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| author | nfenwick <nfenwick@pglaf.org> | 2025-03-09 11:21:03 -0700 |
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Lux + + + Franz Schuberts + Lebenslied + + + Ein + Roman + der + Freundschaft + + + Sechzehntes bis zwanzigstes Tausend + + Grethlein & Co. G. m. b. H. in Leipzig + + + + + Alle Rechte, insbesondere + das der Übersetzung in fremde Sprachen, + von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten + + Copyright 1915 by Grethlein & Co. in Leipzig + Druck von August Pries + in Leipzig + + + + + Vorwort + + +Das bringt die Zeit mit sich: + +Wir wollen uns auf unser eigenes Wesen besinnen, um unser Selbst uns +und den andern zu erklären. + +Österreichisches Wesen. + +Das will dieser Schubert-Roman. Denn Schubert, das ist das +Allerösterreichischste. + +Also will das Buch die innerste Natur des Österreichertums erschließen +und den durch äußere Verhältnisse und Veranlagung geschaffenen +eigentümlichen Seelenzustand des österreichischen Genius darstellen, +der treffend als österreichische Seelenwundheit bezeichnet wurde. + +Zugleich aber will es der bisher noch fehlende wirkliche Wiener +Schubert-Roman sein, der den Genius frei von der ihm mit Unrecht oft +angedichteten krankhaften Sentimentalität zeigt. Schubert war kein +Sentimentalist und noch weniger war er ein Trunkenbold, wenngleich der +von seinen Duzfreunden gelegentlich aufgebrachte neuerdings allzusehr +betonte Spottname »Schwammerl« zu diesem Irrtum verführt, der doch +einmal aus der Welt geschafft werden sollte. + +Als Leitgedanke dient mir, was Bauernfeld im Jahre 1857 schrieb: »Das +äußere Leben Schuberts war übrigens äußerst einfach und trieb sich +anfangs in den ärmlichen Verhältnissen eines Schullehrers, später +eines österreichischen Genies herum, eines +exemplar unicum+ +hierzulande, welches, wenn sonst überall, besonders hier gegen Not +und Dummheit anzukämpfen hatte. Sein inneres Leben mit Freunden und +Gleichgesinnten bietet aber so wenig biographische Züge dar und ließe +sich ~etwa nur in einer poetischen Schilderung darstellen~. +Schubert war gewissermaßen eine Doppelnatur, die Wiener Heiterkeit mit +einem Zug tiefer Melancholie verwebt und veredelt. Nach innen Poet war +er und von außen eine Art Genußmensch, dem, persönlich nach der äußeren +Erscheinung beurteilt, überdies der herkömmliche Geselligkeitsschliff +fehlte, so daß mancher gebildete Alltagsgesell sich etwas weit Besseres +dünken mochte als der ungehobelte Sänger der »Müllerlieder« und der +»Winterreise««. + +Der biographischen Züge sind nicht so wenige, als Bauernfeld meint; +aber sie sind nur äußerliche tote Bruchstücke, wenn sie nicht die Seele +lebendig macht, die das wesentliche Stück ist, sowohl im Leben wie in +der Dichtung. + +Bauernfeld gebraucht noch nicht das Wort »Seelenwundheit«, aber dem +Sinn nach steckt es drinnen in der Mischung von Wiener Heiterkeit +und der veredelnden Melancholie, daraus so tiefe und seelenvolle +Schöpfungen entstanden sind. + +Die österreichische Seele und besonders meine Wiener Heimat zu +erklären, habe ich schon früher in zahlreichen Werken unternommen, +ich verweise auf meinen halb autobiographischen Jugendroman: »Der +Narr vom Kahlenberg« (Amsel Gabesam) oder auf Grillparzers Liebesroman +»Die Schwestern Fröhlich«; -- vielleicht darf im ferneren Zusammenhang +auch meine Legendendichtung: »Chevalier Blaubarts Liebesgarten« hier +noch mitgenannt werden. Doch tragen auch meine anderen Schriften +diese eingeborene Tendenz, unser österreichisches Wesen recht +verständlich zu machen. Schließlich ist alles in einem gewissen Sinne +Selbstdarstellung, auch in scheinbar historischer Form. + +Das seelische Fluidum des alten Wien ist ja immer noch heimlich da, die +Stimme des Genius loci, die fortklingt in den stillen Vorstadtgassen +und ländlichen Orten am Fuß des Kahlenberges, in denselben Worten und +Redewendungen, wie sie aus den überlieferten persönlichen Dokumenten +der Schubertzeit hervortönen. + +Da draußen am Rande der Stadt, wo sich der traumhäuptige Wienerwald, +das sonnige Weinland und die blaublickende Donau zu einem +unausgesungenen Dreiklang vermählen, zu einer ~echt Schubertschen +Weise~, liegt auf den Stirnen der schlicht vornehmen Häuser des +schwindenden Alt-Wien manche kostbare Erinnerung. + +Sie waren mir seit jeher ein Lebendiges, diese + + + Denktafeln in Döbling. + + + Ich las, allwo die letzten Hütten stehen, + Auf Tafeln an den Häuschen, an den schlichten, + Von eurem Wohnen dort und eurem Dichten, + Grillparzer, Schubert, van Beethoven -- wehen + + + Fühlt' ich den Geisterhauch, der eure Nähen + Umschwebt; es steigt in lieblichen Gesichten + Das Bild von jener Zeit empor, der lichten, + Die eure Sonnen konnt' im Fenster sehen. + + Ein stiller Weiheglanz ruht auf den Stätten, + Die als Vermächtnis wahren eure Spuren, + Armselig scheinen fast und tot dagegen + + Die reichen Villen hinter Prachtstaketen, + Und schöner leuchten mir ringsum die Fluren, + Seit ich die Spuren sah von euren Wegen -- -- -- + + + Joseph Aug. Lux. + + + + + I. + + + Die jungen Bengel sangen im Kirchenchor. + +Man konnte nur ihre Köpfe sehen, über der hohen Brüstung der Empore, +dicke, kleine, runde Schädel, einer dicht neben dem anderen, +braungelockt, schwarzgelockt, blondgelockt, rotwangig, pausbackig, +aufgesperrte rote Mäuler, aus vollem Halse singend, jubelnd, +schmetternd. Wie die himmlischen Heerscharen. Sängerknaben. So hat +Luca della Robbia seine Singerlein geformt aus Lehm, in halb erhabener +Arbeit, weißblau glasiert. -- Nein! So haben die frommen Bildschnitzer +das Gotteshaus geschmückt, mit fleischfarbigen, pausbackigen, +lockigen Engelsköpfen, die auf goldenen Flügeln über den Gesimsen und +Pfeilern auftauchen, die roten Mündchen zum Singen aufgesperrt, oder +das Fäustchen im behaglichen Hinlümmeln in das verschmierte Antlitz +gestemmt, kleine, himmlische Flegel, in der Höhe ganz so anzusehen wie +die plärrenden Sängerbuben auf der Empore, die aber nicht von Lehm und +nicht von Holz sind, sondern richtig von Fleisch und Blut. + +Die Orgel plaudert gemütlich mit, brummbärig, drohend, polternd, +dann wieder begütigend, zuredend, ermahnend; der Blasebalg ächzt und +stöhnt asthmatisch, der Organist arbeitet mit Händen und Füßen, +zieht alle Register auf, und jetzt legt die Stimme mit Donnergewalt +los aus hundert Pfeifen, daß die Grundfesten erzittern, wie wenn der +Herr im Zorn spricht und Schweigen gebietet. Aber stärker noch als +dieses Donnern war der helle Sopran der Knabenstimmen, der durchdringt +und in die Höhe schmettert, wie Lerchenjubel, höher und höher in +die Himmelsbläue des Weltdomes, bis zum hohen C hinauf, klar und +rein, daß selbst die Orgel schmunzelnd aufhorcht und gutmütig leise +brummt, indessen von den unendlichen Höhen ein eherner Hagel von Tönen +niederprasselt, als wollte sich dort oben eine Brust zersingen. + +Eine Stimme war es, nur eine, die diesen himmelblauen Lerchenstieg +vermochte. + +».... Den hat's der liebe Gott gelehrt!« schmunzelte vergnügt Ruczizka, +der Dirigent und Lehrer im Konvikt der Sängerknaben. »Verflixter Bub, +dieser Schubert Franzl!« + +Der Schubert Franzl, das war der, der bis zum hohen C hinaufklettern +konnte. Daran war er zunächst zu erkennen. + +»Den kann ich nichts lehren, der hat's vom lieben Gott gelernt!« hatte +Ruczizka schon einmal früher gesagt. + +Das war damals, als der Herr Hofkapellmeister Salieri den Buben dabei +erwischte, als er Noten hinkritzelte, wie sie ihm gerade in den Sinn +kamen. Er war in dem kahlen Musikzimmer des Konvikts so in sein Sinnen +und Kritzeln vertieft, daß er nicht merkte, wie der gewaltige Maestro +hereinhuschte. Der war lautlos wie eine Katze, ein hurtiges, graues +Männchen, das seine spitze Nase und seine flinken Äuglein überall +hatte, wo es etwas zu erschleichen gab. + +Schwupp! flog das Blatt in die Höhe und schwebte in den Händen des +alten Meisters. Da war jetzt nichts zu machen. + +»Sapristi! Wo hat Er das her? Selber gemacht?! Er, Er, Er -- alles aus +diesem dummen, kleinen, dicken Bauernschädel? Malefizbub!« + +Schamrot stand der Kleine da vor dem fuchtelnden Italiener. + +»Hat Er noch andere Sachen? Wo, wo hat Er? Subito!« + +»Verbrennt!« stieß der eingeschüchterte kleine Kerl halb trotzig, halb +zaghaft hervor. + +Darüber fing der Maestro zu strampeln an wie ein Polichinell. + +»Verbrennt,« pfauchte er, »Er, Er, Er -- dummer Esel!« + +Und warf wütend die Bücheln und Hefte auf dem Tisch durcheinander, +unter denen beschriebene Notenblätter zum Vorschein kamen, die er +hastig an sich riß. + +»Ecco!« kreischte er auf. Und schon schmiß er die Blätter wütend wieder +hin, krebsrot im Gesicht. + +»Per bacco!« Sein Mund verzog sich, als wollte er ausspucken vor Ekel, +er ballte die Fäuste und hielt sie bebend dem kleinen Franzl dicht +unter die Nase, daß dem ganz himmelangst wurde. + +»Was hat Er da gemacht?! Wer hat Ihm erlaubt ...?! Er -- Malefiz -- +Malefiz --!« + +Zur Entschuldigung wollte das Singerlein sagen, daß es der Übung wegen +diese kleine Paraphrase auf eine Sonate Mozarts gemacht hat, aber kaum +war der Name des Unsterblichen seinem Munde entschlüpft, da hätte er +das Wort gerne wieder zurückgezogen, so fürchterlich war die Wirkung +auf den giftigen Maestro. + +Das Blatt schmiß er zur Erde, trampelte darauf herum, schrie und +schimpfte auf Italienisch. + +Der Kleine ahnte nicht, wie es in der Welt zuging. Er wußte nicht, daß +Salieri alles haßte, was mit Mozart irgendwie zusammenhing; er wußte +nicht, daß er als Opernkomponist und Hauptvertreter der italienischen +Richtung ein geschworener Feind der deutschen Musik war und vermeinte, +sie in Mozart aufs Haupt schlagen zu können; er wußte nicht, daß +die Sage umging, Salieri hätte den Schöpfer des Don Juan vergiftet; +er konnte darum auch nicht wissen, daß die Legende einen wahren +Kern hatte, denn vergiftet hatte Salieri als rücksichtsloser Gegner +alle geistigen Brunnen, alle Seelen, alle Meinungen, er und seine +Partei, die dem Genius Kränkung auf Kränkung bereitete und seinen Tod +beschleunigen half. + +Nichts ahnte der Knabe, daß die Welt dem Auserwählten eine +Märtyrerkrone bescherte. Er fühlte nur den schäumenden, perlenden +Zaubertrank der Mozartschen Musik in seiner Seele und sah im Geiste +den Genius als jungen Gott, vor dem sich die Menschheit in Ehrfurcht +verneigt. So war es wohl gewesen auf Mozarts Reise nach Prag, aber +nicht in Wien, wo er ein Verkaufter, Verratener, Verlassener, früh +dahingerafft, ins Massengrab der Namenlosen sank. Das haben die Gegner +getan. Und der Volksmund dichtete die Legende, Salieri habe ihn +vergiftet ..... + +Und nun fügte es das Schicksal, daß derselbe Geist der Verneinung +und der Selbstsucht ein junges Genie ans Licht zog, das sein Talent +an jenem großen Licht entzündete, das er so beharrlich zu verdunkeln +bemüht war. + +»Ruczizka, Ruczizka!« gellte das giftige Männlein in die hallenden +Gänge hinaus und schärfte dem dienstfertig Herbeigeeilten ein, indem +er auf den wie ein armer Sünder dastehenden Franzl hinzeigte: »Fest in +Corda nehmen! Kontrapunkt! Capisce?! Kontrapunkt?!« + +Mit glühenden Äuglein, heiserer Stimme und geballten Fäusten gab er +diese Weisung und verschwand. + +War es Lohn oder Strafe? Das wußte der brave Franzl vorderhand +selber nicht genau, man ist nicht wehleidig, als Zögling ist man es +ja gewohnt, die Wohltaten wie eine Strafe zu empfangen, während die +Strafen von den Erziehern mit einem Behagen verabreicht wurden, als +wären sie Wohltaten. + +Jetzt wußte der wackere Böhme Ruczizka, daß er ein Genie unter seinen +Händen hatte. War ihm früher gar nicht aufgefallen, obzwar der Junge +seit drei, vier Jahren schon unter seiner Aufsicht stand -- wieso denn +auch? Ist nicht seine Sache. Als Drillmeister tut man seine Pflicht, +daß bei den Messen in der Hofkapelle die Soli und Chorpartien richtig +und geschmackvoll ausgeführt werden und der Herr Hofkapellmeister +zufrieden ist. Teufel auch, man tut eben seine Pflicht! Man hat sich +doch um sonst nichts zu kümmern! Man kann doch nicht in jeden Bengel +hineinsehen! Ist doch einer so ein Schmierfink wie der andere! Man hat +sich nie weiter gekümmert und ist doch so immer am besten gefahren. Als +braver Böhm' und Prügelprofoß. + +Also, Pflicht ist Pflicht -- man hat seine vorgeschriebenen Stunden +-- wer mehr tut, ist ein Schuft. Und jetzt Kontrapunkt! Sakramentski, +ceski heski Kupferstück! Da könnt' man doch gleich Junge kriegen -- +eine stehende Redensart Ruczizkas. Also gut, Kontrapunkt! Na wart', +Schlingel, wirst dran fressen müssen! Ceski heski -- -- -- -- + +Aber siehe da, alles geht überraschend leicht und schnell, und es kommt +alsbald der Punkt, wo Ruczizka sich lächelnd eingesteht: Den kann ich +nichts lehren, der hat's usw. .... + +So ähnlich hatte ein anderer vor ihm gesagt. Das war Schuberts Bruder +Ignaz, der auf Vaters Geheiß dem Franz den ersten Musikunterricht +gab. Es hatte aber nicht lange gedauert, da meinte Franz, es ginge +ohne Lehrer besser. So war es auch, denn Ignaz hatte gegeben, was +er zu geben hatte, und mußte seinen brüderlichen Schüler als einen +»übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister« anerkennen. Als +Knabe meisterte er schon die Violine, die Viola und die Orgel und +machte sogar als Tonsetzer einige Gehversuche. + +»Faules Zeug,« brummte Vater Schulmeister; »das sind so Flausen, die +sich der Junge in den Kopf setzt, und die ihm beizeiten ausgetrieben +werden müssen. Soll das eine oder andere Instrument spielen lernen, +soweit man's als Schulgehilfe braucht, um auch Sonntags in der Kirche +mitzuhelfen, nichts weiter! Soll aus dir ein Taugenichts werden, ein +Hungerleider, ein Tagedieb -- ein herumstrolchender Musikant?! Da soll +ich dir doch gleich eins mit dem spanischen Rohr --! Was mein Sohn ist, +muß ein ehrlicher Mensch sein; der wird ein Schulmeister, wie sein +Vater einer ist und wie seine Brüder werden. Also kein Wort mehr -- ich +habe geredet!« + +Bald darauf las der Vater in der amtlichen Wiener Zeitung des Jahres +1808, daß in der k. k. Hofkapelle einige Sängerknabenstellen neu zu +besetzen wären. Die Bewerber mußten das zehnte Jahr vollendet haben und +fähig sein, in die erste lateinische Klasse eintreten zu können. Sie +verblieben Zöglinge des Konvikts und wären gleichzeitig Schüler des +akademischen Gymnasiums, das mit dem Konvikt in Verbindung steht. + +Dem Vater stieg sofort ein ganzer Seifensieder auf. Das wäre ein +richtiger Lebensanfang für seinen Franzl! Singen kann er ja, +Schulbildung hat er auch -- Sopranist in der Hofkapelle, warum denn +nicht, wenn er dafür eine Freistelle im Konvikt hat und gratis +das Gymnasium absolviert?! Für einen künftigen Schulmeister ein +verheißungsvoller Beginn! + +Also wanderten Vater und Sohn aus der Vorstadt Liechtental stadtwärts +nach dem Konvikt am Universitätsplatz, wo die Aufnahmeprüfung +stattfinden sollte. In seinen blauen Sonntagskleidern schritt Franzl +neben dem Vater klein und stämmig einher. Ein frisch gebügeltes Hemd +gab dem Tag festtägliche Weihe. Das hatte die Mutter bereitgelegt. O, +die war gut! Schmuck sah er aus, der kleine Kerl, weiß und blau wie ein +Firmling! + +Aber der Herr Vater war kritisch. Gab unterwegs allerhand gute Lehren +und Ermahnungen, wie man sich zu benehmen habe, was man tun und nicht +tun dürfe, nicht auflümmeln, die Ellbogen nicht durchwetzen, nicht +nasenbohren, nicht in den Ärmel schneuzen, die Schulbücher nicht +verkritzeln und was ähnliche liebe Gewohnheiten der holdseligen Jugend +sind. + +Der brave Franzl hörte alles geduldig an und schwieg respektvoll. Der +Vater wußte schon, daß sein Junge etwas verschlossen und einsilbig war, +daß er Fremden gegenüber sich nur sehr schwer auftat und dadurch leicht +unartig erscheint. + +»Also nicht aufs Grüßen vergessen, immer ein freundliches Gesicht +machen, zuvorkommend sein gegen deine Lehrer, verträglich und +aufmerksam gegen deine Mitschüler. Was schaust denn schon wieder so +finster drein?!« + +»Aber Herr Vater, ich schau' ja eh net finster drein!« + +Es war halt schon ein Unglück, daß die Menschen immer glauben, man +schaut finster drein, wenn man inwendig freundlich und aufmerksam +zuhorcht. + +Der Vater riß dem Jungen den Hut vom Kopf, um ihm besser ins Gesicht zu +sehen. + +»Die Haar -- wie schaun denn deine Haar aus?!« + +Die Haare waren ohnehin in Ordnung, die Mutter hatte sie gekämmt und +gebürstet, mit Schweinefett eingeschmiert, daß sie strichweise glänzten +-- aber sie waren kraus, etwas sehr kraus -- und ein bißchen lang, +vielleicht schon ein bißchen zu lang; sie waren in den Nacken hinab +gewachsen bis unter den blühweißen Hemdkragen. Der Hut hatte sich in +den Haarschopf fest eingedrückt, und so konnten sie leicht wirr und +unordentlich erscheinen; aber das waren sie wirklich nicht, wenn man +mit einem nachsichtigen Blick hinsah; die Mutter hatte sie gescheitelt, +so gut es ging, und die Lausallee verlief gerade wie eine Pappelschnur. + +»Kraupert schaust aus,« entschied der gestrenge Herr Vater. »Wie dir +die Haar da ins G'nack wachsen, so geht man zu keiner Prüfung!« + +Ehe man noch ans Glacis kam und den Häusern der Rossauerlände Adieu +sagte, wimpelte an einer Stange die Messingschüssel in die Luft mit +Strahlenreflexen wie die liebe Frau Sonne, ein Ladenschild prangte mit +einem süßlächelnden Puppenkopf und darunter stand: Heinrich Haarzopf, +bürgerlicher Bartscherer und Bader. + +Und weil noch eine Stunde Zeit war, so entschied der Vater, daß sich +der Junge jetzt die Haare schneiden lassen müsse, um sich der hohen +Prüfungskommission würdig zu präsentieren. + +»Also marsch hinein!« + +Bisher hatte die Mutter den üppig wuchernden Haarschopf mit eigener +Hand gebändigt. Was eine Mutter nicht alles kann! Hunderterlei +Gewerbe muß sie beherrschen vom Kerzengießen bis zum Haarschneiden. +Es ist nicht zum sagen! Nun aber saß Franz zum ersten Male bei einem +richtigen Friseur wie ein ganz Großer. Mitten unter Spiegeln wie in +einem Zauberkabinett und angetan mit einem linnenen Mantel, der einmal +weiß war, halb Derwisch, halb Prinz, umdienert von dem dienstfertigen +Gehilfen. + +»Belieben halbkurz oder ganz fiesko?« Das war eine neue Welt, eine +neue Sprache, jedenfalls eine neue Erfahrung. Verlegen wendet sich der +Junge an den Vater, der den Dolmetsch macht. + +Ziwitt, ziwitt! macht es die Schere in der Hand des Gehilfen, der bei +seinen Hantierungen immer die Luft schneidet. Sie macht es wie ein +Vögelein, das hungrig den Schnabel aufsperrt und um Futter quietscht, +ehe es gierig in den Haarwald hineinfährt. Alsbald liegen die +schönen Locken auf dem weißen Mantel und am Boden ringsum, der Junge +sieht drein wie ein abgeblättertes Birkenstämmchen, der Vater nickt +befriedigt, aber der eifrige Gehilfe ist noch nicht fertig. Er bemerkt +einen zarten, ganz schüchternen, weichen Flaum auf des Jungen Oberlippe +und stellt mit unerschütterlichem Ernst die gewichtige Frage: + +»Rasieren angenehm?« + +Heiß schießt es dem Jungen ins Gesicht. Er wird blutrot vor Scham. + +»Nein!« haucht er zurück und wendet das Antlitz ab, sich zu verbergen. + +Der Vater merkt es, er schmunzelt hinter seinem Rücken, er will +den Sohn nicht verletzen, der sich so leicht geniert. Er hat ihn +ja so lieb, wenn er auch zuweilen rauh zu ihm ist. Aber nach Vater +Schulmeisters Anschauung gehört die Strenge zur Liebe und vor allem der +Grundsatz: man darf die Kinder nicht merken lassen, daß man sie so gern +hat! + +Rasieren angenehm! Das wirkt nach. Das prägt sich unverlöschlich dem +Gedächtnis ein. Der Ernst des Lebens kommt jetzt heran! Man ist kein +Knabe mehr, man reift der Männlichkeit entgegen, eine neue Zeit will +kommen! + +Das Hochgefühl sank, als er mit dem Vater am alten Universitätsplatz +stand. An den hohen, schwärzlichen Palastfronten der Sonnenfelsgasse +waren die beiden entlang gegangen, bis sich ein mäßig geräumiger +Platz auftat wie ein schmucker Saal. Rechts die festliche Frontseite +der Universität mit Säulen und Fenstern im Geist der Zeit der großen +Maria Theresia; links die Prachtfassade der Kirche zur Zeit der +Gegenreformation von Ferdinand II. erbaut und dicht an der Kirche +anschließend, die ganze Langseite des Platzes bildend, ein kahles +Gemäuer mit kleinen vergitterten Fenstern, einem Gefangenhaus gleich: +das Konvikt. Nichts Grünes, wohin man sah, nur Mauern in nüchterner +Feierlichkeit oder in staats- und kirchenherrlicher Pracht. + +Das Herz des Elfjährigen krampfte sich zusammen, ja es beginnt eine +neue Zeit, der Ernst des Lebens tritt hier gewaltig in Erscheinung. + +Tapfer schritt er an der Seite des Vaters die Stiegen hinauf, wo +schon ein heiteres Gewimmel von Knaben war, die, um einen der drei +Stiftungsplätze zu erobern, ausgezogen waren. Da gab's sofort eine neue +frische Stimmung. Das Empfindsame, Ängstliche, Weichliche verschwand, +es lag nicht in Franzls Natur. + +»In Gottes Namen!« sagte der Vater Schulmeister, als sich die Türen des +Prüfungssaales hinter dem Jungen schlossen. Mehr kann man nicht tun als +seine Pflicht, und die war getan; die Entscheidung liegt bei anderen +Mächten. In Gottes Namen! Damit vertraute er sich und den Sohn der +inneren Führung an, die die Oberleitung hatte. So konnte man ruhig und +ergeben den Gang der Dinge abwarten. + +Der innere Kompaß hatte gut geführt. Für den gesunden Liechtentaler +Buben war die Prüfung ein Kinderspiel, als Erster ging er aus dem +Wettbewerb hervor und war Sopranist am k. k. Konvikt und zugleich +Schüler der ersten Lateinklasse. + +Jahr um Jahr berichteten die Schulzeugnisse von dem guten Fortgang der +Studien, und nie fehlte die Anmerkung: »ein besonderes musikalisches +Talent«. Ein Schriftstück an den Hofmusikgrafen besagt sogar, daß auf +die musikalische Bildung des Franz Schubert, da er ein so vorzügliches +Talent zur Tonkunst besitze, eine besondere Sorgfalt verwendet werden +solle. So kam der Hofkapellmeister Salieri hinter das kleine Genie, +und so kam der Klavierdrillmeister Ruczizka in den Schriftstücken an +den Hofmusikgrafen zu den lobenden Anerkennungen wegen der erteilten +Nebenstunden, zu denen er, Ruczizka, von Amts wegen nicht verpflichtet +gewesen wäre. + +Und so kam es endlich, daß der Vater die systematische musikalische +Ausbildung des Sohnes gewähren ließ, weil er sie ja auch nicht hindern +konnte. In Gottes Namen! Andere Mächte bestimmten das Schicksal, er +konnte nur Ja und Amen sagen. Und sich damit trösten, daß für die +eigentliche Lebensaufgabe die Lateinschule sorge, die ihm vor allem +anderen als die Hauptsache erschien. + +Aber büffeln und ochsen, Latein und Mathematik, das war dem Jungen +durchaus nicht die Hauptsache. Viel eher ein lästiges Anhängsel, eine +unbequeme Draufgabe, die man eben in Kauf nehmen mußte. Ja, wenn man +oben saß am Chor ganz nahe bei den geflügelten Engelein, umschauert +von dem Weltgesang der Orgel und von dem Jubel der singenden Geigen, +da war das Leben herrlich, die eigene Stimme ließ sich von diesen +tönenden Fittichen tragen und stieg wohl noch ein wenig höher im Chor +der Seligen. + +Aber dann in der öden Grammatikalklasse, das war wie ein Sturz aus +Himmelsregionen auf die harte Erde. Diese trägen, unergiebigen Stunden +mit Cornelius Nepos, mit Plutarch und Ovid. Der klassische Dichtergeist +zu langweiligen Schulpräparaten zerstückt und eingetrocknet wie die +glanzlosen Schmetterlinge in den Kästen und die gepreßten Pflanzen in +den Herbarien. Kein Hauch des Lebens mehr darin. Half also wirklich +nichts als stucken, ochsen, büffeln! Aber das Herz, das Herz war nicht +dabei. Ein Wunder, daß es dennoch ging, mit Ach und Krach. Nur -- +wenn es dem Gelehrtenhaupt am Katheder zu holperig vorkam, und die +Exerzitien so gar nicht vom Fleck gehen wollten, dann wetterten die +saftigsten Schimpfreden auf die Schülerherde nieder. + +»Sauknochen, verfluchter! Hast wieder einmal nicht präparieret?! Müßt' +man dir doch gleich das Buch ums Maul schlagen, bis dir der Kopf +aufgeht, Lümmel, verstockter!« + +Tat aber weiter nicht weh, war wenigstens ein derbes Stück Leben. Ein +unsanftes Prügelsystem, aber man lernte dabei und kam doch ein Stück +vorwärts. So waren die Erzieher, gelehrt und zugleich bauernhaft grob. +Was fest eingebläut war, saß fest. Auch in einem widerspenstigen +Schädel. Wer gar nicht parieren wollte, wurde hinausgeschmissen. Ein +Kamerad war schon geflogen, der mit Franz die Aufnahmeprüfung glänzend +bestanden hatte; ein Dritter, der mit ihm kam, stand am Sprung. Gibt +nicht viel Federlesen, keine Empfindelei; half auch kein Heulen, kein +Bitten und Betteln. Unnützer Ballast, fort damit! War gut für die +anderen. Schlechtes System? I wo! Was haben gute Lehrer mit einem +schlechten System nicht alles zuwege gebracht! Und konnt' Franzl bei +allem inneren Widerstreben nicht alle Jahr ein treffliches Zeugnis ins +väterliche Schulmeisterhaus nach Liechtental schicken? Ja freilich, +angenehm war der Drill nicht. Fragte auch kein Mensch danach, ob's +angenehm war oder nicht, und damit Punktum. + +Blieb aber die Musik, die das graue Dasein vergoldete, und blieben +die eigenen Träume, das selbständige Empfinden und Komponieren, süß +wie eine verbotene und heimliche Liebe, von der der Herr Vater nichts +wissen durfte. Das Herz -- da drin war es. Und blieben außerdem die +Kameraden, die Schulfreundschaften, die so fest geschlossen wurden, daß +sie über die Mauern hinaus fürs Leben halten sollten und meinetwegen +übers Grab hinaus. + +Bim, bim, bim! Des Schuldieners Glocke gellte durchs Haus. +Zehn-Uhr-Pause. Da gab es für die Bande kein Halten mehr, die in dem +lästigen Zwang nach Freiheit dürstete. Vor allem aber nach Freßlust. +Die Zehn-Uhr-Glocke war das Zeichen zum Gabelfrühstück. Mit einem Hallo +stürmten die Bengel die Treppen herab nach einem der unteren Gänge. +Dort steigt eben wippend die junge Fanny herauf, des Greislers Tochter +aus der Bäckerstraße, mit einem großen Korb Fressalien auf dem Kopf, +die sie in einer Fensternische des ersten Stockflurs während der großen +Pause feilhält. + +Wie eine Göttin der Erde, mit nahrhaften Gaben beladen, schwankt sie +holdselig herauf, ein braunes, derbes Ding, blatternarbig, barsch und +kurz angebunden, und trotzdem nicht unhübsch mit ihren weißblitzenden +Zähnen. Dem für handfeste Schönheit empfänglichen Sinn des Klavier- +und Knabenbändigers Ruczizka mußte sie tatsächlich als Fee, Nymphe +oder Göttin vorgekommen sein, daß er sie in einem schäferhaft oder +mythologisch gestimmten Augenblick wie ein verliebter Faun in die +nackten, prallen Arme zwickte und der Wehrlosen ein Küßchen zu rauben +versuchte, während sie mit dem Korb auf dem Kopf hinaufbalancierte. + +Wie es geschah, war ein Geheimnis des menschenleeren Korridors +geblieben. Ein Knall, ein Fall, ein Wehgeschrei, so endete das +Schäferspiel. + +»Sakramentski .....!« Man hat nur den Ausruf gehört, der Liebhaber war +verschwunden. Denn eben scholl des Schuldieners Glocke mahnend durchs +Haus, wie weiland die Stimme des Herrn im Paradies nach dem Sündenfall, +aus den Klassenzimmern wälzte sich die Schuljungenhorde, und die +braune Fanny stand keuchend und zornbebend vor dem herabgestürzten +Korb, der seinen duftenden Inhalt über die Steinfliesen ergoß, die +blonden und braunen, knusperigen Schusterlaberln, die mürben Baunzerln, +Kipferln, Girafferln, Kaiserweckerln, Stritzerln, Kaiserlaberln, die +Mohnstritzerln und Salzstangerln, den schweren Laib Hausbrot, die +dreifach gewundenen Kränze von Knackwürsten, den großen Stritzen +Butter, den Paprikaspeck und den frischen Maiprimsen. + +Fünfzig, hundert Hände langten jauchzend danach, im Nu war der +Korb wieder gefüllt, ein heiteres Intermezzo für die Jugend, eine +schmerzliche Viertelstunde für die Fanny, die in wortloser Wut kaum die +Tränen meistern konnte. + +Niemand wußte recht, was geschehen war, aber die Sage ging von einer +wuchtigen Ohrfeige, die locker in Fannys Hand gewesen war, und von +einer heißen Wange, die auf einige Stunden das Flammenzeichen der Liebe +trug und in nassen Umschlägen Kühlung suchte. An jenem Vormittag ward +Ruczizka nicht mehr gesehen. + +Während der Eßpause fanden sich die engeren Freunde mit Franz beim +Futterkorb zusammen. Holzapfl, der Vordermann der Klasse, der stille, +sanfte Spaun, um einige Jahre älter als Franz und zugleich sein +wärmster Vertrauter, Senn, der junge Tiroler, der schon damals Verse zu +flechten versuchte, und einige andere. + +»Einer ist unter uns, der uns einmal alle an Genie überstrahlen wird!« +hatte Spaun mit Beziehung auf Schubert gesagt, und ein fester Kreis von +Freunden begann sich um den unscheinbaren Franz zu schließen. Wenn man +seine helle, jubelnde Stimme auf der Empore hörte, so hätte man nicht +dieses unansehnliche Bürschchen erwartet, der auch darin der Lerche +glich, daß soviel Himmelsgabe in so schlicht bescheidenem Äußeren +steckte. + +Wenn man die Sängerknaben nun sah, dann konnte kein Zweifel sein, +daß sie nicht aus gebranntem Ton und nicht aus Holz waren, sondern +Fleisch und Bein mit vorzüglichen Freßwerkzeugen und unermeßlichem +Appetit. Das Dasein unter den himmlischen Heerscharen auf Gottes Chor +war beseligend, aber auf der Erde war es auch schön, besonders wenn es +etwas zu essen gab. + +Da sah man nun die pausbackigen, rotwangigen, schwarz-, braun- +und blondgelockten strammen Engelsinger gemütlich eine Knackwurst +verzehren, die lieblich roch und den anderen den Mund wässerte, so +ihre Barschaft nur zu einem Schusterlaberl hinreichte. Zu einem +Schusterlaberl, dick mit Butter bestrichen und so groß und mächtig +gediehen, als es für einen Kreuzer Konventionsmünze nur denkbar ist. + +Mit gierigen Augen hatte jeder das größte Schusterlaberl im Korb +ergattert. Was ein gesunder Bengel ist, erkennt auf den ersten Blick +unter Hunderten von Broten jenes, welches das größte Schusterlaberl +ist. Daß die wohlgeratensten Exemplare die Größe eines Kinderkopfes +erreichen, ist selbstverständlich. Es ist nicht aus feinstem Mehl +gebacken, im Gegenteil, es ist so ziemlich das ordinärste Gebäck, aber +auf dem ganzen Wiener Boden gibt es keinen Jungen, der nicht nach +dem Schusterlaberl greift, wenn er die Wahl hat. Ein Schusterlaberl, +mit Butter bestrichen, das ist nach Wiener Volksbegriffen die größte +Delikatesse. Daran war nicht zu zweifeln, wenn man die Kerle einhauen +sah, daß es nur so patschte. Mit einem Schusterlaberl in der Hand +konnte man sich sogar gegen eine Knackwurst oder gegen Wienerwürsteln +mit Kren behaupten, und das will gewiß etwas sagen. + +»Heiße Forellen!« rief die übermütige Fanny, um ihre Ware noch +verlockender zu machen. Richtig, da schwammen sie, die Wienerwürsteln, +im brodelnden Kessel hurtig hin und her wie die Forellen, und ein Paar +nach dem anderen wurde herausgefischt. Knackwürst! Wienerwürstl mit +Kren! Schusterlaberln mit Butter! Hört es! Der Traum vom Paradies ist +damit gespickt. Wenn ihr sie nicht genossen habt, dann wißt ihr nicht, +was gut ist! + +»Nun, und heut gar nichts?« wendete sich Fanny an Franzl. Der hat +einen Stein im Brett bei ihr. Ein extra großes Schusterlaberl, extra +dick bestrichen, das waren die Zeichen ihrer Gunst. Das braune, herbe, +blatternarbige Greislermädel verbarg hinter ihrer rauhen Wesensart +ein weiches Gemüt. Eine schöne Stimme hören, und sie war soviel wie +verloren. Sie wußte schon, daß Franzl die schönste Stimme unter den +Jungen hatte. Sie sah ihn nur mehr durch diese Stimme, und jetzt +dünkte ihr der unscheinbare Junge schön wie ein Märchenprinz. In ihren +Augen war er, die unansehnliche Lerche, schöner als der herrlichste +Paradiesvogel. Sie hatte ihn schon in der Kirche gehört, und als er +kürzlich in der Pause dem Freund Spaun ein selbst komponiertes Liedchen +leise vorsang, vergaßen ihre flinken Hände, daß sie in wenigen Minuten +fünfzig und mehr Schusterlaberln mit Butter zu streichen hatten. + +Versteinert stand sie da, Mund und Augen weit auf, ein wenig +vorgeneigt, um keinen Laut zu verlieren, weltentrückt, verzaubert, bis +zwanzig aufgesperrte hungrige Mäuler, die nach Atzung schrien, sie aus +ihrem Traum weckten. Ob er ihr das Lied nicht aufschreiben wollte, +war gegen Schluß der Pause die verstohlene Frage. Er sagte nicht ja +und nicht nein, er lachte bloß, wohl nur, um seine Verlegenheit zu +verbergen. + +Es war, als ob eine leise, schier unbewußte Berührung der Seelen +stattgefunden hätte, so blieb etwas bestehen, das man nicht leicht +irgendwie nennen kann, weil jedes Wort zu schwer dafür ist. Etwas +schier Unbewußtes, Heimliches, und doch Gefühltes. Ein Strahl von +mütterlicher Sorgfalt ging von ihr auf ihn über, es materialisierte +sich in den größten Schusterlaberln mit der dicksten Butter. Aber +darüber hinaus war noch etwas wie ein Licht da, das wärmte. + +»Nun und heut gar nichts?!« fragte sie noch einmal und streifte ihn +leise an, weil er nichts bestellt hatte. + +Er schüttelte nur verneinend den Kopf, aber sie wußte schon! +Abbrandler! Das heißt, daß er keinen Groschen mehr in der Tasche hatte. + +Aber sie schob ihm schon wortlos ein dickbestrichenes Laibchen hin. + +Er schob es wieder zurück und sagte halblaut und schier unbefangen, +obzwar es ziemlich gepreßt klang: »Heut -- nichts!« + +Da nahm sie das Brot, drückte es ihm in die Hand, indem sie sich ganz +nahe an sein Ohr neigte und leise sagte: »Kost' doch nichts!« + +Als ob er glühendes Eisen angefaßt hätte, schleuderte er das herrliche, +hochgebähte, goldblonde, knusperige Schusterlaberl, das mit den dicken +Butterseiten zusammengeklebt war, neben dem Eßkorb auf das Fensterbrett +hin, flammendrot im Gesicht, daß es dort in seine zwei Hälften +zersprang und mit den Butterseiten auf dem staubigen Steinboden lag. + +Sie sah ihn einen Augenblick betroffen und schmerzlich an, hob dann +die Brote auf und legte sie zu den anderen. Mit einem Ruck faßte +sie den ziemlich geleerten Korb auf, stellte den kaltgewordenen und +ausgefischten Würstelofen hinein und rauschte ab wie eine beleidigte +Königin, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. + +Er war so verdonnert, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, eilte hinauf +in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett, wühlte den Kopf in die Kissen +hinein und schluchzte mit halberstickten Ausrufen: »Fanny, Fanny!« + +Etwas Seltsames, Beunruhigendes, Niegekanntes, Schmerzvolles, und doch +zugleich Beseligendes, Wunderbares war über ihn gekommen. Was war es? +Ach ja, das Leben, das Leben! Die schüchternen Regungen wie ein ganz +verstohlener Sonnenstrahl und gleich darauf Schauer, Tränenschauer. + +Man war kein kleiner Knabe mehr, und auf der Oberlippe sproßte jetzt +wirklich ein kleines, winziges, schütteres Bärtchen. Es kommt nun doch +eine andere Zeit! + +Am Nachmittag schrieb er seinem Bruder Ferdinand, der war Schulgehilfe +in der Wiener Vorstadt Lerchenfeld, und schilderte seine Lage. Die +paar Groschen, die er monatlich vom Herrn Vater bekomme, seien in den +ersten Tagen beim Teufel, was soll man in der übrigen Zeit tun? Bei +dem mageren Mittagsmahl, dem erst nach 8-1/2 Stunden ein armseliges +Nachtmahl folgt, müsse man sich eben in den Pausen mit etwas Stärkendem +aushelfen. Es würde den Bruder Ferdinand nicht arm machen, wenn er ihm +monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließe. Spricht doch der Apostel +Matthäus: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw., und dann +in Kap. 3, V. 4: Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden +..... So schließt die Epistel mit dem Aufruf, Ferdinand möge sich doch +des »liebenden, armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz« +erinnern. + +Der Brief ist fort und damit ein Stein vom Herzen. Was jetzt? Ja, +richtig: das Lied aufschreiben -- die Fanny muß das Lied haben! Ein +extra schönes Papier für sie, mit kunstvoll verschlungener Schrift und +die Noten säuberlich hingesetzt, als ob sie gestochen wären! Darauf +ein Suchen und Suchen in allen Laden und Heften, aber kein armseliger +Fetzen Notenpapier ist mehr zu finden. Alles verschmiert. Neues kaufen +-- aber zum Kuckuck, wenn man keinen Groschen in der Tasche hat! Der +Mensch ohne Geld ist ein gottverlassenes Geschöpf. Da fehlt es gleich +an allen Ecken und Enden. Daß man sich ein Schusterlaberl mit Butter +versagen muß, ist hart genug, aber das ist noch das wenigste; den +Mangel fühlt man erst, wenn man jemandem was Liebes tun möchte und +nicht kann, weil man keinen Knopf Geld hat. Schnöder Mammon! + +Da kommt Spaun bei der Tür herein, der liebe, innige! Aufgeschossen +ist er wie eine Hopfenstange, den Kopf mit dem sittsam zurückgekämmten +Blondhaar und den weiten, wasserblauen Augen hat er vorgeneigt, +erwartungsvoll. + +»Hast was Neues geschrieben?« + +Er ist so furchtbar erpicht auf das Neue, das Franz in Noten dichtet. + +»Hab' kein Papier!« knurrte Franz etwas borstig. + +Da macht der andere schon Kehrt-euch und ist wieder draußen bei der Tür. + +Franzl sinniert und sinniert, es vergeht eine halbe Stunde, da kommt +Spaun wieder angerückt, atemlos, einen großen Pack unter dem Arm, den +er auf den Tisch legt und sorgfältig auswickelt. + +Notenpapier! Große, schöne, dicke Bogen, ein ganzer Stoß, genug, um die +Unsterblichkeit damit zu bestreiten. + +»Da hast jetzt und schreib'!« und ist schon wieder draußen. + +»Kerl, lieber, guter!« + +So lächelt Franz, setzt sich hin und schreibt. + +Am anderen Tag geht er in der Zehnuhrpause in sein Zimmer hinauf. Er +traut sich nicht herunter, es geniert ihn. Geld hat er ja auch keines +auf ein Schusterlaberl. + +Aber ein Brief ist da. + +Bruder Ferdinand schreibt, Franz wird mit dem Nötigen versorgt werden, +er möchte aber vorerst auf ein paar Tage heimkommen. Der Schulurlaub +sei unterdessen für ihn schon erwirkt. + +So war es auch, auf drei Tage hat er frei. + +Und wandert hinaus aus der engen Stadt in die Maiensonne, ins Grüne, wo +ihn die Wiesen mit tausend Blumenaugen ansehen. Beim Schottentor ist er +draußen, dann übers Glacis, wo der Wind, der richtige Wiener Lausbub, +seinen unumschränkten Spiel- und Tummelplatz hat, um diese Zeit kosend +als Mailüfterl mit Wolken von Fliederduft sanft beladen; im Sommer als +verrückter Derwisch mit wehendem Mantel aus Staub und ebensolchen +aufgeplusterten Pumphosen; im Herbst als unwirscher Straßenkehrer, der +dürre Blätter und Mist dahinfegt oder mit nasser Regenhand den Leuten +ins Gesicht patscht, die Weiberkittel aufwirbelt und die Parapluies +umdreht; im Winter ein rauhbeiniger Knecht Ruprecht, der mit flockigem +Schneebart daherflattert, daß euch die Augen übergehen. Der kann +grantig und boshaft sein wie ein alter Zucht- und Armenhäusler, aber +jetzt ist er ein holder Junge, der in den Bäumen säuselt und auf +sonnenweißen Wolken in gottseliger Bläue segelt. + +Und so ist heut auch dem schulvakanten Knaben zumute, dem das Herz +klopft, als er hinter den mächtigen Häuptern der Kastanien die Häuser +seiner lieben Liechtentaler Vorstadt auftauchen sieht. Dort hinter den +Bäumen mit den vielen weißleuchtenden Kerzeln ist das Vaterhaus »zum +schwarzen Rössel« in der Säulengasse. + +Geschwind, geschwind um die Ecke und hineingestürmt mit einem Jubelruf. +Aber da stockt er schon. + +Was ist denn geschehen? + +Er spürt ein Zerren im Gesicht, ein Würgen drinnen im Hals; denken kann +man's nicht. Eine Draperie hängt am Tor; ein Kerl steht heraußen mit +Glotzaugen und Schnapsnase, einen Dreispitz am Kopf, kurze Hose und +Strümpfe an den verkrümmten Beinen, ausgelatschte Schnallenschuhe; eine +Menge Schnüre und Quasten an dem frackähnlichen Rock, der schief sitzt +wie auf einer Vogelscheuche; schwarz alles, ganz schwarz, schwarz die +Draperie am Tor, schwarz der aufgedonnerte Frack, der Dreimaster, die +Hose, die Strümpfe. + +Unterm Tor kommt ihm schon der Bruder Ferdinand entgegen, er ist +ebenfalls schwarz, nur das Gesicht ist rot und die Augen sind +verschwollen. + +»Die Mutter ist tot!« würgt er hastig und tonlos hervor. + +»Au, au!« schreit der Heimkehrende auf wie ein getroffenes Tier; und +schon steht er im Winkel abgewendet und flennt in sich hinein. + +Und geht dann, so schnell er kann, die paar Stufen hinauf, und ist ihm, +als ob er Quadersteine trüge, daß er, von der Last erdrückt, kaum über +die Schwelle kann. + +Drinnen der Vater, sieht um Jahre älter aus, sagt kein Wort; tätschelt +nur den Buben an Schultern und Kopf, scheu und fast widerwillig; +schiebt ihn aber gleich von sich zu den Geschwistern hinein. + +Die sitzen drin, alle schwarz angezogen, nicht zum Erkennen, stieren +vor sich hin, nur eins oder das andere heult laut auf, wie's den Franzl +sieht. Reden aber sonst kein Wort -- einfache Menschen sind karg mit +Gefühl und Worten, verstecken sich lieber voreinander. + +Auch Franzl bringt keinen Ton heraus, geht wie im Traum ins +Nebenzimmer, das dunkel gähnt mit brennenden Kerzen. Brennen nicht hell +und froh wie die Blütenkerzlein draußen auf den Bäumen; brennen dunkel +und weh in der schwarzen Luft und in dem toten Geruch der welkenden +Blumen. Ist etwas Weißes zwischen dem roten Kerzengefunsel und starrem +Blätterzeug, hoch geschichtet; jetzt sieht man's vor den betäubten +Augen; braunlackiertes Holz, der Sarg, weiße Seide, ein gefälteltes +Brautkleid, wachsgelbe Hände und ein Gesicht, so bekannt und so fremd +zugleich, so starr und fern. + +Mutter! Der Franz spürt sie, er spürte sie schon von weitem, ehe er ans +Haus kam, im Flur unten umwärmte ihn schon ihre Nähe, im Zimmer draußen +wußte er sie neben sich, die Luft, die Dinge alle, die Gewohnheit, das +war sie. Sie lebte, und für das Totsein gab es keinen Begriff. + +Er wollte die Tücher wegreißen, die Fenster aufstoßen, Luft und Licht +herein, die Starre aufrütteln, daß sie das Fremde abschüttle und wieder +sie sei, die lebte in seinem Fühlen; die ganze fürchterliche Schwere +der Wirklichkeit wegwischen, die Lüge war, weil sie so unverständlich +blieb; das Herz schrie auf und tobte nein, nein, nein -- und dennoch +blieb er steif wie gelähmt, unfähig, etwas zu tun, zu sagen, oder zu +denken. + +Und ging noch die folgenden Tage umher wie betäubt, indessen ein +widerwärtiges geschäftiges Etwas vor sich ging, die ganze quälende, +niederdrückende, entsetzliche Bestattungszeremonie, die mit dem +Herzen nichts zu tun hatte, diese Schaustellung des Schmerzes vor +den gaffenden Gassen und Fenstern bis zu dem Moment, wo man in der +Kirche saß bei der Einsegnung und die Orgel lind und leise auf die +zertretenen Gemüter einsprach. Das war wieder die Stimme der Mutter, +bald gutmütig greinend, scheltend, verweisend, dann wieder gut zuredend +und liebkosend; die Härte des Krampfes wollte sich lösen; aber dann +noch das Schrecklichste, das Niederfahren des Sarges in die Grube, die +vereinzelten Aufschreie, das dumpfe Dröhnen der auffallenden Schollen, +das man nicht mehr aus den Ohren bringt -- als ob jede Handvoll Erde +eine Wunde in den eigenen Leib schlüge! + +Fluchtartig ging's aus dem Friedhof fort ins Vaterhaus zurück; die +Trauerzeichen waren inzwischen weggeschafft worden, die alte Ordnung +hergestellt, aber die Ödigkeit hatte sich eingenistet. Das Tor war +wie früher und ebenso die Zimmer, aber im Geist sah man immer die +Trauertücher draußen hängen und wehen. Im Zimmer tauchte immer der Sarg +auf an der Stelle, wo er gestanden, die Funsellichter -- schreckhafte +Eindrücke, und Visionen, die nicht wegzuwischen waren. + +Die paar Tage gehen vorüber in Dumpfheit und Zerschlagenheit; Franzl +ist froh, als die Zeit da ist, ins Konvikt zurückzukehren. Auf dem +Glacis wirft er sich ins Gras, um, von niemandem gesehen, sich nach +Herzenslust ausweinen zu können. Dann wandert er stadtwärts und ein +tröstliches Gefühl gewinnt Oberhand. + +»Fanny, Fanny,« denkt er, nein, er denkt es nicht; das Unbewußte in ihm +denkt es, fühlt es. Das verschnürte Herz, das sich nach Wärme, nach +Mütterlichkeit, nach Liebe sehnt und sich so schwer und widerwillig +erschließt, sucht Zuflucht bei dem unwillkürlichen Gedanken an Fanny, +die jetzt so halb und halb mit dem Bild der Mutter zusammenfließt +und ihn doch zugleich so ganz eigen bewegt, daß ihn fast ein Zittern +überfällt. + +Nun soll sie das Lied mit den Noten haben, denkt er und ist fast +aufgeregt in der Vorfreude. + +Am anderen Morgen ist er der Erste bei dem Eßkorb, allen anderen Jungen +voraus. Niemand soll's merken! + +»Das Lied, Fräulein Fanny, das Lied -- hier hab' ich's!« stammelte er +heiß und verwirrt und steckte ihr das zusammengefaltete Blatt in die +Hand. + +Sie sieht ihn eine winzige Weile von oben bis unten an, verzieht +hochmütig den Mund, schiebt ihm das Blatt zurück und wendet sich ab mit +der kurzen Bemerkung: + +»Brauch's nimmer!« + +Das Blatt fällt zur Erde; einer der anstürmenden Kameraden hat es +erwischt, es verschwindet in den Händen der Freunde, wie so vieles, was +damals entstanden. + +Jetzt hat er Groschen im Sack, aber kaufen tut er nichts; die +Knackwurst, die Würsteln, die Schusterlaberln -- nein; der Appetit ist +ihm vergangen. + +Aber weinen, nein, das tut er auch nicht. Warum denn? Das Herz setzt +eine Rinde an; daß ein Krampf darinnen bebt, er will's selber nicht +wissen. + +Gleichmütig plaudert er mit seinen Freunden weiter, bis einer plötzlich +sagt: + +»Du, hör' einmal, was hast denn du für eine Stimm'?« + +Fanny blitzt ihn wiederholt spöttisch an, sie hat es gleich gemerkt. +Die Stimme war geborsten, rauh, unmelodisch, ein Wechsel, wie er bei +Jünglingen um die Zeit der beginnenden Männlichkeit auftritt. Fanny +lächelt spöttisch. Lächelte sie über sich, über den Jungen, oder über +ihre Narretei? Der Zauber war gebrochen. + +Der Paradiesvogel stand vor dem ernüchterten Blick wieder unansehnlich +gleich einer graubraunen Lerche da, ja, er war noch weniger geworden, +ein grüner Spatz, der ziemlich unharmonisch piepste. Aber das Gold, das +nicht in der Kehle lag, sondern tiefer in der Brust -- was verstand das +dumme Greislermädel davon?! + +Freilich, ein Sonnenstrahl war erloschen, der zwischen den Mauern +schüchtern in des Knaben Gemüt gefallen war. + +Im Klassenbuch stand jetzt in der Kolonne des Franz Schubert die +Bemerkung: Mutiert. Mit der Sopranistenherrlichkeit im Sängerchor bei +den dicken Engelsköpfen war's jetzt vorbei. Das war der natürliche +Verlauf der Dinge. + +Damit erlosch ein weiteres Licht, und die Schatten der Schulmauern +drückten schwerer als je. + +Einige Monate später verließ Spaun die Anstalt, er hatte absolviert. + +»Glücklicher, daß du aus diesem Gefängnis gehen darfst!« rief ihm Franz +zum Abschied nach. Es war ihm jetzt, als müßten die Schulmauern auf +ihn stürzen, um ihn ganz zu erdrücken. Die Mathematik, da wollte nicht +alles stimmen. Eine schlechte Note -- die Scharte war auszuwetzen, wenn +der Stiftungsplan mit dem Stipendium erhalten bleiben sollte. Aber wozu +ein zweckloses Mühen? Was man eigentlich braucht, hat man vom lieben +Gott gelernt, die anderen hatten ihr Bestes längst gegeben und sahen +sich als Meister übermeistert. Es gab Wichtigeres zu erfüllen als +büffeln und ochsen. So riet die innere Stimme des Genius. + +Noch ein Jahr wurde mühselig hingebracht, und dann schlossen sich die +Türen des Konvikts hinter einem, der aufatmend draußen stand, einen +letzten Blick auf das düstere, kahle Gemäuer warf und innerlich bebte +und jubelte: Jetzt kommt eine andere Zeit! Das Leben, das Leben! + + + + + II. + + +Im Schulmeisterhaus am Himmelpfortgrund war wieder fröhliches Leben. +Die Schatten der Trauer waren vertilgt, ein hübsches junges Weib nahm +die Stelle der Mutter ein, arbeitete von früh bis abends mit heiterem +Sinn und sorgte mit gleicher Liebe für alle, als ob die Verstorbene in +diesem Frauenwesen wieder auferstanden wäre. + +Vater Schulmeister vermochte nicht lange ohne Gesponsin zu bleiben; +kaum ein Jahr nach dem Tode seiner vielgeliebten ersten Ehefrau hatte +er die Gumpendorfer Fabrikantenstochter, die »wertgeschätzte Jungfrau +Anna Kleienböck«, gefreit; hat's nicht zu bereuen gehabt, und haben +alle Kinder, besonders aber der Franzl, eine mütterliche Helferin an +ihr gefunden. Den Franzl hatte sie namentlich in ihr Herz geschlossen. + +Aber der Vater, der macht Augen, als der Bub wieder heimkommt. Hat +jetzt noch so einen Fresser am Brotsack hängen. War vom richtigen +Bauernschlag, der Vater Schulmeister, ein dicker, harter Schädel, saß +ihm der feste Sinn in dem entwickelten Kinn, war einer, der nicht gerne +nachgab und den Kreuzer zehnmal umdrehte, ehe er ihn auslegte. Ein +rechtschaffener Mann, der für die Jungen sorgte bis zum Flüggewerden, +aber dann sollten sie selber schauen, wie sie zu ihrem Futter kämen. +Sparsamkeit bis zu Knickerei und Geiz, das war Bauerntugend. Und +die saß fest bei ihm. Wie wär' man denn zu eigenem Grund und Boden +gekommen, zu einem selbst erwirtschafteten Häusel, wo die Wirtschaft +am Schnürchen ging, bei dem dürftigen Schulkreuzer, wenn man nicht +Groschen auf Groschen gelegt hätte?! + +Es war an einem schönen Sonntagmorgen, als Franz heimkam. Der Vater saß +allein in der unteren Stube und frühstückte. Als er des heimkehrenden +Sohnes ansichtig wurde, schob er rasch den schön gebräunten, innen +aber dottergelben, flaumigen Gugelhupf unter den Tisch, wo ein Brett +als offenes Fach eingelassen war. Dann schlürfte er seinen Kaffee leer +weiter, als ob er nichts dazu zu beißen hätte. + +Das Gespräch war ziemlich karg; einsilbige Fragen, einsilbige +Antworten. Bis der Vater die verfängliche Frage stellte, ob Franz +nun gedenke, den anderen Familienmitgliedern den mageren Bissen +wegzuschnappen? Worauf der Sohn flink mit der Antwort bereit war: +»Meinetwegen, Herr Vater, hätten Sie den Gugelhupf nicht verstecken +müssen, ich mag ohnedies keinen.« Worauf Vater Schulmeister den +Gugelhupf wieder hervorholte, aus dem Schrank eine Kaffeetasse nahm, +dem Franz das Restchen aus den Kannen eingoß und ihm obendrein ein +gewaltiges Stück von dem verheimlichten Gugelhupf vorsetzte. + +Franz ließ sich's wohl schmecken. Er wußte, der Herr Vater hatte nun +einmal solche Eigenheiten, über die das gute Herz doch immer wieder +siegte; und dieses gute Herz hatte sich eben seiner bäuerischen +Filzigkeit geschämt, bei der es sich ertappen ließ, und wollte den +schlechten Eindruck durch um so größere Freigebigkeit verbessern. + +An diesem Tag war kein mahnendes Wort mehr gefallen. Am Nachmittag +dirigierte Franz das Streichquartett, das sich im musikliebenden +Schulmeisterhaus sofort gebildet hatte. Die Brüder Ignaz und Ferdinand +kratzten auf der Geige, der Vater schabte das Violoncello und Franz +spielte die Viola. Die beiden Violinen knarrten und quietschten +vor Lust und Freude, sie taten aber so laut und ungeniert, als ob +sie allein auf der Welt wären. Das Violoncello wollte sich die +Ungebundenheit der vorlauten Violinen nicht über den väterlichen Kopf +wachsen lassen. Es strengt seine wohlig dunkle Stimme aus Leibeskräften +an und plagt sich hinter den beiden Wildfangen mit redlichem Schweiß +einher, was nicht immer ohne Unfall vonstatten ging; nur die Viola +flötet süß und geleitet die drei stolpernden Kumpanen mit gelinder +Festigkeit auf unwegsame Höhen, wo man im himmelhohen Jauchzen hätte +die Welt umarmen mögen. Aber das gute dicke Violoncello mußte sich +des öfteren schnaufend die Seiten halten und konnte das Springen und +Jauchzen nicht so flink mitmachen; bleibt öfters im Notengestrüpp +hängen, sucht sich zuweilen ebenere Wege und markiert nur so den +hüpfenden und schwebenden Gang der Melodie. + +Lächelt der Sohn, klopft mit dem Fiedelbogen ab und sagt schüchtern: +»Herr Vater, da muß etwas gefehlt sein ...!« Also werden die +schwierigen Passagen noch einmal genommen und immer noch einmal, bis es +der Viola und den beiden Fiedeln gelingt, das schwerfällige Cello mit +Ach und Krach, aber immerhin mit heiler Haut über Stock und Stein zu +bringen. + +Ist hinterdrein quietschvergnügt über die eigene vermeintliche Leistung +und Fortschritte, schmunzelt vor Behagen und Selbstachtung und läßt +sich zur Anerkennung herbei: »Das muß man sagen, können tut er was, der +Franz, das haut ihm keiner 'runter!« + +Und die Brüder sehen voll Bewunderung auf den Franz hin, die Mutter ist +gerührt, daß ihr die Tränen in den Augen stehen, und streichelt ihm +scheu und zärtlich über den krausen Schädel, glückselig und erstaunt, +so plötzlich diese stattlichen jungen Kerle zu Söhnen zu haben und +besonders einen solchen Meister darunter, der ganz beschämt dasitzt und +alle Lobeserhebungen bescheidentlich ablehnt. Beinahe hätte sie mit +ihren warmen, molligen Armen den Lockenkopf abgefangen und ihn nach +Herzenslust abgebusselt, aber sie getraute sich nicht des Vaters wegen, +der könnt's vielleicht übel auslegen. + +Ist übrigens sehr selten, daß der Herr Vater soviel Lob spendet. Hat +man kaum je aus seinem Munde gehört. Ist schon genug, wenn er nichts +sagt, als ein Zeichen, daß er zufrieden ist. Wenn ihm was nicht +gefällt, dem Herrn Vater, ist er gleich mit dem Tadel bei der Hand, +dann spart er's nicht, räsoniert, greint, wettert, daß einem angst und +bang wird. Man ist also nicht verwöhnt. Aber daß ihm auch einmal der +Mund des Lobes voll überfließen könnte, daran kann man sich eigentlich +kaum je entsinnen. + +Aber das Schönste kommt erst. Der Vater nimmt die Mutter zur Seite, hat +eine kleine, heimliche Unterredung mit ihr, man sieht, daß ihr Gesicht +in heller Freude aufleuchtet, und draußen ist sie. Vergnügt und ganz +erfrischt kehrt der Vater zu den Notenpulten zurück, er ist heute noch +tatendurstig. Es ist noch eine Stunde zum Nachtmahl, die will der Vater +nicht verlieren. Also wird noch einmal Musik gemacht, bis es finster +ist. + +Jetzt erscheint wieder die Frau Mutter, ganz erhitzt und fröhlich +aufgeregt -- mein Gott, das Herdfeuer und die muntere Hast! Der Tisch +ist fein säuberlich gedeckt. »Kommt's essen!« ruft der Vater und setzt +sich als der Erste in den bequemen Lehnstuhl am oberen Ende. + +Die Buben -- sind eigentlich schon erwachsene junge Männer, bleiben +aber für den Herrn Vater immer noch die Buben -- lassen sich das +natürlich nicht zweimal sagen und sitzen schon im nächsten Augenblick +um den Tisch herum, der heute sogar mit einem weißen Tuch gedeckt ist. + +Und Weingläser stehen auch da! Ein jeder spitzt: »Hei, da gibt's was!« + +Die Mutter ist schon wieder in der Küche draußen, sie ist in ihrem +Element, wenn sie so richtig wirtschaften kann, aus dem Vollen heraus. +Inzwischen wird noch eine Weile über die Musik geschwatzt, Musikanten +sind leicht durstig und hungrig, besonders aber durstig -- man hat das +Gefühl, als ob man von einer wunderschönen Landpartie zu Fuß und zu +Wagen zurückgekommen wäre, die herrlichsten Gegenden und Aussichten +genossen hätte, von fernen Gipfeln, die man nur träumen könnte. In +diese ätherblauen Seligkeiten hat der Genius geführt -- ja, so ein +Streichquartett den lieben Sonntag nachmittag, das ist mehr als ein +vierspänniger Wagenausflug. + +So, und jetzt sitzt man, in die Wirklichkeit zurückgekehrt, mit +erdenfrohem Behagen und Appetit da, die Gabel in der Faust, und wartet +mit spähenden Augen der Dinge, die da kommen sollen. + +Und da fliegt schon die Tür auf, die junge Frau Mutter rauscht herein, +daß die weißgestärkten Unterröcke und die Schürzenbandeln fliegen, die +halbnackten, rundlichen Arme tragen hoch eine große Schüssel, eine +Duftwolke strömt mit -- hm! daß einem das Maul wässert --, jetzt senkt +sich die Schüssel auf die Tischmitte herab, ein vierstimmiger Ausruf: +»Ah, Backhendeln!« + +Wiener Backhendeln mit Gurkensalat! + +Den Jungen verschlägt's fast den Atem, keiner würde wagen, zuzugreifen, +sie schauen verzückt auf die Backhendeln und dann verwundert auf den +Herrn Vater -- das hat man noch nicht erlebt, außer bei der Hochzeit +mit der jungen guten Stiefmutter -- eine solche Freigebigkeit -- was +muß denn über ihn gekommen sein?! + +Den Vater wandelt jetzt ein Schatten an, er fühlt den verwunderten +Blick der Söhne, fast dünkt es ihm jetzt eine Verschwendung, er bereut +es beinahe schon wieder, sich in solche Unkosten gestürzt zu haben, und +blickt eine Weile sinnend und grüblerisch auf seinen leeren Teller. Die +Stirn hat Falten, wie immer, wenn er nachrechnet. + +Mechanisch erhebt er sich zum Tischgebet. Die jungen Kerle leiern es +herunter mit langen Zähnen, im Mund lauft jedem das Wasser zusammen, +man sieht's ihnen ordentlich an -- die Mutter blickt glückselig von +einem auf den anderen -- der Vater betet laut und langsam aber wie im +Traum, indessen er im Geiste rechnet und rechnet. Er will, bevor er zu +essen anhebt, das Exempel lösen, wie er die Mehrkosten von heute im +Lauf der Woche wieder hereinbringt, um das knickerische Gewissen zu +beruhigen und obendrein so, daß der eine Fresser, der jetzt mehr da +ist, dreingeht, ohne daß das Wirtschaftsgeld erhöht werden muß. + +Ganz einfach, denkt er, indessen seine Lippen laut und langsam beten, +Fleisch gibt's die ganze Woche nicht mehr -- Mehlspeisen kosten die +Hälfte -- sind viel gesünder -- Montag Banadlsuppe, kostet fast +nichts, heißes Wasser mit Ei und Semmelschnitten, etwas Schmalz; dann +Erdäpfelnudel mit Semmelbröseln abgeschmalzen, Zwetschgensauce dazu +-- ist gut und nahrhaft, können bampfen dabei, die Schlinghälse, daß +sie nicht mehr bah sagen können; Dienstag Grießschmarrn mit gekochten +Kirschen; Mittwoch Holzhackernockerln aus Wasser und Mehl, läßt man +ein Ei darüber spazieren, macht's nahrhafter und sieht nach mehr +aus; Donnerstag Linsen, vielleicht Spiegeleier dazu, wenn's reicht; +Freitag ist ohnehin Fasttag, gibt's vielleicht Hirsebrei mit geriebenem +Lebzelten drauf; Samstag Kipfelkoch oder Semmelschmarrn, Bofesen wären +auch nicht schlecht, vielleicht einen Kirschenstrudel -- die Leibspeise +-- wenn sie nur nicht zu teuer kommt --, als Nachtmahl gibt's die +ganze Woche nichts weiter als Butterbrot, zur Abwechslung etwa einmal +frischen Maiprimsen darauf, und, wenn's hoch kommt, ein paar Kirschen +nachher, die jetzt wohl billig genug sind; na, und Sonntag vielleicht +wieder einmal einen Schweinsbraten -- sein Gesicht klärt sich auf, +indessen er das Kreuz schlägt, das Rechenexempel ist gelöst, er kann +sich beruhigt mit Frau und Söhnen an den Backhendeln ergötzen: Im Namen +Gott des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen! Mit +einem vierstimmigen Echo schließt das Amen. + +Dann ein eiliges Sesselrücken, dicht an den Tisch heran, so bequem und +fest als möglich, die Serviette unters Kinn gesteckt, in den Halskragen +hineingestopft, der Vater langt mit der Gabel zuerst zu und sticht das +Pfaffenschnitzel heraus mit etwas gerösteter Petersilie darauf, wegen +des Wohlgeschmacks, flink hat ein jeder sein Trum auf dem Teller, +der eine ein solches weißes Bruststück, der andere ein Haxerl, ein +Stück Flügerl, ein paar Minuten vergehen wortlos, indessen das zarte +Fleisch mit der schönen braunen, knusperigen Rinde zwischen den Zähnen +mitsamt den weichen Knöchelchen krachend zerbissen wird und Stück um +Stück verschwindet. Zu jedem Bissen Fleisch eine tüchtige Gabel voll +Gurkensalat. + +Vater Schubert stößt vertraulich den Franz an und deutet mit dem Messer +auf das Büchschen Paprika, das am Tisch steht. + +»Mußt etwas Paprika auf den Gurkensalat tun! Zum Gurkensalat gehört +eine Messerspitze Paprika!« + +Also streute Franz vorsichtig etwas Paprika auf den Gurkensalat. + +Das gibt zu dem Arom eine köstliche Würze, daß man einen brennenden +Rachen hat wie ein Feuerschlucker. + +Die Schüssel ist leer, nur ein Häuflein Knochen ist übriggeblieben +wie auf einer Schädelstätte. Jeder lehnt sich behaglich und von der +emsigen Arbeit aufseufzend in den Sessel zurück; die Flammen in der +Kehle müssen gelöscht werden. Da langt der Vater nach einem Krüglein, +das unter dem Tisch bei seinen Füßen steht, hebt es sorgfältig prüfend +ans Licht und schenkt jedem das Glas voll. Gumpoldskirchner! + +Zu Backhendeln mit Gurkensalat gehört Gumpoldskirchner, das ist +stilgerecht. Es könnte auch ein Grinzinger sein, ein Sieveringer, ein +Alsecker, ein Bisamberger, ein Klosterneuburger, ein Weidlinger, ein +Kremser, ein Mailberger, ein Haugsdorfer, ja, man würde gar nicht +fertig in der Aufzählung der vielen guten Tropfen, die zu einer solchen +Wiener Götterspeise gehören. Jeder hat seine eigene Blume, aber jeder +paßt dazu. Vater Schubert liebt besonders den Gumpoldskirchner. Er ist +goldgelb, etwas schwerer wie die anderen, kostet auch etwas mehr, aber +an hohen Fest- und Feiertagen möcht' man halt auch was Besonderes haben. + +Glänzen alsbald die Äuglein, wie der Gottestrank die Zunge hinabläuft, +inwendig ein behagliches wärmendes Feuer anzündet, daß die Begeisterung +wach wird und die Zungen sich lösen. Schwebt schon der heilige Geist +auf sie herab und fängt der eine und andere an, mit Engelszungen zu +reden. Franz, der wortkarge, der verschlossene, wird gesprächig. + +Ist so eine schöne Sache, die Musik, hebt den Menschen ins Himmelreich, +daß er in lichter blauer Seligkeit hinschwebt, als ob er Flügeln hätte +und wirklich schon im Paradies wäre. Fällt alles Schwere ab, alle +Sorge, und selbst was traurig stimmt, wird tröstlich und labesam. +Ist neben der Musik aber auch was Schönes, Backhendeln essen mit +Gurkensalat, und Gumpoldskirchner dazu zu trinken! Gewiß! Essen und +Trinken hält Leib und Seele zusammen. Die Seele schwingt sich auf, +wandert frank und frei im Reich der Töne, aber sie muß wieder zurück, +wenn der Leib schwach und hungrig wird, und muß sich wieder stärken mit +ihm, denn Leib und Seele gehören nun einmal zusammen. Wie könnte sie so +schöne Lieder erfinden und gottselige Gedanken pflegen, wenn sie nicht +hin und wieder durch den Leib mit so herrlichem Essen erquickt würde. + +Gibt es doch kein Land, wo so erlesene Genüsse zu haben sind, solche +Backhendeln, solchen feinen Salat und einen so himmlischen Tropfen wie +diesen Wein! Drum kann auch nirgends die Seele so hoch in Begeisterung +steigen wie hier, wo sie auch auf Erden sich bereits im Himmelreich +wähnt. Womit schmeckt denn der Leib diese wunderbaren Gaben, wenn nicht +mittels der Seele, die es zu schätzen versteht, was ihr hier vorgesetzt +wird, und die dann noch einmal so herrlich zu singen und sagen weiß. +Diese Backhühner, dieser Wein muß nicht allein mit dem Leib genossen +sein, wenn es gut anschlagen soll -- nein, Speis' und Trank ist es für +die liebe Seele! + +Die Mutter lächelt verklärt und schaut gedankenvoll aufs Tischtuch, +die Brüder schauen mit glosenden Augen bald auf den Vater, bald auf +den Franz, der eine so verwunderliche Rede hält; Ignaz, der Älteste, +schaut drein wie ein Gelehrter, mit den dunklen, brennenden Augen +in dem blassen, schmächtigen Gesicht, der gewaltigen Stirn und dem +Grübchen im zwiespältigen Kinn -- das haben alle Brüder vom Vater +her --, ist selbständiger Schullehrer, hätte aber nie gewagt, vor dem +Vater solche freigeistigen Reden zu führen; Bruder Ferdinand, dieweilen +noch Schulgehilfe, musik- und sangesbeflissen, lacht mit gutmütigem, +verschmitztem Bauerngesicht den geliebten Bruder Franz an, und sitzt +ihm die Freude heimlich in den munter blitzenden Äuglein; Karl, der +jüngste Bruder, der noch die Kunstschule besucht und Maler werden +möchte, schaut mit seinem hellen, offenen Künstlerantlitz bewundernd +hin auf Franz und denkt, so muß man's machen, frisch und keck, dann ist +der Herr Vater als Wauwau nicht halb so schreckhaft -- rückt näher an +Franz heran, hängt mit den Augen an seinen Lippen und berauscht sich an +dessen Worten; nun und der Herr Vater, dem die Weinseligkeit aus den +Augen tropft, sitzt lächelnd da wie Vater Noah, nickt gutmütig zu dem, +was der begeisterte Franz faselt, hebt dann selbstvergessen, als ob die +Buben da nicht seine Söhne, sondern seine Kameraden aus der Jugendzeit +wären, das Glas, um mit Franz anzustoßen! + +Man ist baff! Das hat der Vater nie getan! + +Der Herr Vater stoßt mit dem Sohn Franz an, dann stoßt er mit der Frau +Mutter an, die Gläser klingen zusammen, und jetzt fahren auch die +anderen herzu und stoßen alle zusammen an. + +»Prosit, Herr Vater!« der Franz sagt's, dann sagt's der Ignaz, dann der +Ferdinand und dann der Karl. + +Jetzt schreien es alle vier. + +»Prosit, Frau Mutter!« Wieder ist es der Franz, der das sagt. Und jetzt +fahren wieder die Gläser zusammen, daß es klingt wie ein Glockenspiel, +und alle schreien lauter als vorher: »Prosit, Frau Mutter!« + +Karl, der Jüngste, ist so aufgeregt, daß er fast seinen Wein +verschüttet. Da sind die kostbaren Tropfen auf das Tischtuch gefallen, +und schon fliegt sein Blick ängstlich zu dem Vater hinüber, der sich +die Gelegenheit sonst nicht hätte entgehen lassen, dem Karl eine +ordentliche Predigt zu halten, wie man sich zu benehmen habe. Die +schöne Gottesgabe verwüsten -- Bub, wirst noch einmal froh sein, wenn +du so einen Tropfen hast! Aber heute, nein -- der Herr Vater ist +gnädig, er tut so, als ob er nichts bemerkt hätte. + +Der Schreck ist dem Karl doch gelinde in die Glieder gefahren -- wenn +der Herr Vater auch heute nichts sagt, das dicke Ende kommt nach! +Dem Alten ist nicht zu trauen -- er hebt sich's auf morgen auf! Aber +mit einem Schluck hat Karl die Bänglichkeit hinuntergeschwemmt, die +Keckheit gewinnt jetzt Macht über ihn, an Franzens Beispiel gestärkt. + +»Sind wir lustig heut -- Prosit, Herr Vater!« und hebt mit knabenhafter +Dreistigkeit das Glas, um mit dem Vater aufs neue anzustoßen. + +Läßt aber gleich das Glas wieder sinken vor dem strafenden Blick des +Vaters. + +»Benimm dich!« weist ihn der zurecht. Er kann's nicht leiden, wenn +sich Kinder übernehmen. Müssen »Sie« zu den Eltern sagen, damit der +Respekt vor der elterlichen Würde gewahrt bleibt, und möcht' dann so +ein Junge bei der erstbesten Gelegenheit die strenggezogenen Grenzen +mir nichts dir nichts verwischen. Sind doch beide nicht zugleich auf +der Schulbank gesessen -- na also! Spricht's zwar nicht aus, der Herr +Vater, denkt's aber so ungefähr und redet mehr durch die Augen, die mit +langem, einschüchterndem Blick auf Karl ruhen, der schon vergeht wie +ein allzu keckes Flämmchen unter einem großen Löschhut. + +Erhebt sich drauf der Herr Vater und sagt kurz und bestimmt: »So -- und +jetzt schlafen gehen!« + +Also gehen alle schlafen, jedes mit dem seligen Gefühl: war ein schöner +Sonntag heute! + +Aber es kann nicht immer gleich schön bleiben, kommen auf gutes Wetter +immer allemal auch trübe Tage mit Regen und Sturm; und so ist es im +Leben ein ewiges Schwanken, und sind die himmelblauen Tage im Jahr karg +gezählt. + +Nicht alle Sonntag ist Kirchtag, war auch der nächste Sonntag schön, +aber nicht ganz so schön. Gab es keine Backhendeln mehr, sondern kaltes +Schweinernes abends, das von Mittag übriggeblieben war. Schmeckte aber +auch sehr gut. Gumpoldskirchner gab es ebenfalls nicht, dafür billiges +Abzugbier -- Fensterschwitz. Macht nichts, wenn es frisch ist, ist es +recht gut und gesund vor allem, gesund. + +Das Streichquartett bleibt jetzt eine ständige Sonntagseinrichtung, +nimmt auch der Herr Regens chori von der Liechtentaler Kirche teil, +Herr Michael Holzer, bei dem Franz in seiner Knabenzeit Singunterricht +genommen hatte. Ist ganz beteppert, der Herr Regens chori, vor lauter +Hochachtung für das musikalische Genie, kann sich gar nicht genug tun +mit überschwenglichen Worten über Franzens Kompositionen, daß es dem +schon zu dumm wird, weil sein alter Lehrer gar so fein und überhöflich +mit ihm tut, fast genierlich für ihn, den Jungen. + +Meint der Herr Regens chori, daß es ihn halt so viel freuen tät', +wenn der Herr Franz die Erlaubnis geben möcht', etwas aufzuführen +von ihm nächstens beim hundertjährigen Jubiläum der Liechtentaler +Kirche -- hätte er doch eine wunderschöne Messe geschrieben noch als +Konviktsschüler, die an und für sich schon ein Meisterwerk wäre. Da +wollt' er schon lieber was Neues machen, lächelte Franz, die früheren +Arbeiten wären doch zu gering, müßt' schon etwas Besonderes werden -- +zur höheren Ehre Gottes! + +Befriedigt blickt der Vater auf den Sohn, ist stolz auf ihn -- aber zum +Kuckuck auch, ist doch nur brotlose Kunst, was er treibt, und von der +Ehr' kann man allein nicht leben; muß auch tüchtig zugesehen werden, +daß Franz bald seinen eigenen Brotsack umgehängt bekommt. + +War auch nicht viel Zeit vergangen, hat ihn der Vater schon ins +Amt hineinbugsiert. Ein paar Monate Präparandenschule, dann +Lehramtsprüfung, und jetzt ist er Schulgehilfe. Ist es gleich +nebenan in der Säulengasse unter seines Vaters Aufsicht, der sechs +Schulgehilfen beschäftigt. Franz kriegt dieselbe Bestallung: freies +Quartier und einen Gulden Wiener Währung pro Monat und Schülerkopf. +Hat den Vorzug, in Vaters Haus zu wohnen und Kost zu kriegen. Die wird +ihm freilich berechnet. Bleibt immerhin noch ein Taschengeld für das +bißchen Kleider und sonstige kleine Bedürfnisse. + +Das mit der Messe für die Liechtentaler Kirche geht dem Franz nicht +aus dem Sinn, in seinem Herzen stürmt es, ist aber eingesperrt den +lieben langen Tag in den Schulkäfig -- was ist das für ein Leben?! +Bloß weil es das Brot ist?! Anstatt wie die Lerche in blauer Seligkeit +zu schweben und den Schöpfer zu preisen, muß er sich abmühen von früh +bis abends, kleine Rotznasen unterrichten, ABC-Schützen, die auch +alles andere lieber täten, als still zu sitzen mit den Händen auf der +Schulbank und aufzumerken. + +In Franzens Hirn und Herz flutet es, die Gedanken und Gefühle kochen +mit eherner Gewalt, sie wollen sich nicht abweisen lassen und flattern +heran wie Zaubervögel, die Fuß fassen möchten, gehalten sein, um nicht +hilflos ins unendliche Meer des Vergessens zu sinken. Er will sie +halten, muß aber an der Schultafel stehen und mit der Kreide Buchstaben +hinmalen, a, b, c, die von den Buben auf die Schiefertafel nachgekratzt +werden. Und muß ihnen das Einmaleins vorrechnen: einmal eins ist eins, +zweimal zwei und so weiter. Dann läßt er es einen nach dem anderen +auswendig sagen und kritzelt unterdessen hastig die Gedanken hin, die +aus dem Herzen zum Kopf drängen. Der eine Bub sagt zweimal zwei ist +drei, der andere zweimal zwei ist fünf -- alles stimmt. Haben es die +Schüler und der Lehrer gleich gut. Ist ja auch wirklich so: nichts geht +im Leben so glatt aus, daß man sagen könnte, zweimal zwei ist vier. +Immer wird's ein bißchen zu wenig oder ein bißchen zu viel, jedenfalls +ein bißchen anders, so daß zweimal zwei entweder drei oder fünf +ausmacht. + +Oder es guckt der Herr Lehrer selbstvergessen und dem Liederborn +in seiner Brust lauschend zum Fenster hinaus, wo ein blau-goldener +Vormittag leuchtet, indessen man in dem kalkweißen Zimmer bei +langweiligem Tun hocken muß. Gucken auch die Buben zum Fenster hinaus +und empfinden ungefähr dasselbe. Ertappen sich gegenseitig Lehrer und +Schüler bei diesen abschweifenden Gedanken, gucken sich gegenseitig an +und lachen. + +Ein Dichterwort flattert unversehens aus Franzens heimlich klingender +Seele auf: »In Grün will ich mich kleiden.« Unwillkürlich entschlüpft +es seinen Lippen, sitzen die Buben versteinert da, als ob ein +Märchenvogel bei dem offenen Fenster hereingeflogen wäre. Fängt einer +von den ältesten Rangen in der letzten Reihe tölpisch zu lachen an, +wohl aus Verlegenheit, ducken ihn aber die anderen schon nieder mit +heimlichen Knüffen und zugerauntem »Kusch!« Wird aber sofort wieder +das Maul gehalten, und sitzen alle atemlos da, wundersam berührt. Geht +ein Engel durchs Zimmer, sagen die Leute, wenn plötzlich gespanntes +Schweigen eintritt. Jetzt war's so. Ein Engel ist durchs Zimmer +gegangen, der Genius, hat sie alle mit dem Finger ans Herz getupft. + +Und Franz, der Schulgehilfe, reißt die Violine aus dem Kasten und +spielt ihnen sein neuestes Lied vor: »In Grün will ich mich kleiden.« + +Nach Hunderten zählen die Schöpfungen, die ihm in diesen Monaten durch +das graumaschige Netz der eintönigen Tagespflichten als Geschenke des +Himmels durch die Finger gleiten. Einer ist, der hat in der Tiefe des +deutschen Herzens das unsterbliche Lied erklingen verspürt -- der +deutsche Genius hat durch seinen Mund gesprochen: Goethe. Über diesen +Dichterquell gebeugt, hat Franz das melodische Rauschen vernommen, +darin der Wald raunt, der Bergstrom braust, das Herz aufschreit in +Lust und Leid, die Wanderfröhlichkeit jubelt, und die Sehnsucht mit +blauem Bande lockt; in sein Inneres hineinhorchend wie in einen +tiefen Märchenbrunnen, hat er das Lied singen gehört. Das deutsche +Lied. Draußen am Himmelpfortgrund ist es entstanden. Und hat anders +geklungen als alles, was man je früher gesungen hat. Tiefer, feuriger, +ergreifender. + +Die kleinen Schulbuben verstehen nichts von Musik, aber das Lied, +dieses und noch manches andere, das ihnen Franz vorspielt und mit +halblauter Stimme vorsingt, haben sie gleich begriffen. + +Franz legt die Geige sachte wieder hin, da bricht der starre Respekt, +der eine künstliche Spannweite zwischen Lehrer und Schüler herstellt, +wie eine Eisrinde vor der schmelzenden Glut der Herzen zusammen, die +Rotzbuben sind aus den Bänken gestürmt und haben ihn jubelnd umdrängt, +die Hand wollen sie ihm küssen, hinaufgeklettert sind sie an ihm, +einer über dem anderen. In der Maske des Schulgehilfen haben sie den +älteren Mitbruder und Kameraden entdeckt, die Kindheit hat ihn gleich +begriffen, wie alles, was menschlich rein und echt ist. Es bedarf +keines Nürnberger Trichters, keines Systems, keiner Schulzwangsjacken, +keines Ochsens und Büffelns, sie haben es von sich aus verstanden. +Somit wäre das richtige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, +gewissermaßen auf du und du, hergestellt. + +»Putz' dir die Nasen!« geht die lachende Ermahnung an einen Knirps, +der sich just vor inniger Freude an Franzens Handrücken abwischt. Hat +aber kein Bub ein Schneuztuch, macht's ein jeder wie der Bauer mit zwei +Fingern und dann auf die Erde damit, was im Schulzimmer nicht angeht. +Fährt man also, wie im Notfall immer, einmal mit dem linken Rockärmel +um die Nase, dann mit dem rechten, daß die Ärmelenden hart und speckig +glänzen, wie glasierte Schweinsschwarteln. + +Ist ein neuerliches Hallo über den Rotzbuben, daß es laut in den +Schulgang hinausschallt, worauf der Herr Vater beim Türspalt +hereinguckt, mißtrauisch über die Ungebundenheit, die gerade nur +in Franzens Klasse herrscht. Ein Glück, daß im selben Augenblick +die Glocke schallt und der Vormittagsunterricht zu Ende ist. Vater +Schulmeister schüttelt den Kopf; er ist gar nicht recht zufrieden mit +seinem neuen Gehilfen. Daß ein Lehrer die Anhänglichkeit und Liebe +seiner Knaben zu gewinnen weiß, wäre schon recht; aber wo bleibt der +schuldige Respekt?! Wo bleiben die Schulreglements?! Der Lehrplan?! + +»Lehrplan, Schulordnung, Respekt sind die Hauptsachen, verstanden?!« + +In Grün will ich mich kleiden ...! Allein oder mit Bruder Karl, der +den rechten Landschaftersinn dafür besitzt, spaziert Franz häufig an +Sommerabenden zwischen den Feldern und Weingärten der benachbarten +Ortschaften umher! Eine versunkene Welt! Heute ragen nichtssagende +Zinskasernen in staubigen, lärmenden Straßen in diesen Gegenden, die +einst ländliche Idyllen waren. + +In Grün gebettet zwischen schwellenden Hügeln mit Wein und Wald, liegen +Währing, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Döbling, ein lieber Kranz +von Landschaften rund um die alte Wiener Stadt. + +Begeisterte Naturgedichte entstanden in der damaligen Zeit, die frohen +Müllerlieder waren hier für Franz Erlebnis geworden, der sie zum +erstenmal sang. Er hat sich seine Dichter gefunden, nach Goethe die +besten, und hat ihren Worten einen klingenden Mund verliehen, denn +alles, was er hier ansah, war schon heimliche Musik. Er spürte sie +zutiefst inwendig, und wenn die Dichterworte durch seinen Genius ihr +klingendes Gefieder erhalten hatten, dann blieben sie auch nicht lange +daheim in der Schublade, sondern flatterten aus, zu den Freunden in +die Stadt, zu Spaun, der regelmäßig neue Noten von Franz bekam und sie +wieder bewundernden Freunden weitergab. + +Ein Legendenkranz hatte sich drinnen in der Stadt um den einen +gebildet, »dessen Ruhm alle anderen überstrahlen sollte«. Er war schon +berühmt und hatte zahlreiche Anhänger und wußte es nicht, indessen er +abends als armer und sehnsüchtiger Schulgehilfe zwischen den Feldern +ging. Und war dennoch auf eine heimliche und sehnsüchtige Weise +glücklich, wie man es als naturfreudiger Mensch im Schoß solcher +entzückender Landschaften nur sein konnte. Lieder, wie sie damals aus +dem Herzen der Menschheit sproßten, blühen dem heutigen Geschlecht +nicht mehr, die Menschenseele ist unfruchtbar geworden; sie hat den +blühenden Garten ringsum in eine Wüste verwandelt und fristet in den +Steinhaufen ein innerlich verarmtes Dasein. Das hätte man damals nicht +für möglich gehalten. + +Eines Spätnachmittags betraten Franz und Karl den Döblinger Friedhof, +wo die selige Mutter begraben liegt. Steinerne Engel knien zwischen +dunkelgrünen Zypressen in dem Alt-Wiener Friedhof, Urnen und gestürzte +Säulen leuchten weiß in ernstem Grün, rote Blumen bluten da und +dort auf den Gräbern. Der Vater hat einen einfachen Stein über den +Grabhügel setzen lassen, ein frischer Wiesenstrauß liegt dort zu oben +auf. Den hat die Stiefmutter niedergelegt, die Jugendfreundin von der +Verblichenen. Gute Seele! Die Vögel schmettern in den Gebüschen wie in +einem Lustgarten, die Einsamkeit verbirgt ihr Haupt in dem Schoß der +Ruhe und des Friedens! Die Trauer war aus dem Herzen geschwunden, die +Selige stand im Verklärungslicht. + +Franz war ernst und hoch gestimmt. »Wir gehen alle in Gott!« sagt er +plötzlich zu Karl, der zustimmend nickte, den Bruder aber nicht ganz +begreift. In tiefem Gespräch gehen sie dann in der Dämmerung hin. + +Der gläubige Franz! Er ist kein Grübler, kein Eiferer, kein +Kirchenfanatiker, aber er besitzt ein frommes Gemüt wie jedes echte +Naturkind. Die Seele weiß sich eins mit dem Geist der Dinge, der +Natur, der fernen und nahen Lieben. Sie findet ihren inneren Ausgleich +in dieser Allgegenwart alles Gutem, geheimnisvoll Wirkendem, geistig +Lebendem und am Weltbau Schaffendem. Für ihn gibt es kein anderes +hehres Wort dafür als: Gott! Darum gibt es für ihn auch in der Trübnis +kein Sinken, kein Sich-verloren-wähnen, immer und überall geht er in +Gott. Seine Seele ist wach und hat alle Fenster auf für die magischen +Kräfte des Unendlichen, die auf ihn einströmen und das Band waren, das +ihn mit allem lebendig verknüpfte, was er liebte und ehrte. Hier ist +der Keimpunkt seines Dichtens und Werdens. + +Als sie bei sinkender Nacht heimkehren, ist der Plan seiner Messe, +die ihm im Kopf herumgeht, fertig. Seine kindliche Dankbarkeit, die +Anbetung des Unendlichen, das Gedenken an die Verblichenen, das +göttliche Allgefühl, alles will ausströmen als Gesang, als Jubel +der Seele. Das hat ihn der liebe Gott gelehrt, dem will er's wieder +zuwenden. Dem großen, geheimnisvollen, schöpferischen Etwas, das in und +um ihn ist. Ein ganz Großer hat es ihm zuvorgetan, dem er in Ehrfurcht +nachblickt; der herrliche, unsterbliche Mozart, dem der kleine, +ränkesüchtige Salieri so bitter zugesetzt hatte. + +Mozart, das war ein Wegweiser zu dem ganz Großen in ihm, auf das er +horchen mußte. Mozart und dann ein anderer ganz Großer: Herr Ludwig +van Beethoven, dessen ehrwürdig finsterer Erscheinung er zuweilen auf +einsamen Wegen ansichtig wird. Alles weicht dem scheu aus -- so gehört +es sich, wenn ein Gewaltiger kommt. + +Trotz aller Schulnöten ist die Messe in zwei Monaten fertig -- gleich +in Partitur geschrieben mit sämtlichen Chor- und Orchesterstimmen, +die Prim- und Sekundviolinen je dreifach, die Baßstimmen doppelt in +F-Dur komponiert -- so schön wie es nur einer kann, dem's der liebe +Gott eingibt. Gar herrlich soll das Werk am hundertsten Jahrestag der +Liechtentaler Kirche vom Chor herab erklingen. + +Franz leitet die Aufführung, Herr Michael Holzer, der Regens chori, +sitzt an der Orgel, den Sopransolo singt eine Schöne vom Grund -- +Therese Grob. In der Kirche unter der Menge, die Kopf an Kopf steht, +lauschen die Freunde Schuberts, die eine große Zahl Sinnesgenossen +mitgebracht haben. Spaun ist mit einigen Leuten erschienen, die vor +Begierde auf den jungen Meister brennen, den sie schon aus seinen +Liederkompositionen schätzen und lieben gelernt haben. Sie lieben +alle die Musik, der junge Maler Schwind, der Maler Kupelwieser, der +weltmännische Herr von Schober, der dem Priesterrock entsprungene, +verschlossene, von innerer Leidenschaft glühende Zensurbeamte und +Dichter Mayrhofer, von den Konviktsfreunden gar nicht zu reden. + +Nun stehen sie in der Kirche und lauschen auf das Trommeln, Pauken und +Schmettern, das oben angeht, als ob sich der Himmel geöffnet hätte und +die Heerscharen zu musizieren anfingen. + +Zuerst ein stammelndes Geplauder in Tönen, wie wenn ein Kind zum Vater +redet, zaghaft, dann unbekümmert, vertrauensselig, voll unschuldiger +Hingabe. Jetzt erhebt sich ein Sopransolo mit klangvoller Macht; +herrlich steigt die Stimme der Therese Grob aus wirbelnden Tonfluten +hervor, schlägt schmerzliche Laute, ein demütiges Bitten, die Geigen +flehen mit, der Chor tritt dazu, die Gefühlswoge steigt höher und +höher, immer wilder entfaltet sich die blühende Stimme, ringt sich über +alle Wirren himmelwärts, eine leidenschaftlich Liebende, die zum Herzen +schreit, zum unendlichen Gnadenherzen, um Erhörung zu erzwingen. + +Niemand weiß, daß sie längst Erhörung gefunden hat bei dem +Meisterlein oben, der das Weltherz in sich fühlt und ganz gerührt +und hingerissen ist, nicht so sehr von dem eigenen Werk, als von der +einschmeichelnden Stimme der Therese Grob. Jetzt weiß er selbst zu +seinem seligen Schmerz, was eine menschliche Stimme bedeuten kann. Er +hat wahrscheinlich nicht geahnt, was das einfache braune Greislerkind +in der Stadt, die Fanny, um ihn heimlich gelitten hat; nun leidet er um +Therese, und ist glücklich, weil er so leidet. Er hat es nicht wissen +wollen während der Proben, daß es sein Inneres so mächtig ergreift, +aber schließlich gab es kein Vorbeidenken mehr, er ertappte seine +Gedanken und Gefühle immer wieder dabei, wie sie mitten im Arbeiten, +im Schulhalten, im Träumen, im Wachen und Schlafen auskniffen, und +erwischte sie immer wieder bei dem Bild seines Herzens, der Therese +Grob und ihrer schönen Stimme. + +Nichts nützte es, daß er zählte von eins bis hundert, bis zweihundert, +bis fünfhundert, abends im Bett, um ohne müßige Träumerei +einschlafen zu können, half eben alles nichts gegen die beschämende +Selbsterkenntnis: er war verliebt. Kerl, dummer, närrischer, blöder, +verliebter! Möchte sich ohrfeigen, vor sich selber verkriechen, +beschimpft sich, verachtet sich, alles umsonst -- die eigenen +Koboldgedanken lachen ihn aus. Er kann dem Mädel gar nicht mehr ins +Gesicht sehen, ist unhöflich mit ihr, verschlossen, fast grob -- und +möchte zugleich in hilfloser Zärtlichkeit vor ihr vergehen. + +Jetzt, wo er als Dirigent oben steht und die Stimme wieder niedersinkt, +demütig um Erbarmen bettelnd, fühlt er ganz klar, wie es um ihn steht; +er zittert, daß ihm beinahe der Taktstock entfällt. Die Geigen klagen +und irren ängstlich umher, ein Fortissimo setzt ein, der Chor tritt mit +verstärkter Macht auf, und die Stimme wirft sich verzweifelt empor -- +und jetzt ist es, als ob sich der Gnadenschoß auftun würde, Engelschöre +schmettern aus allen Himmelstiefen die Verkündigung herab, die Stimme +der Seligen ertönt süß und heilig, die unendlich erlösende Liebe nimmt +die Flehende in ihr unendliches Reich auf. + +Die Freunde drängen nach Schluß dem Choraufgang zu, aber Franz ist +bereits entschlüpft, einer, der aus dem Gnadenhimmel gestürzt ist und +keine Erhörung suchen und finden kann. Heimgerannt ist er, um sich +zu verstecken, in sein Zimmer hinauf, heiß und schmerzvoll, da fährt +er zurück, ein ungeschlachtes Ding steht da, bleckt ihn mit weißen +Zähnen an, ein ausgewachsenes, fünfoktaviges Klavier, ein Geschenk +des Herrn Vater zu dem Tag, wo der begnadete Sohn eine Berühmtheit +vom Himmelpfortgrund geworden ist. Ja, das ist er imstande, der +knickerische, tyrannische, rechnerische Hausvater, der jedem den Bissen +vorrechnet und dann wieder das Herz hat, im rechten Augenblick groß zu +sein. + +Franz steht da wie ein armer Sünder. Ein fürstliches Geschenk! Daß der +Vater die Spendierhosen angehabt hat, schier wie ein Verschwender, +das rührt ihn fast zu Tränen. Er dankt mit ein paar trockenen Worten, +die widerwillig genug klingen. Ja, kann man denn alles sagen, was +man inwendig hat?! Lieber soll's einem zersprengen, als so kindische +Gerührtheiten! Er muß sich gleich wegwenden, damit man's nicht merkt, +was eigentlich in ihm vorgeht. + +Aber da kommen schon die anderen angestiefelt, der Herr Regens chori, +der Herr Fabrikant Grob, mit ihm die Tochter Therese -- o Gott, da +verschlägt's ihm völlig die Red'. + +Sie kommen alle gratulieren, der Herr Regens chori ist gar stolz, +weil er Schubert seinen einstigen Schüler nennen darf und ein Abglanz +des Ruhmes auf ihn, den alten Lehrer, fällt; der Herr Fabrikant Grob +aus der Liechtensteinstraße bittet den Herrn Vater Schulmeister und +namentlich den berühmten Sohn Franz um die Ehr' ihres Besuches, sie +hätten selber ein kleines Hausquartett -- es könnte sich natürlich +nicht messen mit einem solchen vollendeten Meister der Tonkunst, +wie der Herr Franz -- er möge halt gnädig ein Auge oder alle zwei +zudrücken, aber die Freude soll er ihnen nicht versagen, zu kommen, +und wenn die Bitte nicht gar zu verwegen ist, sie durch das Vorspielen +einiger Sachen zu erfreuen. In der Kirche sei alles hingerissen +gewesen, die Leute hätten geweint, und er selber ist dagesessen +wie mitten drin in der Seligkeit. So, und jetzt muß er ein wenig +verschnaufen. + +Therese, schon ein wenig ungeduldig über des Vaters lange Rederei, sie +hat selber so viel zu sagen, verpaßt natürlich nicht den Einsatz und +legt nun los wie ein Sturzbach, daß dem armen Schubert gar wirr zu Kopf +wird. Von ihrem schrecklichen Lampenfieber erzählt sie, daß es ihr +die Kehle zugeschnürt hat und wie sie mehrmals auf ein Haar daneben +gesungen hätt' -- ob er denn gar nichts bemerkt hätt', der Herr von +Schubert? + +»Hab' nichts bemerkt,« versetzte er hölzern, »ist ohnehin gegangen wie +aus einem Wasserröhrl!« + +Wasserröhrl?! -- das kühlt auf einen Moment ab wie eine kalte Dusche. +Therese wird einen Augenblick blaß, Franz wird über und über rot, weil +er denkt, jetzt hat er was Dummes gesagt. Ja mein, Süßholzraspeln ist +halt nicht seine Sache. Das muß sie schon verstehen, daß er's gut +meint. »Ist ohnehin ganz gut gegangen,« fügt er hinzu und glaubt schon, +weiß Gott was für eine Riesenschmeichelei das jetzt wär'. Ist sehr +unsicher und beschließt insgeheim, lieber wenig oder gar nichts zu +sagen, bevor er wieder einen Schnitzer macht. + +Das Mädel ist erpicht auf Komplimente, ein Bonbon, eine Schmeichelei, +sind ja so verwöhnt, die jungen Dinger, schaut ihn fast rührend und +bittend an, tut gar so schön zu ihm und laßt ihn nimmer aus, damit +nicht Vater Grob den Herrn Franz in Beschlag legt. Süß kann sie es wie +eine Turteltaube, redet mit holder Schwatzhaftigkeit vom Hundertsten +ins Tausendste, redet nicht nur mit dem Plappermäulchen, redet auch mit +den hurtig herumspringenden Äuglein, redet vor allem mit den Händen, +die jedes Wort ausführlich begleiten, weiß sich gar nicht zu halten vor +lauter Temperament -- Wiener Mädel vom Grund! + +Er steht da, steif und unbeweglich wie ein Sack, strengt sich an, +möcht' was Gescheites sagen, fühlt sich ganz blöd, fällt ihm absolut +nichts ein. Ganz tramhapert ist ihm zumut, und zugleich ist er ganz +seltsam bewegt von dem lebhaften Mädchen, die aufgeschossen und schlank +vor ihm steht und sich wiegt wie eine blühende, weißgrüne Staude, +duftig und schneeweiß gekleidet mit vielen bauschigen Falben, hellgrün +besetzt, weißen Strümpfen und weit ausgeschnittenen Halbschuhen, die +mit kreuzweise um das Bein geflochtenen Bändern festgehalten sind. Die +Ärmeln sind weit und hoch geschoppt, das gibt ihr etwas Rundung, was +sie nötig hat, der Hals trägt im tiefen Brustausschnitt ein farbiges +Medaillon an einem schwarzen Samtband, sie scheint um einen Kopf +größer, vielleicht wegen der hoch aufgetürmten Frisur, die den Scheitel +mit einem Lockenbau krönt. Das Gesicht wäre hübsch zu nennen, wenn die +Nase nicht ein wenig zu lang geraten wäre. + +Aber ihre Lebhaftigkeit verschönert sie, sie ist immer in Bewegung, das +verschleiert die Fehler. Er könnte sie nicht beschreiben, die zum Teil +recht unproportionierten Einzelheiten fallen ihm gar nicht auf, er hat +nur den Eindruck von etwas sehr Lieblichem als Gesamterscheinung, und +die Erinnerung ihrer Stimme im Ohr -- so erscheint sie ihm zauberschön. +Mit einem Wort: er ist weg, ganz weg! Während ihr das Mundwerk geht wie +ein Mühlenrad, denkt sie beiseite: daß er gar so ein Stockfisch ist und +nichts sagt als bloß Hm! Ja freilich! Natürlich! So so -- ja ja! + +»Also Herr von Schubert,« versichert der Schäker beim Abschied, »eine +ganze Stunde haben wir verplaudert und lustig war's! Also nicht wahr, +Sie kommen ganz bestimmt zu uns -- es tät' den Vater halt soviel +freuen!« + +Franz besann sich. + +»Das muß ich mir erst überlegen -- wir werden schon sehen .... wissen +Sie, ich hab' halt so wenig Zeit!« + +Das Herz schrie zwar: ja, ja, ich komme gleich, lieber heute als +morgen, aber die Angst, zudringlich zu erscheinen, legte ihm Worte in +den Mund, daß es fast wie eine Absage klang. Der Vater Schulmeister +mußte sich ins Mittel legen und an seiner Statt die Zusage geben. + +Hinterher stieg's dem guten Franz zu Kopf, daß er sich so geziert +hatte. Sie wird doch wohl nicht gekränkt sein? Der Gedanke brachte ihn +beinahe zur Verzweiflung. Rannte hinaus in die Einsamkeit, zwischen +den Feldern die halbe Nacht umher. »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, +was ich leide ....« Lust und Schmerz wird Gesang. Ein Glück, daß er +schreiben kann. Musik, o Musik! Sprache der Seele, Sprache der Götter! +Sprache der Liebe! + +Aber Worte müssen dabei sein, Worte! Ein Wort wenigstens. Ein süßes, +inniges. Lautet: Therese! Muß es wenigstens vor sich hinsagen können, +muß es hören. O Gott und die Qual, mit niemanden darüber reden zu +können. Mit den Rötzlingen in der Klasse? Ausgeschlossen! Mit den +Brüdern? Das ginge schon gar nicht! Man hat sich ja recht gern, aber +man schämt sich seiner Gefühle voreinander, unter Verwandten ist das +einmal so. Man läßt nicht gern in sein Inneres hineinschauen. + +Bei dem Freund ist das was anderes, den hat man nötig -- als +Seelengefährten. Ein Glück, daß jetzt einer daherkommt, der +Erlösung bringt, sonst müßte man sein Geheimnis ja in ein Erdloch +hineinschreien, damit es nicht die Brust zersprenge. Holzapfl ist es, +der liebe Kamerad von der Schulbank her. Ein nettes Bürschlein, das +Gesicht kugelrund, etwas gschaftelhuberisch von Gebaren, wichtig und +eilig. + +Schwärmt natürlich gleich von der Messe, haben alle so ungemein +bedauert, daß sie den Franz nicht haben sehen können. Hätten gern +eine kleine Nachfeier veranstaltet, scheint aber schon ordentlich +stolz geworden zu sein, der Franz, jetzt, wo ihn die Sonne des Ruhmes +bescheint ..... die Freunde lassen ihn natürlich alle schön grüßen, +schöne Grüße unbekannterweise auch von Schwind, von Herrn von Schober, +von Mayrhofer, von dem er übrigens ein Gedicht bringt. Der Spaun +hat's ihm gegeben, Franz möcht's durchsehen, ob's ihm gefällt, Herrn +Mayrhofer tät's riesig freuen, wenn es von einem solchen Künstler +vertont würde. »Am Erlafsee« heißt es .... + +Franz nimmt das Gedicht, legt es wortlos hin, packt Holzapfl unterm +Arm: »Komm, ich muß hinaus an die Luft!« und draußen sind sie alle +zwei, in irgendeiner Erdfurche zwischen den Feldern und Hügeln, in +einem Weinbergshohlweg verschwunden. + +Wovon reden sie? Von dem großen Ereignis natürlich, von der Messe. +Franz erklärt und erklärt und beweist ihm haarscharf, daß das Beste des +Gelingens ihr zu verdanken sei, ihr allein! + +»Wem, ihr?« + +»Nun ihr -- der Therese. Die Stimm', Freund, daß einem 's Herz in +der Brust zergeht! Wie soll ich dir's denn sagen .... mein, ich kann +dir's ja nicht sagen! Ich schäm' mich ja -- aber es muß doch 'raus! Du +-- lach' mich aber nicht aus! -- Du -- hörst mich?!« Er rüttelt den +Holzapfl bei den Schultern. + +»Ich lach' dich bestimmt nicht aus!« schaut ihm der Holzapfl gerade ins +Gesicht und tut sehr ernsthaft. + +Drückt ihn der Franz auf eine Grasböschung nieder. + +»Setz' dich nieder, daß du nicht umfallst. Aber du, wenn'st mich +auslachst, dann, dann ...« + +Der Holzapfl ist platzgespannt im Gesicht vor Erwartung und Neugier. +Die klugen Äuglein bohren sich fest und fragend in Franz, als wollten +sie bis auf den Grund des Herzens sehen; aufpassen tut er wie ein +Haftelmacher, daß ihm kein Wort entginge. + +Franz packt ihn jetzt und hält ihn fest. »Du -- dir sag' ich's jetzt +und niemand auf der Welt! Schwör', daß es unter uns bleibt, schwör'! +Also -- verschwiegen wie das Grab! So, jetzt will ich dir's sagen -- +weißt du, wenn ich jetzt könnt' -- sie und kein andere!« + +Holzapfl springt auf, reißt sich los, schamrot im Gesicht, dem Weinen +nahe. + +»Franz, du -- abtrünnig! Ein Frauenzimmer -- das hätt' ich nie geglaubt +von dir!« + +Sie gehen eine Weile stumm und erregt nebeneinander, Franz begossen wie +ein Pudel. Geschieht mir schon recht, denkt er, wozu hab' ich's nötig +gehabt ..... + +»Ein Frauenzimmer -- zehn Schritte vom Leib!« beginnt Holzapfl zu +fiebern. »Da bist du schon verloren -- hat Samtpfoten, stecken aber +Teufelskrallen drin, lassen dich nimmer aus -- bist ihnen verfallen mit +Leib und Seele. Kommt mir keine an den Leib, eher -- ich weiß nicht, +was ich eher tät'! Fürchtest du dich denn gar nicht, Franz? Tu's nicht, +ich bitte dich, tu's nicht! Wir sind deine Freunderln -- sind wir nicht +genug?! Du uns im Stich lassen, hast nicht genug an uns?! Ich wär' zu +stolz an deiner Stell'. Was ein rechter Kerl ist wie du, der soll nicht +einmal hinschauen auf sie. Verachten tu' ich's, das ganze Weibergelump!« + +So redet der mannesstolze Jüngling in seiner Ekstase der Keuschheit. +Franz ist jetzt wirklich beschämt, er empfindet ähnlich, er hat auch +seinen herben Jünglingsstolz, aber verachten, verachten kann er sie +just nicht, die Holdinnen, und nun gar Therese! Er verteidigt sich +und seine Liebe, so gut er kann. Aber es klingt etwas hohl wie eine +geschwollene Phrase. »Glücklich, der einen wahren Freund findet!« sagt +er. »Glücklicher, der in seinem Weib eine wahre Freundin findet!« + +Der andere ist immer mehr aufgebracht. + +»Freundin, sagst du? Gibt es nicht! Puppenköpfe! Steht ihnen nur der +Sinn nach Bändern und Kram. Tändeln, spielen Fangball mit dir. Ist mit +ihnen das Unglück in die Welt gekommen. Hätte glücklich gelebt, der +Adam im Paradies, wär' nicht die Schlange dagewesen mit dem Apfel. Wer +ist die Schlange? Das Sinnbild des Weibes ist es, ihrer Arglist und +Falschheit. Ich beschwöre dich, Franz, bei unserer Freundschaft, bei +deiner Kunst, bei allem, was dir heilig ist, laß ab, laß ab -- oder du +bist hin!« + +So kämpft der Knabenstolz gegen etwas, das er nicht kennt, das er +fürchtet wie eine dunkle Nacht -- er würde sich nicht so wehren +dagegen, wenn er ihr nicht schon halb und halb verfallen wäre -- im +Unbewußten wenigstens. + +Sie ringen miteinander mit harten Worten. Franz ist erbost. Er will +keine Hofmeisterei, er hat nichts getan, weswegen ihn der andere jetzt +maßregeln dürfte. Die Freiheit muß er haben, er selbst muß er sein +können -- ob so oder so. Nun bäumt er sich zum erstenmal bewußt auf +gegen den Freund. + +»Laß mich in Ruh'!« braust er auf. »Du, geh -- dein Weg ist dort; ich +gehe hier, meinen Weg! Servus!« + +Und läßt den Verdutzten stehen. Jeder wandert allein fort in Dunkelheit. + +Sein Holzpuppengesicht ist knallrot, als er mit den Freunden in der +Stadt zusammentrifft. »Ein Abtrünniger ist er!« schreit Holzapfl +den Genossen entgegen. »Seine Freunde hat er vergessen, verraten +hat er sie, verlassen -- einer Circe ist er ins Netz gegangen, der +Ehrvergessene!« und erzählt mit fliegendem Atem alles, was er von +Franz gehört, und noch viel mehr dazu, was ihm die erhitzte Phantasie +eingibt, die in der Ausmalung verbotener Genüsse schwelgt. + +Der romantisch angehauchte Schwind ist dabei, der trägt selbst an +heimlichem Liebesleid und träumt von einem adligen Fräulein, dem er +in stummer, ritterlicher Minne huldigt. Der kann bös und gefährlich +werden, wenn ihm einer an dem Idealen rührt. Fährt auch sofort dem +sauertöpfigen Holzapfl übers Maul und hält eine Verteidigungsrede auf +Franz, obschon er ihn noch nicht kennt. + +»Jetzt gefällt er mir erst recht, weil ich weiß, daß er die Frauen +ehrt! Grüßt ihn von mir und sagt ihm, daß ich ihn im Geiste schon heute +Bruder nenne! Geh', saures Holzapflgesicht!« + +»Wie schaut sie denn aus, die Erkorene?« will der stutzerhafte Herr +von Schober wissen, der im Gegensatz zu Schwind eine etwas lockere +Weltansicht über die Amourschaften hat. + +Holzapfl ist gereizt wegen Schwind und tut auf eigene Faust wissend. +»Eine Vogelscheuchen ist sie, schielt, hat zwei linke Füß', stoßt +mit der Zunge an, und ist dumm wie ein Stock -- aber sonst fehlt ihr +nichts!« + +»Hast du sie gesehen?« + +»Nein -- gesehen nicht -- aber gehört! War doch die, die am Chor +gesungen hat!« + +Jetzt aber hat der essigsaure Holzapfl auch bei den anderen ausgespielt. + +»Der Stimme nach muß sie schön sein wie eine Helena!« versicherte der +kennerhafte Herr von Schober, der sich in Schönheitsurteilen auf den +jungen Paris hinausspielt. + +Ganz zuletzt läßt sich der ernsthafte Spaun vernehmen: wie dem auch +sei, es scheint doch etwas Bedenkliches daran zu sein, man müsse sich +doch umsehen, um den lieben Franz aus einer womöglich gefährlichen +Umschlingung zu befreien; es sei nicht gut für ihn, draußen in der +Vorstadt unter kleinen Leuten zu hausen, der Künstler müsse seine +innere Freiheit bewahren, man sollte ihm häufiger bei einem Glas Punsch +im engen Freundeskreis das Gemüt erheitern. Es wird beschlossen, daß +Spaun den Wildling aufsuchen und bewegen soll, öfters in der heiteren +Tafelrunde zu erscheinen. + +Im flaschengrünen Schulmeisterfrack mit großen Knöpfen, hoher +Halsbinde, daß kaum das Kinn herausguckt, frisch gebügelter +Nankinghose, derben Halbschuhen mit Schnallen, Notenrollen unterm Arm, +so betritt der Schulgehilfe und Meisterkompositeur Franz Schubert den +Salon im Hause Grob. Eine Menge Leute sind da, junges Gfliederwerk +mit Kichern und Lachen, junge, geckige Herren, Fabrikantenssöhnerln, +Therese mitten unter ihnen, dann auch behäbige, gesetzte Leute vom +Schlag des Ehepaares Grob -- musikalischer Abend. + +Des Vater Schulmeisters Hausquartett hat ebenfalls allmählich einen +größeren Kreis angezogen, es mußte außer Haus verlegt werden und +fand bald bei dem einen oder anderen Musikfreund oder Gönner des +jungen Schubert statt, eine Zeitlang in der Dorotheergasse, dann im +Gundlhof, zuletzt am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofen, dem Vater des +berühmten Malers. Es waren schon förmliche Konzerte, die immer mehr +Zuhörer anzogen, besonders solche, die Schuberts eigene Kompositionen +hören wollten -- sie hätten sich, wenn es damals üblich gewesen wäre, +Schubertverein nennen können. + +Der Abend bei Grob war eine neue Sache, der Anfang jener ungezählten +Schubertiaden in Wiener Bürgerhäusern, die so viel von sich reden +machten. + +Franz, in dem neuen Kreis Menschen ziemlich befangen, machte linkische +Verbeugungen nach allen Seiten -- elegant sah er ja nicht aus, das +war nicht seine Sache -- aber die Herzen wendeten sich ihm sofort zu, +besonders die weiblichen; von der ersten Minute an war er Hahn im +Korb. Therese tat gar liebreich mit ihm, die Noten hatte er für sie +gebracht, Neuschöpfungen für ihre Stimme geschrieben, eine Huldigung +seitens des Genius, die mehr sagte als alle Worte, aber kaum, daß er +das musikalische Angebinde darzubieten sich getraute. + +Er drückte ihr die Notenrollen in die Hand und bat, sie soll's +einstweilen beiseite legen, und später einmal vielleicht einen Blick +hineinwerfen, es ist keine so eilige Sache. Sie legte denn auch das +Geschriebene in unbegreiflicher Achtlosigkeit beiseite, wie er es +gewünscht, was ihm jetzt aber auch wieder nicht recht war. + +Er machte sich gleich am Klavier zu schaffen, und es dauerte nicht +lange, so hatten sich die Musikfreunde herum gruppiert; das Brodeln und +Fiedeln konnte angehen. + +Therese saß im Halbkreis gegen den dunklen Hintergrund des Zimmers +inmitten von jungen Männern, wohlig zurückgelehnt, träumerisch, daß es +scheinen mochte, als wäre sie von der Musik ganz berauscht. Franz, der +das Klavier bearbeitete, sah durch seine Brille ab und zu einmal hin, +wenn eine kleine Pause für ihn kam. Aber was war das! Täuschten seine +Gläser ein Trugbild vor? Sah er Phantome? + +Er mußte noch einmal schärfer hinsehen. Beinahe hätte er den Einsatz +verpaßt und das ganze Orchester umgeschmissen. Richtig, das war kein +Blendwerk! Sie saß dort im Kreise der jungen Männer und einer dieser +Pomadenhengste hatte verstohlen den Arm um ihre Mitte geschlungen, und +sie, sie ließ es ruhig geschehen .... ja noch mehr, sie lehnte sich an +seine Schulter, während sie sich unbeobachtet wähnte, und verdrehte +wollüstig die Augen, daß er selbst beschämt und betroffen seinen Blick +senken mußte. + +Das war also keine Täuschung; eine heimliche Liebesszene spielte sich +dort im Halbdämmer des Zimmers ab. Sie, die Heilige seines Herzens, in +den Armen eines anderen! Er schlug sein Fortissimo ins Klavier hinein, +daß die Saiten hätten springen mögen, stärker schrien sie nicht auf als +die zersprungenen Saiten seines Herzens. Ja -- was war er denn jetzt +noch, den die Weibsleute liebten und hätschelten?! Ein bloßer Wurstel +-- es war zum Weinen -- Holzapfl, du hast recht gehabt! + +Es war ihm wohl dabei wie einem, der Zahnweh hat und schmerzstillende +Mittel versucht. Augenblicklich wirkte es ja als angenehme Betäubung, +er fühlte zwar das Toben inwendig, freute sich aber seiner +augenblicklichen Empfindungslosigkeit, war sogar guter Dinge den ganzen +Abend lang -- aber nachher, nachher kam's um so schlimmer. + +»Die Liebe hat gelogen --« Er wühlt sein eigenes Wehgefühl in Platens +Gedicht und spinnt die Melodie heraus, die seinem verwundeten Herzen +recht war. Drum ist soviel Leben daran, weil alles, was er schafft, mit +seinem Leben zu tun hat und aus diesen Wurzeln sprießt. + +Mit einem Male war's ihm zu eng daheim. Die Schule, das Vaterhaus, +alles dünkte ihn freudlos und unersprießlich. Seine Sehnsucht irrte +wieder ins Uferlose, er kleidete sie in Lieder und sang wie ein Vogel +in der Gefangenschaft. Das Glück, wo blieb das Glück?! Das lag draußen +irgendwo, fern, im Unbestimmten. Ein Schluck Freiheit, das wäre auch +zugleich ein Schluck Glück! + +In Laibach ist die Stelle eines Musiklehrers in einer öffentlichen +Musikschule zu besetzen; Bewerber werden gesucht, so meldete die +amtliche Wiener Zeitung. Dem guten Franz scheint es wie die Grußhand +der Ferne, die ihm winkt. Ist das die Freiheit? Einerlei, es ist +einmal etwas anderes, eine Abwechslung in dem ertötenden Gleichmaß. +Was ist denn Freiheit? Das Recht, sich von einer Abhängigkeit in die +andere begeben zu dürfen. Gut also, von diesem Recht, das mindeste, was +der gefesselte Mensch hat, will er Gebrauch machen. Er will sein Glück +in der weiten Welt versuchen und bewirbt sich. Braucht der Herr Vater +derweil nicht wissen. + +Der gute Vater Schulmeister hatte aber schon seinen eigenen Plan +gehabt. Der ist klug und vorsorgend und sieht ein, daß der Franz +höher muß. Auf eigene Faust wirbt er für den Sohn um die erledigte +Lehrerstelle an der Schottenschule. Der Schottenprälat ist sein Gönner, +etwas Protektion braucht man immer, und wer es verdient, warum sollte +der nicht Protektion haben? Doch er am meisten! + +Aber so geht's in der Welt, wer's verdient, bekommt's erst recht +nicht, denn gewöhnlich haben die, die's nicht verdienen, die bessere +Protektion, und das entscheidet. Kurz, das Gesuch des Vaters +Schulmeister für seinen Sohn wird abschlägig beschieden. Franzl, du +hast frühes Pech! + +Der Franzl ist fast froh darüber, denn er möchte weit, weit weg. Freut +sich heimlich auf den Weizen, der ihm in Laibach blühen soll. Um den +Schnitt zu machen, bedarf es wohl einer ausgiebigen Empfehlung, und der +Mächtigste, der dort die Entscheidung zu bestimmen vermag, wäre der +Herr Hofkapellmeister Antonio Salieri. + +Die Umstände sind glücklich gefügt; die F-Dur-Messe wird in der +Augustinerkirche wiederholt. Wie früher Herr Michael Holzer, ist jetzt +Antonio Salieri stolz auf diesen Schüler und nimmt den Löwenanteil +seines Erfolges auf sich. Er umarmt Schubert nach der Aufführung: +»Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird!« + +Eine Empfehlung Salieris würde in Laibach die erwünschte Wirkung tun; +jetzt kann er sie verlangen. Gesagt, getan! Salieri schreibt: »+Io +qui Sottoscritto affermo+ ....« Klingt zwar ziemlich kühl, das +Empfehlungsschreiben, aber Salieri braucht nur mit dem kleinen Finger +zu winken, man versteht schon .... genügt also! + +Diesmal nach der Aufführung in der Augustinerkirche ist Franz den +Freunden nicht entschlüpft, es hat ja auch keine Therese am Chor +gesungen. + +Franz hat ein Notenblatt in der Tasche, das ist für Mayrhofer bestimmt, +die musikalische Begleitung für das Gedicht »Am Erlafsee«. Von +Spaun an der Hand geführt, betritt er mit dem Freund ein niedriges, +langgestrecktes Zimmer in der Wipplingerstraße, das sich halbdunkel wie +ein Schlauch hinzieht und in einer kreisrunden Erweiterung endet, die +durch viele Fenster einströmendes Licht empfängt. + +Stimmungsvoll ist es in dem Raum, dessen weiße Decke vom Tabaksqualm +gebräunt ist wie eine gut angerauchte Meerschaumpfeife. Blumen stehen +am Fenster, ein Kanarienvogel singt, Tabakspfeifen stehen am Ständer +in Reih' und Glied, Bücherschränke an den Wänden, in der Mitte des +erweiterten Raumes ein kreisrunder Tisch, gepolsterte Lehnstühle herum, +denen allerdings hie und da die Roßhaarfüllung aus dem abgenützten +Leder hervorguckt, im ganzen aber hat die Behausung den freundlichen +behäbigen Anstrich wie die Wohn- und Studierstube eines alten +Pfarrhauses. + +Mayrhofer, der im Schlafrock, die Pfeife im Mund, bei einem +aufgeschlagenen Buch sitzt, begrüßt die Ankömmlinge in seiner etwas +bäurisch priesterlichen Art, die ihm noch vom geistlichen Stift her +geblieben ist, handfest und herzlich ungeniert, aber mit einem Rest von +überlegener Würde; sieht auch so seelsorgerisch aus, zugeknöpft bis +oben, als ob er im Talar dastände. + +Ein altes Spinett in der Ecke wird aufgeschlagen, die liebliche Musik, +die Franz zu dem Gedicht geschrieben hat, erklingt. Mayrhofer verliert +fast seine sonst zur Schau getragene gemessene Beherrschung, so +entzückt ist er, und macht in gutmütig scheltender Weise dem stillen +Spaun den Vorwurf, daß er ihm Schuberts Schöpfungen nicht hoch genug +gerühmt habe. Franz selber sagt nicht viel, er schaut sich nur den +Mayrhofer an, der wiederum schaut ihn an, und beide sind von diesem +Augenblick an in dicker Freundschaft verbunden gewesen. Hat nicht +vieler Worte bedurft. + +Fast so geht's mit Schwind und mit Schober, als der ganze Kreis abends +mit Schubert beim Wein sitzt. Sie haben ihn alle geliebt, die Freunde, +vom ersten Augenblick an. Das ist ein Trost, der für manches Leid +entschädigt. Ja, das ist mehr, das ist ein Glück, es ist eine Kraft! +Franz hat das beruhigende Gefühl: in diesem Zirkel bist du beschützt, +hier kann dich kein Übel anwehen, die feindliche Macht wird an diesem +Bollwerk zuschanden werden! + +Da war's dem Franz auf einmal hell und weit in der Brust. Und er +erkannte: hier ist deine Heimat, wo deine Getreuen sind. Sie saßen mit +freudigen Gesichtern um ihn herum und feierten seinen jungen Genius. +Durch den goldgelben Wein, mit dem sie ihm zutranken, blickten sie +ihn an; stand keiner so hoch wie er und waren ihm doch alle gleich, +wenigstens durch das Genie der Freundschaft. + +Und wie verstanden sie es, dieses Genie der Freundschaft zu betätigen! +Sammelten sorgfältig alles Geschriebene von ihm, dessen sie habhaft +werden konnten, und trugen die Freude darüber in alle Welt, als +Verkünder des jetzigen Meisterleins. Aber der treueste Johannes war +der sanfte Spaun. Hat einen blühenden Strauß von Melodien, die Franz +um Goethes Lieder gewoben, an Seine Exzellenz nach Weimar geschickt +mit einem längeren, devoten Schreiben dazu. Der Künstler wünsche diese +Sammlung Seiner Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen .... Ich, +einer seiner Freunde, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu +bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe würde gesorgt werden usw. +usw. + +Die Anerkennung Goethes, die Annahme der Widmung soll den +Schöpfungen den Weg in die Öffentlichkeit erleichtern und ihnen den +buchhändlerischen Erfolg sichern -- aber Goethe gibt keine Antwort. So +schwer hat es der werdende Genius bei den Zeitgenossen, den großen und +den kleinen! Zeitgenosse, das Wort wird bald einen bösen Klang haben! + +»Macht nichts,« tröstet Spaun, »muß auch so gehen. Und wenn du sie +eingräbst, deine Werke, so werden sie von selber herauswachsen, so +stark ist die Kraft darin. Lauheit, Teilnahmslosigkeit, ja, selbst +Widersacherei werden am Schluß Spott und Schande haben!« + +»Liegt nichts dran,« nickt Franz, »muß auch so gehen.« + +Hebt Schwind sein Glas, trinkt Franz zu, bedeutsam: »Auf unsere Lieben!« + +Die anderen verstehen gleich, wo er hinaus will. Aha, denkt der +Schober, daher geht der Wind und ist alsbald in seinem Fahrwasser; er +hat ja eine so großartige Suada, daß Franz nur so aufhorcht. Und so +sind sie gleich mitten drin in der Debatte um Frauenzimmer, um Liebe +und Ehe. Gehen's gleich gründlich an, die Neunmalgescheiten! + +Da auf einmal läßt sich Franz vernehmen, wettert gar schrecklich gegen +das schöne Geschlecht, tut sich wirklich als grimmiger Weiberverächter +auf und hat's besonders scharf gegen die Ehe, die er als etwas +Schreckliches für den freien Mann schildert, der Herr Naseweis. Alle +horchen verwundert auf und schauen jetzt auf den Holzapfl, der dasitzt +wie ein Lügner. Kann doch kein wahres Wort dran sein an allem, was er +über den ahnungslosen Franz geschwatzt hat! Holzapfl, Holzapfl! + +Der schaut ganz dumm drein! Entweder lügt Franz jetzt, oder er hat +früher gelogen -- Holzapfl kennt sich nicht aus. + +»Da sieht man wieder,« ergreift Spaun das Wort, »wie unser Schubert +gesund ist, gesund im innersten Kern -- und wie dagegen der Holzapfl +krank ist, krank und wurmstichig!« + +Der springt auf und protestiert lebhaft, daß er krank sein soll. Er +sei sein Leben nicht einen Tag krank gewesen, er fühle sich so gesund +wie nur je einer. + +»Ja, aber,« läßt sich Schwind vernehmen, »du leidest eben an +ausschweifender Phantasie, du wurmstichiger Holzapfl, du!« + +Darüber ist großes Gelächter, daß der trockene Holzapfl an einer +ausschweifenden Phantasie leiden soll, und so bleibt es unter der +freundlichen Stimmung des Abends verborgen, daß Holzapfl so wenig +reinen Mund halten konnte, ja, daß er Schubert eigentlich ein wenig +angeschwärzt hatte. Und wird zur Wiedervergeltung von den anderen als +räudiges Schaf behandelt. + +Das Verhältnis zu Salieri nimmt eine Wendung, als der Italiener einige +der nächsten geistlichen Kompositionen Schuberts zu Gehör bekommt. Hat +der Schüler alle Ermahnungen, sich italienische Meister zum Vorbild zu +nehmen, in den Wind geschlagen? Die B-Messe zeigt es sehr deutlich. Die +war unverkennbar einem Boden entsprossen, den so Mächtige wie Beethoven +und vor ihm Mozart und früher Haydn gepflügt und ertragreich gemacht +haben. Der Italiener hatte eine feine Witterung: Was Schubert machte, +war nicht fremdes Gewächs, künstlich in heimische Erde verpflanzt, +das war Ureigenes, an deutschen Meistern Erstarktes, vor allem +aber Selbstempfundenes: deutsches Gemüt war darin und außerdem das +Köstlichste: Heimatsgefühl. + +Jetzt begann ein Nörgeln und Tadeln, dies und jenes war nicht recht, +der gepriesene Schüler hatte zu gehorchen und nach Salieris Pfeife zu +tanzen, sonst waren die Gnaden verscherzt. Es wäre ja klug gewesen, den +Mantel nach dem Wind zu hängen, und jeder Streber hätte zum Schein +wenigstens so getan, um die Gunst des Fürsprechers zu erhalten; aber +die Heuchelei war dem guten Franz nicht gegeben. Er stand schon zu fest +auf eigenen Füßen im Gefühl seiner Meisterschaft und durfte lächelnd +den unduldsamen Zuchtmeister über die Achsel ansehen. + +Er ließ sich eine Weile gutmütig die Kritik gefallen, verlor dann die +Geduld und erklärte, jeder müsse als fertiger Künstler auf seine innere +Stimme horchen, nicht auf das Gerede von außen -- mit dieser Absage an +Salieri war auch der Bruch vollzogen. + +Er bekam's bald zu fühlen, der Franz; aus Laibach kam endlich der +Bescheid, daß die Stelle schon vergeben sei, ein vorgeschobener +Günstling Salieris hatte sie unter der Hand bekommen. Der Traum von +Ferne, Welt und Freiheit war vorderhand zerronnen -- armer Franz; er +hatte wirklich Pech in solchen Dingen von allem Anfang an. Oder war es +Glück? War ihm ein anderer Weg vorgezeichnet, der ihn seiner Bestimmung +näher führte? + +Wer vermag's zu sagen?! + +Wohin nun, da alle Auswege verrammelt schienen? Die Freunde in der +Stadt, die waren ein Stück Freiheit, die Zuflucht. Aber von diesen war +er getrennt durch lästige und drückend empfundene Alltagspflichten +im Schulhaus. Die Freiheit, das war die unbekannte Menschheit, die +schon auf ihn aufmerksam zu werden begann. Aber kein Weg und kein Steg +führte in dieses gesuchte Land. Recht klein und elend kam er sich vor +als armer Schulgehilfe vom Himmelpfortgrund. Still war er, wenig froh, +die Sonne erschien ihm kalt, die Blüten welkt, das Leben alt, leerer +Schall, was sie daheim redeten, ein Fremdling, er, im gewohnten Kreis. + +Und das gesuchte Land, das geahnte, nie gekannte, das hoffnungsgrüne, +wo seine Freunde gingen, wo und immer wo? Im Reich der Dichtung fand er +verwandte Stimmungen und Schicksale; er ergriff sie als Selbsterlebtes +und Selbsterlittenes und gab zu den tief empfundenen Versen, die er +sich erwählt hatte, gleich sein eigenes singendes Herz dazu. + +Was ihm die größte Last war, seine kleinen ungeschneuzten Schulbuben, +denen hinten das weiße Tüchel heraushing, das war nicht selten genug +auch sein Trost. Die ließen sich gern erzählen, wenn ihm das Herz voll +war, und saßen still und aufmerksam und sahen so verzückt drein, daß +sie den verschmierten Engelsköpfen glichen, die auf goldenen Flügeln in +der Kirchenempore schwebten, wo er selbst einst singend oben gesessen +hatte. Er erzählte gern den Buben von den großen Meistern, die er +verehrte. Und die Buben liebten ihn, weil er so zu ihnen redete, als ob +sie erwachsen und seinesgleichen wären, die ihn verstehen mußten. Sie +verstanden ihn vielleicht auch, auf ihre Weise. + +»Einer lebte hier, dessen Genius Licht über den ganzen Erdball +verbreitet hat,« so predigte er in einer gesegneten Stunde der +Kinderschar. »War auch ein Österreicher, wie ich und wie du und du +und wir alle hier zusammen. Hatte den schönen Namen Mozart, den ihr +mir nimmer vergessen dürft, denkt an ihn, wenn ihr am Sonntag in der +Kirche die große Messe hört. Vergeßt nicht, daß er himmlische Klänge +ins Leben gebracht hat, die in der Welt nicht mehr vergehen können. +Das war aber kein armer Schulgehilfe, wie ich, sondern ein gefeierter +Meister. Konnte nicht abends vorlieb nehmen mit einem Stückel Brot +und ein paar Äpfeln dazu, und mit den Hennen schlafen gehen, sondern +gab ein festliches Gastmahl, mit Kerzen in silbernen Leuchtern, +seltenen Blumen und Früchten, schäumenden Bechern, lud die Menschheit +zu sich ein und kredenzte ihr den perlenden Trank seines Herzens. +Verschenkte sich so allen und der ganzen Welt, berauschte sich an der +emporziehenden Sternenpracht vor den geöffneten Türen des Balkons, +rief die unendlichen Mächte, zog sie in seinen Bann, bis die Steine +unten am Marktplatz zu leben anfingen und der tote Gast schwerfällig +vom Monument heraufstieg und, o Schreck, plötzlich im Saal stand, die +blaue Nacht mit ihren Sternen als Hintergrund des steinernen Mannes. +Zuerst ein Adagio D-Moll, nur einige Takte, dann regnen schon eisige +Posaunenklänge durch das nächtliche Blau, die Sterne tropfen, die Töne +gellen auf wie ein silberner Hagel im kristallenen Becken, alle Schauer +des Himmels und der Hölle umwehen ihn. Furchtbar schmettert der Geist +den Choral: ›Dein Lachen endet vor der Morgenröte!‹ Die Furcht befällt +ihn -- doch ist es bloß die Angst, er könnte nicht vollenden, was er +so herrlich begonnen. Wenn ihn diese Nacht der Tod anfiele, und er das +Werk bis zu diesem Punkte lassen müßte, er könnte die ewige Ruhe nicht +finden. ›Wohlan, toter Gast, stoß' an!‹ und gießt seine Feuerseele in +ein letztes Glas. Hat die Menschheit alle Schauer der Unendlichkeit +getrunken an seinem Gastmahl, hat in den Finsternissen des Lebens den +Himmelsschein der Ewigkeit verspürt, o Mozart, unsterblicher Mozart!« + +Da war es in diesem Augenblick, als ob wirklich der steinerne Gast in +der Tür stand, so fuhr der Schreck dem begeisterten Schulgehilfen in +die Glieder. Der gestrenge Herr Vater war's, der schon die längste Zeit +hinter der Tür gehorcht hatte, was denn der Franz nur anstelle, daß es +so mäuschenstill in der Klasse wäre. Und hat den Franz mit feurigen +Zungen reden gehört. Stand jetzt stumm und drohend in der Tür, und es +war wirklich so, als ob alle Schauer der Verdammnis den guten Franz +umwehen sollten. War auch schon die Welt entzaubert, die Engelsköpfe, +die in Reihen Bank für Bank verzückt gelauscht hatten, sie waren jetzt +wieder Schmutzfinken geworden. Die selige Stunde war verströmt, die +Welt lag wieder Grau in Grau. + +Nachher ging der Tanz los. Was er denn für ein unsinniges Zeug den +Jungen vorschwatze, wo keiner noch rechtschaffen lesen, schreiben und +rechnen kann?! Heißt man das nicht Zeit vergeuden? Und den Buben die +Köpfe verdrehen? Daß sie erst recht untauglich werden zu dem Bißchen, +was sie fürs Leben brauchen! Hol' doch der Kuckuck diese Extravaganzen, +hat ein ordentlicher Schullehrer auf den Lehrplan zu schauen oder soll +sich zum Teufel scheren! + +Das läßt sich Franz nicht zweimal sagen. + +»Herr Vater, ich bin nichts für einen Schullehrer. Lasen Sie mich +gehen!« + +Jetzt ist die Reihe an dem Vater, der Verdutzte zu sein. Er zieht +sofort andere Saiten auf in der Meinung, er hätte den Jungen zu hart +angelassen. Also: + +»Was sind das jetzt für Sachen?! Von was willst denn leben, ha? Ein +Geschäft muß der Mensch haben; sei froh, daß du in der Schul' sein +darfst!« + +Franz schüttelt abwehrend den Kopf. + +»Nein, nein, Herr Vater, damit geht's nimmer. Mich müßt' eigentlich der +Staat erhalten. Ich bin eben für nichts anderes als fürs Komponieren!« + +Dem Vater reißt die Geduld. + +»Der Staat soll dich erhalten, meinst?« höhnt er. »Du bist mir ein +sauberer Patron! Möchtst wohl den ganzen Tag spazieren gehen und dich +zahlen lassen dafür, pfui Teufel! Hast etwa keine Zeit zum Komponieren +nach der Schul'? Hast du's bisher gekonnt, wirst es weiter auch können, +verstanden?« + +Aber der Stein ist bereits im Rollen, da gibt es kein Aufhalten mehr. + +»Sind's mir nicht bös, Herr Vater, aber keinen Schritt mach' ich mehr +ins Schulzimmer. Ich kann nicht mehr -- ich kann's einfach nicht!« + +Er will's in Freiheit versuchen, auf eigene Faust. Und pocht auf die +hundert Gulden, sein erstes verdientes Geld, das er kürzlich von einem +Gönner für eine Kantate erhalten hat. Er wird sich schon durchbeißen. +Haben's andere gekonnt, warum sollte nicht auch er?! Und wenn's nicht +anders ist, lieber den Bettelstab, aber die Freiheit, das hohe, +ersehnte Gut, die Lebensluft, die sein Genius braucht, die Freiheit +also, die kann er nicht länger opfern. + +Da wird der Alte fuchsteufelswild, die angeborene bäurische Abneigung +gegen die Freizügigen bricht in harten Worten hervor. Sein Junge, ein +verlorener Sohn, ein herumziehender Musikant ohne festen Halt im Leben, +ohne Besitz, ohne Amt -- er hat noch vom Dorf her die Verachtung für +solche wurzellockere Existenzen -- das alles will nicht in seinen +kreuzbraven, eigensinnigen, grauen Schädel. Daß der Franz sein Amt vom +lieben Gott hat, weiß er wohl, aber um leben zu können, muß man sein +Amt von den Menschen bekommen. + +»Es leid't mich nimmer zu Haus, Vater, ich muß einmal fort, sonst geh' +ich zugrund'!« + +Da wird der Vater rauh: »Sollst nicht zugrund' gehen zu Haus, wenn'st +lieber in der Fremde zugrund' gehen willst! Dann geh' halt -- geh' aber +gleich, geh'!« + +Der Vater wendet sich ab; der teuerste Sohn hat ihn ins Herz getroffen, +man soll nicht sehen, wie weh ihm ist; aber jetzt ist er fertig mit +ihm. Der Bruch ist geschehen. + +Franz geht. Das Vaterhaus ist zu eng geworden. Er braucht Luft, +Freiheit, er will wachsen, in die Welt hinein wachsen. Leben, o Leben! + + + + + III. + + +Wandert der Jüngling stadtwärts, den Weg, den er als Knäblein an des +Vaters Seite gegangen war. Muß daran denken, und will ihn die Rührung +fast übermannen. Ist aber bald wieder frohen und leichten Herzens, geht +es doch der heißersehnten Freiheit entgegen! -- + +Freiheit! Den Zauberklang des Wortes kann nur der erfassen, der +drückendem Zwang entgangen ist. Alles dunkel Geahnte, innig Ersehnte +ist in diesem Wort wie in einem rosafarbenen Nebel eingeschlossen, +Welt, Schaffen, das bißchen Ruhm, alles, was das Leben ausmacht. An +die Freuden denkt man, nicht an die Leiden, mit denen der Pfad ins +Ungewisse belagert ist. Durch! Der Genius muß durch -- ein blaues +Himmelsziel vor sich, sein Weg. + +Wien, einziges, liebes Wien! Wie ein Blumentopf steht es auf grünem +Rasen mit seinen Gärten über den Stadtmauern und dem kunstvoll +gemeißelten Himmelsstab in seiner Mitte, dem alten Steffel! In der +Mitte vom Glacis in der Richtung zum Schottentor heben sich ein paar +Hüte grüßend in die Luft, die Leute treten scheu zur Seite vor einem +kleinen, stämmigen Mann, der den alten Zylinder tief in das runenhafte +Gesicht gedrückt hat und daherstürmt in wogenden Gedanken, und weder +hört noch sieht. + +Ausweichen, ausweichen! Seiner Eingebung folgend, sprang Franz behend +auf die andere Seite des Gehweges und reißt sofort seinen Hut bis zur +Erde. Ein verlorener Blick aus dem weltfernen Titanenantlitz streift +ihn und macht sein Herz fast stillstehen vor Ehrfurcht und Freude. + +Ein gutes Zeichen, ein gutes Vorzeichen! wollte bebend die innere +Stimme wissen, die es als glückbringend deutete, daß Franz bei seinem +ersten erfolgreichen Schritt dem Gewaltigsten begegnet hatte, den er +neben dem Göttlichsten als meisterliches Vorbild anbetete: Herrn Ludwig +van Beethoven. Der war kein göttlicher Gastgeber alten seigneuralen +Stils in schwarzseidenen Hosen, seidenen Strümpfen, Schuhen mit +vergoldeten Schnallen, blauseidener Weste und goldgesticktem braunem +Überrock, wie der himmlische Meister Wolfgang Amadeus, sondern der +war mit seinem verwühlten Haupt, seinem unordentlich zugeknöpften +schlichten Rock ein leidenschaftlicher Himmelstürmer und Götterstürzer, +einer, der um das Menschsein wußte, um das Furchtbarste und +Erhabenste, um alle Erdenpein und Größe, um alle Verlassenheit und +Selbstgottherrlichkeit -- ein Offenbarer, ein Verkünder, ein Tragiker! +Der trug die Krone der Freiheit, von der der Jüngling nicht wissen +konnte, daß es eine Dornenkrone ist. + +Was stehst du nun, junges Meisterlein, und starrst ihm nach mit einem +visionären Blick, als ob du eine Erscheinung gehabt hättest?! + +E -- fis -- g -- h -- ais! klang es plötzlich auf in der Brust. Franz +konnte das Tiefste, das er empfand, nicht anders denken, als in Noten. +Ein Ton, der sich wie eine Erleuchtung einstellte, bang und fragend wie +ein schüchternes Pochen am Tor des Unendlichen. + +E -- fis -- g -- h -- ais -- -- Der tragische Akkord wollte sich +nicht mehr abweisen lassen. Er klang als Grundton immer durch auch +in den heitersten Momenten und da am stärksten; er war nun einmal in +der Welt und hatte seinen eigenen Sinn wie eine Mahnung, die dann am +furchtbarsten war, wenn sie nach Zeiten des Vergessens plötzlich wieder +die Seele mit allen Bangnissen zum Aufschauern brachte. + +Eine helle Empfindung gewann Oberhand; sie jubelte als lebensfrohe +Melodie über den dunklen Schauern. + +Franz war gedankenvoll durchs Schottentor gekommen, auf der Freiung +stand er aufatmend still. Die schönen Adelspaläste, die Baumkronen +über den geheimnisvollen Mauern, umschlossene Gärten mitten in der +Stadt! Die Schottenkirche, alle Pracht ergriff ihn, als ob er sie zum +erstenmal sehen würde. + +»Was möchten's denn, gnä' Herr?!