diff options
| -rw-r--r-- | .gitattributes | 4 | ||||
| -rw-r--r-- | 75541-0.txt | 4906 | ||||
| -rw-r--r-- | 75541-h/75541-h.htm | 5326 | ||||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/cover.jpg | bin | 0 -> 888097 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-013.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-023.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-037.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-050.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-066.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-075.jpg | bin | 0 -> 127445 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-083.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-093.jpg | bin | 0 -> 100092 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-097.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-111.jpg | bin | 0 -> 131800 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-113.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-114.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-121.jpg | bin | 0 -> 148644 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-123.jpg | bin | 0 -> 29917 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-131.jpg | bin | 0 -> 136305 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-137.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-141.jpg | bin | 0 -> 213869 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-153.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-159.jpg | bin | 0 -> 133112 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-169.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-177.jpg | bin | 0 -> 207818 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-190.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-195.jpg | bin | 0 -> 220142 bytes | |||
| -rw-r--r-- | 75541-h/images/illu-199.jpg | bin | 0 -> 1371 bytes | |||
| -rw-r--r-- | LICENSE.txt | 11 | ||||
| -rw-r--r-- | README.md | 2 |
30 files changed, 10249 insertions, 0 deletions
diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/75541-0.txt b/75541-0.txt new file mode 100644 index 0000000..1584ade --- /dev/null +++ b/75541-0.txt @@ -0,0 +1,4906 @@ + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 *** + + + +======================================================================= + + Anmerkungen zur Transkription. + +Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des +Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler +sind stillschweigend korrigiert worden. + +Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+; ~gesperrte~ so und ++fett gedruckte+ so. + +Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich am Ende des Textes. +======================================================================= + + + + + Hans Aanrud + + + Jungen + + Vierzehn Geschichten + von kleinen ganzen Kerlen + + + Mit Bildern + + von + + Lisbeth Bergh + + + Erstes bis drittes Tausend + + + Leipzig + Verlag von Georg Merseburger + 1910 + + + + + Einzige autorisierte Übersetzung aus dem Norwegischen von +Dr.+ + Friedrich Leskien und Marie Leskien-Lie. Einbandzeichnung nach einem + Bild von L. Bergh von A. Andresen. + + Alle Rechte vorbehalten. + + + Von Hans Aanrud erschienen: + + +a+) ~für Kinder und Erwachsene~ + + Sidsel Langröckchen, Erzählung + + brosch. M. 2,25 geb. M. 3,-- + + Kroppzeug, zwölf Geschichten von kleinen Menschen und Tieren + + brosch. M. 2,25 geb. M. 3,-- + + +b+) ~für Erwachsene~ + + Erzählungen, sechzehn Geschichten + + brosch. M. 3,-- geb. M. 4,-- + + + Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig + + + + + Inhaltsverzeichnis. + + + Seite + + Der Gemeindejunge 1 + + Amunds neue Ski 12 + + Wenn die Graugänse fliegen 22 + + In Großvaters Auftrag 36 + + Kirchenexamen vor dem Bischof 49 + + Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold + zu holen 67 + + Der erste Arbeitstag 80 + + Alexander und Buzephalos 92 + + Holzvermesser Ole Pedersen 106 + + Ranzenräuber und Zottelbär 114 + + Tischler Simen und der Blaufuchs 126 + + Die Kvinstöljungen 140 + + Erste Liebe 154 + + Wie Hans und Marte die Henne hüteten 173 + + + + + Der Gemeindejunge. + + + + +Die Sonne hatte schon längst ihren ersten goldenen Morgenstreifen über +die Tannenwipfel ganz oben an der Westseite des Tals gesandt, war +langsam die hintere Talwand bis auf den Talboden heruntergeschlichen +und wollte eben beginnen, an der östlichen Talseite hinaufzukriechen, +die bisher im Schatten gelegen hatte. Aber gerade als sie zwischen den +Tannenwipfeln hoch oben hervorgucken wollte, war nichts mehr da, was +sich hindernd dazwischenstellte, und auf einmal rieselte ihr gelbes +warmes Licht in zitternden Wellen über die ganze Talseite hinab, es +schlüpfte zwischen dem winzig kleinen jungen Laub hindurch, liebkoste +das feine zarte Gras, das eben begonnen hatte hervorzusprießen, glitt +glitzernd über die rauschenden Frühlingsbäche hin, die nach dem kleinen +trüben Fluß unten im Talgrund hinabströmten, und füllte das ganze Tal +mit seinem Licht. Mit einem Male war das ganze keimende, sprießende +Leben des Frühlingsmorgens erwacht, aber die großen wohlgepflegten +Höfe lagen noch still da, mit verschlossenen Türen und in der Sonne +glitzernden Fensterscheiben, nur hin und wieder stieg ein blauer Rauch +aus den Essen kerzengerade in die klare Luft. + +Ein kleiner Junge mit offnen blauen Augen kam und guckte durch das +rotgestrichene Gattertor, das nach dem ebenen breiten Hofplatz +auf Opsal führte. Nie hatte er etwas so Schönes gesehen wie das +weißgestrichene Gebäude und die merkwürdige Treppe mit dem Geländer +außen dran. Und alle die anderen langen, rotgestrichenen Häuser! + +Es war alles gerade, wie er sich die Königsschlösser gedacht hatte, +von denen in den Märchen die Rede war. Es fehlte nur ein König drüben +auf der Treppe, sonst war alles genau so! Er mußte unwillkürlich noch +einmal nachsehen; es war aber keiner da. + +Er war nicht gerade ein Staatskerl, der kleine Junge, der dort durch +das Gattertor guckte. Auf dem Kopfe hatte er einen durchlöcherten +Strohhut, der so weit hinten im Nacken saß, daß der blonde Schopf +gut zu sehen war, der fast bis über die großen blauen Augen und eine +kleine wichtige Nase herunterhing. Eine Jacke trug er nicht, nur eine +karrierte Unterjacke, die an den Ärmeln geflickt war. Die Hosen, die +nur aus Flicken bestanden, reichten nicht weit über die Knie, so daß +man die großen Frauenstiefel, in denen er ging, ganz sehen konnte; +sie waren viel zu groß, die Schäfte gähnten um die dünnen Waden, da +die Riemen nur für die Hälfte der Löcher ausgereicht hatten, und die +Spitzen bogen sich vorn nach aufwärts. Im Arm trug er ein Bündel, das +in ein dunkles karriertes Tuch eingewickelt war. + +Es war der acht Jahre alte Tor aus Stubsveen, dem obersten Häuslerplatz +ganz oben am Waldrand drüben auf der anderen Talseite; er sollte heute +seine Stellung als Gemeindejunge auf Opsal antreten. + +Plötzlich zuckte er zusammen, bewegte sich nicht etwas da drüben auf +dem Hof? Er blickte hin. Nein, es war wohl nichts. Alles war so still; +ob sie wohl noch nicht aufgestanden waren? War das eine Art, mitten am +hellichten Tage! Er sah nach der Sonne, die jetzt bis über die obersten +Tannenwipfel gekommen war. + +Nein, es war doch wohl noch sehr früh. Die Uhr hatte auch die letzten +Tage drüben in Stubsveen gestanden. Er mußte warten. + +Er wandte sich um, stützte den Ellbogen an das Gatter und den Kopf in +die Hand und sah über das Tal hin und weit an der anderen Seite hinauf. + +Da lag Stubsveen -- er hatte es nie aus so weiter Entfernung gesehen. +Es war aber auch nicht viel daran zu sehen, er hatte nicht gewußt, daß +es so armselig aussah und so unermeßlich hoch oben lag. + +Übrigens durften sie sich nicht einbilden, daß es so armselig war, wie +es von hier aussah; sie konnten nicht den Söller auf der anderen Seite +sehen, und dort war auch das Kammerfenster, das machte viel aus. Er +guckte wieder nach dem Hof, -- Opsal sah auch nicht so prächtig aus von +da oben, wie es war. So kam er also doch nach Opsal. Die kleine Ane +mußte sich damit begnügen, nach Hoel zu kommen; -- nun! Hoel war schon +auch prächtig genug, aber mit Opsal ließ es sich nicht vergleichen. + +Er mußte daran denken, wie er und Ane neulich gegen Ende des Winters +am Fenster drüben in Stubsveen knieten und über das Tal blickten und +sich aussuchten, wo sie in Dienst gehen wollten, wenn sie groß wären. +Ane war gleich bereit zu sagen, daß ~sie~ nach Opsal wollte, aber +da hatte Tor gesagt, daß ~er~ dorthin wollte, denn er wäre ein +Junge, und er wäre der Älteste, und sie wäre nur ein Mädchen; aber Ane +war hartnäckig, und da zankten sie sich. Da wurde zuerst Ane von ihm +durchgeprügelt und dann er von seiner Mutter; ja sie konnten sagen, was +sie wollten, es war nun einmal so, daß die Mutter ein bißchen zu viel +zu Ane hielt; denn ~die~ konnte auch manchmal unartig sein; -- +wenn er es vielleicht öfter war, so war er auch ein Jahr älter. + +Seine Augen glitten unwillkürlich nach Hoel hinüber, einem andern +großen Hof, ein Stück davon entfernt. + +Ob Ane wohl jetzt bis nach Hoel gekommen war? Vielleicht stand sie auch +da und wartete; es sah auch nicht aus, als ob sie dort aufgestanden +wären. + +Ane konnte einem richtig leid tun, sie war so still und kümmerlich, als +sie sich hier unten am Gatter trennten. + +Ach, Ane konnte doch auch furchtbar gut sein. Wenn er es sich recht +überlegte, so war sie wohl doch viel, viel besser als er. Ja, das war +kein Zweifel, das hatte sich besonders in der letzten Zeit gezeigt. +Denselben Tag, wo er sie durchprügelte, war der Vater krank geworden, +es war Lungenentzündung, und Ane weinte viel mehr als Tor, als der +Vater krank war, und als er starb, und als sie ihn zur Kirche fuhren +und Erde auf ihn warfen. + +Ja natürlich, er fand es auch so traurig, wie irgend möglich, aber es +lag jetzt auf einmal so vieles auf ihm, daß er zum Weinen keine rechte +Zeit hatte. Erstens mußten sie den furchtbar dicken Doktor mitten im +schlimmsten Tauwettermorast bis nach Stubsveen hinaufschaffen, und +wenn er auch wütend war über den Weg und das Fahrzeug und die ganze +Schererei, so war es doch ein Aufzug, der nicht eigentlich zum Weinen +war, -- sie konnten darüber denken, wie sie wollten. Dann kam die +Leichenstrohverbrennung -- er mußte es noch selbst anzünden -- und dann +waren so viele Leute da, der Tischler und viele alte Weiber, und dann +gab es ein Leichenbegängnis mit Geschenken und so vielen guten Dingen, +wie er nie oben in Stubsveen gesehen hatte, und dann fuhren sie mit +vier Schlitten nach der Kirche, und er durfte auf dem Schlitten, der +gleich hinterm Sarge fuhr, hinten aufsitzen. + +Wenn er alles wahrheitsgemäß überdachte, so hatte er eigentlich nicht +mehr als einmal geweint, und das war -- hinterher; es geschah obendrein +hauptsächlich, weil die Mutter so sehr weinte, als sie von dieser +Gemeinderatsversammlung, oder wie sie es nannten, nach Hause kam, wo +bestimmt worden war, daß er und Ane in der Gemeinde untergebracht +werden sollten --, ja sie sollten nur nicht sagen, daß ~er~ der +Gemeinde zur Last fiel, denn der Bauer von Opsal hatte ihn umsonst +genommen und gesagt, ein solcher Junge wäre wohl imstande, sein Essen +und seine Kleider zu verdienen. + +Aber Ane, die Ärmste, weinte die ganze Zeit. Auch heute früh, als sie +von zu Hause fortzogen, weinte sie so bitterlich, daß sie nicht einmal +den Kaffee herunterbekommen konnte; aber auch da wollten ihm keine +Tränen kommen. Erst als er sich hier unten am Gatter, das nach Hoel +hinaufführte, von Ane trennen sollte und er ihre kleine weiche Hand +nahm und sagte: Leb' wohl denn, kleine Ane, schnürte ihm etwas die +Kehle zusammen, und er mußte sich schnell umwenden und weitergehen; +es war ja nicht gerade notwendig, es sehen zu lassen; aber auch da +schluchzte Ane, er sah es deutlich an ihrem Rücken, als er sich +umwandte, wie sie eben im Begriff war, so klein und kümmerlich durch +das Gattertor zu gehen. + +Wenn er sie wiedertraf, sollte Ane wirklich sein Taschenmesser +bekommen, das sie so gern haben wollte; er selbst würde es nicht mehr +so nötig haben, er müßte doch zusehen, bald ein Scheidenmesser zu +bekommen. + +Er blieb eine Weile stehen, dann guckte er wieder durch das Gatter. +Wahrhaftig, dort war der König draußen auf der Treppe, ein großer +starker Mann in schlohweißen Hemdsärmeln. Aber er hatte keine Krone +auf, nur eine kleine Schirmmütze, die weit hinten im Nacken saß. + +Unsinn, das war natürlich der Bauer selber. Wie er sich dehnte und in +der Morgensonne wohl fühlte! + +Ja, jetzt mußte er wohl hin und sich zur Stelle melden. + +Er öffnete vorsichtig das Gattertor, schlüpfte durch und machte es +hinter sich wieder zu, ohne sich umzuwenden; -- es war, als machte es +ihm Mühe, zurück zu blicken. Er blieb einen Augenblick stehen, zog die +Hosen herauf und schob den Hut noch weiter in den Nacken. Dann hielt +er die Arme in zwei großen Bogen von den Seiten ab und ging vorwärts, +langsam und mit langen Schritten wie ein Erwachsener, die Augen die +ganze Zeit auf den Mann auf der Treppe gerichtet. + +Als er näher kam, fiel es ihm offenbar schwer, gerade draufloszugehen, +und so näherte er sich in einem großen Bogen der untersten +Treppenstufe. Er nahm die paar Stufen, blieb stehen, machte eine tiefe +Verbeugung mit dem Kopf, führte die eine Hand an seine weiße Mähne und +streckte die andere aus: + +Guten Tag! + +Opsal nahm die kleine braune Hand, die ganz in seiner großen Faust +verschwand, und sah mit verhaltenem Lächeln auf ihn herunter. + +Guten Tag. Sind so erwachsene Burschen schon so früh unterwegs? + +Ja, das sind sie. Es ist schönes Wetter heute. + +Opsal fuhr fort ihn anzusehen. Tor sah weg, setzte den Fuß vor und +suchte eine erwachsene Stellung einzunehmen: + +Du bist der Opsal selber, scheint mir. + +Ja, sie nennen mich so. Aber was bist du für ein Bursche? + +Tor sah sehr erstaunt aus. + +Weißt du das nicht? Ich sollte ja jetzt dein Knecht sein. + +Meiner? Sieh mal einer an, da bist du wohl mein neuer Knecht aus +Stubsveen. Wie heißt du? + +Weißt du das auch nicht? Ich heiße Tor. + +Ja richtig. Du bist wahrhaftig zeitig unterwegs. + +Ich finde eher, daß man hier spät aufsteht. Wir beginnen den Tag früher +oben bei uns. + +Hm. Und jetzt hast du vielleicht vor gleich für immer dazubleiben? + +Ja, das war die Meinung. + +Tat es dir denn nicht leid, von Mutter wegzugehen? + +Die Kehle wollte sich Tor wieder zuschnüren, aber er biß die Zähne +zusammen und schluckte alles schnell herunter. + +Ach, du weißt -- aber man kann doch nicht sein Lebenlang am +Schürzenband hängen. + +Opsal lächelte. + +Ja, willkommen denn, und geh dann mal in die Küche und sieh zu, daß du +etwas zu essen bekommst; du hast wohl Hunger nach dem langen Weg, den +du schon hinter dir hast. + +Aber ist es nicht unrecht, mit Essen zu beginnen, ehe ich etwas getan +habe? + +Ja, was hast du dir eigentlich gedacht, daß du hier auf Opsal tun +willst? + +Das, was du von mir verlangst. + +Glaubst du, daß du das alles kannst? + +Nach dem, was ich gehört habe, sollst du kein unbilliger Mann sein; +übrigens -- er betrachtete Opsal von oben bis unten mit seinen offenen +blauen Augen -- kann es schon sein, daß ich imstande wäre, Dinge zu +tun, die du selbst nicht bewältigen könntest. + +Was sollten denn das für Dinge sein? + +Tor antwortete rasch: + +Die Kälber durch das Gebüsch jagen. + +Der Opsal sah sich selber an, und dann lächelte er Tor zu: + +Du bist wohl ein großer Schelm. + +Tor sah ihm lächelnd gerade in die Augen: + +Ja, wenn ich nur nicht hier auf Opsal meinen Meister finde. + +Opsal nahm ihn an der Hand: So, jetzt mußt du mit hereinkommen und dir +die Leute und die Einrichtung ansehen, und wenn es dir gefällt, dann +ist es wohl am besten, ich ernenne dich gleich zu meinem Großknecht. + +Jetzt hast du mich wohl wieder zum besten, Opsal; aber vielleicht +könnte ich auch das fertigbringen. + +Sie gingen Hand in Hand hinein. + +So hielt der Gemeindejunge seinen Einzug auf Opsal. + + [Illustration] + + + + + Amunds neue Ski. + + +Amund schielte unter der Felldecke hervor: + +Ane Marja? -- A--ne Mar--ja! Sagte der liebe Gott etwas davon, wie +lange es dauern sollte, bis ich meine Ski bekäme? Er lauschte. Nein, +Ane Marja schlief wohl schon. Teufel auch! er mußte es jetzt wissen, +denn so ging es nicht weiter. + +Ane Marja hatte gesagt, daß alle artigen Jungen Ski vom lieben Gott +bekämen, und da konnte kein Zweifel sein, daß er sie bekommen würde. +Aber es war ihm darum zu tun, sie bald zu bekommen; Ane Marja und der +liebe Gott sollten nur wissen, wie es war, drüben auf dem Südfeld zu +stehen und alle die anderen Jungen Schlitten fahren zu sehen. Und +die Skibahn, die jetzt war! Wenn der liebe Gott selbst zum Skilaufen +zu alt war, so mußte er doch wissen, daß Amund im Frühling keine Ski +brauchte, wenn der Schnee entweder zu weich oder zu hart war. Nein, +sollte er welche haben, so mußte es jetzt sein. Er konnte auch nicht +begreifen, warum es so lange dauerte. Denn artig war er gewesen. Am +zweiten Weihnachtsfeiertag hatte Ane Marja es gesagt, und jetzt war +schon Hochneujahr, und in dieser ganzen Zeit hatte er sich nicht mit +der kleinen Liese gezankt, nicht einmal, als die Lakritzenstange in +seinem Kasten anfing kleiner zu werden, -- ja, denn es konnte niemand +anders als Liese sein, die daran schuld war. Er hatte nur den Kasten +zugeschlossen, denn da hörte doch alles auf. Sie konnten doch nicht +verlangen, daß er sie alles aufessen lassen sollte. Nein, ~daran~ +konnte es nicht liegen. Jon Rönningen hatte schon vor langer Zeit Ski +bekommen, -- Amund glaubte übrigens nicht, daß diese Ski so wundervoll +wären, wie Jon immer tat, -- und er war gar nicht artig; -- ein +richtiger Lümmel; -- und wie er fluchte! + +Und dann Hans Svebakken. Er hatte zu Weihnachten welche bekommen; ach +ja, das war nicht ganz unbillig; ~denn er war artig~; er hatte +Amund gestern zweimal seine Ski geborgt, um auf dem Südfeld darauf zu +laufen. + +Nein, er konnte es nicht begreifen. Wenn es wenigstens so gewesen wäre, +daß es viele gab, die Ski haben sollten, so konnte man dem lieben Gott +verzeihen, daß er nicht genug fertigbekommen hätte; aber es waren ja +nur Amund und Lars Sagbakken, die keine hatten. + +Ach ja, er glaubte schon, daß er sie vor Lars bekommen würde, denn Lars +sagte gestern: Hol' mich der Teufel, und das war ein Fluch, hatte Ane +Marja gesagt. + +Aber, du liebe Zeit -- warum konnte er sie nicht gleich bekommen? Es +war schade um jeden Tag, den es länger dauerte. + +Sie meinten wohl doch, daß er nicht artig genug wäre. Aber er hatte +getan, was er konnte, -- und Amund zog wieder den Kopf unter die +Felldecke. + +Wenn Lykkelin bald Zicklein bekommen hätte, so würde er sich weder von +Ane Marja noch vom lieben Gott haben hereinreden lassen; denn Lykkelin +hatte immer Zwillinge, und für das Fell von ihnen hätte er schon ein +Paar Ski bekommen, -- wenn sie auch nicht so besonders gut gewesen +wären --; aber Lykkelin setzte in diesem Jahre aus. Sie sollte erst +Mitte Februar Junge haben. + +Er steckte den Kopf wieder hervor. + +Nein, er mußte es sich noch einmal überlegen, woran es wohl liegen +könnte. Hatte er etwas getan, was nicht recht war? Ja, er hatte das +Band aus dem Schlitten genommen, damit Liese ihn nicht brauchen sollte; +aber das konnte er doch machen, wie er wollte, denn es war ~sein~ +Schlitten. Doch, er war artig gewesen. Aber sie glaubten vielleicht +nicht an ihn? + +Ach, er würde gern den Schlitten und die Lakritze weggeben, wenn er sie +nur bald bekäme! + +Die Lakritze? + +Sollte er es damit versuchen, um ihnen zu zeigen, daß es ernst war? Ja, +das wollte er tun. + +Er richtete sich vorsichtig auf den einen Ellbogen auf und horchte, ob +Ane Marja schlief. Ja, sie schlief. + +Dann kroch er vorsichtig unter der Felldecke hervor und schlich sich +leise durch das Zimmer bis an seine Truhe. Den Schlüssel hatte er +daruntergelegt. Er öffnete sie, nahm die Lakritzenstange heraus und +wickelte sie aus. Dann ging er ans Fenster. Es war am besten, sie dahin +zu legen, da konnte der liebe Gott sie durch die Fensterscheibe sehen. + +Er hielt inne und überlegte, ob er sie erst kosten sollte. Nein, lieber +nicht. Der liebe Gott sollte sehen, daß er es ernst meinte. + +Er legte sie hin und schlich wieder in sein Bett zurück. Jetzt war +es getan. Er fühlte sich ganz sicher. Das konnte nicht fehlschlagen, +morgen noch würde er Ski bekommen. Er glaubte schon darauf zu laufen, +und er begann darüber nachzudenken, wie er sich den andern Jungen +gegenüber verhalten wollte. + +Lars Sagbakken sollte sie vielleicht ein- oder zweimal borgen dürfen, +wenn Amund sie nicht selbst brauchte. Aber gegen Jon Rönningen wollte +er ordentlich stolz sein. Er hatte nicht vergessen, wie er neulich die +Ski von Hans Svebakken borgte. Da hatte Jon, der Lümmel, gesagt, er +sähe aus, als habe er Kartoffeln in der Hosenklappe. + +Ja, das kam davon, wenn man Hosen mit Klappe trug. Von jetzt an wollte +er eine Hose zum Knöpfen haben mit Trägern, wie die größeren Jungen. +Ja, Jon wollte er es schon wiedergeben. Er wollte ihm sagen, er sähe +aus, als ob er Milchbrei in den Knien habe, denn Jon hatte krumme +Beine. + +Dann schlief er ein. + +Und er träumte, daß er dastand und dem lieben Gott zusah, der im +Begriff war, Ski zu tischlern; aber bisweilen kam es ihm auch vor, als +wäre es nicht der liebe Gott, sondern der Tischler Ola, denn er hatte +dieselben krummen Finger und denselben Riß über dem einen Knöchel. + + * * * * * + +Am Morgen schlief er so lange, bis Ane Marja und Liese aufgestanden +waren. Er schielte nach dem Fenster hin, als er die Hosenklappe +zumachte. Wahrhaftig, die Lakritzenstange war kleiner geworden. Er +beeilte sich, hinaus zu kommen. + +Liese stand hinter der Tür und sah nach, ob er böse wurde. + +Er erblickte sofort Ane Marja. Es war, als ob sie da stand und auf ihn +wartete. Dann sah er sich um. Oh! Da standen sie an die Wand gelehnt, +neu und fein, geteert bis an die Bindung. Er blieb wie gebannt stehen. +Er sah sie und Ane Marja abwechselnd mehrere Male hintereinander an, +dann fingen die Mundwinkel an zu zittern und sich krampfhaft weiter +auseinanderzuziehen, beinahe bis an die Ohren, zu einem unendlichen +Lächeln, und als er etwas sagen wollte, zog er den Atem ein, so daß er +es nicht herausbekommen konnte. + +Ane Marja strich ihm übers Haar. Ja, sie sind für dich, aber jetzt mußt +du wirklich ein guter Junge sein und weder aufschneiden noch fluchen, +sonst nimmt der liebe Gott sie wieder weg. + +Er ging um sie herum und betrachtete sie von allen Seiten mit demselben +Lächeln, und dann wagte er sie wegzunehmen. + +Nein, so wunderschöne Ski hatte er noch nie gesehen; wie die Spitzen +in die Höhe standen und wie elastisch sie waren! Ob es wohl Birkenholz +war! Nein, es war Tanne; ja, das war auch am besten. Birkenski waren +Plunder, denn sie zogen sich so sehr. + +Dann mußte er prüfen, ob die Bindung paßte. + +Ja, es -- waren -- prächtige -- Ski! + +Er mußte gleich hinüber nach dem Südfeld. + +Dort waren sie schon versammelt, Jon Rönningen und Hans Svebakken und +alle die andern, die Ski hatten, ja, sogar Lars Sagbakken, der keine +hatte, stand schweigsam und kümmerlich da und fror. Er tat Amund heute +richtig leid. + +Es herrschte ein großer Lärm und Spektakel. Schon von weitem sahen sie +Amund kommen, und Jon rief: + +Nein, seht Amund mit den weiten Hosen, jetzt hat er Schneereifen +bekommen! + +Amund vergaß, daß er nicht aufschneiden sollte: + +Auf den Schneereifen habe ich keine Angst vor dir, auch wenn du doppelt +soviel Milchbrei in den Knien hättest. + +Dann sollten sie die Ski ansehen und begutachten. + +Jon musterte sie genau: + +Sie wären nicht sehr aufgebogen. + +Oh, sie wären allemal so gut, wie die Birkenstöcke von Jon, die beide +Enden in die Luft setzten. + +Und dann werden sie nicht nach hinten zu schmäler. Sie würden nicht +schnell gehen. + +Nein, aber dafür trügen sie auch, wenn der Schnee locker war. Die Ski +sollten auch nicht wie ein Backholz sein. + +Und wie stand es, hatten sie die richtige Biegung? + +Jon nahm den einen auf und untersuchte ihn. + +Ja, etwas gebogen waren sie, aber nicht gleichmäßig, zuviel am +Vorderende; bei lockerem Schnee würden sie unten einschneiden, und bei +hartem würden sie sich kreuzen. + +Aber sie wären elastisch! + +Elastisch! Glaubte er vielleicht, daß das ein Vorzug wäre, wenn die +Spitzen wie ein Tauende hin und her schlügen! Nein, die Thelemärker, +die zwanzig Ellen hohe Sprünge ausführten, hätten steife Vorderenden +mit einer ganz feinen Biegung --, so fein wie ein Flitzbogen. Solche +wie diese könnten nicht einmal einen kleinen Satz aushalten, geschweige +denn einen richtigen Sprung. + +Doch Amund wollte ihm zeigen, daß sie es aushalten könnten. Er erbot +sich, überall nachzufahren, wo Jon mit seinen Birkenstöcken es ihm +vormachte. + +Ja, sie könnten es ja erproben, -- nur über den Weg da unten. + +Dann machten sie sich auf, Jon voran, und Amund hinterher über das +Südfeld hin. Jon nahm den Sprung und kam gerade auf den Weg unten +an. Die Knie waren ihm etwas wackelig, aber er sprang zu, so daß er +hinüberkam. + +Es war das erstemal, daß Amund sich an etwas derartiges wagte, und +darum hingen ihm die Hosen hinten auch noch weiter herunter als +gewöhnlich, wie er ganz zur Seite auf seinen Stock geneigt tiefe +Furchen in den Schnee grub, so daß es stob. Er bekam zu wenig Schwung, +kam nicht über den Wegrand, die Ski blieben stecken und knacks -- --; +trotz seiner Hinterladung flog Amund kopfüber in den Schneehaufen. + +Er sprang wie verrückt wieder in die Höhe. Er glaubte einen Knacks +gehört zu haben. Er packte den einen Ski und riß und zerrte an ihm +wie wahnsinnig, bis er ihn draußen hatte -- das Vorderende war mitten +durchgebrochen. + +-- Damit war diese Herrlichkeit vorbei. Mit dem anderen nahm er +sich viel Zeit. Er mußte den Handschuh tief in den Mund stecken und +zubeißen, um das Weinen zu unterdrücken. + +So etwas hätte er sich nie träumen lassen. + +Ganz betäubt nahm er sie bei der Bindung, einen in jede Hand, ohne sie +anzusehen und begab sich auf den Heimweg. + +Es ging langsam. Er war so seltsam dünn und klein und krumm in den +Hosen, wie er den ausgetretenen Weg neben der Rinne mehr heraufkroch +als ging, und es konnte schon sein, daß die Hosen beinahe hinten +aufstießen. Er sah gerade in den Schnee, auch als er an den Kameraden +vorbeikam, und sie ließen ihn in Ruhe; es kam ihm vor, als wären sie +auf einmal so still geworden. + +Er ging nach Hause, und suchte so zu gehen, daß ihn niemand sah. +Die Ski versteckte er gut unter dem Vorratsgebäude zwischen einigen +Brettern. Dann eilte er hinauf in die Kammer. + +Wenn es ~so~ ging, so wollte er seine Lakritze wieder haben. Er +ging schnell ans Fenster. + +Wahrhaftig sie war schon halb aufgegessen! + +Er nahm sie mit einem Ruck: + +Gib mir meine Lakritze wieder, mein Junge, -- und dann wickelte er sie +gut ins Papier und schloß sie in seine Truhe ein. + + [Illustration] + + + + + Wenn die Graugänse fliegen. + + +Unter dem großen einsamen Ebereschenbaume oben auf der Höhe auf der +Südseite des Hofes stand Ivar, beide Hände tief in den Hosentaschen, +und sah über das Tal und nach dem Himmel im Süden. + +Es war schon richtiger Frühling in der Luft. Nur ganz oben an den +Talrändern und auf den nach Norden gewendeten Abhängen lag noch Schnee, +die Südabhänge und die langgestreckten Äcker waren schneefrei, und die +Erde dampfte unter der milden Sonne. Oben in dem kleinen Tannendickicht +lärmten die Elstern noch wie im Winter, aber auf den Äckern stolzierten +die Krähen ernsthaft herum, lüfteten die Flügel, als ob es zu warm +wäre, und schwelgten in all dem Gewürm, das die Sonne hervorlockte. Die +Ackerfurchen entlang -- Per Madslien versuchte bereits auf dem Südacker +zu pflügen -- gingen die Bachstelzen, die echten Frühlingsvögel, und +zwitscherten und wippten mit dem Schwanz. Die Bäume trugen schwellende +Knospen, die noch nicht aufgesprungen waren, und an den Feldrainen +guckte hier und da eine kleine, gelbe, rundliche Blume hervor; aus +dem Tal herauf ertönte eine tiefe Kuhglocke und dazwischen hinein die +Glocken des Kleinviehes mit ihrem scharfen hohen Ton, und durch all das +Geläute schnitt der einförmige, langgezogene, melancholische Ton einer +Weidenflöte -- der Hirtenjunge mußte schon eine Weide gefunden haben, +die ihre Rinde hergab. Die Luft war von Tönen aller Art erfüllt, die +sich zu einer einzigen mächtigen Frühlingsstimmung mischten. + +Ivar schickte einen Jodler hinab, der Hirtenjunge antwortete und +entlockte dann seiner Flöte einen langen, klagenden Ton. Es war so +lockend, eine solche Unruhe in allen Dingen, daß es unmöglich war, +still zu stehen und sich zu Hause zu halten; Ivar erhob schon den Fuß, +um hinunterzurennen. Aber plötzlich richtete er seine Blicke wieder +nach oben, dorthin, wo die Talränder im Süden sich zusammenschlossen. + +Er zog den Fuß zurück, blieb mit offnem Munde stehen, riß die Hände aus +den Taschen und hielt sie schützend vor die Augen. + +Ja, da waren sie! + +Gerade über dem Einschnitt am Talende erschien ein kleiner dunkler +Streifen, hoch oben in der Luft segelnd, gleichmäßig und taktfest, +immer vorwärts! + +Das war die erste Schar Graugänse, auf die Ivar nun schon so viele Tage +gewartet hatte. + +Seine Wangen röteten sich, er machte eine Wendung, als ob er ins Haus +laufen wollte, bedachte sich aber; es war doch zu herrlich zu stehen +und zu sehen, wie sie vorüberzogen. + +Die Schar kam näher, bog ein wenig nach der westlichen Talseite ab, +es sah aus, als stiegen sie immer höher, je näher sie kamen. Bald +konnte er die einzelnen unterscheiden, voran war eine große, starke als +Wegweiser, dahinter die große Schar in zwei Linien, die in einer Spitze +vorn zusammenliefen. Sie flogen gleichmäßig und sicher mit taktfesten +Flügelschlägen. + +Als sie mitten vor ihm waren, packte ihn die Lust, diese Regelmäßigkeit +zu zerstören. Die Mutter und Großmutter hatten ihm beide gesagt, daß er +das nie tun dürfte, aber ehe er recht wußte, wie es kam, stand er da +mit ausgestreckter Hand und zeigte auf die Schar. + +Im selben Augenblick schwankte die vorderste in der Schar und kam aus +der Reihe, dann noch eine und noch eine, sie gerieten auseinander, +sanken herab, verlangsamten den Flug, es war, als ob sie mit einmal die +Kraft verlören und in die größte Verwirrung kämen. + +Lange, hilflose Schreie drangen aus der Luft hernieder, verloren sich +in der Ferne, und merkwürdig, es klang, als kämen sie von allen Seiten. + +Ebenso plötzlich wurde Ivar von einer starken Angst gepackt, als habe +er etwas ganz Schlimmes begangen --, er wußte doch, daß es Sünde war, +auf die Graugänse zu zeigen. Er begann ein Vaterunser zu beten -- das +hatte er gehört, war die einzige Art, es wieder gut zu machen. + +Der Wegweiser tat ein paar kräftige Flügelschläge, kam an die Spitze +und bog mehr nach Osten ab; eine nach der andern arbeiteten sie sich +wieder in die Höhe und bildeten wieder ihre Reihen, bald gewann auch +die letzte mit ein paar kräftigen Schlägen den Anschluß wieder, die +Schar glitt weiter mit taktmäßigen Flügelschlägen genau nach Norden. + +Ivar stand und folgte der Schar langsam mit den Blicken und wurde +gerade mit dem Vaterunser fertig, so daß er ihnen das Amen nachnicken +konnte, als sie den Tannenwald, der sich in blauer Ferne im Norden +hinzog, erreichten und verschwanden. + +Es war, als sei die Freude daran ausgelöscht, aber er mußte nun doch +wohl zur Großmutter hineingehen. + + * * * * * + +Drinnen in der Auszüglerstube saß seine Großmutter, die alte Beret +Madslien, in ihrem Lehnstuhl und brummte. Sie war klein und +zusammengeschrumpft und saß in der Ecke zwischen dem Kachelofen und +dem Bett, wohlverpackt in gestrickte Tücher, mit großen gestrickten +Socken an den Füßen und einem dunkelkarierten Tuch über dem gestrickten +Ohrwärmer. Die Tür zur Stube stand angelehnt, und von drüben drangen +Stimmen herüber. Beret murmelte etwas vor sich hin, zog mit Mühe den +Ohrwärmer zur Seite und horchte: + +Hm! Hm! Ach nein, sie waren schon vorsichtig und sprachen leise, daß +sie es nicht hören sollte! Was sie wohl wieder heimlich vorhaben +mochten? O nein, sie sollten sich nicht einbilden, daß sie so +davonkämen. + +Oline! + +Keine Antwort. Sie nahm ihren Krückstock, der in der Ecke am Ofen stand +und klopfte auf die Diele. + +Oline! + +Ja -- hier bin ich, Mutter! Was willst du? + +Eine energische Frau mittleren Alters erschien in der Tür. + +Ich kenne niemand, der so ist wie du, Oline. Nicht zu kommen, wenn ich +dich rufe. + +Ich kam ja so schnell ich konnte, Mutter! und es handelt sich wohl auch +um nichts Besondres. + +Nein, wenn du nur selber schwatzen kannst, so ist es dir gleich, ob +ich den ganzen Tag allein sitze. Wer ist drüben? + +Meinst du es sei jemand drüben? + +O ja, ich hörte es wohl! Wer ist drüben? Ich will es augenblicklich +wissen, hörst du? + +Ja, ja, es ist ja nur Marthe Moen. + +Was will sie? + +Oline machte sich irgendetwas am Schranke zu schaffen und antwortete +nicht. + +Hörst du nicht, Oline! Sollte man es für möglich halten! Was sie will, +frage ich? + +Ach nichts, sie wollte bloß hören, ob sie ein Ferkel haben könnte, wenn +wir welche bekommen. + +Hm, hm! hat man so was gehört. Du hast doch nicht etwa auch ihr eins +versprochen? + +Sie saß eine Weile ruhig und sah gerade vor sich hin. Dann hatte sie +das Ganze vergessen und fragte plötzlich: + +Sind Fremde drüben? + +Oline warf einen scharfen Blick auf sie, schüttelte leise den Kopf und +sagte in milderem Tone: + +Ich sagte dir doch, daß Marthe Moen da ist! + +Nein, ist sie da? Mit ihr muß ich reden. Bitte sie, daß sie zu mir +herauskommt, ehe sie geht. + +Ja, das will ich tun, und Oline ging wieder hinüber. + +Eine Weile danach kam Ivar in die Kammer. + +Ihr Gesicht hellte sich auf, sowie sie ihn sah. + +Nein, bist du es Ivar! + +Ja, Großmutter; ich kann dich von den Graugänsen grüßen -- jetzt sind +sie da! + +Pst -- sie winkte mit der Hand nach der Tür -- mach die Tür zu, Ivar, +daß uns niemand hört. + + * * * * * + +Sie hatten ihre Geheimnisse, die beiden, und das war so zugegangen: + +Es war lange her, daß die alte Beret Madslien das kleine +Auszüglerstübchen verlassen hatte. Sie war alt, und obwohl sie gut +eingehüllt war, fror sie beständig. Ihre Hände waren ganz in Ordnung, +aber wenn sie in ihren Stuhl gekommen war, so saß sie da und konnte +sich nicht allein erheben. Gesicht und Gehör hatte sie so einigermaßen +bewahrt, aber mit den anderen Sinnen war es nicht mehr weit her, +namentlich hatte sie ganz ihr Gedächtnis und ihre Urteilskraft +verloren. Wie alle alten Leute war sie eigensinnig und neugierig +geworden, und es war unmöglich, ihr etwas recht zu machen; wenn sie um +etwas gebeten hatte, so war sie im nächsten Augenblicke unzufrieden, +wenn man es ihr gab. + +Meist ließ sie ihre schlechte Laune an Oline, ihrer eigenen Tochter +und der Mutter des Jungen, aus, weil sie am meisten um sie war. Sie +bildete sich ein, daß sie ganz unglaublich viel zu erzählen habe. +In Wirklichkeit war kein Zusammenhang in ihren Reden, es war dies +und jenes, was weit, weit zurücklag, als ihr Mann noch lebte, und +was sie nur noch in den gröbsten Zügen in der Erinnerung hatte und +oft durcheinander mischte. Ab und zu hörte Oline ihr ja zu, aber sie +merkte wohl, daß erwachsene Leute ihr nicht aufmerksam folgten, oft +sogar lächelten, und das verursachte ihr Ärger. So war es gekommen, +daß sie Ivar zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Er hörte ruhig zu, und +es schmeichelte ihm, daß die Großmutter immer so vorsichtig war und +flüsterte, damit kein anderer es hören sollte. + +Es war namentlich eins, womit sich die Großmutter diesen Winter +abgequält hatte. Sie wollte ins Freie hinaus. Und das wollten sie ihr +nicht erlauben. Einmal im Winter hatten sie ihr scheinbar nachgegeben, +sie in die Stube hinüber und nach der Tür geführt, aber als sie so weit +gekommen war, war sie plötzlich zornig geworden, »weil es derartig in +der Stube aussähe« und hatte wieder in die Kammer zurückverlangt. + +Und seitdem -- sie hatte wohl verstanden, daß sie ihr damals nur zum +Schein nachgegeben hatten -- sprach sie nie mehr zu den Erwachsenen von +ihrem Wunsche, hinauszukommen; aber mit Ivar sprach sie um so mehr +davon: Sie wäre nur vor Sehnsucht krank, sie wäre sicher, sie würde +gesund werden, wenn sie nur das Tal zu sehen bekäme und die Wiesen, und +die Sonne fühlte. Und das sollte an dem Tage sein, wo die Graugänse +kämen, denn dann wäre der Frühling da. + +Die beiden hatten nun miteinander ausgemacht, daß Ivar ihr an jenem +Tage hinaushelfen sollte, ohne daß die andern etwas davon wüßten -- +deshalb hatte er drüben auf dem Hügel gestanden und nach den Graugänsen +gespäht, heute und viele Tage vorher. + + * * * * * + +Die Großmutter war sehr eifrig, noch ehe Ivar die Tür geschlossen +hatte. Dann warf sie einen langen Blick nach dem Fenster, beugte sich +zu ihm und flüsterte: + +Flogen sie schön in Reih und Glied? Das ist ein gutes Zeichen. + +Er fuhr zusammen, wurde feuerrot und antwortete nicht gleich. Sie +fragte auch nicht noch einmal, sondern sah ihn nur fragend an. Da sagte +er: + +Ja, Großmutter, sie flogen sehr schön, wie ein Schneepflug. + +So sieh zu, daß du deine Mutter aus der Stube bekommst, damit wir +durchkönnen. + +Er ging nach der Tür. + +Nein, warte ein bißchen Ivar, zieh das oberste Kommodenfach auf, da +findest du ein Stück gebrannten Zucker. + +Du weißt, ich bekam das letzte gestern, Großmutter. + +So, so; ich möchte dir gern etwas schenken. Sieh nach, ob du etwas +findest, was du haben willst. + +Er ging hin, zog das Fach auf, und seine Finger griffen nach einem +silbernen Herzen. Sie sah es. + +Ja, ja, das sollst du haben, Ivar. + +Er war hocherfreut, aber da fiel sein Blick auf die Großmutter, und er +dachte daran, daß er nicht die Wahrheit gesagt hatte. + +Nein, Großmutter, ich kann es ja später einmal haben, sagte er +kleinlaut, legte es wieder ins Fach und ging hinaus. Bald darauf kam er +schnell wieder herein, nahm einen Stuhl und trug ihn hinaus. Dann kam +er wieder herein: + +Mutter ist mit Marthe Moen im Schweinestall. + +So? + +Ja, und nun habe ich einen Stuhl an die Südwand gestellt. Komm nun, +Großmutter! + +Er reichte ihr den Krückstock und setzte die Spitze ordentlich auf der +Diele zurecht, daß er fest stehen sollte, darauf stemmte er die Achsel +unter ihren andern Arm und richtete sich auf. Sie kam in die Höhe. Sie +war sehr eifrig, und die Spannung verlieh ihr Kräfte; es ging leichter, +als sie erwartet hatte. Über die Türschwelle nach der Stube ging es +gut, denn sie war ganz niedrig, aber als sie die Stube erst hinter sich +hatten, wurde es schlimm. Sie mußte sich an den Türpfosten lehnen, und +er beugte sich nieder und hob ihr den einen Fuß über die Schwelle, +-- sie konnte ihn nicht so hoch heben. Dann mußte sie sich ein wenig +drehen, damit er auch den andern hinüberheben konnte. + +Ein Schauder überfiel sie, es war, als würde sie noch kleiner, als sie +durch die Tür kam und die frische Luft ihr entgegenschlug. Doch sie +ermannte sich und versuchte zu lachen: + +Was für ein Unsinn, soll ich nicht hinauskommen, ich bin ja frisch wie +in der Jugend! + +Eifriger setzten sie ihren Gang längs der Wand fort, bald waren sie an +der Ecke. Da fing sie an müde zu werden. Das erste, wonach sie sah, +war der Stuhl. Er stand noch ein Stück weit entfernt, zwischen beiden +Fenstern. Sie krochen weiter. Ein paar Schritte vom Stuhle entfernt +konnte sie nicht mehr, ließ den Stock los, streckte die Hand hilflos, +sehnsüchtig nach der Stuhllehne aus, taumelte einen Schritt weiter, riß +Ivar mit sich und bekam gerade den Stuhl zu fassen. Sie sank schwer +darauf nieder, und Ivar setzte sie zurecht. + +Die Sonne schien warm auf die Hauswand, das Bachesrauschen kam in +steigenden und fallenden Wellen, Vögel zwitscherten, Insekten summten, +-- der Frühling lag in der Luft. + +Ivar stand da und sah sie an. Es fiel ihr schwer, den Kopf aufrecht zu +halten, sie hob ihn langsam, begann an der einen Seite und ließ den +Blick langsam rund um den ganzen Gesichtskreis wandern, aber es war ein +matter und gleichgültiger Blick, und dann sank der Kopf wieder nach +vorn und sie sah vor sich hin. Angst und Enttäuschung überfielen Ivar: + +Ist es dir nicht gut, Großmutter? + +Sie fuhr zusammen, schauderte, als sie seine Stimme hörte -- im selben +Augenblick fuhr auch ein kalter Luftzug um die Ecke. + +Hm! Alles wird verdorben! Die Flur ist nicht wie in alten Tagen. + +Ivar machte große Augen. + +Wie war es denn damals Großmutter? + +Viel, viel schöner. Und die Sonne ist auch nicht mehr warm! Ja, nichts +hat mehr seine richtige Ordnung. Ich will wieder hinein, mich friert! +Hu! + +Ivars Stimme zitterte, und er hatte Tränen in den Augen: + +Ja, ja, Großmutter, wir wollen wieder hinein! Komm! + +Hu, wie kalt! Nein, ich kann nicht, du mußt deine Mutter holen! + + * * * * * + +Am folgenden Tage waren eine Menge Leute in dem kleinen +Auszüglerstübchen. Die Großmutter lag im Bett und phantasierte. Der +Doktor war eben fort und hatte gesagt, es sei Lungenentzündung, und +es sei nicht wahrscheinlich, daß die Großmutter in ihrem Alter sie +überstehen würde. Die anderen waren ruhig und sprachen leise, aber sie +weinten nicht weiter. Oline mußte doch hier und da, wenn die Großmutter +im Fieber etwas recht Seltsames sagte, den Schürzenzipfel gebrauchen. +Nur Ivar stand im Winkel beim Schranke und weinte unaufhaltsam. Niemand +konnte es begreifen, denn Kinder pflegen so etwas nicht so ernst +zu nehmen. Er hatte auch gestern den ganzen Tag geweint, und daher +hatten sie ihn nicht weiter gescholten, und niemand hatte ihm von dem +Ausspruch des Doktors erzählt, daß sie sich gestern erkältet habe, und +daß er gewissermaßen daran schuld sei. + +Es war ganz still in dem Kämmerchen, nur die Großmutter phantasierte +und Ivar schluchzte. + +Plötzlich wurde die Großmutter still. Nach einer Weile stieß sie einen +leisen Klagelaut aus und sah sich um. Dann sagte sie mit einem seltsam +milden Klang in der Stimme, so daß alle hörten, daß sie bei Bewußtsein +war: + +Ist es Ivar, der so weint? + +Ja, sagte Oline. Ivar, die Großmutter fragt nach dir. + +Er ging hin, warf sich vor dem Bett auf die Knie und flüsterte: + +Es war nicht wahr, Großmutter; denn ich zeigte gestern auf die +Graugänse. + +Ja, aber dann betetest du ein Vaterunser, wie ich dich gelehrt habe. + +Darauf sagte sie leicht mit einem Lächeln: + +Nein, wahrhaftig Oline, das hätte ich bald vergessen. Ivar soll das +silberne Herz von mir haben. + +Das war das letzte, was die Großmutter sagte. + + [Illustration] + + + + + In Großvaters Auftrag. + + +Burman saß auf dem Schwanz draußen im Hof im Sonnenschein. Er blickte +mit dem einen Auge verstohlen nach den Hühnern, die vorsichtig in +einem großen Bogen um ihn herumgingen und sich nicht getrauten ihm zu +nahe zu kommen, und mit dem andern verfolgte er, was sich sonst im Hof +zutrug: die Katze, die sich am Hause lang drückte und sich jedesmal +flach auf den Boden legte, wenn die Turmschwalben wie schwarze Streifen +vorüberflogen, daß es in der Luft pfiff, die Bachstelzen, die hin und +her trippelten und Insekten fingen, und die beiden kleinen Ferkel, die +drüben an der Stalltür herumwühlten. Er döste leise vor sich hin, denn +es gab heute nicht viel zu tun, die Hühner schienen nicht in den Garten +gehen zu wollen, und die Haustür war geschlossen, so daß die Ferkel +nicht hineinkommen und Unheil anstiften konnten. + +Da ging die Tür vorsichtig auf und Burman drehte den Kopf. Es war der +kleine Jon, der auf die Steinfliesen hinauskam und die Tür behutsam +hinter sich schloß. + +Was das wohl bedeuten sollte? Er sah sich so schlau um und trug etwas +unter der Jacke. + +Als Jon sich ein wenig umgesehen hatte, eilte er über den Hof hinter +das Vorratsgebäude; er machte auch einen kleinen Bogen um Burman, denn +die beiden waren nicht besonders gute Freunde. Jon fand, daß Burman +häßlich war mit seinen langen Zotteln, und dann wedelte er nie mit +dem Schwanz, wenn er ihn streichelte und sah ihn auch nie an, sondern +blickte nur geradeaus und saß ganz still oder ging seiner Wege. Und das +tat Burman, weil er der Ansicht war, er hätte wichtigeres zu tun, als +sich mit so einem Jungen einzulassen, der einem lästig genug werden +konnte, wie er aus seinen jüngeren Tagen wußte. + +Eine Weile darauf kam Jon zurück -- jetzt hatte er nichts mehr unter +der Jacke --, er ging hinunter und stellte sich auf den großen Stein +auf der anderen Seite des Hauses. + +Burman blickte ihm nach, bis er um die Ecke war, dann erhob er sich, +sah sich noch einmal um und trottete hinter das Vorratsgebäude, er +wollte sehen, was Jon dort hingelegt hatte. Er schnüffelte ein wenig +herum und dann fand er verborgen unter einer Steinfliese an der Wand +ein Tuch, in das etwas eingewickelt war; an dem Geruch merkte er +gleich, daß es Butterbrot war. Hm, es war am besten, heute ein Auge auf +Jon zu haben! + +Er ging wieder in den Hof, etwas weiter vor als vorher, so daß er am +Haus vorbeisehen konnte, setzte sich gleichgültig auf den Schwanz und +tat nicht dergleichen. + +Da stand Jon auf dem Stein und lehnte sich an die Wand. Er hatte +wahrhaftig auch den neuen Schal um. Er stand mit einem sehr ernsten und +vornehmen Gesicht da und versuchte tiefe und feine Verbeugungen mit dem +Kopfe zu machen, und bei jedem Mal sagte er: + +Guten Tag. + +Endlich schien es ihm, als ob er es könnte. + +Eine tiefe Verbeugung: + +Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold? + +Er antwortete auch für den andern: + +Ja, der bin ich. Aber nimm erst mal Platz. + +O, danke, ich finde schon Platz. + +Woher kommst denn du? + +Ich bin von Sörbö -- ich sollte hierher gehen und dich vom Großvater +grüßen und dir sagen, er erwartete dich in den nächsten Tagen, da er +etwas hätte, was er unbedingt mit dir besprechen müßte. + +Nein, was du nicht sagst. Ja, dann geh bitte in die Gaststube und +gedulde dich bis morgen. + +Er wiederholte es noch einmal, aber als er das drittemal anfangen +wollte, kamen die Leute zum Frühstück, und er setzte sich auf den Stein +und tat nicht dergleichen. + +Die Sache war, daß Jon sich vorgenommen hatte, heute einen Auftrag vom +Großvater zu besorgen, doch das sollte niemand wissen, nicht einmal +Großvater selber. + +Der alte Jon Sörbö, der Großvater, war jetzt so alt und schwach, daß +er schon das dritte Jahr zu Bett lag. Er war nicht krank, aber die +Kräfte reichten nicht länger, und das Gedächtnis begann auch allmählich +nachzulassen. Wie alle seinesgleichen war er ziemlich quengelig +geworden; wenn er sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es +nicht leicht, es ihm auszureden. Und trotzdem alle versuchten, ihm, +soweit es anging, seinen Willen zu lassen, so fand er doch oft, daß sie +unbillig gegen ihn waren, und es gab eigentlich nur einen, der wirklich +gut mit ihm auskam und sein Vertrauter war; das war der kleine Jon -- +der hieß ja auch nach dem alten Jon und war der zukünftige Hofbesitzer, +der alles auf Sörbö wieder in die gute alte Ordnung bringen sollte, -- +denn der Alte fand, daß Jons Vater, der jetzt den Hof hatte, sich in +vielen Dingen ganz seltsam anstellte. + +Im Frühjahr nun hatte der alte Jon es sich in den Kopf gesetzt, daß er +absolut mit seinem alten Freund, Peter Sandvold, sprechen müßte. Was er +eigentlich von ihm wollte, wußte er wohl selber nicht so recht, aber +die Sehnsucht nach dem alten Freunde war da. Erst machte er dem Sohne +nur eine Andeutung, indem er sagte: + +Jetzt, wo es auf den Sommer geht, werde ich wohl so weit zu Kräften +kommen, daß ich auf sein kann, und da will ich den Peter Sandvold +besuchen, ich muß notwendig etwas mit ihm besprechen. + +Er sah, wie der Sohn in den Bart lächelte, als er antwortete: + +Ja, das solltest du wirklich tun, Vater. + +Aber der Sommer kam und Jon fühlte sich nicht kräftig genug um +aufzustehen. + +Daher sagte er eines Tages: + +Du mußt nach Peter schicken; ich muß ihn sprechen. + +O ja, das will ich gern bei Gelegenheit tun. + +Doch der Alte verstand wohl, was das hieß, und schickte den kleinen Jon +hinterher, und der konnte später berichten, daß der Vater drüben in der +Stube gesagt hätte: + +Es ist Unsinn, bei Peters hohem Alter, aber wir wollen so tun, als ob +wir damit einverstanden wären, dann vergißt er es bald. + +Seitdem vertraute der Alte sich keinem anderen als dem kleinen Jon +an. Er spekulierte und spekulierte, wie er es anfangen sollte, eine +Botschaft zu senden. Weit war es ja, auf der Landstraße zwei und eine +halbe Meile, aber quer über den Bergrücken knapp eine, wenn man den +direkten Weg durch den Wald einschlug. Gestern nun hatte der kleine Jon +ihm heimlich Feder und Papier gebracht, und er versuchte zu schreiben: +aber es ging nicht und sie waren einig, daß sie warten müßten, bis der +kleine Jon schreiben gelernt hätte; aber er sollte erst zum Herbst in +die Schule kommen. + +Als der Alte das hörte, seufzte er: + +Herrgott, das wird ein langes Wartejahr. + +In diesem Augenblicke tauchte in dem kleinen Jon der Gedanke auf, über +den Bergrücken hinüber zu Peter Sandvold zu gehen, um ihm Großvaters +Botschaft zu überbringen. + +Das war es, was er heute heimlich vorhatte, und dafür hatte er den +Reiseproviant verborgen. + +Er blieb ruhig stehen, bis die Schnitter die Sensen hingelegt, gegessen +und sich zur Ruhe ausgestreckt hatten. + +Darauf eilte er hinter das Vorratshaus, holte das Bündel mit dem +Proviant und machte sich auf den Weg. + +Burman war das einzige Lebewesen auf dem Hofe, das ihn sah. + +Er drehte sich um, setzte sich ganz ruhig wieder hin und sah nach der +Höhe hinauf. + +Er wollte wohl zu Sjur Pladsen, dahin war er oft allein gegangen. + +Auf einmal spitzte Burman die Ohren -- da schlug er den Waldweg ein, +und jetzt war er auch schon im Walde verschwunden. + +Burman begann mit seiner tiefen Stimme zu bellen, daß es zwischen den +Häusern und über das Tal hin hallte. + +Bald darauf trat Jons Vater auf die Schwelle, zornig, weil er geweckt +worden war. + +Kaum hörte Burman die Tür gehen, so bellte er noch lauter, lief ein +paar Sprünge den Weg aufwärts und sah sich um. + +Verdammter Köter! Uns alle zu wecken! + +Burman bellte weiter. + +Pfui, willst du ruhig sein! -- er nahm einen Stein und warf nach ihm. + +Burman jagte mit eingeklemmtem Schwanz auf den Hof zurück, legte sich +mit einem beleidigten Blick nieder und sagte nichts mehr. + +Als sie nach der Frühstückspause herauskamen, bellte er wieder +hartnäckig nach dem Wege, der in die Höhe führte, hin. Die Männer +folgten der Richtung mit den Blicken, und einer sagte: + +Was hat der Hund? Ob sich ein Landstreicher gezeigt hat. + +Aber der Bauer antwortete: + +Ach was, Unarten sind es. Pfui, willst du ruhig sein, wenn es nichts zu +bellen gibt -- darauf gingen sie alle wieder aufs Feld und Burman legte +sich wieder still auf dem Hofe nieder, die Augen spähend nach der Höhe +gerichtet. + +Als sie zu Mittag wiederkamen, probierte Burman es noch einmal, sprang +bellend den Weg hinan und wieder zum Bauern zurück, wieder hinauf und +wieder zurück. Doch da wurde der Bauer ernstlich böse: + +Pfui, willst du ruhig sein, -- er gab ihm einen Tritt, daß er +fortrollte -- hat man je so einen Köter gesehen. + +Während sie hineingingen, sandte Burman ihnen einen langen Blick nach, +dann trottete er, den Schwanz schwer hinter sich herschleppend mit weit +heraushängender Zunge in der heißen Sonnenglut langsam bergauf. + +Der kleine Jon war gewohnt, sich allein herumzutreiben, und niemand +hatte ihn vermißt. Erst als sie gegessen hatten, sagte die Mutter: + +Wo mag der kleine Jon sein? Hat ihn einer gesehen? + +Nein, niemand hatte ihn seit dem Frühstück gesehen. + +Sollte er beim Großvater draußen sein? + +Sie ging in die Kammer hinaus und fragte. + +Nein, der Großvater hätte ihn seit dem frühen Morgen nicht gesehen, er +hätte es so eilig gehabt. + +Sie begann unruhig zu werden und suchte im Hofe überall, wo er sich +sonst aufhielt. Die Angst wuchs, sie kam herein und bat eins der +Mädchen, zu Sjur Pladsen hinaufzuspringen und zu sehen, ob er da wäre. + +Ihre Unruhe begann die andern anzustecken, und alle fingen an, sich zu +wundern. + +Das Mädchen kam zurück und sagte, Sjur hätte nichts von ihm gesehen. + +Da gingen sie hinaus, einer nach dem andern, umkreisten alle Häuser, +guckten hinein, und schließlich begann die Mutter ihn zu rufen. + +Bei dem Rufen schien über alle die Angst zu kommen, und bald rief jeder +nach einer andern Richtung. Keine Antwort. + +Da erinnerte sich der Bauer an Burman: + +Sollte der Junge in den Wald gelaufen sein; der Hund benahm sich heute +zu merkwürdig! + +Ja, daran erinnerten sich alle. Sie fingen an Burman zu locken und +waren nicht wenig verwundert, als er nicht kam, denn Burman entfernte +sich nie vom Hofe. + +Ja, sagte der Bauer, da bleibt nichts anderes übrig, wir müssen das Heu +liegen lassen und in den Wald ziehen. + + * * * * * + +Als der kleine Jon den Waldweg aufwärts stieg, stieß er auf einen +sehr steilen, steinigen Hügel, auf den die Sonne mit aller Kraft +herniederbrannte. Aber das kümmerte ihn weiter nicht, und er stieg +mutig darauf los; je weiter er kam, um so krümmer wurden seine Knie und +der Hosenboden wurde so merkwürdig schwer; als er halb oben war, mußte +er Halt machen und die Jacke ausziehen. Er nahm sie über den Arm und +zog weiter. + +Nach einer Stunde war er oben, und nun ging der Weg sanft ansteigend im +Walde weiter. + +Er setzte sich -- er meinte, er müßte nun doch bald da sein; er wußte +allerdings nicht ganz genau, wie lang eine Meile war, aber so übermäßig +weit konnte es jetzt nicht mehr sein. Vielleicht war er dem Hof ganz +nahe und hatte sich bloß nicht richtig danach umgesehen. + +Er blickte vorwärts. + +Nein, nichts als dichter Wald zu beiden Seiten des Weges; er mußte sich +vielleicht beeilen, wenn er bis zum Abend da sein wollte. + +Er stand auf und lief weiter; jetzt kam ihm sein Auftrag wieder in den +Sinn: + +Eine tiefe Verbeugung: + +Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold? + +Ja, der bin ich -- aber nimm erst mal Platz, bitte. + +O, danke, ich finde schon Platz! + +Wo kommst du her? + +Von Sörbö, ich sollte hierhergehen und dich vom Großvater grüßen und +sagen, du möchtest bald kommen und ihn besuchen, er müßte durchaus mit +dir etwas besprechen. + +Nein, sieh an; dann gehe bitte in die Gaststube und gedulde dich bis +morgen. + +Die Gedanken liefen weiter: + +Und dann gehe ich in die Kammer und sie bieten mir Bewirtung und Kaffee +und Gebäck, und abends lege ich mich in ein Daunenbett so hoch, so hoch +-- -- + +In diesem Augenblicke flog ein Birkhahn gerade vor seinen Füßen auf und +er erschrak, daß er schluckste. Er