ich kann mir nicht helfen, aber der junge Hönig gehört zu den wenigen
+Menschen, gegen die ich von vornherein eine instinktive Abneigung habe;
+er hat mir nichts getan, im Gegenteil, er behandelt mich so vorsichtig
+und apart, wie ein dreckiges Hölzl, immer nur mit Handschuhen, aber es
+ist etwas an ihm, das mir gegen den Strich geht, ohne daß ich recht
+weiß was!« erklärt sich Franz dem Schwind, als sie unterwegs sind zu
+den Hönigs.</p>
+
+<p>»Hm — und die Netty?« wirft Schwind lauernd ein.</p>
+
+<p>»Ach, die ist ja ein ganz lieber Kerl!« meint Franz so oben hin.</p>
+
+<p>Schwind leuchtet auf. »Nicht wahr? Ach, die, sie ist ein herziger
+Schatz! Die und keine andere! Du mußt wissen: treu wie Gold!«</p>
+
+<p>Franz pfeift leise vor sich hin, ein Lied, das er irgendwo gesungen;
+er weiß gar nicht mehr, daß es von ihm selber ist. Wo war es nur, daß
+es ihm zuerst in den Sinn kam? War es nicht in Atzenbrugg? »Er hätt'
+es eher bemerken sollen, des Hauses aufgestecktes Schild, so hätt' er
+nimmer suchen wollen im Haus ein treues Frauenbild ...«</p>
+
+<p>»Ja, ja, in Atzenbrugg!« Schwind bestätigt es. Dort war es zum
+erstenmal gesungen worden.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span></p>
+
+<p>Mit leisem Bangen treten sie bei den Hönigs ein. Man hat immer ein
+leises Bangen, wenn man in der Liebsten Haus eintritt. Aber es ist
+noch etwas anderes dabei. Eine brennende Unruhe, ein böser Argwohn.
+Die Netty ist ein lieber Kerl, das ist wahr, aber sie ist zu sehr
+verzuckert, es ist nicht alles echt — und treu wie Gold, das ist schon
+ganz und gar ein Unsinn, denn weniger treu als Gold kann auf Erden kaum
+etwas sein.</p>
+
+<p>Sie ist so zuckersüß, die Netty, aber in ihrem Gesicht sitzen lauter
+Spotteufeln drin.</p>
+
+<p>Franz sieht sich rasch um, Therese ist nicht da. Seine Unruhe steigert
+sich, er kann sich schließlich nicht enthalten zu fragen.</p>
+
+<p>»Ja,« lautet etwas gedehnt die Antwort aus Nettys Mund, »wahrscheinlich
+hat sie keine Zeit — vielleicht auch keine Lust.«</p>
+
+<p>Das hat es neulich auch schon geheißen und jedesmal, wenn Franz
+gekommen ist. Er bemerkt, wie Netty mit dem Bruder einen raschen Blick
+wechselt und beide eine höhnische Miene aufsetzen. Franz wird stumm,
+sein Gemüt verdüstert sich. Die Lustigkeit um ihn herum wird lauter,
+er versinkt immer tiefer in Trauer. In Gedanken ist er weit, weit weg,
+er hört die Wetterfahne auf dem Dach, der rostige Stab dreht sich um
+und um und quietscht auf in der eigenen Brust, als ob er tief drin im
+Herzen steckte. Der Schicksalswind hat wieder umgeschlagen und spielt
+drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut.</p>
+
+<p>»Was fragen sie nach meinen Schmerzen ....«</p>
+
+<p>Unbändiges Gelächter ist um ihn herum. Cherubim wird<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> hereingeführt in
+Weiberkleidern, die er auf Nettys Geheiß anziehen mußte.</p>
+
+<p>»Hier ist Kolombine,« sagte sie zu Franz, »ich gratuliere Ihnen zu
+dieser lieblichen Braut. Jetzt müssen Sie aber fein artig sein und brav
+den Wurstel weiter spielen.«</p>
+
+<p>»Wurstel? Bin ich ein Wurstel?!«</p>
+
+<p>Er sagt es mit einer solchen tragischen Bitterkeit, daß das Gelächter
+mit vermehrter Heftigkeit hervorbricht. Schwind, von Netty am
+Narrenseil geführt, spielt die Rolle weiter. Mit verstellter Stimme
+beteuert er als Kolombine seine Liebe zu dem Wurstel und will ihm um
+den Hals fallen. Er merkt es nicht, daß dem Franz der ungehörige Spaß
+über die Hutschnur geht.</p>
+
+<p>Die Komödie ist voll böser Anspielungen, Franz spürt es und steht
+bleich und ernst unter den Lachenden da. Mit einem Ruck schleudert er
+den nichts ahnenden Cherubim von sich, rafft seine Noten zusammen und
+geht schweigend aus dem Zimmer.</p>
+
+<p>Das Gelächter erstarrt, alle sehen sich verlegen an.</p>
+
+<p>»Es war doch nur ein ganz unschuldiger Scherz ...« beteuert Netty etwas
+beschämt.</p>
+
+<p>»Natürlich, nur ein unschuldiger Scherz!« bestätigt Schwind und eilt
+dem Freunde nach. »Franz, ein unschuldiger Scherz — geh', komm', sei
+nicht kindisch ...«</p>
+
+<p>Franz stürmt hinaus und fort.</p>
+
+<p>Unverrichteter Sache kehrt Schwind in das Gesellschaftszimmer zurück,
+er hat noch immer die Weiberkleider an. Jetzt ist aber allen das Lachen
+vergangen. Die Netty<span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span> hat ein böses Gewissen: »Versteht er denn so
+wenig Spaß?« Schwind zuckt die Achseln: »Man kennt sich nicht aus mit
+ihm!«</p>
+
+<p>Zum ersten Male, daß eine Verstimmung zwischen den engsten Freunden
+eingetreten ist. Mit den Hönigs ist er jetzt fertig, Franz. Schwind,
+der Netty verteidigt, mag jetzt sagen, was er will. Franz ist kein
+Freund von derben Späßen; sein zur Schau getragenes Phlegma täuscht
+viele Menschen. Sie halten ihn für einen Dickhäuter. Aber dabei hat
+sich Netty verrechnet. War nicht die äußerlich zur Schau getragene
+Rauheit und Wurstigkeit ein bloßer Schutzmantel für die allzu
+empfindliche Seele? Das Heiligste seines Herzens verträgt keinen Hohn,
+nicht einmal leisen Spott, wenn er auch sonst für Humor und gute Laune
+Sinn hat. Hier ist eine Grenze gezogen, er duldet nicht, daß sie jemand
+verletze. Das demütige Meisterlein kann Unglück und Verkennung duldend
+hinnehmen, er bleibt gleichmütig gegen die Schläge des Schicksals, sie
+nennen ihn darum einen Phlegmatiker; aber wehe, wer vermessen genug
+ist, die Seele herunterzuziehen! Ein gerechter edler Stolz flammt
+empört auf — man ahnt nicht, welche Hoheitsgefühle in dem bescheidenen
+Mann wohnen; bei aller Demut, er weiß, wer er ist.</p>
+
+<p>Schwind, der so tief in die Brust des Freundes blickt, hätte es wissen
+müssen — er weiß es wohl und leidet an dem Unrecht, zugleich ist aber
+auch der Trotz über ihn gekommen, die Liebe hat ihn geschlagen, und er
+vergißt darüber fast den Freund. Jetzt ist das Schmollen an den beiden
+— die Verstimmung ist da, sie dauert fort, weil<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> sich jeder scheut,
+das Vorgefallene noch einmal zu berühren und reinen Tisch zu machen.</p>
+
+<p>Franz ist entschlossen, sein Dasein auf eine gesicherte Basis zu
+bringen — er will sein Recht auf Glück in diesem Leben geltend machen.
+Er geht direkt aufs Ziel los.</p>
+
+<p>Salieri ist in Pension gegangen. Es werden zwei Stellen frei, die eines
+Vize-Hofkapellmeisters und die eines Opernkapellmeisters. Franz bewirbt
+sich um die eine wie um die andere. Jetzt können ihm die Zeugnisse und
+Anerkennungen von Graf Dietrichstein und anderer Machthaber den rechten
+Dienst erweisen. Er richtet sein Gesuch direkt an den Kaiser. Was aber
+die stärkste Wirkung tun wird, ist der ausdrückliche Nachweis, daß er
+bei Hofkapellmeister Antonio Salieri das Komponieren gelernt hat.</p>
+
+<p>Das Gefühl der Beschämung beschleicht ihn einen Augenblick lang, daß
+er, dessen geniale Meisterschaft in der Welt feststeht, sich auf
+läppische Schulzeugnisse berufen muß. Aber die Formalität verlangt es.
+Hat er es denn wirklich von Salieri gelernt? Er hätte besser sagen
+müssen, daß er es vom lieben Gott gelernt hat! Das müßte man wissen!
+Wie aber, wenn die Welt der Formalitäten auf Antonio Salieri ein
+größeres Gewicht legt als auf den lieben Gott selber? Dann konnte von
+Salieris Gnaden jeder Erstbeste, der kräftigere Protektion besaß, den
+Vorrang gewinnen ....</p>
+
+<p>Nun aber, man muß nicht gleich das Schlimmste denken, vom inneren Beruf
+aus war Franz der Erste, daran konnte niemand mehr zweifeln, also
+hatte man eine schöne und berechtigte Hoffnung. Als wohlbestallter
+Hofkapellmeister<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> brauchte man sich nicht mehr zu scheuen — und
+das Glück, das einst auf dem Kalbelwagen märchenhaft in seine Gasse
+gefahren kam, konnte man dann ohne Umstände ergreifen und festhalten.
+Melusine hieß das Glück, und der Kalbelwagen konnte dann ein richtiger
+Brautwagen sein, in dem sie beide zur Kirche fuhren.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a — —</p>
+
+<p>Wie in ganz frühen Tagen jubelt aufs neue eine ganz helle
+Hoffnungsfreude auf.</p>
+
+<p>Es muß was geschehen, auch Schober schreibt es, er meint, der
+Enthusiasmus für Franz müßte aufs neue im Publikum belebt werden, und
+es wäre gut, wenn es bald geschähe.</p>
+
+<p>Franz arbeitet ja mit Bienenfleiß. Ein quellender Reichtum von Melodien
+entsteigt blühend seiner Brust. Aber es ist schwer, die Begeisterung
+der Menge auf ihrer ursprünglichen Höhe fortzuerhalten. Es bedürfte
+wieder einer ganz großen Tat — Schober hat vielleicht recht, wenn
+er andeuten will, daß seit Jahren ein Stillstand eingetreten ist,
+wenn auch nur scheinbar. Es bedürfte einer ganz großen Tat — einer
+gelungenen Oper etwa, Bauernfeld ist jetzt seine Hoffnung — oder
+vielleicht eines großen Konzerts mit einer neuen Instrumentalsache,
+einer Sinfonie — er trägt sich mit dem Gedanken daran — ein großes
+Konzert, wie es Beethoven veranstaltet — vielleicht über ein Jahr,
+dann wird Franz hervortreten, bedeutender, stärker als je. Der
+Lebensplan ist fertig, mit neuer, entschlossener Kraft schreitet Franz
+dem Gipfel zu.</p>
+
+<p>Zunächst also diese Sinfonie — Landeinsamkeit will er<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> dazu, grüne
+Berge, einen Ort, wo man Gutes genossen und einiges Glück erfahren hat.</p>
+
+<p>Im Mai ist Vogl wieder auf sein Steyrer Landgut gegangen, er denkt an
+Kunstreisen in Oberösterreich und Salzburg und kann Franz dabei nicht
+entbehren. Dem sind seit seinem Zwist mit Schwind die Wiener Tage leer
+und unersprießlich geworden, ein paar Tage will er in Linz bleiben,
+ehe er nach Steyr geht, den lieben Spaun will er ans Herz drücken,
+einem Freund muß er sich erschließen können, jetzt, wo er in Wien keine
+Seelenzuflucht hat — kurz, eines schönen Morgens ist er zum Schrecken
+Schwinds dahin und sitzt alsbald in Linz, wo er sich vor ärgerlicher
+Verzweiflung die Haare rauft, denn Spaun ist über alle Berge, ein paar
+Tage vorher ist er von Amts wegen nach Lemberg abgereist und wird vor
+Jahr und Tag kaum an die Wiederkehr denken können.</p>
+
+<p>»Aufhängen könnt' ich mich vor Kummer und Verzweiflung,« schreibt er im
+drolligen Ärger dem Freund nach Lemberg. »Da sitze ich jetzt in Linz,
+schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitze, habe ein Heft neuer
+Lieder, und der Freund ist nicht da! Ein Glück, daß der Jägermayer
+ein gutes Bier hat und daß auf dem Pöstlingberg ein anständiger Wein
+zu haben ist, das gibt neuen Lebensmut ...« Ottenwalt, der Schwager
+Spauns, ist entzückt von dem Gast, der ganze Linzer-Kreis schwelgt
+in Begeisterung, kein Wölkchen trübt die blauselige Heiterkeit der
+Linzer Tage. Dazu noch ein lieber, offenherziger Brief von Schwind —
+das hat gerade noch gefehlt, um das innere Gleichgewicht so halbwegs
+wiederherzustellen.</p>
+
+<p>Er hat es nicht ausgehalten, der Cherubim; das ganze<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> Ärgernis ist ihm
+nahe gegangen. Man kann doch eines kleinen Mißverständnisses wegen eine
+Freundschaft nicht preisgeben, die mit dem ganzen bisherigen Leben
+verknüpft ist. Oder es geht doch gleichzeitig mit ein Stück Seele
+darauf. Und das ist schon der halbe Tod. Also frisch von der Leber
+weg geredet — diese verteufelten boshaften Späße, die er nicht habe
+unterdrücken können, so sehr sie ihm selber wehe tun. »Da kommen die
+anderen und spotten und lauern in Verbindung mit Gedanken herum ... und
+wir lassen sie anfangs gewähren, dann tun wir selber mit .... nun ja,
+der Mensch ist schon einmal so unüberlegt .... und so verliert sich
+Unersetzliches um den Spottpreis ....«</p>
+
+<p>Er kann die qualvollen Gedanken nicht los werden, er muß durch ein
+offenes Bekenntnis seine Seele befreien. Er ist doch gewohnt, solange
+er Franz und Schober kennt, sich in allen Dingen verstanden und geliebt
+zu sehen. So möge das Böse aus der Welt geschafft sein, indem man sich
+ordentlich ausredet. Franz möge ihm hierüber antworten so grob und so
+aufrichtig, als er es nur vermag, aber nur nicht dieses Schweigen, das
+ihm ans Herz greift. Dann habe er noch von Netty zu sagen, daß sie es
+wirklich nicht so arg gemeint habe. Sie bereue schon aufs heftigste
+ihre unüberlegte Stichelei, sie sei ganz unglücklich darüber, daß Franz
+schlecht über sie denke, sie ist wirklich nicht so, wie sie scheint.</p>
+
+<p>Es hätte nicht halb so vieler Worte bedurft, um Franz wieder zu
+versöhnen, der ja nur darauf wartet, daß der andere ein gutes Wort
+gibt. Er ist ja auch gar nicht bös, und was die Netty betrifft — ach,
+diese unvermeidliche<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> Netty! — so soll sie sich nur keinen Kummer
+machen, er denkt ja gar nicht mehr daran, es sei ja ohnedies alles in
+schönster Ordnung. Schwind zu verlieren, das ist ihm ganz undenkbar.
