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+
+*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 ***
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+=======================================================================
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+ Anmerkungen zur Transkription.
+
+Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des
+Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
+sind korrigiert worden.
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+Worte in Antiqua sind +so gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~
+und =fettgedruckte= so.
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+=======================================================================
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+ Sommerleutnants
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+ Die Geschichte einer achtwöchigen Übung
+
+
+ von
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+
+ Walter Bloem
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+ [Illustration]
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+
+
+ Grethlein & Co. G. m. b. H. Leipzig.
+
+
+ Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,
+ von der Verlagshandlung vorbehalten.
+ +Copyright 1910 by Grethlein & Co. Leipzig+
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+ Erstes Buch
+
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+ Erstes Kapitel.
+
+
+Unter der weiten Halle des Zentralbahnhofs der rheinischen Garten-
+und Künstlerstadt schritt in früher Spätsommermorgenstunde ein junges
+Paar den Bahnsteig auf und ab. Reisefreude leuchtete in den Augen
+des Mannes -- doch er dämpfte sie um der Abschiedswehmut willen, die
+durch des Mädchens Worte zitterte und immer wieder von Zeit zu Zeit in
+raschen Perlen aus den hellen Augen auf das Spitzengewoge des lichten
+Sommergewandes niedertropfte.
+
+Zwei schlanke Gestalten, so recht für einander gewachsen! Sie im Glanz
+ihres Sommerschmucks, in der zierlichen Grazie ihrer zwanzig Jahre das
+gehütete, gepflegte Kind einer von den Schranken der Satzung umhegten
+Welt. Er -- nun ja, er ...
+
+Die Uniform stammte aus dem ersten Schneideratelier, die Lackschuhe
+blitzten. Die Mütze, keck auf das rechte Ohr gesetzt, war neuesten
+Modells, die Haltung soldatisch straff.
+
+Und dennoch: selbst ein nicht gerade militärisch geschultes Auge
+erkannte von weitem schon, daß der Träger dieser blinkenden
+Herrlichkeiten doch -- kein so ganz richtiger Leutnant war. Es war
+nicht das helle Kolorit der Gesichtsfarbe allein -- denn zu Anfang
+August weisen die berufsmäßigen Träger der Leutnantsuniform allesamt
+schon ein tiefes Braun auf -- es war nicht allein eine gewisse
+Gezwungenheit der Haltung, die verriet, daß diese elegante Gestalt
+des Uniformtragens seit längerm entwöhnt sein mußte. Es waren nicht
+allein die lebhaften Bewegungen der vielfach mitredenden, energisch
+gestikulierenden Hände, es war auch in dem feurigen Gesicht mit dem
+militärisch verschnittenen Schnurrbart und dem vorschriftsmäßig
+durchgescheitelten Blondhaar ein Ausdruck von Selbständigkeit
+und kühnem Lebensdrang -- all das miteinander verriet dem feiner
+beobachtenden Auge, daß dieser Leutnant eben ein Leutnant der Reserve
+war.
+
+Das blieb auch den Soldaten nicht verborgen, die in dieser Morgenfrühe
+auf dem Bahnhof der Garnisonstadt zu schaffen hatten. Da waren
+Burschen, Ordonnanzen, Vizefeldwebel, die zu den Schießständen
+hinauswollten. Alle diese Uniformträger erwiesen dem Offizier
+pflichtschuldigst die Ehrenbezeugung, und zwar stramm; denn der in der
+Leutnantsuniform sah nicht aus, als ob er mit sich spaßen ließe. Aber
+wenn sie an dem Vorgesetzten vorüber waren und in ihren Schlendertrott
+zurückfielen, dann spielte doch um eines jeden Lippen ein gewisses
+Schmunzeln, das die Erkenntnis andeutete, man nähme diesen Offizier
+eigentlich nicht so ganz ernst.
+
+Und auch das junge Weib an der Seite des Mannes schien die
+Uniformherrlichkeit ihres Erkorenen nicht allzu tragisch zu nehmen;
+denn jedesmal, wenn ein Unteroffizier oder Soldat in die maskenhaft
+erstarrte Haltung der Ehrenbezeugung vor ihrem Gefährten zusammenfuhr,
+konnte sie nur mit Mühe ein Lächeln verbergen, das plötzlich ihr
+tränenzuckendes Gesichtchen überzog; und diesem Gefühl gab sie
+Ausdruck: »Weißt du, Martin, ich will ja nicht behaupten, daß dir die
+Uniform nicht stände, aber -- sei mir nicht böse -- in Zivil gefällst
+du mir zehnmal besser!«
+
+»Das glaub' ich«, lachte ihr Verlobter. »Ich hab' den Rock Seiner
+Majestät fünf Jahre lang nur mal gelegentlich zu Offizier- und
+Kontrollversammlungen getragen! -- aber laß mich nur erst mal ein paar
+Wochen wieder drin stecken! Gib acht, wenn ich nächstens auf Urlaub zu
+dir komme, dann sollst du dich deines Reservemannes nicht zu schämen
+brauchen.«
+
+»Ach ja,« sagte das Mädchen, »komm recht bald, sonst halt' ich's nicht
+aus ... du gehst ja fort, Liebster, du gehst fort ... ach, ich darf gar
+nicht dran denken, sonst --«
+
+»Aber Mädel,« sagte Martin, »aber Mädel --«
+
+Wieder blitzten Tränen aus den leuchtenden Augen der Braut.
+
+»Weißt du denn nicht,« fuhr er fort, »was morgen in acht Wochen ist?!«
+
+Da schlug Agathe die Augen nieder unter dem hoffenden, verlangenden
+Blick, der sie getroffen, und konnte nicht wehren, daß ein feines Rot
+immer tiefer ihre flaumigen Bäckchen überzog. »Ach, Martin, ich glaub's
+ja nicht eher, als bis wir endlich so weit sind ... eher glaub' ich's
+nicht ...«
+
+»Na freilich, lang genug hat's gedauert, bis die Herren Eltern
+eingesehen haben, daß ein Maler nicht notwendig der Antichrist in
+Person ist --!«
+
+Eine Wolke finstern Unmuts lag auf einmal unter dem blitzenden
+Lackschirm der Offiziermütze. Sie sprach von kaum verwundenen
+Bitterkeiten ... von harten Kämpfen um ein endlich doch ertrotztes
+Glück ... Die lachenden Lippen hatten sich jählings fest geschlossen,
+und unwillkürlich stieß die Linke die Säbelscheide klirrend auf die
+Fliesen des Bahnsteigs.
+
+»Laß, Liebster,« mahnte die Braut erschrocken, »jetzt nicht daran
+denken ... ist ja nun alles überstanden!«
+
+»Ach, Mädel,« sagte der Maler, »das alles vergess' ich erst, wenn ich
+dich hab' ... wenn ich dich ganz hab' ...«
+
+»In acht Wochen,« hauchte die Braut, »morgen in acht Wochen!«
+
+Sie richtete rasch das glühende Köpfchen auf, sah dem Geliebten tief
+ins Auge und sagte voll eindringlichen Ernstes: »Martin, ich weiß, was
+für ein toller Bursch du bist! -- Versprich mir eines: Verspar dich für
+mich ... nicht zu wilde Sachen machen, verstehst du mich? ... keine zu
+unruhigen Pferde reiten ... nicht wieder durch jeden See schwimmen,
+der am Ruhetage gerade zu erreichen ist, und« -- mit halb mütterlich
+besorgtem, halb schwesterlich schwärmerischem Lächeln -- »nicht zu
+viel trinken, verstehst du? ... Jedesmal, wenn du eine Flasche Sekt
+bestellen willst, denk: ich werd' sie mir sparen, um sie hernach mit
+meiner kleinen Frau auf der Hochzeitsreise zu trinken! Willst du mir
+das versprechen, Schlingel du ...?«
+
+Martin hätte in diesem Augenblick weit mehr versprochen, wenn es hätte
+sein müssen ...
+
+Ach, wie rasch war dies Aufflackern schelmischer Mädchenlust von dem
+zierlichen Gesichtchen verflogen, als nun eine Bewegung unter der
+harrenden Menge der Fahrgäste, als ein hurtiges Rollen von Gepäckkarren
+und ein fernes Brausen die Ankunft des Zuges verkündete, der ihr den
+Ersehnten auf acht Wochen entführen sollte!
+
+Fest schmiegte sich das liebe Kind an den blauen Überrock ihres
+Reserveleutnants. Wieder standen Tränen in ihren Augen, als sie mit dem
+Ausdruck rücksichtsloser Sehnsucht ihr Antlitz zu ihm emporhob: »Behalt
+mich lieb, du ... hörst du ... behalt mich lieb ...!«
+
+Da faßte er ihre beiden Hände und gab ihr den Abschiedskuß. »Morgen in
+acht Wochen, du, morgen in acht Wochen!«
+
+ * * * * *
+
+Als eine Wendung des Zuges den Bahnhof und den weißen, winkenden Fleck
+inmitten wimmelnder Menschenmenge dem Blick entrückt hatte, ließ der
+Reisende sich mit einem tiefen Aufatmen in die grausammetnen Polster
+fallen. Er war zum Glück allein -- dehnte sich und streckte alle
+Glieder in einem Gefühl unbeschreiblichen Behagens. Herrgott, war er
+glücklich ...!
+
+Endlich überstanden, dieser zweijährige Kampf um dies Mädchen, das
+er, er, der Verwöhnte, der vielgefeierte junge Künstler, aus den
+hundert Gestalten, die ihn werbend umdrängten, sich ersehen hatte zur
+Gesellin seines ruhelosen Daseins. Nach einer harten Jugend voller
+Kampf, die ihn aus der behaglichen Enge des evangelischen Pfarrhauses
+einer kleinen bergischen Stadt hinausgeführt hatte in das wogende
+Dasein eines werdenden, machtvoll sich aufwärts ringenden Künstlers,
+war er seit kurzem an einem ersten Ziel ... Im Hauptsaal der Sezession
+in Berlin hingen seit dem Frühjahr allbestaunt nebeneinander zwei
+große Damenporträts von seiner Hand, die er mit weisem Bedacht als
+verblüffende Pendants für die Ausstellung in gleichem Format und Stil
+geschaffen hatte, obwohl sie bestimmt waren, an ganz verschiedene
+Plätze zu gelangen. Zur Linken die blonde Brünhildengestalt der Gräfin
+Amalie von der Schulenburg, einer Vollblutgermanin, eines Sterns
+der niederrheinischen Aristokratie, und neben ihr: die tiefbrünette
+und ebenso tief dekolletierte Rasseschönheit der Frau Kommerzienrat
+Mannheimer, der elegantesten und interessantesten Frau der Börsenkreise
+in Frankfurt am Main ...
+
+Die Kritik hatte beide Bilder schlechthin als meisterlich gefeiert. Das
+Publikum wurde nicht satt, die Werke zu bestaunen, die ihren Schöpfer
+zum berufensten Verkünder des modernen weiblichen Schönheitstypus
+stempelten und in die vorderste Reihe der zeitgenössischen
+Porträtmalerei geführt hatten.
+
+Den ganzen Sommer über war Martin Flamberg von einem Hochsitz des
+Kapitals zum andern gezogen und hatte die erlesensten Exemplare
+glänzender Weiblichkeit mit einer Kunst festgehalten, die, weit
+entfernt von weichlicher Schmeichelei und Schönfärberei, doch ihre
+Gegenstände über die Sphäre gemeiner Wirklichkeit in eine Region
+idealer Kultur hineinzuheben verstand.
+
+Und erst dieser junge Ruhm und seine notwendige Folge, das elementare
+Anschwellen seines Bankkontos, hatten den langjährigen Widerstand des
+Oberlandesgerichtspräsidenten, Geheimen Oberjustizrats Doktor van den
+Bergh und seiner freiherrlichen Gattin gebrochen und so dem trotzigen
+Zueinanderwollen zweier Menschen den Sieg gebracht, deren Verbindung
+ein Schlag ins Gesicht des Schicksals zu sein schien.
+
+Der alte Präsident war der Typus eines starren ostelbischen
+Bureaukraten, und ihm wie seiner Frau war der Gedanke, ihre Einzige an
+der Seite eines Künstlers zu sehen, fast gleichbedeutend geworden mit
+dem völligen Verzicht auf die Liebe ihres Kindes.
+
+Sie hatten es mit ansehen müssen, wie ihr Mädchen sich angesichts ihrer
+Weigerung schrittweise völlig von ihnen loslöste und in eine andere
+Welt hinüberwuchs, für deren Lebensgesetze ihnen auch der Schatten des
+Verständnisses abging. Sie hatten sich bis zur Verzweiflung gegen diese
+Schickung gewehrt und sich erst besiegt gegeben, als der Erwählte ihrer
+Tochter ihnen ziffermäßig beweisen konnte, daß seine Kunst wenigstens
+nicht eine brotlose sei, und daß sie für die materielle Zukunft ihres
+Kindes nichts zu befürchten haben würden, wenn sie schon seiner Seelen
+Seligkeit und das beglückende Bewußtsein innerer Zusammengehörigkeit in
+den Kauf hatten geben müssen.
+
+Wie oft hatte sich Martin Flamberg in diesen Jahren der Kämpfe gefragt,
+ob es nicht richtiger sei, von dem raschen Bündnis, das eine Ballnacht
+besiegelte, zurückzutreten und sich den entsetzlich kraftvergeudenden
+Kämpfen nicht länger auszusetzen, die ihm jahrelang die Ruhe seines
+Lebens geraubt hatten -- diese Ruhe, die er doch für seine Kunst so
+nötig brauchte.
+
+Aber schließlich war es der gleiche zähe Künstlertrotz, der ihn in
+raschem Aufstieg zu der heute erklommenen Höhe geführt hatte --
+dieser selbe unbeugsame Trotz war es gewesen, der ihn an der einmal
+getroffenen Wahl hatte festhalten lassen, so oft auch in lockendster
+Gestalt von rechts und links die Versuchung an ihn herangetreten war,
+das Ziel seines Lebens auf mühelosere Weise zu erreichen.
+
+Ach -- das alles lag ja nun hinter ihm -- das alles war verwunden --
+mußte und durfte vergessen werden. Der Termin seiner Hochzeit war
+festgesetzt. Auch hier hatte er den Sieg erzwungen, im Leben, wie in
+der Kunst.
+
+Nun wollte er noch einer lange aufgeschobenen Pflicht genügen und seine
+vierte Reserveoffizierübung machen, um dann am Arme der Liebe die
+zweite Hälfte seines Lebens zu beginnen. Ja, diese achtwöchige Übung
+--! Er war ein begeisterter Soldat gewesen. Es hatte ihm Vergnügen
+gemacht, sich durch Luft und Sonne im Waffendienst herumzutummeln -- es
+war ihm eine Wonne gewesen, von Zeit zu Zeit in die bunte Schlangenhaut
+des Kriegers zu schlüpfen und auch hier seinen Mann zu stellen.
+
+Aber als nun langsam der Erfolg -- als endlich jählings der Ruhm
+gekommen war -- als er sich ganz durchdrungen hatte mit Künstlertum,
+da hatte er geglaubt, die militärische Phase seiner Jugend endgültig
+überwunden zu haben, und es war ihm schier ein unerträglicher Gedanke
+gewesen, sich nochmals für acht Wochen in den Zwang einer so ganz und
+gar anders gerichteten Lebensführung fügen zu sollen.
+
+Oftmals hatte er vor dem Schritte gestanden, sich aus der Reserve
+des Regiments, dem er angehörte, gleich in die Landwehr zweiten
+Aufgebots überschreiben zu lassen und damit ein für allemal sich seinen
+militärischen Verpflichtungen zu entziehen ... und dann hatte er's
+doch nicht übers Herz gebracht; denn das Monogramm seines Regiments
+bedeutete für ihn zugleich die Erinnerung an fast zwei Jahre seines
+Lebens, denen er, das wußte er gar wohl, als Künstler sehr viel
+verdankte.
+
+Verdankte vor allen Dingen seine genaue Bekanntschaft mit dem Wesen des
+Volkes, das sich ihm im erzwungenen Verkehr mit den Mannschaften und
+Unteroffizieren seines Regiments spielend erschlossen hatte.
+
+Aber noch mehr verdankte er seinem Soldatentum:
+
+Die sich dem Kulturmenschen sonst nur auf Reisen zu »kalt staunendem
+Besuch« erschließt ... die Natur ... zu ihr hatte er just als Soldat
+ein persönliches Verhältnis gewonnen, das seiner Kunst die reichsten
+Früchte getragen hatte. Er war ja nicht Landschafts-, sondern
+Porträtmaler, und die Richtung seines Strebens bannte ihn an den
+Salon, bannte ihn an eine Menschensphäre hoher Kultur, äußerster
+Verfeinerung und Naturentfremdung des gesamten Daseinsbetriebes -- und
+so war es ihm geradezu ein Glück geworden, daß sein Dienstjahr und die
+Pflichtübungen in der Reserve ihn durch Jahre hindurch immer wieder
+in Zusammenhang mit dem Leben des Volkes und mit dem geheimnisvollen
+Wirken der Natur gebracht hatten. Er hatte fünf Manöver mitgemacht, und
+diese kriegerischen Übungen hatten ihm zahllose Bilder in die Seele
+geprägt, Bilder von taufrischen Sonnenaufgängen auf grüner Heide, in
+den Gebirgen der Eifel und des Hunsrücks -- brütende Sonnenschwüle über
+flimmernden Ackerbreiten -- traumstille Mondnächte -- nebelverhangene,
+regentriefende Waldeinsamkeiten.
+
+Und nun -- da er wieder den bunten Rock angezogen -- fühlte er
+wieder jene seltsame Wirkung, der er schon früher immer so gern sich
+hingegeben hatte -- er fühlte sich plötzlich verwandelt werden --
+fühlte, wie er auf einmal ein anderer Mensch wurde -- fühlte, wie das
+Gewand, das die Zugehörigkeit zu einer andern Kaste bedeutete, in ihm
+plötzlich Möglichkeiten seiner Seele freimachte, die unentwickelt
+geblieben wären in dem Leben seines eigentlichen und wahren Berufs.
+
+Ach, wie schön, dachte Flamberg, nun einmal für acht Wochen nicht mehr
+der berühmte und umstrittene Künstler zu sein, sondern ganz wer anders!
+
+Ein kleiner Leutnant -- eine Nummer -- ein Rad im großen Betrieb eines
+ungeheuren, wuchtig und sicher arbeitenden Mechanismus.
+
+Untersinken in einer Menge -- nicht mehr wollen dürfen, sondern einfach
+müssen -- sich korrigieren und anschnauzen lassen müssen -- hinter sich
+ein Fähnlein grobknochiger Söhne des Volkes -- um sich herum die Bilder
+eines bunten und fremden Lebens.
+
+Wieder im Gefecht sprungweise über den Stoppelacker und durch
+Waldesdickicht vorgehen müssen -- umbrüllt vom rollenden Hurra und
+knatternden Schnellfeuer, umschrillt vom vorwärtsdrängenden Kreischen
+der Signalhörner, vom dumpfen Sturmmarsch der Tambours, um dann am
+Ziel, Auge in Auge mit dem friedlichen Feind, sich lachend und keuchend
+an die Erde zu werfen und in rasch gefundenem Schlummer zwischen
+braunen Schollen und gelbblühenden Ginsterstauden auszuruhen -- und
+dann gestärkt und genesen heimzukehren -- ein erneuter, verjüngter
+Mensch, wie Antäus aus der Umarmung seiner Mutter, um wieder zum Pinsel
+zu greifen und aufs neue Schönheitswelten aus dem Nichts zu schaffen.
+
+Ach, und dann galt es ja bei dieser Heimkehr den Einzug in das Land
+des Menschenglücks -- galt es die Vereinigung mit ihr, die er sich
+zur Gesellin seines Daseins erlesen -- mit ihr, die er trotzig
+herausgerissen aus einer fremden, starren Welt, um sie mit sich
+hineinzuführen in die glückselige, heitere Region, in der sein eigenes
+Dasein sich sonnig entfaltete.
+
+Mit ihr, von der seine Gefühle ihm beim ersten Anblick gesagt hatten,
+daß sie die Kameradin sei, die er brauche, sie der Mensch, der seinem
+wilden Herzen den Frieden schenken würde, die große Ruhe, in der allein
+das große Werk zur Reife gedeihen kann.
+
+Wie schön das alles -- wie reich und schön! Wie reich und schön dies
+selbstgeschaffene Leben mit all seinen wechselnden Gestaltungen!
+
+Wie hell um ihn die Hoffnungsfülle -- wie golden vor ihm die Zukunft in
+Nähe und Weite!
+
+Welches Glück, ein Künstler zu sein!
+
+Welches Glück aber auch, Soldat zu sein -- von Zeit zu Zeit einmal
+untertauchen zu können von der flimmernden Oberfläche der Menschheit
+her in die ruhig treibende Tiefe hinab, dorthin, wo im Waffendienst
+ein Volk geschult wurde zur Wehrhaftigkeit in Krieg und Frieden,
+zu geschlossen starkem Ineinanderwirken, zu elementarischer
+Zusammenballung eines ungeheuern Kräftevorrats!
+
+Und endlich, zu lieben und geliebt zu werden -- welch ein Glück --
+welch eine Schönheit -- welch überschwengliche Hoffnung und Gnade!
+
+Ihm war's, als sitze sein Mädchen ihm gegenüber, als seien die
+tränenschweren, güteschweren braunen Augen auf ihn gerichtet mit der
+innigen Mahnung: Komm wieder -- komm bald wieder -- du weißt ja, ich
+harre dein!
+
+Der reisende Mann legte den Kopf tief in die Kissen zurück, schloß die
+Augen und sprach leise vor sich hin: »Agathe -- Agathe!« -- --
+
+ * * * * *
+
+Ratternd und fauchend hielt der Zug auf einer Kreuzungsstation. Martin
+fuhr auf, steckte den Kopf zum Fenster hinaus in der Absicht, die
+Einsamkeit seiner Fahrt gegen jeden Eindringling mit einem wahren
+Menschenfressergesicht zu verteidigen.
+
+Da sah er in der Menge der andrängenden Fahrgäste eine abenteuerliche
+Gestalt. Seine erste Empfindung war: Aha, ein Kamerad -- aber was für
+einer!
+
+Ein lang und dürr aufgeschossener Herr mit goldgefaßter, funkelnder
+Brille und einem langen, struppigen roten Bart, die hagern Glieder
+umschlossen von einem Offizierüberrock, der, bei völlig unmodernem
+Schnitt, noch immer die schwarze Farbe zeigte, während Blau seit
+einigen Jahren Vorschrift war, auf dem Kopfe eine Mütze, wie er selber
+sie in seiner einjährig-freiwilligen Dienstzeit vor zehn Jahren
+getragen. Die Linke fuhrwerkte unbeholfen mit dem Säbel umher, der ihm
+jeden Augenblick zwischen die stelzengleichen, unruhig trippelnden
+Beine zu geraten drohte.
+
+Neben dem Uniformierten stand mit kaum verhohlenem Grinsen ein
+rotbemützter Dienstmann, der einen ungeheuern, stark verschlissenen
+Handkoffer und eine Helmschachtel trug.
+
+Nun hatten die hilflos hinter den Brillengläsern flackernden
+grauen Augen des Uniformierten den Maler erspäht. Die Rechte im
+Uniformhandschuh legte sich grüßend an den Schirm der vorsintflutlichen
+Mütze, und wie schutzsuchend steuerte die lange Gestalt auf den Wagen
+zu, an dessen Fenster Martin stand.
+
+Der Dienstmann riß die Wagentür auf, stieg zuerst hinein und verstaute
+das Gepäck in den Netzen. Mühsam kletterte der Offizier hinterher,
+jeden Augenblick in Gefahr, über seinen Säbel zu stolpern. Nun
+suchte die ungelenke Linke des Herrn nach dem Portemonnaie, fand
+aber die Tasche nicht gleich, weil die langen Schöße des Rocks und
+der Riemen des Säbelkoppels den Zugang hemmten; aber endlich war die
+Börse doch erwischt, der Dienstmann bekam seine Vergütung, die nicht
+allzu reichlich ausgefallen zu sein schien; denn ohne Gruß mit einem
+knurrenden Laut verließ der Träger das Abteil.
+
+Und nun wollte sich der Ankömmling dem Kameraden vorstellen; in
+demselben Augenblick aber zog der Zug an -- und mit einem Ruck flog der
+schwarze Überrock gegen den hellblauen, so daß beide Herren auf die
+Polster plumpten.
+
+In hilfloser Verlegenheit stotterte der Ankömmling eine Entschuldigung,
+und nachdem beide Herren ihre Säbel und Beine wieder aufgesammelt
+hatten, stellte er sich nun endlich vor, selbstverständlich ohne daß
+Martin den Namen des Kameraden verstand.
+
+Tiefaufatmend lehnte sich der fremde Herr auf seinen Sitz zurück,
+nahm die Mütze ab, unter der ein nur noch von einem dürftigen braunen
+Haarkranz umsäumter kahler Schädel zum Vorschein kam, und tupfte mit
+einem gelbseidenen Taschentuch die quellenden Schweißtröpfchen von
+Stirn und Platte.
+
+»Schauerliche Hitze --!« meinte er und fächelte sich mit dem
+Taschentuch.
+
+Rasch kam das Gespräch in Gang. Es stellte sich heraus, daß der
+Ankömmling Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn
+sei, und als Flamberg ihm seinen Namen deutlicher wiederholte, wußte
+der andere sofort Bescheid. Respektvoll fragte er: »Flamberg? etwa gar
+der Schöpfer der beiden Porträts in der Berliner Sezession?«
+
+»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« lächelte Martin.
+
+»Alle Wetter,« sagte der andere, »das nenn' ich ein glückliches Omen
+... da ich doch nun wieder einmal sehr gegen meinen Geschmack aus
+meiner stillen Studierklause unter das Kriegsvolk verschlagen werde.
+Ich bin entzückt, gleich beim ersten Eintritt in diese langentfremdete
+Welt einem Vertreter sanfterer Regionen der Menschlichkeit zu begegnen
+... Übrigens werden Sie meinen Namen auch nicht verstanden haben. Ich
+heiße Frobenius.«
+
+Martin dachte einen Augenblick nach und sagte: »Frobenius, Wilhelm
+Frobenius ... ich habe vor kurzer Zeit eine Sammlung von Studien über
+Goethes Faust von einem Wilhelm Frobenius gelesen -- wären das gar
+Sie?«
+
+»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« schmunzelte Frobenius.
+
+Martin streckte ihm die Hand hin: »Ich freue mich,« sagte er, »Ihre
+Analyse der Gretchengestalt hat auf mich so stark gewirkt, daß ich kurz
+vor meiner Abreise ein Gretchen gemalt habe.«
+
+»Schau -- schau,« sagte Frobenius, »wo haben Sie das Modell
+aufgetrieben?«
+
+»Da hab' ich nicht lang zu suchen brauchen,« lachte Martin, »meine
+Braut!«
+
+»Ei der Tausend, dann freilich! -- gratuliere, Herr Kamerad!«
+
+»Sagen Sie, Herr Frobenius,« fragte der Maler, »Sie scheinen von der
+Aussicht, wieder mal acht Wochen im bunten Rock zubringen zu müssen,
+nicht so erbaut zu sein wie ich?«
+
+»Ja,« sagte Frobenius, »das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich kann
+mir wohl vorstellen, daß Sie mir es an der Nase ansehen, daß meine
+Liebe zum Kommiß eine einigermaßen unglückliche ist. -- Sehen Sie, ich
+bin von Natur so etwas wie ein Pechvogel, fühle mich eigentlich nur
+hinter meinen Büchern so recht behaglich --«
+
+»Dann verstehe ich nicht recht -- Sie müssen doch schon in höhern
+Semestern sein und haben doch keinesfalls mehr die Pflicht zu üben --
+warum tun Sie's also?«
+
+»Sie haben ganz recht zu fragen,« erwiderte der Privatdozent, »ich
+könnte längst außer Dienst sein. -- Ich habe mich überhaupt erst in der
+Landwehr zum Offizier wählen lassen und mit Zittern und Zähneklappern
+vor sechs Jahren meine einzige achtwöchige Pflichtübung gemacht. Damals
+aber habe ich gefunden, daß mir diese Übung vorzüglich bekam, nicht nur
+körperlich, auch -- ich möchte sagen -- was meinen Charakter anbetrifft
+-- -- Wissen Sie, ein so fürchterlich ungewandter Mensch, wie ich nun
+leider Gottes einmal einer bin, für den sind solche acht Wochen beim
+Kommiß eine wahre Dressur. Wenn ich auch im bunten Rock eine ganz
+miserable Figur mache -- ich weiß das leider nur zu gut -- so hab'
+ich entdeckt: als ich damals nach Hause kam, da war für einige Zeit,
+etwa für zwei bis drei Jahre, jene lächerliche Scheu vor öffentlichem
+Auftreten und gesellschaftlichem Umgang von mir gewichen, die mich
+sonst zu einem wahren Einsiedlerdasein zwingt.«
+
+»Aha, und darum sind Sie also in der Landwehr I geblieben -- und wollen
+jetzt mal wieder acht Wochen 'ran, um sich sozusagen wieder mal ein
+bissel zurechtstutzen zu lassen!«
+
+»Ja, allerdings, das war die Absicht«, meinte der Privatdozent.
+»Eigentlich ist die Übung für mich ein Martyrium, dem ich nur mit
+Grauen und Entsetzen entgegensehe -- und ich weiß schon, daß ich
+während der ganzen Zeit aus einer Katastrophe in die andere taumeln
+werde -- aber was hilft's -- es muß nun einmal sein.«
+
+»Ja,« lachte der Maler, »dann sind Sie allerdings zu bedauern -- ich
+für meine Person freue mich, offen gestanden, ganz kolossal auf die
+Übung.«
+
+»Das glaube ich,« sagte Frobenius, »Sie sehen auch so aus, als ob Sie
+Grund dazu hätten. Wenn mich der Schein nicht trügt, so sind Sie ein
+gerade so netter Kerl, wie Sie ein großer Künstler sind, und ich werde
+Ihnen etwas sagen: Sie werden mir einen Gefallen tun. Sie werden sich
+gelegentlich meiner ein bißchen erbarmen, wenn es mir gar zu jämmerlich
+geht, nicht wahr, Herr Kamerad?!«
+
+Er streckte dem Maler die haarige Rechte hin, von der er den weißen
+Uniformhandschuh abgezogen hatte, und schallend schlug Martin ein.
+
+»Das soll ein Wort sein, Herr Frobenius -- ich denke, es soll recht
+nett werden, die acht Wochen hindurch -- ich sehe gar nicht ein, was
+uns hindern könnte, uns die zwei Monate, die vor uns liegen, zu einem
+rechten Fest zu machen.«
+
+
+
+
+ Zweites Kapitel.
+
+
+In dem hellen, luftigen Speisesaal des Offizierkasinos des
+Füsilier-Regiments Prinz Heinrich der Niederlande (14. Rheinischen)
+Nr. 186 war der Kasinovorstand, Oberleutnant Menshausen, damit
+beschäftigt, die Anordnungen für die Mittagstafel einer letzten Prüfung
+zu unterziehen. Er legte an der Hand eines Zettels, auf dem er die
+Tischordnung entworfen hatte, persönlich die Tischkarten, instruierte
+die Ordonnanzen und warf ab und zu einen Blick auf den Kasernenhof
+hinaus, wo im Schatten der Kasernengebäude die Bataillonsadjutanten
+die Befehlsempfänger der Kompagnieen um sich versammelt hatten, um die
+Tagesbefehle auszugeben. Drüben aber, im prallen Sonnenschein, trat
+die Wache an, und der Offizier vom Ortsdienst nahm die Meldungen der
+Wachhabenden entgegen.
+
+Säbelklirrend kam Leutnant Blowitz herein, der neue Adjutant des ersten
+Bataillons, erst seit kurzem aus dem fernen Osten in das rheinische
+Regiment versetzt: »Morgen, Menshausen -- nanu, gibt's denn heute
+mittag ein größeres Zauberfest?«
+
+»Allerdings,« erwiderte Menshausen kurz, »Regimentsmusik!«
+
+»Was ist denn los?«
+
+»Die Herren Kameraden der Reserve und Landwehr werden in unserer Mitte
+begrüßt.«
+
+»Ah -- richtig, richtig -- aber warum machen Sie denn dazu so'n saures
+Gesicht, Menshausen?«
+
+»Ich weiß nicht,« brummte der Kasinovorstand, »kann die Herren nun mal
+nicht verknusen -- verderben den ganzen Eindruck des Offizierkorps --
+untergraben die Disziplin.«
+
+»Na, hören Sie mal,« lächelte Blowitz, »ich habe mich bei meinem
+frühern Regiment mit den Herren ganz vorzüglich gestanden. Ist 'ne ganz
+nette Abwechslung -- man bekommt doch mal was anderes zu hören, als
+ewig Kommiß- und Avancementsgeschichten. Übrigens sind die Herren nun
+einmal doch ein notwendiges Übel.«
+
+»Ob sie notwendig sind, weiß ich nicht -- übel sind sie jedenfalls.«
+
+Leutnant Blowitz stand gerade an der Wand unter einem mächtigen Rahmen,
+der eine große Anzahl einzelner Photographien von Offizieren umschloß.
+Es waren die Toten des Offizierkorps des Regiments aus dem Feldzuge
+1870/71.
+
+»Ja, sehen Sie mal, lieber Menshausen,« meinte er, »schau'n Sie sich
+doch mal hier die Regimentstafel der Gefallenen von Siebzig an -- da
+ist ein Hauptmann der Reserve und drei Leutnants der Reserve drunter.«
+
+»Na ja,« lenkte der Ältere ein, »im Kriege mögen die Herren ja an
+ihrem Platze sein, und daß sie brav gefochten haben und als ehrenhafte
+Soldaten gestorben sind, will ich ja nicht bezweifeln -- aber im
+Frieden tun sie nichts weiter, als den Betrieb stören. Wir sind doch
+hier wahrhaftig nicht zusammen, um ein bißchen Räuber und Gendarm
+miteinander zu spielen -- wir haben hart zu arbeiten -- wir haben
+die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, binnen zwei Jahren die
+Hanakenbande, die uns jeden Oktober hierher geschickt wird, zu halbwegs
+brauchbaren Soldaten zu erziehen -- und dabei sind die Herren von der
+Reserve und Landwehr höchstens hinderlich!«
+
+Blowitz lachte still in sich hinein. Er hatte den Charakter des neuen
+Regimentskameraden schon einigermaßen durchschaut und wußte, daß es
+nicht leicht war, ihm irgend etwas recht zu machen.
+
+»Wie viel Herren kommen denn?« fragte Blowitz.
+
+»Ganze sechs!«
+
+»Na, was für Geisteskinder sind es denn?«
+
+»Geben Sie mal acht,« sagte der Oberleutnant und zog den Jüngern ans
+Fenster, »da hinten unterm Torbogen da versammeln sie sich gerade.
+Wissen Sie, ich teile die Herren Sommerleutnants in zwei Kategorien
+ein: die einen sind die, die wenigstens von weitem wie Offiziere
+aussehen -- die andern sind glattweg wandelnde Karikaturen. Nun sehen
+Sie sich mal die Gesellschaft da hinten an. Ich werde Ihnen zunächst
+die Karikaturen vorstellen. Also betrachten Sie mal diese Tonne da
+hinten: das ist der Oberleutnant der Reserve, Herr Brassert, im
+Zivilverhältnis Gymnasialoberlehrer. Wenn Sie dem einen Stich ins Herz
+versetzen wollen, dann müssen Sie ihn ›Herr Professor‹ anreden.«
+
+»Warum soll ich ihm denn einen Stich ins Herz versetzen?« erwiderte
+Blowitz, »er hat mir ja gar nichts getan -- aber weiter! Wer ist denn
+dieser merkwürdig dünne Herr mit dem zapfenartig herunterhängenden
+Schnurrbart?«
+
+»Ja,« sagte Menshausen, »das ist die Obervogelscheuche unter den Herren
+-- das ist der Forstassessor Troisdorf, ein Rauhbein im Quadrat; ich
+behaupte, er kann überhaupt kein Wort Hochdeutsch sprechen.«
+
+»Nanu,« meinte Blowitz, »wie ist denn das möglich? Ein Forstassessor
+...«
+
+»Na, Sie werden ja hören,« entgegnete Menshausen, »mag sein, daß er
+im Verkehr mit seinen Waldwärtern und Treibern völlig verbauert ist,
+jedenfalls spricht er das fürchterlichste Kölnisch, das ich jemals
+gehört habe.«
+
+»Übrigens wimmelt da ja noch eine dritte Karikatur 'rum.«
+
+»Den Herrn kenn' ich nicht -- das ist also jedenfalls der
+Landwehronkel, der uns angekündigt worden ist -- irgend so'n gelehrtes
+Haus von der Universität -- Gehirnfatzke, wie der Simplizissimus sagt!«
+
+»Na, und nun also die halbwegs vernünftig Aussehenden!«
+
+»Ja sehn Sie -- da ist zunächst der einzige, der für mich mitzählt, der
+blonde Herr im Dienstanzug -- er macht seine erste Offizierübung -- er
+ist aus dem Regiment hervorgegangen -- ein Referendar namens Dormagen
+-- ein einigermaßen tadelloser Herr!«
+
+»So, also das ist Ihr Genre,« sagte Blowitz, »für meinen Geschmack hat
+er eine ziemliche Ohrfeigenvisage -- und der andere daneben, mit dem
+riesigen, hochaufgedrehten Schnurrbart?«
+
+»Hm -- das ist wieder 'ne andere Nummer -- das ist der Leutnant Klocke
+-- seines Zeichens das, was ein aktiver Offizier in der Regel erst
+später zu werden pflegt -- nämlich Versicherungsagent! -- Na -- er
+macht wenigstens 'ne leidlich militärische Figur -- über seine sonstige
+Persönlichkeit müssen Sie sich selbst ein Urteil bilden!«
+
+»Wer aber«, fragte Blowitz, »ist der blonde Herr, der da eben so
+strahlend heranfegt?«
+
+Menshausen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Tja -- -- das ist
+sozusagen unser Renommierreserveleutnant -- ein sogenanntes berühmtes
+Tier -- das ist der Maler Flamberg --«
+
+»Flamberg?« sagte Blowitz nachsinnend, »woher kenn' ich denn den Namen?
+-- Richtig, jetzt fällt mir's ja ein: auf der Durchreise war ich doch
+in Berlin und hab' da in einer Ausstellung ein paar gemalte Weiber
+gesehen -- aber -- deliziös, sag' ich Ihnen -- eine stramme Germanin --
+und daneben eine fabelhaft pikante Jüdin mit Schultern -- Schultern --
+sag' ich Ihnen! Teufel, die Bilder machen ja ein kolossales Aufsehen!
+-- und das ist also dieser Flamberg?«
+
+»Weiß ich nicht,« sagte Menshausen, »ich verstehe nichts von Kunst
+-- und ob er eine Germanin und eine Jüdin in Berlin aufgehängt hat,
+ist mir höchst wurscht. Für meine Person kann ich nur behaupten, daß
+dieser Herr Flamberg mir unter all den Herren von der Reserve der
+fatalste ist. -- Was der Bruder sich schon einbildet auf sein bißchen
+Pinselei! und dann, wissen Sie: Ansichten! Ich begreife nicht, was so'n
+sogenannter Künstler überhaupt im preußischen Offizierkorps zu suchen
+hat. -- Der sollte doch ruhig mit seinen Übermenschen und Überweibern
+zusammenhocken und uns hier in Frieden lassen -- na, Sie werden ihn ja
+kennen lernen.«
+
+»Ich weiß nicht -- ich finde, er sieht ausgezeichnet aus!«
+
+In diesem Augenblick standen die Ordonnanzen stramm; denn ein neuer
+blauer Überrock erschien in der Tür zum Rauchzimmer.
+
+»Morgen, meine Herren!«
+
+»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« Die beiden Offiziere verneigten sich.
+
+»Ah, Herr Hauptmann schenken uns die Ehre heute,« sagte der
+Kasinovorstand, »ist ja wohl das erstemal, seitdem Herr Hauptmann der
+Tischgesellschaft auf so überaus angenehme Weise entfremdet worden
+sind!?«
+
+»Tja,« meinte Hauptmann von Brandeis, »alles den Herren Kameraden von
+der Reserve zu Ehren! -- Da ist nämlich der Maler Flamberg dabei, den
+hab ich seinerzeit als Rekruten ausgebildet. -- Ich habe bei Herrn von
+Schoenawa durchgesetzt, daß er in meine Kompagnie kommt.«
+
+»So,« meinte Menshausen, »also der ist Herrn Hauptmanns Fall?«
+
+»Warum nicht?« entgegnete Hauptmann von Brandeis, »und übrigens --
+wissen Sie, wir gehen doch nächstens ins Manöver, und da weiß ich aus
+Erfahrung -- Flamberg hat nämlich schon einmal bei meiner Kompagnie
+während des Manövers geübt -- der ist unschätzbar als Menagenchef. Wenn
+ich die Manöververpflegung dem Windhund, meinem kleinen Carstanjen,
+überlasse, dann bekomm ich während der drei Manöverwochen nichts
+Vernünftiges zu essen und zu trinken -- da halt' ich mich schon lieber
+an Flamberg -- das ist ein Genießer vor dem Herrn! -- Außerdem hab' ich
+auch noch andere Absichten mit ihm: er soll meine Frau malen!«
+
+»So,« meinte der Oberleutnant gedehnt, »wissen Sie denn auch, Herr
+Hauptmann, daß Flamberg in dem Ruf steht, von den Damen sehr -- hm, hm!
+-- verwöhnt zu werden?«
+
+»Na, wennschon,« sagte Brandeis phlegmatisch, »er ist verlobt! --
+Übrigens war das eine ziemlich geschmacklose Bemerkung von Ihnen,
+lieber Menshausen.«
+
+Der Hauptmann machte kurz kehrt und ging ohne Gruß in das Rauchzimmer
+zurück.
+
+»Kennen Sie Frau von Brandeis, lieber Blowitz?« fragte Menshausen
+leise.
+
+»Wenigstens +par renommée+,« erwiderte der andere, »soll 'ne
+Schönheit sein, wie?«
+
+»Schönheit --? viel zu wenig! Die Frau, wissen Sie, das ist -- einfach
+'ne Sache, verstehen Sie. -- -- Wie die an dieses schlafmützige
+Dusseltier, den Brandeis geraten ist, das wissen die Götter! --
+Stammt aus 'ner schwerreichen Düsseldorfer Fabrikantenfamilie --
+fabelhaft musikalisch -- und ein Temperament --! Wenn ich Brandeis
+wäre, die ließ ich nicht fünf Minuten aus den Fingern! Na, schließlich
+so'n Reserveonkel -- davor wird sie hoffentlich ihr guter Geschmack
+bewahren. -- Wenn schon -- dann soll's wenigstens in der Familie
+bleiben --!«
+
+In diesem Augenblick trat der Stabshoboist, der Königliche
+Obermusikmeister Herr Biesicke ein, schritt stramm auf den
+Kasinovorstand zu und meldete: »Regimentsmusik zur Stelle!«
+
+»Danke, lieber Biesicke! Na, nun können die Herren Kameraden der
+Reserve und Landwehr meinetwegen anrücken!« -- --
+
+ * * * * *
+
+Draußen auf dem Kasernenhof lag die Augustsonne in breiten goldenen
+Flächen ausgegossen -- immerfort tauchten in diese gelbe Fläche
+glitzernde, flimmernde Punkte hinein.
+
+Jetzt kam bei lustigem Pfeifen- und Trommelklang eine Kompagnie mit
+Staub und Schweiß bedeckt von der Felddienstübung zurück. Der Hauptmann
+an der Spitze setzte seinen Gaul in Galopp, sprengte bis auf die Mitte
+des Kasernenhofes vor und kommandierte, daß es schallend an den langen
+Fronten der Kasernengebäude widerhallte: »Augen -- rechts!«
+
+Hei! Da richteten sich all die marschmüden Gestalten noch einmal
+stramm auf -- mit einem Ruck flogen die Köpfe rechts herum, und in
+flottem Parademarsch zog die gleißende, waffenrasselnde Schar an ihrem
+Häuptling vorüber.
+
+»Kompagnie -- halt! -- Mit Gruppen links schwenkt -- marsch! Halt!
+Gewehr -- ab! -- Rührt euch!«
+
+Schon erschien, aus seiner behaglichen, kühlen Kompagniestube
+hervorgekrochen, der behäbige Feldwebel, erschienen Mannschaften vom
+Arbeitsdienst in Drillichzeug, Feldmützen und blauen Schürzen, um
+die vom Gefecht übrig gebliebenen Platzpatronen und Patronenhülsen
+abzunehmen -- einige Befehle wurden noch ausgegeben -- dann hieß es:
+»Stillgestanden! -- Weggetreten!«
+
+Und nach strammer Kehrtwendung ergoß sich die Schar der jungen Krieger
+wie eine heiße Flutwelle schweißdunstiger, wangenbrauner Jugend in der
+Richtung auf die Kaserneneingänge und verlor sich schwatzend, lachend,
+stiefelpolternd in die hallenden Korridore.
+
+Der Hauptmann warf seinem Burschen die Zügel seines Kleppers zu,
+voltigierte so elastisch, als ihm seine zweiundvierzig Jahre dies
+gestatteten, vom Pferde herunter und wandte sich zu seinen Offizieren.
+Die standen, Hand am Helm, Säbel angefaßt, seiner Befehle gewärtig:
+»Ich danke Ihnen, meine Herren -- wie wär's mit einem Schoppen im
+Kasino?«
+
+»Selbstverständlich, Herr Hauptmann!«
+
+Da standen in der geräumigen Eingangshalle des Kasernengebäudes die
+sechs eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes: »Ah, sieh da --
+die Herren von der Reserve und Landwehr!«
+
+Der Hauptmann und die beiden jungen, schmucken aktiven Leutnants traten
+auf die eingezogenen Herren zu und begrüßten die alten Bekannten. Von
+den sechs Angekommenen gehörten fünf zur Reserve des Regiments und
+waren den aktiven Herren von frühern Übungen her bereits bekannt. So
+war die Begrüßung sehr herzlich und kameradschaftlich.
+
+Etwas hilflos stand der Leutnant der Landwehr Frobenius im
+Hintergrunde, aber Flamberg, eingedenk seines Versprechens, sich des
+Kameraden anzunehmen, winkte ihn heran: »Gestatten Herr Hauptmann, Herr
+Leutnant der Landwehr Frobenius -- Herr Hauptmann Haller, Chef der
+dritten Kompagnie -- die Herren Leutnants von Finette und Krummacher.«
+
+Herr Frobenius faßte den Säbel in die Linke und legte die
+weißbehandschuhte Rechte wie eine große Flosse an den Helm mit einer
+so altväterlich unbeholfenen Handbewegung, daß der lustige, hellblonde
+Leutnant von Finette es sich nicht versagen konnte, gleich loszuulken:
+»Sagen Sie, Herr Frobenius, Sie haben wohl schon unter Albrecht dem
+Bären gedient, wie?«
+
+»Warum meinen Sie, Herr Kamerad?« fragte Frobenius errötend.
+
+»Das schließe ich aus dem Schnitt Ihres Kollers und aus dem Modell
+Ihres Turnierhelms.«
+
+»So -- sind die Sachen so auffallend unmodern?« stammelte Frobenius.
+
+»Ja,« entgegnete Finette, »wenn Ihre Kenntnis des Exerzierreglements
+im selben Maße mit der Neuzeit fortgeschritten ist, dann werden ja die
+Herren Füsiliere viel Vergnügen an Ihnen erleben!«
+
+Flamberg kam ihm wiederum zu Hilfe: »Lieber Finette, wenn Sie mal ein
+so altes Patent haben werden wie der Herr Kamerad Frobenius, dann haben
+Sie längst wegen unheilbarer Revolverschnauze den Abschied -- -- und
+kommen also gar nicht in die Verlegenheit, sich von einem jungen Dachs
+wegen Auftragens älterer Garnituren anulken lassen zu müssen,« sagte er
+mit liebenswürdigem Lächeln, doch scharf genug, daß Finette verstand.
+
+Der aber war nicht aus der Fassung zu bringen. Im echtesten Tonfall
+seiner Heimatstadt Köln erwiderte er: »Is ja halb so schlimm gemeint,
+nit wahr, Herr Frobenius? lohß mer uns widder verdrage, nit?«
+
+Er streckte dem Privatdozenten die schlanke Hand hin, die dieser
+krampfhaft schüttelte.
+
+Immer mehr Kompagnien kamen jetzt von der Morgenarbeit zurück. Die
+Offiziere, von ihren Hauptleuten verabschiedet, traten einer nach dem
+andern heran und begrüßten die eingezogenen Herren.
+
+Frobenius beobachtete mit Genugtuung, daß das kameradschaftliche
+Verhältnis zwischen den aktiven Herren und denen der Reserve ein sehr
+gutes zu sein schien -- nur er, der allein nicht die Regimentschiffre
+trug, das Monogramm des Chefs, des Prinzen Heinrich der Niederlande,
+nur er allein wurde mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt, zu
+der allerdings, wie er sich selbst nicht verhehlte, sein verbotenes
+Exterieur einigermaßen beitragen mochte.
+
+Auch die Stabsoffiziere fanden sich ein: der martialisch
+kurzangebundene Oberstleutnant Rautz -- dann der Kommandeur des ersten
+Bataillons, Major von Sassenbach, ein alter Troupier mit ausgewettertem
+Gesicht und langflatternden grauen Schnurrbartzipfeln -- Major
+Blasberg, der das zweite Bataillon führte, ein hagerer reservierter
+Diplomat -- und endlich kam gar mit klingendem Spiel der Regimentsmusik
+das ganze dritte Bataillon von der Felddienstübung zurück, voran
+der Kommandeur: der kleine rauhbeinige Major von Czigorski, der mit
+hellkrähender Stimme den Parademarsch befahl, auf seinem riesigen
+Schimmel, den seine dicken Beinchen kaum umspannen konnten, und mit
+behaglichem Stolz den Vorübermarsch sämtlicher Kompagnieen ansah, bis
+hinunter zur zwölften, der Kompagnie der ganz kleinen Kerle, die aber
+als die strammste im ganzen Regiment galt.
+
+So rollte sich vor den Augen der eingerückten Herren das ganze,
+vertraute, farbenfrohe Schauspiel des militärischen Lebens ab, und mit
+Freude sogen Martin Flambergs Malersinne den glitzernden Schmelz, die
+schmetternden Geräusche, den herben Duft des kriegerischen Bildes ein.
+
+Vom Kasino her kam der Hauptmann von Brandeis, des Malers alter Freund
+und Gönner, und schritt geradenwegs auf ihn zu. Flamberg hatte bereits
+auf dem Regimentsbureau in Erfahrung gebracht, daß er wieder bei der
+Ersten üben würde, und freute sich dessen; denn er hatte sich während
+jener ersten acht Wochen unter Brandeis vorzüglich mit ihm vertragen.
+In dienstlicher Haltung trat er dem Kapitän entgegen: »Melde mich ganz
+gehorsamst zur achtwöchigen Übung eingezogen und der ersten Kompagnie
+zugeteilt.«
+
+»Danke Ihnen, lieber Flamberg,« lächelte Brandeis und streckte ihm
+freundschaftlich die Hand entgegen, »seien Sie mir wieder einmal
+willkommen bei der Königlichen Ersten! Na, wir werden ja hoffentlich
+ein schönes Manöver haben -- der Hunsrück ist nicht das Schlimmste --
+erinnern Sie sich, was wir vor vier Jahren haben in der Eifel ausstehen
+müssen?«
+
+»Jawohl, Herr Hauptmann -- Köttelbach -- Katzwinkel -- Beinhausen --
+und Gefell -- schöne Gegend!«
+
+»Stimmt! -- wenn Ihre Kochkunst und Ihre wohlassortierte Wein- und
+Menagekiste nicht gewesen wäre, wär's uns dreckig gegangen -- habe
+später oft Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Flambergs gehabt.«
+
+»Herr Hauptmann wissen, daß ich ein Feldsoldat bin und auch mal das
+Koppel enger schnallen kann, ohne gleich die Nase in den Dreck hängen
+zu lassen, wenn's sein muß -- aber wenn's nicht sein muß, dann bin ich
+allerdings mehr für Luxus und Wohlleben, offen gestanden.«
+
+»Ganz Ihrer Meinung, lieber Flamberg, und um gleich einen guten Anfang
+zu machen, bitte ich Sie, heut mittag bei der Begrüßungstafel mein Gast
+zu sein.«
+
+»Ich danke gehorsamst, Herr Hauptmann!«
+
+»Und im übrigen: nochmals willkommen und auf gute Freundschaft! -- Aber
+da kommt unser neuer Herr Regimentskommandeur -- die Herren werden sich
+melden müssen. Auf Wiedersehn also hernach im Kasino!«
+
+Mit rascher Prüfung, nicht ohne einige Spannung, schauten die sechs
+Augenpaare der eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes der
+Ankunft des neuen Regimentskommandeurs entgegen. Von den aktiven Herren
+hatten sie bereits genug über ihn gehört, um zu wissen, daß er keinen
+Spaß verstehe.
+
+Der Oberst Freiherr von Weizsäcker war aus der hessischen Armee
+hervorgegangen und trug zwischen seinen Rippen noch zwei preußische
+Kugeln, die er am 13. Juli 1866 als hessischer Leutnant im Gefecht bei
+Frohnhofen und Lauffach erhalten hatte. Dazu schmückte ihn das Eiserne
+Kreuz erster Klasse, das er als Führer einer preußischen Kompagnie bei
+Gravelotte erworben. So verkörperte er in seiner Person ein ganzes
+Stück der Geschichte deutscher Einigungskämpfe.
+
+Als Flamberg ihm ins Auge sah, war sein erster Gedanke der Wunsch: »Den
+möchtest du malen!«
+
+Auf der noch jugendlich elastischen, gertenschlanken Reiterfigur
+ein bronzener Kopf mit scharfgezogener Nase, darunter zwei graue
+Schnurrbartflämmchen; der Kopf, die ganze Gestalt beherrscht von
+tiefliegenden, doch hell und groß gezeichneten grauen Augen; die
+hatten die Gewohnheit, mit zwei raschen Blicken die Gestalt dessen,
+der vor ihnen erschien, gleichsam abzustreifen; dann bohrten sie sich
+mit bannender Gewalt in die Augen des Gegenübers ein, drangen mit
+unwiderstehlichem Leuchten bis in die Tiefe.
+
+Die Reserveoffiziere hatten sich in einer Reihe aufgestellt.
+Oberleutnant der Reserve Brassert, der behäbige Gymnasialprofessor,
+war dem Dienstgrad nach der älteste, und so war es denn an ihm, dem
+Obersten entgegenzutreten und ihm die sechs eingezogenen Herren zu
+melden.
+
+Der Oberst überflog mit den zwei raschen Blicken die Gestalt des
+Vertreters der Herren des Beurlaubtenstandes; dabei zuckten die beiden
+Schnurrbartflämmchen und der herrische Mund darunter einen Augenblick,
+aber eisern blieb das Gesicht, nur die Augen lachten, als er mit
+leichtem Dank der weißbehandschuhten Hand erwiderte: »Ihren Namen, Herr
+Oberleutnant, wenn ich bitten darf!«
+
+Als Brassert sich genannt, ließ er sich dessen Stand angeben, und
+seine Antwort: »Ah so!« schien darzutun, daß er nun den Duft der
+Studierstube, welcher der Erscheinung des Angeredeten anzuhaften
+schien, begreife.
+
+Der Oberst ging die Reihe entlang und wiederholte die Frage nach Namen
+und Stand. Dann trat er mit ein paar raschen Schritten vor die Mitte
+der Herren, streifte noch einmal kreuz und quer mit den Augen ihre
+Front ab und sprach:
+
+»Meine Herren, ich begrüße Sie. Ich habe mir erzählen lassen, daß
+das Regiment, das zu führen ich seit kurzem die Ehre habe, einen
+überaus tüchtigen Ersatz an Reserveoffizieren sein eigen zu nennen
+das Glück hat. Ich kann also mit vollem Vertrauen Ihrer Mitwirkung an
+unserer gemeinschaftlichen Arbeit entgegensehen. Wer, wie ich, zwei
+Feldzüge mitgemacht hat, weiß, was die Armee an den Offizieren des
+Beurlaubtenstandes besitzt. -- Sie kommen zu uns, um bei uns zu lernen
+-- ich bin aber überzeugt, daß Sie uns auch etwas mitbringen: Sie
+bringen uns einen Gruß des Volkes, zu dessen Schutz wir bestimmt sind.
+-- Sie bringen uns einen Gruß der Geistesarbeit, die unterm Schirm
+unserer Waffen gedeihen soll. -- In diesem Sinne begrüße ich Sie alle
+-- als das lebendige Band zwischen dem aktiven Offizierkorps und dem
+Volk, um dessentwillen wir alle da sind. -- Ich wünsche Ihnen, daß Sie
+sich wohl fühlen in unserer Mitte, und daß Sie nach Ablauf Ihrer acht
+Wochen nicht nur gebräunt und gekräftigt, sondern auch an militärischen
+Kenntnissen bereichert und durch freudige Erinnerungen gefördert an die
+Stätte Ihrer Lebensarbeit zurückkehren mögen. Ich danke Ihnen, meine
+Herren!«
+
+Er grüßte, und wiederum flogen die Hände der eingezogenen Herren an die
+Helmschienen.
+
+Nun wandte er sich zu den Stabsoffizieren, welche bisher, von den
+Hauptleuten und aktiven Leutnants umringt, den Worten des Obersten
+zugehört hatten, und schritt im Geplauder dem Korridor zu, der auf das
+Regimentsbureau führte.
+
+Kaum war er verschwunden, da löste sich die feierliche Erstarrung, und
+die Gruppen der aktiven und Reserveoffiziere vermischten sich zu lautem
+Gelächter, schnarrendem Geplauder -- und säbelrasselnd, sporenklirrend
+schritten die Herren über den hallenden Kasernenhof zum Kasino hinüber.
+
+An allen Fenstern der endlosen Fronten wurden neugierige Köpfe sichtbar
+-- an allen Waschtrögen standen Gruppen von Soldaten in Feldmützen
+und Drillichzeug, die nun ihre Arbeit unterbrachen und, Bürsten und
+Monturstücke in der Hand, zur vorgeschriebenen Haltung erstarrten, bis
+die Gruppe der Offiziere an ihnen vorüber war.
+
+Und als nun die ersten der Herren die Stiegen der Treppe zum
+Kasino betraten, da scholl von drinnen der schmetternde Klang der
+Regimentsmusik, die den Einzugsmarsch der Gäste aus Tannhäuser den
+einrückenden Kameraden entgegensandte.
+
+Nach wenigen Minuten, die man harrend und plaudernd im Rauchzimmer
+zugebracht, erschien der Kasinovorstand Oberleutnant Menshausen und bat
+die Herren zu Tisch.
+
+In breiten Güssen fiel die langsam sinkende Nachmittagssonne durch die
+hohen Fenster des Speisesaales über die hufeisenförmig aufgestellten
+Tische, auf denen heute zur Feier des Tages der reiche Silberschmuck
+des Regiments blinkte, umgeben von einer wahren Überlast bunter
+Herbstblumensträuße, die dem Garten des Kasinos entstammten -- und
+um die Tafel gruppiert etwa vierzig blühende Jugendgestalten -- von
+dem Kommandeur des ersten Bataillons, Major von Sassenbach, der
+als einziger Stabsoffizier an der Tafel teilnahm, bis herunter zum
+blutjungen Fahnenjunker, der kaum der Presse entschlüpft war und sich
+im Rock des Füsiliers und angesichts so vieler Vorgesetzter kaum zu
+rühren -- kaum den Mund aufzutun getraute.
+
+Allen diesen Erscheinungen gemeinsam war der vorschriftsmäßige
+Schnitt des Haars, soweit sich dies nicht schon verflüchtigt hatte
+und spiegelnde Stirnen oder Glatzen freiließ -- war gemeinsam der
+modische Bürstenschnitt des Schnurrbarts, gemeinsam die straffe
+Haltung, die lebhaften und doch gemessenen Bewegungen, der scharfe
+Klang der Stimmen, die gewohnt waren, im Gelände weite Entfernungen
+zu beherrschen oder sich durch das Rollen des Schnellfeuers hindurch
+Geltung zu verschaffen.
+
+Auf den ersten Blick aber waren die Herren des Beurlaubtenstandes an
+der bleichern Hautfarbe, der etwas nachlässigern oder steifern Haltung,
+dem mehr ins Geistige gewandten Ausdruck der Gesichter und Augen zu
+unterscheiden. Doch das alles würde sich nun bald verwischen -- waren
+doch diese sechs Männer nur hierhergekommen, um wieder Soldaten zu
+werden, um sich wieder einzufügen in den gewaltigen Organismus, in dem
+auch sie nichts als dienende Räder sein sollten und sein wollten.
+
+Diese Einfügung und diese Anpassung, so sagte Flamberg sich
+stillsinnend, diese Verschmelzung würde ihnen der Geist der
+Kameradschaft erleichtern. Der Geist der Kameradschaft, der alle,
+denen Seine Majestät Epaulettes und Schärpe verliehen hatte, zu einer
+großen Schar von Verbrüderten zusammenschloß, in der ungeachtet aller
+Abstufungen der Begabung und militärischen Befähigung, ungeachtet aller
+Klüfte der Herkunft und der Anschauungen, jeder gleichberechtigt war,
+in der es keine andern Unterschiede gab, als die der Dienststellung
+-- und auch diese Unterschiede galten nur im Dienst -- außerhalb des
+Dienstes gab es nicht Vorgesetzte, nicht Untergebene -- gab es nur
+ältere und jüngere Kameraden -- gab es nicht aktive Offiziere und
+nicht Offiziere des Beurlaubtenstandes -- gab es nur Offiziere, das
+heißt: Träger des einen preußischen Soldatengeistes, der inmitten
+aller Wandlungen der Weltanschauung und der sittlichen Begriffe das
+alte Ideal der Ritterlichkeit verkörperte, das die Heere des Großen
+Kurfürsten, des Alten Fritzen, das Heer der Befreiungskämpfer, wie die
+Scharen Wilhelms des Siegreichen durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum
+Siege geführt hatte.
+
+Und dieser Geist der Kameradschaft, so ernst er sich betätigte im
+Dienst und in dem, was dem Dienste gleich galt: in der Auffassung jeder
+großen Lebenspflicht -- in der Sphäre der Geselligkeit erwies er sich
+als ein heiterer Geist, ein Geist freudiger Lebenslust.
+
+Munter schwirrten die Gespräche hinüber und herüber -- noch war kaum
+der erste Gang serviert, da traten an die Stelle der hellgrünen
+Moselflaschen die goldbekapselten der Sektspezialmarke des Kasinos.
+Munter knallten die Pfropfen -- und in den Spitzgläsern perlte der
+weiße Schaum: »Luxus und Wohlleben griffen um sich.«
+
+Major von Sassenbach schlug ans Glas. Er war kein großer Redner vor
+dem Herrn -- es fiel ihm schwer, selbst nur ein paar formelhafte
+Begrüßungsworte zusammenzustottern, und sein Adjutant, der Leutnant
+Blowitz, den er mit diesem ausdrücklichen Auftrage sich gegenüber
+gesetzt hatte, mußte ihm soufflieren.
+
+Aber aus den ungefügen Worten des alten Soldaten leuchtete herzliches
+Wohlwollen, und obwohl manches Lächeln der Hörer seine gewaltigen
+Kraftanstrengungen begleitete, klang doch das dreifache Hurra auf die
+eingezogenen Herren, in das er seine Rede ausmünden ließ, kräftig und
+munter durch den Saal. -- Die Begrüßten beeilten sich, mit dem Major
+anzustoßen, und nun die letzte offizielle Handlung des Begrüßungstages
+überstanden war, atmete alles auf, und es löste sich der letzte Rest
+von Förmlichkeit und Zurückhaltung.
+
+Kreuz und quer durch den Saal schollen die Rufe der Tafelnden, die
+einander zutranken. Mit vorschriftsmäßigem Ruck schnellten die
+Angerufenen in die Höhe, wenn der Major oder einer der anwesenden
+Hauptleute einem der Leutnants oder gar der zur Tafel zugezogenen
+Vizefeldwebel der Reserve, Fähnriche oder Fahnenjunker zutrank; aber
+regelmäßig winkte der Anrufende, Platz zu behalten -- nur die Pflicht
+blieb bestehen, als Dank für den Zutrunk des Vorgesetzten sein Glas bis
+auf die Nagelprobe zu leeren.
+
+Flamberg saß zwischen seinem Kapitän, dem semmelblonden Herrn
+von Brandeis, und dem flaumbärtigen Kompagniekameraden, Leutnant
+Carstanjen, dem Sohn einer reichen niederrheinischen
+Fabrikantenfamilie.
+
+Zunächst mußte natürlich Flamberg erzählen.
+
+»Na, Flamberg, Sie sind ja inzwischen sowas wie'n berühmtes Tier
+geworden -- alle Augenblicke hat man im Lesezimmer in den illustrierten
+Zeitschriften irgend so'ne Pinselei von Ihnen abgebildet gesehen --
+natürlich immer die schönsten Weiber des europäischen Kontinents -- Sie
+Schlemmer, Sie ...«
+
+»Haben Herr Hauptmann etwas anderes von mir erwartet?«
+
+»Ne, ne -- ich weiß wohl, Sie hatten ja damals schon 'nen starken
+Hang fürs ewig Weibliche! Erinnern Sie sich noch, wie wir damals in
+Mechernich in der Eifel mit der ganzen Kompagnie in der schauderhaften
+Kneipe einquartiert wurden und für Sie und für -- na, wer war's doch
+damals? Quincke wohl ...?«
+
+»Jawohl, ganz recht, Quincke, Herr Hauptmann!«
+
+»Na also -- für Sie beide nur dadurch Quartier zu schaffen war, daß
+die beiden Töchter des Wirts aus ihrem Jungfernstübchen 'rausgewiesen
+wurden und oben auf dem Heuboden kampieren mußten. Damals haben Sie
+die beiden Mädels gezeichnet. Erinnern Sie sich noch? Na, nachher
+waren sie nicht von Ihnen wegzuschlagen -- alle beide -- was? Ja, an
+sowas läßt man sich natürlich nicht gern erinnern, wenn man inzwischen
+Bräutigam geworden ist!«
+
+»Oh, was das anbetrifft, Herr Hauptmann: das Wort ›bereuen‹ kommt in
+meinem Lexikon nicht vor.«
+
+Der kleine Carstanjen spitzte die Ohren und rief dazwischen:
+»Donnerwetter, Herr Hauptmann, das scheint ja 'ne verflucht
+interessante Geschichte gewesen zu sein! Wollen Herr Hauptmann die
+nicht etwas ausführlicher erzählen?«
+
+»Knöpfen Sie sich die Ohren zu, Sie Kiekindiewelt,« antwortete
+Brandeis, »sind noch viel zu klein für -- für solche Geschichten!«
+
+»Herr Hauptmann unterschätzen mich!« lachte Carstanjen.
+
+Brandeis fragte seinen Gast: »Wissen Sie auch schon, daß wir nächstens
+im Kasino ein feenhaftes Zauberfest in Aussicht haben?«
+
+Flamberg erbat genauere Auskunft, und der Hauptmann berichtete:
+»Also am 18. August feiert doch das Regiment die siebenunddreißigste
+Wiederkehr des Tages von Gravelotte ... Na, das wissen Sie doch aus der
+Regimentsgeschichte?!«
+
+»Ei gewiß: Sturm auf Point du jour, 118 Tote, 326 Verwundete! 2 Eiserne
+Kreuze erster und 18 zweiter Klasse ins Regiment!«
+
+»Alle Achtung!« meinte Carstanjen, »so hab ich's ja nicht mal am
+Schnürchen!«
+
+»Eh ... wie oft hab ich das schon meinen Kerlen in der
+Instruktionsstunde eingebläut ... da werd ich's doch selber nicht
+vergessen haben! -- So ... und das wird also diesmal in großem Stile
+gefeiert?«
+
+»Ja,« erklärte Brandeis, »Sie wissen: der neue Kommandeur ist erst vor
+vierzehn Tagen angekommen, und so soll das alljährliche Regimentsfest
+diesmal zugleich als Begrüßung für die neue Kommandeuse im Kreise der
+Damen gefeiert werden ... es gibt 'ne große Gartenfête im Kasino --
+Diner -- Theatervorstellung -- zuletzt natürlich Tanz!«
+
+»Theatervorstellung?« fragte Flamberg interessiert. »Nanu ... das kann
+ja interessant werden ... was gibt's denn?«
+
+»Bei der zweiten Kompagnie steht ein einjährig-freiwilliger
+Unteroffizier, ein Referendar seines Zeichens, zugleich in seinen
+zahlreichen Mußestunden Reiter auf dem Musenklepper ... den hat
+Frau von Sassenbach -- die ist nämlich Patroneß der Veranstaltung
+-- 'rangebändigt und zum Dichten kommandiert. Er hat sowas wie 'n
+allegorisches Festspiel verübt ... ihre beiden Töchter spielen
+natürlich mit; das war wohl auch der Hauptzweck der Übung, die zwei
+Mädels mal wieder gehörig in Szene zu setzen -- übrigens meine Frau
+wirkt auch mit --«
+
+»Herr Hauptmann sind verheiratet? ... das erste, was ich höre ... seit
+wann denn, wenn ich fragen darf?«
+
+»Seit eineinhalb Jahren!« sagte der Hauptmann, »übrigens eine
+Landsmännin von Ihnen, ein Fräulein Cäcilie Imhof ... na -- der Name
+wird Ihnen ja nicht unbekannt sein!« --
+
+Cäcilie Imhof ... Bei diesem Namen stieg in Martin Flamberg
+eine Erinnerung auf, die Erinnerung an ein braunes, kapriziöses
+Mädchenköpfchen, das durch seine Jugend hingehuscht war wie so viele
+andere, ohne just eine dauernde Spur in seiner Seele zu hinterlassen
+... Immerhin war seine Erinnerung lebhaft genug, daß ihn die
+Vorstellung, dieses Gesichtchen neben dem platt-behaglichen Puppenkopf
+des Hauptmanns von Brandeis auftauchen zu sehen, mit seltsamen
+Empfindungen erfüllte ...
+
+In Gesellschaft hatte der junge Maler, damals noch ein völlig
+Namenloser, zuweilen das junge Mädchen getroffen und war von ihr ganz
+und gar nicht beachtet worden ... das war kein Wunder; denn sie war
+ein gefeiertes und damals schon, in ihrer zartesten Backfischjugend,
+vielumworbenes Geschöpfchen ... die Tochter einer alten Familie reicher
+Bankiers und Industrieller ... und er, Martin Flamberg, mußte sich
+damals noch zu jeder Gesellschaft für zwei Mark fünfzig einen Frack
+ausleihen ...
+
+In den Tagen seines jungen Ruhms war er ihr nicht mehr begegnet.
+
+Ihr Vater hatte sich von den Geschäften zurückgezogen und war nach
+Wiesbaden übergesiedelt, um den heilkräftigen Quellen nahe zu
+sein, deren beständige Einwirkung seine Gicht verlangte ... und
+nun war das verwöhnte Kind die Gattin eines braven, unbedeutenden
+Infanteriekapitäns ... merkwürdig ...
+
+»Na? entsinnen Sie sich meiner Frau noch?« fragte Herr von Brandeis.
+
+»Herr Hauptmann sehen, ich versuche mich zu besinnen, aber ich finde
+nur eine sehr blasse Reminiszenz.«
+
+»Na, is ja auch egal,« meinte der Hauptmann, »Sie werden ja nächstens
+Ihre Erinnerungen auffrischen können; denn selbstverständlich hoffe ich
+doch, Sie recht bald in meinem Hause zu sehen ... meine Frau wird sich
+jedenfalls sehr freuen ...«
+
+Flamberg verneigte sich.
+
+»Na, und nun erzählen Sie mal von sich ... Sie haben sich ja inzwischen
+auch verankert ... hoffentlich recht vorsichtig gewesen in der Wahl
+Ihres Herrn Schwiegerpapas?«
+
+»Mein Schwiegervater ist Beamter!« sagte Flamberg, »übrigens, ich bin,
+Gott sei Dank, seit einiger Zeit auf besondere Vorsicht in dieser
+Beziehung nicht mehr angewiesen.«
+
+»Aha ... na natürlich ... verdienen jetzt aasige Däuser .. das versteht
+sich ... Porträtmaler -- Portemonnaiemaler -- alte Geschichte! -- Ja,
+sehen Sie, so gut geht's unsereinem nun nicht ... das ist noch das
+einzig Schöne an unserm Beruf, daß es uns kein Mensch übelnehmen kann,
+wenn wir unserer Zukünftigen nicht nur in die Augen, sondern auch ein
+bißchen ins Portemonnaie sehen ... Na, und in der Beziehung kann ich ja
+nicht klagen, wie Sie sich denken können ... übrigens auch in anderer
+Hinsicht hab ich direkt märchenhaften Dusel gehabt ... meine Frau heißt
+nicht umsonst Cäcilie ... die sollen Sie mal Klavier spielen hören --
+und singen ... Na, ich sag Ihnen ja: Den Seinen gibt's der Herr im
+Schlaf!«
+
+Er füllte sich und dem Gaste die Sektkelche und hob ihm das Glas
+entgegen. »Na also in diesem Sinne, lieber Flamberg: unsere Damen! --
+So ... Sie wollen auch mittrinken, kleiner Carstanjen ... ach Unsinn
+... verstehen Sie ja noch gar nichts von ... aber mit anstoßen dürfen
+Sie doch ... Kommen Sie mal her mit Ihrem Pokal!«
+
+»Ich kann nur noch einmal wiederholen: Herr Hauptmann unterschätzen
+mich!« schmunzelte Carstanjen mit spitzbübischem Lächeln auf seinem
+verwöhnten Geckengesichtchen.
+
+»Sie, Flamberg,« sagte der Hauptmann, »ich hoffe, Sie werden mich bei
+der Erziehung dieses kleinen Windhundes da ein wenig unterstützen --
+das ist auch einer von denen, mit denen 's der Herrgott gar zu gut
+gemeint hat -- und das ist ihm zu Kopf gestiegen -- wenn er also üppig
+wird, dann hauchen Sie ihn nur gehörig an -- meinen Segen haben Sie --
+und einen Gotteslohn verdienen Sie sich überdies!«
+
+»Na, wir zwei werden uns schon vertragen! -- Was meinen Sie, Herr
+Carstanjen?«
+
+Das herzliche, offene Lachen, mit dem der Reserveoffizier dem jungen,
+aktiven Kameraden das Glas entgegenhielt, verscheuchte den Ausdruck
+von anmaßender Gekränktheit, der das hübsche, eitle Gesicht überhuscht
+hatte. Und so leerte die Königliche Erste eine Flasche Spezialmarke
+nach der andern in ungestörter Harmonie.
+
+Weniger heiter sah es in der Gruppe der Königlichen Zweiten aus:
+
+Herr Leutnant der Landwehr Frobenius saß stumm und einsilbig zwischen
+dem stummen und einsilbigen Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, und dem
+Oberleutnant Menshausen, dem Kasinovorstand, während ihnen gegenüber
+als dritter Offizier der Kompagnie der Leutnant Quincke saß, ein
+junger, blasierter Bursch mit glattrasiertem Gesicht -- verlebten Zügen
+-- die Scherbe ins rechte Auge geklemmt. Menshausen und Quincke nahmen
+von dem Kameraden der Landwehr kaum Notiz -- unterhielten sich über den
+Tisch hinüber geflissentlich über Personen und Fragen, an denen der
+eingezogene Herr nicht das geringste Interesse nehmen konnte.
+
+Und der Hauptmann, ein finsterer Junggesell mit starrem, schwarzem
+Haar und struppigem Schnurr- und Vollbart, sprach überhaupt nichts,
+füllte nur zuweilen die Gläser seiner Untergebenen und trank dem Gaste
+schweigend zu.
+
+Als Frobenius erst gemerkt hatte, daß man ihn schlecht behandeln
+wolle, tat er instinktiv das einzige, was in dieser Situation für ihn
+möglich war -- er schwieg nämlich ebenfalls vollständig und machte
+nicht den leisesten Versuch, die Zurückhaltung der aktiven Herren durch
+entgegenkommende Liebenswürdigkeit zu überwinden.
+
+Schließlich bemerkte der Oberleutnant, daß die rücksichtslose
+Nichtachtung, mit der die aktiven Herren den Gast behandelten, dessen
+Hilflosigkeit immerhin ein gewisses Mitleid erregte, allgemein auffiel,
+und ließ sich nunmehr herab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen.
+
+»Sagen Sie mal, Herr Leutnant Frobenius,« hub er an, »was sind denn Sie
+eigentlich im Zivilverhältnis?«
+
+»Ich bin Privatdozent an der Universität Bonn.«
+
+»Hm -- was dozieren Sie denn also privat?«
+
+»Ich lese deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts bis
+zur Gegenwart.«
+
+»Aha,« sagte Menshausen, »ich kann mir zwar dabei nichts Rechtes
+denken -- aber es ist ja jedenfalls was sehr Gelehrtes! Nun sagen Sie
+mal, was wollen Sie denn nun eigentlich bei uns? Macht Ihnen das denn
+wirklich Vergnügen, hier so acht Wochen lang in Uniformen von vor
+fünfzehn Jahren herumzulaufen und sich mit Ihrer Unkenntnis des neuen
+Exerzierreglements vor hundertzwanzig Bauernlümmels und Fabrikarbeitern
+lächerlich zu machen?«
+
+Frobenius richtete sich ein wenig auf: »Herr Oberleutnant Menshausen
+-- ich bin mir wohl bewußt, daß ich hierherkomme, um zu lernen -- ich
+habe aber auf der andern Seite während meiner früheren Übungen die
+Beobachtung gemacht, daß Bauernjungens und Fabrikarbeiter ein ziemlich
+feines Gefühl dafür haben, wer vor ihnen steht, -- und hinter der
+vielleicht etwas veralteten Uniform und der mangelhaften Dienstkenntnis
+des Landwehroffiziers die überlegene Intelligenz respektieren, die
+ihnen in der Person eines Mannes der Wissenschaft gegenübertritt.
+Diese einfachen Leute wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen der
+formgewandten Nullität und dem Geist, der sich im Notfall -- daß heißt
+im Falle der wirklichen Not, meine ich -- von selbst die Form schafft,
+die der Augenblick verlangt.«
+
+»Ja, verzeihen Sie, Herr Leutnant Frobenius,« sagte der Oberleutnant,
+»Sie drücken sich so gewählt aus, daß ich nicht zu folgen vermag -- was
+wollen Sie eigentlich mit Ihrem Erguß sagen?«
+
+»Ich will versuchen, mich Ihnen deutlich zu machen«, erklärte
+Frobenius. »Wir Landwehroffiziere sind, das erkenne ich ja an,
+im Frieden scheinbar ein wenig deplaciert inmitten der jungen,
+dienstkundigen aktiven Herren -- aber wir sind auch gar nicht hier,
+um in Ihrer Mitte gute Figur zu machen -- wir wollen lernen --
+lernen einzig und allein für den Krieg -- und glauben Sie mir, Herr
+Oberleutnant, im Kriege kommt es weder auf gutsitzende Uniform noch
+auf die Kenntnis jeder neuesten Phase der Taktik der Saison an -- da
+entscheiden ganz andere Faktoren. Da möchte vielleicht plötzlich mit
+dem Mobilmachungstage eine Umwertung der Werte stattfinden, und diesem
+Tage entgegen bewegt sich alle Hoffnung, die ich mit meinem Aufenthalt
+im Kreise des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande verbinde.«
+
+»Ah so,« sagte Menshausen, »ich verstehe -- Sie haben militärischen
+Ehrgeiz -- wollen womöglich noch gar Hauptmann der Landwehr werden?«
+
+»Allerdings will ich das,« erwiderte Frobenius ruhig, »zurzeit übe ich
+auf Beförderung zum Oberleutnant.«
+
+»Allen Respekt!« meinte Menshausen, »das hätt ich Ihnen nun nicht
+angesehen -- können Sie denn auch reiten?«
+
+»Gewiß kann ich reiten,« erklärte der Privatdozent. »Ich meine,
+das versteht sich wohl von selber, da ich Ihnen sagte, daß ich die
+Beförderungsübung zum Oberleutnant mache.«
+
+Aber er konnte nicht wehren, daß ihm bei der Erwähnung des Reitens
+selber ein wenig bänglich zumute wurde. Er hatte erst im Frühjahr
+mit Zittern und Zagen zum ersten Male einen Gaul bestiegen, war beim
+ersten Antraben vom Woilach heruntergekugelt wie eine Klammer von der
+Wäscheleine und hatte sich das Schultergelenk dermaßen ausgerenkt,
+daß er den linken Arm drei Wochen lang hatte in der Binde tragen
+müssen. Nach Ablauf dieser drei Wochen hatte er mit noch hörbarerm
+Zähneklappern den Reitunterricht wieder aufgenommen, und seine
+Scheu vor dem wilden, gefährlichen Tier, das dem Menschen nach dem
+Leben trachtet, endlich soweit überwunden, daß er mit der Zeit in
+der Reitbahn sich wenigstens auf den allerfrömmsten Kleppern hatte
+halten können. Ja, in den letzten Wochen vor der Übung hatte er
+sogar in Gesellschaft des Reitlehrers und einiger Damen der Bonner
+Gesellschaft einige Ausritte ins Gelände unternommen und war stets mit
+heiler Haut davongekommen, mit Ausnahme einer unangenehmen Begegnung,
+die er mit einem vorüberbrausenden Eisenbahnzuge gehabt hatte, und
+nach deren Verlauf er sich mit zerschundenem Gesicht, zerbeultem Hut
+und zerschlagenen Knochen in einem Chausseegraben wiedergefunden
+hatte, während seine Rosinante ohne seine Leitung ihre Futterstelle
+wiedergefunden hatte.
+
+Der Gedanke also, demnächst hoch zu Roß vor der Front auftauchen zu
+müssen, erfüllte ihn mit einem Unbehagen, das zu überwinden er seines
+ganzen Mannesmuts bedurfte. Wenn aber etwas noch gefehlt hätte, um ihn
+in dieser Hinsicht zu äußerster Energie aufzustacheln, dann waren es
+die spöttischen Blicke und Redensarten des Kasinovorstandes.
+
+Er beschloß in diesem Augenblick, allen Gefahren kühnlich zu trotzen
+und zu Pferde zu steigen mit der ruhigen Selbstverständlichkeit, mit
+der er sonst alle Morgen auf seinen Katheder kletterte, um seinen
+Hörern die Geheimnisse des zweiten Teils von Goethes Faust zu erklären.
+
+Oberleutnant Menshausen bemerkte mit Vergnügen, daß der Landwehronkel
+bei der Erwähnung des Reitens, trotz seiner heroischen Worte, still
+und um einige Schattierungen blässer geworden war. Über den Kameraden
+hinweg fragte er den Hauptmann Goll: »Gestatten Herr Hauptmann
+eine Frage: Ist nicht morgen früh Ausbildung der Mannschaften im
+Entfernungsschätzen?«
+
+»Allerdings!« grunzte Hauptmann Goll, »was gibt's denn dabei?«
+
+»Ich wollte Herrn Hauptmann nur fragen, ob uns nicht gestattet wäre,
+die Übung zu Pferde mitzumachen -- wie ich soeben von Herrn Leutnant
+Frobenius höre, legt er ebenfalls Wert darauf, morgen früh zu reiten,
+und da ich für meine Person im Manöver als Ordonnanzoffizier zum
+Regiment komme und meinen neuen Gaul gern ein wenig an die Truppe
+gewöhnen möchte, so würde ich Herrn Hauptmann dankbar sein, wenn Herr
+Hauptmann uns gestatten wollten zu reiten!? -- Meines Wissens reiten
+Sie ja auch momentan dem Obersten sein Handpferd zu, Quincke, nicht
+wahr?«
+
+Leutnant Quincke hatte der Unterhaltung zugehört und bejahte mit
+perfidem Grinsen: »Gewiß -- wenn Herr Hauptmann gestatten, komm auch
+ich hoch zu Roß!«
+
+»Na schön,« sagte Goll, »ich hab nichts dagegen!«
+
+Frobenius fühlte bei dieser Unterhaltung, wie die wenigen Haare, die
+seinen Schädel umsäumten, sich einzeln zu Berge sträubten. -- Herr Gott
+im Himmel -- schon morgen früh! -- Was war da zu machen -- Schicksal,
+nimm deinen Lauf!
+
+»Wo wollen Sie denn Ihren Gaul herbekommen, Herr Frobenius?« fragte
+Menshausen unbarmherzig weiter, »haben Sie sich einen mitgebracht oder
+wollen Sie sich einen leihen?«
+
+»Ich habe mich nach den Verhältnissen noch nicht erkundigt,« erklärte
+Frobenius, »ich denke, man bekommt in der Reitbahn passende Gäule
+geliehen, wie?«
+
+»Selbstverständlich,« sagte der Oberleutnant, »wenn's Ihnen recht ist,
+stelle ich Ihnen meinen Burschen zur Verfügung -- der kann ja morgen
+früh vor dem Dienst zur Reitbahn gehen und Ihnen ein Pferd besorgen.«
+
+Frobenius ahnte Böses; doch er hatte sich nun einmal vorgenommen, jeder
+Gefahr die Stirn zu bieten, und so nahm er mit verbindlichem Lächeln
+das Anerbieten des Oberleutnants an.
+
+Als im nächsten Augenblick Hauptmann Goll wieder einmal wortlos dem
+Landwehroffizier zutrank, beugte sich Menshausen zu Quincke hinüber und
+flüsterte ihm zu: »Sie, Quincke, ich werde meinen Burschen instruieren,
+daß er »Kuno den Schrecklichen« besorgt! -- Kennen Sie den Schinder?«
+
+»Na ob!« grinste Quincke, »das ist ja das verrittenste Pferd in der
+ganzen Garnison. -- Na, wenn der Landwehronkel auf Kuno überhaupt aus
+dem Kasernenhof 'rauskommt, dann garantier ich jedenfalls: 'rein kommt
+er nicht wieder!«
+
+In diesem Augenblick hob Major von Sassenbach die Tafel auf, und
+alsbald empfahlen sich die Vizefeldwebel der Reserve und die
+Avantageure, indem sie in die Mitte des Hufeisens traten und erst
+vor dem Tischältesten Front machten, dann nach rechts und links
+desgleichen; dabei schlugen die Hacken zusammen, daß es nur so krachte.
+
+Und nun schwirrten die Ordonnanzen von allen Seiten mit den brennenden
+Lichtern herein, und das gelbe Flimmern der flackernden Flämmchen
+vermählte sich mit dem dunklern Gelbgold der Abendsonne, die gebrochen
+durch die leise sich wiegenden Kronen der Bäume des Kasinogartens
+in die hohen Bogenfenster strahlte. Bald kräuselten sich bläuliche
+Tabakwölkchen hinein -- und noch ungezwungener rauschte nun das
+Geplauder, noch lebhafter wogte das Hinüber und Herüber der Scherze
+-- des Zutrunks -- und bald war den Offizieren der Reserve wieder
+zumute, als seien die Monate und Jahre »im schlichten Gewande der
+Bürgerlichkeit«, die seit dem letzten Abschiedstrunk im Kasino
+verflossen waren, nur ein Traum gewesen, und als sei dies Leben
+im bunten Rock ihre eigentliche Existenz -- als sei die Schar der
+Kameraden, in deren Mitte sie nun wieder eingetreten waren, das Milieu
+ihres Lebens.
+
+Sie waren riesig vergnügt, die Herren des Beurlaubtenstandes. Der
+geschniegelte und pomadisierte Leutnant der Reserve Klocke schwamm
+in Seligkeit. Herr Kamerad hier, Herr Kamerad dort, so schmetterte
+das nach allen Richtungen hinüber und herüber -- als trüge er eine
+Sprungfeder im Leibe, so schnellte er jedesmal empor, wenn ein
+Vorgesetzter ihm zutrank, und leerte mit Begeisterung seinen Kelch, nur
+daß im Laufe der Zeit seine Augen immer stierer, sein Gesicht immer
+röter, seine Bewegungen immer unsicherer und die Scherze, die er zum
+besten gab, immer gewagter wurden und je länger je mehr nach dem Coupé
+dritter Klasse schmeckten.
+
+Ihm schräg gegenüber saß im Kreise seiner zukünftigen
+Kompagniekameraden der Referendar Dormagen. Als Sohn eines rasch
+reichgewordenen Industriellen hatte er heute das Gefühl, daß es
+eigentlich ein Skandal sei, daß er nicht Kavallerist geworden. Aber
+vor sechs Jahren, als er einjährig diente, hatte sein Vater noch nicht
+den großen Schlag mit dem neuerfundenen Trockenelement gemacht, und
+erst in den letzten Jahren -- leider -- waren die Verhältnisse seiner
+Familie so plötzlich emporgeschnellt. Nun blieb nichts übrig, als in
+der Mitte der Fußinfanteristen wenigstens nach Kräften mit seinem Gelde
+zu imponieren. So ließ er denn eine Flasche Pommery nach der andern
+anfahren, und allmählich sammelte sich um ihn eine Gruppe von jüngern
+Offizieren, die, mit nicht allzu reichlichem Zuschuß gesegnet, einen
+Freitrunk sich nicht gern entgehen lassen mochten. In ihrer Mitte
+markierte Dormagen nun den großmütigen Gastgeber, wogegen seine Gäste
+sich verpflichtet fühlten, andachtsvoll seinen Schwadronierereien zu
+lauschen und ihm eifrig zuzutrinken. Sein Kompagniechef hatte sich
+bereits unmittelbar nach Aufhebung der Tafel, peinlich berührt durch
+des jungen Herrn siegesgewisses Auftreten, an den mittlern Tisch des
+Hufeisens zurückgezogen, wo sich nun allmählich die ältern Herren bei
+Kaffee und Münchner Bier konzentrierten.
+
+Inmitten dieser ältern Herren saß auch der Oberleutnant der Reserve
+Brassert, ein behäbiger Süddeutscher, und freute sich königlich, daß er
+der Pflicht entronnen war, den rüpelhaften Primanern die Geheimnisse
+des Äschylos zu erschließen. Er übte seit einem Dezennium nahezu Jahr
+um Jahr, teils weil es für ihn, den Beamten, dessen Gehalt während der
+Übung weiterlief, eine überaus billige Sommerfrische war, teils weil
+sein immer mehr anschwellendes Bäuchlein die scharfe Entfettungskur
+dieser acht Wochen sehr notwendig brauchte. Die Hauptleute waren seine
+Altersgenossen und überdies auch von gleichem Dienstalter wie er, und
+so fühlte er sich in ihrer Mitte behaglicher als zwischen den jungen
+Dächsen von Leutnants, deren Charge er teilte, die ihn aber zu peinlich
+an seine kaum verlassenen Primaner erinnerten.
+
+Behaglich schmunzelnd und kräftig qualmend saß er inmitten der ältern
+Offiziere. Den Kragen seines Überrocks, der übrigens mit Rücksicht
+auf sein gewaltiges Doppelkinn ohnehin nicht mehr denn Fingersbreite
+hatte, trug er aufgeknöpft, ebenso wie die obersten vier Knöpfe seines
+Überrocks, und bedauerte nur im stillen, daß er den Rock nicht ganz
+ausziehen konnte, wie auf der heimatlichen Kegelbahn im Kreise seiner
+Kollegen.
+
+An einzelnen Tischen waren indessen allmählich große Lücken entstanden
+-- manche der Herren hatten sich erhoben, um sich ins Spielzimmer zum
+Skat zu setzen -- manche hatten auch die unangenehme Pflicht, noch eine
+späte Instruktionsstunde abzuhalten.
+
+Eine kompakte Gruppe hockte indessen noch um das Ende des linken
+Hufeisentisches zusammen, wo der Leutnant der Reserve und Forstassessor
+Troisdorf mit Leutnant von Finette zusammensaß. Die beiden
+Niederrheinländer sprachen seit zwei Stunden nur noch kölnisch-platt
+und erzählten einander die haarsträubendsten Anekdoten von Kölner
+Marktweibern und »Rheinkadetten«, den lungernden Lastträgern des
+kölnischen Rheinhafens. Von hier scholl immerzu schmetterndes
+Gelächter in den Saal hinein, so daß ab und zu einer oder der andere
+der Hauptleute herantrat und ein Weilchen zuhörte. Auf die Dauer
+war indessen eine solche Flut von mehr oder weniger unappetitlichen
+Scherzen nur für Leutnantsmägen erträglich.
+
+Immer schneller, fast unbemerkt, entflohen den Zechenden und
+Plaudernden die Stunden.
+
+Der Major von Sassenbach hatte seit längerer Zeit beobachtet, daß der
+hilflose Landwehroffizier, der mit seiner riesigen, goldenen Brille
+und seinem langen, braunroten Bart so gar nicht in die militärische
+Umgebung zu passen schien, das wehrlose Opfer der Scherze des
+Oberleutnants Menshausen und des Leutnants Quincke war. Sassenbach
+liebte die beiden Herren nicht -- ihm, dem schlichten Haudegen, waren
+die kalten Spötter und Monokelträger zuwider -- er rief zu der Gruppe
+hinüber: »Herr Leutnant Frobenius, wollen Sie mir das Vergnügen machen,
+noch eine Flasche mit mir zu trinken?«
+
+Frobenius war seelenvergnügt -- er fuhr diensteifrig in die Höhe,
+wobei er den hochlehnigen, gotischen Stuhl umwarf, und schob mit etwas
+unsicherm Gange zu seinem Bataillonskommandeur hinüber. -- Bald waren
+beide in ein herzliches Geplauder vertieft.
+
+»Aha,« schnarrte Menshausen zu Quincke hinüber, »sehn Sie woll -- ein
+neuer Schwiegersohn ist auf der Bildfläche erschienen, der muß gleich
+festgenagelt werden -- ja ja, man muß sich dazu halten. Nelly ist
+sechsundzwanzig und Molly neunzehn -- und der Landwehrfritze macht 'nen
+kolossal heiratsfähigen Eindruck.«
+
+Hauptmann von Brandeis hatte sich schon seit geraumer Zeit empfohlen.
+Die üblichen Scherze hatten den Aufbruch des jungen Ehemannes
+begleitet, und schmunzelnd hatte er quittiert.
+
+Flamberg schlenderte von einer Gruppe zur andern -- ließ sich bald
+hier, bald dort zu einem kurzen Geplauder nieder und sog die Stimmung
+der Stunde in sich hinein. -- Mit Wonne verfolgte sein geschulter Blick
+das langentwöhnte Schauspiel, wie sich nun das rötlichgelbe Licht der
+Kerzen, das tiefe Goldbraun des Sonnenuntergangs, das hellere Gelb der
+elektrischen Kronleuchter von droben her, der bläuliche Tabaksdunst,
+der in breiten Schwaden über den Gruppen lagerte, mit dem Blau und
+Rot der Uniformen, den goldenen Reflexen auf den Monturknöpfen und
+der satten Sonnenfarbe der gebräunten Gesichter verwob. -- In seinen
+Adern glühte der Sekt, schäumte die freudige Hoffnung auf acht Wochen
+eines neuen, verwandelten Lebens voll farbiger Eindrücke, voll harmlos
+heiterer Erlebnisse.
+
+Aber als nun mit dem Fortschreiten des Gelages die Kehlen immer
+rauher wurden, die Luft immer dicker -- da meinte er den Augenblick
+gekommen, sich dem Feste zu entziehen und ungetrübt das erschaute Bild
+heimzutragen.
+
+Nach einer kurzen Wanderung durch die stillen Straßen des
+Kasernenviertels stand er in der engen Mietbude, deren schäbige,
+zerschlissene Trivialität so seltsam kontrastierte gegen den
+künstlerischen Reiz seiner verlassenen Junggesellenhäuslichkeit,
+kontrastierte auch gegen den süßen Hoffnungstraum von einem künftigen
+Daheim, den er seit Wochen mit seinem Schatz gesponnen.
+
+Schwül war die Luft im Stübchen -- er stieß die Fenster auf -- und vom
+tiefschwarzen Himmel nieder flammten tausend freundliche Sterne. -- Da
+mußte er von seinem Mädchen träumen -- sie hatte ihm das Versprechen
+abgenommen, allabendlich zum Himmel aufzuschauen und heimwärts zu ihr
+zu denken -- und er dachte heimwärts.
+
+Eine große, tiefe Ruhe war in seiner Seele -- ein Heimatbewußtsein --
+das traute Wissen, verankert zu sein im tiefsten Grunde des Erdenseins,
+in einem Herzen, das nichts als Liebe war für ihn.
+
+
+
+
+ Drittes Kapitel.
+
+
+Um die fünfte Morgenstunde dämmerte Wilhelm Frobenius mit wüstem Kopf
+aus schwerem Traum empor. Es hatte erst sanft, dann recht energisch an
+die Tür geklopft -- er fuhr auf, starrte in dem engen Gelaß umher, daß
+ihn umschloß, und konnte sich nicht enträtseln, wie er eigentlich in
+diese nüchterne, unbehagliche Umgebung geraten war.
+
+Plötzlich fiel's ihm ein: ach, du lieber Himmel -- du bist ja in der
+Garnison -- und -- o Schauder -- gleich geht's zu Pferd!
+
+»Herr Leu'nant -- et is höchste Zeit für uffz'stehn!« mahnte von
+draußen eine ihm völlig fremde Stimme.
+
+Das mußte der Bursche sein. Herrgott, wie der Schädel brummte.
+
+Er fuhr mit den dünnen, haarigen Beinen aus der Decke hervor, fühlte
+sich geniert durch den ungewohnten Gedanken, nun im Nachthemde vor den
+fremden jungen Menschen hintreten zu sollen, zog erst Unterhosen und
+Strümpfe an und schlurrte dann zur Tür. Kaum hatte er sie geöffnet, da
+schoß mit energischem Ruck ein junger, rotblonder, sommersprossiger
+Gesell herein, die Feldmütze auf dem Kopf, die Drillichhose schon in
+den langschäftigen Stiefeln steckend. Er schlug krachend die Absätze
+zusammen und meldete: »Füselier Schmitz als Bursch bei de Herr Leu'nant
+kommediert!«
+
+»Schön, schön,« sagte Frobenius verlegen, »also Sie sind Schmitz,
+schön, schön. Was gibt's denn heute morgen?«
+
+»Sechs Uhr fufzehn Abmarsch in't Jelände zur Ausbildung im
+Entfernungschätzen!«
+
+»Ach ja -- ganz richtig -- also sehen Sie, da ist mein Koffer -- den
+packen Sie mal zuerst aus.«
+
+Und während der Bursche sich anstellig und geräuschlos anschickte, die
+Habseligkeiten seines neuen Herrn aus dem vorsintflutlichen Reisekoffer
+zu entwickeln, kühlte Wilhelm Frobenius sein schmerzendes Haupt --
+immer neue Schwämme drückte er über den Nacken aus, daß das Stübchen
+schwamm, aber der dumpfe Druck im Schädel wollte nicht weichen -- und
+noch weniger der dumpfe Druck in der Herzgegend -- vor seiner Phantasie
+aber stand das Bild des Augenblicks, wo er das wilde, gefährliche Tier
+besteigen würde, das dem Menschen nach dem Leben trachtet.
+
+Herrgott, wie die funkelnagelneuen Reitstiefel drückten -- wie
+der steife Lederbesatz der Reithose die Schenkel scheuerte -- wie
+entsetzlich das war, durch die Stube zu schreiten mit den klirrenden
+Sporen, die sich immerfort ineinander verfingen!
+
+Füsilier Schmitz waltete indessen geräuschlos seines Amtes. Er betreute
+seinen Herrn wie eine erfahrene Kinderwärterin ihren Säugling.
+
+Als er seinen Herrn in den Waffenrock gesteckt hatte, verschwand er auf
+Zehenspitzen und kam nach wenigen Minuten mit dem Frühstückstablett
+zurück.
+
+Himmel, aber dieser Kaffee! -- Mit Wehmut gedachte Wilhelm Frobenius
+seiner sorgsamen Haushälterin daheim, die ihm denn doch einen ganz
+andern Morgentrunk kredenzte -- und verzehrte knurrend die mit einem
+Übermaß von Margarine bestrichene Frühstückssemmel, während Füsilier
+Schmitz Helm, Feldglas, Säbel und Schützenpfeife zusammensuchte.
+
+Zehn Minuten später schritt Frobenius an dem präsentierenden Posten
+vor dem Kasernenportal vorbei in den Hof hinein und sah schon von
+weitem die dunkle Masse der in Zugkolonne aufgestellten Königlichen
+Zweiten. Noch war kein anderer der Offiziere auf dem Platze, und als
+der Leutnant sich der Kompagnie näherte, kommandierte der Feldwebel mit
+dröhnender Stimme:
+
+»Stillgestanden! -- Richt' euch! -- Augen gerade -- aus! -- Die Augen
+links! -- -- Kompagnie beim Antreten!« meldete er dann dem Offizier.
+
+»Danke, danke!« sagte Frobenius und überlegte, was er nun zu tun
+hätte. Das dauerte ungefähr eine Minute, während deren der Feldwebel
+regungslos neben ihm stand und ebenso regungslos die Kompagnie mit
+Augen links.
+
+Frobenius verfiel in tiefes Sinnen. Herr Gott, was machte man denn nun
+jetzt nur?
+
+Der Feldwebel kam ihm zu Hilfe: »Gestatten Herr Leutnant, daß ich
+rühren lasse?«
+
+»Bitte, bitte, selbstverständlich -- lassen Sie nur rühren!«
+
+»Augen gerade aus -- rührt euch!«
+
+In diesem Augenblick schollen vom Kasernentor her hallende Pferdehufe,
+und Hauptmann Goll kam auf seinem riesigen Rappen herangesprengt,
+gerade auf Frobenius zu.
+
+Frobenius riß den Schleppsäbel in die Höhe und salutierte seinen
+Kompagniechef. Der hielt dicht vor ihm, sah ihn von oben bis unten an,
+staunend, fassungslos.
+
+»Na, Herr Leutnant, wollen Sie mir denn nicht freundlichst die
+Kompagnie melden?«
+
+»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Er fuhr herum und schrie mit einer
+Stimme, als sei er von Mördern überfallen und wolle die Welt um Hilfe
+zusammenrufen: »Stillgestanden -- Augen links!«
+
+Hauptmann Goll sah seinen Untergebenen abermals von Kopf bis zu Füßen
+an: »Herr Leutnant, Sie scheinen sich mit dem neuen Exerzier-Reglement
+noch nicht sonderlich beschäftigt zu haben, aber auch Ihre alte
+Weisheit haben Sie scheinbar einigermaßen verschwitzt, sonst würden Sie
+wohl die Kompagnie zunächst ausgerichtet haben -- und dann heißt das
+Kommando nach dem neuen Reglement: die Augen links! -- Also, bitte,
+stecken Sie gefälligst die Nase ins Reglement, damit Sie sich nicht vor
+den Kerlen blamieren -- danke Ihnen! -- 'Morgen, zweite Kompagnie!«
+
+»'Morgen, Herr Hauptmann!« scholl es aus hundertundzwanzig Kehlen
+zurück, daß die Kasernenwände bebten.
+
+»Augen gerade -- aus -- rührt euch!«
+
+Frobenius schielte zur Kompagnie hinüber -- ein fröhliches Grinsen lag
+auf allen Gesichtern.
+
+Ja, da war nichts zu machen -- der Respekt war von vornherein zum
+Teufel.
+
+Schon nahte ein neues Schrecknis: ein Füsilier, den Frobenius natürlich
+nicht kannte, führte einen großen, starkknochigen Goldfuchs mit weißer
+Stirnblässe und unruhig schielenden Augen heran, der immerfort heftig
+den Kopf in den Nacken warf und von Zeit zu Zeit mit der Hinterhand
+nervös zusammenfuhr.
+
+»Pferd für Herrn Leutnant zur Stelle!« meldete er.
+
+Aha, dachte Frobenius, das ist der Bursche vom Oberleutnant Menshausen,
+dem muß ich jedenfalls ein Trinkgeld geben. Er suchte in seinem
+Portemonnaie, fand nur ein Zweimarkstück und drückte das dem Burschen
+in die Hand, obgleich er sich darüber klar war, daß das viel zu viel
+sei.
+
+»Wollen Herr Leutnant gleich aufsitzen?«
+
+»Jawohl!«
+
+Der Bursche hielt den rechten Bügel, Frobenius trat an die linke
+Seite und hob das Bein, aber es gelang ihm nicht, den Steigbügel zu
+erreichen. Himmel, war das ein Elefant! Der Bursche mußte den Bügel
+länger schnallen, und nach einigen krampfhaften Anstrengungen saß
+Frobenius im Sattel. Im selben Augenblick stieg der Gaul hinten und
+vorne, und der Reiter schwankte hin und her -- wie ein Wrack im Sturm.
+
+Zwei Füsiliere sprangen auf Hauptmann Golls Befehl herzu und beruhigten
+die Bestie. Nun saß Frobenius steif aufgerichtet und wagte nicht, sich
+zu rühren, aus Furcht, der Gaul möchte wieder unruhig werden.
+
+Leutnant Quincke kam und meldete sich beim Kapitän. Sein verkatertes
+Gesicht war fahl -- mit einem unverschämten Grinsen begrüßte er den
+Reiter und stieß mit der Säbelscheide wie in harmlosem Scherz nach
+Kunos Flanken. Kuno machte einen mächtigen Satz zur Seite, und auf ein
+Haar hätte Frobenius das Gleichgewicht verloren.
+
+»Donnerwetter -- lassen Sie doch diese Scherze, Herr Quincke!«
+
+»O, entschuldigen Sie, Herr Frobenius, wer konnte auch ahnen, daß der
+Schinder so nervös ist -- liegt das an ihm oder an Ihnen?«
+
+Zwei andere Gäule wurden vorgeführt. Der eine gehörte dem Oberleutnant,
+der erst im letzten Augenblick heranschoß, sich hastig beim
+Kompagniechef meldete und wie der Blitz im Sattel saß; den andern,
+einen zierlichen Apfelschimmel, bestieg Quincke, leicht und elegant,
+und ließ ihn ein paar kurze Gänge machen. Das begeisterte Herrn
+Kuno, sich anzuschließen, und so wurde Frobenius unfreiwillig über
+den Kasernenhof spazieren getragen, bis Hauptmann Goll die Kompagnie
+formiert hatte.
+
+»Bitte, Herr Leutnant Frobenius, reiten Sie bei mir! Die Herren
+Menshausen und Quincke nehmen die Queue.«
+
+Mit Mühe gelang es Frobenius, sich an die Seite seines Kapitäns zu
+dirigieren. Die Spielleute traten an die Tête, und der Hauptmann
+kommandierte:
+
+»Stillgestanden -- das Gewehr -- über! -- Gruppenkolonne rechts --
+erster, zweiter, dritter Zug -- Kompagnie -- marsch!«
+
+Die Spielleute schlugen an. -- Beim ersten Klang der Instrumente machte
+Kuno einen fürchterlichen Satz nach links, raste wie toll in weitem
+Bogen um den Kasernenhof, beruhigte sich aber dann und setzte sich
+wieder neben das Pferd des Hauptmanns.
+
+Die Füsiliere platzten vor Vergnügen.
+
+»Kompagnie -- halt!« schrie der Kapitän. »Wenn ihr unverschämten
+Lümmels euch noch einmal untersteht, beim Exerzieren die Fresse zu
+verziehen, so reit' ich euch gliederweise in den Dreck -- verstanden!?
+-- Kompagnie -- marsch!«
+
+Und dann mit vernichtendem Blick zu dem unglücklichen Reiter an seiner
+Seite: »Herr Leutnant, wenn Sie nicht reiten können, dann sagen Sie's
+gefälligst gleich! und ruinieren Sie mir hier nicht die Disziplin!«
+
+»Verzeihen Herr Hauptmann, ich weiß selbst nicht, was das ist -- ich
+glaube, man hat mir da eine ganz gefährliche Bestie geschickt -- aber
+ich werde mich schon gewöhnen!«
+
+Und so kam es auch. Kuno klebte ganz zufrieden an dem ruhig und sicher
+schreitenden Rappen des Kapitäns und schien sich in sein Schicksal und
+seinen Reiter ergeben zu haben.
+
+Zum muntern Spiel der Trommeln und Pfeifen ging's nun durch die stillen
+Straßen hinaus. -- Ab und an schoben sich droben an den Fenstern
+die Vorhänge auseinander, und verschlafene Gesichter schauten auf
+die ausrückende Schar -- hier ein verdrießliches Matronenantlitz,
+von wirren, grauen Haarsträhnen überhangen, dort ein freundliches
+Mädchenköpfchen mit süß verträumten Wangen. -- Im Morgensonnenschein
+blinkten die frisch geputzten Knopfreihen und Helmbeschläge, blinkten
+wie gleißende Schlangenschuppen die taktmäßig leise pendelnden
+Gewehrläufe. -- Die Pferde wieherten lustig in die Dunstschwaden der
+Frühe hinaus, und Frobenius fing an, sich überaus behaglich zu fühlen
+-- wäre Hauptmann Goll etwas gesprächiger gewesen, es hätte sehr lustig
+sein können -- aber des Kapitäns Miene dräute Unheil -- er würdigte
+seinen Gefährten keines Wortes.
+
+Indessen schließlich -- wer war Hauptmann Goll? -- Irgendein
+gleichgültiger Fleck in der spätsommerlichen Morgennatur -- ein
+flüchtiger Schatten auf dem Glück der Stunde -- wie konnte so was
+Bedeutungsloses ihn, Wilhelm Frobenius, um die frische Wonne dieses
+lustigen Frühritts bringen?
+
+Ach, es war doch himmlisch, so auf einem feurigen Roß in die
+nebeldampfende Landschaft hinaus sich tragen zu lassen!
+
+Allerhand literarische Erinnerungen fielen ihm ein -- die
+Hohenstaufenkaiser auf der Fahrt über die Alpen -- Goethes Besuche bei
+Friederike in Sesenheim:
+
+
+ »Es schlug mein Herz: geschwind zu Pferde!
+ Es war getan fast, eh's gedacht.«
+
+
+Herrgott, daß man das bloß nicht früher gelernt hatte. -- Ja, ja, da
+war die harte Jugend gewesen voll einsamen Schaffens, Grübelns und
+Sinnens im tabakdurchwölkten Studierkämmerchen -- fern von den muntern
+Kommilitonen, die bei Becher und Schläger ihr Leben auskosteten.
+
+Reiten! -- Du lieber Himmel -- dem Sohn des armen Volksschullehrers aus
+dem Westerwalddörfchen war das immer als ein Privileg der hoch droben
+hausenden Glückserkorenen erschienen.
+
+Und nun war er, nicht fern den Vierzigen, doch noch auf den Klepper
+gekommen -- das hatte sein Faustwerk, das hatten die zwanzig Auflagen
+seines Schiller-Volksbuches zum Jubiläum von 1905 zustande gebracht.
+
+Ach ja -- nun gehörte er selbst zu den Glückserkorenen. -- Wie sagte
+doch das arabische Sprichwort:
+
+
+ »Alles Glück der Erde
+ liegt auf dem Rücken der Pferde,
+ in der Gesundheit des Leibes
+ und am Herzen des Weibes.«
+
+
+Ha -- zwei von diesen Dingen nannte er nun sein eigen -- gesund an Leib
+und Seele -- beim Himmel! das war er -- und auf dem Rücken des Pferdes
+saß er nun ja Gott sei Dank auch.
+
+Nun fehlte nur noch das Ruhen am Herzen des Weibes -- ja, dazu würde
+jetzt allerdings allmählich Rat geschafft werden müssen, sonst dürfte
+Wilhelm Frobenius am Ende doch den Anschluß verfehlen.
+
+Indessen -- wenn er so viel erreicht hatte, wenn er zwei Drittel alles
+Erdenglücks bereits besaß -- warum sollte sich nicht auch noch das
+letzte Drittel erringen lassen?
+
+Wilhelm Frobenius meinte, noch niemals eine solche Stunde
+leichtsinniger Hoffnungswonne -- eine solche Stunde Versinkens im
+Augenblick durchgekostet zu haben.
+
+Immer höher reckte sich seine eingefallene Brust -- immer kecker
+warf er die Nase empor, ließ er die Blicke zu den Fenstern der nun
+schon spärlicher den Weg einsäumenden Häuser emporschweifen -- und
+als schließlich aus dem ersten Stockwerk eines einsamen Forsthauses
+am Waldrande gar ein Mädchen hervorlugte, das er mit seinen, durch
+die großen, goldgefaßten Brillengläser geschärften Augen für über die
+Maßen hübsch hielt, da warf er der Schönen im Überschwang der Stimmung
+eine heimliche Kußhand zu, schielte aber gleich darauf erschrocken zu
+Hauptmann Goll hinüber.
+
+Doch der hatte zum Glück nichts gemerkt -- verschlafen blinzelten seine
+stechenden Augen zwischen den Pferdeohren hindurch in den Staub der
+Landstraße -- verständnislos für all die Herrlichkeiten der Morgenfrühe
+-- verständnislos für das süße Lebensglück, das wie ein feuriger junger
+Wein durch die Adern seines Gefährten rieselte.
+
+
+
+
+ Viertes Kapitel.
+
+
+»Na, Alter -- wie wär's mit 'nem Galöppchen?«
+
+Nelly von Sassenbach ritt zur Rechten ihres Vaters. Sie war heute
+morgen gar nicht mit ihrem Alten zufrieden -- sonst waren er und sie
+immer für scharfes Tempo, und Molly, die um sieben Jahre jüngere
+Schwester, die sich auf dem Gaul weit weniger zu Hause fühlte, war
+immer wie zerschlagen, wenn sie vom gemeinsamen Ritt mit Vater und
+Schwester heimkam.
+
+Aber heute war der Major nicht aus dem Schritt zu bringen -- und auch
+jetzt brummte er auf die Zumutung seiner Ältesten zum Angaloppieren
+irgend etwas Unverständliches in die melancholisch niederhängenden
+Schnurrbartzipfel hinein, nahm gleichzeitig die Mütze ab und tupfte den
+Schweiß von der Stirn, obgleich die Spätsommersonne kaum die Frühnebel
+zu besiegen begann.
+
+»Aha,« sagte Nelly, »du hast Kater, Alter, ich merk's schon -- was war
+denn gestern los im Kasino?«
+
+»Na, was wird los gewesen sein -- die Herren von der Reserve und
+Landwehr wurden angefeiert -- das war alles!«
+
+»So,« sagte Nelly, »und deshalb war der Oberst zu Tisch gekommen?«
+
+»Der Oberst -- wieso -- wie kommst du denn auf ~die~ Idee, Mädel?«
+
+»Aber Alter!« lachte Nelly verschmitzt, »ich hab doch gestern selbst
+gehört, wie du Mama erklärt hast, du kämest nicht zum Mittagessen, weil
+der Oberst im Kasino speise und dich zu Tisch eingeladen habe.«
+
+»Ei verflucht --« knurrte der Major, »na also, daß ihr's wißt, Kinder
+-- das war geschwindelt, weil ich sonst -- hm, hm -- schwerlich Urlaub
+bekommen hätte. Daß ihr mir aber reinen Mund haltet! -- besonders du,
+Nesthäkchen!«
+
+Die blonde Molly antwortete nicht, verzog den Mund in einer Manier,
+die der Vater gar zu gut kannte; denn sie war restlos von der Mutter
+auf die Tochter vererbt worden -- nur daß es doch ein Unterschied war,
+ob die bewußte Falte rechts und links von einer Neunzehnjährigen oder
+einer Achtundvierzigjährigen Munde stand.
+
+»Also wirklich -- mit dem Galopp wird's heute nichts! -- Na, dann
+erzähl uns wenigstens was von gestern.«
+
+»Ja, was ist da viel zu erzählen -- ist eben mal wieder 'ne Anzahl
+fragwürdiger Gestalten, als Leutnants und Oberleutnants verkleidet,
+auf der Bildfläche erschienen -- haben sich mit uns betrunken und uns
+allerhand höchst gleichgültige Geschichten von den merkwürdigsten
+Zivilberufen erzählt.«
+
+»Was sind's denn für Leute?« fragte Nelly unverdrossen weiter,
+»bekommen wir sie auch mal zu sehen?«
+
+»Na, doch natürlich -- sind ja noch im Regiment, wenn nächstens die
+große Fête vom Stapel läuft!«
+
+»Erlaube mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, lieber Papa,« warf
+Molly ein, »daß wir heute spätestens um halb elf zu Hause sein müssen;
+denn wir sind auf Punkt elf Uhr zu Frau von Brandeis gebeten, wo die
+erste Probe für das Festspiel stattfinden soll.«
+
+»Wat is det?« grunzte der Vater, »Festspiel? -- Hab ich ja noch gar
+nichts von gehört!«
+
+»Wir haben angenommen, das interessierte dich nicht, lieber Papa,«
+meinte Molly spitz. Dann aber ließ sie sich doch herab, etwas genauere
+Angaben zu machen. Es würden also lebende Bilder gestellt werden, und
+zwar drei -- dazu verbindender Text, dialogisch gesprochen von Frau von
+Brandeis, Schwester Nelly, ihr selbst und Herrn Leutnant Blowitz -- den
+Text habe ein Einjähriger des Regiments verbrochen.
+
+Das letztere war schließlich das einzige, was den Major ernstlich
+interessierte. Ein Einjähriger des Regiments -- von welcher Kompagnie
+der denn sei und wie er heiße?
+
+Das wußten die Mädchen nicht -- sie hatten ihn noch nicht kennen
+gelernt.
+
+»Gnade Gott, wenn er von meinem Bataillon ist -- dem werd ich die
+Hammelbeine langziehen -- jedenfalls werd ich ihn mir mal vorbinden
+und ermitteln, ob er auch im Exerzierreglement und in Dienstkenntnis
+auf der Höhe der Situation ist -- wenn nicht, dann treib ich ihm das
+Dichten aus -- aber gründlich!«
+
+»Also die Reserveoffiziere kommen auch zum Regimentsfest?« fragte Nelly
+weiter, »das ist ja 'n wahrer Segen -- dann bekommt man doch endlich
+mal 'n paar andere Gespräche zu hören, als ewig Avancement -- Kommandos
+-- Vorderleute -- und den übrigen Kommißtratsch. Wenn man das, wie ich,
+bereits sieben Saisons hindurch genossen hat, dann lechzt man geradezu
+nach Abwechslung.«
+
+»Tja, Mädel,« knurrte der Major, »warum hast du nicht längst
+geheiratet?«
+
+»Warum ich nicht geheiratet habe? -- Na, Vater, ich meine, das müßtest
+~du~ doch wissen!«
+
+»Is ja wahrhaftig 'ne Schande,« brummte der Major, »Mädel wie 'ne Tanne
+-- firm auf dem Gaul und in der Küche -- Kommißvermögen dreidoppelt
+vorhanden, dank meiner seinerzeitigen Vorsicht in der Auswahl des
+Schwiegerpapas -- mit einem Worte: alles da! -- Und ihr Mädels bleibt
+liegen wie die trocknen Semmeln!«
+
+»Na, an mir hat's doch wahrhaftig nicht gelegen,« schmollte Nelly.
+
+»Ne, ich weiß schon -- du kannst nichts dazu!« Der Major griff sich mit
+drei Fingern in den Rockkragen, als sei der zu eng geworden. »Du kannst
+nichts dazu!«
+
+Molly rückte ungeduldig auf ihrem Sattel hin und her: »Möchtest du mir
+nicht den Gefallen tun, Papa, und in meiner Gegenwart von Mama nicht so
+respektlos sprechen -- du weißt, das schmerzt mich.«
+
+»Nanu -- hab ja kein Wort gesagt!«
+
+»O -- ich hab dich sehr gut verstanden. Wenn Mama zuweilen etwas
+abwehrend gegenüber gewissen Herren gewesen ist, die sich um uns bemüht
+haben, so hat sie es jedenfalls sehr gut gemeint -- und soweit ich's
+beurteilen kann, ist es immer zu unserm Glück gewesen, daß aus den
+Partien nichts geworden ist, die Mama abgelehnt hat.«
+
+Nelly warf dem Vater einen verständnisvollen, der Schwester einen
+bitterbösen Blick zu.
+
+Der Vater und seine Älteste wußten sich einig in dem Gedanken: der
+Freier, der Mama von Sassenbachs Beifall fände, der sollte noch
+geboren werden. Unter den jungen Leuten von heute hatte Mama von jeher
+fürchterliche Musterung gehalten -- und keinen gerecht befunden.
+
+Nelly hatte auch längst die Hoffnung aufgegeben, daß einer der
+Herren des Regiments Gnade vor Mamas Augen finden könnte. Sie hatte
+in ihren sechsundzwanzig Jahren und sieben durchtanzten Saisons gar
+manchen Flirt gehabt, und der eine oder andere war verflucht ernst
+geworden, aber im richtigen Augenblick war es Mama stets gelungen, den
+betreffenden Bewerber derart kopfscheu zu machen, daß er abschnappte.
+
+Jedesmal, wenn ein Herr in entsprechenden Jahren, Hauptmann oder
+Oberleutnant, der noch zu haben war, von auswärts ins Regiment versetzt
+worden war, hatten der Vater und seine Älteste sich in geheimen
+Hoffnungen gewiegt, aber nie war's etwas geworden -- und so exklusiv
+war der Verkehr des Regiments, daß Bewerber aus nicht militärischen
+Kreisen für eine ernsthafte Annäherung kaum in Frage kamen.
+
+Molly, Mamas Ebenbild und getreue Schildhalterin, war bisher mit ihrem
+Schicksal vollkommen zufrieden geblieben -- Nelly aber hatte sich
+allmählich in einen Zustand ständiger, latenter Empörung wider ihr Los
+hineingelebt.
+
+Den unverbrauchten Energieüberschuß ihrer stählernen Leiblichkeit tobte
+sie in halsbrecherischen Ritten, stundenlangen Radpartien, endlosen
+Tennistournieren aus -- ihre lebenshungrige Seele aber lag völlig
+brach.
+
+Dies Gefühl der Inhaltslehre ihres Daseins preßte ihr oft in der
+Einsamkeit draußen -- in schlummerlosen Nächten daheim -- heiße,
+ächzende Tränengüsse ab.
+
+Sie war verstummt. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, spornte sie
+ihren Gaul, hielt ihn aber fest an der Kandare, daß er schäumend und
+kopfschleudernd nach rechts und links aussprang, ohne vom Fleck zu
+können.
+
+Trüben Blicks verfolgte der Major das Tun seines Lieblings. -- Ja, ja
+-- so lagen sie alle drei an der Kandare -- der Gaul, das Mädel und er
+selber auch.
+
+Das war nun achtundzwanzig Jahre her, seit der junge, leichtsinnige
+Leutnant sich durch die Heirat mit der Tochter eines reichgewordenen,
+baronisierten niederrheinischen Großindustriellen aus dem chronischen
+Dalles herausgeholfen hatte, dem auch er verfallen war, wie seine
+ganze altfeudale Familie ... aber für diese Rettung hatten seine
+achtundzwanzig Ehejahre ihm die Quittung präsentiert ... Ein reiches
+Mädel heiraten! -- Soll's der Deubel holen -- den Drachen bekommt man
+gratis!
+
+Der Major zog die Uhr. Es fiel ihm ein, daß er sich auf Punkt neun
+Uhr am Wegekreuz mit seinem Adjutanten, dem Leutnant Blowitz,
+verabredet hatte, um sich dort von seinen Töchtern zu trennen und zur
+Inspektion der Morgenarbeit seines Bataillons nach dem Exerzierplatz
+hinüberzureiten.
+
+»Ja, Kinder, nun wird uns doch nichts übrig bleiben, als ein kleines
+Träbchen zu riskieren, sonst geraten die Erste und die Zweite
+aneinander, ehe der Kommandeur zur Stelle ist!«
+
+Und in der Tat -- vom Exerzierplatz herüber klangen vereinzelte
+Schüsse, die bald lebhafter wurden: die beiden Kompagnieen, welche
+heute Gefechtsübung miteinander vereinbart hatten, mußten also bereits
+Fühlung gewonnen haben.
+
+Schweigend trabte der Major inmitten seiner Töchter die Chaussee
+entlang.
+
+Die Sonne hatte sich inzwischen durchgekämpft ... das Bild der
+Landschaft entrollte sich in leuchtender Lieblichkeit ... zur Rechten
+die dunkeln Waldberge ... zur Linken die abgeernteten fahlgelben
+Ackerbreiten, die sich zum Tal herniedersenkten, wo längs des
+blinkenden Flußstreifs die Türme und qualmenden Schornsteine der
+Garnisonstadt aus fahlem Dunste stiegen, der noch drunten lagerte ...
+Geradeaus vor den Reitern zog sich die Chaussee in schnurgerader Linie
+einen Hügel hinan, hinter dem das Wegekreuz lag und weiterhin der
+Exerzierplatz sich dehnte ...
+
+Jetzt schollen aus der Ferne rasche Hufschläge.
+
+»Aha -- hört ihr?« sagte der Major, »das muß Blowitz sein! Gewiß kommt
+er mir entgegen, um mich zur Eile anzuspornen, weil's dahinten schon
+losgeht!«
+
+In diesem Augenblick tauchte ganz, ganz hinten, wo die Chausseebäume
+sich zu einem dunkeln Strich längs des gelben Wegstreifens
+zusammenschlossen, ein Reiter auf ... nein ... ein Reiter schien's
+nicht zu sein ... ein herrenloses Pferd, das in rasender Karriere den
+sanft sich senkenden Hang heruntertobte.
+
+Aber nein ... der Sattel war ja nicht leer ... es sah aus, als baumele
+ein dunkler Sack auf dem Pferderücken hin und her ...
+
+Nun auf einmal enthüllte sich das ganze Schrecknis ... der Gaul mußte
+durchgegangen sein und der Reiter die Herrschaft völlig verloren haben
+...
+
+Wahrhaftig! ... Ein Offizier! ...
+
+Der Säbel schlenkerte hoch in der Luft ... nun flog in weitem Bogen
+der Helm vom Kopfe des Reiters in den Chausseegraben, und verzweifelt
+umklammerte der Reiter den Hals des Pferdes ... immer näher heran raste
+die tolle Jagd ...
+
+Ein Schrei war aus den Kehlen beider Mädchen erklungen, ein dumpfer
+Fluch kam aus den Zähnen des Majors, als den dreien der Vorgang
+klar geworden war. Während aber der Vater und die jüngste Tochter
+wie gelähmt auf das unbegreifliche Schauspiel starrten, warf Nelly
+plötzlich ihren Gaul herum und raste in der entgegengesetzten Richtung
+von dannen.
+
+Der Major gaffte einen Augenblick verständnislos hinter seiner Ältesten
+drein ... Dann hatte er begriffen ... Nelly, die leidenschaftliche
+Reiterin, hatte den einzig richtigen Weg eingeschlagen ... Schon warf
+auch er den Gaul herum und galoppierte hinterdrein ...
+
+In diesem Augenblick fegte schon der durchgegangene Gaul an ihm vorbei,
+und der Major erkannte in dem Reiter den Landwehronkel, mit dem er sich
+gestern abend so fabelhaft gebildet unterhalten ...
+
+Mit wütendem Sporenhieb stachelte der Major sein Pferd, aber der
+Vorsprung, den der Durchgänger erlangt, schien nicht mehr
+einzuholen ...
+
+Nun hatte der Flüchtling Nellys Pferd erreicht, und beide Tiere rasten
+in gleichem Tempo die Chaussee entlang ... immer mehr näherte sich das
+Mädchen dem Durchbrenner ... nun neigte sie sich im Reiten nach rechts
+hinüber und suchte die flatternden Zügel des rasenden Tieres zu fassen.
+
+»Nelly -- Nelly!« schrie der Major.
+
+Das konnte ja nun und nimmer gut gehen! ...
+
+Doch jetzt hatte das Mädchen die Zügel gepackt ...
+
+Im vollen Dahinstürmen riß sie drei-, viermal mit ganzer Kraft den Kopf
+des Gaules zu sich herüber ...
+
+Das Tempo verlangsamte sich ... abermals riß das Mädchen den Kopf des
+Durchbrenners herum ... noch schossen beide Gäule dicht Seite an Seite
+vorwärts ... aber der Ansturm erlahmte ...
+
+Nun stieg der Fuchs ein paarmal in die Höhe, machte noch einen
+vergeblichen Versuch, auszubrechen, stieg abermals ... und stand
+plötzlich wie angemauert, flankenzitternd, schnaubend, über und über
+mit flockigem Schaum und Schweiß bedeckt ...
+
+Der Reiter hatte bei diesem letzten plötzlichen Halt den Zusammenhang
+mit seinem Gaul vollends verloren und war in den Graben gekugelt.
+
+Als der Major herankam, hatte sein Mädchen den Flüchtling bereits
+vollständig in ihrer Gewalt und beruhigte ihn mit Klopfen und Zuspruch
+...
+
+»So ein Satan von Mädel!« keuchte Sassenbach, »hast du denn nichts
+mitbekommen?«
+
+Er mochte wohl fragen! --
+
+Als der Major die Zügel des Ausreißers ergriffen hatte, ließ Nelly
+den rechten Arm schlaff heruntersinken -- ihr war's, als seien alle
+seine Sehnen wacklig geworden und baumelten schlapp herunter, wie die
+ausgezerrten Kugelgelenke einer Gliederpuppe ... mit leisem Stöhnen zog
+sie die Luft durch die Zähne ...
+
+»Tut's weh?« fragte der Vater nochmals besorgt.
+
+»Haarsträubend!« gestand Nelly, »aber du siehst: aus dem Leim ist er
+noch nicht ... sehen wir also zunächst mal nach dem da im Graben! ...«
+
+Frobenius war weich gefallen ... zu seinem Glücke war just neben dem
+Platz der Katastrophe ein Froschwässerlein im Chausseegraben, das hatte
+wie ein elastisches Kissen seinen Sturz aufgefangen ... die Frösche
+hatten dabei mehr Schaden genommen als ihr unfreiwilliger Gast ...