sah gerade so viel von ihm, daß er +erkannte, daß es ein Vogel war, aber der Schrecken saß in ihm. + +Er blieb eine Weile ganz still stehen, ehe er sich umsah. Da sah er, +daß der Weg verschwunden war und er mitten im Walde stand. + +Pah, den Weg würde er wieder finden. Er ging nach der Seite, aber er +war jetzt so merkwürdig vorsichtig geworden, als ob er Angst hätte, +daß ein Zweig krachte, wenn er die Füße aufsetzte. + +So ging er lange. Es war seltsam, als ob die Erde den Weg verschlungen +hätte. Und so unheimlich still! Er fuhr zusammen und horchte, wenn nur +ein Eichhörnchen mit einem Tannenzapfen raschelte. + +Er ging und ging, schneller und schneller, schließlich rannte er; es +knackte so unheimlich, es raschelte überall; die Mundwinkel verzogen +sich wie zum Weinen, aber es kam nicht zu Tränen, nur vorwärts ging es +in immer schnelleren Sprüngen; es war, als verfolge ihn etwas, als käme +es auch von den Seiten, er lief und lief, -- -- -- bis er über eine +Baumwurzel stolperte und im Heidekraut unter einer großen Tanne liegen +blieb. + +Er erhob sich rasch mit einem Schrei in sitzende Stellung, jetzt, +dachte er, hatte es ihn gepackt. + +Nein, es war nichts; aber es war ihm, als ob es rings im Walde auf +ihn lauerte; er wagte nicht sich zu rühren, sondern kroch nur tiefer +unter die Tannenzweige, gerade als ob der kleine Fleck ihm Sicherheit +gewährte. + +So blieb er lange sitzen, und spähte und forschte nach allen Seiten in +ängstlicher Spannung. + +Da hörte er hinter sich, wo er hergekommen war, etwas rascheln. + +Er drückte sich unter die Tannenzweige und riß die Augen weit auf. Da +kam es, etwas Großes, Schwarzes -- immer näher - gerade auf ihn los -- +-- -- er sah einen Schwanz, der sich vergnügt in die Luft streckte, ein +paar sanfte Augen sahen ihn an. + +Er brach in Tränen aus und schlang beide Arme um Burmans Hals. + +Diesmal hatte Burman nichts dagegen; er legte sich nieder und leckte +ihm Gesicht und Hände. + + * * * * * + +Am nächsten Tage bekam der kleine Jon Wagen und Kutscher, um auf der +Landstraße hinzufahren und zu fragen, ob Peter Sandvold auf Besuch zum +alten Jon Sörbö kommen könnte. + + [Illustration] + + + + + Kirchenexamen vor dem Bischof. + + +Es ist ein strahlender Sommermorgen oben auf einer Sennhütte. Sie +liegt gerade am Talrand mit Aussicht bis hinunter, umgeben von kleinen +niedrigen Wäldchen, die sich auf dem sanften Abhang nach den kahlen +Höhen hinaufziehen. Die Sonne ist schon längst am Himmel -- sie geht +um drei auf -- und scheint auf die drei oder vier kleinen Sennhütten +herab, wo sich die Türen eben wie kleine, schwarze Rachen geöffnet +haben und wo lange blaue Rauchstreifen mit einer leise südlichen +Neigung emporsteigen. Auf der Schattenseite der Tannen glitzern die +feinen Tauperlen in den Tannennadeln und den Spinneweben, und in den +Frauenmänteln und Salbeiblättern auf der Wiese liegen große, glänzende +Tropfen. Die Luft ist klar und still; die bewaldeten Gipfel ringsumher +und der Neusäterberg im Hintergrund rücken ganz nahe in der hohen, +klaren Luft. Über den Tannenwipfeln schwärmen einige Krähen, und in dem +Steinhaufen drüben auf der Wiese huschen ein paar Wiesel hin und her. +In Wald und Feld herrscht tiefe Stille. + +Da ertönt ganz in der Ferne der Klang einer tiefen Glocke, und unter +dem Neusäterberg kommt eine Herde wie ein langer weißer Streifen vor, +-- die Uhr geht so unglaublich schnell drüben auf dem Neusäter. + +In der obersten Sennhütte, vor der eine lange flache Wiese sich +hinzieht, öffnet sich die Kuhstalltür, der Hirtenjunge kommt auf die +Wiese heraus mit einem Milcheimer in der Hand, den Strohhut weit hinten +im Nacken, und blinzelt gegen die Sonne. Er geht hin, öffnet das +Zauntor, geht zum Kleinvieh hinein und beginnt die Ziegen zu melken. Er +bewegt die Lippen, als spräche er mit sich selbst, es sieht aus, als ob +seine Gedanken wo anders weilen, er achtet nicht auf die Ziegen, die +sich an ihn herandrängen, um die ersten zu sein. Die Schafe liegen in +dichten Haufen und wiederkäuen, die Ziegen dehnen sich; nirgends ist +Lärm. Aus dem Kuhstall hört man wie die Hörner gegen die Wand stoßen, +jedesmal wenn eine Kuh aufsteht. + +Auf einmal entsteht Lärm: + +Lykkelin! Du sollst nicht die Schafe mit deinen Hörnern stoßen! + +Die Schellenziege, Lykkelin, war drüben in einer Ecke vom Viehgatter +aufgestanden, streckte sich, und stieß an ein Schaf, daß es in den +Rippen krachte, dann schwankte sie mitten durch die Schafe hindurch, so +daß ein breiter Weg entstand, bis zum Hirtenjungen, der rittlings über +Blaasale saß und sie melkte. Dort drückte sie sich an seinen Schenkeln +entlang, bis sie ihren Kopf in derselben Höhe hatte wie Blaasale. +Blaasale bog ihren Kopf so weit weg, wie sie konnte und sah nach der +andern Seite. Doch plötzlich fühlte sie Lykkelins scharfes Horn unter +ihrem Kinn, und machte einen Satz, so daß der Hirtenjunge hinter sie zu +sitzen kam und der Milcheimer umkollerte. + +Den Teufel auch -- -- --! + +Er sprang auf und setzte Lykkelin nach. + +Großer Aufruhr entstand, die Schafe liefen gerade gegen das Gatter, daß +es krachte, die Schellen klingelten, als wäre ein Hund in der Herde. + +In Jesu Namen, was ist denn los, Gudbrand! + +Es war die Mutter, die durch die Kuhstalltür heraussah. + +Es ist diese elende heimtückische Lykkelin; die Milch von sechs Ziegen +hat sie umgeworfen und mich in den Dreck gesetzt, aber ich werde -- hol +mich der Teufel -- -- + +Er machte einen Satz und faßte Lykkelin drüben in einer Ecke. Da packte +er sie beim Bart: + +Ich werde dich lehren, dich anständig zu betragen! Weißt du, was du +getan hast? Du hast mich in den Dreck gesetzt. Weißt du nicht, daß ich +dein Herr bin, und daß ich heute vor dem Bischof examiniert werde! +Könntest du vielleicht dem Bischof antworten, du Wüterich! Ja, kratze +nur mit dem Fuß, diesmal -- er schüttelte sie hart am Bart, so daß +Lykkelin einen verzweifelten Sprung machte und wieder los kam. + +Teufel -- + +Nein, du darfst heute nicht so fluchen, Gudbrand, denke an den Bischof! + +Ach, ich denke schon, der Bischof hätte auch ein kleines Gebet +angefangen, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre. + +Pfui, wie du redest, Gudbrand! Du wirst so großmäulig, daß ich mir +nicht zu helfen weiß. Geh hinein und nimm dein Buch und lies den +zweiten Artikel noch einmal durch, denn die Werke des heiligen Geistes +kannst du gar nicht, ich werde die übrigen Ziegen melken. + +Doch, allerdings, die kann ich; ich war gerade mitten im dritten +Artikel, als Lykkelin zustieß. Ich will es nicht mehr durchkauen, blos +weil es ihnen einfällt, uns mitten im Sommer zu prüfen. Und dann glaube +ich schon, daß ich trotzdem einer bin, der seinen Mann steht. + +Ja, meinetwegen, wenn du die Schande haben willst! Es ist wirklich der +Mühe wert, daß ich mich abplage, um dir neue Schuhe und eine neue Jacke +zu verschaffen, daß du wie anständiger Leute Kind aussehen sollst, wenn +du dahin kommen willst und dich als Heiden zeigen. Denn du hast den +ganzen langen Sommer nicht in die Bücher gesehen außer in den letzten +Tagen! + +Sie war mitten in das Viehgatter hineingekommen und nahm ihm den +Milcheimer fort. + +So geh herein, und wasch dich wenigstens und zieh dich an, du mußt bald +gehen! + +Gudbrand ging langsam hinein. + +Dann rief sie ihm nach: + +Es liegt ein reines Hemd auf dem Bordbrett über dem Bett. + +Jetzt fingen sie auf der unteren Sennhütte an, das Vieh loszubinden. +Es entstand ein Brüllen und Meckern und Schellenläuten und die Hirten +lockten die Ziegen, daß es gegen den Neusäterberg hallte. Sie zogen +in langer Reihe am Zaun entlang den Berg herauf, voran das Kleinvieh, +rasch und lebhaft über die Wiese hin springend und sich balgend; +hinterher kamen die Kühe, langsam und schwer und sahen sich um. + +Kjersti Nerlien folgte selbst mit und trieb sie an; am Gatter blieb sie +stehen und blickte hinüber. Ihre beiden Kälbchen blieben auch stehen +und standen und kauten an ihrem Rock. + +Bist du noch beim Melken, Randine? + +Ja, und du treibst schon die Tiere heraus! Bei mir dauert heute alles +so gräßlich lange. + +Ja, du hast wohl keine Hilfe heute? Gudbrand muß doch zum +Kirchenexamen? + +Ja, es kommt doch noch dazu; er bekam die Schuhe gestern Abend spät. + +Ja, für ihn ist das keine Sache, er ist ja so tüchtig im Lernen; ich +bin wirklich froh, daß mein Sigvart noch zu jung ist. + +Ach, ja, ich habe mich so für ihn abgemüht, daß ich hoffe, er wird mir +wenigstens nicht Schande machen, aber es ist nun einmal sonderbar, wo +soviele Kinder von besseren Leuten hinkommen. + +Gudbrand kam wieder heraus, furchtbar fein, mit neuen Schuhen, neuer +Jacke, neuem Schal und gewaschen, daß das Wasser ihm von den Haaren +triefte. Er trat vorsichtig und sprang auf die Steine, um die neuen +Schuhsohlen nicht zu beschmutzen. Er fühlte sich wie ein anderer +Mensch, beinahe erwachsen. Er zog an der Weste, und rückte den Schal +gerade, steckte die Hände erst in die Hosentaschen, aber die waren so +weit unten, daß er die Knie hätte krumm machen müssen; dann steckte er +sie in die Jackentaschen und spreizte sie weit nach beiden Seiten. Das +war männlicher, fand er. + +Da haben wir den Jungen, der vor den Bischof soll, sagte Kjersti, so +fein wie ein neugeprägter Groschen. Das ist meiner Treu ein Junge, der +sich vor Pröpsten und Bischöfen sehen lassen kann. + +Gudbrand antwortete nicht; er blieb mit weit auseinander gespreizten +Beinen stehen und spuckte aus dem einen Mundwinkel: + +Sind das deine Kälber? + +Ja, das sind meine. + +Es sind ganz schöne Kälber. + +Da verstehst du viel davon, sollte ich meinen, sagte die Mutter. + +Bist du so weit fertig, daß wir sie jetzt losbinden können? Es ist +keine Art, daß wir so weit hinterher sein sollen! + +Ja, jetzt bin ich fertig; aber du sollst heute nichts mit dem Losbinden +zu tun haben; du hast ja die neuen Sachen an. + +O doch, es ist schon am besten, daß ich selber dabei bin. Wenn sie +ungehütet herumgehen sollen, so ist es am sichersten. Ich werde +Lykkelin auf den rechten Weg setzen. Es ist eine eigene Sache, wenn man +den ganzen Tag wegbleibt. + +Er öffnete das Gattertor, und Schafe und Ziegen drängten sich so +hastig herbei, daß sie zwischen den Torpfosten stecken blieben und +sich mühsam hindurch pressen mußten. Hüpfend und um die Wette laufend +zogen sie über die Wiese, wobei einige besonders vorlaute Ziegen +hier und da einen Abstecher machten; eine machte eine Wendung nach +dem Schweinekoben, um zu sehen, ob nicht ein bißchen Mehlbrei übrig +wäre, eine andere steckte den Kopf zum Kuhstall hinein, ob nicht Salz +verschüttet wäre, eine dritte preßte den Kopf durch die Stäbe des +Gatters und streckte den Hals nach einem Büschel Gras drinnen auf der +Sennwiese. + +Als Gudbrand sie gesammelt hatte, erteilte er Lykkelin seine Befehle. +Jetzt sollte sie es ihm danken, daß er ihr sein Vertrauen geschenkt +hatte; sie sollte nicht vor dem Abend nach Hause kommen; aber da sollte +sie auch kommen und alle mit sich haben. Und sie täte am besten, nicht +nach den Hammerbergen hinunterzugehen, denn es war so schwer, von +dort wieder hinaufzukommen, daß sie die Milchziegen nicht mitbekommen +würde, sie sollte sich oben auf den Lövhügeln halten. Damit fuhr er +fort, solange die Sennhütte zu sehen war, aber als er hinter das erste +Wäldchen kam, ließ er sie ziehen und legte sich hinter eine kleine +Tanne. Hier zog er das Buch unter der Weste vor; es war am sichersten, +die Heiligung noch ein wenig durchzugehen. Man konnte nie wissen, +worauf sie kämen und das Stück: warum nennt man die Kirche heilig, war +so furchtbar lang. Er las es zweimal durch, machte das Buch zu und +versuchte -- nein -- noch einmal -- dann versuchte er wieder. -- -- + +Er merkte nicht, daß das Vieh vorüberzog, merkte nicht, daß ein Kalb +an der Tanne vorbeikam, bis es sich erschreckt auf die Seite warf, den +Schwanz in der Luft. Aber da standen auch Kjersti und die Mutter dort. + +Nein, du hast aber einen feinen Jungen, Randine! Liegt er nicht da und +lernt! + +Hat es dich doch noch gepackt, Gudbrand, jetzt wo es dir auf den Nägeln +brennt! Es war aber auch die höchste Zeit! + +Sie hatte es wohl gemerkt, daß Gudbrand schon seit langer Zeit das +Buch mit sich in den Wald geschmuggelt hatte, aber sie hatte nicht +dergleichen getan. Und jetzt sagte sie zu Kjersti: + +Ja, Gott weiß, wie es gehen wird! Ich habe ihn den ganzen Sommer kaum +ein Buch in die Hand nehmen sehen. + +Gudbrand stand ein wenig verlegen auf: + +Es fiel mir ein, daß Marten Madslien gesagt hat, es hätte in den +Blättern gestanden, daß wir ein neues Fragebuch bekommen würden, das +kürzer sein sollte, und da fand ich, ich müßte 'mal nachsehen wie lang +das wäre. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß es viel besser wird. + +Er steckte das Buch unter die Weste und stolzierte zurück nach der +Sennhütte. + +Eine Weile darauf lief er den Abhang hinunter mit dem Gesangbuch, dem +neuen Testament und einem Päckchen Waffeln unter dem Arme. + + * * * * * + +Die kleinen Kirchenglocken hatten zum erstenmal geläutet. + +Von allen Seiten kamen Leute herbeigeströmt, schüttelten sich die +Hände und stellten sich schweigend in Reihen längs der Kirchhofsmauern +oder in dem Torweg der Wagenschuppen auf. Wer von weit her kam, suchte +schwitzend mit der Jacke über dem Arm den Schatten und wischte sich +mit der Hand über das Gesicht. Wer Konfirmanden hatte, gab ihnen die +letzten Ermahnungen und schickte sie auf den Kirchplatz, wo sich die +Kinder in Scharen versammelt hatten, eine Schar für jeden Schulkreis. +Sie standen schweigend da und sahen sich um, sie warteten auf die +Schulmeister. + +Die Erwachsenen redeten auch nicht viel, nur einige Worte, wenn einer +gefahren kam, und hin und wieder beschatteten sie die Augen mit der +Hand und blickten nach dem Pfarrhof hinüber, wo die Fahne in der +stillen Luft hin und her flatterte. + +Die kleine Holzkirche lag so weiß da in der Sonnenglut und bekam Risse +von der Hitze, daß es krachte. Es glitzerte in den Fenstern, alle Türen +standen weit offen, und in dem Fensterchen hoch oben im Turm stand der +Glöckner auf beide Arme gelehnt und spähte. Er sollte läuten, wenn er +die Geistlichen in dem Pfarrhoftor sah. + +Die Schulmeister kamen, stellten ihre Kinder in langen Reihen auf und +sagten ihnen, was sie zu tun hätten. + +Wenn der Bischof durch die Kirche schritt, sollten die Jungen sich +verbeugen und die kleinen Mädchen einen Knicks machen, aber nicht alle +auf einmal, sondern immer erst, wenn der Bischof an ihnen vorbeikäme. + +Sie sollten laut antworten und nicht vergessen, dem Bischof gerade in +die Augen zu sehen, wenn er sie fragte, denn das hätte er gern. + +Dann hatten sie nichts mehr zu sagen, und es entstand eine feierliche +Stille. Es konnte schon sein, daß ihnen die Stimme ein wenig gezittert +hatte, und große Schweißtropfen traten ihnen auf die Stirn. + +Dann mit einem Male zitterten die Glockenschläge durch die Luft, daß +der Turm schwankte. Im selben Nu blickten sie alle nach dem Pfarrhof. + +Ja, da kamen sie durch das Gittertor alle miteinander. Nein, was für +ein leutseliger Bischof, der zu Fuß ging! + +Und dann begannen sie in die Kirche hineinzuströmen. Jeder Schulmeister +führte seine Kinderschar herein und stellte sie auf. Die Erwachsenen +setzten sich in die Stühle dahinter, hin und wieder gaben sie den +Kindern einen Puff, nahmen ihnen das Frühstückspaket weg und reichten +ihnen ein Buch. + +Gudbrand hatte keine Anverwandten da, und er hatte vergessen, die +Bücher herauszunehmen. Er legte das Bündel zwischen die Kniee, aber die +Hand zitterte ihm, als er den Knoten aufmachte. Er steckte das Tuch +in die eine Jackentasche und die Waffeln in die andere, so daß sie +hervorguckten, und nahm die Bücher in die Hand. + +Die Sonne schien durch die hohen Fenster, sie streifte die beiden +Stühle, die für den Bischof und den Propst hingestellt waren, fiel +auf die Kniebank und den Altar, bis hinein in die Nische zu den zwölf +Aposteln. Noch knarrte hin und wieder eine Kirchenstuhltür, doch dann +konnte man deutlich hören, wie die Blätter der hohen Birke, die gerade +vor dem Fenster stand, leise gegen die Scheiben streiften. + +Dann wandten sich auf einmal alle Köpfe um, und alle Jungen hielten +den Atem an, bis sie ihre Verbeugung hinter sich hatten; denn da +kamen sie, zuerst der Bischof mit dem goldnen Kreuz auf der Brust und +schwarzem glänzendem Seidenkäppchen, hinterher der Propst und zum +Schluß der Pfarrer in langsamen, feierlichen Schritten durch die Kirche +und grüßten mit kleinen ernsten Verbeugungen nach beiden Seiten. + +Es war beinahe eine Erleichterung, als sie oben am Altar niederknieten +und der Küster wie gewöhnlich vorkam und das Eingangsgebet verlas. +Als er fertig war, räusperte man sich und scharrte wie sonst, und der +Kirchendiener lief mit der Mütze in der Hand um den Altar und jagte +einen Hund, der sich eingeschlichen hatte, hinaus. + +Darauf hielt der Propst eine Rede, und dann begann das Kirchenexamen. + +Es kribbelte Gudbrand förmlich im Magen, während die Fragen und +Antworten fielen, und das nahm zu, je näher es an ihn herankam. Das +Blut schoß ihm in die Backen, wenn einer dastand und stotterte und +stammelte; er hatte sich halb gewandt, war beinahe im Begriff, einen +Schritt vorzugehen und hielt die ganze Zeit seine Augen auf den Bischof +gerichtet. Wenn er ihn nur fragen wollte! + +Aber der Bischof stand in lauschender Stellung da, die sanften blauen +Augen auf den, den er fragte, geheftet, und wenn die Antwort endlich +einigermaßen zustande kam, nickte er viele Male mit dem Kopf und tat +einen Schritt zur Seite. + +Sie schlichen sich mühselig weiter, alle saßen aufmerksam lauschend da, +nickten und warfen sich Blicke zu. Es herrschte eine solche Spannung, +daß es fast wie eine Erlösung wirkte, als ein milder Regenschauer +im Sonnenschein draußen fiel und die nassen Birkenblätter gegen das +Fenster zitterten. + +Gudbrand vergaß sich, als es so lange dauerte. Er stand und betrachtete +das glänzende Laub. Doch auf einmal erschrak er bis in die Knie. Da +stand der Bischof gerade vor ihm, und der Schulmeister hatte die Frage +begonnen, ehe er zuhörte: + +Wir hörten neulich, daß im dritten Artikel steht: die ~heilige~, +christliche Kirche. + +Kannst du mir sagen, warum die Kirche heilig genannt wird? + +Da hatte er es; wie gut, daß er es noch durchgegangen hatte! Es wurde +ihm schwarz vor den Augen, er konnte nicht auf das erste Wort kommen. + +Nun? Warum wird die Kirche heilig genannt? Weil -- + +Weil der heilige Geist durch seine heiligen Gnadenmittel sein Werk +der Heiligung an allen ihren Gliedern ausführt, darum wird die Kirche +heilig genannt trotz der Sünde und Armseligkeit, die sich in ihr +findet. + +Der Bischof nickte viele Male, und der Schulmeister ließ einen Blick +über die Gemeinde streifen. + +Sein Werk der Heiligung in allen ihren Gliedern, -- fuhr der +Schulmeister fort. Wer sind die Glieder der Kirche? + +Gudbrand überlegte. + +Gehörst du zu den Gliedern der Kirche? + +Ja. + +Und ich? + +Ja. + +Und der Bischof? + +Gudbrand dachte nach. Er fand nicht, daß es anging, daß er mit +dem Bischof zusammengehörte, und darum flüsterte er, daß nur der +Schulmeister es hörte: + +Nein. + +Überlege es dir einmal; gehört nicht der Bischof zu den Gliedern der +Kirche? + +Doch. + +Der Bischof nickte. + +Nun denn, wer gehört also zu den Gliedern der Kirche? + +Gudbrand ging ein Licht auf. + +Alle, die an Christum glauben. + +Richtig. Aber --, kannst du aus dir allein an Christum glauben? + +Nein. + +Wer verhilft dir zum Glauben? + +Der heilige Geist. + +Was steht darüber in dem dritten Artikel? + +Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum +Christum, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der +heilige Geist hat mich -- + +Richtig. Würde es Klugheit oder Torheit sein, wenn du glaubtest, daß du +aus eigener Kraft an Christum glauben könntest? + +Torheit. + +Wenn nun der Bischof sagte, daß es anginge, wer wäre dann klüger, du +oder der Bischof? + +Gudbrand überlegte. Der Bischof wurde ein wenig unruhig und wollte zum +nächsten übergehen, blieb aber lauschend stehen. + +Nun? Wer wäre dann der Klügste, du oder der Bischof? + +Nein, das ging nicht an, wenn alle zuhörten zu sagen, er wäre klüger +als der Bischof: + +Der Bischof wäre der Klügste. + +Der Bischof schüttelte heftig den Kopf. Dann ging er zu ihm hin und +strich ihm sanft über das Haar: + +Nein, mein Junge, dann wärst du klüger als der Bischof. + +Ja, sagte der Schulmeister, du meintest aber, auf so etwas könnte unser +gottesfürchtiger Bischof nie verfallen, nicht wahr? + +Ja. + +Das war recht, mein Junge, mit Gottes Hilfe wird er das nicht tun, +sagte der Bischof, strich ihm noch einmal über den Kopf und ging dann +weiter. + + * * * * * + +Die Sonne stand schon tief über dem Neusäterberg, als Gudbrand der +Sennhütte zustrebte. + +Lykkelin war schon mit der ganzen Herde nach Hause gekommen, und sie +lagen jetzt satt und zufrieden am Viehgatter und wiederkäuten. Die +Ziegen drehten sich nur ein wenig um und meckerten, als er kam. Die +Mutter war drinnen im Kuhstall und melkte; sie sah ihn nicht, ehe er +hereinkam. Er nahm sich viel Zeit und schob den Riegel behutsam vor. + +Nein, da bist du ja, Gudbrand? Wie war es denn? + +Ach, es war wohl ungefähr, wie man erwarten konnte, denke ich. + +Konntest du antworten? + +Ach, du weißt, ich wußte schon das meiste, was sie fragten. + +Erzähle doch! + +Da gibt es nicht weiter viel zu erzählen, finde ich. Und dann sagte er +plötzlich: Nein, jetzt muß ich schon meine alten Sachen anziehen und +anfangen zu melken; man kann nicht den ganzen Tag nur zum Staate da +sein. + +Mehr bekam die Mutter nicht aus ihm heraus. Sie begann zu fürchten, daß +er seine Sache nicht gekonnt hätte. Eine Weile darauf kam er in seinen +alten Sachen wieder heraus und begann die Ziegen zu melken. Gudbrand +war so unglaublich verschlossen. + +War denn der Bischof freundlich? + +Ach ja, er war nicht gerade unangenehm. + +Hat er etwas zu dir gesagt? + +Ach ja, er hat schon auch etwas gesagt. + +Was hat er denn gesagt? + +Ach, -- man darf nicht alles glauben, was man hört. + +Was sagst du da? + +Ja, wenn du's durchaus wissen willst, so kann ich es auch gern sagen. +Sie fragten mich nach allen Richtungen hin aus, und du verstehst, ich +blieb ihnen keine Antwort schuldig. Und dann, als sie nicht weiter +kamen, dann sagten sie alle, ich wäre klüger als der Bischof, aber das +können sie wohl nicht im Ernst gemeint haben. + + [Illustration] + + + + + Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen. + + +Per lag hinter dem großen Stein oben auf Storbakken und blickte +hinunter. Er konnte gerade auf den Hof sehen, der dicht darunter lag. +Es war früh am Morgen, die Sonne war eben aufgegangen und schien auf +die blanken Scheiben, daß sie glitzerten, und mitten zur Haustür +herein, die wie ein schwarzer Rachen offen stand. + +Per hatte die Mütze auf dem dunklen Schopf weit nach hinten geschoben +und lag da und warf die Beine bis fast in den Nacken. Er fand schon, +daß Christian gern die Nase aus den Federn stecken könnte, ehe Hänschen +aufwachte. + +Unten auf dem Hof gingen die Hühner und gackerten und scharrten mit den +Füßen, der Hahn stand auf der Scheunenbrücke und krähte und krähte, die +Schwalben flogen durch den Sonnenschein wie stahlblaue, metallglänzende +Streifen, oben auf dem Scheunendache schwatzte eine Elster und aus der +Esse stieg ein hellblauer Rauch hoch in die Luft. Trotzdem war es ganz +still, -- man sah keinen Menschen, sie waren wohl alle draußen auf dem +Felde und mähten. + +Endlich trat Christian in die Haustür. Er strich sich den hellen Schopf +aus den Augen, blinzelte gegen die Sonne, die ihm gerade ins Gesicht +schien, hielt die Hand vor die Augen, und blickte nach oben. Nein, er +sah nichts; nur einen blauen Rauch über dem Rand von Storbakken. Er +kam aus der Häuslersesse. Ja, er glaubte, er konnte sehen, daß er nach +Kaffee roch. + +Hallo, Per! Keine Antwort. Nein, Per hatte wohl noch keinen +Morgenkaffee bekommen. + +Er steckte die Hände in die Tasche und wollte umkehren. + +Da ertönte ein: Hallo, Christian! + +Er blieb stehen: Hallo, Per! + +Per sprang auf und schlug Purzelbäume hinunter, Hallo, Christian! -- +Hallo, Per! -- Hallo, Christian! -- Hallo, Per! + +Und Per sprang und schlug Purzelbäume und kollerte hinunter, und die +ganze Zeit schallte es hinaus in die Morgenluft: Hallo, Christian! +Hallo, Per! + +-- -- Per war vom Häuslerplatz und Christian war vom Hof. Sie waren +gute Freunde und pflegten den ganzen langen Tag zusammen zu sein, und +das war nicht zu verwundern, denn es gab weit und breit keine solchen +forschen Jungen wie sie, und niemand, der solche Sachen hatte. Sie +hatten eine Mühle und eine Säge, die gingen, wenn im Bach genug Wasser +war, und dann hieß Per der Müller und Christian der Obersägemeister; +wenn sehr viel Wasser da war, so stauten sie das Wasser erst und ließen +es dann laufen und flößten Holz; doch da hatten sie andre Namen, denn +da hieß Christian Zimmermann Pedersen und Per Inspektor Wasserfall, +von dem Mal her, wo er fiel und auf den Hosenboden mitten in den Bach +zu sitzen kam. Wenn der Bach trocken war, trieben sie Landwirtschaft; +sie hatten Hof und Sennhütte und Vieh, Großvieh und Kleinvieh und +Schäferhund. Die Kühe waren runde Steine und der größte, der so +ungeheuer groß und glänzend war, war der Bulle Dybendal; und die Schafe +waren Tannenzapfen und eine merkwürdige kleine runde Wurzel, die der +Knecht ihnen zugeschnitten hatte, war der Schäferhund: Bärenbeißer, +und der hatte mehr als einmal mit dem Bären zu tun gehabt. Sie hatten +auch einen Bogen, mit dem sie auf die Jagd gingen und Pfeile, die so +unwahrscheinlich hoch flogen, daß der beste einmal bis auf die Wolke +gegangen und dort oben liegen geblieben war, -- sie fanden ihn erst +viel später im Gras wieder, als es geregnet hatte. Und da erzählte +ihnen der Knecht, daß er wahrscheinlich wieder heruntergeregnet wäre, +und daß sie gut nachsehen sollten, ob nicht Gold an ihm wäre, denn oben +auf der Wolke wäre Gold. Doch er war so glatt, daß nichts an ihm hängen +geblieben war, und als sie ihn teerten, bekamen sie ihn nicht mehr so +hoch. + +Doch in der letzten Zeit waren Per und Christian umgezogen. Die Mühle +und die Säge standen da und Bärenbeißer mußte allein auf das Vieh +achtgeben. Es war oft genug langweilig gewesen, daß Hänschen immer mit +sein wollte; denn es war nun einmal nichts für Zimmermann Pedersen und +Inspektor Wasserfall, stets den Jungen zum Aufpassen zu haben; aber da +war nichts zu machen gewesen, -- er kam stets, wenn er wußte, wo sie +sich aufhielten. Aber jetzt waren sie sehr darauf aus, es verborgen zu +halten, wo sie ihre Zuflucht hatten; sie schlichen sich früh weg und +blieben den ganzen halben Tag fort. Sie hatten sicher etwas vor, wovon +Hänschen lieber nichts wissen sollte. + +Das erste, was Per sagte, als er in die Haustür hinunterkam, war auch: +Ist er auf? + +Nein, er schlief, als ich hinausging. + +Hast du den Fünfpfünder instand? + +Ich sollte es meinen! Und Per zog ein großes Kuhhorn hervor, in das er +Zündlöcher gebohrt hatte. Hast du Futter für ihn? + +Ach ja, ich denke schon, und Christian zeigte einen großen Beutel mit +Pulver vor. + +Die Sache war, daß sie oben auf dem Boden ein Fäßchen Minenpulver +gefunden hatten, und davon durfte niemand etwas wissen, denn Pulver war +streng verboten. + +Ja, dann ist es am besten, daß wir fortkommen. + +Sie schlichen sich leise über den Hof und sahen sich jeden Augenblick +um; dann als sie um die Ecke des Vorratshauses waren, fingen sie an die +Straße entlang zu laufen. + +Halt, Christian! Ich sehe dich schon. + +Es war Hänschen, der in die Haustür hinausgekommen war, und das letzte +Ende von ihnen gesehen hatte, als sie um die Ecke verschwanden. + +Er hatte nur Hosen und Schuhe anbekommen, oben war er im bloßen Hemd. +Er hatte Eile gehabt, denn Hänschen verstand sehr wohl, daß sie sich +von ihm fortschleichen wollten und hatte sich vorgenommen, auf sie +aufzupassen. + +Halt, hörst du! Ha--a--lt! + +Er schrie, bis er an der Ecke des Vorratshauses vorbeikam und Per und +Christian ruhig im Grase liegen und in die Luft blicken sah. + +Er sagte nichts, sah sie nur ein wenig zweifelnd an, und setzte sich +auch ins Gras. Er wollte schon auf sie aufpassen. + +Per und Christian blinzelten einander zu und begannen Purzelbäume +zu schlagen. Nach einer Weile durfte auch Hänschen mitmachen. Dann +spielten sie mit andern Dingen. Auf einmal sagte Christian: + +Du, Hänschen, wollen wir zum Jahrmarkt reisen? + +Ja--a! Hänschen wurde strahlend vergnügt. + +Du fängst an. + +Nein, du wirst mich nicht zum Narren haben! Du fängst an! + +Ja, gern. Ich hatte ein Füllen! + +Hänschen sprach ihm nach: Ich hatte ein Füllen! + +Meins wurde ein Pferd. + +Meins auch. + +Ich zähmte meins. + +Ich zähmte meins auch. + +Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset. + +Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset. + +Da traf ich einen Mann, der einen Bären hatte. + +Da traf ich einen Mann, der auch einen Bären hatte. + +Da vertauschte ich mein Pferd gegen den Bären. + +Da vertauschte ich auch mein Pferd gegen den Bären. + +Da traf ich dich. + +Da traf ich dich. + +Da nahm mein Bär deinen Bären und fraß ihn auf. + +[Illustration] + +Hänschen bekam zuerst ein langes Gesicht; aber dann wurde er wütend: + +Du mogelst, Christian, du sagtest zuerst guten Tag, und darum wird es +mein Bär, der deinen auffrißt. + +Nein, es war meiner, der deinen auffraß. + +Nein, meiner! Hänschen war am Weinen: ja, so laß uns noch einmal +anfangen, dann wirst du sehen! + +Nein, dein Bär ist aufgefressen. + +Ä--h ä--h, es war meiner. -- ä--h ä--h. + +Nein, meiner! + +Ä--h, Mutter! er sagt ä--h ä--h, daß sein Bär meinen auffraß! Hänschen +lief hinein, um es der Mutter zu sagen; er vergaß, daß er auf sie hatte +aufpassen wollen. + +Als er glücklich in der Haustür drin war, machten sich Per und +Christian eilends aus dem Staube und verschwanden. + +Drüben in Svartdalen, ein gutes Stück vom Hofe entfernt, hatten sich +Per und Christian eine Höhle eingerichtet, vor der ein Haselwäldchen +stand, so daß sie nicht gesehen werden konnten, wenn man nicht auf die +oberste Höhe hinaufkam und gerade auf sie hinunterblickte. Dorthin +hatten sie das meiste von ihren Sachen gebracht; dort hatten sie +einen Herd gebaut, dort hatten sie ihre Schmiede, dort zündeten +sie ihre Feuer an; aber das wagten sie nicht oft zu tun, aus Angst, +daß man den Rauch sehen könnte. Hier fühlten sie sich sicher, hier +hatten sie Sprühmännchen angezündet, und hier hatten sie mit Tüten und +Sturmhutstielen zu schießen versucht; aber ~damit~ ging es nicht, +die Tüten brannten nur an und die Sturmhutstiele platzten; es konnte +also nicht die Rede davon sein, mit ihnen in die Wolke nach Gold zu +schießen, -- denn das war es eigentlich, was sie vor hatten. Aber heute +hatten sie den Fünfpfünder, heute sollte es Ernst werden. + +Sie mußten erst Probeschüsse machen, ehe sie in die Wolke schossen. Sie +machten ein Feuer an, gossen das Pulver in das Horn und stopften es +voll mit Gras. + +Es knallte nicht sehr stark; das Horn sprang nur einige Ellen nach +rückwärts und der Grasbüschel ein wenig nach vorwärts. + +Pah, es war nicht stark genug geladen, der Fünfpfünder mußte +festgemacht werden, und dann mußte eine Kugel hinein; ja, dann wurde es +eine Kanone, die schon gehen sollte; sie würden mindestens quer über +das Tal schießen können. + +Sie luden von neuem und legten einen großen Stein hinein und +befestigten den Fünfpfünder zwischen zwei Steinen. -- Nein, sie mußten +ihn vielleicht ein wenig wegrücken? -- Ja, es wäre schade um die Leute +am Talende, wenn man ihnen die Häuser niederschoß; sie mußten ihn auf +den Wald richten. + +Das taten sie denn und zündeten an. + +Ja, diesmal knallte es wahrhaftig! ~Der~ Schuß ging! Konnte Per +nichts drüben am Abhange sehen! Ja, denn Christian schien es deutlich, +als fiele eine Tanne um, als der Schuß losging. + +Ob es eine ganze Tanne war, konnte Per nicht sagen, aber er sah +jedenfalls, daß ein Tannenwipfel herunterfiel. + +Es war schon fraglich, ob sie eine bessere Kanone auf der königlichen +Festung hätten. + +Ach nein, das war nicht anzunehmen. Mit der konnten sie sicher bis in +die Wolke schießen. + +Ja, das war sicher. Aber was sollten sie hinaufschicken? Es mußte etwas +sein, in das das Gold hereinkommen konnte. + +Sollten sie etwa Pers Zipfelmütze hinaufschicken? Vielleicht kam sie +dann vergoldet wieder herunter. + +Ja, Christian wunderte sich schon, was sie zu Hause sagen würden, wenn +sie mit vergoldeten Mützen und Goldstücken in den Taschen heimkämen. Da +könnten sie Pulver kaufen -- ein ganzes Faß voll! + +Ho--ho! erklang es gerade über ihnen. Der Fünfpfünder und der +Pulverbeutel wurden schnell beiseite gebracht, ehe sie hinaufblickten. + +Dort lag Hänschen: + +Ach bitte, vergoldet doch auch meine Mütze! + +Per und Christian waren wirklich ärgerlich. Sie versuchten Hänschen +alles Mögliche einzubilden. Sie boten ihm den besten Bogen an, wenn er +gehen und nichts sagen wollte. Doch Hänschen hatte den Knall gehört, +sie könnten ihm nichts weismachen, -- wenn sie nicht seine Mütze +vergoldeten, so ginge er spornstreichs nach Hause zu Mutter und sagte, +daß sie Pulver hätten, und da würde es einen andern Tanz geben. + +Ja, da gab es keinen andern Rat, als sich mit Hänschen abzufinden und +ihn zu besänftigen. Sie zeigten ihm alle ihre Herrlichkeiten und er +versprach, daß er gar nichts vom Pulver sagen wollte; aber da sollten +sie seine Mütze zuerst vergolden. + +Ja, das wollten sie auch gern tun, und bald hatten sie alles vergessen +und waren wieder gleich eifrig. Es war wohl am sichersten, sie banden +einen Stein an die Mütze, denn sonst kam sie nicht wieder herunter, ehe +Regenwetter war. + +Das war am besten. Wie wollten sie es machen? + +Sie könnten das Kanonenende fest in die Erde stecken, den Stein +hineintun, ihn mit einer Schnur an der Mütze festbinden und die Mütze +oben darauf hängen. + +Der Vorschlag wurde angenommen. Dann schütteten sie das Horn fast +halb voll mit Pulver, luden gut und machten sich fertig. Es war ein +feierlicher Augenblick und alle standen atemlos da, als Christan +endlich einen Brand nahm. + +Gebt jetzt acht! -- Er brachte den Brand an das Zündloch. + +Frrrr--s--piff--paff--puff! + +Sie standen in einem Lichtscheine wie von einem starken Blitze und +schraken alle drei so zusammen, daß sie umfielen. + +Sie sahen ein wenig blaß aus, als sie sich so weit erholt hatten, daß +sie einander ansehen konnten. Sie hatten den Pulverbeutel so weit in +die Nähe gesetzt, daß er mit draufgegangen war. + +~Das~ war ein Schuß, sagte Christan. + +Ja, das ~war~ ein Schuß, sagte Per. + +Sahst du die Mütze? + +Es war mir, als sähe ich sie undeutlich, als sie vorbeiflog. + +Ist sie denn jetzt auf der Wolke? fragte Hänschen. + +Wir wollen froh sein, wenn sie nicht noch weiter ist. + +Kommt sie denn bald wieder herunter? + +Oh, das wird wohl noch eine Weile dauern. + +Sie blieben alle drei stehen und starrten in die Luft. Nach einiger +Zeit bekam Hänschen einen müden Nacken und sah wieder nach unten. Da +ist sie! + +Die Mütze hing oben im Haselbusch. + +Ja, dann mußte sie aber auch schnell wieder heruntergeflogen sein, wenn +sie sie nicht hatten kommen sehen! + +Ja, Per war es, als hätte er einen Streifen gesehen, gerade als +Hänschen es sagte, -- da war sie sicher gekommen. + +Sie hatten viel Mühe damit, sie herunter zu bekommen. Draußen war +nichts zu sehen; sie waren sehr gespannt, was drinnen sein konnte. +Als sie sie herunter bekamen, war weiter nichts zu entdecken, als ein +großes Brandloch im Innern. + +Das war seltsam. Wer hätte gedacht, daß das Gold da oben so heiß wäre; +denn es hatte sicher ein Goldklumpen darin gelegen, der das Loch +gebrannt hatte und dann herausgefallen war. + +Vielleicht lag er in dem Haselbusch drinnen. + +Sie suchten lange. Ach nein, der konnte weit von hier heruntergefallen +sein. Ja, ja, morgen mußten sie den kleinen Blecheimer nehmen und +hinaufschicken, denn da mußte der Goldklumpen drinnen bleiben, wie warm +er auch war. + +-- -- Als sie an dem Tag nach Hause kamen, hielten sie alle drei gut +zusammen und Hänschen war so gut und artig und so vorsichtig, daß +niemand seine Mütze zu sehen bekäme. + +Er wollte schon nicht klatschen. + +Als die Mutter ihnen allen dreien das Essen hinstellte, sagte Hänschen, +während sie dasaßen und aßen. Du, Mutter, heute sind Per und Christian +so gut zu mir gewesen, daß ... + +Das ist brav von ihnen, aber da mußt du auch gut sein. + +Ja, ich werde so gut sein, daß ... + +Wie gut willst du denn sein? + +Ach, ich werde gar nichts davon sagen, daß Per und Christian meine +Mütze in die Wolke schossen! ... + + [Illustration] + + + + + Der erste Arbeitstag. + + +Christian richtete sich auf den Ellbogen in die Höhe, kroch nach dem +Kopfende und guckte aus dem Fenster dicht daneben. + +Es war noch beinahe dunkel in der geräumigen Häuslerstube. Draußen war +Dämmerung, gerade am Übergang zum Tag, nur einzelne von den größten +Sternen waren sichtbar an dem blauen klaren Herbstmorgen. + +Wieviel Uhr es wohl war? Ja, zu ~spät~ durfte er nicht kommen, die +Schande sollten sie ihm nicht antun, -- und dann konnte das auch einen +Abzug vom Tagelohn bedeuten. Ein ganzer Kerl mußte den ganzen Tagelohn +haben. Es war übrigens seltsam, er hatte vergessen zu fragen und Ola +Nordlien hatte auch nichts vom Tagelohn gesagt! + +Er drehte sich, so daß er im Bett saß und blickte hinüber nach dem +anderen Bett am anderen Fenster, wo die Mutter lag. + +Mutter! Mut--t--ter! + +Die Mutter drehte sich ein paarmal um, ehe sie aufwachte, dann schlug +sie die Augen auf: + +Ja. Was willst du, Christian? + +Du hörtest nicht, ob Ola Nordlien etwas davon sagte, wieviel Tagelohn +er geben wollte? + +Und darum weckst du mich, du unartiger Junge! + +Ich dachte auch, es wäre vielleicht Zeit, daß du den Kaffee +aufsetztest. Denn wer auf Arbeit soll, braucht Zeit, um richtig munter +zu werden. + +So leg dich jetzt wieder hin. Ich werde es schon nicht verschlafen. + +Aber Christian schlief nicht wieder ein, und was das anbetrifft, er +hatte auch die ganze Nacht nicht viel geschlafen. Denn gestern abend, +als er sich eben hinlegen wollte und schon mit den Hosen in der Hand +dastand, war etwas geschehen. + +Ola Nordlien war selbst hereingekommen, hatte guten Abend gewünscht und +gesagt: + +Jetzt bin ich im ganzen oberen Dorf herumgezogen und habe Leute zum +Kartoffellesen gedungen, und da wollte ich 'mal vorsprechen, ob +vielleicht auch hier ein Knecht zu haben wäre. + +Nein, ich habe jetzt keinen Knecht hier, hatte die Mutter gesagt; der +Per hat jetzt mit dem Kuhstall auf Opsal zu tun, und ich erwarte ihn +vor den Feiertagen nicht zurück. + +Hast du niemanden? Ich finde, da steht ein großer Bursche drüben am +Bett. Nach ihm dort hatte ich fragen wollen. + +Da kann einer glauben, daß Christian sich aufrichtete. + +Du willst also mit zum Kartoffellesen? fuhr die Mutter fort. + +Ja, und darum habe ich ein ganzes Heer von solchen Kerlen zum Auflesen +gemietet, die Kulsvejungen und Sagbakjungen und Jens Perhus. + +Die Mutter lächelte und sah zu Christian hinüber. + +Ja, ich weiß nicht, was Christian dazu sagt, du mußt mit ihm selbst +reden. + +Da verstand Christian, daß er durfte. + +Ola Nordlien wandte sich dann zu ihm und sagte so ernst, als spräche er +zu einem erwachsenen Knecht: + +Ja, hast du wohl Lust, morgen zu uns zu kommen und uns beim +Kartoffellesen zu helfen, Christian? + +Christian zog die Hosen wieder in die Höhe und knöpfte die Klappe zu, +so gut es sich in der Eile machen ließ. Dann setzte er sich auf die +Bank, schlug die Knie übereinander, spuckte weit aus und sagte: + +Ja, eigentlich habe ich nicht viel Zeit, aber da du Mangel an Leuten +hast, so muß ich wohl kommen. + +Das war der Grund, warum Christian nicht wieder einschlief, -- denn +zu spät kommen wollte er nun einmal nicht und dann gab es auch viel +anderes zu überlegen, einmal, wie er sich ausrüsten sollte, und dann +auch, wie er sich benehmen sollte. + +Der Morgen schlich langsam weiter, es kam ihm vor, als ob die Uhr +gar nicht von der Stelle rückte -- vielleicht war sie auch stehen +geblieben; ein paarmal versuchte er, sich laut zu räuspern oder zu +husten, um zu sehen, ob die Mutter nicht aufwachen wollte. Und als die +Mutter endlich aufgestanden war und kaum den Kaffeekessel mit Wasser +gefüllt hatte, da stand auch Christian mitten im Zimmer. + +Er hatte noch viel zu tun. Erst untersuchte er, ob alle Knöpfe an der +Hose richtig fest saßen. Nein, einer hing bloß an einem Faden; der +mußte befestigt werden; ein Knecht mußte Hosen haben, die es vertrugen, +daß er ordentlich zufaßte. Dann kam der Gürtel an die Reihe, -- er +mußte ein neues Loch machen, um ihn enger zu bekommen, er war nämlich +zu weit, und sollte es zu einer richtigen Kraftanstrengung kommen, so +war es am besten, daß er ordentlich eng war. Und den neuen Schal wollte +er lose drüber hängen lassen; das würde sich gut machen, wenn er kam, +und später wenn er den Rock auszog, und ihn dann schön zusammengefaltet +darauf legte. + +Lange ehe der Kaffee fertig war, war Christian angezogen und gerüstet, +bis auf das Heu in den Stiefeln und die Zipfelmütze auf dem Kopf, +und er ging aus und ein und sah aus, als hätte er sehr viel zu tun. +Und als der Kaffee endlich fertig war, nahm es nicht lange Zeit ihn +herunterzukriegen, obgleich er gewaltig viel essen mußte, um seinen +Mann zu stellen und bald stand die Mutter und blickte ihm nach und +bat ihn, gehorsam zu sein und sein Bestes zu tun, während er, die +Zipfelmütze bis über die Ohren, mit langen, wiegenden Schritten wie ein +Erwachsener den Abhang nach Nordlien hinuntertrabte. + +Als er nach Nordlien hinunterkam, war es ganz still draußen im Hof, er +sah nichts anderes, was sich bewegte, als den Rauch, der langsam in +gerader Linie aus der Esse emporstieg, und hörte nichts anderes als das +gleichmäßige Kauen der Pferde im Stall, -- sie bekamen ihr Morgenfutter +drinnen vor einem so strengen Tag. + +Es dauerte indessen nicht lange, bis er hörte, daß Ola Nordlien auf den +Beinen war und im Hause herumfuhr und weckte, und als er herauskam und +Christian erblickte, sagte er: + +Das ist meiner Treu ein richtiger Junge, der zuerst auf dem Platz ist, +und da setzte Christian den einen Fuß vor und sagte: + +Ja, ich finde, wir hätten schon anfangen müssen, wenn wir bis zum Abend +etwas ausrichten wollen. + +Allmählich wurde es lebhaft auf dem Hof. Die Leute des Hofes selber +waren aufgestanden und kamen heraus, gähnten und dehnten sich, und von +dem oberen Dorf kam der eine nach dem andern, Erwachsene und Kinder, +Häusler und Häuslerinnen, und Ola Nordlien ging herum und fand Hacken +und Eimer und lieferte sie aus, und Trampelpeter, der Knecht, ließ die +Pferde heraus, um sie zu tränken. + +Christian war der kleinste von ihnen allen, und er hielt sich auch so +weit im Vordergrund, daß er ihnen auffiel. Trampelpeter, der ein loses +Mundwerk hatte, sagte auch gleich: + +Nein, was ist das für eine Kartoffel, die ist ja mächtig groß. + +Christian wurde sehr wütend auf den Lümmel, aber sein Zorn legte sich, +als Ola Nordlien gleich sagte: + +Das ist mein Großknecht. Du, Christian, du mußt ein bißchen ein Auge +auf Trampelpeter und die anderen haben. + +Christian sah ihn ein wenig unsicher an, und seine Mundwinkel fingen an +zu zittern; denn er wußte zwar, daß er ein tüchtiger Junge war, aber +eine solche Auszeichnung hatte er trotzdem nicht erwartet. + +Ist das dein Ernst, Ola Nordlien? + +Ja, natürlich ist es mein Ernst. + +Jetzt waren sie alle versammelt, mit Ausnahme von dem Faulpelz Jens +Perhus, den sie langsam die Straße herunterschlendern sahen. Christian +rief ihm zu, er möchte sich gefälligst beeilen und dann sagte er: + +Jetzt mußt du die Pferde anschirren, Trampelpeter. Jetzt müssen wir +anfangen, und er nahm seinen Eimer über den Arm, warf die Hacke über +die Schulter und ging mit langen Schritten an der Spitze des ganzen +Zuges hinüber nach dem Kartoffelfeld. + +Sie verteilten sich über eine lange Kartoffelfurche, ein Erwachsener +zum Graben und ein Junge zum Auflesen, und Christian richtete es so +ein, daß er abwechselnd vor Ola Nordlien selber und vor Trampelpeter +auflas, denn die gruben nicht die ganze Zeit, -- Ola mußte eine neue +Furche aufpflügen, wenn die eine geerntet war, und Trampelpeter sollte +die Kartoffelsäcke zum Hof fahren. + +Ola setzte den Pflug an und pflügte eine Furche um, so daß die schönen +weißen Kartoffeln über die schwarze feuchte Erde hinausrollten, alle +Rücken bückten sich, um zu graben, und alle die kleinen Hände gingen +wie Trommelschlägel, um aufzulesen; es wuchs schnell an in den weißen +Säcken, die in einer Reihe hinter ihnen standen, denn Christian und +einige andere wetteiferten, wessen Sack am schnellsten voll würde, und +wer seinen Eimer am öftesten leeren könnte, -- es ging scharf zu beim +Kartoffellesen auf Nordlien an dem Tage. + +Die erste Zeit verging sehr rasch, ehe Christian sich's versah, war die +Frühstückszeit da und sie sollten zurück und essen. Als sie gegessen +hatten und draußen im Hofe saßen und satt und zufrieden ausruhten, +sagte Ola Nordlien: + +Ja, so geht es, wenn man einen tüchtigen Großknecht hat; ich weiß mir +keinen besseren Rat, als daß ich Christian doppelten Tagelohn bezahle, +wenn er Jens Perhus wirft; aber daran zweifle ich, denn Jens ist zäh. + +Christian zögerte eine Weile, aber dann stand er auf, zog den Gürtel +bis ins neue Loch, spuckte in die Hände und sagte: + +Ja, so komm heran, Jens. + +Sie fuhren aufeinander los, und keiner gewann gleich; aber schließlich +sank Christian auf die Kniee und in demselben Augenblicke sprang der +Gürtel entzwei. Er stand mit rotem Gesichte auf und hielt den Gürtel +vor. + +Ja, ich verlor, aber hier siehst du, Ola Nordlien, wäre der Gürtel so +stark gewesen wie ich, so hätte ich ihn geworfen. + +Dann begannen sie von Stärke zu reden, und Trampelpeter, der gern für +sehr stark gelten wollte, sprach davon, daß er eine Tonne Kartoffeln +auf den Wagen heben könnte. + +Ja, das kann ich auch -- mit dem Maule, sagte Christian ganz trocken +und ernst, so daß Ola Nordlien und die andern lachten; aber seitdem +waren Trampelpeter und Christian nicht besonders gut aufeinander zu +sprechen. + +Die Zeit bis Mittag verging nicht ganz so schnell, es war tüchtig warm +geworden und die Sonne stand ihnen gerade auf dem Rücken. Es kann schon +sein, daß Christian das eine oder andere Mal nach der Sonne schielte, +um zu sehen, ob es nicht bald Zeit wäre, aber er sagte nichts, er las +ebenso schnell und er machte auch darauf aufmerksam, daß Jens Perhus +kniete anstatt den Rücken zu beugen. Das war keine Art, wenn etwas +ausgerichtet werden sollte, Jens sollte, bitte, seinen faulen Rücken +beugen. Aber als es gegen Abend ging, kam es doch vor, daß Christian +selber ein wenig Erde auf die Kniee bekam, wenn es niemand sah, und er +war bedeutend runder im Rücken geworden, als er am Morgen war. Doch da +war auch Ola Nordlien gleich fertig, und er schickte ihn nach dem Hofe, +um seine Hacke umzutauschen; er verstand, daß Christian sich einmal +ausruhen mußte. + + [Illustration] + +Endlich war es Abend geworden, die Sonne war untergegangen, die Pferde +waren auf die Wiese gelassen, alle hatten gegessen und standen +draußen im Hofe, bereit nach Hause zu gehen, die Männer mit den Pfeifen +im Munde und die Frauen schon ein gutes Stück auf dem Heimwege -- sie +mußten nach Hause und die Kühe für den Abend melken. + +Der Wagen mit der letzten Kartoffelladung stand am Kellerloch und +Trampelpeter stand und lehnte sich daran. + +Er blickte sich heimlich um, tat aber, als wäre er ganz in Gedanken, +wie er den einen Kartoffelsack am Sackband nahm und ihn auf die Erde +herunterhob. Kurz darauf hob er ihn auf dieselbe Weise wieder in den +Wagen und sah sich heimlich um. Ja, sie hatten es beobachtet und Ola +Nordlien sagte auch gleich: + +Ja, du hast doch Kräfte, Per. Was meinst du, Christan? + +Ach, ~das~ war doch nicht so gefährlich. + +Da wurde Trampelpeter böse. + +Nein, hört mal den Burschen da. Er nahm wieder den Sack und hob ihn +herunter. Du mußt viel Brei essen, ehe du so weit bist, daß du ihn +wieder auf den Wagen kriegen kannst. + +Vielleicht könnte ich es gleich tun, meinte Christian. + +Ja, wenn du das kannst, so will ich der schlechteste Bursche im ganzen +Kirchspiel sein. + +Da bist du mein Zeuge, Ola Nordlien, borg mir bitte einen Sack. Und ehe +Trampelpeter ein Wort gesagt hatte, hatte Christian den leeren Sack auf +den Wagen gesetzt und begann die Kartoffeln aus dem einen in den andern +zu füllen. In unglaublich kurzer Zeit war er fertig und warf den leeren +Sack hinterher auf den Wagen. + +Jetzt sind die Kartoffeln und der Sack dort und jetzt bist du der +schlechteste Bursche im ganzen Kirchspiel, Trampelpeter. + +Trampelpeter spuckte weit aus und lief ins Haus. + +Ola Nordlien lachte, bis ihm die Tränen kamen. + +Ja, wenn jemand doppelten Tagelohn verdient hat, so bist du es, +Christian. Sollen wir gleich abrechnen oder kann ich dich morgen wieder +bekommen? + +Du verstehst, ich muß dir helfen, bis du mit den Kartoffeln fertig +bist. + +Als Christian allein seinen Nachhauseweg über die Abhänge +hinaufschlenderte, fühlte er sich merkwürdig schwach in den Knieen. +Es war am besten, daß er sich ein wenig hinsetzte. Er hatte nur ein +paar Minuten bis nach Hause, aber er konnte sich trotzdem ein wenig +ausruhen, und so setzte er sich an den Wegrand. + +Auf einmal fing der Kopf an zu nicken, erst nach der einen, dann nach +der anderen Seite; ehe er sich's versah, hatte er sich hintenüber +gelehnt und war süß eingeschlafen. + +Die Mutter hatte im Fenster gestanden und zugesehen. Gleich darauf war +sie bei ihm: + +Du mußt jetzt aufwachen und nach Hause kommen, Christian. Du hast dich +wohl heute ordentlich angestrengt. + +Bist du es Mutter? Wo bin ich? Er rieb sich die Augen. + +Du bist hier draußen eingeschlafen, Christian. + +Bin ich eingeschlafen? Du, Mutter -- es ist vielleicht am besten, du +erzählst das nicht so, daß der Lümmel, der Trampelpeter, es hört. +-- Übrigens eine Schande ist es nicht, denn ich habe auch doppelten +Tagelohn verdient. + + [Illustration] + + + + + Alexander und Buzephalos. + + +Blaß und blau, dünn und mager stand der kleine Stadtjunge am Gatter und +guckte nach den Schafen, die in der Nähe weideten, bereit, über den +Zaun zu setzen, wenn sich eine Gefahr zeigte. Er überlegte, ob es nicht +mit dem Widder möglich sein sollte, seinen großen Plan von Alexander +und Buzephalos ins Werk zu setzen. + +Da kam ein kleiner untersetzter, breitgebauter Bursche daher, braun und +schwarz auf einmal, die Hände wie ein Erwachsener bis an die Ellbogen +in den Hosentaschen, mit langen Hosen, die einen ledernen Hosenboden +hatten, und mit wiegenden Schritten nach Art der Erwachsenen. + +Der Stadtjunge fühlte unwillkürlich nach, ob er noch seinen Skalp +hätte, und setzte die Mütze so, daß er nicht zu sehen war. + +Vielleicht war es ein Indianer? Man mußte auf dem Lande auf alles +gefaßt sein. Nein, die gingen nicht so gerade drauf los, wenn sie auf +dem Kriegspfad waren -- dieser lief gerade auf ihn zu. + +Der Bauernjunge blieb stehen, spuckte wie ein Großer aus dem einen +Mundwinkel und hütete sich, den Hosenboden zu zeigen. Es war zu dumm +mit dem Hosenboden; keiner der andern Jungen hatte einen solchen, und +es hatte auch einen Tanz gegeben, bis die Großmutter das Leder hatte +darauf setzen dürfen. Aber es war noch schlimmer, daß gestern beim +Gewitter der Blitz hineingefahren war. Der Knecht auf Opsal hatte +es deutlich gesehen, wie er hineinfuhr -- ja, er wußte selbst, daß +das Leder den Blitz anzog --, und die Hosen waren seitdem so schwer +gewesen. Und jetzt bliebe der Blitz darin, bis sie entzwei gingen, +hatte der Knecht gesagt; aber dann verschwände er auch mit solcher +Eile, daß der ganze Kerl umfiele. + +Bist du der Stadtjunge, der den Sommer auf Opsal liegen soll, um fett +zu werden? + +Ja. + +Ja, du siehst auch aus, als ob du es nötig hättest. + +Nein, das war kein Indianer, das war eher ein verkleideter Räuber. + +Der Bauernjunge betrachtete ihn von oben bis unten. Er schien ihm +nicht gerade ein forscher Kerl zu sein; es konnte nicht schwer sein, +ihn durchzuprügeln. Aber wie furchtbar fein er war! Nirgends ein +Lederfleck. + +Hast du deine guten Hosen auch Werktags an? + +Hm, er war gewiß ein verkleideter Räuber, wie sie in Italien zu Hause +sind. Fiel die Lederhose von ihm ab, so stand er sicher in voller +Rüstung da mit goldenem Gürtel und Pistolen. Es war am besten, sich +nicht ängstlich zu zeigen; mutige Jungen gefielen den Räubern. + +Ich könnte noch einmal so feine Hosen haben, wenn ich nur wollte. Und +mit verächtlicher Kopfbewegung wandte er sich gleichgültig um und sah +wieder nach den Schafen. + +Der Bauernjunge wandte sich auch nach dem Zaun um, stützte sich mit dem +Ellbogen dagegen und legte die Backe in die flache Hand. + +Was du auch für feine Hosen hast -- einen so riesengroßen Widder hast +du doch noch nie gesehen, nicht wahr? + +Aber ich habe den Elefanten gesehen; der ist dreimal, ja hundertmal so +groß. + +Aber nicht so stark. Ich kann ihn gerade festhalten, wenn ich ihn an +den Hörnern packe, und dann ist er wütend. + +Aber der Elefant ist so stark, daß hundert Mann, ja noch mehr dazu +gehören, um ihn festzuhalten. Er könnte dich weit, weit wegschleudern, +-- ungefähr eine Meile weit. + +Hm! Glaubst du vielleicht, ich wäre nicht stark? + +Nicht so stark. + +Da spuckte der Bauernjunge in die Hände, ging einen Schritt vorwärts, +und stellte sich in Bereitschaft. + +Soll ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen? + +Das klang drohend. Dem Stadtjungen fielen auf einmal alle Gefahren ein, +denen seine Helden, Robinson, Karl von Rise und Gustav Vasa ausgesetzt +gewesen waren. Als er auf das Land reiste, hatte er sich genau +ausgedacht, wie er sich gegen Indianer und Räuber schützen wollte; aber +er konnte sich auf keinen einzigen Kniff besinnen. Es pflegte auch +immer Hilfe zu kommen von irgendeinem, der im Hinterhalt lag! Er spähte +schnell umher, ob nicht wenigstens Netta, das Kindermädchen, das mit +war, um auf ihn aufzupassen, im Hinterhalt lag; aber er sah nur den +Widder, der aufmerksam geworden war und den Kopf mit den großen krummen +Hörnern emporgerichtet dastand und sie anstarrte. + +Der Bauernjunge streckte den Arm aus, um ihn vor der Brust zu packen. + +Da fiel ihm plötzlich etwas ein, was er in der Schule gehört hatte. Er +heftete die großen, erschreckten Augen auf seinen Gegner und sagte: + +Sklave, wagst du es, Hand anzulegen an Cajus Marius? + +Der Bauernjunge ließ den Arm