+Sie gehören nun einmal zusammen für dieses Dasein, und keine Netty
+der Welt sei imstande, das Freundschaftsband, das stärker ist als das
+dickste Tau, zu durchschneiden. Nun wäre auch das wieder ins richtige
+Geleise gebracht — o Gott, ginge es doch so auch mit anderen Dingen,
+die man ungeklärt durchs Leben schleppt und die das Herz so schwer
+machen, daß man ins Gras hinuntersinken möchte und vermeint, nicht
+mehr aufstehen zu können. Jetzt heißt es wieder: »Grabt mir ein Grab
+im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen, kein Kreuzlein schwarz, kein
+Blümlein bunt ...« Aber um wieviel schmerzlicher klingt das Lied heute
+als in den Herzenständeleien vor so und so vielen Jahren.</p>
+
+<p>Die schönen Linzer Tage gehen vorüber wie im Traum, in Steyr wendet
+sich bereits das Schicksalsblatt.</p>
+
+<p>»Werde ich hier noch einmal so glücklich sein wie einst?«</p>
+
+<p>Er weiß nicht wie, eine geheime Anhänglichkeit an Josephine lockt ihn
+dabei. Sie ist ja in manchem geziert und unnatürlich, aber sie hat
+ein gutes Herz, dafür ist er dankbar wie ein Kind. Er ist zum Manne
+gereift, aber eigentlich ist er im Herzen ein Kind geblieben wie
+damals, da er noch als Sängerknabe neben den pausbäckigen Engelsköpfen
+auf der Empore saß.</p>
+
+<p>Unterwegs nach Steyr ist er im Stift St. Florian zu Gast und sitzt
+in dem gewaltigen Gotteshaus an der Orgel, die ein Wunder an Größe
+und Klangfülle ist. Himmlische Musik entströmt seinen Händen.
+Selige Erinnerungen<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> quellen auf aus der Sängerknabenzeit, eine
+echt Schubertsche Liedweise fließt ein, dann drohende Tremoli und
+der eigensinnige Aufschrei aus einer geängstigten Seele, der das
+Menschenherz erschüttern muß.</p>
+
+<p>»Wo er es nur hernimmt, der kleine, unscheinbare Meister?« denken
+auch die geistlichen Herren im Stift, dasselbe, was alle schon
+gedacht haben. »Der liebe Gott hat's ihn gelehrt!« es gibt kein
+schöneres Wort. Aber auch kein tieferes. Für die Welt ist er ein
+Gebender — in der Stunde der Schöpfung ist er ein Empfangender, ein
+von Gott Empfangender. Ein Kind ist er geblieben mit seinem naiven
+Wunderglauben, aber auch mit seinen Fieberträumen, ein Kind in der Hand
+Gottes. Gerade dieses Kindsein befähigt ihn zum Aussprechen dieses
+Tiefsten, er stammelt es wie ein Gebet. Es ist nicht mit dem Verstand
+gemacht, es ist mit dem Herzen gemacht, und darum ist soviel Herzblut
+darin und soviel aufseufzende kindliche Glückseligkeit, und zugleich
+sind so viele Tränen darin, die nach innen geweinten ....</p>
+
+<p>Vogl sagt immer, daß er nicht mit Bewußtsein schaffe, und daß ihm
+das Geschaffene oft selbst nicht verständlich sei. Aber die in Linz,
+Ottenwalt und der ganze Kreis um ihn, waren bezaubert von der Tiefe
+und Klarheit seines Erkennens. Franz saß unter ihnen wie Jesus im
+Tempel. So heiter und jugendlich sorglos war es nicht mehr wie vor
+Jahren beim Katzengeschrei, aber es war doch auch ein inniges Fest
+der Seelen. Ottenwalt wußte so schön zuzuhören und mußte immer mehr
+erstaunen über diesen Geist, dem das Tiefste einfach war wie jede echte
+Wahrheit. Er verstand Franz besser: »Wie<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> kann man sagen, daß ihm die
+eigene Kunst kaum offenbar und verständlich sei? Der Schlichtheit und
+Kindlichkeit seines Gemüts ist mehr offenbar, als wir uns alle in
+unserer Schulweisheit träumen lassen. Die Kindlichkeit ist ein Beweis
+seines Genies ....«</p>
+
+<p>Der Ottenwalt verstand es eigentlich besser als Vogl. In Linz hatten
+sie begriffen, was Franz war. Sie erlebten ihn wie ein Stück Natur,
+wie einen Baum, einen Berg, den Wind. So erlebte ihn auch Schwind,
+der ähnlich war, so erlebten ihn Spaun, Schober und Bauernfeld. Darum
+liebten sie ihn alle so sehr.</p>
+
+<p>Franz an der Orgel in St. Florian phantasierte und dachte an die Linzer
+Freunde und dachte voraus an das kleine Glück in Steyr, und die Orgel
+jubelte und sang dazu. Ein vergangenes Glück noch einmal erleben zu
+dürfen, welche Gnade! Seine Seele war geöffnet dem Unendlichen, sie
+empfing von Gott und wußte um neue Schätze, die sie zu geben hatte. Sie
+war zur Fruchtbarkeit gestimmt und kannte nichts Seligeres, als mit all
+ihrem Reichtum zu verströmen.</p>
+
+<p>Die Sehnsucht trieb ihn weiter, altem Glück entgegen. Er dachte
+innig an Josephine, das Weibliche zog ihn an, denn es war auch das
+Mütterliche. Er war wieder ganz Kind und seine Seele suchte Zuflucht
+bei der Freundin.</p>
+
+<p>Vor zwei Jahren, als er sich in Not und Krankheit im Hause Vogls
+verbarg, da war sie freilich etwas sonderbar gewesen, die gute Freundin.</p>
+
+<p>»Sie müssen wissen, daß ich ein Tagebuch führe,« hatte sie ihm gesagt,
+»man erlebt soviel, auch Sie kommen darin vor ...«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span></p>
+
+<p>»Schneegans!« hatte er damals gedacht und war ärgerlich über dieses
+Blaustrumpfgetue. Diese Sentimentalität war ihm zuwider, er machte sich
+lustig über sie und hatte sie ziemlich schlecht behandelt.</p>
+
+<p>»Es ist nicht mehr dasselbe wie früher,« sagte sie beim Abschied,
+»etwas ist am Tod da drinnen.« Und dann zog sie das Tagebuch hervor und
+fügte hinzu: »Meine Liebe ist in diesem Buche begraben.«</p>
+
+<p>»Wird nicht schad' drum gewesen sein ...« dachte er und drehte sich um.</p>
+
+<p>Aber alle diese herzlosen Narreteien waren vergessen, er war von
+Zärtlichkeit erfüllt, je näher er der Stadt kam.</p>
+
+<p>»Könnte ich wieder so glücklich sein wie damals ... Es wird nicht so
+ernst gewesen sein mit dem Absterbens-Amen der Liebe, sie kann eben
+nicht leben ohne Marotte, aber im Grunde ist sie doch eine treue Seele
+....« Und er nahm sich vor, recht gut zu sein, er war jetzt dankbar für
+das bißchen Herz.</p>
+
+<p>Man soll dasselbe nicht zweimal erleben, er hat die Enttäuschung schon
+in Zelez erfahren und muß nun neuerdings daran glauben.</p>
+
+<p>Wo war die Josephine geblieben mit ihrer Verliebtheit, ihrer Sucht
+nach den kleinen Abenteuern des Herzens, mit dem Kult, den sie um das
+Meisterlein trieb?</p>
+
+<p>Sie hatte den Krämer gegenüber geheiratet, sie war steif und dumm
+geworden, keine Spur von der früheren Originalität, es war wirklich
+etwas tot in ihrem Herzen ..</p>
+
+<p>»Mein Mann ist Kaufmann, Kaffee en gros ...« Sie legte Wert auf den
+Zusatz »Kaffee en gros«. Und wiederholte<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> bei jeder Gelegenheit:
+»Kaufmann, aber ich bitte, Kaffee en gros ....«</p>
+
+<p>Franz lächelte über diese provinzlerische Großmannssucht: »Kaffee en
+gros ...« Es war doch wirklich zu dumm. »Kaffee en gros —« Schade um
+sie, oder wenigstens um die hübsche Erinnerung. Aber dieses »Kaffee en
+gros« zog alles ins Lächerliche.</p>
+
+<p>Und Vogl? Ei, der war auch nicht mehr derselbe. Auch er ging auf
+Freiersfüßen, der Weltweise, den Alter nicht vor Torheit schützte, und
+gedachte seine achtzehnjährige Schülerin zu heiraten. So suchte jeder
+ein Stück realen Glückes zu verwirklichen, und er, der Begnadete, mußte
+still und arm vorübergehen.</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais — —</p>
+
+<p>Dieser eigensinnige Aufschrei der gequälten Seele.</p>
+
+<p>Das Glück hängt nicht am Ort, wo wir es zu finden wähnen, dachte er,
+wir können es nicht suchen außerhalb uns; in der eigenen Seele muß es
+zu finden sein, es existiert nirgends sonst auf Erden.</p>
+
+<p>Und er war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schöpfen.</p>
+
+<p>Noch einmal zog Vogl aus mit ihm zu Kampf und Sieg. Sich selbst zur
+Verherrlichung, Franz war nur der Schleppträger seines Ruhms. In
+Gmunden lebten sie, Franz wohnte beim Kaufmann Traweger, der ein
+schönes Klavier besaß und ein stiller Verehrer seiner Kunst war. Was in
+einer seligen Stunde auf der Orgel zu St. Florian erklungen, als er in
+weltentrückten Träumereien auf der Empore gesessen war, das brach mit
+neuer, wunderbarer Kraft hervor, indessen der musikfreundliche Herr<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span>
+Traweger aufhorchend auf dem Kanapee saß, andächtig wie in der Kirche,
+und nicht genug staunen konnte über den wundersamen Gast. Und auch er
+mochte denken:</p>
+
+<p>»Wo er es denn her hat?«</p>
+
+<p>Der am Klavier stammelte, jauchzte und weinte wie ein Kind. Gott hat
+es so gewollt. Er hat's ihn gelehrt. Nicht er sang, es sang in ihm,
+alle Menschenlust und Erdenpein, das Herzblut strömte darin. Stückweise
+entquoll die sinfonische Dichtung der kindlichen Seele und der
+meisterlichen Hand.</p>
+
+<p>So war es in Salzburg, und in den Pausen, wo die Unlust und
+Erdenschwere über ihn kam, schrieb er Reisebeschreibungen für seinen
+Bruder, ein äußerliches Bild der gesehenen Dinge, uff! daß ihm die
+Schwarten krachten.</p>
+
+<p>Und dann, Gastein, wo er Gast des Bischofs Pyrker war, seines Gönners,
+der ihm für die Wandererphantasie einmal eine schöne Handvoll Dukaten
+zufließen hat lassen. Das war ein bischöflicher Segen, der dem Leib und
+der Seele wohlgetan hat.</p>
+
+<p>Hier sprang der heiße Quell aus dem Erdinnern, dicht neben dem Eishauch
+der Gletscher.</p>
+
+<p>Und der Quell, der so heiß im Innern glüht, und der kalte Hauch, der
+von draußen her weht, die feindlichen Gegensätze des Lebens, sie waren
+mit drinnen in dem, was er sang und dichtete. Und die Berge waren
+drinnen, die steingrauen Städte, und was er dort erlebte, das verwehte
+Glück, die Liebe, der Schmerz.</p>
+
+<p>Gasteiner Sinfonie, so nannte er die Bruchstücke, sie sollten eine
+Stufe sein zu dem Lebensbau.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span></p>
+
+<p>Das große Konzert, vielleicht auch die Oper, die ihm Bauernfeld
+versprochen, das wohlbestallte Amt eines Vize-Kapellmeisters, das
+wären Dinge! Das Kind erwachte in der Seele und baute ein luftiges
+Kartenhaus. In Träumen wohnt alles so schön beisammen. Aber es sind
+doch alles Dinge, die möglich sind, nicht nur möglich, sondern höchst
+wahrscheinlich. Er ist jetzt entschlossen, das Glück mit fester Hand
+zu ergreifen. Er braucht es nur bei sich zu suchen, in seinem eigenen
+Willen, dann ist das Kartenhaus nicht mehr Kartenhaus, ein festgebautes
+Schloß, mit einem schönen kupfernen Dachhelm, mit einer Wetterfahne
+darauf, die knarrt und knarrt, der Wind spielt mit ihr auf dem Dach so
+laut, daß man es im Schlafen hört, aber der Wind, der Schicksalswind,
+spielt nicht mehr drin mit dem Herzen, das ist ruhig und in sicherer
+Hand, in seiner Liebsten Hand, die hält das Glück, die hält sein Herz,
+er braucht nur zu kommen und sagen: Hier bin ich, das hab' ich, und
+jetzt nimm mich, nimm mich, wie ich bin, ein ganzes Kind, und du, meine
+Geliebte, du bist mein Gefährte, mein Stab, meine Zuflucht, mein Trost,
+mein alles, du, die eine, so bin ich gesegnet mit Weh und Glück, du
+treues Frauenbild, du geliebte Melusine, zu der mein Genius aufblickt,
+ich lebe durch dich — für dich — sei mein!</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="IX">IX.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Diddel dum, diddel dum, diddel dum — diddel dei, diddel dei, diddel
+dei — diddel dum, diddel dei! Die Klarinette girrt und gellt vor
+Lachen, von der brummbärigen Baßgeige in die Höhe geschwenkt beim Tanz,
+ehrbarlich zappelt das Klavizimbel mit, getreulich geführt von dem
+behaglichen wohlgesetzten Cello — diddel dei, diddel dei, hei, hei,
+hei, hei — diddel dum, diddel bum, dum, dum, bum, bum!</p>
+
+<p>Franz schabt das Cello, dunkeltönig jubeln die Saiten, als wären sie
+vom lieben Gott selber gestrichen, Franz spürte es inwendig, bis in
+die Gedärme hinein. Er spielt mit einigen Freunden zur Hochzeit auf,
+Johanna Lutz und Kupel, der endlich aus klassischem Land Heimgekehrte,
+sind nun ein Paar. Diddel dei, diddel dum!</p>
+
+<p>Das Blondhaar glänzt wie Goldgeschmeide auf dem sinnenden Haupt der
+zarten Lutz. Sie sieht heute gar elfenhaft aus neben dem großen,
+gebräunten Kupel, der wie ein junger, iliadischer Krieger anzuschauen
+ist. Er hat den Arm leicht um die Lutz gelegt: »Vivat Kupel, du hast
+den Preis gewonnen!« So denkt Franz, der vom Podium herab die Tafel
+überschaut: Ein schönes Paar die zwei — diddel dum, diddel dum!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span></p>
+
+<p>Neben Johanna sitzt Schwind, der ist heute so seltsam, er dreht
+Brotkügelchen, spielt mit den Fingern, preßt dann fest die Hände
+ineinander, schaut öfters stier in die Luft — was hat er denn? Er hat
+was, Franz bemerkt es von oben, wie fleißig er auch fiedelt. Netty
+Hönig sitzt neben ihm unten, die sind beide so einsilbig, Schwind und
+die Netty. Da geht was vor. Diddel dum!</p>
+
+<p>Weiter an der Tafel sitzt groß und stattlich wie eine Märchenfee die
+rätselhaft schöne Melusine. Ein magisches Band ist gewoben von ihm zu
+ihr, und seine Blicke schweifen immer herunter auf sie. »Ja, ja, weil
+unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn —«
+diddel dum, diddel dum! Ob sie noch das grüne Lautenband besitzt? Warum
+sie es nicht in den Locken trägt — wie damals? Sie hat ja 's Grün
+so gern?! Diddel dum! Sie hat es wohl tief versenkt in die Nähe des
+Herzens .... Diddel dum! »Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann
+weiß ich, wo die Liebe thront ...« Diddel dei, diddel dei, diddel dum,
+dum, bum!</p>
+
+<p>Ist der Schober aber redselig, spielt wieder den verfluchten Kerl —
+alle Weibsen um ihn herum verzückt wie vor einem Halbgott — und dieses
+verliebte Geschau — hält er sie alle zum besten oder ist es ihm ernst
+damit? Halb Don Juan, halb Don Quichote — daß er nur wieder da ist!