+Nun saß Frobenius mit der Rückseite seines Körpers in dem Tümpel,
+während die Beine noch auf dem Rande der Chaussee lagen. Er hatte
+sich aufgerichtet, und seine Arme standen hinter seinem Rücken in dem
+Wässerchen ... so sah er drein mit dem Unschuldsblick eines Kindes, das
+eben vom Himmel gefallen wäre ... seine Augen suchten, wie aus tiefem
+Traum erwachend, nach dem Urheber seines Unglücks ...
+
+Auf einmal sah er neben dem keuchenden und schnaubenden Kuno den
+Oberkörper einer Dame ...
+
+Eine Dame? ... wie kam denn die hierher? ... Das war doch nicht etwa
+gar ... nein ... das durfte nicht sein ... das wäre zu ungeheuerlich
+gewesen ...
+
+Er, ein Mann ... und von einem jungen Mädel gerettet ... das wäre gar
+nicht wieder gut zu machen ...
+
+Und -- -- Teufel ... kam da nicht eben gar sein Bataillonskommandeur
+herangesprengt, mit dem er sich gestern abend bei der letzten Flasche
+Sekt so glänzend unterhalten --?
+
+Und der war sorglich um das junge Mädchen bemüht ... fragte nach ihrem
+Befinden -- --
+
+Ja ... gab's denn so was überhaupt? ... war eine solche Blamage denn
+überhaupt faßbar? ...
+
+Der Major nannte das junge Mädchen du ... sie sagte Vater zu ihm ...
+
+Gerettet von der Tochter seines Bataillonskommandeurs! ...
+
+Das war so ungeheuerlich ... so unwahrscheinlich -- -- daß es schon
+fast nicht mehr ernst zu nehmen war ...!
+
+Und wie nun Wilhelm Frobenius an sich selber herunterschaute und sich
+rücklings in dem Froschtümpel sitzen sah, da verschwand jede Spur
+persönlicher Beschämung vor der reinen Freude an der haarsträubenden
+Komik der Situation ...
+
+Als der Major sich überzeugt hatte, daß seine Tochter heil sei, und
+beide sich dem Opfer der Katastrophe zuwandten ... da saß dies Opfer in
+seinem Überzug von Schlamm und Algen ... und lachte ... lachte selig
+wie ein Kind, das einen fabelhaft gelungenen Streich ausgeführt hat und
+nun auf allgemeine Dankbarkeit Anspruch macht ...
+
+Einen Augenblick waren die Retterin und ihr Vater völlig verblüfft
+... dann aber stimmten auch sie erlöst und überwältigt ein in die
+erdentrückte Heiterkeit des langen Menschen im Froschpfuhl ...
+
+»Donnerwetter! -- Sie scheinen sich in Ihrem Tümpel da ja ganz
+behaglich zu fühlen! -- Wie lange wollen Sie denn da eigentlich noch
+sitzen bleiben?«
+
+Und die junge Dame fragte: »Soll ich vom Pferde runterkommen und Ihnen
+die Hand geben?«
+
+Da kam Wilhelm Frobenius denn doch zu Besinnung.
+
+Er versuchte aufzuspringen ... aber das war nicht so leicht ...
+Es blieb ihm nichts übrig, als die Beine, die bisher so schön
+auf dem Trocknen gelegen hatten, von ihrem hochgelegenen Platze
+herunterzudirigieren.
+
+Und so, am ganzen Leibe triefend und mit grünem Schlamm überzogen,
+richtete Wilhelm Frobenius seine lange Gestalt auf, stieg auf die
+Chaussee und machte eine tragikomische Verbeugung.
+
+»Darf ich Herrn Major ganz gehorsamst bitten, mich vorzustellen?!«
+
+Abermals platzte Nelly heraus.
+
+»Ja,« sagte der Major, »als was soll ich Sie denn nun vorstellen -- als
+Leutnant der Landwehr? -- Das geht doch nicht gut; denn augenblicklich
+haben Sie mit allem Möglichen Ähnlichkeit ... aber mit einem Leutnant
+... Also, sagen wir schlechtweg: Herr Frobenius -- meine Tochter
+Nelly!«
+
+»Na, nun bedanken Sie sich mal schön bei mir!« sagte Nelly und rieb den
+schmerzenden Arm, »wer weiß, wo Sie jetzt schon wären, wenn ich mich
+nicht über Sie erbarmt hätte!«
+
+»Eigentlich müßte ich Ihnen böse sein, mein gnädiges Fräulein ...
+stellen Sie sich vor, welch ein Schicksal meiner wartet! -- Meinen Sie
+nicht auch, daß mir besser wäre, dieser infame Schinder hätte mich da
+hinten irgendwo gegen einen Baum gerannt? ... Dann wäre jetzt alles
+vorbei und ich läge friedlich und entseelt irgendwo an der Landstraße
+... aber jetzt: -- so ein Lachen, wie über mich anheben wird, ist doch
+überhaupt noch gar nicht dagewesen. Das habe ich Ihnen zu verdanken,
+mein gnädiges Fräulein!«
+
+Dabei strahlten hinter den funkelnden Brillengläsern die braunen Augen
+des Mannes zu dem Mädchen empor, mit einem Ausdruck, der just das
+Gegenteil seiner Worte sagte:
+
+Ahnst du, Mädchen, wie lieb ich das Leben hab? ... ahnst du, wieviel
+ich noch wirken und schaffen möcht' auf dieser Erde? ... ahnst du, was
+für ein krauses, sehnsüchtiges, umgetriebenes Herz das ist, das nun
+weiter schlagen darf dank deiner schnellen Tat?
+
+Einen Augenblick lang hatte dies geheimnisvolle Leuchten der braunen
+Augen die stahlblauen der Retterin festgehalten ... dann aber ließ sie
+ihre Blicke an der hageren Gestalt herabgleiten ...
+
+Nein, so eine Karikatur! ...
+
+Von den grün überkleisterten Rockschößen ... von den Ärmelaufschlägen
+hernieder triefte es in den Staub der Chaussee ... Die dürren Beine in
+den schlammüberkrusteten Reitstiefeln schlotterten vor Nässe und Frost
+...
+
+Der Instinkt der Soldatentochter lehnte sich auf gegen dieses Zerrbild
+... Der Herr trug doch nun mal des Königs Rock ... nun galt's vor
+allem, die unmögliche Situation zu retten ...
+
+Mit Überraschung sah Frobenius, daß das Zucken des Lächelns und der
+Teilnahme plötzlich, wie weggeweht, vom Gesicht des jungen Mädchens
+verschwand.
+
+»Herr Leutnant,« sagte sie mit unüberhörbarer Ironie, »mein Vater war
+gerade im Begriff, zum Bataillon zu reiten -- Gehn Sie bitte dort
+irgendwo in den Wald und legen Sie sich in die Sonne zum Trocknen ...
+meine Schwester und ich werden Ihr Pferd mit zum Tattersall nehmen und
+Ihnen einen Wagen herausschicken ... So können Sie ja unmöglich in die
+Stadt zurück!«
+
+»Ah, das ist ja 'ne ausgezeichnete Idee!« stimmte der Major zu.
+
+Zerschmettert sah Wilhelm Frobenius an seiner jammervollen Erscheinung
+herunter ... »Allerdings -- Sie haben wohl recht, gnädiges Fräulein!
+Ich danke Ihnen! -- Den Dank für meine ... Rettung ... hoffe ich Ihnen
+... in etwas schicklicherer Verfassung ...«
+
+»Schon gut, schon gut!« sagte Nelly, »nur schnell von der Chaussee
+herunter, Herr Leutnant ... Da hinten kommt schon eine Kompagnie vom
+Exerzierplatz zurück ...!«
+
+»Ah, gut, gut!« sagte der Major, »also schnell, Herr Leutnant,
+verschwinden Sie! -- Und ihr, Mädels,« -- das galt Nelly und der soeben
+herankommenden Molly -- »macht, daß ihr nach Hause kommt ... Ich halte
+den Schinder so lange und werde ihn der Kompagnie dort übergeben; die
+kann ihn zur Stadt zurückschaffen ...!«
+
+Mit kurzem, herbem Kopfnicken verabschiedete sich die junge Dame von
+ihrem Schützling, der barhaupt im prallen Sonnenschein vor ihr stand
+und mit schlotternden Gliedern eine hilflos befangene Verbeugung machte
+... In schlankem Galopp stoben die beiden Reiterinnen nach rechts der
+Stadt zu.
+
+Der Major ergriff die Zügel Kunos des Schrecklichen, der wie ein
+Lämmchen folgte, grüßte kurz mit der Linken und sprengte der
+anmarschierenden Kompagnie entgegen.
+
+Wilhelm Frobenius aber stapfte an seinem Tümpel vorüber ... durch
+den Chausseegraben ... in den Wald ... und suchte sich ein sonniges
+Plätzchen aus ...
+
+
+
+
+ Fünftes Kapitel.
+
+
+Die Kompagnie, die auf der Chaussee vom Exerzierplatz sich näherte, war
+die dritte.
+
+Hauptmann Haller, der vorschriftsmäßig an der Queue ritt, sah seinen
+Bataillonskommandeur herankommen und galoppierte an, überholte seine
+Kompagnie und meldete dem Major: »Dritte Kompagnie auf dem Rückmarsch
+vom Exerzierplatz!«
+
+»Danke, lieber Haller! -- Hier bring ich Ihnen etwas Schönes mit!«
+
+»Ich hab mich schon gewundert, Herr Major.«
+
+»Haarsträubende Geschichte! -- Hat den Leutnant der Landwehr Frobenius
+abgeworfen -- der Satan!«
+
+Die Kompagnie war inzwischen herangekommen. Staubbedeckt, lustig seine
+Zigarette rauchend, marschierte an ihrer Spitze der schlanke, blonde
+Leutnant von Finette. Er hatte die letzten Worte gehört, und nachdem
+er vor seinem Bataillonskommandeur salutiert, erlaubte er sich zu
+bemerken: »Darf ich Herrn Major darauf aufmerksam machen, daß das Kuno
+der Schreckliche ist?!«
+
+»Kuno der Schreckliche -- wer ist denn das?«
+
+»Ein total aus dem Leim gerittener Schinder aus dem Tattersall! Wer hat
+denn bloß dem unglücklichen Herrn von der Landwehr diese Kreatur unter
+den Leib gesteckt? ... Die ist doch eigentlich nur noch zu Beefsteak
+zu gebrauchen!«
+
+»So,« sagte der Major, »das begreife ich allerdings auch nicht ... Ich
+werde doch mal an den Direktor telephonieren ... So was darf nicht
+wieder vorkommen ... das ist ja 'ne Infamie geradezu!«
+
+Hauptmann Haller hatte inzwischen seinen Burschen herangewinkt, der dem
+Major die Zügel des unglücklichen Gaules aus der Hand genommen hatte.
+
+»Haben Sie die Erste und Zweite gesehen?« erkundigte sich der Major.
+
+»Zu Befehl, Herr Major! Die Zweite hat das Kastanienwäldchen besetzt --
+die Erste greift von der Hohen Tanne her an!«
+
+»Danke vielmals! -- Guten Morgen, meine Herren!«
+
+ * * * * *
+
+Am Kreuzweg traf Sassenbach, wie verabredet, mit seinem Adjutanten
+zusammen.
+
+»Was macht der Brummschädel?«
+
+»Danke gehorsamst, Herr Major -- durchaus vorschriftsmäßig!«
+
+»Langt's zu 'nem Galopp?«
+
+»Selbstverständlich, Herr Major! -- Hohe Zeit! Die Erste und Zweite
+müssen schon aneinander sein!«
+
+ * * * * *
+
+Hauptmann von Brandeis hatte frühmorgens am Rande des Exerzierplatzes
+seine Kompagnie in Züge auseinandergezogen und Übungen im
+Entfernungsschätzen durch die Zugführer vornehmen lassen. Nach einer
+Stunde hatte er die Kompagnie zusammengezogen und sie fünf Kilometer
+weit nordwärts geführt, um auf Grund einer mit Hauptmann Goll
+vereinbarten einfachen Gefechtsannahme eine kleine Felddienstübung
+anzuschließen ...
+
+Einer von den üblichen »Türken«, die mit tödlicher Sicherheit sich
+immer wiederholten und denselben typischen Verlauf nahmen.
+
+Rot, so lautete die Annahme, war gestern nördlich der Garnison
+geschlagen worden ... Die Dunkelheit hatte das Gefecht unterbrochen,
+und infolge Erschöpfung von Blau hatte die Verfolgung nicht mit voller
+Energie aufgenommen werden können, so daß die Fühlung mit dem Feinde
+verloren gegangen war ... Früh morgens hatte die Kavallerie gemeldet,
+daß der Feind in der Nacht durch die Stadt hindurch gen Süden abgezogen
+sei und nur noch schwache Abteilungen Versprengter sich in den Wäldern
+südlich des Exerzierplatzes sammelten ...
+
+Die erste Kompagnie, als linke Seitendeckung des auf der großen
+Chaussee marschierenden Gros von Blau, bekam den Befehl, die Nachzügler
+zu vertreiben ...
+
+Die beiden Hauptleute hatten miteinander verabredet, daß ihre ältesten
+Zugführer die Kompagnieen führen sollten.
+
+Hauptmann von Brandeis hatte den weißen Helmbezug und die weiße
+Armbinde der Schiedsrichter angelegt, und zu ihm war von der Zweiten
+Leutnant Quincke als Schiedsrichtergehilfe getreten ... Oberleutnant
+Menshausen führte die Zweite ... Leutnant der Reserve Flamberg die
+Erste ... Hauptmann Goll, als der Ältere, markierte den Leitenden
+und hatte den Leutnant der Landwehr Frobenius als Zuschauer zu sich
+befohlen.
+
+Bei der Zweiten wurden infolgedessen sämtliche Züge von
+Unteroffizieren: einem aktiven und einem Reserve-Vizefeldwebel und
+dem ältesten Sergeanten geführt ... Bei der Ersten standen Leutnant
+Carstanjen und zwei Vizefeldwebel als Zugführer.
+
+Der Oberleutnant Menshausen besetzte mit allen drei Zügen den Rand des
+Kastanienwäldchens und ließ die Mannschaften sich eingraben ...
+
+Dann hielt er Musterung unter den Unteroffizieren ...: »Der
+einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen!«
+
+»Hier!«
+
+»Kommen Sie mal her ... Für Sie hab' ich heute eine Spezialaufgabe:
+Sehn Sie sich mal rechts da das Gebüsch an! -- Sehn Sie?«
+
+»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«
+
+»Nehmen Sie sich die beiden rechten Flügelgruppen vom ersten Zuge und
+suchen Sie, in das Gehölz hineinzukommen ... aber gedeckt ... verstehn
+Sie!? -- auch wenn Sie einen größern Umweg machen müssen! -- Und daß
+Sie mir nicht eher zum Vorschein kommen, als bis die Erste über den
+Exerzierplatz zum Angriff ansetzt ... sie muß ja selbstverständlich von
+der Hohen Tanne herkommen ... Wenn dann die vorhergehenden Züge auf der
+Höhe Ihres Gehölzes angekommen sind, dann erscheinen Sie plötzlich mit
+Ihren zwei Gruppen am Waldrand und schießen der Ersten in die linke
+Flanke hinein ... Haben Sie begriffen?«
+
+»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«
+
+»Na, nun nehmen Sie sich mal zusammen und beweisen Sie, daß Sie würdig
+sind, nächstens die Offizierqualifikation zu bekommen -- Sie Vertreter
+der Intelligenz! Los, treten Sie an!«
+
+Der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen begab sich an die
+rechte Flanke der ausgeschwärmten Kompagnie und befahl: »Erste und
+zweite Gruppe vom rechten Flügel des ersten Zuges -- sammeln!«
+
+Im selben Augenblick galoppierte auch schon der Kompagnieführer heran:
+»Donnerwetter, Friesen, wozu wollen Sie denn Ihre zwei Gruppen sammeln?
+Lassen Sie die doch ausgeschwärmt ... Wir sind im Gefecht! Einfach
+kehrt marsch und dann in Schützenlinie 'runter in den Grund ... so
+schnell wie möglich ...«
+
+Der Einjährige stand stramm, zog dann mit dem Befehl »Schwärmen!« seine
+beiden Gruppen wieder auseinander und führte sie in den waldbestandenen
+Grund, der sich zur Rechten des Kastanienwäldchens hinzog ...
+
+Alle Wetter, heute galt's aufpassen!
+
+Oberleutnant Menshausen leitete die Ausbildung der Einjährigen und ihre
+Vorbereitung zum Offizierexamen, und von seinem Wohlwollen hing es sehr
+wesentlich ab, ob man bei der Entlassung zur Reserve die Qualifikation
+zum Offizier des Beurlaubtenstandes bekommen würde ... Übrigens war er
+ein harter Instruktor gewesen, der eine tiefe, grundsätzliche Abneigung
+gegen die »Intelligenz im Heere« besaß und sich gar keine Mühe gab, das
+zu verbergen ...
+
+Also wirklich, es ging »um die Wurst!«
+
+Ach ... und dabei war Hans Friesen heute so ganz und gar nicht dazu
+aufgelegt, seine Gedanken auf den Königlichen Dienst zu konzentrieren
+... Auf halb zwölf war er zu Frau Hauptmann von Brandeis befohlen, um
+dort den Damen des Regiments, die bei der Festaufführung im Kasino
+mitwirken sollten, und dem Herrn Bataillonsadjutanten das Festspiel
+vorzulesen, das -- er selbst -- Hans Friesen, verfaßt hatte ...
+
+Er, Hans Friesen, seiner bürgerlichen Hantierung nach Königlich
+preußischer Gerichtsreferendar und Doktor beider Rechte -- zurzeit
+Seiner Majestät jüngster Unteroffizier ...
+
+Wahrlich ... es war keine Kleinigkeit gewesen, unmittelbar nach
+bestandenem Referendarexamen ... unmittelbar nach dem Übergang aus
+dem heitern Studentenleben in Amt und Würde hinein ... plötzlich ein
+gemeiner Füsilier zu werden und unter der Fuchtel roher Unteroffiziere
+inmitten derber Söhne des Volkes die Geheimnisse des langsamen Schritts
+und des Infanteriegewehrs zu erlernen! ...
+
+Und das nun gar, wenn man nicht nur ein alter Korpsstudent und
+königlicher Justizbeamter, sondern außerdem -- ein werdender Dichter
+war.
+
+Ach, noch zwei Monate ... dann würde die Schinderei zu Ende sein, und
+Hans Friesen würde wieder zu seinen geliebten Manuskripten und seinen
+weniger geliebten, aber um so ehrwürdigern Akten zurückkehren
+dürfen ...
+
+Vorher aber galt's noch mancherlei Fährnis zu bestehen ...
+
+Das Manöver war in Aussicht, und Hans Friesen war Korporalschaftsführer
+... hatte das Vergnügen, jedes Kommißbrot und jede Unterhose für seine
+Korporalschaft in Empfang zu nehmen ... Samstags die Ausgehgarnitur
+auf Kammer zu empfangen ... und Montags sie wieder in tadellosem
+Zustande abzuliefern ... und dazu kamen all die tausend jämmerlichen
+und doch so notwendigen Pflichten der Fürsorge für zwanzig stramme
+Burschen ...
+
+Das alles zog durch des jungen Soldaten Hirn, als er die ihm
+anvertrauten zwei Gruppen in langer Schützenlinie durch den blumigen
+Talgrund führte ...
+
+Ach, dieser Talgrund schien so gar nicht geschaffen zum Tummelplatz
+für nägelbeschlagene Kommißstiefel ... Hier mußte man mit einem süßen,
+braunäugigen Kind engumschlungen wandeln ... und von holden und
+freudigen Dingen reden ... holde und freudige Dinge tun ...
+
+Gott, heute mittag würde er ja endlich einmal wieder Mensch sein,
+Kavalier sein, würde mit richtigen Damen reden! -- Ob er das nicht
+überhaupt schon verlernt hatte im seelenmordenden Gamaschendienst? --
+Nun, an ihm sollte es jedenfalls nicht fehlen!
+
+Zwar auf sein Festspiel bildete er sich verdammt wenig ein ... Da
+hatte er dem Dichtertum in seinem Busen ganz gründlich Zaum anlegen
+müssen ... Er wußte wohl: es war eine schrecklich langweilige, frostige
+Allegorie geworden ... Aber Frau Major von Sassenbach hatte ihm durch
+Leutnant Blowitz mitteilen lassen, daß sie entzückt sei ... Und das war
+ja schließlich doch der Zweck der Übung ...
+
+Und heute mittag würde er von der schönen Frau von Brandeis empfangen
+werden ... würde plaudern und studieren dürfen mit ihr und den
+schlanken Töchtern des Majors ...
+
+Es war fast wie ein Traum ... so ausgehungert wie man war nach
+Schönheit und Glanz in dieser verfluchten Kasernenatmosphäre, in dieser
+ekelhaften Tretmühle des Dienstes, in dem verblödenden Milieu der
+Unteroffiziere und Füsiliere ...
+
+Merkwürdig nur, daß dies Tälchen sich so endlos lang hinzog. Schon
+eine halbe Stunde mußte verflogen sein, seit er sich von der Kompagnie
+losgelöst und nun als eine Art kleiner Cäsar, als selbständiger
+Detachementsführer, in der Welt herumgondelte.
+
+Allmählich fing's an, unheimlich zu werden.
+
+Er drehte sich um. Schweigsam trotteten seine Füsiliere hinter ihm her,
+das Gewehr im Arm, die Nase zum grünen Waldboden gesenkt.
+
+»Sagt mal, Kerls, weiß einer von euch, wo das Gehölz liegt?«
+
+Die Füsiliere sahen einander an. »Wat für en Jehölz?« sagte einer der
+alten Leute, »mir wisse nix von eme Jehölz.«
+
+»Na, das Gehölz, wo wir uns aufbauen sollen, zum Donnerwetter!«
+
+»Da hann mir doch nix von gehört -- dat hat dä Herr Oberleu'nant doch
+em Herr Unner'ffzier selbst jesagt!« grinste der Füsilier.
+
+»Nä, da wisse mer nix von,« wiederholten grinsend die übrigen Kerle.
+
+Verflucht! -- das war ja 'ne schöne Bescherung.
+
+»Halt!« kommandierte Friesen und überlegte.
+
+Ringsum Bäume, nichts als Bäume, Buchen und Eichen gemischt --
+Waldfriede -- Waldfriede -- wunschlose Sommerseligkeit.
+
+Was tun? -- Offenbar war er zu lange geradeaus gegangen, statt nach
+links abzubiegen, um den Saum des Wäldchens nach dem Exerzierplatz hin
+zu erreichen.
+
+»Ja, zum Donnerwetter, Kerls, weiß denn hier keiner von euch Bescheid?«
+
+»Nä, hier wisse mir kei' Bescheid -- wo will der Herr Unner'ffzier denn
+hin?«
+
+»Na, doch natürlich zum Exerzierplatz hinüber, an den Waldrand!«
+
+Die Füsiliere freuten sich königlich. »Dä Exerzierplatz? -- dä litt so
+janz do hinne!«
+
+»Himmelkreuzmillionen! -- Also links schwenkt -- marsch!«
+
+Na, vielleicht würde die Erste nicht gar zu früh angreifen, und man kam
+noch zur rechten Zeit.
+
+Bäume -- Bäume -- nichts als Bäume. -- Doch ... noch etwas anderes als
+Bäume -- unter den Bäumen dichtes Dorngestrüpp ... immer dichter ...
+immer dichter ...
+
+Bei jedem Schritt schlugen den Vorwärtsdringenden Brombeerranken und
+Tannenzweige ins Gesicht.
+
+Die Füsiliere wurden ungemütlich: »Dat is ja en Schweinerei -- hä kütt
+jo ke' Mensch nit dörch -- --«
+
+Das mußte Hans Friesen schließlich selber einsehen. -- Also
+zurück -- --
+
+Bautz! -- da fiel in der Ferne der erste Schuß -- plautz! ein zweiter
+-- bautz -- bautz -- ein dritter und vierter ... Das Gefecht mußte
+begonnen haben -- --
+
+Himmel -- und nun verließ sich der Oberleutnant Menshausen darauf,
+daß im entscheidenden Augenblick aus dem Hinterhalt das wohlgezielte
+Feuer der zwei detachierten Gruppen dem Feind in die Flanke fallen und
+seinen Ansprung über das Blachfeld des Exerzierplatzes lahmlegen würde
+...
+
+Ade, Leutnantsqualifikation ... ade, Epaulettes und Schärpe.
+
+Ade, holdselige Hoffnung auf ein paar Stunden eines höhern Daseins ...
+
+Nach dieser Blamage, in dieser Elendstimmung vor die schöne Frau von
+Brandeis, vor die schlanken Majorstöchter treten, die ihm gewiß seine
+schauderhafte militärische Unzulänglichkeit am Gesicht ansehen und ihn
+im tiefsten Grund ihrer Seele verachten würden ... das war eine Hölle
+statt des erträumten Paradieses!
+
+ * * * * *
+
+Martin Flamberg ärgerte sich ein wenig, als beim Beginn der
+Felddienstübung Hauptmann von Brandeis ihm die Führung der Kompagnie
+übergab ... Das hätte der Hauptmann ihm doch auch vorher sagen können
+... dann hätte er sich einen Gaul zwischen die Beine geklemmt ...
+
+Na, es mußte nun auch so gehn!
+
+Mit ruhiger Sicherheit wiederholte er die Spezialidee und den Befehl,
+den ihm der Hauptmann mitgeteilt, traf noch unter den Augen seines
+Kompagniechefs sachgemäß die erforderlichen Anordnungen für die
+Unteroffiziere, die er im Kreise um sich versammelt hatte ...
+
+»Sehr gut, sehr gut!« lobte Hauptmann von Brandeis, »vollkommen
+einverstanden! ... Na, und nun viel Vergnügen!« Und damit galoppierte
+er von dannen.
+
+Die Kompagnie hatte die Gewehre auf der Chaussee zusammengesetzt ...
+die Mannschaft rastete im Graben ...
+
+»An die Gewehre!«
+
+Hui, da kam ein Leben in den Ameisenhaufen ...
+
+»Stillgestanden!«
+
+Und mit drei kurzen Sätzen teilte Flamberg den Mannschaften mit, was
+sie zum Verständnis der Kriegslage wissen mußten ...
+
+»Herr Leutnant Carstanjen, treten Sie an!«
+
+Der Kleine salutierte: »Erster Zug -- Gewehr in die Hand ... die
+vorderste Gruppe als Spitze -- schwärmen -- der Rest des Zuges folgt
+unter dem Sergeanten Clausen!«
+
+Und der Vormarsch der ersten Kompagnie gegen den Feind begann ...
+
+Flamberg schritt in munterm Geplauder mit dem jüngern Kameraden fünf
+Schritt vor der Spitze ...
+
+Hei ... welche Lust, Soldat zu sein ...!
+
+Welche Lust ... zu friedlichem und doch so ernstem und wichtigem
+Waffenspiel in die blauen Morgennebel hineinzupilgern ...
+
+Nach einer halben Stunde war der Saum des Exerzierplatzes erreicht.
+
+Selbstverständlich brauchte kein Geist vom Himmel herabzusteigen, um
+dem Kompagnieführer zu sagen, daß der Feind am Kastanienwäldchen liege
+... das war ja doch natürlich seit Jahrzehnten immer so gewesen ...
+
+Und glatt und reglementsmäßig entwickelte sich der Angriff der Ersten
+unter den Augen der Schiedsrichter von der Hohen Tanne her auf das
+Kastanienwäldchen zu ... das Gelände wurde trefflich ausgenutzt ...
+bald zugweise, bald gruppenweise ging die Kompagnie im Sprung über
+die kahle Tenne des Platzes gegen den heftig feuernden Gegner vor ...
+Und Flamberg begriff nur das eine nicht: daß die ganze Sache so glatt
+vonstatten ging.
+
+Er war darauf gefaßt gewesen, einen Flankenangriff von links zu
+erleben, und hatte infolgedessen in das Gehölz zu seiner Linken eine
+starke Gefechtspatrouille geschickt ... Jeden Augenblick erwartete
+er deren Warnungsschüsse zur Linken zu vernehmen ... aber nichts
+erfolgte. Und hundert Meter vorm Kastanienwäldchen setzte Flamberg
+zum Sturmangriff an ... Mit gezogenem Säbel sprang er zwanzig Schritt
+seiner Kompagnie voran beim Sturmmarsch der Tambours und dem dröhnenden
+Hurra seiner Füsiliere.
+
+Gerade auf die Mitte des Wäldchens rannte er los, wo die berittenen
+Offiziere hielten, denen sich inzwischen, das sah er schon von weitem,
+der Bataillonskommandeur mit seinem Adjutanten beigesellt hatte ...
+
+Im Augenblick, als er auf zehn Schritte an die Gruppe herangekommen
+war, winkte der Major seinem Hornisten, und: »Das Ganze -- halt!« klang
+schmetternd das erwünschte Signal zur Beendigung der Übung über den
+weiten Plan.
+
+Unmittelbar darauf erfolgte das Signal: »Zur Kritik!«
+
+»Bitte, Herr Hauptmann Goll!«
+
+Zwischen den zusammengezogenen Brauen des Hauptmanns brütete das Unheil
+und entlud sich alsbald als fürchterliches Donnerwetter über den
+Oberleutnant Menshausen: »Herr Oberleutnant, wenn Sie nichts Besseres
+zu tun wußten, als sich mit Ihrer ganzen Sippschaft hier am Waldrand
+einzubuddeln und den Angriff der Ersten abzuwarten ... dann hätte ich
+schließlich gerade so gut die Kompagnie von einem Unteroffizier führen
+lassen können ... Was haben Sie sich bei dieser stumpfsinnigen Maßregel
+denn eigentlich gedacht ...?«
+
+Oberleutnant Menshausen bebte vor Wut und Scham. Die Hand am Helm,
+sagte er, als der Hauptmann seine Frage gestellt hatte: »Ich habe den
+einjährig-freiwilligen Unteroffizier Friesen mit einem Halbzuge in das
+Gehölz dort zur Rechten geschickt, und zwar mit genauer Instruktion ...
+Er sollte im Augenblick, wenn die erste Kompagnie nach ihrem Vorgehen
+auf der Höhe des Gehölzes angekommen wäre, Flankenfeuer geben!«
+
+»Bedaure -- habe nichts von Flankenfeuer gemerkt! Wo steckt denn Ihr
+Unteroffizier?«
+
+»Das weiß ich nicht, Herr Hauptmann ... er muß sich verlaufen haben!«
+
+Leutnant Blowitz, hoch zu Roß, flüsterte dem Major eine Bemerkung zu.
+
+»Aha -- der Dichter -- na, das fehlte mir gerade! Erst brennt bei
+den ersten Schüssen ein Gaul durch, auf dem zufällig ein Herr von
+der Landwehr angebracht ist ... dann schmeißt dieser unglückliche
+Einjährige die ganze Übung um ... Na, warte mein Jungchen ... dir werd
+ich das Dichten austreiben! Aber bitte weiter, Herr Hauptmann, Sie
+haben noch nicht den Angriff der Ersten besprochen!«
+
+Flamberg erhielt ein gerüttelt und geschüttelt Maß voll Lob,
+sowohl von Hauptmann Goll, als auch nachher beim Schlußwort des
+Bataillonskommandeurs: »Ihre Leistungen, Herr Leutnant Flamberg,« sagte
+der Major, »söhnen mich einigermaßen mit der Situation aus! -- Ich
+danke Ihnen, meine Herren -- --«
+
+Rum, plum, plumbidibum. -- Heimwärts ging's mit Trommelschlag und
+munterm Gekreisch der Pfeifen ...
+
+Martin Flamberg war kolossal vergnügt ... Er marschierte dicht hinter
+der Gruppe der Berittenen und sann eine muntere Epistel zusammen, mit
+der er seiner Braut das »Waffenglück« des ersten Übungsmorgens zu
+verkünden gedachte ...
+
+Ha, welche Lust, Soldat zu sein ...!
+
+
+
+
+ Sechstes Kapitel.
+
+
+Höher war die Spätsommersonne gestiegen ... in allen Straßen und Gassen
+der Garnisonstadt lag ihr flimmerndes Gold ... glänzte auch auf dem
+schon staubigen Grün der städtischen Anlagen hart unter den Fenstern
+der schmucken Villa Brandeis.
+
+Hinter den halbgeschlossenen Jalousieen in gedämpftem, goldiggrünem
+Licht lag Cäcilie von Brandeis auf der Chaiselongue und las.
+
+Geringschätzig kräuselten sich ihre Lippen. Geschmacklos, diese
+altmodischen Allegorien ...
+
+Drei lebende Bilder sollten gestellt werden ... die ersten beiden nach
+Bildern im Offizierkasino ...
+
+Das erste stellte das Regiment vor beim Sturm auf St. Hubert.
+
+Das zweite die berühmte Szene, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm nach
+der Schlacht die Verwundeten des Regiments im Feldlazarett besucht und
+dem schwerblessierten Regimentskommandeur persönlich das Eiserne Kreuz
+erster Klasse überreicht.
+
+Nun, das mochte noch hingehen! --
+
+Aber das dritte Bild:
+
+Huldigung des Regiments vor der Büste Wilhelms des Zweiten! --
+
+War denn dem guten Einjährigen, den man zum Dichten kommandiert hatte,
+nicht etwas weniger Verschlissenes eingefallen?!
+
+Und um diese drei Bilder herum ein Dialog zwischen dem »Krieg« --
+Leutnant Blowitz -- dem »Frieden« -- Molly von Sassenbach -- und dem
+»Genius des Regiments« -- Frau Cäcilie von Brandeis! --
+
+Zunächst tritt der Krieg auf, spricht dem Genius des Regiments seinen
+Glückwunsch zur Wiederkehr des Ruhmestages von Gravelotte aus, mahnt an
+alte Schlachtenherrlichkeit und beklagt die endlose, flaue Friedenszeit
+... Schon erscheint der Friede, legt ebenfalls seine Glückwünsche dem
+Genius zu Füßen und behauptet, das Regiment leiste auch im Frieden
+nützliche Arbeit für die menschliche Gesellschaft ...
+
+Alsdann führt der Krieg die Bilder der großen Vergangenheit herauf:
+Bild eins und zwei.
+
+Der Friede ist natürlich erschlagen, preist aber mit einem längeren
+Erguß das treue Schaffen des Regiments an der Wehrhaftmachung des
+Volkes und kommt mit einem Übergang von haarsträubender Kühnheit auf
+die Huldigung an die neue Kommandeuse ... im Frieden blühe nämlich die
+holde Geselligkeit ... der Friede sei der Bereich der Frau ... und so
+weiter ...
+
+Der Krieg ist galant genug, das zuzugeben; aber das Soldatenhandwerk,
+erklärt er, sei nun doch einmal Männerhandwerk, und schließlich ruft er
+die Germania zur Entscheidung auf ...
+
+Die erscheint in der Person von Nelly von Sassenbach, erklärt
+selbstverständlich, das Regiment sei ihr in Krieg und Frieden gleich
+wert, und endigt mit einer Huldigung an den erhabenen Schirmherrn des
+Friedens, dessen Gipsbüste alsdann erscheint, umgeben von Soldaten des
+Regiments in den historischen Uniformen von 1870 und den heutigen,
+sowie von Offizieren und Ehrenjungfrauen -- bengalische Beleuchtung --
+Kaiserhymne -- Tusch -- aus --!
+
+Diese erhabene Generalidee mußte sich der unglückliche Einjährige im
+Schweiße seines Angesichts abgerungen haben.
+
+Cäcilie von Brandeis meinte ihn ordentlich zu sehen -- den ihr noch
+unbekannten jungen Herrn -- wie er, als Wachhabender auf Pulverhaus-
+oder Schießstandswache, keuchend diese Banalitäten zusammenleimte --
+
+Und doch -- wenn sie von dem Gedankengang des Ganzen absah, der ja
+schließlich für seinen Zweck wohl kaum anders hätte konstruiert werden
+können, und sich an die Ausführung hielt --
+
+Was sie da las: das waren doch immerhin Verse ... Verse, in denen hin
+und wieder ein besonderes Wort, ein eigentümliches rhetorisches Glänzen
+verrieten, daß ein feiner Kopf hinter dem handwerksmäßigen Gestammel
+stand, das er vielleicht selbst verlachte, während er es aufs Papier
+geschludert -- --
+
+Und an einigen Stellen brach's hervor: ein harnischblinkendes
+Geschlecht klirrender Worte und Rhythmen, der Heerbann einer Seele, die
+ihre Kräfte zu künftigen Schlachten zusammenzog --
+
+Frau Cäcilie freute sich dessen, was sie da ahnte ... freute sich, daß
+es ihr gegeben war, solches zu ahnen ... ihr, der Tochter der heitern
+rheinischen Künstlerstadt ... dem Sprößling einer altpatrizischen
+Fabrikantenfamilie, die es immer für einen Ehrentitel ihres Namens
+gehalten hatte, sich mit Kunst zu umgeben, Kunst zu fördern, mit der
+Kunst zu leben ...
+
+Und ein wenig spöttisch ... ein wenig bitter mußte sie lächeln,
+wenn sie sich erinnerte, wie ihr guter Fritz ihr das Manuskript des
+Einjährigen gebracht mit den Worten:
+
+Na, das lies mal, Kindchen! Da wirst du staunen ... einfach begeisternd
+so was ... einfach niederschmetternd schön! -- Jawoll, das ist der
+Geist des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande ...
+
+So dichten bei uns die Einjährigen ... stell' dir vor, wie erst die
+Leutnants dichten ...!
+
+Ihr guter Fritz -- wie er sie vergötterte ... Kunststück! -- Er
+verdankte ihr ja auch ein überaus behagliches Dasein --
+
+Aber nein ... das war ein häßlicher Gedanke ... Er war ihr wirklich von
+Herzen ergeben ... na, das konnte sie schließlich ja doch auch wohl
+verlangen ...!
+
+Sie trat vor den großen, bis zum Fußboden herabgehenden Spiegel ...
+reckte ihre Arme ... und freute sich des flimmernden Widerscheins, den
+ein verirrter Sonnenstrahl in ihrem rötlich braunen Haar weckte ...
+
+O ja -- Cäcilie Imhof wäre auch ohne ihre halbe Million des heißen
+Umwerbens würdig gewesen, das Fritz von Brandeis ihr zu Füßen gelegt
+hatte ...
+
+Das Fräulein meldete die Schwestern Sassenbach.
+
+Die schlanken Mädels, beide fast um einen ganzen Kopf größer als
+Cäcilie, stürmten herein, voran mit Dragonerschritten die smarte Nelly,
+um die es immer witterte wie ein leiser Hauch von Stallparfüm.
+
+Tränenlachend versetzten die Schwestern der Hausherrin die Geschichte
+von dem Landwehrleutnant im Froschpfuhl ... da lachte auch Cäcilie laut
+und herzlich mit.
+
+Dann aber, als die Mädchen den Namen des Unglücksraben nannten,
+wurde sie stutzig ... »Haben Sie eine Ahnung, was der Herr seines
+bürgerlichen Zeichens ist --?«
+
+»Irgend sowas bei der Universität, hat Papa gesagt!«
+
+»So, vielleicht in -- Bonn?«
+
+»Ganz richtig, ja, ich glaube wohl,« meinte Nelly.
+
+Schweigend ging Frau Cäcilie aus dem Salon in ihr anstoßendes
+Damenzimmerchen und holte einen stattlichen Folioband aus ihrer
+Bibliothek; den schlug sie auf und hielt den Titel den Besucherinnen
+hin:
+
+
+ Schiller.
+
+ Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk
+ zu des Dichters hundertjährigem Todestage
+ von
+ Wilhelm Frobenius.
+
+ Fünfzehntes bis zwanzigstes Tausend.
+
+
+»Donnerwetter!« sagte Nelly erstaunt, »ist das von dem Herrn aus dem
+Froschtümpel?«
+
+»Na, jedenfalls werden wir uns danach erkundigen müssen!« erklärte Frau
+Cäcilie.
+
+Mit einer seltsamen, unverstandenen Empfindung entsann sich Nelly in
+diesem Augenblick des heißen Leuchtens, das plötzlich aufgeglüht war
+hinter den großen Brillengläsern, als der fremde Mann sie angeschaut,
+den sie heute zum ersten Male gesehen ...
+
+Ihr war's in der Erinnerung, als habe sie da hineingeschaut in eine
+Welt, die ihr ganz unbekannt geblieben war bis auf diesen Tag ... ihr,
+dem Soldatenkinde, das von nichts wußte als von hartem Dienst ... von
+eiserner Pflichterfüllung ... von engumzirkelter Gesellschaftsfron ...
+
+In diesem Augenblick erschollen lustige Klänge auf der Promenade, die
+rasch näher und näher kamen ...
+
+Die Pfeifen schrillten ... rasselnd knarrten die taktmäßigen Wirbel der
+Tambours ...
+
+Wie der Blitz waren die Majorstöchter am Fenster, zogen die Rolläden
+auf und schossen auf den Balkon hinaus -- langsamer folgte die schöne
+Frau --
+
+Aha, der Papa -- und hinter ihm der Herr dieses Hauses ... den
+Säbelknauf auf der Hüfte ... die gleißende Stahlklinge dicht neben dem
+scharfgeschnittenen Profil ... und dahinter glitzernd und blinkend der
+Heerwurm ...
+
+Aus seiner Mitte aufragend, hoch zu Roß wie die Herren an der Tête, die
+unfrohe, nüchterne Gestalt des Hauptmanns Goll ... ganz hinten noch
+zwei andere berittene Offiziere, jetzt noch nicht erkennbar ...
+
+Die erste Kompagnie, vom stumpfen Graugrün der schilffarbenen
+Helmbezüge überlagert ... dahinter die zweite, überflirrt von den
+leuchtenden Reflexen der Helmspitzen ...
+
+
+ Tütt tüttelü tütt tüttütü ...
+ Rum, plum, plumbidibum ...
+
+
+so gellte, so schmetterte das die lindenumsäumte Promenade hinab ...
+
+Nun hatte der Major die drei Damen auf dem Balkon erblickt und Leutnant
+Blowitz auch, sein getreuer Adjutant, der zu seiner Linken ritt ...
+die rostbraunen Handschuhe flogen an die Mützenschirme -- lächelnd
+nickten die Damen ...
+
+Hauptmann von Brandeis hatte natürlich schon längst die Herrin seines
+Hauses erspäht ... die gleißende Klinge fuhr in die Luft und senkte
+sich dann grüßend an der Flanke des Braunen nieder ... mit strahlendem
+Lächeln winkten die wasserblauen Augen unter der blinkenden Helmschiene
+herauf ...
+
+Und hinter dem Hauptmann fuhr noch eine andere Klinge in die Luft und
+senkte sich ... rechts neben dem baumlangen Flügelmann der Königlichen
+Ersten marschierte ein stattlicher Offizier, den Frau Cäcilie nicht
+kannte ...
+
+»Wer ist denn das?«
+
+Nelly wußte Bescheid: »Das ist der Leutnant der Reserve Flamberg -- ein
+Maler aus Düsseldorf!«
+
+Ein Maler aus Düsseldorf ... welch ein Heimatklang ... welch ein Klang
+aus der blühenden, sprühenden Welt ihrer Jugend in die nüchterne,
+kaltglänzende ihrer Gegenwart hinein.
+
+Vorüber ... vorüber zog mit raschem, taktmäßigem Schritt die gewaffnete
+Schar ... es grüßte der puppenzierliche, kleine Carstanjen ... es
+grüßte mürrischen Gesichts der struppig umbartete Hauptmann Goll ...
+es grüßten am Schluß des Zuges von ihren Pferden der Oberleutnant
+Menshausen und der Leutnant Quincke. Vorüber, vorüber, und fernhin
+verhallte der Trommelschall, der taktmäßige Schritt der Kompagnien.
+
+Das ist deine Welt -- das heißt eine Welt -- -- so klang's in der
+Seele der jungen Frau ... und dazwischen: Ein Maler ... ein Maler aus
+Düsseldorf ...
+
+Wieder saßen die drei Damen im gründämmerigen Salon und schwatzten.
+Das ganze Festprogramm wurde durchgesprochen, ein Rollenverzeichnis
+für die lebenden Bilder aufgestellt ... So verrann eine halbe Stunde;
+da erschien Leutnant Blowitz: »Melde mich ganz gehorsamst zur Stelle,
+gnädige Frau, und bitte tausendmal um Entschuldigung! -- Gnädige Frau
+haben ja selbst gesehen -- --!«
+
+»Allerdings, Herr Blowitz -- sehr erfreut, Sie nun auch persönlich
+kennen zu lernen -- nun, wann kommt denn der Dichter?«
+
+»Gnädige Frau meinen den Einjährigen -- ja, das wissen die Götter --
+der ist abhanden gekommen!«
+
+Sensation!
+
+Und Blowitz berichtete.
+
+»Na, er wird sich beim Kehren schon wiederfinden!«
+
+»Vielleicht ist er auch in den Froschtümpel geraten,« meinte Nelly.
+
+Die Hausfrau servierte Portwein und Gebäck, und munter plätscherte das
+Gespräch ... die neue Kommandeuse ... das Fest ... die Verlobungen, die
+etwa darauf zustande kommen könnten ...
+
+In Frau Cäciliens Herzen aber klang's immer wieder wie eine frohe,
+verheißungsvolle Heimatweise: Ein Maler ... ein Maler aus Düsseldorf
+... und er steht bei Fritzens Kompagnie ... er wird seine Aufwartung
+machen ...
+
+Daß Fritz ihr davon noch gar nichts erzählt hatte! Aber freilich, als
+er früh um fünf aufgestanden, hatten die Gatten ja nur wenige Worte
+gewechselt ...
+
+Auch Nelly war nicht ganz bei der Sache; von Zeit zu Zeit schlug sie,
+wie spielend, den Deckel des Buches auf, das vor ihr auf dem Tischchen
+liegen geblieben war ... Sie dachte an den Mann im Froschtümpel,
+und wie seltsam seine Augen geleuchtet hatten hinter den goldenen
+Brillengläsern. Daß vielleicht er dies Buch geschrieben hatte, das in
+zwanzigtausend Exemplaren hinausgeflattert war in die Welt, um dem
+deutschen Volke zu erzählen von der Herrlichkeit eines Dichters, dessen
+sie selber sich nur noch dunkel entsann aus ihrer Schulzeit her ...
+
+Ein Klassiker! Sie selber war seit zehn Jahren nur noch in Operetten
+und Schwänke gegangen ...
+
+Schiller! -- Was war ihr Schiller?!
+
+Und über den hatte man ein Buch schreiben können, nach dem
+zwanzigtausend Hände gelangt hatten!?
+
+ * * * * *
+
+Eine halbe Stunde nach dem Einrücken der Ersten und Zweiten führte
+der Unteroffizier Friesen sein trauriges Fähnlein Verirrter in den
+Kasernenhof hinein.
+
+Er hatte sich vorgenommen, seine zwei Gruppen nun wenigstens
+vorschriftsmäßig in strammem Tritt auf den Kompagnieappellplatz
+rücken zu lassen, und hatte sich die Kommandos genau überlegt, die er
+abzugeben hätte, um mit seiner Schar in tadelloser Verfassung auf der
+Bildfläche zu erscheinen.
+
+Aber kaum hatte er: »Tritt gefaßt!« kommandiert, da erschien am Fenster
+der Kompagniestube das zornwütige Gesicht des Feldwebels Düfke, der
+den Unteroffizier anbrüllte, daß es über den ganzen Hof schallte:
+»Herrgott, Sie Unglückswurm! Da sind Sie ja endlich! -- Nun machen Sie
+bloß, daß Sie vom Kasernenhof 'runterkommen! -- Verschwinden Sie,
+verschwinden Sie in Dreideubelsnamen!«
+
+»In's Kasernentor, marsch marsch!« schrie Friesen voller Wut und Scham.
+
+Und feixend stürmten die Füsiliere von dannen.
+
+Nun kam das Donnerwetter Nummer eins vom Feldwebel. Kaum war das
+überstanden und der Einjährige entlassen, da lief er draußen seinem
+Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, in den Weg, und das Donnerwetter
+Nummer zwei prasselte auf seinen sündigen Scheitel nieder.
+
+Ganz begossen schlich er sich auf die Stube, auf der sein Putzer lag,
+um die feldmarschmäßige Ausrüstung abzulegen.
+
+Da trat ihm, treuherzig schmunzelnd, der wackere Füsilier Zilles
+entgegen, sein liebster Kamerad unter den Mannschaften: »Herr
+Unner'ffzier, warum hann Se mich denn nit mitgenomme uff Pattrollje!
+Dann wär dat Mallör nit passiert!«
+
+»Ja, Zilles, wie sollt ich das anfangen!? Sie stehn doch beim zweiten
+Zuge, und ich bekam die beiden Flügelgruppen vom ersten! -- Na, nun
+machen Sie mal schnell, daß ich instand komme: erste Garnitur, Helm und
+Extrastiefel!«
+
+Einer der ersten Regimentsbefehle des neuen Kommandeurs war der
+gewesen, daß Unteroffizieren, Einjährigfreiwilligen und Mannschaften
+das Tragen unvorschriftsmäßiger Extrauniformen außer Dienst verboten
+sei.
+
+So mußte denn Hans Friesen seinen Besuch bei Frau von Brandeis in
+seiner bessern Kommißgarnitur bewerkstelligen, dem Waffenrock aus
+grobem Mannschaftstuch mit dem schmalen, goldbetreßten Kragen,
+daraus die schwarze Halsbinde fast einen Finger breit hervorschaute.
+Der Besuchsanzug war dadurch betont, daß die Beine, statt in den
+sackartigen, weiten, schwarzen Tuchhosen, in den sogenannten
+»Porzellanbuchsen« steckten, den weißen Paradehosen, die auch nicht
+viel anders aussahen denn zwei riesige weiße Säcke. Auf dem Kopf
+den Diensthelm mit dem häßlichen, schwarzen Ledersturmriemen, das
+ungeschlachte Seitengewehr am gewichsten Dienstkoppel um die Hüften
+geschnallt ...
+
+So zog Hans Friesen, der Königlich preußische Gerichtsreferendar,
+Doktor beider Rechte, Poet und Unteroffizier, zur Leseprobe seines
+ersten Dramas. --
+
+Unterwegs überlegte er, wie er sich nun bei der Hauptmannsfrau zu
+benehmen hätte. Wahrscheinlich würden Offiziere da sein -- mußte er nun
+zuerst vor den Offizieren strammstehen oder vorher, ganz Kavalier, die
+Frau des Hauses begrüßen --?
+
+Das waren Etikettefragen, die in keiner Instruktionsstunde beantwortet
+wurden ...
+
+Aber wenn Hans Friesen sich erinnerte, daß er heute morgen schon
+zwei Ungewitter über sich hatte ergehen lassen müssen und heute
+nachmittag in der Einjährigeninstruktion bei Oberleutnant Menshausen
+das allertollste noch bekommen würde ... daß die Qualifikation
+wahrscheinlich doch bereits verratzt sei ...
+
+Da kam eine ungeheure Wurstigkeit über den jungen Soldaten.
+
+Ach, jetzt war schon alles ganz egal ... jetzt wollte er den Offizieren
+zeigen, was für ein Kerl im Tressenrock steckte ... er wollte sie auf
+dem Standpunkt völliger gesellschaftlicher Gleichberechtigung behandeln
+... mochten sie schimpfen ...! Was konnte ihm noch passieren!
+
+Aber etwas benommen war ihm doch zumute, als er sich im Korridor der
+koketten Villa unterm elektrischen Licht, das eine zierliche Zofe
+angeknipst hatte, noch einmal im Spiegel betrachtete ...
+
+Verdammt ruppig sah man doch aus ...!
+
+Wären nicht die schwarz-weißen Schnüre um die Achselklappen gewesen
+... und die Schmisse auf Stirn und Wange wer hätte ihn von einem
+Kapitulanten unterscheiden sollen ...?!
+
+Die Tür flog auf ... da standen drei plaudernde Damen ... ach -- Damen!
+Wesen aus einer höhern Welt --!
+
+Und mit ihnen im Gespräch drei Offiziere, Hauptmann von Brandeis,
+Oberleutnant von Schoenawa, der finstere, unnahbare Regimentsadjutant,
+und Leutnant Blowitz, der einflußreiche Bataillonsadjutant ... Die
+Herrgötter des Kommißhimmels!
+
+Und nun schlug Hans Friesen doch die Absätze zusammen, daß es knallte,
+und stand zuerst vor den Offizieren stramm ...
+
+Erst als diese unter Lachen und Entschuldigungen bei der Hausfrau
+abwinkten, ging er auf die Damen zu und beugte sich auf die duftende
+Hand nieder, die sich ihm entgegenstreckte ...
+
+»Schau, schau ... so sieht also ein Dichter aus ... den hatte ich mir
+eigentlich anders vorgestellt! Aber freilich, Herr Friesen, zu der
+Königlich preußischen Dienstpoesie, die Sie sich da geleistet haben,
+paßt Ihr Kostüm ganz ausgezeichnet!«
+
+Hans Friesens braunes Gesicht konnte wohl nicht tiefer sich färben ...
+aber in die weiße Stirn stieg das heiße Erröten ...
+
+Und nun lachte Hauptmann von Brandeis: »Na, Herr Friesen, wo haben Sie
+denn eigentlich während des Gefechts gesteckt?«
+
+Die Leutnants lachten ... die Damen lachten ...
+
+Nur eine nicht ... Ein rosiges Mädchengesicht, zwei dunkelblaue Augen
+lächelten ihn mitleidsvoll aufmunternd an ... die jüngere der beiden
+Majorstöchter. -- Herrgott, wie gut das tat!
+
+Die Vorstellung war erfolgt, man hatte Platz genommen um den runden
+Tisch im Salon, und die Hausfrau forderte den Poeten auf, sein
+Festspiel vorzulesen.
+
+Und mit dem Klang der eigenen Verse überkam Hans Friesen wieder die
+fröhliche Wurstigkeit, die er sich vorgenommen ...
+
+Teufel ja! Wenn's auch verschlissene Gedanken und konventionelle
+Vorstellungen waren, die er da zusammengebraut ... die Verse ...
+wahrhaftig, die konnten sich sehen lassen ...! Das klang und klirrte
+wie der Schritt marschierender Bataillone ... das grollte und brauste
+wie rollende Salven und dröhnendes Hurra beim Sturm ... Und war's
+auch keine himmelstürmende Poesie ... Poesie war's eben doch ...
+Soldatenpoesie ...
+
+Und er fühlte, wie sie wirkte.
+
+Als er geendigt, konnte er wohl bemerken, daß die Offiziere in ganz
+verändertem Ton mit ihm sprachen ... Und die Damen lachten auch
+nicht mehr über ihn ... obwohl er doch heute morgen den richtigen
+Gefechtsmoment verpaßt hatte ...
+
+Gern ließen sich alle gefallen, daß er als Regisseur nun frei und
+ungezwungen mit ihnen schaltete.
+
+Ja, der Bataillonsadjutant fand es vollkommen in der Ordnung, daß
+der Unteroffizier ihn sehr von oben herab zurechtwies, wenn eine
+verständnislose Betonung unterlief, oder wenn es galt, die an näselndes
+Schnarren gewohnte Kommandostimme für das Pathos des Kriegsgottes
+umzufärben ...
+
+Und nun erst die Damen ... wie glühten sie vor Eifer, es dem Dichter
+recht zu machen ...
+
+Am holdseligsten aber erglühte eine von ihnen ... und ihre
+veilchenblauen Augen funkelten nicht nur dem Poeten, funkelten dem
+straffen, feurigen Jüngling ...
+
+Molly hieß sie ...
+
+Hans Friesen ahnte, daß er an diese Molly viele, viele Verse dichten
+würde ... bessere Verse als die im Festspiel ... echtere ...
+
+Hatte nicht schon einmal ein Poet eine Molly besungen -- --?!
+
+
+
+
+ Siebentes Kapitel.
+
+
+Über dem Leben des Füsilierregiments Prinz Heinrich der Niederlande
+lagerte die Stille vor dem Sturm ... die satte, friedliche
+Sommerstille.
+
+Die großen Besichtigungen waren überstanden. Auch die fatalen vier
+Wochen auf dem Truppenübungsplatz lagen bereits hinter dem Regiment,
+als die letzte Gruppe der Reserveoffiziere eingerückt war. Und alles
+rastete nun ein wenig bis zum Beginn der Herbstübungen, in denen
+die Arbeit des ganzen Jahres, der Ausbildungsgang mit seiner weise
+berechneten, allmählichen Steigerung der Ansprüche und Leistungen
+alljährlich gipfelte.
+
+Die stille Zeit vor dem Manöver wurde hauptsächlich durch fleißiges
+Schießen und durch kleinere und größere Felddienstübungen ausgefüllt.
+So hatten die Reserveoffiziere über allzu starke dienstliche
+Inanspruchnahme nicht zu klagen. Von den aktiven Herren waren viele
+beurlaubt; die übrigen atmeten nach der Schinderei des Frühjahrs und
+Hochsommers ein wenig auf.
+
+Mit Feuereifer stürzten sich die Beteiligten auf die Vorbereitungen
+zum Regimentsfest. Alle zwei bis drei Tage fanden nachmittags unter
+Leitung des Festspielpoeten Proben für die Aufführung statt, entweder
+bei Frau von Brandeis oder bei der Protektorin des Abends, Frau Major
+von Sassenbach.
+
+Für Hans Friesen bedeuteten diese Proben eine schattige,
+blumendurchduftete Oase in der dürren Wüste seines Kommißdaseins ... Er
+lebte nur noch für diese Stunden ...
+
+Was galt's ihm, daß sein Instruktionsoffizier ihn vor versammeltem
+Kreise seiner Kameraden für den unfähigsten Tappelhans erklärt hatte,
+der jemals das Regiment verschimpfiert habe?
+
+Was war ihm daran gelegen, daß sein Feldwebel Düfke ihm die
+Sonderstellung, die sein Talent ihm den Offizieren gegenüber verschafft
+hatte, täglich durch um so kommissigere Behandlung vergalt, ihm
+mit dienstlichen Plackereien, wo es nur irgend möglich war, ins
+Gedächtnis rief, daß er nicht mehr und nicht weniger sei als eben ein
+Unteroffizier ...
+
+Mochte er ihn den ganzen Tag und die halbe Nacht schikanieren und
+kommandieren, soviel er wollte ... die Nachmittagsstunden der Proben
+mußte er ihm freilassen -- laut Bataillonsbefehl!
+
+Übrigens hatte Hans auch sonst dienstlich schlechte Tage. So gut er
+von den Offizieren im allgemeinen zurzeit behandelt wurde, die Herren
+seiner eigenen Kompagnie machten eine Ausnahme.
+
+Da war Hauptmann Goll, ein alter Junggesell und notorischer
+Weiberfeind, übrigens ein Verächter alles dessen, was nicht königlicher
+Dienst war ... und der Künste und Wissenschaften noch ganz besonders.
+
+Da war der Oberleutnant Menshausen ... da war endlich auch der Leutnant
+Quincke, der, im dunkeln Gefühl der überaus mangelhaften Entwicklung
+seiner eigenen Geistesgaben, jeden mit seiner grundsätzlichen Abneigung
+beehrte, der irgend etwas leistete.
+
+Da war schließlich auch der gestrenge Bataillonskommandeur. Wenn der
+auf der Bildfläche erschien, dann konnte der einjährigfreiwillige
+Unteroffizier Friesen sicher sein, irgendwie »aufzufallen«.
+
+»Auffallen« war nämlich gleichbedeutend mit »unangenehm auffallen« ...
+dienstlich irgend etwas versehen haben -- die ~gute~ dienstliche
+Leistung verstand sich von selbst und fiel also nicht auf.
+
+Es war, als ob der Major den unglücklichen Einjährigen im Dienst dafür
+bestrafe, daß er sich außer Dienst der Gunst der Frau von Sassenbach
+erfreute.
+
+Ach, wenn Hans gewußt hätte, daß er die unverhohlene Auszeichnung,
+mit der Frau von Sassenbach ihn behandelte, vor allem dem Umstande
+verdankte, daß er nach ihrer Auffassung auch nicht im entferntesten als
+Bewerber um eine ihrer Töchter in Frage kam -- --
+
+Ein bürgerlicher Gerichtsreferendar, der noch nicht einmal die
+Qualifikation zum Reserveoffizier besaß -- in dem sah auch Mama von
+Sassenbachs Argwohn nur den harmlosen, völlig ungefährlichen jungen
+Menschen, der sich mit Wonne nützlich machte beim Arrangement des
+Regimentsfestes und überaus korrekte Verse von einer vollendeten
+Loyalität der Gesinnung zu drechseln verstand --
+
+Wenn Hans Friesen das geahnt hätte --!?
+
+Er faßte die liebenswürdige, fast mütterliche Behandlung, welche die
+Frau Majorin ihm angedeihen ließ, in einem viel schmeichelhafteren
+Sinne auf --
+
+Und hatte er dazu nicht eine gewisse Berechtigung --?
+
+Denn daß die Nächstbeteiligte -- daß Molly von Sassenbach ihn
+mit gnädigen Augen ansah ... das durfte er sich in Augenblicken
+schwellenden Hoffnungsglücks denn doch gestehen ...
+
+Geschehen war ja selbstverständlich eigentlich gar nichts zwischen
+ihnen beiden ... sah man sich doch nur im Kreise der »Schmiere«, wie
+die kleine Schar der Komödianten des Festspiels sich bereits benannte,
+und unter den wachsamen Augen der gestrengen Frau Mama ... zudem
+unter den noch gestrengeren Blicken der Offiziere, für die man zwar
+außer Dienst »Herr Friesen«, im Dienst aber sofort wieder nur der
+Unteroffizier Friesen war ...
+
+Und dennoch ... wenn Hans Friesen nach der Probe zur Kaserne
+zurückeilte, wo seine Anwesenheit dringend notwendig war im Interesse
+seiner Korporalschaft ... dann war er doch immer in einer wahren
+Weltumarmungsstimmung ...
+
+Zwei-, dreimal war es ihm doch gelungen, einen Blick aus den
+veilchenblauen Augen zu erhaschen ... einen Blick! ... all ihr Götter!
+nach solch einem Blick war's dem guten Jungen jedesmal zumute, als
+müsse er den engen Tressenkragen aufreißen ... aufspringen, ans Fenster
+stürmen, mit tiefen Atemzügen die laue Sommerluft in die glühende Brust
+eintrinken ...
+
+Statt dessen mußte man ruhig und gemessen sitzen bleiben, von scharfen,
+wachsamen Augen unermüdlich beobachtet und kontrolliert ...
+
+So waren diese Stunden seines außerdienstlichen Daseins auch wieder ein
+Qual! --! ach -- ein süße Qual --!
+
+Sonst nichts als Dienst -- Dienst -- Dienst! Morgens um vier in die
+Kaserne ... abends um neun aus der Kaserne ... dazwischen nur eine
+Mittagspause von einer Stunde, verbracht in Gesellschaft der übrigen
+Einjährigen in einem benachbarten Speisehause ...
+
+Die Kellnerinnen, die hier bedienten, waren seit einem Jahre der
+einzige weibliche Umgang gewesen, den Hans Friesen gehabt hatte ... Nun
+hatten Rosel und Suse plötzlich für ihn jedes Interesse verloren ...
+
+Sie schmollten und rächten sich, indem sie's beim Servieren immer so
+einrichteten, daß Hans Friesen zuletzt an die Reihe kam und nehmen
+mußte, was die Kameraden übrig gelassen hatten ...
+
+Hans Friesen merkte es nicht.
+
+ * * * * *
+
+Wenige Tage nach Beginn der Übung hatten sich die Reserveoffiziere
+wieder vollständig im Regiment eingelebt, und jeder von ihnen suchte
+und fand seinen nähern Verkehr da, wohin sein Wesen ihn wies.
+
+Hielt Professor Brassert sich an die ältern und friedlichern Elemente,
+so war der Referendar Dormagen der Mittelpunkt einer Gruppe, die nach
+dem Mittagessen stets endlos beim Skat zusammenhockte, abends auf
+der Kasinoterrasse einen Syphon Münchener nach dem andern vertilgte,
+Sonntag nachmittags beim Sekt kleben blieb und nachts gar häufig im
+Rauchzimmer beim Tempeln. Oder man zog auch Zivil an und suchte die
+Variétés oder noch verschwiegenere Orte nächtlicher Ergötzung auf.
+Dieser Gruppe schloß sich auch meist Herr Klocke an, den es nur grämte,
+daß er nicht so flott mit dem Gelde um sich werfen konnte wie der
+wohlhabende Jurist. Die Beliebtheit, die jener durch Ansetzen zahlloser
+»kalter Enten« sich zu verschaffen suchte, strebte er dadurch zu
+gewinnen, daß er freigebig von seinem unerschöpflichen Vorrat an
+zweideutigen Anekdoten spendierte oder seine schier unglaubliche
+Geschicklichkeit in Kartenkunststücken produzierte, was vor dem
+Verfahren seines Kameraden entschieden den Vorzug der Billigkeit hatte.
+
+Wieder ein ganz anderer Kreis war es, dem sich der Forstassessor
+Troisdorf angeschlossen hatte. Man hätte ihn die Gruppe der
+Mißvergnügten nennen können. Ihm gehörten alle jene jungen Herren
+an, die es aus irgendeinem Grunde nicht verstanden hatten, sich die
+Gunst der höheren Vorgesetzten zu erringen. Es waren nicht nur die
+Schlechtesten im Regiment. Hier wurde unablässig geschimpft, auf
+die Vorgesetzten, auf die erfolgreichern Kameraden, die als Streber
+gebrandmarkt wurden, als Leute, die »über Leichen gingen«. Auch in
+diesem Kreise wurde scharf gezecht, aber mehr aus Wut und Enttäuschung
+denn aus Liebe zur Sache.
+
+Frobenius war ziemlich allein geblieben. Unter den aktiven Offizieren
+hatte er keinerlei Anschluß gefunden. Man behandelte ihn mit korrekter
+Liebenswürdigkeit und beständiger höflicher Zurückhaltung. In der
+Öffentlichkeit vermied es jeder, sich mit ihm zu zeigen. Und freilich,
+ein Vergnügen war es auch nicht, an seiner Seite durch die Straßen der
+Garnison zu spazieren. Wo er ging, da geleitete ihn ein beständiges
+Schmunzeln auf allen Gesichtern der Passanten, die Straßenjugend rief
+ihm freche Bemerkungen nach, ja, es war, als ob selbst die Pferde und
+Hunde scheuten und stutzten, wenn sie die lange Gestalt im schwarzen
+Überrock aus der Zeit Albrechts des Bären einherwandeln sahen ...
+
+Frobenius merkte das natürlich sehr wohl. Er wußte sehr gut, daß der
+größte Teil des ungünstigen Eindrucks, den er hervorrief, auf die
+Verfassung seiner Equipierung zurückzuführen sei, und ging lange mit
+sich zu Rate, ob er nicht doch seinem Herzen einen Stoß geben und sich
+von Kopf bis zu Füßen bei dem ersten Uniformschneider der Garnison neu
+einkleiden lassen solle. -- Aber das hätte ihn wenigstens vierhundert
+Mark gekostet, und er hatte sich nun einmal, seinen bescheidenen
+Verhältnissen entsprechend, fest vorgenommen, bei den Neuanschaffungen
+für die Übung nicht über die hundertzwanzig Mark Equipierungsgelder
+hinauszugehen, die ihm zustanden. Die aber waren bereits für die
+inzwischen eingeführten Uniformänderungen sowie für Reithosen und
+Reitstiefel draufgegangen ...
+
+So trotzte er denn weiter dem Schmunzeln des Straßenpublikums wie der
+Zurückhaltung seiner Kameraden.
+
+Sein einziger außerdienstlicher Umgang war Flamberg. Und das
+entschädigte ihn vollkommen -- in ihm verehrte er, der Kunstgelehrte,
+den schaffenden Künstler, wie dieser seinerseits in dem Kritiker den
+idealen Adressaten seiner Lebensarbeit. Gar manche Stunde verbrachten
+die beiden Gleichgesinnten im Café, in einer Weinstube drunten in der
+Stadt oder auf der Stube des einen oder des andern bei kaltem Abendbrot
+und Flaschenbier in ernstem Geplauder über die zeitbewegenden Fragen
+der Malerei ... der Dichtkunst ... der Kunst überhaupt.
+
+Dennoch füllte dieser Umgang die Mußestunden des Privatdozenten nicht
+völlig aus; denn Flamberg legte Wert darauf, auch außerdienstlich viel
+mit den aktiven Kameraden zusammen zu sein. Es war sein Grundsatz,
+während der acht Wochen Übungszeit ganz und gar sich in einen Soldaten
+zu verwandeln, und so wußte er auch mit der ganzen proteischen
+Wandlungsfähigkeit seiner Künstlerseele sich der Sprache, den
+Umgangsformen, der Weltanschauung des Kreises anzupassen, welchem er
+für diese kurze Zeit durch den Rock angehörte, den er trug.
+
+Wilhelm Frobenius wußte sich zu trösten. Die dienstfreien Nachmittage,
+die kurzen Abendstunden benutzte er, um den Grundriß seiner Vorlesung
+für das künftige Wintersemester zu skizzieren, die das Drama des
+Naturalismus zum Gegenstande haben sollte.
+
+Von Tag zu Tag hatte er die peinliche Pflicht aufgeschoben, sich bei
+seiner Retterin, der Tochter seines Bataillonskommandeurs, für den
+siegreichen Kampf mit Kuno dem Schrecklichen zu bedanken.
+
+Für einen Menschen, der, wie er, so sicher im Kreise seines Wirkens und
+Schaffens zu stehen gewohnt war, mußte es ein peinlicher Gedanke sein,
+eine gesellschaftliche Komödie zu spielen, die für sein inneres Leben
+keine Bedeutung hatte und ihm doch eine Reihe von Empfindungen bringen
+mußte, welche die Ruhe seines Herzens gefährdeten -- diese schöne Ruhe,
+die ihm um so wertvoller war, seitdem er eine neue Arbeit begonnen ...
+
+Ja -- die Ruhe seines Herzens gefährdeten! --
+
+Denn, so albern ihm das auch vorkam -- bei der Erinnerung an jene
+Szene auf der Chaussee regte sich in ihm noch etwas anderes, als bloß
+das Gedenken an eine peinliche und lächerliche Blamage. Es war ein
+dumpfer, uneingestandener Schmerz in ihm, daß seine Retterin aus der so
+lächerlichen wie gefährlichen Situation nicht nur eine Dame, daß es
+... just diese Dame gewesen!
+
+Sein arbeitsames, entsagungsvolles Jugendleben hatte ihn nicht allzu
+häufig in gesellschaftliche Berührung mit Damen jener Kreise gebracht,
+denen er seiner Lebensstellung nach heute angehörte.
+
+Die Unzulänglichkeit seiner Verkehrsformen machte ihm das offizielle
+Gesellschaftstreiben zur sinnlosen Qual und ließ ihn ganz erkennen, wie
+inhaltleer eigentlich doch all jene Formen des Beisammenseins seien,
+die überhaupt Männer und Frauen seiner Kreise zusammenführten.
+
+So war sein Verkehr fast gänzlich auf die gleichfalls unverheirateten
+Gelehrten jener Hochschulen beschränkt gewesen, an denen er bisher
+gelernt oder gelehrt hatte.
+
+Aber nicht ungestraft beschäftigt man sich ein Leben lang mit den
+Schöpfungen der Kunst, der Poesie ...
+
+Denn was ist ihrer aller Mittelpunkt? -- --
+
+Das Weib! die unabsehbare Fülle der Empfindungen und Erlebnisse, welche
+die Berührung der Geschlechter dem Mannesleben erschließt ...
+
+Und so lebte unerschlossen ... unerlöst in den Tiefen dieser
+Gelehrtenseele die Sehnsucht aus der Theorie, aus dem Studium, aus der
+Nachempfindung heraus, in die Wirklichkeit ... in das Schauen ... in
+das Erleben ...
+
+Das aber, was sich vor ein paar Tagen auf der Landstraße neben dem
+Froschtümpel abgespielt, war das nicht ein Erlebnis gewesen ... kein
+sehr rühmliches ... kein sehr reiches ... aber doch immerhin eine
+Wirklichkeit, nicht bloß der Reflex einer solchen, nicht bloß ihr
+Spiegelbild in einer Dichterseele ... einem Buch ... einem Werk?
+
+Sein erstes, sein einziges Erlebnis, und -- ~eine~ Fortsetzung
+würde es ja doch finden müssen -- den schuldigen, den längst fälligen
+Dankesbesuch. --
+
+Und eines Morgens um zwölf ließ sich Wilhelm Frobenius von dem getreuen
+Schmitz den Überrock, frischgewaschene weiße Glacéhandschuhe und den
+altmodischen Helm mit dem silbernen Landwehrkreuz zurechtlegen ...
+
+Eine halbe Stunde später stand er in einem dunkeln Salon mit
+Mahagonimöbeln und grünen Plüschfauteuils ... an den Wänden in
+schweren, goldenen Leisten tief nachgedunkelte Bilder preußischer
+Offiziere in den Uniformen vergangener Jahrzehnte und blasser Damen
+in schwarzen Krinolingewändern ... daneben in auffallendem Kontrast
+protzige Rahmen, welche die Bildnisse eines grobknochigen Mannes
+vom Typus des industriellen Emporkömmlings und einer schlichten,
+spießbürgerlichen Frau in violetter Seidenrobe umschlossen ...
+
+Eine zarte Dame mit nervösem, spitzem Gesicht, unruhig flackernden
+Augen, scharfer, leichtgeröteter Nase und schlichtem grauen Scheitel
+trat aus dem Nebenzimmer herein: »Bitte Platz zu nehmen, Herr
+Leutnant!«
+
+Frobenius versank fast in dem niedern Sammetsessel und hatte einige
+Mühe, seine langen Beine, den Säbel und Helm schicklich unterzubringen.
+»Gnädige Frau werden bereits gehört haben ... ich hatte neulich das
+Unglück ... man hatte mir ein unbrauchbares Pferd geschickt ... und Ihr
+Fräulein Tochter ...«
+
+»Ach, ~der~ Herr sind Sie! --« Rücksichtslos kritisierend
+musterten die grauen Augen die Erscheinung des Besuchers.
+
+»Ich möchte also Ihrem Fräulein Tochter noch einmal meinen Dank für
+ihren gütigen Eingriff aussprechen --«
+
+»Ach, das war wohl nicht mehr als Christenpflicht von Nelly, Herr
+Leutnant!«
+
+»Werde ich die Ehre haben, das gnädige Fräulein selbst zu sehen --?«
+
+»Meine Töchter sind wieder ausgeritten, aber sie müssen jeden
+Augenblick wiederkommen!«
+
+Einen Augenblick Stille. Wilhelm Frobenius fühlte sich namenlos
+geniert.
+
+Frau von Sassenbach hatte inzwischen ihre Prüfung beendet -- -- Nein --
+~der~ Herr war ungefährlich!
+
+Und in viel liebenswürdigerm Ton stellte sie nun die üblichen Fragen:
+Wie der Herr Leutnant sich im Regiment gefalle ... wie er mit seinem
+Kompagniechef zufrieden sei ... ob er sich auf das Manöver freue. -- --
+Er sei ja wohl Gelehrter im Zivilverhältnis -- und aus Bonn -- sieh da
+-- aus dem schönen Bonn am Rhein.
+
+Ob er auch die dortigen Verwandten ihres Mannes, Seine Exzellenz den
+Generalleutnant a. D. von Sassenbach und seine Damen kenne --
+
+Das mußte Frobenius natürlich verneinen --
+
+Hinter seinem Rücken öffnete sich mit raschem Ruck die Tür. -- Er
+fühlte: da ist sie -- --
+
+»Ah, sieh da -- der Herr Leutnant Frobenius -- na, endlich!« Schelmisch
+drohte das Mädchen mit dem Finger.
+
+Sie hatte sich nicht Zeit genommen, sich umzukleiden ... schlank
+und straff stand sie da ... knapp umschloß das graue Reitkleid die
+elastische Gestalt ...
+
+Auf ihren Lippen lag ein Lächeln ... ein Lächeln von so ganz anderer
+Art als neulich am Froschtümpel ...
+
+Und mit ausgestreckter Linken hielt sie dem Besucher einen stattlichen
+Folioband entgegen, auf dem -- -- sein Name stand ... »Man hat sich
+inzwischen mit Ihnen beschäftigt, wie Sie sehen, Herr -- -- Leutnant
+...«
+
+Mit einem Male überkam den Gelehrten das Gefühl einer wunderbaren
+Sicherheit. Schau, schau -- nun wußte sie, nun mußte sie wissen, wen
+sie vor sich hatte ... mußte wissen, daß er nicht ~immer~ das
+hilflose Opfer unmöglicher Situationen war.
+
+»Werden Sie glauben, Herr Leutnant, ich hab nicht nur Ihr Buch gelesen
+... ich hab auch zum ersten Male seit meiner Pensionszeit den Schiller
+wieder vorgenommen --!«
+
+»Ah -- -- das ist schön! -- Aber nun lassen Sie mich Ihnen nochmals
+meinen aufrichtigen Dank --«
+
+»Aber so schweigen Sie doch bloß von der albernen Geschichte ... das
+war ja nicht der Rede wert ... Ich hab ~Ihnen~ zu danken ... ich!«
+
+Und mit peinlicher Überraschung ward nun Frau von Sassenbach die stumme
+Beobachterin eines Gesprächs über Gegenstände, die in ihrem Salon noch
+niemals verhandelt worden waren ...
+
+Was war das ... Nelly glühte ja bei der Unterhaltung mit diesem
+langstelzigen Herrn, wie sie kaum je im Ballgespräch mit einem ihrer
+Verehrer geglüht hatte ...
+
+»Erinnere dich, Nelly, daß wir heute mittag bei Frau von Czigorski zu
+Tisch gebeten sind! es wird Zeit, dich umzukleiden!«
+
+Der Besucher verstand. »Ich darf die Damen nicht länger aufhalten!«
+
+»Ich hoffe, Sie werden mir noch mehr von Schiller erzählen, Herr
+Frobenius,« sagte das Mädchen, indem es sich erhob.
+
+»Ich fürchte,« meinte Frobenius, »dazu wird kaum Gelegenheit sein!«
+
+»Aber gewiß! -- erstens sehen wir uns doch nächstens auf dem
+Regimentsfest -- und zweitens werden wir doch hoffentlich bald einmal
+das Vergnügen haben -- nicht wahr, Mama? -- Herrn Frobenius bei uns zu
+sehen!?«
+
+»Ich hoffe das gleiche,« sagte Frau von Sassenbach in einem Ton, der
+wenig mit dem Inhalt ihrer Worte stimmte ..
+
+»Leben Sie wohl, Herr Frobenius, und seien Sie nochmals bedankt ... ja
+... seien Sie bedankt ...! Auf Wiedersehn, Herr Frobenius!«
+
+Beim Aufstehen kamen Beine und Säbel abermals in Konflikt.
+
+Was tat's! -- -- Auf Wiedersehn! hatte sie gesagt -- auf Wiedersehn --
+--
+
+ * * * * *
+
+In dem Kreise der Gleichgültigen und Zurückhaltenden, in dem Frobenius
+sich bewegte, hatte er, ohne es zu wissen und zu ahnen, einen
+geschworenen verbissenen Feind.
+
+Major von Sassenbach hatte sich beim Hauptmann Goll genau nach den
+Umständen erkundigt, unter denen der Reitunfall des Landwehroffiziers
+zustande gekommen war.
+
+Goll hatte ihm erzählt, wie besorgniserregend sich der Gaul bereits
+auf dem Kasernenhof benommen -- wie er sich dann beim Ausreiten zum
+Exerzierplatz zur Ruhe gegeben habe, beim Klang der ersten Schüsse aber
+plötzlich wie wahnsinnig geworden und nach kurzem Widerstande seines
+Reiters in besinnungsloser Karriere mit ihm davongerast sei.
+
+Der Major hatte sich erinnert, daß Leutnant von Finette ihm erzählt,
+es handle sich um ein notorisch verdorbenes Pferd, und er hielt sich
+für verpflichtet, festzustellen, wie es zusammenhängen mochte, daß die
+Verwaltung des Tattersalls einen solchen Schinder einem Offizier zu
+dienstlicher Verwendung an die Hand zu geben gewagt habe.
+
+Zufällig kam er in den nächsten Tagen an der Reitbahn vorbei, suchte
+den Direktor auf und beschwerte sich sehr energisch.
+
+Der schien untröstlich, ließ sofort den Stallaufseher kommen. Dieser
+war sehr erstaunt, daß ihm eine Rüge zugedacht war; just dieses Pferd
+sei ausdrücklich verlangt worden.
+
+Von wem denn?
+
+Ja, das wisse er nicht mehr. Er müsse in der Liste nachsehen.
+
+Er kam zurück, meldete: der Bursche des Oberleutnants Menshausen habe
+das Pferd bestellt -- anzuschreiben für Herrn Leutnant der Landwehr
+Frobenius.
+
+Nun wußte der Major genug.
+
+Er sprach dem Direktor der Reitbahn sein Bedauern über das
+Mißverständnis aus, empfahl sich und überlegte ...
+
+Was tun? -- Offenbar hatte der kaltherzige Geselle, den der Major
+ohnedies nicht leiden konnte, dem harmlosen Landwehrfritzen einen
+infamen Streich gespielt -- Was war nun anzufangen --? Frobenius
+Mitteilung machen --? Aber dann mußte es ja Mord und Totschlag geben --
+-- Nein -- er wollte sich den intriganten Herrn privatim vorbinden.
+
+Bei nächster Gelegenheit stellte er Menshausen: »Herr Oberleutnant, Ihr
+Bursche hat am vergangenen Donnerstag vormittag im Tattersall ein Pferd
+abgeholt -- war das für Sie oder für jemand anders?«
+
+Das fahlbraune Gesicht des Oberleutnants wurde noch um einen Ton fahler
+... die aufgedrehten Schnurrbartspitzen zuckten leise ... »Das war --
+für jemand anders, Herr Major!«
+
+»Für wen denn?«
+
+»Für den Leutnant der Landwehr Frobenius!«
+
+»Wie kamen Sie dazu?«
+
+»Der Bursche des Herrn Frobenius wußte noch nicht Bescheid im
+Tattersall!«
+
+»So -- und da haben Sie ihm also freundlicherweise den Ihrigen zur
+Verfügung gestellt?«
+
+»Zu Befehl, Herr Major!«
+
+»Und -- wie war es denn möglich, daß der Bursche mit dem notorisch
+unbrauchbaren und gemeingefährlichen Viech angezogen gekommen ist?«
+
+»-- -- Woher soll ich das wissen, Herr Major!? -- ich bedaure das
+selbst aufs lebhafteste -- ist eben 'ne kolossale Schweinerei von den
+Stallburschen im Tattersall.«
+
+»Hm -- also ~Sie~ hatten dem Burschen keine Anweisung gegeben,
+welches Pferd er bringen solle?«
+
+»Ich, Herr Major? -- --«
+
+In diesem Augenblick stieg eine dunkle Welle in das schnauzbärtige
+Antlitz des Stabsoffiziers ... die starken Kinnmuskeln begannen
+mächtig zu arbeiten ... zwischen den zusammengepreßten Lippen drang
+keuchend der Atem hervor und blies die lang herabhängenden grauen
+Schnurrbartborsten in die Höhe ...
+
+Herrgott, der Major wußte Bescheid! -- Wie? -- das mochte der Teufel
+wissen --!
+
+»Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung, Herr Major -- ich habe die
+Unwahrheit gesagt --«
+
+»Das heißt: Sie haben mich unverschämt belogen, Herr! -- Frech und
+schamlos belogen haben Sie mich!!«
+
+»Herr Major, ich muß ganz gehorsamst bitten --«
+
+»Gar nichts bitten müssen Sie ... Soll ich Sie dem Ehrenrat melden --?!
+Wissen Sie, was dann mit Ihnen passiert?!«
+
+Totenblaß, mit bebenden Lippen stand Menshausen vor dem Vorgesetzten
+... die weißbehandschuhte Rechte am Mützenschirm flatterte hin und her
+...
+
+»Haben Sie gewußt, daß der Herr von der Landwehr keinen Schimmer vom
+Reiten hatte?«
+
+»Nein, Herr Major -- ich habe ihn erst am Tage vorher beim Mittagessen
+kennen gelernt.«
+
+»Na, und da haben Sie ihm nicht auf den ersten Blick angesehen, daß er
+nicht der Mann ist, einen solchen Racker zur Räson zu bringen?!«
+
+Menshausen schwieg.
+
+»Geben Sie also zu, daß Sie sich einer Infamie schuldig gemacht haben?«
+
+»Herr Major --!«
+
+»Geben Sie's zu --?! Oder wollen Sie's vom Ehrengericht bescheinigt
+haben?! -- Nicht nur, daß Sie sich skandalös unkameradschaftlich
+benommen haben ... Sie haben ein Menschenleben in Gefahr gebracht ...
+Na, und Sie wissen ja auch, wem Sie's zu verdanken haben, daß Sie nicht
+als fahrlässiger Mörder dastehen --! Genügt Ihnen das nicht, um einfach
+in den Boden zu sinken, Sie -- --? Also noch einmal: geben Sie zu, daß
+Sie sich ganz unqualifizierbar benommen haben -- geben Sie's zu --?«
+
+»Es -- es -- -- soll nicht wieder vorkommen, Herr Major!«
+
+»Ich denke in diesem Augenblick daran, daß Ihr verstorbener Herr Vater
+ein Kriegsschulkamerad von mir gewesen ist ... dazu können Sie sich
+gratulieren ... sonst -- -- Aber ich werde Sie im Auge behalten, Herr
+Oberleutnant -- verlassen Sie sich darauf! Danke --!!«
+
+-- -- Für diese Stunde hatte Menshausen Rache geschworen.
+
+Ohne daß Frobenius eine Ahnung davon hatte, umlauerte Menshausen seinen
+ganzen Lebenswandel, dienstlichen und außerdienstlichen ... Irgendwo
+würde man schon etwas finden, wo man hinterhaken könnte ...
+
+Es war ja doch auch reinweg zum Verrecken ... immer kam aller Ärger von
+den verdammten Gehirnfatzken, die dem ehrlichen Soldaten hier in seine
+Arbeit hineinkorksten ...
+
+Vor wenig Tagen hatte er draußen bei der Felddienstübung wegen des
+versedrechselnden Einjährigen einen Riesenanriß besehen ... und nun
+diese gottverfluchte Schweinerei, die ihn das Wohlwollen seines
+Bataillonskommandeurs gekostet hatte! --
+
+Das sollte nicht vergessen werden --!
+
+ * * * * *
+
+Während die Reserveoffiziere sich bei den höhern Vorgesetzten lediglich
+dienstlich zu melden hatten, war es üblich im Regiment, daß sie ihrem
+Kompagniechef noch einen gesellschaftlichen Besuch in dessen Wohnung
+abstatteten; bei den verheirateten Herren pflegten sie aber zwei Karten
+nur dann abzugeben, wenn sie dazu besonders aufgefordert wurden.
+
+Das lag ja bei Martin Flamberg vor ...
+
+Eines Morgens nach dem Dienst warf er sich in Besuchsanzug, um Frau von
+Brandeis seine Aufwartung zu machen.
+
+Er hatte, wie täglich bei der Rückkehr von der Kaserne, ein zärtliches
+Briefchen seiner Braut vorgefunden, und während er sein zweites
+Frühstück verzehrte, überlas er, ein stilles Lächeln um die Lippen, die
+beglückenden Zeilen ...
+
+Agathe richtete zurzeit daheim das eheliche Nest ein und meldete
+freudestrahlend, daß die Saloneinrichtung aufgestellt sei ...
+
+»Auch noch für ein anderes Zimmer sind die Möbel angekommen. Denk dir
+selbst, du Schlimmer, für welches!«
+
+Ach, du süßes, süßes Mädel! ... Herrgott, nur sieben Wochen noch! --
+
+Er schob den Brief in den Ärmel seines Überrocks und machte sich auf
+den Weg.
+
+Eine Weile noch spann seine Phantasie die holdseligen Träume weiter.
+Dann aber begannen sich seine Gedanken mit dem Ziel seines Besuches zu
+beschäftigen.
+
+Er hatte genug im Regiment von Frau von Brandeis gehört, um zu wissen,
+daß er einem nicht ganz gewöhnlichen Erlebnis entgegengehe.
+
+Niemand wollte so recht begreifen, wie Herr von Brandeis an diese Frau
+gekommen war.
+
+Ein liebenswürdiger Herr von tadellosen Manieren, einigem
+Unterhaltungstalent und auch von durchschnittlichen militärischen
+Fähigkeiten.
+
+Daß er allerdings einmal im Schießen mit seiner Kompagnie den
+Kaiserpreis davongetragen, das schrieb man weniger seinen eigenen
+Bemühungen zu, als der Tüchtigkeit seines Kompagnieoffiziers, des
+nunmehrigen Regimentsadjutanten, Oberleutnant von Schoenawa. Und so
+mißgönnte man ihm ein klein wenig den Roten Adlerorden vierter Klasse,
+den er diesem glänzenden Schießresultat seiner Kohorte verdankte.
+
+Was man aber als ganz und gar wohlverdient ansah, das waren die
+zahlreichen Frühstücksorden, die ihm zuteil geworden waren, wenn er das
+Regiment bei Fürstenbesuchen und Hoffestlichkeiten zu vertreten hatte;
+denn seine Repräsentationstalente waren beträchtlich, und Englisch und
+Französisch sprach er wie seine Muttersprache.
+
+Aber das alles waren doch keine Qualitäten, die Anspruch auf die Gunst
+einer Dame, wie seine Frau war, gewährten!
+
+Frau Cäcilie war vor anderthalb Jahren dem Regiment wie ein Stern
+aufgegangen ...
+
+Jeder kannte die Höhe ihrer Mitgift und wußte, daß sie auf ein noch
+ganz anderes Vermögen Anwartschaft hatte, wenn sie einmal ihre noch
+recht rüstigen Eltern in Wiesbaden beerben würde.
+
+Inmitten eines Offizierkorps, dessen Angehörige weder von Hause aus
+noch im großen und ganzen infolge ihrer ehelichen Verbindungen durch
+namhafte Vermögen ausgezeichnet waren, gab soviel Geld immerhin die
+Folie des Außergewöhnlichen.
+
+Aber mehr noch als diese äußeren Güter war es der Ruf ihrer
+eigenartigen Schönheit, ihres Geistes und ihrer Talente, was sie hoch
+über das Durchschnittsniveau der im Regiment vertretenen Weiblichkeit
+heraushob und die erstaunte Frage berechtigte, wie eine solche Dame
+sich mit einer glatten Mittelmäßigkeit wie Fritz von Brandeis habe
+begnügen können! --
+
+Es herrschte in den gesellschaftlichen Beziehungen der Herren des
+Regiments zu seinen Damen im allgemeinen ein ausgezeichneter Ton. Die
+Frauen und Töchter der Kameraden galten auch den ausgesprochensten Don
+Juans als Tabu.
+
+Um die schöne Frau von Brandeis aber, die Tochter der Künstlerstadt,
+wehte es wie ein geheimnisvoller Hauch von Seltsamem ... geheimnisvoll
+Lockendem ... der sie aus der Schar der bieder korrekten Frauen und
+Mädchen heraushob, die man sonst an der Seite der Kameraden zu sehen
+gewohnt war ...
+
+Und die keckern unter den jüngern Herren hatten denn auch in aller
+Vorsicht einmal Fühler ausgestreckt -- aber sie waren rasch und
+gründlich enttäuscht worden --
+
+Frau von Brandeis war eine ebenso tadellose wie zärtliche Gattin --
+
+Oberleutnant Menshausen, der Abgott aller Nähmädchen und Ladenmamsells
+der Garnison, hatte im Vertrauen auf eine nicht unbeträchtliche Reihe
+von Erfolgen auf gefährlichen Gebieten einmal einen etwas schärfern
+Ansturm riskiert ... aber die schöne Frau hatte ihm in einer Weise
+heimgeleuchtet, die ihm ein für allemal den Mut zu weitern Versuchen
+benommen hatte.
+
+Von alledem hatte Martin Flamberg in den letzten Tagen im Kasino
+genug gehört, um mit einiger Spannung seinem heutigen Erlebnis
+entgegenzusehen ...
+
+Nun, er war ja abgehärtet ... mochte Frau von Brandeis immerhin ein
+kleines Wunder sein ...
+
+Wenn er die Reihe strahlender Schönheiten an sich vorüberziehen ließ,
+die im vergangenen Sommer seinem Pinsel gesessen hatte, so brauchte er
+nicht zu befürchten, in Versuchung zu kommen ... Agathe konnte ganz
+ruhig sein! --
+
+Sein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung ... Unwillkürlich
+hatte er sich ein Bild der vielberedeten Erscheinung gemacht ...
+groß -- königlich -- brünett ... Nun war sie einen Kopf kleiner als
+er selbst, von rötlich-braunem, flimmerndem Haar, zarten Farben,
+lebhaftem, etwas unruhigem Auge ... Gewiß ein sehr anmutiges Geschöpf
+... aber für ihn, den Verwöhnten, doch nichts Außergewöhnliches ...
+
+Mit großer Lebhaftigkeit leitete Frau Cäcilie das Gespräch ein: »Ich
+entsinne mich sehr wohl, Herr Flamberg, Ihnen einmal in Gesellschaft
+begegnet zu sein!«
+
+»Ah, bei Kommerzienrat Trinkaus, nicht wahr, meine Gnädigste?«
+
+»Gewiß, bei Trinkaus. Ich weiß noch, Sie haben einen auffallend
+schlecht sitzenden Frack getragen ... Daran hab ich gleich gemerkt:
+der muß was Besonderes sein ... Wenn einer bei Trinkaus so schlecht
+angezogen herumlaufen darf, das ist sicher ein Genie ...«
+
+»Stimmt, stimmt!« lachte Flamberg, »gepumpt für zwei Mark fünfzig!«
+
+»Heute scheinen Sie etwas mehr auf Schneider zu halten!?«
+
+»Geschäftssache, gnädige Frau! -- Ein gewisses Publikum glaubt nur an
+Künstler, die in erstklassigen Ateliers arbeiten lassen können!«
+
+»So -- und das können Sie also!?«
+
+»Man schlägt sich so durch, gnädige Frau!«
+
+»Ich glaub's ... Sie müssen nämlich wissen, Herr Flamberg, ich war
+diesen Juni mit meinem Mann auf Urlaub in Berlin ... Da hab ich Ihre
+zwei Bilder in der Sezession gesehen ... Wissen Sie, was mein Mann
+damals zu mir sagte? Du, so ein Bild möcht ich von dir haben!«
+
+Aha -- dachte Martin Flamberg, darauf will's also hinaus ...
+
+»Ich beneide Sie!« fuhr die schöne Frau fort, »ich beneide euch
+Künstler überhaupt!«
+
+»Beneiden? -- um was?«
+
+»Wie soll ich sagen -- Sie sitzen hier friedlich und plaudern oder
+strampeln draußen auf der Heide herum und führen Ihren Zug ... und
+derweile reisen Ihre Bilder in der Welt herum ... reden zu Tausenden,
+was für ein Kerl Sie sind ... Ist das nicht beneidenswert? -- Ich
+möchte es -- die Fernwirkung Ihrer Persönlichkeit nennen!«
+
+»Ach, gnädige Frau, mich dünkt ... viel beneidenswerter als solche
+Fernwirkung, von der man schließlich doch nichts hat ... viel
+beneidenswerter muß die Nahwirkung sein, die eine schöne Frau ausübt.«
+
+»Ach je, die Nahwirkung ... auf wen denn? ... Wen hab' ich denn, um
+›nahzuwirken‹? Die Stabsoffiziere ... grämlich ... früh verbraucht
+-- die Hauptleute ... dienstgehetzt -- dazu die streberhaften
+Oberleutnants und die ungaren Leutnants ...«
+
+»Sie urteilen sehr hart, gnädige Frau ... Diese Herren sind doch die
+Kameraden, die Berufsgenossen Ihres Gatten.«
+
+»Ums Himmels willen, hab ich mir mal wieder den Mund verbrannt!? -- Na,
+das bleibt doch unter uns, nicht wahr, Herr Flamberg?«
+
+»Selbstverständlich! -- Nun ja ... ich kann's mir schließlich
+vorstellen ... Sie kommen aus so ganz andern Kreisen ... Aber ich
+meine, auch Ihnen müßte das doch imponieren, diese unermüdliche,
+opferfreudige Kleinarbeit, die hier geleistet wird!«
+
+»Kleinarbeit ... ja wahrhaftig, Kleinarbeit!«
+
+»Aber eine sehr wichtige und nützliche Arbeit! -- Flößt Ihnen das denn
+keinen Respekt ein?«
+
+»Respekt -- o ja!«
+
+»Und schließlich -- was geht Sie am Ende das Milieu an, in dem Sie
+leben? -- In einer Häuslichkeit wie dieser ... an der Seite eines
+liebenswürdigen, ritterlichen Gatten, wie der Ihre ist ...«
+
+»O ja!«
+
+Schon wieder dies »O ja!« -- Dies »O ja!«, das er so gut kannte! --
+
+Das kam ja immer zuerst, wenn eine verheiratete Frau zu kokettieren
+begann ... dies korrekt sich stellende, zugleich aber leises Bedauern,
+heimliche Enttäuschung andeutende »O ja« über den Gatten -- --
+
+Äh ... sie waren doch alle gleich ... alle, alle versuchten sie dies
+ewig gleiche, langweilige Spiel ... dies Spiel, das eben doch nichts
+weiter war und bleiben sollte, als ein Spiel ... ein Flirt ... eine
+inhaltlose Sensation!
+
+Ein ernsthaftes Abenteuer -- ach, dazu waren sie ja doch fast alle zu
+feige ... zu satt und zufrieden am Ende in ihrem warmen Nest ... aber
+sich einen Flirt versagen zu können ... dazu waren sie doch wieder alle
+zu unausgefüllt ... zu unvornehm ... zu charakterlos ...
+
+Gräßlich, dies frivole, ziellose Spiel mit den heiligsten Dingen ...
+mit Treue und Leidenschaft ... Wie rasch man das durchschaute ... wie
+rasch der pikante Reiz der ersten derartigen Erlebnisse verweht war ...
+und dann widerte es einen nur noch an ... Also von der Sorte war auch
+diese da ...!
+
+Fast brüsk brach er auf und empfahl sich.
+
+»Wir hoffen, Sie nächstens bei uns zu sehen, Herr Flamberg!«
+
+Klischee, Klischee -- -- Und so etwas galt im Offizierkorps als eine
+Art höheres Wesen --
+
+Schade -- ein hübsches Bildchen hätte sie schon abgegeben: die
+schwermütigen braunen Augen unter der weißen Stirn, mit dem
+rostfarbenen, straffen Haarkranz darüber und ... Eine feine
+Schulterlinie hatte sie gewiß auch ... Der Unterarm, die feine, nervöse
+Hand ... Das war vielversprechend gewesen --!
+
+Ausführlich und sehr lustig berichtete er an Agathe.
+
+ * * * * *
+
+Schon einige Tage später konnte Martin Flamberg sich überzeugen, daß
+sein Künstlerauge recht vermutet hatte.
+
+Drei Tage nach seinem Besuch lud ihn ein silbergraues Kärtchen zu einer
+Abendgesellschaft in kleinem Kreise ... ein Kärtchen, bekritzelt mit
+einer seltsamen Handschrift: feste Auf- und Abstriche, doch umschwirrt
+von einem kapriziösen Gewirr hin- und herfahrender Schnörkel ... links
+oben in der Ecke ein Doppelwappen, vermutlich das Adelswappen derer von
+Brandeis und das bürgerliche der alten Düsseldorfer Patrizierfamilie,
+aus der die junge Frau hervorgegangen ... Freilich! sie konnte es sich
+leisten, das Wappen ihrer Sippe neben dem adeligen aufzupflanzen ...
+
+Er führte die Frau des Hauses zu Tisch -- -- Außer ihm: Major von
+Sassenbach mit Frau und Töchtern, Oberleutnant von Schoenawa und
+Leutnant Blowitz.
+
+Heute sah er sie ganz anders.
+
+Die drei andern Damen, die Offiziere, nicht zuletzt der Gatte, gaben
+dieser Frau eine Folie, die sie seltsam hob ... In dieser Umgebung,
+wahrhaftig, erschien sie wie ein hinverwehtes Wunder.
+
+Aller Augen hingen an ihr; sie beherrschte die Unterhaltung.
+
+Spießbürgerliche Mißbilligung lag auf dem spitzen Gesicht der Frau von
+Sassenbach ... rötete ihre Nase ... ließ ihre grauen Augen in frostigem
+Pharisäertum funkeln ...
+
+Die stattlichen Majorsmädel verschlangen die elegante junge Frau in
+naiver Bewunderung ...
+
+Leutnant Blowitz, ein braver Junge, huldigte ihr mit knappenhafter
+Ergebenheit ...
+
+Schoenawa, ein kalt beherrschter Energiemensch, verfolgte jede ihrer
+Bewegungen mit verschlossenem, finsterm Ernst ... Nur zuweilen
+flimmerte in seinen frostigen schwarzen Augen ein heißer Strahl; der
+verriet Martin Flambergs geschultem Malerauge: auch dieses Mannes
+Seele, soviel er davon besitzen mochte, stand im Banne der Hausherrin
+...
+
+Ihr Gatte glänzte übers ganze Gesicht vor demütig anbetender
+Bewunderung, vor Glück und Stolz, der legitime Besitzer so vieler
+Herrlichkeit zu sein ...
+
+All diese Verehrung, diese teils freiwillige, teils widerwillige
+Bewunderung steckte den Maler an.
+
+Und wirklich ... sie sah strahlend aus ... sie trug eine fraisefarbene
+Seidenrobe, überrieselt von einem bronzefarbenen Spitzengewirk ...
+Der Ausschnitt ließ eine Schulterlinie von adeliger Zeichnung frei,
+den Hals mit leisem Rosa angetönt ... ihn umzog ein dünnes goldenes
+Kettchen mit einem smaragdgrünen Darmstädter Glasschmuck ... Für
+Maleraugen ein Fest ...!
+
+Das sprach er nach Tisch bei der Zigarre dem Hauptmann aus.
+
+Der griff die Andeutung rasch und gewährungsfreudig auf.
+
+Martin merkte, er war einem geheimen Wunsch seines Kompagniechefs
+entgegengekommen ...
+
+Und zwei Tage später stand der Maler im Wintergarten der Villa Brandeis
+mit Pinsel und Palette der Hausherrin gegenüber. Flamberg hatte sich
+ein förmliches Atelier zwischen den Palmen und Skabiosen improvisieren
+dürfen. Als Hintergrund hatte er eine spanische Wand aufgestellt und
+eine blaßrosa Sammetdecke darüber aufgehängt, die er in einem der
+Salons entdeckt hatte.
+
+Er selber trug über der grauen Litewka eine grobe blaue Küchenschürze,
+die Frau Cäcilie persönlich unter Lachen und Scherzen ihm
+umgebunden ...
+
+Und nun durfte er sie ungeniert und gründlich betrachten, wie sie vor
+ihm im Sessel lehnte in dem Kostüm von neulich, das er sich ausgebeten
+hatte ... in der fraisefarbenen Seidenrobe mit dem rieselnden Gewirk
+bronzener Spitzen ... mit dem geraden Ausschnitt, der die herrliche
+Schulterlinie enthüllte ...
+
+Seltsam war ihr zumute unter dem durchdringenden, enthüllenden Blick
+der braunen, durstigen Künstleraugen ... Weich ... hingebend ...
+opferfroh ...
+
+Einmal trat der Maler auf sie zu, um ein paar Falten ihres Gewandes
+anders zu ordnen ... da durchschauerte es sie ... unwillkürlich schloß
+sie leise die Augen ... neigte das flimmernde, duftende Haupt
+zurück ...
+
+Martin Flamberg mußte sich zusammennehmen ... mußte mit Gewalt an seine
+ferne Agathe denken ...
+
+Und das war nun jeden zweiten Tag ein paar Stunden ... jeden zweiten
+Tag ...
+
+Manchmal kam Hauptmann von Brandeis vom Nachmittagsbesuch im
+Kompagnierevier zurück, steckte, freundlich lächelnd, den Kopf ins
+»Atelier«, warf einen prüfenden Blick auf die Fortschritte des Abbildes
+... einen strahlenden auf das Original ...
+
+Das Lächeln, das diesen Blick erwiderte, ward täglich matter und matter
+... Brandeis merkte es nicht.
+
+»Wie finden Sie meinen Mann?« fragte Frau Cäcilie einmal den Künstler.
+
+»Ich bin ihm sehr gut, er ist so eine wahre Natur, durch und durch
+echt -- so etwas empfinden wir stets als besonders wohltuend -- wir
+verlogenes, verdorbenes Künstlergesindel, wir --«
+
+»Verlogen und verdorben -- seid ihr alle so --?«
+
+»Alle ... das liegt in unserm Handwerk ... das ganze Leben ist uns ja
+doch nur ein Vorwand ... alle Menschen sind uns nur Mittel zum Zweck
+...«
+
+»Aber zu was für einem Zweck --!«
+
+»Zu keinem schlechten -- das weiß Gott! -- Aber die Menschen, die mit
+uns umgehen, sind dennoch immer betrogen ... wir nützen sie aus, und
+sie dürfen's nicht merken ... beileibe nicht ... daß sie uns nichts
+sind als Modelle!«
+
+»Das sagen Sie -- ein Bräutigam?«
+
+»Das ... steht auf einem andern Blatt, gnädige Frau ...«
+
+»Also doch nicht so ganz Übermensch ... doch irgendwo ein Fleckchen in
+Ihrem Herzen, wo man sich anbauen kann?! --«
+
+Martin Flamberg malte und schwieg.
+
+»Heut abend bleiben Sie zum Tee bei uns! -- Mein Mann kommt erst
+um acht Uhr aus der Kaserne zurück -- Sie werden mir inzwischen
+Gesellschaft leisten, und ich werde Ihnen etwas vorsingen!«
+
+Martin Flamberg atmete tief auf ... »Wer könnte da ›nein‹ sagen --?«
+
+»Ich habe schon lange auf die Gelegenheit gelauert, Ihnen zu zeigen
+... ein bißchen Wer bin ich auch ... ein bißchen mehr als all die
+Kommißgänschen hier herum ... ein ganz klein bißchen pass' ich auch in
+die Welt, in der Sie heimisch sind --«
+
+-- -- Und Frau Cäcilie saß am Flügel ...
+
+Sie schien zu wachsen, als nun die ersten Akkorde aufschauerten unter
+den schlanken, nervösen Fingern ...
+
+Nur die Kerzen am Instrument brannten im Zimmer ... warfen gelbe
+Lichter auf die erdbeerfarbene Seide ... flimmernde Reflexe in die
+straffe Haarkrone -- darunter schimmerte die weiße Stirn mit mattem
+Opalglanz ...
+
+Nun öffnete sich sanft der schmale Mund ... und weiche Töne quollen
+durchs Zimmer:
+
+
+ »Nicht im Traume hab' ich das gesehn,
+ hell im Wachen stand es schön vor mir,
+ eine Wiese voller Margeriten ...«
+
+
+Martin saß im Halbdunkel. Ah, Straußens »Freundliche Vision« --
+die dunkelschwüle Weise, wie sie zu der Stunde paßte ... Martins
+Seele löste sich ganz ... ein heißes Fluten hub an, wogte und webte
+durcheinander ...
+
+
+ »Und ich geh mit einer, die mich lieb hat,
+ ruhigen Gemütes in die Kühle
+ dieses stillen Gartens, in den Frieden,
+ der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.«
+
+
+Mit einer, die mich lieb hat ... Agathe ... Agathe ...
+
+Gewaltsam hatte Martin die Erregung zurückzudrängen versucht, die aus
+der Tiefe seiner Seele in seine Augen quoll ... Nun übermannte es ihn
+plötzlich ...
+
+»Herr Flamberg, was haben Sie --?«
+
+»Ich habe heim gedacht ... heim gedacht an ein fernes Mädchen -- das
+hat keine Ahnung, daß ich in diesem Augenblick --«
+
+»Nun -- was?«
+
+»-- daß ich einer Stimme lausche ... einer Stimme, die nicht die ihre
+ist ...«
+
+»Nun -- und was ist dabei?«
+
+»Viel ist dabei -- -- --«
+
+»Ach Sie -- Sie Künstler Sie -- ich weiß ja, alles nur Vorwand, alles
+nur Modell ... Sie haben's ja selbst gesagt.«
+
+»Gnädige Frau --!«
+
+»Haha ... nun wollen Sie's wohl gar nicht Wort haben ... aber Sie haben
+sich verraten ... Nun dürfen Sie sich nicht wundern, wenn man Sie nicht
+so tragisch nimmt!«
+
+Die junge Frau ging mit raschen Schritten zum Flügel zurück ... schlug
+einen schrillen Akkord an ... ging in eine tolle Walzermelodie über ...
+dann brach sie plötzlich ab, sang zu übermütiger Weise abermals einen
+Bierbaumschen Text:
+
+
+ »Maikater singt die ganze Nacht:
+ Der Frühling ist erwacht, erwacht!
+ Der Frühling ist erwacht!«
+
+
+»Ah, ihr musiziert? -- Das ist recht ... und so lustig! -- Das freut
+mich! Entschuldige, liebes Kind, daß ich so spät komme ... und auch
+Sie, lieber Flamberg ... danke Ihnen, daß Sie meiner Frau Gesellschaft
+geleistet haben ...!«
+
+-- -- An diesem Abend vergaß Martin Flamberg zum ersten Male, vorm
+Schlafengehen am Sternenhimmel Agathens Augen zu suchen.
+
+ * * * * *
+
+Am 17. August, am Vorabend des Tages von Gravelotte, wurde das Regiment
+aus der Stimmung der Festvorbereitung durch eine plötzliche Trauerkunde
+gerissen: Seine Durchlaucht der Erbprinz von Nassau-Dillingen, der
+Kommandeur des rheinischen Armeekorps, war nach kurzer Krankheit in
+Koblenz gestorben.
+
+Wenige Stunden nach Ankunft der Trauernachricht kam auch bereits die
+Allerhöchste Kabinettsorder, nach welcher die Offiziere des Armeekorps
+auf vierzehn Tage Trauer anzulegen hatten.
+
+In dieser Zeit eine große Feierlichkeit mit Musik und Tanz zu
+begehen, das wäre nicht schicklich erschienen. Und so mußte das lange
+vorbereitete Regimentsfest bis zu einem andern großen nationalen
+Gedenktage, dem Tage von Sedan, aufgeschoben werden. Dieser Tag hatte
+sonst für das Regiment nur die allgemeine patriotische Bedeutung, nicht
+die spezielle eines Ruhmestages: denn das rheinische Armeekorps hatte
+ja bei Sedan nicht mitgefochten.
+
+In anderer Beziehung aber klappte es mit der Verlegung recht hübsch.
+Der 2. September fiel nämlich auf einen Sonntag. Und da am Dienstag,
+den 4. September, die Abfahrt ins Manövergelände im Hunsrück angesetzt
+war, so blieb Montag, der 3., zum Packen, und das Regimentsfest wurde
+so, außer einem Begrüßungsfest für die Kommandeuse, zugleich ein
+Abschiedsfest.
+
+Für die aktiven Herren bedeutete das Ausrücken ins Manövergelände einen
+dreiwöchigen Abschied aus der Garnison.
+
+Die Offiziere des Beurlaubtenstandes würden überhaupt nicht mehr in
+die Garnison zurückkehren; sie würden sich am letzten Manövertage nach
+Schluß der Übung bei der Kritik abmelden können und galten damit als
+entlassen, um von der nächsten Bahnstation aus auf dem kürzesten Wege
+in ihre Heimat zurückkehren zu können.
+
+-- Die letzten Wochen vor dem Feste waren verhältnismäßig ruhig
+verlaufen.
+
+Martin Flamberg hatte das Bild der Frau von Brandeis vollendet, und
+damit war für ihn die Veranlassung zu seinen regelmäßigen Besuchen
+in der Villa Brandeis weggefallen, nachdem im Kreise der Intimen des
+Hauses bei einer Sektbowle »Firnistag« gefeiert worden war ...
+
+Am folgenden Morgen hatte Hauptmann von Brandeis auf dem Rückmarsch von
+der Felddienstübung den hinter ihm marschierenden Flamberg an die Seite
+seines Pferdes gewinkt und hatte mit ihm in schnellerem Tempo einige
+Schritte Vorsprung vor der marschierenden Kompagnie gewonnen:
+
+»Nun sagen Sie mal, lieber Flamberg, wir wollen uns ganz offen darüber
+aussprechen -- und ich denke, Sie nehmen mir das wohl nicht übel --
+Sie haben mir da das ersehnte Bild meiner Frau gemalt. Und Sie wissen
+ja, ich bin in ganz erfreulichen Verhältnissen. Bitte, machen Sie mir
+jetzt Ihren Preis, und genieren Sie sich durchaus nicht, die Sätze zu
+berechnen, die Sie auch sonst von Ihren Auftraggebern beanspruchen.«
+
+Martin Flamberg sann einen Augenblick nach. Er fand es sehr richtig und
+vornehm von Herrn Brandeis, daß er es seiner, des Malers Entscheidung
+überließ, wie er die Angelegenheit auffassen wolle:
+
+»Ich bitte ganz gehorsamst, Herr Hauptmann, mir gestatten zu wollen,
+meine Arbeit Ihrer Frau Gemahlin als bescheidenen Ausdruck meines
+Dankes für liebenswürdige Gastfreundschaft zu Füßen zu legen, und
+Ihnen, Herr Hauptmann, als gleich bescheidenen Dank für die gütige
+Aufnahme, die ich schon zum zweiten Male bei der Königlichen Ersten
+gefunden habe!«
+
+Brandeis markierte liebenswürdige Verlegenheit: »Aber lieber Flamberg,
+wie soll ich das nur wieder gut machen?«
+
+»Das haben Herr Hauptmann bereits vorher getan! Nur eine Bitte möchte
+ich mir gestatten auszusprechen, vorausgesetzt selbstverständlich die
+Zustimmung Ihrer verehrten Frau Gemahlin: ich möchte bitten, mir zu
+erlauben, das Bild im nächsten Frühjahr in Berlin auszustellen!«
+
+»Na, lieber Flamberg -- -- selbstverständlich werde ich ja den Fall mit
+meiner Frau besprechen müssen ... aber ich zweifle nicht im geringsten
+daran ... daß sie stolz sein wird, in solch einer meisterhaften
+Verkörperung ... vor der staunenden Mitwelt paradieren zu dürfen ...«
+
+-- -- »Ja, was machen wir da, Cäcilie?« fragte Brandeis daheim, nachdem
+er berichtet hatte. »Eigentlich ist mir die Sache ein bißchen fatal ...
+das Bild ist ja ein fürstliches, ein unbezahlbares Geschenk ... das
+kann ich ja eigentlich gar nicht annehmen von dem fremden Herrn.«
+
+»Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!« meinte Frau Cäcilie,
+»jedenfalls müssen wir uns in irgendeiner Form revanchieren.«
+
+»Da fällt mir was ein: Flamberg ist doch verlobt und heiratet
+unmittelbar nach dem Manöver. Da werden wir ihm also ein schönes
+Hochzeitsgeschenk machen!«
+
+»Aber bitte, nicht etwa einen Wertgegenstand, der auch nur einigermaßen
+wie eine Bezahlung aussieht!«
+
+»Ne, selbstverständlich das nicht!« lachte der Hauptmann, »das möchte
+uns auch wohl doch ein bißchen schwer fallen! -- Weißt du, daß er für
+jedes der Bilder in der Sezession fünfzigtausend Mark bekommen hat?«
+
+»Mir fällt noch etwas anderes ein ... selbstverständlich, das mit dem
+Hochzeitsgeschenk, das wird gemacht ... aber ich werde der Braut einen
+prachtvollen Korb Rosen schicken mit unserer Visitenkarte!«
+
+Der Hauptmann war einverstanden. Und Frau Cäcilie ließ ein riesiges
+Arrangement prachtvoller La-France-Rosen zusammenstellen. Dazu sann sie
+sich noch etwas anderes aus: sie ließ Flambergs Werk photographieren
+und fügte eines der Bilder ihrer Sendung an die Braut des Malers bei.
+Zu dieser Sendung schrieb sie selbst ein paar Begleitzeilen:
+
+
+ »Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein, empfangen Sie hierbei das
+ Abbild des jüngsten Meisterwerkes Ihres Herrn Bräutigams, und
+ erlauben Sie dem Original und dem künftigen Mitbesitzer des
+ herrlichen Werkes, Ihnen die herzlichsten Wünsche zu Ihrer
+ demnächstigen Vereinigung auszusprechen.
+
+ Ein Mann, dem wir andern alle nichts sind als der gleichgültige
+ äußere Anstoß für sein Schaffen, nichts als ein Motiv, ein Modell,
+ das man festhält mit raschem, unfehlbarem Pinsel, und das dann,
+ ach so schnell, einem neuen Platz machen muß, nichts als ein paar
+ bunte Farbflecke in der Außenwelt -- -- einem solchen Mann dürfen
+ Sie Lebensgesellin sein -- Sie Glückliche. --
+
+ Empfangen Sie unsre aufrichtigsten Empfehlungen.
+
+ Fritz und Cäcilie von Brandeis.«
+
+
+Als Agathe van den Bergh diese Zeilen las, gab es ihr einen Ruck am
+Herzen ... Lange, lange studierte sie die Züge der Photographie,
+die klare Schrift mit den festen Grundzügen und dem kapriziösen
+Schnörkelgerank ...
+
+So war es nun schon die zwei Jahre hindurch gewesen: jedesmal, wenn
+sie ein neues Werk des Geliebten sah, hatte sie dies dumpf nagende
+Wehgefühl ... Es war nicht Eifersucht ... es war der unbegriffene
+Schmerz der reinen Mädchenseele, die empfand, daß sie dem geliebten
+Manne nicht alles -- nicht alles war -- niemals alles werden würde --
+ach nein, niemals mehr denn ein kleiner, kleiner Ausschnitt aus seiner
+Welt --
+
+Es war nicht Mißtrauen ... nur das geheime Grauen war's des ahnenden
+Mädchenherzens vor den Abgründen im Leben, in der Sehnsucht, in der
+Vergangenheit und Gegenwart des Mannes ... des Künstlers.
+
+ * * * * *
+
+Am vorletzten Samstag vor dem Ausrücken -- es war der 25. August --
+ging Martin Flamberg auf einen viertägigen Urlaub nach Düsseldorf ...
+
+Wie im Fluge verstrichen ihm die wenigen Stunden der Heimfahrt ...
+
+Welch ein Sturm in ihm ... welch ein Sturm der Gefühle -- der
+Leidenschaften -- der Gedanken -- der Grübeleien und Träume ... Agathe
+hatte ihm den großen Frieden seines Lebens bringen sollen -- ihn
+ausfüllen bis in die Tiefen seiner Seele ... Er hatte gewähnt, in ihr
+jene große Liebe gefunden zu haben ... jene große Liebe, von der alle
+Menschen träumten ... und die Künstler heißer und sehnsüchtiger denn
+alle andern ... und nun -- --
+
+Seine Besuche bei Frau Cäcilie hatten nun aufgehört, und seitdem erst
+war es ihm ganz bewußt geworden, was diese Besuche ihm bedeutet hatten
+... Nein wahrlich, was seitdem in seiner Seele fieberte und stürmte,
+das hatte wenig Ähnlichkeit mit dem großen Frieden, den er erhofft ...
+
+Agathe empfing ihn am Bahnhof. Der Präsident van den Bergh begleitete
+seine Tochter.
+
+Martin fühlte, wie seine Braut ihn prüfend ... angstvoll beobachtete
+... Er fühlte es, ohne daß er den Zusammenhang begriff; denn Agathe
+hatte es nicht übers Herz bringen können, auch nur ein Wort über die
+Sendung der fremden Dame und das seltsame Briefchen, das sie begleitet
+hatte, an ihren Verlobten zu berichten ...
+
+War es so etwas wie böses Gewissen, was Martin Flamberg hellsichtig
+machte für die verhohlene Befangenheit seiner Erkorenen ...? Er gab
+sich lebhaft ... heiter ... ungezwungen ... mit fast lärmhafter
+Lustigkeit ... Und dabei fühlte er doch, daß sie seine Absicht
+durchschaute ...
+
+»Nun, Martin,« sagte der Präsident bei der Heimfahrt, »Sie haben
+inzwischen auch wieder eine neue Arbeit vollendet?« Der Präsident
+hatte sich noch heute nicht entschließen können, seinem Schwiegersohn
+das väterliche Du entgegenzubringen.
+
+»So, hat Agathe Ihnen erzählt -- ja gewiß, Papa, ich habe meine Zeit
+gründlich ausgenutzt.«
+
+»Eine schöne Frau! -- Ich erinnere mich ihrer noch sehr gut ... als
+Backfisch machte sie Furore in unsern Salons ... aber sie muß sich
+inzwischen noch mächtig herausgemacht haben, nach Ihrem Bilde zu
+schließen.«
+
+»Aber -- woher wissen Sie, Papa --?«
+
+Dunkelglühend, mit niedergeschlagenen Augen sagte Agathe: »Die Dame hat
+mir einen prachtvollen Rosenstrauß geschickt ... und eine Photographie
+ihres Bildes ...«
+
+»Und davon hast du mir nichts geschrieben!?«
+
+»Ich dachte, sie hätte es dir selber gesagt.«
+
+»Nein, das hat sie nicht -- ich habe sie auch nicht mehr gesehen, seit
+das Bild fertig ist ...«
+
+-- -- Zu Hause, im ersten Augenblick des Alleinseins warf sich Agathe
+mit einem leisen Stöhnen an seine Brust, sah ihm tief in die Augen:
+»Ach, Martin, kommst du mir so wieder, wie du gegangen bist -- --?«
+
+»Aber Kind -- was hast du nur?!«
+
+Stumm zeigte ihm Agathe Cäciliens Bild und Brief ...
+
+Tief atmend überflog Martin die seltsamen Zeilen ... Gott, sie sagten
+ihm ja nichts Neues ... er wußte ja doch schon ... Aber Agathe mußte
+beruhigt werden ...
+
+Wie sie so vor ihm stand, da glich sie so ganz wieder jener Gestalt,
+die das Faustbuch von Wilhelm Frobenius in seiner Phantasie lebendig
+gemacht ... ganz wie Gretchen sah sie aus, die bebenden Herzens den
+Geliebten fragt, ob er glaube, glaube an eine ewige Macht, die den
+Wandel unseres Schicksals lenkt ...
+
+Und in einem Wirbel des Gefühls riß er die geliebte Gestalt in seine
+Arme und küßte die schweren Tränen aus seines Mädchens Augen ...
+
+Aber während er die bebende Braut an seinem Herzen hielt, fühlte er mit
+Grausen, daß er einer andern denken mußte ... immerzu ... immerzu einer
+andern ... so, wie sie ihm gegenüber gestanden hatte in der letzten
+Stunde zweieinsamen Beisammenseins ...
+
+Das Bewußtsein, daß diese Stunde niemals wiederkommen werde, hatte
+beiden mit jähem Griff plötzlich die Kehle ... das Herz umschnürt ...
+
+Herrgott, warum gab es Schranken in der Welt? -- Was half dem
+Künstler die Phantasie -- die allmächtige, allerfassende, die ihn die
+grenzenlosen Reiche der Schönheit nur darum in all ihrer Herrlichkeit
+überschauen lehrte, damit das Leben selbst ihn dann immer wieder
+ausschlösse von dem Besitz alles dessen, was er viel tiefer doch als
+andere empfand ... viel tiefer verstand ... viel tiefer hätte genießen
+können ...
+
+Martin hatte die Zähne zusammengebissen ... hatte das letzte Aufgebot
+all seiner Seelenkräfte in sich aufgerufen zu keuchendem Kampfe gegen
+die Versuchung, dies Weib in seine Arme zu schließen ... das Weib des
+vertrauenden Mannes, des Vorgesetzten, des Kameraden ... Und er wußte
+es wohl: die Glut all dieser verschwiegenen Kämpfe hatte er seinem
+Werke eingehaucht ... Er wußte: es war sein bestes geworden.
+
+Und hatte Agathe das nicht herausgefühlt -- nicht ahnend empfunden --
+selbst aus dem schattenhaften Abbild seines Werkes, das sie allein erst
+kannte?!
+
+Und warum mußte er dieser letzten Sekunde des heißen Kampfes, des
+schmerzvoll bittern Sieges gedenken ... in diesem Augenblick ...
+im Arme des Mädchens, das er sich zur Kameradin seines Lebens, zur
+Friedenbringerin seines Herzens erkoren?
+
+Sie hatte ihn nicht gebracht ... den ersehnten Frieden ... Ob er wohl
+kommen würde, wenn er sie einmal ganz sein eigen nennen durfte?
+
+An diese Hoffnung wollte er sich anklammern.
+
+
+
+
+ Achtes Kapitel.
+
+
+Und nun saß Martin Flamberg inmitten des glänzenden Kreises des
+Regiments Prinz Heinrich der Niederlande und seiner Damen im
+kerzenhellen Kasino vor dem Vorhang, hinter dem das Festspiel sich
+entrollen sollte.
+
+Wirklich eine stattliche Versammlung.
+
+Zu den Offizieren des Regiments hatte sich ein größerer Zuzug fremder
+Uniformen gesellt, deren Träger dem Regiment nahe standen.
+
+Voran natürlich der Brigadekommandeur mit seinem Stabe, ferner
+der Bezirkskommandeur mit seinem Adjutanten, dann eine Anzahl
+glatzköpfiger, weißbärtiger Herren, pensionierter Generale und
+Stabsoffiziere mit redseligen Gattinnen und leise verblühenden
+Töchtern; denn die Villenvorstadt der Garnison war eine vielbegehrte
+Pensionopolis. Auch sämtliche in erreichbarer Nähe wohnenden inaktiven
+und Reserveoffiziere des Regiments hatten sich eingefunden.
+
+Zu den Waffenröcken, die bei den ältern Herrn von einem bunten
+Ordensgeflimmer erhellt waren, gesellte sich ein lichtfarbiger,
+gleißender Damenflor.
+
+Allerdings, die Gattin des Brigadekommandeurs hatte sich entschuldigen
+lassen in taktvoller Rücksicht auf Frau Baronin von Weizsäcker;
+galt doch der Kommandeuse das ganze heutige Fest, soweit es als
+ein gesellschaftliches Ereignis ausgestaltet war. Und so hatte
+die Frau Generalin sich zurückgehalten, damit die Gattin des
+Regimentskommandeurs die Ehren des Abends unverkürzt als erste genieße.
+
+Von den Stabsoffizieren war der trunk- und wetterfeste Oberstleutnant
+Rautz Junggesell, der hagere, unnahbare Major Blasberg seit fast zwei
+Jahren Witwer.
+
+So bildeten die spinöse Frau von Sassenbach, die ihre bürgerliche
+Geburt durch sehr starke Betonung aristokratischen Wesens zu
+verdecken suchte, und die aus uraltem Adel stammende, rundliche Frau
+von Czigorski, die mit ihrem Manne in lautem und bourgeoisem Wesen
+wetteiferte, die nächste Umgebung der Frau Oberst.
+
+Die Gruppe dieser drei Damen war der Mittelpunkt der Weiblichkeit. An
+sie gliederte sich auf der einen Seite die Schar der meist schon etwas
+greisenhaften Gattinnen der Pensionierten, auf der andern Seite die
+der jungen Frauen der Hauptleute und Oberleutnants und endlich eine
+ganze Schar junger Mädchen, teils Offizierstöchter, teils geladene
+Freundinnen der letztern aus der Stadt.
+
+Im großen Saale waren die Stuhlreihen gestellt. Die Bühne war in der
+Veranda aufgeschlagen, die große Glastür ausgehoben, ihr Rahmen bildete
+das Proszenium.
+
+Hinterm Vorhang harrte der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen,
+aufgeregt wie nur je ein dramatischer Dichter am Abend seiner Premiere
+an einer Weltstadtbühne, selbstverständlich wieder in Dienstanzug und
+»Porzellanbuchsen«, Regisseur und Inspizient in einer Person.
+
+Neben ihm saß als Souffleur der jüngste Leutnant Carstanjen, sehr
+ungnädig über dies Kommando, das ihn für eine Stunde dem Flirt im Saal
+entzog.
+
+Im Augenblick, als Hans Friesen das erste Glockenzeichen geben
+wollte, fiel sein Blick seitwärts, wo plötzlich, wie aus der Erde
+gewachsen, der Gefreite Manes seiner Kompagnie stand, schlotternd vor
+Befangenheit, im Drillichanzug, mit der schwarzen Gefreitenschnur um
+den Jackenkragen, die zerknüllte Feldmütze in der Hand, ganz geblendet
+von den paar Strahlen Festglanz, die seine weit aufgerissen starrenden
+Augen erhascht hatten. Er machte dem Unteroffizier hilflose
+Winkzeichen.
+
+»Haben Sie was für mich, Manes?«
+
+»Jawohl, Herr Unner'ffzier ... ene Zettel vom Herr Feldwebel!«
+
+Voll düsterer Ahnung nahm Hans den Wisch, entrollte ihn und las:
+»Morgen früh fünf Uhr zur Aufsicht beim Umbau von Schießstand 5. Düfke,
+Feldwebel.«
+
+Aha, der Neid der Götter! -- Hol's der Teufel!
+
+In der Eile betete Hans Friesen das Register sämtlicher Flüche her, die
+er während seines Dienstjahres aus dem Munde der Kapitulanten seiner
+Kompagnie vernommen hatte.
+
+»Na, Manes, stehen Sie noch immer da? -- Sagen Sie dem Herrn Feldwebel
+einen schönen Gruß von mir, und er könnte --«
+
+Es war doch geratener, den Rest zu verschlucken ... das Dusseltier war
+imstande, die Bestellung auszurichten ...
+
+O welche Lust, Soldat zu sein --!
+
+Auf einmal klang eine weiche Stimme neben ihm: »Guten Abend, Herr
+Friesen!«
+
+Herrgott, Molly von Sassenbach als »Friede«.