« fleanschte ihn eine schwammige +Öbstlerin gutmütig an. Eilig rannte er weiter aus dem Marktgewühl, am +tiefen Graben vorbei, wo der Alserbach ging, der klaräugig blickende, +gleich einem zwischen Weinbergen und Wiesenrainen spielenden hurtigen +Knaben, den es nach der Stadt drängte -- was war er dort geworden? Eine +schmutzige üble Gosse, die sich scheu in dunklen Gewölben verkroch -- +wie ein Schrei klang es schmerzlich auf in der Brust: e -- fis -- g -- +h -- ais! + +Und nun bergan zum Hof, wo der gelbe Stellwagen von der Grinzinger +Allee hereinholperte, staubig, von müden, mageren Rossen gezogen, ein +Gruß vom Land herein, von Wein und Heurigenmusik; hoch aufgepackt als +heitere Fracht alle städtische Sehnsucht nach dem Grünen! + +Mein Gott, diese Blumen am Hof, ein ganzer Markt, wie schön! Ja, ja, +die Stadt braucht Blumen, man kann nicht genug haben in den Mauern; +wenn man draußen lebt, ahnt man gar nicht, wie notwendig sie sind, und +daß es soviel auf einem Platz geben kann, und der Duft! + +Mit all diesen müßigen Gedanken und verzücktem Umherschauen vergeht die +Zeit, die Uhr unter den Atlanten mit der Weltkugel am Hof zeigt bald +Zwölf, also weiter, weiter durch die enge Bognergasse zum Graben hinaus. + +Herrgott, ist da wieder eine Pracht, diese Frauenzimmer, nein, nicht +zum sagen! Mudlsauber -- eine schöner wie die andere! Wird einem ganz +wurlert! Und die lieben Gesichterln -- wie sie lachen und umschauen, +und wieder lachen -- jetzt weiß er nicht, soll er sie grüßen, kennt er +sie, oder kennt sie ihn, oder will sie ihn kennen lernen -- er möcht' +jedenfalls -- aber die vielen Leute -- und die eleganten Schwasser, +die hinterher scharwenzeln. -- Jessas! und jetzt schaut sie wieder um +-- bocksteif steht er da, weiß sich nicht zu helfen, eng und schwül +wird ihm, daß er schwitzt, er schaut ratlos um und um, sein Blick +gleitet die Dreifaltigkeitssäule hinauf, die sich mit barocker Ekstase +emporwirft voll unendlichem Verlangen. + +E -- fis -- g -- h -- ais! + +»Servus, Servus! Landschulmeister, himmlischer, wie kommst du auf +einmal dahergestiefelt um zwölf Uhr mittags am Graben?!« jauchzt +plötzlich einer der eleganten Stadtfräcke hinter ihm, hat ihn schon +abgefaßt und auf offener Straße umarmt. + +»Schober, lieber Schober!« + +Kurze, hastige Erzählung Franzens über Woher und Wohin. + +»Hast den Schulmeister an den Nagel gehängt, endlich, endlich, es war +die höchste Zeit! Wo wohnst du denn?« + +Ja, richtig, wo er wohnt, an das hat Franz noch nicht gedacht. »Ich +weiß nicht!« + +»Köstlich,« ruft Schober, »wohn' bei mir! Ich hab' ein Zimmer frei, +kost' dich nichts, kannst bleiben, solang' du magst, mir ist's eine +Freud'!« + +Franz lehnt lächelnd ab, vorläufig wenigstens -- wozu schmarotzen? Hat +ja Geld in der Tasche, bare hundert Gulden! + +Schober hat es um diese Zeit eilig, der Mittagsbummel am Graben war +die Stunde, wo die Löwen auf Beute gehen; soviel Schönes, als es da zu +sehen gab -- da war nicht zu zaudern. »Also Servus, auf Wiedersehen!« + +Beim Stock-im-Eisen, am Ende des Grabens, steht er und schaut sich die +vielen Nägel an, die in legendenhafter Zeit die Schmiedgesellen in den +Baumstamm eingetrieben haben, und wundert sich in seiner beschaulichen +Weise aufs neue, wie die Kerle so ausgezeichnet die Nägel alle auf ihre +Köpfe getroffen haben. So muß man's auch machen, die Nägel auf alle +Köpfe treffen, dann ist man der richtige Schmied seines Glückes. Aber +er denkt nicht daran, daß er ja auch seines Glückes Schmiedgesell ist, +und haarscharf, wenn nicht die Nagelköpfe, so doch Notenköpfe trifft, +das Meisterstück, worauf es bei ihm ankommt! + +»Servus!« tönt eine Stimme weich und einschmeichelnd, er wirft sofort +den Kopf herum. »Ach, lieber Hüttenbrenner!« und schaut in das kluge +Gesicht des guten philosophischen Anselm, der zuerst Kleriker war, dann +Jurist, und zugleich in Schuberts Konviktszeit bei Salieri Kontrapunkt +studiert hat. Jetzt hat er seine Seele ganz der Musik verschrieben. + +Ein rasches, wechselseitiges Fragen, und alles ist klar. + +»Magst bei mir wohnen, ein Kanapee steht zur Verfügung! Nicht? Aber +wir sehen uns jetzt öfter, gelt? Du weißt ja, im Café Bogner, bei der +lustigen Blunzen, kommen wir täglich zusammen. Kommst bestimmt! Alsdann +Pfüat!« Händeschütteln, die Freunde trennen sich. + +Über der Stadt schwingen Glocken, eine tönende Flut, ein Bronzeregen, +ehern und gewaltig, als ob die Glocken in der Brust schwingen würden. +Die Glocken von St. Stephan. Franz kann nicht widerstehen, einen Blick +muß er in die Stephanskirche tun, eine liebe, alte Gewohnheit. + +Der Dom ist die steinerne Blume der Stadt, der liebe Wienerwald mit +seinen Blümelein und seinem Getier lebt in den himmelhohen Kapitälen. +Und allerlei spukhaftes Fabelwesen treibt sein Spiel an den steinernen +Wurzeln, läuft auf den behauenen Sockeln oder kauert in den schwarzen +Nischen. Ein herrliches, steinernes Bilderbuch -- die alten Meister +hatten Phantasie. Franz fühlt sich ihnen verwandt. + +Eine Hand legt sich auf seine Schulter. »Freund, du hier?« + +Franz sieht zu dem Dunklen, Zugeknöpften hinter sich hinauf, die +starre, melancholische Maske Mayrhofers schaut ihm entgegen. Arm in Arm +schreiten sie aus dem Dom. + +»Kannst bei mir wohnen, das Zimmer neben mir wart' auf dich!« + +Herrgott, wie sie sich alle um ihn reißen! Er nimmt's nicht an, aber +wohl tut's doch! + +Später in der Kärntnerstraße trifft er den Pianisten Jenger, mit dem +er durch Hüttenbrenner befreundet wurde, und der außerhalb seiner +Kanzleistunden mit Frau Musika in der wildesten und beglückendsten Ehe +lebt. + +Jetzt fängt auch der an: + +»Das wär' ein herrliches Dasein, eine Zigeunerwirtschaft unter einem +Dach, du, ich und unsere gemeinsame Geliebte, die holde Frau Musika! +Schlag' ein!« Es ist schon zum Lachen! Sind liebe, gute Kerle, alle +miteinander! + +Es ist nicht Zeit, lang Standerln zu machen, Franz will beizeiten nach +»Schwindien«. + +»Schwindien?« + +»Nun ja, freilich; das heißt, zu Schwind, ins Mondscheinhaus, drüben +bei der Karlskirche überm Glacis.« + +So ist Franz zum anderen Ende der Stadt wieder hinausgegangen, wo +drüben die Karlskirche steht, eine Madonna im Grünen. Das graue, +einstöckige Haus in nächster Nähe mit dem ummauerten Hof ist das +Mondscheinhaus, wo die Romantik blüht. Ein Blick von dort über die +Stadt mit dem Kahlengebirge dahinter, das vergißt man nicht mehr. So +viele Poesie! Schubert singt es, Schwind malt es, ein anderer dichtet +es, jeder wie ihm der Schnabel gewachsen ist, die Hauptsache, daß man's +nur spürt. + +Die im Mondscheinhaus spüren's. Franz schleicht heran, im Hof hört +man schon die drei Brüder Schwind, die sich sehr laut aufführen. Was +tun sie? Dreinhauen tun's. Hauen aufeinander, daß es schallt wie +bei Dreschern auf der Tenne, oder bei Teppichklopfern, prügeln sich +gegenseitig mit alten Säbeln, rostigen Schilden, daß die Köpfe unter +den verbeulten Helmen brummen, und schreien dazu, was sie nur aus der +Gurgel bringen, volltönende, herrliche Worte, auf die man unwillkürlich +hinhören muß. Was sind es? Nibelungenverse. »Er schlug damit den ersten +Schlag. Hei, hei! Volker, Spielmann, wie rührst du den Fiedelbogen!« + +So macht der fröhliche Knabensinn, der noch unverkümmert in den jungen +Männern steckt, aus einer turnerischen Übung ein ganzes Ritterspiel. +Ein echter Schwind. + +Die Kämpfer sind müde und machen eine Pause. Franz pocht an das Tor. +Kein Laut regt sich mehr. Grad' so, als ob das Haus ausgestorben wäre. + +Haben sie sich am End' gegenseitig erschlagen, denkt Franz und klettert +auf die Mauer hinauf. Das Schauspiel, das sich ihm darbietet, ist +wunderlich genug. Die drei Helden, mit altem Rüstzeug angetan wie die +Schmierenkomödianten eines Bauerntheaters, schleichen mit aufgeregten +Mienen auf den Zehenspitzen ans Tor, der Älteste guckt durchs +Schlüsselloch -- da hat Moritz den Eindringling schon über der Mauer +entdeckt. + +»Kerl, elender, blöder, mistiger, lieber, guter -- dein Glück, daß du +da bist! Sei aber froh, daß du kein Gläubiger bist!« + +Der Jubel ist jetzt erst recht groß, anstatt eines gefürchteten +Gläubigers den lieben Freund zu erblicken, der zwar die Mauer +hinaufzuklettern vermochte, aber nicht herunterkam. Eine kleine +Tracht freundschaftlicher Prügel muß er sich in seiner Hilflosigkeit +schon gefallen lassen. Nach diesen stärkenden Leibesübungen kehrt +der gewohnte Männerernst wieder zurück. Schön ist es in dem Hof, +den die Brüder in ein stimmungsvolles schwindisches Gartenbild +verwandelt haben. Mit Rasen ist er bewachsen, eine Fliederlaube +steht im Hintergrund, Akazien und Holunderbäume sind hinzugepflanzt, +einige Blumenbeete, dazu noch etliche Oleander in Kübeln -- das ist +»Schwindien«, die Heimat der schönsten romantischen Malerträume. Und +weil man nichts tat, ohne den Dingen einen besonderen Sinn zu geben, +so nannten die Brüder diesen Gartenhof mitsamt den zu ebener Erde +liegenden Wohnräumen ihre Burg Malepartus. + +Gewohnt, gelebt, gearbeitet wurde in der schönen Jahreszeit mehr in +der Laube als in den Zimmern. Da lag noch das Arbeitszeug herum -- +Neujahrskarten wurden gezeichnet und Krampusse gemalt -- wofür? Dumme +Frage, für den kommenden Christkindlmarkt am Hof, Fronarbeit, mit der +sich der junge ringende Genius die Freiheit für seine Kunst und seine +Studien erkaufen muß. Denn manchmal ist Schmalhans Küchenmeister seit +dem Tode des Vaters, und mit Schuldscheinen bewehrte Feinde belagern +oft die Burg Malepartus. Aber Künstlerfreude und Jugendsinn lassen +keinen Schatten dauernd aufkommen, besonders solange »Goldstaub« +im Tabaksbeutel ist -- und den hat heute Schubert in reicher Menge +mitgebracht. + +»Bruder, am besten, du bleibst bei uns! Wir richten uns häuslich ein. +Platz ist genug, ein Zimmer kannst du haben, was du singst, male ich +-- kann man sich ein trefflicheres Accompagnement denken?! In dieser +schönen Jahreszeit tragen wir die Matratzen heraus und schlafen +nachts im Freien unter duftendem Flieder und niederrieselndem gelben +Goldregen. Da blühen Träume, Bilder und Musik -- schöner findest du es +nirgends!« + +Für diese Nacht beschloß Schubert zu bleiben -- die Träume unter dem +Fliederbaum und Goldregen waren gar zu verlockend. Ein mannshohes +Schild mußte weggehoben werden, ein Türke war darauf gemalt noch frisch +von Farben. + +»Fürs Café Bogner -- so bezahlt man seine Schulden!« erklärte Schwind. +»Morgen ist die feierliche Hinsetzung dieses ›Kunstwerks‹ -- das gibt +wieder Kredit auf ein Jahr!« + +Gegen Abend wurden in der Laube die Pfeifen entzündet, und die +klausnerische Seligkeit begann, von der Schwind immer und immer +träumte. Die Wolken stiegen wie Weihrauch, Flieder und Akazien +dufteten, die Sterne leuchteten, Träume umwoben die Stirnen, das Glück +war vollkommen. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a -- -- + +Die Cellos in der Brust erheben den schmerzlich süßen Sang, wohl und +wehe ist ihm -- das Glück, das Glück! + +Am anderen Morgen geht das Wohnungsuchen an in den engen traulichen +Gassen der inneren Stadt. Die Sonne fällt schräg in die blitzenden +Fenster der leicht gekrümmten Hauswände, ein Lied trällert, ein +Kopf lugt da und dort heraus, ein Tüchlein um die Frisur gebunden, +wäschermädelartig, mit zwei koketten Zipfeln nach vorne -- sie sind +so lustig beim Zimmerfegen in aller Früh, die holden Weiblein! Und +auf Reinlichkeit sind sie wie der Teufel: nur gleich zum Fenster +hinaus mit dem Staubtuch, die ganze Ladung dem Vorübergehenden auf den +Kopf: Unrat, zusammengedrehte Haarbüschel -- das ist aber noch nicht +das Schlimmste, wenn nicht zufällig auch einmal was Lebendiges dabei +ist, ein Läuslein, ein Wänzlein, ein Flöhlein. Sind ja so übertrieben +reinlich, dulden nichts Unsauberes, heißt es gleich, hinaus damit! Also +gib fein acht, lieber Morgenwanderer, wenn du durch enge Wiener Gassen +lustwandelst! + +Spaziert Franz unverdrossen die Kreuz und Quer, gaßauf, gaßab, hält an +jedem Tor, wo ein weißer Zettel hängt und wie eine Geisterhand winkt: +»Elegant möbliertes Zimmer für einen soliden Herrn .....« + +Unzählige Treppen gibt es zu steigen, eine Wanderung, die steil hinauf- +und hinuntergeht im geklüfteten Stadtgebirge. Das Bilderbuch der Stadt +rollt sich auf bei dieser seltsamen Wanderung, die keinem Junggesellen +erspart bleibt. Es ist zwar immer dasselbe Bild bürgerlicher +Zwischenstufen, ein krampfhaftes Pflanzmachen, dahinter die heimliche +Misere, ein elendes Durchfretten, ein ewiges Wursteln ..... immer +dasselbe Thema, aber welche Variationen im Menschlichen! + +Eine hübsche Witwe tut sehr fesch, will ihn gar nicht mehr fortlassen, +sitzt plaudernd da mit übereinandergeschlagenen Beinen: »O, Sie werden +sich sehr wohl fühlen!« Mehr als ihre Worte sagen es ihre Mienen und +ihre Augen. Er wäre froh, wenn er schon draußen wäre, er fühlt sich gar +nicht wohl, er sitzt wie auf glühenden Kohlen. + +Bei einer Witwe, die so hübsch und lustig dreinschaut, nein, das geht +doch nicht. Was würden die Leute dazu sagen, die Freunde und nun gar +die Brüder, wenn sie kämen, und erst, was Gott verhüte, der gestrenge +Herr Vater! Die Hänseleien von den einen, die stillen oder gar lauten +Vorwürfe von den andern -- er möchte keines von beiden riskieren. Er +ist das wirklich, was auf dem Zettel verlangt wird, »ein solider Herr«! +Er ist hochrot im Gesicht, als er wieder unten auf der Straße steht, +und jetzt ärgert er sich über sich selber. »Dumm von mir ...«, aber man +ist manchmal so und manchmal so ..... + +Und fort geht das Suchen -- schließlich wird's ihm ein Bild des +Lebens: Suchen und Suchen, kaum ein Finden, schließlich immer nur ein +Vorliebnehmen. + +Des Auf- und Abkletterns müde geworden, hat er am Schluß +vorliebgenommen und sitzt als Zimmerherr in einer geräumigen Stube mit +altväterischen wackligen Möbeln. Nun ist er in seiner höchsteigenen +Behausung für monatlich dreißig Gulden Wiener Währung samt Frühstück. +Ein sündhafter Preis! Warum hat er's genommen? Das Suchen war ihm schon +zuwider, vielleicht aber hat ihn auch das Mitleid bestimmt. Er hat ein +weites Herz und denkt sich, wegen so ein paar Netsch mehr oder weniger +.... + +Die Quartierfrau, ein abgehetztes Weib, hat ihm in fünf Minuten ihre +ganze Lebensgeschichte erzählt, sie ist eine »bessere Frau«, was sie +wiederholt unterstreicht, und die Mali, ihre Tochter, das liebe, gute +Kind, lernt Französisch und Klavier und kann eine ausgezeichnete +Torte machen!! Sie ist so furchtbar häuslich! Sie behauptet, daß die +Erziehung des Kindes so furchtbar viel Geld kostet, aber eine gute +Bildung sei wohl die beste Mitgift! Ein vernünftiger Mann würde bei +einem Mädchen doch lieber auf Bildung und Häuslichkeit sehen als auf +Geld! Der neue Zimmerherr wird sich wie zu Hause fühlen! + +Es gelingt ihm endlich, ihrem Wortschwall Einhalt zu gebieten und sie +zur Tür hinauszuschieben, dann hört er sie im Hintergrund des dunklen +Flures, der von Waschdunst und Küchengerüchen erfüllt ist, mit der +Mali, dem guten, lieben Kind, keifen: »Was stehst denn, Trampel, +schau', daß d' in Schwung kommst ...« So sieht's mit der Erziehung aus, +die furchtbar viel Geld kost' .... + +Es ist aber nicht tragisch zu nehmen, das Zünglein hängt gar locker und +ist mit einem Schimpfwort rasch fertig. Das kommt bei besseren Leuten +auch vor -- es gehört zur Gemütlichkeit. + +Ein Klavier steht in der Ecke, verstaubt, verstimmt, es muß erst +instand gesetzt werden. Ein Glück, daß es überhaupt da ist. Also rasch +den Klavierstimmer ins Haus! Die gute Mali -- ob die je im Leben eine +Klaviertaste angerührt hat? Aber das bißchen Pflanz -- es ist ja so +notwendig zum Leben, der Traum von Glück, ein goldener Schein, der das +graue Elend ein bißchen überleuchtet! + +Als dem Klavier wieder wohlgestimmte, klare, reine Töne entsteigen, und +die von Arbeitsdrang erfüllte Brust sich in Noten entladen darf, da +ist das Gemach hell und freundlich geworden und die Geister der Sorge, +die es bewohnten, sind entwichen. Die Seele schwebt in wolkenloser +Seligkeit und ein Celloton singt in H-Moll aus blauer Ferne: + +G -- d -- g -- fis -- g -- a .....! + +Ein schwebender Klang, der sein hoffnungsreiches Glücksgefühl umspielt. +Wenn er in sich hineinhorcht, kann er ihn jetzt wieder vernehmen, immer +und immer wieder. + +Der Ton entschwebt, wenn er ihn fassen will, verdrängt von dem +singenden, rauschenden Quell in seiner Seele, der ins Leben will, der +Menschheit zur ewigen Freude. Herrlich ist es, so in Freiheit zu leben +und im goldenen Überfluß zu schwelgen! Mit vollen Händen kann er sich +verschenken, so stark und schier unerschöpflich ist der innere Quell! + +Der graue Vormittag gehört dieser stürmischen Arbeit. Mit allen Kräften +der Seele ist er seinem Werk gewidmet, vom frühen Morgen an bis zur +Mittagsstunde. Dann ist er erschöpft, leer, ausgepumpt, sucht Erholung +und Ablenkung und findet sie bei den Freunden. Schon beim Mittagessen +trifft er den einen oder anderen im Gasthaus »zur schwarzen Katze«, +»zur Schnecke«, »zur Eiche«, beim »roten« oder beim »blauen Igel«, wo +abwechselnd das bescheidene Mittagsmahl eingenommen wird. + +Gleicht ein Beisel dem andern, der Fußboden ist voll Flecken und +Schmier, der Kellnerfrack ist es ebenso, der einmal schwarz war und +jetzt grau ist wie der Boden, der einmal weiß war. Es geht gemütlich +her, der Wirt, der Zahlkellner, der Speisenträger, der Pinckerl +schießen herum, Herr von Schubert hin, Herr von Schubert her, vier +oder sechs Hände entreißen ihm Hut, Stock und Überrock, noch ehe der +Ankömmling weiß, wie ihm geschieht, leiert ihn der Pikkolo an wie +ein Ratschenbub und zählt alle Getränksorten her, der Speisenträger +memoriert die Speisenkarte: Fleckerlsuppe, Nudelsuppe, Kaiserschöberl +-- schönes Rindfleisch, Herr von Schubert, ein schwarzes Scherzel, +ein Kavalierspitz, ein Kruspelspitz, nicht zu fett, ein bisserl +unterspickt, Zwiebelsauce oder eingebrannte Erdäpfl dazu, oder rote +Rüben, Schnittlauchsauce -- vielleicht einen schönen Kalbsschlögel, +einen Nierenbraten, Kaiserfleisch, Schöpsernes, Roastbeef -- + +Halt, halt! Der Kopf wirbelt einem schon! Jetzt kennt man sich in +den kulinarischen Genüssen erst recht nimmer aus. Zeit lassen! Die +Speisenkarte her! + +Inzwischen wird von allen Seiten geschrien, dem einen geht die +Bedienung zu langsam, dem anderen, der seine Suppe noch nicht +ausgelöffelt hat und schon das Rindfleisch kriegt, geht sie zu schnell, +keiner ist zufrieden, ein jeder möcht' etwas anderes -- die Aufregung! +Das Schimpfen, das Gelächter, das Tellerklappern, das Geschrei, +die durcheinander schwirrenden Dissonanzen -- wobei sich alles in +Wohlgefallen und Gemütlichkeit wieder auflöst -- es wirkt auf die +abgespannten Nerven doch wieder belebend wie ein erfrischendes Bad. Und +hat man heute über den Schlangenfraß geschimpft und es verschworen, +das verfluchte Saubeisel nicht mehr zu betreten, so ist man am +anderen Tage um so pünktlicher wieder da. Es ist keiner glücklich, +wenn er nicht ein bißchen räsonnieren kann. Die Wiener Tugenden und +Untugenden, die waren, sind und sein werden -- man hat sie in der +knappen Mittagsstunde beisammen, während der Fütterung entfalten sie +ihre Blüte. Man ist gereizt wie eine hungrige Bestie, wenn man kommt, +und wenn man geatzt ist, geht man als friedfertiger Mensch von dannen. +Wohin? + +Natürlich ins Kaffeehaus zu einem Schwarzen und einer Pfeife Tabak, die +der Höhepunkt des Diners ist. Das Essen ist nur der Umweg zu diesem +Göttergenuß. Also geradewegs zur »lustigen Blunzen«, wo Schwinds Schild +mit dem Türken richtig in ganzer Farbenpracht prangt. + +»Schani, trag' den Garten außi!« Also trug an schönen Tagen Schani, +der Kellnerjunge, unter Beihilfe des Feuerburschen den Garten hinaus, +nämlich die Holzkübel mit den Efeuwänden, die am Trottoir vor dem +Café einen kleinen imaginären Gartenbezirk bilden mit einigen +Marmortischchen darin. So sitzt man draußen im Freien an schönen Tagen. +Fast angenehmer ist es aber drinnen in dem gewölbten Raum, wo der +Feuerbursch am Herd die Bohnen röstet, daß der frische Kaffeegeruch +stark und würzig den Raum durchströmt. Eine ältliche Kassiererin sitzt +im Büfett und liest in einem Romanbüchel, ein paar Herren im dämmerigen +Hintergrund halten starr die Zeitung vor sich hin oder sitzen in +bequemen Lehnsesseln zurückgelehnt, zuweilen glaubt man sich in eine +Sägemühle versetzt, ein verdächtiges Geräusch rasselt von hinten her, +steigt höher und höher, und wenn es den Klimax erreicht hat, reißt es +plötzlich ab, ein tiefes Schnarchen: jeder macht seinen Nipfetzer. + +Der Kellner streicht lautlos hin und her wie auf Samtpfoten, damit +er keinen von den Herren aufweckt. Nur vom Billard her tönt das +gedämpfte Rollen der Kugeln, nebst dem Summen der Fliegen an den +Fensterscheiben, eine angenehme, einschläfernde Musik. Am schönsten ist +es, am Fenster zu sitzen, hinauszublicken auf die alten Häuserfronten +mit bequemen Portalen, verwittertem, steinernem Wappenschild darüber, +schmiedeeisernen Balkonen und ähnlichem, ehrwürdigem Zierat. Da sitzt +man in Betrachtung dieser Dinge, schlürft seinen Schwarzen, schmaucht +sein Pfeifchen, schaut in die Zeitung, tut zwischendurch selbst so +ein kleines Nickerlein, oder ergötzt sich, wenn die Freunde da sind, +an dem Gespräch, das alsdann immer munter fließt. Die Welt täglich +niederreißen, neu und schöner wieder aufbauen -- dadurch wird die +schwarze Kaffeestunde ereignisvoll und fruchtbar. + +Die paar Stunden nachher während des Nachmittags vergehen auch so; die +Blume der Freundschaft entfaltet sich am herrlichsten erst abends. +Da sitzt man mit den geliebten Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, +wie Franz seine Getreuen nennt, oft in fröhlicher Tafelrunde über +die gewöhnliche Sperrstunde hinaus beisammen, und zuweilen hallen +die schlafenden Gassen von der lauten, singfrohen Ausgelassenheit +der Jünglinge, die Schwinds Stift in einem übermütigen Augenblick +festgehalten hat, wie sie vor einem unvollendeten Neubau stehen und ein +Ständchen vor den leeren Fenstern darbringen. Die herrlichsten Lieder +steigen in das Nichts empor, die Schöne fehlt, für deren Ohren sie +bestimmt sind, die ist nur erträumt da, und an ihrer Stelle antwortet +das Echo in den Schatten des leeren Hauses. + +So geht es derzeit noch dem Meisterlein, die Freunde sind da, der +Genius hat ihn geküßt, aber wo ist die Menschheit, seine Gaben zu +empfangen und den schuldigen Dank zu spenden? + +Einerlei, der junge Meister denkt nicht daran, es ist ihm vor allem +darum zu tun, sich im Schaffen auszuwirken und den inneren Schatz zu +heben, der sein Erbteil geworden war. Die Freunde wissen es, die seine +Schöpfungen in Abschriften von Hand zu Hand geben, kein Abend vergeht, +wo sie nicht bewundernd von den neuen Köstlichkeiten erzählen, die +Schubert in seinen fieberhaften Arbeitsstunden an den Tag gefördert hat. + +Äußerlich war es nur ein kleines Leben, das der junge Schubert +genießerisch führte. Aber in diesen scheinbar nichtigen Dingen war +wienerischer Geist, sein vegetatives Sein lebte davon, der innere +Mensch, der sich an dieser geheimnisvollen Kraft aufbaute. Ein Narr, +der mehr verlangt als diese einfache seelische Hausmannskost, die +Mutter Heimat gibt. Schuberts Sein war mit allen Wurzeln in dem +Boden dieser Wiener Heimat verwachsen; er lebte im Alltag, wie alle +anderen lebten, nur mit dem Unterschied, daß er als der schöpferische +Mensch es verstand, aus der groben Alltagskost das geheimnisvolle +wienerische Fluidum abzuleiten, aus den Wurzeln in die Krone, wo es +liedhaft ertönte, als unsterblicher Sang auf die einzige, süße, liebe, +unvergleichliche, schöne Weanastadt! + +Ein Ton schwebt über diesem Dasein, darin die Seele der Stadt war, vor +allem die Seele Schuberts: g -- d -- g -- fis ...! + +Immer wieder klingt dieser milde, tröstliche Satz durch, mannigfach +verschlungen und variiert, wie der Anfang einer Sinfonie seines Lebens. +Daß man es doch fassen könnte, hinstellen als unvergleichliches +Gleichnis seiner selbst! Und immer wieder, mannigfach unterbrochen von +dunkleren, schmerzlicheren Gewalten, setzt dieser verhaltene, heiter +ernste Takt ein, immer wieder, ohne zu vollenden ....... + +Aber das fröhliche Herrenleben neigt sich zu einem sehr betrüblichen +Ende. In den zwei armseligen und doch so folgenschweren Wörtchen +spiegelt sich das Schicksalsbild: kein Geld! + +Hundert Gulden dauern nicht ewig, auch nicht in jenen Tagen, wo sich +unendlich mehr damit richten ließ. Man ist zwar kein Leichtfuß, aber +man ist auch kein Sparer und kein Knicker, und wer sich jede Freude +versagt, wird auch wenig Freude geben. + +Franz knirscht: Verflucht auch! Die anderen sollen's nicht merken, er +will's vor sich selber nicht wissen, will sich nicht stören lassen, +nicht beirren lassen, arbeitet drauf los. Die Arbeit hat ja das Gute, +daß sie von den Trübnissen erlöst und daß man sich als Herr des Lebens +fühlt, solange sie dauert und glückt. Aber dann, in den Stunden der +Erschöpfung, dann führt Frau Sorge das Wort. Sollte der Herr Vater +recht haben: ein verlorener Musikant?! Nein, nein -- man muß sich halt +tüchtig durchbeißen, fest zusammenhalten die paar Knöpf', die man noch +in der Hosentasche hat, und Stunden geben, mehr Stunden! + +Einige Schüler hat er schon. Aber die sind halt das Kreuz seines +Lebens. Fressen die schönste Zeit und beste Kraft weg für nichts und +wieder nichts. Diese Stockfisch', diese vernagelten! + +Einige Haustöchter aus guten Familien nehmen Unterricht bei ihm. Sie +schrecken vor dem Schwierigsten nicht zurück; was sie am wenigsten +können und verstehen, reizt sie am meisten. Es bringt den armen Franz +zur Verzweiflung. Dieses Haustöchtergeklimper! Heiliger Beethoven! +Muß deine Feuerseele so unters Klavier fallen! Muß es wirklich sein?! +Mamsell, Mamsell! + +Es muß wirklich sein. Mamsell ist sonst gekränkt und gibt die Stunden +auf. So also sieht die Freiheit aus?! Dreimal gefesselt vom Mangel, +von der Frone und der Schaffensnot. Die Tage im Schulhaus -- was war +das für eine sorglose, glückliche Zeit! Er könnte ja zurückkehren, der +Vater würde ihn mit offenen Armen aufnehmen, ein reuig heimkehrender +Sohn! Aber er schleudert den Gedanken ergrimmt von sich: Feigheit, +erbärmliche Feigheit! Einem jungen Menschen geht es nicht schlecht, +auch wenn er kein Geld hat. Ein junger Mensch, der Talent hat und +arbeiten kann, ist reich. Reich, ja, das ist unser Franz, sitzt bei +goldenen Schätzen -- nur abbeißen kann er nichts davon! + +»Unbegreiflich, daß ein Mensch, wie du, nicht schon längst einen +Verleger gefunden hat!« wundert sich Spaun und nimmt die Sache gleich +energisch in die Hand. Wozu noch warten? Die Manuskripte stauen sich in +Schuberts Mappen und Tischladen. »Ich hab' mit Diabelli gesprochen, er +hat von dir schon gehört, geh' nur getrost hin.« So der liebe Freund. + +Franz faßt ein Herz. Er ist scheu vor fremden Leuten, und nun gar als +einer, der nichts bringt, sondern viel eher fordert! Es kostet viele +Überwindung, bis er sich auf den Weg macht. + +Endlich sitzt er im Geschäftsladen des Wiener Druckgewaltigen. Er muß +warten, ehe sich ihm die Tür des Chefzimmers gnädig erschließt. Eine +Viertelstunde vergeht, eine halbe Stunde -- das zermürbt den Menschen. +Entweder er lehnt sich auf und geht davon, nicht ohne einen kräftigen +Fluch zur Tür hineinzuschleudern, oder aber er knickt zusammen und +versinkt zu einem Häuflein Elend. + +Die Faust geballt, den Fluch auf den Lippen, will der Künstler seiner +Menschheitwürde den rechten Ausdruck verleihen, aber der Gedanke an die +Geldnot zwingt ihn nieder. Er gibt sich und dem Protzen da drinnen noch +fünf Minuten Frist, dann noch fünf Minuten -- endlich! es ist ein Glück +für den da drinnen, daß er den Künstler nun rufen läßt. + +Der steht nun demütig und verzagt vor dem gerissenen Geschäftsmann, der +ihn wie einen Bettler empfängt. Fürs erste, daß er auf den schüchternen +Gruß des Eintretenden gar nicht antwortet. Er streift ihn nur mit einem +flüchtigen Blick aus der Brille, dann sieht er ihn überhaupt nicht +mehr an. Es ist ein Geschäftskniff. Man darf den jungen, schaffenden +Talenten nicht zeigen, daß man sie braucht. Sonst werden sie in ihren +Forderungen unverschämt. Man muß sie so lange als möglich zappeln +lassen, bis ihnen das Wasser ins Maul rinnt, dann macht man den Fang! +Das ist die Geschäftsethik der Herren Diabelli und Genossen. + +Franz stammelt unverständlich etwas vor sich hin und legt ein Notenpack +auf den Tisch. Der Verleger blättert oberflächlich eine Weile herum, +schiebt das Ganze wieder zurück und sagt: + +»Nicht zu brauchen! Viel zu schwer! Das Publikum verlangt leichtere +Sachen. Ihr Herren Künstler glaubt immer, es muß durchaus nach eurem +Sinn gehen. Wer soll denn das Zeug verkaufen? Aber ihr denkt halt, +es tut nichts, wenn der Verleger sein Geld verliert! Es tut ja was! +Verstehen Sie mich?! Könnt' verhungern alle miteinand' mit eurem +verfluchten Eigensinn! Also lassen Sie sich's gesagt sein, machen's +leichtere Sachen, dann können's wiederkommen!« + +Draußen war Franz, er wußte nicht wie, der Schädel brummte ihm, das +Gesicht war hochrot, es war ihm, als ob er einen Schlag bekommen hätte. +Schnurstracks ist er heimgestürmt, aber das Heim ist auch keine rechte +Zuflucht mehr. Die Quartiergeberin hat's Grüßen verlernt, wenn sie +ihn sieht. Das macht die unbezahlte Wochenrechnung. Aber so geht's: +gestern war man noch ein gnä' Herr, heute ist man ein Lump! Das ist +die Psychologie der kleinen Leute, die eine feine Witterung für die +jeweilige Finanzlage haben. Verfluchte Bagage! Mali, das liebe, gute +Kind, ist alle Augenblicke in der Tür gesteckt, hat sich immer was +zu schaffen gewußt im Zimmer, war nie um einen Vorwand verlegen, und +blieb dann länger als nötig war, weil sie »gern etwas abgespickt hätte +beim Klavier ....« Dann bringt sie gelegentlich ein Stück Sonntagstorte +eigenes Fabrikat »zum Kosten«! + +Franz ist gutmütig und gibt ihr einige Gratisunterweisungen in leichten +Klavierübungen. Aber Mali hat dumme Finger und ist ganz talentlos ..... +Schließlich ist ihr ja auch nicht ums Klavierspielen zu tun. + +Die Mutter steht dahinter und schürt und schürt. Sie hat's schwer im +Leben und möchte das liebe, gute Kind gar zu gern versorgt wissen. +Aber Franz ist keiner, der sich einlullen läßt mit Schmachten und +Sonntagstorten, einspinnen und einnähen, bis es heißt, entweder Schuft +oder Trottel! Trottel, wenn man picken bleibt, Schuft, wenn man die +Kleine sitzen läßt. Franz ist weder für das eine noch für das andere +geboren. Weder Schuft noch Trottel -- das hat die arme Frau schließlich +doch gemerkt. Sie kuppelt auch nur so lang, als sie glaubt, daß der +»gnä' Herr« bei Kasse ist. »Ah, das ist so einer!« tippt sich die Alte +an den Kopf. »Ist nicht weit her mit der Marie (Geld)! Ich hab' mir's +doch gleich gedacht. Na, wart', mein lieber Gschwuf: so etwas könnt' +man brauchen!« So wird das gemütliche Heim allmählich eine Hölle. + +Aber auch im Wirtsbeisel verändert sich die Stimmung. Hut, Stock und +Überrock wird einem nicht mehr aus der Hand gerissen, der schofle Gast +mag sich nur selber bemühen. Der Fraß wird einem ziemlich achtlos +hingeschoben, jetzt kannst du drei-, viermal klingeln, bis so ein Lakl +die Ohren auftut. Hat man denn einen Geruch an sich, wenn einem das +Geld knapp wird? Es muß wohl so sein. Wer kein Geld hat, ist soviel wie +ein Pestkranker. Der soll sich nur gleich begraben lassen. Kein Hund +nimmt ein Stückel Brot von ihm! + +Franz ist nicht der Mann, sich die Misere anmerken zu lassen. Aber +da hat er sich verrechnet in der Kennerschaft der dienstbeflissenen +Menschheit. Das sind geübte Menschenkenner, die dienstbaren Geister, +und wissen genau, was es bedeutet, wenn der Herr von Schubert auf +das Fleisch verzichtet und sich mit Linsen und Spiegeleiern begnügt, +oder abends bestenfalls Augsburger mit Erdäpfl ißt, ein kleines Glas +Bier dazu, wenn auch der Durst noch so groß ist und -- was das größte +Verbrechen ist -- mit dem Trinkgeld zu sparen anfängt. Der Schmutzian, +der notige! + +Armut ist keine Schande. Sie ist mehr: ein Unglück ist sie, eine +Schmach! Zuweilen lastet es mit großer Wucht auf dem empfindlichen +Gemüt. Und herzzerreißend klagen die Geigen, Violen und Fagotten in der +Brust: e -- fis -- g -- h -- ais ....... Wie schwere Gewitterstürme +stöhnen die Kontrabässe drohend und unheilvoll tief unten: c -- c -- c +.... + +Ist denn in dieser infamen Welt, wo jeder Vogel sein Futter findet, +kein Platz für den gottbegnadeten Künstler? + +Es ist die Stimmung, in der der Galgenhumor erwacht. Den Freunden +geht's mit wenigen Ausnahmen auch nicht besser. Was ist eine Zeit +wert, die so ausgezeichnete Kerle darben läßt? Das gemeinsame Leid +macht stark. Was sind die Freunde doch für Mutmacher! Der Wert der +Freundschaft, nie steht er höher als in solchen Tagen. Es sind ihrer zu +viele, einer hält den anderen, sie wissen, die Zukunft gehört ihnen, +trotzig fordern sie die Gegenwart heraus. Aus dieser inneren Gewißheit +schöpfen sie den Humor, der sie selbst in dieser mißlichen Lage +beneidenswert macht. + +Das Verlegerunglück wird gehörig belacht und auf diese Weise der +Bitterkeit entkleidet. »Der Diabelli wird dich noch um Verzeihung +bitten und froh sein, wenn er die Brosamen aufheben darf, die von +deinem Tisch fallen, du Reicher im Genieland!« entschied Spaun. +»Hilft aber alles nichts, du mußt vorerst mehr in der Gesellschaft +herumgereicht werden, bis der Kerl leckere Zähne kriegt!« + +Schober hat wichtige Verbindungen angeknüpft. Er hat den Baron +Schönstein, der in seinen adeligen Zirkeln als Liedersänger glänzt, für +Schubert zu interessieren gewußt. Der aristokratische Amateur erkannte +sofort: hier ist ein Besonderer! Er ist Feuer und Flamme für ihn, rührt +die Propagandatrommel und erweckt in seinen exklusiven Kreisen die +Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Eines Tages empfängt Franz eine +Einladung in das Haus der Fürstin Soundso. »Dein Glück ist gemacht!« +erklärten die Freunde. Gemach, gemach, ihr lieben Heißsporne, auch +damit hat es seine Wege! + +Franz sitzt am Klavier, Schönstein singt. Die aristokratische +Gesellschaft ist entzückt, besonders aber die Damen. Sie können +sich nicht genug tun mit feurigen Anerkennungen und Glückwünschen. +Aber die Begeisterung gilt nur dem Sänger, Schubert sitzt am +Klavier, unbeachtet, vergessen, niemand von den Herrschaften würdigt +ihn eines Wortes oder auch nur eines Blickes. Die Fürstin, ihrer +Hausfrauenpflicht eingedenk, erinnert sich des Meisterleins, wenngleich +ein wenig spät. Sie will die Vernachlässigung gutmachen, sie spendet +dem Unbeachteten freundliche Worte des Lobes; sie ahnt dunkel, daß +etwas nicht ganz in Ordnung ist, und tröstet ihn darüber, daß der +Sänger seiner Lieder den Lorbeer allein einheimse, der eigentlich zum +größeren Teil ihm gehöre, dem Schöpfer der Lieder. Aber die Menschen, +die unter dem starken Eindruck eines guten Vortrages ständen, seien nun +einmal so. + +Franz lehnt bescheiden ab: »Geben Sie sich diesfalls nur keine Müh', +Frau Fürstin, ich bin's ja gewohnt, übersehen zu werden; ja, wenn ich +aufrichtig sein soll, so ist mir das sogar recht lieb -- wissen Sie -- +ich fühle mich dadurch weniger geniert ......« + +Das war kindlich aufrichtig, sogar rührend -- ob es die Fürstin +verstanden hat? Sie wußte jedenfalls die Form zu wahren und es am +Schlusse so zu wenden, daß die jungen Damen der Gesellschaft dem +bescheidenen Meister pflichtschuldigst einige Artigkeiten sagten. Dem +war es aber erst recht zuwider. + +Und als ihn die Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, die ihn schon +desselben Abends in der lustigen Blunzen erwarteten, bestürmten und vor +Neugierde brannten, was er vor dem auserwählten Damenkreis für eine +Wirkung erzielt habe, da sagte er unwirsch: »Ach, diese Frauenzimmer +sind mir zuwider mit ihren Artigkeiten; sie verstehen von der Musik +nichts, und was sie mir da sagen, geht ihnen nicht vom Herzen ...« + +Der Versuch schien also fehlgeschlagen. Doch Schober hatte schon wieder +einen neuen Ausweg gefunden. »Morgen abend seid ihr bei mir eingeladen, +und was meinst du, Franz, wer kommt? Kein Geringerer als der +Hofopernsänger Vogl, der große Vogl, Philosoph und gewaltiger Sänger +-- nun, so freu' dich doch, du hast doch nichts sehnlicher gewünscht, +als den großen Vogl kennen zu lernen. Ja, weißt du überhaupt, was das +heißt, wenn der deine Lieder öffentlich singt? Das heißt soviel, als +daß du dann ein gemachter Mann bist .....« + +Aber dem Franz ist es heute einerlei, er hat schon so viele +Enttäuschungen erlebt; immer, wenn es hieß, dann bist du ein gemachter +Mann, war es in der Regel für die Katz'. So mit Goethe, mit Salieri, +mit Diabelli, mit Schönstein, mit all den bürgerlichen Kreisen, in +denen er verkehrte, und die ihn wie einen Wunderknaben anstaunten, +da und dort auch verhätschelten, oder wie ihren lieben Wurstel +behandelten, besonders die Frauenzimmer -- ein gemachter Mann war er +darum noch lange nicht, obzwar es bei jeder neuen Bekanntschaft so +oft hieß: wenn sich der oder der für dich interessiert, dann bist du +ein gemachter Mann! Das Gegenteil war der Fall. Schulden hatte er +auf dem Buckel und wußte sich nicht zu retten vor Sorgen. Jede neue +Erfahrung zugleich auch eine Enttäuschung. Kein Wunder also, daß er in +einem Augenblick des Mißmuts nicht viel hielt von der oft gewünschten +Bekanntschaft mit Vogl, und daß es ihm für diesen Augenblick wenigstens +Wurst war. + +»Da hört sich aber doch alles auf,« legte jetzt Schober los, »meinst +du, daß es so leicht war, den Vogl soweit zu bringen? Nun kann ich dir +ja reinen Wein einschenken -- fürs erste wollte er überhaupt von dir +nichts wissen! Verstehst du? Nichts wissen wollte er von dir!« Und nun +erzählte er weitläufig, was es für Schwierigkeiten gekostet habe, den +ablehnenden Sänger umzustimmen. + +Ja, warum wollte er denn nichts wissen von unserem Franz? So eine +Gemeinheit! + +Na, na, na -- ist deswegen noch keine Gemeinheit! Es gibt eine Masse +junger Genies, die entdeckt werden wollen, in der Regel stellt sich +doch immer wieder heraus, daß es nicht weit her ist damit. Ist es da +zu verwundern, wenn ein berühmter Sänger, der auf diese Weise schon +hundertmal getäuscht worden ist, es sich zum hunderteintenmal gehörig +überlegt? Und dann sei nicht zu vergessen, daß ein Künstler wie Vogl +mit Musik überfüttert werde; was Wunder also, wenn er sich lieber +sehnt, von ihr loszukommen, als immer noch neue zu entdecken .. + +Die Erzählung Schobers fand allgemeine Mißbilligung, der Hochmut des +Sängers wurde mit scharfen Worten getadelt, nur Schubert ergriff +jetzt seine Partei: es sei doch ganz natürlich, daß der Mann seine +Ruh' haben will, und es wäre viel eher zu verwundern, wenn die +Antwort auf Schobers Begehren anders ausgefallen wäre. »So und nicht +anders hab' ich's immer erwartet!« erklärte er zum Schluß nicht ohne +pessimistischen Anflug eines, der, durch die Erfahrung gewitzigt, seine +Sach' auf nichts gestellt hat. So war er wenigstens vor allzu schwerer +Enttäuschung geschützt. + +Am anderen Abend auf dem Weg zu Schober klopft ihm aber doch das +Herz aus zweifacher Angst: entweder, daß der Gewaltige nicht kommen +würde, oder daß er am Ende wirklich erscheinen könnte ... Beides war +für den Weltscheuen und doch sehnlich Begehrenden in gleicher Weise +beunruhigend. + +Die jungen Kerle saßen bei Schober zusammen, sie hatten schon ein +bißchen musiziert, da tat sich um die festgesetzte Stunde die Tür auf +und herein schritt mit großer Miene der unnahbar tuende Vogl. + +»O Gott! Welche Ehre -- die Auszeichnung ....« Franz stammelte einige +unzusammenhängende Worte, daß er nun die Ehre der Bekanntschaft +haben soll und so weiter. Vogl schaut den Kleinen von oben bis unten +an, rümpft die Nase und geht, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, +gravitätisch an ihm vorbei. + +Du lieber Himmel! Der Anfang war unselig genug. Franz war jetzt ganz +auf den Mund geschlagen, auch den anderen entsank der Mut. Es herrschte +auf einige Augenblicke das Gefühl der tödlichsten Verlegenheit. + +Nun war Vogl der erste, der eine Entspannung herbeiführte. »Also, was +haben Sie denn da?!« Er sagte es, aber es klang nicht sehr aufmunternd. + +Dabei nahm er ein Notenblatt zur Hand, das wie eine Leimspindel für den +Vogl aufgerichtet war. Er überflog das Lied, summte es mehr, als er es +sang, legte es wieder hin und sagte: »Na, ist grad' nicht so übel!« Das +klang nicht sonderlich begeistert. + +Aber er wurde wärmer und wärmer bei den späteren Liedern, die er +anfangs nur mit halber Stimme sang; schließlich sah er sich den jungen +Mann schärfer an und wurde freundlicher und freundlicher. Beim Weggehen +klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Es steckt etwas in Ihnen, +aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden +Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen!« + +Er ging weg, ohne etwas vom Wiederkommen zu sagen, man wußte nicht +recht, wie man dran war mit ihm. Also wieder ein fehlgeschlagener +Versuch? + +Da gab selbst Schober die Hoffnung auf: »Er ist halt schon zu alt und +will sich von der Musik und von der Singerei ganz zurückziehen. Das +Kloster steckt ihm noch im Leib; wer im Kloster erzogen worden ist, dem +bleibt für sein Leben was hängen. Jetzt sitzt er am liebsten wie der +heilige Hieronymus in seiner Klause, hat seine Hund' und Kanarienvögel +um sich her, die Nase in der Bibel, im Marc Aurel, im Epiktet -- er ist +eben ein wunderlicher Kauz! Denkt euch, ein dramatischer Sänger, der in +den Theaterpausen lateinische und griechische Klassiker liest in der +Ursprache -- ist euch schon so etwas vorgekommen?« + +»Schade,« sagte Schubert, »ich wollt', es gäbe mehr solcher Leute!« +Die Idee eines freien Klosters schwebt ihm oft durch den Sinn, eines +weltlichen Klosters, wie er und Schwind oft zusammen träumen; Vogl als +Prior -- man malt sich jetzt die Sache hübsch aus, Schwinds Phantasie +tut das ihrige dazu: jeder in brauner Mönchskutte als Klausner, in +herrlicher Waldgegend auf schwellenden Moosbänken sitzend, in sinniger +Betrachtung versunken, die Pfeife im Mund, einen Bierkrug neben sich, +saftiges, schwarzes Brot, einen Bund Radieschen, von Weltsorgen +frei, der Kunst, der Schönheit, der Naturbetrachtung lebend -- der +Gedanke wäre nicht übel. Aber so halb und halb lebt man ohnehin +in Brüdergemeinschaft, wenn es auch bei diesen Klausnern in einem +weltlichen Ton hergeht. + +Ist übrigens ein wunderlicher Kauz, der Vogl. Er hält mit dem Lob gegen +Schubert und seine Freunde sehr zurück, aber durch dritte Personen +ward erfahren, wie enthusiastisch er die Lieder des jungen Genius vor +anderen rühmte. + +Und eines Abends erschien er unangemeldet bei diesen Weltbrüdern +und kam dann immer wieder, sang Lied auf Lied von Schubert und +fand es immer unbegreiflicher, wie solche Tiefe und Reife aus dem +jungen kleinen Mann, der auf den ersten Blick so unbedeutend schien, +hervorkommen konnte. Der alte Junggesell, der schon daran dachte, +sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, hat neue Kunstbegeisterung aus +Schuberts Liedern geschöpft -- Franz hatte nun wirklich einen neuen +Freund und Fürsprecher, dessen Stimme gehört werden mußte. + +Aber auch die Beziehungen mit Baron Schönstein erwiesen sich jetzt von +einigem Wert -- kurz und gut, Franz erhielt den Antrag, die gräflich +Esterhazysche Familie zum Sommeraufenthalt auf das Gut Zelez in Ungarn +zu begleiten und während dieser Zeit den Musikunterricht der beiden +Komtessen zu leiten. + +Es war, als ob eine unsichtbare rettende Hand eingegriffen hätte, um +den Schmachtenden von dem unerträglichen Druck der niederen kleinen +Alltagssorgen, die am schwersten drücken, zu befreien. Ein Sommer auf +dem Land, die Ferne, eine neue Welt und noch dazu sorgenfrei -- das war +die ersehnte Freiheit! Auch Schober ging für eine Zeit weg, Goethes +Wilhelm Meister ließ ihm keine Ruh', er wollte es einmal in diesem Stil +versuchen, halb Schauspieler, halb Dichter, halb Mäzen, dilettierender +Künstler auf allen Gebieten, der seine vielseitigen Gaben im Strome des +Lebens versuchen will. + +Spaun, Mayrhofer bereiteten sich auf längeren Urlaub vor, Schwind geht +auf eine Studienwanderung, der große Kreis von Familien, in denen man +verkehrte, geht im Sommer »aufs Land«. Die Fenster in den heißen Gassen +schließen sich, sie senken gleichsam die Lider, Wien versinkt in seinen +Dornröschenschlaf. Nur wer kein Geld hat und wirklich nicht anders +kann, bleibt da. + +Die Vorsehung hat diesmal für Franz ein gnädiges Erbarmen gehabt. Auf +nach Ungarn! Auf Wiedersehen im Herbst! Adieu, lieber Spaun! Adieu, +lieber Schober! Adieu, lieber Schwind! Bruderherz! Grüßt mir den Vogl! +Behüt' Gott alle miteinander! Behüt', behüt', behüt'! + +Behüt' dich Gott, liebes Wien! + + + + + IV. + + +Vierzig schnatternde Gänse reißen den guten Franz aus dem Morgentraum. +Vierzig ungarische Gänse, die zu gleicher Zeit zu schnattern anfangen, +als müßten sie das Kapitol retten -- dagegen kann der bleiernste Schlaf +nicht bestehen. Franz fährt wirr in die Höhe. Er ist noch gar nicht bei +sich. + +»Was ist denn los!« Er reibt sich die Augen, schaut um sich -- da hängt +ein farbig gestickter Klingelzug, in einer halbrunden Nische steht ein +zylindrischer glasierter Kachelofen, dort ein Waschtisch, in der Mitte +ein einfaches Tischchen mit weißem Tintenzeug aus Steingut, zwei Stühle +mit geblumten Polstersitzen, ein geblumtes Fauteuil, ein altes Klavier, +durch das kleine Fenster schaut grünes Gezweig herein, silbergrau +flimmert es durch das Blattwerk: die Morgendämmerung. + +Eine neue, ungewohnte Umgebung. »Wo bin ich?« Franz hat Mühe, seine +Gedanken zusammenzuholen. Das ohrenzerreißende Schnattern draußen -- +reden ungarisch, die Gänse -- jetzt hat er sich zusammengeklaubt und +zurechtgefunden. + +»So also sieht das Zimmerchen aus, das für die Dauer des +Sommeraufenthaltes auf Schloß Zelez mir gehört! Nicht übel! Das +Fenster, das Grün davor, der Ofen, die blumigen Stühle -- es hat +Stimmung!« + +Der Klingelzug -- mit heiliger Scheu betrachtet er ihn. Ein breites +Band mit bunter Kreuzsticharbeit bedeckt, wahrhaftig eine Zier der +kleinen Stube. Er braucht im Bette nur die Hand auszustrecken, ein +Riß, und es müssen schon die Diener des Schlosses herbeifliegen, nach +den Wünschen des Gastes zu fragen. Es zuckt in seinen Fingern -- aber +möge ihn der Himmel bewahren, wirklich zu ziehen! Gestern abend bei +der Ankunft hat ihm der Herr Kammerdiener gesagt, es sei nicht üblich, +die Klingel zu ziehen. »Es wird ohnehin gesorgt werden, daß es zur +rechten Zeit da ist, was dem Herrn Professor zukommt. Also, angenehme +Nachtruhe, Herr Professor!« Sagt es und zieht sich mit würdevoller +Miene zurück. + +Der gräfliche Herr Kammerdiener muß wissen, was Sitte ist. Seine +Gnaden, der Herr Kammerdiener wünschen auch nicht übermäßig gestört +zu werden, ist aber sonst ein umgänglicher Mann, wohlwollend, +herablassend, ganz nach Herrenart. Er geizt mit Titeln nicht, er ist +den »Professor« gewissermaßen sich selber schuldig; mit geringeren +Leuten würde er sich gar nicht abgeben. Franz hätte aus Bescheidenheit +ohnehin nie den Klingelzug angerührt, aber jetzt malt ihm seine erregte +Phantasie die beschämenden Folgen aus, wenn er sich wirklich vergessen +würde. Nein, nein, lieber sollte ihn doch gleich die Erde verschlingen. + +Mit einem Satz ist er aus dem Bett heraus, zum Fenster hin. Die +wundervolle Morgenluft, die da hereinströmt! Köstlich, das erste +Erwachen auf dem Lande! Diese Würze -- die Erde hat hier einen +anderen Geruch als daheim. Ein fremdes Land. Man ist gespannt auf die +Entdeckungen, die bevorstehen. Gestern abend, diese Müdigkeit, man +hat gar nicht Zeit und Sinn gehabt, sich umzusehen. Man war ja wie +zerschlagen nach der langen Fahrt im Postwagen. Aber schön war es, +seltsam schön. + +Jetzt kehren die Bilder zurück, die man unterwegs erschaut hat. Auf +dieser Fahrt durch die Ebene, die weit geöffnet dalag wie die Hand +Gottes, eine riesige Blumen- und Fruchtschale. Unaufhaltsam ging's +weiter durch endlose alte Alleen, staubweiße Straßen, vorbei an +kühlen, dunklen Kirchen, geduckten Dörfern, hellen Schlössern, immer +weiter, weiter gegen Osten. Fliegende Wolkenschatten huschten gleich +wandernden Gedanken über das klare Antlitz der Ebene, sie atmete +sichtbar und erregt, wenn sich der Wind in die hohen Pappeln legte, +und war still und traurig, wenn sich der Himmel trübte, und war ein +Lächeln über und über, wenn die Sonne aus den Wolken trat. Die Felder +standen fruchtschwer, und die Weiber mit den roten Kopftücheln sahen +aus wie Mohnblüten im gelben Stroh. Ein schönes Stück Welt hat man im +Flug gesehen, aber das Beste sollte erst kommen, denn hier im Schlosse +begann ein neues ungewohntes Leben für Franz. + +Dort im Grünen watschelten die weißen Gänse und riefen den +heraufziehenden Morgen an. In niedrigen Zeilen gingen die +Wirtschaftsgebäude hin bis hinunter zum Ententeich, der, von hier +gesehen, wie ein kleiner Handspiegel draußen lag. Uralte Bäume +schoben ihre mächtigen Häupter über die hochgezogenen Dächer der +Wirtschaftsanlagen empor. Der Park von Zelez! Die Lage war schön, das +hat man gestern bei der Ankunft schon gemerkt. Freilich, hier, im +Hintertrakt des Schlosses, wo sich das Zimmerchen für den Herrn Musikus +befand, war noch nicht viel zu sehen. + +Mit dem Schlaf war es jetzt vorbei. Schnell in die Kleider geschlüpft, +leise, um niemanden zu stören, und hinaus in die Morgenfrische! Aber +draußen war es inzwischen auch schon lebendig geworden. Um vier Uhr +früh regt sich schon das Leben auf dem Gutshof. Es ist nicht so wie in +der Stadt, wo man sich um acht Uhr morgens den Schlaf aus den Augen +reibt. + +Da guckt ein hübscher Kopf zur Tür herein. Das Stubenmädchen. »Guten +Morgen, Herr Musikdirektor!« Sie hat ihn gestern abend so freundlich +angelacht und erkundigt sich nun, ob er gut geschlafen oder ob er +schon das Frühstück wünsche, und nach hundert anderen Kleinigkeiten. +Wahrhaftig, eine gute, mitfühlende Seele! Man hat Freunde gewonnen +auf den ersten Blick, die Gefühle erwachen unter dem Anhauch der +Weiblichkeit, man fühlt sich schon wie zu Hause. + +Und jetzt durch den Park in einem weiten Bogen um das Herrenhaus, man +möchte das Schloßantlitz sehen. Da, über dem tauglitzernden, weiten, +grünen Rasen steht es und leuchtet weiß. Ein behäbiger, breiter +Mittelbau mit dreieckigem Giebel und französischem Dache, den breiten +Flur von dickgepolstertem Efeu flankiert, links und rechts breite +Gebäudeflügel mit hohen Dächern, grünen Fensterläden, ländlich, behäbig +und zugleich so vornehm! + +Franz tritt nicht heraus aus dem Buschwerk, er möchte nicht gesehen +werden, er ist so schüchtern. Auf dem Rückweg begegnet er einem jungen +Mann im Walde mit einem Buch. Der Sohn des Inspektors. Ein junger +Philosoph, der die Ferien daheim zubringt. Sie grüßen sich schweigend. +In der Nähe des Gutshofes begegnet ihm der Inspektor selbst. »Guten +Morgen, Herr Kapellmeister!« ruft er schon von weitem, bleibt stehen +und beginnt ein Gespräch über Musik. Er rühmt sich seiner eigenen +Musiktalente. O weh: ist schon gefehlt! Aber man muß gute Miene machen, +es sind die Leute, auf die man angewiesen ist. + +Im Wirtschaftsflügel erscheint die Frau Inspektor am Fenster. Sie +will als Gnädige behandelt sein und gibt sich mit einer gezierten +Vornehmheit, als ob sie die Gräfin selber wäre. Sie nickt und setzt mit +deutlicher Unterscheidung hinzu: »Morgen, Herr Musiklehrer!« + +Man hat so ziemlich schon das ganze Grafengesinde am Morgen begrüßt, +den jungen Doktor, der mit seinen vierundzwanzig Jahren kränklich +tut wie eine alte Dame, den Rentmeister, der herumsteigt wie ein +großer, dicker, roter Puterhahn, den Koch, der sehr fidel tut, die +Kammerjungfer, die alte Kinderfrau, den etwas unwirschen Beschließer, +die beiden Stallmeister. Das sind die Leute, zu denen man jetzt +gehörte. Soviel Menschen, so viele Titel haben sie dem armen Schubert +an den Kopf geworfen, daß er wirklich nicht mehr weiß, was eigentlich +für eine Rolle am Gutshof er zu spielen bestimmt ist. + +Auf dem Zimmer steht bereits das Frühstück: Kaffee, ein Ei, etwas +Butter und zwei Brötchen. Sehr splendid! Franz hat das dankbare +Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Endlich einmal nicht denken zu +müssen: wovon werde ich heute leben, wo werde ich das Nötige morgen +hernehmen und übermorgen? Wird es reichen für den heutigen Tag? Was +kann ich mir vom Mund absparen, um das Dasein zu fristen, so lange, +bis das kärgliche Stundengeld wieder bezahlt wird? Das ist jetzt +alles von ihm genommen. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht -- so +frei, so leicht, so unbeschwert von Sorgen, arbeiten können, ohne den +fürchterlichen Druck der Lebensnot zu spüren! Von nichts gehemmt kann +der Born der Erfindung springen, mächtiger und reichlicher als zuvor! + +Die Frühstunden bis elf Uhr vormittags gehören ihm und seiner Arbeit. +Um elf Uhr erwarten ihn die beiden Komtessen Marie und Karoline +im Musikzimmer. Das ist ein großer, hübscher Gesellschaftsraum an +der Vorderseite des Schlosses mit dem Blick auf den Rasenteppich; +ein schmales, langes Klavier steht in der Ecke und verstellt eine +weiße Glastür, die oben in einem halbkreisförmigen Bogen endet, +ganz empiremäßig, und mit weißen Linnenvorhängen bespannt ist. In +der Fensternische steht eine blumige Polstergarnitur mit Sofa, +hohen Fauteuils und einem Tisch in der Mitte, der auf einem Bein +mit breitem Sockel steht. Auf der anderen Seite des langen Saales +steht ein Schreibtisch beim Fenster, und in der Ecke ein langer, +niederer Lesetisch mit vielen bequemen Stühlen herum. Familienbilder +hängen an den Wänden in Türhöhe, darunter eine Unzahl Miniaturen, in +kleinen Schränkchen an den Pfeilern und in der Ecke befindet sich +edles Porzellan. Der glattgewichste Parkettboden blinkt spiegelhell. +Freundlich, behaglich und vornehm ist es in dem Raum. + +Die beiden Komtessen behandeln ihn wie einen Bruder. Sie sind +aufmerksam und liebevoll mit ihm, gar nicht scheu; besonders Karoline +geht so liebreich mit ihm um, daß er selbst alle Sprödigkeit verliert +und sich alsbald natürlich gibt wie unter seinesgleichen. Auch sie +nennen ihn zuerst »Herr Professor«. Seine Verzweiflung darüber +gibt ihnen zu lachen, das Eis ist damit gebrochen gewesen, aus dem +»Professor« wird wieder der Herr Schubert, er avanciert zum »lieben +Herrn Schubert«, der »Herr« fällt als überflüssige Förmlichkeit fort; +auf der Stufenleiter zum Komtessenherzen rückt er vor zum »Franzi«, +manchmal zum »lieben Franzi«, dies aber nur unter Ausschluß fremder +Zuhörer. + +Auch die Frau Gräfin ist freundlich, gutmütig, eigentlich nicht +herzlich, nicht warm, aber wohltemperiert. Immer gleichmäßig, +gleichmäßig lauwarm mit unverändert zur Schau getragener wohlwollender +Miene. Sie gibt sich so einfach, so leutselig, dabei so leise und +zurückhaltend, daß die Leute sagen: die Gräfin ist ein Engel! Sie +tut, als ob sie von Standesunterschieden nichts wüßte, aber hinter +ihrer klugbedachten Art liegt die ganze unaufgedeckte Kluft, durch +die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen fernhält. Ihr Stolz trägt +die Maske herzgewinnender Bescheidenheit, aber es ist nicht Herz in +ihrem Gehaben, sondern nur die unerhörte Zucht des aristokratischen +Selbstgefühls. + +Franz fühlt es, wieweit alles Menschliche bei ihr vom Standesbewußtsein +bestimmt und abgezirkelt ist; ihre Freundlichkeit hat anfangs etwas +Bedrückendes, Demütigendes für ihn, aber man gewöhnt sich daran. +Sie liebt die Musik, es ist die einzige Brücke zwischen ihm und der +Gräfin -- aber sie erkennt in ihm nicht den Genius, der Königen im +Range gleichkommt; er bleibt in ihren Augen nur der bessere Diener, +der das Klavier bedient, den Unterricht erteilt und nebenher sich in +Komposition versucht. + +Es liegt ein schmerzlicher Stachel in dieser Erkenntnis, aber die Milde +der Gräfin schafft eine solche Linderung um die stille Demütigung, daß +die Auflehnung ganz hilflos wird. So großartig versteht sie die Welt +in Schranken zu halten und eine Art luftleere Sphäre um sich herum zu +schaffen, daß nichts Lebendiges an sie heran kann. Diese aufreizende, +ewig gleichgestimmte Freundlichkeit! Franz, der angefangen hatte, sich +darüber zu ärgern, muß schließlich damit enden, indem er sie ob dieser +Kunst bewundert. + +Die zwei Musikstunden am Vormittag vergehen im Flug. Die beiden +Komtessen sind ja so gute Kinder! Um halb zwei Uhr wird zu Mittag +gegessen. Franz speist mit der Herrschaft. Das ist das einzig +Unangenehme in dem Schlaraffenland. Man fühlt sich so geniert. Und +gar der Herr Graf! Wenn der kommt, dann sinkt alle Unbefangenheit auf +den Gefrierpunkt herab. Wenn Franz vor einem Menschen ein Bangen hat, +so ist es dieser robuste Mann mit dem geröteten Gesicht, den herrisch +dreinblickenden Augen und dem brutal rücksichtslosen Ausdruck seines +Gesichts. + +Der Graf küßt der Gräfin die Hand, spricht im Kreis der Familie +nie anders als mit gedämpfter Stimme, ist dem armen Franz gegenüber +von einer Zurückhaltung, die so eisig ist, daß die wohlgemessene +Freundlichkeit der Gräfin dagegen wie ein heißer Quell von Herzlichkeit +wirkt. Kaum, daß der Graf fünf Worte je mit ihm gesprochen hat. Während +er sich mit leiser Stimme nach den Fortschritten seiner unbekümmert +plaudernden Töchter erkundigt, denkt der stillsitzende Franz an die +furchtbare Donnergewalt und an die Flut von Schimpfreden, die er am +Morgen vom Stallgebäude her aus dem Munde des Grafen gehört hat. Dem +seiner Zartheit ist nicht zu trauen! + +Das Mittagessen ist so einfach wie möglich. Suppe, Fleisch, Gemüse, +etwas Mehlspeise, Obst. Am Freitag gibt es Fisch. Zweimal die +Woche entfällt das Fleisch; ab und zu gibt es Entenbraten. Wiener +Bürgersleute leben weitaus üppiger, eine Kost wie diese haben auch +die gewöhnlichsten Leute der Stadt. Freilich die Zubereitung ist über +alle Begriffe gut. Aber dem guten Franz mundet's trotzdem nicht. Das +Ungewohnte der Lage -- diese verflixte Schüchternheit! + +Zu Abend speist Franz ebenfalls mit den Herrschaften. Ein Ei, +Butterbrot, ein Glas Milch, später etwas Kompott. Herrgott, ist das +eine Sparsamkeit! denkt sich Franz. Grenzt schier an Geiz! Ist aber +nicht so. Ist bloß raffinierte Zucht, die solche Prachtexemplare +aristokratischer Menschen erzeugt. Die Komtessen Marie und Karoline, +was sind das für herrlich blühende Mädchengestalten. Und einfach, +einfach -- man sollte es nicht glauben! Ein schlichtes, weißes +Kleidchen -- eine bürgerliche Mutter würde sich ein Gewissen daraus +machen, die Tochter so schlicht zu halten. Die Leute würden denken, +man habe nichts anzuziehen, also wird die Tochter wie ein Palmesel +herausgeputzt. Aber die adeligen Fräuleins können sich den Luxus der +allergrößten Enthaltsamkeit und Einfachheit erlauben. Es ist wirklich +das Allerkomplizierteste, diese Einfachheit! + +Franz wundert sich, keinen Tropfen Wein oder Bier, weder zu Mittag +noch zu Abend. Woher nur der Herr Graf sein rotes Gesicht hat?! Der +Kammerdiener erklärt es: »No, ganz einfach; fahrt Graf mit Viererzug +nach Eisenstadt die Woche drei-, viermal, da fließt Sekt in Strömen -- +aber zu Hause, nicht einen Tropfen!« + +Aber das Gesinde hat eine andere Lebensführung. Da gibt's Bier und Wein +zu Abend, mächtigen Schweinsbraten, mittags Geflügel, ja, da lebt man +hochherrschaftlich! Der Herr Rentmeister läßt sich nichts abgehen, der +Herr Inspektor hält nicht weniger auf guten Tisch, jeder trachtet, daß +er nicht zu kurz kommt bei den Genüssen dieser Erde. Nur wenn in der +gräflichen Familie Gesellschaft ist, darf Franz auf seinem Zimmer oder +im Inspektorflügel essen. Er gehört zur Familie, wenn sonst niemand +da ist, im übrigen wird er dem Grafengesinde zugezählt. Hier kann man +wieder ganz Mensch sein! Es tut so gut, aus den dünnen Höhen einmal +wieder herabzusteigen und festen Fußes auf der Erde zu wandern. Ein +Glas Bier zu trinken, einen Becher Wein -- der Herr Kammerdiener hat +immer einen guten Tropfen auf der Seite und fragt des öfteren, ob er +nicht vielleicht ein Glas voll abends aufs Zimmer stellen darf, nach +dem frugalen herrschaftlichen Souper. + +Die vertrauliche Frage läßt tief blicken, aber die Heimlichtuerei ist +dem guten Franz zuwider; er lehnt es ab, obgleich die Zunge danach +lechzt -- er lebt jetzt als richtiger Puritaner. Nur bei dem Essen im +Inspektorflügel, da legt er sich keinen Zwang auf, es geschieht offen +und vor aller Augen -- du lieber Gott! weswegen hast du denn einen so +guten Tropfen wachsen lassen, wenn ihn der Mensch verschmähen soll?! +Nur keinen Spott über diese Himmelsgaben -- alles, was gut ist und das +Herz erfreut, soll der Mensch genießen dürfen, das ist sein Standpunkt. +Die übertriebene Frugalität in Ehren, ist aber nicht jedermanns Sache, +und der Künstler ist am wenigsten Kostverächter. + +Es kommen abends öfters Zigeuner vorbei und spielen beim +Inspektorflügel auf, ganz unten, wo die Linde steht, in der Nähe vom +Ententeich. Ist das eine Musik, die sich glühendheiß in die Adern +ergießt und das entschlafene Feuer weckt! Schwer und sehnsüchtig +wird einem dabei. Die braunen Pußtasöhne stehen unter dem Baum und +geigen, wie es ihnen der liebe Gott diktiert. Auch die haben's von +niemandem sonst gelernt, aber es klingt anders, ganz anders, als es +Schubert weiß. Schwermütig, wild aufjauchzend, fortreißend in wilder +Leidenschaft, besinnungslos und wieder hinklagend wie der unendliche +Sehnsuchtshauch der Pußta. Wild ergreift es die Menschen, die Knechte +in weißen, weiten, gefransten Hosen, die bis unters Knie über die +Röhrenstiefel hängen, eine enge, kurze Jacke an, ein rundes Hütlein am +Kopf, reißen die Mägde an sich, und nun wirbeln sie hin in Raserei. + +Eine neue Welt geht vor den Sinnen des jungen Künstlers auf, der fremde +Quell von Tönen, der ihm da entgegensprudelt, ist nicht verloren, er +weckt einen verwandten Ton in seiner Brust, irgendwie tritt der neue +Zufluß in seinem eigenen Melodienstrom verwandelt zutage. + +Rosa, das Stubenmädchen, wird elegisch bei der Zigeunermusik. Sie ist +nicht mehr ganz jung, hat mancherlei Erfahrung, aber das Herz -- das +Herz ist noch töricht. + +Und dieses Herz hat sie auf der Zunge; sie begleitet ihre Geständnisse +mit einem frommen Augenaufschlag: »Ich kann halt nicht nein sagen -- +die Männer sind so schlimm --« Ob er ein Liebchen in der Stadt gelassen +hat, fragt sie Franz, weil er immer so ernst und traurig sei. Sie will +ihn trösten. + +Warum! + +O, sie weiß, was das heißt, wenn man ein Liebchen verloren hat. Da geht +man herum wie ein halb Gestorbener. Ihr ist es auch einmal so gegangen. +Sie hat geglaubt, sie könnte es nicht überleben. Und hat es doch +überlebt. Aber wie -- fragt nur nicht wie! + +Sie lehnt sich an Franz' Schulter und fährt mit dem Zipfel ihrer +Schürze an die Augen. + +»So gelockte Haare hat er gehabt wie der Herr Kapellmeister! Drum waren +Sie mir gleich so sympathisch -- ich habe es Ihnen angesehen. Sie haben +ein Herz im Leib -- o, auf den ersten Blick habe ich gewußt, wieviel es +geschlagen hat!« + +Aber Franz schweigt. Er kann Rührseligkeiten nicht leiden, und dann +ist dort der Herr Beschließer, der macht schon ganz fürchterliche +Augen, er ist eifersüchtig auf den Musikus. + +Franz wird sozusagen auf Händen getragen, auf Frauenhänden, das läßt +man sich gern gefallen. Warum sollte er unfreundlich sein gegen Rosa. +Sie ist hübsch, und Sympathie verpflichtet. Sie leistet ihm gar zu +gern Gesellschaft und vertraut ihm ihre Geheimnisse an, wenn sie den +Kaffee bringt, und dabei verplauscht sie sich gern ein bißchen. Aber +da schleicht schon der argwöhnische Höllenhund von einem Beschließer +vor der Tür herum und guckt durchs Schlüsselloch, ob er nicht +etwas bemerken könnte, um Skandal zu schlagen. Teufel auch, soll +umherschleichen, der schlechte Kerl -- soll man etwa nicht ein Wort +reden dürfen miteinander? + +Aber Franz ist nicht nur von dem weiblichen Gesinde auf Händen +getragen, er wird auch von gräflichen Händen auf Rosen gebettet. Die +beiden Komtessen haben ihn ins Herz geschlossen. Am meisten Karoline. +Die kalte Freundlichkeit der Gräfin, der rohe Hochmut des Grafen -- es +wird reichlich wett gemacht durch die natürliche, unschuldige, echt +menschliche Zuneigung der beiden Komtessen. Wie Kameraden wandern sie +mit ihm nachmittags in den Park hinaus, streichen zwischen den Feldern +umher, zwischen den Weingärten; zur linken Seite und zur rechten Seite +hat sich ein Komteßlein eingehängt, und beide wetteifern im Schöntun. +Er muß Fangen mit ihnen spielen, in ihren dünnen, weißen Kleidern jagen +sie behend neben ihm her wie die Jagdgöttinnen aus den nachgedunkelten +Dianabildern im gräflichen Hausflur. + +Mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen rennt er nach, bis ihm der Atem +zu kurz wird, er kann die Jungfrauen nicht einholen, die leichtfüßig +und schlank wie junge Rehe vor ihm einherspringen. Aber sie machen's +ihm leicht, die lassen sich gutwillig fangen, und dann muß er hinknien, +sie winden ihm ein Blumensträußlein, er muß sich's aufs Haupt setzen +lassen, Karoline streichelt mit zarten, gräflichen Fingern über seinen +Scheitel, und beide werden nicht müde, seine wirren Locken zu bewundern. + +Es wird ihm ganz heiß und eng, ein so reiner, seliger Hauch von Liebe +geht von den beiden Mädchen auf ihn über, er fühlt wie ein arkadischer +Schäfer und möchte die beiden Schäferinnen an sein Herz ziehen -- aber +er bittet die jungen Damen, daß man jetzt heimgehen soll, die Mama +könnte sonst schimpfen! + +Da lachen ihn beide aus, fassen ihn bei den Haaren und bei den Ohren +und knuffen ihn zärtlich ab, und wenn ihm das Herz fast vergeht vor +Wonne und Weh, er muß fein schweigen und tun, als ob er so wenig spürt +wie etwa der Pudel, der sich ähnliche Liebkosungen ruhigen Gemütes +gefallen läßt. + +Nur in Noten, in Melodien darf das Geständnis seiner Liebe ausströmen. +In Tönen darf er träumen »von Lieb' um Liebe, von einer schönen Maid, +von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit ...« Wenn er in +seinem Zimmer sitzt, dann wird das Herz noch einmal so wach. Bei den +Blättern, die er mit krausen Zeichen, Punkten und Strichen bedeckt, +denkt er dem Traume nach, das Herz schlägt geschwind -- er sitzt hier +allein, aber wenn er die Augen schließt, drängt es sich liebend an +ihn -- jetzt ist der einsam Schaffende nicht mehr allein. Die Augen +schließt er wieder, das Herz schlägt stürmisch und heiß, am Fenster +grünen die Blätter, wann -- »wann halt' ich mein Liebchen im Arm ...?!« +So jubelt ein herzvoll sehnsüchtiger Sang in seiner Brust und hat +alsbald Gestalt als Lied, um ewig fortzuklingen in der Welt von Seele +zu Seele. + +Tra--ra! Tra--ra! Ein Horn schmettert draußen, er schmeißt den +Federkiel hin und springt ans Fenster -- die Post fährt vorbei. Was hat +es nur, das Herz, daß es so hoch aufspringt? + +Die Post kommt von der Straße her, die weit, weit zurückläuft -- die +Post kommt von der Stadt, wo man so glücklich war im Leiden, ja, so +glücklich war! Was machen sie alle? Die lieben Freunde, was macht +der Herr Vater, die Frau Mutter, was machen die Brüder? In dieser +Einsamkeit, in der man lebt, sind einem die Fernen näher als sonst. + +Rosa huscht ins Zimmer herein, lautlos wie ein Kätzchen. Und hat +sich schon an Franz geschmiegt beim Fenster. »Ein Brief vom Liebchen +da?« Sie möchte gar zu gern etwas Näheres über den Herzensbefund des +verschlossenen Franz wissen. Ob er nicht doch ein Liebchen hat, daß er +so gar nicht verstehen will, wenn sie ihm ihr eigenes Herz schon auf +dem Präsentierteller entgegenbringt. Ach, die Rosa ist feurig, sie weiß +ihn gehörig in die Enge zu treiben beim dicht umblätterten Fenster, wo +der Herr Beschließer durchs Schlüsselloch nicht hinblicken kann. Aber +Franz weiß sich immer noch aus der Schlinge zu ziehen, obzwar es ihm +manchmal selber schwer genug ankommt. Wenn er sich einmal vergäße, +denkt er, dann ist kein Halten mehr! Und wie leicht ist es geschehen. + +»Halt, Fräulein Rosa, ich glaube, der Beschließer ..!« das war bisher +immer noch von der Wirkung eines kalten Wasserstrahls, um Rosas +glühendes Verlangen in geziemenden Schranken zu halten. Aber wer weiß, +was jetzt geschehen wäre, wenn nicht der Herr Schwager draußen sein +gelbes Gefährt angehalten und Briefe an den Herrn Kompositeur Franz +Schubert abgegeben hätte. + +Rosa läßt sich alles haarklein berichten, wer geschrieben hat und was +in den Briefen steht, sie kann es nicht glauben, daß einer so streng +gegen sich und schier ohne Liebesbegehren sein mag, wenn er nicht +doch am Ende irgendwo ein Liebchen versteckt hätte. Aber es sind +wirklich nur Briefe von den Anverwandten. Der Herr Vater schreibt +sogar eigenhändig, es freue ihn, daß es dem Sohn gut gehe und daß er +bei so hohen Herrschaften Anerkennung und Stellung gefunden habe -- +es scheint, daß er sich mit dem Sohn in seinem Herzen ausgesöhnt hat, +nachdem dieser doch etwas wie ein Amt bekleidet. + +Also, ein ganz verlorener Musikant, das ist der Franz nun doch +nicht mehr. Der Bruder Ferdinand berichtet, daß die Frau Mutter den +gewünschten Nachtrab von Schnupftüchern, Halstüchern und Strümpfen +schickt und daß die bestellten kasimirnen Beinkleider unterwegs seien; +sie denke in mütterlicher Sorgfalt an Franz .... Die Briefe klingen +alle etwas steif und hölzern, es ist keine rechte Erlösung darin. Wo +bleiben die Freunde, daß sie kein Wort schreiben? + +»Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz, was +drängst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz!« + +Die arme Rosa kennt sich gar nicht mehr aus mit dem wunderlichen +Musikanten, der ihr dieses eigen komponierte Liedchen von der Post +vorträllert; sie hat schon ganz den Kopf verloren, wie wird das noch +enden, wie? + +»Sie schlimmer Herr Franz!« + +Der Sommer vergeht, der Herbst kommt, und immer dieses Leben, dieses +wohlgemessene, äußerlich glückvolle, sorgenfreie, innerlich drangvoll +begehrende und immer wieder spröd sich versagende! Hundertmal fährt +der Postillon vorüber, immer wandern die Gedanken mit, man möchte +aufschreien: halt, Schwager, halt, nimm mich mit! Zurück in die Stadt! +Zurück in die sehnsüchtig begehrte Wienerstadt, die alles einschließt, +was das Leben an Glückseligkeit gewähren kann. O Wien, Wien, Wien! + +»Willst wohl einmal herübersehen und fragen, wie es dort mag gehen, +mein Herz -- mein Herz?!« + +Ja, ja, so fragt das Herz, das allzu unruhige, stürmende, pochende! Die +Herbstabende sind lau und gnadenvoll, die Bäume im Park prangen in den +Farben der Dukaten, alten Münzen, Medaillen, grün und gold -- es ist +eine Jahreszeit zum träumerischen Sinnen. + +Nach dem Abendessen an der gräflichen Tafel wird noch ein kleiner +Spaziergang gemacht. Zigeuner treten auf den grünen Plan und bringen +der Herrschaft ein Ständchen. Ein schäumender Trank, diese Musik, die +das Blut rebellisch macht und den Zwang doppelt unerträglich! + +Komtesse Karoline hatte sich mit Franz unter den dunklen Bäumen des +Parks verloren. Er redet etwas von den Empfindungen, die diese Musik +auslöst. + +»Diese braunen Kerle, sie leben das richtige Künstlerdasein. Das +Leben verraucht, verträumt, vergeigt, so ist es auf göttergleiche Art +genossen. Und dann kommen sie und spielen einem die Seligkeiten ihres +genossenen Glückes vor, daß einem die Brust zerspringen möchte ..« + +Er hatte nicht vollendet, da fühlte er sich plötzlich umfaßt, zwei +weiße, weiche Arme warfen sich um seinen Hals, ein schlanker, +dufthauchender, gertenhaft biegsamer Körper zog ihn an sich, ein +frischer Mund suchte seine Lippen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. + +»Franz, lieber Franz, ich hab' dich ja so lieb ....« + +Er wußte jetzt wirklich nicht, wie ihm geschah. Das schöne, adelige +Fräulein -- die Liebe hatte ihn jetzt umfangen, diese Seligkeit, die +still Angebetete in seinen Armen zu halten, und zugleich die Qual, +nein, die Scham, sie spröd von sich weisen zu müssen. Er machte ihre +Hände los, die sich um seinen Nacken fest ineinander gekrampft hatten. + +»Komtesse Karoline -- ich bitte -- bedenken Sie doch -- ich bin nur ein +ganz elender bürgerlicher Erdenwurm, der nicht die Augen so hoch zu +erheben sich vermessen darf -- meine unbegrenzte Verehrung -- aber wir +müssen doch vernünftig sein -- der Herr Papa -- und die Frau Mama ....« + +Ja, es war zum Heulen. Und wenn er zugrunde gehen hätte müssen -- das +Vertrauen mißbrauchen, nein! Der mit allem Schein der Freundlichkeit +und Milde verhüllte Abstand, den die Gräfin aufrechtzuerhalten wußte, +das wirkte auf ihn mit einer stärkeren Zucht, als es der brutale +Hochmut des Grafen oder die Furcht vor dessen Zorn sein konnte; +der Graf würde vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor einem +Totschlag -- aber das war nicht der Grund, weswegen Franz sich eine so +übermenschliche Herrschaft auferlegen konnte; es war der innere Takt, +der bei aller Liebe zu dem Mädchen sich als Hüter ihrer Ehre fühlte und +nur zu gut wußte, daß der Abstand zweier Welten zwischen ihm und ihr +lag -- sie mußte am jenseitigen Ufer bleiben. + +Manches liebe Wort ward unter den Bäumen noch gesprochen, es gab Tränen +und eine letzte Süßigkeit, die im freiwilligen Entsagen liegt -- der +Kies knirscht, wie sie mit elastischen Schritten wegeilt, zum Schloß +hin, rein und weiß schwebt sie durch das späte Dämmerlicht. + +Die Zigeuner spielen jetzt fern, an der Linde beim Ententeich; Franz +ist allein in der Einsamkeit seines Zimmers; draußen ist helles frohes +Leben, Tanz und Lust bei der Linde -- die Welt scheint hier so ruhig +und so licht! + +Aber so elend, so elend war er nie, wie jetzt; er war es nie, wenn die +Stürme tobten, wie er es jetzt ist, in der Stille dieses Lebens. + +»Ich wußte, daß Sie hier auf mich warten -- alle sind bei den +Zigeunern, auch der Beschließer, der gemeine Kerl! Franz, haben Sie +denn kein Herz?« + +Eher zu viel als zu wenig! Aber es gehört der einzigen Geliebten, mit +der er am liebsten allein ist, die er in seinem Zimmer, in seinem +Klavier, in seiner Brust verbirgt und die ihm alle Geständnisse +abverlangt, alle Prüfungen und Nöte der Liebe, alles sehnsüchtige +Verlangen und schmerzliche Entsagen. + +Aber die Stunde ist gefährlich, und Jungfer Rosa setzt ihm hart zu. +Wie wird dieses Herz bestehen zwischen der keuschen, reinen Liebe des +adeligen Mädchens und dem glutvollen Verlangen dieses unbekümmerten +Volkskindes? Und diese Musik, die so verführerisch und sinnenerregend +herüberklingt -- aber man ist kein frivoler Laffe, und man hat es +schwer mit sich selbst. Die widersprechenden Empfindungen beschwören +einen solchen Konflikt, man kämpft einen schweren Kampf, und die Liebe, +wenn sie einmal kommt und ihn segnen will, vermehrt nur seine Pein. Im +Lied allein kann er hoffen, seine Erlösung zu finden. + +Am anderen Morgen ist Sonntag, Franz ist in der Dorfkirche unten, er +hört sich die Predigt an. Wo bleibt diesmal die befreiende Stimmung, +die er im Gotteshause immer gefunden? Liegt es an ihm, oder ist der +polternde Kapuziner auf der Kanzel schuld, der auf die Bauernschädel +herabdonnert, mit Ludern und Kanaillen herumwirft, einen Totenkopf von +der Kanzel herab zeigt: »Da seht her, ihr gukerscheckigen Gfrieser, +so werdet ihr einmal ausschauen ....« und dann hebt erst recht die +Moralpauke an: »Da geht der Bursch mit dem Mensch ins Wirtshaus, tanzt +die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder und stehen ihrer +drei wieder auf ....« + +Dem guten Franz wird es unerträglich, er trachtet hinauszukommen ins +Freie. Hier unter den Bäumen ist wahrer Gottesdienst. + +Der Schwager Postillon war da und hat Briefe gebracht. Bruder +Ferdinand möchte das Klavier von Franz kaufen, er tut dabei so +zimperlich, als ob er nicht dem Bruder, sondern einem wildfremden +Menschen schriebe. Es ist wirklich zum Ärgerlichwerden -- schenken will +ihm Franz das Klavier, aber nur nicht so schreiben soll er, so devot +und vorsichtig, es ist wirklich kränkend. + +Aber aller Ärger ist verflogen, als er den nächsten Brief öffnet, den +die Freunde zusammen schreiben. Ein wahres Freudengeschrei erhebt er, +es ist, als ob er die Lieben, einen nach dem anderen, selbst in den +Armen hielte, so berauscht ist er von Glück. + +Die Briefe der Freunde, so spärlich sie auch kommen, sie sind das +einzige und wahre Glück, das er in diesen Tagen genießt. Er kann es +ihnen nicht dringend genug auftragen, soviel wie möglich zu schreiben, +er darbt danach, jede Zeile von ihnen ist Himmelsbrot. + +»Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Schwind! Lieber +Soundso! Daß ihr mir ja gleich wieder schreibt, hört ihr? Sonst, sonst, +sonst ...« + +So stürmt es in seinen Briefen an die Freunde. + +Sie fehlen ihm zu seinem vollen Glück. + +Das Leben ist hier leicht und schön, Frauengunst blüht ihm, der Sorgen +ist er entbunden -- aber es ist doch nicht das Rechte. Das Glück, wo +ist das Glück? Es ist dort, wo seine Freunde sind. Es ist dort, wo die +süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach erklingt. + +So still verfließt das Dasein hier! Man hat viel freie Zeit, aber es +ist nicht die Freiheit, die man braucht. Man steht wie ein Rößlein +an der Krippe und ist schließlich des goldenen Hafers überdrüssig. +Man zerrt an der Kette und beneidet die wilden Gefährten, die mit +dem Sturmwind um die Wette jagen. Wo bleibt der Sturm, das Lebenshaus +zu durchrütteln mit seiner prachtvoll schauerlichen Musik, die alle +Seelentiefen aufrührt und alle Winkel mit frischem, lebendigem Hauch +erfüllt? Der Künstler braucht es, die Geruhsamkeit tut ihm auf die +Dauer nicht gut, das Blut wird träg im Wohlleben, und der schöpferische +Born droht in der Einförmigkeit des Daseins zu versiegen. + +Die Zigeuner, die das Leben verrauchen, verträumen und vergeigen, sie +haben nach Künstlerermessen das bessere Los gewählt. + +Die späten Herbsttage drücken schwer auf das Gemüt mit ihrer +Melancholie. Franz zählt die Tage, Stunden, bis es wieder heimwärts +geht nach Wien und die Bürde von Stellung und Beruf wieder von ihm +genommen ist, die härter drückt als alle kleinen Lebenssorgen, denen er +vor einem halben Jahr entronnen war. + +»Ach, daß die Luft so ruhig, ach, daß die Welt so licht! Als noch die +Stürme tobten, war ich so elend, so elend nicht!« + +Die Post kommt und geht wie immer, und endlich, o glücklicher Tag, +nimmt sie Franzens Reisegepäck auf. Die Liederfracht ist schwer, aber +das Herz ist leicht. Die Rosa muß es nun wohl glauben, daß er in der +Ferne ein liebes Liebchen hat -- doch wie es heißt? Sie hätte es gar zu +gern gewußt. Sie hat geschmollt, weil er ein gar so sprödes Herz besaß, +und endlich hat sie den Beschließer erhört, denn das war ihr Fehler und +ihre Tugend, daß sie halt nicht nein sagen konnte! + +Adieu Rosa, »und wenn Sie es durchaus wissen wollen, wie mein liebes +Liebchen heißt, so sei es jetzt gesagt: Wien heißt es, Wien, das +geschmähte, verlassene, verwünschte -- vor allem aber geliebte und mit +Sehnsuchtsgedanken behütete!« + +Rosa lacht und dreht ihm den Rücken. + +Als Franz beim Schwager vorne saß und die lichte Straße in der +verhaltenen Stimmung eines graublauen Herbsttages hinfuhr, nahm +er immer wieder einen mit Seidenpapier umwickelten Gegenstand +aus der Brusttasche, um ihn innig zu betrachten; -- eine +kleine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Wappen darin, ein +Abschiedsgeschenk der Komtesse Karoline, für das sie das Nadelgeld +eines ganzen Monats aufgewendet hatte. + +So endete ein Idyll, dem ewige Fortdauer beschieden sein sollte, denn +jedesmal, wenn die Wolken dem Pfeifchen entstiegen, mußte in dem +seligen Zustand der Entrücktheit ihr Bild in dem bläulichen Flor der +Wolken aufschimmern. + +Er mußte lächeln bei diesem Gedanken -- das Herz jubelte der Wiener +Heimat und den Freunden entgegen, aber in dem Jubel war eine Träne, sie +galt der heimlich und entsagend geliebten Gräfin Karoline. + + + + + V. + + +Die Freunde sitzen wieder beisammen und singen wie die Jünglinge im +Feuerofen. »Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal +des Menschen, wie gleichst du dem Wind!« + +Der schwärmerische, geheimnisvolle Ton der Männerstimmen zittert weich +und kraftvoll, eine tönende Woge, ein sanfter, klingender Hauch, der +anschwillt wie Orgelgebraus, wie Waldrauschen, wie Bergstromgetos -- +so klingt »der Gesang der Geister über den Wassern«. Die eigentümlich +ergreifende Schönheit des Männerchors war Schuberts Entdeckung. Aus dem +Kreis der Freunde wuchs ein Quartett hervor, das sich zuweilen zu einem +achtstimmigen Chor verdoppelte. Jeden Donnerstag fanden sich die jungen +Kerle zusammen, um ihrer Singlust zu genügen. + +Hier schöpfte Franz die Anregung zu einer neuen Kunstgattung, er war so +eigentlich der Begründer des Männerquartetts. Jeden Donnerstag mußte +er neue Noten in der Tasche haben, sonst war es gefehlt. Da fielen +sie über ihn her: »Was, du hast nichts Neues? Du hast wirklich nichts +Neues? Schandkerl, wir schlagen dich tot. Mausetot! Noten her oder das +Leben!« + +So erpicht waren sie alle auf neue Gesänge. Herrgott, das war ein +Druck, dem schwer zu widerstehen war. Da mußte die schöpferische Ader +ergiebig sein, wenn solch gute Geister wachten und die Faulheit zum +Teufel jagten. Da gab's also keine Ausrede. Vogel, sing' oder stirb! + +Jetzt sitzen sie alle da, wollen den Schnabel aufreißen und brauchen +dazu musikalische Atzung. »Ist doch deine Pflicht, Franzl, dafür zu +sorgen!« + +Ist in tausend Verlegenheiten, der gute Franz, hat an diesem Donnerstag +richtig nichts in der Tasche. Hat es vollständig verschwitzt, daß +Donnerstag das Quartett stattfindet und um jeden Preis ein neues Stückl +singen will. Sie freuen sich ja alle so, die ganze Woche darauf, und +jeder ist schon neugierig, was er sich denn zum nächsten Male wieder +zusammengedichtet haben wird, der verflixte Herrgottsmusikant! + +Aber dieses eine Mal kommt er wirklich mit leeren Händen. Nicht einen +Fetzen Noten hat er bei sich. Er sieht das unverhohlene Leidwesen +seiner Freunde, sie sind enttäuscht -- das geht ihm nahe. + +»Enttäuschung? -- Nein, das sollt ihr nicht erleben an mir! Laßt mich +jetzt fünf Minuten in Ruh' -- dann sollt ihr sehen!« Hat er auch die +Noten nicht auf dem Papier, so hat er sie doch in der Brust. Ein +Gedicht trägt er in der Tasche. »Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem +Finger ....« Das Gedicht hat er sich abgeschrieben. Es ist von einem, +den sie einmal zu den größten zählen werden. Ein junger Poet, Franz +kennt ihn nicht und fühlt sich dennoch mächtig zu ihm hingezogen. +Vielleicht daß Mayrhofer, der Zensurgewaltige, Rat weiß. Doch später, +später davon! Jetzt das Gedicht und der Gesang! Das Gedicht hat er sich +aus einem Musenalmanach abgeschrieben, und jetzt sitzt er in der Ecke, +weltvergessend, bezaubert von den Versen, die Noten fliegen und purzeln +nur so aus seiner Hand aufs Papier; nach einer Viertelstunde wendet er +sich zu den Freunden: »So, jetzt haben wir's!« + +»Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ...« + +Bebend vor verhaltener Glut und Kraft, entfalten sich die blühenden +Männerstimmen des Quartetts: Leise, leise .. Zuerst wie ein +schmeichelnder Windhauch, der mit Blättergeflüster und Fliederduft die +Geliebte umschmeichelt und dann immer stürmischer und drängender -- wie +könnte die Erkorene der werbenden Kraft dieses Ständchens widerstehen? + +Eine der blühendsten Schöpfungen ist im Handumdrehen entstanden. So mir +nichts, dir nichts. Wo er es nur hernimmt, in dieser Geschwindigkeit, +dieser unglaubliche Franz? Das ist das Rätsel. Gibt es ihm ein Gott +ein? Wird wohl so sein. Tut unter dem Anhauch eines genialen Dichters, +eines persönlichen Erlebnisses, eines rätselhaften Drängens in seiner +Brust die Seele weit und horchend auf, daß die himmlischen Geister des +Unendlichen auf ihn einströmen. Er hört sie singen, die himmlischen +Heerscharen um Gottes Thron, oder wenn ihr so lieber wollt, die +sphärischen Mächte, er hört sie singen draußen in der Unendlichkeit +und eigentlich tief drinnen in der eigenen Brust, er braucht nur +hineinzuhorchen in sich und in Noten abzuschreiben, was er drinnen +hört, und gibt es dann hin -- sein eigenes Herz und seine Seele ist +mit dabei. Ja, seht ihr, so wird's gemacht! + +»Teufelskerl, himmlischer, laß dich umarmen!« Schober gebärdet sich wie +verrückt; der hohe, schlanke, junge Mann hebt den kleinen, untersetzten +Schubert im Sturm der Begeisterung hoch, wirbelt ihn ein paarmal um +die eigene Achse herum, auch die anderen müssen ihn stürmisch umarmen, +sie gebärden sich wie die Tollhäusler. Dann singen sie wieder wie die +Jünglinge im Feuerofen, im Feuerofen der Liebe, der Freundschaft, der +Begeisterung. + +Man sieht es klar, was diese Freundschaft wert ist. Sind alle junge +Kampeln, nicht sehr einflußreich, sie können alle zusammen nicht +bewirken, daß dem armen Schubert aus seiner genialen Schaffenskraft ein +wenn auch noch so kärglicher Verdienst fließt, wenigstens soviel Lohn, +als ein Packträger die Woche verdient -- sie geben sich alle Mühe, aber +es gelingt nicht, und wirklich scheint es, als ob die Schöpfung Gottes, +die so viele unnütze Kostgänger ernährt, gewöhnliche und wertlose +Kreaturen, nur für den begnadeten Genius, dem Bringer neuer Schönheit +und neuer Kunst, den Tisch zu decken vergessen hätte. Nicht soviel +können die Freunde bewirken, daß der gute Franz Kost, Quartier und +anständige Kleider bestreiten kann -- je reicher die Welt an ihm wird, +desto ärmer ist er. + +Die Freunde selbst bereichern sich an ihm, es fließt ihnen soviel +Schönheit und Kraft von ihm her zu, und sie haben ihren kleinen +Egoismus dabei. Die meisten von ihnen sind Dichter, Schober, Mayrhofer +und so weiter, sie wissen, daß der Weg zur Ewigkeit ihrer Schöpfungen +nur über Schubert geht, der ihre Verse vertont. Andere, wie Vogl und +Schönstein, glänzen durch den Vortrag der Lieder, aber den Löwenanteil +des Ruhmes ernten sie selbst. Sie geben sich alle Mühe um Franz, sie +tun es ja sich selbst zuliebe, nur schade, daß Franz so wenig davon hat. + +Es kommt ihm aber auch gar nicht darauf an. Er denkt nicht nach darüber +-- es täte auch gar nicht gut -- der Wert der Freundschaft liegt für +ihn wo anders. Daß er zum freudigen Schaffen so gedrängt und gestachelt +wird, das verdankt er ihnen. Und das ist das Größte und Wertvollste, +das er sich wünschen mag. Darin zeigt sich im rechten Sinn, was +Freundschaft bedeuten kann. Sie macht ihm Mut zu sich selbst, zu +seinem Können, zu seiner Bestimmung, das ist unendlich mehr als Pump +und Borgerei. Vor ihren Augen ist er nicht arm, sondern ein großer +und reicher Geber, von dem sie alle empfangen, und wenn sie ihm auch +gelegentlich unter die Arme greifen mit dem Nötigsten, was man für den +Alltag braucht, so ist keine Rede von Leihen und Zurückgeben, sondern +es ist nur eine kleine Erkenntlichkeit in der geringsten Form, für das +große Empfangene. + +Und wenn sie beisammen sitzen, ist alle Bangigkeit und Schicksalsfurcht +vergessen, die in einsamen Stunden jeden überkommt, jetzt ist Freude, +Hoffnungsmut und Überwinderstolz um sie, ein Gastmahl von Königen, +wenngleich sie nur vom Blatt essen, Wurst in Papier, und dünnes Bier +dazu trinken. Eine Kraftquelle sind die Freunde für ihn, ein Ansporn +und eine Seelenzuflucht, aber auch er ist Mutspender und Kraftquelle +für die Freunde. + +Schwind, der tiefe und verstehende, drückt es aus. + +»Nichts ist so wichtig für den Künstlermenschen, als zu wissen, wo er +schöpfen muß. Du gehörst da her, Schubert, wo du zu Haus bist! Zelez +war nichts für dich! Hier in Wien springen deine Quellen, deine inneren +Quellen!« + +Schubert schmaucht aus dem Meerschaumpfeifchen. Sein Blick geht den +entschwebenden Wölkchen nach, ein süßes Traumbild will vor seinen Augen +zerfließen. + +»Na na -- Zelez hat auch sein Gutes gehabt!« und dabei betrachtet er +zärtlich sein Meerschaumpfeifchen. + +Aber ganz unrecht hat Schwind nicht. In Zelez hat er gelebt wie der +Mops im Paletot -- was war denn dabei herausgekommen? Einige Lieder, +die von seinen kleinen Schmerzen erzählen. Das Herz der Menschheit ist +darin, ja, ja, aber die großen Werke, die er sich vorgenommen hat -- +wo sind die geblieben? Zelez war ein Stück längst begehrter sorgloser +Freiheit -- Großes hat er dort gestalten wollen; aber die Zeit zerrann +unter seinen Händen. Das Große und Neue erstand erst wieder, als er +daheim war in der geliebten Vaterstadt, wo ihn soviel bedrückte, im +Kreis der Freunde, die eifersüchtig wachten, daß er sich ja keine Ruhe +gönne. Hier war ihm wieder der Knopf aufgegangen -- warum nicht dort, +wo die Umstände äußerlich viel günstiger waren? Es ist wirklich der +Rede wert, er spricht sich mit den Freunden darüber aus. + +Der Schwind hat wieder das rechte Wort gefunden. + +»Das in Zelez war nicht die Freiheit -- das war nicht Herrentum, +sondern nur versüßter Lakaiendienst, Herr deiner selbst, deiner Zeit, +deiner Wege bist du hier, wo du keinem Geringeren untertan bist als +dir selber. Und wenn du hier auch zehnmal nichts hast, so hast du +doch die Freiheit, zu leben, zu denken, zu reden, zu singen, wie dir +der Schnabel gewachsen ist. Verhungern wirst du nicht. Also kann dir +überhaupt nichts geschehen. Der Künstler kann nur einen Herrn über +sich vertragen, und das ist er selber. Sei du -- du, dann ist Gott mit +dir! Man sieht es ja: was hast du alles aus dem Ärmel gebeutelt in +den paar Wochen, seit du wieder hier bist. Das sind Gewächse, die im +Herrschaftshaus zu Zelez nicht gezogen werden können. Dort gedeihen sie +nicht. Na, hab' ich recht, oder hab' ich unrecht?!« + +Recht hat er, der gedankentiefe, romantische und doch so weltkluge +Schwind. Natürlich hat er recht! Das weiß Schubert ganz genau, so +gescheit ist er auch; was Schwind sagt, das hat er längst gefühlt. +Wortlos nickt er ihm zu. + +Freilich, ein kleiner innerer Vorbehalt ist dabei. Was Zelez nützte, +das kann man nicht wissen. Alles Erleben und Umsetzen in Kunst +vollzieht sich geheimnisvoll. Oft ist die Zeit des Müßiggangs die +fruchtbarste. Man kann nicht mathematisch nachrechnen, ob ein Eindruck, +eine Erfahrung auch wirklich befruchtend war. Sie wirkten oft erst in +der dritten Potenz, mittelbar. Und wenn es nichts weiter war als die +Zeit der Ruhe, der Entspannung, so war es von um so größerem Wert. +Seine Kraft hat geruht, seine Gesundheit ist gefestigt, sein Aussehen +blühend. Sein Vorrat an schöpferischer Essenz vermehrt. + +Der Mensch braucht einen gewissen Überschuß, von dem er zehren kann. +Wer weiß, ob er jetzt soviel neue und herrliche Sachen hätte aus dem +Ärmel schütteln können, wenn nicht diese kurze Brachzeit vorangegangen +wäre. + +Wenn er so sein Pfeifchen in Brand hält, geht ein Strom von Liebe und +feurigen Gedanken auf ihn ein. Dieses Pfeifchen ist nicht nur ein +Nasenwärmer, sondern vor allem ein Seelenwärmer. Und wieviel man ihm +verdankt an zarten Empfindungen, die wieder ausklingen und in der +menschlichen Seele einen verwandten Ton erwecken, das ist gar nicht zu +ermessen. Rosa ist vergessen; sie war von gewöhnlichem Schlag und hatte +nichts zu geben, was Wert behielt. Aber das Grafenkind -- etwas Liebes +und Feines ging von ihr aus, das spürte er jetzt stärker als früher, +und das war gut. + +Mit diesem Pfeiflein, das Liebe erweckte und die Seele fruchtbar +machte, konnte man sich nicht mehr arm fühlen, auch wenn man sonst +nichts besaß. Die kasimirne Hose hatte ihren Glanz längst eingebüßt und +war ein bißchen zerfranst, die Wäsche, die Frau Mutter geliefert hatte, +war nicht immer in bester Ordnung gehalten, und das Geld, das man in +Zelez ersparte, hatte wie immer einen heilen Schweif. Es war nicht zu +halten. + +Der Herr Vater war abermals bös geworden, weil Franz sein herrenloses +Musikantenleben aufs neue aufnahm, die Verbindung mit dem Elternhaus +war wieder einmal unterbrochen. Eigenes Heim besaß der Franz nicht, +er lebte bei Schober in der Tuchlauben, hatte ein Zimmerchen dort mit +einem Klavier, einen Tisch, ein paar wacklige Sessel, einen Schrank, +eine Bettstelle, alles sehr dürftig und nicht eben freundlich, denn das +einzige Fenster des Zimmerchens ging in einen lichtarmen Hof hinaus. +Man war eben Gast und mußte sich bequemen. + +Franz sah übrigens nicht sonderlich auf diese äußerlichen Dinge, wenn +er nur ein Obdach hatte und schreiben konnte -- während der Arbeit war +er in einer lichtvollen, seligen Welt. + +Schober selbst hatte zwei Zimmer nach vorne, ein kleines Schlafzimmer +und ein gediegenes Arbeitszimmer mit schweren Empiremöbeln, wie es +einem jungen Bonvivant jener Tage angemessen war. Aber ein prunkvolles +Arbeitszimmer allein macht nicht glücklich. Auch Schober hatte sein +Leid, so gut wie Mayrhofer und alle andern. Sie waren tragische +Freunde, nur mit dem Unterschied, daß jeden der Schuh wo anders drückte. + +Schober sprach nicht gern von seiner Kunstreise, es war eine +Enttäuschung gewesen. Er hatte sich als Schauspieler versucht, aber so +leicht ging es doch nicht, als er sich's vorgestellt hatte. Er war mehr +Komödiant des Lebens, spielte den verfluchten Kerl, war unwiderstehlich +vor den Frauen -- aber auf der Bühne versagten die glänzenden +Eigenschaften des Weltmannes. Es bedurfte dort anderer, grellerer +Mittel, die ihm nicht zu Gebote standen. Kurz und gut, Schober redet +nicht gern davon. Er ist begnadeter Dilettant und hat ein neues +Steckenpferd, das er jetzt mit Hingebung reiten will: den Pegasus. Eine +neue Lust, noch mehr aber ein neuer Schmerz. + +Ein anderer ist, dem die Dichtkunst ebenfalls mehr Schmerz ist als +Lust: Mayrhofer. Er steht der Literatur nahe von Beruf und aus Neigung. +Von Beruf aus ist er dazu verhalten, dem Flügelroß die Schwingen +zu beschneiden, daß es nicht allzu freiheitlich ausgreife und die +Staatsraison vor den Kopf schlage. So muß er denn von Staats wegen für +diesen ungezügelten Renner eine Zwangsjacke bereithalten. Das ist sein +Amt als Zensor. + +Der geschworene Feind der dichterischen Freiheit ist aber selbst +Dichter -- hier klafft der Riß. Neigung und Pflicht stehen miteinander +in Konflikt. Aber Pflicht ist Pflicht. Seine Dichterneigung ist +Privatsache, sie verstößt nicht gegen sein Beamtengewissen. Täte sie +es doch! Hier ist der tragische Punkt in seinem Leben. Er fühlt es +dunkel: als Dichter lebt er aus zweiter Hand. Der Quell rauscht nicht +in seinem Innern, er trinkt aus fremden Bechern. Er ahmt nicht nach, +aber es fehlt ihm doch das Echte, Ursprüngliche. Was er schreibt, ist +Almanachpoesie. Sein Leben krankt daran. Sein Geist versinkt oft in +trübe Melancholie -- wenn Schubert nicht wäre, o Leben, es wäre zum +Verzweifeln! + +Aber Schubert gibt den lahmen Versen Flügel. »Gib uns ein Stück von +dir!« So meint Mayrhofer und meint Schober. Vielleicht wäre dann +jeder ein ganzer Dichter. Schober findet für das, was ihm fehlt, +einen inneren Ausgleich durch seine gesellschaftlichen Triumphe. Er +lebt als Mann des guten Geschmacks, der angenehmen Geselligkeit, +des Kunstverständnisses, des Sammlers -- auch ein Beruf. Er sammelt +Spazierstöcke und ist Schuberts Freund -- bei Gott, es gibt sehr viele +Menschen, die weniger leisten. + +Bei Mayrhofer sitzt der Stachel tiefer. Zensor zu sein, ist keine große +Ehre, besonders wenn man selber Dichtersmann sein will. Er ringt um +den Segen der Muse: »Ich lass' dich nicht, es sei denn ....« Aber die +Muse verhüllt schamhaft ihr Angesicht vor ihm, sie wendet sich ab, +mehr erschreckt als beglückt von seinen gewalttätigen Liebkosungen. +Verbitterung bemächtigte sich seines Gemüts; darunter begannen auch die +Freunde zu leiden, besonders Schubert. + +Franz liebte den Freund; der war um so und so viele Jahre älter, sehr +belesen, tief und ernst angelegt, krankhaft ehrgeizig und wunderlich +durch seine unselige Leidenschaft zur Poesie. Als Dichter erging es +ihm so wie früher als Priester, er hat es nie zu den letzten Weihen +gebracht. Um so härter war er im Urteil über andere. Das war nun gar +nicht nach Schuberts Sinn. + +Mayrhofer hatte allerlei zu kritisieren an den Versen: »Leise, leise +...« Spürte er den kommenden Genius, den er leugnen wollte, weil er +klein gegen ihn erscheinen mußte? + +»In diesem Punkte gehen unsere Wege auseinander!« erklärte Schubert +resolut. Und bewies, wie herrlich die Verse seien, aus echtem Gefühl +entsprungen, aus einem Guß. Das verstimmte Mayrhofer noch mehr. Er +vergrub sich in Trotz und Einsamkeit und ließ sich tagelang nicht +sehen. Dann kam er wieder -- er brauchte ein Stück Schubert, ein +bißchen Illusion, neue Hoffnung auf Gelingen, sonst war das Leben +nichts wert. Aber alles, was recht ist -- in diesem einen Punkt mußte +man Franz nachgeben: er duldete nicht, daß man gelungene Leistungen +anderer heruntersetzte. + +Mit Spaun und Hüttenbrenner betritt Mayrhofer Schuberts Klause in der +Tuchlauben. Sie finden ihn eben dabei, als er die »Wanderlieder« von +Kreutzer durchspielt. + +»Laß das Zeug,« sagt Hüttenbrenner, »und sing' uns lieber ein paar +Lieder von dir!« Das ist auch die Meinung der anderen. + +Sind aber schön angekommen alle Drei. »Wie kann man so ungerecht sein? +Die Lieder sind sehr schön, ich wollte, ich hätte sie geschrieben!« + +So war er; er war zu sehr ein Eigener und war zu reich an Können und +Gemüt, als daß er auf andere hätte scheel hinsehen mögen. Er vergönnte +jedem das Seine und war eher zu einem Lob als zu einem Tadel bereit. + +So wäre es ja ein ganz sorgloses Dasein gewesen, man hätte guter Dinge +sein können und war es ja auch, wenn man mit den Freunden beisammen saß +und die Leistung der arbeitsreichen Tagesstunden zum besten gab. Da war +die Sorge und die Furcht vor dem Morgen und Übermorgen verscheucht, +aber freilich nur so lange, bis der Alltag mit seinen niederen, +hundsgemeinen Anliegen anklopfte. + +Aber der Alltag ist schon ein solcher ruppiger Gesell, ein +Beutelschneider, der einem schwer auf dem Geldsack liegt und alle fünf +Minuten andere Forderungen hat. Er katzenbuckelt, ein grinsender Lakai, +wenn man wie ein gnädiger Herr tief hineingreifen und die Goldstücke +springen lassen kann; er wird sackgrob wie ein Packträger, aufdringlich +wie ein Schuldenmahner und unverschämt wie ein Skandalmacher, wenn man +mit den Moneten nicht nachkann. + +In aller Früh schon geht es an. Ein Blick in den Spiegel, der stellt +sofort die unverschämt vertrauliche Frage: Herr von Schubert, wollen +Sie sich nicht vielleicht zum Bartscherer verfügen, gleich links um +die Ecke in der Naglergasse? Es wäre schon die höchste Zeit! -- Aus +notgedrungener Sparsamkeit denkt man, es hat Zeit bis morgen, und geht +den ganzen Tag herum wie ein Gezeichneter, ein Sträfling, dem die +Stoppeln im Gesicht stehen. Oder der Spiegel sagt: Herr von Schubert, +frische Wäsche -- ein unsauberer Kragen, ein zerknittertes Hemd, beide +kleiden schlecht! + +Ja freilich -- wo ist denn die Büglerin geblieben, die vor acht Tagen +die Wäsche hätte bringen sollen? Es wird doch nicht wegen der lumpigen +Rechnung sein, die schon zweimal stehen geblieben ist? Läuft man denn +davon, ist das Geld nicht sicher? Ungehöriges Mißtrauen! Soll man +deswegen herumrennen wie ein Schwein? -- Aber so ist der Alltag: wer +nicht zahlen kann, der soll sich schämen, über die Straße zu gehen. + +Im Gasthaus, im Café hat man ja etwas Kredit. Ab und zu verdient man +auch ein paar Groschen, es wird diese oder jene kleine Komposition +bestellt, Kirchensachen, na, das wirft ja gerade soviel ab, um kleine +Schulden zu bezahlen, dann lebt man wieder weiter -- auf Kreide. + +Aber was man notwendig braucht, Theater und Konzert, das kann man nicht +auf Pump nehmen. Und teuer sind die Eintrittskarten -- als ob wirklich +nur reiche Leute ein Kunstbedürfnis hätten, wenngleich es unter den +Freunden ausgemacht ist, daß sie von dem wahren Wesen der Kunst am +wenigsten verstehen. + +Abends singt die Milder in der Hofoper. Bei dem Wort Milder wird allen +wonnig zumut. Der Vogl und die Milder. Höheres gibt es nicht in der +dramatischen Gesangskunst. In diesem Urteil sind die Freunde einig. + +Was die Milder betrifft, so kommt noch hinzu, daß neben der Künstlerin +auch das Weib zur Begeisterung und leidenschaftlichen Verehrung +entflammt. Sie war früher in Wien und ist jetzt in Berlin; sie kommt +nur mehr gelegentlich als Gast an die Wiener Hofoper. Schober kennt sie +aus seinen oberflächlichen Beziehungen zum Theater; er hat ihr einige +Lieder Schuberts geschickt und besitzt einen sehr herzlichen Brief +von ihr; tagelang geht die Schwärmerei um die Sängerin, doch so, daß +die Aufzählung ihrer weiblichen Reize den größeren Teil ausmacht und +fast wichtiger scheint, als die Bewertung ihrer unzweifelhaft großen +künstlerischen Mittel. + +Wenn es von einem Frauenwesen hieß: »Du, die hat Augen wie die Milder,« +oder: »die lächelt ein Mildersches Lächeln,« so bedeutete es soviel, +als daß die Betreffende eine ausgemachte Schönheit sei und daß man +nichts Eiligeres zu tun hätte, als sich Hals über Kopf unglücklich in +sie zu verlieben. Wer es nun immer war, ein Kind der Dienstbarkeit, +ein Mädchen aus dem Volke, eine Dame der Gesellschaft, man sah sie nur +mehr durch diese Augen oder durch dieses Lächeln, und dann waren alle +unsterblich in sie verschossen. Darin glich einer dem andern. + +Die Abende, an denen die Milder sang, zu versäumen, wäre eine solche +Kardinalsünde, daß man dafür verdiente, in der Hölle zu schmoren. Das +Leid darob wäre für den armen Schubert eine dreifache Hölle gewesen; +der muß ein so frommes Gemüt, wie er, zu entgehen wissen. Also muß +Freund Schober für die Billette aufkommen. + +»Aber selbstverständlich, lieber Freund!« Er ist immer so nett, der +scharmante Schober. Es ist freilich etwas dabei, das dem Franz gegen +den Strich geht. Er ist und bleibt empfindlich. Ein so harter und +schwieliger Schuldenmacher zu werden, der kaltblütig alles für sich +begehrt, ohne Entgelt, das kann er nicht. + +Er leidet immer mehr unter dem Druck der Verhältnisse. Schober weiß es +nicht, er hätte es ihm gewiß ausgeredet. Aber es ist nicht die Art des +Franz, sich über so heikle Dinge zu erschließen. Nur zu Schwind äußert +er sich gelegentlich und nur ganz beiläufig; denn zu Schwind kann er +reden wie zu sich selbst, der steht ihm innerlich am nächsten, mit ihm +ist er am meisten verwandt, sie sind beide gleich arm an Gut und Geld +und gleich reich an Kunst und gleich groß an Gefühl. + +»Nicht wahr,« hebt Franz an, »man kann bei einem guten Freunde wohnen, +man kann sich bewirten lassen, aber man kann nicht das Taschengeld von +ihm nehmen, man kann nicht seine Stiefel anziehen, man kann nicht seine +Beinkleider tragen -- mit einem Wort, man kann sich von ihm weder ein +Gewand schenken lassen, noch auf seine Kosten einen neuen Anzug machen +lassen ....« + +Schwind versteht ihn, bei dem bedarf es nicht vieler Worte, der weiß +um alle Lebensnot und Künstlersehnsucht, und wenn beide in Schweigen +beisammen sitzen, so geht ein Strom von Trost und Linderung von einem +auf den andern über. + +Einsam ist jeder, aber es tut wohl zu wissen, daß der Mitbruder in der +Zelle nebenan um alle Gebundenheit dieses Erdendaseins weiß und mit +seinem Mitgefühl nahe ist. Auch darin liegt etwas von der Kostbarkeit +der wahren Freundschaft. + +Die Abende in der Oper gleichen dem Traum vom Paradies. Die Musik ist +Blech, die Bühne ist Pappendeckel, die Sänger und Sängerinnen sind +beschmierte Larven, aber Leben, Schönheit, Wohlklang, Seele bekommt +alles erst, wenn die Milder auf der Szene steht. Wenn sie geht, sinkt +alles wieder in die nichtige Armseligkeit zurück. Wenn sie singt, dann +fällt alles Weh ab, man vergißt, daß man ein unruhig klopfendes Herz +hat, einen brummigen Schädel von der Hitze, brennende Augen von der +schlechten Beleuchtung, einen knurrenden Magen und andere menschliche +Übel; man fühlt sich in einer beglückenden Seelengemeinschaft mit der +schönen Besitzerin dieser herrlichen Stimme, dieser strahlenden Augen +und dieses berückenden Lächelns, und hat nur das eine dumpfe Bedauern, +daß, wenn sie jetzt von der Szene abgeht, alles nur holde Lüge war, +und daß man wieder in Dumpfheit und Verlassenheit allein dasteht, +ein armseliger Schlucker, beschwert mit einer großen, unerfüllbaren +Sehnsucht. + +Nach der Vorstellung soll Schubert, von Schober geführt, in der +Garderobe der Künstlerin erscheinen. Sie will den Schöpfer der Lieder +kennen lernen, die sie in Berlin gesungen und mit denen sie viel +Aufsehen gemacht hat. + +Als Schober sich nach dem Freunde umsieht, war der weg. Einfach +entwischt. »Was ist das für eine Art? Was wird die Milder dazu sagen?« + +Schober ist außer sich. Er kann die Torheit nicht begreifen. Zuerst +Sehnsucht, Begeisterung, Schwärmerei, man könnte sagen Verliebtheit, +und wenn es drum und drauf ankommt, reißt er aus und versteckt sich wie +ein furchtsames Knäblein. »Schämen soll er sich!« + +»Das verstehst du eben nicht!« erklärt Schwind, dem die +draufgängerische Art Schobers zuwider ist. »Ich an seiner Stelle hätte +es genau so gemacht.« + +»Was gibt es da zu verstehen? Feigheit ist es, Mangel an guter Art, +Launenhaftigkeit ....« Nein, Schober versteht es wirklich nicht. Aber +Schwind versteht es, der blickt tiefer und erkennt Zusammenhänge, die +der andere nicht ahnt. + +Anna Milder ist abgereist. Ein neuer Stern ist auf dem Horizont der +Freunde aufgetaucht, Therese Puffer. Sie ist eine der eleganten Frauen, +die in den Wiener Salons verkehrt, wo Musik gepflegt wird. Sie ist +Konzertsängerin, aber nicht aus Beruf. Die Kunst ist nicht der Zweck, +sondern vielmehr der Schmuck ihres Lebens. + +Die Freunde streiten, wer schöner sei, die Milder oder die Puffer. + +»Die Milder hat eine schönere Stimme!« sagt der eine. »Aber die Puffer +hat die edlere Gestalt!« meint der andere. »Die Augen hat sie von der +Milder!« entscheidet der Dritte. »Nein, das Lächeln hat sie von ihr!« +behauptet der Vierte. + +»Jedenfalls verdient sie, daß man sich so unglücklich als möglich in +sie verliebt!« erklärt der kundige Schober. Es war gar nicht nötig, +das erst zu sagen, denn heimlich träumt schon jeder von ihr. Schwind +zeichnet sie als Melusine, Franz gedenkt ihrer in seinem Lied »Des +Schäfers Klage ...« »Da stehet von schönen Blumen, da stehet die ganze +Wiese so voll; ich breche sie, ohne zu wissen, wem ich sie geben soll. +Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum. Die Türe +dort bleibet verschlossen; doch alles ist leider ein Traum ..« + +Die Türe dort bleibt verschlossen .... Nämlich die Türe vom »roten +Igel«, dem Vereinshaus, wo Konzertabend ist. Da drinnen hinter +den hellerleuchteten Bogenfenstern mit weißen Sprossen, die wie +Sonnenstrahlen ausgreifen, sitzt eine erlesene Gesellschaft; Therese +Puffer singt. -- Was singt sie? Ein Lied von Schubert. »Und Regen, +Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum ....« + +Die schöne dunkle Frauenstimme breitet ihren weichen Flor über die +entzückten Hörer, auf den einsam Lauernden draußen fällt noch ein +verwehender Klang ab. Der steht draußen und paßt an der Tür, und nun +bricht der Sturm los, Händeklatschen und Beifallsjubel der Menge. + +Der Beifall will nicht enden, er schwillt an wie ein Orkan, und da ist +ihm, als ob er in dem Brausen seinen Namen hörte. + +In der Tat, sie rufen drinnen nach ihm! Schubert soll sich zeigen! Sie +klatschen wie wütend, sie schreien seinen Namen, sie trampeln mit den +Füßen. Er steht draußen und weiß nicht, ob er fliehen soll oder in den +Saal hineineilen. Es drängt ihn zur Flucht -- ganz wie neulich, als er +die angebetete Milder hätte sehen sollen. Warum, Warum? Schwind hat es +begriffen. Der -- ja, dem ist nichts Menschliches fremd. + +Franz sieht sich bei dem armen Öllicht, das vor der Tür hängt, prüfend +von oben bis unten an, ehe er es wagen würde, auf die Klinke zu +drücken, prüft genau seine abgetragenen Schuhe, seine verknitterte +Hose, seinen schäbigen Rock -- nein, nein, um keinen Preis da hinein! +Er will fliehen, sich verstecken -- die Armut bedrückt ihn, er mag sich +den Leuten nicht so zeigen, wie es wirklich um ihn steht. + +Das ist es, was Schwind sofort verstanden hat, und was Franz doch nicht +sagen wollte aus seelischer Schamhaftigkeit. Und diese Schamhaftigkeit +hält ihn jetzt wieder ab, dem Ruf zu folgen. »Und Regen, Sturm +und Gewitter verpass' ich unter dem Baum -- die Türe dort bleibet +verschlossen, doch alles ist leider ein Traum.« + +Franz will fort, und doch ist es, als ob der Lärm drinnen eine magische +Gewalt über ihn hätte, die ihn festbannt. Er bleibt stehen wider +Willen, lauschend auf das, was nun kommt, auf das Stühlerücken und +das Stimmengewirr -- und da fliegt schon die Türe auf, ein blendender +Lichtkegel fällt in die dunkle Straße, ein Strom von Menschen quillt +hervor mit erhitzten, geröteten Gesichtern und befeuerter Seele; er +hat gerade noch soviel Zeit, sich unter das dunkle Gesims zu ducken -- +die festlich gestimmten Frauen und Mädchen gehen vorbei, die schwärmen +von Schuberts Lied, aber ihn kennen sie nicht, sie gehen achtlos an +ihm vorüber, die eine oder andere schaut gleichgültig den wildfremden +und unscheinbaren Menschen an, niemand hat eine Ahnung, daß er es ist, +von dem sie schwärmen, und den sie sich wahrscheinlich ganz anders +vorstellen, als jungen, verklärten Helden im himmelblauen und rosaroten +Licht. + +Das Glück ist mit Weh gemischt wie immer; die Freude über den Erfolg +und die kleine Bitternis, mit seiner Person im Dunkeln stehen zu +müssen -- Armut ist ein brennendes Hemd, und wer damit bekleidet ist, +zeigt sich nicht gern vor Menschen. Vielleicht wäre man schon weiter +in der öffentlichen Gunst und in der äußeren Wohlfahrt, wenn man es +besser verstände, sich öffentlich zu zeigen, sich zu inszenieren, den +Tageshelden zu spielen -- aber just das ist ihm verwehrt. Vogl hat +recht: »Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan!« Das heißt +mit anderen Worten: Sie werden es in dieser Welt schwer haben, sich +durchzusetzen. Sie werden für Ihre Kunst leiden und ihr zuliebe die +Märtyrerkrone tragen müssen -- wie übrigens jeder echte Künstler, der +das Tiefste geben will. + +Aber Franz hat nicht Zeit, nachzudenken, alles das liegt keimhaft in +seinem Gefühl, im winzigen Aufleuchten eines Augenblicks offenbart +sich ihm diese ganze Erkenntnis. Dort hört er schon eine wohlbekannte +liebe Stimme, die sagt: »Ich möcht' doch eigentlich wissen, wo der +Kerl steckt! Wenn mich nicht alles täuscht, so ist es eine heimliche +Liebschaft!« + +Der so daher redet, das ist ein ganz Feiner, der selber bis über den +Kopf in den Techtel-Mechteln steckt. Der Anselm Hüttenbrenner ist +es, und zu dem er es sagt, das ist der Salonlöwe Schober. Sie kommen +als die Letzten heraus. Jetzt ist das Entrinnen schwer. Im nächsten +Augenblick mußten sie ihn entdecken. Da ruft schon der Schober freudig +aus: »Da ist er ja!« Und eine süßflötende Frauenstimme wiederholt +entzückt: »Da ist er ja!« Es ist die Stimme der Melusine, die sich in +Begleitung der beiden Ritter befindet: Therese Puffer. + +Von den Freunden ans Licht gezogen, steht er nun vor der Schönen und +ist ganz behext von ihren sprechenden Augen und ihrem zauberhaften +Lächeln. Er will etwas stammeln, ein paar Worte des Dankes, und geht +auf sie zu, sie aber, noch ganz beglückt, förmlich berauscht von dem +Triumph, den sie nicht nur ihrer Schönheit, sondern diesmal ganz +bestimmt den Schubertschen Liedern verdankt, breitet unwillkürlich die +Arme aus und ruft in überströmender Gefühlsseligkeit: »Es war zu schön, +ich kann nicht anders, ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.« + +Ein paar volle Arme, weich und rund, ein stürmisch atmender Busen, +graublaue Nixenaugen, so tief, daß man schwer zurückfindet, ein seltsam +verlockendes Lächeln, ein blühender Mund -- für den Augenblick ist +Franz in diese Herrlichkeiten hineingesunken -- ach, es war nur ein +einziger, winziger Augenblick, und dann war es vorbei -- beide waren +etwas verlegen, Franz über und über rot -- so muß dem Adam im Paradies +zumute gewesen sein. + +Gern hätte er die ewige Seligkeit hingegeben für die Wiederholung +dieses Augenblicks, der ein ganzes Paradies erschloß, aber es war nun +einmal vorbei, die schöne Fee Melusine, wie sie unter den Freunden +genannt wurde, faßte sich rasch und ward wieder ganz Dame. Es nützte +also nichts, daß die beiden Kavaliere Schober und Hüttenbrenner für +sich eine ähnliche Gunst begehrten. + +»Es hat dem Künstler gegolten!« sagte sie und verstand es +vortrefflich, die aufflammende Begehrlichkeit der beiden Ehrenkavaliere +in Schranken zu halten. Oder wenn das Feuerlein gar zu sehr unter +die Asche kroch, soweit zu schüren, daß sie wieder in sanftem +Glühen standen. In diesem Zustand des Glühens wußte sie die ganze +Männergesellschaft zu halten. Wenn aber irgendeiner in verheerenden +Brand auszuarten drohte, dann hatte sie auch die kalte Dusche bereit. + +»Sie ist eine Kokette!« behauptete Schober ärgerlich und verriet +dadurch, daß er nichts erreicht hatte. + +»Sie hat ein Fischherz!« lästerte Hüttenbrenner, der noch empfindlicher +abgeblitzt war. + +»Sie ist eine Donaufrau,« sagte Schwind, »nixenkühl und gefährlich. +Sie trinkt Seelen aus!« Die Seele hat er dazu gegeben, der sie als +Melusine zeichnete, und einen Ritter dazu, der unter Felsen und +seltsam verschlungenen Baumwurzeln am träumerischen Waldquell ihrer +Stimme lauscht. Der Ritter war er selber, verloren an die romantische +Melusine. Schubert sagte nichts. Sein Herz stand in weißer Glut. Der +selige Augenblick war kurz, aber die Erinnerung blieb -- ein heißer +Quell, bis ans Lebensende wird er ihn nicht vergessen. Und der heiße +Quell drängt brausend empor, wird Lust, wird Leid und wird Genesung. + +Der Winter vergeht, der Frühling ist da, mit lichtgrünen Händen winkt +der traumhäuptige Wienerwald in die Stadt herein, winkt und winkt, +daß einem ganz eng ums Herz wird. Die Mauern sind eine drückende +Umschnürung, man will wieder frei atmen können, atmen mit dem +Windhauch auf wogenden Wiesen, atmen mit dem tiefen Waldaufrauschen! +Hinaus, hinaus! + +»Morgen ist Lämmerhüpfen bei der Karoline Pichlerin,« berichtet +Schober, »fünfzig junge Mädchen, weiß wie Schnee und rosenrot -- die +Pichlerin läßt dich grüßen, du sollst kommen. Also Franz, sei kein +Narr, das sind Menschen, die du brauchst, lauter junges Mädchenvolk +mit Klavierfingern und Piepsstimmen und Herzen wie Vogelnestern, darin +deine Liedlein nisten können. Also komm' und leg' deine musikalischen +Kuckuckseier hinein!« + +»Laßt mich in Ruh'! Soll ich die Augen verdrehen und Süßholz raspeln? +Soll ich affig tun und gespreizt und geziert Menuett tanzen, hab' ich +diese fade und lächerliche Mode nicht längst auf der Weste? Also, +lieber Freund, geh' nur allein, wenn du es nicht lassen kannst!« + +Nein! Da müßt' man schon ein Zierbengel sein wie der gute Schober +selber, um Gefallen darin zu finden, vor allem müßte man was +Anständiges anzuziehen haben, und das hat man eben nicht. Aber der +liebe Himmel weiß am Ende vielleicht doch, warum er dem Franz aus +einem so lächerlichen und rein äußerlichen Grund vielerlei Entsagung +auferlegt. Die Vorsehung verschließt ihm viele Wege und treibt ihn +auf andere, wo vielleicht mehr für den inneren Menschen zu holen +ist, und der Künstler eine größere Ausbeute gewinnt als im seichten +Gesellschaftsgetriebe. Was haben einem die Leute zu sagen? Nichtige +Schmeicheleien -- die vom wahren Wesen der Kunst was verstehen, die +sind doch sehr selten. + +Es treibt ihn von den Menschen weg hinaus zum Stadttor, wo ihm der +Petrus den grünen Schlüssel gibt; dort bedarf es keiner schönen +Kleider, keiner Geckerei, keiner Komplimente, dort kann man sein, wie +man mag, dort ist man mit sich und seinem Gott allein. Und wenn einen +Gott recht lieb hat, dann gibt er einem ein herziges Mädel dazu. So +gehörte sich's zur waldgrünen Einsamkeit. + +Ein herziges Mädel -- er wüßte schon eins. Hat Augen wie die Melusine, +lacht ebenso, nur Kuß hat sie ihm noch keinen gegeben. Aber das kann +kommen. Eine große Schranke ist zwischen ihm und Melusine, und alle +Sehnsucht fliegt nicht drüber, wohin also Herz mit deiner Liebe? Da muß +man sich schon an einfachere Kost halten, die Kinder des Volkes sind +nicht so gespreizt, und schön sind sie auch, ebenso schön, und haben +solche Augen und ein solches Lächeln. Das ist Fanny im Wirtshaus am +Himmel. + +»Eine Mühle seh' ich blinken aus den Erlen heraus ..« + +Wenn es auch keine Mühle ist, so sind es doch die Erlen am Bach; und +ist nicht Rädergebraus, so ist doch Blätterrauschen ums trauliche Haus, +und die Fenster sind blank, und Fannys Augen sind so licht, so licht +und klar wie die Blumen am Bach. »Ich frage keine Blume, ich frage +keinen Stern, sie können mir alle nicht sagen, was ich erführ so gern. +Ich bin ja auch kein Gärtner, die Sterne stehen zu hoch, mein Bächlein +will ich fragen, ob mich mein Herz belog ...« + +Er wandert mit Müllerliedern im Herzen, er gibt ihnen Klang und Ton und +denkt dabei an Fanny. + +»Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in +jeden Kieselstein, ich möcht' es sä'n auf jedes frische Beet mit +Kressensamen, der es schnell verrät, auf jeden weißen Zettel möcht' +ich's schreiben ....« + +Nur seinem Mund gebietet er Schweigen. + +»Und ich bleibe dabei, der hat eine heimliche Gspusi,« schwört Stein +und Bein der ewig in Liebesnöten schmachtende Hüttenbrenner; »so tut +nur einer, der irgendwo ein Mädel hat und es nicht anschaun lassen +will, Duckmauser, vertrackter!« + +Aber der Franz verrät nicht, mit wem er geht. + +Er blinzelt nur listig aus seinen Brillengläsern hervor. »Mit wem ich +geh'? Mit wem sonst als mit meinem Stecken, mein Wanderstecken ist mein +Gespons!« und lächelt wieder so listig, daß ihm die anderen erst recht +nicht glauben. + +»Du kannst mir's ja sagen, was du für ein Pantscherl hast!« drängt der +Hüttenbrenner, bringt aber nichts heraus und gibt schließlich selber +zu: »Gib einem guten Freunde dein Leben in die Hand, deine Ehre, dein +Gut und Geld -- er wird dich nicht betrügen und belügen; gibst du ihm +aber dein Mädel zum Pfand, dann mach's Kreuz drüber!« Er muß es wissen, +er hat Erfahrung, der lockere Zeisig! Das hat Franz aber ohne ihn +gewußt und hat fein geschwiegen dazu. + +Am Hof steht der gelbe Wagen, mit dem fährt man hinaus ins Ätherblaue. +Fährt oft hinaus, der stille Franz, und vergißt darob manche Einladung +bei guten Leuten, denen er auf vieles Drängen zugesagt hat, und weiß +gar nicht, wo er die Entschuldigungen hernehmen soll. »Ach, wenn Sie +wüßten, wie unmöglich es mir gemacht wurde, Sie würden mir gewiß +verzeihen!« Der liebe Gott, der die Verliebten zusammentreibt, der weiß +es, das genügt! + +Sitzt also Franz in dem gelben Rumpelkasten und fährt ins Land der +Liebe, daß ihm alle Knochen wehtun. Unterwegs springt er aus: »Halt! +Muß schauen, was die Frau Mutter macht!« + +Und biegt in die Säulengasse ein, nachmittags, wenn der Herr Vater +Schule hält. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Aber die Frau +Mutter, die hat allemal ein paar Taler im Strumpf, und da fällt für +einen armen, notleidenden Musikanten immer etwas ab. + +»Schau' nur, daß dich der Vater nicht sieht! Aber wart', auf ein +Schalerl Kaffee kannst noch sitzen bleiben!« + +So bleibt er noch sitzen auf die Länge eines Schalerl Kaffee. Hätte +sich aber beinahe verplaudert, Himmelfix ...! Guckt richtig der Herr +Vater bei der Tür herein. + +»Ja schau', der Herr Franz!« Diese förmliche Anrede bedeutete nichts +Gutes. Und bald geht's los aus einem anderen Ton. + +»Ist doch zum Disparatwerden!« jammert der Alte. »Daß die Kinder so +verschieden sind und daß grad' du daneben geraten mußt. Franz, Franz!« +Der Alte greift sich an den grauen Schädel und tanzt vor ihm herum. + +»Sind doch keine zwei Menschen gleich auf der Welt, warum sollen denn +die Kinder nicht verschieden sein, jedes auf seine Art ....?! Ist +deswegen noch lange keine Ursache, von daneben geraten zu reden!« +wehrt sich der Sohn. Dann mault wieder der Alte. Aber der Sohn beharrt +eigensinnig: »Ist doch ein Glück, daß die Menschen verschieden auf +die Welt kommen und nicht alle gleich wie die Rechenpfennig, muß daher +jedes auf seine eigene Art werden und gehen, wohin es jedes treibt. +Bringt doch jedes sein eigenes Schicksal mit auf die Welt, das muß doch +der Herr Vater endlich einsehen! Menschen sind keine toten Sachen, +mit denen man beliebig schaltet und waltet .... und so ist es mit den +Kindern. Die sind auch kein Eigentum, mit dem man beliebig verfährt, +vielmehr sind sie den Eltern vom Himmel verliehen worden mitsamt der +Pflicht, darauf zu achten, daß jedes in der ihm eigenen Richtung +wachsen kann und darf. + +Ja, Herr Vater, der liebe Gott weiß schon, was er will, und was der +Mensch als sein Eigenstes hat, das hat er nicht vom Herrn Vater und +nicht von der Frau Mutter, das hat ihm schon der liebe Gott gegeben, +und zwar vom Mutterleib an. Oder soll der Herr Vater das Geheimnis +von der wahren göttlichen Empfängnis nicht verstehen, das sich immer +und immer wieder bei jeder Mutter vollzieht?! Habt ihr mir das Talent +gegeben, hat es irgend jemand in unserer Familie gehabt? Nein. Es ist +mir geworden, wie dem Menschen überhaupt je die Gaben werden -- das +wird kein Sterblicher ergründen! Es ist nicht immer leicht, dem Guten +zu dienen, das einem im Leben vorgezeichnet ist -- macht mir's nicht +schwerer, als es ist, Herr Vater!