+Diddel dum! Musik und Gedanken geraten dem Franz wie italienischer
+Salat durcheinander, während er das Cello schabt.</p>
+
+<p>Diddel dum! Der Hönig, dieses ausgewässerte Gesicht, gar nicht genugtun
+kann er sich mit übertriebener Aufmerksamkeit<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> für Melusine. Will sie
+nach einer Pomeranze greifen, schwupp hat er schon den Fruchtaufsatz
+in der Hand, die Serviette fällt ihr herunter, wie ein Käsperl ist er
+in der Versenkung verschwunden. Sie greift nach der Fingerschale, die
+ohnehin ganz bei ihr steht, aber nein, der zudringliche Kerl greift
+ihr wieder zuvor, er muß die Schale halten, indessen sie ihre rosigen
+Fingerspitzen eintaucht — und dieser ekelhaft lüsterne Blick von ihm,
+hat er nicht etwas Affenartiges? Ja, das ist's, ein kompletter Affe!
+Merkt er denn noch immer nicht, daß sie, die Wald- und Quellenfee, ihm
+kaum einmal dankend zunickt, Luft ist er für sie, vollständig Luft, o
+die Holdselige!</p>
+
+<p>Jetzt schaut sie wieder herüber, Franz senkt sich tiefer auf das Cello,
+es schluchzt und jubelt. Diddel dum, diddel dum, diddel dum!</p>
+
+<p>In dem Geschrei, Gelächter und Gefiedel schwingt sich eine Stimme
+empor, die Ruhe gebietet. Das ist einer von den Freunden Hönigs. Franz
+denkt nicht gut von diesen Freunden. »Was soll mir diese Reihe von ganz
+gewöhnlichen Studenten und Beamten? Was gehen die mich an? Ist es nicht
+der Mohn? Oder ist es der Bruchmann? — Nein, der Mohn ist es!« Er
+bittet um Ruhe.</p>
+
+<p>Alles schweigt, Musik, Gelächter und Geträtsche, mäuschenstill ist
+alles. »Was sagt der Mohn? Hör' ich recht? Lauter, lauter, oder ich
+schmeiß' dir meinen Fiedelbogen in das verlogene Maul ...«</p>
+
+<p>Die Stimme Mohns ist klar und vernehmlich: »... das alles möchte ich
+euch zu wissen geben, ihr lieben Freunde, daß neben dem geliebten und
+verehrten Hochzeitspaar<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> soeben eine Verlobung stattgefunden hat:
+Fräulein Therese Puffer und der liebe Freund Hönig, sie leben hoch!
+Dreimal hoch! Musik! Einen Tusch! Ha, faules Musikantenvolk!« Der
+Dirigent am Cello rührt sich nicht.</p>
+
+<p>»Dreimal hoch!« Der ganze Chor brüllt es, die Gläser fahren zusammen,
+die Klarinette, die Baßgeige, das Klavizimbel, sie fallen mit ein,
+unordentlich, kopflos, es klingt ein klein wenig wie Katzenmusik. Das
+Cello rührt sich nicht. Schier die Darmsaiten sind ihm abgerissen,
+heftig und schmerzlich, als ob sie Franz im Leib hätte.</p>
+
+<p>Knarr, knarr! Die Wetterfahne hat sich umgedreht. Knarr, knarr! Als
+ob der rostige Stab mitten durch die Brust ginge, das Herz ward dabei
+schier entzweigedrückt. »So hätt' er nimmer suchen wollen, im Haus ein
+treues Frauenbild! Der Wind spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem
+Dach, nur nicht so laut, was fragen sie nach meinen Schmerzen? — Sie
+ist ja eine reiche Braut!«</p>
+
+<p>Das längst gesungene Lied wacht auf mit allen Schmerzen, jetzt ist es
+Begebenheit geworden.</p>
+
+<p>Er nimmt sein Cello zwischen die Knie und streicht ganz zärtlich und
+sacht über die Saiten. Es weint und schluchzt jetzt für ihn, indessen
+er den anderen zum Tanz aufspielt, die unten mit heißem Atem Brust an
+Brust herumschwenken. Was im Innern vorgeht, man merkt es ihm nicht
+an, was kümmert's auch die andern! Er hat sein phlegmatisches Gesicht
+aufgesetzt. Nur daß der Kopf einige Zoll tiefer und schwerer über dem
+schluchzenden Cello hängt. Diddel dum!</p>
+
+<p>Melusine, die Nixenkühle, tanzt in des andern Arm. Nicht des Besten
+Braut ist sie geworden, sondern des<span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span> Reichsten! Der hat sie ihm vor der
+Nase weggeschnappt. So geht's im Leben. Diddel dum!</p>
+
+<p>Einer hat sich zu ihm geflüchtet, der Frack ist ihm hinten zerrissen,
+wie ein Häufchen Elend hockt er am Podium dicht bei Franz.</p>
+
+<p>»Was ist mit dir, Schwind? Geh', schau', du bist ja ganz zerrissen!«</p>
+
+<p>Der hebt ein zuckendes Gesicht zu ihm empor.</p>
+
+<p>»Zerrissen? Ja, das bin ich. Zerrissen — inwendig — ganz in Fetzen
+zerrissen!«</p>
+
+<p>»So, so!« Franz sagt nicht mehr. Er weiß schon, was los ist. Die
+Aufregung Schwinds vorhin, der hat einen schwerwiegenden Entschluß
+gefaßt — mein Gott, wo alles liebt .... »und jetzt bist du ....«</p>
+
+<p>Der Zerknirschte nickt traurig und ergänzt den Gedanken: »—
+abgeblitzt!«</p>
+
+<p>Fiedelbum!</p>
+
+<p>»Hab' ich's nicht immer gesagt — diese Hönigs!« raunt es vom Cello
+herab.</p>
+
+<p>Der unten am Podium hockt, möchte vergehen vor Weh und Ach. Traurige
+Hochzeitsgäste, diese zwei, der Musikant und sein Leidensbruder.</p>
+
+<p>»Du tust, als ob dir nichts geschehen wäre ...« gibt der unten zurück.</p>
+
+<p>»Sei still, sonst ....« klingt's hinter dem Cello hervor.</p>
+
+<p>Fiedelbum!</p>
+
+<p>Nachts am Heimweg gehen die zwei stumm nebeneinander her.</p>
+
+<p>»Mich leidet es nimmer daheim,« fängt endlich der Cherubim<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> an. »Ich
+muß fort, hier kommt man auf keinen grünen Zweig ... Ich gehe mit
+meiner Kunst ...«</p>
+
+<p>»Und das Herz? Kannst du das auch mitnehmen? Das ist verwachsen mit
+dieser Luft, aber auch die Kunst ist verwachsen mit diesem Herzen, mit
+dieser Luft, mit diesem Boden, mit dieser Stadt, dieser verruchten,
+miserablen, in Grund und Boden verwünschten, treulosen, undankbaren,
+launenhaften und leider viel zu sehr geliebten ... Eine Buhlin ist sie,
+die sich wegwirft an den, der das meiste Geld hat .... man hat zu viel
+Herz, daran geht unsereiner zugrunde ...«</p>
+
+<p>»Herz?!« Der Cherubim tut, als ob das Herz für ihn keinen Sinn hätte.
+»Herz? Man hat es in den Staub getreten, zertrampelt, ich fühle nichts
+mehr da drin als wie eine namenlose Abscheu ....«</p>
+
+<p>Der andere seufzt: »Sie ist eine reiche Braut ...«</p>
+
+<p>»Reden wir nicht mehr darüber, Servus!«</p>
+
+<p>»Servus!«</p>
+
+<p>E — fis — g — h — ais — —</p>
+
+<p>Der Verzweiflungsakkord kommt nicht mehr zur Ruhe.</p>
+
+<p>Das Leben geht fort, es macht sich von selbst. Franz wundert sich jeden
+Morgen, daß immer wieder ein neuer Tag anbricht, trotzdem er oft meint,
+es müßte aus sein. Mit seiner Bewerbung um die Kapellmeisterstellen ist
+er durchgesaust. Ihm ist es einerlei. Ganz Wurst! Er erzählt es mit
+einer Art Galgenhumor den Freunden.</p>
+
+<p>»Ist doch allen hier so gegangen, die etwas Großes und Ernstes gewollt
+haben, warum soll's denn mir anders gehen?! Sie haben den Mozart nicht
+wollen, wie man sieht, wollen sie auch den Grillparzer nicht und setzen
+ihm<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> einen Dämpfer nach dem anderen auf, daß er sich ganz menschenscheu
+verkriecht, und Beethoven — für den soll im Ausland gesammelt werden,
+wie man hört; im Vergleich mit diesen Großen bin ich ja herrlich daran
+— ich dürfte mich ja eigentlich gar nicht beklagen, wenn ich auf die
+anderen hinsehe ....«</p>
+
+<p>»Freunde, auswandern! Ich gehe nach München, dort lebt die Kunst!«</p>
+
+<p>Bauernfeld haut fürchterlich auf. Er schimpft über diese Zustände wie
+ein Rohrspatz. Aber auswandern? »Nein, Freunde —« Er ist durchaus
+dagegen.</p>
+
+<p>»Wohin soll denn der Österreicher auswandern? Gibt es doch keinen
+Fleck auf der Erde mehr, der so schön ist als gerade seine Heimat.
+Hier wurzelt seine Gefühls- und Denkweise, er muß so singen, reden,
+schreiben, malen können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Stimme
+des Genius loci will erklingen — sie redet nirgends so laut als hier.
+Die Welt hat ihr Herz entdeckt — und dieses Herz der Welt ist Wien und
+Österreich. Was dieses Herz ist, haben wir der Menschheit zu verkünden,
+Schubert, Schwind, Grillparzer und wir alle zusammen. Wo können wir es
+besser als hier, wo unsere inneren Quellen springen, wo unsere Kraft
+wurzelt? Und von hier sollen wir fortgehen? Das wäre eine Viecherei;
+unser Bestes schöpfen wir hier, vergiß das nicht, lieber Bruder
+Schwind! Hier sind wir glücklich, obschon wir leiden; und wir leiden,
+obschon wir glücklich sind ...«</p>
+
+<p>Franz horcht aufmerksam zu, er nickt stumm mit dem Kopf, es ist etwas
+Wahres daran an dem, was der beredsame Bauernfeld sagt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p>
+
+<p>Schober ist auch seiner Meinung, obschon aus einem Grund, der weniger
+tief liegt. »Man findet es nirgends besser auf der Welt, meistens weit
+schlechter,« läßt er sich vernehmen; »diesen Tabak, diesen Kaffee,
+diesen Wein und diese Weiber — so herrlich wachsen sie nicht einmal in
+Sachsen!«</p>
+
+<p>»Schäker!«</p>
+
+<p>Aber der Schwind wird ernstlich bös über den liebenswürdig eitlen,
+tändelnden Schober.</p>
+
+<p>»Du hast dir noch nicht ein Stückel Brot selber verdient, also weißt du
+einen Schmarrn vom Leben! Ein Kerl, der den ganzen Tag nichts tut als
+vor dem Spiegel stehen und Weiberkitteln nachrennen, der hat hier nicht
+mitzureden. Um schaffen zu können, muß der Mensch leben, er muß essen,
+das Nötige verdienen — hier kann der Mensch, wenn er sonst nichts hat
+als sein Talent, verhungern. Und darum bleibt nichts anderes übrig als
+zu gehen.«</p>
+
+<p>Mayrhofer, der Lodernde, am inneren Feuer Verglühende, hat Anfälle von
+Reue; in solchen lichten Augenblicken kommt er aus seiner freiwilligen
+Verbannung und Einsamkeit hervor, sitzt in dem geselligen Kreis der
+Jungen, um dann wieder um so menschenscheuer und grollender in seine
+mönchische Weltflucht zurückzukehren.</p>
+
+<p>Was da geredet wurde, ist Wasser auf seine Mühle. Er hat das Zeug
+zum Freiheitsapostel und Demokraten und hält jetzt eine wilde Rede
+gegen Bevormundung, Unterdrückung und Polizeigewalt. »Denkfreiheit,
+Redefreiheit, Aktionsfreiheit,« das sind seine Schlagworte.</p>
+
+<p>Das wäre alles sehr schön, meint Bauernfeld, wenn es<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> nicht bloß die
+Faust in der Tasche wäre. Wie es denn käme, daß Mayrhofer trotzdem als
+Zensurbeamter weiter helfe, den Geist der Freiheit zu knebeln anstatt
+zu befreien — eine Einwendung, die den zwiespältigen Mayrhofer wieder
+gehörig verschnupft.</p>
+
+<p>»Daß die lieben Zeitgenossen doch immer nur dazu da sind, sich dem
+Bedeutenden hemmend in den Weg zu stellen!« eifert Bauernfeld. »Drum,
+Freund, müssen wir dableiben und gegen diese erbärmliche Welt so
+lange protestieren, bis sie sich zu schämen anfängt, daß sie es so
+ausgezeichneten Kerlen, wie wir sind, so sauer hat werden lassen.«</p>
+
+<p>Die Stimmung wird immer lauter und gemütlicher; die Seelenverfassung
+der Freunde ist dem Gedeihen des Galgenhumors recht günstig. Äußerlich
+geht es oft bei unbändiger Lustigkeit her; aber das ist äußerlich. Wie
+es bei Franz innerlich aussieht, das weiß keiner so recht; allerdings,
+die Lieder sind Verräter. Seine »Winterreise« erscheint, die Freunde
+schütteln den Kopf, zunächst mehr befremdet als ergriffen.</p>
+
+<p>»Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu sehn, und ich
+bleibe vor den Bäumen oftmals in Gedanken stehn; schaue nach dem einen
+Blatte, hänge meine Hoffnung dran; spielt der Wind mit meinem Blatte,
+zittr' ich, was ich zittern kann. Ach, und fällt das Blatt zu Boden,
+fällt mit ihm die Hoffnung ab. Fall' ich selber mit zu Boden, wein' —
+wein' auf meiner Hoffnung Grab, wein' — wein' auf meiner Hoffnung Grab
+...«</p>
+
+<p>Mit heimlichem Grauen starrten die Freunde in dieses<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> Tal der Tränen.
