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+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 ***
+
+
+
+=======================================================================
+
+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
+sind stillschweigend korrigiert worden.
+
+Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; ~gesperrte~ so und
++fett gedruckte+ so.
+
+Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes.
+=======================================================================
+
+
+
+
+ Hans Aanrud
+
+
+ Jungen
+
+ Vierzehn Geschichten
+ von kleinen ganzen Kerlen
+
+
+ Mit Bildern
+
+ von
+
+ Lisbeth Bergh
+
+
+ Erstes bis drittes Tausend
+
+
+ Leipzig
+ Verlag von Georg Merseburger
+ 1910
+
+
+
+
+ Einzige autorisierte Übersetzung aus dem Norwegischen von +Dr.+
+ Friedrich Leskien und Marie Leskien-Lie. Einbandzeichnung nach einem
+ Bild von L. Bergh von A. Andresen.
+
+ Alle Rechte vorbehalten.
+
+
+ Von Hans Aanrud erschienen:
+
+ +a+) ~für Kinder und Erwachsene~
+
+ Sidsel Langröckchen, Erzählung
+
+ brosch. M. 2,25 geb. M. 3,--
+
+ Kroppzeug, zwölf Geschichten von kleinen Menschen und Tieren
+
+ brosch. M. 2,25 geb. M. 3,--
+
+ +b+) ~für Erwachsene~
+
+ Erzählungen, sechzehn Geschichten
+
+ brosch. M. 3,-- geb. M. 4,--
+
+
+ Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig
+
+
+
+
+ Inhaltsverzeichnis.
+
+
+ Seite
+
+ Der Gemeindejunge 1
+
+ Amunds neue Ski 12
+
+ Wenn die Graugänse fliegen 22
+
+ In Großvaters Auftrag 36
+
+ Kirchenexamen vor dem Bischof 49
+
+ Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold
+ zu holen 67
+
+ Der erste Arbeitstag 80
+
+ Alexander und Buzephalos 92
+
+ Holzvermesser Ole Pedersen 106
+
+ Ranzenräuber und Zottelbär 114
+
+ Tischler Simen und der Blaufuchs 126
+
+ Die Kvinstöljungen 140
+
+ Erste Liebe 154
+
+ Wie Hans und Marte die Henne hüteten 173
+
+
+
+
+ Der Gemeindejunge.
+
+
+
+
+Die Sonne hatte schon längst ihren ersten goldenen Morgenstreifen über
+die Tannenwipfel ganz oben an der Westseite des Tals gesandt, war
+langsam die hintere Talwand bis auf den Talboden heruntergeschlichen
+und wollte eben beginnen, an der östlichen Talseite hinaufzukriechen,
+die bisher im Schatten gelegen hatte. Aber gerade als sie zwischen den
+Tannenwipfeln hoch oben hervorgucken wollte, war nichts mehr da, was
+sich hindernd dazwischenstellte, und auf einmal rieselte ihr gelbes
+warmes Licht in zitternden Wellen über die ganze Talseite hinab, es
+schlüpfte zwischen dem winzig kleinen jungen Laub hindurch, liebkoste
+das feine zarte Gras, das eben begonnen hatte hervorzusprießen, glitt
+glitzernd über die rauschenden Frühlingsbäche hin, die nach dem kleinen
+trüben Fluß unten im Talgrund hinabströmten, und füllte das ganze Tal
+mit seinem Licht. Mit einem Male war das ganze keimende, sprießende
+Leben des Frühlingsmorgens erwacht, aber die großen wohlgepflegten
+Höfe lagen noch still da, mit verschlossenen Türen und in der Sonne
+glitzernden Fensterscheiben, nur hin und wieder stieg ein blauer Rauch
+aus den Essen kerzengerade in die klare Luft.
+
+Ein kleiner Junge mit offnen blauen Augen kam und guckte durch das
+rotgestrichene Gattertor, das nach dem ebenen breiten Hofplatz
+auf Opsal führte. Nie hatte er etwas so Schönes gesehen wie das
+weißgestrichene Gebäude und die merkwürdige Treppe mit dem Geländer
+außen dran. Und alle die anderen langen, rotgestrichenen Häuser!
+
+Es war alles gerade, wie er sich die Königsschlösser gedacht hatte,
+von denen in den Märchen die Rede war. Es fehlte nur ein König drüben
+auf der Treppe, sonst war alles genau so! Er mußte unwillkürlich noch
+einmal nachsehen; es war aber keiner da.
+
+Er war nicht gerade ein Staatskerl, der kleine Junge, der dort durch
+das Gattertor guckte. Auf dem Kopfe hatte er einen durchlöcherten
+Strohhut, der so weit hinten im Nacken saß, daß der blonde Schopf
+gut zu sehen war, der fast bis über die großen blauen Augen und eine
+kleine wichtige Nase herunterhing. Eine Jacke trug er nicht, nur eine
+karrierte Unterjacke, die an den Ärmeln geflickt war. Die Hosen, die
+nur aus Flicken bestanden, reichten nicht weit über die Knie, so daß
+man die großen Frauenstiefel, in denen er ging, ganz sehen konnte;
+sie waren viel zu groß, die Schäfte gähnten um die dünnen Waden, da
+die Riemen nur für die Hälfte der Löcher ausgereicht hatten, und die
+Spitzen bogen sich vorn nach aufwärts. Im Arm trug er ein Bündel, das
+in ein dunkles karriertes Tuch eingewickelt war.
+
+Es war der acht Jahre alte Tor aus Stubsveen, dem obersten Häuslerplatz
+ganz oben am Waldrand drüben auf der anderen Talseite; er sollte heute
+seine Stellung als Gemeindejunge auf Opsal antreten.
+
+Plötzlich zuckte er zusammen, bewegte sich nicht etwas da drüben auf
+dem Hof? Er blickte hin. Nein, es war wohl nichts. Alles war so still;
+ob sie wohl noch nicht aufgestanden waren? War das eine Art, mitten am
+hellichten Tage! Er sah nach der Sonne, die jetzt bis über die obersten
+Tannenwipfel gekommen war.
+
+Nein, es war doch wohl noch sehr früh. Die Uhr hatte auch die letzten
+Tage drüben in Stubsveen gestanden. Er mußte warten.
+
+Er wandte sich um, stützte den Ellbogen an das Gatter und den Kopf in
+die Hand und sah über das Tal hin und weit an der anderen Seite hinauf.
+
+Da lag Stubsveen -- er hatte es nie aus so weiter Entfernung gesehen.
+Es war aber auch nicht viel daran zu sehen, er hatte nicht gewußt, daß
+es so armselig aussah und so unermeßlich hoch oben lag.
+
+Übrigens durften sie sich nicht einbilden, daß es so armselig war, wie
+es von hier aussah; sie konnten nicht den Söller auf der anderen Seite
+sehen, und dort war auch das Kammerfenster, das machte viel aus. Er
+guckte wieder nach dem Hof, -- Opsal sah auch nicht so prächtig aus von
+da oben, wie es war. So kam er also doch nach Opsal. Die kleine Ane
+mußte sich damit begnügen, nach Hoel zu kommen; -- nun! Hoel war schon
+auch prächtig genug, aber mit Opsal ließ es sich nicht vergleichen.
+
+Er mußte daran denken, wie er und Ane neulich gegen Ende des Winters
+am Fenster drüben in Stubsveen knieten und über das Tal blickten und
+sich aussuchten, wo sie in Dienst gehen wollten, wenn sie groß wären.
+Ane war gleich bereit zu sagen, daß ~sie~ nach Opsal wollte, aber
+da hatte Tor gesagt, daß ~er~ dorthin wollte, denn er wäre ein
+Junge, und er wäre der Älteste, und sie wäre nur ein Mädchen; aber Ane
+war hartnäckig, und da zankten sie sich. Da wurde zuerst Ane von ihm
+durchgeprügelt und dann er von seiner Mutter; ja sie konnten sagen, was
+sie wollten, es war nun einmal so, daß die Mutter ein bißchen zu viel
+zu Ane hielt; denn ~die~ konnte auch manchmal unartig sein; --
+wenn er es vielleicht öfter war, so war er auch ein Jahr älter.
+
+Seine Augen glitten unwillkürlich nach Hoel hinüber, einem andern
+großen Hof, ein Stück davon entfernt.
+
+Ob Ane wohl jetzt bis nach Hoel gekommen war? Vielleicht stand sie auch
+da und wartete; es sah auch nicht aus, als ob sie dort aufgestanden
+wären.
+
+Ane konnte einem richtig leid tun, sie war so still und kümmerlich, als
+sie sich hier unten am Gatter trennten.
+
+Ach, Ane konnte doch auch furchtbar gut sein. Wenn er es sich recht
+überlegte, so war sie wohl doch viel, viel besser als er. Ja, das war
+kein Zweifel, das hatte sich besonders in der letzten Zeit gezeigt.
+Denselben Tag, wo er sie durchprügelte, war der Vater krank geworden,
+es war Lungenentzündung, und Ane weinte viel mehr als Tor, als der
+Vater krank war, und als er starb, und als sie ihn zur Kirche fuhren
+und Erde auf ihn warfen.
+
+Ja natürlich, er fand es auch so traurig, wie irgend möglich, aber es
+lag jetzt auf einmal so vieles auf ihm, daß er zum Weinen keine rechte
+Zeit hatte. Erstens mußten sie den furchtbar dicken Doktor mitten im
+schlimmsten Tauwettermorast bis nach Stubsveen hinaufschaffen, und
+wenn er auch wütend war über den Weg und das Fahrzeug und die ganze
+Schererei, so war es doch ein Aufzug, der nicht eigentlich zum Weinen
+war, -- sie konnten darüber denken, wie sie wollten. Dann kam die
+Leichenstrohverbrennung -- er mußte es noch selbst anzünden -- und dann
+waren so viele Leute da, der Tischler und viele alte Weiber, und dann
+gab es ein Leichenbegängnis mit Geschenken und so vielen guten Dingen,
+wie er nie oben in Stubsveen gesehen hatte, und dann fuhren sie mit
+vier Schlitten nach der Kirche, und er durfte auf dem Schlitten, der
+gleich hinterm Sarge fuhr, hinten aufsitzen.
+
+Wenn er alles wahrheitsgemäß überdachte, so hatte er eigentlich nicht
+mehr als einmal geweint, und das war -- hinterher; es geschah obendrein
+hauptsächlich, weil die Mutter so sehr weinte, als sie von dieser
+Gemeinderatsversammlung, oder wie sie es nannten, nach Hause kam, wo
+bestimmt worden war, daß er und Ane in der Gemeinde untergebracht
+werden sollten --, ja sie sollten nur nicht sagen, daß ~er~ der
+Gemeinde zur Last fiel, denn der Bauer von Opsal hatte ihn umsonst
+genommen und gesagt, ein solcher Junge wäre wohl imstande, sein Essen
+und seine Kleider zu verdienen.
+
+Aber Ane, die Ärmste, weinte die ganze Zeit. Auch heute früh, als sie
+von zu Hause fortzogen, weinte sie so bitterlich, daß sie nicht einmal
+den Kaffee herunterbekommen konnte; aber auch da wollten ihm keine
+Tränen kommen. Erst als er sich hier unten am Gatter, das nach Hoel
+hinaufführte, von Ane trennen sollte und er ihre kleine weiche Hand
+nahm und sagte: Leb' wohl denn, kleine Ane, schnürte ihm etwas die
+Kehle zusammen, und er mußte sich schnell umwenden und weitergehen;
+es war ja nicht gerade notwendig, es sehen zu lassen; aber auch da
+schluchzte Ane, er sah es deutlich an ihrem Rücken, als er sich
+umwandte, wie sie eben im Begriff war, so klein und kümmerlich durch
+das Gattertor zu gehen.
+
+Wenn er sie wiedertraf, sollte Ane wirklich sein Taschenmesser
+bekommen, das sie so gern haben wollte; er selbst würde es nicht mehr
+so nötig haben, er müßte doch zusehen, bald ein Scheidenmesser zu
+bekommen.
+
+Er blieb eine Weile stehen, dann guckte er wieder durch das Gatter.
+Wahrhaftig, dort war der König draußen auf der Treppe, ein großer
+starker Mann in schlohweißen Hemdsärmeln. Aber er hatte keine Krone
+auf, nur eine kleine Schirmmütze, die weit hinten im Nacken saß.
+
+Unsinn, das war natürlich der Bauer selber. Wie er sich dehnte und in
+der Morgensonne wohl fühlte!
+
+Ja, jetzt mußte er wohl hin und sich zur Stelle melden.
+
+Er öffnete vorsichtig das Gattertor, schlüpfte durch und machte es
+hinter sich wieder zu, ohne sich umzuwenden; -- es war, als machte es
+ihm Mühe, zurück zu blicken. Er blieb einen Augenblick stehen, zog die
+Hosen herauf und schob den Hut noch weiter in den Nacken. Dann hielt
+er die Arme in zwei großen Bogen von den Seiten ab und ging vorwärts,
+langsam und mit langen Schritten wie ein Erwachsener, die Augen die
+ganze Zeit auf den Mann auf der Treppe gerichtet.
+
+Als er näher kam, fiel es ihm offenbar schwer, gerade draufloszugehen,
+und so näherte er sich in einem großen Bogen der untersten
+Treppenstufe. Er nahm die paar Stufen, blieb stehen, machte eine tiefe
+Verbeugung mit dem Kopf, führte die eine Hand an seine weiße Mähne und
+streckte die andere aus:
+
+Guten Tag!
+
+Opsal nahm die kleine braune Hand, die ganz in seiner großen Faust
+verschwand, und sah mit verhaltenem Lächeln auf ihn herunter.
+
+Guten Tag. Sind so erwachsene Burschen schon so früh unterwegs?
+
+Ja, das sind sie. Es ist schönes Wetter heute.
+
+Opsal fuhr fort ihn anzusehen. Tor sah weg, setzte den Fuß vor und
+suchte eine erwachsene Stellung einzunehmen:
+
+Du bist der Opsal selber, scheint mir.
+
+Ja, sie nennen mich so. Aber was bist du für ein Bursche?
+
+Tor sah sehr erstaunt aus.
+
+Weißt du das nicht? Ich sollte ja jetzt dein Knecht sein.
+
+Meiner? Sieh mal einer an, da bist du wohl mein neuer Knecht aus
+Stubsveen. Wie heißt du?
+
+Weißt du das auch nicht? Ich heiße Tor.
+
+Ja richtig. Du bist wahrhaftig zeitig unterwegs.
+
+Ich finde eher, daß man hier spät aufsteht. Wir beginnen den Tag früher
+oben bei uns.
+
+Hm. Und jetzt hast du vielleicht vor gleich für immer dazubleiben?
+
+Ja, das war die Meinung.
+
+Tat es dir denn nicht leid, von Mutter wegzugehen?
+
+Die Kehle wollte sich Tor wieder zuschnüren, aber er biß die Zähne
+zusammen und schluckte alles schnell herunter.
+
+Ach, du weißt -- aber man kann doch nicht sein Lebenlang am
+Schürzenband hängen.
+
+Opsal lächelte.
+
+Ja, willkommen denn, und geh dann mal in die Küche und sieh zu, daß du
+etwas zu essen bekommst; du hast wohl Hunger nach dem langen Weg, den
+du schon hinter dir hast.
+
+Aber ist es nicht unrecht, mit Essen zu beginnen, ehe ich etwas getan
+habe?
+
+Ja, was hast du dir eigentlich gedacht, daß du hier auf Opsal tun
+willst?
+
+Das, was du von mir verlangst.
+
+Glaubst du, daß du das alles kannst?
+
+Nach dem, was ich gehört habe, sollst du kein unbilliger Mann sein;
+übrigens -- er betrachtete Opsal von oben bis unten mit seinen offenen
+blauen Augen -- kann es schon sein, daß ich imstande wäre, Dinge zu
+tun, die du selbst nicht bewältigen könntest.
+
+Was sollten denn das für Dinge sein?
+
+Tor antwortete rasch:
+
+Die Kälber durch das Gebüsch jagen.
+
+Der Opsal sah sich selber an, und dann lächelte er Tor zu:
+
+Du bist wohl ein großer Schelm.
+
+Tor sah ihm lächelnd gerade in die Augen:
+
+Ja, wenn ich nur nicht hier auf Opsal meinen Meister finde.
+
+Opsal nahm ihn an der Hand: So, jetzt mußt du mit hereinkommen und dir
+die Leute und die Einrichtung ansehen, und wenn es dir gefällt, dann
+ist es wohl am besten, ich ernenne dich gleich zu meinem Großknecht.
+
+Jetzt hast du mich wohl wieder zum besten, Opsal; aber vielleicht
+könnte ich auch das fertigbringen.
+
+Sie gingen Hand in Hand hinein.
+
+So hielt der Gemeindejunge seinen Einzug auf Opsal.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Amunds neue Ski.
+
+
+Amund schielte unter der Felldecke hervor:
+
+Ane Marja? -- A--ne Mar--ja! Sagte der liebe Gott etwas davon, wie
+lange es dauern sollte, bis ich meine Ski bekäme? Er lauschte. Nein,
+Ane Marja schlief wohl schon. Teufel auch! er mußte es jetzt wissen,
+denn so ging es nicht weiter.
+
+Ane Marja hatte gesagt, daß alle artigen Jungen Ski vom lieben Gott
+bekämen, und da konnte kein Zweifel sein, daß er sie bekommen würde.
+Aber es war ihm darum zu tun, sie bald zu bekommen; Ane Marja und der
+liebe Gott sollten nur wissen, wie es war, drüben auf dem Südfeld zu
+stehen und alle die anderen Jungen Schlitten fahren zu sehen. Und
+die Skibahn, die jetzt war! Wenn der liebe Gott selbst zum Skilaufen
+zu alt war, so mußte er doch wissen, daß Amund im Frühling keine Ski
+brauchte, wenn der Schnee entweder zu weich oder zu hart war. Nein,
+sollte er welche haben, so mußte es jetzt sein. Er konnte auch nicht
+begreifen, warum es so lange dauerte. Denn artig war er gewesen. Am
+zweiten Weihnachtsfeiertag hatte Ane Marja es gesagt, und jetzt war
+schon Hochneujahr, und in dieser ganzen Zeit hatte er sich nicht mit
+der kleinen Liese gezankt, nicht einmal, als die Lakritzenstange in
+seinem Kasten anfing kleiner zu werden, -- ja, denn es konnte niemand
+anders als Liese sein, die daran schuld war. Er hatte nur den Kasten
+zugeschlossen, denn da hörte doch alles auf. Sie konnten doch nicht
+verlangen, daß er sie alles aufessen lassen sollte. Nein, ~daran~
+konnte es nicht liegen. Jon Rönningen hatte schon vor langer Zeit Ski
+bekommen, -- Amund glaubte übrigens nicht, daß diese Ski so wundervoll
+wären, wie Jon immer tat, -- und er war gar nicht artig; -- ein
+richtiger Lümmel; -- und wie er fluchte!
+
+Und dann Hans Svebakken. Er hatte zu Weihnachten welche bekommen; ach
+ja, das war nicht ganz unbillig; ~denn er war artig~; er hatte
+Amund gestern zweimal seine Ski geborgt, um auf dem Südfeld darauf zu
+laufen.
+
+Nein, er konnte es nicht begreifen. Wenn es wenigstens so gewesen wäre,
+daß es viele gab, die Ski haben sollten, so konnte man dem lieben Gott
+verzeihen, daß er nicht genug fertigbekommen hätte; aber es waren ja
+nur Amund und Lars Sagbakken, die keine hatten.
+
+Ach ja, er glaubte schon, daß er sie vor Lars bekommen würde, denn Lars
+sagte gestern: Hol' mich der Teufel, und das war ein Fluch, hatte Ane
+Marja gesagt.
+
+Aber, du liebe Zeit -- warum konnte er sie nicht gleich bekommen? Es
+war schade um jeden Tag, den es länger dauerte.
+
+Sie meinten wohl doch, daß er nicht artig genug wäre. Aber er hatte
+getan, was er konnte, -- und Amund zog wieder den Kopf unter die
+Felldecke.
+
+Wenn Lykkelin bald Zicklein bekommen hätte, so würde er sich weder von
+Ane Marja noch vom lieben Gott haben hereinreden lassen; denn Lykkelin
+hatte immer Zwillinge, und für das Fell von ihnen hätte er schon ein
+Paar Ski bekommen, -- wenn sie auch nicht so besonders gut gewesen
+wären --; aber Lykkelin setzte in diesem Jahre aus. Sie sollte erst
+Mitte Februar Junge haben.
+
+Er steckte den Kopf wieder hervor.
+
+Nein, er mußte es sich noch einmal überlegen, woran es wohl liegen
+könnte. Hatte er etwas getan, was nicht recht war? Ja, er hatte das
+Band aus dem Schlitten genommen, damit Liese ihn nicht brauchen sollte;
+aber das konnte er doch machen, wie er wollte, denn es war ~sein~
+Schlitten. Doch, er war artig gewesen. Aber sie glaubten vielleicht
+nicht an ihn?
+
+Ach, er würde gern den Schlitten und die Lakritze weggeben, wenn er sie
+nur bald bekäme!
+
+Die Lakritze?
+
+Sollte er es damit versuchen, um ihnen zu zeigen, daß es ernst war? Ja,
+das wollte er tun.
+
+Er richtete sich vorsichtig auf den einen Ellbogen auf und horchte, ob
+Ane Marja schlief. Ja, sie schlief.
+
+Dann kroch er vorsichtig unter der Felldecke hervor und schlich sich
+leise durch das Zimmer bis an seine Truhe. Den Schlüssel hatte er
+daruntergelegt. Er öffnete sie, nahm die Lakritzenstange heraus und
+wickelte sie aus. Dann ging er ans Fenster. Es war am besten, sie dahin
+zu legen, da konnte der liebe Gott sie durch die Fensterscheibe sehen.
+
+Er hielt inne und überlegte, ob er sie erst kosten sollte. Nein, lieber
+nicht. Der liebe Gott sollte sehen, daß er es ernst meinte.
+
+Er legte sie hin und schlich wieder in sein Bett zurück. Jetzt war
+es getan. Er fühlte sich ganz sicher. Das konnte nicht fehlschlagen,
+morgen noch würde er Ski bekommen. Er glaubte schon darauf zu laufen,
+und er begann darüber nachzudenken, wie er sich den andern Jungen
+gegenüber verhalten wollte.
+
+Lars Sagbakken sollte sie vielleicht ein- oder zweimal borgen dürfen,
+wenn Amund sie nicht selbst brauchte. Aber gegen Jon Rönningen wollte
+er ordentlich stolz sein. Er hatte nicht vergessen, wie er neulich die
+Ski von Hans Svebakken borgte. Da hatte Jon, der Lümmel, gesagt, er
+sähe aus, als habe er Kartoffeln in der Hosenklappe.
+
+Ja, das kam davon, wenn man Hosen mit Klappe trug. Von jetzt an wollte
+er eine Hose zum Knöpfen haben mit Trägern, wie die größeren Jungen.
+Ja, Jon wollte er es schon wiedergeben. Er wollte ihm sagen, er sähe
+aus, als ob er Milchbrei in den Knien habe, denn Jon hatte krumme
+Beine.
+
+Dann schlief er ein.
+
+Und er träumte, daß er dastand und dem lieben Gott zusah, der im
+Begriff war, Ski zu tischlern; aber bisweilen kam es ihm auch vor, als
+wäre es nicht der liebe Gott, sondern der Tischler Ola, denn er hatte
+dieselben krummen Finger und denselben Riß über dem einen Knöchel.
+
+ * * * * *
+
+Am Morgen schlief er so lange, bis Ane Marja und Liese aufgestanden
+waren. Er schielte nach dem Fenster hin, als er die Hosenklappe
+zumachte. Wahrhaftig, die Lakritzenstange war kleiner geworden. Er
+beeilte sich, hinaus zu kommen.
+
+Liese stand hinter der Tür und sah nach, ob er böse wurde.
+
+Er erblickte sofort Ane Marja. Es war, als ob sie da stand und auf ihn
+wartete. Dann sah er sich um. Oh! Da standen sie an die Wand gelehnt,
+neu und fein, geteert bis an die Bindung. Er blieb wie gebannt stehen.
+Er sah sie und Ane Marja abwechselnd mehrere Male hintereinander an,
+dann fingen die Mundwinkel an zu zittern und sich krampfhaft weiter
+auseinanderzuziehen, beinahe bis an die Ohren, zu einem unendlichen
+Lächeln, und als er etwas sagen wollte, zog er den Atem ein, so daß er
+es nicht herausbekommen konnte.
+
+Ane Marja strich ihm übers Haar. Ja, sie sind für dich, aber jetzt mußt
+du wirklich ein guter Junge sein und weder aufschneiden noch fluchen,
+sonst nimmt der liebe Gott sie wieder weg.
+
+Er ging um sie herum und betrachtete sie von allen Seiten mit demselben
+Lächeln, und dann wagte er sie wegzunehmen.
+
+Nein, so wunderschöne Ski hatte er noch nie gesehen; wie die Spitzen
+in die Höhe standen und wie elastisch sie waren! Ob es wohl Birkenholz
+war! Nein, es war Tanne; ja, das war auch am besten. Birkenski waren
+Plunder, denn sie zogen sich so sehr.
+
+Dann mußte er prüfen, ob die Bindung paßte.
+
+Ja, es -- waren -- prächtige -- Ski!
+
+Er mußte gleich hinüber nach dem Südfeld.
+
+Dort waren sie schon versammelt, Jon Rönningen und Hans Svebakken und
+alle die andern, die Ski hatten, ja, sogar Lars Sagbakken, der keine
+hatte, stand schweigsam und kümmerlich da und fror. Er tat Amund heute
+richtig leid.
+
+Es herrschte ein großer Lärm und Spektakel. Schon von weitem sahen sie
+Amund kommen, und Jon rief:
+
+Nein, seht Amund mit den weiten Hosen, jetzt hat er Schneereifen
+bekommen!
+
+Amund vergaß, daß er nicht aufschneiden sollte:
+
+Auf den Schneereifen habe ich keine Angst vor dir, auch wenn du doppelt
+soviel Milchbrei in den Knien hättest.
+
+Dann sollten sie die Ski ansehen und begutachten.
+
+Jon musterte sie genau:
+
+Sie wären nicht sehr aufgebogen.
+
+Oh, sie wären allemal so gut, wie die Birkenstöcke von Jon, die beide
+Enden in die Luft setzten.
+
+Und dann werden sie nicht nach hinten zu schmäler. Sie würden nicht
+schnell gehen.
+
+Nein, aber dafür trügen sie auch, wenn der Schnee locker war. Die Ski
+sollten auch nicht wie ein Backholz sein.
+
+Und wie stand es, hatten sie die richtige Biegung?
+
+Jon nahm den einen auf und untersuchte ihn.
+
+Ja, etwas gebogen waren sie, aber nicht gleichmäßig, zuviel am
+Vorderende; bei lockerem Schnee würden sie unten einschneiden, und bei
+hartem würden sie sich kreuzen.
+
+Aber sie wären elastisch!
+
+Elastisch! Glaubte er vielleicht, daß das ein Vorzug wäre, wenn die
+Spitzen wie ein Tauende hin und her schlügen! Nein, die Thelemärker,
+die zwanzig Ellen hohe Sprünge ausführten, hätten steife Vorderenden
+mit einer ganz feinen Biegung --, so fein wie ein Flitzbogen. Solche
+wie diese könnten nicht einmal einen kleinen Satz aushalten, geschweige
+denn einen richtigen Sprung.
+
+Doch Amund wollte ihm zeigen, daß sie es aushalten könnten. Er erbot
+sich, überall nachzufahren, wo Jon mit seinen Birkenstöcken es ihm
+vormachte.
+
+Ja, sie könnten es ja erproben, -- nur über den Weg da unten.
+
+Dann machten sie sich auf, Jon voran, und Amund hinterher über das
+Südfeld hin. Jon nahm den Sprung und kam gerade auf den Weg unten
+an. Die Knie waren ihm etwas wackelig, aber er sprang zu, so daß er
+hinüberkam.
+
+Es war das erstemal, daß Amund sich an etwas derartiges wagte, und
+darum hingen ihm die Hosen hinten auch noch weiter herunter als
+gewöhnlich, wie er ganz zur Seite auf seinen Stock geneigt tiefe
+Furchen in den Schnee grub, so daß es stob. Er bekam zu wenig Schwung,
+kam nicht über den Wegrand, die Ski blieben stecken und knacks -- --;
+trotz seiner Hinterladung flog Amund kopfüber in den Schneehaufen.
+
+Er sprang wie verrückt wieder in die Höhe. Er glaubte einen Knacks
+gehört zu haben. Er packte den einen Ski und riß und zerrte an ihm
+wie wahnsinnig, bis er ihn draußen hatte -- das Vorderende war mitten
+durchgebrochen.
+
+-- Damit war diese Herrlichkeit vorbei. Mit dem anderen nahm er
+sich viel Zeit. Er mußte den Handschuh tief in den Mund stecken und
+zubeißen, um das Weinen zu unterdrücken.
+
+So etwas hätte er sich nie träumen lassen.
+
+Ganz betäubt nahm er sie bei der Bindung, einen in jede Hand, ohne sie
+anzusehen und begab sich auf den Heimweg.
+
+Es ging langsam. Er war so seltsam dünn und klein und krumm in den
+Hosen, wie er den ausgetretenen Weg neben der Rinne mehr heraufkroch
+als ging, und es konnte schon sein, daß die Hosen beinahe hinten
+aufstießen. Er sah gerade in den Schnee, auch als er an den Kameraden
+vorbeikam, und sie ließen ihn in Ruhe; es kam ihm vor, als wären sie
+auf einmal so still geworden.
+
+Er ging nach Hause, und suchte so zu gehen, daß ihn niemand sah.
+Die Ski versteckte er gut unter dem Vorratsgebäude zwischen einigen
+Brettern. Dann eilte er hinauf in die Kammer.
+
+Wenn es ~so~ ging, so wollte er seine Lakritze wieder haben. Er
+ging schnell ans Fenster.
+
+Wahrhaftig sie war schon halb aufgegessen!
+
+Er nahm sie mit einem Ruck:
+
+Gib mir meine Lakritze wieder, mein Junge, -- und dann wickelte er sie
+gut ins Papier und schloß sie in seine Truhe ein.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Wenn die Graugänse fliegen.
+
+
+Unter dem großen einsamen Ebereschenbaume oben auf der Höhe auf der
+Südseite des Hofes stand Ivar, beide Hände tief in den Hosentaschen,
+und sah über das Tal und nach dem Himmel im Süden.
+
+Es war schon richtiger Frühling in der Luft. Nur ganz oben an den
+Talrändern und auf den nach Norden gewendeten Abhängen lag noch Schnee,
+die Südabhänge und die langgestreckten Äcker waren schneefrei, und die
+Erde dampfte unter der milden Sonne. Oben in dem kleinen Tannendickicht
+lärmten die Elstern noch wie im Winter, aber auf den Äckern stolzierten
+die Krähen ernsthaft herum, lüfteten die Flügel, als ob es zu warm
+wäre, und schwelgten in all dem Gewürm, das die Sonne hervorlockte. Die
+Ackerfurchen entlang -- Per Madslien versuchte bereits auf dem Südacker
+zu pflügen -- gingen die Bachstelzen, die echten Frühlingsvögel, und
+zwitscherten und wippten mit dem Schwanz. Die Bäume trugen schwellende
+Knospen, die noch nicht aufgesprungen waren, und an den Feldrainen
+guckte hier und da eine kleine, gelbe, rundliche Blume hervor; aus
+dem Tal herauf ertönte eine tiefe Kuhglocke und dazwischen hinein die
+Glocken des Kleinviehes mit ihrem scharfen hohen Ton, und durch all das
+Geläute schnitt der einförmige, langgezogene, melancholische Ton einer
+Weidenflöte -- der Hirtenjunge mußte schon eine Weide gefunden haben,
+die ihre Rinde hergab. Die Luft war von Tönen aller Art erfüllt, die
+sich zu einer einzigen mächtigen Frühlingsstimmung mischten.
+
+Ivar schickte einen Jodler hinab, der Hirtenjunge antwortete und
+entlockte dann seiner Flöte einen langen, klagenden Ton. Es war so
+lockend, eine solche Unruhe in allen Dingen, daß es unmöglich war,
+still zu stehen und sich zu Hause zu halten; Ivar erhob schon den Fuß,
+um hinunterzurennen. Aber plötzlich richtete er seine Blicke wieder
+nach oben, dorthin, wo die Talränder im Süden sich zusammenschlossen.
+
+Er zog den Fuß zurück, blieb mit offnem Munde stehen, riß die Hände aus
+den Taschen und hielt sie schützend vor die Augen.
+
+Ja, da waren sie!
+
+Gerade über dem Einschnitt am Talende erschien ein kleiner dunkler
+Streifen, hoch oben in der Luft segelnd, gleichmäßig und taktfest,
+immer vorwärts!
+
+Das war die erste Schar Graugänse, auf die Ivar nun schon so viele Tage
+gewartet hatte.
+
+Seine Wangen röteten sich, er machte eine Wendung, als ob er ins Haus
+laufen wollte, bedachte sich aber; es war doch zu herrlich zu stehen
+und zu sehen, wie sie vorüberzogen.
+
+Die Schar kam näher, bog ein wenig nach der westlichen Talseite ab,
+es sah aus, als stiegen sie immer höher, je näher sie kamen. Bald
+konnte er die einzelnen unterscheiden, voran war eine große, starke als
+Wegweiser, dahinter die große Schar in zwei Linien, die in einer Spitze
+vorn zusammenliefen. Sie flogen gleichmäßig und sicher mit taktfesten
+Flügelschlägen.
+
+Als sie mitten vor ihm waren, packte ihn die Lust, diese Regelmäßigkeit
+zu zerstören. Die Mutter und Großmutter hatten ihm beide gesagt, daß er
+das nie tun dürfte, aber ehe er recht wußte, wie es kam, stand er da
+mit ausgestreckter Hand und zeigte auf die Schar.
+
+Im selben Augenblick schwankte die vorderste in der Schar und kam aus
+der Reihe, dann noch eine und noch eine, sie gerieten auseinander,
+sanken herab, verlangsamten den Flug, es war, als ob sie mit einmal die
+Kraft verlören und in die größte Verwirrung kämen.
+
+Lange, hilflose Schreie drangen aus der Luft hernieder, verloren sich
+in der Ferne, und merkwürdig, es klang, als kämen sie von allen Seiten.
+
+Ebenso plötzlich wurde Ivar von einer starken Angst gepackt, als habe
+er etwas ganz Schlimmes begangen --, er wußte doch, daß es Sünde war,
+auf die Graugänse zu zeigen. Er begann ein Vaterunser zu beten -- das
+hatte er gehört, war die einzige Art, es wieder gut zu machen.
+
+Der Wegweiser tat ein paar kräftige Flügelschläge, kam an die Spitze
+und bog mehr nach Osten ab; eine nach der andern arbeiteten sie sich
+wieder in die Höhe und bildeten wieder ihre Reihen, bald gewann auch
+die letzte mit ein paar kräftigen Schlägen den Anschluß wieder, die
+Schar glitt weiter mit taktmäßigen Flügelschlägen genau nach Norden.
+
+Ivar stand und folgte der Schar langsam mit den Blicken und wurde
+gerade mit dem Vaterunser fertig, so daß er ihnen das Amen nachnicken
+konnte, als sie den Tannenwald, der sich in blauer Ferne im Norden
+hinzog, erreichten und verschwanden.
+
+Es war, als sei die Freude daran ausgelöscht, aber er mußte nun doch
+wohl zur Großmutter hineingehen.
+
+ * * * * *
+
+Drinnen in der Auszüglerstube saß seine Großmutter, die alte Beret
+Madslien, in ihrem Lehnstuhl und brummte. Sie war klein und
+zusammengeschrumpft und saß in der Ecke zwischen dem Kachelofen und
+dem Bett, wohlverpackt in gestrickte Tücher, mit großen gestrickten
+Socken an den Füßen und einem dunkelkarierten Tuch über dem gestrickten
+Ohrwärmer. Die Tür zur Stube stand angelehnt, und von drüben drangen
+Stimmen herüber. Beret murmelte etwas vor sich hin, zog mit Mühe den
+Ohrwärmer zur Seite und horchte:
+
+Hm! Hm! Ach nein, sie waren schon vorsichtig und sprachen leise, daß
+sie es nicht hören sollte! Was sie wohl wieder heimlich vorhaben
+mochten? O nein, sie sollten sich nicht einbilden, daß sie so
+davonkämen.
+
+Oline!
+
+Keine Antwort. Sie nahm ihren Krückstock, der in der Ecke am Ofen stand
+und klopfte auf die Diele.
+
+Oline!
+
+Ja -- hier bin ich, Mutter! Was willst du?
+
+Eine energische Frau mittleren Alters erschien in der Tür.
+
+Ich kenne niemand, der so ist wie du, Oline. Nicht zu kommen, wenn ich
+dich rufe.
+
+Ich kam ja so schnell ich konnte, Mutter! und es handelt sich wohl auch
+um nichts Besondres.
+
+Nein, wenn du nur selber schwatzen kannst, so ist es dir gleich, ob
+ich den ganzen Tag allein sitze. Wer ist drüben?
+
+Meinst du es sei jemand drüben?
+
+O ja, ich hörte es wohl! Wer ist drüben? Ich will es augenblicklich
+wissen, hörst du?
+
+Ja, ja, es ist ja nur Marthe Moen.
+
+Was will sie?
+
+Oline machte sich irgendetwas am Schranke zu schaffen und antwortete
+nicht.
+
+Hörst du nicht, Oline! Sollte man es für möglich halten! Was sie will,
+frage ich?
+
+Ach nichts, sie wollte bloß hören, ob sie ein Ferkel haben könnte, wenn
+wir welche bekommen.
+
+Hm, hm! hat man so was gehört. Du hast doch nicht etwa auch ihr eins
+versprochen?
+
+Sie saß eine Weile ruhig und sah gerade vor sich hin. Dann hatte sie
+das Ganze vergessen und fragte plötzlich:
+
+Sind Fremde drüben?
+
+Oline warf einen scharfen Blick auf sie, schüttelte leise den Kopf und
+sagte in milderem Tone:
+
+Ich sagte dir doch, daß Marthe Moen da ist!
+
+Nein, ist sie da? Mit ihr muß ich reden. Bitte sie, daß sie zu mir
+herauskommt, ehe sie geht.
+
+Ja, das will ich tun, und Oline ging wieder hinüber.
+
+Eine Weile danach kam Ivar in die Kammer.
+
+Ihr Gesicht hellte sich auf, sowie sie ihn sah.
+
+Nein, bist du es Ivar!
+
+Ja, Großmutter; ich kann dich von den Graugänsen grüßen -- jetzt sind
+sie da!
+
+Pst -- sie winkte mit der Hand nach der Tür -- mach die Tür zu, Ivar,
+daß uns niemand hört.
+
+ * * * * *
+
+Sie hatten ihre Geheimnisse, die beiden, und das war so zugegangen:
+
+Es war lange her, daß die alte Beret Madslien das kleine
+Auszüglerstübchen verlassen hatte. Sie war alt, und obwohl sie gut
+eingehüllt war, fror sie beständig. Ihre Hände waren ganz in Ordnung,
+aber wenn sie in ihren Stuhl gekommen war, so saß sie da und konnte
+sich nicht allein erheben. Gesicht und Gehör hatte sie so einigermaßen
+bewahrt, aber mit den anderen Sinnen war es nicht mehr weit her,
+namentlich hatte sie ganz ihr Gedächtnis und ihre Urteilskraft
+verloren. Wie alle alten Leute war sie eigensinnig und neugierig
+geworden, und es war unmöglich, ihr etwas recht zu machen; wenn sie um
+etwas gebeten hatte, so war sie im nächsten Augenblicke unzufrieden,
+wenn man es ihr gab.
+
+Meist ließ sie ihre schlechte Laune an Oline, ihrer eigenen Tochter
+und der Mutter des Jungen, aus, weil sie am meisten um sie war. Sie
+bildete sich ein, daß sie ganz unglaublich viel zu erzählen habe.
+In Wirklichkeit war kein Zusammenhang in ihren Reden, es war dies
+und jenes, was weit, weit zurücklag, als ihr Mann noch lebte, und
+was sie nur noch in den gröbsten Zügen in der Erinnerung hatte und
+oft durcheinander mischte. Ab und zu hörte Oline ihr ja zu, aber sie
+merkte wohl, daß erwachsene Leute ihr nicht aufmerksam folgten, oft
+sogar lächelten, und das verursachte ihr Ärger. So war es gekommen,
+daß sie Ivar zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Er hörte ruhig zu, und
+es schmeichelte ihm, daß die Großmutter immer so vorsichtig war und
+flüsterte, damit kein anderer es hören sollte.
+
+Es war namentlich eins, womit sich die Großmutter diesen Winter
+abgequält hatte. Sie wollte ins Freie hinaus. Und das wollten sie ihr
+nicht erlauben. Einmal im Winter hatten sie ihr scheinbar nachgegeben,
+sie in die Stube hinüber und nach der Tür geführt, aber als sie so weit
+gekommen war, war sie plötzlich zornig geworden, »weil es derartig in
+der Stube aussähe« und hatte wieder in die Kammer zurückverlangt.
+
+Und seitdem -- sie hatte wohl verstanden, daß sie ihr damals nur zum
+Schein nachgegeben hatten -- sprach sie nie mehr zu den Erwachsenen von
+ihrem Wunsche, hinauszukommen; aber mit Ivar sprach sie um so mehr
+davon: Sie wäre nur vor Sehnsucht krank, sie wäre sicher, sie würde
+gesund werden, wenn sie nur das Tal zu sehen bekäme und die Wiesen, und
+die Sonne fühlte. Und das sollte an dem Tage sein, wo die Graugänse
+kämen, denn dann wäre der Frühling da.
+
+Die beiden hatten nun miteinander ausgemacht, daß Ivar ihr an jenem
+Tage hinaushelfen sollte, ohne daß die andern etwas davon wüßten --
+deshalb hatte er drüben auf dem Hügel gestanden und nach den Graugänsen
+gespäht, heute und viele Tage vorher.
+
+ * * * * *
+
+Die Großmutter war sehr eifrig, noch ehe Ivar die Tür geschlossen
+hatte. Dann warf sie einen langen Blick nach dem Fenster, beugte sich
+zu ihm und flüsterte:
+
+Flogen sie schön in Reih und Glied? Das ist ein gutes Zeichen.
+
+Er fuhr zusammen, wurde feuerrot und antwortete nicht gleich. Sie
+fragte auch nicht noch einmal, sondern sah ihn nur fragend an. Da sagte
+er:
+
+Ja, Großmutter, sie flogen sehr schön, wie ein Schneepflug.
+
+So sieh zu, daß du deine Mutter aus der Stube bekommst, damit wir
+durchkönnen.
+
+Er ging nach der Tür.
+
+Nein, warte ein bißchen Ivar, zieh das oberste Kommodenfach auf, da
+findest du ein Stück gebrannten Zucker.
+
+Du weißt, ich bekam das letzte gestern, Großmutter.
+
+So, so; ich möchte dir gern etwas schenken. Sieh nach, ob du etwas
+findest, was du haben willst.
+
+Er ging hin, zog das Fach auf, und seine Finger griffen nach einem
+silbernen Herzen. Sie sah es.
+
+Ja, ja, das sollst du haben, Ivar.
+
+Er war hocherfreut, aber da fiel sein Blick auf die Großmutter, und er
+dachte daran, daß er nicht die Wahrheit gesagt hatte.
+
+Nein, Großmutter, ich kann es ja später einmal haben, sagte er
+kleinlaut, legte es wieder ins Fach und ging hinaus. Bald darauf kam er
+schnell wieder herein, nahm einen Stuhl und trug ihn hinaus. Dann kam
+er wieder herein:
+
+Mutter ist mit Marthe Moen im Schweinestall.
+
+So?
+
+Ja, und nun habe ich einen Stuhl an die Südwand gestellt. Komm nun,
+Großmutter!
+
+Er reichte ihr den Krückstock und setzte die Spitze ordentlich auf der
+Diele zurecht, daß er fest stehen sollte, darauf stemmte er die Achsel
+unter ihren andern Arm und richtete sich auf. Sie kam in die Höhe. Sie
+war sehr eifrig, und die Spannung verlieh ihr Kräfte; es ging leichter,
+als sie erwartet hatte. Über die Türschwelle nach der Stube ging es
+gut, denn sie war ganz niedrig, aber als sie die Stube erst hinter sich
+hatten, wurde es schlimm. Sie mußte sich an den Türpfosten lehnen, und
+er beugte sich nieder und hob ihr den einen Fuß über die Schwelle,
+-- sie konnte ihn nicht so hoch heben. Dann mußte sie sich ein wenig
+drehen, damit er auch den andern hinüberheben konnte.
+
+Ein Schauder überfiel sie, es war, als würde sie noch kleiner, als sie
+durch die Tür kam und die frische Luft ihr entgegenschlug. Doch sie
+ermannte sich und versuchte zu lachen:
+
+Was für ein Unsinn, soll ich nicht hinauskommen, ich bin ja frisch wie
+in der Jugend!
+
+Eifriger setzten sie ihren Gang längs der Wand fort, bald waren sie an
+der Ecke. Da fing sie an müde zu werden. Das erste, wonach sie sah,
+war der Stuhl. Er stand noch ein Stück weit entfernt, zwischen beiden
+Fenstern. Sie krochen weiter. Ein paar Schritte vom Stuhle entfernt
+konnte sie nicht mehr, ließ den Stock los, streckte die Hand hilflos,
+sehnsüchtig nach der Stuhllehne aus, taumelte einen Schritt weiter, riß
+Ivar mit sich und bekam gerade den Stuhl zu fassen. Sie sank schwer
+darauf nieder, und Ivar setzte sie zurecht.
+
+Die Sonne schien warm auf die Hauswand, das Bachesrauschen kam in
+steigenden und fallenden Wellen, Vögel zwitscherten, Insekten summten,
+-- der Frühling lag in der Luft.
+
+Ivar stand da und sah sie an. Es fiel ihr schwer, den Kopf aufrecht zu
+halten, sie hob ihn langsam, begann an der einen Seite und ließ den
+Blick langsam rund um den ganzen Gesichtskreis wandern, aber es war ein
+matter und gleichgültiger Blick, und dann sank der Kopf wieder nach
+vorn und sie sah vor sich hin. Angst und Enttäuschung überfielen Ivar:
+
+Ist es dir nicht gut, Großmutter?
+
+Sie fuhr zusammen, schauderte, als sie seine Stimme hörte -- im selben
+Augenblick fuhr auch ein kalter Luftzug um die Ecke.
+
+Hm! Alles wird verdorben! Die Flur ist nicht wie in alten Tagen.
+
+Ivar machte große Augen.
+
+Wie war es denn damals Großmutter?
+
+Viel, viel schöner. Und die Sonne ist auch nicht mehr warm! Ja, nichts
+hat mehr seine richtige Ordnung. Ich will wieder hinein, mich friert!
+Hu!
+
+Ivars Stimme zitterte, und er hatte Tränen in den Augen:
+
+Ja, ja, Großmutter, wir wollen wieder hinein! Komm!
+
+Hu, wie kalt! Nein, ich kann nicht, du mußt deine Mutter holen!
+
+ * * * * *
+
+Am folgenden Tage waren eine Menge Leute in dem kleinen
+Auszüglerstübchen. Die Großmutter lag im Bett und phantasierte. Der
+Doktor war eben fort und hatte gesagt, es sei Lungenentzündung, und
+es sei nicht wahrscheinlich, daß die Großmutter in ihrem Alter sie
+überstehen würde. Die anderen waren ruhig und sprachen leise, aber sie
+weinten nicht weiter. Oline mußte doch hier und da, wenn die Großmutter
+im Fieber etwas recht Seltsames sagte, den Schürzenzipfel gebrauchen.
+Nur Ivar stand im Winkel beim Schranke und weinte unaufhaltsam. Niemand
+konnte es begreifen, denn Kinder pflegen so etwas nicht so ernst
+zu nehmen. Er hatte auch gestern den ganzen Tag geweint, und daher
+hatten sie ihn nicht weiter gescholten, und niemand hatte ihm von dem
+Ausspruch des Doktors erzählt, daß sie sich gestern erkältet habe, und
+daß er gewissermaßen daran schuld sei.
+
+Es war ganz still in dem Kämmerchen, nur die Großmutter phantasierte
+und Ivar schluchzte.
+
+Plötzlich wurde die Großmutter still. Nach einer Weile stieß sie einen
+leisen Klagelaut aus und sah sich um. Dann sagte sie mit einem seltsam
+milden Klang in der Stimme, so daß alle hörten, daß sie bei Bewußtsein
+war:
+
+Ist es Ivar, der so weint?
+
+Ja, sagte Oline. Ivar, die Großmutter fragt nach dir.
+
+Er ging hin, warf sich vor dem Bett auf die Knie und flüsterte:
+
+Es war nicht wahr, Großmutter; denn ich zeigte gestern auf die
+Graugänse.
+
+Ja, aber dann betetest du ein Vaterunser, wie ich dich gelehrt habe.
+
+Darauf sagte sie leicht mit einem Lächeln:
+
+Nein, wahrhaftig Oline, das hätte ich bald vergessen. Ivar soll das
+silberne Herz von mir haben.
+
+Das war das letzte, was die Großmutter sagte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ In Großvaters Auftrag.
+
+
+Burman saß auf dem Schwanz draußen im Hof im Sonnenschein. Er blickte
+mit dem einen Auge verstohlen nach den Hühnern, die vorsichtig in
+einem großen Bogen um ihn herumgingen und sich nicht getrauten ihm zu
+nahe zu kommen, und mit dem andern verfolgte er, was sich sonst im Hof
+zutrug: die Katze, die sich am Hause lang drückte und sich jedesmal
+flach auf den Boden legte, wenn die Turmschwalben wie schwarze Streifen
+vorüberflogen, daß es in der Luft pfiff, die Bachstelzen, die hin und
+her trippelten und Insekten fingen, und die beiden kleinen Ferkel, die
+drüben an der Stalltür herumwühlten. Er döste leise vor sich hin, denn
+es gab heute nicht viel zu tun, die Hühner schienen nicht in den Garten
+gehen zu wollen, und die Haustür war geschlossen, so daß die Ferkel
+nicht hineinkommen und Unheil anstiften konnten.
+
+Da ging die Tür vorsichtig auf und Burman drehte den Kopf. Es war der
+kleine Jon, der auf die Steinfliesen hinauskam und die Tür behutsam
+hinter sich schloß.
+
+Was das wohl bedeuten sollte? Er sah sich so schlau um und trug etwas
+unter der Jacke.
+
+Als Jon sich ein wenig umgesehen hatte, eilte er über den Hof hinter
+das Vorratsgebäude; er machte auch einen kleinen Bogen um Burman, denn
+die beiden waren nicht besonders gute Freunde. Jon fand, daß Burman
+häßlich war mit seinen langen Zotteln, und dann wedelte er nie mit
+dem Schwanz, wenn er ihn streichelte und sah ihn auch nie an, sondern
+blickte nur geradeaus und saß ganz still oder ging seiner Wege. Und das
+tat Burman, weil er der Ansicht war, er hätte wichtigeres zu tun, als
+sich mit so einem Jungen einzulassen, der einem lästig genug werden
+konnte, wie er aus seinen jüngeren Tagen wußte.
+
+Eine Weile darauf kam Jon zurück -- jetzt hatte er nichts mehr unter
+der Jacke --, er ging hinunter und stellte sich auf den großen Stein
+auf der anderen Seite des Hauses.
+
+Burman blickte ihm nach, bis er um die Ecke war, dann erhob er sich,
+sah sich noch einmal um und trottete hinter das Vorratsgebäude, er
+wollte sehen, was Jon dort hingelegt hatte. Er schnüffelte ein wenig
+herum und dann fand er verborgen unter einer Steinfliese an der Wand
+ein Tuch, in das etwas eingewickelt war; an dem Geruch merkte er
+gleich, daß es Butterbrot war. Hm, es war am besten, heute ein Auge auf
+Jon zu haben!
+
+Er ging wieder in den Hof, etwas weiter vor als vorher, so daß er am
+Haus vorbeisehen konnte, setzte sich gleichgültig auf den Schwanz und
+tat nicht dergleichen.
+
+Da stand Jon auf dem Stein und lehnte sich an die Wand. Er hatte
+wahrhaftig auch den neuen Schal um. Er stand mit einem sehr ernsten und
+vornehmen Gesicht da und versuchte tiefe und feine Verbeugungen mit dem
+Kopfe zu machen, und bei jedem Mal sagte er:
+
+Guten Tag.
+
+Endlich schien es ihm, als ob er es könnte.
+
+Eine tiefe Verbeugung:
+
+Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold?
+
+Er antwortete auch für den andern:
+
+Ja, der bin ich. Aber nimm erst mal Platz.
+
+O, danke, ich finde schon Platz.
+
+Woher kommst denn du?
+
+Ich bin von Sörbö -- ich sollte hierher gehen und dich vom Großvater
+grüßen und dir sagen, er erwartete dich in den nächsten Tagen, da er
+etwas hätte, was er unbedingt mit dir besprechen müßte.
+
+Nein, was du nicht sagst. Ja, dann geh bitte in die Gaststube und
+gedulde dich bis morgen.
+
+Er wiederholte es noch einmal, aber als er das drittemal anfangen
+wollte, kamen die Leute zum Frühstück, und er setzte sich auf den Stein
+und tat nicht dergleichen.
+
+Die Sache war, daß Jon sich vorgenommen hatte, heute einen Auftrag vom
+Großvater zu besorgen, doch das sollte niemand wissen, nicht einmal
+Großvater selber.
+
+Der alte Jon Sörbö, der Großvater, war jetzt so alt und schwach, daß
+er schon das dritte Jahr zu Bett lag. Er war nicht krank, aber die
+Kräfte reichten nicht länger, und das Gedächtnis begann auch allmählich
+nachzulassen. Wie alle seinesgleichen war er ziemlich quengelig
+geworden; wenn er sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es
+nicht leicht, es ihm auszureden. Und trotzdem alle versuchten, ihm,
+soweit es anging, seinen Willen zu lassen, so fand er doch oft, daß sie
+unbillig gegen ihn waren, und es gab eigentlich nur einen, der wirklich
+gut mit ihm auskam und sein Vertrauter war; das war der kleine Jon --
+der hieß ja auch nach dem alten Jon und war der zukünftige Hofbesitzer,
+der alles auf Sörbö wieder in die gute alte Ordnung bringen sollte, --
+denn der Alte fand, daß Jons Vater, der jetzt den Hof hatte, sich in
+vielen Dingen ganz seltsam anstellte.
+
+Im Frühjahr nun hatte der alte Jon es sich in den Kopf gesetzt, daß er
+absolut mit seinem alten Freund, Peter Sandvold, sprechen müßte. Was er
+eigentlich von ihm wollte, wußte er wohl selber nicht so recht, aber
+die Sehnsucht nach dem alten Freunde war da. Erst machte er dem Sohne
+nur eine Andeutung, indem er sagte:
+
+Jetzt, wo es auf den Sommer geht, werde ich wohl so weit zu Kräften
+kommen, daß ich auf sein kann, und da will ich den Peter Sandvold
+besuchen, ich muß notwendig etwas mit ihm besprechen.
+
+Er sah, wie der Sohn in den Bart lächelte, als er antwortete:
+
+Ja, das solltest du wirklich tun, Vater.
+
+Aber der Sommer kam und Jon fühlte sich nicht kräftig genug um
+aufzustehen.
+
+Daher sagte er eines Tages:
+
+Du mußt nach Peter schicken; ich muß ihn sprechen.
+
+O ja, das will ich gern bei Gelegenheit tun.
+
+Doch der Alte verstand wohl, was das hieß, und schickte den kleinen Jon
+hinterher, und der konnte später berichten, daß der Vater drüben in der
+Stube gesagt hätte:
+
+Es ist Unsinn, bei Peters hohem Alter, aber wir wollen so tun, als ob
+wir damit einverstanden wären, dann vergißt er es bald.
+
+Seitdem vertraute der Alte sich keinem anderen als dem kleinen Jon
+an. Er spekulierte und spekulierte, wie er es anfangen sollte, eine
+Botschaft zu senden. Weit war es ja, auf der Landstraße zwei und eine
+halbe Meile, aber quer über den Bergrücken knapp eine, wenn man den
+direkten Weg durch den Wald einschlug. Gestern nun hatte der kleine Jon
+ihm heimlich Feder und Papier gebracht, und er versuchte zu schreiben:
+aber es ging nicht und sie waren einig, daß sie warten müßten, bis der
+kleine Jon schreiben gelernt hätte; aber er sollte erst zum Herbst in
+die Schule kommen.
+
+Als der Alte das hörte, seufzte er:
+
+Herrgott, das wird ein langes Wartejahr.
+
+In diesem Augenblicke tauchte in dem kleinen Jon der Gedanke auf, über
+den Bergrücken hinüber zu Peter Sandvold zu gehen, um ihm Großvaters
+Botschaft zu überbringen.
+
+Das war es, was er heute heimlich vorhatte, und dafür hatte er den
+Reiseproviant verborgen.
+
+Er blieb ruhig stehen, bis die Schnitter die Sensen hingelegt, gegessen
+und sich zur Ruhe ausgestreckt hatten.
+
+Darauf eilte er hinter das Vorratshaus, holte das Bündel mit dem
+Proviant und machte sich auf den Weg.
+
+Burman war das einzige Lebewesen auf dem Hofe, das ihn sah.
+
+Er drehte sich um, setzte sich ganz ruhig wieder hin und sah nach der
+Höhe hinauf.
+
+Er wollte wohl zu Sjur Pladsen, dahin war er oft allein gegangen.
+
+Auf einmal spitzte Burman die Ohren -- da schlug er den Waldweg ein,
+und jetzt war er auch schon im Walde verschwunden.
+
+Burman begann mit seiner tiefen Stimme zu bellen, daß es zwischen den
+Häusern und über das Tal hin hallte.
+
+Bald darauf trat Jons Vater auf die Schwelle, zornig, weil er geweckt
+worden war.
+
+Kaum hörte Burman die Tür gehen, so bellte er noch lauter, lief ein
+paar Sprünge den Weg aufwärts und sah sich um.
+
+Verdammter Köter! Uns alle zu wecken!
+
+Burman bellte weiter.
+
+Pfui, willst du ruhig sein! -- er nahm einen Stein und warf nach ihm.
+
+Burman jagte mit eingeklemmtem Schwanz auf den Hof zurück, legte sich
+mit einem beleidigten Blick nieder und sagte nichts mehr.
+
+Als sie nach der Frühstückspause herauskamen, bellte er wieder
+hartnäckig nach dem Wege, der in die Höhe führte, hin. Die Männer
+folgten der Richtung mit den Blicken, und einer sagte:
+
+Was hat der Hund? Ob sich ein Landstreicher gezeigt hat.
+
+Aber der Bauer antwortete:
+
+Ach was, Unarten sind es. Pfui, willst du ruhig sein, wenn es nichts zu
+bellen gibt -- darauf gingen sie alle wieder aufs Feld und Burman legte
+sich wieder still auf dem Hofe nieder, die Augen spähend nach der Höhe
+gerichtet.
+
+Als sie zu Mittag wiederkamen, probierte Burman es noch einmal, sprang
+bellend den Weg hinan und wieder zum Bauern zurück, wieder hinauf und
+wieder zurück. Doch da wurde der Bauer ernstlich böse:
+
+Pfui, willst du ruhig sein, -- er gab ihm einen Tritt, daß er
+fortrollte -- hat man je so einen Köter gesehen.
+
+Während sie hineingingen, sandte Burman ihnen einen langen Blick nach,
+dann trottete er, den Schwanz schwer hinter sich herschleppend mit weit
+heraushängender Zunge in der heißen Sonnenglut langsam bergauf.
+
+Der kleine Jon war gewohnt, sich allein herumzutreiben, und niemand
+hatte ihn vermißt. Erst als sie gegessen hatten, sagte die Mutter:
+
+Wo mag der kleine Jon sein? Hat ihn einer gesehen?
+
+Nein, niemand hatte ihn seit dem Frühstück gesehen.
+
+Sollte er beim Großvater draußen sein?
+
+Sie ging in die Kammer hinaus und fragte.
+
+Nein, der Großvater hätte ihn seit dem frühen Morgen nicht gesehen, er
+hätte es so eilig gehabt.
+
+Sie begann unruhig zu werden und suchte im Hofe überall, wo er sich
+sonst aufhielt. Die Angst wuchs, sie kam herein und bat eins der
+Mädchen, zu Sjur Pladsen hinaufzuspringen und zu sehen, ob er da wäre.
+
+Ihre Unruhe begann die andern anzustecken, und alle fingen an, sich zu
+wundern.
+
+Das Mädchen kam zurück und sagte, Sjur hätte nichts von ihm gesehen.
+
+Da gingen sie hinaus, einer nach dem andern, umkreisten alle Häuser,
+guckten hinein, und schließlich begann die Mutter ihn zu rufen.
+
+Bei dem Rufen schien über alle die Angst zu kommen, und bald rief jeder
+nach einer andern Richtung. Keine Antwort.
+
+Da erinnerte sich der Bauer an Burman:
+
+Sollte der Junge in den Wald gelaufen sein; der Hund benahm sich heute
+zu merkwürdig!
+
+Ja, daran erinnerten sich alle. Sie fingen an Burman zu locken und
+waren nicht wenig verwundert, als er nicht kam, denn Burman entfernte
+sich nie vom Hofe.
+
+Ja, sagte der Bauer, da bleibt nichts anderes übrig, wir müssen das Heu
+liegen lassen und in den Wald ziehen.
+
+ * * * * *
+
+Als der kleine Jon den Waldweg aufwärts stieg, stieß er auf einen
+sehr steilen, steinigen Hügel, auf den die Sonne mit aller Kraft
+herniederbrannte. Aber das kümmerte ihn weiter nicht, und er stieg
+mutig darauf los; je weiter er kam, um so krümmer wurden seine Knie und
+der Hosenboden wurde so merkwürdig schwer; als er halb oben war, mußte
+er Halt machen und die Jacke ausziehen. Er nahm sie über den Arm und
+zog weiter.
+
+Nach einer Stunde war er oben, und nun ging der Weg sanft ansteigend im
+Walde weiter.
+
+Er setzte sich -- er meinte, er müßte nun doch bald da sein; er wußte
+allerdings nicht ganz genau, wie lang eine Meile war, aber so übermäßig
+weit konnte es jetzt nicht mehr sein. Vielleicht war er dem Hof ganz
+nahe und hatte sich bloß nicht richtig danach umgesehen.
+
+Er blickte vorwärts.
+
+Nein, nichts als dichter Wald zu beiden Seiten des Weges; er mußte sich
+vielleicht beeilen, wenn er bis zum Abend da sein wollte.
+
+Er stand auf und lief weiter; jetzt kam ihm sein Auftrag wieder in den
+Sinn:
+
+Eine tiefe Verbeugung:
+
+Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold?
+
+Ja, der bin ich -- aber nimm erst mal Platz, bitte.
+
+O, danke, ich finde schon Platz!
+
+Wo kommst du her?
+
+Von Sörbö, ich sollte hierhergehen und dich vom Großvater grüßen und
+sagen, du möchtest bald kommen und ihn besuchen, er müßte durchaus mit
+dir etwas besprechen.
+
+Nein, sieh an; dann gehe bitte in die Gaststube und gedulde dich bis
+morgen.
+
+Die Gedanken liefen weiter:
+
+Und dann gehe ich in die Kammer und sie bieten mir Bewirtung und Kaffee
+und Gebäck, und abends lege ich mich in ein Daunenbett so hoch, so hoch
+-- --
+
+In diesem Augenblicke flog ein Birkhahn gerade vor seinen Füßen auf und
+er erschrak, daß er schluckste. Er sah gerade so viel von ihm, daß er
+erkannte, daß es ein Vogel war, aber der Schrecken saß in ihm.