sinken. Dieser seltsame Ausspruch kam +ihm gänzlich unerwartet. Es ging wohl auch nicht recht an, ihn +durchzuprügeln. Er trat ein paar Schritt zurück, und im selben Nu bekam +er einen Stoß auf den Hosenboden. + +Es war der Widder, der sich in den Streit mischte. + +Da bekam der Stadtjunge Mut; es war ja gerade wie in den Geschichten: +die Hilfe kam unerwartet. Jetzt würde er schon gewinnen -- wenn auch +nicht gerade den Skalp nehmen, so doch jedenfalls ihm einen Denkzettel +geben. Der Widder ging ein paar Schritt zurück und die Reihe kam jetzt +an ihn. Da bekam er einen Stoß mitten vor den Bauch, so daß er neben +seinem gefallenen Gegner lag. + +Mit einem Satz waren sie beide über den Zaun, sie wußten nicht wie. + +Das erste, was der Bauernjunge untersuchte, war, ob seine Lederhose ein +Loch bekommen hatte. + +Dann drohte er mit geballter Faust durch den Zaun. + +Das sollst du nicht umsonst getan haben, du Schweinehund. + +Der Stadtjunge zog ein etwas langes Gesicht, doch dies gab ihm wieder +Mut. Es war, als ob sie sich auf einmal ganz gut kennten und gute +Kameraden geworden wären. + +Hat er dir weh getan? + +Ach nein, es muß anders kommen, ehe es weh tut. Er drohte wieder: Ich +werde dich schon zähmen! + +Als der Stadtjunge das Wort zähmen hörte, tauchte gleich sein +Lieblingsgedanke wieder in ihm auf: + +Ob sie Philipp und Alexander sein sollten und ~der da~ Buzephalos? + +Davon wußte der andere nichts; er kannte keinen andern Philipp als +den Apostel Philippus und dann Philipp Storsveen, und Alexander und +Buzephalos hatte er nicht einmal nennen hören. + +Darüber konnte der andere ihm Bescheid geben. Philipp war König von +Mazedonien; das war ein Land weit, weit von hier, gerade so weit auf +der andern Seite der Stadt, und es war lange her, sicher über hundert +Jahre, und Alexander war dort Kronprinz. Philipp hatte ein Pferd, das +sie Buzephalos nannten, und das konnten sie nicht zähmen, so sehr sie +sich anstrengten. + +Da muß es ein Pferd aus Valders gewesen sein; denn das sind die +schlimmsten. + +Nein, es war ein Araber. + +Nun, das wäre so ziemlich derselbe Schlag, soviel er wenigstens wüßte. + +Das war es wohl auch, und es war so toll und wild, daß es über alle +Gartentore und Zäune in der Stadt sprang und Kirschen fraß. Dann +berief Philipp sein ganzes Volk, den Diener und den Kutscher und die +Generäle und die Minister und die Feuerwehr und die Schutzleute, und +sagte, sie sollten so viel Elfenbein bekommen, wie sie zu tragen +vermöchten, wenn sie den Buzephalos zähmten. + +War er nicht selber Manns genug, sein Pferd zu zähmen? + +Doch; aber für ihn, den König, ging es nicht an. Dann begannen sie; die +Generäle zuerst; sie dachten nun einmal, sie wären die besten; aber +viele von ihnen kamen gerade hinauf, da warf sie Buzephalos auch schon +ab, daß es nur so rauchte. Selbst der Kutscher, der die beiden andern +Pferde auf einmal lenken konnte, kam nicht weiter als bis ans Tor. + +Dann kam Alexander an die Reihe. Er nahm Anlauf und saß mit einem Satz +im Sattel, -- nein, das ist wahr, einen Sattel hatte er nicht. Und dann +ging es fort -- aber Alexander blieb sitzen -- über die Gartentore und +über die Hausdächer, und schließlich waren sie verschwunden. + +Blieben sie weg? + +Sie warteten sicher über eine Stunde. Da kamen sie denselben Weg +zurück, und da war Buzephalos so zahm, daß er sich hinlegte wie ein +andres Kamel. + +Hm! Ganz so toll trieb es der Braune auf Opsal nicht, als sie ihn im +Frühjahr zähmten. Aber sie mußten den Stangenzaum anwenden. Das hat +Alexander wohl auch getan. + +Ja, davon wußte der andere nichts. + +Doch, das hatte er ganz bestimmt getan. Und dann war es nicht so +gefährlich. Vor dem Stangenzaum mußten sie klein beigeben, wie +ausgelassen sie auch waren, -- wenn sie ihn nicht auf die Zähne zu +nehmen verstanden. Aber den Kniff kannte wohl Buzephalos nicht, denn +den kannten nur die ausgefahrenen Hemärkingsmähren. + +Es dauerte nicht lange, bis sie einig waren, diesen Plan auszuführen. +Sie nahmen gleich die Titel an. Der Stadtjunge sollte selber Philipp +von Mazedonien sein und der Bauernjunge Alexander, und jetzt hieß es +immer nur König und Prinz. Netta mußten sie als General verwenden, +und Alexander glaubte schon, daß er seine Großmutter bewegen würde, +die Feuerwehr zu bilden. Die Zaunpfähle sollten die Schutzleute sein. +Mazedonien sollte sich gerade vom Zaun bis an den Kuhstall erstrecken, +und die Scheunenbrücke sollte das Schloß sein; da sollte der Thron +errichtet werden. Alexander mußte genau lernen, wie er sich als +Prinz zu benehmen, das Zepter zu berühren, und sich vor dem Thron zu +verneigen habe. Dann verfaßte der Stadtjunge den Aufruf an das Volk +von Mazedonien, und am nächsten Tag sollte Buzephalos gezähmt werden. +Darauf trennten sie sich mit königlichem Gruß und hochtrabenden Titeln. + +Alexander hatte bis spät am Abend damit zu tun, seiner Großmutter dies +alles zu erzählen, und schließlich bekam er auch ein halbes Versprechen +von ihr, daß sie als Feuerwehrmann mitmachen wollte, wenn gutes Wetter +wäre. Aber wieviel er auch davon sprach, wie sie angezogen sein und wie +sie aussehen sollten, so konnte er seine Großmutter doch nicht dazu +bringen, sich über die Hose auszusprechen. Er hielt es indessen für +so selbstverständlich, daß er die neuen Hosen anhaben müßte, wenn er +Alexander sein sollte, daß er in dem sicheren Glauben einschlief, sie +wäre derselben Meinung. Aber am Morgen, als er angezogen werden sollte, +kam die Großmutter doch mit der Lederhose. + +Ob sie nicht mehr wüßte, daß er Alexander sein sollte? + +Doch, aber Großmutter meinte, daß diese gut genug wäre. Die +Sonntagshosen müßten geschont werden. + +Das ging aber nicht an, Alexander hätte keine Lederhosen. + +Wenn er so schlimm war, seine Kleider zu zerreißen, so hat er schon +auch welche gehabt, als er klein war. + +Ja, aber Philipp von Mazedonien war auch klein; er hatte keine. + +Es wäre etwas anderes mit den Stadtleuten, sie wären ständig im vollen +Staat. + +Sie müßte doch verstehen, daß das nicht anginge. Der Blitz wäre auch +hereingefahren. Sie könnte den Knecht auf Opsal fragen. + +Er sollte das nicht glauben; sie hätten ihn nur zum Besten. + +Ja, sie sollte sehen, wenn sie ein Loch bekäme, so -- + +-- Ja, dann wäre es am besten, wenn es die alten Hosen wären; -- und er +mußte sie trotz allem anziehen. + +Es war unglaublich, wie lange Großmutter brauchte, bis sie fertig +war! Er hatte Zeit, es sich viele Male hin und her zu überlegen, wie +er Buzephalos am besten lenken sollte, und er hatte sich schon längst +einen Knoten ausgedacht, mit dem er das Tau so fest machen wollte, daß +das Horn eher abgehen würde, als daß der Knoten aufginge. + +Endlich war Großmutter fertig, und sie zogen zusammen den Berg +hinunter. + +Im Hof trat ihnen Philipp von Mazedonien und sein General entgegen, +die dort auf sie warteten. Philipp hatte eine rote Papierkrone auf dem +Kopf, ein Schwert an der Seite und einen abgebrochenen Harkenstiel in +der Hand. Das war Mazedoniens Zepter. Er streckte dem edlen Prinzen +als Zeichen seiner königlichen Gnade das Zepter entgegen, daß er es +berühren sollte; doch Alexander war von dem Staat so geblendet, daß er +es vergaß. Oben auf der Scheunenbrücke war der Thron errichtet. Es war +ein Stuhl mit einer Fußbank darauf. + +Philipp begann seine Befehle zu erteilen. Großmutter bekam den Befehl, +Buzephalos zu holen und ihn an den Zaun zu binden. + +Dann bestieg Philipp von Mazedonien seinen Thron. Er schwang sein +Zepter, blickte über Mazedoniens Land und Leute und hielt +folgende Rede: + +Meine Generäle, Minister, Kutscher, Feuerwehrleute und Schutzleute! +Ich, König Philipp, der Größte von Mazedonien tue hierdurch kund, daß +ich meine königliche Gnade und hundert Ellen Elfenbein dem geben werde, +der mein wildes Pferd Buzephalos, das im Schloßhof festgebunden steht, +zähmen kann. + +Netta und Großmutter zogen sich auf die Scheunenbrücke zurück, wie +ihnen befohlen worden war. + +Darauf blickte er sich vorwurfsvoll um: + +Wagt es niemand? Sind alle Mazedonier solche Feiglinge? Wenn ich nicht +König wäre, würde ich es selbst tun. + +Da trat Alexander vor. Er verneigte sich ehrerbietig vor dem Throne. +Philipp streckte sein Zepter aus, und er berührte es. + +Das ist recht, mein Prinz, jetzt kann ich sehen, daß es noch Männer in +Mazedonien gibt. + +Alexander machte kehrt und näherte sich Buzephalos, der dastand und am +Tau riß. Er machte runde Ellbogen und schlenkerte mit den Armen. + +So groß war er sich noch nie vorgekommen. Er konnte es nicht lassen, +einen verstohlenen Blick auf Philipp und Mazedoniens Volk zu werfen, +und der Mund war breiter und lachender, als es sich streng genommen für +einen Prinzen ziemte. Jetzt sollte er doch einmal zeigen dürfen, was er +für ein forscher Kerl war. + +Er biß die Zähne zusammen und nahm einen so kräftigen und tiefen +Anlauf, daß die Hosen fast hinten aufstießen. Es mißglückte. + +Ja, das hatte er sich gedacht; sie waren zu schwer, weil der Blitz +darin war. + +Er versuchte es noch einmal. Und diesmal gelang es. + +Da saß er. Der Widder machte einen Satz, doch da er nicht los kam, +drückte er sich an den Zaun, so daß Alexander Gelegenheit bekam, das +Tau zu lösen. Er löste es und warf im selben Nu wieder einen Blick auf +die Mazedonier. + +Doch da sprang das Hinterteil von Buzephalos auf einmal in die Luft, +und das Tier lief ein paarmal um sich selbst. Alexander schreckte +zusammen, so daß er das Tau los ließ und sich mit beiden Händen an der +Wolle festklammerte. + +Philipp sprang auf den Thron hinauf, schwang das Zepter und rief: + +Suche dir ein anderes Königreich, Alexander, Mazedonien ist für dich zu +klein. + +Jetzt flog Buzephalos in langen Sätzen immer schneller und schneller +davon; bald war er ganz hinter den Ställen verschwunden. Alexander hing +fest, und das letzte, was sie sahen, war eine breite Lederhose, die +zwischen dem Halse und der Lende von Buzephalos hin und her geworfen +wurde, als er sich über die Grenze von Mazedonien hinaus begab. + +Nach kurzer Zeit kam er wieder auf der anderen Seite vom Hauptgebäude +zum Vorschein und lief dann in rasender Eile um das Vorratshaus +herum. Alexander hing noch immer darauf, und da der Widder ihn nicht +los werden konnte, schlug er wieder den Kurs über die Grenzen von +Mazedonien und gerade auf das Schloß zu, ein. Er wollte zu Leuten +kommen und nahm seine Zuflucht zur Großmutter. + +Da verlor Philipp völlig den Kopf. Er erhob sich auf dem Thron und +schleuderte sein Zepter gegen das Tier. + + [Illustration] + +Buzephalos erschrak, machte eine schnelle Wendung und stieß gerade +gegen den Thron von Mazedonien, so daß dieser umfiel, erschrak immer +mehr und sprang mit einem gewaltigen Satz die Brücke hinunter. + +-- -- Als Buzephalos weiter galoppierte, war er allein. + +Netta nahm sich des gefallenen Königs Philipp an, der Nasenbluten hatte +und weinte, und Großmutter lief schnell hinunter, um nach Alexander zu +sehen. + +Der erhob sich mit königlichem Zorn, zeigte mit der einen Hand einen +Riß in der Hose, und mit der anderen drohte er der Großmutter: + +Das hatte ich dir gleich gesagt, Großmutter, es geht nicht an, +Alexander zu sein, wenn man eine Lederhose hat, in die der Blitz +gefahren ist. + + [Illustration] + + + + + Holzvermesser Ole Pedersen. + + +Das letzte, was ich am Abend vor dem Einschlafen sah -- es war in einer +dieser herrlichen Sennhütten dicht unterhalb der Rondaneberge -- war +eine Leiter, die auf den Boden unter dem Dach hinaufgezogen wurde. +Einen Augenblick vorher war der Hirtenjunge Ole dort hinaufgekrochen +-- in vollem Anzug, mit schwarzem Rock und den Strohhut auf dem Kopf, +wobei die Bergstiefel mit den großen, blanken Hackeneisen gegen die +Stufen der Leiter klapperten. Dann rumorte er eine Zeitlang da oben; +er zog wohl die wichtigsten Kleidungsstücke aus. Darauf wurde es +still; dann schnarchte er, und bald schliefen wir alle miteinander, +die Sennerin in dem einen Bett, ich, der ich auf einer Fußtour war, im +andern und Ole auf dem Boden. + +Das erste, was ich am Morgen hörte, war die Sennerin, die zum Boden +hinaufrief: + +Ole, jetzt mußt du aufwachen, jetzt wollen wir gleich die Ziegen +melken. + +Nichts rührte sich auf dem Boden, niemand antwortete, und die Sennerin +machte eine Wendung nach dem Herd, wo der Kaffeekessel schon kochte und +brodelte. + +Dann fing sie wieder an: + +Ole, jetzt mußt du aufstehen. + +Keine Antwort. Sie machte sich noch ein wenig unten zu schaffen; dann +stellte sie sich gerade unter den Boden und ich sah, daß sie lächelte: + +Pedersen, jetzt ist's Zeit aufzustehen. + +Heh --? antwortete es oben vom Boden. + +Jetzt muß Holzvermesser Pedersen aufstehen. + +Niemand antwortete; aber im selben Nu kam der alte Strohhut mitten +in die Stube hineingesegelt und blieb in dem breiten Sonnenstreifen +liegen, der sich vom Fenster schräg durch das Zimmer zog. Einen +Augenblick darauf kam der eine Bergstiefel mit einem schweren Krach +hinterher; kurz danach der andere. Dann kam die Leiter, sie wurde +vorsichtig vom Boden heruntergelassen und schließlich kam Ole rückwärts +heruntergestiegen, die Hosenträger hinten herunterhängend, den +schwarzen Rock über dem einen Arm und die zusammengebundenen Strümpfe +über dem andern. Er kam in die Stube herunter, schnitt Gesichter gegen +die Sonne und dehnte sich nachdrücklich. Darauf setzte er sich auf +die äußerste Ecke des Herdes und begann sich anzuziehen. Er löste die +Strümpfe voneinander, zog einen an, spuckte in die Hände und zog das +Strumpfband lang. Es ging langsamer und langsamer, als er es festband +und es ging sehr langsam, als er nach dem andern Strumpf griff. Als er +ihn halbangezogen hatte, hörte er ganz auf und neigte sich bedenklich +tief nach der einen Seite, als ob er vom Herd herunterfallen wollte; -- +es war ja auch recht früh am Morgen. Da sperrte er plötzlich die Augen +weit auf, biß die Zähne zusammen, zog die Strümpfe mit einem Ruck an +und schnürte das Strumpfband ordentlich zu. Im Handumdrehen hatte er +die Hosenträger angeknöpft und den Rock angezogen. Dann dehnte er sich +wieder und spazierte geradeswegs in die Bergstiefel hinein, die mitten +im Zimmer standen und gähnten; sie gingen von allein an. Dann stand er +einen Augenblick da und sah den Strohhut an, ging dann hin und schlug +die Tür weit auf. Darauf kam er noch einmal zurück, blickte wieder den +Hut an: + +Der elende Hut! damit versetzte er ihm mit dem Fuß einen Stoß, daß er +aus der Tür flog, ging selbst nach und machte die Tür hinter sich zu. + + * * * * * + +Als ich aufgestanden war, erfuhr ich von der Sennerin, warum Ole +Holzvermesser Pedersen hieß; -- ja, sein Vater hieß Peder, mit Pedersen +hatte es also seine Richtigkeit; aber Holzvermesser war er nun doch +nicht. Bei der Holzvermessung im Frühjahr hatte einer der Vermesser +Pedersen geheißen, und Holzvermesser waren die großartigsten Menschen, +die Ole gesehen hatte. Er war den ganzen Tag dabei, und plötzlich ging +er hin und gab dem Holzvermesser die Hand: + +Guten Tag, ich höre, wir haben denselben Namen. + +Nein, was du nicht sagst, heißt du auch Pedersen? + +Ja, und darum wollte ich fragen, ob du mich nicht als Holzvermesser +annehmen könntest? + +Nein, das kann ich nicht, solange du den Hut da hast, -- dies geschah +im frühsten Frühjahr, und Ole hatte schon den Strohhut aufgesetzt -- du +mußt eine Talermütze aufhaben, um Holzvermesser zu werden, -- ja, und +schwarzen Rock. + +Seit der Zeit konnte Ole seinen Hut nicht recht leiden; einen Rock +hatte er bekommen. + + * * * * * + +Ich ging hinaus und traf Ole, der dabei war, die Ziegen zu melken. Ich +versuchte ein Gespräch über die Ziegen mit ihm anzuknüpfen; aber er +wollte nicht recht dran und war sehr wortkarg. Ich fragte ihn, was er +werden sollte, doch er wollte nicht mit der Sprache heraus. Dann sagte +ich: + +Es sind schöne Balken hier im Schafstall. + +Ja der Grundbalken ist wohl 12: 10 gewesen und derselbe Stamm hat noch +einen Balken 8: 10 geliefert. + +Nein, das doch wohl nicht! + +Ole sah mich sehr überlegen an. + +Du bist sicher kein Holzvermesser? + +Nein, das bin ich nicht. + +Das merke ich. + +Damit war diese Unterhaltung zu Ende. + +Als Ole kurz darauf die Ziegen durch das steile Birkenwäldchen +hinuntertrieb, das auf beiden Seiten am Flußabhang lag, schlich ich ihm +nach. + +Es war ein herrlicher Morgen mit Sonnenstreifen rings auf allen Bergen +und grauem Gestein, so weit man hinaufblicken konnte, bis hoch, hoch +in die Luft, und unten frische grüne Birkenabhänge bis hinunter an die +klaren glitzernden Flüsse und Bäche im Talgrund. + +Von der Sennhütte drüben stieg ein langer blauer Rauch empor, und an +den Abhängen standen die Ziegen zu zweit an den kleinen Birken und +rupften das Laub ab. Auf einer kleinen Lichtung im Birkenwald stand Ole +und blickte sich vorsichtig um, und dicht am Waldrand lag ich, ohne +gesehen zu werden. + +Als Ole eine Weile ruhig gestanden hatte, riß er den Hut ab und warf +ihn auf die Erde. Darauf ging er auf eine Birke zu. + +Guten Tag. Wird hier Handel getrieben? + +Er antwortete selber für den andern: Ja. + +Hast du Talermützen? + +Ja, hier ist dieselbe, die Holzvermesser Pedersen hat. + +Ja, das sehe ich; denn ich kenne ihn. Aber ich will nicht mehr als zwei +Kronen dafür geben. + +Zwei Kronen für eine Talermütze, das ist eine seltsame Rechnung. + +Seltsam oder nicht, ich gebe nicht mehr. + +Ja, dann kommt kein Geschäft zustande. + +Ja, du weißt, ich könnte schon geben, was du verlangst; aber wenn ich +es mir überlege, so habe ich nicht mehr als zwei Kronen bei mir. + +Kannst du denn nicht wiederkommen? + +Hm, ich habe auch nicht mehr als zwei Kronen, soviel ich mich besinnen +kann. Könntest du mir die eine Krone nicht so lange borgen? + +Ich pflege nicht zu borgen. + +Ja, aber du könntest doch mal eine Krone auf meine Rechnung +aufschreiben? + +Ja, das könnte ich schon mal. Welchen Namen darf ich aufschreiben? + +Du kannst Holzvermesser O. Pedersen schreiben. + +Dann tat er, als nähme er die Mütze in Empfang und setzte sie auf. +Darauf griff er in die Innentasche seines Rocks und holte einen +Bleistift und ein Notizbuch vor. Er buchstabierte laut, während er +schrieb: + +O. Pedersen, Holzvermesser, hat folgende Dimensionen bekommen. + +Jetzt müßt ihr die Axt gut anlegen, Leute, und nicht schneller, als ich +rufe. Fegt den Schnee dort weg; wir müssen sehen, was wir vermessen. +Dann tat er, als ob er an einem Holzstapel entlang ging. + +Hm, dieser soll also zwölf sein. Fangen wir also an. + +Er fing an; und jedesmal, wenn er rief, tat er einen Schritt zur Seite +und machte einen Vermerk ins Buch. + +Zwölf Ellen lang, acht und ein halb Zoll dick! Ditto! Ditto! Zwölf +zehn! Hübscher Stamm! Zwölf acht! Zwölf neun! Zwölf -- pfui, das ist +ein schlechter Stamm -- den müssen wir auf zwölf acht heruntersetzen! +Zwölf zehn. Zwölf -- ganz krumm, der soll wohl zum Bootsbau dienen? +Der ist morsch; den nehmen wir nicht. Zwölf zwölf! Bravo! Noch einmal +ditto, zwölf acht und ein halb! Zwölf neun! Zwölf zehn! Ditto! Ditto! +Gut gearbeitet, Leute, jetzt nehmen wir einen Schnaps! + +Damit trollte sich Ole zur Sennhütte; denn es gab viel zu tun, und er +durfte nicht lange fort sein. + +Als ich aufbrach, verabschiedete ich mich auch von Ole, und da gab ich +ihm die Krone, die ihm, wie ich wußte, an seiner Talermütze fehlte. + + [Illustration] + +Er sah mich ein wenig erstaunt an und wollte mir die Hand reichen. Aber +dann griff er plötzlich an den Hut und nahm ihn ab; er sah erst aus, +als ob er ganz feierlich sein und mit dem Hut in der Hand sich durch +Handschlag bedanken wollte. + +Doch dann schleuderte er den Hut weg, griff langsam und feierlich in +die Innentasche seines Rockes und holte Bleistift und Notizbuch hervor. + +Er hielt es in der Hand und schrieb sehr sorgfältig mit ernstem +Gesicht. Endlich riß er das Blatt heraus, steckte das Buch und den +Bleistift in die Tasche und reichte mir das Blatt: Bitte sehr! + +Ich habe den Zettel noch, und er sieht so aus: + + [Illustration] + +Seitdem habe ich Ole nicht wieder gesehen; aber ich habe gehört, daß +er eine Talermütze bekommen hat; Holzvermesser ist er wohl noch nicht +geworden; aber das wird er schon mit der Zeit. + + [Illustration] + + + + + Ranzenräuber und Zottelbär. + + +Während die Sennerin auf der nördlichen Kvinstölhütte im Begriff war, +das Vieh loszubinden, schlich sich Christian einen Augenblick an das +Sennhüttenfenster und steckte den verbogenen Messingkamm zu sich. + +Darauf ließ er das Kleinvieh hinaus und trieb es schnell über den Hügel +hin. + +Heute vergrub er die Hände nicht in den Hosentaschen, wie er zu tun +pflegte, er fühlte die warme Morgensonne nicht und blickte nicht +nach den blauen Bergen. Er fühlte sich etwas schwach und zitternd in +den Knien und kümmerte sich gar nicht um die zärtlichsten Ziegen, +die sich immer zu hinterst hielten, den Kopf umdrehten und ihm +entgegenmeckerten. Der einzige, um den er sich kümmerte, war der große +Bock, der Ranzenräuber hieß, seit er letzten Frühling Christians Ranzen +geöffnet und ihm das Brot und den Schinken weggefressen hatte. + +Denn heute galt es. Gestern waren sie auch auf den südlichen Kvinstöl +gekommen, und jetzt sollte entschieden werden, wer diesen Sommer +Oberhirte sein würde, er oder Per Nordberg, und Oberhirte sollte der +sein, der den stärksten Bock hatte. + +Letztes Jahr hatte Christian verloren, da hatte Zottelbär über +Ranzenräuber gesiegt. Darein hatte Christian sich finden müssen, +und es war auch gar nicht so ärgerlich gewesen, solange sie auf der +Sennhütte waren, denn es zog keine andern Nachteile nach sich, als +den Schimpf, den schwächeren Bock zu haben -- und da räumte auch Per +ein, daß es nach Zottelbär keinen besseren Bock gäbe als Ranzenräuber +-- und dann durfte der Oberhirte immer den Platz wählen, wo sie die +Herden trennen sollten, wenn sie zusammen gewesen waren. Aber im Winter +war es ärgerlich gewesen; da trafen sich Per und Christian nur in der +Schule, und da konnte Per es nicht sein lassen, davon zu reden und +Ranzenräuber, so daß alle es hörten, einen ganz gewöhnlichen Bock zu +schimpfen. Und außerdem war es nicht sicher, daß es so ganz richtig +zugegangen war, als sie letztes Jahr aneinander gerieten; Per hatte ein +Viertel Tabak für Zottelbär gehabt, das er ihm während der Mittagsruhe +gegeben hatte, und trotzdem hätte dieser sicher nicht gewonnen, wenn +er nicht Ranzenräubers Vorderfuß zwischen die Hörner bekommen und ihn +beinahe ausgerenkt hätte. + +Christian schob den neuen Strohhut in den Nacken und warf einen Blick +nach der Sennhütte zurück. Ja, jetzt war sie nicht mehr zu sehen. + +Er lockte: + +Komm, komm Ranzenräuber! + +Ranzenräuber legte den Kopf schief nach hinten und meckerte. Darauf +drehte er um und kam langsam, die langen Hörner hoch in die Luft +streckend, auf Christian zu. + +Christian stellte sich in Bereitschaft, streckte beide Hände vor und +packte ihn an den Hornenden: + +Laß dich mal erproben! + +Ranzenräuber, der das Spiel kannte, stellte sich auch in Bereitschaft +und begann zu schieben. Nach kurzer Zeit stieß er Christian gegen einen +Birkenstamm, daß es krachte. + +Ja, schwach bist du nicht, aber du mußt dir nicht einbilden, daß ich +meine ganze Kraft anwandte. + +Christian kniete nieder und holte den Messingkamm hervor. Der Bock +schmiegte sich an ihn. + +Jetzt sollst du geputzt werden für die Musterung. + +Er kämmte den Bart und die Büschel an der Stirn und an den Seiten, die +blauen Zotteln fielen so seidenweich und fein, wie Christian sie noch +nie gesehen hatte. Das war hübscher als die langen schwarzen Zotteln +vom Bären. + +Als er fertig war, betrachtete Christian den Bock noch einmal genau, +und dann trotteten die beiden Seite an Seite der Herde nach, die weit +vorangekommen war. + +Bald waren sie oben auf der Höhe und blickten den Abhang nach dem +Riesenmoor hinunter. + +Ja, wenn sie zur richtigen Zeit auf dem südlichen Kvinstöl lockten, so +konnte Per jetzt nicht mehr weit sein. + +Christian begann zu jodeln, daß es durch das Birkenwäldchen schallte. + +Sogleich ertönte von weit unten her die Antwort. Ja, da war Per. + +Christian faßte Ranzenräuber am Nacken und ging vor der Herde den +Abhang hinunter. Die ganze Zeit jodelte er, und die ganze Zeit +antwortete es noch lauter, er konnte hören, daß Per auch schnell +heraufkam. Dort sah er etwas Weißes hinten zwischen den Birken +auftauchen. Ob wohl Per auch einen neuen Strohhut hatte? Er hatte +wenigstens geglaubt, ~das~ für sich zu haben. + +Bald waren sie einander so nahe gekommen, daß sie sich verstehen +konnten: + +Heh Junge, hier kommt der Oberhirte. + +Heh hier auch! Hier kommt einer, der ~über~ dem Oberhirten ist! + +Was kannst du für dich ins Feld führen? + +Einen blauen Bock mit hohen Hörnern, einen forschen Jungen mit neuem +Hut! + +Und was hast du? + +Einen schwarzen Bock mit höheren Hörnern, einen forschen Jungen mit +feinerem Hut! + +Wann soll der Kampf stattfinden? + +Wenn die Sonne zwischen der Tiefkluft und der Kvinhornschnute steht. + +Da sollst du beide, den Bock und den Jungen, treffen. + +Wo soll die Schlacht stattfinden? + +Auf der Ebene zwischen dem Riesenmoor und dem Blausee. + +Dort wirst du beide, den Bock und den Hut, treffen. + +Sie gingen näher aneinander. Als sie ein paar Schritt entfernt waren, +rief Per: + +Jetzt sollen die Kämpfer sich begrüßen. + +Das meine ich auch. + +Sie führten die Böcke gegeneinander vor und ließen sie los. Sie +beschnoberten sich ein wenig, legten die Köpfe schief, und fingen an, +sich leise zu reizen, indem sie die Mähnen erhoben. Sie waren auf dem +Sprunge, aufeinander loszufahren. + +Da nahmen Per und Christian jeder den seinen wieder -- der Kampf sollte +erst am Nachmittag stattfinden -- und führten sie zur Herde zurück. +Als sie sie wegführten, warfen sie beide einen verstohlenen Blick nach +rückwärts, sie fanden eigentlich beide, daß der Bock des anderen seit +dem letztem Jahre unglaublich groß geworden war. + +Als sie die Böcke zurückgeführt hatten, trafen sie wieder zusammen, +das Nähere zu verabreden. Sie waren beide nicht mehr sicher, und darum +schnitten sie gewaltig auf und erzählten sich, wie sie das feinste +Gras auf der Weide pflücken und es den Böcken während der Mittagsruhe +geben wollten, und als Per zum Schluß ein Viertel Tabak vorzeigte, +tat Christian dasselbe, und noch dazu war seiner vom Äußersten in der +Rolle, während der von Per nur Einlage war. Dann entstand ein Streit +wegen der Hüte; es war ja schon etwas, wenn man sich den feinsten Hut +gesichert hatte, für den Fall, daß man den schwächsten Bock bekam. Und +dann trennten sie sich, um zur Mittagsruhe nach Hause zu ziehen. + +Christian hatte während dieser Mittagsruhe nicht viel Zeit zum Essen, +er mußte gleich wieder hinaus und auf der Weide Gras für Ranzenräuber +pflücken. Als er den Hut und den Schoß voll hatte von dem feinsten +und zartesten, das er finden konnte, ging er auf die Wiese an der +Sennhütte und legte es auf einen Haufen dicht am Viehgatter. Darauf +ging er in das Gehege hinein, störte Ranzenräuber, der ruhig dalag und +wiederkäute, und zog ihn heraus. + +Er führte ihn an das Gras, doch der schnoberte nur daran, sah Christan +an und schmiegte sich an ihn. Als er das getan hatte, legte er sich +ganz ruhig nieder und kaute weiter. + +Ja, ja, er würde schon fressen, wenn man ihm Zeit ließe. Christian +legte sich auch hin in die Sonnenglut am Zaun, streckte sich aus und +legte den Hut über das Gesicht. + +Die strahlendste Sommersonne strömte auf die grüne Bergwiese nieder. Es +war so still, daß das Hermelin aus der Mauer guckte und die Bachstelze +ungestört ihr Nest im Ziegenstalle besuchte, wo das ganze Kleinvieh lag +und schlief oder döste oder wiederkäute. Bald schlief auch Christian +mit all den andern unter dem hohen blauen Himmel, wo es keine Wolke gab +und wo sich auch kein Windhauch regte. + +So lagen sie lange. + +Plötzlich fuhr Christian in die Höhe und stützte sich auf die Ellbogen. + +[Illustration] + +Er hatte etwas Unangenehmes geträumt, konnte sich aber nicht darauf +besinnen, was es war, und es dauerte auch eine Weile, bis er sich +klar machen konnte, wo er war. Er rieb sich die Augen. Doch, jetzt +besann er sich. Er war ja auf der Sennhütte und hatte sich draußen zum +Schlafen hingelegt. + +Er tastete umher. + +Wo er wohl den Hut hingelegt hatte? + +Dann fiel ihm der Bock ein, und er sah zu ihm hinüber. Da riß er +freilich die Augen auf. Dort stand Ranzenräuber am Zaun und zupfte an +etwas Weißem. + +Es war der Hut! Ein Stück von der Krempe war das einzige, was übrig +war! Das übrige hatte er gefressen, und dort lag das ganze feine Gras +unberührt! + +Er wurde furchtbar wild, ergriff eine Stange, um den Bock +durchzubläuen. Doch er besann sich und ließ sie fallen: + +Nein, da hätte ich acht Groschen drum gegeben -- --. Aber meinetwegen, +wenn du mich heute zum Oberhirten machst, so soll er dir gegönnt sein. + +Da hast du ein Viertel Tabak zum Nachtisch. + +Den fraß Ranzenräuber. + + * * * * * + +Am Nachmittag trafen sich Per und Christian auf der verabredeten +Stelle, jeder mit seinem Bock. + +Es war nicht so feierlich wie am Vormittag; denn Christian, der nur +in der Mütze erschien, mußte gleich Bericht erstatten, wie es dem Hut +ergangen war, und da fühlte Per sich sehr überlegen; denn nun hatte +er doch jedenfalls in der einen Richtung gesiegt. Und er konnte auch +erzählen, daß Zottelbär während der ganzen Mittagsruhe Gras gefressen +hatte; Christian wurde ganz verzagt. + +Auf einer kleinen grünen Ebene sollte der Kampf stattfinden, mitten +zwischen einem mit Birken bewachsenen Hügel und dem Rand vom +Riesenmoor. Gegen das Moor war sie durch eine schmale, tiefe Rinne +abgegrenzt, wo nur ein wenig Wasser durchsickerte. + +Sie führten die Böcke vor und ließen sie einige Schritte voneinander +los. Ranzenräuber hob gleich die Mähne, Zottelbär blieb faul stehen und +sah sich um. Ranzenräuber ging vor und schnoberte an ihm. Zottelbär +schnoberte wieder, sah aber ganz sanft aus. + +Christian und Per standen jeder auf seiner Seite von der Ebene und +wagten kaum zu atmen. + +Ranzenräuber versuchte seinen Gegner zu reizen, aber der andre nahm +es gemütlich, darauf wagte er sich heran, legte den Kopf schief und +wollte ihm mit seinem spitzen Horn einen Stoß in die Seite versetzen. +Doch Zottelbär war auf seinem Posten. Er warf rasch den Kopf zur Seite, +so daß die Hörner mit einem Knall zusammenstießen. Jetzt hob auch der +andere die Mähne und bekam blitzende Augen. So balgten sie sich eine +Weile herum. Endlich erhob sich Ranzenräuber auf die Hinterbeine, +Zottelbär stellte sich in Bereitschaft, und sie krachten gegeneinander +los, als sollten die Hörner mitten entzweibrechen. + +Damit hatte der Kampf begonnen. Er sollte hart und lang werden. Im +Anfang wandte Zottelbär eine List an, er ließ den andern sich auf die +Hinterbeine erheben und nahm nur den Stoß entgegen, das strengte die +Kräfte weniger an und es fiel ihm schwer, sich aufzurichten, denn er +hatte so viel Zotteln. Aber der andere durchschaute ihn bald, und dann +reizte er nur, bis Zottelbär auch in die Höhe mußte. Zottelbär war +schwer, und das gab seinen Schlägen viel Wucht, so daß Ranzenräuber +jedesmal die Hörner schüttelte, sobald er einen Stoß bekommen hatte. +Aber er gab sich darum doch nicht. Endlich machte Zottelbär eine rasche +Wendung und bekam seinen linken Vorderfuß zwischen die Hörner; es sah +häßlich aus. + + Christian stürzte vor. + Das ist nicht erlaubt! + Aber Per stürzte auch vor: + Willst du sie in Ruhe lassen! + +Sie waren nahe daran, gegeneinander loszufahren, aber im selben Nu kam +der Fuß los, und sie gingen an ihre Plätze zurück. + +Der Kampf hatte jetzt eine gute halbe Stunde gedauert, und Zottelbär +fing an stark zu keuchen; er wollte gern zwischen jedem Stoß eine +kleine Pause machen und ausruhen. Doch dazu bekam er keine Zeit. +Endlich kam die Entscheidung. Nach einem starken Stoß, glaubte er, +würde er einen Augenblick Ruhe haben, aber Ranzenräuber rannte +gewaltig gegen ihn an. Sie waren dicht an die tiefe Rinne am Moorrand +gekommen und bums -- da lag Zottelbär unten, so daß die Zotteln um ihn +herumstanden. + +Christian schrie vor Freude. + +Sei ruhig, rief Per, das ist gemogelt! + +Zottelbär kletterte wieder heraus, triefend von Wasser und Moorerde. + +Ranzenräuber wollte gleich auf ihn losstürzen. Er wehrte sich, zog sich +aber seitwärts zurück. Als Ranzenräuber im Ernst einen Anfall machte, +lief er fort. + +Hurra! rief Christian und sprang hoch in die Luft. Hier siehst du den +Oberhirten, den Jungen mit dem Bock und dem Hut. + +Er griff nach dem Kopf, um den Hut zu schwingen, kriegte aber nur die +Mütze zu fassen. Er wurde auf einmal ganz kleinlaut. + +Per war auch dazugekommen: + +Ja, Oberhirte bist du, aber ~hier~ ist der Junge mit dem Hut! + +Nein, das ging Christian zu weit: + +Der elende Hut! Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß Ranzenräuber +den fressen würde! + +Glaubst du vielleicht, daß ihm deine Mütze lieber wäre? + + [Illustration] + + + + + Tischler Simen und der Blaufuchs. + + +Er war also wahrhaftig wieder dagewesen! Mitten in die Kuhstalluke +hatte er seine Schnauze gesteckt! + +Nein, das war zu ärgerlich! + +Jon Stubsveen kam hinter dem Kuhstall hervor und ging geradeswegs auf +seinen Vater zu, der in Festtagskleidern in der Haustür stand, die +Arme von sich streckte und gähnte. Es war am frühen Morgen des zweiten +Weihnachtsfeiertages und glänzend weiß und kalt. + +Jon zog die Mütze schief über das eine Ohr, das dem Nordwind zugewandt +war, setzte den Fausthandschuh in die Seite und den einen Fuß vor. + +Er ist wahrhaftig wieder dagewesen, Vater. + +Mundwinkel und Kniee zitterten ihm. + +Ist es nicht ärgerlich, daß der Fuchs sich jede Nacht an die Häuser +heranschleicht, und man nicht einmal das passende Werkzeug hat, um ihm +eins aufs Fell zu brennen! + +An diesen Fuchs hatte Jon jetzt lange Zeit Tag und Nacht gedacht +und darüber nachgegrübelt, wie er ihn fassen könnte. Stubsveen lag +so weit abseits, daß sich der Fuchs in den klaren Nächten bis an die +Häuser heranwagte. Als sie im Herbst das Schwein schlachteten, hatten +sie nämlich einen Teil der Eingeweide auf den Misthaufen vor die +Kuhstalluke geworfen, und dort war der Fuchs jetzt manchmal und grub +und fraß. Jeden Morgen ging Jon hin und sah nach, ob er dagewesen +war, und mit jedem Tag wurde er ärgerlicher. Er hatte eine seiner +Hasenfallen dort aufgestellt; aber der Fuchs war natürlich um sie +herumgegangen. Nein, er hätte eine Flinte haben sollen! Aber er wußte +nicht mehr als einen Menschen, der eine hatte, und das war Tischler +Simen. Er mußte versuchen, ob er zu ihm gehen dürfte. + +Wäre es nicht am besten, ich ginge zu Tischler Simen und borgte seine +Flinte; da sollte er weiß Gott dran glauben müssen. + +Ach, du bist ein Dummrian! Glaubst du, daß es angeht, mit der +Donnerbüchse zu schießen, die noch dazu nur eine Steinschloßflinte ist? + +Oh, Simen hatte schon einen Blaufuchs damit geschossen, und noch dazu +einen, der so scheu und vorsichtig war, daß er sich niederlegte, als +der Schuß losging; er hat es selbst erzählt. + +Ja, da wird es wohl wahr sein! + +Doch, es ist wahr; er bekam noch fünfzig Taler für das Fell. + +Dann ist es sonderbar, daß er nicht reicher ist, als er ist. + +Bitte, laß mich hingehen, Vater? Vielleicht ist das auch ein Blaufuchs! +Und wenn es nur ein Rotfuchs ist, so lohnt es doch den Schuß, denke +ich; da bekommt man sieben Mark fürs Fell. + +Ach, du bist ein Quälgeist. Bilde dir nur nicht ein, daß ich dich mit +der Donnerbüchse schießen lasse. + +Ich würde ihn schon kriegen. Ich würde ihn schießen, daß er hinpurzelt. + +Per Stubsveen sah auf den Jungen herunter und kratzte sich hinterm Ohr. +Er mußte an den feinen, scheuen Fuchs denken, der herumschlich und den +langen buschigen Schwanz auf dem Schnee hinter sich herzog. Hm, zu +dem Geschäft gehörten erwachsene Leute. Nun, er wollte mit hinter den +Kuhstall gehen und sich die Sache ansehen. + +Sie gingen; Jon ging voran, und zeigte: + +Siehst du, Vater, er hat die Schnauze mitten in die Luke gesteckt. + +Sieh mal einer den Schelm an! Es ist sicher auch ein großer Kerl +gewesen. + +Groß? Sicher so groß wie ein besseres Schaf! Sieh, wie er herumgelaufen +ist. + + [Illustration] + +Ja, und gekratzt hat! So ein Schelm! + +Per drohte mit der Faust in der Richtung nach dem Acker, wo die Spur +sich verlor. Jetzt war er ganz von der Geschichte mit dem Fuchs +erfüllt. + +Jon wurde mutiger. + +Darf ich, Vater? + +Meinetwegen, damit du nur Frieden gibst! Aber es wäre doch am besten, +sie machten es selber. + +Er sollte Simen fragen, ob er nicht heute nachmittag mit seiner Büchse +herüberkommen wollte; er könnte auch sagen, es wäre noch etwas vom +Weihnachtsbranntwein da. + +Jon war schon auf dem Wege, als ihm das letzte nachgerufen wurde. + +Er sprang davon in dem hellen knirschenden Wintermorgen. Wenn ihm +jemand begegnete, hatte er keine Zeit Halt zu machen; er lächelte nur +so seelenvergnügt über das ganze Gesicht, daß die Leute stehen blieben +und sich nach ihm umsahen. + +Bald war er unten im Tal angekommen und fing an, auf der andern Seite +emporzusteigen. + +Jawohl, es war schon möglich, daß es doch ein Blaufuchs war. Es schien +ihm, als habe er ein Stückchen von ihm drüben an dem Ackerhügel +gesehen; -- ja, sicher war er es gewesen! Je länger er ging und darüber +nachdachte, um so sicherer wurde er; hellblau war er gewesen! Ja, +natürlich, den ganzen Kerl hatte er gesehen. Sie sollten ihn nur +erwischen, dann würde er nach der Stadt gehen und das Fell verkaufen! +Aber sie sollten in der Stadt nur nicht glauben, daß sie ihn übers Ohr +hauen könnten. Er wußte, was ein Blaufuchspelz wert war. Es nützte +nichts, ihm fünf oder zehn zu bieten, er würde sechzig verlangen. Dann +würde er sich eine Büchse kaufen, und dann wollte er nichts anderes tun +als Blaufüchse schießen; höchstens vielleicht einmal einen Auerhahn zum +Vergnügen mit zwischendurch --; wenn der auch nicht mehr als vier Mark +wert war. + +Als er zum Tischler Simen hinaufkam, sah er diesen in der Tür stehen, +die Brille auf der Nase und die Schirmmütze weit in den Nacken +geschoben. + +Jon lächelte breit, grüßte wie ein Erwachsener und trat darauf ein. + +Wie es wäre, ob er seine Flinte instand hätte? + +O ja, er dächte doch. + +Er sollte ihn nämlich von dem Fuchs grüßen und sagen, er schliche +jetzt drüben auf Stubsveen jede Nacht an den Ställen herum; -- ja, und +niemand könnte wissen, ob er nicht auch drinnen gewesen wäre. + +Gerade, was Simen immer gesagt hatte, die Füchse hatten sich verzogen! +Hier auf dieser Seite des Tals hatte sich kein Fuchs mehr sehen lassen, +seit er vor drei Jahren einem den Schwanz weggeschossen hatte! So, +nach Stubsveen waren sie also hinübergekommen? + +Ja, daran könnte kein Zweifel sein! + +Der Vater ließe grüßen und sagen, es wäre so viel übrig, daß es noch zu +einem Schluck langte. + +Na, da wollte er einmal nach der Flinte sehen; er hätte sie jetzt drei +Jahre nicht in den Händen gehabt. + +Drei Jahre? + +Nein, wozu sollte er sie brauchen, wenn es keine Füchse gab? Freilich, +das Federwild hätte ja zugenommen, seit der Fuchs fortblieb, daß es nur +so wimmelte; aber daraus machte er sich nichts. Und die Flinte paßte +auch nicht für Vögel; es wäre schwierig, die Entfernung so abzupassen, +daß man die Vögel nicht in Fetzen schoß, und dann knallte sie auch so, +daß es sich nicht verlohnte, wegen eines lumpigen Vogels das ganze Dorf +aufzuschrecken. + +Ob sie denn gut ginge? + +Er hätte bisher noch keinen Fehlschuß damit getan; aber, versteht sich, +es müßte einer auch damit umzugehen wissen. + +Simen ging in die Kammer und kam mit der Flinte wieder herein. Es war +eine alte verrostete Soldatenflinte mit Steinschloß. Jon glaubte nie +etwas Schöneres und Prachtvolleres gesehen zu haben. + +Ist sie geladen? + +Nein, sie muß erst gereinigt werden. + +Er wurde ganz still und geheimnisvoll, Simen, als er mit zitternden +Händen die Flinte auseinanderzunehmen begann, und Jon saß atemlos +dabei und sah zu, wie die eine Schraube nach der andern herausgenommen +wurde und jede an einen andern Platz gelegt wurde, damit sie +nicht durcheinander kämen. Und die ganze Zeit, während Simen +auseinanderschraubte und putzte und mit Leinöl schmierte, innerlich und +äußerlich, sprach er davon, was er alles mit dieser Flinte geschossen +hätte. Ja, es wäre gar nicht unwahrscheinlich, daß auch auf Menschen +damit geschossen worden wäre, denn soviel er wüßte, wäre sie mit im +Kriege 1814 gewesen, und so gute Flinten wie die, womit auf Menschen +geschossen worden wäre, gäbe es jetzt gar nicht mehr; es wäre gerade, +als ob man hinterher mit ihnen nicht mehr fehlen könnte. + +Die Flinte war geschmiert und wieder zusammengesetzt. Nun, es wäre wohl +am besten, sie gleich zu laden. Denn das müßte genau gemacht werden; +was das Futter anlange, so könne kein Pastor genauer und wählerischer +sein als so eine Flinte. Damals, als er dem Fuchs bloß den Schwanz +wegschoß, so daß er ihm davonging, hätte er ein oder zwei Pulverkörner +zu wenig darin gehabt; darum fiel der Schuß in den Schwanz und nicht +hinab in den Rücken weiter oben. + +Er suchte ein altes Pulverhorn hervor und einen Lederbeutel mit Schrot, +nahm Pulver aus dem Horn und wog und wog in der Hand, schüttete es dann +in den Lauf, überlegte eine Weile, sah ins Leere, als ob er zählte, und +nahm eine kleinere Portion und sandte sie der ersten nach. + +Jon stand dabei und riß die Augen auf. Er hatte nie geahnt, daß dazu so +viel Kunst gehörte. + +Nein, du bist ein Meister, sagte er voller Bewunderung. + +Pst, sagte Simen, man soll nicht reden, wenn man lädt. + +Er stopfte vorsichtig Werg auf das Pulver. Dann legte er die Flinte +vorsichtig aufs Bett. + +Jetzt wollen wir die Erbsen mischen. Er griff in die Westentasche und +holte eine Portion kleiner Nägel hervor, nahm sie in die Hand und wog +sie, nahm dann den Lederbeutel, schüttete etwas Schrot dazu und mischte +beides zusammen. + +Hm! Er griff wieder in die Tasche nach Nägeln, mischte sie dazu und +flüsterte: »Ja, nun denke ich, das wird genügen« und schüttete die +Mischung in den Lauf. Dann stand er wieder still und überlegte, griff +noch einmal in die Westentasche und zog einen langen Nagel hervor. Er +kniff die Lippen energisch zusammen: + +Ich denke, wir bieten ihr den auch noch, dann sind wir sicher! + +Kurz darauf stapften Jon und Simen über das Tal hinüber nach Stubsveen. + + * * * * * + +Es ist schwer zu sagen, wer von den dreien, Jon, Per oder Simen, am +eifrigsten war, als sie am Abend in Stubsveen um den Tisch saßen und +Kaffeepunsch tranken -- das heißt die beiden Alten, Jon bekam keinen, +er war zu klein. Die Geschichten, die erzählt wurden, nahmen kein Ende, +vom Blaufuchs, vom Rotfuchs und vom Weißfuchs. Nein, das hier wäre kein +Blaufuchs, meinte Simen, da wäre er sicher; da hätte er sich nicht so +nah an die Häuser gewagt, und da würde das Ganze auch nicht viel Nutzen +haben, denn der wäre zu schlimm; entweder er legte sich nieder, oder +er spränge in die Höhe, wenn der Schuß fiele. Da müßte man entweder +drunter oder drüber halten und es darauf ankommen lassen, ob er spränge +oder sich niederlegte. Er hätte damals drunter gehalten, als er den +Blaufuchs schoß. + +Sie waren solche Helden geworden, Peter und Simen, daß Jon beinahe +nicht mit gedurft hätte, als sie sich später abends in den Stall +begaben, um Wacht zu halten. Aber er ließ nicht nach; es war ebensogut +sein Fuchs. + +Ihretwegen -- nur müßte er mäuschenstill sitzen. Sie dürften kein Glied +rühren. + +Da könnten sie sicher sein! + +Sie gingen alle drei nach dem Stall, nahmen die Branntweinflasche mit, +und Peter gab seiner Frau den Befehl, das Feuer nicht ausgehen zu +lassen und Kaffee bereit zu halten, wenn sie mit der Beute kämen. + +Sie nahmen an der Stallluke Platz. Simen und Per nahmen einen +Heusack und setzten sich ordentlich zurecht, so daß sie aus der Luke +heraussehen konnten. + +Simen hielt das hintere Ende der Flinte mit gespanntem Hahn und steckte +den Lauf eben durch die Luke. Jon saß auf einem Melkschemel etwas zur +Seite und lugte durch einen Spalt in der Wand. Wer den Fuchs zuerst +sah, sollte nichts sagen, sondern Simen nur leise an der Jacke zupfen. + +Es war behaglich und warm im Stall; die Kühe lagen und schnarchten und +käuten wieder, so daß die Hörner in unregelmäßigen leisen Schlägen +gegen die Wand schlugen. + +Durch jede Ritze drang die Kälte ein, begegnete der Wärme von drinnen +und bildete mit ihr im Verein große Büschel von glitzerndem Reif um +jede Ritze. Draußen war heller Mondschein; sie konnten so klar und +scharf sehen wie am hellichten Tage, und es glitzerte über den Äckern, +und das Mondlicht zitterte auf den bereiften Bäumen auf der Höhe +drüben. Tiefste, friedliche Ruhe herrschte draußen, kein Laut war zu +hören, keine Bewegung zu sehen. + +Sie hatten wohl eine halbe Stunde gesessen; die Wärme und die Stille +fingen an, sie schläfrig zu machen. + +Wie wär's, wenn wir noch einen Schluck nähmen? flüsterte Per. + +Und ob, sagte Simen. + +So verging wohl noch eine halbe Stunde, da flüsterte Per wieder: + +Ich schlafe beinahe ein; nehmen wir noch einen Schluck? + +Das wäre nicht dumm. + +Wieder saßen sie eine Weile. Dasselbe wiederholte sich. Aber dann wurde +es still -- lange. + +Jon saß und sah so eifrig durch den Spalt, daß er keine Zeit hatte, +nach den andern zu sehen. Es war merkwürdig, wie still sie waren. Eben +wollte er sich nach ihnen umdrehen -- aber da -- mit einem Male hielt +er den Atem an und riß die Augen weit auf. + +Bewegte sich nicht dort etwas am Fuß des Ackerhügels? Ja, ja, da +erschien der Kopf! Da war er! + +Erst kam eine Schnauze und ein paar spitze Ohren zum Vorschein, und der +Kopf wandte sich nach allen Seiten. Dann tauchte er ganz auf, langsam +und vorsichtig, blieb stehen, den einen Vorderfuß in der Luft, bereit +auszureißen; so stand er eine Weile und sah sich um; dann setzte er den +Fuß vorsichtig nieder und schlich ein paar Schritte vorwärts. Er war so +fein und schlank und geschmeidig, wie er dastand mit dem langen +Schwanz. + +Als er einige Schritte vorwärts getan hatte, hielt er inne, wandte sich +plötzlich und schlich nach einer andern Richtung. + +Jon konnte nicht begreifen, daß Simen nicht schoß; aber er mußte wohl +eine Absicht damit haben! + +Oh, wenn er wieder davonginge. Da schlich er hin, schlug einen großen +Bogen und verschwand im Gebüsch oberhalb des Ackers. + +Jon holte Atem und starrte. Nein, er konnte ihn nicht mehr sehen. + +Doch, da! + +Plötzlich steckte er den Kopf wieder vor, oben auf dem Hügel, und jetzt +viel näher; er witterte und sah nach dem Stall hinunter. So stand er +eine Weile, immer den einen Fuß erhoben; dann schlug er wieder einen +Bogen, kam schräg den Hügel hinab, schlug wieder einen Bogen und +spähte. Jetzt war er dicht heran. + +Simen mußte ihn sehen, er saß ja mitten vor der Luke. Jon beugte sich +herüber und faßte nach seiner Jacke. Er verwandte keinen Blick von dem +Fuchs, während er zupfte. + +Rrrro--ro! tönte es in diesem Augenblick, so daß es im Stall schallte. +Es war Simen, der einen gewaltigen Schnarcher tat, als er erwachte. + +Jon sah, daß der Fuchs herumfuhr und gleichzeitig einen mehrere Meter +langen Satz machte; dann noch einen und noch einen, immer rascher und +rascher über den Acker hin; es war, als ob er den Schnee gar nicht +berührte. Das letzte, was er sah, war der lange buschige Schwanz, +der wie ein Steuer in die Luft stand, während der Fuchs mit einem +ungeheuren Satz den Ackerhügel herabsprang und verschwand. + +Er sprang auf und fiel, so lang er war, über Per, der ebenfalls +aufwachte. + +Im selben Augenblick donnerte es los, als ob der Stall einfiele; die +Kühe sprangen auf und rissen an den Ketten. Simen rollte vom Sack +herunter; die Flinte hatte ihm einen gewaltigen Stoß versetzt. + +Simen hatte den Fuchs gerade gesehen, als er den letzten Sprung machte +und, ohne irgendwie zu zielen, drückte er los, lange nachdem der Fuchs +weg war. + +Hast du ihn gesehen? rief Per. + +Ja, und es war doch ein Blaufuchs, sagte Simen. Er sprang in die Höhe, +als ich schoß. + +Jon saß das Weinen in der Kehle: + +Nein, und wenn du noch nie gelogen hast, ~jetzt~ lügst du -- +Tischler Simen. + + [Illustration] + + + + + Die Kvinstöljungen. + + +Ho--o--iho! scholl es über die Höhen, so daß vom fernen Kvinkampen +her das Echo antwortete. Von der andern Seite ertönte der tiefe Laut +eines Bockhornes, und gleichzeitig schmetterte eine schrille hohe +Ziegenhornpfeife dazwischen. Unablässig erklang der Jodler, das Horn +blies lauter und lauter, und die Pfeife trillerte immer höher, bis der +Ton so hoch wurde, daß er sprang und wegblieb. Und die Töne trafen +sich und mischten sich miteinander und mit dem Echo aus der Ferne, das +von immer weiter herkam, schwächer und schwächer; und Glocken, tiefe +und hohe, schlugen an und erklangen drein, und die Ochsen brüllten, +die Kühe folgten ihrem Beispiel, die Ziegen meckerten -- -- es war am +Morgen und auf dem Kvinstöl ließen sie das Vieh heraus. + +Es war ein Morgen so klar und frisch, wie er im Juli im Gebirge es nur +sein kann, so einer, an dem Volk und Vieh sich so leicht fühlen, als +ob sie fliegen könnten, wo selbst alte Kühe ihre Würde vergessen, den +Schwanz hochschlagen und Kälbersprünge machen. + +An solch einem Morgen ist immer Leben auf der Senne; aber es war doch +den ganzen Sommer noch nicht vorgekommen, daß Per Oppigar das Horn +so stark geblasen und Jens Melbö so hoch auf der Ziegenhornpfeife +geschmettert und Peter Nerigar, den die andern Peter Flapps nannten, +wenn sie zornig auf ihn waren, so gejodelt hatte wie heute. Es war +klar, daß etwas besonderes los war. + +Sie zogen jeder aus seiner Hütte aus -- es gab nur drei auf dem +Kvinstöl -- trennten das Kleinvieh von den Rindern, die heute von den +Sennerinnen selber in den Wald gelockt wurden und setzten davon, jeder +nach seiner Richtung, Per gerade über den Storhaug, die andern in einem +großen Bogen drum herum. Aber hinter dem Hügel, als sie außer Sicht +waren -- es brauchte niemand zu wissen, daß sie zusammen hüteten -- +vereinigten sie sich wieder, und je mehr sie sich einander näherten, um +so mehr jodelten und bliesen sie und riefen nach ihren Ziegen, daß es +über die Berge schallte; und als sie sich trafen, trieben sie alle drei +Herden in einen Haufen zusammen, -- heute war es selbstverständlich, +daß auch Peter Flapps seine mit denen der andern zusammentreiben +durfte. Und als das wohl besorgt war, jodelte Peter wieder, und Per +blies in sein Horn, daß ihm die Augen aus dem Kopfe standen und Jens +trillerte so schrill und lange auf der Ziegenhornpfeife, daß er rot +wurde wie ein Puterhahn. + +Dann rief Per: So wollen wir die Neusäterjungen empfangen; sie sollen +hören, daß es die Kvinstöljungen sind, die kommen. + +Wenn sie nur kommen? meinte Jens. + +Sie müßten sich schämen, wo sie so viele sind! meinte Per. + +Peter Flapps schlug ein Rad, daß die Bergschuhe aneinander schlugen. +Sie können kommen so dicht wie eine Schafherde, sie sollen das +bekommen, was sie verdienen. + +Die Kvinstöljungen zogen nämlich heute in den Krieg. + +Sie hatten gehört, daß die Hirten in alten Tagen, wenn sie über die +Weiden uneinig waren, zusammenkamen und kämpften. Es sollte sogar +irgendwo weit drinnen in den Bergen -- ja, ob es so sehr weit war, +wußten sie nicht recht --, kann sein, es war näher, als einer glaubte +-- ein Moor liegen, das Siebenhirtenmoor hieß. So hieß es, weil +dort einst sieben Hirten zusammengetroffen waren, um Abrechnung zu +halten. Sie hatten sich sogar Spieße aus Wacholder gemacht und sie +über schwachem Feuer erhitzt, so daß sie hart wie Stein und zäh wie +Horn geworden waren, und sechs waren auf dem Platze geblieben, der +siebente kam mit einem Spieß im Leib gerade noch bis nach Hause und +erzählte, wie sich die Sache zugetragen hatte. So hart ging es jetzt +nicht mehr zu, das war in alten Tagen geschehen. Aber es kam doch +vor, daß die Hirten auch heute noch miteinander rauften; nur hier auf +diesen lumpigen Sennhütten ging es so friedlich zu. Aber es war doch +ganz hübsch, mit den Neusäterjungen ein bißchen über die Weiden zu +verhandeln. Freilich hüteten die Neusäterjungen nicht oft auf dieser +Seite und niemals auf den Kvinstölweiden, aber sie könnten es doch +einmal tun, und ~könnten~ sie erst das, so könnten sie auch bald +von der Senne selber Besitz ergreifen. Und vielleicht dachten sie +auch an etwas derartiges, den Neusäterjungen war nicht zu trauen. Und +wovon sollten ~ihre~ Schafe dann fett werden? Sie hatten immer +gehört, daß die Weidegrenze von Kvinstöl zwischen dem Blauwasser und +dem Hvidtskjägstein verlief; aber es war doch die Frage, ob sie nicht +weiter gehen durften, es war wohl das sicherste, ein Stück dazu zu +erobern. Die magern, langbeinigen Neusäterschafe konnten ihr Futter wo +anders suchen, es war überhaupt kein guter Schlag; -- ~ihre~ Sache +war es jedenfalls nicht, sie zu füttern. + +Darüber hatten sie nachgedacht und gesprochen viele, viele Male; aber +es war nichts daraus geworden, bis vorgestern, als Lars Sagbakken kam +und nach dem Neusäter hinüberwollte, um Pferde zu suchen. Da hatte +Per ihn ohne weiteres gebeten, er sollte den Neusäterjungen sagen, +sie möchten sich übermorgen am Hvidtskjägstein einstellen -- so viele +wie Lust hätten --, die Kvinstöljungen wollten mit ihnen über die +Weidegrenzen reden. Sie dachten nicht anders, als daß Lars Sagbakken +sich seines wichtigen Auftrages erinnert hätte und erwarteten, daß die +Neusäterjungen kommen würden, denn heute sollte es entschieden werden. + +Die Herde zog weiter und zerstreute sich über die Moore. Die drei +blieben eine Weile stehen. + +Wie viele, glaubst du, werden kommen? fragte Jens. + +Es sind 10 Hütten dort, erklärte Per, aber nur 8 sind bewirtschaftet, +und dann sind drei Mädchen dabei, es kommen also wohl nur fünf, und +selbst wenn ein Mädchen dabei ist, so werde ich nicht die Schande auf +mich nehmen, mich an einem Frauenzimmer zu vergreifen. + +Ich auch nicht, sagte Jens. Ich gedenke den einen Schuh auszuziehen und +sie damit über die Köpfe zu schlagen. + + [Illustration] + +Nein, dazu sind sie zu gefährlich, meinte Peter, man darf sie nicht so +nahe kommen lassen; ~ich~ mache es so, ich werfe mich kopfüber +auf die Hände und treffe sie mit den Absätzen vor die Brust; da sollst +du mal sehen, wie sie hinfliegen -- und er warf sich vornüber, krachte +aber mit dem Hinterteil auf die Erde, daß der Hügel dröhnte. + +Nein, meinte Per, man soll ihnen gerade nahe kommen, so daß sie nicht +zum Schlagen ausholen können. Ich werde sie so beim Kragen nehmen, ganz +weit oben und ihnen die Daumen hinter die Ohren setzen und zudrücken, +da werden sie kraftlos und fallen hin