« + +Der Alte war fassungslos über diese Rede. Es muß etwas dabei gewesen +sein, das jeden Widerspruch erstickte -- er wußte es nicht, was man +darauf sagen sollt', und weil ihm wirklich nichts Rechtes einfiel, und +der väterliche Respekt doch irgendwie den Schein retten wollte, so tat +er ganz erbost und stapfte aus dem Zimmer hinaus. + +»Jetzt hast ihn aber wirklich bös gemacht, Franz -- aber ganz unrecht +hast du nicht in dem, was du sagst ...« + +Die Mutter, die selber ein Kind unter dem Herzen trug, war +empfänglicher für eine große, einfache Wahrheit. + +Franz ging; er litt, weil der Vater litt -- aber die Wahrheit mußte +heraus, und bei allem Leid war es ihm leichter ums Herz. + +Der Flieder duftet, ein Vogel singt, und draußen am Sieveringer +Bach singt auch schon das eigene Herz: »War es also gemeint, mein +rauschender Freund? Dein Singen, dein Klingen war es also gemeint? +Zur Müllerin hin! so lautet der Sinn. Gelt, hab' ich's verstanden? +Zur Müllerin hin! Hat sie dich geschickt, oder hast mich berückt? Das +möcht' ich noch wissen, ob sie dich geschickt, ob sie dich geschickt. +Nun, wie's auch sein mag, ich gebe mich drein, was ich such', ist +gefunden, wie's immer mag sein ....« + +Ja, in Sievering, da ist's zaubervoll! Da ist der Wind ein Kuß, da +rauscht in den Brunnen der Wein, da schaut die Liebe aus jedem Fenster +heraus, aus jedem blauen Äuglein! Da kommen ihm schon die alten +Weiber entgegen, die Lotterieschwestern vom Agnesbründl, mit bunten +Papiermützen auf dem Kopf, das Gesicht voll Rausch, und gewinstsichere +Lotterienummern in der Tasche, die sie nachts in der Quelle der +heiligen Agnes erschaut haben. + +Rechts geht der Gspöttgraben hinauf, der führt zum Himmel. Ein weißer +Kleiderzipfel funselt ihm vor den Augen. Schon ist er im Gebüsch +verschwunden. Ein Liebespaar, das nicht gesehen werden mag! + +Franz denkt: »Nur keine Angst, ich schau' ohnedies nicht hin, also +nein, bitte! Geniert euch nur nicht! Ich hab' nur so vorbeigeblinzelt, +nicht mehr!« Also nur keinen Spott! Wer im Gspöttgraben spottet, dem +passiert leicht was Unangenehmes. Und wer auf Liebeswegen geht, der muß +sich ganz besonders vor Unannehmlichkeiten hüten. Überdies, wenn Franz +ein Liebespaar sieht, ist er selber mehr verlegen als die Verliebten. +Ob's denen auch so geht? Ihm geht es so! + +Steil geht's aufwärts. Droben am Himmel rauschen hundertjährige Bäume +um den Saal des Gasthauses. Ein Klavier steht drinnen, verstaubt und +verstimmt, das nimmt nun Franz, wenn er kommt, fest in die Arbeit. Und +was ihm unterwegs eingefallen ist, das blüht jetzt hervor zu einem +blühenden Strauß von Tönen. Die lachende Fanny bringt ihm den Wein, sie +hört ihm gern zu, dem seltsamen Musikanten. + +»Nach Arbeit ich frug, nun hab' ich genug, für die Hände, fürs Herze, +vollauf genug, vollauf genug!« + +An freien Nachmittagen kommt junges Wienervolk hier zusammen, um zu +tanzen. Sie tanzen nicht Menuett wie die feinen Leute in der Stadt, sie +tanzen Ländler und Walzer zu einer Klarinette, einer Gitarre und einer +Ziehharmonika. Ist das ein Schleifen und Wirbeln, ein rhythmisches +Wiegen, Walzer, Walzer! Ach und die herzigen Mädeln, und dazu der +Fliederhauch des Abends und der heitere Kuß der Sommernacht, und vor +allem die stumme, gotterfüllte Ekstase des Tanzes! + +Sie sind auch nicht geziert und gespreizt, diese kleinen, netten +Verkäuferinnen, Modistinnen, Näherinnen und was sie sonst alle sind. +Hier fragt man nicht nach Herkommen, nach Stellung und Würde, hier +will man tanzen und lieben und weiter nichts. Hier ist man Mensch und +genießt den Augenblick, der so reich ist an Glück! + +Stolze, schöne Fee Melusine, dort unten in der Stadt, wie sollt' man +das vergebliche Sehnen ertragen, wenn nicht deine niederen, aber nicht +weniger schönen Schwestern wären, mildtätig genug, dieses Liebessehnen +zu stillen! + +Wenn man nicht ganz genau hinsieht, so kann man sich einbilden, die +Fanny hat genau denselben Mund und dasselbe Lächeln wie Melusine. Der +Kuß schmeckt fast ebenso, endlich hat er ihn auch hier bekommen -- ist +wohlfeil übrigens hier draußen! Und was ihm etwa noch fehlen sollte, +das ersetzt er reichlich durch die Menge. Wie feuriger Sternenregen +regnen die Küsse durch die blauschwarze Frühlingsnacht, der tramhaperte +Wienerwald sieht mit verschränkten Armen gemütvoll zu; unzählbar die +Liebespaare, die er in seinen schützenden grünen Falten birgt. + +Fanny ist innig und beglückt, als sie mit Franz Arm in Arm auf den +einsamen Waldpfaden im Umkreis der Wirtschaft herumspaziert. Mit +rührender Aufrichtigkeit gesteht sie: »Es war seit undenklicher Zeit +mein innigster Wunsch, einmal so mit einem Herrn zu gehen, und jetzt +hat sich der Wunsch erfüllt!« + +Süßer Fratz! Was soll man da für eine Antwort geben? Man gibt ihr einen +schallenden Kuß, die Leute mögen schauen, wie sie wollen, es ist +jetzt die Reihe an den anderen, verlegen zu werden, und obendrein sind +ohnehin keine Leute da. + +Aber damit war es gefehlt. »Ha!« schreit eine Stimme auf, ein junger +Mensch mit einem Mädel im Arm sitzt auf einer halbversteckten Waldbank, +zehn Schritte von dem verstörten Franz. Franz glaubt, er müßte in die +Erde versinken: »Also du, Hüttenbrenner!« + +Der lacht verschmitzt und doch zugleich etwas verlegen und ruft ihm zu: +»Hast nicht den Schober gesehen, er ist nicht weit!« und kichert in +sich hinein. + +Sie erholen sich alle von dem anstrengenden Minnedienst am Hof der +schönen Melusine. Hier am Himmel gibt es keine kalte Koketterie, +kein feurig tuendes Fischherz -- hier ist alles selbstverständliche +Erfüllung, nahrhafte Kost fürs Herz, Hausmannskost. + +Jetzt weiß man, wo Franz die vielen Tänze her hat, die er schreibt, +die sogenannten »Deutschen« und die Walzer, die er jedesmal wie einen +Strauß frischer Waldblumen von einer solchen heimlichen Reise ins +Land der Liebe heimbringt. Dort draußen sind sie ihm entgegengeblüht, +auf all den Schubertschen Wegen, die in den grünen, liebreichen und +weinseligen Wienerwald führen. + +Schwind steht Kopf vor Entzücken über die Deutschen, über diese Walzer. +»Das ist die blühendste Musik, die ich je gehört hab', quellfrisch aus +dem Herzen, aus dem Herzen des Wienerwalds --« vor allem aus Schuberts +Herzen -- Schwind kann nicht genug kriegen, Franz muß sie immer und +immer wieder spielen. + +Drinnen in der Stadt fangen die feinen Töchter schon an, Walzer zu +tanzen. Das haben sie ihm zu danken, der den Tanz im Grünen erlauscht, +erlebt und aufs neue zum Erklingen gebracht hat. Jetzt sitzt er ihnen +in den Klavierfingern, dann geht er siedend ins Blut und jetzt wirbelt +er schon in den Beinen. + +Und der den Zaubertrank schöpfte, den geheimnisvollen Jungbrunnen des +Wienerwalds -- der geht still und unscheinbar dahin, nur im engen +Kreis gekannt und geliebt; für die anderen ist er ein Name wie tausend +andere, flüchtig genannt, vergessen und verweht. Noch denkt man nicht +daran, daß man sich ihn merken müsse. + + + + + VI. + + +Der Sommer brachte einige Veränderungen. Das Schicksal warf die Freunde +durcheinander wie Spielbälle. Den einen riß es dahin, den andern +dorthin. Der treue Spaun war bereits seit einiger Zeit nach Linz +versetzt worden, in seine Heimatstadt, und schrieb sehnsüchtige Briefe, +daß Franz doch kommen und eine Zeitlang in der schmucken Donaustadt +verleben möchte. Jenger mußte von Amts wegen nach Graz -- in seinen +freien Stunden fungierte er als Sekretär des dortigen Musikvereins; +Anselm Hüttenbrenner zog ihm nach. + +»Zehn Jahre werden vergehen, ehe man dich wieder sieht!« prophezeite +Franz dem Hüttenbrenner beim Abschied. Es schien, als sollte er recht +behalten. + +Anselm suchte eine Stellung, er bekam sie durch Jenger und wurde +Dirigent des Steyrischen Musikvereins. Was Franz, der begnadete, +trotz aller Anstrengungen, trotz aller vorzüglichen Zeugnisse und +Empfehlungen, trotz Meisterschaft nicht erlangen konnte, das fanden die +kleinen Talente im Handumdrehen, Würden, Ämter, Einkommen. Es ging mit +seltsamen Dingen zu; woran lag es, daß er, der Berufene, nicht den Weg +zu den leichten Erfolgen fand. War es ein Verhängnis, war es ein Glück? + +Daß es auch in Graz hübsche Mädchen gebe, das erfuhr man bald aus +Anselms Briefen. Auch daß er in einem Zauberkreis festsitze und darüber +alle Welt vergäße. Der losen Mädchen wegen die Freunde zu vergessen, +das mochte dem Franz nicht gefallen. »So hol' doch der Teufel alle +Mädeln,« wetterte er in einem Brief, »wenn du dich gar so von ihnen +behexen läßt.« + +Erst hinterher kam es heraus, daß es die Position war, die Anselm in +Graz festhielt. + +Beide, er und Jenger, wollten in Graz den Boden lockern für das +Verständnis Schubertscher Schöpfungen. Freilich komponiert Anselm +selber, zwei Sinfonien hat er in Arbeit, aber herzeigen tut er nichts, +so sehr ihn Franz mit Freundeseifer drängt. Er ist lieb und gut, der +Anselm, aber -- was soll man denken? »Immer ein wenig versteckenspielen +-- mir gefällt die Leisetreterei nicht!« polterte Mayrhofer. + +Franz bleibt arglos. »Recht hat er, jetzt kann er sagen wie Cäsar, +lieber in Graz der Erste, als in Wien der Zweite. Gott gesegne es ihm!« + +Also das muß man sagen, Neid kennt der Franz nicht; er läßt jedem +seine persönliche Art und bleibt bei der seinigen. Er berichtet ganz +offenherzig nach Graz über sein eigenes Leben und Schaffen. Daß er, +Franz, auf Vogls Veranlassung die Musik zu einem Singspiel geschrieben +hat, daß es aber trotz Vogl schwer sei, »wider Kanaillen wie Weigl, +Treitschke usw. zu manövrieren. Drum gibt man statt meiner Operette +andere Ludern, wo einem die Haare zu Berg stehen ....« daß ihm aber +trotzdem allerhand neue Operngedanken durch den Kopf gehen und so +weiter. + +Ferner, daß Schober eine Sommerreise unternommen, und daß er, Franz, +sein Heim bei Mayrhofer in der Wipplingerstraße aufgeschlagen hat. +Sein Zimmer bestünde dort allerdings nur aus einem winzigen Alkoven, +gerade groß genug für das Bett und einen grünen Vorhang, aber es sei +angenehm und freundlich zu hausen in dem halbrunden Zimmer mit den +vielen Fenstern, den schönen Büchern, dem Klavier und dem philosophisch +angelegten Freund Mayrhofer. + +So führten sie eigentlich ein recht ungeniertes Junggesellenleben +zu zweit, das in der Hauptsache der Musik, der Dichtkunst und der +philosophischen Unterhaltung gewidmet sei. Der Bruder Anselms sei +jetzt häufig da; Joseph Hüttenbrenner, der geradewegs aus der Schule +Sokrates-Plato käme und sich liebevoll bemühe, Anselms verwaiste +Freundesstelle einzunehmen. + +Eine elegische Bemerkung fließt ein über das allzu rasche Schwinden +des Liebesfrühlings -- daß der wilde Rosenstrauch der Liebe draußen +am Himmel am Verblühen ist, sagte er gerade nicht, das gehört auf ein +anderes Blatt, aber der Freund mag sich's denken, zumindest kann er +es daraus entnehmen, daß Franz so auffallend heftig alle Mädchen zum +Teufel wünscht. Er bringt jetzt nur mehr wenig Walzer und Tänze von +seinen Streifzügen mit heim -- auch das gibt zu denken, wenn Anselm +versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Er habe jetzt ernstere Sachen +im Kopf, er denke viel an die Milder, und dabei habe er sich immer mehr +in die Therese verschaut, Melusine, die er seine tragische Muse nennt. +Von einer geht ein sanftes Band zur anderen, das ihn gefangen hält. Man +weiß schon, wohin es ihn zieht. Zum Theater. + +Unter den Freunden gibt es darüber nicht geringes Aufsehen. Joseph +Hüttenbrenner schärft seinem Bruder Anselm in den Briefen ein: »Für +dermalen laß dir's angelegen sein, für Schubert ein Opernbuch zu +schreiben; es fällt nebstbei auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden +in Europa genannt werden -- Schubert wird wirklich, ein neuer Arion, am +musikalischen Himmel glänzen usw. usw.« + +Holzapfl, obgleich nur mehr selten im Freundeskreis gesehen, berichtet +nach Linz an Stadler, einen gemeinsamen Konviktsfreund: »Ich weiß, er +(Franz) schreibt auf Vogls Veranlassung und also nicht ohne Ursache, +aufzuführende Operetten, Opern und andere große Dinge, die ich weder +weiß noch höre; aber es ist so ....« + +Einer sagt's dem andern, keiner weiß was Genaues, alle spitzen die +Ohren, jeder dichtet und hat schon einen großartigen Opernstoff in +petto -- die Zaunkönige möchten mit dem Adler fliegen -- das Theater, +ja, das Theater ist das Tor zur Weltberühmtheit. Die Freunde ereifern +sich, jetzt muß Schuberts Stern leuchtend aufgehen, er lächelt und läßt +sie reden in ihrem blinden Enthusiasmus. Was helfen die trügerischen +Worte -- das Leben macht sich von selbst und meist anders, ganz anders +als man denkt. + +So stehen die Tage im Hochsommer. + +»Kauft's ein'n Lavendel, zwei Kreuzer ein Büschel Lavendel! Ein'n +Lavendel kauft's!« + +Der einförmige Klagegesang des Lavendelweibes zieht durch die +sommerstillen Gassen. + +Das lockt und zieht -- ein Gruß aus duftenden Sommerwiesen, Wald +und Bergwiesen, die von fern in die Stadt leuchten, grüngoldener +Wienerwald. Der läßt einen nicht in Ruh'. Am wenigsten ein sinniges +Musikanten- und Poetengemüt, wie es Franz zu eigen war. + +Die Liebe liebt das Wandern -- also auf und ins Grüne hinaus jeden +freien Nachmittag und Abend. »Fanny, liebe Fanny!« so hat es vor +kurzem noch geheißen. Aber die Sonnenwende ist herum, oder war es die +Herzenswende? + +»Fanny, Herzensfanny, was haben sie denn mit dir gemacht?« Das +Wienerwaldkind am Himmel hat wenig Zeit für das Singerlein. »Mit so +einem Herrn zu gehen, war immer deine größte Sehnsucht, soviel ich weiß +-- und jetzt?« Die Frage hat er auf der Zunge, sie rutscht ihm endlich +heraus. + +Sie ist schnippisch, dreht ihm flink den Rücken und sagt: »Ja, das war +im Mai -- jetzt ist Juli, da ist es mir zu heiß.« + +»Dummes Mädel, mich hältst du nicht für einen Narren ...« Er läßt sich +eine Zeitlang nicht blicken. + +Dann aber treibt ihn wieder ein ungewisses Etwas. Also wandert er mit +seinem Stock das Gspöttgräblein wieder hinauf -- »denn die Liebe liebt +das Wandern.« + +Summt sich dabei eins: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du heut so +stumm, will ja nur eines wissen, ein Wörtchen um und um, ein Wörtchen +um und um. Ja, heißt das eine Wörtchen, das andere heißet Nein, die +beiden Wörtchen schließen die ganze Welt mir ein.« + +Das Haus am Himmel steht einsam an Wochentagen, so ist es der Liebe +recht. »Fanny, liebste Fanny, wo steckst du heut?« Sie hat ihn gewiß +kommen gesehen und läßt ihn heute zappeln. »Schaut sie auch nicht zum +Fenster heraus, so schaue ich doch zum Fenster hinein -- ist also +einerlei!« + +Da steht der kleine Musikus vor dem etwas hochgelegenen Fenster, ein +wenig muß er sich an dem Gesims emporziehen, und späht in den Raum +hinein. + +Nein, Fanny hat ihn nicht kommen gesehen, ahnungslos sitzt sie drin an +einem Tisch und neben ihr sitzt so ein frecher Kerl beim Wein und hat +den Arm um sie geschlungen. Sie sitzen allein in der Stube, und sie +schauen sich so sengend heiß an, als ob sie jeden Moment Feuer fangen +müßten. + +Auch dem Franz schießt Feuer in die Augen -- oder war es das Wasser? +Einen kleinen Bremsler hat es ihm doch gegeben, er rennt vom Haus +weg und waldein. »Mit so einem Herrn zu gehen, das war immer meine +Sehnsucht!« Er hört die Worte noch immer, sie klingen jetzt wie Hohn. +Dem andern sagt sie gewiß dasselbe, und der ist bezaubert davon, so wie +es auch er war. Ach, der Zauber ist süß, und wer ihn verliert, der ist +elend dran. + +Franz ist ins Grüne hineingerannt, jeder Weg war ihm recht. Nur immer +fort ins Grüne: »In Grün will ich mich kleiden!« Feuer und Wasser +stehen ihm in den Augen. + +»In Grün will ich mich kleiden, in grüne Tränen weiden -- will suchen +einen Zypressenhain, eine Heide von grünen Rosmarein --« + +Feuer und Wasser, das lebt wie Hund und Katz'. Dem Franz ist jetzt +wirklich traurig zumute. Aber es dauert nicht lange, so haben Feuer und +Wasser einander aufgefressen, und wären es Hund und Katz' gewesen, so +wäre kaum ein Schwanzstückl übriggeblieben. + +Jetzt muß Franz schon lachen über sich selber. Er hat nämlich eine +Stimme in sich, die in allen lächerlichen oder empfindsamen Situationen +erwacht und leise fragt: »Franz, dummer Kerl, schämst dich nicht?« +Gegen diese innere Stimme war nicht aufzukommen. Sie pflegte, wenn +nichts anderes half, einen schlechten Witz zu reißen, und dann +war alles Krankhafte, Sentimentale geliefert. So gesund war Franz +innerlich, so kerngesund! + +Und jetzt lachte er schon im seligen Humor: »Grabt mir ein Grab im +Wasen, deckt mich mit grünem Rasen -- kein Kreuzlein schwarz, kein +Blümlein bunt, grün, alles grün so rings und rund -- so rings und rund +--« + +Und lief so rings und rund -- so rings und rund und lief sich gesund, +ganz gesund im grünen Wienerwald. Es war völlig dunkel, als er am Haus +am Himmel wieder vorbeiging, die Fenster waren ohne Licht, die Türen +geschlossen, alles schlief. Klopfenden Herzens schlich Franz näher, ein +kleiner Spotteufel ward in ihm rege, er wollte nicht fortgehen ohne +Abschied. »Will dich im Traum nicht stören, wär' schad' um deine Ruh' +-- schreib' im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht! Damit du mögest +sehen, an dich hab' ich gedacht!« + +Schreibt also im Vorübergehen ans Tor ihr: Gute Nacht! und hat ein +kleines Sterbekreuzel daneben hingemalt. + +Gute Nacht! Die Liebe ist gestorben -- wo, wo ist sie gestorben im +grünen, grünen Wienerwald? Wo findet ihr den Zypressenhain, wo das Grab +im Wasen, wo das Kreuzlein schwarz (außer an der Tür!)? Nichts kündet +euch den Liebestod, grün ist alles, so rings und rund! Ist die Liebe +wirklich gestorben? + +Nein, sie lebt, sie lebt in den Tänzen, Liedern und Weisen, die Franz +bei seinem Wandern im grünen Land der Liebe heimgebracht hat. + +Das grüne Wogen ist darin, die heitere Sinneslust, die gotterfüllte +Ekstase, das Schleifen und Wiegen -- vielleicht auch die heimliche +Träne, die aus dem Herzen hineingeflossen ist, das Schönste und +Ergreifendste daran, sein Eigenstes! + +Aber es konnte nicht immer bei dem bleiben -- denn die Liebe liebt das +Wandern -- Gott hat sie so gemacht! -- von einem zu dem andern -- Gott +hat sie so gemacht! + +Franz steigt zur Stadt ab, in der da und dort noch Lichter glühen. +Er ist getröstet und beruhigt. Ein inniger Quell von Trost erquickt +ihn, wie immer. Er denkt an die Stadt unten, die so unendlich viel +umschließt, und denkt recht eigentlich an die Eine, Unvergleichliche, +die unter den Freunden Melusine genannt wird und die alles verkörpert, +was das Herz im unbestimmten Verlangen ersehnt: die Kunst, die Liebe, +die Stadt, alles dies und noch viel mehr drückt sich in seiner +Sehnsucht aus, und diese Sehnsucht hat den Namen Melusine. Wenn ein +kleiner Liebeskummer einbricht, dann steht ihr Bild groß vor Augen, +eine anziehende magische Kraft, die verhütet, daß sich das Herz in +kleinen Liebeständeleien verirrt oder gar verliert. + +Todmüde wirft sich Franz um Mitternacht ins Bett, ein bleierner +Schlaf drückt ihn nieder, er erwacht am anderen Morgen mit einem +katzenjämmerlichen Gefühl. Etwas hat man verloren, und war es auch nur +eine Illusion. Aber das Dasein besteht nur aus Illusionen, also hat +man ein Stück Dasein verloren. Das Leben ist wieder um einen Schatten +tiefer. + +Ein Glück, daß ein Brief von Vogl da ist, der sich zum Sommer in seiner +Vaterstadt Steyr befindet. Vogl fühlt sich einsam, er möchte sich +mit neuer Musik auffrischen, Schuberts Lieder sind ein Jungbrunnen +für ihn, Franz möge doch nach Steyr kommen und den Sommer mit ihm in +Oberösterreich zubringen. + +Wenn von Steyr die Rede ist, geht auch dem Mayrhofer das Herz auf. Er +ist ja selber Steyrer. »Die Steyrer singen gern,« rühmt Mayrhofer, +»das kommt von der blauen Enns, die so stattlich um die Stadt rauscht, +oder von der grünen Steyr, die ihr singend in die Arme stürzt -- also +merk' auf, Steyr ist was für dich! Vor den Mädeln nimm dich in acht, +haben Augen blau wie die Enns, spielen aber die grünen Lichter der +Steyr drin -- ist ihnen nicht zu trauen, diesem Blau und diesem Grün, +haben gefährliche Tiefen, Wirbel und Strudel, es reißt dich hinein, du +weißt nicht wie ...« Spielt sich gar zu sehr auf den väterlichen Warner +hinaus, der weiberfeindlich gesinnte Mayrhofer. + +Jetzt hat die Sonne wieder neues Licht. Vogls Einladung, das läßt man +sich nicht zweimal sagen. Man sieht dabei ein Stück Welt, besucht in +Linz die Freunde, die schon so oft geschrieben haben, ob er denn gar +nicht kommen mag -- also jetzt wird es Ernst. Es treibt ihn förmlich +hinaus. Kleingeld hat er in der Tasche, »Die Zwillingsbrüder«, wenn +auch nicht aufgeführt, haben wenigstens einen Vorschuß gebracht; es +langt. Ach, Berge, Städte, Freunde! Die Brust wird wieder weit. + +Ja -- die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht -- von einem +zu dem andern, Gott hat sie so gemacht! + +Die Reisetasche her: sie hat einen mächtigen Bügel, aber die schöne +Stickerei auf der Außenseite ist längst verblichen; die Tasche ist +vom Herrn Vater, dem hat sie schon vor langen Jahren auch gedient. +Bedachtsam schiebt Franz die wenigen Habseligkeiten hinein, die er +braucht, etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, einen Anzug -- der alte dient +auf der Reise und auf der Wanderschaft -- so, das wäre jetzt alles, +bis auf die Noten und das Notenpapier, es nimmt den größten Raum ein. +Zum Platzen vollgestopft ist die Tasche, und schwer! Schwer von der +musikalischen Fracht, der geschriebenen und der ungeschriebenen. + +Jetzt wird noch das Ränzel gespickt mit allerhand Kleinigkeiten, die +man unterwegs braucht, vor allem mit guten Freßsachen. Andächtig +schiebt er ein Päckchen ums andere hinein, die er vormittags eingekauft +hat, steckt ab und zu einmal die Nase zum Papier, hm! duftet fein! Zwei +Paar Tiroler Landjäger, davon kann ein Mensch acht Tage lang leben, +ein Stück ungarische Salami, noch etliche andere Wurstzipfel, einen +echten Emmentaler, ein Stück ungarischen Paprikaspeck, eine Anzahl +Brote, damit ist man versorgt -- jetzt kann kommen, was mag, man ist +gegen die Wechselfälle des Schicksals für mannigen Tag vorgesehen. Am +Abend wird der Abschied gefeiert, Mayrhofer, Schwind, Holzapfl, Joseph +Hüttenbrenner sind dabei. Jeder verspricht nachzukommen, in einem Monat +vielleicht, in drei Wochen, in vierzehn Tagen. Beim Abschied schwelgt +man schon in der Freude des Wiedersehens. Man hat soviel Vorsätze +und genießt es im voraus, oft der einzige Genuß. Den lassen sich die +Freunde nicht entgehen, sie sitzen und trinken und schwärmen bis tief +in die Nacht. + +Am anderen Morgen in aller Früh geht der Postwagen. Der Schlaf ist +verflogen, als Franz beim Kutscher vorne sitzt und die Linzer Straße +hinausfährt. Die Stadt versinkt hinter seinem Rücken: Leb' wohl, schöne +Fee Melusine! Der Wienerwald erhebt sich links und rechts schwellend +grün, Kuppe über Kuppe, ein wogender Ozean von Grün. Und drüben, ja +drüben, ist das versunkene Haus am Himmel. »Leb' wohl, Fanny, leb' wohl +auf Nimmerwiedersehen! Der Teufel hol' die Mädels!« So schnell kriegt +ihn jetzt keine mehr dran. + +Ist das eine Seligkeit, so drauflos zu fahren ins grüne Meer von +Niederösterreich. Der Wagen geht dahin wie ein gelbes Schiff durch die +grünen Fluten von Wiesen und Wäldern. Alles ist neu und festtäglich, +was man sieht, die Bauersleute, die zu Fuß oder zu Wagen dahinziehen, +das Treiben in den Herbergen beim Pferdewechsel, es geht zu wie im +ewigen Leben. Die Sorgen, die Schmerzen hat man zu Haus gelassen, +man fühlt sich wie Gott in Frankreich. Fast so wie auf der Reise nach +Zelez, eigentlich aber besser, denn nach Zelez ging's doch in eine wenn +auch sanfte Abhängigkeit, hier aber reist man der ungebundenen Freiheit +entgegen. Kein Amt, keine Pflicht wartet und legt am Ziel neue Fesseln +an. Ein ganzer Sommer steht noch bevor, ein Sommer der Kunst und des +heiteren Daseins, der vegetative Mensch lebt und atmet Glück. + +Die tausend Fenster rechts, das ist das Melkerstift, die funkelnden +Türme gehören dazu, jetzt blitzt der Silberstreifen der Donau auf, +weiter draußen das Kirchlein am Berg, das ist Maria-Taferl, weiße +Schlösser, Burgruinen, Wein, Strom und Wald -- die Augen können +sich nicht satt trinken an all diesen Herrlichkeiten, die Augen und +das Herz! Kaum hat man es erschaut, ist es schon vorbei, das gelbe +Gefährt schwankt wieder in den Wogen von Grün dahin, andere steingraue +Städtlein stehen auf, einzelne breite Gehöfte lugen zwischen Obstbäumen +hervor. Das Land trägt ein buntes Gesicht und gleicht einem gesegneten +Garten, es ist das liebliche Oberösterreich. Ein Fluß wälzt schäumende +Fluten daher, das ist die Enns. + +Endlich am zweiten Abend schwankt der gelbe Wagen zwischen engen +Gassen, hinauf, hinab, über ein holperiges Pflaster, ein Engpaß von +Gemäuern schließt sich zusammen, eine Menge Läden sind darin, Menschen +und Wagen drängen sich durch, dann tut sich ein unendlich weiter, +schmuckvoller Platz auf mit alten, reichverzierten Patrizierhäusern, +kunstvoll verschnörkelten Wirtshausschildern aus Schmiedeeisen, +rostbraun und golden, hinter den steinernen Toren stille klösterliche +Haushöfe mit weißen Arkaden und pendelnden Blumen -- das ist die schöne +Stadt Steyr, um die sich die blaue Enns und der grüne Steyrfluß zu +einer blaugrünen Masche knüpfen. + +Man ist am Ziel. + +Franz klettert vom Wagen herab, die Knochen im Leib sind ihm förmlich +zerdroschen von der Ratterei des Wagens, kaum daß er auf den Beinen +stehen kann. Da ist er schon von einer Menge Leute umringt, die ihn +herzlich und teils sogar respektvoll begrüßen, der gravitätische Vogl +an der Spitze, der ihn gönnerhaft den Honoratioren vorstellt, dem Herrn +Silvester Paumgartner, Hausbesitzer, Vizefaktor der Eisengewerkschaft, +Besitzer einer wertvollen Instrumentensammlung; dem Herrn Advokaten +Schellmann, Freund Vogls und leidenschaftlicher Klavierspieler, in +dessen Haus am Platz für Franz ein Zimmer im zweiten Stock reserviert +ist; dann dem Herrn Kaufmann Joseph von Koller und seiner Tochter +Josephine, die als Sängerin und Pianistin einen k. k. Provinzialruhm +genießt; endlich die Frauen, Töchter und deren Freundinnen, eine Schar +von Mädchen und alle blitzsauber! Wird ihm gleich etwas bang dabei, die +Sehnsucht fängt zu schwellen an, die Traurigkeit gewinnt Oberhand. »Was +machen's denn für ein Gesicht!« stößt ihn Vogl an, der immer gern ein +wenig hofmeistert. + +Franz redet sich auf seine Müdigkeit aus, im übrigen denkt er, der +Mensch wird doch ein Gesicht machen dürfen, wie es ihm paßt. Es ist ihm +zuwider, daß Vogl gar zu gern den Protektor hervorkehrt. Immerhin, er +meint's gut, aber zuwider ist es doch ... + +Eine richtige Schwelgerei in Musik geht los. Die Steyrer sind ganz +baff über die Kunst, die Franz im Verein mit Vogl hervorzaubert. Wenn +Vogl singt und Franz ihn am Klavier begleitet, so daß sie in solchen +Augenblicken eins zu sein scheinen, dann reißen die Zuhörer Mund und +Augen auf, fassungslos vor Staunen und Entzücken. Daß es so was gibt, +ist für sie völlig neu und unerhört. + +Wenn in der k. k. Provinz die Begeisterung entfesselt ist, dann gehen +die Wogen sehr hoch. Es sind gesunde, ungebrochene Naturen, die können +was leisten. Dem Franz kommt's vor, als ob von nun an alle Tag Sonntag +wäre. + +Der neue Kreis von lieben, eifrigen Menschen gibt sich alle +erdenkliche Mühe, um ihm das Leben so angenehm als möglich zu machen. +Am rührendsten ist Silvester Paumgartner. Er führt ihn in der Stadt +umher, zeigt ihm diese und jene Besonderheit und weiß von allen +Dingen die Geschichte. Am liebsten freilich läßt sich Franz in die +Eigentümlichkeiten der Stadt von Josephine einweihen, die ihn immer +häufiger zu Spaziergängen einladet. Im Haus bei Schellmann sind allein +acht Mädchen, mudlsauber alle, und alle gehen dem jungen Meister +liebreich um den Bart. Er ist Hahn im Korb und läßt sich wohl geschehen. + +Wenn nicht am hübschesten, aber doch am interessantesten ist die +Josephine. Sie gibt sich exzentrisch und spielt sich auf die +Weltdame hinaus. Es liegt ihr nichts daran, daß die Leute die Köpfe +zusammenstecken und sich ein wenig mokieren über sie. Wenn sie nicht so +überschlank wäre, dann könnte man an die Fee Melusine denken, überlegt +Franz; freilich mit dem weiteren Unterschied noch, daß Therese im +wirklichen Sinn Dame ist, während die exzentrische Josephine trotz +ihrer anscheinend freien Art nicht ganz das Provinzielle abstreifen +kann. + +»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt!« sagt sie ihm schon in den +ersten Tagen. + +Er aber denkt: »Mich kriegst du nicht dran!« Sie gehen am Vormittag +über die Ölstiege zur Enns hinab auf den Schiffweg. Der dunkle +Stationsweg mit den roten ewigen Lichtlein an den Heiligenbildern in +diesem steinernen Schacht hat so eine eigene Stimmung. Das Mädchen +bleibt gerne stehen auf den steinernen Stufen in dem halbdunklen Gang, +plaudert und schaut ihm ins Gesicht. Ihre Augen geben grüne Lichter -- +Mayrhofer hat recht: »Nimm dich in acht, der Zauber ist gefährlich ...« + +Am Schiffweg unten kommt schon die blaublickende Enns daher mit Singen +und Rauschen. Wundervoller Sang, die rollenden Kiesel am Ufer klingen +geheimnisvoll mit. Josephine angelt mit den Augen. Die sind jetzt hell +und klar und blau wie die Wasser der Enns. Forellen schießen im Strom +daher, dem Franz ist es so wohl wie den Fischen im Wasser, und er +denkt: »Angle nur zu, mich fängst du so wenig wie die Forellen, solang +es vor mir so klar und licht ist ..« + +Josephine redet von der Liebe. »Den ich einmal wollte, der ist +gestorben, und den ich jetzt möchte, der weiß es nicht, oder tut er +vielleicht nur so?« + +Franz hütet sich zu fragen: »Wer?« Er greift fest ins Klavier, sie +spielen vierhändig. Ein neues Werk wächst unter seinen Händen, das +Singen und Rauschen der Enns ist darin, das Schießen der Forellen, das +Haschen und Fangenwollen, das hurtige Enteilen; in munteren Läufen +trillert eine Stimme, die rollenden Kiesel am Schiffweg singen mit. +Sonnenschein und Frohsinn ist darüber -- ein volles Glück neigt sich +herab, Franz tut es der Forelle gleich, die in glashellen Fluten +aufwärts schwimmt -- in Laune und Übermut ringt er sich nach heiteren +Höhen empor. + +Tagelange Fahrten werden ins Land unternommen, nach Kremsmünster, nach +Florian in die geistlichen Stifte, überall sind die Sänger, Künstler +und Freunde in Ehren empfangen und gefeiert. In Kremsmünster schließt +sich ein Student der Sängerfahrt an, er will nach Wien reisen, er +verbummelt seine Tage, so stark hält ihn Schuberts Musik gefangen. +Endlich reißt er sich los, sonst wird ihm das Geld zu knapp. »Er +soll in meinem Bett schlafen für die Tage, die er in Wien weilt!« so +schreibt Franz dem Mayrhofer. »Sie haben doch ein gutes Herz!« sagt +Josephine, die dabei ist, als Franz dem Studenten den Empfehlungsbrief +zum Abschied gibt. + +»Sie haben doch ein gutes Herz!« wiederholt sie später öfter, wenn +sie die Ölstiege zum Schiffweg hinabgehen, und bleibt stehen: »Sie +verdienen dafür belohnt zu werden.« Sie macht dabei so eigentümliche +Augen, daß der Franz wegsehen muß, sonst zappelt er wirklich wie die +Forelle an der Angel. + +»Kriegst mich nicht dran!« denkt er beharrlich, aber so ganz +selbstsicher ist er nicht. + +Das begonnene Werk wächst weiter, es will sich glücklich vollenden. + +»Sie komischer Mensch, wenn ich ein Mann wäre wie Sie, ich würde mir +die Trauben nicht in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten.« + +Die Trauben in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten, das will +er auch nicht, dazu ist er Mann genug; aber es ist ihm zuwider, wenn +sie sich gar so aufdrängen, die Trauben; da verlieren sie an Reiz, und +er denkt sich: Justament nicht! Ein Glück, daß er am nächsten Tag nach +Linz muß auf ein paar Tage, die Sehnsucht nach den Freunden drängt, +sonst hätte er, wer weiß es, wirklich zugeschnappt. + +Mayrhofer und Schwind kommen ja doch nicht, trotz aller guten +Absichten, aber Spaun in Linz, den man so lange schon nicht gesehen +hat, und Stadler, ein Konviktsgenosse, der ihn als Musikfreund näher +kennt, die will er bei dieser Gelegenheit sehen. Vielleicht, daß sie +dann einen Gegenbesuch in Steyr machen. + +Linz an der Donau mit dem Pöstlingberg, das ist eine schmucke +Stadtschöne. Mit Spaun und Stadler kommt er zu Linzer Kunstfreunden, +er ist da und dort zu Besuch, die Menschen sind stilvoll wie +alte Porträts, am Kaffeetisch werden ihm zu Ehren die kostbaren +Porzellanschränke aufgetan, er trinkt aus alten vergoldeten und +kunstreich bemalten Schalen, er betrachtet die Bilder an den Wänden, +die schweren eingelegten Möbel, die schönen illustrierten Bücher in +den Schränken, alles, was er sieht und kennen lernt, ist gesättigt mit +Kunst und Geschmack; es ist eine neue wundervolle Welt im Kleinen. + +Abends vereinigen sich die jungen Freunde in einem alten gewölbten +Lokal, wo man den besten Wein kriegt und der aus dem Stift Kremsmünster +stammt. Zum Nachtmahl gibt's eine Hausspezialität: »Katzengeschrei.« +Dreierlei Fleisch in Würfel geschnitten, Kalbfleisch, Schweinefleisch, +Rindfleisch, mit würziger Sauce und großen Semmelknödeln dazu -- es +schmeckt herrlich. Und dann der Wein drauf -- kein Wunder, daß allen +das Herz aufgeht und die Zunge überfließt. Was tut man, wenn der +Wein endlich Herz und Zunge aufgeriegelt hat? Man singt. Man singt, +daß die Gasse klingt und die Leute in den dunklen Fenstern die Köpfe +herausstecken und die halbe Nacht lang andächtig zuhören. + +Schließlich aber ist der Wein der Stärkere, der Gesang wird übermütig, +er gluckst, hopst, lacht, torkelt, lallt -- es wird ein richtiges +Katzengeschrei. Da schließen sich die Fenster, denn es wird bald +wirklich zum Steinerweichen. + +Aber es ist nichts Arges dabei, man geht in Seligkeit von dannen. Und +merkwürdig. Wie kann man denn, wenn einem die Trauben schon in den Mund +hängen, vergessen, zuzubeißen? Es will dem Franz jetzt nicht aus dem +Sinn. Blaue Augen mit grünen Lichtern funkeln vor ihm noch im Traum. +Die ganze Nacht denkt er an Josephine. + +Zappelt jetzt die Forelle an der Angel? + +Am nächsten Tag kehrt er nach Steyr zurück. Die Enns rauscht und singt. +Er hat ihr Rauschen und Singen eingefangen, ein sonniges, glühendes +Werk ist ihm entstanden, die frohen Steyrertage sind darin, sein +ganzes Glück dieser Zeit -- Forellenquintett heißt es, er schenkt es +dem Silvester Paumgartner, der sich trotz des Altersunterschiedes als +wärmster und aufmerksamster Freund erwiesen hat. + +Eigentlich wollte er es der Josephine schenken. Aber im letzten +Augenblick besann er sich eines anderen. Sie sprach wieder von der +Liebe und neckte ihn, weil er tat, wie der keusche Joseph. Er aber +hatte schon Feuer gefangen -- die Trauben, die so tief hangen, die +wollte er nun doch nicht unverkostet lassen. + +Aber blitzschnell bog sie ihm aus. »Nein, nein!« In ihren Augen +blitzten die grünen Lichter. »Vor einigen Tagen war ich bereit -- alles +hätte ich gewährt, ich hatte es mir fest vorgenommen -- warum sind Sie, +anstatt mich zu erwarten, nach Linz gefahren?« + +»Warum?« Jetzt wußte Franz, sie spielt gern die Verwegene und +Leidenschaftliche, aber sie ist es gar nicht; sie tut nur so und hält +ihn zum besten. Sie glaubt, das ist jetzt à la Mode, und meint weiß +Gott, was für gefährliche Abenteuer sie überstanden hat. + +»Warum? Das will ich Ihnen auf dem Klavier sagen.« + +Jetzt hat Franz das Heft in der Hand; ein paar Takte, ein kleiner Sang: +»Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem +andern, Gott hat sie so gemacht!« + +Das Liebesspiel ist aus, wer hat das Nachsehen? Auf alle Fälle +hat Franz gewonnen; was er gewonnen, klingt fort in seinem +Forellenquintett, fort ins Ewige. + +Ade, du muntere, fröhliche Stadt, ade! Der Herbst ist da, aber das +Scheiden von hier ist nicht leicht. + +Ein so voller, schöner Sommer -- und zum Schluß die unausgesprochene +bange Frage: »Wann werde ich je wieder so glücklich sein?« + + + + + VII. + + +Im Gundelhof ist alle Freitag musikalische Soiree bei dem Wiener +Rechtsanwalt Dr. Ignaz von Sonnleithner. Der alte Herr von Sonnleithner +scheint im Leben ein ziemlich trockener Patron, eine etwas nüchterne +und schwunglose Advokatennatur, nur bei der Musik hat er sein Herz +entdeckt. Eine kleine Gesellschaft von Musikfreunden findet sich +seit Jahren an den Freitagabenden bei ihm ein, der Andrang ist mit +der Zeit so groß, daß Eintrittskarten verabreicht werden; was zuerst +eine private Liebhaberei war, wird nach und nach eine mehr und mehr +öffentliche Einrichtung; die Gesellschaft der Wiener Musikfreunde +bildet sich als Pflegestätte edler Musik heraus. Sie wird so groß, daß +sie einen Ableger entsendet, den kleinen Musikverein, der sich auf +intimere Veranstaltungen verlegt und ebenfalls aus dem Privatsalon in +den Konzertsaal hinüberwächst. + +Schubert ist dort kein Unbekannter mehr, wenigstens dem Namen nach; +als er noch der Schulgehilfe vom Himmelpfortgrunde war, ist eine +Kantate von ihm im Gundelhof aufgeführt worden. Der Sohn Leopold +von Sonnleithner, ebenfalls Konviktszögling, hat seither eifrig +Schubertsche Blätter gesammelt, die in Abschriften von Hand zu Hand +gingen, und die ihm neuerdings durch Joseph Hüttenbrenner reichlicher +zufließen. + +Den Mittelpunkt der Gesellschaft der Musikfreunde bilden drei liebliche +Schwestern, die in ihrer Dreieinheit die Wiener Muse des Gesangs +verkörpern. Sie heißen Schwestern Fröhlich. Wenn der Name genannt wird, +dann leuchten die Gesichter auf, ein freundliches Lächeln erwacht. So +groß ist die Wirkung, die von den Schwestern ausgeht. + +Zu den Fröhlichs in der Singerstraße kommt Leopold eines Tages mit +Noten von Franz. »Die Lieder sind von einem jungen Menschen -- +vielleicht probiert ihr sie; sie sollen recht gut sein.« Mehr sagt er +nicht. Die Schwestern sollen selber sehen, was dran ist. + +Die Lieblichste von den Dreien, Kathi, setzt sich gleich ans Klavier, +versucht die Begleitung und singt mit halber Stimme. Das erste +Lied ist der »Erlkönig«. Im Nebenzimmer befindet sich der Vetter +Sonnleithners, der junge und schon vielgenannte Dichter der »Ahnfrau«, +Franz Grillparzer, Kathi ist seine Braut. Das ist der, von dem Schubert +des öfteren schwärmt und den er so gern zu seinen Freunden zählen +möchte. Außer Grillparzer ist Gymnich da, ein junger, blasser Mensch, +brustleidend, Besitzer einer außerordentlich schönen Stimme, in seinen +Nebenstunden Beamter -- die meisten sind Beamte in ihren Nebenstunden, +auch so Große wie Grillparzer, die Kunst ist brotlos, und Genies wie +Schubert und Schwind müssen darben. + +Auf einmal horcht Gymnich auf, tritt ins Klavierzimmer zu Kathi: »Was +spielen Sie denn da? Ist das Ihre Phantasie?« + +»Nein! Ein junger Mensch hat es gemacht, ich kenne ihn nicht näher, +doch warten Sie: wie heißt er? Schubert! Den Namen hab' ich schon +nennen gehört, aber ich weiß nicht wann und wo -- einerlei. Schön, +nicht wahr?« + +Gymnich ist außer sich. »Das ist ja herrlich, das ist etwas ganz +Außergewöhnliches! Lassen Sie doch sehen!« + +Jetzt singt er, Kathi begleitet ihn. Die Männerstimme bringt es jetzt +klar heraus, was in dem Lied steckt, alle Schauer, alle Abgründe -- die +Zuhörer sind hingerissen. + +Die anderen Blätter werden durchgespielt, man kann sich kaum mehr +trennen davon, den ganzen Abend lang werden diese Lieder gesungen und +wieder gesungen. + +»Und der Mann lebt in Wien? Und wir kennen ihn nicht? Sonnleithner, das +ist eine Schande! Sie müssen ihn zu uns bringen, und zwar gleich, in +diesen Tagen noch, morgen, übermorgen. Verstanden?!« + +»Ja.« Leopold Sonnleithner hat verstanden. Am dritten Tage kommt +er mit Franz, den er am Rockärmel hält. Es war nicht ganz leicht, +fast mit Gewalt und Joseph Hüttenbrenners Unterstützung hat man ihn +hergeschleppt. Die Aussicht, Grillparzer zu treffen, den er so gern +kennen lernen möchte, wirkte eher als Abschreckung, so geniert fühlte +er sich. Da standen sich nun die beiden gegenüber, sie waren neugierig +aufeinander und fanden nicht das rechte Wort, das die Brücke hätte sein +können von Herz zu Herz. + +Grillparzer war verschlossen seiner Gewohnheit gemäß, Schubert war +scheu und ging gleich ans Klavier; was aber die Worte nicht zu binden +vermochten, das vollbrachten die Töne, die unter den meisterlichen +Fingern dem Instrument entstiegen, und außerdem wußten die drei +Schwestern als freundliche Grazien mit den beiden, die sich schwer +taten, so umzugehen, daß allen leicht und wohl wurde. So entstand eine +wortlose, zurückhaltende Freundschaft, von der man nicht mehr wußte, +als daß sie da war, und daß sanfte und liebreiche Frauenhände die Bande +zu einem ganz haltbaren Knoten geschlungen haben. Zu den Schwestern +Fröhlich kam nun Franz öfter und öfter. + +Bald hernach sang Gymnich den »Erlkönig« im Gundelhof an einem Freitag +abend. Die Leute waren bezaubert. + +»Wie geht es denn eigentlich zu, daß so ein Mensch nicht schon +längst berühmt ist, eine anerkannte Größe in der Welt?!« Dem alten +Sonnleithner war es völlig unbegreiflich. + +»Wie es zugeht? Ungerecht geht's zu in der Welt, elend -- fragen Sie +den Herrn Verleger Diabelli oder Haßlinger, dann wird es Ihnen klar +sein ...« so redet Joseph Hüttenbrenner, der ein getreuer Famulus +Schuberts geworden war und immer eifriger begann, den Verwalter des +Genius zu spielen. Er erzählte wahrheitsgetreu, wie die Lage war. + +»Unsinn, ist doch ein aufgelegtes, gutes Geschäft, wenn man's so +betrachten will, vom Verlegerstandpunkt,« entgegnete der alte +Sonnleithner in seiner etwas barschen, trockenen Weise; »da muß halt +was getan werden, warum soll denn der Verleger nicht wollen? Werd' +einmal selber reden mit ihm.« + +Es hat aber dem Herrn Advokaten nicht viel genützt, weder bei dem +einen, noch bei dem anderen, keiner traut sich recht, einen Pfennig +anzulegen, sind alle mitsamt erbärmliche Drücker, die ein Geschäft erst +machen, wenn sie den Profit schon von vornherein gesichert und bar auf +dem Tisch liegen haben. + +Wenn doch der Herr Doktor und die vielen Freunde sich zusammentäten +und die Kosten aufbrächten, dann wollte sich der Herr Verleger schon +eher bereit finden lassen, die Sache in Kommission zu nehmen und den +Profit einzustecken -- nun ja, warum denn nicht! Man tut ja gern was +für ein junges Genie; aber auf Verlegerunkosten -- nein! Wütend geht +Sonnleithner heim, er wendete hin und her, wie sich's machen ließe -- +jedenfalls, jetzt gibt's kein Lockerlassen mehr! + +Inzwischen findet ein öffentlicher Abend im kleinen Musikverein statt, +Gymnich singt den »Erlkönig« im Konzertsaal. Das hat jetzt eine +durchschlagendere Kraft als alle früheren Veranstaltungen in privaten +Zirkeln und Wohltätigkeitsakademien. Das Publikum ist rasend, der +Komponist wird herausgestampft, diesmal haben ihn die Freunde nicht +entwischen lassen. Hüttenbrenner, Schober, Mayrhofer, sie haben zu +tun, ihn vom Künstlerzimmer aus aufs Podium zu bringen. Jetzt steht er +oben mit etwas verwursteltem Frack, macht ein paar linkische Kratzfüße +vor der begeisterten Menge -- und weg ist er, fluchtartig herunter und +verschwunden. Keine Macht der Erde bringt ihn mehr herauf, er ist froh, +daß es überstanden ist. Aber soviel steht fest, der junge Meister ist +entdeckt. + +Sein Schaffen im Verborgenen war einem Strom vergleichbar, der viel +verzweigte unterirdische Gänge wählt und nur da und dort mit einer +prachtvoll strömenden Welle an die Oberfläche tritt. In der Tiefe wühlt +er sein Bett und sammelt im Verborgenen seine Gewässer; kann aber +nimmer lang dauern, da muß der Strom hervorbrechen ans Tageslicht in +voller Kraft und Herrlichkeit, der Welt ein neues Licht zu geben. Wer +hineinschaut, sieht Sonne, Mond und Sterne darin, und das eigene Herz +und das Rauschen singt jedem, der es hört, in der eigenen Brust drin. + +Das war so jetzt um diese Zeit. + +Mit einem Male wird es an allen Ecken und Enden lebendig. Der +Opernsänger Jäger hat in Wien und in Dresden gesungen, der Vogl +singt die herrliche Ballade vor einer adeligen Damenakademie im +Konzertsaal, die Zeitungen fangen an, sich zu interessieren, sie +bringen spaltenlange Berichte, das Publikum ist wie rasend -- Franz ist +ein gemachter Mann. Der Hofmusikgraf Dietrichstein, der Operndirektor +Mosel, der Hofmusikdirektor Salieri, sie stellen ihm alle glänzende +Empfehlungsschreiben aus -- schöne Worte, verdientes Geld wäre ihm aber +lieber gewesen, dem Franz, der jetzt unter einer wahren Traufe von +Anerkennungen steht und dabei arm ist wie eine Kirchenmaus. + +Die Freunde feiern den Gefeierten. Sie kommen aus Vogls Konzert ins +Stammbeisel, wo sie Schubert erwartet. Sie sind noch ganz aufgeregt +und erhitzt von dem Erlebten. + +»Vogl hat den ›Erlkönig‹ wiederholen müssen, so begeistert waren die +Leute!« schreit ihm der erste gleich entgegen. Und nun geht es an ein +eifriges Erzählen und Luftschlösserbauen. + +Schwind, der sonst Verträumte und Wortkarge, ist jetzt der Eifrigste, +den Erfolg des Freundes zu rühmen und die Wirkung auszumalen, die +Schuberts Wunderhorn auf die Seelen ausgeübt hat. Er selber hat +Erlkönige in der Mappe, er, der malende Schubert, die Musik ist seine +stille Liebe; was Franz geleistet hat, er kann es am besten sagen. + +»Da haben die Leute, denen sonst die Ohren verstopft sind, doch endlich +gemerkt, daß hier ein völlig neuer, noch nie dagewesener Ton erklungen +ist -- der hat sie in der Seele gepackt, daß sie auf einmal gar nicht +gewußt haben, wie ihnen geschieht ...« + +Und nun geht es an ein schwärmerisches Nachgenießen, ein jeder will +sagen, worin das Geheimnis Schuberts besteht, am besten gelingt es dem +Schwind. + +»Franz soll weghören, er könnt' mir am Ende zu eitel werden!« hebt er +also an. + +Franz denkt tiefer in sein Glas hinein; sie können reden, was sie +wollen, er hat seine eigenen Gedankenwege. + +»Seht also her!« erklärt Schwind, den sie den Cherubim nennen, sich und +den anderen: »Wieviel Musik in der deutschen Sprache ist, das wissen +wir jetzt durch unseren verflixten Franzl. Das hat keiner vor ihm +verstanden, und wer weiß, ob je einer nach ihm es je wieder vermögen +wird.« + +Da wirft einer ein: »Nun, und Karl Maria Weber, ist der gar nichts? Und +Meister Wolfgang Amadeus? Die beiden haben doch auch Melodien aus dem +grauen Dasein herausgeklopft, wie weiland Moses Wasser aus dem Felsen +....« Der kleine Widerspruchsteufel ist der Holzapfl. + +»Ganz richtig!« entgegnet der Cherubim und dreht den Spieß um. »Nimm +also zum Vergleich Karl Maria und selbst den himmlischen Wolfgang +Amadeus. Haben herrliche Melodien erfunden, darüber ist nicht zu +streiten. Aber der wundervolle Klang tritt unbekümmert auf dem Text +herum, Musik und Worte tun so, als ob sie nichts miteinander zu tun +hätten. Bilden zusammen eine schlechte Ehe, darin jedes auf eigene +Faust sein Vergnügen sucht. Mit dieser Luderei hat Franzl tüchtig +aufgeräumt. Wenn der ein Wort in die Hand nimmt, klingt es auf voll +Leben und Musik, daß man ganz betroffen ist. Er setzt es hin, daß es +seinen richtigen Tonwert hat, mit einemmal kommt Farbe, Bewegung in die +Sprache, du hörst das Gefühl hinter dem Wort aufklingen, und hinter dem +Gefühl das Urgefühl, wodurch es mit allen Menschenherzen aufs gleiche +verbunden ist. So wie er hat es noch keiner fertig gebracht, in das +Innere der Handlung zu greifen. + +Vergegenwärtigt euch nur einmal, wie er in der Melodieführung die +abwechselnden Gefühle des Vaters, des Kindes und des Erlkönigs +dramatisch herausarbeitet, verstärkt, steigert, daß es einem eiskalt +über den Rücken läuft, während die Begleitmusik das Äußere der +Handlung hinzubringt, den Galopp des Pferdes, das Brausen des Sturmes, +daß einem nur so gleich die Haare zu Berg stehen. Das Tragische in +dem Gedicht ist nicht durch süßliche Glätte verschmiert, hier wird +es im Gegenteil durch eine schroffe, und eher eckige als schmiegsame +Melodie zu einem markerschütternden Aufschrei gebracht, der die ganze +furchtbare Tiefe der Dichtung aufreißt, das mystische Tor, hinter dem +der Tod lauert .... Das haben die versulzten Hirne endlich begriffen -- +Franz, es kann dir nichts mehr geschehen, du bist oben! Prost! -- mir +ist wohl und leicht, deinetwegen!« + +Der kongeniale Freund war ein guter Fürsprecher, sein Herz schlug +im gleichen Takt, ihm kam es zu, das Wesen Schuberts auszusprechen. +Das Tiefste freilich vermochte niemand zu sagen, wenn im liebevollen +Drängen der Freunde immer wieder die bewundernde Frage auftauchte, wo +er sie denn hernimmt, die vielen genialen Gedanken, der Himmelsakra +übereinand?! + +Je nun, wo er sie hernimmt, der Himmelsakra? Das weiß nur einer, in +dem die Himmelsmächte fast ebenso rumoren, wie in dem stillen Franz, +von dem ein gutes Wort sagt, der liebe Gott hat's ihm gegeben. Es gibt +kein besseres, wenn es nur recht verstanden wird; Cherubim weiß es, er +schweigt fein still zu den Fragen und lächelt Franz zu -- es geht die +anderen nichts an. + +Holzapfl setzt einen Dämpfer auf. + +»O du essigsaures Holzapflgesicht!« + +Er läßt sich aber nicht irre machen, er muß den Tropfen Wermut in den +Freudenbecher tun: »Also daß die Begeisterung des Publikums wohl +auch für den ›Wanderer‹ auf gleicher Höhe geblieben, aber bei dem +›Gesang der Geister über den Wassern‹ bedenklich herabgesunken und sich +eigentlich in Befremden verwandelt hätte.« + +»Das ist eben ein Beweis,« braust Schwind auf, »daß die verfilzten +Ohrwascheln der lieben Zeitgenossen erst noch ganz gehörig aufgestemmt +werden müssen, ehe sie für die Offenbarungen des Genius empfänglich +werden. Den ›Erlkönig‹ haben sie glücklich begriffen und meinen, +jetzt müßte alles drehorgelhaft im Erlkönigton weitergehen -- lauter +Erlkönige, damit die faule Bande in ihrer angeborenen Denkfaulheit +und Bequemlichkeit nicht gestört werde. Daß sie durch den ›Gesang der +Geister über den Wassern‹ durch einen neuen Geniestoß aus der süßen +Gewohnheit aufgeschreckt werden, das geht ihnen schon gegen den Strich. + +Jetzt kann es zehn Jahre dauern, bis sie diesen zweiten Streich +verdauen. Dann stehen sie Kopf voll Entzücken, indessen der Künstler +schon wieder weiß Gott wo ist. Bedenkt doch, ihr Lieben, daß der +›Erlkönig‹ schon vor fünf Jahren komponiert worden ist -- es ist +verhältnismäßig ohnehin schnell gegangen mit seiner Popularität. +Es wäre aber interessant, auszurechnen, wie viele Jahrzehnte die +Allgemeinheit in der Regel braucht, um den Genius wirklich zu +begreifen.« Und mit einem boshaften Seitenblick fügt er hinzu: »Soviel +aber wird dem Publikum klar -- der Holzapfl fällt nicht weit vom Stamm!« + +Der hat jetzt sein Teil. + +Dafür rächt sich Holzapfl wieder auf seine Art und bringt in den +nächsten Tagen ein Zeitungsblatt mit einer Kritik, die er den Freunden +nicht ganz ohne heimliche Genugtuung vorsetzt. »Der Tonsetzer,« so +lautet der Konzertbericht, »gleicht in solchen Kompositionen einem +Großfuhrmann, der achtspännig fährt, bald rechts, bald links, also +ausweicht, dann umkehrt und dieses Spiel immerfort treibt, ohne auf +eine Straße zu kommen ....« + +In dem geheimnisvollen Auf und Ab und Hin und Her der wallenden Geister +will der Kritiker einen Großfuhrmann erkennen, der achtspännig fährt. +Darüber erhebt sich im Freundeskreise ein unverlöschliches Gelächter. + +Dem beispiellosen Erfolg hat es übrigens kaum geschadet, daß der +»Gesang der Geister über den Wassern« vorderhand unverstanden bleibt. +Hat ebensowenig geschadet, daß die beiden ersten Opern Schuberts, +»Die Zwillinge« und die »Zauberharfe«, erfolglos geblieben. Geld hat +er keines mehr gesehen dafür, es war verlorene Arbeit. Ein erster +tastender Versuch. Schlechte Texte, ja, das war das Malheur. Aber +einer, der als Lyriker in den vertonten Gedichten eine so gewaltige +dramatische Kraft bekundete, der war für die Oper geboren. Von dem war +Neues und Unerhörtes zu erwarten, nur Zeit! Zeit, einen guten Stoff, +vor allem aber einen sorgenfreien Kopf und ungestörte Arbeitsruhe. Aber +da hapert's schon. Zeit, Sorgenfreiheit und Arbeitsruhe, das bedeutet +Geld, Geld und wiederum Geld. Woher nehmen und nicht stehlen? + +Was ist das für ein Zustand? Ein Mann steht auf der Höhe der +Meisterschaft, erntet Ruhm, Anerkennung, aber es hilft alles nichts. +Er steht da, gebunden an Händen und Füßen, ohne Geld, ohne Verleger -- +wie soll da ein Mensch weiter kommen? »Ihr seht, das Beste, was man +hat und macht, das ist und bleibt brotlose Kunst.« Aber Schwind weiß es +besser: »Brotlose Kunst hat die Eigenschaft, sich mit der Zeit in Gold +umzusetzen, man muß nur warten können.« + +»Nun ja, warten, warten -- meinetwegen; um Gold ist mir nicht zu tun, +sondern um Schaffen; aber ein Mensch, der arbeiten will, der muß auch +leben können. Anerkennungen, Lobeserhebungen, schöne Worte -- davon +kannst nicht abbeißen, kannst keinen Zins bezahlen, keinen Schneider +entlohnen, nichts, nichts; höchstens das Maul auf den Nagel hängen, als +das einzige, das einem übrigbleibt.« + +Geduld, Geduld, alles kommt. Die Freunde schießen durcheinander. Joseph +Hüttenbrenner geht bei Sonnleithner aus und ein, dort bereitet sich +eine ernste Sache vor. + +Die beiden Sonnleithner, Vogl, Schönstein, Grillparzer, die Schwestern +Fröhlich, ein ganzer Kreis von Verehrern bilden ein Komitee, sie wollen +den »Erlkönig« auf eigene Kosten stechen lassen und bei Diabelli +kommissionsweise verlegen. + +Franz hat sich wieder in seine Arbeit eingesponnen und sitzt in seiner +Klause. Ist der einzige Trost, die Übel der Welt gehen an der Tür +vorüber, wenn man bei der Arbeit sitzt. + +Sonnleithner ist schon ganz ärgerlich, Franz müßte sich mehr zeigen, er +sollte einer Sängerin, dem Fräulein Linhardt nämlich, den »Jüngling« +einstudieren, für seinen Geisterchor am Freitagabend. »Warum kommt er +denn nicht? Warum kommt er denn nicht?!« setzt sich hin und schreibt +dem Hüttenbrenner ein paar ärgerliche Zeilen, er müßte sich billig +wundern, daß Schubert sich gar nicht bei ihm sehen ließe, da er doch +wegen seinem »Erlkönig« und wegen anderer Angelegenheiten ihn dringend +zu sprechen habe. + +Diese »anderen Angelegenheiten« sind indessen schon im Gang, am +nächsten Freitagabend kann Sonnleithner den Gästen verkünden, daß die +Ballade erschienen sei -- noch am selben Abend haben hundert ihre Namen +in die Subskriptionsliste gezeichnet. Macht ein schönes Geld aus, der +Preis ist nicht gering, die Kosten kommen glatt herein, ein schöner +Überschuß dazu -- der fließt in die Tasche Schuberts. + +Der Anfang ist gemacht, die Sache zieht, Diabelli merkt, hier kann +man einen Schnitt machen. Es dauert nicht lange, erscheint wieder ein +Heft und wieder eines, ein Geriß ist darum wie beim Bäcker um die +frischen Semmeln. Alle drei, vier Wochen ein neues Heft mit mehreren +Liedern. Kein Konzert wird gegeben, wo nicht eine oder mehrere Sachen +von Schubert gesungen werden. Die Zeitungen singen sein Lob in allen +Tonarten. Das Meisterlein steht auf der Höhe seines Ruhms. + +Jetzt klimpern auch die Taler um ihn herum. Es ist ja verhältnismäßig +bescheiden, was er einnimmt, aber trotzdem, einen solchen Wohlstand +hatte er noch nie gehabt wie jetzt. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a -- ! -- + +Der tröstliche Satz klingt immer wieder durch sein Gemüt. Er löst sich +auf, verschwebt und kommt unversehens wieder hervor, immer wieder ein +verheißender Anfang. + +Jetzt hat die ängstliche Sparerei ein Ende, ein Flascherl Tokaier +mehr für die lieben Freunde, was liegt da daran, man läßt die paar +Kröten springen, in ein paar Wochen sind sie wieder hereingebracht, +es erscheint ein neues Heft, der Born ist unerschöpflich, und wenn +ihm wirklich einmal der Draht ausgeht, so ist schon dafür gesorgt, +daß andere Quellen springen. Das haben die lieben Freunde getan. »Die +Anerkennungsschreiben von den Herren Gönnern, was sind sie denn wert, +wenn man sie nicht zu Geld machen kann?« + +Der schlaue Hüttenbrenner weiß guten Rat. Er besorgt den Verkehr mit +dem Verleger, führt Rechnung, nimmt Franz alle Geschäfte ab, schreibt +Briefe für ihn, tut alle Sekretärdienste, und tut es mit einer +Hingebung, als ob es um das eigene Wohl und Wehe ginge. Der sorgt auch +dafür, daß die Hefte mit Dedikationen erscheinen. + +Meistens lassen es die also geehrten Gönner bei schönen Dankesworten +bewendet sein, zuweilen aber bringt es einen Ehrensold ein, so von +dem Grafen de Fries und von dem Erzbischof Ladislaus von Pyrker, der +als Dichter einen nicht unbedeutenden Ruhm genießt und von dem ihm +gewidmeten »Wanderer« entzückt und ergriffen ist. + +Eine Hand voll Geld fällt bei diesen Gelegenheiten für Franz ab, der +kann's gut brauchen, es wächst ihm kein Moos und kein Schimmel darauf. + +Unheimlich, wie unter den freundlichen Sonnenblicken des Schicksals +die Arbeitsleistung wächst. Der Schädel brummt zwar gewaltig, +als ob er zerspringen wollte, nach der Fieberhitze des Schaffens +hämmert es drinnen lange nach und will gar nicht zur Ruhe kommen +-- da hilft nichts als die Zuflucht ins Grüne oder am besten noch +in die feuchtfröhliche Tafelrunde der Freunde, um mit einem Glas +Wein das Arbeitsfieber zu schlagen. Fieber gegen Fieber -- aber am +nächsten Morgen ist er wieder geladen mit allen Schöpferkräften der +Unendlichkeit, sie zersprengen schier das Gefäß -- die Losung ist +arbeiten, er meint, es müßte ihn sonst zerreißen. + +Sein Ruhm hat mit einemmal schnelle Beine und rennt mit +Siebenmeilenstiefeln durch die Welt. Wien, Dresden, Berlin -- überall +bekommt der Name Schubert einen Klang. Die Hefte gehen reißend ab. +Wieviel der Diabelli verkauft, weiß man nicht genau. Der Joseph +Hüttenbrenner hat seine liebe Not. »Bandit!« flucht er und wirft +eifrig die Angel aus, ob denn nicht ein anständiger reichsdeutscher +Musikverleger zu gewinnen wäre. + +»Besitzt doch Wien dermalen wieder ein Talent, das bereits die +allgemeine Aufmerksamkeit erregt und schon zum Liebling des hiesigen +Publikums geworden ist -- kurz und ohne Übertreibung gesagt, es ist ein +zweiter Beethoven; dieser unsterbliche Mann sagt von ihm gar, dieser +wird mich noch übertreffen ....« So schreibt Joseph Hüttenbrenner nach +Leipzig an K. F. Peters. + +Aber auch dieser Verlagsgewaltige ist harthörig; man müsse doch erst +abwarten -- welche Menge früherer Werke Mozarts sei überhaupt nicht +gedruckt worden, da müsse sich ein junger Künstler schon bescheiden, +die Erfahrung allein muß lehren, ob er den ganz Großen gleichzustellen +sei, kurz, ein Hin- und Herreden, halb ja, halb nein, man weiß nicht +recht, will er, will er nicht, aber soviel steht fest, das ganze +Manöver hat doch den einzigen Zweck, den Preis zu drücken. Ist doch +der eine einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert! Er will +bitter werden, aber er besinnt sich. Geduld also -- man kann ja warten, +bis der Rechte kommt. Es eilt nicht. Einstweilen ist man ja bei +Diabelli in sicheren Räuberhänden. + +Überall, wo konzertiert wird, erklingt auch Schubert. Graz kann nicht +zurückbleiben, wo so treue Eideshelfer wirken wie Jenger und Anselm. +Von den Grazer Aufführungen melden alsbald die Zeitungen, ebenso von +den Linzer, wo Spaun und Freunde hinter der Sache her sind. + +Aber der Anselm ist ein wunderlicher Kauz, den läßt der Ruhm des +»Erlkönig« nicht schlafen. Der Ehrgeiz stachelt ihn, er möchte den +jungen Meister übermeistern. Fiedelbum! Flugs hat er aus dem »Erlkönig« +einen Erlkönigwalzer komponiert. Fiedelbum! Ei verflucht! + +Schwind ist ehrlich entrüstet: »Das ist mir aber ein lieblicher Kauz! +Der versteht's! Was Schubert fürs Herz entdeckt hat, macht er für +die Beine zurecht! Daran mögt ihr erkennen, wie der unseren Franz +verstanden hat!« + +Für den Spott brauchte der treue Anselm jetzt nicht zu sorgen. +Fiedelbum! + +»Na, na!« winkt Franz ab. Er rechnet dem Freunde in Graz die +Entgleisung nicht allzu schwer an. Fiedelbum! Der hat's selber zu +tragen und wird sich ein zweites Mal hüten. Fiedelbum! + +Mehr denn je stehen dem Liechtentaler Schulmeisterssohn die Türen der +Salons offen -- mehr denn je sucht er den Händen zu entwischen, die +nach ihm greifen. Die Arbeit und die Freundschaft sind die Gottheiten, +deren Dienst er fast ausschließlich geweiht ist. Und selbst die +Freundschaft muß sich zuweilen bescheiden, denn eine dritte Gottheit +ist, die ihn mit magischer Gewalt zu sich heranzieht -- die Einsamkeit. +Das können viele nicht begreifen. + +Der alte Doktor Sonnleithner wird fast ernstlich bös über die +notorische Unverläßlichkeit des Schützlings. »Für den man soviel getan +hat!« + +»Also warum kommt er nicht? Warum kommt er denn nicht?!« + +»Mit Verlaub, der Herr Schubert ist in Atzenbrugg!« entschuldigt Joseph +Hüttenbrenner. + +»Also immer auf Duliäh -- muß denn das Gerstel auf einmal durchgebracht +sein!« knurrt der Alte. + +»Entschuldigen's, Herr Doktor, aber so ist es auch wieder nicht!« sagt +Joseph zur Verteidigung des Freundes. + +»Nein, gewiß nicht! Gearbeitet hat er wie ein Pferd, mein Gott, wenn +ich das alles denken müßte, mir ging der Kopf auseinander. Ein paar +Tage aufs Land, das wird er sich doch vergönnen dürfen, nach all den +Strapazen .....« + +Dagegen läßt sich allerdings nichts einwenden. + +»Auf nach Atzenbrugg!« Das ist ein Ruf, dem Franz nicht widerstehen +kann. + +Schober ist der Rädelsführer; bei Atzenbrugg hat sein Oheim ein Schloß, +dahin werden Wanderfahrten unternommen, an denen fast der ganze +Freundeskreis teilnimmt. + +Franz fühlt sich müde und ausgepumpt, er weiß nicht recht, soll er oder +soll er nicht. An der Wand hängt die Gitarre, eine Saite ist gerissen, +das grüne Band fängt an zu bleichen. Sie hat schon lange nicht im +fröhlichen Verein gezirpt auf einer lustigen Fahrt ins Grüne und Blaue. +»Schade um das schöne, grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand. +Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern!« Das ist die +innere Stimme, die immer guten Rat weiß, es ist gut, ihr zu gehorchen. + +»Also auf nach Atzenbrugg!« + +Lieblich ist's, zwischen den Pappelreihen hinzufahren, die die weiße +Landstraße grün besäumen und mit ihren aus- und eingeschwungenen +Zeilen hoch in der Landschaft stehen. Weit, weit kann man die grüne +Wand verfolgen, die sich über Tal und Hügel schwingt. Man fährt in +einer offenen Chaise, die viele Querbänke hat und ganz besetzt ist mit +lustigem Volk. Zeiserlwagen, so nennt ihn ein launiges Wort. Aber die +Wiener Laune ist meistens etwas gepfeffert und hält sich an drastische +Ausdrücke. Sie zieht es vor, dieses Gefährt vergleichsweise einen +Kalbelwagen zu nennen. Der edle Reisewirt, der den Kalbelwagen für den +Freundeskreis gestiftet hat, ist Schober, der sich auf der Fahrt nach +Atzenbrugg als Mäzen fühlt. + +»Ich fahre mit,« erklärt Schubert, »aber eine Bedingung ist dabei -- +daß Melusine kommt, und daß mir der Platz an ihrer Seite bleibt!« + +»Mir blutet das Herz,« versichert Schober treuherzig scheinheilig, +»aber den Platz an der Sonne tret' ich dir ab, weil du es bist.« + +Franz wohnt im Rossauer Schulhaus bei seinem Bruder Ferdinand, der vom +Schulgehilfen längst zum Schulleiter vorgerückt ist und knapp vor der +Beförderung zum Schulinspektor steht. Mit Bruder Ferdinand hat Franz +seit jeher ein wärmeres Verhältnis gehabt. Aus der Blutsverwandtschaft +wird die höher geartete seelisch bestimmte Lebensfreundschaft. +Ferdinand ist stolz, den berühmten Bruder zu beherbergen, von dem jetzt +alle Welt redet. Er weiß, daß der Herr Vater ganz von Hochachtung +erfüllt ist für den genialen Franz, dessen junger Ruhm einen +Lichtstrahl auf das bescheidene Elternhaus und dessen Insassen wirft. +Der Bruder Ferdinand, der in der Rossauer Schule wohnt, hat sich's +nun nicht nehmen lassen, Franz zu beherbergen, solange dieser bei ihm +wohnen mag. + +Und jetzt das Aufsehen, als Schober zur festgesetzten Stunde mit +dem Kalbelwagen vorfährt, zweispännig, Peitsche und Pferdemähnen +bändergeschmückt, wie zu einer Maifahrt, und richtig: auf der ersten +Bankreihe sitzt groß und stattlich Melusine, märchenhaft anzusehen, +wie eine Wald- und Quellennymphe, die geradewegs aus der Legende auf +einem Kalbelwagen mitten in die staunende Stadt fährt. Dem Franz +pumpert das Herz, als er mit dem Ränzel um die Schultern und der +Gitarre in der Hand, an der das grüne Lautenband weht, hinaufsteigt in +den Zeiserlwagen und neben der holden Therese Platz nimmt. In allen +Fenstern liegen neugierige Köpfe und munkeln über das wundersame +Gefährt: »Macht er denn Hochzeit, der Bruder des Herrn Schulleiter?! +Ist wohl eine reiche Braut -- mein Gott! Und schön zum Verrücktwerden! +Schaut sie's an, die wunderbaren Haar, leuchten wie eine Krone, und die +Augen sind blau und tief wie zwei Edelsteine, und das liebe Gesichtel, +und der Mund wie ein Röserl, und die Gestalt, viel größer als er, +gewachsen wie ein Bäumerl und rundum was dran, nun ja, freilich, alles +was sich gehört -- nur so zum Anbeißen, rein zum Vergaffen!« + +Ein Peitschenknall, die Pferde greifen aus, weg sind sie; die Leute +der grünen Torgasse haben Gesprächsstoff noch gut für zwei Tage, ein +Märchenschimmer war in ihre Gasse gefallen. + +Dem Franz ist selig zumut wie einem richtigen Märchenprinzen. Da kommt +die Liebe auf dem Zeiserlwagen in seine Gasse gefahren, er sitzt mit +der bändergeschmückten Gitarre neben ihr, wie er es geträumt hat, er +schaut in ihre rätselhaft tiefen Augen, ein seltsamer, quellfrischer +Hauch geht von ihr aus, er ist ganz verzaubert. Aber es wird ihm gleich +auch bänglich zumut, denn er findet nicht die rechten Worte, die Schöne +zu unterhalten. Wenn er allein ist, dann wüßte er viel zu sagen, aber +vor ihr ist er befangen, und er kommt sich stockdumm vor. Ein Glück, +daß sie nach kurzer Fahrt wieder vor einem Haus halten. + +Da springt ein junges, nicht unhübsches, lebhaftes Mädchen hervor, +Netty Hönig, eine Freundin Theresens, und ihr Bruder Hönig, beide +geschniegelt und gebügelt, sind ja wohlhabender Leute Kind und +geldstolz; reiben sich gern an Künstlern, mit denen sie freilich +scharmant umzugehen wissen. Hätte ihnen der Geldstolz auch wenig +gefrommt in einem Kreis, wo der einzige gültige Adelsbrief auf die +Schubertsche Formel lauten mußte: »Kann er was?«, eine Geniemarke, +die im Sprachgebrauch der Freunde auf die Scherzform abgeglättet +wurde: »Kanevas?« Hönig war kein Kanevas, und all sein Geld half ihm +höchstens zu einem geduldeten niederen Laientum, mit dem besonders der +ungeschminkte Schubert nicht viel Geschichten machte: »Also hockt's +auf, Gesindel!« + +Aber mit dem Aufhocken geht's nicht so schnell. Sie müssen auf eine +Dritte warten, die jetzt aus dem Hausflur herauskommt, die liebliche +Johanna Lutz, mit ihren blonden Stirnfränschen über den hellen, +gescheit blickenden Augen in dem herzigen Gesicht. Das ist die +Braut des Leopold Kupelwieser, sie muß sich hinter der Netty Hönig +verschanzen, damit kein dummes Gerede entsteht, während hinwiederum die +Netty als Gardedame ihren Bruder mit dem Fledermausgesicht hat. Auch +für Therese ist Netty das Paravent der Sitte und Ehrbarkeit, kurz eines +muß dem anderen Mauer stehen, um solcherart der albernen Konvention ein +Schnippchen zu schlagen, darin ja die Jugend nicht verlegen ist. + +Da kommt er schon daher, der Leopold »Kupel«, wie ihn die Freunde +mit einer beliebten Abkürzung nennen, ein hoher, gerade gewachsener +Bursch mit schwärmerisch in die Ferne blickenden Augen, als Maler das +klassische Gegenstück zu dem romantischen Schwind. Er schaut nach Rom +und nach der Antike aus, genau so schwärmerisch, wie Schwind nach +den mittelalterlichen Burgen, nach Rittern, Waldgeistern und Elfen +ausschaut. + +»Grüß Gott, edler Kupel!« Die Anrede klingt schon wärmer, als sie dem +Hönig geklungen hat. Aber der lange Kupel, der sich mit einem Satz +hinaufschwingt, dicht neben die zarte Lutz hin und Hand in Hand mit ihr +zusammensitzt, der gehört mit in die priesterliche Kaste der Kanevas. + +»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« greift Schubert in die Saiten der +Gitarre. Worte hat er nicht viel zu geben, er sagt's lieber in Tönen, +was ihn erfüllt. Eine stille Heiterkeit ist über ihn gekommen, er fühlt +sich wunschlos glücklich neben der schönen Melusine. + +»Die Musik klingt aber traurig!« ist Hönig vermessen genug, zu sagen. + +»Dummer Kerl,« brummt Schubert und gibt's ihm zurück, »haben Sie schon +eine lustige Musik gehört? Ich nicht!« Der Hönig ist blamiert, man +sieht, er ist kein Kanevas, sonst wäre ihm eine so alberne Äußerung +nicht passiert. »Wie kann denn Musik lustig sein, wenn sie von dem +Herzen singt? Wenn sie von Lust singt, klingt es wie Weh, und wenn sie +von Weh singt, ist es die Lust!« + +Das könnt' er dem Pfründner jetzt sagen, der sich mit all seinem Geld +nicht einen Fuß breit von dem Seelenland kaufen kann, so gern er +möchte, wo er, Franz, unumschränkter König und Gebieter ist mitsamt +den paar Getreuen, die an seiner Seite sind. Er könnte ihm jetzt das +auseinandersetzen, was er denkt, aber wozu denn? Es steht gar nicht +dafür! + +»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« Mit Gitarregezirp, Gelächter und +Fröhlichkeit geht's von Haus zu Haus, wo Freunde wohnen, die mitkommen. + +»An mein Herz, geliebter Cherubim!« so lautet der Gruß in Schwindien. + +Schwind will sich neben Therese setzen, der heimliche Ritter neben die +Quellenfrau Melusine. Aber neben Melusine hat sich bereits das listige +Fledermäuslein eingenistet, Hönig, und läßt nicht locker. + +»O du abscheulicher Flederwisch mit den ewig feuchten Lippen, von +denen die klebrige Schmeichelrede trenzt -- was soll denn das viele +Schwatzen?!« Die Schöne wendet sich lachend von ihm ab, aber der +Häßliche hat die Gabe der unterhaltenden Worte, sie muß halt immer +wieder hinhören, und wenn ein schiecher Kerl hübsch zu plaudern weiß, +so dauert's nicht lange, und er gleicht einem Apoll. + +»Wirst dir aber wenig herausfetzen, wenn auch deine Rede Honig ist, du +garstiges Schwatzmaul!« dachte Franz und zupfte seine Gitarre. + +Schwind hat sich neben Netty Hönig gesetzt, es scheint, daß er dem +munteren Mädchen sein Herz verpfänden will. + +Mit Klimbim und Trara ging's also die Alleen entlang und zwischen +Hügeln und Kornfeldern hin. + +Klim bim! zirpte die Gitarre, und eine Stimme summte dazu: »Ich hab' +das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern! Weil unsere Lieb' ist +immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn, drum haben wir es +gern, drum haben wir es gern! Nun schlinge in die Locken dein das grüne +Band gefällig ein, du hast ja 's Grün so gern, du hast ja 's Grün so +gern! Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe +thront, dann hab' ich 's Grün erst gern, dann hab' ich 's Grün erst +gern!« + +Summte und sang es der Fee Melusine ins Ohr. + +Sie hatte auch das Grün so gern und ging auf den Spaß ein und ließ das +grüne Lautenband um ihre festgesteckten Locken flattern. Dafür band +sich Franz die Gitarre mit einem Stricklein über die Schultern fest. +»Mit all deinen honigbestrichenen Leimruten, lieber Hönig, wirst du +nichts fangen!« Die Musik war die stärkere Lockung, und das Herz hing +in dem Lautenband wie das Vöglein in einer Schlinge. + +In nächster Nähe von Atzenbrugg thronte auf einem Hügel das Schloß +Ochsenburg, dem Bischof Hofrat von Dankesreither gehörig; in diesen +Tagen aber machte der elegante Neffe Schober die Honneurs, bewirtete +die Wiener Freunde drei Tage lang. Der Wagen fuhr in den Hauptplatz +mit der schönen, wolkengetürmten Dreifaltigkeitssäule, die ein +kleiner Zwillingsbruder der Säule am Graben in Wien zu sein schien, +die Herren sprangen ab, die Dämchen durften sitzen bleiben, indessen +der zweispännige Wagen langsam den Hügel hinaufkroch und durch den +breiten, kühlen Flur zwischen den gewaltigen, halbrunden Ecktürmen +in den weinbewachsenen Hofraum einfuhr. Gott, war es da schön in dem +grasbestandenen Hof mit dem alten Ziehbrunnen, so recht ein Schmaus für +das romantische Gemüt Schwinds. + +Einfach war das Mobiliar in dem langen Speisesaal, den weiten +Wohnräumen und den Schlafzimmern, altes, gebrechliches Gerümpel in +dicken, gewölbten, weiß getünchten Mauern, in Wänden, sanft gekrümmt +unter der Last des Alters, voll Runzeln wie ein Greisenantlitz und +zugleich wetterhart und eisenfresserisch in der trotzigen Wucht mit dem +gewaltigen Dachhelm und der knarrenden, rostigen Wetterfahne oben. + +Jetzt war junges Leben in den alten hallenden Gängen und luftigen +Arkaden oder den Hofgewölben und Vorratskammern, drei Tage lang in +der Zeit, da der Herr Bischof und Oheim in der Gasteiner Ache sein +Zipperlein kurierte. Die Knechte und Mägde rissen Maul und Augen auf +über das lustige Leben, in der Küche drehte sich der Spieß, als ob ein +ganzer Ochse in der Ochsenburg gebraten werden müßte. Alle Hände der +dienstbaren Geister hatten vollauf zu tun, wenn der Herr Neffe als +Flottwell mit seinen Freunden kam. + +Ein dreitägiges Fest mit Landpartien, Schmaus, Tanz und Musik -- es +vergeht wie ein Traum. Die Kunst war die Hauptsache bei dem Gastmahl, +und Franz ward infolgedessen, ohne es recht zu wollen, oder vielleicht +auch ohne es recht zu ahnen, der geistige Mittelpunkt des Festes. Wie +immer wurde etwas daraus, das den Namen Schubertiade erhielt. Um Musik, +Gesang und Dichtung war die Lebensfreude gruppiert, und siehe da, der +Bescheidenste, Borstigste, Scheueste, Einsamste ward zum König des +Tages. + +Der Kleine am Klavier hatte alle am Bändel -- er hätte sich kraft +seines Genius als Herrscher fühlen mögen, aber er saß in Demut da und +schien zu darben bei dem Fest, dem er so recht eigentlich die seelische +Weihe gab. Therese sang seine Lieder, die er begleitete, ihr junger, +blühender Körper erbebte unter dem Sturmlied der Leidenschaft und +Sehnsucht, die ziellos verströmte. Seine Finger gingen mechanisch über +die Tasten, er hatte ein unendlich trauriges und wehmütiges Gefühl. + +»Wie kommt es denn nur,« mochte seine innere Stimme fragen, »daß ich +nicht weiterkomme mit all meiner Liebe? Da steht sie, die Herrliche, +geschüttelt wie ein junges Bäumchen unter dem Frühlingsbrausen, das +mit Verzweiflung und Tränengewalt kommt, und ich stehe dabei dreifach +geschlagen und gebunden, ein armer, hilfloser Narr, und weiß mir nicht +zu helfen, indessen dieser Hönig, der dreiste Bengel, so tun darf, als +hätte er gewonnenes Spiel! Warum soll ich nicht auch so tun? Hab' ich +nicht zehnmal mehr Recht darauf? Aber --« + +Dieses Aber, das er vor sich nicht gelten lassen wollte! Er schlug in +die Tasten hinein, der inneren Stimme Schweigen zu gebieten. Bum, bum, +bum! Aber der Macht der inneren Stimme kann keine Tongewalt der Erde +Herr werden. + +»Weil du nichts bist und nichts hast und es deshalb nicht wagen darfst, +das schöne Kind aus dem reichen Hause für dich zu begehren. Und wenn +du es wolltest, wer sagt dir, daß sie dich liebt und daß sie dich +nicht mit einem mitleidigen Lächeln vertröstet und heimschickt mit +dem Zuckerbrot einer unverbindlichen Liebkosung wie damals? Wenn es +dem Hönig einfiele, ihre Hand zu begehren, der brauchte nicht viel um +Liebe zu fragen, der fordert sie einfach, und was er fordert, wird ihm +gegeben werden. Warum, warum? Mit welchem Recht? Mit dem Recht der +Seele? O nein! Du altmodischer, idealistischer Tor! Mit dem Recht des +Geldes, dem schmutzigsten und ungerechtesten Recht --« + +So haderte seine Seele mit dem Schicksal und behauptete mit blindem +Eigensinn: »Es ist so!« obgleich im verlöschenden Bewußtsein die +Erkenntnisspur verblieb: »Es ist auch wieder nicht so!« Aber daran +war kein Zweifel, daß seine Lieder und alles, was er schuf, aus dem +Aufruhr seiner Gefühle hervorquoll und von dem Schmerz seiner Seele +geboren war. Wenn es ihnen auch unbegreiflich schien, so mußten es +jene ahnen, die um ihn waren, als er ihnen seinen »Wanderer« vorsang. +Am meisten ahnte es vielleicht Therese. Es ist wahr, die Sänger im +Konzertsaal sangen das Lied kunstvoll, aber keiner so ergreifend bei +aller Schlichtheit als Franz selber. Melusine, die Feine, hatte es +sogleich erraten. + +»Ich wandle still, bin wenig froh, und immer fragt der Seufzer, wo?« + +Noch ehe der Gesang beginnt, dämmert die Wehmut dieser Verse in den +einleitenden Akkorden auf. Das heiter-wehmütige Gefühl der Sehnsucht +mit all den heftig aus dem Gefühl hervordrängenden Fragen versinkt in +die Trostlosigkeit jener dumpfen Akkorde, die alles dunkel Geahnte zur +hoffnungslosen, tragischen Gewißheit bringen: »Wo du nicht bist, dort +ist das Glück!« + +Die Musik gleicht seiner eigenen Seelenlandschaft, hohe, leuchtende +Gipfel sind darin, wo alles Selige und Heitere lebt, danach sich das +Gemüt sehnt, aber die edlen Schatten der Melancholie lagern auf dem +Weg in der Tiefe, den Franz wandert. Doch der Weg der Seele führt +über Berg und Tal in stark bewegten Kurven und ist bald im Tale der +Tränen und bald wieder auf den lichten Höhen der Seligkeit. Sie stehen +dicht beieinander, diese Höhen und Tiefen -- das tragische Bild seines +inneren Lebens. + +»Es ist so,« schreit die Seele auf in ihrer Qual -- »es ist wieder +nicht so!« lächelt der nächste Augenblick. + +Und was er vorhin von Hönig dachte und von Therese, das hat sich jetzt +ganz und gar widerlegt, als Melusine beim Gute-Nacht-Sagen das grüne +Band hervorzog und ein gutes herziges Wort daran knüpfte. + +»Nie hab' ich so frei und leicht gesungen als heute, ich bin +abergläubisch -- vielleicht hat's dieses da gemacht --« + +Dabei schob sie das verblichene Lautenband in ihren Busen: »Hier will +ich es tragen -- gute Nacht!« und war verschwunden wie eine flüchtige, +klingende Welle. + +Franz lag im Bett und konnte nicht schlafen. + +»Warum hab' ich ihr nicht gesagt, wie es mir ist da drin? Warum?« Aber +er hat es so schwer mit sich selbst, er kann sich nicht erschließen. +Die Worte sind zu hart, zu dürftig, zu klobig, es müßte über ihn kommen +wie ein Gewittersturm, wie ein Erdbeben, das die Klüfte aufreißt -- er +kann seine Seele nicht zeigen, es sei denn in Einsamkeit, und dann wird +es Musik. + +Sie versteht ihn, aber sie versteht ihn doch wieder nicht! + +Das alte Spiel: es ist so -- es ist doch wieder nicht so! + +Morgen wird er ihr es sagen, all sein Fürchten, all sein Hoffen. +Morgen, wenn der große Augenblick wiederkehrt. Aber er weiß schon +wiederum auch: er kehrt nicht wieder .... + +Knarr, knarr! singt die Wetterfahne auf dem Dach. + +»Sie pfeift dich aus!« denkt der Schlaflose in seiner Kammer. »Es ist +des Hauses aufgestecktes Schild -- ein Narr, der hier sucht ein treues +Frauenbild.« + +Der Wind spielt mit seinem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut! + +Knarr, knarr! + +Das Schicksal pfeift ihn aus, und seine innere Stimme lacht auf wie +zum Hohn: »Ha, ha! Laß ab -- sie ist eine reiche Braut!« + +Er ist nicht der einzige Schlaflose in diesem Gemäuer. In der Kammer +nebenan liegt Schwind, auch er hört die Wetterfahne und denkt und +denkt. Er hat sein Herz vollends verloren an Netty Hönig. + +Knarr, knarr! krächzt die Fahne auf dem Dach mit rostiger Stimme. Das +Herz knarrt dazu, als ob der eiserne Stab sich darin um und um drehte. +»Ach Netty, Netty -- wärst du nicht eine so reiche Braut!« + +Ja, sie haben's nicht leicht, diese beiden! + +Die Festtage vergehen, der ersehnte Augenblick hat sich nicht +wiederholt, das Herz ist voll und schwer von Liebesworten, die nicht +gesprochen wurden. Nichts kann mehr brennen als solche feurige Worte, +die man hinunterschlucken muß und deren Qual nur gemildert wird von +verschluckten Tränen, die nach ihnen geweint werden. + +Franz fragt sich vergebens: »Warum ist dies alles?« + +Aber nicht einmal dem intimsten Freunde vertraut er sich an, dem +Schwind, der die gleichen Schmerzen trägt. + +Äußerlich ist es nur eine stille Traurigkeit, die man ihm anmerkt, +aber das ist man bei Franz gewohnt, wenn er gerade nicht lichterloh in +Flammen steht. + +»Es ist einmal so!« sagt eine Stimme inwendig. + +Die Abreise kommt, das erlösende Wort ist nicht gesprochen. Es schnürt +ihm die Kehle zu, wenn er daran denkt; keinen Laut brächte er hervor. +Melusine ist gleichmäßig freundlich und liebreich, aber ihr Wesen ist +allzu geglättet, jeder Versuch, ihr näher zu kommen, gleitet ab; wenn +sie nicht will, ist es vergebens. Das erfährt auch der Hönig, diese +dreiste Hufeisennase. + +»Auf der Heimfahrt, auf der Heimfahrt!« denkt Franz und reimt sich +schon manches liebe Wort zusammen. + +Aber mit der gemeinsamen Heimfahrt wird es nichts. Schober hat es im +Rat der Götter anders beschlossen. Man weiß ja: er trägt sich mit einem +Opernstoff, den Schubert komponieren soll. Ach ja, das ist der Weg zum +neuen Ruhm, zu dem heißersehnten Ziel, wo er stehen möchte neben dem +großen Wolfgang Amadeus oder zumindest neben dem volksmäßigeren Karl +Maria. + +»Du wirst höher greifen als Weber im ›Freischütz‹! Ja, das wirst du!« +Die Freunde wissen es. + +Einer, der hinter jedem Vers den heroischen Schritt des Dramas +aufklingen läßt, der ist berufen, der Oper neues Leben zu geben. + +»Es verpflichtet dich, vorsichtig zu sein in der Wahl des Stoffes!« +warnt der treue Schwind. »Du brauchst einen Text, darin die Worte +sparsam gewählt und mit Kraft gesättigt sind -- dann wirst du +einen neuen Opernstil schaffen. Verzettle deine Kraft nicht an dem +geschwätzigen Schund, der sich fast in allen Werken dieser Art breit +macht. Laß dir deine Erfahrungen mit den ›Zwillingsbrüdern‹ und der +›Zauberharfe‹ zur Warnung sein!« + +Schober gibt seine halb vollendete Dichtung »Alfonso und Estrella« +zum besten, Franz ist entzückt, Schwind schüttelt denklich den Kopf. +Der Cherubim ist in einer unangenehmen Zwickmühle. Er möchte Franz +vor einer unnötigen Zeitvergeudung der kostbaren Kraft bewahren und +andererseits dem geliebten Schober nicht wehe tun. Was tun also? Den +Freund dem Freunde opfern? Ein Schuft, wer mit der Wahrheit allzu +ängstlich umgeht! + +»Tu's nicht, Franz,« ratet Schwind, »es ist nichts daran an der +ganzen Großmutsgeschichte. Eine unklare Handlung, ein breites +Geschwätz, Liebe, Politik und Langweile durcheinander gemischt. Das +spanisch-maurische Kostüm kann es nicht retten. Geh' vorsichtig um mit +deiner Kraft, verwende sie aufs beste, sonst kommst du leicht auf den +Holzweg. Es wäre schade um dich und um deine gute Sache.« + +Aber Franz ist blind und taub gegen diese Einwendungen. So begeistert +ist er von Schobers Dichtung. + +»Am besten, wir lassen das lose Pack allein heimfahren und richten uns +hier häuslich ein!« schlägt Schober vor. + +»Im Herbste kommen wir nach Wien zurück und haben die fertige Oper in +der Tasche. Dann, Freund, mit fester Hand den Lorbeerbaum geschüttelt, +daß es nur so die Dukaten herunterregnet!« + +Der Plan ist verführerisch. Warum sollte er nicht gelingen? Schober +hat Beziehungen zur Bühne, Vogl wird das Seine tun, die Anna Milder in +Berlin hat sich selber angetragen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, +wenn eine Rolle für sie darin ist, also bitte, warum denn nicht? + +Nun stand Franz als Minneheld zwischen zwei Frauen, der irdischen +und der himmlischen Liebe. Und sollte sich für die eine oder andere +entscheiden. Es war wirklich schwer, Mensch zu sein. + +Soll er nun schmachtend auf dem Kalbelwagen neben der Fee Melusine +sitzen und herumdrücken an dem, was er sich doch nicht recht zu sagen +getraut, oder soll er dem Wink seiner Muse folgen und den Weg des +Einsamen gehen? + +Es müßte nicht Franz Schubert sein, wenn er sich nicht sofort +des Rechten bedacht hätte. Also tapfer den aufquellenden Schmerz +hinuntergewürgt und Adieu gesagt der berückenden Fee Melusine. Den +rätselhaft tiefen Blick aus ihren graublauen Augen wird er nicht +vergessen, der drückt ihm das Herz nun gar wehvoll zu Boden. Aber eine +Hoffnung blüht: mit der neuen Oper in der Hand ist er ein gemachter +Mann. Hat sie Erfolg, was gar nicht zu zweifeln ist, dann bedeutet's +Ehre und Gewinn. Und dann macht ihm kein Hönig, und wär' er der +protzigste Geldsack, sein Recht auf dem Wagen der Liebe streitig. Also +vorläufig, und immer vorläufig tapfer entsagen, um den hohen ewigen +Preis zu gewinnen. + +Er muß sich rasch umwenden, als die Fräuleins mit ihren Rittern +tücherschwenkend davonfahren, Hönig neben Melusine. + +»Dummer Junge, möchtst heulen wie ein Schloßhund, pfui Teufel, schäm' +dich!« meldet sich die Stimme inwendig. + +Es reißt ihn auf dem Absatz herum und im Sturm hinauf ans Klavier. Den +Schmerz muß er in der Tonflut ersäufen. + +»Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wanderer gehn, suche mir +versteckte Stege, durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts +begangen, daß ich Menschen sollte scheun, welch ein törichtes Verlangen +treibt mich in die Wüsteneien? Weiser stehen auf den Wegen, weisen auf +die Städte zu, und ich wandere sondermaßen ohne Ruh' und suche Ruh'. +Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße +muß ich gehen, die noch keiner ging zurück ....« + +Wenn er sein Leben überdachte, dann sah er einen Weg, den keiner ging; +unsichtbaren Wegweisern war er gefolgt, sie weisen weiter und weiter, +und er wußte schon, daß er folgen werde, wenn er auch allein gehen +mußte. + +Einstweilen hatte er ja einen lieben Gefährten bei sich. + +Schober schmiedete Verse aus Leibeskräften, und Franz ließ herrliche +Melodien daraus entstehen, leicht und blühend waren die Gedanken, die +aus seinem musikalischen Herzen hervorwuchsen. + +»In sehr glücklicher Jugendschwärmerei, aber auch in sehr großer +Unschuld des Geistes und Herzens,« berichtet Schober nach Wien, »wird +das Werk gezeugt -- es gedeiht!« + +O Unschuld! Die beiden Kumpane lebten recht vergnüglich hin, was +das äußere Leben betrifft. Der Oheim kehrte aus Gastein zurück, den +Dichtergenossen wurde es in Ochsenburg zu eintönig, sie verlegten +ihr Quartier in das nahe St. Pölten, wo sie sich in einem Zimmer mit +zwei Ehebetten, einem Sofa, einem Fortepiano häuslich und heimisch +eingerichtet haben. Als sie im Spätherbst nach Wien kamen, konnten sie +sich fühlen wie Hans im Glück, der einen Goldschatz im Ränzel trug. + +Aber mit diesem Schatz geht das Leiden an. Die Oper wandert von Kanzlei +zu Kanzlei, sie hat nach Art der Brieftauben die verhängnisvolle +Neigung, immer wieder zum Ausgangspunkte zurückzukehren. Spaun in +Linz, der sich immer auf dem Laufenden erhält, brennt vor Neugier. + +»Möcht' es doch endlich sein!« wünscht er aus tiefem Herzen. Trübselig +genug schreibt Franz dem Freunde: »Mit der Oper ist es in Wien nichts, +ich habe sie zurückbegehrt und erhalten. Auch ist Vogl wirklich vom +Theater weg. Ich werde sie in kurzem entweder nach Dresden, von wo ich +von Weber einen vielversprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin +schicken. Mir ginge es sonst ziemlich gut, wenn mich die schändliche +Geschichte mit der Oper nicht so kränkte ....« + +Die Hoffnung auf Berlin hing mit der angebeteten Milder zusammen. Sie +schreibt ihm, wie sehr sie seine Lieder entzückten und welchen Beifall +sie in der Gesellschaft finden. Sie möchte haben, daß er ein Gedicht +eigens für sie komponiert, aber es ist ein Pferdefuß dabei, denn sie +fügt hinzu, es müßte für ein großes Publikum berechnet sein. Was +heißt das? Sie hat außerdem vernommen, daß er Opern geschrieben hat, +und fragt ihn, ob sie sich nicht für ihn bei der Berliner Intendanz +verwenden soll. + +»Aber natürlich!« Die Protektion ist gut zu brauchen, also flugs mit +der Oper nach Berlin. + +Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch. Die Milder schreibt, daß +»Alfonso und Estrella« durchaus kein Glück in Berlin machen würden. Und +damit ist die Sache erledigt. + +Franz hat ihr den »Gesang der Zuleika« und einige andere Konzertsachen +gewidmet, aber es ist nicht das, was die Milder für das große Publikum +meint. Sie schreibt ihm darüber: »Zuleikas zweiter Gesang ist +himmlisch und bringt mich jedesmal zu Tränen. Es ist unbeschreiblich, +allen möglichen Zauber und Sehnsucht haben Sie da hineingebracht, so +wie im ersten Gesang der Zuleika und im >Geheimnis<. Zu bedauern ist +nur, daß man alle diese unendlichen Schönheiten nicht dem Publikum +vorsingen kann, weil die Menge leider nur Ohrenschmaus haben will ....« + +Ach du lieber Himmel! + +Aber schon der nächste Brief berichtet, daß die Zuleika dennoch +unendlich gefallen habe; die Milder war zu ängstlich wie alle +Theaterleute, wenn es ums liebe Publikum geht; daran scheitert soviel +Kunst. + +Aber auch mit Karl Maria von Weber, der sich in Dresden für ihn +verwenden soll, ist es eine so eigene Sache. + +Karl Maria kommt nach Wien zu den Proben seiner Oper »Euryanthe« und +wird als musikalische Berühmtheit, die von »draußen« kommt, in den +Salons serviert. Bei Sonnleithner lernt ihn Schubert kennen. Der +Meister des »Freischütz« weiß genau, daß der junge Wiener Genius die +Welt mit Licht zu überstrahlen berufen sei ... Als Konkurrent hilft man +nicht gern einem, der groß zu werden verspricht und das eigene Licht +verdunkeln könnte. Kurzum, Karl Maria ist bei aller Liebenswürdigkeit +auf der Hut. + +Franz weiß nichts von Kollegenneid und ist naiv genug, zu glauben, daß +alles mit rechten Dingen zugeht. Er ist begeistert vom »Freischütz« +und zollt dem berühmten Genossen unverhohlene Bewunderung. Und gibt +zugleich mit seinem Vertrauen das Herz hin. + +»Frau von Chezi, die Textdichterin Ihrer ›Euryanthe‹, hat auch mir ein +Buch geliefert -- ich bin schon mit Feuereifer an der Arbeit. Sie sehen +also, daß wir schon vom Parnaß her verwandt sind ...« + +Das ist ein echter Franz. Die Mißerfolge können ihn nicht klein +kriegen. Neue Opernwerke wachsen aus Herz und Hirn hervor. »Rosamunde« +entsteht, trotzdem Schwind wettert: »Dieser verhängnisvolle +Blaustrumpf, den hat der Teufel nach Wien gebracht! Daß gerade du zum +Opfer fallen mußt!« + +Karl Maria scheint nicht sehr erbaut über die Eröffnung. + +Franz hat ihm Stücke daraus vorgespielt. Die Ouvertüre war zuerst für +»Alfonso und Estrella« geschrieben, Franz hatte sie als zu aufhauerisch +verworfen, in »Rosamunde« war sie gut zu verwenden. Das reizende, +schlanke, feingliederige Musikstück entzückte die Freunde. + +Nur Weber blieb kühl. + +»Hm ja, wirklich nicht übel, ganz hübsche Einfälle -- aber soviel kann +ich Ihnen voraussagen: der dramatische Versuch als Ganzes wird nicht +gelingen.« + +Neidhammel! + +Schwind war entrüstet über die absprechende Meinung. + +Er selbst hatte schwere Bedenken wegen des Textes, aber »Versuch« -- +das war eine glatte Gemeinheit. Und »hübsch« -- ei verflucht! »Hübsch, +das sagt man von einem Kravattel!« erboste sich Schwind. »Und Versuch +-- das müßte er doch wissen, daß die ›Rosamunde‹ kein Versuch ist, der +Herr Kollege, der anscheinend an der musikalischen Gelbsucht leidet!« + +Weber dirigierte die Erstaufführung seiner »Euryanthe« selbst. +Natürlich ging Franz hinein, fünf Gulden der Platz -- er zahlte auch +für Schwind das Billett, macht zehn Gulden -- davon konnte man damals +einen Monat lang leben; aber Franz war kein Sparer und kein Knicker, am +allerwenigsten, wenn es um die Kunst ging oder um die Freundschaft. Wer +gerade Geld hatte, zahlte -- Franz tat es gern, denn Schwind war fast +noch schlechter daran, sein Genius konnte in Wien gar keine Anerkennung +finden, und Geld hatte er fast nie in der Tasche. + +Mit Weber, der sich in den Tagen seines Wiener Aufenthaltes dem +Freundeskreis angeschlossen hatte, saßen sie fast täglich im +Bognerschen Café und abends im »grünen Anker« zusammen. + +»Nun, wie hat Ihnen meine Oper gefallen?!« fragte Karl Maria am Tage +nach »Euryanthes« Premiere. + +Franz war immer ein Michel Gradaus, er verübelte es auch anderen nicht, +wenn sie ihre Meinung rund heraus sagten, nur ehrlich mußte sie sein. + +Er nahm sich auch jetzt kein Blatt vor den Mund: »Einiges hat mir recht +gut gefallen, aber für meinen Geschmack ist zu wenig Melodie daran -- +wissen Sie was: Der ›Freischütz‹ ist mir lieber!« + +»Bravo!« applaudierte Schwind. Der hätte jetzt hinzufügen können: Der +Text ist miserabel, aber daran ist die verflixte Chezi schuld ... Doch +Schwind verkniff sich diese Äußerung und legte einen vergifteten Pfeil +auf seinen Köcher. + +»Hm, ja, nicht übel! Wirklich ganz hübsch! Aber der dramatische Versuch +ist doch nicht gelungen!« + +Der Streich war heimgezahlt. Karl Maria erhob sich und verabschiedete +sich kalt und gemessen. Das Ende der Bekanntschaft war bedeutend +weniger freundlich als der Anfang, und von »Alfonso und Estrella« war +in Dresden keine Rede mehr. + +Dafür gelangte in Wien die »Rosamunde« zur Annahme. + +Bei allem, was Schwind gegen die Textdichterin einzuwenden hatte, die +Aufführung war ihr zu danken. Die Chezi hatte nämlich die Gewohnheit, +so lange lästig zu fallen, bis man Ja und Amen sagte, um nur Ruh' zu +haben vor ihr. So war es in der Oper. + +Was Schwind befürchtet hatte, traf ein. Es war ein nicht zu +verhüllender Mißerfolg, den der unerträglich geschmacklose Text +verschuldet hatte. + +Schwind, Joseph Hüttenbrenner, Mayrhofer, alle Freunde und Schubert +gingen mit Herzklopfen hinein. + +»Diese heillose Frau von Chezi!« so beginnt Schwinds Bericht an +Schober, der wieder unterwegs ist und sich selber sucht. »Franz +hat wieder einen ganzen Reichtum von Perlen hingestreut, die auch +gebührend beachtet wurden, besonders die Ouvertüre. Wie ich immer sage: +ein Ziselieren im Kleinen, eine lyrische Ausbeutung des einzelnen +Wortes, was in dem geschwätzigen, inhaltslosen Text leider zu lauter +verpufften Wirkungen führt. Ein herrliches Feuer, an dem sich das Herz +der Menschheit erwärmen müßte, wird hier mißbraucht, um dichterische +Wassersuppen gar zu kochen. Sie mundete niemand. Der arme Schubert! +Er hätte einen Stoff gebraucht, der machtvoll ist durch die Größe und +Einfachheit des Wortes. Hat wieder einen Fehlgriff getan, der sich +bitter rächen muß. Daß es ein sanfter Durchfall war, läßt sich leider +nicht leugnen. Die Aufführung hat ihm mehr geschadet als genützt, er +hat buchstäblich umsonst gearbeitet ....« + +Ungefähr so lautete das Urteil des Freundes, der den Schlag härter +empfand, als wenn er ihm geschehen wäre. + +Auch damit hatte er recht, Franz hatte buchstäblich umsonst gearbeitet. +Nach dem Mißerfolg der »Rosamunde« trauten sich die Bühnen erst recht +nicht an seine Opern heran. In rascher Folge waren neue Bühnenwerke +entstanden, »Fierrabras«, »Die Verschworenen oder der häusliche Krieg«, +ein vielversprechendes Fragment »Sakontala«, sie lagen alle neben +»Estrella« und »Rosamunde« friedlich in der Tischlade oder kehrten nach +vergeblichen Rundreisen über die Theaterkanzleien dahin zurück. Wieviel +Lebenskraft und Schöpferwille ward hier fruchtlos vertan! + +Auf die Epoche des glänzenden Aufstieges schien eine Zeit der +Mißgeschicke gekommen zu sein. Sind es die biblischen sieben Jahre, +in denen sich der Schicksalsstern entweder in aufsteigender oder wie +jetzt in absteigender Linie bewegt? Man weiß es nicht, man nimmt's +gleichmütig hin, man kann nichts Besseres tun als seine Pflicht und +warten, bis günstigere Zeiten kommen. + +»Wenn nur der Verleger nicht so gewissenlos wäre!« + +Damit ist der Diabelli gemeint, der ihm das Verlagsrecht für seine +erfolgreichsten Liederhefte für ein Butterbrot abzuluchsen verstand und +ihn bei den kommissionsweisen Sachen noch obendrein übers Ohr haute +nach Noten. Um der Unverschämtheit die Krone aufzusetzen, schließt er +jetzt eine Rechnung ab, bei der Franz, anstatt Geld zu bekommen, noch +fünfzig Gulden zu zahlen hätte. + +»Ein sauberer Patron!« Franz wirft ihm die ganze Wahrheit an den +Kopf. Sie ist knüppeldick genug, um dem Faß den Boden auszuschlagen. +Es ist nicht nur die ewige Betrügerei -- die Skrupellosigkeit dieses +Geschäftsmannes vergreift sich auch an dem geistigen Gut, die +Lieder und Tänze kommen vielfach verstümmelt und mit entstellenden +Zusätzen heraus, die nach des Verlegers Meinung die Schöpfungen +»publikumsreifer« machen sollten. Der geduldige Franz ist darüber aus +dem Häuschen; in einer Aufwallung des gerechten Zorns richtet er eine +geharnischte Absage an seinen Ausbeuter, und damit war ein für allemal +reiner Tisch gemacht. + +Das Suchen von Verleger zu Verleger geht nun erst recht an. Wie es +manche verstehen, die üble Lage des Künstlers auszunützen! Da sind +einige, die würden mit ein oder zwei Stücken den Anfang machen (werden +sich freuen!), nur zahlen wollen sie nichts -- als Entgelt einige +Freiexemplare! Später, ja, wenn sie den Profit gemacht hätten, würden +sie ihm für weitere Sachen eine bare Entschädigung geben; er wird mit +Phrasen abgespeist, als ob er noch ein blutjunger Anfänger wäre. + +Wien schwelgt in Schubertscher Musik, sein Ruhm ist begründet auch +in anderen Städten -- dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Ein +schwieriges Problem, ohne Amt und ohne festes Einkommen der Kunst zu +leben. Er will es fertigbringen! + +Ein Es-Dur-Trio, unter Brüdern hundert Gulden wert, bietet er der Firma +Probst an. + +Sie möchte gern, o ja! -- Nur ein Haken ist dabei. + +»Gern sind wir erbötig, zur Verbreitung Ihres Künstlerrufes beizutragen +.... leider wird der eigene, sowohl oft geniale als wohl auch mitunter +etwas seltsame Gang Ihrer Geistesschöpfungen in unserem Publikum noch +nicht genug verstanden ....« + +Immer die nämlichen, geschraubten Wendungen, die den Vertrieb der Werke +schwierig hinstellen, um den Preis zu drücken. + +»Ja, wenn einmal das Eis gebrochen ist ...« Sie versprechen ihm goldene +Berge, aber für später, später .... Zukunftsmusik! + +Kurz und gut, statt der verlangten hundert Gulden schickt ihm die Firma +zwanzig Gulden. + +»Wenn es Ihnen zu wenig ist, dann schicken Sie das Geld gefälligst +wieder zurück ....« + +Wenn die Not am höchsten, ist der Hungerlohn am nächsten! Die zwanzig +Gulden haben schon hundert Herren, also ist vom Zurückschicken kaum die +Rede! Grausame Heimtücke! + +Da ist noch Artaria, aber der ist wirklich anständig, schier ein Mäzen, +der zahlt dreihundert Gulden für eine Sinfonie, freilich muß er noch +ein kleines Klavierstück darauf kriegen -- das Heft kostet sechs Gulden +Ladenpreis, hundert Hände greifen danach im Augenblick des Erscheinens +-- die Zahlen werfen ein Streiflicht auf die Verlegerbriefe. + +Nun, Gott sei Dank, wenn es auch nicht Geld regnete, so tröpfelt's +doch hin und wieder, und wenn vollständige Dürre eintritt, dann +helfen die Dedikationen über das Gröbste hinweg. Der Gesellschaft +der Musikfreunde hat er eine Sinfonie gewidmet, sie weist ihm einen +Ehrensold von hundert Gulden an. Die Hand Sonnleithners ist dahinter zu +spüren. Klingende Münze kann man gut brauchen in so sündteuren Zeiten, +aber es glückt nicht immer. Schöne Worte fallen häufiger ab als Dukaten. + +Der Herr Bischof von Dankesreither in St. Pölten bedankt sich +schönstens und ist freigebig mit schmeichelhaften Redensarten, aber +es fällt ihm gar nicht ein, etwas springen zu lassen. Die Linzer +Musikfreunde ernennen ihn zum Ehrenmitglied, die Grazer tun dasselbe +auf Betreiben Jengers. Anselm Hüttenbrenner tut sehr wichtig mit der +Überweisung der Urkunde -- es ist eine Ehre für Franz, er kann sich +das Blatt vor den Spiegel stecken, er kann aber auch den Mund an den +Nagel daneben hängen, er kann es ganz leicht, weil's nicht immer was zu +beißen und zu nagen gab. + +Aber trotzdem -- Franz läßt sich nicht lumpen, er will dem Musikverein +ein Geschenk machen, das mit seinem Menschheitswert das Blatt vorm +Spiegel himmelhoch übertrumpft. + +»Um auch in Tönen meinen lebhaften Dank auszudrücken, werde ich mir die +Freiheit nehmen, dem löblichen Verein ehestens eine meiner Sinfonien in +Partitur zu überreichen ....« + +Er spürt in seiner Brust ein neues Wogen und Singen: einen +vertraulichen Klang aus früher Zeit. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a ..... + +Die Geigen in seiner Brust schreien es in die Höhe; und immer wieder +kehrt die Melodie, immer wieder reißt sie ab und sucht mit rührender +Sorgfalt das Gesangsthema in neuen Variationen zu ergreifen .... Das +sinfonische Tongemälde wird ein Abbild seiner Seele, ein erschütterndes +Bekenntnis. + +Er ist kein armer Mann, er ist ein Krösus, der aus vollen Händen gibt. + +Draußen in den Weindörfern, in Währing, Weinhaus, Heiligenstadt, +Grinzing, verbirgt einer sein Haupt in grüner Einsamkeit, ein ganz +Großer, zu dem Franz jetzt aufsieht wie zu dem einzigen Stern über +sich. Der geht auch einem unsichtbaren Wegweiser nach, unbegangene +Pfade, weitab von allem Gewöhnlichen und hoch durch unwegsame Gebirge +der Seele. Einer, der die Märtyrerkrone um seiner Kunst willen trägt, +und zu dem das Meisterlein mit Ehrfurcht emporstarrt. Das ist Ludwig +van Beethoven. + +Er möchte sich ihm nähern, aber eine unüberwindliche Scheu vor diesem +Gewaltigen zwingt ihn, im weiten Bogen auszuweichen. Er getraut sich +nicht; heimlich geht er auf den Spuren des Gewaltigen, draußen zwischen +den Weinbergen und kleinen Winzerhäusern. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a .... + +Dieses Lebenslied mit all den hoffnungsvollen Anfängen darin läßt ihn +nicht mehr los. + +Franz schafft mit Zyklopenhänden. Jahr um Jahr, ohne Unterlaß -- das +Arbeitsfieber ist sein normaler Zustand, er denkt nicht daran, daß es +anders sein könnte. Erlösung, Vergessen, alle Rauschseligkeiten des +Glücks gibt ihm diese heiße, verzehrende Arbeit. Sein Genius leuchtet +auf wie eine mächtige Flamme, aber Franz merkt nicht, daß er der Kerze +gleicht, die an beiden Enden brennt. + +»Was ist mit mir?« sagt er eines Tages zu Schober. »Das Essen schmeckt +mir nicht, ich kann nachts nicht schlafen, die Töne hämmern mir im +Hirn, die Noten fliegen nur so zu, aber wenn ich nachts aufstehe, um +sie festzuhalten, sind sie entflohen, ausgelöscht, nicht zu fassen +.... Am Morgen ist mir dann der Schädel dumpf und schwer, ich ziehe an +der Arbeitslast, als wäre sie ein Wagen voll Pflastersteine, und muß +ziehen, ziehen, weil ich muß und nicht anders kann ....« + +»Du mußt dich schonen, Freund, du bist überarbeitet, lasse es sein auf +kurze Zeit, sammle deine Kräfte, und alles wird wieder flott gehen ...« + +Aber der hatte schön reden. Man brauchte Geld und mußte verdienen. Wenn +man statt hundert Gulden nur zwanzig bekommt und die hundert braucht, +muß man fünfmal mehr machen oder fünfmal so schnell arbeiten. + +Aber das ist es nicht allein. + +»Weißt du denn nicht, daß Arbeiten das Paradies und Nichtarbeiten die +Hölle für mich ist!« und jeden Tag kämpft er sich durch, aus der Hölle +in das Paradies empor, um wieder hoffnungslos in die Hölle seiner +Ohnmacht zurückzusinken. Aber die Sinfonie muß werden, mag auch ein +Stück Gesundheit darauf gehen, das bringt man alles wieder ein, nur +das Werk soll nicht erkalten, rein und volltönig muß es erklingen wie +eine Glocke, es gibt vorher keine Schonung, und nun alles daran, was +an Kraft aufzubieten ist! Ein Lebenslied, diese H-Moll-Sinfonie, sein +Höchstes und Tiefstes soll es umfassen .. + +Und wieder jubeln die Geigen in die Höhe: g -- d -- g -- fis -- g +-- a ..... um nach kräftigen, harten Akkorden wieder abzureißen. Er +schleppt sich hin, ist krank und weiß nicht, wie und wo. Die Schmerzen +sitzen bald da, bald dort, der Kopf ist müde, es ist, als ob die Kraft +plötzlich irgendwie einen Knick bekommen hätte. + +E -- fis -- g -- h -- ais ... + +Geigen, Violen und Fagotte brachen in ein herzzerreißendes Klagen aus, +die Bässe sinken hoffnungslos herab auf das tiefe C; wie einzelne +Lichtblicke brechen Teile des Gesangsthemas durch, um sogleich wieder +in dem düsteren Nachtgemälde zu ersterben, die Celli und Kontrabässe +wälzen dunkle Tonfluten herauf, c -- c -- c -- gleich gewitterhaften +Wolkenmassen, schmetternde Blechakkorde fallen ein wie strahlende +Blitze, dazu ein helles Geigenmotiv, das empor will wie zu Anfang, um +gleich wieder nach hartem, erbittertem Kampf zusammenzubrechen .... Die +Erschöpfung ist eingetreten, noch ehe das sinfonische Gemälde, ein Bild +seines Lebens, vollendet ist. + +Franz ist zusammengebrochen. Die Nervenkraft ist erschöpft. Seltene +Träume suchen ihn heim. Er fühlt sich als Bruder vieler Brüder und +Schwestern, die Vergangenheit wogt daher in phantastischen Bildern, er +sieht die Leiche seiner Mutter, der Vater erscheint ihm, er hat Streit +mit ihm und entflieht; er wandert in ferne, unbekannte Gegenden, es ist +ihm, als ob Jahre in dem Traum vorübergingen, seine Lieder umtönen ihn, +die Liebe, die er gesungen, fühlt er als Schmerz, und der Schmerz, den +er singt, wandelt sich in Liebe. Ein Traumbild jagt das andere. Sie +haften in seinem Gedächtnis, er schreibt sie nachträglich auf wie eine +allegorische Erzählung und schließt mit den Worten ».... und ich fühle +die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch +meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme +und weinte. Noch mehr aber ich.« + +Franz liegt im Spital, er hat alle Haare verloren. Als er nach Wochen +das Krankenhaus verläßt, präsentiert er sich seinen Freunden in einer +gemütlichen Perücke. Er kommt überdies nicht mit leeren Händen. Die +Krankheit war im gewissen Sinne eine Wohltäterin. Es war die Zeit der +Ruhe und des Kräftesammelns. Aber die Katz' kann das Mausen nicht +lassen, im Spitalbett hat er wieder zu komponieren angefangen. Kleine, +leichte Sachen zwar, ein paar Dutzend Deutsche, einer schöner als der +andere, galante, liebliche, bacchantische und fugierte -- zum Entzücken +Schwinds, der alles getreulich an Schober berichtet, der noch immer in +der Welt herumirrt und es wieder mit der Schauspielerei hat. Er ist in +Breslau und möchte genau wissen, wie es Franz geht. + +»Er hat wieder seine Perücke abgelegt und zeigt einen lieblichen +Schneckerlanflug,« berichtet Schwind nach Breslau. + +Und später heißt es, Franz habe sich einer neuen Behandlung unterzogen, +und dann erst habe sich die Krankheit gebrochen. Aber er müsse mit sich +vorsichtig umgehen wie mit einem rohen Ei ... »-- er lebt noch immer +einen Tag von Banaderln, den anderen von einem Schnitzel und trinkt +schwelgerisch Tee, dazu geht er öfters baden und ist unmenschlich +fleißig ....« + +Unmenschlich fleißig, das ist er wohl. Er fühlt sich verjüngt und +will wieder losstürmen. Aber halt, so wie früher geht's doch nicht +mehr. Rasch tritt die Erschöpfung ein, der alte Zustand ist wieder da. +Schlaflose Nächte und ein Hirn, das fort und fort rattert wie eine +leere Maschine. Ein tüchtiges Glas Wein abends, ja, das hilft noch -- +den Tee hat er über, etwas Bettschwere abends hilft ihm eher, heitere +Geselligkeit, die Freunde; wie in allen seinen Lebenskrisen sind sie +Trost und Rettung. An die Liebe wagt er jetzt kaum zu denken. Er +hofft auf später. Alles läßt sich noch einholen, alles Versäumte und +Verfehlte. Nur Zeit! + +Das Lebensbild in H-Moll liegt noch da, unvollendet. + +Rasch entschlossen tut er die unfertige Sinfonie in ein Kuvert und +schickt sie nach Graz als Geschenk an den Steiermärkischen Musikverein. +Er löst sein Wort ein und gibt ein Werk von erschütternder Gewalt hin +für einen nichtigen Wisch Papier. + +Anselm Hüttenbrenner als Musikdirektor empfängt es und verschließt es +in eine Schublade. Was für ein Dämon hat Freund Anselm behext? Das ist +ja gerade so, als wollte er den ergreifenden Aufschrei einer Seele +mit einem Bahrtuch ersticken?! Wenn Franz das wüßte ... Aber der ahnt +nichts und vertraut dem Freunde. + +Langsam will er hinaufklimmen zur Höhe seiner alten Kraft. Langsam, +langsam. Manchmal hat es ja den Anschein, als wäre er wieder ganz +oben, manchmal. Er schreibt schon lange an einem Oktett, es sprüht von +Lebenskraft, gerät fast außer Rand und Band, wuchert über an Schönheit +und Wohllaut, etwas eigenwillig und barock in der Form, so recht +süddeutsch, so recht österreichisch, ein ganzer und echter Schubert. +Mit dem größten Eifer schreibt er daran; langsam, langsam geht es +vorwärts. Schwind kommt zu ihm, Franz schreibt und schreibt. Er sagt +nur, ohne aufzublicken: »Grüß dich Gott! Wie geht's?« + +»Gut!« -- Jetzt kann aber Schwind lange warten, bis der andere wieder +einen Ton von sich gibt. Der schreibt und schreibt und läßt sich nicht +beirren. Der liebe Besuch, so lieb er ihm auch ist, er kann getrost +wieder gehen. Wenn Franz bei der Arbeit ist, gibt's keine Audienz. + +Aber dann kommen Tage, wo er sich wieder von der stolzen Höhe seiner +Kraft herabgeschleudert fühlt und wie zerschmettert am Boden liegt. + +Vielleicht wenn er aufs Land ginge, die Natur hat verborgene +Heilkräfte. Er fühlt etwas Sehnsucht nach Bergen, nach Waldluft. Er +möchte sich verkriechen wie ein verwundetes Tier in Einsamkeit. »In +Grün will ich mich kleiden ...« + +Ein Glück, daß ihn Vogl mitnimmt nach Steyr. + +Er fühlt das Leiden wie eine dunkle Nacht über sich, und er findet sich +bald ein Gleichnis dazu, dem er aus tiefster Herzensnot eine Stimme +geben kann. Ist es nicht, als ob ihm eine Krähe folgt, der sein Leib +bereits verfallen ist? Wenn er flieht, dann zieht sie ihm nach. + +»Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen, ist bis heute für und +für um mein Haupt geflogen. Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht +verlassen, meinst wohl, bald als Beute hier meinen Leib zu fassen? +Nun, es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe. Krähe, laß mich +endlich sehn Treue bis zum Grabe!« + +Er lebt in Steyr bei Vogl in tiefster Einsamkeit, fast verborgen, und +kehrt nach einigen Wochen nach Wien zurück. Die Krähe, die ihm von der +Stadt aufs Land gefolgt war, begleitete ihn vom Land in die Stadt. + +Franz redet nicht gern über seinen Zustand; er schweigt und brütet +vor sich hin, wenn er gefragt wird. Anders ist es, wenn er mit einem +abwesenden Freunde brieflich eine Zwiesprache hält. Beim Schreiben +drängen die zurückgestauten Gefühle mit Macht hervor, und so kommt der +herzergreifende Brief zustande, den er an den Freund Kupel schreibt, +der nach Rom gegangen ist, um die Sehnsucht seines Herzens an der +Antike zu stillen. Als ob die Entfernung geeignet wäre, die Seelen +einander näherzubringen, so schüttet Franz in dem Brief an Kupel sein +Herz aus: + +».... mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten, +elendesten Menschen auf der Welt. Denk' dir einen Menschen, dessen +Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung +darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denk' dir +einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichts +geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten +als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden +droht, und frage dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch +ist? -- Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer +und nimmermehr -- so kann ich wohl jetzt alle Tage singen, denn jede +Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen, +und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und +freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich +besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete +....« + +Sein Gemüt ist düster umwölkt -- er trinkt den Leidenskelch auf seinem +Ölberg. + +Was wird aus diesem Leben -- geht es wieder aufwärts, oder kommt es +ganz auf den Hund? + + + + + VIII. + + +Johanna Lutz, die Feine, Liebliche, geht an dem Haus auf der +Stubenbastei vorbei, wo jetzt Franz wohnt. Sie hat von Schwind gehört, +daß er sich auf Anraten seines Arztes vierzehn Tage einschließen +und fasten will. Im Vorbeigehen schaut sie hinauf und ist zu Tod +erschrocken. + +»Mein Gott, da sind ja alle Fenster offen! Da muß etwas geschehen sein! +Das ist rein so, als ob jemand herausgestorben wäre!« + +Sie weiß, daß Franz nie ein Fenster öffnet. Solange er zu Hause ist, +bleibt alles bumfest zu, so luftscheu ist er. + +Sie traut sich gar nicht zur Hausmeisterin hinein, um zu fragen, was +denn geschehen ist. + +»Dumm von mir!« schilt sie sich, als sie zu Hause ist. Es läßt ihr +keine Ruhe. Eilends ein paar Zeilen an Schwind, er soll doch nachsehen, +was los ist. Es käme ihr alles so sonderbar vor. + +Am Nachmittag kommt Schwind zu ihr, bringt ihr einige neue Schubertsche +Lieder und Deutsche und die Nachricht dazu: »Ja, ja, Franz ist +ausgeflogen und wird sobald nicht wieder zu sehen sein. Darüber kann +ein halbes Jahr vergehen. Tief im Ungarland sitzt er -- in Zelez!« + +Die zarte Lutz atmet auf. »Gott sei Dank, mir ist ein Stein vom +Herzen!« Sie hat soviel mütterliche Sorge um die Freunde Kupels, +besonders um Franz, über den sie fleißig ihrem Verlobten nach Rom +berichtet, der im Café Greco sitzt und mit den Gedanken in der Heimat +weilt -- er will genau wissen, was vorgeht; Franz macht ihm Sorge. + +Der Cherubim wettert und flucht über das saure Leben. + +»Der Kupel ist fort, der Schober flaniert in Breslau herum, und nun +hat auch Franz die Schnapsidee und ist zu den Schnauzbartlern gegangen +.... Himmel! Teufel! Da sitzt man mutterseelenallein -- ohne Geld, ohne +Freund. Uff! Rein zum Verrecken! Die andern Freunderln? Hol' sie der +Kuckuck -- einer ist pflichtig, der andere zweifelhaft, der dritte fad +und der ganze Haufen gar nichts! Franz, Franz, Schober, Kupel -- warum +habt ihr mir das angetan? Wenn ich jetzt nicht Sie hätte, Johanna, und +die Netty Hönig, ach, die liebe Netty, wissen Sie -- die Netty -- ach, +ich kann Ihnen gar nicht sagen -- wenn ich nicht wüßte, daß die Netty +-- -- Ich weiß oft gar nicht, bin ich es oder bin ich es nicht -- o +Franz, Franz, Franz!« + +Er ist ganz komisch in seiner Mischung von Ärger und Liebe, +Verzweiflung und Seligkeit. Er greint und raunzt über Franz, aber er +meint es nicht bös damit, er hat ihm selbst zugeredet, den Antrag des +Grafen Esterhazy anzunehmen und wieder nach Zelez zu gehen. + +Franz hätte es vielleicht nicht mehr getan. Der erste Aufenthalt war +schon nicht sehr ersprießlich gewesen, es war damals eine kleine Zeit +des Stillstandes für ihn. Zwar hat er ja manche liebe Erinnerungen +mitgenommen und bewahrt -- zweimal dasselbe birgt die Gefahr der +Ernüchterung. Aber die Zeiten waren jetzt anders, er mußte leben wie +eine Pflanze, und der Stillstand war ihm ein Schutz. Er brauchte +ein Asyl, regelmäßiges, einfaches Leben unter einem gemessenen +sanften Zwang, vor allem keine Sorgen. Er fühlte sich innerlich als +Menschenruine; das Lebenshaus war halb eingesunken, der Regen fiel ihm +durchs Dach, die Türen und Fenster klapperten, die Dielen ächzten, der +Tod ging um, und draußen, ja draußen flog die Krähe um und um. + +Das Wankende mußte gestützt werden, Zeit und Ruhe waren nötig, die +Schäden auszuflicken, dafür war Zelez der rechte Ort. Ein Asyl, ein +Asyl! + +Der Bruder Ferdinand, Schulleiter in der Rossau, hat in der schweren +Zeit ein wachsames Auge auf Franz. Nun aber waren schon drei Wochen +vergangen, die Brüder hatten sich nicht gesehen. Franz kam doch sonst +alle Wochen einmal zu ihm hinaus, seit er nicht mehr im Schulhause +wohnte; er brachte den Nachmittag und Abend bei Ferdinand zu, und nach +dem gemeinsamen Essen ging er beizeiten heim, um noch vor Torschluß +sein Quartier auf der Stubenbastei zu erreichen. Allerdings, Franz +hatte eine Fastenkur vor, die vierzehn Tage dauern sollte; er wollte +einsiedlerisch leben und so wenig als möglich vor die Türe gehen. Nun +aber sind es drei Wochen her, das macht den Ferdinand unruhig. An einem +schulfreien Tag macht er sich auf, selbst einmal nachzusehen, was denn +auf der Stubenbastei los sei. + +»Seit acht Tagen ist er fort, nach Ungarn -- wie heißt es denn +gleich?« sagt die Hausmeisterin, die zugleich bei Franz Bedienerin ist. +»Zelez -- ja, so hat's geheißen!« + +»Daß er mir gar nichts geschrieben hat!« verwundert sich Ferdinand. + +»Ja, es war halt ein bisserl geschwind!« erklärt die Hausmeisterin. +»Am Tage vorher hat er mir noch gesagt, daß er nach Ungarn gehen soll, +er hätte aber wenig Lust dazu; nun, und am anderen Tage war schon der +Reisewagen des Herrn Grafen vorm Haus.« + +Es ging dem Bruder Ferdinand so wie den andern Freunden; die Stadt war +mit einemmal leer und stumm für sie, seit Franz dahin war. + +Mit stiller Trauer bog Ferdinand in die Wollzeile ein, dann in die +nahe Schulerstraße, die weniger lärmend war, und blieb vor dem Gasthof +»König von Ungarn« stehen. Es war knapp vor Zwölf, also beschloß er, +hier zu Mittag zu essen. Im Hof drin war es schön zu sitzen unter +den Efeuwänden und den Oleanderbäumen. Er zerschnitt ein saftiges +Stück Rindfleisch, tunkte es in Semmelkrenn, die Küche war gut, es +waren nur wenige Gäste da, und in dem schönen Hofraum herrschte eine +patrizierhafte Ruhe und Ordnung. Die Mittagsglocken von dem nahen St. +Stephan tönten herüber in hallenden, zitternden Wellenkreisen, es war +schön anzuhören, aber Ferdinand war in Gedanken bei seinem Rindfleisch +und zugleich bei Franz, und die Stadt hatte schier keinen Klang mehr, +weil dieser Genius fort war. Die Glocken schwiegen; in der momentanen +Stille fiel es Ferdinand auf, daß feierlich geläutet worden war. Er +sah auf, in dem dreieckigen Giebel des weißgetünchten Hofes war eine +Uhr zu sehen, die eben jetzt die Mittagsstunde anschlug. Sie begann +zu schlagen, und als die zwölf Schläge vorüber waren, spielte sie mit +einer feinen, metallenen Stimme ein Musikstück. Einen Walzer. + +»O Gott! Was ist denn das? Das ist ja -- ein Walzer von Franz? Ein +Schubertscher Walzer!« Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, dem +Ferdinand -- unwillkürlich stürzten Tränen aus seinen Augen und fielen +salzig auf den Teller vor ihm. + +Es war ja gerade so, als ob Franz ihn riefe mit Geisterstimme, die dort +oben in der Uhr aufklang! + +Das Uhrwerk schwieg, Ferdinand saß noch eine Weile da, ganz ergriffen +und wehmutsvoll, dann ging er eilends heim, er mußte schreiben, sofort +nach Zelez schreiben, was ihm begegnet war. + +Aber die Scheu, sein Innerstes vor dem Bruder zu zeigen, läßt es nicht +zu, den Satz zu vollenden; er deutet mit halben Worten an, was er sagen +will. Brüder sind oft so zueinander, bei aller Liebe und Freundschaft. + +Franz hat in Zelez sein altes Zimmer bezogen; er sieht durch das +grünumlaubte Fenster hinaus auf den Ententeich und auf die Straße +jenseits der Linden, wo die Post vorüberfährt. Er hört das Horn in der +Ferne erklingen -- »was hat es, daß es so hoch aufspringt, mein Herz?« + +Alles scheint unverändert wie vor so vielen Jahren, dieselben Leute +sind noch da, dieselben Gewohnheiten, dieselbe Tageseinteilung, nur +statt Rosa, die nicht Nein sagen konnte, bedient ihn eine alte Magd, +die mürrisch und halb taub ist. Um so besser -- so gibt es keinen +Plausch, kein Augenverdrehen, nichts -- er ist nicht aufgelegt zu +solchen Dingen. Der Kammerdiener behandelt ihn mit wohlwollender +Herablassung als guten Bekannten, und im Inspektorflügel ist er ein +gern gesehener Gast. + +Im Herrenhaus ist regeres Leben als früher, in einem fort gibt's +Besuch, Kavaliere und Damen, zu Pferd und zu Wagen, Ausflüge und Jagden +werden veranstaltet, sonst aber geht die einfache Lebensweise fort. +Die beiden Komtessen Marie und Karoline sind stattlich herangeblüht, +aber sie sind noch immer so schlicht und herzgewinnend wie früher, +besonders die Karoline. Freilich, mit dem kindischen Herumtollen, Arm +in Arm mit Franz, mit dem großen Übermut und Glück der ersten Jugend +ist es vorbei. Wenn sie es nicht selbst gesagt hätte, Franz wußte es +gleich am ersten Tage durch den mitteilungsbedürftigen Kammerdiener, +daß der schlanke, dunkeläugige Kavalier, Graf Folliot von Creeneville, +Karolinens Verlobter ist, und daß der junge Graf Breuner, das blonde, +schmächtige Gegenstück zu Folliot, für die dunkeläugige Komtesse +Marie ausersehen ist, die sich zu einer recht kapriziösen Schönheit +herausgemaust hat. + +Franz ist ganz steif vor Verlegenheit und Verwirrung, als er sich +der Komtesse Karoline wieder gegenübersieht, aber ihre anmutige +Unbefangenheit hilft ihm, daß er sich nach und nach wieder erfängt. Im +Herbst ist Hochzeit, und Karoline freut sich, daß Franz hier ist; er +muß es ihr versprechen, bei der Tafel zu sein, sie möchte ihn in ihrer +Nähe wissen. + +Er zappelt von einem Bein aufs andere und stammelt so eine Art +Glückwunsch daher. Natürlich fängt er es dabei wieder drollig +ungeschickt an: »Jessas, Komtesse, wie mich das freut -- nun, ich +gratuliere herzlich dazu; der Herr Graf, ein so feiner Kavalier -- +aber daß ich bei der Tafel bin, das wird doch nicht recht gehen -- ich +schau' ja gar nichts gleich!« + +Neben dem eleganten Edelmann schaut er freilich gar nichts gleich, ein +ziemlich ruppiges Singerlein, aber die Komtesse hat ein unbändiges +Vergnügen an seiner drolligen Unbeholfenheit, und die frühere +Herzlichkeit ist im Nu wieder hergestellt. + +Daß ihn die Verlobung Karolinens gar so freut, das war doch ein +bißchen dick aufgetragen; er hat einen verwunderten Blick Karolinens +aufgefangen -- ob sie es wohl nicht übelnimmt? Es war das einzige +Zeichen, daß die Liebesstunde nicht vergessen ist, ein kleines +Geheimnis, von Vertrauen und Freundschaft behütet. + +Mit den beiden jungen Edelleuten weiß sich Franz so gut wie nichts +anzufangen. Die reden meistenteils von Jagen und Reiten und Pferden +und Hunden; davon versteht er nichts; und von der Musik verstehen die +anderen nichts. + +Unter den Dauergästen befindet sich auch Karl von Schönstein, der +einzige, der mit der Schubertschen Musik wirklich vertraut ist und bei +der Schicksalsfügung, die Franz wieder nach Zelez gebracht hat, den +Drahtzieher gespielt hat; er ist mit dem väterlichen Grafen Esterhazy +intim befreundet, die beiden unterhalten sich gern auf eigene Faust; +um was es dabei geht, hat Franz an dem zufällig aufgeschnappten Wort +erkannt, als der eine von den beiden von seiner herzigen Rozier sprach, +die Franz dem Namen nach kannte -- eine vom Ballett; die unter +Geflüster und Gelächter geführte Unterhaltung war also nichts für +fremde Ohren. + +Zuweilen kamen Zigeuner und spielten unter der Linde; Franz saß in +seinem Zimmer, rauchte sein Meerschaumpfeiflein, dachte vergangener +Zeiten und vergaß in diesem wehmütigen Glück die Gegenwart. Oder er +komponierte, er hatte Zeit und Ruhe; oft vergingen Tage, ohne daß man +ihn begehrte, es sei denn, daß Schönstein singen wollte, oder die +Komtesse Karoline eine vierhändige Übung versuchte, aber auch dies nur +selten, oder daß er eine seiner Sachen vorspielte, für die indessen +außer den beiden Komtessen und Schönstein kaum jemand im Herrenhaus ein +besonderes Verständnis aufbrachte. + +Verträumt, verraucht, vergeigt, so fließen die Tage gleichförmig hin, +einer wie der andere. + +Nur wenn die Post vorüberfährt, springt das Herz auf. + +Der Vater hat geschrieben, er gibt ihm gute Lehren. Er ist ja +Jugendlehrer, der immer gern moralisiert, aber aus dem Tadler ist ein +Tröster geworden. »Wir dürfen, ja wir wollen sogar die unschuldigen +Lebensfreuden froh und mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig genießen,« +ermuntert er den Franz, »wir müssen aber auch in trüben Umständen den +Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat Gottes und +führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten Ziel. Wo ist auch +ein großer Mann in der Geschichte zu finden, der nicht durch Leiden und +standhaftes Ausharren den Triumph errungen hätte. Darum möchte ich auch +jene, die ich vorzüglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen!