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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..d7b82bc --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,4 @@ +*.txt text eol=lf +*.htm text eol=lf +*.html text eol=lf +*.md text eol=lf diff --git a/75388-0.txt b/75388-0.txt new file mode 100644 index 0000000..d2709ae --- /dev/null +++ b/75388-0.txt @@ -0,0 +1,9375 @@ + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 *** + + + +======================================================================= + + Anmerkungen zur Transkription. + +Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und Interpunktion des +Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler +sind korrigiert worden. + +Worte in Antiqua sind +so gekennzeichnet+; gesperrte so: ~gesperrt~ +und =fettgedruckte= so. + +======================================================================= + + + + + Sommerleutnants + + + Die Geschichte einer achtwöchigen Übung + + + von + + + Walter Bloem + + + + + [Illustration] + + + + + Grethlein & Co. G. m. b. H. Leipzig. + + + Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, + von der Verlagshandlung vorbehalten. + +Copyright 1910 by Grethlein & Co. Leipzig+ + + + + + Erstes Buch + + + + + Erstes Kapitel. + + +Unter der weiten Halle des Zentralbahnhofs der rheinischen Garten- +und Künstlerstadt schritt in früher Spätsommermorgenstunde ein junges +Paar den Bahnsteig auf und ab. Reisefreude leuchtete in den Augen +des Mannes -- doch er dämpfte sie um der Abschiedswehmut willen, die +durch des Mädchens Worte zitterte und immer wieder von Zeit zu Zeit in +raschen Perlen aus den hellen Augen auf das Spitzengewoge des lichten +Sommergewandes niedertropfte. + +Zwei schlanke Gestalten, so recht für einander gewachsen! Sie im Glanz +ihres Sommerschmucks, in der zierlichen Grazie ihrer zwanzig Jahre das +gehütete, gepflegte Kind einer von den Schranken der Satzung umhegten +Welt. Er -- nun ja, er ... + +Die Uniform stammte aus dem ersten Schneideratelier, die Lackschuhe +blitzten. Die Mütze, keck auf das rechte Ohr gesetzt, war neuesten +Modells, die Haltung soldatisch straff. + +Und dennoch: selbst ein nicht gerade militärisch geschultes Auge +erkannte von weitem schon, daß der Träger dieser blinkenden +Herrlichkeiten doch -- kein so ganz richtiger Leutnant war. Es war +nicht das helle Kolorit der Gesichtsfarbe allein -- denn zu Anfang +August weisen die berufsmäßigen Träger der Leutnantsuniform allesamt +schon ein tiefes Braun auf -- es war nicht allein eine gewisse +Gezwungenheit der Haltung, die verriet, daß diese elegante Gestalt +des Uniformtragens seit längerm entwöhnt sein mußte. Es waren nicht +allein die lebhaften Bewegungen der vielfach mitredenden, energisch +gestikulierenden Hände, es war auch in dem feurigen Gesicht mit dem +militärisch verschnittenen Schnurrbart und dem vorschriftsmäßig +durchgescheitelten Blondhaar ein Ausdruck von Selbständigkeit +und kühnem Lebensdrang -- all das miteinander verriet dem feiner +beobachtenden Auge, daß dieser Leutnant eben ein Leutnant der Reserve +war. + +Das blieb auch den Soldaten nicht verborgen, die in dieser Morgenfrühe +auf dem Bahnhof der Garnisonstadt zu schaffen hatten. Da waren +Burschen, Ordonnanzen, Vizefeldwebel, die zu den Schießständen +hinauswollten. Alle diese Uniformträger