+
+Mein Himmel, wie schön ... wie unsagbar schön das Mädchen aussah! Zwar
+das rote Griechengewand, das sie trug, paßte eigentlich verflucht wenig
+zu ihrer Mission; aber an dem goldenen Palmenzweig, den sie im Arme
+hielt, konnte man ja bei einigem guten Willen immerhin erkennen, was
+sie vorstellen sollte.
+
+»Fühlen Sie, wie ich zittere!« Sie hielt ihm die kleine, duftige Hand
+hin.
+
+»Das nennt man Lampenfieber!« scherzte er gezwungen.
+
+»Wie schade, nun sind die Proben zu Ende!«
+
+»Jawohl ... und übermorgen geht's fort ... und ich seh Sie nicht mehr
+wieder ...«
+
+»Kommen Sie denn nicht noch einmal zurück in die Garnison?«
+
+»Das wohl ... vierzehn Tage, um das Offiziersexamen zu machen! -- Aber
+dann -- dann sind Sie wieder das Majorstöchterlein ... und ich der
+simple Kommißknote ...«
+
+»Aber Sie kommen doch zum Frühjahr zur Übung ins Regiment?!«
+
+»Ach -- im nächsten Frühjahr! ... Das ist eine Ewigkeit --!«
+
+»Herr Friesen, ich will Ihnen etwas anvertrauen: vielleicht sehen wir
+uns doch schon früher wieder -- -- nämlich ... das Manöver ist doch im
+Hunsrück ... und -- --«
+
+In diesem Augenblick stürzte der Leutnant Carstanjen, der inzwischen
+auf der Bühne mit Frau von Brandeis und Nelly geschwatzt hatte, heran
+und rief: »Donnerwetter, Friesen -- machen Sie doch los --!«
+
+Zähneknirschend gab Hans Friesen das Klingelzeichen ... und der Vorhang
+flog in die Höhe ...
+
+Alles klappte vortrefflich.
+
+Zwar Martin Flambergs Malerauge stand Qualen aus, als er die
+Farbenzusammenstellungen an Kostümen und Dekorationen sah ...
+
+Leutnant Blowitz, der »für die Regie verantwortlich zeichnete«, hatte
+sich törichterweise nicht entschließen können, die Unterstützung
+des doch im Regiment vorhandenen Malers heranzuziehen. Wozu von der
+Anerkennung der Vorgesetzten und ihrer Damen noch etwas auf einen
+Herrn fallen lassen, der in drei Wochen wieder nach Hause ging ...?
+Das konnte doch in der Familie bleiben ... das konnte man ja selber
+verdienen ...
+
+Die Folgen waren schrecklich.
+
+Frau Cäcilie natürlich sah so blendend schön aus, wie ihr Kostüm
+und ihre Frisur geschmackvoll und sachgemäß waren, aber die
+Majorsmädels in ihren roten und lila allegorischen Kostümen aus dem
+Maskenverleihgeschäft, und vollends Leutnant Blowitz als »Krieg« in
+einer Rüstung, die ein Mittelding zwischen einem mittelalterlichen
+Ritterharnisch und einem griechischen Heroenpanzer darstellte und
+aussah, als sei sie aus Trümmern von Konservenbüchsen zusammengenietet
+... geradezu schaudervoll!
+
+Die Dekorationen zu den lebenden Bildern hatte ein kundiger Thebaner
+von Anstreichergehilfen, den Blowitz unter den Füsilieren der dritten
+Kompagnie ausfindig gemacht, nach dem Muster der berühmten Gemälde im
+Offizierkasino zusammengepinselt.
+
+Vor diesen fragwürdigen Hintergrund hatte Blowitz die lebenden Bilder
+gestellt, so gut er's verstand.
+
+Er war nicht ungeschickt in solchen Veranstaltungen. In seinem frühern
+Regiment war er vereidigter Festarrangeur gewesen ... und das hatte
+ihm den Rücken gesteift gegen die Versuchung, den Sachverständigen
+heranzuziehen, der zur Hand gewesen wäre.
+
+Na, es ging auch so. Und jedenfalls -- das Publikum war von der
+Leistung, die auf dem eigenen Holze des Regiments gewachsen war,
+vollkommen zufriedengestellt.
+
+Und als schließlich im letzten Bilde die Gipsbüste Seiner Majestät
+erschien, von den flackernden und knisternden Flammen zweier
+bengalischer Feuerwerkskörper beiderseits angestrahlt, umgeben von
+einer Huldigungsgruppe von Soldaten und allegorischen Jungfrauen -- da
+erhoben der General und der Oberst sich mit einem klirrenden Ruck von
+ihren Stühlen, die ganze Zuschauerschaft folgte, die Regimentsmusik
+schmetterte die Kaiserhymne, und in heller Begeisterung vermischten
+sich die hellen Stimmen der Damen mit den dröhnenden der Offiziere.
+
+Dann tönte lauter Applaus ... der Vorhang über dem lebenden Bilde
+öffnete sich zum zweiten Male ... und nun rief der General mit
+schallender Stimme in den Saal: »Seine Majestät, unser allergnädigster
+Herr -- Hurra -- Hurra -- Hurra!«
+
+Die Fensterscheiben klirrten ... die Damen winkten mit der Hand und
+schwenkten ihre weißen Schals ... die Musik gab im Tusch das Letzte
+ihrer Lungenkraft her ... es war ein Getöse, als solle der jüngste Tag
+anbrechen ...
+
+Und abermals dröhnender Applaus ... die Darsteller verneigten sich ...
+
+Aus den Reihen der jüngern Offiziere tönten laute Rufe: »Blowitz --
+Blowitz --!«
+
+Die Gruppe schob den »Krieg« in den Vordergrund ... er verneigte sich,
+hold errötend unter seiner Schminke ... immer und immer wieder ...
+
+In der Ecke hinter dem Vorhang aber stand im Ordonnanzanzuge der
+Festspielpoet ... Um ihn kümmerte sich kein Mensch, selbst Molly von
+Sassenbach hatte ihn ganz vergessen ...
+
+Oder ob auch sie das Gefühl hatte, daß es ein wenig stilwidrig wirken
+würde, wenn in diesem Augenblick ein Unteroffiziersrock und ein Paar
+»Porzellanbuchsen« im Vordergrunde des Bildes erschienen ...?
+
+Erst als nun der Vorhang zum letzten Male gefallen war und die
+Mitwirkenden in glückseliger Erregung, froh des stolzen Gelingens, laut
+plaudernd und schwatzend in die als Garderobenräume eingerichteten
+Korridore abströmten, gewahrte Molly plötzlich den unglücklichen
+Einjährigen in seiner Ecke: »Herrgott -- Sie haben wir ja ganz
+vergessen -- --! Na -- das ist 'ne schöne Bescherung --!«
+
+»Poetenlos -- gnädiges Fräulein!«
+
+»Na warten Sie -- nachher wird der Oberst sicher mit Ihnen sprechen
+-- und dann -- dann tanzen wir zusammen, wir zwei -- nicht wahr, Herr
+Friesen?!«
+
+Aber Mollys Prophezeiung erfüllte sich nicht, wenigstens nicht in ihrem
+ersten Teil.
+
+Zwar hatte Hans Friesen eine offizielle Einladung zum Fest bekommen.
+Er hatte heimlich gehofft, als Festspielpoet bei den Mitwirkenden des
+Abends seinen Platz zu finden.
+
+Aber als er in den nun wieder hell erleuchteten Speisesaal trat, da
+kümmerte sich kein Mensch um ihn, und er drückte sich eine Zeitlang,
+völlig unbeachtet, in der gräßlichsten Stimmung an den Wänden herum.
+
+Als dann alles Platz nahm, wandte er sich in peinlicher Verlegenheit an
+den Vizefeldwebel, der den Dienst der Kasinoordonnanzen beaufsichtigte,
+und fragte, wo ihm sein Platz angewiesen sei. Der antwortete ganz kurz:
+»Da unten, bei die Avantageur!«
+
+Und richtig! -- Man hatte ihn chargenmäßig ganz unten am linken
+Hufeisenende zwischen die blutjungen Fähnriche und Fahnenjunker gesetzt
+...
+
+Diese jungen Herren fühlten sich als zukünftige aktive Offiziere dem
+Einjährigen um mindestens ein Dutzend gesellschaftliche Nasenlängen
+voraus und suchten ihn, den um fünf bis sechs Jahre ältern, von oben
+herab zu behandeln.
+
+Allmählich gewann Hans Friesen den Humor der Situation. --
+
+Nun, wenigstens bei den Bürschchen rechts und links wollte er sich
+sobald als möglich in Respekt setzen und wartete nur auf die erste
+passende Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren ...
+
+Inzwischen schaute er nach Molly um ... Sie saß am selben Tisch, aber
+weit höher hinauf, zwischen den Leutnants Carstanjen und Quincke, die
+ihr natürlich auf Mord und Tod den Hof machten ...
+
+Ekelhaft, dies verlebte, gelbe Gesicht des fatalen Quincke neben ihrem
+rosigen, preziösen Köpfchen ... ihren apfelblütenfarbigen Schultern,
+die sich nun so lockend und schimmernd aus dem rosa Ballfähnchen hoben
+...
+
+Und jetzt -- da ... sie hatte ihn erspäht, sie lächelte, sie hob
+unmerklich das Glas ... Er auch ... Blick tauchte in Blick, eine
+Sekunde lang --
+
+Der grünschnäblige Fähnrich von Berneck, kaum dem Kadettenkorps
+entschlüpft, siebzehn Jahre alt, hatte Friesens Blick bemerkt ... Er
+trug bereits das Portepee ...
+
+»Nanu, mit wem flirten Sie denn so vernehmlich?«
+
+»Ja ... das möchten Sie wohl wissen! -- Hehe! Neid der besitzlosen
+Klasse, was ...?! Na, halten Sie sich am Sekt schadlos! Prost, Herr von
+Berneck --!«
+
+»Ich bin für Sie der Herr Fähnrich von Berneck, Unteroffizier Friesen!«
+
+»Ach so, Sie wollen den ältern Kameraden 'rausbeißen,« sagte Friesen
+mit gewinnendem Lächeln, »na, dann lassen Sie sich sagen: ein jeder
+blamiert sich, so gut er's versteht! -- Nochmals: Prost, Herr von
+Berneck --!«
+
+Das Bürschchen wollte auffahren ... Aber die roten Abfuhren auf Stirn
+und Wange des Einjährigen leuchteten so martialisch, und in den
+harmlos lächelnden Augen blitzte ein Licht, scharf und hell wie eine
+niedersausende Säbelklinge. -- Achselzuckend wandte der Herr Fähnrich
+sich ab.
+
+Und Hans Friesen suchte und fand abermals Mollys Auge -- Mollys Lächeln
+...
+
+-- -- Die Tischordnung hatte den Kasinovorstand zwei schlaflose Nächte
+gekostet. Wahrhaftig keine Kleinigkeit, all die Muschirs und Paschas
+fein säuberlich nach der Zahl der Roßschweife zu verstauen ... Und noch
+peinlicher war die Plazierung ihrer holden Ehehälften und Töchter --
+dann dabei diese Unzahl von Wünschen der Kameraden -- und schließlich
+galt es doch auch noch, gewisse Regungen des eigenen Herzens zu
+berücksichtigen.
+
+Dieser Reserveonkel ... dieser Malfritze ... der hatte drei Wochen lang
+fast jeden zweiten Nachmittag ein paar Stunden mit der schönsten Frau
+im Regiment allein sein dürfen ... Skandal! -- Na, der hatte sich's
+natürlich nicht entgehen lassen, solch eine Gelegenheit nach allen
+Kräften auszunutzen ... Was mochte er erreicht haben?! -- Heut abend
+würde man zweifellos allerlei beobachten können ...!
+
+So hatte er der Frau von Brandeis den Witwer Major Blasberg als
+Tischherrn gegeben und sich selbst an ihre rechte Seite gesetzt -- --
+Flamberg gegenüber an die andere Hufeisenseite.
+
+Von den Reserveoffizieren hatte nur der harmlose, dicke Oberleutnant
+Brassert eine Tischdame bekommen, ein ältliches Stiftsfräulein, eine
+arme Verwandte des Majors Blasberg, die dem um zehn Jahre jüngern
+Vetter seit dem Tode seiner Frau die Haushaltung führte ... Mit dieser
+anmutigen Nachbarin saß Brassert, wie üblich, am Stabstisch.
+
+Frau Cäcilie unterhielt ein krampfhaftes Gespräch mit ihrem
+schweigsamen Tischherrn und mied es geflissentlich, ihrem Nachbarn zur
+Rechten auch nur ein Wort zu schenken.
+
+Gräßlich ... fühlen zu müssen, daß er keinen Blick von den Bewegungen
+ihrer entblößten Arme ... von dem Spitzensaum ihres Halsausschnitts
+verwandte ...
+
+Er knirschte über diese Vernachlässigung. Na, warte nur -- ein bißchen
+mehr als Luft bin ich doch -- -- Das sollst du merken, schöne Frau! --
+
+Als wiederum in der stockenden Unterhaltung seiner Nachbarin eine Pause
+eingetreten war, neigte er sich zu ihr, die sich beharrlich von ihm
+abgewandt hielt: »Gnädige Frau scheinen mich schlecht behandeln zu
+wollen?!«
+
+»Ich ... Sie? -- ich behandle Sie überhaupt nicht!«
+
+»Na ja, ich bin in Ungnade bei Ihnen -- das weiß ich ja!«
+
+»So -- das haben Sie also gemerkt!? -- Dann wundert's mich, daß Sie als
+Arrangeur der Tafel keine unterhaltsamere Nachbarschaft für sich gewußt
+haben als mich!«
+
+»Aber, gnädige Frau -- verstehen Sie das denn nicht? -- Ich hoffte
+Gelegenheit zu haben, mich Ihnen gegenüber in ein besseres Licht zu
+setzen!«
+
+»Ja, sehen Sie -- dann haben Sie sich also getäuscht!«
+
+»Das merk ich allerdings! -- Schade! Mir fehlen leider Gottes die
+Qualitäten, mit denen man sich bei Ihnen beliebt machen kann.
+Schlichter Soldat wie ich, verstehe nichts von Musik, malen kann ich
+auch nicht ... kurz, nicht für fünf Pfenn'ge Chance ...!«
+
+»Nun also ... Warum haben Sie sich denn mit aller Gewalt den schönen
+Abend durch meine Nachbarschaft verderben wollen?!«
+
+»Gnädige Frau -- was tut man nicht für das Glück, einen Abend neben der
+schönsten Frau im Regiment sitzen zu dürfen. -- So was kommt sobald
+nicht wieder, daß es von einem selbst abhängt. -- -- Der Vorzug, in
+Ihrem Hause zu Gaste geladen zu sein -- der hat mir bis jetzt ja nicht
+geblüht, wenn ich auch ebensogut wie alle andern Herren Ihnen meine
+Aufwartung gemacht habe -- --«
+
+»Herr Oberleutnant, Sie wissen so gut wie ich, daß Sie sich das Recht
+auf Gastfreundschaft in meinem Hause verscherzt haben!«
+
+»Ah -- das ist also noch immer nicht vergessen?! -- Tja -- ich versteh
+es eben nicht so gut wie mancher andere, meine Empfindungen im Zaume zu
+halten --!«
+
+»Pah -- Empfindungen -- -- Sie und Empfindungen?! Sie wissen überhaupt
+nicht, was Empfindungen sind -- --!«
+
+»Ich weiß nicht, was --?! Haha ... man möchte wahrhaftig anfangen, mit
+Gegenbeweisen zu renommieren ...!«
+
+»Unnötige Mühe! Ihr Renommee ist stadtkundig!« --
+
+»Tja ... was bleibt unsereinem übrig ... die Frauen, die man möchte,
+sind bereits anderweitig vergeben ... und überdies so unangenehm
+tugendhaft ... wenigstens unsereinem gegenüber! ... Tja -- wenn man
+ein Ritter der Feder wäre, wie dieser Tapergreis, der Frobenius ...
+Sehn Sie nur, gnädige Frau: Nelly von Sassenbach plaudert mit ihm über
+die ganze Tafel hinüber, und Herr von Schoenawa, ihr Tischherr, ist
+kaltgestellt ... Ja ja, die Herren von der Reserve ... die Herren von
+der Intelligenz ... das ist mal was anderes für die Damen ... da können
+wir einfachen Soldaten nicht konkurrieren ... Und wenn man nun gar ein
+berühmter Maler ist, wie ein gewisser anderer Herr -- --«
+
+»Bitte, sprechen Sie sich nur ruhig aus, Herr Oberleutnant --!«
+
+»O ich -- -- Sie werden begreifen, daß es mir nicht ganz gleichgültig
+sein kann, wenn man selbst von einer Dame so deutliche Zeichen ihrer
+Abneigung bekommen hat ... und irgend so ein Herr, der mal auf acht
+Wochen hier hineinschnüffelt ... der darf dann mit dieser selben Dame
+allein sein ... Wochen hindurch ... stundenlang ... Ich begreife Herrn
+von Brandeis nicht -- wahrhaftig!«
+
+»Herr Menshausen, Sie sind denn doch von einer Geschmacklosigkeit! --
+-- Wenn ich das nun meinem Mann erzählte?!«
+
+»Das ... würde sich wohl kaum empfehlen, gnädige Frau ... Ich bin der
+beste Schütze im Regiment!«
+
+»-- -- Sie sind verrückt! --«
+
+Mit bebenden Lippen wandte die schöne Frau dem Frechen den Rücken.
+
+Himmel ... wenn nur Major Blasberg nichts gehört hatte! -- Aber nein
+... der war tief, tief in sich versunken ... stumm sah er die Perlen
+in seinem Sektglase aufsteigen ... Frau Cäcilie wußte: der eiskalte,
+unzugängliche Mann dachte an nichts als an seine Frau, die seit zwei
+Jahren in kalter Friedhofserde lag ... an die Mutter seiner drei Buben
+...
+
+Gott, wie verschieden doch die Herzen ... die Charaktere aller dieser
+Männer, die einen Rock trugen ... eine Sprache sprachen ... das
+gleiche, mathematisch abgemessene und umzirkelte Leben führten ...
+
+Wenn sie selber nun heute stürbe?! -- Fritz, das wußte sie, würde dann
+auch so sitzen ... viele, viele Jahre lang ... und kein Weib mehr
+anschauen nach ihr ...
+
+Und jener andere -- nach dem jede Fiber ihres Leibes ... jeder
+Herzschlag ... jeder Gedanke sich sehnte?
+
+Er würde sich gratulieren, daß er sie noch gerade vor ihrem
+Verschwinden aus der großen Modellsammlung des Lebens eingefangen ...
+für seine Leinwand, die im nächsten Sommer als Reklame seines Pinsels
+von Ausstellung zu Ausstellung wandern sollte ... würde in die Arme der
+harrenden Braut eilen ... und weiter malen ... eine Schönheit nach der
+andern in sich hineinsaugen mit den braunen, durstigen Künstleraugen
+... und den vergänglichen Schmelz ihrer Jugendherrlichkeit, die
+verschwiegenen Tiefen ihrer Seelen zu ewiger Dauer auf seine Tafeln
+bannen ...
+
+Ach, wie ruhevoll und befriedend doch der Gedanke, daß ein treues Herz,
+ein ritterliches, makelloses Gemüt nur für uns lebt --
+
+Sie suchte den Blick ihres Mannes. Fritz saß ihr schräg gegenüber
+an der andern Hufeisenseite neben der bildschönen Frau des
+Bezirkskommandeurs. Er hatte kein Auge für die aufdringlich zur Schau
+getragenen Reize der überjungen Frau, die der alternde, zur Disposition
+gestellte Stabsoffizier in allzu großem Selbstvertrauen an sich
+gefesselt ...
+
+Nun fühlte Fritz den langersehnten Blick seines Weibes ... beglückt hob
+er das Glas ... trank ihr zu, strahlend wie ein Bräutigam ...
+
+Ach, und doch, und doch -- -- --
+
+ * * * * *
+
+Die Baronin von Weizsäcker hob die Tafel auf.
+
+Paar hinter Paar ... seideraschelnd ... sporenklirrend schob sich die
+Gesellschaft aus dem Speisesaal in die Empfangsräume. Hier hielt die
+Frau Oberst Cercle. Alles drängte sich heran ... die Offiziere, die
+jungen Mädchen wetteiferten der Gestrengen die brillantberingte Hand zu
+küssen.
+
+Sie war die typische Kommandeuse: geistig unbedeutend von Antlitz neben
+dem leuchtenden Gatten, doch äußerst pompös, beständig das Lorgnon an
+der Nase, voll zuckersüßer Herablassung gegenüber Gutangeschriebenen,
+hundeschnäuzig ablehnend einem jeden gegenüber, dessen Conduite
+zu wünschen übrig ließ, und in all diesen feinen Nuancen bereits
+erstaunlich Bescheid wissend. Ihr Benehmen konnte jedem einzelnen
+geradezu als Barometer seiner eigenen Stellung im Regimente dienen.
+
+Die Reserveoffiziere waren für sie ohne jegliches Interesse ...
+existierten einfach nicht. Und dies ihr Benehmen gab für alle Damen,
+die auf Korrektheit Wert legten, das Signal, die eingezogenen Herren
+mit kältester Zurückhaltung zu behandeln.
+
+Martin Flamberg stand abseits und beobachtete, das leise, ironische
+Lächeln des Menschenkenners auf den Lippen, mit scharfem Auge, dem
+nichts entging ... das durch all die korrekten Formen und Formeln in
+die Tiefe drang und das Ganze des Menschen packte, der sich hinter
+ihnen barg ...
+
+Und während sein Verstand sich mit skeptischer Ergötzung am Bilde
+der menschlichen Komödie weidete, erbaute sich das Malerauge an dem
+farbenbunten Bilde des äußern Geschehens ...
+
+Wie das wogte ringsum ... wie das flimmerte von Kraft und Anmut ... von
+Farbenglut und flirrendem Lichterspiel ...
+
+Ab und zu warf Martin auch einen Blick durch die halboffene Tür
+in den Speisesaal. Hier waltete eine Schar von Heinzelmännchen in
+Ordonnanzlivree und Füsilierrock ihres Amtes. Mit jener Präzision,
+welche den braunwangigen Burschen auf dem Exerzierplatz eingedrillt
+worden war, verwandelten sie den Speisesaal in einen Tempel der
+Tanzmuse. Mit Zauberschnelle verschwanden die geschmückten, silber- und
+blumenbeladenen Tafeln, mächtige Besen wurden geschwungen, Staubwolken
+flogen, Stuhlreihen umkränzten die Saalwände.
+
+In den Empfangsräumen trennte sich inzwischen die Gesellschaft nach
+Geschlechtern, die Damen ins Billardzimmer, wo die Ordonnanzen Tee und
+Süßigkeiten darreichten, die Herren ins Rauchzimmer zu Schnaps und
+Nikotin.
+
+Aber einige der keckern Damen überschritten doch bald wieder den
+Trennstrich der Geschlechter, unter dem Vorwand, sich eine Zigarette zu
+holen, und blieben im Rauchzimmer kleben.
+
+Frau Cäcilie suchte ihren Gatten auf, hängte sich an seinen Arm in
+dem starken Bedürfnis, sich an ihn anzuschmiegen, jenes Gefühl der
+Zusammengehörigkeit, das sie bei Tafel so jählings zu ihm hingezogen,
+auch äußerlich zu betätigen ...
+
+Diesen Augenblick hielt Martin Flamberg für geeignet, sich für die
+Rosendedikation an seine Braut zu bedanken ...
+
+Mit umschleierten Augen sah Frau Cäcilie ihm entgegen ... Sie hatte ihn
+seit dem »Firnistag« nicht mehr gesehen ... zehn Tage lang nicht mehr
+gesehen ...
+
+»Also glücklich vom Urlaub zurück, Herr Flamberg? -- Wie geht's -- was
+macht ›Gretchen‹?«
+
+»Sie hat mich beauftragt, ihren Dank noch einmal mündlich zu
+wiederholen!«
+
+»Nun, war's schön daheim? -- Was treibt Fräulein Agathe?«
+
+»Sie baut an unserm Ehenest!«
+
+»Ah -- wird's hübsch?«
+
+»Wird noch nicht vorgezeigt, gnädige Frau -- ich hab' nicht
+hingedurft!«
+
+Der Hauptmann lachte übers ganze Gesicht ... er war wie trunken von der
+Huld seines Weibes: »Na, lieber Flamberg, ich wünsche, daß es gerade so
+hübsch wird bei Ihnen wie bei uns ... und daß ihr zwei mal gerade so
+glücklich werdet wie die da und ich ... was, Alte --?!«
+
+Frau Cäcilie lächelte ... ein Lächeln, das Martin durchschauerte.
+
+»Tja, und übermorgen geht's nun fort,« schwatzte Brandeis weiter,
+»na, für Sie ist das ja nur 'ne Etappe näher auf dem Anmarsch zum
+Traualtar ... aber für uns zwei --? drei Wochen bittrer Trennung! --
+Na, Cilly -- wo bleibt die Abschiedsträne? -- Warten Sie nur, lieber
+Flamberg, das werden Sie auch noch kennen lernen. -- Gut, daß Sie und
+ich wenigstens zusammen unterm selben Zeltdach schlafen werden ...
+was, Flamberg? -- dann werden wir uns vor dem Einduseln im Stroh von
+unsern Herzallerliebsten vorschwärmen ... was --?! Ich bin fein heraus
+... meine Schwärmerei findet wenigstens volles Verständnis, da Herr
+Flamberg dich ja kennt ... und sogar einigermaßen gründlich! -- wann
+aber werde ich mal den Vorzug haben --?«
+
+»Nun -- wer weiß ... unverhofft kommt oft ...! Darf ich um Ihre
+Tanzkarte bitten, gnädige Frau?«
+
+»Bitte --!«
+
+»Den zweiten Walzer -- darf ich --?«
+
+Sie nickte, und er kritzelte seinen Namen auf das glänzende Blättchen.
+
+Andere Bewerber drängten sich herzu. Cäciliens Gesicht versteinerte
+sich, als auch Menshausen sich heranwagte: »Ich bedaure, Herr
+Oberleutnant!«
+
+»Wie -- zu spät gekommen -- schon alles besetzt --?!«
+
+Er hatte, als sei das selbstverständlich, die Tanzkarte von einem
+Kameraden übernommen, warf einen Blick darauf: »Sieh da ... ein
+Rheinländer noch frei ... darf ich darum bitten?«
+
+»Den Rheinländer lasse ich aus!«
+
+»Ich bin untröstlich --!«
+
+Blick traf in Blick eine Sekunde lang ... eine Flamme heißen Hasses
+blitzte der jungen Frau entgegen: Sei auf deiner Hut -- du --!
+
+Pah ... was frag ich nach dir ... nach deinem Haß ... nach deinem
+Rachegelüst ...! antwortete Cäciliens Blick.
+
+Eine Minute später gab sie den Rheinländer an Herrn Frobenius ... war
+er nicht Martins Freund ...? würde sie nicht von Martin plaudern können
+mit ihm ...? --
+
+ * * * * *
+
+Der zweite Walzer ging zu Ende ... Cäcilie und Martin hatten kaum
+sprechen können während des Tanzes ... tief aufatmend machten sie
+Rast. Cäcilie schob die Fingerspitzen in Martins Arm ... Keines wagte,
+das andere anzuschauen; beide fühlten, der letzte Augenblick des
+Beisammenseins war nahe.
+
+»Morgen früh werd' ich die Ehre haben, Ihnen meinen Abschiedsbesuch zu
+machen, gnädige Frau!«
+
+»Den erlaß ich Ihnen, Herr Flamberg -- Sie würden mich nicht treffen
+... ich reise schon morgen früh! -- Soll ich Ihnen sagen, wohin --?«
+
+»Ich bitte darum!«
+
+»So, Sie wissen also noch nichts? -- Mein Mann hat Ihnen noch nichts
+erzählt?!«
+
+»Ich habe keine Ahnung!«
+
+»Wir haben vor drei Tagen ein Gut gekauft ... in der Nähe von Simmern
+...«
+
+»Was -- auf dem Hunsrück? -- und unser Manöver --«
+
+»-- entwickelt sich zwischen Simmern und Birkenfeld -- ich weiß wohl!
+-- Ich nehme da oben meinen Sommerfrischensitz ... die Sassenbachschen
+Mädels nehme ich mir zur Gesellschaft mit ... Das Korpsmanöver ist in
+unserer Nähe ... ich habe die Dislokation bereits studiert ... wir
+werden einmal zu Ihnen ins Biwak hinauskommen ... und vielleicht reiten
+Sie an einem Ruhetage mal zu uns hinüber ...«
+
+Martin konnte nicht sprechen. In jähem Entzücken und ahnungsvollem
+Schreck zugleich taumelten seine Gefühle --
+
+Auf der Heimfahrt vom Urlaub hatte er abgeschlossen ... es sollte ...
+es würde ja zu Ende sein am zweiten September ... Er würde sich alsbald
+nach der Übung zur Landwehr versetzen lassen, würde Frau Cäcilie von
+Brandeis niemals wiedersehen ... Den einen Abend noch unter den Augen
+des ganzen Regiments ... da würde man schon Fassung bewahren können
+... dann Montag nach dem Dienst mit dem Hauptmann nach Hause ... ein
+korrektes, liebenswürdig heiteres Abschiedsgeplauder unter den Augen
+des Gatten ... und dann ... ade! ... ade für ewig!
+
+Agathe wartete ... ihr gehörte all sein Sehnen ... jede Sekunde im
+Banne der schönen Frau war Verrat an dem geliebten Mädchen ... Also
+Schluß! ... endgültig Schluß!
+
+Und nun -- --?! ... Schicksal, nimm deinen Lauf --!
+
+»Kommen Sie, Herr Flamberg ... noch ein paar Takte ... gleich ist's zu
+Ende ...!«
+
+Hauptmann von Brandeis stand in der Tür des Rauchzimmers, die Zigarette
+zwischen den Fingern, und sah schmunzelnd in das Gewühl des Tanzes
+hinein ... ein frisches, glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen ...
+
+Die Königin des Festes ... ja, das war sie ... seine Cäcilie ... Die
+andern Damen ... welche von denen war denn auch nur von weitem mit ihr
+zu vergleichen!
+
+Und wie sie tanzte ... Selbst die ältesten Stabsoffiziere machten gute
+Figur mit ihr ... Die alten Herren waren wie elektrisiert, wenn sie die
+federleichte Gestalt im Arm hielten ... angesteckt von der rhythmischen
+Energie, die ihre Glieder durchpulste ... Und wenn sie förmlich einen
+Meistertänzer wie diesen Flamberg gefunden hatte ... den beiden
+zuzuschauen, das war ja wirklich ein ästhetischer Genuß ...
+
+Überhaupt dieser Flamberg! ... Doch direkt ein begnadeter Mensch! --
+Stammte er nicht aus ganz dürftigen Verhältnissen? -- Freilich ...
+aus einem Pfarrhause! -- Gewiß waren seine Eltern feingebildete Leute
+gewesen ... die gute Kinderstube! So was ist nicht nachzuholen und
+nicht nachzuahmen ... aber zur Gesellschaft im eigentlichen Sinne hatte
+er nun doch mal nicht gehört -- und wer merkte ihm das heute noch an
+... ein genialer Künstler, eine repräsentative Persönlichkeit, und
+dabei so'n famoser Kerl -- selbstbewußt -- natürlich! Na, das gehörte
+sich auch so! Aber dabei so einfach ... so ohne Prätension ... und
+Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle ...
+
+Solche Reserveoffiziere sollte man mehr haben im Regiment! Andere
+Nummer als diese Windhunde, die Herren Dormagen und Klocke, diese
+Säbelraßler und Uniformfatzken!
+
+Höchst erfreuliche Aussicht, in so angenehmer Gesellschaft die drei
+Manöverwochen zu verbringen ... und wie reizend, daß nun auch Cäcilie
+in der Nähe war und auch noch ein wenig von der Gesellschaft des Malers
+profitieren würde, der ihr ja offenbar sehr sympathisch war. Schade,
+daß er und seine Zukünftige nicht in der Garnison wohnten; das wäre so
+recht ein hübscher Verkehr gewesen, die zwei. Cäcilie hatte unter den
+Damen des Regiments noch immer nicht den rechten Anschluß gefunden ...
+die junge Braut, das müßte nach Flambergs Beschreibungen ein Umgang
+für sein anspruchsvolles Weib gewesen sein ... Na, man würde eben bald
+mal nach Düsseldorf hinüberfahren und die jungen Leute im eigenen Heim
+aufsuchen ...
+
+Ach ... das Leben war doch schön, wenn man ein bißchen Dusel hatte! --
+der freilich gehörte dazu ... na, und über Mangel an Dusel hatte Fritz
+Brandeis wahrhaftig nicht zu klagen ...
+
+»Glänzende Tänzerin, Ihre Frau Gemahlin!« klang's da plötzlich neben
+ihm. Oberleutnant Menshausen, das geleerte Likörglas in der Hand.
+
+Komisch ... wenn der Mensch auftauchte, immer hatte man so ein fatales
+Gefühl ... Was war's doch gewesen? -- Ach so, seine läppische Bemerkung
+damals ... wann doch? -- -- ah, als die Reserveoffiziere einrückten
+... haha! -- Damals hatte er selber, Brandeis, davon gesprochen, daß er
+wünsche, Flamberg solle Cäcilie malen ... Und nun war das Bild bereits
+fertig ...
+
+»Ja, ja, sie tanzt ausgezeichnet!« sagte er mechanisch.
+
+»Und wie sie bei der Sache ist! -- wenigstens wenn sie mit Herrn
+Flamberg tanzt -- --!«
+
+»-- -- Wieso --?«
+
+»Ach, ich -- ich meinte nur so --!«
+
+»So?! -- Sie meinten nur so! -- Ich hatte das Gefühl, als ob Sie sich
+über irgend etwas ... wunderten!«
+
+»Ich mich wundern? -- Nein, das nicht ... sondern ...«
+
+»Was?! -- was, wenn ich bitten darf?«
+
+»O -- ich -- es ist mir allerdings aufgefallen, daß die gnädige Frau
+dem Herrn von der Reserve gegenüber -- so überaus -- liebenswürdig ist!
+Das ist allgemein bemerkt worden.«
+
+»Die Herren von der Reserve haben ihr Patent von Majestät genau so gut
+wie wir!«
+
+»Selbstverständlich, selbstverständlich!«
+
+»Nun also?!«
+
+»Immerhin -- sie gehören doch nicht zum engern Kreise des Regiments.«
+
+»Herr Flamberg ist ein Freund meines Hauses.«
+
+»Ach so -- ein Hausfr-- -- ein Freund Ihres Hauses. Verzeihen Herr
+Hauptmann meine Neugierde. Nun weiß ich ja Bescheid. Haben Herr
+Hauptmann schon einen Schnaps genehmigt? Nein? Ordonnanz! einen
+Benediktiner für Herrn Hauptmann!«
+
+»Ich danke! Ich habe kein Bedürfnis.«
+
+»Nicht? Dann bitte ich um Entschuldigung -- meine Pflichten als
+Kasinovorstand ...«
+
+»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!«
+
+-- -- Was war das gewesen? Was für ein Mißton -- was für ein häßlicher
+Hauch war da herangeweht? Die gnädige Frau so überaus liebenswürdig
+gegen den Herrn von der Reserve -- das ist allgemein aufgefallen!
+Herrgott, war der Kommißtratsch denn schon wieder am Werk? Und an
+Cäcilie wagte sich das heran, an seine Cäcilie? Himmelbombenelement!
+
+Wo war sie nur? Schau -- da schwebte die weiße Gestalt hin -- wie eine
+Krone umschloß das braungoldene Haar die weiße Stirn -- fest schmiegte
+sie sich an ihres Tänzers breite Brust -- an Herrn Flambergs Brust --
+
+Wahrhaftig -- vielleicht doch ein bißchen zu fest für die scharfen
+Augen, die spitzen Zungen der Sittenwächterinnen da hinten auf dem
+Drachenfels ...
+
+Und wie sie glühte ... er auch ... Mein Gott, warum sollten sie nicht?!
+-- waren sie nicht beide Temperamentsmenschen? fröhliche Genießer, die
+sich ganz hingaben an den schönen, festlichen Augenblick ...?
+
+Immerhin ... ein wenig Rücksicht nehmen mußte man schon ... wir kennen
+doch dies Klatschweibergesindel ... ob das Unterröcke trägt oder Hosen
+mit Stegen ... Vielleicht ... wäre doch ein Wink der Warnung an Cäcilie
+angezeigt ...
+
+Ach, Unsinn! -- Wozu ihr die unbefangene Freude trüben --? Seine
+Cäcilie ... er kannte sie doch! Und Flamberg! ... Hand ins Feuer für
+den!
+
+Der Walzer klang aus. Quer durch den ganzen Saal, mit strahlendem
+Lächeln, schritt Fritz von Brandeis auf das Paar zu, das eben glühend,
+schweratmend, den Tanz beendet hatte. Und in heiterm Geplauder nahm
+er Cäciliens Arm und spazierte noch ein Weilchen mit ihr und Flamberg
+durch den Saal.
+
+Mochten die Klatschweiber sich die Mäuler zerreißen!
+
+ * * * * *
+
+Der Drachenfels hatte seine Wahrnehmung bereits festgelegt. Und die
+war: Einige der Damen des Regiments hatten sich einer entschieden
+zu starken Bevorzugung des nicht aktiven Elements unter den Herren
+schuldig gemacht.
+
+Auf der Bühne, wo vorher der Eintracht lieblicher Genius mit
+herzbewegenden Worten die stille Friedenstätigkeit des Regiments Prinz
+Heinrich der Niederlande gepriesen, war nun der Areopag der alten Damen
+versammelt. Da thronte inmitten die Kommandeuse und handhabte eifrig
+das Lorgnon; zu ihrer Rechten Frau von Sassenbach, zur Linken Frau von
+Czigorski. Und um die drei Säulen des Regiments herum gruppierten sich
+die übrigen Damen, die Gattinnen der Podagristen aus Pensionopolis
+... Nur ein einziges jugendliches Gesicht in ihrer Mitte, die Frau
+Hauptmann Haller, eine sehr lebenslustige Frau von dreißig Jahren, die
+diesmal schweren Herzens auf die Freuden des Tanzes verzichten mußte,
+da sie ihren drei Buben noch ein Geschwisterchen bestellt hatte.
+
+Die rechte Flanke, wo Frau von Sassenbach saß, sprach nur von Frau
+von Brandeis; was die Herzen der Gruppe außerdem bewegte, durfte mit
+Rücksicht auf die Majorin nicht zu Worte gelangen. Um so eifriger
+betuschelte dafür die linke Seite die allgemeine Beobachtung, daß Frau
+von Brandeis heut abend nicht die einzige Dame war, die sich mit
+Vorliebe an gewisse Herren des Beurlaubtenstandes hielt.
+
+Schon bei Tische hatte man bemerkt, daß das ältere Fräulein von
+Sassenbach sich weit weniger um ihren Tischherrn bekümmerte, den
+ernsten und zielbewußten Regimentsadjutanten, als vielmehr um
+ihr Gegenüber, diesen unmöglichen Herrn von der Landwehr, dessen
+schwarzblauer Waffenrock mit den altmodischen großen Knöpfen, dessen
+riesige Epaulettes und dessen trikotartig knapp die hagern Beine
+umschließenden Hosen allgemeines Entsetzen erregt hatten.
+
+Ja, und kaum war die Tafel aufgehoben, da hatte sich Fräulein Nelly
+alsbald im Rauchzimmer eingefunden und bei einer Zigarette mit dem
+merkwürdigen Bekannten weiter geplaudert.
+
+Dann allerdings war der Tanz in seine Rechte getreten. Der schien nicht
+die starke Seite des eingezogenen Herrn zu sein; denn er stand meist in
+der Tür des Rauchzimmers und schaute durch seine riesigen Brillengläser
+mit behaglicher Betrachtung in das Gewühl des Tanzes hinein. Wer ihn
+aber genauer beobachtete, konnte wohl bemerken, daß sein Blick ein
+bestimmtes Ziel verfolgte ...
+
+Nelly Sassenbach wanderte von einem Arm in den andern. Stets, wenn sie
+an Herrn Leutnant Frobenius vorbeistrich, flog ein rascher, stiller
+Blick des Einverständnisses zu ihm hinüber ...
+
+-- -- Ja, Wilhelm Frobenius sah nichts als seine Retterin ... War
+sie nicht just das Gegenteil alles dessen, was er an Weiblichkeit
+bisher gekannt ... und war sie nicht zugleich die Verkörperung seines
+erträumten Frauenideals ...?!
+
+Er hatte in der Literatur vor allem immer für die heroischen
+Mädchengestalten geschwärmt, wenn auch seine vielbewunderte
+stilistische Meisterleistung die Analyse der Gretchengestalt war. --
+Sein Herz zog ihn vielmehr zu den ausgesprochenen Mannweibern der
+Dichtung ... freilich im Leben war ihm dergleichen niemals begegnet ...
+ach, ihm waren überhaupt wenig Frauengestalten begegnet im Leben ...
+
+Von den Damen des Regiments interessierte ihn, außer Nelly, nur noch
+eine, jene, von der sein Kamerad und Freund Flamberg ihm doch in einem
+Ton erzählt hatte, aus dem selbst ein noch naiveres Gemüt als er hätte
+herausfühlen müssen, daß sie ihm mehr gewesen denn nur ein Modell ...
+
+Frobenius verglich die beiden Frauen beim Tanzen. Cäcilie legte sich
+weich und anschmiegend in des Tänzers Arm. Es schien ihr angenehm zu
+sein, wenn man sie recht fest und nahe hielt. Scheinbar willenlos
+überließ sie sich der Führung ihres Partners, tanzte ruhig, schwebend;
+ihre Füße schienen sich kaum zu bewegen.
+
+Nelly aber tanzte mit weitem Abstand, sehr selbständig, mit weit
+ausholenden Schleifern, wie um sich auszutoben und auszutollen im
+Tanz. Wenn man sie so sah ... ihre Tanzwonne steckte an ... man bekam
+Sehnsucht, sich von ihr hineinziehen zu lassen in diese Strudel, diese
+Wirbel, in denen sie sich tummelte wie ein losgelassenes Füllen ...
+
+Ach, es war Jahre her, seit Wilhelm Frobenius zum letzten Male auf
+dem Professorenball das Tanzbein pflichtmäßig, aber ohne Liebe zur
+Sache geschwungen. Damals hatte sich die alternde Tochter des Rektors
+und Dekans der philosophischen Fakultät lebhaft für den jungen,
+aufstrebenden Privatdozenten interessiert, und manche mehr oder
+weniger zarte Andeutung hatte ihm nahegelegt, er solle zugreifen und
+seine Karriere sichern ... aber die hochfahrende Nüchternheit des
+gelehrten Fräuleins hatte ihm ein Grauen eingeflößt. Er hatte sich
+sehr merkbar zurückgezogen und war seitdem gesellschaftlich ziemlich
+kaltgestellt. Daß er auch heute noch nicht einmal Extraordinarius
+war, stand zweifellos auch in einem gewissen innern Zusammenhang mit
+jener Fahnenflucht. -- Nun, er hatte gesellschaftliche und berufliche
+Zurücksetzung zu verschmerzen gewußt ...
+
+Auch heute abend hatte er nicht engagieren wollen, aber als er nach
+Tisch Fräulein Nelly von Sassenbach eine gesegnete Mahlzeit wünschte,
+hatte die ihm von selbst ihre Tanzkarte hingehalten.
+
+»Ich bin ein miserabler Tänzer, gnädiges Fräulein!«
+
+»Schadet nichts -- wir werden plaudern!«
+
+Nun der Bann gebrochen war, hatte er auch noch Frau von Brandeis
+engagiert. Die Schar der übrigen Damen war ihm gleichgültig -- auch
+durfte man die aktiven Herren nicht berauben.
+
+Aber der Gedanke an den bevorstehenden Tanz hatte ihn doch mit einem
+gelinden Grauen erfüllt ...
+
+Nun war er da, der gefürchtete und doch ersehnte Augenblick ...!
+
+»Also mit dem Tanzen ist es wirklich nichts, Herr Frobenius?«
+
+»Sie würden wenig Freude an mir erleben!«
+
+»Aber so versuchen wir doch einmal!«
+
+Und mit einem Gefühl ehrfürchtiger Andacht legte er seine Hand um die
+schlanke, feste Gestalt des Mädchens ...
+
+»Also los -- es ist ja nur 'ne Polka -- die werden Sie doch noch
+schaffen können!«
+
+Alles drehte sich im Wirbel ... aber er nahm all seine Kraft zusammen
+...
+
+»Sehn Sie wohl -- geht ja blendend!«
+
+Wahrhaftig, es ging wunderschön -- zwar Hören und Sehen schwanden ...
+nichts blieb als ein dumpfes Gefühl des Rhythmus ...
+
+Eins, zwei, drei, vier -- eins, zwei, drei, vier --
+
+Das ... und ein Strom von Glück und Rausch, der von dem straffen,
+lebenswarmen Mädchenkörper aus in alle Glieder des Gelehrten
+überströmte ... in die Seele eines fast vierzigjährigen Knaben ...
+
+Wenn nur nicht das Parkett so infam glatt gewesen wäre! -- Und daß
+man alle Augenblicke mit einem andern Paar karambolierte, war auch
+nicht gerade angenehm ... aber er war ja so kurzsichtig ... und alles
+wirbelte im Kreise ringsum ...
+
+»Na warten Sie nur, wenn Sie mich beim nächsten Walzer nicht zu einer
+Extratour auffordern, dann werd' ich böse!«
+
+Auf einmal fühlte er, daß er den Halt verlor ... sein linker Fuß war
+ausgeglitten ... die Wirbelsäule bekam von unten einen Stoß ... knickte
+vornüber ... der lange Körper verlor das Gleichgewicht ... riß im
+Sturz die Tänzerin mit um ... Im selben Augenblick stieß zum Überfluß
+ein heranwirbelndes Paar wider die taumelnden Leiber, und mit voller
+Wucht sausten beide lang in den Saal ... Nelly hatte einen leisen
+Schreckens- und Schmerzensschrei ausgestoßen, sie war im Sturz unten zu
+liegen gekommen ... die Röcke flogen zur Seite ... fast bis zum Knie
+streckten die weißen Strümpfe sich vor ...
+
+Wie der Blitz war sie empor trotz eines heftigen Schmerzes im linken
+Bein ...
+
+»Herrgott -- stehn Sie doch bloß auf!«
+
+Ihr Tänzer saß in genau derselben Stellung, wie vor fünf Wochen im
+Froschtümpel, auf dem blanken Parkett inmitten des Gedränges der Paare,
+die jäh anhielten und die Gestrauchelten umdrängten ...
+
+Verworren, blöden Ausdrucks starrte er vor sich hin ... die Brille war
+abgeflogen ... er war so gut wie blind ...
+
+»Stehn Sie doch auf ... Donnerwetter nochmal!!«
+
+Und Nelly reichte ihm beide Hände hin ... er griff zu wie ein tappiges
+Baby ... ließ sich emporziehen ...
+
+»Herrgott nein -- mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts
+anzufangen!«
+
+Mama Sassenbach raste wie eine Furie durch den Saal ... Wo war ihr
+Mann? ...
+
+Natürlich -- der bekümmerte sich kein bißchen um seine Töchter ...
+hatte sich irgendwo im Rauchzimmer festgekneipt!
+
+Wahrhaftig, da saß er mit dem Oberstleutnant, dem Bezirkskommandeur,
+ein paar pensionierten Exzellenzen und Stabsoffizieren um einen Siphon
+Münchener.
+
+»Verzeihung, meine Herren! -- Moritz, komm, wir müssen nach Hause!«
+
+»Aber, Kind -- 's ist ja noch nicht mal Mitternacht!«
+
+»Einerlei -- wir müssen! Nelly hat einen kleinen Unfall gehabt ... Fuß
+verstaucht ... einen Riß im Kleid ... und außerdem --«
+
+»Verflucht! -- Selbstverständlich ganz zu deiner Verfügung, liebste
+Amelie! -- Sie verzeihen, meine Herren!«
+
+Die alten Herren schmunzelten.
+
+Es kam selten vor, daß Frau Amelie von Sassenbach nicht aus irgendeinem
+Grunde vorzeitig zum Aufbruch blies und den Gatten vom Münchener
+wegschleifte ...
+
+-- Wutbebend berichtete Frau von Sassenbach ihrem Gatten.
+
+Der fluchte: »Das kommt davon, daß sich das Mädel mit dem
+Landwehrfritzen eingelassen hat ... den hätte sie doch wahrhaftig
+kennen sollen! -- Wo steckt sie denn?«
+
+»Ist schon in der Garderobe -- sie konnte sich ja im Saal überhaupt
+nicht mehr sehen lassen in dem ruinierten Kleid!«
+
+»Und wo ist Molly?«
+
+»Herrgott ja, Molly -- -- geh sie suchen, Moritz!«
+
+Und Moritz ging auf die Suche.
+
+Ja, wo war Molly? -- Im Gewühl der Tanzenden spähte der Vater
+vergeblich nach dem lichtblonden Zopfgetürm über dem rosa Tüllfähnchen
+...
+
+Leutnant Blowitz, der als Ballarrangeur und Vortänzer fungierte, sah
+seinen Chef mit suchenden Augen in der Tür stehen. Er führte Frau von
+Brandeis, mit der er just eine Extratour tanzte, schleunigst zu ihrem
+rechtmäßigen Tänzer, Herrn von Schoenawa, zurück und schoß auf den
+Major zu: »Kann ich Herrn Major mit irgend etwas dienen?«
+
+»Ich suche meine Tochter Molly -- wir brechen auf!«
+
+»Meines Erinnerns habe ich das gnädige Fräulein vor ... vor zirka einer
+halben Stunde gesehen ... sie tanzte mit dem Einjährig-Freiwilligen
+Friesen!«
+
+»So, mit dem Einjährigen -- und seitdem -- --?«
+
+»Seitdem ist sie mir aus den Augen gekommen!«
+
+»Na ... machen Sie kein Aufsehen ... hier im Saal ist sie nicht! ... Wo
+könnte sie sonst wohl sein --?«
+
+»Im Rauchzimmer und im Billardzimmer haben Herr Major schon
+nachgesehen?!«
+
+»Im Rauchzimmer war ich selbst! -- im Billardzimmer -- das wäre
+möglich!«
+
+Lebhaft plaudernde Gruppen in allen Ecken, um die Spieltische gedrängt
+erhitzte Leutnantsgesichter, junge Mädchen und Frauen, die sich eifrig
+fächelten ... hastende Ordonnanzen mit Servierbrettern voller Selters-
+und Biergläser ... von Molly keine Spur! --
+
+Also nochmals zurück in den Saal! --
+
+Auch hier keine Molly! --
+
+»Vielleicht weiß der Einjährige Bescheid?« meinte Leutnant Blowitz,
+»den muß man ja leicht herausfinden an seinen schauerlichen weißen
+Hosen!«
+
+Jawoll --! die weißen Hosen waren ebensowenig zu finden wie das
+Majorsmädel ...
+
+»Da bleibt nur noch eine Möglichkeit, Herr Major -- -- das gnädige
+Fräulein muß im Garten sein!«
+
+»Is ja ausgeschlossen!«
+
+Aber der bekümmerte Vater stürzte doch sogleich zur Veranda ... spähte
+in den Garten hinaus, dessen Laubengänge, vom Mondlicht angesilbert,
+dunkel träumten, nur von den mattleuchtenden Kugeln einiger Lampions
+belebt ...
+
+»Molly!« rief der Vater gedämpft, »Molly -- bist du hier?!«
+
+-- -- Ein paar Minuten bangen Schweigens ...
+
+Dann tauchte ein weißer Schatten aus der Dämmerung, und ... ein
+harmloses Lächeln auf dem glatten Engelsgesichtchen hüpfte Molly die
+Veranda hinauf: »Hast du mich gerufen, Papachen?«
+
+»Allerdings -- Mama bricht auf!«
+
+»Oh, wie schade ... ich hatte mich so auf den Kotillon gefreut!«
+
+»Tut mir leid! -- Wie kommst du denn in den Garten?«
+
+»Es war so heiß -- -- ich wollte mich ein wenig abkühlen!«
+
+»So -- abkühlen! -- Na, komm!«
+
+Lächelnd und schlank wie eine Fee schwebte Molly vorauf.
+
+Der Major folgte. Unablässig zwirbelten seine Finger die lang
+herabhängenden grauen Schnurrbartspitzen ...
+
+Er hatte sehr wohl bemerkt, daß hinter dem weißen Schatten, der sich
+aus dem Dunkel entwickelte, noch ein anderer weißer Schatten im Garten
+gespukt hatte ... aber der war nicht ans Licht gekommen ...
+
+Er hatte eine heillose Ähnlichkeit gehabt mit einem Paar weißen
+Mannschafts-Paradehosen, auch »Porzellanbuchsen« geheißen -- --
+
+Ja, das hatte der Vater gesehen, aber ... er wollte nichts gesehen
+haben ...
+
+Nur künftighin besser auf das Mädel passen --!
+
+»Na, gut' Nacht, lieber Blowitz! Ich danke Ihnen! Noch viel Vergnügen!«
+
+»Danke gehorsamst, Herr Major! -- Empfehle mich, mein gnädiges
+Fräulein!«
+
+Wenn der nur nichts gemerkt hatte -- --!
+
+Blowitz verzog keine Miene beim Abschied.
+
+Aber er hatte doch gesehen.
+
+Na, wenn die Kleine sich partout einen Flirt mit dem Einjährigen in ihr
+blondes Köpfchen gesetzt hatte ... Hermann Blowitz fühlte weder zum
+Denunzianten noch zum Klatschweibe Beruf in sich ... Er wollte seine
+Entdeckung für sich behalten ... bei ihm war das Geheimnis der Kleinen
+gut aufgehoben --
+
+Und Hans Friesen, der erst wie ein Verbrecher gezittert hatte, lachte
+nun selig in sich hinein in seinem dunkeln Versteck ... er tappte sich
+zu der Bank zurück, auf der er eben mit Molly gesessen -- auf der er
+kühnen Muts einen scheuen, seligen Kuß erbeutet hatte ...
+
+Der machte das Poetenherz schwer und warm ...
+
+Er fühlte das Schicksal seines jungen Lebens über seinem Haupte ...
+
+Es hieß Molly ... Molly Sassenbach -- --
+
+ * * * * *
+
+Um vier Uhr morgens waren die letzten Damen gegangen. Nun rotteten sich
+die Leutnants im Billardzimmer um die Siphons zusammen.
+
+Teufel auch ... die Nacht war doch mal angebrochen ... die vorletzte
+Nacht in der Garnison ...
+
+Morgen nur Instruktionsstunden und Appell ... Appell ...
+
+Stiefelappell ... Gewehrappell ... Appell mit eisernen Portionen
+und Appell mit Fußbekleidung ... Appell mit Sachen, die auf Kammer
+abgegeben werden mußten ... Stubenrevision ... und zuletzt Appell im
+Manöveranzug.
+
+Das schaffte man auch mit unausgeruhten Knochen ... mit einem noch so
+wüsten Brummschädel.
+
+Erhitzt vom Tanz goß man einen Schoppen nach dem andern in die glühende
+Kehle. Bald waren die Leutnants Klocke und von Finette wie die
+Staubsäulen betrunken. Energischer Zuspruch älterer Kameraden mußte sie
+zum Heimschwanken bewegen. --
+
+Die Tanzlust war noch nicht gestillt. Da die Regimentsmusik
+verschwunden war, setzte sich der kleine Carstanjen ans Klavier und
+hieb eine wilde Walzermelodie in die Tasten hinein ...
+
+All die unruhvollen jungen Männerherzen, in denen die Erregungen des
+Festes nachzitterten, lechzten unbewußt nach einem letzten äußersten
+Austoben ... Einer umfaßte den andern ... und bis zum Umfallen wurde
+gewalzt.
+
+Verschlafen lungerten die Ordonnanzen in den Ecken herum und starrten
+mit blöden, verwunderten Augen auf das wilde Treiben ihrer jungen
+Herren ...
+
+Schließlich wurden sie hinausgeschickt.
+
+Und auf den hohen gotischen Stühlen, die sonst feierlich die
+Regimentstafel umstanden, wurde nun ein toller Ritt ausgeführt ...
+dann nach dem krähenden Kommando des kleinen Carstanjen ein großes
+Schwadronsexerzieren ...
+
+Ein jeder hatte sich dazu bewaffnet ... Eine große Trophäe von alten
+Ritterschwertern, Hellebarden und Morgensternen, welche die Wand des
+Rauchzimmers zierte, war zu diesem Zweck geplündert worden ...
+
+Ein abenteuerliches Bild, die jungen Herren mit aufgeknöpften
+Waffenröcken ... rittlings auf den hochlehnigen Stühlen ... ausgerüstet
+mit phantastischem Gewaffen aus alter Ritterzeit ...
+
+»Eskadron -- Galopp --!«
+
+Keiner aber glühte höher ... keiner johlte lauter ... keiner schwang
+die Waffe wilder als Martin Flamberg.
+
+
+
+
+ Zweites Buch
+
+
+
+
+ Erstes Kapitel.
+
+
+»Dat is en janz schöne Jegend hier ... oben Regen ... unten Dreck ...
+nix im Magen -- der Düwel soll't holen!«
+
+In unaufhaltsamem Marsch schob sich das erste Bataillon des Regiments
+Prinz Heinrich der Niederlande dem »Feind« entgegen.
+
+Unaufhaltsam strömte der Regen ... seit Tagen ... seit Wochen ...
+
+Unaufhaltsam fluchten und wetterten die Unteroffiziere der Königlichen
+Zweiten:
+
+»Ich glaub, hier regnet et überhaupt et janze Jahr!«
+
+»Weiß der Kuckuck, die vierzehn Dag, dat mer als hier obe rumkrabbeln,
+hann mer noch kei' trockne Minute jehatt!«
+
+»Ich sinn als janz aus em Leim ... die Buxen reißen wie Schafleder ...
+an de Stieweln platzen die Sohlen ab ...!«
+
+»Und trocken kriegt man die Brocken überhaupt nit mehr!«
+
+»Na, Friesen, Sie sagen ja gar nix!«
+
+Der Einjährige schwieg.
+
+Die Tragriemen des feldmarschmäßig gepackten Tornisters schnitten tief
+in die Achseln. Alle fünf Minuten wanderte das Gewehr von der rechten
+Schulter auf die linke und von der linken auf die rechte ... in den
+Stiefeln schwappte eine lehmige Flüssigkeit ... und hinter den Ohren
+entlang rieselte ein beständiges Rinnsal eiskalten Regenwassers in die
+Halsbinde hinein ...
+
+Von dem allen merkte Hans Friesen in diesem Augenblick auch nicht das
+Mindeste ...
+
+Hans Friesen merkte nicht einmal, daß ihm der kurze Pfeifenstummel
+zwischen den Lippen längst kalt geworden war ...
+
+Hans Friesen dichtete.
+
+Ach ... herrlich konnte man dichten auf solch einem endlosen Marsch ...
+
+Den Kameraden, den aktiven Unteroffizieren, ging immer nach der ersten
+Stunde der Stoff für ihre Kommißgespräche aus.
+
+Die Berichte über das letzte Quartier, die Klagen über den miserabeln
+Fraß, die Renommistereien über Abenteuer mit den Bauernmädeln, das
+reichte nie weiter als eine knappe Meile. Dann bemächtigte sich der
+Kilometerstumpfsinn der marschierenden Kolonne, zumal dann das Gewicht
+des gepackten Affen allmählich immer fühlbarer wurde ...
+
+Dann aber begann Hans Friesens gute Zeit.
+
+Wie mutwillige Schwalben schossen dann seine Gedanken der Marschkolonne
+voraus ... strichen durch die regennassen Wälder zur Rechten und zur
+Linken, wo in der triefenden Feuchte zwischen vermodernden Baumstümpfen
+und Farndickichten ganze Kolonien grauer, gelber, violetter Pilze
+aus dem Boden gewachsen waren und mit ihren breiten Schirmdächern in
+lustigen Gruppen beisammen hockten ...
+
+Aber weiter flatterten des Poeten Träume ... zurück zur Garnison ...
+um das blonde Haupt eines gewissen jungen Mädchens, das chargenmäßig
+in unerreichbarer Höhe über dem Unteroffizier stand, das er räumlich
+in weiter Ferne wähnte ... und das in Wirklichkeit, ohne daß Hans
+Friesen etwas davon ahnte, nur einen Tagemarsch weit in süßträumender
+Ferienruhe unter den rauschenden Hunsrückwäldern weilte ...
+
+Und Hans Friesen dichtete.
+
+Eine Strophe nach der andern fügte er zusammen ... feilte Zeile
+auf Zeile in Gedanken durch und sprach sie sich so oft vor, bis
+sie sich unvergeßlich seinem Hirn eingeprägt hatten, damit er sie
+am Abend blank und sauber in sein Dienstnotizbuch eintragen könne
+... zwischen Vermerken über Brotempfang ... Kompagniebefehle ...
+Vorposteninstruktionen ...
+
+Nun wiederholte er noch einmal die ersten Strophen des Gedichts, das
+ihm aus den triefenden Nebeln zugeweht war:
+
+
+ »Bist du die Oreade,
+ die lauschend hinterm Felsen schwieg?
+ bist du des Quells Najade,
+ die aus der Plätscherwelle stieg?
+
+ Aus welcher Märchenferne
+ hast du dich in mein Sein verirrt?
+ Von welchem fernen Sterne
+ bist du an meine Brust geschwirrt?«
+
+
+Ja, die zwei Strophen saßen! Das ließ sich nicht bestreiten! Nun mußte
+die Antwort kommen ... also munter weitergereimt ...!
+
+
+ »Was soll das zage Fragen?
+ Ich halte dich ans Herz gepreßt ...«
+
+
+Ja, wahrhaftig, das hatte er getan, wenn es auch noch so märchenhaft
+klang ... er hatte sie gehalten, die schlanke, blonde Majorstochter,
+gehalten an seinem Herzen, das unterm Tressenrock des Unteroffiziers so
+verdammt unvorschriftsmäßig gepocht hatte ...
+
+Ach, und als er seinen Arm zum ersten Male um den weichen Körper gelegt
+... Richtig -- so mußte es ja weitergehen:
+
+
+ »fühl' deines Herzens Schlagen ...«
+
+
+Ach ... und dann ... dann war ja das Unvergeßliche ... das schier
+Unglaubliche gekommen ...
+
+
+ »und Lippe weilt auf Lippe fest ...«
+
+
+Schau, da war ja wieder eine Strophe beisammen -- und auch die stand
+fest auf ihren vierzehn Versfüßen ...
+
+Vor dem Dichter trottete in mürrischem Schweigen sein
+Kompagnieoffizier, der Leutnant Quincke.
+
+Scheußliche Sache, so ein Manöver! -- Eigentlich Dienst von morgens
+früh um drei bis abends um zehn und von abends um zehn bis früh um drei
+... Die Körperpflege wurde nur noch markiert ... aussehen tat man schon
+mehr wie ein Latrinenreiniger und nicht wie ein Angehöriger des ersten
+Standes der Nation ... Dabei seit vierzehn Tagen kein weibliches Wesen
+mehr zu Gesicht bekommen ... die dreckigen Bauerntrinen zählten nicht
+mit -- die waren höchstens was für die Herren Burschen!
+
+Und was das Lächerlichste war ... seit acht Tagen führte dieser krumme
+Landwehronkel, dieser Leutnant Frobenius, die Kompagnie an Stelle des
+Hauptmanns Goll, der seinerseits als ältester Kapitän des Regiments für
+den Major Blasberg die Führung des zweiten Bataillons übernommen hatte.
+
+Blasberg hatte am Tage nach dem Regimentsfest, unmittelbar vor dem
+Ausrücken ins Manöver, in eine Nervenheilanstalt gebracht werden
+müssen. Die Schwermut, die ihn seit dem Tode seiner Frau zu Boden
+gedrückt hatte, war plötzlich als ausgesprochen krankhafte Melancholie
+zum Ausbruch gekommen.
+
+Und so war nun der unmögliche Landwehroffizier der unmittelbare
+Vorgesetzte seines patenten Kameraden für die Dauer der Herbstübungen
+geworden ...
+
+Und nun das Allerunglaublichste ... die Sache klappte --!
+
+Auf seinem braunen, steifbeinigen »Roland«, der frömmsten Kuh aus
+dem Tattersall der Garnison, machte dieser Frobenius eine ganz
+leidliche Figur und hatte sich mit seinem vierbeinigen Freund auf ganz
+erträglichen Fuß zu stellen gewußt.
+
+Der innere Dienst funktionierte tadellos ... na, Kunststück! -- So ein
+Musterexemplar von Feldwebel -- und der brillante Unteroffizierersatz!
+
+Ja, darauf verstand sich der griesgrämige Hauptmann Goll ...
+Unteroffiziere erziehen, das war seine Spezialität! --
+
+Übrigens war ja auch dieser Frobenius selber von einer kommissigen
+Gewissenhaftigkeit, daß es schon nicht mehr schön war!
+
+In der Ortsunterkunft stelzte er wahrhaftig höchst eigenhändig von
+Quartier zu Quartier, steckte seine Nase in jede Eßschüssel und in
+jedes Bauernbett, um sich zu überzeugen, ob die Herren Füsiliere auch
+ordentlich zu essen kriegten und weich genug lägen.
+
+Er selber, Quincke, hatte sich zum Glück eine etwas vornehmere
+Auffassung des Königlichen Dienstes zugelegt. Wofür waren denn die
+Korporalschaftsführer da?
+
+Ja, Frobenius hatte sich in seine Pflichten als Kompagnieführer ganz
+famos eingearbeitet und war infolgedessen mit seiner militärischen
+Situation zufrieden wie nie zuvor.
+
+Er sah sehr verändert aus, hatte sich am Tage vor dem Ausrücken die
+wenigen Haarsträhnen seines Schädels ganz kahl abscheren, seinen
+langen, struppigen Vollbart kurz verschneiden lassen.
+
+Auch seine Uniform sah nicht mehr ganz so vorsintflutlich aus, seitdem
+ihr Träger eine etwas vorschriftsmäßigere Haltung gewonnen, und mit
+seinem braven, alten Roland vollends fühlte er sich verwachsen wie ein
+Zentaur.
+
+Was tat's, ob es regnete von morgens früh bis abends spät und die ganze
+Nacht hindurch ...
+
+
+ »Alles Glück der Erde
+ liegt auf dem Rücken der Pferde,
+ in der Gesundheit des Leibes ...«
+
+
+Freilich, damit war's nun auch Schluß ... Glück am Herzen des Weibes --
+damit würde es wohl niemals was werden ...!
+
+Seit seinem Sturz im Tanzsaal hatte er jede Hoffnung aufgegeben.
+»Herrgott nein, mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts
+anzufangen«, das klang ihm noch immer im Ohr, und immer meinte er das
+hochmütige, zurückgeworfene Köpfchen, das empört aufstampfende Füßchen
+im Goldkäferschuh zu sehen ... ihr hastiges Vondanneneilen ... den
+Ausdruck der Wut über die gräßliche Blamage und den verdorbenen Abend
+im Klang ihrer Stimme ... in jeder Bewegung ...
+
+Abschiedslos war sie ihm enteilt, und auch als Dienstag morgens um vier
+Uhr in der Dämmerung das Regiment von der Kaserne aus an der Wohnung
+des Majors vorbeimarschiert war zum Bahnhof hin, da hatte sie mit ihrer
+Mutter und Schwester auf dem Balkon gestanden und allen Herren einen
+freundlichen Abschiedsgruß gewinkt ... als aber er, Wilhelm Frobenius,
+auf seinem Roland den Säbel vor ihr gesenkt, da hatte sie kühl über ihn
+hinweggeschaut und dann Herrn Quincke, den Führer des vordersten Zuges
+der Zweiten, mit um so deutlicherer Freundlichkeit gegrüßt ...
+
+Ade Hoffnung ... ade Träume ... ade süße, stolze Verkörperung des alten
+Amazonenideals ...!
+
+Nein, es war vorbei ... keine Hoffnung mehr ...! Und selbst auf das
+Wiedersehen konnte er sich nicht mehr freuen ... auf das Wiedersehen,
+das wenigstens im Bereich der Möglichkeit lag. Denn er wußte ja von
+seinem Freunde Flamberg, daß die Amazone mit ihrer Schwester ebenfalls
+auf den Hunsrück hinaufgepilgert war ... Nein, hoffen und sich freuen
+-- das gab's nicht mehr.
+
+Und dennoch ...!
+
+Wilhelm Frobenius zog die Manöverkarte aus seiner Packtasche. Der Regen
+prasselte auf das Zelluloidfutteral, und durch die Tropfen hindurch
+suchte der Reiter den Namen, um den sich trotz allem immer und immer
+seine Träume rankten ...
+
+Am Allenbach entlang, einem Nebenwässerlein der Nahe, dessen Lauf auf
+der Karte durch zahllose kleine Sternchen begleitet war, welche Mühlen,
+Schleifmühlen darstellten, an der Einmündung des Beierbachs, war das
+Dörfchen Hettstein eingetragen und dicht daneben ein kleiner Kreis mit
+einem Fähnchen ... Das war das Schlößchen Hettstein, die neue Erwerbung
+der schönen Frau Cäcilie.
+
+Hier hauste nun die stramme Reiterin ... die fesche Tänzerin ... die
+lächerlich Verehrte ...
+
+Verrücktheit! -- So ein Mädchen und seine Bücherexistenz ... die
+Lange-Pfeifen-Atmosphäre seiner winzigen Junggesellenbude ... sein
+demütiges, halbbäuerliches Mütterchen daheim im Westerwalddörfchen --
+und dieses Luxusgeschöpf ... dieses Freiluftwesen ...
+
+Lächerlich! -- Und doch ... und doch ...! Oh, Schloß Hettstein --!
+
+Da horch --: Bum -- und wieder: Bum --
+
+Aus den triefenden Nebeln, welche bis tief über die langgestreckten
+Kuppenzüge des Idarwaldes niederhingen, war der erste Kanonenschuß
+gefallen ... Von dort war der »Feind« zu erwarten: Aufgabe des
+Regiments, ihn am Heraustreten aus dem dicken Forste zu verhindern ...
+
+Und Leutnant Blowitz sprengte von der Tête her am Bataillon entlang:
+»Die Herren Kompagnieführer zum Herrn Major!«
+
+Da faßte Frobenius Rolands Zügel kürzer, nahm den linken Schenkel
+zurück ... Ein ganz klein bißchen sträubte sich die faule Kreatur,
+dann hoppelte sie gemächlichen Äppelgalopp mit ihrem Reiter an der
+Zweiten und Ersten entlang auf den Bataillonskommandeur zu, der seinen
+Kompagnieführern die Gefechtslage erklären und seine Befehle ausgeben
+wollte.
+
+Der Herr Major von Sassenbach ...
+
+Der schaute dem Anreitenden entgegen mit Augen, die Frobenius kannte
+... mit schelmisch blitzenden Reiteraugen ...
+
+»Na, lieber Frobenius, wie war's Quartier?«
+
+»Danke gehorsamst, Herr Major! -- Waschen müssen hab ich mich auf dem
+Korridor: meine Schlafstube reichte nur fürs Bett!«
+
+»Und ich hab' 'ne Art Tanzsaal gehabt ... mußte heut morgen 'ne halbe
+Stunde nach mir selber suchen, bis ich mich fand! -- Sie sehen übrigens
+ganz vergnügt aus bei diesem Sauwetter!«
+
+»Warum auch nicht, Herr Major!? -- Man kann ja dabei an die schönsten
+Sachen denken!«
+
+Der Major schmunzelte.
+
+Eigentlich ein ganz prachtvoller Herr, dieser Don Quijote! -- Schade,
+das Malheur im Tanzsaal! -- Schließlich -- Frau Professor wäre
+doch eigentlich durchaus standesgemäß gewesen ... und daß er ein
+Bürgerlicher war ... du lieber Gott, wenn ein Mädel mal sechsundzwanzig
+Jahre alt geworden ist ...
+
+ * * * * *
+
+Dem Miniaturkrieg, welchen beide Brigaden, durch Kavallerie,
+Artillerie und Spezialwaffen verstärkt, im zweiten Manöverabschnitt
+gegeneinander zu führen hatten, lag eine überaus komplizierte Annahme
+für die allgemeine Kriegslage zugrunde. Aber diese Annahme existierte
+eigentlich nur für die beiden Detachementsführer. In das geliebte
+Deutsch der Unterführer und vollends der Mannschaften übersetzt
+verwandelte sich jede Gefechtsannahme, verwandelte sich überhaupt das
+ganze Manöver in das äußerst einfache Rezept:
+
+Marschieren, bis man an den Feind heran ist -- dann ausschwärmen,
+schießen, sprungweise vorgehen -- marsch, marsch, hurra!
+
+Na -- und das hatte man ja gebimst bis die Schwarte knackte!
+
+Für das sogenannte »gemeine Truppenschwein« -- und unter diesen Begriff
+rechnete man mindestens alles, was »tippeln« mußte, auch die Herren
+Leutnants der Infanterie -- war so das ganze Manöver nichts weiter
+als ein abwechslungsreicher, strapaziöser und wenig komfortabler
+Spaziergang mit mancherlei scherzhaften Unterbrechungen.
+
+»Also, meine Herren,« schloß Major von Sassenbach eine längere
+Auseinandersetzung über jenes verwickelte und höchst theoretische
+Problem, das sich aus der allgemeinen Kriegslage ergab, »der Witz
+vons Janze ist folgender: Durch die Aufklärung ist festgestellt,
+daß der Feind durch den Idarwald im Anmarsch ist, und zwar auf der
+Chaussee, die von Bischofsthron über das ›Graue Kreuz‹ nach Bruchweiler
+führt. Wir stehen augenblicklich am Südeingang von Kempfeld, das
+Nest halblinks vorn ist Bruchweiler; das müssen wir vor dem Feind
+erreichen und von seinem Nordwestrande aus den Feind am Heraustreten
+aus dem Idarwalde verhindern. Das erste Bataillon ist vorn, das zweite
+und dritte folgt; das Schwesterregiment marschiert auf der Linie
+Schafbrücke-Schauren. Wir haben also Gefechtsanschluß rechts und sollen
+im Angriffsfalle links überflügeln, sonach bleiben wir im Vormarsch
+auf Bruchweiler, alles übrige entwickelt sich historisch -- ich danke
+Ihnen, meine Herren --!«
+
+Na, das strategische Geheimnis des Morgens hatte sich also gelüftet,
+und die Herren Kompagnieführer galoppierten zu ihren Kolonnen zurück.
+
+Weiter ging's in strömendem Regen durch das stumme, ärmliche Dörfchen
+Kempfeld -- laut kakelnd stoben die Hühner von der Landstraße herunter
+auf die bergenden Misthaufen; flachsköpfige Buben und Mädel sprangen
+aus den Türen, schrien den Kriegern die ewige Kinderfrage zu: »Saldat
+-- kummen 'er noch mieh?«
+
+Langsam ansteigend gen Bruchweiler zu schlängelte sich der lehmige Weg
+durch abgeerntete, teilweise bereits umgepflügte Felder, deren nasse
+Schollen, von der Pflugschar abgestochen, speckig glänzten ... eine
+lange, dunkle Wand, von grauer, zerfranster Wolkendecke überlagert,
+reckte sich der Idarwald. Von dort her klangen immerfort die dumpfen
+Schläge der Geschütze. Zur Rechten irgendwo, auf einer umnebelten Höhe
+vergraben, antwortete die Artillerie des Süddetachements ...
+
+Willkommene Musik für das Soldatenohr! Sie bedeutete: Bald hat sich's
+ausgekilometert -- und wir kriegen ihn am Kragen, den bösen Feind --
+dann geht's ins Quartier.
+
+Ei verflucht, nein ... nicht ins Quartier ... Heute stand am Ende des
+Marschtages ein Biwak auf kotigem Stoppelfeld ...
+
+Noch drei Kilometer bis Bruchweiler.
+
+Inmitten eines Hages von leise herbstlich gebräunten Obstbäumen träumte
+das verschlafene Dörfchen unterm Schirm des Waldgebirgs ...
+
+Plötzlich -- rack ... tack, tacktack -- Vom Dorfrand her knatterten die
+ersten Gewehrschüsse durch die brauenden Dünste.
+
+Nach einigen Minuten stob in vollem Galopp ein Zug der diesseitigen
+Kavallerie, der Deutzer Kürassiere, den Anger entlang, in eiliger
+Flucht hinter der anrückenden Infanterie Deckung zu suchen.
+
+Wie schmutzige Mehlsäcke sahen die weißen Koller aus im trüben
+Morgenlicht ...
+
+Ihr Führer meldete im Vorbeirasen dem Major: »Bruchweiler wird soeben
+von abgesessener feindlicher Kavallerie besetzt!«
+
+Hochauf richtete sich der Major in den Bügeln: »Herr Leutnant Blowitz!«
+
+»Herr Major?!«
+
+»Das Bataillon entwickelt sich links gestaffelt, links der Chaussee
+-- vierte Kompagnie hinter der linken Flanke aufmarschiert, aber
+geschlossen, zu meiner Verfügung!«
+
+»Zu Befehl, Herr Major!«
+
+Der Adjutant preschte zurück.
+
+Wie der Blitz war Hauptmann von Brandeis vom Gaul herunter, warf die
+Zügel seinem Burschen zu, der dienstkundig sogleich zur Hand war: »Die
+ganze Kompagnie nach links -- schwärmen! Marschrichtung: der große Baum
+in der Mitte des Dorfes!«
+
+Und in den Bügeln richtete sich auch Leutnant Frobenius auf ... Roland
+fuhr aus seinem Halbdusel mit Entsetzen empor und machte einen kleinen
+Seitensprung: »Exerzierordnung! mit Gruppen links schwenkt -- marsch,
+marsch!«
+
+Schon stob der Major heran. »Zum Donnerwetter, Herr Leutnant
+Frobenius, Sie wollen wohl hier im Bereich des feindlichen Feuers
+Kompagnieexerzieren abhalten --?!«
+
+»Herr Major, ich wollte --«
+
+»Ach was, zum Kuckuck -- lassen Sie schwärmen und gar nichts weiter! --
+Auseinander mit den Kerls! Geben Sie einen Marschrichtungspunkt an --
+dann läuft die Karre von selber!«
+
+Jesses -- dieser Landwehrfritze --! zu nichts zu gebrauchen --
+höchstens zum Schwiegersohn, und auch dazu nur unvollkommen -- --
+
+»Stellung!« kommandierte Hauptmann von Brandeis.
+
+Da purzelte die lange Schützenlinie der ersten Kompagnie wie hingemäht
+auf den Bauch in den triefenden Sturzackerlehm --
+
+»Geradeaus am Dorfrand, Schützen! Visier 800 und 900! Schützenfeuer!«
+
+Und -- rack, tacktacktack rollte das Schützenfeuer die Front entlang --
+--
+
+Der lustige Waffentanz begann. --
+
+ * * * * *
+
+In hellen Massen waren die Schützen des feindlichen Detachements aus
+den dunkeln Hängen des Idarwaldes herausgetreten, verstärkt durch
+zwei Flaggenbataillone, das heißt: Bataillone, die in Wirklichkeit
+nicht existierten, sondern nur durch je eine blaue Flagge statt
+einer Kompagnie markiert wurden, und hatten mit dieser künstlich
+hergestellten Übermacht die »Niederländer« und ihr Schwesterregiment
+bis weit hinter Kempfeld zurückgeworfen.
+
+Hier fand das Süddetachement an den bewaldeten Hängen des »Sandkopfes«
+und der »Marscheider Burr« einen Stützpunkt.
+
+Darüber war es vier Uhr nachmittags geworden.
+
+Allmählich war das lärmhafte Duett der Geschütze von hüben und drüben
+verstummt und die Verfolgung ermattet. Gegen fünf Uhr hatten die
+»Niederländer« jenseits des Höhenrückens Biwak bezogen.
+
+Das zweite Bataillon hatte das zweifelhafte Vergnügen, die Vorposten
+zu stellen, die sich nun auf den felsigen Kuppen des Höhenrückens
+aufbauten. Dahinter biwakierte geschlossen das erste und dritte
+Bataillon in einer schmalen Lichtung der Waldes auf dem langsam sich
+senkenden Abhang gen Herborn zu.
+
+Mit Zauberschnelle bauten sich hinter den Gewehrpyramiden die niedern
+braunen Zugzelte auf ... Kochlöcher wurden geschaufelt ... lange Züge
+zum Wasserholen, die klappernden Kochgeschirre der ganzen Kompagnie
+in der Hand, stiegen zum entfernten Dorf herunter; bald rollten auf
+der Chaussee die bereits während der Gefechtspause vorsorglich an den
+vorbestimmten Biwakplatz dirigierten Wagenkolonnen heran. Ganze Berge
+von Stroh und Holz wurden abgeladen. Der Küchenunteroffizier empfing
+schmunzelnd seine Portion Blechbüchsen mit Pökelfleisch, seinen Stapel
+Pappkartons mit Preßgemüsekonserven, seinen Anteil Salz und Kartoffeln
+...
+
+Rasch wurde alles in eine Leinwandplane gewickelt: denn der Regen
+drohte die ganze Herrlichkeit schon vor der Zeit zu einem Brei
+zusammenzurühren ...
+
+Und bald knisterten und qualmten überall die Flammen, umschwelten
+das durchnäßte Stroh, das triefende Reisig, das die Füsiliere
+zusammengeschleppt.
+
+Martin Flamberg hockte auf den Knien dicht neben dem just einen Meter
+hohen braunen Zelte, das die Burschen für die Herren der ersten
+Kompagnie aufgeschlagen hatten, und pustete mit aufgeblasenen Backen
+das immer wieder erlöschende Feuer an ... aus dem Kessel stieg der Duft
+zerkrümelter Erbswurst, die mit würfelförmig geschnittenem Cornedbeef
+vermengt und mit einem dicken Büschel kleingeschnittener Küchenkräuter
+vermischt war -- die hatte Martins gerissener Bursche, der Füsilier
+Klomprich, beim Vorbeimarsch durch die Stakete der Bauerngärten
+hindurch erwischt ... das duftete verdammt appetitlich ...
+
+Wenn nur das Feuer endlich mal ordentlich durchbrennen wollte ... Die
+sämtlichen Burschen hatten schon ihren letzten Atemzug verpustet ...
+nun pustete der Herr Leutnant selber ...
+
+Er fühlte sich persönlich verantwortlich für das leibliche Wohlergehen
+seines Kompagniechefs, seines Kameraden Carstanjen und der beiden
+Gäste des Offiziertisches, des Kompagniefeldwebels und des jungen
+Fahnenjunkers von Erichsen.
+
+Er pustete, pustete, pustete. -- Dunkelrot schwoll ihm das Gesicht ...
+Aschenflocken stoben ihm um die Nase ...
+
+Gott sei Dank! Endlich schwelte ein schwaches Flämmchen auf, qualmig
+fauchte es in das nasse Stroh hinein ... »Sauerei verfluchte --!« ...
+Er richtete sich auf.
+
+In diesem Augenblick scholl hinter seinem Rücken ... scholl -- -- was
+--?! Das mußte ein Traum sein -- scholl ein silbern schmetterndes,
+dreistimmiges Frauenlachen -- --
+
+Er fuhr herum.
+
+Bei Gott ... da standen drei schlanke Gestalten ... drei glühende,
+regenfeuchte Gesichter strahlten aus den aufgeklappten Kragen der
+Gummimäntel unter unförmlichen Wachstuchmützen ... in nasse Strähnen
+zusammengepappt hingen die rötlichblonden Haare der einen, die
+weißblonden der beiden andern über die erhitzten Wangen ... Nelly und
+Molly von Sassenbach und ... sie.
+
+»-- Hahaha, Herr Leutnant Flamberg ... nein -- wie Sie bloß aussehen
+... einfach zum Wälzen, Herr Flamberg!«
+
+Wahrhaftig -- er sah ein bißchen anders aus als beim Ball unter den
+flimmernden Kerzen des Kasinosaales.
+
+Die hohen Stiefel, die Kniee, die Schöße des Waffenrocks
+lehmüberkrustet, in steifen, groben Falten hing der graue Umhang um
+seine Schultern; der hochgeklappte Kragen zeigte sein schmutzig rotes
+Futter, die weiche Feldmütze saß beiderseits auf dem Ohr, der große,
+zerschrammte Schirm tief in der Stirn ...
+
+Aber darunter ... darunter leuchteten die braunen Augen aus dem nun
+tiefgebräunten Gesicht so verwettert, so kriegerisch in sieghafter
+Männlichkeit ...
+
+Frau Cäcilie war jählings verstummt, als diese braunen Augen mit
+ungewollter heißer Huldigung sich in die ihren gesenkt hatten ... als
+die heißen Lippen sich tief auf ihre regenfeuchte Hand niederbeugten
+...
+
+»Gnädige Frau -- meine Damen -- -- wahrhaftig, die Sonne geht auf!!«
+
+»Sie sehn, wir haben's nicht lange ausgehalten da unten in unserer
+Dreieinsamkeit auf Schloß Hettstein,« sagte langsam, stockend die
+schöne Frau.
+
+»Nee wahrhaftig -- wir hatten direkt krampfhafte Sehnsucht nach roten
+Kragen und blanken Knöpfen!« bestätigte Nelly Sassenbach.
+
+»Na, und da konnte Ihnen geholfen werden -- nicht wahr, meine Damen?
+Aber nun sagen Sie bloß, wie in aller Welt haben Sie sich denn hier
+heraufgefunden in diese gottverlassene Wald- und Bergesöde?«
+
+Frau Cäcilie wies nach der Chaussee hinüber. Da blinkte durch die
+Nebelschwaden ein funkelnagelneues, schneeweißes Automobil: »Ein sehr
+nobles Geschenk meines Vaters zu unserm Einzug auf Schloß Hettstein!«
+
+»Reizend von dem alten Herrn -- was sagen Sie, Herr Flamberg? Ja, ja,
+solchen Vater muß man haben!« lachte Nelly.
+
+Aber ihre Augen schweiften dabei ruhelos suchend über das buntwimmelnde
+Bild des muntern Biwaktreibens hin ..
+
+»Wo ist mein Mann?« fragte Frau Cäcilie.
+
+»Der sorgt für seine hundertzwanzig räudigen Schäflein!« meldete der
+kleine Carstanjen, der inzwischen herangekommen war und die Damen
+begeistert begrüßte. »Aber sieh -- da kommt er ja schon!«
+
+Ja, da kam er.
+
+Die Hand im braunen Feldhandschuh am breiten Schirm der Manövermütze
+-- sein gutes, ehrenfestes Gesicht strahlend in Glückseligkeit: »Welch
+seltner Glanz in unserer Hundehütte, meine Damen! -- Na, komm her,
+Alte!«
+
+Ehe Cäcilie sich's versah, hatte er sie an beiden Schultern
+gefaßt, unbekümmert um die ringsum gaffenden Füsiliere, Burschen,
+Unteroffiziere --
+
+»Aber Fritz --!«
+
+»Teufel auch -- armer, verdursteter Landsknecht! -- Ja, da lachen Sie,
+kleiner Carstanjen! Ist aber nur der Neid der besitzlosen Klasse!«
+
+Flamberg lachte nicht ... er hatte sich abgewandt ... starrte einen
+Moment in die Nebelschwaden hinein, die um die Bergkuppen geisterten
+...
+
+»Na, sag bloß, wie kommt ihr denn an den weißen Quietschkasten da
+hinten?«
+
+Frau Cäcilie gab Aufklärung.
+
+»Donnerwetter -- geht doch nichts über 'nen nobeln Schwiegeralten! --
+Na warte, werden wir ihm gleich eine Meldekarte schreiben mit unserm
+gehorsamsten Dank! -- Na, Flamberg, und da werden Sie wohl noch ein
+paar Erbswürste und ein paar Büchsen Cornedbeef mehr spendieren
+müssen!«
+
+»Ach was -- Erbswürste, Cornedbeef! -- Wir haben euch viel was Besseres
+mitgebracht!«
+
+Umringt von den staunenden Füsilieren schleppte der Chauffeur einen
+wuchtigen Korb heran ... goldbekapselte Flaschenhälse ragten daraus
+hervor ... aus appetitlichen Papierhüllen entwickelte sich kaltes
+Geflügel ... alle möglichen Blechbüchsen mit Pasteten und Ragouts ...
+
+»Pfui Teufel -- total unkriegsmäßig! -- Luxus und Wohlleben greifen um
+sich!«
+
+»Halt, halt -- nicht alles wegnehmen! -- Der hohe Bataillonsstab muß
+auch was mithaben!«
+
+Das Automobil hatte natürlich das ganze Biwak auf die Beine gebracht.
+Von allen Seiten strömten die Herren der beiden Bataillone heran,
+die Damen zu begrüßen, und in respektvoller Entfernung starrten die
+Unteroffiziere, glotzten die Füsiliere herüber zu den liebreizenden
+Gästen ihrer Herren, die nun, von Geplauder und Lachen umschwirrt, ihre
+Schritte dem Bataillonsstabszelt zulenkten.
+
+Als die Gruppe am Biwak der zweiten Kompagnie vorüberkam, hemmte Nelly
+ihren Schritt ... schon von weitem sah sie, den ihr Blick suchte ...
+
+Frobenius hatte seine Kompagnie beim Gepäck antreten lassen und hielt
+Gewehrappell ab ... gewissenhaft ging er von Mann zu Mann ... jeder
+mußte mit ausgestreckter Rechten die Waffe, aus der die Verschlußteile
+entfernt waren, in die Höhe halten, und der Kompagnieführer schielte
+durch den Lauf hindurch, ob er auch gründlich gesäubert sei ...
+
+Tausend, wie er sich verändert hatte in den paar Manövertagen! --
+Ordentlich militärisch sah er aus ... ordentlich kriegerisch, der
+gelehrte Herr, trotz seiner großen Brille ... mit den kotbespritzten
+Reitstiefeln, dem kurzverschnittenen Bart, der zerknitterten Feldmütze
+überm tiefgebräunten Gesicht ...
+
+Nelly wußte: jetzt durfte sie nicht stören! Und schnell folgte sie
+ihren Reisegefährtinnen, die, von einer ganzen Schar Offiziere
+umschwärmt, ihren Vater zu begrüßen gingen. --
+
+Wo aber die Unteroffiziere der Zweiten um ihr Feuerchen hockten und
+sich ihre Erbswurstsuppe zurechtbrutzelten, da war ein junger Bursch
+halbleibs emporgeschossen ...
+
+Himmel! -- die Oreade, die lauschend hinterm Felsen schwieg! die Heldin
+all der zahllosen Lieder, welche ihm zugeflogen waren auf den Märschen
+der letzten Tage ...
+
+Auf! -- auf! ihr entgegen! -- aber, Teufel nein, wer war man denn?
+-- Ein armer Kommißknabe ... nichts als ein ganz gewöhnlicher
+Kaldaunenschlucker ...
+
+Er in seiner schirmlosen Feldmütze, in seinem geflickten Tressenrock,
+mit seinen ungewaschenen Händen ... und sie ... sie wandelte fern, fern
+und unerreichbar ... wie ein leibhaft gewordener Dichtertraum ...
+
+Aber suchten nicht ihre Augen? -- suchten sie nicht --
+
+Nun hatten sie gefunden ... ihn gefunden ...!
+
+Die flaumigen Bäckchen flammten ... sie nickte ihm kurz und gemessen
+...
+
+Da sprang er auf ... stand stramm ... legte die Hand an die Feldmütze
+... und warf sich dann wieder lang hin neben das qualmende Feuer ...
+überhörte die plumpen Späße seiner Kameraden, des Sergeanten Metzges,
+des Oberlazarettgehilfen Nattermüller, des Unteroffiziers Franzkowiak
+...
+
+Stumm und ausgehungert löffelte er aus dem blechernen
+Kochgeschirrdeckel seine Erbswurstsuppe in sich hinein -- seine Seele
+aber formte den letzten Vers zu seinem Morgenliede:
+
+
+ »In Demut will ich pflücken,
+ was mir das Glück geoffenbart --
+ ganz ohne Sinn beglücken,
+ ist Glückes Art -- ist -- Glückes -- Art.«
+
+
+ * * * * *
+
+Vor dem Bataillonsstabszelt, der einzigen Behausung im ganzen Biwak,
+die mit den Wohnungen zivilisierter Menschen eine entfernte Ähnlichkeit
+hatte, unter dem Vordach, das wenigstens einen dürftigen Schutz gegen
+den immerzu munter niederströmenden Regen bot, hatte sich eine lustige
+Tafelrunde zusammengeschart ... ein paar hochkant gestellte Kisten
+bildeten Tische und Sitzgelegenheit ... das Service bestand aus groben
+Steinguttellern, aber die erlesensten Delikatessen der Saison gab's
+diesmal zu schmausen statt der üblichen Feldkost, der Preßgemüsesuppe,
+des halbverbrutzelten Konservengulasch ... Das heißt, auch diese
+kriegsmäßigen Speisen fanden ihre Abnehmer ... die drei Damen kosteten
+sie mit Begeisterung ... die mitgebrachten Herrlichkeiten überließen
+sie den Herren ...
+
+Den Sekt trank man aus ramponierten Kaffeetassen ...
+
+»An meiner is kein Henkel dran ...!«
+
+»Schad' nischt -- is Henkell drin!« schmunzelte der flaumbärtige
+Carstanjen.
+
+Sassenbach hielt eine kleine Rede auf den holden Besuch: »Mit hold
+meine ich natürlich nur die gnädige Frau, nicht euch, ihr Mädels ...
+das bildet euch bloß nicht ein!«
+
+Mit galantem, stürmischem »Oho!« protestierten die Leutnants.
+
+Frau Cäcilie war still ... sie nahm sich zusammen; denn einmal hatte
+sie einen Blick ihres Gatten aufgefangen, der mit stummer, banger
+Beobachtung an ihr hing, als sie hingerissen ... selbstvergessen mit
+Martin Flamberg geplaudert ...
+
+Doch immer verglich lechzend, qualvoll ihr armes Herz.
+
+Hier ein friedlich knisterndes Herdfeuer -- dort eine jetzt verhalten
+glostende, oft aber heiß und goldigrot auflodernde Glut.
+
+Warum bin ich heraufgekommen? -- Nutzlose Quälerei!
+
+Und doch zählte sie angstvoll Viertelstunde um Viertelstunde, die
+verrann unter neckendem Geplauder, hin und wieder flatternden
+Scherzworten.
+
+Der Sekt schäumte in blauen Emaillebechern, in zerbrochenen Tassen aus
+dem Fünfzigpfennigbasar. Gleichmäßig tropfte draußen der Regen aus
+den ziehenden Nebelschwaden hernieder. Die Dämmerung sank. Gesättigt,
+sangen draußen die Soldaten immer und immer wieder das Heimkehrlied:
+
+
+ »Es winket uns in weiter Ferne
+ Das liebe, teure Vaterhaus!
+ Wir war'n Soldaten, waren's gerne,
+ Doch jetzt ist unsre Dienstzeit aus!
+ Ihr Brüder, stoßt die Gläser an --
+ Es lebe der Reservemann!
+ Wer treu gedient hat seine Zeit,
+ Dem sei ein volles Glas geweiht!«
+
+
+Und eine tief lastende Melancholie umwob das Haupt der schönen Frau ...
+Warum war sie nur heraufgekommen? Es hatte ja doch keinen Zweck.
+
+Mit einem Male meldete von draußen her die Stimme des Postens vor der
+Fahne: »Der Herr Oberst kommt!«
+
+Hei -- das platzte wie eine Granate mitten hinein in die harmlos
+schmausende Gesellschaft!
+
+Der Major sprang auf: »Herrschaften, laßt mich durch!«
+
+Er stelzte mit seinen vom langen Reiten und langen Sitzen
+steifgewordenen Beinen aus dem Schutze des Zeltdachs heraus, dem
+Regimentskommandeur entgegen, der heute das Detachement führte.
+
+Durch den Nebel kam's von der Chaussee herangetrabt ... der
+Regimentsstab, die Herren in Mützen ...
+
+Oberst von Weizsäcker, neben ihm, unnahbar wie immer, Herr von
+Schoenawa, sein Adjutant, und Oberleutnant Menshausen, der als
+Ordonnanzoffizier zum Regimentsstabe kommandiert war -- ein paar
+Trompeter und Meldereiter von den Deutzer Kürassieren in ihren
+mattblinkenden Stahlhelmen.
+
+Der Oberst, stattlich und rosig, mit den braunweißen, beständig
+zuckenden Schnurrbartflämmchen, nahm die Meldung des Biwakskommandanten
+entgegen, tat ein paar Fragen über Nachrichten vom Feind,
+Sicherheitsmaßregeln, Verfassung und Gesundheitszustand der
+Mannschaften ...
+
+Da hatte er unterm schützenden Dach des Stabszeltes die hellen
+Regenmäntel, die wehenden Schleier der Damen erspäht.
+
+Neugierig, in ritterlicher Haltung trabte er heran und begrüßte die
+errötenden Gäste des Biwaks.
+
+»Meine Damen -- allerhand Respekt! Bei dieser Sintflut im rauhen
+Kriegsgetümmel?«
+
+Einen hämischen Zug um die Mundwinkel, hielt Oberleutnant Menshausen
+zur Linken des Obersten.
+
+Schau, schau, die schöne Frau Cäcilie im Biwak -- und die beiden
+Fräulein von Sassenbach ... und selbstverständlich in der Nähe der
+schönen Frau der Herr Sommerleutnant und Maler aus Düsseldorf ... und
+neben dem schlanken Majorstöchterlein die Karikatur, der Gehirnfatzke
+aus Bonn ...
+
+Ein Skandal, daß man durch das an sich ja sehr ehrenvolle Kommando
+verhindert war, die Entwicklung dieser interessanten Ereignisse aus der
+Nähe zu verfolgen.
+
+Aber warte -- nächstens im Korpsmanöver ... was sagte die
+Manöverquartierverteilungsliste? Samstag, den neunzehnten September bis
+Sonntag, den zwanzigsten September: Regimentsstab -- Schloß Hettstein
+-- Erstes Bataillon -- Bataillonsstab, erste und zweite Kompagnie: Dorf
+Hettstein --
+
+Dann werden wir also die ganze Gesellschaft dicht beisammen haben ...
+dann werden ja die Dinge mehr oder weniger zum Klappen kommen ... dann
+könnte man vielleicht gar ein bißchen nachhelfen ...!
+
+Wie ... das würde sich finden! -- Jedenfalls irgend etwas würde sich
+dann ereignen ... ein kleiner Spaß ... eine kleine Abwechslung in
+diesem verflucht eintönigen Kommißdasein ...
+
+Dann würde man sich entschädigen können für so manchen Ärger, den man
+hatte schlucken müssen ...
+
+Inzwischen mußte man freilich die Karre laufen lassen, wie sie laufen
+wollte ...
+
+Wenn man nur einen Vertrauensmann wüßte --?
+
+Ah -- Quincke -- auch in dieser Wildnis das unvermeidliche Monokel ins
+fahle Gesicht geklemmt ...
+
+Menshausen winkte den jüngern Kameraden an die Seite seines Gaules,
+streckte ihm die braunbehandschuhte Rechte hin: »Sie, lieber Quincke
+-- im Interesse unseres Offizierkorps -- beobachten Sie doch mal die
+beiden Herren des Beurlaubtenstandes, den Flamberg und den Frobenius,
+ein bißchen genauer, wenn die Damen in der Nähe sind ... Brandeis hat
+ja ein Schlößchen hier in der Nähe gekauft -- also werdet ihr wohl
+öfter das Vergnügen haben -- Mir kommt's vor, als ob die beiden fremden
+Herren -- --«
+
+»Selbstverständlich, lieber Menshausen, hab's längst gemerkt ... Denken
+Sie, ich schlafe mit offenen Augen?!«
+
+Leise tuschelten die beiden Herren ...
+
+-- Und Quincke paßte auf, als nun der hohe Stab von dannen getrabt war
+...
+
+Immer tiefer sank die Dunkelheit ... die Damen, von den Herren
+geführt, unternahmen noch einen Rundgang durchs Biwak, während die
+Azetylenlampen des Mercedes, vom Chauffeur entzündet, bereits weiße,
+gleißende Lichtkegel in die Abenddünste zeichneten ...
+
+Aha ... Frau von Brandeis wieder zwischen ihrem Mann und Herrn Flamberg
+... ja, ja, immer +à trois+ ... unbegreiflich diese eselhafte
+Vertrauensduselei des Kapitäns ...
+
+Und Fräulein Nelly von Sassenbach natürlich Seite an Seite mit dem
+hagern Landwehrleutnant ...!
+
+Quincke schlich hinter den beiden her und lauschte ...
+
+»-- Ja, mein altes Mütterchen, gnädiges Fräulein -- eine ganz, ganz
+einfache, einsame alte Frau! Sie hat sich nicht entschließen können,
+nach meines Vaters Tode das Dörfchen droben auf dem Westerwald zu
+verlassen, wo ihr Mann dreißig Jahre lang die Buben und Mädel in die
+Geheimnisse des ABC eingeweiht hatte ... ach ja, eine einfache Frau!
+Aber was für Augen, gnädiges Fräulein ... Augen wie so ein altes
+wundertätiges Waldweiblein aus dem Märchen ...«
+
+»Ach ja ... die möcht ich wohl kennen lernen --!«
+
+Feine Zusammenstellung, grinste Quincke: junge Dame von Stand,
+passionierte Reiterin und Tänzerin ... Tochter eines preußischen
+Stabsoffiziers -- -- und eine Bauernschulmeisterswitwe in einem
+Waldnest! -- Na ja ... wenn die Menschen verrückt werden, fängt's im
+Kopf an --!
+
+Aber es kam noch toller.
+
+Im Halbdunkel gewahrte Quincke, daß das jüngere Fräulein von Sassenbach
+unauffällig zurückzubleiben suchte ...
+
+Und wahrhaftig! -- Da tauchte aus der Mitte der Mannschaften, die um
+ihre Lagerfeuer rasteten, die Gestalt eines Unteroffiziers auf ...
+
+Aha, der Einjährige, der den langweiligen Quatsch zum Regimentsfest
+verbrochen hatte! --
+
+Weiß der Himmel -- er begrüßt sie wie ein Kavalier ... sie plaudert mit
+ihm ... und nun zieht der Einjährige ein Notizbuch aus der Tasche ...
+nimmt eine beschriebene Meldekarte heraus ... reicht sie der Dame ...
+Die errötet tief ... legt sie sorgsam zusammen und steckt sie in die
+innere Tasche ihres Regenpaletots ...
+
+Warte, Bürschchen ... dich wollen wir mal auf deinen Standpunkt
+zurückbringen ...!
+
+»Nun, gnädiges Fräulein ... wollen Sie sich nicht Ihrem Fräulein
+Schwester anschließen? Die Damen begeben sich bereits zum Auto zurück
+... Bitte übrigens einen Moment um Verzeihung! -- Sie, Einjähriger,
+hier haben Sie zwanzig Pfennige ... gehen Sie doch mal zum Marketender
+an den Kantinenwagen und holen Sie mir ein Schinkenbutterbrot ... Sie
+können's mir ans Offizierzelt bringen ...!«
+
+Hans Friesen war einen Augenblick starr ... dann faßte er sich, wandte
+sich kurz herum, spähte in die Gruppe der Füsiliere hinein, die ums
+Lagerfeuer saß: »Makowiak!«
+
+Der Angeredete, ein hübscher, polnischer Rekrut, stand sofort in
+strammer Haltung neben dem Unteroffizier: »Zur Stelle!«
+
+»Herr Leutnant Quincke wünscht ein Schinkenbutterbrot vom Marketender
+ans Offizierzelt. Hier ist das Geld!«
+
+»Einjähriger, ich habe Sie selber beauftragt, wie Sie gehört haben! --
+Ist das vielleicht unter Ihrer Würde, was?!«
+
+»Jawohl, Herr Leutnant --!«
+
+Quincke biß sich auf die schmalen Lippen: »Na -- dann erteile ich Ihnen
+also hiermit den dienstlichen Befehl, mir das Butterbrot zu holen!«
+
+Hans Friesen stand stramm ... regungslos ...
+
+»Wollen Sie sich vielleicht der Gehorsamsverweigerung vor versammelter
+Mannschaft schuldig machen --?!«
+
+Hans Friesens Lippen bebten ...
+
+Er erinnerte sich der Strenge der militärischen Gesetze: der
+Vorgesetzte hat in dem Augenblick, in dem er befiehlt, immer recht --
+-- Er nahm dem Füsilier das Geld wieder ab, machte stramm kehrt und
+stapfte ins Dunkel, dorthin, wo die Laternen des Marketenderwagens
+gelblich aufleuchteten -- -- --
+
+Dafür sollte der Frechling ihm Rede stehen -- in vierzehn Tagen, wenn
+der bunte Rock abgestreift war ... Warte, du Affe! -- Wollen sehen, wer
+am besten schießt von uns zweien! --
+
+-- Tränen der Wut und Empörung in den Augen, sprachlos hatte Molly dem
+Auftritt zugeschaut: »Das ist abscheulich, Herr Quincke!«
+
+»Wieso?« näselte der Leutnant, »is doch höchstens 'ne Ehre für den
+Unteroffizier, wenn er seinem Zugführer einen Gefallen tun kann!«
+
+»Ich sag' es meinem Vater -- verlassen Sie sich drauf!«
+
+ * * * * *
+
+Das Auto war von dannen gerattert ... und jählings sank die Nacht ...
+sank die Stille über das nebelumsponnene Feldlager ...
+
+Schweigend, fest in ihre Mäntel gehüllt, saßen Brandeis und Flamberg
+auf den umgestürzten Wein- und Menagekisten vor dem niedern Zelt -- --
+
+Der kleine Carstanjen und der Fahnenjunker schnarchten bereits drinnen
+im Stroh -- --
+
+Beider Männer Blicke hingen an dem phantastischen Schauspiel der
+mählich verglimmenden Lagerfeuer, deren rötliches Glosten allein noch
+die Schwärze der Nebelnacht durchdrang -- --
+
+Und beide Männer träumten von Frau Cäcilie -- --
+
+»Sagen Sie, lieber Flamberg ... mögen Sie mich ein bißchen leiden?«
+fragte der Hauptmann auf einmal mit verschleierter Stimme.
+
+»Wie meinen Herr Hauptmann --?!«
+
+»Ob Sie mir ein bißchen gut sind, möcht' ich gern wissen?!«
+
+»Herr Hauptmann, ich ... ich möchte unter Ihnen in den Krieg ziehen
+... mit Ihnen zusammen fechten und bluten ... dann wollt ich's Ihnen
+beweisen ...«
+
+»Das freut mich zu hören,« sagte der Hauptmann, »das freut mich zu
+hören ...«
+
+Einen Augenblick Stille -- tiefe Stille --
+
+Martin hatte verstanden ...
+
+Nein ... er durfte ganz ruhig sein, der brave, ehrenfeste Mensch da
+neben ihm ... er, Martin, würde sich künftig noch mehr zusammennehmen
+... beim nächsten Wiedersehen ... seine Augen, seine Stimme noch mehr
+im Zaum halten ... noch mehr als heute ...
+
+»Na ... nun kommen Sie --«
+
+Freundschaftlich und vertrauensvoll klopfte der Kapitän dem Kameraden
+auf die Schulter -- --
+
+»Es ist Zeit ... morgen früh um vier wird abgebaut ... wollen ins Stroh
+kriechen ...!«
+
+
+
+
+ Zweites Kapitel.
+
+
+Frau Cäcilie hatte einen bangen Traum.
+
+Ein Geläut klang ihr ins Ohr ... ein tiefes, volltöniges Geläut ...
+unregelmäßig, oft wie vom Winde verweht, doch stark und mächtig ...
+
+Und auf einmal wußte sie es ... das waren ja die Hochzeitsglocken ...
+heute machte sie Hochzeit mit Martin Flamberg ...
+
+Das Glück war gekommen ... das große Glück ... die Lebensliebe, von
+der sie einst als Mädchen geträumt ... die Erfüllung, herrlicher, als
+kühnste Dichterphantasie sie schilderte.
+
+Bim, bam, läuteten feierlich die Glocken ... die Glocken des Kölner
+Doms ... und sie beide, sie schritten mitten über den weiten Domplatz
+... auf das weitgeöffnete Portal des ragenden Gotteshauses zu ...
+
+Neben ihr ging der Maler ... in Paradeuniform, den schwarzen wehenden
+Roßhaarbusch auf dem Helm ...
+
+War sie nicht schon einmal neben einem Manne hingeschritten, der diese
+Gewandung trug ...?!
+
+Ach ... das war lange her ... das war gar nicht mehr wahr ...
+
+Rechts und links staute sich das Volk, und sie hörte das Flüstern der
+Menge: Das ist Martin Flamberg, der große Maler, und seine glückliche
+Braut, die schöne Frau Cäcilie ...
+
+Einen Blick warf sie dem Verlobten zu, und er erwiderte ihren Blick
+mit einem jähen verlangenden Aufleuchten seiner braunen durstigen
+Künstleraugen ...
+
+Und immerfort ... tief und gewaltig ... summten dazu die Glocken aus
+der Höhe ...
+
+Nun schritten sie Hand in Hand die hohe, breite Domtreppe hinan ...
+weit offen stand die metallene Pforte ... dem Blick erschloß sich
+das geheimnisdunkle, weihrauchdurchduftete Innere des Heiligtums ...
+von rechts her, magisch bunt gefärbt, fiel durch die Glasgemälde der
+Spitzbogenfenster ein breiter Strahl gedämpften Sonnengoldes hinein ...
+
+Da -- als das Paar die Pforte durchschreiten wollte ... plötzlich stand
+da eine gräßlich entstellte, bleiche Gestalt in der Wölbung -- -- Fritz
+--!
+
+Er stand im kotbespritzten Manöveranzug ... die Feldmütze tief ins
+blasse Gesicht gezogen ... die braunbehandschuhte Linke hatte er
+fest aufs Herz gedrückt ... und unhemmbar floß ein Strom zähen,
+dunkeln Blutes zwischen seinen Fingern hindurch ... sickerte auf die
+Steinfliesen ...
+
+Da schrie sie auf ... und brach in den Armen des Geliebten zusammen ...
+
+Und erwachte -- --
+
+Erwachte in dem hellen, freundlichen Schlafgemach des Schlößchens
+Hettstein ... in dem messingfunkelnden englischen Bett unterm duftig
+lichten Gardinenhimmel ...
+
+Und neben ihr harrte eine andere, unberührte Lagerstatt, von
+schimmernder Spitzenspreite bedeckt ...
+
+Aber die Glocken ... die Glocken läuteten immer noch ...
+
+Doch nein -- das waren ja die Kanonen ... die Kanonen des Korpsmanövers
+ringsum auf den Hunsrückhöhen ...
+
+Und heute, heute würden sie kommen ... ihre Gäste ... der Regimentsstab
+der Niederländer Füsiliere!
+
+Und kommen würden auch die beiden Männer, deren einer in ihrem Traum
+an ihrer Seite gegangen war, bis der andere ihnen entgegentrat mit
+der blutdurchsickerten Linken auf der Brust und dem fahlen, starren
+Totenantlitz ...
+
+Gott sei gedankt, er lebte ... Fritz lebte ...!
+
+Frau Cäcilie richtete sich auf ... ihre Schläfen brannten ... die Augen
+flimmerten, als habe sie die ganze Nacht schlummerlos durchwacht ...
+und ihre Wangen waren kalt von nassen, bangen Tränen ...
+
+Sie würden kommen ... würden sie anschauen ... beide ... und in beider
+Augen würde sie mit wirrem Streite der Gefühle das Bekenntnis lesen
+müssen: Ich gehöre dir ... meines Lebens Schicksal ruht in deiner Hand
+...!
+
+Das war ein grauenvolles Bewußtsein, also zweier Männer Seele zu
+beherrschen -- und doch von einer geheimen, wilden Süßigkeit ... dieses
+Machtgefühl ... dieses Herrschergefühl ...
+
+Sie sprang aus dem Bette ... ging zum Spiegel ... schaute lange in ihre
+Züge ...
+
+Was ist denn eigentlich so Besonderes dran an dir, du weiße Larve mit
+den brennenden Augen drin, daß du immerfort durch einen Wall, durch
+einen Schwall von Huldigungen hinschweben mußt --?!
+
+Bum, bum -- läuteten droben auf den Bergen ringsum im Kreise die
+Kanonen, deren Sang ihren Traum wie Hochzeitsglocken durchwandelt ...
+
+Dort oben stand das ganze rheinische Armeekorps, in zwei Parteien
+geteilt, in lustiger Friedensschlacht ... mehr denn zwanzigtausend
+rüstige Männer ... die Jugendblüte der schönsten und reichsten Provinz
+des Vaterlandes ...
+
+Und in ihrer Schar gab es zwei, von denen sie wußte, daß sie mitten im
+Drang ihrer Pflicht ... im sengenden Sonnenbrande ... beim Marsch auf
+staubüberwölkter Landstraße ... und beim Ansprung wider den Feind über
+den Sturzacker -- die Stunden zählten, die sie noch vom Wiedersehen
+trennten -- vom Wiedersehen mit ihr ...
+
+Dies Wissen war beseligend und fürchterlich.
+
+Was würde werden? Ihre Seele war schwer und glühend von der Ahnung
+eines Schicksals, einer nahen Entscheidung, einer Entscheidung, der
+sie wehrlos gegenüberstand, einer Entscheidung, die sie über sich
+ergehen lassen würde wie ein unabwendbares Elementarereignis, wie einen
+Wirbelsturm, wie ein erlösendes und zerschmetterndes Gewitter.
+
+Ja, machtlos -- willenlos fühlte sie sich gegenüber dem Geschick.
+
+Die beiden andern waren ja die Männer ... die mochten handeln, die
+mußten entscheiden, was werden sollte.
+
+Sie war das Weib ...! Ihrer harrte nur die äußere Pflicht, die Pflicht
+der Hausfrau und Gastgeberin -- die würde sie erfüllen, korrekt und
+anmutig ... von ihrer Erziehung, ihrem Instinkt unfehlbar geleitet ...
+ohne daß an Willen und Entschluß irgendwelche Anforderungen gestellt
+wurden.
+
+Das andere ... das würde kommen von draußen her, unhemmbar, unabwendbar
+...
+
+ * * * * *
+
+Und droben im Turmkämmerchen träumten zwei andere Herzen einem
+Wiedersehen ... träumten ihrem Schicksal entgegen ... ein
+Kinderherzchen, so willenlos wie die reife Frau im Banne dumpfer,
+triebhafter Gefühle -- und ein fester straffer Mädchenwille, der
+während schlummerloser Nacht in Frische und Resignation über sein Leben
+beschlossen hatte.
+
+Ja, Nelly Sassenbach wußte, was sie wollte ...!
+
+Heut abend freilich würden die Herren erst spät ins Quartier kommen
+-- es war beschlossen, sie in Ruhe zu lassen. Nur der Regimentsstab,
+der ohnehin dem Schlosse bestimmt war, würde zur Tafel erscheinen, und
+natürlich der neue Schloßherr, obwohl er offiziell mit seiner Kompagnie
+drunten im Dörfchen lag.
+
+Die Herren der ersten und zweiten Kompagnie würden sich ausschlafen
+beim Ortsvorsteher und bei den andern wohlhabenden Bauern, deren Höfen
+sie zugewiesen waren, würden mit aller Bequemlichkeit gegen Abend in
+der Schankwirtschaft ihre Mahlzeit einnehmen und um neun zu Bette
+gehen.
+
+Morgen aber ist Rasttag -- da werden die Herren gründlich ausgeruht als
+Gäste der Schloßherrin auf Hettstein erscheinen -- man wird festlich
+und fröhlich zusammen dinieren -- wird im Park spazieren gehen.
+
+Und dann -- dann wird es geschehen -- dann soll es geschehen!
+
+Dann wird sie die Braut des hagern Gelehrten werden, des
+Schulmeistersohnes vom Westerwald, des miserabeln Reiters und Tänzers,
+des Mannes aus dem Froschtümpel, des Entgleisten vom Kasinoparkett.
+
+Es war beschlossen -- es würde sich vollziehen -- sie wollte es. Und
+daß er die gleiche Sehnsucht hatte, das wußte sie, seit er ihr von
+seiner Mutter erzählt, im Regenbiwak unter der »Marscheider Burr«.
+
+Ja, viel -- gar viel Resignation steckte in diesem Entschluß.
+
+Ganz, ganz anders sah ihr Erwählter aus als die Gestalten, die einst
+durch ihre Mädchenträume geschwebt waren.
+
+Aber wenn sie seiner gedachte, dann kam ein so tiefes Ruhegefühl ...
+ein so freudiges Geborgensein über sie ...
+
+Ja ... er war doch der Rechte ... der, für den das Schicksal sie
+aufgespart hatte, das in ihrer Mutter Gestalt so manchen glänzenden,
+stattlichen Bewerber aus ihrer eigenen Welt von ihrer Seite gescheucht
+hatte ...
+
+Ich danke dir, Mutter -- es ist gut gewesen, daß ich den schwarzen
+Baron Höningen nicht bekommen hab, der jetzt in Amerika Pferde hütet
+... und nicht den riesigen Bettingen, der nun drunten in Südwestafrika
+im Wüstensande liegt ...
+
+Es ist gut so, Mutter ...!
+
+Was morgen kommt, das ist fürs ganze Leben ... kein stürmisches
+Backfischglück wie das, von dem gewiß das blonde Schwesterchen jetzt
+träumt, das so eigenwillig sein Köpfchen der rosaroten Tapete zukehrt
+... aber eine frohe Ruhe ... eine festlich stille Gewißheit ... eine
+Heimstatt für freudiges Wirken und Hineinwachsen in eine helle, lichte
+Welt, in ein höheres, geistigeres Dasein, als meine Jugend es je geahnt
+...
+
+Wilhelm Frobenius, du Prachtkerl! -- Du sollst es gut haben bei deiner
+Nelly -- hol mich der Teufel!
+
+ * * * * *
+
+Bum, bum, drohten die Geschütze ringsum auf den Bergen ohn' Unterlaß
+...
+
+»Nun, gnädige Frau, wen bekomm' ich ...?«
+
+Die drei Freundinnen standen im feierlich halbdunkeln, getäfelten
+Speisesaal des einstmals kurtrierschen Schlößchens, das ein Kölner
+Bankier vor acht Jahren aus einer ziemlich wohlerhaltenen Ruine in
+einen behaglichen weltfernen Herrensitz zurückverwandelt hatte ... und
+Frau Cäcilie legte die Tischkarten ...
+
+»Abwarten, Kleine! -- Also: Ans Kopfende komme selbstverständlich ich
+-- leider, leider zwischen die beiden Herren Kommandeure ... den Oberst
+zu meiner Linken, Ihren lieben Brummbär Papa zu meiner Rechten!«
+
+»Donnerwetter, fabelhafter Dusel für Papa! -- Na, der wird schmunzeln
+... gut, daß Mama nichts davon ahnt ... das gäb' ein paar schlaflose
+Nächte!«
+
+»Schäm dich, Nelly!« zürnte das jugendliche Ebenbild der Entfernten.
+
+»Na, und nun gehen wir mal zunächst hier links hinunter, damit die
+kleine Neugier auch lange genug auf die Folter gespannt wird! Also
+neben den Herrn Regimentskommandeur natürlich Sie, Nelly!«
+
+»Um Gottes Willen! -- läßt sich das nicht vermeiden?«
+
+»Unmöglich, Kind! -- Die Tischordnung versteht sich sozusagen von
+selbst ... es geht gar nicht anders, als ich's aufgesetzt habe! Aber
+nun kommt die Entschädigung: zu Ihrer Linken sitzt -- Herr Oberleutnant
+von Schoenawa!«
+
+Ernsthaft hatte die Wirtin das gesagt ... aber ihre Augen blitzten
+schelmisch prüfend zu der schlanken Freundin hinüber.
+
+Die bewahrte Haltung. Was lag an dem Diner? ... Sie wußte ja doch, was
+sie wollte ...
+
+»Zu Befehl, gnädige Frau!«
+
+»Also wirklich -- vollkommen einverstanden?!«
+
+»Vollkommen!«
+
+»Aber ich nicht! -- Der gestrenge Herr Regimentsadjutant ist mir zu
+feierlich und offiziell für Sie ... Außerdem ist ein Herr da, der zwar
+eine Charge unter ihm steht, aber an Jahren der nächste nach den beiden
+Herren Kandillenträgern ist!«
+
+Und nach der Melodie des Lockens zum Parademarsch trällerte die schöne
+Frau:
+
+
+ »Großmutter, die Landwehr kommt,
+ Die Landwehr kommt, die Landwehr kommt,
+ Großmutter, die Landwehr kommt ...«
+
+
+Da errötete Nelly denn doch ein wenig und verstummte.
+
+»Na, ich seh schon, ich hab's getroffen ... da, Kindchen, legen Sie
+selber den Zettel hin! -- Also, neben Herrn Frobenius setzen wir
+Herrn Oberleutnant Menshausen und neben den: Herrn Flamberg ... Herr
+Menshausen kann die Herren vom Beurlaubtenstande nicht leiden -- ich
+kann Herrn Menshausen nicht leiden -- Rache ist süß, krächzte der
+Habicht!«
+
+Außerdem kann es nicht schaden, dachte sie, daß ich Flamberg recht weit
+von mir entfernt auf einen schlechten Platz setze ... Fritz machte
+neulich im Biwak einmal so merkwürdige Augen ...
+
+»Ans Fußende kommt natürlich das grüne Gemüse -- unten meines Mannes
+Fahnenjunker, der kaum geborene Erichsen -- zwischen ihn und den Herrn
+von der Reserve setze ich Herrn Quincke!«
+
+Den Herrn von der Reserve! dachte Nelly -- diese Heuchlerin!
+
+»-- dem gegenüber Herrn Carstanjen ... dann kommt mein Mann ... neben
+den kommen Sie, kleine Molly!«
+
+»Sehr einverstanden! -- Himmlisch!«
+
+Der Backfisch hatte ein wenig für Fritz von Brandeis geschwärmt, ehe
+dieser anderweitig vergeben worden war.
+
+»-- an Ihre andere Seite der Adjutant des ersten Bataillons!«
+
+Molly rümpfte das Näschen: »Der ist so entsetzlich brav!«
+
+»Ja, ich hab niemand andern mehr ... nur noch Herr von Schoenawa ist
+übrig!«
+
+»Ne, danke ... dann immer noch lieber Herrn Blowitz!«
+
+»Gut -- dann also Herrn von Schoenawa zwischen Blowitz und Ihren Vater!
+Na, ist das nicht tadellos, Kinder?«
+
+»Ausgezeichnet -- ganz vorzüglich, gnädige Frau!«
+
+»Ach was -- ihr immer mit eurer langweiligen gnädigen Frau --! Machen
+wir's uns doch endlich mal gemütlich: sagen wir du zueinander!«
+
+Tief erglühend vor Seligkeit boten die Mädchen der vergötterten Wirtin
+ihre Lippen.
+
+Und über alle drei kam's wie ein Festrausch. So herrlich strahlte
+draußen die Spätsommersonne ... die eben leise sich bräunenden
+Bergwälder schlossen sich so traulich um das Schlößchen wie ernste,
+fromme Hüter eines geheiligten Asyls ...
+
+Und immer näher ... immer drängender scholl draußen das mächtige
+Geläute der Kanonen auf den Höhen ringsum ...
+
+»Ach, Kinder, das Leben ist doch schön!«
+
+»Das weiß der Himmel!« sagte Nelly aus tiefer, dankbar hoffender Brust.
+
+»Ja wahrhaftig, das weiß der Himmel!« echote auch die Neunzehnjährige
+... und sie träumte von einem, der morgen abend zwar nicht hier mit
+an der Tafel sitzen würde ... den sie aber doch sehen wollte ...
+heimlich, verstohlen sehen -- und küssen ... draußen irgendwo in den
+verschwiegenen Bosketten, die sich über den Trümmern der alten, nicht
+wieder hergestellten Bastionen buschten ...
+
+Sie mußte ihn ja trösten ... mußte ihn entschädigen für die Unbill, die
+der widerwärtige Quincke ihm zugefügt ... offenbar mit Absicht in ihrer
+Gegenwart ... um ihn zu blamieren vor ihr ...!
+
+Zu blamieren vor ihr ... haha ... als ob das möglich gewesen wäre ...!
+
+Aber er durfte sich's um Gottes willen nicht zu sehr zu Herzen nehmen
+... ihr süßer Junge ... ihr Dichter ... dessen himmlische Verse, rasch
+mit Bleistift auf einer Meldekarte niedergekritzelt, unter der Bluse an
+ihrem Herzchen knisterten ...
+
+Und darum mußte sie ihn trösten -- unbedingt ... damit er keine
+Dummheiten machte! -- Na, das würde ihr schon gelingen. -- --
+
+Bum, bum, bum, läuteten draußen die Kanonen ...
+
+ * * * * *
+
+»Sie kommen! sie kommen!«
+
+Die aufgeregt harrenden Mägde drunten am Schloßtor schrien's zuerst ...
+
+Der Gärtner, der Chauffeur gaben's weiter ...
+
+Das Hausfräulein stürzte zu den Damen hinein, die eben im Herrenzimmer
+die kleinere Tafel für den heutigen Abend mit Blumen schmückten.
+
+»Wer kommt?« fragte die Hausfrau.
+
+»Soldaten! Soldaten wie Sand am Meer!«
+
+Von den tiefen Nischen der Fenster des Schloßturms aus konnte man
+den Weg überschauen, der durch die buschigen Abhänge nördlich des
+Beierbachs empor sich schlängelte nach Hettenrodt zu ...
+
+Von dort stieg jetzt, ein Pferd hinter dem andern, vorsichtig ein
+endlose Linie von Reitern in hellblauen Waffenröcken hernieder --
+Saarbrücker Siebente Dragoner. --
+
+»Die sind nicht von den Unsern!« erklärte Nelly sachverständig, »seht,
+sie tragen Helmbezüge ... das ist der böse Feind; der ist jedenfalls
+geschlagen und muß sich zurückziehen ...«
+
+»Geschieht ihm recht!« rief Molly mit blitzenden Augen.
+
+Nun sprengte auf der Chaussee, die an der andern Seite des Schlößchens
+von Mackenrodt her in langen Zickzackwendungen ins Tal hinunterkroch,
+ein Trupp Artillerieoffiziere, gleichfalls in Helmbezügen, hart am
+Schloß vorüber, bergab ins Tal ... verschwand drunten zwischen den
+Häusern des Dörfchens und tauchte an der andern Berglehne wieder
+auf, galoppierte jenseits in das Seitentälchen hinein, das sich gen
+Vollmersbach hinaufzog. Sie schwenkten rechts ab, erschienen, klein wie
+Bleisoldaten, droben auf der kahlen Höhe ...
+
+Und durch die Gläser konnten die Damen deutlich erkennen, daß sie
+droben Halt machten und mit ihren Feldstechern übers Schlößchen hinweg
+Ausschau hielten.
+
+»Sie suchen eine Stellung für die zurückgehende feindliche Artillerie
+aus; die soll den Rückzug des gegnerischen Detachements decken!« wußte
+Nelly wiederum zu erläutern.
+
+»Da werden wir ja das Kanonenkonzert aus allernächster Nähe zu genießen
+bekommen!«
+
+Und richtig! -- Nach wenigen Minuten rasselte eine schier endlose
+Artilleriekolonne die Chaussee hinunter, so schnell als der abschüssige
+Weg mit seinen zahllosen, scharfen Krümmungen es nur irgend gestattete.
+
+Die Kanoniere saßen mit rauchgeschwärzten, staubbekrusteten Gesichtern
+auf den Protzkästen und hielten sich krampfhaft fest, um nicht beim
+Rumpeln der federlosen Gestelle abgeschleudert zu werden ...
+
+Das Sitzfleisch tat einem weh vom bloßen Ansehen ...!
+
+Drüben den steilen Talweg ging's hinan ... da mußten die Kanoniere
+absitzen und die Geschütze bergan schieben helfen ... Die armen Kerle!
+
+Ganz deutlich war's zu verfolgen, wie nun drüben die Mündungen der
+Geschütze über dem hohen Kamm auftauchten ...
+
+Bum -- da krachte auch schon der erste Schuß, bum -- der zweite ...
+
+Dicke weiße Wolken stiegen auf, doch verflogen sie in der blauen
+Nachmittagsluft wie der Rauch einer Zigarre ...
+
+Die Damen hielten sich die Ohren zu, so heftig knallten die Schüsse ...
+widerhallend kam das Echo zurück von all den dunkelbelaubten Berghängen
+ringsum ...
+
+Eine Viertelstunde später begann der Abstieg der geschlagenen
+feindlichen Infanterie ... eine dunkelblaue Schlange mit grau und
+silbern schillernden Schuppen, so wälzte sich der Zug des Fußvolks
+nieder ins Tal ... Kompagnie hinter Kompagnie ... Bataillon hinter
+Bataillon ...
+
+Ganz dicht unter den Schloßfenstern wogte der endlose Schwall vorüber
+...
+
+Gott, sahen die wackern Jungen aus! --
+
+Spätsommermittagsglut und der Staub vielstundenlanger Märsche hatten
+ihr Werk getan ... schmutzige Rinnen hatte der Schweiß in die
+tiefgebräunten, graubepuderten Gesichter gezeichnet ... die Rockkragen
+waren geöffnet ... die Gewehre pendelten schwer auf den müden Schultern
+...
+
+Aber die gesenkten Nacken richteten sich straffer auf, als plötzlich
+bei der Wegwende vor ihrem Blick das schmucke Schlößchen mit seinen
+altersgrauen Mauern und der blinkenden Zier seiner Erneuerungsbauten,
+den roten Ziegeldächern, den blitzend weißen Fensterkreuzen auftauchte,
+von dunkelgrünen Efeupolstern und leuchtendrotem Rankengeriesel wilden
+Weins umwuchert ...
+
+Und über den Rand der Gartenanlage beugten sich frische Mädchenköpfe
+... das Hausfräulein und die beiden Mägde ...