+Düstere Nachtgemälde rollten sich in den Liedern auf, der Schmerz
+wühlte darin, und das Licht der Hoffnung schien erloschen.</p>
+
+<p>»Gar so melancholisch ...«, meinte der eine wie der andere. »Mehr
+Heiterkeit, mehr Lebensfreude — Kopf in die Höhe, Franz!«</p>
+
+<p>Sie haben leicht reden, diese anderen; aber die Melancholie kommt eben
+daher, daß die Seele den grausamen Nüchternheiten des Lebens allzusehr
+unbewehrt und verwundbar gegenübersteht; sie leidet, aber dieses Leiden
+ist zugleich der Zoll, den sie bezahlen muß dafür, daß ihr gegeben ist,
+soviel auszusagen. So wendet sich alles Leid wieder zum Segen, es wird
+ein neuer Schatz für die Menschheit — das Herz, das die Welt hier
+entdeckt hat in der Wiener Heimat, in diesen Liedern zuckt und blutet
+es.</p>
+
+<p>»Wißt ihr denn auch, wie die Ausgabe der Liederserie ›Winterreise‹
+zustande gekommen ist? Fragt den Freund Lachner!«</p>
+
+<p>Lachner ist aus München nach Wien gekommen, ein junger Musiker, der
+als Feldherrnstab den Dirigentenstock im Tornister trägt. Einstweilen
+muß der Feldherr des Orchesters buchstäblich das Kalbfell schlagen, er
+ist aushilfsweise Paukenschläger in der Oper, und das ist auch keine
+Kleinigkeit. Aber seine Sehnsucht ist zurück auf die Münchener Heimat
+gerichtet, er wartet nur auf den günstigen Wind, um mit vollen Segeln
+zurückzusteuern geradewegs zum Dirigentenpult als Ziel. Daß er Schwind
+mitnimmt, das scheint schon ziemlich abgemacht.<span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span> Auch Schubert hat er
+sich dick angefreundet, sie stecken immer beisammen.</p>
+
+<p>Franz ist wie gewöhnlich in Geldnot und will rasch etwas verklopfen.
+Eine Liederserie liegt bereit, Lachner soll sie zum Verleger Haßlinger
+tragen und trachten, soviel als möglich herauszuschinden. Von
+Geschäftssachen versteht er auch soviel wie der Esel vom Zitherspiel,
+allerdings hat er den guten Willen. Er soll keineswegs ohne Geld
+kommen, verkitscht muß werden um jeden Preis — also gut.</p>
+
+<p>Mit den Noten unterm Arm macht sich Lachner auf den Weg. Was er da
+trägt, ist ein Vermögen — in Geld umgesetzt, es kann ein hübsches
+Sümmchen geben. Siegesbewußt ist er ausgegangen — gedeftet kommt er
+heim; der Erlös, den er Schubert auf den Tisch legt, beträgt bare —
+sechs Gulden.</p>
+
+<p>»Ist das alles?« fragt Schubert. »Für alle Lieder?!«</p>
+
+<p>Kleinlaut erwiderte Lachner: »Schmählich, nicht wahr? Das hab' ich
+schlecht gemacht — ich hätte die Noten nicht dort lassen sollen —
+weißt du was, ich trag's Geld wieder zurück!«</p>
+
+<p>Kaltblütig steckt Franz das Geld ein. »Zurückgeben?! Was fang' ich denn
+an? Der Verleger ist zwar schäbig — aber was dich betrifft, du hast es
+ausgezeichnet gemacht!«</p>
+
+<p>Sechs Gulden — das ist in Anbetracht des hingegebenen Wertes ein
+Bettelpfennig. Damit macht man keine weiten Sprünge. Und was dann?
+Morgen, übermorgen, nächste Woche? Man läßt den lieben Gott sorgen
+dafür. Der schafft Rat. Summt dem Franz<span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span> schon wieder ein Lied im Kopf
+— wirklich, der liebe Gott schafft Rat, alle Tag' und alle Stund'.</p>
+
+<p>»Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern
+dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her, und
+sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Und er läßt es gehen,
+alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still.
+Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern
+deine Leier drehen?«</p>
+
+<p>Die »Winterreise« setzt sich fort, dafür ist gesorgt. Er und der
+Leiermann — die sind schier eins.</p>
+
+<p>»Ist's euch zu melancholisch, Freunde?!« Wollen sie es nicht begreifen,
+daß seine Schöpfungen nicht nur aus seinem musikalischen Gefühl
+entspringen, sondern daß sie auch aus seinen Schmerzen entstanden sind
+und darin am tiefsten greifen? Sie möchten ihn lustig sehen.</p>
+
+<p>»Nun denn, bin ich nicht auch lustig unter euch?«</p>
+
+<p>Ja, das ist er, fröhlich unter den Fröhlichen. Bauernfeld sagt's ja
+immer: »Franz, der hat die rechte Mischung von Idealem und Realem —
+die Erde ist ihm schön ....«</p>
+
+<p>Das Rechte aber weiß eigentlich keiner.</p>
+
+<p>Für die Aufheiterung ist in der Tat auch reichlich gesorgt. Es scheint,
+daß ein stillschweigender Pakt unter den Freunden besteht. Im Gasthaus
+zum »grünen Anker« sind sie fast täglich abends zu fröhlicher Runde
+vereinigt. Spaun ist nach Wien übersiedelt und führt ein großes Haus.
+Glänzende Schubertiaden finden hier statt, aber nachher geht's immer
+noch zum »grünen Anker«; die Stimme des Herzens klingt immer erst
+voll aus, wenn man so gemütlich und zwanglos beieinander sitzt. Man<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span>
+kann sich schwer trennen in solchen befeuerten Stunden, wo der Wein
+die Zungen löst, und so sitzt man hübsch lange beieinander, das ist
+begreiflich. Vor Mitternacht denkt keiner ans Heimgehen, meistens wird
+es geraume Zeit nach Mitternacht.</p>
+
+<p>»Wirtshaus, wir schämen uns — hat uns ergötzt; Faulheit, wir grämen
+uns — hat uns geletzt!« so jubiliert Bauernfeld.</p>
+
+<p>Zugleich aber schwärmt man fleißig aus ins Grüne, wenn es die
+Jahreszeit und der Geldbeutel erlauben; Fahrten nach Atzenbrugg
+werden unternommen, in größerer Gesellschaft oder zuweilen
+auch im engsten Vereine, Franz, Schwind und Bauernfeld, die in
+innigster Schicksalsverwandtschaft zueinander stehen und darum ein
+unzertrennliches Kleeblatt bilden. Der bischöfliche Schloßherr auf
+Ochsenburg würde das Kleeblatt allzu liederlich finden, man begnügt
+sich mit der Unterkunft bei der Aumüllerin in Atzenbrugg und nimmt
+aus Sparsamkeit nur ein Zimmer, sie müssen zu dritt in einem breiten
+Ehebett schlafen.</p>
+
+<p>Diese äußerlich dürftigen Umstände kitzeln wieder die humoristische
+Ader, und die Lustigkeit wächst; die Atzenbrugger Tage sind immer eine
+Festzeit. Man lacht und ist guter Dinge, aber die Seele weint; es
+ist zwar keine Wetterfahne auf dem Dach, aber man spürt das Knarren
+inwendig, und die alten Wunden bluten. »Was fragen sie nach meinen
+Schmerzen?«</p>
+
+<p>Dem Schwind ergeht es ähnlich. Doch einer verbirgt den Schmerz vor dem
+anderen, jeder tut auf seine Weise rauh<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> und unverwundbar. Sind beide
+im Herzen große Kinder.</p>
+
+<p>Den einen wie den anderen überkommt gelegentlich das Verlangen, aus
+der inneren Einsamkeit vollends hervorzugehen, die Seelenkammern weit
+aufzuschließen und sie dem Auge der Freundschaft und der Liebe zu
+zeigen. Jeder macht immer wieder einmal einen Anlauf dazu und redet so
+um die Dinge herum.</p>
+
+<p>Franz, zuweilen philosophisch aufgelegt, macht einen Vorstoß. »Keiner,
+der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern
+versteht! Man glaubt zueinander zu gehen, und man geht immer nur
+nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt!«</p>
+
+<p>Schwind versteht, was er sagen will, er leidet unter derselben Qual.
+Sie machen beide die Erfahrung, daß die Einsamkeit der innere Schutz
+der Seele, zugleich aber auch der Kerker dieser Seele ist. Sie rütteln
+beide an den verschlossenen Türen und reiben sich wund an den ehernen
+Mauern. Ihr Tiefstes und Bestes möchten sie voreinander aussagen und
+können es nicht.</p>
+
+<p>»Wir alle gleichen Gefangenen in unterirdischen Burgverließen,«
+erklärt sich Schwind, »jeder ist verurteilt, mit einem bestimmten Teil
+seines Wesens allein zu sein in der Kammer seiner Einsamkeit, und wir
+können uns höchstens durch ein sinnreiches Klopfsystem untereinander
+verständigen. Die Poesie und Kunst sind in den Verließen der Einsamkeit
+geboren, sie sind das Klopfsystem, die Gleichnisse, durch die wir
+einander erraten können ...«</p>
+
+<p>Wie groß auch die Hingabe der Freundschaft ist, wie rein auch das
+Herz ist von Trug, wie unverbrüchlich auch die<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> Treue ist und die
+Aufrichtigkeit, sie kommen oft über das Nächste und Einfachste
+nicht hinaus. In dieser Not suchen sie die Sterne, suchen sie Gott,
+der sie ihre Kunst gelehrt, suchen sie das Schweigen, denn in dem
+Schweigen erraten sich die getrennten und doch so verwandten Seelen
+am leichtesten. Es ist der tiefste Punkt des Verstehens — eine
+Gemeinsamkeit von Einsamkeit.</p>
+
+<p>In dieser Kunst des beredten Schweigens sind beide Meister. Sie können
+stundenlang im Grünen sitzen beim Wein und den schweigenden Gedanken
+zuhören, die durchs Gemüt sinken. Höchstens daß der eine oder andere
+einmal seufzend unterbricht: »Ja, ja!« oder daß es dem einen oder
+anderen zu dumm wird und daß er ungeduldig auffährt: »So, jetzt aber
+schweigen wir von was anderem!«</p>
+
+<p>Nicht weniger eifrig als früher lenkt Franz seine Wanderschritte hinaus
+nach Heiligenstadt oder Grinzing, wo der liebe Gott mit dem Finger
+winkt, das heimliche große Licht ist draußen verborgen, Ludwig van
+Beethoven, um so lieber wandelt man die Wege nach diesem klassischen
+Wiener Boden.</p>
+
+<p>Sitzt Schwind am Zeichentisch und mag sich nicht trennen von seinen
+Gesichten, die er mit dem Stift verewigt, dann weiß Franz eine
+Zauberformel: »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau ...« Dieser
+Lockung kann Schwind nicht widerstehen. Ein paar Stunden Ätherblau
+im Grünen ist reicher an künstlerischer Eingebung als viele Tage am
+Zeichentisch. Also auf und hinaus! Aber sie bleiben nicht allein, der
+Schober ist mit von der Partie, der Bauernfeld, zuweilen der Spaun oder
+an seiner Stelle<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> der Lachner. Bald sind sie ihrer fünf und freuen sich
+im Grünen.</p>
+
+<p>Ein gottseliges Leben ist in den Heiligenstädter, Grinzinger oder
+Sieveringer Hausgärten, wo der Heurige ausgeschenkt wird. Unter ein
+paar Bäumen sind rohgezimmerte Bänke und Tische in die Erde gerammt,
+hier sieht die Welt friedvoll und heiter aus. Der Salamucci geht um mit