« + +Daß er soviel Liebe in ein paar Briefseiten legen kann, mehr als man +je im Leben aus seinem Munde erfahren hat, das hätte man doch nicht +erwartet. Dem Franz gehen fast die Augen über vor Rührung. + +Und nun gar der Bruder Ferdinand mit seinen Tränen, als er beim »König +von Ungarn« Schuberts Walzer in der Uhr spielen hörte, und sich fast +schämt, es hineinzuschreiben, daß ihm richtige Tränen entrollt waren +beim Rindfleisch mit Semmelkrenn ..... + +»Warum getraust du dich nicht, mir das zu schreiben?« erwidert Franz in +seinem Brief. + +»Es werden die Tränen gewesen sein, die ich so oft geweint habe, und +die in meinen Liedern und Walzern klingen, darum ist es so über dich +gekommen, als du beim »König von Ungarn« die kleine lustige Sache von +mir in der Uhr spielen hörtest .... oder kamen dir alle die Tränen, die +du mich schon weinen sahst, ins Gedächtnis? ... Damit dich diese Zeilen +nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht +heiteren Gemüts, so beeile ich mich, dich des Gegenteils zu versichern. +Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder +Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes +fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine +Phantasie (Gott sei es gedankt!) soviel als möglich zu verschönern +suche ..« + +Er schreibt sich alles von der Seele herunter, in Briefen und in Musik, +und wenn die miserable Wirklichkeit Macht gewinnt, zündet er sein +Pfeiflein an und sieht in den blauen Wölkchen die Menschen und Dinge +neuerdings von jugendlicher Glorie umgeben. Dann steht die Sehnsucht +auf, er muß seiner Bedrängnis Luft machen, nochmals Papier und Feder +her, niemals fühlt er die Freunde so nahe als jetzt, da er mit ihnen +von Seele zu Seele redet. + +»Wären wir nur beisammen, du, Schwind, Kupel und ich,« schreibt er +dem Schober, »dann sollte mir jedes Mißgeschick nur leichte Ware +sein, so aber sind wir getrennt, jeder in einem anderen Winkel, und +das ist eigentlich mein Unglück. Ich möchte mit Goethe ausrufen: Wer +bringt mir eine Stunde jener goldenen Zeit zurück! Jener Zeit, wo wir +traulich beieinander saßen und jeder seine Kunstkinder den andern mit +mütterlicher Scheu aufdeckte, das Urteil, welches Liebe und Wahrheit +aussprechen würden, nicht ohne einige Sorgen erwartend; jener Zeit, wo +einer den anderen begeisterte und so ein vereintes Bestreben nach dem +Schönsten alle beseelte. Nun sitz' ich allein hier im tiefen Ungarland, +in das ich mich leider zum zweiten Male locken ließ, ohne auch nur +einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheites Wort reden könnte +...« + +Und dem lieben Schwind gelten folgende Worte: »... ich würde mich hier +recht wohl befinden, hätte ich dich, Schober und Kupelwieser bei mir, +so aber verspüre ich, trotz des bewußten anziehenden Sternes, manchmal +eine verfluchte Sehnsucht nach Wien ....« + +Vielleicht ist es ein Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit, daß er +sich heftig fort sehnt. Oder ist es der anziehende bewußte Stern, +der still und klar über seinen Träumen steht und nun zitternd zu +entschwinden droht? + +Eine heftige Unruhe ergreift ihn -- die Hochzeitsvorbereitungen nehmen +im Herrenhaus ein schnelles Tempo an. + +»Ich alter Esel,« schlägt er sich vor die Stirn, »was kümmert's mich?« + +Der Herbst ist schön wie damals, das stimmt traurig. + +Morgen ist Polterabend, da muß Franz spielen, Schönstein singt und dann +wird getanzt. Und übermorgen? + +»Aber Sie versprechen mir, bei der Tafel zu sein?!« drängt Karoline. + +»Ich möchte schon jetzt alles Glück und Wohlergehen fürs Leben +wünschen, aber ich bitt' tausendmal um Verzeihung -- nicht wahr, bei +der Tafel muß ich nicht sein?! Ich pass' ja gar nicht hin -- ich wüßt' +nicht einmal, was ich reden sollt'! Die hohen Herrschaften -- ja +wirklich, da bin ich immer ganz dumm im Kopf!« + +Also nein, um keinen Preis wäre er dazu zu bringen. + +Karoline gibt ihm die Hand. Er beugt sich nieder, die Hand zu küssen. + +»Bleiben wir gute Kameraden!« sagt sie, und ihre Stimme zittert leicht; +sie will noch etwas sagen, aber sie hält inne und drückt und schüttelt +seine Hand wie ein richtiger lieber Kamerad, der von dannen geht. +Franz rennt weg, um nicht aufzuheulen. Es waren die letzten Worte mit +Komtesse Karoline. Ein Abschied für immer. + +Am Hochzeitstag geht er nicht aus seiner Kammer. Während sie +drüben tafeln im Herrenhaus, sitzt er hinten und hat seine eigene, +schmerzlich-selige Feier für sich. Er zündet seine Pfeife an, der +Opferrauch steigt, der anziehende bewußte Stern tritt aus dem +bläulichen Gewölk hervor, die schlanke Komtesse Karoline, wie sie im +herbstlichen Park vor so und so vielen Jahren ihre edel geformten Arme +um seinen Hals geworfen hat .... er pafft und pafft, das zarte Bild +entschwindet -- in den dicken Nebeln, die ihm Herz und Hirn umwallen, +steht eine andere Erscheinung auf und erfüllt ihn mit brennender +Sehnsucht: Melusine .... + +Er wischt sich über die Wangen, sie sind trocken, und trocken ist sein +Auge. In seiner Brust tönt ein weher Klang, er weiß es nicht, daß seine +Tränen nach innen fallen. Aber drinnen sind sie, in seinen Liedern und +Gesängen, und die Verse, die er sucht und vertont, die kommen ihm nicht +von ungefähr zu; sie sind wie Spiegel, darinnen er seine eigenen Züge +erblickt. + +»Gefrorene Tropfen fallen von meinen Wangen ab; ob es mir denn +entgangen, daß ich geweinet hab'? Ei, Tränen, meine Tränen, und seid +ihr gar so lau, daß ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgentau, und +dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr +zerschmelzen des ganzen Winters Eis ....« + +Aber das Eis zerschmilzt nicht, es bleibt alles hübsch drinnen in der +Brust und in den Gesängen, und nicht jeder spürt's, wie es Bruder +Ferdinand einmal, nur einmal gespürt hat, als der Walzer aus der Uhr +hervortanzte und plötzlich Tränen niederfielen. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a -- -- + +Das Lebenslied klingt so heiter, aber wißt ihr denn, was dahinter steht? + +E -- fis -- g -- h -- ais -- -- + +In Graz liegt's versperrt in einer Schublade, unvollendet -- aber +in Franz klingt es weiter, immer klingt es von neuem auf, immer +wieder ein Anfang, ein heiter-tröstlicher Aufblick; immer wieder ein +hervorquellender Schmerz, ein Zusammenbrechen .... Franz schaut so +phlegmatisch drein wie ein wurstiger Gesell; ihm merkt man nichts an. + +Schönstein ist wütend auf ihn bei der Heimreise. + +»Dieser Schubert mit seinem Phlegma!« Hat er das Wagenfenster am +Rückteil eingeschlagen, daß der kalte Ostwind hereinfährt und die +herzige Rozier, die dem Schönstein entgegengereist war, beinahe einen +Schnupfen gekriegt hätte! + +Die Rückkehr nach Wien ist allemal ein Seelenfest für Franz und die +Freunde. Johanna Lutz, die Mütterliche, hat ihre helle Freude an ihm, +weil er so gut aussieht. + +»Schubert scheint gesund und ist himmlisch leichtsinnig ....« schreibt +sie ihrem Erwählten nach Rom. + +»Daß Kupel noch immer nicht da ist!« klagt Franz. »Und Schober, der +schönste Mann Wiens, der Abgott aller Weibsen! Was tut der in Breslau +so lange?« + +»Den Kasperl spielt er, es ist seine Glanzrolle!« gibt Schwind trocken +zurück. »Ist das nicht ein tiefer Fall von der Höhe seiner Pläne und +Erwartungen?« + +»Er hält die Welt zum besten, die einzig mögliche Art, mit ihr zu +verkehren ....« Das ist die Meinung Schuberts. + +Sie lassen den lieben fernen Freund hoch leben. Die Gläser klingen +zusammen, man ist wie ausgehungert auf heitere Geselligkeit, wenn man +nach Wien zurückkommt und hat soviel einzuholen. In Zelez hat man +sich kasteit, jetzt darf man das Rädchen wieder ein bißchen laufen +lassen. Wein, Punsch, Kaffee, Tabak, die unsterblichen Güter der Heimat +-- die sind doch für die Seele da und nicht für den Leib, und Franz +ist immer mehr für die Seele gewesen. Also lebt man wieder himmlisch +leichtsinnig. Oder tut wenigstens so. Dieser Franz mit seinem Phlegma, +wer kennt sich denn aus bei ihm? + +»Wo nur der Mayrhofer steckt?« Beim Wein, der die Zungen und Herzen +löst, kommt es zur Sprache. + +»Die Freundschaft mit ihm ist Absterbens, Amen!« erklärt Franz auf die +Frage Schwinds. + +»Eifern tut er, euretwegen. Er glaubt, es wird ihm was genommen, weil +wir, du, Schober, ich und Spaun so gut harmonieren. Er will der einzige +und ausschließliche Freund sein, die anderen will er kaltgestellt +wissen. Und weil ich dafür nicht zu haben bin, ist er unverträglich +geworden. Schad' um ihn, er war mir ein lieber Freund ....« + +Hin ist hin. So mancher, der im Laufe der Jahre nicht mithalten konnte, +ist abgefallen, sang- und klanglos wie der Holzapfl, aber keiner +so beklagt wie der gemütstiefe Mayrhofer, der sich grollend in die +Einsamkeit zurückzieht. Sein Verstummen schmerzt Franz, vielleicht +bedarf es nur des erlösenden Wortes, um ein neues, besseres Verstehen +anzubahnen. Aber jeder schweigt. Es ist auch manchmal so unter denen, +die sich lieben und verstehen sollten. + +Ein anderer ist dafür gewonnen, der die Freundschaft mit Schubert ernst +und heiß nimmt. Der junge Eduard von Bauernfeld. Er ist Dichter und +nebenher Beamter, ein Sprudelkopf, der tausend Ideen hat, unzufrieden +ist, über die Politik schimpft, und bei all diesen Vorzügen nur +einen kleinen Mangel hat, nämlich kein Geld. Er besitzt also alle +Eigenschaften, die notwendig sind, um in den Freundeskreis eintreten zu +können. Vor allem ist er ein »Kanevas«. Jahrelang ist er auf Schuberts +Spuren, endlich gelingt es ihm, die nähere Bekanntschaft zu machen. +Schwind ist der Vermittler. + +Franz wohnt jetzt in Schwindien, er hat ein hübsches Zimmer gleich +im Haus nebenan, wo das Wirtshaus ist. Sie stecken ja sowieso immer +beisammen, er und der Cherubim, der einzige Vertraute, den er jetzt in +Wien hat; also ergibt sich das von selbst, daß sie so nahe beieinander +wohnen. + +Abends rückt ihm Schwind mit Bauernfeld auf die Bude. Der neue +Bundesgenosse hat einige wenige Sachen mitgebracht, Tagebücher, +Entwürfe, Dichtungen. Es wird vorgelesen. Zuerst Stellen aus +dem Tagebuch. Bauernfeld hat seit Jahren alle seine Eindrücke +aufgezeichnet. Die stärksten heißen Schubert. Franz kann es jetzt +hören, was Bauernfeld schon vor Jahren schrieb, »Kärntnertortheater, +Goethes ›Laune des Verliebten‹ machte kein Glück, das Beste ein +Quartett von Schubert. Ein herrlicher Mensch! Den muß ich kennen +lernen.« + +So lange hat es gebraucht, bis sich die Wohlgesinnten wirklich finden. +Jetzt aber muß der Bund besiegelt werden, man will Bruderschaft +trinken. Dazu gehört natürlich edles Getränk. Franz kehrt die Taschen +um und um, kein luckerter Zweier fällt heraus, Schwind unterzieht seine +Taschen ebenfalls einer vergeblichen Brandschatzung, das gleiche tut +Bauernfeld, sie bringen beim besten Willen das Nötige nicht zusammen. +Schuldig bleiben! + +»Leicht gesagt, mein Lieber, aber der Wirt hat schon die Kreide +verschrieben!« + +»Verdient es denn diese infame Welt, so ausgezeichnete Kerle zu +besitzen, wie wir drei sind?« haut Bauernfeld auf. + +»Gemach, lieber Freund!« gebietet Franz und öffnet ein Fach im Schrank. +Hier liegen noch ein paar Stückel Zucker vom Frühstückskaffee. Am Tisch +steht eine Flasche Wasser, davon schenkt er drei Gläser voll. + +»Warum soll die Freundschaft nicht das Wunder vollbringen und Wasser +in Wein verwandeln?« Dann tut er in jedes Glas ein Stück Zucker, jeder +rührt mit einem Löffel um und um und dann stoßen sie mit den Gläsern an +und trinken Bruderschaft mit Zuckerwasser. Das Feuer der Begeisterung +bringen sie aus Eigenem auf, das Zuckerwasser in Schwindien schmeckt +besser als der Tokaier in Zelez. + +»Laßt Rauch aufsteigen! Die Freundschaft verlangt ein Brandopfer!« +gebietet der Cherubim mit priesterlicher Würde und schmeißt seinen +Tabaksbeutel hin: »Hier ist der Goldstaub.« Neue Verlegenheit. Eine +dritte Pfeife fehlt. + +»Was liegt denn dort?« Der spähende Schwind hat ein passendes Ding +entdeckt. + +»Du, sei so gut -- mein Augengläserfutteral!« + +»Das hat uns ein Gott gesandt!« erwidert Schwind und hat im +Handumdrehen eine Pfeife daraus fabriziert. Franz muß es geschehen +lassen. Der Rauch steigt auf, ein wenig brenzlig zwar, aber der Himmel +ist dem Opfer gnädig, es ist keinem schlecht geworden dabei. Bei +Zuckerwasser und Tabaksqualm wird gelesen bis in die Nacht. Ein Drama +ist es, das Bauernfeld zu Gehör bringt. + +»Du wärst mir der Rechte für eine neue Oper!« erklärt Franz. Der Löwe +hat wieder Blut geleckt. Er denkt an die »bezauberte Rose«. Bauernfeld +soll ihm das Gedicht dramatisieren. Aber dem geht ein »Graf von +Gleichen« durch den Kopf -- Janitscharen und Rittertum, romantische +Minne und Gattenliebe, ein türkisch christliches Brouillon. + +»Uj jegerl,« schreit Schwind auf, »wenn's nur nicht ein zweiter Fall +›Alfonso und Estrella‹ wird!« + +»Laß gut sein!« wehrt Schubert den besorgten Schwind ab. Und nun geht's +an ein Entwerfen und Planen die ganze Nacht lang. Und als die liebe +Sonne am anderen Morgen warm ins Zimmer scheint, findet sie die drei +Kunstzigeuner im tiefen Schlaf, der eine im Bett, der andere auf dem +Kanapee, der dritte auf ein paar zusammengeschobenen Stühlen -- der +Traum von Kunst, Ruhm und Liebe geht weiter. + +So läßt sich alles gut an bei seiner Rückkehr. Kann man denn irgendwo +glücklicher sein als hier zu Haus? Wenn Franz, als er in Zelez war, +an Wien dachte, ging es glühendheiß in seinem Herzen auf. Die Stadt +verdichtete sich zu einem Frauenbild, und das Frauenbild, darin er Wien +sah, hatte die Züge der Melusine, ihre Augen, ihr Lächeln .... O Liebe, +Liebe! War es die Sehnsucht nach Wien, oder war es die Sehnsucht nach +Melusine, die ihn trieb? Es war beides in einem. Und er war so kühn in +der Ferne, wenn er an die Geliebte dachte, und war so zaghaft, wenn er +sie sah, die Liebliche, Hohe, Feine .... + +Die Zeit verschärfte seine Sehnsucht, es ist schon so lange her, daß er +Melusine nicht mehr gesehen, er hatte sich geschämt, weil er durch die +Krankheit so heruntergekommen ausgesehen hatte -- aber jetzt war er, +Gott sei es gedankt, so leidlich wieder in Ordnung, er brauchte sich +nicht mehr zu verstecken. Nur schade, schade, daß es gerade bei den +Hönigs war, wo man Therese begegnen konnte. Sie verkehrte jetzt viel in +diesem Haus. + +»Ich kann mir nicht helfen, aber der junge Hönig gehört zu den wenigen +Menschen, gegen die ich von vornherein eine instinktive Abneigung habe; +er hat mir nichts getan, im Gegenteil, er behandelt mich so vorsichtig +und apart, wie ein dreckiges Hölzl, immer nur mit Handschuhen, aber es +ist etwas an ihm, das mir gegen den Strich geht, ohne daß ich recht +weiß was!« erklärt sich Franz dem Schwind, als sie unterwegs sind zu +den Hönigs. + +»Hm -- und die Netty?« wirft Schwind lauernd ein. + +»Ach, die ist ja ein ganz lieber Kerl!« meint Franz so oben hin. + +Schwind leuchtet auf. »Nicht wahr? Ach, die, sie ist ein herziger +Schatz! Die und keine andere! Du mußt wissen: treu wie Gold!« + +Franz pfeift leise vor sich hin, ein Lied, das er irgendwo gesungen; +er weiß gar nicht mehr, daß es von ihm selber ist. Wo war es nur, daß +es ihm zuerst in den Sinn kam? War es nicht in Atzenbrugg? »Er hätt' +es eher bemerken sollen, des Hauses aufgestecktes Schild, so hätt' er +nimmer suchen wollen im Haus ein treues Frauenbild ...« + +»Ja, ja, in Atzenbrugg!« Schwind bestätigt es. Dort war es zum +erstenmal gesungen worden. + +Mit leisem Bangen treten sie bei den Hönigs ein. Man hat immer ein +leises Bangen, wenn man in der Liebsten Haus eintritt. Aber es ist +noch etwas anderes dabei. Eine brennende Unruhe, ein böser Argwohn. +Die Netty ist ein lieber Kerl, das ist wahr, aber sie ist zu sehr +verzuckert, es ist nicht alles echt -- und treu wie Gold, das ist schon +ganz und gar ein Unsinn, denn weniger treu als Gold kann auf Erden kaum +etwas sein. + +Sie ist so zuckersüß, die Netty, aber in ihrem Gesicht sitzen lauter +Spotteufeln drin. + +Franz sieht sich rasch um, Therese ist nicht da. Seine Unruhe steigert +sich, er kann sich schließlich nicht enthalten zu fragen. + +»Ja,« lautet etwas gedehnt die Antwort aus Nettys Mund, »wahrscheinlich +hat sie keine Zeit -- vielleicht auch keine Lust.« + +Das hat es neulich auch schon geheißen und jedesmal, wenn Franz +gekommen ist. Er bemerkt, wie Netty mit dem Bruder einen raschen Blick +wechselt und beide eine höhnische Miene aufsetzen. Franz wird stumm, +sein Gemüt verdüstert sich. Die Lustigkeit um ihn herum wird lauter, +er versinkt immer tiefer in Trauer. In Gedanken ist er weit, weit weg, +er hört die Wetterfahne auf dem Dach, der rostige Stab dreht sich um +und um und quietscht auf in der eigenen Brust, als ob er tief drin im +Herzen steckte. Der Schicksalswind hat wieder umgeschlagen und spielt +drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut. + +»Was fragen sie nach meinen Schmerzen ....« + +Unbändiges Gelächter ist um ihn herum. Cherubim wird hereingeführt in +Weiberkleidern, die er auf Nettys Geheiß anziehen mußte. + +»Hier ist Kolombine,« sagte sie zu Franz, »ich gratuliere Ihnen zu +dieser lieblichen Braut. Jetzt müssen Sie aber fein artig sein und brav +den Wurstel weiter spielen.« + +»Wurstel? Bin ich ein Wurstel?!« + +Er sagt es mit einer solchen tragischen Bitterkeit, daß das Gelächter +mit vermehrter Heftigkeit hervorbricht. Schwind, von Netty am +Narrenseil geführt, spielt die Rolle weiter. Mit verstellter Stimme +beteuert er als Kolombine seine Liebe zu dem Wurstel und will ihm um +den Hals fallen. Er merkt es nicht, daß dem Franz der ungehörige Spaß +über die Hutschnur geht. + +Die Komödie ist voll böser Anspielungen, Franz spürt es und steht +bleich und ernst unter den Lachenden da. Mit einem Ruck schleudert er +den nichts ahnenden Cherubim von sich, rafft seine Noten zusammen und +geht schweigend aus dem Zimmer. + +Das Gelächter erstarrt, alle sehen sich verlegen an. + +»Es war doch nur ein ganz unschuldiger Scherz ...« beteuert Netty etwas +beschämt. + +»Natürlich, nur ein unschuldiger Scherz!« bestätigt Schwind und eilt +dem Freunde nach. »Franz, ein unschuldiger Scherz -- geh', komm', sei +nicht kindisch ...« + +Franz stürmt hinaus und fort. + +Unverrichteter Sache kehrt Schwind in das Gesellschaftszimmer zurück, +er hat noch immer die Weiberkleider an. Jetzt ist aber allen das Lachen +vergangen. Die Netty hat ein böses Gewissen: »Versteht er denn so +wenig Spaß?« Schwind zuckt die Achseln: »Man kennt sich nicht aus mit +ihm!« + +Zum ersten Male, daß eine Verstimmung zwischen den engsten Freunden +eingetreten ist. Mit den Hönigs ist er jetzt fertig, Franz. Schwind, +der Netty verteidigt, mag jetzt sagen, was er will. Franz ist kein +Freund von derben Späßen; sein zur Schau getragenes Phlegma täuscht +viele Menschen. Sie halten ihn für einen Dickhäuter. Aber dabei hat +sich Netty verrechnet. War nicht die äußerlich zur Schau getragene +Rauheit und Wurstigkeit ein bloßer Schutzmantel für die allzu +empfindliche Seele? Das Heiligste seines Herzens verträgt keinen Hohn, +nicht einmal leisen Spott, wenn er auch sonst für Humor und gute Laune +Sinn hat. Hier ist eine Grenze gezogen, er duldet nicht, daß sie jemand +verletze. Das demütige Meisterlein kann Unglück und Verkennung duldend +hinnehmen, er bleibt gleichmütig gegen die Schläge des Schicksals, sie +nennen ihn darum einen Phlegmatiker; aber wehe, wer vermessen genug +ist, die Seele herunterzuziehen! Ein gerechter edler Stolz flammt +empört auf -- man ahnt nicht, welche Hoheitsgefühle in dem bescheidenen +Mann wohnen; bei aller Demut, er weiß, wer er ist. + +Schwind, der so tief in die Brust des Freundes blickt, hätte es wissen +müssen -- er weiß es wohl und leidet an dem Unrecht, zugleich ist aber +auch der Trotz über ihn gekommen, die Liebe hat ihn geschlagen, und er +vergißt darüber fast den Freund. Jetzt ist das Schmollen an den beiden +-- die Verstimmung ist da, sie dauert fort, weil sich jeder scheut, +das Vorgefallene noch einmal zu berühren und reinen Tisch zu machen. + +Franz ist entschlossen, sein Dasein auf eine gesicherte Basis zu +bringen -- er will sein Recht auf Glück in diesem Leben geltend machen. +Er geht direkt aufs Ziel los. + +Salieri ist in Pension gegangen. Es werden zwei Stellen frei, die eines +Vize-Hofkapellmeisters und die eines Opernkapellmeisters. Franz bewirbt +sich um die eine wie um die andere. Jetzt können ihm die Zeugnisse und +Anerkennungen von Graf Dietrichstein und anderer Machthaber den rechten +Dienst erweisen. Er richtet sein Gesuch direkt an den Kaiser. Was aber +die stärkste Wirkung tun wird, ist der ausdrückliche Nachweis, daß er +bei Hofkapellmeister Antonio Salieri das Komponieren gelernt hat. + +Das Gefühl der Beschämung beschleicht ihn einen Augenblick lang, daß +er, dessen geniale Meisterschaft in der Welt feststeht, sich auf +läppische Schulzeugnisse berufen muß. Aber die Formalität verlangt es. +Hat er es denn wirklich von Salieri gelernt? Er hätte besser sagen +müssen, daß er es vom lieben Gott gelernt hat! Das müßte man wissen! +Wie aber, wenn die Welt der Formalitäten auf Antonio Salieri ein +größeres Gewicht legt als auf den lieben Gott selber? Dann konnte von +Salieris Gnaden jeder Erstbeste, der kräftigere Protektion besaß, den +Vorrang gewinnen .... + +Nun aber, man muß nicht gleich das Schlimmste denken, vom inneren Beruf +aus war Franz der Erste, daran konnte niemand mehr zweifeln, also +hatte man eine schöne und berechtigte Hoffnung. Als wohlbestallter +Hofkapellmeister brauchte man sich nicht mehr zu scheuen -- und +das Glück, das einst auf dem Kalbelwagen märchenhaft in seine Gasse +gefahren kam, konnte man dann ohne Umstände ergreifen und festhalten. +Melusine hieß das Glück, und der Kalbelwagen konnte dann ein richtiger +Brautwagen sein, in dem sie beide zur Kirche fuhren. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a -- -- + +Wie in ganz frühen Tagen jubelt aufs neue eine ganz helle +Hoffnungsfreude auf. + +Es muß was geschehen, auch Schober schreibt es, er meint, der +Enthusiasmus für Franz müßte aufs neue im Publikum belebt werden, und +es wäre gut, wenn es bald geschähe. + +Franz arbeitet ja mit Bienenfleiß. Ein quellender Reichtum von Melodien +entsteigt blühend seiner Brust. Aber es ist schwer, die Begeisterung +der Menge auf ihrer ursprünglichen Höhe fortzuerhalten. Es bedürfte +wieder einer ganz großen Tat -- Schober hat vielleicht recht, wenn +er andeuten will, daß seit Jahren ein Stillstand eingetreten ist, +wenn auch nur scheinbar. Es bedürfte einer ganz großen Tat -- einer +gelungenen Oper etwa, Bauernfeld ist jetzt seine Hoffnung -- oder +vielleicht eines großen Konzerts mit einer neuen Instrumentalsache, +einer Sinfonie -- er trägt sich mit dem Gedanken daran -- ein großes +Konzert, wie es Beethoven veranstaltet -- vielleicht über ein Jahr, +dann wird Franz hervortreten, bedeutender, stärker als je. Der +Lebensplan ist fertig, mit neuer, entschlossener Kraft schreitet Franz +dem Gipfel zu. + +Zunächst also diese Sinfonie -- Landeinsamkeit will er dazu, grüne +Berge, einen Ort, wo man Gutes genossen und einiges Glück erfahren hat. + +Im Mai ist Vogl wieder auf sein Steyrer Landgut gegangen, er denkt an +Kunstreisen in Oberösterreich und Salzburg und kann Franz dabei nicht +entbehren. Dem sind seit seinem Zwist mit Schwind die Wiener Tage leer +und unersprießlich geworden, ein paar Tage will er in Linz bleiben, +ehe er nach Steyr geht, den lieben Spaun will er ans Herz drücken, +einem Freund muß er sich erschließen können, jetzt, wo er in Wien keine +Seelenzuflucht hat -- kurz, eines schönen Morgens ist er zum Schrecken +Schwinds dahin und sitzt alsbald in Linz, wo er sich vor ärgerlicher +Verzweiflung die Haare rauft, denn Spaun ist über alle Berge, ein paar +Tage vorher ist er von Amts wegen nach Lemberg abgereist und wird vor +Jahr und Tag kaum an die Wiederkehr denken können. + +»Aufhängen könnt' ich mich vor Kummer und Verzweiflung,« schreibt er im +drolligen Ärger dem Freund nach Lemberg. »Da sitze ich jetzt in Linz, +schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitze, habe ein Heft neuer +Lieder, und der Freund ist nicht da! Ein Glück, daß der Jägermayer +ein gutes Bier hat und daß auf dem Pöstlingberg ein anständiger Wein +zu haben ist, das gibt neuen Lebensmut ...« Ottenwalt, der Schwager +Spauns, ist entzückt von dem Gast, der ganze Linzer-Kreis schwelgt +in Begeisterung, kein Wölkchen trübt die blauselige Heiterkeit der +Linzer Tage. Dazu noch ein lieber, offenherziger Brief von Schwind -- +das hat gerade noch gefehlt, um das innere Gleichgewicht so halbwegs +wiederherzustellen. + +Er hat es nicht ausgehalten, der Cherubim; das ganze Ärgernis ist ihm +nahe gegangen. Man kann doch eines kleinen Mißverständnisses wegen eine +Freundschaft nicht preisgeben, die mit dem ganzen bisherigen Leben +verknüpft ist. Oder es geht doch gleichzeitig mit ein Stück Seele +darauf. Und das ist schon der halbe Tod. Also frisch von der Leber +weg geredet -- diese verteufelten boshaften Späße, die er nicht habe +unterdrücken können, so sehr sie ihm selber wehe tun. »Da kommen die +anderen und spotten und lauern in Verbindung mit Gedanken herum ... und +wir lassen sie anfangs gewähren, dann tun wir selber mit .... nun ja, +der Mensch ist schon einmal so unüberlegt .... und so verliert sich +Unersetzliches um den Spottpreis ....« + +Er kann die qualvollen Gedanken nicht los werden, er muß durch ein +offenes Bekenntnis seine Seele befreien. Er ist doch gewohnt, solange +er Franz und Schober kennt, sich in allen Dingen verstanden und geliebt +zu sehen. So möge das Böse aus der Welt geschafft sein, indem man sich +ordentlich ausredet. Franz möge ihm hierüber antworten so grob und so +aufrichtig, als er es nur vermag, aber nur nicht dieses Schweigen, das +ihm ans Herz greift. Dann habe er noch von Netty zu sagen, daß sie es +wirklich nicht so arg gemeint habe. Sie bereue schon aufs heftigste +ihre unüberlegte Stichelei, sie sei ganz unglücklich darüber, daß Franz +schlecht über sie denke, sie ist wirklich nicht so, wie sie scheint. + +Es hätte nicht halb so vieler Worte bedurft, um Franz wieder zu +versöhnen, der ja nur darauf wartet, daß der andere ein gutes Wort +gibt. Er ist ja auch gar nicht bös, und was die Netty betrifft -- ach, +diese unvermeidliche Netty! -- so soll sie sich nur keinen Kummer +machen, er denkt ja gar nicht mehr daran, es sei ja ohnedies alles in +schönster Ordnung. Schwind zu verlieren, das ist ihm ganz undenkbar. +Sie gehören nun einmal zusammen für dieses Dasein, und keine Netty +der Welt sei imstande, das Freundschaftsband, das stärker ist als das +dickste Tau, zu durchschneiden. Nun wäre auch das wieder ins richtige +Geleise gebracht -- o Gott, ginge es doch so auch mit anderen Dingen, +die man ungeklärt durchs Leben schleppt und die das Herz so schwer +machen, daß man ins Gras hinuntersinken möchte und vermeint, nicht +mehr aufstehen zu können. Jetzt heißt es wieder: »Grabt mir ein Grab +im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen, kein Kreuzlein schwarz, kein +Blümlein bunt ...« Aber um wieviel schmerzlicher klingt das Lied heute +als in den Herzenständeleien vor so und so vielen Jahren. + +Die schönen Linzer Tage gehen vorüber wie im Traum, in Steyr wendet +sich bereits das Schicksalsblatt. + +»Werde ich hier noch einmal so glücklich sein wie einst?« + +Er weiß nicht wie, eine geheime Anhänglichkeit an Josephine lockt ihn +dabei. Sie ist ja in manchem geziert und unnatürlich, aber sie hat +ein gutes Herz, dafür ist er dankbar wie ein Kind. Er ist zum Manne +gereift, aber eigentlich ist er im Herzen ein Kind geblieben wie +damals, da er noch als Sängerknabe neben den pausbäckigen Engelsköpfen +auf der Empore saß. + +Unterwegs nach Steyr ist er im Stift St. Florian zu Gast und sitzt +in dem gewaltigen Gotteshaus an der Orgel, die ein Wunder an Größe +und Klangfülle ist. Himmlische Musik entströmt seinen Händen. +Selige Erinnerungen quellen auf aus der Sängerknabenzeit, eine +echt Schubertsche Liedweise fließt ein, dann drohende Tremoli und +der eigensinnige Aufschrei aus einer geängstigten Seele, der das +Menschenherz erschüttern muß. + +»Wo er es nur hernimmt, der kleine, unscheinbare Meister?« denken +auch die geistlichen Herren im Stift, dasselbe, was alle schon +gedacht haben. »Der liebe Gott hat's ihn gelehrt!« es gibt kein +schöneres Wort. Aber auch kein tieferes. Für die Welt ist er ein +Gebender -- in der Stunde der Schöpfung ist er ein Empfangender, ein +von Gott Empfangender. Ein Kind ist er geblieben mit seinem naiven +Wunderglauben, aber auch mit seinen Fieberträumen, ein Kind in der Hand +Gottes. Gerade dieses Kindsein befähigt ihn zum Aussprechen dieses +Tiefsten, er stammelt es wie ein Gebet. Es ist nicht mit dem Verstand +gemacht, es ist mit dem Herzen gemacht, und darum ist soviel Herzblut +darin und soviel aufseufzende kindliche Glückseligkeit, und zugleich +sind so viele Tränen darin, die nach innen geweinten .... + +Vogl sagt immer, daß er nicht mit Bewußtsein schaffe, und daß ihm +das Geschaffene oft selbst nicht verständlich sei. Aber die in Linz, +Ottenwalt und der ganze Kreis um ihn, waren bezaubert von der Tiefe +und Klarheit seines Erkennens. Franz saß unter ihnen wie Jesus im +Tempel. So heiter und jugendlich sorglos war es nicht mehr wie vor +Jahren beim Katzengeschrei, aber es war doch auch ein inniges Fest +der Seelen. Ottenwalt wußte so schön zuzuhören und mußte immer mehr +erstaunen über diesen Geist, dem das Tiefste einfach war wie jede echte +Wahrheit. Er verstand Franz besser: »Wie kann man sagen, daß ihm die +eigene Kunst kaum offenbar und verständlich sei? Der Schlichtheit und +Kindlichkeit seines Gemüts ist mehr offenbar, als wir uns alle in +unserer Schulweisheit träumen lassen. Die Kindlichkeit ist ein Beweis +seines Genies ....« + +Der Ottenwalt verstand es eigentlich besser als Vogl. In Linz hatten +sie begriffen, was Franz war. Sie erlebten ihn wie ein Stück Natur, +wie einen Baum, einen Berg, den Wind. So erlebte ihn auch Schwind, +der ähnlich war, so erlebten ihn Spaun, Schober und Bauernfeld. Darum +liebten sie ihn alle so sehr. + +Franz an der Orgel in St. Florian phantasierte und dachte an die Linzer +Freunde und dachte voraus an das kleine Glück in Steyr, und die Orgel +jubelte und sang dazu. Ein vergangenes Glück noch einmal erleben zu +dürfen, welche Gnade! Seine Seele war geöffnet dem Unendlichen, sie +empfing von Gott und wußte um neue Schätze, die sie zu geben hatte. Sie +war zur Fruchtbarkeit gestimmt und kannte nichts Seligeres, als mit all +ihrem Reichtum zu verströmen. + +Die Sehnsucht trieb ihn weiter, altem Glück entgegen. Er dachte +innig an Josephine, das Weibliche zog ihn an, denn es war auch das +Mütterliche. Er war wieder ganz Kind und seine Seele suchte Zuflucht +bei der Freundin. + +Vor zwei Jahren, als er sich in Not und Krankheit im Hause Vogls +verbarg, da war sie freilich etwas sonderbar gewesen, die gute Freundin. + +»Sie müssen wissen, daß ich ein Tagebuch führe,« hatte sie ihm gesagt, +»man erlebt soviel, auch Sie kommen darin vor ...« + +»Schneegans!« hatte er damals gedacht und war ärgerlich über dieses +Blaustrumpfgetue. Diese Sentimentalität war ihm zuwider, er machte sich +lustig über sie und hatte sie ziemlich schlecht behandelt. + +»Es ist nicht mehr dasselbe wie früher,« sagte sie beim Abschied, +»etwas ist am Tod da drinnen.« Und dann zog sie das Tagebuch hervor und +fügte hinzu: »Meine Liebe ist in diesem Buche begraben.« + +»Wird nicht schad' drum gewesen sein ...« dachte er und drehte sich um. + +Aber alle diese herzlosen Narreteien waren vergessen, er war von +Zärtlichkeit erfüllt, je näher er der Stadt kam. + +»Könnte ich wieder so glücklich sein wie damals ... Es wird nicht so +ernst gewesen sein mit dem Absterbens-Amen der Liebe, sie kann eben +nicht leben ohne Marotte, aber im Grunde ist sie doch eine treue Seele +....« Und er nahm sich vor, recht gut zu sein, er war jetzt dankbar für +das bißchen Herz. + +Man soll dasselbe nicht zweimal erleben, er hat die Enttäuschung schon +in Zelez erfahren und muß nun neuerdings daran glauben. + +Wo war die Josephine geblieben mit ihrer Verliebtheit, ihrer Sucht +nach den kleinen Abenteuern des Herzens, mit dem Kult, den sie um das +Meisterlein trieb? + +Sie hatte den Krämer gegenüber geheiratet, sie war steif und dumm +geworden, keine Spur von der früheren Originalität, es war wirklich +etwas tot in ihrem Herzen .. + +»Mein Mann ist Kaufmann, Kaffee en gros ...« Sie legte Wert auf den +Zusatz »Kaffee en gros«. Und wiederholte bei jeder Gelegenheit: +»Kaufmann, aber ich bitte, Kaffee en gros ....« + +Franz lächelte über diese provinzlerische Großmannssucht: »Kaffee en +gros ...« Es war doch wirklich zu dumm. »Kaffee en gros --« Schade um +sie, oder wenigstens um die hübsche Erinnerung. Aber dieses »Kaffee en +gros« zog alles ins Lächerliche. + +Und Vogl? Ei, der war auch nicht mehr derselbe. Auch er ging auf +Freiersfüßen, der Weltweise, den Alter nicht vor Torheit schützte, und +gedachte seine achtzehnjährige Schülerin zu heiraten. So suchte jeder +ein Stück realen Glückes zu verwirklichen, und er, der Begnadete, mußte +still und arm vorübergehen. + +E -- fis -- g -- h -- ais -- -- + +Dieser eigensinnige Aufschrei der gequälten Seele. + +Das Glück hängt nicht am Ort, wo wir es zu finden wähnen, dachte er, +wir können es nicht suchen außerhalb uns; in der eigenen Seele muß es +zu finden sein, es existiert nirgends sonst auf Erden. + +Und er war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schöpfen. + +Noch einmal zog Vogl aus mit ihm zu Kampf und Sieg. Sich selbst zur +Verherrlichung, Franz war nur der Schleppträger seines Ruhms. In +Gmunden lebten sie, Franz wohnte beim Kaufmann Traweger, der ein +schönes Klavier besaß und ein stiller Verehrer seiner Kunst war. Was in +einer seligen Stunde auf der Orgel zu St. Florian erklungen, als er in +weltentrückten Träumereien auf der Empore gesessen war, das brach mit +neuer, wunderbarer Kraft hervor, indessen der musikfreundliche Herr +Traweger aufhorchend auf dem Kanapee saß, andächtig wie in der Kirche, +und nicht genug staunen konnte über den wundersamen Gast. Und auch er +mochte denken: + +»Wo er es denn her hat?« + +Der am Klavier stammelte, jauchzte und weinte wie ein Kind. Gott hat +es so gewollt. Er hat's ihn gelehrt. Nicht er sang, es sang in ihm, +alle Menschenlust und Erdenpein, das Herzblut strömte darin. Stückweise +entquoll die sinfonische Dichtung der kindlichen Seele und der +meisterlichen Hand. + +So war es in Salzburg, und in den Pausen, wo die Unlust und +Erdenschwere über ihn kam, schrieb er Reisebeschreibungen für seinen +Bruder, ein äußerliches Bild der gesehenen Dinge, uff! daß ihm die +Schwarten krachten. + +Und dann, Gastein, wo er Gast des Bischofs Pyrker war, seines Gönners, +der ihm für die Wandererphantasie einmal eine schöne Handvoll Dukaten +zufließen hat lassen. Das war ein bischöflicher Segen, der dem Leib und +der Seele wohlgetan hat. + +Hier sprang der heiße Quell aus dem Erdinnern, dicht neben dem Eishauch +der Gletscher. + +Und der Quell, der so heiß im Innern glüht, und der kalte Hauch, der +von draußen her weht, die feindlichen Gegensätze des Lebens, sie waren +mit drinnen in dem, was er sang und dichtete. Und die Berge waren +drinnen, die steingrauen Städte, und was er dort erlebte, das verwehte +Glück, die Liebe, der Schmerz. + +Gasteiner Sinfonie, so nannte er die Bruchstücke, sie sollten eine +Stufe sein zu dem Lebensbau. + +Das große Konzert, vielleicht auch die Oper, die ihm Bauernfeld +versprochen, das wohlbestallte Amt eines Vize-Kapellmeisters, das +wären Dinge! Das Kind erwachte in der Seele und baute ein luftiges +Kartenhaus. In Träumen wohnt alles so schön beisammen. Aber es sind +doch alles Dinge, die möglich sind, nicht nur möglich, sondern höchst +wahrscheinlich. Er ist jetzt entschlossen, das Glück mit fester Hand +zu ergreifen. Er braucht es nur bei sich zu suchen, in seinem eigenen +Willen, dann ist das Kartenhaus nicht mehr Kartenhaus, ein festgebautes +Schloß, mit einem schönen kupfernen Dachhelm, mit einer Wetterfahne +darauf, die knarrt und knarrt, der Wind spielt mit ihr auf dem Dach so +laut, daß man es im Schlafen hört, aber der Wind, der Schicksalswind, +spielt nicht mehr drin mit dem Herzen, das ist ruhig und in sicherer +Hand, in seiner Liebsten Hand, die hält das Glück, die hält sein Herz, +er braucht nur zu kommen und sagen: Hier bin ich, das hab' ich, und +jetzt nimm mich, nimm mich, wie ich bin, ein ganzes Kind, und du, meine +Geliebte, du bist mein Gefährte, mein Stab, meine Zuflucht, mein Trost, +mein alles, du, die eine, so bin ich gesegnet mit Weh und Glück, du +treues Frauenbild, du geliebte Melusine, zu der mein Genius aufblickt, +ich lebe durch dich -- für dich -- sei mein! + + + + + IX. + + +Diddel dum, diddel dum, diddel dum -- diddel dei, diddel dei, diddel +dei -- diddel dum, diddel dei! Die Klarinette girrt und gellt vor +Lachen, von der brummbärigen Baßgeige in die Höhe geschwenkt beim Tanz, +ehrbarlich zappelt das Klavizimbel mit, getreulich geführt von dem +behaglichen wohlgesetzten Cello -- diddel dei, diddel dei, hei, hei, +hei, hei -- diddel dum, diddel bum, dum, dum, bum, bum! + +Franz schabt das Cello, dunkeltönig jubeln die Saiten, als wären sie +vom lieben Gott selber gestrichen, Franz spürte es inwendig, bis in +die Gedärme hinein. Er spielt mit einigen Freunden zur Hochzeit auf, +Johanna Lutz und Kupel, der endlich aus klassischem Land Heimgekehrte, +sind nun ein Paar. Diddel dei, diddel dum! + +Das Blondhaar glänzt wie Goldgeschmeide auf dem sinnenden Haupt der +zarten Lutz. Sie sieht heute gar elfenhaft aus neben dem großen, +gebräunten Kupel, der wie ein junger, iliadischer Krieger anzuschauen +ist. Er hat den Arm leicht um die Lutz gelegt: »Vivat Kupel, du hast +den Preis gewonnen!« So denkt Franz, der vom Podium herab die Tafel +überschaut: Ein schönes Paar die zwei -- diddel dum, diddel dum! + +Neben Johanna sitzt Schwind, der ist heute so seltsam, er dreht +Brotkügelchen, spielt mit den Fingern, preßt dann fest die Hände +ineinander, schaut öfters stier in die Luft -- was hat er denn? Er hat +was, Franz bemerkt es von oben, wie fleißig er auch fiedelt. Netty +Hönig sitzt neben ihm unten, die sind beide so einsilbig, Schwind und +die Netty. Da geht was vor. Diddel dum! + +Weiter an der Tafel sitzt groß und stattlich wie eine Märchenfee die +rätselhaft schöne Melusine. Ein magisches Band ist gewoben von ihm zu +ihr, und seine Blicke schweifen immer herunter auf sie. »Ja, ja, weil +unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn --« +diddel dum, diddel dum! Ob sie noch das grüne Lautenband besitzt? Warum +sie es nicht in den Locken trägt -- wie damals? Sie hat ja 's Grün +so gern?! Diddel dum! Sie hat es wohl tief versenkt in die Nähe des +Herzens .... Diddel dum! »Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann +weiß ich, wo die Liebe thront ...« Diddel dei, diddel dei, diddel dum, +dum, bum! + +Ist der Schober aber redselig, spielt wieder den verfluchten Kerl -- +alle Weibsen um ihn herum verzückt wie vor einem Halbgott -- und dieses +verliebte Geschau -- hält er sie alle zum besten oder ist es ihm ernst +damit? Halb Don Juan, halb Don Quichote -- daß er nur wieder da ist! +Diddel dum! Musik und Gedanken geraten dem Franz wie italienischer +Salat durcheinander, während er das Cello schabt. + +Diddel dum! Der Hönig, dieses ausgewässerte Gesicht, gar nicht genugtun +kann er sich mit übertriebener Aufmerksamkeit für Melusine. Will sie +nach einer Pomeranze greifen, schwupp hat er schon den Fruchtaufsatz +in der Hand, die Serviette fällt ihr herunter, wie ein Käsperl ist er +in der Versenkung verschwunden. Sie greift nach der Fingerschale, die +ohnehin ganz bei ihr steht, aber nein, der zudringliche Kerl greift +ihr wieder zuvor, er muß die Schale halten, indessen sie ihre rosigen +Fingerspitzen eintaucht -- und dieser ekelhaft lüsterne Blick von ihm, +hat er nicht etwas Affenartiges? Ja, das ist's, ein kompletter Affe! +Merkt er denn noch immer nicht, daß sie, die Wald- und Quellenfee, ihm +kaum einmal dankend zunickt, Luft ist er für sie, vollständig Luft, o +die Holdselige! + +Jetzt schaut sie wieder herüber, Franz senkt sich tiefer auf das Cello, +es schluchzt und jubelt. Diddel dum, diddel dum, diddel dum! + +In dem Geschrei, Gelächter und Gefiedel schwingt sich eine Stimme +empor, die Ruhe gebietet. Das ist einer von den Freunden Hönigs. Franz +denkt nicht gut von diesen Freunden. »Was soll mir diese Reihe von ganz +gewöhnlichen Studenten und Beamten? Was gehen die mich an? Ist es nicht +der Mohn? Oder ist es der Bruchmann? -- Nein, der Mohn ist es!« Er +bittet um Ruhe. + +Alles schweigt, Musik, Gelächter und Geträtsche, mäuschenstill ist +alles. »Was sagt der Mohn? Hör' ich recht? Lauter, lauter, oder ich +schmeiß' dir meinen Fiedelbogen in das verlogene Maul ...« + +Die Stimme Mohns ist klar und vernehmlich: »... das alles möchte ich +euch zu wissen geben, ihr lieben Freunde, daß neben dem geliebten und +verehrten Hochzeitspaar soeben eine Verlobung stattgefunden hat: +Fräulein Therese Puffer und der liebe Freund Hönig, sie leben hoch! +Dreimal hoch! Musik! Einen Tusch! Ha, faules Musikantenvolk!« Der +Dirigent am Cello rührt sich nicht. + +»Dreimal hoch!« Der ganze Chor brüllt es, die Gläser fahren zusammen, +die Klarinette, die Baßgeige, das Klavizimbel, sie fallen mit ein, +unordentlich, kopflos, es klingt ein klein wenig wie Katzenmusik. Das +Cello rührt sich nicht. Schier die Darmsaiten sind ihm abgerissen, +heftig und schmerzlich, als ob sie Franz im Leib hätte. + +Knarr, knarr! Die Wetterfahne hat sich umgedreht. Knarr, knarr! Als +ob der rostige Stab mitten durch die Brust ginge, das Herz ward dabei +schier entzweigedrückt. »So hätt' er nimmer suchen wollen, im Haus ein +treues Frauenbild! Der Wind spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem +Dach, nur nicht so laut, was fragen sie nach meinen Schmerzen? -- Sie +ist ja eine reiche Braut!« + +Das längst gesungene Lied wacht auf mit allen Schmerzen, jetzt ist es +Begebenheit geworden. + +Er nimmt sein Cello zwischen die Knie und streicht ganz zärtlich und +sacht über die Saiten. Es weint und schluchzt jetzt für ihn, indessen +er den anderen zum Tanz aufspielt, die unten mit heißem Atem Brust an +Brust herumschwenken. Was im Innern vorgeht, man merkt es ihm nicht +an, was kümmert's auch die andern! Er hat sein phlegmatisches Gesicht +aufgesetzt. Nur daß der Kopf einige Zoll tiefer und schwerer über dem +schluchzenden Cello hängt. Diddel dum! + +Melusine, die Nixenkühle, tanzt in des andern Arm. Nicht des Besten +Braut ist sie geworden, sondern des Reichsten! Der hat sie ihm vor der +Nase weggeschnappt. So geht's im Leben. Diddel dum! + +Einer hat sich zu ihm geflüchtet, der Frack ist ihm hinten zerrissen, +wie ein Häufchen Elend hockt er am Podium dicht bei Franz. + +»Was ist mit dir, Schwind? Geh', schau', du bist ja ganz zerrissen!« + +Der hebt ein zuckendes Gesicht zu ihm empor. + +»Zerrissen? Ja, das bin ich. Zerrissen -- inwendig -- ganz in Fetzen +zerrissen!« + +»So, so!« Franz sagt nicht mehr. Er weiß schon, was los ist. Die +Aufregung Schwinds vorhin, der hat einen schwerwiegenden Entschluß +gefaßt -- mein Gott, wo alles liebt .... »und jetzt bist du ....« + +Der Zerknirschte nickt traurig und ergänzt den Gedanken: »-- +abgeblitzt!« + +Fiedelbum! + +»Hab' ich's nicht immer gesagt -- diese Hönigs!« raunt es vom Cello +herab. + +Der unten am Podium hockt, möchte vergehen vor Weh und Ach. Traurige +Hochzeitsgäste, diese zwei, der Musikant und sein Leidensbruder. + +»Du tust, als ob dir nichts geschehen wäre ...« gibt der unten zurück. + +»Sei still, sonst ....« klingt's hinter dem Cello hervor. + +Fiedelbum! + +Nachts am Heimweg gehen die zwei stumm nebeneinander her. + +»Mich leidet es nimmer daheim,« fängt endlich der Cherubim an. »Ich +muß fort, hier kommt man auf keinen grünen Zweig ... Ich gehe mit +meiner Kunst ...« + +»Und das Herz? Kannst du das auch mitnehmen? Das ist verwachsen mit +dieser Luft, aber auch die Kunst ist verwachsen mit diesem Herzen, mit +dieser Luft, mit diesem Boden, mit dieser Stadt, dieser verruchten, +miserablen, in Grund und Boden verwünschten, treulosen, undankbaren, +launenhaften und leider viel zu sehr geliebten ... Eine Buhlin ist sie, +die sich wegwirft an den, der das meiste Geld hat .... man hat zu viel +Herz, daran geht unsereiner zugrunde ...« + +»Herz?!« Der Cherubim tut, als ob das Herz für ihn keinen Sinn hätte. +»Herz? Man hat es in den Staub getreten, zertrampelt, ich fühle nichts +mehr da drin als wie eine namenlose Abscheu ....« + +Der andere seufzt: »Sie ist eine reiche Braut ...« + +»Reden wir nicht mehr darüber, Servus!« + +»Servus!« + +E -- fis -- g -- h -- ais -- -- + +Der Verzweiflungsakkord kommt nicht mehr zur Ruhe. + +Das Leben geht fort, es macht sich von selbst. Franz wundert sich jeden +Morgen, daß immer wieder ein neuer Tag anbricht, trotzdem er oft meint, +es müßte aus sein. Mit seiner Bewerbung um die Kapellmeisterstellen ist +er durchgesaust. Ihm ist es einerlei. Ganz Wurst! Er erzählt es mit +einer Art Galgenhumor den Freunden. + +»Ist doch allen hier so gegangen, die etwas Großes und Ernstes gewollt +haben, warum soll's denn mir anders gehen?! Sie haben den Mozart nicht +wollen, wie man sieht, wollen sie auch den Grillparzer nicht und setzen +ihm einen Dämpfer nach dem anderen auf, daß er sich ganz menschenscheu +verkriecht, und Beethoven -- für den soll im Ausland gesammelt werden, +wie man hört; im Vergleich mit diesen Großen bin ich ja herrlich daran +-- ich dürfte mich ja eigentlich gar nicht beklagen, wenn ich auf die +anderen hinsehe ....« + +»Freunde, auswandern! Ich gehe nach München, dort lebt die Kunst!« + +Bauernfeld haut fürchterlich auf. Er schimpft über diese Zustände wie +ein Rohrspatz. Aber auswandern? »Nein, Freunde --« Er ist durchaus +dagegen. + +»Wohin soll denn der Österreicher auswandern? Gibt es doch keinen +Fleck auf der Erde mehr, der so schön ist als gerade seine Heimat. +Hier wurzelt seine Gefühls- und Denkweise, er muß so singen, reden, +schreiben, malen können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Stimme +des Genius loci will erklingen -- sie redet nirgends so laut als hier. +Die Welt hat ihr Herz entdeckt -- und dieses Herz der Welt ist Wien und +Österreich. Was dieses Herz ist, haben wir der Menschheit zu verkünden, +Schubert, Schwind, Grillparzer und wir alle zusammen. Wo können wir es +besser als hier, wo unsere inneren Quellen springen, wo unsere Kraft +wurzelt? Und von hier sollen wir fortgehen? Das wäre eine Viecherei; +unser Bestes schöpfen wir hier, vergiß das nicht, lieber Bruder +Schwind! Hier sind wir glücklich, obschon wir leiden; und wir leiden, +obschon wir glücklich sind ...« + +Franz horcht aufmerksam zu, er nickt stumm mit dem Kopf, es ist etwas +Wahres daran an dem, was der beredsame Bauernfeld sagt. + +Schober ist auch seiner Meinung, obschon aus einem Grund, der weniger +tief liegt. »Man findet es nirgends besser auf der Welt, meistens weit +schlechter,« läßt er sich vernehmen; »diesen Tabak, diesen Kaffee, +diesen Wein und diese Weiber -- so herrlich wachsen sie nicht einmal in +Sachsen!« + +»Schäker!« + +Aber der Schwind wird ernstlich bös über den liebenswürdig eitlen, +tändelnden Schober. + +»Du hast dir noch nicht ein Stückel Brot selber verdient, also weißt du +einen Schmarrn vom Leben! Ein Kerl, der den ganzen Tag nichts tut als +vor dem Spiegel stehen und Weiberkitteln nachrennen, der hat hier nicht +mitzureden. Um schaffen zu können, muß der Mensch leben, er muß essen, +das Nötige verdienen -- hier kann der Mensch, wenn er sonst nichts hat +als sein Talent, verhungern. Und darum bleibt nichts anderes übrig als +zu gehen.« + +Mayrhofer, der Lodernde, am inneren Feuer Verglühende, hat Anfälle von +Reue; in solchen lichten Augenblicken kommt er aus seiner freiwilligen +Verbannung und Einsamkeit hervor, sitzt in dem geselligen Kreis der +Jungen, um dann wieder um so menschenscheuer und grollender in seine +mönchische Weltflucht zurückzukehren. + +Was da geredet wurde, ist Wasser auf seine Mühle. Er hat das Zeug +zum Freiheitsapostel und Demokraten und hält jetzt eine wilde Rede +gegen Bevormundung, Unterdrückung und Polizeigewalt. »Denkfreiheit, +Redefreiheit, Aktionsfreiheit,« das sind seine Schlagworte. + +Das wäre alles sehr schön, meint Bauernfeld, wenn es nicht bloß die +Faust in der Tasche wäre. Wie es denn käme, daß Mayrhofer trotzdem als +Zensurbeamter weiter helfe, den Geist der Freiheit zu knebeln anstatt +zu befreien -- eine Einwendung, die den zwiespältigen Mayrhofer wieder +gehörig verschnupft. + +»Daß die lieben Zeitgenossen doch immer nur dazu da sind, sich dem +Bedeutenden hemmend in den Weg zu stellen!« eifert Bauernfeld. »Drum, +Freund, müssen wir dableiben und gegen diese erbärmliche Welt so +lange protestieren, bis sie sich zu schämen anfängt, daß sie es so +ausgezeichneten Kerlen, wie wir sind, so sauer hat werden lassen.« + +Die Stimmung wird immer lauter und gemütlicher; die Seelenverfassung +der Freunde ist dem Gedeihen des Galgenhumors recht günstig. Äußerlich +geht es oft bei unbändiger Lustigkeit her; aber das ist äußerlich. Wie +es bei Franz innerlich aussieht, das weiß keiner so recht; allerdings, +die Lieder sind Verräter. Seine »Winterreise« erscheint, die Freunde +schütteln den Kopf, zunächst mehr befremdet als ergriffen. + +»Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu sehn, und ich +bleibe vor den Bäumen oftmals in Gedanken stehn; schaue nach dem einen +Blatte, hänge meine Hoffnung dran; spielt der Wind mit meinem Blatte, +zittr' ich, was ich zittern kann. Ach, und fällt das Blatt zu Boden, +fällt mit ihm die Hoffnung ab. Fall' ich selber mit zu Boden, wein' -- +wein' auf meiner Hoffnung Grab, wein' -- wein' auf meiner Hoffnung Grab +...« + +Mit heimlichem Grauen starrten die Freunde in dieses Tal der Tränen. +Düstere Nachtgemälde rollten sich in den Liedern auf, der Schmerz +wühlte darin, und das Licht der Hoffnung schien erloschen. + +»Gar so melancholisch ...«, meinte der eine wie der andere. »Mehr +Heiterkeit, mehr Lebensfreude -- Kopf in die Höhe, Franz!« + +Sie haben leicht reden, diese anderen; aber die Melancholie kommt eben +daher, daß die Seele den grausamen Nüchternheiten des Lebens allzusehr +unbewehrt und verwundbar gegenübersteht; sie leidet, aber dieses Leiden +ist zugleich der Zoll, den sie bezahlen muß dafür, daß ihr gegeben ist, +soviel auszusagen. So wendet sich alles Leid wieder zum Segen, es wird +ein neuer Schatz für die Menschheit -- das Herz, das die Welt hier +entdeckt hat in der Wiener Heimat, in diesen Liedern zuckt und blutet +es. + +»Wißt ihr denn auch, wie die Ausgabe der Liederserie ›Winterreise‹ +zustande gekommen ist? Fragt den Freund Lachner!« + +Lachner ist aus München nach Wien gekommen, ein junger Musiker, der +als Feldherrnstab den Dirigentenstock im Tornister trägt. Einstweilen +muß der Feldherr des Orchesters buchstäblich das Kalbfell schlagen, er +ist aushilfsweise Paukenschläger in der Oper, und das ist auch keine +Kleinigkeit. Aber seine Sehnsucht ist zurück auf die Münchener Heimat +gerichtet, er wartet nur auf den günstigen Wind, um mit vollen Segeln +zurückzusteuern geradewegs zum Dirigentenpult als Ziel. Daß er Schwind +mitnimmt, das scheint schon ziemlich abgemacht. Auch Schubert hat er +sich dick angefreundet, sie stecken immer beisammen. + +Franz ist wie gewöhnlich in Geldnot und will rasch etwas verklopfen. +Eine Liederserie liegt bereit, Lachner soll sie zum Verleger Haßlinger +tragen und trachten, soviel als möglich herauszuschinden. Von +Geschäftssachen versteht er auch soviel wie der Esel vom Zitherspiel, +allerdings hat er den guten Willen. Er soll keineswegs ohne Geld +kommen, verkitscht muß werden um jeden Preis -- also gut. + +Mit den Noten unterm Arm macht sich Lachner auf den Weg. Was er da +trägt, ist ein Vermögen -- in Geld umgesetzt, es kann ein hübsches +Sümmchen geben. Siegesbewußt ist er ausgegangen -- gedeftet kommt er +heim; der Erlös, den er Schubert auf den Tisch legt, beträgt bare -- +sechs Gulden. + +»Ist das alles?« fragt Schubert. »Für alle Lieder?!« + +Kleinlaut erwiderte Lachner: »Schmählich, nicht wahr? Das hab' ich +schlecht gemacht -- ich hätte die Noten nicht dort lassen sollen -- +weißt du was, ich trag's Geld wieder zurück!« + +Kaltblütig steckt Franz das Geld ein. »Zurückgeben?! Was fang' ich denn +an? Der Verleger ist zwar schäbig -- aber was dich betrifft, du hast es +ausgezeichnet gemacht!« + +Sechs Gulden -- das ist in Anbetracht des hingegebenen Wertes ein +Bettelpfennig. Damit macht man keine weiten Sprünge. Und was dann? +Morgen, übermorgen, nächste Woche? Man läßt den lieben Gott sorgen +dafür. Der schafft Rat. Summt dem Franz schon wieder ein Lied im Kopf +-- wirklich, der liebe Gott schafft Rat, alle Tag' und alle Stund'. + +»Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern +dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her, und +sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Und er läßt es gehen, +alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still. +Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern +deine Leier drehen?« + +Die »Winterreise« setzt sich fort, dafür ist gesorgt. Er und der +Leiermann -- die sind schier eins. + +»Ist's euch zu melancholisch, Freunde?!« Wollen sie es nicht begreifen, +daß seine Schöpfungen nicht nur aus seinem musikalischen Gefühl +entspringen, sondern daß sie auch aus seinen Schmerzen entstanden sind +und darin am tiefsten greifen? Sie möchten ihn lustig sehen. + +»Nun denn, bin ich nicht auch lustig unter euch?« + +Ja, das ist er, fröhlich unter den Fröhlichen. Bauernfeld sagt's ja +immer: »Franz, der hat die rechte Mischung von Idealem und Realem -- +die Erde ist ihm schön ....« + +Das Rechte aber weiß eigentlich keiner. + +Für die Aufheiterung ist in der Tat auch reichlich gesorgt. Es scheint, +daß ein stillschweigender Pakt unter den Freunden besteht. Im Gasthaus +zum »grünen Anker« sind sie fast täglich abends zu fröhlicher Runde +vereinigt. Spaun ist nach Wien übersiedelt und führt ein großes Haus. +Glänzende Schubertiaden finden hier statt, aber nachher geht's immer +noch zum »grünen Anker«; die Stimme des Herzens klingt immer erst +voll aus, wenn man so gemütlich und zwanglos beieinander sitzt. Man +kann sich schwer trennen in solchen befeuerten Stunden, wo der Wein +die Zungen löst, und so sitzt man hübsch lange beieinander, das ist +begreiflich. Vor Mitternacht denkt keiner ans Heimgehen, meistens wird +es geraume Zeit nach Mitternacht. + +»Wirtshaus, wir schämen uns -- hat uns ergötzt; Faulheit, wir grämen +uns -- hat uns geletzt!« so jubiliert Bauernfeld. + +Zugleich aber schwärmt man fleißig aus ins Grüne, wenn es die +Jahreszeit und der Geldbeutel erlauben; Fahrten nach Atzenbrugg +werden unternommen, in größerer Gesellschaft oder zuweilen +auch im engsten Vereine, Franz, Schwind und Bauernfeld, die in +innigster Schicksalsverwandtschaft zueinander stehen und darum ein +unzertrennliches Kleeblatt bilden. Der bischöfliche Schloßherr auf +Ochsenburg würde das Kleeblatt allzu liederlich finden, man begnügt +sich mit der Unterkunft bei der Aumüllerin in Atzenbrugg und nimmt +aus Sparsamkeit nur ein Zimmer, sie müssen zu dritt in einem breiten +Ehebett schlafen. + +Diese äußerlich dürftigen Umstände kitzeln wieder die humoristische +Ader, und die Lustigkeit wächst; die Atzenbrugger Tage sind immer eine +Festzeit. Man lacht und ist guter Dinge, aber die Seele weint; es +ist zwar keine Wetterfahne auf dem Dach, aber man spürt das Knarren +inwendig, und die alten Wunden bluten. »Was fragen sie nach meinen +Schmerzen?« + +Dem Schwind ergeht es ähnlich. Doch einer verbirgt den Schmerz vor dem +anderen, jeder tut auf seine Weise rauh und unverwundbar. Sind beide +im Herzen große Kinder. + +Den einen wie den anderen überkommt gelegentlich das Verlangen, aus +der inneren Einsamkeit vollends hervorzugehen, die Seelenkammern weit +aufzuschließen und sie dem Auge der Freundschaft und der Liebe zu +zeigen. Jeder macht immer wieder einmal einen Anlauf dazu und redet so +um die Dinge herum. + +Franz, zuweilen philosophisch aufgelegt, macht einen Vorstoß. »Keiner, +der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern +versteht! Man glaubt zueinander zu gehen, und man geht immer nur +nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt!« + +Schwind versteht, was er sagen will, er leidet unter derselben Qual. +Sie machen beide die Erfahrung, daß die Einsamkeit der innere Schutz +der Seele, zugleich aber auch der Kerker dieser Seele ist. Sie rütteln +beide an den verschlossenen Türen und reiben sich wund an den ehernen +Mauern. Ihr Tiefstes und Bestes möchten sie voreinander aussagen und +können es nicht. + +»Wir alle gleichen Gefangenen in unterirdischen Burgverließen,« +erklärt sich Schwind, »jeder ist verurteilt, mit einem bestimmten Teil +seines Wesens allein zu sein in der Kammer seiner Einsamkeit, und wir +können uns höchstens durch ein sinnreiches Klopfsystem untereinander +verständigen. Die Poesie und Kunst sind in den Verließen der Einsamkeit +geboren, sie sind das Klopfsystem, die Gleichnisse, durch die wir +einander erraten können ...« + +Wie groß auch die Hingabe der Freundschaft ist, wie rein auch das +Herz ist von Trug, wie unverbrüchlich auch die Treue ist und die +Aufrichtigkeit, sie kommen oft über das Nächste und Einfachste +nicht hinaus. In dieser Not suchen sie die Sterne, suchen sie Gott, +der sie ihre Kunst gelehrt, suchen sie das Schweigen, denn in dem +Schweigen erraten sich die getrennten und doch so verwandten Seelen +am leichtesten. Es ist der tiefste Punkt des Verstehens -- eine +Gemeinsamkeit von Einsamkeit. + +In dieser Kunst des beredten Schweigens sind beide Meister. Sie können +stundenlang im Grünen sitzen beim Wein und den schweigenden Gedanken +zuhören, die durchs Gemüt sinken. Höchstens daß der eine oder andere +einmal seufzend unterbricht: »Ja, ja!« oder daß es dem einen oder +anderen zu dumm wird und daß er ungeduldig auffährt: »So, jetzt aber +schweigen wir von was anderem!« + +Nicht weniger eifrig als früher lenkt Franz seine Wanderschritte hinaus +nach Heiligenstadt oder Grinzing, wo der liebe Gott mit dem Finger +winkt, das heimliche große Licht ist draußen verborgen, Ludwig van +Beethoven, um so lieber wandelt man die Wege nach diesem klassischen +Wiener Boden. + +Sitzt Schwind am Zeichentisch und mag sich nicht trennen von seinen +Gesichten, die er mit dem Stift verewigt, dann weiß Franz eine +Zauberformel: »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau ...« Dieser +Lockung kann Schwind nicht widerstehen. Ein paar Stunden Ätherblau +im Grünen ist reicher an künstlerischer Eingebung als viele Tage am +Zeichentisch. Also auf und hinaus! Aber sie bleiben nicht allein, der +Schober ist mit von der Partie, der Bauernfeld, zuweilen der Spaun oder +an seiner Stelle der Lachner. Bald sind sie ihrer fünf und freuen sich +im Grünen. + +Ein gottseliges Leben ist in den Heiligenstädter, Grinzinger oder +Sieveringer Hausgärten, wo der Heurige ausgeschenkt wird. Unter ein +paar Bäumen sind rohgezimmerte Bänke und Tische in die Erde gerammt, +hier sieht die Welt friedvoll und heiter aus. Der Salamucci geht um mit +ungarischer Salami, mit echter Veroneser und Mortadella, mit Emmentaler +Käs' und Butter, und wer nicht sein Geselchtes im Papierl mitgebracht +hat -- es gibt auch Schlemmer, die nicht ohne Brathendel in der +Rocktasche auf den Plan treten --, der kann sich für billiges Geld vom +Salamucci Wurst und Käse aufschneiden lassen. Es langt fürs leibliche +Wohlsein und paßt gut zum Wein. Unaufhörlich kräht der Brotschani +mit hellem Sopran: »Schani Brot! Schani Brot!« Es geht zu wie im +Himmelreich, alle Mühsal und Pein ist von der Seele genommen. + +Franz hebt das Glas, der rauschselige, trostbringende, grüngoldene Wein +ist der Hüter seiner Muse, die Vergangenheit wird lebendig, der Traum +von Glück verklärt das Herz. + +Man ist Gottes voll. Und was tut man, wenn man Gottes voll ist? Man +hebt zu singen an, als säße man auf einer lichten Wolkenbank, so ein +rechter Himmelsmusikant, und schaut gemütlich auf diese bucklige Welt +herab. So gesehen, schaut sie recht schön aus, man könnte schier seine +Freude daran haben. Da ist die Stadt, hier der liebe Wienerwald und +dann über Berg und Tal noch manches andere, wohlbekannte Städtlein, +und wachsen viele schöne Mädchennamen da und dort. Man hat sie alle +gekannt, sie sind dem Herzen nahe, eine wie die andere, und jetzt, +wo man tief ins Weinglas hineinschaut, sieht man manch holdes Bild +aufsteigen. + +So sitzen die fünf im Grünen, sie sind augenblicklich ein gar +fröhliches Quintett und singen aus Leibeskräften, als säßen sie neben +geflügelten Engelsköpfen hoch oben auf einem Kirchenchor. Und ist es +auch nichts Heiliges, was sie singen, so ist es darum just auch nichts +Schlechtes, denn was sie singen, das sind diese süßen Mädchennamen, +die dem Herzen, ach! allzu nahe stehen. Fanny, Therese, Anna, Rosa, +Karoline, Josephine, Netty, Melusine! + +Am besten von allen singt Franz, der arme Schulmeisterssohn; darum +lieben sie ihn auch alle so sehr, die Freunde, die mit ihm zechen, +der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der +schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein, der +all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein +Herzeleid in Gold verwandelt. Die süßen Mädchennamen fließen in dem +Gesang der Liebe zusammen in eins, es ist die unsterbliche Geliebte, +die er besingt, die bald so und so hieß und eigentlich aber nur einen +Namen hatte. Es ist die Heimatstadt Wien selbst, die er in Melusine, in +Fanny, in Karoline, in Rosa, in Josephine, in Therese so unglücklich +liebte, diese unsterbliche Geliebte, die ihm die tiefen Herzenswunden +geschlagen, und die ihn mit Schmerz gesegnet, auf daß er seine Freude +singen möge. + +Die süßen Namen der Liebe, das Herz der Menschheit, die +schmerzverklärte Freude, dies alles und noch viel mehr ist in Franz +Schuberts Lebenslied. + +Die Welt des Haders und der Zwietracht horcht auf, die fünf singen im +Grünen wie die Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen -- der +finster blickende Herr Ludwig van Beethoven, der große Tragiker, der +sich in den bäuerlichen Weinbergshäusern versteckt und in seiner großen +Menschheitssinfonie das Lied der Freude singt, der hätte ein Vergnügen +an dem Quintett gehabt. + +Die Seele hat soviel Kraft und Gesundheit, um auch in diesen trüben +Zeiten Augenblicke zu finden, wo der Himmel offen steht. + +G -- d -- g -- fis -- g -- a -- -- -- + +Aber der schwer erkaufte Frieden hält nicht lange. + +Der Himmel über ihm ist wolkenlos, doch am Horizont lauert schon neues +Unheil. Es bricht immer dann am stärksten hervor, wenn er glaubt, +daß alles überwunden sei. In steilen Linien auf und ab bewegt sich +die Schicksalskurve, heute hoch oben, morgen tief unten. Sonnige +Werke entstehen neben den Ausbrüchen tiefster Verzweiflung und +Seelenqual. Das heitere Es-Dur-Trio neben dem grausigen Nachtstück der +»Winterreise«. + +»Fröhlich, Freunde, fröhlich! Sagt ihr, es wohne nicht die Fröhlichkeit +unter meinem Dach?! Spitzt jetzt gefälligst eure Ohren, dann werdet ihr +sie vernehmen!« + +Die Freunde rasen vor Entzücken über das Es-Dur-Trio. + +»So gefällst uns! Ein echter Schubert! Erfüllt das Herz mit heiterem +Glück bis in alle Winkel! Scheucht alles Dunkle auf, jagt alle +Nachtgespenster von dannen .... erquickt die Seele mit neuem +Lebensmut, reißt den Himmel auf über ihr, daß sie hineinschaue in +wogendes Weiß und Blau und Ströme von Glückseligkeit niederstürzen +fühlt aus leuchtenden Höhen ...« + +Das ist schon wahr, was die Freunde in ihrer überschäumenden +Begeisterung sagen. + +»Aber diese schauerlichen Lieder der ›Winterreise‹, die wollen mir noch +nicht ein ...« meint Spaun. + +Sie vermögen es alle nicht zu erkennen, daß in diesen »schauerlichen +Liedern« Franz am meisten er selbst ist. Seine tiefsten persönlichen +Ahnungen sprechen sich darin aus, in die dunkelsten Abgründe seiner +Seele lassen die Lieder hineinblicken. Ihre ergreifende Größe und +Schmerzensgewalt läßt sie dem Buch Hiob vergleichbar erscheinen. Ein +solcher Leidensmann ist der nun Dreißigjährige, der sich zugleich zu +dieser kindlich jubelnden Höhe seines Trios aufzuschwingen versteht. + +In diesen jähen Gefühlslinien bewegt sich sein Lebenslied: eine heitere +Liedweise als Grundton, dann ein jähes Abbrechen, ein qualvoller +Aufschrei der gemarterten Seele: e -- fis -- g -- h -- ais ..... + +Es fehlt nicht an Anlässen, die tief in sein empfindliches Seelenleben +hineingreifen und diesen erschreckenden Umschlag bewirken. Er hat +die verhängnisvolle Gabe, den Anstoß wie eine rollende Kugel in der +gleichen Richtung weiterzutreiben, bis alle Seelentiefen aufgepeitscht +sind .... In dieser Widerstandslosigkeit seiner Seele gegen die Schläge +des Schicksals ist er Empfangender; er gleicht den Stoß in seinem +Innern aus, indem er sich durch sein Schaffen befreit, insofern ist er +ein Gebender. Was er dafür hingibt, ist ein Stück Leben. Der Erlös +dafür? Dieser Schandlohn von sechs Gulden, wenn es nur der einzige Fall +wäre! Ein Werkelmann verdient mehr! + +Aber das ist es nicht, was ihn um und um stürzt. Das Leben ist auch +sonst gespickt mit tragischen Ansätzen, die die Neigung haben, +auszuwachsen und die Seele zu erschüttern. + +Daß Jenger aus Graz nach Wien zurückgekehrt, das wäre ja ein freudiger +Anlaß. Aber was alles drum und dran hängt! Sein erster Weg ist in das +Frühwirtsche Haus auf der Wieden nächst der Karlskirche, wo Franz noch +immer wohnt. In Schwindien also. In aller Frühe kommt er angestiefelt, +Franz liegt noch im Bett. Die gestrige Nachtschwärmerei -- es ist +wieder hoch hergegangen im »grünen Anker« -- vielleicht geniert er sich +auch ein bißchen: »Du mußt wissen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe +-- es wird nimmer so recht mit der Gesundheit -- Leib und Seele wollen +nicht mehr zusammenhalten -- außer bei einem Glas Wein, da hat man ja +einen so täuschenden Schein von Kraft und Courage, aber sonst -- man +gibt zuviel her bei der Arbeit ...« Ist ja auch was Wahres dran. + +Franz läßt sich das Schalerl Kaffee mit den zwei Kipferln, die die +Quartiergeberin bringt, schmecken, indessen Jenger bei ihm am Bettrand +sitzt und erzählt und erzählt. Alle Grazer Neuigkeiten schüttet er aus, +einen ganzen Sack voll. + +»Also du mußt nach Graz kommen! Du hast Freunde dort, nicht zum sagen! +Das Ehepaar Pachler ist geradezu vernarrt in deine Musik, na, wie +überhaupt alle. Sind recht liebe Leute, die Pachlers. Wohnen großartig +im Hallerschlössel ganz nahe bei der Stadt, das ist was für dich. +Grazer Patrizier, mußt du wissen, du sollst ein paar Wochen bei ihnen +wohnen, sie laden dich ein, ich möchte ihnen nur gleich schreiben, daß +du wirklich kommst ....« + +Vom Hundertsten kommt er ins Tausendste, auf einmal sieht er auf die +Uhr und springt auf. + +Warum er es denn so eilig hat? Er möchte noch vormittags hinaus in die +Schwarzspanierstraße -- Apropos, es ist wahrscheinlich, daß auch der +Anselm Hüttenbrenner her muß. »Gebe Gott, daß es nicht so schlimm wird.« + +»Was ist denn los? Schwarzspanierstraße? In die Beethovensche Gegend?« + +»Ja, weißt du denn nicht --? Man fürchtet, es geht zu Ende mit ihm .... +seit acht Tagen ringt er mit dem Tod. Schindler, sein Vertrauter, hat's +geschrieben.« + +Mit einem Satz ist Franz aus dem Bett. + +»Beethoven am Sterben? O Gott!« Das große Licht, zu dem er anbetend +aufblickt, am Erlöschen? + +Jenger ist schon bei der Türe hinaus. + +Hastig kleidet sich Franz an. Die Gefühle wirbeln durcheinander. Er +kann keinen klaren Gedanken fassen. Der Tag vergeht, heute kann er +keine Note schreiben. Er versucht dies und das und legt es wieder +hin. So voll Unruhe ist er. Er fühlt es ganz genau: es kommt etwas +daher, das ihn trifft wie einen persönlichen Verlust. Wie hat er sich +hingesehnt nach dem Gewaltigen, der ihm wie ein Wegweiser erscheint +nach den höchsten Zielen ... Aber er hat es nicht gewagt, er hat Angst +vor dem ganz Großen, seine Erfahrungen mit Goethe haben ihn ganz +eingeschüchtert. Wie oft hat er dem Olympier nach Weimar geschrieben, +er hat ihm Stöße von Liedern geschickt -- mit keiner Zeile hat er +geantwortet, Franz existiert für ihn nicht, die Hekatombe hat nicht +Gnade gefunden in den Augen des Göttlichen. + +Aber das war noch zu ertragen. Beethoven steht ihm näher als Vorbild +auf seinem ureigensten Felde. Er fürchtet, es könnte ihm mit dem +Schöpfer der »Eroika« und der unsterblichen »Neunten« ähnlich ergehen. +Es wäre ein Verdammungsurteil für das zaghafte Meisterlein -- nein, er +versucht's lieber nicht .... + +Und jetzt krampft sich ihm das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß er +etwas versäumt hatte und daß es etwa zu spät sein könnte .... Da lebt +man in derselben Stadt, begegnet einander zuweilen in den Straßen oder +in den einsamen Feldwegen, weiß sich im Geist so nahe und kehrt lieber +um auf halbem Wege aus begreiflicher Scheu ..... und erfährt erst durch +Leute, die von fern kommen, daß der Tod an sein Haus pocht. So groß ist +die Einsamkeit um den Titanen, daß keiner den Weg zu ihm findet, bis +auf einen .... es greift Franz kalt an die Brust: auch seine Einsamkeit +wird keiner durchdringen, bis auf einen ..... + +»Wann ist es denn gewesen, daß ich Beethoven zuletzt gesehen habe?« +Franz denkt nach. »Bei seinem letzten großen Konzert war es, wo er +selbst die ›Neunte‹ dirigierte, diese Sinfonie der Menschheit ....« + +Ganz richtig, es ist das letztemal gewesen, da man Beethoven am +Dirigentenpult gesehen hat. Er ist damals schon entrückt gewesen, +menschenentrückt durch seine Taubheit und Unnahbarkeit, weltentrückt +durch seinen Genius .... Das waren keine irdischen Klänge mehr, deren +Glanz er vor den Hörern ausbreitet, die kamen aus höheren Welten, über +den Schrei der verzweifelten Menschheit rauschten die Stimmen der +Seligen auf. Er hörte sie nicht mit dem leiblichen Ohr, aber mit dem +geistigen vernimmt er sie um so gewisser. + +Der letzte Ton verklingt, die Zuschauer wagen es nicht, sich zu +rühren vor Andacht und Ehrfurcht, der Meister steht noch oben mit dem +Taktstock, blickt starr auf das Pult vor sich hin und dirigiert weiter +aus dem Gedächtnis. Die geschriebene Sinfonie ist zu Ende, der letzte +Ton verhallt, ein Musiker nach dem andern verläßt still das Podium, +nur der Tragiker steht noch oben und gibt den Takt. Seine Taubheit ist +so groß, daß er sein eigenes Werk nicht mit dem leiblichen Ohr gehört +hat, aber die Hellhörigkeit seiner Seele ist so unendlich, daß er +den Weltgesang weiter hört und fort und fort den Takt dazu gibt. Die +Sinfonie ist nicht zu Ende für ihn ..... + +Die Leute sitzen unten und wagen es nicht, sich zu rühren, sie sind +erschüttert von dem tragischen Anblick, viele weinen vor Rührung. Da +wagt es einer der Musiker, der hinter ihm in den Saal geschlichen ist, +den Lauschenden, von ewigen Harmonien Umfluteten leise am Rock zu +zupfen. Beethoven wendet sich um, wie aus allen Himmeln gestürzt, mit +einem Blick des Entsetzens schaut er sich um und flieht. + +Der Vorgang schneidet ins Herz, diesen entsetzten Blick vergißt +keiner, der ihn gesehen. Franz sieht alles klar wieder vor Augen. Die +bloße Erinnerung ergreift ihn mit der gleichen Heftigkeit wie jener +Augenblick. War es nicht so, daß der Geist des großen Meisters damals +schon entrückt war über die Menschen hinweg in lichte Seligkeiten und +dem himmlischen Wegweiser in seiner Einsamkeit folgte eine Straße +entlang, »die noch keiner ging zurück«? + +Das Zerren an dem Rock riß ihn zurück in die Wirklichkeit, vor der sich +sein Blick entsetzte. Er floh, er vergrub sich vor den Menschen, und +jetzt rüstete seine Seele zum letzten Male zur großen Heimreise. »Wird +ihn noch einer zurückrufen können, soll er gehen, ohne daß ich ihn +gegrüßt und ihm gedankt habe?« + +Einige Tage verstrichen. Das große Sterben drüben in der +Schwarzspanierstraße machte endlich von sich reden. Die Trauer breitete +ihren Flor aus. Das Herz der Stadt zitterte, man hörte den Tod, wie er +durch die Gassen ging. + +Jenger ließ sich nicht blicken. Endlich, endlich kam er zurück. Anselm +mit ihm. Schwarze Röcke, Zylinder, Flöre an dem Arm. Ihre Mienen +verkündeten schon von weitem: Beethoven tot! + +In der Tiefe wühlte und bohrte der Schmerzensquell, aber er brach nicht +hervor unter dem Schutt und Geröll. Das Phlegma, sagen die Leute. + +Mit diesem anscheinenden Phlegma ging Franz in der Mitte zwischen +Jenger und Anselm Hüttenbrenner. + +»Wenn schon nicht im Leben, so will ich im Tod bei ihm gewesen sein!« +sagte Franz mitten unter dem Schweigen. + +Sie gingen hinüber ins Trauerhaus. + +»Schindler erzählt, daß oft von dir die Rede war bei Beethoven!« weiß +Jenger. »Er hat viel Gutes von dir gesagt, es war ihm aber aufgefallen, +daß du dich immer versteckst ... ›Der kommt nach mir,‹ soll der Meister +einmal gesagt haben.« + +Franz ging stumm zwischen den beiden, das Herz schlug ihm gewaltig, +je näher sie dem Schwarzspanierhause kamen. Beim Tor wurde ihm ganz +schwach, er mußte ein wenig verschnaufen. Keine Macht hätte ihn die +Stiege hinaufgebracht, wenn er allein gewesen wäre. Diese zwei nahmen +ihn unterm Arm und stiegen hinauf. Im Vorzimmer oben empfing sie ein +grauhaariger Mensch, der nur flüsterte und den dreien durch Zeichen mit +der Hand bedeutete, einzutreten. Sie durchschritten ein Zimmer; der +Flügel stand darin, Stöße von Noten lagen darauf und am Boden umher, +eine schreckliche Verwahrlosung und Verödung grinste aus allen Winkeln, +Leichengeruch schlug ihnen entgegen ... + +Im nächsten Zimmer lag der große Tote. Franz starrte in das zerklüftete +Antlitz, in diese Züge, die nach innen gewendet waren und entrückt von +dem Hinaushorchen und Lauschen unendlicher Harmonien .... jetzt war +es ein zertrümmertes Steingebirge mit den gewaltsamen Spuren eines +beendeten Götterkampfes. Einer schreckensvollen Ruine glich dieser +irdische Rest, nachdem der Geist entflohen war. + +Es war zu qualvoll, in diese Walstatt zu sehen, Franz riß sich los und +stürmte fort. Am nächsten Tag ging er im Trauerzug als Kerzenträger. An +dem Zyklopentor des Währinger Friedhofs hielt Anschütz eine gewaltige +Rede von Grillparzer, der Sarg schwankte wie ein schwarzes Schiff in +diesen Hafen, Franz hatte zuweilen das Gefühl, als ging' es mit ihm +selber zu Grab. Gottes Finger rührte an sein Herz, aus der dunkelsten +Tiefe der Seele antwortete eine Stimme diesem Pochen, und was sie +antwortete, sollte später im Hiobsbuch seiner »Winterreise« stehen: + +»Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht. Allhier will ich +einkehren, hab' ich bei mir gedacht. Ihr grünen Totenkränze könnt +wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus +ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt, bin matt zum +Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt. O unbarmherzige Schenke, +doch weisest du mich ab? Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer +Wanderstab, nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!« + +Besonders in diesem letzten Wirtshaus winkt Gottes Finger fast wie beim +Heurigen. + +Zwei Freunde begleiten Franz am Heimweg. Unterwegs kehren sie noch ein +und sitzen in der Weinstube auf der »Mehlgrube«. Franz ist ganz in sich +gekehrt. Er schenkt das erste Glas voll, erhebt es und leert es in +einem Zug auf das Andenken des Heroen, den sie eben zu Grabe geleitet +haben. Er schenkt ein zweites Glas ein, er sieht die beiden anderen +ernst an und sagt: »Und jetzt trink' ich das zweite Glas auf den, der +ihm von uns als Erster nachfolgt ....« + +Damit hat's noch seine guten Wege. So viele Wirtshäuser man schon +gesehen und darin zur kühlen Rast geweilt hat, man wird noch durch +manches Wirtshäuslein kommen, ehe man zu dem letzten anlangt. Und der +sich matt zum Niedersinken fühlt und tödlich schwer verletzt, der muß +sich nun schon weiter helfen, weiter, nur weiter, an seinem treuen +Wanderstab. + +Unter den vielen Wirtshäuslein, die Franz auf seiner Lebensfahrt als +erquickliche Stationen befunden hat, gilt das »Blumenstöckel« im +Ballgassel als keines der schlechtesten. Es ist ein gemütliches Beisel, +wie er es gern hat, mit einem Glassalon nach der Hofseite, wo ein paar +Bäume stehen. In dem weißen Glassalon ist es gut zu sitzen in den +linden Sommernächten, wenn der herbe Geruch des Götterbaumes durch die +geöffneten Fensterflügel hereinstreicht. + +Anna Milder ist wieder zum Gastspiel in Wien, ihre Augen, ihr Lächeln, +ihre Stimme riegelt alle bittersüßen Erinnerungen auf, ganz traumselig +geht Franz mit Spaun und Mayrhofer, dem wieder einmal Umgänglichen, +nach dem Opernabend ins »Blumenstöckel«. + +Mayrhofer und Spaun schimpfen über die Wiener, die um die warme +Jahreszeit nicht mehr ins Theater zu bringen sind. Die »Iphigenie« +wurde vor einem fast leeren Hause gesungen. Um so voller war es dafür +beim »Blumenstöckel«. Mit Mühe und Not erobert man einen leeren Tisch +im weißen Glassalon. + +Beim Essen und Trinken vergeht leicht die Zeit, es ist bald an +Mitternacht; die Leibesstärkung hat die Seelenkraft erhöht, die +Begeisterung über die Eindrücke des Abends strömt in lauten Worten aus. +Es geht ziemlich ungeniert her, der Glassalon ist um die späte Stunde +fast leer geworden, nur am Nebentisch sitzen einige Gäste, die jedes +Wort aufschnappen. Die Augen, das Lächeln, die Stimme der Anna Milder, +in allen Tönen der Bewunderung wird sie gepriesen. Vor allem diese +Stimme! + +Franz schwärmt irgend was von dem Ideal der dramatischen Gesangskunst. +Da fängt einer am Nebentisch laut zu höhnen an, Spaun kennt ihn, es ist +ein Universitätsprofessor; er hat vielleicht schon zu tief ins Glas +geguckt, jedenfalls scheint er zur Stänkerei aufgelegt. Und legt auch +schon los, so halb und halb zum Freundestisch herüber. + +»Das nennt man Stimme? Gekräht hat sie wie ein Hahn; die kann ja +überhaupt nicht singen, weder Läufer noch Triller versteht sie zu +machen, ist doch eine Schande, die als Primadonna herzubringen -- das +soll man sich vorsetzen lassen für sein gutes Geld ....?!« + +»So ein unverschämter Kerl!« Fast zugleich springen Mayrhofer und +Schubert auf; Franz schmeißt sein gefülltes Glas hin, so kochend vor +Wut hat man ihn noch nie gesehen. Er könnte dem Kerl am Nebentisch an +die Gurgel springen, mit Mühe wird er zurückgehalten. Es ist nicht +das erstemal, daß er ganz aus dem Häuschen gerät, wenn sich einer an +dem versündigt, was ihm heilig ist. Ein Schimpfduett hebt an, daß es +schauerlich anzuhören ist. + +Aber der andere drüben ist auch nicht maulfaul, und ein Dickschädel ist +er obendrein, von Nachgeben ist keine Rede. Es gibt einen richtigen +Wirtshausskandal. Franz ist kaum mehr zu halten, eine blutige Keilerei +scheint unvermeidlich, die Begleiter des ungebärdigen Professors +sind besonnen genug, den Halbbetrunkenen unterm Arm zu fassen und +hinauszuexpedieren. + +Die drei Freunde bleiben allein im Glassalon zurück. Sie haben wohl das +Feld behauptet, aber die wüste Wirtshausstreiterei ist gerade auch kein +erquickliches Erlebnis. Man fragt sich, wo nimmt denn so ein gemeiner +Kerl das Recht her, in den Seelengarten des anderen einzubrechen und +die schönsten Blumen zu zerstampfen? Wenn man auch seinen Mann gestellt +und den Kerl zu Paaren getrieben hat, so bleibt doch ein widerwärtiges +Gefühl zurück. + +Man ist in seinen zartesten und reinsten Empfindungen gedemütigt, +mißhandelt, besudelt worden, und dazu hat man das niederdrückende +Gefühl, daß man der Dummheit und Gemeinheit wehrlos ausgeliefert ist. +Da soll doch ein Himmeldonnerwetter dreinfahren! Die ganze erbärmliche +Welt könnte man zerschmeißen. Es kocht in Franz, kreideweiß sitzt er +vor dem Tisch, eine Zeit vergeht, er redet kein Wort. + +Da packt er plötzlich ein Glas und schmeißt es in die Ecke. Klirr! ist +es in tausend Scherben. Das wirkt wie eine Entspannung. Ein zweites +Glas fliegt nach. Klirr! ist das eine Freude, wenn alles in Scherben +geht! Die Wasserflasche, ein Schock Teller, die Karaffe mit Essig und +Öl, die Salzfässer, der Senftiegel -- klirr, klirr, tschin! Jetzt sind +auch ein paar Fensterscheiben des Glassalons durch. Es hagelt Glas. + +Die Kellner stürzen herbei, stehen an der Tür, reißen Maul und +Augen auf und lassen es gewähren. Sie denken schon mit heimlicher +Schadenfreude an die fabelhafte Rechnung, die sie hernach schreiben +werden. + +Mayrhofer und Spaun sind nicht imstande, Franz zu bändigen, der außer +sich ist. Riesenkräfte sind in dem kleinen, etwas aufgeschwemmten +Körper lebendig geworden. Elektrische Schläge gehen von den plötzlich +straff gespannten und steinhart gewordenen Muskeln aus, die Freunde, +die ihm in die Arme fallen wollen, fliegen unter der heftigen Abstoßung +weg, als wären sie Spielbälle. + +Und nun packt Franz mit seinen zarten Händen den großen Wirtshaustisch, +hebt ihn hoch in die Luft und bum! fliegt der schwere Tisch in die Ecke +zu den Scherben, daß das Glas aufspritzt wie Wasser. Dann der nächste +Tisch, Bum und Krach! die Stühle nach, und nicht eher ist Ruhe, als bis +der ganze Glassalon einem Trümmerhaufen gleicht. + +Alles Elend, aller Ärger, alle Demütigung und Zurücksetzung, alles Leid +und aller Hohn, die ihm in diesem Leben zuteil geworden sind, drängen +herauf aus der Seele, die sich befreien will. Und mit jedem Stück, das +hinfliegt und in Scherben geht, löst sich ein Stück Unrecht, das man +erdulden hat müssen; es ist wie ein Erbrechen aus Ekel über den ganzen +Unrat dieser erbärmlichen Welt, den man hinunterwürgen hat müssen. Nur +daß er selber am Schluß auf diesem höllischen Misthaufen liegt, ein +armer, schmerzverkrümmter Hiob. + +So schaut der Franz mit seinem Phlegma aus?! Wer soll sich da +auskennen? Man weiß nicht, was in diesem sonderbaren verschlossenen +Gemüt steckt! + +Kopfschüttelnd lesen die Freunde das unselige Meisterlein auf, das +jetzt einem hilflosen Kinde mitten im zerschmetterten Spielzeug +gleicht. Er ist kaum seiner Sinne mächtig und kann sich nicht allein +erheben. Wie gelähmt ist er am ganzen Körper. Er wird in einen Wagen +gehoben, die Freunde bringen ihn heim. Dann liegt er tagelang zu Bett +und ist krank. Das Übel, das ihn vor Jahren befallen und ihn nie mehr +ganz verlassen hat, ist schlimmer als je geworden. Die Krähe, die Krähe +-- stärker vernimmt die Seele das Fittichschlagen dieses Todesboten. + +»Eine Krähe ... ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen ...« + +Er summt das Lied aus der »Winterreise« vor sich hin, als ob er +Zwiesprach' halten würde mit dem Symbol. + +»Nun, es wird nicht mehr weit geh'n an dem Wanderstabe, Krähe, laß mich +endlich sehn, Treue bis zum Grabe ....« + +Der Skandal beim »Blumenstöckel« hatte flinke Beine wie jeder Skandal +und lief besonders hurtig um in einer Stadt wie Wien, die seit jeher +ein empfängliches Ohr für solche Chronik hat und mit ihrer angeborenen +Göttergabe der Phantasie die Geschichte auszuschmücken versteht, bis +sie so klingt, wie es die Leute am liebsten hören. Weil die Menschen +sich am größten vorkommen, wenn sie die Schadenfreude in Mitleid hüllen +können, so hören sie es am liebsten, daß einer ganz herunter ist, bis +auf den Grund; es gewährt ihnen das Gefühl der Erhebung, den leidenden +Mitbruder so in Staub zu sehen wie den armen Zöllner -- »Herr, ich +danke dir, daß ich nicht bin wie jener ...« es ist das fadenscheinige +Mäntelchen der Nächstenliebe, aus deren Löchern allzuoft die +scheinheilige Selbstgerechtigkeit der sittlichen Entrüstung wie ein +schmutziger Hemdzipfel hervorguckt .... + +»Haben Sie schon das Neueste gehört? Im Rausch hat er alles krumm und +klein geschlagen -- der Bsuff! + +Schad' um den talentierten Menschen -- es geht bergab mit ihm -- ein +rechter Bruder Saufaus ist er geworden --« + +In dieser Form gelangt die Legende den Schwestern Fröhlich zu Ohren. +Sie sind von aufrichtigem Mitgefühl bewegt -- daß Franz sich vom +gesellschaftlichen Verkehr immer mehr zurückzieht und nur mehr im Kreis +seiner Wein-, Punsch- und Kaffeebrüderln gesehen wird, wenn er nicht +allein herumschwärmt, ist freilich eine bedauerliche Bestätigung der +bösen Mär. + +Die Schwestern veranstalteten ein Ständchen zu Ehren der Gosmar, +ihrer einstigen Schülerin und besseren Freundin, Franz hat für dieses +Fest einen Chor nach Grillparzers Versen »Zögernd leise ...« für +Mädchenstimmen komponiert -- er soll es selbst dirigieren, das war die +Verabredung. + +Die Schülerinnen der Fröhlich, ein weißer Mädchenflor, werden in drei +Stellwagen am Hof gestopft, die gelben Wagen holpern mit Singsang +hinaus zum Langschen Haus in Döbling, wo die Gosmar wohnt, ein Klavier +wird heimlich unter ihre Gartenfenster geschoben -- alles klappt, nur +der Musikus ist nicht da. Kathi nimmt sich vor, ihm gehörig den Kopf zu +waschen. + +Schon am nächsten Tag hat sie ihn aufgestöbert, er lächelt: »Ach ja, +ich hab' ganz vergessen darauf!« + +Es bleibt ihm aber nicht geschenkt. In einigen Tagen bringen die +Schwestern das Ständchen im Musikvereinssaal in der Tuchlauben zur +Aufführung, man sollte schon beginnen -- wer wieder nicht kommt, das +ist der Franz. + +Der Kathi ist gar zu leid. »Schade, daß er es auch heute nicht hören +sollte!« sagt sie zu Jenger. Ein Hofrat Walcher ist da, der weiß +Bescheid, »Musikanten trinken gern -- wahrscheinlich sitzt er wieder +bei Wanner ›zur Eiche‹ auf der Brandstätte, dort gibt's gutes Bier, die +Musiker kommen dort gern zusammen --« + +»Natürlich schon wieder im Wirtshaus!« ruft Kathi ärgerlich aus, +Jenger muß sich sofort auf die Strümpfe machen und Franz herbeiholen. +Richtig sitzt er dort in aller Gemütlichkeit, aber er hat sich sofort +aufgemacht und ist mit Jenger gerade noch zur rechten Zeit ins Konzert +gekommen. + +»Nun?!« Kathi hat Haare auf den Zähnen, was sie einmal anfaßt, läßt +sie nicht mehr locker. »Nun?!« ihre erwartungsvolle Frage nach der +Aufführung. Franz ist ganz verklärt: »Wahrhaftig, ich hab' nicht +gedacht, daß es so schön wär' ....« Die Stimmung ist so versöhnlich, +sie hat wirklich nicht das Herz, jetzt mit der Moralpauke loszulegen -- +aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nächstens also, in der eigenen +Wohnung, dann wird sie es ihm gründlich besorgen. + +Da kann sie aber lang warten. Mit keinem Auge ist Franz zu erblicken. +Argwöhnisch, wie Kathi ist, meint sie, er gehe ihr geflissentlich aus +dem Weg. Ein Zufall führt sie mit ihm auf der Straße zusammen, sie +nimmt ihn gleich ordentlich ins Gebet, die handfest Zupackende. + +Ob er nicht wüßte, wie ihre Adresse laute -- und ob er nicht immer +offene Türen in ihrem Hause gefunden habe?! Was das also jetzt für +eine Art sei?! Und das mit dem Trinken -- ein Wirtshausbrüderl, ein +Liederlich, ein Nachtschwärmer, ein Trunkenbold -- o pfui! + +Sie meint es so gut und aufrichtig und möchte ihn auf den rechten Weg +zurückbringen, es ist ihr heilig damit. Er spürt die edle Absicht und +ist darum gar nicht böse. Er lächelt nur ein bißchen zu ihren Worten +und lenkt ganz sachte ab: »Schönen Dank für die gute Meinung, aber +soviel als mir die Leute andichten, könnt' ich ja gar nicht vertragen +-- jetzt schon gar nicht, bei meiner wackeligen Gesundheit -- nur grad' +soviel, als sich gehört, um ein bißchen bei Stimmung zu bleiben, oder +das bißchen Schlaf zu finden -- also nur grad' soviel, als der liebe +Gott erlaubt hat, keinen Tropfen drüber, ist doch eine heikle Sache wie +mit jeder Medizin --« + +Er lächelt so weh dazu, daß ihr gleich die Strafpredigt vergeht und +daß sie in liebreichen, tröstenden Worten auf ihn einredet, die gütig +Verstehende, er möge sich nur nichts abgehen lassen, immer auch kräftig +essen dazu und sich's wohl schmecken lassen, die Medizin -- -- + +Das sieht sie jetzt klar; die Leute haben gelogen, ein Bsuff ist er +nicht, o nein! Ein ganzer, wirklicher, tiefer und darum leidender +Mensch ist er -- -- sie weiß nicht warum, aber auf einmal stehen ihr +die Augen voll Tränen ...... + +Der September läßt sich wunderschön an, Wetter- und Geldverhältnisse +sind gleich gut wie selten im Jahr, die Sorgen, die Krankheit scheinen +entrückt -- die Krähe schwebt hoch und fern -- ein kleines schwarzes +Pünktchen, nicht größer wie eine Schwalbe im Himmelblau. + +Mit dem Grazer Ehepaar hat ein gar freundlicher Briefwechsel +stattgefunden -- Jenger ist mit Franz über alle Berge zu Besuch im +Hallerschlössel. Vier Wochen sind sie aus -- dem Franz hat's wohlgetan. +Sein gewitterbanges Herz hat einen Sonnenstrahl empfangen, der trotz +der Wolken nicht mehr vergeht -- in diesem Sonnenfleck des Herzens +taucht das Hallerschlössel mit seinen vier Ecktürmen auf, der Grazer +Schloßberg, die Stadt mit ihren Kirchen, das lachende Antlitz der +steirischen Landschaft mit grünschwellenden Hügeln, Obstgefilden +und Weingärten, das gastfreundlich eifrige Ehepaar Pachler, die +Gesangsvereine, die Mädchen und Frauen, das liebevolle Drängen und +Feiern um ihn und er mitten drinnen, hochgeehrt und gepriesen -- von +diesem Sonnenblick kann er auch in den trüben Tagen Freude und Trost +schöpfen wie aus einem unerschöpflichen Brunnen von Licht. + +»Wien will mir noch nicht recht in den Kopf,« lautete sein Dankbrief +an die Pachlerin, »'s ist freilich ein wenig groß, dafür aber leer +an Herzlichkeit, Offenheit, an wirklichen Gedanken, an vernünftigen +Worten und besonders an geistvollen Taten. Man weiß nicht recht, ist +man gescheit oder dumm, soviel wird hier durcheinander geplaudert, und +zu einer innigen Fröhlichkeit gelangt man selten oder nie. 's ist zwar +möglich, daß ich selbst viel schuld daran bin mit meiner langsamen Art, +zu erwärmen. In Graz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene +Weise, mit- und nebeneinander zu sein ...« + +Er tut sich bei seiner Rückkehr diesmal schwerer mit der Heimat als je +früher. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht ihn jetzt, wenn er durch +die Gassen geht, an Wohnungen vorüber, wo einst das Glück gehaust hat. +Und kommt er am nächtlichen Heimweg dort einsam vorüber, dann starrt er +wohl in die Höh', als müßt' er ein Gesicht erkennen, das er so innig +geliebt hat, wie er diese Stadt selber liebt, mit der er in den Stunden +des Haders oft bitter und schier ungerecht streng ist. Die einzige, +unsterbliche Geliebte, die ihm soviel und noch mehr war wie alle +zusammen, die er liebend gekannt hat, sie hat ihn schier vergessen, +aber sein Herz will's nicht fassen und geht eigensinnig die alten Wege +seiner Qual. + +»Still ist die Nacht -- es ruhen die Gassen, in diesem Hause wohnte +mein Schatz; sie hat schon längst die Stadt verlassen, doch steht noch +das Haus auf demselben Platz. Da steht auch ein Mensch und starrt in +die Höhe, und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; -- mir graust es, +wenn ich sein Antlitz sehe, der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. Du +Doppelgänger, du bleicher Geselle! Was äffst du nach mein Liebesleid, +das mich gequält auf dieser Stelle -- so manche Nacht in alter Zeit --?« + +Das Herz schreit es auf -- nach der »Winterreise« der schmerzlichste +Akzent seines »Schwanengesangs«, die Seelenbeichte in Tönen -- nicht +dem liebsten Freund würde er sein tiefstes Geheimnis in dürren Worten +preisgeben, so schwer hat er es mit sich -- bei seinem Phlegma -- +bei seiner langsamen Art, zu erwärmen -- niemand weiß, was in dem +verschlossenen, oft rauh und kurz angebundenen Menschlein steckt -- +nur wenn er in seiner Sprache redet, in Musik, dann ist alles tief +Verborgene klar -- -- Immer ist es der Schmerz, der der Seele hilft, +fruchtbar zu werden. Der Tod Beethovens wirkt tief nach, in einem +höheren Leben steht er dem Vollendeten näher als früher im niederen +Alltag. Er geht immer weiter seine einsame Straße, den inneren +Wegweisern entlang aufwärts zur Höhe, wo er den Verewigten wandern +sieht. Aufs äußerste angespannt ist sein inneres Lauschen, gewaltig +strömt es auf ihn ein. Ein ganz Großes entsteht, die C-Dur-Sinfonie, +gleichsam mit einem Ruck ist er oben, ganz dicht bei Beethoven. + +Aber auch in anderer Weise fühlt er die Meisterhand, die ihn führt. Das +große Konzert Beethovens war ihm ein Wink gewesen. Damals sagte er den +Freunden: »Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein +ähnliches Konzert zu geben.« + +Gott will es; es sind zwar viele Hemmungen zu überwinden, innere und +äußere, nach mancher Verzögerung verwirklicht es sich doch, was einmal +innerlich so fest beschlossen erscheint. Es ist eine der wenigen +Erfüllungen, die ihm von seinen vielen Hoffnungen beschert wird. + +Franz wohnt nicht mehr in Schwindien, er hat sein Heim wieder in der +Tuchlauben aufgeschlagen, der weite Weg von der Karlskirche her wird +ihm zu mühsam, er will wieder im Kern der Stadt sein. Es hat sein Gutes +jetzt, wo es soviel zu tun gibt, die Vorbereitungen zum Konzert, der +fieberhafte Arbeitsdrang, das Schaffen, das so recht eigentlich ein +wehevolles Gebären ist. Vielleicht wäre es mit dem Konzert noch immer +nicht soweit gediehen, wenn nicht ein äußerer Hebel mithilft. + +Franz ist ja ein schweres Fuhrwerk und kann sich schwer zu dem bringen, +was mit der Öffentlichkeit zu tun hat. Die Wünsche eilen voraus, aber +das Fuhrwerk geht langsam und bleibt oft stecken. Mutter Not greift +jetzt in die Speichen; der Geldmangel ist empfindlich, es muß endlich +einmal wieder etwas Entscheidendes geschehen. Man hat so viele Nöte +mit gutem Humor ausgehalten, daß man glauben könnte, er sei es schon +so gewöhnt. Denn schließlich bekommt auch die Seele Schwielen und wird +abgestumpft gegen die Härten des Daseins. + +Aber es zeigt sich jetzt, daß Franz immer empfindlicher wird, seine +Seele kann keine Schwielen kriegen. Diese Empfindlichkeit peitscht ihn +auf und spornt ihn an, sonst wäre es auch diesmal kaum soweit gekommen. +Freilich hat er in Schindler, der so viele Jahre der treue Diener +Beethovens war, einen erfahrenen Helfer gefunden. Der läßt nicht locker +und treibt immer wieder an, wenn Franz kopfscheu wird. Das ist ein Mann +der Praxis. »Nur nicht verzagen, hübsch gescheit handeln und vor allem +nicht widerspenstig sein!« + +So kutschiert man unter dem Hütt! und Hott! Schindlers allgemach um +alle Ecken herum und ist fast schon am Ziel. Das Konzert ist für einen +Tag im März angesagt, muß aber verschoben werden und fällt wie durch +eine Fügung gerade auf den Tag, an dem ein Jahr vorher Beethoven +gestorben ist. Der Erfolg ist ungeheuer, es zeigt sich, daß der Ruhm +des jungen Genius auch in diesen scheinbar stillen Jahren gewachsen +ist. Ein schönes Stück Geld fließt in die Tasche des kleinen Meisters, +die Not hat für ein Zeitlein wieder ein Ende. + +Als der Sommer herankommt, sitzt Franz leider schon wieder ganz auf dem +Trockenen. So dringend eine Erholungsreise war, in diesem Sommer ist +nicht daran zu denken. Aus Graz kommen süße Locktöne, das Herz möchte +ja, aber der Geldbeutel erlaubt's nicht. Wenn man mit der Sehnsucht +fliegen könnte, wäre man ja schon über Berg und Tal, indessen sitzt +man bangen Herzens in der heißen Stadt und kann höchstens im Geist den +hochbeschwingten Flug unternehmen. Das ist ein strenges Glück, die +Arbeit -- wenn man so recht darein versenkt ist und all ihre Gnaden +spürt, geht man Gotteswege; das Irdische, das oft allzu schwere Bürde +wird, fällt ab, halb schwebt man schon im Paradies. + +Wie ein Rausch kommt es über Franz. Er singt sich von der Erde +empor in den Himmel hinein. »Domine Deus«, mit lauter Stimme ruft +der Chor den Namen des Herrn -- es ist die berühmte Es-Dur-Messe -- +die Leiden erscheinen im Verklärungslicht, im Agnus Dei klingt -- +ein Geheimzeichen für den Wissenden! -- der Schmerzensakzent des +»Doppelgängers« auf: »... da steht auch ein Mensch und starrt in die +Höh' und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; mir graust es, wenn ich +sein Antlitz sehe -- der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt ...« + +In veränderter Gestalt klagt das Liebesleid des Meisterleins zum Himmel +empor -- im Unendlichen will er Erlösung finden. + +Nebenher entsteht das schöne Streichquartett in C-Moll, außerdem +vollendet sich der Zyklus seines »Schwanengesangs«. Es ist eine schöne +Lebensreise im eigenen Schaffensbezirk, wo Himmel und Erde ineinander +ruhen. Es ist das Land, das er als »Wanderer« gesucht und geahnt, »das +Land, das Land so hoffnungsgrün, so hoffnungsgrün, das Land, wo meine +Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn, +das Land, das meine Sprache spricht ....« + +Das sind die Stunden der gesegneten Arbeit mit ihren tröstlichen +Augenblicken. Aber diese leuchtenden Höhenwege werden steiler, +seltener, kürzer. Der Alltag umklammert ihn mehr denn je mit seinen +Leiden und Bedrängnissen. »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte +welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall, ich bin ein +Fremdling überall ...« + +Im Sommer wird sein Zustand so bedenklich, daß sein Arzt ihm dringend +nahelegt, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einer Gegend, wo er rasch +das Grüne erreicht. Franz gibt seine Stadtwohnung auf und mietet sich +bei seinem Bruder Ferdinand ein, der jetzt in der Kettenbrückengasse +wohnt. Der Wienfluß mit seinen Auen ist in der Nähe; nur ein paar +Schritte vom Haus, und er ist im Freien. + +Er ist nun aus der Stadt gezogen, die alten Schmerzen hat er gern +zurückgelassen, aber das unerträgliche Kopfweh will nicht vergehen. +Das Lied von der Krähe kommt ihm immer wieder in den Sinn. »Krähe, +wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen? Meinst wohl bald als +Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun es wird nicht weit mehr gehn an +dem Wanderstabe ....« + +Franz schleppt sich hin von Woche zu Woche, bald liegt er zu Bett, dann +rafft er sich auf und sucht Zerstreuung im Freundeskreis, aber es ist +nicht mehr das Rechte. Schwind nimmt Abschied, er geht nach München, +mit einer trüben Ahnung im Herzen sieht Franz den Freund scheiden, als +ob er es für immer wäre. Eine dreitägige Pilgerfahrt mit dem Bruder +Ferdinand zu Haydns Grab in Eisenstadt hält er noch mit Mühe und Not +aus. + +Einige Tage später läßt er im Gasthaus einen Fisch stehen, ein +plötzlicher Ekel erfaßt ihn, er muß wieder zu Bett. + +Nach einiger Zeit empfängt Schober einen Brief von ihm: »Ich bin krank, +ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken und wandle +matt und schwankend vom Sessel zum Bett und zurück ....« Er bittet +ihn um Lektüre -- Indianergeschichten, Abenteurerphantasien in fernen +Landen; er sucht die Fernen. Die Freunde, Spaun, Lachner, Bauernfeld, +Mayrhofer, Hüttenbrenner besuchen ihn, als sie eintreten, wendet er +sich im Bett um, deutet mit der Hand an die Wand: »Hier ist mein Ende!« + +Am Abend stellen sich Delirien ein, mit Mühe wird er im Bett +zurückgehalten. Zwei Tage darauf empfangen die Freunde und alle, die +ihn geliebt haben, die erschütternde Nachricht: Franz Schubert am +Nervenfieber gestorben! + +Bauernfeld rennt klagend von einem zum anderen: »Die ehrlichste Seele, +der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner!« + +Im Gewand des Einsiedlers, um die Schläfen den Lorbeer, so wird er zu +Grab getragen. Er kehrt ein ins letzte Wirtshaus, nach dem er sich +so heftig gesehnt. Grüne Totenkränze sind ausgesteckt, fast ähnlich +wie beim Heurigen, wo der Herrgott mit dem Finger winkt. »Ihr grünen +Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins +kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt? +...« + +Diesmal hat sich für ihn eine kühle Kammer aufgetan zur ewigen Rast in +der Nähe Beethovens. + +Auf dem Heimweg vom Friedhof versammeln sich die Freunde, die ihm am +nächsten gestanden waren. Sie möchten so gern sagen, wie ihnen um Franz +ist, und bringen es nicht zuwege; jeder möchte es sagen, aber alles +Sagen war nur ein Stammeln. + +Einer steht plötzlich auf und macht es allen klar, die es wissen +möchten: unser großer Freund ist gestorben, aber seine Seele klingt +fort, sie ist die tönende Seele dieser Stadt ....... Sage mir keiner, +der brave Schulmeistersohn war trunken und darum sei er so früh +verdorben, denn das ist falsch. Er war trunken von Seligkeit und +Leid, und wenn es die allzu Braven sein »Verderben« nennen, gut, dann +war es ein göttliches Verderbnis, daraus seine schmerzlich süßen, +unsterblichen Lieder quollen, darin nicht nur der Wein singt, nicht +nur die Lerche jubiliert, nicht nur das Bächlein weint und die stummen +Forellen mitsingen in dem seligen Quintett, sondern vor allem das +eigene Herz, das Herz dieser Stadt, dieser gottgesegneten, verruchten, +alten, ewig jungen geliebten Heimat, die er in Not und Tränen zu +preisen nicht müde wurde, singend zu preisen wie einer der Jünglinge +im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen und so laut, daß seine Stimme über +Länder und Meere reichen und in der Wüste gehört werden muß, überall +wo ein Mensch ringt in Lust und Qual, mit sich allein, und das Herz +aufschreit, dieses gemarterte von sieben Schwertern durchbohrte, +aus allen Wunden blutende und in Tränen lächelnde, über allen Jammer +dieser Erde triumphierende, über allen Horizonten leuchtende Herz der +Welt .......... Darum haben alle den gottseligen Schulmeisterssohn vom +Himmelpfortgrund so sehr geliebt, die Namen, die er singt, die Freunde, +die mit ihm zechen, der Wirt, der ihm aufkreidet, der Forellenbach, +der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin +zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein Gottes, der all sein +Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid +in Gold verwandelt. Und darum ist er so reich gestorben, daß wir +alle seine Schuldner geworden sind, der Freund, der ihm borgte, die +Mietfrau, die den Zins nicht gleich bekam, der Wirt, der die Kreide +verschrieb, die Mädchen, die mit seinem Herzen spielten, und die ganze +große unbekannte Menschheit .......... Wenn er sang, dann stand die +Lerche still, dann hielt der Bach den Atem an, dann hoben die munteren +Forellen ihre Köpfe aus den Wellen, dann sangen sie leise mit, und ihr, +ihr alle sanget leise mit. Und die Welt des Haders, der Zwietracht +sang mit und der große Chor schallte aus allen Tiefen, von allen Höhen +....... Immer noch hören wir den Bach glucksen und schluchzen, wir +hören die stummen Forellen, die mitsingen, wir hören den Chor der selig +Leidenden, wir hören die Weinbergsfreudenstimmen von allen Höhen, wir +hören den Sang der Liebe durch die ungezählten süßen Namen rauschen, +die ihn als ebenso viele hold weibliche Verkörperungen umgaukeln -- +er will sie fassen, sie zerfließen, immer wieder fließen sie in eine +zusammen, in diese eine große unsterbliche Geliebte; die Heimatstadt, +die der Sänger in scheuer Minne wahrhaft geliebt hat ........ Und diese +launische, undankbare, vergeßliche, eitle, oberflächliche, einfältige, +kindliche, herzensfrohe, tiefe, beglückende und zugleich so betrübende, +geschmähte, verfluchte, vor allem aber geliebte Stadt, sie hat uns -- +sie hat ihm alle Wunden geschlagen, sie hat ihn mit Schmerzen gesegnet, +damit er von ihr zu singen und zu sagen wisse und wir mit ihm, diese +einzige, große unsterbliche Geliebte -- -- -- -- -- -- -- Diese Heimat +-- kennt ihr sie? Dort sind die Hügel belaubt und schlafen unter Reben, +des Gottes voll; dort ist der Wind ein Kuß und der Sturm ein Lied. Dort +plaudern die Bäche eine vertraute Sprache wie nirgend auf der Welt; +dort fließt in den Brunnen das Wasser des Lebens und in den Gärten +blüht die Liebe. Dort grüßen tausend Hände den Verstoßenen, wie sie +ihn verstoßen und gegrüßt haben, den Sänger der Heimat, dem sie es so +schwer gemacht haben, wie jedem, der Edles und Großes wollte -- dem +sie es so schwer gemacht haben und von dem sie schließlich ein Lied +wie einen Denkstein im Herzen tragen ....... Laßt uns daran denken -- +immer wieder muß ich daran denken, wenn ich die alten Wege gehe, den +Forellenbach entlang, an dem auch er so oft gestanden war, sinnend und +lauschend, den Sang der leisen Wellen und der munteren Forellen zu +erhorchen und das Summen der Freude, die noch in allen Reben schläft, +den ganzen Berg hinan. Laßt mich daran denken, wenn ich sehe, was sie +aus der geheiligten alten Heimat gemacht haben ....... Wie sieht +es zuweilen wirklich aus, das äußere Bruchstück der Heimat, die wir +inwendig im Licht der Verklärung sehen als wesentliches Stück unserer +Seele? In der ersten grünen Schenke gibt's Streit, ich gehe vorüber; +in der zweiten werden wüste Gassenhauer gesungen, ich gehe wieder +vorüber; über duftende Hausgärten her kommt eine keifende Stimme; ein +geschminktes Frauenzimmer vertritt mir den Weg. Ach, es ist nicht immer +die Liebe, die in den Gärten blüht; es ist nicht immer die Freude, die +aus dem Weinglas getrunken wird; es ist nicht immer die unsterbliche +Geliebte, die uns begegnet. Und selbst mein unvergeßlicher, klaräugiger +Forellenbach ist eine dicke, schmutzige, übelriechende Gosse geworden +und es sind längst keine Forellen mehr darin ....... Vielleicht sind +niemals Forellen darin gewesen -- aber was tut's? Wenn ich über alle +diese Ärgernisse und Wirrungen des äußeren Lebens genau hinaushorche, +wenn ich genau in mich hineinhorche, dann werden die geliebten Stimmen +wieder lebendig, mit tausend unsichtbaren Händen grüßt der Genius loci +den Verstoßenen und hält ihn liebevoll geschäftig fest; ich fühle +es, daß wir alle, was uns auch trennt, irgendwie zusammengehören +in dem großen Seelenkonzert, darin der brave Schulmeisterssohn vom +Himmelpfortgrund den Taktstock führt ....... wir sind Brüder und +Freunde geworden durch ihn, das Herz der Stadt hat eine Stimme bekommen +und diese Stimme ist er, unser Schubert. Er gehört zu jenen, um +derentwillen unsere Stadt immer geehrt und geliebt werden wird, trotz +-- trotz allem .............. + +Also sprach der eine und schloß mit den Worten: Brüder und Freunde in +Ewigkeit -- sind wir mit ihm auch vorläufig zu Ende -- so ist es darum +noch lange nicht zu Ende. Oh, noch lange nicht zu Ende! Hört es doch +-- die Seele klingt fort, das Herz singt in seinem Lebenslied, der +heimliche Sang der tiefen Brunnen, es singt von ihm und dieser Stadt, +der großen unsterblichen Geliebten ................ + + + -- Ende -- + + + + + Vom Verfasser dieses Romans + + sind im gleichen Verlag erschienen: + + + Amsel Gabesam + + Der Narr vom Kahlenberg + + Roman + + + Auf deutscher Straße + + Amsel Gabesams Wanderjahre + + Roman + + + Chevalier Blaubarts Liebesgarten + + Roman + + + Die Vision der lieben Frau + + Ein Münchner Künstlerroman + + + Das große Bauernsterben + + Das Buch eines Glaubenskrieges + + + Kultur der Seele + + Lebensweisheit nicht ohne Humor in einem modernen Erbauungsbuch + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 *** diff --git a/75568-h/75568-h.htm b/75568-h/75568-h.htm new file mode 100644 index 0000000..672a5ad --- /dev/null +++ b/75568-h/75568-h.htm @@ -0,0 +1,9227 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Franz Schuberts Lebenslied, | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%;} + +h1,h2 { + text-align: center; + clear: both;} + +h1 { font-size: 210%} +h2, .s2 { font-size: 175%} + +.s3 { font-size: 120%} +.s4 { font-size: 110%} +.s5 { font-size: 90%} + +h1 { + page-break-before: always; + font-weight: normal;} + +h2 { + padding-top: 0; + page-break-before: avoid} + +h2.nobreak { + padding-top: 3em; + margin-bottom: 1.5em; + text-align: center;} + +p { + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em; + text-indent: 1em; } + +.p0 {text-indent: 0em;} + +.p2 {margin-top: 2em;} +.p4 {margin-top: 4em;} +.p6 {margin-top: 6em;} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both; } + +hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} +@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } +hr.full {width: 95%; margin-left: 2.5%; margin-right: 2.5%;} +hr.r5 {width: 5%; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em; margin-left: 47.5%; margin-right: 47.5%;} + +div.chapter {page-break-before: always;} +h2.nobreak {page-break-before: avoid;} + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + visibility: hidden; + position: absolute; + left: 92%; + font-size: small; + text-align: right; + font-style: normal; + font-weight: normal; + font-variant: normal; + text-indent: 0; } + +.lft20 {text-align:left;margin-left: 20%;} +.center {text-align: center;} +.r20 {text-align:right;margin-right: 20%;} + +.gesperrt { + letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em; } + +em.gesperrt { font-style: normal; } + +.antiqua { font-style: italic; } + +.padtop3 {padding-top: 3em;} + +img { + max-width: 100%; + height: auto;} + +img.w100 {width: 100%;} + + +.figcenter { + margin: auto; + text-align: center; + page-break-inside: avoid; + max-width: 100%;} + +/* Poetry */ +/* uncomment the next line for centered poetry */ +.poetry-container {display: flex; justify-content: center;} +.poetry-container {text-align: center;} +.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} +.poetry .stanza {margin: 1em auto;} +.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:small; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif;} + +/* Poetry indents */ +.poetry .indent4 {text-indent: -1em;} + +.illowe4 {width: 4em;} +.illowp46 {width: 46%;} + +/* Illustration classes (e-Books)*/ +.x-ebookmaker .illowp46 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowe4 {width: 8%; margin: auto 46%;} + </style> +</head> +<body> +<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 ***</div> + +<div class="transnote"> +<p class="s4 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> +<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des +Originaltextes wurden übernommen; offensichtliche Druckfehler sind +stillschweigend korrigiert worden.</p> +<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p> +<p class="p0">Die Verlagswerbung ist an das Ende des Textes verlegt worden.</p> +</div> + +<figure class="figcenter illowp46" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p class="s4 p2 center"><b>Franz Schuberts</b><br> +Lebenslied</p> +<hr class="r5"> +</div> + +<div class="chapter"> +<p class="s2 p4 center"><b>Joseph Aug. Lux</b></p><br> +<h1>Franz Schuberts<br> +Lebenslied</h1><br> + +<p class="s4 center">Ein<br> +Roman<br> +der<br> +Freundschaft</p><br> + +<p class="p6 center">Sechzehntes bis zwanzigstes Tausend</p> + +<p class="center">Grethlein & Co. G. m. b. H. in Leipzig</p> +</div> + +<hr class="r5"> + +<div class="chapter"> +<p class="p6 center"> +Alle Rechte, insbesondere<br> +das der Übersetzung in fremde Sprachen,<br> +von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten<br> +</p> +<hr class="r5"> +<p class="p4 center"> +Copyright 1915 by Grethlein & Co. in Leipzig<br> +Druck von August Pries<br> +in Leipzig<br> +</p> +</div> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span></p> + +<figure class="figcenter illowe4" id="illu-001"> + <img class="w100" src="images/illu-001.jpg" alt="deko"> +</figure> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<h2 class="nobreak">Vorwort</h2> +</div> + +<p>Das bringt die Zeit mit sich:</p> + +<p>Wir wollen uns auf unser eigenes Wesen besinnen, um unser Selbst uns +und den andern zu erklären.</p> + +<p>Österreichisches Wesen.</p> + +<p>Das will dieser Schubert-Roman. Denn Schubert, das ist das +Allerösterreichischste.</p> + +<p>Also will das Buch die innerste Natur des Österreichertums erschließen +und den durch äußere Verhältnisse und Veranlagung geschaffenen +eigentümlichen Seelenzustand des österreichischen Genius darstellen, +der treffend als österreichische Seelenwundheit bezeichnet wurde.</p> + +<p>Zugleich aber will es der bisher noch fehlende wirkliche Wiener +Schubert-Roman sein, der den Genius frei von der ihm mit Unrecht oft +angedichteten krankhaften Sentimentalität zeigt. Schubert war kein +Sentimentalist und noch weniger war er ein Trunkenbold, wenngleich der +von seinen Duzfreunden gelegentlich aufgebrachte neuerdings allzusehr +betonte Spottname »Schwammerl« zu diesem Irrtum verführt, der doch +einmal aus der Welt geschafft werden sollte.</p> + +<p>Als Leitgedanke dient mir, was Bauernfeld im Jahre 1857 schrieb: »Das +äußere Leben Schuberts war<span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span> übrigens äußerst einfach und trieb sich +anfangs in den ärmlichen Verhältnissen eines Schullehrers, später +eines österreichischen Genies herum, eines <span class="antiqua">exemplar unicum</span> +hierzulande, welches, wenn sonst überall, besonders hier gegen Not +und Dummheit anzukämpfen hatte. Sein inneres Leben mit Freunden und +Gleichgesinnten bietet aber so wenig biographische Züge dar und ließe +sich <em class="gesperrt">etwa nur in einer poetischen Schilderung darstellen</em>. +Schubert war gewissermaßen eine Doppelnatur, die Wiener Heiterkeit mit +einem Zug tiefer Melancholie verwebt und veredelt. Nach innen Poet war +er und von außen eine Art Genußmensch, dem, persönlich nach der äußeren +Erscheinung beurteilt, überdies der herkömmliche Geselligkeitsschliff +fehlte, so daß mancher gebildete Alltagsgesell sich etwas weit Besseres +dünken mochte als der ungehobelte Sänger der »Müllerlieder« und der +»Winterreise««.</p> + +<p>Der biographischen Züge sind nicht so wenige, als Bauernfeld meint; +aber sie sind nur äußerliche tote Bruchstücke, wenn sie nicht die Seele +lebendig macht, die das wesentliche Stück ist, sowohl im Leben wie in +der Dichtung.</p> + +<p>Bauernfeld gebraucht noch nicht das Wort »Seelenwundheit«, aber dem +Sinn nach steckt es drinnen in der Mischung von Wiener Heiterkeit +und der veredelnden Melancholie, daraus so tiefe und seelenvolle +Schöpfungen entstanden sind.</p> + +<p>Die österreichische Seele und besonders meine Wiener Heimat zu +erklären, habe ich schon früher in zahlreichen Werken unternommen, +ich verweise auf meinen halb autobiographischen<span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span> Jugendroman: »Der +Narr vom Kahlenberg« (Amsel Gabesam) oder auf Grillparzers Liebesroman +»Die Schwestern Fröhlich«; — vielleicht darf im ferneren Zusammenhang +auch meine Legendendichtung: »Chevalier Blaubarts Liebesgarten« hier +noch mitgenannt werden. Doch tragen auch meine anderen Schriften +diese eingeborene Tendenz, unser österreichisches Wesen recht +verständlich zu machen. Schließlich ist alles in einem gewissen Sinne +Selbstdarstellung, auch in scheinbar historischer Form.</p> + +<p>Das seelische Fluidum des alten Wien ist ja immer noch heimlich da, die +Stimme des Genius loci, die fortklingt in den stillen Vorstadtgassen +und ländlichen Orten am Fuß des Kahlenberges, in denselben Worten und +Redewendungen, wie sie aus den überlieferten persönlichen Dokumenten +der Schubertzeit hervortönen.</p> + +<p>Da draußen am Rande der Stadt, wo sich der traumhäuptige Wienerwald, +das sonnige Weinland und die blaublickende Donau zu einem +unausgesungenen Dreiklang vermählen, zu einer <em class="gesperrt">echt Schubertschen +Weise</em>, liegt auf den Stirnen der schlicht vornehmen Häuser des +schwindenden Alt-Wien manche kostbare Erinnerung.</p> + +<p>Sie waren mir seit jeher ein Lebendiges, diese</p> + +<p class="lft20">Denktafeln in Döbling.</p> + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent4">Ich las, allwo die letzten Hütten stehen,</div> + <div class="verse indent4">Auf Tafeln an den Häuschen, an den schlichten,</div> + <div class="verse indent4">Von eurem Wohnen dort und eurem Dichten,</div> + <div class="verse indent4">Grillparzer, Schubert, van Beethoven — wehen</div> + </div> +</div> +</div> +<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p> +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent4">Fühlt' ich den Geisterhauch, der eure Nähen</div> + <div class="verse indent4">Umschwebt; es steigt in lieblichen Gesichten</div> + <div class="verse indent4">Das Bild von jener Zeit empor, der lichten,</div> + <div class="verse indent4">Die eure Sonnen konnt' im Fenster sehen.</div> + </div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent4">Ein stiller Weiheglanz ruht auf den Stätten,</div> + <div class="verse indent4">Die als Vermächtnis wahren eure Spuren,</div> + <div class="verse indent4">Armselig scheinen fast und tot dagegen</div> + </div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent4">Die reichen Villen hinter Prachtstaketen,</div> + <div class="verse indent4">Und schöner leuchten mir ringsum die Fluren,</div> + <div class="verse indent4">Seit ich die Spuren sah von euren Wegen — — —</div> + </div> +</div> +</div> + +<p class="r20">Joseph Aug. Lux.</p><br> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="I">I.</h2> +</div> + + +<p>Die jungen Bengel sangen im Kirchenchor.</p> + +<p>Man konnte nur ihre Köpfe sehen, über der hohen Brüstung der Empore, +dicke, kleine, runde Schädel, einer dicht neben dem anderen, +braungelockt, schwarzgelockt, blondgelockt, rotwangig, pausbackig, +aufgesperrte rote Mäuler, aus vollem Halse singend, jubelnd, +schmetternd. Wie die himmlischen Heerscharen. Sängerknaben. So hat +Luca della Robbia seine Singerlein geformt aus Lehm, in halb erhabener +Arbeit, weißblau glasiert. — Nein! So haben die frommen Bildschnitzer +das Gotteshaus geschmückt, mit fleischfarbigen, pausbackigen, +lockigen Engelsköpfen, die auf goldenen Flügeln über den Gesimsen und +Pfeilern auftauchen, die roten Mündchen zum Singen aufgesperrt, oder +das Fäustchen im behaglichen Hinlümmeln in das verschmierte Antlitz +gestemmt, kleine, himmlische Flegel, in der Höhe ganz so anzusehen wie +die plärrenden Sängerbuben auf der Empore, die aber nicht von Lehm und +nicht von Holz sind, sondern richtig von Fleisch und Blut.</p> + +<p>Die Orgel plaudert gemütlich mit, brummbärig, drohend, polternd, +dann wieder begütigend, zuredend, ermahnend; der Blasebalg ächzt und +stöhnt asthmatisch, der Organist<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> arbeitet mit Händen und Füßen, +zieht alle Register auf, und jetzt legt die Stimme mit Donnergewalt +los aus hundert Pfeifen, daß die Grundfesten erzittern, wie wenn der +Herr im Zorn spricht und Schweigen gebietet. Aber stärker noch als +dieses Donnern war der helle Sopran der Knabenstimmen, der durchdringt +und in die Höhe schmettert, wie Lerchenjubel, höher und höher in +die Himmelsbläue des Weltdomes, bis zum hohen C hinauf, klar und +rein, daß selbst die Orgel schmunzelnd aufhorcht und gutmütig leise +brummt, indessen von den unendlichen Höhen ein eherner Hagel von Tönen +niederprasselt, als wollte sich dort oben eine Brust zersingen.</p> + +<p>Eine Stimme war es, nur eine, die diesen himmelblauen Lerchenstieg +vermochte.</p> + +<p>».... Den hat's der liebe Gott gelehrt!« schmunzelte vergnügt Ruczizka, +der Dirigent und Lehrer im Konvikt der Sängerknaben. »Verflixter Bub, +dieser Schubert Franzl!«</p> + +<p>Der Schubert Franzl, das war der, der bis zum hohen C hinaufklettern +konnte. Daran war er zunächst zu erkennen.</p> + +<p>»Den kann ich nichts lehren, der hat's vom lieben Gott gelernt!« hatte +Ruczizka schon einmal früher gesagt.</p> + +<p>Das war damals, als der Herr Hofkapellmeister Salieri den Buben dabei +erwischte, als er Noten hinkritzelte, wie sie ihm gerade in den Sinn +kamen. Er war in dem kahlen Musikzimmer des Konvikts so in sein Sinnen +und Kritzeln vertieft, daß er nicht merkte, wie der gewaltige Maestro +hereinhuschte. Der war lautlos wie eine Katze, ein hurtiges, graues +Männchen, das seine spitze Nase und seine<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> flinken Äuglein überall +hatte, wo es etwas zu erschleichen gab.</p> + +<p>Schwupp! flog das Blatt in die Höhe und schwebte in den Händen des +alten Meisters. Da war jetzt nichts zu machen.</p> + +<p>»Sapristi! Wo hat Er das her? Selber gemacht?! Er, Er, Er — alles aus +diesem dummen, kleinen, dicken Bauernschädel? Malefizbub!«</p> + +<p>Schamrot stand der Kleine da vor dem fuchtelnden Italiener.</p> + +<p>»Hat Er noch andere Sachen? Wo, wo hat Er? Subito!«</p> + +<p>»Verbrennt!« stieß der eingeschüchterte kleine Kerl halb trotzig, halb +zaghaft hervor.</p> + +<p>Darüber fing der Maestro zu strampeln an wie ein Polichinell.</p> + +<p>»Verbrennt,« pfauchte er, »Er, Er, Er — dummer Esel!«</p> + +<p>Und warf wütend die Bücheln und Hefte auf dem Tisch durcheinander, +unter denen beschriebene Notenblätter zum Vorschein kamen, die er +hastig an sich riß.</p> + +<p>»Ecco!« kreischte er auf. Und schon schmiß er die Blätter wütend wieder +hin, krebsrot im Gesicht.</p> + +<p>»Per bacco!« Sein Mund verzog sich, als wollte er ausspucken vor Ekel, +er ballte die Fäuste und hielt sie bebend dem kleinen Franzl dicht +unter die Nase, daß dem ganz himmelangst wurde.</p> + +<p>»Was hat Er da gemacht?! Wer hat Ihm erlaubt ...?! Er — Malefiz — +Malefiz —!«</p> + +<p>Zur Entschuldigung wollte das Singerlein sagen, daß es<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> der Übung wegen +diese kleine Paraphrase auf eine Sonate Mozarts gemacht hat, aber kaum +war der Name des Unsterblichen seinem Munde entschlüpft, da hätte er +das Wort gerne wieder zurückgezogen, so fürchterlich war die Wirkung +auf den giftigen Maestro.</p> + +<p>Das Blatt schmiß er zur Erde, trampelte darauf herum, schrie und +schimpfte auf Italienisch.</p> + +<p>Der Kleine ahnte nicht, wie es in der Welt zuging. Er wußte nicht, daß +Salieri alles haßte, was mit Mozart irgendwie zusammenhing; er wußte +nicht, daß er als Opernkomponist und Hauptvertreter der italienischen +Richtung ein geschworener Feind der deutschen Musik war und vermeinte, +sie in Mozart aufs Haupt schlagen zu können; er wußte nicht, daß +die Sage umging, Salieri hätte den Schöpfer des Don Juan vergiftet; +er konnte darum auch nicht wissen, daß die Legende einen wahren +Kern hatte, denn vergiftet hatte Salieri als rücksichtsloser Gegner +alle geistigen Brunnen, alle Seelen, alle Meinungen, er und seine +Partei, die dem Genius Kränkung auf Kränkung bereitete und seinen Tod +beschleunigen half.</p> + +<p>Nichts ahnte der Knabe, daß die Welt dem Auserwählten eine +Märtyrerkrone bescherte. Er fühlte nur den schäumenden, perlenden +Zaubertrank der Mozartschen Musik in seiner Seele und sah im Geiste +den Genius als jungen Gott, vor dem sich die Menschheit in Ehrfurcht +verneigt. So war es wohl gewesen auf Mozarts Reise nach Prag, aber +nicht in Wien, wo er ein Verkaufter, Verratener, Verlassener, früh +dahingerafft, ins Massengrab der Namenlosen sank. Das haben die Gegner +getan. Und der<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> Volksmund dichtete die Legende, Salieri habe ihn +vergiftet .....</p> + +<p>Und nun fügte es das Schicksal, daß derselbe Geist der Verneinung +und der Selbstsucht ein junges Genie ans Licht zog, das sein Talent +an jenem großen Licht entzündete, das er so beharrlich zu verdunkeln +bemüht war.</p> + +<p>»Ruczizka, Ruczizka!« gellte das giftige Männlein in die hallenden +Gänge hinaus und schärfte dem dienstfertig Herbeigeeilten ein, indem +er auf den wie ein armer Sünder dastehenden Franzl hinzeigte: »Fest in +Corda nehmen! Kontrapunkt! Capisce?! Kontrapunkt?!