+
+Hei -- wie das elektrisierte, wie Jugend da plötzlich die Jugend
+erschaute ... da reckten sich die matten Gestalten der Marschierenden
+empor, da flog ein endloser Schwall von Neckereien und derben Späßen
+zur Mauer hinan in allen Mundarten der rheinischen Gaue ...
+
+Aber Glied um Glied wurde rasch von dannen gerissen im rastlosen
+Rückmarsch.
+
+Mochten auch die Vorbeimarschierenden die Köpfe noch so sehnsüchtig
+umwenden -- die Blicke der strammen Holden droben waren schon wieder
+weitergewandert, neuen Kömmlingsscharen entgegen.
+
+Die Herren Offiziere aber hoben ihre Blicke noch etwas höher als bis
+zur Mauer der Gartenbastion ... sie strebten zum Balkon empor, wo in
+lichten Gewändern drei Frauengestalten aus ihrer eigenen Kaste sich
+zeigten ...
+
+Hei -- wie flogen da feurig kecke Blicke empor ... dorthin, wo die
+Damen standen ... die Damen ...
+
+Aber auch sie mußten von hinnen, die stattlichen Stabsoffiziere
+und Hauptleute hoch zu Roß, die schlanken, in Staub und Schweiß
+noch eleganten und aufrechten Leutnants mit den häßlichen
+Wachstuchtornisterchen auf dem Rücken -- dem »Schandfleck der
+Ritterlichkeit« -- --
+
+Und von dem vorüberrollenden Strom kriegerischen Lebens stieg ein
+Dunst zu der schönen, schlanken Herrin, den winkenden Mädchen
+und Mägden empor ... ein heißer, schwüler Dunst hochblühender,
+waffendienstgestählter, jugendprangender Männlichkeit, der ihnen den
+Sinn verwirrte ... einen Schwall weckte von unbewußten, unbegriffenen
+Sehnsuchtgefühlen ...
+
+Doch endlich war der Strom vorübergerauscht.
+
+Schräger flimmerte die Spätnachmittagssonne auf der Chaussee, die sich
+wie ein fahlgelbes Band durch das Braungrün der Waldhänge zog.
+
+Die Damen waren verstummt.
+
+Nun müssen bald die Unsern kommen, dachte eine jede ... die Unsern ...
+
+Und dann ... dann kommt auch er, der eine ... der meine, dachten die
+jungen Mädchen ...
+
+Frau Cäcilien aber bebte das Herz ...
+
+Der meine ... wer war das, der meine? -- --
+
+Ach, sie wußte es selber nicht zu sagen ... nur bang ... grenzenlos
+bang und ahnungstrüb zitterte nun auf einmal ihre einsame Seele, die
+sich niemandem -- niemandem anvertrauen konnte in der Qual ihrer
+Zerrissenheit.
+
+
+
+
+ Drittes Kapitel.
+
+
+»Ja, lieber Sassenbach -- Sie können sagen, was Sie wollen, es war ein
+direkter Blödsinn vom General von Ketteler -- ein direkter Blödsinn!
+Statt sich einfach auf der Höhe zwischen Mackenrodt und Hettenrodt mit
+seiner ganzen Division aufzubauen und unsern Angriff abzuwarten, geht
+er über das Aubachtal hinüber bis Nockental uns entgegen --«
+
+»Aber -- Verzeihung, Herr Oberst! -- die Stellung bei Nockental war
+wesentlich besser als die bei Mackenrodt -- namentlich seine Artillerie
+hatte er hinter den flachen Höhen hier beim R von Rötzweiler ganz
+glänzend placiert --«
+
+»Zugegeben!« sagte der Oberst und neigte sich tiefer über die Karte,
+die mitten zwischen den zartgeschliffenen Weingläsern, den über die
+ganze Tafel verstreuten, nun schon halbverwelkten Astern auf der
+Damastdecke lag, dicht neben dem Teller der Hausherrin, die müde
+und gelangweilt sich fruchtlos Mühe gab, an dem endlosen Streit
+ihrer beiden Tischnachbarn über den Verlauf der gestrigen Übung
+pflichtschuldigen Anteil zu heucheln. -- »Zugegeben! -- aber bei der
+Wahl einer Verteidigungsstellung kommt's doch vor allem darauf an, daß
+man sich anständig aus dem Staube machen kann! Na ... und nun sehen
+Sie sich mal diese Rückzugslinie hier an ... zwischen seiner Stellung
+und dem Punkt, den er zu decken hatte, der Stadt Idar nämlich, liegen
+zwei -- sage zwei! -- Talsenkungen ... zweimal hat er mit seinem
+ganzen Schwamm im vollen Bereich unseres Feuers dreihundert Meter über
+kahle Höhenzüge hinauf und wieder herunter gemußt! -- und wie sich
+die Infanterie massierte auf dem Rückmarsch -- so etwas von einem
+Wurschtkessel ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! Erinnern Sie
+sich ... unter dem Berg -- wie hieß er doch --?«
+
+»Der Galgenberg!« lachte der Major.
+
+»Ja, ja ... und wissen Sie auch, wer an dem Galgen baumelt --?«
+
+»Na -- nach ~der~ Kritik versteht sich das wohl am Rande!«
+
+»Allerdings,« erklärte der Oberst, »der Zylinder für Herrn von Ketteler
+dürfte fällig sein --!«
+
+»-- und die Brigade frei werden!« lächelte geschmeidig und
+beziehungsvoll der Major, der, wenn er wollte, in seiner rauhen Form
+ein richtiger Höfling sein konnte.
+
+»Aber nun Schluß mit der Kommißsimpelei, lieber Sassenbach -- unsre
+verehrte Frau Gastgeberin wird sonst bereuen, daß sie sich zu uns alten
+Knaben gesetzt hat, statt zur Jugend, wohin sie von Gottes und Rechts
+wegen gehört --!«
+
+»Oh, bitte recht sehr, Herr Oberst, es hat mich natürlich ganz
+außerordentlich interessiert,« log Frau Cäcilie, »nun kann ich mir bei
+alle dem, was ich gestern gehört und gesehen hab, auch etwas denken --
+dieser heitre Vorbeimarsch gestern abend, das war in Wirklichkeit die
+zügellose Flucht eines geschlagenen, fast vernichteten Heeres -- wie
+mir übrigens Ihre Nelly, Herr Major, ganz richtig erklärt hat!«
+
+»Ja, die Nelly -- die hat Ahnung!« schmunzelte der Vater.
+
+»Ganz gewiß, meine gnädigste Frau«, sagte der Oberst. »Und gerade
+über Ihr niedliches Schlößchen hinweg tobte der Endkampf der beiden
+Artillerien ... im Ernstfalle würde von diesem entzückenden Nestchen
+wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein!«
+
+»Gott ja ... das sieht alles so lustig ... so frisch und freudig
+aus, und man vergißt gar zu leicht, was für ein schauerlicher Ernst
+dahintersteckt --«
+
+»Ja, ja -- gut wär's, wenn sich unsre jungen Dächse da unten das auch
+manchmal ein bißchen mehr zu Gemüte führen wollten -- wir Alten, wir
+wissen's ja freilich und werden's nie vergessen! -- was meinen Sie,
+Sassenbach?!«
+
+Zärtlich schielten die beiden alten Kämpfer nach dem Bande des
+Eisernen Kreuzes im Knopfloch ihrer Überröcke ... zu gleicher Zeit
+hoben beide die Gläser und tranken auf das Gedächtnis der großen Zeit
+vor neununddreißig Jahren, die sie beide als blutjunge Leutnants mit
+durchlebt und mit durchfochten ...
+
+Cäcilie aber hatte nur mit dem Aufgebot ihrer ganzen Haltung dem
+Gespräch der beiden alten Herren folgen können ... in ihr schrie die
+unverbrauchte Glückssehnsucht ... schrie all das Verlangen, das Fritz
+von Brandeis nicht hatte stillen können ...
+
+Gott, wie wunderlich ... wie verrückt ... wie unheimlich rätselschwer
+das Leben ... Wie wirbelte es die Schicksale, die Herzen der Menschen
+durcheinander ...
+
+Da unten bei lautem Gelächter und Geplauder saßen sie nun einander
+gegenüber, die beiden Männer ... saßen inmitten der Kameraden,
+schwatzten, tranken, tauschten hundert harmlose, lustige und
+tragikomische Manövererlebnisse aus ...
+
+Und wenn dann einmal einer von ihnen beiden in einer unbewachten
+Sekunde sich vergaß ... dann sank urplötzlich die glatte Maske ... und
+der eine jetzt, der andere nun, starrte tief versonnen in sein Sektglas
+... und auf eines jeden Gesicht lag dann plötzlich Spannung, Kampf und
+Qual ...
+
+Und das alles ging um sie.
+
+Martin Flamberg hatte einmal in einem solchen Moment der Versunkenheit
+rasch und heimlich ein Briefchen aus der Tasche des Überrocks gezogen
+und es unterm Tisch mit hastigen Blicken überflogen ...
+
+Cäcilie wußte: ein Brief seiner Braut ... ein Brief des fernen, bang
+und selig harrenden Mädchens, dem in wenigen Tagen in Wirklichkeit die
+Hochzeitsglocken läuten sollten ...
+
+Gewiß ... das Briefchen sprach von heißer Sehnsucht ... von kaum
+stillbarer Erwartung ... von einer süßen Ungeduld, welche die Tage und
+Stunden zählte, die sie noch von der Erfüllung trennten ...
+
+Heute war Sonntag, morgen und übermorgen die beiden letzten Manövertage
+... und schon Mittwoch sollte Martin Flambergs, des Heimgekehrten,
+Hochzeitstag sein ...
+
+Über-übermorgen ... dann war er ihr verloren ... verloren für alle Zeit
+--
+
+Aber ... während er das Briefchen überflog, hatte da auf seinem Gesicht
+auch nur ein leises, flüchtiges Leuchten des Glücks, der Hoffnung
+geflammt --? nein -- quälendes Bangen ... herbe Gewissensnot ...
+finsterer Zwiespalt der Gefühle ...
+
+Sie hatte es gesehen und hatte nicht hindern können, daß ihr Herz
+aufjubelte vor schamvoller Lust ... vor sündig grausendem Triumph ...
+
+Ja, er sehnte sich nicht nach ... über-übermorgen ... er sehnte sich
+-- -- nach einem Tage, der niemals kommen würde -- niemals -- -- oder
+nur, wenn wilde, schreckliche Dinge geschehen wären ... lange Monde des
+Kampfes überstanden ... Monde der Finsternis ... der Einsamkeit ... des
+Elends ...
+
+Und ringsherum in dem kleinen Kreise der lachenden schmausenden
+Menschen, der festlich weiß geputzten beiden Mädchen, der
+sonnengebräunten wettergestählten Männer konnte ihr heimlich und
+ruhelos beobachtender Blick überall den Widerschein innern Erlebens
+verfolgen -- --
+
+Finster lauernd wanderten die eiskalten Augen des Regimentsadjutanten,
+hämisch funkelnd die des fatalen Oberleutnants Menshausen die Reihe der
+Tafelnden entlang ...
+
+Mit zärtlichem Bangen hingen des Backfischleins Blicke an der
+stattlichen Gestalt der Schwester, die mit ihrem Tischnachbarn, dem
+rotbärtigen, bebrillten Gelehrten im verjährten Landwehrrock, so
+versunken und weltvergessen über große und ferne Dinge sprach, als
+säßen die beiden zwei einsam auf einer weitentlegenen seligen Insel
+und nicht inmitten eines Kreises, in dem jeder jeden kontrollierte, in
+dem jede Bewegung, jeder Blick überwacht wurde, ob er auch der strengen
+Satzung der Kaste entspreche ...
+
+Ja, selbst unten, wo die ganz jungen Herren saßen, schossen aus dem
+fahlen Gesichte des monokeltragenden Herrn Quincke gehässig lauernde
+Blicke hinüber ... herüber ...
+
+Nur der blutjunge Avantageur und der kindlich harmlose Carstanjen
+freuten sich ohne Hinterhalt der Gunst der Stunde ... futterten mit
+Knabenappetit von all den guten, langentbehrten Sachen ... kosteten
+mit glänzenden Augen die edeln Weine ... stopften, genäschig wie
+Pensionsmädel, Konfekt und Obst ...
+
+Und mit der unerschütterlichen Gemütsruhe einer wohlgeordneten
+Daseinsführung, die keine Leidenschaft, keine Herzensstürme kannte,
+nichts als brave Pflichterfüllung und maßvoll harmlosen Lebensgenuß
+-- selbstgenügsam und selbstzufrieden saß der Leutnant Blowitz
+inmitten der Tafelrunde, auch er wachsam, beobachtend, doch innerlich
+unbeteiligt ... nichts als Soldat ... nichts als eine Uniform mit einem
+Etwas darin, dessen ganzer Ehrgeiz nur war, Ehre zu machen dem Rock, in
+dem es steckte ...
+
+Ach, wie beneidenswert ein solches Temperament ... ein solch
+unsträflicher, Gott und Menschen wohlgefälliger Wandel ...
+
+War nicht ihr Fritz auch so einer gewesen? -- war das nicht eigentlich
+seine Natur ... und die bittern Zweifel ... die jähe Wirrnis, in die
+das Schicksal ihn gestürzt -- waren sie nicht über seine Kraft?
+
+Frau Cäcilie sah gar wohl, wie tief er litt ... welch unfaßbare
+Anstrengung es ihn kostete, die lächelnde Miene des vornehmen
+Gastgebers, des allerwärts liebenswürdigen Wirtes zu bewahren, während
+er sein Glück, sein Leben wanken -- wanken fühlte -- --
+
+Wie er ihr so leid tat, ihr guter prächtiger Fritz ... sie litt mit ihm
+... in seine Seele hinein ... so mußte eine sorgende Schwester mit
+einem herzlich geliebten Bruder leiden ... und konnte sie ihm helfen
+... konnte sie --?
+
+Ein Blick in Martin Flambergs Gesicht -- und sie wußte -- der da war
+der Herr ihres Lebens ... was er erwählen würde, war ihre Wahl ... was
+er von ihr fordern würde, das würde sie tun.
+
+ * * * * *
+
+Die Hausfrau hatte die Tafel aufgehoben, und der kleine Kreis der Gäste
+schwärmte nun in den Schloßgarten, um den Kaffee zu nehmen.
+
+In tiefem Frieden verglomm der Spätsommertag ... sein letzter Abglanz
+lag auf den jenseitigen Höhen ... Dunkelheit umschleierte schon das
+Dickicht des Schloßparks, der von den gartenartig angelegten Terrassen
+der alten Bastionen her sich an den Abhängen des Beiertales, rechts und
+links des Baches, hinzog ...
+
+Vorn, wo zwischen den üppig wuchernden Bosketten heimliche Lauben
+winkten, deren weißlackierte Stakete fast völlig unterm dicken Gerank
+des Jelängerjelieber, des Pfeifenkrauts, des wilden Weins verschwanden,
+erhellten bunte Lampions mit mattem Glimmen die Dämmerung ...
+
+Weiter rückwärts, am Berghang lagerten schon tiefe, schwarze Schatten
+über den Wegen, die sich ins Dunkel der Parkgehege verloren.
+
+»Kommen Sie, Herr Frobenius,« sagte Nelly, »ich muß Ihnen jetzt den
+Aussichtspunkt zeigen, von dem ich Ihnen bei Tisch erzählte ...
+er liegt ganz oben am Parkrand ... wir müssen das letzte bißchen
+Tageslicht benutzen, sonst wird es ganz finster, und wir kommen
+überhaupt nicht mehr hin ... Ihren Kaffee kriegen Sie später, wenn wir
+zurückkommen!«
+
+Ihre Stimme hatte leise gezittert bei den hastigen Worten -- und
+Wilhelm Frobenius fühlte sein Herz hoch klopfen, genau unter dem Fleck,
+wo auf seinem dunkelblauen Waffenrock die Landwehrdienstauszeichnung
+zweiter Klasse sich breit machte, diese geschmackvolle Dekoration,
+deren Form die Offiziere des Beurlaubtenstandes mit den altgedienten
+Unteroffizieren gemein hatten ...
+
+In einer längst nicht mehr gekannten Erregung folgte er der schlanken
+Führerin in die Dunkelheit ...
+
+Ja -- nun kam es, das Unabwendbare ... nun würde er die Frage wagen,
+die ihm längst das Herz abpreßte! -- Und natürlich würde sie ihn
+auslachen ... schneidend und grimmig auslachen, wenn er überhaupt
+so weit kam -- wenn nicht schon vorher irgendeine neue unerhörte
+Lächerlichkeit ihm das Wort abschnitt -- --
+
+Herrgott, wenn's nur nicht so finster gewesen wäre! -- Kaum wie einen
+matten Nebelfleck konnte er noch das weiße Kleid seiner Führerin
+erkennen ...
+
+»Nehmen Sie sich in acht!« klang Nellys Stimme aus der Finsternis, »die
+Wege sind sehr schmal ... folgen Sie mir nur, ich weiß genau Bescheid!«
+
+Da -- ein dumpfer Krach! -- Feuer und Funken sprühten dem Gelehrten
+durch den Schädel --
+
+»Meine Brille -- um Gottes willen, gnädiges Fräulein, meine Brille!«
+
+»Himmel ... was ist denn passiert?!«
+
+»Ich muß gegen einen Baum gelaufen sein ... meine Brille, meine Brille
+ist mir abgefallen ... ich wette, sie ist zerbrochen!«
+
+»Nein -- das ist doch aber auch zu arg -- -- so ein Unglücksmensch, wie
+Sie sind ... warten Sie, ich werde suchen!«
+
+Tiefe Finsternis zwischen den Gehegen ...
+
+Nelly tastete sich zurück: »Wo stecken Sie denn eigentlich?!«
+
+»Hier!« klang es kläglich dicht neben ihr.
+
+»So geben Sie mir doch mal Ihre Hand, damit ich überhaupt weiß, wo Sie
+sind!«
+
+Frobenius tappte mit der Rechten in die Finsternis und bekam etwas
+wunderbar Weiches und Festes zu fassen ... einen elastischen,
+lebenswarmen Mädchenarm ... der glitt ihm rasch durch die Finger, und
+er fühlte nun die kräftige, leise bebende Hand. -- --
+
+»So, nun warten Sie -- ich werde mich bücken und die Brille suchen!«
+sagte Nelly zu Frobenius.
+
+Himmel, wie seine Stirn brannte -- sicherlich hatte es eine tüchtige
+Beule gegeben über der Nase ...
+
+»Da, wahrhaftig! Ich hab sie -- aber, o weh: ein Glas fehlt -- und das
+andere scheint zerbrochen zu sein!«
+
+»Geben Sie nur her -- ein zerbrochenes Glas ist besser als gar keins!«
+
+»So -- und nun ... nun kommen Sie weiter!«
+
+Sie zog ihn vorwärts an ihrer Hand ... an ihrer lieben, festen Hand ...
+o Gott, wie gut das tat, so sicher geführt werden ...
+
+Auf einmal blinkte vor ihnen ein Lichtschein --
+
+»Sieh da -- im Aussichtstempelchen oben hängt ein Lampion, das ist ja
+famos!« sagte die Führerin.
+
+Der Achtunddreißigjährige fieberte wie ein Schulknabe.
+
+»So, nun schauen Sie hinaus!«
+
+Da lag das Schlößchen hart unter den zweien, schützend umfangen vom
+tiefen Schwarz der ragenden Bergketten hüben und drüben ... wie
+eine Märchenfeste schimmernd mit den hellerleuchteten Fenstern, den
+flimmernden Lichtschnüren der Lampions zwischen den Gartengehegen ...
+Lachen und Gläserklingen scholl herauf ...
+
+Und hier droben die beiden Menschen ... entrückt, entronnen den
+lauernden Blicken der Gesellschaft, den hämischen Glossen, dem
+liebevoll forschenden Vaterblick ...
+
+So, dachte Nelly, nun sprich du ... nun sprich!
+
+Aber Wilhelm Frobenius sprach nicht.
+
+Der Mund, der so beredt vom Katheder hernieder die Herrlichkeiten
+der Dichtung lauschenden Hörerscharen zu erschließen wußte, der noch
+vor wenigen Minuten drunten bei Tafel nicht müde geworden war des
+feinsinnigen Geplauders über allerhand schöne und gute Dinge, ernste
+Fragen des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst ... der Mund war
+verstummt.
+
+Die haarige Rechte rieb mechanisch, unbeholfen die dick aufquellende
+Beule an Stirn und Nasenrücken --
+
+»Haben Sie sich weh getan?«
+
+»Ich sehe nicht das mindeste ... ich bin reinweg wie blind!«
+
+So jämmerlich hatte das geklungen -- Nelly mußte laut auflachen --
+
+Du großer tapriger, hilfloser Junge du ... nun, wenn du nicht sehen
+kannst, sollst du wenigstens fühlen! -- Jedenfalls unverlobt geh ich
+nicht wieder hinunter ...!
+
+Und mit einer raschen, wie besitzergreifenden Bewegung schob sie ihre
+Hand in des Mannes Arm, lehnte sich fest an seine Schulter.
+
+Da warf es den langen Gesellen auf einmal um ... Wie ein schmachtender,
+stammelnder Knabe neigte er sich tief, tief hernieder, drückte seine
+Lippen auf den festen Arm. »Gott ... Fräulein Nelly ... Nelly ...!«
+
+Da nahm das Mädchen des Mannes stoppelbärtige Wangen in beide Hände,
+beugte sich nieder und küßte ihn, wohin ihre Lippen zuerst trafen ...
+auf seine kahle Platte.
+
+ * * * * *
+
+Molly hatte gewußt, daß er auf sie wartete.
+
+Sie hatte sich sofort nach Aufhebung der Tafel für einen Augenblick
+bei der Hausherrin entschuldigt und war in ihr Turmkämmerchen
+hinaufgeschlüpft.
+
+Von dort aus konnte man die Chaussee überblicken ... die erhellten
+Schloßfenster zeichneten scharfumrissene Lichtplakate auf den staubigen
+Straßendamm, und von drüben tauchten die regungslosen Fächeräste der
+Buchen in den Glast hinein ...
+
+Schau -- blinkte da nicht in den Büschen des Straßensaumes, halb
+versteckt, eine senkrechte Reihe flimmernder gelber Punkte aus dem
+Dunkel --? Und konnte dies Phänomen von etwas anderm herrühren denn von
+einer blankgeputzten Knopfreihe ...?
+
+Wenn das nicht Hans Friesen war --!
+
+Wie nur aus dem Schloß kommen, ohne gesehen zu werden? Zwar ... die
+Dinergesellschaft würde nichts merken, wenn Molly durchs Schloßportal
+huschte ... denn die war an der andern Seite im Garten versammelt
+-- aber die Dienstboten --? Was würden sie denken, wenn das gnädige
+Fräulein aus der Schloßpforte spazierte, um sich auf der Chaussee ein
+Rendezvous mit einem Unteroffizier zu geben?
+
+Aber es mußte gewagt werden ... es mußte einfach! -- Der gute Junge
+mußte getröstet werden, sonst grämte er sich gar zu sehr über die
+Flegelei von diesem Leutnant Quincke ... redete sich am Ende gar
+ein, sie wolle nichts mehr von ihm wissen, seit er die erbärmliche
+Vergewaltigung seines Vorgesetzten in ihrer Gegenwart hatte
+hinunterwürgen müssen ... jedenfalls wollte sie ihm gleich ein Zeichen
+geben ...
+
+Sie zündete eine Kerze an, bog sich weit aus dem Turmfensterchen, indem
+sie den vollen Schein des Lichtes auf ihr Gesichtchen fallen ließ,
+und winkte zugleich mit ihrem Taschentuch -- das flatterte lustig im
+Abendhauch, der kühl vom Berge niederschwebte.
+
+Schau -- da löste sich die Knopfreihe drunten aus der Dunkelheit ...
+ein grauer Unteroffizierdrillichrock schob sich für einen Augenblick
+aus dem Gebüsch in den Bereich der Lichtgevierte ... eine Feldmütze
+wurde mit raschem Winken geschwenkt ...
+
+Ach ... du Goldiger!
+
+Nun schnell hinunter! -- Auf dem ersten Treppenabsatz machte sie einen
+Augenblick halt, spähte durch ein schmales, schießschartenähnliches
+Fensterchen auf die Landstraße hinaus und lauschte, ob drunten die Luft
+rein sei.
+
+Schwatzend schäkerten die Mägde in der Küche mit den Burschen, welche
+zu ihrer Unterstützung kommandiert waren.
+
+Himmel -- an denen mußte sie vorüber! Na ... vielleicht machten sie
+einmal die Küchentür zu ...
+
+Auf einmal hörte sie von der Chaussee her scharfe Worte: »Halt, was da
+im Busch steckt! Kommen Sie gefälligst mal sofort 'raus!«
+
+Leutnant Quinckes Stimme! Gott im Himmel -- der mußte spioniert haben!
+
+»Ich befehle Ihnen 'rauszukommen! -- Zum Donnerwetter, komm 'raus,
+Kerl, sonst ruf ich die ganzen Burschen zusammen und lasse eine Razzia
+nach dir veranstalten!«
+
+In atemlosen Entsetzen spähte Molly auf die Chaussee.
+
+Wahrhaftig -- da stand der Leutnant hart am jenseitigen Chausseerand
+und versuchte, ins dichte Gestrüpp des Berghanges einzudringen ... er
+griff mit den langen Armen ins Dickicht hinein ...
+
+»Aha, Bursche -- jetzt hab ich dich!«
+
+»Ich bitte Herrn Leutnant, mich loszulassen -- ich komme gutwillig!«
+
+O Gott -- mit einem raschen Schritt trat Hans Friesen aus dem Dickicht
+... stand stramm im hellen Fensterlicht ... in Drillichanzug,
+Feldmütze, gelben Schnürschuhen ... ohne Seitengewehr ...
+
+»Sieh da, der Herr Einjährige! -- Haben Sie Urlaub, die Ortsunterkunft
+zu verlassen?!«
+
+»Nein, Herr Leutnant!«
+
+»So --?! Na, dann scheren Sie sich gefälligst mal augenblicklich ins
+Dorf und kriechen Sie in Ihr Quartier! -- Verstanden? -- Ich werde
+Sie dem Herrn Kompagnieführer melden -- das weitere findet sich! Ihre
+Offizierqualifikation können Sie sich aber einsalzen ... das kann ich
+Ihnen schon jetzt sagen! -- Also: kehrt marsch! na wird's bald?!!«
+
+Hans Friesen machte eine stramme Wendung und ging zu Tal ... seine
+Schritte verhallten in der Dunkelheit.
+
+Mit zufriedenem Grinsen sah der Leutnant einen Augenblick ihm nach,
+dann trat er ins Tor zurück.
+
+Wie der Blitz war Molly die Treppe hinunter ... trat dem Offizier im
+Korridor entgegen: »Herr Leutnant -- Sie werden den Unteroffizier
+Friesen nicht melden!«
+
+»Ah -- gnädiges Fräulein haben gehört ... das ist ja ein merkwürdiges
+Zusammentreffen!«
+
+»Nein, das ist gar nicht merkwürdig ... Herr Friesen hat nämlich ~auf
+mich~ da unten gewartet, daß Sie's wissen ... und darum werden Sie
+ihn nicht melden ... verstehen Sie mich ...?!«
+
+»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein
+-- aber Dienst ist Dienst ... der Einjährige hat sich einer
+Urlaubsüberschreitung schuldig gemacht ... und somit ist es einfach
+meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit --«
+
+»Dann erlauben Sie mir vielleicht die Frage, Herr Leutnant, wie Sie auf
+die Chaussee gekommen sind -- auch in Ausübung Ihrer verdammten Pflicht
+und Schuldigkeit?!«
+
+»Darüber bin ich Ihnen wohl schwerlich Rechenschaft schuldig, mein
+verehrtes gnädiges Fräulein! -- Bei allem Respekt glaube ich das denn
+doch aussprechen zu müssen --«
+
+»Nun, dann will ich's Ihnen sagen: Sie haben gelauert ... geschnüffelt
+haben Sie -- wie ein ganz elender Spion --! Sie haben sich gedacht, daß
+ich mich irgendwo mit dem Einjährigen treffen wollte, und haben uns
+aufgepaßt! -- Na, stimmt's?!«
+
+»Ich -- ich bewundere Ihre Kombinationsgabe, meine Gnädigste -- --«
+
+»So -- nun wissen Sie also, daß ich Sie durchschaut habe, Herr
+Leutnant! -- und nun will ich Ihnen mal was sagen: Wenn Sie Herrn
+Friesen melden, dann mache ich Ihnen einen Krach, wie Sie noch nie
+einen erlebt haben -- so wahr ich Molly Sassenbach heiße --!!«
+
+Wie eine Königin raschelte sie von dannen.
+
+Quincke aber machte das dümmste Gesicht seines Lebens -- und ~das~
+wollte was heißen.
+
+
+
+
+ Viertes Kapitel.
+
+
+Fritz von Brandeis stand an der Treppe, die von der Veranda in den
+Garten hinunterführte. Hinter ihm harrten die fünf Burschen, sein
+eigener und die vier seiner Gäste, kriegsgemäß in Drillichzeug und
+Schnürschuhen, nur durch die Serviette über ihrem linken Arm als
+herrschaftliche Leibdiener gekennzeichnet, der Befehle des Hausherrn
+gewärtig.
+
+Scharfen Blicks überflog der Hauptmann das lustige Bild des Gartens,
+der festlich schimmerte im mattbunten Glanz der Lampions, im gelben
+Flimmer der Kerzen auf den Bowlentischen.
+
+Na, alles gut versorgt? -- Jawohl, alles klappte!
+
+Ein alter dicker, runder Mauerturm sprang an der nördlichen Ecke des
+Gartens weit ins Gebüsch hinein, das aus dem ehemaligen Burggraben
+aufgewuchert. Wilder Wein überrankte hier das weiße Staketengezäun
+einer Laube: darinnen saßen die wichtigsten der Gäste bei der
+Pfirsichbowle, der Oberst und der Major.
+
+Schau, schau -- auch nach Tisch hatten die alten Herren sich
+anscheinend nicht von ihrer Tischnachbarin trennen können!
+
+Und sie, seine Cäcilie -- sie schien ja auch vollkommen zufrieden in
+der Gesellschaft der Herren Stabsoffiziere -- hatte heut abend noch
+kaum ein Wort mit dem Maler gesprochen.
+
+Na also -- hätten wir uns ja wohl unnötige Unruhe gemacht!
+
+Schoenawa, des Obersten Adjutant, und Menshausen, sein
+Manöver-Ordonnanzoffizier, hockten pflichtschuldigst bei ihrem
+Kommandeur -- aber wo steckte denn Leutnant Blowitz? -- ah -- er war
+des trockenen Tons wohl satt, des beständigen »Schusterns« bei den
+hohen Stäben, hatte sich zur Jugend geflüchtet --
+
+Aus der Nachbarlaube, in der auf rundem Tisch gleichfalls eine mächtige
+Pfirsichbowle aufgebaut war, klang schmetterndes Gelächter. Dort saß
+der Adjutant des ersten Bataillons mit den Offizieren der ersten
+Kompagnie, mit Flamberg und Carstanjen. Selbstverständlich war hier
+auch der Fahnenjunker von Erichsen zu finden, der immer wieder die
+Gläser füllen mußte. Nur die jungen Damen fehlten in der Runde der
+Jugend ... wo mochten die bloß stecken ...? und es fehlte auch die
+Landwehr ...
+
+Aha -- ach so --!!
+
+Ja, Nellychen, über'n Geschmack ist nicht zu streiten ... aber Sie sind
+Manns genug, um selber zu wissen, was Ihrem Besten dient ...
+
+Und das Schwesterchen? -- Auch verschwunden? -- Sieh da!
+
+Und der Leutnant Quincke fehlte ebenfalls -- hm, hm -- -- ~den~
+Geschmack hätte man der Kleinen nun gerade nicht zugetraut --
+
+Aber in Gottes Namen!
+
+Heute mochten die zwei losgelassenen Füllen herumspringen, mit wem sie
+wollten ... Daß nichts Ernstes aus ihren Flirts wurde, dafür würde im
+geeigneten Augenblick die Frau Mama daheim schon sorgen, wie bisher
+noch immer ... auf Schloß Hettstein sollten sie jedenfalls machen
+dürfen, was sie mochten.
+
+Also alles in schönster Ordnung!
+
+Vergnügt schmunzelnd wandte sich der Hausherr zu der regungslos
+harrenden Phalanx der Burschen zurück:
+
+»Na, Jungens, nun könnt ihr euch gegenseitig ablösen! Zwei von euch
+haben immer hier auf der Veranda zu warten, die andern drei in die
+Küche zum Bierempfang! -- zunächst bleiben Kempges und Schnettelker
+hier! -- Die andern drei -- abschwirren!«
+
+Er fühlte sich in Laune kommen.
+
+Zu dumm, sich überhaupt Gedanken gemacht zu haben Cäciliens wegen! Pah
+-- ~seine~ Cäcilie --!
+
+Seine Lippen pfiffen leise das Avanciersignal, während er die Treppe
+hinuntersprang und quer durch den Garten auf die Jugendlaube zuschritt:
+»Tut mir leid, meine Herren, Ihre Hebe muß ich Ihnen für ein halbes
+Stündchen ausspannen! -- Sie, kleiner Erichsen, und Sie, etwas größerer
+Carstanjen, kommen Sie mal einen Moment her!«
+
+Die Angeredeten schossen in die Höhe.
+
+»Also kommt 'mal raus, Kinder,« sagte der Kompagniechef, »ihr müßt mir
+eine Überraschung deichseln helfen. Die Burschen würden mir die Sache
+jedenfalls verderben: Ich habe also drüben auf der Wiese jenseits der
+Chaussee ein kleines Feuerwerk aufbauen lassen, das müssen Sie beide
+mir abbrennen. Kommen Sie mit, ich werde Sie instruieren!«
+
+Blowitz und Flamberg blieben allein bei der riesigen Bowle zurück. Der
+Maler trank hastig und sprach wenig. Der Adjutant war auch kein Mann
+von vielen Worten. Es wurde still am Jugendtisch.
+
+Und immer wieder zog es Martins Blicke dorthin, wo im matten Lichte
+der Lampions ein weißes Frauenantlitz zwischen den gebräunten,
+verwitterten, weinerregten Gesichtern der Stabsoffiziere, den
+frostigen, lauernden der beiden Oberleutnants stand.
+
+Auf einmal erhob sich dorten die ganze Gruppe und kam die niedrige
+Stiege hinunter in den Garten, schritt der hellerleuchteten Veranda zu,
+die dem Speisesaal vorgelagert war.
+
+Major von Sassenbach warf einen Blick zur Jugendlaube hinüber: »Ah, da
+sitzt ja auch unser Malermeister -- unser Pinselheld! -- Sie, Flamberg,
+die gnädige Frau will uns das Bild zeigen, das Sie von ihr gemalt haben
+-- kommen Sie doch mal mit! Oder haben Sie's schon auf seinem neuen
+Platz gesehen?«
+
+Flamberg sprang auf: »Nein, Herr Major!«
+
+»Also los -- gehen Sie mit uns!«
+
+»Wenn die gnädige Frau gestattet --?«
+
+»Ich bitte darum, Herr Flamberg!«
+
+Blowitz schloß sich ungeladen an.
+
+Zwischen dem Oberst und dem Major schritt Frau Cäcilie voran --
+schweigsam, mit verschlossenen Gesichtern folgten die beiden
+Oberleutnants -- die beiden Leutnants machten den Beschluß.
+
+Frau von Brandeis führte die Herren durch den Speisesaal, in welchem
+die Mägde mit den drei beurlaubten Burschen die Tafel abräumten, und
+in die behagliche, ganz als Wohnraum eingerichtete Diele hinüber. Dort
+lief die bequeme, breite Treppe zum Obergeschoß hinan, das einen
+gleich großen Dielenraum enthielt. Hirschgeweihe, tief nachgedunkelte
+Ölgemälde schmückten da die Wände.
+
+Im Emporsteigen drehte die Hausfrau die elektrische Beleuchtung auf,
+und man gewahrte, daß von der obern Diele aus mehrere Türen nach den
+innern Gemächern führten. Durch eine dieser Türen betraten die Gäste
+das Herrenzimmer, das nun ebenfalls auf einen Druck von Frau Cäciliens
+Fingern in Lichtfülle erglänzte.
+
+Und sieh! -- Da hing über einem wuchtigen Diplomatenschreibtisch die
+Schöpfung Martin Flambergs.
+
+»Ah!« riefen der Major und sein Adjutant.
+
+Die Herren des Regimentsstabes hatten das Bild bereits gestern zu sehen
+bekommen, sie waren nicht mehr zur Bewunderung verpflichtet.
+
+Frau Cäcilie tat ein paar rasche Schritte zur Seite. Da stand die Tür
+zu einem Nachbarzimmer halb offen. Die gelben Messingstangen zweier
+englischen Bettstellen, das lichte Weiß eines Spitzenhimmels leuchtete
+aus der Dunkelheit. Ruhig schloß die Hausfrau die Tür.
+
+Stumm hingen aller Blicke an dem Gemälde.
+
+»Aha,« sagte Sassenbach, »das ist also das berühmte Bild!«
+
+»Das berühmte -- wieso?« fragte Frau Cäcilie.
+
+»Nun -- Sie können sich wohl denken, verehrte gnädige Frau, daß das
+ganze Regiment von dem Bilde spricht -- ich meine -- ich will sagen
+-- wenn eine Dame des Regiments von einem so vielgefeierten Maler wie
+unserm Herrn Leutnant der Reserve gemalt wird -- das ist doch natürlich
+ein Ereignis!«
+
+Alles schwieg und starrte regungslos zu dem Frauenbildnis hinan.
+
+Das schaute leuchtend herab auf die Herren im Waffenkleid --
+leuchtend in einer Hoheit, um die es seltsam wob wie ein Hauch von
+Unvergänglichkeit -- von zeitloser Verklärung.
+
+»Fabelhaft,« sagte der Oberst, »ich gratuliere Ihnen, lieber Flamberg!
+Ich verstehe nicht allzu viel von Kunst -- aber das da, das imponiert
+mir -- ohne Scherz, das imponiert mir --«
+
+»Ja,« sagte Menshausen halblaut, »man möchte sagen: mit Liebe gemalt!«
+
+Der Major warf dem Oberleutnant einen wütenden Blick zu, und jeder
+fühlte: taktlos -- unverschämt.
+
+»Nun, Herr Flamberg,« fragte die Hausfrau, ohne den Maler anzusehen,
+»sind Sie einverstanden? -- mit dem Platze, meine ich!«
+
+»Dazu müßte ich das Bild erst mal bei Tageslicht sehn! -- So, bei
+dieser künstlichen Beleuchtung, allerdings einwandfrei!«
+
+»Sie würden auch am Tage mit dem Platze zufrieden sein -- schade, daß
+Sie es so bald nicht in natürlicher Beleuchtung zu sehen bekommen
+werden!«
+
+»Schwerlich!« sagte Flamberg.
+
+»Na, lieber Sassenbach, Sie sagen ja gar nichts,« bemerkte der Oberst.
+
+»Tja, wie der Herr Oberst bereits gesagt haben: ich verstehe ebenfalls
+nichts von der Kunst!«
+
+»Dann sagen Sie uns doch wenigstens, wie es Ihnen gefällt!«
+
+»Gefallen? -- Tja, Flamberg, Sie dürfen mir's aber nicht übel
+nehmen --«
+
+»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major!«
+
+»Ich ... ich finde es eigentlich nicht so recht ähnlich!« sagte der
+Major. »Ich finde ... es ist was drin ... etwas, was ich wenigstens
+nicht kenne an unserer hochverehrten Frau Wirtin --!«
+
+»Und das wäre?« fragte Frau Cäcilie.
+
+»Ja, wie soll ich das ausdrücken -- so was Fremdartiges ... so was
+Unheimliches, möchte ich sagen!«
+
+Cäcilie warf dem Maler einen verstohlenen Blick zu. »Ja, sehn Sie, Herr
+Major,« sagte sie, »vielleicht hat Herr Flamberg etwas hinzugetan,
+etwas von seinem Eigenen, etwas, das wirklich mehr ist als ich, als
+mein Leben -- aber das tun große, starke Künstler wohl immer, meine
+ich!«
+
+»Das ist mir zu hoch,« sagte Sassenbach. »Ich kann mir nicht helfen --
+ich finde es nicht ähnlich! Es ist was dran, was mir bisher an Ihnen
+wenigstens niemals aufgefallen ist!«
+
+»Was Ihnen vielleicht nicht aufgefallen ist, Herr von Sassenbach,«
+sagte langsam mit sinnendem Lächeln Frau Cäcilie, »darum ist aber noch
+nicht gesagt, daß es etwas Falsches ist ... vielleicht ist's auch doch
+nicht was Hinzugetanes ... vielleicht ist's doch etwas, was nur Sie
+nicht bemerkt haben, weil Sie mich nicht kennen ...«
+
+»So, und Herr Flamberg, der ... der kennt Sie also besser, meine
+verehrte gnädige Frau?!«
+
+Wiederum eine eisige Stille. Regungslos stand der ganze Kreis.
+Jeder fühlte: der gute Major hatte da in aller Harmlosigkeit etwas
+ausgesprochen, etwas, das -- --
+
+Der Oberst fühlte sich verpflichtet, einzurenken.
+
+»Na, das ist doch selbstverständlich, lieber Sassenbach, daß ein Maler
+an ... an den Menschen, die er malt ... daß er da allerlei entdeckt ...
+was ... was wir gewöhnlichen Sterblichen nicht zu sehen bekommen ...«
+
+Abermals befangenes Schweigen. Der Oberst bekam einen roten Kopf.
+
+Cäciliens Lippen bebten. Sie litt bis ins Herz.
+
+Gott, all diese plumpen Hände ... die höchste und zarteste Dinge
+berührten wie tappige Knabenpfoten holden Schmetterlingsschmelz ...
+
+Wenn nur er selber nicht dabei gewesen wäre ... sie war ihn ja gewohnt,
+diesen ungeschlachten Ton ... Diese geraden, einfachen Männer ... was
+sie zu verschleiern suchten, trat ungewollt zutage.
+
+Medisance, Bosheit, verständnislose Verketzerung hatten bereits
+ein dichtes, trübes Gespinst gewirkt um dies Werk ... um seine
+Entstehungsgeschichte ... sein Modell ... seinen Schöpfer ...
+
+Da scholl in das peinliche Schweigen hinein von draußen ein lustiges
+Krachen, Knattern, Prasseln.
+
+Frau Cäcilie atmete auf.
+
+Wie der Blitz waren die Adjutanten am Fenster.
+
+Eine Garbe roter Leuchtkugeln schwebte soeben ruhigen Falles aus der
+Höhe nieder und goß einen Märchenglast über das schmale, schweigende
+Tal, die heitern Linien des friedumschirmten Schlößchens ...
+
+»Hurra, Feuerwerk!« rief Blowitz.
+
+»Feuerwerk -- bravo, bravo, bravissimo!« applaudierte der Oberst
+geräuschvoll. »Nein, meine gnädige Frau, so etwas von einer Bewirtung
+ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! -- Zauberfest mit allen
+Schikanen!«
+
+»Wollen wir nicht in den Garten?« meinte der Major, »für den ist doch
+jedenfalls der ganze Apparat berechnet -- hier geht uns ja die Hälfte
+von der Herrlichkeit verloren!«
+
+»Selbstverständlich, meine Herren,« sagte die Hausfrau, »nur schnell
+hinunter -- sonst ist alles vorbei, ehe wir am Platze sind!«
+
+Niemand nahm auch nur mit einem Blick Abschied von dem Bilde, das da
+droben hing wie ein Gast aus heiligen Fernen ...
+
+Mit kindlicher Eile stürmten die Herren hinunter, um nur ja nicht eine
+Rakete, nicht ein Feuerrad zu verlieren -- oder war's die Hast, von dem
+Werk hinwegzukommen, das sie alle unheimlich, übergewaltig hatte ahnen
+lassen, daß ein Fremdling aus einer unbekannten, hoheitleuchtenden Welt
+in ihrer Mitte weilte, aus einer Welt, deren Lebensgesetze wirkten
+jenseits ihres Begreifens --? Und auch Frau Cäcilie war gegangen,
+hastig, ohne Abschied ...
+
+Langsam, als letzter, schritt der Maler die Treppenstufen hinunter ...
+
+Nun machte er plötzlich kehrt ... stieg langsam wieder empor ...
+
+Er wollte einsamen Abschied nehmen ... Abschied von seinem Werk ...
+Abschied von der Sphäre, der es nun angehören sollte wie sein Urbild
+... Abschied von der unerhofften süßschaurigen Schickung dieser acht
+Wochen ...
+
+Er trat in das Herrenzimmer zurück, warf einen langen Blick in dem Raum
+umher.
+
+Der Schwiegervater des Hauptmanns hatte das Schlößchen mit der ganzen
+Einrichtung gekauft. Das Zimmer trug noch nicht den Wesensstempel
+seines jetzigen Besitzers.
+
+Inmitten des behaglichen, doch konventionellen Prunks war Cäciliens
+Bild das einzige besondere Stück, verlieh dem ganzen Raum sein Gepräge,
+beherrschte ihn.
+
+Links von der Tür war eine Erkernische, dort ließ sich Martin in einen
+unergründlichen Ledersessel fallen. Sein ringsum forschendes Auge blieb
+an der Tür haften, die vorhin beim Eintreten offen gestanden ... die
+Frau Cäcilie ruhig geschlossen hatte ...
+
+Ja, ja -- da war das Allerheiligste der Gottheit, in deren Vorhof er
+hatte weilen dürfen --
+
+Künstlerlos --
+
+Weg, weg, ihr Träume ... nieder, nieder, ihr heißen Dränge ... du
+wildanklagender Schrei unstillbaren Begehrens -- nieder, nieder ...
+
+Es galt ja, Abschied zu nehmen ... Abschied für ewig ... Abschied auf
+Nimmerwiedersehn ...
+
+Und Martin hob den Blick.
+
+Ja -- das da oben ... das würde fernen Geschlechtern erzählen von einer
+Schönheit, die wie ein unbegreifliches, undeutbares Märchen durch eine
+nüchterne, seelenlose Welt geschritten war ...
+
+Das würde bleiben von der Schickung dieser acht Wochen ... bleiben
+von den hundert bangen Stunden, der Wirrnis schlummerloser Nächte,
+dem lautlos grimmigen Ringen zweier Menschen um Fassung und
+Entsagungsstärke ...
+
+Das war »der Zweck der Übung« -- hahaha!
+
+ * * * * *
+
+-- -- Einer aber hatte aufgepaßt.
+
+Aha, der Herr Malermeister bleibt also zurück, da im Zimmer des
+Hausherrn!
+
+Na ja, nun würde wohl alsbald auch die schöne Frau plötzlich
+verschwinden, wie sich die beiden andern Damen bereits verflüchtigt
+hatten -- niedlich -- sehr niedlich!
+
+So, schöne Frau, heute werden wir quitt, wir zwei! Ich paß dir auf ...
+du kommst mir nicht unbemerkt vom Fleck ... das Rendezvous da oben, das
+werd' ich dir versalzen ...!
+
+Mit der Hast einer Schar großer Kinder, unter Lachen und Witzen waren
+die Herren die Treppe hinuntergestürzt, die Stabsoffiziere voran,
+hatten mit Halloh wie ein Schwarm losgelassener wilder Buben den
+Speisesaal, die Veranda, den Garten durchtollt und standen nun an der
+Brüstungsmauer der Gartenbastion ...
+
+Ah! ah! aaah! --
+
+Auf dem dunkeln Wiesengrunde, jenseits der Chaussee, irrten ein paar
+suchende, zitternde Irrlichtflämmchen hin und her in der schwarzen
+Finsternis. Von Zeit zu Zeit machten sie Halt, tasteten noch ein
+Weilchen auf dem Fleck umher und -- surr! schoß plötzlich eine schlanke
+Feuergarbe in die Höhe, zog einen langen, gelbrötlichen Funkenschweif
+hinter sich her, zerplatzte hoch droben zwischen dem Sternengewimmel
+des schmalen Himmelstreifs, der die schwarzen Mauern des Waldtals
+überwölbte, und ein Regen farbig strahlender Lichtballen sank herab ...
+die heitern Konturen des Schlößchens, die ruhig träumenden Buchenhänge,
+die rankenübersponnenen Laubenstakete, die erhitzten Wangen und
+blitzenden Augen der Gäste tauchten jählings in magisch buntem Glanz
+aus der Finsternis ...
+
+Jede Rakete, die aufzischte, wurde mit stürmischem Jubel begrüßt, die
+schnurrenden Feuerräder, die zischenden und funkensprühenden Kaskaden
+mit tosendem Applaus ...
+
+Und inmitten der überschäumend lustigen, von Ruhetagsbehagen mehr noch,
+denn von Sekt und Bowle erregten Kriegsleute stand Cäcilie ... fremd
+... verwaist ... in einem grenzenlosen Gefühl hilfloser Einsamkeit ...
+
+Sie suchte den Blick des einen, dem sie sich wesenseins fühlte ... und
+fand ihn nicht ...
+
+Martin Flamberg war nicht unter der Schar der großen Kinder, die das
+sinnlose Zickzackspiel der Funkenlinien und Feuergarben da droben
+begeistert bejauchzten ...
+
+Wo war er ...?
+
+Unablässig beschäftigte dieser Gedanke die schöne Frau ... nicht ein
+einziges vertrauliches Wort hatte sie heut abend mit ihm sprechen
+können, nicht ein einziges! -- Sie hatte sich vor ihres Mannes bang und
+schmerzlich beobachtenden Blicken gefürchtet ...
+
+Und auch Flamberg hatte ja nicht den leisesten Versuch gemacht, sich
+ihr zu nähern über die Schranken pflichtmäßiger Liebenswürdigkeit des
+geladenen Gastes hinaus ...
+
+Das Feuerwerk bedeutete den Schluß des Abends -- das war ja klar.
+
+Noch eine halbe Stunde würden die Gäste beim Bier verweilen ... dann
+war's zu Ende ... dann würden die Herren aus dem Dorf sich in ihre
+Quartiere zurückbegeben; denn morgen stand ein heißer Tag in Aussicht:
+das ganze Armeekorps gegen den markierten Feind, morgen abend Biwak des
+ganzen Korps ...
+
+Morgen abend im Biwak würden die Herren sehr ermüdet und
+schonungsbedürftig sein ... Fritz hatte sich den Besuch der Damen
+ausdrücklich verbeten ...
+
+Und übermorgen Manöverschluß, Entlassung der Reserveoffiziere auf dem
+Übungsfeld, Rückfahrt in die Heimat auf dem kürzesten Wege ...
+
+Also -- es war wirklich zu Ende in einer halben Stunde ...
+unwiderruflich zu Ende ...
+
+Ihr grauste -- -- --
+
+Und ihre Freundinnen ... wo steckten die? -- Seit einer halben Stunde
+verschwunden! -- natürlich beim Flirt --!
+
+Glückliche Kinder, die noch wählen durften ... die noch eine Zukunft
+hatten ... noch hoffen konnten auf ein Leben zu zweien, in dem man
+zusammenwachsen würde zu immer tieferem Durchdringen ... immer
+innigerem Verstehen ...
+
+Cäcilie fror --
+
+Sie schauerte plötzlich zusammen, so heftig, daß der Oberst der neben
+ihr stand, sich überrascht zu ihr neigte.
+
+»Gnädige Frau, Sie sollten sich in acht nehmen -- es ist nicht mehr
+Sommer! Sie sind zu leicht gekleidet! Es kommt verdammt kühl von den
+Bergen herunter!«
+
+Die Leutnants drängten sich heran, bereit, der Hausfrau eine wärmende
+Umhüllung zu holen.
+
+»Danke Ihnen tausendmal, meine Herren, Sie würden doch nicht finden,
+was ich brauche! -- Übrigens muß ich mich ohnehin mal um die Damen
+bekümmern -- ich weiß gar nicht, wo die eigentlich stecken! Verzeihen
+Sie einen Moment, meine Herren!«
+
+Gott sei Dank, daß sich ein Anlaß fand, einen Augenblick zu
+verschwinden! -- Nur ein paar Minuten allein sein ... nur rasch einmal
+die schmerzende Stirn, die brennenden Lider mit einem feuchten Tuch
+kühlen ... nur ein paar Minuten still im Dunkeln sitzen und die Augen
+schließen ... allein sein ... ganz allein ...
+
+Cäcilie schritt durch den Speisesaal, wo die drei dienstfreien Burschen
+leise mit den beiden Mädchen schwatzten, befahl, daß Bier herumgereicht
+werden solle, und stieg langsam, schleppenden Schritts, zum Oberstock
+empor.
+
+Es trieb sie, sich langhin aufs Bett zu werfen und den Kopf tief, tief
+in die Kissen hineinzuwühlen.
+
+Mit müdem Griff öffnete sie die Klinke zu ihres Mannes Zimmer und
+fuhr nervös zusammen, als statt der erwarteten Dunkelheit der volle
+Glanz des elektrischen Lüsters ihr entgegenströmte, der sie für einen
+Augenblick blendete.
+
+Natürlich hab' ich vergessen, das Licht auszudrehen vorhin, dachte sie
+und griff mechanisch nach dem Schalter rechts von der Tür --
+
+Auf einmal fuhr zur Linken aus der Tiefe des Klubsessels in der Nische
+die Gestalt eines Mannes empor ...
+
+Martin und Cäcilie standen einander gegenüber ...
+
+Starr standen sie beide ... beider Augen schlossen sich einen
+Augenblick lang ...
+
+»Noch hier -- Herr Flamberg?« sagte Cäcilie matt und heiser.
+
+»Wie Sie sehn, gnädige Frau ...!«
+
+»Sie ... legen keinen Wert auf das Feuerwerk --?«
+
+Nur ein zuckendes Lächeln, eine entschuldigende Handbewegung brachte
+Martin zustande.
+
+»Und Sie, gnädige Frau --?«
+
+»Ich ... ich wollte mich einen Augenblick ausruhn --!«
+
+»Ich gehe!«
+
+»Nein ... nicht ... ich hab' Sie heut ja noch gar nicht recht begrüßt
+... Sie sind mir ja ... förmlich ausgewichen ...«
+
+»Sie mir nicht, gnädige Frau --?«
+
+Cäcilie senkte die Augen und schwieg.
+
+Durch die halbe Zimmerbreite getrennt, standen die beiden Menschen
+regungslos ...
+
+Das Knattern des Feuerwerks draußen schwieg ... magisch leuchtete das
+ruhige Licht bengalischer Flammen auf in den Gartenbosketts und zeigte
+das Ende des bunten Schauspiels an.
+
+In unverwelklicher Glorie thronte droben Martin Flambergs Bild ...
+unergründlich tief und ruhevoll schauten die Augen des gemalten Weibes
+da droben hernieder auf die zitternde Hand, die schweratmende Brust
+seines lebenden Urbilds drunten, auf die zusammengepreßten Lippen, die
+straff angespannte Gestalt seines Schöpfers ...
+
+»Leben Sie wohl, Martin Flamberg --« flüsterte Cäcilie.
+
+Tief gesenkten Hauptes wandte sie sich zur Tür des Ehegemachs.
+
+»Cäcilie --!« schrie Martin auf.
+
+Da zuckte sie jäh zusammen ... stand mit hängenden Armen abgewandt
+einen Augenblick ...
+
+Dann kam der Sturm, warf ihre Leiber zusammen, stieß ihre Lippen
+zusammen ...
+
+Und wie sie sich küßten, da hatte jedes von ihnen die Vision eines
+bleichen, todesstarren Menschenangesichts.
+
+Cäcilie sah Fritz, wie sie ihn gesehen hatte im Traum der vorletzten
+Nacht, im Manöveranzug, die Linke auf die Brust gepreßt, ein zähes Naß
+rieselnd zwischen den braunbehandschuhten Fingern hindurch ...
+
+Und Martin war's, als hielte er Agathe im Arm wie beim letzten
+Wiedersehn daheim, als sie sich leise stöhnend an seine Brust geworfen
+hatte ... jetzt aber erstarrte, erkaltete sie an seinem Herzen ...
+schwand hin ... sank in sich zusammen ... eine jählings welkende
+bleiche Rose ...
+
+Mit einem wilden Schluchzen befreite sich Cäcilie aus Martins Arm.
+
+»Leb wohl, Martin ... leb wohl --«
+
+Sie hastete zur Tür, ihre Röcke raschelten ... aus dem Dunkel des
+Nebenzimmers blinkten die gelben Messingstangen und der weiße
+Spitzenhimmel ...
+
+Die Tür fiel ins Schloß.
+
+Und Martin strich mit dem Handrücken über die Stirn ... kalte Tropfen
+standen darauf ...
+
+Dann wandte er sich bewußtlos der Korridortür zu ... seine Schritte
+wurden Flucht ... er riß die Tür auf und prallte im Rahmen mit Fritz
+von Brandeis zusammen.
+
+ * * * * *
+
+Aha -- grinste Oberleutnant Menshausen in sich hinein, als die
+Gastgeberin sich plötzlich aus der Schar der Zuschauer des Feuerwerks
+zurückzog -- aha, also wirklich!
+
+Er gönnte ihr einen kleinen Vorsprung, zog sich dann gleichfalls
+langsam aus der Gruppe heraus, die am Rande der Gartenbastion stand,
+und schob sich am Saum der Bosketts entlang hinter Frau Cäcilie her ...
+
+Er stockte, als in diesem Augenblick von der Treppe her, die aus dem
+Schloßgarten zu den dunkeln Gehegen des Parks hinanführte, ein Paar
+herniederstieg ...
+
+Schau, schau ... der Landwehrfritze -- und das ältere Majorsmädel --
+und -- -- zog sich nicht in diesem Augenblick langsam ihr Arm aus dem
+seinen ...? Sah sie nicht empor zu ihm mit einem Blick, ordentlich
+butterweich?
+
+Und sieh -- aus der Tür, die zum Seitenflügel führte, schlich sich da
+zu gleicher Zeit das jüngere Fräulein heraus und gesellte sich ganz
+harmlos zu den Zuschauern des Feuerwerks -- woher kam denn die --?! Na,
+selbstverständlich auch von einem Rendezvous! --
+
+War denn das ganze Schloß des Teufels --?!
+
+Keine Zeit, weiter zu beobachten ... er durfte die Fährte nicht
+verlieren ... er trat in die Veranda, ging zu dem Tisch, auf dem
+Zigarren und Zigaretten aufgestapelt waren, zündete auch wirklich ein
+Papyros an ... beobachtete, wie Frau Cäcilie drinnen Befehle erteilte
+...
+
+Im Augenblick, als sie auf die Diele hinaustrat, schlenderte er
+harmlos, nachlässigen Ganges durch den Speisesaal, gab seinem Burschen,
+der eben mit einem Brett voll Biergläser aus der Küche kam, einen
+Auftrag wegen des Sattelns für andern Morgen ... und folgte der
+Hausfrau ...
+
+Er hörte ihre müden, unsichern Schritte sich die Treppe hinaufschleppen
+... horchte, wie sie eine Tür öffnete und schloß ... und wollte eben
+hinterhersteigen, als plötzlich mit hastigen Schritten der Leutnant
+Quincke aus dem Küchenflur schoß. Er erblickte den Kameraden und
+stürzte auf ihn zu:
+
+»Menshausen, Sie müssen mir einen Rat geben --!«
+
+»Gern -- nachher! Erst müssen Sie mich einen Augenblick entschuldigen
+... ich muß schleunigst auf mein Zimmer ... der Oberst, wissen Sie ...
+ich soll ... ich soll die Brigadebefehle für morgen früh holen ... bin
+im Moment wieder da!«
+
+»Aber so hören Sie doch nur eine Sekunde -- ich hab' eben einen
+schauderhaften Auftritt mit der kleinen Molly Sassenbach gehabt! --
+Bitte, sagen Sie mir doch bloß, wie ich mich verhalten soll ... Sie
+haben mich doch in diese Schweinerei hineingebracht, haben mir doch den
+Auftrag gegeben, die Damen ein wenig zu beobachten ...!«
+
+Teufel -- dachte Menshausen ... sollte der dämliche Geselle eine
+Taperei gemacht haben und nun die Verantwortung auf mich selber
+abwälzen wollen --?!
+
+»Na -- so erzählen Sie schon schnell!«
+
+Quincke berichtete.
+
+Menshausen platzte hell heraus: »Sie sind eine Kraft, Quincke --
+allerhand Hochachtung! Sie verdienen, Obereunuch beim Padischah zu
+werden! -- Ich hatte Sie gebeten, ein wenig zu beobachten -- und Sie
+platzen dazwischen, ehe überhaupt was passiert ist! Na, weiter kein
+Unglück --!«
+
+»Aber die Kleine hat mich tödlich beleidigt! Ich werde mich bei ihrem
+Vater beschweren!«
+
+»Sie sind komplett wahnsinnig, Herr! -- Danken Sie Ihrem Schöpfer, wenn
+die Kleine nicht anfängt! -- Sich beschweren -- hahaha! Das Gesicht von
+Sassenbach!! Ne, mein Lieber, die kleine Gardinenpredigt, die stecken
+Sie man ruhig ein! Die haben Sie rechts und links 'rum verdient! --
+Und nun lassen Sie mich nach oben! -- -- Donnerwetter, da ist der
+Hauptmann!«
+
+Munter summend kam Herr von Brandeis aus dem Küchenkorridor: »Na meine
+Herren, wie hat Ihnen das Feuerwerk gefallen? -- pompöse Sache, was?«
+
+»Glänzend, Herr Hauptmann -- ganz pyramidal!«
+
+»So -- und Sie stehn hier auf der Diele 'rum und machen offizielle
+Gesichter? -- Marsch in den Garten -- jetzt gibt's Münchener! --
+Übrigens -- weiß einer von Ihnen, wo meine Frau steckt?«
+
+So, schöne Frau --! Jetzt kommt die Rache des Negers!
+
+»Die gnädige Frau ist soeben die Treppe hinaufgegangen -- ich glaube,
+sie äußerte, sie wolle sich etwas wärmer anziehn!«
+
+»Oho -- wärmer anziehn? -- werde mal nach ihr schauen!«
+
+Der Hauptmann schritt die Treppe hinauf. Mit angehaltenem Atem lauschte
+Menshausen.
+
+Jetzt also platzte droben die Bombe ...!
+
+»Was horchen Sie denn so gespannt?« flüsterte Quincke.
+
+»Halten Sie den Mund!«
+
+In dem Augenblick, als der Hauptmann die Tür öffnete, war's, als würde
+diese von drinnen aufgerissen ...
+
+Ein Ton klang ... ein dumpfer Naturlaut, wie ein Knurren der
+Überraschung und des Schreckens ...
+
+Dann hörten die Lauscher, wie der Hauptmann eintrat. Die Tür fiel ins
+Schloß. Nichts weiter vernehmbar.
+
+Menshausen fühlte, wie seine Hände flogen vor Erregung ... in dieser
+Sekunde überfiel ihn auf einmal eine jähe Scham ... ein angstvolles
+Grausen ...
+
+Herrgott -- was geschah jetzt da droben --? Morgen früh würde Blut
+fließen!
+
+Und er -- er hatte die Sache zum Klappen gebracht.
+
+Pah -- was ging's ihn schließlich an? Einmal wäre der Krach ja doch
+gekommen!
+
+Aber ekelhaft war's doch, zu wissen, daß man selber -- --
+
+Äh ... nichts mehr zu machen!
+
+Vielleicht war ja überhaupt gar nichts passiert? Und die drei saßen da
+oben ganz friedlich und vergnügt zusammen --!
+
+Horch -- da ging die Tür wieder auf ... Schritte kamen die Treppe
+herunter ... hastige Schritte -- Flamberg -- --
+
+Gesenkten Hauptes, unsichern Ganges tappte der Maler die Stiege hinab,
+ohne die beiden Herren zu bemerken, die sich unwillkürlich jeder
+in einen Stuhl fallen lassen und Stellungen harmloser Zwiesprache
+angenommen hatten.
+
+Er schritt geradeswegs in den Garderobenraum, der vorn neben der
+Eingangspforte lag ... kam gleich darauf wieder heraus ... den Helm
+schief auf den Kopf gestülpt ... im Begriff, den Säbel umzugürten ...
+Kaum konnten die fliegenden Finger die Zunge des Koppelriemens in die
+Schnalle bringen ...
+
+Aufschauend bemerkte er die beiden Herren.
+
+Er zwang sein tief erblaßtes, finster verzerrtes Gesicht zu einem
+verbindlichen Lächeln: »Nun, Quincke, gehn Sie noch nicht mit ins Dorf
+hinunter? -- Wir müssen uns morgen um drei wecken lassen, außerdem
+fünfundvierzig Kilometer in Aussicht!«
+
+»Haben Sie sich denn schon von den Stäben verabschiedet?«
+
+»Ne ... ich bin müde, drücke mich französisch! ... Na, woll'n Sie mit
+...? Der Weg ist verdammt dunkel!«
+
+»Ich habe Blowitz versprechen müssen, auf ihn zu warten --!«
+
+»So --? Na, dann muß ich also in Gottes Namen allein --! Guten Abend,
+meine Herren! -- Wohl bekomm's!«
+
+Säbelrasselnd, beherrschten Ganges schritt er von dannen.
+
+»Donnerwetter! -- sah der aus!« sagte Quincke, »was ist dem denn
+passiert?!«
+
+»Was soll ihm passiert sein?« grinste Menshausen. »Kommen Sie --
+ich hab' einen scheußlichen Brand in der Kehle von dem verdammten
+süßen Zeug, der Pfirsichbowle! Ein Schoppen Münchener wäre nicht zu
+verachten!«
+
+Als die Herren durch den Speisesaal schlenderten, kam mit raschen,
+festen Schritten der Hausherr hinter ihnen her: »Na, jungen Leute, wie
+schaut's draußen aus? -- Hat alles zu trinken?!«
+
+Ein rauher, rostiger, geborstener Klang in seiner Stimme ...
+
+Menshausen wagte nicht, ihn anzuschauen ...
+
+Eine fressende Scham, ein Ekel vor sich selber würgte ihm in der
+Kehle ... Zweifellos -- morgen ... morgen ... morgen floß Blut ...
+irgendwo ... im Wald ... ein paar hundert Schritt vom Biwak des ganzen
+rheinischen Armeekorps. Blut ... Menschenblut ... Kameradenblut ...
+
+Und er ... pfui Deubel ... pfui Deubel ... Er hätte ausspucken mögen
+vor sich selber.
+
+In zechenden, plaudernden Gruppen standen die Gäste draußen im Garten
+beisammen ...
+
+Als der Hausherr auftauchte, empfing ihn ein rasender Beifallssturm.
+
+Der Oberst rief: »Meine Herrschaften -- unser ritterlicher, glänzender
+Gastgeber -- hurra, hurra, hurra -- --!«
+
+Schmetternd widerhallte der Ruf an den Felswänden ... rollte weithin
+das dunkel träumende Waldtal entlang ...
+
+»Aber -- wo ist die Königin unseres Festes, unsere schöne verehrte
+Hausfrau?!«
+
+»Meine Frau ist leider nicht ganz wohl,« sagte Brandeis im Ton ruhigen
+Bedauerns, »sie hat sich gelegt und bittet die Herrschaften, sie
+entschuldigen zu wollen! -- Übrigens hat es nicht das Geringste zu
+sagen ...«
+
+Allgemeines höfliches Beileid.
+
+Die Mädchen drängten sich an den Hauptmann heran: »Dürfen wir nicht mal
+zu ihr hinauf?!«
+
+»Sehr liebenswürdig, meine Damen! Haben Sie schönsten Dank! -- Aber
+es ist wohl besser, man läßt sie ganz in Ruhe! Es hat wirklich gar
+nichts zu sagen ... nur ein bißchen Übermüdung! -- Bitte, bitte, meine
+Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht stören!«
+
+»Aber nein, lieber Brandeis, die Herren von drunten waren ohnehin im
+Begriff, aufzubrechen! -- Übrigens wird's auch allmählich höchste Zeit
+... elf Uhr vorbei -- heiliges Kanonenrohr!«
+
+»Gewiß,« bestätigte der Major, »wir haben mehr Pfirsichbowle
++intus+, als wir vor Gott und Seiner Exzellenz dem Herrn
+Korpskommandeur verantworten können! -- Wenn das noch eine halbe Stunde
+so weiter geht, brechen wir uns auf dem Heimweg Hals und Beine!«
+
+»Ich gebe den Herren selbstverständlich einen Burschen mit einer
+Laterne mit! -- Aber bitte wirklich dringend, meine Herren -- setzen
+wir uns wieder zu Biere! -- Meine Frau würde untröstlich sein, wenn
+sie wüßte, die Herren ließen sich nicht halten ...«
+
+Gott sei Dank ... sie gingen ... die von drunten ...!
+
+»Aber wenigstens die Schloßbesatzung wird doch noch ein wenig beisammen
+bleiben --! Das verlange ich einfach, Herr Oberst!«
+
+»Lieber Brandeis, Ihr Wunsch ist mir heute Befehl -- aber jetzt wird's
+wirklich Zeit für uns alle! -- Also -- gute Nacht, mein Verehrtester
+...! es war einfach feenhaft ... direkt chimborassomäßig war's ...
+verstehn Sie mich ...? Aber nun Schluß! -- Und meine Herren Adjutanten
+werden sich auch schlafen legen, sonst werden morgen meine sämtlichen
+Befehle falsch ausgerichtet!«
+
+Gott sei Dank ... nun wurde Ruhe ... nun konnte man denken ...
+Entschlüsse fassen ... die unvermeidlichen Entschlüsse ...
+
+Leise ... ganz leise klinkte Fritz von Brandeis die Tür zum
+Schlafzimmer auf ... lauschte angespannt in das dunkle Gemach hinein
+... lauschte auf Cäciliens Atemzüge ...
+
+Vielleicht schlief sie wirklich ... vielleicht hatte es sie übermannt
+... es wäre das Beste gewesen ... er fühlte sich so todesmatt ... so
+widerstandsunfähig ...
+
+Jetzt nicht mehr fragen ... jetzt nicht mehr Antwort hören ... und
+wägen müssen ...!
+
+Gott, wenn sie doch schliefe! -- Dann würde er sich in seinem Zimmer
+auf das kühle Bismarcksofa werfen ... sich in eine Decke wickeln ...
+und schlafen ... schlafen ... schlafen ...
+
+Wozu noch lange fragen?! -- Was er wissen mußte, wußte er ja doch ...
+Er wußte, daß Raub verübt worden war an seinem Allerheiligsten ...
+wußte, daß er morgen Rechenschaft fordern würde für diesen Raub ...
+morgen, wenn es Tag war ... blutige Rechenschaft ... Rechenschaft
+fordern mit Einsetzung seines eigenen Lebens ... Und vielleicht war's
+am besten für ihn, wenn's ihn dann traf ... Sein Leben war ja doch
+besudelt ... verspielt ... verloren ...
+
+Kein Laut war vernehmbar ... nicht der leiseste Laut ...
+
+Herrgott -- plötzlich -- ein Gedanke -- -- Nein ... das nicht ... das
+um Himmels willen nicht ...!!
+
+Mit raschen, leisen Schritten trat Brandeis zu seinem Nachttischchen,
+drehte die Birne des rotumschirmten Stehlämpchens auf ...
+
+Da richtete sich vom Nachbarbette die Gestalt seines Weibes halbleibs
+empor. Noch völlig bekleidet, hatte sich Cäcilie auf die Überdecke
+gelegt. Glasig stierten ihre Augen .. wirr hingen die rostfarbenen
+Strähnen um ihr blasses Gesicht ... das stand im roten Licht irr und
+verzerrt ...
+
+Fritz stand regungslos ... ein trockenes, kurzes Schluchzen
+durchrüttelte seine aufrechte Gestalt ...
+
+»Willst du dich nicht auskleiden ... und dich ordentlich hinlegen,
+Cäcilie ...? Ich lege mich nebenan aufs Sofa ...« Wie eine gütige,
+sorgsame Bitte hatte das geklungen.
+
+»Fritz ... was ... was willst du tun --?!«
+
+»Darüber ... hat der Ehrenrat ... zu entscheiden ...«
+
+»Du hast -- dem Major schon Meldung gemacht --?«
+
+»Ich tu's morgen früh!«
+
+Cäcilie schlug die Hände vors Gesicht. Der einzige Kuß ... der
+Abschiedskuß ... nein, das war ja doch nicht möglich ... das durfte ja
+doch nicht sein ...
+
+»Mach dir keine Sorge, Cäcilie ... ich ... schieß ihn dir nicht tot ...
+ich ... schieß ihn ... dir ... nicht tot ...«
+
+Da fielen Cäciliens Hände mit einem Ruck in ihren Schoß ... die starren
+Augen ruhten auf dem Antlitz des Gatten mit einem langen, seltsam
+prüfenden, suchenden Blick ... Ein Staunen glomm in diesem Blick auf
+... ein großes Sichwundern ...
+
+Plötzlich ein zages Pochen an der Tür. Fritz fuhr zusammen: »Was gibt's
+--?«
+
+»Verzeihen Herr Hauptmann, wenn ich störe!«
+
+»Was haben Sie denn, Fräulein?«
+
+»Der Bursche vom Herrn Major ist draußen mit einem dringlichen Befehl
+-- von der Brigade, sagt er!«
+
+»Ich komme --!«
+
+Das Fräulein stand draußen mit einem Meldekartenbriefumschlag: »An
+Hauptmann von Brandeis.«
+
+Mit Bleistift von der Hand des Majors gekritzelt, drei Kreuze dabei.
+Sehr dringlich also. Der Hauptmann riß den Umschlag auf:
+
+
+ »Bataillonsbefehl!
+
+ Auf Befehl der Brigade: Hauptmann von Brandeis meldet sich morgen
+ früh 4,30 beim Herrn Brigadekommandeur als Adjutant für den Rest
+ der Herbstübungen an Stelle des durch Sturz mit dem Pferde heute
+ morgen zu Tode gekommenen Hauptmanns Goettig. Die erste Kompagnie
+ führt Leutnant der Reserve Flamberg.
+
+ v. Sassenbach.«
+
+
+Ruhig zog Brandeis die Uhr, notierte die Zeit des Eingangs, elf Uhr
+fünfundvierzig, auf den Umschlag der Meldekarte und gab die Hülle
+zurück: »Das bekommt der Bursche! -- Wilhelm soll mich bereits um halb
+drei wecken! Frühstück um drei! -- Gute Nacht, Fräulein!«
+
+»Gute Nacht, Herr Hauptmann!«
+
+Einen Augenblick stand Fritz von Brandeis in tiefem Sinnen.
+
+Hauptmann Goettig durch Sturz mit dem Pferde zu Tode gekommen ...
+schauerlich ... Eine glänzende Laufbahn jählings mitten durchgerissen
+... eine Frau und vier Kinder des Ernährers, des Beschützers
+beraubt ...
+
+Und er also der präsumtive Nachfolger ... mutmaßlich für die Dauer ...
+Also Brigadeadjutant +in spe+ ... das bedeutete --
+
+Pah -- ein bitteres Lächeln spielte um des Hauptmanns Lippen. Morgen
+... spätestens übermorgen stand er mit der Waffe in der Hand dem Manne
+gegenüber, der seines Weibes Mund geküßt ... ihm seines Weibes Herz
+entrissen ...
+
+Auf den Trümmern eines solchen Glücks baut man keine -- -- Karriere auf
+...
+
+Der andere ... der war der Sieger ... war der Stärkere ... wenn einer
+von ihnen bleiben sollte ... dann mußte natürlich er selber es sein ...
+er, der meritenlose Soldat ... der unbedeutende Mann seiner reichen
+Frau, die nun auch ihr Herz von ihm gewandt hatte ... ihr Schicksal von
+dem seinen trennte ...
+
+Für einen solchen Adjutanten würde der General sich bedanken -- wenn er
+überhaupt noch in die Lage kam ...!
+
+Schwerfällig ging der Hauptmann zum Schlafzimmer zurück, steckte den
+Kopf zur Tür hinein: »Gute Nacht, Cäcilie!«
+
+»Was war's ... was hat's gegeben?« stammelte die Stimme seines Weibes
+aus der rötlichen Dämmerung.
+
+»Nichts von Bedeutung ... bin für morgen abkommandiert, muß eine halbe
+Stunde früher fort ... Gute Nacht!«
+
+Er schloß die Tür, wandte sich ab, hakte mechanisch den Kragen seines
+Waffenrocks auf.
+
+Auf einmal klang's hinter ihm: »Fritz ...«
+
+Brandeis fuhr herum ...
+
+Cäcilie stand an der Tür. »Fritz ... warum kommst du denn nicht zu mir
+hinein ... Fritz --?«
+
+»Ich ... schlaf auf dem Sofa ... hier draußen ... oder ist es dir
+lieber, wenn ich schon heut abend ... fortgeh --? hier ... das alles
+... gehört ja dir ...«
+
+»Fritz! nein -- nein ... alles ist dein -- dein ganz allein ... ich
+auch, Fritz -- ich auch --!!«
+
+
+
+
+ Fünftes Kapitel.
+
+
+Das rheinische Armeekorps biwakierte gegen den markierten Feind.
+
+Der Spätsommerabend überdeckte mit sammetnen Fittichen das gewaltige
+Bergplateau des Hunsrücks zwischen Idarwald und Hochwald.
+
+Und in die Nacht hinein in endloser Reihe loderten die Lagerfeuer
+weithin über die endlose Ebene. Überall feierten die Mannschaften das
+lustige Fest des Löffelbegrabens:
+
+Die Leute des zweiten Jahrgangs, die unmittelbar nach Manöverschluß
+in die Heimat entlassen werden würden, schmückten, Kompagnie für
+Kompagnie, einen mächtigen Baum mit Strohschleifen, und ein jeder
+hängte vom Inhalt seines Tornisters hinein, was nun ausgedient
+hatte, seinen Eßlöffel, seine abgewetzte Stiefelbürste, Putzlappen,
+Knopfgabeln ...
+
+Die wunderliche Trophäe wurde unter derben Soldatenspäßen und
+unablässigem Absingen des Reserveliedes durch das Lager getragen und
+schließlich mit Hallo und Kinderjubel in die Glut des Biwakfeuers
+versenkt.
+
+Heimatstimmung ... Heimkehrseligkeit überall ...
+
+Heimkehrseligkeit --?!
+
+Leutnant Flamberg saß mit Carstanjen und dem Fahnenjunker vorm
+Offizierszelt der ersten Kompagnie.
+
+Ihren Kapitän hatte die Königliche Erste heut nur von weitem zu Gesicht
+bekommen, wenn die kleine Kavalkade vorübersprengte, über welcher die
+diagonal geteilte schwarz-weiß-rote Standarte der Brigade flatterte.
+
+Und Martin Flamberg hatte den ganzen Tag darauf geharrt, daß Major von
+Sassenbach, der Vorsitzende des Ehrenrats, ihn zitieren würde ...
+
+Dabei trug er einen Brief in der Brusttasche seines Dienstrocks, einen
+Brief vom Samstag, der nur das eine Wort erhielt:
+
+»~Über-über-übermorgen~ --!!!!!«
+
+Gott im Himmel! ... dort in der Ferne harrte seiner die sehnende Braut
+... und er ... er wartete auf den Befehl, sich zu verantworten, weil er
+das Weib eines andern berührt ...
+
+Wohl war es ein Abschiedskuß gewesen ... aber er würde mit seinem Leben
+dafür einzustehen haben ...
+
+Das hatte an seinen Nerven gerissen den ganzen Tag ... hatte wie
+mit Keulen immerfort auf seinen Schädel eingedroschen, bis er ganz
+stumpfsinnig und apathisch geworden war ...
+
+Nur der Soldat in ihm, der hatte funktioniert ... mechanisch ...
+unfehlbar sicher ...
+
+Obwohl er zu Fuß war, hatte er seine Kompagnie ganz anständig durch die
+Wechselfälle des heißen Marsch-, Gefechts- und Biwaktages geführt. Und
+Major von Sassenbach hatte ihm mehrfach aufmunternd zugenickt: »Ich
+werde Ihnen eine ganz passable Konduite schreiben können, Flamberg --!«
+
+Was hatte der Major nur heute? -- Er war den ganzen Tag so merkwürdig
+vergnügt --?
+
+Durch Martins Herz aber zog immerfort das Erinnern jener wenigen
+furchtbaren Sekunden, in denen er dem Manne gegenübergestanden, dem er
+das tiefste Leid seines Lebens zugefügt:
+
+»Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Hauptmann ...!«
+
+»Sie werden morgen von mir hören!«
+
+Keine laute Szene -- kein wildes Wort der Wut -- des Grimms.
+
+Ein paar eisig korrekte, formelhafte Wendungen -- und doch in jeder
+Silbe der unsühnbare Haß -- die Feindschaft bis aufs Messer -- der
+Racheschrei -- die Todesdrohung!
+
+Und heute -- rätselhaftes Schweigen. -- --
+
+Gott -- der Grund war leicht einzusehen: der Hauptmann war zur Brigade
+kommandiert -- der Dienst ging allem andern vor -- es hatte an jeder
+Gelegenheit gefehlt, die Meldung an den Ehrenrat zu erstatten.
+
+Aber diese Situation war gräßlich -- sie erstickte die Kraft des
+Widerstandes -- machte stumpfsinnig und wehrlos.
+
+Der Gedanke an Cäcilie war wie das Erinnern eines fernen, schaurig
+holdseligen Traumes.
+
+Der Gedanke an Agathe folterte das Herz noch tiefer mit schmählicher
+Scham.
+
+Und aus dem innersten Herzensschacht kroch die Reue herauf -- die Reue
+um unwiderbringlich Verlorenes -- um ein ganzes, großes, herrliches
+Leben des Schaffens, des Genießens -- um ein Leben voll Liebe und
+Schönheit -- voll freudigen Gebens und dankbaren Nehmens.
+
+Alles war hingeworfen -- vergeudet um eines Augenblicks haltloser
+Leidenschaft willen.
+
+Reue -- Reue --
+
+Und eines nur hatte Bestand im gestaltlos wogenden Getriebe der
+anklagenden, schamvoll zerrissenen Empfindung.
+
+Dies eine Wissen: daß man einstehen werde für das eigene Tun --
+regungslos -- eisernen Herzens -- ohne Wimperzucken -- bis ans Ende --
+bis ans Ende.
+
+Mannesehre ... Soldatenehre ... Offiziersehre -- wahrhaftig, doch kein
+leerer Wahn das alles -- --!
+
+Wenn es eine Sühne gab auf Erden, dann war es die: klaglos die
+Stirne, die Brust hinhalten der rächenden Kugel ... stumm und stolz
+zusammensinken ... hinabtauchen in den läuternden Tod ...
+
+So sann Martin Flamberg. Und neben ihm in behaglichem
+Verdauungsschweigen hockten mit übergeschlagenen Beinen auf ihren
+Kisten die beiden blutjungen Knaben, der Leutnant, der Fahnenjunker ...
+unkund der Schrecknisse des Lebens, der Leidenschaft ...
+
+Und ringsum jubelte die Heimatsehnsucht von zehntausend jungen
+Gesellen, die nach zwei Jahren in Königs Rock übermorgen in trunkener
+Wiederkehrwonne nach Hause flattern würden.
+
+Nach zwei Jahren, die ihnen mehr, weit mehr gewesen waren, als sie heut
+ahnen konnten, als ihnen vielleicht jemals zum Bewußtsein kommen würde
+...
+
+Zwei Jahre, in denen sie Soldaten gewesen waren ... in denen ihr Leben
+seiner Vereinzelung, seiner Kleinlichkeit und Alltäglichkeit entrissen
+worden war und eingegliedert in die großen Verhältnisse, das mächtige
+Leben der Gesamtheit ... der Nation ... des Volkes ...
+
+Zwei Jahre, in denen sie aus Gelsenkirchenern und Rheydtern, aus
+Erkelenzern und Neuwiedern zu Preußen ... aus Maurertagelöhnern
+und Bandwirkern, aus Feilenhauern und Ackerknechten zu wehrhaften,
+waffengeübten Soldaten geworden waren ...
+
+Ach ja, wohl war's manchmal scharf hergegangen in den zwei Jahren --
+aber das alles war ja nun überstanden ...
+
+Was bleiben würde ... was sie mit nach Hause nahmen ... war's zu
+verlangen, daß sie das heute schon begriffen -- vielleicht überhaupt je
+begreifen lernten?!
+
+Doch würde mancher vielleicht nach Jahren aus dem täglichen öden
+Einerlei der Berufsarbeit, aus der Enge beschränkter, kinderreicher
+Häuslichkeit mit Dankbarkeit und Sehnsucht zurückdenken an die zwei
+Jahre in Luft und Sonne, in Waffenglanz und munterm Kampfspiel »auf
+grüner Heid -- im freien Feld«!
+
+Heut freilich -- heut hatten sie alle nur den einen Gedanken:
+übermorgen geht's zu Muttern!
+
+Und unablässig, immer von neuem klangen übers weite Feld die Weisen der
+Reservelieder:
+
+
+ Nun scheiden wir aus eurem Kreise
+ und ziehen aus den bunten Rock!
+ Wir treten an die Heimatreise
+ mit einem Reservistenstock.
+
+ Geschlossen geht es aus dem Tore
+ zum letzten Mal vergnügt hinaus.
+ Die Mütze sitzt auf einem Ohre,
+ und keine Waffe schmückt uns aus!
+
+
+»Herrgott von Bentheim!« fluchte Leutnant Carstanjen, »dieses verdammte
+Reservistengegröhle wächst einem, weiß der Himmel, zum Halse heraus!«
+
+Flamberg lächelte: »Das wird Sie wohl Ihr ganzes militärisches
+Leben hindurch begleiten, lieber Freund! Und wenn Sie sich einmal
+die Mühe geben wollen, sich in die Gefühle der Burschen, die da
+singen, hineinzuversetzen, dann wird's Ihnen seltsam wohl und weh
+dabei werden -- dann werden Sie anfangen, die Würde des hohen und
+herrlichen Berufs, den Sie haben, ein wenig tiefer zu begreifen! --
+Was da singt und jubelt, das ist das Heimatverlangen der deutschen
+Jugend, die euch anvertraut ist zur Erziehung in Waffenkunde und
+Mannhaftigkeit. -- Die Gefühle, mit denen diese Leute das Reservelied
+singen, sind die Gradmesser für eure Berufstüchtigkeit -- wenn sich
+in diese Heimkehrseligkeit nicht auch ein unverstandenes Gefühl von
+Abschiedswehmut mischt, wenn diese Leute nicht in spätern Jahren mit
+leuchtenden Augen und geheimem Erinnerungsschmerz am Stammtisch, im
+Familienkreise, in der Schar ihrer Kinder von der Zeit erzählen, da sie
+den bunten Rock trugen -- von Ihnen erzählen, kleiner Carstanjen --
+ihrem muntern, liebenswürdigen kleinen Zugführer, dem es zwar zuweilen
+auf eine Handvoll Schweinehunde und Kamelsnasen nicht ankam ... der
+aber doch im Grunde seines Herzens ein todguter, lebensfreudiger und
+grundehrenwerter Junge war, der in seinen Rekruten und alten Kerlen
+etwas mehr sah als bloß die Objekte einer lästigen, stumpfsinnigen
+Berufstätigkeit -- wenn das nicht so wäre -- dann sähe es schlimm aus
+um unser deutsches Heer ... um unser deutsches Volk ...«
+
+»Jesses, Jesses, er predigt -- die Reserve predigt!« rief Carstanjen
+mit komischem Entsetzen und doch innerlich gepackt -- ein wenig
+geschmeichelt -- ein wenig ergriffen aber auch -- »Junker, schnell 'ne
+neue Pulle! --«
+
+Da trat ein Füsilier, es war der Pferdebursche des Majors von
+Sassenbach, zu den Herren heran, stand stramm: »Der Herr Major läßt die
+Herren Offiziere bitten, ins Bataillonsstabszelt zu kommen zu einer
+kleinen Bowle!«
+
+»Wir werden kommen!« sagte Flamberg. »Ja, einer von uns muß natürlich
+bei der Kompagnie bleiben -- also zunächst mal Sie! Ich löse Sie
+nachher ab -- also auf Wiedersehen!«
+
+Ein siedender Schreck hatte Martin plötzlich durchzuckt, als die
+Ordonnanz des Majors herangekommen war ... Auf die hatte er ja den
+ganzen Tag gewartet ...
+
+Und nun erging der Ruf zu einem fröhlichen Zechen --!? Also die Stunde
+der Abrechnung war noch immer nicht da ... der Major wußte noch von
+nichts ...?!
+
+Natürlich, jetzt saß Brandeis drüben im Dorfe, wo der Brigadestab lag,
+mit seinem General zusammen, studierte die Korps- und Divisionsbefehle
+für morgen -- redigierte den Brigadebefehl -- --
+
+Da blieb ihm keine Zeit, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken --
+mochten sie auch noch so dringlich ... noch so unaufschieblich
+sein ...!
+
+Im Hinschreiten ließ Flamberg seine Blicke über das weite Lager
+schweifen ... Die Dämmerung sank hernieder .... die frühe Dämmerung des
+Spätsommerabends ... hinter dem fernen braunen Strich des Idarwaldes
+verglomm der letzte Tagesglast ...
+
+Endlos hin über Berg und Tal zog sich das Biwak des Korps ... und
+überall dieselbe Szene ... die lodernden Feuer mit den rastenden,
+schmausenden, singenden jungen Männern drum herum ... überall niedere
+Leinwandzelte ... Gewehrpyramiden ... Posten vor der Fahne ... Ein
+ergreifendes Bild ruhender, gesammelter Volkskraft: »Lieb Vaterland,
+magst ruhig sein ...«
+
+Ach -- und immer wieder fühlte er dann den jähen Ruck am Herzen ...
+
+Was hast du getan -- und was wird werden -- --?!
+
+Wie anders müßte mir nun zumute sein ... wie leicht ... wie dankbar ...
+wie voll Hoffnung ... voll überströmender Glückshoffnung -- Und wie ist
+mir nun ...
+
+Unmännlich hab ich mich hingegeben an diese Leidenschaft, die ich hätte
+bekämpfen müssen von Anbeginn ... ausroden wie ein holdselig blühendes,
+berauschend duftendes Giftgewächs ...
+
+Ich hab sie wachsen lassen ... und eine einzige Sekunde hat mein Leben
+... meine Zukunft ... mein Glück vernichtet ... ~Mein~ Glück ...
+
+~Meines~ nur ...?
+
+Und ~sie~ ... Agathe ... das vertrauensvolle Mädchen, das sein
+Geschick in meine Hand gelegt hat ...?! Ach, Himmel, wenn sie ahnte ...
+
+Und das, was kommen kann ... was kommen muß ...
+
+Nein, nein -- nicht dran denken ... hinwegscheuchen die grausigen
+Bilder alles dessen, was kommen wird --
+
+Gespielt mit dem Heiligsten ... gedankenlos ... haltlos ... gewissenlos
+...!
+
+Im Künstlerübermut ... im Rausch des Machtgefühls hineingegriffen in
+die festgefügte Ordnung, welche diese Lebenssphäre beherrscht, in die
+der Dienst des Königs, des Vaterlandes mich, den Mann aus Kreisen
+leichterer, freierer Daseinsführung, hineingeführt ...
+
+Nein, das ging nicht ... das paßte nicht zusammen ... Entweder -- oder!
+Nur zu einem Spiel ... nur zu einem Anlaß künstlerischer Sensationen
+war das Gewand zu gut, das er trug, der Stand, dessen Zeichen es
+war ...
+
+Eine Offizierübung ist kein malerischer Motivenschatz ... die Ehe eines
+Fritz von Brandeis ist kein Modellbureau ... Entweder -- oder! Entweder
+man ist Offizier -- oder man ist es nicht! --
+
+Nun ... er würde sühnen ... seine Schuld bezahlen ...
+
+In tiefem Sinnen war Flamberg stehen geblieben am Rande des Gehölzes,
+welches das Biwak deckte.
+
+Nun hörte er plötzlich seinen Namen rufen: »Flamberg! Sie, Flamberg!«
+
+Das klang vom Bataillonszelt her ... Die Kameraden hatten ihn entdeckt.
+
+Er trat hastig näher.
+
+»Na Meister ... bißchen Stimmung geschunden ... bißchen photographiert
+für den Winter?! So, nun kommen Sie mal 'ran ... die Bowle ist prima,
+prima ...« so klang's durcheinander.
+
+Der Major thronte inmitten der Tafelrunde, die sich auf Feldstühlen,
+Kisten und Koffern um den grauen Klapptisch gruppiert hatte, der ein
+Vorrecht des Bataillonsstabes war. Sein Gesicht war gerötet, die
+zerknitterte Manövermütze saß ihm im Genick, den Kragen des Waffenrocks
+hatte er aufgehakt ...
+
+Und an seiner rechten Seite saß der Leutnant der Landwehr Frobenius
+... seine Brillengläser funkelten ... seine klugen Augen leuchteten
+so seltsam ... die rotumbarteten Lippen zuckten wie in freudiger,
+festlicher Erregung ...
+
+»So, lieber Dormagen,« sagte der Major mit einer gewissen Feierlichkeit
+zu dem jüngsten der Herren des Bataillons, dem eleganten Referendar aus
+Koblenz, »nun füllen Sie gefälligst mal alle Gemäße --!«
+
+Schäumend floß der Kasinosekt über die Ränder der Emaillebecher, der
+Bierseidel, der henkellosen Kaffeetassen ...
+
+Und Sassenbach erhob sich: »Meine Herren -- ich weiß, daß ich Ihnen
+allen eine Freude machen werde mit dem, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen
+habe: Erstens -- unser verehrter Kamerad, Herr Frobenius, bislang
+Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn -- ein
+Herr, der in den acht Wochen, während deren er inmitten unseres
+Regiments geweilt hat, trotz gewisser -- hm hm -- -- anfänglicher
+Schwierigkeiten ... trotz einer gewissen Vorliebe für den Aufenthalt
+in Froschtümpeln und auf Parkettböden ... die uns ein wenig befremdet
+hat ... auf die Dauer unsere größte kameradschaftliche Hochachtung und
+Sympathie erworben hat -- dieser Ihnen wohlbekannte Herr hat soeben
+einen telegraphischen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität
+Tübingen erhalten -- --«
+
+Das gab einen Sturm --!
+
+Ja, wahrhaftig, sie mochten ihn alle leiden, den bescheidenen,
+gutmütigen, pflichtgetreuen Mann ...
+
+»Famos ... tadellos ... bravo, bravo Frobenius ... gratuliere
+tausendmal ...!!«
+
+»Halt, meine Herren!« überschrie der Major den Tumult, »ich bitte
+dringend um Ihre Aufmerksamkeit! -- ich bin nämlich noch nicht zu Ende
+--: Ich habe die angenehme Pflicht, Ihnen die Verlobung meiner Tochter
+Nelly mit --!«
+
+Weiter kam er nicht -- keiner verlangte, den Namen des Erkorenen zu
+wissen.
+
+Es gab einen Jubel, daß an allen Lagerfeuern des ganzen Bataillons
+alle Köpfe dorthin sich wandten, wo bei der Fahne auf einer leichten
+Bodenerhebung die Herren vorm Bataillonszelt tafelten ...
+
+»Das Brautpaar: hurra, hurra, hurra -- --!«
+
+Und vor versammeltem Kriegsvolk nahm der Major seinen Schwiegersohn
+beim Kragen und preßte seine langwallenden Schnurrbartzipfel auf den
+roten Bart des Herrn Professors.
+
+ * * * * *
+
+Wenige Minuten vor neun Uhr ließen die Kompagnieführer ihre Leute bei
+den Gewehren antreten. Es war kühl geworden, die Mäntel hatten schon
+längst angezogen werden müssen ...
+
+In langen dunkeln Reihen standen die Kompagnien ... es kam der
+Augenblick des Abendgebets.
+
+Die Kompagnieführer standen vor der Front, die Zugführer am rechten
+Flügel ihrer Züge.
+
+Und nun erklang von rechts her in ruhig heiterm Schreiten das
+Schmettern der Regimentsmusik ... sie spielte die alte stolze Weise des
+»Großen Zapfenstreichs« ...
+
+Langsam marschierte das Musikkorps, die Spielleute aller drei
+Bataillone voran, an der Front des ganzen Regiments vorbei, dessen drei
+Bataillone ihre Biwaks nebeneinander aufgebaut hatten ...
+
+Gelblich leuchteten die Instrumente auf im Widerschein der Lagerfeuer
+...
+
+Und aus der Ferne von rechts und links kam's wie ein Widerhall ...
+dort, wo die andern Regimenter des Korps biwakierten, vollzog sich die
+gleiche Feierlichkeit ...
+
+Nun war die Musik am linken Flügel des dritten Bataillons angekommen,
+sie machte kehrt, zog abermals vor den dunkeln Massen der lauschenden
+Truppen entlang bis in die Mitte des zweiten Bataillons, in die Mitte
+der ganzen Regimentsfront. Da machte sie halt.
+
+Hier stand der Oberst mit seinem Stabe. Er gab mit weithin schallender
+Stimme das Kommando: »Mützen ab zum Gebet!«
+
+Die Bataillonskommandeure, die Kompagniechefs wiederholten den Befehl.
+
+Alle Mützen flogen von den Köpfen ... ein tiefes, andächtiges Schweigen
+lagerte über dem nächtigen Plan ...
+
+Nun scholl ein dumpfer, langhinrollender Trommelwirbel ... die
+achtundvierzig Tambours des Regiments ließen leise rasselnd ihre
+Schlägel auf die entspannten Kalbfelle niederfallen ... darüber
+schwebte ein leiser, flehender Triller der Flöten ... und nun setzte
+der volle Ton der Trompeten, Tuben, Posaunen ein mit herzerschütternder
+Choralmelodie ...
+
+
+ »Ich bete an die Macht der Liebe,
+ die uns vom Himmel offenbart ...
+ ich geb' mich hin dem freien Triebe,
+ mit dem ich je geliebet ward.
+ Ich will, anstatt an mich zu denken,
+ ins Meer der Liebe mich versenken ...«
+
+
+-- Das griff in jede Brust ... übergewaltig ... versöhnend ... Frieden
+spendend ... Himmelsfrieden ..
+
+Stumm ... regungslos lauschten die zwölfhundert jungen Männer im
+Waffenrock der Niederländer Füsiliere ... und alles weithin übers
+endlose Waffengefild lauschte ... sie alle, die jugendschwellenden,
+hochaufschauernden Kriegerherzen ...
+
+Und keiner ... keiner war so arm ... so heimat- und friedlos, daß er
+nicht an ein Liebes hätte denken können, dessen Herz in weiter Ferne
+für ihn schlug ...
+
+Martin Flambergs Herz aber schrie auf in wildem Gram ... in fressender
+Reue ...
+
+Agathe ... Agathe ...!!
+
+»Mützen auf -- weggetreten --!«
+
+-- Als Flamberg sich umwandte, dem Kompagniezelt zu -- stand plötzlich
+der Hauptmann von Brandeis hinter ihm: »Guten Abend, Flamberg -- haben
+Sie einen Moment Zeit für mich?!«
+
+»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«
+
+»Kommen Sie ... wir gehen ein paar Schritte in den Busch hinein ...«
+
+Stumm folgte Martin Flamberg -- in seinem Kopf und Herzen war ein
+brandender Schwall -- er konnte nichts denken -- nichts fühlen ...
+
+Unter der vordersten Buche des Gehölzes machte der Hauptmann halt.
+Dicht standen die Männer einander gegenüber ... ihre Gesichter
+schimmerten nur schwach im Widerschein der Biwaksfeuer ...
+
+»Wir wollen nicht viele Worte machen, Flamberg ... Sie haben mir sehr
+... sehr weh getan ... wissen Sie das ...?«
+
+»Ich weiß es, Herr Hauptmann!«
+
+»Was Sie sich dabei gedacht haben -- Gott mag's wissen! -- Ich will zu
+Ihren Gunsten annehmen, nicht allzuviel! -- Ich will Ihnen auch nicht
+Moral predigen -- ich wette, das haben Sie selber genügend besorgt
+in den Stunden seit ... seit gestern abend ... also zur Sache: es
+ist der Wunsch meiner Frau ... daß Sie und ich uns ... friedlich ...
+auseinandersetzen. Ich respektiere diesen Wunsch ... und ... ohne daß
+Sie erst darum zu bitten brauchen ... soll Ihnen verziehen sein.«
+
+»Herr Hauptmann!« stammelte Martin.
+
+»Ich versteh das alles ja sehr gut ... Sie sind -- wie sagt man doch --
+eine glänzende Erscheinung ... ein außergewöhnlicher Mensch ... eine
+Berühmtheit ... Ich bin ein einfacher Soldat ... Aber ich hab diese
+Frau sehr lieb ... ganz gewiß lieber, als irgendein anderer Mensch sie
+haben kann ... und schließlich bin ich doch am Ende ihr Mann, nicht
+wahr?! Also kurz: Meine Frau hat mir erzählt: was zwischen euch beiden
+geschehen ist, gestern abend ... das ist ein Abschied gewesen ... Nun
+-- so will ich's denn als ... Abschied ... gelten lassen. Nur eins
+versprechen Sie mir, Flamberg, nur das eine: halten Sie das Angedenken
+dieser Frau in Ehren ... in hohen Ehren, Flamberg! wollen Sie mir das
+versprechen ...?«
+
+»Das -- -- versprech ich ... Herr Hauptmann!«
+
+»Nun noch eins -- Sie heiraten ja übermorgen ... Sie müssen Ihrer
+jungen Frau einmal ... erzählen ... was Sie getan haben ... nicht jetzt
+... nicht im Flitterwochenrausch ... später einmal, wenn ihr euch
+beide kennt ... dann sollen Sie's ihr erzählen ... das wird euch zwei
+zusammenketten, das ... und Sie vor mancherlei bewahren, was vielleicht
+... noch kommen könnte ...! Werden Sie das tun --?«
+
+»Ich werd's tun, Herr Hauptmann!«
+
+»Ich danke Ihnen -- und nun ... ich hab morgen Dienst beim Herrn
+General, und wir werden uns vor Ihrer Entlassung wohl kaum mehr sehen
+... also ... leben Sie wohl ...!«
+
+Er streckte dem Kameraden die Rechte hin. Flamberg schlug ein -- er
+konnte nicht reden.
+
+»Soll ich ... Cäcilie ... einen Gruß ... von Ihnen bestellen ...?«
+
+»Ich ... bitte darum, Herr Hauptmann ...!«
+
+»Ich werd's ausrichten! -- Addio, lieber Flamberg!«
+
+Noch einmal drückte der Hauptmann kräftig Martins Rechte ... legte die
+Hand an die Mütze ... schritt rasch von dannen ...
+
+Und Flamberg ging langsam zu seiner Kompagnie.
+
+Begnadigt! -- Dem Leben ... der Heimat ... der Braut wiedergeschenkt
+...
+
+Begnadigt --!
+
+In Martins Herzen hallte der Schluß der Gebetsweise wider ...
+
+
+ »Ich will, anstatt an mich zu denken,
+ ins Meer der Liebe mich versenken ...«
+
+
+ * * * * *
+
+Die letzten Lagerfeuer erloschen.
+
+Die letzten der Offiziere, die sich noch durch ein paar Glas Feuerbowle
+für den Schlummer im Stroh, die scharfe Kühle der Frühherbstnacht auf
+hohem Gebirgsplateau gestärkt hatten, krochen ins Stroh ...
+
+Die Unteroffiziere, die Mannschaften schnarchten längst in den langen
+Zugzelten ...
+
+Am verglimmenden Lagerfeuer der zweiten Kompagnie lag bäuchlings
+hingestreckt noch ein einsamer Unteroffizier ...
+
+Beim letzten Glosten der zuckenden Flämmchen, die den mächtigen
+Aschenhaufen umschwelten, las er ein Briefchen:
+
+
+ »-- -- Du sollst nicht heut und nicht morgen kommen, lieber Hans. Du
+ sollst noch ein paar Jährchen warten, bis Du Deinen Assessor gemacht
+ hast. Wenn Du mich dann nicht leid geworden bist, dann komm und hol
+ mich -- wenn ich dann noch da bin. Wir sind ja beide noch Kinder, und
+ ich weiß nicht, ob nicht einem von uns beiden doch mal einer begegnen
+ wird, der ihm lieber ist als die Erinnerung an einen heißen Kuß im
+ Garten des Offizierkasinos -- weißt Du noch, mein Hans?! Wenn das
+ kommen sollte, dann soll keiner von uns sich an den andern gebunden
+ halten. Ich glaub's ja nicht, daß es mir passieren wird, ich sag's
+ auch mehr Deinetwegen als meinetwegen. --
+
+ Aber -- man kann nicht wissen --!
+
+ Also -- leb wohl, mein Süßer, und denk manchmal an mich!
+
+ Vielleicht einmal, vielleicht -- --!
+
+
+ Molly v. S.«
+
+
+Hans Friesen fuhr sich über die Stirn.
+
+Sie hatte ihm die Freiheit wiedergeben wollen ... wie schön das war ...
+und wie klug ...
+
+Und auch in ihm tönte die Choralweise nach ...
+
+Jetzt in das dumpfe Zelt kriechen, wo die Kommißunteroffiziere
+schnarchten --? Nein ...!
+
+Lieber hier am behaglich wärmenden, langsam verglostenden Feuerrest die
+paar Nachtstunden verträumen -- unterm gleißenden Sternenhimmel ... in
+tiefem Sinnen ... in einem glücklichen Traum von Zukunft -- Schönheit
+-- Ruhm -- Glück -- in einem wundersamen Sicheinsfühlen mit dem weiten
+All ringsum, dem Chor der Schläfer auf der weiten Bergeshalde ... dem
+Gewimmel der Gestirne droben am Firmament ... mit allem Geschaffenen
+und seinem Schöpfer --
+
+
+ »Ich bete an die Macht der Liebe ...«
+
+
+Langhin streckte sich der Soldat auf den harten Stoppelboden, schob
+Mollys Briefchen in die Brusttasche seines Waffenrocks ... und schaute
+nun regungslos mit glänzenden Augen zum weißleuchtenden Nebelbogen der
+Milchstraße empor.
+
+ * * * * *
+
+Einsam, ein rüstiger Wanderer, schritt Martin Flamberg in der
+Morgenfrühe des 22. September talabwärts auf der Chaussee, welche von
+Leisel über Hettenrodt, Hettstein und Idar nach Oberstein an der Nahe
+führte ...
+
+Hier würde er den Zug erreichen, der ihn heimwärts führen sollte.
+
+Frühmorgens im Lagerstroh hatte der Feldwebel ihn geweckt: »Verzeihen
+Herr Leutnant, eine Ordonnanz vom Herrn Major ist da!«
+
+»Soll ans Zelt kommen!«
+
+»Herr Leutnant möchten so bald als möglich zum Herrn Major kommen!«
+
+Sassenbach war just bei der Morgentoilette, als Flamberg ins Stabszelt
+trat: »Na, Flamberg ... Brummschädel ...?«
+
+»Danke gehorsamst -- nein, Herr Major!«
+
+»Entschuldigen Sie -- muß mich eben fertig rasieren!«
+
+Beim Schein einer Stallaterne, die der Bursche mitsamt einem winzigen
+Spiegelchen seinem Herrn vorhielt, saß der Bataillonskommandeur auf
+einem Faß, mit aufgeklapptem Waffenrock, und schabte die angegrauten
+Stoppeln von seinen bronzebraunen Wangen.
+
+»Also, lieber Freund, Sie haben morgen Hochzeit ... Da scheint's mir
+doch besser, das Armeekorps behilft sich am letzten Übungstage ohne
+Sie -- Sie sind also hiermit entlassen und haben möglichst schnell und
+geräuschlos aus dem Bereich des Kriegsgetümmels zu verschwinden!«
+
+»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major ...«
+
+»Keine Fisematenten! Ich befehl's -- und damit basta!«
+
+»Und wer, befehlen Herr Major -- wer soll die erste Kompagnie heute
+führen?«
+
+»Ach was, die paar Stunden! Kann ja der Windhund, der Carstanjen
+machen! -- Na, einverstanden?«
+
+»Ich danke von ganzem Herzen, Herr Major!«
+
+Sassenbach stand auf, und während der Bursche ihm im Stehen die kotigen
+Stiefel an den Beinen mit der Wichsbürste bearbeitete, streckte er dem
+Untergebenen die Hand hin: »Also stecken Sie sich einen grünen Zweig an
+als Neutralitätsabzeichen und verschwinden Sie auf dem nächsten Wege,
+solange es noch dunkel ist ... kommen Sie gut nach Hause, empfehlen Sie
+mich unbekannterweise Ihrem verehrten Fräulein Braut -- und machen Sie
+Ihre Sache gut -- na, Sie verstehn mich schon -- hahaha! Haben Sie auch
+schönsten Dank für freundliche Unterstützung und leben Sie wohl!«
+
+»Darf ich Herrn Major meinen gehorsamsten, tiefgefühlten Dank für die
+gütige Aufnahme und alles Gute --«
+
+»Schon gut, schon gut, lieber Flamberg -- es war uns eine Ehre und ein
+Vergnügen!«
+
+-- -- Und nun marschierte Martin Flamberg einsam talabwärts.
+
+Von seinem Helm nickte ein grüner Busch. In seinem Wachstuchtornister
+klapperte eine halbe Flasche Kognak, die Carstanjen ihm noch als
+Abschiedsgabe eingepackt --
+
+»Junger Ehemann +in spe+ -- -- können eine kleine Herzstärkung
+gebrauchen! --«
+
+Die Säbelscheide in der Linken, die Rechte taktmäßig pendelnd, stapfte
+er bergab in munterm Soldatenschritt.
+
+Und wie ringsum die Bergsäume sich rosig erhellten, erhellte sich auch
+des Wanderers Herz -- --
+
+Ja, es ging heimwärts ... heimwärts ... es ging in die Arme der Liebe
+... der Liebe, der nun sein ganzes Leben gehören sollte ... sein ganzes
+Leben ...!
+
+Immer leuchtender stieg des fern harrenden Mädchens teures Bild vor
+seinem Blick empor ... nun erst, da er schon fast abgerechnet mit
+allem, was er besessen und erhofft hatte, lag's vor ihm in seinem
+ganzen süßen, holden Glanz ...
+
+Er zog Agathens letztes Briefchen hervor, dies Briefchen, das
+nur das eine einzige, sehnsuchtsschwere Jubelwort enthielt:
+»Über-über-übermorgen --!!!«
+
+Nun war's schon morgen -- morgen würde es heute sein! --
+
+Horch ...
+
+Bum -- bum -- dröhnten von droben die ersten Kanonenschläge ...
+
+Der letzte Manövertag ... der Heimkehrtag für zehntausend junge
+Gesellen ... der Heimkehrtag auch für ihn ...
+
+Den läuteten sie ein, die dumpfen, metallenen Schläge da oben.
+
+Bum, bum, bum -- -- klang's da von allen Höhen in der Runde ... Diese
+Töne, die Mord und Grauen bedeuten sollten ... ihm waren sie selige
+Friedensklänge ...
+
+Und immer tiefer senkte sich die Chaussee ... das war das Dörfchen
+Hettenrodt, das er nun durchschritt ... Noch lag es schlummernd ...
+kaum, daß ein schläfriger Ackerknecht schwerfällig die Haustür aufstieß
+und über den Hof zum Stall humpelte, wo das erwachte Vieh nach seiner
+Morgenration brüllte ...
+
+Nun senkte sich der Weg gen Hettstein.
+
+In einer Viertelstunde würde er am Schlößchen vorbeikommen.
+
+Dort hing das Bild der schönen Frau, dort harrte sie selber der
+Heimkehr des herrlichen Mannes entgegen, der sie sein eigen nennen
+durfte -- um an seiner Seite ein neues, ein tieferes Leben zu beginnen.
+
+War es nicht doch gut so ... wie alles gekommen war, gut -- -- auch für
+die beiden?
+
+Wenn der Sturm durch die Menschenherzen fährt, dann reißt er vielleicht
+einmal ein Glück in Trümmer -- aber gibt es nicht auch Stürme, die
+segnen? die Luft klären, das Morsche hinwegfegen, auf daß das Gesunde
+um so kräftiger blühe?
+
+Bum, bum, bum -- läuteten die Glocken ringsum -- die Hochzeitsglocken!
+
+Nun wand die Chaussee sich um eine Waldecke herum ...
+
+Schau! vom ersten Morgenstrahl beglänzt, schimmerten die blitzenden
+Fenster, die schmucken Türme, die grünumrankten Zinnen des Schlößchens
+Hettstein.
+
+Dort schlummerte sie, die schöne, schöne, schöne Frau ...
+
+Einen Gruß dir, einen Herzensgruß, du wunderliebliches, du
+märchenhaftes Geschöpf -- und -- Segen, Segen, Segen auf dein Leben!
+
+Himmel -- war's möglich? -- Auf dem Balkon im ersten Stock stand einsam
+eine weiße Gestalt -- lauschte dem volltönigen Geläute der Kanonen
+ringsum auf den Hunsrückbergen ...
+
+Jählings strömte das Blut zu Martins Herzen -- ein Weh, das ihn schier
+übermannen wollte, durchrüttelte ihn so heftig, daß sein Fuß einen
+Augenblick stockte ...
+
+Nein! weiter ... rüstig weiter ... rüstig weiter ...
+
+Und nun ... nun wandte die Lauscherin langsam ihr Haupt bergaufwärts
+... und nun gewahrte sie den einsam wandernden Kriegersmann ... und nun
+... erkannte sie ihn ...
+
+Einen Augenblick stand sie starr, schien fliehen zu wollen ...
+
+Doch nein -- sie blieb --
+
+Ein weißes Tüchlein ließ sie flattern durch die goldene Morgenluft ...
+ein weißes Tüchlein ... ein Abschiedszeichen ... ein Friedenszeichen
+...
+
+Und Martin riß den Helm vom Kopf ... den Helm mit dem grünen Zweige ...
+dem Ölzweige daran ... er schwenkte ihn nach droben zum hohen Balkon
+... zu der weißen Gestalt mit dem flatternden Tüchlein ...
+
+Aber wehren konnte er nicht, daß ein paar helle Tropfen über seine
+verbrannten Wangen niederrannen und zerblitzten auf dem staubigen
+Waffenrock ...
+
+Ade, ade, ade ... vorüber, vorüber, vorüber ...
+
+Vor dem Rückschauenden zerfloß das Bild des Schlößchens ... zerfloß in
+blinkende Nebel das Bild der weißen Frauengestalt mit dem flatternden
+Tüchlein ...
+
+Ade, ade, ade ...
+
+-- -- Und nun geradeaus den Blick ... der Heimat, der harrenden Liebe
+... der Zukunft entgegen ...
+
+Agathe ... Agathe ...
+
+Umbrandet vom tosenden Schwall der Kanonen schritt Martin zu Tal.
+
+Heimkehrgeläut ... Hochzeitsgeläut ...
+
+Er schritt zu Tal ... schritt nieder in jenes Land, wo das Leben selbst
+Poesie wird ... heiligste Poesie.
+
+
+
+*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 ***
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+ Sommerleutnants | Project Gutenberg
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+<body>
+<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 ***</div>
+<p><span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span></p>
+
+<div class="transnote">
+<p class="s3 center">Anmerkungen zur Transkription</p>
+<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und
+Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche
+Druckfehler sind korrigiert worden.</p>
+<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt</p>.
+</div>
+
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+
+<div class="chapter">
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+<p class="s3 center">Sommerleutnants</p>
+
+<hr class="r5">
+
+</div>
+
+<div class="chapter">
+<h1>Sommerleutnants</h1>
+<p class="s3 center">Die Geschichte einer achtwöchigen Übung</p><br>
+<p class="center">von</p><br>
+<p class="s2 center"><b>Walter Bloem</b></p><br>
+
+<figure class="figcenter illowe5" id="illu-003">
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+
+<p class="p2 s5 center">Grethlein &amp; Co. G. m. b. H. Leipzig.</p><br>
+
+<p class="center">Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,<br>
+von der Verlagshandlung vorbehalten.<br>
+<em class="antiqua">Copyright 1910 by Grethlein &amp; Co. Leipzig</em></p><br>
+</div>
+
+<hr class="r65">
+
+<div class="chapter">
+<h2>Erstes Buch</h2><br>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span></p>
+
+<h3 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel.</h3>
+
+<p>Unter der weiten Halle des Zentralbahnhofs der rheinischen Garten-
+und Künstlerstadt schritt in früher Spätsommermorgenstunde ein junges
+Paar den Bahnsteig auf und ab. Reisefreude leuchtete in den Augen
+des Mannes — doch er dämpfte sie um der Abschiedswehmut willen, die
+durch des Mädchens Worte zitterte und immer wieder von Zeit zu Zeit in
+raschen Perlen aus den hellen Augen auf das Spitzengewoge des lichten
+Sommergewandes niedertropfte.</p>
+
+<p>Zwei schlanke Gestalten, so recht für einander gewachsen! Sie im Glanz
+ihres Sommerschmucks, in der zierlichen Grazie ihrer zwanzig Jahre das
+gehütete, gepflegte Kind einer von den Schranken der Satzung umhegten
+Welt. Er — nun ja, er ...</p>
+
+<p>Die Uniform stammte aus dem ersten Schneideratelier, die Lackschuhe
+blitzten. Die Mütze, keck auf das rechte Ohr gesetzt, war neuesten
+Modells, die Haltung soldatisch straff.</p>
+
+<p>Und dennoch: selbst ein nicht gerade militärisch geschultes Auge
+erkannte von weitem schon, daß der Träger dieser blinkenden
+Herrlichkeiten doch — kein so ganz richtiger Leutnant war. Es war
+nicht das helle Kolorit der Gesichtsfarbe allein — denn zu Anfang
+August weisen die berufsmäßigen<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> Träger der Leutnantsuniform allesamt
+schon ein tiefes Braun auf — es war nicht allein eine gewisse
+Gezwungenheit der Haltung, die verriet, daß diese elegante Gestalt
+des Uniformtragens seit längerm entwöhnt sein mußte. Es waren nicht
+allein die lebhaften Bewegungen der vielfach mitredenden, energisch
+gestikulierenden Hände, es war auch in dem feurigen Gesicht mit dem
+militärisch verschnittenen Schnurrbart und dem vorschriftsmäßig
+durchgescheitelten Blondhaar ein Ausdruck von Selbständigkeit
+und kühnem Lebensdrang — all das miteinander verriet dem feiner
+beobachtenden Auge, daß dieser Leutnant eben ein Leutnant der Reserve
+war.</p>
+
+<p>Das blieb auch den Soldaten nicht verborgen, die in dieser Morgenfrühe
+auf dem Bahnhof der Garnisonstadt zu schaffen hatten. Da waren
+Burschen, Ordonnanzen, Vizefeldwebel, die zu den Schießständen
+hinauswollten. Alle diese Uniformträger erwiesen dem Offizier
+pflichtschuldigst die Ehrenbezeugung, und zwar stramm; denn der in der
+Leutnantsuniform sah nicht aus, als ob er mit sich spaßen ließe. Aber
+wenn sie an dem Vorgesetzten vorüber waren und in ihren Schlendertrott
+zurückfielen, dann spielte doch um eines jeden Lippen ein gewisses
+Schmunzeln, das die Erkenntnis andeutete, man nähme diesen Offizier
+eigentlich nicht so ganz ernst.</p>
+
+<p>Und auch das junge Weib an der Seite des Mannes schien die
+Uniformherrlichkeit ihres Erkorenen nicht allzu tragisch zu nehmen;
+denn jedesmal, wenn ein Unteroffizier oder Soldat in die maskenhaft
+erstarrte Haltung der Ehrenbezeugung vor ihrem Gefährten zusammenfuhr,
+konnte sie nur mit Mühe ein Lächeln verbergen, das plötzlich ihr
+tränenzuckendes<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> Gesichtchen überzog; und diesem Gefühl gab sie
+Ausdruck: »Weißt du, Martin, ich will ja nicht behaupten, daß dir die
+Uniform nicht stände, aber — sei mir nicht böse — in Zivil gefällst
+du mir zehnmal besser!«</p>
+
+<p>»Das glaub' ich«, lachte ihr Verlobter. »Ich hab' den Rock Seiner
+Majestät fünf Jahre lang nur mal gelegentlich zu Offizier- und
+Kontrollversammlungen getragen! — aber laß mich nur erst mal ein paar
+Wochen wieder drin stecken! Gib acht, wenn ich nächstens auf Urlaub zu
+dir komme, dann sollst du dich deines Reservemannes nicht zu schämen
+brauchen.«</p>
+
+<p>»Ach ja,« sagte das Mädchen, »komm recht bald, sonst halt' ich's nicht
+aus ... du gehst ja fort, Liebster, du gehst fort ... ach, ich darf gar
+nicht dran denken, sonst —«</p>
+
+<p>»Aber Mädel,« sagte Martin, »aber Mädel —«</p>
+
+<p>Wieder blitzten Tränen aus den leuchtenden Augen der Braut.</p>
+
+<p>»Weißt du denn nicht,« fuhr er fort, »was morgen in acht Wochen ist?!«</p>
+
+<p>Da schlug Agathe die Augen nieder unter dem hoffenden, verlangenden
+Blick, der sie getroffen, und konnte nicht wehren, daß ein feines Rot
+immer tiefer ihre flaumigen Bäckchen überzog. »Ach, Martin, ich glaub's
+ja nicht eher, als bis wir endlich so weit sind ... eher glaub' ich's
+nicht ...«</p>
+
+<p>»Na freilich, lang genug hat's gedauert, bis die Herren Eltern
+eingesehen haben, daß ein Maler nicht notwendig der Antichrist in
+Person ist —!«</p>
+
+<p>Eine Wolke finstern Unmuts lag auf einmal unter dem blitzenden
+Lackschirm der Offiziermütze. Sie sprach von kaum verwundenen
+Bitterkeiten ... von harten Kämpfen um ein<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> endlich doch ertrotztes
+Glück ... Die lachenden Lippen hatten sich jählings fest geschlossen,
+und unwillkürlich stieß die Linke die Säbelscheide klirrend auf die
+Fliesen des Bahnsteigs.</p>
+
+<p>»Laß, Liebster,« mahnte die Braut erschrocken, »jetzt nicht daran
+denken ... ist ja nun alles überstanden!«</p>
+
+<p>»Ach, Mädel,« sagte der Maler, »das alles vergess' ich erst, wenn ich
+dich hab' ... wenn ich dich ganz hab' ...«</p>
+
+<p>»In acht Wochen,« hauchte die Braut, »morgen in acht Wochen!«</p>
+
+<p>Sie richtete rasch das glühende Köpfchen auf, sah dem Geliebten tief
+ins Auge und sagte voll eindringlichen Ernstes: »Martin, ich weiß, was
+für ein toller Bursch du bist! — Versprich mir eines: Verspar dich für
+mich ... nicht zu wilde Sachen machen, verstehst du mich? ... keine zu
+unruhigen Pferde reiten ... nicht wieder durch jeden See schwimmen,
+der am Ruhetage gerade zu erreichen ist, und« — mit halb mütterlich
+besorgtem, halb schwesterlich schwärmerischem Lächeln — »nicht zu
+viel trinken, verstehst du? ... Jedesmal, wenn du eine Flasche Sekt
+bestellen willst, denk: ich werd' sie mir sparen, um sie hernach mit
+meiner kleinen Frau auf der Hochzeitsreise zu trinken! Willst du mir
+das versprechen, Schlingel du ...?«</p>
+
+<p>Martin hätte in diesem Augenblick weit mehr versprochen, wenn es hätte
+sein müssen ...</p>
+
+<p>Ach, wie rasch war dies Aufflackern schelmischer Mädchenlust von dem
+zierlichen Gesichtchen verflogen, als nun eine Bewegung unter der
+harrenden Menge der Fahrgäste, als ein hurtiges Rollen von Gepäckkarren
+und ein fernes Brausen die Ankunft des Zuges verkündete, der ihr den
+Ersehnten auf acht Wochen entführen sollte!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p>
+
+<p>Fest schmiegte sich das liebe Kind an den blauen Überrock ihres
+Reserveleutnants. Wieder standen Tränen in ihren Augen, als sie mit dem
+Ausdruck rücksichtsloser Sehnsucht ihr Antlitz zu ihm emporhob: »Behalt
+mich lieb, du ... hörst du ... behalt mich lieb ...!«</p>
+
+<p>Da faßte er ihre beiden Hände und gab ihr den Abschiedskuß. »Morgen in
+acht Wochen, du, morgen in acht Wochen!«</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Als eine Wendung des Zuges den Bahnhof und den weißen, winkenden Fleck
+inmitten wimmelnder Menschenmenge dem Blick entrückt hatte, ließ der
+Reisende sich mit einem tiefen Aufatmen in die grausammetnen Polster
+fallen. Er war zum Glück allein — dehnte sich und streckte alle
+Glieder in einem Gefühl unbeschreiblichen Behagens. Herrgott, war er
+glücklich ...!</p>
+
+<p>Endlich überstanden, dieser zweijährige Kampf um dies Mädchen, das
+er, er, der Verwöhnte, der vielgefeierte junge Künstler, aus den
+hundert Gestalten, die ihn werbend umdrängten, sich ersehen hatte zur
+Gesellin seines ruhelosen Daseins. Nach einer harten Jugend voller
+Kampf, die ihn aus der behaglichen Enge des evangelischen Pfarrhauses
+einer kleinen bergischen Stadt hinausgeführt hatte in das wogende
+Dasein eines werdenden, machtvoll sich aufwärts ringenden Künstlers,
+war er seit kurzem an einem ersten Ziel ... Im Hauptsaal der Sezession
+in Berlin hingen seit dem Frühjahr allbestaunt nebeneinander zwei
+große Damenporträts von seiner Hand, die er mit weisem Bedacht als
+verblüffende Pendants für die Ausstellung in gleichem Format und Stil
+geschaffen hatte, obwohl sie bestimmt<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> waren, an ganz verschiedene
+Plätze zu gelangen. Zur Linken die blonde Brünhildengestalt der Gräfin
+Amalie von der Schulenburg, einer Vollblutgermanin, eines Sterns
+der niederrheinischen Aristokratie, und neben ihr: die tiefbrünette
+und ebenso tief dekolletierte Rasseschönheit der Frau Kommerzienrat
+Mannheimer, der elegantesten und interessantesten Frau der Börsenkreise
+in Frankfurt am Main ...</p>
+
+<p>Die Kritik hatte beide Bilder schlechthin als meisterlich gefeiert. Das
+Publikum wurde nicht satt, die Werke zu bestaunen, die ihren Schöpfer
+zum berufensten Verkünder des modernen weiblichen Schönheitstypus
+stempelten und in die vorderste Reihe der zeitgenössischen
+Porträtmalerei geführt hatten.</p>
+
+<p>Den ganzen Sommer über war Martin Flamberg von einem Hochsitz des
+Kapitals zum andern gezogen und hatte die erlesensten Exemplare
+glänzender Weiblichkeit mit einer Kunst festgehalten, die, weit
+entfernt von weichlicher Schmeichelei und Schönfärberei, doch ihre
+Gegenstände über die Sphäre gemeiner Wirklichkeit in eine Region
+idealer Kultur hineinzuheben verstand.</p>
+
+<p>Und erst dieser junge Ruhm und seine notwendige Folge, das elementare
+Anschwellen seines Bankkontos, hatten den langjährigen Widerstand des
+Oberlandesgerichtspräsidenten, Geheimen Oberjustizrats Doktor van den
+Bergh und seiner freiherrlichen Gattin gebrochen und so dem trotzigen
+Zueinanderwollen zweier Menschen den Sieg gebracht, deren Verbindung
+ein Schlag ins Gesicht des Schicksals zu sein schien.</p>
+
+<p>Der alte Präsident war der Typus eines starren ostelbischen
+Bureaukraten, und ihm wie seiner Frau war der<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> Gedanke, ihre Einzige an
+der Seite eines Künstlers zu sehen, fast gleichbedeutend geworden mit
+dem völligen Verzicht auf die Liebe ihres Kindes.</p>
+
+<p>Sie hatten es mit ansehen müssen, wie ihr Mädchen sich angesichts ihrer
+Weigerung schrittweise völlig von ihnen loslöste und in eine andere
+Welt hinüberwuchs, für deren Lebensgesetze ihnen auch der Schatten des
+Verständnisses abging. Sie hatten sich bis zur Verzweiflung gegen diese
+Schickung gewehrt und sich erst besiegt gegeben, als der Erwählte ihrer
+Tochter ihnen ziffermäßig beweisen konnte, daß seine Kunst wenigstens
+nicht eine brotlose sei, und daß sie für die materielle Zukunft ihres
+Kindes nichts zu befürchten haben würden, wenn sie schon seiner Seelen
+Seligkeit und das beglückende Bewußtsein innerer Zusammengehörigkeit in
+den Kauf hatten geben müssen.</p>
+
+<p>Wie oft hatte sich Martin Flamberg in diesen Jahren der Kämpfe gefragt,
+ob es nicht richtiger sei, von dem raschen Bündnis, das eine Ballnacht
+besiegelte, zurückzutreten und sich den entsetzlich kraftvergeudenden
+Kämpfen nicht länger auszusetzen, die ihm jahrelang die Ruhe seines
+Lebens geraubt hatten — diese Ruhe, die er doch für seine Kunst so
+nötig brauchte.</p>
+
+<p>Aber schließlich war es der gleiche zähe Künstlertrotz, der ihn in
+raschem Aufstieg zu der heute erklommenen Höhe geführt hatte —
+dieser selbe unbeugsame Trotz war es gewesen, der ihn an der einmal
+getroffenen Wahl hatte festhalten lassen, so oft auch in lockendster
+Gestalt von rechts und links die Versuchung an ihn herangetreten war,
+das Ziel seines Lebens auf mühelosere Weise zu erreichen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span></p>
+
+<p>Ach — das alles lag ja nun hinter ihm — das alles war verwunden —
+mußte und durfte vergessen werden. Der Termin seiner Hochzeit war
+festgesetzt. Auch hier hatte er den Sieg erzwungen, im Leben, wie in
+der Kunst.</p>
+
+<p>Nun wollte er noch einer lange aufgeschobenen Pflicht genügen und seine
+vierte Reserveoffizierübung machen, um dann am Arme der Liebe die
+zweite Hälfte seines Lebens zu beginnen. Ja, diese achtwöchige Übung
+—! Er war ein begeisterter Soldat gewesen. Es hatte ihm Vergnügen
+gemacht, sich durch Luft und Sonne im Waffendienst herumzutummeln — es
+war ihm eine Wonne gewesen, von Zeit zu Zeit in die bunte Schlangenhaut
+des Kriegers zu schlüpfen und auch hier seinen Mann zu stellen.</p>
+
+<p>Aber als nun langsam der Erfolg — als endlich jählings der Ruhm
+gekommen war — als er sich ganz durchdrungen hatte mit Künstlertum,
+da hatte er geglaubt, die militärische Phase seiner Jugend endgültig
+überwunden zu haben, und es war ihm schier ein unerträglicher Gedanke
+gewesen, sich nochmals für acht Wochen in den Zwang einer so ganz und
+gar anders gerichteten Lebensführung fügen zu sollen.</p>
+
+<p>Oftmals hatte er vor dem Schritte gestanden, sich aus der Reserve
+des Regiments, dem er angehörte, gleich in die Landwehr zweiten
+Aufgebots überschreiben zu lassen und damit ein für allemal sich seinen
+militärischen Verpflichtungen zu entziehen ... und dann hatte er's
+doch nicht übers Herz gebracht; denn das Monogramm seines Regiments
+bedeutete für ihn zugleich die Erinnerung an fast zwei Jahre seines
+Lebens, denen er, das wußte er gar wohl, als Künstler sehr viel
+verdankte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span></p>
+
+<p>Verdankte vor allen Dingen seine genaue Bekanntschaft mit dem Wesen des
+Volkes, das sich ihm im erzwungenen Verkehr mit den Mannschaften und
+Unteroffizieren seines Regiments spielend erschlossen hatte.</p>
+
+<p>Aber noch mehr verdankte er seinem Soldatentum:</p>
+
+<p>Die sich dem Kulturmenschen sonst nur auf Reisen zu »kalt staunendem
+Besuch« erschließt ... die Natur ... zu ihr hatte er just als Soldat
+ein persönliches Verhältnis gewonnen, das seiner Kunst die reichsten
+Früchte getragen hatte. Er war ja nicht Landschafts-, sondern
+Porträtmaler, und die Richtung seines Strebens bannte ihn an den
+Salon, bannte ihn an eine Menschensphäre hoher Kultur, äußerster
+Verfeinerung und Naturentfremdung des gesamten Daseinsbetriebes — und
+so war es ihm geradezu ein Glück geworden, daß sein Dienstjahr und die
+Pflichtübungen in der Reserve ihn durch Jahre hindurch immer wieder
+in Zusammenhang mit dem Leben des Volkes und mit dem geheimnisvollen
+Wirken der Natur gebracht hatten. Er hatte fünf Manöver mitgemacht, und
+diese kriegerischen Übungen hatten ihm zahllose Bilder in die Seele
+geprägt, Bilder von taufrischen Sonnenaufgängen auf grüner Heide, in
+den Gebirgen der Eifel und des Hunsrücks — brütende Sonnenschwüle über
+flimmernden Ackerbreiten — traumstille Mondnächte — nebelverhangene,
+regentriefende Waldeinsamkeiten.</p>
+
+<p>Und nun — da er wieder den bunten Rock angezogen — fühlte er
+wieder jene seltsame Wirkung, der er schon früher immer so gern sich
+hingegeben hatte — er fühlte sich plötzlich verwandelt werden —
+fühlte, wie er auf einmal ein anderer Mensch wurde — fühlte, wie das
+Gewand, das die Zugehörigkeit zu einer andern Kaste bedeutete, in ihm<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span>
+plötzlich Möglichkeiten seiner Seele freimachte, die unentwickelt
+geblieben wären in dem Leben seines eigentlichen und wahren Berufs.</p>
+
+<p>Ach, wie schön, dachte Flamberg, nun einmal für acht Wochen nicht mehr
+der berühmte und umstrittene Künstler zu sein, sondern ganz wer anders!</p>
+
+<p>Ein kleiner Leutnant — eine Nummer — ein Rad im großen Betrieb eines
+ungeheuren, wuchtig und sicher arbeitenden Mechanismus.</p>
+
+<p>Untersinken in einer Menge — nicht mehr wollen dürfen, sondern einfach
+müssen — sich korrigieren und anschnauzen lassen müssen — hinter sich
+ein Fähnlein grobknochiger Söhne des Volkes — um sich herum die Bilder
+eines bunten und fremden Lebens.</p>
+
+<p>Wieder im Gefecht sprungweise über den Stoppelacker und durch
+Waldesdickicht vorgehen müssen — umbrüllt vom rollenden Hurra und
+knatternden Schnellfeuer, umschrillt vom vorwärtsdrängenden Kreischen
+der Signalhörner, vom dumpfen Sturmmarsch der Tambours, um dann am
+Ziel, Auge in Auge mit dem friedlichen Feind, sich lachend und keuchend
+an die Erde zu werfen und in rasch gefundenem Schlummer zwischen
+braunen Schollen und gelbblühenden Ginsterstauden auszuruhen — und
+dann gestärkt und genesen heimzukehren — ein erneuter, verjüngter
+Mensch, wie Antäus aus der Umarmung seiner Mutter, um wieder zum Pinsel
+zu greifen und aufs neue Schönheitswelten aus dem Nichts zu schaffen.</p>
+
+<p>Ach, und dann galt es ja bei dieser Heimkehr den Einzug in das Land
+des Menschenglücks — galt es die Vereinigung mit ihr, die er sich
+zur Gesellin seines Daseins erlesen —<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> mit ihr, die er trotzig
+herausgerissen aus einer fremden, starren Welt, um sie mit sich
+hineinzuführen in die glückselige, heitere Region, in der sein eigenes
+Dasein sich sonnig entfaltete.</p>
+
+<p>Mit ihr, von der seine Gefühle ihm beim ersten Anblick gesagt hatten,
+daß sie die Kameradin sei, die er brauche, sie der Mensch, der seinem
+wilden Herzen den Frieden schenken würde, die große Ruhe, in der allein
+das große Werk zur Reife gedeihen kann.</p>
+
+<p>Wie schön das alles — wie reich und schön! Wie reich und schön dies
+selbstgeschaffene Leben mit all seinen wechselnden Gestaltungen!</p>
+
+<p>Wie hell um ihn die Hoffnungsfülle — wie golden vor ihm die Zukunft in
+Nähe und Weite!</p>
+
+<p>Welches Glück, ein Künstler zu sein!</p>
+
+<p>Welches Glück aber auch, Soldat zu sein — von Zeit zu Zeit einmal
+untertauchen zu können von der flimmernden Oberfläche der Menschheit
+her in die ruhig treibende Tiefe hinab, dorthin, wo im Waffendienst
+ein Volk geschult wurde zur Wehrhaftigkeit in Krieg und Frieden,
+zu geschlossen starkem Ineinanderwirken, zu elementarischer
+Zusammenballung eines ungeheuern Kräftevorrats!</p>
+
+<p>Und endlich, zu lieben und geliebt zu werden — welch ein Glück —
+welch eine Schönheit — welch überschwengliche Hoffnung und Gnade!</p>
+
+<p>Ihm war's, als sitze sein Mädchen ihm gegenüber, als seien die
+tränenschweren, güteschweren braunen Augen auf ihn gerichtet mit der
+innigen Mahnung: Komm wieder — komm bald wieder — du weißt ja, ich
+harre dein!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p>
+
+<p>Der reisende Mann legte den Kopf tief in die Kissen zurück, schloß die
+Augen und sprach leise vor sich hin: »Agathe — Agathe!« — —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Ratternd und fauchend hielt der Zug auf einer Kreuzungsstation. Martin
+fuhr auf, steckte den Kopf zum Fenster hinaus in der Absicht, die
+Einsamkeit seiner Fahrt gegen jeden Eindringling mit einem wahren
+Menschenfressergesicht zu verteidigen.</p>
+
+<p>Da sah er in der Menge der andrängenden Fahrgäste eine abenteuerliche
+Gestalt. Seine erste Empfindung war: Aha, ein Kamerad — aber was für
+einer!</p>
+
+<p>Ein lang und dürr aufgeschossener Herr mit goldgefaßter, funkelnder
+Brille und einem langen, struppigen roten Bart, die hagern Glieder
+umschlossen von einem Offizierüberrock, der, bei völlig unmodernem
+Schnitt, noch immer die schwarze Farbe zeigte, während Blau seit
+einigen Jahren Vorschrift war, auf dem Kopfe eine Mütze, wie er selber
+sie in seiner einjährig-freiwilligen Dienstzeit vor zehn Jahren
+getragen. Die Linke fuhrwerkte unbeholfen mit dem Säbel umher, der ihm
+jeden Augenblick zwischen die stelzengleichen, unruhig trippelnden
+Beine zu geraten drohte.</p>
+
+<p>Neben dem Uniformierten stand mit kaum verhohlenem Grinsen ein
+rotbemützter Dienstmann, der einen ungeheuern, stark verschlissenen
+Handkoffer und eine Helmschachtel trug.</p>
+
+<p>Nun hatten die hilflos hinter den Brillengläsern flackernden
+grauen Augen des Uniformierten den Maler erspäht. Die Rechte im
+Uniformhandschuh legte sich grüßend an den Schirm der vorsintflutlichen
+Mütze, und wie schutzsuchend<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> steuerte die lange Gestalt auf den Wagen
+zu, an dessen Fenster Martin stand.</p>
+
+<p>Der Dienstmann riß die Wagentür auf, stieg zuerst hinein und verstaute
+das Gepäck in den Netzen. Mühsam kletterte der Offizier hinterher,
+jeden Augenblick in Gefahr, über seinen Säbel zu stolpern. Nun
+suchte die ungelenke Linke des Herrn nach dem Portemonnaie, fand
+aber die Tasche nicht gleich, weil die langen Schöße des Rocks und
+der Riemen des Säbelkoppels den Zugang hemmten; aber endlich war die
+Börse doch erwischt, der Dienstmann bekam seine Vergütung, die nicht
+allzu reichlich ausgefallen zu sein schien; denn ohne Gruß mit einem
+knurrenden Laut verließ der Träger das Abteil.</p>
+
+<p>Und nun wollte sich der Ankömmling dem Kameraden vorstellen; in
+demselben Augenblick aber zog der Zug an — und mit einem Ruck flog der
+schwarze Überrock gegen den hellblauen, so daß beide Herren auf die
+Polster plumpten.</p>
+
+<p>In hilfloser Verlegenheit stotterte der Ankömmling eine Entschuldigung,
+und nachdem beide Herren ihre Säbel und Beine wieder aufgesammelt
+hatten, stellte er sich nun endlich vor, selbstverständlich ohne daß
+Martin den Namen des Kameraden verstand.</p>
+
+<p>Tiefaufatmend lehnte sich der fremde Herr auf seinen Sitz zurück,
+nahm die Mütze ab, unter der ein nur noch von einem dürftigen braunen
+Haarkranz umsäumter kahler Schädel zum Vorschein kam, und tupfte mit
+einem gelbseidenen Taschentuch die quellenden Schweißtröpfchen von
+Stirn und Platte.</p>
+
+<p>»Schauerliche Hitze —!« meinte er und fächelte sich mit dem
+Taschentuch.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p>
+
+<p>Rasch kam das Gespräch in Gang. Es stellte sich heraus, daß der
+Ankömmling Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn
+sei, und als Flamberg ihm seinen Namen deutlicher wiederholte, wußte
+der andere sofort Bescheid. Respektvoll fragte er: »Flamberg? etwa gar
+der Schöpfer der beiden Porträts in der Berliner Sezession?«</p>
+
+<p>»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« lächelte Martin.</p>
+
+<p>»Alle Wetter,« sagte der andere, »das nenn' ich ein glückliches Omen
+... da ich doch nun wieder einmal sehr gegen meinen Geschmack aus
+meiner stillen Studierklause unter das Kriegsvolk verschlagen werde.