+
+Er blieb eine Weile ganz still stehen, ehe er sich umsah. Da sah er,
+daß der Weg verschwunden war und er mitten im Walde stand.
+
+Pah, den Weg würde er wieder finden. Er ging nach der Seite, aber er
+war jetzt so merkwürdig vorsichtig geworden, als ob er Angst hätte,
+daß ein Zweig krachte, wenn er die Füße aufsetzte.
+
+So ging er lange. Es war seltsam, als ob die Erde den Weg verschlungen
+hätte. Und so unheimlich still! Er fuhr zusammen und horchte, wenn nur
+ein Eichhörnchen mit einem Tannenzapfen raschelte.
+
+Er ging und ging, schneller und schneller, schließlich rannte er; es
+knackte so unheimlich, es raschelte überall; die Mundwinkel verzogen
+sich wie zum Weinen, aber es kam nicht zu Tränen, nur vorwärts ging es
+in immer schnelleren Sprüngen; es war, als verfolge ihn etwas, als käme
+es auch von den Seiten, er lief und lief, -- -- -- bis er über eine
+Baumwurzel stolperte und im Heidekraut unter einer großen Tanne liegen
+blieb.
+
+Er erhob sich rasch mit einem Schrei in sitzende Stellung, jetzt,
+dachte er, hatte es ihn gepackt.
+
+Nein, es war nichts; aber es war ihm, als ob es rings im Walde auf
+ihn lauerte; er wagte nicht sich zu rühren, sondern kroch nur tiefer
+unter die Tannenzweige, gerade als ob der kleine Fleck ihm Sicherheit
+gewährte.
+
+So blieb er lange sitzen, und spähte und forschte nach allen Seiten in
+ängstlicher Spannung.
+
+Da hörte er hinter sich, wo er hergekommen war, etwas rascheln.
+
+Er drückte sich unter die Tannenzweige und riß die Augen weit auf. Da
+kam es, etwas Großes, Schwarzes -- immer näher - gerade auf ihn los --
+-- -- er sah einen Schwanz, der sich vergnügt in die Luft streckte, ein
+paar sanfte Augen sahen ihn an.
+
+Er brach in Tränen aus und schlang beide Arme um Burmans Hals.
+
+Diesmal hatte Burman nichts dagegen; er legte sich nieder und leckte
+ihm Gesicht und Hände.
+
+ * * * * *
+
+Am nächsten Tage bekam der kleine Jon Wagen und Kutscher, um auf der
+Landstraße hinzufahren und zu fragen, ob Peter Sandvold auf Besuch zum
+alten Jon Sörbö kommen könnte.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Kirchenexamen vor dem Bischof.
+
+
+Es ist ein strahlender Sommermorgen oben auf einer Sennhütte. Sie
+liegt gerade am Talrand mit Aussicht bis hinunter, umgeben von kleinen
+niedrigen Wäldchen, die sich auf dem sanften Abhang nach den kahlen
+Höhen hinaufziehen. Die Sonne ist schon längst am Himmel -- sie geht
+um drei auf -- und scheint auf die drei oder vier kleinen Sennhütten
+herab, wo sich die Türen eben wie kleine, schwarze Rachen geöffnet
+haben und wo lange blaue Rauchstreifen mit einer leise südlichen
+Neigung emporsteigen. Auf der Schattenseite der Tannen glitzern die
+feinen Tauperlen in den Tannennadeln und den Spinneweben, und in den
+Frauenmänteln und Salbeiblättern auf der Wiese liegen große, glänzende
+Tropfen. Die Luft ist klar und still; die bewaldeten Gipfel ringsumher
+und der Neusäterberg im Hintergrund rücken ganz nahe in der hohen,
+klaren Luft. Über den Tannenwipfeln schwärmen einige Krähen, und in dem
+Steinhaufen drüben auf der Wiese huschen ein paar Wiesel hin und her.
+In Wald und Feld herrscht tiefe Stille.
+
+Da ertönt ganz in der Ferne der Klang einer tiefen Glocke, und unter
+dem Neusäterberg kommt eine Herde wie ein langer weißer Streifen vor,
+-- die Uhr geht so unglaublich schnell drüben auf dem Neusäter.
+
+In der obersten Sennhütte, vor der eine lange flache Wiese sich
+hinzieht, öffnet sich die Kuhstalltür, der Hirtenjunge kommt auf die
+Wiese heraus mit einem Milcheimer in der Hand, den Strohhut weit hinten
+im Nacken, und blinzelt gegen die Sonne. Er geht hin, öffnet das
+Zauntor, geht zum Kleinvieh hinein und beginnt die Ziegen zu melken. Er
+bewegt die Lippen, als spräche er mit sich selbst, es sieht aus, als ob
+seine Gedanken wo anders weilen, er achtet nicht auf die Ziegen, die
+sich an ihn herandrängen, um die ersten zu sein. Die Schafe liegen in
+dichten Haufen und wiederkäuen, die Ziegen dehnen sich; nirgends ist
+Lärm. Aus dem Kuhstall hört man wie die Hörner gegen die Wand stoßen,
+jedesmal wenn eine Kuh aufsteht.
+
+Auf einmal entsteht Lärm:
+
+Lykkelin! Du sollst nicht die Schafe mit deinen Hörnern stoßen!
+
+Die Schellenziege, Lykkelin, war drüben in einer Ecke vom Viehgatter
+aufgestanden, streckte sich, und stieß an ein Schaf, daß es in den
+Rippen krachte, dann schwankte sie mitten durch die Schafe hindurch, so
+daß ein breiter Weg entstand, bis zum Hirtenjungen, der rittlings über
+Blaasale saß und sie melkte. Dort drückte sie sich an seinen Schenkeln
+entlang, bis sie ihren Kopf in derselben Höhe hatte wie Blaasale.
+Blaasale bog ihren Kopf so weit weg, wie sie konnte und sah nach der
+andern Seite. Doch plötzlich fühlte sie Lykkelins scharfes Horn unter
+ihrem Kinn, und machte einen Satz, so daß der Hirtenjunge hinter sie zu
+sitzen kam und der Milcheimer umkollerte.
+
+Den Teufel auch -- -- --!
+
+Er sprang auf und setzte Lykkelin nach.
+
+Großer Aufruhr entstand, die Schafe liefen gerade gegen das Gatter, daß
+es krachte, die Schellen klingelten, als wäre ein Hund in der Herde.
+
+In Jesu Namen, was ist denn los, Gudbrand!
+
+Es war die Mutter, die durch die Kuhstalltür heraussah.
+
+Es ist diese elende heimtückische Lykkelin; die Milch von sechs Ziegen
+hat sie umgeworfen und mich in den Dreck gesetzt, aber ich werde -- hol
+mich der Teufel -- --
+
+Er machte einen Satz und faßte Lykkelin drüben in einer Ecke. Da packte
+er sie beim Bart:
+
+Ich werde dich lehren, dich anständig zu betragen! Weißt du, was du
+getan hast? Du hast mich in den Dreck gesetzt. Weißt du nicht, daß ich
+dein Herr bin, und daß ich heute vor dem Bischof examiniert werde!
+Könntest du vielleicht dem Bischof antworten, du Wüterich! Ja, kratze
+nur mit dem Fuß, diesmal -- er schüttelte sie hart am Bart, so daß
+Lykkelin einen verzweifelten Sprung machte und wieder los kam.
+
+Teufel --
+
+Nein, du darfst heute nicht so fluchen, Gudbrand, denke an den Bischof!
+
+Ach, ich denke schon, der Bischof hätte auch ein kleines Gebet
+angefangen, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre.
+
+Pfui, wie du redest, Gudbrand! Du wirst so großmäulig, daß ich mir
+nicht zu helfen weiß. Geh hinein und nimm dein Buch und lies den
+zweiten Artikel noch einmal durch, denn die Werke des heiligen Geistes
+kannst du gar nicht, ich werde die übrigen Ziegen melken.
+
+Doch, allerdings, die kann ich; ich war gerade mitten im dritten
+Artikel, als Lykkelin zustieß. Ich will es nicht mehr durchkauen, blos
+weil es ihnen einfällt, uns mitten im Sommer zu prüfen. Und dann glaube
+ich schon, daß ich trotzdem einer bin, der seinen Mann steht.
+
+Ja, meinetwegen, wenn du die Schande haben willst! Es ist wirklich der
+Mühe wert, daß ich mich abplage, um dir neue Schuhe und eine neue Jacke
+zu verschaffen, daß du wie anständiger Leute Kind aussehen sollst, wenn
+du dahin kommen willst und dich als Heiden zeigen. Denn du hast den
+ganzen langen Sommer nicht in die Bücher gesehen außer in den letzten
+Tagen!
+
+Sie war mitten in das Viehgatter hineingekommen und nahm ihm den
+Milcheimer fort.
+
+So geh herein, und wasch dich wenigstens und zieh dich an, du mußt bald
+gehen!
+
+Gudbrand ging langsam hinein.
+
+Dann rief sie ihm nach:
+
+Es liegt ein reines Hemd auf dem Bordbrett über dem Bett.
+
+Jetzt fingen sie auf der unteren Sennhütte an, das Vieh loszubinden.
+Es entstand ein Brüllen und Meckern und Schellenläuten und die Hirten
+lockten die Ziegen, daß es gegen den Neusäterberg hallte. Sie zogen
+in langer Reihe am Zaun entlang den Berg herauf, voran das Kleinvieh,
+rasch und lebhaft über die Wiese hin springend und sich balgend;
+hinterher kamen die Kühe, langsam und schwer und sahen sich um.
+
+Kjersti Nerlien folgte selbst mit und trieb sie an; am Gatter blieb sie
+stehen und blickte hinüber. Ihre beiden Kälbchen blieben auch stehen
+und standen und kauten an ihrem Rock.
+
+Bist du noch beim Melken, Randine?
+
+Ja, und du treibst schon die Tiere heraus! Bei mir dauert heute alles
+so gräßlich lange.
+
+Ja, du hast wohl keine Hilfe heute? Gudbrand muß doch zum
+Kirchenexamen?
+
+Ja, es kommt doch noch dazu; er bekam die Schuhe gestern Abend spät.
+
+Ja, für ihn ist das keine Sache, er ist ja so tüchtig im Lernen; ich
+bin wirklich froh, daß mein Sigvart noch zu jung ist.
+
+Ach, ja, ich habe mich so für ihn abgemüht, daß ich hoffe, er wird mir
+wenigstens nicht Schande machen, aber es ist nun einmal sonderbar, wo
+soviele Kinder von besseren Leuten hinkommen.
+
+Gudbrand kam wieder heraus, furchtbar fein, mit neuen Schuhen, neuer
+Jacke, neuem Schal und gewaschen, daß das Wasser ihm von den Haaren
+triefte. Er trat vorsichtig und sprang auf die Steine, um die neuen
+Schuhsohlen nicht zu beschmutzen. Er fühlte sich wie ein anderer
+Mensch, beinahe erwachsen. Er zog an der Weste, und rückte den Schal
+gerade, steckte die Hände erst in die Hosentaschen, aber die waren so
+weit unten, daß er die Knie hätte krumm machen müssen; dann steckte er
+sie in die Jackentaschen und spreizte sie weit nach beiden Seiten. Das
+war männlicher, fand er.
+
+Da haben wir den Jungen, der vor den Bischof soll, sagte Kjersti, so
+fein wie ein neugeprägter Groschen. Das ist meiner Treu ein Junge, der
+sich vor Pröpsten und Bischöfen sehen lassen kann.
+
+Gudbrand antwortete nicht; er blieb mit weit auseinander gespreizten
+Beinen stehen und spuckte aus dem einen Mundwinkel:
+
+Sind das deine Kälber?
+
+Ja, das sind meine.
+
+Es sind ganz schöne Kälber.
+
+Da verstehst du viel davon, sollte ich meinen, sagte die Mutter.
+
+Bist du so weit fertig, daß wir sie jetzt losbinden können? Es ist
+keine Art, daß wir so weit hinterher sein sollen!
+
+Ja, jetzt bin ich fertig; aber du sollst heute nichts mit dem Losbinden
+zu tun haben; du hast ja die neuen Sachen an.
+
+O doch, es ist schon am besten, daß ich selber dabei bin. Wenn sie
+ungehütet herumgehen sollen, so ist es am sichersten. Ich werde
+Lykkelin auf den rechten Weg setzen. Es ist eine eigene Sache, wenn man
+den ganzen Tag wegbleibt.
+
+Er öffnete das Gattertor, und Schafe und Ziegen drängten sich so
+hastig herbei, daß sie zwischen den Torpfosten stecken blieben und
+sich mühsam hindurch pressen mußten. Hüpfend und um die Wette laufend
+zogen sie über die Wiese, wobei einige besonders vorlaute Ziegen
+hier und da einen Abstecher machten; eine machte eine Wendung nach
+dem Schweinekoben, um zu sehen, ob nicht ein bißchen Mehlbrei übrig
+wäre, eine andere steckte den Kopf zum Kuhstall hinein, ob nicht Salz
+verschüttet wäre, eine dritte preßte den Kopf durch die Stäbe des
+Gatters und streckte den Hals nach einem Büschel Gras drinnen auf der
+Sennwiese.
+
+Als Gudbrand sie gesammelt hatte, erteilte er Lykkelin seine Befehle.
+Jetzt sollte sie es ihm danken, daß er ihr sein Vertrauen geschenkt
+hatte; sie sollte nicht vor dem Abend nach Hause kommen; aber da sollte
+sie auch kommen und alle mit sich haben. Und sie täte am besten, nicht
+nach den Hammerbergen hinunterzugehen, denn es war so schwer, von
+dort wieder hinaufzukommen, daß sie die Milchziegen nicht mitbekommen
+würde, sie sollte sich oben auf den Lövhügeln halten. Damit fuhr er
+fort, solange die Sennhütte zu sehen war, aber als er hinter das erste
+Wäldchen kam, ließ er sie ziehen und legte sich hinter eine kleine
+Tanne. Hier zog er das Buch unter der Weste vor; es war am sichersten,
+die Heiligung noch ein wenig durchzugehen. Man konnte nie wissen,
+worauf sie kämen und das Stück: warum nennt man die Kirche heilig, war
+so furchtbar lang. Er las es zweimal durch, machte das Buch zu und
+versuchte -- nein -- noch einmal -- dann versuchte er wieder. -- --
+
+Er merkte nicht, daß das Vieh vorüberzog, merkte nicht, daß ein Kalb
+an der Tanne vorbeikam, bis es sich erschreckt auf die Seite warf, den
+Schwanz in der Luft. Aber da standen auch Kjersti und die Mutter dort.
+
+Nein, du hast aber einen feinen Jungen, Randine! Liegt er nicht da und
+lernt!
+
+Hat es dich doch noch gepackt, Gudbrand, jetzt wo es dir auf den Nägeln
+brennt! Es war aber auch die höchste Zeit!
+
+Sie hatte es wohl gemerkt, daß Gudbrand schon seit langer Zeit das
+Buch mit sich in den Wald geschmuggelt hatte, aber sie hatte nicht
+dergleichen getan. Und jetzt sagte sie zu Kjersti:
+
+Ja, Gott weiß, wie es gehen wird! Ich habe ihn den ganzen Sommer kaum
+ein Buch in die Hand nehmen sehen.
+
+Gudbrand stand ein wenig verlegen auf:
+
+Es fiel mir ein, daß Marten Madslien gesagt hat, es hätte in den
+Blättern gestanden, daß wir ein neues Fragebuch bekommen würden, das
+kürzer sein sollte, und da fand ich, ich müßte 'mal nachsehen wie lang
+das wäre. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß es viel besser wird.
+
+Er steckte das Buch unter die Weste und stolzierte zurück nach der
+Sennhütte.
+
+Eine Weile darauf lief er den Abhang hinunter mit dem Gesangbuch, dem
+neuen Testament und einem Päckchen Waffeln unter dem Arme.
+
+ * * * * *
+
+Die kleinen Kirchenglocken hatten zum erstenmal geläutet.
+
+Von allen Seiten kamen Leute herbeigeströmt, schüttelten sich die
+Hände und stellten sich schweigend in Reihen längs der Kirchhofsmauern
+oder in dem Torweg der Wagenschuppen auf. Wer von weit her kam, suchte
+schwitzend mit der Jacke über dem Arm den Schatten und wischte sich
+mit der Hand über das Gesicht. Wer Konfirmanden hatte, gab ihnen die
+letzten Ermahnungen und schickte sie auf den Kirchplatz, wo sich die
+Kinder in Scharen versammelt hatten, eine Schar für jeden Schulkreis.
+Sie standen schweigend da und sahen sich um, sie warteten auf die
+Schulmeister.
+
+Die Erwachsenen redeten auch nicht viel, nur einige Worte, wenn einer
+gefahren kam, und hin und wieder beschatteten sie die Augen mit der
+Hand und blickten nach dem Pfarrhof hinüber, wo die Fahne in der
+stillen Luft hin und her flatterte.
+
+Die kleine Holzkirche lag so weiß da in der Sonnenglut und bekam Risse
+von der Hitze, daß es krachte. Es glitzerte in den Fenstern, alle Türen
+standen weit offen, und in dem Fensterchen hoch oben im Turm stand der
+Glöckner auf beide Arme gelehnt und spähte. Er sollte läuten, wenn er
+die Geistlichen in dem Pfarrhoftor sah.
+
+Die Schulmeister kamen, stellten ihre Kinder in langen Reihen auf und
+sagten ihnen, was sie zu tun hätten.
+
+Wenn der Bischof durch die Kirche schritt, sollten die Jungen sich
+verbeugen und die kleinen Mädchen einen Knicks machen, aber nicht alle
+auf einmal, sondern immer erst, wenn der Bischof an ihnen vorbeikäme.
+
+Sie sollten laut antworten und nicht vergessen, dem Bischof gerade in
+die Augen zu sehen, wenn er sie fragte, denn das hätte er gern.
+
+Dann hatten sie nichts mehr zu sagen, und es entstand eine feierliche
+Stille. Es konnte schon sein, daß ihnen die Stimme ein wenig gezittert
+hatte, und große Schweißtropfen traten ihnen auf die Stirn.
+
+Dann mit einem Male zitterten die Glockenschläge durch die Luft, daß
+der Turm schwankte. Im selben Nu blickten sie alle nach dem Pfarrhof.
+
+Ja, da kamen sie durch das Gittertor alle miteinander. Nein, was für
+ein leutseliger Bischof, der zu Fuß ging!
+
+Und dann begannen sie in die Kirche hineinzuströmen. Jeder Schulmeister
+führte seine Kinderschar herein und stellte sie auf. Die Erwachsenen
+setzten sich in die Stühle dahinter, hin und wieder gaben sie den
+Kindern einen Puff, nahmen ihnen das Frühstückspaket weg und reichten
+ihnen ein Buch.
+
+Gudbrand hatte keine Anverwandten da, und er hatte vergessen, die
+Bücher herauszunehmen. Er legte das Bündel zwischen die Kniee, aber die
+Hand zitterte ihm, als er den Knoten aufmachte. Er steckte das Tuch
+in die eine Jackentasche und die Waffeln in die andere, so daß sie
+hervorguckten, und nahm die Bücher in die Hand.
+
+Die Sonne schien durch die hohen Fenster, sie streifte die beiden
+Stühle, die für den Bischof und den Propst hingestellt waren, fiel
+auf die Kniebank und den Altar, bis hinein in die Nische zu den zwölf
+Aposteln. Noch knarrte hin und wieder eine Kirchenstuhltür, doch dann
+konnte man deutlich hören, wie die Blätter der hohen Birke, die gerade
+vor dem Fenster stand, leise gegen die Scheiben streiften.
+
+Dann wandten sich auf einmal alle Köpfe um, und alle Jungen hielten
+den Atem an, bis sie ihre Verbeugung hinter sich hatten; denn da
+kamen sie, zuerst der Bischof mit dem goldnen Kreuz auf der Brust und
+schwarzem glänzendem Seidenkäppchen, hinterher der Propst und zum
+Schluß der Pfarrer in langsamen, feierlichen Schritten durch die Kirche
+und grüßten mit kleinen ernsten Verbeugungen nach beiden Seiten.
+
+Es war beinahe eine Erleichterung, als sie oben am Altar niederknieten
+und der Küster wie gewöhnlich vorkam und das Eingangsgebet verlas.
+Als er fertig war, räusperte man sich und scharrte wie sonst, und der
+Kirchendiener lief mit der Mütze in der Hand um den Altar und jagte
+einen Hund, der sich eingeschlichen hatte, hinaus.
+
+Darauf hielt der Propst eine Rede, und dann begann das Kirchenexamen.
+
+Es kribbelte Gudbrand förmlich im Magen, während die Fragen und
+Antworten fielen, und das nahm zu, je näher es an ihn herankam. Das
+Blut schoß ihm in die Backen, wenn einer dastand und stotterte und
+stammelte; er hatte sich halb gewandt, war beinahe im Begriff, einen
+Schritt vorzugehen und hielt die ganze Zeit seine Augen auf den Bischof
+gerichtet. Wenn er ihn nur fragen wollte!
+
+Aber der Bischof stand in lauschender Stellung da, die sanften blauen
+Augen auf den, den er fragte, geheftet, und wenn die Antwort endlich
+einigermaßen zustande kam, nickte er viele Male mit dem Kopf und tat
+einen Schritt zur Seite.
+
+Sie schlichen sich mühselig weiter, alle saßen aufmerksam lauschend da,
+nickten und warfen sich Blicke zu. Es herrschte eine solche Spannung,
+daß es fast wie eine Erlösung wirkte, als ein milder Regenschauer
+im Sonnenschein draußen fiel und die nassen Birkenblätter gegen das
+Fenster zitterten.
+
+Gudbrand vergaß sich, als es so lange dauerte. Er stand und betrachtete
+das glänzende Laub. Doch auf einmal erschrak er bis in die Knie. Da
+stand der Bischof gerade vor ihm, und der Schulmeister hatte die Frage
+begonnen, ehe er zuhörte:
+
+Wir hörten neulich, daß im dritten Artikel steht: die ~heilige~,
+christliche Kirche.
+
+Kannst du mir sagen, warum die Kirche heilig genannt wird?
+
+Da hatte er es; wie gut, daß er es noch durchgegangen hatte! Es wurde
+ihm schwarz vor den Augen, er konnte nicht auf das erste Wort kommen.
+
+Nun? Warum wird die Kirche heilig genannt? Weil --
+
+Weil der heilige Geist durch seine heiligen Gnadenmittel sein Werk
+der Heiligung an allen ihren Gliedern ausführt, darum wird die Kirche
+heilig genannt trotz der Sünde und Armseligkeit, die sich in ihr
+findet.
+
+Der Bischof nickte viele Male, und der Schulmeister ließ einen Blick
+über die Gemeinde streifen.
+
+Sein Werk der Heiligung in allen ihren Gliedern, -- fuhr der
+Schulmeister fort. Wer sind die Glieder der Kirche?
+
+Gudbrand überlegte.
+
+Gehörst du zu den Gliedern der Kirche?
+
+Ja.
+
+Und ich?
+
+Ja.
+
+Und der Bischof?
+
+Gudbrand dachte nach. Er fand nicht, daß es anging, daß er mit
+dem Bischof zusammengehörte, und darum flüsterte er, daß nur der
+Schulmeister es hörte:
+
+Nein.
+
+Überlege es dir einmal; gehört nicht der Bischof zu den Gliedern der
+Kirche?
+
+Doch.
+
+Der Bischof nickte.
+
+Nun denn, wer gehört also zu den Gliedern der Kirche?
+
+Gudbrand ging ein Licht auf.
+
+Alle, die an Christum glauben.
+
+Richtig. Aber --, kannst du aus dir allein an Christum glauben?
+
+Nein.
+
+Wer verhilft dir zum Glauben?
+
+Der heilige Geist.
+
+Was steht darüber in dem dritten Artikel?
+
+Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum
+Christum, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der
+heilige Geist hat mich --
+
+Richtig. Würde es Klugheit oder Torheit sein, wenn du glaubtest, daß du
+aus eigener Kraft an Christum glauben könntest?
+
+Torheit.
+
+Wenn nun der Bischof sagte, daß es anginge, wer wäre dann klüger, du
+oder der Bischof?
+
+Gudbrand überlegte. Der Bischof wurde ein wenig unruhig und wollte zum
+nächsten übergehen, blieb aber lauschend stehen.
+
+Nun? Wer wäre dann der Klügste, du oder der Bischof?
+
+Nein, das ging nicht an, wenn alle zuhörten zu sagen, er wäre klüger
+als der Bischof:
+
+Der Bischof wäre der Klügste.
+
+Der Bischof schüttelte heftig den Kopf. Dann ging er zu ihm hin und
+strich ihm sanft über das Haar:
+
+Nein, mein Junge, dann wärst du klüger als der Bischof.
+
+Ja, sagte der Schulmeister, du meintest aber, auf so etwas könnte unser
+gottesfürchtiger Bischof nie verfallen, nicht wahr?
+
+Ja.
+
+Das war recht, mein Junge, mit Gottes Hilfe wird er das nicht tun,
+sagte der Bischof, strich ihm noch einmal über den Kopf und ging dann
+weiter.
+
+ * * * * *
+
+Die Sonne stand schon tief über dem Neusäterberg, als Gudbrand der
+Sennhütte zustrebte.
+
+Lykkelin war schon mit der ganzen Herde nach Hause gekommen, und sie
+lagen jetzt satt und zufrieden am Viehgatter und wiederkäuten. Die
+Ziegen drehten sich nur ein wenig um und meckerten, als er kam. Die
+Mutter war drinnen im Kuhstall und melkte; sie sah ihn nicht, ehe er
+hereinkam. Er nahm sich viel Zeit und schob den Riegel behutsam vor.
+
+Nein, da bist du ja, Gudbrand? Wie war es denn?
+
+Ach, es war wohl ungefähr, wie man erwarten konnte, denke ich.
+
+Konntest du antworten?
+
+Ach, du weißt, ich wußte schon das meiste, was sie fragten.
+
+Erzähle doch!
+
+Da gibt es nicht weiter viel zu erzählen, finde ich. Und dann sagte er
+plötzlich: Nein, jetzt muß ich schon meine alten Sachen anziehen und
+anfangen zu melken; man kann nicht den ganzen Tag nur zum Staate da
+sein.
+
+Mehr bekam die Mutter nicht aus ihm heraus. Sie begann zu fürchten, daß
+er seine Sache nicht gekonnt hätte. Eine Weile darauf kam er in seinen
+alten Sachen wieder heraus und begann die Ziegen zu melken. Gudbrand
+war so unglaublich verschlossen.
+
+War denn der Bischof freundlich?
+
+Ach ja, er war nicht gerade unangenehm.
+
+Hat er etwas zu dir gesagt?
+
+Ach ja, er hat schon auch etwas gesagt.
+
+Was hat er denn gesagt?
+
+Ach, -- man darf nicht alles glauben, was man hört.
+
+Was sagst du da?
+
+Ja, wenn du's durchaus wissen willst, so kann ich es auch gern sagen.
+Sie fragten mich nach allen Richtungen hin aus, und du verstehst, ich
+blieb ihnen keine Antwort schuldig. Und dann, als sie nicht weiter
+kamen, dann sagten sie alle, ich wäre klüger als der Bischof, aber das
+können sie wohl nicht im Ernst gemeint haben.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen.
+
+
+Per lag hinter dem großen Stein oben auf Storbakken und blickte
+hinunter. Er konnte gerade auf den Hof sehen, der dicht darunter lag.
+Es war früh am Morgen, die Sonne war eben aufgegangen und schien auf
+die blanken Scheiben, daß sie glitzerten, und mitten zur Haustür
+herein, die wie ein schwarzer Rachen offen stand.
+
+Per hatte die Mütze auf dem dunklen Schopf weit nach hinten geschoben
+und lag da und warf die Beine bis fast in den Nacken. Er fand schon,
+daß Christian gern die Nase aus den Federn stecken könnte, ehe Hänschen
+aufwachte.
+
+Unten auf dem Hof gingen die Hühner und gackerten und scharrten mit den
+Füßen, der Hahn stand auf der Scheunenbrücke und krähte und krähte, die
+Schwalben flogen durch den Sonnenschein wie stahlblaue, metallglänzende
+Streifen, oben auf dem Scheunendache schwatzte eine Elster und aus der
+Esse stieg ein hellblauer Rauch hoch in die Luft. Trotzdem war es ganz
+still, -- man sah keinen Menschen, sie waren wohl alle draußen auf dem
+Felde und mähten.
+
+Endlich trat Christian in die Haustür. Er strich sich den hellen Schopf
+aus den Augen, blinzelte gegen die Sonne, die ihm gerade ins Gesicht
+schien, hielt die Hand vor die Augen, und blickte nach oben. Nein, er
+sah nichts; nur einen blauen Rauch über dem Rand von Storbakken. Er
+kam aus der Häuslersesse. Ja, er glaubte, er konnte sehen, daß er nach
+Kaffee roch.
+
+Hallo, Per! Keine Antwort. Nein, Per hatte wohl noch keinen
+Morgenkaffee bekommen.
+
+Er steckte die Hände in die Tasche und wollte umkehren.
+
+Da ertönte ein: Hallo, Christian!
+
+Er blieb stehen: Hallo, Per!
+
+Per sprang auf und schlug Purzelbäume hinunter, Hallo, Christian! --
+Hallo, Per! -- Hallo, Christian! -- Hallo, Per!
+
+Und Per sprang und schlug Purzelbäume und kollerte hinunter, und die
+ganze Zeit schallte es hinaus in die Morgenluft: Hallo, Christian!
+Hallo, Per!
+
+-- -- Per war vom Häuslerplatz und Christian war vom Hof. Sie waren
+gute Freunde und pflegten den ganzen langen Tag zusammen zu sein, und
+das war nicht zu verwundern, denn es gab weit und breit keine solchen
+forschen Jungen wie sie, und niemand, der solche Sachen hatte. Sie
+hatten eine Mühle und eine Säge, die gingen, wenn im Bach genug Wasser
+war, und dann hieß Per der Müller und Christian der Obersägemeister;
+wenn sehr viel Wasser da war, so stauten sie das Wasser erst und ließen
+es dann laufen und flößten Holz; doch da hatten sie andre Namen, denn
+da hieß Christian Zimmermann Pedersen und Per Inspektor Wasserfall,
+von dem Mal her, wo er fiel und auf den Hosenboden mitten in den Bach
+zu sitzen kam. Wenn der Bach trocken war, trieben sie Landwirtschaft;
+sie hatten Hof und Sennhütte und Vieh, Großvieh und Kleinvieh und
+Schäferhund. Die Kühe waren runde Steine und der größte, der so
+ungeheuer groß und glänzend war, war der Bulle Dybendal; und die Schafe
+waren Tannenzapfen und eine merkwürdige kleine runde Wurzel, die der
+Knecht ihnen zugeschnitten hatte, war der Schäferhund: Bärenbeißer,
+und der hatte mehr als einmal mit dem Bären zu tun gehabt. Sie hatten
+auch einen Bogen, mit dem sie auf die Jagd gingen und Pfeile, die so
+unwahrscheinlich hoch flogen, daß der beste einmal bis auf die Wolke
+gegangen und dort oben liegen geblieben war, -- sie fanden ihn erst
+viel später im Gras wieder, als es geregnet hatte. Und da erzählte
+ihnen der Knecht, daß er wahrscheinlich wieder heruntergeregnet wäre,
+und daß sie gut nachsehen sollten, ob nicht Gold an ihm wäre, denn oben
+auf der Wolke wäre Gold. Doch er war so glatt, daß nichts an ihm hängen
+geblieben war, und als sie ihn teerten, bekamen sie ihn nicht mehr so
+hoch.
+
+Doch in der letzten Zeit waren Per und Christian umgezogen. Die Mühle
+und die Säge standen da und Bärenbeißer mußte allein auf das Vieh
+achtgeben. Es war oft genug langweilig gewesen, daß Hänschen immer mit
+sein wollte; denn es war nun einmal nichts für Zimmermann Pedersen und
+Inspektor Wasserfall, stets den Jungen zum Aufpassen zu haben; aber da
+war nichts zu machen gewesen, -- er kam stets, wenn er wußte, wo sie
+sich aufhielten. Aber jetzt waren sie sehr darauf aus, es verborgen zu
+halten, wo sie ihre Zuflucht hatten; sie schlichen sich früh weg und
+blieben den ganzen halben Tag fort. Sie hatten sicher etwas vor, wovon
+Hänschen lieber nichts wissen sollte.
+
+Das erste, was Per sagte, als er in die Haustür hinunterkam, war auch:
+Ist er auf?
+
+Nein, er schlief, als ich hinausging.
+
+Hast du den Fünfpfünder instand?
+
+Ich sollte es meinen! Und Per zog ein großes Kuhhorn hervor, in das er
+Zündlöcher gebohrt hatte. Hast du Futter für ihn?
+
+Ach ja, ich denke schon, und Christian zeigte einen großen Beutel mit
+Pulver vor.
+
+Die Sache war, daß sie oben auf dem Boden ein Fäßchen Minenpulver
+gefunden hatten, und davon durfte niemand etwas wissen, denn Pulver war
+streng verboten.
+
+Ja, dann ist es am besten, daß wir fortkommen.
+
+Sie schlichen sich leise über den Hof und sahen sich jeden Augenblick
+um; dann als sie um die Ecke des Vorratshauses waren, fingen sie an die
+Straße entlang zu laufen.
+
+Halt, Christian! Ich sehe dich schon.
+
+Es war Hänschen, der in die Haustür hinausgekommen war, und das letzte
+Ende von ihnen gesehen hatte, als sie um die Ecke verschwanden.
+
+Er hatte nur Hosen und Schuhe anbekommen, oben war er im bloßen Hemd.
+Er hatte Eile gehabt, denn Hänschen verstand sehr wohl, daß sie sich
+von ihm fortschleichen wollten und hatte sich vorgenommen, auf sie
+aufzupassen.
+
+Halt, hörst du! Ha--a--lt!
+
+Er schrie, bis er an der Ecke des Vorratshauses vorbeikam und Per und
+Christian ruhig im Grase liegen und in die Luft blicken sah.
+
+Er sagte nichts, sah sie nur ein wenig zweifelnd an, und setzte sich
+auch ins Gras. Er wollte schon auf sie aufpassen.
+
+Per und Christian blinzelten einander zu und begannen Purzelbäume
+zu schlagen. Nach einer Weile durfte auch Hänschen mitmachen. Dann
+spielten sie mit andern Dingen. Auf einmal sagte Christian:
+
+Du, Hänschen, wollen wir zum Jahrmarkt reisen?
+
+Ja--a! Hänschen wurde strahlend vergnügt.
+
+Du fängst an.
+
+Nein, du wirst mich nicht zum Narren haben! Du fängst an!
+
+Ja, gern. Ich hatte ein Füllen!
+
+Hänschen sprach ihm nach: Ich hatte ein Füllen!
+
+Meins wurde ein Pferd.
+
+Meins auch.
+
+Ich zähmte meins.
+
+Ich zähmte meins auch.
+
+Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset.
+
+Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset.
+
+Da traf ich einen Mann, der einen Bären hatte.
+
+Da traf ich einen Mann, der auch einen Bären hatte.
+
+Da vertauschte ich mein Pferd gegen den Bären.
+
+Da vertauschte ich auch mein Pferd gegen den Bären.
+
+Da traf ich dich.
+
+Da traf ich dich.
+
+Da nahm mein Bär deinen Bären und fraß ihn auf.
+
+[Illustration]
+
+Hänschen bekam zuerst ein langes Gesicht; aber dann wurde er wütend:
+
+Du mogelst, Christian, du sagtest zuerst guten Tag, und darum wird es
+mein Bär, der deinen auffrißt.
+
+Nein, es war meiner, der deinen auffraß.
+
+Nein, meiner! Hänschen war am Weinen: ja, so laß uns noch einmal
+anfangen, dann wirst du sehen!
+
+Nein, dein Bär ist aufgefressen.
+
+Ä--h ä--h, es war meiner. -- ä--h ä--h.
+
+Nein, meiner!
+
+Ä--h, Mutter! er sagt ä--h ä--h, daß sein Bär meinen auffraß! Hänschen
+lief hinein, um es der Mutter zu sagen; er vergaß, daß er auf sie hatte
+aufpassen wollen.
+
+Als er glücklich in der Haustür drin war, machten sich Per und
+Christian eilends aus dem Staube und verschwanden.
+
+Drüben in Svartdalen, ein gutes Stück vom Hofe entfernt, hatten sich
+Per und Christian eine Höhle eingerichtet, vor der ein Haselwäldchen
+stand, so daß sie nicht gesehen werden konnten, wenn man nicht auf die
+oberste Höhe hinaufkam und gerade auf sie hinunterblickte. Dorthin
+hatten sie das meiste von ihren Sachen gebracht; dort hatten sie
+einen Herd gebaut, dort hatten sie ihre Schmiede, dort zündeten
+sie ihre Feuer an; aber das wagten sie nicht oft zu tun, aus Angst,
+daß man den Rauch sehen könnte. Hier fühlten sie sich sicher, hier
+hatten sie Sprühmännchen angezündet, und hier hatten sie mit Tüten und
+Sturmhutstielen zu schießen versucht; aber ~damit~ ging es nicht,
+die Tüten brannten nur an und die Sturmhutstiele platzten; es konnte
+also nicht die Rede davon sein, mit ihnen in die Wolke nach Gold zu
+schießen, -- denn das war es eigentlich, was sie vor hatten. Aber heute
+hatten sie den Fünfpfünder, heute sollte es Ernst werden.
+
+Sie mußten erst Probeschüsse machen, ehe sie in die Wolke schossen. Sie
+machten ein Feuer an, gossen das Pulver in das Horn und stopften es
+voll mit Gras.
+
+Es knallte nicht sehr stark; das Horn sprang nur einige Ellen nach
+rückwärts und der Grasbüschel ein wenig nach vorwärts.
+
+Pah, es war nicht stark genug geladen, der Fünfpfünder mußte
+festgemacht werden, und dann mußte eine Kugel hinein; ja, dann wurde es
+eine Kanone, die schon gehen sollte; sie würden mindestens quer über
+das Tal schießen können.
+
+Sie luden von neuem und legten einen großen Stein hinein und
+befestigten den Fünfpfünder zwischen zwei Steinen. -- Nein, sie mußten
+ihn vielleicht ein wenig wegrücken? -- Ja, es wäre schade um die Leute
+am Talende, wenn man ihnen die Häuser niederschoß; sie mußten ihn auf
+den Wald richten.
+
+Das taten sie denn und zündeten an.
+
+Ja, diesmal knallte es wahrhaftig! ~Der~ Schuß ging! Konnte Per
+nichts drüben am Abhange sehen! Ja, denn Christian schien es deutlich,
+als fiele eine Tanne um, als der Schuß losging.
+
+Ob es eine ganze Tanne war, konnte Per nicht sagen, aber er sah
+jedenfalls, daß ein Tannenwipfel herunterfiel.
+
+Es war schon fraglich, ob sie eine bessere Kanone auf der königlichen
+Festung hätten.
+
+Ach nein, das war nicht anzunehmen. Mit der konnten sie sicher bis in
+die Wolke schießen.
+
+Ja, das war sicher. Aber was sollten sie hinaufschicken? Es mußte etwas
+sein, in das das Gold hereinkommen konnte.
+
+Sollten sie etwa Pers Zipfelmütze hinaufschicken? Vielleicht kam sie
+dann vergoldet wieder herunter.
+
+Ja, Christian wunderte sich schon, was sie zu Hause sagen würden, wenn
+sie mit vergoldeten Mützen und Goldstücken in den Taschen heimkämen. Da
+könnten sie Pulver kaufen -- ein ganzes Faß voll!
+
+Ho--ho! erklang es gerade über ihnen. Der Fünfpfünder und der
+Pulverbeutel wurden schnell beiseite gebracht, ehe sie hinaufblickten.
+
+Dort lag Hänschen:
+
+Ach bitte, vergoldet doch auch meine Mütze!
+
+Per und Christian waren wirklich ärgerlich. Sie versuchten Hänschen
+alles Mögliche einzubilden. Sie boten ihm den besten Bogen an, wenn er
+gehen und nichts sagen wollte. Doch Hänschen hatte den Knall gehört,
+sie könnten ihm nichts weismachen, -- wenn sie nicht seine Mütze
+vergoldeten, so ginge er spornstreichs nach Hause zu Mutter und sagte,
+daß sie Pulver hätten, und da würde es einen andern Tanz geben.
+
+Ja, da gab es keinen andern Rat, als sich mit Hänschen abzufinden und
+ihn zu besänftigen. Sie zeigten ihm alle ihre Herrlichkeiten und er
+versprach, daß er gar nichts vom Pulver sagen wollte; aber da sollten
+sie seine Mütze zuerst vergolden.
+
+Ja, das wollten sie auch gern tun, und bald hatten sie alles vergessen
+und waren wieder gleich eifrig. Es war wohl am sichersten, sie banden
+einen Stein an die Mütze, denn sonst kam sie nicht wieder herunter, ehe
+Regenwetter war.
+
+Das war am besten. Wie wollten sie es machen?
+
+Sie könnten das Kanonenende fest in die Erde stecken, den Stein
+hineintun, ihn mit einer Schnur an der Mütze festbinden und die Mütze
+oben darauf hängen.
+
+Der Vorschlag wurde angenommen. Dann schütteten sie das Horn fast
+halb voll mit Pulver, luden gut und machten sich fertig. Es war ein
+feierlicher Augenblick und alle standen atemlos da, als Christan
+endlich einen Brand nahm.
+
+Gebt jetzt acht! -- Er brachte den Brand an das Zündloch.
+
+Frrrr--s--piff--paff--puff!
+
+Sie standen in einem Lichtscheine wie von einem starken Blitze und
+schraken alle drei so zusammen, daß sie umfielen.
+
+Sie sahen ein wenig blaß aus, als sie sich so weit erholt hatten, daß
+sie einander ansehen konnten. Sie hatten den Pulverbeutel so weit in
+die Nähe gesetzt, daß er mit draufgegangen war.
+
+~Das~ war ein Schuß, sagte Christan.
+
+Ja, das ~war~ ein Schuß, sagte Per.
+
+Sahst du die Mütze?
+
+Es war mir, als sähe ich sie undeutlich, als sie vorbeiflog.
+
+Ist sie denn jetzt auf der Wolke? fragte Hänschen.
+
+Wir wollen froh sein, wenn sie nicht noch weiter ist.
+
+Kommt sie denn bald wieder herunter?
+
+Oh, das wird wohl noch eine Weile dauern.
+
+Sie blieben alle drei stehen und starrten in die Luft. Nach einiger
+Zeit bekam Hänschen einen müden Nacken und sah wieder nach unten. Da
+ist sie!
+
+Die Mütze hing oben im Haselbusch.
+
+Ja, dann mußte sie aber auch schnell wieder heruntergeflogen sein, wenn
+sie sie nicht hatten kommen sehen!
+
+Ja, Per war es, als hätte er einen Streifen gesehen, gerade als
+Hänschen es sagte, -- da war sie sicher gekommen.
+
+Sie hatten viel Mühe damit, sie herunter zu bekommen. Draußen war
+nichts zu sehen; sie waren sehr gespannt, was drinnen sein konnte.
+Als sie sie herunter bekamen, war weiter nichts zu entdecken, als ein
+großes Brandloch im Innern.
+
+Das war seltsam. Wer hätte gedacht, daß das Gold da oben so heiß wäre;
+denn es hatte sicher ein Goldklumpen darin gelegen, der das Loch
+gebrannt hatte und dann herausgefallen war.
+
+Vielleicht lag er in dem Haselbusch drinnen.
+
+Sie suchten lange. Ach nein, der konnte weit von hier heruntergefallen
+sein. Ja, ja, morgen mußten sie den kleinen Blecheimer nehmen und
+hinaufschicken, denn da mußte der Goldklumpen drinnen bleiben, wie warm
+er auch war.
+
+-- -- Als sie an dem Tag nach Hause kamen, hielten sie alle drei gut
+zusammen und Hänschen war so gut und artig und so vorsichtig, daß
+niemand seine Mütze zu sehen bekäme.
+
+Er wollte schon nicht klatschen.
+
+Als die Mutter ihnen allen dreien das Essen hinstellte, sagte Hänschen,
+während sie dasaßen und aßen. Du, Mutter, heute sind Per und Christian
+so gut zu mir gewesen, daß ...
+
+Das ist brav von ihnen, aber da mußt du auch gut sein.
+
+Ja, ich werde so gut sein, daß ...
+
+Wie gut willst du denn sein?
+
+Ach, ich werde gar nichts davon sagen, daß Per und Christian meine
+Mütze in die Wolke schossen! ...
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Der erste Arbeitstag.
+
+
+Christian richtete sich auf den Ellbogen in die Höhe, kroch nach dem
+Kopfende und guckte aus dem Fenster dicht daneben.
+
+Es war noch beinahe dunkel in der geräumigen Häuslerstube. Draußen war
+Dämmerung, gerade am Übergang zum Tag, nur einzelne von den größten
+Sternen waren sichtbar an dem blauen klaren Herbstmorgen.
+
+Wieviel Uhr es wohl war? Ja, zu ~spät~ durfte er nicht kommen, die
+Schande sollten sie ihm nicht antun, -- und dann konnte das auch einen
+Abzug vom Tagelohn bedeuten. Ein ganzer Kerl mußte den ganzen Tagelohn
+haben. Es war übrigens seltsam, er hatte vergessen zu fragen und Ola
+Nordlien hatte auch nichts vom Tagelohn gesagt!
+
+Er drehte sich, so daß er im Bett saß und blickte hinüber nach dem
+anderen Bett am anderen Fenster, wo die Mutter lag.
+
+Mutter! Mut--t--ter!
+
+Die Mutter drehte sich ein paarmal um, ehe sie aufwachte, dann schlug
+sie die Augen auf:
+
+Ja. Was willst du, Christian?
+
+Du hörtest nicht, ob Ola Nordlien etwas davon sagte, wieviel Tagelohn
+er geben wollte?
+
+Und darum weckst du mich, du unartiger Junge!
+
+Ich dachte auch, es wäre vielleicht Zeit, daß du den Kaffee
+aufsetztest. Denn wer auf Arbeit soll, braucht Zeit, um richtig munter
+zu werden.
+
+So leg dich jetzt wieder hin. Ich werde es schon nicht verschlafen.
+
+Aber Christian schlief nicht wieder ein, und was das anbetrifft, er
+hatte auch die ganze Nacht nicht viel geschlafen. Denn gestern abend,
+als er sich eben hinlegen wollte und schon mit den Hosen in der Hand
+dastand, war etwas geschehen.
+
+Ola Nordlien war selbst hereingekommen, hatte guten Abend gewünscht und
+gesagt:
+
+Jetzt bin ich im ganzen oberen Dorf herumgezogen und habe Leute zum
+Kartoffellesen gedungen, und da wollte ich 'mal vorsprechen, ob
+vielleicht auch hier ein Knecht zu haben wäre.
+
+Nein, ich habe jetzt keinen Knecht hier, hatte die Mutter gesagt; der
+Per hat jetzt mit dem Kuhstall auf Opsal zu tun, und ich erwarte ihn
+vor den Feiertagen nicht zurück.
+
+Hast du niemanden? Ich finde, da steht ein großer Bursche drüben am
+Bett. Nach ihm dort hatte ich fragen wollen.
+
+Da kann einer glauben, daß Christian sich aufrichtete.
+
+Du willst also mit zum Kartoffellesen? fuhr die Mutter fort.
+
+Ja, und darum habe ich ein ganzes Heer von solchen Kerlen zum Auflesen
+gemietet, die Kulsvejungen und Sagbakjungen und Jens Perhus.
+
+Die Mutter lächelte und sah zu Christian hinüber.
+
+Ja, ich weiß nicht, was Christian dazu sagt, du mußt mit ihm selbst
+reden.
+
+Da verstand Christian, daß er durfte.
+
+Ola Nordlien wandte sich dann zu ihm und sagte so ernst, als spräche er
+zu einem erwachsenen Knecht:
+
+Ja, hast du wohl Lust, morgen zu uns zu kommen und uns beim
+Kartoffellesen zu helfen, Christian?
+
+Christian zog die Hosen wieder in die Höhe und knöpfte die Klappe zu,
+so gut es sich in der Eile machen ließ. Dann setzte er sich auf die
+Bank, schlug die Knie übereinander, spuckte weit aus und sagte:
+
+Ja, eigentlich habe ich nicht viel Zeit, aber da du Mangel an Leuten
+hast, so muß ich wohl kommen.
+
+Das war der Grund, warum Christian nicht wieder einschlief, -- denn
+zu spät kommen wollte er nun einmal nicht und dann gab es auch viel
+anderes zu überlegen, einmal, wie er sich ausrüsten sollte, und dann
+auch, wie er sich benehmen sollte.
+
+Der Morgen schlich langsam weiter, es kam ihm vor, als ob die Uhr
+gar nicht von der Stelle rückte -- vielleicht war sie auch stehen
+geblieben; ein paarmal versuchte er, sich laut zu räuspern oder zu
+husten, um zu sehen, ob die Mutter nicht aufwachen wollte. Und als die
+Mutter endlich aufgestanden war und kaum den Kaffeekessel mit Wasser
+gefüllt hatte, da stand auch Christian mitten im Zimmer.
+
+Er hatte noch viel zu tun. Erst untersuchte er, ob alle Knöpfe an der
+Hose richtig fest saßen. Nein, einer hing bloß an einem Faden; der
+mußte befestigt werden; ein Knecht mußte Hosen haben, die es vertrugen,
+daß er ordentlich zufaßte. Dann kam der Gürtel an die Reihe, -- er
+mußte ein neues Loch machen, um ihn enger zu bekommen, er war nämlich
+zu weit, und sollte es zu einer richtigen Kraftanstrengung kommen, so
+war es am besten, daß er ordentlich eng war. Und den neuen Schal wollte
+er lose drüber hängen lassen; das würde sich gut machen, wenn er kam,
+und später wenn er den Rock auszog, und ihn dann schön zusammengefaltet
+darauf legte.
+
+Lange ehe der Kaffee fertig war, war Christian angezogen und gerüstet,
+bis auf das Heu in den Stiefeln und die Zipfelmütze auf dem Kopf,
+und er ging aus und ein und sah aus, als hätte er sehr viel zu tun.
+Und als der Kaffee endlich fertig war, nahm es nicht lange Zeit ihn
+herunterzukriegen, obgleich er gewaltig viel essen mußte, um seinen
+Mann zu stellen und bald stand die Mutter und blickte ihm nach und
+bat ihn, gehorsam zu sein und sein Bestes zu tun, während er, die
+Zipfelmütze bis über die Ohren, mit langen, wiegenden Schritten wie ein
+Erwachsener den Abhang nach Nordlien hinuntertrabte.
+
+Als er nach Nordlien hinunterkam, war es ganz still draußen im Hof, er
+sah nichts anderes, was sich bewegte, als den Rauch, der langsam in
+gerader Linie aus der Esse emporstieg, und hörte nichts anderes als das
+gleichmäßige Kauen der Pferde im Stall, -- sie bekamen ihr Morgenfutter
+drinnen vor einem so strengen Tag.
+
+Es dauerte indessen nicht lange, bis er hörte, daß Ola Nordlien auf den
+Beinen war und im Hause herumfuhr und weckte, und als er herauskam und
+Christian erblickte, sagte er:
+
+Das ist meiner Treu ein richtiger Junge, der zuerst auf dem Platz ist,
+und da setzte Christian den einen Fuß vor und sagte:
+
+Ja, ich finde, wir hätten schon anfangen müssen, wenn wir bis zum Abend
+etwas ausrichten wollen.
+
+Allmählich wurde es lebhaft auf dem Hof. Die Leute des Hofes selber
+waren aufgestanden und kamen heraus, gähnten und dehnten sich, und von
+dem oberen Dorf kam der eine nach dem andern, Erwachsene und Kinder,
+Häusler und Häuslerinnen, und Ola Nordlien ging herum und fand Hacken
+und Eimer und lieferte sie aus, und Trampelpeter, der Knecht, ließ die
+Pferde heraus, um sie zu tränken.
+
+Christian war der kleinste von ihnen allen, und er hielt sich auch so
+weit im Vordergrund, daß er ihnen auffiel. Trampelpeter, der ein loses
+Mundwerk hatte, sagte auch gleich:
+
+Nein, was ist das für eine Kartoffel, die ist ja mächtig groß.
+
+Christian wurde sehr wütend auf den Lümmel, aber sein Zorn legte sich,
+als Ola Nordlien gleich sagte:
+
+Das ist mein Großknecht. Du, Christian, du mußt ein bißchen ein Auge
+auf Trampelpeter und die anderen haben.
+
+Christian sah ihn ein wenig unsicher an, und seine Mundwinkel fingen an
+zu zittern; denn er wußte zwar, daß er ein tüchtiger Junge war, aber
+eine solche Auszeichnung hatte er trotzdem nicht erwartet.
+
+Ist das dein Ernst, Ola Nordlien?
+
+Ja, natürlich ist es mein Ernst.
+
+Jetzt waren sie alle versammelt, mit Ausnahme von dem Faulpelz Jens
+Perhus, den sie langsam die Straße herunterschlendern sahen. Christian
+rief ihm zu, er möchte sich gefälligst beeilen und dann sagte er:
+
+Jetzt mußt du die Pferde anschirren, Trampelpeter. Jetzt müssen wir
+anfangen, und er nahm seinen Eimer über den Arm, warf die Hacke über
+die Schulter und ging mit langen Schritten an der Spitze des ganzen
+Zuges hinüber nach dem Kartoffelfeld.
+
+Sie verteilten sich über eine lange Kartoffelfurche, ein Erwachsener
+zum Graben und ein Junge zum Auflesen, und Christian richtete es so
+ein, daß er abwechselnd vor Ola Nordlien selber und vor Trampelpeter
+auflas, denn die gruben nicht die ganze Zeit, -- Ola mußte eine neue
+Furche aufpflügen, wenn die eine geerntet war, und Trampelpeter sollte
+die Kartoffelsäcke zum Hof fahren.
+
+Ola setzte den Pflug an und pflügte eine Furche um, so daß die schönen
+weißen Kartoffeln über die schwarze feuchte Erde hinausrollten, alle
+Rücken bückten sich, um zu graben, und alle die kleinen Hände gingen
+wie Trommelschlägel, um aufzulesen; es wuchs schnell an in den weißen
+Säcken, die in einer Reihe hinter ihnen standen, denn Christian und
+einige andere wetteiferten, wessen Sack am schnellsten voll würde, und
+wer seinen Eimer am öftesten leeren könnte, -- es ging scharf zu beim
+Kartoffellesen auf Nordlien an dem Tage.
+
+Die erste Zeit verging sehr rasch, ehe Christian sich's versah, war die
+Frühstückszeit da und sie sollten zurück und essen. Als sie gegessen
+hatten und draußen im Hofe saßen und satt und zufrieden ausruhten,
+sagte Ola Nordlien:
+
+Ja, so geht es, wenn man einen tüchtigen Großknecht hat; ich weiß mir
+keinen besseren Rat, als daß ich Christian doppelten Tagelohn bezahle,
+wenn er Jens Perhus wirft; aber daran zweifle ich, denn Jens ist zäh.
+
+Christian zögerte eine Weile, aber dann stand er auf, zog den Gürtel
+bis ins neue Loch, spuckte in die Hände und sagte:
+
+Ja, so komm heran, Jens.
+
+Sie fuhren aufeinander los, und keiner gewann gleich; aber schließlich
+sank Christian auf die Kniee und in demselben Augenblicke sprang der
+Gürtel entzwei. Er stand mit rotem Gesichte auf und hielt den Gürtel
+vor.
+
+Ja, ich verlor, aber hier siehst du, Ola Nordlien, wäre der Gürtel so
+stark gewesen wie ich, so hätte ich ihn geworfen.
+
+Dann begannen sie von Stärke zu reden, und Trampelpeter, der gern für
+sehr stark gelten wollte, sprach davon, daß er eine Tonne Kartoffeln
+auf den Wagen heben könnte.
+
+Ja, das kann ich auch -- mit dem Maule, sagte Christian ganz trocken
+und ernst, so daß Ola Nordlien und die andern lachten; aber seitdem
+waren Trampelpeter und Christian nicht besonders gut aufeinander zu
+sprechen.
+
+Die Zeit bis Mittag verging nicht ganz so schnell, es war tüchtig warm
+geworden und die Sonne stand ihnen gerade auf dem Rücken. Es kann schon
+sein, daß Christian das eine oder andere Mal nach der Sonne schielte,
+um zu sehen, ob es nicht bald Zeit wäre, aber er sagte nichts, er las
+ebenso schnell und er machte auch darauf aufmerksam, daß Jens Perhus
+kniete anstatt den Rücken zu beugen. Das war keine Art, wenn etwas
+ausgerichtet werden sollte, Jens sollte, bitte, seinen faulen Rücken
+beugen. Aber als es gegen Abend ging, kam es doch vor, daß Christian
+selber ein wenig Erde auf die Kniee bekam, wenn es niemand sah, und er
+war bedeutend runder im Rücken geworden, als er am Morgen war. Doch da
+war auch Ola Nordlien gleich fertig, und er schickte ihn nach dem Hofe,
+um seine Hacke umzutauschen; er verstand, daß Christian sich einmal
+ausruhen mußte.
+
+ [Illustration]
+
+Endlich war es Abend geworden, die Sonne war untergegangen, die Pferde
+waren auf die Wiese gelassen, alle hatten gegessen und standen
+draußen im Hofe, bereit nach Hause zu gehen, die Männer mit den Pfeifen
+im Munde und die Frauen schon ein gutes Stück auf dem Heimwege -- sie
+mußten nach Hause und die Kühe für den Abend melken.
+
+Der Wagen mit der letzten Kartoffelladung stand am Kellerloch und
+Trampelpeter stand und lehnte sich daran.
+
+Er blickte sich heimlich um, tat aber, als wäre er ganz in Gedanken,
+wie er den einen Kartoffelsack am Sackband nahm und ihn auf die Erde
+herunterhob. Kurz darauf hob er ihn auf dieselbe Weise wieder in den
+Wagen und sah sich heimlich um. Ja, sie hatten es beobachtet und Ola
+Nordlien sagte auch gleich:
+
+Ja, du hast doch Kräfte, Per. Was meinst du, Christan?
+
+Ach, ~das~ war doch nicht so gefährlich.
+
+Da wurde Trampelpeter böse.
+
+Nein, hört mal den Burschen da. Er nahm wieder den Sack und hob ihn
+herunter. Du mußt viel Brei essen, ehe du so weit bist, daß du ihn
+wieder auf den Wagen kriegen kannst.
+
+Vielleicht könnte ich es gleich tun, meinte Christian.
+
+Ja, wenn du das kannst, so will ich der schlechteste Bursche im ganzen
+Kirchspiel sein.
+
+Da bist du mein Zeuge, Ola Nordlien, borg mir bitte einen Sack. Und ehe
+Trampelpeter ein Wort gesagt hatte, hatte Christian den leeren Sack auf
+den Wagen gesetzt und begann die Kartoffeln aus dem einen in den andern
+zu füllen. In unglaublich kurzer Zeit war er fertig und warf den leeren
+Sack hinterher auf den Wagen.
+
+Jetzt sind die Kartoffeln und der Sack dort und jetzt bist du der
+schlechteste Bursche im ganzen Kirchspiel, Trampelpeter.
+
+Trampelpeter spuckte weit aus und lief ins Haus.
+
+Ola Nordlien lachte, bis ihm die Tränen kamen.
+
+Ja, wenn jemand doppelten Tagelohn verdient hat, so bist du es,
+Christian. Sollen wir gleich abrechnen oder kann ich dich morgen wieder
+bekommen?
+
+Du verstehst, ich muß dir helfen, bis du mit den Kartoffeln fertig
+bist.
+
+Als Christian allein seinen Nachhauseweg über die Abhänge
+hinaufschlenderte, fühlte er sich merkwürdig schwach in den Knieen.
+Es war am besten, daß er sich ein wenig hinsetzte. Er hatte nur ein
+paar Minuten bis nach Hause, aber er konnte sich trotzdem ein wenig
+ausruhen, und so setzte er sich an den Wegrand.
+
+Auf einmal fing der Kopf an zu nicken, erst nach der einen, dann nach
+der anderen Seite; ehe er sich's versah, hatte er sich hintenüber
+gelehnt und war süß eingeschlafen.
+
+Die Mutter hatte im Fenster gestanden und zugesehen. Gleich darauf war
+sie bei ihm:
+
+Du mußt jetzt aufwachen und nach Hause kommen, Christian. Du hast dich
+wohl heute ordentlich angestrengt.
+
+Bist du es Mutter? Wo bin ich? Er rieb sich die Augen.
+
+Du bist hier draußen eingeschlafen, Christian.
+
+Bin ich eingeschlafen? Du, Mutter -- es ist vielleicht am besten, du
+erzählst das nicht so, daß der Lümmel, der Trampelpeter, es hört.
+-- Übrigens eine Schande ist es nicht, denn ich habe auch doppelten
+Tagelohn verdient.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Alexander und Buzephalos.
+
+
+Blaß und blau, dünn und mager stand der kleine Stadtjunge am Gatter und
+guckte nach den Schafen, die in der Nähe weideten, bereit, über den
+Zaun zu setzen, wenn sich eine Gefahr zeigte. Er überlegte, ob es nicht
+mit dem Widder möglich sein sollte, seinen großen Plan von Alexander
+und Buzephalos ins Werk zu setzen.
+
+Da kam ein kleiner untersetzter, breitgebauter Bursche daher, braun und
+schwarz auf einmal, die Hände wie ein Erwachsener bis an die Ellbogen
+in den Hosentaschen, mit langen Hosen, die einen ledernen Hosenboden
+hatten, und mit wiegenden Schritten nach Art der Erwachsenen.
+
+Der Stadtjunge fühlte unwillkürlich nach, ob er noch seinen Skalp
+hätte, und setzte die Mütze so, daß er nicht zu sehen war.
+
+Vielleicht war es ein Indianer? Man mußte auf dem Lande auf alles
+gefaßt sein. Nein, die gingen nicht so gerade drauf los, wenn sie auf
+dem Kriegspfad waren -- dieser lief gerade auf ihn zu.
+
+Der Bauernjunge blieb stehen, spuckte wie ein Großer aus dem einen
+Mundwinkel und hütete sich, den Hosenboden zu zeigen. Es war zu dumm
+mit dem Hosenboden; keiner der andern Jungen hatte einen solchen, und
+es hatte auch einen Tanz gegeben, bis die Großmutter das Leder hatte
+darauf setzen dürfen. Aber es war noch schlimmer, daß gestern beim
+Gewitter der Blitz hineingefahren war. Der Knecht auf Opsal hatte
+es deutlich gesehen, wie er hineinfuhr -- ja, er wußte selbst, daß
+das Leder den Blitz anzog --, und die Hosen waren seitdem so schwer
+gewesen. Und jetzt bliebe der Blitz darin, bis sie entzwei gingen,
+hatte der Knecht gesagt; aber dann verschwände er auch mit solcher
+Eile, daß der ganze Kerl umfiele.
+
+Bist du der Stadtjunge, der den Sommer auf Opsal liegen soll, um fett
+zu werden?
+
+Ja.
+
+Ja, du siehst auch aus, als ob du es nötig hättest.
+
+Nein, das war kein Indianer, das war eher ein verkleideter Räuber.
+
+Der Bauernjunge betrachtete ihn von oben bis unten. Er schien ihm
+nicht gerade ein forscher Kerl zu sein; es konnte nicht schwer sein,
+ihn durchzuprügeln. Aber wie furchtbar fein er war! Nirgends ein
+Lederfleck.
+
+Hast du deine guten Hosen auch Werktags an?
+
+Hm, er war gewiß ein verkleideter Räuber, wie sie in Italien zu Hause
+sind. Fiel die Lederhose von ihm ab, so stand er sicher in voller
+Rüstung da mit goldenem Gürtel und Pistolen. Es war am besten, sich
+nicht ängstlich zu zeigen; mutige Jungen gefielen den Räubern.