«</p> + +<p>Mit glühenden Äuglein, heiserer Stimme und geballten Fäusten gab er +diese Weisung und verschwand.</p> + +<p>War es Lohn oder Strafe? Das wußte der brave Franzl vorderhand +selber nicht genau, man ist nicht wehleidig, als Zögling ist man es +ja gewohnt, die Wohltaten wie eine Strafe zu empfangen, während die +Strafen von den Erziehern mit einem Behagen verabreicht wurden, als +wären sie Wohltaten.</p> + +<p>Jetzt wußte der wackere Böhme Ruczizka, daß er ein Genie unter seinen +Händen hatte. War ihm früher gar nicht aufgefallen, obzwar der Junge +seit drei, vier Jahren schon unter seiner Aufsicht stand — wieso denn +auch? Ist nicht seine Sache. Als Drillmeister tut man seine Pflicht, +daß bei den Messen in der Hofkapelle die Soli und Chorpartien richtig +und geschmackvoll ausgeführt werden und der Herr Hofkapellmeister +zufrieden ist. Teufel auch, man tut eben seine Pflicht! Man hat sich +doch um sonst nichts zu kümmern! Man kann doch nicht in jeden Bengel +hineinsehen! Ist doch einer so ein Schmierfink wie der<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> andere! Man hat +sich nie weiter gekümmert und ist doch so immer am besten gefahren. Als +braver Böhm' und Prügelprofoß.</p> + +<p>Also, Pflicht ist Pflicht — man hat seine vorgeschriebenen Stunden +— wer mehr tut, ist ein Schuft. Und jetzt Kontrapunkt! Sakramentski, +ceski heski Kupferstück! Da könnt' man doch gleich Junge kriegen — +eine stehende Redensart Ruczizkas. Also gut, Kontrapunkt! Na wart', +Schlingel, wirst dran fressen müssen! Ceski heski — — — —</p> + +<p>Aber siehe da, alles geht überraschend leicht und schnell, und es kommt +alsbald der Punkt, wo Ruczizka sich lächelnd eingesteht: Den kann ich +nichts lehren, der hat's usw. ....</p> + +<p>So ähnlich hatte ein anderer vor ihm gesagt. Das war Schuberts Bruder +Ignaz, der auf Vaters Geheiß dem Franz den ersten Musikunterricht +gab. Es hatte aber nicht lange gedauert, da meinte Franz, es ginge +ohne Lehrer besser. So war es auch, denn Ignaz hatte gegeben, was +er zu geben hatte, und mußte seinen brüderlichen Schüler als einen +»übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister« anerkennen. Als +Knabe meisterte er schon die Violine, die Viola und die Orgel und +machte sogar als Tonsetzer einige Gehversuche.</p> + +<p>»Faules Zeug,« brummte Vater Schulmeister; »das sind so Flausen, die +sich der Junge in den Kopf setzt, und die ihm beizeiten ausgetrieben +werden müssen. Soll das eine oder andere Instrument spielen lernen, +soweit man's als Schulgehilfe braucht, um auch Sonntags in der Kirche +mitzuhelfen, nichts weiter! Soll aus dir ein Taugenichts<span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span> werden, ein +Hungerleider, ein Tagedieb — ein herumstrolchender Musikant?! Da soll +ich dir doch gleich eins mit dem spanischen Rohr —! Was mein Sohn ist, +muß ein ehrlicher Mensch sein; der wird ein Schulmeister, wie sein +Vater einer ist und wie seine Brüder werden. Also kein Wort mehr — ich +habe geredet!«</p> + +<p>Bald darauf las der Vater in der amtlichen Wiener Zeitung des Jahres +1808, daß in der k. k. Hofkapelle einige Sängerknabenstellen neu zu +besetzen wären. Die Bewerber mußten das zehnte Jahr vollendet haben und +fähig sein, in die erste lateinische Klasse eintreten zu können. Sie +verblieben Zöglinge des Konvikts und wären gleichzeitig Schüler des +akademischen Gymnasiums, das mit dem Konvikt in Verbindung steht.</p> + +<p>Dem Vater stieg sofort ein ganzer Seifensieder auf. Das wäre ein +richtiger Lebensanfang für seinen Franzl! Singen kann er ja, +Schulbildung hat er auch — Sopranist in der Hofkapelle, warum denn +nicht, wenn er dafür eine Freistelle im Konvikt hat und gratis +das Gymnasium absolviert?! Für einen künftigen Schulmeister ein +verheißungsvoller Beginn!</p> + +<p>Also wanderten Vater und Sohn aus der Vorstadt Liechtental stadtwärts +nach dem Konvikt am Universitätsplatz, wo die Aufnahmeprüfung +stattfinden sollte. In seinen blauen Sonntagskleidern schritt Franzl +neben dem Vater klein und stämmig einher. Ein frisch gebügeltes Hemd +gab dem Tag festtägliche Weihe. Das hatte die Mutter bereitgelegt. O, +die war gut! Schmuck sah er aus, der kleine Kerl, weiß und blau wie ein +Firmling!</p> + +<p>Aber der Herr Vater war kritisch. Gab unterwegs allerhand<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> gute Lehren +und Ermahnungen, wie man sich zu benehmen habe, was man tun und nicht +tun dürfe, nicht auflümmeln, die Ellbogen nicht durchwetzen, nicht +nasenbohren, nicht in den Ärmel schneuzen, die Schulbücher nicht +verkritzeln und was ähnliche liebe Gewohnheiten der holdseligen Jugend +sind.</p> + +<p>Der brave Franzl hörte alles geduldig an und schwieg respektvoll. Der +Vater wußte schon, daß sein Junge etwas verschlossen und einsilbig war, +daß er Fremden gegenüber sich nur sehr schwer auftat und dadurch leicht +unartig erscheint.</p> + +<p>»Also nicht aufs Grüßen vergessen, immer ein freundliches Gesicht +machen, zuvorkommend sein gegen deine Lehrer, verträglich und +aufmerksam gegen deine Mitschüler. Was schaust denn schon wieder so +finster drein?!«</p> + +<p>»Aber Herr Vater, ich schau' ja eh net finster drein!«</p> + +<p>Es war halt schon ein Unglück, daß die Menschen immer glauben, man +schaut finster drein, wenn man inwendig freundlich und aufmerksam +zuhorcht.</p> + +<p>Der Vater riß dem Jungen den Hut vom Kopf, um ihm besser ins Gesicht zu +sehen.</p> + +<p>»Die Haar — wie schaun denn deine Haar aus?!«</p> + +<p>Die Haare waren ohnehin in Ordnung, die Mutter hatte sie gekämmt und +gebürstet, mit Schweinefett eingeschmiert, daß sie strichweise glänzten +— aber sie waren kraus, etwas sehr kraus — und ein bißchen lang, +vielleicht schon ein bißchen zu lang; sie waren in den Nacken hinab +gewachsen bis unter den blühweißen Hemdkragen. Der Hut hatte sich in +den Haarschopf fest eingedrückt, und so<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> konnten sie leicht wirr und +unordentlich erscheinen; aber das waren sie wirklich nicht, wenn man +mit einem nachsichtigen Blick hinsah; die Mutter hatte sie gescheitelt, +so gut es ging, und die Lausallee verlief gerade wie eine Pappelschnur.</p> + +<p>»Kraupert schaust aus,« entschied der gestrenge Herr Vater. »Wie dir +die Haar da ins G'nack wachsen, so geht man zu keiner Prüfung!«</p> + +<p>Ehe man noch ans Glacis kam und den Häusern der Rossauerlände Adieu +sagte, wimpelte an einer Stange die Messingschüssel in die Luft mit +Strahlenreflexen wie die liebe Frau Sonne, ein Ladenschild prangte mit +einem süßlächelnden Puppenkopf und darunter stand: Heinrich Haarzopf, +bürgerlicher Bartscherer und Bader.</p> + +<p>Und weil noch eine Stunde Zeit war, so entschied der Vater, daß sich +der Junge jetzt die Haare schneiden lassen müsse, um sich der hohen +Prüfungskommission würdig zu präsentieren.</p> + +<p>»Also marsch hinein!«</p> + +<p>Bisher hatte die Mutter den üppig wuchernden Haarschopf mit eigener +Hand gebändigt. Was eine Mutter nicht alles kann! Hunderterlei +Gewerbe muß sie beherrschen vom Kerzengießen bis zum Haarschneiden. +Es ist nicht zum sagen! Nun aber saß Franz zum ersten Male bei einem +richtigen Friseur wie ein ganz Großer. Mitten unter Spiegeln wie in +einem Zauberkabinett und angetan mit einem linnenen Mantel, der einmal +weiß war, halb Derwisch, halb Prinz, umdienert von dem dienstfertigen +Gehilfen.</p> + +<p>»Belieben halbkurz oder ganz fiesko?« Das war eine<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> neue Welt, eine +neue Sprache, jedenfalls eine neue Erfahrung. Verlegen wendet sich der +Junge an den Vater, der den Dolmetsch macht.</p> + +<p>Ziwitt, ziwitt! macht es die Schere in der Hand des Gehilfen, der bei +seinen Hantierungen immer die Luft schneidet. Sie macht es wie ein +Vögelein, das hungrig den Schnabel aufsperrt und um Futter quietscht, +ehe es gierig in den Haarwald hineinfährt. Alsbald liegen die +schönen Locken auf dem weißen Mantel und am Boden ringsum, der Junge +sieht drein wie ein abgeblättertes Birkenstämmchen, der Vater nickt +befriedigt, aber der eifrige Gehilfe ist noch nicht fertig. Er bemerkt +einen zarten, ganz schüchternen, weichen Flaum auf des Jungen Oberlippe +und stellt mit unerschütterlichem Ernst die gewichtige Frage:</p> + +<p>»Rasieren angenehm?«</p> + +<p>Heiß schießt es dem Jungen ins Gesicht. Er wird blutrot vor Scham.</p> + +<p>»Nein!« haucht er zurück und wendet das Antlitz ab, sich zu verbergen.</p> + +<p>Der Vater merkt es, er schmunzelt hinter seinem Rücken, er will +den Sohn nicht verletzen, der sich so leicht geniert. Er hat ihn +ja so lieb, wenn er auch zuweilen rauh zu ihm ist. Aber nach Vater +Schulmeisters Anschauung gehört die Strenge zur Liebe und vor allem der +Grundsatz: man darf die Kinder nicht merken lassen, daß man sie so gern +hat!</p> + +<p>Rasieren angenehm! Das wirkt nach. Das prägt sich unverlöschlich dem +Gedächtnis ein. Der Ernst des Lebens kommt jetzt heran! Man ist kein +Knabe mehr, man<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> reift der Männlichkeit entgegen, eine neue Zeit will +kommen!</p> + +<p>Das Hochgefühl sank, als er mit dem Vater am alten Universitätsplatz +stand. An den hohen, schwärzlichen Palastfronten der Sonnenfelsgasse +waren die beiden entlang gegangen, bis sich ein mäßig geräumiger +Platz auftat wie ein schmucker Saal. Rechts die festliche Frontseite +der Universität mit Säulen und Fenstern im Geist der Zeit der großen +Maria Theresia; links die Prachtfassade der Kirche zur Zeit der +Gegenreformation von Ferdinand II. erbaut und dicht an der Kirche +anschließend, die ganze Langseite des Platzes bildend, ein kahles +Gemäuer mit kleinen vergitterten Fenstern, einem Gefangenhaus gleich: +das Konvikt. Nichts Grünes, wohin man sah, nur Mauern in nüchterner +Feierlichkeit oder in staats- und kirchenherrlicher Pracht.</p> + +<p>Das Herz des Elfjährigen krampfte sich zusammen, ja es beginnt eine +neue Zeit, der Ernst des Lebens tritt hier gewaltig in Erscheinung.</p> + +<p>Tapfer schritt er an der Seite des Vaters die Stiegen hinauf, wo +schon ein heiteres Gewimmel von Knaben war, die, um einen der drei +Stiftungsplätze zu erobern, ausgezogen waren. Da gab's sofort eine neue +frische Stimmung. Das Empfindsame, Ängstliche, Weichliche verschwand, +es lag nicht in Franzls Natur.</p> + +<p>»In Gottes Namen!« sagte der Vater Schulmeister, als sich die Türen des +Prüfungssaales hinter dem Jungen schlossen. Mehr kann man nicht tun als +seine Pflicht, und die war getan; die Entscheidung liegt bei anderen +Mächten. In Gottes Namen! Damit vertraute er sich<span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span> und den Sohn der +inneren Führung an, die die Oberleitung hatte. So konnte man ruhig und +ergeben den Gang der Dinge abwarten.</p> + +<p>Der innere Kompaß hatte gut geführt. Für den gesunden Liechtentaler +Buben war die Prüfung ein Kinderspiel, als Erster ging er aus dem +Wettbewerb hervor und war Sopranist am k. k. Konvikt und zugleich +Schüler der ersten Lateinklasse.</p> + +<p>Jahr um Jahr berichteten die Schulzeugnisse von dem guten Fortgang der +Studien, und nie fehlte die Anmerkung: »ein besonderes musikalisches +Talent«. Ein Schriftstück an den Hofmusikgrafen besagt sogar, daß auf +die musikalische Bildung des Franz Schubert, da er ein so vorzügliches +Talent zur Tonkunst besitze, eine besondere Sorgfalt verwendet werden +solle. So kam der Hofkapellmeister Salieri hinter das kleine Genie, +und so kam der Klavierdrillmeister Ruczizka in den Schriftstücken an +den Hofmusikgrafen zu den lobenden Anerkennungen wegen der erteilten +Nebenstunden, zu denen er, Ruczizka, von Amts wegen nicht verpflichtet +gewesen wäre.</p> + +<p>Und so kam es endlich, daß der Vater die systematische musikalische +Ausbildung des Sohnes gewähren ließ, weil er sie ja auch nicht hindern +konnte. In Gottes Namen! Andere Mächte bestimmten das Schicksal, er +konnte nur Ja und Amen sagen. Und sich damit trösten, daß für die +eigentliche Lebensaufgabe die Lateinschule sorge, die ihm vor allem +anderen als die Hauptsache erschien.</p> + +<p>Aber büffeln und ochsen, Latein und Mathematik, das war dem Jungen +durchaus nicht die Hauptsache. Viel eher ein lästiges Anhängsel, eine +unbequeme Draufgabe,<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> die man eben in Kauf nehmen mußte. Ja, wenn man +oben saß am Chor ganz nahe bei den geflügelten Engelein, umschauert +von dem Weltgesang der Orgel und von dem Jubel der singenden Geigen, +da war das Leben herrlich, die eigene Stimme ließ sich von diesen +tönenden Fittichen tragen und stieg wohl noch ein wenig höher im Chor +der Seligen.</p> + +<p>Aber dann in der öden Grammatikalklasse, das war wie ein Sturz aus +Himmelsregionen auf die harte Erde. Diese trägen, unergiebigen Stunden +mit Cornelius Nepos, mit Plutarch und Ovid. Der klassische Dichtergeist +zu langweiligen Schulpräparaten zerstückt und eingetrocknet wie die +glanzlosen Schmetterlinge in den Kästen und die gepreßten Pflanzen in +den Herbarien. Kein Hauch des Lebens mehr darin. Half also wirklich +nichts als stucken, ochsen, büffeln! Aber das Herz, das Herz war nicht +dabei. Ein Wunder, daß es dennoch ging, mit Ach und Krach. Nur — +wenn es dem Gelehrtenhaupt am Katheder zu holperig vorkam, und die +Exerzitien so gar nicht vom Fleck gehen wollten, dann wetterten die +saftigsten Schimpfreden auf die Schülerherde nieder.</p> + +<p>»Sauknochen, verfluchter! Hast wieder einmal nicht präparieret?! Müßt' +man dir doch gleich das Buch ums Maul schlagen, bis dir der Kopf +aufgeht, Lümmel, verstockter!«</p> + +<p>Tat aber weiter nicht weh, war wenigstens ein derbes Stück Leben. Ein +unsanftes Prügelsystem, aber man lernte dabei und kam doch ein Stück +vorwärts. So waren die Erzieher, gelehrt und zugleich bauernhaft grob. +Was fest eingebläut war, saß fest. Auch in einem widerspenstigen<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> +Schädel. Wer gar nicht parieren wollte, wurde hinausgeschmissen. Ein +Kamerad war schon geflogen, der mit Franz die Aufnahmeprüfung glänzend +bestanden hatte; ein Dritter, der mit ihm kam, stand am Sprung. Gibt +nicht viel Federlesen, keine Empfindelei; half auch kein Heulen, kein +Bitten und Betteln. Unnützer Ballast, fort damit! War gut für die +anderen. Schlechtes System? I wo! Was haben gute Lehrer mit einem +schlechten System nicht alles zuwege gebracht! Und konnt' Franzl bei +allem inneren Widerstreben nicht alle Jahr ein treffliches Zeugnis ins +väterliche Schulmeisterhaus nach Liechtental schicken? Ja freilich, +angenehm war der Drill nicht. Fragte auch kein Mensch danach, ob's +angenehm war oder nicht, und damit Punktum.</p> + +<p>Blieb aber die Musik, die das graue Dasein vergoldete, und blieben +die eigenen Träume, das selbständige Empfinden und Komponieren, süß +wie eine verbotene und heimliche Liebe, von der der Herr Vater nichts +wissen durfte. Das Herz — da drin war es. Und blieben außerdem die +Kameraden, die Schulfreundschaften, die so fest geschlossen wurden, daß +sie über die Mauern hinaus fürs Leben halten sollten und meinetwegen +übers Grab hinaus.</p> + +<p>Bim, bim, bim! Des Schuldieners Glocke gellte durchs Haus. +Zehn-Uhr-Pause. Da gab es für die Bande kein Halten mehr, die in dem +lästigen Zwang nach Freiheit dürstete. Vor allem aber nach Freßlust. +Die Zehn-Uhr-Glocke war das Zeichen zum Gabelfrühstück. Mit einem Hallo +stürmten die Bengel die Treppen herab nach einem der unteren Gänge. +Dort steigt eben wippend die junge<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> Fanny herauf, des Greislers Tochter +aus der Bäckerstraße, mit einem großen Korb Fressalien auf dem Kopf, +die sie in einer Fensternische des ersten Stockflurs während der großen +Pause feilhält.</p> + +<p>Wie eine Göttin der Erde, mit nahrhaften Gaben beladen, schwankt sie +holdselig herauf, ein braunes, derbes Ding, blatternarbig, barsch und +kurz angebunden, und trotzdem nicht unhübsch mit ihren weißblitzenden +Zähnen. Dem für handfeste Schönheit empfänglichen Sinn des Klavier- +und Knabenbändigers Ruczizka mußte sie tatsächlich als Fee, Nymphe +oder Göttin vorgekommen sein, daß er sie in einem schäferhaft oder +mythologisch gestimmten Augenblick wie ein verliebter Faun in die +nackten, prallen Arme zwickte und der Wehrlosen ein Küßchen zu rauben +versuchte, während sie mit dem Korb auf dem Kopf hinaufbalancierte.</p> + +<p>Wie es geschah, war ein Geheimnis des menschenleeren Korridors +geblieben. Ein Knall, ein Fall, ein Wehgeschrei, so endete das +Schäferspiel.</p> + +<p>»Sakramentski .....!« Man hat nur den Ausruf gehört, der Liebhaber war +verschwunden. Denn eben scholl des Schuldieners Glocke mahnend durchs +Haus, wie weiland die Stimme des Herrn im Paradies nach dem Sündenfall, +aus den Klassenzimmern wälzte sich die Schuljungenhorde, und die +braune Fanny stand keuchend und zornbebend vor dem herabgestürzten +Korb, der seinen duftenden Inhalt über die Steinfliesen ergoß, die +blonden und braunen, knusperigen Schusterlaberln, die mürben Baunzerln, +Kipferln, Girafferln, Kaiserweckerln, Stritzerln, Kaiserlaberln, die +Mohnstritzerln und Salzstangerln,<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> den schweren Laib Hausbrot, die +dreifach gewundenen Kränze von Knackwürsten, den großen Stritzen +Butter, den Paprikaspeck und den frischen Maiprimsen.</p> + +<p>Fünfzig, hundert Hände langten jauchzend danach, im Nu war der +Korb wieder gefüllt, ein heiteres Intermezzo für die Jugend, eine +schmerzliche Viertelstunde für die Fanny, die in wortloser Wut kaum die +Tränen meistern konnte.</p> + +<p>Niemand wußte recht, was geschehen war, aber die Sage ging von einer +wuchtigen Ohrfeige, die locker in Fannys Hand gewesen war, und von +einer heißen Wange, die auf einige Stunden das Flammenzeichen der Liebe +trug und in nassen Umschlägen Kühlung suchte. An jenem Vormittag ward +Ruczizka nicht mehr gesehen.</p> + +<p>Während der Eßpause fanden sich die engeren Freunde mit Franz beim +Futterkorb zusammen. Holzapfl, der Vordermann der Klasse, der stille, +sanfte Spaun, um einige Jahre älter als Franz und zugleich sein +wärmster Vertrauter, Senn, der junge Tiroler, der schon damals Verse zu +flechten versuchte, und einige andere.</p> + +<p>»Einer ist unter uns, der uns einmal alle an Genie überstrahlen wird!« +hatte Spaun mit Beziehung auf Schubert gesagt, und ein fester Kreis von +Freunden begann sich um den unscheinbaren Franz zu schließen. Wenn man +seine helle, jubelnde Stimme auf der Empore hörte, so hätte man nicht +dieses unansehnliche Bürschchen erwartet, der auch darin der Lerche +glich, daß soviel Himmelsgabe in so schlicht bescheidenem Äußeren +steckte.</p> + +<p>Wenn man die Sängerknaben nun sah, dann konnte kein Zweifel sein, +daß sie nicht aus gebranntem Ton und nicht<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> aus Holz waren, sondern +Fleisch und Bein mit vorzüglichen Freßwerkzeugen und unermeßlichem +Appetit. Das Dasein unter den himmlischen Heerscharen auf Gottes Chor +war beseligend, aber auf der Erde war es auch schön, besonders wenn es +etwas zu essen gab.</p> + +<p>Da sah man nun die pausbackigen, rotwangigen, schwarz-, braun- +und blondgelockten strammen Engelsinger gemütlich eine Knackwurst +verzehren, die lieblich roch und den anderen den Mund wässerte, so +ihre Barschaft nur zu einem Schusterlaberl hinreichte. Zu einem +Schusterlaberl, dick mit Butter bestrichen und so groß und mächtig +gediehen, als es für einen Kreuzer Konventionsmünze nur denkbar ist.</p> + +<p>Mit gierigen Augen hatte jeder das größte Schusterlaberl im Korb +ergattert. Was ein gesunder Bengel ist, erkennt auf den ersten Blick +unter Hunderten von Broten jenes, welches das größte Schusterlaberl +ist. Daß die wohlgeratensten Exemplare die Größe eines Kinderkopfes +erreichen, ist selbstverständlich. Es ist nicht aus feinstem Mehl +gebacken, im Gegenteil, es ist so ziemlich das ordinärste Gebäck, aber +auf dem ganzen Wiener Boden gibt es keinen Jungen, der nicht nach +dem Schusterlaberl greift, wenn er die Wahl hat. Ein Schusterlaberl, +mit Butter bestrichen, das ist nach Wiener Volksbegriffen die größte +Delikatesse. Daran war nicht zu zweifeln, wenn man die Kerle einhauen +sah, daß es nur so patschte. Mit einem Schusterlaberl in der Hand +konnte man sich sogar gegen eine Knackwurst oder gegen Wienerwürsteln +mit Kren behaupten, und das will gewiß etwas sagen.</p> + +<p>»Heiße Forellen!« rief die übermütige Fanny, um ihre<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> Ware noch +verlockender zu machen. Richtig, da schwammen sie, die Wienerwürsteln, +im brodelnden Kessel hurtig hin und her wie die Forellen, und ein Paar +nach dem anderen wurde herausgefischt. Knackwürst! Wienerwürstl mit +Kren! Schusterlaberln mit Butter! Hört es! Der Traum vom Paradies ist +damit gespickt. Wenn ihr sie nicht genossen habt, dann wißt ihr nicht, +was gut ist!</p> + +<p>»Nun, und heut gar nichts?« wendete sich Fanny an Franzl. Der hat +einen Stein im Brett bei ihr. Ein extra großes Schusterlaberl, extra +dick bestrichen, das waren die Zeichen ihrer Gunst. Das braune, herbe, +blatternarbige Greislermädel verbarg hinter ihrer rauhen Wesensart +ein weiches Gemüt. Eine schöne Stimme hören, und sie war soviel wie +verloren. Sie wußte schon, daß Franzl die schönste Stimme unter den +Jungen hatte. Sie sah ihn nur mehr durch diese Stimme, und jetzt +dünkte ihr der unscheinbare Junge schön wie ein Märchenprinz. In ihren +Augen war er, die unansehnliche Lerche, schöner als der herrlichste +Paradiesvogel. Sie hatte ihn schon in der Kirche gehört, und als er +kürzlich in der Pause dem Freund Spaun ein selbst komponiertes Liedchen +leise vorsang, vergaßen ihre flinken Hände, daß sie in wenigen Minuten +fünfzig und mehr Schusterlaberln mit Butter zu streichen hatten.</p> + +<p>Versteinert stand sie da, Mund und Augen weit auf, ein wenig +vorgeneigt, um keinen Laut zu verlieren, weltentrückt, verzaubert, bis +zwanzig aufgesperrte hungrige Mäuler, die nach Atzung schrien, sie aus +ihrem Traum weckten. Ob er ihr das Lied nicht aufschreiben wollte, +war gegen Schluß der Pause die verstohlene Frage. Er<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> sagte nicht ja +und nicht nein, er lachte bloß, wohl nur, um seine Verlegenheit zu +verbergen.</p> + +<p>Es war, als ob eine leise, schier unbewußte Berührung der Seelen +stattgefunden hätte, so blieb etwas bestehen, das man nicht leicht +irgendwie nennen kann, weil jedes Wort zu schwer dafür ist. Etwas +schier Unbewußtes, Heimliches, und doch Gefühltes. Ein Strahl von +mütterlicher Sorgfalt ging von ihr auf ihn über, es materialisierte +sich in den größten Schusterlaberln mit der dicksten Butter. Aber +darüber hinaus war noch etwas wie ein Licht da, das wärmte.</p> + +<p>»Nun und heut gar nichts?!« fragte sie noch einmal und streifte ihn +leise an, weil er nichts bestellt hatte.</p> + +<p>Er schüttelte nur verneinend den Kopf, aber sie wußte schon! +Abbrandler! Das heißt, daß er keinen Groschen mehr in der Tasche hatte.</p> + +<p>Aber sie schob ihm schon wortlos ein dickbestrichenes Laibchen hin.</p> + +<p>Er schob es wieder zurück und sagte halblaut und schier unbefangen, +obzwar es ziemlich gepreßt klang: »Heut — nichts!«</p> + +<p>Da nahm sie das Brot, drückte es ihm in die Hand, indem sie sich ganz +nahe an sein Ohr neigte und leise sagte: »Kost' doch nichts!«</p> + +<p>Als ob er glühendes Eisen angefaßt hätte, schleuderte er das herrliche, +hochgebähte, goldblonde, knusperige Schusterlaberl, das mit den dicken +Butterseiten zusammengeklebt war, neben dem Eßkorb auf das Fensterbrett +hin, flammendrot im Gesicht, daß es dort in seine zwei Hälften<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> +zersprang und mit den Butterseiten auf dem staubigen Steinboden lag.</p> + +<p>Sie sah ihn einen Augenblick betroffen und schmerzlich an, hob dann +die Brote auf und legte sie zu den anderen. Mit einem Ruck faßte +sie den ziemlich geleerten Korb auf, stellte den kaltgewordenen und +ausgefischten Würstelofen hinein und rauschte ab wie eine beleidigte +Königin, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.</p> + +<p>Er war so verdonnert, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, eilte hinauf +in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett, wühlte den Kopf in die Kissen +hinein und schluchzte mit halberstickten Ausrufen: »Fanny, Fanny!«</p> + +<p>Etwas Seltsames, Beunruhigendes, Niegekanntes, Schmerzvolles, und doch +zugleich Beseligendes, Wunderbares war über ihn gekommen. Was war es? +Ach ja, das Leben, das Leben! Die schüchternen Regungen wie ein ganz +verstohlener Sonnenstrahl und gleich darauf Schauer, Tränenschauer.</p> + +<p>Man war kein kleiner Knabe mehr, und auf der Oberlippe sproßte jetzt +wirklich ein kleines, winziges, schütteres Bärtchen. Es kommt nun doch +eine andere Zeit!</p> + +<p>Am Nachmittag schrieb er seinem Bruder Ferdinand, der war Schulgehilfe +in der Wiener Vorstadt Lerchenfeld, und schilderte seine Lage. Die +paar Groschen, die er monatlich vom Herrn Vater bekomme, seien in den +ersten Tagen beim Teufel, was soll man in der übrigen Zeit tun? Bei +dem mageren Mittagsmahl, dem erst nach 8-1/2 Stunden ein armseliges +Nachtmahl folgt, müsse man sich eben in den Pausen mit etwas Stärkendem +aushelfen. Es würde den Bruder Ferdinand nicht arm machen, wenn er ihm<span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span> +monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließe. Spricht doch der Apostel +Matthäus: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw., und dann +in Kap. 3, V. 4: Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden +..... So schließt die Epistel mit dem Aufruf, Ferdinand möge sich doch +des »liebenden, armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz« +erinnern.</p> + +<p>Der Brief ist fort und damit ein Stein vom Herzen. Was jetzt? Ja, +richtig: das Lied aufschreiben — die Fanny muß das Lied haben! Ein +extra schönes Papier für sie, mit kunstvoll verschlungener Schrift und +die Noten säuberlich hingesetzt, als ob sie gestochen wären! Darauf +ein Suchen und Suchen in allen Laden und Heften, aber kein armseliger +Fetzen Notenpapier ist mehr zu finden. Alles verschmiert. Neues kaufen +— aber zum Kuckuck, wenn man keinen Groschen in der Tasche hat! Der +Mensch ohne Geld ist ein gottverlassenes Geschöpf. Da fehlt es gleich +an allen Ecken und Enden. Daß man sich ein Schusterlaberl mit Butter +versagen muß, ist hart genug, aber das ist noch das wenigste; den +Mangel fühlt man erst, wenn man jemandem was Liebes tun möchte und +nicht kann, weil man keinen Knopf Geld hat. Schnöder Mammon!</p> + +<p>Da kommt Spaun bei der Tür herein, der liebe, innige! Aufgeschossen +ist er wie eine Hopfenstange, den Kopf mit dem sittsam zurückgekämmten +Blondhaar und den weiten, wasserblauen Augen hat er vorgeneigt, +erwartungsvoll.</p> + +<p>»Hast was Neues geschrieben?«</p> + +<p>Er ist so furchtbar erpicht auf das Neue, das Franz in Noten dichtet.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span></p> + +<p>»Hab' kein Papier!« knurrte Franz etwas borstig.</p> + +<p>Da macht der andere schon Kehrt-euch und ist wieder draußen bei der Tür.</p> + +<p>Franzl sinniert und sinniert, es vergeht eine halbe Stunde, da kommt +Spaun wieder angerückt, atemlos, einen großen Pack unter dem Arm, den +er auf den Tisch legt und sorgfältig auswickelt.</p> + +<p>Notenpapier! Große, schöne, dicke Bogen, ein ganzer Stoß, genug, um die +Unsterblichkeit damit zu bestreiten.</p> + +<p>»Da hast jetzt und schreib'!« und ist schon wieder draußen.</p> + +<p>»Kerl, lieber, guter!«</p> + +<p>So lächelt Franz, setzt sich hin und schreibt.</p> + +<p>Am anderen Tag geht er in der Zehnuhrpause in sein Zimmer hinauf. Er +traut sich nicht herunter, es geniert ihn. Geld hat er ja auch keines +auf ein Schusterlaberl.</p> + +<p>Aber ein Brief ist da.</p> + +<p>Bruder Ferdinand schreibt, Franz wird mit dem Nötigen versorgt werden, +er möchte aber vorerst auf ein paar Tage heimkommen. Der Schulurlaub +sei unterdessen für ihn schon erwirkt.</p> + +<p>So war es auch, auf drei Tage hat er frei.</p> + +<p>Und wandert hinaus aus der engen Stadt in die Maiensonne, ins Grüne, wo +ihn die Wiesen mit tausend Blumenaugen ansehen. Beim Schottentor ist er +draußen, dann übers Glacis, wo der Wind, der richtige Wiener Lausbub, +seinen unumschränkten Spiel- und Tummelplatz hat, um diese Zeit kosend +als Mailüfterl mit Wolken von Fliederduft sanft beladen; im Sommer als +verrückter Derwisch mit wehendem Mantel aus Staub und<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> ebensolchen +aufgeplusterten Pumphosen; im Herbst als unwirscher Straßenkehrer, der +dürre Blätter und Mist dahinfegt oder mit nasser Regenhand den Leuten +ins Gesicht patscht, die Weiberkittel aufwirbelt und die Parapluies +umdreht; im Winter ein rauhbeiniger Knecht Ruprecht, der mit flockigem +Schneebart daherflattert, daß euch die Augen übergehen. Der kann +grantig und boshaft sein wie ein alter Zucht- und Armenhäusler, aber +jetzt ist er ein holder Junge, der in den Bäumen säuselt und auf +sonnenweißen Wolken in gottseliger Bläue segelt.</p> + +<p>Und so ist heut auch dem schulvakanten Knaben zumute, dem das Herz +klopft, als er hinter den mächtigen Häuptern der Kastanien die Häuser +seiner lieben Liechtentaler Vorstadt auftauchen sieht. Dort hinter den +Bäumen mit den vielen weißleuchtenden Kerzeln ist das Vaterhaus »zum +schwarzen Rössel« in der Säulengasse.</p> + +<p>Geschwind, geschwind um die Ecke und hineingestürmt mit einem Jubelruf. +Aber da stockt er schon.</p> + +<p>Was ist denn geschehen?</p> + +<p>Er spürt ein Zerren im Gesicht, ein Würgen drinnen im Hals; denken kann +man's nicht. Eine Draperie hängt am Tor; ein Kerl steht heraußen mit +Glotzaugen und Schnapsnase, einen Dreispitz am Kopf, kurze Hose und +Strümpfe an den verkrümmten Beinen, ausgelatschte Schnallenschuhe; eine +Menge Schnüre und Quasten an dem frackähnlichen Rock, der schief sitzt +wie auf einer Vogelscheuche; schwarz alles, ganz schwarz, schwarz die +Draperie am Tor, schwarz der aufgedonnerte Frack, der Dreimaster, die +Hose, die Strümpfe.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p> + +<p>Unterm Tor kommt ihm schon der Bruder Ferdinand entgegen, er ist +ebenfalls schwarz, nur das Gesicht ist rot und die Augen sind +verschwollen.</p> + +<p>»Die Mutter ist tot!« würgt er hastig und tonlos hervor.</p> + +<p>»Au, au!« schreit der Heimkehrende auf wie ein getroffenes Tier; und +schon steht er im Winkel abgewendet und flennt in sich hinein.</p> + +<p>Und geht dann, so schnell er kann, die paar Stufen hinauf, und ist ihm, +als ob er Quadersteine trüge, daß er, von der Last erdrückt, kaum über +die Schwelle kann.</p> + +<p>Drinnen der Vater, sieht um Jahre älter aus, sagt kein Wort; tätschelt +nur den Buben an Schultern und Kopf, scheu und fast widerwillig; +schiebt ihn aber gleich von sich zu den Geschwistern hinein.</p> + +<p>Die sitzen drin, alle schwarz angezogen, nicht zum Erkennen, stieren +vor sich hin, nur eins oder das andere heult laut auf, wie's den Franzl +sieht. Reden aber sonst kein Wort — einfache Menschen sind karg mit +Gefühl und Worten, verstecken sich lieber voreinander.</p> + +<p>Auch Franzl bringt keinen Ton heraus, geht wie im Traum ins +Nebenzimmer, das dunkel gähnt mit brennenden Kerzen. Brennen nicht hell +und froh wie die Blütenkerzlein draußen auf den Bäumen; brennen dunkel +und weh in der schwarzen Luft und in dem toten Geruch der welkenden +Blumen. Ist etwas Weißes zwischen dem roten Kerzengefunsel und starrem +Blätterzeug, hoch geschichtet; jetzt sieht man's vor den betäubten +Augen; braunlackiertes Holz, der Sarg, weiße Seide, ein gefälteltes<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> +Brautkleid, wachsgelbe Hände und ein Gesicht, so bekannt und so fremd +zugleich, so starr und fern.</p> + +<p>Mutter! Der Franz spürt sie, er spürte sie schon von weitem, ehe er ans +Haus kam, im Flur unten umwärmte ihn schon ihre Nähe, im Zimmer draußen +wußte er sie neben sich, die Luft, die Dinge alle, die Gewohnheit, das +war sie. Sie lebte, und für das Totsein gab es keinen Begriff.</p> + +<p>Er wollte die Tücher wegreißen, die Fenster aufstoßen, Luft und Licht +herein, die Starre aufrütteln, daß sie das Fremde abschüttle und wieder +sie sei, die lebte in seinem Fühlen; die ganze fürchterliche Schwere +der Wirklichkeit wegwischen, die Lüge war, weil sie so unverständlich +blieb; das Herz schrie auf und tobte nein, nein, nein — und dennoch +blieb er steif wie gelähmt, unfähig, etwas zu tun, zu sagen, oder zu +denken.</p> + +<p>Und ging noch die folgenden Tage umher wie betäubt, indessen ein +widerwärtiges geschäftiges Etwas vor sich ging, die ganze quälende, +niederdrückende, entsetzliche Bestattungszeremonie, die mit dem +Herzen nichts zu tun hatte, diese Schaustellung des Schmerzes vor +den gaffenden Gassen und Fenstern bis zu dem Moment, wo man in der +Kirche saß bei der Einsegnung und die Orgel lind und leise auf die +zertretenen Gemüter einsprach. Das war wieder die Stimme der Mutter, +bald gutmütig greinend, scheltend, verweisend, dann wieder gut zuredend +und liebkosend; die Härte des Krampfes wollte sich lösen; aber dann +noch das Schrecklichste, das Niederfahren des Sarges in die Grube, die +vereinzelten Aufschreie, das dumpfe Dröhnen der auffallenden Schollen, +das man<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> nicht mehr aus den Ohren bringt — als ob jede Handvoll Erde +eine Wunde in den eigenen Leib schlüge!</p> + +<p>Fluchtartig ging's aus dem Friedhof fort ins Vaterhaus zurück; die +Trauerzeichen waren inzwischen weggeschafft worden, die alte Ordnung +hergestellt, aber die Ödigkeit hatte sich eingenistet. Das Tor war +wie früher und ebenso die Zimmer, aber im Geist sah man immer die +Trauertücher draußen hängen und wehen. Im Zimmer tauchte immer der Sarg +auf an der Stelle, wo er gestanden, die Funsellichter — schreckhafte +Eindrücke, und Visionen, die nicht wegzuwischen waren.</p> + +<p>Die paar Tage gehen vorüber in Dumpfheit und Zerschlagenheit; Franzl +ist froh, als die Zeit da ist, ins Konvikt zurückzukehren. Auf dem +Glacis wirft er sich ins Gras, um, von niemandem gesehen, sich nach +Herzenslust ausweinen zu können. Dann wandert er stadtwärts und ein +tröstliches Gefühl gewinnt Oberhand.</p> + +<p>»Fanny, Fanny,« denkt er, nein, er denkt es nicht; das Unbewußte in ihm +denkt es, fühlt es. Das verschnürte Herz, das sich nach Wärme, nach +Mütterlichkeit, nach Liebe sehnt und sich so schwer und widerwillig +erschließt, sucht Zuflucht bei dem unwillkürlichen Gedanken an Fanny, +die jetzt so halb und halb mit dem Bild der Mutter zusammenfließt +und ihn doch zugleich so ganz eigen bewegt, daß ihn fast ein Zittern +überfällt.</p> + +<p>Nun soll sie das Lied mit den Noten haben, denkt er und ist fast +aufgeregt in der Vorfreude.</p> + +<p>Am anderen Morgen ist er der Erste bei dem Eßkorb, allen anderen Jungen +voraus. Niemand soll's merken!</p> + +<p>»Das Lied, Fräulein Fanny, das Lied — hier hab'<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> ich's!« stammelte er +heiß und verwirrt und steckte ihr das zusammengefaltete Blatt in die +Hand.</p> + +<p>Sie sieht ihn eine winzige Weile von oben bis unten an, verzieht +hochmütig den Mund, schiebt ihm das Blatt zurück und wendet sich ab mit +der kurzen Bemerkung:</p> + +<p>»Brauch's nimmer!«</p> + +<p>Das Blatt fällt zur Erde; einer der anstürmenden Kameraden hat es +erwischt, es verschwindet in den Händen der Freunde, wie so vieles, was +damals entstanden.</p> + +<p>Jetzt hat er Groschen im Sack, aber kaufen tut er nichts; die +Knackwurst, die Würsteln, die Schusterlaberln — nein; der Appetit ist +ihm vergangen.</p> + +<p>Aber weinen, nein, das tut er auch nicht. Warum denn? Das Herz setzt +eine Rinde an; daß ein Krampf darinnen bebt, er will's selber nicht +wissen.</p> + +<p>Gleichmütig plaudert er mit seinen Freunden weiter, bis einer plötzlich +sagt:</p> + +<p>»Du, hör' einmal, was hast denn du für eine Stimm'?«</p> + +<p>Fanny blitzt ihn wiederholt spöttisch an, sie hat es gleich gemerkt. +Die Stimme war geborsten, rauh, unmelodisch, ein Wechsel, wie er bei +Jünglingen um die Zeit der beginnenden Männlichkeit auftritt. Fanny +lächelt spöttisch. Lächelte sie über sich, über den Jungen, oder über +ihre Narretei? Der Zauber war gebrochen.</p> + +<p>Der Paradiesvogel stand vor dem ernüchterten Blick wieder unansehnlich +gleich einer graubraunen Lerche da, ja, er war noch weniger geworden, +ein grüner Spatz, der ziemlich unharmonisch piepste. Aber das Gold, das +nicht in der Kehle lag, sondern tiefer in der Brust — was verstand das +dumme Greislermädel davon?!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span></p> + +<p>Freilich, ein Sonnenstrahl war erloschen, der zwischen den Mauern +schüchtern in des Knaben Gemüt gefallen war.</p> + +<p>Im Klassenbuch stand jetzt in der Kolonne des Franz Schubert die +Bemerkung: Mutiert. Mit der Sopranistenherrlichkeit im Sängerchor bei +den dicken Engelsköpfen war's jetzt vorbei. Das war der natürliche +Verlauf der Dinge.</p> + +<p>Damit erlosch ein weiteres Licht, und die Schatten der Schulmauern +drückten schwerer als je.</p> + +<p>Einige Monate später verließ Spaun die Anstalt, er hatte absolviert.</p> + +<p>»Glücklicher, daß du aus diesem Gefängnis gehen darfst!« rief ihm Franz +zum Abschied nach. Es war ihm jetzt, als müßten die Schulmauern auf +ihn stürzen, um ihn ganz zu erdrücken. Die Mathematik, da wollte nicht +alles stimmen. Eine schlechte Note — die Scharte war auszuwetzen, wenn +der Stiftungsplan mit dem Stipendium erhalten bleiben sollte. Aber wozu +ein zweckloses Mühen? Was man eigentlich braucht, hat man vom lieben +Gott gelernt, die anderen hatten ihr Bestes längst gegeben und sahen +sich als Meister übermeistert. Es gab Wichtigeres zu erfüllen als +büffeln und ochsen. So riet die innere Stimme des Genius.</p> + +<p>Noch ein Jahr wurde mühselig hingebracht, und dann schlossen sich die +Türen des Konvikts hinter einem, der aufatmend draußen stand, einen +letzten Blick auf das düstere, kahle Gemäuer warf und innerlich bebte +und jubelte: Jetzt kommt eine andere Zeit! Das Leben, das Leben!</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="II">II.</h2> +</div> + + +<p>Im Schulmeisterhaus am Himmelpfortgrund war wieder fröhliches Leben. +Die Schatten der Trauer waren vertilgt, ein hübsches junges Weib nahm +die Stelle der Mutter ein, arbeitete von früh bis abends mit heiterem +Sinn und sorgte mit gleicher Liebe für alle, als ob die Verstorbene in +diesem Frauenwesen wieder auferstanden wäre.</p> + +<p>Vater Schulmeister vermochte nicht lange ohne Gesponsin zu bleiben; +kaum ein Jahr nach dem Tode seiner vielgeliebten ersten Ehefrau hatte +er die Gumpendorfer Fabrikantenstochter, die »wertgeschätzte Jungfrau +Anna Kleienböck«, gefreit; hat's nicht zu bereuen gehabt, und haben +alle Kinder, besonders aber der Franzl, eine mütterliche Helferin an +ihr gefunden. Den Franzl hatte sie namentlich in ihr Herz geschlossen.</p> + +<p>Aber der Vater, der macht Augen, als der Bub wieder heimkommt. Hat +jetzt noch so einen Fresser am Brotsack hängen. War vom richtigen +Bauernschlag, der Vater Schulmeister, ein dicker, harter Schädel, saß +ihm der feste Sinn in dem entwickelten Kinn, war einer, der nicht gerne +nachgab und den Kreuzer zehnmal umdrehte, ehe er ihn auslegte. Ein +rechtschaffener Mann, der für die<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> Jungen sorgte bis zum Flüggewerden, +aber dann sollten sie selber schauen, wie sie zu ihrem Futter kämen. +Sparsamkeit bis zu Knickerei und Geiz, das war Bauerntugend. Und +die saß fest bei ihm. Wie wär' man denn zu eigenem Grund und Boden +gekommen, zu einem selbst erwirtschafteten Häusel, wo die Wirtschaft +am Schnürchen ging, bei dem dürftigen Schulkreuzer, wenn man nicht +Groschen auf Groschen gelegt hätte?!</p> + +<p>Es war an einem schönen Sonntagmorgen, als Franz heimkam. Der Vater saß +allein in der unteren Stube und frühstückte. Als er des heimkehrenden +Sohnes ansichtig wurde, schob er rasch den schön gebräunten, innen +aber dottergelben, flaumigen Gugelhupf unter den Tisch, wo ein Brett +als offenes Fach eingelassen war. Dann schlürfte er seinen Kaffee leer +weiter, als ob er nichts dazu zu beißen hätte.</p> + +<p>Das Gespräch war ziemlich karg; einsilbige Fragen, einsilbige +Antworten. Bis der Vater die verfängliche Frage stellte, ob Franz +nun gedenke, den anderen Familienmitgliedern den mageren Bissen +wegzuschnappen? Worauf der Sohn flink mit der Antwort bereit war: +»Meinetwegen, Herr Vater, hätten Sie den Gugelhupf nicht verstecken +müssen, ich mag ohnedies keinen.« Worauf Vater Schulmeister den +Gugelhupf wieder hervorholte, aus dem Schrank eine Kaffeetasse nahm, +dem Franz das Restchen aus den Kannen eingoß und ihm obendrein ein +gewaltiges Stück von dem verheimlichten Gugelhupf vorsetzte.</p> + +<p>Franz ließ sich's wohl schmecken. Er wußte, der Herr Vater hatte nun +einmal solche Eigenheiten, über die das gute Herz doch immer wieder +siegte; und dieses gute Herz<span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span> hatte sich eben seiner bäuerischen +Filzigkeit geschämt, bei der es sich ertappen ließ, und wollte den +schlechten Eindruck durch um so größere Freigebigkeit verbessern.</p> + +<p>An diesem Tag war kein mahnendes Wort mehr gefallen. Am Nachmittag +dirigierte Franz das Streichquartett, das sich im musikliebenden +Schulmeisterhaus sofort gebildet hatte. Die Brüder Ignaz und Ferdinand +kratzten auf der Geige, der Vater schabte das Violoncello und Franz +spielte die Viola. Die beiden Violinen knarrten und quietschten +vor Lust und Freude, sie taten aber so laut und ungeniert, als ob +sie allein auf der Welt wären. Das Violoncello wollte sich die +Ungebundenheit der vorlauten Violinen nicht über den väterlichen Kopf +wachsen lassen. Es strengt seine wohlig dunkle Stimme aus Leibeskräften +an und plagt sich hinter den beiden Wildfangen mit redlichem Schweiß +einher, was nicht immer ohne Unfall vonstatten ging; nur die Viola +flötet süß und geleitet die drei stolpernden Kumpanen mit gelinder +Festigkeit auf unwegsame Höhen, wo man im himmelhohen Jauchzen hätte +die Welt umarmen mögen. Aber das gute dicke Violoncello mußte sich +des öfteren schnaufend die Seiten halten und konnte das Springen und +Jauchzen nicht so flink mitmachen; bleibt öfters im Notengestrüpp +hängen, sucht sich zuweilen ebenere Wege und markiert nur so den +hüpfenden und schwebenden Gang der Melodie.</p> + +<p>Lächelt der Sohn, klopft mit dem Fiedelbogen ab und sagt schüchtern: +»Herr Vater, da muß etwas gefehlt sein ...!« Also werden die +schwierigen Passagen noch einmal genommen und immer noch einmal, bis es +der Viola und den beiden Fiedeln gelingt, das schwerfällige<span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span> Cello mit +Ach und Krach, aber immerhin mit heiler Haut über Stock und Stein zu +bringen.</p> + +<p>Ist hinterdrein quietschvergnügt über die eigene vermeintliche Leistung +und Fortschritte, schmunzelt vor Behagen und Selbstachtung und läßt +sich zur Anerkennung herbei: »Das muß man sagen, können tut er was, der +Franz, das haut ihm keiner 'runter!«</p> + +<p>Und die Brüder sehen voll Bewunderung auf den Franz hin, die Mutter ist +gerührt, daß ihr die Tränen in den Augen stehen, und streichelt ihm +scheu und zärtlich über den krausen Schädel, glückselig und erstaunt, +so plötzlich diese stattlichen jungen Kerle zu Söhnen zu haben und +besonders einen solchen Meister darunter, der ganz beschämt dasitzt und +alle Lobeserhebungen bescheidentlich ablehnt. Beinahe hätte sie mit +ihren warmen, molligen Armen den Lockenkopf abgefangen und ihn nach +Herzenslust abgebusselt, aber sie getraute sich nicht des Vaters wegen, +der könnt's vielleicht übel auslegen.</p> + +<p>Ist übrigens sehr selten, daß der Herr Vater soviel Lob spendet. Hat +man kaum je aus seinem Munde gehört. Ist schon genug, wenn er nichts +sagt, als ein Zeichen, daß er zufrieden ist. Wenn ihm was nicht +gefällt, dem Herrn Vater, ist er gleich mit dem Tadel bei der Hand, +dann spart er's nicht, räsoniert, greint, wettert, daß einem angst und +bang wird. Man ist also nicht verwöhnt. Aber daß ihm auch einmal der +Mund des Lobes voll überfließen könnte, daran kann man sich eigentlich +kaum je entsinnen.</p> + +<p>Aber das Schönste kommt erst. Der Vater nimmt die Mutter zur Seite, hat +eine kleine, heimliche Unterredung<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> mit ihr, man sieht, daß ihr Gesicht +in heller Freude aufleuchtet, und draußen ist sie. Vergnügt und ganz +erfrischt kehrt der Vater zu den Notenpulten zurück, er ist heute noch +tatendurstig. Es ist noch eine Stunde zum Nachtmahl, die will der Vater +nicht verlieren. Also wird noch einmal Musik gemacht, bis es finster +ist.</p> + +<p>Jetzt erscheint wieder die Frau Mutter, ganz erhitzt und fröhlich +aufgeregt — mein Gott, das Herdfeuer und die muntere Hast! Der Tisch +ist fein säuberlich gedeckt. »Kommt's essen!« ruft der Vater und setzt +sich als der Erste in den bequemen Lehnstuhl am oberen Ende.</p> + +<p>Die Buben — sind eigentlich schon erwachsene junge Männer, bleiben +aber für den Herrn Vater immer noch die Buben — lassen sich das +natürlich nicht zweimal sagen und sitzen schon im nächsten Augenblick +um den Tisch herum, der heute sogar mit einem weißen Tuch gedeckt ist.</p> + +<p>Und Weingläser stehen auch da! Ein jeder spitzt: »Hei, da gibt's was!«</p> + +<p>Die Mutter ist schon wieder in der Küche draußen, sie ist in ihrem +Element, wenn sie so richtig wirtschaften kann, aus dem Vollen heraus. +Inzwischen wird noch eine Weile über die Musik geschwatzt, Musikanten +sind leicht durstig und hungrig, besonders aber durstig — man hat das +Gefühl, als ob man von einer wunderschönen Landpartie zu Fuß und zu +Wagen zurückgekommen wäre, die herrlichsten Gegenden und Aussichten +genossen hätte, von fernen Gipfeln, die man nur träumen könnte. In +diese ätherblauen Seligkeiten hat der Genius geführt — ja, so<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> ein +Streichquartett den lieben Sonntag nachmittag, das ist mehr als ein +vierspänniger Wagenausflug.</p> + +<p>So, und jetzt sitzt man, in die Wirklichkeit zurückgekehrt, mit +erdenfrohem Behagen und Appetit da, die Gabel in der Faust, und wartet +mit spähenden Augen der Dinge, die da kommen sollen.</p> + +<p>Und da fliegt schon die Tür auf, die junge Frau Mutter rauscht herein, +daß die weißgestärkten Unterröcke und die Schürzenbandeln fliegen, die +halbnackten, rundlichen Arme tragen hoch eine große Schüssel, eine +Duftwolke strömt mit — hm! daß einem das Maul wässert —, jetzt senkt +sich die Schüssel auf die Tischmitte herab, ein vierstimmiger Ausruf: +»Ah, Backhendeln!«</p> + +<p>Wiener Backhendeln mit Gurkensalat!</p> + +<p>Den Jungen verschlägt's fast den Atem, keiner würde wagen, zuzugreifen, +sie schauen verzückt auf die Backhendeln und dann verwundert auf den +Herrn Vater — das hat man noch nicht erlebt, außer bei der Hochzeit +mit der jungen guten Stiefmutter — eine solche Freigebigkeit — was +muß denn über ihn gekommen sein?!</p> + +<p>Den Vater wandelt jetzt ein Schatten an, er fühlt den verwunderten +Blick der Söhne, fast dünkt es ihm jetzt eine Verschwendung, er bereut +es beinahe schon wieder, sich in solche Unkosten gestürzt zu haben, und +blickt eine Weile sinnend und grüblerisch auf seinen leeren Teller. Die +Stirn hat Falten, wie immer, wenn er nachrechnet.</p> + +<p>Mechanisch erhebt er sich zum Tischgebet. Die jungen Kerle leiern es +herunter mit langen Zähnen, im Mund lauft jedem das Wasser zusammen, +man sieht's ihnen ordentlich an — die Mutter blickt glückselig von +einem auf<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> den anderen — der Vater betet laut und langsam aber wie im +Traum, indessen er im Geiste rechnet und rechnet. Er will, bevor er zu +essen anhebt, das Exempel lösen, wie er die Mehrkosten von heute im +Lauf der Woche wieder hereinbringt, um das knickerische Gewissen zu +beruhigen und obendrein so, daß der eine Fresser, der jetzt mehr da +ist, dreingeht, ohne daß das Wirtschaftsgeld erhöht werden muß.</p> + +<p>Ganz einfach, denkt er, indessen seine Lippen laut und langsam beten, +Fleisch gibt's die ganze Woche nicht mehr — Mehlspeisen kosten die +Hälfte — sind viel gesünder — Montag Banadlsuppe, kostet fast +nichts, heißes Wasser mit Ei und Semmelschnitten, etwas Schmalz; dann +Erdäpfelnudel mit Semmelbröseln abgeschmalzen, Zwetschgensauce dazu +— ist gut und nahrhaft, können bampfen dabei, die Schlinghälse, daß +sie nicht mehr bah sagen können; Dienstag Grießschmarrn mit gekochten +Kirschen; Mittwoch Holzhackernockerln aus Wasser und Mehl, läßt man +ein Ei darüber spazieren, macht's nahrhafter und sieht nach mehr +aus; Donnerstag Linsen, vielleicht Spiegeleier dazu, wenn's reicht; +Freitag ist ohnehin Fasttag, gibt's vielleicht Hirsebrei mit geriebenem +Lebzelten drauf; Samstag Kipfelkoch oder Semmelschmarrn, Bofesen wären +auch nicht schlecht, vielleicht einen Kirschenstrudel — die Leibspeise +— wenn sie nur nicht zu teuer kommt —, als Nachtmahl gibt's die +ganze Woche nichts weiter als Butterbrot, zur Abwechslung etwa einmal +frischen Maiprimsen darauf, und, wenn's hoch kommt, ein paar Kirschen +nachher, die jetzt wohl billig genug sind; na, und Sonntag vielleicht +wieder einmal einen<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> Schweinsbraten — sein Gesicht klärt sich auf, +indessen er das Kreuz schlägt, das Rechenexempel ist gelöst, er kann +sich beruhigt mit Frau und Söhnen an den Backhendeln ergötzen: Im Namen +Gott des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen! Mit +einem vierstimmigen Echo schließt das Amen.</p> + +<p>Dann ein eiliges Sesselrücken, dicht an den Tisch heran, so bequem und +fest als möglich, die Serviette unters Kinn gesteckt, in den Halskragen +hineingestopft, der Vater langt mit der Gabel zuerst zu und sticht das +Pfaffenschnitzel heraus mit etwas gerösteter Petersilie darauf, wegen +des Wohlgeschmacks, flink hat ein jeder sein Trum auf dem Teller, +der eine ein solches weißes Bruststück, der andere ein Haxerl, ein +Stück Flügerl, ein paar Minuten vergehen wortlos, indessen das zarte +Fleisch mit der schönen braunen, knusperigen Rinde zwischen den Zähnen +mitsamt den weichen Knöchelchen krachend zerbissen wird und Stück um +Stück verschwindet. Zu jedem Bissen Fleisch eine tüchtige Gabel voll +Gurkensalat.</p> + +<p>Vater Schubert stößt vertraulich den Franz an und deutet mit dem Messer +auf das Büchschen Paprika, das am Tisch steht.</p> + +<p>»Mußt etwas Paprika auf den Gurkensalat tun! Zum Gurkensalat gehört +eine Messerspitze Paprika!«</p> + +<p>Also streute Franz vorsichtig etwas Paprika auf den Gurkensalat.</p> + +<p>Das gibt zu dem Arom eine köstliche Würze, daß man einen brennenden +Rachen hat wie ein Feuerschlucker.</p> + +<p>Die Schüssel ist leer, nur ein Häuflein Knochen ist übriggeblieben +wie auf einer Schädelstätte. Jeder lehnt sich<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> behaglich und von der +emsigen Arbeit aufseufzend in den Sessel zurück; die Flammen in der +Kehle müssen gelöscht werden. Da langt der Vater nach einem Krüglein, +das unter dem Tisch bei seinen Füßen steht, hebt es sorgfältig prüfend +ans Licht und schenkt jedem das Glas voll. Gumpoldskirchner!</p> + +<p>Zu Backhendeln mit Gurkensalat gehört Gumpoldskirchner, das ist +stilgerecht. Es könnte auch ein Grinzinger sein, ein Sieveringer, ein +Alsecker, ein Bisamberger, ein Klosterneuburger, ein Weidlinger, ein +Kremser, ein Mailberger, ein Haugsdorfer, ja, man würde gar nicht +fertig in der Aufzählung der vielen guten Tropfen, die zu einer solchen +Wiener Götterspeise gehören. Jeder hat seine eigene Blume, aber jeder +paßt dazu. Vater Schubert liebt besonders den Gumpoldskirchner. Er ist +goldgelb, etwas schwerer wie die anderen, kostet auch etwas mehr, aber +an hohen Fest- und Feiertagen möcht' man halt auch was Besonderes haben.</p> + +<p>Glänzen alsbald die Äuglein, wie der Gottestrank die Zunge hinabläuft, +inwendig ein behagliches wärmendes Feuer anzündet, daß die Begeisterung +wach wird und die Zungen sich lösen. Schwebt schon der heilige Geist +auf sie herab und fängt der eine und andere an, mit Engelszungen zu +reden. Franz, der wortkarge, der verschlossene, wird gesprächig.</p> + +<p>Ist so eine schöne Sache, die Musik, hebt den Menschen ins Himmelreich, +daß er in lichter blauer Seligkeit hinschwebt, als ob er Flügeln hätte +und wirklich schon im Paradies wäre. Fällt alles Schwere ab, alle +Sorge, und selbst was traurig stimmt, wird tröstlich und labesam.<span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span> +Ist neben der Musik aber auch was Schönes, Backhendeln essen mit +Gurkensalat, und Gumpoldskirchner dazu zu trinken! Gewiß! Essen und +Trinken hält Leib und Seele zusammen. Die Seele schwingt sich auf, +wandert frank und frei im Reich der Töne, aber sie muß wieder zurück, +wenn der Leib schwach und hungrig wird, und muß sich wieder stärken mit +ihm, denn Leib und Seele gehören nun einmal zusammen. Wie könnte sie so +schöne Lieder erfinden und gottselige Gedanken pflegen, wenn sie nicht +hin und wieder durch den Leib mit so herrlichem Essen erquickt würde.</p> + +<p>Gibt es doch kein Land, wo so erlesene Genüsse zu haben sind, solche +Backhendeln, solchen feinen Salat und einen so himmlischen Tropfen wie +diesen Wein! Drum kann auch nirgends die Seele so hoch in Begeisterung +steigen wie hier, wo sie auch auf Erden sich bereits im Himmelreich +wähnt. Womit schmeckt denn der Leib diese wunderbaren Gaben, wenn nicht +mittels der Seele, die es zu schätzen versteht, was ihr hier vorgesetzt +wird, und die dann noch einmal so herrlich zu singen und sagen weiß. +Diese Backhühner, dieser Wein muß nicht allein mit dem Leib genossen +sein, wenn es gut anschlagen soll — nein, Speis' und Trank ist es für +die liebe Seele!</p> + +<p>Die Mutter lächelt verklärt und schaut gedankenvoll aufs Tischtuch, +die Brüder schauen mit glosenden Augen bald auf den Vater, bald auf +den Franz, der eine so verwunderliche Rede hält; Ignaz, der Älteste, +schaut drein wie ein Gelehrter, mit den dunklen, brennenden Augen +in dem blassen, schmächtigen Gesicht, der gewaltigen Stirn und dem +Grübchen im zwiespältigen Kinn — das haben<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> alle Brüder vom Vater +her —, ist selbständiger Schullehrer, hätte aber nie gewagt, vor dem +Vater solche freigeistigen Reden zu führen; Bruder Ferdinand, dieweilen +noch Schulgehilfe, musik- und sangesbeflissen, lacht mit gutmütigem, +verschmitztem Bauerngesicht den geliebten Bruder Franz an, und sitzt +ihm die Freude heimlich in den munter blitzenden Äuglein; Karl, der +jüngste Bruder, der noch die Kunstschule besucht und Maler werden +möchte, schaut mit seinem hellen, offenen Künstlerantlitz bewundernd +hin auf Franz und denkt, so muß man's machen, frisch und keck, dann ist +der Herr Vater als Wauwau nicht halb so schreckhaft — rückt näher an +Franz heran, hängt mit den Augen an seinen Lippen und berauscht sich an +dessen Worten; nun und der Herr Vater, dem die Weinseligkeit aus den +Augen tropft, sitzt lächelnd da wie Vater Noah, nickt gutmütig zu dem, +was der begeisterte Franz faselt, hebt dann selbstvergessen, als ob die +Buben da nicht seine Söhne, sondern seine Kameraden aus der Jugendzeit +wären, das Glas, um mit Franz anzustoßen!</p> + +<p>Man ist baff! Das hat der Vater nie getan!</p> + +<p>Der Herr Vater stoßt mit dem Sohn Franz an, dann stoßt er mit der Frau +Mutter an, die Gläser klingen zusammen, und jetzt fahren auch die +anderen herzu und stoßen alle zusammen an.</p> + +<p>»Prosit, Herr Vater!« der Franz sagt's, dann sagt's der Ignaz, dann der +Ferdinand und dann der Karl.</p> + +<p>Jetzt schreien es alle vier.</p> + +<p>»Prosit, Frau Mutter!« Wieder ist es der Franz, der das sagt. Und jetzt +fahren wieder die Gläser zusammen,<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> daß es klingt wie ein Glockenspiel, +und alle schreien lauter als vorher: »Prosit, Frau Mutter!«</p> + +<p>Karl, der Jüngste, ist so aufgeregt, daß er fast seinen Wein +verschüttet. Da sind die kostbaren Tropfen auf das Tischtuch gefallen, +und schon fliegt sein Blick ängstlich zu dem Vater hinüber, der sich +die Gelegenheit sonst nicht hätte entgehen lassen, dem Karl eine +ordentliche Predigt zu halten, wie man sich zu benehmen habe. Die +schöne Gottesgabe verwüsten — Bub, wirst noch einmal froh sein, wenn +du so einen Tropfen hast! Aber heute, nein — der Herr Vater ist +gnädig, er tut so, als ob er nichts bemerkt hätte.</p> + +<p>Der Schreck ist dem Karl doch gelinde in die Glieder gefahren — wenn +der Herr Vater auch heute nichts sagt, das dicke Ende kommt nach! +Dem Alten ist nicht zu trauen — er hebt sich's auf morgen auf! Aber +mit einem Schluck hat Karl die Bänglichkeit hinuntergeschwemmt, die +Keckheit gewinnt jetzt Macht über ihn, an Franzens Beispiel gestärkt.</p> + +<p>»Sind wir lustig heut — Prosit, Herr Vater!« und hebt mit knabenhafter +Dreistigkeit das Glas, um mit dem Vater aufs neue anzustoßen.</p> + +<p>Läßt aber gleich das Glas wieder sinken vor dem strafenden Blick des +Vaters.</p> + +<p>»Benimm dich!« weist ihn der zurecht. Er kann's nicht leiden, wenn +sich Kinder übernehmen. Müssen »Sie« zu den Eltern sagen, damit der +Respekt vor der elterlichen Würde gewahrt bleibt, und möcht' dann so +ein Junge bei der erstbesten Gelegenheit die strenggezogenen Grenzen +mir nichts dir nichts verwischen. Sind doch beide nicht<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> zugleich auf +der Schulbank gesessen — na also! Spricht's zwar nicht aus, der Herr +Vater, denkt's aber so ungefähr und redet mehr durch die Augen, die mit +langem, einschüchterndem Blick auf Karl ruhen, der schon vergeht wie +ein allzu keckes Flämmchen unter einem großen Löschhut.</p> + +<p>Erhebt sich drauf der Herr Vater und sagt kurz und bestimmt: »So — und +jetzt schlafen gehen!«</p> + +<p>Also gehen alle schlafen, jedes mit dem seligen Gefühl: war ein schöner +Sonntag heute!</p> + +<p>Aber es kann nicht immer gleich schön bleiben, kommen auf gutes Wetter +immer allemal auch trübe Tage mit Regen und Sturm; und so ist es im +Leben ein ewiges Schwanken, und sind die himmelblauen Tage im Jahr karg +gezählt.</p> + +<p>Nicht alle Sonntag ist Kirchtag, war auch der nächste Sonntag schön, +aber nicht ganz so schön. Gab es keine Backhendeln mehr, sondern kaltes +Schweinernes abends, das von Mittag übriggeblieben war. Schmeckte aber +auch sehr gut. Gumpoldskirchner gab es ebenfalls nicht, dafür billiges +Abzugbier — Fensterschwitz. Macht nichts, wenn es frisch ist, ist es +recht gut und gesund vor allem, gesund.</p> + +<p>Das Streichquartett bleibt jetzt eine ständige Sonntagseinrichtung, +nimmt auch der Herr Regens chori von der Liechtentaler Kirche teil, +Herr Michael Holzer, bei dem Franz in seiner Knabenzeit Singunterricht +genommen hatte. Ist ganz beteppert, der Herr Regens chori, vor lauter +Hochachtung für das musikalische Genie, kann sich gar nicht genug tun +mit überschwenglichen Worten über<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> Franzens Kompositionen, daß es dem +schon zu dumm wird, weil sein alter Lehrer gar so fein und überhöflich +mit ihm tut, fast genierlich für ihn, den Jungen.</p> + +<p>Meint der Herr Regens chori, daß es ihn halt so viel freuen tät', +wenn der Herr Franz die Erlaubnis geben möcht', etwas aufzuführen +von ihm nächstens beim hundertjährigen Jubiläum der Liechtentaler +Kirche — hätte er doch eine wunderschöne Messe geschrieben noch als +Konviktsschüler, die an und für sich schon ein Meisterwerk wäre. Da +wollt' er schon lieber was Neues machen, lächelte Franz, die früheren +Arbeiten wären doch zu gering, müßt' schon etwas Besonderes werden — +zur höheren Ehre Gottes!</p> + +<p>Befriedigt blickt der Vater auf den Sohn, ist stolz auf ihn — aber zum +Kuckuck auch, ist doch nur brotlose Kunst, was er treibt, und von der +Ehr' kann man allein nicht leben; muß auch tüchtig zugesehen werden, +daß Franz bald seinen eigenen Brotsack umgehängt bekommt.</p> + +<p>War auch nicht viel Zeit vergangen, hat ihn der Vater schon ins +Amt hineinbugsiert. Ein paar Monate Präparandenschule, dann +Lehramtsprüfung, und jetzt ist er Schulgehilfe. Ist es gleich +nebenan in der Säulengasse unter seines Vaters Aufsicht, der sechs +Schulgehilfen beschäftigt. Franz kriegt dieselbe Bestallung: freies +Quartier und einen Gulden Wiener Währung pro Monat und Schülerkopf. +Hat den Vorzug, in Vaters Haus zu wohnen und Kost zu kriegen. Die wird +ihm freilich berechnet. Bleibt immerhin noch ein Taschengeld für das +bißchen Kleider und sonstige kleine Bedürfnisse.</p> + +<p>Das mit der Messe für die Liechtentaler Kirche geht dem<span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span> Franz nicht +aus dem Sinn, in seinem Herzen stürmt es, ist aber eingesperrt den +lieben langen Tag in den Schulkäfig — was ist das für ein Leben?! +Bloß weil es das Brot ist?! Anstatt wie die Lerche in blauer Seligkeit +zu schweben und den Schöpfer zu preisen, muß er sich abmühen von früh +bis abends, kleine Rotznasen unterrichten, ABC-Schützen, die auch +alles andere lieber täten, als still zu sitzen mit den Händen auf der +Schulbank und aufzumerken.</p> + +<p>In Franzens Hirn und Herz flutet es, die Gedanken und Gefühle kochen +mit eherner Gewalt, sie wollen sich nicht abweisen lassen und flattern +heran wie Zaubervögel, die Fuß fassen möchten, gehalten sein, um nicht +hilflos ins unendliche Meer des Vergessens zu sinken. Er will sie +halten, muß aber an der Schultafel stehen und mit der Kreide Buchstaben +hinmalen, a, b, c, die von den Buben auf die Schiefertafel nachgekratzt +werden. Und muß ihnen das Einmaleins vorrechnen: einmal eins ist eins, +zweimal zwei und so weiter. Dann läßt er es einen nach dem anderen +auswendig sagen und kritzelt unterdessen hastig die Gedanken hin, die +aus dem Herzen zum Kopf drängen. Der eine Bub sagt zweimal zwei ist +drei, der andere zweimal zwei ist fünf — alles stimmt. Haben es die +Schüler und der Lehrer gleich gut. Ist ja auch wirklich so: nichts geht +im Leben so glatt aus, daß man sagen könnte, zweimal zwei ist vier. +Immer wird's ein bißchen zu wenig oder ein bißchen zu viel, jedenfalls +ein bißchen anders, so daß zweimal zwei entweder drei oder fünf +ausmacht.</p> + +<p>Oder es guckt der Herr Lehrer selbstvergessen und dem<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> Liederborn +in seiner Brust lauschend zum Fenster hinaus, wo ein blau-goldener +Vormittag leuchtet, indessen man in dem kalkweißen Zimmer bei +langweiligem Tun hocken muß. Gucken auch die Buben zum Fenster hinaus +und empfinden ungefähr dasselbe. Ertappen sich gegenseitig Lehrer und +Schüler bei diesen abschweifenden Gedanken, gucken sich gegenseitig an +und lachen.</p> + +<p>Ein Dichterwort flattert unversehens aus Franzens heimlich klingender +Seele auf: »In Grün will ich mich kleiden.« Unwillkürlich entschlüpft +es seinen Lippen, sitzen die Buben versteinert da, als ob ein +Märchenvogel bei dem offenen Fenster hereingeflogen wäre. Fängt einer +von den ältesten Rangen in der letzten Reihe tölpisch zu lachen an, +wohl aus Verlegenheit, ducken ihn aber die anderen schon nieder mit +heimlichen Knüffen und zugerauntem »Kusch!« Wird aber sofort wieder +das Maul gehalten, und sitzen alle atemlos da, wundersam berührt. Geht +ein Engel durchs Zimmer, sagen die Leute, wenn plötzlich gespanntes +Schweigen eintritt. Jetzt war's so. Ein Engel ist durchs Zimmer +gegangen, der Genius, hat sie alle mit dem Finger ans Herz getupft.</p> + +<p>Und Franz, der Schulgehilfe, reißt die Violine aus dem Kasten und +spielt ihnen sein neuestes Lied vor: »In Grün will ich mich kleiden.«</p> + +<p>Nach Hunderten zählen die Schöpfungen, die ihm in diesen Monaten durch +das graumaschige Netz der eintönigen Tagespflichten als Geschenke des +Himmels durch die Finger gleiten. Einer ist, der hat in der Tiefe des +deutschen Herzens das unsterbliche Lied erklingen verspürt — der +deutsche Genius hat durch seinen Mund gesprochen:<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Goethe. Über diesen +Dichterquell gebeugt, hat Franz das melodische Rauschen vernommen, +darin der Wald raunt, der Bergstrom braust, das Herz aufschreit in +Lust und Leid, die Wanderfröhlichkeit jubelt, und die Sehnsucht mit +blauem Bande lockt; in sein Inneres hineinhorchend wie in einen +tiefen Märchenbrunnen, hat er das Lied singen gehört. Das deutsche +Lied. Draußen am Himmelpfortgrund ist es entstanden. Und hat anders +geklungen als alles, was man je früher gesungen hat. Tiefer, feuriger, +ergreifender.</p> + +<p>Die kleinen Schulbuben verstehen nichts von Musik, aber das Lied, +dieses und noch manches andere, das ihnen Franz vorspielt und mit +halblauter Stimme vorsingt, haben sie gleich begriffen.</p> + +<p>Franz legt die Geige sachte wieder hin, da bricht der starre Respekt, +der eine künstliche Spannweite zwischen Lehrer und Schüler herstellt, +wie eine Eisrinde vor der schmelzenden Glut der Herzen zusammen, die +Rotzbuben sind aus den Bänken gestürmt und haben ihn jubelnd umdrängt, +die Hand wollen sie ihm küssen, hinaufgeklettert sind sie an ihm, +einer über dem anderen. In der Maske des Schulgehilfen haben sie den +älteren Mitbruder und Kameraden entdeckt, die Kindheit hat ihn gleich +begriffen, wie alles, was menschlich rein und echt ist. Es bedarf +keines Nürnberger Trichters, keines Systems, keiner Schulzwangsjacken, +keines Ochsens und Büffelns, sie haben es von sich aus verstanden. +Somit wäre das richtige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, +gewissermaßen auf du und du, hergestellt.</p> + +<p>»Putz' dir die Nasen!« geht die lachende Ermahnung an<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> einen Knirps, +der sich just vor inniger Freude an Franzens Handrücken abwischt. Hat +aber kein Bub ein Schneuztuch, macht's ein jeder wie der Bauer mit zwei +Fingern und dann auf die Erde damit, was im Schulzimmer nicht angeht. +Fährt man also, wie im Notfall immer, einmal mit dem linken Rockärmel +um die Nase, dann mit dem rechten, daß die Ärmelenden hart und speckig +glänzen, wie glasierte Schweinsschwarteln.</p> + +<p>Ist ein neuerliches Hallo über den Rotzbuben, daß es laut in den +Schulgang hinausschallt, worauf der Herr Vater beim Türspalt +hereinguckt, mißtrauisch über die Ungebundenheit, die gerade nur +in Franzens Klasse herrscht. Ein Glück, daß im selben Augenblick +die Glocke schallt und der Vormittagsunterricht zu Ende ist. Vater +Schulmeister schüttelt den Kopf; er ist gar nicht recht zufrieden mit +seinem neuen Gehilfen. Daß ein Lehrer die Anhänglichkeit und Liebe +seiner Knaben zu gewinnen weiß, wäre schon recht; aber wo bleibt der +schuldige Respekt?! Wo bleiben die Schulreglements?! Der Lehrplan?!</p> + +<p>»Lehrplan, Schulordnung, Respekt sind die Hauptsachen, verstanden?!«</p> + +<p>In Grün will ich mich kleiden ...! Allein oder mit Bruder Karl, der +den rechten Landschaftersinn dafür besitzt, spaziert Franz häufig an +Sommerabenden zwischen den Feldern und Weingärten der benachbarten +Ortschaften umher! Eine versunkene Welt! Heute ragen nichtssagende +Zinskasernen in staubigen, lärmenden Straßen in diesen Gegenden, die +einst ländliche Idyllen waren.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span></p> + +<p>In Grün gebettet zwischen schwellenden Hügeln mit Wein und Wald, liegen +Währing, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Döbling, ein lieber Kranz +von Landschaften rund um die alte Wiener Stadt.</p> + +<p>Begeisterte Naturgedichte entstanden in der damaligen Zeit, die frohen +Müllerlieder waren hier für Franz Erlebnis geworden, der sie zum +erstenmal sang. Er hat sich seine Dichter gefunden, nach Goethe die +besten, und hat ihren Worten einen klingenden Mund verliehen, denn +alles, was er hier ansah, war schon heimliche Musik. Er spürte sie +zutiefst inwendig, und wenn die Dichterworte durch seinen Genius ihr +klingendes Gefieder erhalten hatten, dann blieben sie auch nicht lange +daheim in der Schublade, sondern flatterten aus, zu den Freunden in +die Stadt, zu Spaun, der regelmäßig neue Noten von Franz bekam und sie +wieder bewundernden Freunden weitergab.</p> + +<p>Ein Legendenkranz hatte sich drinnen in der Stadt um den einen +gebildet, »dessen Ruhm alle anderen überstrahlen sollte«. Er war schon +berühmt und hatte zahlreiche Anhänger und wußte es nicht, indessen er +abends als armer und sehnsüchtiger Schulgehilfe zwischen den Feldern +ging. Und war dennoch auf eine heimliche und sehnsüchtige Weise +glücklich, wie man es als naturfreudiger Mensch im Schoß solcher +entzückender Landschaften nur sein konnte. Lieder, wie sie damals aus +dem Herzen der Menschheit sproßten, blühen dem heutigen Geschlecht +nicht mehr, die Menschenseele ist unfruchtbar geworden; sie hat den +blühenden Garten ringsum in eine Wüste verwandelt und fristet in den +Steinhaufen ein innerlich verarmtes<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> Dasein. Das hätte man damals nicht +für möglich gehalten.</p> + +<p>Eines Spätnachmittags betraten Franz und Karl den Döblinger Friedhof, +wo die selige Mutter begraben liegt. Steinerne Engel knien zwischen +dunkelgrünen Zypressen in dem Alt-Wiener Friedhof, Urnen und gestürzte +Säulen leuchten weiß in ernstem Grün, rote Blumen bluten da und +dort auf den Gräbern. Der Vater hat einen einfachen Stein über den +Grabhügel setzen lassen, ein frischer Wiesenstrauß liegt dort zu oben +auf. Den hat die Stiefmutter niedergelegt, die Jugendfreundin von der +Verblichenen. Gute Seele! Die Vögel schmettern in den Gebüschen wie in +einem Lustgarten, die Einsamkeit verbirgt ihr Haupt in dem Schoß der +Ruhe und des Friedens! Die Trauer war aus dem Herzen geschwunden, die +Selige stand im Verklärungslicht.</p> + +<p>Franz war ernst und hoch gestimmt. »Wir gehen alle in Gott!« sagt er +plötzlich zu Karl, der zustimmend nickte, den Bruder aber nicht ganz +begreift. In tiefem Gespräch gehen sie dann in der Dämmerung hin.</p> + +<p>Der gläubige Franz! Er ist kein Grübler, kein Eiferer, kein +Kirchenfanatiker, aber er besitzt ein frommes Gemüt wie jedes echte +Naturkind. Die Seele weiß sich eins mit dem Geist der Dinge, der +Natur, der fernen und nahen Lieben. Sie findet ihren inneren Ausgleich +in dieser Allgegenwart alles Gutem, geheimnisvoll Wirkendem, geistig +Lebendem und am Weltbau Schaffendem. Für ihn gibt es kein anderes +hehres Wort dafür als: Gott! Darum gibt es für ihn auch in der Trübnis +kein Sinken, kein Sich-verloren-wähnen, immer und überall geht er in<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> +Gott. Seine Seele ist wach und hat alle Fenster auf für die magischen +Kräfte des Unendlichen, die auf ihn einströmen und das Band waren, das +ihn mit allem lebendig verknüpfte, was er liebte und ehrte. Hier ist +der Keimpunkt seines Dichtens und Werdens.</p> + +<p>Als sie bei sinkender Nacht heimkehren, ist der Plan seiner Messe, +die ihm im Kopf herumgeht, fertig. Seine kindliche Dankbarkeit, die +Anbetung des Unendlichen, das Gedenken an die Verblichenen, das +göttliche Allgefühl, alles will ausströmen als Gesang, als Jubel +der Seele. Das hat ihn der liebe Gott gelehrt, dem will er's wieder +zuwenden. Dem großen, geheimnisvollen, schöpferischen Etwas, das in und +um ihn ist. Ein ganz Großer hat es ihm zuvorgetan, dem er in Ehrfurcht +nachblickt; der herrliche, unsterbliche Mozart, dem der kleine, +ränkesüchtige Salieri so bitter zugesetzt hatte.</p> + +<p>Mozart, das war ein Wegweiser zu dem ganz Großen in ihm, auf das er +horchen mußte. Mozart und dann ein anderer ganz Großer: Herr Ludwig +van Beethoven, dessen ehrwürdig finsterer Erscheinung er zuweilen auf +einsamen Wegen ansichtig wird. Alles weicht dem scheu aus — so gehört +es sich, wenn ein Gewaltiger kommt.</p> + +<p>Trotz aller Schulnöten ist die Messe in zwei Monaten fertig — gleich +in Partitur geschrieben mit sämtlichen Chor- und Orchesterstimmen, +die Prim- und Sekundviolinen je dreifach, die Baßstimmen doppelt in +F-Dur komponiert — so schön wie es nur einer kann, dem's der liebe +Gott eingibt. Gar herrlich soll das Werk am hundertsten Jahrestag der +Liechtentaler Kirche vom Chor herab erklingen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span></p> + +<p>Franz leitet die Aufführung, Herr Michael Holzer, der Regens chori, +sitzt an der Orgel, den Sopransolo singt eine Schöne vom Grund — +Therese Grob. In der Kirche unter der Menge, die Kopf an Kopf steht, +lauschen die Freunde Schuberts, die eine große Zahl Sinnesgenossen +mitgebracht haben. Spaun ist mit einigen Leuten erschienen, die vor +Begierde auf den jungen Meister brennen, den sie schon aus seinen +Liederkompositionen schätzen und lieben gelernt haben. Sie lieben +alle die Musik, der junge Maler Schwind, der Maler Kupelwieser, der +weltmännische Herr von Schober, der dem Priesterrock entsprungene, +verschlossene, von innerer Leidenschaft glühende Zensurbeamte und +Dichter Mayrhofer, von den Konviktsfreunden gar nicht zu reden.</p> + +<p>Nun stehen sie in der Kirche und lauschen auf das Trommeln, Pauken und +Schmettern, das oben angeht, als ob sich der Himmel geöffnet hätte und +die Heerscharen zu musizieren anfingen.</p> + +<p>Zuerst ein stammelndes Geplauder in Tönen, wie wenn ein Kind zum Vater +redet, zaghaft, dann unbekümmert, vertrauensselig, voll unschuldiger +Hingabe. Jetzt erhebt sich ein Sopransolo mit klangvoller Macht; +herrlich steigt die Stimme der Therese Grob aus wirbelnden Tonfluten +hervor, schlägt schmerzliche Laute, ein demütiges Bitten, die Geigen +flehen mit, der Chor tritt dazu, die Gefühlswoge steigt höher und +höher, immer wilder entfaltet sich die blühende Stimme, ringt sich über +alle Wirren himmelwärts, eine leidenschaftlich Liebende, die zum Herzen +schreit, zum unendlichen Gnadenherzen, um Erhörung zu erzwingen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p> + +<p>Niemand weiß, daß sie längst Erhörung gefunden hat bei dem +Meisterlein oben, der das Weltherz in sich fühlt und ganz gerührt +und hingerissen ist, nicht so sehr von dem eigenen Werk, als von der +einschmeichelnden Stimme der Therese Grob. Jetzt weiß er selbst zu +seinem seligen Schmerz, was eine menschliche Stimme bedeuten kann. Er +hat wahrscheinlich nicht geahnt, was das einfache braune Greislerkind +in der Stadt, die Fanny, um ihn heimlich gelitten hat; nun leidet er um +Therese, und ist glücklich, weil er so leidet. Er hat es nicht wissen +wollen während der Proben, daß es sein Inneres so mächtig ergreift, +aber schließlich gab es kein Vorbeidenken mehr, er ertappte seine +Gedanken und Gefühle immer wieder dabei, wie sie mitten im Arbeiten, +im Schulhalten, im Träumen, im Wachen und Schlafen auskniffen, und +erwischte sie immer wieder bei dem Bild seines Herzens, der Therese +Grob und ihrer schönen Stimme.</p> + +<p>Nichts nützte es, daß er zählte von eins bis hundert, bis zweihundert, +bis fünfhundert, abends im Bett, um ohne müßige Träumerei +einschlafen zu können, half eben alles nichts gegen die beschämende +Selbsterkenntnis: er war verliebt. Kerl, dummer, närrischer, blöder, +verliebter! Möchte sich ohrfeigen, vor sich selber verkriechen, +beschimpft sich, verachtet sich, alles umsonst — die eigenen +Koboldgedanken lachen ihn aus. Er kann dem Mädel gar nicht mehr ins +Gesicht sehen, ist unhöflich mit ihr, verschlossen, fast grob — und +möchte zugleich in hilfloser Zärtlichkeit vor ihr vergehen.</p> + +<p>Jetzt, wo er als Dirigent oben steht und die Stimme wieder niedersinkt, +demütig um Erbarmen bettelnd, fühlt<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> er ganz klar, wie es um ihn steht; +er zittert, daß ihm beinahe der Taktstock entfällt. Die Geigen klagen +und irren ängstlich umher, ein Fortissimo setzt ein, der Chor tritt mit +verstärkter Macht auf, und die Stimme wirft sich verzweifelt empor — +und jetzt ist es, als ob sich der Gnadenschoß auftun würde, Engelschöre +schmettern aus allen Himmelstiefen die Verkündigung herab, die Stimme +der Seligen ertönt süß und heilig, die unendlich erlösende Liebe nimmt +die Flehende in ihr unendliches Reich auf.</p> + +<p>Die Freunde drängen nach Schluß dem Choraufgang zu, aber Franz ist +bereits entschlüpft, einer, der aus dem Gnadenhimmel gestürzt ist und +keine Erhörung suchen und finden kann. Heimgerannt ist er, um sich +zu verstecken, in sein Zimmer hinauf, heiß und schmerzvoll, da fährt +er zurück, ein ungeschlachtes Ding steht da, bleckt ihn mit weißen +Zähnen an, ein ausgewachsenes, fünfoktaviges Klavier, ein Geschenk +des Herrn Vater zu dem Tag, wo der begnadete Sohn eine Berühmtheit +vom Himmelpfortgrund geworden ist. Ja, das ist er imstande, der +knickerische, tyrannische, rechnerische Hausvater, der jedem den Bissen +vorrechnet und dann wieder das Herz hat, im rechten Augenblick groß zu +sein.</p> + +<p>Franz steht da wie ein armer Sünder. Ein fürstliches Geschenk! Daß der +Vater die Spendierhosen angehabt hat, schier wie ein Verschwender, +das rührt ihn fast zu Tränen. Er dankt mit ein paar trockenen Worten, +die widerwillig genug klingen. Ja, kann man denn alles sagen, was +man inwendig hat?! Lieber soll's einem zersprengen, als so kindische +Gerührtheiten! Er muß<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> sich gleich wegwenden, damit man's nicht merkt, +was eigentlich in ihm vorgeht.</p> + +<p>Aber da kommen schon die anderen angestiefelt, der Herr Regens chori, +der Herr Fabrikant Grob, mit ihm die Tochter Therese — o Gott, da +verschlägt's ihm völlig die Red'.</p> + +<p>Sie kommen alle gratulieren, der Herr Regens chori ist gar stolz, +weil er Schubert seinen einstigen Schüler nennen darf und ein Abglanz +des Ruhmes auf ihn, den alten Lehrer, fällt; der Herr Fabrikant Grob +aus der Liechtensteinstraße bittet den Herrn Vater Schulmeister und +namentlich den berühmten Sohn Franz um die Ehr' ihres Besuches, sie +hätten selber ein kleines Hausquartett — es könnte sich natürlich +nicht messen mit einem solchen vollendeten Meister der Tonkunst, +wie der Herr Franz — er möge halt gnädig ein Auge oder alle zwei +zudrücken, aber die Freude soll er ihnen nicht versagen, zu kommen, +und wenn die Bitte nicht gar zu verwegen ist, sie durch das Vorspielen +einiger Sachen zu erfreuen. In der Kirche sei alles hingerissen +gewesen, die Leute hätten geweint, und er selber ist dagesessen +wie mitten drin in der Seligkeit. So, und jetzt muß er ein wenig +verschnaufen.</p> + +<p>Therese, schon ein wenig ungeduldig über des Vaters lange Rederei, sie +hat selber so viel zu sagen, verpaßt natürlich nicht den Einsatz und +legt nun los wie ein Sturzbach, daß dem armen Schubert gar wirr zu Kopf +wird. Von ihrem schrecklichen Lampenfieber erzählt sie, daß es ihr +die Kehle zugeschnürt hat und wie sie mehrmals auf ein Haar daneben +gesungen hätt' — ob er denn gar nichts bemerkt hätt', der Herr von +Schubert?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span></p> + +<p>»Hab' nichts bemerkt,« versetzte er hölzern, »ist ohnehin gegangen wie +aus einem Wasserröhrl!«</p> + +<p>Wasserröhrl?! — das kühlt auf einen Moment ab wie eine kalte Dusche. +Therese wird einen Augenblick blaß, Franz wird über und über rot, weil +er denkt, jetzt hat er was Dummes gesagt. Ja mein, Süßholzraspeln ist +halt nicht seine Sache. Das muß sie schon verstehen, daß er's gut +meint. »Ist ohnehin ganz gut gegangen,« fügt er hinzu und glaubt schon, +weiß Gott was für eine Riesenschmeichelei das jetzt wär'. Ist sehr +unsicher und beschließt insgeheim, lieber wenig oder gar nichts zu +sagen, bevor er wieder einen Schnitzer macht.</p> + +<p>Das Mädel ist erpicht auf Komplimente, ein Bonbon, eine Schmeichelei, +sind ja so verwöhnt, die jungen Dinger, schaut ihn fast rührend und +bittend an, tut gar so schön zu ihm und laßt ihn nimmer aus, damit +nicht Vater Grob den Herrn Franz in Beschlag legt. Süß kann sie es wie +eine Turteltaube, redet mit holder Schwatzhaftigkeit vom Hundertsten +ins Tausendste, redet nicht nur mit dem Plappermäulchen, redet auch mit +den hurtig herumspringenden Äuglein, redet vor allem mit den Händen, +die jedes Wort ausführlich begleiten, weiß sich gar nicht zu halten vor +lauter Temperament — Wiener Mädel vom Grund!</p> + +<p>Er steht da, steif und unbeweglich wie ein Sack, strengt sich an, +möcht' was Gescheites sagen, fühlt sich ganz blöd, fällt ihm absolut +nichts ein. Ganz tramhapert ist ihm zumut, und zugleich ist er ganz +seltsam bewegt von dem lebhaften Mädchen, die aufgeschossen und schlank +vor ihm steht und sich wiegt wie eine blühende, weißgrüne Staude,<span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span> +duftig und schneeweiß gekleidet mit vielen bauschigen Falben, hellgrün +besetzt, weißen Strümpfen und weit ausgeschnittenen Halbschuhen, die +mit kreuzweise um das Bein geflochtenen Bändern festgehalten sind. Die +Ärmeln sind weit und hoch geschoppt, das gibt ihr etwas Rundung, was +sie nötig hat, der Hals trägt im tiefen Brustausschnitt ein farbiges +Medaillon an einem schwarzen Samtband, sie scheint um einen Kopf +größer, vielleicht wegen der hoch aufgetürmten Frisur, die den Scheitel +mit einem Lockenbau krönt. Das Gesicht wäre hübsch zu nennen, wenn die +Nase nicht ein wenig zu lang geraten wäre.</p> + +<p>Aber ihre Lebhaftigkeit verschönert sie, sie ist immer in Bewegung, das +verschleiert die Fehler. Er könnte sie nicht beschreiben, die zum Teil +recht unproportionierten Einzelheiten fallen ihm gar nicht auf, er hat +nur den Eindruck von etwas sehr Lieblichem als Gesamterscheinung, und +die Erinnerung ihrer Stimme im Ohr — so erscheint sie ihm zauberschön. +Mit einem Wort: er ist weg, ganz weg! Während ihr das Mundwerk geht wie +ein Mühlenrad, denkt sie beiseite: daß er gar so ein Stockfisch ist und +nichts sagt als bloß Hm! Ja freilich! Natürlich! So so — ja ja!</p> + +<p>»Also Herr von Schubert,« versichert der Schäker beim Abschied, »eine +ganze Stunde haben wir verplaudert und lustig war's! Also nicht wahr, +Sie kommen ganz bestimmt zu uns — es tät' den Vater halt soviel +freuen!«</p> + +<p>Franz besann sich.</p> + +<p>»Das muß ich mir erst überlegen — wir werden schon sehen .... wissen +Sie, ich hab' halt so wenig Zeit!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span></p> + +<p>Das Herz schrie zwar: ja, ja, ich komme gleich, lieber heute als +morgen, aber die Angst, zudringlich zu erscheinen, legte ihm Worte in +den Mund, daß es fast wie eine Absage klang. Der Vater Schulmeister +mußte sich ins Mittel legen und an seiner Statt die Zusage geben.</p> + +<p>Hinterher stieg's dem guten Franz zu Kopf, daß er sich so geziert +hatte. Sie wird doch wohl nicht gekränkt sein? Der Gedanke brachte ihn +beinahe zur Verzweiflung. Rannte hinaus in die Einsamkeit, zwischen +den Feldern die halbe Nacht umher. »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, +was ich leide ....« Lust und Schmerz wird Gesang. Ein Glück, daß er +schreiben kann. Musik, o Musik! Sprache der Seele, Sprache der Götter! +Sprache der Liebe!</p> + +<p>Aber Worte müssen dabei sein, Worte! Ein Wort wenigstens. Ein süßes, +inniges. Lautet: Therese! Muß es wenigstens vor sich hinsagen können, +muß es hören. O Gott und die Qual, mit niemanden darüber reden zu +können. Mit den Rötzlingen in der Klasse? Ausgeschlossen! Mit den +Brüdern? Das ginge schon gar nicht! Man hat sich ja recht gern, aber +man schämt sich seiner Gefühle voreinander, unter Verwandten ist das +einmal so. Man läßt nicht gern in sein Inneres hineinschauen.</p> + +<p>Bei dem Freund ist das was anderes, den hat man nötig — als +Seelengefährten. Ein Glück, daß jetzt einer daherkommt, der +Erlösung bringt, sonst müßte man sein Geheimnis ja in ein Erdloch +hineinschreien, damit es nicht die Brust zersprenge. Holzapfl ist es, +der liebe Kamerad von der Schulbank her. Ein nettes Bürschlein, das +Gesicht<span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span> kugelrund, etwas gschaftelhuberisch von Gebaren, wichtig und +eilig.</p> + +<p>Schwärmt natürlich gleich von der Messe, haben alle so ungemein +bedauert, daß sie den Franz nicht haben sehen können. Hätten gern +eine kleine Nachfeier veranstaltet, scheint aber schon ordentlich +stolz geworden zu sein, der Franz, jetzt, wo ihn die Sonne des Ruhmes +bescheint ..... die Freunde lassen ihn natürlich alle schön grüßen, +schöne Grüße unbekannterweise auch von Schwind, von Herrn von Schober, +von Mayrhofer, von dem er übrigens ein Gedicht bringt. Der Spaun +hat's ihm gegeben, Franz möcht's durchsehen, ob's ihm gefällt, Herrn +Mayrhofer tät's riesig freuen, wenn es von einem solchen Künstler +vertont würde. »Am Erlafsee« heißt es ....</p> + +<p>Franz nimmt das Gedicht, legt es wortlos hin, packt Holzapfl unterm +Arm: »Komm, ich muß hinaus an die Luft!« und draußen sind sie alle +zwei, in irgendeiner Erdfurche zwischen den Feldern und Hügeln, in +einem Weinbergshohlweg verschwunden.</p> + +<p>Wovon reden sie? Von dem großen Ereignis natürlich, von der Messe. +Franz erklärt und erklärt und beweist ihm haarscharf, daß das Beste des +Gelingens ihr zu verdanken sei, ihr allein!</p> + +<p>»Wem, ihr?«</p> + +<p>»Nun ihr — der Therese. Die Stimm', Freund, daß einem 's Herz in +der Brust zergeht! Wie soll ich dir's denn sagen .... mein, ich kann +dir's ja nicht sagen! Ich schäm' mich ja — aber es muß doch 'raus! Du +— lach' mich aber nicht aus! — Du — hörst mich?!« Er rüttelt den +Holzapfl bei den Schultern.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span></p> + +<p>»Ich lach' dich bestimmt nicht aus!« schaut ihm der Holzapfl gerade ins +Gesicht und tut sehr ernsthaft.</p> + +<p>Drückt ihn der Franz auf eine Grasböschung nieder.</p> + +<p>»Setz' dich nieder, daß du nicht umfallst. Aber du, wenn'st mich +auslachst, dann, dann ...«</p> + +<p>Der Holzapfl ist platzgespannt im Gesicht vor Erwartung und Neugier. +Die klugen Äuglein bohren sich fest und fragend in Franz, als wollten +sie bis auf den Grund des Herzens sehen; aufpassen tut er wie ein +Haftelmacher, daß ihm kein Wort entginge.</p> + +<p>Franz packt ihn jetzt und hält ihn fest. »Du — dir sag' ich's jetzt +und niemand auf der Welt! Schwör', daß es unter uns bleibt, schwör'! +Also — verschwiegen wie das Grab! So, jetzt will ich dir's sagen — +weißt du, wenn ich jetzt könnt' — sie und kein andere!«</p> + +<p>Holzapfl springt auf, reißt sich los, schamrot im Gesicht, dem Weinen +nahe.</p> + +<p>»Franz, du — abtrünnig! Ein Frauenzimmer — das hätt' ich nie geglaubt +von dir!«</p> + +<p>Sie gehen eine Weile stumm und erregt nebeneinander, Franz begossen wie +ein Pudel. Geschieht mir schon recht, denkt er, wozu hab' ich's nötig +gehabt .....</p> + +<p>»Ein Frauenzimmer — zehn Schritte vom Leib!« beginnt Holzapfl zu +fiebern. »Da bist du schon verloren — hat Samtpfoten, stecken aber +Teufelskrallen drin, lassen dich nimmer aus — bist ihnen verfallen mit +Leib und Seele. Kommt mir keine an den Leib, eher — ich weiß nicht, +was ich eher tät'! Fürchtest du dich denn gar nicht, Franz? Tu's nicht, +ich bitte dich, tu's nicht! Wir sind deine Freunderln — sind wir nicht +genug?! Du uns<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> im Stich lassen, hast nicht genug an uns?! Ich wär' zu +stolz an deiner Stell'. Was ein rechter Kerl ist wie du, der soll nicht +einmal hinschauen auf sie. Verachten tu' ich's, das ganze Weibergelump!«</p> + +<p>So redet der mannesstolze Jüngling in seiner Ekstase der Keuschheit. +Franz ist jetzt wirklich beschämt, er empfindet ähnlich, er hat auch +seinen herben Jünglingsstolz, aber verachten, verachten kann er sie +just nicht, die Holdinnen, und nun gar Therese! Er verteidigt sich +und seine Liebe, so gut er kann. Aber es klingt etwas hohl wie eine +geschwollene Phrase. »Glücklich, der einen wahren Freund findet!« sagt +er. »Glücklicher, der in seinem Weib eine wahre Freundin findet!«</p> + +<p>Der andere ist immer mehr aufgebracht.</p> + +<p>»Freundin, sagst du? Gibt es nicht! Puppenköpfe! Steht ihnen nur der +Sinn nach Bändern und Kram. Tändeln, spielen Fangball mit dir. Ist mit +ihnen das Unglück in die Welt gekommen. Hätte glücklich gelebt, der +Adam im Paradies, wär' nicht die Schlange dagewesen mit dem Apfel. Wer +ist die Schlange? Das Sinnbild des Weibes ist es, ihrer Arglist und +Falschheit. Ich beschwöre dich, Franz, bei unserer Freundschaft, bei +deiner Kunst, bei allem, was dir heilig ist, laß ab, laß ab — oder du +bist hin!«</p> + +<p>So kämpft der Knabenstolz gegen etwas, das er nicht kennt, das er +fürchtet wie eine dunkle Nacht — er würde sich nicht so wehren +dagegen, wenn er ihr nicht schon halb und halb verfallen wäre — im +Unbewußten wenigstens.</p> + +<p>Sie ringen miteinander mit harten Worten. Franz ist erbost. Er will +keine Hofmeisterei, er hat nichts getan,<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> weswegen ihn der andere jetzt +maßregeln dürfte. Die Freiheit muß er haben, er selbst muß er sein +können — ob so oder so. Nun bäumt er sich zum erstenmal bewußt auf +gegen den Freund.</p> + +<p>»Laß mich in Ruh'!« braust er auf. »Du, geh — dein Weg ist dort; ich +gehe hier, meinen Weg! Servus!«</p> + +<p>Und läßt den Verdutzten stehen. Jeder wandert allein fort in Dunkelheit.</p> + +<p>Sein Holzpuppengesicht ist knallrot, als er mit den Freunden in der +Stadt zusammentrifft. »Ein Abtrünniger ist er!« schreit Holzapfl +den Genossen entgegen. »Seine Freunde hat er vergessen, verraten +hat er sie, verlassen — einer Circe ist er ins Netz gegangen, der +Ehrvergessene!« und erzählt mit fliegendem Atem alles, was er von +Franz gehört, und noch viel mehr dazu, was ihm die erhitzte Phantasie +eingibt, die in der Ausmalung verbotener Genüsse schwelgt.</p> + +<p>Der romantisch angehauchte Schwind ist dabei, der trägt selbst an +heimlichem Liebesleid und träumt von einem adligen Fräulein, dem er +in stummer, ritterlicher Minne huldigt. Der kann bös und gefährlich +werden, wenn ihm einer an dem Idealen rührt. Fährt auch sofort dem +sauertöpfigen Holzapfl übers Maul und hält eine Verteidigungsrede auf +Franz, obschon er ihn noch nicht kennt.</p> + +<p>»Jetzt gefällt er mir erst recht, weil ich weiß, daß er die Frauen +ehrt! Grüßt ihn von mir und sagt ihm, daß ich ihn im Geiste schon heute +Bruder nenne! Geh', saures Holzapflgesicht!«</p> + +<p>»Wie schaut sie denn aus, die Erkorene?« will der<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> stutzerhafte Herr +von Schober wissen, der im Gegensatz zu Schwind eine etwas lockere +Weltansicht über die Amourschaften hat.</p> + +<p>Holzapfl ist gereizt wegen Schwind und tut auf eigene Faust wissend. +»Eine Vogelscheuchen ist sie, schielt, hat zwei linke Füß', stoßt +mit der Zunge an, und ist dumm wie ein Stock — aber sonst fehlt ihr +nichts!«</p> + +<p>»Hast du sie gesehen?«</p> + +<p>»Nein — gesehen nicht — aber gehört! War doch die, die am Chor +gesungen hat!«</p> + +<p>Jetzt aber hat der essigsaure Holzapfl auch bei den anderen ausgespielt.</p> + +<p>»Der Stimme nach muß sie schön sein wie eine Helena!« versicherte der +kennerhafte Herr von Schober, der sich in Schönheitsurteilen auf den +jungen Paris hinausspielt.</p> + +<p>Ganz zuletzt läßt sich der ernsthafte Spaun vernehmen: wie dem auch +sei, es scheint doch etwas Bedenkliches daran zu sein, man müsse sich +doch umsehen, um den lieben Franz aus einer womöglich gefährlichen +Umschlingung zu befreien; es sei nicht gut für ihn, draußen in der +Vorstadt unter kleinen Leuten zu hausen, der Künstler müsse seine +innere Freiheit bewahren, man sollte ihm häufiger bei einem Glas Punsch +im engen Freundeskreis das Gemüt erheitern. Es wird beschlossen, daß +Spaun den Wildling aufsuchen und bewegen soll, öfters in der heiteren +Tafelrunde zu erscheinen.</p> + +<p>Im flaschengrünen Schulmeisterfrack mit großen Knöpfen, hoher +Halsbinde, daß kaum das Kinn herausguckt, frisch gebügelter +Nankinghose, derben Halbschuhen mit Schnallen, Notenrollen unterm Arm, +so betritt der Schulgehilfe<span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span> und Meisterkompositeur Franz Schubert den +Salon im Hause Grob. Eine Menge Leute sind da, junges Gfliederwerk +mit Kichern und Lachen, junge, geckige Herren, Fabrikantenssöhnerln, +Therese mitten unter ihnen, dann auch behäbige, gesetzte Leute vom +Schlag des Ehepaares Grob — musikalischer Abend.</p> + +<p>Des Vater Schulmeisters Hausquartett hat ebenfalls allmählich einen +größeren Kreis angezogen, es mußte außer Haus verlegt werden und +fand bald bei dem einen oder anderen Musikfreund oder Gönner des +jungen Schubert statt, eine Zeitlang in der Dorotheergasse, dann im +Gundlhof, zuletzt am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofen, dem Vater des +berühmten Malers. Es waren schon förmliche Konzerte, die immer mehr +Zuhörer anzogen, besonders solche, die Schuberts eigene Kompositionen +hören wollten — sie hätten sich, wenn es damals üblich gewesen wäre, +Schubertverein nennen können.</p> + +<p>Der Abend bei Grob war eine neue Sache, der Anfang jener ungezählten +Schubertiaden in Wiener Bürgerhäusern, die so viel von sich reden +machten.</p> + +<p>Franz, in dem neuen Kreis Menschen ziemlich befangen, machte linkische +Verbeugungen nach allen Seiten — elegant sah er ja nicht aus, das +war nicht seine Sache — aber die Herzen wendeten sich ihm sofort zu, +besonders die weiblichen; von der ersten Minute an war er Hahn im +Korb. Therese tat gar liebreich mit ihm, die Noten hatte er für sie +gebracht, Neuschöpfungen für ihre Stimme geschrieben, eine Huldigung +seitens des Genius, die mehr sagte als alle Worte, aber kaum, daß er +das musikalische Angebinde darzubieten sich getraute.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p> + +<p>Er drückte ihr die Notenrollen in die Hand und bat, sie soll's +einstweilen beiseite legen, und später einmal vielleicht einen Blick +hineinwerfen, es ist keine so eilige Sache. Sie legte denn auch das +Geschriebene in unbegreiflicher Achtlosigkeit beiseite, wie er es +gewünscht, was ihm jetzt aber auch wieder nicht recht war.</p> + +<p>Er machte sich gleich am Klavier zu schaffen, und es dauerte nicht +lange, so hatten sich die Musikfreunde herum gruppiert; das Brodeln und +Fiedeln konnte angehen.</p> + +<p>Therese saß im Halbkreis gegen den dunklen Hintergrund des Zimmers +inmitten von jungen Männern, wohlig zurückgelehnt, träumerisch, daß es +scheinen mochte, als wäre sie von der Musik ganz berauscht. Franz, der +das Klavier bearbeitete, sah durch seine Brille ab und zu einmal hin, +wenn eine kleine Pause für ihn kam. Aber was war das! Täuschten seine +Gläser ein Trugbild vor? Sah er Phantome?</p> + +<p>Er mußte noch einmal schärfer hinsehen. Beinahe hätte er den Einsatz +verpaßt und das ganze Orchester umgeschmissen. Richtig, das war kein +Blendwerk! Sie saß dort im Kreise der jungen Männer und einer dieser +Pomadenhengste hatte verstohlen den Arm um ihre Mitte geschlungen, und +sie, sie ließ es ruhig geschehen .... ja noch mehr, sie lehnte sich an +seine Schulter, während sie sich unbeobachtet wähnte, und verdrehte +wollüstig die Augen, daß er selbst beschämt und betroffen seinen Blick +senken mußte.</p> + +<p>Das war also keine Täuschung; eine heimliche Liebesszene spielte sich +dort im Halbdämmer des Zimmers ab. Sie, die Heilige seines Herzens, in +den Armen eines<span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span> anderen! Er schlug sein Fortissimo ins Klavier hinein, +daß die Saiten hätten springen mögen, stärker schrien sie nicht auf als +die zersprungenen Saiten seines Herzens. Ja — was war er denn jetzt +noch, den die Weibsleute liebten und hätschelten?! Ein bloßer Wurstel +— es war zum Weinen — Holzapfl, du hast recht gehabt!</p> + +<p>Es war ihm wohl dabei wie einem, der Zahnweh hat und schmerzstillende +Mittel versucht. Augenblicklich wirkte es ja als angenehme Betäubung, +er fühlte zwar das Toben inwendig, freute sich aber seiner +augenblicklichen Empfindungslosigkeit, war sogar guter Dinge den ganzen +Abend lang — aber nachher, nachher kam's um so schlimmer.</p> + +<p>»Die Liebe hat gelogen —« Er wühlt sein eigenes Wehgefühl in Platens +Gedicht und spinnt die Melodie heraus, die seinem verwundeten Herzen +recht war. Drum ist soviel Leben daran, weil alles, was er schafft, mit +seinem Leben zu tun hat und aus diesen Wurzeln sprießt.</p> + +<p>Mit einem Male war's ihm zu eng daheim. Die Schule, das Vaterhaus, +alles dünkte ihn freudlos und unersprießlich. Seine Sehnsucht irrte +wieder ins Uferlose, er kleidete sie in Lieder und sang wie ein Vogel +in der Gefangenschaft. Das Glück, wo blieb das Glück?! Das lag draußen +irgendwo, fern, im Unbestimmten. Ein Schluck Freiheit, das wäre auch +zugleich ein Schluck Glück!</p> + +<p>In Laibach ist die Stelle eines Musiklehrers in einer öffentlichen +Musikschule zu besetzen; Bewerber werden gesucht, so meldete die +amtliche Wiener Zeitung. Dem guten Franz scheint es wie die Grußhand +der Ferne, die ihm winkt. Ist das die Freiheit? Einerlei, es ist +einmal<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> etwas anderes, eine Abwechslung in dem ertötenden Gleichmaß. +Was ist denn Freiheit? Das Recht, sich von einer Abhängigkeit in die +andere begeben zu dürfen. Gut also, von diesem Recht, das mindeste, was +der gefesselte Mensch hat, will er Gebrauch machen. Er will sein Glück +in der weiten Welt versuchen und bewirbt sich. Braucht der Herr Vater +derweil nicht wissen.</p> + +<p>Der gute Vater Schulmeister hatte aber schon seinen eigenen Plan +gehabt. Der ist klug und vorsorgend und sieht ein, daß der Franz +höher muß. Auf eigene Faust wirbt er für den Sohn um die erledigte +Lehrerstelle an der Schottenschule. Der Schottenprälat ist sein Gönner, +etwas Protektion braucht man immer, und wer es verdient, warum sollte +der nicht Protektion haben? Doch er am meisten!</p> + +<p>Aber so geht's in der Welt, wer's verdient, bekommt's erst recht +nicht, denn gewöhnlich haben die, die's nicht verdienen, die bessere +Protektion, und das entscheidet. Kurz, das Gesuch des Vaters +Schulmeister für seinen Sohn wird abschlägig beschieden. Franzl, du +hast frühes Pech!</p> + +<p>Der Franzl ist fast froh darüber, denn er möchte weit, weit weg. Freut +sich heimlich auf den Weizen, der ihm in Laibach blühen soll. Um den +Schnitt zu machen, bedarf es wohl einer ausgiebigen Empfehlung, und der +Mächtigste, der dort die Entscheidung zu bestimmen vermag, wäre der +Herr Hofkapellmeister Antonio Salieri.</p> + +<p>Die Umstände sind glücklich gefügt; die F-Dur-Messe wird in der +Augustinerkirche wiederholt. Wie früher Herr Michael Holzer, ist jetzt +Antonio Salieri stolz auf diesen Schüler und nimmt den Löwenanteil +seines Erfolges<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> auf sich. Er umarmt Schubert nach der Aufführung: +»Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird!«</p> + +<p>Eine Empfehlung Salieris würde in Laibach die erwünschte Wirkung tun; +jetzt kann er sie verlangen. Gesagt, getan! Salieri schreibt: »<span class="antiqua">Io +qui Sottoscritto affermo</span> ....« Klingt zwar ziemlich kühl, das +Empfehlungsschreiben, aber Salieri braucht nur mit dem kleinen Finger +zu winken, man versteht schon .... genügt also!</p> + +<p>Diesmal nach der Aufführung in der Augustinerkirche ist Franz den +Freunden nicht entschlüpft, es hat ja auch keine Therese am Chor +gesungen.</p> + +<p>Franz hat ein Notenblatt in der Tasche, das ist für Mayrhofer bestimmt, +die musikalische Begleitung für das Gedicht »Am Erlafsee«. Von +Spaun an der Hand geführt, betritt er mit dem Freund ein niedriges, +langgestrecktes Zimmer in der Wipplingerstraße, das sich halbdunkel wie +ein Schlauch hinzieht und in einer kreisrunden Erweiterung endet, die +durch viele Fenster einströmendes Licht empfängt.</p> + +<p>Stimmungsvoll ist es in dem Raum, dessen weiße Decke vom Tabaksqualm +gebräunt ist wie eine gut angerauchte Meerschaumpfeife. Blumen stehen +am Fenster, ein Kanarienvogel singt, Tabakspfeifen stehen am Ständer +in Reih' und Glied, Bücherschränke an den Wänden, in der Mitte des +erweiterten Raumes ein kreisrunder Tisch, gepolsterte Lehnstühle herum, +denen allerdings hie und da die Roßhaarfüllung aus dem abgenützten +Leder hervorguckt, im ganzen aber hat die Behausung den freundlichen<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> +behäbigen Anstrich wie die Wohn- und Studierstube eines alten +Pfarrhauses.</p> + +<p>Mayrhofer, der im Schlafrock, die Pfeife im Mund, bei einem +aufgeschlagenen Buch sitzt, begrüßt die Ankömmlinge in seiner etwas +bäurisch priesterlichen Art, die ihm noch vom geistlichen Stift her +geblieben ist, handfest und herzlich ungeniert, aber mit einem Rest von +überlegener Würde; sieht auch so seelsorgerisch aus, zugeknöpft bis +oben, als ob er im Talar dastände.</p> + +<p>Ein altes Spinett in der Ecke wird aufgeschlagen, die liebliche Musik, +die Franz zu dem Gedicht geschrieben hat, erklingt. Mayrhofer verliert +fast seine sonst zur Schau getragene gemessene Beherrschung, so +entzückt ist er, und macht in gutmütig scheltender Weise dem stillen +Spaun den Vorwurf, daß er ihm Schuberts Schöpfungen nicht hoch genug +gerühmt habe. Franz selber sagt nicht viel, er schaut sich nur den +Mayrhofer an, der wiederum schaut ihn an, und beide sind von diesem +Augenblick an in dicker Freundschaft verbunden gewesen. Hat nicht +vieler Worte bedurft.</p> + +<p>Fast so geht's mit Schwind und mit Schober, als der ganze Kreis abends +mit Schubert beim Wein sitzt. Sie haben ihn alle geliebt, die Freunde, +vom ersten Augenblick an. Das ist ein Trost, der für manches Leid +entschädigt. Ja, das ist mehr, das ist ein Glück, es ist eine Kraft! +Franz hat das beruhigende Gefühl: in diesem Zirkel bist du beschützt, +hier kann dich kein Übel anwehen, die feindliche Macht wird an diesem +Bollwerk zuschanden werden!</p> + +<p>Da war's dem Franz auf einmal hell und weit in der<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> Brust. Und er +erkannte: hier ist deine Heimat, wo deine Getreuen sind. Sie saßen mit +freudigen Gesichtern um ihn herum und feierten seinen jungen Genius. +Durch den goldgelben Wein, mit dem sie ihm zutranken, blickten sie +ihn an; stand keiner so hoch wie er und waren ihm doch alle gleich, +wenigstens durch das Genie der Freundschaft.</p> + +<p>Und wie verstanden sie es, dieses Genie der Freundschaft zu betätigen! +Sammelten sorgfältig alles Geschriebene von ihm, dessen sie habhaft +werden konnten, und trugen die Freude darüber in alle Welt, als +Verkünder des jetzigen Meisterleins. Aber der treueste Johannes war +der sanfte Spaun. Hat einen blühenden Strauß von Melodien, die Franz +um Goethes Lieder gewoben, an Seine Exzellenz nach Weimar geschickt +mit einem längeren, devoten Schreiben dazu. Der Künstler wünsche diese +Sammlung Seiner Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen .... Ich, +einer seiner Freunde, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu +bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe würde gesorgt werden usw. +usw.</p> + +<p>Die Anerkennung Goethes, die Annahme der Widmung soll den +Schöpfungen den Weg in die Öffentlichkeit erleichtern und ihnen den +buchhändlerischen Erfolg sichern — aber Goethe gibt keine Antwort. So +schwer hat es der werdende Genius bei den Zeitgenossen, den großen und +den kleinen! Zeitgenosse, das Wort wird bald einen bösen Klang haben!</p> + +<p>»Macht nichts,« tröstet Spaun, »muß auch so gehen. Und wenn du sie +eingräbst, deine Werke, so werden sie von selber herauswachsen, so +stark ist die Kraft darin.<span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span> Lauheit, Teilnahmslosigkeit, ja, selbst +Widersacherei werden am Schluß Spott und Schande haben!«</p> + +<p>»Liegt nichts dran,« nickt Franz, »muß auch so gehen.«</p> + +<p>Hebt Schwind sein Glas, trinkt Franz zu, bedeutsam: »Auf unsere Lieben!«</p> + +<p>Die anderen verstehen gleich, wo er hinaus will. Aha, denkt der +Schober, daher geht der Wind und ist alsbald in seinem Fahrwasser; er +hat ja eine so großartige Suada, daß Franz nur so aufhorcht. Und so +sind sie gleich mitten drin in der Debatte um Frauenzimmer, um Liebe +und Ehe. Gehen's gleich gründlich an, die Neunmalgescheiten!</p> + +<p>Da auf einmal läßt sich Franz vernehmen, wettert gar schrecklich gegen +das schöne Geschlecht, tut sich wirklich als grimmiger Weiberverächter +auf und hat's besonders scharf gegen die Ehe, die er als etwas +Schreckliches für den freien Mann schildert, der Herr Naseweis. Alle +horchen verwundert auf und schauen jetzt auf den Holzapfl, der dasitzt +wie ein Lügner. Kann doch kein wahres Wort dran sein an allem, was er +über den ahnungslosen Franz geschwatzt hat! Holzapfl, Holzapfl!</p> + +<p>Der schaut ganz dumm drein! Entweder lügt Franz jetzt, oder er hat +früher gelogen — Holzapfl kennt sich nicht aus.</p> + +<p>»Da sieht man wieder,« ergreift Spaun das Wort, »wie unser Schubert +gesund ist, gesund im innersten Kern — und wie dagegen der Holzapfl +krank ist, krank und wurmstichig!«</p> + +<p>Der springt auf und protestiert lebhaft, daß er krank sein<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> soll. Er +sei sein Leben nicht einen Tag krank gewesen, er fühle sich so gesund +wie nur je einer.</p> + +<p>»Ja, aber,« läßt sich Schwind vernehmen, »du leidest eben an +ausschweifender Phantasie, du wurmstichiger Holzapfl, du!«</p> + +<p>Darüber ist großes Gelächter, daß der trockene Holzapfl an einer +ausschweifenden Phantasie leiden soll, und so bleibt es unter der +freundlichen Stimmung des Abends verborgen, daß Holzapfl so wenig +reinen Mund halten konnte, ja, daß er Schubert eigentlich ein wenig +angeschwärzt hatte. Und wird zur Wiedervergeltung von den anderen als +räudiges Schaf behandelt.</p> + +<p>Das Verhältnis zu Salieri nimmt eine Wendung, als der Italiener einige +der nächsten geistlichen Kompositionen Schuberts zu Gehör bekommt. Hat +der Schüler alle Ermahnungen, sich italienische Meister zum Vorbild zu +nehmen, in den Wind geschlagen? Die B-Messe zeigt es sehr deutlich. Die +war unverkennbar einem Boden entsprossen, den so Mächtige wie Beethoven +und vor ihm Mozart und früher Haydn gepflügt und ertragreich gemacht +haben. Der Italiener hatte eine feine Witterung: Was Schubert machte, +war nicht fremdes Gewächs, künstlich in heimische Erde verpflanzt, +das war Ureigenes, an deutschen Meistern Erstarktes, vor allem +aber Selbstempfundenes: deutsches Gemüt war darin und außerdem das +Köstlichste: Heimatsgefühl.</p> + +<p>Jetzt begann ein Nörgeln und Tadeln, dies und jenes war nicht recht, +der gepriesene Schüler hatte zu gehorchen und nach Salieris Pfeife zu +tanzen, sonst waren die Gnaden verscherzt. Es wäre ja klug gewesen, den +Mantel<span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span> nach dem Wind zu hängen, und jeder Streber hätte zum Schein +wenigstens so getan, um die Gunst des Fürsprechers zu erhalten; aber +die Heuchelei war dem guten Franz nicht gegeben. Er stand schon zu fest +auf eigenen Füßen im Gefühl seiner Meisterschaft und durfte lächelnd +den unduldsamen Zuchtmeister über die Achsel ansehen.</p> + +<p>Er ließ sich eine Weile gutmütig die Kritik gefallen, verlor dann die +Geduld und erklärte, jeder müsse als fertiger Künstler auf seine innere +Stimme horchen, nicht auf das Gerede von außen — mit dieser Absage an +Salieri war auch der Bruch vollzogen.</p> + +<p>Er bekam's bald zu fühlen, der Franz; aus Laibach kam endlich der +Bescheid, daß die Stelle schon vergeben sei, ein vorgeschobener +Günstling Salieris hatte sie unter der Hand bekommen. Der Traum von +Ferne, Welt und Freiheit war vorderhand zerronnen — armer Franz; er +hatte wirklich Pech in solchen Dingen von allem Anfang an. Oder war es +Glück? War ihm ein anderer Weg vorgezeichnet, der ihn seiner Bestimmung +näher führte?</p> + +<p>Wer vermag's zu sagen?!</p> + +<p>Wohin nun, da alle Auswege verrammelt schienen? Die Freunde in der +Stadt, die waren ein Stück Freiheit, die Zuflucht. Aber von diesen war +er getrennt durch lästige und drückend empfundene Alltagspflichten +im Schulhaus. Die Freiheit, das war die unbekannte Menschheit, die +schon auf ihn aufmerksam zu werden begann. Aber kein Weg und kein Steg +führte in dieses gesuchte Land. Recht klein und elend kam er sich vor +als armer Schulgehilfe vom Himmelpfortgrund. Still war er, wenig froh, +die Sonne erschien ihm kalt, die Blüten welkt, das Leben alt, leerer<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> +Schall, was sie daheim redeten, ein Fremdling, er, im gewohnten Kreis.</p> + +<p>Und das gesuchte Land, das geahnte, nie gekannte, das hoffnungsgrüne, +wo seine Freunde gingen, wo und immer wo? Im Reich der Dichtung fand er +verwandte Stimmungen und Schicksale; er ergriff sie als Selbsterlebtes +und Selbsterlittenes und gab zu den tief empfundenen Versen, die er +sich erwählt hatte, gleich sein eigenes singendes Herz dazu.</p> + +<p>Was ihm die größte Last war, seine kleinen ungeschneuzten Schulbuben, +denen hinten das weiße Tüchel heraushing, das war nicht selten genug +auch sein Trost. Die ließen sich gern erzählen, wenn ihm das Herz voll +war, und saßen still und aufmerksam und sahen so verzückt drein, daß +sie den verschmierten Engelsköpfen glichen, die auf goldenen Flügeln in +der Kirchenempore schwebten, wo er selbst einst singend oben gesessen +hatte. Er erzählte gern den Buben von den großen Meistern, die er +verehrte. Und die Buben liebten ihn, weil er so zu ihnen redete, als ob +sie erwachsen und seinesgleichen wären, die ihn verstehen mußten. Sie +verstanden ihn vielleicht auch, auf ihre Weise.</p> + +<p>»Einer lebte hier, dessen Genius Licht über den ganzen Erdball +verbreitet hat,« so predigte er in einer gesegneten Stunde der +Kinderschar. »War auch ein Österreicher, wie ich und wie du und du +und wir alle hier zusammen. Hatte den schönen Namen Mozart, den ihr +mir nimmer vergessen dürft, denkt an ihn, wenn ihr am Sonntag in der +Kirche die große Messe hört. Vergeßt nicht, daß er himmlische Klänge +ins Leben gebracht hat, die in der Welt<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> nicht mehr vergehen können. +Das war aber kein armer Schulgehilfe, wie ich, sondern ein gefeierter +Meister. Konnte nicht abends vorlieb nehmen mit einem Stückel Brot +und ein paar Äpfeln dazu, und mit den Hennen schlafen gehen, sondern +gab ein festliches Gastmahl, mit Kerzen in silbernen Leuchtern, +seltenen Blumen und Früchten, schäumenden Bechern, lud die Menschheit +zu sich ein und kredenzte ihr den perlenden Trank seines Herzens. +Verschenkte sich so allen und der ganzen Welt, berauschte sich an der +emporziehenden Sternenpracht vor den geöffneten Türen des Balkons, +rief die unendlichen Mächte, zog sie in seinen Bann, bis die Steine +unten am Marktplatz zu leben anfingen und der tote Gast schwerfällig +vom Monument heraufstieg und, o Schreck, plötzlich im Saal stand, die +blaue Nacht mit ihren Sternen als Hintergrund des steinernen Mannes. +Zuerst ein Adagio D-Moll, nur einige Takte, dann regnen schon eisige +Posaunenklänge durch das nächtliche Blau, die Sterne tropfen, die Töne +gellen auf wie ein silberner Hagel im kristallenen Becken, alle Schauer +des Himmels und der Hölle umwehen ihn. Furchtbar schmettert der Geist +den Choral: ›Dein Lachen endet vor der Morgenröte!‹ Die Furcht befällt +ihn — doch ist es bloß die Angst, er könnte nicht vollenden, was er +so herrlich begonnen. Wenn ihn diese Nacht der Tod anfiele, und er das +Werk bis zu diesem Punkte lassen müßte, er könnte die ewige Ruhe nicht +finden. ›Wohlan, toter Gast, stoß' an!‹ und gießt seine Feuerseele in +ein letztes Glas. Hat die Menschheit alle Schauer der Unendlichkeit +getrunken an seinem Gastmahl, hat in den Finsternissen des Lebens den +Himmelsschein<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> der Ewigkeit verspürt, o Mozart, unsterblicher Mozart!«</p> + +<p>Da war es in diesem Augenblick, als ob wirklich der steinerne Gast in +der Tür stand, so fuhr der Schreck dem begeisterten Schulgehilfen in +die Glieder. Der gestrenge Herr Vater war's, der schon die längste Zeit +hinter der Tür gehorcht hatte, was denn der Franz nur anstelle, daß es +so mäuschenstill in der Klasse wäre. Und hat den Franz mit feurigen +Zungen reden gehört. Stand jetzt stumm und drohend in der Tür, und es +war wirklich so, als ob alle Schauer der Verdammnis den guten Franz +umwehen sollten. War auch schon die Welt entzaubert, die Engelsköpfe, +die in Reihen Bank für Bank verzückt gelauscht hatten, sie waren jetzt +wieder Schmutzfinken geworden. Die selige Stunde war verströmt, die +Welt lag wieder Grau in Grau.</p> + +<p>Nachher ging der Tanz los. Was er denn für ein unsinniges Zeug den +Jungen vorschwatze, wo keiner noch rechtschaffen lesen, schreiben und +rechnen kann?! Heißt man das nicht Zeit vergeuden? Und den Buben die +Köpfe verdrehen? Daß sie erst recht untauglich werden zu dem Bißchen, +was sie fürs Leben brauchen! Hol' doch der Kuckuck diese Extravaganzen, +hat ein ordentlicher Schullehrer auf den Lehrplan zu schauen oder soll +sich zum Teufel scheren!</p> + +<p>Das läßt sich Franz nicht zweimal sagen.</p> + +<p>»Herr Vater, ich bin nichts für einen Schullehrer. Lasen Sie mich +gehen!«</p> + +<p>Jetzt ist die Reihe an dem Vater, der Verdutzte zu sein.<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> Er zieht +sofort andere Saiten auf in der Meinung, er hätte den Jungen zu hart +angelassen. Also:</p> + +<p>»Was sind das jetzt für Sachen?! Von was willst denn leben, ha? Ein +Geschäft muß der Mensch haben; sei froh, daß du in der Schul' sein +darfst!«</p> + +<p>Franz schüttelt abwehrend den Kopf.</p> + +<p>»Nein, nein, Herr Vater, damit geht's nimmer. Mich müßt' eigentlich der +Staat erhalten. Ich bin eben für nichts anderes als fürs Komponieren!«</p> + +<p>Dem Vater reißt die Geduld.</p> + +<p>»Der Staat soll dich erhalten, meinst?« höhnt er. »Du bist mir ein +sauberer Patron! Möchtst wohl den ganzen Tag spazieren gehen und dich +zahlen lassen dafür, pfui Teufel! Hast etwa keine Zeit zum Komponieren +nach der Schul'? Hast du's bisher gekonnt, wirst es weiter auch können, +verstanden?«</p> + +<p>Aber der Stein ist bereits im Rollen, da gibt es kein Aufhalten mehr.</p> + +<p>»Sind's mir nicht bös, Herr Vater, aber keinen Schritt mach' ich mehr +ins Schulzimmer. Ich kann nicht mehr — ich kann's einfach nicht!«</p> + +<p>Er will's in Freiheit versuchen, auf eigene Faust. Und pocht auf die +hundert Gulden, sein erstes verdientes Geld, das er kürzlich von einem +Gönner für eine Kantate erhalten hat. Er wird sich schon durchbeißen. +Haben's andere gekonnt, warum sollte nicht auch er?! Und wenn's nicht +anders ist, lieber den Bettelstab, aber die Freiheit, das hohe, +ersehnte Gut, die Lebensluft, die sein Genius braucht, die Freiheit +also, die kann er nicht länger opfern.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p> + +<p>Da wird der Alte fuchsteufelswild, die angeborene bäurische Abneigung +gegen die Freizügigen bricht in harten Worten hervor. Sein Junge, ein +verlorener Sohn, ein herumziehender Musikant ohne festen Halt im Leben, +ohne Besitz, ohne Amt — er hat noch vom Dorf her die Verachtung für +solche wurzellockere Existenzen — das alles will nicht in seinen +kreuzbraven, eigensinnigen, grauen Schädel. Daß der Franz sein Amt vom +lieben Gott hat, weiß er wohl, aber um leben zu können, muß man sein +Amt von den Menschen bekommen.</p> + +<p>»Es leid't mich nimmer zu Haus, Vater, ich muß einmal fort, sonst geh' +ich zugrund'!«</p> + +<p>Da wird der Vater rauh: »Sollst nicht zugrund' gehen zu Haus, wenn'st +lieber in der Fremde zugrund' gehen willst! Dann geh' halt — geh' aber +gleich, geh'!«</p> + +<p>Der Vater wendet sich ab; der teuerste Sohn hat ihn ins Herz getroffen, +man soll nicht sehen, wie weh ihm ist; aber jetzt ist er fertig mit +ihm. Der Bruch ist geschehen.</p> + +<p>Franz geht. Das Vaterhaus ist zu eng geworden. Er braucht Luft, +Freiheit, er will wachsen, in die Welt hinein wachsen. Leben, o Leben!</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="III">III.</h2> +</div> + + +<p>Wandert der Jüngling stadtwärts, den Weg, den er als Knäblein an des +Vaters Seite gegangen war. Muß daran denken, und will ihn die Rührung +fast übermannen. Ist aber bald wieder frohen und leichten Herzens, geht +es doch der heißersehnten Freiheit entgegen! —</p> + +<p>Freiheit! Den Zauberklang des Wortes kann nur der erfassen, der +drückendem Zwang entgangen ist. Alles dunkel Geahnte, innig Ersehnte +ist in diesem Wort wie in einem rosafarbenen Nebel eingeschlossen, +Welt, Schaffen, das bißchen Ruhm, alles, was das Leben ausmacht. An +die Freuden denkt man, nicht an die Leiden, mit denen der Pfad ins +Ungewisse belagert ist. Durch! Der Genius muß durch — ein blaues +Himmelsziel vor sich, sein Weg.</p> + +<p>Wien, einziges, liebes Wien! Wie ein Blumentopf steht es auf grünem +Rasen mit seinen Gärten über den Stadtmauern und dem kunstvoll +gemeißelten Himmelsstab in seiner Mitte, dem alten Steffel! In der +Mitte vom Glacis in der Richtung zum Schottentor heben sich ein paar +Hüte grüßend in die Luft, die Leute treten scheu zur Seite vor einem +kleinen, stämmigen Mann, der den alten Zylinder tief in das runenhafte +Gesicht gedrückt hat und<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> daherstürmt in wogenden Gedanken, und weder +hört noch sieht.</p> + +<p>Ausweichen, ausweichen! Seiner Eingebung folgend, sprang Franz behend +auf die andere Seite des Gehweges und reißt sofort seinen Hut bis zur +Erde. Ein verlorener Blick aus dem weltfernen Titanenantlitz streift +ihn und macht sein Herz fast stillstehen vor Ehrfurcht und Freude.</p> + +<p>Ein gutes Zeichen, ein gutes Vorzeichen! wollte bebend die innere +Stimme wissen, die es als glückbringend deutete, daß Franz bei seinem +ersten erfolgreichen Schritt dem Gewaltigsten begegnet hatte, den er +neben dem Göttlichsten als meisterliches Vorbild anbetete: Herrn Ludwig +van Beethoven. Der war kein göttlicher Gastgeber alten seigneuralen +Stils in schwarzseidenen Hosen, seidenen Strümpfen, Schuhen mit +vergoldeten Schnallen, blauseidener Weste und goldgesticktem braunem +Überrock, wie der himmlische Meister Wolfgang Amadeus, sondern der +war mit seinem verwühlten Haupt, seinem unordentlich zugeknöpften +schlichten Rock ein leidenschaftlicher Himmelstürmer und Götterstürzer, +einer, der um das Menschsein wußte, um das Furchtbarste und +Erhabenste, um alle Erdenpein und Größe, um alle Verlassenheit und +Selbstgottherrlichkeit — ein Offenbarer, ein Verkünder, ein Tragiker! +Der trug die Krone der Freiheit, von der der Jüngling nicht wissen +konnte, daß es eine Dornenkrone ist.</p> + +<p>Was stehst du nun, junges Meisterlein, und starrst ihm nach mit einem +visionären Blick, als ob du eine Erscheinung gehabt hättest?!</p> + +<p>E — fis — g — h — ais! klang es plötzlich auf in der<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Brust. Franz +konnte das Tiefste, das er empfand, nicht anders denken, als in Noten. +Ein Ton, der sich wie eine Erleuchtung einstellte, bang und fragend wie +ein schüchternes Pochen am Tor des Unendlichen.</p> + +<p>E — fis — g — h — ais — — Der tragische Akkord wollte sich +nicht mehr abweisen lassen. Er klang als Grundton immer durch auch +in den heitersten Momenten und da am stärksten; er war nun einmal in +der Welt und hatte seinen eigenen Sinn wie eine Mahnung, die dann am +furchtbarsten war, wenn sie nach Zeiten des Vergessens plötzlich wieder +die Seele mit allen Bangnissen zum Aufschauern brachte.</p> + +<p>Eine helle Empfindung gewann Oberhand; sie jubelte als lebensfrohe +Melodie über den dunklen Schauern.</p> + +<p>Franz war gedankenvoll durchs Schottentor gekommen, auf der Freiung +stand er aufatmend still. Die schönen Adelspaläste, die Baumkronen +über den geheimnisvollen Mauern, umschlossene Gärten mitten in der +Stadt! Die Schottenkirche, alle Pracht ergriff ihn, als ob er sie zum +erstenmal sehen würde.</p> + +<p>»Was möchten's denn, gnä' Herr?!« fleanschte ihn eine schwammige +Öbstlerin gutmütig an. Eilig rannte er weiter aus dem Marktgewühl, am +tiefen Graben vorbei, wo der Alserbach ging, der klaräugig blickende, +gleich einem zwischen Weinbergen und Wiesenrainen spielenden hurtigen +Knaben, den es nach der Stadt drängte — was war er dort geworden? Eine +schmutzige üble Gosse, die sich scheu in dunklen Gewölben verkroch — +wie ein Schrei klang es schmerzlich auf in der Brust: e — fis — g — +h — ais!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p> + +<p>Und nun bergan zum Hof, wo der gelbe Stellwagen von der Grinzinger +Allee hereinholperte, staubig, von müden, mageren Rossen gezogen, ein +Gruß vom Land herein, von Wein und Heurigenmusik; hoch aufgepackt als +heitere Fracht alle städtische Sehnsucht nach dem Grünen!</p> + +<p>Mein Gott, diese Blumen am Hof, ein ganzer Markt, wie schön! Ja, ja, +die Stadt braucht Blumen, man kann nicht genug haben in den Mauern; +wenn man draußen lebt, ahnt man gar nicht, wie notwendig sie sind, und +daß es soviel auf einem Platz geben kann, und der Duft!</p> + +<p>Mit all diesen müßigen Gedanken und verzücktem Umherschauen vergeht die +Zeit, die Uhr unter den Atlanten mit der Weltkugel am Hof zeigt bald +Zwölf, also weiter, weiter durch die enge Bognergasse zum Graben hinaus.</p> + +<p>Herrgott, ist da wieder eine Pracht, diese Frauenzimmer, nein, nicht +zum sagen! Mudlsauber — eine schöner wie die andere! Wird einem ganz +wurlert! Und die lieben Gesichterln — wie sie lachen und umschauen, +und wieder lachen — jetzt weiß er nicht, soll er sie grüßen, kennt er +sie, oder kennt sie ihn, oder will sie ihn kennen lernen — er möcht' +jedenfalls — aber die vielen Leute — und die eleganten Schwasser, +die hinterher scharwenzeln. — Jessas! und jetzt schaut sie wieder um +— bocksteif steht er da, weiß sich nicht zu helfen, eng und schwül +wird ihm, daß er schwitzt, er schaut ratlos um und um, sein Blick +gleitet die Dreifaltigkeitssäule hinauf, die sich mit barocker Ekstase +emporwirft voll unendlichem Verlangen.</p> + +<p>E — fis — g — h — ais!</p> + +<p>»Servus, Servus! Landschulmeister, himmlischer, wie kommst du auf +einmal dahergestiefelt um zwölf Uhr mittags<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> am Graben?!« jauchzt +plötzlich einer der eleganten Stadtfräcke hinter ihm, hat ihn schon +abgefaßt und auf offener Straße umarmt.</p> + +<p>»Schober, lieber Schober!«</p> + +<p>Kurze, hastige Erzählung Franzens über Woher und Wohin.</p> + +<p>»Hast den Schulmeister an den Nagel gehängt, endlich, endlich, es war +die höchste Zeit! Wo wohnst du denn?«</p> + +<p>Ja, richtig, wo er wohnt, an das hat Franz noch nicht gedacht. »Ich +weiß nicht!«</p> + +<p>»Köstlich,« ruft Schober, »wohn' bei mir! Ich hab' ein Zimmer frei, +kost' dich nichts, kannst bleiben, solang' du magst, mir ist's eine +Freud'!«</p> + +<p>Franz lehnt lächelnd ab, vorläufig wenigstens — wozu schmarotzen? Hat +ja Geld in der Tasche, bare hundert Gulden!</p> + +<p>Schober hat es um diese Zeit eilig, der Mittagsbummel am Graben war +die Stunde, wo die Löwen auf Beute gehen; soviel Schönes, als es da zu +sehen gab — da war nicht zu zaudern. »Also Servus, auf Wiedersehen!