wie die Mehlsäcke. + +Ja--a, das wollte Jens auch tun, oder vielleicht würde er es doch +lieber mit dem Überschwung versuchen. + +Es wäre vielleicht besser, sie übten sich ein bißchen, meinte Per, +Peter sollte der Neusäterjunge sein. + +Hei, du Neusäterlümmel, hier sind die Kvinstöljungen. Wer hat dir +erlaubt, bis an den Hvidtskjägstein zu hüten. + +Peter brüllte dagegen: Ich frage keinen Kvinstöllümmel, wo ich hüte. +Komm nur heran, so werfe ich dich so hoch in die Luft, daß du nie +wieder herunterkommst. + +Danach siehst du gerade aus! Wie lange Beine haben deine Schafe? Die +können wohl über das Schafstalldach wegschreiten? + +Jens stand da und hörte zu und war so erfüllt davon, daß er die Luft +einzog und schluckste. + +Jedenfalls können sie leicht über so einen Kvinstölbengel wegspringen +und noch ein Stück dazu. Ich habe nicht solche Lämmchen wie die +Kvinstölhirten. + +Komm her, so werde ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen. + +Komm du her! und Peter warf sich kopfüber und kam wieder auf die Beine. + +Per stürzte auf ihn los und packte ihn beim Kragen, sie kämpften, bis +sie hinstürzten, Per zu unterst. -- Jens auf Peters Rücken los, um ihn +herunterzukriegen. Nach einer Weile standen sie auf. Da sagte Per: +Diesmal kriegtest du mich unter. Aber das wäre nicht geschehen, wenn +du ein Neusäterjunge gewesen wärest. Denn wenn ich böse werde, bin ich +doppelt so stark. Glaubst du das etwa nicht? Dann komm nur noch einmal +heran. + +Sie fuhren wieder aufeinander los, und diesmal kam Peter zu unterst. + +Da siehst du's, du Neusäterbengel, und Per stand auf, drehte sich auf +dem Absatz und juchzte, daß es schallte. + +Jetzt mußten sie nach und die Herden wenden, dann nahmen sie die +Richtung auf den Hvidtskjägstein, und sie liefen und sprangen und +riefen und juchzten und bliesen, bis sie die Herde wieder beisammen +hatten. Dann zottelten sie langsam hinterher und schwatzten. + +Das meiste taugte nichts, was sie drüben auf dem Neusäter hatten. +Langbeinige Schafe, Kühe, die nur in die Hörner wuchsen, und +verhungerte Hirten. Und hatten sie vielleicht ein Horn zum Blasen? Und +wenn sie einen von ihren kümmerlichen Böcken hundert Jahre fütterten, +so bekamen sie doch kein solches Horn, wie Per seins. Ja freilich, +so eins gab es auf dem ganzen Westfjeld nicht wieder -- aber auf dem +Neusäter hatten sie nichts, was auch nur annähernd damit zu vergleichen +war. + +Was sollten sie nun eigentlich mit den Neusäterjungen machen, wenn sie +sie verhauen hatten? Sollten sie sie als Kriegsgefangene mitnehmen, +oder sie laufen lassen. Sie waren gewiß so gefräßig, daß es nicht +anging, sie als Gefangene zu behalten. Nein, sie würden ihnen bis +fast nach dem Neusäter folgen und sie zwingen, eine Grenze zwischen +den Weidegebieten zu errichten. Sie sollten Steine schleppen müssen, +daß ihnen der Schweiß aus ihren herunterhängenden Hosenböden tropfen +sollte. Und sie sollten kein großes Stück auf dieser Seite des +Neusäters behalten, da konnten sie sicher sein. + +Je näher sie dem Hvidtskjägstein kamen, desto vorsichtiger wurden sie +und desto leiser sprachen sie. Es konnte doch sein, daß sie ziemlich +zäh und kräftig waren, diese Neusäterjungen. Wer sollte zuerst +vorgehen? Jens meinte, das müßte Per sein, aber Per fand, es wäre +richtiger, Peter ginge zuerst, weil er der größte wäre, aber Peter fand +gerade, Jens als der kleinste sollte vorangehen, sonst könnten die +Neusäterjungen Angst kriegen und ausreißen. Nein, da fand Jens es schon +am besten, sie gingen alle auf einmal vor, damit die Neusäterjungen +nicht jeden einzeln verhauen sollten, denn sie sollten fest zuhauen. +Ja, das taten sie denn auch. + +Jetzt näherten sie sich dem Hvidtskjägstein. Es war wohl das beste, sie +gingen vor der Herde, denn sonst könnten diese Neusäterhallunken sie +ihnen wegnehmen und nach dem Säter treiben. Sie machten es so. Jetzt +hatten sie nur noch einen Hügel vor sich. Sollten sie nun schreien und +auf dem Horn blasen und auf der Ziegenhornpfeife pfeifen? Nein, besser +war es wohl, sie gingen still vor und sahen erst, wie viele es waren. +Man konnte gar nicht wissen, ob sie nicht Hilfstruppen mithatten. Sehr +wahrscheinlich, daß das Dutzend voll war. Sie schlichen auf den Hügel, +so still wie möglich, krochen unter Deckung von Büschen vorwärts, so +weit, daß sie die kleine Ebene, wo der Hvidtskjägstein lag, übersehen +konnten. + +Da lag er ganz ruhig im Sonnenschein, -- keine Menschenseele war zu +sehen. + +Die Jungen erhoben sich und sahen einander an. Sie horchten, ob sie +nicht in der Ferne einen Laut von ihnen vernähmen. Nein! + +Endlich sagte Per: Sollte der Trottel, der Lars Sagbakken es nicht +ausgerichtet haben? Ob sie sich nicht getrauten? Ich glaube eher das +letztere, meinte Peter; sie werden wohl von den Kvinstöljungen gehört +haben. Ja, nun jodeln wir. + +Und Peter setzte mit einem Jodler ein, und Per blies das Horn, und Jens +ließ seine schrille Ziegenhornpfeife ertönen, daß es weithin schallte. + +Rücken wir also über die Grenze! Sie sollen sehen, daß die +Kvinstöljungen vor niemand Angst haben und hüten, wo sie wollen. -- Ja, +das machen wir, bis an ihre Sennhütten heran. Sie lockten ihre Tiere, +die springend herankamen, und dann rückten sie an der Spitze der Herde +vorwärts. Sie jodelten und bliesen und pfiffen und schimpften auf die +Neusäterjungen, als ob sie so nahe wären, daß sie es hören könnten. So +ging es eine lange Zeit fort. + +-- -- Plötzlich blieben sie alle drei mit offenem Munde stehen und +lauschten. Es kam ihnen vor, als ob sie ein schwaches Jodeln hörten. +Peter jodelte vorsichtig zur Antwort. Ja, da ertönte es wieder ganz +schwach und gar nicht weit fort. Was hatte das zu bedeuten? Waren es +die Neusäterjungen, die sich in einen Hinterhalt gelegt hatten? Da +war es wohl am besten, vorsichtig vorzugehen, aber hin mußten sie und +nachsehen, was es war. Sie hielten auf einmal inne mit jodeln und +blasen. -- Leise schlichen sie vorwärts. Endlich kamen sie über einen +Hügel, und zwischen einigen verkrüppelten Birken hindurch sahen sie auf +eine kleine Ebene. + +-- -- Auf einem Stein mitten in der Ebene saß ein kleiner, hübscher, +zerlumpter Junge und blickte nach der Richtung, wo sie waren, und um +ihn herum lag wiederkäuend eine Herde Ziegen und Schafe. + +Es war so schön und still und friedlich hier, daß sie eine Weile liegen +blieben und sich nur umsahen. + +Endlich sagte Peter: Ob nicht doch noch andere dabei sind, die sich +versteckt haben? + +Sie spähten lange umher, aber da sie niemanden sahen, beschlossen sie +vorzurücken. Es sollte aber mit Kraft geschehen. Sie standen auf, und +auf ein Zeichen von Per, begann Peter wie verrückt zu jodeln, und Jens +trillerte auf seiner Pfeife so hoch, daß der Ton sprang, und Per +selber setzte mit seinem Horn ein, daß es hallte. + +Die Tiere rings um den kleinen Jungen sprangen auf, blieben stehen und +glotzten, und der Junge sprang vom Stein herunter und blieb stehen. + +Sie marschierten vor, Peter schlug ein Rad mitten auf der Ebene, und +so näherten sie sich dem kleinen Jungen. Per ging gerade auf in los, +spuckte in die Hände und sagte: Willst du Prügel haben? + +Aber das schien der kleine Junge nicht zu verstehen; er richtete ein +paar große Augen auf sie, machte eine tiefe Verneigung mit dem Kopf und +sagte ganz friedlich: Guten Tag! + +Pers Hände sanken herunter, er blieb mit offenem Munde stehen. Das kam +so unerwartet, daß er nicht wußte, was er sagen sollte, und so brachte +er nur ein leises: Guten Tag! Bist du draußen und hütest? heraus. + +Ja, -- und du auch, sehe ich. + +Ja. + +Es entstand eine lange Pause. + +Du bist wohl vom Neusäter? + +Ja, das bin ich. + +Wie steht es dort? + +Oh, danke gut, kann ich wohl sagen, nur Farskoll ist recht schlecht auf +den Beinen. + +Wieder lange Pause. + +Er ist wohl nicht mit einer Botschaft von mir bei euch drin gewesen, +der Lars Sagbakken. + +Nein, nicht daß ich wüßte. + +Nein, er war wohl nicht. Ja, es war auch nichts weiter. + +Wieder entstand eine Pause. Schließlich sagte Per: + +Ein mächtiger Bock, den du hast. + +Ach nein, der ist wohl nichts besonderes. + +Doch, der ist groß, das ist sicher. Ich habe kaum so einen gesehen. + +Ein schönes Horn, was du hast. + +Ach ja, es ist ganz gut. Hast du keins? + +Nein, ich kann mir keins anschaffen. + +Haben es die Hirten gut auf dem Neusäter? + +O ja, Tonetta, meine Sennerin, ist sehr gut. + +Kriegst du manchmal Rahm? + +Der kleine Junge machte verwunderte Augen. + +Nein, den kriege ich nicht. Aber jetzt muß ich nach meiner Herde sehen, +sonst läuft sie mir fort. + +Hast du nicht Lust, einmal nach dem Kvinstöl zu kommen? + +Doch, Lust hätte ich schon. Dem Tobias sind ein paar Schafe +weggekommen, und da darf ich vielleicht mit ihm gehen, um danach zu +fragen. + +Ja, komm und besuch mich, da sollst du so viel Rahm kriegen, wie du +essen kannst. Hast du nicht Lust, mein Horn zu leihen? + +Es leuchtete in seinen Augen auf, aber er sagte: + +Das kannst du doch nicht entbehren? + +Ach, pah, du kannst es ja mitbringen, wenn du kommst, um nach den +Schafen zu fragen -- und er hängte ihm das Horn um den Hals. + +Danke schön. Lebewohl und auf Wiedersehn. + +Gleichfalls! + +Und der kleine Junge zog seiner Herde nach und blies auf dem Horn, +und sie hörten ihn noch lange, während sie über Stock und Stein +davonrannten und ihre Herde suchten, die mittlerweile verschwunden war. +An diesem Abend kamen die Kvinstöljungen ohne Herde heim, und das ist +die größte Schande, die einem Hirten widerfahren kann. + + [Illustration] + + + + + Erste Liebe. + + +Jeden Tag, eine ganze Woche lang hatte Ole gestanden und zur Küchentür +hinausgeguckt, wenn der Student nach Hause kam, um zu sehen, ob er +nicht irgendein verdächtiges Paket in der Hand oder in der Rocktasche +hätte. Und das hatte seine Gründe. Es war kein Zweifel, daß der Student +ihm etwas zum Geburtstage schenken würde, der gerade in acht Tagen +war, sonst hätte er ihn wohl nicht so genau ausgefragt, wann er wäre +und ob er viel geschenkt kriegte; und der Student war unbeschreiblich +nett, also das war sicher; jetzt handelte es sich eigentlich nur noch +darum, was es sein würde, denn es gab eigentlich nur eins, was sich Ole +wünschte. + +Ole war zehn Jahre alt und wohnte in der Welhavenstraße droben bei +seiner Mutter Madame Hansen, die sich ihren Unterhalt mit Waschen in +den Häusern und Zimmervermieten verdiente, und was das schlimmste war, +Ole war gewiß verliebt. Bis vor kurzem hatte er selber gar nichts davon +gemerkt gehabt. Das ganze Jahr, seit sie nun hier wohnten, war er +jeden Nachmittag im Hof gegenüber gewesen und hatte die gleichaltrige +Elsa Holm getroffen, die Tochter der Oberzollinspektorswitwe Holm. +Vorigen Winter hatten sie eine große Schneefestung gehabt und einen +großen Schneemann als Schildwache, und wenn Ole in die Festung kam +und rief »Heraus!« dann kam Elsa jedesmal eilends die Küchentreppe +herunter. Bisweilen hatten sie auch auf die Eisbahn nach Tullinlökken +hinunter zum Schlittschuhlaufen gedurft, Frau Holm hatte ihn sogar +gebeten, ihrer Tochter zu helfen und aufzupassen, daß sie nicht zu +lange bliebe. Aber er hatte nur ein Paar ganz alte Schlittschuhe +gehabt, die er sich geborgt hatte und die ihm nie richtig passen +wollten, so daß es kein großes Vergnügen gewesen war. Und im Frühjahr +hatten sie zuerst mit Murmeln gespielt und Elsa hatte alle seine +gewonnen, obwohl sie ganz kleine Hände hatte und nicht halb so weit +werfen konnte wie er; aber sie war nett gewesen und hatte ihm welche +geliehen, wenn er keine mehr hatte. Und später, als es wärmer wurde, +hatten sie Verstecken gespielt durch alle Treppen und Keller, -- er +erinnerte sich noch, wie Elsa in den Kohlenkeller gefallen war, und er +sie schwarz wie ein Schornsteinfeger wieder herauszog -- nur die Zähne +und die Augen leuchteten weiß, gerade wie bei einem Neger, den er +einmal gesehen hatte. + +Aber dann war Elsa aufs Land gereist und bis zum September +fortgeblieben. Der Sommer war ganz unterhaltend vergangen, denn er +hatte ein paar Jungen kennen gelernt, mit denen er unten im Meer +gebadet und Krabben gefischt hatte; aber je länger es dauerte, um so +öfter fing er an, in den Hof hinüberzugucken, ob Elsa noch nicht zu +Hause gekommen wäre. Und als er eines Tages erfuhr, daß sie am Abend +zuvor gekommen sei, rannte er in den Hof hinüber, setzte sich auf die +Abfallkiste und trommelte mit den Absätzen dagegen, wie er es sonst +gemacht hatte. Aber sie kam nicht. Er stand auf und rief: »Heraus!« so +laut er konnte, viele Male. Aber auch daraufhin kam sie nicht. Da gab +er es für diesen Tag auf, versuchte es aber am nächsten Tage wieder und +so jeden Tag, aber jedesmal wurde er schüchterner und unsicherer; es +kam ihm vor, als ob ihn alle Menschen ansähen und sich wunderten, was +er dort im Hofe wollte. Schließlich gab er es auf und setzte nie mehr +seinen Fuß in den Hof; aber wenn der Student nicht zu Hause war, stand +er immer an dessen Fenster und guckte nach der Haustür gegenüber, denn +ihre eigene Stube ging nach dem Hof hinaus. + +Nach einiger Zeit konnte er nicht mehr widerstehen und er beschloß, +sie auf der Straße zu treffen, wenn sie aus der Schule kam. Am ersten +Tage hatte er kein Glück; sie kam in Begleitung ihrer Mutter; er tat, +als ob er sie nicht sähe und verbarg sich in einem Torweg. Den nächsten +Tag kam sie allein. Er fühlte, wie etwas unter der Weste zu pochen +begann, und er hatte einen ganz heißen Kopf, als er die Mütze zog und +tat, als ob er vorbeigehen wollte. Sie richtete ihre blauen Augen +treuherzig auf ihn, so daß er unwillkürlich stehen blieb, die Mütze +wieder auf den Kopf setzte und auf seine Füße sah. + +Sie hätten sich lange nicht gesehen! + +Ja, sie käme nicht mehr in den Hof. + +Sollten sie denn diesen Winter keine Festung wieder bauen? + +Ja, sie wollte schon gern, aber -- + +Sie könnten ja im Nebenhof spielen, wenn es ihr in ihrem Hofe +unangenehm wäre. + +Er hatte das unwillkürlich gesagt und fühlte, wie er feuerrot wurde, +als sie ihn treuherzig fragend ansah. + +Sie dürfte nicht mehr; sie wäre jetzt zu groß, um mit Straßenjungen zu +spielen, hätte die Mutter gesagt. + +Ole verstand nicht, was darin lag; er stand und suchte, was er noch +sagen könnte, aber dann fühlte er, wie etwas wie Zorn in ihm aufstieg +-- er wußte nicht warum, -- und so grüßte er mit der Mütze und wollte +gehen. + +Sie blieb stehen und blickte ihm nach: + +Du, Ole? + +Ja? + +Mutter hat gesagt, ich dürfte auf die Eisbahn, den ersten Tag, wo Eis +wird; -- willst du dann kommen und mich schieben? + +Ole machte kehrt, nahm Stellung und führte die Hand nach militärischer +Art an die Mütze (er war einexerziert worden, damals, als der Kadett +bei seiner Mutter wohnte): Zu Befehl! + +Dann machte er wieder kehrt und ging. + + * * * * * + +Seitdem gab es nur ein Ding in der Welt, was Ole sich wünschte, und das +waren ordentliche Schlittschuhe, solche mit Mechanik zum Anschrauben. + +Er hatte gescharrt und gespart, so daß er schließlich drei Kronen und +fünfundzwanzig Öre besaß; aber da war vor einem Monat die Mutter krank +geworden und konnte drei Tage nicht auf Arbeit gehen, und da hatte sie +ihn gebeten, ihr das Geld für Holz und Kohlen zu borgen, und da konnte +er natürlich nicht nein sagen, so gern er auch gewollt hätte; -- denn +sie hatte es nicht leicht, die arme Mutter. Er wußte wohl, daß er es +wiederbekommen würde, sobald sie es hätte; aber da konnte es zu spät +werden; seitdem hatte er nicht mehr als sechzig Öre zusammengebracht, +und dafür konnte er ja nicht einmal ein paar alte mit Riemen bekommen. +Jetzt setzte er seine ganze Hoffnung auf den Studenten und sein +Geburtstagsgeschenk. + +Er hatte gleich daran gedacht, als der Student anfing ihn zu fragen, +welcher Tag es wäre. Und er hatte dann auch öfters, wenn er mit etwas, +das er beim Kaufmann geholt hatte (denn alle solche Dinge hatte Ole zu +besorgen), zurückkam, versucht, das Gespräch auf Schlittschuhlaufen +und ähnliche Sachen zu bringen, so daß er meinte, der Student müßte +ihn verstanden haben. Denn er begriff manchmal so unglaublich leicht; +mehrmals hatte er Dinge aus Ole herausgelockt, die dieser durchaus +nicht hatte erzählen wollen; erst hinterher, wenn der Student +angefangen hatte, ihn zu necken, hatte er gemerkt, daß er es doch +gesagt hatte. Ja, es war zweifellos, er mußte es verstanden haben. Wenn +er nun nur auch wollte! + +Ole stand in der Küchentür und spähte. Es war die Zeit, zu der der +Student nach Hause zu kommen pflegte. Seine Spannung war von Tag zu +Tag gewachsen, und seit ein paar Tagen hatte eine unglaubliche Kälte +eingesetzt, so daß man jeden Tag erwarten konnte, sie würden auf +Tullinlökken anfangen, die Bahn zu gießen. Er hatte es dem Studenten +sogar heute morgen rund heraus gesagt, aber der hatte nicht darauf +geantwortet, er war immer so kurz angebunden in seinen Antworten, wenn +er über einem Buche saß. + +Vielleicht hatten sie mit dem Gießen schon angefangen? + +Es war zu dumm, er hätte ebensogut sagen können, der Geburtstag wäre +acht Tage früher, der Student würde es wohl kaum erfahren haben. + +Da hörte er ihn auf der Treppe, jetzt zog er die Schlüssel heraus, +jetzt ging die Vorsaaltür. + +Ole spähte. + +Ja, wahrhaftig, er hatte etwas in Papier gewickelt in der Manteltasche. + +Hm, ja, es konnte übrigens recht gut auch nur eine Flasche sein; aber +es sah doch nicht richtig danach aus. Wenn er es nur herausnehmen +wollte! Nein, da ging er hinein -- zum Teufel --, der Student nahm +immer den Mantel mit hinein, wenn es kalt war. + +Er konnte ja immerhin hineingehen und fragen, ob er einen Auftrag +besorgen sollte. Aber da mußte er noch etwas warten; es würde zu +komisch aussehen, wenn er gleich angestürzt käme. + + [Illustration] + +Er schlich sich auf den Vorsaal hinaus, blieb stehen und horchte. +Jetzt zog der Student den Mantel aus, -- er hörte, daß ein Bindfaden +durchschnitten wurde und das Rascheln von Papier. Dann klirrte etwas. + +Er klopfte. + +Er hörte etwas auf die Erde fallen, und nach einer Weile tönte es +»Herein«. + +Er trat rasch ein, nahm Stellung und grüßte militärisch. + +Befehlen der Herr Student etwas? + +Dabei richtete er die Blicke nach dem Bett. Es war deutlich, daß etwas +rasch darunter gestoßen worden war, aber er konnte nichts sehen, weil +die Decke zu weit herunterhing. + +Nein danke, Ole, jetzt nicht. + +Ole blieb eine Zeitlang stehen, dann beugte er sich rasch herunter, +als ob er etwas vom Boden aufnehmen wollte. Es war so dunkel unter dem +Bett -- aber wahrhaftig, blinkte da nicht etwas? + +Der Student wurde aufmerksam: + +Was gibt's? + +Ich dachte, es wäre eine Stecknadel. + +Na, also für jetzt nichts weiter. + +Ole machte kehrt und verschwand. + +Ja, diesmal, meinte er, hätte er den Studenten doch gefangen; es wäre +doch seltsam, wenn es nicht die Schlittschuhe gewesen wären, die er so +rasch verborgen hatte. + +Nein, daß er seinen Geburtstag nicht acht Tage früher verlegt hatte. +Es wäre doch übrigens immer noch möglich, daß er oder die Mutter sich +geirrt hätten, vielleicht war er doch eher. Er mußte einmal in der +Bibel nachsehen; da stand es aufgeschrieben. + +Er ging und holte das Buch vom Regal. Da stand es: Ole Christian +Hansen, geboren am 2. Dezember 1886. Ja, das war leicht möglich, daß +sie Dezember statt November geschrieben hatten; darum war es nicht +sicherer, weil es dastand. + +Es kam eine solche Unruhe über ihn, daß er nirgends still sitzen +konnte. Bald war er auf dem Vorsaal und griff nach der Mütze, bald +war er in der Küche, bald in der Kammer drinnen und versuchte seine +Aufgaben für morgen zu lernen, schließlich kniete er auf einem Stuhl am +Fenster nieder und hauchte ein Loch in das Eis. + +Ja, wahrhaftig, es war ordentlich kalt draußen. Doch was war das? Da +sprangen zwei Jungen über den Hof mit Schlittschuhen um den Hals. +Hatten sie etwa schon mit Gießen begonnen? Das mußte er sehen. + +Er stürzte in den Vorsaal hinaus, riß die Mütze vom Haken und eilte in +langen Sprüngen bis herab nach Tullinlökken. + +Ja, sie hatten angefangen. Da standen mehrere Männer mit langen +Wasserschläuchen und spritzten, daß das Wasser schäumte. Sie spritzten +schon zum zweiten Male darüber; es fror augenblicklich. Und eine Masse +Jungen standen herum und sahen zu, alle die Schlittschuhe um den Nacken +gehängt oder in der Hand, auch ein paar rotbäckige kleine Mädchen. + +Ein paar von den eifrigsten saßen schon auf den Bänken und schnallten +an, es war am besten, sich bereit zu halten; in ein paar Stunden oder +so, würden sie draufgelassen, hatte einer von den Männern gesagt. + +Es war ungefähr zwei Uhr, und die Kinder aus mehreren Schulen kamen +vorbei: + +Ole sah, wie sie einen Augenblick still standen und dann fast +davonrannten; es galt heimzukommen, schnell Mittag zu essen und die +Schlittschuhe vorzusuchen. + +Ja, die hatten Schlittschuhe! + +Da sah er auch Elsa auf der andern Seite der Straße; -- nie hatte er +sie so schnell gehen sehen, sie vergaß rein, sich umzusehen und mit der +Schulmappe zu schlenkern, wie sie gewöhnlich tat. + +Nein, das ging nicht an, -- er mußte das letzte Mittel probieren. + +Kurze Zeit darauf stand er wieder mit militärischem Gruß im Zimmer des +Studenten: + +Befehlen der Herr Student etwas? + +Nein, danke, Ole! + +Der Student sah nicht auf. Nach einer Weile merkte er, daß Ole gegen +seine sonstige Gewohnheit stehen geblieben war, nachdem er Bescheid +erhalten hatte. + +Nun, willst du noch etwas? + +Da tat Ole einen Schritt vor, suchte seiner Stimme einen forschen Klang +zu geben, aber es kam doch recht schüchtern heraus: + +Jetzt gießen sie. + +Der Student sah verwundert auf. + +Was tun sie? + +Sie gießen. + +Wo? + +Auf Tullinlökken. + +Der Student drehte sich auf dem Stuhl um, sah Ole schelmisch an und +sagte: + +Ja, was geht mich das eigentlich an, Ole? + +Nein, ich ging nur vorbei und da sah ich -- da dachte ich -- laufen der +Herr Student nicht Schlittschuh? + +Doch, manchmal. + +Kannst du den Studentenschwung? + +Nein, und du? + +Nein. + +Es entstand eine lange Pause. Der Student blickte ihn die ganze +Zeit mit freundlichem Spott an, so daß Ole schließlich die Augen +niederschlagen mußte. Wie sollte er nun eigentlich sein Anliegen +vorbringen? + +Da sagte der Student: + +Du wolltest gewiß noch etwas, Ole? + +Nein -- ja -- ich mußte daran denken, daß du mich einmal fragtest, wann +mein Geburtstag wäre, und -- ich sagte, er wäre heute in acht Tagen. + +Ja? + +Ja, und seitdem ist mir eingefallen, daß -- daß ich -- vielleicht -- +nicht ganz sicher bin, daß ich es nicht ganz gewiß weiß. + +Weißt du es nicht ganz gewiß? + +Ole wurde rot: + +Ja, ich weiß es schon, -- aber sie könnten es in der Bibel vielleicht +falsch aufgeschrieben haben. + +Der Student bekam einen merkwürdig schlauen Ausdruck um die Augen: + +Ja, es könnte ja leicht sein, daß er später wäre, so um Weihnachten +herum? + +Nein, das ganz und gar nicht. Ist es ein Fehler, so ist er früher -- +das fühle ich. + +Ja, wann hattest du denn gedacht, daß er sein könnte? + +Ich, ich habe immer gemeint, er müßte etwa heute sein. + +Nein, so was. Das wäre wirklich dumm, wenn er heute wäre. + +Warum denn? + +Ja, denn ich hatte gedacht, dir -- hier machte der Student eine Pause +-- einen Schlitten zum Geburtstag zu schenken. Aber nun ist es heute zu +spät dafür. + +Oles Herz hüpfte vor Freude anfangs, aber als er das Wort Schlitten +hörte, war es vorbei mit der Freude. Es wäre ja auch ganz hübsch, einen +Schlitten zu besitzen, aber das war es nicht, was er sich wünschte. Es +waren also doch keine Schlittschuhe gewesen, was der Student heute mit +nach Hause gebracht hatte. + +Er stand ein Weilchen ruhig und sagte dann leise: + +Ja, weiter war es nichts. Und sicher ist es wohl auch nicht, daß der +Geburtstag heute ist. + +Er drehte sich langsam um und wollte zur Tür hinaus. + +Du, Ole! + +Ja. + +Das ist wirklich dumm. Ich sitze hier und denke daran -- wenn du damit +zufrieden bist, so -- habe ich -- er ging und tastete unters Bett -- so +habe ich hier etwas, was du vielleicht brauchen könntest -- er hielt +ihm ein paar blinkende Schlittschuhe hin, aber daraus machst du dir +wohl nichts? + +Das kam Ole so überraschend, daß sein Lächeln noch breiter ausfiel +als gewöhnlich; es war nicht mehr weit von den Mundwinkeln bis zu den +Ohren. Er faßte die Hand des Studenten und sagte so recht von Herzen: + +Danke! Das ist das, was ich von allem am liebsten haben will. + +Sie begannen nun anzuprobieren, ob die Schlittschuhe paßten, und ob die +Schrauben richtig säßen, -- solche Schlittschuhe, glaubte Ole, hätte +kaum einer von den andern. + +Nach einer Weile sagte der Student: + +Du, Ole, warum wolltest du eigentlich gerade heute Geburtstag haben? + +Ole blickte auf und wurde rot: + +Es war mir nur darum zu tun, gleich auf die Bahn zu kommen. + +Sollst du jemand dort treffen? + +Nein, ich habe gar nicht versprochen, jemand zu schieben. + +Nun, sie läuft wohl besser als du? + +Nein, das tut sie nicht. + +Wer, sie? + +Ole machte sich eifrig an den Schlittschuhen zu schaffen und antwortete +nicht. Der Student stand am Fenster und sah hinaus. + +Da geht schon die Elsa mit den blonden Haaren. Da ist die Bahn wohl +fertig. + +Ole hatte sich mit den Schlittschuhen unterm Arm der Tür genähert. +Wahrhaftig, hatte der Student auch das aus ihm herausgelockt! + + * * * * * + +Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen durch den Frostnebel über den +Platz, nur einen kleinen Streifen, so daß das blanke Eis einen roten +Schimmer bekam. + +Es war ein Lärm und Geschrei und Spektakel von all den hundert +frischen kräftigen Kindern, die sich herumtummelten. Da waren große +Jungen, die liefen mit den Händen auf dem Rücken und flottem Schwung +-- sie hatten alle engzugeknöpfte Jacken an --; da waren andre, die +liefen rückwärts und zogen Achten und Schleifen, bis sie plötzlich +mit einem andern Schlittschuh zusammengerieten und plötzlich auf dem +Eise saßen; da waren kleine Mädchen, die setzten die Beine gerade +vorwärts wie Schlittenkufen und wollten die Füße am liebsten einwärts +stellen; von jedem Alter waren sie da, bis herab zu den ganz kleinen, +die fielen und aufstanden bis ins Unendliche, und jedesmal einen +Freudenschrei ausstießen, als hätten sie ein Meisterstück vollführt. +Da gab es Finnenschuhe und Schnürschuhe, und Schuhe, die vorn den +Rachen aufsperrten. Da gab es rote Handschuhe und blaue Handschuhe +und bloße blaue Finger; da gab es rote Mützen und blaue Mützen und +Pelzmützen; da gab es Ohren, die wie Rosen glühten, Halstücher, die +oft herumgewickelt waren, und nackte Hälse; hier und da sah man +auch ein nacktes Knie hervorgucken, wo die Strümpfe und die Hosen nicht +zusammenhalten wollten. Aber eins hatten sie alle: rote Wangen und +blaue Augen und Kehlen, die vor Freude jubelten. + +Nahe beim Platz holte Ole Elsa ein; -- er hatte sie unterwegs beinahe +vergessen. Es zuckte ihm in den Gliedern, als er den Lärm hörte und +das Getümmel sah; -- nein, wahrhaftig, dazu hatte er jetzt eigentlich +keine Zeit; aber er mußte ihr wohl beim Anschnallen helfen. Er vergaß +zu grüßen, rief nur, sie sollte sich beeilen und verhalf ihr zu +einem Platz auf einer Bank. Er hatte solche Eile, daß er die Riemen +verwirrte, so daß es länger dauerte, als er wollte. Endlich hatte +er ihr die Schlittschuhe angeschnallt, und er sah, wie sie sich +unbehilflich ein Stück fortbewegte, während er hastig die seinigen +anschraubte. Ja, es sah aus, als brauchte sie einen, der sie schöbe, +-- da blieb sie stehen, als warte sie auf ihn. Er lief ein paar Bogen +über die Bahn und rund um sie herum auf einem Bein -- ein klein wenig +spielte er sich vor ihr auf. + +Soll ich dich schieben? + +Ja, wenn du willst. + +Er faßte sie und begann sie quer über den Platz zu schieben; es ging +schwer und langsam; -- da stieß einer an sie an, so daß sie beide +hinfielen, sie standen auf und es ging von neuem los. So kamen sie +einmal um den Platz. + +Hei, Ole, komm und spiel mit Indianer, -- es war »Krischan«, mit dem er +im Sommer zusammen Krabben gefischt hatte, der vorbeisauste, verfolgt +von einem andern. + +Ole blieb stehen und kratzte sich unter der Mütze; er hatte schon Lust, +aber -- + +Soll ich dich noch weiter schieben? + +Ja, bitte! + +Und Ole schob, und er zog und versuchte vorsichtig, sie an der Hand zu +nehmen, so daß sie nebeneinander liefen; aber da fiel sie hin, und so +mußte er wieder anfangen wie vorher. + +Hm -- im Grunde war das nicht ganz so unterhaltend, wie er sich gedacht +hatte; aber wenn Elsa ihre glänzenden Augen auf ihn richtete und +lachte, so fühlte er sich wieder erleichtert und schob sie rund herum, +viele Male und tat, als ob er Christian und die andern, die nach ihm +riefen, nicht hörte. Schließlich begannen sie, ihn ziemlich nah zu +umkreisen und zu rufen: + +Seht den Kavalier! + +Er biß die Zähne zusammen und fuhr davon, aber in seinem Innern gelobte +er sich, daß Christian bei der ersten Gelegenheit Prügel dafür haben +sollte. + +Plötzlich sagte Elsa: + +Jetzt muß ich nach Hause; Mutter erlaubt nicht, daß ich länger draußen +bin. + +Können wir nicht noch ein bißchen bleiben, nur noch einmal herum? + +Ja, aber nur einmal. + +Das taten sie, und Elsa setzte sich auf die Bank und hielt den Fuß hin. +Er schnallte ihr die Schlittschuhe ab, behielt aber seine eigenen an. +Er wollte sehen, ob sie daran dächte, allein zu gehen. Nein, sie blieb +stehen. Er setzte sich also, machte seine auch los, und sie trotteten +die Straße hinauf, viel langsamer, als sie gekommen waren. Sie sprachen +nichts miteinander, bis sie an die Haustür kamen. Da sagte Ole: + +Gehst du morgen wieder? + +Ja, wenn ich darf; es ist so hübsch, sich schieben zu lassen. + +Ole blieb in dem Flur stehen, bis er sie oben auf der Treppe hörte; +dann schlüpfte er heraus und rannte wieder herunter -- immer dicht an +den Häusern. + + * * * * * + +Ole kam spät heim, und er empfand ein wundervolles Gefühl im ganzen +Körper, als er im Bett lag. Aber Christian hatte er nicht getroffen. +Im Einschlafen hatte er -- o diese Männer! -- seinen ersten treulosen +Gedanken: + +Wenn Elsa morgen nicht durfte, -- vielleicht würde es beinahe ebenso +hübsch. Da könnte er auch den Christian verhauen. + + [Illustration] + + + + + Wie Hans und Marte die Henne hüteten. + + +Auf dem Hof draußen stand eine alte Henne auf einem Bein, drehte den +Kopf und blinzelte mit den runden klaren Augen. + +Dicht daneben lag der fünfjährige Hans. Hinten aus der Hosenklappe +guckte ihm der Hemdzipfel, er schlenkerte mit den Beinen und sah die +Henne an, als ob er mitten durch sie hindurchsehen wollte; er wagte +kaum zu zwinkern. Heute würde er sie die ganze Zeit ansehen und den +Blick nicht von ihr wenden. + +In der Stube drinnen saß Marte, seine siebenjährige Schwester, und +lugte vorsichtig zum Fenster hinaus; sie behielt beide im Auge. + +Sie sollten beide heute auf die Henne aufpassen. + +Die Henne war alt und war so lange allein gewesen, daß sie sich +allerhand Streiche angewöhnt hatte. Sie wechselte jedesmal das Nest, +wenn sie ihr die Eier genommen hatten, und versteckte sie an den +unglaublichsten Stellen, wo es niemand einfiel, zu suchen; -- einmal +hatte sie die Eier in ein paar hohe Grasbüschel gleich neben die +Türschwelle gelegt, und da lag sie und brütete acht Tage, ehe sie sie +fanden. Und sie war so ausspekuliert klug geworden, daß es beinahe +unmöglich war, sie zu hüten. Einmal, als die Mutter selber auf sie +aufgepaßt hatte, so daß sie nicht entwischen konnte, hockte sie nieder +und legte das Ei mitten auf die nackte Erde. + +Da hatte die Mutter für je acht Eier, die sie fänden, ein Ei als Prämie +ausgesetzt. Nun hatte sie vor zirka vierzehn Tagen wieder ihren Platz +gewechselt, so daß es jetzt sechs bis sieben Eier sein mußten und heute +sollte sie wieder legen -- die Mutter hatte nachgefühlt. + +Es war ein brennend heißer Sommertag, die Insekten summten durch die +Luft, die Schwalben flogen zwitschernd hin und her nach ihren Nestern +am Stallgiebel, und im hohen Gras an der Wand entlang schlich die Katze +dahin, hob vorsichtig ihre Pfoten und schielte nach oben, wie sie wohl +die Nester erreichen könnte. + +Hans lag in der warmen Sonne und sah nach der Henne. Sie stand auf +einem Bein, blinzelte gegen die Sonne und sah ihn lange an. Dann tat +sie plötzlich gleichgültig, machte ein paar Schritte, scharrte in der +Erde und tat, als fände sie etwas zum Aufpicken. + +O, nein, auf diese Art sollte sie ihn nicht hintergehen; er kannte ihre +Faxen. + +Nach einer Weile blieb sie stehen, sah wieder auf und schielte zur +Seite: + +Nein, er lag immer noch da und verfolgte sie mit den Augen; -- sie +blieb wieder auf einem Bein stehen und blinzelte; das konnte langweilig +werden, wenn es lange dauerte. + +Hans fand auch, daß es sich lange hinzog; jetzt hatte er gewiß eine +Stunde hier gelegen. + +Nein, sie war so abgefeimt, daß sie sah, wohin er seine Augen richtete. +Er mußte tun, als ob er wo anders hinsähe. Er schielte nach dem +Fenster. + +Oh, er sah wohl, wie Marte den Kopf schnell wegzog; ja, sie konnte gern +dort stehen, er war am nächsten, er würde sie diesmal zuerst finden. + +Er sah wieder nach der Henne. Sie war ein paar Schritte gegangen, +während er wegblickte und stand jetzt wieder still. Nein, er mußte so +tun, als ob er nach der Stallecke sähe, dann vielleicht -- + +Er tat es. Im selben Augenblick strichen zwei Schwalben neben ihm mit +lautem Geschrei dicht an der Erde hin -- sie hatten die Katze erblickt. +Diese schlug mit der Pfote nach ihnen; -- wahrhaftig, bei einem Haar +hätte sie eine erwischt! Es kamen mehr; alle begannen sie am Boden hin +zu fliegen, sie zu foppen und auszuschelten. + +Ach, wie dumm sie war, daß sie sie nicht erwischte, -- sie duckte sich +nur, legte die Ohren zurück und verkroch sich tiefer ins Gras. Es half +nicht; da kniff sie aus, verschwand um die Ecke und in den Stall. Sieh, +da zerstreuten sich die Schwalben und flogen wieder von und nach ihren +Nestern. + +Zu dumm, daß der Eckbalken am Stall so glatt war, daß er nicht daran +in die Höhe klettern konnte; -- sonst hätte er das niedrigste Nest +erreichen können. Das wäre fein gewesen, ein paar von den Jungen zu +haben; sie waren schon so groß, daß sie die schwarz und weißen Köpfe +zum Nest hinaussteckten. Wenn er ein paar kriegte, so würde er ihnen +ein Bauer zurechtmachen, und für Nahrung würde er auch sorgen, -- es +gab so kolossal viel Fliegen am Fenster. + +Da würde Marte neidisch werden; -- sie sollte sie nicht einmal zu sehen +kriegen; oder doch vielleicht, wenn sie ihm für jedesmal eins von ihren +Eiern gäbe; -- sie hatte wohl schon vier, und er erst drei -- -- + +Eier --? + +Wo war die Henne? -- Fort. + +Zum Teufel, hatte sie ihn auch diesmal genarrt? + + [Illustration] + +Er stand auf, stampfte mit dem Fuß auf und war dem Weinen nahe. + +So eine gemeine Henne, so ein infames Vieh. Kaum ließ er sie aus den +Augen, so war sie auch schon entwischt. + +Ja, dann also das nächste Mal; er guckte nach dem Fenster, -- -- denn +Marte hatte sie doch wohl auch nicht gesehen? Sie war übrigens vom +Fenster verschwunden. Da kam sie heraus. + +Sie sah so verschlagen aus. Ob sie vielleicht doch --? + +Hast du die Henne gesehen, Hans? + +Nein, -- du? + +Nein. + +Es stak bestimmt etwas dahinter. Marte tat so gleichgültig. Er wollte +schon auf sie aufpassen. + +Ich glaube fast, sie ist in den Stall gegangen, sagte er, -- ich will +dort nachsehen -- er wußte wohl, daß sie dort nicht war, denn da hatten +sie jeden Winkel abgesucht. + +Laß mich zuerst, sagte Marte, und tat, als ob sie hinlaufen wollte. + +Nein, ich will zuerst -- und Hans sprang davon. + +Ja, es war deutlich, sie wollte ihn forthaben, denn sie tat gar nichts, +um zuerst zu kommen. Er wollte sie schon überlisten! + +Er schlüpfte in den Stall und guckte durch eine Ritze. Sie stand erst +ruhig und blickte sich vorsichtig um, dann schlich sie auf den Zehen an +der Stallwand entlang. Er kam heraus, schlich bis zur Ecke und streckte +den Kopf vor. + +Ah, eben war sie im Begriff, die großen Brennnesseln zur Seite +zu biegen. + +~Dort~ hatte sie also die Henne hineinschlüpfen sehen. + +Er stürzte vor, gerade auf ihren Rücken los: + +Ich weiß es, ich fand sie zuerst. + +Sie fielen beide in die Brennnesseln. Die Henne flatterte +schreiend davon. + +Sie standen auf; -- es brannte schrecklich an Gesicht und Händen. + +Eine Weile standen sie da und starrten sich an, Hans die Mundwinkel +verzogen, bereit zu weinen, Marte beide Hände voller Rührei in die Höhe +haltend. + +Plötzlich klatschte ihm die eine Hand hinter die Ohren, daß das Rührei +spritzte, und er zu Boden kollerte. + +Dann fingen sie beide an zu heulen. + +Die alte Henne schalt fürchterlich drüben auf dem Hofplatz. + + [Illustration] + + + + + Im Verlage von Georg Merseburger, Leipzig, erschienen von + + =Alexander L. Kielland= + + übersetzt von + + +Dr+. ~Fr. Leskien~ und ~Marie Leskien-Lie~ + herausgegeben und durchgesehen vom Verfasser + + mit Buchzeichnungen von + + =A. Andresen=, =R. Carl=, =M. Loose=, =H. Schittenhelm=, + =A. Sommer= + + + +a+) =Gesammelte Werke= + + ====Inhalt:===== + + Bd. I: =Garman & Worse= + +a+) Schiffer Worse, +b+) Garman & Worse. Zwei Romane. + Brosch. 5 M., geb. 6 M. + + Bd. II: =Novellen, Novelletten, Schnee, Else.= + Brosch. 5 M., geb. 6 M. + + Bd. III: =Abraham Lövdahl= + +a+) Gift, +b+) Fortuna, +c+) Johannisfest. Drei + Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M. + + Bd. IV: =Arbeiter.= + +a+) Arbeiter, +b+) Jakob. Zwei Romane. Brosch. 5 M., geb. + 6 M. + + Bd. V: =Rings um Napoleon.= Brosch. 6 M., geb. 7 M. + +Nachlese: =Menschen und Tiere.= Skizzen u. Studien. Br. 3 M., geb. 4 M. + +Alle Bände sind auch einzeln zu haben. -- Einzelne 6 Bände geb. 35 M. + + Gesamtpreis für alle 6 Bände in eleganter Kassette gebunden 30 M., + ohne Kassette broschiert 25 M. + + + +b+) =Werke in Einzelausgaben= + + =Rings um Napoleon.= + + IX. und X. Tausend. Brosch. 6 M., geb. 7 M.; in 2 Bände + geb. 8 M. + + + =Schiffer Worse.= Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M. + + + =Garman & Worse.= Roman. + + + =Novellen, Novelletten, Schnee und Else.= + Brosch. 5 M., geb. 6 M. + + + =Gift.= Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M. + + + =Fortuna.= Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M. + + + =Johannisfest.= Roman. Brosch. 1.50 M., geb. 2.25 M. + + + =Menschen und Tiere.= Skizzen und Studien. Brosch. 3 M., + geb. 4 M. + + =Arbeiter.= Roman. Brosch. 2.75 M., geb. 3.50 M. + + + =Jakob.= Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M. + + + + + Anmerkungen zur Transkription. + +Im Original sind die Dekorationen am Ende der Geschichten +"Kirchenexamen vor dem Bischof" und "Holzvermesser Ole Pedersen" aus +Platzgründen entfallen. Sie wurden in dieser Fassung eingefügt. + +Das Inhaltsverzeichnis ist an den Anfang des Textes verschoben worden. + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 *** diff --git a/75541-h/75541-h.htm b/75541-h/75541-h.htm new file mode 100644 index 0000000..af8795d --- /dev/null +++ b/75541-h/75541-h.htm @@ -0,0 +1,5326 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Jungen | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; +} + + h1,h2 { + text-align: center; + clear: both;} + +h1 { font-size: 240%} +h2, .s2 { font-size: 180%} + .s3 { font-size: 130%} + .s4 { font-size: 110%} + .s5 { font-size: 90%} + +p { + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em; + text-indent: 1em;} + + +.p0 {text-indent: 0;} +.p2 {margin-top: 2em;} +.p3 {margin-top: 3em;} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both;} + +hr.r5 {width: 5%; + margin-top: 1em; + margin-bottom: 3em; + margin-left: 47.5%; + margin-right: 47.5%; + border-top: 3px solid black; } + +hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} +hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} +@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } + +div.chapter {page-break-before: always;} + +table { + margin-left: auto; + margin-right: auto; +} +table.autotable { border-collapse: collapse; } +table.autotable td, +table.autotable { padding: 0.25em; } + +.tdl {text-align: left;} +.tdr {text-align: right;} + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + left: 92%; + font-size: small; + text-align: right; + font-style: normal; + font-weight: normal; + font-variant: normal; + text-indent: 0; +} + + .blockquot { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%; +} + +.center {text-align: center;} + +.mleft {text-align: left; + margin-left: 15%;} + +.gesperrt +{ + letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em;} + +em.gesperrt +{ + font-style: normal;} + +.antiqua { + font-style: italic } + +img { + max-width: 100%; + height: auto;} + +img.w100 {width: 100%;} + +.figcenter { + margin: auto; + text-align: center; + page-break-inside: avoid; + max-width: 100%;} + +/* Poetry */ +/* uncomment the next line for centered poetry */ +.poetry-container {text-align: center;} +.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} +.poetry .stanza {margin: 1em auto;} +.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:small; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif; +} + +/* Poetry indents */ +.poetry .indent2 {text-indent: -2em;} + +/* Illustration classes */ +.illowe100 {width: 100em;} + +.illowe3 {width: 3em;} +.illowp100 {width: 100%;} +.illowp54 {width: 54%;} +.illowp55 {width: 55%;} +.illowp59 {width: 59%;} +.illowp60 {width: 60%;} +.illowp62 {width: 62%;} +.illowp63 {width: 63%;} +.illowp90 {width: 90%;} + +.x-ebookmaker .illowp54 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp55 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp59 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp60 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp62 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp63 {width: 100%;} +.x-ebookmaker .illowp90 {width: 100%;} + +.x-ebookmaker .illowe3 {width: 6%; margin: auto 47%;} + + </style> +</head> +<body> +<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 ***</div> + +<div class="transnote"> +<p class="s3 center"><b>Anmerkungen zur Transkription</b></p> +<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes +wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler sind stillschweigend +korrigiert worden.</p> +<p class="p0">Worte in Antiqua sind "<i>kursiv</i>" dargestellt.</p> +<p class="p0">Eine Liste der vorgenommenen Änderungen findet sich +<a href="#Anmerkungen_zur_Transkription">am Ende des Textes.</a></p> +</div> + +<figure class="figcenter illowe100" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> +</figure> + +<p class="p2 s2 center"><b>Hans Aanrud</b></p> + +<h1>Jungen</h1> + +<p class="p2 s3 center">Vierzehn Geschichten<br> +<span class="s5 center">von kleinen ganzen Kerlen</span></p><br> +<p class="s4 p2 center">Mit Bildern</p> +<p class="center">von</p> +<p class="s3 center">Lisbeth Bergh</p><br> + +<p class="p2 s4 center">Erstes bis drittes Tausend</p><br> + +<p class="p2 s4 center">Leipzig</p> +<p class="center">Verlag von Georg Merseburger<br> +1910</p><br> + +<div class="chapter"> +<p class="p3 center">Einzige autorisierte Übersetzung aus dem Norwegischen von <em class="antiqua">Dr.</em><br> +Friedrich Leskien und Marie Leskien-Lie. Einbandzeichnung nach einem<br> +Bild von L. Bergh von A. Andresen.<br> +Alle Rechte vorbehalten.</p><br> + +<hr class="r5"> + +<div class="p3 blockquot"> +<p class="center">Von <b>Hans Aanrud</b> erschienen:</p> + +<p><em class="antiqua">a</em>) <em class="gesperrt">für Kinder und Erwachsene</em></p> +<p>Sidsel Langröckchen, Erzählung</p> +<p class="mleft">brosch. M. 2,25 geb. M. 3,—</p> + +<p>Kroppzeug, zwölf Geschichten von kleinen Menschen und Tieren</p> +<p class="mleft">brosch. M. 2,25 geb. M. 3,—</p><br> + +<p><em class="antiqua">b</em>) <em class="gesperrt">für Erwachsene</em></p> +<p>Erzählungen, sechzehn Geschichten</p> +<p class="mleft">brosch. M. 3,— geb. M. 4,—</p><br> +</div> + +<p class="p3 s5 center">Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig</p> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<h2>Inhaltsverzeichnis.</h2> +</div> + +<table class="autotable"> +<tr> +<td class="tdl"> </td> +<td class="tdr">Seite</td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der Gemeindejunge</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_1">1</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Amunds neue Ski</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_12">12</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Wenn die Graugänse fliegen</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_22">22</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">In Großvaters Auftrag</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_36">36</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Kirchenexamen vor dem Bischof</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_49">49</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_67">67</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Der erste Arbeitstag</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_80">80</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Alexander und Buzephalos</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_92">92</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Holzvermesser Ole Pedersen</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_106">106</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Ranzenräuber und Zottelbär</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_114">114</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Tischler Simen und der Blaufuchs</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_126">126</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Die Kvinstöljungen</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_140">140</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Erste Liebe</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_154">154</a></td> +</tr> +<tr> +<td class="tdl">Wie Hans und Marte die Henne hüteten</td> +<td class="tdr"><a href="#Seite_173">173</a></td> +</tr> +</table> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_1">[S. 1]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Der_Gemeindejunge">Der Gemeindejunge.</h2> +</div> + + +<p>Die Sonne hatte schon längst ihren ersten goldenen Morgenstreifen über +die Tannenwipfel ganz oben an der Westseite des Tals gesandt, war +langsam die hintere Talwand bis auf den Talboden heruntergeschlichen +und wollte eben beginnen, an der östlichen Talseite hinaufzukriechen, +die bisher im Schatten gelegen hatte. Aber gerade als sie zwischen den +Tannenwipfeln hoch oben hervorgucken wollte, war nichts mehr da, was +sich hindernd dazwischenstellte, und auf einmal rieselte ihr gelbes +warmes Licht in zitternden Wellen über die ganze Talseite hinab, es +schlüpfte zwischen dem winzig kleinen jungen Laub hindurch, liebkoste +das feine zarte Gras, das eben begonnen hatte hervorzusprießen, glitt +glitzernd über die rauschenden Frühlingsbäche hin, die nach dem kleinen +trüben Fluß unten im Talgrund hinabströmten, und füllte das ganze Tal +mit seinem Licht. Mit einem Male war das ganze keimende, sprießende +Leben des Frühlingsmorgens erwacht, aber die großen<span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span> wohlgepflegten +Höfe lagen noch still da, mit verschlossenen Türen und in der Sonne +glitzernden Fensterscheiben, nur hin und wieder stieg ein blauer Rauch +aus den Essen kerzengerade in die klare Luft.</p> + +<p>Ein kleiner Junge mit offnen blauen Augen kam und guckte durch das +rotgestrichene Gattertor, das nach dem ebenen breiten Hofplatz +auf Opsal führte. Nie hatte er etwas so Schönes gesehen wie das +weißgestrichene Gebäude und die merkwürdige Treppe mit dem Geländer +außen dran. Und alle die anderen langen, rotgestrichenen Häuser!</p> + +<p>Es war alles gerade, wie er sich die Königsschlösser gedacht hatte, +von denen in den Märchen die Rede war. Es fehlte nur ein König drüben +auf der Treppe, sonst war alles genau so! Er mußte unwillkürlich noch +einmal nachsehen; es war aber keiner da.</p> + +<p>Er war nicht gerade ein Staatskerl, der kleine Junge, der dort durch +das Gattertor guckte. Auf dem Kopfe hatte er einen durchlöcherten +Strohhut, der so weit hinten im Nacken saß, daß der blonde Schopf +gut zu sehen war, der fast bis über die großen blauen Augen und eine +kleine wichtige Nase herunterhing. Eine Jacke trug er nicht, nur eine +karrierte Unterjacke, die an den Ärmeln geflickt war. Die Hosen, die +nur aus Flicken bestanden, reichten nicht weit über die Knie, so daß +man die großen Frauenstiefel,<span class="pagenum" id="Seite_3">[S. 3]</span> in denen er ging, ganz sehen konnte; +sie waren viel zu groß, die Schäfte gähnten um die dünnen Waden, da +die Riemen nur für die Hälfte der Löcher ausgereicht hatten, und die +Spitzen bogen sich vorn nach aufwärts. Im Arm trug er ein Bündel, das +in ein dunkles karriertes Tuch eingewickelt war.</p> + +<p>Es war der acht Jahre alte Tor aus Stubsveen, dem obersten Häuslerplatz +ganz oben am Waldrand drüben auf der anderen Talseite; er sollte heute +seine Stellung als Gemeindejunge auf Opsal antreten.</p> + +<p>Plötzlich zuckte er zusammen, bewegte sich nicht etwas da drüben auf +dem Hof? Er blickte hin. Nein, es war wohl nichts. Alles war so still; +ob sie wohl noch nicht aufgestanden waren? War das eine Art, mitten am +hellichten Tage! Er sah nach der Sonne, die jetzt bis über die obersten +Tannenwipfel gekommen war.</p> + +<p>Nein, es war doch wohl noch sehr früh. Die Uhr hatte auch die letzten +Tage drüben in Stubsveen gestanden. Er mußte warten.</p> + +<p>Er wandte sich um, stützte den Ellbogen an das Gatter und den Kopf in +die Hand und sah über das Tal hin und weit an der anderen Seite hinauf.</p> + +<p>Da lag Stubsveen — er hatte es nie aus so weiter Entfernung gesehen. +Es war aber auch<span class="pagenum" id="Seite_4">[S. 4]</span> nicht viel daran zu sehen, er hatte nicht gewußt, daß +es so armselig aussah und so unermeßlich hoch oben lag.</p> + +<p>Übrigens durften sie sich nicht einbilden, daß es so armselig war, wie +es von hier aussah; sie konnten nicht den Söller auf der anderen Seite +sehen, und dort war auch das Kammerfenster, das machte viel aus. Er +guckte wieder nach dem Hof, — Opsal sah auch nicht so prächtig aus von +da oben, wie es war. So kam er also doch nach Opsal. Die kleine Ane +mußte sich damit begnügen, nach Hoel zu kommen; — nun! Hoel war schon +auch prächtig genug, aber mit Opsal ließ es sich nicht vergleichen.</p> + +<p>Er mußte daran denken, wie er und Ane neulich gegen Ende des Winters +am Fenster drüben in Stubsveen knieten und über das Tal blickten und +sich aussuchten, wo sie in Dienst gehen wollten, wenn sie groß wären. +Ane war gleich bereit zu sagen, daß <em class="gesperrt">sie</em> nach Opsal wollte, aber +da hatte Tor gesagt, daß <em class="gesperrt">er</em> dorthin wollte, denn er wäre ein +Junge, und er wäre der Älteste, und sie wäre nur ein Mädchen; aber Ane +war hartnäckig, und da zankten sie sich. Da wurde zuerst Ane von ihm +durchgeprügelt und dann er von seiner Mutter; ja sie konnten sagen, was +sie wollten, es war nun einmal so, daß die Mutter ein bißchen zu viel +zu Ane hielt; denn <em class="gesperrt">die</em> konnte auch manchmal<span class="pagenum" id="Seite_5">[S. 5]</span> unartig sein; — +wenn er es vielleicht öfter war, so war er auch ein Jahr älter.</p> + +<p>Seine Augen glitten unwillkürlich nach Hoel hinüber, einem andern +großen Hof, ein Stück davon entfernt.</p> + +<p>Ob Ane wohl jetzt bis nach Hoel gekommen war? Vielleicht stand sie auch +da und wartete; es sah auch nicht aus, als ob sie dort aufgestanden +wären.</p> + +<p>Ane konnte einem richtig leid tun, sie war so still und kümmerlich, als +sie sich hier unten am Gatter trennten.</p> + +<p>Ach, Ane konnte doch auch furchtbar gut sein. Wenn er es sich recht +überlegte, so war sie wohl doch viel, viel besser als er. Ja, das war +kein Zweifel, das hatte sich besonders in der letzten Zeit gezeigt. +Denselben Tag, wo er sie durchprügelte, war der Vater krank geworden, +es war Lungenentzündung, und Ane weinte viel mehr als Tor, als der +Vater krank war, und als er starb, und als sie ihn zur Kirche fuhren +und Erde auf ihn warfen.</p> + +<p>Ja natürlich, er fand es auch so traurig, wie irgend möglich, aber es +lag jetzt auf einmal so vieles auf ihm, daß er zum Weinen keine rechte +Zeit hatte. Erstens mußten sie den furchtbar dicken Doktor mitten im +schlimmsten Tauwettermorast bis nach Stubsveen hinaufschaffen, und +wenn er auch wütend war über<span class="pagenum" id="Seite_6">[S. 6]</span> den Weg und das Fahrzeug und die ganze +Schererei, so war es doch ein Aufzug, der nicht eigentlich zum Weinen +war, — sie konnten darüber denken, wie sie wollten. Dann kam die +Leichenstrohverbrennung — er mußte es noch selbst anzünden — und dann +waren so viele Leute da, der Tischler und viele alte Weiber, und dann +gab es ein Leichenbegängnis mit Geschenken und so vielen guten Dingen, +wie er nie oben in Stubsveen gesehen hatte, und dann fuhren sie mit +vier Schlitten nach der Kirche, und er durfte auf dem Schlitten, der +gleich hinterm Sarge fuhr, hinten aufsitzen.</p> + +<p>Wenn er alles wahrheitsgemäß überdachte, so hatte er eigentlich nicht +mehr als einmal geweint, und das war — hinterher; es geschah obendrein +hauptsächlich, weil die Mutter so sehr weinte, als sie von dieser +Gemeinderatsversammlung, oder wie sie es nannten, nach Hause kam, wo +bestimmt worden war, daß er und Ane in der Gemeinde untergebracht +werden sollten —, ja sie sollten nur nicht sagen, daß <em class="gesperrt">er</em> der +Gemeinde zur Last fiel, denn der Bauer von Opsal hatte ihn umsonst +genommen und gesagt, ein solcher Junge wäre wohl imstande, sein Essen +und seine Kleider zu verdienen.</p> + +<p>Aber Ane, die Ärmste, weinte die ganze Zeit. Auch heute früh, als sie +von zu Hause fortzogen,<span class="pagenum" id="Seite_7">[S. 7]</span> weinte sie so bitterlich, daß sie nicht einmal +den Kaffee herunterbekommen konnte; aber auch da wollten ihm keine +Tränen kommen. Erst als er sich hier unten am Gatter, das nach Hoel +hinaufführte, von Ane trennen sollte und er ihre kleine weiche Hand +nahm und sagte: Leb' wohl denn, kleine Ane, schnürte ihm etwas die +Kehle zusammen, und er mußte sich schnell umwenden und weitergehen; +es war ja nicht gerade notwendig, es sehen zu lassen; aber auch da +schluchzte Ane, er sah es deutlich an ihrem Rücken, als er sich +umwandte, wie sie eben im Begriff war, so klein und kümmerlich durch +das Gattertor zu gehen.</p> + +<p>Wenn er sie wiedertraf, sollte Ane wirklich sein Taschenmesser +bekommen, das sie so gern haben wollte; er selbst würde es nicht mehr +so nötig haben, er müßte doch zusehen, bald ein Scheidenmesser zu +bekommen.