+
+Ich könnte noch einmal so feine Hosen haben, wenn ich nur wollte. Und
+mit verächtlicher Kopfbewegung wandte er sich gleichgültig um und sah
+wieder nach den Schafen.
+
+Der Bauernjunge wandte sich auch nach dem Zaun um, stützte sich mit dem
+Ellbogen dagegen und legte die Backe in die flache Hand.
+
+Was du auch für feine Hosen hast -- einen so riesengroßen Widder hast
+du doch noch nie gesehen, nicht wahr?
+
+Aber ich habe den Elefanten gesehen; der ist dreimal, ja hundertmal so
+groß.
+
+Aber nicht so stark. Ich kann ihn gerade festhalten, wenn ich ihn an
+den Hörnern packe, und dann ist er wütend.
+
+Aber der Elefant ist so stark, daß hundert Mann, ja noch mehr dazu
+gehören, um ihn festzuhalten. Er könnte dich weit, weit wegschleudern,
+-- ungefähr eine Meile weit.
+
+Hm! Glaubst du vielleicht, ich wäre nicht stark?
+
+Nicht so stark.
+
+Da spuckte der Bauernjunge in die Hände, ging einen Schritt vorwärts,
+und stellte sich in Bereitschaft.
+
+Soll ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen?
+
+Das klang drohend. Dem Stadtjungen fielen auf einmal alle Gefahren ein,
+denen seine Helden, Robinson, Karl von Rise und Gustav Vasa ausgesetzt
+gewesen waren. Als er auf das Land reiste, hatte er sich genau
+ausgedacht, wie er sich gegen Indianer und Räuber schützen wollte; aber
+er konnte sich auf keinen einzigen Kniff besinnen. Es pflegte auch
+immer Hilfe zu kommen von irgendeinem, der im Hinterhalt lag! Er spähte
+schnell umher, ob nicht wenigstens Netta, das Kindermädchen, das mit
+war, um auf ihn aufzupassen, im Hinterhalt lag; aber er sah nur den
+Widder, der aufmerksam geworden war und den Kopf mit den großen krummen
+Hörnern emporgerichtet dastand und sie anstarrte.
+
+Der Bauernjunge streckte den Arm aus, um ihn vor der Brust zu packen.
+
+Da fiel ihm plötzlich etwas ein, was er in der Schule gehört hatte. Er
+heftete die großen, erschreckten Augen auf seinen Gegner und sagte:
+
+Sklave, wagst du es, Hand anzulegen an Cajus Marius?
+
+Der Bauernjunge ließ den Arm sinken. Dieser seltsame Ausspruch kam
+ihm gänzlich unerwartet. Es ging wohl auch nicht recht an, ihn
+durchzuprügeln. Er trat ein paar Schritt zurück, und im selben Nu bekam
+er einen Stoß auf den Hosenboden.
+
+Es war der Widder, der sich in den Streit mischte.
+
+Da bekam der Stadtjunge Mut; es war ja gerade wie in den Geschichten:
+die Hilfe kam unerwartet. Jetzt würde er schon gewinnen -- wenn auch
+nicht gerade den Skalp nehmen, so doch jedenfalls ihm einen Denkzettel
+geben. Der Widder ging ein paar Schritt zurück und die Reihe kam jetzt
+an ihn. Da bekam er einen Stoß mitten vor den Bauch, so daß er neben
+seinem gefallenen Gegner lag.
+
+Mit einem Satz waren sie beide über den Zaun, sie wußten nicht wie.
+
+Das erste, was der Bauernjunge untersuchte, war, ob seine Lederhose ein
+Loch bekommen hatte.
+
+Dann drohte er mit geballter Faust durch den Zaun.
+
+Das sollst du nicht umsonst getan haben, du Schweinehund.
+
+Der Stadtjunge zog ein etwas langes Gesicht, doch dies gab ihm wieder
+Mut. Es war, als ob sie sich auf einmal ganz gut kennten und gute
+Kameraden geworden wären.
+
+Hat er dir weh getan?
+
+Ach nein, es muß anders kommen, ehe es weh tut. Er drohte wieder: Ich
+werde dich schon zähmen!
+
+Als der Stadtjunge das Wort zähmen hörte, tauchte gleich sein
+Lieblingsgedanke wieder in ihm auf:
+
+Ob sie Philipp und Alexander sein sollten und ~der da~ Buzephalos?
+
+Davon wußte der andere nichts; er kannte keinen andern Philipp als
+den Apostel Philippus und dann Philipp Storsveen, und Alexander und
+Buzephalos hatte er nicht einmal nennen hören.
+
+Darüber konnte der andere ihm Bescheid geben. Philipp war König von
+Mazedonien; das war ein Land weit, weit von hier, gerade so weit auf
+der andern Seite der Stadt, und es war lange her, sicher über hundert
+Jahre, und Alexander war dort Kronprinz. Philipp hatte ein Pferd, das
+sie Buzephalos nannten, und das konnten sie nicht zähmen, so sehr sie
+sich anstrengten.
+
+Da muß es ein Pferd aus Valders gewesen sein; denn das sind die
+schlimmsten.
+
+Nein, es war ein Araber.
+
+Nun, das wäre so ziemlich derselbe Schlag, soviel er wenigstens wüßte.
+
+Das war es wohl auch, und es war so toll und wild, daß es über alle
+Gartentore und Zäune in der Stadt sprang und Kirschen fraß. Dann
+berief Philipp sein ganzes Volk, den Diener und den Kutscher und die
+Generäle und die Minister und die Feuerwehr und die Schutzleute, und
+sagte, sie sollten so viel Elfenbein bekommen, wie sie zu tragen
+vermöchten, wenn sie den Buzephalos zähmten.
+
+War er nicht selber Manns genug, sein Pferd zu zähmen?
+
+Doch; aber für ihn, den König, ging es nicht an. Dann begannen sie; die
+Generäle zuerst; sie dachten nun einmal, sie wären die besten; aber
+viele von ihnen kamen gerade hinauf, da warf sie Buzephalos auch schon
+ab, daß es nur so rauchte. Selbst der Kutscher, der die beiden andern
+Pferde auf einmal lenken konnte, kam nicht weiter als bis ans Tor.
+
+Dann kam Alexander an die Reihe. Er nahm Anlauf und saß mit einem Satz
+im Sattel, -- nein, das ist wahr, einen Sattel hatte er nicht. Und dann
+ging es fort -- aber Alexander blieb sitzen -- über die Gartentore und
+über die Hausdächer, und schließlich waren sie verschwunden.
+
+Blieben sie weg?
+
+Sie warteten sicher über eine Stunde. Da kamen sie denselben Weg
+zurück, und da war Buzephalos so zahm, daß er sich hinlegte wie ein
+andres Kamel.
+
+Hm! Ganz so toll trieb es der Braune auf Opsal nicht, als sie ihn im
+Frühjahr zähmten. Aber sie mußten den Stangenzaum anwenden. Das hat
+Alexander wohl auch getan.
+
+Ja, davon wußte der andere nichts.
+
+Doch, das hatte er ganz bestimmt getan. Und dann war es nicht so
+gefährlich. Vor dem Stangenzaum mußten sie klein beigeben, wie
+ausgelassen sie auch waren, -- wenn sie ihn nicht auf die Zähne zu
+nehmen verstanden. Aber den Kniff kannte wohl Buzephalos nicht, denn
+den kannten nur die ausgefahrenen Hemärkingsmähren.
+
+Es dauerte nicht lange, bis sie einig waren, diesen Plan auszuführen.
+Sie nahmen gleich die Titel an. Der Stadtjunge sollte selber Philipp
+von Mazedonien sein und der Bauernjunge Alexander, und jetzt hieß es
+immer nur König und Prinz. Netta mußten sie als General verwenden,
+und Alexander glaubte schon, daß er seine Großmutter bewegen würde,
+die Feuerwehr zu bilden. Die Zaunpfähle sollten die Schutzleute sein.
+Mazedonien sollte sich gerade vom Zaun bis an den Kuhstall erstrecken,
+und die Scheunenbrücke sollte das Schloß sein; da sollte der Thron
+errichtet werden. Alexander mußte genau lernen, wie er sich als
+Prinz zu benehmen, das Zepter zu berühren, und sich vor dem Thron zu
+verneigen habe. Dann verfaßte der Stadtjunge den Aufruf an das Volk
+von Mazedonien, und am nächsten Tag sollte Buzephalos gezähmt werden.
+Darauf trennten sie sich mit königlichem Gruß und hochtrabenden Titeln.
+
+Alexander hatte bis spät am Abend damit zu tun, seiner Großmutter dies
+alles zu erzählen, und schließlich bekam er auch ein halbes Versprechen
+von ihr, daß sie als Feuerwehrmann mitmachen wollte, wenn gutes Wetter
+wäre. Aber wieviel er auch davon sprach, wie sie angezogen sein und wie
+sie aussehen sollten, so konnte er seine Großmutter doch nicht dazu
+bringen, sich über die Hose auszusprechen. Er hielt es indessen für
+so selbstverständlich, daß er die neuen Hosen anhaben müßte, wenn er
+Alexander sein sollte, daß er in dem sicheren Glauben einschlief, sie
+wäre derselben Meinung. Aber am Morgen, als er angezogen werden sollte,
+kam die Großmutter doch mit der Lederhose.
+
+Ob sie nicht mehr wüßte, daß er Alexander sein sollte?
+
+Doch, aber Großmutter meinte, daß diese gut genug wäre. Die
+Sonntagshosen müßten geschont werden.
+
+Das ging aber nicht an, Alexander hätte keine Lederhosen.
+
+Wenn er so schlimm war, seine Kleider zu zerreißen, so hat er schon
+auch welche gehabt, als er klein war.
+
+Ja, aber Philipp von Mazedonien war auch klein; er hatte keine.
+
+Es wäre etwas anderes mit den Stadtleuten, sie wären ständig im vollen
+Staat.
+
+Sie müßte doch verstehen, daß das nicht anginge. Der Blitz wäre auch
+hereingefahren. Sie könnte den Knecht auf Opsal fragen.
+
+Er sollte das nicht glauben; sie hätten ihn nur zum Besten.
+
+Ja, sie sollte sehen, wenn sie ein Loch bekäme, so --
+
+-- Ja, dann wäre es am besten, wenn es die alten Hosen wären; -- und er
+mußte sie trotz allem anziehen.
+
+Es war unglaublich, wie lange Großmutter brauchte, bis sie fertig
+war! Er hatte Zeit, es sich viele Male hin und her zu überlegen, wie
+er Buzephalos am besten lenken sollte, und er hatte sich schon längst
+einen Knoten ausgedacht, mit dem er das Tau so fest machen wollte, daß
+das Horn eher abgehen würde, als daß der Knoten aufginge.
+
+Endlich war Großmutter fertig, und sie zogen zusammen den Berg
+hinunter.
+
+Im Hof trat ihnen Philipp von Mazedonien und sein General entgegen,
+die dort auf sie warteten. Philipp hatte eine rote Papierkrone auf dem
+Kopf, ein Schwert an der Seite und einen abgebrochenen Harkenstiel in
+der Hand. Das war Mazedoniens Zepter. Er streckte dem edlen Prinzen
+als Zeichen seiner königlichen Gnade das Zepter entgegen, daß er es
+berühren sollte; doch Alexander war von dem Staat so geblendet, daß er
+es vergaß. Oben auf der Scheunenbrücke war der Thron errichtet. Es war
+ein Stuhl mit einer Fußbank darauf.
+
+Philipp begann seine Befehle zu erteilen. Großmutter bekam den Befehl,
+Buzephalos zu holen und ihn an den Zaun zu binden.
+
+Dann bestieg Philipp von Mazedonien seinen Thron. Er schwang sein
+Zepter, blickte über Mazedoniens Land und Leute und hielt
+folgende Rede:
+
+Meine Generäle, Minister, Kutscher, Feuerwehrleute und Schutzleute!
+Ich, König Philipp, der Größte von Mazedonien tue hierdurch kund, daß
+ich meine königliche Gnade und hundert Ellen Elfenbein dem geben werde,
+der mein wildes Pferd Buzephalos, das im Schloßhof festgebunden steht,
+zähmen kann.
+
+Netta und Großmutter zogen sich auf die Scheunenbrücke zurück, wie
+ihnen befohlen worden war.
+
+Darauf blickte er sich vorwurfsvoll um:
+
+Wagt es niemand? Sind alle Mazedonier solche Feiglinge? Wenn ich nicht
+König wäre, würde ich es selbst tun.
+
+Da trat Alexander vor. Er verneigte sich ehrerbietig vor dem Throne.
+Philipp streckte sein Zepter aus, und er berührte es.
+
+Das ist recht, mein Prinz, jetzt kann ich sehen, daß es noch Männer in
+Mazedonien gibt.
+
+Alexander machte kehrt und näherte sich Buzephalos, der dastand und am
+Tau riß. Er machte runde Ellbogen und schlenkerte mit den Armen.
+
+So groß war er sich noch nie vorgekommen. Er konnte es nicht lassen,
+einen verstohlenen Blick auf Philipp und Mazedoniens Volk zu werfen,
+und der Mund war breiter und lachender, als es sich streng genommen für
+einen Prinzen ziemte. Jetzt sollte er doch einmal zeigen dürfen, was er
+für ein forscher Kerl war.
+
+Er biß die Zähne zusammen und nahm einen so kräftigen und tiefen
+Anlauf, daß die Hosen fast hinten aufstießen. Es mißglückte.
+
+Ja, das hatte er sich gedacht; sie waren zu schwer, weil der Blitz
+darin war.
+
+Er versuchte es noch einmal. Und diesmal gelang es.
+
+Da saß er. Der Widder machte einen Satz, doch da er nicht los kam,
+drückte er sich an den Zaun, so daß Alexander Gelegenheit bekam, das
+Tau zu lösen. Er löste es und warf im selben Nu wieder einen Blick auf
+die Mazedonier.
+
+Doch da sprang das Hinterteil von Buzephalos auf einmal in die Luft,
+und das Tier lief ein paarmal um sich selbst. Alexander schreckte
+zusammen, so daß er das Tau los ließ und sich mit beiden Händen an der
+Wolle festklammerte.
+
+Philipp sprang auf den Thron hinauf, schwang das Zepter und rief:
+
+Suche dir ein anderes Königreich, Alexander, Mazedonien ist für dich zu
+klein.
+
+Jetzt flog Buzephalos in langen Sätzen immer schneller und schneller
+davon; bald war er ganz hinter den Ställen verschwunden. Alexander hing
+fest, und das letzte, was sie sahen, war eine breite Lederhose, die
+zwischen dem Halse und der Lende von Buzephalos hin und her geworfen
+wurde, als er sich über die Grenze von Mazedonien hinaus begab.
+
+Nach kurzer Zeit kam er wieder auf der anderen Seite vom Hauptgebäude
+zum Vorschein und lief dann in rasender Eile um das Vorratshaus
+herum. Alexander hing noch immer darauf, und da der Widder ihn nicht
+los werden konnte, schlug er wieder den Kurs über die Grenzen von
+Mazedonien und gerade auf das Schloß zu, ein. Er wollte zu Leuten
+kommen und nahm seine Zuflucht zur Großmutter.
+
+Da verlor Philipp völlig den Kopf. Er erhob sich auf dem Thron und
+schleuderte sein Zepter gegen das Tier.
+
+ [Illustration]
+
+Buzephalos erschrak, machte eine schnelle Wendung und stieß gerade
+gegen den Thron von Mazedonien, so daß dieser umfiel, erschrak immer
+mehr und sprang mit einem gewaltigen Satz die Brücke hinunter.
+
+-- -- Als Buzephalos weiter galoppierte, war er allein.
+
+Netta nahm sich des gefallenen Königs Philipp an, der Nasenbluten hatte
+und weinte, und Großmutter lief schnell hinunter, um nach Alexander zu
+sehen.
+
+Der erhob sich mit königlichem Zorn, zeigte mit der einen Hand einen
+Riß in der Hose, und mit der anderen drohte er der Großmutter:
+
+Das hatte ich dir gleich gesagt, Großmutter, es geht nicht an,
+Alexander zu sein, wenn man eine Lederhose hat, in die der Blitz
+gefahren ist.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Holzvermesser Ole Pedersen.
+
+
+Das letzte, was ich am Abend vor dem Einschlafen sah -- es war in einer
+dieser herrlichen Sennhütten dicht unterhalb der Rondaneberge -- war
+eine Leiter, die auf den Boden unter dem Dach hinaufgezogen wurde.
+Einen Augenblick vorher war der Hirtenjunge Ole dort hinaufgekrochen
+-- in vollem Anzug, mit schwarzem Rock und den Strohhut auf dem Kopf,
+wobei die Bergstiefel mit den großen, blanken Hackeneisen gegen die
+Stufen der Leiter klapperten. Dann rumorte er eine Zeitlang da oben;
+er zog wohl die wichtigsten Kleidungsstücke aus. Darauf wurde es
+still; dann schnarchte er, und bald schliefen wir alle miteinander,
+die Sennerin in dem einen Bett, ich, der ich auf einer Fußtour war, im
+andern und Ole auf dem Boden.
+
+Das erste, was ich am Morgen hörte, war die Sennerin, die zum Boden
+hinaufrief:
+
+Ole, jetzt mußt du aufwachen, jetzt wollen wir gleich die Ziegen
+melken.
+
+Nichts rührte sich auf dem Boden, niemand antwortete, und die Sennerin
+machte eine Wendung nach dem Herd, wo der Kaffeekessel schon kochte und
+brodelte.
+
+Dann fing sie wieder an:
+
+Ole, jetzt mußt du aufstehen.
+
+Keine Antwort. Sie machte sich noch ein wenig unten zu schaffen; dann
+stellte sie sich gerade unter den Boden und ich sah, daß sie lächelte:
+
+Pedersen, jetzt ist's Zeit aufzustehen.
+
+Heh --? antwortete es oben vom Boden.
+
+Jetzt muß Holzvermesser Pedersen aufstehen.
+
+Niemand antwortete; aber im selben Nu kam der alte Strohhut mitten
+in die Stube hineingesegelt und blieb in dem breiten Sonnenstreifen
+liegen, der sich vom Fenster schräg durch das Zimmer zog. Einen
+Augenblick darauf kam der eine Bergstiefel mit einem schweren Krach
+hinterher; kurz danach der andere. Dann kam die Leiter, sie wurde
+vorsichtig vom Boden heruntergelassen und schließlich kam Ole rückwärts
+heruntergestiegen, die Hosenträger hinten herunterhängend, den
+schwarzen Rock über dem einen Arm und die zusammengebundenen Strümpfe
+über dem andern. Er kam in die Stube herunter, schnitt Gesichter gegen
+die Sonne und dehnte sich nachdrücklich. Darauf setzte er sich auf
+die äußerste Ecke des Herdes und begann sich anzuziehen. Er löste die
+Strümpfe voneinander, zog einen an, spuckte in die Hände und zog das
+Strumpfband lang. Es ging langsamer und langsamer, als er es festband
+und es ging sehr langsam, als er nach dem andern Strumpf griff. Als er
+ihn halbangezogen hatte, hörte er ganz auf und neigte sich bedenklich
+tief nach der einen Seite, als ob er vom Herd herunterfallen wollte; --
+es war ja auch recht früh am Morgen. Da sperrte er plötzlich die Augen
+weit auf, biß die Zähne zusammen, zog die Strümpfe mit einem Ruck an
+und schnürte das Strumpfband ordentlich zu. Im Handumdrehen hatte er
+die Hosenträger angeknöpft und den Rock angezogen. Dann dehnte er sich
+wieder und spazierte geradeswegs in die Bergstiefel hinein, die mitten
+im Zimmer standen und gähnten; sie gingen von allein an. Dann stand er
+einen Augenblick da und sah den Strohhut an, ging dann hin und schlug
+die Tür weit auf. Darauf kam er noch einmal zurück, blickte wieder den
+Hut an:
+
+Der elende Hut! damit versetzte er ihm mit dem Fuß einen Stoß, daß er
+aus der Tür flog, ging selbst nach und machte die Tür hinter sich zu.
+
+ * * * * *
+
+Als ich aufgestanden war, erfuhr ich von der Sennerin, warum Ole
+Holzvermesser Pedersen hieß; -- ja, sein Vater hieß Peder, mit Pedersen
+hatte es also seine Richtigkeit; aber Holzvermesser war er nun doch
+nicht. Bei der Holzvermessung im Frühjahr hatte einer der Vermesser
+Pedersen geheißen, und Holzvermesser waren die großartigsten Menschen,
+die Ole gesehen hatte. Er war den ganzen Tag dabei, und plötzlich ging
+er hin und gab dem Holzvermesser die Hand:
+
+Guten Tag, ich höre, wir haben denselben Namen.
+
+Nein, was du nicht sagst, heißt du auch Pedersen?
+
+Ja, und darum wollte ich fragen, ob du mich nicht als Holzvermesser
+annehmen könntest?
+
+Nein, das kann ich nicht, solange du den Hut da hast, -- dies geschah
+im frühsten Frühjahr, und Ole hatte schon den Strohhut aufgesetzt -- du
+mußt eine Talermütze aufhaben, um Holzvermesser zu werden, -- ja, und
+schwarzen Rock.
+
+Seit der Zeit konnte Ole seinen Hut nicht recht leiden; einen Rock
+hatte er bekommen.
+
+ * * * * *
+
+Ich ging hinaus und traf Ole, der dabei war, die Ziegen zu melken. Ich
+versuchte ein Gespräch über die Ziegen mit ihm anzuknüpfen; aber er
+wollte nicht recht dran und war sehr wortkarg. Ich fragte ihn, was er
+werden sollte, doch er wollte nicht mit der Sprache heraus. Dann sagte
+ich:
+
+Es sind schöne Balken hier im Schafstall.
+
+Ja der Grundbalken ist wohl 12: 10 gewesen und derselbe Stamm hat noch
+einen Balken 8: 10 geliefert.
+
+Nein, das doch wohl nicht!
+
+Ole sah mich sehr überlegen an.
+
+Du bist sicher kein Holzvermesser?
+
+Nein, das bin ich nicht.
+
+Das merke ich.
+
+Damit war diese Unterhaltung zu Ende.
+
+Als Ole kurz darauf die Ziegen durch das steile Birkenwäldchen
+hinuntertrieb, das auf beiden Seiten am Flußabhang lag, schlich ich ihm
+nach.
+
+Es war ein herrlicher Morgen mit Sonnenstreifen rings auf allen Bergen
+und grauem Gestein, so weit man hinaufblicken konnte, bis hoch, hoch
+in die Luft, und unten frische grüne Birkenabhänge bis hinunter an die
+klaren glitzernden Flüsse und Bäche im Talgrund.
+
+Von der Sennhütte drüben stieg ein langer blauer Rauch empor, und an
+den Abhängen standen die Ziegen zu zweit an den kleinen Birken und
+rupften das Laub ab. Auf einer kleinen Lichtung im Birkenwald stand Ole
+und blickte sich vorsichtig um, und dicht am Waldrand lag ich, ohne
+gesehen zu werden.
+
+Als Ole eine Weile ruhig gestanden hatte, riß er den Hut ab und warf
+ihn auf die Erde. Darauf ging er auf eine Birke zu.
+
+Guten Tag. Wird hier Handel getrieben?
+
+Er antwortete selber für den andern: Ja.
+
+Hast du Talermützen?
+
+Ja, hier ist dieselbe, die Holzvermesser Pedersen hat.
+
+Ja, das sehe ich; denn ich kenne ihn. Aber ich will nicht mehr als zwei
+Kronen dafür geben.
+
+Zwei Kronen für eine Talermütze, das ist eine seltsame Rechnung.
+
+Seltsam oder nicht, ich gebe nicht mehr.
+
+Ja, dann kommt kein Geschäft zustande.
+
+Ja, du weißt, ich könnte schon geben, was du verlangst; aber wenn ich
+es mir überlege, so habe ich nicht mehr als zwei Kronen bei mir.
+
+Kannst du denn nicht wiederkommen?
+
+Hm, ich habe auch nicht mehr als zwei Kronen, soviel ich mich besinnen
+kann. Könntest du mir die eine Krone nicht so lange borgen?
+
+Ich pflege nicht zu borgen.
+
+Ja, aber du könntest doch mal eine Krone auf meine Rechnung
+aufschreiben?
+
+Ja, das könnte ich schon mal. Welchen Namen darf ich aufschreiben?
+
+Du kannst Holzvermesser O. Pedersen schreiben.
+
+Dann tat er, als nähme er die Mütze in Empfang und setzte sie auf.
+Darauf griff er in die Innentasche seines Rocks und holte einen
+Bleistift und ein Notizbuch vor. Er buchstabierte laut, während er
+schrieb:
+
+O. Pedersen, Holzvermesser, hat folgende Dimensionen bekommen.
+
+Jetzt müßt ihr die Axt gut anlegen, Leute, und nicht schneller, als ich
+rufe. Fegt den Schnee dort weg; wir müssen sehen, was wir vermessen.
+Dann tat er, als ob er an einem Holzstapel entlang ging.
+
+Hm, dieser soll also zwölf sein. Fangen wir also an.
+
+Er fing an; und jedesmal, wenn er rief, tat er einen Schritt zur Seite
+und machte einen Vermerk ins Buch.
+
+Zwölf Ellen lang, acht und ein halb Zoll dick! Ditto! Ditto! Zwölf
+zehn! Hübscher Stamm! Zwölf acht! Zwölf neun! Zwölf -- pfui, das ist
+ein schlechter Stamm -- den müssen wir auf zwölf acht heruntersetzen!
+Zwölf zehn. Zwölf -- ganz krumm, der soll wohl zum Bootsbau dienen?
+Der ist morsch; den nehmen wir nicht. Zwölf zwölf! Bravo! Noch einmal
+ditto, zwölf acht und ein halb! Zwölf neun! Zwölf zehn! Ditto! Ditto!
+Gut gearbeitet, Leute, jetzt nehmen wir einen Schnaps!
+
+Damit trollte sich Ole zur Sennhütte; denn es gab viel zu tun, und er
+durfte nicht lange fort sein.
+
+Als ich aufbrach, verabschiedete ich mich auch von Ole, und da gab ich
+ihm die Krone, die ihm, wie ich wußte, an seiner Talermütze fehlte.
+
+ [Illustration]
+
+Er sah mich ein wenig erstaunt an und wollte mir die Hand reichen. Aber
+dann griff er plötzlich an den Hut und nahm ihn ab; er sah erst aus,
+als ob er ganz feierlich sein und mit dem Hut in der Hand sich durch
+Handschlag bedanken wollte.
+
+Doch dann schleuderte er den Hut weg, griff langsam und feierlich in
+die Innentasche seines Rockes und holte Bleistift und Notizbuch hervor.
+
+Er hielt es in der Hand und schrieb sehr sorgfältig mit ernstem
+Gesicht. Endlich riß er das Blatt heraus, steckte das Buch und den
+Bleistift in die Tasche und reichte mir das Blatt: Bitte sehr!
+
+Ich habe den Zettel noch, und er sieht so aus:
+
+ [Illustration]
+
+Seitdem habe ich Ole nicht wieder gesehen; aber ich habe gehört, daß
+er eine Talermütze bekommen hat; Holzvermesser ist er wohl noch nicht
+geworden; aber das wird er schon mit der Zeit.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Ranzenräuber und Zottelbär.
+
+
+Während die Sennerin auf der nördlichen Kvinstölhütte im Begriff war,
+das Vieh loszubinden, schlich sich Christian einen Augenblick an das
+Sennhüttenfenster und steckte den verbogenen Messingkamm zu sich.
+
+Darauf ließ er das Kleinvieh hinaus und trieb es schnell über den Hügel
+hin.
+
+Heute vergrub er die Hände nicht in den Hosentaschen, wie er zu tun
+pflegte, er fühlte die warme Morgensonne nicht und blickte nicht
+nach den blauen Bergen. Er fühlte sich etwas schwach und zitternd in
+den Knien und kümmerte sich gar nicht um die zärtlichsten Ziegen,
+die sich immer zu hinterst hielten, den Kopf umdrehten und ihm
+entgegenmeckerten. Der einzige, um den er sich kümmerte, war der große
+Bock, der Ranzenräuber hieß, seit er letzten Frühling Christians Ranzen
+geöffnet und ihm das Brot und den Schinken weggefressen hatte.
+
+Denn heute galt es. Gestern waren sie auch auf den südlichen Kvinstöl
+gekommen, und jetzt sollte entschieden werden, wer diesen Sommer
+Oberhirte sein würde, er oder Per Nordberg, und Oberhirte sollte der
+sein, der den stärksten Bock hatte.
+
+Letztes Jahr hatte Christian verloren, da hatte Zottelbär über
+Ranzenräuber gesiegt. Darein hatte Christian sich finden müssen,
+und es war auch gar nicht so ärgerlich gewesen, solange sie auf der
+Sennhütte waren, denn es zog keine andern Nachteile nach sich, als
+den Schimpf, den schwächeren Bock zu haben -- und da räumte auch Per
+ein, daß es nach Zottelbär keinen besseren Bock gäbe als Ranzenräuber
+-- und dann durfte der Oberhirte immer den Platz wählen, wo sie die
+Herden trennen sollten, wenn sie zusammen gewesen waren. Aber im Winter
+war es ärgerlich gewesen; da trafen sich Per und Christian nur in der
+Schule, und da konnte Per es nicht sein lassen, davon zu reden und
+Ranzenräuber, so daß alle es hörten, einen ganz gewöhnlichen Bock zu
+schimpfen. Und außerdem war es nicht sicher, daß es so ganz richtig
+zugegangen war, als sie letztes Jahr aneinander gerieten; Per hatte ein
+Viertel Tabak für Zottelbär gehabt, das er ihm während der Mittagsruhe
+gegeben hatte, und trotzdem hätte dieser sicher nicht gewonnen, wenn
+er nicht Ranzenräubers Vorderfuß zwischen die Hörner bekommen und ihn
+beinahe ausgerenkt hätte.
+
+Christian schob den neuen Strohhut in den Nacken und warf einen Blick
+nach der Sennhütte zurück. Ja, jetzt war sie nicht mehr zu sehen.
+
+Er lockte:
+
+Komm, komm Ranzenräuber!
+
+Ranzenräuber legte den Kopf schief nach hinten und meckerte. Darauf
+drehte er um und kam langsam, die langen Hörner hoch in die Luft
+streckend, auf Christian zu.
+
+Christian stellte sich in Bereitschaft, streckte beide Hände vor und
+packte ihn an den Hornenden:
+
+Laß dich mal erproben!
+
+Ranzenräuber, der das Spiel kannte, stellte sich auch in Bereitschaft
+und begann zu schieben. Nach kurzer Zeit stieß er Christian gegen einen
+Birkenstamm, daß es krachte.
+
+Ja, schwach bist du nicht, aber du mußt dir nicht einbilden, daß ich
+meine ganze Kraft anwandte.
+
+Christian kniete nieder und holte den Messingkamm hervor. Der Bock
+schmiegte sich an ihn.
+
+Jetzt sollst du geputzt werden für die Musterung.
+
+Er kämmte den Bart und die Büschel an der Stirn und an den Seiten, die
+blauen Zotteln fielen so seidenweich und fein, wie Christian sie noch
+nie gesehen hatte. Das war hübscher als die langen schwarzen Zotteln
+vom Bären.
+
+Als er fertig war, betrachtete Christian den Bock noch einmal genau,
+und dann trotteten die beiden Seite an Seite der Herde nach, die weit
+vorangekommen war.
+
+Bald waren sie oben auf der Höhe und blickten den Abhang nach dem
+Riesenmoor hinunter.
+
+Ja, wenn sie zur richtigen Zeit auf dem südlichen Kvinstöl lockten, so
+konnte Per jetzt nicht mehr weit sein.
+
+Christian begann zu jodeln, daß es durch das Birkenwäldchen schallte.
+
+Sogleich ertönte von weit unten her die Antwort. Ja, da war Per.
+
+Christian faßte Ranzenräuber am Nacken und ging vor der Herde den
+Abhang hinunter. Die ganze Zeit jodelte er, und die ganze Zeit
+antwortete es noch lauter, er konnte hören, daß Per auch schnell
+heraufkam. Dort sah er etwas Weißes hinten zwischen den Birken
+auftauchen. Ob wohl Per auch einen neuen Strohhut hatte? Er hatte
+wenigstens geglaubt, ~das~ für sich zu haben.
+
+Bald waren sie einander so nahe gekommen, daß sie sich verstehen
+konnten:
+
+Heh Junge, hier kommt der Oberhirte.
+
+Heh hier auch! Hier kommt einer, der ~über~ dem Oberhirten ist!
+
+Was kannst du für dich ins Feld führen?
+
+Einen blauen Bock mit hohen Hörnern, einen forschen Jungen mit neuem
+Hut!
+
+Und was hast du?
+
+Einen schwarzen Bock mit höheren Hörnern, einen forschen Jungen mit
+feinerem Hut!
+
+Wann soll der Kampf stattfinden?
+
+Wenn die Sonne zwischen der Tiefkluft und der Kvinhornschnute steht.
+
+Da sollst du beide, den Bock und den Jungen, treffen.
+
+Wo soll die Schlacht stattfinden?
+
+Auf der Ebene zwischen dem Riesenmoor und dem Blausee.
+
+Dort wirst du beide, den Bock und den Hut, treffen.
+
+Sie gingen näher aneinander. Als sie ein paar Schritt entfernt waren,
+rief Per:
+
+Jetzt sollen die Kämpfer sich begrüßen.
+
+Das meine ich auch.
+
+Sie führten die Böcke gegeneinander vor und ließen sie los. Sie
+beschnoberten sich ein wenig, legten die Köpfe schief, und fingen an,
+sich leise zu reizen, indem sie die Mähnen erhoben. Sie waren auf dem
+Sprunge, aufeinander loszufahren.
+
+Da nahmen Per und Christian jeder den seinen wieder -- der Kampf sollte
+erst am Nachmittag stattfinden -- und führten sie zur Herde zurück.
+Als sie sie wegführten, warfen sie beide einen verstohlenen Blick nach
+rückwärts, sie fanden eigentlich beide, daß der Bock des anderen seit
+dem letztem Jahre unglaublich groß geworden war.
+
+Als sie die Böcke zurückgeführt hatten, trafen sie wieder zusammen,
+das Nähere zu verabreden. Sie waren beide nicht mehr sicher, und darum
+schnitten sie gewaltig auf und erzählten sich, wie sie das feinste
+Gras auf der Weide pflücken und es den Böcken während der Mittagsruhe
+geben wollten, und als Per zum Schluß ein Viertel Tabak vorzeigte,
+tat Christian dasselbe, und noch dazu war seiner vom Äußersten in der
+Rolle, während der von Per nur Einlage war. Dann entstand ein Streit
+wegen der Hüte; es war ja schon etwas, wenn man sich den feinsten Hut
+gesichert hatte, für den Fall, daß man den schwächsten Bock bekam. Und
+dann trennten sie sich, um zur Mittagsruhe nach Hause zu ziehen.
+
+Christian hatte während dieser Mittagsruhe nicht viel Zeit zum Essen,
+er mußte gleich wieder hinaus und auf der Weide Gras für Ranzenräuber
+pflücken. Als er den Hut und den Schoß voll hatte von dem feinsten
+und zartesten, das er finden konnte, ging er auf die Wiese an der
+Sennhütte und legte es auf einen Haufen dicht am Viehgatter. Darauf
+ging er in das Gehege hinein, störte Ranzenräuber, der ruhig dalag und
+wiederkäute, und zog ihn heraus.
+
+Er führte ihn an das Gras, doch der schnoberte nur daran, sah Christan
+an und schmiegte sich an ihn. Als er das getan hatte, legte er sich
+ganz ruhig nieder und kaute weiter.
+
+Ja, ja, er würde schon fressen, wenn man ihm Zeit ließe. Christian
+legte sich auch hin in die Sonnenglut am Zaun, streckte sich aus und
+legte den Hut über das Gesicht.
+
+Die strahlendste Sommersonne strömte auf die grüne Bergwiese nieder. Es
+war so still, daß das Hermelin aus der Mauer guckte und die Bachstelze
+ungestört ihr Nest im Ziegenstalle besuchte, wo das ganze Kleinvieh lag
+und schlief oder döste oder wiederkäute. Bald schlief auch Christian
+mit all den andern unter dem hohen blauen Himmel, wo es keine Wolke gab
+und wo sich auch kein Windhauch regte.
+
+So lagen sie lange.
+
+Plötzlich fuhr Christian in die Höhe und stützte sich auf die Ellbogen.
+
+[Illustration]
+
+Er hatte etwas Unangenehmes geträumt, konnte sich aber nicht darauf
+besinnen, was es war, und es dauerte auch eine Weile, bis er sich
+klar machen konnte, wo er war. Er rieb sich die Augen. Doch, jetzt
+besann er sich. Er war ja auf der Sennhütte und hatte sich draußen zum
+Schlafen hingelegt.
+
+Er tastete umher.
+
+Wo er wohl den Hut hingelegt hatte?
+
+Dann fiel ihm der Bock ein, und er sah zu ihm hinüber. Da riß er
+freilich die Augen auf. Dort stand Ranzenräuber am Zaun und zupfte an
+etwas Weißem.
+
+Es war der Hut! Ein Stück von der Krempe war das einzige, was übrig
+war! Das übrige hatte er gefressen, und dort lag das ganze feine Gras
+unberührt!
+
+Er wurde furchtbar wild, ergriff eine Stange, um den Bock
+durchzubläuen. Doch er besann sich und ließ sie fallen:
+
+Nein, da hätte ich acht Groschen drum gegeben -- --. Aber meinetwegen,
+wenn du mich heute zum Oberhirten machst, so soll er dir gegönnt sein.
+
+Da hast du ein Viertel Tabak zum Nachtisch.
+
+Den fraß Ranzenräuber.
+
+ * * * * *
+
+Am Nachmittag trafen sich Per und Christian auf der verabredeten
+Stelle, jeder mit seinem Bock.
+
+Es war nicht so feierlich wie am Vormittag; denn Christian, der nur
+in der Mütze erschien, mußte gleich Bericht erstatten, wie es dem Hut
+ergangen war, und da fühlte Per sich sehr überlegen; denn nun hatte
+er doch jedenfalls in der einen Richtung gesiegt. Und er konnte auch
+erzählen, daß Zottelbär während der ganzen Mittagsruhe Gras gefressen
+hatte; Christian wurde ganz verzagt.
+
+Auf einer kleinen grünen Ebene sollte der Kampf stattfinden, mitten
+zwischen einem mit Birken bewachsenen Hügel und dem Rand vom
+Riesenmoor. Gegen das Moor war sie durch eine schmale, tiefe Rinne
+abgegrenzt, wo nur ein wenig Wasser durchsickerte.
+
+Sie führten die Böcke vor und ließen sie einige Schritte voneinander
+los. Ranzenräuber hob gleich die Mähne, Zottelbär blieb faul stehen und
+sah sich um. Ranzenräuber ging vor und schnoberte an ihm. Zottelbär
+schnoberte wieder, sah aber ganz sanft aus.
+
+Christian und Per standen jeder auf seiner Seite von der Ebene und
+wagten kaum zu atmen.
+
+Ranzenräuber versuchte seinen Gegner zu reizen, aber der andre nahm
+es gemütlich, darauf wagte er sich heran, legte den Kopf schief und
+wollte ihm mit seinem spitzen Horn einen Stoß in die Seite versetzen.
+Doch Zottelbär war auf seinem Posten. Er warf rasch den Kopf zur Seite,
+so daß die Hörner mit einem Knall zusammenstießen. Jetzt hob auch der
+andere die Mähne und bekam blitzende Augen. So balgten sie sich eine
+Weile herum. Endlich erhob sich Ranzenräuber auf die Hinterbeine,
+Zottelbär stellte sich in Bereitschaft, und sie krachten gegeneinander
+los, als sollten die Hörner mitten entzweibrechen.
+
+Damit hatte der Kampf begonnen. Er sollte hart und lang werden. Im
+Anfang wandte Zottelbär eine List an, er ließ den andern sich auf die
+Hinterbeine erheben und nahm nur den Stoß entgegen, das strengte die
+Kräfte weniger an und es fiel ihm schwer, sich aufzurichten, denn er
+hatte so viel Zotteln. Aber der andere durchschaute ihn bald, und dann
+reizte er nur, bis Zottelbär auch in die Höhe mußte. Zottelbär war
+schwer, und das gab seinen Schlägen viel Wucht, so daß Ranzenräuber
+jedesmal die Hörner schüttelte, sobald er einen Stoß bekommen hatte.
+Aber er gab sich darum doch nicht. Endlich machte Zottelbär eine rasche
+Wendung und bekam seinen linken Vorderfuß zwischen die Hörner; es sah
+häßlich aus.
+
+ Christian stürzte vor.
+ Das ist nicht erlaubt!
+ Aber Per stürzte auch vor:
+ Willst du sie in Ruhe lassen!
+
+Sie waren nahe daran, gegeneinander loszufahren, aber im selben Nu kam
+der Fuß los, und sie gingen an ihre Plätze zurück.
+
+Der Kampf hatte jetzt eine gute halbe Stunde gedauert, und Zottelbär
+fing an stark zu keuchen; er wollte gern zwischen jedem Stoß eine
+kleine Pause machen und ausruhen. Doch dazu bekam er keine Zeit.
+Endlich kam die Entscheidung. Nach einem starken Stoß, glaubte er,
+würde er einen Augenblick Ruhe haben, aber Ranzenräuber rannte
+gewaltig gegen ihn an. Sie waren dicht an die tiefe Rinne am Moorrand
+gekommen und bums -- da lag Zottelbär unten, so daß die Zotteln um ihn
+herumstanden.
+
+Christian schrie vor Freude.
+
+Sei ruhig, rief Per, das ist gemogelt!
+
+Zottelbär kletterte wieder heraus, triefend von Wasser und Moorerde.
+
+Ranzenräuber wollte gleich auf ihn losstürzen. Er wehrte sich, zog sich
+aber seitwärts zurück. Als Ranzenräuber im Ernst einen Anfall machte,
+lief er fort.
+
+Hurra! rief Christian und sprang hoch in die Luft. Hier siehst du den
+Oberhirten, den Jungen mit dem Bock und dem Hut.
+
+Er griff nach dem Kopf, um den Hut zu schwingen, kriegte aber nur die
+Mütze zu fassen. Er wurde auf einmal ganz kleinlaut.
+
+Per war auch dazugekommen:
+
+Ja, Oberhirte bist du, aber ~hier~ ist der Junge mit dem Hut!
+
+Nein, das ging Christian zu weit:
+
+Der elende Hut! Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß Ranzenräuber
+den fressen würde!
+
+Glaubst du vielleicht, daß ihm deine Mütze lieber wäre?
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Tischler Simen und der Blaufuchs.
+
+
+Er war also wahrhaftig wieder dagewesen! Mitten in die Kuhstalluke
+hatte er seine Schnauze gesteckt!
+
+Nein, das war zu ärgerlich!
+
+Jon Stubsveen kam hinter dem Kuhstall hervor und ging geradeswegs auf
+seinen Vater zu, der in Festtagskleidern in der Haustür stand, die
+Arme von sich streckte und gähnte. Es war am frühen Morgen des zweiten
+Weihnachtsfeiertages und glänzend weiß und kalt.
+
+Jon zog die Mütze schief über das eine Ohr, das dem Nordwind zugewandt
+war, setzte den Fausthandschuh in die Seite und den einen Fuß vor.
+
+Er ist wahrhaftig wieder dagewesen, Vater.
+
+Mundwinkel und Kniee zitterten ihm.
+
+Ist es nicht ärgerlich, daß der Fuchs sich jede Nacht an die Häuser
+heranschleicht, und man nicht einmal das passende Werkzeug hat, um ihm
+eins aufs Fell zu brennen!
+
+An diesen Fuchs hatte Jon jetzt lange Zeit Tag und Nacht gedacht
+und darüber nachgegrübelt, wie er ihn fassen könnte. Stubsveen lag
+so weit abseits, daß sich der Fuchs in den klaren Nächten bis an die
+Häuser heranwagte. Als sie im Herbst das Schwein schlachteten, hatten
+sie nämlich einen Teil der Eingeweide auf den Misthaufen vor die
+Kuhstalluke geworfen, und dort war der Fuchs jetzt manchmal und grub
+und fraß. Jeden Morgen ging Jon hin und sah nach, ob er dagewesen
+war, und mit jedem Tag wurde er ärgerlicher. Er hatte eine seiner
+Hasenfallen dort aufgestellt; aber der Fuchs war natürlich um sie
+herumgegangen. Nein, er hätte eine Flinte haben sollen! Aber er wußte
+nicht mehr als einen Menschen, der eine hatte, und das war Tischler
+Simen. Er mußte versuchen, ob er zu ihm gehen dürfte.
+
+Wäre es nicht am besten, ich ginge zu Tischler Simen und borgte seine
+Flinte; da sollte er weiß Gott dran glauben müssen.
+
+Ach, du bist ein Dummrian! Glaubst du, daß es angeht, mit der
+Donnerbüchse zu schießen, die noch dazu nur eine Steinschloßflinte ist?
+
+Oh, Simen hatte schon einen Blaufuchs damit geschossen, und noch dazu
+einen, der so scheu und vorsichtig war, daß er sich niederlegte, als
+der Schuß losging; er hat es selbst erzählt.
+
+Ja, da wird es wohl wahr sein!
+
+Doch, es ist wahr; er bekam noch fünfzig Taler für das Fell.
+
+Dann ist es sonderbar, daß er nicht reicher ist, als er ist.
+
+Bitte, laß mich hingehen, Vater? Vielleicht ist das auch ein Blaufuchs!
+Und wenn es nur ein Rotfuchs ist, so lohnt es doch den Schuß, denke
+ich; da bekommt man sieben Mark fürs Fell.
+
+Ach, du bist ein Quälgeist. Bilde dir nur nicht ein, daß ich dich mit
+der Donnerbüchse schießen lasse.
+
+Ich würde ihn schon kriegen. Ich würde ihn schießen, daß er hinpurzelt.
+
+Per Stubsveen sah auf den Jungen herunter und kratzte sich hinterm Ohr.
+Er mußte an den feinen, scheuen Fuchs denken, der herumschlich und den
+langen buschigen Schwanz auf dem Schnee hinter sich herzog. Hm, zu
+dem Geschäft gehörten erwachsene Leute. Nun, er wollte mit hinter den
+Kuhstall gehen und sich die Sache ansehen.
+
+Sie gingen; Jon ging voran, und zeigte:
+
+Siehst du, Vater, er hat die Schnauze mitten in die Luke gesteckt.
+
+Sieh mal einer den Schelm an! Es ist sicher auch ein großer Kerl
+gewesen.
+
+Groß? Sicher so groß wie ein besseres Schaf! Sieh, wie er herumgelaufen
+ist.
+
+ [Illustration]
+
+Ja, und gekratzt hat! So ein Schelm!
+
+Per drohte mit der Faust in der Richtung nach dem Acker, wo die Spur
+sich verlor. Jetzt war er ganz von der Geschichte mit dem Fuchs
+erfüllt.
+
+Jon wurde mutiger.
+
+Darf ich, Vater?
+
+Meinetwegen, damit du nur Frieden gibst! Aber es wäre doch am besten,
+sie machten es selber.
+
+Er sollte Simen fragen, ob er nicht heute nachmittag mit seiner Büchse
+herüberkommen wollte; er könnte auch sagen, es wäre noch etwas vom
+Weihnachtsbranntwein da.
+
+Jon war schon auf dem Wege, als ihm das letzte nachgerufen wurde.
+
+Er sprang davon in dem hellen knirschenden Wintermorgen. Wenn ihm
+jemand begegnete, hatte er keine Zeit Halt zu machen; er lächelte nur
+so seelenvergnügt über das ganze Gesicht, daß die Leute stehen blieben
+und sich nach ihm umsahen.
+
+Bald war er unten im Tal angekommen und fing an, auf der andern Seite
+emporzusteigen.
+
+Jawohl, es war schon möglich, daß es doch ein Blaufuchs war. Es schien
+ihm, als habe er ein Stückchen von ihm drüben an dem Ackerhügel
+gesehen; -- ja, sicher war er es gewesen! Je länger er ging und darüber
+nachdachte, um so sicherer wurde er; hellblau war er gewesen! Ja,
+natürlich, den ganzen Kerl hatte er gesehen. Sie sollten ihn nur
+erwischen, dann würde er nach der Stadt gehen und das Fell verkaufen!
+Aber sie sollten in der Stadt nur nicht glauben, daß sie ihn übers Ohr
+hauen könnten. Er wußte, was ein Blaufuchspelz wert war. Es nützte
+nichts, ihm fünf oder zehn zu bieten, er würde sechzig verlangen. Dann
+würde er sich eine Büchse kaufen, und dann wollte er nichts anderes tun
+als Blaufüchse schießen; höchstens vielleicht einmal einen Auerhahn zum
+Vergnügen mit zwischendurch --; wenn der auch nicht mehr als vier Mark
+wert war.
+
+Als er zum Tischler Simen hinaufkam, sah er diesen in der Tür stehen,
+die Brille auf der Nase und die Schirmmütze weit in den Nacken
+geschoben.
+
+Jon lächelte breit, grüßte wie ein Erwachsener und trat darauf ein.
+
+Wie es wäre, ob er seine Flinte instand hätte?
+
+O ja, er dächte doch.
+
+Er sollte ihn nämlich von dem Fuchs grüßen und sagen, er schliche
+jetzt drüben auf Stubsveen jede Nacht an den Ställen herum; -- ja, und
+niemand könnte wissen, ob er nicht auch drinnen gewesen wäre.
+
+Gerade, was Simen immer gesagt hatte, die Füchse hatten sich verzogen!
+Hier auf dieser Seite des Tals hatte sich kein Fuchs mehr sehen lassen,
+seit er vor drei Jahren einem den Schwanz weggeschossen hatte! So,
+nach Stubsveen waren sie also hinübergekommen?
+
+Ja, daran könnte kein Zweifel sein!
+
+Der Vater ließe grüßen und sagen, es wäre so viel übrig, daß es noch zu
+einem Schluck langte.
+
+Na, da wollte er einmal nach der Flinte sehen; er hätte sie jetzt drei
+Jahre nicht in den Händen gehabt.
+
+Drei Jahre?
+
+Nein, wozu sollte er sie brauchen, wenn es keine Füchse gab? Freilich,
+das Federwild hätte ja zugenommen, seit der Fuchs fortblieb, daß es nur
+so wimmelte; aber daraus machte er sich nichts. Und die Flinte paßte
+auch nicht für Vögel; es wäre schwierig, die Entfernung so abzupassen,
+daß man die Vögel nicht in Fetzen schoß, und dann knallte sie auch so,
+daß es sich nicht verlohnte, wegen eines lumpigen Vogels das ganze Dorf
+aufzuschrecken.
+
+Ob sie denn gut ginge?
+
+Er hätte bisher noch keinen Fehlschuß damit getan; aber, versteht sich,
+es müßte einer auch damit umzugehen wissen.
+
+Simen ging in die Kammer und kam mit der Flinte wieder herein. Es war
+eine alte verrostete Soldatenflinte mit Steinschloß. Jon glaubte nie
+etwas Schöneres und Prachtvolleres gesehen zu haben.
+
+Ist sie geladen?
+
+Nein, sie muß erst gereinigt werden.
+
+Er wurde ganz still und geheimnisvoll, Simen, als er mit zitternden
+Händen die Flinte auseinanderzunehmen begann, und Jon saß atemlos
+dabei und sah zu, wie die eine Schraube nach der andern herausgenommen
+wurde und jede an einen andern Platz gelegt wurde, damit sie
+nicht durcheinander kämen. Und die ganze Zeit, während Simen
+auseinanderschraubte und putzte und mit Leinöl schmierte, innerlich und
+äußerlich, sprach er davon, was er alles mit dieser Flinte geschossen
+hätte. Ja, es wäre gar nicht unwahrscheinlich, daß auch auf Menschen
+damit geschossen worden wäre, denn soviel er wüßte, wäre sie mit im
+Kriege 1814 gewesen, und so gute Flinten wie die, womit auf Menschen
+geschossen worden wäre, gäbe es jetzt gar nicht mehr; es wäre gerade,
+als ob man hinterher mit ihnen nicht mehr fehlen könnte.
+
+Die Flinte war geschmiert und wieder zusammengesetzt. Nun, es wäre wohl
+am besten, sie gleich zu laden. Denn das müßte genau gemacht werden;
+was das Futter anlange, so könne kein Pastor genauer und wählerischer
+sein als so eine Flinte. Damals, als er dem Fuchs bloß den Schwanz
+wegschoß, so daß er ihm davonging, hätte er ein oder zwei Pulverkörner
+zu wenig darin gehabt; darum fiel der Schuß in den Schwanz und nicht
+hinab in den Rücken weiter oben.
+
+Er suchte ein altes Pulverhorn hervor und einen Lederbeutel mit Schrot,
+nahm Pulver aus dem Horn und wog und wog in der Hand, schüttete es dann
+in den Lauf, überlegte eine Weile, sah ins Leere, als ob er zählte, und
+nahm eine kleinere Portion und sandte sie der ersten nach.
+
+Jon stand dabei und riß die Augen auf. Er hatte nie geahnt, daß dazu so
+viel Kunst gehörte.
+
+Nein, du bist ein Meister, sagte er voller Bewunderung.
+
+Pst, sagte Simen, man soll nicht reden, wenn man lädt.
+
+Er stopfte vorsichtig Werg auf das Pulver. Dann legte er die Flinte
+vorsichtig aufs Bett.
+
+Jetzt wollen wir die Erbsen mischen. Er griff in die Westentasche und
+holte eine Portion kleiner Nägel hervor, nahm sie in die Hand und wog
+sie, nahm dann den Lederbeutel, schüttete etwas Schrot dazu und mischte
+beides zusammen.
+
+Hm! Er griff wieder in die Tasche nach Nägeln, mischte sie dazu und
+flüsterte: »Ja, nun denke ich, das wird genügen« und schüttete die
+Mischung in den Lauf. Dann stand er wieder still und überlegte, griff
+noch einmal in die Westentasche und zog einen langen Nagel hervor. Er
+kniff die Lippen energisch zusammen:
+
+Ich denke, wir bieten ihr den auch noch, dann sind wir sicher!
+
+Kurz darauf stapften Jon und Simen über das Tal hinüber nach Stubsveen.
+
+ * * * * *
+
+Es ist schwer zu sagen, wer von den dreien, Jon, Per oder Simen, am
+eifrigsten war, als sie am Abend in Stubsveen um den Tisch saßen und
+Kaffeepunsch tranken -- das heißt die beiden Alten, Jon bekam keinen,
+er war zu klein. Die Geschichten, die erzählt wurden, nahmen kein Ende,
+vom Blaufuchs, vom Rotfuchs und vom Weißfuchs. Nein, das hier wäre kein
+Blaufuchs, meinte Simen, da wäre er sicher; da hätte er sich nicht so
+nah an die Häuser gewagt, und da würde das Ganze auch nicht viel Nutzen
+haben, denn der wäre zu schlimm; entweder er legte sich nieder, oder
+er spränge in die Höhe, wenn der Schuß fiele. Da müßte man entweder
+drunter oder drüber halten und es darauf ankommen lassen, ob er spränge
+oder sich niederlegte. Er hätte damals drunter gehalten, als er den
+Blaufuchs schoß.
+
+Sie waren solche Helden geworden, Peter und Simen, daß Jon beinahe
+nicht mit gedurft hätte, als sie sich später abends in den Stall
+begaben, um Wacht zu halten. Aber er ließ nicht nach; es war ebensogut
+sein Fuchs.
+
+Ihretwegen -- nur müßte er mäuschenstill sitzen. Sie dürften kein Glied
+rühren.
+
+Da könnten sie sicher sein!
+
+Sie gingen alle drei nach dem Stall, nahmen die Branntweinflasche mit,
+und Peter gab seiner Frau den Befehl, das Feuer nicht ausgehen zu
+lassen und Kaffee bereit zu halten, wenn sie mit der Beute kämen.
+
+Sie nahmen an der Stallluke Platz. Simen und Per nahmen einen
+Heusack und setzten sich ordentlich zurecht, so daß sie aus der Luke
+heraussehen konnten.
+
+Simen hielt das hintere Ende der Flinte mit gespanntem Hahn und steckte
+den Lauf eben durch die Luke. Jon saß auf einem Melkschemel etwas zur
+Seite und lugte durch einen Spalt in der Wand. Wer den Fuchs zuerst
+sah, sollte nichts sagen, sondern Simen nur leise an der Jacke zupfen.
+
+Es war behaglich und warm im Stall; die Kühe lagen und schnarchten und
+käuten wieder, so daß die Hörner in unregelmäßigen leisen Schlägen
+gegen die Wand schlugen.
+
+Durch jede Ritze drang die Kälte ein, begegnete der Wärme von drinnen
+und bildete mit ihr im Verein große Büschel von glitzerndem Reif um
+jede Ritze. Draußen war heller Mondschein; sie konnten so klar und
+scharf sehen wie am hellichten Tage, und es glitzerte über den Äckern,
+und das Mondlicht zitterte auf den bereiften Bäumen auf der Höhe
+drüben. Tiefste, friedliche Ruhe herrschte draußen, kein Laut war zu
+hören, keine Bewegung zu sehen.
+
+Sie hatten wohl eine halbe Stunde gesessen; die Wärme und die Stille
+fingen an, sie schläfrig zu machen.
+
+Wie wär's, wenn wir noch einen Schluck nähmen? flüsterte Per.
+
+Und ob, sagte Simen.
+
+So verging wohl noch eine halbe Stunde, da flüsterte Per wieder:
+
+Ich schlafe beinahe ein; nehmen wir noch einen Schluck?
+
+Das wäre nicht dumm.
+
+Wieder saßen sie eine Weile. Dasselbe wiederholte sich. Aber dann wurde
+es still -- lange.
+
+Jon saß und sah so eifrig durch den Spalt, daß er keine Zeit hatte,
+nach den andern zu sehen. Es war merkwürdig, wie still sie waren. Eben
+wollte er sich nach ihnen umdrehen -- aber da -- mit einem Male hielt
+er den Atem an und riß die Augen weit auf.
+
+Bewegte sich nicht dort etwas am Fuß des Ackerhügels? Ja, ja, da
+erschien der Kopf! Da war er!
+
+Erst kam eine Schnauze und ein paar spitze Ohren zum Vorschein, und der
+Kopf wandte sich nach allen Seiten. Dann tauchte er ganz auf, langsam
+und vorsichtig, blieb stehen, den einen Vorderfuß in der Luft, bereit
+auszureißen; so stand er eine Weile und sah sich um; dann setzte er den
+Fuß vorsichtig nieder und schlich ein paar Schritte vorwärts. Er war so
+fein und schlank und geschmeidig, wie er dastand mit dem langen
+Schwanz.
+
+Als er einige Schritte vorwärts getan hatte, hielt er inne, wandte sich
+plötzlich und schlich nach einer andern Richtung.
+
+Jon konnte nicht begreifen, daß Simen nicht schoß; aber er mußte wohl
+eine Absicht damit haben!
+
+Oh, wenn er wieder davonginge. Da schlich er hin, schlug einen großen
+Bogen und verschwand im Gebüsch oberhalb des Ackers.
+
+Jon holte Atem und starrte. Nein, er konnte ihn nicht mehr sehen.
+
+Doch, da!
+
+Plötzlich steckte er den Kopf wieder vor, oben auf dem Hügel, und jetzt
+viel näher; er witterte und sah nach dem Stall hinunter. So stand er
+eine Weile, immer den einen Fuß erhoben; dann schlug er wieder einen
+Bogen, kam schräg den Hügel hinab, schlug wieder einen Bogen und
+spähte. Jetzt war er dicht heran.
+
+Simen mußte ihn sehen, er saß ja mitten vor der Luke. Jon beugte sich
+herüber und faßte nach seiner Jacke. Er verwandte keinen Blick von dem
+Fuchs, während er zupfte.
+
+Rrrro--ro! tönte es in diesem Augenblick, so daß es im Stall schallte.
+Es war Simen, der einen gewaltigen Schnarcher tat, als er erwachte.
+
+Jon sah, daß der Fuchs herumfuhr und gleichzeitig einen mehrere Meter
+langen Satz machte; dann noch einen und noch einen, immer rascher und
+rascher über den Acker hin; es war, als ob er den Schnee gar nicht
+berührte. Das letzte, was er sah, war der lange buschige Schwanz,
+der wie ein Steuer in die Luft stand, während der Fuchs mit einem
+ungeheuren Satz den Ackerhügel herabsprang und verschwand.
+
+Er sprang auf und fiel, so lang er war, über Per, der ebenfalls
+aufwachte.
+
+Im selben Augenblick donnerte es los, als ob der Stall einfiele; die
+Kühe sprangen auf und rissen an den Ketten. Simen rollte vom Sack
+herunter; die Flinte hatte ihm einen gewaltigen Stoß versetzt.
+
+Simen hatte den Fuchs gerade gesehen, als er den letzten Sprung machte
+und, ohne irgendwie zu zielen, drückte er los, lange nachdem der Fuchs
+weg war.
+
+Hast du ihn gesehen? rief Per.
+
+Ja, und es war doch ein Blaufuchs, sagte Simen. Er sprang in die Höhe,
+als ich schoß.
+
+Jon saß das Weinen in der Kehle:
+
+Nein, und wenn du noch nie gelogen hast, ~jetzt~ lügst du --
+Tischler Simen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Die Kvinstöljungen.
+
+
+Ho--o--iho! scholl es über die Höhen, so daß vom fernen Kvinkampen
+her das Echo antwortete. Von der andern Seite ertönte der tiefe Laut
+eines Bockhornes, und gleichzeitig schmetterte eine schrille hohe
+Ziegenhornpfeife dazwischen. Unablässig erklang der Jodler, das Horn
+blies lauter und lauter, und die Pfeife trillerte immer höher, bis der
+Ton so hoch wurde, daß er sprang und wegblieb. Und die Töne trafen
+sich und mischten sich miteinander und mit dem Echo aus der Ferne, das
+von immer weiter herkam, schwächer und schwächer; und Glocken, tiefe
+und hohe, schlugen an und erklangen drein, und die Ochsen brüllten,
+die Kühe folgten ihrem Beispiel, die Ziegen meckerten -- -- es war am
+Morgen und auf dem Kvinstöl ließen sie das Vieh heraus.
+
+Es war ein Morgen so klar und frisch, wie er im Juli im Gebirge es nur
+sein kann, so einer, an dem Volk und Vieh sich so leicht fühlen, als
+ob sie fliegen könnten, wo selbst alte Kühe ihre Würde vergessen, den
+Schwanz hochschlagen und Kälbersprünge machen.
+
+An solch einem Morgen ist immer Leben auf der Senne; aber es war doch
+den ganzen Sommer noch nicht vorgekommen, daß Per Oppigar das Horn
+so stark geblasen und Jens Melbö so hoch auf der Ziegenhornpfeife
+geschmettert und Peter Nerigar, den die andern Peter Flapps nannten,
+wenn sie zornig auf ihn waren, so gejodelt hatte wie heute. Es war
+klar, daß etwas besonderes los war.
+
+Sie zogen jeder aus seiner Hütte aus -- es gab nur drei auf dem
+Kvinstöl -- trennten das Kleinvieh von den Rindern, die heute von den
+Sennerinnen selber in den Wald gelockt wurden und setzten davon, jeder
+nach seiner Richtung, Per gerade über den Storhaug, die andern in einem
+großen Bogen drum herum. Aber hinter dem Hügel, als sie außer Sicht
+waren -- es brauchte niemand zu wissen, daß sie zusammen hüteten --
+vereinigten sie sich wieder, und je mehr sie sich einander näherten, um
+so mehr jodelten und bliesen sie und riefen nach ihren Ziegen, daß es
+über die Berge schallte; und als sie sich trafen, trieben sie alle drei
+Herden in einen Haufen zusammen, -- heute war es selbstverständlich,
+daß auch Peter Flapps seine mit denen der andern zusammentreiben
+durfte. Und als das wohl besorgt war, jodelte Peter wieder, und Per
+blies in sein Horn, daß ihm die Augen aus dem Kopfe standen und Jens
+trillerte so schrill und lange auf der Ziegenhornpfeife, daß er rot
+wurde wie ein Puterhahn.