«</p> + +<p>Beim Stock-im-Eisen, am Ende des Grabens, steht er und schaut sich die +vielen Nägel an, die in legendenhafter Zeit die Schmiedgesellen in den +Baumstamm eingetrieben haben, und wundert sich in seiner beschaulichen +Weise aufs neue, wie die Kerle so ausgezeichnet die Nägel alle auf ihre +Köpfe getroffen haben. So muß man's auch machen, die Nägel auf alle +Köpfe treffen, dann ist man der richtige Schmied seines Glückes. Aber +er denkt nicht daran, daß er ja auch seines Glückes Schmiedgesell ist, +und haarscharf,<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> wenn nicht die Nagelköpfe, so doch Notenköpfe trifft, +das Meisterstück, worauf es bei ihm ankommt!</p> + +<p>»Servus!« tönt eine Stimme weich und einschmeichelnd, er wirft sofort +den Kopf herum. »Ach, lieber Hüttenbrenner!« und schaut in das kluge +Gesicht des guten philosophischen Anselm, der zuerst Kleriker war, dann +Jurist, und zugleich in Schuberts Konviktszeit bei Salieri Kontrapunkt +studiert hat. Jetzt hat er seine Seele ganz der Musik verschrieben.</p> + +<p>Ein rasches, wechselseitiges Fragen, und alles ist klar.</p> + +<p>»Magst bei mir wohnen, ein Kanapee steht zur Verfügung! Nicht? Aber +wir sehen uns jetzt öfter, gelt? Du weißt ja, im Café Bogner, bei der +lustigen Blunzen, kommen wir täglich zusammen. Kommst bestimmt! Alsdann +Pfüat!« Händeschütteln, die Freunde trennen sich.</p> + +<p>Über der Stadt schwingen Glocken, eine tönende Flut, ein Bronzeregen, +ehern und gewaltig, als ob die Glocken in der Brust schwingen würden. +Die Glocken von St. Stephan. Franz kann nicht widerstehen, einen Blick +muß er in die Stephanskirche tun, eine liebe, alte Gewohnheit.</p> + +<p>Der Dom ist die steinerne Blume der Stadt, der liebe Wienerwald mit +seinen Blümelein und seinem Getier lebt in den himmelhohen Kapitälen. +Und allerlei spukhaftes Fabelwesen treibt sein Spiel an den steinernen +Wurzeln, läuft auf den behauenen Sockeln oder kauert in den schwarzen +Nischen. Ein herrliches, steinernes Bilderbuch — die alten Meister +hatten Phantasie. Franz fühlt sich ihnen verwandt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p> + +<p>Eine Hand legt sich auf seine Schulter. »Freund, du hier?«</p> + +<p>Franz sieht zu dem Dunklen, Zugeknöpften hinter sich hinauf, die +starre, melancholische Maske Mayrhofers schaut ihm entgegen. Arm in Arm +schreiten sie aus dem Dom.</p> + +<p>»Kannst bei mir wohnen, das Zimmer neben mir wart' auf dich!«</p> + +<p>Herrgott, wie sie sich alle um ihn reißen! Er nimmt's nicht an, aber +wohl tut's doch!</p> + +<p>Später in der Kärntnerstraße trifft er den Pianisten Jenger, mit dem +er durch Hüttenbrenner befreundet wurde, und der außerhalb seiner +Kanzleistunden mit Frau Musika in der wildesten und beglückendsten Ehe +lebt.</p> + +<p>Jetzt fängt auch der an:</p> + +<p>»Das wär' ein herrliches Dasein, eine Zigeunerwirtschaft unter einem +Dach, du, ich und unsere gemeinsame Geliebte, die holde Frau Musika! +Schlag' ein!« Es ist schon zum Lachen! Sind liebe, gute Kerle, alle +miteinander!</p> + +<p>Es ist nicht Zeit, lang Standerln zu machen, Franz will beizeiten nach +»Schwindien«.</p> + +<p>»Schwindien?«</p> + +<p>»Nun ja, freilich; das heißt, zu Schwind, ins Mondscheinhaus, drüben +bei der Karlskirche überm Glacis.«</p> + +<p>So ist Franz zum anderen Ende der Stadt wieder hinausgegangen, wo +drüben die Karlskirche steht, eine Madonna im Grünen. Das graue, +einstöckige Haus in nächster Nähe mit dem ummauerten Hof ist das +Mondscheinhaus, wo die Romantik blüht. Ein Blick von dort über die<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> +Stadt mit dem Kahlengebirge dahinter, das vergißt man nicht mehr. So +viele Poesie! Schubert singt es, Schwind malt es, ein anderer dichtet +es, jeder wie ihm der Schnabel gewachsen ist, die Hauptsache, daß man's +nur spürt.</p> + +<p>Die im Mondscheinhaus spüren's. Franz schleicht heran, im Hof hört +man schon die drei Brüder Schwind, die sich sehr laut aufführen. Was +tun sie? Dreinhauen tun's. Hauen aufeinander, daß es schallt wie +bei Dreschern auf der Tenne, oder bei Teppichklopfern, prügeln sich +gegenseitig mit alten Säbeln, rostigen Schilden, daß die Köpfe unter +den verbeulten Helmen brummen, und schreien dazu, was sie nur aus der +Gurgel bringen, volltönende, herrliche Worte, auf die man unwillkürlich +hinhören muß. Was sind es? Nibelungenverse. »Er schlug damit den ersten +Schlag. Hei, hei! Volker, Spielmann, wie rührst du den Fiedelbogen!«</p> + +<p>So macht der fröhliche Knabensinn, der noch unverkümmert in den jungen +Männern steckt, aus einer turnerischen Übung ein ganzes Ritterspiel. +Ein echter Schwind.</p> + +<p>Die Kämpfer sind müde und machen eine Pause. Franz pocht an das Tor. +Kein Laut regt sich mehr. Grad' so, als ob das Haus ausgestorben wäre.</p> + +<p>Haben sie sich am End' gegenseitig erschlagen, denkt Franz und klettert +auf die Mauer hinauf. Das Schauspiel, das sich ihm darbietet, ist +wunderlich genug. Die drei Helden, mit altem Rüstzeug angetan wie die +Schmierenkomödianten eines Bauerntheaters, schleichen mit aufgeregten +Mienen auf den Zehenspitzen ans Tor, der Älteste guckt durchs +Schlüsselloch — da hat Moritz den Eindringling schon über der Mauer +entdeckt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p> + +<p>»Kerl, elender, blöder, mistiger, lieber, guter — dein Glück, daß du +da bist! Sei aber froh, daß du kein Gläubiger bist!«</p> + +<p>Der Jubel ist jetzt erst recht groß, anstatt eines gefürchteten +Gläubigers den lieben Freund zu erblicken, der zwar die Mauer +hinaufzuklettern vermochte, aber nicht herunterkam. Eine kleine +Tracht freundschaftlicher Prügel muß er sich in seiner Hilflosigkeit +schon gefallen lassen. Nach diesen stärkenden Leibesübungen kehrt +der gewohnte Männerernst wieder zurück. Schön ist es in dem Hof, +den die Brüder in ein stimmungsvolles schwindisches Gartenbild +verwandelt haben. Mit Rasen ist er bewachsen, eine Fliederlaube +steht im Hintergrund, Akazien und Holunderbäume sind hinzugepflanzt, +einige Blumenbeete, dazu noch etliche Oleander in Kübeln — das ist +»Schwindien«, die Heimat der schönsten romantischen Malerträume. Und +weil man nichts tat, ohne den Dingen einen besonderen Sinn zu geben, +so nannten die Brüder diesen Gartenhof mitsamt den zu ebener Erde +liegenden Wohnräumen ihre Burg Malepartus.</p> + +<p>Gewohnt, gelebt, gearbeitet wurde in der schönen Jahreszeit mehr in +der Laube als in den Zimmern. Da lag noch das Arbeitszeug herum — +Neujahrskarten wurden gezeichnet und Krampusse gemalt — wofür? Dumme +Frage, für den kommenden Christkindlmarkt am Hof, Fronarbeit, mit der +sich der junge ringende Genius die Freiheit für seine Kunst und seine +Studien erkaufen muß. Denn manchmal ist Schmalhans Küchenmeister seit +dem Tode des Vaters, und mit Schuldscheinen bewehrte Feinde belagern +oft die Burg Malepartus. Aber Künstlerfreude<span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span> und Jugendsinn lassen +keinen Schatten dauernd aufkommen, besonders solange »Goldstaub« +im Tabaksbeutel ist — und den hat heute Schubert in reicher Menge +mitgebracht.</p> + +<p>»Bruder, am besten, du bleibst bei uns! Wir richten uns häuslich ein. +Platz ist genug, ein Zimmer kannst du haben, was du singst, male ich +— kann man sich ein trefflicheres Accompagnement denken?! In dieser +schönen Jahreszeit tragen wir die Matratzen heraus und schlafen +nachts im Freien unter duftendem Flieder und niederrieselndem gelben +Goldregen. Da blühen Träume, Bilder und Musik — schöner findest du es +nirgends!«</p> + +<p>Für diese Nacht beschloß Schubert zu bleiben — die Träume unter dem +Fliederbaum und Goldregen waren gar zu verlockend. Ein mannshohes +Schild mußte weggehoben werden, ein Türke war darauf gemalt noch frisch +von Farben.</p> + +<p>»Fürs Café Bogner — so bezahlt man seine Schulden!« erklärte Schwind. +»Morgen ist die feierliche Hinsetzung dieses ›Kunstwerks‹ — das gibt +wieder Kredit auf ein Jahr!«</p> + +<p>Gegen Abend wurden in der Laube die Pfeifen entzündet, und die +klausnerische Seligkeit begann, von der Schwind immer und immer +träumte. Die Wolken stiegen wie Weihrauch, Flieder und Akazien +dufteten, die Sterne leuchteten, Träume umwoben die Stirnen, das Glück +war vollkommen.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a — —</p> + +<p>Die Cellos in der Brust erheben den schmerzlich süßen Sang, wohl und +wehe ist ihm — das Glück, das Glück!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p> + +<p>Am anderen Morgen geht das Wohnungsuchen an in den engen traulichen +Gassen der inneren Stadt. Die Sonne fällt schräg in die blitzenden +Fenster der leicht gekrümmten Hauswände, ein Lied trällert, ein +Kopf lugt da und dort heraus, ein Tüchlein um die Frisur gebunden, +wäschermädelartig, mit zwei koketten Zipfeln nach vorne — sie sind +so lustig beim Zimmerfegen in aller Früh, die holden Weiblein! Und +auf Reinlichkeit sind sie wie der Teufel: nur gleich zum Fenster +hinaus mit dem Staubtuch, die ganze Ladung dem Vorübergehenden auf den +Kopf: Unrat, zusammengedrehte Haarbüschel — das ist aber noch nicht +das Schlimmste, wenn nicht zufällig auch einmal was Lebendiges dabei +ist, ein Läuslein, ein Wänzlein, ein Flöhlein. Sind ja so übertrieben +reinlich, dulden nichts Unsauberes, heißt es gleich, hinaus damit! Also +gib fein acht, lieber Morgenwanderer, wenn du durch enge Wiener Gassen +lustwandelst!</p> + +<p>Spaziert Franz unverdrossen die Kreuz und Quer, gaßauf, gaßab, hält an +jedem Tor, wo ein weißer Zettel hängt und wie eine Geisterhand winkt: +»Elegant möbliertes Zimmer für einen soliden Herrn .....«</p> + +<p>Unzählige Treppen gibt es zu steigen, eine Wanderung, die steil hinauf- +und hinuntergeht im geklüfteten Stadtgebirge. Das Bilderbuch der Stadt +rollt sich auf bei dieser seltsamen Wanderung, die keinem Junggesellen +erspart bleibt. Es ist zwar immer dasselbe Bild bürgerlicher +Zwischenstufen, ein krampfhaftes Pflanzmachen, dahinter die heimliche +Misere, ein elendes Durchfretten, ein ewiges Wursteln ..... immer +dasselbe Thema, aber welche Variationen im Menschlichen!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span></p> + +<p>Eine hübsche Witwe tut sehr fesch, will ihn gar nicht mehr fortlassen, +sitzt plaudernd da mit übereinandergeschlagenen Beinen: »O, Sie werden +sich sehr wohl fühlen!« Mehr als ihre Worte sagen es ihre Mienen und +ihre Augen. Er wäre froh, wenn er schon draußen wäre, er fühlt sich gar +nicht wohl, er sitzt wie auf glühenden Kohlen.</p> + +<p>Bei einer Witwe, die so hübsch und lustig dreinschaut, nein, das geht +doch nicht. Was würden die Leute dazu sagen, die Freunde und nun gar +die Brüder, wenn sie kämen, und erst, was Gott verhüte, der gestrenge +Herr Vater! Die Hänseleien von den einen, die stillen oder gar lauten +Vorwürfe von den andern — er möchte keines von beiden riskieren. Er +ist das wirklich, was auf dem Zettel verlangt wird, »ein solider Herr«! +Er ist hochrot im Gesicht, als er wieder unten auf der Straße steht, +und jetzt ärgert er sich über sich selber. »Dumm von mir ...«, aber man +ist manchmal so und manchmal so .....</p> + +<p>Und fort geht das Suchen — schließlich wird's ihm ein Bild des +Lebens: Suchen und Suchen, kaum ein Finden, schließlich immer nur ein +Vorliebnehmen.</p> + +<p>Des Auf- und Abkletterns müde geworden, hat er am Schluß +vorliebgenommen und sitzt als Zimmerherr in einer geräumigen Stube mit +altväterischen wackligen Möbeln. Nun ist er in seiner höchsteigenen +Behausung für monatlich dreißig Gulden Wiener Währung samt Frühstück. +Ein sündhafter Preis! Warum hat er's genommen? Das Suchen war ihm schon +zuwider, vielleicht aber hat ihn auch das Mitleid bestimmt. Er hat ein<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> +weites Herz und denkt sich, wegen so ein paar Netsch mehr oder weniger +....</p> + +<p>Die Quartierfrau, ein abgehetztes Weib, hat ihm in fünf Minuten ihre +ganze Lebensgeschichte erzählt, sie ist eine »bessere Frau«, was sie +wiederholt unterstreicht, und die Mali, ihre Tochter, das liebe, gute +Kind, lernt Französisch und Klavier und kann eine ausgezeichnete +Torte machen!! Sie ist so furchtbar häuslich! Sie behauptet, daß die +Erziehung des Kindes so furchtbar viel Geld kostet, aber eine gute +Bildung sei wohl die beste Mitgift! Ein vernünftiger Mann würde bei +einem Mädchen doch lieber auf Bildung und Häuslichkeit sehen als auf +Geld! Der neue Zimmerherr wird sich wie zu Hause fühlen!</p> + +<p>Es gelingt ihm endlich, ihrem Wortschwall Einhalt zu gebieten und sie +zur Tür hinauszuschieben, dann hört er sie im Hintergrund des dunklen +Flures, der von Waschdunst und Küchengerüchen erfüllt ist, mit der +Mali, dem guten, lieben Kind, keifen: »Was stehst denn, Trampel, +schau', daß d' in Schwung kommst ...« So sieht's mit der Erziehung aus, +die furchtbar viel Geld kost' ....</p> + +<p>Es ist aber nicht tragisch zu nehmen, das Zünglein hängt gar locker und +ist mit einem Schimpfwort rasch fertig. Das kommt bei besseren Leuten +auch vor — es gehört zur Gemütlichkeit.</p> + +<p>Ein Klavier steht in der Ecke, verstaubt, verstimmt, es muß erst +instand gesetzt werden. Ein Glück, daß es überhaupt da ist. Also rasch +den Klavierstimmer ins Haus! Die gute Mali — ob die je im Leben eine +Klaviertaste angerührt hat? Aber das bißchen Pflanz — es ist ja so +notwendig zum Leben, der Traum von Glück, ein goldener<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> Schein, der das +graue Elend ein bißchen überleuchtet!</p> + +<p>Als dem Klavier wieder wohlgestimmte, klare, reine Töne entsteigen, und +die von Arbeitsdrang erfüllte Brust sich in Noten entladen darf, da +ist das Gemach hell und freundlich geworden und die Geister der Sorge, +die es bewohnten, sind entwichen. Die Seele schwebt in wolkenloser +Seligkeit und ein Celloton singt in H-Moll aus blauer Ferne:</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a .....!</p> + +<p>Ein schwebender Klang, der sein hoffnungsreiches Glücksgefühl umspielt. +Wenn er in sich hineinhorcht, kann er ihn jetzt wieder vernehmen, immer +und immer wieder.</p> + +<p>Der Ton entschwebt, wenn er ihn fassen will, verdrängt von dem +singenden, rauschenden Quell in seiner Seele, der ins Leben will, der +Menschheit zur ewigen Freude. Herrlich ist es, so in Freiheit zu leben +und im goldenen Überfluß zu schwelgen! Mit vollen Händen kann er sich +verschenken, so stark und schier unerschöpflich ist der innere Quell!</p> + +<p>Der graue Vormittag gehört dieser stürmischen Arbeit. Mit allen Kräften +der Seele ist er seinem Werk gewidmet, vom frühen Morgen an bis zur +Mittagsstunde. Dann ist er erschöpft, leer, ausgepumpt, sucht Erholung +und Ablenkung und findet sie bei den Freunden. Schon beim Mittagessen +trifft er den einen oder anderen im Gasthaus »zur schwarzen Katze«, +»zur Schnecke«, »zur Eiche«, beim »roten« oder beim »blauen Igel«, wo +abwechselnd das bescheidene Mittagsmahl eingenommen wird.</p> + +<p>Gleicht ein Beisel dem andern, der Fußboden ist voll<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> Flecken und +Schmier, der Kellnerfrack ist es ebenso, der einmal schwarz war und +jetzt grau ist wie der Boden, der einmal weiß war. Es geht gemütlich +her, der Wirt, der Zahlkellner, der Speisenträger, der Pinckerl +schießen herum, Herr von Schubert hin, Herr von Schubert her, vier +oder sechs Hände entreißen ihm Hut, Stock und Überrock, noch ehe der +Ankömmling weiß, wie ihm geschieht, leiert ihn der Pikkolo an wie +ein Ratschenbub und zählt alle Getränksorten her, der Speisenträger +memoriert die Speisenkarte: Fleckerlsuppe, Nudelsuppe, Kaiserschöberl +— schönes Rindfleisch, Herr von Schubert, ein schwarzes Scherzel, +ein Kavalierspitz, ein Kruspelspitz, nicht zu fett, ein bisserl +unterspickt, Zwiebelsauce oder eingebrannte Erdäpfl dazu, oder rote +Rüben, Schnittlauchsauce — vielleicht einen schönen Kalbsschlögel, +einen Nierenbraten, Kaiserfleisch, Schöpsernes, Roastbeef —</p> + +<p>Halt, halt! Der Kopf wirbelt einem schon! Jetzt kennt man sich in +den kulinarischen Genüssen erst recht nimmer aus. Zeit lassen! Die +Speisenkarte her!</p> + +<p>Inzwischen wird von allen Seiten geschrien, dem einen geht die +Bedienung zu langsam, dem anderen, der seine Suppe noch nicht +ausgelöffelt hat und schon das Rindfleisch kriegt, geht sie zu schnell, +keiner ist zufrieden, ein jeder möcht' etwas anderes — die Aufregung! +Das Schimpfen, das Gelächter, das Tellerklappern, das Geschrei, +die durcheinander schwirrenden Dissonanzen — wobei sich alles in +Wohlgefallen und Gemütlichkeit wieder auflöst — es wirkt auf die +abgespannten Nerven doch wieder belebend wie ein erfrischendes Bad. Und +hat man heute über den Schlangenfraß geschimpft und es verschworen,<span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span> +das verfluchte Saubeisel nicht mehr zu betreten, so ist man am +anderen Tage um so pünktlicher wieder da. Es ist keiner glücklich, +wenn er nicht ein bißchen räsonnieren kann. Die Wiener Tugenden und +Untugenden, die waren, sind und sein werden — man hat sie in der +knappen Mittagsstunde beisammen, während der Fütterung entfalten sie +ihre Blüte. Man ist gereizt wie eine hungrige Bestie, wenn man kommt, +und wenn man geatzt ist, geht man als friedfertiger Mensch von dannen. +Wohin?</p> + +<p>Natürlich ins Kaffeehaus zu einem Schwarzen und einer Pfeife Tabak, die +der Höhepunkt des Diners ist. Das Essen ist nur der Umweg zu diesem +Göttergenuß. Also geradewegs zur »lustigen Blunzen«, wo Schwinds Schild +mit dem Türken richtig in ganzer Farbenpracht prangt.</p> + +<p>»Schani, trag' den Garten außi!« Also trug an schönen Tagen Schani, +der Kellnerjunge, unter Beihilfe des Feuerburschen den Garten hinaus, +nämlich die Holzkübel mit den Efeuwänden, die am Trottoir vor dem +Café einen kleinen imaginären Gartenbezirk bilden mit einigen +Marmortischchen darin. So sitzt man draußen im Freien an schönen Tagen. +Fast angenehmer ist es aber drinnen in dem gewölbten Raum, wo der +Feuerbursch am Herd die Bohnen röstet, daß der frische Kaffeegeruch +stark und würzig den Raum durchströmt. Eine ältliche Kassiererin sitzt +im Büfett und liest in einem Romanbüchel, ein paar Herren im dämmerigen +Hintergrund halten starr die Zeitung vor sich hin oder sitzen in +bequemen Lehnsesseln zurückgelehnt, zuweilen glaubt man sich in eine +Sägemühle versetzt, ein verdächtiges Geräusch rasselt von hinten her,<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> +steigt höher und höher, und wenn es den Klimax erreicht hat, reißt es +plötzlich ab, ein tiefes Schnarchen: jeder macht seinen Nipfetzer.</p> + +<p>Der Kellner streicht lautlos hin und her wie auf Samtpfoten, damit +er keinen von den Herren aufweckt. Nur vom Billard her tönt das +gedämpfte Rollen der Kugeln, nebst dem Summen der Fliegen an den +Fensterscheiben, eine angenehme, einschläfernde Musik. Am schönsten ist +es, am Fenster zu sitzen, hinauszublicken auf die alten Häuserfronten +mit bequemen Portalen, verwittertem, steinernem Wappenschild darüber, +schmiedeeisernen Balkonen und ähnlichem, ehrwürdigem Zierat. Da sitzt +man in Betrachtung dieser Dinge, schlürft seinen Schwarzen, schmaucht +sein Pfeifchen, schaut in die Zeitung, tut zwischendurch selbst so +ein kleines Nickerlein, oder ergötzt sich, wenn die Freunde da sind, +an dem Gespräch, das alsdann immer munter fließt. Die Welt täglich +niederreißen, neu und schöner wieder aufbauen — dadurch wird die +schwarze Kaffeestunde ereignisvoll und fruchtbar.</p> + +<p>Die paar Stunden nachher während des Nachmittags vergehen auch so; die +Blume der Freundschaft entfaltet sich am herrlichsten erst abends. +Da sitzt man mit den geliebten Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, +wie Franz seine Getreuen nennt, oft in fröhlicher Tafelrunde über +die gewöhnliche Sperrstunde hinaus beisammen, und zuweilen hallen +die schlafenden Gassen von der lauten, singfrohen Ausgelassenheit +der Jünglinge, die Schwinds Stift in einem übermütigen Augenblick +festgehalten hat, wie sie vor einem unvollendeten Neubau stehen und ein +Ständchen vor den leeren Fenstern darbringen. Die herrlichsten<span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span> Lieder +steigen in das Nichts empor, die Schöne fehlt, für deren Ohren sie +bestimmt sind, die ist nur erträumt da, und an ihrer Stelle antwortet +das Echo in den Schatten des leeren Hauses.</p> + +<p>So geht es derzeit noch dem Meisterlein, die Freunde sind da, der +Genius hat ihn geküßt, aber wo ist die Menschheit, seine Gaben zu +empfangen und den schuldigen Dank zu spenden?</p> + +<p>Einerlei, der junge Meister denkt nicht daran, es ist ihm vor allem +darum zu tun, sich im Schaffen auszuwirken und den inneren Schatz zu +heben, der sein Erbteil geworden war. Die Freunde wissen es, die seine +Schöpfungen in Abschriften von Hand zu Hand geben, kein Abend vergeht, +wo sie nicht bewundernd von den neuen Köstlichkeiten erzählen, die +Schubert in seinen fieberhaften Arbeitsstunden an den Tag gefördert hat.</p> + +<p>Äußerlich war es nur ein kleines Leben, das der junge Schubert +genießerisch führte. Aber in diesen scheinbar nichtigen Dingen war +wienerischer Geist, sein vegetatives Sein lebte davon, der innere +Mensch, der sich an dieser geheimnisvollen Kraft aufbaute. Ein Narr, +der mehr verlangt als diese einfache seelische Hausmannskost, die +Mutter Heimat gibt. Schuberts Sein war mit allen Wurzeln in dem +Boden dieser Wiener Heimat verwachsen; er lebte im Alltag, wie alle +anderen lebten, nur mit dem Unterschied, daß er als der schöpferische +Mensch es verstand, aus der groben Alltagskost das geheimnisvolle +wienerische Fluidum abzuleiten, aus den Wurzeln in die Krone, wo es +liedhaft ertönte, als unsterblicher Sang<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> auf die einzige, süße, liebe, +unvergleichliche, schöne Weanastadt!</p> + +<p>Ein Ton schwebt über diesem Dasein, darin die Seele der Stadt war, vor +allem die Seele Schuberts: g — d — g — fis ...!</p> + +<p>Immer wieder klingt dieser milde, tröstliche Satz durch, mannigfach +verschlungen und variiert, wie der Anfang einer Sinfonie seines Lebens. +Daß man es doch fassen könnte, hinstellen als unvergleichliches +Gleichnis seiner selbst! Und immer wieder, mannigfach unterbrochen von +dunkleren, schmerzlicheren Gewalten, setzt dieser verhaltene, heiter +ernste Takt ein, immer wieder, ohne zu vollenden .......</p> + +<p>Aber das fröhliche Herrenleben neigt sich zu einem sehr betrüblichen +Ende. In den zwei armseligen und doch so folgenschweren Wörtchen +spiegelt sich das Schicksalsbild: kein Geld!</p> + +<p>Hundert Gulden dauern nicht ewig, auch nicht in jenen Tagen, wo sich +unendlich mehr damit richten ließ. Man ist zwar kein Leichtfuß, aber +man ist auch kein Sparer und kein Knicker, und wer sich jede Freude +versagt, wird auch wenig Freude geben.</p> + +<p>Franz knirscht: Verflucht auch! Die anderen sollen's nicht merken, er +will's vor sich selber nicht wissen, will sich nicht stören lassen, +nicht beirren lassen, arbeitet drauf los. Die Arbeit hat ja das Gute, +daß sie von den Trübnissen erlöst und daß man sich als Herr des Lebens +fühlt, solange sie dauert und glückt. Aber dann, in den Stunden der +Erschöpfung, dann führt Frau Sorge das Wort. Sollte der Herr Vater +recht haben: ein verlorener Musikant?!<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> Nein, nein — man muß sich halt +tüchtig durchbeißen, fest zusammenhalten die paar Knöpf', die man noch +in der Hosentasche hat, und Stunden geben, mehr Stunden!</p> + +<p>Einige Schüler hat er schon. Aber die sind halt das Kreuz seines +Lebens. Fressen die schönste Zeit und beste Kraft weg für nichts und +wieder nichts. Diese Stockfisch', diese vernagelten!</p> + +<p>Einige Haustöchter aus guten Familien nehmen Unterricht bei ihm. Sie +schrecken vor dem Schwierigsten nicht zurück; was sie am wenigsten +können und verstehen, reizt sie am meisten. Es bringt den armen Franz +zur Verzweiflung. Dieses Haustöchtergeklimper! Heiliger Beethoven! +Muß deine Feuerseele so unters Klavier fallen! Muß es wirklich sein?! +Mamsell, Mamsell!</p> + +<p>Es muß wirklich sein. Mamsell ist sonst gekränkt und gibt die Stunden +auf. So also sieht die Freiheit aus?! Dreimal gefesselt vom Mangel, +von der Frone und der Schaffensnot. Die Tage im Schulhaus — was war +das für eine sorglose, glückliche Zeit! Er könnte ja zurückkehren, der +Vater würde ihn mit offenen Armen aufnehmen, ein reuig heimkehrender +Sohn! Aber er schleudert den Gedanken ergrimmt von sich: Feigheit, +erbärmliche Feigheit! Einem jungen Menschen geht es nicht schlecht, +auch wenn er kein Geld hat. Ein junger Mensch, der Talent hat und +arbeiten kann, ist reich. Reich, ja, das ist unser Franz, sitzt bei +goldenen Schätzen — nur abbeißen kann er nichts davon!</p> + +<p>»Unbegreiflich, daß ein Mensch, wie du, nicht schon längst einen +Verleger gefunden hat!« wundert sich Spaun<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> und nimmt die Sache gleich +energisch in die Hand. Wozu noch warten? Die Manuskripte stauen sich in +Schuberts Mappen und Tischladen. »Ich hab' mit Diabelli gesprochen, er +hat von dir schon gehört, geh' nur getrost hin.« So der liebe Freund.</p> + +<p>Franz faßt ein Herz. Er ist scheu vor fremden Leuten, und nun gar als +einer, der nichts bringt, sondern viel eher fordert! Es kostet viele +Überwindung, bis er sich auf den Weg macht.</p> + +<p>Endlich sitzt er im Geschäftsladen des Wiener Druckgewaltigen. Er muß +warten, ehe sich ihm die Tür des Chefzimmers gnädig erschließt. Eine +Viertelstunde vergeht, eine halbe Stunde — das zermürbt den Menschen. +Entweder er lehnt sich auf und geht davon, nicht ohne einen kräftigen +Fluch zur Tür hineinzuschleudern, oder aber er knickt zusammen und +versinkt zu einem Häuflein Elend.</p> + +<p>Die Faust geballt, den Fluch auf den Lippen, will der Künstler seiner +Menschheitwürde den rechten Ausdruck verleihen, aber der Gedanke an die +Geldnot zwingt ihn nieder. Er gibt sich und dem Protzen da drinnen noch +fünf Minuten Frist, dann noch fünf Minuten — endlich! es ist ein Glück +für den da drinnen, daß er den Künstler nun rufen läßt.</p> + +<p>Der steht nun demütig und verzagt vor dem gerissenen Geschäftsmann, der +ihn wie einen Bettler empfängt. Fürs erste, daß er auf den schüchternen +Gruß des Eintretenden gar nicht antwortet. Er streift ihn nur mit einem +flüchtigen Blick aus der Brille, dann sieht er ihn überhaupt nicht +mehr an. Es ist ein Geschäftskniff. Man<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> darf den jungen, schaffenden +Talenten nicht zeigen, daß man sie braucht. Sonst werden sie in ihren +Forderungen unverschämt. Man muß sie so lange als möglich zappeln +lassen, bis ihnen das Wasser ins Maul rinnt, dann macht man den Fang! +Das ist die Geschäftsethik der Herren Diabelli und Genossen.</p> + +<p>Franz stammelt unverständlich etwas vor sich hin und legt ein Notenpack +auf den Tisch. Der Verleger blättert oberflächlich eine Weile herum, +schiebt das Ganze wieder zurück und sagt:</p> + +<p>»Nicht zu brauchen! Viel zu schwer! Das Publikum verlangt leichtere +Sachen. Ihr Herren Künstler glaubt immer, es muß durchaus nach eurem +Sinn gehen. Wer soll denn das Zeug verkaufen? Aber ihr denkt halt, +es tut nichts, wenn der Verleger sein Geld verliert! Es tut ja was! +Verstehen Sie mich?! Könnt' verhungern alle miteinand' mit eurem +verfluchten Eigensinn! Also lassen Sie sich's gesagt sein, machen's +leichtere Sachen, dann können's wiederkommen!«</p> + +<p>Draußen war Franz, er wußte nicht wie, der Schädel brummte ihm, das +Gesicht war hochrot, es war ihm, als ob er einen Schlag bekommen hätte. +Schnurstracks ist er heimgestürmt, aber das Heim ist auch keine rechte +Zuflucht mehr. Die Quartiergeberin hat's Grüßen verlernt, wenn sie +ihn sieht. Das macht die unbezahlte Wochenrechnung. Aber so geht's: +gestern war man noch ein gnä' Herr, heute ist man ein Lump! Das ist +die Psychologie der kleinen Leute, die eine feine Witterung für die +jeweilige Finanzlage haben. Verfluchte Bagage! Mali, das liebe, gute +Kind, ist alle Augenblicke in der Tür gesteckt,<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> hat sich immer was +zu schaffen gewußt im Zimmer, war nie um einen Vorwand verlegen, und +blieb dann länger als nötig war, weil sie »gern etwas abgespickt hätte +beim Klavier ....« Dann bringt sie gelegentlich ein Stück Sonntagstorte +eigenes Fabrikat »zum Kosten«!</p> + +<p>Franz ist gutmütig und gibt ihr einige Gratisunterweisungen in leichten +Klavierübungen. Aber Mali hat dumme Finger und ist ganz talentlos ..... +Schließlich ist ihr ja auch nicht ums Klavierspielen zu tun.</p> + +<p>Die Mutter steht dahinter und schürt und schürt. Sie hat's schwer im +Leben und möchte das liebe, gute Kind gar zu gern versorgt wissen. +Aber Franz ist keiner, der sich einlullen läßt mit Schmachten und +Sonntagstorten, einspinnen und einnähen, bis es heißt, entweder Schuft +oder Trottel! Trottel, wenn man picken bleibt, Schuft, wenn man die +Kleine sitzen läßt. Franz ist weder für das eine noch für das andere +geboren. Weder Schuft noch Trottel — das hat die arme Frau schließlich +doch gemerkt. Sie kuppelt auch nur so lang, als sie glaubt, daß der +»gnä' Herr« bei Kasse ist. »Ah, das ist so einer!« tippt sich die Alte +an den Kopf. »Ist nicht weit her mit der Marie (Geld)! Ich hab' mir's +doch gleich gedacht. Na, wart', mein lieber Gschwuf: so etwas könnt' +man brauchen!« So wird das gemütliche Heim allmählich eine Hölle.</p> + +<p>Aber auch im Wirtsbeisel verändert sich die Stimmung. Hut, Stock und +Überrock wird einem nicht mehr aus der Hand gerissen, der schofle Gast +mag sich nur selber bemühen. Der Fraß wird einem ziemlich achtlos +hingeschoben, jetzt kannst du drei-, viermal klingeln, bis so<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> ein Lakl +die Ohren auftut. Hat man denn einen Geruch an sich, wenn einem das +Geld knapp wird? Es muß wohl so sein. Wer kein Geld hat, ist soviel wie +ein Pestkranker. Der soll sich nur gleich begraben lassen. Kein Hund +nimmt ein Stückel Brot von ihm!</p> + +<p>Franz ist nicht der Mann, sich die Misere anmerken zu lassen. Aber +da hat er sich verrechnet in der Kennerschaft der dienstbeflissenen +Menschheit. Das sind geübte Menschenkenner, die dienstbaren Geister, +und wissen genau, was es bedeutet, wenn der Herr von Schubert auf +das Fleisch verzichtet und sich mit Linsen und Spiegeleiern begnügt, +oder abends bestenfalls Augsburger mit Erdäpfl ißt, ein kleines Glas +Bier dazu, wenn auch der Durst noch so groß ist und — was das größte +Verbrechen ist — mit dem Trinkgeld zu sparen anfängt. Der Schmutzian, +der notige!</p> + +<p>Armut ist keine Schande. Sie ist mehr: ein Unglück ist sie, eine +Schmach! Zuweilen lastet es mit großer Wucht auf dem empfindlichen +Gemüt. Und herzzerreißend klagen die Geigen, Violen und Fagotten in der +Brust: e — fis — g — h — ais ....... Wie schwere Gewitterstürme +stöhnen die Kontrabässe drohend und unheilvoll tief unten: c — c — c +....</p> + +<p>Ist denn in dieser infamen Welt, wo jeder Vogel sein Futter findet, +kein Platz für den gottbegnadeten Künstler?</p> + +<p>Es ist die Stimmung, in der der Galgenhumor erwacht. Den Freunden +geht's mit wenigen Ausnahmen auch nicht besser. Was ist eine Zeit +wert, die so ausgezeichnete Kerle darben läßt? Das gemeinsame Leid +macht stark.<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> Was sind die Freunde doch für Mutmacher! Der Wert der +Freundschaft, nie steht er höher als in solchen Tagen. Es sind ihrer zu +viele, einer hält den anderen, sie wissen, die Zukunft gehört ihnen, +trotzig fordern sie die Gegenwart heraus. Aus dieser inneren Gewißheit +schöpfen sie den Humor, der sie selbst in dieser mißlichen Lage +beneidenswert macht.</p> + +<p>Das Verlegerunglück wird gehörig belacht und auf diese Weise der +Bitterkeit entkleidet. »Der Diabelli wird dich noch um Verzeihung +bitten und froh sein, wenn er die Brosamen aufheben darf, die von +deinem Tisch fallen, du Reicher im Genieland!« entschied Spaun. +»Hilft aber alles nichts, du mußt vorerst mehr in der Gesellschaft +herumgereicht werden, bis der Kerl leckere Zähne kriegt!«</p> + +<p>Schober hat wichtige Verbindungen angeknüpft. Er hat den Baron +Schönstein, der in seinen adeligen Zirkeln als Liedersänger glänzt, für +Schubert zu interessieren gewußt. Der aristokratische Amateur erkannte +sofort: hier ist ein Besonderer! Er ist Feuer und Flamme für ihn, rührt +die Propagandatrommel und erweckt in seinen exklusiven Kreisen die +Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Eines Tages empfängt Franz eine +Einladung in das Haus der Fürstin Soundso. »Dein Glück ist gemacht!« +erklärten die Freunde. Gemach, gemach, ihr lieben Heißsporne, auch +damit hat es seine Wege!</p> + +<p>Franz sitzt am Klavier, Schönstein singt. Die aristokratische +Gesellschaft ist entzückt, besonders aber die Damen. Sie können +sich nicht genug tun mit feurigen Anerkennungen und Glückwünschen. +Aber die Begeisterung gilt nur<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> dem Sänger, Schubert sitzt am +Klavier, unbeachtet, vergessen, niemand von den Herrschaften würdigt +ihn eines Wortes oder auch nur eines Blickes. Die Fürstin, ihrer +Hausfrauenpflicht eingedenk, erinnert sich des Meisterleins, wenngleich +ein wenig spät. Sie will die Vernachlässigung gutmachen, sie spendet +dem Unbeachteten freundliche Worte des Lobes; sie ahnt dunkel, daß +etwas nicht ganz in Ordnung ist, und tröstet ihn darüber, daß der +Sänger seiner Lieder den Lorbeer allein einheimse, der eigentlich zum +größeren Teil ihm gehöre, dem Schöpfer der Lieder. Aber die Menschen, +die unter dem starken Eindruck eines guten Vortrages ständen, seien nun +einmal so.</p> + +<p>Franz lehnt bescheiden ab: »Geben Sie sich diesfalls nur keine Müh', +Frau Fürstin, ich bin's ja gewohnt, übersehen zu werden; ja, wenn ich +aufrichtig sein soll, so ist mir das sogar recht lieb — wissen Sie — +ich fühle mich dadurch weniger geniert ......«</p> + +<p>Das war kindlich aufrichtig, sogar rührend — ob es die Fürstin +verstanden hat? Sie wußte jedenfalls die Form zu wahren und es am +Schlusse so zu wenden, daß die jungen Damen der Gesellschaft dem +bescheidenen Meister pflichtschuldigst einige Artigkeiten sagten. Dem +war es aber erst recht zuwider.</p> + +<p>Und als ihn die Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, die ihn schon +desselben Abends in der lustigen Blunzen erwarteten, bestürmten und vor +Neugierde brannten, was er vor dem auserwählten Damenkreis für eine +Wirkung erzielt habe, da sagte er unwirsch: »Ach, diese Frauenzimmer +sind mir zuwider mit ihren Artigkeiten; sie verstehen<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> von der Musik +nichts, und was sie mir da sagen, geht ihnen nicht vom Herzen ...«</p> + +<p>Der Versuch schien also fehlgeschlagen. Doch Schober hatte schon wieder +einen neuen Ausweg gefunden. »Morgen abend seid ihr bei mir eingeladen, +und was meinst du, Franz, wer kommt? Kein Geringerer als der +Hofopernsänger Vogl, der große Vogl, Philosoph und gewaltiger Sänger +— nun, so freu' dich doch, du hast doch nichts sehnlicher gewünscht, +als den großen Vogl kennen zu lernen. Ja, weißt du überhaupt, was das +heißt, wenn der deine Lieder öffentlich singt? Das heißt soviel, als +daß du dann ein gemachter Mann bist .....«</p> + +<p>Aber dem Franz ist es heute einerlei, er hat schon so viele +Enttäuschungen erlebt; immer, wenn es hieß, dann bist du ein gemachter +Mann, war es in der Regel für die Katz'. So mit Goethe, mit Salieri, +mit Diabelli, mit Schönstein, mit all den bürgerlichen Kreisen, in +denen er verkehrte, und die ihn wie einen Wunderknaben anstaunten, +da und dort auch verhätschelten, oder wie ihren lieben Wurstel +behandelten, besonders die Frauenzimmer — ein gemachter Mann war er +darum noch lange nicht, obzwar es bei jeder neuen Bekanntschaft so +oft hieß: wenn sich der oder der für dich interessiert, dann bist du +ein gemachter Mann! Das Gegenteil war der Fall. Schulden hatte er +auf dem Buckel und wußte sich nicht zu retten vor Sorgen. Jede neue +Erfahrung zugleich auch eine Enttäuschung. Kein Wunder also, daß er in +einem Augenblick des Mißmuts nicht viel hielt von der oft gewünschten +Bekanntschaft mit Vogl, und daß es ihm für diesen Augenblick wenigstens +Wurst war.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span></p> + +<p>»Da hört sich aber doch alles auf,« legte jetzt Schober los, »meinst +du, daß es so leicht war, den Vogl soweit zu bringen? Nun kann ich dir +ja reinen Wein einschenken — fürs erste wollte er überhaupt von dir +nichts wissen! Verstehst du? Nichts wissen wollte er von dir!« Und nun +erzählte er weitläufig, was es für Schwierigkeiten gekostet habe, den +ablehnenden Sänger umzustimmen.</p> + +<p>Ja, warum wollte er denn nichts wissen von unserem Franz? So eine +Gemeinheit!</p> + +<p>Na, na, na — ist deswegen noch keine Gemeinheit! Es gibt eine Masse +junger Genies, die entdeckt werden wollen, in der Regel stellt sich +doch immer wieder heraus, daß es nicht weit her ist damit. Ist es da +zu verwundern, wenn ein berühmter Sänger, der auf diese Weise schon +hundertmal getäuscht worden ist, es sich zum hunderteintenmal gehörig +überlegt? Und dann sei nicht zu vergessen, daß ein Künstler wie Vogl +mit Musik überfüttert werde; was Wunder also, wenn er sich lieber +sehnt, von ihr loszukommen, als immer noch neue zu entdecken ..</p> + +<p>Die Erzählung Schobers fand allgemeine Mißbilligung, der Hochmut des +Sängers wurde mit scharfen Worten getadelt, nur Schubert ergriff +jetzt seine Partei: es sei doch ganz natürlich, daß der Mann seine +Ruh' haben will, und es wäre viel eher zu verwundern, wenn die +Antwort auf Schobers Begehren anders ausgefallen wäre. »So und nicht +anders hab' ich's immer erwartet!« erklärte er zum Schluß nicht ohne +pessimistischen Anflug eines, der, durch die Erfahrung gewitzigt, seine +Sach' auf nichts gestellt hat. So war er wenigstens vor allzu schwerer +Enttäuschung geschützt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span></p> + +<p>Am anderen Abend auf dem Weg zu Schober klopft ihm aber doch das +Herz aus zweifacher Angst: entweder, daß der Gewaltige nicht kommen +würde, oder daß er am Ende wirklich erscheinen könnte ... Beides war +für den Weltscheuen und doch sehnlich Begehrenden in gleicher Weise +beunruhigend.</p> + +<p>Die jungen Kerle saßen bei Schober zusammen, sie hatten schon ein +bißchen musiziert, da tat sich um die festgesetzte Stunde die Tür auf +und herein schritt mit großer Miene der unnahbar tuende Vogl.</p> + +<p>»O Gott! Welche Ehre — die Auszeichnung ....« Franz stammelte einige +unzusammenhängende Worte, daß er nun die Ehre der Bekanntschaft +haben soll und so weiter. Vogl schaut den Kleinen von oben bis unten +an, rümpft die Nase und geht, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen, +gravitätisch an ihm vorbei.</p> + +<p>Du lieber Himmel! Der Anfang war unselig genug. Franz war jetzt ganz +auf den Mund geschlagen, auch den anderen entsank der Mut. Es herrschte +auf einige Augenblicke das Gefühl der tödlichsten Verlegenheit.</p> + +<p>Nun war Vogl der erste, der eine Entspannung herbeiführte. »Also, was +haben Sie denn da?!« Er sagte es, aber es klang nicht sehr aufmunternd.</p> + +<p>Dabei nahm er ein Notenblatt zur Hand, das wie eine Leimspindel für den +Vogl aufgerichtet war. Er überflog das Lied, summte es mehr, als er es +sang, legte es wieder hin und sagte: »Na, ist grad' nicht so übel!« Das +klang nicht sonderlich begeistert.</p> + +<p>Aber er wurde wärmer und wärmer bei den späteren Liedern, die er +anfangs nur mit halber Stimme sang;<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> schließlich sah er sich den jungen +Mann schärfer an und wurde freundlicher und freundlicher. Beim Weggehen +klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Es steckt etwas in Ihnen, +aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden +Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen!«</p> + +<p>Er ging weg, ohne etwas vom Wiederkommen zu sagen, man wußte nicht +recht, wie man dran war mit ihm. Also wieder ein fehlgeschlagener +Versuch?</p> + +<p>Da gab selbst Schober die Hoffnung auf: »Er ist halt schon zu alt und +will sich von der Musik und von der Singerei ganz zurückziehen. Das +Kloster steckt ihm noch im Leib; wer im Kloster erzogen worden ist, dem +bleibt für sein Leben was hängen. Jetzt sitzt er am liebsten wie der +heilige Hieronymus in seiner Klause, hat seine Hund' und Kanarienvögel +um sich her, die Nase in der Bibel, im Marc Aurel, im Epiktet — er ist +eben ein wunderlicher Kauz! Denkt euch, ein dramatischer Sänger, der in +den Theaterpausen lateinische und griechische Klassiker liest in der +Ursprache — ist euch schon so etwas vorgekommen?«</p> + +<p>»Schade,« sagte Schubert, »ich wollt', es gäbe mehr solcher Leute!« +Die Idee eines freien Klosters schwebt ihm oft durch den Sinn, eines +weltlichen Klosters, wie er und Schwind oft zusammen träumen; Vogl als +Prior — man malt sich jetzt die Sache hübsch aus, Schwinds Phantasie +tut das ihrige dazu: jeder in brauner Mönchskutte als Klausner, in +herrlicher Waldgegend auf schwellenden Moosbänken sitzend, in sinniger +Betrachtung versunken, die Pfeife im Mund, einen Bierkrug neben sich, +saftiges,<span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span> schwarzes Brot, einen Bund Radieschen, von Weltsorgen +frei, der Kunst, der Schönheit, der Naturbetrachtung lebend — der +Gedanke wäre nicht übel. Aber so halb und halb lebt man ohnehin +in Brüdergemeinschaft, wenn es auch bei diesen Klausnern in einem +weltlichen Ton hergeht.</p> + +<p>Ist übrigens ein wunderlicher Kauz, der Vogl. Er hält mit dem Lob gegen +Schubert und seine Freunde sehr zurück, aber durch dritte Personen +ward erfahren, wie enthusiastisch er die Lieder des jungen Genius vor +anderen rühmte.</p> + +<p>Und eines Abends erschien er unangemeldet bei diesen Weltbrüdern +und kam dann immer wieder, sang Lied auf Lied von Schubert und +fand es immer unbegreiflicher, wie solche Tiefe und Reife aus dem +jungen kleinen Mann, der auf den ersten Blick so unbedeutend schien, +hervorkommen konnte. Der alte Junggesell, der schon daran dachte, +sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, hat neue Kunstbegeisterung aus +Schuberts Liedern geschöpft — Franz hatte nun wirklich einen neuen +Freund und Fürsprecher, dessen Stimme gehört werden mußte.</p> + +<p>Aber auch die Beziehungen mit Baron Schönstein erwiesen sich jetzt von +einigem Wert — kurz und gut, Franz erhielt den Antrag, die gräflich +Esterhazysche Familie zum Sommeraufenthalt auf das Gut Zelez in Ungarn +zu begleiten und während dieser Zeit den Musikunterricht der beiden +Komtessen zu leiten.</p> + +<p>Es war, als ob eine unsichtbare rettende Hand eingegriffen hätte, um +den Schmachtenden von dem unerträglichen Druck der niederen kleinen +Alltagssorgen, die am schwersten<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> drücken, zu befreien. Ein Sommer auf +dem Land, die Ferne, eine neue Welt und noch dazu sorgenfrei — das war +die ersehnte Freiheit! Auch Schober ging für eine Zeit weg, Goethes +Wilhelm Meister ließ ihm keine Ruh', er wollte es einmal in diesem Stil +versuchen, halb Schauspieler, halb Dichter, halb Mäzen, dilettierender +Künstler auf allen Gebieten, der seine vielseitigen Gaben im Strome des +Lebens versuchen will.</p> + +<p>Spaun, Mayrhofer bereiteten sich auf längeren Urlaub vor, Schwind geht +auf eine Studienwanderung, der große Kreis von Familien, in denen man +verkehrte, geht im Sommer »aufs Land«. Die Fenster in den heißen Gassen +schließen sich, sie senken gleichsam die Lider, Wien versinkt in seinen +Dornröschenschlaf. Nur wer kein Geld hat und wirklich nicht anders +kann, bleibt da.</p> + +<p>Die Vorsehung hat diesmal für Franz ein gnädiges Erbarmen gehabt. Auf +nach Ungarn! Auf Wiedersehen im Herbst! Adieu, lieber Spaun! Adieu, +lieber Schober! Adieu, lieber Schwind! Bruderherz! Grüßt mir den Vogl! +Behüt' Gott alle miteinander! Behüt', behüt', behüt'!</p> + +<p>Behüt' dich Gott, liebes Wien!</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="IV">IV.</h2> +</div> + + +<p>Vierzig schnatternde Gänse reißen den guten Franz aus dem Morgentraum. +Vierzig ungarische Gänse, die zu gleicher Zeit zu schnattern anfangen, +als müßten sie das Kapitol retten — dagegen kann der bleiernste Schlaf +nicht bestehen. Franz fährt wirr in die Höhe. Er ist noch gar nicht bei +sich.</p> + +<p>»Was ist denn los!« Er reibt sich die Augen, schaut um sich — da hängt +ein farbig gestickter Klingelzug, in einer halbrunden Nische steht ein +zylindrischer glasierter Kachelofen, dort ein Waschtisch, in der Mitte +ein einfaches Tischchen mit weißem Tintenzeug aus Steingut, zwei Stühle +mit geblumten Polstersitzen, ein geblumtes Fauteuil, ein altes Klavier, +durch das kleine Fenster schaut grünes Gezweig herein, silbergrau +flimmert es durch das Blattwerk: die Morgendämmerung.</p> + +<p>Eine neue, ungewohnte Umgebung. »Wo bin ich?« Franz hat Mühe, seine +Gedanken zusammenzuholen. Das ohrenzerreißende Schnattern draußen — +reden ungarisch, die Gänse — jetzt hat er sich zusammengeklaubt und +zurechtgefunden.</p> + +<p>»So also sieht das Zimmerchen aus, das für die Dauer des +Sommeraufenthaltes auf Schloß Zelez mir gehört!<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> Nicht übel! Das +Fenster, das Grün davor, der Ofen, die blumigen Stühle — es hat +Stimmung!«</p> + +<p>Der Klingelzug — mit heiliger Scheu betrachtet er ihn. Ein breites +Band mit bunter Kreuzsticharbeit bedeckt, wahrhaftig eine Zier der +kleinen Stube. Er braucht im Bette nur die Hand auszustrecken, ein +Riß, und es müssen schon die Diener des Schlosses herbeifliegen, nach +den Wünschen des Gastes zu fragen. Es zuckt in seinen Fingern — aber +möge ihn der Himmel bewahren, wirklich zu ziehen! Gestern abend bei +der Ankunft hat ihm der Herr Kammerdiener gesagt, es sei nicht üblich, +die Klingel zu ziehen. »Es wird ohnehin gesorgt werden, daß es zur +rechten Zeit da ist, was dem Herrn Professor zukommt. Also, angenehme +Nachtruhe, Herr Professor!« Sagt es und zieht sich mit würdevoller +Miene zurück.</p> + +<p>Der gräfliche Herr Kammerdiener muß wissen, was Sitte ist. Seine +Gnaden, der Herr Kammerdiener wünschen auch nicht übermäßig gestört +zu werden, ist aber sonst ein umgänglicher Mann, wohlwollend, +herablassend, ganz nach Herrenart. Er geizt mit Titeln nicht, er ist +den »Professor« gewissermaßen sich selber schuldig; mit geringeren +Leuten würde er sich gar nicht abgeben. Franz hätte aus Bescheidenheit +ohnehin nie den Klingelzug angerührt, aber jetzt malt ihm seine erregte +Phantasie die beschämenden Folgen aus, wenn er sich wirklich vergessen +würde. Nein, nein, lieber sollte ihn doch gleich die Erde verschlingen.</p> + +<p>Mit einem Satz ist er aus dem Bett heraus, zum Fenster hin. Die +wundervolle Morgenluft, die da hereinströmt! Köstlich, das erste +Erwachen auf dem Lande! Diese<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> Würze — die Erde hat hier einen +anderen Geruch als daheim. Ein fremdes Land. Man ist gespannt auf die +Entdeckungen, die bevorstehen. Gestern abend, diese Müdigkeit, man +hat gar nicht Zeit und Sinn gehabt, sich umzusehen. Man war ja wie +zerschlagen nach der langen Fahrt im Postwagen. Aber schön war es, +seltsam schön.</p> + +<p>Jetzt kehren die Bilder zurück, die man unterwegs erschaut hat. Auf +dieser Fahrt durch die Ebene, die weit geöffnet dalag wie die Hand +Gottes, eine riesige Blumen- und Fruchtschale. Unaufhaltsam ging's +weiter durch endlose alte Alleen, staubweiße Straßen, vorbei an +kühlen, dunklen Kirchen, geduckten Dörfern, hellen Schlössern, immer +weiter, weiter gegen Osten. Fliegende Wolkenschatten huschten gleich +wandernden Gedanken über das klare Antlitz der Ebene, sie atmete +sichtbar und erregt, wenn sich der Wind in die hohen Pappeln legte, +und war still und traurig, wenn sich der Himmel trübte, und war ein +Lächeln über und über, wenn die Sonne aus den Wolken trat. Die Felder +standen fruchtschwer, und die Weiber mit den roten Kopftücheln sahen +aus wie Mohnblüten im gelben Stroh. Ein schönes Stück Welt hat man im +Flug gesehen, aber das Beste sollte erst kommen, denn hier im Schlosse +begann ein neues ungewohntes Leben für Franz.</p> + +<p>Dort im Grünen watschelten die weißen Gänse und riefen den +heraufziehenden Morgen an. In niedrigen Zeilen gingen die +Wirtschaftsgebäude hin bis hinunter zum Ententeich, der, von hier +gesehen, wie ein kleiner Handspiegel draußen lag. Uralte Bäume +schoben ihre mächtigen Häupter über die hochgezogenen Dächer der<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> +Wirtschaftsanlagen empor. Der Park von Zelez! Die Lage war schön, das +hat man gestern bei der Ankunft schon gemerkt. Freilich, hier, im +Hintertrakt des Schlosses, wo sich das Zimmerchen für den Herrn Musikus +befand, war noch nicht viel zu sehen.</p> + +<p>Mit dem Schlaf war es jetzt vorbei. Schnell in die Kleider geschlüpft, +leise, um niemanden zu stören, und hinaus in die Morgenfrische! Aber +draußen war es inzwischen auch schon lebendig geworden. Um vier Uhr +früh regt sich schon das Leben auf dem Gutshof. Es ist nicht so wie in +der Stadt, wo man sich um acht Uhr morgens den Schlaf aus den Augen +reibt.</p> + +<p>Da guckt ein hübscher Kopf zur Tür herein. Das Stubenmädchen. »Guten +Morgen, Herr Musikdirektor!« Sie hat ihn gestern abend so freundlich +angelacht und erkundigt sich nun, ob er gut geschlafen oder ob er +schon das Frühstück wünsche, und nach hundert anderen Kleinigkeiten. +Wahrhaftig, eine gute, mitfühlende Seele! Man hat Freunde gewonnen +auf den ersten Blick, die Gefühle erwachen unter dem Anhauch der +Weiblichkeit, man fühlt sich schon wie zu Hause.</p> + +<p>Und jetzt durch den Park in einem weiten Bogen um das Herrenhaus, man +möchte das Schloßantlitz sehen. Da, über dem tauglitzernden, weiten, +grünen Rasen steht es und leuchtet weiß. Ein behäbiger, breiter +Mittelbau mit dreieckigem Giebel und französischem Dache, den breiten +Flur von dickgepolstertem Efeu flankiert, links und rechts breite +Gebäudeflügel mit hohen Dächern, grünen Fensterläden, ländlich, behäbig +und zugleich so vornehm!</p> + +<p>Franz tritt nicht heraus aus dem Buschwerk, er möchte<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> nicht gesehen +werden, er ist so schüchtern. Auf dem Rückweg begegnet er einem jungen +Mann im Walde mit einem Buch. Der Sohn des Inspektors. Ein junger +Philosoph, der die Ferien daheim zubringt. Sie grüßen sich schweigend. +In der Nähe des Gutshofes begegnet ihm der Inspektor selbst. »Guten +Morgen, Herr Kapellmeister!« ruft er schon von weitem, bleibt stehen +und beginnt ein Gespräch über Musik. Er rühmt sich seiner eigenen +Musiktalente. O weh: ist schon gefehlt! Aber man muß gute Miene machen, +es sind die Leute, auf die man angewiesen ist.</p> + +<p>Im Wirtschaftsflügel erscheint die Frau Inspektor am Fenster. Sie +will als Gnädige behandelt sein und gibt sich mit einer gezierten +Vornehmheit, als ob sie die Gräfin selber wäre. Sie nickt und setzt mit +deutlicher Unterscheidung hinzu: »Morgen, Herr Musiklehrer!«</p> + +<p>Man hat so ziemlich schon das ganze Grafengesinde am Morgen begrüßt, +den jungen Doktor, der mit seinen vierundzwanzig Jahren kränklich +tut wie eine alte Dame, den Rentmeister, der herumsteigt wie ein +großer, dicker, roter Puterhahn, den Koch, der sehr fidel tut, die +Kammerjungfer, die alte Kinderfrau, den etwas unwirschen Beschließer, +die beiden Stallmeister. Das sind die Leute, zu denen man jetzt +gehörte. Soviel Menschen, so viele Titel haben sie dem armen Schubert +an den Kopf geworfen, daß er wirklich nicht mehr weiß, was eigentlich +für eine Rolle am Gutshof er zu spielen bestimmt ist.</p> + +<p>Auf dem Zimmer steht bereits das Frühstück: Kaffee, ein Ei, etwas +Butter und zwei Brötchen. Sehr splendid!<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> Franz hat das dankbare +Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Endlich einmal nicht denken zu +müssen: wovon werde ich heute leben, wo werde ich das Nötige morgen +hernehmen und übermorgen? Wird es reichen für den heutigen Tag? Was +kann ich mir vom Mund absparen, um das Dasein zu fristen, so lange, +bis das kärgliche Stundengeld wieder bezahlt wird? Das ist jetzt +alles von ihm genommen. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht — so +frei, so leicht, so unbeschwert von Sorgen, arbeiten können, ohne den +fürchterlichen Druck der Lebensnot zu spüren! Von nichts gehemmt kann +der Born der Erfindung springen, mächtiger und reichlicher als zuvor!</p> + +<p>Die Frühstunden bis elf Uhr vormittags gehören ihm und seiner Arbeit. +Um elf Uhr erwarten ihn die beiden Komtessen Marie und Karoline +im Musikzimmer. Das ist ein großer, hübscher Gesellschaftsraum an +der Vorderseite des Schlosses mit dem Blick auf den Rasenteppich; +ein schmales, langes Klavier steht in der Ecke und verstellt eine +weiße Glastür, die oben in einem halbkreisförmigen Bogen endet, +ganz empiremäßig, und mit weißen Linnenvorhängen bespannt ist. In +der Fensternische steht eine blumige Polstergarnitur mit Sofa, +hohen Fauteuils und einem Tisch in der Mitte, der auf einem Bein +mit breitem Sockel steht. Auf der anderen Seite des langen Saales +steht ein Schreibtisch beim Fenster, und in der Ecke ein langer, +niederer Lesetisch mit vielen bequemen Stühlen herum. Familienbilder +hängen an den Wänden in Türhöhe, darunter eine Unzahl Miniaturen, in +kleinen Schränkchen an den Pfeilern und in der Ecke befindet sich +edles Porzellan. Der glattgewichste Parkettboden blinkt<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> spiegelhell. +Freundlich, behaglich und vornehm ist es in dem Raum.</p> + +<p>Die beiden Komtessen behandeln ihn wie einen Bruder. Sie sind +aufmerksam und liebevoll mit ihm, gar nicht scheu; besonders Karoline +geht so liebreich mit ihm um, daß er selbst alle Sprödigkeit verliert +und sich alsbald natürlich gibt wie unter seinesgleichen. Auch sie +nennen ihn zuerst »Herr Professor«. Seine Verzweiflung darüber +gibt ihnen zu lachen, das Eis ist damit gebrochen gewesen, aus dem +»Professor« wird wieder der Herr Schubert, er avanciert zum »lieben +Herrn Schubert«, der »Herr« fällt als überflüssige Förmlichkeit fort; +auf der Stufenleiter zum Komtessenherzen rückt er vor zum »Franzi«, +manchmal zum »lieben Franzi«, dies aber nur unter Ausschluß fremder +Zuhörer.</p> + +<p>Auch die Frau Gräfin ist freundlich, gutmütig, eigentlich nicht +herzlich, nicht warm, aber wohltemperiert. Immer gleichmäßig, +gleichmäßig lauwarm mit unverändert zur Schau getragener wohlwollender +Miene. Sie gibt sich so einfach, so leutselig, dabei so leise und +zurückhaltend, daß die Leute sagen: die Gräfin ist ein Engel! Sie +tut, als ob sie von Standesunterschieden nichts wüßte, aber hinter +ihrer klugbedachten Art liegt die ganze unaufgedeckte Kluft, durch +die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen fernhält. Ihr Stolz trägt +die Maske herzgewinnender Bescheidenheit, aber es ist nicht Herz in +ihrem Gehaben, sondern nur die unerhörte Zucht des aristokratischen +Selbstgefühls.</p> + +<p>Franz fühlt es, wieweit alles Menschliche bei ihr vom Standesbewußtsein +bestimmt und abgezirkelt ist; ihre<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> Freundlichkeit hat anfangs etwas +Bedrückendes, Demütigendes für ihn, aber man gewöhnt sich daran. +Sie liebt die Musik, es ist die einzige Brücke zwischen ihm und der +Gräfin — aber sie erkennt in ihm nicht den Genius, der Königen im +Range gleichkommt; er bleibt in ihren Augen nur der bessere Diener, +der das Klavier bedient, den Unterricht erteilt und nebenher sich in +Komposition versucht.</p> + +<p>Es liegt ein schmerzlicher Stachel in dieser Erkenntnis, aber die Milde +der Gräfin schafft eine solche Linderung um die stille Demütigung, daß +die Auflehnung ganz hilflos wird. So großartig versteht sie die Welt +in Schranken zu halten und eine Art luftleere Sphäre um sich herum zu +schaffen, daß nichts Lebendiges an sie heran kann. Diese aufreizende, +ewig gleichgestimmte Freundlichkeit! Franz, der angefangen hatte, sich +darüber zu ärgern, muß schließlich damit enden, indem er sie ob dieser +Kunst bewundert.</p> + +<p>Die zwei Musikstunden am Vormittag vergehen im Flug. Die beiden +Komtessen sind ja so gute Kinder! Um halb zwei Uhr wird zu Mittag +gegessen. Franz speist mit der Herrschaft. Das ist das einzig +Unangenehme in dem Schlaraffenland. Man fühlt sich so geniert. Und +gar der Herr Graf! Wenn der kommt, dann sinkt alle Unbefangenheit auf +den Gefrierpunkt herab. Wenn Franz vor einem Menschen ein Bangen hat, +so ist es dieser robuste Mann mit dem geröteten Gesicht, den herrisch +dreinblickenden Augen und dem brutal rücksichtslosen Ausdruck seines +Gesichts.</p> + +<p>Der Graf küßt der Gräfin die Hand, spricht im Kreis der<span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span> Familie +nie anders als mit gedämpfter Stimme, ist dem armen Franz gegenüber +von einer Zurückhaltung, die so eisig ist, daß die wohlgemessene +Freundlichkeit der Gräfin dagegen wie ein heißer Quell von Herzlichkeit +wirkt. Kaum, daß der Graf fünf Worte je mit ihm gesprochen hat. Während +er sich mit leiser Stimme nach den Fortschritten seiner unbekümmert +plaudernden Töchter erkundigt, denkt der stillsitzende Franz an die +furchtbare Donnergewalt und an die Flut von Schimpfreden, die er am +Morgen vom Stallgebäude her aus dem Munde des Grafen gehört hat. Dem +seiner Zartheit ist nicht zu trauen!</p> + +<p>Das Mittagessen ist so einfach wie möglich. Suppe, Fleisch, Gemüse, +etwas Mehlspeise, Obst. Am Freitag gibt es Fisch. Zweimal die +Woche entfällt das Fleisch; ab und zu gibt es Entenbraten. Wiener +Bürgersleute leben weitaus üppiger, eine Kost wie diese haben auch +die gewöhnlichsten Leute der Stadt. Freilich die Zubereitung ist über +alle Begriffe gut. Aber dem guten Franz mundet's trotzdem nicht. Das +Ungewohnte der Lage — diese verflixte Schüchternheit!</p> + +<p>Zu Abend speist Franz ebenfalls mit den Herrschaften. Ein Ei, +Butterbrot, ein Glas Milch, später etwas Kompott. Herrgott, ist das +eine Sparsamkeit! denkt sich Franz. Grenzt schier an Geiz! Ist aber +nicht so. Ist bloß raffinierte Zucht, die solche Prachtexemplare +aristokratischer Menschen erzeugt. Die Komtessen Marie und Karoline, +was sind das für herrlich blühende Mädchengestalten. Und einfach, +einfach — man sollte es nicht glauben! Ein schlichtes, weißes +Kleidchen — eine bürgerliche Mutter<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> würde sich ein Gewissen daraus +machen, die Tochter so schlicht zu halten. Die Leute würden denken, +man habe nichts anzuziehen, also wird die Tochter wie ein Palmesel +herausgeputzt. Aber die adeligen Fräuleins können sich den Luxus der +allergrößten Enthaltsamkeit und Einfachheit erlauben. Es ist wirklich +das Allerkomplizierteste, diese Einfachheit!</p> + +<p>Franz wundert sich, keinen Tropfen Wein oder Bier, weder zu Mittag +noch zu Abend. Woher nur der Herr Graf sein rotes Gesicht hat?! Der +Kammerdiener erklärt es: »No, ganz einfach; fahrt Graf mit Viererzug +nach Eisenstadt die Woche drei-, viermal, da fließt Sekt in Strömen — +aber zu Hause, nicht einen Tropfen!«</p> + +<p>Aber das Gesinde hat eine andere Lebensführung. Da gibt's Bier und Wein +zu Abend, mächtigen Schweinsbraten, mittags Geflügel, ja, da lebt man +hochherrschaftlich! Der Herr Rentmeister läßt sich nichts abgehen, der +Herr Inspektor hält nicht weniger auf guten Tisch, jeder trachtet, daß +er nicht zu kurz kommt bei den Genüssen dieser Erde. Nur wenn in der +gräflichen Familie Gesellschaft ist, darf Franz auf seinem Zimmer oder +im Inspektorflügel essen. Er gehört zur Familie, wenn sonst niemand +da ist, im übrigen wird er dem Grafengesinde zugezählt. Hier kann man +wieder ganz Mensch sein! Es tut so gut, aus den dünnen Höhen einmal +wieder herabzusteigen und festen Fußes auf der Erde zu wandern. Ein +Glas Bier zu trinken, einen Becher Wein — der Herr Kammerdiener hat +immer einen guten Tropfen auf der Seite und fragt des öfteren, ob er +nicht vielleicht ein<span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span> Glas voll abends aufs Zimmer stellen darf, nach +dem frugalen herrschaftlichen Souper.</p> + +<p>Die vertrauliche Frage läßt tief blicken, aber die Heimlichtuerei ist +dem guten Franz zuwider; er lehnt es ab, obgleich die Zunge danach +lechzt — er lebt jetzt als richtiger Puritaner. Nur bei dem Essen im +Inspektorflügel, da legt er sich keinen Zwang auf, es geschieht offen +und vor aller Augen — du lieber Gott! weswegen hast du denn einen so +guten Tropfen wachsen lassen, wenn ihn der Mensch verschmähen soll?! +Nur keinen Spott über diese Himmelsgaben — alles, was gut ist und das +Herz erfreut, soll der Mensch genießen dürfen, das ist sein Standpunkt. +Die übertriebene Frugalität in Ehren, ist aber nicht jedermanns Sache, +und der Künstler ist am wenigsten Kostverächter.</p> + +<p>Es kommen abends öfters Zigeuner vorbei und spielen beim +Inspektorflügel auf, ganz unten, wo die Linde steht, in der Nähe vom +Ententeich. Ist das eine Musik, die sich glühendheiß in die Adern +ergießt und das entschlafene Feuer weckt! Schwer und sehnsüchtig +wird einem dabei. Die braunen Pußtasöhne stehen unter dem Baum und +geigen, wie es ihnen der liebe Gott diktiert. Auch die haben's von +niemandem sonst gelernt, aber es klingt anders, ganz anders, als es +Schubert weiß. Schwermütig, wild aufjauchzend, fortreißend in wilder +Leidenschaft, besinnungslos und wieder hinklagend wie der unendliche +Sehnsuchtshauch der Pußta. Wild ergreift es die Menschen, die Knechte +in weißen, weiten, gefransten Hosen, die bis unters Knie über die +Röhrenstiefel hängen, eine enge, kurze Jacke an, ein rundes Hütlein<span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span> am +Kopf, reißen die Mägde an sich, und nun wirbeln sie hin in Raserei.</p> + +<p>Eine neue Welt geht vor den Sinnen des jungen Künstlers auf, der fremde +Quell von Tönen, der ihm da entgegensprudelt, ist nicht verloren, er +weckt einen verwandten Ton in seiner Brust, irgendwie tritt der neue +Zufluß in seinem eigenen Melodienstrom verwandelt zutage.</p> + +<p>Rosa, das Stubenmädchen, wird elegisch bei der Zigeunermusik. Sie ist +nicht mehr ganz jung, hat mancherlei Erfahrung, aber das Herz — das +Herz ist noch töricht.</p> + +<p>Und dieses Herz hat sie auf der Zunge; sie begleitet ihre Geständnisse +mit einem frommen Augenaufschlag: »Ich kann halt nicht nein sagen — +die Männer sind so schlimm —« Ob er ein Liebchen in der Stadt gelassen +hat, fragt sie Franz, weil er immer so ernst und traurig sei. Sie will +ihn trösten.</p> + +<p>Warum!</p> + +<p>O, sie weiß, was das heißt, wenn man ein Liebchen verloren hat. Da geht +man herum wie ein halb Gestorbener. Ihr ist es auch einmal so gegangen. +Sie hat geglaubt, sie könnte es nicht überleben. Und hat es doch +überlebt. Aber wie — fragt nur nicht wie!</p> + +<p>Sie lehnt sich an Franz' Schulter und fährt mit dem Zipfel ihrer +Schürze an die Augen.</p> + +<p>»So gelockte Haare hat er gehabt wie der Herr Kapellmeister! Drum waren +Sie mir gleich so sympathisch — ich habe es Ihnen angesehen. Sie haben +ein Herz im Leib — o, auf den ersten Blick habe ich gewußt, wieviel es +geschlagen hat!«</p> + +<p>Aber Franz schweigt. Er kann Rührseligkeiten nicht<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> leiden, und dann +ist dort der Herr Beschließer, der macht schon ganz fürchterliche +Augen, er ist eifersüchtig auf den Musikus.</p> + +<p>Franz wird sozusagen auf Händen getragen, auf Frauenhänden, das läßt +man sich gern gefallen. Warum sollte er unfreundlich sein gegen Rosa. +Sie ist hübsch, und Sympathie verpflichtet. Sie leistet ihm gar zu +gern Gesellschaft und vertraut ihm ihre Geheimnisse an, wenn sie den +Kaffee bringt, und dabei verplauscht sie sich gern ein bißchen. Aber +da schleicht schon der argwöhnische Höllenhund von einem Beschließer +vor der Tür herum und guckt durchs Schlüsselloch, ob er nicht +etwas bemerken könnte, um Skandal zu schlagen. Teufel auch, soll +umherschleichen, der schlechte Kerl — soll man etwa nicht ein Wort +reden dürfen miteinander?</p> + +<p>Aber Franz ist nicht nur von dem weiblichen Gesinde auf Händen +getragen, er wird auch von gräflichen Händen auf Rosen gebettet. Die +beiden Komtessen haben ihn ins Herz geschlossen. Am meisten Karoline. +Die kalte Freundlichkeit der Gräfin, der rohe Hochmut des Grafen — es +wird reichlich wett gemacht durch die natürliche, unschuldige, echt +menschliche Zuneigung der beiden Komtessen. Wie Kameraden wandern sie +mit ihm nachmittags in den Park hinaus, streichen zwischen den Feldern +umher, zwischen den Weingärten; zur linken Seite und zur rechten Seite +hat sich ein Komteßlein eingehängt, und beide wetteifern im Schöntun. +Er muß Fangen mit ihnen spielen, in ihren dünnen, weißen Kleidern jagen +sie behend neben ihm her wie die Jagdgöttinnen aus den nachgedunkelten +Dianabildern im gräflichen Hausflur.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span></p> + +<p>Mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen rennt er nach, bis ihm der Atem +zu kurz wird, er kann die Jungfrauen nicht einholen, die leichtfüßig +und schlank wie junge Rehe vor ihm einherspringen. Aber sie machen's +ihm leicht, die lassen sich gutwillig fangen, und dann muß er hinknien, +sie winden ihm ein Blumensträußlein, er muß sich's aufs Haupt setzen +lassen, Karoline streichelt mit zarten, gräflichen Fingern über seinen +Scheitel, und beide werden nicht müde, seine wirren Locken zu bewundern.</p> + +<p>Es wird ihm ganz heiß und eng, ein so reiner, seliger Hauch von Liebe +geht von den beiden Mädchen auf ihn über, er fühlt wie ein arkadischer +Schäfer und möchte die beiden Schäferinnen an sein Herz ziehen — aber +er bittet die jungen Damen, daß man jetzt heimgehen soll, die Mama +könnte sonst schimpfen!</p> + +<p>Da lachen ihn beide aus, fassen ihn bei den Haaren und bei den Ohren +und knuffen ihn zärtlich ab, und wenn ihm das Herz fast vergeht vor +Wonne und Weh, er muß fein schweigen und tun, als ob er so wenig spürt +wie etwa der Pudel, der sich ähnliche Liebkosungen ruhigen Gemütes +gefallen läßt.</p> + +<p>Nur in Noten, in Melodien darf das Geständnis seiner Liebe ausströmen. +In Tönen darf er träumen »von Lieb' um Liebe, von einer schönen Maid, +von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit ...« Wenn er in +seinem Zimmer sitzt, dann wird das Herz noch einmal so wach. Bei den +Blättern, die er mit krausen Zeichen, Punkten und Strichen bedeckt, +denkt er dem Traume nach, das Herz schlägt geschwind — er sitzt hier +allein, aber wenn er die Augen schließt, drängt es sich liebend an<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> +ihn — jetzt ist der einsam Schaffende nicht mehr allein. Die Augen +schließt er wieder, das Herz schlägt stürmisch und heiß, am Fenster +grünen die Blätter, wann — »wann halt' ich mein Liebchen im Arm ...?!« +So jubelt ein herzvoll sehnsüchtiger Sang in seiner Brust und hat +alsbald Gestalt als Lied, um ewig fortzuklingen in der Welt von Seele +zu Seele.</p> + +<p>Tra—ra! Tra—ra! Ein Horn schmettert draußen, er schmeißt den +Federkiel hin und springt ans Fenster — die Post fährt vorbei. Was hat +es nur, das Herz, daß es so hoch aufspringt?</p> + +<p>Die Post kommt von der Straße her, die weit, weit zurückläuft — die +Post kommt von der Stadt, wo man so glücklich war im Leiden, ja, so +glücklich war! Was machen sie alle? Die lieben Freunde, was macht +der Herr Vater, die Frau Mutter, was machen die Brüder? In dieser +Einsamkeit, in der man lebt, sind einem die Fernen näher als sonst.</p> + +<p>Rosa huscht ins Zimmer herein, lautlos wie ein Kätzchen. Und hat +sich schon an Franz geschmiegt beim Fenster. »Ein Brief vom Liebchen +da?« Sie möchte gar zu gern etwas Näheres über den Herzensbefund des +verschlossenen Franz wissen. Ob er nicht doch ein Liebchen hat, daß er +so gar nicht verstehen will, wenn sie ihm ihr eigenes Herz schon auf +dem Präsentierteller entgegenbringt. Ach, die Rosa ist feurig, sie weiß +ihn gehörig in die Enge zu treiben beim dicht umblätterten Fenster, wo +der Herr Beschließer durchs Schlüsselloch nicht hinblicken kann. Aber +Franz weiß sich immer noch aus der Schlinge zu ziehen, obzwar es ihm +manchmal selber schwer genug<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> ankommt. Wenn er sich einmal vergäße, +denkt er, dann ist kein Halten mehr! Und wie leicht ist es geschehen.</p> + +<p>»Halt, Fräulein Rosa, ich glaube, der Beschließer ..!« das war bisher +immer noch von der Wirkung eines kalten Wasserstrahls, um Rosas +glühendes Verlangen in geziemenden Schranken zu halten. Aber wer weiß, +was jetzt geschehen wäre, wenn nicht der Herr Schwager draußen sein +gelbes Gefährt angehalten und Briefe an den Herrn Kompositeur Franz +Schubert abgegeben hätte.</p> + +<p>Rosa läßt sich alles haarklein berichten, wer geschrieben hat und was +in den Briefen steht, sie kann es nicht glauben, daß einer so streng +gegen sich und schier ohne Liebesbegehren sein mag, wenn er nicht +doch am Ende irgendwo ein Liebchen versteckt hätte. Aber es sind +wirklich nur Briefe von den Anverwandten. Der Herr Vater schreibt +sogar eigenhändig, es freue ihn, daß es dem Sohn gut gehe und daß er +bei so hohen Herrschaften Anerkennung und Stellung gefunden habe — +es scheint, daß er sich mit dem Sohn in seinem Herzen ausgesöhnt hat, +nachdem dieser doch etwas wie ein Amt bekleidet.</p> + +<p>Also, ein ganz verlorener Musikant, das ist der Franz nun doch +nicht mehr. Der Bruder Ferdinand berichtet, daß die Frau Mutter den +gewünschten Nachtrab von Schnupftüchern, Halstüchern und Strümpfen +schickt und daß die bestellten kasimirnen Beinkleider unterwegs seien; +sie denke in mütterlicher Sorgfalt an Franz .... Die Briefe klingen +alle etwas steif und hölzern, es ist keine rechte Erlösung darin. Wo +bleiben die Freunde, daß sie kein Wort schreiben?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span></p> + +<p>»Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz, was +drängst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz!«</p> + +<p>Die arme Rosa kennt sich gar nicht mehr aus mit dem wunderlichen +Musikanten, der ihr dieses eigen komponierte Liedchen von der Post +vorträllert; sie hat schon ganz den Kopf verloren, wie wird das noch +enden, wie?</p> + +<p>»Sie schlimmer Herr Franz!«</p> + +<p>Der Sommer vergeht, der Herbst kommt, und immer dieses Leben, dieses +wohlgemessene, äußerlich glückvolle, sorgenfreie, innerlich drangvoll +begehrende und immer wieder spröd sich versagende! Hundertmal fährt +der Postillon vorüber, immer wandern die Gedanken mit, man möchte +aufschreien: halt, Schwager, halt, nimm mich mit! Zurück in die Stadt! +Zurück in die sehnsüchtig begehrte Wienerstadt, die alles einschließt, +was das Leben an Glückseligkeit gewähren kann. O Wien, Wien, Wien!</p> + +<p>»Willst wohl einmal herübersehen und fragen, wie es dort mag gehen, +mein Herz — mein Herz?!«</p> + +<p>Ja, ja, so fragt das Herz, das allzu unruhige, stürmende, pochende! Die +Herbstabende sind lau und gnadenvoll, die Bäume im Park prangen in den +Farben der Dukaten, alten Münzen, Medaillen, grün und gold — es ist +eine Jahreszeit zum träumerischen Sinnen.</p> + +<p>Nach dem Abendessen an der gräflichen Tafel wird noch ein kleiner +Spaziergang gemacht. Zigeuner treten auf den grünen Plan und bringen +der Herrschaft ein Ständchen. Ein schäumender Trank, diese Musik, die +das Blut rebellisch macht und den Zwang doppelt unerträglich!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p> + +<p>Komtesse Karoline hatte sich mit Franz unter den dunklen Bäumen des +Parks verloren. Er redet etwas von den Empfindungen, die diese Musik +auslöst.</p> + +<p>»Diese braunen Kerle, sie leben das richtige Künstlerdasein. Das +Leben verraucht, verträumt, vergeigt, so ist es auf göttergleiche Art +genossen. Und dann kommen sie und spielen einem die Seligkeiten ihres +genossenen Glückes vor, daß einem die Brust zerspringen möchte ..«</p> + +<p>Er hatte nicht vollendet, da fühlte er sich plötzlich umfaßt, zwei +weiße, weiche Arme warfen sich um seinen Hals, ein schlanker, +dufthauchender, gertenhaft biegsamer Körper zog ihn an sich, ein +frischer Mund suchte seine Lippen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.</p> + +<p>»Franz, lieber Franz, ich hab' dich ja so lieb ....«</p> + +<p>Er wußte jetzt wirklich nicht, wie ihm geschah. Das schöne, adelige +Fräulein — die Liebe hatte ihn jetzt umfangen, diese Seligkeit, die +still Angebetete in seinen Armen zu halten, und zugleich die Qual, +nein, die Scham, sie spröd von sich weisen zu müssen. Er machte ihre +Hände los, die sich um seinen Nacken fest ineinander gekrampft hatten.</p> + +<p>»Komtesse Karoline — ich bitte — bedenken Sie doch — ich bin nur ein +ganz elender bürgerlicher Erdenwurm, der nicht die Augen so hoch zu +erheben sich vermessen darf — meine unbegrenzte Verehrung — aber wir +müssen doch vernünftig sein — der Herr Papa — und die Frau Mama ....«</p> + +<p>Ja, es war zum Heulen. Und wenn er zugrunde gehen hätte müssen — das +Vertrauen mißbrauchen, nein! Der mit allem Schein der Freundlichkeit +und Milde verhüllte<span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span> Abstand, den die Gräfin aufrechtzuerhalten wußte, +das wirkte auf ihn mit einer stärkeren Zucht, als es der brutale +Hochmut des Grafen oder die Furcht vor dessen Zorn sein konnte; +der Graf würde vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor einem +Totschlag — aber das war nicht der Grund, weswegen Franz sich eine so +übermenschliche Herrschaft auferlegen konnte; es war der innere Takt, +der bei aller Liebe zu dem Mädchen sich als Hüter ihrer Ehre fühlte und +nur zu gut wußte, daß der Abstand zweier Welten zwischen ihm und ihr +lag — sie mußte am jenseitigen Ufer bleiben.</p> + +<p>Manches liebe Wort ward unter den Bäumen noch gesprochen, es gab Tränen +und eine letzte Süßigkeit, die im freiwilligen Entsagen liegt — der +Kies knirscht, wie sie mit elastischen Schritten wegeilt, zum Schloß +hin, rein und weiß schwebt sie durch das späte Dämmerlicht.</p> + +<p>Die Zigeuner spielen jetzt fern, an der Linde beim Ententeich; Franz +ist allein in der Einsamkeit seines Zimmers; draußen ist helles frohes +Leben, Tanz und Lust bei der Linde — die Welt scheint hier so ruhig +und so licht!</p> + +<p>Aber so elend, so elend war er nie, wie jetzt; er war es nie, wenn die +Stürme tobten, wie er es jetzt ist, in der Stille dieses Lebens.</p> + +<p>»Ich wußte, daß Sie hier auf mich warten — alle sind bei den +Zigeunern, auch der Beschließer, der gemeine Kerl! Franz, haben Sie +denn kein Herz?«</p> + +<p>Eher zu viel als zu wenig! Aber es gehört der einzigen Geliebten, mit +der er am liebsten allein ist, die er in seinem Zimmer, in seinem +Klavier, in seiner Brust verbirgt und die ihm alle Geständnisse +abverlangt, alle<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> Prüfungen und Nöte der Liebe, alles sehnsüchtige +Verlangen und schmerzliche Entsagen.</p> + +<p>Aber die Stunde ist gefährlich, und Jungfer Rosa setzt ihm hart zu. +Wie wird dieses Herz bestehen zwischen der keuschen, reinen Liebe des +adeligen Mädchens und dem glutvollen Verlangen dieses unbekümmerten +Volkskindes? Und diese Musik, die so verführerisch und sinnenerregend +herüberklingt — aber man ist kein frivoler Laffe, und man hat es +schwer mit sich selbst. Die widersprechenden Empfindungen beschwören +einen solchen Konflikt, man kämpft einen schweren Kampf, und die Liebe, +wenn sie einmal kommt und ihn segnen will, vermehrt nur seine Pein. Im +Lied allein kann er hoffen, seine Erlösung zu finden.</p> + +<p>Am anderen Morgen ist Sonntag, Franz ist in der Dorfkirche unten, er +hört sich die Predigt an. Wo bleibt diesmal die befreiende Stimmung, +die er im Gotteshause immer gefunden? Liegt es an ihm, oder ist der +polternde Kapuziner auf der Kanzel schuld, der auf die Bauernschädel +herabdonnert, mit Ludern und Kanaillen herumwirft, einen Totenkopf von +der Kanzel herab zeigt: »Da seht her, ihr gukerscheckigen Gfrieser, +so werdet ihr einmal ausschauen ....« und dann hebt erst recht die +Moralpauke an: »Da geht der Bursch mit dem Mensch ins Wirtshaus, tanzt +die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder und stehen ihrer +drei wieder auf ....«</p> + +<p>Dem guten Franz wird es unerträglich, er trachtet hinauszukommen ins +Freie. Hier unter den Bäumen ist wahrer Gottesdienst.</p> + +<p>Der Schwager Postillon war da und hat Briefe gebracht.<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Bruder +Ferdinand möchte das Klavier von Franz kaufen, er tut dabei so +zimperlich, als ob er nicht dem Bruder, sondern einem wildfremden +Menschen schriebe. Es ist wirklich zum Ärgerlichwerden — schenken will +ihm Franz das Klavier, aber nur nicht so schreiben soll er, so devot +und vorsichtig, es ist wirklich kränkend.</p> + +<p>Aber aller Ärger ist verflogen, als er den nächsten Brief öffnet, den +die Freunde zusammen schreiben. Ein wahres Freudengeschrei erhebt er, +es ist, als ob er die Lieben, einen nach dem anderen, selbst in den +Armen hielte, so berauscht ist er von Glück.</p> + +<p>Die Briefe der Freunde, so spärlich sie auch kommen, sie sind das +einzige und wahre Glück, das er in diesen Tagen genießt. Er kann es +ihnen nicht dringend genug auftragen, soviel wie möglich zu schreiben, +er darbt danach, jede Zeile von ihnen ist Himmelsbrot.</p> + +<p>»Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Schwind! Lieber +Soundso! Daß ihr mir ja gleich wieder schreibt, hört ihr? Sonst, sonst, +sonst ...«</p> + +<p>So stürmt es in seinen Briefen an die Freunde.</p> + +<p>Sie fehlen ihm zu seinem vollen Glück.</p> + +<p>Das Leben ist hier leicht und schön, Frauengunst blüht ihm, der Sorgen +ist er entbunden — aber es ist doch nicht das Rechte. Das Glück, wo +ist das Glück? Es ist dort, wo seine Freunde sind. Es ist dort, wo die +süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach erklingt.</p> + +<p>So still verfließt das Dasein hier! Man hat viel freie Zeit, aber es +ist nicht die Freiheit, die man braucht. Man steht wie ein Rößlein +an der Krippe und ist schließlich des goldenen Hafers überdrüssig. +Man zerrt an der Kette<span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span> und beneidet die wilden Gefährten, die mit +dem Sturmwind um die Wette jagen. Wo bleibt der Sturm, das Lebenshaus +zu durchrütteln mit seiner prachtvoll schauerlichen Musik, die alle +Seelentiefen aufrührt und alle Winkel mit frischem, lebendigem Hauch +erfüllt? Der Künstler braucht es, die Geruhsamkeit tut ihm auf die +Dauer nicht gut, das Blut wird träg im Wohlleben, und der schöpferische +Born droht in der Einförmigkeit des Daseins zu versiegen.</p> + +<p>Die Zigeuner, die das Leben verrauchen, verträumen und vergeigen, sie +haben nach Künstlerermessen das bessere Los gewählt.</p> + +<p>Die späten Herbsttage drücken schwer auf das Gemüt mit ihrer +Melancholie. Franz zählt die Tage, Stunden, bis es wieder heimwärts +geht nach Wien und die Bürde von Stellung und Beruf wieder von ihm +genommen ist, die härter drückt als alle kleinen Lebenssorgen, denen er +vor einem halben Jahr entronnen war.</p> + +<p>»Ach, daß die Luft so ruhig, ach, daß die Welt so licht! Als noch die +Stürme tobten, war ich so elend, so elend nicht!«</p> + +<p>Die Post kommt und geht wie immer, und endlich, o glücklicher Tag, +nimmt sie Franzens Reisegepäck auf. Die Liederfracht ist schwer, aber +das Herz ist leicht. Die Rosa muß es nun wohl glauben, daß er in der +Ferne ein liebes Liebchen hat — doch wie es heißt? Sie hätte es gar zu +gern gewußt. Sie hat geschmollt, weil er ein gar so sprödes Herz besaß, +und endlich hat sie den Beschließer erhört, denn das war ihr Fehler und +ihre Tugend, daß sie halt nicht nein sagen konnte!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span></p> + +<p>Adieu Rosa, »und wenn Sie es durchaus wissen wollen, wie mein liebes +Liebchen heißt, so sei es jetzt gesagt: Wien heißt es, Wien, das +geschmähte, verlassene, verwünschte — vor allem aber geliebte und mit +Sehnsuchtsgedanken behütete!«</p> + +<p>Rosa lacht und dreht ihm den Rücken.</p> + +<p>Als Franz beim Schwager vorne saß und die lichte Straße in der +verhaltenen Stimmung eines graublauen Herbsttages hinfuhr, nahm +er immer wieder einen mit Seidenpapier umwickelten Gegenstand +aus der Brusttasche, um ihn innig zu betrachten; — eine +kleine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Wappen darin, ein +Abschiedsgeschenk der Komtesse Karoline, für das sie das Nadelgeld +eines ganzen Monats aufgewendet hatte.</p> + +<p>So endete ein Idyll, dem ewige Fortdauer beschieden sein sollte, denn +jedesmal, wenn die Wolken dem Pfeifchen entstiegen, mußte in dem +seligen Zustand der Entrücktheit ihr Bild in dem bläulichen Flor der +Wolken aufschimmern.</p> + +<p>Er mußte lächeln bei diesem Gedanken — das Herz jubelte der Wiener +Heimat und den Freunden entgegen, aber in dem Jubel war eine Träne, sie +galt der heimlich und entsagend geliebten Gräfin Karoline.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="V">V.</h2> +</div> + + +<p>Die Freunde sitzen wieder beisammen und singen wie die Jünglinge im +Feuerofen. »Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal +des Menschen, wie gleichst du dem Wind!«</p> + +<p>Der schwärmerische, geheimnisvolle Ton der Männerstimmen zittert weich +und kraftvoll, eine tönende Woge, ein sanfter, klingender Hauch, der +anschwillt wie Orgelgebraus, wie Waldrauschen, wie Bergstromgetos — +so klingt »der Gesang der Geister über den Wassern«. Die eigentümlich +ergreifende Schönheit des Männerchors war Schuberts Entdeckung. Aus dem +Kreis der Freunde wuchs ein Quartett hervor, das sich zuweilen zu einem +achtstimmigen Chor verdoppelte. Jeden Donnerstag fanden sich die jungen +Kerle zusammen, um ihrer Singlust zu genügen.</p> + +<p>Hier schöpfte Franz die Anregung zu einer neuen Kunstgattung, er war so +eigentlich der Begründer des Männerquartetts. Jeden Donnerstag mußte +er neue Noten in der Tasche haben, sonst war es gefehlt. Da fielen +sie über ihn her: »Was, du hast nichts Neues? Du hast wirklich nichts +Neues? Schandkerl, wir schlagen dich tot. Mausetot! Noten her oder das +Leben!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p> + +<p>So erpicht waren sie alle auf neue Gesänge. Herrgott, das war ein +Druck, dem schwer zu widerstehen war. Da mußte die schöpferische Ader +ergiebig sein, wenn solch gute Geister wachten und die Faulheit zum +Teufel jagten. Da gab's also keine Ausrede. Vogel, sing' oder stirb!</p> + +<p>Jetzt sitzen sie alle da, wollen den Schnabel aufreißen und brauchen +dazu musikalische Atzung. »Ist doch deine Pflicht, Franzl, dafür zu +sorgen!«</p> + +<p>Ist in tausend Verlegenheiten, der gute Franz, hat an diesem Donnerstag +richtig nichts in der Tasche. Hat es vollständig verschwitzt, daß +Donnerstag das Quartett stattfindet und um jeden Preis ein neues Stückl +singen will. Sie freuen sich ja alle so, die ganze Woche darauf, und +jeder ist schon neugierig, was er sich denn zum nächsten Male wieder +zusammengedichtet haben wird, der verflixte Herrgottsmusikant!</p> + +<p>Aber dieses eine Mal kommt er wirklich mit leeren Händen. Nicht einen +Fetzen Noten hat er bei sich. Er sieht das unverhohlene Leidwesen +seiner Freunde, sie sind enttäuscht — das geht ihm nahe.</p> + +<p>»Enttäuschung? — Nein, das sollt ihr nicht erleben an mir! Laßt mich +jetzt fünf Minuten in Ruh' — dann sollt ihr sehen!« Hat er auch die +Noten nicht auf dem Papier, so hat er sie doch in der Brust. Ein +Gedicht trägt er in der Tasche. »Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem +Finger ....« Das Gedicht hat er sich abgeschrieben. Es ist von einem, +den sie einmal zu den größten zählen werden. Ein junger Poet, Franz +kennt ihn nicht und fühlt sich dennoch mächtig zu ihm hingezogen. +Vielleicht daß<span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span> Mayrhofer, der Zensurgewaltige, Rat weiß. Doch später, +später davon! Jetzt das Gedicht und der Gesang! Das Gedicht hat er sich +aus einem Musenalmanach abgeschrieben, und jetzt sitzt er in der Ecke, +weltvergessend, bezaubert von den Versen, die Noten fliegen und purzeln +nur so aus seiner Hand aufs Papier; nach einer Viertelstunde wendet er +sich zu den Freunden: »So, jetzt haben wir's!«</p> + +<p>»Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ...«</p> + +<p>Bebend vor verhaltener Glut und Kraft, entfalten sich die blühenden +Männerstimmen des Quartetts: Leise, leise .. Zuerst wie ein +schmeichelnder Windhauch, der mit Blättergeflüster und Fliederduft die +Geliebte umschmeichelt und dann immer stürmischer und drängender — wie +könnte die Erkorene der werbenden Kraft dieses Ständchens widerstehen?</p> + +<p>Eine der blühendsten Schöpfungen ist im Handumdrehen entstanden. So mir +nichts, dir nichts. Wo er es nur hernimmt, in dieser Geschwindigkeit, +dieser unglaubliche Franz? Das ist das Rätsel. Gibt es ihm ein Gott +ein? Wird wohl so sein. Tut unter dem Anhauch eines genialen Dichters, +eines persönlichen Erlebnisses, eines rätselhaften Drängens in seiner +Brust die Seele weit und horchend auf, daß die himmlischen Geister des +Unendlichen auf ihn einströmen. Er hört sie singen, die himmlischen +Heerscharen um Gottes Thron, oder wenn ihr so lieber wollt, die +sphärischen Mächte, er hört sie singen draußen in der Unendlichkeit +und eigentlich tief drinnen in der eigenen Brust, er braucht nur +hineinzuhorchen in sich und in Noten abzuschreiben, was er drinnen +hört, und gibt es<span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span> dann hin — sein eigenes Herz und seine Seele ist +mit dabei. Ja, seht ihr, so wird's gemacht!</p> + +<p>»Teufelskerl, himmlischer, laß dich umarmen!« Schober gebärdet sich wie +verrückt; der hohe, schlanke, junge Mann hebt den kleinen, untersetzten +Schubert im Sturm der Begeisterung hoch, wirbelt ihn ein paarmal um +die eigene Achse herum, auch die anderen müssen ihn stürmisch umarmen, +sie gebärden sich wie die Tollhäusler. Dann singen sie wieder wie die +Jünglinge im Feuerofen, im Feuerofen der Liebe, der Freundschaft, der +Begeisterung.</p> + +<p>Man sieht es klar, was diese Freundschaft wert ist. Sind alle junge +Kampeln, nicht sehr einflußreich, sie können alle zusammen nicht +bewirken, daß dem armen Schubert aus seiner genialen Schaffenskraft ein +wenn auch noch so kärglicher Verdienst fließt, wenigstens soviel Lohn, +als ein Packträger die Woche verdient — sie geben sich alle Mühe, aber +es gelingt nicht, und wirklich scheint es, als ob die Schöpfung Gottes, +die so viele unnütze Kostgänger ernährt, gewöhnliche und wertlose +Kreaturen, nur für den begnadeten Genius, dem Bringer neuer Schönheit +und neuer Kunst, den Tisch zu decken vergessen hätte. Nicht soviel +können die Freunde bewirken, daß der gute Franz Kost, Quartier und +anständige Kleider bestreiten kann — je reicher die Welt an ihm wird, +desto ärmer ist er.</p> + +<p>Die Freunde selbst bereichern sich an ihm, es fließt ihnen soviel +Schönheit und Kraft von ihm her zu, und sie haben ihren kleinen +Egoismus dabei. Die meisten von ihnen sind Dichter, Schober, Mayrhofer +und so weiter, sie wissen, daß der Weg zur Ewigkeit ihrer Schöpfungen +nur über Schubert geht, der ihre Verse vertont. Andere,<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> wie Vogl und +Schönstein, glänzen durch den Vortrag der Lieder, aber den Löwenanteil +des Ruhmes ernten sie selbst. Sie geben sich alle Mühe um Franz, sie +tun es ja sich selbst zuliebe, nur schade, daß Franz so wenig davon hat.</p> + +<p>Es kommt ihm aber auch gar nicht darauf an. Er denkt nicht nach darüber +— es täte auch gar nicht gut — der Wert der Freundschaft liegt für +ihn wo anders. Daß er zum freudigen Schaffen so gedrängt und gestachelt +wird, das verdankt er ihnen. Und das ist das Größte und Wertvollste, +das er sich wünschen mag. Darin zeigt sich im rechten Sinn, was +Freundschaft bedeuten kann. Sie macht ihm Mut zu sich selbst, zu +seinem Können, zu seiner Bestimmung, das ist unendlich mehr als Pump +und Borgerei. Vor ihren Augen ist er nicht arm, sondern ein großer +und reicher Geber, von dem sie alle empfangen, und wenn sie ihm auch +gelegentlich unter die Arme greifen mit dem Nötigsten, was man für den +Alltag braucht, so ist keine Rede von Leihen und Zurückgeben, sondern +es ist nur eine kleine Erkenntlichkeit in der geringsten Form, für das +große Empfangene.</p> + +<p>Und wenn sie beisammen sitzen, ist alle Bangigkeit und Schicksalsfurcht +vergessen, die in einsamen Stunden jeden überkommt, jetzt ist Freude, +Hoffnungsmut und Überwinderstolz um sie, ein Gastmahl von Königen, +wenngleich sie nur vom Blatt essen, Wurst in Papier, und dünnes Bier +dazu trinken. Eine Kraftquelle sind die Freunde für ihn, ein Ansporn +und eine Seelenzuflucht, aber auch er ist Mutspender und Kraftquelle +für die Freunde.</p> + +<p>Schwind, der tiefe und verstehende, drückt es aus.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p> + +<p>»Nichts ist so wichtig für den Künstlermenschen, als zu wissen, wo er +schöpfen muß. Du gehörst da her, Schubert, wo du zu Haus bist! Zelez +war nichts für dich! Hier in Wien springen deine Quellen, deine inneren +Quellen!«</p> + +<p>Schubert schmaucht aus dem Meerschaumpfeifchen. Sein Blick geht den +entschwebenden Wölkchen nach, ein süßes Traumbild will vor seinen Augen +zerfließen.</p> + +<p>»Na na — Zelez hat auch sein Gutes gehabt!« und dabei betrachtet er +zärtlich sein Meerschaumpfeifchen.</p> + +<p>Aber ganz unrecht hat Schwind nicht. In Zelez hat er gelebt wie der +Mops im Paletot — was war denn dabei herausgekommen? Einige Lieder, +die von seinen kleinen Schmerzen erzählen. Das Herz der Menschheit ist +darin, ja, ja, aber die großen Werke, die er sich vorgenommen hat — +wo sind die geblieben? Zelez war ein Stück längst begehrter sorgloser +Freiheit — Großes hat er dort gestalten wollen; aber die Zeit zerrann +unter seinen Händen. Das Große und Neue erstand erst wieder, als er +daheim war in der geliebten Vaterstadt, wo ihn soviel bedrückte, im +Kreis der Freunde, die eifersüchtig wachten, daß er sich ja keine Ruhe +gönne. Hier war ihm wieder der Knopf aufgegangen — warum nicht dort, +wo die Umstände äußerlich viel günstiger waren? Es ist wirklich der +Rede wert, er spricht sich mit den Freunden darüber aus.</p> + +<p>Der Schwind hat wieder das rechte Wort gefunden.</p> + +<p>»Das in Zelez war nicht die Freiheit — das war nicht Herrentum, +sondern nur versüßter Lakaiendienst, Herr<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> deiner selbst, deiner Zeit, +deiner Wege bist du hier, wo du keinem Geringeren untertan bist als +dir selber. Und wenn du hier auch zehnmal nichts hast, so hast du +doch die Freiheit, zu leben, zu denken, zu reden, zu singen, wie dir +der Schnabel gewachsen ist. Verhungern wirst du nicht. Also kann dir +überhaupt nichts geschehen. Der Künstler kann nur einen Herrn über +sich vertragen, und das ist er selber. Sei du — du, dann ist Gott mit +dir! Man sieht es ja: was hast du alles aus dem Ärmel gebeutelt in +den paar Wochen, seit du wieder hier bist. Das sind Gewächse, die im +Herrschaftshaus zu Zelez nicht gezogen werden können. Dort gedeihen sie +nicht. Na, hab' ich recht, oder hab' ich unrecht?!«</p> + +<p>Recht hat er, der gedankentiefe, romantische und doch so weltkluge +Schwind. Natürlich hat er recht! Das weiß Schubert ganz genau, so +gescheit ist er auch; was Schwind sagt, das hat er längst gefühlt. +Wortlos nickt er ihm zu.</p> + +<p>Freilich, ein kleiner innerer Vorbehalt ist dabei. Was Zelez nützte, +das kann man nicht wissen. Alles Erleben und Umsetzen in Kunst +vollzieht sich geheimnisvoll. Oft ist die Zeit des Müßiggangs die +fruchtbarste. Man kann nicht mathematisch nachrechnen, ob ein Eindruck, +eine Erfahrung auch wirklich befruchtend war. Sie wirkten oft erst in +der dritten Potenz, mittelbar. Und wenn es nichts weiter war als die +Zeit der Ruhe, der Entspannung, so war es von um so größerem Wert. +Seine Kraft hat geruht, seine Gesundheit ist gefestigt, sein Aussehen +blühend. Sein Vorrat an schöpferischer Essenz vermehrt.</p> + +<p>Der Mensch braucht einen gewissen Überschuß, von dem er zehren kann. +Wer weiß, ob er jetzt soviel neue und herrliche<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> Sachen hätte aus dem +Ärmel schütteln können, wenn nicht diese kurze Brachzeit vorangegangen +wäre.</p> + +<p>Wenn er so sein Pfeifchen in Brand hält, geht ein Strom von Liebe und +feurigen Gedanken auf ihn ein. Dieses Pfeifchen ist nicht nur ein +Nasenwärmer, sondern vor allem ein Seelenwärmer. Und wieviel man ihm +verdankt an zarten Empfindungen, die wieder ausklingen und in der +menschlichen Seele einen verwandten Ton erwecken, das ist gar nicht zu +ermessen. Rosa ist vergessen; sie war von gewöhnlichem Schlag und hatte +nichts zu geben, was Wert behielt. Aber das Grafenkind — etwas Liebes +und Feines ging von ihr aus, das spürte er jetzt stärker als früher, +und das war gut.</p> + +<p>Mit diesem Pfeiflein, das Liebe erweckte und die Seele fruchtbar +machte, konnte man sich nicht mehr arm fühlen, auch wenn man sonst +nichts besaß. Die kasimirne Hose hatte ihren Glanz längst eingebüßt und +war ein bißchen zerfranst, die Wäsche, die Frau Mutter geliefert hatte, +war nicht immer in bester Ordnung gehalten, und das Geld, das man in +Zelez ersparte, hatte wie immer einen heilen Schweif. Es war nicht zu +halten.</p> + +<p>Der Herr Vater war abermals bös geworden, weil Franz sein herrenloses +Musikantenleben aufs neue aufnahm, die Verbindung mit dem Elternhaus +war wieder einmal unterbrochen. Eigenes Heim besaß der Franz nicht, +er lebte bei Schober in der Tuchlauben, hatte ein Zimmerchen dort mit +einem Klavier, einen Tisch, ein paar wacklige Sessel, einen Schrank, +eine Bettstelle, alles sehr dürftig und nicht eben freundlich, denn das +einzige Fenster<span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span> des Zimmerchens ging in einen lichtarmen Hof hinaus. +Man war eben Gast und mußte sich bequemen.</p> + +<p>Franz sah übrigens nicht sonderlich auf diese äußerlichen Dinge, wenn +er nur ein Obdach hatte und schreiben konnte — während der Arbeit war +er in einer lichtvollen, seligen Welt.</p> + +<p>Schober selbst hatte zwei Zimmer nach vorne, ein kleines Schlafzimmer +und ein gediegenes Arbeitszimmer mit schweren Empiremöbeln, wie es +einem jungen Bonvivant jener Tage angemessen war. Aber ein prunkvolles +Arbeitszimmer allein macht nicht glücklich. Auch Schober hatte sein +Leid, so gut wie Mayrhofer und alle andern. Sie waren tragische +Freunde, nur mit dem Unterschied, daß jeden der Schuh wo anders drückte.</p> + +<p>Schober sprach nicht gern von seiner Kunstreise, es war eine +Enttäuschung gewesen. Er hatte sich als Schauspieler versucht, aber so +leicht ging es doch nicht, als er sich's vorgestellt hatte. Er war mehr +Komödiant des Lebens, spielte den verfluchten Kerl, war unwiderstehlich +vor den Frauen — aber auf der Bühne versagten die glänzenden +Eigenschaften des Weltmannes. Es bedurfte dort anderer, grellerer +Mittel, die ihm nicht zu Gebote standen. Kurz und gut, Schober redet +nicht gern davon. Er ist begnadeter Dilettant und hat ein neues +Steckenpferd, das er jetzt mit Hingebung reiten will: den Pegasus. Eine +neue Lust, noch mehr aber ein neuer Schmerz.</p> + +<p>Ein anderer ist, dem die Dichtkunst ebenfalls mehr Schmerz ist als +Lust: Mayrhofer. Er steht der Literatur nahe von Beruf und aus Neigung. +Von Beruf aus ist er dazu verhalten, dem Flügelroß die Schwingen +zu beschneiden,<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> daß es nicht allzu freiheitlich ausgreife und die +Staatsraison vor den Kopf schlage. So muß er denn von Staats wegen für +diesen ungezügelten Renner eine Zwangsjacke bereithalten. Das ist sein +Amt als Zensor.</p> + +<p>Der geschworene Feind der dichterischen Freiheit ist aber selbst +Dichter — hier klafft der Riß. Neigung und Pflicht stehen miteinander +in Konflikt. Aber Pflicht ist Pflicht. Seine Dichterneigung ist +Privatsache, sie verstößt nicht gegen sein Beamtengewissen. Täte sie +es doch! Hier ist der tragische Punkt in seinem Leben. Er fühlt es +dunkel: als Dichter lebt er aus zweiter Hand. Der Quell rauscht nicht +in seinem Innern, er trinkt aus fremden Bechern. Er ahmt nicht nach, +aber es fehlt ihm doch das Echte, Ursprüngliche. Was er schreibt, ist +Almanachpoesie. Sein Leben krankt daran. Sein Geist versinkt oft in +trübe Melancholie — wenn Schubert nicht wäre, o Leben, es wäre zum +Verzweifeln!</p> + +<p>Aber Schubert gibt den lahmen Versen Flügel. »Gib uns ein Stück von +dir!« So meint Mayrhofer und meint Schober. Vielleicht wäre dann +jeder ein ganzer Dichter. Schober findet für das, was ihm fehlt, +einen inneren Ausgleich durch seine gesellschaftlichen Triumphe. Er +lebt als Mann des guten Geschmacks, der angenehmen Geselligkeit, +des Kunstverständnisses, des Sammlers — auch ein Beruf. Er sammelt +Spazierstöcke und ist Schuberts Freund — bei Gott, es gibt sehr viele +Menschen, die weniger leisten.</p> + +<p>Bei Mayrhofer sitzt der Stachel tiefer. Zensor zu sein, ist keine große +Ehre, besonders wenn man selber Dichtersmann sein will. Er ringt um +den Segen der Muse: »Ich<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> lass' dich nicht, es sei denn ....« Aber die +Muse verhüllt schamhaft ihr Angesicht vor ihm, sie wendet sich ab, +mehr erschreckt als beglückt von seinen gewalttätigen Liebkosungen. +Verbitterung bemächtigte sich seines Gemüts; darunter begannen auch die +Freunde zu leiden, besonders Schubert.</p> + +<p>Franz liebte den Freund; der war um so und so viele Jahre älter, sehr +belesen, tief und ernst angelegt, krankhaft ehrgeizig und wunderlich +durch seine unselige Leidenschaft zur Poesie. Als Dichter erging es +ihm so wie früher als Priester, er hat es nie zu den letzten Weihen +gebracht. Um so härter war er im Urteil über andere. Das war nun gar +nicht nach Schuberts Sinn.</p> + +<p>Mayrhofer hatte allerlei zu kritisieren an den Versen: »Leise, leise +...« Spürte er den kommenden Genius, den er leugnen wollte, weil er +klein gegen ihn erscheinen mußte?</p> + +<p>»In diesem Punkte gehen unsere Wege auseinander!« erklärte Schubert +resolut. Und bewies, wie herrlich die Verse seien, aus echtem Gefühl +entsprungen, aus einem Guß. Das verstimmte Mayrhofer noch mehr. Er +vergrub sich in Trotz und Einsamkeit und ließ sich tagelang nicht +sehen. Dann kam er wieder — er brauchte ein Stück Schubert, ein +bißchen Illusion, neue Hoffnung auf Gelingen, sonst war das Leben +nichts wert. Aber alles, was recht ist — in diesem einen Punkt mußte +man Franz nachgeben: er duldete nicht, daß man gelungene Leistungen +anderer heruntersetzte.</p> + +<p>Mit Spaun und Hüttenbrenner betritt Mayrhofer Schuberts Klause in der +Tuchlauben. Sie finden ihn eben<span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span> dabei, als er die »Wanderlieder« von +Kreutzer durchspielt.</p> + +<p>»Laß das Zeug,« sagt Hüttenbrenner, »und sing' uns lieber ein paar +Lieder von dir!« Das ist auch die Meinung der anderen.</p> + +<p>Sind aber schön angekommen alle Drei. »Wie kann man so ungerecht sein? +Die Lieder sind sehr schön, ich wollte, ich hätte sie geschrieben!«</p> + +<p>So war er; er war zu sehr ein Eigener und war zu reich an Können und +Gemüt, als daß er auf andere hätte scheel hinsehen mögen. Er vergönnte +jedem das Seine und war eher zu einem Lob als zu einem Tadel bereit.</p> + +<p>So wäre es ja ein ganz sorgloses Dasein gewesen, man hätte guter Dinge +sein können und war es ja auch, wenn man mit den Freunden beisammen saß +und die Leistung der arbeitsreichen Tagesstunden zum besten gab. Da war +die Sorge und die Furcht vor dem Morgen und Übermorgen verscheucht, +aber freilich nur so lange, bis der Alltag mit seinen niederen, +hundsgemeinen Anliegen anklopfte.</p> + +<p>Aber der Alltag ist schon ein solcher ruppiger Gesell, ein +Beutelschneider, der einem schwer auf dem Geldsack liegt und alle fünf +Minuten andere Forderungen hat. Er katzenbuckelt, ein grinsender Lakai, +wenn man wie ein gnädiger Herr tief hineingreifen und die Goldstücke +springen lassen kann; er wird sackgrob wie ein Packträger, aufdringlich +wie ein Schuldenmahner und unverschämt wie ein Skandalmacher, wenn man +mit den Moneten nicht nachkann.</p> + +<p>In aller Früh schon geht es an. Ein Blick in den Spiegel, der stellt +sofort die unverschämt vertrauliche Frage:<span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span> Herr von Schubert, wollen +Sie sich nicht vielleicht zum Bartscherer verfügen, gleich links um +die Ecke in der Naglergasse? Es wäre schon die höchste Zeit! — Aus +notgedrungener Sparsamkeit denkt man, es hat Zeit bis morgen, und geht +den ganzen Tag herum wie ein Gezeichneter, ein Sträfling, dem die +Stoppeln im Gesicht stehen. Oder der Spiegel sagt: Herr von Schubert, +frische Wäsche — ein unsauberer Kragen, ein zerknittertes Hemd, beide +kleiden schlecht!</p> + +<p>Ja freilich — wo ist denn die Büglerin geblieben, die vor acht Tagen +die Wäsche hätte bringen sollen? Es wird doch nicht wegen der lumpigen +Rechnung sein, die schon zweimal stehen geblieben ist? Läuft man denn +davon, ist das Geld nicht sicher? Ungehöriges Mißtrauen! Soll man +deswegen herumrennen wie ein Schwein? — Aber so ist der Alltag: wer +nicht zahlen kann, der soll sich schämen, über die Straße zu gehen.</p> + +<p>Im Gasthaus, im Café hat man ja etwas Kredit. Ab und zu verdient man +auch ein paar Groschen, es wird diese oder jene kleine Komposition +bestellt, Kirchensachen, na, das wirft ja gerade soviel ab, um kleine +Schulden zu bezahlen, dann lebt man wieder weiter — auf Kreide.</p> + +<p>Aber was man notwendig braucht, Theater und Konzert, das kann man nicht +auf Pump nehmen. Und teuer sind die Eintrittskarten — als ob wirklich +nur reiche Leute ein Kunstbedürfnis hätten, wenngleich es unter den +Freunden ausgemacht ist, daß sie von dem wahren Wesen der Kunst am +wenigsten verstehen.</p> + +<p>Abends singt die Milder in der Hofoper. Bei dem Wort Milder wird allen +wonnig zumut. Der Vogl und die<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> Milder. Höheres gibt es nicht in der +dramatischen Gesangskunst. In diesem Urteil sind die Freunde einig.</p> + +<p>Was die Milder betrifft, so kommt noch hinzu, daß neben der Künstlerin +auch das Weib zur Begeisterung und leidenschaftlichen Verehrung +entflammt. Sie war früher in Wien und ist jetzt in Berlin; sie kommt +nur mehr gelegentlich als Gast an die Wiener Hofoper. Schober kennt sie +aus seinen oberflächlichen Beziehungen zum Theater; er hat ihr einige +Lieder Schuberts geschickt und besitzt einen sehr herzlichen Brief +von ihr; tagelang geht die Schwärmerei um die Sängerin, doch so, daß +die Aufzählung ihrer weiblichen Reize den größeren Teil ausmacht und +fast wichtiger scheint, als die Bewertung ihrer unzweifelhaft großen +künstlerischen Mittel.</p> + +<p>Wenn es von einem Frauenwesen hieß: »Du, die hat Augen wie die Milder,« +oder: »die lächelt ein Mildersches Lächeln,« so bedeutete es soviel, +als daß die Betreffende eine ausgemachte Schönheit sei und daß man +nichts Eiligeres zu tun hätte, als sich Hals über Kopf unglücklich in +sie zu verlieben. Wer es nun immer war, ein Kind der Dienstbarkeit, +ein Mädchen aus dem Volke, eine Dame der Gesellschaft, man sah sie nur +mehr durch diese Augen oder durch dieses Lächeln, und dann waren alle +unsterblich in sie verschossen. Darin glich einer dem andern.</p> + +<p>Die Abende, an denen die Milder sang, zu versäumen, wäre eine solche +Kardinalsünde, daß man dafür verdiente, in der Hölle zu schmoren. Das +Leid darob wäre für den armen Schubert eine dreifache Hölle gewesen; +der muß ein so frommes Gemüt, wie er, zu entgehen<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> wissen. Also muß +Freund Schober für die Billette aufkommen.</p> + +<p>»Aber selbstverständlich, lieber Freund!« Er ist immer so nett, der +scharmante Schober. Es ist freilich etwas dabei, das dem Franz gegen +den Strich geht. Er ist und bleibt empfindlich. Ein so harter und +schwieliger Schuldenmacher zu werden, der kaltblütig alles für sich +begehrt, ohne Entgelt, das kann er nicht.</p> + +<p>Er leidet immer mehr unter dem Druck der Verhältnisse. Schober weiß es +nicht, er hätte es ihm gewiß ausgeredet. Aber es ist nicht die Art des +Franz, sich über so heikle Dinge zu erschließen. Nur zu Schwind äußert +er sich gelegentlich und nur ganz beiläufig; denn zu Schwind kann er +reden wie zu sich selbst, der steht ihm innerlich am nächsten, mit ihm +ist er am meisten verwandt, sie sind beide gleich arm an Gut und Geld +und gleich reich an Kunst und gleich groß an Gefühl.</p> + +<p>»Nicht wahr,« hebt Franz an, »man kann bei einem guten Freunde wohnen, +man kann sich bewirten lassen, aber man kann nicht das Taschengeld von +ihm nehmen, man kann nicht seine Stiefel anziehen, man kann nicht seine +Beinkleider tragen — mit einem Wort, man kann sich von ihm weder ein +Gewand schenken lassen, noch auf seine Kosten einen neuen Anzug machen +lassen ....«</p> + +<p>Schwind versteht ihn, bei dem bedarf es nicht vieler Worte, der weiß +um alle Lebensnot und Künstlersehnsucht, und wenn beide in Schweigen +beisammen sitzen, so geht ein Strom von Trost und Linderung von einem +auf den andern über.</p> + +<p>Einsam ist jeder, aber es tut wohl zu wissen, daß der<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> Mitbruder in der +Zelle nebenan um alle Gebundenheit dieses Erdendaseins weiß und mit +seinem Mitgefühl nahe ist. Auch darin liegt etwas von der Kostbarkeit +der wahren Freundschaft.</p> + +<p>Die Abende in der Oper gleichen dem Traum vom Paradies. Die Musik ist +Blech, die Bühne ist Pappendeckel, die Sänger und Sängerinnen sind +beschmierte Larven, aber Leben, Schönheit, Wohlklang, Seele bekommt +alles erst, wenn die Milder auf der Szene steht. Wenn sie geht, sinkt +alles wieder in die nichtige Armseligkeit zurück. Wenn sie singt, dann +fällt alles Weh ab, man vergißt, daß man ein unruhig klopfendes Herz +hat, einen brummigen Schädel von der Hitze, brennende Augen von der +schlechten Beleuchtung, einen knurrenden Magen und andere menschliche +Übel; man fühlt sich in einer beglückenden Seelengemeinschaft mit der +schönen Besitzerin dieser herrlichen Stimme, dieser strahlenden Augen +und dieses berückenden Lächelns, und hat nur das eine dumpfe Bedauern, +daß, wenn sie jetzt von der Szene abgeht, alles nur holde Lüge war, +und daß man wieder in Dumpfheit und Verlassenheit allein dasteht, +ein armseliger Schlucker, beschwert mit einer großen, unerfüllbaren +Sehnsucht.</p> + +<p>Nach der Vorstellung soll Schubert, von Schober geführt, in der +Garderobe der Künstlerin erscheinen. Sie will den Schöpfer der Lieder +kennen lernen, die sie in Berlin gesungen und mit denen sie viel +Aufsehen gemacht hat.</p> + +<p>Als Schober sich nach dem Freunde umsieht, war der weg. Einfach +entwischt. »Was ist das für eine Art? Was wird die Milder dazu sagen?«</p> + +<p>Schober ist außer sich. Er kann die Torheit nicht begreifen.<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> Zuerst +Sehnsucht, Begeisterung, Schwärmerei, man könnte sagen Verliebtheit, +und wenn es drum und drauf ankommt, reißt er aus und versteckt sich wie +ein furchtsames Knäblein. »Schämen soll er sich!«</p> + +<p>»Das verstehst du eben nicht!« erklärt Schwind, dem die +draufgängerische Art Schobers zuwider ist. »Ich an seiner Stelle hätte +es genau so gemacht.«</p> + +<p>»Was gibt es da zu verstehen? Feigheit ist es, Mangel an guter Art, +Launenhaftigkeit ....« Nein, Schober versteht es wirklich nicht. Aber +Schwind versteht es, der blickt tiefer und erkennt Zusammenhänge, die +der andere nicht ahnt.</p> + +<p>Anna Milder ist abgereist. Ein neuer Stern ist auf dem Horizont der +Freunde aufgetaucht, Therese Puffer. Sie ist eine der eleganten Frauen, +die in den Wiener Salons verkehrt, wo Musik gepflegt wird. Sie ist +Konzertsängerin, aber nicht aus Beruf. Die Kunst ist nicht der Zweck, +sondern vielmehr der Schmuck ihres Lebens.</p> + +<p>Die Freunde streiten, wer schöner sei, die Milder oder die Puffer.</p> + +<p>»Die Milder hat eine schönere Stimme!« sagt der eine. »Aber die Puffer +hat die edlere Gestalt!« meint der andere. »Die Augen hat sie von der +Milder!« entscheidet der Dritte. »Nein, das Lächeln hat sie von ihr!« +behauptet der Vierte.</p> + +<p>»Jedenfalls verdient sie, daß man sich so unglücklich als möglich in +sie verliebt!« erklärt der kundige Schober. Es war gar nicht nötig, +das erst zu sagen, denn heimlich träumt schon jeder von ihr. Schwind +zeichnet sie als Melusine, Franz gedenkt ihrer in seinem Lied »Des<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> +Schäfers Klage ...« »Da stehet von schönen Blumen, da stehet die ganze +Wiese so voll; ich breche sie, ohne zu wissen, wem ich sie geben soll. +Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum. Die Türe +dort bleibet verschlossen; doch alles ist leider ein Traum ..«</p> + +<p>Die Türe dort bleibt verschlossen .... Nämlich die Türe vom »roten +Igel«, dem Vereinshaus, wo Konzertabend ist. Da drinnen hinter +den hellerleuchteten Bogenfenstern mit weißen Sprossen, die wie +Sonnenstrahlen ausgreifen, sitzt eine erlesene Gesellschaft; Therese +Puffer singt. — Was singt sie? Ein Lied von Schubert. »Und Regen, +Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum ....«</p> + +<p>Die schöne dunkle Frauenstimme breitet ihren weichen Flor über die +entzückten Hörer, auf den einsam Lauernden draußen fällt noch ein +verwehender Klang ab. Der steht draußen und paßt an der Tür, und nun +bricht der Sturm los, Händeklatschen und Beifallsjubel der Menge.</p> + +<p>Der Beifall will nicht enden, er schwillt an wie ein Orkan, und da ist +ihm, als ob er in dem Brausen seinen Namen hörte.</p> + +<p>In der Tat, sie rufen drinnen nach ihm! Schubert soll sich zeigen! Sie +klatschen wie wütend, sie schreien seinen Namen, sie trampeln mit den +Füßen. Er steht draußen und weiß nicht, ob er fliehen soll oder in den +Saal hineineilen. Es drängt ihn zur Flucht — ganz wie neulich, als er +die angebetete Milder hätte sehen sollen. Warum, Warum? Schwind hat es +begriffen. Der — ja, dem ist nichts Menschliches fremd.</p> + +<p>Franz sieht sich bei dem armen Öllicht, das vor der Tür hängt, prüfend +von oben bis unten an, ehe er es wagen<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> würde, auf die Klinke zu +drücken, prüft genau seine abgetragenen Schuhe, seine verknitterte +Hose, seinen schäbigen Rock — nein, nein, um keinen Preis da hinein! +Er will fliehen, sich verstecken — die Armut bedrückt ihn, er mag sich +den Leuten nicht so zeigen, wie es wirklich um ihn steht.</p> + +<p>Das ist es, was Schwind sofort verstanden hat, und was Franz doch nicht +sagen wollte aus seelischer Schamhaftigkeit. Und diese Schamhaftigkeit +hält ihn jetzt wieder ab, dem Ruf zu folgen. »Und Regen, Sturm +und Gewitter verpass' ich unter dem Baum — die Türe dort bleibet +verschlossen, doch alles ist leider ein Traum.«</p> + +<p>Franz will fort, und doch ist es, als ob der Lärm drinnen eine magische +Gewalt über ihn hätte, die ihn festbannt. Er bleibt stehen wider +Willen, lauschend auf das, was nun kommt, auf das Stühlerücken und +das Stimmengewirr — und da fliegt schon die Türe auf, ein blendender +Lichtkegel fällt in die dunkle Straße, ein Strom von Menschen quillt +hervor mit erhitzten, geröteten Gesichtern und befeuerter Seele; er +hat gerade noch soviel Zeit, sich unter das dunkle Gesims zu ducken — +die festlich gestimmten Frauen und Mädchen gehen vorbei, die schwärmen +von Schuberts Lied, aber ihn kennen sie nicht, sie gehen achtlos an +ihm vorüber, die eine oder andere schaut gleichgültig den wildfremden +und unscheinbaren Menschen an, niemand hat eine Ahnung, daß er es ist, +von dem sie schwärmen, und den sie sich wahrscheinlich ganz anders +vorstellen, als jungen, verklärten Helden im himmelblauen und rosaroten +Licht.</p> + +<p>Das Glück ist mit Weh gemischt wie immer; die Freude<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> über den Erfolg +und die kleine Bitternis, mit seiner Person im Dunkeln stehen zu +müssen — Armut ist ein brennendes Hemd, und wer damit bekleidet ist, +zeigt sich nicht gern vor Menschen. Vielleicht wäre man schon weiter +in der öffentlichen Gunst und in der äußeren Wohlfahrt, wenn man es +besser verstände, sich öffentlich zu zeigen, sich zu inszenieren, den +Tageshelden zu spielen — aber just das ist ihm verwehrt. Vogl hat +recht: »Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan!« Das heißt +mit anderen Worten: Sie werden es in dieser Welt schwer haben, sich +durchzusetzen. Sie werden für Ihre Kunst leiden und ihr zuliebe die +Märtyrerkrone tragen müssen — wie übrigens jeder echte Künstler, der +das Tiefste geben will.</p> + +<p>Aber Franz hat nicht Zeit, nachzudenken, alles das liegt keimhaft in +seinem Gefühl, im winzigen Aufleuchten eines Augenblicks offenbart +sich ihm diese ganze Erkenntnis. Dort hört er schon eine wohlbekannte +liebe Stimme, die sagt: »Ich möcht' doch eigentlich wissen, wo der +Kerl steckt! Wenn mich nicht alles täuscht, so ist es eine heimliche +Liebschaft!«</p> + +<p>Der so daher redet, das ist ein ganz Feiner, der selber bis über den +Kopf in den Techtel-Mechteln steckt. Der Anselm Hüttenbrenner ist +es, und zu dem er es sagt, das ist der Salonlöwe Schober. Sie kommen +als die Letzten heraus. Jetzt ist das Entrinnen schwer. Im nächsten +Augenblick mußten sie ihn entdecken. Da ruft schon der Schober freudig +aus: »Da ist er ja!« Und eine süßflötende Frauenstimme wiederholt +entzückt: »Da ist er ja!« Es<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> ist die Stimme der Melusine, die sich in +Begleitung der beiden Ritter befindet: Therese Puffer.</p> + +<p>Von den Freunden ans Licht gezogen, steht er nun vor der Schönen und +ist ganz behext von ihren sprechenden Augen und ihrem zauberhaften +Lächeln. Er will etwas stammeln, ein paar Worte des Dankes, und geht +auf sie zu, sie aber, noch ganz beglückt, förmlich berauscht von dem +Triumph, den sie nicht nur ihrer Schönheit, sondern diesmal ganz +bestimmt den Schubertschen Liedern verdankt, breitet unwillkürlich die +Arme aus und ruft in überströmender Gefühlsseligkeit: »Es war zu schön, +ich kann nicht anders, ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.«</p> + +<p>Ein paar volle Arme, weich und rund, ein stürmisch atmender Busen, +graublaue Nixenaugen, so tief, daß man schwer zurückfindet, ein seltsam +verlockendes Lächeln, ein blühender Mund — für den Augenblick ist +Franz in diese Herrlichkeiten hineingesunken — ach, es war nur ein +einziger, winziger Augenblick, und dann war es vorbei — beide waren +etwas verlegen, Franz über und über rot — so muß dem Adam im Paradies +zumute gewesen sein.</p> + +<p>Gern hätte er die ewige Seligkeit hingegeben für die Wiederholung +dieses Augenblicks, der ein ganzes Paradies erschloß, aber es war nun +einmal vorbei, die schöne Fee Melusine, wie sie unter den Freunden +genannt wurde, faßte sich rasch und ward wieder ganz Dame. Es nützte +also nichts, daß die beiden Kavaliere Schober und Hüttenbrenner für +sich eine ähnliche Gunst begehrten.</p> + +<p>»Es hat dem Künstler gegolten!« sagte sie und verstand<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> es +vortrefflich, die aufflammende Begehrlichkeit der beiden Ehrenkavaliere +in Schranken zu halten. Oder wenn das Feuerlein gar zu sehr unter +die Asche kroch, soweit zu schüren, daß sie wieder in sanftem +Glühen standen. In diesem Zustand des Glühens wußte sie die ganze +Männergesellschaft zu halten. Wenn aber irgendeiner in verheerenden +Brand auszuarten drohte, dann hatte sie auch die kalte Dusche bereit.</p> + +<p>»Sie ist eine Kokette!« behauptete Schober ärgerlich und verriet +dadurch, daß er nichts erreicht hatte.</p> + +<p>»Sie hat ein Fischherz!« lästerte Hüttenbrenner, der noch empfindlicher +abgeblitzt war.</p> + +<p>»Sie ist eine Donaufrau,« sagte Schwind, »nixenkühl und gefährlich. +Sie trinkt Seelen aus!« Die Seele hat er dazu gegeben, der sie als +Melusine zeichnete, und einen Ritter dazu, der unter Felsen und +seltsam verschlungenen Baumwurzeln am träumerischen Waldquell ihrer +Stimme lauscht. Der Ritter war er selber, verloren an die romantische +Melusine. Schubert sagte nichts. Sein Herz stand in weißer Glut. Der +selige Augenblick war kurz, aber die Erinnerung blieb — ein heißer +Quell, bis ans Lebensende wird er ihn nicht vergessen. Und der heiße +Quell drängt brausend empor, wird Lust, wird Leid und wird Genesung.</p> + +<p>Der Winter vergeht, der Frühling ist da, mit lichtgrünen Händen winkt +der traumhäuptige Wienerwald in die Stadt herein, winkt und winkt, +daß einem ganz eng ums Herz wird. Die Mauern sind eine drückende +Umschnürung, man will wieder frei atmen können, atmen mit dem<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> +Windhauch auf wogenden Wiesen, atmen mit dem tiefen Waldaufrauschen! +Hinaus, hinaus!</p> + +<p>»Morgen ist Lämmerhüpfen bei der Karoline Pichlerin,« berichtet +Schober, »fünfzig junge Mädchen, weiß wie Schnee und rosenrot — die +Pichlerin läßt dich grüßen, du sollst kommen. Also Franz, sei kein +Narr, das sind Menschen, die du brauchst, lauter junges Mädchenvolk +mit Klavierfingern und Piepsstimmen und Herzen wie Vogelnestern, darin +deine Liedlein nisten können. Also komm' und leg' deine musikalischen +Kuckuckseier hinein!«</p> + +<p>»Laßt mich in Ruh'! Soll ich die Augen verdrehen und Süßholz raspeln? +Soll ich affig tun und gespreizt und geziert Menuett tanzen, hab' ich +diese fade und lächerliche Mode nicht längst auf der Weste? Also, +lieber Freund, geh' nur allein, wenn du es nicht lassen kannst!«</p> + +<p>Nein! Da müßt' man schon ein Zierbengel sein wie der gute Schober +selber, um Gefallen darin zu finden, vor allem müßte man was +Anständiges anzuziehen haben, und das hat man eben nicht. Aber der +liebe Himmel weiß am Ende vielleicht doch, warum er dem Franz aus +einem so lächerlichen und rein äußerlichen Grund vielerlei Entsagung +auferlegt. Die Vorsehung verschließt ihm viele Wege und treibt ihn +auf andere, wo vielleicht mehr für den inneren Menschen zu holen +ist, und der Künstler eine größere Ausbeute gewinnt als im seichten +Gesellschaftsgetriebe. Was haben einem die Leute zu sagen? Nichtige +Schmeicheleien — die vom wahren Wesen der Kunst was verstehen, die +sind doch sehr selten.</p> + +<p>Es treibt ihn von den Menschen weg hinaus zum Stadttor, wo ihm der +Petrus den grünen Schlüssel gibt; dort<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> bedarf es keiner schönen +Kleider, keiner Geckerei, keiner Komplimente, dort kann man sein, wie +man mag, dort ist man mit sich und seinem Gott allein. Und wenn einen +Gott recht lieb hat, dann gibt er einem ein herziges Mädel dazu. So +gehörte sich's zur waldgrünen Einsamkeit.</p> + +<p>Ein herziges Mädel — er wüßte schon eins. Hat Augen wie die Melusine, +lacht ebenso, nur Kuß hat sie ihm noch keinen gegeben. Aber das kann +kommen. Eine große Schranke ist zwischen ihm und Melusine, und alle +Sehnsucht fliegt nicht drüber, wohin also Herz mit deiner Liebe? Da muß +man sich schon an einfachere Kost halten, die Kinder des Volkes sind +nicht so gespreizt, und schön sind sie auch, ebenso schön, und haben +solche Augen und ein solches Lächeln. Das ist Fanny im Wirtshaus am +Himmel.</p> + +<p>»Eine Mühle seh' ich blinken aus den Erlen heraus ..«</p> + +<p>Wenn es auch keine Mühle ist, so sind es doch die Erlen am Bach; und +ist nicht Rädergebraus, so ist doch Blätterrauschen ums trauliche Haus, +und die Fenster sind blank, und Fannys Augen sind so licht, so licht +und klar wie die Blumen am Bach. »Ich frage keine Blume, ich frage +keinen Stern, sie können mir alle nicht sagen, was ich erführ so gern. +Ich bin ja auch kein Gärtner, die Sterne stehen zu hoch, mein Bächlein +will ich fragen, ob mich mein Herz belog ...«</p> + +<p>Er wandert mit Müllerliedern im Herzen, er gibt ihnen Klang und Ton und +denkt dabei an Fanny.</p> + +<p>»Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in +jeden Kieselstein, ich möcht' es sä'n auf jedes frische<span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span> Beet mit +Kressensamen, der es schnell verrät, auf jeden weißen Zettel möcht' +ich's schreiben ....«</p> + +<p>Nur seinem Mund gebietet er Schweigen.</p> + +<p>»Und ich bleibe dabei, der hat eine heimliche Gspusi,« schwört Stein +und Bein der ewig in Liebesnöten schmachtende Hüttenbrenner; »so tut +nur einer, der irgendwo ein Mädel hat und es nicht anschaun lassen +will, Duckmauser, vertrackter!«</p> + +<p>Aber der Franz verrät nicht, mit wem er geht.</p> + +<p>Er blinzelt nur listig aus seinen Brillengläsern hervor. »Mit wem ich +geh'? Mit wem sonst als mit meinem Stecken, mein Wanderstecken ist mein +Gespons!« und lächelt wieder so listig, daß ihm die anderen erst recht +nicht glauben.</p> + +<p>»Du kannst mir's ja sagen, was du für ein Pantscherl hast!« drängt der +Hüttenbrenner, bringt aber nichts heraus und gibt schließlich selber +zu: »Gib einem guten Freunde dein Leben in die Hand, deine Ehre, dein +Gut und Geld — er wird dich nicht betrügen und belügen; gibst du ihm +aber dein Mädel zum Pfand, dann mach's Kreuz drüber!« Er muß es wissen, +er hat Erfahrung, der lockere Zeisig! Das hat Franz aber ohne ihn +gewußt und hat fein geschwiegen dazu.</p> + +<p>Am Hof steht der gelbe Wagen, mit dem fährt man hinaus ins Ätherblaue. +Fährt oft hinaus, der stille Franz, und vergißt darob manche Einladung +bei guten Leuten, denen er auf vieles Drängen zugesagt hat, und weiß +gar nicht, wo er die Entschuldigungen hernehmen soll. »Ach, wenn Sie +wüßten, wie unmöglich es mir gemacht wurde,<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> Sie würden mir gewiß +verzeihen!« Der liebe Gott, der die Verliebten zusammentreibt, der weiß +es, das genügt!</p> + +<p>Sitzt also Franz in dem gelben Rumpelkasten und fährt ins Land der +Liebe, daß ihm alle Knochen wehtun. Unterwegs springt er aus: »Halt! +Muß schauen, was die Frau Mutter macht!«</p> + +<p>Und biegt in die Säulengasse ein, nachmittags, wenn der Herr Vater +Schule hält. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Aber die Frau +Mutter, die hat allemal ein paar Taler im Strumpf, und da fällt für +einen armen, notleidenden Musikanten immer etwas ab.</p> + +<p>»Schau' nur, daß dich der Vater nicht sieht! Aber wart', auf ein +Schalerl Kaffee kannst noch sitzen bleiben!«</p> + +<p>So bleibt er noch sitzen auf die Länge eines Schalerl Kaffee. Hätte +sich aber beinahe verplaudert, Himmelfix ...! Guckt richtig der Herr +Vater bei der Tür herein.</p> + +<p>»Ja schau', der Herr Franz!« Diese förmliche Anrede bedeutete nichts +Gutes. Und bald geht's los aus einem anderen Ton.</p> + +<p>»Ist doch zum Disparatwerden!« jammert der Alte. »Daß die Kinder so +verschieden sind und daß grad' du daneben geraten mußt. Franz, Franz!« +Der Alte greift sich an den grauen Schädel und tanzt vor ihm herum.