</p> + +<p>Er blieb eine Weile stehen, dann guckte er wieder durch das Gatter. +Wahrhaftig, dort war der König draußen auf der Treppe, ein großer +starker Mann in schlohweißen Hemdsärmeln. Aber er hatte keine Krone +auf, nur eine kleine Schirmmütze, die weit hinten im Nacken saß.</p> + +<p>Unsinn, das war natürlich der Bauer selber. Wie er sich dehnte und in +der Morgensonne wohl fühlte!</p> + +<p>Ja, jetzt mußte er wohl hin und sich zur Stelle melden.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_8">[S. 8]</span></p> + +<p>Er öffnete vorsichtig das Gattertor, schlüpfte durch und machte es +hinter sich wieder zu, ohne sich umzuwenden; — es war, als machte es +ihm Mühe, zurück zu blicken. Er blieb einen Augenblick stehen, zog die +Hosen herauf und schob den Hut noch weiter in den Nacken. Dann hielt +er die Arme in zwei großen Bogen von den Seiten ab und ging vorwärts, +langsam und mit langen Schritten wie ein Erwachsener, die Augen die +ganze Zeit auf den Mann auf der Treppe gerichtet.</p> + +<p>Als er näher kam, fiel es ihm offenbar schwer, gerade draufloszugehen, +und so näherte er sich in einem großen Bogen der untersten +Treppenstufe. Er nahm die paar Stufen, blieb stehen, machte eine tiefe +Verbeugung mit dem Kopf, führte die eine Hand an seine weiße Mähne und +streckte die andere aus:</p> + +<p>Guten Tag!</p> + +<p>Opsal nahm die kleine braune Hand, die ganz in seiner großen Faust +verschwand, und sah mit verhaltenem Lächeln auf ihn herunter.</p> + +<p>Guten Tag. Sind so erwachsene Burschen schon so früh unterwegs?</p> + +<p>Ja, das sind sie. Es ist schönes Wetter heute.</p> + +<p>Opsal fuhr fort ihn anzusehen. Tor sah weg, setzte den Fuß vor und +suchte eine erwachsene Stellung einzunehmen:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span></p> + +<p>Du bist der Opsal selber, scheint mir.</p> + +<p>Ja, sie nennen mich so. Aber was bist du für ein Bursche?</p> + +<p>Tor sah sehr erstaunt aus.</p> + +<p>Weißt du das nicht? Ich sollte ja jetzt dein Knecht sein.</p> + +<p>Meiner? Sieh mal einer an, da bist du wohl mein neuer Knecht aus +Stubsveen. Wie heißt du?</p> + +<p>Weißt du das auch nicht? Ich heiße Tor.</p> + +<p>Ja richtig. Du bist wahrhaftig zeitig unterwegs.</p> + +<p>Ich finde eher, daß man hier spät aufsteht. Wir beginnen den Tag früher +oben bei uns.</p> + +<p>Hm. Und jetzt hast du vielleicht vor gleich für immer dazubleiben?</p> + +<p>Ja, das war die Meinung.</p> + +<p>Tat es dir denn nicht leid, von Mutter wegzugehen?</p> + +<p>Die Kehle wollte sich Tor wieder zuschnüren, aber er biß die Zähne +zusammen und schluckte alles schnell herunter.</p> + +<p>Ach, du weißt — aber man kann doch nicht sein Lebenlang am +Schürzenband hängen.</p> + +<p>Opsal lächelte.</p> + +<p>Ja, willkommen denn, und geh dann mal in die Küche und sieh zu, daß du +etwas zu essen bekommst; du hast wohl Hunger nach dem langen Weg, den +du schon hinter dir hast.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span></p> + +<p>Aber ist es nicht unrecht, mit Essen zu beginnen, ehe ich etwas getan +habe?</p> + +<p>Ja, was hast du dir eigentlich gedacht, daß du hier auf Opsal tun +willst?</p> + +<p>Das, was du von mir verlangst.</p> + +<p>Glaubst du, daß du das alles kannst?</p> + +<p>Nach dem, was ich gehört habe, sollst du kein unbilliger Mann sein; +übrigens — er betrachtete Opsal von oben bis unten mit seinen offenen +blauen Augen — kann es schon sein, daß ich imstande wäre, Dinge zu +tun, die du selbst nicht bewältigen könntest.</p> + +<p>Was sollten denn das für Dinge sein?</p> + +<p>Tor antwortete rasch:</p> + +<p>Die Kälber durch das Gebüsch jagen.</p> + +<p>Der Opsal sah sich selber an, und dann lächelte er Tor zu:</p> + +<p>Du bist wohl ein großer Schelm.</p> + +<p>Tor sah ihm lächelnd gerade in die Augen:</p> + +<p>Ja, wenn ich nur nicht hier auf Opsal meinen Meister finde.</p> + +<p>Opsal nahm ihn an der Hand: So, jetzt mußt du mit hereinkommen und dir +die Leute und die Einrichtung ansehen, und wenn es dir gefällt, dann +ist es wohl am besten, ich ernenne dich gleich zu meinem Großknecht.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span></p> + +<p>Jetzt hast du mich wohl wieder zum besten, Opsal; aber vielleicht +könnte ich auch das fertigbringen.</p> + +<p>Sie gingen Hand in Hand hinein.</p> + +<p>So hielt der Gemeindejunge seinen Einzug auf Opsal.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-013_2"> + <img class="w100" src="images/illu-013.jpg" alt="Deko"> +</figure> + + + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span></p> + +<h2 class="p2">Amunds neue Ski.</h2> +</div> + +<p>Amund schielte unter der Felldecke hervor:</p> + +<p>Ane Marja? — A—ne Mar—ja! Sagte der liebe Gott etwas davon, wie +lange es dauern sollte, bis ich meine Ski bekäme? Er lauschte. Nein, +Ane Marja schlief wohl schon. Teufel auch! er mußte es jetzt wissen, +denn so ging es nicht weiter.</p> + +<p>Ane Marja hatte gesagt, daß alle artigen Jungen Ski vom lieben Gott +bekämen, und da konnte kein Zweifel sein, daß er sie bekommen würde. +Aber es war ihm darum zu tun, sie bald zu bekommen; Ane Marja und der +liebe Gott sollten nur wissen, wie es war, drüben auf dem Südfeld zu +stehen und alle die anderen Jungen Schlitten fahren zu sehen. Und +die Skibahn, die jetzt war! Wenn der liebe Gott selbst zum Skilaufen +zu alt war, so mußte er doch wissen, daß Amund im Frühling keine Ski +brauchte, wenn der Schnee entweder zu weich oder zu hart war. Nein, +sollte er welche haben, so mußte es jetzt sein. Er konnte auch nicht +begreifen, warum es so lange<span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span> dauerte. Denn artig war er gewesen. Am +zweiten Weihnachtsfeiertag hatte Ane Marja es gesagt, und jetzt war +schon Hochneujahr, und in dieser ganzen Zeit hatte er sich nicht mit +der kleinen Liese gezankt, nicht einmal, als die Lakritzenstange in +seinem Kasten anfing kleiner zu werden, — ja, denn es konnte niemand +anders als Liese sein, die daran schuld war. Er hatte nur den Kasten +zugeschlossen, denn da hörte doch alles auf. Sie konnten doch nicht +verlangen, daß er sie alles aufessen lassen sollte. Nein, <em class="gesperrt">daran</em> +konnte es nicht liegen. Jon Rönningen hatte schon vor langer Zeit Ski +bekommen, — Amund glaubte übrigens nicht, daß diese Ski so wundervoll +wären, wie Jon immer tat, — und er war gar nicht artig; — ein +richtiger Lümmel; — und wie er fluchte!</p> + +<p>Und dann Hans Svebakken. Er hatte zu Weihnachten welche bekommen; ach +ja, das war nicht ganz unbillig; <em class="gesperrt">denn er war artig</em>; er hatte +Amund gestern zweimal seine Ski geborgt, um auf dem Südfeld darauf zu +laufen.</p> + +<p>Nein, er konnte es nicht begreifen. Wenn es wenigstens so gewesen wäre, +daß es viele gab, die Ski haben sollten, so konnte man dem lieben Gott +verzeihen, daß er nicht genug fertigbekommen hätte; aber es waren ja +nur Amund und Lars Sagbakken, die keine hatten.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span></p> + +<p>Ach ja, er glaubte schon, daß er sie vor Lars bekommen würde, denn Lars +sagte gestern: Hol' mich der Teufel, und das war ein Fluch, hatte Ane +Marja gesagt.</p> + +<p>Aber, du liebe Zeit — warum konnte er sie nicht gleich bekommen? Es +war schade um jeden Tag, den es länger dauerte.</p> + +<p>Sie meinten wohl doch, daß er nicht artig genug wäre. Aber er hatte +getan, was er konnte, — und Amund zog wieder den Kopf unter die +Felldecke.</p> + +<p>Wenn Lykkelin bald Zicklein bekommen hätte, so würde er sich weder von +Ane Marja noch vom lieben Gott haben hereinreden lassen; denn Lykkelin +hatte immer Zwillinge, und für das Fell von ihnen hätte er schon ein +Paar Ski bekommen, — wenn sie auch nicht so besonders gut gewesen +wären —; aber Lykkelin setzte in diesem Jahre aus. Sie sollte erst +Mitte Februar Junge haben.</p> + +<p>Er steckte den Kopf wieder hervor.</p> + +<p>Nein, er mußte es sich noch einmal überlegen, woran es wohl liegen +könnte. Hatte er etwas getan, was nicht recht war? Ja, er hatte das +Band aus dem Schlitten genommen, damit Liese ihn nicht brauchen sollte; +aber das konnte er doch machen, wie er wollte, denn es war <em class="gesperrt">sein</em> +Schlitten. Doch, er war artig gewesen. Aber sie glaubten vielleicht +nicht an ihn?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span></p> + +<p>Ach, er würde gern den Schlitten und die Lakritze weggeben, wenn er sie +nur bald bekäme!</p> + +<p>Die Lakritze?</p> + +<p>Sollte er es damit versuchen, um ihnen zu zeigen, daß es ernst war? Ja, +das wollte er tun.</p> + +<p>Er richtete sich vorsichtig auf den einen Ellbogen auf und horchte, ob +Ane Marja schlief. Ja, sie schlief.</p> + +<p>Dann kroch er vorsichtig unter der Felldecke hervor und schlich sich +leise durch das Zimmer bis an seine Truhe. Den Schlüssel hatte er +daruntergelegt. Er öffnete sie, nahm die Lakritzenstange heraus und +wickelte sie aus. Dann ging er ans Fenster. Es war am besten, sie dahin +zu legen, da konnte der liebe Gott sie durch die Fensterscheibe sehen.</p> + +<p>Er hielt inne und überlegte, ob er sie erst kosten sollte. Nein, lieber +nicht. Der liebe Gott sollte sehen, daß er es ernst meinte.</p> + +<p>Er legte sie hin und schlich wieder in sein Bett zurück. Jetzt war +es getan. Er fühlte sich ganz sicher. Das konnte nicht fehlschlagen, +morgen noch würde er Ski bekommen. Er glaubte schon darauf zu laufen, +und er begann darüber nachzudenken, wie er sich den andern Jungen +gegenüber verhalten wollte.</p> + +<p>Lars Sagbakken sollte sie vielleicht ein- oder zweimal borgen dürfen, +wenn Amund sie nicht selbst<span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span> brauchte. Aber gegen Jon Rönningen wollte +er ordentlich stolz sein. Er hatte nicht vergessen, wie er neulich die +Ski von Hans Svebakken borgte. Da hatte Jon, der Lümmel, gesagt, er +sähe aus, als habe er Kartoffeln in der Hosenklappe.</p> + +<p>Ja, das kam davon, wenn man Hosen mit Klappe trug. Von jetzt an wollte +er eine Hose zum Knöpfen haben mit Trägern, wie die größeren Jungen. +Ja, Jon wollte er es schon wiedergeben. Er wollte ihm sagen, er sähe +aus, als ob er Milchbrei in den Knien habe, denn Jon hatte krumme Beine.</p> + +<p>Dann schlief er ein.</p> + +<p>Und er träumte, daß er dastand und dem lieben Gott zusah, der im +Begriff war, Ski zu tischlern; aber bisweilen kam es ihm auch vor, als +wäre es nicht der liebe Gott, sondern der Tischler Ola, denn er hatte +dieselben krummen Finger und denselben Riß über dem einen Knöchel.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am Morgen schlief er so lange, bis Ane Marja und Liese aufgestanden +waren. Er schielte nach dem Fenster hin, als er die Hosenklappe +zumachte. Wahrhaftig, die Lakritzenstange war kleiner geworden. Er +beeilte sich, hinaus zu kommen.</p> + +<p>Liese stand hinter der Tür und sah nach, ob er böse wurde.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span></p> + +<p>Er erblickte sofort Ane Marja. Es war, als ob sie da stand und auf ihn +wartete. Dann sah er sich um. Oh! Da standen sie an die Wand gelehnt, +neu und fein, geteert bis an die Bindung. Er blieb wie gebannt stehen. +Er sah sie und Ane Marja abwechselnd mehrere Male hintereinander an, +dann fingen die Mundwinkel an zu zittern und sich krampfhaft weiter +auseinanderzuziehen, beinahe bis an die Ohren, zu einem unendlichen +Lächeln, und als er etwas sagen wollte, zog er den Atem ein, so daß er +es nicht herausbekommen konnte.</p> + +<p>Ane Marja strich ihm übers Haar. Ja, sie sind für dich, aber jetzt mußt +du wirklich ein guter Junge sein und weder aufschneiden noch fluchen, +sonst nimmt der liebe Gott sie wieder weg.</p> + +<p>Er ging um sie herum und betrachtete sie von allen Seiten mit demselben +Lächeln, und dann wagte er sie wegzunehmen.</p> + +<p>Nein, so wunderschöne Ski hatte er noch nie gesehen; wie die Spitzen +in die Höhe standen und wie elastisch sie waren! Ob es wohl Birkenholz +war! Nein, es war Tanne; ja, das war auch am besten. Birkenski waren +Plunder, denn sie zogen sich so sehr.</p> + +<p>Dann mußte er prüfen, ob die Bindung paßte.</p> + +<p>Ja, es — waren — prächtige — Ski!</p> + +<p>Er mußte gleich hinüber nach dem Südfeld.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span></p> + +<p>Dort waren sie schon versammelt, Jon Rönningen und Hans Svebakken und +alle die andern, die Ski hatten, ja, sogar Lars Sagbakken, der keine +hatte, stand schweigsam und kümmerlich da und fror. Er tat Amund heute +richtig leid.</p> + +<p>Es herrschte ein großer Lärm und Spektakel. Schon von weitem sahen sie +Amund kommen, und Jon rief:</p> + +<p>Nein, seht Amund mit den weiten Hosen, jetzt hat er Schneereifen +bekommen!</p> + +<p>Amund vergaß, daß er nicht aufschneiden sollte:</p> + +<p>Auf den Schneereifen habe ich keine Angst vor dir, auch wenn du doppelt +soviel Milchbrei in den Knien hättest.</p> + +<p>Dann sollten sie die Ski ansehen und begutachten.</p> + +<p>Jon musterte sie genau:</p> + +<p>Sie wären nicht sehr aufgebogen.</p> + +<p>Oh, sie wären allemal so gut, wie die Birkenstöcke von Jon, die beide +Enden in die Luft setzten.</p> + +<p>Und dann werden sie nicht nach hinten zu schmäler. Sie würden nicht +schnell gehen.</p> + +<p>Nein, aber dafür trügen sie auch, wenn der Schnee locker war. Die Ski +sollten auch nicht wie ein Backholz sein.</p> + +<p>Und wie stand es, hatten sie die richtige Biegung?</p> + +<p>Jon nahm den einen auf und untersuchte ihn.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span></p> + +<p>Ja, etwas gebogen waren sie, aber nicht gleichmäßig, zuviel am +Vorderende; bei lockerem Schnee würden sie unten einschneiden, und bei +hartem würden sie sich kreuzen.</p> + +<p>Aber sie wären elastisch!</p> + +<p>Elastisch! Glaubte er vielleicht, daß das ein Vorzug wäre, wenn die +Spitzen wie ein Tauende hin und her schlügen! Nein, die Thelemärker, +die zwanzig Ellen hohe Sprünge ausführten, hätten steife Vorderenden +mit einer ganz feinen Biegung —, so fein wie ein Flitzbogen. Solche +wie diese könnten nicht einmal einen kleinen Satz aushalten, geschweige +denn einen richtigen Sprung.</p> + +<p>Doch Amund wollte ihm zeigen, daß sie es aushalten könnten. Er erbot +sich, überall nachzufahren, wo Jon mit seinen Birkenstöcken es ihm +vormachte.</p> + +<p>Ja, sie könnten es ja erproben, — nur über den Weg da unten.</p> + +<p>Dann machten sie sich auf, Jon voran, und Amund hinterher über das +Südfeld hin. Jon nahm den Sprung und kam gerade auf den Weg unten +an. Die Knie waren ihm etwas wackelig, aber er sprang zu, so daß er +hinüberkam.</p> + +<p>Es war das erstemal, daß Amund sich an etwas derartiges wagte, und +darum hingen ihm die Hosen hinten auch noch weiter herunter als +gewöhnlich, wie<span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span> er ganz zur Seite auf seinen Stock geneigt tiefe +Furchen in den Schnee grub, so daß es stob. Er bekam zu wenig Schwung, +kam nicht über den Wegrand, die Ski blieben stecken und knacks — —; +trotz seiner Hinterladung flog Amund kopfüber in den Schneehaufen.</p> + +<p>Er sprang wie verrückt wieder in die Höhe. Er glaubte einen Knacks +gehört zu haben. Er packte den einen Ski und riß und zerrte an ihm +wie wahnsinnig, bis er ihn draußen hatte — das Vorderende war mitten +durchgebrochen.</p> + +<p>— Damit war diese Herrlichkeit vorbei. Mit dem anderen nahm er +sich viel Zeit. Er mußte den Handschuh tief in den Mund stecken und +zubeißen, um das Weinen zu unterdrücken.</p> + +<p>So etwas hätte er sich nie träumen lassen.</p> + +<p>Ganz betäubt nahm er sie bei der Bindung, einen in jede Hand, ohne sie +anzusehen und begab sich auf den Heimweg.</p> + +<p>Es ging langsam. Er war so seltsam dünn und klein und krumm in den +Hosen, wie er den ausgetretenen Weg neben der Rinne mehr heraufkroch +als ging, und es konnte schon sein, daß die Hosen beinahe hinten +aufstießen. Er sah gerade in den Schnee, auch als er an den Kameraden +vorbeikam, und sie ließen ihn in Ruhe; es kam ihm vor, als wären sie +auf einmal so still geworden.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span></p> + +<p>Er ging nach Hause, und suchte so zu gehen, daß ihn niemand sah. +Die Ski versteckte er gut unter dem Vorratsgebäude zwischen einigen +Brettern. Dann eilte er hinauf in die Kammer.</p> + +<p>Wenn es <em class="gesperrt">so</em> ging, so wollte er seine Lakritze wieder haben. Er +ging schnell ans Fenster.</p> + +<p>Wahrhaftig sie war schon halb aufgegessen!</p> + +<p>Er nahm sie mit einem Ruck:</p> + +<p>Gib mir meine Lakritze wieder, mein Junge, — und dann wickelte er sie +gut ins Papier und schloß sie in seine Truhe ein.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-023"> + <img class="w100" src="images/illu-023.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p> + +<h2 class="p2">Wenn die Graugänse fliegen.</h2> +</div> + +<p>Unter dem großen einsamen Ebereschenbaume oben auf der Höhe auf der +Südseite des Hofes stand Ivar, beide Hände tief in den Hosentaschen, +und sah über das Tal und nach dem Himmel im Süden.</p> + +<p>Es war schon richtiger Frühling in der Luft. Nur ganz oben an den +Talrändern und auf den nach Norden gewendeten Abhängen lag noch Schnee, +die Südabhänge und die langgestreckten Äcker waren schneefrei, und die +Erde dampfte unter der milden Sonne. Oben in dem kleinen Tannendickicht +lärmten die Elstern noch wie im Winter, aber auf den Äckern stolzierten +die Krähen ernsthaft herum, lüfteten die Flügel, als ob es zu warm +wäre, und schwelgten in all dem Gewürm, das die Sonne hervorlockte. Die +Ackerfurchen entlang — Per Madslien versuchte bereits auf dem Südacker +zu pflügen — gingen die Bachstelzen, die echten Frühlingsvögel, und +zwitscherten und wippten mit dem Schwanz. Die Bäume trugen schwellende +Knospen, die noch nicht aufgesprungen waren, und<span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span> an den Feldrainen +guckte hier und da eine kleine, gelbe, rundliche Blume hervor; aus +dem Tal herauf ertönte eine tiefe Kuhglocke und dazwischen hinein die +Glocken des Kleinviehes mit ihrem scharfen hohen Ton, und durch all das +Geläute schnitt der einförmige, langgezogene, melancholische Ton einer +Weidenflöte — der Hirtenjunge mußte schon eine Weide gefunden haben, +die ihre Rinde hergab. Die Luft war von Tönen aller Art erfüllt, die +sich zu einer einzigen mächtigen Frühlingsstimmung mischten.</p> + +<p>Ivar schickte einen Jodler hinab, der Hirtenjunge antwortete und +entlockte dann seiner Flöte einen langen, klagenden Ton. Es war so +lockend, eine solche Unruhe in allen Dingen, daß es unmöglich war, +still zu stehen und sich zu Hause zu halten; Ivar erhob schon den Fuß, +um hinunterzurennen. Aber plötzlich richtete er seine Blicke wieder +nach oben, dorthin, wo die Talränder im Süden sich zusammenschlossen.</p> + +<p>Er zog den Fuß zurück, blieb mit offnem Munde stehen, riß die Hände aus +den Taschen und hielt sie schützend vor die Augen.</p> + +<p>Ja, da waren sie!</p> + +<p>Gerade über dem Einschnitt am Talende erschien ein kleiner dunkler +Streifen, hoch oben in der Luft segelnd, gleichmäßig und taktfest, +immer vorwärts!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span></p> + +<p>Das war die erste Schar Graugänse, auf die Ivar nun schon so viele Tage +gewartet hatte.</p> + +<p>Seine Wangen röteten sich, er machte eine Wendung, als ob er ins Haus +laufen wollte, bedachte sich aber; es war doch zu herrlich zu stehen +und zu sehen, wie sie vorüberzogen.</p> + +<p>Die Schar kam näher, bog ein wenig nach der westlichen Talseite ab, +es sah aus, als stiegen sie immer höher, je näher sie kamen. Bald +konnte er die einzelnen unterscheiden, voran war eine große, starke als +Wegweiser, dahinter die große Schar in zwei Linien, die in einer Spitze +vorn zusammenliefen. Sie flogen gleichmäßig und sicher mit taktfesten +Flügelschlägen.</p> + +<p>Als sie mitten vor ihm waren, packte ihn die Lust, diese Regelmäßigkeit +zu zerstören. Die Mutter und Großmutter hatten ihm beide gesagt, daß er +das nie tun dürfte, aber ehe er recht wußte, wie es kam, stand er da +mit ausgestreckter Hand und zeigte auf die Schar.</p> + +<p>Im selben Augenblick schwankte die vorderste in der Schar und kam aus +der Reihe, dann noch eine und noch eine, sie gerieten auseinander, +sanken herab, verlangsamten den Flug, es war, als ob sie mit einmal die +Kraft verlören und in die größte Verwirrung kämen.</p> + +<p>Lange, hilflose Schreie drangen aus der Luft<span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span> hernieder, verloren sich +in der Ferne, und merkwürdig, es klang, als kämen sie von allen Seiten.</p> + +<p>Ebenso plötzlich wurde Ivar von einer starken Angst gepackt, als habe +er etwas ganz Schlimmes begangen —, er wußte doch, daß es Sünde war, +auf die Graugänse zu zeigen. Er begann ein Vaterunser zu beten — das +hatte er gehört, war die einzige Art, es wieder gut zu machen.</p> + +<p>Der Wegweiser tat ein paar kräftige Flügelschläge, kam an die Spitze +und bog mehr nach Osten ab; eine nach der andern arbeiteten sie sich +wieder in die Höhe und bildeten wieder ihre Reihen, bald gewann auch +die letzte mit ein paar kräftigen Schlägen den Anschluß wieder, die +Schar glitt weiter mit taktmäßigen Flügelschlägen genau nach Norden.</p> + +<p>Ivar stand und folgte der Schar langsam mit den Blicken und wurde +gerade mit dem Vaterunser fertig, so daß er ihnen das Amen nachnicken +konnte, als sie den Tannenwald, der sich in blauer Ferne im Norden +hinzog, erreichten und verschwanden.</p> + +<p>Es war, als sei die Freude daran ausgelöscht, aber er mußte nun doch +wohl zur Großmutter hineingehen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Drinnen in der Auszüglerstube saß seine Großmutter, die alte Beret +Madslien, in ihrem Lehnstuhl<span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span> und brummte. Sie war klein und +zusammengeschrumpft und saß in der Ecke zwischen dem Kachelofen und +dem Bett, wohlverpackt in gestrickte Tücher, mit großen gestrickten +Socken an den Füßen und einem dunkelkarierten Tuch über dem gestrickten +Ohrwärmer. Die Tür zur Stube stand angelehnt, und von drüben drangen +Stimmen herüber. Beret murmelte etwas vor sich hin, zog mit Mühe den +Ohrwärmer zur Seite und horchte:</p> + +<p>Hm! Hm! Ach nein, sie waren schon vorsichtig und sprachen leise, daß +sie es nicht hören sollte! Was sie wohl wieder heimlich vorhaben +mochten? O nein, sie sollten sich nicht einbilden, daß sie so +davonkämen.</p> + +<p>Oline!</p> + +<p>Keine Antwort. Sie nahm ihren Krückstock, der in der Ecke am Ofen stand +und klopfte auf die Diele.</p> + +<p>Oline!</p> + +<p>Ja — hier bin ich, Mutter! Was willst du?</p> + +<p>Eine energische Frau mittleren Alters erschien in der Tür.</p> + +<p>Ich kenne niemand, der so ist wie du, Oline. Nicht zu kommen, wenn ich +dich rufe.</p> + +<p>Ich kam ja so schnell ich konnte, Mutter! und es handelt sich wohl auch +um nichts Besondres.</p> + +<p>Nein, wenn du nur selber schwatzen kannst, so<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> ist es dir gleich, ob +ich den ganzen Tag allein sitze. Wer ist drüben?</p> + +<p>Meinst du es sei jemand drüben?</p> + +<p>O ja, ich hörte es wohl! Wer ist drüben? Ich will es augenblicklich +wissen, hörst du?</p> + +<p>Ja, ja, es ist ja nur Marthe Moen.</p> + +<p>Was will sie?</p> + +<p>Oline machte sich irgendetwas am Schranke zu schaffen und antwortete +nicht.</p> + +<p>Hörst du nicht, Oline! Sollte man es für möglich halten! Was sie will, +frage ich?</p> + +<p>Ach nichts, sie wollte bloß hören, ob sie ein Ferkel haben könnte, wenn +wir welche bekommen.</p> + +<p>Hm, hm! hat man so was gehört. Du hast doch nicht etwa auch ihr eins +versprochen?</p> + +<p>Sie saß eine Weile ruhig und sah gerade vor sich hin. Dann hatte sie +das Ganze vergessen und fragte plötzlich:</p> + +<p>Sind Fremde drüben?</p> + +<p>Oline warf einen scharfen Blick auf sie, schüttelte leise den Kopf und +sagte in milderem Tone:</p> + +<p>Ich sagte dir doch, daß Marthe Moen da ist!</p> + +<p>Nein, ist sie da? Mit ihr muß ich reden. Bitte sie, daß sie zu mir +herauskommt, ehe sie geht.</p> + +<p>Ja, das will ich tun, und Oline ging wieder hinüber.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span></p> + +<p>Eine Weile danach kam Ivar in die Kammer.</p> + +<p>Ihr Gesicht hellte sich auf, sowie sie ihn sah.</p> + +<p>Nein, bist du es Ivar!</p> + +<p>Ja, Großmutter; ich kann dich von den Graugänsen grüßen — jetzt sind +sie da!</p> + +<p>Pst — sie winkte mit der Hand nach der Tür — mach die Tür zu, Ivar, +daß uns niemand hört.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Sie hatten ihre Geheimnisse, die beiden, und das war so zugegangen:</p> + +<p>Es war lange her, daß die alte Beret Madslien das kleine +Auszüglerstübchen verlassen hatte. Sie war alt, und obwohl sie gut +eingehüllt war, fror sie beständig. Ihre Hände waren ganz in Ordnung, +aber wenn sie in ihren Stuhl gekommen war, so saß sie da und konnte +sich nicht allein erheben. Gesicht und Gehör hatte sie so einigermaßen +bewahrt, aber mit den anderen Sinnen war es nicht mehr weit her, +namentlich hatte sie ganz ihr Gedächtnis und ihre Urteilskraft +verloren. Wie alle alten Leute war sie eigensinnig und neugierig +geworden, und es war unmöglich, ihr etwas recht zu machen; wenn sie um +etwas gebeten hatte, so war sie im nächsten Augenblicke unzufrieden, +wenn man es ihr gab.</p> + +<p>Meist ließ sie ihre schlechte Laune an Oline, ihrer eigenen Tochter +und der Mutter des Jungen, aus,<span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span> weil sie am meisten um sie war. Sie +bildete sich ein, daß sie ganz unglaublich viel zu erzählen habe. +In Wirklichkeit war kein Zusammenhang in ihren Reden, es war dies +und jenes, was weit, weit zurücklag, als ihr Mann noch lebte, und +was sie nur noch in den gröbsten Zügen in der Erinnerung hatte und +oft durcheinander mischte. Ab und zu hörte Oline ihr ja zu, aber sie +merkte wohl, daß erwachsene Leute ihr nicht aufmerksam folgten, oft +sogar lächelten, und das verursachte ihr Ärger. So war es gekommen, +daß sie Ivar zu ihrem Vertrauten gewählt hatte. Er hörte ruhig zu, und +es schmeichelte ihm, daß die Großmutter immer so vorsichtig war und +flüsterte, damit kein anderer es hören sollte.</p> + +<p>Es war namentlich eins, womit sich die Großmutter diesen Winter +abgequält hatte. Sie wollte ins Freie hinaus. Und das wollten sie ihr +nicht erlauben. Einmal im Winter hatten sie ihr scheinbar nachgegeben, +sie in die Stube hinüber und nach der Tür geführt, aber als sie so weit +gekommen war, war sie plötzlich zornig geworden, »weil es derartig in +der Stube aussähe« und hatte wieder in die Kammer zurückverlangt.</p> + +<p>Und seitdem — sie hatte wohl verstanden, daß sie ihr damals nur zum +Schein nachgegeben hatten — sprach sie nie mehr zu den Erwachsenen von +ihrem Wunsche, hinauszukommen; aber mit Ivar sprach sie<span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span> um so mehr +davon: Sie wäre nur vor Sehnsucht krank, sie wäre sicher, sie würde +gesund werden, wenn sie nur das Tal zu sehen bekäme und die Wiesen, und +die Sonne fühlte. Und das sollte an dem Tage sein, wo die Graugänse +kämen, denn dann wäre der Frühling da.</p> + +<p>Die beiden hatten nun miteinander ausgemacht, daß Ivar ihr an jenem +Tage hinaushelfen sollte, ohne daß die andern etwas davon wüßten — +deshalb hatte er drüben auf dem Hügel gestanden und nach den Graugänsen +gespäht, heute und viele Tage vorher.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Großmutter war sehr eifrig, noch ehe Ivar die Tür geschlossen +hatte. Dann warf sie einen langen Blick nach dem Fenster, beugte sich +zu ihm und flüsterte:</p> + +<p>Flogen sie schön in Reih und Glied? Das ist ein gutes Zeichen.</p> + +<p>Er fuhr zusammen, wurde feuerrot und antwortete nicht gleich. Sie +fragte auch nicht noch einmal, sondern sah ihn nur fragend an. Da sagte +er:</p> + +<p>Ja, Großmutter, sie flogen sehr schön, wie ein Schneepflug.</p> + +<p>So sieh zu, daß du deine Mutter aus der Stube bekommst, damit wir +durchkönnen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span></p> + +<p>Er ging nach der Tür.</p> + +<p>Nein, warte ein bißchen Ivar, zieh das oberste Kommodenfach auf, da +findest du ein Stück gebrannten Zucker.</p> + +<p>Du weißt, ich bekam das letzte gestern, Großmutter.</p> + +<p>So, so; ich möchte dir gern etwas schenken. Sieh nach, ob du etwas +findest, was du haben willst.</p> + +<p>Er ging hin, zog das Fach auf, und seine Finger griffen nach einem +silbernen Herzen. Sie sah es.</p> + +<p>Ja, ja, das sollst du haben, Ivar.</p> + +<p>Er war hocherfreut, aber da fiel sein Blick auf die Großmutter, und er +dachte daran, daß er nicht die Wahrheit gesagt hatte.</p> + +<p>Nein, Großmutter, ich kann es ja später einmal haben, sagte er +kleinlaut, legte es wieder ins Fach und ging hinaus. Bald darauf kam er +schnell wieder herein, nahm einen Stuhl und trug ihn hinaus. Dann kam +er wieder herein:</p> + +<p>Mutter ist mit Marthe Moen im Schweinestall.</p> + +<p>So?</p> + +<p>Ja, und nun habe ich einen Stuhl an die Südwand gestellt. Komm nun, +Großmutter!</p> + +<p>Er reichte ihr den Krückstock und setzte die Spitze ordentlich auf der +Diele zurecht, daß er fest stehen sollte, darauf stemmte er die Achsel +unter ihren andern<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> Arm und richtete sich auf. Sie kam in die Höhe. Sie +war sehr eifrig, und die Spannung verlieh ihr Kräfte; es ging leichter, +als sie erwartet hatte. Über die Türschwelle nach der Stube ging es +gut, denn sie war ganz niedrig, aber als sie die Stube erst hinter sich +hatten, wurde es schlimm. Sie mußte sich an den Türpfosten lehnen, und +er beugte sich nieder und hob ihr den einen Fuß über die Schwelle, +— sie konnte ihn nicht so hoch heben. Dann mußte sie sich ein wenig +drehen, damit er auch den andern hinüberheben konnte.</p> + +<p>Ein Schauder überfiel sie, es war, als würde sie noch kleiner, als sie +durch die Tür kam und die frische Luft ihr entgegenschlug. Doch sie +ermannte sich und versuchte zu lachen:</p> + +<p>Was für ein Unsinn, soll ich nicht hinauskommen, ich bin ja frisch wie +in der Jugend!</p> + +<p>Eifriger setzten sie ihren Gang längs der Wand fort, bald waren sie an +der Ecke. Da fing sie an müde zu werden. Das erste, wonach sie sah, +war der Stuhl. Er stand noch ein Stück weit entfernt, zwischen beiden +Fenstern. Sie krochen weiter. Ein paar Schritte vom Stuhle entfernt +konnte sie nicht mehr, ließ den Stock los, streckte die Hand hilflos, +sehnsüchtig nach der Stuhllehne aus, taumelte einen Schritt weiter, riß +Ivar mit sich und bekam gerade<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> den Stuhl zu fassen. Sie sank schwer +darauf nieder, und Ivar setzte sie zurecht.</p> + +<p>Die Sonne schien warm auf die Hauswand, das Bachesrauschen kam in +steigenden und fallenden Wellen, Vögel zwitscherten, Insekten summten, +— der Frühling lag in der Luft.</p> + +<p>Ivar stand da und sah sie an. Es fiel ihr schwer, den Kopf aufrecht zu +halten, sie hob ihn langsam, begann an der einen Seite und ließ den +Blick langsam rund um den ganzen Gesichtskreis wandern, aber es war ein +matter und gleichgültiger Blick, und dann sank der Kopf wieder nach +vorn und sie sah vor sich hin. Angst und Enttäuschung überfielen Ivar:</p> + +<p>Ist es dir nicht gut, Großmutter?</p> + +<p>Sie fuhr zusammen, schauderte, als sie seine Stimme hörte — im selben +Augenblick fuhr auch ein kalter Luftzug um die Ecke.</p> + +<p>Hm! Alles wird verdorben! Die Flur ist nicht wie in alten Tagen.</p> + +<p>Ivar machte große Augen.</p> + +<p>Wie war es denn damals Großmutter?</p> + +<p>Viel, viel schöner. Und die Sonne ist auch nicht mehr warm! Ja, nichts +hat mehr seine richtige Ordnung. Ich will wieder hinein, mich friert! +Hu!</p> + +<p>Ivars Stimme zitterte, und er hatte Tränen in den Augen:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p> + +<p>Ja, ja, Großmutter, wir wollen wieder hinein! Komm!</p> + +<p>Hu, wie kalt! Nein, ich kann nicht, du mußt deine Mutter holen!</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am folgenden Tage waren eine Menge Leute in dem kleinen +Auszüglerstübchen. Die Großmutter lag im Bett und phantasierte. Der +Doktor war eben fort und hatte gesagt, es sei Lungenentzündung, und +es sei nicht wahrscheinlich, daß die Großmutter in ihrem Alter sie +überstehen würde. Die anderen waren ruhig und sprachen leise, aber sie +weinten nicht weiter. Oline mußte doch hier und da, wenn die Großmutter +im Fieber etwas recht Seltsames sagte, den Schürzenzipfel gebrauchen. +Nur Ivar stand im Winkel beim Schranke und weinte unaufhaltsam. Niemand +konnte es begreifen, denn Kinder pflegen so etwas nicht so ernst +zu nehmen. Er hatte auch gestern den ganzen Tag geweint, und daher +hatten sie ihn nicht weiter gescholten, und niemand hatte ihm von dem +Ausspruch des Doktors erzählt, daß sie sich gestern erkältet habe, und +daß er gewissermaßen daran schuld sei.</p> + +<p>Es war ganz still in dem Kämmerchen, nur die Großmutter phantasierte +und Ivar schluchzte.</p> + +<p>Plötzlich wurde die Großmutter still. Nach einer Weile stieß sie einen +leisen Klagelaut aus und sah<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> sich um. Dann sagte sie mit einem seltsam +milden Klang in der Stimme, so daß alle hörten, daß sie bei Bewußtsein +war:</p> + +<p>Ist es Ivar, der so weint?</p> + +<p>Ja, sagte Oline. Ivar, die Großmutter fragt nach dir.</p> + +<p>Er ging hin, warf sich vor dem Bett auf die Knie und flüsterte:</p> + +<p>Es war nicht wahr, Großmutter; denn ich zeigte gestern auf die +Graugänse.</p> + +<p>Ja, aber dann betetest du ein Vaterunser, wie ich dich gelehrt habe.</p> + +<p>Darauf sagte sie leicht mit einem Lächeln:</p> + +<p>Nein, wahrhaftig Oline, das hätte ich bald vergessen. Ivar soll das +silberne Herz von mir haben.</p> + +<p>Das war das letzte, was die Großmutter sagte.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-037"> + <img class="w100" src="images/illu-037.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span></p> + +<h2 class="p2">In Großvaters Auftrag.</h2> +</div> + +<p>Burman saß auf dem Schwanz draußen im Hof im Sonnenschein. Er blickte +mit dem einen Auge verstohlen nach den Hühnern, die vorsichtig in +einem großen Bogen um ihn herumgingen und sich nicht getrauten ihm zu +nahe zu kommen, und mit dem andern verfolgte er, was sich sonst im Hof +zutrug: die Katze, die sich am Hause lang drückte und sich jedesmal +flach auf den Boden legte, wenn die Turmschwalben wie schwarze Streifen +vorüberflogen, daß es in der Luft pfiff, die Bachstelzen, die hin und +her trippelten und Insekten fingen, und die beiden kleinen Ferkel, die +drüben an der Stalltür herumwühlten. Er döste leise vor sich hin, denn +es gab heute nicht viel zu tun, die Hühner schienen nicht in den Garten +gehen zu wollen, und die Haustür war geschlossen, so daß die Ferkel +nicht hineinkommen und Unheil anstiften konnten.</p> + +<p>Da ging die Tür vorsichtig auf und Burman drehte den Kopf. Es war der +kleine Jon, der auf<span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span> die Steinfliesen hinauskam und die Tür behutsam +hinter sich schloß.</p> + +<p>Was das wohl bedeuten sollte? Er sah sich so schlau um und trug etwas +unter der Jacke.</p> + +<p>Als Jon sich ein wenig umgesehen hatte, eilte er über den Hof hinter +das Vorratsgebäude; er machte auch einen kleinen Bogen um Burman, denn +die beiden waren nicht besonders gute Freunde. Jon fand, daß Burman +häßlich war mit seinen langen Zotteln, und dann wedelte er nie mit +dem Schwanz, wenn er ihn streichelte und sah ihn auch nie an, sondern +blickte nur geradeaus und saß ganz still oder ging seiner Wege. Und das +tat Burman, weil er der Ansicht war, er hätte wichtigeres zu tun, als +sich mit so einem Jungen einzulassen, der einem lästig genug werden +konnte, wie er aus seinen jüngeren Tagen wußte.</p> + +<p>Eine Weile darauf kam Jon zurück — jetzt hatte er nichts mehr unter +der Jacke —, er ging hinunter und stellte sich auf den großen Stein +auf der anderen Seite des Hauses.</p> + +<p>Burman blickte ihm nach, bis er um die Ecke war, dann erhob er sich, +sah sich noch einmal um und trottete hinter das Vorratsgebäude, er +wollte sehen, was Jon dort hingelegt hatte. Er schnüffelte ein wenig +herum und dann fand er verborgen unter einer Steinfliese an der Wand +ein Tuch, in das etwas eingewickelt<span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span> war; an dem Geruch merkte er +gleich, daß es Butterbrot war. Hm, es war am besten, heute ein Auge auf +Jon zu haben!</p> + +<p>Er ging wieder in den Hof, etwas weiter vor als vorher, so daß er am +Haus vorbeisehen konnte, setzte sich gleichgültig auf den Schwanz und +tat nicht dergleichen.</p> + +<p>Da stand Jon auf dem Stein und lehnte sich an die Wand. Er hatte +wahrhaftig auch den neuen Schal um. Er stand mit einem sehr ernsten und +vornehmen Gesicht da und versuchte tiefe und feine Verbeugungen mit dem +Kopfe zu machen, und bei jedem Mal sagte er:</p> + +<p>Guten Tag.</p> + +<p>Endlich schien es ihm, als ob er es könnte.</p> + +<p>Eine tiefe Verbeugung:</p> + +<p>Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold?</p> + +<p>Er antwortete auch für den andern:</p> + +<p>Ja, der bin ich. Aber nimm erst mal Platz.</p> + +<p>O, danke, ich finde schon Platz.</p> + +<p>Woher kommst denn du?</p> + +<p>Ich bin von Sörbö — ich sollte hierher gehen und dich vom Großvater +grüßen und dir sagen, er erwartete dich in den nächsten Tagen, da er +etwas hätte, was er unbedingt mit dir besprechen müßte.</p> + +<p>Nein, was du nicht sagst. Ja, dann geh bitte in die Gaststube und +gedulde dich bis morgen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span></p> + +<p>Er wiederholte es noch einmal, aber als er das drittemal anfangen +wollte, kamen die Leute zum Frühstück, und er setzte sich auf den Stein +und tat nicht dergleichen.</p> + +<p>Die Sache war, daß Jon sich vorgenommen hatte, heute einen Auftrag vom +Großvater zu besorgen, doch das sollte niemand wissen, nicht einmal +Großvater selber.</p> + +<p>Der alte Jon Sörbö, der Großvater, war jetzt so alt und schwach, daß +er schon das dritte Jahr zu Bett lag. Er war nicht krank, aber die +Kräfte reichten nicht länger, und das Gedächtnis begann auch allmählich +nachzulassen. Wie alle seinesgleichen war er ziemlich quengelig +geworden; wenn er sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es +nicht leicht, es ihm auszureden. Und trotzdem alle versuchten, ihm, +soweit es anging, seinen Willen zu lassen, so fand er doch oft, daß sie +unbillig gegen ihn waren, und es gab eigentlich nur einen, der wirklich +gut mit ihm auskam und sein Vertrauter war; das war der kleine Jon — +der hieß ja auch nach dem alten Jon und war der zukünftige Hofbesitzer, +der alles auf Sörbö wieder in die gute alte Ordnung bringen sollte, — +denn der Alte fand, daß Jons Vater, der jetzt den Hof hatte, sich in +vielen Dingen ganz seltsam anstellte.</p> + +<p>Im Frühjahr nun hatte der alte Jon es sich in<span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span> den Kopf gesetzt, daß er +absolut mit seinem alten Freund, Peter Sandvold, sprechen müßte. Was er +eigentlich von ihm wollte, wußte er wohl selber nicht so recht, aber +die Sehnsucht nach dem alten Freunde war da. Erst machte er dem Sohne +nur eine Andeutung, indem er sagte:</p> + +<p>Jetzt, wo es auf den Sommer geht, werde ich wohl so weit zu Kräften +kommen, daß ich auf sein kann, und da will ich den Peter Sandvold +besuchen, ich muß notwendig etwas mit ihm besprechen.</p> + +<p>Er sah, wie der Sohn in den Bart lächelte, als er antwortete:</p> + +<p>Ja, das solltest du wirklich tun, Vater.</p> + +<p>Aber der Sommer kam und Jon fühlte sich nicht kräftig genug um +aufzustehen.</p> + +<p>Daher sagte er eines Tages:</p> + +<p>Du mußt nach Peter schicken; ich muß ihn sprechen.</p> + +<p>O ja, das will ich gern bei Gelegenheit tun.</p> + +<p>Doch der Alte verstand wohl, was das hieß, und schickte den kleinen Jon +hinterher, und der konnte später berichten, daß der Vater drüben in der +Stube gesagt hätte:</p> + +<p>Es ist Unsinn, bei Peters hohem Alter, aber wir wollen so tun, als ob +wir damit einverstanden wären, dann vergißt er es bald.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p> + +<p>Seitdem vertraute der Alte sich keinem anderen als dem kleinen Jon +an. Er spekulierte und spekulierte, wie er es anfangen sollte, eine +Botschaft zu senden. Weit war es ja, auf der Landstraße zwei und eine +halbe Meile, aber quer über den Bergrücken knapp eine, wenn man den +direkten Weg durch den Wald einschlug. Gestern nun hatte der kleine Jon +ihm heimlich Feder und Papier gebracht, und er versuchte zu schreiben: +aber es ging nicht und sie waren einig, daß sie warten müßten, bis der +kleine Jon schreiben gelernt hätte; aber er sollte erst zum Herbst in +die Schule kommen.</p> + +<p>Als der Alte das hörte, seufzte er:</p> + +<p>Herrgott, das wird ein langes Wartejahr.</p> + +<p>In diesem Augenblicke tauchte in dem kleinen Jon der Gedanke auf, über +den Bergrücken hinüber zu Peter Sandvold zu gehen, um ihm Großvaters +Botschaft zu überbringen.</p> + +<p>Das war es, was er heute heimlich vorhatte, und dafür hatte er den +Reiseproviant verborgen.</p> + +<p>Er blieb ruhig stehen, bis die Schnitter die Sensen hingelegt, gegessen +und sich zur Ruhe ausgestreckt hatten.</p> + +<p>Darauf eilte er hinter das Vorratshaus, holte das Bündel mit dem +Proviant und machte sich auf den Weg.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p> + +<p>Burman war das einzige Lebewesen auf dem Hofe, das ihn sah.</p> + +<p>Er drehte sich um, setzte sich ganz ruhig wieder hin und sah nach der +Höhe hinauf.</p> + +<p>Er wollte wohl zu Sjur Pladsen, dahin war er oft allein gegangen.</p> + +<p>Auf einmal spitzte Burman die Ohren — da schlug er den Waldweg ein, +und jetzt war er auch schon im Walde verschwunden.</p> + +<p>Burman begann mit seiner tiefen Stimme zu bellen, daß es zwischen den +Häusern und über das Tal hin hallte.</p> + +<p>Bald darauf trat Jons Vater auf die Schwelle, zornig, weil er geweckt +worden war.</p> + +<p>Kaum hörte Burman die Tür gehen, so bellte er noch lauter, lief ein +paar Sprünge den Weg aufwärts und sah sich um.</p> + +<p>Verdammter Köter! Uns alle zu wecken!</p> + +<p>Burman bellte weiter.</p> + +<p>Pfui, willst du ruhig sein! — er nahm einen Stein und warf nach ihm.</p> + +<p>Burman jagte mit eingeklemmtem Schwanz auf den Hof zurück, legte sich +mit einem beleidigten Blick nieder und sagte nichts mehr.</p> + +<p>Als sie nach der Frühstückspause herauskamen, bellte er wieder +hartnäckig nach dem Wege, der in die<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> Höhe führte, hin. Die Männer +folgten der Richtung mit den Blicken, und einer sagte:</p> + +<p>Was hat der Hund? Ob sich ein Landstreicher gezeigt hat.</p> + +<p>Aber der Bauer antwortete:</p> + +<p>Ach was, Unarten sind es. Pfui, willst du ruhig sein, wenn es nichts zu +bellen gibt — darauf gingen sie alle wieder aufs Feld und Burman legte +sich wieder still auf dem Hofe nieder, die Augen spähend nach der Höhe +gerichtet.</p> + +<p>Als sie zu Mittag wiederkamen, probierte Burman es noch einmal, sprang +bellend den Weg hinan und wieder zum Bauern zurück, wieder hinauf und +wieder zurück. Doch da wurde der Bauer ernstlich böse:</p> + +<p>Pfui, willst du ruhig sein, — er gab ihm einen Tritt, daß er +fortrollte — hat man je so einen Köter gesehen.</p> + +<p>Während sie hineingingen, sandte Burman ihnen einen langen Blick nach, +dann trottete er, den Schwanz schwer hinter sich herschleppend mit weit +heraushängender Zunge in der heißen Sonnenglut langsam bergauf.</p> + +<p>Der kleine Jon war gewohnt, sich allein herumzutreiben, und niemand +hatte ihn vermißt. Erst als sie gegessen hatten, sagte die Mutter:</p> + +<p>Wo mag der kleine Jon sein? Hat ihn einer gesehen?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span></p> + +<p>Nein, niemand hatte ihn seit dem Frühstück gesehen.</p> + +<p>Sollte er beim Großvater draußen sein?</p> + +<p>Sie ging in die Kammer hinaus und fragte.</p> + +<p>Nein, der Großvater hätte ihn seit dem frühen Morgen nicht gesehen, er +hätte es so eilig gehabt.</p> + +<p>Sie begann unruhig zu werden und suchte im Hofe überall, wo er sich +sonst aufhielt. Die Angst wuchs, sie kam herein und bat eins der +Mädchen, zu Sjur Pladsen hinaufzuspringen und zu sehen, ob er da wäre.</p> + +<p>Ihre Unruhe begann die andern anzustecken, und alle fingen an, sich zu +wundern.</p> + +<p>Das Mädchen kam zurück und sagte, Sjur hätte nichts von ihm gesehen.</p> + +<p>Da gingen sie hinaus, einer nach dem andern, umkreisten alle Häuser, +guckten hinein, und schließlich begann die Mutter ihn zu rufen.</p> + +<p>Bei dem Rufen schien über alle die Angst zu kommen, und bald rief jeder +nach einer andern Richtung. Keine Antwort.</p> + +<p>Da erinnerte sich der Bauer an Burman:</p> + +<p>Sollte der Junge in den Wald gelaufen sein; der Hund benahm sich heute +zu merkwürdig!</p> + +<p>Ja, daran erinnerten sich alle. Sie fingen an Burman zu locken und +waren nicht wenig verwundert,<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> als er nicht kam, denn Burman entfernte +sich nie vom Hofe.</p> + +<p>Ja, sagte der Bauer, da bleibt nichts anderes übrig, wir müssen das Heu +liegen lassen und in den Wald ziehen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Als der kleine Jon den Waldweg aufwärts stieg, stieß er auf einen +sehr steilen, steinigen Hügel, auf den die Sonne mit aller Kraft +herniederbrannte. Aber das kümmerte ihn weiter nicht, und er stieg +mutig darauf los; je weiter er kam, um so krümmer wurden seine Knie und +der Hosenboden wurde so merkwürdig schwer; als er halb oben war, mußte +er Halt machen und die Jacke ausziehen. Er nahm sie über den Arm und +zog weiter.</p> + +<p>Nach einer Stunde war er oben, und nun ging der Weg sanft ansteigend im +Walde weiter.</p> + +<p>Er setzte sich — er meinte, er müßte nun doch bald da sein; er wußte +allerdings nicht ganz genau, wie lang eine Meile war, aber so übermäßig +weit konnte es jetzt nicht mehr sein. Vielleicht war er dem Hof ganz +nahe und hatte sich bloß nicht richtig danach umgesehen.</p> + +<p>Er blickte vorwärts.</p> + +<p>Nein, nichts als dichter Wald zu beiden Seiten des Weges; er mußte sich +vielleicht beeilen, wenn er bis zum Abend da sein wollte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span></p> + +<p>Er stand auf und lief weiter; jetzt kam ihm sein Auftrag wieder in den +Sinn:</p> + +<p>Eine tiefe Verbeugung:</p> + +<p>Guten Tag! Seid Ihr Peter Sandvold?</p> + +<p>Ja, der bin ich — aber nimm erst mal Platz, bitte.</p> + +<p>O, danke, ich finde schon Platz!</p> + +<p>Wo kommst du her?</p> + +<p>Von Sörbö, ich sollte hierhergehen und dich vom Großvater grüßen und +sagen, du möchtest bald kommen und ihn besuchen, er müßte durchaus mit +dir etwas besprechen.</p> + +<p>Nein, sieh an; dann gehe bitte in die Gaststube und gedulde dich bis +morgen.</p> + +<p>Die Gedanken liefen weiter:</p> + +<p>Und dann gehe ich in die Kammer und sie bieten mir Bewirtung und Kaffee +und Gebäck, und abends lege ich mich in ein Daunenbett so hoch, so hoch +— —</p> + +<p>In diesem Augenblicke flog ein Birkhahn gerade vor seinen Füßen auf und +er erschrak, daß er schluckste. Er sah gerade so viel von ihm, daß er +erkannte, daß es ein Vogel war, aber der Schrecken saß in ihm.</p> + +<p>Er blieb eine Weile ganz still stehen, ehe er sich umsah. Da sah er, +daß der Weg verschwunden war und er mitten im Walde stand.</p> + +<p>Pah, den Weg würde er wieder finden. Er ging nach der Seite, aber er +war jetzt so merkwürdig<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> vorsichtig geworden, als ob er Angst hätte, +daß ein Zweig krachte, wenn er die Füße aufsetzte.</p> + +<p>So ging er lange. Es war seltsam, als ob die Erde den Weg verschlungen +hätte. Und so unheimlich still! Er fuhr zusammen und horchte, wenn nur +ein Eichhörnchen mit einem Tannenzapfen raschelte.</p> + +<p>Er ging und ging, schneller und schneller, schließlich rannte er; es +knackte so unheimlich, es raschelte überall; die Mundwinkel verzogen +sich wie zum Weinen, aber es kam nicht zu Tränen, nur vorwärts ging es +in immer schnelleren Sprüngen; es war, als verfolge ihn etwas, als käme +es auch von den Seiten, er lief und lief, — — — bis er über eine +Baumwurzel stolperte und im Heidekraut unter einer großen Tanne liegen +blieb.</p> + +<p>Er erhob sich rasch mit einem Schrei in sitzende Stellung, jetzt, +dachte er, hatte es ihn gepackt.</p> + +<p>Nein, es war nichts; aber es war ihm, als ob es rings im Walde auf +ihn lauerte; er wagte nicht sich zu rühren, sondern kroch nur tiefer +unter die Tannenzweige, gerade als ob der kleine Fleck ihm Sicherheit +gewährte.</p> + +<p>So blieb er lange sitzen, und spähte und forschte nach allen Seiten in +ängstlicher Spannung.</p> + +<p>Da hörte er hinter sich, wo er hergekommen war, etwas rascheln.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span></p> + +<p>Er drückte sich unter die Tannenzweige und riß die Augen weit auf. Da +kam es, etwas Großes, Schwarzes — immer näher - gerade auf ihn los — +— — er sah einen Schwanz, der sich vergnügt in die Luft streckte, ein +paar sanfte Augen sahen ihn an.</p> + +<p>Er brach in Tränen aus und schlang beide Arme um Burmans Hals.</p> + +<p>Diesmal hatte Burman nichts dagegen; er legte sich nieder und leckte +ihm Gesicht und Hände.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am nächsten Tage bekam der kleine Jon Wagen und Kutscher, um auf der +Landstraße hinzufahren und zu fragen, ob Peter Sandvold auf Besuch zum +alten Jon Sörbö kommen könnte.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-050"> + <img class="w100" src="images/illu-050.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span></p> + +<h2 class="p2">Kirchenexamen vor dem Bischof.</h2> +</div> + + +<p>Es ist ein strahlender Sommermorgen oben auf einer Sennhütte. Sie +liegt gerade am Talrand mit Aussicht bis hinunter, umgeben von kleinen +niedrigen Wäldchen, die sich auf dem sanften Abhang nach den kahlen +Höhen hinaufziehen. Die Sonne ist schon längst am Himmel — sie geht +um drei auf — und scheint auf die drei oder vier kleinen Sennhütten +herab, wo sich die Türen eben wie kleine, schwarze Rachen geöffnet +haben und wo lange blaue Rauchstreifen mit einer leise südlichen +Neigung emporsteigen. Auf der Schattenseite der Tannen glitzern die +feinen Tauperlen in den Tannennadeln und den Spinneweben, und in den +Frauenmänteln und Salbeiblättern auf der Wiese liegen große, glänzende +Tropfen. Die Luft ist klar und still; die bewaldeten Gipfel ringsumher +und der Neusäterberg im Hintergrund rücken ganz nahe in der hohen, +klaren Luft. Über den Tannenwipfeln schwärmen einige Krähen, und in dem +Steinhaufen drüben auf der Wiese huschen ein paar<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> Wiesel hin und her. +In Wald und Feld herrscht tiefe Stille.</p> + +<p>Da ertönt ganz in der Ferne der Klang einer tiefen Glocke, und unter +dem Neusäterberg kommt eine Herde wie ein langer weißer Streifen vor, +— die Uhr geht so unglaublich schnell drüben auf dem Neusäter.</p> + +<p>In der obersten Sennhütte, vor der eine lange flache Wiese sich +hinzieht, öffnet sich die Kuhstalltür, der Hirtenjunge kommt auf die +Wiese heraus mit einem Milcheimer in der Hand, den Strohhut weit hinten +im Nacken, und blinzelt gegen die Sonne. Er geht hin, öffnet das +Zauntor, geht zum Kleinvieh hinein und beginnt die Ziegen zu melken. Er +bewegt die Lippen, als spräche er mit sich selbst, es sieht aus, als ob +seine Gedanken wo anders weilen, er achtet nicht auf die Ziegen, die +sich an ihn herandrängen, um die ersten zu sein. Die Schafe liegen in +dichten Haufen und wiederkäuen, die Ziegen dehnen sich; nirgends ist +Lärm. Aus dem Kuhstall hört man wie die Hörner gegen die Wand stoßen, +jedesmal wenn eine Kuh aufsteht.</p> + +<p>Auf einmal entsteht Lärm:</p> + +<p>Lykkelin! Du sollst nicht die Schafe mit deinen Hörnern stoßen!</p> + +<p>Die Schellenziege, Lykkelin, war drüben in einer Ecke vom Viehgatter +aufgestanden, streckte sich, und<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> stieß an ein Schaf, daß es in den +Rippen krachte, dann schwankte sie mitten durch die Schafe hindurch, so +daß ein breiter Weg entstand, bis zum Hirtenjungen, der rittlings über +Blaasale saß und sie melkte. Dort drückte sie sich an seinen Schenkeln +entlang, bis sie ihren Kopf in derselben Höhe hatte wie Blaasale. +Blaasale bog ihren Kopf so weit weg, wie sie konnte und sah nach der +andern Seite. Doch plötzlich fühlte sie Lykkelins scharfes Horn unter +ihrem Kinn, und machte einen Satz, so daß der Hirtenjunge hinter sie zu +sitzen kam und der Milcheimer umkollerte.</p> + +<p>Den Teufel auch — — —!</p> + +<p>Er sprang auf und setzte Lykkelin nach.</p> + +<p>Großer Aufruhr entstand, die Schafe liefen gerade gegen das Gatter, daß +es krachte, die Schellen klingelten, als wäre ein Hund in der Herde.</p> + +<p>In Jesu Namen, was ist denn los, Gudbrand!</p> + +<p>Es war die Mutter, die durch die Kuhstalltür heraussah.</p> + +<p>Es ist diese elende heimtückische Lykkelin; die Milch von sechs Ziegen +hat sie umgeworfen und mich in den Dreck gesetzt, aber ich werde — hol +mich der Teufel — —</p> + +<p>Er machte einen Satz und faßte Lykkelin drüben in einer Ecke. Da packte +er sie beim Bart:</p> + +<p>Ich werde dich lehren, dich anständig zu betragen!<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> Weißt du, was du +getan hast? Du hast mich in den Dreck gesetzt. Weißt du nicht, daß ich +dein Herr bin, und daß ich heute vor dem Bischof examiniert werde! +Könntest du vielleicht dem Bischof antworten, du Wüterich! Ja, kratze +nur mit dem Fuß, diesmal — er schüttelte sie hart am Bart, so daß +Lykkelin einen verzweifelten Sprung machte und wieder los kam.</p> + +<p>Teufel —</p> + +<p>Nein, du darfst heute nicht so fluchen, Gudbrand, denke an den Bischof!</p> + +<p>Ach, ich denke schon, der Bischof hätte auch ein kleines Gebet +angefangen, wenn er an meiner Stelle gewesen wäre.</p> + +<p>Pfui, wie du redest, Gudbrand! Du wirst so großmäulig, daß ich mir +nicht zu helfen weiß. Geh hinein und nimm dein Buch und lies den +zweiten Artikel noch einmal durch, denn die Werke des heiligen Geistes +kannst du gar nicht, ich werde die übrigen Ziegen melken.</p> + +<p>Doch, allerdings, die kann ich; ich war gerade mitten im dritten +Artikel, als Lykkelin zustieß. Ich will es nicht mehr durchkauen, blos +weil es ihnen einfällt, uns mitten im Sommer zu prüfen. Und dann glaube +ich schon, daß ich trotzdem einer bin, der seinen Mann steht.