+
+Dann rief Per: So wollen wir die Neusäterjungen empfangen; sie sollen
+hören, daß es die Kvinstöljungen sind, die kommen.
+
+Wenn sie nur kommen? meinte Jens.
+
+Sie müßten sich schämen, wo sie so viele sind! meinte Per.
+
+Peter Flapps schlug ein Rad, daß die Bergschuhe aneinander schlugen.
+Sie können kommen so dicht wie eine Schafherde, sie sollen das
+bekommen, was sie verdienen.
+
+Die Kvinstöljungen zogen nämlich heute in den Krieg.
+
+Sie hatten gehört, daß die Hirten in alten Tagen, wenn sie über die
+Weiden uneinig waren, zusammenkamen und kämpften. Es sollte sogar
+irgendwo weit drinnen in den Bergen -- ja, ob es so sehr weit war,
+wußten sie nicht recht --, kann sein, es war näher, als einer glaubte
+-- ein Moor liegen, das Siebenhirtenmoor hieß. So hieß es, weil
+dort einst sieben Hirten zusammengetroffen waren, um Abrechnung zu
+halten. Sie hatten sich sogar Spieße aus Wacholder gemacht und sie
+über schwachem Feuer erhitzt, so daß sie hart wie Stein und zäh wie
+Horn geworden waren, und sechs waren auf dem Platze geblieben, der
+siebente kam mit einem Spieß im Leib gerade noch bis nach Hause und
+erzählte, wie sich die Sache zugetragen hatte. So hart ging es jetzt
+nicht mehr zu, das war in alten Tagen geschehen. Aber es kam doch
+vor, daß die Hirten auch heute noch miteinander rauften; nur hier auf
+diesen lumpigen Sennhütten ging es so friedlich zu. Aber es war doch
+ganz hübsch, mit den Neusäterjungen ein bißchen über die Weiden zu
+verhandeln. Freilich hüteten die Neusäterjungen nicht oft auf dieser
+Seite und niemals auf den Kvinstölweiden, aber sie könnten es doch
+einmal tun, und ~könnten~ sie erst das, so könnten sie auch bald
+von der Senne selber Besitz ergreifen. Und vielleicht dachten sie
+auch an etwas derartiges, den Neusäterjungen war nicht zu trauen. Und
+wovon sollten ~ihre~ Schafe dann fett werden? Sie hatten immer
+gehört, daß die Weidegrenze von Kvinstöl zwischen dem Blauwasser und
+dem Hvidtskjägstein verlief; aber es war doch die Frage, ob sie nicht
+weiter gehen durften, es war wohl das sicherste, ein Stück dazu zu
+erobern. Die magern, langbeinigen Neusäterschafe konnten ihr Futter wo
+anders suchen, es war überhaupt kein guter Schlag; -- ~ihre~ Sache
+war es jedenfalls nicht, sie zu füttern.
+
+Darüber hatten sie nachgedacht und gesprochen viele, viele Male; aber
+es war nichts daraus geworden, bis vorgestern, als Lars Sagbakken kam
+und nach dem Neusäter hinüberwollte, um Pferde zu suchen. Da hatte
+Per ihn ohne weiteres gebeten, er sollte den Neusäterjungen sagen,
+sie möchten sich übermorgen am Hvidtskjägstein einstellen -- so viele
+wie Lust hätten --, die Kvinstöljungen wollten mit ihnen über die
+Weidegrenzen reden. Sie dachten nicht anders, als daß Lars Sagbakken
+sich seines wichtigen Auftrages erinnert hätte und erwarteten, daß die
+Neusäterjungen kommen würden, denn heute sollte es entschieden werden.
+
+Die Herde zog weiter und zerstreute sich über die Moore. Die drei
+blieben eine Weile stehen.
+
+Wie viele, glaubst du, werden kommen? fragte Jens.
+
+Es sind 10 Hütten dort, erklärte Per, aber nur 8 sind bewirtschaftet,
+und dann sind drei Mädchen dabei, es kommen also wohl nur fünf, und
+selbst wenn ein Mädchen dabei ist, so werde ich nicht die Schande auf
+mich nehmen, mich an einem Frauenzimmer zu vergreifen.
+
+Ich auch nicht, sagte Jens. Ich gedenke den einen Schuh auszuziehen und
+sie damit über die Köpfe zu schlagen.
+
+ [Illustration]
+
+Nein, dazu sind sie zu gefährlich, meinte Peter, man darf sie nicht so
+nahe kommen lassen; ~ich~ mache es so, ich werfe mich kopfüber
+auf die Hände und treffe sie mit den Absätzen vor die Brust; da sollst
+du mal sehen, wie sie hinfliegen -- und er warf sich vornüber, krachte
+aber mit dem Hinterteil auf die Erde, daß der Hügel dröhnte.
+
+Nein, meinte Per, man soll ihnen gerade nahe kommen, so daß sie nicht
+zum Schlagen ausholen können. Ich werde sie so beim Kragen nehmen, ganz
+weit oben und ihnen die Daumen hinter die Ohren setzen und zudrücken,
+da werden sie kraftlos und fallen hin wie die Mehlsäcke.
+
+Ja--a, das wollte Jens auch tun, oder vielleicht würde er es doch
+lieber mit dem Überschwung versuchen.
+
+Es wäre vielleicht besser, sie übten sich ein bißchen, meinte Per,
+Peter sollte der Neusäterjunge sein.
+
+Hei, du Neusäterlümmel, hier sind die Kvinstöljungen. Wer hat dir
+erlaubt, bis an den Hvidtskjägstein zu hüten.
+
+Peter brüllte dagegen: Ich frage keinen Kvinstöllümmel, wo ich hüte.
+Komm nur heran, so werfe ich dich so hoch in die Luft, daß du nie
+wieder herunterkommst.
+
+Danach siehst du gerade aus! Wie lange Beine haben deine Schafe? Die
+können wohl über das Schafstalldach wegschreiten?
+
+Jens stand da und hörte zu und war so erfüllt davon, daß er die Luft
+einzog und schluckste.
+
+Jedenfalls können sie leicht über so einen Kvinstölbengel wegspringen
+und noch ein Stück dazu. Ich habe nicht solche Lämmchen wie die
+Kvinstölhirten.
+
+Komm her, so werde ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen.
+
+Komm du her! und Peter warf sich kopfüber und kam wieder auf die Beine.
+
+Per stürzte auf ihn los und packte ihn beim Kragen, sie kämpften, bis
+sie hinstürzten, Per zu unterst. -- Jens auf Peters Rücken los, um ihn
+herunterzukriegen. Nach einer Weile standen sie auf. Da sagte Per:
+Diesmal kriegtest du mich unter. Aber das wäre nicht geschehen, wenn
+du ein Neusäterjunge gewesen wärest. Denn wenn ich böse werde, bin ich
+doppelt so stark. Glaubst du das etwa nicht? Dann komm nur noch einmal
+heran.
+
+Sie fuhren wieder aufeinander los, und diesmal kam Peter zu unterst.
+
+Da siehst du's, du Neusäterbengel, und Per stand auf, drehte sich auf
+dem Absatz und juchzte, daß es schallte.
+
+Jetzt mußten sie nach und die Herden wenden, dann nahmen sie die
+Richtung auf den Hvidtskjägstein, und sie liefen und sprangen und
+riefen und juchzten und bliesen, bis sie die Herde wieder beisammen
+hatten. Dann zottelten sie langsam hinterher und schwatzten.
+
+Das meiste taugte nichts, was sie drüben auf dem Neusäter hatten.
+Langbeinige Schafe, Kühe, die nur in die Hörner wuchsen, und
+verhungerte Hirten. Und hatten sie vielleicht ein Horn zum Blasen? Und
+wenn sie einen von ihren kümmerlichen Böcken hundert Jahre fütterten,
+so bekamen sie doch kein solches Horn, wie Per seins. Ja freilich,
+so eins gab es auf dem ganzen Westfjeld nicht wieder -- aber auf dem
+Neusäter hatten sie nichts, was auch nur annähernd damit zu vergleichen
+war.
+
+Was sollten sie nun eigentlich mit den Neusäterjungen machen, wenn sie
+sie verhauen hatten? Sollten sie sie als Kriegsgefangene mitnehmen,
+oder sie laufen lassen. Sie waren gewiß so gefräßig, daß es nicht
+anging, sie als Gefangene zu behalten. Nein, sie würden ihnen bis
+fast nach dem Neusäter folgen und sie zwingen, eine Grenze zwischen
+den Weidegebieten zu errichten. Sie sollten Steine schleppen müssen,
+daß ihnen der Schweiß aus ihren herunterhängenden Hosenböden tropfen
+sollte. Und sie sollten kein großes Stück auf dieser Seite des
+Neusäters behalten, da konnten sie sicher sein.
+
+Je näher sie dem Hvidtskjägstein kamen, desto vorsichtiger wurden sie
+und desto leiser sprachen sie. Es konnte doch sein, daß sie ziemlich
+zäh und kräftig waren, diese Neusäterjungen. Wer sollte zuerst
+vorgehen? Jens meinte, das müßte Per sein, aber Per fand, es wäre
+richtiger, Peter ginge zuerst, weil er der größte wäre, aber Peter fand
+gerade, Jens als der kleinste sollte vorangehen, sonst könnten die
+Neusäterjungen Angst kriegen und ausreißen. Nein, da fand Jens es schon
+am besten, sie gingen alle auf einmal vor, damit die Neusäterjungen
+nicht jeden einzeln verhauen sollten, denn sie sollten fest zuhauen.
+Ja, das taten sie denn auch.
+
+Jetzt näherten sie sich dem Hvidtskjägstein. Es war wohl das beste, sie
+gingen vor der Herde, denn sonst könnten diese Neusäterhallunken sie
+ihnen wegnehmen und nach dem Säter treiben. Sie machten es so. Jetzt
+hatten sie nur noch einen Hügel vor sich. Sollten sie nun schreien und
+auf dem Horn blasen und auf der Ziegenhornpfeife pfeifen? Nein, besser
+war es wohl, sie gingen still vor und sahen erst, wie viele es waren.
+Man konnte gar nicht wissen, ob sie nicht Hilfstruppen mithatten. Sehr
+wahrscheinlich, daß das Dutzend voll war. Sie schlichen auf den Hügel,
+so still wie möglich, krochen unter Deckung von Büschen vorwärts, so
+weit, daß sie die kleine Ebene, wo der Hvidtskjägstein lag, übersehen
+konnten.
+
+Da lag er ganz ruhig im Sonnenschein, -- keine Menschenseele war zu
+sehen.
+
+Die Jungen erhoben sich und sahen einander an. Sie horchten, ob sie
+nicht in der Ferne einen Laut von ihnen vernähmen. Nein!
+
+Endlich sagte Per: Sollte der Trottel, der Lars Sagbakken es nicht
+ausgerichtet haben? Ob sie sich nicht getrauten? Ich glaube eher das
+letztere, meinte Peter; sie werden wohl von den Kvinstöljungen gehört
+haben. Ja, nun jodeln wir.
+
+Und Peter setzte mit einem Jodler ein, und Per blies das Horn, und Jens
+ließ seine schrille Ziegenhornpfeife ertönen, daß es weithin schallte.
+
+Rücken wir also über die Grenze! Sie sollen sehen, daß die
+Kvinstöljungen vor niemand Angst haben und hüten, wo sie wollen. -- Ja,
+das machen wir, bis an ihre Sennhütten heran. Sie lockten ihre Tiere,
+die springend herankamen, und dann rückten sie an der Spitze der Herde
+vorwärts. Sie jodelten und bliesen und pfiffen und schimpften auf die
+Neusäterjungen, als ob sie so nahe wären, daß sie es hören könnten. So
+ging es eine lange Zeit fort.
+
+-- -- Plötzlich blieben sie alle drei mit offenem Munde stehen und
+lauschten. Es kam ihnen vor, als ob sie ein schwaches Jodeln hörten.
+Peter jodelte vorsichtig zur Antwort. Ja, da ertönte es wieder ganz
+schwach und gar nicht weit fort. Was hatte das zu bedeuten? Waren es
+die Neusäterjungen, die sich in einen Hinterhalt gelegt hatten? Da
+war es wohl am besten, vorsichtig vorzugehen, aber hin mußten sie und
+nachsehen, was es war. Sie hielten auf einmal inne mit jodeln und
+blasen. -- Leise schlichen sie vorwärts. Endlich kamen sie über einen
+Hügel, und zwischen einigen verkrüppelten Birken hindurch sahen sie auf
+eine kleine Ebene.
+
+-- -- Auf einem Stein mitten in der Ebene saß ein kleiner, hübscher,
+zerlumpter Junge und blickte nach der Richtung, wo sie waren, und um
+ihn herum lag wiederkäuend eine Herde Ziegen und Schafe.
+
+Es war so schön und still und friedlich hier, daß sie eine Weile liegen
+blieben und sich nur umsahen.
+
+Endlich sagte Peter: Ob nicht doch noch andere dabei sind, die sich
+versteckt haben?
+
+Sie spähten lange umher, aber da sie niemanden sahen, beschlossen sie
+vorzurücken. Es sollte aber mit Kraft geschehen. Sie standen auf, und
+auf ein Zeichen von Per, begann Peter wie verrückt zu jodeln, und Jens
+trillerte auf seiner Pfeife so hoch, daß der Ton sprang, und Per
+selber setzte mit seinem Horn ein, daß es hallte.
+
+Die Tiere rings um den kleinen Jungen sprangen auf, blieben stehen und
+glotzten, und der Junge sprang vom Stein herunter und blieb stehen.
+
+Sie marschierten vor, Peter schlug ein Rad mitten auf der Ebene, und
+so näherten sie sich dem kleinen Jungen. Per ging gerade auf in los,
+spuckte in die Hände und sagte: Willst du Prügel haben?
+
+Aber das schien der kleine Junge nicht zu verstehen; er richtete ein
+paar große Augen auf sie, machte eine tiefe Verneigung mit dem Kopf und
+sagte ganz friedlich: Guten Tag!
+
+Pers Hände sanken herunter, er blieb mit offenem Munde stehen. Das kam
+so unerwartet, daß er nicht wußte, was er sagen sollte, und so brachte
+er nur ein leises: Guten Tag! Bist du draußen und hütest? heraus.
+
+Ja, -- und du auch, sehe ich.
+
+Ja.
+
+Es entstand eine lange Pause.
+
+Du bist wohl vom Neusäter?
+
+Ja, das bin ich.
+
+Wie steht es dort?
+
+Oh, danke gut, kann ich wohl sagen, nur Farskoll ist recht schlecht auf
+den Beinen.
+
+Wieder lange Pause.
+
+Er ist wohl nicht mit einer Botschaft von mir bei euch drin gewesen,
+der Lars Sagbakken.
+
+Nein, nicht daß ich wüßte.
+
+Nein, er war wohl nicht. Ja, es war auch nichts weiter.
+
+Wieder entstand eine Pause. Schließlich sagte Per:
+
+Ein mächtiger Bock, den du hast.
+
+Ach nein, der ist wohl nichts besonderes.
+
+Doch, der ist groß, das ist sicher. Ich habe kaum so einen gesehen.
+
+Ein schönes Horn, was du hast.
+
+Ach ja, es ist ganz gut. Hast du keins?
+
+Nein, ich kann mir keins anschaffen.
+
+Haben es die Hirten gut auf dem Neusäter?
+
+O ja, Tonetta, meine Sennerin, ist sehr gut.
+
+Kriegst du manchmal Rahm?
+
+Der kleine Junge machte verwunderte Augen.
+
+Nein, den kriege ich nicht. Aber jetzt muß ich nach meiner Herde sehen,
+sonst läuft sie mir fort.
+
+Hast du nicht Lust, einmal nach dem Kvinstöl zu kommen?
+
+Doch, Lust hätte ich schon. Dem Tobias sind ein paar Schafe
+weggekommen, und da darf ich vielleicht mit ihm gehen, um danach zu
+fragen.
+
+Ja, komm und besuch mich, da sollst du so viel Rahm kriegen, wie du
+essen kannst. Hast du nicht Lust, mein Horn zu leihen?
+
+Es leuchtete in seinen Augen auf, aber er sagte:
+
+Das kannst du doch nicht entbehren?
+
+Ach, pah, du kannst es ja mitbringen, wenn du kommst, um nach den
+Schafen zu fragen -- und er hängte ihm das Horn um den Hals.
+
+Danke schön. Lebewohl und auf Wiedersehn.
+
+Gleichfalls!
+
+Und der kleine Junge zog seiner Herde nach und blies auf dem Horn,
+und sie hörten ihn noch lange, während sie über Stock und Stein
+davonrannten und ihre Herde suchten, die mittlerweile verschwunden war.
+An diesem Abend kamen die Kvinstöljungen ohne Herde heim, und das ist
+die größte Schande, die einem Hirten widerfahren kann.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Erste Liebe.
+
+
+Jeden Tag, eine ganze Woche lang hatte Ole gestanden und zur Küchentür
+hinausgeguckt, wenn der Student nach Hause kam, um zu sehen, ob er
+nicht irgendein verdächtiges Paket in der Hand oder in der Rocktasche
+hätte. Und das hatte seine Gründe. Es war kein Zweifel, daß der Student
+ihm etwas zum Geburtstage schenken würde, der gerade in acht Tagen
+war, sonst hätte er ihn wohl nicht so genau ausgefragt, wann er wäre
+und ob er viel geschenkt kriegte; und der Student war unbeschreiblich
+nett, also das war sicher; jetzt handelte es sich eigentlich nur noch
+darum, was es sein würde, denn es gab eigentlich nur eins, was sich Ole
+wünschte.
+
+Ole war zehn Jahre alt und wohnte in der Welhavenstraße droben bei
+seiner Mutter Madame Hansen, die sich ihren Unterhalt mit Waschen in
+den Häusern und Zimmervermieten verdiente, und was das schlimmste war,
+Ole war gewiß verliebt. Bis vor kurzem hatte er selber gar nichts davon
+gemerkt gehabt. Das ganze Jahr, seit sie nun hier wohnten, war er
+jeden Nachmittag im Hof gegenüber gewesen und hatte die gleichaltrige
+Elsa Holm getroffen, die Tochter der Oberzollinspektorswitwe Holm.
+Vorigen Winter hatten sie eine große Schneefestung gehabt und einen
+großen Schneemann als Schildwache, und wenn Ole in die Festung kam
+und rief »Heraus!« dann kam Elsa jedesmal eilends die Küchentreppe
+herunter. Bisweilen hatten sie auch auf die Eisbahn nach Tullinlökken
+hinunter zum Schlittschuhlaufen gedurft, Frau Holm hatte ihn sogar
+gebeten, ihrer Tochter zu helfen und aufzupassen, daß sie nicht zu
+lange bliebe. Aber er hatte nur ein Paar ganz alte Schlittschuhe
+gehabt, die er sich geborgt hatte und die ihm nie richtig passen
+wollten, so daß es kein großes Vergnügen gewesen war. Und im Frühjahr
+hatten sie zuerst mit Murmeln gespielt und Elsa hatte alle seine
+gewonnen, obwohl sie ganz kleine Hände hatte und nicht halb so weit
+werfen konnte wie er; aber sie war nett gewesen und hatte ihm welche
+geliehen, wenn er keine mehr hatte. Und später, als es wärmer wurde,
+hatten sie Verstecken gespielt durch alle Treppen und Keller, -- er
+erinnerte sich noch, wie Elsa in den Kohlenkeller gefallen war, und er
+sie schwarz wie ein Schornsteinfeger wieder herauszog -- nur die Zähne
+und die Augen leuchteten weiß, gerade wie bei einem Neger, den er
+einmal gesehen hatte.
+
+Aber dann war Elsa aufs Land gereist und bis zum September
+fortgeblieben. Der Sommer war ganz unterhaltend vergangen, denn er
+hatte ein paar Jungen kennen gelernt, mit denen er unten im Meer
+gebadet und Krabben gefischt hatte; aber je länger es dauerte, um so
+öfter fing er an, in den Hof hinüberzugucken, ob Elsa noch nicht zu
+Hause gekommen wäre. Und als er eines Tages erfuhr, daß sie am Abend
+zuvor gekommen sei, rannte er in den Hof hinüber, setzte sich auf die
+Abfallkiste und trommelte mit den Absätzen dagegen, wie er es sonst
+gemacht hatte. Aber sie kam nicht. Er stand auf und rief: »Heraus!« so
+laut er konnte, viele Male. Aber auch daraufhin kam sie nicht. Da gab
+er es für diesen Tag auf, versuchte es aber am nächsten Tage wieder und
+so jeden Tag, aber jedesmal wurde er schüchterner und unsicherer; es
+kam ihm vor, als ob ihn alle Menschen ansähen und sich wunderten, was
+er dort im Hofe wollte. Schließlich gab er es auf und setzte nie mehr
+seinen Fuß in den Hof; aber wenn der Student nicht zu Hause war, stand
+er immer an dessen Fenster und guckte nach der Haustür gegenüber, denn
+ihre eigene Stube ging nach dem Hof hinaus.
+
+Nach einiger Zeit konnte er nicht mehr widerstehen und er beschloß,
+sie auf der Straße zu treffen, wenn sie aus der Schule kam. Am ersten
+Tage hatte er kein Glück; sie kam in Begleitung ihrer Mutter; er tat,
+als ob er sie nicht sähe und verbarg sich in einem Torweg. Den nächsten
+Tag kam sie allein. Er fühlte, wie etwas unter der Weste zu pochen
+begann, und er hatte einen ganz heißen Kopf, als er die Mütze zog und
+tat, als ob er vorbeigehen wollte. Sie richtete ihre blauen Augen
+treuherzig auf ihn, so daß er unwillkürlich stehen blieb, die Mütze
+wieder auf den Kopf setzte und auf seine Füße sah.
+
+Sie hätten sich lange nicht gesehen!
+
+Ja, sie käme nicht mehr in den Hof.
+
+Sollten sie denn diesen Winter keine Festung wieder bauen?
+
+Ja, sie wollte schon gern, aber --
+
+Sie könnten ja im Nebenhof spielen, wenn es ihr in ihrem Hofe
+unangenehm wäre.
+
+Er hatte das unwillkürlich gesagt und fühlte, wie er feuerrot wurde,
+als sie ihn treuherzig fragend ansah.
+
+Sie dürfte nicht mehr; sie wäre jetzt zu groß, um mit Straßenjungen zu
+spielen, hätte die Mutter gesagt.
+
+Ole verstand nicht, was darin lag; er stand und suchte, was er noch
+sagen könnte, aber dann fühlte er, wie etwas wie Zorn in ihm aufstieg
+-- er wußte nicht warum, -- und so grüßte er mit der Mütze und wollte
+gehen.
+
+Sie blieb stehen und blickte ihm nach:
+
+Du, Ole?
+
+Ja?
+
+Mutter hat gesagt, ich dürfte auf die Eisbahn, den ersten Tag, wo Eis
+wird; -- willst du dann kommen und mich schieben?
+
+Ole machte kehrt, nahm Stellung und führte die Hand nach militärischer
+Art an die Mütze (er war einexerziert worden, damals, als der Kadett
+bei seiner Mutter wohnte): Zu Befehl!
+
+Dann machte er wieder kehrt und ging.
+
+ * * * * *
+
+Seitdem gab es nur ein Ding in der Welt, was Ole sich wünschte, und das
+waren ordentliche Schlittschuhe, solche mit Mechanik zum Anschrauben.
+
+Er hatte gescharrt und gespart, so daß er schließlich drei Kronen und
+fünfundzwanzig Öre besaß; aber da war vor einem Monat die Mutter krank
+geworden und konnte drei Tage nicht auf Arbeit gehen, und da hatte sie
+ihn gebeten, ihr das Geld für Holz und Kohlen zu borgen, und da konnte
+er natürlich nicht nein sagen, so gern er auch gewollt hätte; -- denn
+sie hatte es nicht leicht, die arme Mutter. Er wußte wohl, daß er es
+wiederbekommen würde, sobald sie es hätte; aber da konnte es zu spät
+werden; seitdem hatte er nicht mehr als sechzig Öre zusammengebracht,
+und dafür konnte er ja nicht einmal ein paar alte mit Riemen bekommen.
+Jetzt setzte er seine ganze Hoffnung auf den Studenten und sein
+Geburtstagsgeschenk.
+
+Er hatte gleich daran gedacht, als der Student anfing ihn zu fragen,
+welcher Tag es wäre. Und er hatte dann auch öfters, wenn er mit etwas,
+das er beim Kaufmann geholt hatte (denn alle solche Dinge hatte Ole zu
+besorgen), zurückkam, versucht, das Gespräch auf Schlittschuhlaufen
+und ähnliche Sachen zu bringen, so daß er meinte, der Student müßte
+ihn verstanden haben. Denn er begriff manchmal so unglaublich leicht;
+mehrmals hatte er Dinge aus Ole herausgelockt, die dieser durchaus
+nicht hatte erzählen wollen; erst hinterher, wenn der Student
+angefangen hatte, ihn zu necken, hatte er gemerkt, daß er es doch
+gesagt hatte. Ja, es war zweifellos, er mußte es verstanden haben. Wenn
+er nun nur auch wollte!
+
+Ole stand in der Küchentür und spähte. Es war die Zeit, zu der der
+Student nach Hause zu kommen pflegte. Seine Spannung war von Tag zu
+Tag gewachsen, und seit ein paar Tagen hatte eine unglaubliche Kälte
+eingesetzt, so daß man jeden Tag erwarten konnte, sie würden auf
+Tullinlökken anfangen, die Bahn zu gießen. Er hatte es dem Studenten
+sogar heute morgen rund heraus gesagt, aber der hatte nicht darauf
+geantwortet, er war immer so kurz angebunden in seinen Antworten, wenn
+er über einem Buche saß.
+
+Vielleicht hatten sie mit dem Gießen schon angefangen?
+
+Es war zu dumm, er hätte ebensogut sagen können, der Geburtstag wäre
+acht Tage früher, der Student würde es wohl kaum erfahren haben.
+
+Da hörte er ihn auf der Treppe, jetzt zog er die Schlüssel heraus,
+jetzt ging die Vorsaaltür.
+
+Ole spähte.
+
+Ja, wahrhaftig, er hatte etwas in Papier gewickelt in der Manteltasche.
+
+Hm, ja, es konnte übrigens recht gut auch nur eine Flasche sein; aber
+es sah doch nicht richtig danach aus. Wenn er es nur herausnehmen
+wollte! Nein, da ging er hinein -- zum Teufel --, der Student nahm
+immer den Mantel mit hinein, wenn es kalt war.
+
+Er konnte ja immerhin hineingehen und fragen, ob er einen Auftrag
+besorgen sollte. Aber da mußte er noch etwas warten; es würde zu
+komisch aussehen, wenn er gleich angestürzt käme.
+
+ [Illustration]
+
+Er schlich sich auf den Vorsaal hinaus, blieb stehen und horchte.
+Jetzt zog der Student den Mantel aus, -- er hörte, daß ein Bindfaden
+durchschnitten wurde und das Rascheln von Papier. Dann klirrte etwas.
+
+Er klopfte.
+
+Er hörte etwas auf die Erde fallen, und nach einer Weile tönte es
+»Herein«.
+
+Er trat rasch ein, nahm Stellung und grüßte militärisch.
+
+Befehlen der Herr Student etwas?
+
+Dabei richtete er die Blicke nach dem Bett. Es war deutlich, daß etwas
+rasch darunter gestoßen worden war, aber er konnte nichts sehen, weil
+die Decke zu weit herunterhing.
+
+Nein danke, Ole, jetzt nicht.
+
+Ole blieb eine Zeitlang stehen, dann beugte er sich rasch herunter,
+als ob er etwas vom Boden aufnehmen wollte. Es war so dunkel unter dem
+Bett -- aber wahrhaftig, blinkte da nicht etwas?
+
+Der Student wurde aufmerksam:
+
+Was gibt's?
+
+Ich dachte, es wäre eine Stecknadel.
+
+Na, also für jetzt nichts weiter.
+
+Ole machte kehrt und verschwand.
+
+Ja, diesmal, meinte er, hätte er den Studenten doch gefangen; es wäre
+doch seltsam, wenn es nicht die Schlittschuhe gewesen wären, die er so
+rasch verborgen hatte.
+
+Nein, daß er seinen Geburtstag nicht acht Tage früher verlegt hatte.
+Es wäre doch übrigens immer noch möglich, daß er oder die Mutter sich
+geirrt hätten, vielleicht war er doch eher. Er mußte einmal in der
+Bibel nachsehen; da stand es aufgeschrieben.
+
+Er ging und holte das Buch vom Regal. Da stand es: Ole Christian
+Hansen, geboren am 2. Dezember 1886. Ja, das war leicht möglich, daß
+sie Dezember statt November geschrieben hatten; darum war es nicht
+sicherer, weil es dastand.
+
+Es kam eine solche Unruhe über ihn, daß er nirgends still sitzen
+konnte. Bald war er auf dem Vorsaal und griff nach der Mütze, bald
+war er in der Küche, bald in der Kammer drinnen und versuchte seine
+Aufgaben für morgen zu lernen, schließlich kniete er auf einem Stuhl am
+Fenster nieder und hauchte ein Loch in das Eis.
+
+Ja, wahrhaftig, es war ordentlich kalt draußen. Doch was war das? Da
+sprangen zwei Jungen über den Hof mit Schlittschuhen um den Hals.
+Hatten sie etwa schon mit Gießen begonnen? Das mußte er sehen.
+
+Er stürzte in den Vorsaal hinaus, riß die Mütze vom Haken und eilte in
+langen Sprüngen bis herab nach Tullinlökken.
+
+Ja, sie hatten angefangen. Da standen mehrere Männer mit langen
+Wasserschläuchen und spritzten, daß das Wasser schäumte. Sie spritzten
+schon zum zweiten Male darüber; es fror augenblicklich. Und eine Masse
+Jungen standen herum und sahen zu, alle die Schlittschuhe um den Nacken
+gehängt oder in der Hand, auch ein paar rotbäckige kleine Mädchen.
+
+Ein paar von den eifrigsten saßen schon auf den Bänken und schnallten
+an, es war am besten, sich bereit zu halten; in ein paar Stunden oder
+so, würden sie draufgelassen, hatte einer von den Männern gesagt.
+
+Es war ungefähr zwei Uhr, und die Kinder aus mehreren Schulen kamen
+vorbei:
+
+Ole sah, wie sie einen Augenblick still standen und dann fast
+davonrannten; es galt heimzukommen, schnell Mittag zu essen und die
+Schlittschuhe vorzusuchen.
+
+Ja, die hatten Schlittschuhe!
+
+Da sah er auch Elsa auf der andern Seite der Straße; -- nie hatte er
+sie so schnell gehen sehen, sie vergaß rein, sich umzusehen und mit der
+Schulmappe zu schlenkern, wie sie gewöhnlich tat.
+
+Nein, das ging nicht an, -- er mußte das letzte Mittel probieren.
+
+Kurze Zeit darauf stand er wieder mit militärischem Gruß im Zimmer des
+Studenten:
+
+Befehlen der Herr Student etwas?
+
+Nein, danke, Ole!
+
+Der Student sah nicht auf. Nach einer Weile merkte er, daß Ole gegen
+seine sonstige Gewohnheit stehen geblieben war, nachdem er Bescheid
+erhalten hatte.
+
+Nun, willst du noch etwas?
+
+Da tat Ole einen Schritt vor, suchte seiner Stimme einen forschen Klang
+zu geben, aber es kam doch recht schüchtern heraus:
+
+Jetzt gießen sie.
+
+Der Student sah verwundert auf.
+
+Was tun sie?
+
+Sie gießen.
+
+Wo?
+
+Auf Tullinlökken.
+
+Der Student drehte sich auf dem Stuhl um, sah Ole schelmisch an und
+sagte:
+
+Ja, was geht mich das eigentlich an, Ole?
+
+Nein, ich ging nur vorbei und da sah ich -- da dachte ich -- laufen der
+Herr Student nicht Schlittschuh?
+
+Doch, manchmal.
+
+Kannst du den Studentenschwung?
+
+Nein, und du?
+
+Nein.
+
+Es entstand eine lange Pause. Der Student blickte ihn die ganze
+Zeit mit freundlichem Spott an, so daß Ole schließlich die Augen
+niederschlagen mußte. Wie sollte er nun eigentlich sein Anliegen
+vorbringen?
+
+Da sagte der Student:
+
+Du wolltest gewiß noch etwas, Ole?
+
+Nein -- ja -- ich mußte daran denken, daß du mich einmal fragtest, wann
+mein Geburtstag wäre, und -- ich sagte, er wäre heute in acht Tagen.
+
+Ja?
+
+Ja, und seitdem ist mir eingefallen, daß -- daß ich -- vielleicht --
+nicht ganz sicher bin, daß ich es nicht ganz gewiß weiß.
+
+Weißt du es nicht ganz gewiß?
+
+Ole wurde rot:
+
+Ja, ich weiß es schon, -- aber sie könnten es in der Bibel vielleicht
+falsch aufgeschrieben haben.
+
+Der Student bekam einen merkwürdig schlauen Ausdruck um die Augen:
+
+Ja, es könnte ja leicht sein, daß er später wäre, so um Weihnachten
+herum?
+
+Nein, das ganz und gar nicht. Ist es ein Fehler, so ist er früher --
+das fühle ich.
+
+Ja, wann hattest du denn gedacht, daß er sein könnte?
+
+Ich, ich habe immer gemeint, er müßte etwa heute sein.
+
+Nein, so was. Das wäre wirklich dumm, wenn er heute wäre.
+
+Warum denn?
+
+Ja, denn ich hatte gedacht, dir -- hier machte der Student eine Pause
+-- einen Schlitten zum Geburtstag zu schenken. Aber nun ist es heute zu
+spät dafür.
+
+Oles Herz hüpfte vor Freude anfangs, aber als er das Wort Schlitten
+hörte, war es vorbei mit der Freude. Es wäre ja auch ganz hübsch, einen
+Schlitten zu besitzen, aber das war es nicht, was er sich wünschte. Es
+waren also doch keine Schlittschuhe gewesen, was der Student heute mit
+nach Hause gebracht hatte.
+
+Er stand ein Weilchen ruhig und sagte dann leise:
+
+Ja, weiter war es nichts. Und sicher ist es wohl auch nicht, daß der
+Geburtstag heute ist.
+
+Er drehte sich langsam um und wollte zur Tür hinaus.
+
+Du, Ole!
+
+Ja.
+
+Das ist wirklich dumm. Ich sitze hier und denke daran -- wenn du damit
+zufrieden bist, so -- habe ich -- er ging und tastete unters Bett -- so
+habe ich hier etwas, was du vielleicht brauchen könntest -- er hielt
+ihm ein paar blinkende Schlittschuhe hin, aber daraus machst du dir
+wohl nichts?
+
+Das kam Ole so überraschend, daß sein Lächeln noch breiter ausfiel
+als gewöhnlich; es war nicht mehr weit von den Mundwinkeln bis zu den
+Ohren. Er faßte die Hand des Studenten und sagte so recht von Herzen:
+
+Danke! Das ist das, was ich von allem am liebsten haben will.
+
+Sie begannen nun anzuprobieren, ob die Schlittschuhe paßten, und ob die
+Schrauben richtig säßen, -- solche Schlittschuhe, glaubte Ole, hätte
+kaum einer von den andern.
+
+Nach einer Weile sagte der Student:
+
+Du, Ole, warum wolltest du eigentlich gerade heute Geburtstag haben?
+
+Ole blickte auf und wurde rot:
+
+Es war mir nur darum zu tun, gleich auf die Bahn zu kommen.
+
+Sollst du jemand dort treffen?
+
+Nein, ich habe gar nicht versprochen, jemand zu schieben.
+
+Nun, sie läuft wohl besser als du?
+
+Nein, das tut sie nicht.
+
+Wer, sie?
+
+Ole machte sich eifrig an den Schlittschuhen zu schaffen und antwortete
+nicht. Der Student stand am Fenster und sah hinaus.
+
+Da geht schon die Elsa mit den blonden Haaren. Da ist die Bahn wohl
+fertig.
+
+Ole hatte sich mit den Schlittschuhen unterm Arm der Tür genähert.
+Wahrhaftig, hatte der Student auch das aus ihm herausgelockt!
+
+ * * * * *
+
+Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen durch den Frostnebel über den
+Platz, nur einen kleinen Streifen, so daß das blanke Eis einen roten
+Schimmer bekam.
+
+Es war ein Lärm und Geschrei und Spektakel von all den hundert
+frischen kräftigen Kindern, die sich herumtummelten. Da waren große
+Jungen, die liefen mit den Händen auf dem Rücken und flottem Schwung
+-- sie hatten alle engzugeknöpfte Jacken an --; da waren andre, die
+liefen rückwärts und zogen Achten und Schleifen, bis sie plötzlich
+mit einem andern Schlittschuh zusammengerieten und plötzlich auf dem
+Eise saßen; da waren kleine Mädchen, die setzten die Beine gerade
+vorwärts wie Schlittenkufen und wollten die Füße am liebsten einwärts
+stellen; von jedem Alter waren sie da, bis herab zu den ganz kleinen,
+die fielen und aufstanden bis ins Unendliche, und jedesmal einen
+Freudenschrei ausstießen, als hätten sie ein Meisterstück vollführt.
+Da gab es Finnenschuhe und Schnürschuhe, und Schuhe, die vorn den
+Rachen aufsperrten. Da gab es rote Handschuhe und blaue Handschuhe
+und bloße blaue Finger; da gab es rote Mützen und blaue Mützen und
+Pelzmützen; da gab es Ohren, die wie Rosen glühten, Halstücher, die
+oft herumgewickelt waren, und nackte Hälse; hier und da sah man
+auch ein nacktes Knie hervorgucken, wo die Strümpfe und die Hosen nicht
+zusammenhalten wollten. Aber eins hatten sie alle: rote Wangen und
+blaue Augen und Kehlen, die vor Freude jubelten.
+
+Nahe beim Platz holte Ole Elsa ein; -- er hatte sie unterwegs beinahe
+vergessen. Es zuckte ihm in den Gliedern, als er den Lärm hörte und
+das Getümmel sah; -- nein, wahrhaftig, dazu hatte er jetzt eigentlich
+keine Zeit; aber er mußte ihr wohl beim Anschnallen helfen. Er vergaß
+zu grüßen, rief nur, sie sollte sich beeilen und verhalf ihr zu
+einem Platz auf einer Bank. Er hatte solche Eile, daß er die Riemen
+verwirrte, so daß es länger dauerte, als er wollte. Endlich hatte
+er ihr die Schlittschuhe angeschnallt, und er sah, wie sie sich
+unbehilflich ein Stück fortbewegte, während er hastig die seinigen
+anschraubte. Ja, es sah aus, als brauchte sie einen, der sie schöbe,
+-- da blieb sie stehen, als warte sie auf ihn. Er lief ein paar Bogen
+über die Bahn und rund um sie herum auf einem Bein -- ein klein wenig
+spielte er sich vor ihr auf.
+
+Soll ich dich schieben?
+
+Ja, wenn du willst.
+
+Er faßte sie und begann sie quer über den Platz zu schieben; es ging
+schwer und langsam; -- da stieß einer an sie an, so daß sie beide
+hinfielen, sie standen auf und es ging von neuem los. So kamen sie
+einmal um den Platz.
+
+Hei, Ole, komm und spiel mit Indianer, -- es war »Krischan«, mit dem er
+im Sommer zusammen Krabben gefischt hatte, der vorbeisauste, verfolgt
+von einem andern.
+
+Ole blieb stehen und kratzte sich unter der Mütze; er hatte schon Lust,
+aber --
+
+Soll ich dich noch weiter schieben?
+
+Ja, bitte!
+
+Und Ole schob, und er zog und versuchte vorsichtig, sie an der Hand zu
+nehmen, so daß sie nebeneinander liefen; aber da fiel sie hin, und so
+mußte er wieder anfangen wie vorher.
+
+Hm -- im Grunde war das nicht ganz so unterhaltend, wie er sich gedacht
+hatte; aber wenn Elsa ihre glänzenden Augen auf ihn richtete und
+lachte, so fühlte er sich wieder erleichtert und schob sie rund herum,
+viele Male und tat, als ob er Christian und die andern, die nach ihm
+riefen, nicht hörte. Schließlich begannen sie, ihn ziemlich nah zu
+umkreisen und zu rufen:
+
+Seht den Kavalier!
+
+Er biß die Zähne zusammen und fuhr davon, aber in seinem Innern gelobte
+er sich, daß Christian bei der ersten Gelegenheit Prügel dafür haben
+sollte.
+
+Plötzlich sagte Elsa:
+
+Jetzt muß ich nach Hause; Mutter erlaubt nicht, daß ich länger draußen
+bin.
+
+Können wir nicht noch ein bißchen bleiben, nur noch einmal herum?
+
+Ja, aber nur einmal.
+
+Das taten sie, und Elsa setzte sich auf die Bank und hielt den Fuß hin.
+Er schnallte ihr die Schlittschuhe ab, behielt aber seine eigenen an.
+Er wollte sehen, ob sie daran dächte, allein zu gehen. Nein, sie blieb
+stehen. Er setzte sich also, machte seine auch los, und sie trotteten
+die Straße hinauf, viel langsamer, als sie gekommen waren. Sie sprachen
+nichts miteinander, bis sie an die Haustür kamen. Da sagte Ole:
+
+Gehst du morgen wieder?
+
+Ja, wenn ich darf; es ist so hübsch, sich schieben zu lassen.
+
+Ole blieb in dem Flur stehen, bis er sie oben auf der Treppe hörte;
+dann schlüpfte er heraus und rannte wieder herunter -- immer dicht an
+den Häusern.
+
+ * * * * *
+
+Ole kam spät heim, und er empfand ein wundervolles Gefühl im ganzen
+Körper, als er im Bett lag. Aber Christian hatte er nicht getroffen.
+Im Einschlafen hatte er -- o diese Männer! -- seinen ersten treulosen
+Gedanken:
+
+Wenn Elsa morgen nicht durfte, -- vielleicht würde es beinahe ebenso
+hübsch. Da könnte er auch den Christian verhauen.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Wie Hans und Marte die Henne hüteten.
+
+
+Auf dem Hof draußen stand eine alte Henne auf einem Bein, drehte den
+Kopf und blinzelte mit den runden klaren Augen.
+
+Dicht daneben lag der fünfjährige Hans. Hinten aus der Hosenklappe
+guckte ihm der Hemdzipfel, er schlenkerte mit den Beinen und sah die
+Henne an, als ob er mitten durch sie hindurchsehen wollte; er wagte
+kaum zu zwinkern. Heute würde er sie die ganze Zeit ansehen und den
+Blick nicht von ihr wenden.
+
+In der Stube drinnen saß Marte, seine siebenjährige Schwester, und
+lugte vorsichtig zum Fenster hinaus; sie behielt beide im Auge.
+
+Sie sollten beide heute auf die Henne aufpassen.
+
+Die Henne war alt und war so lange allein gewesen, daß sie sich
+allerhand Streiche angewöhnt hatte. Sie wechselte jedesmal das Nest,
+wenn sie ihr die Eier genommen hatten, und versteckte sie an den
+unglaublichsten Stellen, wo es niemand einfiel, zu suchen; -- einmal
+hatte sie die Eier in ein paar hohe Grasbüschel gleich neben die
+Türschwelle gelegt, und da lag sie und brütete acht Tage, ehe sie sie
+fanden. Und sie war so ausspekuliert klug geworden, daß es beinahe
+unmöglich war, sie zu hüten. Einmal, als die Mutter selber auf sie
+aufgepaßt hatte, so daß sie nicht entwischen konnte, hockte sie nieder
+und legte das Ei mitten auf die nackte Erde.
+
+Da hatte die Mutter für je acht Eier, die sie fänden, ein Ei als Prämie
+ausgesetzt. Nun hatte sie vor zirka vierzehn Tagen wieder ihren Platz
+gewechselt, so daß es jetzt sechs bis sieben Eier sein mußten und heute
+sollte sie wieder legen -- die Mutter hatte nachgefühlt.
+
+Es war ein brennend heißer Sommertag, die Insekten summten durch die
+Luft, die Schwalben flogen zwitschernd hin und her nach ihren Nestern
+am Stallgiebel, und im hohen Gras an der Wand entlang schlich die Katze
+dahin, hob vorsichtig ihre Pfoten und schielte nach oben, wie sie wohl
+die Nester erreichen könnte.
+
+Hans lag in der warmen Sonne und sah nach der Henne. Sie stand auf
+einem Bein, blinzelte gegen die Sonne und sah ihn lange an. Dann tat
+sie plötzlich gleichgültig, machte ein paar Schritte, scharrte in der
+Erde und tat, als fände sie etwas zum Aufpicken.
+
+O, nein, auf diese Art sollte sie ihn nicht hintergehen; er kannte ihre
+Faxen.
+
+Nach einer Weile blieb sie stehen, sah wieder auf und schielte zur
+Seite:
+
+Nein, er lag immer noch da und verfolgte sie mit den Augen; -- sie
+blieb wieder auf einem Bein stehen und blinzelte; das konnte langweilig
+werden, wenn es lange dauerte.
+
+Hans fand auch, daß es sich lange hinzog; jetzt hatte er gewiß eine
+Stunde hier gelegen.
+
+Nein, sie war so abgefeimt, daß sie sah, wohin er seine Augen richtete.
+Er mußte tun, als ob er wo anders hinsähe. Er schielte nach dem
+Fenster.
+
+Oh, er sah wohl, wie Marte den Kopf schnell wegzog; ja, sie konnte gern
+dort stehen, er war am nächsten, er würde sie diesmal zuerst finden.
+
+Er sah wieder nach der Henne. Sie war ein paar Schritte gegangen,
+während er wegblickte und stand jetzt wieder still. Nein, er mußte so
+tun, als ob er nach der Stallecke sähe, dann vielleicht --
+
+Er tat es. Im selben Augenblick strichen zwei Schwalben neben ihm mit
+lautem Geschrei dicht an der Erde hin -- sie hatten die Katze erblickt.
+Diese schlug mit der Pfote nach ihnen; -- wahrhaftig, bei einem Haar
+hätte sie eine erwischt! Es kamen mehr; alle begannen sie am Boden hin
+zu fliegen, sie zu foppen und auszuschelten.
+
+Ach, wie dumm sie war, daß sie sie nicht erwischte, -- sie duckte sich
+nur, legte die Ohren zurück und verkroch sich tiefer ins Gras. Es half
+nicht; da kniff sie aus, verschwand um die Ecke und in den Stall. Sieh,
+da zerstreuten sich die Schwalben und flogen wieder von und nach ihren
+Nestern.
+
+Zu dumm, daß der Eckbalken am Stall so glatt war, daß er nicht daran
+in die Höhe klettern konnte; -- sonst hätte er das niedrigste Nest
+erreichen können. Das wäre fein gewesen, ein paar von den Jungen zu
+haben; sie waren schon so groß, daß sie die schwarz und weißen Köpfe
+zum Nest hinaussteckten. Wenn er ein paar kriegte, so würde er ihnen
+ein Bauer zurechtmachen, und für Nahrung würde er auch sorgen, -- es
+gab so kolossal viel Fliegen am Fenster.
+
+Da würde Marte neidisch werden; -- sie sollte sie nicht einmal zu sehen
+kriegen; oder doch vielleicht, wenn sie ihm für jedesmal eins von ihren
+Eiern gäbe; -- sie hatte wohl schon vier, und er erst drei -- --
+
+Eier --?
+
+Wo war die Henne? -- Fort.
+
+Zum Teufel, hatte sie ihn auch diesmal genarrt?
+
+ [Illustration]
+
+Er stand auf, stampfte mit dem Fuß auf und war dem Weinen nahe.
+
+So eine gemeine Henne, so ein infames Vieh. Kaum ließ er sie aus den
+Augen, so war sie auch schon entwischt.
+
+Ja, dann also das nächste Mal; er guckte nach dem Fenster, -- -- denn
+Marte hatte sie doch wohl auch nicht gesehen? Sie war übrigens vom
+Fenster verschwunden. Da kam sie heraus.
+
+Sie sah so verschlagen aus. Ob sie vielleicht doch --?
+
+Hast du die Henne gesehen, Hans?
+
+Nein, -- du?
+
+Nein.
+
+Es stak bestimmt etwas dahinter. Marte tat so gleichgültig. Er wollte
+schon auf sie aufpassen.
+
+Ich glaube fast, sie ist in den Stall gegangen, sagte er, -- ich will
+dort nachsehen -- er wußte wohl, daß sie dort nicht war, denn da hatten
+sie jeden Winkel abgesucht.
+
+Laß mich zuerst, sagte Marte, und tat, als ob sie hinlaufen wollte.
+
+Nein, ich will zuerst -- und Hans sprang davon.
+
+Ja, es war deutlich, sie wollte ihn forthaben, denn sie tat gar nichts,
+um zuerst zu kommen. Er wollte sie schon überlisten!
+
+Er schlüpfte in den Stall und guckte durch eine Ritze. Sie stand erst
+ruhig und blickte sich vorsichtig um, dann schlich sie auf den Zehen an
+der Stallwand entlang. Er kam heraus, schlich bis zur Ecke und streckte
+den Kopf vor.
+
+Ah, eben war sie im Begriff, die großen Brennnesseln zur Seite
+zu biegen.
+
+~Dort~ hatte sie also die Henne hineinschlüpfen sehen.
+
+Er stürzte vor, gerade auf ihren Rücken los:
+
+Ich weiß es, ich fand sie zuerst.
+
+Sie fielen beide in die Brennnesseln. Die Henne flatterte
+schreiend davon.
+
+Sie standen auf; -- es brannte schrecklich an Gesicht und Händen.
+
+Eine Weile standen sie da und starrten sich an, Hans die Mundwinkel
+verzogen, bereit zu weinen, Marte beide Hände voller Rührei in die Höhe
+haltend.
+
+Plötzlich klatschte ihm die eine Hand hinter die Ohren, daß das Rührei
+spritzte, und er zu Boden kollerte.
+
+Dann fingen sie beide an zu heulen.
+
+Die alte Henne schalt fürchterlich drüben auf dem Hofplatz.
+
+ [Illustration]
+
+
+
+
+ Im Verlage von Georg Merseburger, Leipzig, erschienen von
+
+ =Alexander L. Kielland=
+
+ übersetzt von
+
+ +Dr+. ~Fr. Leskien~ und ~Marie Leskien-Lie~
+ herausgegeben und durchgesehen vom Verfasser
+
+ mit Buchzeichnungen von
+
+ =A. Andresen=, =R. Carl=, =M. Loose=, =H. Schittenhelm=,
+ =A. Sommer=
+
+
+ +a+) =Gesammelte Werke=
+
+ ====Inhalt:=====
+
+ Bd. I: =Garman & Worse=
+ +a+) Schiffer Worse, +b+) Garman & Worse. Zwei Romane.
+ Brosch. 5 M., geb. 6 M.
+
+ Bd. II: =Novellen, Novelletten, Schnee, Else.=
+ Brosch. 5 M., geb. 6 M.
+
+ Bd. III: =Abraham Lövdahl=
+ +a+) Gift, +b+) Fortuna, +c+) Johannisfest. Drei
+ Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M.
+
+ Bd. IV: =Arbeiter.=
+ +a+) Arbeiter, +b+) Jakob. Zwei Romane. Brosch. 5 M., geb.
+ 6 M.
+
+ Bd. V: =Rings um Napoleon.= Brosch. 6 M., geb. 7 M.
+
+Nachlese: =Menschen und Tiere.= Skizzen u. Studien. Br. 3 M., geb. 4 M.
+
+Alle Bände sind auch einzeln zu haben. -- Einzelne 6 Bände geb. 35 M.
+
+ Gesamtpreis für alle 6 Bände in eleganter Kassette gebunden 30 M.,
+ ohne Kassette broschiert 25 M.
+
+
+ +b+) =Werke in Einzelausgaben=
+
+ =Rings um Napoleon.=
+
+ IX. und X. Tausend. Brosch. 6 M., geb. 7 M.; in 2 Bände
+ geb. 8 M.
+
+
+ =Schiffer Worse.= Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M.
+
+
+ =Garman & Worse.= Roman.
+
+
+ =Novellen, Novelletten, Schnee und Else.=
+ Brosch. 5 M., geb. 6 M.
+
+
+ =Gift.= Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M.
+
+
+ =Fortuna.= Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M.
+
+
+ =Johannisfest.= Roman. Brosch. 1.50 M., geb. 2.25 M.
+
+
+ =Menschen und Tiere.= Skizzen und Studien. Brosch. 3 M.,
+ geb. 4 M.
+
+ =Arbeiter.= Roman. Brosch. 2.75 M., geb. 3.50 M.
+
+
+ =Jakob.= Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M.
+
+
+
+
+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Im Original sind die Dekorationen am Ende der Geschichten
+"Kirchenexamen vor dem Bischof" und "Holzvermesser Ole Pedersen" aus
+Platzgründen entfallen. Sie wurden in dieser Fassung eingefügt.
+
+Das Inhaltsverzeichnis ist an den Anfang des Textes verschoben worden.
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 ***
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+ </style>
+</head>
+<body>
+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 ***</div>
+
+<div class="transnote">
+<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes
+wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend
+korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiqua sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p>
+<p class="p0">Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich
+<a href="#Anmerkungen_zur_Transkription">am Ende des Textes.</a></p>
+</div>
+
+<figure class="figcenter illowe100" id="cover">
+ <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<p class="p2 s2 center"><b>Hans Aanrud</b></p>
+
+<h1>Jungen</h1>
+
+<p class="p2 s3 center">Vierzehn Geschichten<br>
+<span class="s5 center">von kleinen ganzen Kerlen</span></p><br>
+<p class="s4 p2 center">Mit Bildern</p>
+<p class="center">von</p>
+<p class="s3 center">Lisbeth Bergh</p><br>
+
+<p class="p2 s4 center">Erstes bis drittes Tausend</p><br>
+
+<p class="p2 s4 center">Leipzig</p>
+<p class="center">Verlag von Georg Merseburger<br>
+1910</p><br>
+
+<div class="chapter">
+<p class="p3 center">Einzige autorisierte Übersetzung aus dem Norwegischen von <em class="antiqua">Dr.</em><br>
+Friedrich Leskien und Marie Leskien-Lie. Einbandzeichnung nach einem<br>
+Bild von L. Bergh von A. Andresen.<br>
+Alle Rechte vorbehalten.</p><br>
+
+<hr class="r5">
+
+<div class="p3 blockquot">
+<p class="center">Von <b>Hans Aanrud</b> erschienen:</p>
+
+<p><em class="antiqua">a</em>) <em class="gesperrt">für Kinder und Erwachsene</em></p>
+<p>Sidsel Langröckchen, Erzählung</p>
+<p class="mleft">brosch. M. 2,25 geb. M. 3,—</p>
+
+<p>Kroppzeug, zwölf Geschichten von kleinen Menschen und Tieren</p>
+<p class="mleft">brosch. M. 2,25 geb. M. 3,—</p><br>
+
+<p><em class="antiqua">b</em>) <em class="gesperrt">für Erwachsene</em></p>
+<p>Erzählungen, sechzehn Geschichten</p>
+<p class="mleft">brosch. M. 3,— geb. M. 4,—</p><br>
+</div>
+
+<p class="p3 s5 center">Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</p>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Inhaltsverzeichnis.</h2>
+</div>
+
+<table class="autotable">
+<tr>
+<td class="tdl">&nbsp;</td>
+<td class="tdr">Seite</td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Der Gemeindejunge</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_1">1</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Amunds neue Ski</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_12">12</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Wenn die Graugänse fliegen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_22">22</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">In Großvaters Auftrag</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_36">36</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Kirchenexamen vor dem Bischof</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_49">49</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_67">67</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Der erste Arbeitstag</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_80">80</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Alexander und Buzephalos</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_92">92</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Holzvermesser Ole Pedersen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_106">106</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Ranzenräuber und Zottelbär</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_114">114</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Tischler Simen und der Blaufuchs</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_126">126</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Die Kvinstöljungen</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_140">140</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Erste Liebe</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_154">154</a></td>
+</tr>
+<tr>
+<td class="tdl">Wie Hans und Marte die Henne hüteten</td>
+<td class="tdr"><a href="#Seite_173">173</a></td>
+</tr>
+</table>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[S. 1]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="Der_Gemeindejunge">Der Gemeindejunge.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Die Sonne hatte schon längst ihren ersten goldenen Morgenstreifen über
+die Tannenwipfel ganz oben an der Westseite des Tals gesandt, war
+langsam die hintere Talwand bis auf den Talboden heruntergeschlichen
+und wollte eben beginnen, an der östlichen Talseite hinaufzukriechen,
+die bisher im Schatten gelegen hatte. Aber gerade als sie zwischen den
+Tannenwipfeln hoch oben hervorgucken wollte, war nichts mehr da, was
+sich hindernd dazwischenstellte, und auf einmal rieselte ihr gelbes
+warmes Licht in zitternden Wellen über die ganze Talseite hinab, es
+schlüpfte zwischen dem winzig kleinen jungen Laub hindurch, liebkoste
+das feine zarte Gras, das eben begonnen hatte hervorzusprießen, glitt
+glitzernd über die rauschenden Frühlingsbäche hin, die nach dem kleinen
+trüben Fluß unten im Talgrund hinabströmten, und füllte das ganze Tal
+mit seinem Licht. Mit einem Male war das ganze keimende, sprießende
+Leben des Frühlingsmorgens erwacht, aber die großen<span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span> wohlgepflegten
+Höfe lagen noch still da, mit verschlossenen Türen und in der Sonne
+glitzernden Fensterscheiben, nur hin und wieder stieg ein blauer Rauch
+aus den Essen kerzengerade in die klare Luft.</p>
+
+<p>Ein kleiner Junge mit offnen blauen Augen kam und guckte durch das
+rotgestrichene Gattertor, das nach dem ebenen breiten Hofplatz
+auf Opsal führte. Nie hatte er etwas so Schönes gesehen wie das
+weißgestrichene Gebäude und die merkwürdige Treppe mit dem Geländer
+außen dran. Und alle die anderen langen, rotgestrichenen Häuser!</p>
+
+<p>Es war alles gerade, wie er sich die Königsschlösser gedacht hatte,
+von denen in den Märchen die Rede war. Es fehlte nur ein König drüben
+auf der Treppe, sonst war alles genau so! Er mußte unwillkürlich noch
+einmal nachsehen; es war aber keiner da.</p>
+
+<p>Er war nicht gerade ein Staatskerl, der kleine Junge, der dort durch
+das Gattertor guckte. Auf dem Kopfe hatte er einen durchlöcherten
+Strohhut, der so weit hinten im Nacken saß, daß der blonde Schopf
+gut zu sehen war, der fast bis über die großen blauen Augen und eine
+kleine wichtige Nase herunterhing. Eine Jacke trug er nicht, nur eine
+karrierte Unterjacke, die an den Ärmeln geflickt war. Die Hosen, die
+nur aus Flicken bestanden, reichten nicht weit über die Knie, so daß
+man die großen Frauenstiefel,<span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span> in denen er ging, ganz sehen konnte;
+sie waren viel zu groß, die Schäfte gähnten um die dünnen Waden, da
+die Riemen nur für die Hälfte der Löcher ausgereicht hatten, und die
+Spitzen bogen sich vorn nach aufwärts. Im Arm trug er ein Bündel, das
+in ein dunkles karriertes Tuch eingewickelt war.</p>
+
+<p>Es war der acht Jahre alte Tor aus Stubsveen, dem obersten Häuslerplatz
+ganz oben am Waldrand drüben auf der anderen Talseite; er sollte heute
+seine Stellung als Gemeindejunge auf Opsal antreten.</p>
+
+<p>Plötzlich zuckte er zusammen, bewegte sich nicht etwas da drüben auf
+dem Hof? Er blickte hin. Nein, es war wohl nichts. Alles war so still;
+ob sie wohl noch nicht aufgestanden waren? War das eine Art, mitten am
+hellichten Tage! Er sah nach der Sonne, die jetzt bis über die obersten
+Tannenwipfel gekommen war.</p>
+
+<p>Nein, es war doch wohl noch sehr früh. Die Uhr hatte auch die letzten
+Tage drüben in Stubsveen gestanden. Er mußte warten.</p>
+
+<p>Er wandte sich um, stützte den Ellbogen an das Gatter und den Kopf in
+die Hand und sah über das Tal hin und weit an der anderen Seite hinauf.</p>
+
+<p>Da lag Stubsveen — er hatte es nie aus so weiter Entfernung gesehen.
+Es war aber auch<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> nicht viel daran zu sehen, er hatte nicht gewußt, daß
+es so armselig aussah und so unermeßlich hoch oben lag.</p>
+
+<p>Übrigens durften sie sich nicht einbilden, daß es so armselig war, wie
+es von hier aussah; sie konnten nicht den Söller auf der anderen Seite
+sehen, und dort war auch das Kammerfenster, das machte viel aus. Er
+guckte wieder nach dem Hof, — Opsal sah auch nicht so prächtig aus von
+da oben, wie es war. So kam er also doch nach Opsal. Die kleine Ane
+mußte sich damit begnügen, nach Hoel zu kommen; — nun! Hoel war schon
+auch prächtig genug, aber mit Opsal ließ es sich nicht vergleichen.</p>
+
+<p>Er mußte daran denken, wie er und Ane neulich gegen Ende des Winters
+am Fenster drüben in Stubsveen knieten und über das Tal blickten und
+sich aussuchten, wo sie in Dienst gehen wollten, wenn sie groß wären.
+Ane war gleich bereit zu sagen, daß <em class="gesperrt">sie</em> nach Opsal wollte, aber
+da hatte Tor gesagt, daß <em class="gesperrt">er</em> dorthin wollte, denn er wäre ein
+Junge, und er wäre der Älteste, und sie wäre nur ein Mädchen; aber Ane
+war hartnäckig, und da zankten sie sich. Da wurde zuerst Ane von ihm
+durchgeprügelt und dann er von seiner Mutter; ja sie konnten sagen, was
+sie wollten, es war nun einmal so, daß die Mutter ein bißchen zu viel
+zu Ane hielt; denn <em class="gesperrt">die</em> konnte auch manchmal<span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span> unartig sein; —
+wenn er es vielleicht öfter war, so war er auch ein Jahr älter.</p>
+
+<p>Seine Augen glitten unwillkürlich nach Hoel hinüber, einem andern
+großen Hof, ein Stück davon entfernt.</p>
+
+<p>Ob Ane wohl jetzt bis nach Hoel gekommen war? Vielleicht stand sie auch
+da und wartete; es sah auch nicht aus, als ob sie dort aufgestanden
+wären.</p>
+
+<p>Ane konnte einem richtig leid tun, sie war so still und kümmerlich, als
+sie sich hier unten am Gatter trennten.</p>
+
+<p>Ach, Ane konnte doch auch furchtbar gut sein. Wenn er es sich recht
+überlegte, so war sie wohl doch viel, viel besser als er. Ja, das war
+kein Zweifel, das hatte sich besonders in der letzten Zeit gezeigt.