+Ich bin entzückt, gleich beim ersten Eintritt in diese langentfremdete
+Welt einem Vertreter sanfterer Regionen der Menschlichkeit zu begegnen
+... Übrigens werden Sie meinen Namen auch nicht verstanden haben. Ich
+heiße Frobenius.«</p>
+
+<p>Martin dachte einen Augenblick nach und sagte: »Frobenius, Wilhelm
+Frobenius ... ich habe vor kurzer Zeit eine Sammlung von Studien über
+Goethes Faust von einem Wilhelm Frobenius gelesen — wären das gar Sie?«</p>
+
+<p>»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« schmunzelte Frobenius.</p>
+
+<p>Martin streckte ihm die Hand hin: »Ich freue mich,« sagte er, »Ihre
+Analyse der Gretchengestalt hat auf mich so stark gewirkt, daß ich kurz
+vor meiner Abreise ein Gretchen gemalt habe.«</p>
+
+<p>»Schau — schau,« sagte Frobenius, »wo haben Sie das Modell
+aufgetrieben?«</p>
+
+<p>»Da hab' ich nicht lang zu suchen brauchen,« lachte Martin, »meine
+Braut!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span></p>
+
+<p>»Ei der Tausend, dann freilich! — gratuliere, Herr Kamerad!«</p>
+
+<p>»Sagen Sie, Herr Frobenius,« fragte der Maler, »Sie scheinen von der
+Aussicht, wieder mal acht Wochen im bunten Rock zubringen zu müssen,
+nicht so erbaut zu sein wie ich?«</p>
+
+<p>»Ja,« sagte Frobenius, »das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich kann
+mir wohl vorstellen, daß Sie mir es an der Nase ansehen, daß meine
+Liebe zum Kommiß eine einigermaßen unglückliche ist. — Sehen Sie, ich
+bin von Natur so etwas wie ein Pechvogel, fühle mich eigentlich nur
+hinter meinen Büchern so recht behaglich —«</p>
+
+<p>»Dann verstehe ich nicht recht — Sie müssen doch schon in höhern
+Semestern sein und haben doch keinesfalls mehr die Pflicht zu üben —
+warum tun Sie's also?«</p>
+
+<p>»Sie haben ganz recht zu fragen,« erwiderte der Privatdozent, »ich
+könnte längst außer Dienst sein. — Ich habe mich überhaupt erst in der
+Landwehr zum Offizier wählen lassen und mit Zittern und Zähneklappern
+vor sechs Jahren meine einzige achtwöchige Pflichtübung gemacht. Damals
+aber habe ich gefunden, daß mir diese Übung vorzüglich bekam, nicht nur
+körperlich, auch — ich möchte sagen — was meinen Charakter anbetrifft
+— — Wissen Sie, ein so fürchterlich ungewandter Mensch, wie ich nun
+leider Gottes einmal einer bin, für den sind solche acht Wochen beim
+Kommiß eine wahre Dressur. Wenn ich auch im bunten Rock eine ganz
+miserable Figur mache — ich weiß das leider nur zu gut — so hab'
+ich entdeckt: als ich damals nach Hause kam, da war für einige Zeit,
+etwa für zwei bis drei Jahre, jene lächerliche Scheu vor öffentlichem
+Auftreten und gesellschaftlichem<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> Umgang von mir gewichen, die mich
+sonst zu einem wahren Einsiedlerdasein zwingt.«</p>
+
+<p>»Aha, und darum sind Sie also in der Landwehr I geblieben — und wollen
+jetzt mal wieder acht Wochen 'ran, um sich sozusagen wieder mal ein
+bissel zurechtstutzen zu lassen!«</p>
+
+<p>»Ja, allerdings, das war die Absicht«, meinte der Privatdozent.
+»Eigentlich ist die Übung für mich ein Martyrium, dem ich nur mit
+Grauen und Entsetzen entgegensehe — und ich weiß schon, daß ich
+während der ganzen Zeit aus einer Katastrophe in die andere taumeln
+werde — aber was hilft's — es muß nun einmal sein.«</p>
+
+<p>»Ja,« lachte der Maler, »dann sind Sie allerdings zu bedauern — ich
+für meine Person freue mich, offen gestanden, ganz kolossal auf die
+Übung.«</p>
+
+<p>»Das glaube ich,« sagte Frobenius, »Sie sehen auch so aus, als ob Sie
+Grund dazu hätten. Wenn mich der Schein nicht trügt, so sind Sie ein
+gerade so netter Kerl, wie Sie ein großer Künstler sind, und ich werde
+Ihnen etwas sagen: Sie werden mir einen Gefallen tun. Sie werden sich
+gelegentlich meiner ein bißchen erbarmen, wenn es mir gar zu jämmerlich
+geht, nicht wahr, Herr Kamerad?!«</p>
+
+<p>Er streckte dem Maler die haarige Rechte hin, von der er den weißen
+Uniformhandschuh abgezogen hatte, und schallend schlug Martin ein.</p>
+
+<p>»Das soll ein Wort sein, Herr Frobenius — ich denke, es soll recht
+nett werden, die acht Wochen hindurch — ich sehe gar nicht ein, was
+uns hindern könnte, uns die zwei Monate, die vor uns liegen, zu einem
+rechten Fest zu machen.«</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span></p>
+
+<h3>Zweites Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>In dem hellen, luftigen Speisesaal des Offizierkasinos des
+Füsilier-Regiments Prinz Heinrich der Niederlande (14. Rheinischen)
+Nr. 186 war der Kasinovorstand, Oberleutnant Menshausen, damit
+beschäftigt, die Anordnungen für die Mittagstafel einer letzten Prüfung
+zu unterziehen. Er legte an der Hand eines Zettels, auf dem er die
+Tischordnung entworfen hatte, persönlich die Tischkarten, instruierte
+die Ordonnanzen und warf ab und zu einen Blick auf den Kasernenhof
+hinaus, wo im Schatten der Kasernengebäude die Bataillonsadjutanten
+die Befehlsempfänger der Kompagnieen um sich versammelt hatten, um die
+Tagesbefehle auszugeben. Drüben aber, im prallen Sonnenschein, trat
+die Wache an, und der Offizier vom Ortsdienst nahm die Meldungen der
+Wachhabenden entgegen.</p>
+
+<p>Säbelklirrend kam Leutnant Blowitz herein, der neue Adjutant des ersten
+Bataillons, erst seit kurzem aus dem fernen Osten in das rheinische
+Regiment versetzt: »Morgen, Menshausen — nanu, gibt's denn heute
+mittag ein größeres Zauberfest?«</p>
+
+<p>»Allerdings,« erwiderte Menshausen kurz, »Regimentsmusik!«</p>
+
+<p>»Was ist denn los?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p>
+
+<p>»Die Herren Kameraden der Reserve und Landwehr werden in unserer Mitte
+begrüßt.«</p>
+
+<p>»Ah — richtig, richtig — aber warum machen Sie denn dazu so'n saures
+Gesicht, Menshausen?«</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht,« brummte der Kasinovorstand, »kann die Herren nun mal
+nicht verknusen — verderben den ganzen Eindruck des Offizierkorps —
+untergraben die Disziplin.«</p>
+
+<p>»Na, hören Sie mal,« lächelte Blowitz, »ich habe mich bei meinem
+frühern Regiment mit den Herren ganz vorzüglich gestanden. Ist 'ne ganz
+nette Abwechslung — man bekommt doch mal was anderes zu hören, als
+ewig Kommiß- und Avancementsgeschichten. Übrigens sind die Herren nun
+einmal doch ein notwendiges Übel.«</p>
+
+<p>»Ob sie notwendig sind, weiß ich nicht — übel sind sie jedenfalls.«</p>
+
+<p>Leutnant Blowitz stand gerade an der Wand unter einem mächtigen Rahmen,
+der eine große Anzahl einzelner Photographien von Offizieren umschloß.
+Es waren die Toten des Offizierkorps des Regiments aus dem Feldzuge
+1870/71.</p>
+
+<p>»Ja, sehen Sie mal, lieber Menshausen,« meinte er, »schau'n Sie sich
+doch mal hier die Regimentstafel der Gefallenen von Siebzig an — da
+ist ein Hauptmann der Reserve und drei Leutnants der Reserve drunter.«</p>
+
+<p>»Na ja,« lenkte der Ältere ein, »im Kriege mögen die Herren ja an
+ihrem Platze sein, und daß sie brav gefochten haben und als ehrenhafte
+Soldaten gestorben sind, will ich ja nicht bezweifeln — aber im
+Frieden tun sie nichts weiter, als den Betrieb stören. Wir sind doch
+hier wahrhaftig nicht zusammen, um ein bißchen Räuber und Gendarm
+miteinander zu spielen — wir haben hart zu arbeiten — wir<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> haben
+die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, binnen zwei Jahren die
+Hanakenbande, die uns jeden Oktober hierher geschickt wird, zu halbwegs
+brauchbaren Soldaten zu erziehen — und dabei sind die Herren von der
+Reserve und Landwehr höchstens hinderlich!«</p>
+
+<p>Blowitz lachte still in sich hinein. Er hatte den Charakter des neuen
+Regimentskameraden schon einigermaßen durchschaut und wußte, daß es
+nicht leicht war, ihm irgend etwas recht zu machen.</p>
+
+<p>»Wie viel Herren kommen denn?« fragte Blowitz.</p>
+
+<p>»Ganze sechs!«</p>
+
+<p>»Na, was für Geisteskinder sind es denn?«</p>
+
+<p>»Geben Sie mal acht,« sagte der Oberleutnant und zog den Jüngern ans
+Fenster, »da hinten unterm Torbogen da versammeln sie sich gerade.
+Wissen Sie, ich teile die Herren Sommerleutnants in zwei Kategorien
+ein: die einen sind die, die wenigstens von weitem wie Offiziere
+aussehen — die andern sind glattweg wandelnde Karikaturen. Nun sehen
+Sie sich mal die Gesellschaft da hinten an. Ich werde Ihnen zunächst
+die Karikaturen vorstellen. Also betrachten Sie mal diese Tonne da
+hinten: das ist der Oberleutnant der Reserve, Herr Brassert, im
+Zivilverhältnis Gymnasialoberlehrer. Wenn Sie dem einen Stich ins Herz
+versetzen wollen, dann müssen Sie ihn ›Herr Professor‹ anreden.«</p>
+
+<p>»Warum soll ich ihm denn einen Stich ins Herz versetzen?« erwiderte
+Blowitz, »er hat mir ja gar nichts getan — aber weiter! Wer ist denn
+dieser merkwürdig dünne Herr mit dem zapfenartig herunterhängenden
+Schnurrbart?«</p>
+
+<p>»Ja,« sagte Menshausen, »das ist die Obervogelscheuche unter den Herren
+— das ist der Forstassessor Troisdorf, ein<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> Rauhbein im Quadrat; ich
+behaupte, er kann überhaupt kein Wort Hochdeutsch sprechen.«</p>
+
+<p>»Nanu,« meinte Blowitz, »wie ist denn das möglich? Ein Forstassessor
+...«</p>
+
+<p>»Na, Sie werden ja hören,« entgegnete Menshausen, »mag sein, daß er
+im Verkehr mit seinen Waldwärtern und Treibern völlig verbauert ist,
+jedenfalls spricht er das fürchterlichste Kölnisch, das ich jemals
+gehört habe.«</p>
+
+<p>»Übrigens wimmelt da ja noch eine dritte Karikatur 'rum.«</p>
+
+<p>»Den Herrn kenn' ich nicht — das ist also jedenfalls der
+Landwehronkel, der uns angekündigt worden ist — irgend so'n gelehrtes
+Haus von der Universität — Gehirnfatzke, wie der Simplizissimus sagt!«</p>
+
+<p>»Na, und nun also die halbwegs vernünftig Aussehenden!«</p>
+
+<p>»Ja sehn Sie — da ist zunächst der einzige, der für mich mitzählt, der
+blonde Herr im Dienstanzug — er macht seine erste Offizierübung — er
+ist aus dem Regiment hervorgegangen — ein Referendar namens Dormagen
+— ein einigermaßen tadelloser Herr!«</p>
+
+<p>»So, also das ist Ihr Genre,« sagte Blowitz, »für meinen Geschmack hat
+er eine ziemliche Ohrfeigenvisage — und der andere daneben, mit dem
+riesigen, hochaufgedrehten Schnurrbart?«</p>
+
+<p>»Hm — das ist wieder 'ne andere Nummer — das ist der Leutnant Klocke
+— seines Zeichens das, was ein aktiver Offizier in der Regel erst
+später zu werden pflegt — nämlich Versicherungsagent! — Na — er
+macht wenigstens 'ne leidlich militärische Figur — über seine sonstige
+Persönlichkeit müssen Sie sich selbst ein Urteil bilden!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span></p>
+
+<p>»Wer aber«, fragte Blowitz, »ist der blonde Herr, der da eben so
+strahlend heranfegt?«</p>
+
+<p>Menshausen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Tja — — das ist
+sozusagen unser Renommierreserveleutnant — ein sogenanntes berühmtes
+Tier — das ist der Maler Flamberg —«</p>
+
+<p>»Flamberg?« sagte Blowitz nachsinnend, »woher kenn' ich denn den Namen?
+— Richtig, jetzt fällt mir's ja ein: auf der Durchreise war ich doch
+in Berlin und hab' da in einer Ausstellung ein paar gemalte Weiber
+gesehen — aber — deliziös, sag' ich Ihnen — eine stramme Germanin —
+und daneben eine fabelhaft pikante Jüdin mit Schultern — Schultern —
+sag' ich Ihnen! Teufel, die Bilder machen ja ein kolossales Aufsehen!
+— und das ist also dieser Flamberg?«</p>
+
+<p>»Weiß ich nicht,« sagte Menshausen, »ich verstehe nichts von Kunst
+— und ob er eine Germanin und eine Jüdin in Berlin aufgehängt hat,
+ist mir höchst wurscht. Für meine Person kann ich nur behaupten, daß
+dieser Herr Flamberg mir unter all den Herren von der Reserve der
+fatalste ist. — Was der Bruder sich schon einbildet auf sein bißchen
+Pinselei! und dann, wissen Sie: Ansichten! Ich begreife nicht, was so'n
+sogenannter Künstler überhaupt im preußischen Offizierkorps zu suchen
+hat. — Der sollte doch ruhig mit seinen Übermenschen und Überweibern
+zusammenhocken und uns hier in Frieden lassen — na, Sie werden ihn ja
+kennen lernen.«</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht — ich finde, er sieht ausgezeichnet aus!«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick standen die Ordonnanzen stramm; denn ein neuer
+blauer Überrock erschien in der Tür zum Rauchzimmer.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span></p>
+
+<p>»Morgen, meine Herren!«</p>
+
+<p>»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« Die beiden Offiziere verneigten sich.</p>
+
+<p>»Ah, Herr Hauptmann schenken uns die Ehre heute,« sagte der
+Kasinovorstand, »ist ja wohl das erstemal, seitdem Herr Hauptmann der
+Tischgesellschaft auf so überaus angenehme Weise entfremdet worden
+sind!?«</p>
+
+<p>»Tja,« meinte Hauptmann von Brandeis, »alles den Herren Kameraden von
+der Reserve zu Ehren! — Da ist nämlich der Maler Flamberg dabei, den
+hab ich seinerzeit als Rekruten ausgebildet. — Ich habe bei Herrn von
+Schoenawa durchgesetzt, daß er in meine Kompagnie kommt.«</p>
+
+<p>»So,« meinte Menshausen, »also der ist Herrn Hauptmanns Fall?«</p>
+
+<p>»Warum nicht?« entgegnete Hauptmann von Brandeis, »und übrigens —
+wissen Sie, wir gehen doch nächstens ins Manöver, und da weiß ich aus
+Erfahrung — Flamberg hat nämlich schon einmal bei meiner Kompagnie
+während des Manövers geübt — der ist unschätzbar als Menagenchef. Wenn
+ich die Manöververpflegung dem Windhund, meinem kleinen Carstanjen,
+überlasse, dann bekomm ich während der drei Manöverwochen nichts
+Vernünftiges zu essen und zu trinken — da halt' ich mich schon lieber
+an Flamberg — das ist ein Genießer vor dem Herrn! — Außerdem hab' ich
+auch noch andere Absichten mit ihm: er soll meine Frau malen!«</p>
+
+<p>»So,« meinte der Oberleutnant gedehnt, »wissen Sie denn auch, Herr
+Hauptmann, daß Flamberg in dem Ruf steht, von den Damen sehr — hm, hm!
+— verwöhnt zu werden?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span></p>
+
+<p>»Na, wennschon,« sagte Brandeis phlegmatisch, »er ist verlobt! —
+Übrigens war das eine ziemlich geschmacklose Bemerkung von Ihnen,
+lieber Menshausen.«</p>
+
+<p>Der Hauptmann machte kurz kehrt und ging ohne Gruß in das Rauchzimmer
+zurück.</p>
+
+<p>»Kennen Sie Frau von Brandeis, lieber Blowitz?« fragte Menshausen leise.</p>
+
+<p>»Wenigstens <em class="antiqua">par renommée</em>,« erwiderte der andere, »soll 'ne
+Schönheit sein, wie?«</p>
+
+<p>»Schönheit —? viel zu wenig! Die Frau, wissen Sie, das ist — einfach
+'ne Sache, verstehen Sie. — — Wie die an dieses schlafmützige
+Dusseltier, den Brandeis geraten ist, das wissen die Götter! —
+Stammt aus 'ner schwerreichen Düsseldorfer Fabrikantenfamilie —
+fabelhaft musikalisch — und ein Temperament —! Wenn ich Brandeis
+wäre, die ließ ich nicht fünf Minuten aus den Fingern! Na, schließlich
+so'n Reserveonkel — davor wird sie hoffentlich ihr guter Geschmack
+bewahren. — Wenn schon — dann soll's wenigstens in der Familie
+bleiben —!«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick trat der Stabshoboist, der Königliche
+Obermusikmeister Herr Biesicke ein, schritt stramm auf den
+Kasinovorstand zu und meldete: »Regimentsmusik zur Stelle!«</p>
+
+<p>»Danke, lieber Biesicke! Na, nun können die Herren Kameraden der
+Reserve und Landwehr meinetwegen anrücken!« — —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Draußen auf dem Kasernenhof lag die Augustsonne in breiten goldenen
+Flächen ausgegossen — immerfort<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> tauchten in diese gelbe Fläche
+glitzernde, flimmernde Punkte hinein.</p>
+
+<p>Jetzt kam bei lustigem Pfeifen- und Trommelklang eine Kompagnie mit
+Staub und Schweiß bedeckt von der Felddienstübung zurück. Der Hauptmann
+an der Spitze setzte seinen Gaul in Galopp, sprengte bis auf die Mitte
+des Kasernenhofes vor und kommandierte, daß es schallend an den langen
+Fronten der Kasernengebäude widerhallte: »Augen — rechts!«</p>
+
+<p>Hei! Da richteten sich all die marschmüden Gestalten noch einmal
+stramm auf — mit einem Ruck flogen die Köpfe rechts herum, und in
+flottem Parademarsch zog die gleißende, waffenrasselnde Schar an ihrem
+Häuptling vorüber.</p>
+
+<p>»Kompagnie — halt! — Mit Gruppen links schwenkt — marsch! Halt!
+Gewehr — ab! — Rührt euch!«</p>
+
+<p>Schon erschien, aus seiner behaglichen, kühlen Kompagniestube
+hervorgekrochen, der behäbige Feldwebel, erschienen Mannschaften vom
+Arbeitsdienst in Drillichzeug, Feldmützen und blauen Schürzen, um
+die vom Gefecht übrig gebliebenen Platzpatronen und Patronenhülsen
+abzunehmen — einige Befehle wurden noch ausgegeben — dann hieß es:
+»Stillgestanden! — Weggetreten!«</p>
+
+<p>Und nach strammer Kehrtwendung ergoß sich die Schar der jungen Krieger
+wie eine heiße Flutwelle schweißdunstiger, wangenbrauner Jugend in der
+Richtung auf die Kaserneneingänge und verlor sich schwatzend, lachend,
+stiefelpolternd in die hallenden Korridore.</p>
+
+<p>Der Hauptmann warf seinem Burschen die Zügel seines Kleppers zu,
+voltigierte so elastisch, als ihm seine zweiundvierzig Jahre dies
+gestatteten, vom Pferde herunter und<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> wandte sich zu seinen Offizieren.
+Die standen, Hand am Helm, Säbel angefaßt, seiner Befehle gewärtig:
+»Ich danke Ihnen, meine Herren — wie wär's mit einem Schoppen im
+Kasino?«</p>
+
+<p>»Selbstverständlich, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p>Da standen in der geräumigen Eingangshalle des Kasernengebäudes die
+sechs eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes: »Ah, sieh da —
+die Herren von der Reserve und Landwehr!«</p>
+
+<p>Der Hauptmann und die beiden jungen, schmucken aktiven Leutnants traten
+auf die eingezogenen Herren zu und begrüßten die alten Bekannten. Von
+den sechs Angekommenen gehörten fünf zur Reserve des Regiments und
+waren den aktiven Herren von frühern Übungen her bereits bekannt. So
+war die Begrüßung sehr herzlich und kameradschaftlich.</p>
+
+<p>Etwas hilflos stand der Leutnant der Landwehr Frobenius im
+Hintergrunde, aber Flamberg, eingedenk seines Versprechens, sich des
+Kameraden anzunehmen, winkte ihn heran: »Gestatten Herr Hauptmann, Herr
+Leutnant der Landwehr Frobenius — Herr Hauptmann Haller, Chef der
+dritten Kompagnie — die Herren Leutnants von Finette und Krummacher.«</p>
+
+<p>Herr Frobenius faßte den Säbel in die Linke und legte die
+weißbehandschuhte Rechte wie eine große Flosse an den Helm mit einer
+so altväterlich unbeholfenen Handbewegung, daß der lustige, hellblonde
+Leutnant von Finette es sich nicht versagen konnte, gleich loszuulken:
+»Sagen Sie, Herr Frobenius, Sie haben wohl schon unter Albrecht dem
+Bären gedient, wie?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p>
+
+<p>»Warum meinen Sie, Herr Kamerad?« fragte Frobenius errötend.</p>
+
+<p>»Das schließe ich aus dem Schnitt Ihres Kollers und aus dem Modell
+Ihres Turnierhelms.«</p>
+
+<p>»So — sind die Sachen so auffallend unmodern?« stammelte Frobenius.</p>
+
+<p>»Ja,« entgegnete Finette, »wenn Ihre Kenntnis des Exerzierreglements
+im selben Maße mit der Neuzeit fortgeschritten ist, dann werden ja die
+Herren Füsiliere viel Vergnügen an Ihnen erleben!«</p>
+
+<p>Flamberg kam ihm wiederum zu Hilfe: »Lieber Finette, wenn Sie mal ein
+so altes Patent haben werden wie der Herr Kamerad Frobenius, dann haben
+Sie längst wegen unheilbarer Revolverschnauze den Abschied — — und
+kommen also gar nicht in die Verlegenheit, sich von einem jungen Dachs
+wegen Auftragens älterer Garnituren anulken lassen zu müssen,« sagte er
+mit liebenswürdigem Lächeln, doch scharf genug, daß Finette verstand.</p>
+
+<p>Der aber war nicht aus der Fassung zu bringen. Im echtesten Tonfall
+seiner Heimatstadt Köln erwiderte er: »Is ja halb so schlimm gemeint,
+nit wahr, Herr Frobenius? lohß mer uns widder verdrage, nit?«</p>
+
+<p>Er streckte dem Privatdozenten die schlanke Hand hin, die dieser
+krampfhaft schüttelte.</p>
+
+<p>Immer mehr Kompagnien kamen jetzt von der Morgenarbeit zurück. Die
+Offiziere, von ihren Hauptleuten verabschiedet, traten einer nach dem
+andern heran und begrüßten die eingezogenen Herren.</p>
+
+<p>Frobenius beobachtete mit Genugtuung, daß das kameradschaftliche
+Verhältnis zwischen den aktiven Herren und denen<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> der Reserve ein sehr
+gutes zu sein schien — nur er, der allein nicht die Regimentschiffre
+trug, das Monogramm des Chefs, des Prinzen Heinrich der Niederlande,
+nur er allein wurde mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt, zu
+der allerdings, wie er sich selbst nicht verhehlte, sein verbotenes
+Exterieur einigermaßen beitragen mochte.</p>
+
+<p>Auch die Stabsoffiziere fanden sich ein: der martialisch
+kurzangebundene Oberstleutnant Rautz — dann der Kommandeur des ersten
+Bataillons, Major von Sassenbach, ein alter Troupier mit ausgewettertem
+Gesicht und langflatternden grauen Schnurrbartzipfeln — Major
+Blasberg, der das zweite Bataillon führte, ein hagerer reservierter
+Diplomat — und endlich kam gar mit klingendem Spiel der Regimentsmusik
+das ganze dritte Bataillon von der Felddienstübung zurück, voran
+der Kommandeur: der kleine rauhbeinige Major von Czigorski, der mit
+hellkrähender Stimme den Parademarsch befahl, auf seinem riesigen
+Schimmel, den seine dicken Beinchen kaum umspannen konnten, und mit
+behaglichem Stolz den Vorübermarsch sämtlicher Kompagnieen ansah, bis
+hinunter zur zwölften, der Kompagnie der ganz kleinen Kerle, die aber
+als die strammste im ganzen Regiment galt.</p>
+
+<p>So rollte sich vor den Augen der eingerückten Herren das ganze,
+vertraute, farbenfrohe Schauspiel des militärischen Lebens ab, und mit
+Freude sogen Martin Flambergs Malersinne den glitzernden Schmelz, die
+schmetternden Geräusche, den herben Duft des kriegerischen Bildes ein.</p>
+
+<p>Vom Kasino her kam der Hauptmann von Brandeis, des Malers alter Freund
+und Gönner, und schritt geradenwegs<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> auf ihn zu. Flamberg hatte bereits
+auf dem Regimentsbureau in Erfahrung gebracht, daß er wieder bei der
+Ersten üben würde, und freute sich dessen; denn er hatte sich während
+jener ersten acht Wochen unter Brandeis vorzüglich mit ihm vertragen.
+In dienstlicher Haltung trat er dem Kapitän entgegen: »Melde mich ganz
+gehorsamst zur achtwöchigen Übung eingezogen und der ersten Kompagnie
+zugeteilt.«</p>
+
+<p>»Danke Ihnen, lieber Flamberg,« lächelte Brandeis und streckte ihm
+freundschaftlich die Hand entgegen, »seien Sie mir wieder einmal
+willkommen bei der Königlichen Ersten! Na, wir werden ja hoffentlich
+ein schönes Manöver haben — der Hunsrück ist nicht das Schlimmste —
+erinnern Sie sich, was wir vor vier Jahren haben in der Eifel ausstehen
+müssen?«</p>
+
+<p>»Jawohl, Herr Hauptmann — Köttelbach — Katzwinkel — Beinhausen —
+und Gefell — schöne Gegend!«</p>
+
+<p>»Stimmt! — wenn Ihre Kochkunst und Ihre wohlassortierte Wein- und
+Menagekiste nicht gewesen wäre, wär's uns dreckig gegangen — habe
+später oft Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Flambergs gehabt.«</p>
+
+<p>»Herr Hauptmann wissen, daß ich ein Feldsoldat bin und auch mal das
+Koppel enger schnallen kann, ohne gleich die Nase in den Dreck hängen
+zu lassen, wenn's sein muß — aber wenn's nicht sein muß, dann bin ich
+allerdings mehr für Luxus und Wohlleben, offen gestanden.«</p>
+
+<p>»Ganz Ihrer Meinung, lieber Flamberg, und um gleich einen guten Anfang
+zu machen, bitte ich Sie, heut mittag bei der Begrüßungstafel mein Gast
+zu sein.«</p>
+
+<p>»Ich danke gehorsamst, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span></p>
+
+<p>»Und im übrigen: nochmals willkommen und auf gute Freundschaft! — Aber
+da kommt unser neuer Herr Regimentskommandeur — die Herren werden sich
+melden müssen. Auf Wiedersehn also hernach im Kasino!«</p>
+
+<p>Mit rascher Prüfung, nicht ohne einige Spannung, schauten die sechs
+Augenpaare der eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes der
+Ankunft des neuen Regimentskommandeurs entgegen. Von den aktiven Herren
+hatten sie bereits genug über ihn gehört, um zu wissen, daß er keinen
+Spaß verstehe.</p>
+
+<p>Der Oberst Freiherr von Weizsäcker war aus der hessischen Armee
+hervorgegangen und trug zwischen seinen Rippen noch zwei preußische
+Kugeln, die er am 13. Juli 1866 als hessischer Leutnant im Gefecht bei
+Frohnhofen und Lauffach erhalten hatte. Dazu schmückte ihn das Eiserne
+Kreuz erster Klasse, das er als Führer einer preußischen Kompagnie bei
+Gravelotte erworben. So verkörperte er in seiner Person ein ganzes
+Stück der Geschichte deutscher Einigungskämpfe.</p>
+
+<p>Als Flamberg ihm ins Auge sah, war sein erster Gedanke der Wunsch: »Den
+möchtest du malen!«</p>
+
+<p>Auf der noch jugendlich elastischen, gertenschlanken Reiterfigur
+ein bronzener Kopf mit scharfgezogener Nase, darunter zwei graue
+Schnurrbartflämmchen; der Kopf, die ganze Gestalt beherrscht von
+tiefliegenden, doch hell und groß gezeichneten grauen Augen; die
+hatten die Gewohnheit, mit zwei raschen Blicken die Gestalt dessen,
+der vor ihnen erschien, gleichsam abzustreifen; dann bohrten sie sich
+mit bannender Gewalt in die Augen des Gegenübers ein, drangen mit
+unwiderstehlichem Leuchten bis in die Tiefe.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span></p>
+
+<p>Die Reserveoffiziere hatten sich in einer Reihe aufgestellt.
+Oberleutnant der Reserve Brassert, der behäbige Gymnasialprofessor,
+war dem Dienstgrad nach der älteste, und so war es denn an ihm, dem
+Obersten entgegenzutreten und ihm die sechs eingezogenen Herren zu
+melden.</p>
+
+<p>Der Oberst überflog mit den zwei raschen Blicken die Gestalt des
+Vertreters der Herren des Beurlaubtenstandes; dabei zuckten die beiden
+Schnurrbartflämmchen und der herrische Mund darunter einen Augenblick,
+aber eisern blieb das Gesicht, nur die Augen lachten, als er mit
+leichtem Dank der weißbehandschuhten Hand erwiderte: »Ihren Namen, Herr
+Oberleutnant, wenn ich bitten darf!«</p>
+
+<p>Als Brassert sich genannt, ließ er sich dessen Stand angeben, und
+seine Antwort: »Ah so!« schien darzutun, daß er nun den Duft der
+Studierstube, welcher der Erscheinung des Angeredeten anzuhaften
+schien, begreife.</p>
+
+<p>Der Oberst ging die Reihe entlang und wiederholte die Frage nach Namen
+und Stand. Dann trat er mit ein paar raschen Schritten vor die Mitte
+der Herren, streifte noch einmal kreuz und quer mit den Augen ihre
+Front ab und sprach:</p>
+
+<p>»Meine Herren, ich begrüße Sie. Ich habe mir erzählen lassen, daß
+das Regiment, das zu führen ich seit kurzem die Ehre habe, einen
+überaus tüchtigen Ersatz an Reserveoffizieren sein eigen zu nennen
+das Glück hat. Ich kann also mit vollem Vertrauen Ihrer Mitwirkung an
+unserer gemeinschaftlichen Arbeit entgegensehen. Wer, wie ich, zwei
+Feldzüge mitgemacht hat, weiß, was die Armee an den Offizieren des
+Beurlaubtenstandes besitzt. — Sie kommen zu uns, um bei uns zu lernen
+— ich bin aber überzeugt, daß Sie uns<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> auch etwas mitbringen: Sie
+bringen uns einen Gruß des Volkes, zu dessen Schutz wir bestimmt sind.
+— Sie bringen uns einen Gruß der Geistesarbeit, die unterm Schirm
+unserer Waffen gedeihen soll. — In diesem Sinne begrüße ich Sie alle
+— als das lebendige Band zwischen dem aktiven Offizierkorps und dem
+Volk, um dessentwillen wir alle da sind. — Ich wünsche Ihnen, daß Sie
+sich wohl fühlen in unserer Mitte, und daß Sie nach Ablauf Ihrer acht
+Wochen nicht nur gebräunt und gekräftigt, sondern auch an militärischen
+Kenntnissen bereichert und durch freudige Erinnerungen gefördert an die
+Stätte Ihrer Lebensarbeit zurückkehren mögen. Ich danke Ihnen, meine
+Herren!«</p>
+
+<p>Er grüßte, und wiederum flogen die Hände der eingezogenen Herren an die
+Helmschienen.</p>
+
+<p>Nun wandte er sich zu den Stabsoffizieren, welche bisher, von den
+Hauptleuten und aktiven Leutnants umringt, den Worten des Obersten
+zugehört hatten, und schritt im Geplauder dem Korridor zu, der auf das
+Regimentsbureau führte.</p>
+
+<p>Kaum war er verschwunden, da löste sich die feierliche Erstarrung, und
+die Gruppen der aktiven und Reserveoffiziere vermischten sich zu lautem
+Gelächter, schnarrendem Geplauder — und säbelrasselnd, sporenklirrend
+schritten die Herren über den hallenden Kasernenhof zum Kasino hinüber.</p>
+
+<p>An allen Fenstern der endlosen Fronten wurden neugierige Köpfe sichtbar
+— an allen Waschtrögen standen Gruppen von Soldaten in Feldmützen
+und Drillichzeug, die nun ihre Arbeit unterbrachen und, Bürsten und
+Monturstücke in der Hand, zur vorgeschriebenen Haltung erstarrten, bis
+die Gruppe der Offiziere an ihnen vorüber war.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span></p>
+
+<p>Und als nun die ersten der Herren die Stiegen der Treppe zum
+Kasino betraten, da scholl von drinnen der schmetternde Klang der
+Regimentsmusik, die den Einzugsmarsch der Gäste aus Tannhäuser den
+einrückenden Kameraden entgegensandte.</p>
+
+<p>Nach wenigen Minuten, die man harrend und plaudernd im Rauchzimmer
+zugebracht, erschien der Kasinovorstand Oberleutnant Menshausen und bat
+die Herren zu Tisch.</p>
+
+<p>In breiten Güssen fiel die langsam sinkende Nachmittagssonne durch die
+hohen Fenster des Speisesaales über die hufeisenförmig aufgestellten
+Tische, auf denen heute zur Feier des Tages der reiche Silberschmuck
+des Regiments blinkte, umgeben von einer wahren Überlast bunter
+Herbstblumensträuße, die dem Garten des Kasinos entstammten — und
+um die Tafel gruppiert etwa vierzig blühende Jugendgestalten — von
+dem Kommandeur des ersten Bataillons, Major von Sassenbach, der
+als einziger Stabsoffizier an der Tafel teilnahm, bis herunter zum
+blutjungen Fahnenjunker, der kaum der Presse entschlüpft war und sich
+im Rock des Füsiliers und angesichts so vieler Vorgesetzter kaum zu
+rühren — kaum den Mund aufzutun getraute.</p>
+
+<p>Allen diesen Erscheinungen gemeinsam war der vorschriftsmäßige
+Schnitt des Haars, soweit sich dies nicht schon verflüchtigt hatte
+und spiegelnde Stirnen oder Glatzen freiließ — war gemeinsam der
+modische Bürstenschnitt des Schnurrbarts, gemeinsam die straffe
+Haltung, die lebhaften und doch gemessenen Bewegungen, der scharfe
+Klang der Stimmen, die gewohnt waren, im Gelände weite Entfernungen
+zu beherrschen oder sich durch das Rollen des Schnellfeuers hindurch
+Geltung zu verschaffen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p>
+
+<p>Auf den ersten Blick aber waren die Herren des Beurlaubtenstandes an
+der bleichern Hautfarbe, der etwas nachlässigern oder steifern Haltung,
+dem mehr ins Geistige gewandten Ausdruck der Gesichter und Augen zu
+unterscheiden. Doch das alles würde sich nun bald verwischen — waren
+doch diese sechs Männer nur hierhergekommen, um wieder Soldaten zu
+werden, um sich wieder einzufügen in den gewaltigen Organismus, in dem
+auch sie nichts als dienende Räder sein sollten und sein wollten.</p>
+
+<p>Diese Einfügung und diese Anpassung, so sagte Flamberg sich
+stillsinnend, diese Verschmelzung würde ihnen der Geist der
+Kameradschaft erleichtern. Der Geist der Kameradschaft, der alle,
+denen Seine Majestät Epaulettes und Schärpe verliehen hatte, zu einer
+großen Schar von Verbrüderten zusammenschloß, in der ungeachtet aller
+Abstufungen der Begabung und militärischen Befähigung, ungeachtet aller
+Klüfte der Herkunft und der Anschauungen, jeder gleichberechtigt war,
+in der es keine andern Unterschiede gab, als die der Dienststellung
+— und auch diese Unterschiede galten nur im Dienst — außerhalb des
+Dienstes gab es nicht Vorgesetzte, nicht Untergebene — gab es nur
+ältere und jüngere Kameraden — gab es nicht aktive Offiziere und
+nicht Offiziere des Beurlaubtenstandes — gab es nur Offiziere, das
+heißt: Träger des einen preußischen Soldatengeistes, der inmitten
+aller Wandlungen der Weltanschauung und der sittlichen Begriffe das
+alte Ideal der Ritterlichkeit verkörperte, das die Heere des Großen
+Kurfürsten, des Alten Fritzen, das Heer der Befreiungskämpfer, wie die
+Scharen Wilhelms des Siegreichen durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum
+Siege geführt hatte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p>
+
+<p>Und dieser Geist der Kameradschaft, so ernst er sich betätigte im
+Dienst und in dem, was dem Dienste gleich galt: in der Auffassung jeder
+großen Lebenspflicht — in der Sphäre der Geselligkeit erwies er sich
+als ein heiterer Geist, ein Geist freudiger Lebenslust.</p>
+
+<p>Munter schwirrten die Gespräche hinüber und herüber — noch war kaum
+der erste Gang serviert, da traten an die Stelle der hellgrünen
+Moselflaschen die goldbekapselten der Sektspezialmarke des Kasinos.
+Munter knallten die Pfropfen — und in den Spitzgläsern perlte der
+weiße Schaum: »Luxus und Wohlleben griffen um sich.«</p>
+
+<p>Major von Sassenbach schlug ans Glas. Er war kein großer Redner vor
+dem Herrn — es fiel ihm schwer, selbst nur ein paar formelhafte
+Begrüßungsworte zusammenzustottern, und sein Adjutant, der Leutnant
+Blowitz, den er mit diesem ausdrücklichen Auftrage sich gegenüber
+gesetzt hatte, mußte ihm soufflieren.</p>
+
+<p>Aber aus den ungefügen Worten des alten Soldaten leuchtete herzliches
+Wohlwollen, und obwohl manches Lächeln der Hörer seine gewaltigen
+Kraftanstrengungen begleitete, klang doch das dreifache Hurra auf die
+eingezogenen Herren, in das er seine Rede ausmünden ließ, kräftig und
+munter durch den Saal. — Die Begrüßten beeilten sich, mit dem Major
+anzustoßen, und nun die letzte offizielle Handlung des Begrüßungstages
+überstanden war, atmete alles auf, und es löste sich der letzte Rest
+von Förmlichkeit und Zurückhaltung.</p>
+
+<p>Kreuz und quer durch den Saal schollen die Rufe der Tafelnden, die
+einander zutranken. Mit vorschriftsmäßigem Ruck schnellten die
+Angerufenen in die Höhe, wenn der<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> Major oder einer der anwesenden
+Hauptleute einem der Leutnants oder gar der zur Tafel zugezogenen
+Vizefeldwebel der Reserve, Fähnriche oder Fahnenjunker zutrank; aber
+regelmäßig winkte der Anrufende, Platz zu behalten — nur die Pflicht
+blieb bestehen, als Dank für den Zutrunk des Vorgesetzten sein Glas bis
+auf die Nagelprobe zu leeren.</p>
+
+<p>Flamberg saß zwischen seinem Kapitän, dem semmelblonden Herrn
+von Brandeis, und dem flaumbärtigen Kompagniekameraden, Leutnant
+Carstanjen, dem Sohn einer reichen niederrheinischen Fabrikantenfamilie.</p>
+
+<p>Zunächst mußte natürlich Flamberg erzählen.</p>
+
+<p>»Na, Flamberg, Sie sind ja inzwischen sowas wie'n berühmtes Tier
+geworden — alle Augenblicke hat man im Lesezimmer in den illustrierten
+Zeitschriften irgend so'ne Pinselei von Ihnen abgebildet gesehen —
+natürlich immer die schönsten Weiber des europäischen Kontinents — Sie
+Schlemmer, Sie ...«</p>
+
+<p>»Haben Herr Hauptmann etwas anderes von mir erwartet?«</p>
+
+<p>»Ne, ne — ich weiß wohl, Sie hatten ja damals schon 'nen starken
+Hang fürs ewig Weibliche! Erinnern Sie sich noch, wie wir damals in
+Mechernich in der Eifel mit der ganzen Kompagnie in der schauderhaften
+Kneipe einquartiert wurden und für Sie und für — na, wer war's doch
+damals? Quincke wohl ...?«</p>
+
+<p>»Jawohl, ganz recht, Quincke, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p>»Na also — für Sie beide nur dadurch Quartier zu schaffen war, daß
+die beiden Töchter des Wirts aus ihrem Jungfernstübchen 'rausgewiesen
+wurden und oben auf dem Heuboden kampieren mußten. Damals haben Sie
+die beiden<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> Mädels gezeichnet. Erinnern Sie sich noch? Na, nachher
+waren sie nicht von Ihnen wegzuschlagen — alle beide — was? Ja, an
+sowas läßt man sich natürlich nicht gern erinnern, wenn man inzwischen
+Bräutigam geworden ist!«</p>
+
+<p>»Oh, was das anbetrifft, Herr Hauptmann: das Wort ›bereuen‹ kommt in
+meinem Lexikon nicht vor.«</p>
+
+<p>Der kleine Carstanjen spitzte die Ohren und rief dazwischen:
+»Donnerwetter, Herr Hauptmann, das scheint ja 'ne verflucht
+interessante Geschichte gewesen zu sein! Wollen Herr Hauptmann die
+nicht etwas ausführlicher erzählen?«</p>
+
+<p>»Knöpfen Sie sich die Ohren zu, Sie Kiekindiewelt,« antwortete
+Brandeis, »sind noch viel zu klein für — für solche Geschichten!«</p>
+
+<p>»Herr Hauptmann unterschätzen mich!« lachte Carstanjen.</p>
+
+<p>Brandeis fragte seinen Gast: »Wissen Sie auch schon, daß wir nächstens
+im Kasino ein feenhaftes Zauberfest in Aussicht haben?«</p>
+
+<p>Flamberg erbat genauere Auskunft, und der Hauptmann berichtete:
+»Also am 18. August feiert doch das Regiment die siebenunddreißigste
+Wiederkehr des Tages von Gravelotte ... Na, das wissen Sie doch aus der
+Regimentsgeschichte?!«</p>
+
+<p>»Ei gewiß: Sturm auf Point du jour, 118 Tote, 326 Verwundete! 2 Eiserne
+Kreuze erster und 18 zweiter Klasse ins Regiment!«</p>
+
+<p>»Alle Achtung!« meinte Carstanjen, »so hab ich's ja nicht mal am
+Schnürchen!«</p>
+
+<p>»Eh ... wie oft hab ich das schon meinen Kerlen in der
+Instruktionsstunde eingebläut ... da werd ich's doch selber<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> nicht
+vergessen haben! — So ... und das wird also diesmal in großem Stile
+gefeiert?«</p>
+
+<p>»Ja,« erklärte Brandeis, »Sie wissen: der neue Kommandeur ist erst vor
+vierzehn Tagen angekommen, und so soll das alljährliche Regimentsfest
+diesmal zugleich als Begrüßung für die neue Kommandeuse im Kreise der
+Damen gefeiert werden ... es gibt 'ne große Gartenfête im Kasino —
+Diner — Theatervorstellung — zuletzt natürlich Tanz!«</p>
+
+<p>»Theatervorstellung?« fragte Flamberg interessiert. »Nanu ... das kann
+ja interessant werden ... was gibt's denn?«</p>
+
+<p>»Bei der zweiten Kompagnie steht ein einjährig-freiwilliger
+Unteroffizier, ein Referendar seines Zeichens, zugleich in seinen
+zahlreichen Mußestunden Reiter auf dem Musenklepper ... den hat
+Frau von Sassenbach — die ist nämlich Patroneß der Veranstaltung
+— 'rangebändigt und zum Dichten kommandiert. Er hat sowas wie 'n
+allegorisches Festspiel verübt ... ihre beiden Töchter spielen
+natürlich mit; das war wohl auch der Hauptzweck der Übung, die zwei
+Mädels mal wieder gehörig in Szene zu setzen — übrigens meine Frau
+wirkt auch mit —«</p>
+
+<p>»Herr Hauptmann sind verheiratet? ... das erste, was ich höre ... seit
+wann denn, wenn ich fragen darf?«</p>
+
+<p>»Seit eineinhalb Jahren!« sagte der Hauptmann, »übrigens eine
+Landsmännin von Ihnen, ein Fräulein Cäcilie Imhof ... na — der Name
+wird Ihnen ja nicht unbekannt sein!« —</p>
+
+<p>Cäcilie Imhof ... Bei diesem Namen stieg in Martin Flamberg
+eine Erinnerung auf, die Erinnerung an ein braunes, kapriziöses
+Mädchenköpfchen, das durch seine<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> Jugend hingehuscht war wie so viele
+andere, ohne just eine dauernde Spur in seiner Seele zu hinterlassen
+... Immerhin war seine Erinnerung lebhaft genug, daß ihn die
+Vorstellung, dieses Gesichtchen neben dem platt-behaglichen Puppenkopf
+des Hauptmanns von Brandeis auftauchen zu sehen, mit seltsamen
+Empfindungen erfüllte ...</p>
+
+<p>In Gesellschaft hatte der junge Maler, damals noch ein völlig
+Namenloser, zuweilen das junge Mädchen getroffen und war von ihr ganz
+und gar nicht beachtet worden ... das war kein Wunder; denn sie war
+ein gefeiertes und damals schon, in ihrer zartesten Backfischjugend,
+vielumworbenes Geschöpfchen ... die Tochter einer alten Familie reicher
+Bankiers und Industrieller ... und er, Martin Flamberg, mußte sich
+damals noch zu jeder Gesellschaft für zwei Mark fünfzig einen Frack
+ausleihen ...</p>
+
+<p>In den Tagen seines jungen Ruhms war er ihr nicht mehr begegnet.</p>
+
+<p>Ihr Vater hatte sich von den Geschäften zurückgezogen und war nach
+Wiesbaden übergesiedelt, um den heilkräftigen Quellen nahe zu
+sein, deren beständige Einwirkung seine Gicht verlangte ... und
+nun war das verwöhnte Kind die Gattin eines braven, unbedeutenden
+Infanteriekapitäns ... merkwürdig ...</p>
+
+<p>»Na? entsinnen Sie sich meiner Frau noch?« fragte Herr von Brandeis.</p>
+
+<p>»Herr Hauptmann sehen, ich versuche mich zu besinnen, aber ich finde
+nur eine sehr blasse Reminiszenz.«</p>
+
+<p>»Na, is ja auch egal,« meinte der Hauptmann, »Sie werden ja nächstens
+Ihre Erinnerungen auffrischen können; denn selbstverständlich hoffe ich
+doch, Sie recht bald in<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> meinem Hause zu sehen ... meine Frau wird sich
+jedenfalls sehr freuen ...«</p>
+
+<p>Flamberg verneigte sich.</p>
+
+<p>»Na, und nun erzählen Sie mal von sich ... Sie haben sich ja inzwischen
+auch verankert ... hoffentlich recht vorsichtig gewesen in der Wahl
+Ihres Herrn Schwiegerpapas?«</p>
+
+<p>»Mein Schwiegervater ist Beamter!« sagte Flamberg, »übrigens, ich bin,
+Gott sei Dank, seit einiger Zeit auf besondere Vorsicht in dieser
+Beziehung nicht mehr angewiesen.«</p>
+
+<p>»Aha ... na natürlich ... verdienen jetzt aasige Däuser .. das versteht
+sich ... Porträtmaler — Portemonnaiemaler — alte Geschichte! — Ja,
+sehen Sie, so gut geht's unsereinem nun nicht ... das ist noch das
+einzig Schöne an unserm Beruf, daß es uns kein Mensch übelnehmen kann,
+wenn wir unserer Zukünftigen nicht nur in die Augen, sondern auch ein
+bißchen ins Portemonnaie sehen ... Na, und in der Beziehung kann ich ja
+nicht klagen, wie Sie sich denken können ... übrigens auch in anderer
+Hinsicht hab ich direkt märchenhaften Dusel gehabt ... meine Frau heißt
+nicht umsonst Cäcilie ... die sollen Sie mal Klavier spielen hören —
+und singen ... Na, ich sag Ihnen ja: Den Seinen gibt's der Herr im
+Schlaf!«</p>
+
+<p>Er füllte sich und dem Gaste die Sektkelche und hob ihm das Glas
+entgegen. »Na also in diesem Sinne, lieber Flamberg: unsere Damen! —
+So ... Sie wollen auch mittrinken, kleiner Carstanjen ... ach Unsinn
+... verstehen Sie ja noch gar nichts von ... aber mit anstoßen dürfen
+Sie doch ... Kommen Sie mal her mit Ihrem Pokal!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span></p>
+
+<p>»Ich kann nur noch einmal wiederholen: Herr Hauptmann unterschätzen
+mich!« schmunzelte Carstanjen mit spitzbübischem Lächeln auf seinem
+verwöhnten Geckengesichtchen.</p>
+
+<p>»Sie, Flamberg,« sagte der Hauptmann, »ich hoffe, Sie werden mich bei
+der Erziehung dieses kleinen Windhundes da ein wenig unterstützen —
+das ist auch einer von denen, mit denen 's der Herrgott gar zu gut
+gemeint hat — und das ist ihm zu Kopf gestiegen — wenn er also üppig
+wird, dann hauchen Sie ihn nur gehörig an — meinen Segen haben Sie —
+und einen Gotteslohn verdienen Sie sich überdies!«</p>
+
+<p>»Na, wir zwei werden uns schon vertragen! — Was meinen Sie, Herr
+Carstanjen?«</p>
+
+<p>Das herzliche, offene Lachen, mit dem der Reserveoffizier dem jungen,
+aktiven Kameraden das Glas entgegenhielt, verscheuchte den Ausdruck
+von anmaßender Gekränktheit, der das hübsche, eitle Gesicht überhuscht
+hatte. Und so leerte die Königliche Erste eine Flasche Spezialmarke
+nach der andern in ungestörter Harmonie.</p>
+
+<p>Weniger heiter sah es in der Gruppe der Königlichen Zweiten aus:</p>
+
+<p>Herr Leutnant der Landwehr Frobenius saß stumm und einsilbig zwischen
+dem stummen und einsilbigen Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, und dem
+Oberleutnant Menshausen, dem Kasinovorstand, während ihnen gegenüber
+als dritter Offizier der Kompagnie der Leutnant Quincke saß, ein
+junger, blasierter Bursch mit glattrasiertem Gesicht — verlebten Zügen
+— die Scherbe ins rechte Auge geklemmt. Menshausen und Quincke nahmen
+von dem Kameraden der Landwehr kaum Notiz — unterhielten sich über den
+Tisch<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> hinüber geflissentlich über Personen und Fragen, an denen der
+eingezogene Herr nicht das geringste Interesse nehmen konnte.</p>
+
+<p>Und der Hauptmann, ein finsterer Junggesell mit starrem, schwarzem
+Haar und struppigem Schnurr- und Vollbart, sprach überhaupt nichts,
+füllte nur zuweilen die Gläser seiner Untergebenen und trank dem Gaste
+schweigend zu.</p>
+
+<p>Als Frobenius erst gemerkt hatte, daß man ihn schlecht behandeln
+wolle, tat er instinktiv das einzige, was in dieser Situation für ihn
+möglich war — er schwieg nämlich ebenfalls vollständig und machte
+nicht den leisesten Versuch, die Zurückhaltung der aktiven Herren durch
+entgegenkommende Liebenswürdigkeit zu überwinden.</p>
+
+<p>Schließlich bemerkte der Oberleutnant, daß die rücksichtslose
+Nichtachtung, mit der die aktiven Herren den Gast behandelten, dessen
+Hilflosigkeit immerhin ein gewisses Mitleid erregte, allgemein auffiel,
+und ließ sich nunmehr herab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen.</p>
+
+<p>»Sagen Sie mal, Herr Leutnant Frobenius,« hub er an, »was sind denn Sie
+eigentlich im Zivilverhältnis?«</p>
+
+<p>»Ich bin Privatdozent an der Universität Bonn.«</p>
+
+<p>»Hm — was dozieren Sie denn also privat?«</p>
+
+<p>»Ich lese deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts bis
+zur Gegenwart.«</p>
+
+<p>»Aha,« sagte Menshausen, »ich kann mir zwar dabei nichts Rechtes
+denken — aber es ist ja jedenfalls was sehr Gelehrtes! Nun sagen Sie
+mal, was wollen Sie denn nun eigentlich bei uns? Macht Ihnen das denn
+wirklich Vergnügen, hier so acht Wochen lang in Uniformen von vor
+fünfzehn Jahren herumzulaufen und sich mit Ihrer Unkenntnis<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> des neuen
+Exerzierreglements vor hundertzwanzig Bauernlümmels und Fabrikarbeitern
+lächerlich zu machen?«</p>
+
+<p>Frobenius richtete sich ein wenig auf: »Herr Oberleutnant Menshausen
+— ich bin mir wohl bewußt, daß ich hierherkomme, um zu lernen — ich
+habe aber auf der andern Seite während meiner früheren Übungen die
+Beobachtung gemacht, daß Bauernjungens und Fabrikarbeiter ein ziemlich
+feines Gefühl dafür haben, wer vor ihnen steht, — und hinter der
+vielleicht etwas veralteten Uniform und der mangelhaften Dienstkenntnis
+des Landwehroffiziers die überlegene Intelligenz respektieren, die
+ihnen in der Person eines Mannes der Wissenschaft gegenübertritt.
+Diese einfachen Leute wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen der
+formgewandten Nullität und dem Geist, der sich im Notfall — daß heißt
+im Falle der wirklichen Not, meine ich — von selbst die Form schafft,
+die der Augenblick verlangt.«</p>
+
+<p>»Ja, verzeihen Sie, Herr Leutnant Frobenius,« sagte der Oberleutnant,
+»Sie drücken sich so gewählt aus, daß ich nicht zu folgen vermag — was
+wollen Sie eigentlich mit Ihrem Erguß sagen?«</p>
+
+<p>»Ich will versuchen, mich Ihnen deutlich zu machen«, erklärte
+Frobenius. »Wir Landwehroffiziere sind, das erkenne ich ja an,
+im Frieden scheinbar ein wenig deplaciert inmitten der jungen,
+dienstkundigen aktiven Herren — aber wir sind auch gar nicht hier,
+um in Ihrer Mitte gute Figur zu machen — wir wollen lernen —
+lernen einzig und allein für den Krieg — und glauben Sie mir, Herr
+Oberleutnant, im Kriege kommt es weder auf gutsitzende Uniform noch
+auf die Kenntnis jeder neuesten Phase der Taktik der Saison an — da
+entscheiden ganz andere Faktoren. Da möchte<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> vielleicht plötzlich mit
+dem Mobilmachungstage eine Umwertung der Werte stattfinden, und diesem
+Tage entgegen bewegt sich alle Hoffnung, die ich mit meinem Aufenthalt
+im Kreise des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande verbinde.«</p>
+
+<p>»Ah so,« sagte Menshausen, »ich verstehe — Sie haben militärischen
+Ehrgeiz — wollen womöglich noch gar Hauptmann der Landwehr werden?«</p>
+
+<p>»Allerdings will ich das,« erwiderte Frobenius ruhig, »zurzeit übe ich
+auf Beförderung zum Oberleutnant.«</p>
+
+<p>»Allen Respekt!« meinte Menshausen, »das hätt ich Ihnen nun nicht
+angesehen — können Sie denn auch reiten?«</p>
+
+<p>»Gewiß kann ich reiten,« erklärte der Privatdozent. »Ich meine,
+das versteht sich wohl von selber, da ich Ihnen sagte, daß ich die
+Beförderungsübung zum Oberleutnant mache.«</p>
+
+<p>Aber er konnte nicht wehren, daß ihm bei der Erwähnung des Reitens
+selber ein wenig bänglich zumute wurde. Er hatte erst im Frühjahr
+mit Zittern und Zagen zum ersten Male einen Gaul bestiegen, war beim
+ersten Antraben vom Woilach heruntergekugelt wie eine Klammer von der
+Wäscheleine und hatte sich das Schultergelenk dermaßen ausgerenkt,
+daß er den linken Arm drei Wochen lang hatte in der Binde tragen
+müssen. Nach Ablauf dieser drei Wochen hatte er mit noch hörbarerm
+Zähneklappern den Reitunterricht wieder aufgenommen, und seine
+Scheu vor dem wilden, gefährlichen Tier, das dem Menschen nach dem
+Leben trachtet, endlich soweit überwunden, daß er mit der Zeit in
+der Reitbahn sich wenigstens auf den allerfrömmsten Kleppern hatte
+halten können. Ja, in den letzten Wochen<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> vor der Übung hatte er
+sogar in Gesellschaft des Reitlehrers und einiger Damen der Bonner
+Gesellschaft einige Ausritte ins Gelände unternommen und war stets mit
+heiler Haut davongekommen, mit Ausnahme einer unangenehmen Begegnung,
+die er mit einem vorüberbrausenden Eisenbahnzuge gehabt hatte, und
+nach deren Verlauf er sich mit zerschundenem Gesicht, zerbeultem Hut
+und zerschlagenen Knochen in einem Chausseegraben wiedergefunden
+hatte, während seine Rosinante ohne seine Leitung ihre Futterstelle
+wiedergefunden hatte.</p>
+
+<p>Der Gedanke also, demnächst hoch zu Roß vor der Front auftauchen zu
+müssen, erfüllte ihn mit einem Unbehagen, das zu überwinden er seines
+ganzen Mannesmuts bedurfte. Wenn aber etwas noch gefehlt hätte, um ihn
+in dieser Hinsicht zu äußerster Energie aufzustacheln, dann waren es
+die spöttischen Blicke und Redensarten des Kasinovorstandes.</p>
+
+<p>Er beschloß in diesem Augenblick, allen Gefahren kühnlich zu trotzen
+und zu Pferde zu steigen mit der ruhigen Selbstverständlichkeit, mit
+der er sonst alle Morgen auf seinen Katheder kletterte, um seinen
+Hörern die Geheimnisse des zweiten Teils von Goethes Faust zu erklären.</p>
+
+<p>Oberleutnant Menshausen bemerkte mit Vergnügen, daß der Landwehronkel
+bei der Erwähnung des Reitens, trotz seiner heroischen Worte, still
+und um einige Schattierungen blässer geworden war. Über den Kameraden
+hinweg fragte er den Hauptmann Goll: »Gestatten Herr Hauptmann
+eine Frage: Ist nicht morgen früh Ausbildung der Mannschaften im
+Entfernungsschätzen?«</p>
+
+<p>»Allerdings!« grunzte Hauptmann Goll, »was gibt's denn dabei?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p>
+
+<p>»Ich wollte Herrn Hauptmann nur fragen, ob uns nicht gestattet wäre,
+die Übung zu Pferde mitzumachen — wie ich soeben von Herrn Leutnant
+Frobenius höre, legt er ebenfalls Wert darauf, morgen früh zu reiten,
+und da ich für meine Person im Manöver als Ordonnanzoffizier zum
+Regiment komme und meinen neuen Gaul gern ein wenig an die Truppe
+gewöhnen möchte, so würde ich Herrn Hauptmann dankbar sein, wenn Herr
+Hauptmann uns gestatten wollten zu reiten!? — Meines Wissens reiten
+Sie ja auch momentan dem Obersten sein Handpferd zu, Quincke, nicht
+wahr?«</p>
+
+<p>Leutnant Quincke hatte der Unterhaltung zugehört und bejahte mit
+perfidem Grinsen: »Gewiß — wenn Herr Hauptmann gestatten, komm auch
+ich hoch zu Roß!«</p>
+
+<p>»Na schön,« sagte Goll, »ich hab nichts dagegen!«</p>
+
+<p>Frobenius fühlte bei dieser Unterhaltung, wie die wenigen Haare, die
+seinen Schädel umsäumten, sich einzeln zu Berge sträubten. — Herr Gott
+im Himmel — schon morgen früh! — Was war da zu machen — Schicksal,
+nimm deinen Lauf!</p>
+
+<p>»Wo wollen Sie denn Ihren Gaul herbekommen, Herr Frobenius?« fragte
+Menshausen unbarmherzig weiter, »haben Sie sich einen mitgebracht oder
+wollen Sie sich einen leihen?«</p>
+
+<p>»Ich habe mich nach den Verhältnissen noch nicht erkundigt,« erklärte
+Frobenius, »ich denke, man bekommt in der Reitbahn passende Gäule
+geliehen, wie?«</p>
+
+<p>»Selbstverständlich,« sagte der Oberleutnant, »wenn's Ihnen recht ist,
+stelle ich Ihnen meinen Burschen zur Verfügung — der kann ja morgen
+früh vor dem Dienst zur Reitbahn gehen und Ihnen ein Pferd besorgen.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span></p>
+
+<p>Frobenius ahnte Böses; doch er hatte sich nun einmal vorgenommen, jeder
+Gefahr die Stirn zu bieten, und so nahm er mit verbindlichem Lächeln
+das Anerbieten des Oberleutnants an.</p>
+
+<p>Als im nächsten Augenblick Hauptmann Goll wieder einmal wortlos dem
+Landwehroffizier zutrank, beugte sich Menshausen zu Quincke hinüber und
+flüsterte ihm zu: »Sie, Quincke, ich werde meinen Burschen instruieren,
+daß er »Kuno den Schrecklichen« besorgt! — Kennen Sie den Schinder?«</p>
+
+<p>»Na ob!« grinste Quincke, »das ist ja das verrittenste Pferd in der
+ganzen Garnison. — Na, wenn der Landwehronkel auf Kuno überhaupt aus
+dem Kasernenhof 'rauskommt, dann garantier ich jedenfalls: 'rein kommt
+er nicht wieder!«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick hob Major von Sassenbach die Tafel auf, und
+alsbald empfahlen sich die Vizefeldwebel der Reserve und die
+Avantageure, indem sie in die Mitte des Hufeisens traten und erst
+vor dem Tischältesten Front machten, dann nach rechts und links
+desgleichen; dabei schlugen die Hacken zusammen, daß es nur so krachte.</p>
+
+<p>Und nun schwirrten die Ordonnanzen von allen Seiten mit den brennenden
+Lichtern herein, und das gelbe Flimmern der flackernden Flämmchen
+vermählte sich mit dem dunklern Gelbgold der Abendsonne, die gebrochen
+durch die leise sich wiegenden Kronen der Bäume des Kasinogartens
+in die hohen Bogenfenster strahlte. Bald kräuselten sich bläuliche
+Tabakwölkchen hinein — und noch ungezwungener rauschte nun das
+Geplauder, noch lebhafter wogte das Hinüber und Herüber der Scherze
+— des Zutrunks — und bald war den<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Offizieren der Reserve wieder
+zumute, als seien die Monate und Jahre »im schlichten Gewande der
+Bürgerlichkeit«, die seit dem letzten Abschiedstrunk im Kasino
+verflossen waren, nur ein Traum gewesen, und als sei dies Leben
+im bunten Rock ihre eigentliche Existenz — als sei die Schar der
+Kameraden, in deren Mitte sie nun wieder eingetreten waren, das Milieu
+ihres Lebens.</p>
+
+<p>Sie waren riesig vergnügt, die Herren des Beurlaubtenstandes. Der
+geschniegelte und pomadisierte Leutnant der Reserve Klocke schwamm
+in Seligkeit. Herr Kamerad hier, Herr Kamerad dort, so schmetterte
+das nach allen Richtungen hinüber und herüber — als trüge er eine
+Sprungfeder im Leibe, so schnellte er jedesmal empor, wenn ein
+Vorgesetzter ihm zutrank, und leerte mit Begeisterung seinen Kelch, nur
+daß im Laufe der Zeit seine Augen immer stierer, sein Gesicht immer
+röter, seine Bewegungen immer unsicherer und die Scherze, die er zum
+besten gab, immer gewagter wurden und je länger je mehr nach dem Coupé
+dritter Klasse schmeckten.</p>
+
+<p>Ihm schräg gegenüber saß im Kreise seiner zukünftigen
+Kompagniekameraden der Referendar Dormagen. Als Sohn eines rasch
+reichgewordenen Industriellen hatte er heute das Gefühl, daß es
+eigentlich ein Skandal sei, daß er nicht Kavallerist geworden. Aber
+vor sechs Jahren, als er einjährig diente, hatte sein Vater noch nicht
+den großen Schlag mit dem neuerfundenen Trockenelement gemacht, und
+erst in den letzten Jahren — leider — waren die Verhältnisse seiner
+Familie so plötzlich emporgeschnellt. Nun blieb nichts übrig, als in
+der Mitte der Fußinfanteristen wenigstens nach Kräften mit seinem Gelde
+zu imponieren. So ließ er denn<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> eine Flasche Pommery nach der andern
+anfahren, und allmählich sammelte sich um ihn eine Gruppe von jüngern
+Offizieren, die, mit nicht allzu reichlichem Zuschuß gesegnet, einen
+Freitrunk sich nicht gern entgehen lassen mochten. In ihrer Mitte
+markierte Dormagen nun den großmütigen Gastgeber, wogegen seine Gäste
+sich verpflichtet fühlten, andachtsvoll seinen Schwadronierereien zu
+lauschen und ihm eifrig zuzutrinken. Sein Kompagniechef hatte sich
+bereits unmittelbar nach Aufhebung der Tafel, peinlich berührt durch
+des jungen Herrn siegesgewisses Auftreten, an den mittlern Tisch des
+Hufeisens zurückgezogen, wo sich nun allmählich die ältern Herren bei
+Kaffee und Münchner Bier konzentrierten.</p>
+
+<p>Inmitten dieser ältern Herren saß auch der Oberleutnant der Reserve
+Brassert, ein behäbiger Süddeutscher, und freute sich königlich, daß er
+der Pflicht entronnen war, den rüpelhaften Primanern die Geheimnisse
+des Äschylos zu erschließen. Er übte seit einem Dezennium nahezu Jahr
+um Jahr, teils weil es für ihn, den Beamten, dessen Gehalt während der
+Übung weiterlief, eine überaus billige Sommerfrische war, teils weil
+sein immer mehr anschwellendes Bäuchlein die scharfe Entfettungskur
+dieser acht Wochen sehr notwendig brauchte. Die Hauptleute waren seine
+Altersgenossen und überdies auch von gleichem Dienstalter wie er, und
+so fühlte er sich in ihrer Mitte behaglicher als zwischen den jungen
+Dächsen von Leutnants, deren Charge er teilte, die ihn aber zu peinlich
+an seine kaum verlassenen Primaner erinnerten.</p>
+
+<p>Behaglich schmunzelnd und kräftig qualmend saß er inmitten der ältern
+Offiziere. Den Kragen seines Überrocks,<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> der übrigens mit Rücksicht
+auf sein gewaltiges Doppelkinn ohnehin nicht mehr denn Fingersbreite
+hatte, trug er aufgeknöpft, ebenso wie die obersten vier Knöpfe seines
+Überrocks, und bedauerte nur im stillen, daß er den Rock nicht ganz
+ausziehen konnte, wie auf der heimatlichen Kegelbahn im Kreise seiner
+Kollegen.</p>
+
+<p>An einzelnen Tischen waren indessen allmählich große Lücken entstanden
+— manche der Herren hatten sich erhoben, um sich ins Spielzimmer zum
+Skat zu setzen — manche hatten auch die unangenehme Pflicht, noch eine
+späte Instruktionsstunde abzuhalten.</p>
+
+<p>Eine kompakte Gruppe hockte indessen noch um das Ende des linken
+Hufeisentisches zusammen, wo der Leutnant der Reserve und Forstassessor
+Troisdorf mit Leutnant von Finette zusammensaß. Die beiden
+Niederrheinländer sprachen seit zwei Stunden nur noch kölnisch-platt
+und erzählten einander die haarsträubendsten Anekdoten von Kölner
+Marktweibern und »Rheinkadetten«, den lungernden Lastträgern des
+kölnischen Rheinhafens. Von hier scholl immerzu schmetterndes
+Gelächter in den Saal hinein, so daß ab und zu einer oder der andere
+der Hauptleute herantrat und ein Weilchen zuhörte. Auf die Dauer
+war indessen eine solche Flut von mehr oder weniger unappetitlichen
+Scherzen nur für Leutnantsmägen erträglich.</p>
+
+<p>Immer schneller, fast unbemerkt, entflohen den Zechenden und
+Plaudernden die Stunden.</p>
+
+<p>Der Major von Sassenbach hatte seit längerer Zeit beobachtet, daß der
+hilflose Landwehroffizier, der mit seiner riesigen, goldenen Brille
+und seinem langen, braunroten Bart so gar nicht in die militärische
+Umgebung zu passen<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> schien, das wehrlose Opfer der Scherze des
+Oberleutnants Menshausen und des Leutnants Quincke war. Sassenbach
+liebte die beiden Herren nicht — ihm, dem schlichten Haudegen, waren
+die kalten Spötter und Monokelträger zuwider — er rief zu der Gruppe
+hinüber: »Herr Leutnant Frobenius, wollen Sie mir das Vergnügen machen,
+noch eine Flasche mit mir zu trinken?«</p>
+
+<p>Frobenius war seelenvergnügt — er fuhr diensteifrig in die Höhe,
+wobei er den hochlehnigen, gotischen Stuhl umwarf, und schob mit etwas
+unsicherm Gange zu seinem Bataillonskommandeur hinüber. — Bald waren
+beide in ein herzliches Geplauder vertieft.</p>
+
+<p>»Aha,« schnarrte Menshausen zu Quincke hinüber, »sehn Sie woll — ein
+neuer Schwiegersohn ist auf der Bildfläche erschienen, der muß gleich
+festgenagelt werden — ja ja, man muß sich dazu halten. Nelly ist
+sechsundzwanzig und Molly neunzehn — und der Landwehrfritze macht 'nen
+kolossal heiratsfähigen Eindruck.«</p>
+
+<p>Hauptmann von Brandeis hatte sich schon seit geraumer Zeit empfohlen.
+Die üblichen Scherze hatten den Aufbruch des jungen Ehemannes
+begleitet, und schmunzelnd hatte er quittiert.</p>
+
+<p>Flamberg schlenderte von einer Gruppe zur andern — ließ sich bald
+hier, bald dort zu einem kurzen Geplauder nieder und sog die Stimmung
+der Stunde in sich hinein. — Mit Wonne verfolgte sein geschulter Blick
+das langentwöhnte Schauspiel, wie sich nun das rötlichgelbe Licht der
+Kerzen, das tiefe Goldbraun des Sonnenuntergangs, das hellere Gelb der
+elektrischen Kronleuchter von droben her, der bläuliche Tabaksdunst,
+der in breiten Schwaden über den Gruppen<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> lagerte, mit dem Blau und
+Rot der Uniformen, den goldenen Reflexen auf den Monturknöpfen und
+der satten Sonnenfarbe der gebräunten Gesichter verwob. — In seinen
+Adern glühte der Sekt, schäumte die freudige Hoffnung auf acht Wochen
+eines neuen, verwandelten Lebens voll farbiger Eindrücke, voll harmlos
+heiterer Erlebnisse.</p>
+
+<p>Aber als nun mit dem Fortschreiten des Gelages die Kehlen immer
+rauher wurden, die Luft immer dicker — da meinte er den Augenblick
+gekommen, sich dem Feste zu entziehen und ungetrübt das erschaute Bild
+heimzutragen.</p>
+
+<p>Nach einer kurzen Wanderung durch die stillen Straßen des
+Kasernenviertels stand er in der engen Mietbude, deren schäbige,
+zerschlissene Trivialität so seltsam kontrastierte gegen den
+künstlerischen Reiz seiner verlassenen Junggesellenhäuslichkeit,
+kontrastierte auch gegen den süßen Hoffnungstraum von einem künftigen
+Daheim, den er seit Wochen mit seinem Schatz gesponnen.</p>
+
+<p>Schwül war die Luft im Stübchen — er stieß die Fenster auf — und vom
+tiefschwarzen Himmel nieder flammten tausend freundliche Sterne. — Da
+mußte er von seinem Mädchen träumen — sie hatte ihm das Versprechen
+abgenommen, allabendlich zum Himmel aufzuschauen und heimwärts zu ihr
+zu denken — und er dachte heimwärts.</p>
+
+<p>Eine große, tiefe Ruhe war in seiner Seele — ein Heimatbewußtsein —
+das traute Wissen, verankert zu sein im tiefsten Grunde des Erdenseins,
+in einem Herzen, das nichts als Liebe war für ihn.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span></p>
+
+<h3>Drittes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Um die fünfte Morgenstunde dämmerte Wilhelm Frobenius mit wüstem Kopf
+aus schwerem Traum empor. Es hatte erst sanft, dann recht energisch an
+die Tür geklopft — er fuhr auf, starrte in dem engen Gelaß umher, daß
+ihn umschloß, und konnte sich nicht enträtseln, wie er eigentlich in
+diese nüchterne, unbehagliche Umgebung geraten war.</p>
+
+<p>Plötzlich fiel's ihm ein: ach, du lieber Himmel — du bist ja in der
+Garnison — und — o Schauder — gleich geht's zu Pferd!</p>
+
+<p>»Herr Leu'nant — et is höchste Zeit für uffz'stehn!« mahnte von
+draußen eine ihm völlig fremde Stimme.</p>
+
+<p>Das mußte der Bursche sein. Herrgott, wie der Schädel brummte.</p>
+
+<p>Er fuhr mit den dünnen, haarigen Beinen aus der Decke hervor, fühlte
+sich geniert durch den ungewohnten Gedanken, nun im Nachthemde vor den
+fremden jungen Menschen hintreten zu sollen, zog erst Unterhosen und
+Strümpfe an und schlurrte dann zur Tür. Kaum hatte er sie geöffnet, da
+schoß mit energischem Ruck ein junger, rotblonder, sommersprossiger
+Gesell herein, die Feldmütze auf dem Kopf, die Drillichhose schon in
+den langschäftigen Stiefeln steckend. Er schlug krachend die Absätze
+zusammen und meldete: »Füselier Schmitz als Bursch bei de Herr Leu'nant
+kommediert!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p>
+
+<p>»Schön, schön,« sagte Frobenius verlegen, »also Sie sind Schmitz,
+schön, schön. Was gibt's denn heute morgen?«</p>
+
+<p>»Sechs Uhr fufzehn Abmarsch in't Jelände zur Ausbildung im
+Entfernungschätzen!«</p>
+
+<p>»Ach ja — ganz richtig — also sehen Sie, da ist mein Koffer — den
+packen Sie mal zuerst aus.«</p>
+
+<p>Und während der Bursche sich anstellig und geräuschlos anschickte, die
+Habseligkeiten seines neuen Herrn aus dem vorsintflutlichen Reisekoffer
+zu entwickeln, kühlte Wilhelm Frobenius sein schmerzendes Haupt —
+immer neue Schwämme drückte er über den Nacken aus, daß das Stübchen
+schwamm, aber der dumpfe Druck im Schädel wollte nicht weichen — und
+noch weniger der dumpfe Druck in der Herzgegend — vor seiner Phantasie
+aber stand das Bild des Augenblicks, wo er das wilde, gefährliche Tier
+besteigen würde, das dem Menschen nach dem Leben trachtet.</p>
+
+<p>Herrgott, wie die funkelnagelneuen Reitstiefel drückten — wie
+der steife Lederbesatz der Reithose die Schenkel scheuerte — wie
+entsetzlich das war, durch die Stube zu schreiten mit den klirrenden
+Sporen, die sich immerfort ineinander verfingen!</p>
+
+<p>Füsilier Schmitz waltete indessen geräuschlos seines Amtes. Er betreute
+seinen Herrn wie eine erfahrene Kinderwärterin ihren Säugling.</p>
+
+<p>Als er seinen Herrn in den Waffenrock gesteckt hatte, verschwand er auf
+Zehenspitzen und kam nach wenigen Minuten mit dem Frühstückstablett
+zurück.</p>
+
+<p>Himmel, aber dieser Kaffee! — Mit Wehmut gedachte Wilhelm Frobenius
+seiner sorgsamen Haushälterin daheim, die ihm denn doch einen ganz
+andern Morgentrunk kredenzte<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> — und verzehrte knurrend die mit einem
+Übermaß von Margarine bestrichene Frühstückssemmel, während Füsilier
+Schmitz Helm, Feldglas, Säbel und Schützenpfeife zusammensuchte.</p>
+
+<p>Zehn Minuten später schritt Frobenius an dem präsentierenden Posten
+vor dem Kasernenportal vorbei in den Hof hinein und sah schon von
+weitem die dunkle Masse der in Zugkolonne aufgestellten Königlichen
+Zweiten. Noch war kein anderer der Offiziere auf dem Platze, und als
+der Leutnant sich der Kompagnie näherte, kommandierte der Feldwebel mit
+dröhnender Stimme:</p>
+
+<p>»Stillgestanden! — Richt' euch! — Augen gerade — aus! — Die Augen
+links! — — Kompagnie beim Antreten!« meldete er dann dem Offizier.</p>
+
+<p>»Danke, danke!« sagte Frobenius und überlegte, was er nun zu tun
+hätte. Das dauerte ungefähr eine Minute, während deren der Feldwebel
+regungslos neben ihm stand und ebenso regungslos die Kompagnie mit
+Augen links.</p>
+
+<p>Frobenius verfiel in tiefes Sinnen. Herr Gott, was machte man denn nun
+jetzt nur?</p>
+
+<p>Der Feldwebel kam ihm zu Hilfe: »Gestatten Herr Leutnant, daß ich
+rühren lasse?«</p>
+
+<p>»Bitte, bitte, selbstverständlich — lassen Sie nur rühren!«</p>
+
+<p>»Augen gerade aus — rührt euch!«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick schollen vom Kasernentor her hallende Pferdehufe,
+und Hauptmann Goll kam auf seinem riesigen Rappen herangesprengt,
+gerade auf Frobenius zu.</p>
+
+<p>Frobenius riß den Schleppsäbel in die Höhe und salutierte seinen
+Kompagniechef. Der hielt dicht vor ihm, sah ihn von oben bis unten an,
+staunend, fassungslos.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span></p>
+
+<p>»Na, Herr Leutnant, wollen Sie mir denn nicht freundlichst die
+Kompagnie melden?«</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Er fuhr herum und schrie mit einer
+Stimme, als sei er von Mördern überfallen und wolle die Welt um Hilfe
+zusammenrufen: »Stillgestanden — Augen links!«</p>
+
+<p>Hauptmann Goll sah seinen Untergebenen abermals von Kopf bis zu Füßen
+an: »Herr Leutnant, Sie scheinen sich mit dem neuen Exerzier-Reglement
+noch nicht sonderlich beschäftigt zu haben, aber auch Ihre alte
+Weisheit haben Sie scheinbar einigermaßen verschwitzt, sonst würden Sie
+wohl die Kompagnie zunächst ausgerichtet haben — und dann heißt das
+Kommando nach dem neuen Reglement: die Augen links! — Also, bitte,
+stecken Sie gefälligst die Nase ins Reglement, damit Sie sich nicht vor
+den Kerlen blamieren — danke Ihnen! — 'Morgen, zweite Kompagnie!«</p>
+
+<p>»'Morgen, Herr Hauptmann!« scholl es aus hundertundzwanzig Kehlen
+zurück, daß die Kasernenwände bebten.</p>
+
+<p>»Augen gerade — aus — rührt euch!«</p>
+
+<p>Frobenius schielte zur Kompagnie hinüber — ein fröhliches Grinsen lag
+auf allen Gesichtern.</p>
+
+<p>Ja, da war nichts zu machen — der Respekt war von vornherein zum
+Teufel.</p>
+
+<p>Schon nahte ein neues Schrecknis: ein Füsilier, den Frobenius natürlich
+nicht kannte, führte einen großen, starkknochigen Goldfuchs mit weißer
+Stirnblässe und unruhig schielenden Augen heran, der immerfort heftig
+den Kopf in den Nacken warf und von Zeit zu Zeit mit der Hinterhand
+nervös zusammenfuhr.</p>
+
+<p>»Pferd für Herrn Leutnant zur Stelle!« meldete er.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span></p>
+
+<p>Aha, dachte Frobenius, das ist der Bursche vom Oberleutnant Menshausen,
+dem muß ich jedenfalls ein Trinkgeld geben. Er suchte in seinem
+Portemonnaie, fand nur ein Zweimarkstück und drückte das dem Burschen
+in die Hand, obgleich er sich darüber klar war, daß das viel zu viel
+sei.</p>
+
+<p>»Wollen Herr Leutnant gleich aufsitzen?«</p>
+
+<p>»Jawohl!«</p>
+
+<p>Der Bursche hielt den rechten Bügel, Frobenius trat an die linke
+Seite und hob das Bein, aber es gelang ihm nicht, den Steigbügel zu
+erreichen. Himmel, war das ein Elefant! Der Bursche mußte den Bügel
+länger schnallen, und nach einigen krampfhaften Anstrengungen saß
+Frobenius im Sattel. Im selben Augenblick stieg der Gaul hinten und
+vorne, und der Reiter schwankte hin und her — wie ein Wrack im Sturm.</p>
+
+<p>Zwei Füsiliere sprangen auf Hauptmann Golls Befehl herzu und beruhigten
+die Bestie. Nun saß Frobenius steif aufgerichtet und wagte nicht, sich
+zu rühren, aus Furcht, der Gaul möchte wieder unruhig werden.</p>
+
+<p>Leutnant Quincke kam und meldete sich beim Kapitän. Sein verkatertes
+Gesicht war fahl — mit einem unverschämten Grinsen begrüßte er den
+Reiter und stieß mit der Säbelscheide wie in harmlosem Scherz nach
+Kunos Flanken. Kuno machte einen mächtigen Satz zur Seite, und auf ein
+Haar hätte Frobenius das Gleichgewicht verloren.</p>
+
+<p>»Donnerwetter — lassen Sie doch diese Scherze, Herr Quincke!«</p>
+
+<p>»O, entschuldigen Sie, Herr Frobenius, wer konnte auch ahnen, daß der
+Schinder so nervös ist — liegt das an ihm oder an Ihnen?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span></p>
+
+<p>Zwei andere Gäule wurden vorgeführt. Der eine gehörte dem Oberleutnant,
+der erst im letzten Augenblick heranschoß, sich hastig beim
+Kompagniechef meldete und wie der Blitz im Sattel saß; den andern,
+einen zierlichen Apfelschimmel, bestieg Quincke, leicht und elegant,
+und ließ ihn ein paar kurze Gänge machen. Das begeisterte Herrn
+Kuno, sich anzuschließen, und so wurde Frobenius unfreiwillig über
+den Kasernenhof spazieren getragen, bis Hauptmann Goll die Kompagnie
+formiert hatte.</p>
+
+<p>»Bitte, Herr Leutnant Frobenius, reiten Sie bei mir! Die Herren
+Menshausen und Quincke nehmen die Queue.«</p>
+
+<p>Mit Mühe gelang es Frobenius, sich an die Seite seines Kapitäns zu
+dirigieren. Die Spielleute traten an die Tête, und der Hauptmann
+kommandierte:</p>
+
+<p>»Stillgestanden — das Gewehr — über! — Gruppenkolonne rechts —
+erster, zweiter, dritter Zug — Kompagnie — marsch!«</p>
+
+<p>Die Spielleute schlugen an. — Beim ersten Klang der Instrumente machte
+Kuno einen fürchterlichen Satz nach links, raste wie toll in weitem
+Bogen um den Kasernenhof, beruhigte sich aber dann und setzte sich
+wieder neben das Pferd des Hauptmanns.</p>
+
+<p>Die Füsiliere platzten vor Vergnügen.</p>
+
+<p>»Kompagnie — halt!« schrie der Kapitän. »Wenn ihr unverschämten
+Lümmels euch noch einmal untersteht, beim Exerzieren die Fresse zu
+verziehen, so reit' ich euch gliederweise in den Dreck — verstanden!?
+— Kompagnie — marsch!«</p>
+
+<p>Und dann mit vernichtendem Blick zu dem unglücklichen Reiter an seiner
+Seite: »Herr Leutnant, wenn Sie nicht<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> reiten können, dann sagen Sie's
+gefälligst gleich! und ruinieren Sie mir hier nicht die Disziplin!«</p>
+
+<p>»Verzeihen Herr Hauptmann, ich weiß selbst nicht, was das ist — ich
+glaube, man hat mir da eine ganz gefährliche Bestie geschickt — aber
+ich werde mich schon gewöhnen!«</p>
+
+<p>Und so kam es auch. Kuno klebte ganz zufrieden an dem ruhig und sicher
+schreitenden Rappen des Kapitäns und schien sich in sein Schicksal und
+seinen Reiter ergeben zu haben.</p>
+
+<p>Zum muntern Spiel der Trommeln und Pfeifen ging's nun durch die stillen
+Straßen hinaus. — Ab und an schoben sich droben an den Fenstern
+die Vorhänge auseinander, und verschlafene Gesichter schauten auf
+die ausrückende Schar — hier ein verdrießliches Matronenantlitz,
+von wirren, grauen Haarsträhnen überhangen, dort ein freundliches
+Mädchenköpfchen mit süß verträumten Wangen. — Im Morgensonnenschein
+blinkten die frisch geputzten Knopfreihen und Helmbeschläge, blinkten
+wie gleißende Schlangenschuppen die taktmäßig leise pendelnden
+Gewehrläufe. — Die Pferde wieherten lustig in die Dunstschwaden der
+Frühe hinaus, und Frobenius fing an, sich überaus behaglich zu fühlen
+— wäre Hauptmann Goll etwas gesprächiger gewesen, es hätte sehr lustig
+sein können — aber des Kapitäns Miene dräute Unheil — er würdigte
+seinen Gefährten keines Wortes.</p>
+
+<p>Indessen schließlich — wer war Hauptmann Goll? — Irgendein
+gleichgültiger Fleck in der spätsommerlichen Morgennatur — ein
+flüchtiger Schatten auf dem Glück der Stunde — wie konnte so was
+Bedeutungsloses ihn, Wilhelm Frobenius, um die frische Wonne dieses
+lustigen Frühritts bringen?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p>
+
+<p>Ach, es war doch himmlisch, so auf einem feurigen Roß in die
+nebeldampfende Landschaft hinaus sich tragen zu lassen!</p>
+
+<p>Allerhand literarische Erinnerungen fielen ihm ein — die
+Hohenstaufenkaiser auf der Fahrt über die Alpen — Goethes Besuche bei
+Friederike in Sesenheim:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Es schlug mein Herz: geschwind zu Pferde!</div>
+ <div class="verse indent0">Es war getan fast, eh's gedacht.«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Herrgott, daß man das bloß nicht früher gelernt hatte. — Ja, ja, da
+war die harte Jugend gewesen voll einsamen Schaffens, Grübelns und
+Sinnens im tabakdurchwölkten Studierkämmerchen — fern von den muntern
+Kommilitonen, die bei Becher und Schläger ihr Leben auskosteten.</p>
+
+<p>Reiten! — Du lieber Himmel — dem Sohn des armen Volksschullehrers aus
+dem Westerwalddörfchen war das immer als ein Privileg der hoch droben
+hausenden Glückserkorenen erschienen.</p>
+
+<p>Und nun war er, nicht fern den Vierzigen, doch noch auf den Klepper
+gekommen — das hatte sein Faustwerk, das hatten die zwanzig Auflagen
+seines Schiller-Volksbuches zum Jubiläum von 1905 zustande gebracht.</p>
+
+<p>Ach ja — nun gehörte er selbst zu den Glückserkorenen. — Wie sagte
+doch das arabische Sprichwort:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Alles Glück der Erde</div>
+ <div class="verse indent0">liegt auf dem Rücken der Pferde,</div>
+ <div class="verse indent0">in der Gesundheit des Leibes</div>
+ <div class="verse indent0">und am Herzen des Weibes.«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Ha — zwei von diesen Dingen nannte er nun sein eigen — gesund an Leib
+und Seele — beim Himmel! das<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> war er — und auf dem Rücken des Pferdes
+saß er nun ja Gott sei Dank auch.</p>
+
+<p>Nun fehlte nur noch das Ruhen am Herzen des Weibes — ja, dazu würde
+jetzt allerdings allmählich Rat geschafft werden müssen, sonst dürfte
+Wilhelm Frobenius am Ende doch den Anschluß verfehlen.</p>
+
+<p>Indessen — wenn er so viel erreicht hatte, wenn er zwei Drittel alles
+Erdenglücks bereits besaß — warum sollte sich nicht auch noch das
+letzte Drittel erringen lassen?</p>
+
+<p>Wilhelm Frobenius meinte, noch niemals eine solche Stunde
+leichtsinniger Hoffnungswonne — eine solche Stunde Versinkens im
+Augenblick durchgekostet zu haben.</p>
+
+<p>Immer höher reckte sich seine eingefallene Brust — immer kecker
+warf er die Nase empor, ließ er die Blicke zu den Fenstern der nun
+schon spärlicher den Weg einsäumenden Häuser emporschweifen — und
+als schließlich aus dem ersten Stockwerk eines einsamen Forsthauses
+am Waldrande gar ein Mädchen hervorlugte, das er mit seinen, durch
+die großen, goldgefaßten Brillengläser geschärften Augen für über die
+Maßen hübsch hielt, da warf er der Schönen im Überschwang der Stimmung
+eine heimliche Kußhand zu, schielte aber gleich darauf erschrocken zu
+Hauptmann Goll hinüber.</p>
+
+<p>Doch der hatte zum Glück nichts gemerkt — verschlafen blinzelten seine
+stechenden Augen zwischen den Pferdeohren hindurch in den Staub der
+Landstraße — verständnislos für all die Herrlichkeiten der Morgenfrühe
+— verständnislos für das süße Lebensglück, das wie ein feuriger junger
+Wein durch die Adern seines Gefährten rieselte.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span></p>
+
+<h3>Viertes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>»Na, Alter — wie wär's mit 'nem Galöppchen?«</p>
+
+<p>Nelly von Sassenbach ritt zur Rechten ihres Vaters. Sie war heute
+morgen gar nicht mit ihrem Alten zufrieden — sonst waren er und sie
+immer für scharfes Tempo, und Molly, die um sieben Jahre jüngere
+Schwester, die sich auf dem Gaul weit weniger zu Hause fühlte, war
+immer wie zerschlagen, wenn sie vom gemeinsamen Ritt mit Vater und
+Schwester heimkam.</p>
+
+<p>Aber heute war der Major nicht aus dem Schritt zu bringen — und auch
+jetzt brummte er auf die Zumutung seiner Ältesten zum Angaloppieren
+irgend etwas Unverständliches in die melancholisch niederhängenden
+Schnurrbartzipfel hinein, nahm gleichzeitig die Mütze ab und tupfte den
+Schweiß von der Stirn, obgleich die Spätsommersonne kaum die Frühnebel
+zu besiegen begann.</p>
+
+<p>»Aha,« sagte Nelly, »du hast Kater, Alter, ich merk's schon — was war
+denn gestern los im Kasino?«</p>
+
+<p>»Na, was wird los gewesen sein — die Herren von der Reserve und
+Landwehr wurden angefeiert — das war alles!«</p>
+
+<p>»So,« sagte Nelly, »und deshalb war der Oberst zu Tisch gekommen?«</p>
+
+<p>»Der Oberst — wieso — wie kommst du denn auf <em class="gesperrt">die</em> Idee, Mädel?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span></p>
+
+<p>»Aber Alter!« lachte Nelly verschmitzt, »ich hab doch gestern selbst
+gehört, wie du Mama erklärt hast, du kämest nicht zum Mittagessen, weil
+der Oberst im Kasino speise und dich zu Tisch eingeladen habe.«</p>
+
+<p>»Ei verflucht —« knurrte der Major, »na also, daß ihr's wißt, Kinder
+— das war geschwindelt, weil ich sonst — hm, hm — schwerlich Urlaub
+bekommen hätte. Daß ihr mir aber reinen Mund haltet! — besonders du,
+Nesthäkchen!«</p>
+
+<p>Die blonde Molly antwortete nicht, verzog den Mund in einer Manier,
+die der Vater gar zu gut kannte; denn sie war restlos von der Mutter
+auf die Tochter vererbt worden — nur daß es doch ein Unterschied war,
+ob die bewußte Falte rechts und links von einer Neunzehnjährigen oder
+einer Achtundvierzigjährigen Munde stand.</p>
+
+<p>»Also wirklich — mit dem Galopp wird's heute nichts! — Na, dann
+erzähl uns wenigstens was von gestern.«</p>
+
+<p>»Ja, was ist da viel zu erzählen — ist eben mal wieder 'ne Anzahl
+fragwürdiger Gestalten, als Leutnants und Oberleutnants verkleidet,
+auf der Bildfläche erschienen — haben sich mit uns betrunken und uns
+allerhand höchst gleichgültige Geschichten von den merkwürdigsten
+Zivilberufen erzählt.«</p>
+
+<p>»Was sind's denn für Leute?« fragte Nelly unverdrossen weiter,
+»bekommen wir sie auch mal zu sehen?«</p>
+
+<p>»Na, doch natürlich — sind ja noch im Regiment, wenn nächstens die
+große Fête vom Stapel läuft!«</p>
+
+<p>»Erlaube mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, lieber Papa,« warf
+Molly ein, »daß wir heute spätestens um halb elf zu Hause sein müssen;
+denn wir sind auf Punkt elf Uhr<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> zu Frau von Brandeis gebeten, wo die
+erste Probe für das Festspiel stattfinden soll.«</p>
+
+<p>»Wat is det?« grunzte der Vater, »Festspiel? — Hab ich ja noch gar
+nichts von gehört!«</p>
+
+<p>»Wir haben angenommen, das interessierte dich nicht, lieber Papa,«
+meinte Molly spitz. Dann aber ließ sie sich doch herab, etwas genauere
+Angaben zu machen. Es würden also lebende Bilder gestellt werden, und
+zwar drei — dazu verbindender Text, dialogisch gesprochen von Frau von
+Brandeis, Schwester Nelly, ihr selbst und Herrn Leutnant Blowitz — den
+Text habe ein Einjähriger des Regiments verbrochen.</p>
+
+<p>Das letztere war schließlich das einzige, was den Major ernstlich
+interessierte. Ein Einjähriger des Regiments — von welcher Kompagnie
+der denn sei und wie er heiße?</p>
+
+<p>Das wußten die Mädchen nicht — sie hatten ihn noch nicht kennen
+gelernt.</p>
+
+<p>»Gnade Gott, wenn er von meinem Bataillon ist — dem werd ich die
+Hammelbeine langziehen — jedenfalls werd ich ihn mir mal vorbinden
+und ermitteln, ob er auch im Exerzierreglement und in Dienstkenntnis
+auf der Höhe der Situation ist — wenn nicht, dann treib ich ihm das
+Dichten aus — aber gründlich!«</p>
+
+<p>»Also die Reserveoffiziere kommen auch zum Regimentsfest?« fragte Nelly
+weiter, »das ist ja 'n wahrer Segen — dann bekommt man doch endlich
+mal 'n paar andere Gespräche zu hören, als ewig Avancement — Kommandos
+— Vorderleute — und den übrigen Kommißtratsch. Wenn man das, wie ich,
+bereits sieben Saisons hindurch genossen hat, dann lechzt man geradezu
+nach Abwechslung.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span></p>
+
+<p>»Tja, Mädel,« knurrte der Major, »warum hast du nicht längst
+geheiratet?«</p>
+
+<p>»Warum ich nicht geheiratet habe? — Na, Vater, ich meine, das müßtest
+<em class="gesperrt">du</em> doch wissen!«</p>
+
+<p>»Is ja wahrhaftig 'ne Schande,« brummte der Major, »Mädel wie 'ne Tanne
+— firm auf dem Gaul und in der Küche — Kommißvermögen dreidoppelt
+vorhanden, dank meiner seinerzeitigen Vorsicht in der Auswahl des
+Schwiegerpapas — mit einem Worte: alles da! — Und ihr Mädels bleibt
+liegen wie die trocknen Semmeln!«</p>
+
+<p>»Na, an mir hat's doch wahrhaftig nicht gelegen,« schmollte Nelly.</p>
+
+<p>»Ne, ich weiß schon — du kannst nichts dazu!« Der Major griff sich mit
+drei Fingern in den Rockkragen, als sei der zu eng geworden. »Du kannst
+nichts dazu!«</p>
+
+<p>Molly rückte ungeduldig auf ihrem Sattel hin und her: »Möchtest du mir
+nicht den Gefallen tun, Papa, und in meiner Gegenwart von Mama nicht so
+respektlos sprechen — du weißt, das schmerzt mich.«</p>
+
+<p>»Nanu — hab ja kein Wort gesagt!«</p>
+
+<p>»O — ich hab dich sehr gut verstanden. Wenn Mama zuweilen etwas
+abwehrend gegenüber gewissen Herren gewesen ist, die sich um uns bemüht
+haben, so hat sie es jedenfalls sehr gut gemeint — und soweit ich's
+beurteilen kann, ist es immer zu unserm Glück gewesen, daß aus den
+Partien nichts geworden ist, die Mama abgelehnt hat.«</p>
+
+<p>Nelly warf dem Vater einen verständnisvollen, der Schwester einen
+bitterbösen Blick zu.</p>
+
+<p>Der Vater und seine Älteste wußten sich einig in dem Gedanken: der
+Freier, der Mama von Sassenbachs Beifall<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> fände, der sollte noch
+geboren werden. Unter den jungen Leuten von heute hatte Mama von jeher
+fürchterliche Musterung gehalten — und keinen gerecht befunden.</p>
+
+<p>Nelly hatte auch längst die Hoffnung aufgegeben, daß einer der
+Herren des Regiments Gnade vor Mamas Augen finden könnte. Sie hatte
+in ihren sechsundzwanzig Jahren und sieben durchtanzten Saisons gar
+manchen Flirt gehabt, und der eine oder andere war verflucht ernst
+geworden, aber im richtigen Augenblick war es Mama stets gelungen, den
+betreffenden Bewerber derart kopfscheu zu machen, daß er abschnappte.</p>
+
+<p>Jedesmal, wenn ein Herr in entsprechenden Jahren, Hauptmann oder
+Oberleutnant, der noch zu haben war, von auswärts ins Regiment versetzt
+worden war, hatten der Vater und seine Älteste sich in geheimen
+Hoffnungen gewiegt, aber nie war's etwas geworden — und so exklusiv
+war der Verkehr des Regiments, daß Bewerber aus nicht militärischen
+Kreisen für eine ernsthafte Annäherung kaum in Frage kamen.</p>
+
+<p>Molly, Mamas Ebenbild und getreue Schildhalterin, war bisher mit ihrem
+Schicksal vollkommen zufrieden geblieben — Nelly aber hatte sich
+allmählich in einen Zustand ständiger, latenter Empörung wider ihr Los
+hineingelebt.</p>
+
+<p>Den unverbrauchten Energieüberschuß ihrer stählernen Leiblichkeit tobte
+sie in halsbrecherischen Ritten, stundenlangen Radpartien, endlosen
+Tennistournieren aus — ihre lebenshungrige Seele aber lag völlig brach.</p>
+
+<p>Dies Gefühl der Inhaltslehre ihres Daseins preßte ihr oft in der
+Einsamkeit draußen — in schlummerlosen Nächten daheim — heiße,
+ächzende Tränengüsse ab.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span></p>
+
+<p>Sie war verstummt. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, spornte sie
+ihren Gaul, hielt ihn aber fest an der Kandare, daß er schäumend und
+kopfschleudernd nach rechts und links aussprang, ohne vom Fleck zu
+können.</p>
+
+<p>Trüben Blicks verfolgte der Major das Tun seines Lieblings. — Ja, ja
+— so lagen sie alle drei an der Kandare — der Gaul, das Mädel und er
+selber auch.</p>
+
+<p>Das war nun achtundzwanzig Jahre her, seit der junge, leichtsinnige
+Leutnant sich durch die Heirat mit der Tochter eines reichgewordenen,
+baronisierten niederrheinischen Großindustriellen aus dem chronischen
+Dalles herausgeholfen hatte, dem auch er verfallen war, wie seine
+ganze altfeudale Familie ... aber für diese Rettung hatten seine
+achtundzwanzig Ehejahre ihm die Quittung präsentiert ... Ein reiches
+Mädel heiraten! — Soll's der Deubel holen — den Drachen bekommt man
+gratis!</p>
+
+<p>Der Major zog die Uhr. Es fiel ihm ein, daß er sich auf Punkt neun
+Uhr am Wegekreuz mit seinem Adjutanten, dem Leutnant Blowitz,
+verabredet hatte, um sich dort von seinen Töchtern zu trennen und zur
+Inspektion der Morgenarbeit seines Bataillons nach dem Exerzierplatz
+hinüberzureiten.</p>
+
+<p>»Ja, Kinder, nun wird uns doch nichts übrig bleiben, als ein kleines
+Träbchen zu riskieren, sonst geraten die Erste und die Zweite
+aneinander, ehe der Kommandeur zur Stelle ist!«</p>
+
+<p>Und in der Tat — vom Exerzierplatz herüber klangen vereinzelte
+Schüsse, die bald lebhafter wurden: die beiden Kompagnieen, welche
+heute Gefechtsübung miteinander vereinbart hatten, mußten also bereits
+Fühlung gewonnen haben.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span></p>
+
+<p>Schweigend trabte der Major inmitten seiner Töchter die Chaussee
+entlang.</p>
+
+<p>Die Sonne hatte sich inzwischen durchgekämpft ... das Bild der
+Landschaft entrollte sich in leuchtender Lieblichkeit ... zur Rechten
+die dunkeln Waldberge ... zur Linken die abgeernteten fahlgelben
+Ackerbreiten, die sich zum Tal herniedersenkten, wo längs des
+blinkenden Flußstreifs die Türme und qualmenden Schornsteine der
+Garnisonstadt aus fahlem Dunste stiegen, der noch drunten lagerte ...
+Geradeaus vor den Reitern zog sich die Chaussee in schnurgerader Linie
+einen Hügel hinan, hinter dem das Wegekreuz lag und weiterhin der
+Exerzierplatz sich dehnte ...</p>
+
+<p>Jetzt schollen aus der Ferne rasche Hufschläge.</p>
+
+<p>»Aha — hört ihr?« sagte der Major, »das muß Blowitz sein! Gewiß kommt
+er mir entgegen, um mich zur Eile anzuspornen, weil's dahinten schon
+losgeht!«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick tauchte ganz, ganz hinten, wo die Chausseebäume
+sich zu einem dunkeln Strich längs des gelben Wegstreifens
+zusammenschlossen, ein Reiter auf ... nein ... ein Reiter schien's
+nicht zu sein ... ein herrenloses Pferd, das in rasender Karriere den
+sanft sich senkenden Hang heruntertobte.</p>
+
+<p>Aber nein ... der Sattel war ja nicht leer ... es sah aus, als baumele
+ein dunkler Sack auf dem Pferderücken hin und her ...</p>
+
+<p>Nun auf einmal enthüllte sich das ganze Schrecknis ... der Gaul mußte
+durchgegangen sein und der Reiter die Herrschaft völlig verloren haben
+...</p>
+
+<p>Wahrhaftig! ... Ein Offizier! ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span></p>
+
+<p>Der Säbel schlenkerte hoch in der Luft ... nun flog in weitem Bogen
+der Helm vom Kopfe des Reiters in den Chausseegraben, und verzweifelt
+umklammerte der Reiter den Hals des Pferdes ... immer näher heran raste
+die tolle Jagd ...</p>
+
+<p>Ein Schrei war aus den Kehlen beider Mädchen erklungen, ein dumpfer
+Fluch kam aus den Zähnen des Majors, als den dreien der Vorgang
+klar geworden war. Während aber der Vater und die jüngste Tochter
+wie gelähmt auf das unbegreifliche Schauspiel starrten, warf Nelly
+plötzlich ihren Gaul herum und raste in der entgegengesetzten Richtung
+von dannen.</p>
+
+<p>Der Major gaffte einen Augenblick verständnislos hinter seiner Ältesten
+drein ... Dann hatte er begriffen ... Nelly, die leidenschaftliche
+Reiterin, hatte den einzig richtigen Weg eingeschlagen ... Schon warf
+auch er den Gaul herum und galoppierte hinterdrein ...</p>
+
+<p>In diesem Augenblick fegte schon der durchgegangene Gaul an ihm vorbei,
+und der Major erkannte in dem Reiter den Landwehronkel, mit dem er sich
+gestern abend so fabelhaft gebildet unterhalten ...</p>
+
+<p>Mit wütendem Sporenhieb stachelte der Major sein Pferd, aber der
+Vorsprung, den der Durchgänger erlangt, schien nicht mehr einzuholen ...</p>
+
+<p>Nun hatte der Flüchtling Nellys Pferd erreicht, und beide Tiere rasten
+in gleichem Tempo die Chaussee entlang ... immer mehr näherte sich das
+Mädchen dem Durchbrenner ... nun neigte sie sich im Reiten nach rechts
+hinüber und suchte die flatternden Zügel des rasenden Tieres zu fassen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span></p>
+
+<p>»Nelly — Nelly!« schrie der Major.</p>
+
+<p>Das konnte ja nun und nimmer gut gehen! ...</p>
+
+<p>Doch jetzt hatte das Mädchen die Zügel gepackt ...</p>
+
+<p>Im vollen Dahinstürmen riß sie drei-, viermal mit ganzer Kraft den Kopf
+des Gaules zu sich herüber ...</p>
+
+<p>Das Tempo verlangsamte sich ... abermals riß das Mädchen den Kopf des
+Durchbrenners herum ... noch schossen beide Gäule dicht Seite an Seite
+vorwärts ... aber der Ansturm erlahmte ...</p>
+
+<p>Nun stieg der Fuchs ein paarmal in die Höhe, machte noch einen
+vergeblichen Versuch, auszubrechen, stieg abermals ... und stand
+plötzlich wie angemauert, flankenzitternd, schnaubend, über und über
+mit flockigem Schaum und Schweiß bedeckt ...</p>
+
+<p>Der Reiter hatte bei diesem letzten plötzlichen Halt den Zusammenhang
+mit seinem Gaul vollends verloren und war in den Graben gekugelt.</p>
+
+<p>Als der Major herankam, hatte sein Mädchen den Flüchtling bereits
+vollständig in ihrer Gewalt und beruhigte ihn mit Klopfen und Zuspruch
+...</p>
+
+<p>»So ein Satan von Mädel!« keuchte Sassenbach, »hast du denn nichts
+mitbekommen?«</p>
+
+<p>Er mochte wohl fragen! —</p>
+
+<p>Als der Major die Zügel des Ausreißers ergriffen hatte, ließ Nelly
+den rechten Arm schlaff heruntersinken — ihr war's, als seien alle
+seine Sehnen wacklig geworden und baumelten schlapp herunter, wie die
+ausgezerrten Kugelgelenke einer Gliederpuppe ... mit leisem Stöhnen zog
+sie die Luft durch die Zähne ...</p>
+
+<p>»Tut's weh?« fragte der Vater nochmals besorgt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span></p>
+
+<p>»Haarsträubend!« gestand Nelly, »aber du siehst: aus dem Leim ist er
+noch nicht ... sehen wir also zunächst mal nach dem da im Graben! ...«</p>
+
+<p>Frobenius war weich gefallen ... zu seinem Glücke war just neben dem
+Platz der Katastrophe ein Froschwässerlein im Chausseegraben, das hatte
+wie ein elastisches Kissen seinen Sturz aufgefangen ... die Frösche
+hatten dabei mehr Schaden genommen als ihr unfreiwilliger Gast ...
+Nun saß Frobenius mit der Rückseite seines Körpers in dem Tümpel,
+während die Beine noch auf dem Rande der Chaussee lagen. Er hatte
+sich aufgerichtet, und seine Arme standen hinter seinem Rücken in dem
+Wässerchen ... so sah er drein mit dem Unschuldsblick eines Kindes, das
+eben vom Himmel gefallen wäre ... seine Augen suchten, wie aus tiefem
+Traum erwachend, nach dem Urheber seines Unglücks ...</p>
+
+<p>Auf einmal sah er neben dem keuchenden und schnaubenden Kuno den
+Oberkörper einer Dame ...</p>
+
+<p>Eine Dame? ... wie kam denn die hierher? ... Das war doch nicht etwa
+gar ... nein ... das durfte nicht sein ... das wäre zu ungeheuerlich
+gewesen ...</p>
+
+<p>Er, ein Mann ... und von einem jungen Mädel gerettet ... das wäre gar
+nicht wieder gut zu machen ...</p>
+
+<p>Und — — Teufel ... kam da nicht eben gar sein Bataillonskommandeur
+herangesprengt, mit dem er sich gestern abend bei der letzten Flasche
+Sekt so glänzend unterhalten —?</p>
+
+<p>Und der war sorglich um das junge Mädchen bemüht ... fragte nach ihrem
+Befinden — —</p>
+
+<p>Ja ... gab's denn so was überhaupt? ... war eine solche Blamage denn
+überhaupt faßbar? ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p>
+
+<p>Der Major nannte das junge Mädchen du ... sie sagte Vater zu ihm ...</p>
+
+<p>Gerettet von der Tochter seines Bataillonskommandeurs! ...</p>
+
+<p>Das war so ungeheuerlich ... so unwahrscheinlich — — daß es schon
+fast nicht mehr ernst zu nehmen war ...!</p>
+
+<p>Und wie nun Wilhelm Frobenius an sich selber herunterschaute und sich
+rücklings in dem Froschtümpel sitzen sah, da verschwand jede Spur
+persönlicher Beschämung vor der reinen Freude an der haarsträubenden
+Komik der Situation ...</p>
+
+<p>Als der Major sich überzeugt hatte, daß seine Tochter heil sei, und
+beide sich dem Opfer der Katastrophe zuwandten ... da saß dies Opfer in
+seinem Überzug von Schlamm und Algen ... und lachte ... lachte selig
+wie ein Kind, das einen fabelhaft gelungenen Streich ausgeführt hat und
+nun auf allgemeine Dankbarkeit Anspruch macht ...</p>
+
+<p>Einen Augenblick waren die Retterin und ihr Vater völlig verblüfft
+... dann aber stimmten auch sie erlöst und überwältigt ein in die
+erdentrückte Heiterkeit des langen Menschen im Froschpfuhl ...</p>
+
+<p>»Donnerwetter! — Sie scheinen sich in Ihrem Tümpel da ja ganz
+behaglich zu fühlen! — Wie lange wollen Sie denn da eigentlich noch
+sitzen bleiben?«</p>
+
+<p>Und die junge Dame fragte: »Soll ich vom Pferde runterkommen und Ihnen
+die Hand geben?«</p>
+
+<p>Da kam Wilhelm Frobenius denn doch zu Besinnung.</p>
+
+<p>Er versuchte aufzuspringen ... aber das war nicht so leicht ...
+Es blieb ihm nichts übrig, als die Beine, die bisher<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> so schön
+auf dem Trocknen gelegen hatten, von ihrem hochgelegenen Platze
+herunterzudirigieren.</p>
+
+<p>Und so, am ganzen Leibe triefend und mit grünem Schlamm überzogen,
+richtete Wilhelm Frobenius seine lange Gestalt auf, stieg auf die
+Chaussee und machte eine tragikomische Verbeugung.</p>
+
+<p>»Darf ich Herrn Major ganz gehorsamst bitten, mich vorzustellen?!«</p>
+
+<p>Abermals platzte Nelly heraus.</p>
+
+<p>»Ja,« sagte der Major, »als was soll ich Sie denn nun vorstellen — als
+Leutnant der Landwehr? — Das geht doch nicht gut; denn augenblicklich
+haben Sie mit allem Möglichen Ähnlichkeit ... aber mit einem Leutnant
+... Also, sagen wir schlechtweg: Herr Frobenius — meine Tochter Nelly!«</p>
+
+<p>»Na, nun bedanken Sie sich mal schön bei mir!« sagte Nelly und rieb den
+schmerzenden Arm, »wer weiß, wo Sie jetzt schon wären, wenn ich mich
+nicht über Sie erbarmt hätte!«</p>
+
+<p>»Eigentlich müßte ich Ihnen böse sein, mein gnädiges Fräulein ...
+stellen Sie sich vor, welch ein Schicksal meiner wartet! — Meinen Sie
+nicht auch, daß mir besser wäre, dieser infame Schinder hätte mich da
+hinten irgendwo gegen einen Baum gerannt? ... Dann wäre jetzt alles
+vorbei und ich läge friedlich und entseelt irgendwo an der Landstraße
+... aber jetzt: — so ein Lachen, wie über mich anheben wird, ist doch
+überhaupt noch gar nicht dagewesen. Das habe ich Ihnen zu verdanken,
+mein gnädiges Fräulein!«</p>
+
+<p>Dabei strahlten hinter den funkelnden Brillengläsern die braunen Augen
+des Mannes zu dem Mädchen empor, mit einem Ausdruck, der just das
+Gegenteil seiner Worte sagte:</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span></p>
+
+<p>Ahnst du, Mädchen, wie lieb ich das Leben hab? ... ahnst du, wieviel
+ich noch wirken und schaffen möcht' auf dieser Erde? ... ahnst du, was
+für ein krauses, sehnsüchtiges, umgetriebenes Herz das ist, das nun
+weiter schlagen darf dank deiner schnellen Tat?</p>
+
+<p>Einen Augenblick lang hatte dies geheimnisvolle Leuchten der braunen
+Augen die stahlblauen der Retterin festgehalten ... dann aber ließ sie
+ihre Blicke an der hageren Gestalt herabgleiten ...</p>
+
+<p>Nein, so eine Karikatur! ...</p>
+
+<p>Von den grün überkleisterten Rockschößen ... von den Ärmelaufschlägen
+hernieder triefte es in den Staub der Chaussee ... Die dürren Beine in
+den schlammüberkrusteten Reitstiefeln schlotterten vor Nässe und Frost
+...</p>
+
+<p>Der Instinkt der Soldatentochter lehnte sich auf gegen dieses Zerrbild
+... Der Herr trug doch nun mal des Königs Rock ... nun galt's vor
+allem, die unmögliche Situation zu retten ...</p>
+
+<p>Mit Überraschung sah Frobenius, daß das Zucken des Lächelns und der
+Teilnahme plötzlich, wie weggeweht, vom Gesicht des jungen Mädchens
+verschwand.</p>
+
+<p>»Herr Leutnant,« sagte sie mit unüberhörbarer Ironie, »mein Vater war
+gerade im Begriff, zum Bataillon zu reiten — Gehn Sie bitte dort
+irgendwo in den Wald und legen Sie sich in die Sonne zum Trocknen ...
+meine Schwester und ich werden Ihr Pferd mit zum Tattersall nehmen und
+Ihnen einen Wagen herausschicken ... So können Sie ja unmöglich in die
+Stadt zurück!«</p>
+
+<p>»Ah, das ist ja 'ne ausgezeichnete Idee!« stimmte der Major zu.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span></p>
+
+<p>Zerschmettert sah Wilhelm Frobenius an seiner jammervollen Erscheinung
+herunter ... »Allerdings — Sie haben wohl recht, gnädiges Fräulein!