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p> + +<p>Ja, meinetwegen, wenn du die Schande haben willst! Es ist wirklich der +Mühe wert, daß ich mich abplage, um dir neue Schuhe und eine neue Jacke +zu verschaffen, daß du wie anständiger Leute Kind aussehen sollst, wenn +du dahin kommen willst und dich als Heiden zeigen. Denn du hast den +ganzen langen Sommer nicht in die Bücher gesehen außer in den letzten +Tagen!</p> + +<p>Sie war mitten in das Viehgatter hineingekommen und nahm ihm den +Milcheimer fort.</p> + +<p>So geh herein, und wasch dich wenigstens und zieh dich an, du mußt bald +gehen!</p> + +<p>Gudbrand ging langsam hinein.</p> + +<p>Dann rief sie ihm nach:</p> + +<p>Es liegt ein reines Hemd auf dem Bordbrett über dem Bett.</p> + +<p>Jetzt fingen sie auf der unteren Sennhütte an, das Vieh loszubinden. +Es entstand ein Brüllen und Meckern und Schellenläuten und die Hirten +lockten die Ziegen, daß es gegen den Neusäterberg hallte. Sie zogen +in langer Reihe am Zaun entlang den Berg herauf, voran das Kleinvieh, +rasch und lebhaft über die Wiese hin springend und sich balgend; +hinterher kamen die Kühe, langsam und schwer und sahen sich um.</p> + +<p>Kjersti Nerlien folgte selbst mit und trieb sie an; am Gatter blieb sie +stehen und blickte hinüber. Ihre<span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span> beiden Kälbchen blieben auch stehen +und standen und kauten an ihrem Rock.</p> + +<p>Bist du noch beim Melken, Randine?</p> + +<p>Ja, und du treibst schon die Tiere heraus! Bei mir dauert heute alles +so gräßlich lange.</p> + +<p>Ja, du hast wohl keine Hilfe heute? Gudbrand muß doch zum Kirchenexamen?</p> + +<p>Ja, es kommt doch noch dazu; er bekam die Schuhe gestern Abend spät.</p> + +<p>Ja, für ihn ist das keine Sache, er ist ja so tüchtig im Lernen; ich +bin wirklich froh, daß mein Sigvart noch zu jung ist.</p> + +<p>Ach, ja, ich habe mich so für ihn abgemüht, daß ich hoffe, er wird mir +wenigstens nicht Schande machen, aber es ist nun einmal sonderbar, wo +soviele Kinder von besseren Leuten hinkommen.</p> + +<p>Gudbrand kam wieder heraus, furchtbar fein, mit neuen Schuhen, neuer +Jacke, neuem Schal und gewaschen, daß das Wasser ihm von den Haaren +triefte. Er trat vorsichtig und sprang auf die Steine, um die neuen +Schuhsohlen nicht zu beschmutzen. Er fühlte sich wie ein anderer +Mensch, beinahe erwachsen. Er zog an der Weste, und rückte den Schal +gerade, steckte die Hände erst in die Hosentaschen, aber die waren so +weit unten, daß er die Knie hätte krumm machen müssen; dann steckte er +sie in die Jackentaschen<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> und spreizte sie weit nach beiden Seiten. Das +war männlicher, fand er.</p> + +<p>Da haben wir den Jungen, der vor den Bischof soll, sagte Kjersti, so +fein wie ein neugeprägter Groschen. Das ist meiner Treu ein Junge, der +sich vor Pröpsten und Bischöfen sehen lassen kann.</p> + +<p>Gudbrand antwortete nicht; er blieb mit weit auseinander gespreizten +Beinen stehen und spuckte aus dem einen Mundwinkel:</p> + +<p>Sind das deine Kälber?</p> + +<p>Ja, das sind meine.</p> + +<p>Es sind ganz schöne Kälber.</p> + +<p>Da verstehst du viel davon, sollte ich meinen, sagte die Mutter.</p> + +<p>Bist du so weit fertig, daß wir sie jetzt losbinden können? Es ist +keine Art, daß wir so weit hinterher sein sollen!</p> + +<p>Ja, jetzt bin ich fertig; aber du sollst heute nichts mit dem Losbinden +zu tun haben; du hast ja die neuen Sachen an.</p> + +<p>O doch, es ist schon am besten, daß ich selber dabei bin. Wenn sie +ungehütet herumgehen sollen, so ist es am sichersten. Ich werde +Lykkelin auf den rechten Weg setzen. Es ist eine eigene Sache, wenn man +den ganzen Tag wegbleibt.</p> + +<p>Er öffnete das Gattertor, und Schafe und Ziegen<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> drängten sich so +hastig herbei, daß sie zwischen den Torpfosten stecken blieben und +sich mühsam hindurch pressen mußten. Hüpfend und um die Wette laufend +zogen sie über die Wiese, wobei einige besonders vorlaute Ziegen +hier und da einen Abstecher machten; eine machte eine Wendung nach +dem Schweinekoben, um zu sehen, ob nicht ein bißchen Mehlbrei übrig +wäre, eine andere steckte den Kopf zum Kuhstall hinein, ob nicht Salz +verschüttet wäre, eine dritte preßte den Kopf durch die Stäbe des +Gatters und streckte den Hals nach einem Büschel Gras drinnen auf der +Sennwiese.</p> + +<p>Als Gudbrand sie gesammelt hatte, erteilte er Lykkelin seine Befehle. +Jetzt sollte sie es ihm danken, daß er ihr sein Vertrauen geschenkt +hatte; sie sollte nicht vor dem Abend nach Hause kommen; aber da sollte +sie auch kommen und alle mit sich haben. Und sie täte am besten, nicht +nach den Hammerbergen hinunterzugehen, denn es war so schwer, von +dort wieder hinaufzukommen, daß sie die Milchziegen nicht mitbekommen +würde, sie sollte sich oben auf den Lövhügeln halten. Damit fuhr er +fort, solange die Sennhütte zu sehen war, aber als er hinter das erste +Wäldchen kam, ließ er sie ziehen und legte sich hinter eine kleine +Tanne. Hier zog er das Buch unter der Weste vor; es war am sichersten, +die Heiligung noch ein wenig<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> durchzugehen. Man konnte nie wissen, +worauf sie kämen und das Stück: warum nennt man die Kirche heilig, war +so furchtbar lang. Er las es zweimal durch, machte das Buch zu und +versuchte — nein — noch einmal — dann versuchte er wieder. — —</p> + +<p>Er merkte nicht, daß das Vieh vorüberzog, merkte nicht, daß ein Kalb +an der Tanne vorbeikam, bis es sich erschreckt auf die Seite warf, den +Schwanz in der Luft. Aber da standen auch Kjersti und die Mutter dort.</p> + +<p>Nein, du hast aber einen feinen Jungen, Randine! Liegt er nicht da und +lernt!</p> + +<p>Hat es dich doch noch gepackt, Gudbrand, jetzt wo es dir auf den Nägeln +brennt! Es war aber auch die höchste Zeit!</p> + +<p>Sie hatte es wohl gemerkt, daß Gudbrand schon seit langer Zeit das +Buch mit sich in den Wald geschmuggelt hatte, aber sie hatte nicht +dergleichen getan. Und jetzt sagte sie zu Kjersti:</p> + +<p>Ja, Gott weiß, wie es gehen wird! Ich habe ihn den ganzen Sommer kaum +ein Buch in die Hand nehmen sehen.</p> + +<p>Gudbrand stand ein wenig verlegen auf:</p> + +<p>Es fiel mir ein, daß Marten Madslien gesagt hat, es hätte in den +Blättern gestanden, daß wir ein neues Fragebuch bekommen würden, das +kürzer<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> sein sollte, und da fand ich, ich müßte 'mal nachsehen wie lang +das wäre. Es ist wohl nicht zu erwarten, daß es viel besser wird.</p> + +<p>Er steckte das Buch unter die Weste und stolzierte zurück nach der +Sennhütte.</p> + +<p>Eine Weile darauf lief er den Abhang hinunter mit dem Gesangbuch, dem +neuen Testament und einem Päckchen Waffeln unter dem Arme.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die kleinen Kirchenglocken hatten zum erstenmal geläutet.</p> + +<p>Von allen Seiten kamen Leute herbeigeströmt, schüttelten sich die +Hände und stellten sich schweigend in Reihen längs der Kirchhofsmauern +oder in dem Torweg der Wagenschuppen auf. Wer von weit her kam, suchte +schwitzend mit der Jacke über dem Arm den Schatten und wischte sich +mit der Hand über das Gesicht. Wer Konfirmanden hatte, gab ihnen die +letzten Ermahnungen und schickte sie auf den Kirchplatz, wo sich die +Kinder in Scharen versammelt hatten, eine Schar für jeden Schulkreis. +Sie standen schweigend da und sahen sich um, sie warteten auf die +Schulmeister.</p> + +<p>Die Erwachsenen redeten auch nicht viel, nur einige Worte, wenn einer +gefahren kam, und hin und wieder beschatteten sie die Augen mit der +Hand<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> und blickten nach dem Pfarrhof hinüber, wo die Fahne in der +stillen Luft hin und her flatterte.</p> + +<p>Die kleine Holzkirche lag so weiß da in der Sonnenglut und bekam Risse +von der Hitze, daß es krachte. Es glitzerte in den Fenstern, alle Türen +standen weit offen, und in dem Fensterchen hoch oben im Turm stand der +Glöckner auf beide Arme gelehnt und spähte. Er sollte läuten, wenn er +die Geistlichen in dem Pfarrhoftor sah.</p> + +<p>Die Schulmeister kamen, stellten ihre Kinder in langen Reihen auf und +sagten ihnen, was sie zu tun hätten.</p> + +<p>Wenn der Bischof durch die Kirche schritt, sollten die Jungen sich +verbeugen und die kleinen Mädchen einen Knicks machen, aber nicht alle +auf einmal, sondern immer erst, wenn der Bischof an ihnen vorbeikäme.</p> + +<p>Sie sollten laut antworten und nicht vergessen, dem Bischof gerade in +die Augen zu sehen, wenn er sie fragte, denn das hätte er gern.</p> + +<p>Dann hatten sie nichts mehr zu sagen, und es entstand eine feierliche +Stille. Es konnte schon sein, daß ihnen die Stimme ein wenig gezittert +hatte, und große Schweißtropfen traten ihnen auf die Stirn.</p> + +<p>Dann mit einem Male zitterten die Glockenschläge durch die Luft, daß +der Turm schwankte. Im selben Nu blickten sie alle nach dem Pfarrhof.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span></p> + +<p>Ja, da kamen sie durch das Gittertor alle miteinander. Nein, was für +ein leutseliger Bischof, der zu Fuß ging!</p> + +<p>Und dann begannen sie in die Kirche hineinzuströmen. Jeder Schulmeister +führte seine Kinderschar herein und stellte sie auf. Die Erwachsenen +setzten sich in die Stühle dahinter, hin und wieder gaben sie den +Kindern einen Puff, nahmen ihnen das Frühstückspaket weg und reichten +ihnen ein Buch.</p> + +<p>Gudbrand hatte keine Anverwandten da, und er hatte vergessen, die +Bücher herauszunehmen. Er legte das Bündel zwischen die Kniee, aber die +Hand zitterte ihm, als er den Knoten aufmachte. Er steckte das Tuch +in die eine Jackentasche und die Waffeln in die andere, so daß sie +hervorguckten, und nahm die Bücher in die Hand.</p> + +<p>Die Sonne schien durch die hohen Fenster, sie streifte die beiden +Stühle, die für den Bischof und den Propst hingestellt waren, fiel +auf die Kniebank und den Altar, bis hinein in die Nische zu den zwölf +Aposteln. Noch knarrte hin und wieder eine Kirchenstuhltür, doch dann +konnte man deutlich hören, wie die Blätter der hohen Birke, die gerade +vor dem Fenster stand, leise gegen die Scheiben streiften.</p> + +<p>Dann wandten sich auf einmal alle Köpfe um, und alle Jungen hielten +den Atem an, bis sie ihre<span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span> Verbeugung hinter sich hatten; denn da +kamen sie, zuerst der Bischof mit dem goldnen Kreuz auf der Brust und +schwarzem glänzendem Seidenkäppchen, hinterher der Propst und zum +Schluß der Pfarrer in langsamen, feierlichen Schritten durch die Kirche +und grüßten mit kleinen ernsten Verbeugungen nach beiden Seiten.</p> + +<p>Es war beinahe eine Erleichterung, als sie oben am Altar niederknieten +und der Küster wie gewöhnlich vorkam und das Eingangsgebet verlas. +Als er fertig war, räusperte man sich und scharrte wie sonst, und der +Kirchendiener lief mit der Mütze in der Hand um den Altar und jagte +einen Hund, der sich eingeschlichen hatte, hinaus.</p> + +<p>Darauf hielt der Propst eine Rede, und dann begann das Kirchenexamen.</p> + +<p>Es kribbelte Gudbrand förmlich im Magen, während die Fragen und +Antworten fielen, und das nahm zu, je näher es an ihn herankam. Das +Blut schoß ihm in die Backen, wenn einer dastand und stotterte und +stammelte; er hatte sich halb gewandt, war beinahe im Begriff, einen +Schritt vorzugehen und hielt die ganze Zeit seine Augen auf den Bischof +gerichtet. Wenn er ihn nur fragen wollte!</p> + +<p>Aber der Bischof stand in lauschender Stellung da, die sanften blauen +Augen auf den, den er fragte,<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> geheftet, und wenn die Antwort endlich +einigermaßen zustande kam, nickte er viele Male mit dem Kopf und tat +einen Schritt zur Seite.</p> + +<p>Sie schlichen sich mühselig weiter, alle saßen aufmerksam lauschend da, +nickten und warfen sich Blicke zu. Es herrschte eine solche Spannung, +daß es fast wie eine Erlösung wirkte, als ein milder Regenschauer +im Sonnenschein draußen fiel und die nassen Birkenblätter gegen das +Fenster zitterten.</p> + +<p>Gudbrand vergaß sich, als es so lange dauerte. Er stand und betrachtete +das glänzende Laub. Doch auf einmal erschrak er bis in die Knie. Da +stand der Bischof gerade vor ihm, und der Schulmeister hatte die Frage +begonnen, ehe er zuhörte:</p> + +<p>Wir hörten neulich, daß im dritten Artikel steht: die <em class="gesperrt">heilige</em>, +christliche Kirche.</p> + +<p>Kannst du mir sagen, warum die Kirche heilig genannt wird?</p> + +<p>Da hatte er es; wie gut, daß er es noch durchgegangen hatte! Es wurde +ihm schwarz vor den Augen, er konnte nicht auf das erste Wort kommen.</p> + +<p>Nun? Warum wird die Kirche heilig genannt? Weil —</p> + +<p>Weil der heilige Geist durch seine heiligen Gnadenmittel sein Werk +der Heiligung an allen ihren Gliedern ausführt, darum wird die Kirche +heilig<span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span> genannt trotz der Sünde und Armseligkeit, die sich in ihr +findet.</p> + +<p>Der Bischof nickte viele Male, und der Schulmeister ließ einen Blick +über die Gemeinde streifen.</p> + +<p>Sein Werk der Heiligung in allen ihren Gliedern, — fuhr der +Schulmeister fort. Wer sind die Glieder der Kirche?</p> + +<p>Gudbrand überlegte.</p> + +<p>Gehörst du zu den Gliedern der Kirche?</p> + +<p>Ja.</p> + +<p>Und ich?</p> + +<p>Ja.</p> + +<p>Und der Bischof?</p> + +<p>Gudbrand dachte nach. Er fand nicht, daß es anging, daß er mit +dem Bischof zusammengehörte, und darum flüsterte er, daß nur der +Schulmeister es hörte:</p> + +<p>Nein.</p> + +<p>Überlege es dir einmal; gehört nicht der Bischof zu den Gliedern der +Kirche?</p> + +<p>Doch.</p> + +<p>Der Bischof nickte.</p> + +<p>Nun denn, wer gehört also zu den Gliedern der Kirche?</p> + +<p>Gudbrand ging ein Licht auf.</p> + +<p>Alle, die an Christum glauben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span></p> + +<p>Richtig. Aber —, kannst du aus dir allein an Christum glauben?</p> + +<p>Nein.</p> + +<p>Wer verhilft dir zum Glauben?</p> + +<p>Der heilige Geist.</p> + +<p>Was steht darüber in dem dritten Artikel?</p> + +<p>Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum +Christum, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der +heilige Geist hat mich —</p> + +<p>Richtig. Würde es Klugheit oder Torheit sein, wenn du glaubtest, daß du +aus eigener Kraft an Christum glauben könntest?</p> + +<p>Torheit.</p> + +<p>Wenn nun der Bischof sagte, daß es anginge, wer wäre dann klüger, du +oder der Bischof?</p> + +<p>Gudbrand überlegte. Der Bischof wurde ein wenig unruhig und wollte zum +nächsten übergehen, blieb aber lauschend stehen.</p> + +<p>Nun? Wer wäre dann der Klügste, du oder der Bischof?</p> + +<p>Nein, das ging nicht an, wenn alle zuhörten zu sagen, er wäre klüger +als der Bischof:</p> + +<p>Der Bischof wäre der Klügste.</p> + +<p>Der Bischof schüttelte heftig den Kopf. Dann ging er zu ihm hin und +strich ihm sanft über das Haar:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span></p> + +<p>Nein, mein Junge, dann wärst du klüger als der Bischof.</p> + +<p>Ja, sagte der Schulmeister, du meintest aber, auf so etwas könnte unser +gottesfürchtiger Bischof nie verfallen, nicht wahr?</p> + +<p>Ja.</p> + +<p>Das war recht, mein Junge, mit Gottes Hilfe wird er das nicht tun, +sagte der Bischof, strich ihm noch einmal über den Kopf und ging dann +weiter.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Sonne stand schon tief über dem Neusäterberg, als Gudbrand der +Sennhütte zustrebte.</p> + +<p>Lykkelin war schon mit der ganzen Herde nach Hause gekommen, und sie +lagen jetzt satt und zufrieden am Viehgatter und wiederkäuten. Die +Ziegen drehten sich nur ein wenig um und meckerten, als er kam. Die +Mutter war drinnen im Kuhstall und melkte; sie sah ihn nicht, ehe er +hereinkam. Er nahm sich viel Zeit und schob den Riegel behutsam vor.</p> + +<p>Nein, da bist du ja, Gudbrand? Wie war es denn?</p> + +<p>Ach, es war wohl ungefähr, wie man erwarten konnte, denke ich.</p> + +<p>Konntest du antworten?</p> + +<p>Ach, du weißt, ich wußte schon das meiste, was sie fragten.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span></p> + +<p>Erzähle doch!</p> + +<p>Da gibt es nicht weiter viel zu erzählen, finde ich. Und dann sagte er +plötzlich: Nein, jetzt muß ich schon meine alten Sachen anziehen und +anfangen zu melken; man kann nicht den ganzen Tag nur zum Staate da +sein.</p> + +<p>Mehr bekam die Mutter nicht aus ihm heraus. Sie begann zu fürchten, daß +er seine Sache nicht gekonnt hätte. Eine Weile darauf kam er in seinen +alten Sachen wieder heraus und begann die Ziegen zu melken. Gudbrand +war so unglaublich verschlossen.</p> + +<p>War denn der Bischof freundlich?</p> + +<p>Ach ja, er war nicht gerade unangenehm.</p> + +<p>Hat er etwas zu dir gesagt?</p> + +<p>Ach ja, er hat schon auch etwas gesagt.</p> + +<p>Was hat er denn gesagt?</p> + +<p>Ach, — man darf nicht alles glauben, was man hört.</p> + +<p>Was sagst du da?</p> + +<p>Ja, wenn du's durchaus wissen willst, so kann ich es auch gern sagen. +Sie fragten mich nach allen Richtungen hin aus, und du verstehst, ich +blieb ihnen keine Antwort schuldig. Und dann, als sie nicht weiter +kamen, dann sagten sie alle, ich wäre klüger als der Bischof, aber das +können sie wohl nicht im Ernst gemeint haben.</p> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-066"> + <img class="w100" src="images/illu-066.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p> + +<h2 class="p2">Die Mütze, die auf der Wolke war, um Gold zu holen.</h2> +</div> + + +<p>Per lag hinter dem großen Stein oben auf Storbakken und blickte +hinunter. Er konnte gerade auf den Hof sehen, der dicht darunter lag. +Es war früh am Morgen, die Sonne war eben aufgegangen und schien auf +die blanken Scheiben, daß sie glitzerten, und mitten zur Haustür +herein, die wie ein schwarzer Rachen offen stand.</p> + +<p>Per hatte die Mütze auf dem dunklen Schopf weit nach hinten geschoben +und lag da und warf die Beine bis fast in den Nacken. Er fand schon, +daß Christian gern die Nase aus den Federn stecken könnte, ehe Hänschen +aufwachte.</p> + +<p>Unten auf dem Hof gingen die Hühner und gackerten und scharrten mit den +Füßen, der Hahn stand auf der Scheunenbrücke und krähte und krähte, die +Schwalben flogen durch den Sonnenschein wie stahlblaue, metallglänzende +Streifen, oben auf dem Scheunendache schwatzte eine Elster und aus der +Esse stieg ein<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> hellblauer Rauch hoch in die Luft. Trotzdem war es ganz +still, — man sah keinen Menschen, sie waren wohl alle draußen auf dem +Felde und mähten.</p> + +<p>Endlich trat Christian in die Haustür. Er strich sich den hellen Schopf +aus den Augen, blinzelte gegen die Sonne, die ihm gerade ins Gesicht +schien, hielt die Hand vor die Augen, und blickte nach oben. Nein, er +sah nichts; nur einen blauen Rauch über dem Rand von Storbakken. Er +kam aus der Häuslersesse. Ja, er glaubte, er konnte sehen, daß er nach +Kaffee roch.</p> + +<p>Hallo, Per! Keine Antwort. Nein, Per hatte wohl noch keinen +Morgenkaffee bekommen.</p> + +<p>Er steckte die Hände in die Tasche und wollte umkehren.</p> + +<p>Da ertönte ein: Hallo, Christian!</p> + +<p>Er blieb stehen: Hallo, Per!</p> + +<p>Per sprang auf und schlug Purzelbäume hinunter, Hallo, Christian! — +Hallo, Per! — Hallo, Christian! — Hallo, Per!</p> + +<p>Und Per sprang und schlug Purzelbäume und kollerte hinunter, und die +ganze Zeit schallte es hinaus in die Morgenluft: Hallo, Christian! +Hallo, Per!</p> + +<p>— — Per war vom Häuslerplatz und Christian war vom Hof. Sie waren +gute Freunde und pflegten den ganzen langen Tag zusammen zu sein, und +das war nicht zu verwundern, denn es gab weit und<span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span> breit keine solchen +forschen Jungen wie sie, und niemand, der solche Sachen hatte. Sie +hatten eine Mühle und eine Säge, die gingen, wenn im Bach genug Wasser +war, und dann hieß Per der Müller und Christian der Obersägemeister; +wenn sehr viel Wasser da war, so stauten sie das Wasser erst und ließen +es dann laufen und flößten Holz; doch da hatten sie andre Namen, denn +da hieß Christian Zimmermann Pedersen und Per Inspektor Wasserfall, +von dem Mal her, wo er fiel und auf den Hosenboden mitten in den Bach +zu sitzen kam. Wenn der Bach trocken war, trieben sie Landwirtschaft; +sie hatten Hof und Sennhütte und Vieh, Großvieh und Kleinvieh und +Schäferhund. Die Kühe waren runde Steine und der größte, der so +ungeheuer groß und glänzend war, war der Bulle Dybendal; und die Schafe +waren Tannenzapfen und eine merkwürdige kleine runde Wurzel, die der +Knecht ihnen zugeschnitten hatte, war der Schäferhund: Bärenbeißer, +und der hatte mehr als einmal mit dem Bären zu tun gehabt. Sie hatten +auch einen Bogen, mit dem sie auf die Jagd gingen und Pfeile, die so +unwahrscheinlich hoch flogen, daß der beste einmal bis auf die Wolke +gegangen und dort oben liegen geblieben war, — sie fanden ihn erst +viel später im Gras wieder, als es geregnet hatte. Und da erzählte +ihnen der Knecht, daß er wahrscheinlich wieder heruntergeregnet<span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span> wäre, +und daß sie gut nachsehen sollten, ob nicht Gold an ihm wäre, denn oben +auf der Wolke wäre Gold. Doch er war so glatt, daß nichts an ihm hängen +geblieben war, und als sie ihn teerten, bekamen sie ihn nicht mehr so +hoch.</p> + +<p>Doch in der letzten Zeit waren Per und Christian umgezogen. Die Mühle +und die Säge standen da und Bärenbeißer mußte allein auf das Vieh +achtgeben. Es war oft genug langweilig gewesen, daß Hänschen immer mit +sein wollte; denn es war nun einmal nichts für Zimmermann Pedersen und +Inspektor Wasserfall, stets den Jungen zum Aufpassen zu haben; aber da +war nichts zu machen gewesen, — er kam stets, wenn er wußte, wo sie +sich aufhielten. Aber jetzt waren sie sehr darauf aus, es verborgen zu +halten, wo sie ihre Zuflucht hatten; sie schlichen sich früh weg und +blieben den ganzen halben Tag fort. Sie hatten sicher etwas vor, wovon +Hänschen lieber nichts wissen sollte.</p> + +<p>Das erste, was Per sagte, als er in die Haustür hinunterkam, war auch: +Ist er auf?</p> + +<p>Nein, er schlief, als ich hinausging.</p> + +<p>Hast du den Fünfpfünder instand?</p> + +<p>Ich sollte es meinen! Und Per zog ein großes Kuhhorn hervor, in das er +Zündlöcher gebohrt hatte. Hast du Futter für ihn?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span></p> + +<p>Ach ja, ich denke schon, und Christian zeigte einen großen Beutel mit +Pulver vor.</p> + +<p>Die Sache war, daß sie oben auf dem Boden ein Fäßchen Minenpulver +gefunden hatten, und davon durfte niemand etwas wissen, denn Pulver war +streng verboten.</p> + +<p>Ja, dann ist es am besten, daß wir fortkommen.</p> + +<p>Sie schlichen sich leise über den Hof und sahen sich jeden Augenblick +um; dann als sie um die Ecke des Vorratshauses waren, fingen sie an die +Straße entlang zu laufen.</p> + +<p>Halt, Christian! Ich sehe dich schon.</p> + +<p>Es war Hänschen, der in die Haustür hinausgekommen war, und das letzte +Ende von ihnen gesehen hatte, als sie um die Ecke verschwanden.</p> + +<p>Er hatte nur Hosen und Schuhe anbekommen, oben war er im bloßen Hemd. +Er hatte Eile gehabt, denn Hänschen verstand sehr wohl, daß sie sich +von ihm fortschleichen wollten und hatte sich vorgenommen, auf sie +aufzupassen.</p> + +<p>Halt, hörst du! Ha—a—lt!</p> + +<p>Er schrie, bis er an der Ecke des Vorratshauses vorbeikam und Per und +Christian ruhig im Grase liegen und in die Luft blicken sah.</p> + +<p>Er sagte nichts, sah sie nur ein wenig zweifelnd an, und setzte sich +auch ins Gras. Er wollte schon auf sie aufpassen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span></p> + +<p>Per und Christian blinzelten einander zu und begannen Purzelbäume +zu schlagen. Nach einer Weile durfte auch Hänschen mitmachen. Dann +spielten sie mit andern Dingen. Auf einmal sagte Christian:</p> + +<p>Du, Hänschen, wollen wir zum Jahrmarkt reisen?</p> + +<p>Ja—a! Hänschen wurde strahlend vergnügt.</p> + +<p>Du fängst an.</p> + +<p>Nein, du wirst mich nicht zum Narren haben! Du fängst an!</p> + +<p>Ja, gern. Ich hatte ein Füllen!</p> + +<p>Hänschen sprach ihm nach: Ich hatte ein Füllen!</p> + +<p>Meins wurde ein Pferd.</p> + +<p>Meins auch.</p> + +<p>Ich zähmte meins.</p> + +<p>Ich zähmte meins auch.</p> + +<p>Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset.</p> + +<p>Dann reiste ich zum Jahrmarkt in Grundset.</p> + +<p>Da traf ich einen Mann, der einen Bären hatte.</p> + +<p>Da traf ich einen Mann, der auch einen Bären hatte.</p> + +<p>Da vertauschte ich mein Pferd gegen den Bären.</p> + +<p>Da vertauschte ich auch mein Pferd gegen den Bären.</p> + +<p>Da traf ich dich.</p> + +<p>Da traf ich dich.</p> + +<p>Da nahm mein Bär deinen Bären und fraß ihn auf.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span></p> + +<figure class="figcenter illowp62" id="illu-075" style="max-width: 45.625em;"> + <img class="w100" src="images/illu-075.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span></p> + +<p class="p2">Hänschen bekam zuerst ein langes Gesicht; aber dann wurde er wütend:</p> + +<p>Du mogelst, Christian, du sagtest zuerst guten Tag, und darum wird es +mein Bär, der deinen auffrißt.</p> + +<p>Nein, es war meiner, der deinen auffraß.</p> + +<p>Nein, meiner! Hänschen war am Weinen: ja, so laß uns noch einmal +anfangen, dann wirst du sehen!</p> + +<p>Nein, dein Bär ist aufgefressen.</p> + +<p>Ä—h ä—h, es war meiner. — ä—h ä—h.</p> + +<p>Nein, meiner!</p> + +<p>Ä—h, Mutter! er sagt ä—h ä—h, daß sein Bär meinen auffraß! Hänschen +lief hinein, um es der Mutter zu sagen; er vergaß, daß er auf sie hatte +aufpassen wollen.</p> + +<p>Als er glücklich in der Haustür drin war, machten sich Per und +Christian eilends aus dem Staube und verschwanden.</p> + +<p>Drüben in Svartdalen, ein gutes Stück vom Hofe entfernt, hatten sich +Per und Christian eine Höhle eingerichtet, vor der ein Haselwäldchen +stand, so daß sie nicht gesehen werden konnten, wenn man nicht auf die +oberste Höhe hinaufkam und gerade auf sie hinunterblickte. Dorthin +hatten sie das meiste von ihren Sachen gebracht; dort hatten sie +einen Herd gebaut,<span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span> dort hatten sie ihre Schmiede, dort zündeten +sie ihre Feuer an; aber das wagten sie nicht oft zu tun, aus Angst, +daß man den Rauch sehen könnte. Hier fühlten sie sich sicher, hier +hatten sie Sprühmännchen angezündet, und hier hatten sie mit Tüten und +Sturmhutstielen zu schießen versucht; aber <em class="gesperrt">damit</em> ging es nicht, +die Tüten brannten nur an und die Sturmhutstiele platzten; es konnte +also nicht die Rede davon sein, mit ihnen in die Wolke nach Gold zu +schießen, — denn das war es eigentlich, was sie vor hatten. Aber heute +hatten sie den Fünfpfünder, heute sollte es Ernst werden.</p> + +<p>Sie mußten erst Probeschüsse machen, ehe sie in die Wolke schossen. Sie +machten ein Feuer an, gossen das Pulver in das Horn und stopften es +voll mit Gras.</p> + +<p>Es knallte nicht sehr stark; das Horn sprang nur einige Ellen nach +rückwärts und der Grasbüschel ein wenig nach vorwärts.</p> + +<p>Pah, es war nicht stark genug geladen, der Fünfpfünder mußte +festgemacht werden, und dann mußte eine Kugel hinein; ja, dann wurde es +eine Kanone, die schon gehen sollte; sie würden mindestens quer über +das Tal schießen können.</p> + +<p>Sie luden von neuem und legten einen großen Stein hinein und +befestigten den Fünfpfünder zwischen<span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span> zwei Steinen. — Nein, sie mußten +ihn vielleicht ein wenig wegrücken? — Ja, es wäre schade um die Leute +am Talende, wenn man ihnen die Häuser niederschoß; sie mußten ihn auf +den Wald richten.</p> + +<p>Das taten sie denn und zündeten an.</p> + +<p>Ja, diesmal knallte es wahrhaftig! <em class="gesperrt">Der</em> Schuß ging! Konnte Per +nichts drüben am Abhange sehen! Ja, denn Christian schien es deutlich, +als fiele eine Tanne um, als der Schuß losging.</p> + +<p>Ob es eine ganze Tanne war, konnte Per nicht sagen, aber er sah +jedenfalls, daß ein Tannenwipfel herunterfiel.</p> + +<p>Es war schon fraglich, ob sie eine bessere Kanone auf der königlichen +Festung hätten.</p> + +<p>Ach nein, das war nicht anzunehmen. Mit der konnten sie sicher bis in +die Wolke schießen.</p> + +<p>Ja, das war sicher. Aber was sollten sie hinaufschicken? Es mußte etwas +sein, in das das Gold hereinkommen konnte.</p> + +<p>Sollten sie etwa Pers Zipfelmütze hinaufschicken? Vielleicht kam sie +dann vergoldet wieder herunter.</p> + +<p>Ja, Christian wunderte sich schon, was sie zu Hause sagen würden, wenn +sie mit vergoldeten Mützen und Goldstücken in den Taschen heimkämen. Da +könnten sie Pulver kaufen — ein ganzes Faß voll!</p> + +<p>Ho—ho! erklang es gerade über ihnen. Der<span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span> Fünfpfünder und der +Pulverbeutel wurden schnell beiseite gebracht, ehe sie hinaufblickten.</p> + +<p>Dort lag Hänschen:</p> + +<p>Ach bitte, vergoldet doch auch meine Mütze!</p> + +<p>Per und Christian waren wirklich ärgerlich. Sie versuchten Hänschen +alles Mögliche einzubilden. Sie boten ihm den besten Bogen an, wenn er +gehen und nichts sagen wollte. Doch Hänschen hatte den Knall gehört, +sie könnten ihm nichts weismachen, — wenn sie nicht seine Mütze +vergoldeten, so ginge er spornstreichs nach Hause zu Mutter und sagte, +daß sie Pulver hätten, und da würde es einen andern Tanz geben.</p> + +<p>Ja, da gab es keinen andern Rat, als sich mit Hänschen abzufinden und +ihn zu besänftigen. Sie zeigten ihm alle ihre Herrlichkeiten und er +versprach, daß er gar nichts vom Pulver sagen wollte; aber da sollten +sie seine Mütze zuerst vergolden.</p> + +<p>Ja, das wollten sie auch gern tun, und bald hatten sie alles vergessen +und waren wieder gleich eifrig. Es war wohl am sichersten, sie banden +einen Stein an die Mütze, denn sonst kam sie nicht wieder herunter, ehe +Regenwetter war.</p> + +<p>Das war am besten. Wie wollten sie es machen?</p> + +<p>Sie könnten das Kanonenende fest in die Erde stecken, den Stein +hineintun, ihn mit einer Schnur an<span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span> der Mütze festbinden und die Mütze +oben darauf hängen.</p> + +<p>Der Vorschlag wurde angenommen. Dann schütteten sie das Horn fast +halb voll mit Pulver, luden gut und machten sich fertig. Es war ein +feierlicher Augenblick und alle standen atemlos da, als Christan +endlich einen Brand nahm.</p> + +<p>Gebt jetzt acht! — Er brachte den Brand an das Zündloch.</p> + +<p>Frrrr—s—piff—paff—puff!</p> + +<p>Sie standen in einem Lichtscheine wie von einem starken Blitze und +schraken alle drei so zusammen, daß sie umfielen.</p> + +<p>Sie sahen ein wenig blaß aus, als sie sich so weit erholt hatten, daß +sie einander ansehen konnten. Sie hatten den Pulverbeutel so weit in +die Nähe gesetzt, daß er mit draufgegangen war.</p> + +<p><em class="gesperrt">Das</em> war ein Schuß, sagte Christan.</p> + +<p>Ja, das <em class="gesperrt">war</em> ein Schuß, sagte Per.</p> + +<p>Sahst du die Mütze?</p> + +<p>Es war mir, als sähe ich sie undeutlich, als sie vorbeiflog.</p> + +<p>Ist sie denn jetzt auf der Wolke? fragte Hänschen.</p> + +<p>Wir wollen froh sein, wenn sie nicht noch weiter ist.</p> + +<p>Kommt sie denn bald wieder herunter?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p> + +<p>Oh, das wird wohl noch eine Weile dauern.</p> + +<p>Sie blieben alle drei stehen und starrten in die Luft. Nach einiger +Zeit bekam Hänschen einen müden Nacken und sah wieder nach unten. Da +ist sie!</p> + +<p>Die Mütze hing oben im Haselbusch.</p> + +<p>Ja, dann mußte sie aber auch schnell wieder heruntergeflogen sein, wenn +sie sie nicht hatten kommen sehen!</p> + +<p>Ja, Per war es, als hätte er einen Streifen gesehen, gerade als +Hänschen es sagte, — da war sie sicher gekommen.</p> + +<p>Sie hatten viel Mühe damit, sie herunter zu bekommen. Draußen war +nichts zu sehen; sie waren sehr gespannt, was drinnen sein konnte. +Als sie sie herunter bekamen, war weiter nichts zu entdecken, als ein +großes Brandloch im Innern.</p> + +<p>Das war seltsam. Wer hätte gedacht, daß das Gold da oben so heiß wäre; +denn es hatte sicher ein Goldklumpen darin gelegen, der das Loch +gebrannt hatte und dann herausgefallen war.</p> + +<p>Vielleicht lag er in dem Haselbusch drinnen.</p> + +<p>Sie suchten lange. Ach nein, der konnte weit von hier heruntergefallen +sein. Ja, ja, morgen mußten sie den kleinen Blecheimer nehmen und +hinaufschicken, denn da mußte der Goldklumpen drinnen bleiben, wie warm +er auch war.</p> + +<p>— — Als sie an dem Tag nach Hause kamen, hielten sie alle drei gut +zusammen und Hänschen war so gut und artig und so vorsichtig, daß +niemand seine Mütze zu sehen bekäme.</p> + +<p>Er wollte schon nicht klatschen.</p> + +<p>Als die Mutter ihnen allen dreien das Essen hinstellte, sagte Hänschen, +während sie dasaßen und aßen. Du, Mutter, heute sind Per und Christian +so gut zu mir gewesen, daß ...</p> + +<p>Das ist brav von ihnen, aber da mußt du auch gut sein.</p> + +<p>Ja, ich werde so gut sein, daß ...</p> + +<p>Wie gut willst du denn sein?</p> + +<p>Ach, ich werde gar nichts davon sagen, daß Per und Christian meine +Mütze in die Wolke schossen! ...</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-083"> + <img class="w100" src="images/illu-083.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span></p> + +<h2 class="p2">Der erste Arbeitstag.</h2> +</div> + + +<p>Christian richtete sich auf den Ellbogen in die Höhe, kroch nach dem +Kopfende und guckte aus dem Fenster dicht daneben.</p> + +<p>Es war noch beinahe dunkel in der geräumigen Häuslerstube. Draußen war +Dämmerung, gerade am Übergang zum Tag, nur einzelne von den größten +Sternen waren sichtbar an dem blauen klaren Herbstmorgen.</p> + +<p>Wieviel Uhr es wohl war? Ja, zu <em class="gesperrt">spät</em> durfte er nicht kommen, die +Schande sollten sie ihm nicht antun, — und dann konnte das auch einen +Abzug vom Tagelohn bedeuten. Ein ganzer Kerl mußte den ganzen Tagelohn +haben. Es war übrigens seltsam, er hatte vergessen zu fragen und Ola +Nordlien hatte auch nichts vom Tagelohn gesagt!</p> + +<p>Er drehte sich, so daß er im Bett saß und blickte hinüber nach dem +anderen Bett am anderen Fenster, wo die Mutter lag.</p> + +<p>Mutter! Mut—t—ter!</p> + +<p>Die Mutter drehte sich ein paarmal um, ehe sie aufwachte, dann schlug +sie die Augen auf:</p> + +<p>Ja. Was willst du, Christian?</p> + +<p>Du hörtest nicht, ob Ola Nordlien etwas davon sagte, wieviel Tagelohn +er geben wollte?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span></p> + +<p>Und darum weckst du mich, du unartiger Junge!</p> + +<p>Ich dachte auch, es wäre vielleicht Zeit, daß du den Kaffee +aufsetztest. Denn wer auf Arbeit soll, braucht Zeit, um richtig munter +zu werden.</p> + +<p>So leg dich jetzt wieder hin. Ich werde es schon nicht verschlafen.</p> + +<p>Aber Christian schlief nicht wieder ein, und was das anbetrifft, er +hatte auch die ganze Nacht nicht viel geschlafen. Denn gestern abend, +als er sich eben hinlegen wollte und schon mit den Hosen in der Hand +dastand, war etwas geschehen.</p> + +<p>Ola Nordlien war selbst hereingekommen, hatte guten Abend gewünscht und +gesagt:</p> + +<p>Jetzt bin ich im ganzen oberen Dorf herumgezogen und habe Leute zum +Kartoffellesen gedungen, und da wollte ich 'mal vorsprechen, ob +vielleicht auch hier ein Knecht zu haben wäre.</p> + +<p>Nein, ich habe jetzt keinen Knecht hier, hatte die Mutter gesagt; der +Per hat jetzt mit dem Kuhstall auf Opsal zu tun, und ich erwarte ihn +vor den Feiertagen nicht zurück.</p> + +<p>Hast du niemanden? Ich finde, da steht ein großer Bursche drüben am +Bett. Nach ihm dort hatte ich fragen wollen.</p> + +<p>Da kann einer glauben, daß Christian sich aufrichtete.</p> + +<p>Du willst also mit zum Kartoffellesen? fuhr die Mutter fort.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span> + +<p>Ja, und darum habe ich ein ganzes Heer von solchen Kerlen zum Auflesen +gemietet, die Kulsvejungen und Sagbakjungen und Jens Perhus.</p> + +<p>Die Mutter lächelte und sah zu Christian hinüber.</p> + +<p>Ja, ich weiß nicht, was Christian dazu sagt, du mußt mit ihm selbst +reden.</p> + +<p>Da verstand Christian, daß er durfte.</p> + +<p>Ola Nordlien wandte sich dann zu ihm und sagte so ernst, als spräche er +zu einem erwachsenen Knecht:</p> + +<p>Ja, hast du wohl Lust, morgen zu uns zu kommen und uns beim +Kartoffellesen zu helfen, Christian?</p> + +<p>Christian zog die Hosen wieder in die Höhe und knöpfte die Klappe zu, +so gut es sich in der Eile machen ließ. Dann setzte er sich auf die +Bank, schlug die Knie übereinander, spuckte weit aus und sagte:</p> + +<p>Ja, eigentlich habe ich nicht viel Zeit, aber da du Mangel an Leuten +hast, so muß ich wohl kommen.</p> + +<p>Das war der Grund, warum Christian nicht wieder einschlief, — denn +zu spät kommen wollte er nun einmal nicht und dann gab es auch viel +anderes zu überlegen, einmal, wie er sich ausrüsten sollte, und dann +auch, wie er sich benehmen sollte.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span> + +<p>Der Morgen schlich langsam weiter, es kam ihm vor, als ob die Uhr +gar nicht von der Stelle rückte — vielleicht war sie auch stehen +geblieben; ein paarmal versuchte er, sich laut zu räuspern oder zu +husten, um zu sehen, ob die Mutter nicht aufwachen wollte. Und als die +Mutter endlich aufgestanden war und kaum den Kaffeekessel mit Wasser +gefüllt hatte, da stand auch Christian mitten im Zimmer.</p> + +<p>Er hatte noch viel zu tun. Erst untersuchte er, ob alle Knöpfe an der +Hose richtig fest saßen. Nein, einer hing bloß an einem Faden; der +mußte befestigt werden; ein Knecht mußte Hosen haben, die es vertrugen, +daß er ordentlich zufaßte. Dann kam der Gürtel an die Reihe, — er +mußte ein neues Loch machen, um ihn enger zu bekommen, er war nämlich +zu weit, und sollte es zu einer richtigen Kraftanstrengung kommen, so +war es am besten, daß er ordentlich eng war. Und den neuen Schal wollte +er lose drüber hängen lassen; das würde sich gut machen, wenn er kam, +und später wenn er den Rock auszog, und ihn dann schön zusammengefaltet +darauf legte.</p> + +<p>Lange ehe der Kaffee fertig war, war Christian angezogen und gerüstet, +bis auf das Heu in den Stiefeln und die Zipfelmütze auf dem Kopf, +und er ging aus und ein und sah aus, als hätte er sehr viel zu tun. +Und als der Kaffee endlich fertig war, nahm es nicht lange Zeit ihn +herunterzukriegen, obgleich er gewaltig viel<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> essen mußte, um seinen +Mann zu stellen und bald stand die Mutter und blickte ihm nach und +bat ihn, gehorsam zu sein und sein Bestes zu tun, während er, die +Zipfelmütze bis über die Ohren, mit langen, wiegenden Schritten wie ein +Erwachsener den Abhang nach Nordlien hinuntertrabte.</p> + +<p>Als er nach Nordlien hinunterkam, war es ganz still draußen im Hof, er +sah nichts anderes, was sich bewegte, als den Rauch, der langsam in +gerader Linie aus der Esse emporstieg, und hörte nichts anderes als das +gleichmäßige Kauen der Pferde im Stall, — sie bekamen ihr Morgenfutter +drinnen vor einem so strengen Tag.</p> + +<p>Es dauerte indessen nicht lange, bis er hörte, daß Ola Nordlien auf den +Beinen war und im Hause herumfuhr und weckte, und als er herauskam und +Christian erblickte, sagte er:</p> + +<p>Das ist meiner Treu ein richtiger Junge, der zuerst auf dem Platz ist, +und da setzte Christian den einen Fuß vor und sagte:</p> + +<p>Ja, ich finde, wir hätten schon anfangen müssen, wenn wir bis zum Abend +etwas ausrichten wollen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span></p> + +<p>Allmählich wurde es lebhaft auf dem Hof. Die Leute des Hofes selber +waren aufgestanden und kamen heraus, gähnten und dehnten sich, und von +dem oberen Dorf kam der eine nach dem andern, Erwachsene und Kinder, +Häusler und Häuslerinnen, und Ola Nordlien ging herum und fand Hacken +und Eimer und lieferte sie aus, und Trampelpeter, der Knecht, ließ die +Pferde heraus, um sie zu tränken.</p> + +<p>Christian war der kleinste von ihnen allen, und er hielt sich auch so +weit im Vordergrund, daß er ihnen auffiel. Trampelpeter, der ein loses +Mundwerk hatte, sagte auch gleich:</p> + +<p>Nein, was ist das für eine Kartoffel, die ist ja mächtig groß.</p> + +<p>Christian wurde sehr wütend auf den Lümmel, aber sein Zorn legte sich, +als Ola Nordlien gleich sagte:</p> + +<p>Das ist mein Großknecht. Du, Christian, du mußt ein bißchen ein Auge +auf Trampelpeter und die anderen haben.</p> + +<p>Christian sah ihn ein wenig unsicher an, und seine Mundwinkel fingen an +zu zittern; denn er wußte zwar, daß er ein tüchtiger Junge war, aber +eine solche Auszeichnung hatte er trotzdem nicht erwartet.</p> + +<p>Ist das dein Ernst, Ola Nordlien?</p> + +<p>Ja, natürlich ist es mein Ernst.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span></p> + +<p>Jetzt waren sie alle versammelt, mit Ausnahme von dem Faulpelz Jens +Perhus, den sie langsam die Straße herunterschlendern sahen. Christian +rief ihm zu, er möchte sich gefälligst beeilen und dann sagte er:</p> + +<p>Jetzt mußt du die Pferde anschirren, Trampelpeter. Jetzt müssen wir +anfangen, und er nahm seinen Eimer über den Arm, warf die Hacke über +die Schulter und ging mit langen Schritten an der Spitze des ganzen +Zuges hinüber nach dem Kartoffelfeld.</p> + +<p>Sie verteilten sich über eine lange Kartoffelfurche, ein Erwachsener +zum Graben und ein Junge zum Auflesen, und Christian richtete es so +ein, daß er abwechselnd vor Ola Nordlien selber und vor Trampelpeter +auflas, denn die gruben nicht die ganze Zeit, — Ola mußte eine neue +Furche aufpflügen, wenn die eine geerntet war, und Trampelpeter sollte +die Kartoffelsäcke zum Hof fahren.</p> + +<p>Ola setzte den Pflug an und pflügte eine Furche um, so daß die schönen +weißen Kartoffeln über die schwarze feuchte Erde hinausrollten, alle +Rücken bückten sich, um zu graben, und alle die kleinen Hände gingen +wie Trommelschlägel, um aufzulesen; es wuchs schnell an in den weißen +Säcken, die in einer Reihe hinter ihnen standen, denn Christian und +einige andere wetteiferten, wessen Sack am schnellsten voll würde, und<span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span> +wer seinen Eimer am öftesten leeren könnte, — es ging scharf zu beim +Kartoffellesen auf Nordlien an dem Tage.</p> + +<p>Die erste Zeit verging sehr rasch, ehe Christian sich's versah, war die +Frühstückszeit da und sie sollten zurück und essen. Als sie gegessen +hatten und draußen im Hofe saßen und satt und zufrieden ausruhten, +sagte Ola Nordlien:</p> + +<p>Ja, so geht es, wenn man einen tüchtigen Großknecht hat; ich weiß mir +keinen besseren Rat, als daß ich Christian doppelten Tagelohn bezahle, +wenn er Jens Perhus wirft; aber daran zweifle ich, denn Jens ist zäh.</p> + +<p>Christian zögerte eine Weile, aber dann stand er auf, zog den Gürtel +bis ins neue Loch, spuckte in die Hände und sagte:</p> + +<p>Ja, so komm heran, Jens.</p> + +<p>Sie fuhren aufeinander los, und keiner gewann gleich; aber schließlich +sank Christian auf die Kniee und in demselben Augenblicke sprang der +Gürtel entzwei. Er stand mit rotem Gesichte auf und hielt den Gürtel +vor.</p> + +<p>Ja, ich verlor, aber hier siehst du, Ola Nordlien, wäre der Gürtel so +stark gewesen wie ich, so hätte ich ihn geworfen.</p> + +<p>Dann begannen sie von Stärke zu reden, und Trampelpeter, der gern für +sehr stark gelten wollte, sprach<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> davon, daß er eine Tonne Kartoffeln +auf den Wagen heben könnte.</p> + +<p>Ja, das kann ich auch — mit dem Maule, sagte Christian ganz trocken +und ernst, so daß Ola Nordlien und die andern lachten; aber seitdem +waren Trampelpeter und Christian nicht besonders gut aufeinander zu +sprechen.</p> + +<p>Die Zeit bis Mittag verging nicht ganz so schnell, es war tüchtig warm +geworden und die Sonne stand ihnen gerade auf dem Rücken. Es kann schon +sein, daß Christian das eine oder andere Mal nach der Sonne schielte, +um zu sehen, ob es nicht bald Zeit wäre, aber er sagte nichts, er las +ebenso schnell und er machte auch darauf aufmerksam, daß Jens Perhus +kniete anstatt den Rücken zu beugen. Das war keine Art, wenn etwas +ausgerichtet werden sollte, Jens sollte, bitte, seinen faulen Rücken +beugen. Aber als es gegen Abend ging, kam es doch vor, daß Christian +selber ein wenig Erde auf die Kniee bekam, wenn es niemand sah, und er +war bedeutend runder im Rücken geworden, als er am Morgen war. Doch da +war auch Ola Nordlien gleich fertig, und er schickte ihn nach dem Hofe, +um seine Hacke umzutauschen; er verstand, daß Christian sich einmal +ausruhen mußte.</p> + +<figure class="figcenter illowp63" id="illu-093" style="max-width: 45.625em;"> + <img class="w100" src="images/illu-093.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p class="p2">Endlich war es Abend geworden, die Sonne war untergegangen, die Pferde +waren auf die Wiese<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> gelassen, alle hatten gegessen und standen +draußen im Hofe, bereit nach Hause zu gehen, die Männer mit den Pfeifen +im Munde und die Frauen schon ein gutes Stück auf dem Heimwege — sie +mußten nach Hause und die Kühe für den Abend melken.</p> + +<p>Der Wagen mit der letzten Kartoffelladung stand am Kellerloch und +Trampelpeter stand und lehnte sich daran.</p> + +<p>Er blickte sich heimlich um, tat aber, als wäre er ganz in Gedanken, +wie er den einen Kartoffelsack am Sackband nahm und ihn auf die Erde +herunterhob. Kurz darauf hob er ihn auf dieselbe Weise wieder in den +Wagen und sah sich heimlich um. Ja, sie hatten es beobachtet und Ola +Nordlien sagte auch gleich:</p> + +<p>Ja, du hast doch Kräfte, Per. Was meinst du, Christan?</p> + +<p>Ach, <em class="gesperrt">das</em> war doch nicht so gefährlich.</p> + +<p>Da wurde Trampelpeter böse.</p> + +<p>Nein, hört mal den Burschen da. Er nahm wieder den Sack und hob ihn +herunter. Du mußt viel Brei essen, ehe du so weit bist, daß du ihn +wieder auf den Wagen kriegen kannst.</p> + +<p>Vielleicht könnte ich es gleich tun, meinte Christian.</p> + +<p>Ja, wenn du das kannst, so will ich der schlechteste Bursche im ganzen +Kirchspiel sein.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p> + +<p>Da bist du mein Zeuge, Ola Nordlien, borg mir bitte einen Sack. Und ehe +Trampelpeter ein Wort gesagt hatte, hatte Christian den leeren Sack auf +den Wagen gesetzt und begann die Kartoffeln aus dem einen in den andern +zu füllen. In unglaublich kurzer Zeit war er fertig und warf den leeren +Sack hinterher auf den Wagen.</p> + +<p>Jetzt sind die Kartoffeln und der Sack dort und jetzt bist du der +schlechteste Bursche im ganzen Kirchspiel, Trampelpeter.</p> + +<p>Trampelpeter spuckte weit aus und lief ins Haus.</p> + +<p>Ola Nordlien lachte, bis ihm die Tränen kamen.</p> + +<p>Ja, wenn jemand doppelten Tagelohn verdient hat, so bist du es, +Christian. Sollen wir gleich abrechnen oder kann ich dich morgen wieder +bekommen?</p> + +<p>Du verstehst, ich muß dir helfen, bis du mit den Kartoffeln fertig bist.</p> + +<p>Als Christian allein seinen Nachhauseweg über die Abhänge +hinaufschlenderte, fühlte er sich merkwürdig schwach in den Knieen. +Es war am besten, daß er sich ein wenig hinsetzte. Er hatte nur ein +paar Minuten bis nach Hause, aber er konnte sich trotzdem ein wenig +ausruhen, und so setzte er sich an den Wegrand.</p> + +<p>Auf einmal fing der Kopf an zu nicken, erst nach der einen, dann nach +der anderen Seite; ehe er sich's<span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span> versah, hatte er sich hintenüber +gelehnt und war süß eingeschlafen.</p> + +<p>Die Mutter hatte im Fenster gestanden und zugesehen. Gleich darauf war +sie bei ihm:</p> + +<p>Du mußt jetzt aufwachen und nach Hause kommen, Christian. Du hast dich +wohl heute ordentlich angestrengt.</p> + +<p>Bist du es Mutter? Wo bin ich? Er rieb sich die Augen.</p> + +<p>Du bist hier draußen eingeschlafen, Christian.</p> + +<p>Bin ich eingeschlafen? Du, Mutter — es ist vielleicht am besten, du +erzählst das nicht so, daß der Lümmel, der Trampelpeter, es hört. +— Übrigens eine Schande ist es nicht, denn ich habe auch doppelten +Tagelohn verdient.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-097"> + <img class="w100" src="images/illu-097.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span></p> + +<h2 class="p2">Alexander und Buzephalos.</h2> +</div> + + +<p>Blaß und blau, dünn und mager stand der kleine Stadtjunge am Gatter und +guckte nach den Schafen, die in der Nähe weideten, bereit, über den +Zaun zu setzen, wenn sich eine Gefahr zeigte. Er überlegte, ob es nicht +mit dem Widder möglich sein sollte, seinen großen Plan von Alexander +und Buzephalos ins Werk zu setzen.</p> + +<p>Da kam ein kleiner untersetzter, breitgebauter Bursche daher, braun und +schwarz auf einmal, die Hände wie ein Erwachsener bis an die Ellbogen +in den Hosentaschen, mit langen Hosen, die einen ledernen Hosenboden +hatten, und mit wiegenden Schritten nach Art der Erwachsenen.</p> + +<p>Der Stadtjunge fühlte unwillkürlich nach, ob er noch seinen Skalp +hätte, und setzte die Mütze so, daß er nicht zu sehen war.</p> + +<p>Vielleicht war es ein Indianer? Man mußte auf dem Lande auf alles +gefaßt sein. Nein, die gingen nicht so gerade drauf los, wenn sie auf +dem Kriegspfad waren — dieser lief gerade auf ihn zu.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p> + +<p>Der Bauernjunge blieb stehen, spuckte wie ein Großer aus dem einen +Mundwinkel und hütete sich, den Hosenboden zu zeigen. Es war zu dumm +mit dem Hosenboden; keiner der andern Jungen hatte einen solchen, und +es hatte auch einen Tanz gegeben, bis die Großmutter das Leder hatte +darauf setzen dürfen. Aber es war noch schlimmer, daß gestern beim +Gewitter der Blitz hineingefahren war. Der Knecht auf Opsal hatte +es deutlich gesehen, wie er hineinfuhr — ja, er wußte selbst, daß +das Leder den Blitz anzog —, und die Hosen waren seitdem so schwer +gewesen. Und jetzt bliebe der Blitz darin, bis sie entzwei gingen, +hatte der Knecht gesagt; aber dann verschwände er auch mit solcher +Eile, daß der ganze Kerl umfiele.</p> + +<p>Bist du der Stadtjunge, der den Sommer auf Opsal liegen soll, um fett +zu werden?</p> + +<p>Ja.</p> + +<p>Ja, du siehst auch aus, als ob du es nötig hättest.</p> + +<p>Nein, das war kein Indianer, das war eher ein verkleideter Räuber.</p> + +<p>Der Bauernjunge betrachtete ihn von oben bis unten. Er schien ihm +nicht gerade ein forscher Kerl zu sein; es konnte nicht schwer sein, +ihn durchzuprügeln. Aber wie furchtbar fein er war! Nirgends ein +Lederfleck.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span></p> + +<p>Hast du deine guten Hosen auch Werktags an?</p> + +<p>Hm, er war gewiß ein verkleideter Räuber, wie sie in Italien zu Hause +sind. Fiel die Lederhose von ihm ab, so stand er sicher in voller +Rüstung da mit goldenem Gürtel und Pistolen. Es war am besten, sich +nicht ängstlich zu zeigen; mutige Jungen gefielen den Räubern.</p> + +<p>Ich könnte noch einmal so feine Hosen haben, wenn ich nur wollte. Und +mit verächtlicher Kopfbewegung wandte er sich gleichgültig um und sah +wieder nach den Schafen.</p> + +<p>Der Bauernjunge wandte sich auch nach dem Zaun um, stützte sich mit dem +Ellbogen dagegen und legte die Backe in die flache Hand.</p> + +<p>Was du auch für feine Hosen hast — einen so riesengroßen Widder hast +du doch noch nie gesehen, nicht wahr?</p> + +<p>Aber ich habe den Elefanten gesehen; der ist dreimal, ja hundertmal so +groß.</p> + +<p>Aber nicht so stark. Ich kann ihn gerade festhalten, wenn ich ihn an +den Hörnern packe, und dann ist er wütend.</p> + +<p>Aber der Elefant ist so stark, daß hundert Mann, ja noch mehr dazu +gehören, um ihn festzuhalten. Er könnte dich weit, weit wegschleudern, +— ungefähr eine Meile weit.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span></p> + +<p>Hm! Glaubst du vielleicht, ich wäre nicht stark?</p> + +<p>Nicht so stark.</p> + +<p>Da spuckte der Bauernjunge in die Hände, ging einen Schritt vorwärts, +und stellte sich in Bereitschaft.</p> + +<p>Soll ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen?</p> + +<p>Das klang drohend. Dem Stadtjungen fielen auf einmal alle Gefahren ein, +denen seine Helden, Robinson, Karl von Rise und Gustav Vasa ausgesetzt +gewesen waren. Als er auf das Land reiste, hatte er sich genau +ausgedacht, wie er sich gegen Indianer und Räuber schützen wollte; aber +er konnte sich auf keinen einzigen Kniff besinnen. Es pflegte auch +immer Hilfe zu kommen von irgendeinem, der im Hinterhalt lag! Er spähte +schnell umher, ob nicht wenigstens Netta, das Kindermädchen, das mit +war, um auf ihn aufzupassen, im Hinterhalt lag; aber er sah nur den +Widder, der aufmerksam geworden war und den Kopf mit den großen krummen +Hörnern emporgerichtet dastand und sie anstarrte.</p> + +<p>Der Bauernjunge streckte den Arm aus, um ihn vor der Brust zu packen.</p> + +<p>Da fiel ihm plötzlich etwas ein, was er in der Schule gehört hatte. Er +heftete die großen, erschreckten Augen auf seinen Gegner und sagte:</p> + +<p>Sklave, wagst du es, Hand anzulegen an Cajus Marius?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p> + +<p>Der Bauernjunge ließ den Arm sinken. Dieser seltsame Ausspruch kam +ihm gänzlich unerwartet. Es ging wohl auch nicht recht an, ihn +durchzuprügeln. Er trat ein paar Schritt zurück, und im selben Nu bekam +er einen Stoß auf den Hosenboden.</p> + +<p>Es war der Widder, der sich in den Streit mischte.</p> + +<p>Da bekam der Stadtjunge Mut; es war ja gerade wie in den Geschichten: +die Hilfe kam unerwartet. Jetzt würde er schon gewinnen — wenn auch +nicht gerade den Skalp nehmen, so doch jedenfalls ihm einen Denkzettel +geben. Der Widder ging ein paar Schritt zurück und die Reihe kam jetzt +an ihn. Da bekam er einen Stoß mitten vor den Bauch, so daß er neben +seinem gefallenen Gegner lag.</p> + +<p>Mit einem Satz waren sie beide über den Zaun, sie wußten nicht wie.</p> + +<p>Das erste, was der Bauernjunge untersuchte, war, ob seine Lederhose ein +Loch bekommen hatte.</p> + +<p>Dann drohte er mit geballter Faust durch den Zaun.</p> + +<p>Das sollst du nicht umsonst getan haben, du Schweinehund.</p> + +<p>Der Stadtjunge zog ein etwas langes Gesicht, doch dies gab ihm wieder +Mut. Es war, als ob sie sich auf einmal ganz gut kennten und gute +Kameraden geworden wären.</p> + +<p>Hat er dir weh getan?</p> + +<p>Ach nein, es muß anders kommen, ehe es weh tut. Er drohte wieder: Ich +werde dich schon zähmen!