+Denselben Tag, wo er sie durchprügelte, war der Vater krank geworden,
+es war Lungenentzündung, und Ane weinte viel mehr als Tor, als der
+Vater krank war, und als er starb, und als sie ihn zur Kirche fuhren
+und Erde auf ihn warfen.</p>
+
+<p>Ja natürlich, er fand es auch so traurig, wie irgend möglich, aber es
+lag jetzt auf einmal so vieles auf ihm, daß er zum Weinen keine rechte
+Zeit hatte. Erstens mußten sie den furchtbar dicken Doktor mitten im
+schlimmsten Tauwettermorast bis nach Stubsveen hinaufschaffen, und
+wenn er auch wütend war über<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> den Weg und das Fahrzeug und die ganze
+Schererei, so war es doch ein Aufzug, der nicht eigentlich zum Weinen
+war, — sie konnten darüber denken, wie sie wollten. Dann kam die
+Leichenstrohverbrennung — er mußte es noch selbst anzünden — und dann
+waren so viele Leute da, der Tischler und viele alte Weiber, und dann
+gab es ein Leichenbegängnis mit Geschenken und so vielen guten Dingen,
+wie er nie oben in Stubsveen gesehen hatte, und dann fuhren sie mit
+vier Schlitten nach der Kirche, und er durfte auf dem Schlitten, der
+gleich hinterm Sarge fuhr, hinten aufsitzen.</p>
+
+<p>Wenn er alles wahrheitsgemäß überdachte, so hatte er eigentlich nicht
+mehr als einmal geweint, und das war — hinterher; es geschah obendrein
+hauptsächlich, weil die Mutter so sehr weinte, als sie von dieser
+Gemeinderatsversammlung, oder wie sie es nannten, nach Hause kam, wo
+bestimmt worden war, daß er und Ane in der Gemeinde untergebracht
+werden sollten —, ja sie sollten nur nicht sagen, daß <em class="gesperrt">er</em> der
+Gemeinde zur Last fiel, denn der Bauer von Opsal hatte ihn umsonst
+genommen und gesagt, ein solcher Junge wäre wohl imstande, sein Essen
+und seine Kleider zu verdienen.</p>
+
+<p>Aber Ane, die Ärmste, weinte die ganze Zeit. Auch heute früh, als sie
+von zu Hause fortzogen,<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> weinte sie so bitterlich, daß sie nicht einmal
+den Kaffee herunterbekommen konnte; aber auch da wollten ihm keine
+Tränen kommen. Erst als er sich hier unten am Gatter, das nach Hoel
+hinaufführte, von Ane trennen sollte und er ihre kleine weiche Hand
+nahm und sagte: Leb' wohl denn, kleine Ane, schnürte ihm etwas die
+Kehle zusammen, und er mußte sich schnell umwenden und weitergehen;
+es war ja nicht gerade notwendig, es sehen zu lassen; aber auch da
+schluchzte Ane, er sah es deutlich an ihrem Rücken, als er sich
+umwandte, wie sie eben im Begriff war, so klein und kümmerlich durch
+das Gattertor zu gehen.</p>
+
+<p>Wenn er sie wiedertraf, sollte Ane wirklich sein Taschenmesser
+bekommen, das sie so gern haben wollte; er selbst würde es nicht mehr
+so nötig haben, er müßte doch zusehen, bald ein Scheidenmesser zu
+bekommen.</p>
+
+<p>Er blieb eine Weile stehen, dann guckte er wieder durch das Gatter.
+Wahrhaftig, dort war der König draußen auf der Treppe, ein großer
+starker Mann in schlohweißen Hemdsärmeln. Aber er hatte keine Krone
+auf, nur eine kleine Schirmmütze, die weit hinten im Nacken saß.</p>
+
+<p>Unsinn, das war natürlich der Bauer selber. Wie er sich dehnte und in
+der Morgensonne wohl fühlte!</p>
+
+<p>Ja, jetzt mußte er wohl hin und sich zur Stelle melden.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span></p>
+
+<p>Er öffnete vorsichtig das Gattertor, schlüpfte durch und machte es
+hinter sich wieder zu, ohne sich umzuwenden; — es war, als machte es
+ihm Mühe, zurück zu blicken. Er blieb einen Augenblick stehen, zog die
+Hosen herauf und schob den Hut noch weiter in den Nacken. Dann hielt
+er die Arme in zwei großen Bogen von den Seiten ab und ging vorwärts,
+langsam und mit langen Schritten wie ein Erwachsener, die Augen die
+ganze Zeit auf den Mann auf der Treppe gerichtet.</p>
+
+<p>Als er näher kam, fiel es ihm offenbar schwer, gerade draufloszugehen,
+und so näherte er sich in einem großen Bogen der untersten
+Treppenstufe. Er nahm die paar Stufen, blieb stehen, machte eine tiefe
+Verbeugung mit dem Kopf, führte die eine Hand an seine weiße Mähne und
+streckte die andere aus:</p>
+
+<p>Guten Tag!</p>
+
+<p>Opsal nahm die kleine braune Hand, die ganz in seiner großen Faust
+verschwand, und sah mit verhaltenem Lächeln auf ihn herunter.</p>
+
+<p>Guten Tag. Sind so erwachsene Burschen schon so früh unterwegs?</p>
+
+<p>Ja, das sind sie. Es ist schönes Wetter heute.</p>
+
+<p>Opsal fuhr fort ihn anzusehen. Tor sah weg, setzte den Fuß vor und
+suchte eine erwachsene Stellung einzunehmen:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span></p>
+
+<p>Du bist der Opsal selber, scheint mir.</p>
+
+<p>Ja, sie nennen mich so. Aber was bist du für ein Bursche?</p>
+
+<p>Tor sah sehr erstaunt aus.</p>
+
+<p>Weißt du das nicht? Ich sollte ja jetzt dein Knecht sein.</p>
+
+<p>Meiner? Sieh mal einer an, da bist du wohl mein neuer Knecht aus
+Stubsveen. Wie heißt du?</p>
+
+<p>Weißt du das auch nicht? Ich heiße Tor.</p>
+
+<p>Ja richtig. Du bist wahrhaftig zeitig unterwegs.</p>
+
+<p>Ich finde eher, daß man hier spät aufsteht. Wir beginnen den Tag früher
+oben bei uns.</p>
+
+<p>Hm. Und jetzt hast du vielleicht vor gleich für immer dazubleiben?</p>
+
+<p>Ja, das war die Meinung.</p>
+
+<p>Tat es dir denn nicht leid, von Mutter wegzugehen?</p>
+
+<p>Die Kehle wollte sich Tor wieder zuschnüren, aber er biß die Zähne
+zusammen und schluckte alles schnell herunter.</p>
+
+<p>Ach, du weißt — aber man kann doch nicht sein Lebenlang am
+Schürzenband hängen.</p>
+
+<p>Opsal lächelte.</p>
+
+<p>Ja, willkommen denn, und geh dann mal in die Küche und sieh zu, daß du
+etwas zu essen bekommst; du hast wohl Hunger nach dem langen Weg, den
+du schon hinter dir hast.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p>
+
+<p>Aber ist es nicht unrecht, mit Essen zu beginnen, ehe ich etwas getan
+habe?</p>
+
+<p>Ja, was hast du dir eigentlich gedacht, daß du hier auf Opsal tun
+willst?</p>
+
+<p>Das, was du von mir verlangst.</p>
+
+<p>Glaubst du, daß du das alles kannst?</p>
+
+<p>Nach dem, was ich gehört habe, sollst du kein unbilliger Mann sein;
+übrigens — er betrachtete Opsal von oben bis unten mit seinen offenen
+blauen Augen — kann es schon sein, daß ich imstande wäre, Dinge zu
+tun, die du selbst nicht bewältigen könntest.</p>
+
+<p>Was sollten denn das für Dinge sein?</p>
+
+<p>Tor antwortete rasch:</p>
+
+<p>Die Kälber durch das Gebüsch jagen.</p>
+
+<p>Der Opsal sah sich selber an, und dann lächelte er Tor zu:</p>
+
+<p>Du bist wohl ein großer Schelm.</p>
+
+<p>Tor sah ihm lächelnd gerade in die Augen:</p>
+
+<p>Ja, wenn ich nur nicht hier auf Opsal meinen Meister finde.</p>
+
+<p>Opsal nahm ihn an der Hand: So, jetzt mußt du mit hereinkommen und dir
+die Leute und die Einrichtung ansehen, und wenn es dir gefällt, dann
+ist es wohl am besten, ich ernenne dich gleich zu meinem Großknecht.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span></p>
+
+<p>Jetzt hast du mich wohl wieder zum besten, Opsal; aber vielleicht
+könnte ich auch das fertigbringen.</p>
+
+<p>Sie gingen Hand in Hand hinein.</p>
+
+<p>So hielt der Gemeindejunge seinen Einzug auf Opsal.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-013_2">
+ <img class="w100" src="images/illu-013.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Amunds neue Ski.</h2>
+</div>
+
+<p>Amund schielte unter der Felldecke hervor:</p>
+
+<p>Ane Marja? — A—ne Mar—ja! Sagte der liebe Gott etwas davon, wie
+lange es dauern sollte, bis ich meine Ski bekäme? Er lauschte. Nein,
+Ane Marja schlief wohl schon. Teufel auch! er mußte es jetzt wissen,
+denn so ging es nicht weiter.</p>
+
+<p>Ane Marja hatte gesagt, daß alle artigen Jungen Ski vom lieben Gott
+bekämen, und da konnte kein Zweifel sein, daß er sie bekommen würde.
+Aber es war ihm darum zu tun, sie bald zu bekommen; Ane Marja und der
+liebe Gott sollten nur wissen, wie es war, drüben auf dem Südfeld zu
+stehen und alle die anderen Jungen Schlitten fahren zu sehen. Und
+die Skibahn, die jetzt war! Wenn der liebe Gott selbst zum Skilaufen
+zu alt war, so mußte er doch wissen, daß Amund im Frühling keine Ski
+brauchte, wenn der Schnee entweder zu weich oder zu hart war. Nein,
+sollte er welche haben, so mußte es jetzt sein. Er konnte auch nicht
+begreifen, warum es so lange<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> dauerte. Denn artig war er gewesen. Am
+zweiten Weihnachtsfeiertag hatte Ane Marja es gesagt, und jetzt war
+schon Hochneujahr, und in dieser ganzen Zeit hatte er sich nicht mit
+der kleinen Liese gezankt, nicht einmal, als die Lakritzenstange in
+seinem Kasten anfing kleiner zu werden, — ja, denn es konnte niemand
+anders als Liese sein, die daran schuld war. Er hatte nur den Kasten
+zugeschlossen, denn da hörte doch alles auf. Sie konnten doch nicht
+verlangen, daß er sie alles aufessen lassen sollte. Nein, <em class="gesperrt">daran</em>
+konnte es nicht liegen. Jon Rönningen hatte schon vor langer Zeit Ski
+bekommen, — Amund glaubte übrigens nicht, daß diese Ski so wundervoll
+wären, wie Jon immer tat, — und er war gar nicht artig; — ein
+richtiger Lümmel; — und wie er fluchte!</p>
+
+<p>Und dann Hans Svebakken. Er hatte zu Weihnachten welche bekommen; ach
+ja, das war nicht ganz unbillig; <em class="gesperrt">denn er war artig</em>; er hatte
+Amund gestern zweimal seine Ski geborgt, um auf dem Südfeld darauf zu
+laufen.</p>
+
+<p>Nein, er konnte es nicht begreifen. Wenn es wenigstens so gewesen wäre,
+daß es viele gab, die Ski haben sollten, so konnte man dem lieben Gott
+verzeihen, daß er nicht genug fertigbekommen hätte; aber es waren ja
+nur Amund und Lars Sagbakken, die keine hatten.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span></p>
+
+<p>Ach ja, er glaubte schon, daß er sie vor Lars bekommen würde, denn Lars
+sagte gestern: Hol' mich der Teufel, und das war ein Fluch, hatte Ane
+Marja gesagt.</p>
+
+<p>Aber, du liebe Zeit — warum konnte er sie nicht gleich bekommen? Es
+war schade um jeden Tag, den es länger dauerte.</p>
+
+<p>Sie meinten wohl doch, daß er nicht artig genug wäre. Aber er hatte
+getan, was er konnte, — und Amund zog wieder den Kopf unter die
+Felldecke.</p>
+
+<p>Wenn Lykkelin bald Zicklein bekommen hätte, so würde er sich weder von
+Ane Marja noch vom lieben Gott haben hereinreden lassen; denn Lykkelin
+hatte immer Zwillinge, und für das Fell von ihnen hätte er schon ein
+Paar Ski bekommen, — wenn sie auch nicht so besonders gut gewesen
+wären —; aber Lykkelin setzte in diesem Jahre aus. Sie sollte erst
+Mitte Februar Junge haben.</p>
+
+<p>Er steckte den Kopf wieder hervor.</p>
+
+<p>Nein, er mußte es sich noch einmal überlegen, woran es wohl liegen
+könnte. Hatte er etwas getan, was nicht recht war? Ja, er hatte das
+Band aus dem Schlitten genommen, damit Liese ihn nicht brauchen sollte;
+aber das konnte er doch machen, wie er wollte, denn es war <em class="gesperrt">sein</em>
+Schlitten. Doch, er war artig gewesen. Aber sie glaubten vielleicht
+nicht an ihn?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span></p>
+
+<p>Ach, er würde gern den Schlitten und die Lakritze weggeben, wenn er sie
+nur bald bekäme!</p>
+
+<p>Die Lakritze?</p>
+
+<p>Sollte er es damit versuchen, um ihnen zu zeigen, daß es ernst war? Ja,
+das wollte er tun.</p>
+
+<p>Er richtete sich vorsichtig auf den einen Ellbogen auf und horchte, ob
+Ane Marja schlief. Ja, sie schlief.</p>
+
+<p>Dann kroch er vorsichtig unter der Felldecke hervor und schlich sich
+leise durch das Zimmer bis an seine Truhe. Den Schlüssel hatte er
+daruntergelegt. Er öffnete sie, nahm die Lakritzenstange heraus und
+wickelte sie aus. Dann ging er ans Fenster. Es war am besten, sie dahin
+zu legen, da konnte der liebe Gott sie durch die Fensterscheibe sehen.</p>
+
+<p>Er hielt inne und überlegte, ob er sie erst kosten sollte. Nein, lieber
+nicht. Der liebe Gott sollte sehen, daß er es ernst meinte.</p>
+
+<p>Er legte sie hin und schlich wieder in sein Bett zurück. Jetzt war
+es getan. Er fühlte sich ganz sicher. Das konnte nicht fehlschlagen,
+morgen noch würde er Ski bekommen. Er glaubte schon darauf zu laufen,
+und er begann darüber nachzudenken, wie er sich den andern Jungen
+gegenüber verhalten wollte.</p>
+
+<p>Lars Sagbakken sollte sie vielleicht ein- oder zweimal borgen dürfen,
+wenn Amund sie nicht selbst<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> brauchte. Aber gegen Jon Rönningen wollte
+er ordentlich stolz sein. Er hatte nicht vergessen, wie er neulich die
+Ski von Hans Svebakken borgte. Da hatte Jon, der Lümmel, gesagt, er
+sähe aus, als habe er Kartoffeln in der Hosenklappe.</p>
+
+<p>Ja, das kam davon, wenn man Hosen mit Klappe trug. Von jetzt an wollte
+er eine Hose zum Knöpfen haben mit Trägern, wie die größeren Jungen.
+Ja, Jon wollte er es schon wiedergeben. Er wollte ihm sagen, er sähe
+aus, als ob er Milchbrei in den Knien habe, denn Jon hatte krumme Beine.</p>
+
+<p>Dann schlief er ein.</p>
+
+<p>Und er träumte, daß er dastand und dem lieben Gott zusah, der im
+Begriff war, Ski zu tischlern; aber bisweilen kam es ihm auch vor, als
+wäre es nicht der liebe Gott, sondern der Tischler Ola, denn er hatte
+dieselben krummen Finger und denselben Riß über dem einen Knöchel.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am Morgen schlief er so lange, bis Ane Marja und Liese aufgestanden
+waren. Er schielte nach dem Fenster hin, als er die Hosenklappe
+zumachte. Wahrhaftig, die Lakritzenstange war kleiner geworden. Er
+beeilte sich, hinaus zu kommen.</p>
+
+<p>Liese stand hinter der Tür und sah nach, ob er böse wurde.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span></p>
+
+<p>Er erblickte sofort Ane Marja. Es war, als ob sie da stand und auf ihn
+wartete. Dann sah er sich um. Oh! Da standen sie an die Wand gelehnt,
+neu und fein, geteert bis an die Bindung. Er blieb wie gebannt stehen.
+Er sah sie und Ane Marja abwechselnd mehrere Male hintereinander an,
+dann fingen die Mundwinkel an zu zittern und sich krampfhaft weiter
+auseinanderzuziehen, beinahe bis an die Ohren, zu einem unendlichen
+Lächeln, und als er etwas sagen wollte, zog er den Atem ein, so daß er
+es nicht herausbekommen konnte.</p>
+
+<p>Ane Marja strich ihm übers Haar. Ja, sie sind für dich, aber jetzt mußt
+du wirklich ein guter Junge sein und weder aufschneiden noch fluchen,
+sonst nimmt der liebe Gott sie wieder weg.</p>
+
+<p>Er ging um sie herum und betrachtete sie von allen Seiten mit demselben
+Lächeln, und dann wagte er sie wegzunehmen.</p>
+
+<p>Nein, so wunderschöne Ski hatte er noch nie gesehen; wie die Spitzen
+in die Höhe standen und wie elastisch sie waren! Ob es wohl Birkenholz
+war! Nein, es war Tanne; ja, das war auch am besten. Birkenski waren
+Plunder, denn sie zogen sich so sehr.</p>
+
+<p>Dann mußte er prüfen, ob die Bindung paßte.</p>
+
+<p>Ja, es — waren — prächtige — Ski!</p>
+
+<p>Er mußte gleich hinüber nach dem Südfeld.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p>
+
+<p>Dort waren sie schon versammelt, Jon Rönningen und Hans Svebakken und
+alle die andern, die Ski hatten, ja, sogar Lars Sagbakken, der keine
+hatte, stand schweigsam und kümmerlich da und fror. Er tat Amund heute
+richtig leid.</p>
+
+<p>Es herrschte ein großer Lärm und Spektakel. Schon von weitem sahen sie
+Amund kommen, und Jon rief:</p>
+
+<p>Nein, seht Amund mit den weiten Hosen, jetzt hat er Schneereifen
+bekommen!</p>
+
+<p>Amund vergaß, daß er nicht aufschneiden sollte:</p>
+
+<p>Auf den Schneereifen habe ich keine Angst vor dir, auch wenn du doppelt
+soviel Milchbrei in den Knien hättest.</p>
+
+<p>Dann sollten sie die Ski ansehen und begutachten.</p>
+
+<p>Jon musterte sie genau:</p>
+
+<p>Sie wären nicht sehr aufgebogen.</p>
+
+<p>Oh, sie wären allemal so gut, wie die Birkenstöcke von Jon, die beide
+Enden in die Luft setzten.</p>
+
+<p>Und dann werden sie nicht nach hinten zu schmäler. Sie würden nicht
+schnell gehen.</p>
+
+<p>Nein, aber dafür trügen sie auch, wenn der Schnee locker war. Die Ski
+sollten auch nicht wie ein Backholz sein.</p>
+
+<p>Und wie stand es, hatten sie die richtige Biegung?</p>
+
+<p>Jon nahm den einen auf und untersuchte ihn.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span></p>
+
+<p>Ja, etwas gebogen waren sie, aber nicht gleichmäßig, zuviel am
+Vorderende; bei lockerem Schnee würden sie unten einschneiden, und bei
+hartem würden sie sich kreuzen.</p>
+
+<p>Aber sie wären elastisch!</p>
+
+<p>Elastisch! Glaubte er vielleicht, daß das ein Vorzug wäre, wenn die
+Spitzen wie ein Tauende hin und her schlügen! Nein, die Thelemärker,
+die zwanzig Ellen hohe Sprünge ausführten, hätten steife Vorderenden
+mit einer ganz feinen Biegung —, so fein wie ein Flitzbogen. Solche
+wie diese könnten nicht einmal einen kleinen Satz aushalten, geschweige
+denn einen richtigen Sprung.</p>
+
+<p>Doch Amund wollte ihm zeigen, daß sie es aushalten könnten. Er erbot
+sich, überall nachzufahren, wo Jon mit seinen Birkenstöcken es ihm
+vormachte.</p>
+
+<p>Ja, sie könnten es ja erproben, — nur über den Weg da unten.</p>
+
+<p>Dann machten sie sich auf, Jon voran, und Amund hinterher über das
+Südfeld hin. Jon nahm den Sprung und kam gerade auf den Weg unten
+an. Die Knie waren ihm etwas wackelig, aber er sprang zu, so daß er
+hinüberkam.</p>
+
+<p>Es war das erstemal, daß Amund sich an etwas derartiges wagte, und
+darum hingen ihm die Hosen hinten auch noch weiter herunter als
+gewöhnlich, wie<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> er ganz zur Seite auf seinen Stock geneigt tiefe
+Furchen in den Schnee grub, so daß es stob. Er bekam zu wenig Schwung,
+kam nicht über den Wegrand, die Ski blieben stecken und knacks — —;
+trotz seiner Hinterladung flog Amund kopfüber in den Schneehaufen.</p>
+
+<p>Er sprang wie verrückt wieder in die Höhe. Er glaubte einen Knacks
+gehört zu haben. Er packte den einen Ski und riß und zerrte an ihm
+wie wahnsinnig, bis er ihn draußen hatte — das Vorderende war mitten
+durchgebrochen.</p>
+
+<p>— Damit war diese Herrlichkeit vorbei. Mit dem anderen nahm er
+sich viel Zeit. Er mußte den Handschuh tief in den Mund stecken und
+zubeißen, um das Weinen zu unterdrücken.</p>
+
+<p>So etwas hätte er sich nie träumen lassen.</p>
+
+<p>Ganz betäubt nahm er sie bei der Bindung, einen in jede Hand, ohne sie
+anzusehen und begab sich auf den Heimweg.</p>
+
+<p>Es ging langsam. Er war so seltsam dünn und klein und krumm in den
+Hosen, wie er den ausgetretenen Weg neben der Rinne mehr heraufkroch
+als ging, und es konnte schon sein, daß die Hosen beinahe hinten
+aufstießen. Er sah gerade in den Schnee, auch als er an den Kameraden
+vorbeikam, und sie ließen ihn in Ruhe; es kam ihm vor, als wären sie
+auf einmal so still geworden.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p>
+
+<p>Er ging nach Hause, und suchte so zu gehen, daß ihn niemand sah.
+Die Ski versteckte er gut unter dem Vorratsgebäude zwischen einigen
+Brettern. Dann eilte er hinauf in die Kammer.</p>
+
+<p>Wenn es <em class="gesperrt">so</em> ging, so wollte er seine Lakritze wieder haben. Er
+ging schnell ans Fenster.</p>
+
+<p>Wahrhaftig sie war schon halb aufgegessen!</p>
+
+<p>Er nahm sie mit einem Ruck:</p>
+
+<p>Gib mir meine Lakritze wieder, mein Junge, — und dann wickelte er sie
+gut ins Papier und schloß sie in seine Truhe ein.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-023">
+ <img class="w100" src="images/illu-023.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Wenn die Graugänse fliegen.</h2>
+</div>
+
+<p>Unter dem großen einsamen Ebereschenbaume oben auf der Höhe auf der
+Südseite des Hofes stand Ivar, beide Hände tief in den Hosentaschen,
+und sah über das Tal und nach dem Himmel im Süden.</p>
+
+<p>Es war schon richtiger Frühling in der Luft. Nur ganz oben an den
+Talrändern und auf den nach Norden gewendeten Abhängen lag noch Schnee,
+die Südabhänge und die langgestreckten Äcker waren schneefrei, und die
+Erde dampfte unter der milden Sonne. Oben in dem kleinen Tannendickicht
+lärmten die Elstern noch wie im Winter, aber auf den Äckern stolzierten
+die Krähen ernsthaft herum, lüfteten die Flügel, als ob es zu warm
+wäre, und schwelgten in all dem Gewürm, das die Sonne hervorlockte. Die
+Ackerfurchen entlang — Per Madslien versuchte bereits auf dem Südacker
+zu pflügen — gingen die Bachstelzen, die echten Frühlingsvögel, und
+zwitscherten und wippten mit dem Schwanz. Die Bäume trugen schwellende
+Knospen, die noch nicht aufgesprungen waren, und<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> an den Feldrainen
+guckte hier und da eine kleine, gelbe, rundliche Blume hervor; aus
+dem Tal herauf ertönte eine tiefe Kuhglocke und dazwischen hinein die
+Glocken des Kleinviehes mit ihrem scharfen hohen Ton, und durch all das
+Geläute schnitt der einförmige, langgezogene, melancholische Ton einer
+Weidenflöte — der Hirtenjunge mußte schon eine Weide gefunden haben,
+die ihre Rinde hergab. Die Luft war von Tönen aller Art erfüllt, die
+sich zu einer einzigen mächtigen Frühlingsstimmung mischten.</p>
+
+<p>Ivar schickte einen Jodler hinab, der Hirtenjunge antwortete und
+entlockte dann seiner Flöte einen langen, klagenden Ton. Es war so
+lockend, eine solche Unruhe in allen Dingen, daß es unmöglich war,
+still zu stehen und sich zu Hause zu halten; Ivar erhob schon den Fuß,
+um hinunterzurennen. Aber plötzlich richtete er seine Blicke wieder
+nach oben, dorthin, wo die Talränder im Süden sich zusammenschlossen.</p>
+
+<p>Er zog den Fuß zurück, blieb mit offnem Munde stehen, riß die Hände aus
+den Taschen und hielt sie schützend vor die Augen.</p>
+
+<p>Ja, da waren sie!</p>
+
+<p>Gerade über dem Einschnitt am Talende erschien ein kleiner dunkler
+Streifen, hoch oben in der Luft segelnd, gleichmäßig und taktfest,
+immer vorwärts!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span></p>
+
+<p>Das war die erste Schar Graugänse, auf die Ivar nun schon so viele Tage
+gewartet hatte.</p>
+
+<p>Seine Wangen röteten sich, er machte eine Wendung, als ob er ins Haus
+laufen wollte, bedachte sich aber; es war doch zu herrlich zu stehen
+und zu sehen, wie sie vorüberzogen.</p>
+
+<p>Die Schar kam näher, bog ein wenig nach der westlichen Talseite ab,
+es sah aus, als stiegen sie immer höher, je näher sie kamen. Bald
+konnte er die einzelnen unterscheiden, voran war eine große, starke als
+Wegweiser, dahinter die große Schar in zwei Linien, die in einer Spitze
+vorn zusammenliefen. Sie flogen gleichmäßig und sicher mit taktfesten
+Flügelschlägen.</p>
+
+<p>Als sie mitten vor ihm waren, packte ihn die Lust, diese Regelmäßigkeit
+zu zerstören. Die Mutter und Großmutter hatten ihm beide gesagt, daß er
+das nie tun dürfte, aber ehe er recht wußte, wie es kam, stand er da
+mit ausgestreckter Hand und zeigte auf die Schar.</p>
+
+<p>Im selben Augenblick schwankte die vorderste in der Schar und kam aus
+der Reihe, dann noch eine und noch eine, sie gerieten auseinander,
+sanken herab, verlangsamten den Flug, es war, als ob sie mit einmal die
+Kraft verlören und in die größte Verwirrung kämen.</p>
+
+<p>Lange, hilflose Schreie drangen aus der Luft<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> hernieder, verloren sich
+in der Ferne, und merkwürdig, es klang, als kämen sie von allen Seiten.</p>
+
+<p>Ebenso plötzlich wurde Ivar von einer starken Angst gepackt, als habe
+er etwas ganz Schlimmes begangen —, er wußte doch, daß es Sünde war,
+auf die Graugänse zu zeigen. Er begann ein Vaterunser zu beten — das
+hatte er gehört, war die einzige Art, es wieder gut zu machen.</p>
+
+<p>Der Wegweiser tat ein paar kräftige Flügelschläge, kam an die Spitze
+und bog mehr nach Osten ab; eine nach der andern arbeiteten sie sich
+wieder in die Höhe und bildeten wieder ihre Reihen, bald gewann auch
+die letzte mit ein paar kräftigen Schlägen den Anschluß wieder, die
+Schar glitt weiter mit taktmäßigen Flügelschlägen genau nach Norden.</p>
+
+<p>Ivar stand und folgte der Schar langsam mit den Blicken und wurde
+gerade mit dem Vaterunser fertig, so daß er ihnen das Amen nachnicken
+konnte, als sie den Tannenwald, der sich in blauer Ferne im Norden
+hinzog, erreichten und verschwanden.</p>
+
+<p>Es war, als sei die Freude daran ausgelöscht, aber er mußte nun doch
+wohl zur Großmutter hineingehen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Drinnen in der Auszüglerstube saß seine Großmutter, die alte Beret
+Madslien, in ihrem Lehnstuhl<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> und brummte. Sie war klein und
+zusammengeschrumpft und saß in der Ecke zwischen dem Kachelofen und
+dem Bett, wohlverpackt in gestrickte Tücher, mit großen gestrickten
+Socken an den Füßen und einem dunkelkarierten Tuch über dem gestrickten
+Ohrwärmer. Die Tür zur Stube stand angelehnt, und von drüben drangen
+Stimmen herüber. Beret murmelte etwas vor sich hin, zog mit Mühe den
+Ohrwärmer zur Seite und horchte:</p>
+
+<p>Hm! Hm! Ach nein, sie waren schon vorsichtig und sprachen leise, daß
+sie es nicht hören sollte! Was sie wohl wieder heimlich vorhaben
+mochten? O nein, sie sollten sich nicht einbilden, daß sie so
+davonkämen.</p>
+
+<p>Oline!</p>
+
+<p>Keine Antwort. Sie nahm ihren Krückstock, der in der Ecke am Ofen stand
+und klopfte auf die Diele.</p>
+
+<p>Oline!</p>
+
+<p>Ja — hier bin ich, Mutter! Was willst du?</p>
+
+<p>Eine energische Frau mittleren Alters erschien in der Tür.</p>
+
+<p>Ich kenne niemand, der so ist wie du, Oline. Nicht zu kommen, wenn ich
+dich rufe.</p>
+
+<p>Ich kam ja so schnell ich konnte, Mutter! und es handelt sich wohl auch
+um nichts Besondres.</p>
+
+<p>Nein, wenn du nur selber schwatzen kannst, so<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> ist es dir gleich, ob
+ich den ganzen Tag allein sitze. Wer ist drüben?</p>
+
+<p>Meinst du es sei jemand drüben?</p>
+
+<p>O ja, ich hörte es wohl! Wer ist drüben? Ich will es augenblicklich
+wissen, hörst du?</p>
+
+<p>Ja, ja, es ist ja nur Marthe Moen.</p>
+
+<p>Was will sie?</p>
+
+<p>Oline machte sich irgendetwas am Schranke zu schaffen und antwortete
+nicht.</p>
+
+<p>Hörst du nicht, Oline! Sollte man es für möglich halten! Was sie will,
+frage ich?</p>
+
+<p>Ach nichts, sie wollte bloß hören, ob sie ein Ferkel haben könnte, wenn
+wir welche bekommen.</p>
+
+<p>Hm, hm! hat man so was gehört. Du hast doch nicht etwa auch ihr eins
+versprochen?</p>
+
+<p>Sie saß eine Weile ruhig und sah gerade vor sich hin. Dann hatte sie
+das Ganze vergessen und fragte plötzlich:</p>
+
+<p>Sind Fremde drüben?</p>
+
+<p>Oline warf einen scharfen Blick auf sie, schüttelte leise den Kopf und
+sagte in milderem Tone:</p>
+
+<p>Ich sagte dir doch, daß Marthe Moen da ist!</p>
+
+<p>Nein, ist sie da? Mit ihr muß ich reden. Bitte sie, daß sie zu mir
+herauskommt, ehe sie geht.</p>
+
+<p>Ja, das will ich tun, und Oline ging wieder hinüber.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span></p>
+
+<p>Eine Weile danach kam Ivar in die Kammer.</p>
+
+<p>Ihr Gesicht hellte sich auf, sowie sie ihn sah.</p>
+
+<p>Nein, bist du es Ivar!</p>
+
+<p>Ja, Großmutter; ich kann dich von den Graugänsen grüßen — jetzt sind
+sie da!</p>
+
+<p>Pst — sie winkte mit der Hand nach der Tür — mach die Tür zu, Ivar,
+daß uns niemand hört.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Sie hatten ihre Geheimnisse, die beiden, und das war so zugegangen:</p>
+
+<p>Es war lange her, daß die alte Beret Madslien das kleine
+Auszüglerstübchen verlassen hatte. Sie war alt, und obwohl sie gut
+eingehüllt war, fror sie beständig. Ihre Hände waren ganz in Ordnung,
+aber wenn sie in ihren Stuhl gekommen war, so saß sie da und konnte
+sich nicht allein erheben. Gesicht und Gehör hatte sie so einigermaßen
+bewahrt, aber mit den anderen Sinnen war es nicht mehr weit her,
+namentlich hatte sie ganz ihr Gedächtnis und ihre Urteilskraft
+verloren. Wie alle alten Leute war sie eigensinnig und neugierig
+geworden, und es war unmöglich, ihr etwas recht zu machen; wenn sie um
+etwas gebeten hatte, so war sie im nächsten Augenblicke unzufrieden,
+wenn man es ihr gab.</p>
+
+<p>Meist ließ sie ihre schlechte Laune an Oline, ihrer eigenen Tochter
+und der Mutter des Jungen, aus,<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> weil sie am meisten um sie war. Sie
+bildete sich ein, daß sie ganz unglaublich viel zu erzählen habe.
+In Wirklichkeit war kein Zusammenhang in ihren Reden, es war dies
+und jenes, was weit, weit zurücklag, als ihr Mann noch lebte, und
+was sie nur noch in den gröbsten Zügen in der Erinnerung hatte und
+oft durcheinander mischte. Ab und zu hörte Oline ihr ja zu, aber sie
+merkte wohl, daß erwachsene Leute ihr nicht aufmerksam folgten, oft
+sogar lächelten, und das verursachte ihr Ärger. So war es gekommen,
+daß sie Ivar zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Er hörte ruhig zu, und
+es schmeichelte ihm, daß die Großmutter immer so vorsichtig war und
+flüsterte, damit kein anderer es hören sollte.</p>
+
+<p>Es war namentlich eins, womit sich die Großmutter diesen Winter
+abgequält hatte. Sie wollte ins Freie hinaus. Und das wollten sie ihr
+nicht erlauben. Einmal im Winter hatten sie ihr scheinbar nachgegeben,
+sie in die Stube hinüber und nach der Tür geführt, aber als sie so weit
+gekommen war, war sie plötzlich zornig geworden, »weil es derartig in
+der Stube aussähe« und hatte wieder in die Kammer zurückverlangt.</p>
+
+<p>Und seitdem — sie hatte wohl verstanden, daß sie ihr damals nur zum
+Schein nachgegeben hatten — sprach sie nie mehr zu den Erwachsenen von
+ihrem Wunsche, hinauszukommen; aber mit Ivar sprach sie<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> um so mehr
+davon: Sie wäre nur vor Sehnsucht krank, sie wäre sicher, sie würde
+gesund werden, wenn sie nur das Tal zu sehen bekäme und die Wiesen, und
+die Sonne fühlte. Und das sollte an dem Tage sein, wo die Graugänse
+kämen, denn dann wäre der Frühling da.</p>
+
+<p>Die beiden hatten nun miteinander ausgemacht, daß Ivar ihr an jenem
+Tage hinaushelfen sollte, ohne daß die andern etwas davon wüßten —
+deshalb hatte er drüben auf dem Hügel gestanden und nach den Graugänsen
+gespäht, heute und viele Tage vorher.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Großmutter war sehr eifrig, noch ehe Ivar die Tür geschlossen
+hatte. Dann warf sie einen langen Blick nach dem Fenster, beugte sich
+zu ihm und flüsterte:</p>
+
+<p>Flogen sie schön in Reih und Glied? Das ist ein gutes Zeichen.</p>
+
+<p>Er fuhr zusammen, wurde feuerrot und antwortete nicht gleich. Sie
+fragte auch nicht noch einmal, sondern sah ihn nur fragend an. Da sagte
+er:</p>
+
+<p>Ja, Großmutter, sie flogen sehr schön, wie ein Schneepflug.</p>
+
+<p>So sieh zu, daß du deine Mutter aus der Stube bekommst, damit wir
+durchkönnen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span></p>
+
+<p>Er ging nach der Tür.</p>
+
+<p>Nein, warte ein bißchen Ivar, zieh das oberste Kommodenfach auf, da
+findest du ein Stück gebrannten Zucker.</p>
+
+<p>Du weißt, ich bekam das letzte gestern, Großmutter.</p>
+
+<p>So, so; ich möchte dir gern etwas schenken. Sieh nach, ob du etwas
+findest, was du haben willst.</p>
+
+<p>Er ging hin, zog das Fach auf, und seine Finger griffen nach einem
+silbernen Herzen. Sie sah es.</p>
+
+<p>Ja, ja, das sollst du haben, Ivar.</p>
+
+<p>Er war hocherfreut, aber da fiel sein Blick auf die Großmutter, und er
+dachte daran, daß er nicht die Wahrheit gesagt hatte.</p>
+
+<p>Nein, Großmutter, ich kann es ja später einmal haben, sagte er
+kleinlaut, legte es wieder ins Fach und ging hinaus. Bald darauf kam er
+schnell wieder herein, nahm einen Stuhl und trug ihn hinaus. Dann kam
+er wieder herein:</p>
+
+<p>Mutter ist mit Marthe Moen im Schweinestall.</p>
+
+<p>So?</p>
+
+<p>Ja, und nun habe ich einen Stuhl an die Südwand gestellt. Komm nun,
+Großmutter!</p>
+
+<p>Er reichte ihr den Krückstock und setzte die Spitze ordentlich auf der
+Diele zurecht, daß er fest stehen sollte, darauf stemmte er die Achsel
+unter ihren andern<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> Arm und richtete sich auf. Sie kam in die Höhe. Sie
+war sehr eifrig, und die Spannung verlieh ihr Kräfte; es ging leichter,
+als sie erwartet hatte. Über die Türschwelle nach der Stube ging es
+gut, denn sie war ganz niedrig, aber als sie die Stube erst hinter sich
+hatten, wurde es schlimm. Sie mußte sich an den Türpfosten lehnen, und
+er beugte sich nieder und hob ihr den einen Fuß über die Schwelle,
+— sie konnte ihn nicht so hoch heben. Dann mußte sie sich ein wenig
+drehen, damit er auch den andern hinüberheben konnte.</p>
+
+<p>Ein Schauder überfiel sie, es war, als würde sie noch kleiner, als sie
+durch die Tür kam und die frische Luft ihr entgegenschlug. Doch sie
+ermannte sich und versuchte zu lachen:</p>
+
+<p>Was für ein Unsinn, soll ich nicht hinauskommen, ich bin ja frisch wie
+in der Jugend!</p>
+
+<p>Eifriger setzten sie ihren Gang längs der Wand fort, bald waren sie an
+der Ecke. Da fing sie an müde zu werden. Das erste, wonach sie sah,
+war der Stuhl. Er stand noch ein Stück weit entfernt, zwischen beiden
+Fenstern. Sie krochen weiter. Ein paar Schritte vom Stuhle entfernt
+konnte sie nicht mehr, ließ den Stock los, streckte die Hand hilflos,
+sehnsüchtig nach der Stuhllehne aus, taumelte einen Schritt weiter, riß
+Ivar mit sich und bekam gerade<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> den Stuhl zu fassen. Sie sank schwer
+darauf nieder, und Ivar setzte sie zurecht.</p>
+
+<p>Die Sonne schien warm auf die Hauswand, das Bachesrauschen kam in
+steigenden und fallenden Wellen, Vögel zwitscherten, Insekten summten,
+— der Frühling lag in der Luft.</p>
+
+<p>Ivar stand da und sah sie an. Es fiel ihr schwer, den Kopf aufrecht zu
+halten, sie hob ihn langsam, begann an der einen Seite und ließ den
+Blick langsam rund um den ganzen Gesichtskreis wandern, aber es war ein
+matter und gleichgültiger Blick, und dann sank der Kopf wieder nach
+vorn und sie sah vor sich hin. Angst und Enttäuschung überfielen Ivar:</p>
+
+<p>Ist es dir nicht gut, Großmutter?</p>
+
+<p>Sie fuhr zusammen, schauderte, als sie seine Stimme hörte — im selben
+Augenblick fuhr auch ein kalter Luftzug um die Ecke.</p>
+
+<p>Hm! Alles wird verdorben! Die Flur ist nicht wie in alten Tagen.</p>
+
+<p>Ivar machte große Augen.</p>
+
+<p>Wie war es denn damals Großmutter?</p>
+
+<p>Viel, viel schöner. Und die Sonne ist auch nicht mehr warm! Ja, nichts
+hat mehr seine richtige Ordnung. Ich will wieder hinein, mich friert!
+Hu!</p>
+
+<p>Ivars Stimme zitterte, und er hatte Tränen in den Augen:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p>
+
+<p>Ja, ja, Großmutter, wir wollen wieder hinein! Komm!</p>
+
+<p>Hu, wie kalt! Nein, ich kann nicht, du mußt deine Mutter holen!</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am folgenden Tage waren eine Menge Leute in dem kleinen
+Auszüglerstübchen. Die Großmutter lag im Bett und phantasierte. Der
+Doktor war eben fort und hatte gesagt, es sei Lungenentzündung, und
+es sei nicht wahrscheinlich, daß die Großmutter in ihrem Alter sie
+überstehen würde. Die anderen waren ruhig und sprachen leise, aber sie
+weinten nicht weiter. Oline mußte doch hier und da, wenn die Großmutter
+im Fieber etwas recht Seltsames sagte, den Schürzenzipfel gebrauchen.
+Nur Ivar stand im Winkel beim Schranke und weinte unaufhaltsam. Niemand
+konnte es begreifen, denn Kinder pflegen so etwas nicht so ernst
+zu nehmen. Er hatte auch gestern den ganzen Tag geweint, und daher
+hatten sie ihn nicht weiter gescholten, und niemand hatte ihm von dem
+Ausspruch des Doktors erzählt, daß sie sich gestern erkältet habe, und
+daß er gewissermaßen daran schuld sei.</p>
+
+<p>Es war ganz still in dem Kämmerchen, nur die Großmutter phantasierte
+und Ivar schluchzte.</p>
+
+<p>Plötzlich wurde die Großmutter still. Nach einer Weile stieß sie einen
+leisen Klagelaut aus und sah<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> sich um. Dann sagte sie mit einem seltsam
+milden Klang in der Stimme, so daß alle hörten, daß sie bei Bewußtsein
+war:</p>
+
+<p>Ist es Ivar, der so weint?</p>
+
+<p>Ja, sagte Oline. Ivar, die Großmutter fragt nach dir.</p>
+
+<p>Er ging hin, warf sich vor dem Bett auf die Knie und flüsterte:</p>
+
+<p>Es war nicht wahr, Großmutter; denn ich zeigte gestern auf die
+Graugänse.</p>
+
+<p>Ja, aber dann betetest du ein Vaterunser, wie ich dich gelehrt habe.</p>
+
+<p>Darauf sagte sie leicht mit einem Lächeln:</p>
+
+<p>Nein, wahrhaftig Oline, das hätte ich bald vergessen. Ivar soll das
+silberne Herz von mir haben.</p>
+
+<p>Das war das letzte, was die Großmutter sagte.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-037">
+ <img class="w100" src="images/illu-037.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span></p>
+
+<h2 class="p2">In Großvaters Auftrag.</h2>
+</div>
+
+<p>Burman saß auf dem Schwanz draußen im Hof im Sonnenschein. Er blickte
+mit dem einen Auge verstohlen nach den Hühnern, die vorsichtig in
+einem großen Bogen um ihn herumgingen und sich nicht getrauten ihm zu
+nahe zu kommen, und mit dem andern verfolgte er, was sich sonst im Hof
+zutrug: die Katze, die sich am Hause lang drückte und sich jedesmal
+flach auf den Boden legte, wenn die Turmschwalben wie schwarze Streifen
+vorüberflogen, daß es in der Luft pfiff, die Bachstelzen, die hin und
+her trippelten und Insekten fingen, und die beiden kleinen Ferkel, die
+drüben an der Stalltür herumwühlten. Er döste leise vor sich hin, denn
+es gab heute nicht viel zu tun, die Hühner schienen nicht in den Garten
+gehen zu wollen, und die Haustür war geschlossen, so daß die Ferkel
+nicht hineinkommen und Unheil anstiften konnten.</p>
+
+<p>Da ging die Tür vorsichtig auf und Burman drehte den Kopf. Es war der
+kleine Jon, der auf<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> die Steinfliesen hinauskam und die Tür behutsam
+hinter sich schloß.</p>
+
+<p>Was das wohl bedeuten sollte? Er sah sich so schlau um und trug etwas
+unter der Jacke.</p>
+
+<p>Als Jon sich ein wenig umgesehen hatte, eilte er über den Hof hinter
+das Vorratsgebäude; er machte auch einen kleinen Bogen um Burman, denn
+die beiden waren nicht besonders gute Freunde. Jon fand, daß Burman
+häßlich war mit seinen langen Zotteln, und dann wedelte er nie mit
+dem Schwanz, wenn er ihn streichelte und sah ihn auch nie an, sondern
+blickte nur geradeaus und saß ganz still oder ging seiner Wege. Und das
+tat Burman, weil er der Ansicht war, er hätte wichtigeres zu tun, als
+sich mit so einem Jungen einzulassen, der einem lästig genug werden
+konnte, wie er aus seinen jüngeren Tagen wußte.</p>
+
+<p>Eine Weile darauf kam Jon zurück — jetzt hatte er nichts mehr unter
+der Jacke —, er ging hinunter und stellte sich auf den großen Stein
+auf der anderen Seite des Hauses.</p>
+
+<p>Burman blickte ihm nach, bis er um die Ecke war, dann erhob er sich,
+sah sich noch einmal um und trottete hinter das Vorratsgebäude, er
+wollte sehen, was Jon dort hingelegt hatte. Er schnüffelte ein wenig
+herum und dann fand er verborgen unter einer Steinfliese an der Wand
+ein Tuch, in das etwas eingewickelt<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> war; an dem Geruch merkte er
+gleich, daß es Butterbrot war. Hm, es war am besten, heute ein Auge auf
+Jon zu haben!</p>
+
+<p>Er ging wieder in den Hof, etwas weiter vor als vorher, so daß er am
+Haus vorbeisehen konnte, setzte sich gleichgültig auf den Schwanz und
+tat nicht dergleichen.</p>
+
+<p>Da stand Jon auf dem Stein und lehnte sich an die Wand. Er hatte
+wahrhaftig auch den neuen Schal um. Er stand mit einem sehr ernsten und
+vornehmen Gesicht da und versuchte tiefe und feine Verbeugungen mit dem
+Kopfe zu machen, und bei jedem Mal sagte er:</p>
+
+<p>Guten Tag.</p>
+
+<p>Endlich schien es ihm, als ob er es könnte.</p>
+
+<p>Eine tiefe Verbeugung:</p>
+
+<p>Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold?</p>
+
+<p>Er antwortete auch für den andern:</p>
+
+<p>Ja, der bin ich. Aber nimm erst mal Platz.</p>
+
+<p>O, danke, ich finde schon Platz.</p>
+
+<p>Woher kommst denn du?</p>
+
+<p>Ich bin von Sörbö — ich sollte hierher gehen und dich vom Großvater
+grüßen und dir sagen, er erwartete dich in den nächsten Tagen, da er
+etwas hätte, was er unbedingt mit dir besprechen müßte.</p>
+
+<p>Nein, was du nicht sagst. Ja, dann geh bitte in die Gaststube und
+gedulde dich bis morgen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span></p>
+
+<p>Er wiederholte es noch einmal, aber als er das drittemal anfangen
+wollte, kamen die Leute zum Frühstück, und er setzte sich auf den Stein
+und tat nicht dergleichen.</p>
+
+<p>Die Sache war, daß Jon sich vorgenommen hatte, heute einen Auftrag vom
+Großvater zu besorgen, doch das sollte niemand wissen, nicht einmal
+Großvater selber.</p>
+
+<p>Der alte Jon Sörbö, der Großvater, war jetzt so alt und schwach, daß
+er schon das dritte Jahr zu Bett lag. Er war nicht krank, aber die
+Kräfte reichten nicht länger, und das Gedächtnis begann auch allmählich
+nachzulassen. Wie alle seinesgleichen war er ziemlich quengelig
+geworden; wenn er sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es
+nicht leicht, es ihm auszureden. Und trotzdem alle versuchten, ihm,
+soweit es anging, seinen Willen zu lassen, so fand er doch oft, daß sie
+unbillig gegen ihn waren, und es gab eigentlich nur einen, der wirklich
+gut mit ihm auskam und sein Vertrauter war; das war der kleine Jon —
+der hieß ja auch nach dem alten Jon und war der zukünftige Hofbesitzer,
+der alles auf Sörbö wieder in die gute alte Ordnung bringen sollte, —
+denn der Alte fand, daß Jons Vater, der jetzt den Hof hatte, sich in
+vielen Dingen ganz seltsam anstellte.</p>
+
+<p>Im Frühjahr nun hatte der alte Jon es sich in<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> den Kopf gesetzt, daß er
+absolut mit seinem alten Freund, Peter Sandvold, sprechen müßte. Was er
+eigentlich von ihm wollte, wußte er wohl selber nicht so recht, aber
+die Sehnsucht nach dem alten Freunde war da. Erst machte er dem Sohne
+nur eine Andeutung, indem er sagte:</p>
+
+<p>Jetzt, wo es auf den Sommer geht, werde ich wohl so weit zu Kräften
+kommen, daß ich auf sein kann, und da will ich den Peter Sandvold
+besuchen, ich muß notwendig etwas mit ihm besprechen.</p>
+
+<p>Er sah, wie der Sohn in den Bart lächelte, als er antwortete:</p>
+
+<p>Ja, das solltest du wirklich tun, Vater.</p>
+
+<p>Aber der Sommer kam und Jon fühlte sich nicht kräftig genug um
+aufzustehen.</p>
+
+<p>Daher sagte er eines Tages:</p>
+
+<p>Du mußt nach Peter schicken; ich muß ihn sprechen.</p>
+
+<p>O ja, das will ich gern bei Gelegenheit tun.</p>
+
+<p>Doch der Alte verstand wohl, was das hieß, und schickte den kleinen Jon
+hinterher, und der konnte später berichten, daß der Vater drüben in der
+Stube gesagt hätte:</p>
+
+<p>Es ist Unsinn, bei Peters hohem Alter, aber wir wollen so tun, als ob
+wir damit einverstanden wären, dann vergißt er es bald.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p>
+
+<p>Seitdem vertraute der Alte sich keinem anderen als dem kleinen Jon
+an. Er spekulierte und spekulierte, wie er es anfangen sollte, eine
+Botschaft zu senden. Weit war es ja, auf der Landstraße zwei und eine
+halbe Meile, aber quer über den Bergrücken knapp eine, wenn man den
+direkten Weg durch den Wald einschlug. Gestern nun hatte der kleine Jon
+ihm heimlich Feder und Papier gebracht, und er versuchte zu schreiben:
+aber es ging nicht und sie waren einig, daß sie warten müßten, bis der
+kleine Jon schreiben gelernt hätte; aber er sollte erst zum Herbst in
+die Schule kommen.</p>
+
+<p>Als der Alte das hörte, seufzte er:</p>
+
+<p>Herrgott, das wird ein langes Wartejahr.</p>
+
+<p>In diesem Augenblicke tauchte in dem kleinen Jon der Gedanke auf, über
+den Bergrücken hinüber zu Peter Sandvold zu gehen, um ihm Großvaters
+Botschaft zu überbringen.</p>
+
+<p>Das war es, was er heute heimlich vorhatte, und dafür hatte er den
+Reiseproviant verborgen.</p>
+
+<p>Er blieb ruhig stehen, bis die Schnitter die Sensen hingelegt, gegessen
+und sich zur Ruhe ausgestreckt hatten.</p>
+
+<p>Darauf eilte er hinter das Vorratshaus, holte das Bündel mit dem
+Proviant und machte sich auf den Weg.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p>
+
+<p>Burman war das einzige Lebewesen auf dem Hofe, das ihn sah.</p>
+
+<p>Er drehte sich um, setzte sich ganz ruhig wieder hin und sah nach der
+Höhe hinauf.</p>
+
+<p>Er wollte wohl zu Sjur Pladsen, dahin war er oft allein gegangen.</p>
+
+<p>Auf einmal spitzte Burman die Ohren — da schlug er den Waldweg ein,
+und jetzt war er auch schon im Walde verschwunden.</p>
+
+<p>Burman begann mit seiner tiefen Stimme zu bellen, daß es zwischen den
+Häusern und über das Tal hin hallte.</p>
+
+<p>Bald darauf trat Jons Vater auf die Schwelle, zornig, weil er geweckt
+worden war.</p>
+
+<p>Kaum hörte Burman die Tür gehen, so bellte er noch lauter, lief ein
+paar Sprünge den Weg aufwärts und sah sich um.</p>
+
+<p>Verdammter Köter! Uns alle zu wecken!</p>
+
+<p>Burman bellte weiter.</p>
+
+<p>Pfui, willst du ruhig sein! — er nahm einen Stein und warf nach ihm.</p>
+
+<p>Burman jagte mit eingeklemmtem Schwanz auf den Hof zurück, legte sich
+mit einem beleidigten Blick nieder und sagte nichts mehr.</p>
+
+<p>Als sie nach der Frühstückspause herauskamen, bellte er wieder
+hartnäckig nach dem Wege, der in die<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> Höhe führte, hin. Die Männer
+folgten der Richtung mit den Blicken, und einer sagte:</p>
+
+<p>Was hat der Hund? Ob sich ein Landstreicher gezeigt hat.</p>
+
+<p>Aber der Bauer antwortete:</p>
+
+<p>Ach was, Unarten sind es. Pfui, willst du ruhig sein, wenn es nichts zu
+bellen gibt — darauf gingen sie alle wieder aufs Feld und Burman legte
+sich wieder still auf dem Hofe nieder, die Augen spähend nach der Höhe
+gerichtet.</p>
+
+<p>Als sie zu Mittag wiederkamen, probierte Burman es noch einmal, sprang
+bellend den Weg hinan und wieder zum Bauern zurück, wieder hinauf und
+wieder zurück. Doch da wurde der Bauer ernstlich böse:</p>
+
+<p>Pfui, willst du ruhig sein, — er gab ihm einen Tritt, daß er
+fortrollte — hat man je so einen Köter gesehen.</p>
+
+<p>Während sie hineingingen, sandte Burman ihnen einen langen Blick nach,
+dann trottete er, den Schwanz schwer hinter sich herschleppend mit weit
+heraushängender Zunge in der heißen Sonnenglut langsam bergauf.</p>
+
+<p>Der kleine Jon war gewohnt, sich allein herumzutreiben, und niemand
+hatte ihn vermißt. Erst als sie gegessen hatten, sagte die Mutter:</p>
+
+<p>Wo mag der kleine Jon sein? Hat ihn einer gesehen?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span></p>
+
+<p>Nein, niemand hatte ihn seit dem Frühstück gesehen.</p>
+
+<p>Sollte er beim Großvater draußen sein?</p>
+
+<p>Sie ging in die Kammer hinaus und fragte.</p>
+
+<p>Nein, der Großvater hätte ihn seit dem frühen Morgen nicht gesehen, er
+hätte es so eilig gehabt.</p>
+
+<p>Sie begann unruhig zu werden und suchte im Hofe überall, wo er sich
+sonst aufhielt. Die Angst wuchs, sie kam herein und bat eins der
+Mädchen, zu Sjur Pladsen hinaufzuspringen und zu sehen, ob er da wäre.</p>
+
+<p>Ihre Unruhe begann die andern anzustecken, und alle fingen an, sich zu
+wundern.</p>
+
+<p>Das Mädchen kam zurück und sagte, Sjur hätte nichts von ihm gesehen.</p>
+
+<p>Da gingen sie hinaus, einer nach dem andern, umkreisten alle Häuser,
+guckten hinein, und schließlich begann die Mutter ihn zu rufen.</p>
+
+<p>Bei dem Rufen schien über alle die Angst zu kommen, und bald rief jeder
+nach einer andern Richtung. Keine Antwort.</p>
+
+<p>Da erinnerte sich der Bauer an Burman:</p>
+
+<p>Sollte der Junge in den Wald gelaufen sein; der Hund benahm sich heute
+zu merkwürdig!</p>
+
+<p>Ja, daran erinnerten sich alle. Sie fingen an Burman zu locken und
+waren nicht wenig verwundert,<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> als er nicht kam, denn Burman entfernte
+sich nie vom Hofe.</p>
+
+<p>Ja, sagte der Bauer, da bleibt nichts anderes übrig, wir müssen das Heu
+liegen lassen und in den Wald ziehen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Als der kleine Jon den Waldweg aufwärts stieg, stieß er auf einen
+sehr steilen, steinigen Hügel, auf den die Sonne mit aller Kraft
+herniederbrannte. Aber das kümmerte ihn weiter nicht, und er stieg
+mutig darauf los; je weiter er kam, um so krümmer wurden seine Knie und
+der Hosenboden wurde so merkwürdig schwer; als er halb oben war, mußte
+er Halt machen und die Jacke ausziehen. Er nahm sie über den Arm und
+zog weiter.</p>
+
+<p>Nach einer Stunde war er oben, und nun ging der Weg sanft ansteigend im
+Walde weiter.</p>
+
+<p>Er setzte sich — er meinte, er müßte nun doch bald da sein; er wußte
+allerdings nicht ganz genau, wie lang eine Meile war, aber so übermäßig
+weit konnte es jetzt nicht mehr sein. Vielleicht war er dem Hof ganz
+nahe und hatte sich bloß nicht richtig danach umgesehen.</p>
+
+<p>Er blickte vorwärts.</p>
+
+<p>Nein, nichts als dichter Wald zu beiden Seiten des Weges; er mußte sich
+vielleicht beeilen, wenn er bis zum Abend da sein wollte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span></p>
+
+<p>Er stand auf und lief weiter; jetzt kam ihm sein Auftrag wieder in den
+Sinn:</p>
+
+<p>Eine tiefe Verbeugung:</p>
+
+<p>Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold?</p>
+
+<p>Ja, der bin ich — aber nimm erst mal Platz, bitte.</p>
+
+<p>O, danke, ich finde schon Platz!</p>
+
+<p>Wo kommst du her?</p>
+
+<p>Von Sörbö, ich sollte hierhergehen und dich vom Großvater grüßen und
+sagen, du möchtest bald kommen und ihn besuchen, er müßte durchaus mit
+dir etwas besprechen.</p>
+
+<p>Nein, sieh an; dann gehe bitte in die Gaststube und gedulde dich bis
+morgen.</p>
+
+<p>Die Gedanken liefen weiter:</p>
+
+<p>Und dann gehe ich in die Kammer und sie bieten mir Bewirtung und Kaffee
+und Gebäck, und abends lege ich mich in ein Daunenbett so hoch, so hoch
+— —</p>
+
+<p>In diesem Augenblicke flog ein Birkhahn gerade vor seinen Füßen auf und
+er erschrak, daß er schluckste. Er sah gerade so viel von ihm, daß er
+erkannte, daß es ein Vogel war, aber der Schrecken saß in ihm.</p>
+
+<p>Er blieb eine Weile ganz still stehen, ehe er sich umsah. Da sah er,
+daß der Weg verschwunden war und er mitten im Walde stand.</p>
+
+<p>Pah, den Weg würde er wieder finden. Er ging nach der Seite, aber er
+war jetzt so merkwürdig<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> vorsichtig geworden, als ob er Angst hätte,
+daß ein Zweig krachte, wenn er die Füße aufsetzte.</p>
+
+<p>So ging er lange. Es war seltsam, als ob die Erde den Weg verschlungen
+hätte. Und so unheimlich still! Er fuhr zusammen und horchte, wenn nur
+ein Eichhörnchen mit einem Tannenzapfen raschelte.</p>
+
+<p>Er ging und ging, schneller und schneller, schließlich rannte er; es
+knackte so unheimlich, es raschelte überall; die Mundwinkel verzogen
+sich wie zum Weinen, aber es kam nicht zu Tränen, nur vorwärts ging es
+in immer schnelleren Sprüngen; es war, als verfolge ihn etwas, als käme
+es auch von den Seiten, er lief und lief, — — — bis er über eine
+Baumwurzel stolperte und im Heidekraut unter einer großen Tanne liegen
+blieb.</p>
+
+<p>Er erhob sich rasch mit einem Schrei in sitzende Stellung, jetzt,
+dachte er, hatte es ihn gepackt.</p>
+
+<p>Nein, es war nichts; aber es war ihm, als ob es rings im Walde auf
+ihn lauerte; er wagte nicht sich zu rühren, sondern kroch nur tiefer
+unter die Tannenzweige, gerade als ob der kleine Fleck ihm Sicherheit
+gewährte.</p>
+
+<p>So blieb er lange sitzen, und spähte und forschte nach allen Seiten in
+ängstlicher Spannung.</p>
+
+<p>Da hörte er hinter sich, wo er hergekommen war, etwas rascheln.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span></p>
+
+<p>Er drückte sich unter die Tannenzweige und riß die Augen weit auf. Da
+kam es, etwas Großes, Schwarzes — immer näher - gerade auf ihn los —
+— — er sah einen Schwanz, der sich vergnügt in die Luft streckte, ein
+paar sanfte Augen sahen ihn an.</p>
+
+<p>Er brach in Tränen aus und schlang beide Arme um Burmans Hals.</p>
+
+<p>Diesmal hatte Burman nichts dagegen; er legte sich nieder und leckte
+ihm Gesicht und Hände.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am nächsten Tage bekam der kleine Jon Wagen und Kutscher, um auf der
+Landstraße hinzufahren und zu fragen, ob Peter Sandvold auf Besuch zum
+alten Jon Sörbö kommen könnte.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-050">
+ <img class="w100" src="images/illu-050.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Kirchenexamen vor dem Bischof.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Es ist ein strahlender Sommermorgen oben auf einer Sennhütte. Sie
+liegt gerade am Talrand mit Aussicht bis hinunter, umgeben von kleinen
+niedrigen Wäldchen, die sich auf dem sanften Abhang nach den kahlen
+Höhen hinaufziehen. Die Sonne ist schon längst am Himmel — sie geht
+um drei auf — und scheint auf die drei oder vier kleinen Sennhütten
+herab, wo sich die Türen eben wie kleine, schwarze Rachen geöffnet
+haben und wo lange blaue Rauchstreifen mit einer leise südlichen
+Neigung emporsteigen. Auf der Schattenseite der Tannen glitzern die
+feinen Tauperlen in den Tannennadeln und den Spinneweben, und in den
+Frauenmänteln und Salbeiblättern auf der Wiese liegen große, glänzende
+Tropfen. Die Luft ist klar und still; die bewaldeten Gipfel ringsumher
+und der Neusäterberg im Hintergrund rücken ganz nahe in der hohen,
+klaren Luft. Über den Tannenwipfeln schwärmen einige Krähen, und in dem
+Steinhaufen drüben auf der Wiese huschen ein paar<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> Wiesel hin und her.
+In Wald und Feld herrscht tiefe Stille.</p>
+
+<p>Da ertönt ganz in der Ferne der Klang einer tiefen Glocke, und unter
+dem Neusäterberg kommt eine Herde wie ein langer weißer Streifen vor,
+— die Uhr geht so unglaublich schnell drüben auf dem Neusäter.</p>
+
+<p>In der obersten Sennhütte, vor der eine lange flache Wiese sich
+hinzieht, öffnet sich die Kuhstalltür, der Hirtenjunge kommt auf die
+Wiese heraus mit einem Milcheimer in der Hand, den Strohhut weit hinten
+im Nacken, und blinzelt gegen die Sonne. Er geht hin, öffnet das
+Zauntor, geht zum Kleinvieh hinein und beginnt die Ziegen zu melken. Er
+bewegt die Lippen, als spräche er mit sich selbst, es sieht aus, als ob
+seine Gedanken wo anders weilen, er achtet nicht auf die Ziegen, die
+sich an ihn herandrängen, um die ersten zu sein. Die Schafe liegen in
+dichten Haufen und wiederkäuen, die Ziegen dehnen sich; nirgends ist
+Lärm. Aus dem Kuhstall hört man wie die Hörner gegen die Wand stoßen,
+jedesmal wenn eine Kuh aufsteht.</p>
+
+<p>Auf einmal entsteht Lärm:</p>
+
+<p>Lykkelin! Du sollst nicht die Schafe mit deinen Hörnern stoßen!</p>
+
+<p>Die Schellenziege, Lykkelin, war drüben in einer Ecke vom Viehgatter
+aufgestanden, streckte sich, und<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> stieß an ein Schaf, daß es in den
+Rippen krachte, dann schwankte sie mitten durch die Schafe hindurch, so
+daß ein breiter Weg entstand, bis zum Hirtenjungen, der rittlings über
+Blaasale saß und sie melkte. Dort drückte sie sich an seinen Schenkeln
+entlang, bis sie ihren Kopf in derselben Höhe hatte wie Blaasale.