+ungarischer Salami, mit echter Veroneser und Mortadella, mit Emmentaler
+Käs' und Butter, und wer nicht sein Geselchtes im Papierl mitgebracht
+hat — es gibt auch Schlemmer, die nicht ohne Brathendel in der
+Rocktasche auf den Plan treten —, der kann sich für billiges Geld vom
+Salamucci Wurst und Käse aufschneiden lassen. Es langt fürs leibliche
+Wohlsein und paßt gut zum Wein. Unaufhörlich kräht der Brotschani
+mit hellem Sopran: »Schani Brot! Schani Brot!« Es geht zu wie im
+Himmelreich, alle Mühsal und Pein ist von der Seele genommen.</p>
+
+<p>Franz hebt das Glas, der rauschselige, trostbringende, grüngoldene Wein
+ist der Hüter seiner Muse, die Vergangenheit wird lebendig, der Traum
+von Glück verklärt das Herz.</p>
+
+<p>Man ist Gottes voll. Und was tut man, wenn man Gottes voll ist? Man
+hebt zu singen an, als säße man auf einer lichten Wolkenbank, so ein
+rechter Himmelsmusikant, und schaut gemütlich auf diese bucklige Welt
+herab. So gesehen, schaut sie recht schön aus, man könnte schier seine
+Freude daran haben. Da ist die Stadt, hier der liebe Wienerwald und
+dann über Berg und Tal noch manches andere, wohlbekannte Städtlein,
+und wachsen<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> viele schöne Mädchennamen da und dort. Man hat sie alle
+gekannt, sie sind dem Herzen nahe, eine wie die andere, und jetzt,
+wo man tief ins Weinglas hineinschaut, sieht man manch holdes Bild
+aufsteigen.</p>
+
+<p>So sitzen die fünf im Grünen, sie sind augenblicklich ein gar
+fröhliches Quintett und singen aus Leibeskräften, als säßen sie neben
+geflügelten Engelsköpfen hoch oben auf einem Kirchenchor. Und ist es
+auch nichts Heiliges, was sie singen, so ist es darum just auch nichts
+Schlechtes, denn was sie singen, das sind diese süßen Mädchennamen,
+die dem Herzen, ach! allzu nahe stehen. Fanny, Therese, Anna, Rosa,
+Karoline, Josephine, Netty, Melusine!</p>
+
+<p>Am besten von allen singt Franz, der arme Schulmeisterssohn; darum
+lieben sie ihn auch alle so sehr, die Freunde, die mit ihm zechen,
+der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der
+schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein, der
+all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein
+Herzeleid in Gold verwandelt. Die süßen Mädchennamen fließen in dem
+Gesang der Liebe zusammen in eins, es ist die unsterbliche Geliebte,
+die er besingt, die bald so und so hieß und eigentlich aber nur einen
+Namen hatte. Es ist die Heimatstadt Wien selbst, die er in Melusine, in
+Fanny, in Karoline, in Rosa, in Josephine, in Therese so unglücklich
+liebte, diese unsterbliche Geliebte, die ihm die tiefen Herzenswunden
+geschlagen, und die ihn mit Schmerz gesegnet, auf daß er seine Freude
+singen möge.</p>
+
+<p>Die süßen Namen der Liebe, das Herz der Menschheit, die<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span>
+schmerzverklärte Freude, dies alles und noch viel mehr ist in Franz
+Schuberts Lebenslied.</p>
+
+<p>Die Welt des Haders und der Zwietracht horcht auf, die fünf singen im
+Grünen wie die Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen — der
+finster blickende Herr Ludwig van Beethoven, der große Tragiker, der
+sich in den bäuerlichen Weinbergshäusern versteckt und in seiner großen
+Menschheitssinfonie das Lied der Freude singt, der hätte ein Vergnügen
+an dem Quintett gehabt.</p>
+
+<p>Die Seele hat soviel Kraft und Gesundheit, um auch in diesen trüben
+Zeiten Augenblicke zu finden, wo der Himmel offen steht.</p>
+
+<p>G — d — g — fis — g — a — — —</p>
+
+<p>Aber der schwer erkaufte Frieden hält nicht lange.</p>
+
+<p>Der Himmel über ihm ist wolkenlos, doch am Horizont lauert schon neues
+Unheil. Es bricht immer dann am stärksten hervor, wenn er glaubt,
+daß alles überwunden sei. In steilen Linien auf und ab bewegt sich
+die Schicksalskurve, heute hoch oben, morgen tief unten. Sonnige
+Werke entstehen neben den Ausbrüchen tiefster Verzweiflung und
+Seelenqual. Das heitere Es-Dur-Trio neben dem grausigen Nachtstück der
+»Winterreise«.</p>
+
+<p>»Fröhlich, Freunde, fröhlich! Sagt ihr, es wohne nicht die Fröhlichkeit
+unter meinem Dach?! Spitzt jetzt gefälligst eure Ohren, dann werdet ihr
+sie vernehmen!«</p>
+
+<p>Die Freunde rasen vor Entzücken über das Es-Dur-Trio.</p>
+
+<p>»So gefällst uns! Ein echter Schubert! Erfüllt das Herz mit heiterem
+Glück bis in alle Winkel! Scheucht alles Dunkle auf, jagt alle
+Nachtgespenster von dannen<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> .... erquickt die Seele mit neuem
+Lebensmut, reißt den Himmel auf über ihr, daß sie hineinschaue in
+wogendes Weiß und Blau und Ströme von Glückseligkeit niederstürzen
+fühlt aus leuchtenden Höhen ...«</p>
+
+<p>Das ist schon wahr, was die Freunde in ihrer überschäumenden
+Begeisterung sagen.</p>
+
+<p>»Aber diese schauerlichen Lieder der ›Winterreise‹, die wollen mir noch
+nicht ein ...« meint Spaun.</p>
+
+<p>Sie vermögen es alle nicht zu erkennen, daß in diesen »schauerlichen
+Liedern« Franz am meisten er selbst ist. Seine tiefsten persönlichen
+Ahnungen sprechen sich darin aus, in die dunkelsten Abgründe seiner
+Seele lassen die Lieder hineinblicken. Ihre ergreifende Größe und
+Schmerzensgewalt läßt sie dem Buch Hiob vergleichbar erscheinen. Ein
+solcher Leidensmann ist der nun Dreißigjährige, der sich zugleich zu
+dieser kindlich jubelnden Höhe seines Trios aufzuschwingen versteht.</p>
+
+<p>In diesen jähen Gefühlslinien bewegt sich sein Lebenslied: eine heitere
+Liedweise als Grundton, dann ein jähes Abbrechen, ein qualvoller
+Aufschrei der gemarterten Seele: e — fis — g — h — ais .....</p>
+
+<p>Es fehlt nicht an Anlässen, die tief in sein empfindliches Seelenleben
+hineingreifen und diesen erschreckenden Umschlag bewirken. Er hat
+die verhängnisvolle Gabe, den Anstoß wie eine rollende Kugel in der
+gleichen Richtung weiterzutreiben, bis alle Seelentiefen aufgepeitscht
+sind .... In dieser Widerstandslosigkeit seiner Seele gegen die Schläge
+des Schicksals ist er Empfangender; er gleicht den Stoß in seinem
+Innern aus, indem er sich durch sein Schaffen befreit, insofern ist er
+ein Gebender. Was er<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> dafür hingibt, ist ein Stück Leben. Der Erlös
+dafür? Dieser Schandlohn von sechs Gulden, wenn es nur der einzige Fall
+wäre! Ein Werkelmann verdient mehr!</p>
+
+<p>Aber das ist es nicht, was ihn um und um stürzt. Das Leben ist auch
+sonst gespickt mit tragischen Ansätzen, die die Neigung haben,
+auszuwachsen und die Seele zu erschüttern.</p>
+
+<p>Daß Jenger aus Graz nach Wien zurückgekehrt, das wäre ja ein freudiger
+Anlaß. Aber was alles drum und dran hängt! Sein erster Weg ist in das
+Frühwirtsche Haus auf der Wieden nächst der Karlskirche, wo Franz noch
+immer wohnt. In Schwindien also. In aller Frühe kommt er angestiefelt,
+Franz liegt noch im Bett. Die gestrige Nachtschwärmerei — es ist
+wieder hoch hergegangen im »grünen Anker« — vielleicht geniert er sich
+auch ein bißchen: »Du mußt wissen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe
+— es wird nimmer so recht mit der Gesundheit — Leib und Seele wollen
+nicht mehr zusammenhalten — außer bei einem Glas Wein, da hat man ja
+einen so täuschenden Schein von Kraft und Courage, aber sonst — man
+gibt zuviel her bei der Arbeit ...« Ist ja auch was Wahres dran.</p>
+
+<p>Franz läßt sich das Schalerl Kaffee mit den zwei Kipferln, die die
+Quartiergeberin bringt, schmecken, indessen Jenger bei ihm am Bettrand
+sitzt und erzählt und erzählt. Alle Grazer Neuigkeiten schüttet er aus,
+einen ganzen Sack voll.</p>
+
+<p>»Also du mußt nach Graz kommen! Du hast Freunde dort, nicht zum sagen!
+Das Ehepaar Pachler ist geradezu vernarrt in deine Musik, na, wie
+überhaupt alle. Sind<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> recht liebe Leute, die Pachlers. Wohnen großartig
+im Hallerschlössel ganz nahe bei der Stadt, das ist was für dich.
+Grazer Patrizier, mußt du wissen, du sollst ein paar Wochen bei ihnen
+wohnen, sie laden dich ein, ich möchte ihnen nur gleich schreiben, daß
+du wirklich kommst ....«</p>
+
+<p>Vom Hundertsten kommt er ins Tausendste, auf einmal sieht er auf die
+Uhr und springt auf.</p>
+
+<p>Warum er es denn so eilig hat? Er möchte noch vormittags hinaus in die
+Schwarzspanierstraße — Apropos, es ist wahrscheinlich, daß auch der
+Anselm Hüttenbrenner her muß. »Gebe Gott, daß es nicht so schlimm wird.«</p>
+
+<p>»Was ist denn los? Schwarzspanierstraße? In die Beethovensche Gegend?«</p>
+
+<p>»Ja, weißt du denn nicht —? Man fürchtet, es geht zu Ende mit ihm ....
+seit acht Tagen ringt er mit dem Tod. Schindler, sein Vertrauter, hat's
+geschrieben.«</p>
+
+<p>Mit einem Satz ist Franz aus dem Bett.</p>
+
+<p>»Beethoven am Sterben? O Gott!« Das große Licht, zu dem er anbetend
+aufblickt, am Erlöschen?</p>
+
+<p>Jenger ist schon bei der Türe hinaus.</p>
+
+<p>Hastig kleidet sich Franz an. Die Gefühle wirbeln durcheinander. Er
+kann keinen klaren Gedanken fassen. Der Tag vergeht, heute kann er
+keine Note schreiben. Er versucht dies und das und legt es wieder
+hin. So voll Unruhe ist er. Er fühlt es ganz genau: es kommt etwas
+daher, das ihn trifft wie einen persönlichen Verlust. Wie hat er sich
+hingesehnt nach dem Gewaltigen, der ihm wie ein Wegweiser erscheint
+nach den höchsten Zielen ... Aber er hat es nicht gewagt, er hat Angst
+vor dem ganz<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> Großen, seine Erfahrungen mit Goethe haben ihn ganz
+eingeschüchtert. Wie oft hat er dem Olympier nach Weimar geschrieben,
+er hat ihm Stöße von Liedern geschickt — mit keiner Zeile hat er
+geantwortet, Franz existiert für ihn nicht, die Hekatombe hat nicht
+Gnade gefunden in den Augen des Göttlichen.</p>
+
+<p>Aber das war noch zu ertragen. Beethoven steht ihm näher als Vorbild
+auf seinem ureigensten Felde. Er fürchtet, es könnte ihm mit dem
+Schöpfer der »Eroika« und der unsterblichen »Neunten« ähnlich ergehen.