</p> + +<p>Als der Stadtjunge das Wort zähmen hörte, tauchte gleich sein +Lieblingsgedanke wieder in ihm auf:</p> + +<p>Ob sie Philipp und Alexander sein sollten und <em class="gesperrt">der da</em> Buzephalos?</p> + +<p>Davon wußte der andere nichts; er kannte keinen andern Philipp als +den Apostel Philippus und dann Philipp Storsveen, und Alexander und +Buzephalos hatte er nicht einmal nennen hören.</p> + +<p>Darüber konnte der andere ihm Bescheid geben. Philipp war König von +Mazedonien; das war ein Land weit, weit von hier, gerade so weit auf +der andern Seite der Stadt, und es war lange her, sicher über hundert +Jahre, und Alexander war dort Kronprinz. Philipp hatte ein Pferd, das +sie Buzephalos nannten, und das konnten sie nicht zähmen, so sehr sie +sich anstrengten.</p> + +<p>Da muß es ein Pferd aus Valders gewesen sein; denn das sind die +schlimmsten.</p> + +<p>Nein, es war ein Araber.</p> + +<p>Nun, das wäre so ziemlich derselbe Schlag, soviel er wenigstens wüßte.</p> +<span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span> +<p>Das war es wohl auch, und es war so toll und wild, daß es über alle +Gartentore und Zäune in der Stadt sprang und Kirschen fraß. Dann +berief Philipp sein ganzes Volk, den Diener und den Kutscher und die +Generäle und die Minister und die Feuerwehr und die Schutzleute, und +sagte, sie sollten so viel Elfenbein bekommen, wie sie zu tragen +vermöchten, wenn sie den Buzephalos zähmten.</p> + +<p>War er nicht selber Manns genug, sein Pferd zu zähmen?</p> + +<p>Doch; aber für ihn, den König, ging es nicht an. Dann begannen sie; die +Generäle zuerst; sie dachten nun einmal, sie wären die besten; aber +viele von ihnen kamen gerade hinauf, da warf sie Buzephalos auch schon +ab, daß es nur so rauchte. Selbst der Kutscher, der die beiden andern +Pferde auf einmal lenken konnte, kam nicht weiter als bis ans Tor.</p> + +<p>Dann kam Alexander an die Reihe. Er nahm Anlauf und saß mit einem Satz +im Sattel, — nein, das ist wahr, einen Sattel hatte er nicht. Und dann +ging es fort — aber Alexander blieb sitzen — über die Gartentore und +über die Hausdächer, und schließlich waren sie verschwunden.</p> + +<p>Blieben sie weg?</p> + +<p>Sie warteten sicher über eine Stunde. Da kamen sie denselben Weg +zurück, und da war Buzephalos so zahm, daß er sich hinlegte wie ein +andres Kamel.</p> + +<p>Hm! Ganz so toll trieb es der Braune auf Opsal<span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span> nicht, als sie ihn im +Frühjahr zähmten. Aber sie mußten den Stangenzaum anwenden. Das hat +Alexander wohl auch getan.</p> + +<p>Ja, davon wußte der andere nichts.</p> + +<p>Doch, das hatte er ganz bestimmt getan. Und dann war es nicht so +gefährlich. Vor dem Stangenzaum mußten sie klein beigeben, wie +ausgelassen sie auch waren, — wenn sie ihn nicht auf die Zähne zu +nehmen verstanden. Aber den Kniff kannte wohl Buzephalos nicht, denn +den kannten nur die ausgefahrenen Hemärkingsmähren.</p> + +<p>Es dauerte nicht lange, bis sie einig waren, diesen Plan auszuführen. +Sie nahmen gleich die Titel an. Der Stadtjunge sollte selber Philipp +von Mazedonien sein und der Bauernjunge Alexander, und jetzt hieß es +immer nur König und Prinz. Netta mußten sie als General verwenden, +und Alexander glaubte schon, daß er seine Großmutter bewegen würde, +die Feuerwehr zu bilden. Die Zaunpfähle sollten die Schutzleute sein. +Mazedonien sollte sich gerade vom Zaun bis an den Kuhstall erstrecken, +und die Scheunenbrücke sollte das Schloß sein; da sollte der Thron +errichtet werden. Alexander mußte genau lernen, wie er sich als +Prinz zu benehmen, das Zepter zu berühren, und sich vor dem Thron zu +verneigen habe. Dann verfaßte der Stadtjunge den Aufruf an das Volk +von<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> Mazedonien, und am nächsten Tag sollte Buzephalos gezähmt werden. +Darauf trennten sie sich mit königlichem Gruß und hochtrabenden Titeln.</p> + +<p>Alexander hatte bis spät am Abend damit zu tun, seiner Großmutter dies +alles zu erzählen, und schließlich bekam er auch ein halbes Versprechen +von ihr, daß sie als Feuerwehrmann mitmachen wollte, wenn gutes Wetter +wäre. Aber wieviel er auch davon sprach, wie sie angezogen sein und wie +sie aussehen sollten, so konnte er seine Großmutter doch nicht dazu +bringen, sich über die Hose auszusprechen. Er hielt es indessen für +so selbstverständlich, daß er die neuen Hosen anhaben müßte, wenn er +Alexander sein sollte, daß er in dem sicheren Glauben einschlief, sie +wäre derselben Meinung. Aber am Morgen, als er angezogen werden sollte, +kam die Großmutter doch mit der Lederhose.</p> + +<p>Ob sie nicht mehr wüßte, daß er Alexander sein sollte?</p> + +<p>Doch, aber Großmutter meinte, daß diese gut genug wäre. Die +Sonntagshosen müßten geschont werden.</p> + +<p>Das ging aber nicht an, Alexander hätte keine Lederhosen.</p> + +<p>Wenn er so schlimm war, seine Kleider zu zerreißen, so hat er schon +auch welche gehabt, als er klein war.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span></p> + +<p>Ja, aber Philipp von Mazedonien war auch klein; er hatte keine.</p> + +<p>Es wäre etwas anderes mit den Stadtleuten, sie wären ständig im vollen +Staat.</p> + +<p>Sie müßte doch verstehen, daß das nicht anginge. Der Blitz wäre auch +hereingefahren. Sie könnte den Knecht auf Opsal fragen.</p> + +<p>Er sollte das nicht glauben; sie hätten ihn nur zum Besten.</p> + +<p>Ja, sie sollte sehen, wenn sie ein Loch bekäme, so —</p> + +<p>— Ja, dann wäre es am besten, wenn es die alten Hosen wären; — und er +mußte sie trotz allem anziehen.</p> + +<p>Es war unglaublich, wie lange Großmutter brauchte, bis sie fertig +war! Er hatte Zeit, es sich viele Male hin und her zu überlegen, wie +er Buzephalos am besten lenken sollte, und er hatte sich schon längst +einen Knoten ausgedacht, mit dem er das Tau so fest machen wollte, daß +das Horn eher abgehen würde, als daß der Knoten aufginge.</p> + +<p>Endlich war Großmutter fertig, und sie zogen zusammen den Berg hinunter.</p> + +<p>Im Hof trat ihnen Philipp von Mazedonien und sein General entgegen, +die dort auf sie warteten. Philipp hatte eine rote Papierkrone auf dem +Kopf,<span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span> ein Schwert an der Seite und einen abgebrochenen Harkenstiel in +der Hand. Das war Mazedoniens Zepter. Er streckte dem edlen Prinzen +als Zeichen seiner königlichen Gnade das Zepter entgegen, daß er es +berühren sollte; doch Alexander war von dem Staat so geblendet, daß er +es vergaß. Oben auf der Scheunenbrücke war der Thron errichtet. Es war +ein Stuhl mit einer Fußbank darauf.</p> + +<p>Philipp begann seine Befehle zu erteilen. Großmutter bekam den Befehl, +Buzephalos zu holen und ihn an den Zaun zu binden.</p> + +<p>Dann bestieg Philipp von Mazedonien seinen Thron. Er schwang sein +Zepter, blickte über Mazedoniens Land und Leute und hielt folgende Rede:</p> + +<p>Meine Generäle, Minister, Kutscher, Feuerwehrleute und Schutzleute! +Ich, König Philipp, der Größte von Mazedonien tue hierdurch kund, daß +ich meine königliche Gnade und hundert Ellen Elfenbein dem geben werde, +der mein wildes Pferd Buzephalos, das im Schloßhof festgebunden steht, +zähmen kann.</p> + +<p>Netta und Großmutter zogen sich auf die Scheunenbrücke zurück, wie +ihnen befohlen worden war.</p> + +<p>Darauf blickte er sich vorwurfsvoll um:</p> + +<p>Wagt es niemand? Sind alle Mazedonier solche Feiglinge? Wenn ich nicht +König wäre, würde ich es selbst tun.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span></p> + +<p>Da trat Alexander vor. Er verneigte sich ehrerbietig vor dem Throne. +Philipp streckte sein Zepter aus, und er berührte es.</p> + +<p>Das ist recht, mein Prinz, jetzt kann ich sehen, daß es noch Männer in +Mazedonien gibt.</p> + +<p>Alexander machte kehrt und näherte sich Buzephalos, der dastand und am +Tau riß. Er machte runde Ellbogen und schlenkerte mit den Armen.</p> + +<p>So groß war er sich noch nie vorgekommen. Er konnte es nicht lassen, +einen verstohlenen Blick auf Philipp und Mazedoniens Volk zu werfen, +und der Mund war breiter und lachender, als es sich streng genommen für +einen Prinzen ziemte. Jetzt sollte er doch einmal zeigen dürfen, was er +für ein forscher Kerl war.</p> +<p>Er biß die Zähne zusammen und nahm einen so kräftigen und tiefen +Anlauf, daß die Hosen fast hinten aufstießen. Es mißglückte.</p> + +<p>Ja, das hatte er sich gedacht; sie waren zu schwer, weil der Blitz +darin war.</p> + +<p>Er versuchte es noch einmal. Und diesmal gelang es.</p> + +<p>Da saß er. Der Widder machte einen Satz, doch da er nicht los kam, +drückte er sich an den Zaun, so daß Alexander Gelegenheit bekam, das +Tau zu lösen. Er löste es und warf im selben Nu wieder einen Blick auf +die Mazedonier.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span></p> + +<p>Doch da sprang das Hinterteil von Buzephalos auf einmal in die Luft, +und das Tier lief ein paarmal um sich selbst. Alexander schreckte +zusammen, so daß er das Tau los ließ und sich mit beiden Händen an der +Wolle festklammerte.</p> + +<p>Philipp sprang auf den Thron hinauf, schwang das Zepter und rief:</p> + +<p>Suche dir ein anderes Königreich, Alexander, Mazedonien ist für dich zu +klein.</p> + +<p>Jetzt flog Buzephalos in langen Sätzen immer schneller und schneller +davon; bald war er ganz hinter den Ställen verschwunden. Alexander hing +fest, und das letzte, was sie sahen, war eine breite Lederhose, die +zwischen dem Halse und der Lende von Buzephalos hin und her geworfen +wurde, als er sich über die Grenze von Mazedonien hinaus begab.</p> +<p>Nach kurzer Zeit kam er wieder auf der anderen Seite vom Hauptgebäude +zum Vorschein und lief dann in rasender Eile um das Vorratshaus +herum. Alexander hing noch immer darauf, und da der Widder ihn nicht +los werden konnte, schlug er wieder den Kurs über die Grenzen von +Mazedonien und gerade auf das Schloß zu, ein. Er wollte zu Leuten +kommen und nahm seine Zuflucht zur Großmutter.</p> + +<p>Da verlor Philipp völlig den Kopf. Er erhob sich auf dem Thron und +schleuderte sein Zepter gegen das Tier.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span></p> + +<figure class="figcenter illowp54" id="illu-111" style="max-width: 45.625em;"> + <img class="w100" src="images/illu-111.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span></p> + +<p class="p2">Buzephalos erschrak, machte eine schnelle Wendung und stieß gerade +gegen den Thron von Mazedonien, so daß dieser umfiel, erschrak immer +mehr und sprang mit einem gewaltigen Satz die Brücke hinunter.</p> + +<p>— — Als Buzephalos weiter galoppierte, war er allein.</p> + +<p>Netta nahm sich des gefallenen Königs Philipp an, der Nasenbluten hatte +und weinte, und Großmutter lief schnell hinunter, um nach Alexander zu +sehen.</p> + +<p>Der erhob sich mit königlichem Zorn, zeigte mit der einen Hand einen +Riß in der Hose, und mit der anderen drohte er der Großmutter:</p> + +<p>Das hatte ich dir gleich gesagt, Großmutter, es geht nicht an, +Alexander zu sein, wenn man eine Lederhose hat, in die der Blitz +gefahren ist.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-113_2"> + <img class="w100" src="images/illu-113.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span></p> + +<h2 class="p2">Holzvermesser Ole Pedersen.</h2> +</div> + +<p>Das letzte, was ich am Abend vor dem Einschlafen sah — es war in einer +dieser herrlichen Sennhütten dicht unterhalb der Rondaneberge — war +eine Leiter, die auf den Boden unter dem Dach hinaufgezogen wurde. +Einen Augenblick vorher war der Hirtenjunge Ole dort hinaufgekrochen +— in vollem Anzug, mit schwarzem Rock und den Strohhut auf dem Kopf, +wobei die Bergstiefel mit den großen, blanken Hackeneisen gegen die +Stufen der Leiter klapperten. Dann rumorte er eine Zeitlang da oben; +er zog wohl die wichtigsten Kleidungsstücke aus. Darauf wurde es +still; dann schnarchte er, und bald schliefen wir alle miteinander, +die Sennerin in dem einen Bett, ich, der ich auf einer Fußtour war, im +andern und Ole auf dem Boden.</p> + +<p>Das erste, was ich am Morgen hörte, war die Sennerin, die zum Boden +hinaufrief:</p> + +<p>Ole, jetzt mußt du aufwachen, jetzt wollen wir gleich die Ziegen +melken.</p> + +<p>Nichts rührte sich auf dem Boden, niemand antwortete, und die Sennerin +machte eine Wendung nach dem Herd, wo der Kaffeekessel schon kochte und +brodelte.</p> + +<p>Dann fing sie wieder an:</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> + +<p>Ole, jetzt mußt du aufstehen.</p> + +<p>Keine Antwort. Sie machte sich noch ein wenig unten zu schaffen; dann +stellte sie sich gerade unter den Boden und ich sah, daß sie lächelte:</p> + +<p>Pedersen, jetzt ist's Zeit aufzustehen.</p> + +<p>Heh —? antwortete es oben vom Boden.</p> + +<p>Jetzt muß Holzvermesser Pedersen aufstehen.</p> + +<p>Niemand antwortete; aber im selben Nu kam der alte Strohhut mitten +in die Stube hineingesegelt und blieb in dem breiten Sonnenstreifen +liegen, der sich vom Fenster schräg durch das Zimmer zog. Einen +Augenblick darauf kam der eine Bergstiefel mit einem schweren Krach +hinterher; kurz danach der andere. Dann kam die Leiter, sie wurde +vorsichtig vom Boden heruntergelassen und schließlich kam Ole rückwärts +heruntergestiegen, die Hosenträger hinten herunterhängend, den +schwarzen Rock über dem einen Arm und die zusammengebundenen Strümpfe +über dem andern. Er kam in die Stube herunter, schnitt Gesichter gegen +die Sonne und dehnte sich nachdrücklich. Darauf setzte er sich auf +die äußerste Ecke des Herdes und begann sich anzuziehen. Er löste die +Strümpfe voneinander, zog einen an, spuckte in die Hände und zog das +Strumpfband lang. Es ging langsamer und langsamer, als er es festband +und es ging sehr langsam, als er nach dem andern Strumpf griff. Als er +ihn halbangezogen hatte, hörte er ganz auf und neigte sich bedenklich +tief nach der einen Seite, als ob er vom Herd herunterfallen wollte; — +es war ja auch recht früh am Morgen. Da sperrte er plötzlich die Augen +weit auf, biß die Zähne zusammen, zog die Strümpfe mit einem Ruck an +und schnürte das Strumpfband ordentlich zu. Im Handumdrehen hatte er +die Hosenträger angeknöpft und den Rock angezogen. Dann dehnte er sich +wieder und spazierte geradeswegs in die Bergstiefel hinein, die mitten +im Zimmer standen und gähnten; sie gingen von allein an. Dann stand er +einen Augenblick da und sah den Strohhut an, ging dann hin und schlug +die Tür weit auf. Darauf kam er noch einmal zurück, blickte wieder den +Hut an:</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> + +<p>Der elende Hut! damit versetzte er ihm mit dem Fuß einen Stoß, daß er +aus der Tür flog, ging selbst nach und machte die Tür hinter sich zu.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Als ich aufgestanden war, erfuhr ich von der Sennerin, warum Ole +Holzvermesser Pedersen hieß; — ja, sein Vater hieß Peder, mit Pedersen +hatte es also seine Richtigkeit; aber Holzvermesser war er nun doch +nicht. Bei der Holzvermessung im Frühjahr hatte einer der Vermesser +Pedersen geheißen, und Holzvermesser waren die großartigsten Menschen, +die Ole gesehen hatte. Er war den ganzen Tag dabei, und plötzlich ging +er hin und gab dem Holzvermesser die Hand:</p> + +<p>Guten Tag, ich höre, wir haben denselben Namen.</p> + +<p>Nein, was du nicht sagst, heißt du auch Pedersen?</p> + +<p>Ja, und darum wollte ich fragen, ob du mich nicht als Holzvermesser +annehmen könntest?</p> + +<p>Nein, das kann ich nicht, solange du den Hut da hast, — dies geschah +im frühsten Frühjahr, und Ole hatte schon den Strohhut aufgesetzt — du +mußt eine Talermütze aufhaben, um Holzvermesser zu werden, — ja, und +schwarzen Rock.</p> + +<p>Seit der Zeit konnte Ole seinen Hut nicht recht leiden; einen Rock +hatte er bekommen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Ich ging hinaus und traf Ole, der dabei war, die Ziegen zu melken. Ich +versuchte ein Gespräch über die Ziegen mit ihm anzuknüpfen; aber er +wollte nicht recht dran und war sehr wortkarg. Ich fragte ihn, was er +werden sollte, doch er wollte nicht mit der Sprache heraus. Dann sagte +ich:</p> + +<p>Es sind schöne Balken hier im Schafstall.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span></p> + +<p>Ja der Grundbalken ist wohl 12: 10 gewesen und derselbe Stamm hat noch +einen Balken 8: 10 geliefert.</p> + +<p>Nein, das doch wohl nicht!</p> + +<p>Ole sah mich sehr überlegen an.</p> + +<p>Du bist sicher kein Holzvermesser?</p> + +<p>Nein, das bin ich nicht.</p> + +<p>Das merke ich.</p> + +<p>Damit war diese Unterhaltung zu Ende.</p> + +<p>Als Ole kurz darauf die Ziegen durch das steile Birkenwäldchen +hinuntertrieb, das auf beiden Seiten am Flußabhang lag, schlich ich ihm +nach.</p> + +<p>Es war ein herrlicher Morgen mit Sonnenstreifen rings auf allen Bergen +und grauem Gestein, so weit man hinaufblicken konnte, bis hoch, hoch +in die Luft, und unten frische grüne Birkenabhänge bis hinunter an die +klaren glitzernden Flüsse und Bäche im Talgrund.</p> + +<p>Von der Sennhütte drüben stieg ein langer blauer Rauch empor, und an +den Abhängen standen die Ziegen zu zweit an den kleinen Birken und +rupften das Laub ab. Auf einer kleinen Lichtung im Birkenwald stand Ole +und blickte sich vorsichtig um, und dicht am Waldrand lag ich, ohne +gesehen zu werden.</p> + +<p>Als Ole eine Weile ruhig gestanden hatte, riß er den Hut ab und warf +ihn auf die Erde. Darauf ging er auf eine Birke zu.</p> + +<p>Guten Tag. Wird hier Handel getrieben?</p> + +<p>Er antwortete selber für den andern: Ja.</p> + +<p>Hast du Talermützen?</p> + +<p>Ja, hier ist dieselbe, die Holzvermesser Pedersen hat.</p> + +<p>Ja, das sehe ich; denn ich kenne ihn. Aber ich will nicht mehr als zwei +Kronen dafür geben.</p> + +<p>Zwei Kronen für eine Talermütze, das ist eine seltsame Rechnung.</p> + +<p>Seltsam oder nicht, ich gebe nicht mehr.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span></p> + +<p>Ja, dann kommt kein Geschäft zustande.</p> + +<p>Ja, du weißt, ich könnte schon geben, was du verlangst; aber wenn ich +es mir überlege, so habe ich nicht mehr als zwei Kronen bei mir.</p> + +<p>Kannst du denn nicht wiederkommen?</p> + +<p>Hm, ich habe auch nicht mehr als zwei Kronen, soviel ich mich besinnen +kann. Könntest du mir die eine Krone nicht so lange borgen?</p> + +<p>Ich pflege nicht zu borgen.</p> + +<p>Ja, aber du könntest doch mal eine Krone auf meine Rechnung +aufschreiben?</p> + +<p>Ja, das könnte ich schon mal. Welchen Namen darf ich aufschreiben?</p> + +<p>Du kannst Holzvermesser O. Pedersen schreiben.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span> + +<p>Dann tat er, als nähme er die Mütze in Empfang und setzte sie auf. +Darauf griff er in die Innentasche seines Rocks und holte einen +Bleistift und ein Notizbuch vor. Er buchstabierte laut, während er +schrieb:</p> + +<p>O. Pedersen, Holzvermesser, hat folgende Dimensionen bekommen.</p> + +<p>Jetzt müßt ihr die Axt gut anlegen, Leute, und nicht schneller, als ich +rufe. Fegt den Schnee dort weg; wir müssen sehen, was wir vermessen. +Dann tat er, als ob er an einem Holzstapel entlang ging.</p> + +<p>Hm, dieser soll also zwölf sein. Fangen wir also an.</p> + +<p>Er fing an; und jedesmal, wenn er rief, tat er einen Schritt zur Seite +und machte einen Vermerk ins Buch.</p> + +<p>Zwölf Ellen lang, acht und ein halb Zoll dick! Ditto! Ditto! Zwölf +zehn! Hübscher Stamm! Zwölf acht! Zwölf neun! Zwölf — pfui, das ist +ein schlechter Stamm — den müssen wir auf zwölf acht heruntersetzen! +Zwölf zehn. Zwölf — ganz krumm, der soll wohl zum Bootsbau dienen? +Der ist morsch; den nehmen wir nicht. Zwölf zwölf! Bravo! Noch einmal +ditto, zwölf acht und ein halb! Zwölf neun! Zwölf zehn! Ditto! Ditto! +Gut gearbeitet, Leute, jetzt nehmen wir einen Schnaps!</p> + +<p>Damit trollte sich Ole zur Sennhütte; denn es gab viel zu tun, und er +durfte nicht lange fort sein.</p> + +<p>Als ich aufbrach, verabschiedete ich mich auch von Ole, und da gab ich +ihm die Krone, die ihm, wie ich wußte, an seiner Talermütze fehlte.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span> + +<figure class="figcenter illowp59" id="illu-121" style="max-width: 46.875em;"> + <img class="w100" src="images/illu-121.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span> + +<p class="p2">Er sah mich ein wenig erstaunt an und wollte mir die Hand reichen. Aber +dann griff er plötzlich an den Hut und nahm ihn ab; er sah erst aus, +als ob er ganz feierlich sein und mit dem Hut in der Hand sich durch +Handschlag bedanken wollte.</p> + +<p>Doch dann schleuderte er den Hut weg, griff langsam und feierlich in +die Innentasche seines Rockes und holte Bleistift und Notizbuch hervor.</p> + +<p>Er hielt es in der Hand und schrieb sehr sorgfältig mit ernstem +Gesicht. Endlich riß er das Blatt heraus, steckte das Buch und den +Bleistift in die Tasche und reichte mir das Blatt: Bitte sehr!</p> + +<p>Ich habe den Zettel noch, und er sieht so aus:</p> + +<figure class="figcenter illowp100" id="illu-123" style="max-width: 50em;"> + <img class="w100" src="images/illu-123.jpg" alt="Handschrift"> +</figure> + +<p class="p2">Seitdem habe ich Ole nicht wieder gesehen; aber ich habe gehört, daß +er eine Talermütze bekommen hat; Holzvermesser ist er wohl noch nicht +geworden; aber das wird er schon mit der Zeit.</p> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-114"> + <img class="w100" src="images/illu-114.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="p2">Ranzenräuber und Zottelbär.</h2> +</div> + +<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> + +<p>Während die Sennerin auf der nördlichen Kvinstölhütte im Begriff war, +das Vieh loszubinden, schlich sich Christian einen Augenblick an das +Sennhüttenfenster und steckte den verbogenen Messingkamm zu sich.</p> +<p>Darauf ließ er das Kleinvieh hinaus und trieb es schnell über den Hügel +hin.</p> + +<p>Heute vergrub er die Hände nicht in den Hosentaschen, wie er zu tun +pflegte, er fühlte die warme Morgensonne nicht und blickte nicht +nach den blauen Bergen. Er fühlte sich etwas schwach und zitternd in +den Knien und kümmerte sich gar nicht um die zärtlichsten Ziegen, +die sich immer zu hinterst hielten, den Kopf umdrehten und ihm +entgegenmeckerten. Der einzige, um den er sich kümmerte, war der große +Bock, der Ranzenräuber hieß, seit er letzten Frühling Christians Ranzen +geöffnet und ihm das Brot und den Schinken weggefressen hatte.</p> + +<p>Denn heute galt es. Gestern waren sie auch auf den südlichen Kvinstöl +gekommen, und jetzt sollte<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> entschieden werden, wer diesen Sommer +Oberhirte sein würde, er oder Per Nordberg, und Oberhirte sollte der +sein, der den stärksten Bock hatte.</p> + +<p>Letztes Jahr hatte Christian verloren, da hatte Zottelbär über +Ranzenräuber gesiegt. Darein hatte Christian sich finden müssen, +und es war auch gar nicht so ärgerlich gewesen, solange sie auf der +Sennhütte waren, denn es zog keine andern Nachteile nach sich, als +den Schimpf, den schwächeren Bock zu haben — und da räumte auch Per +ein, daß es nach Zottelbär keinen besseren Bock gäbe als Ranzenräuber +— und dann durfte der Oberhirte immer den Platz wählen, wo sie die +Herden trennen sollten, wenn sie zusammen gewesen waren. Aber im Winter +war es ärgerlich gewesen; da trafen sich Per und Christian nur in der +Schule, und da konnte Per es nicht sein lassen, davon zu reden und +Ranzenräuber, so daß alle es hörten, einen ganz gewöhnlichen Bock zu +schimpfen. Und außerdem war es nicht sicher, daß es so ganz richtig +zugegangen war, als sie letztes Jahr aneinander gerieten; Per hatte ein +Viertel Tabak für Zottelbär gehabt, das er ihm während der Mittagsruhe +gegeben hatte, und trotzdem hätte dieser sicher nicht gewonnen, wenn +er nicht Ranzenräubers Vorderfuß zwischen die Hörner bekommen und ihn +beinahe ausgerenkt hätte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span></p> + +<p>Christian schob den neuen Strohhut in den Nacken und warf einen Blick +nach der Sennhütte zurück. Ja, jetzt war sie nicht mehr zu sehen.</p> + +<p>Er lockte:</p> + +<p>Komm, komm Ranzenräuber!</p> + +<p>Ranzenräuber legte den Kopf schief nach hinten und meckerte. Darauf +drehte er um und kam langsam, die langen Hörner hoch in die Luft +streckend, auf Christian zu.</p> + +<p>Christian stellte sich in Bereitschaft, streckte beide Hände vor und +packte ihn an den Hornenden:</p> + +<p>Laß dich mal erproben!</p> + +<p>Ranzenräuber, der das Spiel kannte, stellte sich auch in Bereitschaft +und begann zu schieben. Nach kurzer Zeit stieß er Christian gegen einen +Birkenstamm, daß es krachte.</p> + +<p>Ja, schwach bist du nicht, aber du mußt dir nicht einbilden, daß ich +meine ganze Kraft anwandte.</p> + +<p>Christian kniete nieder und holte den Messingkamm hervor. Der Bock +schmiegte sich an ihn.</p> + +<p>Jetzt sollst du geputzt werden für die Musterung.</p> + +<p>Er kämmte den Bart und die Büschel an der Stirn und an den Seiten, die +blauen Zotteln fielen so seidenweich und fein, wie Christian sie noch +nie gesehen hatte. Das war hübscher als die langen schwarzen Zotteln +vom Bären.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span></p> + +<p>Als er fertig war, betrachtete Christian den Bock noch einmal genau, +und dann trotteten die beiden Seite an Seite der Herde nach, die weit +vorangekommen war.</p> + +<p>Bald waren sie oben auf der Höhe und blickten den Abhang nach dem +Riesenmoor hinunter.</p> + +<p>Ja, wenn sie zur richtigen Zeit auf dem südlichen Kvinstöl lockten, so +konnte Per jetzt nicht mehr weit sein.</p> + +<p>Christian begann zu jodeln, daß es durch das Birkenwäldchen schallte.</p> + +<p>Sogleich ertönte von weit unten her die Antwort. Ja, da war Per.</p> + +<p>Christian faßte Ranzenräuber am Nacken und ging vor der Herde den +Abhang hinunter. Die ganze Zeit jodelte er, und die ganze Zeit +antwortete es noch lauter, er konnte hören, daß Per auch schnell +heraufkam. Dort sah er etwas Weißes hinten zwischen den Birken +auftauchen. Ob wohl Per auch einen neuen Strohhut hatte? Er hatte +wenigstens geglaubt, <em class="gesperrt">das</em> für sich zu haben.</p> + +<p>Bald waren sie einander so nahe gekommen, daß sie sich verstehen +konnten:</p> + +<p>Heh Junge, hier kommt der Oberhirte.</p> + +<p>Heh hier auch! Hier kommt einer, der <em class="gesperrt">über</em> dem Oberhirten ist!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span></p> + +<p>Was kannst du für dich ins Feld führen?</p> + +<p>Einen blauen Bock mit hohen Hörnern, einen forschen Jungen mit neuem +Hut!</p> + +<p>Und was hast du?</p> + +<p>Einen schwarzen Bock mit höheren Hörnern, einen forschen Jungen mit +feinerem Hut!</p> + +<p>Wann soll der Kampf stattfinden?</p> + +<p>Wenn die Sonne zwischen der Tiefkluft und der Kvinhornschnute steht.</p> + +<p>Da sollst du beide, den Bock und den Jungen, treffen.</p> + +<p>Wo soll die Schlacht stattfinden?</p> + +<p>Auf der Ebene zwischen dem Riesenmoor und dem Blausee.</p> + +<p>Dort wirst du beide, den Bock und den Hut, treffen.</p> + +<p>Sie gingen näher aneinander. Als sie ein paar Schritt entfernt waren, +rief Per:</p> + +<p>Jetzt sollen die Kämpfer sich begrüßen.</p> + +<p>Das meine ich auch.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> + +<p>Sie führten die Böcke gegeneinander vor und ließen sie los. Sie +beschnoberten sich ein wenig, legten die Köpfe schief, und fingen an, +sich leise zu reizen, indem sie die Mähnen erhoben. Sie waren auf dem +Sprunge, aufeinander loszufahren.</p> + +<p>Da nahmen Per und Christian jeder den seinen wieder — der Kampf sollte +erst am Nachmittag stattfinden — und führten sie zur Herde zurück. +Als sie sie wegführten, warfen sie beide einen verstohlenen Blick nach +rückwärts, sie fanden eigentlich beide, daß der Bock des anderen seit +dem letztem Jahre unglaublich groß geworden war.</p> + +<p>Als sie die Böcke zurückgeführt hatten, trafen sie wieder zusammen, +das Nähere zu verabreden. Sie waren beide nicht mehr sicher, und darum +schnitten sie gewaltig auf und erzählten sich, wie sie das feinste +Gras auf der Weide pflücken und es den Böcken während der Mittagsruhe +geben wollten, und als Per zum Schluß ein Viertel Tabak vorzeigte, +tat Christian dasselbe, und noch dazu war seiner vom Äußersten in der +Rolle, während der von Per nur Einlage war. Dann entstand ein Streit +wegen der Hüte; es war ja schon etwas, wenn man sich den feinsten Hut +gesichert hatte, für den Fall, daß man den schwächsten Bock bekam. Und +dann trennten sie sich, um zur Mittagsruhe nach Hause zu ziehen.</p> + +<p>Christian hatte während dieser Mittagsruhe nicht viel Zeit zum Essen, +er mußte gleich wieder hinaus und auf der Weide Gras für Ranzenräuber +pflücken. Als er den Hut und den Schoß voll hatte von dem feinsten +und zartesten, das er finden konnte, ging er auf die Wiese an der +Sennhütte und legte es auf einen Haufen dicht am Viehgatter. Darauf +ging er<span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span> in das Gehege hinein, störte Ranzenräuber, der ruhig dalag und +wiederkäute, und zog ihn heraus.</p> + +<p>Er führte ihn an das Gras, doch der schnoberte nur daran, sah Christan +an und schmiegte sich an ihn. Als er das getan hatte, legte er sich +ganz ruhig nieder und kaute weiter.</p> + +<p>Ja, ja, er würde schon fressen, wenn man ihm Zeit ließe. Christian +legte sich auch hin in die Sonnenglut am Zaun, streckte sich aus und +legte den Hut über das Gesicht.</p> + +<p>Die strahlendste Sommersonne strömte auf die grüne Bergwiese nieder. Es +war so still, daß das Hermelin aus der Mauer guckte und die Bachstelze +ungestört ihr Nest im Ziegenstalle besuchte, wo das ganze Kleinvieh lag +und schlief oder döste oder wiederkäute. Bald schlief auch Christian +mit all den andern unter dem hohen blauen Himmel, wo es keine Wolke gab +und wo sich auch kein Windhauch regte.</p> + +<p>So lagen sie lange.</p> + +<p>Plötzlich fuhr Christian in die Höhe und stützte sich auf die Ellbogen.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span> + +<figure class="figcenter illowp90" id="illu-131" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/illu-131.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p class="p2">Er hatte etwas Unangenehmes geträumt, konnte sich aber nicht darauf +besinnen, was es war, und es dauerte auch eine Weile, bis er sich +klar machen konnte, wo er war. Er rieb sich die Augen. Doch, jetzt +besann er sich. Er war ja auf der Sennhütte und hatte sich draußen zum +Schlafen hingelegt.</p> + +<p>Er tastete umher.</p> + +<p>Wo er wohl den Hut hingelegt hatte?</p> + +<p>Dann fiel ihm der Bock ein, und er sah zu ihm hinüber. Da riß er +freilich die Augen auf. Dort stand Ranzenräuber am Zaun und zupfte an +etwas Weißem.</p> + +<p>Es war der Hut! Ein Stück von der Krempe war das einzige, was übrig +war! Das übrige hatte er gefressen, und dort lag das ganze feine Gras +unberührt!</p> + +<p>Er wurde furchtbar wild, ergriff eine Stange, um den Bock +durchzubläuen. Doch er besann sich und ließ sie fallen:</p> + +<p>Nein, da hätte ich acht Groschen drum gegeben — —. Aber meinetwegen, +wenn du mich heute zum Oberhirten machst, so soll er dir gegönnt sein.</p> + +<p>Da hast du ein Viertel Tabak zum Nachtisch.</p> + +<p>Den fraß Ranzenräuber.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am Nachmittag trafen sich Per und Christian auf der verabredeten +Stelle, jeder mit seinem Bock.</p> + +<p>Es war nicht so feierlich wie am Vormittag; denn Christian, der nur +in der Mütze erschien, mußte gleich Bericht erstatten, wie es dem Hut +ergangen war,<span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span> und da fühlte Per sich sehr überlegen; denn nun hatte +er doch jedenfalls in der einen Richtung gesiegt. Und er konnte auch +erzählen, daß Zottelbär während der ganzen Mittagsruhe Gras gefressen +hatte; Christian wurde ganz verzagt.</p> + +<p>Auf einer kleinen grünen Ebene sollte der Kampf stattfinden, mitten +zwischen einem mit Birken bewachsenen Hügel und dem Rand vom +Riesenmoor. Gegen das Moor war sie durch eine schmale, tiefe Rinne +abgegrenzt, wo nur ein wenig Wasser durchsickerte.</p> + +<p>Sie führten die Böcke vor und ließen sie einige Schritte voneinander +los. Ranzenräuber hob gleich die Mähne, Zottelbär blieb faul stehen und +sah sich um. Ranzenräuber ging vor und schnoberte an ihm. Zottelbär +schnoberte wieder, sah aber ganz sanft aus.</p> + +<p>Christian und Per standen jeder auf seiner Seite von der Ebene und +wagten kaum zu atmen.</p> + +<p>Ranzenräuber versuchte seinen Gegner zu reizen, aber der andre nahm +es gemütlich, darauf wagte er sich heran, legte den Kopf schief und +wollte ihm mit seinem spitzen Horn einen Stoß in die Seite versetzen. +Doch Zottelbär war auf seinem Posten. Er warf rasch den Kopf zur Seite, +so daß die Hörner mit einem Knall zusammenstießen. Jetzt hob auch der +andere die Mähne und bekam blitzende Augen. So balgten sie sich eine +Weile herum. Endlich erhob<span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span> sich Ranzenräuber auf die Hinterbeine, +Zottelbär stellte sich in Bereitschaft, und sie krachten gegeneinander +los, als sollten die Hörner mitten entzweibrechen.</p> + +<p>Damit hatte der Kampf begonnen. Er sollte hart und lang werden. Im +Anfang wandte Zottelbär eine List an, er ließ den andern sich auf die +Hinterbeine erheben und nahm nur den Stoß entgegen, das strengte die +Kräfte weniger an und es fiel ihm schwer, sich aufzurichten, denn er +hatte so viel Zotteln. Aber der andere durchschaute ihn bald, und dann +reizte er nur, bis Zottelbär auch in die Höhe mußte. Zottelbär war +schwer, und das gab seinen Schlägen viel Wucht, so daß Ranzenräuber +jedesmal die Hörner schüttelte, sobald er einen Stoß bekommen hatte. +Aber er gab sich darum doch nicht. Endlich machte Zottelbär eine rasche +Wendung und bekam seinen linken Vorderfuß zwischen die Hörner; es sah +häßlich aus.</p> + +<div class="poetry-container"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent2">Christian stürzte vor.</div> + <div class="verse indent2">Das ist nicht erlaubt!</div> + <div class="verse indent2">Aber Per stürzte auch vor:</div> + <div class="verse indent2">Willst du sie in Ruhe lassen!</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Sie waren nahe daran, gegeneinander loszufahren, aber im selben Nu kam +der Fuß los, und sie gingen an ihre Plätze zurück.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span></p> + +<p>Der Kampf hatte jetzt eine gute halbe Stunde gedauert, und Zottelbär +fing an stark zu keuchen; er wollte gern zwischen jedem Stoß eine +kleine Pause machen und ausruhen. Doch dazu bekam er keine Zeit. +Endlich kam die Entscheidung. Nach einem starken Stoß, glaubte er, +würde er einen Augenblick Ruhe haben, aber Ranzenräuber rannte +gewaltig gegen ihn an. Sie waren dicht an die tiefe Rinne am Moorrand +gekommen und bums — da lag Zottelbär unten, so daß die Zotteln um ihn +herumstanden.</p> + +<p>Christian schrie vor Freude.</p> + +<p>Sei ruhig, rief Per, das ist gemogelt!</p> + +<p>Zottelbär kletterte wieder heraus, triefend von Wasser und Moorerde.</p> + +<p>Ranzenräuber wollte gleich auf ihn losstürzen. Er wehrte sich, zog sich +aber seitwärts zurück. Als Ranzenräuber im Ernst einen Anfall machte, +lief er fort.</p> + +<p>Hurra! rief Christian und sprang hoch in die Luft. Hier siehst du den +Oberhirten, den Jungen mit dem Bock und dem Hut.</p> + +<p>Er griff nach dem Kopf, um den Hut zu schwingen, kriegte aber nur die +Mütze zu fassen. Er wurde auf einmal ganz kleinlaut.</p> + +<p>Per war auch dazugekommen:</p> + +<p>Ja, Oberhirte bist du, aber <em class="gesperrt">hier</em> ist der Junge mit dem Hut!</p> + +<p>Nein, das ging Christian zu weit:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span></p> + +<p>Der elende Hut! Du bildest dir doch nicht etwa ein, daß Ranzenräuber +den fressen würde!</p> + +<p>Glaubst du vielleicht, daß ihm deine Mütze lieber wäre?</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-137"> + <img class="w100" src="images/illu-137.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> + +<h2 class="p2">Tischler Simen und der Blaufuchs.</h2> +</div> + +<span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span> + +<p>Er war also wahrhaftig wieder dagewesen! Mitten in die Kuhstalluke +hatte er seine Schnauze gesteckt!</p> + +<p>Nein, das war zu ärgerlich!</p> + +<p>Jon Stubsveen kam hinter dem Kuhstall hervor und ging geradeswegs auf +seinen Vater zu, der in Festtagskleidern in der Haustür stand, die +Arme von sich streckte und gähnte. Es war am frühen Morgen des zweiten +Weihnachtsfeiertages und glänzend weiß und kalt.</p> + +<p>Jon zog die Mütze schief über das eine Ohr, das dem Nordwind zugewandt +war, setzte den Fausthandschuh in die Seite und den einen Fuß vor.</p> + +<p>Er ist wahrhaftig wieder dagewesen, Vater.</p> + +<p>Mundwinkel und Kniee zitterten ihm.</p> + +<p>Ist es nicht ärgerlich, daß der Fuchs sich jede Nacht an die Häuser +heranschleicht, und man nicht einmal das passende Werkzeug hat, um ihm +eins aufs Fell zu brennen!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span></p> + +<p>An diesen Fuchs hatte Jon jetzt lange Zeit Tag und Nacht gedacht +und darüber nachgegrübelt, wie er ihn fassen könnte. Stubsveen lag +so weit abseits, daß sich der Fuchs in den klaren Nächten bis an die +Häuser heranwagte. Als sie im Herbst das Schwein schlachteten, hatten +sie nämlich einen Teil der Eingeweide auf den Misthaufen vor die +Kuhstalluke geworfen, und dort war der Fuchs jetzt manchmal und grub +und fraß. Jeden Morgen ging Jon hin und sah nach, ob er dagewesen +war, und mit jedem Tag wurde er ärgerlicher. Er hatte eine seiner +Hasenfallen dort aufgestellt; aber der Fuchs war natürlich um sie +herumgegangen. Nein, er hätte eine Flinte haben sollen! Aber er wußte +nicht mehr als einen Menschen, der eine hatte, und das war Tischler +Simen. Er mußte versuchen, ob er zu ihm gehen dürfte.</p> + +<p>Wäre es nicht am besten, ich ginge zu Tischler Simen und borgte seine +Flinte; da sollte er weiß Gott dran glauben müssen.</p> + +<p>Ach, du bist ein Dummrian! Glaubst du, daß es angeht, mit der +Donnerbüchse zu schießen, die noch dazu nur eine Steinschloßflinte ist?</p> + +<p>Oh, Simen hatte schon einen Blaufuchs damit geschossen, und noch dazu +einen, der so scheu und vorsichtig war, daß er sich niederlegte, als +der Schuß losging; er hat es selbst erzählt.</p> + +<p>Ja, da wird es wohl wahr sein!</p> + +<p>Doch, es ist wahr; er bekam noch fünfzig Taler für das Fell.</p> + +<p>Dann ist es sonderbar, daß er nicht reicher ist, als er ist.</p> + +<p>Bitte, laß mich hingehen, Vater? Vielleicht ist das auch ein Blaufuchs! +Und wenn es nur ein Rotfuchs ist, so lohnt es doch den Schuß, denke +ich; da bekommt man sieben Mark fürs Fell.</p> + +<p>Ach, du bist ein Quälgeist. Bilde dir nur nicht ein, daß ich dich mit +der Donnerbüchse schießen lasse.</p> + +<p>Ich würde ihn schon kriegen. Ich würde ihn schießen, daß er hinpurzelt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span></p> + +<p>Per Stubsveen sah auf den Jungen herunter und kratzte sich hinterm Ohr. +Er mußte an den feinen, scheuen Fuchs denken, der herumschlich und den +langen buschigen Schwanz auf dem Schnee hinter sich herzog. Hm, zu +dem Geschäft gehörten erwachsene Leute. Nun, er wollte mit hinter den +Kuhstall gehen und sich die Sache ansehen.</p> + +<p>Sie gingen; Jon ging voran, und zeigte:</p> + +<p>Siehst du, Vater, er hat die Schnauze mitten in die Luke gesteckt.</p> + +<p>Sieh mal einer den Schelm an! Es ist sicher auch ein großer Kerl +gewesen.</p> + +<p>Groß? Sicher so groß wie ein besseres Schaf! Sieh, wie er herumgelaufen +ist.</p> + +<figure class="figcenter illowp60" id="illu-141" style="max-width: 60.625em;"> + <img class="w100" src="images/illu-141.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span></p> + +<p class="p2">Ja, und gekratzt hat! So ein Schelm!</p> + +<p>Per drohte mit der Faust in der Richtung nach dem Acker, wo die Spur +sich verlor. Jetzt war er ganz von der Geschichte mit dem Fuchs erfüllt.</p> + +<p>Jon wurde mutiger.</p> + +<p>Darf ich, Vater?</p> + +<p>Meinetwegen, damit du nur Frieden gibst! Aber es wäre doch am besten, +sie machten es selber.</p> + +<p>Er sollte Simen fragen, ob er nicht heute nachmittag mit seiner Büchse +herüberkommen wollte; er könnte auch sagen, es wäre noch etwas vom +Weihnachtsbranntwein da.</p> + +<p>Jon war schon auf dem Wege, als ihm das letzte nachgerufen wurde.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p> + +<p>Er sprang davon in dem hellen knirschenden Wintermorgen. Wenn ihm +jemand begegnete, hatte er keine Zeit Halt zu machen; er lächelte nur +so seelenvergnügt über das ganze Gesicht, daß die Leute stehen blieben +und sich nach ihm umsahen.</p> + +<p>Bald war er unten im Tal angekommen und fing an, auf der andern Seite +emporzusteigen.</p> + +<p>Jawohl, es war schon möglich, daß es doch ein Blaufuchs war. Es schien +ihm, als habe er ein Stückchen von ihm drüben an dem Ackerhügel +gesehen; — ja, sicher war er es gewesen! Je länger er ging und darüber +nachdachte, um so sicherer wurde er; hellblau war er gewesen! Ja, +natürlich, den ganzen Kerl hatte er gesehen. Sie sollten ihn nur +erwischen, dann würde er nach der Stadt gehen und das Fell verkaufen! +Aber sie sollten in der Stadt nur nicht glauben, daß sie ihn übers Ohr +hauen könnten. Er wußte, was ein Blaufuchspelz wert war. Es nützte +nichts, ihm fünf oder zehn zu bieten, er würde sechzig verlangen. Dann +würde er sich eine Büchse kaufen, und dann wollte er nichts anderes tun +als Blaufüchse schießen; höchstens vielleicht einmal einen Auerhahn zum +Vergnügen mit zwischendurch —; wenn der auch nicht mehr als vier Mark +wert war.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span> + +<p>Als er zum Tischler Simen hinaufkam, sah er diesen in der Tür stehen, +die Brille auf der Nase und die Schirmmütze weit in den Nacken +geschoben.</p> + +<p>Jon lächelte breit, grüßte wie ein Erwachsener und trat darauf ein.</p> + +<p>Wie es wäre, ob er seine Flinte instand hätte?</p> + +<p>O ja, er dächte doch.</p> + +<p>Er sollte ihn nämlich von dem Fuchs grüßen und sagen, er schliche +jetzt drüben auf Stubsveen jede Nacht an den Ställen herum; — ja, und +niemand könnte wissen, ob er nicht auch drinnen gewesen wäre.</p> + +<p>Gerade, was Simen immer gesagt hatte, die Füchse hatten sich verzogen! +Hier auf dieser Seite des Tals hatte sich kein Fuchs mehr sehen lassen, +seit<span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span> er vor drei Jahren einem den Schwanz weggeschossen hatte! So, +nach Stubsveen waren sie also hinübergekommen?</p> + +<p>Ja, daran könnte kein Zweifel sein!</p> + +<p>Der Vater ließe grüßen und sagen, es wäre so viel übrig, daß es noch zu +einem Schluck langte.</p> + +<p>Na, da wollte er einmal nach der Flinte sehen; er hätte sie jetzt drei +Jahre nicht in den Händen gehabt.</p> + +<p>Drei Jahre?</p> + +<p>Nein, wozu sollte er sie brauchen, wenn es keine Füchse gab? Freilich, +das Federwild hätte ja zugenommen, seit der Fuchs fortblieb, daß es nur +so wimmelte; aber daraus machte er sich nichts. Und die Flinte paßte +auch nicht für Vögel; es wäre schwierig, die Entfernung so abzupassen, +daß man die Vögel nicht in Fetzen schoß, und dann knallte sie auch so, +daß es sich nicht verlohnte, wegen eines lumpigen Vogels das ganze Dorf +aufzuschrecken.</p> + +<p>Ob sie denn gut ginge?</p> + +<p>Er hätte bisher noch keinen Fehlschuß damit getan; aber, versteht sich, +es müßte einer auch damit umzugehen wissen.</p> + +<p>Simen ging in die Kammer und kam mit der Flinte wieder herein. Es war +eine alte verrostete Soldatenflinte mit Steinschloß. Jon glaubte nie +etwas Schöneres und Prachtvolleres gesehen zu haben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span></p> + +<p>Ist sie geladen?</p> + +<p>Nein, sie muß erst gereinigt werden.</p> + +<p>Er wurde ganz still und geheimnisvoll, Simen, als er mit zitternden +Händen die Flinte auseinanderzunehmen begann, und Jon saß atemlos +dabei und sah zu, wie die eine Schraube nach der andern herausgenommen +wurde und jede an einen andern Platz gelegt wurde, damit sie +nicht durcheinander kämen. Und die ganze Zeit, während Simen +auseinanderschraubte und putzte und mit Leinöl schmierte, innerlich und +äußerlich, sprach er davon, was er alles mit dieser Flinte geschossen +hätte. Ja, es wäre gar nicht unwahrscheinlich, daß auch auf Menschen +damit geschossen worden wäre, denn soviel er wüßte, wäre sie mit im +Kriege 1814 gewesen, und so gute Flinten wie die, womit auf Menschen +geschossen worden wäre, gäbe es jetzt gar nicht mehr; es wäre gerade, +als ob man hinterher mit ihnen nicht mehr fehlen könnte.</p> + +<p>Die Flinte war geschmiert und wieder zusammengesetzt. Nun, es wäre wohl +am besten, sie gleich zu laden. Denn das müßte genau gemacht werden; +was das Futter anlange, so könne kein Pastor genauer und wählerischer +sein als so eine Flinte. Damals, als er dem Fuchs bloß den Schwanz +wegschoß, so daß er ihm davonging, hätte er ein oder zwei Pulverkörner +zu wenig darin gehabt; darum fiel der Schuß in den Schwanz und nicht +hinab in den Rücken weiter oben.</p> + +<p>Er suchte ein altes Pulverhorn hervor und einen Lederbeutel mit Schrot, +nahm Pulver aus dem Horn und wog und wog in der Hand, schüttete es dann +in den Lauf, überlegte eine Weile, sah ins Leere, als ob er zählte, und +nahm eine kleinere Portion und sandte sie der ersten nach.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span> + +<p>Jon stand dabei und riß die Augen auf. Er hatte nie geahnt, daß dazu so +viel Kunst gehörte.</p> + +<p>Nein, du bist ein Meister, sagte er voller Bewunderung.</p> + +<p>Pst, sagte Simen, man soll nicht reden, wenn man lädt.</p> + +<p>Er stopfte vorsichtig Werg auf das Pulver. Dann legte er die Flinte +vorsichtig aufs Bett.</p> + +<p>Jetzt wollen wir die Erbsen mischen. Er griff in die Westentasche und +holte eine Portion kleiner Nägel hervor, nahm sie in die Hand und wog +sie, nahm dann den Lederbeutel, schüttete etwas Schrot dazu und mischte +beides zusammen.</p> + +<p>Hm! Er griff wieder in die Tasche nach Nägeln, mischte sie dazu und +flüsterte: »Ja, nun denke ich, das wird genügen« und schüttete die +Mischung in den Lauf. Dann stand er wieder still und überlegte, griff +noch einmal in die Westentasche und zog einen langen Nagel hervor. Er +kniff die Lippen energisch zusammen:</p> + +<p>Ich denke, wir bieten ihr den auch noch, dann sind wir sicher!</p> +<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> +<p>Kurz darauf stapften Jon und Simen über das Tal hinüber nach Stubsveen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Es ist schwer zu sagen, wer von den dreien, Jon, Per oder Simen, am +eifrigsten war, als sie am Abend in Stubsveen um den Tisch saßen und +Kaffeepunsch tranken — das heißt die beiden Alten, Jon bekam keinen, +er war zu klein. Die Geschichten, die erzählt wurden, nahmen kein Ende, +vom Blaufuchs, vom Rotfuchs und vom Weißfuchs. Nein, das hier wäre kein +Blaufuchs, meinte Simen, da wäre er sicher; da hätte er sich nicht so +nah an die Häuser gewagt, und da würde das Ganze auch nicht viel Nutzen +haben, denn der wäre zu schlimm; entweder er legte sich nieder, oder +er spränge in die Höhe, wenn der Schuß fiele. Da müßte man entweder +drunter oder drüber halten und es darauf ankommen lassen, ob er spränge +oder sich niederlegte. Er hätte damals drunter gehalten, als er den +Blaufuchs schoß.</p> + +<p>Sie waren solche Helden geworden, Peter und Simen, daß Jon beinahe +nicht mit gedurft hätte, als sie sich später abends in den Stall +begaben, um Wacht zu halten. Aber er ließ nicht nach; es war ebensogut +sein Fuchs.</p> + +<p>Ihretwegen — nur müßte er mäuschenstill sitzen. Sie dürften kein Glied +rühren.</p> + +<p>Da könnten sie sicher sein!</p> + +<p>Sie gingen alle drei nach dem Stall, nahmen die Branntweinflasche mit, +und Peter gab seiner Frau den Befehl, das Feuer nicht ausgehen zu +lassen und Kaffee bereit zu halten, wenn sie mit der Beute kämen.</p> + +<p>Sie nahmen an der Stallluke Platz. Simen und Per nahmen einen +Heusack und setzten sich ordentlich zurecht, so daß sie aus der Luke +heraussehen konnten.</p> + +<p>Simen hielt das hintere Ende der Flinte mit gespanntem Hahn und steckte +den Lauf eben durch die Luke. Jon saß auf einem Melkschemel etwas zur +Seite und lugte durch einen Spalt in der Wand. Wer den Fuchs zuerst +sah, sollte nichts sagen, sondern Simen nur leise an der Jacke zupfen.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span> + +<p>Es war behaglich und warm im Stall; die Kühe lagen und schnarchten und +käuten wieder, so daß die Hörner in unregelmäßigen leisen Schlägen +gegen die Wand schlugen.</p> + +<p>Durch jede Ritze drang die Kälte ein, begegnete der Wärme von drinnen +und bildete mit ihr im Verein große Büschel von glitzerndem Reif um +jede Ritze. Draußen war heller Mondschein; sie konnten so klar und +scharf sehen wie am hellichten Tage, und es glitzerte über den Äckern, +und das Mondlicht zitterte auf den bereiften Bäumen auf der Höhe +drüben. Tiefste, friedliche Ruhe herrschte draußen, kein Laut war zu +hören, keine Bewegung zu sehen.</p> + +<p>Sie hatten wohl eine halbe Stunde gesessen; die Wärme und die Stille +fingen an, sie schläfrig zu machen.</p> + +<p>Wie wär's, wenn wir noch einen Schluck nähmen? flüsterte Per.</p> + +<p>Und ob, sagte Simen.</p> + +<p>So verging wohl noch eine halbe Stunde, da flüsterte Per wieder:</p> + +<p>Ich schlafe beinahe ein; nehmen wir noch einen Schluck?</p> + +<p>Das wäre nicht dumm.</p> + +<p>Wieder saßen sie eine Weile. Dasselbe wiederholte sich. Aber dann wurde +es still — lange.</p> + +<p>Jon saß und sah so eifrig durch den Spalt, daß er keine Zeit hatte, +nach den andern zu sehen. Es war merkwürdig, wie still sie waren. Eben +wollte er sich nach ihnen umdrehen — aber da — mit einem Male hielt +er den Atem an und riß die Augen weit auf.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span></p> + +<p>Bewegte sich nicht dort etwas am Fuß des Ackerhügels? Ja, ja, da +erschien der Kopf! Da war er!</p> + +<p>Erst kam eine Schnauze und ein paar spitze Ohren zum Vorschein, und der +Kopf wandte sich nach allen Seiten. Dann tauchte er ganz auf, langsam +und vorsichtig, blieb stehen, den einen Vorderfuß in der Luft, bereit +auszureißen; so stand er eine Weile und sah sich um; dann setzte er den +Fuß vorsichtig nieder und schlich ein paar Schritte vorwärts. Er war so +fein und schlank und geschmeidig, wie er dastand mit dem langen Schwanz.</p> + +<p>Als er einige Schritte vorwärts getan hatte, hielt er inne, wandte sich +plötzlich und schlich nach einer andern Richtung.</p> + +<p>Jon konnte nicht begreifen, daß Simen nicht schoß; aber er mußte wohl +eine Absicht damit haben!</p> + +<p>Oh, wenn er wieder davonginge. Da schlich er hin, schlug einen großen +Bogen und verschwand im Gebüsch oberhalb des Ackers.</p> + +<p>Jon holte Atem und starrte. Nein, er konnte ihn nicht mehr sehen.</p> + +<p>Doch, da!</p> + +<p>Plötzlich steckte er den Kopf wieder vor, oben auf dem Hügel, und jetzt +viel näher; er witterte und sah nach dem Stall hinunter. So stand er +eine Weile, immer den einen Fuß erhoben; dann schlug er wieder<span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span> einen +Bogen, kam schräg den Hügel hinab, schlug wieder einen Bogen und +spähte. Jetzt war er dicht heran.</p> + +<p>Simen mußte ihn sehen, er saß ja mitten vor der Luke. Jon beugte sich +herüber und faßte nach seiner Jacke. Er verwandte keinen Blick von dem +Fuchs, während er zupfte.</p> + +<p>Rrrro—ro! tönte es in diesem Augenblick, so daß es im Stall schallte. +Es war Simen, der einen gewaltigen Schnarcher tat, als er erwachte.</p> + +<p>Jon sah, daß der Fuchs herumfuhr und gleichzeitig einen mehrere Meter +langen Satz machte; dann noch einen und noch einen, immer rascher und +rascher über den Acker hin; es war, als ob er den Schnee gar nicht +berührte. Das letzte, was er sah, war der lange buschige Schwanz, +der wie ein Steuer in die Luft stand, während der Fuchs mit einem +ungeheuren Satz den Ackerhügel herabsprang und verschwand.</p> + +<p>Er sprang auf und fiel, so lang er war, über Per, der ebenfalls +aufwachte.</p> + +<p>Im selben Augenblick donnerte es los, als ob der Stall einfiele; die +Kühe sprangen auf und rissen an den Ketten. Simen rollte vom Sack +herunter; die Flinte hatte ihm einen gewaltigen Stoß versetzt.</p> + +<p>Simen hatte den Fuchs gerade gesehen, als er den letzten Sprung machte +und, ohne irgendwie zu<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> zielen, drückte er los, lange nachdem der Fuchs +weg war.</p> + +<p>Hast du ihn gesehen? rief Per.</p> + +<p>Ja, und es war doch ein Blaufuchs, sagte Simen. Er sprang in die Höhe, +als ich schoß.</p> + +<p>Jon saß das Weinen in der Kehle:</p> + +<p>Nein, und wenn du noch nie gelogen hast, <em class="gesperrt">jetzt</em> lügst du — +Tischler Simen.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-153"> + <img class="w100" src="images/illu-153.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p> + +<h2 class="p2">Die Kvinstöljungen.</h2> +</div> + +<p>Ho—o—iho! scholl es über die Höhen, so daß vom fernen Kvinkampen +her das Echo antwortete. Von der andern Seite ertönte der tiefe Laut +eines Bockhornes, und gleichzeitig schmetterte eine schrille hohe +Ziegenhornpfeife dazwischen. Unablässig erklang der Jodler, das Horn +blies lauter und lauter, und die Pfeife trillerte immer höher, bis der +Ton so hoch wurde, daß er sprang und wegblieb. Und die Töne trafen +sich und mischten sich miteinander und mit dem Echo aus der Ferne, das +von immer weiter herkam, schwächer und schwächer; und Glocken, tiefe +und hohe, schlugen an und erklangen drein, und die Ochsen brüllten, +die Kühe folgten ihrem Beispiel, die Ziegen meckerten — — es war am +Morgen und auf dem Kvinstöl ließen sie das Vieh heraus.</p> + +<p>Es war ein Morgen so klar und frisch, wie er im Juli im Gebirge es nur +sein kann, so einer, an dem Volk und Vieh sich so leicht fühlen, als +ob sie fliegen könnten, wo selbst alte Kühe ihre Würde vergessen, den +Schwanz hochschlagen und Kälbersprünge machen.</p> + +<p>An solch einem Morgen ist immer Leben auf der Senne; aber es war doch +den ganzen Sommer noch nicht vorgekommen, daß Per Oppigar das Horn +so stark geblasen und Jens Melbö so hoch auf der Ziegenhornpfeife +geschmettert und Peter Nerigar, den die andern Peter Flapps nannten, +wenn sie zornig auf ihn waren, so gejodelt hatte wie heute. Es war +klar, daß etwas besonderes los war.