+Blaasale bog ihren Kopf so weit weg, wie sie konnte und sah nach der
+andern Seite. Doch plötzlich fühlte sie Lykkelins scharfes Horn unter
+ihrem Kinn, und machte einen Satz, so daß der Hirtenjunge hinter sie zu
+sitzen kam und der Milcheimer umkollerte.</p>
+
+<p>Den Teufel auch — — —!</p>
+
+<p>Er sprang auf und setzte Lykkelin nach.</p>
+
+<p>Großer Aufruhr entstand, die Schafe liefen gerade gegen das Gatter, daß
+es krachte, die Schellen klingelten, als wäre ein Hund in der Herde.</p>
+
+<p>In Jesu Namen, was ist denn los, Gudbrand!</p>
+
+<p>Es war die Mutter, die durch die Kuhstalltür heraussah.</p>
+
+<p>Es ist diese elende heimtückische Lykkelin; die Milch von sechs Ziegen
+hat sie umgeworfen und mich in den Dreck gesetzt, aber ich werde — hol
+mich der Teufel — —</p>
+
+<p>Er machte einen Satz und faßte Lykkelin drüben in einer Ecke. Da packte
+er sie beim Bart:</p>
+
+<p>Ich werde dich lehren, dich anständig zu betragen!<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> Weißt du, was du
+getan hast? Du hast mich in den Dreck gesetzt. Weißt du nicht, daß ich
+dein Herr bin, und daß ich heute vor dem Bischof examiniert werde!
+Könntest du vielleicht dem Bischof antworten, du Wüterich! Ja, kratze
+nur mit dem Fuß, diesmal — er schüttelte sie hart am Bart, so daß
+Lykkelin einen verzweifelten Sprung machte und wieder los kam.</p>
+
+<p>Teufel —</p>
+
+<p>Nein, du darfst heute nicht so fluchen, Gudbrand, denke an den Bischof!</p>
+
+<p>Ach, ich denke schon, der Bischof hätte auch ein kleines Gebet
+angefangen, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre.</p>
+
+<p>Pfui, wie du redest, Gudbrand! Du wirst so großmäulig, daß ich mir
+nicht zu helfen weiß. Geh hinein und nimm dein Buch und lies den
+zweiten Artikel noch einmal durch, denn die Werke des heiligen Geistes
+kannst du gar nicht, ich werde die übrigen Ziegen melken.</p>
+
+<p>Doch, allerdings, die kann ich; ich war gerade mitten im dritten
+Artikel, als Lykkelin zustieß. Ich will es nicht mehr durchkauen, blos
+weil es ihnen einfällt, uns mitten im Sommer zu prüfen. Und dann glaube
+ich schon, daß ich trotzdem einer bin, der seinen Mann steht.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p>
+
+<p>Ja, meinetwegen, wenn du die Schande haben willst! Es ist wirklich der
+Mühe wert, daß ich mich abplage, um dir neue Schuhe und eine neue Jacke
+zu verschaffen, daß du wie anständiger Leute Kind aussehen sollst, wenn
+du dahin kommen willst und dich als Heiden zeigen. Denn du hast den
+ganzen langen Sommer nicht in die Bücher gesehen außer in den letzten
+Tagen!</p>
+
+<p>Sie war mitten in das Viehgatter hineingekommen und nahm ihm den
+Milcheimer fort.</p>
+
+<p>So geh herein, und wasch dich wenigstens und zieh dich an, du mußt bald
+gehen!</p>
+
+<p>Gudbrand ging langsam hinein.</p>
+
+<p>Dann rief sie ihm nach:</p>
+
+<p>Es liegt ein reines Hemd auf dem Bordbrett über dem Bett.</p>
+
+<p>Jetzt fingen sie auf der unteren Sennhütte an, das Vieh loszubinden.
+Es entstand ein Brüllen und Meckern und Schellenläuten und die Hirten
+lockten die Ziegen, daß es gegen den Neusäterberg hallte. Sie zogen
+in langer Reihe am Zaun entlang den Berg herauf, voran das Kleinvieh,
+rasch und lebhaft über die Wiese hin springend und sich balgend;
+hinterher kamen die Kühe, langsam und schwer und sahen sich um.</p>
+
+<p>Kjersti Nerlien folgte selbst mit und trieb sie an; am Gatter blieb sie
+stehen und blickte hinüber. Ihre<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> beiden Kälbchen blieben auch stehen
+und standen und kauten an ihrem Rock.</p>
+
+<p>Bist du noch beim Melken, Randine?</p>
+
+<p>Ja, und du treibst schon die Tiere heraus! Bei mir dauert heute alles
+so gräßlich lange.</p>
+
+<p>Ja, du hast wohl keine Hilfe heute? Gudbrand muß doch zum Kirchenexamen?</p>
+
+<p>Ja, es kommt doch noch dazu; er bekam die Schuhe gestern Abend spät.</p>
+
+<p>Ja, für ihn ist das keine Sache, er ist ja so tüchtig im Lernen; ich
+bin wirklich froh, daß mein Sigvart noch zu jung ist.</p>
+
+<p>Ach, ja, ich habe mich so für ihn abgemüht, daß ich hoffe, er wird mir
+wenigstens nicht Schande machen, aber es ist nun einmal sonderbar, wo
+soviele Kinder von besseren Leuten hinkommen.</p>
+
+<p>Gudbrand kam wieder heraus, furchtbar fein, mit neuen Schuhen, neuer
+Jacke, neuem Schal und gewaschen, daß das Wasser ihm von den Haaren
+triefte. Er trat vorsichtig und sprang auf die Steine, um die neuen
+Schuhsohlen nicht zu beschmutzen. Er fühlte sich wie ein anderer
+Mensch, beinahe erwachsen. Er zog an der Weste, und rückte den Schal
+gerade, steckte die Hände erst in die Hosentaschen, aber die waren so
+weit unten, daß er die Knie hätte krumm machen müssen; dann steckte er
+sie in die Jackentaschen<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> und spreizte sie weit nach beiden Seiten. Das
+war männlicher, fand er.</p>
+
+<p>Da haben wir den Jungen, der vor den Bischof soll, sagte Kjersti, so
+fein wie ein neugeprägter Groschen. Das ist meiner Treu ein Junge, der
+sich vor Pröpsten und Bischöfen sehen lassen kann.</p>
+
+<p>Gudbrand antwortete nicht; er blieb mit weit auseinander gespreizten
+Beinen stehen und spuckte aus dem einen Mundwinkel:</p>
+
+<p>Sind das deine Kälber?</p>
+
+<p>Ja, das sind meine.</p>
+
+<p>Es sind ganz schöne Kälber.</p>
+
+<p>Da verstehst du viel davon, sollte ich meinen, sagte die Mutter.</p>
+
+<p>Bist du so weit fertig, daß wir sie jetzt losbinden können? Es ist
+keine Art, daß wir so weit hinterher sein sollen!</p>
+
+<p>Ja, jetzt bin ich fertig; aber du sollst heute nichts mit dem Losbinden
+zu tun haben; du hast ja die neuen Sachen an.</p>
+
+<p>O doch, es ist schon am besten, daß ich selber dabei bin. Wenn sie
+ungehütet herumgehen sollen, so ist es am sichersten. Ich werde
+Lykkelin auf den rechten Weg setzen. Es ist eine eigene Sache, wenn man
+den ganzen Tag wegbleibt.</p>
+
+<p>Er öffnete das Gattertor, und Schafe und Ziegen<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> drängten sich so
+hastig herbei, daß sie zwischen den Torpfosten stecken blieben und
+sich mühsam hindurch pressen mußten. Hüpfend und um die Wette laufend
+zogen sie über die Wiese, wobei einige besonders vorlaute Ziegen
+hier und da einen Abstecher machten; eine machte eine Wendung nach
+dem Schweinekoben, um zu sehen, ob nicht ein bißchen Mehlbrei übrig
+wäre, eine andere steckte den Kopf zum Kuhstall hinein, ob nicht Salz
+verschüttet wäre, eine dritte preßte den Kopf durch die Stäbe des
+Gatters und streckte den Hals nach einem Büschel Gras drinnen auf der
+Sennwiese.</p>
+
+<p>Als Gudbrand sie gesammelt hatte, erteilte er Lykkelin seine Befehle.
+Jetzt sollte sie es ihm danken, daß er ihr sein Vertrauen geschenkt
+hatte; sie sollte nicht vor dem Abend nach Hause kommen; aber da sollte
+sie auch kommen und alle mit sich haben. Und sie täte am besten, nicht
+nach den Hammerbergen hinunterzugehen, denn es war so schwer, von
+dort wieder hinaufzukommen, daß sie die Milchziegen nicht mitbekommen
+würde, sie sollte sich oben auf den Lövhügeln halten. Damit fuhr er
+fort, solange die Sennhütte zu sehen war, aber als er hinter das erste
+Wäldchen kam, ließ er sie ziehen und legte sich hinter eine kleine
+Tanne. Hier zog er das Buch unter der Weste vor; es war am sichersten,
+die Heiligung noch ein wenig<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> durchzugehen. Man konnte nie wissen,
+worauf sie kämen und das Stück: warum nennt man die Kirche heilig, war
+so furchtbar lang. Er las es zweimal durch, machte das Buch zu und
+versuchte — nein — noch einmal — dann versuchte er wieder. — —</p>
+
+<p>Er merkte nicht, daß das Vieh vorüberzog, merkte nicht, daß ein Kalb
+an der Tanne vorbeikam, bis es sich erschreckt auf die Seite warf, den
+Schwanz in der Luft. Aber da standen auch Kjersti und die Mutter dort.</p>
+
+<p>Nein, du hast aber einen feinen Jungen, Randine! Liegt er nicht da und
+lernt!</p>
+
+<p>Hat es dich doch noch gepackt, Gudbrand, jetzt wo es dir auf den Nägeln
+brennt! Es war aber auch die höchste Zeit!</p>
+
+<p>Sie hatte es wohl gemerkt, daß Gudbrand schon seit langer Zeit das
+Buch mit sich in den Wald geschmuggelt hatte, aber sie hatte nicht
+dergleichen getan. Und jetzt sagte sie zu Kjersti:</p>
+
+<p>Ja, Gott weiß, wie es gehen wird! Ich habe ihn den ganzen Sommer kaum
+ein Buch in die Hand nehmen sehen.</p>
+
+<p>Gudbrand stand ein wenig verlegen auf:</p>
+
+<p>Es fiel mir ein, daß Marten Madslien gesagt hat, es hätte in den
+Blättern gestanden, daß wir ein neues Fragebuch bekommen würden, das
+kürzer<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> sein sollte, und da fand ich, ich müßte 'mal nachsehen wie lang
+das wäre. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß es viel besser wird.</p>
+
+<p>Er steckte das Buch unter die Weste und stolzierte zurück nach der
+Sennhütte.</p>
+
+<p>Eine Weile darauf lief er den Abhang hinunter mit dem Gesangbuch, dem
+neuen Testament und einem Päckchen Waffeln unter dem Arme.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die kleinen Kirchenglocken hatten zum erstenmal geläutet.</p>
+
+<p>Von allen Seiten kamen Leute herbeigeströmt, schüttelten sich die
+Hände und stellten sich schweigend in Reihen längs der Kirchhofsmauern
+oder in dem Torweg der Wagenschuppen auf. Wer von weit her kam, suchte
+schwitzend mit der Jacke über dem Arm den Schatten und wischte sich
+mit der Hand über das Gesicht. Wer Konfirmanden hatte, gab ihnen die
+letzten Ermahnungen und schickte sie auf den Kirchplatz, wo sich die
+Kinder in Scharen versammelt hatten, eine Schar für jeden Schulkreis.
+Sie standen schweigend da und sahen sich um, sie warteten auf die
+Schulmeister.</p>
+
+<p>Die Erwachsenen redeten auch nicht viel, nur einige Worte, wenn einer
+gefahren kam, und hin und wieder beschatteten sie die Augen mit der
+Hand<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> und blickten nach dem Pfarrhof hinüber, wo die Fahne in der
+stillen Luft hin und her flatterte.</p>
+
+<p>Die kleine Holzkirche lag so weiß da in der Sonnenglut und bekam Risse
+von der Hitze, daß es krachte. Es glitzerte in den Fenstern, alle Türen
+standen weit offen, und in dem Fensterchen hoch oben im Turm stand der
+Glöckner auf beide Arme gelehnt und spähte. Er sollte läuten, wenn er
+die Geistlichen in dem Pfarrhoftor sah.</p>
+
+<p>Die Schulmeister kamen, stellten ihre Kinder in langen Reihen auf und
+sagten ihnen, was sie zu tun hätten.</p>
+
+<p>Wenn der Bischof durch die Kirche schritt, sollten die Jungen sich
+verbeugen und die kleinen Mädchen einen Knicks machen, aber nicht alle
+auf einmal, sondern immer erst, wenn der Bischof an ihnen vorbeikäme.</p>
+
+<p>Sie sollten laut antworten und nicht vergessen, dem Bischof gerade in
+die Augen zu sehen, wenn er sie fragte, denn das hätte er gern.</p>
+
+<p>Dann hatten sie nichts mehr zu sagen, und es entstand eine feierliche
+Stille. Es konnte schon sein, daß ihnen die Stimme ein wenig gezittert
+hatte, und große Schweißtropfen traten ihnen auf die Stirn.</p>
+
+<p>Dann mit einem Male zitterten die Glockenschläge durch die Luft, daß
+der Turm schwankte. Im selben Nu blickten sie alle nach dem Pfarrhof.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span></p>
+
+<p>Ja, da kamen sie durch das Gittertor alle miteinander. Nein, was für
+ein leutseliger Bischof, der zu Fuß ging!</p>
+
+<p>Und dann begannen sie in die Kirche hineinzuströmen. Jeder Schulmeister
+führte seine Kinderschar herein und stellte sie auf. Die Erwachsenen
+setzten sich in die Stühle dahinter, hin und wieder gaben sie den
+Kindern einen Puff, nahmen ihnen das Frühstückspaket weg und reichten
+ihnen ein Buch.</p>
+
+<p>Gudbrand hatte keine Anverwandten da, und er hatte vergessen, die
+Bücher herauszunehmen. Er legte das Bündel zwischen die Kniee, aber die
+Hand zitterte ihm, als er den Knoten aufmachte. Er steckte das Tuch
+in die eine Jackentasche und die Waffeln in die andere, so daß sie
+hervorguckten, und nahm die Bücher in die Hand.</p>
+
+<p>Die Sonne schien durch die hohen Fenster, sie streifte die beiden
+Stühle, die für den Bischof und den Propst hingestellt waren, fiel
+auf die Kniebank und den Altar, bis hinein in die Nische zu den zwölf
+Aposteln. Noch knarrte hin und wieder eine Kirchenstuhltür, doch dann
+konnte man deutlich hören, wie die Blätter der hohen Birke, die gerade
+vor dem Fenster stand, leise gegen die Scheiben streiften.</p>
+
+<p>Dann wandten sich auf einmal alle Köpfe um, und alle Jungen hielten
+den Atem an, bis sie ihre<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> Verbeugung hinter sich hatten; denn da
+kamen sie, zuerst der Bischof mit dem goldnen Kreuz auf der Brust und
+schwarzem glänzendem Seidenkäppchen, hinterher der Propst und zum
+Schluß der Pfarrer in langsamen, feierlichen Schritten durch die Kirche
+und grüßten mit kleinen ernsten Verbeugungen nach beiden Seiten.</p>
+
+<p>Es war beinahe eine Erleichterung, als sie oben am Altar niederknieten
+und der Küster wie gewöhnlich vorkam und das Eingangsgebet verlas.
+Als er fertig war, räusperte man sich und scharrte wie sonst, und der
+Kirchendiener lief mit der Mütze in der Hand um den Altar und jagte
+einen Hund, der sich eingeschlichen hatte, hinaus.</p>
+
+<p>Darauf hielt der Propst eine Rede, und dann begann das Kirchenexamen.</p>
+
+<p>Es kribbelte Gudbrand förmlich im Magen, während die Fragen und
+Antworten fielen, und das nahm zu, je näher es an ihn herankam. Das
+Blut schoß ihm in die Backen, wenn einer dastand und stotterte und
+stammelte; er hatte sich halb gewandt, war beinahe im Begriff, einen
+Schritt vorzugehen und hielt die ganze Zeit seine Augen auf den Bischof
+gerichtet. Wenn er ihn nur fragen wollte!</p>
+
+<p>Aber der Bischof stand in lauschender Stellung da, die sanften blauen
+Augen auf den, den er fragte,<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> geheftet, und wenn die Antwort endlich
+einigermaßen zustande kam, nickte er viele Male mit dem Kopf und tat
+einen Schritt zur Seite.</p>
+
+<p>Sie schlichen sich mühselig weiter, alle saßen aufmerksam lauschend da,
+nickten und warfen sich Blicke zu. Es herrschte eine solche Spannung,
+daß es fast wie eine Erlösung wirkte, als ein milder Regenschauer
+im Sonnenschein draußen fiel und die nassen Birkenblätter gegen das
+Fenster zitterten.</p>
+
+<p>Gudbrand vergaß sich, als es so lange dauerte. Er stand und betrachtete
+das glänzende Laub. Doch auf einmal erschrak er bis in die Knie. Da
+stand der Bischof gerade vor ihm, und der Schulmeister hatte die Frage
+begonnen, ehe er zuhörte:</p>
+
+<p>Wir hörten neulich, daß im dritten Artikel steht: die <em class="gesperrt">heilige</em>,
+christliche Kirche.</p>
+
+<p>Kannst du mir sagen, warum die Kirche heilig genannt wird?</p>
+
+<p>Da hatte er es; wie gut, daß er es noch durchgegangen hatte! Es wurde
+ihm schwarz vor den Augen, er konnte nicht auf das erste Wort kommen.</p>
+
+<p>Nun? Warum wird die Kirche heilig genannt? Weil —</p>
+
+<p>Weil der heilige Geist durch seine heiligen Gnadenmittel sein Werk
+der Heiligung an allen ihren Gliedern ausführt, darum wird die Kirche
+heilig<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> genannt trotz der Sünde und Armseligkeit, die sich in ihr
+findet.</p>
+
+<p>Der Bischof nickte viele Male, und der Schulmeister ließ einen Blick
+über die Gemeinde streifen.</p>
+
+<p>Sein Werk der Heiligung in allen ihren Gliedern, — fuhr der
+Schulmeister fort. Wer sind die Glieder der Kirche?</p>
+
+<p>Gudbrand überlegte.</p>
+
+<p>Gehörst du zu den Gliedern der Kirche?</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p>Und ich?</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p>Und der Bischof?</p>
+
+<p>Gudbrand dachte nach. Er fand nicht, daß es anging, daß er mit
+dem Bischof zusammengehörte, und darum flüsterte er, daß nur der
+Schulmeister es hörte:</p>
+
+<p>Nein.</p>
+
+<p>Überlege es dir einmal; gehört nicht der Bischof zu den Gliedern der
+Kirche?</p>
+
+<p>Doch.</p>
+
+<p>Der Bischof nickte.</p>
+
+<p>Nun denn, wer gehört also zu den Gliedern der Kirche?</p>
+
+<p>Gudbrand ging ein Licht auf.</p>
+
+<p>Alle, die an Christum glauben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span></p>
+
+<p>Richtig. Aber —, kannst du aus dir allein an Christum glauben?</p>
+
+<p>Nein.</p>
+
+<p>Wer verhilft dir zum Glauben?</p>
+
+<p>Der heilige Geist.</p>
+
+<p>Was steht darüber in dem dritten Artikel?</p>
+
+<p>Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum
+Christum, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der
+heilige Geist hat mich —</p>
+
+<p>Richtig. Würde es Klugheit oder Torheit sein, wenn du glaubtest, daß du
+aus eigener Kraft an Christum glauben könntest?</p>
+
+<p>Torheit.</p>
+
+<p>Wenn nun der Bischof sagte, daß es anginge, wer wäre dann klüger, du
+oder der Bischof?</p>
+
+<p>Gudbrand überlegte. Der Bischof wurde ein wenig unruhig und wollte zum
+nächsten übergehen, blieb aber lauschend stehen.</p>
+
+<p>Nun? Wer wäre dann der Klügste, du oder der Bischof?</p>
+
+<p>Nein, das ging nicht an, wenn alle zuhörten zu sagen, er wäre klüger
+als der Bischof:</p>
+
+<p>Der Bischof wäre der Klügste.</p>
+
+<p>Der Bischof schüttelte heftig den Kopf. Dann ging er zu ihm hin und
+strich ihm sanft über das Haar:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span></p>
+
+<p>Nein, mein Junge, dann wärst du klüger als der Bischof.</p>
+
+<p>Ja, sagte der Schulmeister, du meintest aber, auf so etwas könnte unser
+gottesfürchtiger Bischof nie verfallen, nicht wahr?</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p>Das war recht, mein Junge, mit Gottes Hilfe wird er das nicht tun,
+sagte der Bischof, strich ihm noch einmal über den Kopf und ging dann
+weiter.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Sonne stand schon tief über dem Neusäterberg, als Gudbrand der
+Sennhütte zustrebte.</p>
+
+<p>Lykkelin war schon mit der ganzen Herde nach Hause gekommen, und sie
+lagen jetzt satt und zufrieden am Viehgatter und wiederkäuten. Die
+Ziegen drehten sich nur ein wenig um und meckerten, als er kam. Die
+Mutter war drinnen im Kuhstall und melkte; sie sah ihn nicht, ehe er
+hereinkam. Er nahm sich viel Zeit und schob den Riegel behutsam vor.</p>
+
+<p>Nein, da bist du ja, Gudbrand? Wie war es denn?</p>
+
+<p>Ach, es war wohl ungefähr, wie man erwarten konnte, denke ich.</p>
+
+<p>Konntest du antworten?</p>
+
+<p>Ach, du weißt, ich wußte schon das meiste, was sie fragten.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span></p>
+
+<p>Erzähle doch!</p>
+
+<p>Da gibt es nicht weiter viel zu erzählen, finde ich. Und dann sagte er
+plötzlich: Nein, jetzt muß ich schon meine alten Sachen anziehen und
+anfangen zu melken; man kann nicht den ganzen Tag nur zum Staate da
+sein.</p>
+
+<p>Mehr bekam die Mutter nicht aus ihm heraus. Sie begann zu fürchten, daß
+er seine Sache nicht gekonnt hätte. Eine Weile darauf kam er in seinen
+alten Sachen wieder heraus und begann die Ziegen zu melken. Gudbrand
+war so unglaublich verschlossen.</p>
+
+<p>War denn der Bischof freundlich?</p>
+
+<p>Ach ja, er war nicht gerade unangenehm.</p>
+
+<p>Hat er etwas zu dir gesagt?</p>
+
+<p>Ach ja, er hat schon auch etwas gesagt.</p>
+
+<p>Was hat er denn gesagt?</p>
+
+<p>Ach, — man darf nicht alles glauben, was man hört.</p>
+
+<p>Was sagst du da?</p>
+
+<p>Ja, wenn du's durchaus wissen willst, so kann ich es auch gern sagen.
+Sie fragten mich nach allen Richtungen hin aus, und du verstehst, ich
+blieb ihnen keine Antwort schuldig. Und dann, als sie nicht weiter
+kamen, dann sagten sie alle, ich wäre klüger als der Bischof, aber das
+können sie wohl nicht im Ernst gemeint haben.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-066">
+ <img class="w100" src="images/illu-066.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Per lag hinter dem großen Stein oben auf Storbakken und blickte
+hinunter. Er konnte gerade auf den Hof sehen, der dicht darunter lag.
+Es war früh am Morgen, die Sonne war eben aufgegangen und schien auf
+die blanken Scheiben, daß sie glitzerten, und mitten zur Haustür
+herein, die wie ein schwarzer Rachen offen stand.</p>
+
+<p>Per hatte die Mütze auf dem dunklen Schopf weit nach hinten geschoben
+und lag da und warf die Beine bis fast in den Nacken. Er fand schon,
+daß Christian gern die Nase aus den Federn stecken könnte, ehe Hänschen
+aufwachte.</p>
+
+<p>Unten auf dem Hof gingen die Hühner und gackerten und scharrten mit den
+Füßen, der Hahn stand auf der Scheunenbrücke und krähte und krähte, die
+Schwalben flogen durch den Sonnenschein wie stahlblaue, metallglänzende
+Streifen, oben auf dem Scheunendache schwatzte eine Elster und aus der
+Esse stieg ein<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> hellblauer Rauch hoch in die Luft. Trotzdem war es ganz
+still, — man sah keinen Menschen, sie waren wohl alle draußen auf dem
+Felde und mähten.</p>
+
+<p>Endlich trat Christian in die Haustür. Er strich sich den hellen Schopf
+aus den Augen, blinzelte gegen die Sonne, die ihm gerade ins Gesicht
+schien, hielt die Hand vor die Augen, und blickte nach oben. Nein, er
+sah nichts; nur einen blauen Rauch über dem Rand von Storbakken. Er
+kam aus der Häuslersesse. Ja, er glaubte, er konnte sehen, daß er nach
+Kaffee roch.</p>
+
+<p>Hallo, Per! Keine Antwort. Nein, Per hatte wohl noch keinen
+Morgenkaffee bekommen.</p>
+
+<p>Er steckte die Hände in die Tasche und wollte umkehren.</p>
+
+<p>Da ertönte ein: Hallo, Christian!</p>
+
+<p>Er blieb stehen: Hallo, Per!</p>
+
+<p>Per sprang auf und schlug Purzelbäume hinunter, Hallo, Christian! —
+Hallo, Per! — Hallo, Christian! — Hallo, Per!</p>
+
+<p>Und Per sprang und schlug Purzelbäume und kollerte hinunter, und die
+ganze Zeit schallte es hinaus in die Morgenluft: Hallo, Christian!
+Hallo, Per!</p>
+
+<p>— — Per war vom Häuslerplatz und Christian war vom Hof. Sie waren
+gute Freunde und pflegten den ganzen langen Tag zusammen zu sein, und
+das war nicht zu verwundern, denn es gab weit und<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> breit keine solchen
+forschen Jungen wie sie, und niemand, der solche Sachen hatte. Sie
+hatten eine Mühle und eine Säge, die gingen, wenn im Bach genug Wasser
+war, und dann hieß Per der Müller und Christian der Obersägemeister;
+wenn sehr viel Wasser da war, so stauten sie das Wasser erst und ließen
+es dann laufen und flößten Holz; doch da hatten sie andre Namen, denn
+da hieß Christian Zimmermann Pedersen und Per Inspektor Wasserfall,
+von dem Mal her, wo er fiel und auf den Hosenboden mitten in den Bach
+zu sitzen kam. Wenn der Bach trocken war, trieben sie Landwirtschaft;
+sie hatten Hof und Sennhütte und Vieh, Großvieh und Kleinvieh und
+Schäferhund. Die Kühe waren runde Steine und der größte, der so
+ungeheuer groß und glänzend war, war der Bulle Dybendal; und die Schafe
+waren Tannenzapfen und eine merkwürdige kleine runde Wurzel, die der
+Knecht ihnen zugeschnitten hatte, war der Schäferhund: Bärenbeißer,
+und der hatte mehr als einmal mit dem Bären zu tun gehabt. Sie hatten
+auch einen Bogen, mit dem sie auf die Jagd gingen und Pfeile, die so
+unwahrscheinlich hoch flogen, daß der beste einmal bis auf die Wolke
+gegangen und dort oben liegen geblieben war, — sie fanden ihn erst
+viel später im Gras wieder, als es geregnet hatte. Und da erzählte
+ihnen der Knecht, daß er wahrscheinlich wieder heruntergeregnet<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> wäre,
+und daß sie gut nachsehen sollten, ob nicht Gold an ihm wäre, denn oben
+auf der Wolke wäre Gold. Doch er war so glatt, daß nichts an ihm hängen
+geblieben war, und als sie ihn teerten, bekamen sie ihn nicht mehr so
+hoch.</p>
+
+<p>Doch in der letzten Zeit waren Per und Christian umgezogen. Die Mühle
+und die Säge standen da und Bärenbeißer mußte allein auf das Vieh
+achtgeben. Es war oft genug langweilig gewesen, daß Hänschen immer mit
+sein wollte; denn es war nun einmal nichts für Zimmermann Pedersen und
+Inspektor Wasserfall, stets den Jungen zum Aufpassen zu haben; aber da
+war nichts zu machen gewesen, — er kam stets, wenn er wußte, wo sie
+sich aufhielten. Aber jetzt waren sie sehr darauf aus, es verborgen zu
+halten, wo sie ihre Zuflucht hatten; sie schlichen sich früh weg und
+blieben den ganzen halben Tag fort. Sie hatten sicher etwas vor, wovon
+Hänschen lieber nichts wissen sollte.</p>
+
+<p>Das erste, was Per sagte, als er in die Haustür hinunterkam, war auch:
+Ist er auf?</p>
+
+<p>Nein, er schlief, als ich hinausging.</p>
+
+<p>Hast du den Fünfpfünder instand?</p>
+
+<p>Ich sollte es meinen! Und Per zog ein großes Kuhhorn hervor, in das er
+Zündlöcher gebohrt hatte. Hast du Futter für ihn?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span></p>
+
+<p>Ach ja, ich denke schon, und Christian zeigte einen großen Beutel mit
+Pulver vor.</p>
+
+<p>Die Sache war, daß sie oben auf dem Boden ein Fäßchen Minenpulver
+gefunden hatten, und davon durfte niemand etwas wissen, denn Pulver war
+streng verboten.</p>
+
+<p>Ja, dann ist es am besten, daß wir fortkommen.</p>
+
+<p>Sie schlichen sich leise über den Hof und sahen sich jeden Augenblick
+um; dann als sie um die Ecke des Vorratshauses waren, fingen sie an die
+Straße entlang zu laufen.</p>
+
+<p>Halt, Christian! Ich sehe dich schon.</p>
+
+<p>Es war Hänschen, der in die Haustür hinausgekommen war, und das letzte
+Ende von ihnen gesehen hatte, als sie um die Ecke verschwanden.</p>
+
+<p>Er hatte nur Hosen und Schuhe anbekommen, oben war er im bloßen Hemd.
+Er hatte Eile gehabt, denn Hänschen verstand sehr wohl, daß sie sich
+von ihm fortschleichen wollten und hatte sich vorgenommen, auf sie
+aufzupassen.</p>
+
+<p>Halt, hörst du! Ha—a—lt!</p>
+
+<p>Er schrie, bis er an der Ecke des Vorratshauses vorbeikam und Per und
+Christian ruhig im Grase liegen und in die Luft blicken sah.</p>
+
+<p>Er sagte nichts, sah sie nur ein wenig zweifelnd an, und setzte sich
+auch ins Gras. Er wollte schon auf sie aufpassen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span></p>
+
+<p>Per und Christian blinzelten einander zu und begannen Purzelbäume
+zu schlagen. Nach einer Weile durfte auch Hänschen mitmachen. Dann
+spielten sie mit andern Dingen. Auf einmal sagte Christian:</p>
+
+<p>Du, Hänschen, wollen wir zum Jahrmarkt reisen?</p>
+
+<p>Ja—a! Hänschen wurde strahlend vergnügt.</p>
+
+<p>Du fängst an.</p>
+
+<p>Nein, du wirst mich nicht zum Narren haben! Du fängst an!</p>
+
+<p>Ja, gern. Ich hatte ein Füllen!</p>
+
+<p>Hänschen sprach ihm nach: Ich hatte ein Füllen!</p>
+
+<p>Meins wurde ein Pferd.</p>
+
+<p>Meins auch.</p>
+
+<p>Ich zähmte meins.</p>
+
+<p>Ich zähmte meins auch.</p>
+
+<p>Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset.</p>
+
+<p>Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset.</p>
+
+<p>Da traf ich einen Mann, der einen Bären hatte.</p>
+
+<p>Da traf ich einen Mann, der auch einen Bären hatte.</p>
+
+<p>Da vertauschte ich mein Pferd gegen den Bären.</p>
+
+<p>Da vertauschte ich auch mein Pferd gegen den Bären.</p>
+
+<p>Da traf ich dich.</p>
+
+<p>Da traf ich dich.</p>
+
+<p>Da nahm mein Bär deinen Bären und fraß ihn auf.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp62" id="illu-075" style="max-width: 45.625em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-075.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span></p>
+
+<p class="p2">Hänschen bekam zuerst ein langes Gesicht; aber dann wurde er wütend:</p>
+
+<p>Du mogelst, Christian, du sagtest zuerst guten Tag, und darum wird es
+mein Bär, der deinen auffrißt.</p>
+
+<p>Nein, es war meiner, der deinen auffraß.</p>
+
+<p>Nein, meiner! Hänschen war am Weinen: ja, so laß uns noch einmal
+anfangen, dann wirst du sehen!</p>
+
+<p>Nein, dein Bär ist aufgefressen.</p>
+
+<p>Ä—h ä—h, es war meiner. — ä—h ä—h.</p>
+
+<p>Nein, meiner!</p>
+
+<p>Ä—h, Mutter! er sagt ä—h ä—h, daß sein Bär meinen auffraß! Hänschen
+lief hinein, um es der Mutter zu sagen; er vergaß, daß er auf sie hatte
+aufpassen wollen.</p>
+
+<p>Als er glücklich in der Haustür drin war, machten sich Per und
+Christian eilends aus dem Staube und verschwanden.</p>
+
+<p>Drüben in Svartdalen, ein gutes Stück vom Hofe entfernt, hatten sich
+Per und Christian eine Höhle eingerichtet, vor der ein Haselwäldchen
+stand, so daß sie nicht gesehen werden konnten, wenn man nicht auf die
+oberste Höhe hinaufkam und gerade auf sie hinunterblickte. Dorthin
+hatten sie das meiste von ihren Sachen gebracht; dort hatten sie
+einen Herd gebaut,<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> dort hatten sie ihre Schmiede, dort zündeten
+sie ihre Feuer an; aber das wagten sie nicht oft zu tun, aus Angst,
+daß man den Rauch sehen könnte. Hier fühlten sie sich sicher, hier
+hatten sie Sprühmännchen angezündet, und hier hatten sie mit Tüten und
+Sturmhutstielen zu schießen versucht; aber <em class="gesperrt">damit</em> ging es nicht,
+die Tüten brannten nur an und die Sturmhutstiele platzten; es konnte
+also nicht die Rede davon sein, mit ihnen in die Wolke nach Gold zu
+schießen, — denn das war es eigentlich, was sie vor hatten. Aber heute
+hatten sie den Fünfpfünder, heute sollte es Ernst werden.</p>
+
+<p>Sie mußten erst Probeschüsse machen, ehe sie in die Wolke schossen. Sie
+machten ein Feuer an, gossen das Pulver in das Horn und stopften es
+voll mit Gras.</p>
+
+<p>Es knallte nicht sehr stark; das Horn sprang nur einige Ellen nach
+rückwärts und der Grasbüschel ein wenig nach vorwärts.</p>
+
+<p>Pah, es war nicht stark genug geladen, der Fünfpfünder mußte
+festgemacht werden, und dann mußte eine Kugel hinein; ja, dann wurde es
+eine Kanone, die schon gehen sollte; sie würden mindestens quer über
+das Tal schießen können.</p>
+
+<p>Sie luden von neuem und legten einen großen Stein hinein und
+befestigten den Fünfpfünder zwischen<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> zwei Steinen. — Nein, sie mußten
+ihn vielleicht ein wenig wegrücken? — Ja, es wäre schade um die Leute
+am Talende, wenn man ihnen die Häuser niederschoß; sie mußten ihn auf
+den Wald richten.</p>
+
+<p>Das taten sie denn und zündeten an.</p>
+
+<p>Ja, diesmal knallte es wahrhaftig! <em class="gesperrt">Der</em> Schuß ging! Konnte Per
+nichts drüben am Abhange sehen! Ja, denn Christian schien es deutlich,
+als fiele eine Tanne um, als der Schuß losging.</p>
+
+<p>Ob es eine ganze Tanne war, konnte Per nicht sagen, aber er sah
+jedenfalls, daß ein Tannenwipfel herunterfiel.</p>
+
+<p>Es war schon fraglich, ob sie eine bessere Kanone auf der königlichen
+Festung hätten.</p>
+
+<p>Ach nein, das war nicht anzunehmen. Mit der konnten sie sicher bis in
+die Wolke schießen.</p>
+
+<p>Ja, das war sicher. Aber was sollten sie hinaufschicken? Es mußte etwas
+sein, in das das Gold hereinkommen konnte.</p>
+
+<p>Sollten sie etwa Pers Zipfelmütze hinaufschicken? Vielleicht kam sie
+dann vergoldet wieder herunter.</p>
+
+<p>Ja, Christian wunderte sich schon, was sie zu Hause sagen würden, wenn
+sie mit vergoldeten Mützen und Goldstücken in den Taschen heimkämen. Da
+könnten sie Pulver kaufen — ein ganzes Faß voll!</p>
+
+<p>Ho—ho! erklang es gerade über ihnen. Der<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Fünfpfünder und der
+Pulverbeutel wurden schnell beiseite gebracht, ehe sie hinaufblickten.</p>
+
+<p>Dort lag Hänschen:</p>
+
+<p>Ach bitte, vergoldet doch auch meine Mütze!</p>
+
+<p>Per und Christian waren wirklich ärgerlich. Sie versuchten Hänschen
+alles Mögliche einzubilden. Sie boten ihm den besten Bogen an, wenn er
+gehen und nichts sagen wollte. Doch Hänschen hatte den Knall gehört,
+sie könnten ihm nichts weismachen, — wenn sie nicht seine Mütze
+vergoldeten, so ginge er spornstreichs nach Hause zu Mutter und sagte,
+daß sie Pulver hätten, und da würde es einen andern Tanz geben.</p>
+
+<p>Ja, da gab es keinen andern Rat, als sich mit Hänschen abzufinden und
+ihn zu besänftigen. Sie zeigten ihm alle ihre Herrlichkeiten und er
+versprach, daß er gar nichts vom Pulver sagen wollte; aber da sollten
+sie seine Mütze zuerst vergolden.</p>
+
+<p>Ja, das wollten sie auch gern tun, und bald hatten sie alles vergessen
+und waren wieder gleich eifrig. Es war wohl am sichersten, sie banden
+einen Stein an die Mütze, denn sonst kam sie nicht wieder herunter, ehe
+Regenwetter war.</p>
+
+<p>Das war am besten. Wie wollten sie es machen?</p>
+
+<p>Sie könnten das Kanonenende fest in die Erde stecken, den Stein
+hineintun, ihn mit einer Schnur an<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> der Mütze festbinden und die Mütze
+oben darauf hängen.</p>
+
+<p>Der Vorschlag wurde angenommen. Dann schütteten sie das Horn fast
+halb voll mit Pulver, luden gut und machten sich fertig. Es war ein
+feierlicher Augenblick und alle standen atemlos da, als Christan
+endlich einen Brand nahm.</p>
+
+<p>Gebt jetzt acht! — Er brachte den Brand an das Zündloch.</p>
+
+<p>Frrrr—s—piff—paff—puff!</p>
+
+<p>Sie standen in einem Lichtscheine wie von einem starken Blitze und
+schraken alle drei so zusammen, daß sie umfielen.</p>
+
+<p>Sie sahen ein wenig blaß aus, als sie sich so weit erholt hatten, daß
+sie einander ansehen konnten. Sie hatten den Pulverbeutel so weit in
+die Nähe gesetzt, daß er mit draufgegangen war.</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Das</em> war ein Schuß, sagte Christan.</p>
+
+<p>Ja, das <em class="gesperrt">war</em> ein Schuß, sagte Per.</p>
+
+<p>Sahst du die Mütze?</p>
+
+<p>Es war mir, als sähe ich sie undeutlich, als sie vorbeiflog.</p>
+
+<p>Ist sie denn jetzt auf der Wolke? fragte Hänschen.</p>
+
+<p>Wir wollen froh sein, wenn sie nicht noch weiter ist.</p>
+
+<p>Kommt sie denn bald wieder herunter?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p>
+
+<p>Oh, das wird wohl noch eine Weile dauern.</p>
+
+<p>Sie blieben alle drei stehen und starrten in die Luft. Nach einiger
+Zeit bekam Hänschen einen müden Nacken und sah wieder nach unten. Da
+ist sie!</p>
+
+<p>Die Mütze hing oben im Haselbusch.</p>
+
+<p>Ja, dann mußte sie aber auch schnell wieder heruntergeflogen sein, wenn
+sie sie nicht hatten kommen sehen!</p>
+
+<p>Ja, Per war es, als hätte er einen Streifen gesehen, gerade als
+Hänschen es sagte, — da war sie sicher gekommen.</p>
+
+<p>Sie hatten viel Mühe damit, sie herunter zu bekommen. Draußen war
+nichts zu sehen; sie waren sehr gespannt, was drinnen sein konnte.
+Als sie sie herunter bekamen, war weiter nichts zu entdecken, als ein
+großes Brandloch im Innern.</p>
+
+<p>Das war seltsam. Wer hätte gedacht, daß das Gold da oben so heiß wäre;
+denn es hatte sicher ein Goldklumpen darin gelegen, der das Loch
+gebrannt hatte und dann herausgefallen war.</p>
+
+<p>Vielleicht lag er in dem Haselbusch drinnen.</p>
+
+<p>Sie suchten lange. Ach nein, der konnte weit von hier heruntergefallen
+sein. Ja, ja, morgen mußten sie den kleinen Blecheimer nehmen und
+hinaufschicken, denn da mußte der Goldklumpen drinnen bleiben, wie warm
+er auch war.</p>
+
+<p>— — Als sie an dem Tag nach Hause kamen, hielten sie alle drei gut
+zusammen und Hänschen war so gut und artig und so vorsichtig, daß
+niemand seine Mütze zu sehen bekäme.</p>
+
+<p>Er wollte schon nicht klatschen.</p>
+
+<p>Als die Mutter ihnen allen dreien das Essen hinstellte, sagte Hänschen,
+während sie dasaßen und aßen. Du, Mutter, heute sind Per und Christian
+so gut zu mir gewesen, daß ...</p>
+
+<p>Das ist brav von ihnen, aber da mußt du auch gut sein.</p>
+
+<p>Ja, ich werde so gut sein, daß ...</p>
+
+<p>Wie gut willst du denn sein?</p>
+
+<p>Ach, ich werde gar nichts davon sagen, daß Per und Christian meine
+Mütze in die Wolke schossen! ...</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-083">
+ <img class="w100" src="images/illu-083.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Der erste Arbeitstag.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Christian richtete sich auf den Ellbogen in die Höhe, kroch nach dem
+Kopfende und guckte aus dem Fenster dicht daneben.</p>
+
+<p>Es war noch beinahe dunkel in der geräumigen Häuslerstube. Draußen war
+Dämmerung, gerade am Übergang zum Tag, nur einzelne von den größten
+Sternen waren sichtbar an dem blauen klaren Herbstmorgen.</p>
+
+<p>Wieviel Uhr es wohl war? Ja, zu <em class="gesperrt">spät</em> durfte er nicht kommen, die
+Schande sollten sie ihm nicht antun, — und dann konnte das auch einen
+Abzug vom Tagelohn bedeuten. Ein ganzer Kerl mußte den ganzen Tagelohn
+haben. Es war übrigens seltsam, er hatte vergessen zu fragen und Ola
+Nordlien hatte auch nichts vom Tagelohn gesagt!</p>
+
+<p>Er drehte sich, so daß er im Bett saß und blickte hinüber nach dem
+anderen Bett am anderen Fenster, wo die Mutter lag.</p>
+
+<p>Mutter! Mut—t—ter!</p>
+
+<p>Die Mutter drehte sich ein paarmal um, ehe sie aufwachte, dann schlug
+sie die Augen auf:</p>
+
+<p>Ja. Was willst du, Christian?</p>
+
+<p>Du hörtest nicht, ob Ola Nordlien etwas davon sagte, wieviel Tagelohn
+er geben wollte?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span></p>
+
+<p>Und darum weckst du mich, du unartiger Junge!</p>
+
+<p>Ich dachte auch, es wäre vielleicht Zeit, daß du den Kaffee
+aufsetztest. Denn wer auf Arbeit soll, braucht Zeit, um richtig munter
+zu werden.</p>
+
+<p>So leg dich jetzt wieder hin. Ich werde es schon nicht verschlafen.</p>
+
+<p>Aber Christian schlief nicht wieder ein, und was das anbetrifft, er
+hatte auch die ganze Nacht nicht viel geschlafen. Denn gestern abend,
+als er sich eben hinlegen wollte und schon mit den Hosen in der Hand
+dastand, war etwas geschehen.</p>
+
+<p>Ola Nordlien war selbst hereingekommen, hatte guten Abend gewünscht und
+gesagt:</p>
+
+<p>Jetzt bin ich im ganzen oberen Dorf herumgezogen und habe Leute zum
+Kartoffellesen gedungen, und da wollte ich 'mal vorsprechen, ob
+vielleicht auch hier ein Knecht zu haben wäre.</p>
+
+<p>Nein, ich habe jetzt keinen Knecht hier, hatte die Mutter gesagt; der
+Per hat jetzt mit dem Kuhstall auf Opsal zu tun, und ich erwarte ihn
+vor den Feiertagen nicht zurück.</p>
+
+<p>Hast du niemanden? Ich finde, da steht ein großer Bursche drüben am
+Bett. Nach ihm dort hatte ich fragen wollen.</p>
+
+<p>Da kann einer glauben, daß Christian sich aufrichtete.</p>
+
+<p>Du willst also mit zum Kartoffellesen? fuhr die Mutter fort.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span>
+
+<p>Ja, und darum habe ich ein ganzes Heer von solchen Kerlen zum Auflesen
+gemietet, die Kulsvejungen und Sagbakjungen und Jens Perhus.</p>
+
+<p>Die Mutter lächelte und sah zu Christian hinüber.</p>
+
+<p>Ja, ich weiß nicht, was Christian dazu sagt, du mußt mit ihm selbst
+reden.</p>
+
+<p>Da verstand Christian, daß er durfte.</p>
+
+<p>Ola Nordlien wandte sich dann zu ihm und sagte so ernst, als spräche er
+zu einem erwachsenen Knecht:</p>
+
+<p>Ja, hast du wohl Lust, morgen zu uns zu kommen und uns beim
+Kartoffellesen zu helfen, Christian?</p>
+
+<p>Christian zog die Hosen wieder in die Höhe und knöpfte die Klappe zu,
+so gut es sich in der Eile machen ließ. Dann setzte er sich auf die
+Bank, schlug die Knie übereinander, spuckte weit aus und sagte:</p>
+
+<p>Ja, eigentlich habe ich nicht viel Zeit, aber da du Mangel an Leuten
+hast, so muß ich wohl kommen.</p>
+
+<p>Das war der Grund, warum Christian nicht wieder einschlief, — denn
+zu spät kommen wollte er nun einmal nicht und dann gab es auch viel
+anderes zu überlegen, einmal, wie er sich ausrüsten sollte, und dann
+auch, wie er sich benehmen sollte.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span>
+
+<p>Der Morgen schlich langsam weiter, es kam ihm vor, als ob die Uhr
+gar nicht von der Stelle rückte — vielleicht war sie auch stehen
+geblieben; ein paarmal versuchte er, sich laut zu räuspern oder zu
+husten, um zu sehen, ob die Mutter nicht aufwachen wollte. Und als die
+Mutter endlich aufgestanden war und kaum den Kaffeekessel mit Wasser
+gefüllt hatte, da stand auch Christian mitten im Zimmer.</p>
+
+<p>Er hatte noch viel zu tun. Erst untersuchte er, ob alle Knöpfe an der
+Hose richtig fest saßen. Nein, einer hing bloß an einem Faden; der
+mußte befestigt werden; ein Knecht mußte Hosen haben, die es vertrugen,
+daß er ordentlich zufaßte. Dann kam der Gürtel an die Reihe, — er
+mußte ein neues Loch machen, um ihn enger zu bekommen, er war nämlich
+zu weit, und sollte es zu einer richtigen Kraftanstrengung kommen, so
+war es am besten, daß er ordentlich eng war. Und den neuen Schal wollte
+er lose drüber hängen lassen; das würde sich gut machen, wenn er kam,
+und später wenn er den Rock auszog, und ihn dann schön zusammengefaltet
+darauf legte.</p>
+
+<p>Lange ehe der Kaffee fertig war, war Christian angezogen und gerüstet,
+bis auf das Heu in den Stiefeln und die Zipfelmütze auf dem Kopf,
+und er ging aus und ein und sah aus, als hätte er sehr viel zu tun.
+Und als der Kaffee endlich fertig war, nahm es nicht lange Zeit ihn
+herunterzukriegen, obgleich er gewaltig viel<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> essen mußte, um seinen
+Mann zu stellen und bald stand die Mutter und blickte ihm nach und
+bat ihn, gehorsam zu sein und sein Bestes zu tun, während er, die
+Zipfelmütze bis über die Ohren, mit langen, wiegenden Schritten wie ein
+Erwachsener den Abhang nach Nordlien hinuntertrabte.</p>
+
+<p>Als er nach Nordlien hinunterkam, war es ganz still draußen im Hof, er
+sah nichts anderes, was sich bewegte, als den Rauch, der langsam in
+gerader Linie aus der Esse emporstieg, und hörte nichts anderes als das
+gleichmäßige Kauen der Pferde im Stall, — sie bekamen ihr Morgenfutter
+drinnen vor einem so strengen Tag.</p>
+
+<p>Es dauerte indessen nicht lange, bis er hörte, daß Ola Nordlien auf den
+Beinen war und im Hause herumfuhr und weckte, und als er herauskam und
+Christian erblickte, sagte er:</p>
+
+<p>Das ist meiner Treu ein richtiger Junge, der zuerst auf dem Platz ist,
+und da setzte Christian den einen Fuß vor und sagte:</p>
+
+<p>Ja, ich finde, wir hätten schon anfangen müssen, wenn wir bis zum Abend
+etwas ausrichten wollen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span></p>
+
+<p>Allmählich wurde es lebhaft auf dem Hof. Die Leute des Hofes selber
+waren aufgestanden und kamen heraus, gähnten und dehnten sich, und von
+dem oberen Dorf kam der eine nach dem andern, Erwachsene und Kinder,
+Häusler und Häuslerinnen, und Ola Nordlien ging herum und fand Hacken
+und Eimer und lieferte sie aus, und Trampelpeter, der Knecht, ließ die
+Pferde heraus, um sie zu tränken.</p>
+
+<p>Christian war der kleinste von ihnen allen, und er hielt sich auch so
+weit im Vordergrund, daß er ihnen auffiel. Trampelpeter, der ein loses
+Mundwerk hatte, sagte auch gleich:</p>
+
+<p>Nein, was ist das für eine Kartoffel, die ist ja mächtig groß.</p>
+
+<p>Christian wurde sehr wütend auf den Lümmel, aber sein Zorn legte sich,
+als Ola Nordlien gleich sagte:</p>
+
+<p>Das ist mein Großknecht. Du, Christian, du mußt ein bißchen ein Auge
+auf Trampelpeter und die anderen haben.</p>
+
+<p>Christian sah ihn ein wenig unsicher an, und seine Mundwinkel fingen an
+zu zittern; denn er wußte zwar, daß er ein tüchtiger Junge war, aber
+eine solche Auszeichnung hatte er trotzdem nicht erwartet.</p>
+
+<p>Ist das dein Ernst, Ola Nordlien?</p>
+
+<p>Ja, natürlich ist es mein Ernst.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p>
+
+<p>Jetzt waren sie alle versammelt, mit Ausnahme von dem Faulpelz Jens
+Perhus, den sie langsam die Straße herunterschlendern sahen. Christian
+rief ihm zu, er möchte sich gefälligst beeilen und dann sagte er:</p>
+
+<p>Jetzt mußt du die Pferde anschirren, Trampelpeter. Jetzt müssen wir
+anfangen, und er nahm seinen Eimer über den Arm, warf die Hacke über
+die Schulter und ging mit langen Schritten an der Spitze des ganzen
+Zuges hinüber nach dem Kartoffelfeld.</p>
+
+<p>Sie verteilten sich über eine lange Kartoffelfurche, ein Erwachsener
+zum Graben und ein Junge zum Auflesen, und Christian richtete es so
+ein, daß er abwechselnd vor Ola Nordlien selber und vor Trampelpeter
+auflas, denn die gruben nicht die ganze Zeit, — Ola mußte eine neue
+Furche aufpflügen, wenn die eine geerntet war, und Trampelpeter sollte
+die Kartoffelsäcke zum Hof fahren.</p>
+
+<p>Ola setzte den Pflug an und pflügte eine Furche um, so daß die schönen
+weißen Kartoffeln über die schwarze feuchte Erde hinausrollten, alle
+Rücken bückten sich, um zu graben, und alle die kleinen Hände gingen
+wie Trommelschlägel, um aufzulesen; es wuchs schnell an in den weißen
+Säcken, die in einer Reihe hinter ihnen standen, denn Christian und
+einige andere wetteiferten, wessen Sack am schnellsten voll würde, und<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span>
+wer seinen Eimer am öftesten leeren könnte, — es ging scharf zu beim
+Kartoffellesen auf Nordlien an dem Tage.</p>
+
+<p>Die erste Zeit verging sehr rasch, ehe Christian sich's versah, war die
+Frühstückszeit da und sie sollten zurück und essen. Als sie gegessen
+hatten und draußen im Hofe saßen und satt und zufrieden ausruhten,
+sagte Ola Nordlien:</p>
+
+<p>Ja, so geht es, wenn man einen tüchtigen Großknecht hat; ich weiß mir
+keinen besseren Rat, als daß ich Christian doppelten Tagelohn bezahle,
+wenn er Jens Perhus wirft; aber daran zweifle ich, denn Jens ist zäh.</p>
+
+<p>Christian zögerte eine Weile, aber dann stand er auf, zog den Gürtel
+bis ins neue Loch, spuckte in die Hände und sagte:</p>
+
+<p>Ja, so komm heran, Jens.</p>
+
+<p>Sie fuhren aufeinander los, und keiner gewann gleich; aber schließlich
+sank Christian auf die Kniee und in demselben Augenblicke sprang der
+Gürtel entzwei. Er stand mit rotem Gesichte auf und hielt den Gürtel
+vor.</p>
+
+<p>Ja, ich verlor, aber hier siehst du, Ola Nordlien, wäre der Gürtel so
+stark gewesen wie ich, so hätte ich ihn geworfen.</p>
+
+<p>Dann begannen sie von Stärke zu reden, und Trampelpeter, der gern für
+sehr stark gelten wollte, sprach<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> davon, daß er eine Tonne Kartoffeln
+auf den Wagen heben könnte.</p>
+
+<p>Ja, das kann ich auch — mit dem Maule, sagte Christian ganz trocken
+und ernst, so daß Ola Nordlien und die andern lachten; aber seitdem
+waren Trampelpeter und Christian nicht besonders gut aufeinander zu
+sprechen.</p>
+
+<p>Die Zeit bis Mittag verging nicht ganz so schnell, es war tüchtig warm
+geworden und die Sonne stand ihnen gerade auf dem Rücken. Es kann schon
+sein, daß Christian das eine oder andere Mal nach der Sonne schielte,
+um zu sehen, ob es nicht bald Zeit wäre, aber er sagte nichts, er las
+ebenso schnell und er machte auch darauf aufmerksam, daß Jens Perhus
+kniete anstatt den Rücken zu beugen. Das war keine Art, wenn etwas
+ausgerichtet werden sollte, Jens sollte, bitte, seinen faulen Rücken
+beugen. Aber als es gegen Abend ging, kam es doch vor, daß Christian
+selber ein wenig Erde auf die Kniee bekam, wenn es niemand sah, und er
+war bedeutend runder im Rücken geworden, als er am Morgen war. Doch da
+war auch Ola Nordlien gleich fertig, und er schickte ihn nach dem Hofe,
+um seine Hacke umzutauschen; er verstand, daß Christian sich einmal
+ausruhen mußte.</p>
+
+<figure class="figcenter illowp63" id="illu-093" style="max-width: 45.625em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-093.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p class="p2">Endlich war es Abend geworden, die Sonne war untergegangen, die Pferde
+waren auf die Wiese<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> gelassen, alle hatten gegessen und standen
+draußen im Hofe, bereit nach Hause zu gehen, die Männer mit den Pfeifen
+im Munde und die Frauen schon ein gutes Stück auf dem Heimwege — sie
+mußten nach Hause und die Kühe für den Abend melken.</p>
+
+<p>Der Wagen mit der letzten Kartoffelladung stand am Kellerloch und
+Trampelpeter stand und lehnte sich daran.</p>
+
+<p>Er blickte sich heimlich um, tat aber, als wäre er ganz in Gedanken,
+wie er den einen Kartoffelsack am Sackband nahm und ihn auf die Erde
+herunterhob. Kurz darauf hob er ihn auf dieselbe Weise wieder in den
+Wagen und sah sich heimlich um. Ja, sie hatten es beobachtet und Ola
+Nordlien sagte auch gleich:</p>
+
+<p>Ja, du hast doch Kräfte, Per. Was meinst du, Christan?</p>
+
+<p>Ach, <em class="gesperrt">das</em> war doch nicht so gefährlich.</p>
+
+<p>Da wurde Trampelpeter böse.</p>
+
+<p>Nein, hört mal den Burschen da. Er nahm wieder den Sack und hob ihn
+herunter. Du mußt viel Brei essen, ehe du so weit bist, daß du ihn
+wieder auf den Wagen kriegen kannst.</p>
+
+<p>Vielleicht könnte ich es gleich tun, meinte Christian.</p>
+
+<p>Ja, wenn du das kannst, so will ich der schlechteste Bursche im ganzen
+Kirchspiel sein.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p>
+
+<p>Da bist du mein Zeuge, Ola Nordlien, borg mir bitte einen Sack. Und ehe
+Trampelpeter ein Wort gesagt hatte, hatte Christian den leeren Sack auf
+den Wagen gesetzt und begann die Kartoffeln aus dem einen in den andern
+zu füllen. In unglaublich kurzer Zeit war er fertig und warf den leeren
+Sack hinterher auf den Wagen.</p>
+
+<p>Jetzt sind die Kartoffeln und der Sack dort und jetzt bist du der
+schlechteste Bursche im ganzen Kirchspiel, Trampelpeter.</p>
+
+<p>Trampelpeter spuckte weit aus und lief ins Haus.</p>
+
+<p>Ola Nordlien lachte, bis ihm die Tränen kamen.</p>
+
+<p>Ja, wenn jemand doppelten Tagelohn verdient hat, so bist du es,
+Christian. Sollen wir gleich abrechnen oder kann ich dich morgen wieder
+bekommen?</p>
+
+<p>Du verstehst, ich muß dir helfen, bis du mit den Kartoffeln fertig bist.</p>
+
+<p>Als Christian allein seinen Nachhauseweg über die Abhänge
+hinaufschlenderte, fühlte er sich merkwürdig schwach in den Knieen.
+Es war am besten, daß er sich ein wenig hinsetzte. Er hatte nur ein
+paar Minuten bis nach Hause, aber er konnte sich trotzdem ein wenig
+ausruhen, und so setzte er sich an den Wegrand.</p>
+
+<p>Auf einmal fing der Kopf an zu nicken, erst nach der einen, dann nach
+der anderen Seite; ehe er sich's<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> versah, hatte er sich hintenüber
+gelehnt und war süß eingeschlafen.</p>
+
+<p>Die Mutter hatte im Fenster gestanden und zugesehen. Gleich darauf war
+sie bei ihm:</p>
+
+<p>Du mußt jetzt aufwachen und nach Hause kommen, Christian. Du hast dich
+wohl heute ordentlich angestrengt.</p>
+
+<p>Bist du es Mutter? Wo bin ich? Er rieb sich die Augen.</p>
+
+<p>Du bist hier draußen eingeschlafen, Christian.</p>
+
+<p>Bin ich eingeschlafen? Du, Mutter — es ist vielleicht am besten, du
+erzählst das nicht so, daß der Lümmel, der Trampelpeter, es hört.