erwiesen dem Offizier +pflichtschuldigst die Ehrenbezeugung, und zwar stramm; denn der in der +Leutnantsuniform sah nicht aus, als ob er mit sich spaßen ließe. Aber +wenn sie an dem Vorgesetzten vorüber waren und in ihren Schlendertrott +zurückfielen, dann spielte doch um eines jeden Lippen ein gewisses +Schmunzeln, das die Erkenntnis andeutete, man nähme diesen Offizier +eigentlich nicht so ganz ernst. + +Und auch das junge Weib an der Seite des Mannes schien die +Uniformherrlichkeit ihres Erkorenen nicht allzu tragisch zu nehmen; +denn jedesmal, wenn ein Unteroffizier oder Soldat in die maskenhaft +erstarrte Haltung der Ehrenbezeugung vor ihrem Gefährten zusammenfuhr, +konnte sie nur mit Mühe ein Lächeln verbergen, das plötzlich ihr +tränenzuckendes Gesichtchen überzog; und diesem Gefühl gab sie +Ausdruck: »Weißt du, Martin, ich will ja nicht behaupten, daß dir die +Uniform nicht stände, aber -- sei mir nicht böse -- in Zivil gefällst +du mir zehnmal besser!« + +»Das glaub' ich«, lachte ihr Verlobter. »Ich hab' den Rock Seiner +Majestät fünf Jahre lang nur mal gelegentlich zu Offizier- und +Kontrollversammlungen getragen! -- aber laß mich nur erst mal ein paar +Wochen wieder drin stecken! Gib acht, wenn ich nächstens auf Urlaub zu +dir komme, dann sollst du dich deines Reservemannes nicht zu schämen +brauchen.« + +»Ach ja,« sagte das Mädchen, »komm recht bald, sonst halt' ich's nicht +aus ... du gehst ja fort, Liebster, du gehst fort ... ach, ich darf gar +nicht dran denken, sonst --« + +»Aber Mädel,« sagte Martin, »aber Mädel --« + +Wieder blitzten Tränen aus den leuchtenden Augen der Braut. + +»Weißt du denn nicht,« fuhr er fort, »was morgen in acht Wochen ist?!« + +Da schlug Agathe die Augen nieder unter dem hoffenden, verlangenden +Blick, der sie getroffen, und konnte nicht wehren, daß ein feines Rot +immer tiefer ihre flaumigen Bäckchen überzog. »Ach, Martin, ich glaub's +ja nicht eher, als bis wir endlich so weit sind ... eher glaub' ich's +nicht ...« + +»Na freilich, lang genug hat's gedauert, bis die Herren Eltern +eingesehen haben, daß ein Maler nicht notwendig der Antichrist in +Person ist --!« + +Eine Wolke finstern Unmuts lag auf einmal unter dem blitzenden +Lackschirm der Offiziermütze. Sie sprach von kaum verwundenen +Bitterkeiten ... von harten Kämpfen um ein endlich doch ertrotztes +Glück ... Die lachenden Lippen hatten sich jählings fest geschlossen, +und unwillkürlich stieß die Linke die Säbelscheide klirrend auf die +Fliesen des Bahnsteigs. + +»Laß, Liebster,« mahnte die Braut erschrocken, »jetzt nicht daran +denken ... ist ja nun alles überstanden!« + +»Ach, Mädel,« sagte der Maler, »das alles vergess' ich erst, wenn ich +dich hab' ... wenn ich dich ganz hab' ...« + +»In acht Wochen,« hauchte die Braut, »morgen in acht Wochen!« + +Sie richtete rasch das glühende Köpfchen auf, sah dem Geliebten tief +ins Auge und sagte voll eindringlichen Ernstes: »Martin, ich weiß, was +für ein toller Bursch du bist! -- Versprich mir eines: Verspar dich für +mich ... nicht zu wilde Sachen machen, verstehst du mich? ... keine zu +unruhigen Pferde reiten ... nicht wieder durch jeden See schwimmen, +der am Ruhetage gerade zu erreichen ist, und« -- mit halb mütterlich +besorgtem, halb schwesterlich schwärmerischem Lächeln -- »nicht zu +viel trinken, verstehst du? ... Jedesmal, wenn du eine Flasche Sekt +bestellen willst, denk: ich werd' sie mir sparen, um sie hernach mit +meiner kleinen Frau auf der Hochzeitsreise zu trinken! Willst du mir +das versprechen, Schlingel du ...?