+Es wäre ein Verdammungsurteil für das zaghafte Meisterlein — nein, er
+versucht's lieber nicht ....</p>
+
+<p>Und jetzt krampft sich ihm das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß er
+etwas versäumt hatte und daß es etwa zu spät sein könnte .... Da lebt
+man in derselben Stadt, begegnet einander zuweilen in den Straßen oder
+in den einsamen Feldwegen, weiß sich im Geist so nahe und kehrt lieber
+um auf halbem Wege aus begreiflicher Scheu ..... und erfährt erst durch
+Leute, die von fern kommen, daß der Tod an sein Haus pocht. So groß ist
+die Einsamkeit um den Titanen, daß keiner den Weg zu ihm findet, bis
+auf einen .... es greift Franz kalt an die Brust: auch seine Einsamkeit
+wird keiner durchdringen, bis auf einen .....</p>
+
+<p>»Wann ist es denn gewesen, daß ich Beethoven zuletzt gesehen habe?«
+Franz denkt nach. »Bei seinem letzten großen Konzert war es, wo er
+selbst die ›Neunte‹ dirigierte, diese Sinfonie der Menschheit ....«</p>
+
+<p>Ganz richtig, es ist das letztemal gewesen, da man Beethoven am
+Dirigentenpult gesehen hat. Er ist damals<span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span> schon entrückt gewesen,
+menschenentrückt durch seine Taubheit und Unnahbarkeit, weltentrückt
+durch seinen Genius .... Das waren keine irdischen Klänge mehr, deren
+Glanz er vor den Hörern ausbreitet, die kamen aus höheren Welten, über
+den Schrei der verzweifelten Menschheit rauschten die Stimmen der
+Seligen auf. Er hörte sie nicht mit dem leiblichen Ohr, aber mit dem
+geistigen vernimmt er sie um so gewisser.</p>
+
+<p>Der letzte Ton verklingt, die Zuschauer wagen es nicht, sich zu
+rühren vor Andacht und Ehrfurcht, der Meister steht noch oben mit dem
+Taktstock, blickt starr auf das Pult vor sich hin und dirigiert weiter
+aus dem Gedächtnis. Die geschriebene Sinfonie ist zu Ende, der letzte
+Ton verhallt, ein Musiker nach dem andern verläßt still das Podium,
+nur der Tragiker steht noch oben und gibt den Takt. Seine Taubheit ist
+so groß, daß er sein eigenes Werk nicht mit dem leiblichen Ohr gehört
+hat, aber die Hellhörigkeit seiner Seele ist so unendlich, daß er
+den Weltgesang weiter hört und fort und fort den Takt dazu gibt. Die
+Sinfonie ist nicht zu Ende für ihn .....</p>
+
+<p>Die Leute sitzen unten und wagen es nicht, sich zu rühren, sie sind
+erschüttert von dem tragischen Anblick, viele weinen vor Rührung. Da
+wagt es einer der Musiker, der hinter ihm in den Saal geschlichen ist,
+den Lauschenden, von ewigen Harmonien Umfluteten leise am Rock zu
+zupfen. Beethoven wendet sich um, wie aus allen Himmeln gestürzt, mit
+einem Blick des Entsetzens schaut er sich um und flieht.</p>
+
+<p>Der Vorgang schneidet ins Herz, diesen entsetzten Blick vergißt
+keiner, der ihn gesehen. Franz sieht alles klar<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> wieder vor Augen. Die
+bloße Erinnerung ergreift ihn mit der gleichen Heftigkeit wie jener
+Augenblick. War es nicht so, daß der Geist des großen Meisters damals
+schon entrückt war über die Menschen hinweg in lichte Seligkeiten und
+dem himmlischen Wegweiser in seiner Einsamkeit folgte eine Straße
+entlang, »die noch keiner ging zurück«?</p>
+
+<p>Das Zerren an dem Rock riß ihn zurück in die Wirklichkeit, vor der sich
+sein Blick entsetzte. Er floh, er vergrub sich vor den Menschen, und
+jetzt rüstete seine Seele zum letzten Male zur großen Heimreise. »Wird
+ihn noch einer zurückrufen können, soll er gehen, ohne daß ich ihn
+gegrüßt und ihm gedankt habe?«</p>
+
+<p>Einige Tage verstrichen. Das große Sterben drüben in der
+Schwarzspanierstraße machte endlich von sich reden. Die Trauer breitete
+ihren Flor aus. Das Herz der Stadt zitterte, man hörte den Tod, wie er
+durch die Gassen ging.</p>
+
+<p>Jenger ließ sich nicht blicken. Endlich, endlich kam er zurück. Anselm
+mit ihm. Schwarze Röcke, Zylinder, Flöre an dem Arm. Ihre Mienen
+verkündeten schon von weitem: Beethoven tot!</p>
+
+<p>In der Tiefe wühlte und bohrte der Schmerzensquell, aber er brach nicht
+hervor unter dem Schutt und Geröll. Das Phlegma, sagen die Leute.</p>
+
+<p>Mit diesem anscheinenden Phlegma ging Franz in der Mitte zwischen
+Jenger und Anselm Hüttenbrenner.</p>
+
+<p>»Wenn schon nicht im Leben, so will ich im Tod bei ihm gewesen sein!«
+sagte Franz mitten unter dem Schweigen.</p>
+
+<p>Sie gingen hinüber ins Trauerhaus.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span></p>
+
+<p>»Schindler erzählt, daß oft von dir die Rede war bei Beethoven!« weiß
+Jenger. »Er hat viel Gutes von dir gesagt, es war ihm aber aufgefallen,
+daß du dich immer versteckst ... ›Der kommt nach mir,‹ soll der Meister
+einmal gesagt haben.«</p>
+
+<p>Franz ging stumm zwischen den beiden, das Herz schlug ihm gewaltig,
+je näher sie dem Schwarzspanierhause kamen. Beim Tor wurde ihm ganz
+schwach, er mußte ein wenig verschnaufen. Keine Macht hätte ihn die
+Stiege hinaufgebracht, wenn er allein gewesen wäre. Diese zwei nahmen
+ihn unterm Arm und stiegen hinauf. Im Vorzimmer oben empfing sie ein
+grauhaariger Mensch, der nur flüsterte und den dreien durch Zeichen mit
+der Hand bedeutete, einzutreten. Sie durchschritten ein Zimmer; der
+Flügel stand darin, Stöße von Noten lagen darauf und am Boden umher,
+eine schreckliche Verwahrlosung und Verödung grinste aus allen Winkeln,
+Leichengeruch schlug ihnen entgegen ...</p>
+
+<p>Im nächsten Zimmer lag der große Tote. Franz starrte in das zerklüftete
+Antlitz, in diese Züge, die nach innen gewendet waren und entrückt von
+dem Hinaushorchen und Lauschen unendlicher Harmonien .... jetzt war
+es ein zertrümmertes Steingebirge mit den gewaltsamen Spuren eines
+beendeten Götterkampfes. Einer schreckensvollen Ruine glich dieser
+irdische Rest, nachdem der Geist entflohen war.</p>
+
+<p>Es war zu qualvoll, in diese Walstatt zu sehen, Franz riß sich los und
+stürmte fort. Am nächsten Tag ging er im Trauerzug als Kerzenträger. An
+dem Zyklopentor des Währinger Friedhofs hielt Anschütz eine gewaltige<span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span>
+Rede von Grillparzer, der Sarg schwankte wie ein schwarzes Schiff in
+diesen Hafen, Franz hatte zuweilen das Gefühl, als ging' es mit ihm
+selber zu Grab. Gottes Finger rührte an sein Herz, aus der dunkelsten
+Tiefe der Seele antwortete eine Stimme diesem Pochen, und was sie
+antwortete, sollte später im Hiobsbuch seiner »Winterreise« stehen:</p>
+
+<p>»Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht. Allhier will ich
+einkehren, hab' ich bei mir gedacht. Ihr grünen Totenkränze könnt
+wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus
+ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt, bin matt zum
+Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt. O unbarmherzige Schenke,
+doch weisest du mich ab? Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer
+Wanderstab, nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!«</p>
+
+<p>Besonders in diesem letzten Wirtshaus winkt Gottes Finger fast wie beim
+Heurigen.</p>
+
+<p>Zwei Freunde begleiten Franz am Heimweg. Unterwegs kehren sie noch ein
+und sitzen in der Weinstube auf der »Mehlgrube«. Franz ist ganz in sich
+gekehrt. Er schenkt das erste Glas voll, erhebt es und leert es in
+einem Zug auf das Andenken des Heroen, den sie eben zu Grabe geleitet
+haben. Er schenkt ein zweites Glas ein, er sieht die beiden anderen
+ernst an und sagt: »Und jetzt trink' ich das zweite Glas auf den, der
+ihm von uns als Erster nachfolgt ....«</p>
+
+<p>Damit hat's noch seine guten Wege. So viele Wirtshäuser man schon
+gesehen und darin zur kühlen Rast geweilt hat, man wird noch durch
+manches Wirtshäuslein<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> kommen, ehe man zu dem letzten anlangt. Und der
+sich matt zum Niedersinken fühlt und tödlich schwer verletzt, der muß
+sich nun schon weiter helfen, weiter, nur weiter, an seinem treuen
+Wanderstab.</p>
+
+<p>Unter den vielen Wirtshäuslein, die Franz auf seiner Lebensfahrt als
+erquickliche Stationen befunden hat, gilt das »Blumenstöckel« im
+Ballgassel als keines der schlechtesten. Es ist ein gemütliches Beisel,
+wie er es gern hat, mit einem Glassalon nach der Hofseite, wo ein paar
+Bäume stehen. In dem weißen Glassalon ist es gut zu sitzen in den
+linden Sommernächten, wenn der herbe Geruch des Götterbaumes durch die
+geöffneten Fensterflügel hereinstreicht.</p>
+
+<p>Anna Milder ist wieder zum Gastspiel in Wien, ihre Augen, ihr Lächeln,
+ihre Stimme riegelt alle bittersüßen Erinnerungen auf, ganz traumselig
+geht Franz mit Spaun und Mayrhofer, dem wieder einmal Umgänglichen,
+nach dem Opernabend ins »Blumenstöckel«.</p>
+
+<p>Mayrhofer und Spaun schimpfen über die Wiener, die um die warme
+Jahreszeit nicht mehr ins Theater zu bringen sind. Die »Iphigenie«
+wurde vor einem fast leeren Hause gesungen. Um so voller war es dafür
+beim »Blumenstöckel«. Mit Mühe und Not erobert man einen leeren Tisch
+im weißen Glassalon.</p>
+
+<p>Beim Essen und Trinken vergeht leicht die Zeit, es ist bald an
+Mitternacht; die Leibesstärkung hat die Seelenkraft erhöht, die
+Begeisterung über die Eindrücke des Abends strömt in lauten Worten aus.
+Es geht ziemlich ungeniert her, der Glassalon ist um die späte Stunde
+fast leer geworden, nur am Nebentisch sitzen einige Gäste, die<span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span> jedes
+Wort aufschnappen. Die Augen, das Lächeln, die Stimme der Anna Milder,
+in allen Tönen der Bewunderung wird sie gepriesen. Vor allem diese
+Stimme!</p>
+
+<p>Franz schwärmt irgend was von dem Ideal der dramatischen Gesangskunst.
+Da fängt einer am Nebentisch laut zu höhnen an, Spaun kennt ihn, es ist
+ein Universitätsprofessor; er hat vielleicht schon zu tief ins Glas
+geguckt, jedenfalls scheint er zur Stänkerei aufgelegt. Und legt auch
+schon los, so halb und halb zum Freundestisch herüber.</p>
+
+<p>»Das nennt man Stimme? Gekräht hat sie wie ein Hahn; die kann ja
+überhaupt nicht singen, weder Läufer noch Triller versteht sie zu
+machen, ist doch eine Schande, die als Primadonna herzubringen — das
+soll man sich vorsetzen lassen für sein gutes Geld ....?!«</p>
+
+<p>»So ein unverschämter Kerl!« Fast zugleich springen Mayrhofer und
+Schubert auf; Franz schmeißt sein gefülltes Glas hin, so kochend vor
+Wut hat man ihn noch nie gesehen. Er könnte dem Kerl am Nebentisch an
+die Gurgel springen, mit Mühe wird er zurückgehalten. Es ist nicht
+das erstemal, daß er ganz aus dem Häuschen gerät, wenn sich einer an
+dem versündigt, was ihm heilig ist. Ein Schimpfduett hebt an, daß es
+schauerlich anzuhören ist.</p>
+
+<p>Aber der andere drüben ist auch nicht maulfaul, und ein Dickschädel ist
+er obendrein, von Nachgeben ist keine Rede. Es gibt einen richtigen
+Wirtshausskandal. Franz ist kaum mehr zu halten, eine blutige Keilerei
+scheint unvermeidlich, die Begleiter des ungebärdigen Professors<span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span>
+sind besonnen genug, den Halbbetrunkenen unterm Arm zu fassen und
+hinauszuexpedieren.</p>
+
+<p>Die drei Freunde bleiben allein im Glassalon zurück. Sie haben wohl das
+Feld behauptet, aber die wüste Wirtshausstreiterei ist gerade auch kein
+erquickliches Erlebnis. Man fragt sich, wo nimmt denn so ein gemeiner
+Kerl das Recht her, in den Seelengarten des anderen einzubrechen und
+die schönsten Blumen zu zerstampfen? Wenn man auch seinen Mann gestellt
+und den Kerl zu Paaren getrieben hat, so bleibt doch ein widerwärtiges
+Gefühl zurück.</p>
+
+<p>Man ist in seinen zartesten und reinsten Empfindungen gedemütigt,
+mißhandelt, besudelt worden, und dazu hat man das niederdrückende
+Gefühl, daß man der Dummheit und Gemeinheit wehrlos ausgeliefert ist.
+Da soll doch ein Himmeldonnerwetter dreinfahren! Die ganze erbärmliche
+Welt könnte man zerschmeißen. Es kocht in Franz, kreideweiß sitzt er
+vor dem Tisch, eine Zeit vergeht, er redet kein Wort.</p>
+
+<p>Da packt er plötzlich ein Glas und schmeißt es in die Ecke. Klirr! ist
+es in tausend Scherben. Das wirkt wie eine Entspannung. Ein zweites
+Glas fliegt nach. Klirr! ist das eine Freude, wenn alles in Scherben
+geht! Die Wasserflasche, ein Schock Teller, die Karaffe mit Essig und
+Öl, die Salzfässer, der Senftiegel — klirr, klirr, tschin! Jetzt sind
+auch ein paar Fensterscheiben des Glassalons durch. Es hagelt Glas.</p>
+
+<p>Die Kellner stürzen herbei, stehen an der Tür, reißen Maul und
+Augen auf und lassen es gewähren. Sie<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span> denken schon mit heimlicher
+Schadenfreude an die fabelhafte Rechnung, die sie hernach schreiben
+werden.</p>
+
+<p>Mayrhofer und Spaun sind nicht imstande, Franz zu bändigen, der außer
+sich ist. Riesenkräfte sind in dem kleinen, etwas aufgeschwemmten
+Körper lebendig geworden. Elektrische Schläge gehen von den plötzlich
+straff gespannten und steinhart gewordenen Muskeln aus, die Freunde,
+die ihm in die Arme fallen wollen, fliegen unter der heftigen Abstoßung
+weg, als wären sie Spielbälle.</p>
+
+<p>Und nun packt Franz mit seinen zarten Händen den großen Wirtshaustisch,
+hebt ihn hoch in die Luft und bum! fliegt der schwere Tisch in die Ecke
+zu den Scherben, daß das Glas aufspritzt wie Wasser. Dann der nächste
+Tisch, Bum und Krach! die Stühle nach, und nicht eher ist Ruhe, als bis
+der ganze Glassalon einem Trümmerhaufen gleicht.</p>
+
+<p>Alles Elend, aller Ärger, alle Demütigung und Zurücksetzung, alles Leid
+und aller Hohn, die ihm in diesem Leben zuteil geworden sind, drängen
+herauf aus der Seele, die sich befreien will. Und mit jedem Stück, das
+hinfliegt und in Scherben geht, löst sich ein Stück Unrecht, das man
+erdulden hat müssen; es ist wie ein Erbrechen aus Ekel über den ganzen
+Unrat dieser erbärmlichen Welt, den man hinunterwürgen hat müssen. Nur
+daß er selber am Schluß auf diesem höllischen Misthaufen liegt, ein
+armer, schmerzverkrümmter Hiob.</p>
+
+<p>So schaut der Franz mit seinem Phlegma aus?! Wer soll sich da
+auskennen? Man weiß nicht, was in diesem sonderbaren verschlossenen
+Gemüt steckt!</p>
+
+<p>Kopfschüttelnd lesen die Freunde das unselige Meisterlein<span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span> auf, das
+jetzt einem hilflosen Kinde mitten im zerschmetterten Spielzeug
+gleicht. Er ist kaum seiner Sinne mächtig und kann sich nicht allein
+erheben. Wie gelähmt ist er am ganzen Körper. Er wird in einen Wagen
+gehoben, die Freunde bringen ihn heim. Dann liegt er tagelang zu Bett
+und ist krank. Das Übel, das ihn vor Jahren befallen und ihn nie mehr
+ganz verlassen hat, ist schlimmer als je geworden. Die Krähe, die Krähe
+— stärker vernimmt die Seele das Fittichschlagen dieses Todesboten.</p>
+
+<p>»Eine Krähe ... ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen ...«</p>
+
+<p>Er summt das Lied aus der »Winterreise« vor sich hin, als ob er
+Zwiesprach' halten würde mit dem Symbol.</p>
+
+<p>»Nun, es wird nicht mehr weit geh'n an dem Wanderstabe, Krähe, laß mich
+endlich sehn, Treue bis zum Grabe ....«</p>
+
+<p>Der Skandal beim »Blumenstöckel« hatte flinke Beine wie jeder Skandal
+und lief besonders hurtig um in einer Stadt wie Wien, die seit jeher
+ein empfängliches Ohr für solche Chronik hat und mit ihrer angeborenen
+Göttergabe der Phantasie die Geschichte auszuschmücken versteht, bis
+sie so klingt, wie es die Leute am liebsten hören. Weil die Menschen
+sich am größten vorkommen, wenn sie die Schadenfreude in Mitleid hüllen
+können, so hören sie es am liebsten, daß einer ganz herunter ist, bis
+auf den Grund; es gewährt ihnen das Gefühl der Erhebung, den leidenden
+Mitbruder so in Staub zu sehen wie den armen Zöllner — »Herr, ich
+danke dir, daß ich nicht bin wie jener ...« es ist das fadenscheinige
+Mäntelchen der Nächstenliebe,<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> aus deren Löchern allzuoft die
+scheinheilige Selbstgerechtigkeit der sittlichen Entrüstung wie ein
+schmutziger Hemdzipfel hervorguckt ....</p>
+
+<p>»Haben Sie schon das Neueste gehört? Im Rausch hat er alles krumm und
+klein geschlagen — der Bsuff!</p>
+
+<p>Schad' um den talentierten Menschen — es geht bergab mit ihm — ein
+rechter Bruder Saufaus ist er geworden —«</p>
+
+<p>In dieser Form gelangt die Legende den Schwestern Fröhlich zu Ohren.