+— Übrigens eine Schande ist es nicht, denn ich habe auch doppelten
+Tagelohn verdient.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-097">
+ <img class="w100" src="images/illu-097.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Alexander und Buzephalos.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Blaß und blau, dünn und mager stand der kleine Stadtjunge am Gatter und
+guckte nach den Schafen, die in der Nähe weideten, bereit, über den
+Zaun zu setzen, wenn sich eine Gefahr zeigte. Er überlegte, ob es nicht
+mit dem Widder möglich sein sollte, seinen großen Plan von Alexander
+und Buzephalos ins Werk zu setzen.</p>
+
+<p>Da kam ein kleiner untersetzter, breitgebauter Bursche daher, braun und
+schwarz auf einmal, die Hände wie ein Erwachsener bis an die Ellbogen
+in den Hosentaschen, mit langen Hosen, die einen ledernen Hosenboden
+hatten, und mit wiegenden Schritten nach Art der Erwachsenen.</p>
+
+<p>Der Stadtjunge fühlte unwillkürlich nach, ob er noch seinen Skalp
+hätte, und setzte die Mütze so, daß er nicht zu sehen war.</p>
+
+<p>Vielleicht war es ein Indianer? Man mußte auf dem Lande auf alles
+gefaßt sein. Nein, die gingen nicht so gerade drauf los, wenn sie auf
+dem Kriegspfad waren — dieser lief gerade auf ihn zu.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p>
+
+<p>Der Bauernjunge blieb stehen, spuckte wie ein Großer aus dem einen
+Mundwinkel und hütete sich, den Hosenboden zu zeigen. Es war zu dumm
+mit dem Hosenboden; keiner der andern Jungen hatte einen solchen, und
+es hatte auch einen Tanz gegeben, bis die Großmutter das Leder hatte
+darauf setzen dürfen. Aber es war noch schlimmer, daß gestern beim
+Gewitter der Blitz hineingefahren war. Der Knecht auf Opsal hatte
+es deutlich gesehen, wie er hineinfuhr — ja, er wußte selbst, daß
+das Leder den Blitz anzog —, und die Hosen waren seitdem so schwer
+gewesen. Und jetzt bliebe der Blitz darin, bis sie entzwei gingen,
+hatte der Knecht gesagt; aber dann verschwände er auch mit solcher
+Eile, daß der ganze Kerl umfiele.</p>
+
+<p>Bist du der Stadtjunge, der den Sommer auf Opsal liegen soll, um fett
+zu werden?</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p>Ja, du siehst auch aus, als ob du es nötig hättest.</p>
+
+<p>Nein, das war kein Indianer, das war eher ein verkleideter Räuber.</p>
+
+<p>Der Bauernjunge betrachtete ihn von oben bis unten. Er schien ihm
+nicht gerade ein forscher Kerl zu sein; es konnte nicht schwer sein,
+ihn durchzuprügeln. Aber wie furchtbar fein er war! Nirgends ein
+Lederfleck.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span></p>
+
+<p>Hast du deine guten Hosen auch Werktags an?</p>
+
+<p>Hm, er war gewiß ein verkleideter Räuber, wie sie in Italien zu Hause
+sind. Fiel die Lederhose von ihm ab, so stand er sicher in voller
+Rüstung da mit goldenem Gürtel und Pistolen. Es war am besten, sich
+nicht ängstlich zu zeigen; mutige Jungen gefielen den Räubern.</p>
+
+<p>Ich könnte noch einmal so feine Hosen haben, wenn ich nur wollte. Und
+mit verächtlicher Kopfbewegung wandte er sich gleichgültig um und sah
+wieder nach den Schafen.</p>
+
+<p>Der Bauernjunge wandte sich auch nach dem Zaun um, stützte sich mit dem
+Ellbogen dagegen und legte die Backe in die flache Hand.</p>
+
+<p>Was du auch für feine Hosen hast — einen so riesengroßen Widder hast
+du doch noch nie gesehen, nicht wahr?</p>
+
+<p>Aber ich habe den Elefanten gesehen; der ist dreimal, ja hundertmal so
+groß.</p>
+
+<p>Aber nicht so stark. Ich kann ihn gerade festhalten, wenn ich ihn an
+den Hörnern packe, und dann ist er wütend.</p>
+
+<p>Aber der Elefant ist so stark, daß hundert Mann, ja noch mehr dazu
+gehören, um ihn festzuhalten. Er könnte dich weit, weit wegschleudern,
+— ungefähr eine Meile weit.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p>
+
+<p>Hm! Glaubst du vielleicht, ich wäre nicht stark?</p>
+
+<p>Nicht so stark.</p>
+
+<p>Da spuckte der Bauernjunge in die Hände, ging einen Schritt vorwärts,
+und stellte sich in Bereitschaft.</p>
+
+<p>Soll ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen?</p>
+
+<p>Das klang drohend. Dem Stadtjungen fielen auf einmal alle Gefahren ein,
+denen seine Helden, Robinson, Karl von Rise und Gustav Vasa ausgesetzt
+gewesen waren. Als er auf das Land reiste, hatte er sich genau
+ausgedacht, wie er sich gegen Indianer und Räuber schützen wollte; aber
+er konnte sich auf keinen einzigen Kniff besinnen. Es pflegte auch
+immer Hilfe zu kommen von irgendeinem, der im Hinterhalt lag! Er spähte
+schnell umher, ob nicht wenigstens Netta, das Kindermädchen, das mit
+war, um auf ihn aufzupassen, im Hinterhalt lag; aber er sah nur den
+Widder, der aufmerksam geworden war und den Kopf mit den großen krummen
+Hörnern emporgerichtet dastand und sie anstarrte.</p>
+
+<p>Der Bauernjunge streckte den Arm aus, um ihn vor der Brust zu packen.</p>
+
+<p>Da fiel ihm plötzlich etwas ein, was er in der Schule gehört hatte. Er
+heftete die großen, erschreckten Augen auf seinen Gegner und sagte:</p>
+
+<p>Sklave, wagst du es, Hand anzulegen an Cajus Marius?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p>
+
+<p>Der Bauernjunge ließ den Arm sinken. Dieser seltsame Ausspruch kam
+ihm gänzlich unerwartet. Es ging wohl auch nicht recht an, ihn
+durchzuprügeln. Er trat ein paar Schritt zurück, und im selben Nu bekam
+er einen Stoß auf den Hosenboden.</p>
+
+<p>Es war der Widder, der sich in den Streit mischte.</p>
+
+<p>Da bekam der Stadtjunge Mut; es war ja gerade wie in den Geschichten:
+die Hilfe kam unerwartet. Jetzt würde er schon gewinnen — wenn auch
+nicht gerade den Skalp nehmen, so doch jedenfalls ihm einen Denkzettel
+geben. Der Widder ging ein paar Schritt zurück und die Reihe kam jetzt
+an ihn. Da bekam er einen Stoß mitten vor den Bauch, so daß er neben
+seinem gefallenen Gegner lag.</p>
+
+<p>Mit einem Satz waren sie beide über den Zaun, sie wußten nicht wie.</p>
+
+<p>Das erste, was der Bauernjunge untersuchte, war, ob seine Lederhose ein
+Loch bekommen hatte.</p>
+
+<p>Dann drohte er mit geballter Faust durch den Zaun.</p>
+
+<p>Das sollst du nicht umsonst getan haben, du Schweinehund.</p>
+
+<p>Der Stadtjunge zog ein etwas langes Gesicht, doch dies gab ihm wieder
+Mut. Es war, als ob sie sich auf einmal ganz gut kennten und gute
+Kameraden geworden wären.</p>
+
+<p>Hat er dir weh getan?</p>
+
+<p>Ach nein, es muß anders kommen, ehe es weh tut. Er drohte wieder: Ich
+werde dich schon zähmen!</p>
+
+<p>Als der Stadtjunge das Wort zähmen hörte, tauchte gleich sein
+Lieblingsgedanke wieder in ihm auf:</p>
+
+<p>Ob sie Philipp und Alexander sein sollten und <em class="gesperrt">der da</em> Buzephalos?</p>
+
+<p>Davon wußte der andere nichts; er kannte keinen andern Philipp als
+den Apostel Philippus und dann Philipp Storsveen, und Alexander und
+Buzephalos hatte er nicht einmal nennen hören.</p>
+
+<p>Darüber konnte der andere ihm Bescheid geben. Philipp war König von
+Mazedonien; das war ein Land weit, weit von hier, gerade so weit auf
+der andern Seite der Stadt, und es war lange her, sicher über hundert
+Jahre, und Alexander war dort Kronprinz. Philipp hatte ein Pferd, das
+sie Buzephalos nannten, und das konnten sie nicht zähmen, so sehr sie
+sich anstrengten.</p>
+
+<p>Da muß es ein Pferd aus Valders gewesen sein; denn das sind die
+schlimmsten.</p>
+
+<p>Nein, es war ein Araber.</p>
+
+<p>Nun, das wäre so ziemlich derselbe Schlag, soviel er wenigstens wüßte.</p>
+<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span>
+<p>Das war es wohl auch, und es war so toll und wild, daß es über alle
+Gartentore und Zäune in der Stadt sprang und Kirschen fraß. Dann
+berief Philipp sein ganzes Volk, den Diener und den Kutscher und die
+Generäle und die Minister und die Feuerwehr und die Schutzleute, und
+sagte, sie sollten so viel Elfenbein bekommen, wie sie zu tragen
+vermöchten, wenn sie den Buzephalos zähmten.</p>
+
+<p>War er nicht selber Manns genug, sein Pferd zu zähmen?</p>
+
+<p>Doch; aber für ihn, den König, ging es nicht an. Dann begannen sie; die
+Generäle zuerst; sie dachten nun einmal, sie wären die besten; aber
+viele von ihnen kamen gerade hinauf, da warf sie Buzephalos auch schon
+ab, daß es nur so rauchte. Selbst der Kutscher, der die beiden andern
+Pferde auf einmal lenken konnte, kam nicht weiter als bis ans Tor.</p>
+
+<p>Dann kam Alexander an die Reihe. Er nahm Anlauf und saß mit einem Satz
+im Sattel, — nein, das ist wahr, einen Sattel hatte er nicht. Und dann
+ging es fort — aber Alexander blieb sitzen — über die Gartentore und
+über die Hausdächer, und schließlich waren sie verschwunden.</p>
+
+<p>Blieben sie weg?</p>
+
+<p>Sie warteten sicher über eine Stunde. Da kamen sie denselben Weg
+zurück, und da war Buzephalos so zahm, daß er sich hinlegte wie ein
+andres Kamel.</p>
+
+<p>Hm! Ganz so toll trieb es der Braune auf Opsal<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> nicht, als sie ihn im
+Frühjahr zähmten. Aber sie mußten den Stangenzaum anwenden. Das hat
+Alexander wohl auch getan.</p>
+
+<p>Ja, davon wußte der andere nichts.</p>
+
+<p>Doch, das hatte er ganz bestimmt getan. Und dann war es nicht so
+gefährlich. Vor dem Stangenzaum mußten sie klein beigeben, wie
+ausgelassen sie auch waren, — wenn sie ihn nicht auf die Zähne zu
+nehmen verstanden. Aber den Kniff kannte wohl Buzephalos nicht, denn
+den kannten nur die ausgefahrenen Hemärkingsmähren.</p>
+
+<p>Es dauerte nicht lange, bis sie einig waren, diesen Plan auszuführen.
+Sie nahmen gleich die Titel an. Der Stadtjunge sollte selber Philipp
+von Mazedonien sein und der Bauernjunge Alexander, und jetzt hieß es
+immer nur König und Prinz. Netta mußten sie als General verwenden,
+und Alexander glaubte schon, daß er seine Großmutter bewegen würde,
+die Feuerwehr zu bilden. Die Zaunpfähle sollten die Schutzleute sein.
+Mazedonien sollte sich gerade vom Zaun bis an den Kuhstall erstrecken,
+und die Scheunenbrücke sollte das Schloß sein; da sollte der Thron
+errichtet werden. Alexander mußte genau lernen, wie er sich als
+Prinz zu benehmen, das Zepter zu berühren, und sich vor dem Thron zu
+verneigen habe. Dann verfaßte der Stadtjunge den Aufruf an das Volk
+von<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> Mazedonien, und am nächsten Tag sollte Buzephalos gezähmt werden.
+Darauf trennten sie sich mit königlichem Gruß und hochtrabenden Titeln.</p>
+
+<p>Alexander hatte bis spät am Abend damit zu tun, seiner Großmutter dies
+alles zu erzählen, und schließlich bekam er auch ein halbes Versprechen
+von ihr, daß sie als Feuerwehrmann mitmachen wollte, wenn gutes Wetter
+wäre. Aber wieviel er auch davon sprach, wie sie angezogen sein und wie
+sie aussehen sollten, so konnte er seine Großmutter doch nicht dazu
+bringen, sich über die Hose auszusprechen. Er hielt es indessen für
+so selbstverständlich, daß er die neuen Hosen anhaben müßte, wenn er
+Alexander sein sollte, daß er in dem sicheren Glauben einschlief, sie
+wäre derselben Meinung. Aber am Morgen, als er angezogen werden sollte,
+kam die Großmutter doch mit der Lederhose.</p>
+
+<p>Ob sie nicht mehr wüßte, daß er Alexander sein sollte?</p>
+
+<p>Doch, aber Großmutter meinte, daß diese gut genug wäre. Die
+Sonntagshosen müßten geschont werden.</p>
+
+<p>Das ging aber nicht an, Alexander hätte keine Lederhosen.</p>
+
+<p>Wenn er so schlimm war, seine Kleider zu zerreißen, so hat er schon
+auch welche gehabt, als er klein war.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span></p>
+
+<p>Ja, aber Philipp von Mazedonien war auch klein; er hatte keine.</p>
+
+<p>Es wäre etwas anderes mit den Stadtleuten, sie wären ständig im vollen
+Staat.</p>
+
+<p>Sie müßte doch verstehen, daß das nicht anginge. Der Blitz wäre auch
+hereingefahren. Sie könnte den Knecht auf Opsal fragen.</p>
+
+<p>Er sollte das nicht glauben; sie hätten ihn nur zum Besten.</p>
+
+<p>Ja, sie sollte sehen, wenn sie ein Loch bekäme, so —</p>
+
+<p>— Ja, dann wäre es am besten, wenn es die alten Hosen wären; — und er
+mußte sie trotz allem anziehen.</p>
+
+<p>Es war unglaublich, wie lange Großmutter brauchte, bis sie fertig
+war! Er hatte Zeit, es sich viele Male hin und her zu überlegen, wie
+er Buzephalos am besten lenken sollte, und er hatte sich schon längst
+einen Knoten ausgedacht, mit dem er das Tau so fest machen wollte, daß
+das Horn eher abgehen würde, als daß der Knoten aufginge.</p>
+
+<p>Endlich war Großmutter fertig, und sie zogen zusammen den Berg hinunter.</p>
+
+<p>Im Hof trat ihnen Philipp von Mazedonien und sein General entgegen,
+die dort auf sie warteten. Philipp hatte eine rote Papierkrone auf dem
+Kopf,<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> ein Schwert an der Seite und einen abgebrochenen Harkenstiel in
+der Hand. Das war Mazedoniens Zepter. Er streckte dem edlen Prinzen
+als Zeichen seiner königlichen Gnade das Zepter entgegen, daß er es
+berühren sollte; doch Alexander war von dem Staat so geblendet, daß er
+es vergaß. Oben auf der Scheunenbrücke war der Thron errichtet. Es war
+ein Stuhl mit einer Fußbank darauf.</p>
+
+<p>Philipp begann seine Befehle zu erteilen. Großmutter bekam den Befehl,
+Buzephalos zu holen und ihn an den Zaun zu binden.</p>
+
+<p>Dann bestieg Philipp von Mazedonien seinen Thron. Er schwang sein
+Zepter, blickte über Mazedoniens Land und Leute und hielt folgende Rede:</p>
+
+<p>Meine Generäle, Minister, Kutscher, Feuerwehrleute und Schutzleute!
+Ich, König Philipp, der Größte von Mazedonien tue hierdurch kund, daß
+ich meine königliche Gnade und hundert Ellen Elfenbein dem geben werde,
+der mein wildes Pferd Buzephalos, das im Schloßhof festgebunden steht,
+zähmen kann.</p>
+
+<p>Netta und Großmutter zogen sich auf die Scheunenbrücke zurück, wie
+ihnen befohlen worden war.</p>
+
+<p>Darauf blickte er sich vorwurfsvoll um:</p>
+
+<p>Wagt es niemand? Sind alle Mazedonier solche Feiglinge? Wenn ich nicht
+König wäre, würde ich es selbst tun.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span></p>
+
+<p>Da trat Alexander vor. Er verneigte sich ehrerbietig vor dem Throne.
+Philipp streckte sein Zepter aus, und er berührte es.</p>
+
+<p>Das ist recht, mein Prinz, jetzt kann ich sehen, daß es noch Männer in
+Mazedonien gibt.</p>
+
+<p>Alexander machte kehrt und näherte sich Buzephalos, der dastand und am
+Tau riß. Er machte runde Ellbogen und schlenkerte mit den Armen.</p>
+
+<p>So groß war er sich noch nie vorgekommen. Er konnte es nicht lassen,
+einen verstohlenen Blick auf Philipp und Mazedoniens Volk zu werfen,
+und der Mund war breiter und lachender, als es sich streng genommen für
+einen Prinzen ziemte. Jetzt sollte er doch einmal zeigen dürfen, was er
+für ein forscher Kerl war.</p>
+<p>Er biß die Zähne zusammen und nahm einen so kräftigen und tiefen
+Anlauf, daß die Hosen fast hinten aufstießen. Es mißglückte.</p>
+
+<p>Ja, das hatte er sich gedacht; sie waren zu schwer, weil der Blitz
+darin war.</p>
+
+<p>Er versuchte es noch einmal. Und diesmal gelang es.</p>
+
+<p>Da saß er. Der Widder machte einen Satz, doch da er nicht los kam,
+drückte er sich an den Zaun, so daß Alexander Gelegenheit bekam, das
+Tau zu lösen. Er löste es und warf im selben Nu wieder einen Blick auf
+die Mazedonier.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span></p>
+
+<p>Doch da sprang das Hinterteil von Buzephalos auf einmal in die Luft,
+und das Tier lief ein paarmal um sich selbst. Alexander schreckte
+zusammen, so daß er das Tau los ließ und sich mit beiden Händen an der
+Wolle festklammerte.</p>
+
+<p>Philipp sprang auf den Thron hinauf, schwang das Zepter und rief:</p>
+
+<p>Suche dir ein anderes Königreich, Alexander, Mazedonien ist für dich zu
+klein.</p>
+
+<p>Jetzt flog Buzephalos in langen Sätzen immer schneller und schneller
+davon; bald war er ganz hinter den Ställen verschwunden. Alexander hing
+fest, und das letzte, was sie sahen, war eine breite Lederhose, die
+zwischen dem Halse und der Lende von Buzephalos hin und her geworfen
+wurde, als er sich über die Grenze von Mazedonien hinaus begab.</p>
+<p>Nach kurzer Zeit kam er wieder auf der anderen Seite vom Hauptgebäude
+zum Vorschein und lief dann in rasender Eile um das Vorratshaus
+herum. Alexander hing noch immer darauf, und da der Widder ihn nicht
+los werden konnte, schlug er wieder den Kurs über die Grenzen von
+Mazedonien und gerade auf das Schloß zu, ein. Er wollte zu Leuten
+kommen und nahm seine Zuflucht zur Großmutter.</p>
+
+<p>Da verlor Philipp völlig den Kopf. Er erhob sich auf dem Thron und
+schleuderte sein Zepter gegen das Tier.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp54" id="illu-111" style="max-width: 45.625em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-111.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span></p>
+
+<p class="p2">Buzephalos erschrak, machte eine schnelle Wendung und stieß gerade
+gegen den Thron von Mazedonien, so daß dieser umfiel, erschrak immer
+mehr und sprang mit einem gewaltigen Satz die Brücke hinunter.</p>
+
+<p>— — Als Buzephalos weiter galoppierte, war er allein.</p>
+
+<p>Netta nahm sich des gefallenen Königs Philipp an, der Nasenbluten hatte
+und weinte, und Großmutter lief schnell hinunter, um nach Alexander zu
+sehen.</p>
+
+<p>Der erhob sich mit königlichem Zorn, zeigte mit der einen Hand einen
+Riß in der Hose, und mit der anderen drohte er der Großmutter:</p>
+
+<p>Das hatte ich dir gleich gesagt, Großmutter, es geht nicht an,
+Alexander zu sein, wenn man eine Lederhose hat, in die der Blitz
+gefahren ist.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-113_2">
+ <img class="w100" src="images/illu-113.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Holzvermesser Ole Pedersen.</h2>
+</div>
+
+<p>Das letzte, was ich am Abend vor dem Einschlafen sah — es war in einer
+dieser herrlichen Sennhütten dicht unterhalb der Rondaneberge — war
+eine Leiter, die auf den Boden unter dem Dach hinaufgezogen wurde.
+Einen Augenblick vorher war der Hirtenjunge Ole dort hinaufgekrochen
+— in vollem Anzug, mit schwarzem Rock und den Strohhut auf dem Kopf,
+wobei die Bergstiefel mit den großen, blanken Hackeneisen gegen die
+Stufen der Leiter klapperten. Dann rumorte er eine Zeitlang da oben;
+er zog wohl die wichtigsten Kleidungsstücke aus. Darauf wurde es
+still; dann schnarchte er, und bald schliefen wir alle miteinander,
+die Sennerin in dem einen Bett, ich, der ich auf einer Fußtour war, im
+andern und Ole auf dem Boden.</p>
+
+<p>Das erste, was ich am Morgen hörte, war die Sennerin, die zum Boden
+hinaufrief:</p>
+
+<p>Ole, jetzt mußt du aufwachen, jetzt wollen wir gleich die Ziegen
+melken.</p>
+
+<p>Nichts rührte sich auf dem Boden, niemand antwortete, und die Sennerin
+machte eine Wendung nach dem Herd, wo der Kaffeekessel schon kochte und
+brodelte.</p>
+
+<p>Dann fing sie wieder an:</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span>
+
+<p>Ole, jetzt mußt du aufstehen.</p>
+
+<p>Keine Antwort. Sie machte sich noch ein wenig unten zu schaffen; dann
+stellte sie sich gerade unter den Boden und ich sah, daß sie lächelte:</p>
+
+<p>Pedersen, jetzt ist's Zeit aufzustehen.</p>
+
+<p>Heh —? antwortete es oben vom Boden.</p>
+
+<p>Jetzt muß Holzvermesser Pedersen aufstehen.</p>
+
+<p>Niemand antwortete; aber im selben Nu kam der alte Strohhut mitten
+in die Stube hineingesegelt und blieb in dem breiten Sonnenstreifen
+liegen, der sich vom Fenster schräg durch das Zimmer zog. Einen
+Augenblick darauf kam der eine Bergstiefel mit einem schweren Krach
+hinterher; kurz danach der andere. Dann kam die Leiter, sie wurde
+vorsichtig vom Boden heruntergelassen und schließlich kam Ole rückwärts
+heruntergestiegen, die Hosenträger hinten herunterhängend, den
+schwarzen Rock über dem einen Arm und die zusammengebundenen Strümpfe
+über dem andern. Er kam in die Stube herunter, schnitt Gesichter gegen
+die Sonne und dehnte sich nachdrücklich. Darauf setzte er sich auf
+die äußerste Ecke des Herdes und begann sich anzuziehen. Er löste die
+Strümpfe voneinander, zog einen an, spuckte in die Hände und zog das
+Strumpfband lang. Es ging langsamer und langsamer, als er es festband
+und es ging sehr langsam, als er nach dem andern Strumpf griff. Als er
+ihn halbangezogen hatte, hörte er ganz auf und neigte sich bedenklich
+tief nach der einen Seite, als ob er vom Herd herunterfallen wollte; —
+es war ja auch recht früh am Morgen. Da sperrte er plötzlich die Augen
+weit auf, biß die Zähne zusammen, zog die Strümpfe mit einem Ruck an
+und schnürte das Strumpfband ordentlich zu. Im Handumdrehen hatte er
+die Hosenträger angeknöpft und den Rock angezogen. Dann dehnte er sich
+wieder und spazierte geradeswegs in die Bergstiefel hinein, die mitten
+im Zimmer standen und gähnten; sie gingen von allein an. Dann stand er
+einen Augenblick da und sah den Strohhut an, ging dann hin und schlug
+die Tür weit auf. Darauf kam er noch einmal zurück, blickte wieder den
+Hut an:</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span>
+
+<p>Der elende Hut! damit versetzte er ihm mit dem Fuß einen Stoß, daß er
+aus der Tür flog, ging selbst nach und machte die Tür hinter sich zu.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Als ich aufgestanden war, erfuhr ich von der Sennerin, warum Ole
+Holzvermesser Pedersen hieß; — ja, sein Vater hieß Peder, mit Pedersen
+hatte es also seine Richtigkeit; aber Holzvermesser war er nun doch
+nicht. Bei der Holzvermessung im Frühjahr hatte einer der Vermesser
+Pedersen geheißen, und Holzvermesser waren die großartigsten Menschen,
+die Ole gesehen hatte. Er war den ganzen Tag dabei, und plötzlich ging
+er hin und gab dem Holzvermesser die Hand:</p>
+
+<p>Guten Tag, ich höre, wir haben denselben Namen.</p>
+
+<p>Nein, was du nicht sagst, heißt du auch Pedersen?</p>
+
+<p>Ja, und darum wollte ich fragen, ob du mich nicht als Holzvermesser
+annehmen könntest?</p>
+
+<p>Nein, das kann ich nicht, solange du den Hut da hast, — dies geschah
+im frühsten Frühjahr, und Ole hatte schon den Strohhut aufgesetzt — du
+mußt eine Talermütze aufhaben, um Holzvermesser zu werden, — ja, und
+schwarzen Rock.</p>
+
+<p>Seit der Zeit konnte Ole seinen Hut nicht recht leiden; einen Rock
+hatte er bekommen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Ich ging hinaus und traf Ole, der dabei war, die Ziegen zu melken. Ich
+versuchte ein Gespräch über die Ziegen mit ihm anzuknüpfen; aber er
+wollte nicht recht dran und war sehr wortkarg. Ich fragte ihn, was er
+werden sollte, doch er wollte nicht mit der Sprache heraus. Dann sagte
+ich:</p>
+
+<p>Es sind schöne Balken hier im Schafstall.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span></p>
+
+<p>Ja der Grundbalken ist wohl 12: 10 gewesen und derselbe Stamm hat noch
+einen Balken 8: 10 geliefert.</p>
+
+<p>Nein, das doch wohl nicht!</p>
+
+<p>Ole sah mich sehr überlegen an.</p>
+
+<p>Du bist sicher kein Holzvermesser?</p>
+
+<p>Nein, das bin ich nicht.</p>
+
+<p>Das merke ich.</p>
+
+<p>Damit war diese Unterhaltung zu Ende.</p>
+
+<p>Als Ole kurz darauf die Ziegen durch das steile Birkenwäldchen
+hinuntertrieb, das auf beiden Seiten am Flußabhang lag, schlich ich ihm
+nach.</p>
+
+<p>Es war ein herrlicher Morgen mit Sonnenstreifen rings auf allen Bergen
+und grauem Gestein, so weit man hinaufblicken konnte, bis hoch, hoch
+in die Luft, und unten frische grüne Birkenabhänge bis hinunter an die
+klaren glitzernden Flüsse und Bäche im Talgrund.</p>
+
+<p>Von der Sennhütte drüben stieg ein langer blauer Rauch empor, und an
+den Abhängen standen die Ziegen zu zweit an den kleinen Birken und
+rupften das Laub ab. Auf einer kleinen Lichtung im Birkenwald stand Ole
+und blickte sich vorsichtig um, und dicht am Waldrand lag ich, ohne
+gesehen zu werden.</p>
+
+<p>Als Ole eine Weile ruhig gestanden hatte, riß er den Hut ab und warf
+ihn auf die Erde. Darauf ging er auf eine Birke zu.</p>
+
+<p>Guten Tag. Wird hier Handel getrieben?</p>
+
+<p>Er antwortete selber für den andern: Ja.</p>
+
+<p>Hast du Talermützen?</p>
+
+<p>Ja, hier ist dieselbe, die Holzvermesser Pedersen hat.</p>
+
+<p>Ja, das sehe ich; denn ich kenne ihn. Aber ich will nicht mehr als zwei
+Kronen dafür geben.</p>
+
+<p>Zwei Kronen für eine Talermütze, das ist eine seltsame Rechnung.</p>
+
+<p>Seltsam oder nicht, ich gebe nicht mehr.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span></p>
+
+<p>Ja, dann kommt kein Geschäft zustande.</p>
+
+<p>Ja, du weißt, ich könnte schon geben, was du verlangst; aber wenn ich
+es mir überlege, so habe ich nicht mehr als zwei Kronen bei mir.</p>
+
+<p>Kannst du denn nicht wiederkommen?</p>
+
+<p>Hm, ich habe auch nicht mehr als zwei Kronen, soviel ich mich besinnen
+kann. Könntest du mir die eine Krone nicht so lange borgen?</p>
+
+<p>Ich pflege nicht zu borgen.</p>
+
+<p>Ja, aber du könntest doch mal eine Krone auf meine Rechnung
+aufschreiben?</p>
+
+<p>Ja, das könnte ich schon mal. Welchen Namen darf ich aufschreiben?</p>
+
+<p>Du kannst Holzvermesser O. Pedersen schreiben.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span>
+
+<p>Dann tat er, als nähme er die Mütze in Empfang und setzte sie auf.
+Darauf griff er in die Innentasche seines Rocks und holte einen
+Bleistift und ein Notizbuch vor. Er buchstabierte laut, während er
+schrieb:</p>
+
+<p>O. Pedersen, Holzvermesser, hat folgende Dimensionen bekommen.</p>
+
+<p>Jetzt müßt ihr die Axt gut anlegen, Leute, und nicht schneller, als ich
+rufe. Fegt den Schnee dort weg; wir müssen sehen, was wir vermessen.
+Dann tat er, als ob er an einem Holzstapel entlang ging.</p>
+
+<p>Hm, dieser soll also zwölf sein. Fangen wir also an.</p>
+
+<p>Er fing an; und jedesmal, wenn er rief, tat er einen Schritt zur Seite
+und machte einen Vermerk ins Buch.</p>
+
+<p>Zwölf Ellen lang, acht und ein halb Zoll dick! Ditto! Ditto! Zwölf
+zehn! Hübscher Stamm! Zwölf acht! Zwölf neun! Zwölf — pfui, das ist
+ein schlechter Stamm — den müssen wir auf zwölf acht heruntersetzen!
+Zwölf zehn. Zwölf — ganz krumm, der soll wohl zum Bootsbau dienen?
+Der ist morsch; den nehmen wir nicht. Zwölf zwölf! Bravo! Noch einmal
+ditto, zwölf acht und ein halb! Zwölf neun! Zwölf zehn! Ditto! Ditto!
+Gut gearbeitet, Leute, jetzt nehmen wir einen Schnaps!</p>
+
+<p>Damit trollte sich Ole zur Sennhütte; denn es gab viel zu tun, und er
+durfte nicht lange fort sein.</p>
+
+<p>Als ich aufbrach, verabschiedete ich mich auch von Ole, und da gab ich
+ihm die Krone, die ihm, wie ich wußte, an seiner Talermütze fehlte.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span>
+
+<figure class="figcenter illowp59" id="illu-121" style="max-width: 46.875em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-121.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span>
+
+<p class="p2">Er sah mich ein wenig erstaunt an und wollte mir die Hand reichen. Aber
+dann griff er plötzlich an den Hut und nahm ihn ab; er sah erst aus,
+als ob er ganz feierlich sein und mit dem Hut in der Hand sich durch
+Handschlag bedanken wollte.</p>
+
+<p>Doch dann schleuderte er den Hut weg, griff langsam und feierlich in
+die Innentasche seines Rockes und holte Bleistift und Notizbuch hervor.</p>
+
+<p>Er hielt es in der Hand und schrieb sehr sorgfältig mit ernstem
+Gesicht. Endlich riß er das Blatt heraus, steckte das Buch und den
+Bleistift in die Tasche und reichte mir das Blatt: Bitte sehr!</p>
+
+<p>Ich habe den Zettel noch, und er sieht so aus:</p>
+
+<figure class="figcenter illowp100" id="illu-123" style="max-width: 50em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-123.jpg" alt="Handschrift">
+</figure>
+
+<p class="p2">Seitdem habe ich Ole nicht wieder gesehen; aber ich habe gehört, daß
+er eine Talermütze bekommen hat; Holzvermesser ist er wohl noch nicht
+geworden; aber das wird er schon mit der Zeit.</p>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-114">
+ <img class="w100" src="images/illu-114.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="p2">Ranzenräuber und Zottelbär.</h2>
+</div>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span>
+
+<p>Während die Sennerin auf der nördlichen Kvinstölhütte im Begriff war,
+das Vieh loszubinden, schlich sich Christian einen Augenblick an das
+Sennhüttenfenster und steckte den verbogenen Messingkamm zu sich.</p>
+<p>Darauf ließ er das Kleinvieh hinaus und trieb es schnell über den Hügel
+hin.</p>
+
+<p>Heute vergrub er die Hände nicht in den Hosentaschen, wie er zu tun
+pflegte, er fühlte die warme Morgensonne nicht und blickte nicht
+nach den blauen Bergen. Er fühlte sich etwas schwach und zitternd in
+den Knien und kümmerte sich gar nicht um die zärtlichsten Ziegen,
+die sich immer zu hinterst hielten, den Kopf umdrehten und ihm
+entgegenmeckerten. Der einzige, um den er sich kümmerte, war der große
+Bock, der Ranzenräuber hieß, seit er letzten Frühling Christians Ranzen
+geöffnet und ihm das Brot und den Schinken weggefressen hatte.</p>
+
+<p>Denn heute galt es. Gestern waren sie auch auf den südlichen Kvinstöl
+gekommen, und jetzt sollte<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> entschieden werden, wer diesen Sommer
+Oberhirte sein würde, er oder Per Nordberg, und Oberhirte sollte der
+sein, der den stärksten Bock hatte.</p>
+
+<p>Letztes Jahr hatte Christian verloren, da hatte Zottelbär über
+Ranzenräuber gesiegt. Darein hatte Christian sich finden müssen,
+und es war auch gar nicht so ärgerlich gewesen, solange sie auf der
+Sennhütte waren, denn es zog keine andern Nachteile nach sich, als
+den Schimpf, den schwächeren Bock zu haben — und da räumte auch Per
+ein, daß es nach Zottelbär keinen besseren Bock gäbe als Ranzenräuber
+— und dann durfte der Oberhirte immer den Platz wählen, wo sie die
+Herden trennen sollten, wenn sie zusammen gewesen waren. Aber im Winter
+war es ärgerlich gewesen; da trafen sich Per und Christian nur in der
+Schule, und da konnte Per es nicht sein lassen, davon zu reden und
+Ranzenräuber, so daß alle es hörten, einen ganz gewöhnlichen Bock zu
+schimpfen. Und außerdem war es nicht sicher, daß es so ganz richtig
+zugegangen war, als sie letztes Jahr aneinander gerieten; Per hatte ein
+Viertel Tabak für Zottelbär gehabt, das er ihm während der Mittagsruhe
+gegeben hatte, und trotzdem hätte dieser sicher nicht gewonnen, wenn
+er nicht Ranzenräubers Vorderfuß zwischen die Hörner bekommen und ihn
+beinahe ausgerenkt hätte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span></p>
+
+<p>Christian schob den neuen Strohhut in den Nacken und warf einen Blick
+nach der Sennhütte zurück. Ja, jetzt war sie nicht mehr zu sehen.</p>
+
+<p>Er lockte:</p>
+
+<p>Komm, komm Ranzenräuber!</p>
+
+<p>Ranzenräuber legte den Kopf schief nach hinten und meckerte. Darauf
+drehte er um und kam langsam, die langen Hörner hoch in die Luft
+streckend, auf Christian zu.</p>
+
+<p>Christian stellte sich in Bereitschaft, streckte beide Hände vor und
+packte ihn an den Hornenden:</p>
+
+<p>Laß dich mal erproben!</p>
+
+<p>Ranzenräuber, der das Spiel kannte, stellte sich auch in Bereitschaft
+und begann zu schieben. Nach kurzer Zeit stieß er Christian gegen einen
+Birkenstamm, daß es krachte.</p>
+
+<p>Ja, schwach bist du nicht, aber du mußt dir nicht einbilden, daß ich
+meine ganze Kraft anwandte.</p>
+
+<p>Christian kniete nieder und holte den Messingkamm hervor. Der Bock
+schmiegte sich an ihn.</p>
+
+<p>Jetzt sollst du geputzt werden für die Musterung.</p>
+
+<p>Er kämmte den Bart und die Büschel an der Stirn und an den Seiten, die
+blauen Zotteln fielen so seidenweich und fein, wie Christian sie noch
+nie gesehen hatte. Das war hübscher als die langen schwarzen Zotteln
+vom Bären.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span></p>
+
+<p>Als er fertig war, betrachtete Christian den Bock noch einmal genau,
+und dann trotteten die beiden Seite an Seite der Herde nach, die weit
+vorangekommen war.</p>
+
+<p>Bald waren sie oben auf der Höhe und blickten den Abhang nach dem
+Riesenmoor hinunter.</p>
+
+<p>Ja, wenn sie zur richtigen Zeit auf dem südlichen Kvinstöl lockten, so
+konnte Per jetzt nicht mehr weit sein.</p>
+
+<p>Christian begann zu jodeln, daß es durch das Birkenwäldchen schallte.</p>
+
+<p>Sogleich ertönte von weit unten her die Antwort. Ja, da war Per.</p>
+
+<p>Christian faßte Ranzenräuber am Nacken und ging vor der Herde den
+Abhang hinunter. Die ganze Zeit jodelte er, und die ganze Zeit
+antwortete es noch lauter, er konnte hören, daß Per auch schnell
+heraufkam. Dort sah er etwas Weißes hinten zwischen den Birken
+auftauchen. Ob wohl Per auch einen neuen Strohhut hatte? Er hatte
+wenigstens geglaubt, <em class="gesperrt">das</em> für sich zu haben.</p>
+
+<p>Bald waren sie einander so nahe gekommen, daß sie sich verstehen
+konnten:</p>
+
+<p>Heh Junge, hier kommt der Oberhirte.</p>
+
+<p>Heh hier auch! Hier kommt einer, der <em class="gesperrt">über</em> dem Oberhirten ist!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span></p>
+
+<p>Was kannst du für dich ins Feld führen?</p>
+
+<p>Einen blauen Bock mit hohen Hörnern, einen forschen Jungen mit neuem
+Hut!</p>
+
+<p>Und was hast du?</p>
+
+<p>Einen schwarzen Bock mit höheren Hörnern, einen forschen Jungen mit
+feinerem Hut!</p>
+
+<p>Wann soll der Kampf stattfinden?</p>
+
+<p>Wenn die Sonne zwischen der Tiefkluft und der Kvinhornschnute steht.</p>
+
+<p>Da sollst du beide, den Bock und den Jungen, treffen.</p>
+
+<p>Wo soll die Schlacht stattfinden?</p>
+
+<p>Auf der Ebene zwischen dem Riesenmoor und dem Blausee.</p>
+
+<p>Dort wirst du beide, den Bock und den Hut, treffen.</p>
+
+<p>Sie gingen näher aneinander. Als sie ein paar Schritt entfernt waren,
+rief Per:</p>
+
+<p>Jetzt sollen die Kämpfer sich begrüßen.</p>
+
+<p>Das meine ich auch.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span>
+
+<p>Sie führten die Böcke gegeneinander vor und ließen sie los. Sie
+beschnoberten sich ein wenig, legten die Köpfe schief, und fingen an,
+sich leise zu reizen, indem sie die Mähnen erhoben. Sie waren auf dem
+Sprunge, aufeinander loszufahren.</p>
+
+<p>Da nahmen Per und Christian jeder den seinen wieder — der Kampf sollte
+erst am Nachmittag stattfinden — und führten sie zur Herde zurück.
+Als sie sie wegführten, warfen sie beide einen verstohlenen Blick nach
+rückwärts, sie fanden eigentlich beide, daß der Bock des anderen seit
+dem letztem Jahre unglaublich groß geworden war.</p>
+
+<p>Als sie die Böcke zurückgeführt hatten, trafen sie wieder zusammen,
+das Nähere zu verabreden. Sie waren beide nicht mehr sicher, und darum
+schnitten sie gewaltig auf und erzählten sich, wie sie das feinste
+Gras auf der Weide pflücken und es den Böcken während der Mittagsruhe
+geben wollten, und als Per zum Schluß ein Viertel Tabak vorzeigte,
+tat Christian dasselbe, und noch dazu war seiner vom Äußersten in der
+Rolle, während der von Per nur Einlage war. Dann entstand ein Streit
+wegen der Hüte; es war ja schon etwas, wenn man sich den feinsten Hut
+gesichert hatte, für den Fall, daß man den schwächsten Bock bekam. Und
+dann trennten sie sich, um zur Mittagsruhe nach Hause zu ziehen.</p>
+
+<p>Christian hatte während dieser Mittagsruhe nicht viel Zeit zum Essen,
+er mußte gleich wieder hinaus und auf der Weide Gras für Ranzenräuber
+pflücken. Als er den Hut und den Schoß voll hatte von dem feinsten
+und zartesten, das er finden konnte, ging er auf die Wiese an der
+Sennhütte und legte es auf einen Haufen dicht am Viehgatter. Darauf
+ging er<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> in das Gehege hinein, störte Ranzenräuber, der ruhig dalag und
+wiederkäute, und zog ihn heraus.</p>
+
+<p>Er führte ihn an das Gras, doch der schnoberte nur daran, sah Christan
+an und schmiegte sich an ihn. Als er das getan hatte, legte er sich
+ganz ruhig nieder und kaute weiter.</p>
+
+<p>Ja, ja, er würde schon fressen, wenn man ihm Zeit ließe. Christian
+legte sich auch hin in die Sonnenglut am Zaun, streckte sich aus und
+legte den Hut über das Gesicht.</p>
+
+<p>Die strahlendste Sommersonne strömte auf die grüne Bergwiese nieder. Es
+war so still, daß das Hermelin aus der Mauer guckte und die Bachstelze
+ungestört ihr Nest im Ziegenstalle besuchte, wo das ganze Kleinvieh lag
+und schlief oder döste oder wiederkäute. Bald schlief auch Christian
+mit all den andern unter dem hohen blauen Himmel, wo es keine Wolke gab
+und wo sich auch kein Windhauch regte.</p>
+
+<p>So lagen sie lange.</p>
+
+<p>Plötzlich fuhr Christian in die Höhe und stützte sich auf die Ellbogen.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span>
+
+<figure class="figcenter illowp90" id="illu-131" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-131.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p class="p2">Er hatte etwas Unangenehmes geträumt, konnte sich aber nicht darauf
+besinnen, was es war, und es dauerte auch eine Weile, bis er sich
+klar machen konnte, wo er war. Er rieb sich die Augen. Doch, jetzt
+besann er sich. Er war ja auf der Sennhütte und hatte sich draußen zum
+Schlafen hingelegt.</p>
+
+<p>Er tastete umher.</p>
+
+<p>Wo er wohl den Hut hingelegt hatte?</p>
+
+<p>Dann fiel ihm der Bock ein, und er sah zu ihm hinüber. Da riß er
+freilich die Augen auf. Dort stand Ranzenräuber am Zaun und zupfte an
+etwas Weißem.</p>
+
+<p>Es war der Hut! Ein Stück von der Krempe war das einzige, was übrig
+war! Das übrige hatte er gefressen, und dort lag das ganze feine Gras
+unberührt!</p>
+
+<p>Er wurde furchtbar wild, ergriff eine Stange, um den Bock
+durchzubläuen. Doch er besann sich und ließ sie fallen:</p>
+
+<p>Nein, da hätte ich acht Groschen drum gegeben — —. Aber meinetwegen,
+wenn du mich heute zum Oberhirten machst, so soll er dir gegönnt sein.</p>
+
+<p>Da hast du ein Viertel Tabak zum Nachtisch.</p>
+
+<p>Den fraß Ranzenräuber.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am Nachmittag trafen sich Per und Christian auf der verabredeten
+Stelle, jeder mit seinem Bock.</p>
+
+<p>Es war nicht so feierlich wie am Vormittag; denn Christian, der nur
+in der Mütze erschien, mußte gleich Bericht erstatten, wie es dem Hut
+ergangen war,<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> und da fühlte Per sich sehr überlegen; denn nun hatte
+er doch jedenfalls in der einen Richtung gesiegt. Und er konnte auch
+erzählen, daß Zottelbär während der ganzen Mittagsruhe Gras gefressen
+hatte; Christian wurde ganz verzagt.</p>
+
+<p>Auf einer kleinen grünen Ebene sollte der Kampf stattfinden, mitten
+zwischen einem mit Birken bewachsenen Hügel und dem Rand vom
+Riesenmoor. Gegen das Moor war sie durch eine schmale, tiefe Rinne
+abgegrenzt, wo nur ein wenig Wasser durchsickerte.</p>
+
+<p>Sie führten die Böcke vor und ließen sie einige Schritte voneinander
+los. Ranzenräuber hob gleich die Mähne, Zottelbär blieb faul stehen und
+sah sich um. Ranzenräuber ging vor und schnoberte an ihm. Zottelbär
+schnoberte wieder, sah aber ganz sanft aus.</p>
+
+<p>Christian und Per standen jeder auf seiner Seite von der Ebene und
+wagten kaum zu atmen.</p>
+
+<p>Ranzenräuber versuchte seinen Gegner zu reizen, aber der andre nahm
+es gemütlich, darauf wagte er sich heran, legte den Kopf schief und
+wollte ihm mit seinem spitzen Horn einen Stoß in die Seite versetzen.
+Doch Zottelbär war auf seinem Posten. Er warf rasch den Kopf zur Seite,
+so daß die Hörner mit einem Knall zusammenstießen. Jetzt hob auch der
+andere die Mähne und bekam blitzende Augen. So balgten sie sich eine
+Weile herum. Endlich erhob<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> sich Ranzenräuber auf die Hinterbeine,
+Zottelbär stellte sich in Bereitschaft, und sie krachten gegeneinander
+los, als sollten die Hörner mitten entzweibrechen.</p>
+
+<p>Damit hatte der Kampf begonnen. Er sollte hart und lang werden. Im
+Anfang wandte Zottelbär eine List an, er ließ den andern sich auf die
+Hinterbeine erheben und nahm nur den Stoß entgegen, das strengte die
+Kräfte weniger an und es fiel ihm schwer, sich aufzurichten, denn er
+hatte so viel Zotteln. Aber der andere durchschaute ihn bald, und dann
+reizte er nur, bis Zottelbär auch in die Höhe mußte. Zottelbär war
+schwer, und das gab seinen Schlägen viel Wucht, so daß Ranzenräuber
+jedesmal die Hörner schüttelte, sobald er einen Stoß bekommen hatte.
+Aber er gab sich darum doch nicht. Endlich machte Zottelbär eine rasche
+Wendung und bekam seinen linken Vorderfuß zwischen die Hörner; es sah
+häßlich aus.</p>
+
+<div class="poetry-container">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent2">Christian stürzte vor.</div>
+ <div class="verse indent2">Das ist nicht erlaubt!</div>
+ <div class="verse indent2">Aber Per stürzte auch vor:</div>
+ <div class="verse indent2">Willst du sie in Ruhe lassen!</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Sie waren nahe daran, gegeneinander loszufahren, aber im selben Nu kam
+der Fuß los, und sie gingen an ihre Plätze zurück.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span></p>
+
+<p>Der Kampf hatte jetzt eine gute halbe Stunde gedauert, und Zottelbär
+fing an stark zu keuchen; er wollte gern zwischen jedem Stoß eine
+kleine Pause machen und ausruhen. Doch dazu bekam er keine Zeit.
+Endlich kam die Entscheidung. Nach einem starken Stoß, glaubte er,
+würde er einen Augenblick Ruhe haben, aber Ranzenräuber rannte
+gewaltig gegen ihn an. Sie waren dicht an die tiefe Rinne am Moorrand
+gekommen und bums — da lag Zottelbär unten, so daß die Zotteln um ihn
+herumstanden.</p>
+
+<p>Christian schrie vor Freude.</p>
+
+<p>Sei ruhig, rief Per, das ist gemogelt!</p>
+
+<p>Zottelbär kletterte wieder heraus, triefend von Wasser und Moorerde.</p>
+
+<p>Ranzenräuber wollte gleich auf ihn losstürzen. Er wehrte sich, zog sich
+aber seitwärts zurück. Als Ranzenräuber im Ernst einen Anfall machte,
+lief er fort.</p>
+
+<p>Hurra! rief Christian und sprang hoch in die Luft. Hier siehst du den
+Oberhirten, den Jungen mit dem Bock und dem Hut.</p>
+
+<p>Er griff nach dem Kopf, um den Hut zu schwingen, kriegte aber nur die
+Mütze zu fassen. Er wurde auf einmal ganz kleinlaut.</p>
+
+<p>Per war auch dazugekommen:</p>
+
+<p>Ja, Oberhirte bist du, aber <em class="gesperrt">hier</em> ist der Junge mit dem Hut!</p>
+
+<p>Nein, das ging Christian zu weit:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span></p>
+
+<p>Der elende Hut! Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß Ranzenräuber
+den fressen würde!</p>
+
+<p>Glaubst du vielleicht, daß ihm deine Mütze lieber wäre?</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-137">
+ <img class="w100" src="images/illu-137.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+
+<h2 class="p2">Tischler Simen und der Blaufuchs.</h2>
+</div>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span>
+
+<p>Er war also wahrhaftig wieder dagewesen! Mitten in die Kuhstalluke
+hatte er seine Schnauze gesteckt!</p>
+
+<p>Nein, das war zu ärgerlich!</p>
+
+<p>Jon Stubsveen kam hinter dem Kuhstall hervor und ging geradeswegs auf
+seinen Vater zu, der in Festtagskleidern in der Haustür stand, die
+Arme von sich streckte und gähnte. Es war am frühen Morgen des zweiten
+Weihnachtsfeiertages und glänzend weiß und kalt.</p>
+
+<p>Jon zog die Mütze schief über das eine Ohr, das dem Nordwind zugewandt
+war, setzte den Fausthandschuh in die Seite und den einen Fuß vor.</p>
+
+<p>Er ist wahrhaftig wieder dagewesen, Vater.</p>
+
+<p>Mundwinkel und Kniee zitterten ihm.</p>
+
+<p>Ist es nicht ärgerlich, daß der Fuchs sich jede Nacht an die Häuser
+heranschleicht, und man nicht einmal das passende Werkzeug hat, um ihm
+eins aufs Fell zu brennen!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span></p>
+
+<p>An diesen Fuchs hatte Jon jetzt lange Zeit Tag und Nacht gedacht
+und darüber nachgegrübelt, wie er ihn fassen könnte. Stubsveen lag
+so weit abseits, daß sich der Fuchs in den klaren Nächten bis an die
+Häuser heranwagte. Als sie im Herbst das Schwein schlachteten, hatten
+sie nämlich einen Teil der Eingeweide auf den Misthaufen vor die
+Kuhstalluke geworfen, und dort war der Fuchs jetzt manchmal und grub
+und fraß. Jeden Morgen ging Jon hin und sah nach, ob er dagewesen
+war, und mit jedem Tag wurde er ärgerlicher. Er hatte eine seiner
+Hasenfallen dort aufgestellt; aber der Fuchs war natürlich um sie
+herumgegangen. Nein, er hätte eine Flinte haben sollen! Aber er wußte
+nicht mehr als einen Menschen, der eine hatte, und das war Tischler
+Simen. Er mußte versuchen, ob er zu ihm gehen dürfte.</p>
+
+<p>Wäre es nicht am besten, ich ginge zu Tischler Simen und borgte seine
+Flinte; da sollte er weiß Gott dran glauben müssen.</p>
+
+<p>Ach, du bist ein Dummrian! Glaubst du, daß es angeht, mit der
+Donnerbüchse zu schießen, die noch dazu nur eine Steinschloßflinte ist?</p>
+
+<p>Oh, Simen hatte schon einen Blaufuchs damit geschossen, und noch dazu
+einen, der so scheu und vorsichtig war, daß er sich niederlegte, als
+der Schuß losging; er hat es selbst erzählt.</p>
+
+<p>Ja, da wird es wohl wahr sein!</p>
+
+<p>Doch, es ist wahr; er bekam noch fünfzig Taler für das Fell.</p>
+
+<p>Dann ist es sonderbar, daß er nicht reicher ist, als er ist.</p>
+
+<p>Bitte, laß mich hingehen, Vater? Vielleicht ist das auch ein Blaufuchs!
+Und wenn es nur ein Rotfuchs ist, so lohnt es doch den Schuß, denke
+ich; da bekommt man sieben Mark fürs Fell.</p>
+
+<p>Ach, du bist ein Quälgeist. Bilde dir nur nicht ein, daß ich dich mit
+der Donnerbüchse schießen lasse.</p>
+
+<p>Ich würde ihn schon kriegen. Ich würde ihn schießen, daß er hinpurzelt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span></p>
+
+<p>Per Stubsveen sah auf den Jungen herunter und kratzte sich hinterm Ohr.
+Er mußte an den feinen, scheuen Fuchs denken, der herumschlich und den
+langen buschigen Schwanz auf dem Schnee hinter sich herzog. Hm, zu
+dem Geschäft gehörten erwachsene Leute. Nun, er wollte mit hinter den
+Kuhstall gehen und sich die Sache ansehen.</p>
+
+<p>Sie gingen; Jon ging voran, und zeigte:</p>
+
+<p>Siehst du, Vater, er hat die Schnauze mitten in die Luke gesteckt.</p>
+
+<p>Sieh mal einer den Schelm an! Es ist sicher auch ein großer Kerl
+gewesen.</p>
+
+<p>Groß? Sicher so groß wie ein besseres Schaf! Sieh, wie er herumgelaufen
+ist.</p>
+
+<figure class="figcenter illowp60" id="illu-141" style="max-width: 60.625em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-141.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span></p>
+
+<p class="p2">Ja, und gekratzt hat! So ein Schelm!</p>
+
+<p>Per drohte mit der Faust in der Richtung nach dem Acker, wo die Spur
+sich verlor. Jetzt war er ganz von der Geschichte mit dem Fuchs erfüllt.</p>
+
+<p>Jon wurde mutiger.</p>
+
+<p>Darf ich, Vater?</p>
+
+<p>Meinetwegen, damit du nur Frieden gibst! Aber es wäre doch am besten,
+sie machten es selber.</p>
+
+<p>Er sollte Simen fragen, ob er nicht heute nachmittag mit seiner Büchse
+herüberkommen wollte; er könnte auch sagen, es wäre noch etwas vom
+Weihnachtsbranntwein da.</p>
+
+<p>Jon war schon auf dem Wege, als ihm das letzte nachgerufen wurde.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p>
+
+<p>Er sprang davon in dem hellen knirschenden Wintermorgen. Wenn ihm
+jemand begegnete, hatte er keine Zeit Halt zu machen; er lächelte nur
+so seelenvergnügt über das ganze Gesicht, daß die Leute stehen blieben
+und sich nach ihm umsahen.</p>
+
+<p>Bald war er unten im Tal angekommen und fing an, auf der andern Seite
+emporzusteigen.</p>
+
+<p>Jawohl, es war schon möglich, daß es doch ein Blaufuchs war. Es schien
+ihm, als habe er ein Stückchen von ihm drüben an dem Ackerhügel
+gesehen; — ja, sicher war er es gewesen! Je länger er ging und darüber
+nachdachte, um so sicherer wurde er; hellblau war er gewesen! Ja,
+natürlich, den ganzen Kerl hatte er gesehen. Sie sollten ihn nur
+erwischen, dann würde er nach der Stadt gehen und das Fell verkaufen!
+Aber sie sollten in der Stadt nur nicht glauben, daß sie ihn übers Ohr
+hauen könnten. Er wußte, was ein Blaufuchspelz wert war. Es nützte
+nichts, ihm fünf oder zehn zu bieten, er würde sechzig verlangen. Dann
+würde er sich eine Büchse kaufen, und dann wollte er nichts anderes tun
+als Blaufüchse schießen; höchstens vielleicht einmal einen Auerhahn zum
+Vergnügen mit zwischendurch —; wenn der auch nicht mehr als vier Mark
+wert war.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span>
+
+<p>Als er zum Tischler Simen hinaufkam, sah er diesen in der Tür stehen,
+die Brille auf der Nase und die Schirmmütze weit in den Nacken
+geschoben.</p>
+
+<p>Jon lächelte breit, grüßte wie ein Erwachsener und trat darauf ein.</p>
+
+<p>Wie es wäre, ob er seine Flinte instand hätte?</p>
+
+<p>O ja, er dächte doch.</p>
+
+<p>Er sollte ihn nämlich von dem Fuchs grüßen und sagen, er schliche
+jetzt drüben auf Stubsveen jede Nacht an den Ställen herum; — ja, und
+niemand könnte wissen, ob er nicht auch drinnen gewesen wäre.</p>
+
+<p>Gerade, was Simen immer gesagt hatte, die Füchse hatten sich verzogen!
+Hier auf dieser Seite des Tals hatte sich kein Fuchs mehr sehen lassen,
+seit<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> er vor drei Jahren einem den Schwanz weggeschossen hatte! So,
+nach Stubsveen waren sie also hinübergekommen?</p>
+
+<p>Ja, daran könnte kein Zweifel sein!</p>
+
+<p>Der Vater ließe grüßen und sagen, es wäre so viel übrig, daß es noch zu
+einem Schluck langte.</p>
+
+<p>Na, da wollte er einmal nach der Flinte sehen; er hätte sie jetzt drei
+Jahre nicht in den Händen gehabt.</p>
+
+<p>Drei Jahre?</p>
+
+<p>Nein, wozu sollte er sie brauchen, wenn es keine Füchse gab? Freilich,
+das Federwild hätte ja zugenommen, seit der Fuchs fortblieb, daß es nur
+so wimmelte; aber daraus machte er sich nichts. Und die Flinte paßte
+auch nicht für Vögel; es wäre schwierig, die Entfernung so abzupassen,
+daß man die Vögel nicht in Fetzen schoß, und dann knallte sie auch so,
+daß es sich nicht verlohnte, wegen eines lumpigen Vogels das ganze Dorf
+aufzuschrecken.</p>
+
+<p>Ob sie denn gut ginge?</p>
+
+<p>Er hätte bisher noch keinen Fehlschuß damit getan; aber, versteht sich,
+es müßte einer auch damit umzugehen wissen.</p>
+
+<p>Simen ging in die Kammer und kam mit der Flinte wieder herein. Es war
+eine alte verrostete Soldatenflinte mit Steinschloß. Jon glaubte nie
+etwas Schöneres und Prachtvolleres gesehen zu haben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span></p>
+
+<p>Ist sie geladen?</p>
+
+<p>Nein, sie muß erst gereinigt werden.</p>
+
+<p>Er wurde ganz still und geheimnisvoll, Simen, als er mit zitternden
+Händen die Flinte auseinanderzunehmen begann, und Jon saß atemlos
+dabei und sah zu, wie die eine Schraube nach der andern herausgenommen
+wurde und jede an einen andern Platz gelegt wurde, damit sie
+nicht durcheinander kämen. Und die ganze Zeit, während Simen
+auseinanderschraubte und putzte und mit Leinöl schmierte, innerlich und
+äußerlich, sprach er davon, was er alles mit dieser Flinte geschossen
+hätte. Ja, es wäre gar nicht unwahrscheinlich, daß auch auf Menschen
+damit geschossen worden wäre, denn soviel er wüßte, wäre sie mit im
+Kriege 1814 gewesen, und so gute Flinten wie die, womit auf Menschen
+geschossen worden wäre, gäbe es jetzt gar nicht mehr; es wäre gerade,
+als ob man hinterher mit ihnen nicht mehr fehlen könnte.</p>
+
+<p>Die Flinte war geschmiert und wieder zusammengesetzt. Nun, es wäre wohl
+am besten, sie gleich zu laden. Denn das müßte genau gemacht werden;
+was das Futter anlange, so könne kein Pastor genauer und wählerischer
+sein als so eine Flinte. Damals, als er dem Fuchs bloß den Schwanz
+wegschoß, so daß er ihm davonging, hätte er ein oder zwei Pulverkörner
+zu wenig darin gehabt; darum fiel der Schuß in den Schwanz und nicht
+hinab in den Rücken weiter oben.</p>
+
+<p>Er suchte ein altes Pulverhorn hervor und einen Lederbeutel mit Schrot,
+nahm Pulver aus dem Horn und wog und wog in der Hand, schüttete es dann
+in den Lauf, überlegte eine Weile, sah ins Leere, als ob er zählte, und
+nahm eine kleinere Portion und sandte sie der ersten nach.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span>
+
+<p>Jon stand dabei und riß die Augen auf. Er hatte nie geahnt, daß dazu so
+viel Kunst gehörte.</p>
+
+<p>Nein, du bist ein Meister, sagte er voller Bewunderung.</p>
+
+<p>Pst, sagte Simen, man soll nicht reden, wenn man lädt.</p>
+
+<p>Er stopfte vorsichtig Werg auf das Pulver. Dann legte er die Flinte
+vorsichtig aufs Bett.</p>
+
+<p>Jetzt wollen wir die Erbsen mischen. Er griff in die Westentasche und
+holte eine Portion kleiner Nägel hervor, nahm sie in die Hand und wog
+sie, nahm dann den Lederbeutel, schüttete etwas Schrot dazu und mischte
+beides zusammen.</p>
+
+<p>Hm! Er griff wieder in die Tasche nach Nägeln, mischte sie dazu und
+flüsterte: »Ja, nun denke ich, das wird genügen« und schüttete die
+Mischung in den Lauf. Dann stand er wieder still und überlegte, griff
+noch einmal in die Westentasche und zog einen langen Nagel hervor. Er
+kniff die Lippen energisch zusammen:</p>
+
+<p>Ich denke, wir bieten ihr den auch noch, dann sind wir sicher!</p>
+<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span>
+<p>Kurz darauf stapften Jon und Simen über das Tal hinüber nach Stubsveen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Es ist schwer zu sagen, wer von den dreien, Jon, Per oder Simen, am
+eifrigsten war, als sie am Abend in Stubsveen um den Tisch saßen und
+Kaffeepunsch tranken — das heißt die beiden Alten, Jon bekam keinen,
+er war zu klein. Die Geschichten, die erzählt wurden, nahmen kein Ende,
+vom Blaufuchs, vom Rotfuchs und vom Weißfuchs. Nein, das hier wäre kein
+Blaufuchs, meinte Simen, da wäre er sicher; da hätte er sich nicht so
+nah an die Häuser gewagt, und da würde das Ganze auch nicht viel Nutzen
+haben, denn der wäre zu schlimm; entweder er legte sich nieder, oder
+er spränge in die Höhe, wenn der Schuß fiele. Da müßte man entweder
+drunter oder drüber halten und es darauf ankommen lassen, ob er spränge
+oder sich niederlegte. Er hätte damals drunter gehalten, als er den
+Blaufuchs schoß.</p>
+
+<p>Sie waren solche Helden geworden, Peter und Simen, daß Jon beinahe
+nicht mit gedurft hätte, als sie sich später abends in den Stall
+begaben, um Wacht zu halten. Aber er ließ nicht nach; es war ebensogut
+sein Fuchs.</p>
+
+<p>Ihretwegen — nur müßte er mäuschenstill sitzen. Sie dürften kein Glied
+rühren.</p>
+
+<p>Da könnten sie sicher sein!</p>
+
+<p>Sie gingen alle drei nach dem Stall, nahmen die Branntweinflasche mit,
+und Peter gab seiner Frau den Befehl, das Feuer nicht ausgehen zu
+lassen und Kaffee bereit zu halten, wenn sie mit der Beute kämen.</p>
+
+<p>Sie nahmen an der Stallluke Platz. Simen und Per nahmen einen
+Heusack und setzten sich ordentlich zurecht, so daß sie aus der Luke
+heraussehen konnten.</p>
+
+<p>Simen hielt das hintere Ende der Flinte mit gespanntem Hahn und steckte
+den Lauf eben durch die Luke. Jon saß auf einem Melkschemel etwas zur
+Seite und lugte durch einen Spalt in der Wand. Wer den Fuchs zuerst
+sah, sollte nichts sagen, sondern Simen nur leise an der Jacke zupfen.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span>
+
+<p>Es war behaglich und warm im Stall; die Kühe lagen und schnarchten und
+käuten wieder, so daß die Hörner in unregelmäßigen leisen Schlägen
+gegen die Wand schlugen.</p>
+
+<p>Durch jede Ritze drang die Kälte ein, begegnete der Wärme von drinnen
+und bildete mit ihr im Verein große Büschel von glitzerndem Reif um
+jede Ritze. Draußen war heller Mondschein; sie konnten so klar und
+scharf sehen wie am hellichten Tage, und es glitzerte über den Äckern,
+und das Mondlicht zitterte auf den bereiften Bäumen auf der Höhe
+drüben. Tiefste, friedliche Ruhe herrschte draußen, kein Laut war zu
+hören, keine Bewegung zu sehen.</p>
+
+<p>Sie hatten wohl eine halbe Stunde gesessen; die Wärme und die Stille
+fingen an, sie schläfrig zu machen.</p>
+
+<p>Wie wär's, wenn wir noch einen Schluck nähmen? flüsterte Per.</p>
+
+<p>Und ob, sagte Simen.</p>
+
+<p>So verging wohl noch eine halbe Stunde, da flüsterte Per wieder:</p>
+
+<p>Ich schlafe beinahe ein; nehmen wir noch einen Schluck?</p>
+
+<p>Das wäre nicht dumm.</p>
+
+<p>Wieder saßen sie eine Weile. Dasselbe wiederholte sich. Aber dann wurde
+es still — lange.</p>
+
+<p>Jon saß und sah so eifrig durch den Spalt, daß er keine Zeit hatte,
+nach den andern zu sehen. Es war merkwürdig, wie still sie waren. Eben
+wollte er sich nach ihnen umdrehen — aber da — mit einem Male hielt
+er den Atem an und riß die Augen weit auf.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span></p>
+
+<p>Bewegte sich nicht dort etwas am Fuß des Ackerhügels? Ja, ja, da
+erschien der Kopf! Da war er!</p>
+
+<p>Erst kam eine Schnauze und ein paar spitze Ohren zum Vorschein, und der
+Kopf wandte sich nach allen Seiten. Dann tauchte er ganz auf, langsam
+und vorsichtig, blieb stehen, den einen Vorderfuß in der Luft, bereit
+auszureißen; so stand er eine Weile und sah sich um; dann setzte er den
+Fuß vorsichtig nieder und schlich ein paar Schritte vorwärts. Er war so
+fein und schlank und geschmeidig, wie er dastand mit dem langen Schwanz.</p>
+
+<p>Als er einige Schritte vorwärts getan hatte, hielt er inne, wandte sich
+plötzlich und schlich nach einer andern Richtung.</p>
+
+<p>Jon konnte nicht begreifen, daß Simen nicht schoß; aber er mußte wohl
+eine Absicht damit haben!</p>
+
+<p>Oh, wenn er wieder davonginge. Da schlich er hin, schlug einen großen
+Bogen und verschwand im Gebüsch oberhalb des Ackers.</p>
+
+<p>Jon holte Atem und starrte. Nein, er konnte ihn nicht mehr sehen.</p>
+
+<p>Doch, da!</p>
+
+<p>Plötzlich steckte er den Kopf wieder vor, oben auf dem Hügel, und jetzt
+viel näher; er witterte und sah nach dem Stall hinunter. So stand er
+eine Weile, immer den einen Fuß erhoben; dann schlug er wieder<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> einen
+Bogen, kam schräg den Hügel hinab, schlug wieder einen Bogen und
+spähte. Jetzt war er dicht heran.</p>
+
+<p>Simen mußte ihn sehen, er saß ja mitten vor der Luke. Jon beugte sich
+herüber und faßte nach seiner Jacke. Er verwandte keinen Blick von dem
+Fuchs, während er zupfte.</p>
+
+<p>Rrrro—ro! tönte es in diesem Augenblick, so daß es im Stall schallte.