+Ich danke Ihnen! — Den Dank für meine ... Rettung ... hoffe ich Ihnen
+... in etwas schicklicherer Verfassung ...«</p>
+
+<p>»Schon gut, schon gut!« sagte Nelly, »nur schnell von der Chaussee
+herunter, Herr Leutnant ... Da hinten kommt schon eine Kompagnie vom
+Exerzierplatz zurück ...!«</p>
+
+<p>»Ah, gut, gut!« sagte der Major, »also schnell, Herr Leutnant,
+verschwinden Sie! — Und ihr, Mädels,« — das galt Nelly und der soeben
+herankommenden Molly — »macht, daß ihr nach Hause kommt ... Ich halte
+den Schinder so lange und werde ihn der Kompagnie dort übergeben; die
+kann ihn zur Stadt zurückschaffen ...!«</p>
+
+<p>Mit kurzem, herbem Kopfnicken verabschiedete sich die junge Dame von
+ihrem Schützling, der barhaupt im prallen Sonnenschein vor ihr stand
+und mit schlotternden Gliedern eine hilflos befangene Verbeugung machte
+... In schlankem Galopp stoben die beiden Reiterinnen nach rechts der
+Stadt zu.</p>
+
+<p>Der Major ergriff die Zügel Kunos des Schrecklichen, der wie ein
+Lämmchen folgte, grüßte kurz mit der Linken und sprengte der
+anmarschierenden Kompagnie entgegen.</p>
+
+<p>Wilhelm Frobenius aber stapfte an seinem Tümpel vorüber ... durch
+den Chausseegraben ... in den Wald ... und suchte sich ein sonniges
+Plätzchen aus ...</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span></p>
+
+<h3>Fünftes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Die Kompagnie, die auf der Chaussee vom Exerzierplatz sich näherte, war
+die dritte.</p>
+
+<p>Hauptmann Haller, der vorschriftsmäßig an der Queue ritt, sah seinen
+Bataillonskommandeur herankommen und galoppierte an, überholte seine
+Kompagnie und meldete dem Major: »Dritte Kompagnie auf dem Rückmarsch
+vom Exerzierplatz!«</p>
+
+<p>»Danke, lieber Haller! — Hier bring ich Ihnen etwas Schönes mit!«</p>
+
+<p>»Ich hab mich schon gewundert, Herr Major.«</p>
+
+<p>»Haarsträubende Geschichte! — Hat den Leutnant der Landwehr Frobenius
+abgeworfen — der Satan!«</p>
+
+<p>Die Kompagnie war inzwischen herangekommen. Staubbedeckt, lustig seine
+Zigarette rauchend, marschierte an ihrer Spitze der schlanke, blonde
+Leutnant von Finette. Er hatte die letzten Worte gehört, und nachdem
+er vor seinem Bataillonskommandeur salutiert, erlaubte er sich zu
+bemerken: »Darf ich Herrn Major darauf aufmerksam machen, daß das Kuno
+der Schreckliche ist?!«</p>
+
+<p>»Kuno der Schreckliche — wer ist denn das?«</p>
+
+<p>»Ein total aus dem Leim gerittener Schinder aus dem Tattersall! Wer hat
+denn bloß dem unglücklichen Herrn von der Landwehr diese Kreatur unter
+den Leib gesteckt?<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> ... Die ist doch eigentlich nur noch zu Beefsteak
+zu gebrauchen!«</p>
+
+<p>»So,« sagte der Major, »das begreife ich allerdings auch nicht ... Ich
+werde doch mal an den Direktor telephonieren ... So was darf nicht
+wieder vorkommen ... das ist ja 'ne Infamie geradezu!«</p>
+
+<p>Hauptmann Haller hatte inzwischen seinen Burschen herangewinkt, der dem
+Major die Zügel des unglücklichen Gaules aus der Hand genommen hatte.</p>
+
+<p>»Haben Sie die Erste und Zweite gesehen?« erkundigte sich der Major.</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Major! Die Zweite hat das Kastanienwäldchen besetzt —
+die Erste greift von der Hohen Tanne her an!«</p>
+
+<p>»Danke vielmals! — Guten Morgen, meine Herren!«</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am Kreuzweg traf Sassenbach, wie verabredet, mit seinem Adjutanten
+zusammen.</p>
+
+<p>»Was macht der Brummschädel?«</p>
+
+<p>»Danke gehorsamst, Herr Major — durchaus vorschriftsmäßig!«</p>
+
+<p>»Langt's zu 'nem Galopp?«</p>
+
+<p>»Selbstverständlich, Herr Major! — Hohe Zeit! Die Erste und Zweite
+müssen schon aneinander sein!«</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Hauptmann von Brandeis hatte frühmorgens am Rande des Exerzierplatzes
+seine Kompagnie in Züge auseinandergezogen und Übungen im
+Entfernungsschätzen durch die Zugführer<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> vornehmen lassen. Nach einer
+Stunde hatte er die Kompagnie zusammengezogen und sie fünf Kilometer
+weit nordwärts geführt, um auf Grund einer mit Hauptmann Goll
+vereinbarten einfachen Gefechtsannahme eine kleine Felddienstübung
+anzuschließen ...</p>
+
+<p>Einer von den üblichen »Türken«, die mit tödlicher Sicherheit sich
+immer wiederholten und denselben typischen Verlauf nahmen.</p>
+
+<p>Rot, so lautete die Annahme, war gestern nördlich der Garnison
+geschlagen worden ... Die Dunkelheit hatte das Gefecht unterbrochen,
+und infolge Erschöpfung von Blau hatte die Verfolgung nicht mit voller
+Energie aufgenommen werden können, so daß die Fühlung mit dem Feinde
+verloren gegangen war ... Früh morgens hatte die Kavallerie gemeldet,
+daß der Feind in der Nacht durch die Stadt hindurch gen Süden abgezogen
+sei und nur noch schwache Abteilungen Versprengter sich in den Wäldern
+südlich des Exerzierplatzes sammelten ...</p>
+
+<p>Die erste Kompagnie, als linke Seitendeckung des auf der großen
+Chaussee marschierenden Gros von Blau, bekam den Befehl, die Nachzügler
+zu vertreiben ...</p>
+
+<p>Die beiden Hauptleute hatten miteinander verabredet, daß ihre ältesten
+Zugführer die Kompagnieen führen sollten.</p>
+
+<p>Hauptmann von Brandeis hatte den weißen Helmbezug und die weiße
+Armbinde der Schiedsrichter angelegt, und zu ihm war von der Zweiten
+Leutnant Quincke als Schiedsrichtergehilfe getreten ... Oberleutnant
+Menshausen führte die Zweite ... Leutnant der Reserve Flamberg die
+Erste ... Hauptmann Goll, als der Ältere, markierte den Leitenden<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span>
+und hatte den Leutnant der Landwehr Frobenius als Zuschauer zu sich
+befohlen.</p>
+
+<p>Bei der Zweiten wurden infolgedessen sämtliche Züge von
+Unteroffizieren: einem aktiven und einem Reserve-Vizefeldwebel und
+dem ältesten Sergeanten geführt ... Bei der Ersten standen Leutnant
+Carstanjen und zwei Vizefeldwebel als Zugführer.</p>
+
+<p>Der Oberleutnant Menshausen besetzte mit allen drei Zügen den Rand des
+Kastanienwäldchens und ließ die Mannschaften sich eingraben ...</p>
+
+<p>Dann hielt er Musterung unter den Unteroffizieren ...: »Der
+einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen!«</p>
+
+<p>»Hier!«</p>
+
+<p>»Kommen Sie mal her ... Für Sie hab' ich heute eine Spezialaufgabe:
+Sehn Sie sich mal rechts da das Gebüsch an! — Sehn Sie?«</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«</p>
+
+<p>»Nehmen Sie sich die beiden rechten Flügelgruppen vom ersten Zuge und
+suchen Sie, in das Gehölz hineinzukommen ... aber gedeckt ... verstehn
+Sie!? — auch wenn Sie einen größern Umweg machen müssen! — Und daß
+Sie mir nicht eher zum Vorschein kommen, als bis die Erste über den
+Exerzierplatz zum Angriff ansetzt ... sie muß ja selbstverständlich von
+der Hohen Tanne herkommen ... Wenn dann die vorhergehenden Züge auf der
+Höhe Ihres Gehölzes angekommen sind, dann erscheinen Sie plötzlich mit
+Ihren zwei Gruppen am Waldrand und schießen der Ersten in die linke
+Flanke hinein ... Haben Sie begriffen?«</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span></p>
+
+<p>»Na, nun nehmen Sie sich mal zusammen und beweisen Sie, daß Sie würdig
+sind, nächstens die Offizierqualifikation zu bekommen — Sie Vertreter
+der Intelligenz! Los, treten Sie an!«</p>
+
+<p>Der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen begab sich an die
+rechte Flanke der ausgeschwärmten Kompagnie und befahl: »Erste und
+zweite Gruppe vom rechten Flügel des ersten Zuges — sammeln!«</p>
+
+<p>Im selben Augenblick galoppierte auch schon der Kompagnieführer heran:
+»Donnerwetter, Friesen, wozu wollen Sie denn Ihre zwei Gruppen sammeln?
+Lassen Sie die doch ausgeschwärmt ... Wir sind im Gefecht! Einfach
+kehrt marsch und dann in Schützenlinie 'runter in den Grund ... so
+schnell wie möglich ...«</p>
+
+<p>Der Einjährige stand stramm, zog dann mit dem Befehl »Schwärmen!« seine
+beiden Gruppen wieder auseinander und führte sie in den waldbestandenen
+Grund, der sich zur Rechten des Kastanienwäldchens hinzog ...</p>
+
+<p>Alle Wetter, heute galt's aufpassen!</p>
+
+<p>Oberleutnant Menshausen leitete die Ausbildung der Einjährigen und ihre
+Vorbereitung zum Offizierexamen, und von seinem Wohlwollen hing es sehr
+wesentlich ab, ob man bei der Entlassung zur Reserve die Qualifikation
+zum Offizier des Beurlaubtenstandes bekommen würde ... Übrigens war er
+ein harter Instruktor gewesen, der eine tiefe, grundsätzliche Abneigung
+gegen die »Intelligenz im Heere« besaß und sich gar keine Mühe gab, das
+zu verbergen ...</p>
+
+<p>Also wirklich, es ging »um die Wurst!«</p>
+
+<p>Ach ... und dabei war Hans Friesen heute so ganz und gar nicht dazu
+aufgelegt, seine Gedanken auf den Königlichen<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> Dienst zu konzentrieren
+... Auf halb zwölf war er zu Frau Hauptmann von Brandeis befohlen, um
+dort den Damen des Regiments, die bei der Festaufführung im Kasino
+mitwirken sollten, und dem Herrn Bataillonsadjutanten das Festspiel
+vorzulesen, das — er selbst — Hans Friesen, verfaßt hatte ...</p>
+
+<p>Er, Hans Friesen, seiner bürgerlichen Hantierung nach Königlich
+preußischer Gerichtsreferendar und Doktor beider Rechte — zurzeit
+Seiner Majestät jüngster Unteroffizier ...</p>
+
+<p>Wahrlich ... es war keine Kleinigkeit gewesen, unmittelbar nach
+bestandenem Referendarexamen ... unmittelbar nach dem Übergang aus
+dem heitern Studentenleben in Amt und Würde hinein ... plötzlich ein
+gemeiner Füsilier zu werden und unter der Fuchtel roher Unteroffiziere
+inmitten derber Söhne des Volkes die Geheimnisse des langsamen Schritts
+und des Infanteriegewehrs zu erlernen! ...</p>
+
+<p>Und das nun gar, wenn man nicht nur ein alter Korpsstudent und
+königlicher Justizbeamter, sondern außerdem — ein werdender Dichter
+war.</p>
+
+<p>Ach, noch zwei Monate ... dann würde die Schinderei zu Ende sein, und
+Hans Friesen würde wieder zu seinen geliebten Manuskripten und seinen
+weniger geliebten, aber um so ehrwürdigern Akten zurückkehren dürfen ...</p>
+
+<p>Vorher aber galt's noch mancherlei Fährnis zu bestehen ...</p>
+
+<p>Das Manöver war in Aussicht, und Hans Friesen war Korporalschaftsführer
+... hatte das Vergnügen, jedes Kommißbrot und jede Unterhose für seine
+Korporalschaft in<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Empfang zu nehmen ... Samstags die Ausgehgarnitur
+auf Kammer zu empfangen ... und Montags sie wieder in tadellosem
+Zustande abzuliefern ... und dazu kamen all die tausend jämmerlichen
+und doch so notwendigen Pflichten der Fürsorge für zwanzig stramme
+Burschen ...</p>
+
+<p>Das alles zog durch des jungen Soldaten Hirn, als er die ihm
+anvertrauten zwei Gruppen in langer Schützenlinie durch den blumigen
+Talgrund führte ...</p>
+
+<p>Ach, dieser Talgrund schien so gar nicht geschaffen zum Tummelplatz
+für nägelbeschlagene Kommißstiefel ... Hier mußte man mit einem süßen,
+braunäugigen Kind engumschlungen wandeln ... und von holden und
+freudigen Dingen reden ... holde und freudige Dinge tun ...</p>
+
+<p>Gott, heute mittag würde er ja endlich einmal wieder Mensch sein,
+Kavalier sein, würde mit richtigen Damen reden! — Ob er das nicht
+überhaupt schon verlernt hatte im seelenmordenden Gamaschendienst? —
+Nun, an ihm sollte es jedenfalls nicht fehlen!</p>
+
+<p>Zwar auf sein Festspiel bildete er sich verdammt wenig ein ... Da
+hatte er dem Dichtertum in seinem Busen ganz gründlich Zaum anlegen
+müssen ... Er wußte wohl: es war eine schrecklich langweilige, frostige
+Allegorie geworden ... Aber Frau Major von Sassenbach hatte ihm durch
+Leutnant Blowitz mitteilen lassen, daß sie entzückt sei ... Und das war
+ja schließlich doch der Zweck der Übung ...</p>
+
+<p>Und heute mittag würde er von der schönen Frau von Brandeis empfangen
+werden ... würde plaudern und studieren dürfen mit ihr und den
+schlanken Töchtern des Majors ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p>
+
+<p>Es war fast wie ein Traum ... so ausgehungert wie man war nach
+Schönheit und Glanz in dieser verfluchten Kasernenatmosphäre, in dieser
+ekelhaften Tretmühle des Dienstes, in dem verblödenden Milieu der
+Unteroffiziere und Füsiliere ...</p>
+
+<p>Merkwürdig nur, daß dies Tälchen sich so endlos lang hinzog. Schon
+eine halbe Stunde mußte verflogen sein, seit er sich von der Kompagnie
+losgelöst und nun als eine Art kleiner Cäsar, als selbständiger
+Detachementsführer, in der Welt herumgondelte.</p>
+
+<p>Allmählich fing's an, unheimlich zu werden.</p>
+
+<p>Er drehte sich um. Schweigsam trotteten seine Füsiliere hinter ihm her,
+das Gewehr im Arm, die Nase zum grünen Waldboden gesenkt.</p>
+
+<p>»Sagt mal, Kerls, weiß einer von euch, wo das Gehölz liegt?«</p>
+
+<p>Die Füsiliere sahen einander an. »Wat für en Jehölz?« sagte einer der
+alten Leute, »mir wisse nix von eme Jehölz.«</p>
+
+<p>»Na, das Gehölz, wo wir uns aufbauen sollen, zum Donnerwetter!«</p>
+
+<p>»Da hann mir doch nix von gehört — dat hat dä Herr Oberleu'nant doch
+em Herr Unner'ffzier selbst jesagt!« grinste der Füsilier.</p>
+
+<p>»Nä, da wisse mer nix von,« wiederholten grinsend die übrigen Kerle.</p>
+
+<p>Verflucht! — das war ja 'ne schöne Bescherung.</p>
+
+<p>»Halt!« kommandierte Friesen und überlegte.</p>
+
+<p>Ringsum Bäume, nichts als Bäume, Buchen und Eichen gemischt —
+Waldfriede — Waldfriede — wunschlose Sommerseligkeit.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span></p>
+
+<p>Was tun? — Offenbar war er zu lange geradeaus gegangen, statt nach
+links abzubiegen, um den Saum des Wäldchens nach dem Exerzierplatz hin
+zu erreichen.</p>
+
+<p>»Ja, zum Donnerwetter, Kerls, weiß denn hier keiner von euch Bescheid?«</p>
+
+<p>»Nä, hier wisse mir kei' Bescheid — wo will der Herr Unner'ffzier denn
+hin?«</p>
+
+<p>»Na, doch natürlich zum Exerzierplatz hinüber, an den Waldrand!«</p>
+
+<p>Die Füsiliere freuten sich königlich. »Dä Exerzierplatz? — dä litt so
+janz do hinne!«</p>
+
+<p>»Himmelkreuzmillionen! — Also links schwenkt — marsch!«</p>
+
+<p>Na, vielleicht würde die Erste nicht gar zu früh angreifen, und man kam
+noch zur rechten Zeit.</p>
+
+<p>Bäume — Bäume — nichts als Bäume. — Doch ... noch etwas anderes als
+Bäume — unter den Bäumen dichtes Dorngestrüpp ... immer dichter ...
+immer dichter ...</p>
+
+<p>Bei jedem Schritt schlugen den Vorwärtsdringenden Brombeerranken und
+Tannenzweige ins Gesicht.</p>
+
+<p>Die Füsiliere wurden ungemütlich: »Dat is ja en Schweinerei — hä kütt
+jo ke' Mensch nit dörch — —«</p>
+
+<p>Das mußte Hans Friesen schließlich selber einsehen. — Also zurück — —</p>
+
+<p>Bautz! — da fiel in der Ferne der erste Schuß — plautz! ein zweiter
+— bautz — bautz — ein dritter und vierter ... Das Gefecht mußte
+begonnen haben — —</p>
+
+<p>Himmel — und nun verließ sich der Oberleutnant Menshausen darauf,
+daß im entscheidenden Augenblick aus dem Hinterhalt das wohlgezielte
+Feuer der zwei detachierten<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> Gruppen dem Feind in die Flanke fallen und
+seinen Ansprung über das Blachfeld des Exerzierplatzes lahmlegen würde
+...</p>
+
+<p>Ade, Leutnantsqualifikation ... ade, Epaulettes und Schärpe.</p>
+
+<p>Ade, holdselige Hoffnung auf ein paar Stunden eines höhern Daseins ...</p>
+
+<p>Nach dieser Blamage, in dieser Elendstimmung vor die schöne Frau von
+Brandeis, vor die schlanken Majorstöchter treten, die ihm gewiß seine
+schauderhafte militärische Unzulänglichkeit am Gesicht ansehen und ihn
+im tiefsten Grund ihrer Seele verachten würden ... das war eine Hölle
+statt des erträumten Paradieses!</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Martin Flamberg ärgerte sich ein wenig, als beim Beginn der
+Felddienstübung Hauptmann von Brandeis ihm die Führung der Kompagnie
+übergab ... Das hätte der Hauptmann ihm doch auch vorher sagen können
+... dann hätte er sich einen Gaul zwischen die Beine geklemmt ...</p>
+
+<p>Na, es mußte nun auch so gehn!</p>
+
+<p>Mit ruhiger Sicherheit wiederholte er die Spezialidee und den Befehl,
+den ihm der Hauptmann mitgeteilt, traf noch unter den Augen seines
+Kompagniechefs sachgemäß die erforderlichen Anordnungen für die
+Unteroffiziere, die er im Kreise um sich versammelt hatte ...</p>
+
+<p>»Sehr gut, sehr gut!« lobte Hauptmann von Brandeis, »vollkommen
+einverstanden! ... Na, und nun viel Vergnügen!« Und damit galoppierte
+er von dannen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p>
+
+<p>Die Kompagnie hatte die Gewehre auf der Chaussee zusammengesetzt ...
+die Mannschaft rastete im Graben ...</p>
+
+<p>»An die Gewehre!«</p>
+
+<p>Hui, da kam ein Leben in den Ameisenhaufen ...</p>
+
+<p>»Stillgestanden!«</p>
+
+<p>Und mit drei kurzen Sätzen teilte Flamberg den Mannschaften mit, was
+sie zum Verständnis der Kriegslage wissen mußten ...</p>
+
+<p>»Herr Leutnant Carstanjen, treten Sie an!«</p>
+
+<p>Der Kleine salutierte: »Erster Zug — Gewehr in die Hand ... die
+vorderste Gruppe als Spitze — schwärmen — der Rest des Zuges folgt
+unter dem Sergeanten Clausen!«</p>
+
+<p>Und der Vormarsch der ersten Kompagnie gegen den Feind begann ...</p>
+
+<p>Flamberg schritt in munterm Geplauder mit dem jüngern Kameraden fünf
+Schritt vor der Spitze ...</p>
+
+<p>Hei ... welche Lust, Soldat zu sein ...!</p>
+
+<p>Welche Lust ... zu friedlichem und doch so ernstem und wichtigem
+Waffenspiel in die blauen Morgennebel hineinzupilgern ...</p>
+
+<p>Nach einer halben Stunde war der Saum des Exerzierplatzes erreicht.</p>
+
+<p>Selbstverständlich brauchte kein Geist vom Himmel herabzusteigen, um
+dem Kompagnieführer zu sagen, daß der Feind am Kastanienwäldchen liege
+... das war ja doch natürlich seit Jahrzehnten immer so gewesen ...</p>
+
+<p>Und glatt und reglementsmäßig entwickelte sich der Angriff der Ersten
+unter den Augen der Schiedsrichter von der Hohen Tanne her auf das
+Kastanienwäldchen zu ... das Gelände wurde trefflich ausgenutzt ...
+bald zugweise, bald<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> gruppenweise ging die Kompagnie im Sprung über
+die kahle Tenne des Platzes gegen den heftig feuernden Gegner vor ...
+Und Flamberg begriff nur das eine nicht: daß die ganze Sache so glatt
+vonstatten ging.</p>
+
+<p>Er war darauf gefaßt gewesen, einen Flankenangriff von links zu
+erleben, und hatte infolgedessen in das Gehölz zu seiner Linken eine
+starke Gefechtspatrouille geschickt ... Jeden Augenblick erwartete
+er deren Warnungsschüsse zur Linken zu vernehmen ... aber nichts
+erfolgte. Und hundert Meter vorm Kastanienwäldchen setzte Flamberg
+zum Sturmangriff an ... Mit gezogenem Säbel sprang er zwanzig Schritt
+seiner Kompagnie voran beim Sturmmarsch der Tambours und dem dröhnenden
+Hurra seiner Füsiliere.</p>
+
+<p>Gerade auf die Mitte des Wäldchens rannte er los, wo die berittenen
+Offiziere hielten, denen sich inzwischen, das sah er schon von weitem,
+der Bataillonskommandeur mit seinem Adjutanten beigesellt hatte ...</p>
+
+<p>Im Augenblick, als er auf zehn Schritte an die Gruppe herangekommen
+war, winkte der Major seinem Hornisten, und: »Das Ganze — halt!« klang
+schmetternd das erwünschte Signal zur Beendigung der Übung über den
+weiten Plan.</p>
+
+<p>Unmittelbar darauf erfolgte das Signal: »Zur Kritik!«</p>
+
+<p>»Bitte, Herr Hauptmann Goll!«</p>
+
+<p>Zwischen den zusammengezogenen Brauen des Hauptmanns brütete das Unheil
+und entlud sich alsbald als fürchterliches Donnerwetter über den
+Oberleutnant Menshausen: »Herr Oberleutnant, wenn Sie nichts Besseres
+zu tun wußten, als sich mit Ihrer ganzen Sippschaft hier am Waldrand
+einzubuddeln und den Angriff der Ersten abzuwarten ... dann hätte ich
+schließlich gerade so gut die Kompagnie von<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> einem Unteroffizier führen
+lassen können ... Was haben Sie sich bei dieser stumpfsinnigen Maßregel
+denn eigentlich gedacht ...?«</p>
+
+<p>Oberleutnant Menshausen bebte vor Wut und Scham. Die Hand am Helm,
+sagte er, als der Hauptmann seine Frage gestellt hatte: »Ich habe den
+einjährig-freiwilligen Unteroffizier Friesen mit einem Halbzuge in das
+Gehölz dort zur Rechten geschickt, und zwar mit genauer Instruktion ...
+Er sollte im Augenblick, wenn die erste Kompagnie nach ihrem Vorgehen
+auf der Höhe des Gehölzes angekommen wäre, Flankenfeuer geben!«</p>
+
+<p>»Bedaure — habe nichts von Flankenfeuer gemerkt! Wo steckt denn Ihr
+Unteroffizier?«</p>
+
+<p>»Das weiß ich nicht, Herr Hauptmann ... er muß sich verlaufen haben!«</p>
+
+<p>Leutnant Blowitz, hoch zu Roß, flüsterte dem Major eine Bemerkung zu.</p>
+
+<p>»Aha — der Dichter — na, das fehlte mir gerade! Erst brennt bei
+den ersten Schüssen ein Gaul durch, auf dem zufällig ein Herr von
+der Landwehr angebracht ist ... dann schmeißt dieser unglückliche
+Einjährige die ganze Übung um ... Na, warte mein Jungchen ... dir werd
+ich das Dichten austreiben! Aber bitte weiter, Herr Hauptmann, Sie
+haben noch nicht den Angriff der Ersten besprochen!«</p>
+
+<p>Flamberg erhielt ein gerüttelt und geschüttelt Maß voll Lob,
+sowohl von Hauptmann Goll, als auch nachher beim Schlußwort des
+Bataillonskommandeurs: »Ihre Leistungen, Herr Leutnant Flamberg,« sagte
+der Major, »söhnen mich einigermaßen mit der Situation aus! — Ich
+danke Ihnen, meine Herren — —«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p>
+
+<p>Rum, plum, plumbidibum. — Heimwärts ging's mit Trommelschlag und
+munterm Gekreisch der Pfeifen ...</p>
+
+<p>Martin Flamberg war kolossal vergnügt ... Er marschierte dicht hinter
+der Gruppe der Berittenen und sann eine muntere Epistel zusammen, mit
+der er seiner Braut das »Waffenglück« des ersten Übungsmorgens zu
+verkünden gedachte ...</p>
+
+<p>Ha, welche Lust, Soldat zu sein ...!</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p>
+
+<h3>Sechstes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Höher war die Spätsommersonne gestiegen ... in allen Straßen und Gassen
+der Garnisonstadt lag ihr flimmerndes Gold ... glänzte auch auf dem
+schon staubigen Grün der städtischen Anlagen hart unter den Fenstern
+der schmucken Villa Brandeis.</p>
+
+<p>Hinter den halbgeschlossenen Jalousieen in gedämpftem, goldiggrünem
+Licht lag Cäcilie von Brandeis auf der Chaiselongue und las.</p>
+
+<p>Geringschätzig kräuselten sich ihre Lippen. Geschmacklos, diese
+altmodischen Allegorien ...</p>
+
+<p>Drei lebende Bilder sollten gestellt werden ... die ersten beiden nach
+Bildern im Offizierkasino ...</p>
+
+<p>Das erste stellte das Regiment vor beim Sturm auf St. Hubert.</p>
+
+<p>Das zweite die berühmte Szene, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm nach
+der Schlacht die Verwundeten des Regiments im Feldlazarett besucht und
+dem schwerblessierten Regimentskommandeur persönlich das Eiserne Kreuz
+erster Klasse überreicht.</p>
+
+<p>Nun, das mochte noch hingehen! —</p>
+
+<p>Aber das dritte Bild:</p>
+
+<p>Huldigung des Regiments vor der Büste Wilhelms des Zweiten! —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span></p>
+
+<p>War denn dem guten Einjährigen, den man zum Dichten kommandiert hatte,
+nicht etwas weniger Verschlissenes eingefallen?!</p>
+
+<p>Und um diese drei Bilder herum ein Dialog zwischen dem »Krieg« —
+Leutnant Blowitz — dem »Frieden« — Molly von Sassenbach — und dem
+»Genius des Regiments« — Frau Cäcilie von Brandeis! —</p>
+
+<p>Zunächst tritt der Krieg auf, spricht dem Genius des Regiments seinen
+Glückwunsch zur Wiederkehr des Ruhmestages von Gravelotte aus, mahnt an
+alte Schlachtenherrlichkeit und beklagt die endlose, flaue Friedenszeit
+... Schon erscheint der Friede, legt ebenfalls seine Glückwünsche dem
+Genius zu Füßen und behauptet, das Regiment leiste auch im Frieden
+nützliche Arbeit für die menschliche Gesellschaft ...</p>
+
+<p>Alsdann führt der Krieg die Bilder der großen Vergangenheit herauf:
+Bild eins und zwei.</p>
+
+<p>Der Friede ist natürlich erschlagen, preist aber mit einem längeren
+Erguß das treue Schaffen des Regiments an der Wehrhaftmachung des
+Volkes und kommt mit einem Übergang von haarsträubender Kühnheit auf
+die Huldigung an die neue Kommandeuse ... im Frieden blühe nämlich die
+holde Geselligkeit ... der Friede sei der Bereich der Frau ... und so
+weiter ...</p>
+
+<p>Der Krieg ist galant genug, das zuzugeben; aber das Soldatenhandwerk,
+erklärt er, sei nun doch einmal Männerhandwerk, und schließlich ruft er
+die Germania zur Entscheidung auf ...</p>
+
+<p>Die erscheint in der Person von Nelly von Sassenbach, erklärt
+selbstverständlich, das Regiment sei ihr in Krieg und<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> Frieden gleich
+wert, und endigt mit einer Huldigung an den erhabenen Schirmherrn des
+Friedens, dessen Gipsbüste alsdann erscheint, umgeben von Soldaten des
+Regiments in den historischen Uniformen von 1870 und den heutigen,
+sowie von Offizieren und Ehrenjungfrauen — bengalische Beleuchtung —
+Kaiserhymne — Tusch — aus —!</p>
+
+<p>Diese erhabene Generalidee mußte sich der unglückliche Einjährige im
+Schweiße seines Angesichts abgerungen haben.</p>
+
+<p>Cäcilie von Brandeis meinte ihn ordentlich zu sehen — den ihr noch
+unbekannten jungen Herrn — wie er, als Wachhabender auf Pulverhaus-
+oder Schießstandswache, keuchend diese Banalitäten zusammenleimte —</p>
+
+<p>Und doch — wenn sie von dem Gedankengang des Ganzen absah, der ja
+schließlich für seinen Zweck wohl kaum anders hätte konstruiert werden
+können, und sich an die Ausführung hielt —</p>
+
+<p>Was sie da las: das waren doch immerhin Verse ... Verse, in denen hin
+und wieder ein besonderes Wort, ein eigentümliches rhetorisches Glänzen
+verrieten, daß ein feiner Kopf hinter dem handwerksmäßigen Gestammel
+stand, das er vielleicht selbst verlachte, während er es aufs Papier
+geschludert — —</p>
+
+<p>Und an einigen Stellen brach's hervor: ein harnischblinkendes
+Geschlecht klirrender Worte und Rhythmen, der Heerbann einer Seele, die
+ihre Kräfte zu künftigen Schlachten zusammenzog —</p>
+
+<p>Frau Cäcilie freute sich dessen, was sie da ahnte ... freute sich, daß
+es ihr gegeben war, solches zu ahnen ... ihr, der Tochter der heitern
+rheinischen Künstlerstadt ... dem Sprößling<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> einer altpatrizischen
+Fabrikantenfamilie, die es immer für einen Ehrentitel ihres Namens
+gehalten hatte, sich mit Kunst zu umgeben, Kunst zu fördern, mit der
+Kunst zu leben ...</p>
+
+<p>Und ein wenig spöttisch ... ein wenig bitter mußte sie lächeln,
+wenn sie sich erinnerte, wie ihr guter Fritz ihr das Manuskript des
+Einjährigen gebracht mit den Worten:</p>
+
+<p>Na, das lies mal, Kindchen! Da wirst du staunen ... einfach begeisternd
+so was ... einfach niederschmetternd schön! — Jawoll, das ist der
+Geist des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande ...</p>
+
+<p>So dichten bei uns die Einjährigen ... stell' dir vor, wie erst die
+Leutnants dichten ...!</p>
+
+<p>Ihr guter Fritz — wie er sie vergötterte ... Kunststück! — Er
+verdankte ihr ja auch ein überaus behagliches Dasein —</p>
+
+<p>Aber nein ... das war ein häßlicher Gedanke ... Er war ihr wirklich von
+Herzen ergeben ... na, das konnte sie schließlich ja doch auch wohl
+verlangen ...!</p>
+
+<p>Sie trat vor den großen, bis zum Fußboden herabgehenden Spiegel ...
+reckte ihre Arme ... und freute sich des flimmernden Widerscheins, den
+ein verirrter Sonnenstrahl in ihrem rötlich braunen Haar weckte ...</p>
+
+<p>O ja — Cäcilie Imhof wäre auch ohne ihre halbe Million des heißen
+Umwerbens würdig gewesen, das Fritz von Brandeis ihr zu Füßen gelegt
+hatte ...</p>
+
+<p>Das Fräulein meldete die Schwestern Sassenbach.</p>
+
+<p>Die schlanken Mädels, beide fast um einen ganzen Kopf größer als
+Cäcilie, stürmten herein, voran mit Dragonerschritten die smarte Nelly,
+um die es immer witterte wie ein leiser Hauch von Stallparfüm.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p>
+
+<p>Tränenlachend versetzten die Schwestern der Hausherrin die Geschichte
+von dem Landwehrleutnant im Froschpfuhl ... da lachte auch Cäcilie laut
+und herzlich mit.</p>
+
+<p>Dann aber, als die Mädchen den Namen des Unglücksraben nannten,
+wurde sie stutzig ... »Haben Sie eine Ahnung, was der Herr seines
+bürgerlichen Zeichens ist —?«</p>
+
+<p>»Irgend sowas bei der Universität, hat Papa gesagt!«</p>
+
+<p>»So, vielleicht in — Bonn?«</p>
+
+<p>»Ganz richtig, ja, ich glaube wohl,« meinte Nelly.</p>
+
+<p>Schweigend ging Frau Cäcilie aus dem Salon in ihr anstoßendes
+Damenzimmerchen und holte einen stattlichen Folioband aus ihrer
+Bibliothek; den schlug sie auf und hielt den Titel den Besucherinnen
+hin:</p>
+
+<p class="s5 center">Schiller.</p>
+
+<p class="s5 center">Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk<br>
+zu des Dichters hundertjährigem Todestage<br>
+von<br>
+Wilhelm Frobenius.<br></p>
+<p class="center">Fünfzehntes bis zwanzigstes Tausend.</p><br>
+
+<p>»Donnerwetter!« sagte Nelly erstaunt, »ist das von dem Herrn aus dem
+Froschtümpel?«</p>
+
+<p>»Na, jedenfalls werden wir uns danach erkundigen müssen!« erklärte Frau
+Cäcilie.</p>
+
+<p>Mit einer seltsamen, unverstandenen Empfindung entsann sich Nelly in
+diesem Augenblick des heißen Leuchtens, das plötzlich aufgeglüht war
+hinter den großen Brillengläsern, als der fremde Mann sie angeschaut,
+den sie heute zum ersten Male gesehen ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span></p>
+
+<p>Ihr war's in der Erinnerung, als habe sie da hineingeschaut in eine
+Welt, die ihr ganz unbekannt geblieben war bis auf diesen Tag ... ihr,
+dem Soldatenkinde, das von nichts wußte als von hartem Dienst ... von
+eiserner Pflichterfüllung ... von engumzirkelter Gesellschaftsfron ...</p>
+
+<p>In diesem Augenblick erschollen lustige Klänge auf der Promenade, die
+rasch näher und näher kamen ...</p>
+
+<p>Die Pfeifen schrillten ... rasselnd knarrten die taktmäßigen Wirbel der
+Tambours ...</p>
+
+<p>Wie der Blitz waren die Majorstöchter am Fenster, zogen die Rolläden
+auf und schossen auf den Balkon hinaus — langsamer folgte die schöne
+Frau —</p>
+
+<p>Aha, der Papa — und hinter ihm der Herr dieses Hauses ... den
+Säbelknauf auf der Hüfte ... die gleißende Stahlklinge dicht neben dem
+scharfgeschnittenen Profil ... und dahinter glitzernd und blinkend der
+Heerwurm ...</p>
+
+<p>Aus seiner Mitte aufragend, hoch zu Roß wie die Herren an der Tête, die
+unfrohe, nüchterne Gestalt des Hauptmanns Goll ... ganz hinten noch
+zwei andere berittene Offiziere, jetzt noch nicht erkennbar ...</p>
+
+<p>Die erste Kompagnie, vom stumpfen Graugrün der schilffarbenen
+Helmbezüge überlagert ... dahinter die zweite, überflirrt von den
+leuchtenden Reflexen der Helmspitzen ...</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Tütt tüttelü tütt tüttütü ... </div>
+ <div class="verse indent0">Rum, plum, plumbidibum ... </div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>so gellte, so schmetterte das die lindenumsäumte Promenade hinab ...</p>
+
+<p>Nun hatte der Major die drei Damen auf dem Balkon erblickt und Leutnant
+Blowitz auch, sein getreuer Adjutant,<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> der zu seiner Linken ritt ...
+die rostbraunen Handschuhe flogen an die Mützenschirme — lächelnd
+nickten die Damen ...</p>
+
+<p>Hauptmann von Brandeis hatte natürlich schon längst die Herrin seines
+Hauses erspäht ... die gleißende Klinge fuhr in die Luft und senkte
+sich dann grüßend an der Flanke des Braunen nieder ... mit strahlendem
+Lächeln winkten die wasserblauen Augen unter der blinkenden Helmschiene
+herauf ...</p>
+
+<p>Und hinter dem Hauptmann fuhr noch eine andere Klinge in die Luft und
+senkte sich ... rechts neben dem baumlangen Flügelmann der Königlichen
+Ersten marschierte ein stattlicher Offizier, den Frau Cäcilie nicht
+kannte ...</p>
+
+<p>»Wer ist denn das?«</p>
+
+<p>Nelly wußte Bescheid: »Das ist der Leutnant der Reserve Flamberg — ein
+Maler aus Düsseldorf!«</p>
+
+<p>Ein Maler aus Düsseldorf ... welch ein Heimatklang ... welch ein Klang
+aus der blühenden, sprühenden Welt ihrer Jugend in die nüchterne,
+kaltglänzende ihrer Gegenwart hinein.</p>
+
+<p>Vorüber ... vorüber zog mit raschem, taktmäßigem Schritt die gewaffnete
+Schar ... es grüßte der puppenzierliche, kleine Carstanjen ... es
+grüßte mürrischen Gesichts der struppig umbartete Hauptmann Goll ...
+es grüßten am Schluß des Zuges von ihren Pferden der Oberleutnant
+Menshausen und der Leutnant Quincke. Vorüber, vorüber, und fernhin
+verhallte der Trommelschall, der taktmäßige Schritt der Kompagnien.</p>
+
+<p>Das ist deine Welt — das heißt eine Welt — — so klang's in der
+Seele der jungen Frau ... und dazwischen: Ein Maler ... ein Maler aus
+Düsseldorf ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span></p>
+
+<p>Wieder saßen die drei Damen im gründämmerigen Salon und schwatzten.
+Das ganze Festprogramm wurde durchgesprochen, ein Rollenverzeichnis
+für die lebenden Bilder aufgestellt ... So verrann eine halbe Stunde;
+da erschien Leutnant Blowitz: »Melde mich ganz gehorsamst zur Stelle,
+gnädige Frau, und bitte tausendmal um Entschuldigung! — Gnädige Frau
+haben ja selbst gesehen — —!«</p>
+
+<p>»Allerdings, Herr Blowitz — sehr erfreut, Sie nun auch persönlich
+kennen zu lernen — nun, wann kommt denn der Dichter?«</p>
+
+<p>»Gnädige Frau meinen den Einjährigen — ja, das wissen die Götter —
+der ist abhanden gekommen!«</p>
+
+<p>Sensation!</p>
+
+<p>Und Blowitz berichtete.</p>
+
+<p>»Na, er wird sich beim Kehren schon wiederfinden!«</p>
+
+<p>»Vielleicht ist er auch in den Froschtümpel geraten,« meinte Nelly.</p>
+
+<p>Die Hausfrau servierte Portwein und Gebäck, und munter plätscherte das
+Gespräch ... die neue Kommandeuse ... das Fest ... die Verlobungen, die
+etwa darauf zustande kommen könnten ...</p>
+
+<p>In Frau Cäciliens Herzen aber klang's immer wieder wie eine frohe,
+verheißungsvolle Heimatweise: Ein Maler ... ein Maler aus Düsseldorf
+... und er steht bei Fritzens Kompagnie ... er wird seine Aufwartung
+machen ...</p>
+
+<p>Daß Fritz ihr davon noch gar nichts erzählt hatte! Aber freilich, als
+er früh um fünf aufgestanden, hatten die Gatten ja nur wenige Worte
+gewechselt ...</p>
+
+<p>Auch Nelly war nicht ganz bei der Sache; von Zeit zu Zeit schlug sie,
+wie spielend, den Deckel des Buches auf, das<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> vor ihr auf dem Tischchen
+liegen geblieben war ... Sie dachte an den Mann im Froschtümpel,
+und wie seltsam seine Augen geleuchtet hatten hinter den goldenen
+Brillengläsern. Daß vielleicht er dies Buch geschrieben hatte, das in
+zwanzigtausend Exemplaren hinausgeflattert war in die Welt, um dem
+deutschen Volke zu erzählen von der Herrlichkeit eines Dichters, dessen
+sie selber sich nur noch dunkel entsann aus ihrer Schulzeit her ...</p>
+
+<p>Ein Klassiker! Sie selber war seit zehn Jahren nur noch in Operetten
+und Schwänke gegangen ...</p>
+
+<p>Schiller! — Was war ihr Schiller?!</p>
+
+<p>Und über den hatte man ein Buch schreiben können, nach dem
+zwanzigtausend Hände gelangt hatten!?</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Eine halbe Stunde nach dem Einrücken der Ersten und Zweiten führte
+der Unteroffizier Friesen sein trauriges Fähnlein Verirrter in den
+Kasernenhof hinein.</p>
+
+<p>Er hatte sich vorgenommen, seine zwei Gruppen nun wenigstens
+vorschriftsmäßig in strammem Tritt auf den Kompagnieappellplatz
+rücken zu lassen, und hatte sich die Kommandos genau überlegt, die er
+abzugeben hätte, um mit seiner Schar in tadelloser Verfassung auf der
+Bildfläche zu erscheinen.</p>
+
+<p>Aber kaum hatte er: »Tritt gefaßt!« kommandiert, da erschien am Fenster
+der Kompagniestube das zornwütige Gesicht des Feldwebels Düfke, der
+den Unteroffizier anbrüllte, daß es über den ganzen Hof schallte:
+»Herrgott, Sie Unglückswurm! Da sind Sie ja endlich! — Nun machen Sie
+bloß, daß Sie vom Kasernenhof 'runterkommen! —<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> Verschwinden Sie,
+verschwinden Sie in Dreideubelsnamen!«</p>
+
+<p>»In's Kasernentor, marsch marsch!« schrie Friesen voller Wut und Scham.</p>
+
+<p>Und feixend stürmten die Füsiliere von dannen.</p>
+
+<p>Nun kam das Donnerwetter Nummer eins vom Feldwebel. Kaum war das
+überstanden und der Einjährige entlassen, da lief er draußen seinem
+Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, in den Weg, und das Donnerwetter
+Nummer zwei prasselte auf seinen sündigen Scheitel nieder.</p>
+
+<p>Ganz begossen schlich er sich auf die Stube, auf der sein Putzer lag,
+um die feldmarschmäßige Ausrüstung abzulegen.</p>
+
+<p>Da trat ihm, treuherzig schmunzelnd, der wackere Füsilier Zilles
+entgegen, sein liebster Kamerad unter den Mannschaften: »Herr
+Unner'ffzier, warum hann Se mich denn nit mitgenomme uff Pattrollje!
+Dann wär dat Mallör nit passiert!«</p>
+
+<p>»Ja, Zilles, wie sollt ich das anfangen!? Sie stehn doch beim zweiten
+Zuge, und ich bekam die beiden Flügelgruppen vom ersten! — Na, nun
+machen Sie mal schnell, daß ich instand komme: erste Garnitur, Helm und
+Extrastiefel!«</p>
+
+<p>Einer der ersten Regimentsbefehle des neuen Kommandeurs war der
+gewesen, daß Unteroffizieren, Einjährigfreiwilligen und Mannschaften
+das Tragen unvorschriftsmäßiger Extrauniformen außer Dienst verboten
+sei.</p>
+
+<p>So mußte denn Hans Friesen seinen Besuch bei Frau von Brandeis in
+seiner bessern Kommißgarnitur bewerkstelligen, dem Waffenrock aus
+grobem Mannschaftstuch mit<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> dem schmalen, goldbetreßten Kragen,
+daraus die schwarze Halsbinde fast einen Finger breit hervorschaute.
+Der Besuchsanzug war dadurch betont, daß die Beine, statt in den
+sackartigen, weiten, schwarzen Tuchhosen, in den sogenannten
+»Porzellanbuchsen« steckten, den weißen Paradehosen, die auch nicht
+viel anders aussahen denn zwei riesige weiße Säcke. Auf dem Kopf
+den Diensthelm mit dem häßlichen, schwarzen Ledersturmriemen, das
+ungeschlachte Seitengewehr am gewichsten Dienstkoppel um die Hüften
+geschnallt ...</p>
+
+<p>So zog Hans Friesen, der Königlich preußische Gerichtsreferendar,
+Doktor beider Rechte, Poet und Unteroffizier, zur Leseprobe seines
+ersten Dramas. —</p>
+
+<p>Unterwegs überlegte er, wie er sich nun bei der Hauptmannsfrau zu
+benehmen hätte. Wahrscheinlich würden Offiziere da sein — mußte er nun
+zuerst vor den Offizieren strammstehen oder vorher, ganz Kavalier, die
+Frau des Hauses begrüßen —?</p>
+
+<p>Das waren Etikettefragen, die in keiner Instruktionsstunde beantwortet
+wurden ...</p>
+
+<p>Aber wenn Hans Friesen sich erinnerte, daß er heute morgen schon
+zwei Ungewitter über sich hatte ergehen lassen müssen und heute
+nachmittag in der Einjährigeninstruktion bei Oberleutnant Menshausen
+das allertollste noch bekommen würde ... daß die Qualifikation
+wahrscheinlich doch bereits verratzt sei ...</p>
+
+<p>Da kam eine ungeheure Wurstigkeit über den jungen Soldaten.</p>
+
+<p>Ach, jetzt war schon alles ganz egal ... jetzt wollte er den Offizieren
+zeigen, was für ein Kerl im Tressenrock steckte ...<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> er wollte sie auf
+dem Standpunkt völliger gesellschaftlicher Gleichberechtigung behandeln
+... mochten sie schimpfen ...! Was konnte ihm noch passieren!</p>
+
+<p>Aber etwas benommen war ihm doch zumute, als er sich im Korridor der
+koketten Villa unterm elektrischen Licht, das eine zierliche Zofe
+angeknipst hatte, noch einmal im Spiegel betrachtete ...</p>
+
+<p>Verdammt ruppig sah man doch aus ...!</p>
+
+<p>Wären nicht die schwarz-weißen Schnüre um die Achselklappen gewesen
+... und die Schmisse auf Stirn und Wange wer hätte ihn von einem
+Kapitulanten unterscheiden sollen ...?!</p>
+
+<p>Die Tür flog auf ... da standen drei plaudernde Damen ... ach — Damen!
+Wesen aus einer höhern Welt —!</p>
+
+<p>Und mit ihnen im Gespräch drei Offiziere, Hauptmann von Brandeis,
+Oberleutnant von Schoenawa, der finstere, unnahbare Regimentsadjutant,
+und Leutnant Blowitz, der einflußreiche Bataillonsadjutant ... Die
+Herrgötter des Kommißhimmels!</p>
+
+<p>Und nun schlug Hans Friesen doch die Absätze zusammen, daß es knallte,
+und stand zuerst vor den Offizieren stramm ...</p>
+
+<p>Erst als diese unter Lachen und Entschuldigungen bei der Hausfrau
+abwinkten, ging er auf die Damen zu und beugte sich auf die duftende
+Hand nieder, die sich ihm entgegenstreckte ...</p>
+
+<p>»Schau, schau ... so sieht also ein Dichter aus ... den hatte ich mir
+eigentlich anders vorgestellt! Aber freilich, Herr Friesen, zu der
+Königlich preußischen Dienstpoesie, die<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> Sie sich da geleistet haben,
+paßt Ihr Kostüm ganz ausgezeichnet!«</p>
+
+<p>Hans Friesens braunes Gesicht konnte wohl nicht tiefer sich färben ...
+aber in die weiße Stirn stieg das heiße Erröten ...</p>
+
+<p>Und nun lachte Hauptmann von Brandeis: »Na, Herr Friesen, wo haben Sie
+denn eigentlich während des Gefechts gesteckt?«</p>
+
+<p>Die Leutnants lachten ... die Damen lachten ...</p>
+
+<p>Nur eine nicht ... Ein rosiges Mädchengesicht, zwei dunkelblaue Augen
+lächelten ihn mitleidsvoll aufmunternd an ... die jüngere der beiden
+Majorstöchter. — Herrgott, wie gut das tat!</p>
+
+<p>Die Vorstellung war erfolgt, man hatte Platz genommen um den runden
+Tisch im Salon, und die Hausfrau forderte den Poeten auf, sein
+Festspiel vorzulesen.</p>
+
+<p>Und mit dem Klang der eigenen Verse überkam Hans Friesen wieder die
+fröhliche Wurstigkeit, die er sich vorgenommen ...</p>
+
+<p>Teufel ja! Wenn's auch verschlissene Gedanken und konventionelle
+Vorstellungen waren, die er da zusammengebraut ... die Verse ...
+wahrhaftig, die konnten sich sehen lassen ...! Das klang und klirrte
+wie der Schritt marschierender Bataillone ... das grollte und brauste
+wie rollende Salven und dröhnendes Hurra beim Sturm ... Und war's
+auch keine himmelstürmende Poesie ... Poesie war's eben doch ...
+Soldatenpoesie ...</p>
+
+<p>Und er fühlte, wie sie wirkte.</p>
+
+<p>Als er geendigt, konnte er wohl bemerken, daß die Offiziere in ganz
+verändertem Ton mit ihm sprachen ...<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> Und die Damen lachten auch
+nicht mehr über ihn ... obwohl er doch heute morgen den richtigen
+Gefechtsmoment verpaßt hatte ...</p>
+
+<p>Gern ließen sich alle gefallen, daß er als Regisseur nun frei und
+ungezwungen mit ihnen schaltete.</p>
+
+<p>Ja, der Bataillonsadjutant fand es vollkommen in der Ordnung, daß
+der Unteroffizier ihn sehr von oben herab zurechtwies, wenn eine
+verständnislose Betonung unterlief, oder wenn es galt, die an näselndes
+Schnarren gewohnte Kommandostimme für das Pathos des Kriegsgottes
+umzufärben ...</p>
+
+<p>Und nun erst die Damen ... wie glühten sie vor Eifer, es dem Dichter
+recht zu machen ...</p>
+
+<p>Am holdseligsten aber erglühte eine von ihnen ... und ihre
+veilchenblauen Augen funkelten nicht nur dem Poeten, funkelten dem
+straffen, feurigen Jüngling ...</p>
+
+<p>Molly hieß sie ...</p>
+
+<p>Hans Friesen ahnte, daß er an diese Molly viele, viele Verse dichten
+würde ... bessere Verse als die im Festspiel ... echtere ...</p>
+
+<p>Hatte nicht schon einmal ein Poet eine Molly besungen — —?!</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span></p>
+
+<h3>Siebentes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Über dem Leben des Füsilierregiments Prinz Heinrich der Niederlande
+lagerte die Stille vor dem Sturm ... die satte, friedliche Sommerstille.</p>
+
+<p>Die großen Besichtigungen waren überstanden. Auch die fatalen vier
+Wochen auf dem Truppenübungsplatz lagen bereits hinter dem Regiment,
+als die letzte Gruppe der Reserveoffiziere eingerückt war. Und alles
+rastete nun ein wenig bis zum Beginn der Herbstübungen, in denen
+die Arbeit des ganzen Jahres, der Ausbildungsgang mit seiner weise
+berechneten, allmählichen Steigerung der Ansprüche und Leistungen
+alljährlich gipfelte.</p>
+
+<p>Die stille Zeit vor dem Manöver wurde hauptsächlich durch fleißiges
+Schießen und durch kleinere und größere Felddienstübungen ausgefüllt.
+So hatten die Reserveoffiziere über allzu starke dienstliche
+Inanspruchnahme nicht zu klagen. Von den aktiven Herren waren viele
+beurlaubt; die übrigen atmeten nach der Schinderei des Frühjahrs und
+Hochsommers ein wenig auf.</p>
+
+<p>Mit Feuereifer stürzten sich die Beteiligten auf die Vorbereitungen
+zum Regimentsfest. Alle zwei bis drei Tage fanden nachmittags unter
+Leitung des Festspielpoeten Proben für die Aufführung statt, entweder
+bei Frau von Brandeis oder bei der Protektorin des Abends, Frau Major
+von Sassenbach.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span></p>
+
+<p>Für Hans Friesen bedeuteten diese Proben eine schattige,
+blumendurchduftete Oase in der dürren Wüste seines Kommißdaseins ... Er
+lebte nur noch für diese Stunden ...</p>
+
+<p>Was galt's ihm, daß sein Instruktionsoffizier ihn vor versammeltem
+Kreise seiner Kameraden für den unfähigsten Tappelhans erklärt hatte,
+der jemals das Regiment verschimpfiert habe?</p>
+
+<p>Was war ihm daran gelegen, daß sein Feldwebel Düfke ihm die
+Sonderstellung, die sein Talent ihm den Offizieren gegenüber verschafft
+hatte, täglich durch um so kommissigere Behandlung vergalt, ihm
+mit dienstlichen Plackereien, wo es nur irgend möglich war, ins
+Gedächtnis rief, daß er nicht mehr und nicht weniger sei als eben ein
+Unteroffizier ...</p>
+
+<p>Mochte er ihn den ganzen Tag und die halbe Nacht schikanieren und
+kommandieren, soviel er wollte ... die Nachmittagsstunden der Proben
+mußte er ihm freilassen — laut Bataillonsbefehl!</p>
+
+<p>Übrigens hatte Hans auch sonst dienstlich schlechte Tage. So gut er
+von den Offizieren im allgemeinen zurzeit behandelt wurde, die Herren
+seiner eigenen Kompagnie machten eine Ausnahme.</p>
+
+<p>Da war Hauptmann Goll, ein alter Junggesell und notorischer
+Weiberfeind, übrigens ein Verächter alles dessen, was nicht königlicher
+Dienst war ... und der Künste und Wissenschaften noch ganz besonders.</p>
+
+<p>Da war der Oberleutnant Menshausen ... da war endlich auch der Leutnant
+Quincke, der, im dunkeln Gefühl der überaus mangelhaften Entwicklung
+seiner eigenen Geistesgaben, jeden mit seiner grundsätzlichen Abneigung
+beehrte, der irgend etwas leistete.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span></p>
+
+<p>Da war schließlich auch der gestrenge Bataillonskommandeur. Wenn der
+auf der Bildfläche erschien, dann konnte der einjährigfreiwillige
+Unteroffizier Friesen sicher sein, irgendwie »aufzufallen«.</p>
+
+<p>»Auffallen« war nämlich gleichbedeutend mit »unangenehm auffallen« ...
+dienstlich irgend etwas versehen haben — die <em class="gesperrt">gute</em> dienstliche
+Leistung verstand sich von selbst und fiel also nicht auf.</p>
+
+<p>Es war, als ob der Major den unglücklichen Einjährigen im Dienst dafür
+bestrafe, daß er sich außer Dienst der Gunst der Frau von Sassenbach
+erfreute.</p>
+
+<p>Ach, wenn Hans gewußt hätte, daß er die unverhohlene Auszeichnung,
+mit der Frau von Sassenbach ihn behandelte, vor allem dem Umstande
+verdankte, daß er nach ihrer Auffassung auch nicht im entferntesten als
+Bewerber um eine ihrer Töchter in Frage kam — —</p>
+
+<p>Ein bürgerlicher Gerichtsreferendar, der noch nicht einmal die
+Qualifikation zum Reserveoffizier besaß — in dem sah auch Mama von
+Sassenbachs Argwohn nur den harmlosen, völlig ungefährlichen jungen
+Menschen, der sich mit Wonne nützlich machte beim Arrangement des
+Regimentsfestes und überaus korrekte Verse von einer vollendeten
+Loyalität der Gesinnung zu drechseln verstand —</p>
+
+<p>Wenn Hans Friesen das geahnt hätte —!?</p>
+
+<p>Er faßte die liebenswürdige, fast mütterliche Behandlung, welche die
+Frau Majorin ihm angedeihen ließ, in einem viel schmeichelhafteren
+Sinne auf —</p>
+
+<p>Und hatte er dazu nicht eine gewisse Berechtigung —?</p>
+
+<p>Denn daß die Nächstbeteiligte — daß Molly von Sassenbach ihn
+mit gnädigen Augen ansah ... das durfte er sich<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> in Augenblicken
+schwellenden Hoffnungsglücks denn doch gestehen ...</p>
+
+<p>Geschehen war ja selbstverständlich eigentlich gar nichts zwischen
+ihnen beiden ... sah man sich doch nur im Kreise der »Schmiere«, wie
+die kleine Schar der Komödianten des Festspiels sich bereits benannte,
+und unter den wachsamen Augen der gestrengen Frau Mama ... zudem
+unter den noch gestrengeren Blicken der Offiziere, für die man zwar
+außer Dienst »Herr Friesen«, im Dienst aber sofort wieder nur der
+Unteroffizier Friesen war ...</p>
+
+<p>Und dennoch ... wenn Hans Friesen nach der Probe zur Kaserne
+zurückeilte, wo seine Anwesenheit dringend notwendig war im Interesse
+seiner Korporalschaft ... dann war er doch immer in einer wahren
+Weltumarmungsstimmung ...</p>
+
+<p>Zwei-, dreimal war es ihm doch gelungen, einen Blick aus den
+veilchenblauen Augen zu erhaschen ... einen Blick! ... all ihr Götter!
+nach solch einem Blick war's dem guten Jungen jedesmal zumute, als
+müsse er den engen Tressenkragen aufreißen ... aufspringen, ans Fenster
+stürmen, mit tiefen Atemzügen die laue Sommerluft in die glühende Brust
+eintrinken ...</p>
+
+<p>Statt dessen mußte man ruhig und gemessen sitzen bleiben, von scharfen,
+wachsamen Augen unermüdlich beobachtet und kontrolliert ...</p>
+
+<p>So waren diese Stunden seines außerdienstlichen Daseins auch wieder ein
+Qual! —! ach — ein süße Qual —!</p>
+
+<p>Sonst nichts als Dienst — Dienst — Dienst! Morgens um vier in die
+Kaserne ... abends um neun aus der Kaserne ... dazwischen nur eine
+Mittagspause von einer<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> Stunde, verbracht in Gesellschaft der übrigen
+Einjährigen in einem benachbarten Speisehause ...</p>
+
+<p>Die Kellnerinnen, die hier bedienten, waren seit einem Jahre der
+einzige weibliche Umgang gewesen, den Hans Friesen gehabt hatte ... Nun
+hatten Rosel und Suse plötzlich für ihn jedes Interesse verloren ...</p>
+
+<p>Sie schmollten und rächten sich, indem sie's beim Servieren immer so
+einrichteten, daß Hans Friesen zuletzt an die Reihe kam und nehmen
+mußte, was die Kameraden übrig gelassen hatten ...</p>
+
+<p>Hans Friesen merkte es nicht.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Wenige Tage nach Beginn der Übung hatten sich die Reserveoffiziere
+wieder vollständig im Regiment eingelebt, und jeder von ihnen suchte
+und fand seinen nähern Verkehr da, wohin sein Wesen ihn wies.</p>
+
+<p>Hielt Professor Brassert sich an die ältern und friedlichern Elemente,
+so war der Referendar Dormagen der Mittelpunkt einer Gruppe, die nach
+dem Mittagessen stets endlos beim Skat zusammenhockte, abends auf
+der Kasinoterrasse einen Syphon Münchener nach dem andern vertilgte,
+Sonntag nachmittags beim Sekt kleben blieb und nachts gar häufig im
+Rauchzimmer beim Tempeln. Oder man zog auch Zivil an und suchte die
+Variétés oder noch verschwiegenere Orte nächtlicher Ergötzung auf.
+Dieser Gruppe schloß sich auch meist Herr Klocke an, den es nur grämte,
+daß er nicht so flott mit dem Gelde um sich werfen konnte wie der
+wohlhabende Jurist. Die Beliebtheit, die jener durch Ansetzen zahlloser
+»kalter Enten« sich zu verschaffen suchte, strebte er dadurch<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> zu
+gewinnen, daß er freigebig von seinem unerschöpflichen Vorrat an
+zweideutigen Anekdoten spendierte oder seine schier unglaubliche
+Geschicklichkeit in Kartenkunststücken produzierte, was vor dem
+Verfahren seines Kameraden entschieden den Vorzug der Billigkeit hatte.</p>
+
+<p>Wieder ein ganz anderer Kreis war es, dem sich der Forstassessor
+Troisdorf angeschlossen hatte. Man hätte ihn die Gruppe der
+Mißvergnügten nennen können. Ihm gehörten alle jene jungen Herren
+an, die es aus irgendeinem Grunde nicht verstanden hatten, sich die
+Gunst der höheren Vorgesetzten zu erringen. Es waren nicht nur die
+Schlechtesten im Regiment. Hier wurde unablässig geschimpft, auf
+die Vorgesetzten, auf die erfolgreichern Kameraden, die als Streber
+gebrandmarkt wurden, als Leute, die »über Leichen gingen«. Auch in
+diesem Kreise wurde scharf gezecht, aber mehr aus Wut und Enttäuschung
+denn aus Liebe zur Sache.</p>
+
+<p>Frobenius war ziemlich allein geblieben. Unter den aktiven Offizieren
+hatte er keinerlei Anschluß gefunden. Man behandelte ihn mit korrekter
+Liebenswürdigkeit und beständiger höflicher Zurückhaltung. In der
+Öffentlichkeit vermied es jeder, sich mit ihm zu zeigen. Und freilich,
+ein Vergnügen war es auch nicht, an seiner Seite durch die Straßen der
+Garnison zu spazieren. Wo er ging, da geleitete ihn ein beständiges
+Schmunzeln auf allen Gesichtern der Passanten, die Straßenjugend rief
+ihm freche Bemerkungen nach, ja, es war, als ob selbst die Pferde und
+Hunde scheuten und stutzten, wenn sie die lange Gestalt im schwarzen
+Überrock aus der Zeit Albrechts des Bären einherwandeln sahen ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span></p>
+
+<p>Frobenius merkte das natürlich sehr wohl. Er wußte sehr gut, daß der
+größte Teil des ungünstigen Eindrucks, den er hervorrief, auf die
+Verfassung seiner Equipierung zurückzuführen sei, und ging lange mit
+sich zu Rate, ob er nicht doch seinem Herzen einen Stoß geben und sich
+von Kopf bis zu Füßen bei dem ersten Uniformschneider der Garnison neu
+einkleiden lassen solle. — Aber das hätte ihn wenigstens vierhundert
+Mark gekostet, und er hatte sich nun einmal, seinen bescheidenen
+Verhältnissen entsprechend, fest vorgenommen, bei den Neuanschaffungen
+für die Übung nicht über die hundertzwanzig Mark Equipierungsgelder
+hinauszugehen, die ihm zustanden. Die aber waren bereits für die
+inzwischen eingeführten Uniformänderungen sowie für Reithosen und
+Reitstiefel draufgegangen ...</p>
+
+<p>So trotzte er denn weiter dem Schmunzeln des Straßenpublikums wie der
+Zurückhaltung seiner Kameraden.</p>
+
+<p>Sein einziger außerdienstlicher Umgang war Flamberg. Und das
+entschädigte ihn vollkommen — in ihm verehrte er, der Kunstgelehrte,
+den schaffenden Künstler, wie dieser seinerseits in dem Kritiker den
+idealen Adressaten seiner Lebensarbeit. Gar manche Stunde verbrachten
+die beiden Gleichgesinnten im Café, in einer Weinstube drunten in der
+Stadt oder auf der Stube des einen oder des andern bei kaltem Abendbrot
+und Flaschenbier in ernstem Geplauder über die zeitbewegenden Fragen
+der Malerei ... der Dichtkunst ... der Kunst überhaupt.</p>
+
+<p>Dennoch füllte dieser Umgang die Mußestunden des Privatdozenten nicht
+völlig aus; denn Flamberg legte Wert darauf, auch außerdienstlich viel
+mit den aktiven Kameraden zusammen zu sein. Es war sein Grundsatz,
+während der acht<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> Wochen Übungszeit ganz und gar sich in einen Soldaten
+zu verwandeln, und so wußte er auch mit der ganzen proteischen
+Wandlungsfähigkeit seiner Künstlerseele sich der Sprache, den
+Umgangsformen, der Weltanschauung des Kreises anzupassen, welchem er
+für diese kurze Zeit durch den Rock angehörte, den er trug.</p>
+
+<p>Wilhelm Frobenius wußte sich zu trösten. Die dienstfreien Nachmittage,
+die kurzen Abendstunden benutzte er, um den Grundriß seiner Vorlesung
+für das künftige Wintersemester zu skizzieren, die das Drama des
+Naturalismus zum Gegenstande haben sollte.</p>
+
+<p>Von Tag zu Tag hatte er die peinliche Pflicht aufgeschoben, sich bei
+seiner Retterin, der Tochter seines Bataillonskommandeurs, für den
+siegreichen Kampf mit Kuno dem Schrecklichen zu bedanken.</p>
+
+<p>Für einen Menschen, der, wie er, so sicher im Kreise seines Wirkens und
+Schaffens zu stehen gewohnt war, mußte es ein peinlicher Gedanke sein,
+eine gesellschaftliche Komödie zu spielen, die für sein inneres Leben
+keine Bedeutung hatte und ihm doch eine Reihe von Empfindungen bringen
+mußte, welche die Ruhe seines Herzens gefährdeten — diese schöne Ruhe,
+die ihm um so wertvoller war, seitdem er eine neue Arbeit begonnen ...</p>
+
+<p>Ja — die Ruhe seines Herzens gefährdeten! —</p>
+
+<p>Denn, so albern ihm das auch vorkam — bei der Erinnerung an jene
+Szene auf der Chaussee regte sich in ihm noch etwas anderes, als bloß
+das Gedenken an eine peinliche und lächerliche Blamage. Es war ein
+dumpfer, uneingestandener Schmerz in ihm, daß seine Retterin aus der so
+lächerlichen wie gefährlichen Situation<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> nicht nur eine Dame, daß es
+... just diese Dame gewesen!</p>
+
+<p>Sein arbeitsames, entsagungsvolles Jugendleben hatte ihn nicht allzu
+häufig in gesellschaftliche Berührung mit Damen jener Kreise gebracht,
+denen er seiner Lebensstellung nach heute angehörte.</p>
+
+<p>Die Unzulänglichkeit seiner Verkehrsformen machte ihm das offizielle
+Gesellschaftstreiben zur sinnlosen Qual und ließ ihn ganz erkennen, wie
+inhaltleer eigentlich doch all jene Formen des Beisammenseins seien,
+die überhaupt Männer und Frauen seiner Kreise zusammenführten.</p>
+
+<p>So war sein Verkehr fast gänzlich auf die gleichfalls unverheirateten
+Gelehrten jener Hochschulen beschränkt gewesen, an denen er bisher
+gelernt oder gelehrt hatte.</p>
+
+<p>Aber nicht ungestraft beschäftigt man sich ein Leben lang mit den
+Schöpfungen der Kunst, der Poesie ...</p>
+
+<p>Denn was ist ihrer aller Mittelpunkt? — —</p>
+
+<p>Das Weib! die unabsehbare Fülle der Empfindungen und Erlebnisse, welche
+die Berührung der Geschlechter dem Mannesleben erschließt ...</p>
+
+<p>Und so lebte unerschlossen ... unerlöst in den Tiefen dieser
+Gelehrtenseele die Sehnsucht aus der Theorie, aus dem Studium, aus der
+Nachempfindung heraus, in die Wirklichkeit ... in das Schauen ... in
+das Erleben ...</p>
+
+<p>Das aber, was sich vor ein paar Tagen auf der Landstraße neben dem
+Froschtümpel abgespielt, war das nicht ein Erlebnis gewesen ... kein
+sehr rühmliches ... kein sehr reiches ... aber doch immerhin eine
+Wirklichkeit, nicht bloß der Reflex einer solchen, nicht bloß ihr
+Spiegelbild in einer Dichterseele ... einem Buch ... einem Werk?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span></p>
+
+<p>Sein erstes, sein einziges Erlebnis, und — <em class="gesperrt">eine</em> Fortsetzung
+würde es ja doch finden müssen — den schuldigen, den längst fälligen
+Dankesbesuch. —</p>
+
+<p>Und eines Morgens um zwölf ließ sich Wilhelm Frobenius von dem getreuen
+Schmitz den Überrock, frischgewaschene weiße Glacéhandschuhe und den
+altmodischen Helm mit dem silbernen Landwehrkreuz zurechtlegen ...</p>
+
+<p>Eine halbe Stunde später stand er in einem dunkeln Salon mit
+Mahagonimöbeln und grünen Plüschfauteuils ... an den Wänden in
+schweren, goldenen Leisten tief nachgedunkelte Bilder preußischer
+Offiziere in den Uniformen vergangener Jahrzehnte und blasser Damen
+in schwarzen Krinolingewändern ... daneben in auffallendem Kontrast
+protzige Rahmen, welche die Bildnisse eines grobknochigen Mannes
+vom Typus des industriellen Emporkömmlings und einer schlichten,
+spießbürgerlichen Frau in violetter Seidenrobe umschlossen ...</p>
+
+<p>Eine zarte Dame mit nervösem, spitzem Gesicht, unruhig flackernden
+Augen, scharfer, leichtgeröteter Nase und schlichtem grauen Scheitel
+trat aus dem Nebenzimmer herein: »Bitte Platz zu nehmen, Herr Leutnant!«</p>
+
+<p>Frobenius versank fast in dem niedern Sammetsessel und hatte einige
+Mühe, seine langen Beine, den Säbel und Helm schicklich unterzubringen.
+»Gnädige Frau werden bereits gehört haben ... ich hatte neulich das
+Unglück ... man hatte mir ein unbrauchbares Pferd geschickt ... und Ihr
+Fräulein Tochter ...«</p>
+
+<p>»Ach, <em class="gesperrt">der</em> Herr sind Sie! —« Rücksichtslos kritisierend
+musterten die grauen Augen die Erscheinung des Besuchers.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span></p>
+
+<p>»Ich möchte also Ihrem Fräulein Tochter noch einmal meinen Dank für
+ihren gütigen Eingriff aussprechen —«</p>
+
+<p>»Ach, das war wohl nicht mehr als Christenpflicht von Nelly, Herr
+Leutnant!«</p>
+
+<p>»Werde ich die Ehre haben, das gnädige Fräulein selbst zu sehen —?«</p>
+
+<p>»Meine Töchter sind wieder ausgeritten, aber sie müssen jeden
+Augenblick wiederkommen!«</p>
+
+<p>Einen Augenblick Stille. Wilhelm Frobenius fühlte sich namenlos geniert.</p>
+
+<p>Frau von Sassenbach hatte inzwischen ihre Prüfung beendet — — Nein —
+<em class="gesperrt">der</em> Herr war ungefährlich!</p>
+
+<p>Und in viel liebenswürdigerm Ton stellte sie nun die üblichen Fragen:
+Wie der Herr Leutnant sich im Regiment gefalle ... wie er mit seinem
+Kompagniechef zufrieden sei ... ob er sich auf das Manöver freue. — —
+Er sei ja wohl Gelehrter im Zivilverhältnis — und aus Bonn — sieh da
+— aus dem schönen Bonn am Rhein.</p>
+
+<p>Ob er auch die dortigen Verwandten ihres Mannes, Seine Exzellenz den
+Generalleutnant a. D. von Sassenbach und seine Damen kenne —</p>
+
+<p>Das mußte Frobenius natürlich verneinen —</p>
+
+<p>Hinter seinem Rücken öffnete sich mit raschem Ruck die Tür. — Er
+fühlte: da ist sie — —</p>
+
+<p>»Ah, sieh da — der Herr Leutnant Frobenius — na, endlich!« Schelmisch
+drohte das Mädchen mit dem Finger.</p>
+
+<p>Sie hatte sich nicht Zeit genommen, sich umzukleiden ... schlank
+und straff stand sie da ... knapp umschloß das graue Reitkleid die
+elastische Gestalt ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span></p>
+
+<p>Auf ihren Lippen lag ein Lächeln ... ein Lächeln von so ganz anderer
+Art als neulich am Froschtümpel ...</p>
+
+<p>Und mit ausgestreckter Linken hielt sie dem Besucher einen stattlichen
+Folioband entgegen, auf dem — — sein Name stand ... »Man hat sich
+inzwischen mit Ihnen beschäftigt, wie Sie sehen, Herr — — Leutnant
+...«</p>
+
+<p>Mit einem Male überkam den Gelehrten das Gefühl einer wunderbaren
+Sicherheit. Schau, schau — nun wußte sie, nun mußte sie wissen, wen
+sie vor sich hatte ... mußte wissen, daß er nicht <em class="gesperrt">immer</em> das
+hilflose Opfer unmöglicher Situationen war.</p>
+
+<p>»Werden Sie glauben, Herr Leutnant, ich hab nicht nur Ihr Buch gelesen
+... ich hab auch zum ersten Male seit meiner Pensionszeit den Schiller
+wieder vorgenommen —!«</p>
+
+<p>»Ah — — das ist schön! — Aber nun lassen Sie mich Ihnen nochmals
+meinen aufrichtigen Dank —«</p>
+
+<p>»Aber so schweigen Sie doch bloß von der albernen Geschichte ... das
+war ja nicht der Rede wert ... Ich hab <em class="gesperrt">Ihnen</em> zu danken ... ich!«</p>
+
+<p>Und mit peinlicher Überraschung ward nun Frau von Sassenbach die stumme
+Beobachterin eines Gesprächs über Gegenstände, die in ihrem Salon noch
+niemals verhandelt worden waren ...</p>
+
+<p>Was war das ... Nelly glühte ja bei der Unterhaltung mit diesem
+langstelzigen Herrn, wie sie kaum je im Ballgespräch mit einem ihrer
+Verehrer geglüht hatte ...</p>
+
+<p>»Erinnere dich, Nelly, daß wir heute mittag bei Frau von Czigorski zu
+Tisch gebeten sind! es wird Zeit, dich umzukleiden!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p>
+
+<p>Der Besucher verstand. »Ich darf die Damen nicht länger aufhalten!«</p>
+
+<p>»Ich hoffe, Sie werden mir noch mehr von Schiller erzählen, Herr
+Frobenius,« sagte das Mädchen, indem es sich erhob.</p>
+
+<p>»Ich fürchte,« meinte Frobenius, »dazu wird kaum Gelegenheit sein!«</p>
+
+<p>»Aber gewiß! — erstens sehen wir uns doch nächstens auf dem
+Regimentsfest — und zweitens werden wir doch hoffentlich bald einmal
+das Vergnügen haben — nicht wahr, Mama? — Herrn Frobenius bei uns zu
+sehen!?«</p>
+
+<p>»Ich hoffe das gleiche,« sagte Frau von Sassenbach in einem Ton, der
+wenig mit dem Inhalt ihrer Worte stimmte ..</p>
+
+<p>»Leben Sie wohl, Herr Frobenius, und seien Sie nochmals bedankt ... ja
+... seien Sie bedankt ...! Auf Wiedersehn, Herr Frobenius!«</p>
+
+<p>Beim Aufstehen kamen Beine und Säbel abermals in Konflikt.</p>
+
+<p>Was tat's! — — Auf Wiedersehn! hatte sie gesagt — auf Wiedersehn —
+—</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>In dem Kreise der Gleichgültigen und Zurückhaltenden, in dem Frobenius
+sich bewegte, hatte er, ohne es zu wissen und zu ahnen, einen
+geschworenen verbissenen Feind.</p>
+
+<p>Major von Sassenbach hatte sich beim Hauptmann Goll genau nach den
+Umständen erkundigt, unter denen der Reitunfall des Landwehroffiziers
+zustande gekommen war.</p>
+
+<p>Goll hatte ihm erzählt, wie besorgniserregend sich der Gaul bereits
+auf dem Kasernenhof benommen — wie er<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> sich dann beim Ausreiten zum
+Exerzierplatz zur Ruhe gegeben habe, beim Klang der ersten Schüsse aber
+plötzlich wie wahnsinnig geworden und nach kurzem Widerstande seines
+Reiters in besinnungsloser Karriere mit ihm davongerast sei.</p>
+
+<p>Der Major hatte sich erinnert, daß Leutnant von Finette ihm erzählt,
+es handle sich um ein notorisch verdorbenes Pferd, und er hielt sich
+für verpflichtet, festzustellen, wie es zusammenhängen mochte, daß die
+Verwaltung des Tattersalls einen solchen Schinder einem Offizier zu
+dienstlicher Verwendung an die Hand zu geben gewagt habe.</p>
+
+<p>Zufällig kam er in den nächsten Tagen an der Reitbahn vorbei, suchte
+den Direktor auf und beschwerte sich sehr energisch.</p>
+
+<p>Der schien untröstlich, ließ sofort den Stallaufseher kommen. Dieser
+war sehr erstaunt, daß ihm eine Rüge zugedacht war; just dieses Pferd
+sei ausdrücklich verlangt worden.</p>
+
+<p>Von wem denn?</p>
+
+<p>Ja, das wisse er nicht mehr. Er müsse in der Liste nachsehen.</p>
+
+<p>Er kam zurück, meldete: der Bursche des Oberleutnants Menshausen habe
+das Pferd bestellt — anzuschreiben für Herrn Leutnant der Landwehr
+Frobenius.</p>
+
+<p>Nun wußte der Major genug.</p>
+
+<p>Er sprach dem Direktor der Reitbahn sein Bedauern über das
+Mißverständnis aus, empfahl sich und überlegte ...</p>
+
+<p>Was tun? — Offenbar hatte der kaltherzige Geselle, den der Major
+ohnedies nicht leiden konnte, dem harmlosen<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> Landwehrfritzen einen
+infamen Streich gespielt — Was war nun anzufangen —? Frobenius
+Mitteilung machen —? Aber dann mußte es ja Mord und Totschlag geben —
+— Nein — er wollte sich den intriganten Herrn privatim vorbinden.</p>
+
+<p>Bei nächster Gelegenheit stellte er Menshausen: »Herr Oberleutnant, Ihr
+Bursche hat am vergangenen Donnerstag vormittag im Tattersall ein Pferd
+abgeholt — war das für Sie oder für jemand anders?«</p>
+
+<p>Das fahlbraune Gesicht des Oberleutnants wurde noch um einen Ton fahler
+... die aufgedrehten Schnurrbartspitzen zuckten leise ... »Das war —
+für jemand anders, Herr Major!«</p>
+
+<p>»Für wen denn?«</p>
+
+<p>»Für den Leutnant der Landwehr Frobenius!«</p>
+
+<p>»Wie kamen Sie dazu?«</p>
+
+<p>»Der Bursche des Herrn Frobenius wußte noch nicht Bescheid im
+Tattersall!«</p>
+
+<p>»So — und da haben Sie ihm also freundlicherweise den Ihrigen zur
+Verfügung gestellt?«</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Major!«</p>
+
+<p>»Und — wie war es denn möglich, daß der Bursche mit dem notorisch
+unbrauchbaren und gemeingefährlichen Viech angezogen gekommen ist?«</p>
+
+<p>»— — Woher soll ich das wissen, Herr Major!? — ich bedaure das
+selbst aufs lebhafteste — ist eben 'ne kolossale Schweinerei von den
+Stallburschen im Tattersall.«</p>
+
+<p>»Hm — also <em class="gesperrt">Sie</em> hatten dem Burschen keine Anweisung gegeben,
+welches Pferd er bringen solle?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span></p>
+
+<p>»Ich, Herr Major? — —«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick stieg eine dunkle Welle in das schnauzbärtige
+Antlitz des Stabsoffiziers ... die starken Kinnmuskeln begannen
+mächtig zu arbeiten ... zwischen den zusammengepreßten Lippen drang
+keuchend der Atem hervor und blies die lang herabhängenden grauen
+Schnurrbartborsten in die Höhe ...</p>
+
+<p>Herrgott, der Major wußte Bescheid! — Wie? — das mochte der Teufel
+wissen —!</p>
+
+<p>»Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung, Herr Major — ich habe die
+Unwahrheit gesagt —«</p>
+
+<p>»Das heißt: Sie haben mich unverschämt belogen, Herr! — Frech und
+schamlos belogen haben Sie mich!!«</p>
+
+<p>»Herr Major, ich muß ganz gehorsamst bitten —«</p>
+
+<p>»Gar nichts bitten müssen Sie ... Soll ich Sie dem Ehrenrat melden —?!
+Wissen Sie, was dann mit Ihnen passiert?!«</p>
+
+<p>Totenblaß, mit bebenden Lippen stand Menshausen vor dem Vorgesetzten
+... die weißbehandschuhte Rechte am Mützenschirm flatterte hin und her
+...</p>
+
+<p>»Haben Sie gewußt, daß der Herr von der Landwehr keinen Schimmer vom
+Reiten hatte?«</p>
+
+<p>»Nein, Herr Major — ich habe ihn erst am Tage vorher beim Mittagessen
+kennen gelernt.«</p>
+
+<p>»Na, und da haben Sie ihm nicht auf den ersten Blick angesehen, daß er
+nicht der Mann ist, einen solchen Racker zur Räson zu bringen?!«</p>
+
+<p>Menshausen schwieg.</p>
+
+<p>»Geben Sie also zu, daß Sie sich einer Infamie schuldig gemacht haben?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span></p>
+
+<p>»Herr Major —!«</p>
+
+<p>»Geben Sie's zu —?! Oder wollen Sie's vom Ehrengericht bescheinigt
+haben?! — Nicht nur, daß Sie sich skandalös unkameradschaftlich
+benommen haben ... Sie haben ein Menschenleben in Gefahr gebracht ...
+Na, und Sie wissen ja auch, wem Sie's zu verdanken haben, daß Sie nicht
+als fahrlässiger Mörder dastehen —! Genügt Ihnen das nicht, um einfach
+in den Boden zu sinken, Sie — —? Also noch einmal: geben Sie zu, daß
+Sie sich ganz unqualifizierbar benommen haben — geben Sie's zu —?«</p>
+
+<p>»Es — es — — soll nicht wieder vorkommen, Herr Major!«</p>
+
+<p>»Ich denke in diesem Augenblick daran, daß Ihr verstorbener Herr Vater
+ein Kriegsschulkamerad von mir gewesen ist ... dazu können Sie sich
+gratulieren ... sonst — — Aber ich werde Sie im Auge behalten, Herr
+Oberleutnant — verlassen Sie sich darauf! Danke —!!«</p>
+
+<p>— — Für diese Stunde hatte Menshausen Rache geschworen.</p>
+
+<p>Ohne daß Frobenius eine Ahnung davon hatte, umlauerte Menshausen seinen
+ganzen Lebenswandel, dienstlichen und außerdienstlichen ... Irgendwo
+würde man schon etwas finden, wo man hinterhaken könnte ...</p>
+
+<p>Es war ja doch auch reinweg zum Verrecken ... immer kam aller Ärger von
+den verdammten Gehirnfatzken, die dem ehrlichen Soldaten hier in seine
+Arbeit hineinkorksten ...</p>
+
+<p>Vor wenig Tagen hatte er draußen bei der Felddienstübung wegen des
+versedrechselnden Einjährigen einen Riesenanriß besehen ... und nun
+diese gottverfluchte Schweinerei,<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> die ihn das Wohlwollen seines
+Bataillonskommandeurs gekostet hatte! —</p>
+
+<p>Das sollte nicht vergessen werden —!</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Während die Reserveoffiziere sich bei den höhern Vorgesetzten lediglich
+dienstlich zu melden hatten, war es üblich im Regiment, daß sie ihrem
+Kompagniechef noch einen gesellschaftlichen Besuch in dessen Wohnung
+abstatteten; bei den verheirateten Herren pflegten sie aber zwei Karten
+nur dann abzugeben, wenn sie dazu besonders aufgefordert wurden.</p>
+
+<p>Das lag ja bei Martin Flamberg vor ...</p>
+
+<p>Eines Morgens nach dem Dienst warf er sich in Besuchsanzug, um Frau von
+Brandeis seine Aufwartung zu machen.</p>
+
+<p>Er hatte, wie täglich bei der Rückkehr von der Kaserne, ein zärtliches
+Briefchen seiner Braut vorgefunden, und während er sein zweites
+Frühstück verzehrte, überlas er, ein stilles Lächeln um die Lippen, die
+beglückenden Zeilen ...</p>
+
+<p>Agathe richtete zurzeit daheim das eheliche Nest ein und meldete
+freudestrahlend, daß die Saloneinrichtung aufgestellt sei ...</p>
+
+<p>»Auch noch für ein anderes Zimmer sind die Möbel angekommen. Denk dir
+selbst, du Schlimmer, für welches!«</p>
+
+<p>Ach, du süßes, süßes Mädel! ... Herrgott, nur sieben Wochen noch! —</p>
+
+<p>Er schob den Brief in den Ärmel seines Überrocks und machte sich auf
+den Weg.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span></p>
+
+<p>Eine Weile noch spann seine Phantasie die holdseligen Träume weiter.
+Dann aber begannen sich seine Gedanken mit dem Ziel seines Besuches zu
+beschäftigen.</p>
+
+<p>Er hatte genug im Regiment von Frau von Brandeis gehört, um zu wissen,
+daß er einem nicht ganz gewöhnlichen Erlebnis entgegengehe.</p>
+
+<p>Niemand wollte so recht begreifen, wie Herr von Brandeis an diese Frau
+gekommen war.</p>
+
+<p>Ein liebenswürdiger Herr von tadellosen Manieren, einigem
+Unterhaltungstalent und auch von durchschnittlichen militärischen
+Fähigkeiten.</p>
+
+<p>Daß er allerdings einmal im Schießen mit seiner Kompagnie den
+Kaiserpreis davongetragen, das schrieb man weniger seinen eigenen
+Bemühungen zu, als der Tüchtigkeit seines Kompagnieoffiziers, des
+nunmehrigen Regimentsadjutanten, Oberleutnant von Schoenawa. Und so
+mißgönnte man ihm ein klein wenig den Roten Adlerorden vierter Klasse,
+den er diesem glänzenden Schießresultat seiner Kohorte verdankte.</p>
+
+<p>Was man aber als ganz und gar wohlverdient ansah, das waren die
+zahlreichen Frühstücksorden, die ihm zuteil geworden waren, wenn er das
+Regiment bei Fürstenbesuchen und Hoffestlichkeiten zu vertreten hatte;
+denn seine Repräsentationstalente waren beträchtlich, und Englisch und
+Französisch sprach er wie seine Muttersprache.</p>
+
+<p>Aber das alles waren doch keine Qualitäten, die Anspruch auf die Gunst
+einer Dame, wie seine Frau war, gewährten!</p>
+
+<p>Frau Cäcilie war vor anderthalb Jahren dem Regiment wie ein Stern
+aufgegangen ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p>
+
+<p>Jeder kannte die Höhe ihrer Mitgift und wußte, daß sie auf ein noch
+ganz anderes Vermögen Anwartschaft hatte, wenn sie einmal ihre noch
+recht rüstigen Eltern in Wiesbaden beerben würde.</p>
+
+<p>Inmitten eines Offizierkorps, dessen Angehörige weder von Hause aus
+noch im großen und ganzen infolge ihrer ehelichen Verbindungen durch
+namhafte Vermögen ausgezeichnet waren, gab soviel Geld immerhin die
+Folie des Außergewöhnlichen.</p>
+
+<p>Aber mehr noch als diese äußeren Güter war es der Ruf ihrer
+eigenartigen Schönheit, ihres Geistes und ihrer Talente, was sie hoch
+über das Durchschnittsniveau der im Regiment vertretenen Weiblichkeit
+heraushob und die erstaunte Frage berechtigte, wie eine solche Dame
+sich mit einer glatten Mittelmäßigkeit wie Fritz von Brandeis habe
+begnügen können! —</p>
+
+<p>Es herrschte in den gesellschaftlichen Beziehungen der Herren des
+Regiments zu seinen Damen im allgemeinen ein ausgezeichneter Ton. Die
+Frauen und Töchter der Kameraden galten auch den ausgesprochensten Don
+Juans als Tabu.</p>
+
+<p>Um die schöne Frau von Brandeis aber, die Tochter der Künstlerstadt,
+wehte es wie ein geheimnisvoller Hauch von Seltsamem ... geheimnisvoll
+Lockendem ... der sie aus der Schar der bieder korrekten Frauen und
+Mädchen heraushob, die man sonst an der Seite der Kameraden zu sehen
+gewohnt war ...</p>
+
+<p>Und die keckern unter den jüngern Herren hatten denn auch in aller
+Vorsicht einmal Fühler ausgestreckt — aber sie waren rasch und
+gründlich enttäuscht worden —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span></p>
+
+<p>Frau von Brandeis war eine ebenso tadellose wie zärtliche Gattin —</p>
+
+<p>Oberleutnant Menshausen, der Abgott aller Nähmädchen und Ladenmamsells
+der Garnison, hatte im Vertrauen auf eine nicht unbeträchtliche Reihe
+von Erfolgen auf gefährlichen Gebieten einmal einen etwas schärfern
+Ansturm riskiert ... aber die schöne Frau hatte ihm in einer Weise
+heimgeleuchtet, die ihm ein für allemal den Mut zu weitern Versuchen
+benommen hatte.</p>
+
+<p>Von alledem hatte Martin Flamberg in den letzten Tagen im Kasino
+genug gehört, um mit einiger Spannung seinem heutigen Erlebnis
+entgegenzusehen ...</p>
+
+<p>Nun, er war ja abgehärtet ... mochte Frau von Brandeis immerhin ein
+kleines Wunder sein ...</p>
+
+<p>Wenn er die Reihe strahlender Schönheiten an sich vorüberziehen ließ,
+die im vergangenen Sommer seinem Pinsel gesessen hatte, so brauchte er
+nicht zu befürchten, in Versuchung zu kommen ... Agathe konnte ganz
+ruhig sein! —</p>
+
+<p>Sein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung ... Unwillkürlich
+hatte er sich ein Bild der vielberedeten Erscheinung gemacht ...
+groß — königlich — brünett ... Nun war sie einen Kopf kleiner als
+er selbst, von rötlich-braunem, flimmerndem Haar, zarten Farben,
+lebhaftem, etwas unruhigem Auge ... Gewiß ein sehr anmutiges Geschöpf
+... aber für ihn, den Verwöhnten, doch nichts Außergewöhnliches ...</p>
+
+<p>Mit großer Lebhaftigkeit leitete Frau Cäcilie das Gespräch ein: »Ich
+entsinne mich sehr wohl, Herr Flamberg, Ihnen einmal in Gesellschaft
+begegnet zu sein!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span></p>
+
+<p>»Ah, bei Kommerzienrat Trinkaus, nicht wahr, meine Gnädigste?«</p>
+
+<p>»Gewiß, bei Trinkaus. Ich weiß noch, Sie haben einen auffallend
+schlecht sitzenden Frack getragen ... Daran hab ich gleich gemerkt:
+der muß was Besonderes sein ... Wenn einer bei Trinkaus so schlecht
+angezogen herumlaufen darf, das ist sicher ein Genie ...«</p>
+
+<p>»Stimmt, stimmt!« lachte Flamberg, »gepumpt für zwei Mark fünfzig!«</p>
+
+<p>»Heute scheinen Sie etwas mehr auf Schneider zu halten!?«</p>
+
+<p>»Geschäftssache, gnädige Frau! — Ein gewisses Publikum glaubt nur an
+Künstler, die in erstklassigen Ateliers arbeiten lassen können!«</p>
+
+<p>»So — und das können Sie also!?«</p>
+
+<p>»Man schlägt sich so durch, gnädige Frau!«</p>
+
+<p>»Ich glaub's ... Sie müssen nämlich wissen, Herr Flamberg, ich war
+diesen Juni mit meinem Mann auf Urlaub in Berlin ... Da hab ich Ihre
+zwei Bilder in der Sezession gesehen ... Wissen Sie, was mein Mann
+damals zu mir sagte? Du, so ein Bild möcht ich von dir haben!«</p>
+
+<p>Aha — dachte Martin Flamberg, darauf will's also hinaus ...</p>
+
+<p>»Ich beneide Sie!« fuhr die schöne Frau fort, »ich beneide euch
+Künstler überhaupt!«</p>
+
+<p>»Beneiden? — um was?«</p>
+
+<p>»Wie soll ich sagen — Sie sitzen hier friedlich und plaudern oder
+strampeln draußen auf der Heide herum und führen Ihren Zug ... und
+derweile reisen Ihre Bilder in<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> der Welt herum ... reden zu Tausenden,
+was für ein Kerl Sie sind ... Ist das nicht beneidenswert? — Ich
+möchte es — die Fernwirkung Ihrer Persönlichkeit nennen!«</p>
+
+<p>»Ach, gnädige Frau, mich dünkt ... viel beneidenswerter als solche
+Fernwirkung, von der man schließlich doch nichts hat ... viel
+beneidenswerter muß die Nahwirkung sein, die eine schöne Frau ausübt.«</p>
+
+<p>»Ach je, die Nahwirkung ... auf wen denn? ... Wen hab' ich denn, um
+›nahzuwirken‹? Die Stabsoffiziere ... grämlich ... früh verbraucht
+— die Hauptleute ... dienstgehetzt — dazu die streberhaften
+Oberleutnants und die ungaren Leutnants ...«</p>
+
+<p>»Sie urteilen sehr hart, gnädige Frau ... Diese Herren sind doch die
+Kameraden, die Berufsgenossen Ihres Gatten.«</p>
+
+<p>»Ums Himmels willen, hab ich mir mal wieder den Mund verbrannt!? — Na,
+das bleibt doch unter uns, nicht wahr, Herr Flamberg?«</p>
+
+<p>»Selbstverständlich! — Nun ja ... ich kann's mir schließlich
+vorstellen ... Sie kommen aus so ganz andern Kreisen ... Aber ich
+meine, auch Ihnen müßte das doch imponieren, diese unermüdliche,
+opferfreudige Kleinarbeit, die hier geleistet wird!«</p>
+
+<p>»Kleinarbeit ... ja wahrhaftig, Kleinarbeit!«</p>
+
+<p>»Aber eine sehr wichtige und nützliche Arbeit! — Flößt Ihnen das denn
+keinen Respekt ein?«</p>
+
+<p>»Respekt — o ja!«</p>
+
+<p>»Und schließlich — was geht Sie am Ende das Milieu an, in dem Sie
+leben? — In einer Häuslichkeit wie dieser ... an der Seite eines
+liebenswürdigen, ritterlichen Gatten, wie der Ihre ist ...«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span></p>
+
+<p>»O ja!«</p>
+
+<p>Schon wieder dies »O ja!« — Dies »O ja!«, das er so gut kannte! —</p>
+
+<p>Das kam ja immer zuerst, wenn eine verheiratete Frau zu kokettieren
+begann ... dies korrekt sich stellende, zugleich aber leises Bedauern,
+heimliche Enttäuschung andeutende »O ja« über den Gatten — —</p>
+
+<p>Äh ... sie waren doch alle gleich ... alle, alle versuchten sie dies
+ewig gleiche, langweilige Spiel ... dies Spiel, das eben doch nichts
+weiter war und bleiben sollte, als ein Spiel ... ein Flirt ... eine
+inhaltlose Sensation!</p>
+
+<p>Ein ernsthaftes Abenteuer — ach, dazu waren sie ja doch fast alle zu
+feige ... zu satt und zufrieden am Ende in ihrem warmen Nest ... aber
+sich einen Flirt versagen zu können ... dazu waren sie doch wieder alle
+zu unausgefüllt ... zu unvornehm ... zu charakterlos ...</p>
+
+<p>Gräßlich, dies frivole, ziellose Spiel mit den heiligsten Dingen ...
+mit Treue und Leidenschaft ... Wie rasch man das durchschaute ... wie
+rasch der pikante Reiz der ersten derartigen Erlebnisse verweht war ...
+und dann widerte es einen nur noch an ... Also von der Sorte war auch
+diese da ...!</p>
+
+<p>Fast brüsk brach er auf und empfahl sich.</p>
+
+<p>»Wir hoffen, Sie nächstens bei uns zu sehen, Herr Flamberg!«</p>
+
+<p>Klischee, Klischee — — Und so etwas galt im Offizierkorps als eine
+Art höheres Wesen —</p>
+
+<p>Schade — ein hübsches Bildchen hätte sie schon abgegeben: die
+schwermütigen braunen Augen unter der weißen<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> Stirn, mit dem
+rostfarbenen, straffen Haarkranz darüber und ... Eine feine
+Schulterlinie hatte sie gewiß auch ... Der Unterarm, die feine, nervöse
+Hand ... Das war vielversprechend gewesen —!</p>
+
+<p>Ausführlich und sehr lustig berichtete er an Agathe.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Schon einige Tage später konnte Martin Flamberg sich überzeugen, daß
+sein Künstlerauge recht vermutet hatte.</p>
+
+<p>Drei Tage nach seinem Besuch lud ihn ein silbergraues Kärtchen zu einer
+Abendgesellschaft in kleinem Kreise ... ein Kärtchen, bekritzelt mit
+einer seltsamen Handschrift: feste Auf- und Abstriche, doch umschwirrt
+von einem kapriziösen Gewirr hin- und herfahrender Schnörkel ... links
+oben in der Ecke ein Doppelwappen, vermutlich das Adelswappen derer von
+Brandeis und das bürgerliche der alten Düsseldorfer Patrizierfamilie,
+aus der die junge Frau hervorgegangen ... Freilich! sie konnte es sich
+leisten, das Wappen ihrer Sippe neben dem adeligen aufzupflanzen ...</p>
+
+<p>Er führte die Frau des Hauses zu Tisch — — Außer ihm: Major von
+Sassenbach mit Frau und Töchtern, Oberleutnant von Schoenawa und
+Leutnant Blowitz.</p>
+
+<p>Heute sah er sie ganz anders.</p>
+
+<p>Die drei andern Damen, die Offiziere, nicht zuletzt der Gatte, gaben
+dieser Frau eine Folie, die sie seltsam hob ... In dieser Umgebung,
+wahrhaftig, erschien sie wie ein hinverwehtes Wunder.</p>
+
+<p>Aller Augen hingen an ihr; sie beherrschte die Unterhaltung.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p>
+
+<p>Spießbürgerliche Mißbilligung lag auf dem spitzen Gesicht der Frau von
+Sassenbach ... rötete ihre Nase ... ließ ihre grauen Augen in frostigem
+Pharisäertum funkeln ...</p>
+
+<p>Die stattlichen Majorsmädel verschlangen die elegante junge Frau in
+naiver Bewunderung ...</p>
+
+<p>Leutnant Blowitz, ein braver Junge, huldigte ihr mit knappenhafter
+Ergebenheit ...</p>
+
+<p>Schoenawa, ein kalt beherrschter Energiemensch, verfolgte jede ihrer
+Bewegungen mit verschlossenem, finsterm Ernst ... Nur zuweilen
+flimmerte in seinen frostigen schwarzen Augen ein heißer Strahl; der
+verriet Martin Flambergs geschultem Malerauge: auch dieses Mannes
+Seele, soviel er davon besitzen mochte, stand im Banne der Hausherrin
+...</p>
+
+<p>Ihr Gatte glänzte übers ganze Gesicht vor demütig anbetender
+Bewunderung, vor Glück und Stolz, der legitime Besitzer so vieler
+Herrlichkeit zu sein ...</p>
+
+<p>All diese Verehrung, diese teils freiwillige, teils widerwillige
+Bewunderung steckte den Maler an.</p>
+
+<p>Und wirklich ... sie sah strahlend aus ... sie trug eine fraisefarbene
+Seidenrobe, überrieselt von einem bronzefarbenen Spitzengewirk ...
+Der Ausschnitt ließ eine Schulterlinie von adeliger Zeichnung frei,
+den Hals mit leisem Rosa angetönt ... ihn umzog ein dünnes goldenes
+Kettchen mit einem smaragdgrünen Darmstädter Glasschmuck ... Für
+Maleraugen ein Fest ...!</p>
+
+<p>Das sprach er nach Tisch bei der Zigarre dem Hauptmann aus.</p>
+
+<p>Der griff die Andeutung rasch und gewährungsfreudig auf.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span></p>
+
+<p>Martin merkte, er war einem geheimen Wunsch seines Kompagniechefs
+entgegengekommen ...</p>
+
+<p>Und zwei Tage später stand der Maler im Wintergarten der Villa Brandeis
+mit Pinsel und Palette der Hausherrin gegenüber. Flamberg hatte sich
+ein förmliches Atelier zwischen den Palmen und Skabiosen improvisieren
+dürfen. Als Hintergrund hatte er eine spanische Wand aufgestellt und
+eine blaßrosa Sammetdecke darüber aufgehängt, die er in einem der
+Salons entdeckt hatte.</p>
+
+<p>Er selber trug über der grauen Litewka eine grobe blaue Küchenschürze,
+die Frau Cäcilie persönlich unter Lachen und Scherzen ihm umgebunden ...</p>
+
+<p>Und nun durfte er sie ungeniert und gründlich betrachten, wie sie vor
+ihm im Sessel lehnte in dem Kostüm von neulich, das er sich ausgebeten
+hatte ... in der fraisefarbenen Seidenrobe mit dem rieselnden Gewirk
+bronzener Spitzen ... mit dem geraden Ausschnitt, der die herrliche
+Schulterlinie enthüllte ...</p>
+
+<p>Seltsam war ihr zumute unter dem durchdringenden, enthüllenden Blick
+der braunen, durstigen Künstleraugen ... Weich ... hingebend ...
+opferfroh ...</p>
+
+<p>Einmal trat der Maler auf sie zu, um ein paar Falten ihres Gewandes
+anders zu ordnen ... da durchschauerte es sie ... unwillkürlich schloß
+sie leise die Augen ... neigte das flimmernde, duftende Haupt zurück ...</p>
+
+<p>Martin Flamberg mußte sich zusammennehmen ... mußte mit Gewalt an seine
+ferne Agathe denken ...</p>
+
+<p>Und das war nun jeden zweiten Tag ein paar Stunden ... jeden zweiten
+Tag ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span></p>
+
+<p>Manchmal kam Hauptmann von Brandeis vom Nachmittagsbesuch im
+Kompagnierevier zurück, steckte, freundlich lächelnd, den Kopf ins
+»Atelier«, warf einen prüfenden Blick auf die Fortschritte des Abbildes
+... einen strahlenden auf das Original ...</p>
+
+<p>Das Lächeln, das diesen Blick erwiderte, ward täglich matter und matter
+... Brandeis merkte es nicht.</p>
+
+<p>»Wie finden Sie meinen Mann?« fragte Frau Cäcilie einmal den Künstler.</p>
+
+<p>»Ich bin ihm sehr gut, er ist so eine wahre Natur, durch und durch
+echt — so etwas empfinden wir stets als besonders wohltuend — wir
+verlogenes, verdorbenes Künstlergesindel, wir —«</p>
+
+<p>»Verlogen und verdorben — seid ihr alle so —?«</p>
+
+<p>»Alle ... das liegt in unserm Handwerk ... das ganze Leben ist uns ja
+doch nur ein Vorwand ... alle Menschen sind uns nur Mittel zum Zweck
+...«</p>
+
+<p>»Aber zu was für einem Zweck —!«</p>
+
+<p>»Zu keinem schlechten — das weiß Gott! — Aber die Menschen, die mit
+uns umgehen, sind dennoch immer betrogen ... wir nützen sie aus, und
+sie dürfen's nicht merken ... beileibe nicht ... daß sie uns nichts
+sind als Modelle!«</p>
+
+<p>»Das sagen Sie — ein Bräutigam?«</p>
+
+<p>»Das ... steht auf einem andern Blatt, gnädige Frau ...«</p>
+
+<p>»Also doch nicht so ganz Übermensch ... doch irgendwo ein Fleckchen in
+Ihrem Herzen, wo man sich anbauen kann?! —«</p>
+
+<p>Martin Flamberg malte und schwieg.</p>
+
+<p>»Heut abend bleiben Sie zum Tee bei uns! — Mein Mann kommt erst
+um acht Uhr aus der Kaserne zurück —<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Sie werden mir inzwischen
+Gesellschaft leisten, und ich werde Ihnen etwas vorsingen!«</p>
+
+<p>Martin Flamberg atmete tief auf ... »Wer könnte da ›nein‹ sagen —?«</p>
+
+<p>»Ich habe schon lange auf die Gelegenheit gelauert, Ihnen zu zeigen
+... ein bißchen Wer bin ich auch ... ein bißchen mehr als all die
+Kommißgänschen hier herum ... ein ganz klein bißchen pass' ich auch in
+die Welt, in der Sie heimisch sind —«</p>
+
+<p>— — Und Frau Cäcilie saß am Flügel ...</p>
+
+<p>Sie schien zu wachsen, als nun die ersten Akkorde aufschauerten unter
+den schlanken, nervösen Fingern ...</p>
+
+<p>Nur die Kerzen am Instrument brannten im Zimmer ... warfen gelbe
+Lichter auf die erdbeerfarbene Seide ... flimmernde Reflexe in die
+straffe Haarkrone — darunter schimmerte die weiße Stirn mit mattem
+Opalglanz ...</p>
+
+<p>Nun öffnete sich sanft der schmale Mund ... und weiche Töne quollen
+durchs Zimmer:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Nicht im Traume hab' ich das gesehn, </div>
+ <div class="verse indent0">hell im Wachen stand es schön vor mir, </div>
+ <div class="verse indent0">eine Wiese voller Margeriten ...« </div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Martin saß im Halbdunkel. Ah, Straußens »Freundliche Vision« —
+die dunkelschwüle Weise, wie sie zu der Stunde paßte ... Martins
+Seele löste sich ganz ... ein heißes Fluten hub an, wogte und webte
+durcheinander ...</p>
+
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Und ich geh mit einer, die mich lieb hat, </div>
+ <div class="verse indent0">ruhigen Gemütes in die Kühle </div>
+ <div class="verse indent0">dieses stillen Gartens, in den Frieden, </div>
+ <div class="verse indent0">der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.« </div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Mit einer, die mich lieb hat ... Agathe ... Agathe ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p>
+
+<p>Gewaltsam hatte Martin die Erregung zurückzudrängen versucht, die aus
+der Tiefe seiner Seele in seine Augen quoll ... Nun übermannte es ihn
+plötzlich ...</p>
+
+<p>»Herr Flamberg, was haben Sie —?«</p>
+
+<p>»Ich habe heim gedacht ... heim gedacht an ein fernes Mädchen — das
+hat keine Ahnung, daß ich in diesem Augenblick —«</p>
+
+<p>»Nun — was?«</p>
+
+<p>»— daß ich einer Stimme lausche ... einer Stimme, die nicht die ihre
+ist ...«</p>
+
+<p>»Nun — und was ist dabei?«</p>
+
+<p>»Viel ist dabei — — —«</p>
+
+<p>»Ach Sie — Sie Künstler Sie — ich weiß ja, alles nur Vorwand, alles
+nur Modell ... Sie haben's ja selbst gesagt.«</p>
+
+<p>»Gnädige Frau —!«</p>
+
+<p>»Haha ... nun wollen Sie's wohl gar nicht Wort haben ... aber Sie haben
+sich verraten ... Nun dürfen Sie sich nicht wundern, wenn man Sie nicht
+so tragisch nimmt!«</p>
+
+<p>Die junge Frau ging mit raschen Schritten zum Flügel zurück ... schlug
+einen schrillen Akkord an ... ging in eine tolle Walzermelodie über ...
+dann brach sie plötzlich ab, sang zu übermütiger Weise abermals einen
+Bierbaumschen Text:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Maikater singt die ganze Nacht:</div>
+ <div class="verse indent0">Der Frühling ist erwacht, erwacht!</div>
+ <div class="verse indent0">Der Frühling ist erwacht!«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>»Ah, ihr musiziert? — Das ist recht ... und so lustig! — Das freut
+mich! Entschuldige, liebes Kind, daß ich so spät komme ... und auch
+Sie, lieber Flamberg ... danke Ihnen, daß Sie meiner Frau Gesellschaft
+geleistet haben ...!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span></p>
+
+<p>— — An diesem Abend vergaß Martin Flamberg zum ersten Male, vorm
+Schlafengehen am Sternenhimmel Agathens Augen zu suchen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am 17. August, am Vorabend des Tages von Gravelotte, wurde das Regiment
+aus der Stimmung der Festvorbereitung durch eine plötzliche Trauerkunde
+gerissen: Seine Durchlaucht der Erbprinz von Nassau-Dillingen, der
+Kommandeur des rheinischen Armeekorps, war nach kurzer Krankheit in
+Koblenz gestorben.</p>
+
+<p>Wenige Stunden nach Ankunft der Trauernachricht kam auch bereits die
+Allerhöchste Kabinettsorder, nach welcher die Offiziere des Armeekorps
+auf vierzehn Tage Trauer anzulegen hatten.</p>
+
+<p>In dieser Zeit eine große Feierlichkeit mit Musik und Tanz zu
+begehen, das wäre nicht schicklich erschienen. Und so mußte das lange
+vorbereitete Regimentsfest bis zu einem andern großen nationalen
+Gedenktage, dem Tage von Sedan, aufgeschoben werden. Dieser Tag hatte
+sonst für das Regiment nur die allgemeine patriotische Bedeutung, nicht
+die spezielle eines Ruhmestages: denn das rheinische Armeekorps hatte
+ja bei Sedan nicht mitgefochten.</p>
+
+<p>In anderer Beziehung aber klappte es mit der Verlegung recht hübsch.
+Der 2. September fiel nämlich auf einen Sonntag. Und da am Dienstag,
+den 4. September, die Abfahrt ins Manövergelände im Hunsrück angesetzt
+war, so blieb Montag, der 3., zum Packen, und das Regimentsfest wurde
+so, außer einem Begrüßungsfest für die Kommandeuse, zugleich ein
+Abschiedsfest.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span></p>
+
+<p>Für die aktiven Herren bedeutete das Ausrücken ins Manövergelände einen
+dreiwöchigen Abschied aus der Garnison.</p>
+
+<p>Die Offiziere des Beurlaubtenstandes würden überhaupt nicht mehr in
+die Garnison zurückkehren; sie würden sich am letzten Manövertage nach
+Schluß der Übung bei der Kritik abmelden können und galten damit als
+entlassen, um von der nächsten Bahnstation aus auf dem kürzesten Wege
+in ihre Heimat zurückkehren zu können.</p>
+
+<p>— Die letzten Wochen vor dem Feste waren verhältnismäßig ruhig
+verlaufen.</p>
+
+<p>Martin Flamberg hatte das Bild der Frau von Brandeis vollendet, und
+damit war für ihn die Veranlassung zu seinen regelmäßigen Besuchen
+in der Villa Brandeis weggefallen, nachdem im Kreise der Intimen des
+Hauses bei einer Sektbowle »Firnistag« gefeiert worden war ...</p>
+
+<p>Am folgenden Morgen hatte Hauptmann von Brandeis auf dem Rückmarsch von
+der Felddienstübung den hinter ihm marschierenden Flamberg an die Seite
+seines Pferdes gewinkt und hatte mit ihm in schnellerem Tempo einige
+Schritte Vorsprung vor der marschierenden Kompagnie gewonnen:</p>
+
+<p>»Nun sagen Sie mal, lieber Flamberg, wir wollen uns ganz offen darüber
+aussprechen — und ich denke, Sie nehmen mir das wohl nicht übel —
+Sie haben mir da das ersehnte Bild meiner Frau gemalt. Und Sie wissen
+ja, ich bin in ganz erfreulichen Verhältnissen. Bitte, machen Sie mir
+jetzt Ihren Preis, und genieren Sie sich durchaus nicht, die Sätze zu
+berechnen, die Sie auch sonst von Ihren Auftraggebern beanspruchen.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p>
+
+<p>Martin Flamberg sann einen Augenblick nach. Er fand es sehr richtig und
+vornehm von Herrn Brandeis, daß er es seiner, des Malers Entscheidung
+überließ, wie er die Angelegenheit auffassen wolle:</p>
+
+<p>»Ich bitte ganz gehorsamst, Herr Hauptmann, mir gestatten zu wollen,
+meine Arbeit Ihrer Frau Gemahlin als bescheidenen Ausdruck meines
+Dankes für liebenswürdige Gastfreundschaft zu Füßen zu legen, und
+Ihnen, Herr Hauptmann, als gleich bescheidenen Dank für die gütige
+Aufnahme, die ich schon zum zweiten Male bei der Königlichen Ersten
+gefunden habe!«</p>
+
+<p>Brandeis markierte liebenswürdige Verlegenheit: »Aber lieber Flamberg,
+wie soll ich das nur wieder gut machen?«</p>
+
+<p>»Das haben Herr Hauptmann bereits vorher getan! Nur eine Bitte möchte
+ich mir gestatten auszusprechen, vorausgesetzt selbstverständlich die
+Zustimmung Ihrer verehrten Frau Gemahlin: ich möchte bitten, mir zu
+erlauben, das Bild im nächsten Frühjahr in Berlin auszustellen!«</p>
+
+<p>»Na, lieber Flamberg — — selbstverständlich werde ich ja den Fall mit
+meiner Frau besprechen müssen ... aber ich zweifle nicht im geringsten
+daran ... daß sie stolz sein wird, in solch einer meisterhaften
+Verkörperung ... vor der staunenden Mitwelt paradieren zu dürfen ...«</p>
+
+<p>— — »Ja, was machen wir da, Cäcilie?« fragte Brandeis daheim, nachdem
+er berichtet hatte. »Eigentlich ist mir die Sache ein bißchen fatal ...
+das Bild ist ja ein fürstliches, ein unbezahlbares Geschenk ... das
+kann ich ja eigentlich gar nicht annehmen von dem fremden Herrn.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span></p>
+
+<p>»Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!« meinte Frau Cäcilie,
+»jedenfalls müssen wir uns in irgendeiner Form revanchieren.«</p>
+
+<p>»Da fällt mir was ein: Flamberg ist doch verlobt und heiratet
+unmittelbar nach dem Manöver. Da werden wir ihm also ein schönes
+Hochzeitsgeschenk machen!«</p>
+
+<p>»Aber bitte, nicht etwa einen Wertgegenstand, der auch nur einigermaßen
+wie eine Bezahlung aussieht!«</p>
+
+<p>»Ne, selbstverständlich das nicht!« lachte der Hauptmann, »das möchte
+uns auch wohl doch ein bißchen schwer fallen! — Weißt du, daß er für
+jedes der Bilder in der Sezession fünfzigtausend Mark bekommen hat?«</p>
+
+<p>»Mir fällt noch etwas anderes ein ... selbstverständlich, das mit dem
+Hochzeitsgeschenk, das wird gemacht ... aber ich werde der Braut einen
+prachtvollen Korb Rosen schicken mit unserer Visitenkarte!«</p>
+
+<p>Der Hauptmann war einverstanden. Und Frau Cäcilie ließ ein riesiges
+Arrangement prachtvoller La-France-Rosen zusammenstellen. Dazu sann sie
+sich noch etwas anderes aus: sie ließ Flambergs Werk photographieren
+und fügte eines der Bilder ihrer Sendung an die Braut des Malers bei.
+Zu dieser Sendung schrieb sie selbst ein paar Begleitzeilen:</p><br>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p>»Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein, empfangen Sie hierbei das
+Abbild des jüngsten Meisterwerkes Ihres Herrn Bräutigams, und erlauben
+Sie dem Original und dem künftigen Mitbesitzer des herrlichen Werkes,
+Ihnen die herzlichsten Wünsche zu Ihrer demnächstigen Vereinigung
+auszusprechen.</p>
+
+<p>Ein Mann, dem wir andern alle nichts sind als der
+gleichgültige äußere Anstoß für sein Schaffen, nichts als ein Motiv,
+ein Modell, das man festhält mit raschem, unfehlbarem Pinsel, und das
+dann, ach so schnell, einem neuen Platz machen muß, nichts als ein
+paar bunte Farbflecke in der Außenwelt — — einem solchen Mann dürfen
+Sie Lebensgesellin sein — Sie Glückliche. —</p>
+
+<p>Empfangen Sie unsre aufrichtigsten Empfehlungen.</p>
+
+ <p class="mright5">Fritz und Cäcilie von Brandeis.«</p><br>
+</div>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p>
+
+<p>Als Agathe van den Bergh diese Zeilen las, gab es ihr einen Ruck am
+Herzen ... Lange, lange studierte sie die Züge der Photographie,
+die klare Schrift mit den festen Grundzügen und dem kapriziösen
+Schnörkelgerank ...</p>
+
+<p>So war es nun schon die zwei Jahre hindurch gewesen: jedesmal, wenn
+sie ein neues Werk des Geliebten sah, hatte sie dies dumpf nagende
+Wehgefühl ... Es war nicht Eifersucht ... es war der unbegriffene
+Schmerz der reinen Mädchenseele, die empfand, daß sie dem geliebten
+Manne nicht alles — nicht alles war — niemals alles werden würde —
+ach nein, niemals mehr denn ein kleiner, kleiner Ausschnitt aus seiner
+Welt —</p>
+
+<p>Es war nicht Mißtrauen ... nur das geheime Grauen war's des ahnenden
+Mädchenherzens vor den Abgründen im Leben, in der Sehnsucht, in der
+Vergangenheit und Gegenwart des Mannes ... des Künstlers.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Am vorletzten Samstag vor dem Ausrücken — es war der 25. August —
+ging Martin Flamberg auf einen viertägigen Urlaub nach Düsseldorf ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span></p>
+
+<p>Wie im Fluge verstrichen ihm die wenigen Stunden der Heimfahrt ...</p>
+
+<p>Welch ein Sturm in ihm ... welch ein Sturm der Gefühle — der
+Leidenschaften — der Gedanken — der Grübeleien und Träume ... Agathe
+hatte ihm den großen Frieden seines Lebens bringen sollen — ihn
+ausfüllen bis in die Tiefen seiner Seele ... Er hatte gewähnt, in ihr
+jene große Liebe gefunden zu haben ... jene große Liebe, von der alle
+Menschen träumten ... und die Künstler heißer und sehnsüchtiger denn
+alle andern ... und nun — —</p>
+
+<p>Seine Besuche bei Frau Cäcilie hatten nun aufgehört, und seitdem erst
+war es ihm ganz bewußt geworden, was diese Besuche ihm bedeutet hatten
+... Nein wahrlich, was seitdem in seiner Seele fieberte und stürmte,
+das hatte wenig Ähnlichkeit mit dem großen Frieden, den er erhofft ...</p>
+
+<p>Agathe empfing ihn am Bahnhof. Der Präsident van den Bergh begleitete
+seine Tochter.</p>
+
+<p>Martin fühlte, wie seine Braut ihn prüfend ... angstvoll beobachtete
+... Er fühlte es, ohne daß er den Zusammenhang begriff; denn Agathe
+hatte es nicht übers Herz bringen können, auch nur ein Wort über die
+Sendung der fremden Dame und das seltsame Briefchen, das sie begleitet
+hatte, an ihren Verlobten zu berichten ...</p>
+
+<p>War es so etwas wie böses Gewissen, was Martin Flamberg hellsichtig
+machte für die verhohlene Befangenheit seiner Erkorenen ...? Er gab
+sich lebhaft ... heiter ... ungezwungen ... mit fast lärmhafter
+Lustigkeit ... Und dabei fühlte er doch, daß sie seine Absicht
+durchschaute ...</p>
+
+<p>»Nun, Martin,« sagte der Präsident bei der Heimfahrt, »Sie haben
+inzwischen auch wieder eine neue Arbeit vollendet?«<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> Der Präsident
+hatte sich noch heute nicht entschließen können, seinem Schwiegersohn
+das väterliche Du entgegenzubringen.</p>
+
+<p>»So, hat Agathe Ihnen erzählt — ja gewiß, Papa, ich habe meine Zeit
+gründlich ausgenutzt.«</p>
+
+<p>»Eine schöne Frau! — Ich erinnere mich ihrer noch sehr gut ... als
+Backfisch machte sie Furore in unsern Salons ... aber sie muß sich
+inzwischen noch mächtig herausgemacht haben, nach Ihrem Bilde zu
+schließen.«</p>
+
+<p>»Aber — woher wissen Sie, Papa —?«</p>
+
+<p>Dunkelglühend, mit niedergeschlagenen Augen sagte Agathe: »Die Dame hat
+mir einen prachtvollen Rosenstrauß geschickt ... und eine Photographie
+ihres Bildes ...«</p>
+
+<p>»Und davon hast du mir nichts geschrieben!?«</p>
+
+<p>»Ich dachte, sie hätte es dir selber gesagt.«</p>
+
+<p>»Nein, das hat sie nicht — ich habe sie auch nicht mehr gesehen, seit
+das Bild fertig ist ...«</p>
+
+<p>— — Zu Hause, im ersten Augenblick des Alleinseins warf sich Agathe
+mit einem leisen Stöhnen an seine Brust, sah ihm tief in die Augen:
+»Ach, Martin, kommst du mir so wieder, wie du gegangen bist — —?«</p>
+
+<p>»Aber Kind — was hast du nur?!«</p>
+
+<p>Stumm zeigte ihm Agathe Cäciliens Bild und Brief ...</p>
+
+<p>Tief atmend überflog Martin die seltsamen Zeilen ... Gott, sie sagten
+ihm ja nichts Neues ... er wußte ja doch schon ... Aber Agathe mußte
+beruhigt werden ...</p>
+
+<p>Wie sie so vor ihm stand, da glich sie so ganz wieder jener Gestalt,
+die das Faustbuch von Wilhelm Frobenius in seiner Phantasie lebendig
+gemacht ... ganz wie Gretchen sah sie aus, die bebenden Herzens den
+Geliebten fragt, ob<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> er glaube, glaube an eine ewige Macht, die den
+Wandel unseres Schicksals lenkt ...</p>
+
+<p>Und in einem Wirbel des Gefühls riß er die geliebte Gestalt in seine
+Arme und küßte die schweren Tränen aus seines Mädchens Augen ...</p>
+
+<p>Aber während er die bebende Braut an seinem Herzen hielt, fühlte er mit
+Grausen, daß er einer andern denken mußte ... immerzu ... immerzu einer
+andern ... so, wie sie ihm gegenüber gestanden hatte in der letzten
+Stunde zweieinsamen Beisammenseins ...</p>
+
+<p>Das Bewußtsein, daß diese Stunde niemals wiederkommen werde, hatte
+beiden mit jähem Griff plötzlich die Kehle ... das Herz umschnürt ...</p>
+
+<p>Herrgott, warum gab es Schranken in der Welt? — Was half dem
+Künstler die Phantasie — die allmächtige, allerfassende, die ihn die
+grenzenlosen Reiche der Schönheit nur darum in all ihrer Herrlichkeit
+überschauen lehrte, damit das Leben selbst ihn dann immer wieder
+ausschlösse von dem Besitz alles dessen, was er viel tiefer doch als
+andere empfand ... viel tiefer verstand ... viel tiefer hätte genießen
+können ...</p>
+
+<p>Martin hatte die Zähne zusammengebissen ... hatte das letzte Aufgebot
+all seiner Seelenkräfte in sich aufgerufen zu keuchendem Kampfe gegen
+die Versuchung, dies Weib in seine Arme zu schließen ... das Weib des
+vertrauenden Mannes, des Vorgesetzten, des Kameraden ... Und er wußte
+es wohl: die Glut all dieser verschwiegenen Kämpfe hatte er seinem
+Werke eingehaucht ... Er wußte: es war sein bestes geworden.</p>
+
+<p>Und hatte Agathe das nicht herausgefühlt — nicht<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> ahnend empfunden —
+selbst aus dem schattenhaften Abbild seines Werkes, das sie allein erst
+kannte?!</p>
+
+<p>Und warum mußte er dieser letzten Sekunde des heißen Kampfes, des
+schmerzvoll bittern Sieges gedenken ... in diesem Augenblick ...
+im Arme des Mädchens, das er sich zur Kameradin seines Lebens, zur
+Friedenbringerin seines Herzens erkoren?</p>
+
+<p>Sie hatte ihn nicht gebracht ... den ersehnten Frieden ... Ob er wohl
+kommen würde, wenn er sie einmal ganz sein eigen nennen durfte?</p>
+
+<p>An diese Hoffnung wollte er sich anklammern.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span></p>
+
+<h3>Achtes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Und nun saß Martin Flamberg inmitten des glänzenden Kreises des
+Regiments Prinz Heinrich der Niederlande und seiner Damen im
+kerzenhellen Kasino vor dem Vorhang, hinter dem das Festspiel sich
+entrollen sollte.</p>
+
+<p>Wirklich eine stattliche Versammlung.</p>
+
+<p>Zu den Offizieren des Regiments hatte sich ein größerer Zuzug fremder
+Uniformen gesellt, deren Träger dem Regiment nahe standen.</p>
+
+<p>Voran natürlich der Brigadekommandeur mit seinem Stabe, ferner
+der Bezirkskommandeur mit seinem Adjutanten, dann eine Anzahl
+glatzköpfiger, weißbärtiger Herren, pensionierter Generale und
+Stabsoffiziere mit redseligen Gattinnen und leise verblühenden
+Töchtern; denn die Villenvorstadt der Garnison war eine vielbegehrte
+Pensionopolis. Auch sämtliche in erreichbarer Nähe wohnenden inaktiven
+und Reserveoffiziere des Regiments hatten sich eingefunden.</p>
+
+<p>Zu den Waffenröcken, die bei den ältern Herrn von einem bunten
+Ordensgeflimmer erhellt waren, gesellte sich ein lichtfarbiger,
+gleißender Damenflor.</p>
+
+<p>Allerdings, die Gattin des Brigadekommandeurs hatte sich entschuldigen
+lassen in taktvoller Rücksicht auf Frau Baronin von Weizsäcker;
+galt doch der Kommandeuse das<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> ganze heutige Fest, soweit es als
+ein gesellschaftliches Ereignis ausgestaltet war. Und so hatte
+die Frau Generalin sich zurückgehalten, damit die Gattin des
+Regimentskommandeurs die Ehren des Abends unverkürzt als erste genieße.</p>
+
+<p>Von den Stabsoffizieren war der trunk- und wetterfeste Oberstleutnant
+Rautz Junggesell, der hagere, unnahbare Major Blasberg seit fast zwei
+Jahren Witwer.</p>
+
+<p>So bildeten die spinöse Frau von Sassenbach, die ihre bürgerliche
+Geburt durch sehr starke Betonung aristokratischen Wesens zu
+verdecken suchte, und die aus uraltem Adel stammende, rundliche Frau
+von Czigorski, die mit ihrem Manne in lautem und bourgeoisem Wesen
+wetteiferte, die nächste Umgebung der Frau Oberst.</p>
+
+<p>Die Gruppe dieser drei Damen war der Mittelpunkt der Weiblichkeit. An
+sie gliederte sich auf der einen Seite die Schar der meist schon etwas
+greisenhaften Gattinnen der Pensionierten, auf der andern Seite die
+der jungen Frauen der Hauptleute und Oberleutnants und endlich eine
+ganze Schar junger Mädchen, teils Offizierstöchter, teils geladene
+Freundinnen der letztern aus der Stadt.</p>
+
+<p>Im großen Saale waren die Stuhlreihen gestellt. Die Bühne war in der
+Veranda aufgeschlagen, die große Glastür ausgehoben, ihr Rahmen bildete
+das Proszenium.</p>
+
+<p>Hinterm Vorhang harrte der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen,
+aufgeregt wie nur je ein dramatischer Dichter am Abend seiner Premiere
+an einer Weltstadtbühne, selbstverständlich wieder in Dienstanzug und
+»Porzellanbuchsen«, Regisseur und Inspizient in einer Person.</p>
+
+<p>Neben ihm saß als Souffleur der jüngste Leutnant Carstanjen,<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> sehr
+ungnädig über dies Kommando, das ihn für eine Stunde dem Flirt im Saal
+entzog.</p>
+
+<p>Im Augenblick, als Hans Friesen das erste Glockenzeichen geben
+wollte, fiel sein Blick seitwärts, wo plötzlich, wie aus der Erde
+gewachsen, der Gefreite Manes seiner Kompagnie stand, schlotternd vor
+Befangenheit, im Drillichanzug, mit der schwarzen Gefreitenschnur um
+den Jackenkragen, die zerknüllte Feldmütze in der Hand, ganz geblendet
+von den paar Strahlen Festglanz, die seine weit aufgerissen starrenden
+Augen erhascht hatten. Er machte dem Unteroffizier hilflose Winkzeichen.</p>
+
+<p>»Haben Sie was für mich, Manes?«</p>
+
+<p>»Jawohl, Herr Unner'ffzier ... ene Zettel vom Herr Feldwebel!«</p>
+
+<p>Voll düsterer Ahnung nahm Hans den Wisch, entrollte ihn und las:
+»Morgen früh fünf Uhr zur Aufsicht beim Umbau von Schießstand 5. Düfke,
+Feldwebel.«</p>
+
+<p>Aha, der Neid der Götter! — Hol's der Teufel!</p>
+
+<p>In der Eile betete Hans Friesen das Register sämtlicher Flüche her, die
+er während seines Dienstjahres aus dem Munde der Kapitulanten seiner
+Kompagnie vernommen hatte.</p>
+
+<p>»Na, Manes, stehen Sie noch immer da? — Sagen Sie dem Herrn Feldwebel
+einen schönen Gruß von mir, und er könnte —«</p>
+
+<p>Es war doch geratener, den Rest zu verschlucken ... das Dusseltier war
+imstande, die Bestellung auszurichten ...</p>
+
+<p>O welche Lust, Soldat zu sein —!</p>
+
+<p>Auf einmal klang eine weiche Stimme neben ihm: »Guten Abend, Herr
+Friesen!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span></p>
+
+<p>Herrgott, Molly von Sassenbach als »Friede«.</p>
+
+<p>Mein Himmel, wie schön ... wie unsagbar schön das Mädchen aussah! Zwar
+das rote Griechengewand, das sie trug, paßte eigentlich verflucht wenig
+zu ihrer Mission; aber an dem goldenen Palmenzweig, den sie im Arme
+hielt, konnte man ja bei einigem guten Willen immerhin erkennen, was
+sie vorstellen sollte.</p>
+
+<p>»Fühlen Sie, wie ich zittere!« Sie hielt ihm die kleine, duftige Hand
+hin.</p>
+
+<p>»Das nennt man Lampenfieber!« scherzte er gezwungen.</p>
+
+<p>»Wie schade, nun sind die Proben zu Ende!«</p>
+
+<p>»Jawohl ... und übermorgen geht's fort ... und ich seh Sie nicht mehr
+wieder ...«</p>
+
+<p>»Kommen Sie denn nicht noch einmal zurück in die Garnison?«</p>
+
+<p>»Das wohl ... vierzehn Tage, um das Offiziersexamen zu machen! — Aber
+dann — dann sind Sie wieder das Majorstöchterlein ... und ich der
+simple Kommißknote ...«</p>
+
+<p>»Aber Sie kommen doch zum Frühjahr zur Übung ins Regiment?!«</p>
+
+<p>»Ach — im nächsten Frühjahr! ... Das ist eine Ewigkeit —!«</p>
+
+<p>»Herr Friesen, ich will Ihnen etwas anvertrauen: vielleicht sehen wir
+uns doch schon früher wieder — — nämlich ... das Manöver ist doch im
+Hunsrück ... und — —«</p>
+
+<p>In diesem Augenblick stürzte der Leutnant Carstanjen, der inzwischen
+auf der Bühne mit Frau von Brandeis und Nelly geschwatzt hatte, heran
+und rief: »Donnerwetter, Friesen — machen Sie doch los —!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p>
+
+<p>Zähneknirschend gab Hans Friesen das Klingelzeichen ... und der Vorhang
+flog in die Höhe ...</p>
+
+<p>Alles klappte vortrefflich.</p>
+
+<p>Zwar Martin Flambergs Malerauge stand Qualen aus, als er die
+Farbenzusammenstellungen an Kostümen und Dekorationen sah ...</p>
+
+<p>Leutnant Blowitz, der »für die Regie verantwortlich zeichnete«, hatte
+sich törichterweise nicht entschließen können, die Unterstützung
+des doch im Regiment vorhandenen Malers heranzuziehen. Wozu von der
+Anerkennung der Vorgesetzten und ihrer Damen noch etwas auf einen
+Herrn fallen lassen, der in drei Wochen wieder nach Hause ging ...?