</p> + +<p>Sie zogen jeder aus seiner Hütte aus — es gab nur drei auf dem +Kvinstöl — trennten das Kleinvieh von den Rindern, die heute von den +Sennerinnen selber in den Wald gelockt wurden und setzten davon, jeder +nach seiner Richtung, Per gerade über den Storhaug, die andern in einem +großen Bogen drum herum. Aber hinter dem Hügel, als sie außer Sicht +waren — es brauchte niemand zu wissen, daß sie zusammen hüteten — +vereinigten sie sich wieder, und je mehr sie sich einander näherten, um +so mehr jodelten und bliesen sie und riefen nach ihren Ziegen, daß es +über die Berge schallte; und als sie sich trafen, trieben sie alle drei +Herden in einen Haufen zusammen, — heute war es selbstverständlich, +daß auch Peter Flapps seine mit denen der andern zusammentreiben +durfte. Und als das wohl besorgt war, jodelte Peter<span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span> wieder, und Per +blies in sein Horn, daß ihm die Augen aus dem Kopfe standen und Jens +trillerte so schrill und lange auf der Ziegenhornpfeife, daß er rot +wurde wie ein Puterhahn.</p> + +<p>Dann rief Per: So wollen wir die Neusäterjungen empfangen; sie sollen +hören, daß es die Kvinstöljungen sind, die kommen.</p> + +<p>Wenn sie nur kommen? meinte Jens.</p> + +<p>Sie müßten sich schämen, wo sie so viele sind! meinte Per.</p> + +<p>Peter Flapps schlug ein Rad, daß die Bergschuhe aneinander schlugen. +Sie können kommen so dicht wie eine Schafherde, sie sollen das +bekommen, was sie verdienen.</p> + +<p>Die Kvinstöljungen zogen nämlich heute in den Krieg.</p> + +<p>Sie hatten gehört, daß die Hirten in alten Tagen, wenn sie über die +Weiden uneinig waren, zusammenkamen und kämpften. Es sollte sogar +irgendwo weit drinnen in den Bergen — ja, ob es so sehr weit war, +wußten sie nicht recht —, kann sein, es war näher, als einer glaubte +— ein Moor liegen, das Siebenhirtenmoor hieß. So hieß es, weil +dort einst sieben Hirten zusammengetroffen waren, um Abrechnung zu +halten. Sie hatten sich sogar Spieße aus Wacholder gemacht und sie +über schwachem Feuer<span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span> erhitzt, so daß sie hart wie Stein und zäh wie +Horn geworden waren, und sechs waren auf dem Platze geblieben, der +siebente kam mit einem Spieß im Leib gerade noch bis nach Hause und +erzählte, wie sich die Sache zugetragen hatte. So hart ging es jetzt +nicht mehr zu, das war in alten Tagen geschehen. Aber es kam doch +vor, daß die Hirten auch heute noch miteinander rauften; nur hier auf +diesen lumpigen Sennhütten ging es so friedlich zu. Aber es war doch +ganz hübsch, mit den Neusäterjungen ein bißchen über die Weiden zu +verhandeln. Freilich hüteten die Neusäterjungen nicht oft auf dieser +Seite und niemals auf den Kvinstölweiden, aber sie könnten es doch +einmal tun, und <em class="gesperrt">könnten</em> sie erst das, so könnten sie auch bald +von der Senne selber Besitz ergreifen. Und vielleicht dachten sie +auch an etwas derartiges, den Neusäterjungen war nicht zu trauen. Und +wovon sollten <em class="gesperrt">ihre</em> Schafe dann fett werden? Sie hatten immer +gehört, daß die Weidegrenze von Kvinstöl zwischen dem Blauwasser und +dem Hvidtskjägstein verlief; aber es war doch die Frage, ob sie nicht +weiter gehen durften, es war wohl das sicherste, ein Stück dazu zu +erobern. Die magern, langbeinigen Neusäterschafe konnten ihr Futter wo +anders suchen, es war überhaupt kein guter Schlag; — <em class="gesperrt">ihre</em> Sache +war es jedenfalls nicht, sie zu füttern.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p> + +<p>Darüber hatten sie nachgedacht und gesprochen viele, viele Male; aber +es war nichts daraus geworden, bis vorgestern, als Lars Sagbakken kam +und nach dem Neusäter hinüberwollte, um Pferde zu suchen. Da hatte +Per ihn ohne weiteres gebeten, er sollte den Neusäterjungen sagen, +sie möchten sich übermorgen am Hvidtskjägstein einstellen — so viele +wie Lust hätten —, die Kvinstöljungen wollten mit ihnen über die +Weidegrenzen reden. Sie dachten nicht anders, als daß Lars Sagbakken +sich seines wichtigen Auftrages erinnert hätte und erwarteten, daß die +Neusäterjungen kommen würden, denn heute sollte es entschieden werden.</p> + +<p>Die Herde zog weiter und zerstreute sich über die Moore. Die drei +blieben eine Weile stehen.</p> + +<p>Wie viele, glaubst du, werden kommen? fragte Jens.</p> + +<p>Es sind 10 Hütten dort, erklärte Per, aber nur 8 sind bewirtschaftet, +und dann sind drei Mädchen dabei, es kommen also wohl nur fünf, und +selbst wenn ein Mädchen dabei ist, so werde ich nicht die Schande auf +mich nehmen, mich an einem Frauenzimmer zu vergreifen.</p> + +<p>Ich auch nicht, sagte Jens. Ich gedenke den einen Schuh auszuziehen und +sie damit über die Köpfe zu schlagen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span></p> + +<figure class="figcenter illowp90" id="illu-159" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/illu-159.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p> + +<p class="p2">Nein, dazu sind sie zu gefährlich, meinte Peter, man darf sie nicht so +nahe kommen lassen; <em class="gesperrt">ich</em> mache es so, ich werfe mich kopfüber +auf die Hände und treffe sie mit den Absätzen vor die Brust; da sollst +du mal sehen, wie sie hinfliegen — und er warf sich vornüber, krachte +aber mit dem Hinterteil auf die Erde, daß der Hügel dröhnte.</p> + +<p>Nein, meinte Per, man soll ihnen gerade nahe kommen, so daß sie nicht +zum Schlagen ausholen können. Ich werde sie so beim Kragen nehmen, ganz +weit oben und ihnen die Daumen hinter die Ohren setzen und zudrücken, +da werden sie kraftlos und fallen hin wie die Mehlsäcke.</p> + +<p>Ja—a, das wollte Jens auch tun, oder vielleicht würde er es doch +lieber mit dem Überschwung versuchen.</p> + +<p>Es wäre vielleicht besser, sie übten sich ein bißchen, meinte Per, +Peter sollte der Neusäterjunge sein.</p> + +<p>Hei, du Neusäterlümmel, hier sind die Kvinstöljungen. Wer hat dir +erlaubt, bis an den Hvidtskjägstein zu hüten.</p> + +<p>Peter brüllte dagegen: Ich frage keinen Kvinstöllümmel, wo ich hüte. +Komm nur heran, so werfe ich dich so hoch in die Luft, daß du nie +wieder herunterkommst.</p> + +<p>Danach siehst du gerade aus! Wie lange Beine<span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span> haben deine Schafe? Die +können wohl über das Schafstalldach wegschreiten?</p> + +<p>Jens stand da und hörte zu und war so erfüllt davon, daß er die Luft +einzog und schluckste.</p> + +<p>Jedenfalls können sie leicht über so einen Kvinstölbengel wegspringen +und noch ein Stück dazu. Ich habe nicht solche Lämmchen wie die +Kvinstölhirten.</p> + +<p>Komm her, so werde ich dem lieben Gott deine Schuhsohlen zeigen.</p> + +<p>Komm du her! und Peter warf sich kopfüber und kam wieder auf die Beine.</p> + +<p>Per stürzte auf ihn los und packte ihn beim Kragen, sie kämpften, bis +sie hinstürzten, Per zu unterst. — Jens auf Peters Rücken los, um ihn +herunterzukriegen. Nach einer Weile standen sie auf. Da sagte Per: +Diesmal kriegtest du mich unter. Aber das wäre nicht geschehen, wenn +du ein Neusäterjunge gewesen wärest. Denn wenn ich böse werde, bin ich +doppelt so stark. Glaubst du das etwa nicht? Dann komm nur noch einmal +heran.</p> + +<p>Sie fuhren wieder aufeinander los, und diesmal kam Peter zu unterst.</p> + +<p>Da siehst du's, du Neusäterbengel, und Per stand auf, drehte sich auf +dem Absatz und juchzte, daß es schallte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span></p> + +<p>Jetzt mußten sie nach und die Herden wenden, dann nahmen sie die +Richtung auf den Hvidtskjägstein, und sie liefen und sprangen und +riefen und juchzten und bliesen, bis sie die Herde wieder beisammen +hatten. Dann zottelten sie langsam hinterher und schwatzten.</p> + +<p>Das meiste taugte nichts, was sie drüben auf dem Neusäter hatten. +Langbeinige Schafe, Kühe, die nur in die Hörner wuchsen, und +verhungerte Hirten. Und hatten sie vielleicht ein Horn zum Blasen? Und +wenn sie einen von ihren kümmerlichen Böcken hundert Jahre fütterten, +so bekamen sie doch kein solches Horn, wie Per seins. Ja freilich, +so eins gab es auf dem ganzen Westfjeld nicht wieder — aber auf dem +Neusäter hatten sie nichts, was auch nur annähernd damit zu vergleichen +war.</p> + +<p>Was sollten sie nun eigentlich mit den Neusäterjungen machen, wenn sie +sie verhauen hatten? Sollten sie sie als Kriegsgefangene mitnehmen, +oder sie laufen lassen. Sie waren gewiß so gefräßig, daß es nicht +anging, sie als Gefangene zu behalten. Nein, sie würden ihnen bis +fast nach dem Neusäter folgen und sie zwingen, eine Grenze zwischen +den Weidegebieten zu errichten. Sie sollten Steine schleppen müssen, +daß ihnen der Schweiß aus ihren herunterhängenden Hosenböden tropfen +sollte. Und sie sollten kein großes Stück<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> auf dieser Seite des +Neusäters behalten, da konnten sie sicher sein.</p> + +<p>Je näher sie dem Hvidtskjägstein kamen, desto vorsichtiger wurden sie +und desto leiser sprachen sie. Es konnte doch sein, daß sie ziemlich +zäh und kräftig waren, diese Neusäterjungen. Wer sollte zuerst +vorgehen? Jens meinte, das müßte Per sein, aber Per fand, es wäre +richtiger, Peter ginge zuerst, weil er der größte wäre, aber Peter fand +gerade, Jens als der kleinste sollte vorangehen, sonst könnten die +Neusäterjungen Angst kriegen und ausreißen. Nein, da fand Jens es schon +am besten, sie gingen alle auf einmal vor, damit die Neusäterjungen +nicht jeden einzeln verhauen sollten, denn sie sollten fest zuhauen. +Ja, das taten sie denn auch.</p> + +<p>Jetzt näherten sie sich dem Hvidtskjägstein. Es war wohl das beste, sie +gingen vor der Herde, denn sonst könnten diese Neusäterhallunken sie +ihnen wegnehmen und nach dem Säter treiben. Sie machten es so. Jetzt +hatten sie nur noch einen Hügel vor sich. Sollten sie nun schreien und +auf dem Horn blasen und auf der Ziegenhornpfeife pfeifen? Nein, besser +war es wohl, sie gingen still vor und sahen erst, wie viele es waren. +Man konnte gar nicht wissen, ob sie nicht Hilfstruppen mithatten. Sehr +wahrscheinlich, daß das Dutzend voll war. Sie schlichen auf den Hügel,<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> +so still wie möglich, krochen unter Deckung von Büschen vorwärts, so +weit, daß sie die kleine Ebene, wo der Hvidtskjägstein lag, übersehen +konnten.</p> + +<p>Da lag er ganz ruhig im Sonnenschein, — keine Menschenseele war zu +sehen.</p> + +<p>Die Jungen erhoben sich und sahen einander an. Sie horchten, ob sie +nicht in der Ferne einen Laut von ihnen vernähmen. Nein!</p> + +<p>Endlich sagte Per: Sollte der Trottel, der Lars Sagbakken es nicht +ausgerichtet haben? Ob sie sich nicht getrauten? Ich glaube eher das +letztere, meinte Peter; sie werden wohl von den Kvinstöljungen gehört +haben. Ja, nun jodeln wir.</p> + +<p>Und Peter setzte mit einem Jodler ein, und Per blies das Horn, und Jens +ließ seine schrille Ziegenhornpfeife ertönen, daß es weithin schallte.</p> + +<p>Rücken wir also über die Grenze! Sie sollen sehen, daß die +Kvinstöljungen vor niemand Angst haben und hüten, wo sie wollen. — Ja, +das machen wir, bis an ihre Sennhütten heran. Sie lockten ihre Tiere, +die springend herankamen, und dann rückten sie an der Spitze der Herde +vorwärts. Sie jodelten und bliesen und pfiffen und schimpften auf die +Neusäterjungen, als ob sie so nahe wären, daß sie es hören könnten. So +ging es eine lange Zeit fort.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span></p> + +<p>— — Plötzlich blieben sie alle drei mit offenem Munde stehen und +lauschten. Es kam ihnen vor, als ob sie ein schwaches Jodeln hörten. +Peter jodelte vorsichtig zur Antwort. Ja, da ertönte es wieder ganz +schwach und gar nicht weit fort. Was hatte das zu bedeuten? Waren es +die Neusäterjungen, die sich in einen Hinterhalt gelegt hatten? Da +war es wohl am besten, vorsichtig vorzugehen, aber hin mußten sie und +nachsehen, was es war. Sie hielten auf einmal inne mit jodeln und +blasen. — Leise schlichen sie vorwärts. Endlich kamen sie über einen +Hügel, und zwischen einigen verkrüppelten Birken hindurch sahen sie auf +eine kleine Ebene.</p> + +<p>— — Auf einem Stein mitten in der Ebene saß ein kleiner, hübscher, +zerlumpter Junge und blickte nach der Richtung, wo sie waren, und um +ihn herum lag wiederkäuend eine Herde Ziegen und Schafe.</p> + +<p>Es war so schön und still und friedlich hier, daß sie eine Weile liegen +blieben und sich nur umsahen.</p> + +<p>Endlich sagte Peter: Ob nicht doch noch andere dabei sind, die sich +versteckt haben?</p> + +<p>Sie spähten lange umher, aber da sie niemanden sahen, beschlossen sie +vorzurücken. Es sollte aber mit Kraft geschehen. Sie standen auf, und +auf ein Zeichen von Per, begann Peter wie verrückt zu jodeln, und Jens +trillerte auf seiner Pfeife so hoch, daß der<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> Ton sprang, und Per +selber setzte mit seinem Horn ein, daß es hallte.</p> + +<p>Die Tiere rings um den kleinen Jungen sprangen auf, blieben stehen und +glotzten, und der Junge sprang vom Stein herunter und blieb stehen.</p> + +<p>Sie marschierten vor, Peter schlug ein Rad mitten auf der Ebene, und +so näherten sie sich dem kleinen Jungen. Per ging gerade auf in los, +spuckte in die Hände und sagte: Willst du Prügel haben?</p> + +<p>Aber das schien der kleine Junge nicht zu verstehen; er richtete ein +paar große Augen auf sie, machte eine tiefe Verneigung mit dem Kopf und +sagte ganz friedlich: Guten Tag!</p> + +<p>Pers Hände sanken herunter, er blieb mit offenem Munde stehen. Das kam +so unerwartet, daß er nicht wußte, was er sagen sollte, und so brachte +er nur ein leises: Guten Tag! Bist du draußen und hütest? heraus.</p> + +<p>Ja, — und du auch, sehe ich.</p> + +<p>Ja.</p> + +<p>Es entstand eine lange Pause.</p> + +<p>Du bist wohl vom Neusäter?</p> + +<p>Ja, das bin ich.</p> + +<p>Wie steht es dort?</p> + +<p>Oh, danke gut, kann ich wohl sagen, nur Farskoll ist recht schlecht auf +den Beinen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span></p> + +<p>Wieder lange Pause.</p> + +<p>Er ist wohl nicht mit einer Botschaft von mir bei euch drin gewesen, +der Lars Sagbakken.</p> + +<p>Nein, nicht daß ich wüßte.</p> + +<p>Nein, er war wohl nicht. Ja, es war auch nichts weiter.</p> + +<p>Wieder entstand eine Pause. Schließlich sagte Per:</p> + +<p>Ein mächtiger Bock, den du hast.</p> + +<p>Ach nein, der ist wohl nichts besonderes.</p> + +<p>Doch, der ist groß, das ist sicher. Ich habe kaum so einen gesehen.</p> + +<p>Ein schönes Horn, was du hast.</p> + +<p>Ach ja, es ist ganz gut. Hast du keins?</p> + +<p>Nein, ich kann mir keins anschaffen.</p> + +<p>Haben es die Hirten gut auf dem Neusäter?</p> + +<p>O ja, Tonetta, meine Sennerin, ist sehr gut.</p> + +<p>Kriegst du manchmal Rahm?</p> + +<p>Der kleine Junge machte verwunderte Augen.</p> + +<p>Nein, den kriege ich nicht. Aber jetzt muß ich nach meiner Herde sehen, +sonst läuft sie mir fort.</p> + +<p>Hast du nicht Lust, einmal nach dem Kvinstöl zu kommen?</p> + +<p>Doch, Lust hätte ich schon. Dem Tobias sind ein paar Schafe +weggekommen, und da darf ich vielleicht mit ihm gehen, um danach zu +fragen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span></p> + +<p>Ja, komm und besuch mich, da sollst du so viel Rahm kriegen, wie du +essen kannst. Hast du nicht Lust, mein Horn zu leihen?</p> + +<p>Es leuchtete in seinen Augen auf, aber er sagte:</p> + +<p>Das kannst du doch nicht entbehren?</p> + +<p>Ach, pah, du kannst es ja mitbringen, wenn du kommst, um nach den +Schafen zu fragen — und er hängte ihm das Horn um den Hals.</p> + +<p>Danke schön. Lebewohl und auf Wiedersehn.</p> + +<p>Gleichfalls!</p> + +<p>Und der kleine Junge zog seiner Herde nach und blies auf dem Horn, +und sie hörten ihn noch lange, während sie über Stock und Stein +davonrannten und ihre Herde suchten, die mittlerweile verschwunden war. +An diesem Abend kamen die Kvinstöljungen ohne Herde heim, und das ist +die größte Schande, die einem Hirten widerfahren kann.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-169"> + <img class="w100" src="images/illu-169.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p> + +<h2 class="p2">Erste Liebe.</h2> +</div> + + +<p>Jeden Tag, eine ganze Woche lang hatte Ole gestanden und zur Küchentür +hinausgeguckt, wenn der Student nach Hause kam, um zu sehen, ob er +nicht irgendein verdächtiges Paket in der Hand oder in der Rocktasche +hätte. Und das hatte seine Gründe. Es war kein Zweifel, daß der Student +ihm etwas zum Geburtstage schenken würde, der gerade in acht Tagen +war, sonst hätte er ihn wohl nicht so genau ausgefragt, wann er wäre +und ob er viel geschenkt kriegte; und der Student war unbeschreiblich +nett, also das war sicher; jetzt handelte es sich eigentlich nur noch +darum, was es sein würde, denn es gab eigentlich nur eins, was sich Ole +wünschte.</p> + +<p>Ole war zehn Jahre alt und wohnte in der Welhavenstraße droben bei +seiner Mutter Madame Hansen, die sich ihren Unterhalt mit Waschen in +den Häusern und Zimmervermieten verdiente, und was das schlimmste war, +Ole war gewiß verliebt. Bis vor kurzem hatte er selber gar nichts davon +gemerkt gehabt. Das ganze<span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span> Jahr, seit sie nun hier wohnten, war er +jeden Nachmittag im Hof gegenüber gewesen und hatte die gleichaltrige +Elsa Holm getroffen, die Tochter der Oberzollinspektorswitwe Holm. +Vorigen Winter hatten sie eine große Schneefestung gehabt und einen +großen Schneemann als Schildwache, und wenn Ole in die Festung kam +und rief »Heraus!« dann kam Elsa jedesmal eilends die Küchentreppe +herunter. Bisweilen hatten sie auch auf die Eisbahn nach Tullinlökken +hinunter zum Schlittschuhlaufen gedurft, Frau Holm hatte ihn sogar +gebeten, ihrer Tochter zu helfen und aufzupassen, daß sie nicht zu +lange bliebe. Aber er hatte nur ein Paar ganz alte Schlittschuhe +gehabt, die er sich geborgt hatte und die ihm nie richtig passen +wollten, so daß es kein großes Vergnügen gewesen war. Und im Frühjahr +hatten sie zuerst mit Murmeln gespielt und Elsa hatte alle seine +gewonnen, obwohl sie ganz kleine Hände hatte und nicht halb so weit +werfen konnte wie er; aber sie war nett gewesen und hatte ihm welche +geliehen, wenn er keine mehr hatte. Und später, als es wärmer wurde, +hatten sie Verstecken gespielt durch alle Treppen und Keller, — er +erinnerte sich noch, wie Elsa in den Kohlenkeller gefallen war, und er +sie schwarz wie ein Schornsteinfeger wieder herauszog — nur die Zähne +und die Augen leuchteten<span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span> weiß, gerade wie bei einem Neger, den er +einmal gesehen hatte.</p> + +<p>Aber dann war Elsa aufs Land gereist und bis zum September +fortgeblieben. Der Sommer war ganz unterhaltend vergangen, denn er +hatte ein paar Jungen kennen gelernt, mit denen er unten im Meer +gebadet und Krabben gefischt hatte; aber je länger es dauerte, um so +öfter fing er an, in den Hof hinüberzugucken, ob Elsa noch nicht zu +Hause gekommen wäre. Und als er eines Tages erfuhr, daß sie am Abend +zuvor gekommen sei, rannte er in den Hof hinüber, setzte sich auf die +Abfallkiste und trommelte mit den Absätzen dagegen, wie er es sonst +gemacht hatte. Aber sie kam nicht. Er stand auf und rief: »Heraus!« so +laut er konnte, viele Male. Aber auch daraufhin kam sie nicht. Da gab +er es für diesen Tag auf, versuchte es aber am nächsten Tage wieder und +so jeden Tag, aber jedesmal wurde er schüchterner und unsicherer; es +kam ihm vor, als ob ihn alle Menschen ansähen und sich wunderten, was +er dort im Hofe wollte. Schließlich gab er es auf und setzte nie mehr +seinen Fuß in den Hof; aber wenn der Student nicht zu Hause war, stand +er immer an dessen Fenster und guckte nach der Haustür gegenüber, denn +ihre eigene Stube ging nach dem Hof hinaus.</p> + +<p>Nach einiger Zeit konnte er nicht mehr widerstehen<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> und er beschloß, +sie auf der Straße zu treffen, wenn sie aus der Schule kam. Am ersten +Tage hatte er kein Glück; sie kam in Begleitung ihrer Mutter; er tat, +als ob er sie nicht sähe und verbarg sich in einem Torweg. Den nächsten +Tag kam sie allein. Er fühlte, wie etwas unter der Weste zu pochen +begann, und er hatte einen ganz heißen Kopf, als er die Mütze zog und +tat, als ob er vorbeigehen wollte. Sie richtete ihre blauen Augen +treuherzig auf ihn, so daß er unwillkürlich stehen blieb, die Mütze +wieder auf den Kopf setzte und auf seine Füße sah.</p> + +<p>Sie hätten sich lange nicht gesehen!</p> + +<p>Ja, sie käme nicht mehr in den Hof.</p> + +<p>Sollten sie denn diesen Winter keine Festung wieder bauen?</p> + +<p>Ja, sie wollte schon gern, aber —</p> + +<p>Sie könnten ja im Nebenhof spielen, wenn es ihr in ihrem Hofe +unangenehm wäre.</p> + +<p>Er hatte das unwillkürlich gesagt und fühlte, wie er feuerrot wurde, +als sie ihn treuherzig fragend ansah.</p> + +<p>Sie dürfte nicht mehr; sie wäre jetzt zu groß, um mit Straßenjungen zu +spielen, hätte die Mutter gesagt.</p> + +<p>Ole verstand nicht, was darin lag; er stand und suchte, was er noch +sagen könnte, aber dann fühlte er, wie etwas wie Zorn in ihm aufstieg +— er wußte<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> nicht warum, — und so grüßte er mit der Mütze und wollte +gehen.</p> + +<p>Sie blieb stehen und blickte ihm nach:</p> + +<p>Du, Ole?</p> + +<p>Ja?</p> + +<p>Mutter hat gesagt, ich dürfte auf die Eisbahn, den ersten Tag, wo Eis +wird; — willst du dann kommen und mich schieben?</p> + +<p>Ole machte kehrt, nahm Stellung und führte die Hand nach militärischer +Art an die Mütze (er war einexerziert worden, damals, als der Kadett +bei seiner Mutter wohnte): Zu Befehl!</p> + +<p>Dann machte er wieder kehrt und ging.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Seitdem gab es nur ein Ding in der Welt, was Ole sich wünschte, und das +waren ordentliche Schlittschuhe, solche mit Mechanik zum Anschrauben.</p> + +<p>Er hatte gescharrt und gespart, so daß er schließlich drei Kronen und +fünfundzwanzig Öre besaß; aber da war vor einem Monat die Mutter krank +geworden und konnte drei Tage nicht auf Arbeit gehen, und da hatte sie +ihn gebeten, ihr das Geld für Holz und Kohlen zu borgen, und da konnte +er natürlich nicht nein sagen, so gern er auch gewollt hätte; — denn +sie hatte es nicht leicht, die arme Mutter. Er wußte wohl, daß er es +wiederbekommen würde, sobald sie es hätte; aber da konnte es zu spät +werden; seitdem hatte er nicht mehr als sechzig Öre zusammengebracht, +und dafür konnte er ja nicht einmal ein paar alte mit Riemen bekommen. +Jetzt setzte er seine ganze Hoffnung auf den Studenten und sein +Geburtstagsgeschenk.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> + +<p>Er hatte gleich daran gedacht, als der Student anfing ihn zu fragen, +welcher Tag es wäre. Und er hatte dann auch öfters, wenn er mit etwas, +das er beim Kaufmann geholt hatte (denn alle solche Dinge hatte Ole zu +besorgen), zurückkam, versucht, das Gespräch auf Schlittschuhlaufen +und ähnliche Sachen zu bringen, so daß er meinte, der Student müßte +ihn verstanden haben. Denn er begriff manchmal so unglaublich leicht; +mehrmals hatte er Dinge aus Ole herausgelockt, die dieser durchaus +nicht hatte erzählen wollen; erst hinterher, wenn der Student +angefangen hatte, ihn zu necken, hatte er gemerkt, daß er es doch +gesagt hatte. Ja, es war zweifellos, er mußte es verstanden haben. Wenn +er nun nur auch wollte!</p> + +<p>Ole stand in der Küchentür und spähte. Es war die Zeit, zu der der +Student nach Hause zu kommen pflegte. Seine Spannung war von Tag zu +Tag gewachsen, und seit ein paar Tagen hatte eine unglaubliche Kälte +eingesetzt, so daß man jeden Tag erwarten konnte, sie würden auf +Tullinlökken anfangen, die Bahn zu gießen. Er hatte es dem Studenten +sogar heute morgen rund heraus gesagt, aber der hatte nicht darauf +geantwortet, er war immer so kurz angebunden in seinen Antworten, wenn +er über einem Buche saß.</p> + +<p>Vielleicht hatten sie mit dem Gießen schon angefangen?</p> + +<p>Es war zu dumm, er hätte ebensogut sagen können, der Geburtstag wäre +acht Tage früher, der Student würde es wohl kaum erfahren haben.</p> + +<p>Da hörte er ihn auf der Treppe, jetzt zog er die Schlüssel heraus, +jetzt ging die Vorsaaltür.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span> + +<p>Ole spähte.</p> + +<p>Ja, wahrhaftig, er hatte etwas in Papier gewickelt in der Manteltasche.</p> + +<p>Hm, ja, es konnte übrigens recht gut auch nur eine Flasche sein; aber +es sah doch nicht richtig danach aus. Wenn er es nur herausnehmen +wollte! Nein, da ging er hinein — zum Teufel —, der Student nahm +immer den Mantel mit hinein, wenn es kalt war.</p> + +<p>Er konnte ja immerhin hineingehen und fragen, ob er einen Auftrag +besorgen sollte. Aber da mußte er noch etwas warten; es würde zu +komisch aussehen, wenn er gleich angestürzt käme.</p> + +<figure class="figcenter illowp55" id="illu-177" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/illu-177.jpg" alt=""> +</figure> + +<p class="p2">Er schlich sich auf den Vorsaal hinaus, blieb stehen und horchte. +Jetzt zog der Student den Mantel aus, — er hörte, daß ein Bindfaden +durchschnitten wurde und das Rascheln von Papier. Dann klirrte etwas.</p> + +<p>Er klopfte.</p> + +<p>Er hörte etwas auf die Erde fallen, und nach einer Weile tönte es +»Herein«.</p> + +<p>Er trat rasch ein, nahm Stellung und grüßte militärisch.</p> + +<span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span> + +<p>Befehlen der Herr Student etwas?</p> + +<p>Dabei richtete er die Blicke nach dem Bett. Es war deutlich, daß etwas +rasch darunter gestoßen worden war, aber er konnte nichts sehen, weil +die Decke zu weit herunterhing.</p> + +<p>Nein danke, Ole, jetzt nicht.</p> + +<p>Ole blieb eine Zeitlang stehen, dann beugte er sich rasch herunter, +als ob er etwas vom Boden aufnehmen wollte. Es war so dunkel unter dem +Bett — aber wahrhaftig, blinkte da nicht etwas?</p> + +<p>Der Student wurde aufmerksam:</p> + +<p>Was gibt's?</p> + +<p>Ich dachte, es wäre eine Stecknadel.</p> + +<p>Na, also für jetzt nichts weiter.</p> + +<p>Ole machte kehrt und verschwand.</p> + +<p>Ja, diesmal, meinte er, hätte er den Studenten doch gefangen; es wäre +doch seltsam, wenn es nicht die Schlittschuhe gewesen wären, die er so +rasch verborgen hatte.</p> + +<p>Nein, daß er seinen Geburtstag nicht acht Tage früher verlegt hatte. +Es wäre doch übrigens immer noch möglich, daß er oder die Mutter sich +geirrt hätten, vielleicht war er doch eher. Er mußte einmal in der +Bibel nachsehen; da stand es aufgeschrieben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span></p> + +<p>Er ging und holte das Buch vom Regal. Da stand es: Ole Christian +Hansen, geboren am 2. Dezember 1886. Ja, das war leicht möglich, daß +sie Dezember statt November geschrieben hatten; darum war es nicht +sicherer, weil es dastand.</p> + +<p>Es kam eine solche Unruhe über ihn, daß er nirgends still sitzen +konnte. Bald war er auf dem Vorsaal und griff nach der Mütze, bald +war er in der Küche, bald in der Kammer drinnen und versuchte seine +Aufgaben für morgen zu lernen, schließlich kniete er auf einem Stuhl am +Fenster nieder und hauchte ein Loch in das Eis.</p> + +<p>Ja, wahrhaftig, es war ordentlich kalt draußen. Doch was war das? Da +sprangen zwei Jungen über den Hof mit Schlittschuhen um den Hals. +Hatten sie etwa schon mit Gießen begonnen? Das mußte er sehen.</p> + +<p>Er stürzte in den Vorsaal hinaus, riß die Mütze vom Haken und eilte in +langen Sprüngen bis herab nach Tullinlökken.</p> + +<p>Ja, sie hatten angefangen. Da standen mehrere Männer mit langen +Wasserschläuchen und spritzten, daß das Wasser schäumte. Sie spritzten +schon zum zweiten Male darüber; es fror augenblicklich. Und eine Masse +Jungen standen herum und sahen zu, alle die Schlittschuhe um den Nacken +gehängt oder in der Hand, auch ein paar rotbäckige kleine Mädchen.</p> + +<p>Ein paar von den eifrigsten saßen schon auf den Bänken und schnallten +an, es war am besten, sich bereit zu halten; in ein paar Stunden oder +so, würden sie draufgelassen, hatte einer von den Männern gesagt.</p> + +<p>Es war ungefähr zwei Uhr, und die Kinder aus mehreren Schulen kamen +vorbei:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span></p> + +<p>Ole sah, wie sie einen Augenblick still standen und dann fast +davonrannten; es galt heimzukommen, schnell Mittag zu essen und die +Schlittschuhe vorzusuchen.</p> + +<p>Ja, die hatten Schlittschuhe!</p> + +<p>Da sah er auch Elsa auf der andern Seite der Straße; — nie hatte er +sie so schnell gehen sehen, sie vergaß rein, sich umzusehen und mit der +Schulmappe zu schlenkern, wie sie gewöhnlich tat.</p> + +<p>Nein, das ging nicht an, — er mußte das letzte Mittel probieren.</p> + +<p>Kurze Zeit darauf stand er wieder mit militärischem Gruß im Zimmer des +Studenten:</p> + +<p>Befehlen der Herr Student etwas?</p> + +<p>Nein, danke, Ole!</p> + +<p>Der Student sah nicht auf. Nach einer Weile merkte er, daß Ole gegen +seine sonstige Gewohnheit stehen geblieben war, nachdem er Bescheid +erhalten hatte.</p> + +<p>Nun, willst du noch etwas?</p> + +<p>Da tat Ole einen Schritt vor, suchte seiner Stimme einen forschen Klang +zu geben, aber es kam doch recht schüchtern heraus:</p> + +<p>Jetzt gießen sie.</p> + +<p>Der Student sah verwundert auf.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span></p> + +<p>Was tun sie?</p> + +<p>Sie gießen.</p> + +<p>Wo?</p> + +<p>Auf Tullinlökken.</p> + +<p>Der Student drehte sich auf dem Stuhl um, sah Ole schelmisch an und +sagte:</p> + +<p>Ja, was geht mich das eigentlich an, Ole?</p> + +<p>Nein, ich ging nur vorbei und da sah ich — da dachte ich — laufen der +Herr Student nicht Schlittschuh?</p> + +<p>Doch, manchmal.</p> + +<p>Kannst du den Studentenschwung?</p> + +<p>Nein, und du?</p> + +<p>Nein.</p> + +<p>Es entstand eine lange Pause. Der Student blickte ihn die ganze +Zeit mit freundlichem Spott an, so daß Ole schließlich die Augen +niederschlagen mußte. Wie sollte er nun eigentlich sein Anliegen +vorbringen?</p> + +<p>Da sagte der Student:</p> + +<p>Du wolltest gewiß noch etwas, Ole?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span></p> + +<p>Nein — ja — ich mußte daran denken, daß du mich einmal fragtest, wann +mein Geburtstag wäre, und — ich sagte, er wäre heute in acht Tagen.</p> + +<p>Ja?</p> + +<p>Ja, und seitdem ist mir eingefallen, daß — daß ich — vielleicht — +nicht ganz sicher bin, daß ich es nicht ganz gewiß weiß.</p> + +<p>Weißt du es nicht ganz gewiß?</p> + +<p>Ole wurde rot:</p> + +<p>Ja, ich weiß es schon, — aber sie könnten es in der Bibel vielleicht +falsch aufgeschrieben haben.</p> + +<p>Der Student bekam einen merkwürdig schlauen Ausdruck um die Augen:</p> + +<p>Ja, es könnte ja leicht sein, daß er später wäre, so um Weihnachten +herum?</p> + +<p>Nein, das ganz und gar nicht. Ist es ein Fehler, so ist er früher — +das fühle ich.</p> + +<p>Ja, wann hattest du denn gedacht, daß er sein könnte?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span></p> + +<p>Ich, ich habe immer gemeint, er müßte etwa heute sein.</p> + +<p>Nein, so was. Das wäre wirklich dumm, wenn er heute wäre.</p> + +<p>Warum denn?</p> + +<p>Ja, denn ich hatte gedacht, dir — hier machte der Student eine Pause +— einen Schlitten zum Geburtstag zu schenken. Aber nun ist es heute zu +spät dafür.</p> + +<p>Oles Herz hüpfte vor Freude anfangs, aber als er das Wort Schlitten +hörte, war es vorbei mit der Freude. Es wäre ja auch ganz hübsch, einen +Schlitten zu besitzen, aber das war es nicht, was er sich wünschte. Es +waren also doch keine Schlittschuhe gewesen, was der Student heute mit +nach Hause gebracht hatte.</p> + +<p>Er stand ein Weilchen ruhig und sagte dann leise:</p> + +<p>Ja, weiter war es nichts. Und sicher ist es wohl auch nicht, daß der +Geburtstag heute ist.</p> + +<p>Er drehte sich langsam um und wollte zur Tür hinaus.</p> + +<p>Du, Ole!</p> + +<p>Ja.</p> + +<p>Das ist wirklich dumm. Ich sitze hier und denke daran — wenn du damit +zufrieden bist, so — habe ich — er ging und tastete unters Bett — so +habe<span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span> ich hier etwas, was du vielleicht brauchen könntest — er hielt +ihm ein paar blinkende Schlittschuhe hin, aber daraus machst du dir +wohl nichts?</p> + +<p>Das kam Ole so überraschend, daß sein Lächeln noch breiter ausfiel +als gewöhnlich; es war nicht mehr weit von den Mundwinkeln bis zu den +Ohren. Er faßte die Hand des Studenten und sagte so recht von Herzen:</p> + +<p>Danke! Das ist das, was ich von allem am liebsten haben will.</p> + +<p>Sie begannen nun anzuprobieren, ob die Schlittschuhe paßten, und ob die +Schrauben richtig säßen, — solche Schlittschuhe, glaubte Ole, hätte +kaum einer von den andern.</p> + +<p>Nach einer Weile sagte der Student:</p> + +<p>Du, Ole, warum wolltest du eigentlich gerade heute Geburtstag haben?</p> + +<p>Ole blickte auf und wurde rot:</p> + +<p>Es war mir nur darum zu tun, gleich auf die Bahn zu kommen.</p> + +<p>Sollst du jemand dort treffen?</p> + +<p>Nein, ich habe gar nicht versprochen, jemand zu schieben.</p> + +<p>Nun, sie läuft wohl besser als du?</p> + +<p>Nein, das tut sie nicht.</p> + +<p>Wer, sie?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span></p> + +<p>Ole machte sich eifrig an den Schlittschuhen zu schaffen und antwortete +nicht. Der Student stand am Fenster und sah hinaus.</p> + +<p>Da geht schon die Elsa mit den blonden Haaren. Da ist die Bahn wohl +fertig.</p> + +<p>Ole hatte sich mit den Schlittschuhen unterm Arm der Tür genähert. +Wahrhaftig, hatte der Student auch das aus ihm herausgelockt!</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Sonne sandte ihre letzten Strahlen durch den Frostnebel über den +Platz, nur einen kleinen Streifen, so daß das blanke Eis einen roten +Schimmer bekam.</p> + +<p>Es war ein Lärm und Geschrei und Spektakel von all den hundert +frischen kräftigen Kindern, die sich herumtummelten. Da waren große +Jungen, die liefen mit den Händen auf dem Rücken und flottem Schwung +— sie hatten alle engzugeknöpfte Jacken an —; da waren andre, die +liefen rückwärts und zogen Achten und Schleifen, bis sie plötzlich +mit einem andern Schlittschuh zusammengerieten und plötzlich auf dem +Eise saßen; da waren kleine Mädchen, die setzten die Beine gerade +vorwärts wie Schlittenkufen und wollten die Füße am liebsten einwärts +stellen; von jedem Alter waren sie da, bis herab zu den ganz kleinen, +die fielen und aufstanden bis ins Unendliche, und jedesmal einen +Freudenschrei<span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span> ausstießen, als hätten sie ein Meisterstück vollführt. +Da gab es Finnenschuhe und Schnürschuhe, und Schuhe, die vorn den +Rachen aufsperrten. Da gab es rote Handschuhe und blaue Handschuhe +und bloße blaue Finger; da gab es rote Mützen und blaue Mützen und +Pelzmützen; da gab es Ohren, die wie Rosen glühten, Halstücher, die +oft herumgewickelt waren, und nackte Hälse; hier und da sah man +auch ein nacktes Knie hervorgucken, wo die Strümpfe und die Hosen nicht +zusammenhalten wollten. Aber eins hatten sie alle: rote Wangen und +blaue Augen und Kehlen, die vor Freude jubelten.</p> + +<p>Nahe beim Platz holte Ole Elsa ein; — er hatte sie unterwegs beinahe +vergessen. Es zuckte ihm in den Gliedern, als er den Lärm hörte und +das Getümmel sah; — nein, wahrhaftig, dazu hatte er jetzt eigentlich +keine Zeit; aber er mußte ihr wohl beim Anschnallen helfen. Er vergaß +zu grüßen, rief nur, sie sollte sich beeilen und verhalf ihr zu +einem Platz auf einer Bank. Er hatte solche Eile, daß er die Riemen +verwirrte, so daß es länger dauerte, als er wollte. Endlich hatte +er ihr die Schlittschuhe angeschnallt, und er sah, wie sie sich +unbehilflich ein Stück fortbewegte, während er hastig die seinigen +anschraubte. Ja, es sah aus, als brauchte sie einen, der sie schöbe, +— da blieb sie stehen, als warte sie<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> auf ihn. Er lief ein paar Bogen +über die Bahn und rund um sie herum auf einem Bein — ein klein wenig +spielte er sich vor ihr auf.</p> + +<p>Soll ich dich schieben?</p> + +<p>Ja, wenn du willst.</p> + +<p>Er faßte sie und begann sie quer über den Platz zu schieben; es ging +schwer und langsam; — da stieß einer an sie an, so daß sie beide +hinfielen, sie standen auf und es ging von neuem los. So kamen sie +einmal um den Platz.</p> + +<p>Hei, Ole, komm und spiel mit Indianer, — es war »Krischan«, mit dem er +im Sommer zusammen Krabben gefischt hatte, der vorbeisauste, verfolgt +von einem andern.</p> + +<p>Ole blieb stehen und kratzte sich unter der Mütze; er hatte schon Lust, +aber —</p> + +<p>Soll ich dich noch weiter schieben?</p> + +<p>Ja, bitte!</p> + +<p>Und Ole schob, und er zog und versuchte vorsichtig, sie an der Hand zu +nehmen, so daß sie nebeneinander liefen; aber da fiel sie hin, und so +mußte er wieder anfangen wie vorher.</p> + +<p>Hm — im Grunde war das nicht ganz so unterhaltend, wie er sich gedacht +hatte; aber wenn Elsa ihre glänzenden Augen auf ihn richtete und +lachte, so fühlte er sich wieder erleichtert und schob sie rund<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> herum, +viele Male und tat, als ob er Christian und die andern, die nach ihm +riefen, nicht hörte. Schließlich begannen sie, ihn ziemlich nah zu +umkreisen und zu rufen:</p> + +<p>Seht den Kavalier!</p> + +<p>Er biß die Zähne zusammen und fuhr davon, aber in seinem Innern gelobte +er sich, daß Christian bei der ersten Gelegenheit Prügel dafür haben +sollte.</p> + +<p>Plötzlich sagte Elsa:</p> + +<p>Jetzt muß ich nach Hause; Mutter erlaubt nicht, daß ich länger draußen +bin.</p> + +<p>Können wir nicht noch ein bißchen bleiben, nur noch einmal herum?</p> + +<p>Ja, aber nur einmal.</p> + +<p>Das taten sie, und Elsa setzte sich auf die Bank und hielt den Fuß hin. +Er schnallte ihr die Schlittschuhe ab, behielt aber seine eigenen an. +Er wollte sehen, ob sie daran dächte, allein zu gehen. Nein, sie blieb +stehen. Er setzte sich also, machte seine auch los, und sie trotteten +die Straße hinauf, viel langsamer, als sie gekommen waren. Sie sprachen +nichts miteinander, bis sie an die Haustür kamen. Da sagte Ole:</p> + +<p>Gehst du morgen wieder?</p> + +<p>Ja, wenn ich darf; es ist so hübsch, sich schieben zu lassen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p> + +<p>Ole blieb in dem Flur stehen, bis er sie oben auf der Treppe hörte; +dann schlüpfte er heraus und rannte wieder herunter — immer dicht an +den Häusern.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Ole kam spät heim, und er empfand ein wundervolles Gefühl im ganzen +Körper, als er im Bett lag. Aber Christian hatte er nicht getroffen. +Im Einschlafen hatte er — o diese Männer! — seinen ersten treulosen +Gedanken:</p> + +<p>Wenn Elsa morgen nicht durfte, — vielleicht würde es beinahe ebenso +hübsch. Da könnte er auch den Christian verhauen.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-190"> + <img class="w100" src="images/illu-190.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span></p> + +<h2 class="p2">Wie Hans und Marte die Henne hüteten.</h2> +</div> + + +<p>Auf dem Hof draußen stand eine alte Henne auf einem Bein, drehte den +Kopf und blinzelte mit den runden klaren Augen.</p> + +<p>Dicht daneben lag der fünfjährige Hans. Hinten aus der Hosenklappe +guckte ihm der Hemdzipfel, er schlenkerte mit den Beinen und sah die +Henne an, als ob er mitten durch sie hindurchsehen wollte; er wagte +kaum zu zwinkern. Heute würde er sie die ganze Zeit ansehen und den +Blick nicht von ihr wenden.</p> + +<p>In der Stube drinnen saß Marte, seine siebenjährige Schwester, und +lugte vorsichtig zum Fenster hinaus; sie behielt beide im Auge.</p> + +<p>Sie sollten beide heute auf die Henne aufpassen.</p> + +<p>Die Henne war alt und war so lange allein gewesen, daß sie sich +allerhand Streiche angewöhnt hatte. Sie wechselte jedesmal das Nest, +wenn sie ihr die Eier genommen hatten, und versteckte sie an den +unglaublichsten Stellen, wo es niemand einfiel, zu suchen;<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> — einmal +hatte sie die Eier in ein paar hohe Grasbüschel gleich neben die +Türschwelle gelegt, und da lag sie und brütete acht Tage, ehe sie sie +fanden. Und sie war so ausspekuliert klug geworden, daß es beinahe +unmöglich war, sie zu hüten. Einmal, als die Mutter selber auf sie +aufgepaßt hatte, so daß sie nicht entwischen konnte, hockte sie nieder +und legte das Ei mitten auf die nackte Erde.</p> + +<p>Da hatte die Mutter für je acht Eier, die sie fänden, ein Ei als Prämie +ausgesetzt. Nun hatte sie vor zirka vierzehn Tagen wieder ihren Platz +gewechselt, so daß es jetzt sechs bis sieben Eier sein mußten und heute +sollte sie wieder legen — die Mutter hatte nachgefühlt.</p> + +<p>Es war ein brennend heißer Sommertag, die Insekten summten durch die +Luft, die Schwalben flogen zwitschernd hin und her nach ihren Nestern +am Stallgiebel, und im hohen Gras an der Wand entlang schlich die Katze +dahin, hob vorsichtig ihre Pfoten und schielte nach oben, wie sie wohl +die Nester erreichen könnte.</p> + +<p>Hans lag in der warmen Sonne und sah nach der Henne. Sie stand auf +einem Bein, blinzelte gegen die Sonne und sah ihn lange an. Dann tat +sie plötzlich gleichgültig, machte ein paar Schritte, scharrte in der +Erde und tat, als fände sie etwas zum Aufpicken.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p> + +<p>O, nein, auf diese Art sollte sie ihn nicht hintergehen; er kannte ihre +Faxen.</p> + +<p>Nach einer Weile blieb sie stehen, sah wieder auf und schielte zur +Seite:</p> + +<p>Nein, er lag immer noch da und verfolgte sie mit den Augen; — sie +blieb wieder auf einem Bein stehen und blinzelte; das konnte langweilig +werden, wenn es lange dauerte.</p> + +<p>Hans fand auch, daß es sich lange hinzog; jetzt hatte er gewiß eine +Stunde hier gelegen.</p> + +<p>Nein, sie war so abgefeimt, daß sie sah, wohin er seine Augen richtete. +Er mußte tun, als ob er wo anders hinsähe. Er schielte nach dem Fenster.</p> + +<p>Oh, er sah wohl, wie Marte den Kopf schnell wegzog; ja, sie konnte gern +dort stehen, er war am nächsten, er würde sie diesmal zuerst finden.</p> + +<p>Er sah wieder nach der Henne. Sie war ein paar Schritte gegangen, +während er wegblickte und stand jetzt wieder still. Nein, er mußte so +tun, als ob er nach der Stallecke sähe, dann vielleicht —</p> + +<p>Er tat es. Im selben Augenblick strichen zwei Schwalben neben ihm mit +lautem Geschrei dicht an der Erde hin — sie hatten die Katze erblickt. +Diese schlug mit der Pfote nach ihnen; — wahrhaftig, bei einem Haar +hätte sie eine erwischt! Es kamen mehr;<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> alle begannen sie am Boden hin +zu fliegen, sie zu foppen und auszuschelten.</p> + +<p>Ach, wie dumm sie war, daß sie sie nicht erwischte, — sie duckte sich +nur, legte die Ohren zurück und verkroch sich tiefer ins Gras. Es half +nicht; da kniff sie aus, verschwand um die Ecke und in den Stall. Sieh, +da zerstreuten sich die Schwalben und flogen wieder von und nach ihren +Nestern.</p> + +<p>Zu dumm, daß der Eckbalken am Stall so glatt war, daß er nicht daran +in die Höhe klettern konnte; — sonst hätte er das niedrigste Nest +erreichen können. Das wäre fein gewesen, ein paar von den Jungen zu +haben; sie waren schon so groß, daß sie die schwarz und weißen Köpfe +zum Nest hinaussteckten. Wenn er ein paar kriegte, so würde er ihnen +ein Bauer zurechtmachen, und für Nahrung würde er auch sorgen, — es +gab so kolossal viel Fliegen am Fenster.</p> + +<p>Da würde Marte neidisch werden; — sie sollte sie nicht einmal zu sehen +kriegen; oder doch vielleicht, wenn sie ihm für jedesmal eins von ihren +Eiern gäbe; — sie hatte wohl schon vier, und er erst drei — —</p> + +<p>Eier —?</p> + +<p>Wo war die Henne? — Fort.</p> + +<p>Zum Teufel, hatte sie ihn auch diesmal genarrt?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span></p> + +<figure class="figcenter illowp54" id="illu-195" style="max-width: 62.5em;"> + <img class="w100" src="images/illu-195.jpg" alt="Bild"> +</figure> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span></p> + +<p class="p2">Er stand auf, stampfte mit dem Fuß auf und war dem Weinen nahe.</p> + +<p>So eine gemeine Henne, so ein infames Vieh. Kaum ließ er sie aus den +Augen, so war sie auch schon entwischt.</p> + +<p>Ja, dann also das nächste Mal; er guckte nach dem Fenster, — — denn +Marte hatte sie doch wohl auch nicht gesehen? Sie war übrigens vom +Fenster verschwunden. Da kam sie heraus.</p> + +<p>Sie sah so verschlagen aus. Ob sie vielleicht doch —?</p> + +<p>Hast du die Henne gesehen, Hans?</p> + +<p>Nein, — du?</p> + +<p>Nein.</p> + +<p>Es stak bestimmt etwas dahinter. Marte tat so gleichgültig. Er wollte +schon auf sie aufpassen.</p> + +<p>Ich glaube fast, sie ist in den Stall gegangen, sagte er, — ich will +dort nachsehen — er wußte wohl, daß sie dort nicht war, denn da hatten +sie jeden Winkel abgesucht.</p> + +<p>Laß mich zuerst, sagte Marte, und tat, als ob sie hinlaufen wollte.</p> + +<p>Nein, ich will zuerst — und Hans sprang davon.</p> + +<p>Ja, es war deutlich, sie wollte ihn forthaben, denn sie tat gar nichts, +um zuerst zu kommen. Er wollte sie schon überlisten!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p> + +<p>Er schlüpfte in den Stall und guckte durch eine Ritze. Sie stand erst +ruhig und blickte sich vorsichtig um, dann schlich sie auf den Zehen an +der Stallwand entlang. Er kam heraus, schlich bis zur Ecke und streckte +den Kopf vor.</p> + +<p>Ah, eben war sie im Begriff, die großen Brennnesseln zur Seite +zu biegen.</p> + +<p><em class="gesperrt">Dort</em> hatte sie also die Henne hineinschlüpfen sehen.</p> + +<p>Er stürzte vor, gerade auf ihren Rücken los:</p> + +<p>Ich weiß es, ich fand sie zuerst.</p> + +<p>Sie fielen beide in die Brennnesseln. Die Henne +flatterte schreiend davon.</p> + +<p>Sie standen auf; — es brannte schrecklich an Gesicht und Händen.</p> + +<p>Eine Weile standen sie da und starrten sich an, Hans die Mundwinkel +verzogen, bereit zu weinen, Marte beide Hände voller Rührei in die Höhe +haltend.</p> + +<p>Plötzlich klatschte ihm die eine Hand hinter die Ohren, daß das Rührei +spritzte, und er zu Boden kollerte.</p> + +<p>Dann fingen sie beide an zu heulen.</p> + +<p>Die alte Henne schalt fürchterlich drüben auf dem Hofplatz.</p><br> + +<figure class="figcenter illowe3" id="illu-199"> + <img class="w100" src="images/illu-199.jpg" alt="Deko"> +</figure> + +<div class="chapter"> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> +<p class="center">Im Verlage von Georg Merseburger, Leipzig, erschienen von</p><br> +<p class="s2 center">Alexander L. Kielland</p><br> + <p class="center">übersetzt von</p><br> + +<p class="center"> +<em class="antiqua">Dr</em>. <em class="gesperrt">Fr. Leskien</em> und <em class="gesperrt">Marie Leskien-Lie</em><br> +herausgegeben und durchgesehen vom Verfasser<br> +mit Buchzeichnungen von<br> +</p> + +<p class="center"><b>A. Andresen</b>, <b>R. Carl</b>, <b>M. Loose</b>, <b>H. Schittenhelm</b>, <b>A. Sommer</b></p><br> + +<p class="center"><em class="antiqua">a</em>) <b>Gesammelte Werke</b></p><br> + +<p class="center">========<b>Inhalt:</b>========</p><br> + +<div class="blockquot"> + +<p>Bd. I: <b>Garman & Worse</b></p> + +<div class="blockquot"> + +<p><em class="antiqua">a</em>) Schiffer Worse, <em class="antiqua">b</em>) Garman & Worse. Zwei Romane. +Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p> +</div> + +<p>Bd. II: <b>Novellen, Novelletten Schnee, Else.</b></p> +<div class="blockquot"> +<p>Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p> +</div> + +<p>Bd. III: <b>Abraham Lövdahl</b></p> +<div class="blockquot"> +<p><em class="antiqua">a</em>) Gift, <em class="antiqua">b</em>) Fortuna, <em class="antiqua">c</em>) Johannisfest. Drei +Romane. Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p> +</div> + +<p>Bd. IV: Arbeiter.</p> +<div class="blockquot"> +<p><em class="antiqua">a</em>) Arbeiter, <em class="antiqua">b</em>) Jakob. Zwei Romane. Brosch. 5 M., geb. +6 M.</p> +</div> + +<p>Bd. V: <b>Rings um Napoleon.</b> Brosch. 6 M., geb. 7 M.</p> +</div> +</div> + +<p>Nachlese: <b>Menschen und Tiere.</b> Skizzen u. Studien. Br. 3 M., geb. +4 M.</p><br> +<p>Alle Bände sind auch einzeln zu haben. — Einzelne 6 Bände geb. 35 M.</p> + +<div class="blockquot"> + +<p>Gesamtpreis für alle 6 Bände in eleganter Kassette gebunden 30 M., +ohne Kassette broschiert 25 M.</p><br> +</div> + +<p class="center"><em class="antiqua">b</em>) <b>Werke in Einzelausgaben</b></p> + +<div class="blockquot"> + +<p><b>Rings um Napoleon.</b></p> +<div class="blockquot"> +<p>IX. und X. Tausend. Brosch. 6 M., geb. 7 M.; in 2 Bände geb. 8 M.</p> +</div> + +<p><b>Schiffer Worse.</b> Roman.</p> +<div class="blockquot"> +<p> Brosch. 2.25 M., geb. 3 M.</p> +</div> + +<p><b>Garman & Worse.</b> Roman.</p> + +<p><b>Novellen, Novelletten, Schnee und Else.</b></p> +<div class="blockquot"> +<p>Brosch. 5 M., geb. 6 M.</p> +</div> + +<p><b>Gift.</b> Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M.</p> +<p><b>Fortuna.</b> Roman. Brosch. 2 M., geb. 2.75 M.</p> +<p><b>Johannisfest.</b> Roman.</p> +<div class="blockquot"> +<p> Brosch. 1.50 M., geb. 2.25 M.</p> +</div> + +<p><b>Menschen und Tiere.</b> Skizzen und Studien.</p> +<div class="blockquot"> +<p>Brosch. 3 M., geb. 4 M.</p> +</div> + +<p><b>Arbeiter.</b> Roman. Brosch. 2.75 M., geb. 3.50 M.</p> +<p><b>Jakob.</b> Roman. Brosch. 2.25 M., geb. 3 M.</p> +</div> + +<hr class="r5"> + +<div class="transnote"> +<p class="s3 center"><a id="Anmerkungen_zur_Transkription"></a>Anmerkungen zur Transkription:</p> +<p class="p0">Im Original sind die Dekorationen am Ende der Geschichten "Kirchenexamen vor dem Bischof" +und "Holzvermesser Ole Pedersen" aus Platzgründen entfallen. Sie wurden in dieser Fassung +eingefügt.</p> +<p class="p0">Das Inhaltsverzeichnis ist an den Anfang des Textes verschoben worden.</p> +</div> + +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75541 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/75541-h/images/cover.jpg b/75541-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..0ed1e91 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/cover.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-013.jpg b/75541-h/images/illu-013.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-013.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-023.jpg b/75541-h/images/illu-023.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-023.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-037.jpg b/75541-h/images/illu-037.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-037.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-050.jpg b/75541-h/images/illu-050.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-050.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-066.jpg b/75541-h/images/illu-066.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-066.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-075.jpg b/75541-h/images/illu-075.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..46edc5e --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-075.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-083.jpg b/75541-h/images/illu-083.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-083.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-093.jpg b/75541-h/images/illu-093.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..62edf38 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-093.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-097.jpg b/75541-h/images/illu-097.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-097.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-111.jpg b/75541-h/images/illu-111.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..69c3598 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-111.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-113.jpg b/75541-h/images/illu-113.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-113.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-114.jpg b/75541-h/images/illu-114.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-114.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-121.jpg b/75541-h/images/illu-121.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..386f19b --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-121.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-123.jpg b/75541-h/images/illu-123.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..35feee6 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-123.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-131.jpg b/75541-h/images/illu-131.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..e8af809 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-131.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-137.jpg b/75541-h/images/illu-137.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-137.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-141.jpg b/75541-h/images/illu-141.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..26b5d10 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-141.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-153.jpg b/75541-h/images/illu-153.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-153.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-159.jpg b/75541-h/images/illu-159.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..d5cd916 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-159.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-169.jpg b/75541-h/images/illu-169.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-169.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-177.jpg b/75541-h/images/illu-177.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..c5bf619 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-177.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-190.jpg b/75541-h/images/illu-190.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-190.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-195.jpg b/75541-h/images/illu-195.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..b926cc3 --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-195.jpg diff --git a/75541-h/images/illu-199.jpg b/75541-h/images/illu-199.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..ec7a7fd --- /dev/null +++ b/75541-h/images/illu-199.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. Anyone seeking to utilize +this eBook outside of the United States should confirm copyright +status under the laws that apply to them. diff --git a/README.md b/README.md new file mode 100644 index 0000000..92c72f0 --- /dev/null +++ b/README.md @@ -0,0 +1,2 @@ +Project Gutenberg (https://www.gutenberg.org) public repository for +eBook #75541 (https://www.gutenberg.org/ebooks/75541) |