+Es war Simen, der einen gewaltigen Schnarcher tat, als er erwachte.</p>
+
+<p>Jon sah, daß der Fuchs herumfuhr und gleichzeitig einen mehrere Meter
+langen Satz machte; dann noch einen und noch einen, immer rascher und
+rascher über den Acker hin; es war, als ob er den Schnee gar nicht
+berührte. Das letzte, was er sah, war der lange buschige Schwanz,
+der wie ein Steuer in die Luft stand, während der Fuchs mit einem
+ungeheuren Satz den Ackerhügel herabsprang und verschwand.</p>
+
+<p>Er sprang auf und fiel, so lang er war, über Per, der ebenfalls
+aufwachte.</p>
+
+<p>Im selben Augenblick donnerte es los, als ob der Stall einfiele; die
+Kühe sprangen auf und rissen an den Ketten. Simen rollte vom Sack
+herunter; die Flinte hatte ihm einen gewaltigen Stoß versetzt.</p>
+
+<p>Simen hatte den Fuchs gerade gesehen, als er den letzten Sprung machte
+und, ohne irgendwie zu<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> zielen, drückte er los, lange nachdem der Fuchs
+weg war.</p>
+
+<p>Hast du ihn gesehen? rief Per.</p>
+
+<p>Ja, und es war doch ein Blaufuchs, sagte Simen. Er sprang in die Höhe,
+als ich schoß.</p>
+
+<p>Jon saß das Weinen in der Kehle:</p>
+
+<p>Nein, und wenn du noch nie gelogen hast, <em class="gesperrt">jetzt</em> lügst du —
+Tischler Simen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-153">
+ <img class="w100" src="images/illu-153.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Die Kvinstöljungen.</h2>
+</div>
+
+<p>Ho—o—iho! scholl es über die Höhen, so daß vom fernen Kvinkampen
+her das Echo antwortete. Von der andern Seite ertönte der tiefe Laut
+eines Bockhornes, und gleichzeitig schmetterte eine schrille hohe
+Ziegenhornpfeife dazwischen. Unablässig erklang der Jodler, das Horn
+blies lauter und lauter, und die Pfeife trillerte immer höher, bis der
+Ton so hoch wurde, daß er sprang und wegblieb. Und die Töne trafen
+sich und mischten sich miteinander und mit dem Echo aus der Ferne, das
+von immer weiter herkam, schwächer und schwächer; und Glocken, tiefe
+und hohe, schlugen an und erklangen drein, und die Ochsen brüllten,
+die Kühe folgten ihrem Beispiel, die Ziegen meckerten — — es war am
+Morgen und auf dem Kvinstöl ließen sie das Vieh heraus.</p>
+
+<p>Es war ein Morgen so klar und frisch, wie er im Juli im Gebirge es nur
+sein kann, so einer, an dem Volk und Vieh sich so leicht fühlen, als
+ob sie fliegen könnten, wo selbst alte Kühe ihre Würde vergessen, den
+Schwanz hochschlagen und Kälbersprünge machen.</p>
+
+<p>An solch einem Morgen ist immer Leben auf der Senne; aber es war doch
+den ganzen Sommer noch nicht vorgekommen, daß Per Oppigar das Horn
+so stark geblasen und Jens Melbö so hoch auf der Ziegenhornpfeife
+geschmettert und Peter Nerigar, den die andern Peter Flapps nannten,
+wenn sie zornig auf ihn waren, so gejodelt hatte wie heute. Es war
+klar, daß etwas besonderes los war.</p>
+
+<p>Sie zogen jeder aus seiner Hütte aus — es gab nur drei auf dem
+Kvinstöl — trennten das Kleinvieh von den Rindern, die heute von den
+Sennerinnen selber in den Wald gelockt wurden und setzten davon, jeder
+nach seiner Richtung, Per gerade über den Storhaug, die andern in einem
+großen Bogen drum herum. Aber hinter dem Hügel, als sie außer Sicht
+waren — es brauchte niemand zu wissen, daß sie zusammen hüteten —
+vereinigten sie sich wieder, und je mehr sie sich einander näherten, um
+so mehr jodelten und bliesen sie und riefen nach ihren Ziegen, daß es
+über die Berge schallte; und als sie sich trafen, trieben sie alle drei
+Herden in einen Haufen zusammen, — heute war es selbstverständlich,
+daß auch Peter Flapps seine mit denen der andern zusammentreiben
+durfte. Und als das wohl besorgt war, jodelte Peter<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> wieder, und Per
+blies in sein Horn, daß ihm die Augen aus dem Kopfe standen und Jens
+trillerte so schrill und lange auf der Ziegenhornpfeife, daß er rot
+wurde wie ein Puterhahn.</p>
+
+<p>Dann rief Per: So wollen wir die Neusäterjungen empfangen; sie sollen
+hören, daß es die Kvinstöljungen sind, die kommen.</p>
+
+<p>Wenn sie nur kommen? meinte Jens.</p>
+
+<p>Sie müßten sich schämen, wo sie so viele sind! meinte Per.</p>
+
+<p>Peter Flapps schlug ein Rad, daß die Bergschuhe aneinander schlugen.
+Sie können kommen so dicht wie eine Schafherde, sie sollen das
+bekommen, was sie verdienen.</p>
+
+<p>Die Kvinstöljungen zogen nämlich heute in den Krieg.</p>
+
+<p>Sie hatten gehört, daß die Hirten in alten Tagen, wenn sie über die
+Weiden uneinig waren, zusammenkamen und kämpften. Es sollte sogar
+irgendwo weit drinnen in den Bergen — ja, ob es so sehr weit war,
+wußten sie nicht recht —, kann sein, es war näher, als einer glaubte
+— ein Moor liegen, das Siebenhirtenmoor hieß. So hieß es, weil
+dort einst sieben Hirten zusammengetroffen waren, um Abrechnung zu
+halten. Sie hatten sich sogar Spieße aus Wacholder gemacht und sie
+über schwachem Feuer<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> erhitzt, so daß sie hart wie Stein und zäh wie
+Horn geworden waren, und sechs waren auf dem Platze geblieben, der
+siebente kam mit einem Spieß im Leib gerade noch bis nach Hause und
+erzählte, wie sich die Sache zugetragen hatte. So hart ging es jetzt
+nicht mehr zu, das war in alten Tagen geschehen. Aber es kam doch
+vor, daß die Hirten auch heute noch miteinander rauften; nur hier auf
+diesen lumpigen Sennhütten ging es so friedlich zu. Aber es war doch
+ganz hübsch, mit den Neusäterjungen ein bißchen über die Weiden zu
+verhandeln. Freilich hüteten die Neusäterjungen nicht oft auf dieser
+Seite und niemals auf den Kvinstölweiden, aber sie könnten es doch
+einmal tun, und <em class="gesperrt">könnten</em> sie erst das, so könnten sie auch bald
+von der Senne selber Besitz ergreifen. Und vielleicht dachten sie
+auch an etwas derartiges, den Neusäterjungen war nicht zu trauen. Und
+wovon sollten <em class="gesperrt">ihre</em> Schafe dann fett werden? Sie hatten immer
+gehört, daß die Weidegrenze von Kvinstöl zwischen dem Blauwasser und
+dem Hvidtskjägstein verlief; aber es war doch die Frage, ob sie nicht
+weiter gehen durften, es war wohl das sicherste, ein Stück dazu zu
+erobern. Die magern, langbeinigen Neusäterschafe konnten ihr Futter wo
+anders suchen, es war überhaupt kein guter Schlag; — <em class="gesperrt">ihre</em> Sache
+war es jedenfalls nicht, sie zu füttern.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p>
+
+<p>Darüber hatten sie nachgedacht und gesprochen viele, viele Male; aber
+es war nichts daraus geworden, bis vorgestern, als Lars Sagbakken kam
+und nach dem Neusäter hinüberwollte, um Pferde zu suchen. Da hatte
+Per ihn ohne weiteres gebeten, er sollte den Neusäterjungen sagen,
+sie möchten sich übermorgen am Hvidtskjägstein einstellen — so viele
+wie Lust hätten —, die Kvinstöljungen wollten mit ihnen über die
+Weidegrenzen reden. Sie dachten nicht anders, als daß Lars Sagbakken
+sich seines wichtigen Auftrages erinnert hätte und erwarteten, daß die
+Neusäterjungen kommen würden, denn heute sollte es entschieden werden.</p>
+
+<p>Die Herde zog weiter und zerstreute sich über die Moore. Die drei
+blieben eine Weile stehen.</p>
+
+<p>Wie viele, glaubst du, werden kommen? fragte Jens.</p>
+
+<p>Es sind 10 Hütten dort, erklärte Per, aber nur 8 sind bewirtschaftet,
+und dann sind drei Mädchen dabei, es kommen also wohl nur fünf, und
+selbst wenn ein Mädchen dabei ist, so werde ich nicht die Schande auf
+mich nehmen, mich an einem Frauenzimmer zu vergreifen.</p>
+
+<p>Ich auch nicht, sagte Jens. Ich gedenke den einen Schuh auszuziehen und
+sie damit über die Köpfe zu schlagen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp90" id="illu-159" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-159.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p>
+
+<p class="p2">Nein, dazu sind sie zu gefährlich, meinte Peter, man darf sie nicht so
+nahe kommen lassen; <em class="gesperrt">ich</em> mache es so, ich werfe mich kopfüber
+auf die Hände und treffe sie mit den Absätzen vor die Brust; da sollst
+du mal sehen, wie sie hinfliegen — und er warf sich vornüber, krachte
+aber mit dem Hinterteil auf die Erde, daß der Hügel dröhnte.</p>
+
+<p>Nein, meinte Per, man soll ihnen gerade nahe kommen, so daß sie nicht
+zum Schlagen ausholen können. Ich werde sie so beim Kragen nehmen, ganz
+weit oben und ihnen die Daumen hinter die Ohren setzen und zudrücken,
+da werden sie kraftlos und fallen hin wie die Mehlsäcke.</p>
+
+<p>Ja—a, das wollte Jens auch tun, oder vielleicht würde er es doch
+lieber mit dem Überschwung versuchen.</p>
+
+<p>Es wäre vielleicht besser, sie übten sich ein bißchen, meinte Per,
+Peter sollte der Neusäterjunge sein.</p>
+
+<p>Hei, du Neusäterlümmel, hier sind die Kvinstöljungen. Wer hat dir
+erlaubt, bis an den Hvidtskjägstein zu hüten.</p>
+
+<p>Peter brüllte dagegen: Ich frage keinen Kvinstöllümmel, wo ich hüte.
+Komm nur heran, so werfe ich dich so hoch in die Luft, daß du nie
+wieder herunterkommst.</p>
+
+<p>Danach siehst du gerade aus! Wie lange Beine<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> haben deine Schafe? Die
+können wohl über das Schafstalldach wegschreiten?</p>
+
+<p>Jens stand da und hörte zu und war so erfüllt davon, daß er die Luft
+einzog und schluckste.</p>
+
+<p>Jedenfalls können sie leicht über so einen Kvinstölbengel wegspringen
+und noch ein Stück dazu. Ich habe nicht solche Lämmchen wie die
+Kvinstölhirten.</p>
+
+<p>Komm her, so werde ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen.</p>
+
+<p>Komm du her! und Peter warf sich kopfüber und kam wieder auf die Beine.</p>
+
+<p>Per stürzte auf ihn los und packte ihn beim Kragen, sie kämpften, bis
+sie hinstürzten, Per zu unterst. — Jens auf Peters Rücken los, um ihn
+herunterzukriegen. Nach einer Weile standen sie auf. Da sagte Per:
+Diesmal kriegtest du mich unter. Aber das wäre nicht geschehen, wenn
+du ein Neusäterjunge gewesen wärest. Denn wenn ich böse werde, bin ich
+doppelt so stark. Glaubst du das etwa nicht? Dann komm nur noch einmal
+heran.</p>
+
+<p>Sie fuhren wieder aufeinander los, und diesmal kam Peter zu unterst.</p>
+
+<p>Da siehst du's, du Neusäterbengel, und Per stand auf, drehte sich auf
+dem Absatz und juchzte, daß es schallte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p>
+
+<p>Jetzt mußten sie nach und die Herden wenden, dann nahmen sie die
+Richtung auf den Hvidtskjägstein, und sie liefen und sprangen und
+riefen und juchzten und bliesen, bis sie die Herde wieder beisammen
+hatten. Dann zottelten sie langsam hinterher und schwatzten.</p>
+
+<p>Das meiste taugte nichts, was sie drüben auf dem Neusäter hatten.
+Langbeinige Schafe, Kühe, die nur in die Hörner wuchsen, und
+verhungerte Hirten. Und hatten sie vielleicht ein Horn zum Blasen? Und
+wenn sie einen von ihren kümmerlichen Böcken hundert Jahre fütterten,
+so bekamen sie doch kein solches Horn, wie Per seins. Ja freilich,
+so eins gab es auf dem ganzen Westfjeld nicht wieder — aber auf dem
+Neusäter hatten sie nichts, was auch nur annähernd damit zu vergleichen
+war.</p>
+
+<p>Was sollten sie nun eigentlich mit den Neusäterjungen machen, wenn sie
+sie verhauen hatten? Sollten sie sie als Kriegsgefangene mitnehmen,
+oder sie laufen lassen. Sie waren gewiß so gefräßig, daß es nicht
+anging, sie als Gefangene zu behalten. Nein, sie würden ihnen bis
+fast nach dem Neusäter folgen und sie zwingen, eine Grenze zwischen
+den Weidegebieten zu errichten. Sie sollten Steine schleppen müssen,
+daß ihnen der Schweiß aus ihren herunterhängenden Hosenböden tropfen
+sollte. Und sie sollten kein großes Stück<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> auf dieser Seite des
+Neusäters behalten, da konnten sie sicher sein.</p>
+
+<p>Je näher sie dem Hvidtskjägstein kamen, desto vorsichtiger wurden sie
+und desto leiser sprachen sie. Es konnte doch sein, daß sie ziemlich
+zäh und kräftig waren, diese Neusäterjungen. Wer sollte zuerst
+vorgehen? Jens meinte, das müßte Per sein, aber Per fand, es wäre
+richtiger, Peter ginge zuerst, weil er der größte wäre, aber Peter fand
+gerade, Jens als der kleinste sollte vorangehen, sonst könnten die
+Neusäterjungen Angst kriegen und ausreißen. Nein, da fand Jens es schon
+am besten, sie gingen alle auf einmal vor, damit die Neusäterjungen
+nicht jeden einzeln verhauen sollten, denn sie sollten fest zuhauen.
+Ja, das taten sie denn auch.</p>
+
+<p>Jetzt näherten sie sich dem Hvidtskjägstein. Es war wohl das beste, sie
+gingen vor der Herde, denn sonst könnten diese Neusäterhallunken sie
+ihnen wegnehmen und nach dem Säter treiben. Sie machten es so. Jetzt
+hatten sie nur noch einen Hügel vor sich. Sollten sie nun schreien und
+auf dem Horn blasen und auf der Ziegenhornpfeife pfeifen? Nein, besser
+war es wohl, sie gingen still vor und sahen erst, wie viele es waren.
+Man konnte gar nicht wissen, ob sie nicht Hilfstruppen mithatten. Sehr
+wahrscheinlich, daß das Dutzend voll war. Sie schlichen auf den Hügel,<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span>
+so still wie möglich, krochen unter Deckung von Büschen vorwärts, so
+weit, daß sie die kleine Ebene, wo der Hvidtskjägstein lag, übersehen
+konnten.</p>
+
+<p>Da lag er ganz ruhig im Sonnenschein, — keine Menschenseele war zu
+sehen.</p>
+
+<p>Die Jungen erhoben sich und sahen einander an. Sie horchten, ob sie
+nicht in der Ferne einen Laut von ihnen vernähmen. Nein!</p>
+
+<p>Endlich sagte Per: Sollte der Trottel, der Lars Sagbakken es nicht
+ausgerichtet haben? Ob sie sich nicht getrauten? Ich glaube eher das
+letztere, meinte Peter; sie werden wohl von den Kvinstöljungen gehört
+haben. Ja, nun jodeln wir.</p>
+
+<p>Und Peter setzte mit einem Jodler ein, und Per blies das Horn, und Jens
+ließ seine schrille Ziegenhornpfeife ertönen, daß es weithin schallte.</p>
+
+<p>Rücken wir also über die Grenze! Sie sollen sehen, daß die
+Kvinstöljungen vor niemand Angst haben und hüten, wo sie wollen. — Ja,
+das machen wir, bis an ihre Sennhütten heran. Sie lockten ihre Tiere,
+die springend herankamen, und dann rückten sie an der Spitze der Herde
+vorwärts. Sie jodelten und bliesen und pfiffen und schimpften auf die
+Neusäterjungen, als ob sie so nahe wären, daß sie es hören könnten. So
+ging es eine lange Zeit fort.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span></p>
+
+<p>— — Plötzlich blieben sie alle drei mit offenem Munde stehen und
+lauschten. Es kam ihnen vor, als ob sie ein schwaches Jodeln hörten.
+Peter jodelte vorsichtig zur Antwort. Ja, da ertönte es wieder ganz
+schwach und gar nicht weit fort. Was hatte das zu bedeuten? Waren es
+die Neusäterjungen, die sich in einen Hinterhalt gelegt hatten? Da
+war es wohl am besten, vorsichtig vorzugehen, aber hin mußten sie und
+nachsehen, was es war. Sie hielten auf einmal inne mit jodeln und
+blasen. — Leise schlichen sie vorwärts. Endlich kamen sie über einen
+Hügel, und zwischen einigen verkrüppelten Birken hindurch sahen sie auf
+eine kleine Ebene.</p>
+
+<p>— — Auf einem Stein mitten in der Ebene saß ein kleiner, hübscher,
+zerlumpter Junge und blickte nach der Richtung, wo sie waren, und um
+ihn herum lag wiederkäuend eine Herde Ziegen und Schafe.</p>
+
+<p>Es war so schön und still und friedlich hier, daß sie eine Weile liegen
+blieben und sich nur umsahen.</p>
+
+<p>Endlich sagte Peter: Ob nicht doch noch andere dabei sind, die sich
+versteckt haben?</p>
+
+<p>Sie spähten lange umher, aber da sie niemanden sahen, beschlossen sie
+vorzurücken. Es sollte aber mit Kraft geschehen. Sie standen auf, und
+auf ein Zeichen von Per, begann Peter wie verrückt zu jodeln, und Jens
+trillerte auf seiner Pfeife so hoch, daß der<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> Ton sprang, und Per
+selber setzte mit seinem Horn ein, daß es hallte.</p>
+
+<p>Die Tiere rings um den kleinen Jungen sprangen auf, blieben stehen und
+glotzten, und der Junge sprang vom Stein herunter und blieb stehen.</p>
+
+<p>Sie marschierten vor, Peter schlug ein Rad mitten auf der Ebene, und
+so näherten sie sich dem kleinen Jungen. Per ging gerade auf in los,
+spuckte in die Hände und sagte: Willst du Prügel haben?</p>
+
+<p>Aber das schien der kleine Junge nicht zu verstehen; er richtete ein
+paar große Augen auf sie, machte eine tiefe Verneigung mit dem Kopf und
+sagte ganz friedlich: Guten Tag!</p>
+
+<p>Pers Hände sanken herunter, er blieb mit offenem Munde stehen. Das kam
+so unerwartet, daß er nicht wußte, was er sagen sollte, und so brachte
+er nur ein leises: Guten Tag! Bist du draußen und hütest? heraus.</p>
+
+<p>Ja, — und du auch, sehe ich.</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p>Es entstand eine lange Pause.</p>
+
+<p>Du bist wohl vom Neusäter?</p>
+
+<p>Ja, das bin ich.</p>
+
+<p>Wie steht es dort?</p>
+
+<p>Oh, danke gut, kann ich wohl sagen, nur Farskoll ist recht schlecht auf
+den Beinen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span></p>
+
+<p>Wieder lange Pause.</p>
+
+<p>Er ist wohl nicht mit einer Botschaft von mir bei euch drin gewesen,
+der Lars Sagbakken.</p>
+
+<p>Nein, nicht daß ich wüßte.</p>
+
+<p>Nein, er war wohl nicht. Ja, es war auch nichts weiter.</p>
+
+<p>Wieder entstand eine Pause. Schließlich sagte Per:</p>
+
+<p>Ein mächtiger Bock, den du hast.</p>
+
+<p>Ach nein, der ist wohl nichts besonderes.</p>
+
+<p>Doch, der ist groß, das ist sicher. Ich habe kaum so einen gesehen.</p>
+
+<p>Ein schönes Horn, was du hast.</p>
+
+<p>Ach ja, es ist ganz gut. Hast du keins?</p>
+
+<p>Nein, ich kann mir keins anschaffen.</p>
+
+<p>Haben es die Hirten gut auf dem Neusäter?</p>
+
+<p>O ja, Tonetta, meine Sennerin, ist sehr gut.</p>
+
+<p>Kriegst du manchmal Rahm?</p>
+
+<p>Der kleine Junge machte verwunderte Augen.</p>
+
+<p>Nein, den kriege ich nicht. Aber jetzt muß ich nach meiner Herde sehen,
+sonst läuft sie mir fort.</p>
+
+<p>Hast du nicht Lust, einmal nach dem Kvinstöl zu kommen?</p>
+
+<p>Doch, Lust hätte ich schon. Dem Tobias sind ein paar Schafe
+weggekommen, und da darf ich vielleicht mit ihm gehen, um danach zu
+fragen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span></p>
+
+<p>Ja, komm und besuch mich, da sollst du so viel Rahm kriegen, wie du
+essen kannst. Hast du nicht Lust, mein Horn zu leihen?</p>
+
+<p>Es leuchtete in seinen Augen auf, aber er sagte:</p>
+
+<p>Das kannst du doch nicht entbehren?</p>
+
+<p>Ach, pah, du kannst es ja mitbringen, wenn du kommst, um nach den
+Schafen zu fragen — und er hängte ihm das Horn um den Hals.</p>
+
+<p>Danke schön. Lebewohl und auf Wiedersehn.</p>
+
+<p>Gleichfalls!</p>
+
+<p>Und der kleine Junge zog seiner Herde nach und blies auf dem Horn,
+und sie hörten ihn noch lange, während sie über Stock und Stein
+davonrannten und ihre Herde suchten, die mittlerweile verschwunden war.
+An diesem Abend kamen die Kvinstöljungen ohne Herde heim, und das ist
+die größte Schande, die einem Hirten widerfahren kann.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-169">
+ <img class="w100" src="images/illu-169.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Erste Liebe.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Jeden Tag, eine ganze Woche lang hatte Ole gestanden und zur Küchentür
+hinausgeguckt, wenn der Student nach Hause kam, um zu sehen, ob er
+nicht irgendein verdächtiges Paket in der Hand oder in der Rocktasche
+hätte. Und das hatte seine Gründe. Es war kein Zweifel, daß der Student
+ihm etwas zum Geburtstage schenken würde, der gerade in acht Tagen
+war, sonst hätte er ihn wohl nicht so genau ausgefragt, wann er wäre
+und ob er viel geschenkt kriegte; und der Student war unbeschreiblich
+nett, also das war sicher; jetzt handelte es sich eigentlich nur noch
+darum, was es sein würde, denn es gab eigentlich nur eins, was sich Ole
+wünschte.</p>
+
+<p>Ole war zehn Jahre alt und wohnte in der Welhavenstraße droben bei
+seiner Mutter Madame Hansen, die sich ihren Unterhalt mit Waschen in
+den Häusern und Zimmervermieten verdiente, und was das schlimmste war,
+Ole war gewiß verliebt. Bis vor kurzem hatte er selber gar nichts davon
+gemerkt gehabt. Das ganze<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> Jahr, seit sie nun hier wohnten, war er
+jeden Nachmittag im Hof gegenüber gewesen und hatte die gleichaltrige
+Elsa Holm getroffen, die Tochter der Oberzollinspektorswitwe Holm.
+Vorigen Winter hatten sie eine große Schneefestung gehabt und einen
+großen Schneemann als Schildwache, und wenn Ole in die Festung kam
+und rief »Heraus!« dann kam Elsa jedesmal eilends die Küchentreppe
+herunter. Bisweilen hatten sie auch auf die Eisbahn nach Tullinlökken
+hinunter zum Schlittschuhlaufen gedurft, Frau Holm hatte ihn sogar
+gebeten, ihrer Tochter zu helfen und aufzupassen, daß sie nicht zu
+lange bliebe. Aber er hatte nur ein Paar ganz alte Schlittschuhe
+gehabt, die er sich geborgt hatte und die ihm nie richtig passen
+wollten, so daß es kein großes Vergnügen gewesen war. Und im Frühjahr
+hatten sie zuerst mit Murmeln gespielt und Elsa hatte alle seine
+gewonnen, obwohl sie ganz kleine Hände hatte und nicht halb so weit
+werfen konnte wie er; aber sie war nett gewesen und hatte ihm welche
+geliehen, wenn er keine mehr hatte. Und später, als es wärmer wurde,
+hatten sie Verstecken gespielt durch alle Treppen und Keller, — er
+erinnerte sich noch, wie Elsa in den Kohlenkeller gefallen war, und er
+sie schwarz wie ein Schornsteinfeger wieder herauszog — nur die Zähne
+und die Augen leuchteten<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> weiß, gerade wie bei einem Neger, den er
+einmal gesehen hatte.</p>
+
+<p>Aber dann war Elsa aufs Land gereist und bis zum September
+fortgeblieben. Der Sommer war ganz unterhaltend vergangen, denn er
+hatte ein paar Jungen kennen gelernt, mit denen er unten im Meer
+gebadet und Krabben gefischt hatte; aber je länger es dauerte, um so
+öfter fing er an, in den Hof hinüberzugucken, ob Elsa noch nicht zu
+Hause gekommen wäre. Und als er eines Tages erfuhr, daß sie am Abend
+zuvor gekommen sei, rannte er in den Hof hinüber, setzte sich auf die
+Abfallkiste und trommelte mit den Absätzen dagegen, wie er es sonst
+gemacht hatte. Aber sie kam nicht. Er stand auf und rief: »Heraus!« so
+laut er konnte, viele Male. Aber auch daraufhin kam sie nicht. Da gab
+er es für diesen Tag auf, versuchte es aber am nächsten Tage wieder und
+so jeden Tag, aber jedesmal wurde er schüchterner und unsicherer; es
+kam ihm vor, als ob ihn alle Menschen ansähen und sich wunderten, was
+er dort im Hofe wollte. Schließlich gab er es auf und setzte nie mehr
+seinen Fuß in den Hof; aber wenn der Student nicht zu Hause war, stand
+er immer an dessen Fenster und guckte nach der Haustür gegenüber, denn
+ihre eigene Stube ging nach dem Hof hinaus.</p>
+
+<p>Nach einiger Zeit konnte er nicht mehr widerstehen<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> und er beschloß,
+sie auf der Straße zu treffen, wenn sie aus der Schule kam. Am ersten
+Tage hatte er kein Glück; sie kam in Begleitung ihrer Mutter; er tat,
+als ob er sie nicht sähe und verbarg sich in einem Torweg. Den nächsten
+Tag kam sie allein. Er fühlte, wie etwas unter der Weste zu pochen
+begann, und er hatte einen ganz heißen Kopf, als er die Mütze zog und
+tat, als ob er vorbeigehen wollte. Sie richtete ihre blauen Augen
+treuherzig auf ihn, so daß er unwillkürlich stehen blieb, die Mütze
+wieder auf den Kopf setzte und auf seine Füße sah.</p>
+
+<p>Sie hätten sich lange nicht gesehen!</p>
+
+<p>Ja, sie käme nicht mehr in den Hof.</p>
+
+<p>Sollten sie denn diesen Winter keine Festung wieder bauen?</p>
+
+<p>Ja, sie wollte schon gern, aber —</p>
+
+<p>Sie könnten ja im Nebenhof spielen, wenn es ihr in ihrem Hofe
+unangenehm wäre.</p>
+
+<p>Er hatte das unwillkürlich gesagt und fühlte, wie er feuerrot wurde,
+als sie ihn treuherzig fragend ansah.</p>
+
+<p>Sie dürfte nicht mehr; sie wäre jetzt zu groß, um mit Straßenjungen zu
+spielen, hätte die Mutter gesagt.</p>
+
+<p>Ole verstand nicht, was darin lag; er stand und suchte, was er noch
+sagen könnte, aber dann fühlte er, wie etwas wie Zorn in ihm aufstieg
+— er wußte<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> nicht warum, — und so grüßte er mit der Mütze und wollte
+gehen.</p>
+
+<p>Sie blieb stehen und blickte ihm nach:</p>
+
+<p>Du, Ole?</p>
+
+<p>Ja?</p>
+
+<p>Mutter hat gesagt, ich dürfte auf die Eisbahn, den ersten Tag, wo Eis
+wird; — willst du dann kommen und mich schieben?</p>
+
+<p>Ole machte kehrt, nahm Stellung und führte die Hand nach militärischer
+Art an die Mütze (er war einexerziert worden, damals, als der Kadett
+bei seiner Mutter wohnte): Zu Befehl!</p>
+
+<p>Dann machte er wieder kehrt und ging.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Seitdem gab es nur ein Ding in der Welt, was Ole sich wünschte, und das
+waren ordentliche Schlittschuhe, solche mit Mechanik zum Anschrauben.</p>
+
+<p>Er hatte gescharrt und gespart, so daß er schließlich drei Kronen und
+fünfundzwanzig Öre besaß; aber da war vor einem Monat die Mutter krank
+geworden und konnte drei Tage nicht auf Arbeit gehen, und da hatte sie
+ihn gebeten, ihr das Geld für Holz und Kohlen zu borgen, und da konnte
+er natürlich nicht nein sagen, so gern er auch gewollt hätte; — denn
+sie hatte es nicht leicht, die arme Mutter. Er wußte wohl, daß er es
+wiederbekommen würde, sobald sie es hätte; aber da konnte es zu spät
+werden; seitdem hatte er nicht mehr als sechzig Öre zusammengebracht,
+und dafür konnte er ja nicht einmal ein paar alte mit Riemen bekommen.
+Jetzt setzte er seine ganze Hoffnung auf den Studenten und sein
+Geburtstagsgeschenk.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span>
+
+<p>Er hatte gleich daran gedacht, als der Student anfing ihn zu fragen,
+welcher Tag es wäre. Und er hatte dann auch öfters, wenn er mit etwas,
+das er beim Kaufmann geholt hatte (denn alle solche Dinge hatte Ole zu
+besorgen), zurückkam, versucht, das Gespräch auf Schlittschuhlaufen
+und ähnliche Sachen zu bringen, so daß er meinte, der Student müßte
+ihn verstanden haben. Denn er begriff manchmal so unglaublich leicht;
+mehrmals hatte er Dinge aus Ole herausgelockt, die dieser durchaus
+nicht hatte erzählen wollen; erst hinterher, wenn der Student
+angefangen hatte, ihn zu necken, hatte er gemerkt, daß er es doch
+gesagt hatte. Ja, es war zweifellos, er mußte es verstanden haben. Wenn
+er nun nur auch wollte!</p>
+
+<p>Ole stand in der Küchentür und spähte. Es war die Zeit, zu der der
+Student nach Hause zu kommen pflegte. Seine Spannung war von Tag zu
+Tag gewachsen, und seit ein paar Tagen hatte eine unglaubliche Kälte
+eingesetzt, so daß man jeden Tag erwarten konnte, sie würden auf
+Tullinlökken anfangen, die Bahn zu gießen. Er hatte es dem Studenten
+sogar heute morgen rund heraus gesagt, aber der hatte nicht darauf
+geantwortet, er war immer so kurz angebunden in seinen Antworten, wenn
+er über einem Buche saß.</p>
+
+<p>Vielleicht hatten sie mit dem Gießen schon angefangen?</p>
+
+<p>Es war zu dumm, er hätte ebensogut sagen können, der Geburtstag wäre
+acht Tage früher, der Student würde es wohl kaum erfahren haben.</p>
+
+<p>Da hörte er ihn auf der Treppe, jetzt zog er die Schlüssel heraus,
+jetzt ging die Vorsaaltür.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span>
+
+<p>Ole spähte.</p>
+
+<p>Ja, wahrhaftig, er hatte etwas in Papier gewickelt in der Manteltasche.</p>
+
+<p>Hm, ja, es konnte übrigens recht gut auch nur eine Flasche sein; aber
+es sah doch nicht richtig danach aus. Wenn er es nur herausnehmen
+wollte! Nein, da ging er hinein — zum Teufel —, der Student nahm
+immer den Mantel mit hinein, wenn es kalt war.</p>
+
+<p>Er konnte ja immerhin hineingehen und fragen, ob er einen Auftrag
+besorgen sollte. Aber da mußte er noch etwas warten; es würde zu
+komisch aussehen, wenn er gleich angestürzt käme.</p>
+
+<figure class="figcenter illowp55" id="illu-177" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-177.jpg" alt="">
+</figure>
+
+<p class="p2">Er schlich sich auf den Vorsaal hinaus, blieb stehen und horchte.
+Jetzt zog der Student den Mantel aus, — er hörte, daß ein Bindfaden
+durchschnitten wurde und das Rascheln von Papier. Dann klirrte etwas.</p>
+
+<p>Er klopfte.</p>
+
+<p>Er hörte etwas auf die Erde fallen, und nach einer Weile tönte es
+»Herein«.</p>
+
+<p>Er trat rasch ein, nahm Stellung und grüßte militärisch.</p>
+
+<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span>
+
+<p>Befehlen der Herr Student etwas?</p>
+
+<p>Dabei richtete er die Blicke nach dem Bett. Es war deutlich, daß etwas
+rasch darunter gestoßen worden war, aber er konnte nichts sehen, weil
+die Decke zu weit herunterhing.</p>
+
+<p>Nein danke, Ole, jetzt nicht.</p>
+
+<p>Ole blieb eine Zeitlang stehen, dann beugte er sich rasch herunter,
+als ob er etwas vom Boden aufnehmen wollte. Es war so dunkel unter dem
+Bett — aber wahrhaftig, blinkte da nicht etwas?</p>
+
+<p>Der Student wurde aufmerksam:</p>
+
+<p>Was gibt's?</p>
+
+<p>Ich dachte, es wäre eine Stecknadel.</p>
+
+<p>Na, also für jetzt nichts weiter.</p>
+
+<p>Ole machte kehrt und verschwand.</p>
+
+<p>Ja, diesmal, meinte er, hätte er den Studenten doch gefangen; es wäre
+doch seltsam, wenn es nicht die Schlittschuhe gewesen wären, die er so
+rasch verborgen hatte.</p>
+
+<p>Nein, daß er seinen Geburtstag nicht acht Tage früher verlegt hatte.
+Es wäre doch übrigens immer noch möglich, daß er oder die Mutter sich
+geirrt hätten, vielleicht war er doch eher. Er mußte einmal in der
+Bibel nachsehen; da stand es aufgeschrieben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span></p>
+
+<p>Er ging und holte das Buch vom Regal. Da stand es: Ole Christian
+Hansen, geboren am 2. Dezember 1886. Ja, das war leicht möglich, daß
+sie Dezember statt November geschrieben hatten; darum war es nicht
+sicherer, weil es dastand.</p>
+
+<p>Es kam eine solche Unruhe über ihn, daß er nirgends still sitzen
+konnte. Bald war er auf dem Vorsaal und griff nach der Mütze, bald
+war er in der Küche, bald in der Kammer drinnen und versuchte seine
+Aufgaben für morgen zu lernen, schließlich kniete er auf einem Stuhl am
+Fenster nieder und hauchte ein Loch in das Eis.</p>
+
+<p>Ja, wahrhaftig, es war ordentlich kalt draußen. Doch was war das? Da
+sprangen zwei Jungen über den Hof mit Schlittschuhen um den Hals.
+Hatten sie etwa schon mit Gießen begonnen? Das mußte er sehen.</p>
+
+<p>Er stürzte in den Vorsaal hinaus, riß die Mütze vom Haken und eilte in
+langen Sprüngen bis herab nach Tullinlökken.</p>
+
+<p>Ja, sie hatten angefangen. Da standen mehrere Männer mit langen
+Wasserschläuchen und spritzten, daß das Wasser schäumte. Sie spritzten
+schon zum zweiten Male darüber; es fror augenblicklich. Und eine Masse
+Jungen standen herum und sahen zu, alle die Schlittschuhe um den Nacken
+gehängt oder in der Hand, auch ein paar rotbäckige kleine Mädchen.</p>
+
+<p>Ein paar von den eifrigsten saßen schon auf den Bänken und schnallten
+an, es war am besten, sich bereit zu halten; in ein paar Stunden oder
+so, würden sie draufgelassen, hatte einer von den Männern gesagt.</p>
+
+<p>Es war ungefähr zwei Uhr, und die Kinder aus mehreren Schulen kamen
+vorbei:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span></p>
+
+<p>Ole sah, wie sie einen Augenblick still standen und dann fast
+davonrannten; es galt heimzukommen, schnell Mittag zu essen und die
+Schlittschuhe vorzusuchen.</p>
+
+<p>Ja, die hatten Schlittschuhe!</p>
+
+<p>Da sah er auch Elsa auf der andern Seite der Straße; — nie hatte er
+sie so schnell gehen sehen, sie vergaß rein, sich umzusehen und mit der
+Schulmappe zu schlenkern, wie sie gewöhnlich tat.</p>
+
+<p>Nein, das ging nicht an, — er mußte das letzte Mittel probieren.</p>
+
+<p>Kurze Zeit darauf stand er wieder mit militärischem Gruß im Zimmer des
+Studenten:</p>
+
+<p>Befehlen der Herr Student etwas?</p>
+
+<p>Nein, danke, Ole!</p>
+
+<p>Der Student sah nicht auf. Nach einer Weile merkte er, daß Ole gegen
+seine sonstige Gewohnheit stehen geblieben war, nachdem er Bescheid
+erhalten hatte.</p>
+
+<p>Nun, willst du noch etwas?</p>
+
+<p>Da tat Ole einen Schritt vor, suchte seiner Stimme einen forschen Klang
+zu geben, aber es kam doch recht schüchtern heraus:</p>
+
+<p>Jetzt gießen sie.</p>
+
+<p>Der Student sah verwundert auf.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span></p>
+
+<p>Was tun sie?</p>
+
+<p>Sie gießen.</p>
+
+<p>Wo?</p>
+
+<p>Auf Tullinlökken.</p>
+
+<p>Der Student drehte sich auf dem Stuhl um, sah Ole schelmisch an und
+sagte:</p>
+
+<p>Ja, was geht mich das eigentlich an, Ole?</p>
+
+<p>Nein, ich ging nur vorbei und da sah ich — da dachte ich — laufen der
+Herr Student nicht Schlittschuh?</p>
+
+<p>Doch, manchmal.</p>
+
+<p>Kannst du den Studentenschwung?</p>
+
+<p>Nein, und du?</p>
+
+<p>Nein.</p>
+
+<p>Es entstand eine lange Pause. Der Student blickte ihn die ganze
+Zeit mit freundlichem Spott an, so daß Ole schließlich die Augen
+niederschlagen mußte. Wie sollte er nun eigentlich sein Anliegen
+vorbringen?</p>
+
+<p>Da sagte der Student:</p>
+
+<p>Du wolltest gewiß noch etwas, Ole?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span></p>
+
+<p>Nein — ja — ich mußte daran denken, daß du mich einmal fragtest, wann
+mein Geburtstag wäre, und — ich sagte, er wäre heute in acht Tagen.</p>
+
+<p>Ja?</p>
+
+<p>Ja, und seitdem ist mir eingefallen, daß — daß ich — vielleicht —
+nicht ganz sicher bin, daß ich es nicht ganz gewiß weiß.</p>
+
+<p>Weißt du es nicht ganz gewiß?</p>
+
+<p>Ole wurde rot:</p>
+
+<p>Ja, ich weiß es schon, — aber sie könnten es in der Bibel vielleicht
+falsch aufgeschrieben haben.</p>
+
+<p>Der Student bekam einen merkwürdig schlauen Ausdruck um die Augen:</p>
+
+<p>Ja, es könnte ja leicht sein, daß er später wäre, so um Weihnachten
+herum?</p>
+
+<p>Nein, das ganz und gar nicht. Ist es ein Fehler, so ist er früher —
+das fühle ich.</p>
+
+<p>Ja, wann hattest du denn gedacht, daß er sein könnte?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span></p>
+
+<p>Ich, ich habe immer gemeint, er müßte etwa heute sein.</p>
+
+<p>Nein, so was. Das wäre wirklich dumm, wenn er heute wäre.</p>
+
+<p>Warum denn?</p>
+
+<p>Ja, denn ich hatte gedacht, dir — hier machte der Student eine Pause
+— einen Schlitten zum Geburtstag zu schenken. Aber nun ist es heute zu
+spät dafür.</p>
+
+<p>Oles Herz hüpfte vor Freude anfangs, aber als er das Wort Schlitten
+hörte, war es vorbei mit der Freude. Es wäre ja auch ganz hübsch, einen
+Schlitten zu besitzen, aber das war es nicht, was er sich wünschte. Es
+waren also doch keine Schlittschuhe gewesen, was der Student heute mit
+nach Hause gebracht hatte.</p>
+
+<p>Er stand ein Weilchen ruhig und sagte dann leise:</p>
+
+<p>Ja, weiter war es nichts. Und sicher ist es wohl auch nicht, daß der
+Geburtstag heute ist.</p>
+
+<p>Er drehte sich langsam um und wollte zur Tür hinaus.</p>
+
+<p>Du, Ole!</p>
+
+<p>Ja.</p>
+
+<p>Das ist wirklich dumm. Ich sitze hier und denke daran — wenn du damit
+zufrieden bist, so — habe ich — er ging und tastete unters Bett — so
+habe<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> ich hier etwas, was du vielleicht brauchen könntest — er hielt
+ihm ein paar blinkende Schlittschuhe hin, aber daraus machst du dir
+wohl nichts?</p>
+
+<p>Das kam Ole so überraschend, daß sein Lächeln noch breiter ausfiel
+als gewöhnlich; es war nicht mehr weit von den Mundwinkeln bis zu den
+Ohren. Er faßte die Hand des Studenten und sagte so recht von Herzen:</p>
+
+<p>Danke! Das ist das, was ich von allem am liebsten haben will.</p>
+
+<p>Sie begannen nun anzuprobieren, ob die Schlittschuhe paßten, und ob die
+Schrauben richtig säßen, — solche Schlittschuhe, glaubte Ole, hätte
+kaum einer von den andern.</p>
+
+<p>Nach einer Weile sagte der Student:</p>
+
+<p>Du, Ole, warum wolltest du eigentlich gerade heute Geburtstag haben?</p>
+
+<p>Ole blickte auf und wurde rot:</p>
+
+<p>Es war mir nur darum zu tun, gleich auf die Bahn zu kommen.</p>
+
+<p>Sollst du jemand dort treffen?</p>
+
+<p>Nein, ich habe gar nicht versprochen, jemand zu schieben.</p>
+
+<p>Nun, sie läuft wohl besser als du?</p>
+
+<p>Nein, das tut sie nicht.</p>
+
+<p>Wer, sie?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span></p>
+
+<p>Ole machte sich eifrig an den Schlittschuhen zu schaffen und antwortete
+nicht. Der Student stand am Fenster und sah hinaus.</p>
+
+<p>Da geht schon die Elsa mit den blonden Haaren. Da ist die Bahn wohl
+fertig.</p>
+
+<p>Ole hatte sich mit den Schlittschuhen unterm Arm der Tür genähert.
+Wahrhaftig, hatte der Student auch das aus ihm herausgelockt!</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen durch den Frostnebel über den
+Platz, nur einen kleinen Streifen, so daß das blanke Eis einen roten
+Schimmer bekam.</p>
+
+<p>Es war ein Lärm und Geschrei und Spektakel von all den hundert
+frischen kräftigen Kindern, die sich herumtummelten. Da waren große
+Jungen, die liefen mit den Händen auf dem Rücken und flottem Schwung
+— sie hatten alle engzugeknöpfte Jacken an —; da waren andre, die
+liefen rückwärts und zogen Achten und Schleifen, bis sie plötzlich
+mit einem andern Schlittschuh zusammengerieten und plötzlich auf dem
+Eise saßen; da waren kleine Mädchen, die setzten die Beine gerade
+vorwärts wie Schlittenkufen und wollten die Füße am liebsten einwärts
+stellen; von jedem Alter waren sie da, bis herab zu den ganz kleinen,
+die fielen und aufstanden bis ins Unendliche, und jedesmal einen
+Freudenschrei<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> ausstießen, als hätten sie ein Meisterstück vollführt.
+Da gab es Finnenschuhe und Schnürschuhe, und Schuhe, die vorn den
+Rachen aufsperrten. Da gab es rote Handschuhe und blaue Handschuhe
+und bloße blaue Finger; da gab es rote Mützen und blaue Mützen und
+Pelzmützen; da gab es Ohren, die wie Rosen glühten, Halstücher, die
+oft herumgewickelt waren, und nackte Hälse; hier und da sah man
+auch ein nacktes Knie hervorgucken, wo die Strümpfe und die Hosen nicht
+zusammenhalten wollten. Aber eins hatten sie alle: rote Wangen und
+blaue Augen und Kehlen, die vor Freude jubelten.</p>
+
+<p>Nahe beim Platz holte Ole Elsa ein; — er hatte sie unterwegs beinahe
+vergessen. Es zuckte ihm in den Gliedern, als er den Lärm hörte und
+das Getümmel sah; — nein, wahrhaftig, dazu hatte er jetzt eigentlich
+keine Zeit; aber er mußte ihr wohl beim Anschnallen helfen. Er vergaß
+zu grüßen, rief nur, sie sollte sich beeilen und verhalf ihr zu
+einem Platz auf einer Bank. Er hatte solche Eile, daß er die Riemen
+verwirrte, so daß es länger dauerte, als er wollte. Endlich hatte
+er ihr die Schlittschuhe angeschnallt, und er sah, wie sie sich
+unbehilflich ein Stück fortbewegte, während er hastig die seinigen
+anschraubte. Ja, es sah aus, als brauchte sie einen, der sie schöbe,
+— da blieb sie stehen, als warte sie<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> auf ihn. Er lief ein paar Bogen
+über die Bahn und rund um sie herum auf einem Bein — ein klein wenig
+spielte er sich vor ihr auf.</p>
+
+<p>Soll ich dich schieben?</p>
+
+<p>Ja, wenn du willst.</p>
+
+<p>Er faßte sie und begann sie quer über den Platz zu schieben; es ging
+schwer und langsam; — da stieß einer an sie an, so daß sie beide
+hinfielen, sie standen auf und es ging von neuem los. So kamen sie
+einmal um den Platz.</p>
+
+<p>Hei, Ole, komm und spiel mit Indianer, — es war »Krischan«, mit dem er
+im Sommer zusammen Krabben gefischt hatte, der vorbeisauste, verfolgt
+von einem andern.</p>
+
+<p>Ole blieb stehen und kratzte sich unter der Mütze; er hatte schon Lust,
+aber —</p>
+
+<p>Soll ich dich noch weiter schieben?</p>
+
+<p>Ja, bitte!</p>
+
+<p>Und Ole schob, und er zog und versuchte vorsichtig, sie an der Hand zu
+nehmen, so daß sie nebeneinander liefen; aber da fiel sie hin, und so
+mußte er wieder anfangen wie vorher.</p>
+
+<p>Hm — im Grunde war das nicht ganz so unterhaltend, wie er sich gedacht
+hatte; aber wenn Elsa ihre glänzenden Augen auf ihn richtete und
+lachte, so fühlte er sich wieder erleichtert und schob sie rund<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> herum,
+viele Male und tat, als ob er Christian und die andern, die nach ihm
+riefen, nicht hörte. Schließlich begannen sie, ihn ziemlich nah zu
+umkreisen und zu rufen:</p>
+
+<p>Seht den Kavalier!</p>
+
+<p>Er biß die Zähne zusammen und fuhr davon, aber in seinem Innern gelobte
+er sich, daß Christian bei der ersten Gelegenheit Prügel dafür haben
+sollte.</p>
+
+<p>Plötzlich sagte Elsa:</p>
+
+<p>Jetzt muß ich nach Hause; Mutter erlaubt nicht, daß ich länger draußen
+bin.</p>
+
+<p>Können wir nicht noch ein bißchen bleiben, nur noch einmal herum?</p>
+
+<p>Ja, aber nur einmal.</p>
+
+<p>Das taten sie, und Elsa setzte sich auf die Bank und hielt den Fuß hin.
+Er schnallte ihr die Schlittschuhe ab, behielt aber seine eigenen an.
+Er wollte sehen, ob sie daran dächte, allein zu gehen. Nein, sie blieb
+stehen. Er setzte sich also, machte seine auch los, und sie trotteten
+die Straße hinauf, viel langsamer, als sie gekommen waren. Sie sprachen
+nichts miteinander, bis sie an die Haustür kamen. Da sagte Ole:</p>
+
+<p>Gehst du morgen wieder?</p>
+
+<p>Ja, wenn ich darf; es ist so hübsch, sich schieben zu lassen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p>
+
+<p>Ole blieb in dem Flur stehen, bis er sie oben auf der Treppe hörte;
+dann schlüpfte er heraus und rannte wieder herunter — immer dicht an
+den Häusern.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Ole kam spät heim, und er empfand ein wundervolles Gefühl im ganzen
+Körper, als er im Bett lag. Aber Christian hatte er nicht getroffen.
+Im Einschlafen hatte er — o diese Männer! — seinen ersten treulosen
+Gedanken:</p>
+
+<p>Wenn Elsa morgen nicht durfte, — vielleicht würde es beinahe ebenso
+hübsch. Da könnte er auch den Christian verhauen.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-190">
+ <img class="w100" src="images/illu-190.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span></p>
+
+<h2 class="p2">Wie Hans und Marte die Henne hüteten.</h2>
+</div>
+
+
+<p>Auf dem Hof draußen stand eine alte Henne auf einem Bein, drehte den
+Kopf und blinzelte mit den runden klaren Augen.</p>
+
+<p>Dicht daneben lag der fünfjährige Hans. Hinten aus der Hosenklappe
+guckte ihm der Hemdzipfel, er schlenkerte mit den Beinen und sah die
+Henne an, als ob er mitten durch sie hindurchsehen wollte; er wagte
+kaum zu zwinkern. Heute würde er sie die ganze Zeit ansehen und den
+Blick nicht von ihr wenden.</p>
+
+<p>In der Stube drinnen saß Marte, seine siebenjährige Schwester, und
+lugte vorsichtig zum Fenster hinaus; sie behielt beide im Auge.</p>
+
+<p>Sie sollten beide heute auf die Henne aufpassen.</p>
+
+<p>Die Henne war alt und war so lange allein gewesen, daß sie sich
+allerhand Streiche angewöhnt hatte. Sie wechselte jedesmal das Nest,
+wenn sie ihr die Eier genommen hatten, und versteckte sie an den
+unglaublichsten Stellen, wo es niemand einfiel, zu suchen;<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> — einmal
+hatte sie die Eier in ein paar hohe Grasbüschel gleich neben die
+Türschwelle gelegt, und da lag sie und brütete acht Tage, ehe sie sie
+fanden. Und sie war so ausspekuliert klug geworden, daß es beinahe
+unmöglich war, sie zu hüten. Einmal, als die Mutter selber auf sie
+aufgepaßt hatte, so daß sie nicht entwischen konnte, hockte sie nieder
+und legte das Ei mitten auf die nackte Erde.</p>
+
+<p>Da hatte die Mutter für je acht Eier, die sie fänden, ein Ei als Prämie
+ausgesetzt. Nun hatte sie vor zirka vierzehn Tagen wieder ihren Platz
+gewechselt, so daß es jetzt sechs bis sieben Eier sein mußten und heute
+sollte sie wieder legen — die Mutter hatte nachgefühlt.</p>
+
+<p>Es war ein brennend heißer Sommertag, die Insekten summten durch die
+Luft, die Schwalben flogen zwitschernd hin und her nach ihren Nestern
+am Stallgiebel, und im hohen Gras an der Wand entlang schlich die Katze
+dahin, hob vorsichtig ihre Pfoten und schielte nach oben, wie sie wohl
+die Nester erreichen könnte.</p>
+
+<p>Hans lag in der warmen Sonne und sah nach der Henne. Sie stand auf
+einem Bein, blinzelte gegen die Sonne und sah ihn lange an. Dann tat
+sie plötzlich gleichgültig, machte ein paar Schritte, scharrte in der
+Erde und tat, als fände sie etwas zum Aufpicken.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p>
+
+<p>O, nein, auf diese Art sollte sie ihn nicht hintergehen; er kannte ihre
+Faxen.</p>
+
+<p>Nach einer Weile blieb sie stehen, sah wieder auf und schielte zur
+Seite:</p>
+
+<p>Nein, er lag immer noch da und verfolgte sie mit den Augen; — sie
+blieb wieder auf einem Bein stehen und blinzelte; das konnte langweilig
+werden, wenn es lange dauerte.</p>
+
+<p>Hans fand auch, daß es sich lange hinzog; jetzt hatte er gewiß eine
+Stunde hier gelegen.</p>
+
+<p>Nein, sie war so abgefeimt, daß sie sah, wohin er seine Augen richtete.
+Er mußte tun, als ob er wo anders hinsähe. Er schielte nach dem Fenster.</p>
+
+<p>Oh, er sah wohl, wie Marte den Kopf schnell wegzog; ja, sie konnte gern
+dort stehen, er war am nächsten, er würde sie diesmal zuerst finden.</p>
+
+<p>Er sah wieder nach der Henne. Sie war ein paar Schritte gegangen,
+während er wegblickte und stand jetzt wieder still. Nein, er mußte so
+tun, als ob er nach der Stallecke sähe, dann vielleicht —</p>
+
+<p>Er tat es. Im selben Augenblick strichen zwei Schwalben neben ihm mit
+lautem Geschrei dicht an der Erde hin — sie hatten die Katze erblickt.
+Diese schlug mit der Pfote nach ihnen; — wahrhaftig, bei einem Haar
+hätte sie eine erwischt! Es kamen mehr;<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> alle begannen sie am Boden hin
+zu fliegen, sie zu foppen und auszuschelten.</p>
+
+<p>Ach, wie dumm sie war, daß sie sie nicht erwischte, — sie duckte sich
+nur, legte die Ohren zurück und verkroch sich tiefer ins Gras. Es half
+nicht; da kniff sie aus, verschwand um die Ecke und in den Stall. Sieh,
+da zerstreuten sich die Schwalben und flogen wieder von und nach ihren
+Nestern.</p>
+
+<p>Zu dumm, daß der Eckbalken am Stall so glatt war, daß er nicht daran
+in die Höhe klettern konnte; — sonst hätte er das niedrigste Nest
+erreichen können. Das wäre fein gewesen, ein paar von den Jungen zu
+haben; sie waren schon so groß, daß sie die schwarz und weißen Köpfe
+zum Nest hinaussteckten. Wenn er ein paar kriegte, so würde er ihnen
+ein Bauer zurechtmachen, und für Nahrung würde er auch sorgen, — es
+gab so kolossal viel Fliegen am Fenster.</p>
+
+<p>Da würde Marte neidisch werden; — sie sollte sie nicht einmal zu sehen
+kriegen; oder doch vielleicht, wenn sie ihm für jedesmal eins von ihren
+Eiern gäbe; — sie hatte wohl schon vier, und er erst drei — —</p>
+
+<p>Eier —?</p>
+
+<p>Wo war die Henne? — Fort.</p>
+
+<p>Zum Teufel, hatte sie ihn auch diesmal genarrt?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span></p>
+
+<figure class="figcenter illowp54" id="illu-195" style="max-width: 62.5em;">
+ <img class="w100" src="images/illu-195.jpg" alt="Bild">
+</figure>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span></p>
+
+<p class="p2">Er stand auf, stampfte mit dem Fuß auf und war dem Weinen nahe.</p>
+
+<p>So eine gemeine Henne, so ein infames Vieh. Kaum ließ er sie aus den
+Augen, so war sie auch schon entwischt.</p>
+
+<p>Ja, dann also das nächste Mal; er guckte nach dem Fenster, — — denn
+Marte hatte sie doch wohl auch nicht gesehen? Sie war übrigens vom
+Fenster verschwunden. Da kam sie heraus.</p>
+
+<p>Sie sah so verschlagen aus. Ob sie vielleicht doch —?</p>
+
+<p>Hast du die Henne gesehen, Hans?</p>
+
+<p>Nein, — du?</p>
+
+<p>Nein.</p>
+
+<p>Es stak bestimmt etwas dahinter. Marte tat so gleichgültig. Er wollte
+schon auf sie aufpassen.</p>
+
+<p>Ich glaube fast, sie ist in den Stall gegangen, sagte er, — ich will
+dort nachsehen — er wußte wohl, daß sie dort nicht war, denn da hatten
+sie jeden Winkel abgesucht.</p>
+
+<p>Laß mich zuerst, sagte Marte, und tat, als ob sie hinlaufen wollte.</p>
+
+<p>Nein, ich will zuerst — und Hans sprang davon.</p>
+
+<p>Ja, es war deutlich, sie wollte ihn forthaben, denn sie tat gar nichts,
+um zuerst zu kommen. Er wollte sie schon überlisten!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p>
+
+<p>Er schlüpfte in den Stall und guckte durch eine Ritze. Sie stand erst
+ruhig und blickte sich vorsichtig um, dann schlich sie auf den Zehen an
+der Stallwand entlang. Er kam heraus, schlich bis zur Ecke und streckte
+den Kopf vor.</p>
+
+<p>Ah, eben war sie im Begriff, die großen Brennnesseln zur Seite
+zu biegen.</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Dort</em> hatte sie also die Henne hineinschlüpfen sehen.</p>
+
+<p>Er stürzte vor, gerade auf ihren Rücken los:</p>
+
+<p>Ich weiß es, ich fand sie zuerst.</p>
+
+<p>Sie fielen beide in die Brennnesseln. Die Henne
+flatterte schreiend davon.</p>
+
+<p>Sie standen auf; — es brannte schrecklich an Gesicht und Händen.</p>
+
+<p>Eine Weile standen sie da und starrten sich an, Hans die Mundwinkel
+verzogen, bereit zu weinen, Marte beide Hände voller Rührei in die Höhe
+haltend.</p>
+
+<p>Plötzlich klatschte ihm die eine Hand hinter die Ohren, daß das Rührei
+spritzte, und er zu Boden kollerte.</p>
+
+<p>Dann fingen sie beide an zu heulen.</p>
+
+<p>Die alte Henne schalt fürchterlich drüben auf dem Hofplatz.</p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe3" id="illu-199">
+ <img class="w100" src="images/illu-199.jpg" alt="Deko">
+</figure>
+
+<div class="chapter">
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+<p class="center">Im Verlage von Georg Merseburger, Leipzig, erschienen von</p><br>
+<p class="s2 center">Alexander L. Kielland</p><br>
+ <p class="center">übersetzt von</p><br>
+
+<p class="center">
+<em class="antiqua">Dr</em>. <em class="gesperrt">Fr. Leskien</em> und <em class="gesperrt">Marie Leskien-Lie</em><br>
+herausgegeben und durchgesehen vom Verfasser<br>
+mit Buchzeichnungen von<br>
+</p>
+
+<p class="center"><b>A. Andresen</b>, <b>R. Carl</b>, <b>M. Loose</b>, <b>H. Schittenhelm</b>, <b>A. Sommer</b></p><br>
+
+<p class="center"><em class="antiqua">a</em>) <b>Gesammelte Werke</b></p><br>
+
+<p class="center">========<b>Inhalt:</b>========</p><br>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p>Bd. I: <b>Garman &amp; Worse</b></p>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p><em class="antiqua">a</em>) Schiffer Worse, <em class="antiqua">b</em>) Garman &amp; Worse. Zwei Romane.
+Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p>
+</div>
+
+<p>Bd. II: <b>Novellen, Novelletten Schnee, Else.</b></p>
+<div class="blockquot">
+<p>Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p>
+</div>
+
+<p>Bd. III: <b>Abraham Lövdahl</b></p>
+<div class="blockquot">
+<p><em class="antiqua">a</em>) Gift, <em class="antiqua">b</em>) Fortuna, <em class="antiqua">c</em>) Johannisfest. Drei
+Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p>
+</div>
+
+<p>Bd. IV: Arbeiter.</p>
+<div class="blockquot">
+<p><em class="antiqua">a</em>) Arbeiter, <em class="antiqua">b</em>) Jakob. Zwei Romane. Brosch. 5 M., geb.
+6 M.</p>
+</div>
+
+<p>Bd. V: <b>Rings um Napoleon.</b> Brosch. 6 M., geb. 7 M.</p>
+</div>
+</div>
+
+<p>Nachlese: <b>Menschen und Tiere.</b> Skizzen u. Studien. Br. 3 M., geb.
+4 M.</p><br>
+<p>Alle Bände sind auch einzeln zu haben. — Einzelne 6 Bände geb. 35 M.</p>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p>Gesamtpreis für alle 6 Bände in eleganter Kassette gebunden 30 M.,
+ohne Kassette broschiert 25 M.</p><br>
+</div>
+
+<p class="center"><em class="antiqua">b</em>) <b>Werke in Einzelausgaben</b></p>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p><b>Rings um Napoleon.</b></p>
+<div class="blockquot">
+<p>IX. und X. Tausend. Brosch. 6 M., geb. 7 M.; in 2 Bände geb. 8 M.</p>
+</div>
+
+<p><b>Schiffer Worse.</b> Roman.</p>
+<div class="blockquot">
+<p> Brosch. 2.25 M., geb. 3 M.</p>
+</div>
+
+<p><b>Garman &amp; Worse.</b> Roman.</p>
+
+<p><b>Novellen, Novelletten, Schnee und Else.</b></p>
+<div class="blockquot">
+<p>Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p>
+</div>
+
+<p><b>Gift.</b> Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M.</p>
+<p><b>Fortuna.</b> Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M.</p>
+<p><b>Johannisfest.</b> Roman.</p>
+<div class="blockquot">
+<p> Brosch. 1.50 M., geb. 2.25 M.</p>
+</div>
+
+<p><b>Menschen und Tiere.</b> Skizzen und Studien.</p>
+<div class="blockquot">
+<p>Brosch. 3 M., geb. 4 M.</p>
+</div>
+
+<p><b>Arbeiter.</b> Roman. Brosch. 2.75 M., geb. 3.50 M.</p>
+<p><b>Jakob.</b> Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M.</p>
+</div>
+
+<hr class="r5">
+
+<div class="transnote">
+<p class="s3 center"><a id="Anmerkungen_zur_Transkription"></a>Anmerkungen zur Transkription:</p>
+<p class="p0">Im Original sind die Dekorationen am Ende der Geschichten "Kirchenexamen vor dem Bischof"
+und "Holzvermesser Ole Pedersen" aus Platzgründen entfallen. Sie wurden in dieser Fassung
+eingefügt.</p>
+<p class="p0">Das Inhaltsverzeichnis ist an den Anfang des Textes verschoben worden.</p>
+</div>
+
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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