</p> + +<p>»Sind doch keine zwei Menschen gleich auf der Welt, warum sollen denn +die Kinder nicht verschieden sein, jedes auf seine Art ....?! Ist +deswegen noch lange keine Ursache, von daneben geraten zu reden!« +wehrt sich der Sohn. Dann mault wieder der Alte. Aber der Sohn beharrt +eigensinnig: »Ist doch ein Glück, daß die Menschen<span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span> verschieden auf +die Welt kommen und nicht alle gleich wie die Rechenpfennig, muß daher +jedes auf seine eigene Art werden und gehen, wohin es jedes treibt. +Bringt doch jedes sein eigenes Schicksal mit auf die Welt, das muß doch +der Herr Vater endlich einsehen! Menschen sind keine toten Sachen, +mit denen man beliebig schaltet und waltet .... und so ist es mit den +Kindern. Die sind auch kein Eigentum, mit dem man beliebig verfährt, +vielmehr sind sie den Eltern vom Himmel verliehen worden mitsamt der +Pflicht, darauf zu achten, daß jedes in der ihm eigenen Richtung +wachsen kann und darf.</p> + +<p>Ja, Herr Vater, der liebe Gott weiß schon, was er will, und was der +Mensch als sein Eigenstes hat, das hat er nicht vom Herrn Vater und +nicht von der Frau Mutter, das hat ihm schon der liebe Gott gegeben, +und zwar vom Mutterleib an. Oder soll der Herr Vater das Geheimnis +von der wahren göttlichen Empfängnis nicht verstehen, das sich immer +und immer wieder bei jeder Mutter vollzieht?! Habt ihr mir das Talent +gegeben, hat es irgend jemand in unserer Familie gehabt? Nein. Es ist +mir geworden, wie dem Menschen überhaupt je die Gaben werden — das +wird kein Sterblicher ergründen! Es ist nicht immer leicht, dem Guten +zu dienen, das einem im Leben vorgezeichnet ist — macht mir's nicht +schwerer, als es ist, Herr Vater!«</p> + +<p>Der Alte war fassungslos über diese Rede. Es muß etwas dabei gewesen +sein, das jeden Widerspruch erstickte — er wußte es nicht, was man +darauf sagen sollt', und weil ihm wirklich nichts Rechtes einfiel, und +der<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> väterliche Respekt doch irgendwie den Schein retten wollte, so tat +er ganz erbost und stapfte aus dem Zimmer hinaus.</p> + +<p>»Jetzt hast ihn aber wirklich bös gemacht, Franz — aber ganz unrecht +hast du nicht in dem, was du sagst ...«</p> + +<p>Die Mutter, die selber ein Kind unter dem Herzen trug, war +empfänglicher für eine große, einfache Wahrheit.</p> + +<p>Franz ging; er litt, weil der Vater litt — aber die Wahrheit mußte +heraus, und bei allem Leid war es ihm leichter ums Herz.</p> + +<p>Der Flieder duftet, ein Vogel singt, und draußen am Sieveringer +Bach singt auch schon das eigene Herz: »War es also gemeint, mein +rauschender Freund? Dein Singen, dein Klingen war es also gemeint? +Zur Müllerin hin! so lautet der Sinn. Gelt, hab' ich's verstanden? +Zur Müllerin hin! Hat sie dich geschickt, oder hast mich berückt? Das +möcht' ich noch wissen, ob sie dich geschickt, ob sie dich geschickt. +Nun, wie's auch sein mag, ich gebe mich drein, was ich such', ist +gefunden, wie's immer mag sein ....«</p> + +<p>Ja, in Sievering, da ist's zaubervoll! Da ist der Wind ein Kuß, da +rauscht in den Brunnen der Wein, da schaut die Liebe aus jedem Fenster +heraus, aus jedem blauen Äuglein! Da kommen ihm schon die alten +Weiber entgegen, die Lotterieschwestern vom Agnesbründl, mit bunten +Papiermützen auf dem Kopf, das Gesicht voll Rausch, und gewinstsichere +Lotterienummern in der Tasche, die sie nachts in der Quelle der +heiligen Agnes erschaut haben.</p> + +<p>Rechts geht der Gspöttgraben hinauf, der führt zum Himmel. Ein weißer +Kleiderzipfel funselt ihm vor den Augen.<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> Schon ist er im Gebüsch +verschwunden. Ein Liebespaar, das nicht gesehen werden mag!</p> + +<p>Franz denkt: »Nur keine Angst, ich schau' ohnedies nicht hin, also +nein, bitte! Geniert euch nur nicht! Ich hab' nur so vorbeigeblinzelt, +nicht mehr!« Also nur keinen Spott! Wer im Gspöttgraben spottet, dem +passiert leicht was Unangenehmes. Und wer auf Liebeswegen geht, der muß +sich ganz besonders vor Unannehmlichkeiten hüten. Überdies, wenn Franz +ein Liebespaar sieht, ist er selber mehr verlegen als die Verliebten. +Ob's denen auch so geht? Ihm geht es so!</p> + +<p>Steil geht's aufwärts. Droben am Himmel rauschen hundertjährige Bäume +um den Saal des Gasthauses. Ein Klavier steht drinnen, verstaubt und +verstimmt, das nimmt nun Franz, wenn er kommt, fest in die Arbeit. Und +was ihm unterwegs eingefallen ist, das blüht jetzt hervor zu einem +blühenden Strauß von Tönen. Die lachende Fanny bringt ihm den Wein, sie +hört ihm gern zu, dem seltsamen Musikanten.</p> + +<p>»Nach Arbeit ich frug, nun hab' ich genug, für die Hände, fürs Herze, +vollauf genug, vollauf genug!«</p> + +<p>An freien Nachmittagen kommt junges Wienervolk hier zusammen, um zu +tanzen. Sie tanzen nicht Menuett wie die feinen Leute in der Stadt, sie +tanzen Ländler und Walzer zu einer Klarinette, einer Gitarre und einer +Ziehharmonika. Ist das ein Schleifen und Wirbeln, ein rhythmisches +Wiegen, Walzer, Walzer! Ach und die herzigen Mädeln, und dazu der +Fliederhauch des Abends und der heitere Kuß der Sommernacht, und vor +allem die stumme, gotterfüllte Ekstase des Tanzes!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span></p> + +<p>Sie sind auch nicht geziert und gespreizt, diese kleinen, netten +Verkäuferinnen, Modistinnen, Näherinnen und was sie sonst alle sind. +Hier fragt man nicht nach Herkommen, nach Stellung und Würde, hier +will man tanzen und lieben und weiter nichts. Hier ist man Mensch und +genießt den Augenblick, der so reich ist an Glück!</p> + +<p>Stolze, schöne Fee Melusine, dort unten in der Stadt, wie sollt' man +das vergebliche Sehnen ertragen, wenn nicht deine niederen, aber nicht +weniger schönen Schwestern wären, mildtätig genug, dieses Liebessehnen +zu stillen!</p> + +<p>Wenn man nicht ganz genau hinsieht, so kann man sich einbilden, die +Fanny hat genau denselben Mund und dasselbe Lächeln wie Melusine. Der +Kuß schmeckt fast ebenso, endlich hat er ihn auch hier bekommen — ist +wohlfeil übrigens hier draußen! Und was ihm etwa noch fehlen sollte, +das ersetzt er reichlich durch die Menge. Wie feuriger Sternenregen +regnen die Küsse durch die blauschwarze Frühlingsnacht, der tramhaperte +Wienerwald sieht mit verschränkten Armen gemütvoll zu; unzählbar die +Liebespaare, die er in seinen schützenden grünen Falten birgt.</p> + +<p>Fanny ist innig und beglückt, als sie mit Franz Arm in Arm auf den +einsamen Waldpfaden im Umkreis der Wirtschaft herumspaziert. Mit +rührender Aufrichtigkeit gesteht sie: »Es war seit undenklicher Zeit +mein innigster Wunsch, einmal so mit einem Herrn zu gehen, und jetzt +hat sich der Wunsch erfüllt!«</p> + +<p>Süßer Fratz! Was soll man da für eine Antwort geben? Man gibt ihr einen +schallenden Kuß, die Leute mögen<span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span> schauen, wie sie wollen, es ist +jetzt die Reihe an den anderen, verlegen zu werden, und obendrein sind +ohnehin keine Leute da.</p> + +<p>Aber damit war es gefehlt. »Ha!« schreit eine Stimme auf, ein junger +Mensch mit einem Mädel im Arm sitzt auf einer halbversteckten Waldbank, +zehn Schritte von dem verstörten Franz. Franz glaubt, er müßte in die +Erde versinken: »Also du, Hüttenbrenner!«</p> + +<p>Der lacht verschmitzt und doch zugleich etwas verlegen und ruft ihm zu: +»Hast nicht den Schober gesehen, er ist nicht weit!« und kichert in +sich hinein.</p> + +<p>Sie erholen sich alle von dem anstrengenden Minnedienst am Hof der +schönen Melusine. Hier am Himmel gibt es keine kalte Koketterie, +kein feurig tuendes Fischherz — hier ist alles selbstverständliche +Erfüllung, nahrhafte Kost fürs Herz, Hausmannskost.</p> + +<p>Jetzt weiß man, wo Franz die vielen Tänze her hat, die er schreibt, +die sogenannten »Deutschen« und die Walzer, die er jedesmal wie einen +Strauß frischer Waldblumen von einer solchen heimlichen Reise ins +Land der Liebe heimbringt. Dort draußen sind sie ihm entgegengeblüht, +auf all den Schubertschen Wegen, die in den grünen, liebreichen und +weinseligen Wienerwald führen.</p> + +<p>Schwind steht Kopf vor Entzücken über die Deutschen, über diese Walzer. +»Das ist die blühendste Musik, die ich je gehört hab', quellfrisch aus +dem Herzen, aus dem Herzen des Wienerwalds —« vor allem aus Schuberts +Herzen — Schwind kann nicht genug kriegen, Franz muß sie immer und +immer wieder spielen.</p> + +<p>Drinnen in der Stadt fangen die feinen Töchter schon an,<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Walzer zu +tanzen. Das haben sie ihm zu danken, der den Tanz im Grünen erlauscht, +erlebt und aufs neue zum Erklingen gebracht hat. Jetzt sitzt er ihnen +in den Klavierfingern, dann geht er siedend ins Blut und jetzt wirbelt +er schon in den Beinen.</p> + +<p>Und der den Zaubertrank schöpfte, den geheimnisvollen Jungbrunnen des +Wienerwalds — der geht still und unscheinbar dahin, nur im engen +Kreis gekannt und geliebt; für die anderen ist er ein Name wie tausend +andere, flüchtig genannt, vergessen und verweht. Noch denkt man nicht +daran, daß man sich ihn merken müsse.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="VI">VI.</h2> +</div> + + +<p>Der Sommer brachte einige Veränderungen. Das Schicksal warf die Freunde +durcheinander wie Spielbälle. Den einen riß es dahin, den andern +dorthin. Der treue Spaun war bereits seit einiger Zeit nach Linz +versetzt worden, in seine Heimatstadt, und schrieb sehnsüchtige Briefe, +daß Franz doch kommen und eine Zeitlang in der schmucken Donaustadt +verleben möchte. Jenger mußte von Amts wegen nach Graz — in seinen +freien Stunden fungierte er als Sekretär des dortigen Musikvereins; +Anselm Hüttenbrenner zog ihm nach.</p> + +<p>»Zehn Jahre werden vergehen, ehe man dich wieder sieht!« prophezeite +Franz dem Hüttenbrenner beim Abschied. Es schien, als sollte er recht +behalten.</p> + +<p>Anselm suchte eine Stellung, er bekam sie durch Jenger und wurde +Dirigent des Steyrischen Musikvereins. Was Franz, der begnadete, +trotz aller Anstrengungen, trotz aller vorzüglichen Zeugnisse und +Empfehlungen, trotz Meisterschaft nicht erlangen konnte, das fanden die +kleinen Talente im Handumdrehen, Würden, Ämter, Einkommen. Es ging mit +seltsamen Dingen zu; woran lag es, daß er, der Berufene, nicht den Weg +zu den leichten Erfolgen fand. War es ein Verhängnis, war es ein Glück?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p> + +<p>Daß es auch in Graz hübsche Mädchen gebe, das erfuhr man bald aus +Anselms Briefen. Auch daß er in einem Zauberkreis festsitze und darüber +alle Welt vergäße. Der losen Mädchen wegen die Freunde zu vergessen, +das mochte dem Franz nicht gefallen. »So hol' doch der Teufel alle +Mädeln,« wetterte er in einem Brief, »wenn du dich gar so von ihnen +behexen läßt.«</p> + +<p>Erst hinterher kam es heraus, daß es die Position war, die Anselm in +Graz festhielt.</p> + +<p>Beide, er und Jenger, wollten in Graz den Boden lockern für das +Verständnis Schubertscher Schöpfungen. Freilich komponiert Anselm +selber, zwei Sinfonien hat er in Arbeit, aber herzeigen tut er nichts, +so sehr ihn Franz mit Freundeseifer drängt. Er ist lieb und gut, der +Anselm, aber — was soll man denken? »Immer ein wenig versteckenspielen +— mir gefällt die Leisetreterei nicht!« polterte Mayrhofer.</p> + +<p>Franz bleibt arglos. »Recht hat er, jetzt kann er sagen wie Cäsar, +lieber in Graz der Erste, als in Wien der Zweite. Gott gesegne es ihm!«</p> + +<p>Also das muß man sagen, Neid kennt der Franz nicht; er läßt jedem +seine persönliche Art und bleibt bei der seinigen. Er berichtet ganz +offenherzig nach Graz über sein eigenes Leben und Schaffen. Daß er, +Franz, auf Vogls Veranlassung die Musik zu einem Singspiel geschrieben +hat, daß es aber trotz Vogl schwer sei, »wider Kanaillen wie Weigl, +Treitschke usw. zu manövrieren. Drum gibt man statt meiner Operette +andere Ludern, wo einem die Haare zu Berg stehen ....« daß ihm aber +trotzdem<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> allerhand neue Operngedanken durch den Kopf gehen und so +weiter.</p> + +<p>Ferner, daß Schober eine Sommerreise unternommen, und daß er, Franz, +sein Heim bei Mayrhofer in der Wipplingerstraße aufgeschlagen hat. +Sein Zimmer bestünde dort allerdings nur aus einem winzigen Alkoven, +gerade groß genug für das Bett und einen grünen Vorhang, aber es sei +angenehm und freundlich zu hausen in dem halbrunden Zimmer mit den +vielen Fenstern, den schönen Büchern, dem Klavier und dem philosophisch +angelegten Freund Mayrhofer.</p> + +<p>So führten sie eigentlich ein recht ungeniertes Junggesellenleben +zu zweit, das in der Hauptsache der Musik, der Dichtkunst und der +philosophischen Unterhaltung gewidmet sei. Der Bruder Anselms sei +jetzt häufig da; Joseph Hüttenbrenner, der geradewegs aus der Schule +Sokrates-Plato käme und sich liebevoll bemühe, Anselms verwaiste +Freundesstelle einzunehmen.</p> + +<p>Eine elegische Bemerkung fließt ein über das allzu rasche Schwinden +des Liebesfrühlings — daß der wilde Rosenstrauch der Liebe draußen +am Himmel am Verblühen ist, sagte er gerade nicht, das gehört auf ein +anderes Blatt, aber der Freund mag sich's denken, zumindest kann er +es daraus entnehmen, daß Franz so auffallend heftig alle Mädchen zum +Teufel wünscht. Er bringt jetzt nur mehr wenig Walzer und Tänze von +seinen Streifzügen mit heim — auch das gibt zu denken, wenn Anselm +versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Er habe jetzt ernstere Sachen +im Kopf, er denke viel an die Milder, und dabei habe er sich immer mehr +in die Therese verschaut, Melusine,<span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span> die er seine tragische Muse nennt. +Von einer geht ein sanftes Band zur anderen, das ihn gefangen hält. Man +weiß schon, wohin es ihn zieht. Zum Theater.</p> + +<p>Unter den Freunden gibt es darüber nicht geringes Aufsehen. Joseph +Hüttenbrenner schärft seinem Bruder Anselm in den Briefen ein: »Für +dermalen laß dir's angelegen sein, für Schubert ein Opernbuch zu +schreiben; es fällt nebstbei auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden +in Europa genannt werden — Schubert wird wirklich, ein neuer Arion, am +musikalischen Himmel glänzen usw. usw.«</p> + +<p>Holzapfl, obgleich nur mehr selten im Freundeskreis gesehen, berichtet +nach Linz an Stadler, einen gemeinsamen Konviktsfreund: »Ich weiß, er +(Franz) schreibt auf Vogls Veranlassung und also nicht ohne Ursache, +aufzuführende Operetten, Opern und andere große Dinge, die ich weder +weiß noch höre; aber es ist so ....«</p> + +<p>Einer sagt's dem andern, keiner weiß was Genaues, alle spitzen die +Ohren, jeder dichtet und hat schon einen großartigen Opernstoff in +petto — die Zaunkönige möchten mit dem Adler fliegen — das Theater, +ja, das Theater ist das Tor zur Weltberühmtheit. Die Freunde ereifern +sich, jetzt muß Schuberts Stern leuchtend aufgehen, er lächelt und läßt +sie reden in ihrem blinden Enthusiasmus. Was helfen die trügerischen +Worte — das Leben macht sich von selbst und meist anders, ganz anders +als man denkt.</p> + +<p>So stehen die Tage im Hochsommer.</p> + +<p>»Kauft's ein'n Lavendel, zwei Kreuzer ein Büschel Lavendel! Ein'n +Lavendel kauft's!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span></p> + +<p>Der einförmige Klagegesang des Lavendelweibes zieht durch die +sommerstillen Gassen.</p> + +<p>Das lockt und zieht — ein Gruß aus duftenden Sommerwiesen, Wald +und Bergwiesen, die von fern in die Stadt leuchten, grüngoldener +Wienerwald. Der läßt einen nicht in Ruh'. Am wenigsten ein sinniges +Musikanten- und Poetengemüt, wie es Franz zu eigen war.</p> + +<p>Die Liebe liebt das Wandern — also auf und ins Grüne hinaus jeden +freien Nachmittag und Abend. »Fanny, liebe Fanny!« so hat es vor +kurzem noch geheißen. Aber die Sonnenwende ist herum, oder war es die +Herzenswende?</p> + +<p>»Fanny, Herzensfanny, was haben sie denn mit dir gemacht?« Das +Wienerwaldkind am Himmel hat wenig Zeit für das Singerlein. »Mit so +einem Herrn zu gehen, war immer deine größte Sehnsucht, soviel ich weiß +— und jetzt?« Die Frage hat er auf der Zunge, sie rutscht ihm endlich +heraus.</p> + +<p>Sie ist schnippisch, dreht ihm flink den Rücken und sagt: »Ja, das war +im Mai — jetzt ist Juli, da ist es mir zu heiß.«</p> + +<p>»Dummes Mädel, mich hältst du nicht für einen Narren ...« Er läßt sich +eine Zeitlang nicht blicken.</p> + +<p>Dann aber treibt ihn wieder ein ungewisses Etwas. Also wandert er mit +seinem Stock das Gspöttgräblein wieder hinauf — »denn die Liebe liebt +das Wandern.«</p> + +<p>Summt sich dabei eins: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du heut so +stumm, will ja nur eines wissen, ein Wörtchen um und um, ein Wörtchen +um und um. Ja, heißt<span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span> das eine Wörtchen, das andere heißet Nein, die +beiden Wörtchen schließen die ganze Welt mir ein.«</p> + +<p>Das Haus am Himmel steht einsam an Wochentagen, so ist es der Liebe +recht. »Fanny, liebste Fanny, wo steckst du heut?« Sie hat ihn gewiß +kommen gesehen und läßt ihn heute zappeln. »Schaut sie auch nicht zum +Fenster heraus, so schaue ich doch zum Fenster hinein — ist also +einerlei!«</p> + +<p>Da steht der kleine Musikus vor dem etwas hochgelegenen Fenster, ein +wenig muß er sich an dem Gesims emporziehen, und späht in den Raum +hinein.</p> + +<p>Nein, Fanny hat ihn nicht kommen gesehen, ahnungslos sitzt sie drin an +einem Tisch und neben ihr sitzt so ein frecher Kerl beim Wein und hat +den Arm um sie geschlungen. Sie sitzen allein in der Stube, und sie +schauen sich so sengend heiß an, als ob sie jeden Moment Feuer fangen +müßten.</p> + +<p>Auch dem Franz schießt Feuer in die Augen — oder war es das Wasser? +Einen kleinen Bremsler hat es ihm doch gegeben, er rennt vom Haus +weg und waldein. »Mit so einem Herrn zu gehen, das war immer meine +Sehnsucht!« Er hört die Worte noch immer, sie klingen jetzt wie Hohn. +Dem andern sagt sie gewiß dasselbe, und der ist bezaubert davon, so wie +es auch er war. Ach, der Zauber ist süß, und wer ihn verliert, der ist +elend dran.</p> + +<p>Franz ist ins Grüne hineingerannt, jeder Weg war ihm recht. Nur immer +fort ins Grüne: »In Grün will ich mich kleiden!« Feuer und Wasser +stehen ihm in den Augen.</p> + +<p>»In Grün will ich mich kleiden, in grüne Tränen weiden<span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span> — will suchen +einen Zypressenhain, eine Heide von grünen Rosmarein —«</p> + +<p>Feuer und Wasser, das lebt wie Hund und Katz'. Dem Franz ist jetzt +wirklich traurig zumute. Aber es dauert nicht lange, so haben Feuer und +Wasser einander aufgefressen, und wären es Hund und Katz' gewesen, so +wäre kaum ein Schwanzstückl übriggeblieben.</p> + +<p>Jetzt muß Franz schon lachen über sich selber. Er hat nämlich eine +Stimme in sich, die in allen lächerlichen oder empfindsamen Situationen +erwacht und leise fragt: »Franz, dummer Kerl, schämst dich nicht?« +Gegen diese innere Stimme war nicht aufzukommen. Sie pflegte, wenn +nichts anderes half, einen schlechten Witz zu reißen, und dann +war alles Krankhafte, Sentimentale geliefert. So gesund war Franz +innerlich, so kerngesund!</p> + +<p>Und jetzt lachte er schon im seligen Humor: »Grabt mir ein Grab im +Wasen, deckt mich mit grünem Rasen — kein Kreuzlein schwarz, kein +Blümlein bunt, grün, alles grün so rings und rund — so rings und rund +—«</p> + +<p>Und lief so rings und rund — so rings und rund und lief sich gesund, +ganz gesund im grünen Wienerwald. Es war völlig dunkel, als er am Haus +am Himmel wieder vorbeiging, die Fenster waren ohne Licht, die Türen +geschlossen, alles schlief. Klopfenden Herzens schlich Franz näher, ein +kleiner Spotteufel ward in ihm rege, er wollte nicht fortgehen ohne +Abschied. »Will dich im Traum nicht stören, wär' schad' um deine Ruh' +— schreib' im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht! Damit du mögest +sehen, an dich hab' ich gedacht!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span></p> + +<p>Schreibt also im Vorübergehen ans Tor ihr: Gute Nacht! und hat ein +kleines Sterbekreuzel daneben hingemalt.</p> + +<p>Gute Nacht! Die Liebe ist gestorben — wo, wo ist sie gestorben im +grünen, grünen Wienerwald? Wo findet ihr den Zypressenhain, wo das Grab +im Wasen, wo das Kreuzlein schwarz (außer an der Tür!)? Nichts kündet +euch den Liebestod, grün ist alles, so rings und rund! Ist die Liebe +wirklich gestorben?</p> + +<p>Nein, sie lebt, sie lebt in den Tänzen, Liedern und Weisen, die Franz +bei seinem Wandern im grünen Land der Liebe heimgebracht hat.</p> + +<p>Das grüne Wogen ist darin, die heitere Sinneslust, die gotterfüllte +Ekstase, das Schleifen und Wiegen — vielleicht auch die heimliche +Träne, die aus dem Herzen hineingeflossen ist, das Schönste und +Ergreifendste daran, sein Eigenstes!</p> + +<p>Aber es konnte nicht immer bei dem bleiben — denn die Liebe liebt das +Wandern — Gott hat sie so gemacht! — von einem zu dem andern — Gott +hat sie so gemacht!</p> + +<p>Franz steigt zur Stadt ab, in der da und dort noch Lichter glühen. +Er ist getröstet und beruhigt. Ein inniger Quell von Trost erquickt +ihn, wie immer. Er denkt an die Stadt unten, die so unendlich viel +umschließt, und denkt recht eigentlich an die Eine, Unvergleichliche, +die unter den Freunden Melusine genannt wird und die alles verkörpert, +was das Herz im unbestimmten Verlangen ersehnt: die Kunst, die Liebe, +die Stadt, alles dies und noch viel mehr drückt sich in seiner +Sehnsucht aus, und diese Sehnsucht hat den Namen Melusine. Wenn ein +kleiner Liebeskummer einbricht, dann steht ihr Bild groß<span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span> vor Augen, +eine anziehende magische Kraft, die verhütet, daß sich das Herz in +kleinen Liebeständeleien verirrt oder gar verliert.</p> + +<p>Todmüde wirft sich Franz um Mitternacht ins Bett, ein bleierner +Schlaf drückt ihn nieder, er erwacht am anderen Morgen mit einem +katzenjämmerlichen Gefühl. Etwas hat man verloren, und war es auch nur +eine Illusion. Aber das Dasein besteht nur aus Illusionen, also hat +man ein Stück Dasein verloren. Das Leben ist wieder um einen Schatten +tiefer.</p> + +<p>Ein Glück, daß ein Brief von Vogl da ist, der sich zum Sommer in seiner +Vaterstadt Steyr befindet. Vogl fühlt sich einsam, er möchte sich +mit neuer Musik auffrischen, Schuberts Lieder sind ein Jungbrunnen +für ihn, Franz möge doch nach Steyr kommen und den Sommer mit ihm in +Oberösterreich zubringen.</p> + +<p>Wenn von Steyr die Rede ist, geht auch dem Mayrhofer das Herz auf. Er +ist ja selber Steyrer. »Die Steyrer singen gern,« rühmt Mayrhofer, +»das kommt von der blauen Enns, die so stattlich um die Stadt rauscht, +oder von der grünen Steyr, die ihr singend in die Arme stürzt — also +merk' auf, Steyr ist was für dich! Vor den Mädeln nimm dich in acht, +haben Augen blau wie die Enns, spielen aber die grünen Lichter der +Steyr drin — ist ihnen nicht zu trauen, diesem Blau und diesem Grün, +haben gefährliche Tiefen, Wirbel und Strudel, es reißt dich hinein, du +weißt nicht wie ...« Spielt sich gar zu sehr auf den väterlichen Warner +hinaus, der weiberfeindlich gesinnte Mayrhofer.</p> + +<p>Jetzt hat die Sonne wieder neues Licht. Vogls Einladung,<span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span> das läßt man +sich nicht zweimal sagen. Man sieht dabei ein Stück Welt, besucht in +Linz die Freunde, die schon so oft geschrieben haben, ob er denn gar +nicht kommen mag — also jetzt wird es Ernst. Es treibt ihn förmlich +hinaus. Kleingeld hat er in der Tasche, »Die Zwillingsbrüder«, wenn +auch nicht aufgeführt, haben wenigstens einen Vorschuß gebracht; es +langt. Ach, Berge, Städte, Freunde! Die Brust wird wieder weit.</p> + +<p>Ja — die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht — von einem +zu dem andern, Gott hat sie so gemacht!</p> + +<p>Die Reisetasche her: sie hat einen mächtigen Bügel, aber die schöne +Stickerei auf der Außenseite ist längst verblichen; die Tasche ist +vom Herrn Vater, dem hat sie schon vor langen Jahren auch gedient. +Bedachtsam schiebt Franz die wenigen Habseligkeiten hinein, die er +braucht, etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, einen Anzug — der alte dient +auf der Reise und auf der Wanderschaft — so, das wäre jetzt alles, +bis auf die Noten und das Notenpapier, es nimmt den größten Raum ein. +Zum Platzen vollgestopft ist die Tasche, und schwer! Schwer von der +musikalischen Fracht, der geschriebenen und der ungeschriebenen.</p> + +<p>Jetzt wird noch das Ränzel gespickt mit allerhand Kleinigkeiten, die +man unterwegs braucht, vor allem mit guten Freßsachen. Andächtig +schiebt er ein Päckchen ums andere hinein, die er vormittags eingekauft +hat, steckt ab und zu einmal die Nase zum Papier, hm! duftet fein! Zwei +Paar Tiroler Landjäger, davon kann ein Mensch acht Tage lang leben, +ein Stück ungarische Salami, noch etliche<span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span> andere Wurstzipfel, einen +echten Emmentaler, ein Stück ungarischen Paprikaspeck, eine Anzahl +Brote, damit ist man versorgt — jetzt kann kommen, was mag, man ist +gegen die Wechselfälle des Schicksals für mannigen Tag vorgesehen. Am +Abend wird der Abschied gefeiert, Mayrhofer, Schwind, Holzapfl, Joseph +Hüttenbrenner sind dabei. Jeder verspricht nachzukommen, in einem Monat +vielleicht, in drei Wochen, in vierzehn Tagen. Beim Abschied schwelgt +man schon in der Freude des Wiedersehens. Man hat soviel Vorsätze +und genießt es im voraus, oft der einzige Genuß. Den lassen sich die +Freunde nicht entgehen, sie sitzen und trinken und schwärmen bis tief +in die Nacht.</p> + +<p>Am anderen Morgen in aller Früh geht der Postwagen. Der Schlaf ist +verflogen, als Franz beim Kutscher vorne sitzt und die Linzer Straße +hinausfährt. Die Stadt versinkt hinter seinem Rücken: Leb' wohl, schöne +Fee Melusine! Der Wienerwald erhebt sich links und rechts schwellend +grün, Kuppe über Kuppe, ein wogender Ozean von Grün. Und drüben, ja +drüben, ist das versunkene Haus am Himmel. »Leb' wohl, Fanny, leb' wohl +auf Nimmerwiedersehen! Der Teufel hol' die Mädels!« So schnell kriegt +ihn jetzt keine mehr dran.</p> + +<p>Ist das eine Seligkeit, so drauflos zu fahren ins grüne Meer von +Niederösterreich. Der Wagen geht dahin wie ein gelbes Schiff durch die +grünen Fluten von Wiesen und Wäldern. Alles ist neu und festtäglich, +was man sieht, die Bauersleute, die zu Fuß oder zu Wagen dahinziehen, +das Treiben in den Herbergen beim Pferdewechsel, es geht zu wie im +ewigen Leben. Die Sorgen,<span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span> die Schmerzen hat man zu Haus gelassen, +man fühlt sich wie Gott in Frankreich. Fast so wie auf der Reise nach +Zelez, eigentlich aber besser, denn nach Zelez ging's doch in eine wenn +auch sanfte Abhängigkeit, hier aber reist man der ungebundenen Freiheit +entgegen. Kein Amt, keine Pflicht wartet und legt am Ziel neue Fesseln +an. Ein ganzer Sommer steht noch bevor, ein Sommer der Kunst und des +heiteren Daseins, der vegetative Mensch lebt und atmet Glück.</p> + +<p>Die tausend Fenster rechts, das ist das Melkerstift, die funkelnden +Türme gehören dazu, jetzt blitzt der Silberstreifen der Donau auf, +weiter draußen das Kirchlein am Berg, das ist Maria-Taferl, weiße +Schlösser, Burgruinen, Wein, Strom und Wald — die Augen können +sich nicht satt trinken an all diesen Herrlichkeiten, die Augen und +das Herz! Kaum hat man es erschaut, ist es schon vorbei, das gelbe +Gefährt schwankt wieder in den Wogen von Grün dahin, andere steingraue +Städtlein stehen auf, einzelne breite Gehöfte lugen zwischen Obstbäumen +hervor. Das Land trägt ein buntes Gesicht und gleicht einem gesegneten +Garten, es ist das liebliche Oberösterreich. Ein Fluß wälzt schäumende +Fluten daher, das ist die Enns.</p> + +<p>Endlich am zweiten Abend schwankt der gelbe Wagen zwischen engen +Gassen, hinauf, hinab, über ein holperiges Pflaster, ein Engpaß von +Gemäuern schließt sich zusammen, eine Menge Läden sind darin, Menschen +und Wagen drängen sich durch, dann tut sich ein unendlich weiter, +schmuckvoller Platz auf mit alten, reichverzierten Patrizierhäusern, +kunstvoll verschnörkelten Wirtshausschildern aus Schmiedeeisen, +rostbraun und golden, hinter den<span class="pagenum" id="Seite_186">[S. 186]</span> steinernen Toren stille klösterliche +Haushöfe mit weißen Arkaden und pendelnden Blumen — das ist die schöne +Stadt Steyr, um die sich die blaue Enns und der grüne Steyrfluß zu +einer blaugrünen Masche knüpfen.</p> + +<p>Man ist am Ziel.</p> + +<p>Franz klettert vom Wagen herab, die Knochen im Leib sind ihm förmlich +zerdroschen von der Ratterei des Wagens, kaum daß er auf den Beinen +stehen kann. Da ist er schon von einer Menge Leute umringt, die ihn +herzlich und teils sogar respektvoll begrüßen, der gravitätische Vogl +an der Spitze, der ihn gönnerhaft den Honoratioren vorstellt, dem Herrn +Silvester Paumgartner, Hausbesitzer, Vizefaktor der Eisengewerkschaft, +Besitzer einer wertvollen Instrumentensammlung; dem Herrn Advokaten +Schellmann, Freund Vogls und leidenschaftlicher Klavierspieler, in +dessen Haus am Platz für Franz ein Zimmer im zweiten Stock reserviert +ist; dann dem Herrn Kaufmann Joseph von Koller und seiner Tochter +Josephine, die als Sängerin und Pianistin einen k. k. Provinzialruhm +genießt; endlich die Frauen, Töchter und deren Freundinnen, eine Schar +von Mädchen und alle blitzsauber! Wird ihm gleich etwas bang dabei, die +Sehnsucht fängt zu schwellen an, die Traurigkeit gewinnt Oberhand. »Was +machen's denn für ein Gesicht!« stößt ihn Vogl an, der immer gern ein +wenig hofmeistert.</p> + +<p>Franz redet sich auf seine Müdigkeit aus, im übrigen denkt er, der +Mensch wird doch ein Gesicht machen dürfen, wie es ihm paßt. Es ist ihm +zuwider, daß Vogl gar zu gern den Protektor hervorkehrt. Immerhin, er +meint's gut, aber zuwider ist es doch ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span></p> + +<p>Eine richtige Schwelgerei in Musik geht los. Die Steyrer sind ganz +baff über die Kunst, die Franz im Verein mit Vogl hervorzaubert. Wenn +Vogl singt und Franz ihn am Klavier begleitet, so daß sie in solchen +Augenblicken eins zu sein scheinen, dann reißen die Zuhörer Mund und +Augen auf, fassungslos vor Staunen und Entzücken. Daß es so was gibt, +ist für sie völlig neu und unerhört.</p> + +<p>Wenn in der k. k. Provinz die Begeisterung entfesselt ist, dann gehen +die Wogen sehr hoch. Es sind gesunde, ungebrochene Naturen, die können +was leisten. Dem Franz kommt's vor, als ob von nun an alle Tag Sonntag +wäre.</p> + +<p>Der neue Kreis von lieben, eifrigen Menschen gibt sich alle +erdenkliche Mühe, um ihm das Leben so angenehm als möglich zu machen. +Am rührendsten ist Silvester Paumgartner. Er führt ihn in der Stadt +umher, zeigt ihm diese und jene Besonderheit und weiß von allen +Dingen die Geschichte. Am liebsten freilich läßt sich Franz in die +Eigentümlichkeiten der Stadt von Josephine einweihen, die ihn immer +häufiger zu Spaziergängen einladet. Im Haus bei Schellmann sind allein +acht Mädchen, mudlsauber alle, und alle gehen dem jungen Meister +liebreich um den Bart. Er ist Hahn im Korb und läßt sich wohl geschehen.</p> + +<p>Wenn nicht am hübschesten, aber doch am interessantesten ist die +Josephine. Sie gibt sich exzentrisch und spielt sich auf die +Weltdame hinaus. Es liegt ihr nichts daran, daß die Leute die Köpfe +zusammenstecken und sich ein wenig mokieren über sie. Wenn sie nicht so +überschlank wäre, dann könnte man an die Fee Melusine denken, überlegt +Franz; freilich mit dem weiteren Unterschied noch,<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> daß Therese im +wirklichen Sinn Dame ist, während die exzentrische Josephine trotz +ihrer anscheinend freien Art nicht ganz das Provinzielle abstreifen +kann.</p> + +<p>»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt!« sagt sie ihm schon in den +ersten Tagen.</p> + +<p>Er aber denkt: »Mich kriegst du nicht dran!« Sie gehen am Vormittag +über die Ölstiege zur Enns hinab auf den Schiffweg. Der dunkle +Stationsweg mit den roten ewigen Lichtlein an den Heiligenbildern in +diesem steinernen Schacht hat so eine eigene Stimmung. Das Mädchen +bleibt gerne stehen auf den steinernen Stufen in dem halbdunklen Gang, +plaudert und schaut ihm ins Gesicht. Ihre Augen geben grüne Lichter — +Mayrhofer hat recht: »Nimm dich in acht, der Zauber ist gefährlich ...«</p> + +<p>Am Schiffweg unten kommt schon die blaublickende Enns daher mit Singen +und Rauschen. Wundervoller Sang, die rollenden Kiesel am Ufer klingen +geheimnisvoll mit. Josephine angelt mit den Augen. Die sind jetzt hell +und klar und blau wie die Wasser der Enns. Forellen schießen im Strom +daher, dem Franz ist es so wohl wie den Fischen im Wasser, und er +denkt: »Angle nur zu, mich fängst du so wenig wie die Forellen, solang +es vor mir so klar und licht ist ..«</p> + +<p>Josephine redet von der Liebe. »Den ich einmal wollte, der ist +gestorben, und den ich jetzt möchte, der weiß es nicht, oder tut er +vielleicht nur so?«</p> + +<p>Franz hütet sich zu fragen: »Wer?« Er greift fest ins Klavier, sie +spielen vierhändig. Ein neues Werk wächst unter seinen Händen, das +Singen und Rauschen der Enns ist darin, das Schießen der Forellen, das +Haschen und<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> Fangenwollen, das hurtige Enteilen; in munteren Läufen +trillert eine Stimme, die rollenden Kiesel am Schiffweg singen mit. +Sonnenschein und Frohsinn ist darüber — ein volles Glück neigt sich +herab, Franz tut es der Forelle gleich, die in glashellen Fluten +aufwärts schwimmt — in Laune und Übermut ringt er sich nach heiteren +Höhen empor.</p> + +<p>Tagelange Fahrten werden ins Land unternommen, nach Kremsmünster, nach +Florian in die geistlichen Stifte, überall sind die Sänger, Künstler +und Freunde in Ehren empfangen und gefeiert. In Kremsmünster schließt +sich ein Student der Sängerfahrt an, er will nach Wien reisen, er +verbummelt seine Tage, so stark hält ihn Schuberts Musik gefangen. +Endlich reißt er sich los, sonst wird ihm das Geld zu knapp. »Er +soll in meinem Bett schlafen für die Tage, die er in Wien weilt!« so +schreibt Franz dem Mayrhofer. »Sie haben doch ein gutes Herz!« sagt +Josephine, die dabei ist, als Franz dem Studenten den Empfehlungsbrief +zum Abschied gibt.</p> + +<p>»Sie haben doch ein gutes Herz!« wiederholt sie später öfter, wenn +sie die Ölstiege zum Schiffweg hinabgehen, und bleibt stehen: »Sie +verdienen dafür belohnt zu werden.« Sie macht dabei so eigentümliche +Augen, daß der Franz wegsehen muß, sonst zappelt er wirklich wie die +Forelle an der Angel.</p> + +<p>»Kriegst mich nicht dran!« denkt er beharrlich, aber so ganz +selbstsicher ist er nicht.</p> + +<p>Das begonnene Werk wächst weiter, es will sich glücklich vollenden.</p> + +<p>»Sie komischer Mensch, wenn ich ein Mann wäre wie<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> Sie, ich würde mir +die Trauben nicht in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten.«</p> + +<p>Die Trauben in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten, das will +er auch nicht, dazu ist er Mann genug; aber es ist ihm zuwider, wenn +sie sich gar so aufdrängen, die Trauben; da verlieren sie an Reiz, und +er denkt sich: Justament nicht! Ein Glück, daß er am nächsten Tag nach +Linz muß auf ein paar Tage, die Sehnsucht nach den Freunden drängt, +sonst hätte er, wer weiß es, wirklich zugeschnappt.</p> + +<p>Mayrhofer und Schwind kommen ja doch nicht, trotz aller guten +Absichten, aber Spaun in Linz, den man so lange schon nicht gesehen +hat, und Stadler, ein Konviktsgenosse, der ihn als Musikfreund näher +kennt, die will er bei dieser Gelegenheit sehen. Vielleicht, daß sie +dann einen Gegenbesuch in Steyr machen.</p> + +<p>Linz an der Donau mit dem Pöstlingberg, das ist eine schmucke +Stadtschöne. Mit Spaun und Stadler kommt er zu Linzer Kunstfreunden, +er ist da und dort zu Besuch, die Menschen sind stilvoll wie +alte Porträts, am Kaffeetisch werden ihm zu Ehren die kostbaren +Porzellanschränke aufgetan, er trinkt aus alten vergoldeten und +kunstreich bemalten Schalen, er betrachtet die Bilder an den Wänden, +die schweren eingelegten Möbel, die schönen illustrierten Bücher in +den Schränken, alles, was er sieht und kennen lernt, ist gesättigt mit +Kunst und Geschmack; es ist eine neue wundervolle Welt im Kleinen.</p> + +<p>Abends vereinigen sich die jungen Freunde in einem alten gewölbten +Lokal, wo man den besten Wein kriegt und der aus dem Stift Kremsmünster +stammt. Zum Nachtmahl<span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span> gibt's eine Hausspezialität: »Katzengeschrei.« +Dreierlei Fleisch in Würfel geschnitten, Kalbfleisch, Schweinefleisch, +Rindfleisch, mit würziger Sauce und großen Semmelknödeln dazu — es +schmeckt herrlich. Und dann der Wein drauf — kein Wunder, daß allen +das Herz aufgeht und die Zunge überfließt. Was tut man, wenn der +Wein endlich Herz und Zunge aufgeriegelt hat? Man singt. Man singt, +daß die Gasse klingt und die Leute in den dunklen Fenstern die Köpfe +herausstecken und die halbe Nacht lang andächtig zuhören.</p> + +<p>Schließlich aber ist der Wein der Stärkere, der Gesang wird übermütig, +er gluckst, hopst, lacht, torkelt, lallt — es wird ein richtiges +Katzengeschrei. Da schließen sich die Fenster, denn es wird bald +wirklich zum Steinerweichen.</p> + +<p>Aber es ist nichts Arges dabei, man geht in Seligkeit von dannen. Und +merkwürdig. Wie kann man denn, wenn einem die Trauben schon in den Mund +hängen, vergessen, zuzubeißen? Es will dem Franz jetzt nicht aus dem +Sinn. Blaue Augen mit grünen Lichtern funkeln vor ihm noch im Traum. +Die ganze Nacht denkt er an Josephine.</p> + +<p>Zappelt jetzt die Forelle an der Angel?</p> + +<p>Am nächsten Tag kehrt er nach Steyr zurück. Die Enns rauscht und singt. +Er hat ihr Rauschen und Singen eingefangen, ein sonniges, glühendes +Werk ist ihm entstanden, die frohen Steyrertage sind darin, sein +ganzes Glück dieser Zeit — Forellenquintett heißt es, er schenkt es +dem Silvester Paumgartner, der sich trotz des Altersunterschiedes als +wärmster und aufmerksamster Freund erwiesen hat.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span></p> + +<p>Eigentlich wollte er es der Josephine schenken. Aber im letzten +Augenblick besann er sich eines anderen. Sie sprach wieder von der +Liebe und neckte ihn, weil er tat, wie der keusche Joseph. Er aber +hatte schon Feuer gefangen — die Trauben, die so tief hangen, die +wollte er nun doch nicht unverkostet lassen.</p> + +<p>Aber blitzschnell bog sie ihm aus. »Nein, nein!« In ihren Augen +blitzten die grünen Lichter. »Vor einigen Tagen war ich bereit — alles +hätte ich gewährt, ich hatte es mir fest vorgenommen — warum sind Sie, +anstatt mich zu erwarten, nach Linz gefahren?«</p> + +<p>»Warum?« Jetzt wußte Franz, sie spielt gern die Verwegene und +Leidenschaftliche, aber sie ist es gar nicht; sie tut nur so und hält +ihn zum besten. Sie glaubt, das ist jetzt à la Mode, und meint weiß +Gott, was für gefährliche Abenteuer sie überstanden hat.</p> + +<p>»Warum? Das will ich Ihnen auf dem Klavier sagen.«</p> + +<p>Jetzt hat Franz das Heft in der Hand; ein paar Takte, ein kleiner Sang: +»Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem +andern, Gott hat sie so gemacht!«</p> + +<p>Das Liebesspiel ist aus, wer hat das Nachsehen? Auf alle Fälle +hat Franz gewonnen; was er gewonnen, klingt fort in seinem +Forellenquintett, fort ins Ewige.</p> + +<p>Ade, du muntere, fröhliche Stadt, ade! Der Herbst ist da, aber das +Scheiden von hier ist nicht leicht.</p> + +<p>Ein so voller, schöner Sommer — und zum Schluß die unausgesprochene +bange Frage: »Wann werde ich je wieder so glücklich sein?«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="VII">VII.</h2> +</div> + + +<p>Im Gundelhof ist alle Freitag musikalische Soiree bei dem Wiener +Rechtsanwalt Dr. Ignaz von Sonnleithner. Der alte Herr von Sonnleithner +scheint im Leben ein ziemlich trockener Patron, eine etwas nüchterne +und schwunglose Advokatennatur, nur bei der Musik hat er sein Herz +entdeckt. Eine kleine Gesellschaft von Musikfreunden findet sich +seit Jahren an den Freitagabenden bei ihm ein, der Andrang ist mit +der Zeit so groß, daß Eintrittskarten verabreicht werden; was zuerst +eine private Liebhaberei war, wird nach und nach eine mehr und mehr +öffentliche Einrichtung; die Gesellschaft der Wiener Musikfreunde +bildet sich als Pflegestätte edler Musik heraus. Sie wird so groß, daß +sie einen Ableger entsendet, den kleinen Musikverein, der sich auf +intimere Veranstaltungen verlegt und ebenfalls aus dem Privatsalon in +den Konzertsaal hinüberwächst.</p> + +<p>Schubert ist dort kein Unbekannter mehr, wenigstens dem Namen nach; +als er noch der Schulgehilfe vom Himmelpfortgrunde war, ist eine +Kantate von ihm im Gundelhof aufgeführt worden. Der Sohn Leopold +von Sonnleithner, ebenfalls Konviktszögling, hat seither eifrig +Schubertsche Blätter gesammelt, die in Abschriften von Hand<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> zu Hand +gingen, und die ihm neuerdings durch Joseph Hüttenbrenner reichlicher +zufließen.</p> + +<p>Den Mittelpunkt der Gesellschaft der Musikfreunde bilden drei liebliche +Schwestern, die in ihrer Dreieinheit die Wiener Muse des Gesangs +verkörpern. Sie heißen Schwestern Fröhlich. Wenn der Name genannt wird, +dann leuchten die Gesichter auf, ein freundliches Lächeln erwacht. So +groß ist die Wirkung, die von den Schwestern ausgeht.</p> + +<p>Zu den Fröhlichs in der Singerstraße kommt Leopold eines Tages mit +Noten von Franz. »Die Lieder sind von einem jungen Menschen — +vielleicht probiert ihr sie; sie sollen recht gut sein.« Mehr sagt er +nicht. Die Schwestern sollen selber sehen, was dran ist.</p> + +<p>Die Lieblichste von den Dreien, Kathi, setzt sich gleich ans Klavier, +versucht die Begleitung und singt mit halber Stimme. Das erste +Lied ist der »Erlkönig«. Im Nebenzimmer befindet sich der Vetter +Sonnleithners, der junge und schon vielgenannte Dichter der »Ahnfrau«, +Franz Grillparzer, Kathi ist seine Braut. Das ist der, von dem Schubert +des öfteren schwärmt und den er so gern zu seinen Freunden zählen +möchte. Außer Grillparzer ist Gymnich da, ein junger, blasser Mensch, +brustleidend, Besitzer einer außerordentlich schönen Stimme, in seinen +Nebenstunden Beamter — die meisten sind Beamte in ihren Nebenstunden, +auch so Große wie Grillparzer, die Kunst ist brotlos, und Genies wie +Schubert und Schwind müssen darben.</p> + +<p>Auf einmal horcht Gymnich auf, tritt ins Klavierzimmer<span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span> zu Kathi: »Was +spielen Sie denn da? Ist das Ihre Phantasie?«</p> + +<p>»Nein! Ein junger Mensch hat es gemacht, ich kenne ihn nicht näher, +doch warten Sie: wie heißt er? Schubert! Den Namen hab' ich schon +nennen gehört, aber ich weiß nicht wann und wo — einerlei. Schön, +nicht wahr?«</p> + +<p>Gymnich ist außer sich. »Das ist ja herrlich, das ist etwas ganz +Außergewöhnliches! Lassen Sie doch sehen!«</p> + +<p>Jetzt singt er, Kathi begleitet ihn. Die Männerstimme bringt es jetzt +klar heraus, was in dem Lied steckt, alle Schauer, alle Abgründe — die +Zuhörer sind hingerissen.</p> + +<p>Die anderen Blätter werden durchgespielt, man kann sich kaum mehr +trennen davon, den ganzen Abend lang werden diese Lieder gesungen und +wieder gesungen.</p> + +<p>»Und der Mann lebt in Wien? Und wir kennen ihn nicht? Sonnleithner, das +ist eine Schande! Sie müssen ihn zu uns bringen, und zwar gleich, in +diesen Tagen noch, morgen, übermorgen. Verstanden?!«</p> + +<p>»Ja.« Leopold Sonnleithner hat verstanden. Am dritten Tage kommt +er mit Franz, den er am Rockärmel hält. Es war nicht ganz leicht, +fast mit Gewalt und Joseph Hüttenbrenners Unterstützung hat man ihn +hergeschleppt. Die Aussicht, Grillparzer zu treffen, den er so gern +kennen lernen möchte, wirkte eher als Abschreckung, so geniert fühlte +er sich. Da standen sich nun die beiden gegenüber, sie waren neugierig +aufeinander und fanden nicht das rechte Wort, das die Brücke hätte sein +können von Herz zu Herz.</p> + +<p>Grillparzer war verschlossen seiner Gewohnheit gemäß,<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> Schubert war +scheu und ging gleich ans Klavier; was aber die Worte nicht zu binden +vermochten, das vollbrachten die Töne, die unter den meisterlichen +Fingern dem Instrument entstiegen, und außerdem wußten die drei +Schwestern als freundliche Grazien mit den beiden, die sich schwer +taten, so umzugehen, daß allen leicht und wohl wurde. So entstand eine +wortlose, zurückhaltende Freundschaft, von der man nicht mehr wußte, +als daß sie da war, und daß sanfte und liebreiche Frauenhände die Bande +zu einem ganz haltbaren Knoten geschlungen haben. Zu den Schwestern +Fröhlich kam nun Franz öfter und öfter.</p> + +<p>Bald hernach sang Gymnich den »Erlkönig« im Gundelhof an einem Freitag +abend. Die Leute waren bezaubert.</p> + +<p>»Wie geht es denn eigentlich zu, daß so ein Mensch nicht schon +längst berühmt ist, eine anerkannte Größe in der Welt?!« Dem alten +Sonnleithner war es völlig unbegreiflich.</p> + +<p>»Wie es zugeht? Ungerecht geht's zu in der Welt, elend — fragen Sie +den Herrn Verleger Diabelli oder Haßlinger, dann wird es Ihnen klar +sein ...« so redet Joseph Hüttenbrenner, der ein getreuer Famulus +Schuberts geworden war und immer eifriger begann, den Verwalter des +Genius zu spielen. Er erzählte wahrheitsgetreu, wie die Lage war.</p> + +<p>»Unsinn, ist doch ein aufgelegtes, gutes Geschäft, wenn man's so +betrachten will, vom Verlegerstandpunkt,« entgegnete der alte +Sonnleithner in seiner etwas barschen, trockenen Weise; »da muß halt +was getan werden, warum<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> soll denn der Verleger nicht wollen? Werd' +einmal selber reden mit ihm.«</p> + +<p>Es hat aber dem Herrn Advokaten nicht viel genützt, weder bei dem +einen, noch bei dem anderen, keiner traut sich recht, einen Pfennig +anzulegen, sind alle mitsamt erbärmliche Drücker, die ein Geschäft erst +machen, wenn sie den Profit schon von vornherein gesichert und bar auf +dem Tisch liegen haben.</p> + +<p>Wenn doch der Herr Doktor und die vielen Freunde sich zusammentäten +und die Kosten aufbrächten, dann wollte sich der Herr Verleger schon +eher bereit finden lassen, die Sache in Kommission zu nehmen und den +Profit einzustecken — nun ja, warum denn nicht! Man tut ja gern was +für ein junges Genie; aber auf Verlegerunkosten — nein! Wütend geht +Sonnleithner heim, er wendete hin und her, wie sich's machen ließe — +jedenfalls, jetzt gibt's kein Lockerlassen mehr!</p> + +<p>Inzwischen findet ein öffentlicher Abend im kleinen Musikverein statt, +Gymnich singt den »Erlkönig« im Konzertsaal. Das hat jetzt eine +durchschlagendere Kraft als alle früheren Veranstaltungen in privaten +Zirkeln und Wohltätigkeitsakademien. Das Publikum ist rasend, der +Komponist wird herausgestampft, diesmal haben ihn die Freunde nicht +entwischen lassen. Hüttenbrenner, Schober, Mayrhofer, sie haben zu +tun, ihn vom Künstlerzimmer aus aufs Podium zu bringen. Jetzt steht er +oben mit etwas verwursteltem Frack, macht ein paar linkische Kratzfüße +vor der begeisterten Menge — und weg ist er, fluchtartig herunter und +verschwunden. Keine Macht der Erde bringt ihn mehr herauf, er ist froh, +daß es überstanden<span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span> ist. Aber soviel steht fest, der junge Meister ist +entdeckt.</p> + +<p>Sein Schaffen im Verborgenen war einem Strom vergleichbar, der viel +verzweigte unterirdische Gänge wählt und nur da und dort mit einer +prachtvoll strömenden Welle an die Oberfläche tritt. In der Tiefe wühlt +er sein Bett und sammelt im Verborgenen seine Gewässer; kann aber +nimmer lang dauern, da muß der Strom hervorbrechen ans Tageslicht in +voller Kraft und Herrlichkeit, der Welt ein neues Licht zu geben. Wer +hineinschaut, sieht Sonne, Mond und Sterne darin, und das eigene Herz +und das Rauschen singt jedem, der es hört, in der eigenen Brust drin.</p> + +<p>Das war so jetzt um diese Zeit.</p> + +<p>Mit einem Male wird es an allen Ecken und Enden lebendig. Der +Opernsänger Jäger hat in Wien und in Dresden gesungen, der Vogl +singt die herrliche Ballade vor einer adeligen Damenakademie im +Konzertsaal, die Zeitungen fangen an, sich zu interessieren, sie +bringen spaltenlange Berichte, das Publikum ist wie rasend — Franz ist +ein gemachter Mann. Der Hofmusikgraf Dietrichstein, der Operndirektor +Mosel, der Hofmusikdirektor Salieri, sie stellen ihm alle glänzende +Empfehlungsschreiben aus — schöne Worte, verdientes Geld wäre ihm aber +lieber gewesen, dem Franz, der jetzt unter einer wahren Traufe von +Anerkennungen steht und dabei arm ist wie eine Kirchenmaus.</p> + +<p>Die Freunde feiern den Gefeierten. Sie kommen aus Vogls Konzert ins +Stammbeisel, wo sie Schubert erwartet.<span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span> Sie sind noch ganz aufgeregt +und erhitzt von dem Erlebten.</p> + +<p>»Vogl hat den ›Erlkönig‹ wiederholen müssen, so begeistert waren die +Leute!« schreit ihm der erste gleich entgegen. Und nun geht es an ein +eifriges Erzählen und Luftschlösserbauen.</p> + +<p>Schwind, der sonst Verträumte und Wortkarge, ist jetzt der Eifrigste, +den Erfolg des Freundes zu rühmen und die Wirkung auszumalen, die +Schuberts Wunderhorn auf die Seelen ausgeübt hat. Er selber hat +Erlkönige in der Mappe, er, der malende Schubert, die Musik ist seine +stille Liebe; was Franz geleistet hat, er kann es am besten sagen.</p> + +<p>»Da haben die Leute, denen sonst die Ohren verstopft sind, doch endlich +gemerkt, daß hier ein völlig neuer, noch nie dagewesener Ton erklungen +ist — der hat sie in der Seele gepackt, daß sie auf einmal gar nicht +gewußt haben, wie ihnen geschieht ...«</p> + +<p>Und nun geht es an ein schwärmerisches Nachgenießen, ein jeder will +sagen, worin das Geheimnis Schuberts besteht, am besten gelingt es dem +Schwind.</p> + +<p>»Franz soll weghören, er könnt' mir am Ende zu eitel werden!« hebt er +also an.</p> + +<p>Franz denkt tiefer in sein Glas hinein; sie können reden, was sie +wollen, er hat seine eigenen Gedankenwege.</p> + +<p>»Seht also her!« erklärt Schwind, den sie den Cherubim nennen, sich und +den anderen: »Wieviel Musik in der deutschen Sprache ist, das wissen +wir jetzt durch unseren verflixten Franzl. Das hat keiner vor ihm +verstanden,<span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span> und wer weiß, ob je einer nach ihm es je wieder vermögen +wird.«</p> + +<p>Da wirft einer ein: »Nun, und Karl Maria Weber, ist der gar nichts? Und +Meister Wolfgang Amadeus? Die beiden haben doch auch Melodien aus dem +grauen Dasein herausgeklopft, wie weiland Moses Wasser aus dem Felsen +....« Der kleine Widerspruchsteufel ist der Holzapfl.</p> + +<p>»Ganz richtig!« entgegnet der Cherubim und dreht den Spieß um. »Nimm +also zum Vergleich Karl Maria und selbst den himmlischen Wolfgang +Amadeus. Haben herrliche Melodien erfunden, darüber ist nicht zu +streiten. Aber der wundervolle Klang tritt unbekümmert auf dem Text +herum, Musik und Worte tun so, als ob sie nichts miteinander zu tun +hätten. Bilden zusammen eine schlechte Ehe, darin jedes auf eigene +Faust sein Vergnügen sucht. Mit dieser Luderei hat Franzl tüchtig +aufgeräumt. Wenn der ein Wort in die Hand nimmt, klingt es auf voll +Leben und Musik, daß man ganz betroffen ist. Er setzt es hin, daß es +seinen richtigen Tonwert hat, mit einemmal kommt Farbe, Bewegung in die +Sprache, du hörst das Gefühl hinter dem Wort aufklingen, und hinter dem +Gefühl das Urgefühl, wodurch es mit allen Menschenherzen aufs gleiche +verbunden ist. So wie er hat es noch keiner fertig gebracht, in das +Innere der Handlung zu greifen.</p> + +<p>Vergegenwärtigt euch nur einmal, wie er in der Melodieführung die +abwechselnden Gefühle des Vaters, des Kindes und des Erlkönigs +dramatisch herausarbeitet, verstärkt, steigert, daß es einem eiskalt +über den Rücken läuft,<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> während die Begleitmusik das Äußere der +Handlung hinzubringt, den Galopp des Pferdes, das Brausen des Sturmes, +daß einem nur so gleich die Haare zu Berg stehen. Das Tragische in +dem Gedicht ist nicht durch süßliche Glätte verschmiert, hier wird +es im Gegenteil durch eine schroffe, und eher eckige als schmiegsame +Melodie zu einem markerschütternden Aufschrei gebracht, der die ganze +furchtbare Tiefe der Dichtung aufreißt, das mystische Tor, hinter dem +der Tod lauert .... Das haben die versulzten Hirne endlich begriffen — +Franz, es kann dir nichts mehr geschehen, du bist oben! Prost! — mir +ist wohl und leicht, deinetwegen!«</p> + +<p>Der kongeniale Freund war ein guter Fürsprecher, sein Herz schlug +im gleichen Takt, ihm kam es zu, das Wesen Schuberts auszusprechen. +Das Tiefste freilich vermochte niemand zu sagen, wenn im liebevollen +Drängen der Freunde immer wieder die bewundernde Frage auftauchte, wo +er sie denn hernimmt, die vielen genialen Gedanken, der Himmelsakra +übereinand?!</p> + +<p>Je nun, wo er sie hernimmt, der Himmelsakra? Das weiß nur einer, in +dem die Himmelsmächte fast ebenso rumoren, wie in dem stillen Franz, +von dem ein gutes Wort sagt, der liebe Gott hat's ihm gegeben. Es gibt +kein besseres, wenn es nur recht verstanden wird; Cherubim weiß es, er +schweigt fein still zu den Fragen und lächelt Franz zu — es geht die +anderen nichts an.</p> + +<p>Holzapfl setzt einen Dämpfer auf.</p> + +<p>»O du essigsaures Holzapflgesicht!«</p> + +<p>Er läßt sich aber nicht irre machen, er muß den Tropfen Wermut in den +Freudenbecher tun: »Also daß die Begeisterung<span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span> des Publikums wohl +auch für den ›Wanderer‹ auf gleicher Höhe geblieben, aber bei dem +›Gesang der Geister über den Wassern‹ bedenklich herabgesunken und sich +eigentlich in Befremden verwandelt hätte.«</p> + +<p>»Das ist eben ein Beweis,« braust Schwind auf, »daß die verfilzten +Ohrwascheln der lieben Zeitgenossen erst noch ganz gehörig aufgestemmt +werden müssen, ehe sie für die Offenbarungen des Genius empfänglich +werden. Den ›Erlkönig‹ haben sie glücklich begriffen und meinen, +jetzt müßte alles drehorgelhaft im Erlkönigton weitergehen — lauter +Erlkönige, damit die faule Bande in ihrer angeborenen Denkfaulheit +und Bequemlichkeit nicht gestört werde. Daß sie durch den ›Gesang der +Geister über den Wassern‹ durch einen neuen Geniestoß aus der süßen +Gewohnheit aufgeschreckt werden, das geht ihnen schon gegen den Strich.</p> + +<p>Jetzt kann es zehn Jahre dauern, bis sie diesen zweiten Streich +verdauen. Dann stehen sie Kopf voll Entzücken, indessen der Künstler +schon wieder weiß Gott wo ist. Bedenkt doch, ihr Lieben, daß der +›Erlkönig‹ schon vor fünf Jahren komponiert worden ist — es ist +verhältnismäßig ohnehin schnell gegangen mit seiner Popularität. +Es wäre aber interessant, auszurechnen, wie viele Jahrzehnte die +Allgemeinheit in der Regel braucht, um den Genius wirklich zu +begreifen.« Und mit einem boshaften Seitenblick fügt er hinzu: »Soviel +aber wird dem Publikum klar — der Holzapfl fällt nicht weit vom Stamm!«</p> + +<p>Der hat jetzt sein Teil.</p> + +<p>Dafür rächt sich Holzapfl wieder auf seine Art und bringt in den +nächsten Tagen ein Zeitungsblatt mit einer Kritik,<span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span> die er den Freunden +nicht ganz ohne heimliche Genugtuung vorsetzt. »Der Tonsetzer,« so +lautet der Konzertbericht, »gleicht in solchen Kompositionen einem +Großfuhrmann, der achtspännig fährt, bald rechts, bald links, also +ausweicht, dann umkehrt und dieses Spiel immerfort treibt, ohne auf +eine Straße zu kommen ....«</p> + +<p>In dem geheimnisvollen Auf und Ab und Hin und Her der wallenden Geister +will der Kritiker einen Großfuhrmann erkennen, der achtspännig fährt. +Darüber erhebt sich im Freundeskreise ein unverlöschliches Gelächter.</p> + +<p>Dem beispiellosen Erfolg hat es übrigens kaum geschadet, daß der +»Gesang der Geister über den Wassern« vorderhand unverstanden bleibt. +Hat ebensowenig geschadet, daß die beiden ersten Opern Schuberts, +»Die Zwillinge« und die »Zauberharfe«, erfolglos geblieben. Geld hat +er keines mehr gesehen dafür, es war verlorene Arbeit. Ein erster +tastender Versuch. Schlechte Texte, ja, das war das Malheur. Aber +einer, der als Lyriker in den vertonten Gedichten eine so gewaltige +dramatische Kraft bekundete, der war für die Oper geboren. Von dem war +Neues und Unerhörtes zu erwarten, nur Zeit! Zeit, einen guten Stoff, +vor allem aber einen sorgenfreien Kopf und ungestörte Arbeitsruhe. Aber +da hapert's schon. Zeit, Sorgenfreiheit und Arbeitsruhe, das bedeutet +Geld, Geld und wiederum Geld. Woher nehmen und nicht stehlen?</p> + +<p>Was ist das für ein Zustand? Ein Mann steht auf der Höhe der +Meisterschaft, erntet Ruhm, Anerkennung, aber es hilft alles nichts. +Er steht da, gebunden an Händen und Füßen, ohne Geld, ohne Verleger — +wie soll da ein Mensch weiter kommen? »Ihr seht, das Beste, was man<span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span> +hat und macht, das ist und bleibt brotlose Kunst.« Aber Schwind weiß es +besser: »Brotlose Kunst hat die Eigenschaft, sich mit der Zeit in Gold +umzusetzen, man muß nur warten können.«</p> + +<p>»Nun ja, warten, warten — meinetwegen; um Gold ist mir nicht zu tun, +sondern um Schaffen; aber ein Mensch, der arbeiten will, der muß auch +leben können. Anerkennungen, Lobeserhebungen, schöne Worte — davon +kannst nicht abbeißen, kannst keinen Zins bezahlen, keinen Schneider +entlohnen, nichts, nichts; höchstens das Maul auf den Nagel hängen, als +das einzige, das einem übrigbleibt.«</p> + +<p>Geduld, Geduld, alles kommt. Die Freunde schießen durcheinander. Joseph +Hüttenbrenner geht bei Sonnleithner aus und ein, dort bereitet sich +eine ernste Sache vor.</p> + +<p>Die beiden Sonnleithner, Vogl, Schönstein, Grillparzer, die Schwestern +Fröhlich, ein ganzer Kreis von Verehrern bilden ein Komitee, sie wollen +den »Erlkönig« auf eigene Kosten stechen lassen und bei Diabelli +kommissionsweise verlegen.</p> + +<p>Franz hat sich wieder in seine Arbeit eingesponnen und sitzt in seiner +Klause. Ist der einzige Trost, die Übel der Welt gehen an der Tür +vorüber, wenn man bei der Arbeit sitzt.</p> + +<p>Sonnleithner ist schon ganz ärgerlich, Franz müßte sich mehr zeigen, er +sollte einer Sängerin, dem Fräulein Linhardt nämlich, den »Jüngling« +einstudieren, für seinen Geisterchor am Freitagabend. »Warum kommt er +denn nicht? Warum kommt er denn nicht?!« setzt sich hin und<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> schreibt +dem Hüttenbrenner ein paar ärgerliche Zeilen, er müßte sich billig +wundern, daß Schubert sich gar nicht bei ihm sehen ließe, da er doch +wegen seinem »Erlkönig« und wegen anderer Angelegenheiten ihn dringend +zu sprechen habe.</p> + +<p>Diese »anderen Angelegenheiten« sind indessen schon im Gang, am +nächsten Freitagabend kann Sonnleithner den Gästen verkünden, daß die +Ballade erschienen sei — noch am selben Abend haben hundert ihre Namen +in die Subskriptionsliste gezeichnet. Macht ein schönes Geld aus, der +Preis ist nicht gering, die Kosten kommen glatt herein, ein schöner +Überschuß dazu — der fließt in die Tasche Schuberts.</p> + +<p>Der Anfang ist gemacht, die Sache zieht, Diabelli merkt, hier kann +man einen Schnitt machen. Es dauert nicht lange, erscheint wieder ein +Heft und wieder eines, ein Geriß ist darum wie beim Bäcker um die +frischen Semmeln. Alle drei, vier Wochen ein neues Heft mit mehreren +Liedern. Kein Konzert wird gegeben, wo nicht eine oder mehrere Sachen +von Schubert gesungen werden. Die Zeitungen singen sein Lob in allen +Tonarten. Das Meisterlein steht auf der Höhe seines Ruhms.</p> + +<p>Jetzt klimpern auch die Taler um ihn herum. Es ist ja verhältnismäßig +bescheiden, was er einnimmt, aber trotzdem, einen solchen Wohlstand +hatte er noch nie gehabt wie jetzt.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a — ! —</p> + +<p>Der tröstliche Satz klingt immer wieder durch sein Gemüt. Er löst sich +auf, verschwebt und kommt unversehens wieder hervor, immer wieder ein +verheißender Anfang.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span></p> + +<p>Jetzt hat die ängstliche Sparerei ein Ende, ein Flascherl Tokaier +mehr für die lieben Freunde, was liegt da daran, man läßt die paar +Kröten springen, in ein paar Wochen sind sie wieder hereingebracht, +es erscheint ein neues Heft, der Born ist unerschöpflich, und wenn +ihm wirklich einmal der Draht ausgeht, so ist schon dafür gesorgt, +daß andere Quellen springen. Das haben die lieben Freunde getan. »Die +Anerkennungsschreiben von den Herren Gönnern, was sind sie denn wert, +wenn man sie nicht zu Geld machen kann?«</p> + +<p>Der schlaue Hüttenbrenner weiß guten Rat. Er besorgt den Verkehr mit +dem Verleger, führt Rechnung, nimmt Franz alle Geschäfte ab, schreibt +Briefe für ihn, tut alle Sekretärdienste, und tut es mit einer +Hingebung, als ob es um das eigene Wohl und Wehe ginge. Der sorgt auch +dafür, daß die Hefte mit Dedikationen erscheinen.</p> + +<p>Meistens lassen es die also geehrten Gönner bei schönen Dankesworten +bewendet sein, zuweilen aber bringt es einen Ehrensold ein, so von +dem Grafen de Fries und von dem Erzbischof Ladislaus von Pyrker, der +als Dichter einen nicht unbedeutenden Ruhm genießt und von dem ihm +gewidmeten »Wanderer« entzückt und ergriffen ist.</p> + +<p>Eine Hand voll Geld fällt bei diesen Gelegenheiten für Franz ab, der +kann's gut brauchen, es wächst ihm kein Moos und kein Schimmel darauf.</p> + +<p>Unheimlich, wie unter den freundlichen Sonnenblicken des Schicksals +die Arbeitsleistung wächst. Der Schädel brummt zwar gewaltig, +als ob er zerspringen wollte, nach der Fieberhitze des Schaffens +hämmert es drinnen lange nach und will gar nicht zur Ruhe kommen +— da hilft<span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span> nichts als die Zuflucht ins Grüne oder am besten noch +in die feuchtfröhliche Tafelrunde der Freunde, um mit einem Glas +Wein das Arbeitsfieber zu schlagen. Fieber gegen Fieber — aber am +nächsten Morgen ist er wieder geladen mit allen Schöpferkräften der +Unendlichkeit, sie zersprengen schier das Gefäß — die Losung ist +arbeiten, er meint, es müßte ihn sonst zerreißen.</p> + +<p>Sein Ruhm hat mit einemmal schnelle Beine und rennt mit +Siebenmeilenstiefeln durch die Welt. Wien, Dresden, Berlin — überall +bekommt der Name Schubert einen Klang. Die Hefte gehen reißend ab. +Wieviel der Diabelli verkauft, weiß man nicht genau. Der Joseph +Hüttenbrenner hat seine liebe Not. »Bandit!« flucht er und wirft +eifrig die Angel aus, ob denn nicht ein anständiger reichsdeutscher +Musikverleger zu gewinnen wäre.</p> + +<p>»Besitzt doch Wien dermalen wieder ein Talent, das bereits die +allgemeine Aufmerksamkeit erregt und schon zum Liebling des hiesigen +Publikums geworden ist — kurz und ohne Übertreibung gesagt, es ist ein +zweiter Beethoven; dieser unsterbliche Mann sagt von ihm gar, dieser +wird mich noch übertreffen ....« So schreibt Joseph Hüttenbrenner nach +Leipzig an K. F. Peters.</p> + +<p>Aber auch dieser Verlagsgewaltige ist harthörig; man müsse doch erst +abwarten — welche Menge früherer Werke Mozarts sei überhaupt nicht +gedruckt worden, da müsse sich ein junger Künstler schon bescheiden, +die Erfahrung allein muß lehren, ob er den ganz Großen gleichzustellen +sei, kurz, ein Hin- und Herreden, halb ja, halb nein, man weiß nicht +recht, will er, will er nicht, aber soviel steht fest, das ganze +Manöver hat doch den einzigen<span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span> Zweck, den Preis zu drücken. Ist doch +der eine einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert! Er will +bitter werden, aber er besinnt sich. Geduld also — man kann ja warten, +bis der Rechte kommt. Es eilt nicht. Einstweilen ist man ja bei +Diabelli in sicheren Räuberhänden.</p> + +<p>Überall, wo konzertiert wird, erklingt auch Schubert. Graz kann nicht +zurückbleiben, wo so treue Eideshelfer wirken wie Jenger und Anselm. +Von den Grazer Aufführungen melden alsbald die Zeitungen, ebenso von +den Linzer, wo Spaun und Freunde hinter der Sache her sind.</p> + +<p>Aber der Anselm ist ein wunderlicher Kauz, den läßt der Ruhm des +»Erlkönig« nicht schlafen. Der Ehrgeiz stachelt ihn, er möchte den +jungen Meister übermeistern. Fiedelbum! Flugs hat er aus dem »Erlkönig« +einen Erlkönigwalzer komponiert. Fiedelbum! Ei verflucht!</p> + +<p>Schwind ist ehrlich entrüstet: »Das ist mir aber ein lieblicher Kauz! +Der versteht's! Was Schubert fürs Herz entdeckt hat, macht er für +die Beine zurecht! Daran mögt ihr erkennen, wie der unseren Franz +verstanden hat!«</p> + +<p>Für den Spott brauchte der treue Anselm jetzt nicht zu sorgen. +Fiedelbum!</p> + +<p>»Na, na!« winkt Franz ab. Er rechnet dem Freunde in Graz die +Entgleisung nicht allzu schwer an. Fiedelbum! Der hat's selber zu +tragen und wird sich ein zweites Mal hüten. Fiedelbum!</p> + +<p>Mehr denn je stehen dem Liechtentaler Schulmeisterssohn die Türen der +Salons offen — mehr denn je sucht er den Händen zu entwischen, die +nach ihm greifen. Die Arbeit<span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span> und die Freundschaft sind die Gottheiten, +deren Dienst er fast ausschließlich geweiht ist. Und selbst die +Freundschaft muß sich zuweilen bescheiden, denn eine dritte Gottheit +ist, die ihn mit magischer Gewalt zu sich heranzieht — die Einsamkeit. +Das können viele nicht begreifen.</p> + +<p>Der alte Doktor Sonnleithner wird fast ernstlich bös über die +notorische Unverläßlichkeit des Schützlings. »Für den man soviel getan +hat!«</p> + +<p>»Also warum kommt er nicht? Warum kommt er denn nicht?!«</p> + +<p>»Mit Verlaub, der Herr Schubert ist in Atzenbrugg!« entschuldigt Joseph +Hüttenbrenner.</p> + +<p>»Also immer auf Duliäh — muß denn das Gerstel auf einmal durchgebracht +sein!« knurrt der Alte.</p> + +<p>»Entschuldigen's, Herr Doktor, aber so ist es auch wieder nicht!« sagt +Joseph zur Verteidigung des Freundes.</p> + +<p>»Nein, gewiß nicht! Gearbeitet hat er wie ein Pferd, mein Gott, wenn +ich das alles denken müßte, mir ging der Kopf auseinander. Ein paar +Tage aufs Land, das wird er sich doch vergönnen dürfen, nach all den +Strapazen .....«</p> + +<p>Dagegen läßt sich allerdings nichts einwenden.</p> + +<p>»Auf nach Atzenbrugg!« Das ist ein Ruf, dem Franz nicht widerstehen +kann.</p> + +<p>Schober ist der Rädelsführer; bei Atzenbrugg hat sein Oheim ein Schloß, +dahin werden Wanderfahrten unternommen, an denen fast der ganze +Freundeskreis teilnimmt.</p> + +<p>Franz fühlt sich müde und ausgepumpt, er weiß nicht recht, soll er oder +soll er nicht. An der Wand hängt die<span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span> Gitarre, eine Saite ist gerissen, +das grüne Band fängt an zu bleichen. Sie hat schon lange nicht im +fröhlichen Verein gezirpt auf einer lustigen Fahrt ins Grüne und Blaue. +»Schade um das schöne, grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand. +Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern!« Das ist die +innere Stimme, die immer guten Rat weiß, es ist gut, ihr zu gehorchen.</p> + +<p>»Also auf nach Atzenbrugg!«</p> + +<p>Lieblich ist's, zwischen den Pappelreihen hinzufahren, die die weiße +Landstraße grün besäumen und mit ihren aus- und eingeschwungenen +Zeilen hoch in der Landschaft stehen. Weit, weit kann man die grüne +Wand verfolgen, die sich über Tal und Hügel schwingt. Man fährt in +einer offenen Chaise, die viele Querbänke hat und ganz besetzt ist mit +lustigem Volk. Zeiserlwagen, so nennt ihn ein launiges Wort. Aber die +Wiener Laune ist meistens etwas gepfeffert und hält sich an drastische +Ausdrücke. Sie zieht es vor, dieses Gefährt vergleichsweise einen +Kalbelwagen zu nennen. Der edle Reisewirt, der den Kalbelwagen für den +Freundeskreis gestiftet hat, ist Schober, der sich auf der Fahrt nach +Atzenbrugg als Mäzen fühlt.</p> + +<p>»Ich fahre mit,« erklärt Schubert, »aber eine Bedingung ist dabei — +daß Melusine kommt, und daß mir der Platz an ihrer Seite bleibt!«</p> + +<p>»Mir blutet das Herz,« versichert Schober treuherzig scheinheilig, +»aber den Platz an der Sonne tret' ich dir ab, weil du es bist.«</p> + +<p>Franz wohnt im Rossauer Schulhaus bei seinem Bruder Ferdinand, der vom +Schulgehilfen längst zum Schulleiter<span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span> vorgerückt ist und knapp vor der +Beförderung zum Schulinspektor steht. Mit Bruder Ferdinand hat Franz +seit jeher ein wärmeres Verhältnis gehabt. Aus der Blutsverwandtschaft +wird die höher geartete seelisch bestimmte Lebensfreundschaft. +Ferdinand ist stolz, den berühmten Bruder zu beherbergen, von dem jetzt +alle Welt redet. Er weiß, daß der Herr Vater ganz von Hochachtung +erfüllt ist für den genialen Franz, dessen junger Ruhm einen +Lichtstrahl auf das bescheidene Elternhaus und dessen Insassen wirft. +Der Bruder Ferdinand, der in der Rossauer Schule wohnt, hat sich's +nun nicht nehmen lassen, Franz zu beherbergen, solange dieser bei ihm +wohnen mag.</p> + +<p>Und jetzt das Aufsehen, als Schober zur festgesetzten Stunde mit +dem Kalbelwagen vorfährt, zweispännig, Peitsche und Pferdemähnen +bändergeschmückt, wie zu einer Maifahrt, und richtig: auf der ersten +Bankreihe sitzt groß und stattlich Melusine, märchenhaft anzusehen, +wie eine Wald- und Quellennymphe, die geradewegs aus der Legende auf +einem Kalbelwagen mitten in die staunende Stadt fährt. Dem Franz +pumpert das Herz, als er mit dem Ränzel um die Schultern und der +Gitarre in der Hand, an der das grüne Lautenband weht, hinaufsteigt in +den Zeiserlwagen und neben der holden Therese Platz nimmt. In allen +Fenstern liegen neugierige Köpfe und munkeln über das wundersame +Gefährt: »Macht er denn Hochzeit, der Bruder des Herrn Schulleiter?! +Ist wohl eine reiche Braut — mein Gott! Und schön zum Verrücktwerden! +Schaut sie's an, die wunderbaren Haar, leuchten wie eine Krone, und die +Augen sind blau und tief wie zwei Edelsteine, und das liebe Gesichtel, +und der<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> Mund wie ein Röserl, und die Gestalt, viel größer als er, +gewachsen wie ein Bäumerl und rundum was dran, nun ja, freilich, alles +was sich gehört — nur so zum Anbeißen, rein zum Vergaffen!«</p> + +<p>Ein Peitschenknall, die Pferde greifen aus, weg sind sie; die Leute +der grünen Torgasse haben Gesprächsstoff noch gut für zwei Tage, ein +Märchenschimmer war in ihre Gasse gefallen.</p> + +<p>Dem Franz ist selig zumut wie einem richtigen Märchenprinzen. Da kommt +die Liebe auf dem Zeiserlwagen in seine Gasse gefahren, er sitzt mit +der bändergeschmückten Gitarre neben ihr, wie er es geträumt hat, er +schaut in ihre rätselhaft tiefen Augen, ein seltsamer, quellfrischer +Hauch geht von ihr aus, er ist ganz verzaubert. Aber es wird ihm gleich +auch bänglich zumut, denn er findet nicht die rechten Worte, die Schöne +zu unterhalten. Wenn er allein ist, dann wüßte er viel zu sagen, aber +vor ihr ist er befangen, und er kommt sich stockdumm vor. Ein Glück, +daß sie nach kurzer Fahrt wieder vor einem Haus halten.</p> + +<p>Da springt ein junges, nicht unhübsches, lebhaftes Mädchen hervor, +Netty Hönig, eine Freundin Theresens, und ihr Bruder Hönig, beide +geschniegelt und gebügelt, sind ja wohlhabender Leute Kind und +geldstolz; reiben sich gern an Künstlern, mit denen sie freilich +scharmant umzugehen wissen. Hätte ihnen der Geldstolz auch wenig +gefrommt in einem Kreis, wo der einzige gültige Adelsbrief auf die +Schubertsche Formel lauten mußte: »Kann er was?«, eine Geniemarke, +die im Sprachgebrauch der Freunde auf die Scherzform abgeglättet +wurde: »Kanevas?« Hönig war kein Kanevas, und all sein Geld half<span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span> ihm +höchstens zu einem geduldeten niederen Laientum, mit dem besonders der +ungeschminkte Schubert nicht viel Geschichten machte: »Also hockt's +auf, Gesindel!«</p> + +<p>Aber mit dem Aufhocken geht's nicht so schnell. Sie müssen auf eine +Dritte warten, die jetzt aus dem Hausflur herauskommt, die liebliche +Johanna Lutz, mit ihren blonden Stirnfränschen über den hellen, +gescheit blickenden Augen in dem herzigen Gesicht. Das ist die +Braut des Leopold Kupelwieser, sie muß sich hinter der Netty Hönig +verschanzen, damit kein dummes Gerede entsteht, während hinwiederum die +Netty als Gardedame ihren Bruder mit dem Fledermausgesicht hat. Auch +für Therese ist Netty das Paravent der Sitte und Ehrbarkeit, kurz eines +muß dem anderen Mauer stehen, um solcherart der albernen Konvention ein +Schnippchen zu schlagen, darin ja die Jugend nicht verlegen ist.</p> + +<p>Da kommt er schon daher, der Leopold »Kupel«, wie ihn die Freunde +mit einer beliebten Abkürzung nennen, ein hoher, gerade gewachsener +Bursch mit schwärmerisch in die Ferne blickenden Augen, als Maler das +klassische Gegenstück zu dem romantischen Schwind. Er schaut nach Rom +und nach der Antike aus, genau so schwärmerisch, wie Schwind nach +den mittelalterlichen Burgen, nach Rittern, Waldgeistern und Elfen +ausschaut.</p> + +<p>»Grüß Gott, edler Kupel!« Die Anrede klingt schon wärmer, als sie dem +Hönig geklungen hat. Aber der lange Kupel, der sich mit einem Satz +hinaufschwingt, dicht neben die zarte Lutz hin und Hand in Hand mit ihr +zusammensitzt, der gehört mit in die priesterliche Kaste der Kanevas.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span></p> + +<p>»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« greift Schubert in die Saiten der +Gitarre. Worte hat er nicht viel zu geben, er sagt's lieber in Tönen, +was ihn erfüllt. Eine stille Heiterkeit ist über ihn gekommen, er fühlt +sich wunschlos glücklich neben der schönen Melusine.</p> + +<p>»Die Musik klingt aber traurig!« ist Hönig vermessen genug, zu sagen.</p> + +<p>»Dummer Kerl,« brummt Schubert und gibt's ihm zurück, »haben Sie schon +eine lustige Musik gehört? Ich nicht!« Der Hönig ist blamiert, man +sieht, er ist kein Kanevas, sonst wäre ihm eine so alberne Äußerung +nicht passiert. »Wie kann denn Musik lustig sein, wenn sie von dem +Herzen singt? Wenn sie von Lust singt, klingt es wie Weh, und wenn sie +von Weh singt, ist es die Lust!«</p> + +<p>Das könnt' er dem Pfründner jetzt sagen, der sich mit all seinem Geld +nicht einen Fuß breit von dem Seelenland kaufen kann, so gern er +möchte, wo er, Franz, unumschränkter König und Gebieter ist mitsamt +den paar Getreuen, die an seiner Seite sind. Er könnte ihm jetzt das +auseinandersetzen, was er denkt, aber wozu denn? Es steht gar nicht +dafür!</p> + +<p>»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« Mit Gitarregezirp, Gelächter und +Fröhlichkeit geht's von Haus zu Haus, wo Freunde wohnen, die mitkommen.</p> + +<p>»An mein Herz, geliebter Cherubim!« so lautet der Gruß in Schwindien.</p> + +<p>Schwind will sich neben Therese setzen, der heimliche Ritter neben die +Quellenfrau Melusine. Aber neben Melusine hat sich bereits das listige +Fledermäuslein eingenistet, Hönig, und läßt nicht locker.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span></p> + +<p>»O du abscheulicher Flederwisch mit den ewig feuchten Lippen, von +denen die klebrige Schmeichelrede trenzt — was soll denn das viele +Schwatzen?!« Die Schöne wendet sich lachend von ihm ab, aber der +Häßliche hat die Gabe der unterhaltenden Worte, sie muß halt immer +wieder hinhören, und wenn ein schiecher Kerl hübsch zu plaudern weiß, +so dauert's nicht lange, und er gleicht einem Apoll.</p> + +<p>»Wirst dir aber wenig herausfetzen, wenn auch deine Rede Honig ist, du +garstiges Schwatzmaul!« dachte Franz und zupfte seine Gitarre.</p> + +<p>Schwind hat sich neben Netty Hönig gesetzt, es scheint, daß er dem +munteren Mädchen sein Herz verpfänden will.</p> + +<p>Mit Klimbim und Trara ging's also die Alleen entlang und zwischen +Hügeln und Kornfeldern hin.</p> + +<p>Klim bim! zirpte die Gitarre, und eine Stimme summte dazu: »Ich hab' +das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern! Weil unsere Lieb' ist +immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn, drum haben wir es +gern, drum haben wir es gern! Nun schlinge in die Locken dein das grüne +Band gefällig ein, du hast ja 's Grün so gern, du hast ja 's Grün so +gern! Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe +thront, dann hab' ich 's Grün erst gern, dann hab' ich 's Grün erst +gern!«</p> + +<p>Summte und sang es der Fee Melusine ins Ohr.</p> + +<p>Sie hatte auch das Grün so gern und ging auf den Spaß ein und ließ das +grüne Lautenband um ihre festgesteckten Locken flattern. Dafür band +sich Franz die Gitarre mit<span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span> einem Stricklein über die Schultern fest. +»Mit all deinen honigbestrichenen Leimruten, lieber Hönig, wirst du +nichts fangen!« Die Musik war die stärkere Lockung, und das Herz hing +in dem Lautenband wie das Vöglein in einer Schlinge.</p> + +<p>In nächster Nähe von Atzenbrugg thronte auf einem Hügel das Schloß +Ochsenburg, dem Bischof Hofrat von Dankesreither gehörig; in diesen +Tagen aber machte der elegante Neffe Schober die Honneurs, bewirtete +die Wiener Freunde drei Tage lang. Der Wagen fuhr in den Hauptplatz +mit der schönen, wolkengetürmten Dreifaltigkeitssäule, die ein +kleiner Zwillingsbruder der Säule am Graben in Wien zu sein schien, +die Herren sprangen ab, die Dämchen durften sitzen bleiben, indessen +der zweispännige Wagen langsam den Hügel hinaufkroch und durch den +breiten, kühlen Flur zwischen den gewaltigen, halbrunden Ecktürmen +in den weinbewachsenen Hofraum einfuhr. Gott, war es da schön in dem +grasbestandenen Hof mit dem alten Ziehbrunnen, so recht ein Schmaus für +das romantische Gemüt Schwinds.</p> + +<p>Einfach war das Mobiliar in dem langen Speisesaal, den weiten +Wohnräumen und den Schlafzimmern, altes, gebrechliches Gerümpel in +dicken, gewölbten, weiß getünchten Mauern, in Wänden, sanft gekrümmt +unter der Last des Alters, voll Runzeln wie ein Greisenantlitz und +zugleich wetterhart und eisenfresserisch in der trotzigen Wucht mit dem +gewaltigen Dachhelm und der knarrenden, rostigen Wetterfahne oben.</p> + +<p>Jetzt war junges Leben in den alten hallenden Gängen und luftigen +Arkaden oder den Hofgewölben und Vorratskammern,<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> drei Tage lang in +der Zeit, da der Herr Bischof und Oheim in der Gasteiner Ache sein +Zipperlein kurierte. Die Knechte und Mägde rissen Maul und Augen auf +über das lustige Leben, in der Küche drehte sich der Spieß, als ob ein +ganzer Ochse in der Ochsenburg gebraten werden müßte. Alle Hände der +dienstbaren Geister hatten vollauf zu tun, wenn der Herr Neffe als +Flottwell mit seinen Freunden kam.</p> + +<p>Ein dreitägiges Fest mit Landpartien, Schmaus, Tanz und Musik — es +vergeht wie ein Traum. Die Kunst war die Hauptsache bei dem Gastmahl, +und Franz ward infolgedessen, ohne es recht zu wollen, oder vielleicht +auch ohne es recht zu ahnen, der geistige Mittelpunkt des Festes. Wie +immer wurde etwas daraus, das den Namen Schubertiade erhielt. Um Musik, +Gesang und Dichtung war die Lebensfreude gruppiert, und siehe da, der +Bescheidenste, Borstigste, Scheueste, Einsamste ward zum König des +Tages.</p> + +<p>Der Kleine am Klavier hatte alle am Bändel — er hätte sich kraft +seines Genius als Herrscher fühlen mögen, aber er saß in Demut da und +schien zu darben bei dem Fest, dem er so recht eigentlich die seelische +Weihe gab. Therese sang seine Lieder, die er begleitete, ihr junger, +blühender Körper erbebte unter dem Sturmlied der Leidenschaft und +Sehnsucht, die ziellos verströmte. Seine Finger gingen mechanisch über +die Tasten, er hatte ein unendlich trauriges und wehmütiges Gefühl.</p> + +<p>»Wie kommt es denn nur,« mochte seine innere Stimme fragen, »daß ich +nicht weiterkomme mit all meiner Liebe? Da steht sie, die Herrliche, +geschüttelt wie ein junges<span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span> Bäumchen unter dem Frühlingsbrausen, das +mit Verzweiflung und Tränengewalt kommt, und ich stehe dabei dreifach +geschlagen und gebunden, ein armer, hilfloser Narr, und weiß mir nicht +zu helfen, indessen dieser Hönig, der dreiste Bengel, so tun darf, als +hätte er gewonnenes Spiel! Warum soll ich nicht auch so tun? Hab' ich +nicht zehnmal mehr Recht darauf? Aber —«</p> + +<p>Dieses Aber, das er vor sich nicht gelten lassen wollte! Er schlug in +die Tasten hinein, der inneren Stimme Schweigen zu gebieten. Bum, bum, +bum! Aber der Macht der inneren Stimme kann keine Tongewalt der Erde +Herr werden.</p> + +<p>»Weil du nichts bist und nichts hast und es deshalb nicht wagen darfst, +das schöne Kind aus dem reichen Hause für dich zu begehren. Und wenn +du es wolltest, wer sagt dir, daß sie dich liebt und daß sie dich +nicht mit einem mitleidigen Lächeln vertröstet und heimschickt mit +dem Zuckerbrot einer unverbindlichen Liebkosung wie damals? Wenn es +dem Hönig einfiele, ihre Hand zu begehren, der brauchte nicht viel um +Liebe zu fragen, der fordert sie einfach, und was er fordert, wird ihm +gegeben werden. Warum, warum? Mit welchem Recht? Mit dem Recht der +Seele? O nein! Du altmodischer, idealistischer Tor! Mit dem Recht des +Geldes, dem schmutzigsten und ungerechtesten Recht —«</p> + +<p>So haderte seine Seele mit dem Schicksal und behauptete mit blindem +Eigensinn: »Es ist so!« obgleich im verlöschenden Bewußtsein die +Erkenntnisspur verblieb: »Es ist auch wieder nicht so!« Aber daran +war kein Zweifel, daß seine Lieder und alles, was er schuf, aus dem +Aufruhr<span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span> seiner Gefühle hervorquoll und von dem Schmerz seiner Seele +geboren war. Wenn es ihnen auch unbegreiflich schien, so mußten es +jene ahnen, die um ihn waren, als er ihnen seinen »Wanderer« vorsang. +Am meisten ahnte es vielleicht Therese. Es ist wahr, die Sänger im +Konzertsaal sangen das Lied kunstvoll, aber keiner so ergreifend bei +aller Schlichtheit als Franz selber. Melusine, die Feine, hatte es +sogleich erraten.</p> + +<p>»Ich wandle still, bin wenig froh, und immer fragt der Seufzer, wo?«</p> + +<p>Noch ehe der Gesang beginnt, dämmert die Wehmut dieser Verse in den +einleitenden Akkorden auf. Das heiter-wehmütige Gefühl der Sehnsucht +mit all den heftig aus dem Gefühl hervordrängenden Fragen versinkt in +die Trostlosigkeit jener dumpfen Akkorde, die alles dunkel Geahnte zur +hoffnungslosen, tragischen Gewißheit bringen: »Wo du nicht bist, dort +ist das Glück!«</p> + +<p>Die Musik gleicht seiner eigenen Seelenlandschaft, hohe, leuchtende +Gipfel sind darin, wo alles Selige und Heitere lebt, danach sich das +Gemüt sehnt, aber die edlen Schatten der Melancholie lagern auf dem +Weg in der Tiefe, den Franz wandert. Doch der Weg der Seele führt +über Berg und Tal in stark bewegten Kurven und ist bald im Tale der +Tränen und bald wieder auf den lichten Höhen der Seligkeit. Sie stehen +dicht beieinander, diese Höhen und Tiefen — das tragische Bild seines +inneren Lebens.</p> + +<p>»Es ist so,« schreit die Seele auf in ihrer Qual — »es ist wieder +nicht so!« lächelt der nächste Augenblick.</p> + +<p>Und was er vorhin von Hönig dachte und von Therese, das hat sich jetzt +ganz und gar widerlegt, als Melusine<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> beim Gute-Nacht-Sagen das grüne +Band hervorzog und ein gutes herziges Wort daran knüpfte.</p> + +<p>»Nie hab' ich so frei und leicht gesungen als heute, ich bin +abergläubisch — vielleicht hat's dieses da gemacht —«</p> + +<p>Dabei schob sie das verblichene Lautenband in ihren Busen: »Hier will +ich es tragen — gute Nacht!« und war verschwunden wie eine flüchtige, +klingende Welle.</p> + +<p>Franz lag im Bett und konnte nicht schlafen.</p> + +<p>»Warum hab' ich ihr nicht gesagt, wie es mir ist da drin? Warum?« Aber +er hat es so schwer mit sich selbst, er kann sich nicht erschließen. +Die Worte sind zu hart, zu dürftig, zu klobig, es müßte über ihn kommen +wie ein Gewittersturm, wie ein Erdbeben, das die Klüfte aufreißt — er +kann seine Seele nicht zeigen, es sei denn in Einsamkeit, und dann wird +es Musik.</p> + +<p>Sie versteht ihn, aber sie versteht ihn doch wieder nicht!</p> + +<p>Das alte Spiel: es ist so — es ist doch wieder nicht so!</p> + +<p>Morgen wird er ihr es sagen, all sein Fürchten, all sein Hoffen. +Morgen, wenn der große Augenblick wiederkehrt. Aber er weiß schon +wiederum auch: er kehrt nicht wieder ....</p> + +<p>Knarr, knarr! singt die Wetterfahne auf dem Dach.</p> + +<p>»Sie pfeift dich aus!« denkt der Schlaflose in seiner Kammer. »Es ist +des Hauses aufgestecktes Schild — ein Narr, der hier sucht ein treues +Frauenbild.«</p> + +<p>Der Wind spielt mit seinem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut!</p> + +<p>Knarr, knarr!</p> + +<p>Das Schicksal pfeift ihn aus, und seine innere Stimme<span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span> lacht auf wie +zum Hohn: »Ha, ha! Laß ab — sie ist eine reiche Braut!«</p> + +<p>Er ist nicht der einzige Schlaflose in diesem Gemäuer. In der Kammer +nebenan liegt Schwind, auch er hört die Wetterfahne und denkt und +denkt. Er hat sein Herz vollends verloren an Netty Hönig.</p> + +<p>Knarr, knarr! krächzt die Fahne auf dem Dach mit rostiger Stimme. Das +Herz knarrt dazu, als ob der eiserne Stab sich darin um und um drehte. +»Ach Netty, Netty — wärst du nicht eine so reiche Braut!«</p> + +<p>Ja, sie haben's nicht leicht, diese beiden!</p> + +<p>Die Festtage vergehen, der ersehnte Augenblick hat sich nicht +wiederholt, das Herz ist voll und schwer von Liebesworten, die nicht +gesprochen wurden. Nichts kann mehr brennen als solche feurige Worte, +die man hinunterschlucken muß und deren Qual nur gemildert wird von +verschluckten Tränen, die nach ihnen geweint werden.</p> + +<p>Franz fragt sich vergebens: »Warum ist dies alles?«</p> + +<p>Aber nicht einmal dem intimsten Freunde vertraut er sich an, dem +Schwind, der die gleichen Schmerzen trägt.</p> + +<p>Äußerlich ist es nur eine stille Traurigkeit, die man ihm anmerkt, +aber das ist man bei Franz gewohnt, wenn er gerade nicht lichterloh in +Flammen steht.</p> + +<p>»Es ist einmal so!« sagt eine Stimme inwendig.</p> + +<p>Die Abreise kommt, das erlösende Wort ist nicht gesprochen. Es schnürt +ihm die Kehle zu, wenn er daran denkt; keinen Laut brächte er hervor. +Melusine ist gleichmäßig freundlich und liebreich, aber ihr Wesen ist +allzu geglättet, jeder Versuch, ihr näher zu kommen, gleitet ab;<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> wenn +sie nicht will, ist es vergebens. Das erfährt auch der Hönig, diese +dreiste Hufeisennase.</p> + +<p>»Auf der Heimfahrt, auf der Heimfahrt!« denkt Franz und reimt sich +schon manches liebe Wort zusammen.</p> + +<p>Aber mit der gemeinsamen Heimfahrt wird es nichts. Schober hat es im +Rat der Götter anders beschlossen. Man weiß ja: er trägt sich mit einem +Opernstoff, den Schubert komponieren soll. Ach ja, das ist der Weg zum +neuen Ruhm, zu dem heißersehnten Ziel, wo er stehen möchte neben dem +großen Wolfgang Amadeus oder zumindest neben dem volksmäßigeren Karl +Maria.</p> + +<p>»Du wirst höher greifen als Weber im ›Freischütz‹! Ja, das wirst du!« +Die Freunde wissen es.</p> + +<p>Einer, der hinter jedem Vers den heroischen Schritt des Dramas +aufklingen läßt, der ist berufen, der Oper neues Leben zu geben.</p> + +<p>»Es verpflichtet dich, vorsichtig zu sein in der Wahl des Stoffes!« +warnt der treue Schwind. »Du brauchst einen Text, darin die Worte +sparsam gewählt und mit Kraft gesättigt sind — dann wirst du +einen neuen Opernstil schaffen. Verzettle deine Kraft nicht an dem +geschwätzigen Schund, der sich fast in allen Werken dieser Art breit +macht. Laß dir deine Erfahrungen mit den ›Zwillingsbrüdern‹ und der +›Zauberharfe‹ zur Warnung sein!«</p> + +<p>Schober gibt seine halb vollendete Dichtung »Alfonso und Estrella« +zum besten, Franz ist entzückt, Schwind schüttelt denklich den Kopf. +Der Cherubim ist in einer unangenehmen Zwickmühle. Er möchte Franz +vor einer unnötigen Zeitvergeudung der kostbaren Kraft bewahren und +andererseits dem geliebten Schober nicht wehe tun.<span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span> Was tun also? Den +Freund dem Freunde opfern? Ein Schuft, wer mit der Wahrheit allzu +ängstlich umgeht!</p> + +<p>»Tu's nicht, Franz,« ratet Schwind, »es ist nichts daran an der +ganzen Großmutsgeschichte. Eine unklare Handlung, ein breites +Geschwätz, Liebe, Politik und Langweile durcheinander gemischt. Das +spanisch-maurische Kostüm kann es nicht retten. Geh' vorsichtig um mit +deiner Kraft, verwende sie aufs beste, sonst kommst du leicht auf den +Holzweg. Es wäre schade um dich und um deine gute Sache.«</p> + +<p>Aber Franz ist blind und taub gegen diese Einwendungen. So begeistert +ist er von Schobers Dichtung.</p> + +<p>»Am besten, wir lassen das lose Pack allein heimfahren und richten uns +hier häuslich ein!« schlägt Schober vor.</p> + +<p>»Im Herbste kommen wir nach Wien zurück und haben die fertige Oper in +der Tasche. Dann, Freund, mit fester Hand den Lorbeerbaum geschüttelt, +daß es nur so die Dukaten herunterregnet!«</p> + +<p>Der Plan ist verführerisch. Warum sollte er nicht gelingen? Schober +hat Beziehungen zur Bühne, Vogl wird das Seine tun, die Anna Milder in +Berlin hat sich selber angetragen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, +wenn eine Rolle für sie darin ist, also bitte, warum denn nicht?</p> + +<p>Nun stand Franz als Minneheld zwischen zwei Frauen, der irdischen +und der himmlischen Liebe. Und sollte sich für die eine oder andere +entscheiden. Es war wirklich schwer, Mensch zu sein.</p> + +<p>Soll er nun schmachtend auf dem Kalbelwagen neben der Fee Melusine +sitzen und herumdrücken an dem, was er<span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span> sich doch nicht recht zu sagen +getraut, oder soll er dem Wink seiner Muse folgen und den Weg des +Einsamen gehen?</p> + +<p>Es müßte nicht Franz Schubert sein, wenn er sich nicht sofort +des Rechten bedacht hätte. Also tapfer den aufquellenden Schmerz +hinuntergewürgt und Adieu gesagt der berückenden Fee Melusine. Den +rätselhaft tiefen Blick aus ihren graublauen Augen wird er nicht +vergessen, der drückt ihm das Herz nun gar wehvoll zu Boden. Aber eine +Hoffnung blüht: mit der neuen Oper in der Hand ist er ein gemachter +Mann. Hat sie Erfolg, was gar nicht zu zweifeln ist, dann bedeutet's +Ehre und Gewinn. Und dann macht ihm kein Hönig, und wär' er der +protzigste Geldsack, sein Recht auf dem Wagen der Liebe streitig. Also +vorläufig, und immer vorläufig tapfer entsagen, um den hohen ewigen +Preis zu gewinnen.</p> + +<p>Er muß sich rasch umwenden, als die Fräuleins mit ihren Rittern +tücherschwenkend davonfahren, Hönig neben Melusine.</p> + +<p>»Dummer Junge, möchtst heulen wie ein Schloßhund, pfui Teufel, schäm' +dich!« meldet sich die Stimme inwendig.</p> + +<p>Es reißt ihn auf dem Absatz herum und im Sturm hinauf ans Klavier. Den +Schmerz muß er in der Tonflut ersäufen.</p> + +<p>»Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wanderer gehn, suche mir +versteckte Stege, durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts +begangen, daß ich Menschen sollte scheun, welch ein törichtes Verlangen +treibt mich in die Wüsteneien? Weiser stehen auf den<span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span> Wegen, weisen auf +die Städte zu, und ich wandere sondermaßen ohne Ruh' und suche Ruh'. +Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße +muß ich gehen, die noch keiner ging zurück ....«</p> + +<p>Wenn er sein Leben überdachte, dann sah er einen Weg, den keiner ging; +unsichtbaren Wegweisern war er gefolgt, sie weisen weiter und weiter, +und er wußte schon, daß er folgen werde, wenn er auch allein gehen +mußte.</p> + +<p>Einstweilen hatte er ja einen lieben Gefährten bei sich.</p> + +<p>Schober schmiedete Verse aus Leibeskräften, und Franz ließ herrliche +Melodien daraus entstehen, leicht und blühend waren die Gedanken, die +aus seinem musikalischen Herzen hervorwuchsen.</p> + +<p>»In sehr glücklicher Jugendschwärmerei, aber auch in sehr großer +Unschuld des Geistes und Herzens,« berichtet Schober nach Wien, »wird +das Werk gezeugt — es gedeiht!«</p> + +<p>O Unschuld! Die beiden Kumpane lebten recht vergnüglich hin, was +das äußere Leben betrifft. Der Oheim kehrte aus Gastein zurück, den +Dichtergenossen wurde es in Ochsenburg zu eintönig, sie verlegten +ihr Quartier in das nahe St. Pölten, wo sie sich in einem Zimmer mit +zwei Ehebetten, einem Sofa, einem Fortepiano häuslich und heimisch +eingerichtet haben. Als sie im Spätherbst nach Wien kamen, konnten sie +sich fühlen wie Hans im Glück, der einen Goldschatz im Ränzel trug.</p> + +<p>Aber mit diesem Schatz geht das Leiden an. Die Oper wandert von Kanzlei +zu Kanzlei, sie hat nach Art der Brieftauben die verhängnisvolle +Neigung, immer wieder zum Ausgangspunkte zurückzukehren. Spaun in +Linz,<span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span> der sich immer auf dem Laufenden erhält, brennt vor Neugier.</p> + +<p>»Möcht' es doch endlich sein!« wünscht er aus tiefem Herzen. Trübselig +genug schreibt Franz dem Freunde: »Mit der Oper ist es in Wien nichts, +ich habe sie zurückbegehrt und erhalten. Auch ist Vogl wirklich vom +Theater weg. Ich werde sie in kurzem entweder nach Dresden, von wo ich +von Weber einen vielversprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin +schicken. Mir ginge es sonst ziemlich gut, wenn mich die schändliche +Geschichte mit der Oper nicht so kränkte ....«</p> + +<p>Die Hoffnung auf Berlin hing mit der angebeteten Milder zusammen. Sie +schreibt ihm, wie sehr sie seine Lieder entzückten und welchen Beifall +sie in der Gesellschaft finden. Sie möchte haben, daß er ein Gedicht +eigens für sie komponiert, aber es ist ein Pferdefuß dabei, denn sie +fügt hinzu, es müßte für ein großes Publikum berechnet sein. Was +heißt das? Sie hat außerdem vernommen, daß er Opern geschrieben hat, +und fragt ihn, ob sie sich nicht für ihn bei der Berliner Intendanz +verwenden soll.</p> + +<p>»Aber natürlich!« Die Protektion ist gut zu brauchen, also flugs mit +der Oper nach Berlin.</p> + +<p>Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch. Die Milder schreibt, daß +»Alfonso und Estrella« durchaus kein Glück in Berlin machen würden. Und +damit ist die Sache erledigt.</p> + +<p>Franz hat ihr den »Gesang der Zuleika« und einige andere Konzertsachen +gewidmet, aber es ist nicht das, was die Milder für das große Publikum +meint. Sie schreibt ihm darüber: »Zuleikas zweiter Gesang ist +himmlisch<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> und bringt mich jedesmal zu Tränen. Es ist unbeschreiblich, +allen möglichen Zauber und Sehnsucht haben Sie da hineingebracht, so +wie im ersten Gesang der Zuleika und im >Geheimnis<. Zu bedauern ist +nur, daß man alle diese unendlichen Schönheiten nicht dem Publikum +vorsingen kann, weil die Menge leider nur Ohrenschmaus haben will ....«</p> + +<p>Ach du lieber Himmel!</p> + +<p>Aber schon der nächste Brief berichtet, daß die Zuleika dennoch +unendlich gefallen habe; die Milder war zu ängstlich wie alle +Theaterleute, wenn es ums liebe Publikum geht; daran scheitert soviel +Kunst.</p> + +<p>Aber auch mit Karl Maria von Weber, der sich in Dresden für ihn +verwenden soll, ist es eine so eigene Sache.</p> + +<p>Karl Maria kommt nach Wien zu den Proben seiner Oper »Euryanthe« und +wird als musikalische Berühmtheit, die von »draußen« kommt, in den +Salons serviert. Bei Sonnleithner lernt ihn Schubert kennen. Der +Meister des »Freischütz« weiß genau, daß der junge Wiener Genius die +Welt mit Licht zu überstrahlen berufen sei ... Als Konkurrent hilft man +nicht gern einem, der groß zu werden verspricht und das eigene Licht +verdunkeln könnte. Kurzum, Karl Maria ist bei aller Liebenswürdigkeit +auf der Hut.</p> + +<p>Franz weiß nichts von Kollegenneid und ist naiv genug, zu glauben, daß +alles mit rechten Dingen zugeht. Er ist begeistert vom »Freischütz« +und zollt dem berühmten Genossen unverhohlene Bewunderung. Und gibt +zugleich mit seinem Vertrauen das Herz hin.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span></p> + +<p>»Frau von Chezi, die Textdichterin Ihrer ›Euryanthe‹, hat auch mir ein +Buch geliefert — ich bin schon mit Feuereifer an der Arbeit. Sie sehen +also, daß wir schon vom Parnaß her verwandt sind ...«</p> + +<p>Das ist ein echter Franz. Die Mißerfolge können ihn nicht klein +kriegen. Neue Opernwerke wachsen aus Herz und Hirn hervor. »Rosamunde« +entsteht, trotzdem Schwind wettert: »Dieser verhängnisvolle +Blaustrumpf, den hat der Teufel nach Wien gebracht! Daß gerade du zum +Opfer fallen mußt!«</p> + +<p>Karl Maria scheint nicht sehr erbaut über die Eröffnung.</p> + +<p>Franz hat ihm Stücke daraus vorgespielt. Die Ouvertüre war zuerst für +»Alfonso und Estrella« geschrieben, Franz hatte sie als zu aufhauerisch +verworfen, in »Rosamunde« war sie gut zu verwenden. Das reizende, +schlanke, feingliederige Musikstück entzückte die Freunde.</p> + +<p>Nur Weber blieb kühl.</p> + +<p>»Hm ja, wirklich nicht übel, ganz hübsche Einfälle — aber soviel kann +ich Ihnen voraussagen: der dramatische Versuch als Ganzes wird nicht +gelingen.«</p> + +<p>Neidhammel!</p> + +<p>Schwind war entrüstet über die absprechende Meinung.</p> + +<p>Er selbst hatte schwere Bedenken wegen des Textes, aber »Versuch« — +das war eine glatte Gemeinheit. Und »hübsch« — ei verflucht! »Hübsch, +das sagt man von einem Kravattel!« erboste sich Schwind. »Und Versuch +— das müßte er doch wissen, daß die ›Rosamunde‹ kein Versuch ist, der +Herr Kollege, der anscheinend an der musikalischen Gelbsucht leidet!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span></p> + +<p>Weber dirigierte die Erstaufführung seiner »Euryanthe« selbst. +Natürlich ging Franz hinein, fünf Gulden der Platz — er zahlte auch +für Schwind das Billett, macht zehn Gulden — davon konnte man damals +einen Monat lang leben; aber Franz war kein Sparer und kein Knicker, am +allerwenigsten, wenn es um die Kunst ging oder um die Freundschaft. Wer +gerade Geld hatte, zahlte — Franz tat es gern, denn Schwind war fast +noch schlechter daran, sein Genius konnte in Wien gar keine Anerkennung +finden, und Geld hatte er fast nie in der Tasche.</p> + +<p>Mit Weber, der sich in den Tagen seines Wiener Aufenthaltes dem +Freundeskreis angeschlossen hatte, saßen sie fast täglich im +Bognerschen Café und abends im »grünen Anker« zusammen.</p> + +<p>»Nun, wie hat Ihnen meine Oper gefallen?!« fragte Karl Maria am Tage +nach »Euryanthes« Premiere.</p> + +<p>Franz war immer ein Michel Gradaus, er verübelte es auch anderen nicht, +wenn sie ihre Meinung rund heraus sagten, nur ehrlich mußte sie sein.</p> + +<p>Er nahm sich auch jetzt kein Blatt vor den Mund: »Einiges hat mir recht +gut gefallen, aber für meinen Geschmack ist zu wenig Melodie daran — +wissen Sie was: Der ›Freischütz‹ ist mir lieber!«</p> + +<p>»Bravo!« applaudierte Schwind. Der hätte jetzt hinzufügen können: Der +Text ist miserabel, aber daran ist die verflixte Chezi schuld ... Doch +Schwind verkniff sich diese Äußerung und legte einen vergifteten Pfeil +auf seinen Köcher.</p> + +<p>»Hm, ja, nicht übel! Wirklich ganz hübsch! Aber der dramatische Versuch +ist doch nicht gelungen!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span></p> + +<p>Der Streich war heimgezahlt. Karl Maria erhob sich und verabschiedete +sich kalt und gemessen. Das Ende der Bekanntschaft war bedeutend +weniger freundlich als der Anfang, und von »Alfonso und Estrella« war +in Dresden keine Rede mehr.</p> + +<p>Dafür gelangte in Wien die »Rosamunde« zur Annahme.</p> + +<p>Bei allem, was Schwind gegen die Textdichterin einzuwenden hatte, die +Aufführung war ihr zu danken. Die Chezi hatte nämlich die Gewohnheit, +so lange lästig zu fallen, bis man Ja und Amen sagte, um nur Ruh' zu +haben vor ihr. So war es in der Oper.</p> + +<p>Was Schwind befürchtet hatte, traf ein. Es war ein nicht zu +verhüllender Mißerfolg, den der unerträglich geschmacklose Text +verschuldet hatte.</p> + +<p>Schwind, Joseph Hüttenbrenner, Mayrhofer, alle Freunde und Schubert +gingen mit Herzklopfen hinein.</p> + +<p>»Diese heillose Frau von Chezi!« so beginnt Schwinds Bericht an +Schober, der wieder unterwegs ist und sich selber sucht. »Franz +hat wieder einen ganzen Reichtum von Perlen hingestreut, die auch +gebührend beachtet wurden, besonders die Ouvertüre. Wie ich immer sage: +ein Ziselieren im Kleinen, eine lyrische Ausbeutung des einzelnen +Wortes, was in dem geschwätzigen, inhaltslosen Text leider zu lauter +verpufften Wirkungen führt. Ein herrliches Feuer, an dem sich das Herz +der Menschheit erwärmen müßte, wird hier mißbraucht, um dichterische +Wassersuppen gar zu kochen. Sie mundete niemand. Der arme Schubert! +Er hätte einen Stoff gebraucht, der machtvoll ist durch die Größe und +Einfachheit des Wortes. Hat wieder einen Fehlgriff getan, der sich +bitter rächen<span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span> muß. Daß es ein sanfter Durchfall war, läßt sich leider +nicht leugnen. Die Aufführung hat ihm mehr geschadet als genützt, er +hat buchstäblich umsonst gearbeitet ....«</p> + +<p>Ungefähr so lautete das Urteil des Freundes, der den Schlag härter +empfand, als wenn er ihm geschehen wäre.</p> + +<p>Auch damit hatte er recht, Franz hatte buchstäblich umsonst gearbeitet. +Nach dem Mißerfolg der »Rosamunde« trauten sich die Bühnen erst recht +nicht an seine Opern heran. In rascher Folge waren neue Bühnenwerke +entstanden, »Fierrabras«, »Die Verschworenen oder der häusliche Krieg«, +ein vielversprechendes Fragment »Sakontala«, sie lagen alle neben +»Estrella« und »Rosamunde« friedlich in der Tischlade oder kehrten nach +vergeblichen Rundreisen über die Theaterkanzleien dahin zurück. Wieviel +Lebenskraft und Schöpferwille ward hier fruchtlos vertan!</p> + +<p>Auf die Epoche des glänzenden Aufstieges schien eine Zeit der +Mißgeschicke gekommen zu sein. Sind es die biblischen sieben Jahre, +in denen sich der Schicksalsstern entweder in aufsteigender oder wie +jetzt in absteigender Linie bewegt? Man weiß es nicht, man nimmt's +gleichmütig hin, man kann nichts Besseres tun als seine Pflicht und +warten, bis günstigere Zeiten kommen.</p> + +<p>»Wenn nur der Verleger nicht so gewissenlos wäre!«</p> + +<p>Damit ist der Diabelli gemeint, der ihm das Verlagsrecht für seine +erfolgreichsten Liederhefte für ein Butterbrot abzuluchsen verstand und +ihn bei den kommissionsweisen Sachen noch obendrein übers Ohr haute +nach Noten. Um der Unverschämtheit die Krone aufzusetzen, schließt er<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> +jetzt eine Rechnung ab, bei der Franz, anstatt Geld zu bekommen, noch +fünfzig Gulden zu zahlen hätte.</p> + +<p>»Ein sauberer Patron!« Franz wirft ihm die ganze Wahrheit an den +Kopf. Sie ist knüppeldick genug, um dem Faß den Boden auszuschlagen. +Es ist nicht nur die ewige Betrügerei — die Skrupellosigkeit dieses +Geschäftsmannes vergreift sich auch an dem geistigen Gut, die +Lieder und Tänze kommen vielfach verstümmelt und mit entstellenden +Zusätzen heraus, die nach des Verlegers Meinung die Schöpfungen +»publikumsreifer« machen sollten. Der geduldige Franz ist darüber aus +dem Häuschen; in einer Aufwallung des gerechten Zorns richtet er eine +geharnischte Absage an seinen Ausbeuter, und damit war ein für allemal +reiner Tisch gemacht.</p> + +<p>Das Suchen von Verleger zu Verleger geht nun erst recht an. Wie es +manche verstehen, die üble Lage des Künstlers auszunützen! Da sind +einige, die würden mit ein oder zwei Stücken den Anfang machen (werden +sich freuen!), nur zahlen wollen sie nichts — als Entgelt einige +Freiexemplare! Später, ja, wenn sie den Profit gemacht hätten, würden +sie ihm für weitere Sachen eine bare Entschädigung geben; er wird mit +Phrasen abgespeist, als ob er noch ein blutjunger Anfänger wäre.</p> + +<p>Wien schwelgt in Schubertscher Musik, sein Ruhm ist begründet auch +in anderen Städten — dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Ein +schwieriges Problem, ohne Amt und ohne festes Einkommen der Kunst zu +leben. Er will es fertigbringen!</p> + +<p>Ein Es-Dur-Trio, unter Brüdern hundert Gulden wert, bietet er der Firma +Probst an.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span></p> + +<p>Sie möchte gern, o ja! — Nur ein Haken ist dabei.</p> + +<p>»Gern sind wir erbötig, zur Verbreitung Ihres Künstlerrufes beizutragen +.... leider wird der eigene, sowohl oft geniale als wohl auch mitunter +etwas seltsame Gang Ihrer Geistesschöpfungen in unserem Publikum noch +nicht genug verstanden ....«</p> + +<p>Immer die nämlichen, geschraubten Wendungen, die den Vertrieb der Werke +schwierig hinstellen, um den Preis zu drücken.</p> + +<p>»Ja, wenn einmal das Eis gebrochen ist ...« Sie versprechen ihm goldene +Berge, aber für später, später .... Zukunftsmusik!</p> + +<p>Kurz und gut, statt der verlangten hundert Gulden schickt ihm die Firma +zwanzig Gulden.</p> + +<p>»Wenn es Ihnen zu wenig ist, dann schicken Sie das Geld gefälligst +wieder zurück ....«</p> + +<p>Wenn die Not am höchsten, ist der Hungerlohn am nächsten! Die zwanzig +Gulden haben schon hundert Herren, also ist vom Zurückschicken kaum die +Rede! Grausame Heimtücke!</p> + +<p>Da ist noch Artaria, aber der ist wirklich anständig, schier ein Mäzen, +der zahlt dreihundert Gulden für eine Sinfonie, freilich muß er noch +ein kleines Klavierstück darauf kriegen — das Heft kostet sechs Gulden +Ladenpreis, hundert Hände greifen danach im Augenblick des Erscheinens +— die Zahlen werfen ein Streiflicht auf die Verlegerbriefe.</p> + +<p>Nun, Gott sei Dank, wenn es auch nicht Geld regnete, so tröpfelt's +doch hin und wieder, und wenn vollständige Dürre eintritt, dann +helfen die Dedikationen über das<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> Gröbste hinweg. Der Gesellschaft +der Musikfreunde hat er eine Sinfonie gewidmet, sie weist ihm einen +Ehrensold von hundert Gulden an. Die Hand Sonnleithners ist dahinter zu +spüren. Klingende Münze kann man gut brauchen in so sündteuren Zeiten, +aber es glückt nicht immer. Schöne Worte fallen häufiger ab als Dukaten.</p> + +<p>Der Herr Bischof von Dankesreither in St. Pölten bedankt sich +schönstens und ist freigebig mit schmeichelhaften Redensarten, aber +es fällt ihm gar nicht ein, etwas springen zu lassen. Die Linzer +Musikfreunde ernennen ihn zum Ehrenmitglied, die Grazer tun dasselbe +auf Betreiben Jengers. Anselm Hüttenbrenner tut sehr wichtig mit der +Überweisung der Urkunde — es ist eine Ehre für Franz, er kann sich +das Blatt vor den Spiegel stecken, er kann aber auch den Mund an den +Nagel daneben hängen, er kann es ganz leicht, weil's nicht immer was zu +beißen und zu nagen gab.</p> + +<p>Aber trotzdem — Franz läßt sich nicht lumpen, er will dem Musikverein +ein Geschenk machen, das mit seinem Menschheitswert das Blatt vorm +Spiegel himmelhoch übertrumpft.</p> + +<p>»Um auch in Tönen meinen lebhaften Dank auszudrücken, werde ich mir die +Freiheit nehmen, dem löblichen Verein ehestens eine meiner Sinfonien in +Partitur zu überreichen ....«</p> + +<p>Er spürt in seiner Brust ein neues Wogen und Singen: einen +vertraulichen Klang aus früher Zeit.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a .....</p> + +<p>Die Geigen in seiner Brust schreien es in die Höhe; und immer wieder +kehrt die Melodie, immer wieder reißt sie<span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span> ab und sucht mit rührender +Sorgfalt das Gesangsthema in neuen Variationen zu ergreifen .... Das +sinfonische Tongemälde wird ein Abbild seiner Seele, ein erschütterndes +Bekenntnis.</p> + +<p>Er ist kein armer Mann, er ist ein Krösus, der aus vollen Händen gibt.</p> + +<p>Draußen in den Weindörfern, in Währing, Weinhaus, Heiligenstadt, +Grinzing, verbirgt einer sein Haupt in grüner Einsamkeit, ein ganz +Großer, zu dem Franz jetzt aufsieht wie zu dem einzigen Stern über +sich. Der geht auch einem unsichtbaren Wegweiser nach, unbegangene +Pfade, weitab von allem Gewöhnlichen und hoch durch unwegsame Gebirge +der Seele. Einer, der die Märtyrerkrone um seiner Kunst willen trägt, +und zu dem das Meisterlein mit Ehrfurcht emporstarrt. Das ist Ludwig +van Beethoven.</p> + +<p>Er möchte sich ihm nähern, aber eine unüberwindliche Scheu vor diesem +Gewaltigen zwingt ihn, im weiten Bogen auszuweichen. Er getraut sich +nicht; heimlich geht er auf den Spuren des Gewaltigen, draußen zwischen +den Weinbergen und kleinen Winzerhäusern.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a ....</p> + +<p>Dieses Lebenslied mit all den hoffnungsvollen Anfängen darin läßt ihn +nicht mehr los.</p> + +<p>Franz schafft mit Zyklopenhänden. Jahr um Jahr, ohne Unterlaß — das +Arbeitsfieber ist sein normaler Zustand, er denkt nicht daran, daß es +anders sein könnte. Erlösung, Vergessen, alle Rauschseligkeiten des +Glücks gibt ihm diese heiße, verzehrende Arbeit. Sein Genius leuchtet +auf wie eine mächtige Flamme, aber Franz merkt<span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span> nicht, daß er der Kerze +gleicht, die an beiden Enden brennt.</p> + +<p>»Was ist mit mir?« sagt er eines Tages zu Schober. »Das Essen schmeckt +mir nicht, ich kann nachts nicht schlafen, die Töne hämmern mir im +Hirn, die Noten fliegen nur so zu, aber wenn ich nachts aufstehe, um +sie festzuhalten, sind sie entflohen, ausgelöscht, nicht zu fassen +.... Am Morgen ist mir dann der Schädel dumpf und schwer, ich ziehe an +der Arbeitslast, als wäre sie ein Wagen voll Pflastersteine, und muß +ziehen, ziehen, weil ich muß und nicht anders kann ....«</p> + +<p>»Du mußt dich schonen, Freund, du bist überarbeitet, lasse es sein auf +kurze Zeit, sammle deine Kräfte, und alles wird wieder flott gehen ...«</p> + +<p>Aber der hatte schön reden. Man brauchte Geld und mußte verdienen. Wenn +man statt hundert Gulden nur zwanzig bekommt und die hundert braucht, +muß man fünfmal mehr machen oder fünfmal so schnell arbeiten.</p> + +<p>Aber das ist es nicht allein.</p> + +<p>»Weißt du denn nicht, daß Arbeiten das Paradies und Nichtarbeiten die +Hölle für mich ist!« und jeden Tag kämpft er sich durch, aus der Hölle +in das Paradies empor, um wieder hoffnungslos in die Hölle seiner +Ohnmacht zurückzusinken. Aber die Sinfonie muß werden, mag auch ein +Stück Gesundheit darauf gehen, das bringt man alles wieder ein, nur +das Werk soll nicht erkalten, rein und volltönig muß es erklingen wie +eine Glocke, es gibt vorher keine Schonung, und nun alles daran, was +an Kraft aufzubieten ist! Ein Lebenslied, diese H-Moll-Sinfonie, sein +Höchstes und Tiefstes soll es umfassen ..</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span></p> + +<p>Und wieder jubeln die Geigen in die Höhe: g — d — g — fis — g +— a ..... um nach kräftigen, harten Akkorden wieder abzureißen. Er +schleppt sich hin, ist krank und weiß nicht, wie und wo. Die Schmerzen +sitzen bald da, bald dort, der Kopf ist müde, es ist, als ob die Kraft +plötzlich irgendwie einen Knick bekommen hätte.</p> + +<p>E — fis — g — h — ais ...</p> + +<p>Geigen, Violen und Fagotte brachen in ein herzzerreißendes Klagen aus, +die Bässe sinken hoffnungslos herab auf das tiefe C; wie einzelne +Lichtblicke brechen Teile des Gesangsthemas durch, um sogleich wieder +in dem düsteren Nachtgemälde zu ersterben, die Celli und Kontrabässe +wälzen dunkle Tonfluten herauf, c — c — c — gleich gewitterhaften +Wolkenmassen, schmetternde Blechakkorde fallen ein wie strahlende +Blitze, dazu ein helles Geigenmotiv, das empor will wie zu Anfang, um +gleich wieder nach hartem, erbittertem Kampf zusammenzubrechen .... Die +Erschöpfung ist eingetreten, noch ehe das sinfonische Gemälde, ein Bild +seines Lebens, vollendet ist.</p> + +<p>Franz ist zusammengebrochen. Die Nervenkraft ist erschöpft. Seltene +Träume suchen ihn heim. Er fühlt sich als Bruder vieler Brüder und +Schwestern, die Vergangenheit wogt daher in phantastischen Bildern, er +sieht die Leiche seiner Mutter, der Vater erscheint ihm, er hat Streit +mit ihm und entflieht; er wandert in ferne, unbekannte Gegenden, es ist +ihm, als ob Jahre in dem Traum vorübergingen, seine Lieder umtönen ihn, +die Liebe, die er gesungen, fühlt er als Schmerz, und der Schmerz, den +er singt, wandelt sich in Liebe. Ein Traumbild jagt das<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> andere. Sie +haften in seinem Gedächtnis, er schreibt sie nachträglich auf wie eine +allegorische Erzählung und schließt mit den Worten ».... und ich fühle +die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch +meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme +und weinte. Noch mehr aber ich.«</p> + +<p>Franz liegt im Spital, er hat alle Haare verloren. Als er nach Wochen +das Krankenhaus verläßt, präsentiert er sich seinen Freunden in einer +gemütlichen Perücke. Er kommt überdies nicht mit leeren Händen. Die +Krankheit war im gewissen Sinne eine Wohltäterin. Es war die Zeit der +Ruhe und des Kräftesammelns. Aber die Katz' kann das Mausen nicht +lassen, im Spitalbett hat er wieder zu komponieren angefangen. Kleine, +leichte Sachen zwar, ein paar Dutzend Deutsche, einer schöner als der +andere, galante, liebliche, bacchantische und fugierte — zum Entzücken +Schwinds, der alles getreulich an Schober berichtet, der noch immer in +der Welt herumirrt und es wieder mit der Schauspielerei hat. Er ist in +Breslau und möchte genau wissen, wie es Franz geht.</p> + +<p>»Er hat wieder seine Perücke abgelegt und zeigt einen lieblichen +Schneckerlanflug,« berichtet Schwind nach Breslau.</p> + +<p>Und später heißt es, Franz habe sich einer neuen Behandlung unterzogen, +und dann erst habe sich die Krankheit gebrochen. Aber er müsse mit sich +vorsichtig umgehen wie mit einem rohen Ei ... »— er lebt noch immer +einen Tag von Banaderln, den anderen von einem Schnitzel<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> und trinkt +schwelgerisch Tee, dazu geht er öfters baden und ist unmenschlich +fleißig ....«</p> + +<p>Unmenschlich fleißig, das ist er wohl. Er fühlt sich verjüngt und +will wieder losstürmen. Aber halt, so wie früher geht's doch nicht +mehr. Rasch tritt die Erschöpfung ein, der alte Zustand ist wieder da. +Schlaflose Nächte und ein Hirn, das fort und fort rattert wie eine +leere Maschine. Ein tüchtiges Glas Wein abends, ja, das hilft noch — +den Tee hat er über, etwas Bettschwere abends hilft ihm eher, heitere +Geselligkeit, die Freunde; wie in allen seinen Lebenskrisen sind sie +Trost und Rettung. An die Liebe wagt er jetzt kaum zu denken. Er +hofft auf später. Alles läßt sich noch einholen, alles Versäumte und +Verfehlte. Nur Zeit!</p> + +<p>Das Lebensbild in H-Moll liegt noch da, unvollendet.</p> + +<p>Rasch entschlossen tut er die unfertige Sinfonie in ein Kuvert und +schickt sie nach Graz als Geschenk an den Steiermärkischen Musikverein. +Er löst sein Wort ein und gibt ein Werk von erschütternder Gewalt hin +für einen nichtigen Wisch Papier.</p> + +<p>Anselm Hüttenbrenner als Musikdirektor empfängt es und verschließt es +in eine Schublade. Was für ein Dämon hat Freund Anselm behext? Das ist +ja gerade so, als wollte er den ergreifenden Aufschrei einer Seele +mit einem Bahrtuch ersticken?! Wenn Franz das wüßte ... Aber der ahnt +nichts und vertraut dem Freunde.</p> + +<p>Langsam will er hinaufklimmen zur Höhe seiner alten Kraft. Langsam, +langsam. Manchmal hat es ja den Anschein, als wäre er wieder ganz +oben, manchmal. Er schreibt schon lange an einem Oktett, es sprüht von +Lebenskraft,<span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span> gerät fast außer Rand und Band, wuchert über an Schönheit +und Wohllaut, etwas eigenwillig und barock in der Form, so recht +süddeutsch, so recht österreichisch, ein ganzer und echter Schubert. +Mit dem größten Eifer schreibt er daran; langsam, langsam geht es +vorwärts. Schwind kommt zu ihm, Franz schreibt und schreibt. Er sagt +nur, ohne aufzublicken: »Grüß dich Gott! Wie geht's?«</p> + +<p>»Gut!« — Jetzt kann aber Schwind lange warten, bis der andere wieder +einen Ton von sich gibt. Der schreibt und schreibt und läßt sich nicht +beirren. Der liebe Besuch, so lieb er ihm auch ist, er kann getrost +wieder gehen. Wenn Franz bei der Arbeit ist, gibt's keine Audienz.</p> + +<p>Aber dann kommen Tage, wo er sich wieder von der stolzen Höhe seiner +Kraft herabgeschleudert fühlt und wie zerschmettert am Boden liegt.</p> + +<p>Vielleicht wenn er aufs Land ginge, die Natur hat verborgene +Heilkräfte. Er fühlt etwas Sehnsucht nach Bergen, nach Waldluft. Er +möchte sich verkriechen wie ein verwundetes Tier in Einsamkeit. »In +Grün will ich mich kleiden ...«</p> + +<p>Ein Glück, daß ihn Vogl mitnimmt nach Steyr.</p> + +<p>Er fühlt das Leiden wie eine dunkle Nacht über sich, und er findet sich +bald ein Gleichnis dazu, dem er aus tiefster Herzensnot eine Stimme +geben kann. Ist es nicht, als ob ihm eine Krähe folgt, der sein Leib +bereits verfallen ist? Wenn er flieht, dann zieht sie ihm nach.</p> + +<p>»Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen, ist bis heute für und +für um mein Haupt geflogen. Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht +verlassen, meinst wohl,<span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span> bald als Beute hier meinen Leib zu fassen? +Nun, es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe. Krähe, laß mich +endlich sehn Treue bis zum Grabe!«</p> + +<p>Er lebt in Steyr bei Vogl in tiefster Einsamkeit, fast verborgen, und +kehrt nach einigen Wochen nach Wien zurück. Die Krähe, die ihm von der +Stadt aufs Land gefolgt war, begleitete ihn vom Land in die Stadt.</p> + +<p>Franz redet nicht gern über seinen Zustand; er schweigt und brütet +vor sich hin, wenn er gefragt wird. Anders ist es, wenn er mit einem +abwesenden Freunde brieflich eine Zwiesprache hält. Beim Schreiben +drängen die zurückgestauten Gefühle mit Macht hervor, und so kommt der +herzergreifende Brief zustande, den er an den Freund Kupel schreibt, +der nach Rom gegangen ist, um die Sehnsucht seines Herzens an der +Antike zu stillen. Als ob die Entfernung geeignet wäre, die Seelen +einander näherzubringen, so schüttet Franz in dem Brief an Kupel sein +Herz aus:</p> + +<p>».... mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten, +elendesten Menschen auf der Welt. Denk' dir einen Menschen, dessen +Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung +darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denk' dir +einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichts +geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten +als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden +droht, und frage dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch +ist? — Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer +und nimmermehr — so kann ich wohl jetzt alle Tage<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> singen, denn jede +Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen, +und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und +freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich +besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete +....«</p> + +<p>Sein Gemüt ist düster umwölkt — er trinkt den Leidenskelch auf seinem +Ölberg.</p> + +<p>Was wird aus diesem Leben — geht es wieder aufwärts, oder kommt es +ganz auf den Hund?</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="VIII">VIII.</h2> +</div> + + +<p>Johanna Lutz, die Feine, Liebliche, geht an dem Haus auf der +Stubenbastei vorbei, wo jetzt Franz wohnt. Sie hat von Schwind gehört, +daß er sich auf Anraten seines Arztes vierzehn Tage einschließen +und fasten will. Im Vorbeigehen schaut sie hinauf und ist zu Tod +erschrocken.</p> + +<p>»Mein Gott, da sind ja alle Fenster offen! Da muß etwas geschehen sein! +Das ist rein so, als ob jemand herausgestorben wäre!«</p> + +<p>Sie weiß, daß Franz nie ein Fenster öffnet. Solange er zu Hause ist, +bleibt alles bumfest zu, so luftscheu ist er.</p> + +<p>Sie traut sich gar nicht zur Hausmeisterin hinein, um zu fragen, was +denn geschehen ist.</p> + +<p>»Dumm von mir!« schilt sie sich, als sie zu Hause ist. Es läßt ihr +keine Ruhe. Eilends ein paar Zeilen an Schwind, er soll doch nachsehen, +was los ist. Es käme ihr alles so sonderbar vor.</p> + +<p>Am Nachmittag kommt Schwind zu ihr, bringt ihr einige neue Schubertsche +Lieder und Deutsche und die Nachricht dazu: »Ja, ja, Franz ist +ausgeflogen und wird sobald nicht wieder zu sehen sein. Darüber kann +ein halbes Jahr vergehen. Tief im Ungarland sitzt er — in Zelez!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span></p> + +<p>Die zarte Lutz atmet auf. »Gott sei Dank, mir ist ein Stein vom +Herzen!« Sie hat soviel mütterliche Sorge um die Freunde Kupels, +besonders um Franz, über den sie fleißig ihrem Verlobten nach Rom +berichtet, der im Café Greco sitzt und mit den Gedanken in der Heimat +weilt — er will genau wissen, was vorgeht; Franz macht ihm Sorge.</p> + +<p>Der Cherubim wettert und flucht über das saure Leben.</p> + +<p>»Der Kupel ist fort, der Schober flaniert in Breslau herum, und nun +hat auch Franz die Schnapsidee und ist zu den Schnauzbartlern gegangen +.... Himmel! Teufel! Da sitzt man mutterseelenallein — ohne Geld, ohne +Freund. Uff! Rein zum Verrecken! Die andern Freunderln? Hol' sie der +Kuckuck — einer ist pflichtig, der andere zweifelhaft, der dritte fad +und der ganze Haufen gar nichts! Franz, Franz, Schober, Kupel — warum +habt ihr mir das angetan? Wenn ich jetzt nicht Sie hätte, Johanna, und +die Netty Hönig, ach, die liebe Netty, wissen Sie — die Netty — ach, +ich kann Ihnen gar nicht sagen — wenn ich nicht wüßte, daß die Netty +— — Ich weiß oft gar nicht, bin ich es oder bin ich es nicht — o +Franz, Franz, Franz!«</p> + +<p>Er ist ganz komisch in seiner Mischung von Ärger und Liebe, +Verzweiflung und Seligkeit. Er greint und raunzt über Franz, aber er +meint es nicht bös damit, er hat ihm selbst zugeredet, den Antrag des +Grafen Esterhazy anzunehmen und wieder nach Zelez zu gehen.</p> + +<p>Franz hätte es vielleicht nicht mehr getan. Der erste Aufenthalt war +schon nicht sehr ersprießlich gewesen, es war damals eine kleine Zeit +des Stillstandes für ihn. Zwar<span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span> hat er ja manche liebe Erinnerungen +mitgenommen und bewahrt — zweimal dasselbe birgt die Gefahr der +Ernüchterung. Aber die Zeiten waren jetzt anders, er mußte leben wie +eine Pflanze, und der Stillstand war ihm ein Schutz. Er brauchte +ein Asyl, regelmäßiges, einfaches Leben unter einem gemessenen +sanften Zwang, vor allem keine Sorgen. Er fühlte sich innerlich als +Menschenruine; das Lebenshaus war halb eingesunken, der Regen fiel ihm +durchs Dach, die Türen und Fenster klapperten, die Dielen ächzten, der +Tod ging um, und draußen, ja draußen flog die Krähe um und um.</p> + +<p>Das Wankende mußte gestützt werden, Zeit und Ruhe waren nötig, die +Schäden auszuflicken, dafür war Zelez der rechte Ort. Ein Asyl, ein +Asyl!