+Sie sind von aufrichtigem Mitgefühl bewegt — daß Franz sich vom
+gesellschaftlichen Verkehr immer mehr zurückzieht und nur mehr im Kreis
+seiner Wein-, Punsch- und Kaffeebrüderln gesehen wird, wenn er nicht
+allein herumschwärmt, ist freilich eine bedauerliche Bestätigung der
+bösen Mär.</p>
+
+<p>Die Schwestern veranstalteten ein Ständchen zu Ehren der Gosmar,
+ihrer einstigen Schülerin und besseren Freundin, Franz hat für dieses
+Fest einen Chor nach Grillparzers Versen »Zögernd leise ...« für
+Mädchenstimmen komponiert — er soll es selbst dirigieren, das war die
+Verabredung.</p>
+
+<p>Die Schülerinnen der Fröhlich, ein weißer Mädchenflor, werden in drei
+Stellwagen am Hof gestopft, die gelben Wagen holpern mit Singsang
+hinaus zum Langschen Haus in Döbling, wo die Gosmar wohnt, ein Klavier
+wird heimlich unter ihre Gartenfenster geschoben — alles klappt, nur
+der Musikus ist nicht da. Kathi nimmt sich vor, ihm gehörig den Kopf zu
+waschen.</p>
+
+<p>Schon am nächsten Tag hat sie ihn aufgestöbert, er lächelt: »Ach ja,
+ich hab' ganz vergessen darauf!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span></p>
+
+<p>Es bleibt ihm aber nicht geschenkt. In einigen Tagen bringen die
+Schwestern das Ständchen im Musikvereinssaal in der Tuchlauben zur
+Aufführung, man sollte schon beginnen — wer wieder nicht kommt, das
+ist der Franz.</p>
+
+<p>Der Kathi ist gar zu leid. »Schade, daß er es auch heute nicht hören
+sollte!« sagt sie zu Jenger. Ein Hofrat Walcher ist da, der weiß
+Bescheid, »Musikanten trinken gern — wahrscheinlich sitzt er wieder
+bei Wanner ›zur Eiche‹ auf der Brandstätte, dort gibt's gutes Bier, die
+Musiker kommen dort gern zusammen —«</p>
+
+<p>»Natürlich schon wieder im Wirtshaus!« ruft Kathi ärgerlich aus,
+Jenger muß sich sofort auf die Strümpfe machen und Franz herbeiholen.
+Richtig sitzt er dort in aller Gemütlichkeit, aber er hat sich sofort
+aufgemacht und ist mit Jenger gerade noch zur rechten Zeit ins Konzert
+gekommen.</p>
+
+<p>»Nun?!« Kathi hat Haare auf den Zähnen, was sie einmal anfaßt, läßt
+sie nicht mehr locker. »Nun?!« ihre erwartungsvolle Frage nach der
+Aufführung. Franz ist ganz verklärt: »Wahrhaftig, ich hab' nicht
+gedacht, daß es so schön wär' ....« Die Stimmung ist so versöhnlich,
+sie hat wirklich nicht das Herz, jetzt mit der Moralpauke loszulegen —
+aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nächstens also, in der eigenen
+Wohnung, dann wird sie es ihm gründlich besorgen.</p>
+
+<p>Da kann sie aber lang warten. Mit keinem Auge ist Franz zu erblicken.
+Argwöhnisch, wie Kathi ist, meint sie, er gehe ihr geflissentlich aus
+dem Weg. Ein Zufall führt sie mit ihm auf der Straße zusammen, sie
+nimmt ihn gleich ordentlich ins Gebet, die handfest Zupackende.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span></p>
+
+<p>Ob er nicht wüßte, wie ihre Adresse laute — und ob er nicht immer
+offene Türen in ihrem Hause gefunden habe?! Was das also jetzt für
+eine Art sei?! Und das mit dem Trinken — ein Wirtshausbrüderl, ein
+Liederlich, ein Nachtschwärmer, ein Trunkenbold — o pfui!</p>
+
+<p>Sie meint es so gut und aufrichtig und möchte ihn auf den rechten Weg
+zurückbringen, es ist ihr heilig damit. Er spürt die edle Absicht und
+ist darum gar nicht böse. Er lächelt nur ein bißchen zu ihren Worten
+und lenkt ganz sachte ab: »Schönen Dank für die gute Meinung, aber
+soviel als mir die Leute andichten, könnt' ich ja gar nicht vertragen
+— jetzt schon gar nicht, bei meiner wackeligen Gesundheit — nur grad'
+soviel, als sich gehört, um ein bißchen bei Stimmung zu bleiben, oder
+das bißchen Schlaf zu finden — also nur grad' soviel, als der liebe
+Gott erlaubt hat, keinen Tropfen drüber, ist doch eine heikle Sache wie
+mit jeder Medizin —«</p>
+
+<p>Er lächelt so weh dazu, daß ihr gleich die Strafpredigt vergeht und
+daß sie in liebreichen, tröstenden Worten auf ihn einredet, die gütig
+Verstehende, er möge sich nur nichts abgehen lassen, immer auch kräftig
+essen dazu und sich's wohl schmecken lassen, die Medizin — —</p>
+
+<p>Das sieht sie jetzt klar; die Leute haben gelogen, ein Bsuff ist er
+nicht, o nein! Ein ganzer, wirklicher, tiefer und darum leidender
+Mensch ist er — — sie weiß nicht warum, aber auf einmal stehen ihr
+die Augen voll Tränen ......</p>
+
+<p>Der September läßt sich wunderschön an, Wetter- und Geldverhältnisse
+sind gleich gut wie selten im Jahr, die Sorgen, die Krankheit scheinen
+entrückt — die Krähe<span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span> schwebt hoch und fern — ein kleines schwarzes
+Pünktchen, nicht größer wie eine Schwalbe im Himmelblau.</p>
+
+<p>Mit dem Grazer Ehepaar hat ein gar freundlicher Briefwechsel
+stattgefunden — Jenger ist mit Franz über alle Berge zu Besuch im
+Hallerschlössel. Vier Wochen sind sie aus — dem Franz hat's wohlgetan.
+Sein gewitterbanges Herz hat einen Sonnenstrahl empfangen, der trotz
+der Wolken nicht mehr vergeht — in diesem Sonnenfleck des Herzens
+taucht das Hallerschlössel mit seinen vier Ecktürmen auf, der Grazer
+Schloßberg, die Stadt mit ihren Kirchen, das lachende Antlitz der
+steirischen Landschaft mit grünschwellenden Hügeln, Obstgefilden
+und Weingärten, das gastfreundlich eifrige Ehepaar Pachler, die
+Gesangsvereine, die Mädchen und Frauen, das liebevolle Drängen und
+Feiern um ihn und er mitten drinnen, hochgeehrt und gepriesen — von
+diesem Sonnenblick kann er auch in den trüben Tagen Freude und Trost
+schöpfen wie aus einem unerschöpflichen Brunnen von Licht.</p>
+
+<p>»Wien will mir noch nicht recht in den Kopf,« lautete sein Dankbrief
+an die Pachlerin, »'s ist freilich ein wenig groß, dafür aber leer
+an Herzlichkeit, Offenheit, an wirklichen Gedanken, an vernünftigen
+Worten und besonders an geistvollen Taten. Man weiß nicht recht, ist
+man gescheit oder dumm, soviel wird hier durcheinander geplaudert, und
+zu einer innigen Fröhlichkeit gelangt man selten oder nie. 's ist zwar
+möglich, daß ich selbst viel schuld daran bin mit meiner langsamen Art,
+zu erwärmen. In Graz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene
+Weise, mit- und nebeneinander zu sein ...«</p>
+
+<p>Er tut sich bei seiner Rückkehr diesmal schwerer mit der<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> Heimat als je
+früher. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht ihn jetzt, wenn er durch
+die Gassen geht, an Wohnungen vorüber, wo einst das Glück gehaust hat.
+Und kommt er am nächtlichen Heimweg dort einsam vorüber, dann starrt er
+wohl in die Höh', als müßt' er ein Gesicht erkennen, das er so innig
+geliebt hat, wie er diese Stadt selber liebt, mit der er in den Stunden
+des Haders oft bitter und schier ungerecht streng ist. Die einzige,
+unsterbliche Geliebte, die ihm soviel und noch mehr war wie alle
+zusammen, die er liebend gekannt hat, sie hat ihn schier vergessen,
+aber sein Herz will's nicht fassen und geht eigensinnig die alten Wege
+seiner Qual.</p>
+
+<p>»Still ist die Nacht — es ruhen die Gassen, in diesem Hause wohnte
+mein Schatz; sie hat schon längst die Stadt verlassen, doch steht noch
+das Haus auf demselben Platz. Da steht auch ein Mensch und starrt in
+die Höhe, und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; — mir graust es,
+wenn ich sein Antlitz sehe, der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. Du
+Doppelgänger, du bleicher Geselle! Was äffst du nach mein Liebesleid,
+das mich gequält auf dieser Stelle — so manche Nacht in alter Zeit —?«</p>
+
+<p>Das Herz schreit es auf — nach der »Winterreise« der schmerzlichste
+Akzent seines »Schwanengesangs«, die Seelenbeichte in Tönen — nicht
+dem liebsten Freund würde er sein tiefstes Geheimnis in dürren Worten
+preisgeben, so schwer hat er es mit sich — bei seinem Phlegma —
+bei seiner langsamen Art, zu erwärmen — niemand weiß, was in dem
+verschlossenen, oft rauh und kurz angebundenen Menschlein steckt —
+nur wenn er in seiner Sprache redet, in Musik, dann ist alles tief
+Verborgene klar — —<span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span> Immer ist es der Schmerz, der der Seele hilft,
+fruchtbar zu werden. Der Tod Beethovens wirkt tief nach, in einem
+höheren Leben steht er dem Vollendeten näher als früher im niederen
+Alltag. Er geht immer weiter seine einsame Straße, den inneren
+Wegweisern entlang aufwärts zur Höhe, wo er den Verewigten wandern
+sieht. Aufs äußerste angespannt ist sein inneres Lauschen, gewaltig
+strömt es auf ihn ein. Ein ganz Großes entsteht, die C-Dur-Sinfonie,
+gleichsam mit einem Ruck ist er oben, ganz dicht bei Beethoven.</p>
+
+<p>Aber auch in anderer Weise fühlt er die Meisterhand, die ihn führt. Das
+große Konzert Beethovens war ihm ein Wink gewesen. Damals sagte er den
+Freunden: »Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein
+ähnliches Konzert zu geben.«</p>
+
+<p>Gott will es; es sind zwar viele Hemmungen zu überwinden, innere und
+äußere, nach mancher Verzögerung verwirklicht es sich doch, was einmal
+innerlich so fest beschlossen erscheint. Es ist eine der wenigen
+Erfüllungen, die ihm von seinen vielen Hoffnungen beschert wird.</p>
+
+<p>Franz wohnt nicht mehr in Schwindien, er hat sein Heim wieder in der
+Tuchlauben aufgeschlagen, der weite Weg von der Karlskirche her wird
+ihm zu mühsam, er will wieder im Kern der Stadt sein. Es hat sein Gutes
+jetzt, wo es soviel zu tun gibt, die Vorbereitungen zum Konzert, der
+fieberhafte Arbeitsdrang, das Schaffen, das so recht eigentlich ein
+wehevolles Gebären ist. Vielleicht wäre es mit dem Konzert noch immer
+nicht soweit gediehen, wenn nicht ein äußerer Hebel mithilft.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_312">[S. 312]</span></p>
+
+<p>Franz ist ja ein schweres Fuhrwerk und kann sich schwer zu dem bringen,
+was mit der Öffentlichkeit zu tun hat. Die Wünsche eilen voraus, aber
+das Fuhrwerk geht langsam und bleibt oft stecken. Mutter Not greift
+jetzt in die Speichen; der Geldmangel ist empfindlich, es muß endlich
+einmal wieder etwas Entscheidendes geschehen. Man hat so viele Nöte
+mit gutem Humor ausgehalten, daß man glauben könnte, er sei es schon
+so gewöhnt. Denn schließlich bekommt auch die Seele Schwielen und wird
+abgestumpft gegen die Härten des Daseins.</p>
+
+<p>Aber es zeigt sich jetzt, daß Franz immer empfindlicher wird, seine
+Seele kann keine Schwielen kriegen. Diese Empfindlichkeit peitscht ihn
+auf und spornt ihn an, sonst wäre es auch diesmal kaum soweit gekommen.