+Das konnte doch in der Familie bleiben ... das konnte man ja selber
+verdienen ...</p>
+
+<p>Die Folgen waren schrecklich.</p>
+
+<p>Frau Cäcilie natürlich sah so blendend schön aus, wie ihr Kostüm
+und ihre Frisur geschmackvoll und sachgemäß waren, aber die
+Majorsmädels in ihren roten und lila allegorischen Kostümen aus dem
+Maskenverleihgeschäft, und vollends Leutnant Blowitz als »Krieg« in
+einer Rüstung, die ein Mittelding zwischen einem mittelalterlichen
+Ritterharnisch und einem griechischen Heroenpanzer darstellte und
+aussah, als sei sie aus Trümmern von Konservenbüchsen zusammengenietet
+... geradezu schaudervoll!</p>
+
+<p>Die Dekorationen zu den lebenden Bildern hatte ein kundiger Thebaner
+von Anstreichergehilfen, den Blowitz unter den Füsilieren der dritten
+Kompagnie ausfindig gemacht, nach dem Muster der berühmten Gemälde im
+Offizierkasino zusammengepinselt.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span></p>
+
+<p>Vor diesen fragwürdigen Hintergrund hatte Blowitz die lebenden Bilder
+gestellt, so gut er's verstand.</p>
+
+<p>Er war nicht ungeschickt in solchen Veranstaltungen. In seinem frühern
+Regiment war er vereidigter Festarrangeur gewesen ... und das hatte
+ihm den Rücken gesteift gegen die Versuchung, den Sachverständigen
+heranzuziehen, der zur Hand gewesen wäre.</p>
+
+<p>Na, es ging auch so. Und jedenfalls — das Publikum war von der
+Leistung, die auf dem eigenen Holze des Regiments gewachsen war,
+vollkommen zufriedengestellt.</p>
+
+<p>Und als schließlich im letzten Bilde die Gipsbüste Seiner Majestät
+erschien, von den flackernden und knisternden Flammen zweier
+bengalischer Feuerwerkskörper beiderseits angestrahlt, umgeben von
+einer Huldigungsgruppe von Soldaten und allegorischen Jungfrauen — da
+erhoben der General und der Oberst sich mit einem klirrenden Ruck von
+ihren Stühlen, die ganze Zuschauerschaft folgte, die Regimentsmusik
+schmetterte die Kaiserhymne, und in heller Begeisterung vermischten
+sich die hellen Stimmen der Damen mit den dröhnenden der Offiziere.</p>
+
+<p>Dann tönte lauter Applaus ... der Vorhang über dem lebenden Bilde
+öffnete sich zum zweiten Male ... und nun rief der General mit
+schallender Stimme in den Saal: »Seine Majestät, unser allergnädigster
+Herr — Hurra — Hurra — Hurra!«</p>
+
+<p>Die Fensterscheiben klirrten ... die Damen winkten mit der Hand und
+schwenkten ihre weißen Schals ... die Musik gab im Tusch das Letzte
+ihrer Lungenkraft her ... es war ein Getöse, als solle der jüngste Tag
+anbrechen ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span></p>
+
+<p>Und abermals dröhnender Applaus ... die Darsteller verneigten sich ...</p>
+
+<p>Aus den Reihen der jüngern Offiziere tönten laute Rufe: »Blowitz —
+Blowitz —!«</p>
+
+<p>Die Gruppe schob den »Krieg« in den Vordergrund ... er verneigte sich,
+hold errötend unter seiner Schminke ... immer und immer wieder ...</p>
+
+<p>In der Ecke hinter dem Vorhang aber stand im Ordonnanzanzuge der
+Festspielpoet ... Um ihn kümmerte sich kein Mensch, selbst Molly von
+Sassenbach hatte ihn ganz vergessen ...</p>
+
+<p>Oder ob auch sie das Gefühl hatte, daß es ein wenig stilwidrig wirken
+würde, wenn in diesem Augenblick ein Unteroffiziersrock und ein Paar
+»Porzellanbuchsen« im Vordergrunde des Bildes erschienen ...?</p>
+
+<p>Erst als nun der Vorhang zum letzten Male gefallen war und die
+Mitwirkenden in glückseliger Erregung, froh des stolzen Gelingens, laut
+plaudernd und schwatzend in die als Garderobenräume eingerichteten
+Korridore abströmten, gewahrte Molly plötzlich den unglücklichen
+Einjährigen in seiner Ecke: »Herrgott — Sie haben wir ja ganz
+vergessen — —! Na — das ist 'ne schöne Bescherung —!«</p>
+
+<p>»Poetenlos — gnädiges Fräulein!«</p>
+
+<p>»Na warten Sie — nachher wird der Oberst sicher mit Ihnen sprechen
+— und dann — dann tanzen wir zusammen, wir zwei — nicht wahr, Herr
+Friesen?!«</p>
+
+<p>Aber Mollys Prophezeiung erfüllte sich nicht, wenigstens nicht in ihrem
+ersten Teil.</p>
+
+<p>Zwar hatte Hans Friesen eine offizielle Einladung zum<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> Fest bekommen.
+Er hatte heimlich gehofft, als Festspielpoet bei den Mitwirkenden des
+Abends seinen Platz zu finden.</p>
+
+<p>Aber als er in den nun wieder hell erleuchteten Speisesaal trat, da
+kümmerte sich kein Mensch um ihn, und er drückte sich eine Zeitlang,
+völlig unbeachtet, in der gräßlichsten Stimmung an den Wänden herum.</p>
+
+<p>Als dann alles Platz nahm, wandte er sich in peinlicher Verlegenheit an
+den Vizefeldwebel, der den Dienst der Kasinoordonnanzen beaufsichtigte,
+und fragte, wo ihm sein Platz angewiesen sei. Der antwortete ganz kurz:
+»Da unten, bei die Avantageur!«</p>
+
+<p>Und richtig! — Man hatte ihn chargenmäßig ganz unten am linken
+Hufeisenende zwischen die blutjungen Fähnriche und Fahnenjunker gesetzt
+...</p>
+
+<p>Diese jungen Herren fühlten sich als zukünftige aktive Offiziere dem
+Einjährigen um mindestens ein Dutzend gesellschaftliche Nasenlängen
+voraus und suchten ihn, den um fünf bis sechs Jahre ältern, von oben
+herab zu behandeln.</p>
+
+<p>Allmählich gewann Hans Friesen den Humor der Situation. —</p>
+
+<p>Nun, wenigstens bei den Bürschchen rechts und links wollte er sich
+sobald als möglich in Respekt setzen und wartete nur auf die erste
+passende Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren ...</p>
+
+<p>Inzwischen schaute er nach Molly um ... Sie saß am selben Tisch, aber
+weit höher hinauf, zwischen den Leutnants Carstanjen und Quincke, die
+ihr natürlich auf Mord und Tod den Hof machten ...</p>
+
+<p>Ekelhaft, dies verlebte, gelbe Gesicht des fatalen Quincke neben ihrem
+rosigen, preziösen Köpfchen ... ihren apfelblütenfarbigen<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> Schultern,
+die sich nun so lockend und schimmernd aus dem rosa Ballfähnchen hoben
+...</p>
+
+<p>Und jetzt — da ... sie hatte ihn erspäht, sie lächelte, sie hob
+unmerklich das Glas ... Er auch ... Blick tauchte in Blick, eine
+Sekunde lang —</p>
+
+<p>Der grünschnäblige Fähnrich von Berneck, kaum dem Kadettenkorps
+entschlüpft, siebzehn Jahre alt, hatte Friesens Blick bemerkt ... Er
+trug bereits das Portepee ...</p>
+
+<p>»Nanu, mit wem flirten Sie denn so vernehmlich?«</p>
+
+<p>»Ja ... das möchten Sie wohl wissen! — Hehe! Neid der besitzlosen
+Klasse, was ...?! Na, halten Sie sich am Sekt schadlos! Prost, Herr von
+Berneck —!«</p>
+
+<p>»Ich bin für Sie der Herr Fähnrich von Berneck, Unteroffizier Friesen!«</p>
+
+<p>»Ach so, Sie wollen den ältern Kameraden 'rausbeißen,« sagte Friesen
+mit gewinnendem Lächeln, »na, dann lassen Sie sich sagen: ein jeder
+blamiert sich, so gut er's versteht! — Nochmals: Prost, Herr von
+Berneck —!«</p>
+
+<p>Das Bürschchen wollte auffahren ... Aber die roten Abfuhren auf Stirn
+und Wange des Einjährigen leuchteten so martialisch, und in den
+harmlos lächelnden Augen blitzte ein Licht, scharf und hell wie eine
+niedersausende Säbelklinge. — Achselzuckend wandte der Herr Fähnrich
+sich ab.</p>
+
+<p>Und Hans Friesen suchte und fand abermals Mollys Auge — Mollys Lächeln
+...</p>
+
+<p>— — Die Tischordnung hatte den Kasinovorstand zwei schlaflose Nächte
+gekostet. Wahrhaftig keine Kleinigkeit, all die Muschirs und Paschas
+fein säuberlich nach der Zahl der Roßschweife zu verstauen ... Und noch
+peinlicher war die Plazierung ihrer holden Ehehälften und Töchter —
+dann<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> dabei diese Unzahl von Wünschen der Kameraden — und schließlich
+galt es doch auch noch, gewisse Regungen des eigenen Herzens zu
+berücksichtigen.</p>
+
+<p>Dieser Reserveonkel ... dieser Malfritze ... der hatte drei Wochen lang
+fast jeden zweiten Nachmittag ein paar Stunden mit der schönsten Frau
+im Regiment allein sein dürfen ... Skandal! — Na, der hatte sich's
+natürlich nicht entgehen lassen, solch eine Gelegenheit nach allen
+Kräften auszunutzen ... Was mochte er erreicht haben?! — Heut abend
+würde man zweifellos allerlei beobachten können ...!</p>
+
+<p>So hatte er der Frau von Brandeis den Witwer Major Blasberg als
+Tischherrn gegeben und sich selbst an ihre rechte Seite gesetzt — —
+Flamberg gegenüber an die andere Hufeisenseite.</p>
+
+<p>Von den Reserveoffizieren hatte nur der harmlose, dicke Oberleutnant
+Brassert eine Tischdame bekommen, ein ältliches Stiftsfräulein, eine
+arme Verwandte des Majors Blasberg, die dem um zehn Jahre jüngern
+Vetter seit dem Tode seiner Frau die Haushaltung führte ... Mit dieser
+anmutigen Nachbarin saß Brassert, wie üblich, am Stabstisch.</p>
+
+<p>Frau Cäcilie unterhielt ein krampfhaftes Gespräch mit ihrem
+schweigsamen Tischherrn und mied es geflissentlich, ihrem Nachbarn zur
+Rechten auch nur ein Wort zu schenken.</p>
+
+<p>Gräßlich ... fühlen zu müssen, daß er keinen Blick von den Bewegungen
+ihrer entblößten Arme ... von dem Spitzensaum ihres Halsausschnitts
+verwandte ...</p>
+
+<p>Er knirschte über diese Vernachlässigung. Na, warte nur — ein bißchen
+mehr als Luft bin ich doch — — Das sollst du merken, schöne Frau! —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span></p>
+
+<p>Als wiederum in der stockenden Unterhaltung seiner Nachbarin eine Pause
+eingetreten war, neigte er sich zu ihr, die sich beharrlich von ihm
+abgewandt hielt: »Gnädige Frau scheinen mich schlecht behandeln zu
+wollen?!«</p>
+
+<p>»Ich ... Sie? — ich behandle Sie überhaupt nicht!«</p>
+
+<p>»Na ja, ich bin in Ungnade bei Ihnen — das weiß ich ja!«</p>
+
+<p>»So — das haben Sie also gemerkt!? — Dann wundert's mich, daß Sie als
+Arrangeur der Tafel keine unterhaltsamere Nachbarschaft für sich gewußt
+haben als mich!«</p>
+
+<p>»Aber, gnädige Frau — verstehen Sie das denn nicht? — Ich hoffte
+Gelegenheit zu haben, mich Ihnen gegenüber in ein besseres Licht zu
+setzen!«</p>
+
+<p>»Ja, sehen Sie — dann haben Sie sich also getäuscht!«</p>
+
+<p>»Das merk ich allerdings! — Schade! Mir fehlen leider Gottes die
+Qualitäten, mit denen man sich bei Ihnen beliebt machen kann.
+Schlichter Soldat wie ich, verstehe nichts von Musik, malen kann ich
+auch nicht ... kurz, nicht für fünf Pfenn'ge Chance ...!«</p>
+
+<p>»Nun also ... Warum haben Sie sich denn mit aller Gewalt den schönen
+Abend durch meine Nachbarschaft verderben wollen?!«</p>
+
+<p>»Gnädige Frau — was tut man nicht für das Glück, einen Abend neben der
+schönsten Frau im Regiment sitzen zu dürfen. — So was kommt sobald
+nicht wieder, daß es von einem selbst abhängt. — — Der Vorzug, in
+Ihrem Hause zu Gaste geladen zu sein — der hat mir bis jetzt ja nicht
+geblüht, wenn ich auch ebensogut wie alle andern Herren Ihnen meine
+Aufwartung gemacht habe — —«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span></p>
+
+<p>»Herr Oberleutnant, Sie wissen so gut wie ich, daß Sie sich das Recht
+auf Gastfreundschaft in meinem Hause verscherzt haben!«</p>
+
+<p>»Ah — das ist also noch immer nicht vergessen?! — Tja — ich versteh
+es eben nicht so gut wie mancher andere, meine Empfindungen im Zaume zu
+halten —!«</p>
+
+<p>»Pah — Empfindungen — — Sie und Empfindungen?! Sie wissen überhaupt
+nicht, was Empfindungen sind — —!«</p>
+
+<p>»Ich weiß nicht, was —?! Haha ... man möchte wahrhaftig anfangen, mit
+Gegenbeweisen zu renommieren ...!«</p>
+
+<p>»Unnötige Mühe! Ihr Renommee ist stadtkundig!« —</p>
+
+<p>»Tja ... was bleibt unsereinem übrig ... die Frauen, die man möchte,
+sind bereits anderweitig vergeben ... und überdies so unangenehm
+tugendhaft ... wenigstens unsereinem gegenüber! ... Tja — wenn man
+ein Ritter der Feder wäre, wie dieser Tapergreis, der Frobenius ...
+Sehn Sie nur, gnädige Frau: Nelly von Sassenbach plaudert mit ihm über
+die ganze Tafel hinüber, und Herr von Schoenawa, ihr Tischherr, ist
+kaltgestellt ... Ja ja, die Herren von der Reserve ... die Herren von
+der Intelligenz ... das ist mal was anderes für die Damen ... da können
+wir einfachen Soldaten nicht konkurrieren ... Und wenn man nun gar ein
+berühmter Maler ist, wie ein gewisser anderer Herr — —«</p>
+
+<p>»Bitte, sprechen Sie sich nur ruhig aus, Herr Oberleutnant —!«</p>
+
+<p>»O ich — — Sie werden begreifen, daß es mir nicht ganz gleichgültig
+sein kann, wenn man selbst von einer Dame so deutliche Zeichen ihrer
+Abneigung bekommen hat ... und irgend so ein Herr, der mal auf acht
+Wochen hier hineinschnüffelt<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> ... der darf dann mit dieser selben Dame
+allein sein ... Wochen hindurch ... stundenlang ... Ich begreife Herrn
+von Brandeis nicht — wahrhaftig!«</p>
+
+<p>»Herr Menshausen, Sie sind denn doch von einer Geschmacklosigkeit! —
+— Wenn ich das nun meinem Mann erzählte?!«</p>
+
+<p>»Das ... würde sich wohl kaum empfehlen, gnädige Frau ... Ich bin der
+beste Schütze im Regiment!«</p>
+
+<p>»— — Sie sind verrückt! —«</p>
+
+<p>Mit bebenden Lippen wandte die schöne Frau dem Frechen den Rücken.</p>
+
+<p>Himmel ... wenn nur Major Blasberg nichts gehört hatte! — Aber nein
+... der war tief, tief in sich versunken ... stumm sah er die Perlen
+in seinem Sektglase aufsteigen ... Frau Cäcilie wußte: der eiskalte,
+unzugängliche Mann dachte an nichts als an seine Frau, die seit zwei
+Jahren in kalter Friedhofserde lag ... an die Mutter seiner drei Buben
+...</p>
+
+<p>Gott, wie verschieden doch die Herzen ... die Charaktere aller dieser
+Männer, die einen Rock trugen ... eine Sprache sprachen ... das
+gleiche, mathematisch abgemessene und umzirkelte Leben führten ...</p>
+
+<p>Wenn sie selber nun heute stürbe?! — Fritz, das wußte sie, würde dann
+auch so sitzen ... viele, viele Jahre lang ... und kein Weib mehr
+anschauen nach ihr ...</p>
+
+<p>Und jener andere — nach dem jede Fiber ihres Leibes ... jeder
+Herzschlag ... jeder Gedanke sich sehnte?</p>
+
+<p>Er würde sich gratulieren, daß er sie noch gerade vor ihrem
+Verschwinden aus der großen Modellsammlung des Lebens eingefangen ...
+für seine Leinwand, die im nächsten<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> Sommer als Reklame seines Pinsels
+von Ausstellung zu Ausstellung wandern sollte ... würde in die Arme der
+harrenden Braut eilen ... und weiter malen ... eine Schönheit nach der
+andern in sich hineinsaugen mit den braunen, durstigen Künstleraugen
+... und den vergänglichen Schmelz ihrer Jugendherrlichkeit, die
+verschwiegenen Tiefen ihrer Seelen zu ewiger Dauer auf seine Tafeln
+bannen ...</p>
+
+<p>Ach, wie ruhevoll und befriedend doch der Gedanke, daß ein treues Herz,
+ein ritterliches, makelloses Gemüt nur für uns lebt —</p>
+
+<p>Sie suchte den Blick ihres Mannes. Fritz saß ihr schräg gegenüber
+an der andern Hufeisenseite neben der bildschönen Frau des
+Bezirkskommandeurs. Er hatte kein Auge für die aufdringlich zur Schau
+getragenen Reize der überjungen Frau, die der alternde, zur Disposition
+gestellte Stabsoffizier in allzu großem Selbstvertrauen an sich
+gefesselt ...</p>
+
+<p>Nun fühlte Fritz den langersehnten Blick seines Weibes ... beglückt hob
+er das Glas ... trank ihr zu, strahlend wie ein Bräutigam ...</p>
+
+<p>Ach, und doch, und doch — — —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Baronin von Weizsäcker hob die Tafel auf.</p>
+
+<p>Paar hinter Paar ... seideraschelnd ... sporenklirrend schob sich die
+Gesellschaft aus dem Speisesaal in die Empfangsräume. Hier hielt die
+Frau Oberst Cercle. Alles drängte sich heran ... die Offiziere, die
+jungen Mädchen wetteiferten der Gestrengen die brillantberingte Hand zu
+küssen.</p>
+
+<p>Sie war die typische Kommandeuse: geistig unbedeutend von Antlitz neben
+dem leuchtenden Gatten, doch äußerst<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> pompös, beständig das Lorgnon an
+der Nase, voll zuckersüßer Herablassung gegenüber Gutangeschriebenen,
+hundeschnäuzig ablehnend einem jeden gegenüber, dessen Conduite
+zu wünschen übrig ließ, und in all diesen feinen Nuancen bereits
+erstaunlich Bescheid wissend. Ihr Benehmen konnte jedem einzelnen
+geradezu als Barometer seiner eigenen Stellung im Regimente dienen.</p>
+
+<p>Die Reserveoffiziere waren für sie ohne jegliches Interesse ...
+existierten einfach nicht. Und dies ihr Benehmen gab für alle Damen,
+die auf Korrektheit Wert legten, das Signal, die eingezogenen Herren
+mit kältester Zurückhaltung zu behandeln.</p>
+
+<p>Martin Flamberg stand abseits und beobachtete, das leise, ironische
+Lächeln des Menschenkenners auf den Lippen, mit scharfem Auge, dem
+nichts entging ... das durch all die korrekten Formen und Formeln in
+die Tiefe drang und das Ganze des Menschen packte, der sich hinter
+ihnen barg ...</p>
+
+<p>Und während sein Verstand sich mit skeptischer Ergötzung am Bilde
+der menschlichen Komödie weidete, erbaute sich das Malerauge an dem
+farbenbunten Bilde des äußern Geschehens ...</p>
+
+<p>Wie das wogte ringsum ... wie das flimmerte von Kraft und Anmut ... von
+Farbenglut und flirrendem Lichterspiel ...</p>
+
+<p>Ab und zu warf Martin auch einen Blick durch die halboffene Tür
+in den Speisesaal. Hier waltete eine Schar von Heinzelmännchen in
+Ordonnanzlivree und Füsilierrock ihres Amtes. Mit jener Präzision,
+welche den braunwangigen Burschen auf dem Exerzierplatz eingedrillt
+worden war,<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> verwandelten sie den Speisesaal in einen Tempel der
+Tanzmuse. Mit Zauberschnelle verschwanden die geschmückten, silber- und
+blumenbeladenen Tafeln, mächtige Besen wurden geschwungen, Staubwolken
+flogen, Stuhlreihen umkränzten die Saalwände.</p>
+
+<p>In den Empfangsräumen trennte sich inzwischen die Gesellschaft nach
+Geschlechtern, die Damen ins Billardzimmer, wo die Ordonnanzen Tee und
+Süßigkeiten darreichten, die Herren ins Rauchzimmer zu Schnaps und
+Nikotin.</p>
+
+<p>Aber einige der keckern Damen überschritten doch bald wieder den
+Trennstrich der Geschlechter, unter dem Vorwand, sich eine Zigarette zu
+holen, und blieben im Rauchzimmer kleben.</p>
+
+<p>Frau Cäcilie suchte ihren Gatten auf, hängte sich an seinen Arm in
+dem starken Bedürfnis, sich an ihn anzuschmiegen, jenes Gefühl der
+Zusammengehörigkeit, das sie bei Tafel so jählings zu ihm hingezogen,
+auch äußerlich zu betätigen ...</p>
+
+<p>Diesen Augenblick hielt Martin Flamberg für geeignet, sich für die
+Rosendedikation an seine Braut zu bedanken ...</p>
+
+<p>Mit umschleierten Augen sah Frau Cäcilie ihm entgegen ... Sie hatte ihn
+seit dem »Firnistag« nicht mehr gesehen ... zehn Tage lang nicht mehr
+gesehen ...</p>
+
+<p>»Also glücklich vom Urlaub zurück, Herr Flamberg? — Wie geht's — was
+macht ›Gretchen‹?«</p>
+
+<p>»Sie hat mich beauftragt, ihren Dank noch einmal mündlich zu
+wiederholen!«</p>
+
+<p>»Nun, war's schön daheim? — Was treibt Fräulein Agathe?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span></p>
+
+<p>»Sie baut an unserm Ehenest!«</p>
+
+<p>»Ah — wird's hübsch?«</p>
+
+<p>»Wird noch nicht vorgezeigt, gnädige Frau — ich hab' nicht hingedurft!«</p>
+
+<p>Der Hauptmann lachte übers ganze Gesicht ... er war wie trunken von der
+Huld seines Weibes: »Na, lieber Flamberg, ich wünsche, daß es gerade so
+hübsch wird bei Ihnen wie bei uns ... und daß ihr zwei mal gerade so
+glücklich werdet wie die da und ich ... was, Alte —?!«</p>
+
+<p>Frau Cäcilie lächelte ... ein Lächeln, das Martin durchschauerte.</p>
+
+<p>»Tja, und übermorgen geht's nun fort,« schwatzte Brandeis weiter,
+»na, für Sie ist das ja nur 'ne Etappe näher auf dem Anmarsch zum
+Traualtar ... aber für uns zwei —? drei Wochen bittrer Trennung! —
+Na, Cilly — wo bleibt die Abschiedsträne? — Warten Sie nur, lieber
+Flamberg, das werden Sie auch noch kennen lernen. — Gut, daß Sie und
+ich wenigstens zusammen unterm selben Zeltdach schlafen werden ...
+was, Flamberg? — dann werden wir uns vor dem Einduseln im Stroh von
+unsern Herzallerliebsten vorschwärmen ... was —?! Ich bin fein heraus
+... meine Schwärmerei findet wenigstens volles Verständnis, da Herr
+Flamberg dich ja kennt ... und sogar einigermaßen gründlich! — wann
+aber werde ich mal den Vorzug haben —?«</p>
+
+<p>»Nun — wer weiß ... unverhofft kommt oft ...! Darf ich um Ihre
+Tanzkarte bitten, gnädige Frau?«</p>
+
+<p>»Bitte —!«</p>
+
+<p>»Den zweiten Walzer — darf ich —?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span></p>
+
+<p>Sie nickte, und er kritzelte seinen Namen auf das glänzende Blättchen.</p>
+
+<p>Andere Bewerber drängten sich herzu. Cäciliens Gesicht versteinerte
+sich, als auch Menshausen sich heranwagte: »Ich bedaure, Herr
+Oberleutnant!«</p>
+
+<p>»Wie — zu spät gekommen — schon alles besetzt —?!«</p>
+
+<p>Er hatte, als sei das selbstverständlich, die Tanzkarte von einem
+Kameraden übernommen, warf einen Blick darauf: »Sieh da ... ein
+Rheinländer noch frei ... darf ich darum bitten?«</p>
+
+<p>»Den Rheinländer lasse ich aus!«</p>
+
+<p>»Ich bin untröstlich —!«</p>
+
+<p>Blick traf in Blick eine Sekunde lang ... eine Flamme heißen Hasses
+blitzte der jungen Frau entgegen: Sei auf deiner Hut — du —!</p>
+
+<p>Pah ... was frag ich nach dir ... nach deinem Haß ... nach deinem
+Rachegelüst ...! antwortete Cäciliens Blick.</p>
+
+<p>Eine Minute später gab sie den Rheinländer an Herrn Frobenius ... war
+er nicht Martins Freund ...? würde sie nicht von Martin plaudern können
+mit ihm ...? —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Der zweite Walzer ging zu Ende ... Cäcilie und Martin hatten kaum
+sprechen können während des Tanzes ... tief aufatmend machten sie
+Rast. Cäcilie schob die Fingerspitzen in Martins Arm ... Keines wagte,
+das andere anzuschauen; beide fühlten, der letzte Augenblick des
+Beisammenseins war nahe.</p>
+
+<p>»Morgen früh werd' ich die Ehre haben, Ihnen meinen Abschiedsbesuch zu
+machen, gnädige Frau!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span></p>
+
+<p>»Den erlaß ich Ihnen, Herr Flamberg — Sie würden mich nicht treffen
+... ich reise schon morgen früh! — Soll ich Ihnen sagen, wohin —?«</p>
+
+<p>»Ich bitte darum!«</p>
+
+<p>»So, Sie wissen also noch nichts? — Mein Mann hat Ihnen noch nichts
+erzählt?!«</p>
+
+<p>»Ich habe keine Ahnung!«</p>
+
+<p>»Wir haben vor drei Tagen ein Gut gekauft ... in der Nähe von Simmern
+...«</p>
+
+<p>»Was — auf dem Hunsrück? — und unser Manöver —«</p>
+
+<p>»— entwickelt sich zwischen Simmern und Birkenfeld — ich weiß wohl!
+— Ich nehme da oben meinen Sommerfrischensitz ... die Sassenbachschen
+Mädels nehme ich mir zur Gesellschaft mit ... Das Korpsmanöver ist in
+unserer Nähe ... ich habe die Dislokation bereits studiert ... wir
+werden einmal zu Ihnen ins Biwak hinauskommen ... und vielleicht reiten
+Sie an einem Ruhetage mal zu uns hinüber ...«</p>
+
+<p>Martin konnte nicht sprechen. In jähem Entzücken und ahnungsvollem
+Schreck zugleich taumelten seine Gefühle —</p>
+
+<p>Auf der Heimfahrt vom Urlaub hatte er abgeschlossen ... es sollte ...
+es würde ja zu Ende sein am zweiten September ... Er würde sich alsbald
+nach der Übung zur Landwehr versetzen lassen, würde Frau Cäcilie von
+Brandeis niemals wiedersehen ... Den einen Abend noch unter den Augen
+des ganzen Regiments ... da würde man schon Fassung bewahren können
+... dann Montag nach dem Dienst mit dem Hauptmann nach Hause ... ein
+korrektes, liebenswürdig heiteres Abschiedsgeplauder unter den Augen
+des Gatten ... und dann ... ade! ... ade für ewig!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span></p>
+
+<p>Agathe wartete ... ihr gehörte all sein Sehnen ... jede Sekunde im
+Banne der schönen Frau war Verrat an dem geliebten Mädchen ... Also
+Schluß! ... endgültig Schluß!</p>
+
+<p>Und nun — —?! ... Schicksal, nimm deinen Lauf —!</p>
+
+<p>»Kommen Sie, Herr Flamberg ... noch ein paar Takte ... gleich ist's zu
+Ende ...!«</p>
+
+<p>Hauptmann von Brandeis stand in der Tür des Rauchzimmers, die Zigarette
+zwischen den Fingern, und sah schmunzelnd in das Gewühl des Tanzes
+hinein ... ein frisches, glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen ...</p>
+
+<p>Die Königin des Festes ... ja, das war sie ... seine Cäcilie ... Die
+andern Damen ... welche von denen war denn auch nur von weitem mit ihr
+zu vergleichen!</p>
+
+<p>Und wie sie tanzte ... Selbst die ältesten Stabsoffiziere machten gute
+Figur mit ihr ... Die alten Herren waren wie elektrisiert, wenn sie die
+federleichte Gestalt im Arm hielten ... angesteckt von der rhythmischen
+Energie, die ihre Glieder durchpulste ... Und wenn sie förmlich einen
+Meistertänzer wie diesen Flamberg gefunden hatte ... den beiden
+zuzuschauen, das war ja wirklich ein ästhetischer Genuß ...</p>
+
+<p>Überhaupt dieser Flamberg! ... Doch direkt ein begnadeter Mensch! —
+Stammte er nicht aus ganz dürftigen Verhältnissen? — Freilich ...
+aus einem Pfarrhause! — Gewiß waren seine Eltern feingebildete Leute
+gewesen ... die gute Kinderstube! So was ist nicht nachzuholen und
+nicht nachzuahmen ... aber zur Gesellschaft im eigentlichen Sinne hatte
+er nun doch mal nicht gehört — und wer merkte ihm das heute noch an
+... ein genialer Künstler, eine repräsentative Persönlichkeit, und
+dabei so'n famoser Kerl<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> — selbstbewußt — natürlich! Na, das gehörte
+sich auch so! Aber dabei so einfach ... so ohne Prätension ... und
+Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle ...</p>
+
+<p>Solche Reserveoffiziere sollte man mehr haben im Regiment! Andere
+Nummer als diese Windhunde, die Herren Dormagen und Klocke, diese
+Säbelraßler und Uniformfatzken!</p>
+
+<p>Höchst erfreuliche Aussicht, in so angenehmer Gesellschaft die drei
+Manöverwochen zu verbringen ... und wie reizend, daß nun auch Cäcilie
+in der Nähe war und auch noch ein wenig von der Gesellschaft des Malers
+profitieren würde, der ihr ja offenbar sehr sympathisch war. Schade,
+daß er und seine Zukünftige nicht in der Garnison wohnten; das wäre so
+recht ein hübscher Verkehr gewesen, die zwei. Cäcilie hatte unter den
+Damen des Regiments noch immer nicht den rechten Anschluß gefunden ...
+die junge Braut, das müßte nach Flambergs Beschreibungen ein Umgang
+für sein anspruchsvolles Weib gewesen sein ... Na, man würde eben bald
+mal nach Düsseldorf hinüberfahren und die jungen Leute im eigenen Heim
+aufsuchen ...</p>
+
+<p>Ach ... das Leben war doch schön, wenn man ein bißchen Dusel hatte! —
+der freilich gehörte dazu ... na, und über Mangel an Dusel hatte Fritz
+Brandeis wahrhaftig nicht zu klagen ...</p>
+
+<p>»Glänzende Tänzerin, Ihre Frau Gemahlin!« klang's da plötzlich neben
+ihm. Oberleutnant Menshausen, das geleerte Likörglas in der Hand.</p>
+
+<p>Komisch ... wenn der Mensch auftauchte, immer hatte man so ein fatales
+Gefühl ... Was war's doch gewesen? — Ach so, seine läppische Bemerkung
+damals ... wann<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> doch? — — ah, als die Reserveoffiziere einrückten
+... haha! — Damals hatte er selber, Brandeis, davon gesprochen, daß er
+wünsche, Flamberg solle Cäcilie malen ... Und nun war das Bild bereits
+fertig ...</p>
+
+<p>»Ja, ja, sie tanzt ausgezeichnet!« sagte er mechanisch.</p>
+
+<p>»Und wie sie bei der Sache ist! — wenigstens wenn sie mit Herrn
+Flamberg tanzt — —!«</p>
+
+<p>»— — Wieso —?«</p>
+
+<p>»Ach, ich — ich meinte nur so —!«</p>
+
+<p>»So?! — Sie meinten nur so! — Ich hatte das Gefühl, als ob Sie sich
+über irgend etwas ... wunderten!«</p>
+
+<p>»Ich mich wundern? — Nein, das nicht ... sondern ...«</p>
+
+<p>»Was?! — was, wenn ich bitten darf?«</p>
+
+<p>»O — ich — es ist mir allerdings aufgefallen, daß die gnädige Frau
+dem Herrn von der Reserve gegenüber — so überaus — liebenswürdig ist!
+Das ist allgemein bemerkt worden.«</p>
+
+<p>»Die Herren von der Reserve haben ihr Patent von Majestät genau so gut
+wie wir!«</p>
+
+<p>»Selbstverständlich, selbstverständlich!«</p>
+
+<p>»Nun also?!«</p>
+
+<p>»Immerhin — sie gehören doch nicht zum engern Kreise des Regiments.«</p>
+
+<p>»Herr Flamberg ist ein Freund meines Hauses.«</p>
+
+<p>»Ach so — ein Hausfr— — ein Freund Ihres Hauses. Verzeihen Herr
+Hauptmann meine Neugierde. Nun weiß ich ja Bescheid. Haben Herr
+Hauptmann schon einen Schnaps genehmigt? Nein? Ordonnanz! einen
+Benediktiner für Herrn Hauptmann!«</p>
+
+<p>»Ich danke! Ich habe kein Bedürfnis.«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p>
+
+<p>»Nicht? Dann bitte ich um Entschuldigung — meine Pflichten als
+Kasinovorstand ...«</p>
+
+<p>»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!«</p>
+
+<p>— — Was war das gewesen? Was für ein Mißton — was für ein häßlicher
+Hauch war da herangeweht? Die gnädige Frau so überaus liebenswürdig
+gegen den Herrn von der Reserve — das ist allgemein aufgefallen!
+Herrgott, war der Kommißtratsch denn schon wieder am Werk? Und an
+Cäcilie wagte sich das heran, an seine Cäcilie? Himmelbombenelement!</p>
+
+<p>Wo war sie nur? Schau — da schwebte die weiße Gestalt hin — wie eine
+Krone umschloß das braungoldene Haar die weiße Stirn — fest schmiegte
+sie sich an ihres Tänzers breite Brust — an Herrn Flambergs Brust —</p>
+
+<p>Wahrhaftig — vielleicht doch ein bißchen zu fest für die scharfen
+Augen, die spitzen Zungen der Sittenwächterinnen da hinten auf dem
+Drachenfels ...</p>
+
+<p>Und wie sie glühte ... er auch ... Mein Gott, warum sollten sie nicht?!
+— waren sie nicht beide Temperamentsmenschen? fröhliche Genießer, die
+sich ganz hingaben an den schönen, festlichen Augenblick ...?</p>
+
+<p>Immerhin ... ein wenig Rücksicht nehmen mußte man schon ... wir kennen
+doch dies Klatschweibergesindel ... ob das Unterröcke trägt oder Hosen
+mit Stegen ... Vielleicht ... wäre doch ein Wink der Warnung an Cäcilie
+angezeigt ...</p>
+
+<p>Ach, Unsinn! — Wozu ihr die unbefangene Freude trüben —? Seine
+Cäcilie ... er kannte sie doch! Und Flamberg! ... Hand ins Feuer für
+den!</p>
+
+<p>Der Walzer klang aus. Quer durch den ganzen Saal, mit strahlendem
+Lächeln, schritt Fritz von Brandeis auf das<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Paar zu, das eben glühend,
+schweratmend, den Tanz beendet hatte. Und in heiterm Geplauder nahm
+er Cäciliens Arm und spazierte noch ein Weilchen mit ihr und Flamberg
+durch den Saal.</p>
+
+<p>Mochten die Klatschweiber sich die Mäuler zerreißen!</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Der Drachenfels hatte seine Wahrnehmung bereits festgelegt. Und die
+war: Einige der Damen des Regiments hatten sich einer entschieden
+zu starken Bevorzugung des nicht aktiven Elements unter den Herren
+schuldig gemacht.</p>
+
+<p>Auf der Bühne, wo vorher der Eintracht lieblicher Genius mit
+herzbewegenden Worten die stille Friedenstätigkeit des Regiments Prinz
+Heinrich der Niederlande gepriesen, war nun der Areopag der alten Damen
+versammelt. Da thronte inmitten die Kommandeuse und handhabte eifrig
+das Lorgnon; zu ihrer Rechten Frau von Sassenbach, zur Linken Frau von
+Czigorski. Und um die drei Säulen des Regiments herum gruppierten sich
+die übrigen Damen, die Gattinnen der Podagristen aus Pensionopolis
+... Nur ein einziges jugendliches Gesicht in ihrer Mitte, die Frau
+Hauptmann Haller, eine sehr lebenslustige Frau von dreißig Jahren, die
+diesmal schweren Herzens auf die Freuden des Tanzes verzichten mußte,
+da sie ihren drei Buben noch ein Geschwisterchen bestellt hatte.</p>
+
+<p>Die rechte Flanke, wo Frau von Sassenbach saß, sprach nur von Frau
+von Brandeis; was die Herzen der Gruppe außerdem bewegte, durfte mit
+Rücksicht auf die Majorin nicht zu Worte gelangen. Um so eifriger
+betuschelte dafür die linke Seite die allgemeine Beobachtung, daß Frau
+von<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> Brandeis heut abend nicht die einzige Dame war, die sich mit
+Vorliebe an gewisse Herren des Beurlaubtenstandes hielt.</p>
+
+<p>Schon bei Tische hatte man bemerkt, daß das ältere Fräulein von
+Sassenbach sich weit weniger um ihren Tischherrn bekümmerte, den
+ernsten und zielbewußten Regimentsadjutanten, als vielmehr um
+ihr Gegenüber, diesen unmöglichen Herrn von der Landwehr, dessen
+schwarzblauer Waffenrock mit den altmodischen großen Knöpfen, dessen
+riesige Epaulettes und dessen trikotartig knapp die hagern Beine
+umschließenden Hosen allgemeines Entsetzen erregt hatten.</p>
+
+<p>Ja, und kaum war die Tafel aufgehoben, da hatte sich Fräulein Nelly
+alsbald im Rauchzimmer eingefunden und bei einer Zigarette mit dem
+merkwürdigen Bekannten weiter geplaudert.</p>
+
+<p>Dann allerdings war der Tanz in seine Rechte getreten. Der schien nicht
+die starke Seite des eingezogenen Herrn zu sein; denn er stand meist in
+der Tür des Rauchzimmers und schaute durch seine riesigen Brillengläser
+mit behaglicher Betrachtung in das Gewühl des Tanzes hinein. Wer ihn
+aber genauer beobachtete, konnte wohl bemerken, daß sein Blick ein
+bestimmtes Ziel verfolgte ...</p>
+
+<p>Nelly Sassenbach wanderte von einem Arm in den andern. Stets, wenn sie
+an Herrn Leutnant Frobenius vorbeistrich, flog ein rascher, stiller
+Blick des Einverständnisses zu ihm hinüber ...</p>
+
+<p>— — Ja, Wilhelm Frobenius sah nichts als seine Retterin ... War
+sie nicht just das Gegenteil alles dessen, was er an Weiblichkeit
+bisher gekannt ... und war sie nicht zugleich die Verkörperung seines
+erträumten Frauenideals ...?!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p>
+
+<p>Er hatte in der Literatur vor allem immer für die heroischen
+Mädchengestalten geschwärmt, wenn auch seine vielbewunderte
+stilistische Meisterleistung die Analyse der Gretchengestalt war. —
+Sein Herz zog ihn vielmehr zu den ausgesprochenen Mannweibern der
+Dichtung ... freilich im Leben war ihm dergleichen niemals begegnet ...
+ach, ihm waren überhaupt wenig Frauengestalten begegnet im Leben ...</p>
+
+<p>Von den Damen des Regiments interessierte ihn, außer Nelly, nur noch
+eine, jene, von der sein Kamerad und Freund Flamberg ihm doch in einem
+Ton erzählt hatte, aus dem selbst ein noch naiveres Gemüt als er hätte
+herausfühlen müssen, daß sie ihm mehr gewesen denn nur ein Modell ...</p>
+
+<p>Frobenius verglich die beiden Frauen beim Tanzen. Cäcilie legte sich
+weich und anschmiegend in des Tänzers Arm. Es schien ihr angenehm zu
+sein, wenn man sie recht fest und nahe hielt. Scheinbar willenlos
+überließ sie sich der Führung ihres Partners, tanzte ruhig, schwebend;
+ihre Füße schienen sich kaum zu bewegen.</p>
+
+<p>Nelly aber tanzte mit weitem Abstand, sehr selbständig, mit weit
+ausholenden Schleifern, wie um sich auszutoben und auszutollen im
+Tanz. Wenn man sie so sah ... ihre Tanzwonne steckte an ... man bekam
+Sehnsucht, sich von ihr hineinziehen zu lassen in diese Strudel, diese
+Wirbel, in denen sie sich tummelte wie ein losgelassenes Füllen ...</p>
+
+<p>Ach, es war Jahre her, seit Wilhelm Frobenius zum letzten Male auf
+dem Professorenball das Tanzbein pflichtmäßig, aber ohne Liebe zur
+Sache geschwungen. Damals hatte sich die alternde Tochter des Rektors
+und Dekans der<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> philosophischen Fakultät lebhaft für den jungen,
+aufstrebenden Privatdozenten interessiert, und manche mehr oder
+weniger zarte Andeutung hatte ihm nahegelegt, er solle zugreifen und
+seine Karriere sichern ... aber die hochfahrende Nüchternheit des
+gelehrten Fräuleins hatte ihm ein Grauen eingeflößt. Er hatte sich
+sehr merkbar zurückgezogen und war seitdem gesellschaftlich ziemlich
+kaltgestellt. Daß er auch heute noch nicht einmal Extraordinarius
+war, stand zweifellos auch in einem gewissen innern Zusammenhang mit
+jener Fahnenflucht. — Nun, er hatte gesellschaftliche und berufliche
+Zurücksetzung zu verschmerzen gewußt ...</p>
+
+<p>Auch heute abend hatte er nicht engagieren wollen, aber als er nach
+Tisch Fräulein Nelly von Sassenbach eine gesegnete Mahlzeit wünschte,
+hatte die ihm von selbst ihre Tanzkarte hingehalten.</p>
+
+<p>»Ich bin ein miserabler Tänzer, gnädiges Fräulein!«</p>
+
+<p>»Schadet nichts — wir werden plaudern!«</p>
+
+<p>Nun der Bann gebrochen war, hatte er auch noch Frau von Brandeis
+engagiert. Die Schar der übrigen Damen war ihm gleichgültig — auch
+durfte man die aktiven Herren nicht berauben.</p>
+
+<p>Aber der Gedanke an den bevorstehenden Tanz hatte ihn doch mit einem
+gelinden Grauen erfüllt ...</p>
+
+<p>Nun war er da, der gefürchtete und doch ersehnte Augenblick ...!</p>
+
+<p>»Also mit dem Tanzen ist es wirklich nichts, Herr Frobenius?«</p>
+
+<p>»Sie würden wenig Freude an mir erleben!«</p>
+
+<p>»Aber so versuchen wir doch einmal!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span></p>
+
+<p>Und mit einem Gefühl ehrfürchtiger Andacht legte er seine Hand um die
+schlanke, feste Gestalt des Mädchens ...</p>
+
+<p>»Also los — es ist ja nur 'ne Polka — die werden Sie doch noch
+schaffen können!«</p>
+
+<p>Alles drehte sich im Wirbel ... aber er nahm all seine Kraft zusammen
+...</p>
+
+<p>»Sehn Sie wohl — geht ja blendend!«</p>
+
+<p>Wahrhaftig, es ging wunderschön — zwar Hören und Sehen schwanden ...
+nichts blieb als ein dumpfes Gefühl des Rhythmus ...</p>
+
+<p>Eins, zwei, drei, vier — eins, zwei, drei, vier —</p>
+
+<p>Das ... und ein Strom von Glück und Rausch, der von dem straffen,
+lebenswarmen Mädchenkörper aus in alle Glieder des Gelehrten
+überströmte ... in die Seele eines fast vierzigjährigen Knaben ...</p>
+
+<p>Wenn nur nicht das Parkett so infam glatt gewesen wäre! — Und daß
+man alle Augenblicke mit einem andern Paar karambolierte, war auch
+nicht gerade angenehm ... aber er war ja so kurzsichtig ... und alles
+wirbelte im Kreise ringsum ...</p>
+
+<p>»Na warten Sie nur, wenn Sie mich beim nächsten Walzer nicht zu einer
+Extratour auffordern, dann werd' ich böse!«</p>
+
+<p>Auf einmal fühlte er, daß er den Halt verlor ... sein linker Fuß war
+ausgeglitten ... die Wirbelsäule bekam von unten einen Stoß ... knickte
+vornüber ... der lange Körper verlor das Gleichgewicht ... riß im
+Sturz die Tänzerin mit um ... Im selben Augenblick stieß zum Überfluß
+ein heranwirbelndes Paar wider die taumelnden Leiber, und mit voller
+Wucht sausten beide lang in den Saal ... Nelly hatte<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> einen leisen
+Schreckens- und Schmerzensschrei ausgestoßen, sie war im Sturz unten zu
+liegen gekommen ... die Röcke flogen zur Seite ... fast bis zum Knie
+streckten die weißen Strümpfe sich vor ...</p>
+
+<p>Wie der Blitz war sie empor trotz eines heftigen Schmerzes im linken
+Bein ...</p>
+
+<p>»Herrgott — stehn Sie doch bloß auf!«</p>
+
+<p>Ihr Tänzer saß in genau derselben Stellung, wie vor fünf Wochen im
+Froschtümpel, auf dem blanken Parkett inmitten des Gedränges der Paare,
+die jäh anhielten und die Gestrauchelten umdrängten ...</p>
+
+<p>Verworren, blöden Ausdrucks starrte er vor sich hin ... die Brille war
+abgeflogen ... er war so gut wie blind ...</p>
+
+<p>»Stehn Sie doch auf ... Donnerwetter nochmal!!«</p>
+
+<p>Und Nelly reichte ihm beide Hände hin ... er griff zu wie ein tappiges
+Baby ... ließ sich emporziehen ...</p>
+
+<p>»Herrgott nein — mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts
+anzufangen!«</p>
+
+<p>Mama Sassenbach raste wie eine Furie durch den Saal ... Wo war ihr
+Mann? ...</p>
+
+<p>Natürlich — der bekümmerte sich kein bißchen um seine Töchter ...
+hatte sich irgendwo im Rauchzimmer festgekneipt!</p>
+
+<p>Wahrhaftig, da saß er mit dem Oberstleutnant, dem Bezirkskommandeur,
+ein paar pensionierten Exzellenzen und Stabsoffizieren um einen Siphon
+Münchener.</p>
+
+<p>»Verzeihung, meine Herren! — Moritz, komm, wir müssen nach Hause!«</p>
+
+<p>»Aber, Kind — 's ist ja noch nicht mal Mitternacht!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p>
+
+<p>»Einerlei — wir müssen! Nelly hat einen kleinen Unfall gehabt ... Fuß
+verstaucht ... einen Riß im Kleid ... und außerdem —«</p>
+
+<p>»Verflucht! — Selbstverständlich ganz zu deiner Verfügung, liebste
+Amelie! — Sie verzeihen, meine Herren!«</p>
+
+<p>Die alten Herren schmunzelten.</p>
+
+<p>Es kam selten vor, daß Frau Amelie von Sassenbach nicht aus irgendeinem
+Grunde vorzeitig zum Aufbruch blies und den Gatten vom Münchener
+wegschleifte ...</p>
+
+<p>— Wutbebend berichtete Frau von Sassenbach ihrem Gatten.</p>
+
+<p>Der fluchte: »Das kommt davon, daß sich das Mädel mit dem
+Landwehrfritzen eingelassen hat ... den hätte sie doch wahrhaftig
+kennen sollen! — Wo steckt sie denn?«</p>
+
+<p>»Ist schon in der Garderobe — sie konnte sich ja im Saal überhaupt
+nicht mehr sehen lassen in dem ruinierten Kleid!«</p>
+
+<p>»Und wo ist Molly?«</p>
+
+<p>»Herrgott ja, Molly — — geh sie suchen, Moritz!«</p>
+
+<p>Und Moritz ging auf die Suche.</p>
+
+<p>Ja, wo war Molly? — Im Gewühl der Tanzenden spähte der Vater
+vergeblich nach dem lichtblonden Zopfgetürm über dem rosa Tüllfähnchen
+...</p>
+
+<p>Leutnant Blowitz, der als Ballarrangeur und Vortänzer fungierte, sah
+seinen Chef mit suchenden Augen in der Tür stehen. Er führte Frau von
+Brandeis, mit der er just eine Extratour tanzte, schleunigst zu ihrem
+rechtmäßigen Tänzer, Herrn von Schoenawa, zurück und schoß auf den
+Major zu: »Kann ich Herrn Major mit irgend etwas dienen?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span></p>
+
+<p>»Ich suche meine Tochter Molly — wir brechen auf!«</p>
+
+<p>»Meines Erinnerns habe ich das gnädige Fräulein vor ... vor zirka einer
+halben Stunde gesehen ... sie tanzte mit dem Einjährig-Freiwilligen
+Friesen!«</p>
+
+<p>»So, mit dem Einjährigen — und seitdem — —?«</p>
+
+<p>»Seitdem ist sie mir aus den Augen gekommen!«</p>
+
+<p>»Na ... machen Sie kein Aufsehen ... hier im Saal ist sie nicht! ... Wo
+könnte sie sonst wohl sein —?«</p>
+
+<p>»Im Rauchzimmer und im Billardzimmer haben Herr Major schon
+nachgesehen?!«</p>
+
+<p>»Im Rauchzimmer war ich selbst! — im Billardzimmer — das wäre
+möglich!«</p>
+
+<p>Lebhaft plaudernde Gruppen in allen Ecken, um die Spieltische gedrängt
+erhitzte Leutnantsgesichter, junge Mädchen und Frauen, die sich eifrig
+fächelten ... hastende Ordonnanzen mit Servierbrettern voller Selters-
+und Biergläser ... von Molly keine Spur! —</p>
+
+<p>Also nochmals zurück in den Saal! —</p>
+
+<p>Auch hier keine Molly! —</p>
+
+<p>»Vielleicht weiß der Einjährige Bescheid?« meinte Leutnant Blowitz,
+»den muß man ja leicht herausfinden an seinen schauerlichen weißen
+Hosen!«</p>
+
+<p>Jawoll —! die weißen Hosen waren ebensowenig zu finden wie das
+Majorsmädel ...</p>
+
+<p>»Da bleibt nur noch eine Möglichkeit, Herr Major — — das gnädige
+Fräulein muß im Garten sein!«</p>
+
+<p>»Is ja ausgeschlossen!«</p>
+
+<p>Aber der bekümmerte Vater stürzte doch sogleich zur Veranda ... spähte
+in den Garten hinaus, dessen Laubengänge, vom Mondlicht angesilbert,
+dunkel träumten, nur<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> von den mattleuchtenden Kugeln einiger Lampions
+belebt ...</p>
+
+<p>»Molly!« rief der Vater gedämpft, »Molly — bist du hier?!«</p>
+
+<p>— — Ein paar Minuten bangen Schweigens ...</p>
+
+<p>Dann tauchte ein weißer Schatten aus der Dämmerung, und ... ein
+harmloses Lächeln auf dem glatten Engelsgesichtchen hüpfte Molly die
+Veranda hinauf: »Hast du mich gerufen, Papachen?«</p>
+
+<p>»Allerdings — Mama bricht auf!«</p>
+
+<p>»Oh, wie schade ... ich hatte mich so auf den Kotillon gefreut!«</p>
+
+<p>»Tut mir leid! — Wie kommst du denn in den Garten?«</p>
+
+<p>»Es war so heiß — — ich wollte mich ein wenig abkühlen!«</p>
+
+<p>»So — abkühlen! — Na, komm!«</p>
+
+<p>Lächelnd und schlank wie eine Fee schwebte Molly vorauf.</p>
+
+<p>Der Major folgte. Unablässig zwirbelten seine Finger die lang
+herabhängenden grauen Schnurrbartspitzen ...</p>
+
+<p>Er hatte sehr wohl bemerkt, daß hinter dem weißen Schatten, der sich
+aus dem Dunkel entwickelte, noch ein anderer weißer Schatten im Garten
+gespukt hatte ... aber der war nicht ans Licht gekommen ...</p>
+
+<p>Er hatte eine heillose Ähnlichkeit gehabt mit einem Paar weißen
+Mannschafts-Paradehosen, auch »Porzellanbuchsen« geheißen — —</p>
+
+<p>Ja, das hatte der Vater gesehen, aber ... er wollte nichts gesehen
+haben ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span></p>
+
+<p>Nur künftighin besser auf das Mädel passen —!</p>
+
+<p>»Na, gut' Nacht, lieber Blowitz! Ich danke Ihnen! Noch viel Vergnügen!«</p>
+
+<p>»Danke gehorsamst, Herr Major! — Empfehle mich, mein gnädiges
+Fräulein!«</p>
+
+<p>Wenn der nur nichts gemerkt hatte — —!</p>
+
+<p>Blowitz verzog keine Miene beim Abschied.</p>
+
+<p>Aber er hatte doch gesehen.</p>
+
+<p>Na, wenn die Kleine sich partout einen Flirt mit dem Einjährigen in ihr
+blondes Köpfchen gesetzt hatte ... Hermann Blowitz fühlte weder zum
+Denunzianten noch zum Klatschweibe Beruf in sich ... Er wollte seine
+Entdeckung für sich behalten ... bei ihm war das Geheimnis der Kleinen
+gut aufgehoben —</p>
+
+<p>Und Hans Friesen, der erst wie ein Verbrecher gezittert hatte, lachte
+nun selig in sich hinein in seinem dunkeln Versteck ... er tappte sich
+zu der Bank zurück, auf der er eben mit Molly gesessen — auf der er
+kühnen Muts einen scheuen, seligen Kuß erbeutet hatte ...</p>
+
+<p>Der machte das Poetenherz schwer und warm ...</p>
+
+<p>Er fühlte das Schicksal seines jungen Lebens über seinem Haupte ...</p>
+
+<p>Es hieß Molly ... Molly Sassenbach — —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Um vier Uhr morgens waren die letzten Damen gegangen. Nun rotteten sich
+die Leutnants im Billardzimmer um die Siphons zusammen.</p>
+
+<p>Teufel auch ... die Nacht war doch mal angebrochen ... die vorletzte
+Nacht in der Garnison ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span></p>
+
+<p>Morgen nur Instruktionsstunden und Appell ... Appell ...</p>
+
+<p>Stiefelappell ... Gewehrappell ... Appell mit eisernen Portionen
+und Appell mit Fußbekleidung ... Appell mit Sachen, die auf Kammer
+abgegeben werden mußten ... Stubenrevision ... und zuletzt Appell im
+Manöveranzug.</p>
+
+<p>Das schaffte man auch mit unausgeruhten Knochen ... mit einem noch so
+wüsten Brummschädel.</p>
+
+<p>Erhitzt vom Tanz goß man einen Schoppen nach dem andern in die glühende
+Kehle. Bald waren die Leutnants Klocke und von Finette wie die
+Staubsäulen betrunken. Energischer Zuspruch älterer Kameraden mußte sie
+zum Heimschwanken bewegen. —</p>
+
+<p>Die Tanzlust war noch nicht gestillt. Da die Regimentsmusik
+verschwunden war, setzte sich der kleine Carstanjen ans Klavier und
+hieb eine wilde Walzermelodie in die Tasten hinein ...</p>
+
+<p>All die unruhvollen jungen Männerherzen, in denen die Erregungen des
+Festes nachzitterten, lechzten unbewußt nach einem letzten äußersten
+Austoben ... Einer umfaßte den andern ... und bis zum Umfallen wurde
+gewalzt.</p>
+
+<p>Verschlafen lungerten die Ordonnanzen in den Ecken herum und starrten
+mit blöden, verwunderten Augen auf das wilde Treiben ihrer jungen
+Herren ...</p>
+
+<p>Schließlich wurden sie hinausgeschickt.</p>
+
+<p>Und auf den hohen gotischen Stühlen, die sonst feierlich die
+Regimentstafel umstanden, wurde nun ein toller Ritt ausgeführt ...
+dann nach dem krähenden Kommando des kleinen Carstanjen ein großes
+Schwadronsexerzieren ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p>
+
+<p>Ein jeder hatte sich dazu bewaffnet ... Eine große Trophäe von alten
+Ritterschwertern, Hellebarden und Morgensternen, welche die Wand des
+Rauchzimmers zierte, war zu diesem Zweck geplündert worden ...</p>
+
+<p>Ein abenteuerliches Bild, die jungen Herren mit aufgeknöpften
+Waffenröcken ... rittlings auf den hochlehnigen Stühlen ... ausgerüstet
+mit phantastischem Gewaffen aus alter Ritterzeit ...</p>
+
+<p>»Eskadron — Galopp —!«</p>
+
+<p>Keiner aber glühte höher ... keiner johlte lauter ... keiner schwang
+die Waffe wilder als Martin Flamberg.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span></p>
+
+<hr class="r65">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span></p>
+
+<h2 class="nobreak" id="Zweites_Buch">Zweites Buch</h2>
+</div>
+
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<h3>Erstes Kapitel.</h3>
+
+<p>»Dat is en janz schöne Jegend hier ... oben Regen ... unten Dreck ...
+nix im Magen — der Düwel soll't holen!«</p>
+
+<p>In unaufhaltsamem Marsch schob sich das erste Bataillon des Regiments
+Prinz Heinrich der Niederlande dem »Feind« entgegen.</p>
+
+<p>Unaufhaltsam strömte der Regen ... seit Tagen ... seit Wochen ...</p>
+
+<p>Unaufhaltsam fluchten und wetterten die Unteroffiziere der Königlichen
+Zweiten:</p>
+
+<p>»Ich glaub, hier regnet et überhaupt et janze Jahr!«</p>
+
+<p>»Weiß der Kuckuck, die vierzehn Dag, dat mer als hier obe rumkrabbeln,
+hann mer noch kei' trockne Minute jehatt!«</p>
+
+<p>»Ich sinn als janz aus em Leim ... die Buxen reißen wie Schafleder ...
+an de Stieweln platzen die Sohlen ab ...!«</p>
+
+<p>»Und trocken kriegt man die Brocken überhaupt nit mehr!«</p>
+
+<p>»Na, Friesen, Sie sagen ja gar nix!«</p>
+
+<p>Der Einjährige schwieg.</p>
+
+<p>Die Tragriemen des feldmarschmäßig gepackten Tornisters schnitten tief
+in die Achseln. Alle fünf Minuten wanderte das Gewehr von der rechten
+Schulter auf die linke und von der linken auf die rechte ... in den
+Stiefeln schwappte eine<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> lehmige Flüssigkeit ... und hinter den Ohren
+entlang rieselte ein beständiges Rinnsal eiskalten Regenwassers in die
+Halsbinde hinein ...</p>
+
+<p>Von dem allen merkte Hans Friesen in diesem Augenblick auch nicht das
+Mindeste ...</p>
+
+<p>Hans Friesen merkte nicht einmal, daß ihm der kurze Pfeifenstummel
+zwischen den Lippen längst kalt geworden war ...</p>
+
+<p>Hans Friesen dichtete.</p>
+
+<p>Ach ... herrlich konnte man dichten auf solch einem endlosen Marsch ...</p>
+
+<p>Den Kameraden, den aktiven Unteroffizieren, ging immer nach der ersten
+Stunde der Stoff für ihre Kommißgespräche aus.</p>
+
+<p>Die Berichte über das letzte Quartier, die Klagen über den miserabeln
+Fraß, die Renommistereien über Abenteuer mit den Bauernmädeln, das
+reichte nie weiter als eine knappe Meile. Dann bemächtigte sich der
+Kilometerstumpfsinn der marschierenden Kolonne, zumal dann das Gewicht
+des gepackten Affen allmählich immer fühlbarer wurde ...</p>
+
+<p>Dann aber begann Hans Friesens gute Zeit.</p>
+
+<p>Wie mutwillige Schwalben schossen dann seine Gedanken der Marschkolonne
+voraus ... strichen durch die regennassen Wälder zur Rechten und zur
+Linken, wo in der triefenden Feuchte zwischen vermodernden Baumstümpfen
+und Farndickichten ganze Kolonien grauer, gelber, violetter Pilze
+aus dem Boden gewachsen waren und mit ihren breiten Schirmdächern in
+lustigen Gruppen beisammen hockten ...</p>
+
+<p>Aber weiter flatterten des Poeten Träume ... zurück zur Garnison ...
+um das blonde Haupt eines gewissen jungen Mädchens, das chargenmäßig
+in unerreichbarer Höhe<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> über dem Unteroffizier stand, das er räumlich
+in weiter Ferne wähnte ... und das in Wirklichkeit, ohne daß Hans
+Friesen etwas davon ahnte, nur einen Tagemarsch weit in süßträumender
+Ferienruhe unter den rauschenden Hunsrückwäldern weilte ...</p>
+
+<p>Und Hans Friesen dichtete.</p>
+
+<p>Eine Strophe nach der andern fügte er zusammen ... feilte Zeile
+auf Zeile in Gedanken durch und sprach sie sich so oft vor, bis
+sie sich unvergeßlich seinem Hirn eingeprägt hatten, damit er sie
+am Abend blank und sauber in sein Dienstnotizbuch eintragen könne
+... zwischen Vermerken über Brotempfang ... Kompagniebefehle ...
+Vorposteninstruktionen ...</p>
+
+<p>Nun wiederholte er noch einmal die ersten Strophen des Gedichts, das
+ihm aus den triefenden Nebeln zugeweht war:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Bist du die Oreade,</div>
+ <div class="verse indent0">die lauschend hinterm Felsen schwieg? </div>
+ <div class="verse indent0">bist du des Quells Najade, </div>
+ <div class="verse indent0">die aus der Plätscherwelle stieg? </div>
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Aus welcher Märchenferne </div>
+ <div class="verse indent0">hast du dich in mein Sein verirrt? </div>
+ <div class="verse indent0">Von welchem fernen Sterne </div>
+ <div class="verse indent0">bist du an meine Brust geschwirrt?« </div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Ja, die zwei Strophen saßen! Das ließ sich nicht bestreiten! Nun mußte
+die Antwort kommen ... also munter weitergereimt ...!</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Was soll das zage Fragen?</div>
+ <div class="verse indent0">Ich halte dich ans Herz gepreßt ...«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Ja, wahrhaftig, das hatte er getan, wenn es auch noch so märchenhaft
+klang ... er hatte sie gehalten, die schlanke,<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> blonde Majorstochter,
+gehalten an seinem Herzen, das unterm Tressenrock des Unteroffiziers so
+verdammt unvorschriftsmäßig gepocht hatte ...</p>
+
+<p>Ach, und als er seinen Arm zum ersten Male um den weichen Körper gelegt
+... Richtig — so mußte es ja weitergehen:</p>
+
+<p>
+<span style="margin-left: 1em;">»fühl' deines Herzens Schlagen ...«</span><br>
+</p>
+
+<p>Ach ... und dann ... dann war ja das Unvergeßliche ... das schier
+Unglaubliche gekommen ...</p>
+
+<p>
+<span style="margin-left: 1em;">»und Lippe weilt auf Lippe fest ...«</span><br>
+</p>
+
+<p>Schau, da war ja wieder eine Strophe beisammen — und auch die stand
+fest auf ihren vierzehn Versfüßen ...</p>
+
+<p>Vor dem Dichter trottete in mürrischem Schweigen sein
+Kompagnieoffizier, der Leutnant Quincke.</p>
+
+<p>Scheußliche Sache, so ein Manöver! — Eigentlich Dienst von morgens
+früh um drei bis abends um zehn und von abends um zehn bis früh um drei
+... Die Körperpflege wurde nur noch markiert ... aussehen tat man schon
+mehr wie ein Latrinenreiniger und nicht wie ein Angehöriger des ersten
+Standes der Nation ... Dabei seit vierzehn Tagen kein weibliches Wesen
+mehr zu Gesicht bekommen ... die dreckigen Bauerntrinen zählten nicht
+mit — die waren höchstens was für die Herren Burschen!</p>
+
+<p>Und was das Lächerlichste war ... seit acht Tagen führte dieser krumme
+Landwehronkel, dieser Leutnant Frobenius, die Kompagnie an Stelle des
+Hauptmanns Goll, der seinerseits als ältester Kapitän des Regiments für
+den Major Blasberg die Führung des zweiten Bataillons übernommen hatte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span></p>
+
+<p>Blasberg hatte am Tage nach dem Regimentsfest, unmittelbar vor dem
+Ausrücken ins Manöver, in eine Nervenheilanstalt gebracht werden
+müssen. Die Schwermut, die ihn seit dem Tode seiner Frau zu Boden
+gedrückt hatte, war plötzlich als ausgesprochen krankhafte Melancholie
+zum Ausbruch gekommen.</p>
+
+<p>Und so war nun der unmögliche Landwehroffizier der unmittelbare
+Vorgesetzte seines patenten Kameraden für die Dauer der Herbstübungen
+geworden ...</p>
+
+<p>Und nun das Allerunglaublichste ... die Sache klappte —!</p>
+
+<p>Auf seinem braunen, steifbeinigen »Roland«, der frömmsten Kuh aus
+dem Tattersall der Garnison, machte dieser Frobenius eine ganz
+leidliche Figur und hatte sich mit seinem vierbeinigen Freund auf ganz
+erträglichen Fuß zu stellen gewußt.</p>
+
+<p>Der innere Dienst funktionierte tadellos ... na, Kunststück! — So ein
+Musterexemplar von Feldwebel — und der brillante Unteroffizierersatz!</p>
+
+<p>Ja, darauf verstand sich der griesgrämige Hauptmann Goll ...
+Unteroffiziere erziehen, das war seine Spezialität! —</p>
+
+<p>Übrigens war ja auch dieser Frobenius selber von einer kommissigen
+Gewissenhaftigkeit, daß es schon nicht mehr schön war!</p>
+
+<p>In der Ortsunterkunft stelzte er wahrhaftig höchst eigenhändig von
+Quartier zu Quartier, steckte seine Nase in jede Eßschüssel und in
+jedes Bauernbett, um sich zu überzeugen, ob die Herren Füsiliere auch
+ordentlich zu essen kriegten und weich genug lägen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span></p>
+
+<p>Er selber, Quincke, hatte sich zum Glück eine etwas vornehmere
+Auffassung des Königlichen Dienstes zugelegt. Wofür waren denn die
+Korporalschaftsführer da?</p>
+
+<p>Ja, Frobenius hatte sich in seine Pflichten als Kompagnieführer ganz
+famos eingearbeitet und war infolgedessen mit seiner militärischen
+Situation zufrieden wie nie zuvor.</p>
+
+<p>Er sah sehr verändert aus, hatte sich am Tage vor dem Ausrücken die
+wenigen Haarsträhnen seines Schädels ganz kahl abscheren, seinen
+langen, struppigen Vollbart kurz verschneiden lassen.</p>
+
+<p>Auch seine Uniform sah nicht mehr ganz so vorsintflutlich aus, seitdem
+ihr Träger eine etwas vorschriftsmäßigere Haltung gewonnen, und mit
+seinem braven, alten Roland vollends fühlte er sich verwachsen wie ein
+Zentaur.</p>
+
+<p>Was tat's, ob es regnete von morgens früh bis abends spät und die ganze
+Nacht hindurch ...</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Alles Glück der Erde</div>
+ <div class="verse indent0">liegt auf dem Rücken der Pferde,</div>
+ <div class="verse indent0">in der Gesundheit des Leibes ...«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Freilich, damit war's nun auch Schluß ... Glück am Herzen des Weibes —
+damit würde es wohl niemals was werden ...!</p>
+
+<p>Seit seinem Sturz im Tanzsaal hatte er jede Hoffnung aufgegeben.
+»Herrgott nein, mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts
+anzufangen«, das klang ihm noch immer im Ohr, und immer meinte er das
+hochmütige, zurückgeworfene Köpfchen, das empört aufstampfende Füßchen
+im Goldkäferschuh zu sehen ... ihr hastiges Vondanneneilen ... den
+Ausdruck der Wut über die gräßliche Blamage und den verdorbenen<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> Abend
+im Klang ihrer Stimme ... in jeder Bewegung ...</p>
+
+<p>Abschiedslos war sie ihm enteilt, und auch als Dienstag morgens um vier
+Uhr in der Dämmerung das Regiment von der Kaserne aus an der Wohnung
+des Majors vorbeimarschiert war zum Bahnhof hin, da hatte sie mit ihrer
+Mutter und Schwester auf dem Balkon gestanden und allen Herren einen
+freundlichen Abschiedsgruß gewinkt ... als aber er, Wilhelm Frobenius,
+auf seinem Roland den Säbel vor ihr gesenkt, da hatte sie kühl über ihn
+hinweggeschaut und dann Herrn Quincke, den Führer des vordersten Zuges
+der Zweiten, mit um so deutlicherer Freundlichkeit gegrüßt ...</p>
+
+<p>Ade Hoffnung ... ade Träume ... ade süße, stolze Verkörperung des alten
+Amazonenideals ...!</p>
+
+<p>Nein, es war vorbei ... keine Hoffnung mehr ...! Und selbst auf das
+Wiedersehen konnte er sich nicht mehr freuen ... auf das Wiedersehen,
+das wenigstens im Bereich der Möglichkeit lag. Denn er wußte ja von
+seinem Freunde Flamberg, daß die Amazone mit ihrer Schwester ebenfalls
+auf den Hunsrück hinaufgepilgert war ... Nein, hoffen und sich freuen
+— das gab's nicht mehr.</p>
+
+<p>Und dennoch ...!</p>
+
+<p>Wilhelm Frobenius zog die Manöverkarte aus seiner Packtasche. Der Regen
+prasselte auf das Zelluloidfutteral, und durch die Tropfen hindurch
+suchte der Reiter den Namen, um den sich trotz allem immer und immer
+seine Träume rankten ...</p>
+
+<p>Am Allenbach entlang, einem Nebenwässerlein der Nahe, dessen Lauf auf
+der Karte durch zahllose kleine Sternchen begleitet war, welche Mühlen,
+Schleifmühlen darstellten,<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> an der Einmündung des Beierbachs, war das
+Dörfchen Hettstein eingetragen und dicht daneben ein kleiner Kreis mit
+einem Fähnchen ... Das war das Schlößchen Hettstein, die neue Erwerbung
+der schönen Frau Cäcilie.</p>
+
+<p>Hier hauste nun die stramme Reiterin ... die fesche Tänzerin ... die
+lächerlich Verehrte ...</p>
+
+<p>Verrücktheit! — So ein Mädchen und seine Bücherexistenz ... die
+Lange-Pfeifen-Atmosphäre seiner winzigen Junggesellenbude ... sein
+demütiges, halbbäuerliches Mütterchen daheim im Westerwalddörfchen —
+und dieses Luxusgeschöpf ... dieses Freiluftwesen ...</p>
+
+<p>Lächerlich! — Und doch ... und doch ...! Oh, Schloß Hettstein —!</p>
+
+<p>Da horch —: Bum — und wieder: Bum —</p>
+
+<p>Aus den triefenden Nebeln, welche bis tief über die langgestreckten
+Kuppenzüge des Idarwaldes niederhingen, war der erste Kanonenschuß
+gefallen ... Von dort war der »Feind« zu erwarten: Aufgabe des
+Regiments, ihn am Heraustreten aus dem dicken Forste zu verhindern ...</p>
+
+<p>Und Leutnant Blowitz sprengte von der Tête her am Bataillon entlang:
+»Die Herren Kompagnieführer zum Herrn Major!«</p>
+
+<p>Da faßte Frobenius Rolands Zügel kürzer, nahm den linken Schenkel
+zurück ... Ein ganz klein bißchen sträubte sich die faule Kreatur,
+dann hoppelte sie gemächlichen Äppelgalopp mit ihrem Reiter an der
+Zweiten und Ersten entlang auf den Bataillonskommandeur zu, der seinen
+Kompagnieführern die Gefechtslage erklären und seine Befehle ausgeben
+wollte.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p>
+
+<p>Der Herr Major von Sassenbach ...</p>
+
+<p>Der schaute dem Anreitenden entgegen mit Augen, die Frobenius kannte
+... mit schelmisch blitzenden Reiteraugen ...</p>
+
+<p>»Na, lieber Frobenius, wie war's Quartier?«</p>
+
+<p>»Danke gehorsamst, Herr Major! — Waschen müssen hab ich mich auf dem
+Korridor: meine Schlafstube reichte nur fürs Bett!«</p>
+
+<p>»Und ich hab' 'ne Art Tanzsaal gehabt ... mußte heut morgen 'ne halbe
+Stunde nach mir selber suchen, bis ich mich fand! — Sie sehen übrigens
+ganz vergnügt aus bei diesem Sauwetter!«</p>
+
+<p>»Warum auch nicht, Herr Major!? — Man kann ja dabei an die schönsten
+Sachen denken!«</p>
+
+<p>Der Major schmunzelte.</p>
+
+<p>Eigentlich ein ganz prachtvoller Herr, dieser Don Quijote! — Schade,
+das Malheur im Tanzsaal! — Schließlich — Frau Professor wäre
+doch eigentlich durchaus standesgemäß gewesen ... und daß er ein
+Bürgerlicher war ... du lieber Gott, wenn ein Mädel mal sechsundzwanzig
+Jahre alt geworden ist ...</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Dem Miniaturkrieg, welchen beide Brigaden, durch Kavallerie,
+Artillerie und Spezialwaffen verstärkt, im zweiten Manöverabschnitt
+gegeneinander zu führen hatten, lag eine überaus komplizierte Annahme
+für die allgemeine Kriegslage zugrunde. Aber diese Annahme existierte
+eigentlich nur für die beiden Detachementsführer. In das geliebte
+Deutsch der Unterführer und vollends der Mannschaften übersetzt<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span>
+verwandelte sich jede Gefechtsannahme, verwandelte sich überhaupt das
+ganze Manöver in das äußerst einfache Rezept:</p>
+
+<p>Marschieren, bis man an den Feind heran ist — dann ausschwärmen,
+schießen, sprungweise vorgehen — marsch, marsch, hurra!</p>
+
+<p>Na — und das hatte man ja gebimst bis die Schwarte knackte!</p>
+
+<p>Für das sogenannte »gemeine Truppenschwein« — und unter diesen Begriff
+rechnete man mindestens alles, was »tippeln« mußte, auch die Herren
+Leutnants der Infanterie — war so das ganze Manöver nichts weiter
+als ein abwechslungsreicher, strapaziöser und wenig komfortabler
+Spaziergang mit mancherlei scherzhaften Unterbrechungen.</p>
+
+<p>»Also, meine Herren,« schloß Major von Sassenbach eine längere
+Auseinandersetzung über jenes verwickelte und höchst theoretische
+Problem, das sich aus der allgemeinen Kriegslage ergab, »der Witz
+vons Janze ist folgender: Durch die Aufklärung ist festgestellt,
+daß der Feind durch den Idarwald im Anmarsch ist, und zwar auf der
+Chaussee, die von Bischofsthron über das ›Graue Kreuz‹ nach Bruchweiler
+führt. Wir stehen augenblicklich am Südeingang von Kempfeld, das
+Nest halblinks vorn ist Bruchweiler; das müssen wir vor dem Feind
+erreichen und von seinem Nordwestrande aus den Feind am Heraustreten
+aus dem Idarwalde verhindern. Das erste Bataillon ist vorn, das zweite
+und dritte folgt; das Schwesterregiment marschiert auf der Linie
+Schafbrücke-Schauren. Wir haben also Gefechtsanschluß rechts und sollen
+im Angriffsfalle links überflügeln, sonach bleiben wir<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> im Vormarsch
+auf Bruchweiler, alles übrige entwickelt sich historisch — ich danke
+Ihnen, meine Herren —!«</p>
+
+<p>Na, das strategische Geheimnis des Morgens hatte sich also gelüftet,
+und die Herren Kompagnieführer galoppierten zu ihren Kolonnen zurück.</p>
+
+<p>Weiter ging's in strömendem Regen durch das stumme, ärmliche Dörfchen
+Kempfeld — laut kakelnd stoben die Hühner von der Landstraße herunter
+auf die bergenden Misthaufen; flachsköpfige Buben und Mädel sprangen
+aus den Türen, schrien den Kriegern die ewige Kinderfrage zu: »Saldat
+— kummen 'er noch mieh?«</p>
+
+<p>Langsam ansteigend gen Bruchweiler zu schlängelte sich der lehmige Weg
+durch abgeerntete, teilweise bereits umgepflügte Felder, deren nasse
+Schollen, von der Pflugschar abgestochen, speckig glänzten ... eine
+lange, dunkle Wand, von grauer, zerfranster Wolkendecke überlagert,
+reckte sich der Idarwald. Von dort her klangen immerfort die dumpfen
+Schläge der Geschütze. Zur Rechten irgendwo, auf einer umnebelten Höhe
+vergraben, antwortete die Artillerie des Süddetachements ...</p>
+
+<p>Willkommene Musik für das Soldatenohr! Sie bedeutete: Bald hat sich's
+ausgekilometert — und wir kriegen ihn am Kragen, den bösen Feind —
+dann geht's ins Quartier.</p>
+
+<p>Ei verflucht, nein ... nicht ins Quartier ... Heute stand am Ende des
+Marschtages ein Biwak auf kotigem Stoppelfeld ...</p>
+
+<p>Noch drei Kilometer bis Bruchweiler.</p>
+
+<p>Inmitten eines Hages von leise herbstlich gebräunten Obstbäumen träumte
+das verschlafene Dörfchen unterm Schirm des Waldgebirgs ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span></p>
+
+<p>Plötzlich — rack ... tack, tacktack — Vom Dorfrand her knatterten die
+ersten Gewehrschüsse durch die brauenden Dünste.</p>
+
+<p>Nach einigen Minuten stob in vollem Galopp ein Zug der diesseitigen
+Kavallerie, der Deutzer Kürassiere, den Anger entlang, in eiliger
+Flucht hinter der anrückenden Infanterie Deckung zu suchen.</p>
+
+<p>Wie schmutzige Mehlsäcke sahen die weißen Koller aus im trüben
+Morgenlicht ...</p>
+
+<p>Ihr Führer meldete im Vorbeirasen dem Major: »Bruchweiler wird soeben
+von abgesessener feindlicher Kavallerie besetzt!«</p>
+
+<p>Hochauf richtete sich der Major in den Bügeln: »Herr Leutnant Blowitz!«</p>
+
+<p>»Herr Major?!«</p>
+
+<p>»Das Bataillon entwickelt sich links gestaffelt, links der Chaussee
+— vierte Kompagnie hinter der linken Flanke aufmarschiert, aber
+geschlossen, zu meiner Verfügung!«</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Major!«</p>
+
+<p>Der Adjutant preschte zurück.</p>
+
+<p>Wie der Blitz war Hauptmann von Brandeis vom Gaul herunter, warf die
+Zügel seinem Burschen zu, der dienstkundig sogleich zur Hand war: »Die
+ganze Kompagnie nach links — schwärmen! Marschrichtung: der große Baum
+in der Mitte des Dorfes!«</p>
+
+<p>Und in den Bügeln richtete sich auch Leutnant Frobenius auf ... Roland
+fuhr aus seinem Halbdusel mit Entsetzen empor und machte einen kleinen
+Seitensprung: »Exerzierordnung! mit Gruppen links schwenkt — marsch,
+marsch!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span></p>
+
+<p>Schon stob der Major heran. »Zum Donnerwetter, Herr Leutnant
+Frobenius, Sie wollen wohl hier im Bereich des feindlichen Feuers
+Kompagnieexerzieren abhalten —?!«</p>
+
+<p>»Herr Major, ich wollte —«</p>
+
+<p>»Ach was, zum Kuckuck — lassen Sie schwärmen und gar nichts weiter! —
+Auseinander mit den Kerls! Geben Sie einen Marschrichtungspunkt an —
+dann läuft die Karre von selber!«</p>
+
+<p>Jesses — dieser Landwehrfritze —! zu nichts zu gebrauchen —
+höchstens zum Schwiegersohn, und auch dazu nur unvollkommen — —</p>
+
+<p>»Stellung!« kommandierte Hauptmann von Brandeis.</p>
+
+<p>Da purzelte die lange Schützenlinie der ersten Kompagnie wie hingemäht
+auf den Bauch in den triefenden Sturzackerlehm —</p>
+
+<p>»Geradeaus am Dorfrand, Schützen! Visier 800 und 900! Schützenfeuer!«</p>
+
+<p>Und — rack, tacktacktack rollte das Schützenfeuer die Front entlang —
+—</p>
+
+<p>Der lustige Waffentanz begann. —</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>In hellen Massen waren die Schützen des feindlichen Detachements aus
+den dunkeln Hängen des Idarwaldes herausgetreten, verstärkt durch
+zwei Flaggenbataillone, das heißt: Bataillone, die in Wirklichkeit
+nicht existierten, sondern nur durch je eine blaue Flagge statt
+einer Kompagnie markiert wurden, und hatten mit dieser künstlich
+hergestellten Übermacht die »Niederländer« und ihr Schwesterregiment
+bis weit hinter Kempfeld zurückgeworfen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span></p>
+
+<p>Hier fand das Süddetachement an den bewaldeten Hängen des »Sandkopfes«
+und der »Marscheider Burr« einen Stützpunkt.</p>
+
+<p>Darüber war es vier Uhr nachmittags geworden.</p>
+
+<p>Allmählich war das lärmhafte Duett der Geschütze von hüben und drüben
+verstummt und die Verfolgung ermattet. Gegen fünf Uhr hatten die
+»Niederländer« jenseits des Höhenrückens Biwak bezogen.</p>
+
+<p>Das zweite Bataillon hatte das zweifelhafte Vergnügen, die Vorposten
+zu stellen, die sich nun auf den felsigen Kuppen des Höhenrückens
+aufbauten. Dahinter biwakierte geschlossen das erste und dritte
+Bataillon in einer schmalen Lichtung der Waldes auf dem langsam sich
+senkenden Abhang gen Herborn zu.</p>
+
+<p>Mit Zauberschnelle bauten sich hinter den Gewehrpyramiden die niedern
+braunen Zugzelte auf ... Kochlöcher wurden geschaufelt ... lange Züge
+zum Wasserholen, die klappernden Kochgeschirre der ganzen Kompagnie
+in der Hand, stiegen zum entfernten Dorf herunter; bald rollten auf
+der Chaussee die bereits während der Gefechtspause vorsorglich an den
+vorbestimmten Biwakplatz dirigierten Wagenkolonnen heran. Ganze Berge
+von Stroh und Holz wurden abgeladen. Der Küchenunteroffizier empfing
+schmunzelnd seine Portion Blechbüchsen mit Pökelfleisch, seinen Stapel
+Pappkartons mit Preßgemüsekonserven, seinen Anteil Salz und Kartoffeln
+...</p>
+
+<p>Rasch wurde alles in eine Leinwandplane gewickelt: denn der Regen
+drohte die ganze Herrlichkeit schon vor der Zeit zu einem Brei
+zusammenzurühren ...</p>
+
+<p>Und bald knisterten und qualmten überall die Flammen,<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> umschwelten
+das durchnäßte Stroh, das triefende Reisig, das die Füsiliere
+zusammengeschleppt.</p>
+
+<p>Martin Flamberg hockte auf den Knien dicht neben dem just einen Meter
+hohen braunen Zelte, das die Burschen für die Herren der ersten
+Kompagnie aufgeschlagen hatten, und pustete mit aufgeblasenen Backen
+das immer wieder erlöschende Feuer an ... aus dem Kessel stieg der Duft
+zerkrümelter Erbswurst, die mit würfelförmig geschnittenem Cornedbeef
+vermengt und mit einem dicken Büschel kleingeschnittener Küchenkräuter
+vermischt war — die hatte Martins gerissener Bursche, der Füsilier
+Klomprich, beim Vorbeimarsch durch die Stakete der Bauerngärten
+hindurch erwischt ... das duftete verdammt appetitlich ...</p>
+
+<p>Wenn nur das Feuer endlich mal ordentlich durchbrennen wollte ... Die
+sämtlichen Burschen hatten schon ihren letzten Atemzug verpustet ...
+nun pustete der Herr Leutnant selber ...</p>
+
+<p>Er fühlte sich persönlich verantwortlich für das leibliche Wohlergehen
+seines Kompagniechefs, seines Kameraden Carstanjen und der beiden
+Gäste des Offiziertisches, des Kompagniefeldwebels und des jungen
+Fahnenjunkers von Erichsen.</p>
+
+<p>Er pustete, pustete, pustete. — Dunkelrot schwoll ihm das Gesicht ...
+Aschenflocken stoben ihm um die Nase ...</p>
+
+<p>Gott sei Dank! Endlich schwelte ein schwaches Flämmchen auf, qualmig
+fauchte es in das nasse Stroh hinein ... »Sauerei verfluchte —!« ...
+Er richtete sich auf.</p>
+
+<p>In diesem Augenblick scholl hinter seinem Rücken ... scholl — — was
+—?! Das mußte ein Traum sein — scholl ein silbern schmetterndes,
+dreistimmiges Frauenlachen — —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span></p>
+
+<p>Er fuhr herum.</p>
+
+<p>Bei Gott ... da standen drei schlanke Gestalten ... drei glühende,
+regenfeuchte Gesichter strahlten aus den aufgeklappten Kragen der
+Gummimäntel unter unförmlichen Wachstuchmützen ... in nasse Strähnen
+zusammengepappt hingen die rötlichblonden Haare der einen, die
+weißblonden der beiden andern über die erhitzten Wangen ... Nelly und
+Molly von Sassenbach und ... sie.</p>
+
+<p>»— Hahaha, Herr Leutnant Flamberg ... nein — wie Sie bloß aussehen
+... einfach zum Wälzen, Herr Flamberg!«</p>
+
+<p>Wahrhaftig — er sah ein bißchen anders aus als beim Ball unter den
+flimmernden Kerzen des Kasinosaales.</p>
+
+<p>Die hohen Stiefel, die Kniee, die Schöße des Waffenrocks
+lehmüberkrustet, in steifen, groben Falten hing der graue Umhang um
+seine Schultern; der hochgeklappte Kragen zeigte sein schmutzig rotes
+Futter, die weiche Feldmütze saß beiderseits auf dem Ohr, der große,
+zerschrammte Schirm tief in der Stirn ...</p>
+
+<p>Aber darunter ... darunter leuchteten die braunen Augen aus dem nun
+tiefgebräunten Gesicht so verwettert, so kriegerisch in sieghafter
+Männlichkeit ...</p>
+
+<p>Frau Cäcilie war jählings verstummt, als diese braunen Augen mit
+ungewollter heißer Huldigung sich in die ihren gesenkt hatten ... als
+die heißen Lippen sich tief auf ihre regenfeuchte Hand niederbeugten ...</p>
+
+<p>»Gnädige Frau — meine Damen — — wahrhaftig, die Sonne geht auf!!«</p>
+
+<p>»Sie sehn, wir haben's nicht lange ausgehalten da unten in unserer
+Dreieinsamkeit auf Schloß Hettstein,« sagte langsam, stockend die
+schöne Frau.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span></p>
+
+<p>»Nee wahrhaftig — wir hatten direkt krampfhafte Sehnsucht nach roten
+Kragen und blanken Knöpfen!« bestätigte Nelly Sassenbach.</p>
+
+<p>»Na, und da konnte Ihnen geholfen werden — nicht wahr, meine Damen?
+Aber nun sagen Sie bloß, wie in aller Welt haben Sie sich denn hier
+heraufgefunden in diese gottverlassene Wald- und Bergesöde?«</p>
+
+<p>Frau Cäcilie wies nach der Chaussee hinüber. Da blinkte durch die
+Nebelschwaden ein funkelnagelneues, schneeweißes Automobil: »Ein sehr
+nobles Geschenk meines Vaters zu unserm Einzug auf Schloß Hettstein!«</p>
+
+<p>»Reizend von dem alten Herrn — was sagen Sie, Herr Flamberg? Ja, ja,
+solchen Vater muß man haben!« lachte Nelly.</p>
+
+<p>Aber ihre Augen schweiften dabei ruhelos suchend über das buntwimmelnde
+Bild des muntern Biwaktreibens hin ..</p>
+
+<p>»Wo ist mein Mann?« fragte Frau Cäcilie.</p>
+
+<p>»Der sorgt für seine hundertzwanzig räudigen Schäflein!« meldete der
+kleine Carstanjen, der inzwischen herangekommen war und die Damen
+begeistert begrüßte. »Aber sieh — da kommt er ja schon!«</p>
+
+<p>Ja, da kam er.</p>
+
+<p>Die Hand im braunen Feldhandschuh am breiten Schirm der Manövermütze
+— sein gutes, ehrenfestes Gesicht strahlend in Glückseligkeit: »Welch
+seltner Glanz in unserer Hundehütte, meine Damen! — Na, komm her,
+Alte!«</p>
+
+<p>Ehe Cäcilie sich's versah, hatte er sie an beiden Schultern
+gefaßt, unbekümmert um die ringsum gaffenden Füsiliere, Burschen,
+Unteroffiziere —</p>
+
+<p>»Aber Fritz —!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span></p>
+
+<p>»Teufel auch — armer, verdursteter Landsknecht! — Ja, da lachen Sie,
+kleiner Carstanjen! Ist aber nur der Neid der besitzlosen Klasse!«</p>
+
+<p>Flamberg lachte nicht ... er hatte sich abgewandt ... starrte einen
+Moment in die Nebelschwaden hinein, die um die Bergkuppen geisterten ...</p>
+
+<p>»Na, sag bloß, wie kommt ihr denn an den weißen Quietschkasten da
+hinten?«</p>
+
+<p>Frau Cäcilie gab Aufklärung.</p>
+
+<p>»Donnerwetter — geht doch nichts über 'nen nobeln Schwiegeralten! —
+Na warte, werden wir ihm gleich eine Meldekarte schreiben mit unserm
+gehorsamsten Dank! — Na, Flamberg, und da werden Sie wohl noch ein
+paar Erbswürste und ein paar Büchsen Cornedbeef mehr spendieren müssen!«</p>
+
+<p>»Ach was — Erbswürste, Cornedbeef! — Wir haben euch viel was Besseres
+mitgebracht!«</p>
+
+<p>Umringt von den staunenden Füsilieren schleppte der Chauffeur einen
+wuchtigen Korb heran ... goldbekapselte Flaschenhälse ragten daraus
+hervor ... aus appetitlichen Papierhüllen entwickelte sich kaltes
+Geflügel ... alle möglichen Blechbüchsen mit Pasteten und Ragouts ...</p>
+
+<p>»Pfui Teufel — total unkriegsmäßig! — Luxus und Wohlleben greifen um
+sich!«</p>
+
+<p>»Halt, halt — nicht alles wegnehmen! — Der hohe Bataillonsstab muß
+auch was mithaben!«</p>
+
+<p>Das Automobil hatte natürlich das ganze Biwak auf die Beine gebracht.
+Von allen Seiten strömten die Herren der beiden Bataillone heran,
+die Damen zu begrüßen, und in respektvoller Entfernung starrten die
+Unteroffiziere,<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> glotzten die Füsiliere herüber zu den liebreizenden
+Gästen ihrer Herren, die nun, von Geplauder und Lachen umschwirrt, ihre
+Schritte dem Bataillonsstabszelt zulenkten.</p>
+
+<p>Als die Gruppe am Biwak der zweiten Kompagnie vorüberkam, hemmte Nelly
+ihren Schritt ... schon von weitem sah sie, den ihr Blick suchte ...</p>
+
+<p>Frobenius hatte seine Kompagnie beim Gepäck antreten lassen und hielt
+Gewehrappell ab ... gewissenhaft ging er von Mann zu Mann ... jeder
+mußte mit ausgestreckter Rechten die Waffe, aus der die Verschlußteile
+entfernt waren, in die Höhe halten, und der Kompagnieführer schielte
+durch den Lauf hindurch, ob er auch gründlich gesäubert sei ...</p>
+
+<p>Tausend, wie er sich verändert hatte in den paar Manövertagen! —
+Ordentlich militärisch sah er aus ... ordentlich kriegerisch, der
+gelehrte Herr, trotz seiner großen Brille ... mit den kotbespritzten
+Reitstiefeln, dem kurzverschnittenen Bart, der zerknitterten Feldmütze
+überm tiefgebräunten Gesicht ...</p>
+
+<p>Nelly wußte: jetzt durfte sie nicht stören! Und schnell folgte sie
+ihren Reisegefährtinnen, die, von einer ganzen Schar Offiziere
+umschwärmt, ihren Vater zu begrüßen gingen. —</p>
+
+<p>Wo aber die Unteroffiziere der Zweiten um ihr Feuerchen hockten und
+sich ihre Erbswurstsuppe zurechtbrutzelten, da war ein junger Bursch
+halbleibs emporgeschossen ...</p>
+
+<p>Himmel! — die Oreade, die lauschend hinterm Felsen schwieg! die Heldin
+all der zahllosen Lieder, welche ihm zugeflogen waren auf den Märschen
+der letzten Tage ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span></p>
+
+<p>Auf! — auf! ihr entgegen! — aber, Teufel nein, wer war man denn?
+— Ein armer Kommißknabe ... nichts als ein ganz gewöhnlicher
+Kaldaunenschlucker ...</p>
+
+<p>Er in seiner schirmlosen Feldmütze, in seinem geflickten Tressenrock,
+mit seinen ungewaschenen Händen ... und sie ... sie wandelte fern, fern
+und unerreichbar ... wie ein leibhaft gewordener Dichtertraum ...</p>
+
+<p>Aber suchten nicht ihre Augen? — suchten sie nicht —</p>
+
+<p>Nun hatten sie gefunden ... ihn gefunden ...!</p>
+
+<p>Die flaumigen Bäckchen flammten ... sie nickte ihm kurz und gemessen ...</p>
+
+<p>Da sprang er auf ... stand stramm ... legte die Hand an die Feldmütze
+... und warf sich dann wieder lang hin neben das qualmende Feuer ...
+überhörte die plumpen Späße seiner Kameraden, des Sergeanten Metzges,
+des Oberlazarettgehilfen Nattermüller, des Unteroffiziers Franzkowiak
+...</p>
+
+<p>Stumm und ausgehungert löffelte er aus dem blechernen
+Kochgeschirrdeckel seine Erbswurstsuppe in sich hinein — seine Seele
+aber formte den letzten Vers zu seinem Morgenliede:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»In Demut will ich pflücken,</div>
+ <div class="verse indent0">was mir das Glück geoffenbart —</div>
+ <div class="verse indent0">ganz ohne Sinn beglücken,</div>
+ <div class="verse indent0">ist Glückes Art — ist — Glückes — Art.«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Vor dem Bataillonsstabszelt, der einzigen Behausung im ganzen Biwak,
+die mit den Wohnungen zivilisierter Menschen eine entfernte Ähnlichkeit
+hatte, unter dem Vordach, das wenigstens einen dürftigen Schutz gegen
+den immerzu<span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span> munter niederströmenden Regen bot, hatte sich eine lustige
+Tafelrunde zusammengeschart ... ein paar hochkant gestellte Kisten
+bildeten Tische und Sitzgelegenheit ... das Service bestand aus groben
+Steinguttellern, aber die erlesensten Delikatessen der Saison gab's
+diesmal zu schmausen statt der üblichen Feldkost, der Preßgemüsesuppe,
+des halbverbrutzelten Konservengulasch ... Das heißt, auch diese
+kriegsmäßigen Speisen fanden ihre Abnehmer ... die drei Damen kosteten
+sie mit Begeisterung ... die mitgebrachten Herrlichkeiten überließen
+sie den Herren ...</p>
+
+<p>Den Sekt trank man aus ramponierten Kaffeetassen ...</p>
+
+<p>»An meiner is kein Henkel dran ...!«</p>
+
+<p>»Schad' nischt — is Henkell drin!« schmunzelte der flaumbärtige
+Carstanjen.</p>
+
+<p>Sassenbach hielt eine kleine Rede auf den holden Besuch: »Mit hold
+meine ich natürlich nur die gnädige Frau, nicht euch, ihr Mädels ...
+das bildet euch bloß nicht ein!«</p>
+
+<p>Mit galantem, stürmischem »Oho!« protestierten die Leutnants.</p>
+
+<p>Frau Cäcilie war still ... sie nahm sich zusammen; denn einmal hatte
+sie einen Blick ihres Gatten aufgefangen, der mit stummer, banger
+Beobachtung an ihr hing, als sie hingerissen ... selbstvergessen mit
+Martin Flamberg geplaudert ...</p>
+
+<p>Doch immer verglich lechzend, qualvoll ihr armes Herz.</p>
+
+<p>Hier ein friedlich knisterndes Herdfeuer — dort eine jetzt verhalten
+glostende, oft aber heiß und goldigrot auflodernde Glut.</p>
+
+<p>Warum bin ich heraufgekommen? — Nutzlose Quälerei!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span></p>
+
+<p>Und doch zählte sie angstvoll Viertelstunde um Viertelstunde, die
+verrann unter neckendem Geplauder, hin und wieder flatternden
+Scherzworten.</p>
+
+<p>Der Sekt schäumte in blauen Emaillebechern, in zerbrochenen Tassen aus
+dem Fünfzigpfennigbasar. Gleichmäßig tropfte draußen der Regen aus
+den ziehenden Nebelschwaden hernieder. Die Dämmerung sank. Gesättigt,
+sangen draußen die Soldaten immer und immer wieder das Heimkehrlied:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Es winket uns in weiter Ferne</div>
+ <div class="verse indent0">Das liebe, teure Vaterhaus!</div>
+ <div class="verse indent0">Wir war'n Soldaten, waren's gerne,</div>
+ <div class="verse indent0">Doch jetzt ist unsre Dienstzeit aus!</div>
+ <div class="verse indent0">Ihr Brüder, stoßt die Gläser an —</div>
+ <div class="verse indent0">Es lebe der Reservemann!</div>
+ <div class="verse indent0">Wer treu gedient hat seine Zeit,</div>
+ <div class="verse indent0">Dem sei ein volles Glas geweiht!«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Und eine tief lastende Melancholie umwob das Haupt der schönen Frau ...
+Warum war sie nur heraufgekommen? Es hatte ja doch keinen Zweck.</p>
+
+<p>Mit einem Male meldete von draußen her die Stimme des Postens vor der
+Fahne: »Der Herr Oberst kommt!«</p>
+
+<p>Hei — das platzte wie eine Granate mitten hinein in die harmlos
+schmausende Gesellschaft!</p>
+
+<p>Der Major sprang auf: »Herrschaften, laßt mich durch!«</p>
+
+<p>Er stelzte mit seinen vom langen Reiten und langen Sitzen
+steifgewordenen Beinen aus dem Schutze des Zeltdachs heraus, dem
+Regimentskommandeur entgegen, der heute das Detachement führte.</p>
+
+<p>Durch den Nebel kam's von der Chaussee herangetrabt ... der
+Regimentsstab, die Herren in Mützen ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span></p>
+
+<p>Oberst von Weizsäcker, neben ihm, unnahbar wie immer, Herr von
+Schoenawa, sein Adjutant, und Oberleutnant Menshausen, der als
+Ordonnanzoffizier zum Regimentsstabe kommandiert war — ein paar
+Trompeter und Meldereiter von den Deutzer Kürassieren in ihren
+mattblinkenden Stahlhelmen.</p>
+
+<p>Der Oberst, stattlich und rosig, mit den braunweißen, beständig
+zuckenden Schnurrbartflämmchen, nahm die Meldung des Biwakskommandanten
+entgegen, tat ein paar Fragen über Nachrichten vom Feind,
+Sicherheitsmaßregeln, Verfassung und Gesundheitszustand der
+Mannschaften ...</p>
+
+<p>Da hatte er unterm schützenden Dach des Stabszeltes die hellen
+Regenmäntel, die wehenden Schleier der Damen erspäht.</p>
+
+<p>Neugierig, in ritterlicher Haltung trabte er heran und begrüßte die
+errötenden Gäste des Biwaks.</p>
+
+<p>»Meine Damen — allerhand Respekt! Bei dieser Sintflut im rauhen
+Kriegsgetümmel?«</p>
+
+<p>Einen hämischen Zug um die Mundwinkel, hielt Oberleutnant Menshausen
+zur Linken des Obersten.</p>
+
+<p>Schau, schau, die schöne Frau Cäcilie im Biwak — und die beiden
+Fräulein von Sassenbach ... und selbstverständlich in der Nähe der
+schönen Frau der Herr Sommerleutnant und Maler aus Düsseldorf ... und
+neben dem schlanken Majorstöchterlein die Karikatur, der Gehirnfatzke
+aus Bonn ...</p>
+
+<p>Ein Skandal, daß man durch das an sich ja sehr ehrenvolle Kommando
+verhindert war, die Entwicklung dieser interessanten Ereignisse aus der
+Nähe zu verfolgen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span></p>
+
+<p>Aber warte — nächstens im Korpsmanöver ... was sagte die
+Manöverquartierverteilungsliste? Samstag, den neunzehnten September bis
+Sonntag, den zwanzigsten September: Regimentsstab — Schloß Hettstein
+— Erstes Bataillon — Bataillonsstab, erste und zweite Kompagnie: Dorf
+Hettstein —</p>
+
+<p>Dann werden wir also die ganze Gesellschaft dicht beisammen haben ...
+dann werden ja die Dinge mehr oder weniger zum Klappen kommen ... dann
+könnte man vielleicht gar ein bißchen nachhelfen ...!</p>
+
+<p>Wie ... das würde sich finden! — Jedenfalls irgend etwas würde sich
+dann ereignen ... ein kleiner Spaß ... eine kleine Abwechslung in
+diesem verflucht eintönigen Kommißdasein ...</p>
+
+<p>Dann würde man sich entschädigen können für so manchen Ärger, den man
+hatte schlucken müssen ...</p>
+
+<p>Inzwischen mußte man freilich die Karre laufen lassen, wie sie laufen
+wollte ...</p>
+
+<p>Wenn man nur einen Vertrauensmann wüßte —?</p>
+
+<p>Ah — Quincke — auch in dieser Wildnis das unvermeidliche Monokel ins
+fahle Gesicht geklemmt ...</p>
+
+<p>Menshausen winkte den jüngern Kameraden an die Seite seines Gaules,
+streckte ihm die braunbehandschuhte Rechte hin: »Sie, lieber Quincke
+— im Interesse unseres Offizierkorps — beobachten Sie doch mal die
+beiden Herren des Beurlaubtenstandes, den Flamberg und den Frobenius,
+ein bißchen genauer, wenn die Damen in der Nähe sind ... Brandeis hat
+ja ein Schlößchen hier in der Nähe gekauft — also werdet ihr wohl
+öfter das Vergnügen haben — Mir kommt's vor, als ob die beiden fremden
+Herren — —«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span></p>
+
+<p>»Selbstverständlich, lieber Menshausen, hab's längst gemerkt ... Denken
+Sie, ich schlafe mit offenen Augen?!«</p>
+
+<p>Leise tuschelten die beiden Herren ...</p>
+
+<p>— Und Quincke paßte auf, als nun der hohe Stab von dannen getrabt war
+...</p>
+
+<p>Immer tiefer sank die Dunkelheit ... die Damen, von den Herren
+geführt, unternahmen noch einen Rundgang durchs Biwak, während die
+Azetylenlampen des Mercedes, vom Chauffeur entzündet, bereits weiße,
+gleißende Lichtkegel in die Abenddünste zeichneten ...</p>
+
+<p>Aha ... Frau von Brandeis wieder zwischen ihrem Mann und Herrn Flamberg
+... ja, ja, immer <em class="antiqua">à trois</em> ... unbegreiflich diese eselhafte
+Vertrauensduselei des Kapitäns ...</p>
+
+<p>Und Fräulein Nelly von Sassenbach natürlich Seite an Seite mit dem
+hagern Landwehrleutnant ...!</p>
+
+<p>Quincke schlich hinter den beiden her und lauschte ...</p>
+
+<p>»— Ja, mein altes Mütterchen, gnädiges Fräulein — eine ganz, ganz
+einfache, einsame alte Frau! Sie hat sich nicht entschließen können,
+nach meines Vaters Tode das Dörfchen droben auf dem Westerwald zu
+verlassen, wo ihr Mann dreißig Jahre lang die Buben und Mädel in die
+Geheimnisse des ABC eingeweiht hatte ... ach ja, eine einfache Frau!
+Aber was für Augen, gnädiges Fräulein ... Augen wie so ein altes
+wundertätiges Waldweiblein aus dem Märchen ...«</p>
+
+<p>»Ach ja ... die möcht ich wohl kennen lernen —!«</p>
+
+<p>Feine Zusammenstellung, grinste Quincke: junge Dame von Stand,
+passionierte Reiterin und Tänzerin ... Tochter eines preußischen
+Stabsoffiziers — — und eine<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> Bauernschulmeisterswitwe in einem
+Waldnest! — Na ja ... wenn die Menschen verrückt werden, fängt's im
+Kopf an —!</p>
+
+<p>Aber es kam noch toller.</p>
+
+<p>Im Halbdunkel gewahrte Quincke, daß das jüngere Fräulein von Sassenbach
+unauffällig zurückzubleiben suchte ...</p>
+
+<p>Und wahrhaftig! — Da tauchte aus der Mitte der Mannschaften, die um
+ihre Lagerfeuer rasteten, die Gestalt eines Unteroffiziers auf ...</p>
+
+<p>Aha, der Einjährige, der den langweiligen Quatsch zum Regimentsfest
+verbrochen hatte! —</p>
+
+<p>Weiß der Himmel — er begrüßt sie wie ein Kavalier ... sie plaudert mit
+ihm ... und nun zieht der Einjährige ein Notizbuch aus der Tasche ...
+nimmt eine beschriebene Meldekarte heraus ... reicht sie der Dame ...
+Die errötet tief ... legt sie sorgsam zusammen und steckt sie in die
+innere Tasche ihres Regenpaletots ...</p>
+
+<p>Warte, Bürschchen ... dich wollen wir mal auf deinen Standpunkt
+zurückbringen ...!</p>
+
+<p>»Nun, gnädiges Fräulein ... wollen Sie sich nicht Ihrem Fräulein
+Schwester anschließen? Die Damen begeben sich bereits zum Auto zurück
+... Bitte übrigens einen Moment um Verzeihung! — Sie, Einjähriger,
+hier haben Sie zwanzig Pfennige ... gehen Sie doch mal zum Marketender
+an den Kantinenwagen und holen Sie mir ein Schinkenbutterbrot ... Sie
+können's mir ans Offizierzelt bringen ...!«</p>
+
+<p>Hans Friesen war einen Augenblick starr ... dann faßte er sich, wandte
+sich kurz herum, spähte in die Gruppe der Füsiliere hinein, die ums
+Lagerfeuer saß: »Makowiak!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span></p>
+
+<p>Der Angeredete, ein hübscher, polnischer Rekrut, stand sofort in
+strammer Haltung neben dem Unteroffizier: »Zur Stelle!«</p>
+
+<p>»Herr Leutnant Quincke wünscht ein Schinkenbutterbrot vom Marketender
+ans Offizierzelt. Hier ist das Geld!«</p>
+
+<p>»Einjähriger, ich habe Sie selber beauftragt, wie Sie gehört haben! —
+Ist das vielleicht unter Ihrer Würde, was?!«</p>
+
+<p>»Jawohl, Herr Leutnant —!«</p>
+
+<p>Quincke biß sich auf die schmalen Lippen: »Na — dann erteile ich Ihnen
+also hiermit den dienstlichen Befehl, mir das Butterbrot zu holen!«</p>
+
+<p>Hans Friesen stand stramm ... regungslos ...</p>
+
+<p>»Wollen Sie sich vielleicht der Gehorsamsverweigerung vor versammelter
+Mannschaft schuldig machen —?!«</p>
+
+<p>Hans Friesens Lippen bebten ...</p>
+
+<p>Er erinnerte sich der Strenge der militärischen Gesetze: der
+Vorgesetzte hat in dem Augenblick, in dem er befiehlt, immer recht —
+— Er nahm dem Füsilier das Geld wieder ab, machte stramm kehrt und
+stapfte ins Dunkel, dorthin, wo die Laternen des Marketenderwagens
+gelblich aufleuchteten — — —</p>
+
+<p>Dafür sollte der Frechling ihm Rede stehen — in vierzehn Tagen, wenn
+der bunte Rock abgestreift war ... Warte, du Affe! — Wollen sehen, wer
+am besten schießt von uns zweien! —</p>
+
+<p>— Tränen der Wut und Empörung in den Augen, sprachlos hatte Molly dem
+Auftritt zugeschaut: »Das ist abscheulich, Herr Quincke!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span></p>
+
+<p>»Wieso?« näselte der Leutnant, »is doch höchstens 'ne Ehre für den
+Unteroffizier, wenn er seinem Zugführer einen Gefallen tun kann!«</p>
+
+<p>»Ich sag' es meinem Vater — verlassen Sie sich drauf!«</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Das Auto war von dannen gerattert ... und jählings sank die Nacht ...
+sank die Stille über das nebelumsponnene Feldlager ...</p>
+
+<p>Schweigend, fest in ihre Mäntel gehüllt, saßen Brandeis und Flamberg
+auf den umgestürzten Wein- und Menagekisten vor dem niedern Zelt — —</p>
+
+<p>Der kleine Carstanjen und der Fahnenjunker schnarchten bereits drinnen
+im Stroh — —</p>
+
+<p>Beider Männer Blicke hingen an dem phantastischen Schauspiel der
+mählich verglimmenden Lagerfeuer, deren rötliches Glosten allein noch
+die Schwärze der Nebelnacht durchdrang — —</p>
+
+<p>Und beide Männer träumten von Frau Cäcilie — —</p>
+
+<p>»Sagen Sie, lieber Flamberg ... mögen Sie mich ein bißchen leiden?«
+fragte der Hauptmann auf einmal mit verschleierter Stimme.</p>
+
+<p>»Wie meinen Herr Hauptmann —?!«</p>
+
+<p>»Ob Sie mir ein bißchen gut sind, möcht' ich gern wissen?!«</p>
+
+<p>»Herr Hauptmann, ich ... ich möchte unter Ihnen in den Krieg ziehen
+... mit Ihnen zusammen fechten und bluten ... dann wollt ich's Ihnen
+beweisen ...«</p>
+
+<p>»Das freut mich zu hören,« sagte der Hauptmann, »das freut mich zu
+hören ...«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span></p>
+
+<p>Einen Augenblick Stille — tiefe Stille —</p>
+
+<p>Martin hatte verstanden ...</p>
+
+<p>Nein ... er durfte ganz ruhig sein, der brave, ehrenfeste Mensch da
+neben ihm ... er, Martin, würde sich künftig noch mehr zusammennehmen
+... beim nächsten Wiedersehen ... seine Augen, seine Stimme noch mehr
+im Zaum halten ... noch mehr als heute ...</p>
+
+<p>»Na ... nun kommen Sie —«</p>
+
+<p>Freundschaftlich und vertrauensvoll klopfte der Kapitän dem Kameraden
+auf die Schulter — —</p>
+
+<p>»Es ist Zeit ... morgen früh um vier wird abgebaut ... wollen ins Stroh
+kriechen ...!«</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span></p>
+
+<h3>Zweites Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Frau Cäcilie hatte einen bangen Traum.</p>
+
+<p>Ein Geläut klang ihr ins Ohr ... ein tiefes, volltöniges Geläut ...
+unregelmäßig, oft wie vom Winde verweht, doch stark und mächtig ...</p>
+
+<p>Und auf einmal wußte sie es ... das waren ja die Hochzeitsglocken ...
+heute machte sie Hochzeit mit Martin Flamberg ...</p>
+
+<p>Das Glück war gekommen ... das große Glück ... die Lebensliebe, von
+der sie einst als Mädchen geträumt ... die Erfüllung, herrlicher, als
+kühnste Dichterphantasie sie schilderte.</p>
+
+<p>Bim, bam, läuteten feierlich die Glocken ... die Glocken des Kölner
+Doms ... und sie beide, sie schritten mitten über den weiten Domplatz
+... auf das weitgeöffnete Portal des ragenden Gotteshauses zu ...</p>
+
+<p>Neben ihr ging der Maler ... in Paradeuniform, den schwarzen wehenden
+Roßhaarbusch auf dem Helm ...</p>
+
+<p>War sie nicht schon einmal neben einem Manne hingeschritten, der diese
+Gewandung trug ...?!</p>
+
+<p>Ach ... das war lange her ... das war gar nicht mehr wahr ...</p>
+
+<p>Rechts und links staute sich das Volk, und sie hörte das Flüstern der
+Menge: Das ist Martin Flamberg, der<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> große Maler, und seine glückliche
+Braut, die schöne Frau Cäcilie ...</p>
+
+<p>Einen Blick warf sie dem Verlobten zu, und er erwiderte ihren Blick
+mit einem jähen verlangenden Aufleuchten seiner braunen durstigen
+Künstleraugen ...</p>
+
+<p>Und immerfort ... tief und gewaltig ... summten dazu die Glocken aus
+der Höhe ...</p>
+
+<p>Nun schritten sie Hand in Hand die hohe, breite Domtreppe hinan ...
+weit offen stand die metallene Pforte ... dem Blick erschloß sich
+das geheimnisdunkle, weihrauchdurchduftete Innere des Heiligtums ...
+von rechts her, magisch bunt gefärbt, fiel durch die Glasgemälde der
+Spitzbogenfenster ein breiter Strahl gedämpften Sonnengoldes hinein ...</p>
+
+<p>Da — als das Paar die Pforte durchschreiten wollte ... plötzlich stand
+da eine gräßlich entstellte, bleiche Gestalt in der Wölbung — — Fritz
+—!</p>
+
+<p>Er stand im kotbespritzten Manöveranzug ... die Feldmütze tief ins
+blasse Gesicht gezogen ... die braunbehandschuhte Linke hatte er
+fest aufs Herz gedrückt ... und unhemmbar floß ein Strom zähen,
+dunkeln Blutes zwischen seinen Fingern hindurch ... sickerte auf die
+Steinfliesen ...</p>
+
+<p>Da schrie sie auf ... und brach in den Armen des Geliebten zusammen ...</p>
+
+<p>Und erwachte — —</p>
+
+<p>Erwachte in dem hellen, freundlichen Schlafgemach des Schlößchens
+Hettstein ... in dem messingfunkelnden englischen Bett unterm duftig
+lichten Gardinenhimmel ...</p>
+
+<p>Und neben ihr harrte eine andere, unberührte Lagerstatt, von
+schimmernder Spitzenspreite bedeckt ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span></p>
+
+<p>Aber die Glocken ... die Glocken läuteten immer noch ...</p>
+
+<p>Doch nein — das waren ja die Kanonen ... die Kanonen des Korpsmanövers
+ringsum auf den Hunsrückhöhen ...</p>
+
+<p>Und heute, heute würden sie kommen ... ihre Gäste ... der Regimentsstab
+der Niederländer Füsiliere!</p>
+
+<p>Und kommen würden auch die beiden Männer, deren einer in ihrem Traum
+an ihrer Seite gegangen war, bis der andere ihnen entgegentrat mit
+der blutdurchsickerten Linken auf der Brust und dem fahlen, starren
+Totenantlitz ...</p>
+
+<p>Gott sei gedankt, er lebte ... Fritz lebte ...!</p>
+
+<p>Frau Cäcilie richtete sich auf ... ihre Schläfen brannten ... die Augen
+flimmerten, als habe sie die ganze Nacht schlummerlos durchwacht ...
+und ihre Wangen waren kalt von nassen, bangen Tränen ...</p>
+
+<p>Sie würden kommen ... würden sie anschauen ... beide ... und in beider
+Augen würde sie mit wirrem Streite der Gefühle das Bekenntnis lesen
+müssen: Ich gehöre dir ... meines Lebens Schicksal ruht in deiner Hand
+...!</p>
+
+<p>Das war ein grauenvolles Bewußtsein, also zweier Männer Seele zu
+beherrschen — und doch von einer geheimen, wilden Süßigkeit ... dieses
+Machtgefühl ... dieses Herrschergefühl ...</p>
+
+<p>Sie sprang aus dem Bette ... ging zum Spiegel ... schaute lange in ihre
+Züge ...</p>
+
+<p>Was ist denn eigentlich so Besonderes dran an dir, du weiße Larve mit
+den brennenden Augen drin, daß du immerfort durch einen Wall, durch
+einen Schwall von Huldigungen hinschweben mußt —?!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span></p>
+
+<p>Bum, bum — läuteten droben auf den Bergen ringsum im Kreise die
+Kanonen, deren Sang ihren Traum wie Hochzeitsglocken durchwandelt ...</p>
+
+<p>Dort oben stand das ganze rheinische Armeekorps, in zwei Parteien
+geteilt, in lustiger Friedensschlacht ... mehr denn zwanzigtausend
+rüstige Männer ... die Jugendblüte der schönsten und reichsten Provinz
+des Vaterlandes ...</p>
+
+<p>Und in ihrer Schar gab es zwei, von denen sie wußte, daß sie mitten im
+Drang ihrer Pflicht ... im sengenden Sonnenbrande ... beim Marsch auf
+staubüberwölkter Landstraße ... und beim Ansprung wider den Feind über
+den Sturzacker — die Stunden zählten, die sie noch vom Wiedersehen
+trennten — vom Wiedersehen mit ihr ...</p>
+
+<p>Dies Wissen war beseligend und fürchterlich.</p>
+
+<p>Was würde werden? Ihre Seele war schwer und glühend von der Ahnung
+eines Schicksals, einer nahen Entscheidung, einer Entscheidung, der
+sie wehrlos gegenüberstand, einer Entscheidung, die sie über sich
+ergehen lassen würde wie ein unabwendbares Elementarereignis, wie einen
+Wirbelsturm, wie ein erlösendes und zerschmetterndes Gewitter.</p>
+
+<p>Ja, machtlos — willenlos fühlte sie sich gegenüber dem Geschick.</p>
+
+<p>Die beiden andern waren ja die Männer ... die mochten handeln, die
+mußten entscheiden, was werden sollte.</p>
+
+<p>Sie war das Weib ...! Ihrer harrte nur die äußere Pflicht, die Pflicht
+der Hausfrau und Gastgeberin — die würde sie erfüllen, korrekt und
+anmutig ... von ihrer Erziehung, ihrem Instinkt unfehlbar geleitet ...
+ohne daß an<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> Willen und Entschluß irgendwelche Anforderungen gestellt
+wurden.</p>
+
+<p>Das andere ... das würde kommen von draußen her, unhemmbar, unabwendbar
+...</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Und droben im Turmkämmerchen träumten zwei andere Herzen einem
+Wiedersehen ... träumten ihrem Schicksal entgegen ... ein
+Kinderherzchen, so willenlos wie die reife Frau im Banne dumpfer,
+triebhafter Gefühle — und ein fester straffer Mädchenwille, der
+während schlummerloser Nacht in Frische und Resignation über sein Leben
+beschlossen hatte.</p>
+
+<p>Ja, Nelly Sassenbach wußte, was sie wollte ...!</p>
+
+<p>Heut abend freilich würden die Herren erst spät ins Quartier kommen
+— es war beschlossen, sie in Ruhe zu lassen. Nur der Regimentsstab,
+der ohnehin dem Schlosse bestimmt war, würde zur Tafel erscheinen, und
+natürlich der neue Schloßherr, obwohl er offiziell mit seiner Kompagnie
+drunten im Dörfchen lag.</p>
+
+<p>Die Herren der ersten und zweiten Kompagnie würden sich ausschlafen
+beim Ortsvorsteher und bei den andern wohlhabenden Bauern, deren Höfen
+sie zugewiesen waren, würden mit aller Bequemlichkeit gegen Abend in
+der Schankwirtschaft ihre Mahlzeit einnehmen und um neun zu Bette gehen.</p>
+
+<p>Morgen aber ist Rasttag — da werden die Herren gründlich ausgeruht als
+Gäste der Schloßherrin auf Hettstein erscheinen — man wird festlich
+und fröhlich zusammen dinieren — wird im Park spazieren gehen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span></p>
+
+<p>Und dann — dann wird es geschehen — dann soll es geschehen!</p>
+
+<p>Dann wird sie die Braut des hagern Gelehrten werden, des
+Schulmeistersohnes vom Westerwald, des miserabeln Reiters und Tänzers,
+des Mannes aus dem Froschtümpel, des Entgleisten vom Kasinoparkett.</p>
+
+<p>Es war beschlossen — es würde sich vollziehen — sie wollte es. Und
+daß er die gleiche Sehnsucht hatte, das wußte sie, seit er ihr von
+seiner Mutter erzählt, im Regenbiwak unter der »Marscheider Burr«.</p>
+
+<p>Ja, viel — gar viel Resignation steckte in diesem Entschluß.</p>
+
+<p>Ganz, ganz anders sah ihr Erwählter aus als die Gestalten, die einst
+durch ihre Mädchenträume geschwebt waren.</p>
+
+<p>Aber wenn sie seiner gedachte, dann kam ein so tiefes Ruhegefühl ...
+ein so freudiges Geborgensein über sie ...</p>
+
+<p>Ja ... er war doch der Rechte ... der, für den das Schicksal sie
+aufgespart hatte, das in ihrer Mutter Gestalt so manchen glänzenden,
+stattlichen Bewerber aus ihrer eigenen Welt von ihrer Seite gescheucht
+hatte ...</p>
+
+<p>Ich danke dir, Mutter — es ist gut gewesen, daß ich den schwarzen
+Baron Höningen nicht bekommen hab, der jetzt in Amerika Pferde hütet
+... und nicht den riesigen Bettingen, der nun drunten in Südwestafrika
+im Wüstensande liegt ...</p>
+
+<p>Es ist gut so, Mutter ...!</p>
+
+<p>Was morgen kommt, das ist fürs ganze Leben ... kein stürmisches
+Backfischglück wie das, von dem gewiß das blonde Schwesterchen jetzt
+träumt, das so eigenwillig sein Köpfchen der rosaroten Tapete zukehrt
+... aber eine frohe Ruhe ... eine festlich stille Gewißheit ... eine
+Heimstatt für freudiges<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> Wirken und Hineinwachsen in eine helle, lichte
+Welt, in ein höheres, geistigeres Dasein, als meine Jugend es je geahnt
+...</p>
+
+<p>Wilhelm Frobenius, du Prachtkerl! — Du sollst es gut haben bei deiner
+Nelly — hol mich der Teufel!</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Bum, bum, drohten die Geschütze ringsum auf den Bergen ohn' Unterlaß ...</p>
+
+<p>»Nun, gnädige Frau, wen bekomm' ich ...?«</p>
+
+<p>Die drei Freundinnen standen im feierlich halbdunkeln, getäfelten
+Speisesaal des einstmals kurtrierschen Schlößchens, das ein Kölner
+Bankier vor acht Jahren aus einer ziemlich wohlerhaltenen Ruine in
+einen behaglichen weltfernen Herrensitz zurückverwandelt hatte ... und
+Frau Cäcilie legte die Tischkarten ...</p>
+
+<p>»Abwarten, Kleine! — Also: Ans Kopfende komme selbstverständlich ich
+— leider, leider zwischen die beiden Herren Kommandeure ... den Oberst
+zu meiner Linken, Ihren lieben Brummbär Papa zu meiner Rechten!«</p>
+
+<p>»Donnerwetter, fabelhafter Dusel für Papa! — Na, der wird schmunzeln
+... gut, daß Mama nichts davon ahnt ... das gäb' ein paar schlaflose
+Nächte!«</p>
+
+<p>»Schäm dich, Nelly!« zürnte das jugendliche Ebenbild der Entfernten.</p>
+
+<p>»Na, und nun gehen wir mal zunächst hier links hinunter, damit die
+kleine Neugier auch lange genug auf die Folter gespannt wird! Also
+neben den Herrn Regimentskommandeur natürlich Sie, Nelly!«</p>
+
+<p>»Um Gottes Willen! — läßt sich das nicht vermeiden?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span></p>
+
+<p>»Unmöglich, Kind! — Die Tischordnung versteht sich sozusagen von
+selbst ... es geht gar nicht anders, als ich's aufgesetzt habe! Aber
+nun kommt die Entschädigung: zu Ihrer Linken sitzt — Herr Oberleutnant
+von Schoenawa!«</p>
+
+<p>Ernsthaft hatte die Wirtin das gesagt ... aber ihre Augen blitzten
+schelmisch prüfend zu der schlanken Freundin hinüber.</p>
+
+<p>Die bewahrte Haltung. Was lag an dem Diner? ... Sie wußte ja doch, was
+sie wollte ...</p>
+
+<p>»Zu Befehl, gnädige Frau!«</p>
+
+<p>»Also wirklich — vollkommen einverstanden?!«</p>
+
+<p>»Vollkommen!«</p>
+
+<p>»Aber ich nicht! — Der gestrenge Herr Regimentsadjutant ist mir zu
+feierlich und offiziell für Sie ... Außerdem ist ein Herr da, der zwar
+eine Charge unter ihm steht, aber an Jahren der nächste nach den beiden
+Herren Kandillenträgern ist!«</p>
+
+<p>Und nach der Melodie des Lockens zum Parademarsch trällerte die schöne
+Frau:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Großmutter, die Landwehr kommt, </div>
+ <div class="verse indent0">Die Landwehr kommt, die Landwehr kommt, </div>
+ <div class="verse indent0">Großmutter, die Landwehr kommt ...« </div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Da errötete Nelly denn doch ein wenig und verstummte.</p>
+
+<p>»Na, ich seh schon, ich hab's getroffen ... da, Kindchen, legen Sie
+selber den Zettel hin! — Also, neben Herrn Frobenius setzen wir
+Herrn Oberleutnant Menshausen und neben den: Herrn Flamberg ... Herr
+Menshausen kann die Herren vom Beurlaubtenstande nicht leiden — ich
+kann Herrn Menshausen nicht leiden — Rache ist süß, krächzte der
+Habicht!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span></p>
+
+<p>Außerdem kann es nicht schaden, dachte sie, daß ich Flamberg recht weit
+von mir entfernt auf einen schlechten Platz setze ... Fritz machte
+neulich im Biwak einmal so merkwürdige Augen ...</p>
+
+<p>»Ans Fußende kommt natürlich das grüne Gemüse — unten meines Mannes
+Fahnenjunker, der kaum geborene Erichsen — zwischen ihn und den Herrn
+von der Reserve setze ich Herrn Quincke!«</p>
+
+<p>Den Herrn von der Reserve! dachte Nelly — diese Heuchlerin!</p>
+
+<p>»— dem gegenüber Herrn Carstanjen ... dann kommt mein Mann ... neben
+den kommen Sie, kleine Molly!«</p>
+
+<p>»Sehr einverstanden! — Himmlisch!«</p>
+
+<p>Der Backfisch hatte ein wenig für Fritz von Brandeis geschwärmt, ehe
+dieser anderweitig vergeben worden war.</p>
+
+<p>»— an Ihre andere Seite der Adjutant des ersten Bataillons!«</p>
+
+<p>Molly rümpfte das Näschen: »Der ist so entsetzlich brav!«</p>
+
+<p>»Ja, ich hab niemand andern mehr ... nur noch Herr von Schoenawa ist
+übrig!«</p>
+
+<p>»Ne, danke ... dann immer noch lieber Herrn Blowitz!«</p>
+
+<p>»Gut — dann also Herrn von Schoenawa zwischen Blowitz und Ihren Vater!
+Na, ist das nicht tadellos, Kinder?«</p>
+
+<p>»Ausgezeichnet — ganz vorzüglich, gnädige Frau!«</p>
+
+<p>»Ach was — ihr immer mit eurer langweiligen gnädigen Frau —! Machen
+wir's uns doch endlich mal gemütlich: sagen wir du zueinander!«</p>
+
+<p>Tief erglühend vor Seligkeit boten die Mädchen der vergötterten Wirtin
+ihre Lippen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span></p>
+
+<p>Und über alle drei kam's wie ein Festrausch. So herrlich strahlte
+draußen die Spätsommersonne ... die eben leise sich bräunenden
+Bergwälder schlossen sich so traulich um das Schlößchen wie ernste,
+fromme Hüter eines geheiligten Asyls ...</p>
+
+<p>Und immer näher ... immer drängender scholl draußen das mächtige
+Geläute der Kanonen auf den Höhen ringsum ...</p>
+
+<p>»Ach, Kinder, das Leben ist doch schön!«</p>
+
+<p>»Das weiß der Himmel!« sagte Nelly aus tiefer, dankbar hoffender Brust.</p>
+
+<p>»Ja wahrhaftig, das weiß der Himmel!« echote auch die Neunzehnjährige
+... und sie träumte von einem, der morgen abend zwar nicht hier mit
+an der Tafel sitzen würde ... den sie aber doch sehen wollte ...