</p> + +<p>Der Bruder Ferdinand, Schulleiter in der Rossau, hat in der schweren +Zeit ein wachsames Auge auf Franz. Nun aber waren schon drei Wochen +vergangen, die Brüder hatten sich nicht gesehen. Franz kam doch sonst +alle Wochen einmal zu ihm hinaus, seit er nicht mehr im Schulhause +wohnte; er brachte den Nachmittag und Abend bei Ferdinand zu, und nach +dem gemeinsamen Essen ging er beizeiten heim, um noch vor Torschluß +sein Quartier auf der Stubenbastei zu erreichen. Allerdings, Franz +hatte eine Fastenkur vor, die vierzehn Tage dauern sollte; er wollte +einsiedlerisch leben und so wenig als möglich vor die Türe gehen. Nun +aber sind es drei Wochen her, das macht den Ferdinand unruhig. An einem +schulfreien Tag macht er sich auf, selbst einmal nachzusehen, was denn +auf der Stubenbastei los sei.</p> + +<p>»Seit acht Tagen ist er fort, nach Ungarn — wie heißt es<span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span> denn +gleich?« sagt die Hausmeisterin, die zugleich bei Franz Bedienerin ist. +»Zelez — ja, so hat's geheißen!«</p> + +<p>»Daß er mir gar nichts geschrieben hat!« verwundert sich Ferdinand.</p> + +<p>»Ja, es war halt ein bisserl geschwind!« erklärt die Hausmeisterin. +»Am Tage vorher hat er mir noch gesagt, daß er nach Ungarn gehen soll, +er hätte aber wenig Lust dazu; nun, und am anderen Tage war schon der +Reisewagen des Herrn Grafen vorm Haus.«</p> + +<p>Es ging dem Bruder Ferdinand so wie den andern Freunden; die Stadt war +mit einemmal leer und stumm für sie, seit Franz dahin war.</p> + +<p>Mit stiller Trauer bog Ferdinand in die Wollzeile ein, dann in die +nahe Schulerstraße, die weniger lärmend war, und blieb vor dem Gasthof +»König von Ungarn« stehen. Es war knapp vor Zwölf, also beschloß er, +hier zu Mittag zu essen. Im Hof drin war es schön zu sitzen unter +den Efeuwänden und den Oleanderbäumen. Er zerschnitt ein saftiges +Stück Rindfleisch, tunkte es in Semmelkrenn, die Küche war gut, es +waren nur wenige Gäste da, und in dem schönen Hofraum herrschte eine +patrizierhafte Ruhe und Ordnung. Die Mittagsglocken von dem nahen St. +Stephan tönten herüber in hallenden, zitternden Wellenkreisen, es war +schön anzuhören, aber Ferdinand war in Gedanken bei seinem Rindfleisch +und zugleich bei Franz, und die Stadt hatte schier keinen Klang mehr, +weil dieser Genius fort war. Die Glocken schwiegen; in der momentanen +Stille fiel es Ferdinand auf, daß feierlich geläutet worden war. Er +sah auf, in dem dreieckigen Giebel des weißgetünchten Hofes war eine<span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span> +Uhr zu sehen, die eben jetzt die Mittagsstunde anschlug. Sie begann +zu schlagen, und als die zwölf Schläge vorüber waren, spielte sie mit +einer feinen, metallenen Stimme ein Musikstück. Einen Walzer.</p> + +<p>»O Gott! Was ist denn das? Das ist ja — ein Walzer von Franz? Ein +Schubertscher Walzer!« Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, dem +Ferdinand — unwillkürlich stürzten Tränen aus seinen Augen und fielen +salzig auf den Teller vor ihm.</p> + +<p>Es war ja gerade so, als ob Franz ihn riefe mit Geisterstimme, die dort +oben in der Uhr aufklang!</p> + +<p>Das Uhrwerk schwieg, Ferdinand saß noch eine Weile da, ganz ergriffen +und wehmutsvoll, dann ging er eilends heim, er mußte schreiben, sofort +nach Zelez schreiben, was ihm begegnet war.</p> + +<p>Aber die Scheu, sein Innerstes vor dem Bruder zu zeigen, läßt es nicht +zu, den Satz zu vollenden; er deutet mit halben Worten an, was er sagen +will. Brüder sind oft so zueinander, bei aller Liebe und Freundschaft.</p> + +<p>Franz hat in Zelez sein altes Zimmer bezogen; er sieht durch das +grünumlaubte Fenster hinaus auf den Ententeich und auf die Straße +jenseits der Linden, wo die Post vorüberfährt. Er hört das Horn in der +Ferne erklingen — »was hat es, daß es so hoch aufspringt, mein Herz?«</p> + +<p>Alles scheint unverändert wie vor so vielen Jahren, dieselben Leute +sind noch da, dieselben Gewohnheiten, dieselbe Tageseinteilung, nur +statt Rosa, die nicht Nein sagen konnte, bedient ihn eine alte Magd, +die mürrisch und halb taub ist. Um so besser — so gibt es keinen<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> +Plausch, kein Augenverdrehen, nichts — er ist nicht aufgelegt zu +solchen Dingen. Der Kammerdiener behandelt ihn mit wohlwollender +Herablassung als guten Bekannten, und im Inspektorflügel ist er ein +gern gesehener Gast.</p> + +<p>Im Herrenhaus ist regeres Leben als früher, in einem fort gibt's +Besuch, Kavaliere und Damen, zu Pferd und zu Wagen, Ausflüge und Jagden +werden veranstaltet, sonst aber geht die einfache Lebensweise fort. +Die beiden Komtessen Marie und Karoline sind stattlich herangeblüht, +aber sie sind noch immer so schlicht und herzgewinnend wie früher, +besonders die Karoline. Freilich, mit dem kindischen Herumtollen, Arm +in Arm mit Franz, mit dem großen Übermut und Glück der ersten Jugend +ist es vorbei. Wenn sie es nicht selbst gesagt hätte, Franz wußte es +gleich am ersten Tage durch den mitteilungsbedürftigen Kammerdiener, +daß der schlanke, dunkeläugige Kavalier, Graf Folliot von Creeneville, +Karolinens Verlobter ist, und daß der junge Graf Breuner, das blonde, +schmächtige Gegenstück zu Folliot, für die dunkeläugige Komtesse +Marie ausersehen ist, die sich zu einer recht kapriziösen Schönheit +herausgemaust hat.</p> + +<p>Franz ist ganz steif vor Verlegenheit und Verwirrung, als er sich +der Komtesse Karoline wieder gegenübersieht, aber ihre anmutige +Unbefangenheit hilft ihm, daß er sich nach und nach wieder erfängt. Im +Herbst ist Hochzeit, und Karoline freut sich, daß Franz hier ist; er +muß es ihr versprechen, bei der Tafel zu sein, sie möchte ihn in ihrer +Nähe wissen.</p> + +<p>Er zappelt von einem Bein aufs andere und stammelt so<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> eine Art +Glückwunsch daher. Natürlich fängt er es dabei wieder drollig +ungeschickt an: »Jessas, Komtesse, wie mich das freut — nun, ich +gratuliere herzlich dazu; der Herr Graf, ein so feiner Kavalier — +aber daß ich bei der Tafel bin, das wird doch nicht recht gehen — ich +schau' ja gar nichts gleich!«</p> + +<p>Neben dem eleganten Edelmann schaut er freilich gar nichts gleich, ein +ziemlich ruppiges Singerlein, aber die Komtesse hat ein unbändiges +Vergnügen an seiner drolligen Unbeholfenheit, und die frühere +Herzlichkeit ist im Nu wieder hergestellt.</p> + +<p>Daß ihn die Verlobung Karolinens gar so freut, das war doch ein +bißchen dick aufgetragen; er hat einen verwunderten Blick Karolinens +aufgefangen — ob sie es wohl nicht übelnimmt? Es war das einzige +Zeichen, daß die Liebesstunde nicht vergessen ist, ein kleines +Geheimnis, von Vertrauen und Freundschaft behütet.</p> + +<p>Mit den beiden jungen Edelleuten weiß sich Franz so gut wie nichts +anzufangen. Die reden meistenteils von Jagen und Reiten und Pferden +und Hunden; davon versteht er nichts; und von der Musik verstehen die +anderen nichts.</p> + +<p>Unter den Dauergästen befindet sich auch Karl von Schönstein, der +einzige, der mit der Schubertschen Musik wirklich vertraut ist und bei +der Schicksalsfügung, die Franz wieder nach Zelez gebracht hat, den +Drahtzieher gespielt hat; er ist mit dem väterlichen Grafen Esterhazy +intim befreundet, die beiden unterhalten sich gern auf eigene Faust; +um was es dabei geht, hat Franz an dem zufällig aufgeschnappten Wort +erkannt, als der eine von den beiden von seiner herzigen Rozier sprach, +die Franz dem<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> Namen nach kannte — eine vom Ballett; die unter +Geflüster und Gelächter geführte Unterhaltung war also nichts für +fremde Ohren.</p> + +<p>Zuweilen kamen Zigeuner und spielten unter der Linde; Franz saß in +seinem Zimmer, rauchte sein Meerschaumpfeiflein, dachte vergangener +Zeiten und vergaß in diesem wehmütigen Glück die Gegenwart. Oder er +komponierte, er hatte Zeit und Ruhe; oft vergingen Tage, ohne daß man +ihn begehrte, es sei denn, daß Schönstein singen wollte, oder die +Komtesse Karoline eine vierhändige Übung versuchte, aber auch dies nur +selten, oder daß er eine seiner Sachen vorspielte, für die indessen +außer den beiden Komtessen und Schönstein kaum jemand im Herrenhaus ein +besonderes Verständnis aufbrachte.</p> + +<p>Verträumt, verraucht, vergeigt, so fließen die Tage gleichförmig hin, +einer wie der andere.</p> + +<p>Nur wenn die Post vorüberfährt, springt das Herz auf.</p> + +<p>Der Vater hat geschrieben, er gibt ihm gute Lehren. Er ist ja +Jugendlehrer, der immer gern moralisiert, aber aus dem Tadler ist ein +Tröster geworden. »Wir dürfen, ja wir wollen sogar die unschuldigen +Lebensfreuden froh und mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig genießen,« +ermuntert er den Franz, »wir müssen aber auch in trüben Umständen den +Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat Gottes und +führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten Ziel. Wo ist auch +ein großer Mann in der Geschichte zu finden, der nicht durch Leiden und +standhaftes Ausharren den Triumph errungen hätte. Darum möchte ich auch +jene, die ich vorzüglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span></p> + +<p>Daß er soviel Liebe in ein paar Briefseiten legen kann, mehr als man +je im Leben aus seinem Munde erfahren hat, das hätte man doch nicht +erwartet. Dem Franz gehen fast die Augen über vor Rührung.</p> + +<p>Und nun gar der Bruder Ferdinand mit seinen Tränen, als er beim »König +von Ungarn« Schuberts Walzer in der Uhr spielen hörte, und sich fast +schämt, es hineinzuschreiben, daß ihm richtige Tränen entrollt waren +beim Rindfleisch mit Semmelkrenn .....</p> + +<p>»Warum getraust du dich nicht, mir das zu schreiben?« erwidert Franz in +seinem Brief.</p> + +<p>»Es werden die Tränen gewesen sein, die ich so oft geweint habe, und +die in meinen Liedern und Walzern klingen, darum ist es so über dich +gekommen, als du beim »König von Ungarn« die kleine lustige Sache von +mir in der Uhr spielen hörtest .... oder kamen dir alle die Tränen, die +du mich schon weinen sahst, ins Gedächtnis? ... Damit dich diese Zeilen +nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht +heiteren Gemüts, so beeile ich mich, dich des Gegenteils zu versichern. +Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder +Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes +fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine +Phantasie (Gott sei es gedankt!) soviel als möglich zu verschönern +suche ..«</p> + +<p>Er schreibt sich alles von der Seele herunter, in Briefen und in Musik, +und wenn die miserable Wirklichkeit Macht gewinnt, zündet er sein +Pfeiflein an und sieht in den blauen Wölkchen die Menschen und Dinge +neuerdings von jugendlicher Glorie umgeben. Dann steht die Sehnsucht<span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span> +auf, er muß seiner Bedrängnis Luft machen, nochmals Papier und Feder +her, niemals fühlt er die Freunde so nahe als jetzt, da er mit ihnen +von Seele zu Seele redet.</p> + +<p>»Wären wir nur beisammen, du, Schwind, Kupel und ich,« schreibt er +dem Schober, »dann sollte mir jedes Mißgeschick nur leichte Ware +sein, so aber sind wir getrennt, jeder in einem anderen Winkel, und +das ist eigentlich mein Unglück. Ich möchte mit Goethe ausrufen: Wer +bringt mir eine Stunde jener goldenen Zeit zurück! Jener Zeit, wo wir +traulich beieinander saßen und jeder seine Kunstkinder den andern mit +mütterlicher Scheu aufdeckte, das Urteil, welches Liebe und Wahrheit +aussprechen würden, nicht ohne einige Sorgen erwartend; jener Zeit, wo +einer den anderen begeisterte und so ein vereintes Bestreben nach dem +Schönsten alle beseelte. Nun sitz' ich allein hier im tiefen Ungarland, +in das ich mich leider zum zweiten Male locken ließ, ohne auch nur +einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheites Wort reden könnte +...«</p> + +<p>Und dem lieben Schwind gelten folgende Worte: »... ich würde mich hier +recht wohl befinden, hätte ich dich, Schober und Kupelwieser bei mir, +so aber verspüre ich, trotz des bewußten anziehenden Sternes, manchmal +eine verfluchte Sehnsucht nach Wien ....«</p> + +<p>Vielleicht ist es ein Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit, daß er +sich heftig fort sehnt. Oder ist es der anziehende bewußte Stern, +der still und klar über seinen Träumen steht und nun zitternd zu +entschwinden droht?</p> + +<p>Eine heftige Unruhe ergreift ihn — die Hochzeitsvorbereitungen<span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span> nehmen +im Herrenhaus ein schnelles Tempo an.</p> + +<p>»Ich alter Esel,« schlägt er sich vor die Stirn, »was kümmert's mich?«</p> + +<p>Der Herbst ist schön wie damals, das stimmt traurig.</p> + +<p>Morgen ist Polterabend, da muß Franz spielen, Schönstein singt und dann +wird getanzt. Und übermorgen?</p> + +<p>»Aber Sie versprechen mir, bei der Tafel zu sein?!« drängt Karoline.</p> + +<p>»Ich möchte schon jetzt alles Glück und Wohlergehen fürs Leben +wünschen, aber ich bitt' tausendmal um Verzeihung — nicht wahr, bei +der Tafel muß ich nicht sein?! Ich pass' ja gar nicht hin — ich wüßt' +nicht einmal, was ich reden sollt'! Die hohen Herrschaften — ja +wirklich, da bin ich immer ganz dumm im Kopf!«</p> + +<p>Also nein, um keinen Preis wäre er dazu zu bringen.</p> + +<p>Karoline gibt ihm die Hand. Er beugt sich nieder, die Hand zu küssen.</p> + +<p>»Bleiben wir gute Kameraden!« sagt sie, und ihre Stimme zittert leicht; +sie will noch etwas sagen, aber sie hält inne und drückt und schüttelt +seine Hand wie ein richtiger lieber Kamerad, der von dannen geht. +Franz rennt weg, um nicht aufzuheulen. Es waren die letzten Worte mit +Komtesse Karoline. Ein Abschied für immer.</p> + +<p>Am Hochzeitstag geht er nicht aus seiner Kammer. Während sie +drüben tafeln im Herrenhaus, sitzt er hinten und hat seine eigene, +schmerzlich-selige Feier für sich. Er zündet seine Pfeife an, der +Opferrauch steigt, der anziehende bewußte Stern tritt aus dem +bläulichen Gewölk hervor, die schlanke Komtesse Karoline, wie sie im +herbstlichen<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> Park vor so und so vielen Jahren ihre edel geformten Arme +um seinen Hals geworfen hat .... er pafft und pafft, das zarte Bild +entschwindet — in den dicken Nebeln, die ihm Herz und Hirn umwallen, +steht eine andere Erscheinung auf und erfüllt ihn mit brennender +Sehnsucht: Melusine ....</p> + +<p>Er wischt sich über die Wangen, sie sind trocken, und trocken ist sein +Auge. In seiner Brust tönt ein weher Klang, er weiß es nicht, daß seine +Tränen nach innen fallen. Aber drinnen sind sie, in seinen Liedern und +Gesängen, und die Verse, die er sucht und vertont, die kommen ihm nicht +von ungefähr zu; sie sind wie Spiegel, darinnen er seine eigenen Züge +erblickt.</p> + +<p>»Gefrorene Tropfen fallen von meinen Wangen ab; ob es mir denn +entgangen, daß ich geweinet hab'? Ei, Tränen, meine Tränen, und seid +ihr gar so lau, daß ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgentau, und +dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr +zerschmelzen des ganzen Winters Eis ....«</p> + +<p>Aber das Eis zerschmilzt nicht, es bleibt alles hübsch drinnen in der +Brust und in den Gesängen, und nicht jeder spürt's, wie es Bruder +Ferdinand einmal, nur einmal gespürt hat, als der Walzer aus der Uhr +hervortanzte und plötzlich Tränen niederfielen.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a — —</p> + +<p>Das Lebenslied klingt so heiter, aber wißt ihr denn, was dahinter steht?</p> + +<p>E — fis — g — h — ais — —</p> + +<p>In Graz liegt's versperrt in einer Schublade, unvollendet — aber +in Franz klingt es weiter, immer klingt es von<span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span> neuem auf, immer +wieder ein Anfang, ein heiter-tröstlicher Aufblick; immer wieder ein +hervorquellender Schmerz, ein Zusammenbrechen .... Franz schaut so +phlegmatisch drein wie ein wurstiger Gesell; ihm merkt man nichts an.</p> + +<p>Schönstein ist wütend auf ihn bei der Heimreise.</p> + +<p>»Dieser Schubert mit seinem Phlegma!« Hat er das Wagenfenster am +Rückteil eingeschlagen, daß der kalte Ostwind hereinfährt und die +herzige Rozier, die dem Schönstein entgegengereist war, beinahe einen +Schnupfen gekriegt hätte!</p> + +<p>Die Rückkehr nach Wien ist allemal ein Seelenfest für Franz und die +Freunde. Johanna Lutz, die Mütterliche, hat ihre helle Freude an ihm, +weil er so gut aussieht.</p> + +<p>»Schubert scheint gesund und ist himmlisch leichtsinnig ....« schreibt +sie ihrem Erwählten nach Rom.</p> + +<p>»Daß Kupel noch immer nicht da ist!« klagt Franz. »Und Schober, der +schönste Mann Wiens, der Abgott aller Weibsen! Was tut der in Breslau +so lange?«</p> + +<p>»Den Kasperl spielt er, es ist seine Glanzrolle!« gibt Schwind trocken +zurück. »Ist das nicht ein tiefer Fall von der Höhe seiner Pläne und +Erwartungen?«</p> + +<p>»Er hält die Welt zum besten, die einzig mögliche Art, mit ihr zu +verkehren ....« Das ist die Meinung Schuberts.</p> + +<p>Sie lassen den lieben fernen Freund hoch leben. Die Gläser klingen +zusammen, man ist wie ausgehungert auf heitere Geselligkeit, wenn man +nach Wien zurückkommt und hat soviel einzuholen. In Zelez hat man +sich kasteit, jetzt darf man das Rädchen wieder ein bißchen laufen<span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span> +lassen. Wein, Punsch, Kaffee, Tabak, die unsterblichen Güter der Heimat +— die sind doch für die Seele da und nicht für den Leib, und Franz +ist immer mehr für die Seele gewesen. Also lebt man wieder himmlisch +leichtsinnig. Oder tut wenigstens so. Dieser Franz mit seinem Phlegma, +wer kennt sich denn aus bei ihm?</p> + +<p>»Wo nur der Mayrhofer steckt?« Beim Wein, der die Zungen und Herzen +löst, kommt es zur Sprache.</p> + +<p>»Die Freundschaft mit ihm ist Absterbens, Amen!« erklärt Franz auf die +Frage Schwinds.</p> + +<p>»Eifern tut er, euretwegen. Er glaubt, es wird ihm was genommen, weil +wir, du, Schober, ich und Spaun so gut harmonieren. Er will der einzige +und ausschließliche Freund sein, die anderen will er kaltgestellt +wissen. Und weil ich dafür nicht zu haben bin, ist er unverträglich +geworden. Schad' um ihn, er war mir ein lieber Freund ....«</p> + +<p>Hin ist hin. So mancher, der im Laufe der Jahre nicht mithalten konnte, +ist abgefallen, sang- und klanglos wie der Holzapfl, aber keiner +so beklagt wie der gemütstiefe Mayrhofer, der sich grollend in die +Einsamkeit zurückzieht. Sein Verstummen schmerzt Franz, vielleicht +bedarf es nur des erlösenden Wortes, um ein neues, besseres Verstehen +anzubahnen. Aber jeder schweigt. Es ist auch manchmal so unter denen, +die sich lieben und verstehen sollten.</p> + +<p>Ein anderer ist dafür gewonnen, der die Freundschaft mit Schubert ernst +und heiß nimmt. Der junge Eduard von Bauernfeld. Er ist Dichter und +nebenher Beamter, ein Sprudelkopf, der tausend Ideen hat, unzufrieden +ist, über die Politik schimpft, und bei all diesen Vorzügen nur<span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span> +einen kleinen Mangel hat, nämlich kein Geld. Er besitzt also alle +Eigenschaften, die notwendig sind, um in den Freundeskreis eintreten zu +können. Vor allem ist er ein »Kanevas«. Jahrelang ist er auf Schuberts +Spuren, endlich gelingt es ihm, die nähere Bekanntschaft zu machen. +Schwind ist der Vermittler.</p> + +<p>Franz wohnt jetzt in Schwindien, er hat ein hübsches Zimmer gleich +im Haus nebenan, wo das Wirtshaus ist. Sie stecken ja sowieso immer +beisammen, er und der Cherubim, der einzige Vertraute, den er jetzt in +Wien hat; also ergibt sich das von selbst, daß sie so nahe beieinander +wohnen.</p> + +<p>Abends rückt ihm Schwind mit Bauernfeld auf die Bude. Der neue +Bundesgenosse hat einige wenige Sachen mitgebracht, Tagebücher, +Entwürfe, Dichtungen. Es wird vorgelesen. Zuerst Stellen aus +dem Tagebuch. Bauernfeld hat seit Jahren alle seine Eindrücke +aufgezeichnet. Die stärksten heißen Schubert. Franz kann es jetzt +hören, was Bauernfeld schon vor Jahren schrieb, »Kärntnertortheater, +Goethes ›Laune des Verliebten‹ machte kein Glück, das Beste ein +Quartett von Schubert. Ein herrlicher Mensch! Den muß ich kennen +lernen.«</p> + +<p>So lange hat es gebraucht, bis sich die Wohlgesinnten wirklich finden. +Jetzt aber muß der Bund besiegelt werden, man will Bruderschaft +trinken. Dazu gehört natürlich edles Getränk. Franz kehrt die Taschen +um und um, kein luckerter Zweier fällt heraus, Schwind unterzieht seine +Taschen ebenfalls einer vergeblichen Brandschatzung, das gleiche tut +Bauernfeld, sie bringen beim besten Willen das Nötige nicht zusammen. +Schuldig bleiben!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span></p> + +<p>»Leicht gesagt, mein Lieber, aber der Wirt hat schon die Kreide +verschrieben!«</p> + +<p>»Verdient es denn diese infame Welt, so ausgezeichnete Kerle zu +besitzen, wie wir drei sind?« haut Bauernfeld auf.</p> + +<p>»Gemach, lieber Freund!« gebietet Franz und öffnet ein Fach im Schrank. +Hier liegen noch ein paar Stückel Zucker vom Frühstückskaffee. Am Tisch +steht eine Flasche Wasser, davon schenkt er drei Gläser voll.</p> + +<p>»Warum soll die Freundschaft nicht das Wunder vollbringen und Wasser +in Wein verwandeln?« Dann tut er in jedes Glas ein Stück Zucker, jeder +rührt mit einem Löffel um und um und dann stoßen sie mit den Gläsern an +und trinken Bruderschaft mit Zuckerwasser. Das Feuer der Begeisterung +bringen sie aus Eigenem auf, das Zuckerwasser in Schwindien schmeckt +besser als der Tokaier in Zelez.</p> + +<p>»Laßt Rauch aufsteigen! Die Freundschaft verlangt ein Brandopfer!« +gebietet der Cherubim mit priesterlicher Würde und schmeißt seinen +Tabaksbeutel hin: »Hier ist der Goldstaub.« Neue Verlegenheit. Eine +dritte Pfeife fehlt.</p> + +<p>»Was liegt denn dort?« Der spähende Schwind hat ein passendes Ding +entdeckt.</p> + +<p>»Du, sei so gut — mein Augengläserfutteral!«</p> + +<p>»Das hat uns ein Gott gesandt!« erwidert Schwind und hat im +Handumdrehen eine Pfeife daraus fabriziert. Franz muß es geschehen +lassen. Der Rauch steigt auf, ein wenig brenzlig zwar, aber der Himmel +ist dem Opfer gnädig, es ist keinem schlecht geworden dabei. Bei +Zuckerwasser<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> und Tabaksqualm wird gelesen bis in die Nacht. Ein Drama +ist es, das Bauernfeld zu Gehör bringt.</p> + +<p>»Du wärst mir der Rechte für eine neue Oper!« erklärt Franz. Der Löwe +hat wieder Blut geleckt. Er denkt an die »bezauberte Rose«. Bauernfeld +soll ihm das Gedicht dramatisieren. Aber dem geht ein »Graf von +Gleichen« durch den Kopf — Janitscharen und Rittertum, romantische +Minne und Gattenliebe, ein türkisch christliches Brouillon.</p> + +<p>»Uj jegerl,« schreit Schwind auf, »wenn's nur nicht ein zweiter Fall +›Alfonso und Estrella‹ wird!«</p> + +<p>»Laß gut sein!« wehrt Schubert den besorgten Schwind ab. Und nun geht's +an ein Entwerfen und Planen die ganze Nacht lang. Und als die liebe +Sonne am anderen Morgen warm ins Zimmer scheint, findet sie die drei +Kunstzigeuner im tiefen Schlaf, der eine im Bett, der andere auf dem +Kanapee, der dritte auf ein paar zusammengeschobenen Stühlen — der +Traum von Kunst, Ruhm und Liebe geht weiter.</p> + +<p>So läßt sich alles gut an bei seiner Rückkehr. Kann man denn irgendwo +glücklicher sein als hier zu Haus? Wenn Franz, als er in Zelez war, +an Wien dachte, ging es glühendheiß in seinem Herzen auf. Die Stadt +verdichtete sich zu einem Frauenbild, und das Frauenbild, darin er Wien +sah, hatte die Züge der Melusine, ihre Augen, ihr Lächeln .... O Liebe, +Liebe! War es die Sehnsucht nach Wien, oder war es die Sehnsucht nach +Melusine, die ihn trieb? Es war beides in einem. Und er war so kühn in +der Ferne, wenn er an die Geliebte dachte, und war so zaghaft, wenn er +sie sah, die Liebliche, Hohe, Feine ....</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p> + +<p>Die Zeit verschärfte seine Sehnsucht, es ist schon so lange her, daß er +Melusine nicht mehr gesehen, er hatte sich geschämt, weil er durch die +Krankheit so heruntergekommen ausgesehen hatte — aber jetzt war er, +Gott sei es gedankt, so leidlich wieder in Ordnung, er brauchte sich +nicht mehr zu verstecken. Nur schade, schade, daß es gerade bei den +Hönigs war, wo man Therese begegnen konnte. Sie verkehrte jetzt viel in +diesem Haus.</p> + +<p>»Ich kann mir nicht helfen, aber der junge Hönig gehört zu den wenigen +Menschen, gegen die ich von vornherein eine instinktive Abneigung habe; +er hat mir nichts getan, im Gegenteil, er behandelt mich so vorsichtig +und apart, wie ein dreckiges Hölzl, immer nur mit Handschuhen, aber es +ist etwas an ihm, das mir gegen den Strich geht, ohne daß ich recht +weiß was!« erklärt sich Franz dem Schwind, als sie unterwegs sind zu +den Hönigs.</p> + +<p>»Hm — und die Netty?« wirft Schwind lauernd ein.</p> + +<p>»Ach, die ist ja ein ganz lieber Kerl!« meint Franz so oben hin.</p> + +<p>Schwind leuchtet auf. »Nicht wahr? Ach, die, sie ist ein herziger +Schatz! Die und keine andere! Du mußt wissen: treu wie Gold!«</p> + +<p>Franz pfeift leise vor sich hin, ein Lied, das er irgendwo gesungen; +er weiß gar nicht mehr, daß es von ihm selber ist. Wo war es nur, daß +es ihm zuerst in den Sinn kam? War es nicht in Atzenbrugg? »Er hätt' +es eher bemerken sollen, des Hauses aufgestecktes Schild, so hätt' er +nimmer suchen wollen im Haus ein treues Frauenbild ...«</p> + +<p>»Ja, ja, in Atzenbrugg!« Schwind bestätigt es. Dort war es zum +erstenmal gesungen worden.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span></p> + +<p>Mit leisem Bangen treten sie bei den Hönigs ein. Man hat immer ein +leises Bangen, wenn man in der Liebsten Haus eintritt. Aber es ist +noch etwas anderes dabei. Eine brennende Unruhe, ein böser Argwohn. +Die Netty ist ein lieber Kerl, das ist wahr, aber sie ist zu sehr +verzuckert, es ist nicht alles echt — und treu wie Gold, das ist schon +ganz und gar ein Unsinn, denn weniger treu als Gold kann auf Erden kaum +etwas sein.</p> + +<p>Sie ist so zuckersüß, die Netty, aber in ihrem Gesicht sitzen lauter +Spotteufeln drin.</p> + +<p>Franz sieht sich rasch um, Therese ist nicht da. Seine Unruhe steigert +sich, er kann sich schließlich nicht enthalten zu fragen.</p> + +<p>»Ja,« lautet etwas gedehnt die Antwort aus Nettys Mund, »wahrscheinlich +hat sie keine Zeit — vielleicht auch keine Lust.«</p> + +<p>Das hat es neulich auch schon geheißen und jedesmal, wenn Franz +gekommen ist. Er bemerkt, wie Netty mit dem Bruder einen raschen Blick +wechselt und beide eine höhnische Miene aufsetzen. Franz wird stumm, +sein Gemüt verdüstert sich. Die Lustigkeit um ihn herum wird lauter, +er versinkt immer tiefer in Trauer. In Gedanken ist er weit, weit weg, +er hört die Wetterfahne auf dem Dach, der rostige Stab dreht sich um +und um und quietscht auf in der eigenen Brust, als ob er tief drin im +Herzen steckte. Der Schicksalswind hat wieder umgeschlagen und spielt +drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut.</p> + +<p>»Was fragen sie nach meinen Schmerzen ....«</p> + +<p>Unbändiges Gelächter ist um ihn herum. Cherubim wird<span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span> hereingeführt in +Weiberkleidern, die er auf Nettys Geheiß anziehen mußte.</p> + +<p>»Hier ist Kolombine,« sagte sie zu Franz, »ich gratuliere Ihnen zu +dieser lieblichen Braut. Jetzt müssen Sie aber fein artig sein und brav +den Wurstel weiter spielen.«</p> + +<p>»Wurstel? Bin ich ein Wurstel?!«</p> + +<p>Er sagt es mit einer solchen tragischen Bitterkeit, daß das Gelächter +mit vermehrter Heftigkeit hervorbricht. Schwind, von Netty am +Narrenseil geführt, spielt die Rolle weiter. Mit verstellter Stimme +beteuert er als Kolombine seine Liebe zu dem Wurstel und will ihm um +den Hals fallen. Er merkt es nicht, daß dem Franz der ungehörige Spaß +über die Hutschnur geht.</p> + +<p>Die Komödie ist voll böser Anspielungen, Franz spürt es und steht +bleich und ernst unter den Lachenden da. Mit einem Ruck schleudert er +den nichts ahnenden Cherubim von sich, rafft seine Noten zusammen und +geht schweigend aus dem Zimmer.</p> + +<p>Das Gelächter erstarrt, alle sehen sich verlegen an.</p> + +<p>»Es war doch nur ein ganz unschuldiger Scherz ...« beteuert Netty etwas +beschämt.</p> + +<p>»Natürlich, nur ein unschuldiger Scherz!« bestätigt Schwind und eilt +dem Freunde nach. »Franz, ein unschuldiger Scherz — geh', komm', sei +nicht kindisch ...«</p> + +<p>Franz stürmt hinaus und fort.</p> + +<p>Unverrichteter Sache kehrt Schwind in das Gesellschaftszimmer zurück, +er hat noch immer die Weiberkleider an. Jetzt ist aber allen das Lachen +vergangen. Die Netty<span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span> hat ein böses Gewissen: »Versteht er denn so +wenig Spaß?« Schwind zuckt die Achseln: »Man kennt sich nicht aus mit +ihm!«</p> + +<p>Zum ersten Male, daß eine Verstimmung zwischen den engsten Freunden +eingetreten ist. Mit den Hönigs ist er jetzt fertig, Franz. Schwind, +der Netty verteidigt, mag jetzt sagen, was er will. Franz ist kein +Freund von derben Späßen; sein zur Schau getragenes Phlegma täuscht +viele Menschen. Sie halten ihn für einen Dickhäuter. Aber dabei hat +sich Netty verrechnet. War nicht die äußerlich zur Schau getragene +Rauheit und Wurstigkeit ein bloßer Schutzmantel für die allzu +empfindliche Seele? Das Heiligste seines Herzens verträgt keinen Hohn, +nicht einmal leisen Spott, wenn er auch sonst für Humor und gute Laune +Sinn hat. Hier ist eine Grenze gezogen, er duldet nicht, daß sie jemand +verletze. Das demütige Meisterlein kann Unglück und Verkennung duldend +hinnehmen, er bleibt gleichmütig gegen die Schläge des Schicksals, sie +nennen ihn darum einen Phlegmatiker; aber wehe, wer vermessen genug +ist, die Seele herunterzuziehen! Ein gerechter edler Stolz flammt +empört auf — man ahnt nicht, welche Hoheitsgefühle in dem bescheidenen +Mann wohnen; bei aller Demut, er weiß, wer er ist.</p> + +<p>Schwind, der so tief in die Brust des Freundes blickt, hätte es wissen +müssen — er weiß es wohl und leidet an dem Unrecht, zugleich ist aber +auch der Trotz über ihn gekommen, die Liebe hat ihn geschlagen, und er +vergißt darüber fast den Freund. Jetzt ist das Schmollen an den beiden +— die Verstimmung ist da, sie dauert fort, weil<span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span> sich jeder scheut, +das Vorgefallene noch einmal zu berühren und reinen Tisch zu machen.</p> + +<p>Franz ist entschlossen, sein Dasein auf eine gesicherte Basis zu +bringen — er will sein Recht auf Glück in diesem Leben geltend machen. +Er geht direkt aufs Ziel los.</p> + +<p>Salieri ist in Pension gegangen. Es werden zwei Stellen frei, die eines +Vize-Hofkapellmeisters und die eines Opernkapellmeisters. Franz bewirbt +sich um die eine wie um die andere. Jetzt können ihm die Zeugnisse und +Anerkennungen von Graf Dietrichstein und anderer Machthaber den rechten +Dienst erweisen. Er richtet sein Gesuch direkt an den Kaiser. Was aber +die stärkste Wirkung tun wird, ist der ausdrückliche Nachweis, daß er +bei Hofkapellmeister Antonio Salieri das Komponieren gelernt hat.</p> + +<p>Das Gefühl der Beschämung beschleicht ihn einen Augenblick lang, daß +er, dessen geniale Meisterschaft in der Welt feststeht, sich auf +läppische Schulzeugnisse berufen muß. Aber die Formalität verlangt es. +Hat er es denn wirklich von Salieri gelernt? Er hätte besser sagen +müssen, daß er es vom lieben Gott gelernt hat! Das müßte man wissen! +Wie aber, wenn die Welt der Formalitäten auf Antonio Salieri ein +größeres Gewicht legt als auf den lieben Gott selber? Dann konnte von +Salieris Gnaden jeder Erstbeste, der kräftigere Protektion besaß, den +Vorrang gewinnen ....</p> + +<p>Nun aber, man muß nicht gleich das Schlimmste denken, vom inneren Beruf +aus war Franz der Erste, daran konnte niemand mehr zweifeln, also +hatte man eine schöne und berechtigte Hoffnung. Als wohlbestallter +Hofkapellmeister<span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span> brauchte man sich nicht mehr zu scheuen — und +das Glück, das einst auf dem Kalbelwagen märchenhaft in seine Gasse +gefahren kam, konnte man dann ohne Umstände ergreifen und festhalten. +Melusine hieß das Glück, und der Kalbelwagen konnte dann ein richtiger +Brautwagen sein, in dem sie beide zur Kirche fuhren.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a — —</p> + +<p>Wie in ganz frühen Tagen jubelt aufs neue eine ganz helle +Hoffnungsfreude auf.</p> + +<p>Es muß was geschehen, auch Schober schreibt es, er meint, der +Enthusiasmus für Franz müßte aufs neue im Publikum belebt werden, und +es wäre gut, wenn es bald geschähe.</p> + +<p>Franz arbeitet ja mit Bienenfleiß. Ein quellender Reichtum von Melodien +entsteigt blühend seiner Brust. Aber es ist schwer, die Begeisterung +der Menge auf ihrer ursprünglichen Höhe fortzuerhalten. Es bedürfte +wieder einer ganz großen Tat — Schober hat vielleicht recht, wenn +er andeuten will, daß seit Jahren ein Stillstand eingetreten ist, +wenn auch nur scheinbar. Es bedürfte einer ganz großen Tat — einer +gelungenen Oper etwa, Bauernfeld ist jetzt seine Hoffnung — oder +vielleicht eines großen Konzerts mit einer neuen Instrumentalsache, +einer Sinfonie — er trägt sich mit dem Gedanken daran — ein großes +Konzert, wie es Beethoven veranstaltet — vielleicht über ein Jahr, +dann wird Franz hervortreten, bedeutender, stärker als je. Der +Lebensplan ist fertig, mit neuer, entschlossener Kraft schreitet Franz +dem Gipfel zu.</p> + +<p>Zunächst also diese Sinfonie — Landeinsamkeit will er<span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span> dazu, grüne +Berge, einen Ort, wo man Gutes genossen und einiges Glück erfahren hat.</p> + +<p>Im Mai ist Vogl wieder auf sein Steyrer Landgut gegangen, er denkt an +Kunstreisen in Oberösterreich und Salzburg und kann Franz dabei nicht +entbehren. Dem sind seit seinem Zwist mit Schwind die Wiener Tage leer +und unersprießlich geworden, ein paar Tage will er in Linz bleiben, +ehe er nach Steyr geht, den lieben Spaun will er ans Herz drücken, +einem Freund muß er sich erschließen können, jetzt, wo er in Wien keine +Seelenzuflucht hat — kurz, eines schönen Morgens ist er zum Schrecken +Schwinds dahin und sitzt alsbald in Linz, wo er sich vor ärgerlicher +Verzweiflung die Haare rauft, denn Spaun ist über alle Berge, ein paar +Tage vorher ist er von Amts wegen nach Lemberg abgereist und wird vor +Jahr und Tag kaum an die Wiederkehr denken können.</p> + +<p>»Aufhängen könnt' ich mich vor Kummer und Verzweiflung,« schreibt er im +drolligen Ärger dem Freund nach Lemberg. »Da sitze ich jetzt in Linz, +schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitze, habe ein Heft neuer +Lieder, und der Freund ist nicht da! Ein Glück, daß der Jägermayer +ein gutes Bier hat und daß auf dem Pöstlingberg ein anständiger Wein +zu haben ist, das gibt neuen Lebensmut ...« Ottenwalt, der Schwager +Spauns, ist entzückt von dem Gast, der ganze Linzer-Kreis schwelgt +in Begeisterung, kein Wölkchen trübt die blauselige Heiterkeit der +Linzer Tage. Dazu noch ein lieber, offenherziger Brief von Schwind — +das hat gerade noch gefehlt, um das innere Gleichgewicht so halbwegs +wiederherzustellen.</p> + +<p>Er hat es nicht ausgehalten, der Cherubim; das ganze<span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span> Ärgernis ist ihm +nahe gegangen. Man kann doch eines kleinen Mißverständnisses wegen eine +Freundschaft nicht preisgeben, die mit dem ganzen bisherigen Leben +verknüpft ist. Oder es geht doch gleichzeitig mit ein Stück Seele +darauf. Und das ist schon der halbe Tod. Also frisch von der Leber +weg geredet — diese verteufelten boshaften Späße, die er nicht habe +unterdrücken können, so sehr sie ihm selber wehe tun. »Da kommen die +anderen und spotten und lauern in Verbindung mit Gedanken herum ... und +wir lassen sie anfangs gewähren, dann tun wir selber mit .... nun ja, +der Mensch ist schon einmal so unüberlegt .... und so verliert sich +Unersetzliches um den Spottpreis ....«</p> + +<p>Er kann die qualvollen Gedanken nicht los werden, er muß durch ein +offenes Bekenntnis seine Seele befreien. Er ist doch gewohnt, solange +er Franz und Schober kennt, sich in allen Dingen verstanden und geliebt +zu sehen. So möge das Böse aus der Welt geschafft sein, indem man sich +ordentlich ausredet. Franz möge ihm hierüber antworten so grob und so +aufrichtig, als er es nur vermag, aber nur nicht dieses Schweigen, das +ihm ans Herz greift. Dann habe er noch von Netty zu sagen, daß sie es +wirklich nicht so arg gemeint habe. Sie bereue schon aufs heftigste +ihre unüberlegte Stichelei, sie sei ganz unglücklich darüber, daß Franz +schlecht über sie denke, sie ist wirklich nicht so, wie sie scheint.</p> + +<p>Es hätte nicht halb so vieler Worte bedurft, um Franz wieder zu +versöhnen, der ja nur darauf wartet, daß der andere ein gutes Wort +gibt. Er ist ja auch gar nicht bös, und was die Netty betrifft — ach, +diese unvermeidliche<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> Netty! — so soll sie sich nur keinen Kummer +machen, er denkt ja gar nicht mehr daran, es sei ja ohnedies alles in +schönster Ordnung. Schwind zu verlieren, das ist ihm ganz undenkbar. +Sie gehören nun einmal zusammen für dieses Dasein, und keine Netty +der Welt sei imstande, das Freundschaftsband, das stärker ist als das +dickste Tau, zu durchschneiden. Nun wäre auch das wieder ins richtige +Geleise gebracht — o Gott, ginge es doch so auch mit anderen Dingen, +die man ungeklärt durchs Leben schleppt und die das Herz so schwer +machen, daß man ins Gras hinuntersinken möchte und vermeint, nicht +mehr aufstehen zu können. Jetzt heißt es wieder: »Grabt mir ein Grab +im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen, kein Kreuzlein schwarz, kein +Blümlein bunt ...« Aber um wieviel schmerzlicher klingt das Lied heute +als in den Herzenständeleien vor so und so vielen Jahren.</p> + +<p>Die schönen Linzer Tage gehen vorüber wie im Traum, in Steyr wendet +sich bereits das Schicksalsblatt.</p> + +<p>»Werde ich hier noch einmal so glücklich sein wie einst?«</p> + +<p>Er weiß nicht wie, eine geheime Anhänglichkeit an Josephine lockt ihn +dabei. Sie ist ja in manchem geziert und unnatürlich, aber sie hat +ein gutes Herz, dafür ist er dankbar wie ein Kind. Er ist zum Manne +gereift, aber eigentlich ist er im Herzen ein Kind geblieben wie +damals, da er noch als Sängerknabe neben den pausbäckigen Engelsköpfen +auf der Empore saß.</p> + +<p>Unterwegs nach Steyr ist er im Stift St. Florian zu Gast und sitzt +in dem gewaltigen Gotteshaus an der Orgel, die ein Wunder an Größe +und Klangfülle ist. Himmlische Musik entströmt seinen Händen. +Selige Erinnerungen<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> quellen auf aus der Sängerknabenzeit, eine +echt Schubertsche Liedweise fließt ein, dann drohende Tremoli und +der eigensinnige Aufschrei aus einer geängstigten Seele, der das +Menschenherz erschüttern muß.</p> + +<p>»Wo er es nur hernimmt, der kleine, unscheinbare Meister?« denken +auch die geistlichen Herren im Stift, dasselbe, was alle schon +gedacht haben. »Der liebe Gott hat's ihn gelehrt!« es gibt kein +schöneres Wort. Aber auch kein tieferes. Für die Welt ist er ein +Gebender — in der Stunde der Schöpfung ist er ein Empfangender, ein +von Gott Empfangender. Ein Kind ist er geblieben mit seinem naiven +Wunderglauben, aber auch mit seinen Fieberträumen, ein Kind in der Hand +Gottes. Gerade dieses Kindsein befähigt ihn zum Aussprechen dieses +Tiefsten, er stammelt es wie ein Gebet. Es ist nicht mit dem Verstand +gemacht, es ist mit dem Herzen gemacht, und darum ist soviel Herzblut +darin und soviel aufseufzende kindliche Glückseligkeit, und zugleich +sind so viele Tränen darin, die nach innen geweinten ....</p> + +<p>Vogl sagt immer, daß er nicht mit Bewußtsein schaffe, und daß ihm +das Geschaffene oft selbst nicht verständlich sei. Aber die in Linz, +Ottenwalt und der ganze Kreis um ihn, waren bezaubert von der Tiefe +und Klarheit seines Erkennens. Franz saß unter ihnen wie Jesus im +Tempel. So heiter und jugendlich sorglos war es nicht mehr wie vor +Jahren beim Katzengeschrei, aber es war doch auch ein inniges Fest +der Seelen. Ottenwalt wußte so schön zuzuhören und mußte immer mehr +erstaunen über diesen Geist, dem das Tiefste einfach war wie jede echte +Wahrheit. Er verstand Franz besser: »Wie<span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span> kann man sagen, daß ihm die +eigene Kunst kaum offenbar und verständlich sei? Der Schlichtheit und +Kindlichkeit seines Gemüts ist mehr offenbar, als wir uns alle in +unserer Schulweisheit träumen lassen. Die Kindlichkeit ist ein Beweis +seines Genies ....«</p> + +<p>Der Ottenwalt verstand es eigentlich besser als Vogl. In Linz hatten +sie begriffen, was Franz war. Sie erlebten ihn wie ein Stück Natur, +wie einen Baum, einen Berg, den Wind. So erlebte ihn auch Schwind, +der ähnlich war, so erlebten ihn Spaun, Schober und Bauernfeld. Darum +liebten sie ihn alle so sehr.</p> + +<p>Franz an der Orgel in St. Florian phantasierte und dachte an die Linzer +Freunde und dachte voraus an das kleine Glück in Steyr, und die Orgel +jubelte und sang dazu. Ein vergangenes Glück noch einmal erleben zu +dürfen, welche Gnade! Seine Seele war geöffnet dem Unendlichen, sie +empfing von Gott und wußte um neue Schätze, die sie zu geben hatte. Sie +war zur Fruchtbarkeit gestimmt und kannte nichts Seligeres, als mit all +ihrem Reichtum zu verströmen.</p> + +<p>Die Sehnsucht trieb ihn weiter, altem Glück entgegen. Er dachte +innig an Josephine, das Weibliche zog ihn an, denn es war auch das +Mütterliche. Er war wieder ganz Kind und seine Seele suchte Zuflucht +bei der Freundin.</p> + +<p>Vor zwei Jahren, als er sich in Not und Krankheit im Hause Vogls +verbarg, da war sie freilich etwas sonderbar gewesen, die gute Freundin.</p> + +<p>»Sie müssen wissen, daß ich ein Tagebuch führe,« hatte sie ihm gesagt, +»man erlebt soviel, auch Sie kommen darin vor ...«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span></p> + +<p>»Schneegans!« hatte er damals gedacht und war ärgerlich über dieses +Blaustrumpfgetue. Diese Sentimentalität war ihm zuwider, er machte sich +lustig über sie und hatte sie ziemlich schlecht behandelt.</p> + +<p>»Es ist nicht mehr dasselbe wie früher,« sagte sie beim Abschied, +»etwas ist am Tod da drinnen.« Und dann zog sie das Tagebuch hervor und +fügte hinzu: »Meine Liebe ist in diesem Buche begraben.«</p> + +<p>»Wird nicht schad' drum gewesen sein ...« dachte er und drehte sich um.</p> + +<p>Aber alle diese herzlosen Narreteien waren vergessen, er war von +Zärtlichkeit erfüllt, je näher er der Stadt kam.</p> + +<p>»Könnte ich wieder so glücklich sein wie damals ... Es wird nicht so +ernst gewesen sein mit dem Absterbens-Amen der Liebe, sie kann eben +nicht leben ohne Marotte, aber im Grunde ist sie doch eine treue Seele +....« Und er nahm sich vor, recht gut zu sein, er war jetzt dankbar für +das bißchen Herz.</p> + +<p>Man soll dasselbe nicht zweimal erleben, er hat die Enttäuschung schon +in Zelez erfahren und muß nun neuerdings daran glauben.</p> + +<p>Wo war die Josephine geblieben mit ihrer Verliebtheit, ihrer Sucht +nach den kleinen Abenteuern des Herzens, mit dem Kult, den sie um das +Meisterlein trieb?</p> + +<p>Sie hatte den Krämer gegenüber geheiratet, sie war steif und dumm +geworden, keine Spur von der früheren Originalität, es war wirklich +etwas tot in ihrem Herzen ..</p> + +<p>»Mein Mann ist Kaufmann, Kaffee en gros ...« Sie legte Wert auf den +Zusatz »Kaffee en gros«. Und wiederholte<span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span> bei jeder Gelegenheit: +»Kaufmann, aber ich bitte, Kaffee en gros ....«</p> + +<p>Franz lächelte über diese provinzlerische Großmannssucht: »Kaffee en +gros ...« Es war doch wirklich zu dumm. »Kaffee en gros —« Schade um +sie, oder wenigstens um die hübsche Erinnerung. Aber dieses »Kaffee en +gros« zog alles ins Lächerliche.</p> + +<p>Und Vogl? Ei, der war auch nicht mehr derselbe. Auch er ging auf +Freiersfüßen, der Weltweise, den Alter nicht vor Torheit schützte, und +gedachte seine achtzehnjährige Schülerin zu heiraten. So suchte jeder +ein Stück realen Glückes zu verwirklichen, und er, der Begnadete, mußte +still und arm vorübergehen.</p> + +<p>E — fis — g — h — ais — —</p> + +<p>Dieser eigensinnige Aufschrei der gequälten Seele.</p> + +<p>Das Glück hängt nicht am Ort, wo wir es zu finden wähnen, dachte er, +wir können es nicht suchen außerhalb uns; in der eigenen Seele muß es +zu finden sein, es existiert nirgends sonst auf Erden.</p> + +<p>Und er war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schöpfen.</p> + +<p>Noch einmal zog Vogl aus mit ihm zu Kampf und Sieg. Sich selbst zur +Verherrlichung, Franz war nur der Schleppträger seines Ruhms. In +Gmunden lebten sie, Franz wohnte beim Kaufmann Traweger, der ein +schönes Klavier besaß und ein stiller Verehrer seiner Kunst war. Was in +einer seligen Stunde auf der Orgel zu St. Florian erklungen, als er in +weltentrückten Träumereien auf der Empore gesessen war, das brach mit +neuer, wunderbarer Kraft hervor, indessen der musikfreundliche Herr<span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span> +Traweger aufhorchend auf dem Kanapee saß, andächtig wie in der Kirche, +und nicht genug staunen konnte über den wundersamen Gast. Und auch er +mochte denken:</p> + +<p>»Wo er es denn her hat?«</p> + +<p>Der am Klavier stammelte, jauchzte und weinte wie ein Kind. Gott hat +es so gewollt. Er hat's ihn gelehrt. Nicht er sang, es sang in ihm, +alle Menschenlust und Erdenpein, das Herzblut strömte darin. Stückweise +entquoll die sinfonische Dichtung der kindlichen Seele und der +meisterlichen Hand.</p> + +<p>So war es in Salzburg, und in den Pausen, wo die Unlust und +Erdenschwere über ihn kam, schrieb er Reisebeschreibungen für seinen +Bruder, ein äußerliches Bild der gesehenen Dinge, uff! daß ihm die +Schwarten krachten.</p> + +<p>Und dann, Gastein, wo er Gast des Bischofs Pyrker war, seines Gönners, +der ihm für die Wandererphantasie einmal eine schöne Handvoll Dukaten +zufließen hat lassen. Das war ein bischöflicher Segen, der dem Leib und +der Seele wohlgetan hat.</p> + +<p>Hier sprang der heiße Quell aus dem Erdinnern, dicht neben dem Eishauch +der Gletscher.</p> + +<p>Und der Quell, der so heiß im Innern glüht, und der kalte Hauch, der +von draußen her weht, die feindlichen Gegensätze des Lebens, sie waren +mit drinnen in dem, was er sang und dichtete. Und die Berge waren +drinnen, die steingrauen Städte, und was er dort erlebte, das verwehte +Glück, die Liebe, der Schmerz.</p> + +<p>Gasteiner Sinfonie, so nannte er die Bruchstücke, sie sollten eine +Stufe sein zu dem Lebensbau.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span></p> + +<p>Das große Konzert, vielleicht auch die Oper, die ihm Bauernfeld +versprochen, das wohlbestallte Amt eines Vize-Kapellmeisters, das +wären Dinge! Das Kind erwachte in der Seele und baute ein luftiges +Kartenhaus. In Träumen wohnt alles so schön beisammen. Aber es sind +doch alles Dinge, die möglich sind, nicht nur möglich, sondern höchst +wahrscheinlich. Er ist jetzt entschlossen, das Glück mit fester Hand +zu ergreifen. Er braucht es nur bei sich zu suchen, in seinem eigenen +Willen, dann ist das Kartenhaus nicht mehr Kartenhaus, ein festgebautes +Schloß, mit einem schönen kupfernen Dachhelm, mit einer Wetterfahne +darauf, die knarrt und knarrt, der Wind spielt mit ihr auf dem Dach so +laut, daß man es im Schlafen hört, aber der Wind, der Schicksalswind, +spielt nicht mehr drin mit dem Herzen, das ist ruhig und in sicherer +Hand, in seiner Liebsten Hand, die hält das Glück, die hält sein Herz, +er braucht nur zu kommen und sagen: Hier bin ich, das hab' ich, und +jetzt nimm mich, nimm mich, wie ich bin, ein ganzes Kind, und du, meine +Geliebte, du bist mein Gefährte, mein Stab, meine Zuflucht, mein Trost, +mein alles, du, die eine, so bin ich gesegnet mit Weh und Glück, du +treues Frauenbild, du geliebte Melusine, zu der mein Genius aufblickt, +ich lebe durch dich — für dich — sei mein!</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="IX">IX.</h2> +</div> + + +<p>Diddel dum, diddel dum, diddel dum — diddel dei, diddel dei, diddel +dei — diddel dum, diddel dei! Die Klarinette girrt und gellt vor +Lachen, von der brummbärigen Baßgeige in die Höhe geschwenkt beim Tanz, +ehrbarlich zappelt das Klavizimbel mit, getreulich geführt von dem +behaglichen wohlgesetzten Cello — diddel dei, diddel dei, hei, hei, +hei, hei — diddel dum, diddel bum, dum, dum, bum, bum!</p> + +<p>Franz schabt das Cello, dunkeltönig jubeln die Saiten, als wären sie +vom lieben Gott selber gestrichen, Franz spürte es inwendig, bis in +die Gedärme hinein. Er spielt mit einigen Freunden zur Hochzeit auf, +Johanna Lutz und Kupel, der endlich aus klassischem Land Heimgekehrte, +sind nun ein Paar. Diddel dei, diddel dum!</p> + +<p>Das Blondhaar glänzt wie Goldgeschmeide auf dem sinnenden Haupt der +zarten Lutz. Sie sieht heute gar elfenhaft aus neben dem großen, +gebräunten Kupel, der wie ein junger, iliadischer Krieger anzuschauen +ist. Er hat den Arm leicht um die Lutz gelegt: »Vivat Kupel, du hast +den Preis gewonnen!« So denkt Franz, der vom Podium herab die Tafel +überschaut: Ein schönes Paar die zwei — diddel dum, diddel dum!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span></p> + +<p>Neben Johanna sitzt Schwind, der ist heute so seltsam, er dreht +Brotkügelchen, spielt mit den Fingern, preßt dann fest die Hände +ineinander, schaut öfters stier in die Luft — was hat er denn? Er hat +was, Franz bemerkt es von oben, wie fleißig er auch fiedelt. Netty +Hönig sitzt neben ihm unten, die sind beide so einsilbig, Schwind und +die Netty. Da geht was vor. Diddel dum!</p> + +<p>Weiter an der Tafel sitzt groß und stattlich wie eine Märchenfee die +rätselhaft schöne Melusine. Ein magisches Band ist gewoben von ihm zu +ihr, und seine Blicke schweifen immer herunter auf sie. »Ja, ja, weil +unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn —« +diddel dum, diddel dum! Ob sie noch das grüne Lautenband besitzt? Warum +sie es nicht in den Locken trägt — wie damals? Sie hat ja 's Grün +so gern?! Diddel dum! Sie hat es wohl tief versenkt in die Nähe des +Herzens .... Diddel dum! »Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann +weiß ich, wo die Liebe thront ...« Diddel dei, diddel dei, diddel dum, +dum, bum!</p> + +<p>Ist der Schober aber redselig, spielt wieder den verfluchten Kerl — +alle Weibsen um ihn herum verzückt wie vor einem Halbgott — und dieses +verliebte Geschau — hält er sie alle zum besten oder ist es ihm ernst +damit? Halb Don Juan, halb Don Quichote — daß er nur wieder da ist! +Diddel dum! Musik und Gedanken geraten dem Franz wie italienischer +Salat durcheinander, während er das Cello schabt.</p> + +<p>Diddel dum! Der Hönig, dieses ausgewässerte Gesicht, gar nicht genugtun +kann er sich mit übertriebener Aufmerksamkeit<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> für Melusine. Will sie +nach einer Pomeranze greifen, schwupp hat er schon den Fruchtaufsatz +in der Hand, die Serviette fällt ihr herunter, wie ein Käsperl ist er +in der Versenkung verschwunden. Sie greift nach der Fingerschale, die +ohnehin ganz bei ihr steht, aber nein, der zudringliche Kerl greift +ihr wieder zuvor, er muß die Schale halten, indessen sie ihre rosigen +Fingerspitzen eintaucht — und dieser ekelhaft lüsterne Blick von ihm, +hat er nicht etwas Affenartiges? Ja, das ist's, ein kompletter Affe! +Merkt er denn noch immer nicht, daß sie, die Wald- und Quellenfee, ihm +kaum einmal dankend zunickt, Luft ist er für sie, vollständig Luft, o +die Holdselige!</p> + +<p>Jetzt schaut sie wieder herüber, Franz senkt sich tiefer auf das Cello, +es schluchzt und jubelt. Diddel dum, diddel dum, diddel dum!</p> + +<p>In dem Geschrei, Gelächter und Gefiedel schwingt sich eine Stimme +empor, die Ruhe gebietet. Das ist einer von den Freunden Hönigs. Franz +denkt nicht gut von diesen Freunden. »Was soll mir diese Reihe von ganz +gewöhnlichen Studenten und Beamten? Was gehen die mich an? Ist es nicht +der Mohn? Oder ist es der Bruchmann? — Nein, der Mohn ist es!« Er +bittet um Ruhe.</p> + +<p>Alles schweigt, Musik, Gelächter und Geträtsche, mäuschenstill ist +alles. »Was sagt der Mohn? Hör' ich recht? Lauter, lauter, oder ich +schmeiß' dir meinen Fiedelbogen in das verlogene Maul ...«</p> + +<p>Die Stimme Mohns ist klar und vernehmlich: »... das alles möchte ich +euch zu wissen geben, ihr lieben Freunde, daß neben dem geliebten und +verehrten Hochzeitspaar<span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span> soeben eine Verlobung stattgefunden hat: +Fräulein Therese Puffer und der liebe Freund Hönig, sie leben hoch! +Dreimal hoch! Musik! Einen Tusch! Ha, faules Musikantenvolk!« Der +Dirigent am Cello rührt sich nicht.</p> + +<p>»Dreimal hoch!« Der ganze Chor brüllt es, die Gläser fahren zusammen, +die Klarinette, die Baßgeige, das Klavizimbel, sie fallen mit ein, +unordentlich, kopflos, es klingt ein klein wenig wie Katzenmusik. Das +Cello rührt sich nicht. Schier die Darmsaiten sind ihm abgerissen, +heftig und schmerzlich, als ob sie Franz im Leib hätte.</p> + +<p>Knarr, knarr! Die Wetterfahne hat sich umgedreht. Knarr, knarr! Als +ob der rostige Stab mitten durch die Brust ginge, das Herz ward dabei +schier entzweigedrückt. »So hätt' er nimmer suchen wollen, im Haus ein +treues Frauenbild! Der Wind spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem +Dach, nur nicht so laut, was fragen sie nach meinen Schmerzen? — Sie +ist ja eine reiche Braut!«</p> + +<p>Das längst gesungene Lied wacht auf mit allen Schmerzen, jetzt ist es +Begebenheit geworden.</p> + +<p>Er nimmt sein Cello zwischen die Knie und streicht ganz zärtlich und +sacht über die Saiten. Es weint und schluchzt jetzt für ihn, indessen +er den anderen zum Tanz aufspielt, die unten mit heißem Atem Brust an +Brust herumschwenken. Was im Innern vorgeht, man merkt es ihm nicht +an, was kümmert's auch die andern! Er hat sein phlegmatisches Gesicht +aufgesetzt. Nur daß der Kopf einige Zoll tiefer und schwerer über dem +schluchzenden Cello hängt. Diddel dum!</p> + +<p>Melusine, die Nixenkühle, tanzt in des andern Arm. Nicht des Besten +Braut ist sie geworden, sondern des<span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span> Reichsten! Der hat sie ihm vor der +Nase weggeschnappt. So geht's im Leben. Diddel dum!</p> + +<p>Einer hat sich zu ihm geflüchtet, der Frack ist ihm hinten zerrissen, +wie ein Häufchen Elend hockt er am Podium dicht bei Franz.</p> + +<p>»Was ist mit dir, Schwind? Geh', schau', du bist ja ganz zerrissen!«</p> + +<p>Der hebt ein zuckendes Gesicht zu ihm empor.</p> + +<p>»Zerrissen? Ja, das bin ich. Zerrissen — inwendig — ganz in Fetzen +zerrissen!«</p> + +<p>»So, so!« Franz sagt nicht mehr. Er weiß schon, was los ist. Die +Aufregung Schwinds vorhin, der hat einen schwerwiegenden Entschluß +gefaßt — mein Gott, wo alles liebt .... »und jetzt bist du ....«</p> + +<p>Der Zerknirschte nickt traurig und ergänzt den Gedanken: »— +abgeblitzt!«</p> + +<p>Fiedelbum!</p> + +<p>»Hab' ich's nicht immer gesagt — diese Hönigs!« raunt es vom Cello +herab.</p> + +<p>Der unten am Podium hockt, möchte vergehen vor Weh und Ach. Traurige +Hochzeitsgäste, diese zwei, der Musikant und sein Leidensbruder.</p> + +<p>»Du tust, als ob dir nichts geschehen wäre ...« gibt der unten zurück.</p> + +<p>»Sei still, sonst ....« klingt's hinter dem Cello hervor.</p> + +<p>Fiedelbum!</p> + +<p>Nachts am Heimweg gehen die zwei stumm nebeneinander her.</p> + +<p>»Mich leidet es nimmer daheim,« fängt endlich der Cherubim<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> an. »Ich +muß fort, hier kommt man auf keinen grünen Zweig ... Ich gehe mit +meiner Kunst ...«</p> + +<p>»Und das Herz? Kannst du das auch mitnehmen? Das ist verwachsen mit +dieser Luft, aber auch die Kunst ist verwachsen mit diesem Herzen, mit +dieser Luft, mit diesem Boden, mit dieser Stadt, dieser verruchten, +miserablen, in Grund und Boden verwünschten, treulosen, undankbaren, +launenhaften und leider viel zu sehr geliebten ... Eine Buhlin ist sie, +die sich wegwirft an den, der das meiste Geld hat .... man hat zu viel +Herz, daran geht unsereiner zugrunde ...«</p> + +<p>»Herz?!« Der Cherubim tut, als ob das Herz für ihn keinen Sinn hätte. +»Herz? Man hat es in den Staub getreten, zertrampelt, ich fühle nichts +mehr da drin als wie eine namenlose Abscheu ....«</p> + +<p>Der andere seufzt: »Sie ist eine reiche Braut ...«</p> + +<p>»Reden wir nicht mehr darüber, Servus!«</p> + +<p>»Servus!«</p> + +<p>E — fis — g — h — ais — —</p> + +<p>Der Verzweiflungsakkord kommt nicht mehr zur Ruhe.</p> + +<p>Das Leben geht fort, es macht sich von selbst. Franz wundert sich jeden +Morgen, daß immer wieder ein neuer Tag anbricht, trotzdem er oft meint, +es müßte aus sein. Mit seiner Bewerbung um die Kapellmeisterstellen ist +er durchgesaust. Ihm ist es einerlei. Ganz Wurst! Er erzählt es mit +einer Art Galgenhumor den Freunden.</p> + +<p>»Ist doch allen hier so gegangen, die etwas Großes und Ernstes gewollt +haben, warum soll's denn mir anders gehen?! Sie haben den Mozart nicht +wollen, wie man sieht, wollen sie auch den Grillparzer nicht und setzen +ihm<span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span> einen Dämpfer nach dem anderen auf, daß er sich ganz menschenscheu +verkriecht, und Beethoven — für den soll im Ausland gesammelt werden, +wie man hört; im Vergleich mit diesen Großen bin ich ja herrlich daran +— ich dürfte mich ja eigentlich gar nicht beklagen, wenn ich auf die +anderen hinsehe ....«</p> + +<p>»Freunde, auswandern! Ich gehe nach München, dort lebt die Kunst!«</p> + +<p>Bauernfeld haut fürchterlich auf. Er schimpft über diese Zustände wie +ein Rohrspatz. Aber auswandern? »Nein, Freunde —« Er ist durchaus +dagegen.</p> + +<p>»Wohin soll denn der Österreicher auswandern? Gibt es doch keinen +Fleck auf der Erde mehr, der so schön ist als gerade seine Heimat. +Hier wurzelt seine Gefühls- und Denkweise, er muß so singen, reden, +schreiben, malen können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Stimme +des Genius loci will erklingen — sie redet nirgends so laut als hier. +Die Welt hat ihr Herz entdeckt — und dieses Herz der Welt ist Wien und +Österreich. Was dieses Herz ist, haben wir der Menschheit zu verkünden, +Schubert, Schwind, Grillparzer und wir alle zusammen. Wo können wir es +besser als hier, wo unsere inneren Quellen springen, wo unsere Kraft +wurzelt? Und von hier sollen wir fortgehen? Das wäre eine Viecherei; +unser Bestes schöpfen wir hier, vergiß das nicht, lieber Bruder +Schwind! Hier sind wir glücklich, obschon wir leiden; und wir leiden, +obschon wir glücklich sind ...«</p> + +<p>Franz horcht aufmerksam zu, er nickt stumm mit dem Kopf, es ist etwas +Wahres daran an dem, was der beredsame Bauernfeld sagt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p> + +<p>Schober ist auch seiner Meinung, obschon aus einem Grund, der weniger +tief liegt. »Man findet es nirgends besser auf der Welt, meistens weit +schlechter,« läßt er sich vernehmen; »diesen Tabak, diesen Kaffee, +diesen Wein und diese Weiber — so herrlich wachsen sie nicht einmal in +Sachsen!«</p> + +<p>»Schäker!«</p> + +<p>Aber der Schwind wird ernstlich bös über den liebenswürdig eitlen, +tändelnden Schober.</p> + +<p>»Du hast dir noch nicht ein Stückel Brot selber verdient, also weißt du +einen Schmarrn vom Leben! Ein Kerl, der den ganzen Tag nichts tut als +vor dem Spiegel stehen und Weiberkitteln nachrennen, der hat hier nicht +mitzureden. Um schaffen zu können, muß der Mensch leben, er muß essen, +das Nötige verdienen — hier kann der Mensch, wenn er sonst nichts hat +als sein Talent, verhungern. Und darum bleibt nichts anderes übrig als +zu gehen.«</p> + +<p>Mayrhofer, der Lodernde, am inneren Feuer Verglühende, hat Anfälle von +Reue; in solchen lichten Augenblicken kommt er aus seiner freiwilligen +Verbannung und Einsamkeit hervor, sitzt in dem geselligen Kreis der +Jungen, um dann wieder um so menschenscheuer und grollender in seine +mönchische Weltflucht zurückzukehren.</p> + +<p>Was da geredet wurde, ist Wasser auf seine Mühle. Er hat das Zeug +zum Freiheitsapostel und Demokraten und hält jetzt eine wilde Rede +gegen Bevormundung, Unterdrückung und Polizeigewalt. »Denkfreiheit, +Redefreiheit, Aktionsfreiheit,« das sind seine Schlagworte.</p> + +<p>Das wäre alles sehr schön, meint Bauernfeld, wenn es<span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span> nicht bloß die +Faust in der Tasche wäre. Wie es denn käme, daß Mayrhofer trotzdem als +Zensurbeamter weiter helfe, den Geist der Freiheit zu knebeln anstatt +zu befreien — eine Einwendung, die den zwiespältigen Mayrhofer wieder +gehörig verschnupft.</p> + +<p>»Daß die lieben Zeitgenossen doch immer nur dazu da sind, sich dem +Bedeutenden hemmend in den Weg zu stellen!« eifert Bauernfeld. »Drum, +Freund, müssen wir dableiben und gegen diese erbärmliche Welt so +lange protestieren, bis sie sich zu schämen anfängt, daß sie es so +ausgezeichneten Kerlen, wie wir sind, so sauer hat werden lassen.«</p> + +<p>Die Stimmung wird immer lauter und gemütlicher; die Seelenverfassung +der Freunde ist dem Gedeihen des Galgenhumors recht günstig. Äußerlich +geht es oft bei unbändiger Lustigkeit her; aber das ist äußerlich. Wie +es bei Franz innerlich aussieht, das weiß keiner so recht; allerdings, +die Lieder sind Verräter. Seine »Winterreise« erscheint, die Freunde +schütteln den Kopf, zunächst mehr befremdet als ergriffen.</p> + +<p>»Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu sehn, und ich +bleibe vor den Bäumen oftmals in Gedanken stehn; schaue nach dem einen +Blatte, hänge meine Hoffnung dran; spielt der Wind mit meinem Blatte, +zittr' ich, was ich zittern kann. Ach, und fällt das Blatt zu Boden, +fällt mit ihm die Hoffnung ab. Fall' ich selber mit zu Boden, wein' — +wein' auf meiner Hoffnung Grab, wein' — wein' auf meiner Hoffnung Grab +...«</p> + +<p>Mit heimlichem Grauen starrten die Freunde in dieses<span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span> Tal der Tränen. +Düstere Nachtgemälde rollten sich in den Liedern auf, der Schmerz +wühlte darin, und das Licht der Hoffnung schien erloschen.</p> + +<p>»Gar so melancholisch ...«, meinte der eine wie der andere. »Mehr +Heiterkeit, mehr Lebensfreude — Kopf in die Höhe, Franz!«</p> + +<p>Sie haben leicht reden, diese anderen; aber die Melancholie kommt eben +daher, daß die Seele den grausamen Nüchternheiten des Lebens allzusehr +unbewehrt und verwundbar gegenübersteht; sie leidet, aber dieses Leiden +ist zugleich der Zoll, den sie bezahlen muß dafür, daß ihr gegeben ist, +soviel auszusagen. So wendet sich alles Leid wieder zum Segen, es wird +ein neuer Schatz für die Menschheit — das Herz, das die Welt hier +entdeckt hat in der Wiener Heimat, in diesen Liedern zuckt und blutet +es.</p> + +<p>»Wißt ihr denn auch, wie die Ausgabe der Liederserie ›Winterreise‹ +zustande gekommen ist? Fragt den Freund Lachner!«</p> + +<p>Lachner ist aus München nach Wien gekommen, ein junger Musiker, der +als Feldherrnstab den Dirigentenstock im Tornister trägt. Einstweilen +muß der Feldherr des Orchesters buchstäblich das Kalbfell schlagen, er +ist aushilfsweise Paukenschläger in der Oper, und das ist auch keine +Kleinigkeit. Aber seine Sehnsucht ist zurück auf die Münchener Heimat +gerichtet, er wartet nur auf den günstigen Wind, um mit vollen Segeln +zurückzusteuern geradewegs zum Dirigentenpult als Ziel. Daß er Schwind +mitnimmt, das scheint schon ziemlich abgemacht.<span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span> Auch Schubert hat er +sich dick angefreundet, sie stecken immer beisammen.</p> + +<p>Franz ist wie gewöhnlich in Geldnot und will rasch etwas verklopfen. +Eine Liederserie liegt bereit, Lachner soll sie zum Verleger Haßlinger +tragen und trachten, soviel als möglich herauszuschinden. Von +Geschäftssachen versteht er auch soviel wie der Esel vom Zitherspiel, +allerdings hat er den guten Willen. Er soll keineswegs ohne Geld +kommen, verkitscht muß werden um jeden Preis — also gut.</p> + +<p>Mit den Noten unterm Arm macht sich Lachner auf den Weg. Was er da +trägt, ist ein Vermögen — in Geld umgesetzt, es kann ein hübsches +Sümmchen geben. Siegesbewußt ist er ausgegangen — gedeftet kommt er +heim; der Erlös, den er Schubert auf den Tisch legt, beträgt bare — +sechs Gulden.</p> + +<p>»Ist das alles?« fragt Schubert. »Für alle Lieder?!«</p> + +<p>Kleinlaut erwiderte Lachner: »Schmählich, nicht wahr? Das hab' ich +schlecht gemacht — ich hätte die Noten nicht dort lassen sollen — +weißt du was, ich trag's Geld wieder zurück!«</p> + +<p>Kaltblütig steckt Franz das Geld ein. »Zurückgeben?! Was fang' ich denn +an? Der Verleger ist zwar schäbig — aber was dich betrifft, du hast es +ausgezeichnet gemacht!«</p> + +<p>Sechs Gulden — das ist in Anbetracht des hingegebenen Wertes ein +Bettelpfennig. Damit macht man keine weiten Sprünge. Und was dann? +Morgen, übermorgen, nächste Woche? Man läßt den lieben Gott sorgen +dafür. Der schafft Rat. Summt dem Franz<span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span> schon wieder ein Lied im Kopf +— wirklich, der liebe Gott schafft Rat, alle Tag' und alle Stund'.</p> + +<p>»Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern +dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her, und +sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Und er läßt es gehen, +alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still. +Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern +deine Leier drehen?«</p> + +<p>Die »Winterreise« setzt sich fort, dafür ist gesorgt. Er und der +Leiermann — die sind schier eins.</p> + +<p>»Ist's euch zu melancholisch, Freunde?!« Wollen sie es nicht begreifen, +daß seine Schöpfungen nicht nur aus seinem musikalischen Gefühl +entspringen, sondern daß sie auch aus seinen Schmerzen entstanden sind +und darin am tiefsten greifen? Sie möchten ihn lustig sehen.</p> + +<p>»Nun denn, bin ich nicht auch lustig unter euch?«</p> + +<p>Ja, das ist er, fröhlich unter den Fröhlichen. Bauernfeld sagt's ja +immer: »Franz, der hat die rechte Mischung von Idealem und Realem — +die Erde ist ihm schön ....«</p> + +<p>Das Rechte aber weiß eigentlich keiner.</p> + +<p>Für die Aufheiterung ist in der Tat auch reichlich gesorgt. Es scheint, +daß ein stillschweigender Pakt unter den Freunden besteht. Im Gasthaus +zum »grünen Anker« sind sie fast täglich abends zu fröhlicher Runde +vereinigt. Spaun ist nach Wien übersiedelt und führt ein großes Haus. +Glänzende Schubertiaden finden hier statt, aber nachher geht's immer +noch zum »grünen Anker«; die Stimme des Herzens klingt immer erst +voll aus, wenn man so gemütlich und zwanglos beieinander sitzt. Man<span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span> +kann sich schwer trennen in solchen befeuerten Stunden, wo der Wein +die Zungen löst, und so sitzt man hübsch lange beieinander, das ist +begreiflich. Vor Mitternacht denkt keiner ans Heimgehen, meistens wird +es geraume Zeit nach Mitternacht.</p> + +<p>»Wirtshaus, wir schämen uns — hat uns ergötzt; Faulheit, wir grämen +uns — hat uns geletzt!« so jubiliert Bauernfeld.</p> + +<p>Zugleich aber schwärmt man fleißig aus ins Grüne, wenn es die +Jahreszeit und der Geldbeutel erlauben; Fahrten nach Atzenbrugg +werden unternommen, in größerer Gesellschaft oder zuweilen +auch im engsten Vereine, Franz, Schwind und Bauernfeld, die in +innigster Schicksalsverwandtschaft zueinander stehen und darum ein +unzertrennliches Kleeblatt bilden. Der bischöfliche Schloßherr auf +Ochsenburg würde das Kleeblatt allzu liederlich finden, man begnügt +sich mit der Unterkunft bei der Aumüllerin in Atzenbrugg und nimmt +aus Sparsamkeit nur ein Zimmer, sie müssen zu dritt in einem breiten +Ehebett schlafen.</p> + +<p>Diese äußerlich dürftigen Umstände kitzeln wieder die humoristische +Ader, und die Lustigkeit wächst; die Atzenbrugger Tage sind immer eine +Festzeit. Man lacht und ist guter Dinge, aber die Seele weint; es +ist zwar keine Wetterfahne auf dem Dach, aber man spürt das Knarren +inwendig, und die alten Wunden bluten. »Was fragen sie nach meinen +Schmerzen?«</p> + +<p>Dem Schwind ergeht es ähnlich. Doch einer verbirgt den Schmerz vor dem +anderen, jeder tut auf seine Weise rauh<span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span> und unverwundbar. Sind beide +im Herzen große Kinder.</p> + +<p>Den einen wie den anderen überkommt gelegentlich das Verlangen, aus +der inneren Einsamkeit vollends hervorzugehen, die Seelenkammern weit +aufzuschließen und sie dem Auge der Freundschaft und der Liebe zu +zeigen. Jeder macht immer wieder einmal einen Anlauf dazu und redet so +um die Dinge herum.</p> + +<p>Franz, zuweilen philosophisch aufgelegt, macht einen Vorstoß. »Keiner, +der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern +versteht! Man glaubt zueinander zu gehen, und man geht immer nur +nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt!«</p> + +<p>Schwind versteht, was er sagen will, er leidet unter derselben Qual. +Sie machen beide die Erfahrung, daß die Einsamkeit der innere Schutz +der Seele, zugleich aber auch der Kerker dieser Seele ist. Sie rütteln +beide an den verschlossenen Türen und reiben sich wund an den ehernen +Mauern. Ihr Tiefstes und Bestes möchten sie voreinander aussagen und +können es nicht.</p> + +<p>»Wir alle gleichen Gefangenen in unterirdischen Burgverließen,« +erklärt sich Schwind, »jeder ist verurteilt, mit einem bestimmten Teil +seines Wesens allein zu sein in der Kammer seiner Einsamkeit, und wir +können uns höchstens durch ein sinnreiches Klopfsystem untereinander +verständigen. Die Poesie und Kunst sind in den Verließen der Einsamkeit +geboren, sie sind das Klopfsystem, die Gleichnisse, durch die wir +einander erraten können ...«</p> + +<p>Wie groß auch die Hingabe der Freundschaft ist, wie rein auch das +Herz ist von Trug, wie unverbrüchlich auch die<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> Treue ist und die +Aufrichtigkeit, sie kommen oft über das Nächste und Einfachste +nicht hinaus. In dieser Not suchen sie die Sterne, suchen sie Gott, +der sie ihre Kunst gelehrt, suchen sie das Schweigen, denn in dem +Schweigen erraten sich die getrennten und doch so verwandten Seelen +am leichtesten. Es ist der tiefste Punkt des Verstehens — eine +Gemeinsamkeit von Einsamkeit.</p> + +<p>In dieser Kunst des beredten Schweigens sind beide Meister. Sie können +stundenlang im Grünen sitzen beim Wein und den schweigenden Gedanken +zuhören, die durchs Gemüt sinken. Höchstens daß der eine oder andere +einmal seufzend unterbricht: »Ja, ja!« oder daß es dem einen oder +anderen zu dumm wird und daß er ungeduldig auffährt: »So, jetzt aber +schweigen wir von was anderem!«</p> + +<p>Nicht weniger eifrig als früher lenkt Franz seine Wanderschritte hinaus +nach Heiligenstadt oder Grinzing, wo der liebe Gott mit dem Finger +winkt, das heimliche große Licht ist draußen verborgen, Ludwig van +Beethoven, um so lieber wandelt man die Wege nach diesem klassischen +Wiener Boden.</p> + +<p>Sitzt Schwind am Zeichentisch und mag sich nicht trennen von seinen +Gesichten, die er mit dem Stift verewigt, dann weiß Franz eine +Zauberformel: »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau ...« Dieser +Lockung kann Schwind nicht widerstehen. Ein paar Stunden Ätherblau +im Grünen ist reicher an künstlerischer Eingebung als viele Tage am +Zeichentisch. Also auf und hinaus! Aber sie bleiben nicht allein, der +Schober ist mit von der Partie, der Bauernfeld, zuweilen der Spaun oder +an seiner Stelle<span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span> der Lachner. Bald sind sie ihrer fünf und freuen sich +im Grünen.</p> + +<p>Ein gottseliges Leben ist in den Heiligenstädter, Grinzinger oder +Sieveringer Hausgärten, wo der Heurige ausgeschenkt wird. Unter ein +paar Bäumen sind rohgezimmerte Bänke und Tische in die Erde gerammt, +hier sieht die Welt friedvoll und heiter aus. Der Salamucci geht um mit +ungarischer Salami, mit echter Veroneser und Mortadella, mit Emmentaler +Käs' und Butter, und wer nicht sein Geselchtes im Papierl mitgebracht +hat — es gibt auch Schlemmer, die nicht ohne Brathendel in der +Rocktasche auf den Plan treten —, der kann sich für billiges Geld vom +Salamucci Wurst und Käse aufschneiden lassen. Es langt fürs leibliche +Wohlsein und paßt gut zum Wein. Unaufhörlich kräht der Brotschani +mit hellem Sopran: »Schani Brot! Schani Brot!« Es geht zu wie im +Himmelreich, alle Mühsal und Pein ist von der Seele genommen.</p> + +<p>Franz hebt das Glas, der rauschselige, trostbringende, grüngoldene Wein +ist der Hüter seiner Muse, die Vergangenheit wird lebendig, der Traum +von Glück verklärt das Herz.</p> + +<p>Man ist Gottes voll. Und was tut man, wenn man Gottes voll ist? Man +hebt zu singen an, als säße man auf einer lichten Wolkenbank, so ein +rechter Himmelsmusikant, und schaut gemütlich auf diese bucklige Welt +herab. So gesehen, schaut sie recht schön aus, man könnte schier seine +Freude daran haben. Da ist die Stadt, hier der liebe Wienerwald und +dann über Berg und Tal noch manches andere, wohlbekannte Städtlein, +und wachsen<span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span> viele schöne Mädchennamen da und dort. Man hat sie alle +gekannt, sie sind dem Herzen nahe, eine wie die andere, und jetzt, +wo man tief ins Weinglas hineinschaut, sieht man manch holdes Bild +aufsteigen.</p> + +<p>So sitzen die fünf im Grünen, sie sind augenblicklich ein gar +fröhliches Quintett und singen aus Leibeskräften, als säßen sie neben +geflügelten Engelsköpfen hoch oben auf einem Kirchenchor. Und ist es +auch nichts Heiliges, was sie singen, so ist es darum just auch nichts +Schlechtes, denn was sie singen, das sind diese süßen Mädchennamen, +die dem Herzen, ach! allzu nahe stehen. Fanny, Therese, Anna, Rosa, +Karoline, Josephine, Netty, Melusine!</p> + +<p>Am besten von allen singt Franz, der arme Schulmeisterssohn; darum +lieben sie ihn auch alle so sehr, die Freunde, die mit ihm zechen, +der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der +schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein, der +all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein +Herzeleid in Gold verwandelt. Die süßen Mädchennamen fließen in dem +Gesang der Liebe zusammen in eins, es ist die unsterbliche Geliebte, +die er besingt, die bald so und so hieß und eigentlich aber nur einen +Namen hatte. Es ist die Heimatstadt Wien selbst, die er in Melusine, in +Fanny, in Karoline, in Rosa, in Josephine, in Therese so unglücklich +liebte, diese unsterbliche Geliebte, die ihm die tiefen Herzenswunden +geschlagen, und die ihn mit Schmerz gesegnet, auf daß er seine Freude +singen möge.</p> + +<p>Die süßen Namen der Liebe, das Herz der Menschheit, die<span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span> +schmerzverklärte Freude, dies alles und noch viel mehr ist in Franz +Schuberts Lebenslied.</p> + +<p>Die Welt des Haders und der Zwietracht horcht auf, die fünf singen im +Grünen wie die Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen — der +finster blickende Herr Ludwig van Beethoven, der große Tragiker, der +sich in den bäuerlichen Weinbergshäusern versteckt und in seiner großen +Menschheitssinfonie das Lied der Freude singt, der hätte ein Vergnügen +an dem Quintett gehabt.</p> + +<p>Die Seele hat soviel Kraft und Gesundheit, um auch in diesen trüben +Zeiten Augenblicke zu finden, wo der Himmel offen steht.</p> + +<p>G — d — g — fis — g — a — — —</p> + +<p>Aber der schwer erkaufte Frieden hält nicht lange.</p> + +<p>Der Himmel über ihm ist wolkenlos, doch am Horizont lauert schon neues +Unheil. Es bricht immer dann am stärksten hervor, wenn er glaubt, +daß alles überwunden sei. In steilen Linien auf und ab bewegt sich +die Schicksalskurve, heute hoch oben, morgen tief unten. Sonnige +Werke entstehen neben den Ausbrüchen tiefster Verzweiflung und +Seelenqual. Das heitere Es-Dur-Trio neben dem grausigen Nachtstück der +»Winterreise«.</p> + +<p>»Fröhlich, Freunde, fröhlich! Sagt ihr, es wohne nicht die Fröhlichkeit +unter meinem Dach?! Spitzt jetzt gefälligst eure Ohren, dann werdet ihr +sie vernehmen!«</p> + +<p>Die Freunde rasen vor Entzücken über das Es-Dur-Trio.</p> + +<p>»So gefällst uns! Ein echter Schubert! Erfüllt das Herz mit heiterem +Glück bis in alle Winkel! Scheucht alles Dunkle auf, jagt alle +Nachtgespenster von dannen<span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span> .... erquickt die Seele mit neuem +Lebensmut, reißt den Himmel auf über ihr, daß sie hineinschaue in +wogendes Weiß und Blau und Ströme von Glückseligkeit niederstürzen +fühlt aus leuchtenden Höhen ...«</p> + +<p>Das ist schon wahr, was die Freunde in ihrer überschäumenden +Begeisterung sagen.</p> + +<p>»Aber diese schauerlichen Lieder der ›Winterreise‹, die wollen mir noch +nicht ein ...« meint Spaun.</p> + +<p>Sie vermögen es alle nicht zu erkennen, daß in diesen »schauerlichen +Liedern« Franz am meisten er selbst ist. Seine tiefsten persönlichen +Ahnungen sprechen sich darin aus, in die dunkelsten Abgründe seiner +Seele lassen die Lieder hineinblicken. Ihre ergreifende Größe und +Schmerzensgewalt läßt sie dem Buch Hiob vergleichbar erscheinen. Ein +solcher Leidensmann ist der nun Dreißigjährige, der sich zugleich zu +dieser kindlich jubelnden Höhe seines Trios aufzuschwingen versteht.</p> + +<p>In diesen jähen Gefühlslinien bewegt sich sein Lebenslied: eine heitere +Liedweise als Grundton, dann ein jähes Abbrechen, ein qualvoller +Aufschrei der gemarterten Seele: e — fis — g — h — ais .....</p> + +<p>Es fehlt nicht an Anlässen, die tief in sein empfindliches Seelenleben +hineingreifen und diesen erschreckenden Umschlag bewirken. Er hat +die verhängnisvolle Gabe, den Anstoß wie eine rollende Kugel in der +gleichen Richtung weiterzutreiben, bis alle Seelentiefen aufgepeitscht +sind .... In dieser Widerstandslosigkeit seiner Seele gegen die Schläge +des Schicksals ist er Empfangender; er gleicht den Stoß in seinem +Innern aus, indem er sich durch sein Schaffen befreit, insofern ist er +ein Gebender. Was er<span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span> dafür hingibt, ist ein Stück Leben. Der Erlös +dafür? Dieser Schandlohn von sechs Gulden, wenn es nur der einzige Fall +wäre! Ein Werkelmann verdient mehr!</p> + +<p>Aber das ist es nicht, was ihn um und um stürzt. Das Leben ist auch +sonst gespickt mit tragischen Ansätzen, die die Neigung haben, +auszuwachsen und die Seele zu erschüttern.</p> + +<p>Daß Jenger aus Graz nach Wien zurückgekehrt, das wäre ja ein freudiger +Anlaß. Aber was alles drum und dran hängt! Sein erster Weg ist in das +Frühwirtsche Haus auf der Wieden nächst der Karlskirche, wo Franz noch +immer wohnt. In Schwindien also. In aller Frühe kommt er angestiefelt, +Franz liegt noch im Bett. Die gestrige Nachtschwärmerei — es ist +wieder hoch hergegangen im »grünen Anker« — vielleicht geniert er sich +auch ein bißchen: »Du mußt wissen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe +— es wird nimmer so recht mit der Gesundheit — Leib und Seele wollen +nicht mehr zusammenhalten — außer bei einem Glas Wein, da hat man ja +einen so täuschenden Schein von Kraft und Courage, aber sonst — man +gibt zuviel her bei der Arbeit ...« Ist ja auch was Wahres dran.</p> + +<p>Franz läßt sich das Schalerl Kaffee mit den zwei Kipferln, die die +Quartiergeberin bringt, schmecken, indessen Jenger bei ihm am Bettrand +sitzt und erzählt und erzählt. Alle Grazer Neuigkeiten schüttet er aus, +einen ganzen Sack voll.</p> + +<p>»Also du mußt nach Graz kommen! Du hast Freunde dort, nicht zum sagen! +Das Ehepaar Pachler ist geradezu vernarrt in deine Musik, na, wie +überhaupt alle. Sind<span class="pagenum" id="Seite_295">[S. 295]</span> recht liebe Leute, die Pachlers. Wohnen großartig +im Hallerschlössel ganz nahe bei der Stadt, das ist was für dich. +Grazer Patrizier, mußt du wissen, du sollst ein paar Wochen bei ihnen +wohnen, sie laden dich ein, ich möchte ihnen nur gleich schreiben, daß +du wirklich kommst ....«</p> + +<p>Vom Hundertsten kommt er ins Tausendste, auf einmal sieht er auf die +Uhr und springt auf.</p> + +<p>Warum er es denn so eilig hat? Er möchte noch vormittags hinaus in die +Schwarzspanierstraße — Apropos, es ist wahrscheinlich, daß auch der +Anselm Hüttenbrenner her muß. »Gebe Gott, daß es nicht so schlimm wird.«</p> + +<p>»Was ist denn los? Schwarzspanierstraße? In die Beethovensche Gegend?«</p> + +<p>»Ja, weißt du denn nicht —? Man fürchtet, es geht zu Ende mit ihm .... +seit acht Tagen ringt er mit dem Tod. Schindler, sein Vertrauter, hat's +geschrieben.«</p> + +<p>Mit einem Satz ist Franz aus dem Bett.</p> + +<p>»Beethoven am Sterben? O Gott!« Das große Licht, zu dem er anbetend +aufblickt, am Erlöschen?</p> + +<p>Jenger ist schon bei der Türe hinaus.</p> + +<p>Hastig kleidet sich Franz an. Die Gefühle wirbeln durcheinander. Er +kann keinen klaren Gedanken fassen. Der Tag vergeht, heute kann er +keine Note schreiben. Er versucht dies und das und legt es wieder +hin. So voll Unruhe ist er. Er fühlt es ganz genau: es kommt etwas +daher, das ihn trifft wie einen persönlichen Verlust. Wie hat er sich +hingesehnt nach dem Gewaltigen, der ihm wie ein Wegweiser erscheint +nach den höchsten Zielen ... Aber er hat es nicht gewagt, er hat Angst +vor dem ganz<span class="pagenum" id="Seite_296">[S. 296]</span> Großen, seine Erfahrungen mit Goethe haben ihn ganz +eingeschüchtert. Wie oft hat er dem Olympier nach Weimar geschrieben, +er hat ihm Stöße von Liedern geschickt — mit keiner Zeile hat er +geantwortet, Franz existiert für ihn nicht, die Hekatombe hat nicht +Gnade gefunden in den Augen des Göttlichen.</p> + +<p>Aber das war noch zu ertragen. Beethoven steht ihm näher als Vorbild +auf seinem ureigensten Felde. Er fürchtet, es könnte ihm mit dem +Schöpfer der »Eroika« und der unsterblichen »Neunten« ähnlich ergehen. +Es wäre ein Verdammungsurteil für das zaghafte Meisterlein — nein, er +versucht's lieber nicht ....</p> + +<p>Und jetzt krampft sich ihm das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß er +etwas versäumt hatte und daß es etwa zu spät sein könnte .... Da lebt +man in derselben Stadt, begegnet einander zuweilen in den Straßen oder +in den einsamen Feldwegen, weiß sich im Geist so nahe und kehrt lieber +um auf halbem Wege aus begreiflicher Scheu ..... und erfährt erst durch +Leute, die von fern kommen, daß der Tod an sein Haus pocht. So groß ist +die Einsamkeit um den Titanen, daß keiner den Weg zu ihm findet, bis +auf einen .... es greift Franz kalt an die Brust: auch seine Einsamkeit +wird keiner durchdringen, bis auf einen .....</p> + +<p>»Wann ist es denn gewesen, daß ich Beethoven zuletzt gesehen habe?« +Franz denkt nach. »Bei seinem letzten großen Konzert war es, wo er +selbst die ›Neunte‹ dirigierte, diese Sinfonie der Menschheit ....«</p> + +<p>Ganz richtig, es ist das letztemal gewesen, da man Beethoven am +Dirigentenpult gesehen hat. Er ist damals<span class="pagenum" id="Seite_297">[S. 297]</span> schon entrückt gewesen, +menschenentrückt durch seine Taubheit und Unnahbarkeit, weltentrückt +durch seinen Genius .... Das waren keine irdischen Klänge mehr, deren +Glanz er vor den Hörern ausbreitet, die kamen aus höheren Welten, über +den Schrei der verzweifelten Menschheit rauschten die Stimmen der +Seligen auf. Er hörte sie nicht mit dem leiblichen Ohr, aber mit dem +geistigen vernimmt er sie um so gewisser.</p> + +<p>Der letzte Ton verklingt, die Zuschauer wagen es nicht, sich zu +rühren vor Andacht und Ehrfurcht, der Meister steht noch oben mit dem +Taktstock, blickt starr auf das Pult vor sich hin und dirigiert weiter +aus dem Gedächtnis. Die geschriebene Sinfonie ist zu Ende, der letzte +Ton verhallt, ein Musiker nach dem andern verläßt still das Podium, +nur der Tragiker steht noch oben und gibt den Takt. Seine Taubheit ist +so groß, daß er sein eigenes Werk nicht mit dem leiblichen Ohr gehört +hat, aber die Hellhörigkeit seiner Seele ist so unendlich, daß er +den Weltgesang weiter hört und fort und fort den Takt dazu gibt. Die +Sinfonie ist nicht zu Ende für ihn .....</p> + +<p>Die Leute sitzen unten und wagen es nicht, sich zu rühren, sie sind +erschüttert von dem tragischen Anblick, viele weinen vor Rührung. Da +wagt es einer der Musiker, der hinter ihm in den Saal geschlichen ist, +den Lauschenden, von ewigen Harmonien Umfluteten leise am Rock zu +zupfen. Beethoven wendet sich um, wie aus allen Himmeln gestürzt, mit +einem Blick des Entsetzens schaut er sich um und flieht.</p> + +<p>Der Vorgang schneidet ins Herz, diesen entsetzten Blick vergißt +keiner, der ihn gesehen. Franz sieht alles klar<span class="pagenum" id="Seite_298">[S. 298]</span> wieder vor Augen. Die +bloße Erinnerung ergreift ihn mit der gleichen Heftigkeit wie jener +Augenblick. War es nicht so, daß der Geist des großen Meisters damals +schon entrückt war über die Menschen hinweg in lichte Seligkeiten und +dem himmlischen Wegweiser in seiner Einsamkeit folgte eine Straße +entlang, »die noch keiner ging zurück«?</p> + +<p>Das Zerren an dem Rock riß ihn zurück in die Wirklichkeit, vor der sich +sein Blick entsetzte. Er floh, er vergrub sich vor den Menschen, und +jetzt rüstete seine Seele zum letzten Male zur großen Heimreise. »Wird +ihn noch einer zurückrufen können, soll er gehen, ohne daß ich ihn +gegrüßt und ihm gedankt habe?«</p> + +<p>Einige Tage verstrichen. Das große Sterben drüben in der +Schwarzspanierstraße machte endlich von sich reden. Die Trauer breitete +ihren Flor aus. Das Herz der Stadt zitterte, man hörte den Tod, wie er +durch die Gassen ging.</p> + +<p>Jenger ließ sich nicht blicken. Endlich, endlich kam er zurück. Anselm +mit ihm. Schwarze Röcke, Zylinder, Flöre an dem Arm. Ihre Mienen +verkündeten schon von weitem: Beethoven tot!</p> + +<p>In der Tiefe wühlte und bohrte der Schmerzensquell, aber er brach nicht +hervor unter dem Schutt und Geröll. Das Phlegma, sagen die Leute.</p> + +<p>Mit diesem anscheinenden Phlegma ging Franz in der Mitte zwischen +Jenger und Anselm Hüttenbrenner.</p> + +<p>»Wenn schon nicht im Leben, so will ich im Tod bei ihm gewesen sein!« +sagte Franz mitten unter dem Schweigen.</p> + +<p>Sie gingen hinüber ins Trauerhaus.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_299">[S. 299]</span></p> + +<p>»Schindler erzählt, daß oft von dir die Rede war bei Beethoven!« weiß +Jenger. »Er hat viel Gutes von dir gesagt, es war ihm aber aufgefallen, +daß du dich immer versteckst ... ›Der kommt nach mir,‹ soll der Meister +einmal gesagt haben.«</p> + +<p>Franz ging stumm zwischen den beiden, das Herz schlug ihm gewaltig, +je näher sie dem Schwarzspanierhause kamen. Beim Tor wurde ihm ganz +schwach, er mußte ein wenig verschnaufen. Keine Macht hätte ihn die +Stiege hinaufgebracht, wenn er allein gewesen wäre. Diese zwei nahmen +ihn unterm Arm und stiegen hinauf. Im Vorzimmer oben empfing sie ein +grauhaariger Mensch, der nur flüsterte und den dreien durch Zeichen mit +der Hand bedeutete, einzutreten. Sie durchschritten ein Zimmer; der +Flügel stand darin, Stöße von Noten lagen darauf und am Boden umher, +eine schreckliche Verwahrlosung und Verödung grinste aus allen Winkeln, +Leichengeruch schlug ihnen entgegen ...</p> + +<p>Im nächsten Zimmer lag der große Tote. Franz starrte in das zerklüftete +Antlitz, in diese Züge, die nach innen gewendet waren und entrückt von +dem Hinaushorchen und Lauschen unendlicher Harmonien .... jetzt war +es ein zertrümmertes Steingebirge mit den gewaltsamen Spuren eines +beendeten Götterkampfes. Einer schreckensvollen Ruine glich dieser +irdische Rest, nachdem der Geist entflohen war.</p> + +<p>Es war zu qualvoll, in diese Walstatt zu sehen, Franz riß sich los und +stürmte fort. Am nächsten Tag ging er im Trauerzug als Kerzenträger. An +dem Zyklopentor des Währinger Friedhofs hielt Anschütz eine gewaltige<span class="pagenum" id="Seite_300">[S. 300]</span> +Rede von Grillparzer, der Sarg schwankte wie ein schwarzes Schiff in +diesen Hafen, Franz hatte zuweilen das Gefühl, als ging' es mit ihm +selber zu Grab. Gottes Finger rührte an sein Herz, aus der dunkelsten +Tiefe der Seele antwortete eine Stimme diesem Pochen, und was sie +antwortete, sollte später im Hiobsbuch seiner »Winterreise« stehen:</p> + +<p>»Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht. Allhier will ich +einkehren, hab' ich bei mir gedacht. Ihr grünen Totenkränze könnt +wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus +ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt, bin matt zum +Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt. O unbarmherzige Schenke, +doch weisest du mich ab? Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer +Wanderstab, nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!«</p> + +<p>Besonders in diesem letzten Wirtshaus winkt Gottes Finger fast wie beim +Heurigen.</p> + +<p>Zwei Freunde begleiten Franz am Heimweg. Unterwegs kehren sie noch ein +und sitzen in der Weinstube auf der »Mehlgrube«. Franz ist ganz in sich +gekehrt. Er schenkt das erste Glas voll, erhebt es und leert es in +einem Zug auf das Andenken des Heroen, den sie eben zu Grabe geleitet +haben. Er schenkt ein zweites Glas ein, er sieht die beiden anderen +ernst an und sagt: »Und jetzt trink' ich das zweite Glas auf den, der +ihm von uns als Erster nachfolgt ....«</p> + +<p>Damit hat's noch seine guten Wege. So viele Wirtshäuser man schon +gesehen und darin zur kühlen Rast geweilt hat, man wird noch durch +manches Wirtshäuslein<span class="pagenum" id="Seite_301">[S. 301]</span> kommen, ehe man zu dem letzten anlangt. Und der +sich matt zum Niedersinken fühlt und tödlich schwer verletzt, der muß +sich nun schon weiter helfen, weiter, nur weiter, an seinem treuen +Wanderstab.</p> + +<p>Unter den vielen Wirtshäuslein, die Franz auf seiner Lebensfahrt als +erquickliche Stationen befunden hat, gilt das »Blumenstöckel« im +Ballgassel als keines der schlechtesten. Es ist ein gemütliches Beisel, +wie er es gern hat, mit einem Glassalon nach der Hofseite, wo ein paar +Bäume stehen. In dem weißen Glassalon ist es gut zu sitzen in den +linden Sommernächten, wenn der herbe Geruch des Götterbaumes durch die +geöffneten Fensterflügel hereinstreicht.</p> + +<p>Anna Milder ist wieder zum Gastspiel in Wien, ihre Augen, ihr Lächeln, +ihre Stimme riegelt alle bittersüßen Erinnerungen auf, ganz traumselig +geht Franz mit Spaun und Mayrhofer, dem wieder einmal Umgänglichen, +nach dem Opernabend ins »Blumenstöckel«.</p> + +<p>Mayrhofer und Spaun schimpfen über die Wiener, die um die warme +Jahreszeit nicht mehr ins Theater zu bringen sind. Die »Iphigenie« +wurde vor einem fast leeren Hause gesungen. Um so voller war es dafür +beim »Blumenstöckel«. Mit Mühe und Not erobert man einen leeren Tisch +im weißen Glassalon.</p> + +<p>Beim Essen und Trinken vergeht leicht die Zeit, es ist bald an +Mitternacht; die Leibesstärkung hat die Seelenkraft erhöht, die +Begeisterung über die Eindrücke des Abends strömt in lauten Worten aus. +Es geht ziemlich ungeniert her, der Glassalon ist um die späte Stunde +fast leer geworden, nur am Nebentisch sitzen einige Gäste, die<span class="pagenum" id="Seite_302">[S. 302]</span> jedes +Wort aufschnappen. Die Augen, das Lächeln, die Stimme der Anna Milder, +in allen Tönen der Bewunderung wird sie gepriesen. Vor allem diese +Stimme!</p> + +<p>Franz schwärmt irgend was von dem Ideal der dramatischen Gesangskunst. +Da fängt einer am Nebentisch laut zu höhnen an, Spaun kennt ihn, es ist +ein Universitätsprofessor; er hat vielleicht schon zu tief ins Glas +geguckt, jedenfalls scheint er zur Stänkerei aufgelegt. Und legt auch +schon los, so halb und halb zum Freundestisch herüber.</p> + +<p>»Das nennt man Stimme? Gekräht hat sie wie ein Hahn; die kann ja +überhaupt nicht singen, weder Läufer noch Triller versteht sie zu +machen, ist doch eine Schande, die als Primadonna herzubringen — das +soll man sich vorsetzen lassen für sein gutes Geld ....?!«</p> + +<p>»So ein unverschämter Kerl!« Fast zugleich springen Mayrhofer und +Schubert auf; Franz schmeißt sein gefülltes Glas hin, so kochend vor +Wut hat man ihn noch nie gesehen. Er könnte dem Kerl am Nebentisch an +die Gurgel springen, mit Mühe wird er zurückgehalten. Es ist nicht +das erstemal, daß er ganz aus dem Häuschen gerät, wenn sich einer an +dem versündigt, was ihm heilig ist. Ein Schimpfduett hebt an, daß es +schauerlich anzuhören ist.</p> + +<p>Aber der andere drüben ist auch nicht maulfaul, und ein Dickschädel ist +er obendrein, von Nachgeben ist keine Rede. Es gibt einen richtigen +Wirtshausskandal. Franz ist kaum mehr zu halten, eine blutige Keilerei +scheint unvermeidlich, die Begleiter des ungebärdigen Professors<span class="pagenum" id="Seite_303">[S. 303]</span> +sind besonnen genug, den Halbbetrunkenen unterm Arm zu fassen und +hinauszuexpedieren.</p> + +<p>Die drei Freunde bleiben allein im Glassalon zurück. Sie haben wohl das +Feld behauptet, aber die wüste Wirtshausstreiterei ist gerade auch kein +erquickliches Erlebnis. Man fragt sich, wo nimmt denn so ein gemeiner +Kerl das Recht her, in den Seelengarten des anderen einzubrechen und +die schönsten Blumen zu zerstampfen? Wenn man auch seinen Mann gestellt +und den Kerl zu Paaren getrieben hat, so bleibt doch ein widerwärtiges +Gefühl zurück.</p> + +<p>Man ist in seinen zartesten und reinsten Empfindungen gedemütigt, +mißhandelt, besudelt worden, und dazu hat man das niederdrückende +Gefühl, daß man der Dummheit und Gemeinheit wehrlos ausgeliefert ist. +Da soll doch ein Himmeldonnerwetter dreinfahren! Die ganze erbärmliche +Welt könnte man zerschmeißen. Es kocht in Franz, kreideweiß sitzt er +vor dem Tisch, eine Zeit vergeht, er redet kein Wort.</p> + +<p>Da packt er plötzlich ein Glas und schmeißt es in die Ecke. Klirr! ist +es in tausend Scherben. Das wirkt wie eine Entspannung. Ein zweites +Glas fliegt nach. Klirr! ist das eine Freude, wenn alles in Scherben +geht! Die Wasserflasche, ein Schock Teller, die Karaffe mit Essig und +Öl, die Salzfässer, der Senftiegel — klirr, klirr, tschin! Jetzt sind +auch ein paar Fensterscheiben des Glassalons durch. Es hagelt Glas.</p> + +<p>Die Kellner stürzen herbei, stehen an der Tür, reißen Maul und +Augen auf und lassen es gewähren. Sie<span class="pagenum" id="Seite_304">[S. 304]</span> denken schon mit heimlicher +Schadenfreude an die fabelhafte Rechnung, die sie hernach schreiben +werden.</p> + +<p>Mayrhofer und Spaun sind nicht imstande, Franz zu bändigen, der außer +sich ist. Riesenkräfte sind in dem kleinen, etwas aufgeschwemmten +Körper lebendig geworden. Elektrische Schläge gehen von den plötzlich +straff gespannten und steinhart gewordenen Muskeln aus, die Freunde, +die ihm in die Arme fallen wollen, fliegen unter der heftigen Abstoßung +weg, als wären sie Spielbälle.</p> + +<p>Und nun packt Franz mit seinen zarten Händen den großen Wirtshaustisch, +hebt ihn hoch in die Luft und bum! fliegt der schwere Tisch in die Ecke +zu den Scherben, daß das Glas aufspritzt wie Wasser. Dann der nächste +Tisch, Bum und Krach! die Stühle nach, und nicht eher ist Ruhe, als bis +der ganze Glassalon einem Trümmerhaufen gleicht.</p> + +<p>Alles Elend, aller Ärger, alle Demütigung und Zurücksetzung, alles Leid +und aller Hohn, die ihm in diesem Leben zuteil geworden sind, drängen +herauf aus der Seele, die sich befreien will. Und mit jedem Stück, das +hinfliegt und in Scherben geht, löst sich ein Stück Unrecht, das man +erdulden hat müssen; es ist wie ein Erbrechen aus Ekel über den ganzen +Unrat dieser erbärmlichen Welt, den man hinunterwürgen hat müssen. Nur +daß er selber am Schluß auf diesem höllischen Misthaufen liegt, ein +armer, schmerzverkrümmter Hiob.</p> + +<p>So schaut der Franz mit seinem Phlegma aus?! Wer soll sich da +auskennen? Man weiß nicht, was in diesem sonderbaren verschlossenen +Gemüt steckt!</p> + +<p>Kopfschüttelnd lesen die Freunde das unselige Meisterlein<span class="pagenum" id="Seite_305">[S. 305]</span> auf, das +jetzt einem hilflosen Kinde mitten im zerschmetterten Spielzeug +gleicht. Er ist kaum seiner Sinne mächtig und kann sich nicht allein +erheben. Wie gelähmt ist er am ganzen Körper. Er wird in einen Wagen +gehoben, die Freunde bringen ihn heim. Dann liegt er tagelang zu Bett +und ist krank. Das Übel, das ihn vor Jahren befallen und ihn nie mehr +ganz verlassen hat, ist schlimmer als je geworden. Die Krähe, die Krähe +— stärker vernimmt die Seele das Fittichschlagen dieses Todesboten.</p> + +<p>»Eine Krähe ... ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen ...«</p> + +<p>Er summt das Lied aus der »Winterreise« vor sich hin, als ob er +Zwiesprach' halten würde mit dem Symbol.</p> + +<p>»Nun, es wird nicht mehr weit geh'n an dem Wanderstabe, Krähe, laß mich +endlich sehn, Treue bis zum Grabe ....«</p> + +<p>Der Skandal beim »Blumenstöckel« hatte flinke Beine wie jeder Skandal +und lief besonders hurtig um in einer Stadt wie Wien, die seit jeher +ein empfängliches Ohr für solche Chronik hat und mit ihrer angeborenen +Göttergabe der Phantasie die Geschichte auszuschmücken versteht, bis +sie so klingt, wie es die Leute am liebsten hören. Weil die Menschen +sich am größten vorkommen, wenn sie die Schadenfreude in Mitleid hüllen +können, so hören sie es am liebsten, daß einer ganz herunter ist, bis +auf den Grund; es gewährt ihnen das Gefühl der Erhebung, den leidenden +Mitbruder so in Staub zu sehen wie den armen Zöllner — »Herr, ich +danke dir, daß ich nicht bin wie jener ...« es ist das fadenscheinige +Mäntelchen der Nächstenliebe,<span class="pagenum" id="Seite_306">[S. 306]</span> aus deren Löchern allzuoft die +scheinheilige Selbstgerechtigkeit der sittlichen Entrüstung wie ein +schmutziger Hemdzipfel hervorguckt ....</p> + +<p>»Haben Sie schon das Neueste gehört? Im Rausch hat er alles krumm und +klein geschlagen — der Bsuff!</p> + +<p>Schad' um den talentierten Menschen — es geht bergab mit ihm — ein +rechter Bruder Saufaus ist er geworden —«</p> + +<p>In dieser Form gelangt die Legende den Schwestern Fröhlich zu Ohren. +Sie sind von aufrichtigem Mitgefühl bewegt — daß Franz sich vom +gesellschaftlichen Verkehr immer mehr zurückzieht und nur mehr im Kreis +seiner Wein-, Punsch- und Kaffeebrüderln gesehen wird, wenn er nicht +allein herumschwärmt, ist freilich eine bedauerliche Bestätigung der +bösen Mär.</p> + +<p>Die Schwestern veranstalteten ein Ständchen zu Ehren der Gosmar, +ihrer einstigen Schülerin und besseren Freundin, Franz hat für dieses +Fest einen Chor nach Grillparzers Versen »Zögernd leise ...« für +Mädchenstimmen komponiert — er soll es selbst dirigieren, das war die +Verabredung.</p> + +<p>Die Schülerinnen der Fröhlich, ein weißer Mädchenflor, werden in drei +Stellwagen am Hof gestopft, die gelben Wagen holpern mit Singsang +hinaus zum Langschen Haus in Döbling, wo die Gosmar wohnt, ein Klavier +wird heimlich unter ihre Gartenfenster geschoben — alles klappt, nur +der Musikus ist nicht da. Kathi nimmt sich vor, ihm gehörig den Kopf zu +waschen.</p> + +<p>Schon am nächsten Tag hat sie ihn aufgestöbert, er lächelt: »Ach ja, +ich hab' ganz vergessen darauf!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_307">[S. 307]</span></p> + +<p>Es bleibt ihm aber nicht geschenkt. In einigen Tagen bringen die +Schwestern das Ständchen im Musikvereinssaal in der Tuchlauben zur +Aufführung, man sollte schon beginnen — wer wieder nicht kommt, das +ist der Franz.</p> + +<p>Der Kathi ist gar zu leid. »Schade, daß er es auch heute nicht hören +sollte!« sagt sie zu Jenger. Ein Hofrat Walcher ist da, der weiß +Bescheid, »Musikanten trinken gern — wahrscheinlich sitzt er wieder +bei Wanner ›zur Eiche‹ auf der Brandstätte, dort gibt's gutes Bier, die +Musiker kommen dort gern zusammen —«</p> + +<p>»Natürlich schon wieder im Wirtshaus!« ruft Kathi ärgerlich aus, +Jenger muß sich sofort auf die Strümpfe machen und Franz herbeiholen. +Richtig sitzt er dort in aller Gemütlichkeit, aber er hat sich sofort +aufgemacht und ist mit Jenger gerade noch zur rechten Zeit ins Konzert +gekommen.</p> + +<p>»Nun?!« Kathi hat Haare auf den Zähnen, was sie einmal anfaßt, läßt +sie nicht mehr locker. »Nun?!« ihre erwartungsvolle Frage nach der +Aufführung. Franz ist ganz verklärt: »Wahrhaftig, ich hab' nicht +gedacht, daß es so schön wär' ....« Die Stimmung ist so versöhnlich, +sie hat wirklich nicht das Herz, jetzt mit der Moralpauke loszulegen — +aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nächstens also, in der eigenen +Wohnung, dann wird sie es ihm gründlich besorgen.</p> + +<p>Da kann sie aber lang warten. Mit keinem Auge ist Franz zu erblicken. +Argwöhnisch, wie Kathi ist, meint sie, er gehe ihr geflissentlich aus +dem Weg. Ein Zufall führt sie mit ihm auf der Straße zusammen, sie +nimmt ihn gleich ordentlich ins Gebet, die handfest Zupackende.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_308">[S. 308]</span></p> + +<p>Ob er nicht wüßte, wie ihre Adresse laute — und ob er nicht immer +offene Türen in ihrem Hause gefunden habe?! Was das also jetzt für +eine Art sei?! Und das mit dem Trinken — ein Wirtshausbrüderl, ein +Liederlich, ein Nachtschwärmer, ein Trunkenbold — o pfui!</p> + +<p>Sie meint es so gut und aufrichtig und möchte ihn auf den rechten Weg +zurückbringen, es ist ihr heilig damit. Er spürt die edle Absicht und +ist darum gar nicht böse. Er lächelt nur ein bißchen zu ihren Worten +und lenkt ganz sachte ab: »Schönen Dank für die gute Meinung, aber +soviel als mir die Leute andichten, könnt' ich ja gar nicht vertragen +— jetzt schon gar nicht, bei meiner wackeligen Gesundheit — nur grad' +soviel, als sich gehört, um ein bißchen bei Stimmung zu bleiben, oder +das bißchen Schlaf zu finden — also nur grad' soviel, als der liebe +Gott erlaubt hat, keinen Tropfen drüber, ist doch eine heikle Sache wie +mit jeder Medizin —«</p> + +<p>Er lächelt so weh dazu, daß ihr gleich die Strafpredigt vergeht und +daß sie in liebreichen, tröstenden Worten auf ihn einredet, die gütig +Verstehende, er möge sich nur nichts abgehen lassen, immer auch kräftig +essen dazu und sich's wohl schmecken lassen, die Medizin — —</p> + +<p>Das sieht sie jetzt klar; die Leute haben gelogen, ein Bsuff ist er +nicht, o nein! Ein ganzer, wirklicher, tiefer und darum leidender +Mensch ist er — — sie weiß nicht warum, aber auf einmal stehen ihr +die Augen voll Tränen ......</p> + +<p>Der September läßt sich wunderschön an, Wetter- und Geldverhältnisse +sind gleich gut wie selten im Jahr, die Sorgen, die Krankheit scheinen +entrückt — die Krähe<span class="pagenum" id="Seite_309">[S. 309]</span> schwebt hoch und fern — ein kleines schwarzes +Pünktchen, nicht größer wie eine Schwalbe im Himmelblau.</p> + +<p>Mit dem Grazer Ehepaar hat ein gar freundlicher Briefwechsel +stattgefunden — Jenger ist mit Franz über alle Berge zu Besuch im +Hallerschlössel. Vier Wochen sind sie aus — dem Franz hat's wohlgetan. +Sein gewitterbanges Herz hat einen Sonnenstrahl empfangen, der trotz +der Wolken nicht mehr vergeht — in diesem Sonnenfleck des Herzens +taucht das Hallerschlössel mit seinen vier Ecktürmen auf, der Grazer +Schloßberg, die Stadt mit ihren Kirchen, das lachende Antlitz der +steirischen Landschaft mit grünschwellenden Hügeln, Obstgefilden +und Weingärten, das gastfreundlich eifrige Ehepaar Pachler, die +Gesangsvereine, die Mädchen und Frauen, das liebevolle Drängen und +Feiern um ihn und er mitten drinnen, hochgeehrt und gepriesen — von +diesem Sonnenblick kann er auch in den trüben Tagen Freude und Trost +schöpfen wie aus einem unerschöpflichen Brunnen von Licht.</p> + +<p>»Wien will mir noch nicht recht in den Kopf,« lautete sein Dankbrief +an die Pachlerin, »'s ist freilich ein wenig groß, dafür aber leer +an Herzlichkeit, Offenheit, an wirklichen Gedanken, an vernünftigen +Worten und besonders an geistvollen Taten. Man weiß nicht recht, ist +man gescheit oder dumm, soviel wird hier durcheinander geplaudert, und +zu einer innigen Fröhlichkeit gelangt man selten oder nie. 's ist zwar +möglich, daß ich selbst viel schuld daran bin mit meiner langsamen Art, +zu erwärmen. In Graz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene +Weise, mit- und nebeneinander zu sein ...«</p> + +<p>Er tut sich bei seiner Rückkehr diesmal schwerer mit der<span class="pagenum" id="Seite_310">[S. 310]</span> Heimat als je +früher. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht ihn jetzt, wenn er durch +die Gassen geht, an Wohnungen vorüber, wo einst das Glück gehaust hat. +Und kommt er am nächtlichen Heimweg dort einsam vorüber, dann starrt er +wohl in die Höh', als müßt' er ein Gesicht erkennen, das er so innig +geliebt hat, wie er diese Stadt selber liebt, mit der er in den Stunden +des Haders oft bitter und schier ungerecht streng ist. Die einzige, +unsterbliche Geliebte, die ihm soviel und noch mehr war wie alle +zusammen, die er liebend gekannt hat, sie hat ihn schier vergessen, +aber sein Herz will's nicht fassen und geht eigensinnig die alten Wege +seiner Qual.</p> + +<p>»Still ist die Nacht — es ruhen die Gassen, in diesem Hause wohnte +mein Schatz; sie hat schon längst die Stadt verlassen, doch steht noch +das Haus auf demselben Platz. Da steht auch ein Mensch und starrt in +die Höhe, und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; — mir graust es, +wenn ich sein Antlitz sehe, der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. Du +Doppelgänger, du bleicher Geselle! Was äffst du nach mein Liebesleid, +das mich gequält auf dieser Stelle — so manche Nacht in alter Zeit —?«</p> + +<p>Das Herz schreit es auf — nach der »Winterreise« der schmerzlichste +Akzent seines »Schwanengesangs«, die Seelenbeichte in Tönen — nicht +dem liebsten Freund würde er sein tiefstes Geheimnis in dürren Worten +preisgeben, so schwer hat er es mit sich — bei seinem Phlegma — +bei seiner langsamen Art, zu erwärmen — niemand weiß, was in dem +verschlossenen, oft rauh und kurz angebundenen Menschlein steckt — +nur wenn er in seiner Sprache redet, in Musik, dann ist alles tief +Verborgene klar — —<span class="pagenum" id="Seite_311">[S. 311]</span> Immer ist es der Schmerz, der der Seele hilft, +fruchtbar zu werden. Der Tod Beethovens wirkt tief nach, in einem +höheren Leben steht er dem Vollendeten näher als früher im niederen +Alltag. Er geht immer weiter seine einsame Straße, den inneren +Wegweisern entlang aufwärts zur Höhe, wo er den Verewigten wandern +sieht. Aufs äußerste angespannt ist sein inneres Lauschen, gewaltig +strömt es auf ihn ein. Ein ganz Großes entsteht, die C-Dur-Sinfonie, +gleichsam mit einem Ruck ist er oben, ganz dicht bei Beethoven.</p> + +<p>Aber auch in anderer Weise fühlt er die Meisterhand, die ihn führt. Das +große Konzert Beethovens war ihm ein Wink gewesen. Damals sagte er den +Freunden: »Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein +ähnliches Konzert zu geben.«</p> + +<p>Gott will es; es sind zwar viele Hemmungen zu überwinden, innere und +äußere, nach mancher Verzögerung verwirklicht es sich doch, was einmal +innerlich so fest beschlossen erscheint. Es ist eine der wenigen +Erfüllungen, die ihm von seinen vielen Hoffnungen beschert wird.</p> + +<p>Franz wohnt nicht mehr in Schwindien, er hat sein Heim wieder in der +Tuchlauben aufgeschlagen, der weite Weg von der Karlskirche her wird +ihm zu mühsam, er will wieder im Kern der Stadt sein. Es hat sein Gutes +jetzt, wo es soviel zu tun gibt, die Vorbereitungen zum Konzert, der +fieberhafte Arbeitsdrang, das Schaffen, das so recht eigentlich ein +wehevolles Gebären ist. Vielleicht wäre es mit dem Konzert noch immer +nicht soweit gediehen, wenn nicht ein äußerer Hebel mithilft.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_312">[S. 312]</span></p> + +<p>Franz ist ja ein schweres Fuhrwerk und kann sich schwer zu dem bringen, +was mit der Öffentlichkeit zu tun hat. Die Wünsche eilen voraus, aber +das Fuhrwerk geht langsam und bleibt oft stecken. Mutter Not greift +jetzt in die Speichen; der Geldmangel ist empfindlich, es muß endlich +einmal wieder etwas Entscheidendes geschehen. Man hat so viele Nöte +mit gutem Humor ausgehalten, daß man glauben könnte, er sei es schon +so gewöhnt. Denn schließlich bekommt auch die Seele Schwielen und wird +abgestumpft gegen die Härten des Daseins.</p> + +<p>Aber es zeigt sich jetzt, daß Franz immer empfindlicher wird, seine +Seele kann keine Schwielen kriegen. Diese Empfindlichkeit peitscht ihn +auf und spornt ihn an, sonst wäre es auch diesmal kaum soweit gekommen. +Freilich hat er in Schindler, der so viele Jahre der treue Diener +Beethovens war, einen erfahrenen Helfer gefunden. Der läßt nicht locker +und treibt immer wieder an, wenn Franz kopfscheu wird. Das ist ein Mann +der Praxis. »Nur nicht verzagen, hübsch gescheit handeln und vor allem +nicht widerspenstig sein!«</p> + +<p>So kutschiert man unter dem Hütt! und Hott! Schindlers allgemach um +alle Ecken herum und ist fast schon am Ziel. Das Konzert ist für einen +Tag im März angesagt, muß aber verschoben werden und fällt wie durch +eine Fügung gerade auf den Tag, an dem ein Jahr vorher Beethoven +gestorben ist. Der Erfolg ist ungeheuer, es zeigt sich, daß der Ruhm +des jungen Genius auch in diesen scheinbar stillen Jahren gewachsen +ist. Ein schönes Stück Geld fließt in die Tasche des kleinen Meisters, +die Not hat für ein Zeitlein wieder ein Ende.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_313">[S. 313]</span></p> + +<p>Als der Sommer herankommt, sitzt Franz leider schon wieder ganz auf dem +Trockenen. So dringend eine Erholungsreise war, in diesem Sommer ist +nicht daran zu denken. Aus Graz kommen süße Locktöne, das Herz möchte +ja, aber der Geldbeutel erlaubt's nicht. Wenn man mit der Sehnsucht +fliegen könnte, wäre man ja schon über Berg und Tal, indessen sitzt +man bangen Herzens in der heißen Stadt und kann höchstens im Geist den +hochbeschwingten Flug unternehmen. Das ist ein strenges Glück, die +Arbeit — wenn man so recht darein versenkt ist und all ihre Gnaden +spürt, geht man Gotteswege; das Irdische, das oft allzu schwere Bürde +wird, fällt ab, halb schwebt man schon im Paradies.</p> + +<p>Wie ein Rausch kommt es über Franz. Er singt sich von der Erde +empor in den Himmel hinein. »Domine Deus«, mit lauter Stimme ruft +der Chor den Namen des Herrn — es ist die berühmte Es-Dur-Messe — +die Leiden erscheinen im Verklärungslicht, im Agnus Dei klingt — +ein Geheimzeichen für den Wissenden! — der Schmerzensakzent des +»Doppelgängers« auf: »... da steht auch ein Mensch und starrt in die +Höh' und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; mir graust es, wenn ich +sein Antlitz sehe — der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt ...«</p> + +<p>In veränderter Gestalt klagt das Liebesleid des Meisterleins zum Himmel +empor — im Unendlichen will er Erlösung finden.</p> + +<p>Nebenher entsteht das schöne Streichquartett in C-Moll, außerdem +vollendet sich der Zyklus seines »Schwanengesangs«. Es ist eine schöne +Lebensreise im eigenen Schaffensbezirk, wo Himmel und Erde ineinander +ruhen.<span class="pagenum" id="Seite_314">[S. 314]</span> Es ist das Land, das er als »Wanderer« gesucht und geahnt, »das +Land, das Land so hoffnungsgrün, so hoffnungsgrün, das Land, wo meine +Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn, +das Land, das meine Sprache spricht ....«</p> + +<p>Das sind die Stunden der gesegneten Arbeit mit ihren tröstlichen +Augenblicken. Aber diese leuchtenden Höhenwege werden steiler, +seltener, kürzer. Der Alltag umklammert ihn mehr denn je mit seinen +Leiden und Bedrängnissen. »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte +welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall, ich bin ein +Fremdling überall ...«</p> + +<p>Im Sommer wird sein Zustand so bedenklich, daß sein Arzt ihm dringend +nahelegt, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einer Gegend, wo er rasch +das Grüne erreicht. Franz gibt seine Stadtwohnung auf und mietet sich +bei seinem Bruder Ferdinand ein, der jetzt in der Kettenbrückengasse +wohnt. Der Wienfluß mit seinen Auen ist in der Nähe; nur ein paar +Schritte vom Haus, und er ist im Freien.</p> + +<p>Er ist nun aus der Stadt gezogen, die alten Schmerzen hat er gern +zurückgelassen, aber das unerträgliche Kopfweh will nicht vergehen. +Das Lied von der Krähe kommt ihm immer wieder in den Sinn. »Krähe, +wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen? Meinst wohl bald als +Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun es wird nicht weit mehr gehn an +dem Wanderstabe ....«</p> + +<p>Franz schleppt sich hin von Woche zu Woche, bald liegt er zu Bett, dann +rafft er sich auf und sucht Zerstreuung im<span class="pagenum" id="Seite_315">[S. 315]</span> Freundeskreis, aber es ist +nicht mehr das Rechte. Schwind nimmt Abschied, er geht nach München, +mit einer trüben Ahnung im Herzen sieht Franz den Freund scheiden, als +ob er es für immer wäre. Eine dreitägige Pilgerfahrt mit dem Bruder +Ferdinand zu Haydns Grab in Eisenstadt hält er noch mit Mühe und Not +aus.</p> + +<p>Einige Tage später läßt er im Gasthaus einen Fisch stehen, ein +plötzlicher Ekel erfaßt ihn, er muß wieder zu Bett.</p> + +<p>Nach einiger Zeit empfängt Schober einen Brief von ihm: »Ich bin krank, +ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken und wandle +matt und schwankend vom Sessel zum Bett und zurück ....« Er bittet +ihn um Lektüre — Indianergeschichten, Abenteurerphantasien in fernen +Landen; er sucht die Fernen. Die Freunde, Spaun, Lachner, Bauernfeld, +Mayrhofer, Hüttenbrenner besuchen ihn, als sie eintreten, wendet er +sich im Bett um, deutet mit der Hand an die Wand: »Hier ist mein Ende!«</p> + +<p>Am Abend stellen sich Delirien ein, mit Mühe wird er im Bett +zurückgehalten. Zwei Tage darauf empfangen die Freunde und alle, die +ihn geliebt haben, die erschütternde Nachricht: Franz Schubert am +Nervenfieber gestorben!</p> + +<p>Bauernfeld rennt klagend von einem zum anderen: »Die ehrlichste Seele, +der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner!«</p> + +<p>Im Gewand des Einsiedlers, um die Schläfen den Lorbeer, so wird er zu +Grab getragen. Er kehrt ein ins letzte Wirtshaus, nach dem er sich +so heftig gesehnt. Grüne Totenkränze sind ausgesteckt, fast ähnlich +wie beim Heurigen, wo der Herrgott mit dem Finger winkt. »Ihr<span class="pagenum" id="Seite_316">[S. 316]</span> grünen +Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins +kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt? +...«</p> + +<p>Diesmal hat sich für ihn eine kühle Kammer aufgetan zur ewigen Rast in +der Nähe Beethovens.</p> + +<p>Auf dem Heimweg vom Friedhof versammeln sich die Freunde, die ihm am +nächsten gestanden waren. Sie möchten so gern sagen, wie ihnen um Franz +ist, und bringen es nicht zuwege; jeder möchte es sagen, aber alles +Sagen war nur ein Stammeln.</p> + +<p>Einer steht plötzlich auf und macht es allen klar, die es wissen +möchten: unser großer Freund ist gestorben, aber seine Seele klingt +fort, sie ist die tönende Seele dieser Stadt ....... Sage mir keiner, +der brave Schulmeistersohn war trunken und darum sei er so früh +verdorben, denn das ist falsch. Er war trunken von Seligkeit und +Leid, und wenn es die allzu Braven sein »Verderben« nennen, gut, dann +war es ein göttliches Verderbnis, daraus seine schmerzlich süßen, +unsterblichen Lieder quollen, darin nicht nur der Wein singt, nicht +nur die Lerche jubiliert, nicht nur das Bächlein weint und die stummen +Forellen mitsingen in dem seligen Quintett, sondern vor allem das +eigene Herz, das Herz dieser Stadt, dieser gottgesegneten, verruchten, +alten, ewig jungen geliebten Heimat, die er in Not und Tränen zu +preisen nicht müde wurde, singend zu preisen wie einer der Jünglinge +im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen und so laut, daß seine Stimme über +Länder und Meere reichen und in der Wüste gehört werden muß, überall +wo ein Mensch ringt in Lust und Qual, mit sich allein, und das Herz +aufschreit,<span class="pagenum" id="Seite_317">[S. 317]</span> dieses gemarterte von sieben Schwertern durchbohrte, +aus allen Wunden blutende und in Tränen lächelnde, über allen Jammer +dieser Erde triumphierende, über allen Horizonten leuchtende Herz der +Welt .......... Darum haben alle den gottseligen Schulmeisterssohn vom +Himmelpfortgrund so sehr geliebt, die Namen, die er singt, die Freunde, +die mit ihm zechen, der Wirt, der ihm aufkreidet, der Forellenbach, +der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin +zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein Gottes, der all sein +Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid +in Gold verwandelt. Und darum ist er so reich gestorben, daß wir +alle seine Schuldner geworden sind, der Freund, der ihm borgte, die +Mietfrau, die den Zins nicht gleich bekam, der Wirt, der die Kreide +verschrieb, die Mädchen, die mit seinem Herzen spielten, und die ganze +große unbekannte Menschheit .......... Wenn er sang, dann stand die +Lerche still, dann hielt der Bach den Atem an, dann hoben die munteren +Forellen ihre Köpfe aus den Wellen, dann sangen sie leise mit, und ihr, +ihr alle sanget leise mit. Und die Welt des Haders, der Zwietracht +sang mit und der große Chor schallte aus allen Tiefen, von allen Höhen +....... Immer noch hören wir den Bach glucksen und schluchzen, wir +hören die stummen Forellen, die mitsingen, wir hören den Chor der selig +Leidenden, wir hören die Weinbergsfreudenstimmen von allen Höhen, wir +hören den Sang der Liebe durch die ungezählten süßen Namen rauschen, +die ihn als ebenso viele hold weibliche Verkörperungen umgaukeln — +er will sie fassen, sie zerfließen,<span class="pagenum" id="Seite_318">[S. 318]</span> immer wieder fließen sie in eine +zusammen, in diese eine große unsterbliche Geliebte; die Heimatstadt, +die der Sänger in scheuer Minne wahrhaft geliebt hat ........ Und diese +launische, undankbare, vergeßliche, eitle, oberflächliche, einfältige, +kindliche, herzensfrohe, tiefe, beglückende und zugleich so betrübende, +geschmähte, verfluchte, vor allem aber geliebte Stadt, sie hat uns — +sie hat ihm alle Wunden geschlagen, sie hat ihn mit Schmerzen gesegnet, +damit er von ihr zu singen und zu sagen wisse und wir mit ihm, diese +einzige, große unsterbliche Geliebte — — — — — — — Diese Heimat +— kennt ihr sie? Dort sind die Hügel belaubt und schlafen unter Reben, +des Gottes voll; dort ist der Wind ein Kuß und der Sturm ein Lied. Dort +plaudern die Bäche eine vertraute Sprache wie nirgend auf der Welt; +dort fließt in den Brunnen das Wasser des Lebens und in den Gärten +blüht die Liebe. Dort grüßen tausend Hände den Verstoßenen, wie sie +ihn verstoßen und gegrüßt haben, den Sänger der Heimat, dem sie es so +schwer gemacht haben, wie jedem, der Edles und Großes wollte — dem +sie es so schwer gemacht haben und von dem sie schließlich ein Lied +wie einen Denkstein im Herzen tragen ....... Laßt uns daran denken — +immer wieder muß ich daran denken, wenn ich die alten Wege gehe, den +Forellenbach entlang, an dem auch er so oft gestanden war, sinnend und +lauschend, den Sang der leisen Wellen und der munteren Forellen zu +erhorchen und das Summen der Freude, die noch in allen Reben schläft, +den ganzen Berg hinan. Laßt mich daran denken, wenn ich sehe, was sie +aus der geheiligten alten Heimat gemacht haben ....... Wie<span class="pagenum" id="Seite_319">[S. 319]</span> sieht +es zuweilen wirklich aus, das äußere Bruchstück der Heimat, die wir +inwendig im Licht der Verklärung sehen als wesentliches Stück unserer +Seele? In der ersten grünen Schenke gibt's Streit, ich gehe vorüber; +in der zweiten werden wüste Gassenhauer gesungen, ich gehe wieder +vorüber; über duftende Hausgärten her kommt eine keifende Stimme; ein +geschminktes Frauenzimmer vertritt mir den Weg. Ach, es ist nicht immer +die Liebe, die in den Gärten blüht; es ist nicht immer die Freude, die +aus dem Weinglas getrunken wird; es ist nicht immer die unsterbliche +Geliebte, die uns begegnet. Und selbst mein unvergeßlicher, klaräugiger +Forellenbach ist eine dicke, schmutzige, übelriechende Gosse geworden +und es sind längst keine Forellen mehr darin ....... Vielleicht sind +niemals Forellen darin gewesen — aber was tut's? Wenn ich über alle +diese Ärgernisse und Wirrungen des äußeren Lebens genau hinaushorche, +wenn ich genau in mich hineinhorche, dann werden die geliebten Stimmen +wieder lebendig, mit tausend unsichtbaren Händen grüßt der Genius loci +den Verstoßenen und hält ihn liebevoll geschäftig fest; ich fühle +es, daß wir alle, was uns auch trennt, irgendwie zusammengehören +in dem großen Seelenkonzert, darin der brave Schulmeisterssohn vom +Himmelpfortgrund den Taktstock führt ....... wir sind Brüder und +Freunde geworden durch ihn, das Herz der Stadt hat eine Stimme bekommen +und diese Stimme ist er, unser Schubert. Er gehört zu jenen, um +derentwillen unsere Stadt immer geehrt und geliebt werden wird, trotz +— trotz allem ..............</p> + +<p>Also sprach der eine und schloß mit den Worten: Brüder<span class="pagenum" id="Seite_320">[S. 320]</span> und Freunde in +Ewigkeit — sind wir mit ihm auch vorläufig zu Ende — so ist es darum +noch lange nicht zu Ende. Oh, noch lange nicht zu Ende! Hört es doch +— die Seele klingt fort, das Herz singt in seinem Lebenslied, der +heimliche Sang der tiefen Brunnen, es singt von ihm und dieser Stadt, +der großen unsterblichen Geliebten ................</p> + + +<p class="s4 center"><b>— Ende —</b></p> + +<hr class="full"> + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Vom <strong>Verfasser dieses Romans</strong></em></p> +<p class="s4 center">sind im gleichen Verlag erschienen:</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Amsel Gabesam</em><br> +<em class="gesperrt">Der Narr vom Kahlenberg</em></p> +<p class="s5 center">Roman</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Auf deutscher Straße</em></p> +<p class="s4 center">Amsel Gabesams Wanderjahre</p> +<p class="s5 center">Roman</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Chevalier Blaubarts Liebesgarten</em></p> +<p class="s5 center">Roman</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Die Vision der lieben Frau</em></p> +<p class="s5 center">Ein Münchner Künstlerroman</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Das große Bauernsterben</em></p> +<p class="s5 center">Das Buch eines Glaubenskrieges</p><br> + + +<p class="s3 center"><em class="gesperrt">Kultur der Seele</em></p> +<p class="s5 center">Lebensweisheit nicht ohne Humor<br> + in einem modernen Erbauungsbuch */</p><br> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75568 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/75568-h/images/cover.jpg b/75568-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..39879e1 --- /dev/null +++ b/75568-h/images/cover.jpg diff --git a/75568-h/images/illu-001.jpg b/75568-h/images/illu-001.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..cd9b4aa --- /dev/null +++ b/75568-h/images/illu-001.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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