+Freilich hat er in Schindler, der so viele Jahre der treue Diener
+Beethovens war, einen erfahrenen Helfer gefunden. Der läßt nicht locker
+und treibt immer wieder an, wenn Franz kopfscheu wird. Das ist ein Mann
+der Praxis. »Nur nicht verzagen, hübsch gescheit handeln und vor allem
+nicht widerspenstig sein!«</p>
+
+<p>So kutschiert man unter dem Hütt! und Hott! Schindlers allgemach um
+alle Ecken herum und ist fast schon am Ziel. Das Konzert ist für einen
+Tag im März angesagt, muß aber verschoben werden und fällt wie durch
+eine Fügung gerade auf den Tag, an dem ein Jahr vorher Beethoven
+gestorben ist. Der Erfolg ist ungeheuer, es zeigt sich, daß der Ruhm
+des jungen Genius auch in diesen scheinbar stillen Jahren gewachsen
+ist. Ein schönes Stück Geld fließt in die Tasche des kleinen Meisters,
+die Not hat für ein Zeitlein wieder ein Ende.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_313">[S. 313]</span></p>
+
+<p>Als der Sommer herankommt, sitzt Franz leider schon wieder ganz auf dem
+Trockenen. So dringend eine Erholungsreise war, in diesem Sommer ist
+nicht daran zu denken. Aus Graz kommen süße Locktöne, das Herz möchte
+ja, aber der Geldbeutel erlaubt's nicht. Wenn man mit der Sehnsucht
+fliegen könnte, wäre man ja schon über Berg und Tal, indessen sitzt
+man bangen Herzens in der heißen Stadt und kann höchstens im Geist den
+hochbeschwingten Flug unternehmen. Das ist ein strenges Glück, die
+Arbeit — wenn man so recht darein versenkt ist und all ihre Gnaden
+spürt, geht man Gotteswege; das Irdische, das oft allzu schwere Bürde
+wird, fällt ab, halb schwebt man schon im Paradies.</p>
+
+<p>Wie ein Rausch kommt es über Franz. Er singt sich von der Erde
+empor in den Himmel hinein. »Domine Deus«, mit lauter Stimme ruft
+der Chor den Namen des Herrn — es ist die berühmte Es-Dur-Messe —
+die Leiden erscheinen im Verklärungslicht, im Agnus Dei klingt —
+ein Geheimzeichen für den Wissenden! — der Schmerzensakzent des
+»Doppelgängers« auf: »... da steht auch ein Mensch und starrt in die
+Höh' und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; mir graust es, wenn ich
+sein Antlitz sehe — der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt ...«</p>
+
+<p>In veränderter Gestalt klagt das Liebesleid des Meisterleins zum Himmel
+empor — im Unendlichen will er Erlösung finden.</p>
+
+<p>Nebenher entsteht das schöne Streichquartett in C-Moll, außerdem
+vollendet sich der Zyklus seines »Schwanengesangs«. Es ist eine schöne
+Lebensreise im eigenen Schaffensbezirk, wo Himmel und Erde ineinander
+ruhen.<span class="pagenum" id="Seite_314">[S. 314]</span> Es ist das Land, das er als »Wanderer« gesucht und geahnt, »das
+Land, das Land so hoffnungsgrün, so hoffnungsgrün, das Land, wo meine
+Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn,
+das Land, das meine Sprache spricht ....«</p>
+
+<p>Das sind die Stunden der gesegneten Arbeit mit ihren tröstlichen
+Augenblicken. Aber diese leuchtenden Höhenwege werden steiler,
+seltener, kürzer. Der Alltag umklammert ihn mehr denn je mit seinen
+Leiden und Bedrängnissen. »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte
+welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall, ich bin ein
+Fremdling überall ...«</p>
+
+<p>Im Sommer wird sein Zustand so bedenklich, daß sein Arzt ihm dringend
+nahelegt, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einer Gegend, wo er rasch
+das Grüne erreicht. Franz gibt seine Stadtwohnung auf und mietet sich
+bei seinem Bruder Ferdinand ein, der jetzt in der Kettenbrückengasse
+wohnt. Der Wienfluß mit seinen Auen ist in der Nähe; nur ein paar
+Schritte vom Haus, und er ist im Freien.</p>
+
+<p>Er ist nun aus der Stadt gezogen, die alten Schmerzen hat er gern
+zurückgelassen, aber das unerträgliche Kopfweh will nicht vergehen.
+Das Lied von der Krähe kommt ihm immer wieder in den Sinn. »Krähe,
+wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen? Meinst wohl bald als
+Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun es wird nicht weit mehr gehn an
+dem Wanderstabe ....«</p>
+
+<p>Franz schleppt sich hin von Woche zu Woche, bald liegt er zu Bett, dann
+rafft er sich auf und sucht Zerstreuung im<span class="pagenum" id="Seite_315">[S. 315]</span> Freundeskreis, aber es ist
+nicht mehr das Rechte. Schwind nimmt Abschied, er geht nach München,
+mit einer trüben Ahnung im Herzen sieht Franz den Freund scheiden, als
+ob er es für immer wäre. Eine dreitägige Pilgerfahrt mit dem Bruder
+Ferdinand zu Haydns Grab in Eisenstadt hält er noch mit Mühe und Not
+aus.</p>
+
+<p>Einige Tage später läßt er im Gasthaus einen Fisch stehen, ein
+plötzlicher Ekel erfaßt ihn, er muß wieder zu Bett.</p>
+
+<p>Nach einiger Zeit empfängt Schober einen Brief von ihm: »Ich bin krank,
+ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken und wandle
+matt und schwankend vom Sessel zum Bett und zurück ....« Er bittet
+ihn um Lektüre — Indianergeschichten, Abenteurerphantasien in fernen
+Landen; er sucht die Fernen. Die Freunde, Spaun, Lachner, Bauernfeld,
+Mayrhofer, Hüttenbrenner besuchen ihn, als sie eintreten, wendet er
+sich im Bett um, deutet mit der Hand an die Wand: »Hier ist mein Ende!«</p>
+
+<p>Am Abend stellen sich Delirien ein, mit Mühe wird er im Bett
+zurückgehalten. Zwei Tage darauf empfangen die Freunde und alle, die
+ihn geliebt haben, die erschütternde Nachricht: Franz Schubert am
+Nervenfieber gestorben!</p>
+
+<p>Bauernfeld rennt klagend von einem zum anderen: »Die ehrlichste Seele,
+der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner!«</p>
+
+<p>Im Gewand des Einsiedlers, um die Schläfen den Lorbeer, so wird er zu
+Grab getragen. Er kehrt ein ins letzte Wirtshaus, nach dem er sich
+so heftig gesehnt. Grüne Totenkränze sind ausgesteckt, fast ähnlich
+wie beim Heurigen, wo der Herrgott mit dem Finger winkt. »Ihr<span class="pagenum" id="Seite_316">[S. 316]</span> grünen
+Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins
+kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt?
+...«</p>
+
+<p>Diesmal hat sich für ihn eine kühle Kammer aufgetan zur ewigen Rast in
+der Nähe Beethovens.</p>
+
+<p>Auf dem Heimweg vom Friedhof versammeln sich die Freunde, die ihm am
+nächsten gestanden waren. Sie möchten so gern sagen, wie ihnen um Franz
+ist, und bringen es nicht zuwege; jeder möchte es sagen, aber alles
+Sagen war nur ein Stammeln.</p>
+
+<p>Einer steht plötzlich auf und macht es allen klar, die es wissen
+möchten: unser großer Freund ist gestorben, aber seine Seele klingt
+fort, sie ist die tönende Seele dieser Stadt ....... Sage mir keiner,
+der brave Schulmeistersohn war trunken und darum sei er so früh
+verdorben, denn das ist falsch. Er war trunken von Seligkeit und
+Leid, und wenn es die allzu Braven sein »Verderben« nennen, gut, dann
+war es ein göttliches Verderbnis, daraus seine schmerzlich süßen,
+unsterblichen Lieder quollen, darin nicht nur der Wein singt, nicht
+nur die Lerche jubiliert, nicht nur das Bächlein weint und die stummen
+Forellen mitsingen in dem seligen Quintett, sondern vor allem das
+eigene Herz, das Herz dieser Stadt, dieser gottgesegneten, verruchten,
+alten, ewig jungen geliebten Heimat, die er in Not und Tränen zu
+preisen nicht müde wurde, singend zu preisen wie einer der Jünglinge
+im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen und so laut, daß seine Stimme über
+Länder und Meere reichen und in der Wüste gehört werden muß, überall
+wo ein Mensch ringt in Lust und Qual, mit sich allein, und das Herz
+aufschreit,<span class="pagenum" id="Seite_317">[S. 317]</span> dieses gemarterte von sieben Schwertern durchbohrte,
+aus allen Wunden blutende und in Tränen lächelnde, über allen Jammer
+dieser Erde triumphierende, über allen Horizonten leuchtende Herz der
+Welt .......... Darum haben alle den gottseligen Schulmeisterssohn vom
+Himmelpfortgrund so sehr geliebt, die Namen, die er singt, die Freunde,
+die mit ihm zechen, der Wirt, der ihm aufkreidet, der Forellenbach,
+der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin
+zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein Gottes, der all sein
+Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid
+in Gold verwandelt. Und darum ist er so reich gestorben, daß wir
+alle seine Schuldner geworden sind, der Freund, der ihm borgte, die
+Mietfrau, die den Zins nicht gleich bekam, der Wirt, der die Kreide
+verschrieb, die Mädchen, die mit seinem Herzen spielten, und die ganze
+große unbekannte Menschheit .......... Wenn er sang, dann stand die
+Lerche still, dann hielt der Bach den Atem an, dann hoben die munteren
+Forellen ihre Köpfe aus den Wellen, dann sangen sie leise mit, und ihr,
+ihr alle sanget leise mit. Und die Welt des Haders, der Zwietracht
+sang mit und der große Chor schallte aus allen Tiefen, von allen Höhen
+....... Immer noch hören wir den Bach glucksen und schluchzen, wir
+hören die stummen Forellen, die mitsingen, wir hören den Chor der selig
+Leidenden, wir hören die Weinbergsfreudenstimmen von allen Höhen, wir
+hören den Sang der Liebe durch die ungezählten süßen Namen rauschen,
+die ihn als ebenso viele hold weibliche Verkörperungen umgaukeln —
+er will sie fassen, sie zerfließen,<span class="pagenum" id="Seite_318">[S. 318]</span> immer wieder fließen sie in eine
+zusammen, in diese eine große unsterbliche Geliebte; die Heimatstadt,
+die der Sänger in scheuer Minne wahrhaft geliebt hat ........ Und diese
+launische, undankbare, vergeßliche, eitle, oberflächliche, einfältige,
+kindliche, herzensfrohe, tiefe, beglückende und zugleich so betrübende,
+geschmähte, verfluchte, vor allem aber geliebte Stadt, sie hat uns —
+sie hat ihm alle Wunden geschlagen, sie hat ihn mit Schmerzen gesegnet,
+damit er von ihr zu singen und zu sagen wisse und wir mit ihm, diese
+einzige, große unsterbliche Geliebte — — — — — — — Diese Heimat
+— kennt ihr sie? Dort sind die Hügel belaubt und schlafen unter Reben,
+des Gottes voll; dort ist der Wind ein Kuß und der Sturm ein Lied. Dort
+plaudern die Bäche eine vertraute Sprache wie nirgend auf der Welt;
+dort fließt in den Brunnen das Wasser des Lebens und in den Gärten
+blüht die Liebe. Dort grüßen tausend Hände den Verstoßenen, wie sie
+ihn verstoßen und gegrüßt haben, den Sänger der Heimat, dem sie es so
+schwer gemacht haben, wie jedem, der Edles und Großes wollte — dem
+sie es so schwer gemacht haben und von dem sie schließlich ein Lied
+wie einen Denkstein im Herzen tragen ....... Laßt uns daran denken —
+immer wieder muß ich daran denken, wenn ich die alten Wege gehe, den
+Forellenbach entlang, an dem auch er so oft gestanden war, sinnend und
+lauschend, den Sang der leisen Wellen und der munteren Forellen zu
+erhorchen und das Summen der Freude, die noch in allen Reben schläft,
+den ganzen Berg hinan. Laßt mich daran denken, wenn ich sehe, was sie
+aus der geheiligten alten Heimat gemacht haben ....... Wie<span class="pagenum" id="Seite_319">[S. 319]</span> sieht
+es zuweilen wirklich aus, das äußere Bruchstück der Heimat, die wir
+inwendig im Licht der Verklärung sehen als wesentliches Stück unserer
+Seele? In der ersten grünen Schenke gibt's Streit, ich gehe vorüber;
+in der zweiten werden wüste Gassenhauer gesungen, ich gehe wieder
+vorüber; über duftende Hausgärten her kommt eine keifende Stimme; ein
+geschminktes Frauenzimmer vertritt mir den Weg. Ach, es ist nicht immer
+die Liebe, die in den Gärten blüht; es ist nicht immer die Freude, die
+aus dem Weinglas getrunken wird; es ist nicht immer die unsterbliche
+Geliebte, die uns begegnet. Und selbst mein unvergeßlicher, klaräugiger
+Forellenbach ist eine dicke, schmutzige, übelriechende Gosse geworden
+und es sind längst keine Forellen mehr darin ....... Vielleicht sind
+niemals Forellen darin gewesen — aber was tut's? Wenn ich über alle
+diese Ärgernisse und Wirrungen des äußeren Lebens genau hinaushorche,
+wenn ich genau in mich hineinhorche, dann werden die geliebten Stimmen
+wieder lebendig, mit tausend unsichtbaren Händen grüßt der Genius loci
+den Verstoßenen und hält ihn liebevoll geschäftig fest; ich fühle
+es, daß wir alle, was uns auch trennt, irgendwie zusammengehören
+in dem großen Seelenkonzert, darin der brave Schulmeisterssohn vom
+Himmelpfortgrund den Taktstock führt ....... wir sind Brüder und
+Freunde geworden durch ihn, das Herz der Stadt hat eine Stimme bekommen
+und diese Stimme ist er, unser Schubert. Er gehört zu jenen, um
+derentwillen unsere Stadt immer geehrt und geliebt werden wird, trotz
+— trotz allem ..............</p>
+
+<p>Also sprach der eine und schloß mit den Worten: Brüder<span class="pagenum" id="Seite_320">[S. 320]</span> und Freunde in
+Ewigkeit — sind wir mit ihm auch vorläufig zu Ende — so ist es darum
+noch lange nicht zu Ende. Oh, noch lange nicht zu Ende! Hört es doch
+— die Seele klingt fort, das Herz singt in seinem Lebenslied, der
+heimliche Sang der tiefen Brunnen, es singt von ihm und dieser Stadt,
+der großen unsterblichen Geliebten ................</p>
+
+
+<p class="s4 center"><b>— Ende —</b></p>
+
+<hr class="full">
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Vom <strong>Verfasser dieses Romans</strong></em></p>
+<p class="s4 center">sind im gleichen Verlag erschienen:</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Amsel Gabesam</em><br>
+<em class="gesperrt">Der Narr vom Kahlenberg</em></p>
+<p class="s5 center">Roman</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Auf deutscher Straße</em></p>
+<p class="s4 center">Amsel Gabesams Wanderjahre</p>
+<p class="s5 center">Roman</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Chevalier Blaubarts Liebesgarten</em></p>
+<p class="s5 center">Roman</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Vision der lieben Frau</em></p>
+<p class="s5 center">Ein Münchner Künstlerroman</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Das große Bauernsterben</em></p>
+<p class="s5 center">Das Buch eines Glaubenskrieges</p><br>
+
+
+<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Kultur der Seele</em></p>
+<p class="s5 center">Lebensweisheit nicht ohne Humor<br>
+ in einem modernen Erbauungsbuch */</p><br>
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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