+heimlich, verstohlen sehen — und küssen ... draußen irgendwo in den
+verschwiegenen Bosketten, die sich über den Trümmern der alten, nicht
+wieder hergestellten Bastionen buschten ...</p>
+
+<p>Sie mußte ihn ja trösten ... mußte ihn entschädigen für die Unbill, die
+der widerwärtige Quincke ihm zugefügt ... offenbar mit Absicht in ihrer
+Gegenwart ... um ihn zu blamieren vor ihr ...!</p>
+
+<p>Zu blamieren vor ihr ... haha ... als ob das möglich gewesen wäre ...!</p>
+
+<p>Aber er durfte sich's um Gottes willen nicht zu sehr zu Herzen nehmen
+... ihr süßer Junge ... ihr Dichter ... dessen himmlische Verse, rasch
+mit Bleistift auf einer Meldekarte niedergekritzelt, unter der Bluse an
+ihrem Herzchen knisterten ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span></p>
+
+<p>Und darum mußte sie ihn trösten — unbedingt ... damit er keine
+Dummheiten machte! — Na, das würde ihr schon gelingen. — —</p>
+
+<p>Bum, bum, bum, läuteten draußen die Kanonen ...</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>»Sie kommen! sie kommen!«</p>
+
+<p>Die aufgeregt harrenden Mägde drunten am Schloßtor schrien's zuerst ...</p>
+
+<p>Der Gärtner, der Chauffeur gaben's weiter ...</p>
+
+<p>Das Hausfräulein stürzte zu den Damen hinein, die eben im Herrenzimmer
+die kleinere Tafel für den heutigen Abend mit Blumen schmückten.</p>
+
+<p>»Wer kommt?« fragte die Hausfrau.</p>
+
+<p>»Soldaten! Soldaten wie Sand am Meer!«</p>
+
+<p>Von den tiefen Nischen der Fenster des Schloßturms aus konnte man
+den Weg überschauen, der durch die buschigen Abhänge nördlich des
+Beierbachs empor sich schlängelte nach Hettenrodt zu ...</p>
+
+<p>Von dort stieg jetzt, ein Pferd hinter dem andern, vorsichtig ein
+endlose Linie von Reitern in hellblauen Waffenröcken hernieder —
+Saarbrücker Siebente Dragoner. —</p>
+
+<p>»Die sind nicht von den Unsern!« erklärte Nelly sachverständig, »seht,
+sie tragen Helmbezüge ... das ist der böse Feind; der ist jedenfalls
+geschlagen und muß sich zurückziehen ...«</p>
+
+<p>»Geschieht ihm recht!« rief Molly mit blitzenden Augen.</p>
+
+<p>Nun sprengte auf der Chaussee, die an der andern Seite des Schlößchens
+von Mackenrodt her in langen Zickzackwendungen ins Tal hinunterkroch,
+ein Trupp Artillerieoffiziere,<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> gleichfalls in Helmbezügen, hart am
+Schloß vorüber, bergab ins Tal ... verschwand drunten zwischen den
+Häusern des Dörfchens und tauchte an der andern Berglehne wieder
+auf, galoppierte jenseits in das Seitentälchen hinein, das sich gen
+Vollmersbach hinaufzog. Sie schwenkten rechts ab, erschienen, klein wie
+Bleisoldaten, droben auf der kahlen Höhe ...</p>
+
+<p>Und durch die Gläser konnten die Damen deutlich erkennen, daß sie
+droben Halt machten und mit ihren Feldstechern übers Schlößchen hinweg
+Ausschau hielten.</p>
+
+<p>»Sie suchen eine Stellung für die zurückgehende feindliche Artillerie
+aus; die soll den Rückzug des gegnerischen Detachements decken!« wußte
+Nelly wiederum zu erläutern.</p>
+
+<p>»Da werden wir ja das Kanonenkonzert aus allernächster Nähe zu genießen
+bekommen!«</p>
+
+<p>Und richtig! — Nach wenigen Minuten rasselte eine schier endlose
+Artilleriekolonne die Chaussee hinunter, so schnell als der abschüssige
+Weg mit seinen zahllosen, scharfen Krümmungen es nur irgend gestattete.</p>
+
+<p>Die Kanoniere saßen mit rauchgeschwärzten, staubbekrusteten Gesichtern
+auf den Protzkästen und hielten sich krampfhaft fest, um nicht beim
+Rumpeln der federlosen Gestelle abgeschleudert zu werden ...</p>
+
+<p>Das Sitzfleisch tat einem weh vom bloßen Ansehen ...!</p>
+
+<p>Drüben den steilen Talweg ging's hinan ... da mußten die Kanoniere
+absitzen und die Geschütze bergan schieben helfen ... Die armen Kerle!</p>
+
+<p>Ganz deutlich war's zu verfolgen, wie nun drüben die Mündungen der
+Geschütze über dem hohen Kamm auftauchten ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span></p>
+
+<p>Bum — da krachte auch schon der erste Schuß, bum — der zweite ...</p>
+
+<p>Dicke weiße Wolken stiegen auf, doch verflogen sie in der blauen
+Nachmittagsluft wie der Rauch einer Zigarre ...</p>
+
+<p>Die Damen hielten sich die Ohren zu, so heftig knallten die Schüsse ...
+widerhallend kam das Echo zurück von all den dunkelbelaubten Berghängen
+ringsum ...</p>
+
+<p>Eine Viertelstunde später begann der Abstieg der geschlagenen
+feindlichen Infanterie ... eine dunkelblaue Schlange mit grau und
+silbern schillernden Schuppen, so wälzte sich der Zug des Fußvolks
+nieder ins Tal ... Kompagnie hinter Kompagnie ... Bataillon hinter
+Bataillon ...</p>
+
+<p>Ganz dicht unter den Schloßfenstern wogte der endlose Schwall vorüber
+...</p>
+
+<p>Gott, sahen die wackern Jungen aus! —</p>
+
+<p>Spätsommermittagsglut und der Staub vielstundenlanger Märsche hatten
+ihr Werk getan ... schmutzige Rinnen hatte der Schweiß in die
+tiefgebräunten, graubepuderten Gesichter gezeichnet ... die Rockkragen
+waren geöffnet ... die Gewehre pendelten schwer auf den müden Schultern
+...</p>
+
+<p>Aber die gesenkten Nacken richteten sich straffer auf, als plötzlich
+bei der Wegwende vor ihrem Blick das schmucke Schlößchen mit seinen
+altersgrauen Mauern und der blinkenden Zier seiner Erneuerungsbauten,
+den roten Ziegeldächern, den blitzend weißen Fensterkreuzen auftauchte,
+von dunkelgrünen Efeupolstern und leuchtendrotem Rankengeriesel wilden
+Weins umwuchert ...</p>
+
+<p>Und über den Rand der Gartenanlage beugten sich frische Mädchenköpfe
+... das Hausfräulein und die beiden Mägde ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span></p>
+
+<p>Hei — wie das elektrisierte, wie Jugend da plötzlich die Jugend
+erschaute ... da reckten sich die matten Gestalten der Marschierenden
+empor, da flog ein endloser Schwall von Neckereien und derben Späßen
+zur Mauer hinan in allen Mundarten der rheinischen Gaue ...</p>
+
+<p>Aber Glied um Glied wurde rasch von dannen gerissen im rastlosen
+Rückmarsch.</p>
+
+<p>Mochten auch die Vorbeimarschierenden die Köpfe noch so sehnsüchtig
+umwenden — die Blicke der strammen Holden droben waren schon wieder
+weitergewandert, neuen Kömmlingsscharen entgegen.</p>
+
+<p>Die Herren Offiziere aber hoben ihre Blicke noch etwas höher als bis
+zur Mauer der Gartenbastion ... sie strebten zum Balkon empor, wo in
+lichten Gewändern drei Frauengestalten aus ihrer eigenen Kaste sich
+zeigten ...</p>
+
+<p>Hei — wie flogen da feurig kecke Blicke empor ... dorthin, wo die
+Damen standen ... die Damen ...</p>
+
+<p>Aber auch sie mußten von hinnen, die stattlichen Stabsoffiziere
+und Hauptleute hoch zu Roß, die schlanken, in Staub und Schweiß
+noch eleganten und aufrechten Leutnants mit den häßlichen
+Wachstuchtornisterchen auf dem Rücken — dem »Schandfleck der
+Ritterlichkeit« — —</p>
+
+<p>Und von dem vorüberrollenden Strom kriegerischen Lebens stieg ein
+Dunst zu der schönen, schlanken Herrin, den winkenden Mädchen
+und Mägden empor ... ein heißer, schwüler Dunst hochblühender,
+waffendienstgestählter, jugendprangender Männlichkeit, der ihnen den
+Sinn verwirrte ... einen Schwall weckte von unbewußten, unbegriffenen
+Sehnsuchtgefühlen ...</p>
+
+<p>Doch endlich war der Strom vorübergerauscht.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span></p>
+
+<p>Schräger flimmerte die Spätnachmittagssonne auf der Chaussee, die sich
+wie ein fahlgelbes Band durch das Braungrün der Waldhänge zog.</p>
+
+<p>Die Damen waren verstummt.</p>
+
+<p>Nun müssen bald die Unsern kommen, dachte eine jede ... die Unsern ...</p>
+
+<p>Und dann ... dann kommt auch er, der eine ... der meine, dachten die
+jungen Mädchen ...</p>
+
+<p>Frau Cäcilien aber bebte das Herz ...</p>
+
+<p>Der meine ... wer war das, der meine? — —</p>
+
+<p>Ach, sie wußte es selber nicht zu sagen ... nur bang ... grenzenlos
+bang und ahnungstrüb zitterte nun auf einmal ihre einsame Seele, die
+sich niemandem — niemandem anvertrauen konnte in der Qual ihrer
+Zerrissenheit.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span></p>
+
+<h3>Drittes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>»Ja, lieber Sassenbach — Sie können sagen, was Sie wollen, es war ein
+direkter Blödsinn vom General von Ketteler — ein direkter Blödsinn!
+Statt sich einfach auf der Höhe zwischen Mackenrodt und Hettenrodt mit
+seiner ganzen Division aufzubauen und unsern Angriff abzuwarten, geht
+er über das Aubachtal hinüber bis Nockental uns entgegen —«</p>
+
+<p>»Aber — Verzeihung, Herr Oberst! — die Stellung bei Nockental war
+wesentlich besser als die bei Mackenrodt — namentlich seine Artillerie
+hatte er hinter den flachen Höhen hier beim R von Rötzweiler ganz
+glänzend placiert —«</p>
+
+<p>»Zugegeben!« sagte der Oberst und neigte sich tiefer über die Karte,
+die mitten zwischen den zartgeschliffenen Weingläsern, den über die
+ganze Tafel verstreuten, nun schon halbverwelkten Astern auf der
+Damastdecke lag, dicht neben dem Teller der Hausherrin, die müde
+und gelangweilt sich fruchtlos Mühe gab, an dem endlosen Streit
+ihrer beiden Tischnachbarn über den Verlauf der gestrigen Übung
+pflichtschuldigen Anteil zu heucheln. — »Zugegeben! — aber bei der
+Wahl einer Verteidigungsstellung kommt's doch vor allem darauf an, daß
+man sich anständig aus dem Staube machen kann! Na ... und nun sehen
+Sie sich mal diese<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> Rückzugslinie hier an ... zwischen seiner Stellung
+und dem Punkt, den er zu decken hatte, der Stadt Idar nämlich, liegen
+zwei — sage zwei! — Talsenkungen ... zweimal hat er mit seinem
+ganzen Schwamm im vollen Bereich unseres Feuers dreihundert Meter über
+kahle Höhenzüge hinauf und wieder herunter gemußt! — und wie sich
+die Infanterie massierte auf dem Rückmarsch — so etwas von einem
+Wurschtkessel ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! Erinnern Sie
+sich ... unter dem Berg — wie hieß er doch —?«</p>
+
+<p>»Der Galgenberg!« lachte der Major.</p>
+
+<p>»Ja, ja ... und wissen Sie auch, wer an dem Galgen baumelt —?«</p>
+
+<p>»Na — nach <em class="gesperrt">der</em> Kritik versteht sich das wohl am Rande!«</p>
+
+<p>»Allerdings,« erklärte der Oberst, »der Zylinder für Herrn von Ketteler
+dürfte fällig sein —!«</p>
+
+<p>»— und die Brigade frei werden!« lächelte geschmeidig und
+beziehungsvoll der Major, der, wenn er wollte, in seiner rauhen Form
+ein richtiger Höfling sein konnte.</p>
+
+<p>»Aber nun Schluß mit der Kommißsimpelei, lieber Sassenbach — unsre
+verehrte Frau Gastgeberin wird sonst bereuen, daß sie sich zu uns alten
+Knaben gesetzt hat, statt zur Jugend, wohin sie von Gottes und Rechts
+wegen gehört —!«</p>
+
+<p>»Oh, bitte recht sehr, Herr Oberst, es hat mich natürlich ganz
+außerordentlich interessiert,« log Frau Cäcilie, »nun kann ich mir bei
+alle dem, was ich gestern gehört und gesehen hab, auch etwas denken —
+dieser heitre Vorbeimarsch gestern abend, das war in Wirklichkeit die
+zügellose Flucht eines geschlagenen, fast vernichteten Heeres — wie
+mir übrigens Ihre Nelly, Herr Major, ganz richtig erklärt hat!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span></p>
+
+<p>»Ja, die Nelly — die hat Ahnung!« schmunzelte der Vater.</p>
+
+<p>»Ganz gewiß, meine gnädigste Frau«, sagte der Oberst. »Und gerade
+über Ihr niedliches Schlößchen hinweg tobte der Endkampf der beiden
+Artillerien ... im Ernstfalle würde von diesem entzückenden Nestchen
+wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein!«</p>
+
+<p>»Gott ja ... das sieht alles so lustig ... so frisch und freudig
+aus, und man vergißt gar zu leicht, was für ein schauerlicher Ernst
+dahintersteckt —«</p>
+
+<p>»Ja, ja — gut wär's, wenn sich unsre jungen Dächse da unten das auch
+manchmal ein bißchen mehr zu Gemüte führen wollten — wir Alten, wir
+wissen's ja freilich und werden's nie vergessen! — was meinen Sie,
+Sassenbach?!«</p>
+
+<p>Zärtlich schielten die beiden alten Kämpfer nach dem Bande des
+Eisernen Kreuzes im Knopfloch ihrer Überröcke ... zu gleicher Zeit
+hoben beide die Gläser und tranken auf das Gedächtnis der großen Zeit
+vor neununddreißig Jahren, die sie beide als blutjunge Leutnants mit
+durchlebt und mit durchfochten ...</p>
+
+<p>Cäcilie aber hatte nur mit dem Aufgebot ihrer ganzen Haltung dem
+Gespräch der beiden alten Herren folgen können ... in ihr schrie die
+unverbrauchte Glückssehnsucht ... schrie all das Verlangen, das Fritz
+von Brandeis nicht hatte stillen können ...</p>
+
+<p>Gott, wie wunderlich ... wie verrückt ... wie unheimlich rätselschwer
+das Leben ... Wie wirbelte es die Schicksale, die Herzen der Menschen
+durcheinander ...</p>
+
+<p>Da unten bei lautem Gelächter und Geplauder saßen sie nun einander
+gegenüber, die beiden Männer ... saßen<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> inmitten der Kameraden,
+schwatzten, tranken, tauschten hundert harmlose, lustige und
+tragikomische Manövererlebnisse aus ...</p>
+
+<p>Und wenn dann einmal einer von ihnen beiden in einer unbewachten
+Sekunde sich vergaß ... dann sank urplötzlich die glatte Maske ... und
+der eine jetzt, der andere nun, starrte tief versonnen in sein Sektglas
+... und auf eines jeden Gesicht lag dann plötzlich Spannung, Kampf und
+Qual ...</p>
+
+<p>Und das alles ging um sie.</p>
+
+<p>Martin Flamberg hatte einmal in einem solchen Moment der Versunkenheit
+rasch und heimlich ein Briefchen aus der Tasche des Überrocks gezogen
+und es unterm Tisch mit hastigen Blicken überflogen ...</p>
+
+<p>Cäcilie wußte: ein Brief seiner Braut ... ein Brief des fernen, bang
+und selig harrenden Mädchens, dem in wenigen Tagen in Wirklichkeit die
+Hochzeitsglocken läuten sollten ...</p>
+
+<p>Gewiß ... das Briefchen sprach von heißer Sehnsucht ... von kaum
+stillbarer Erwartung ... von einer süßen Ungeduld, welche die Tage und
+Stunden zählte, die sie noch von der Erfüllung trennten ...</p>
+
+<p>Heute war Sonntag, morgen und übermorgen die beiden letzten Manövertage
+... und schon Mittwoch sollte Martin Flambergs, des Heimgekehrten,
+Hochzeitstag sein ...</p>
+
+<p>Über-übermorgen ... dann war er ihr verloren ... verloren für alle Zeit
+—</p>
+
+<p>Aber ... während er das Briefchen überflog, hatte da auf seinem Gesicht
+auch nur ein leises, flüchtiges Leuchten des Glücks, der Hoffnung
+geflammt —? nein — quälendes Bangen ... herbe Gewissensnot ...
+finsterer Zwiespalt der Gefühle ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span></p>
+
+<p>Sie hatte es gesehen und hatte nicht hindern können, daß ihr Herz
+aufjubelte vor schamvoller Lust ... vor sündig grausendem Triumph ...</p>
+
+<p>Ja, er sehnte sich nicht nach ... über-übermorgen ... er sehnte sich
+— — nach einem Tage, der niemals kommen würde — niemals — — oder
+nur, wenn wilde, schreckliche Dinge geschehen wären ... lange Monde des
+Kampfes überstanden ... Monde der Finsternis ... der Einsamkeit ... des
+Elends ...</p>
+
+<p>Und ringsherum in dem kleinen Kreise der lachenden schmausenden
+Menschen, der festlich weiß geputzten beiden Mädchen, der
+sonnengebräunten wettergestählten Männer konnte ihr heimlich und
+ruhelos beobachtender Blick überall den Widerschein innern Erlebens
+verfolgen — —</p>
+
+<p>Finster lauernd wanderten die eiskalten Augen des Regimentsadjutanten,
+hämisch funkelnd die des fatalen Oberleutnants Menshausen die Reihe der
+Tafelnden entlang ...</p>
+
+<p>Mit zärtlichem Bangen hingen des Backfischleins Blicke an der
+stattlichen Gestalt der Schwester, die mit ihrem Tischnachbarn, dem
+rotbärtigen, bebrillten Gelehrten im verjährten Landwehrrock, so
+versunken und weltvergessen über große und ferne Dinge sprach, als
+säßen die beiden zwei einsam auf einer weitentlegenen seligen Insel
+und nicht inmitten eines Kreises, in dem jeder jeden kontrollierte, in
+dem jede Bewegung, jeder Blick überwacht wurde, ob er auch der strengen
+Satzung der Kaste entspreche ...</p>
+
+<p>Ja, selbst unten, wo die ganz jungen Herren saßen, schossen aus dem
+fahlen Gesichte des monokeltragenden Herrn Quincke gehässig lauernde
+Blicke hinüber ... herüber ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span></p>
+
+<p>Nur der blutjunge Avantageur und der kindlich harmlose Carstanjen
+freuten sich ohne Hinterhalt der Gunst der Stunde ... futterten mit
+Knabenappetit von all den guten, langentbehrten Sachen ... kosteten
+mit glänzenden Augen die edeln Weine ... stopften, genäschig wie
+Pensionsmädel, Konfekt und Obst ...</p>
+
+<p>Und mit der unerschütterlichen Gemütsruhe einer wohlgeordneten
+Daseinsführung, die keine Leidenschaft, keine Herzensstürme kannte,
+nichts als brave Pflichterfüllung und maßvoll harmlosen Lebensgenuß
+— selbstgenügsam und selbstzufrieden saß der Leutnant Blowitz
+inmitten der Tafelrunde, auch er wachsam, beobachtend, doch innerlich
+unbeteiligt ... nichts als Soldat ... nichts als eine Uniform mit einem
+Etwas darin, dessen ganzer Ehrgeiz nur war, Ehre zu machen dem Rock, in
+dem es steckte ...</p>
+
+<p>Ach, wie beneidenswert ein solches Temperament ... ein solch
+unsträflicher, Gott und Menschen wohlgefälliger Wandel ...</p>
+
+<p>War nicht ihr Fritz auch so einer gewesen? — war das nicht eigentlich
+seine Natur ... und die bittern Zweifel ... die jähe Wirrnis, in die
+das Schicksal ihn gestürzt — waren sie nicht über seine Kraft?</p>
+
+<p>Frau Cäcilie sah gar wohl, wie tief er litt ... welch unfaßbare
+Anstrengung es ihn kostete, die lächelnde Miene des vornehmen
+Gastgebers, des allerwärts liebenswürdigen Wirtes zu bewahren, während
+er sein Glück, sein Leben wanken — wanken fühlte — —</p>
+
+<p>Wie er ihr so leid tat, ihr guter prächtiger Fritz ... sie litt mit ihm
+... in seine Seele hinein ... so mußte eine<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span> sorgende Schwester mit
+einem herzlich geliebten Bruder leiden ... und konnte sie ihm helfen
+... konnte sie —?</p>
+
+<p>Ein Blick in Martin Flambergs Gesicht — und sie wußte — der da war
+der Herr ihres Lebens ... was er erwählen würde, war ihre Wahl ... was
+er von ihr fordern würde, das würde sie tun.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die Hausfrau hatte die Tafel aufgehoben, und der kleine Kreis der Gäste
+schwärmte nun in den Schloßgarten, um den Kaffee zu nehmen.</p>
+
+<p>In tiefem Frieden verglomm der Spätsommertag ... sein letzter Abglanz
+lag auf den jenseitigen Höhen ... Dunkelheit umschleierte schon das
+Dickicht des Schloßparks, der von den gartenartig angelegten Terrassen
+der alten Bastionen her sich an den Abhängen des Beiertales, rechts und
+links des Baches, hinzog ...</p>
+
+<p>Vorn, wo zwischen den üppig wuchernden Bosketten heimliche Lauben
+winkten, deren weißlackierte Stakete fast völlig unterm dicken Gerank
+des Jelängerjelieber, des Pfeifenkrauts, des wilden Weins verschwanden,
+erhellten bunte Lampions mit mattem Glimmen die Dämmerung ...</p>
+
+<p>Weiter rückwärts, am Berghang lagerten schon tiefe, schwarze Schatten
+über den Wegen, die sich ins Dunkel der Parkgehege verloren.</p>
+
+<p>»Kommen Sie, Herr Frobenius,« sagte Nelly, »ich muß Ihnen jetzt den
+Aussichtspunkt zeigen, von dem ich Ihnen bei Tisch erzählte ...
+er liegt ganz oben am Parkrand ... wir müssen das letzte bißchen
+Tageslicht benutzen, sonst wird<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> es ganz finster, und wir kommen
+überhaupt nicht mehr hin ... Ihren Kaffee kriegen Sie später, wenn wir
+zurückkommen!«</p>
+
+<p>Ihre Stimme hatte leise gezittert bei den hastigen Worten — und
+Wilhelm Frobenius fühlte sein Herz hoch klopfen, genau unter dem Fleck,
+wo auf seinem dunkelblauen Waffenrock die Landwehrdienstauszeichnung
+zweiter Klasse sich breit machte, diese geschmackvolle Dekoration,
+deren Form die Offiziere des Beurlaubtenstandes mit den altgedienten
+Unteroffizieren gemein hatten ...</p>
+
+<p>In einer längst nicht mehr gekannten Erregung folgte er der schlanken
+Führerin in die Dunkelheit ...</p>
+
+<p>Ja — nun kam es, das Unabwendbare ... nun würde er die Frage wagen,
+die ihm längst das Herz abpreßte! — Und natürlich würde sie ihn
+auslachen ... schneidend und grimmig auslachen, wenn er überhaupt
+so weit kam — wenn nicht schon vorher irgendeine neue unerhörte
+Lächerlichkeit ihm das Wort abschnitt — —</p>
+
+<p>Herrgott, wenn's nur nicht so finster gewesen wäre! — Kaum wie einen
+matten Nebelfleck konnte er noch das weiße Kleid seiner Führerin
+erkennen ...</p>
+
+<p>»Nehmen Sie sich in acht!« klang Nellys Stimme aus der Finsternis, »die
+Wege sind sehr schmal ... folgen Sie mir nur, ich weiß genau Bescheid!«</p>
+
+<p>Da — ein dumpfer Krach! — Feuer und Funken sprühten dem Gelehrten
+durch den Schädel —</p>
+
+<p>»Meine Brille — um Gottes willen, gnädiges Fräulein, meine Brille!«</p>
+
+<p>»Himmel ... was ist denn passiert?!«</p>
+
+<p>»Ich muß gegen einen Baum gelaufen sein ... meine<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> Brille, meine Brille
+ist mir abgefallen ... ich wette, sie ist zerbrochen!«</p>
+
+<p>»Nein — das ist doch aber auch zu arg — — so ein Unglücksmensch, wie
+Sie sind ... warten Sie, ich werde suchen!«</p>
+
+<p>Tiefe Finsternis zwischen den Gehegen ...</p>
+
+<p>Nelly tastete sich zurück: »Wo stecken Sie denn eigentlich?!«</p>
+
+<p>»Hier!« klang es kläglich dicht neben ihr.</p>
+
+<p>»So geben Sie mir doch mal Ihre Hand, damit ich überhaupt weiß, wo Sie
+sind!«</p>
+
+<p>Frobenius tappte mit der Rechten in die Finsternis und bekam etwas
+wunderbar Weiches und Festes zu fassen ... einen elastischen,
+lebenswarmen Mädchenarm ... der glitt ihm rasch durch die Finger, und
+er fühlte nun die kräftige, leise bebende Hand. — —</p>
+
+<p>»So, nun warten Sie — ich werde mich bücken und die Brille suchen!«
+sagte Nelly zu Frobenius.</p>
+
+<p>Himmel, wie seine Stirn brannte — sicherlich hatte es eine tüchtige
+Beule gegeben über der Nase ...</p>
+
+<p>»Da, wahrhaftig! Ich hab sie — aber, o weh: ein Glas fehlt — und das
+andere scheint zerbrochen zu sein!«</p>
+
+<p>»Geben Sie nur her — ein zerbrochenes Glas ist besser als gar keins!«</p>
+
+<p>»So — und nun ... nun kommen Sie weiter!«</p>
+
+<p>Sie zog ihn vorwärts an ihrer Hand ... an ihrer lieben, festen Hand ...
+o Gott, wie gut das tat, so sicher geführt werden ...</p>
+
+<p>Auf einmal blinkte vor ihnen ein Lichtschein —</p>
+
+<p>»Sieh da — im Aussichtstempelchen oben hängt ein Lampion, das ist ja
+famos!« sagte die Führerin.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span></p>
+
+<p>Der Achtunddreißigjährige fieberte wie ein Schulknabe.</p>
+
+<p>»So, nun schauen Sie hinaus!«</p>
+
+<p>Da lag das Schlößchen hart unter den zweien, schützend umfangen vom
+tiefen Schwarz der ragenden Bergketten hüben und drüben ... wie
+eine Märchenfeste schimmernd mit den hellerleuchteten Fenstern, den
+flimmernden Lichtschnüren der Lampions zwischen den Gartengehegen ...
+Lachen und Gläserklingen scholl herauf ...</p>
+
+<p>Und hier droben die beiden Menschen ... entrückt, entronnen den
+lauernden Blicken der Gesellschaft, den hämischen Glossen, dem
+liebevoll forschenden Vaterblick ...</p>
+
+<p>So, dachte Nelly, nun sprich du ... nun sprich!</p>
+
+<p>Aber Wilhelm Frobenius sprach nicht.</p>
+
+<p>Der Mund, der so beredt vom Katheder hernieder die Herrlichkeiten
+der Dichtung lauschenden Hörerscharen zu erschließen wußte, der noch
+vor wenigen Minuten drunten bei Tafel nicht müde geworden war des
+feinsinnigen Geplauders über allerhand schöne und gute Dinge, ernste
+Fragen des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst ... der Mund war
+verstummt.</p>
+
+<p>Die haarige Rechte rieb mechanisch, unbeholfen die dick aufquellende
+Beule an Stirn und Nasenrücken —</p>
+
+<p>»Haben Sie sich weh getan?«</p>
+
+<p>»Ich sehe nicht das mindeste ... ich bin reinweg wie blind!«</p>
+
+<p>So jämmerlich hatte das geklungen — Nelly mußte laut auflachen —</p>
+
+<p>Du großer tapriger, hilfloser Junge du ... nun, wenn du nicht sehen
+kannst, sollst du wenigstens fühlen! — Jedenfalls unverlobt geh ich
+nicht wieder hinunter ...!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span></p>
+
+<p>Und mit einer raschen, wie besitzergreifenden Bewegung schob sie ihre
+Hand in des Mannes Arm, lehnte sich fest an seine Schulter.</p>
+
+<p>Da warf es den langen Gesellen auf einmal um ... Wie ein schmachtender,
+stammelnder Knabe neigte er sich tief, tief hernieder, drückte seine
+Lippen auf den festen Arm. »Gott ... Fräulein Nelly ... Nelly ...!«</p>
+
+<p>Da nahm das Mädchen des Mannes stoppelbärtige Wangen in beide Hände,
+beugte sich nieder und küßte ihn, wohin ihre Lippen zuerst trafen ...
+auf seine kahle Platte.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Molly hatte gewußt, daß er auf sie wartete.</p>
+
+<p>Sie hatte sich sofort nach Aufhebung der Tafel für einen Augenblick
+bei der Hausherrin entschuldigt und war in ihr Turmkämmerchen
+hinaufgeschlüpft.</p>
+
+<p>Von dort aus konnte man die Chaussee überblicken ... die erhellten
+Schloßfenster zeichneten scharfumrissene Lichtplakate auf den staubigen
+Straßendamm, und von drüben tauchten die regungslosen Fächeräste der
+Buchen in den Glast hinein ...</p>
+
+<p>Schau — blinkte da nicht in den Büschen des Straßensaumes, halb
+versteckt, eine senkrechte Reihe flimmernder gelber Punkte aus dem
+Dunkel —? Und konnte dies Phänomen von etwas anderm herrühren denn von
+einer blankgeputzten Knopfreihe ...?</p>
+
+<p>Wenn das nicht Hans Friesen war —!</p>
+
+<p>Wie nur aus dem Schloß kommen, ohne gesehen zu werden? Zwar ... die
+Dinergesellschaft würde nichts merken, wenn Molly durchs Schloßportal
+huschte ... denn die<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> war an der andern Seite im Garten versammelt
+— aber die Dienstboten —? Was würden sie denken, wenn das gnädige
+Fräulein aus der Schloßpforte spazierte, um sich auf der Chaussee ein
+Rendezvous mit einem Unteroffizier zu geben?</p>
+
+<p>Aber es mußte gewagt werden ... es mußte einfach! — Der gute Junge
+mußte getröstet werden, sonst grämte er sich gar zu sehr über die
+Flegelei von diesem Leutnant Quincke ... redete sich am Ende gar
+ein, sie wolle nichts mehr von ihm wissen, seit er die erbärmliche
+Vergewaltigung seines Vorgesetzten in ihrer Gegenwart hatte
+hinunterwürgen müssen ... jedenfalls wollte sie ihm gleich ein Zeichen
+geben ...</p>
+
+<p>Sie zündete eine Kerze an, bog sich weit aus dem Turmfensterchen, indem
+sie den vollen Schein des Lichtes auf ihr Gesichtchen fallen ließ,
+und winkte zugleich mit ihrem Taschentuch — das flatterte lustig im
+Abendhauch, der kühl vom Berge niederschwebte.</p>
+
+<p>Schau — da löste sich die Knopfreihe drunten aus der Dunkelheit ...
+ein grauer Unteroffizierdrillichrock schob sich für einen Augenblick
+aus dem Gebüsch in den Bereich der Lichtgevierte ... eine Feldmütze
+wurde mit raschem Winken geschwenkt ...</p>
+
+<p>Ach ... du Goldiger!</p>
+
+<p>Nun schnell hinunter! — Auf dem ersten Treppenabsatz machte sie einen
+Augenblick halt, spähte durch ein schmales, schießschartenähnliches
+Fensterchen auf die Landstraße hinaus und lauschte, ob drunten die Luft
+rein sei.</p>
+
+<p>Schwatzend schäkerten die Mägde in der Küche mit den Burschen, welche
+zu ihrer Unterstützung kommandiert waren.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span></p>
+
+<p>Himmel — an denen mußte sie vorüber! Na ... vielleicht machten sie
+einmal die Küchentür zu ...</p>
+
+<p>Auf einmal hörte sie von der Chaussee her scharfe Worte: »Halt, was da
+im Busch steckt! Kommen Sie gefälligst mal sofort 'raus!«</p>
+
+<p>Leutnant Quinckes Stimme! Gott im Himmel — der mußte spioniert haben!</p>
+
+<p>»Ich befehle Ihnen 'rauszukommen! — Zum Donnerwetter, komm 'raus,
+Kerl, sonst ruf ich die ganzen Burschen zusammen und lasse eine Razzia
+nach dir veranstalten!«</p>
+
+<p>In atemlosen Entsetzen spähte Molly auf die Chaussee.</p>
+
+<p>Wahrhaftig — da stand der Leutnant hart am jenseitigen Chausseerand
+und versuchte, ins dichte Gestrüpp des Berghanges einzudringen ... er
+griff mit den langen Armen ins Dickicht hinein ...</p>
+
+<p>»Aha, Bursche — jetzt hab ich dich!«</p>
+
+<p>»Ich bitte Herrn Leutnant, mich loszulassen — ich komme gutwillig!«</p>
+
+<p>O Gott — mit einem raschen Schritt trat Hans Friesen aus dem Dickicht
+... stand stramm im hellen Fensterlicht ... in Drillichanzug,
+Feldmütze, gelben Schnürschuhen ... ohne Seitengewehr ...</p>
+
+<p>»Sieh da, der Herr Einjährige! — Haben Sie Urlaub, die Ortsunterkunft
+zu verlassen?!«</p>
+
+<p>»Nein, Herr Leutnant!«</p>
+
+<p>»So —?! Na, dann scheren Sie sich gefälligst mal augenblicklich ins
+Dorf und kriechen Sie in Ihr Quartier! — Verstanden? — Ich werde
+Sie dem Herrn Kompagnieführer melden — das weitere findet sich! Ihre
+Offizierqualifikation<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> können Sie sich aber einsalzen ... das kann ich
+Ihnen schon jetzt sagen! — Also: kehrt marsch! na wird's bald?!!«</p>
+
+<p>Hans Friesen machte eine stramme Wendung und ging zu Tal ... seine
+Schritte verhallten in der Dunkelheit.</p>
+
+<p>Mit zufriedenem Grinsen sah der Leutnant einen Augenblick ihm nach,
+dann trat er ins Tor zurück.</p>
+
+<p>Wie der Blitz war Molly die Treppe hinunter ... trat dem Offizier im
+Korridor entgegen: »Herr Leutnant — Sie werden den Unteroffizier
+Friesen nicht melden!«</p>
+
+<p>»Ah — gnädiges Fräulein haben gehört ... das ist ja ein merkwürdiges
+Zusammentreffen!«</p>
+
+<p>»Nein, das ist gar nicht merkwürdig ... Herr Friesen hat nämlich <em class="gesperrt">auf
+mich</em> da unten gewartet, daß Sie's wissen ... und darum werden Sie
+ihn nicht melden ... verstehen Sie mich ...?!«</p>
+
+<p>»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein
+— aber Dienst ist Dienst ... der Einjährige hat sich einer
+Urlaubsüberschreitung schuldig gemacht ... und somit ist es einfach
+meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit —«</p>
+
+<p>»Dann erlauben Sie mir vielleicht die Frage, Herr Leutnant, wie Sie auf
+die Chaussee gekommen sind — auch in Ausübung Ihrer verdammten Pflicht
+und Schuldigkeit?!«</p>
+
+<p>»Darüber bin ich Ihnen wohl schwerlich Rechenschaft schuldig, mein
+verehrtes gnädiges Fräulein! — Bei allem Respekt glaube ich das denn
+doch aussprechen zu müssen —«</p>
+
+<p>»Nun, dann will ich's Ihnen sagen: Sie haben gelauert ... geschnüffelt
+haben Sie — wie ein ganz elender Spion —! Sie haben sich gedacht, daß
+ich mich irgendwo mit dem Einjährigen treffen wollte, und haben uns
+aufgepaßt! — Na, stimmt's?!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span></p>
+
+<p>»Ich — ich bewundere Ihre Kombinationsgabe, meine Gnädigste — —«</p>
+
+<p>»So — nun wissen Sie also, daß ich Sie durchschaut habe, Herr
+Leutnant! — und nun will ich Ihnen mal was sagen: Wenn Sie Herrn
+Friesen melden, dann mache ich Ihnen einen Krach, wie Sie noch nie
+einen erlebt haben — so wahr ich Molly Sassenbach heiße —!!«</p>
+
+<p>Wie eine Königin raschelte sie von dannen.</p>
+
+<p>Quincke aber machte das dümmste Gesicht seines Lebens — und <em class="gesperrt">das</em>
+wollte was heißen.</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span></p>
+
+<h3>Viertes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Fritz von Brandeis stand an der Treppe, die von der Veranda in den
+Garten hinunterführte. Hinter ihm harrten die fünf Burschen, sein
+eigener und die vier seiner Gäste, kriegsgemäß in Drillichzeug und
+Schnürschuhen, nur durch die Serviette über ihrem linken Arm als
+herrschaftliche Leibdiener gekennzeichnet, der Befehle des Hausherrn
+gewärtig.</p>
+
+<p>Scharfen Blicks überflog der Hauptmann das lustige Bild des Gartens,
+der festlich schimmerte im mattbunten Glanz der Lampions, im gelben
+Flimmer der Kerzen auf den Bowlentischen.</p>
+
+<p>Na, alles gut versorgt? — Jawohl, alles klappte!</p>
+
+<p>Ein alter dicker, runder Mauerturm sprang an der nördlichen Ecke des
+Gartens weit ins Gebüsch hinein, das aus dem ehemaligen Burggraben
+aufgewuchert. Wilder Wein überrankte hier das weiße Staketengezäun
+einer Laube: darinnen saßen die wichtigsten der Gäste bei der
+Pfirsichbowle, der Oberst und der Major.</p>
+
+<p>Schau, schau — auch nach Tisch hatten die alten Herren sich
+anscheinend nicht von ihrer Tischnachbarin trennen können!</p>
+
+<p>Und sie, seine Cäcilie — sie schien ja auch vollkommen zufrieden in
+der Gesellschaft der Herren Stabsoffiziere — hatte heut abend noch
+kaum ein Wort mit dem Maler gesprochen.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span></p>
+
+<p>Na also — hätten wir uns ja wohl unnötige Unruhe gemacht!</p>
+
+<p>Schoenawa, des Obersten Adjutant, und Menshausen, sein
+Manöver-Ordonnanzoffizier, hockten pflichtschuldigst bei ihrem
+Kommandeur — aber wo steckte denn Leutnant Blowitz? — ah — er war
+des trockenen Tons wohl satt, des beständigen »Schusterns« bei den
+hohen Stäben, hatte sich zur Jugend geflüchtet —</p>
+
+<p>Aus der Nachbarlaube, in der auf rundem Tisch gleichfalls eine mächtige
+Pfirsichbowle aufgebaut war, klang schmetterndes Gelächter. Dort saß
+der Adjutant des ersten Bataillons mit den Offizieren der ersten
+Kompagnie, mit Flamberg und Carstanjen. Selbstverständlich war hier
+auch der Fahnenjunker von Erichsen zu finden, der immer wieder die
+Gläser füllen mußte. Nur die jungen Damen fehlten in der Runde der
+Jugend ... wo mochten die bloß stecken ...? und es fehlte auch die
+Landwehr ...</p>
+
+<p>Aha — ach so —!!</p>
+
+<p>Ja, Nellychen, über'n Geschmack ist nicht zu streiten ... aber Sie sind
+Manns genug, um selber zu wissen, was Ihrem Besten dient ...</p>
+
+<p>Und das Schwesterchen? — Auch verschwunden? — Sieh da!</p>
+
+<p>Und der Leutnant Quincke fehlte ebenfalls — hm, hm — — <em class="gesperrt">den</em>
+Geschmack hätte man der Kleinen nun gerade nicht zugetraut —</p>
+
+<p>Aber in Gottes Namen!</p>
+
+<p>Heute mochten die zwei losgelassenen Füllen herumspringen, mit wem sie
+wollten ... Daß nichts Ernstes aus ihren Flirts wurde, dafür würde im
+geeigneten Augenblick<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> die Frau Mama daheim schon sorgen, wie bisher
+noch immer ... auf Schloß Hettstein sollten sie jedenfalls machen
+dürfen, was sie mochten.</p>
+
+<p>Also alles in schönster Ordnung!</p>
+
+<p>Vergnügt schmunzelnd wandte sich der Hausherr zu der regungslos
+harrenden Phalanx der Burschen zurück:</p>
+
+<p>»Na, Jungens, nun könnt ihr euch gegenseitig ablösen! Zwei von euch
+haben immer hier auf der Veranda zu warten, die andern drei in die
+Küche zum Bierempfang! — zunächst bleiben Kempges und Schnettelker
+hier! — Die andern drei — abschwirren!«</p>
+
+<p>Er fühlte sich in Laune kommen.</p>
+
+<p>Zu dumm, sich überhaupt Gedanken gemacht zu haben Cäciliens wegen! Pah
+— <em class="gesperrt">seine</em> Cäcilie —!</p>
+
+<p>Seine Lippen pfiffen leise das Avanciersignal, während er die Treppe
+hinuntersprang und quer durch den Garten auf die Jugendlaube zuschritt:
+»Tut mir leid, meine Herren, Ihre Hebe muß ich Ihnen für ein halbes
+Stündchen ausspannen! — Sie, kleiner Erichsen, und Sie, etwas größerer
+Carstanjen, kommen Sie mal einen Moment her!«</p>
+
+<p>Die Angeredeten schossen in die Höhe.</p>
+
+<p>»Also kommt 'mal raus, Kinder,« sagte der Kompagniechef, »ihr müßt mir
+eine Überraschung deichseln helfen. Die Burschen würden mir die Sache
+jedenfalls verderben: Ich habe also drüben auf der Wiese jenseits der
+Chaussee ein kleines Feuerwerk aufbauen lassen, das müssen Sie beide
+mir abbrennen. Kommen Sie mit, ich werde Sie instruieren!«</p>
+
+<p>Blowitz und Flamberg blieben allein bei der riesigen Bowle zurück. Der
+Maler trank hastig und sprach wenig.<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> Der Adjutant war auch kein Mann
+von vielen Worten. Es wurde still am Jugendtisch.</p>
+
+<p>Und immer wieder zog es Martins Blicke dorthin, wo im matten Lichte
+der Lampions ein weißes Frauenantlitz zwischen den gebräunten,
+verwitterten, weinerregten Gesichtern der Stabsoffiziere, den
+frostigen, lauernden der beiden Oberleutnants stand.</p>
+
+<p>Auf einmal erhob sich dorten die ganze Gruppe und kam die niedrige
+Stiege hinunter in den Garten, schritt der hellerleuchteten Veranda zu,
+die dem Speisesaal vorgelagert war.</p>
+
+<p>Major von Sassenbach warf einen Blick zur Jugendlaube hinüber: »Ah, da
+sitzt ja auch unser Malermeister — unser Pinselheld! — Sie, Flamberg,
+die gnädige Frau will uns das Bild zeigen, das Sie von ihr gemalt haben
+— kommen Sie doch mal mit! Oder haben Sie's schon auf seinem neuen
+Platz gesehen?«</p>
+
+<p>Flamberg sprang auf: »Nein, Herr Major!«</p>
+
+<p>»Also los — gehen Sie mit uns!«</p>
+
+<p>»Wenn die gnädige Frau gestattet —?«</p>
+
+<p>»Ich bitte darum, Herr Flamberg!«</p>
+
+<p>Blowitz schloß sich ungeladen an.</p>
+
+<p>Zwischen dem Oberst und dem Major schritt Frau Cäcilie voran —
+schweigsam, mit verschlossenen Gesichtern folgten die beiden
+Oberleutnants — die beiden Leutnants machten den Beschluß.</p>
+
+<p>Frau von Brandeis führte die Herren durch den Speisesaal, in welchem
+die Mägde mit den drei beurlaubten Burschen die Tafel abräumten, und
+in die behagliche, ganz als Wohnraum eingerichtete Diele hinüber. Dort
+lief die<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> bequeme, breite Treppe zum Obergeschoß hinan, das einen
+gleich großen Dielenraum enthielt. Hirschgeweihe, tief nachgedunkelte
+Ölgemälde schmückten da die Wände.</p>
+
+<p>Im Emporsteigen drehte die Hausfrau die elektrische Beleuchtung auf,
+und man gewahrte, daß von der obern Diele aus mehrere Türen nach den
+innern Gemächern führten. Durch eine dieser Türen betraten die Gäste
+das Herrenzimmer, das nun ebenfalls auf einen Druck von Frau Cäciliens
+Fingern in Lichtfülle erglänzte.</p>
+
+<p>Und sieh! — Da hing über einem wuchtigen Diplomatenschreibtisch die
+Schöpfung Martin Flambergs.</p>
+
+<p>»Ah!« riefen der Major und sein Adjutant.</p>
+
+<p>Die Herren des Regimentsstabes hatten das Bild bereits gestern zu sehen
+bekommen, sie waren nicht mehr zur Bewunderung verpflichtet.</p>
+
+<p>Frau Cäcilie tat ein paar rasche Schritte zur Seite. Da stand die Tür
+zu einem Nachbarzimmer halb offen. Die gelben Messingstangen zweier
+englischen Bettstellen, das lichte Weiß eines Spitzenhimmels leuchtete
+aus der Dunkelheit. Ruhig schloß die Hausfrau die Tür.</p>
+
+<p>Stumm hingen aller Blicke an dem Gemälde.</p>
+
+<p>»Aha,« sagte Sassenbach, »das ist also das berühmte Bild!«</p>
+
+<p>»Das berühmte — wieso?« fragte Frau Cäcilie.</p>
+
+<p>»Nun — Sie können sich wohl denken, verehrte gnädige Frau, daß das
+ganze Regiment von dem Bilde spricht — ich meine — ich will sagen
+— wenn eine Dame des Regiments von einem so vielgefeierten Maler wie
+unserm Herrn Leutnant der Reserve gemalt wird — das ist doch natürlich
+ein Ereignis!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span></p>
+
+<p>Alles schwieg und starrte regungslos zu dem Frauenbildnis hinan.</p>
+
+<p>Das schaute leuchtend herab auf die Herren im Waffenkleid —
+leuchtend in einer Hoheit, um die es seltsam wob wie ein Hauch von
+Unvergänglichkeit — von zeitloser Verklärung.</p>
+
+<p>»Fabelhaft,« sagte der Oberst, »ich gratuliere Ihnen, lieber Flamberg!
+Ich verstehe nicht allzu viel von Kunst — aber das da, das imponiert
+mir — ohne Scherz, das imponiert mir —«</p>
+
+<p>»Ja,« sagte Menshausen halblaut, »man möchte sagen: mit Liebe gemalt!«</p>
+
+<p>Der Major warf dem Oberleutnant einen wütenden Blick zu, und jeder
+fühlte: taktlos — unverschämt.</p>
+
+<p>»Nun, Herr Flamberg,« fragte die Hausfrau, ohne den Maler anzusehen,
+»sind Sie einverstanden? — mit dem Platze, meine ich!«</p>
+
+<p>»Dazu müßte ich das Bild erst mal bei Tageslicht sehn! — So, bei
+dieser künstlichen Beleuchtung, allerdings einwandfrei!«</p>
+
+<p>»Sie würden auch am Tage mit dem Platze zufrieden sein — schade, daß
+Sie es so bald nicht in natürlicher Beleuchtung zu sehen bekommen
+werden!«</p>
+
+<p>»Schwerlich!« sagte Flamberg.</p>
+
+<p>»Na, lieber Sassenbach, Sie sagen ja gar nichts,« bemerkte der Oberst.</p>
+
+<p>»Tja, wie der Herr Oberst bereits gesagt haben: ich verstehe ebenfalls
+nichts von der Kunst!«</p>
+
+<p>»Dann sagen Sie uns doch wenigstens, wie es Ihnen gefällt!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span></p>
+
+<p>»Gefallen? — Tja, Flamberg, Sie dürfen mir's aber nicht übel nehmen —«</p>
+
+<p>»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major!«</p>
+
+<p>»Ich ... ich finde es eigentlich nicht so recht ähnlich!« sagte der
+Major. »Ich finde ... es ist was drin ... etwas, was ich wenigstens
+nicht kenne an unserer hochverehrten Frau Wirtin —!«</p>
+
+<p>»Und das wäre?« fragte Frau Cäcilie.</p>
+
+<p>»Ja, wie soll ich das ausdrücken — so was Fremdartiges ... so was
+Unheimliches, möchte ich sagen!«</p>
+
+<p>Cäcilie warf dem Maler einen verstohlenen Blick zu. »Ja, sehn Sie, Herr
+Major,« sagte sie, »vielleicht hat Herr Flamberg etwas hinzugetan,
+etwas von seinem Eigenen, etwas, das wirklich mehr ist als ich, als
+mein Leben — aber das tun große, starke Künstler wohl immer, meine
+ich!«</p>
+
+<p>»Das ist mir zu hoch,« sagte Sassenbach. »Ich kann mir nicht helfen —
+ich finde es nicht ähnlich! Es ist was dran, was mir bisher an Ihnen
+wenigstens niemals aufgefallen ist!«</p>
+
+<p>»Was Ihnen vielleicht nicht aufgefallen ist, Herr von Sassenbach,«
+sagte langsam mit sinnendem Lächeln Frau Cäcilie, »darum ist aber noch
+nicht gesagt, daß es etwas Falsches ist ... vielleicht ist's auch doch
+nicht was Hinzugetanes ... vielleicht ist's doch etwas, was nur Sie
+nicht bemerkt haben, weil Sie mich nicht kennen ...«</p>
+
+<p>»So, und Herr Flamberg, der ... der kennt Sie also besser, meine
+verehrte gnädige Frau?!«</p>
+
+<p>Wiederum eine eisige Stille. Regungslos stand der ganze Kreis.
+Jeder fühlte: der gute Major hatte da in aller Harmlosigkeit etwas
+ausgesprochen, etwas, das — —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span></p>
+
+<p>Der Oberst fühlte sich verpflichtet, einzurenken.</p>
+
+<p>»Na, das ist doch selbstverständlich, lieber Sassenbach, daß ein Maler
+an ... an den Menschen, die er malt ... daß er da allerlei entdeckt ...
+was ... was wir gewöhnlichen Sterblichen nicht zu sehen bekommen ...«</p>
+
+<p>Abermals befangenes Schweigen. Der Oberst bekam einen roten Kopf.</p>
+
+<p>Cäciliens Lippen bebten. Sie litt bis ins Herz.</p>
+
+<p>Gott, all diese plumpen Hände ... die höchste und zarteste Dinge
+berührten wie tappige Knabenpfoten holden Schmetterlingsschmelz ...</p>
+
+<p>Wenn nur er selber nicht dabei gewesen wäre ... sie war ihn ja gewohnt,
+diesen ungeschlachten Ton ... Diese geraden, einfachen Männer ... was
+sie zu verschleiern suchten, trat ungewollt zutage.</p>
+
+<p>Medisance, Bosheit, verständnislose Verketzerung hatten bereits
+ein dichtes, trübes Gespinst gewirkt um dies Werk ... um seine
+Entstehungsgeschichte ... sein Modell ... seinen Schöpfer ...</p>
+
+<p>Da scholl in das peinliche Schweigen hinein von draußen ein lustiges
+Krachen, Knattern, Prasseln.</p>
+
+<p>Frau Cäcilie atmete auf.</p>
+
+<p>Wie der Blitz waren die Adjutanten am Fenster.</p>
+
+<p>Eine Garbe roter Leuchtkugeln schwebte soeben ruhigen Falles aus der
+Höhe nieder und goß einen Märchenglast über das schmale, schweigende
+Tal, die heitern Linien des friedumschirmten Schlößchens ...</p>
+
+<p>»Hurra, Feuerwerk!« rief Blowitz.</p>
+
+<p>»Feuerwerk — bravo, bravo, bravissimo!« applaudierte der Oberst
+geräuschvoll. »Nein, meine gnädige Frau, so<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> etwas von einer Bewirtung
+ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! — Zauberfest mit allen
+Schikanen!«</p>
+
+<p>»Wollen wir nicht in den Garten?« meinte der Major, »für den ist doch
+jedenfalls der ganze Apparat berechnet — hier geht uns ja die Hälfte
+von der Herrlichkeit verloren!«</p>
+
+<p>»Selbstverständlich, meine Herren,« sagte die Hausfrau, »nur schnell
+hinunter — sonst ist alles vorbei, ehe wir am Platze sind!«</p>
+
+<p>Niemand nahm auch nur mit einem Blick Abschied von dem Bilde, das da
+droben hing wie ein Gast aus heiligen Fernen ...</p>
+
+<p>Mit kindlicher Eile stürmten die Herren hinunter, um nur ja nicht eine
+Rakete, nicht ein Feuerrad zu verlieren — oder war's die Hast, von dem
+Werk hinwegzukommen, das sie alle unheimlich, übergewaltig hatte ahnen
+lassen, daß ein Fremdling aus einer unbekannten, hoheitleuchtenden Welt
+in ihrer Mitte weilte, aus einer Welt, deren Lebensgesetze wirkten
+jenseits ihres Begreifens —? Und auch Frau Cäcilie war gegangen,
+hastig, ohne Abschied ...</p>
+
+<p>Langsam, als letzter, schritt der Maler die Treppenstufen hinunter ...</p>
+
+<p>Nun machte er plötzlich kehrt ... stieg langsam wieder empor ...</p>
+
+<p>Er wollte einsamen Abschied nehmen ... Abschied von seinem Werk ...
+Abschied von der Sphäre, der es nun angehören sollte wie sein Urbild
+... Abschied von der unerhofften süßschaurigen Schickung dieser acht
+Wochen ...</p>
+
+<p>Er trat in das Herrenzimmer zurück, warf einen langen Blick in dem Raum
+umher.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span></p>
+
+<p>Der Schwiegervater des Hauptmanns hatte das Schlößchen mit der ganzen
+Einrichtung gekauft. Das Zimmer trug noch nicht den Wesensstempel
+seines jetzigen Besitzers.</p>
+
+<p>Inmitten des behaglichen, doch konventionellen Prunks war Cäciliens
+Bild das einzige besondere Stück, verlieh dem ganzen Raum sein Gepräge,
+beherrschte ihn.</p>
+
+<p>Links von der Tür war eine Erkernische, dort ließ sich Martin in einen
+unergründlichen Ledersessel fallen. Sein ringsum forschendes Auge blieb
+an der Tür haften, die vorhin beim Eintreten offen gestanden ... die
+Frau Cäcilie ruhig geschlossen hatte ...</p>
+
+<p>Ja, ja — da war das Allerheiligste der Gottheit, in deren Vorhof er
+hatte weilen dürfen —</p>
+
+<p>Künstlerlos —</p>
+
+<p>Weg, weg, ihr Träume ... nieder, nieder, ihr heißen Dränge ... du
+wildanklagender Schrei unstillbaren Begehrens — nieder, nieder ...</p>
+
+<p>Es galt ja, Abschied zu nehmen ... Abschied für ewig ... Abschied auf
+Nimmerwiedersehn ...</p>
+
+<p>Und Martin hob den Blick.</p>
+
+<p>Ja — das da oben ... das würde fernen Geschlechtern erzählen von einer
+Schönheit, die wie ein unbegreifliches, undeutbares Märchen durch eine
+nüchterne, seelenlose Welt geschritten war ...</p>
+
+<p>Das würde bleiben von der Schickung dieser acht Wochen ... bleiben
+von den hundert bangen Stunden, der Wirrnis schlummerloser Nächte,
+dem lautlos grimmigen Ringen zweier Menschen um Fassung und
+Entsagungsstärke ...</p>
+
+<p>Das war »der Zweck der Übung« — hahaha!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span></p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>— — Einer aber hatte aufgepaßt.</p>
+
+<p>Aha, der Herr Malermeister bleibt also zurück, da im Zimmer des
+Hausherrn!</p>
+
+<p>Na ja, nun würde wohl alsbald auch die schöne Frau plötzlich
+verschwinden, wie sich die beiden andern Damen bereits verflüchtigt
+hatten — niedlich — sehr niedlich!</p>
+
+<p>So, schöne Frau, heute werden wir quitt, wir zwei! Ich paß dir auf ...
+du kommst mir nicht unbemerkt vom Fleck ... das Rendezvous da oben, das
+werd' ich dir versalzen ...!</p>
+
+<p>Mit der Hast einer Schar großer Kinder, unter Lachen und Witzen waren
+die Herren die Treppe hinuntergestürzt, die Stabsoffiziere voran,
+hatten mit Halloh wie ein Schwarm losgelassener wilder Buben den
+Speisesaal, die Veranda, den Garten durchtollt und standen nun an der
+Brüstungsmauer der Gartenbastion ...</p>
+
+<p>Ah! ah! aaah! —</p>
+
+<p>Auf dem dunkeln Wiesengrunde, jenseits der Chaussee, irrten ein paar
+suchende, zitternde Irrlichtflämmchen hin und her in der schwarzen
+Finsternis. Von Zeit zu Zeit machten sie Halt, tasteten noch ein
+Weilchen auf dem Fleck umher und — surr! schoß plötzlich eine schlanke
+Feuergarbe in die Höhe, zog einen langen, gelbrötlichen Funkenschweif
+hinter sich her, zerplatzte hoch droben zwischen dem Sternengewimmel
+des schmalen Himmelstreifs, der die schwarzen Mauern des Waldtals
+überwölbte, und ein Regen farbig strahlender Lichtballen sank herab ...
+die heitern Konturen des Schlößchens, die ruhig träumenden Buchenhänge,
+die rankenübersponnenen Laubenstakete, die erhitzten Wangen und
+blitzenden Augen der Gäste tauchten jählings in magisch buntem Glanz
+aus der Finsternis ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span></p>
+
+<p>Jede Rakete, die aufzischte, wurde mit stürmischem Jubel begrüßt, die
+schnurrenden Feuerräder, die zischenden und funkensprühenden Kaskaden
+mit tosendem Applaus ...</p>
+
+<p>Und inmitten der überschäumend lustigen, von Ruhetagsbehagen mehr noch,
+denn von Sekt und Bowle erregten Kriegsleute stand Cäcilie ... fremd
+... verwaist ... in einem grenzenlosen Gefühl hilfloser Einsamkeit ...</p>
+
+<p>Sie suchte den Blick des einen, dem sie sich wesenseins fühlte ... und
+fand ihn nicht ...</p>
+
+<p>Martin Flamberg war nicht unter der Schar der großen Kinder, die das
+sinnlose Zickzackspiel der Funkenlinien und Feuergarben da droben
+begeistert bejauchzten ...</p>
+
+<p>Wo war er ...?</p>
+
+<p>Unablässig beschäftigte dieser Gedanke die schöne Frau ... nicht ein
+einziges vertrauliches Wort hatte sie heut abend mit ihm sprechen
+können, nicht ein einziges! — Sie hatte sich vor ihres Mannes bang und
+schmerzlich beobachtenden Blicken gefürchtet ...</p>
+
+<p>Und auch Flamberg hatte ja nicht den leisesten Versuch gemacht, sich
+ihr zu nähern über die Schranken pflichtmäßiger Liebenswürdigkeit des
+geladenen Gastes hinaus ...</p>
+
+<p>Das Feuerwerk bedeutete den Schluß des Abends — das war ja klar.</p>
+
+<p>Noch eine halbe Stunde würden die Gäste beim Bier verweilen ... dann
+war's zu Ende ... dann würden die Herren aus dem Dorf sich in ihre
+Quartiere zurückbegeben; denn morgen stand ein heißer Tag in Aussicht:
+das ganze Armeekorps gegen den markierten Feind, morgen abend Biwak des
+ganzen Korps ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span></p>
+
+<p>Morgen abend im Biwak würden die Herren sehr ermüdet und
+schonungsbedürftig sein ... Fritz hatte sich den Besuch der Damen
+ausdrücklich verbeten ...</p>
+
+<p>Und übermorgen Manöverschluß, Entlassung der Reserveoffiziere auf dem
+Übungsfeld, Rückfahrt in die Heimat auf dem kürzesten Wege ...</p>
+
+<p>Also — es war wirklich zu Ende in einer halben Stunde ...
+unwiderruflich zu Ende ...</p>
+
+<p>Ihr grauste — — —</p>
+
+<p>Und ihre Freundinnen ... wo steckten die? — Seit einer halben Stunde
+verschwunden! — natürlich beim Flirt —!</p>
+
+<p>Glückliche Kinder, die noch wählen durften ... die noch eine Zukunft
+hatten ... noch hoffen konnten auf ein Leben zu zweien, in dem man
+zusammenwachsen würde zu immer tieferem Durchdringen ... immer
+innigerem Verstehen ...</p>
+
+<p>Cäcilie fror —</p>
+
+<p>Sie schauerte plötzlich zusammen, so heftig, daß der Oberst der neben
+ihr stand, sich überrascht zu ihr neigte.</p>
+
+<p>»Gnädige Frau, Sie sollten sich in acht nehmen — es ist nicht mehr
+Sommer! Sie sind zu leicht gekleidet! Es kommt verdammt kühl von den
+Bergen herunter!«</p>
+
+<p>Die Leutnants drängten sich heran, bereit, der Hausfrau eine wärmende
+Umhüllung zu holen.</p>
+
+<p>»Danke Ihnen tausendmal, meine Herren, Sie würden doch nicht finden,
+was ich brauche! — Übrigens muß ich mich ohnehin mal um die Damen
+bekümmern — ich weiß gar nicht, wo die eigentlich stecken! Verzeihen
+Sie einen Moment, meine Herren!«</p>
+
+<p>Gott sei Dank, daß sich ein Anlaß fand, einen Augenblick zu
+verschwinden! — Nur ein paar Minuten allein sein ...<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> nur rasch einmal
+die schmerzende Stirn, die brennenden Lider mit einem feuchten Tuch
+kühlen ... nur ein paar Minuten still im Dunkeln sitzen und die Augen
+schließen ... allein sein ... ganz allein ...</p>
+
+<p>Cäcilie schritt durch den Speisesaal, wo die drei dienstfreien Burschen
+leise mit den beiden Mädchen schwatzten, befahl, daß Bier herumgereicht
+werden solle, und stieg langsam, schleppenden Schritts, zum Oberstock
+empor.</p>
+
+<p>Es trieb sie, sich langhin aufs Bett zu werfen und den Kopf tief, tief
+in die Kissen hineinzuwühlen.</p>
+
+<p>Mit müdem Griff öffnete sie die Klinke zu ihres Mannes Zimmer und
+fuhr nervös zusammen, als statt der erwarteten Dunkelheit der volle
+Glanz des elektrischen Lüsters ihr entgegenströmte, der sie für einen
+Augenblick blendete.</p>
+
+<p>Natürlich hab' ich vergessen, das Licht auszudrehen vorhin, dachte sie
+und griff mechanisch nach dem Schalter rechts von der Tür —</p>
+
+<p>Auf einmal fuhr zur Linken aus der Tiefe des Klubsessels in der Nische
+die Gestalt eines Mannes empor ...</p>
+
+<p>Martin und Cäcilie standen einander gegenüber ...</p>
+
+<p>Starr standen sie beide ... beider Augen schlossen sich einen
+Augenblick lang ...</p>
+
+<p>»Noch hier — Herr Flamberg?« sagte Cäcilie matt und heiser.</p>
+
+<p>»Wie Sie sehn, gnädige Frau ...!«</p>
+
+<p>»Sie ... legen keinen Wert auf das Feuerwerk —?«</p>
+
+<p>Nur ein zuckendes Lächeln, eine entschuldigende Handbewegung brachte
+Martin zustande.</p>
+
+<p>»Und Sie, gnädige Frau —?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p>
+
+<p>»Ich ... ich wollte mich einen Augenblick ausruhn —!«</p>
+
+<p>»Ich gehe!«</p>
+
+<p>»Nein ... nicht ... ich hab' Sie heut ja noch gar nicht recht begrüßt
+... Sie sind mir ja ... förmlich ausgewichen ...«</p>
+
+<p>»Sie mir nicht, gnädige Frau —?«</p>
+
+<p>Cäcilie senkte die Augen und schwieg.</p>
+
+<p>Durch die halbe Zimmerbreite getrennt, standen die beiden Menschen
+regungslos ...</p>
+
+<p>Das Knattern des Feuerwerks draußen schwieg ... magisch leuchtete das
+ruhige Licht bengalischer Flammen auf in den Gartenbosketts und zeigte
+das Ende des bunten Schauspiels an.</p>
+
+<p>In unverwelklicher Glorie thronte droben Martin Flambergs Bild ...
+unergründlich tief und ruhevoll schauten die Augen des gemalten Weibes
+da droben hernieder auf die zitternde Hand, die schweratmende Brust
+seines lebenden Urbilds drunten, auf die zusammengepreßten Lippen, die
+straff angespannte Gestalt seines Schöpfers ...</p>
+
+<p>»Leben Sie wohl, Martin Flamberg —« flüsterte Cäcilie.</p>
+
+<p>Tief gesenkten Hauptes wandte sie sich zur Tür des Ehegemachs.</p>
+
+<p>»Cäcilie —!« schrie Martin auf.</p>
+
+<p>Da zuckte sie jäh zusammen ... stand mit hängenden Armen abgewandt
+einen Augenblick ...</p>
+
+<p>Dann kam der Sturm, warf ihre Leiber zusammen, stieß ihre Lippen
+zusammen ...</p>
+
+<p>Und wie sie sich küßten, da hatte jedes von ihnen die Vision eines
+bleichen, todesstarren Menschenangesichts.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span></p>
+
+<p>Cäcilie sah Fritz, wie sie ihn gesehen hatte im Traum der vorletzten
+Nacht, im Manöveranzug, die Linke auf die Brust gepreßt, ein zähes Naß
+rieselnd zwischen den braunbehandschuhten Fingern hindurch ...</p>
+
+<p>Und Martin war's, als hielte er Agathe im Arm wie beim letzten
+Wiedersehn daheim, als sie sich leise stöhnend an seine Brust geworfen
+hatte ... jetzt aber erstarrte, erkaltete sie an seinem Herzen ...
+schwand hin ... sank in sich zusammen ... eine jählings welkende
+bleiche Rose ...</p>
+
+<p>Mit einem wilden Schluchzen befreite sich Cäcilie aus Martins Arm.</p>
+
+<p>»Leb wohl, Martin ... leb wohl —«</p>
+
+<p>Sie hastete zur Tür, ihre Röcke raschelten ... aus dem Dunkel des
+Nebenzimmers blinkten die gelben Messingstangen und der weiße
+Spitzenhimmel ...</p>
+
+<p>Die Tür fiel ins Schloß.</p>
+
+<p>Und Martin strich mit dem Handrücken über die Stirn ... kalte Tropfen
+standen darauf ...</p>
+
+<p>Dann wandte er sich bewußtlos der Korridortür zu ... seine Schritte
+wurden Flucht ... er riß die Tür auf und prallte im Rahmen mit Fritz
+von Brandeis zusammen.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Aha — grinste Oberleutnant Menshausen in sich hinein, als die
+Gastgeberin sich plötzlich aus der Schar der Zuschauer des Feuerwerks
+zurückzog — aha, also wirklich!</p>
+
+<p>Er gönnte ihr einen kleinen Vorsprung, zog sich dann gleichfalls
+langsam aus der Gruppe heraus, die am Rande der Gartenbastion stand,
+und schob sich am Saum der Bosketts entlang hinter Frau Cäcilie her ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span></p>
+
+<p>Er stockte, als in diesem Augenblick von der Treppe her, die aus dem
+Schloßgarten zu den dunkeln Gehegen des Parks hinanführte, ein Paar
+herniederstieg ...</p>
+
+<p>Schau, schau ... der Landwehrfritze — und das ältere Majorsmädel —
+und — — zog sich nicht in diesem Augenblick langsam ihr Arm aus dem
+seinen ...? Sah sie nicht empor zu ihm mit einem Blick, ordentlich
+butterweich?</p>
+
+<p>Und sieh — aus der Tür, die zum Seitenflügel führte, schlich sich da
+zu gleicher Zeit das jüngere Fräulein heraus und gesellte sich ganz
+harmlos zu den Zuschauern des Feuerwerks — woher kam denn die —?! Na,
+selbstverständlich auch von einem Rendezvous! —</p>
+
+<p>War denn das ganze Schloß des Teufels —?!</p>
+
+<p>Keine Zeit, weiter zu beobachten ... er durfte die Fährte nicht
+verlieren ... er trat in die Veranda, ging zu dem Tisch, auf dem
+Zigarren und Zigaretten aufgestapelt waren, zündete auch wirklich ein
+Papyros an ... beobachtete, wie Frau Cäcilie drinnen Befehle erteilte
+...</p>
+
+<p>Im Augenblick, als sie auf die Diele hinaustrat, schlenderte er
+harmlos, nachlässigen Ganges durch den Speisesaal, gab seinem Burschen,
+der eben mit einem Brett voll Biergläser aus der Küche kam, einen
+Auftrag wegen des Sattelns für andern Morgen ... und folgte der
+Hausfrau ...</p>
+
+<p>Er hörte ihre müden, unsichern Schritte sich die Treppe hinaufschleppen
+... horchte, wie sie eine Tür öffnete und schloß ... und wollte eben
+hinterhersteigen, als plötzlich mit hastigen Schritten der Leutnant
+Quincke aus dem Küchenflur schoß. Er erblickte den Kameraden und
+stürzte auf ihn zu:</p>
+
+<p>»Menshausen, Sie müssen mir einen Rat geben —!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span></p>
+
+<p>»Gern — nachher! Erst müssen Sie mich einen Augenblick entschuldigen
+... ich muß schleunigst auf mein Zimmer ... der Oberst, wissen Sie ...
+ich soll ... ich soll die Brigadebefehle für morgen früh holen ... bin
+im Moment wieder da!«</p>
+
+<p>»Aber so hören Sie doch nur eine Sekunde — ich hab' eben einen
+schauderhaften Auftritt mit der kleinen Molly Sassenbach gehabt! —
+Bitte, sagen Sie mir doch bloß, wie ich mich verhalten soll ... Sie
+haben mich doch in diese Schweinerei hineingebracht, haben mir doch den
+Auftrag gegeben, die Damen ein wenig zu beobachten ...!«</p>
+
+<p>Teufel — dachte Menshausen ... sollte der dämliche Geselle eine
+Taperei gemacht haben und nun die Verantwortung auf mich selber
+abwälzen wollen —?!</p>
+
+<p>»Na — so erzählen Sie schon schnell!«</p>
+
+<p>Quincke berichtete.</p>
+
+<p>Menshausen platzte hell heraus: »Sie sind eine Kraft, Quincke —
+allerhand Hochachtung! Sie verdienen, Obereunuch beim Padischah zu
+werden! — Ich hatte Sie gebeten, ein wenig zu beobachten — und Sie
+platzen dazwischen, ehe überhaupt was passiert ist! Na, weiter kein
+Unglück —!«</p>
+
+<p>»Aber die Kleine hat mich tödlich beleidigt! Ich werde mich bei ihrem
+Vater beschweren!«</p>
+
+<p>»Sie sind komplett wahnsinnig, Herr! — Danken Sie Ihrem Schöpfer, wenn
+die Kleine nicht anfängt! — Sich beschweren — hahaha! Das Gesicht von
+Sassenbach!! Ne, mein Lieber, die kleine Gardinenpredigt, die stecken
+Sie man ruhig ein! Die haben Sie rechts und links 'rum verdient! —
+Und nun lassen Sie mich nach oben! — — Donnerwetter, da ist der
+Hauptmann!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span></p>
+
+<p>Munter summend kam Herr von Brandeis aus dem Küchenkorridor: »Na meine
+Herren, wie hat Ihnen das Feuerwerk gefallen? — pompöse Sache, was?«</p>
+
+<p>»Glänzend, Herr Hauptmann — ganz pyramidal!«</p>
+
+<p>»So — und Sie stehn hier auf der Diele 'rum und machen offizielle
+Gesichter? — Marsch in den Garten — jetzt gibt's Münchener! —
+Übrigens — weiß einer von Ihnen, wo meine Frau steckt?«</p>
+
+<p>So, schöne Frau —! Jetzt kommt die Rache des Negers!</p>
+
+<p>»Die gnädige Frau ist soeben die Treppe hinaufgegangen — ich glaube,
+sie äußerte, sie wolle sich etwas wärmer anziehn!«</p>
+
+<p>»Oho — wärmer anziehn? — werde mal nach ihr schauen!«</p>
+
+<p>Der Hauptmann schritt die Treppe hinauf. Mit angehaltenem Atem lauschte
+Menshausen.</p>
+
+<p>Jetzt also platzte droben die Bombe ...!</p>
+
+<p>»Was horchen Sie denn so gespannt?« flüsterte Quincke.</p>
+
+<p>»Halten Sie den Mund!«</p>
+
+<p>In dem Augenblick, als der Hauptmann die Tür öffnete, war's, als würde
+diese von drinnen aufgerissen ...</p>
+
+<p>Ein Ton klang ... ein dumpfer Naturlaut, wie ein Knurren der
+Überraschung und des Schreckens ...</p>
+
+<p>Dann hörten die Lauscher, wie der Hauptmann eintrat. Die Tür fiel ins
+Schloß. Nichts weiter vernehmbar.</p>
+
+<p>Menshausen fühlte, wie seine Hände flogen vor Erregung ... in dieser
+Sekunde überfiel ihn auf einmal eine jähe Scham ... ein angstvolles
+Grausen ...</p>
+
+<p>Herrgott — was geschah jetzt da droben —? Morgen früh würde Blut
+fließen!</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span></p>
+
+<p>Und er — er hatte die Sache zum Klappen gebracht.</p>
+
+<p>Pah — was ging's ihn schließlich an? Einmal wäre der Krach ja doch
+gekommen!</p>
+
+<p>Aber ekelhaft war's doch, zu wissen, daß man selber — —</p>
+
+<p>Äh ... nichts mehr zu machen!</p>
+
+<p>Vielleicht war ja überhaupt gar nichts passiert? Und die drei saßen da
+oben ganz friedlich und vergnügt zusammen —!</p>
+
+<p>Horch — da ging die Tür wieder auf ... Schritte kamen die Treppe
+herunter ... hastige Schritte — Flamberg — —</p>
+
+<p>Gesenkten Hauptes, unsichern Ganges tappte der Maler die Stiege hinab,
+ohne die beiden Herren zu bemerken, die sich unwillkürlich jeder
+in einen Stuhl fallen lassen und Stellungen harmloser Zwiesprache
+angenommen hatten.</p>
+
+<p>Er schritt geradeswegs in den Garderobenraum, der vorn neben der
+Eingangspforte lag ... kam gleich darauf wieder heraus ... den Helm
+schief auf den Kopf gestülpt ... im Begriff, den Säbel umzugürten ...
+Kaum konnten die fliegenden Finger die Zunge des Koppelriemens in die
+Schnalle bringen ...</p>
+
+<p>Aufschauend bemerkte er die beiden Herren.</p>
+
+<p>Er zwang sein tief erblaßtes, finster verzerrtes Gesicht zu einem
+verbindlichen Lächeln: »Nun, Quincke, gehn Sie noch nicht mit ins Dorf
+hinunter? — Wir müssen uns morgen um drei wecken lassen, außerdem
+fünfundvierzig Kilometer in Aussicht!«</p>
+
+<p>»Haben Sie sich denn schon von den Stäben verabschiedet?«</p>
+
+<p>»Ne ... ich bin müde, drücke mich französisch! ... Na, woll'n Sie mit
+...? Der Weg ist verdammt dunkel!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span></p>
+
+<p>»Ich habe Blowitz versprechen müssen, auf ihn zu warten —!«</p>
+
+<p>»So —? Na, dann muß ich also in Gottes Namen allein —! Guten Abend,
+meine Herren! — Wohl bekomm's!«</p>
+
+<p>Säbelrasselnd, beherrschten Ganges schritt er von dannen.</p>
+
+<p>»Donnerwetter! — sah der aus!« sagte Quincke, »was ist dem denn
+passiert?!«</p>
+
+<p>»Was soll ihm passiert sein?« grinste Menshausen. »Kommen Sie —
+ich hab' einen scheußlichen Brand in der Kehle von dem verdammten
+süßen Zeug, der Pfirsichbowle! Ein Schoppen Münchener wäre nicht zu
+verachten!«</p>
+
+<p>Als die Herren durch den Speisesaal schlenderten, kam mit raschen,
+festen Schritten der Hausherr hinter ihnen her: »Na, jungen Leute, wie
+schaut's draußen aus? — Hat alles zu trinken?!«</p>
+
+<p>Ein rauher, rostiger, geborstener Klang in seiner Stimme ...</p>
+
+<p>Menshausen wagte nicht, ihn anzuschauen ...</p>
+
+<p>Eine fressende Scham, ein Ekel vor sich selber würgte ihm in der
+Kehle ... Zweifellos — morgen ... morgen ... morgen floß Blut ...
+irgendwo ... im Wald ... ein paar hundert Schritt vom Biwak des ganzen
+rheinischen Armeekorps. Blut ... Menschenblut ... Kameradenblut ...</p>
+
+<p>Und er ... pfui Deubel ... pfui Deubel ... Er hätte ausspucken mögen
+vor sich selber.</p>
+
+<p>In zechenden, plaudernden Gruppen standen die Gäste draußen im Garten
+beisammen ...</p>
+
+<p>Als der Hausherr auftauchte, empfing ihn ein rasender Beifallssturm.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span></p>
+
+<p>Der Oberst rief: »Meine Herrschaften — unser ritterlicher, glänzender
+Gastgeber — hurra, hurra, hurra — —!«</p>
+
+<p>Schmetternd widerhallte der Ruf an den Felswänden ... rollte weithin
+das dunkel träumende Waldtal entlang ...</p>
+
+<p>»Aber — wo ist die Königin unseres Festes, unsere schöne verehrte
+Hausfrau?!«</p>
+
+<p>»Meine Frau ist leider nicht ganz wohl,« sagte Brandeis im Ton ruhigen
+Bedauerns, »sie hat sich gelegt und bittet die Herrschaften, sie
+entschuldigen zu wollen! — Übrigens hat es nicht das Geringste zu
+sagen ...«</p>
+
+<p>Allgemeines höfliches Beileid.</p>
+
+<p>Die Mädchen drängten sich an den Hauptmann heran: »Dürfen wir nicht mal
+zu ihr hinauf?!«</p>
+
+<p>»Sehr liebenswürdig, meine Damen! Haben Sie schönsten Dank! — Aber
+es ist wohl besser, man läßt sie ganz in Ruhe! Es hat wirklich gar
+nichts zu sagen ... nur ein bißchen Übermüdung! — Bitte, bitte, meine
+Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht stören!«</p>
+
+<p>»Aber nein, lieber Brandeis, die Herren von drunten waren ohnehin im
+Begriff, aufzubrechen! — Übrigens wird's auch allmählich höchste Zeit
+... elf Uhr vorbei — heiliges Kanonenrohr!«</p>
+
+<p>»Gewiß,« bestätigte der Major, »wir haben mehr Pfirsichbowle
+<em class="antiqua">intus</em>, als wir vor Gott und Seiner Exzellenz dem Herrn
+Korpskommandeur verantworten können! — Wenn das noch eine halbe Stunde
+so weiter geht, brechen wir uns auf dem Heimweg Hals und Beine!«</p>
+
+<p>»Ich gebe den Herren selbstverständlich einen Burschen mit einer
+Laterne mit! — Aber bitte wirklich dringend, meine Herren — setzen
+wir uns wieder zu Biere! — Meine<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> Frau würde untröstlich sein, wenn
+sie wüßte, die Herren ließen sich nicht halten ...«</p>
+
+<p>Gott sei Dank ... sie gingen ... die von drunten ...!</p>
+
+<p>»Aber wenigstens die Schloßbesatzung wird doch noch ein wenig beisammen
+bleiben —! Das verlange ich einfach, Herr Oberst!«</p>
+
+<p>»Lieber Brandeis, Ihr Wunsch ist mir heute Befehl — aber jetzt wird's
+wirklich Zeit für uns alle! — Also — gute Nacht, mein Verehrtester
+...! es war einfach feenhaft ... direkt chimborassomäßig war's ...
+verstehn Sie mich ...? Aber nun Schluß! — Und meine Herren Adjutanten
+werden sich auch schlafen legen, sonst werden morgen meine sämtlichen
+Befehle falsch ausgerichtet!«</p>
+
+<p>Gott sei Dank ... nun wurde Ruhe ... nun konnte man denken ...
+Entschlüsse fassen ... die unvermeidlichen Entschlüsse ...</p>
+
+<p>Leise ... ganz leise klinkte Fritz von Brandeis die Tür zum
+Schlafzimmer auf ... lauschte angespannt in das dunkle Gemach hinein
+... lauschte auf Cäciliens Atemzüge ...</p>
+
+<p>Vielleicht schlief sie wirklich ... vielleicht hatte es sie übermannt
+... es wäre das Beste gewesen ... er fühlte sich so todesmatt ... so
+widerstandsunfähig ...</p>
+
+<p>Jetzt nicht mehr fragen ... jetzt nicht mehr Antwort hören ... und
+wägen müssen ...!</p>
+
+<p>Gott, wenn sie doch schliefe! — Dann würde er sich in seinem Zimmer
+auf das kühle Bismarcksofa werfen ... sich in eine Decke wickeln ...
+und schlafen ... schlafen ... schlafen ...</p>
+
+<p>Wozu noch lange fragen?! — Was er wissen mußte, wußte er ja doch ...
+Er wußte, daß Raub verübt worden<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> war an seinem Allerheiligsten ...
+wußte, daß er morgen Rechenschaft fordern würde für diesen Raub ...
+morgen, wenn es Tag war ... blutige Rechenschaft ... Rechenschaft
+fordern mit Einsetzung seines eigenen Lebens ... Und vielleicht war's
+am besten für ihn, wenn's ihn dann traf ... Sein Leben war ja doch
+besudelt ... verspielt ... verloren ...</p>
+
+<p>Kein Laut war vernehmbar ... nicht der leiseste Laut ...</p>
+
+<p>Herrgott — plötzlich — ein Gedanke — — Nein ... das nicht ... das
+um Himmels willen nicht ...!!</p>
+
+<p>Mit raschen, leisen Schritten trat Brandeis zu seinem Nachttischchen,
+drehte die Birne des rotumschirmten Stehlämpchens auf ...</p>
+
+<p>Da richtete sich vom Nachbarbette die Gestalt seines Weibes halbleibs
+empor. Noch völlig bekleidet, hatte sich Cäcilie auf die Überdecke
+gelegt. Glasig stierten ihre Augen .. wirr hingen die rostfarbenen
+Strähnen um ihr blasses Gesicht ... das stand im roten Licht irr und
+verzerrt ...</p>
+
+<p>Fritz stand regungslos ... ein trockenes, kurzes Schluchzen
+durchrüttelte seine aufrechte Gestalt ...</p>
+
+<p>»Willst du dich nicht auskleiden ... und dich ordentlich hinlegen,
+Cäcilie ...? Ich lege mich nebenan aufs Sofa ...« Wie eine gütige,
+sorgsame Bitte hatte das geklungen.</p>
+
+<p>»Fritz ... was ... was willst du tun —?!«</p>
+
+<p>»Darüber ... hat der Ehrenrat ... zu entscheiden ...«</p>
+
+<p>»Du hast — dem Major schon Meldung gemacht —?«</p>
+
+<p>»Ich tu's morgen früh!«</p>
+
+<p>Cäcilie schlug die Hände vors Gesicht. Der einzige Kuß ... der
+Abschiedskuß ... nein, das war ja doch nicht möglich ... das durfte ja
+doch nicht sein ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span></p>
+
+<p>»Mach dir keine Sorge, Cäcilie ... ich ... schieß ihn dir nicht tot ...
+ich ... schieß ihn ... dir ... nicht tot ...«</p>
+
+<p>Da fielen Cäciliens Hände mit einem Ruck in ihren Schoß ... die starren
+Augen ruhten auf dem Antlitz des Gatten mit einem langen, seltsam
+prüfenden, suchenden Blick ... Ein Staunen glomm in diesem Blick auf
+... ein großes Sichwundern ...</p>
+
+<p>Plötzlich ein zages Pochen an der Tür. Fritz fuhr zusammen: »Was gibt's
+—?«</p>
+
+<p>»Verzeihen Herr Hauptmann, wenn ich störe!«</p>
+
+<p>»Was haben Sie denn, Fräulein?«</p>
+
+<p>»Der Bursche vom Herrn Major ist draußen mit einem dringlichen Befehl
+— von der Brigade, sagt er!«</p>
+
+<p>»Ich komme —!«</p>
+
+<p>Das Fräulein stand draußen mit einem Meldekartenbriefumschlag: »An
+Hauptmann von Brandeis.«</p>
+
+<p>Mit Bleistift von der Hand des Majors gekritzelt, drei Kreuze dabei.
+Sehr dringlich also. Der Hauptmann riß den Umschlag auf:</p><br>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p class="center">»Bataillonsbefehl!</p>
+
+
+<p>Auf Befehl der Brigade: Hauptmann von Brandeis meldet sich morgen
+früh 4,30 beim Herrn Brigadekommandeur als Adjutant für den Rest der
+Herbstübungen an Stelle des durch Sturz mit dem Pferde heute morgen zu
+Tode gekommenen Hauptmanns Goettig. Die erste Kompagnie führt Leutnant
+der Reserve Flamberg.</p>
+<p class="mright5">v. Sassenbach.«</p><br>
+
+</div>
+
+<p>Ruhig zog Brandeis die Uhr, notierte die Zeit des Eingangs, elf Uhr
+fünfundvierzig, auf den Umschlag der<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> Meldekarte und gab die Hülle
+zurück: »Das bekommt der Bursche! — Wilhelm soll mich bereits um halb
+drei wecken! Frühstück um drei! — Gute Nacht, Fräulein!«</p>
+
+<p>»Gute Nacht, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p>Einen Augenblick stand Fritz von Brandeis in tiefem Sinnen.</p>
+
+<p>Hauptmann Goettig durch Sturz mit dem Pferde zu Tode gekommen ...
+schauerlich ... Eine glänzende Laufbahn jählings mitten durchgerissen
+... eine Frau und vier Kinder des Ernährers, des Beschützers beraubt ...</p>
+
+<p>Und er also der präsumtive Nachfolger ... mutmaßlich für die Dauer ...
+Also Brigadeadjutant <em class="antiqua">in spe</em> ... das bedeutete —</p>
+
+<p>Pah — ein bitteres Lächeln spielte um des Hauptmanns Lippen. Morgen
+... spätestens übermorgen stand er mit der Waffe in der Hand dem Manne
+gegenüber, der seines Weibes Mund geküßt ... ihm seines Weibes Herz
+entrissen ...</p>
+
+<p>Auf den Trümmern eines solchen Glücks baut man keine — — Karriere auf
+...</p>
+
+<p>Der andere ... der war der Sieger ... war der Stärkere ... wenn einer
+von ihnen bleiben sollte ... dann mußte natürlich er selber es sein ...
+er, der meritenlose Soldat ... der unbedeutende Mann seiner reichen
+Frau, die nun auch ihr Herz von ihm gewandt hatte ... ihr Schicksal von
+dem seinen trennte ...</p>
+
+<p>Für einen solchen Adjutanten würde der General sich bedanken — wenn er
+überhaupt noch in die Lage kam ...!</p>
+
+<p>Schwerfällig ging der Hauptmann zum Schlafzimmer zurück, steckte den
+Kopf zur Tür hinein: »Gute Nacht, Cäcilie!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span></p>
+
+<p>»Was war's ... was hat's gegeben?« stammelte die Stimme seines Weibes
+aus der rötlichen Dämmerung.</p>
+
+<p>»Nichts von Bedeutung ... bin für morgen abkommandiert, muß eine halbe
+Stunde früher fort ... Gute Nacht!«</p>
+
+<p>Er schloß die Tür, wandte sich ab, hakte mechanisch den Kragen seines
+Waffenrocks auf.</p>
+
+<p>Auf einmal klang's hinter ihm: »Fritz ...«</p>
+
+<p>Brandeis fuhr herum ...</p>
+
+<p>Cäcilie stand an der Tür. »Fritz ... warum kommst du denn nicht zu mir
+hinein ... Fritz —?«</p>
+
+<p>»Ich ... schlaf auf dem Sofa ... hier draußen ... oder ist es dir
+lieber, wenn ich schon heut abend ... fortgeh —? hier ... das alles
+... gehört ja dir ...«</p>
+
+<p>»Fritz! nein — nein ... alles ist dein — dein ganz allein ... ich
+auch, Fritz — ich auch —!!«</p>
+<hr class="chap x-ebookmaker-drop">
+
+<div class="chapter">
+<p><span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span></p>
+
+<h3>Fünftes Kapitel.</h3>
+</div>
+
+<p>Das rheinische Armeekorps biwakierte gegen den markierten Feind.</p>
+
+<p>Der Spätsommerabend überdeckte mit sammetnen Fittichen das gewaltige
+Bergplateau des Hunsrücks zwischen Idarwald und Hochwald.</p>
+
+<p>Und in die Nacht hinein in endloser Reihe loderten die Lagerfeuer
+weithin über die endlose Ebene. Überall feierten die Mannschaften das
+lustige Fest des Löffelbegrabens:</p>
+
+<p>Die Leute des zweiten Jahrgangs, die unmittelbar nach Manöverschluß
+in die Heimat entlassen werden würden, schmückten, Kompagnie für
+Kompagnie, einen mächtigen Baum mit Strohschleifen, und ein jeder
+hängte vom Inhalt seines Tornisters hinein, was nun ausgedient
+hatte, seinen Eßlöffel, seine abgewetzte Stiefelbürste, Putzlappen,
+Knopfgabeln ...</p>
+
+<p>Die wunderliche Trophäe wurde unter derben Soldatenspäßen und
+unablässigem Absingen des Reserveliedes durch das Lager getragen und
+schließlich mit Hallo und Kinderjubel in die Glut des Biwakfeuers
+versenkt.</p>
+
+<p>Heimatstimmung ... Heimkehrseligkeit überall ...</p>
+
+<p>Heimkehrseligkeit —?!</p>
+
+<p>Leutnant Flamberg saß mit Carstanjen und dem Fahnenjunker vorm
+Offizierszelt der ersten Kompagnie.</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span></p>
+
+<p>Ihren Kapitän hatte die Königliche Erste heut nur von weitem zu Gesicht
+bekommen, wenn die kleine Kavalkade vorübersprengte, über welcher die
+diagonal geteilte schwarz-weiß-rote Standarte der Brigade flatterte.</p>
+
+<p>Und Martin Flamberg hatte den ganzen Tag darauf geharrt, daß Major von
+Sassenbach, der Vorsitzende des Ehrenrats, ihn zitieren würde ...</p>
+
+<p>Dabei trug er einen Brief in der Brusttasche seines Dienstrocks, einen
+Brief vom Samstag, der nur das eine Wort erhielt:</p>
+
+<p>»<em class="gesperrt">Über-über-übermorgen</em> —!!!!!«</p>
+
+<p>Gott im Himmel! ... dort in der Ferne harrte seiner die sehnende Braut
+... und er ... er wartete auf den Befehl, sich zu verantworten, weil er
+das Weib eines andern berührt ...</p>
+
+<p>Wohl war es ein Abschiedskuß gewesen ... aber er würde mit seinem Leben
+dafür einzustehen haben ...</p>
+
+<p>Das hatte an seinen Nerven gerissen den ganzen Tag ... hatte wie
+mit Keulen immerfort auf seinen Schädel eingedroschen, bis er ganz
+stumpfsinnig und apathisch geworden war ...</p>
+
+<p>Nur der Soldat in ihm, der hatte funktioniert ... mechanisch ...
+unfehlbar sicher ...</p>
+
+<p>Obwohl er zu Fuß war, hatte er seine Kompagnie ganz anständig durch die
+Wechselfälle des heißen Marsch-, Gefechts- und Biwaktages geführt. Und
+Major von Sassenbach hatte ihm mehrfach aufmunternd zugenickt: »Ich
+werde Ihnen eine ganz passable Konduite schreiben können, Flamberg —!«</p>
+
+<p>Was hatte der Major nur heute? — Er war den ganzen Tag so merkwürdig
+vergnügt —?</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span></p>
+
+<p>Durch Martins Herz aber zog immerfort das Erinnern jener wenigen
+furchtbaren Sekunden, in denen er dem Manne gegenübergestanden, dem er
+das tiefste Leid seines Lebens zugefügt:</p>
+
+<p>»Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Hauptmann ...!«</p>
+
+<p>»Sie werden morgen von mir hören!«</p>
+
+<p>Keine laute Szene — kein wildes Wort der Wut — des Grimms.</p>
+
+<p>Ein paar eisig korrekte, formelhafte Wendungen — und doch in jeder
+Silbe der unsühnbare Haß — die Feindschaft bis aufs Messer — der
+Racheschrei — die Todesdrohung!</p>
+
+<p>Und heute — rätselhaftes Schweigen. — —</p>
+
+<p>Gott — der Grund war leicht einzusehen: der Hauptmann war zur Brigade
+kommandiert — der Dienst ging allem andern vor — es hatte an jeder
+Gelegenheit gefehlt, die Meldung an den Ehrenrat zu erstatten.</p>
+
+<p>Aber diese Situation war gräßlich — sie erstickte die Kraft des
+Widerstandes — machte stumpfsinnig und wehrlos.</p>
+
+<p>Der Gedanke an Cäcilie war wie das Erinnern eines fernen, schaurig
+holdseligen Traumes.</p>
+
+<p>Der Gedanke an Agathe folterte das Herz noch tiefer mit schmählicher
+Scham.</p>
+
+<p>Und aus dem innersten Herzensschacht kroch die Reue herauf — die Reue
+um unwiderbringlich Verlorenes — um ein ganzes, großes, herrliches
+Leben des Schaffens, des Genießens — um ein Leben voll Liebe und
+Schönheit — voll freudigen Gebens und dankbaren Nehmens.</p>
+
+<p>Alles war hingeworfen — vergeudet um eines Augenblicks haltloser
+Leidenschaft willen.</p>
+
+<p>Reue — Reue —</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span></p>
+
+<p>Und eines nur hatte Bestand im gestaltlos wogenden Getriebe der
+anklagenden, schamvoll zerrissenen Empfindung.</p>
+
+<p>Dies eine Wissen: daß man einstehen werde für das eigene Tun —
+regungslos — eisernen Herzens — ohne Wimperzucken — bis ans Ende —
+bis ans Ende.</p>
+
+<p>Mannesehre ... Soldatenehre ... Offiziersehre — wahrhaftig, doch kein
+leerer Wahn das alles — —!</p>
+
+<p>Wenn es eine Sühne gab auf Erden, dann war es die: klaglos die
+Stirne, die Brust hinhalten der rächenden Kugel ... stumm und stolz
+zusammensinken ... hinabtauchen in den läuternden Tod ...</p>
+
+<p>So sann Martin Flamberg. Und neben ihm in behaglichem
+Verdauungsschweigen hockten mit übergeschlagenen Beinen auf ihren
+Kisten die beiden blutjungen Knaben, der Leutnant, der Fahnenjunker ...
+unkund der Schrecknisse des Lebens, der Leidenschaft ...</p>
+
+<p>Und ringsum jubelte die Heimatsehnsucht von zehntausend jungen
+Gesellen, die nach zwei Jahren in Königs Rock übermorgen in trunkener
+Wiederkehrwonne nach Hause flattern würden.</p>
+
+<p>Nach zwei Jahren, die ihnen mehr, weit mehr gewesen waren, als sie heut
+ahnen konnten, als ihnen vielleicht jemals zum Bewußtsein kommen würde
+...</p>
+
+<p>Zwei Jahre, in denen sie Soldaten gewesen waren ... in denen ihr Leben
+seiner Vereinzelung, seiner Kleinlichkeit und Alltäglichkeit entrissen
+worden war und eingegliedert in die großen Verhältnisse, das mächtige
+Leben der Gesamtheit ... der Nation ... des Volkes ...</p>
+
+<p>Zwei Jahre, in denen sie aus Gelsenkirchenern und Rheydtern, aus
+Erkelenzern und Neuwiedern zu Preußen ...<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> aus Maurertagelöhnern
+und Bandwirkern, aus Feilenhauern und Ackerknechten zu wehrhaften,
+waffengeübten Soldaten geworden waren ...</p>
+
+<p>Ach ja, wohl war's manchmal scharf hergegangen in den zwei Jahren —
+aber das alles war ja nun überstanden ...</p>
+
+<p>Was bleiben würde ... was sie mit nach Hause nahmen ... war's zu
+verlangen, daß sie das heute schon begriffen — vielleicht überhaupt je
+begreifen lernten?!</p>
+
+<p>Doch würde mancher vielleicht nach Jahren aus dem täglichen öden
+Einerlei der Berufsarbeit, aus der Enge beschränkter, kinderreicher
+Häuslichkeit mit Dankbarkeit und Sehnsucht zurückdenken an die zwei
+Jahre in Luft und Sonne, in Waffenglanz und munterm Kampfspiel »auf
+grüner Heid — im freien Feld«!</p>
+
+<p>Heut freilich — heut hatten sie alle nur den einen Gedanken:
+übermorgen geht's zu Muttern!</p>
+
+<p>Und unablässig, immer von neuem klangen übers weite Feld die Weisen der
+Reservelieder:</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">Nun scheiden wir aus eurem Kreise</div>
+ <div class="verse indent0">und ziehen aus den bunten Rock!</div>
+ <div class="verse indent0">Wir treten an die Heimatreise</div>
+ <div class="verse indent0">mit einem Reservistenstock.</div>
+ </div>
+ <div class="verse indent0">Geschlossen geht es aus dem Tore</div>
+ <div class="verse indent0">zum letzten Mal vergnügt hinaus.</div>
+ <div class="verse indent0">Die Mütze sitzt auf einem Ohre,</div>
+ <div class="verse indent0">und keine Waffe schmückt uns aus!</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>»Herrgott von Bentheim!« fluchte Leutnant Carstanjen, »dieses verdammte
+Reservistengegröhle wächst einem, weiß der Himmel, zum Halse heraus!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span></p>
+
+<p>Flamberg lächelte: »Das wird Sie wohl Ihr ganzes militärisches
+Leben hindurch begleiten, lieber Freund! Und wenn Sie sich einmal
+die Mühe geben wollen, sich in die Gefühle der Burschen, die da
+singen, hineinzuversetzen, dann wird's Ihnen seltsam wohl und weh
+dabei werden — dann werden Sie anfangen, die Würde des hohen und
+herrlichen Berufs, den Sie haben, ein wenig tiefer zu begreifen! —
+Was da singt und jubelt, das ist das Heimatverlangen der deutschen
+Jugend, die euch anvertraut ist zur Erziehung in Waffenkunde und
+Mannhaftigkeit. — Die Gefühle, mit denen diese Leute das Reservelied
+singen, sind die Gradmesser für eure Berufstüchtigkeit — wenn sich
+in diese Heimkehrseligkeit nicht auch ein unverstandenes Gefühl von
+Abschiedswehmut mischt, wenn diese Leute nicht in spätern Jahren mit
+leuchtenden Augen und geheimem Erinnerungsschmerz am Stammtisch, im
+Familienkreise, in der Schar ihrer Kinder von der Zeit erzählen, da sie
+den bunten Rock trugen — von Ihnen erzählen, kleiner Carstanjen —
+ihrem muntern, liebenswürdigen kleinen Zugführer, dem es zwar zuweilen
+auf eine Handvoll Schweinehunde und Kamelsnasen nicht ankam ... der
+aber doch im Grunde seines Herzens ein todguter, lebensfreudiger und
+grundehrenwerter Junge war, der in seinen Rekruten und alten Kerlen
+etwas mehr sah als bloß die Objekte einer lästigen, stumpfsinnigen
+Berufstätigkeit — wenn das nicht so wäre — dann sähe es schlimm aus
+um unser deutsches Heer ... um unser deutsches Volk ...«</p>
+
+<p>»Jesses, Jesses, er predigt — die Reserve predigt!« rief Carstanjen
+mit komischem Entsetzen und doch innerlich gepackt — ein wenig
+geschmeichelt — ein wenig ergriffen aber auch — »Junker, schnell 'ne
+neue Pulle! —«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span></p>
+
+<p>Da trat ein Füsilier, es war der Pferdebursche des Majors von
+Sassenbach, zu den Herren heran, stand stramm: »Der Herr Major läßt die
+Herren Offiziere bitten, ins Bataillonsstabszelt zu kommen zu einer
+kleinen Bowle!«</p>
+
+<p>»Wir werden kommen!« sagte Flamberg. »Ja, einer von uns muß natürlich
+bei der Kompagnie bleiben — also zunächst mal Sie! Ich löse Sie
+nachher ab — also auf Wiedersehen!«</p>
+
+<p>Ein siedender Schreck hatte Martin plötzlich durchzuckt, als die
+Ordonnanz des Majors herangekommen war ... Auf die hatte er ja den
+ganzen Tag gewartet ...</p>
+
+<p>Und nun erging der Ruf zu einem fröhlichen Zechen —!? Also die Stunde
+der Abrechnung war noch immer nicht da ... der Major wußte noch von
+nichts ...?!</p>
+
+<p>Natürlich, jetzt saß Brandeis drüben im Dorfe, wo der Brigadestab lag,
+mit seinem General zusammen, studierte die Korps- und Divisionsbefehle
+für morgen — redigierte den Brigadebefehl — —</p>
+
+<p>Da blieb ihm keine Zeit, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken —
+mochten sie auch noch so dringlich ... noch so unaufschieblich sein ...!</p>
+
+<p>Im Hinschreiten ließ Flamberg seine Blicke über das weite Lager
+schweifen ... Die Dämmerung sank hernieder .... die frühe Dämmerung des
+Spätsommerabends ... hinter dem fernen braunen Strich des Idarwaldes
+verglomm der letzte Tagesglast ...</p>
+
+<p>Endlos hin über Berg und Tal zog sich das Biwak des Korps ... und
+überall dieselbe Szene ... die lodernden Feuer mit den rastenden,
+schmausenden, singenden jungen Männern drum herum ... überall niedere
+Leinwandzelte ...<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> Gewehrpyramiden ... Posten vor der Fahne ... Ein
+ergreifendes Bild ruhender, gesammelter Volkskraft: »Lieb Vaterland,
+magst ruhig sein ...«</p>
+
+<p>Ach — und immer wieder fühlte er dann den jähen Ruck am Herzen ...</p>
+
+<p>Was hast du getan — und was wird werden — —?!</p>
+
+<p>Wie anders müßte mir nun zumute sein ... wie leicht ... wie dankbar ...
+wie voll Hoffnung ... voll überströmender Glückshoffnung — Und wie ist
+mir nun ...</p>
+
+<p>Unmännlich hab ich mich hingegeben an diese Leidenschaft, die ich hätte
+bekämpfen müssen von Anbeginn ... ausroden wie ein holdselig blühendes,
+berauschend duftendes Giftgewächs ...</p>
+
+<p>Ich hab sie wachsen lassen ... und eine einzige Sekunde hat mein Leben
+... meine Zukunft ... mein Glück vernichtet ... <em class="gesperrt">Mein</em> Glück ...</p>
+
+<p><em class="gesperrt">Meines</em> nur ...?</p>
+
+<p>Und <em class="gesperrt">sie</em> ... Agathe ... das vertrauensvolle Mädchen, das sein
+Geschick in meine Hand gelegt hat ...?! Ach, Himmel, wenn sie ahnte ...</p>
+
+<p>Und das, was kommen kann ... was kommen muß ...</p>
+
+<p>Nein, nein — nicht dran denken ... hinwegscheuchen die grausigen
+Bilder alles dessen, was kommen wird —</p>
+
+<p>Gespielt mit dem Heiligsten ... gedankenlos ... haltlos ... gewissenlos
+...!</p>
+
+<p>Im Künstlerübermut ... im Rausch des Machtgefühls hineingegriffen in
+die festgefügte Ordnung, welche diese Lebenssphäre beherrscht, in die
+der Dienst des Königs, des Vaterlandes mich, den Mann aus Kreisen
+leichterer, freierer Daseinsführung, hineingeführt ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span></p>
+
+<p>Nein, das ging nicht ... das paßte nicht zusammen ... Entweder — oder!
+Nur zu einem Spiel ... nur zu einem Anlaß künstlerischer Sensationen
+war das Gewand zu gut, das er trug, der Stand, dessen Zeichen es war ...</p>
+
+<p>Eine Offizierübung ist kein malerischer Motivenschatz ... die Ehe eines
+Fritz von Brandeis ist kein Modellbureau ... Entweder — oder! Entweder
+man ist Offizier — oder man ist es nicht! —</p>
+
+<p>Nun ... er würde sühnen ... seine Schuld bezahlen ...</p>
+
+<p>In tiefem Sinnen war Flamberg stehen geblieben am Rande des Gehölzes,
+welches das Biwak deckte.</p>
+
+<p>Nun hörte er plötzlich seinen Namen rufen: »Flamberg! Sie, Flamberg!«</p>
+
+<p>Das klang vom Bataillonszelt her ... Die Kameraden hatten ihn entdeckt.</p>
+
+<p>Er trat hastig näher.</p>
+
+<p>»Na Meister ... bißchen Stimmung geschunden ... bißchen photographiert
+für den Winter?! So, nun kommen Sie mal 'ran ... die Bowle ist prima,
+prima ...« so klang's durcheinander.</p>
+
+<p>Der Major thronte inmitten der Tafelrunde, die sich auf Feldstühlen,
+Kisten und Koffern um den grauen Klapptisch gruppiert hatte, der ein
+Vorrecht des Bataillonsstabes war. Sein Gesicht war gerötet, die
+zerknitterte Manövermütze saß ihm im Genick, den Kragen des Waffenrocks
+hatte er aufgehakt ...</p>
+
+<p>Und an seiner rechten Seite saß der Leutnant der Landwehr Frobenius
+... seine Brillengläser funkelten ... seine klugen Augen leuchteten
+so seltsam ... die rotumbarteten Lippen zuckten wie in freudiger,
+festlicher Erregung ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p>
+
+<p>»So, lieber Dormagen,« sagte der Major mit einer gewissen Feierlichkeit
+zu dem jüngsten der Herren des Bataillons, dem eleganten Referendar aus
+Koblenz, »nun füllen Sie gefälligst mal alle Gemäße —!«</p>
+
+<p>Schäumend floß der Kasinosekt über die Ränder der Emaillebecher, der
+Bierseidel, der henkellosen Kaffeetassen ...</p>
+
+<p>Und Sassenbach erhob sich: »Meine Herren — ich weiß, daß ich Ihnen
+allen eine Freude machen werde mit dem, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen
+habe: Erstens — unser verehrter Kamerad, Herr Frobenius, bislang
+Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn — ein
+Herr, der in den acht Wochen, während deren er inmitten unseres
+Regiments geweilt hat, trotz gewisser — hm hm — — anfänglicher
+Schwierigkeiten ... trotz einer gewissen Vorliebe für den Aufenthalt
+in Froschtümpeln und auf Parkettböden ... die uns ein wenig befremdet
+hat ... auf die Dauer unsere größte kameradschaftliche Hochachtung und
+Sympathie erworben hat — dieser Ihnen wohlbekannte Herr hat soeben
+einen telegraphischen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität
+Tübingen erhalten — —«</p>
+
+<p>Das gab einen Sturm —!</p>
+
+<p>Ja, wahrhaftig, sie mochten ihn alle leiden, den bescheidenen,
+gutmütigen, pflichtgetreuen Mann ...</p>
+
+<p>»Famos ... tadellos ... bravo, bravo Frobenius ... gratuliere
+tausendmal ...!!«</p>
+
+<p>»Halt, meine Herren!« überschrie der Major den Tumult, »ich bitte
+dringend um Ihre Aufmerksamkeit! — ich bin nämlich noch nicht zu Ende
+—: Ich habe die angenehme Pflicht, Ihnen die Verlobung meiner Tochter
+Nelly mit —!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span></p>
+
+<p>Weiter kam er nicht — keiner verlangte, den Namen des Erkorenen zu
+wissen.</p>
+
+<p>Es gab einen Jubel, daß an allen Lagerfeuern des ganzen Bataillons
+alle Köpfe dorthin sich wandten, wo bei der Fahne auf einer leichten
+Bodenerhebung die Herren vorm Bataillonszelt tafelten ...</p>
+
+<p>»Das Brautpaar: hurra, hurra, hurra — —!«</p>
+
+<p>Und vor versammeltem Kriegsvolk nahm der Major seinen Schwiegersohn
+beim Kragen und preßte seine langwallenden Schnurrbartzipfel auf den
+roten Bart des Herrn Professors.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Wenige Minuten vor neun Uhr ließen die Kompagnieführer ihre Leute bei
+den Gewehren antreten. Es war kühl geworden, die Mäntel hatten schon
+längst angezogen werden müssen ...</p>
+
+<p>In langen dunkeln Reihen standen die Kompagnien ... es kam der
+Augenblick des Abendgebets.</p>
+
+<p>Die Kompagnieführer standen vor der Front, die Zugführer am rechten
+Flügel ihrer Züge.</p>
+
+<p>Und nun erklang von rechts her in ruhig heiterm Schreiten das
+Schmettern der Regimentsmusik ... sie spielte die alte stolze Weise des
+»Großen Zapfenstreichs« ...</p>
+
+<p>Langsam marschierte das Musikkorps, die Spielleute aller drei
+Bataillone voran, an der Front des ganzen Regiments vorbei, dessen drei
+Bataillone ihre Biwaks nebeneinander aufgebaut hatten ...</p>
+
+<p>Gelblich leuchteten die Instrumente auf im Widerschein der Lagerfeuer
+...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span></p>
+
+<p>Und aus der Ferne von rechts und links kam's wie ein Widerhall ...
+dort, wo die andern Regimenter des Korps biwakierten, vollzog sich die
+gleiche Feierlichkeit ...</p>
+
+<p>Nun war die Musik am linken Flügel des dritten Bataillons angekommen,
+sie machte kehrt, zog abermals vor den dunkeln Massen der lauschenden
+Truppen entlang bis in die Mitte des zweiten Bataillons, in die Mitte
+der ganzen Regimentsfront. Da machte sie halt.</p>
+
+<p>Hier stand der Oberst mit seinem Stabe. Er gab mit weithin schallender
+Stimme das Kommando: »Mützen ab zum Gebet!«</p>
+
+<p>Die Bataillonskommandeure, die Kompagniechefs wiederholten den Befehl.</p>
+
+<p>Alle Mützen flogen von den Köpfen ... ein tiefes, andächtiges Schweigen
+lagerte über dem nächtigen Plan ...</p>
+
+<p>Nun scholl ein dumpfer, langhinrollender Trommelwirbel ... die
+achtundvierzig Tambours des Regiments ließen leise rasselnd ihre
+Schlägel auf die entspannten Kalbfelle niederfallen ... darüber
+schwebte ein leiser, flehender Triller der Flöten ... und nun setzte
+der volle Ton der Trompeten, Tuben, Posaunen ein mit herzerschütternder
+Choralmelodie ...</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Ich bete an die Macht der Liebe,</div>
+ <div class="verse indent0">die uns vom Himmel offenbart ...</div>
+ <div class="verse indent0">ich geb' mich hin dem freien Triebe,</div>
+ <div class="verse indent0">mit dem ich je geliebet ward.</div>
+ <div class="verse indent0">Ich will, anstatt an mich zu denken,</div>
+ <div class="verse indent0">ins Meer der Liebe mich versenken ...«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>— Das griff in jede Brust ... übergewaltig ... versöhnend ... Frieden
+spendend ... Himmelsfrieden ..</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span></p>
+
+<p>Stumm ... regungslos lauschten die zwölfhundert jungen Männer im
+Waffenrock der Niederländer Füsiliere ... und alles weithin übers
+endlose Waffengefild lauschte ... sie alle, die jugendschwellenden,
+hochaufschauernden Kriegerherzen ...</p>
+
+<p>Und keiner ... keiner war so arm ... so heimat- und friedlos, daß er
+nicht an ein Liebes hätte denken können, dessen Herz in weiter Ferne
+für ihn schlug ...</p>
+
+<p>Martin Flambergs Herz aber schrie auf in wildem Gram ... in fressender
+Reue ...</p>
+
+<p>Agathe ... Agathe ...!!</p>
+
+<p>»Mützen auf — weggetreten —!«</p>
+
+<p>— Als Flamberg sich umwandte, dem Kompagniezelt zu — stand plötzlich
+der Hauptmann von Brandeis hinter ihm: »Guten Abend, Flamberg — haben
+Sie einen Moment Zeit für mich?!«</p>
+
+<p>»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p>»Kommen Sie ... wir gehen ein paar Schritte in den Busch hinein ...«</p>
+
+<p>Stumm folgte Martin Flamberg — in seinem Kopf und Herzen war ein
+brandender Schwall — er konnte nichts denken — nichts fühlen ...</p>
+
+<p>Unter der vordersten Buche des Gehölzes machte der Hauptmann halt.
+Dicht standen die Männer einander gegenüber ... ihre Gesichter
+schimmerten nur schwach im Widerschein der Biwaksfeuer ...</p>
+
+<p>»Wir wollen nicht viele Worte machen, Flamberg ... Sie haben mir sehr
+... sehr weh getan ... wissen Sie das ...?«</p>
+
+<p>»Ich weiß es, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span></p>
+
+<p>»Was Sie sich dabei gedacht haben — Gott mag's wissen! — Ich will zu
+Ihren Gunsten annehmen, nicht allzuviel! — Ich will Ihnen auch nicht
+Moral predigen — ich wette, das haben Sie selber genügend besorgt
+in den Stunden seit ... seit gestern abend ... also zur Sache: es
+ist der Wunsch meiner Frau ... daß Sie und ich uns ... friedlich ...
+auseinandersetzen. Ich respektiere diesen Wunsch ... und ... ohne daß
+Sie erst darum zu bitten brauchen ... soll Ihnen verziehen sein.«</p>
+
+<p>»Herr Hauptmann!« stammelte Martin.</p>
+
+<p>»Ich versteh das alles ja sehr gut ... Sie sind — wie sagt man doch —
+eine glänzende Erscheinung ... ein außergewöhnlicher Mensch ... eine
+Berühmtheit ... Ich bin ein einfacher Soldat ... Aber ich hab diese
+Frau sehr lieb ... ganz gewiß lieber, als irgendein anderer Mensch sie
+haben kann ... und schließlich bin ich doch am Ende ihr Mann, nicht
+wahr?! Also kurz: Meine Frau hat mir erzählt: was zwischen euch beiden
+geschehen ist, gestern abend ... das ist ein Abschied gewesen ... Nun
+— so will ich's denn als ... Abschied ... gelten lassen. Nur eins
+versprechen Sie mir, Flamberg, nur das eine: halten Sie das Angedenken
+dieser Frau in Ehren ... in hohen Ehren, Flamberg! wollen Sie mir das
+versprechen ...?«</p>
+
+<p>»Das — — versprech ich ... Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p>»Nun noch eins — Sie heiraten ja übermorgen ... Sie müssen Ihrer
+jungen Frau einmal ... erzählen ... was Sie getan haben ... nicht jetzt
+... nicht im Flitterwochenrausch ... später einmal, wenn ihr euch
+beide kennt ... dann sollen Sie's ihr erzählen ... das wird euch zwei
+zusammenketten, das ... und Sie vor mancherlei bewahren, was vielleicht
+... noch kommen könnte ...! Werden Sie das tun —?«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span></p>
+
+<p>»Ich werd's tun, Herr Hauptmann!«</p>
+
+<p>»Ich danke Ihnen — und nun ... ich hab morgen Dienst beim Herrn
+General, und wir werden uns vor Ihrer Entlassung wohl kaum mehr sehen
+... also ... leben Sie wohl ...!«</p>
+
+<p>Er streckte dem Kameraden die Rechte hin. Flamberg schlug ein — er
+konnte nicht reden.</p>
+
+<p>»Soll ich ... Cäcilie ... einen Gruß ... von Ihnen bestellen ...?«</p>
+
+<p>»Ich ... bitte darum, Herr Hauptmann ...!«</p>
+
+<p>»Ich werd's ausrichten! — Addio, lieber Flamberg!«</p>
+
+<p>Noch einmal drückte der Hauptmann kräftig Martins Rechte ... legte die
+Hand an die Mütze ... schritt rasch von dannen ...</p>
+
+<p>Und Flamberg ging langsam zu seiner Kompagnie.</p>
+
+<p>Begnadigt! — Dem Leben ... der Heimat ... der Braut wiedergeschenkt ...</p>
+
+<p>Begnadigt —!</p>
+
+<p>In Martins Herzen hallte der Schluß der Gebetsweise wider ...</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Ich will, anstatt an mich zu denken, </div>
+ <div class="verse indent0">ins Meer der Liebe mich versenken ...«</div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Die letzten Lagerfeuer erloschen.</p>
+
+<p>Die letzten der Offiziere, die sich noch durch ein paar Glas Feuerbowle
+für den Schlummer im Stroh, die scharfe Kühle der Frühherbstnacht auf
+hohem Gebirgsplateau gestärkt hatten, krochen ins Stroh ...</p>
+
+<p>Die Unteroffiziere, die Mannschaften schnarchten längst in den langen
+Zugzelten ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span></p>
+
+<p>Am verglimmenden Lagerfeuer der zweiten Kompagnie lag bäuchlings
+hingestreckt noch ein einsamer Unteroffizier ...</p>
+
+<p>Beim letzten Glosten der zuckenden Flämmchen, die den mächtigen
+Aschenhaufen umschwelten, las er ein Briefchen:</p><br>
+
+<div class="blockquot">
+
+<p>»— — Du sollst nicht heut und nicht morgen kommen, lieber Hans. Du
+sollst noch ein paar Jährchen warten, bis Du Deinen Assessor gemacht
+hast. Wenn Du mich dann nicht leid geworden bist, dann komm und hol
+mich — wenn ich dann noch da bin. Wir sind ja beide noch Kinder, und
+ich weiß nicht, ob nicht einem von uns beiden doch mal einer begegnen
+wird, der ihm lieber ist als die Erinnerung an einen heißen Kuß im
+Garten des Offizierkasinos — weißt Du noch, mein Hans?! Wenn das
+kommen sollte, dann soll keiner von uns sich an den andern gebunden
+halten. Ich glaub's ja nicht, daß es mir passieren wird, ich sag's
+auch mehr Deinetwegen als meinetwegen. —</p>
+
+<p>Aber — man kann nicht wissen —!</p>
+
+<p>Also — leb wohl, mein Süßer, und denk manchmal an mich!</p>
+
+<p>Vielleicht einmal, vielleicht — —!</p>
+
+<p class="mright5">Molly v. S.«</p><br>
+</div>
+
+<p>Hans Friesen fuhr sich über die Stirn.</p>
+
+<p>Sie hatte ihm die Freiheit wiedergeben wollen ... wie schön das war ...
+und wie klug ...</p>
+
+<p>Und auch in ihm tönte die Choralweise nach ...</p>
+
+<p>Jetzt in das dumpfe Zelt kriechen, wo die Kommißunteroffiziere
+schnarchten —? Nein ...!</p>
+
+<p>Lieber hier am behaglich wärmenden, langsam verglostenden Feuerrest die
+paar Nachtstunden verträumen — unterm gleißenden Sternenhimmel ... in
+tiefem Sinnen ...<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> in einem glücklichen Traum von Zukunft — Schönheit
+— Ruhm — Glück — in einem wundersamen Sicheinsfühlen mit dem weiten
+All ringsum, dem Chor der Schläfer auf der weiten Bergeshalde ... dem
+Gewimmel der Gestirne droben am Firmament ... mit allem Geschaffenen
+und seinem Schöpfer —</p>
+
+<div class="poetry-container s5">
+<div class="poetry">
+ <div class="stanza">
+ <div class="verse indent0">»Ich bete an die Macht der Liebe ...« </div>
+ </div>
+</div>
+</div>
+
+<p>Langhin streckte sich der Soldat auf den harten Stoppelboden, schob
+Mollys Briefchen in die Brusttasche seines Waffenrocks ... und schaute
+nun regungslos mit glänzenden Augen zum weißleuchtenden Nebelbogen der
+Milchstraße empor.</p>
+
+<hr class="tb">
+
+<p>Einsam, ein rüstiger Wanderer, schritt Martin Flamberg in der
+Morgenfrühe des 22. September talabwärts auf der Chaussee, welche von
+Leisel über Hettenrodt, Hettstein und Idar nach Oberstein an der Nahe
+führte ...</p>
+
+<p>Hier würde er den Zug erreichen, der ihn heimwärts führen sollte.</p>
+
+<p>Frühmorgens im Lagerstroh hatte der Feldwebel ihn geweckt: »Verzeihen
+Herr Leutnant, eine Ordonnanz vom Herrn Major ist da!«</p>
+
+<p>»Soll ans Zelt kommen!«</p>
+
+<p>»Herr Leutnant möchten so bald als möglich zum Herrn Major kommen!«</p>
+
+<p>Sassenbach war just bei der Morgentoilette, als Flamberg ins Stabszelt
+trat: »Na, Flamberg ... Brummschädel ...?«</p>
+
+<p>»Danke gehorsamst — nein, Herr Major!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span></p>
+
+<p>»Entschuldigen Sie — muß mich eben fertig rasieren!«</p>
+
+<p>Beim Schein einer Stallaterne, die der Bursche mitsamt einem winzigen
+Spiegelchen seinem Herrn vorhielt, saß der Bataillonskommandeur auf
+einem Faß, mit aufgeklapptem Waffenrock, und schabte die angegrauten
+Stoppeln von seinen bronzebraunen Wangen.</p>
+
+<p>»Also, lieber Freund, Sie haben morgen Hochzeit ... Da scheint's mir
+doch besser, das Armeekorps behilft sich am letzten Übungstage ohne
+Sie — Sie sind also hiermit entlassen und haben möglichst schnell und
+geräuschlos aus dem Bereich des Kriegsgetümmels zu verschwinden!«</p>
+
+<p>»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major ...«</p>
+
+<p>»Keine Fisematenten! Ich befehl's — und damit basta!«</p>
+
+<p>»Und wer, befehlen Herr Major — wer soll die erste Kompagnie heute
+führen?«</p>
+
+<p>»Ach was, die paar Stunden! Kann ja der Windhund, der Carstanjen
+machen! — Na, einverstanden?«</p>
+
+<p>»Ich danke von ganzem Herzen, Herr Major!«</p>
+
+<p>Sassenbach stand auf, und während der Bursche ihm im Stehen die kotigen
+Stiefel an den Beinen mit der Wichsbürste bearbeitete, streckte er dem
+Untergebenen die Hand hin: »Also stecken Sie sich einen grünen Zweig an
+als Neutralitätsabzeichen und verschwinden Sie auf dem nächsten Wege,
+solange es noch dunkel ist ... kommen Sie gut nach Hause, empfehlen Sie
+mich unbekannterweise Ihrem verehrten Fräulein Braut — und machen Sie
+Ihre Sache gut — na, Sie verstehn mich schon — hahaha! Haben Sie auch
+schönsten Dank für freundliche Unterstützung und leben Sie wohl!«</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span></p>
+
+<p>»Darf ich Herrn Major meinen gehorsamsten, tiefgefühlten Dank für die
+gütige Aufnahme und alles Gute —«</p>
+
+<p>»Schon gut, schon gut, lieber Flamberg — es war uns eine Ehre und ein
+Vergnügen!«</p>
+
+<p>— — Und nun marschierte Martin Flamberg einsam talabwärts.</p>
+
+<p>Von seinem Helm nickte ein grüner Busch. In seinem Wachstuchtornister
+klapperte eine halbe Flasche Kognak, die Carstanjen ihm noch als
+Abschiedsgabe eingepackt —</p>
+
+<p>»Junger Ehemann <em class="antiqua">in spe</em> — — können eine kleine Herzstärkung
+gebrauchen! —«</p>
+
+<p>Die Säbelscheide in der Linken, die Rechte taktmäßig pendelnd, stapfte
+er bergab in munterm Soldatenschritt.</p>
+
+<p>Und wie ringsum die Bergsäume sich rosig erhellten, erhellte sich auch
+des Wanderers Herz — —</p>
+
+<p>Ja, es ging heimwärts ... heimwärts ... es ging in die Arme der Liebe
+... der Liebe, der nun sein ganzes Leben gehören sollte ... sein ganzes
+Leben ...!</p>
+
+<p>Immer leuchtender stieg des fern harrenden Mädchens teures Bild vor
+seinem Blick empor ... nun erst, da er schon fast abgerechnet mit
+allem, was er besessen und erhofft hatte, lag's vor ihm in seinem
+ganzen süßen, holden Glanz ...</p>
+
+<p>Er zog Agathens letztes Briefchen hervor, dies Briefchen, das
+nur das eine einzige, sehnsuchtsschwere Jubelwort enthielt:
+»Über-über-übermorgen —!!!«</p>
+
+<p>Nun war's schon morgen — morgen würde es heute sein! —</p>
+
+<p>Horch ...</p>
+
+<p>Bum — bum — dröhnten von droben die ersten Kanonenschläge ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span></p>
+
+<p>Der letzte Manövertag ... der Heimkehrtag für zehntausend junge
+Gesellen ... der Heimkehrtag auch für ihn ...</p>
+
+<p>Den läuteten sie ein, die dumpfen, metallenen Schläge da oben.</p>
+
+<p>Bum, bum, bum — — klang's da von allen Höhen in der Runde ... Diese
+Töne, die Mord und Grauen bedeuten sollten ... ihm waren sie selige
+Friedensklänge ...</p>
+
+<p>Und immer tiefer senkte sich die Chaussee ... das war das Dörfchen
+Hettenrodt, das er nun durchschritt ... Noch lag es schlummernd ...
+kaum, daß ein schläfriger Ackerknecht schwerfällig die Haustür aufstieß
+und über den Hof zum Stall humpelte, wo das erwachte Vieh nach seiner
+Morgenration brüllte ...</p>
+
+<p>Nun senkte sich der Weg gen Hettstein.</p>
+
+<p>In einer Viertelstunde würde er am Schlößchen vorbeikommen.</p>
+
+<p>Dort hing das Bild der schönen Frau, dort harrte sie selber der
+Heimkehr des herrlichen Mannes entgegen, der sie sein eigen nennen
+durfte — um an seiner Seite ein neues, ein tieferes Leben zu beginnen.</p>
+
+<p>War es nicht doch gut so ... wie alles gekommen war, gut — — auch für
+die beiden?</p>
+
+<p>Wenn der Sturm durch die Menschenherzen fährt, dann reißt er vielleicht
+einmal ein Glück in Trümmer — aber gibt es nicht auch Stürme, die
+segnen? die Luft klären, das Morsche hinwegfegen, auf daß das Gesunde
+um so kräftiger blühe?</p>
+
+<p>Bum, bum, bum — läuteten die Glocken ringsum — die Hochzeitsglocken!</p>
+
+<p>Nun wand die Chaussee sich um eine Waldecke herum ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span></p>
+
+<p>Schau! vom ersten Morgenstrahl beglänzt, schimmerten die blitzenden
+Fenster, die schmucken Türme, die grünumrankten Zinnen des Schlößchens
+Hettstein.</p>
+
+<p>Dort schlummerte sie, die schöne, schöne, schöne Frau ...</p>
+
+<p>Einen Gruß dir, einen Herzensgruß, du wunderliebliches, du
+märchenhaftes Geschöpf — und — Segen, Segen, Segen auf dein Leben!</p>
+
+<p>Himmel — war's möglich? — Auf dem Balkon im ersten Stock stand einsam
+eine weiße Gestalt — lauschte dem volltönigen Geläute der Kanonen
+ringsum auf den Hunsrückbergen ...</p>
+
+<p>Jählings strömte das Blut zu Martins Herzen — ein Weh, das ihn schier
+übermannen wollte, durchrüttelte ihn so heftig, daß sein Fuß einen
+Augenblick stockte ...</p>
+
+<p>Nein! weiter ... rüstig weiter ... rüstig weiter ...</p>
+
+<p>Und nun ... nun wandte die Lauscherin langsam ihr Haupt bergaufwärts
+... und nun gewahrte sie den einsam wandernden Kriegersmann ... und nun
+... erkannte sie ihn ...</p>
+
+<p>Einen Augenblick stand sie starr, schien fliehen zu wollen ...</p>
+
+<p>Doch nein — sie blieb —</p>
+
+<p>Ein weißes Tüchlein ließ sie flattern durch die goldene Morgenluft ...
+ein weißes Tüchlein ... ein Abschiedszeichen ... ein Friedenszeichen ...</p>
+
+<p>Und Martin riß den Helm vom Kopf ... den Helm mit dem grünen Zweige ...
+dem Ölzweige daran ... er schwenkte ihn nach droben zum hohen Balkon
+... zu der weißen Gestalt mit dem flatternden Tüchlein ...</p>
+
+<p>Aber wehren konnte er nicht, daß ein paar helle Tropfen über seine
+verbrannten Wangen niederrannen und zerblitzten auf dem staubigen
+Waffenrock ...</p>
+
+<p><span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span></p>
+
+<p>Ade, ade, ade ... vorüber, vorüber, vorüber ...</p>
+
+<p>Vor dem Rückschauenden zerfloß das Bild des Schlößchens ... zerfloß in
+blinkende Nebel das Bild der weißen Frauengestalt mit dem flatternden
+Tüchlein ...</p>
+
+<p>Ade, ade, ade ...</p>
+
+<p>— — Und nun geradeaus den Blick ... der Heimat, der harrenden Liebe
+... der Zukunft entgegen ...</p>
+
+<p>Agathe ... Agathe ...</p>
+
+<p>Umbrandet vom tosenden Schwall der Kanonen schritt Martin zu Tal.</p>
+
+<p>Heimkehrgeläut ... Hochzeitsgeläut ...</p>
+
+<p>Er schritt zu Tal ... schritt nieder in jenes Land, wo das Leben selbst
+Poesie wird ... heiligste Poesie.
+</p>
+<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 ***</div>
+</body>
+</html>
+
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