« + +Martin hätte in diesem Augenblick weit mehr versprochen, wenn es hätte +sein müssen ... + +Ach, wie rasch war dies Aufflackern schelmischer Mädchenlust von dem +zierlichen Gesichtchen verflogen, als nun eine Bewegung unter der +harrenden Menge der Fahrgäste, als ein hurtiges Rollen von Gepäckkarren +und ein fernes Brausen die Ankunft des Zuges verkündete, der ihr den +Ersehnten auf acht Wochen entführen sollte! + +Fest schmiegte sich das liebe Kind an den blauen Überrock ihres +Reserveleutnants. Wieder standen Tränen in ihren Augen, als sie mit dem +Ausdruck rücksichtsloser Sehnsucht ihr Antlitz zu ihm emporhob: »Behalt +mich lieb, du ... hörst du ... behalt mich lieb ...!« + +Da faßte er ihre beiden Hände und gab ihr den Abschiedskuß. »Morgen in +acht Wochen, du, morgen in acht Wochen!« + + * * * * * + +Als eine Wendung des Zuges den Bahnhof und den weißen, winkenden Fleck +inmitten wimmelnder Menschenmenge dem Blick entrückt hatte, ließ der +Reisende sich mit einem tiefen Aufatmen in die grausammetnen Polster +fallen. Er war zum Glück allein -- dehnte sich und streckte alle +Glieder in einem Gefühl unbeschreiblichen Behagens. Herrgott, war er +glücklich ...! + +Endlich überstanden, dieser zweijährige Kampf um dies Mädchen, das +er, er, der Verwöhnte, der vielgefeierte junge Künstler, aus den +hundert Gestalten, die ihn werbend umdrängten, sich ersehen hatte zur +Gesellin seines ruhelosen Daseins. Nach einer harten Jugend voller +Kampf, die ihn aus der behaglichen Enge des evangelischen Pfarrhauses +einer kleinen bergischen Stadt hinausgeführt hatte in das wogende +Dasein eines werdenden, machtvoll sich aufwärts ringenden Künstlers, +war er seit kurzem an einem ersten Ziel ... Im Hauptsaal der Sezession +in Berlin hingen seit dem Frühjahr allbestaunt nebeneinander zwei +große Damenporträts von seiner Hand, die er mit weisem Bedacht als +verblüffende Pendants für die Ausstellung in gleichem Format und Stil +geschaffen hatte, obwohl sie bestimmt waren, an ganz verschiedene +Plätze zu gelangen. Zur Linken die blonde Brünhildengestalt der Gräfin +Amalie von der Schulenburg, einer Vollblutgermanin, eines Sterns +der niederrheinischen Aristokratie, und neben ihr: die tiefbrünette +und ebenso tief dekolletierte Rasseschönheit der Frau Kommerzienrat +Mannheimer, der elegantesten und interessantesten Frau der Börsenkreise +in Frankfurt am Main ... + +Die Kritik hatte beide Bilder schlechthin als meisterlich gefeiert. Das +Publikum wurde nicht satt, die Werke zu bestaunen, die ihren Schöpfer +zum berufensten Verkünder des modernen weiblichen Schönheitstypus +stempelten und in die vorderste Reihe der zeitgenössischen +Porträtmalerei geführt hatten. + +Den ganzen Sommer über war Martin Flamberg von einem Hochsitz des +Kapitals zum andern gezogen und hatte die erlesensten Exemplare +glänzender Weiblichkeit mit einer Kunst festgehalten, die, weit +entfernt von weichlicher Schmeichelei und Schönfärberei, doch ihre +Gegenstände über die Sphäre gemeiner Wirklichkeit in eine Region +idealer Kultur hineinzuheben verstand. + +Und erst dieser junge Ruhm und seine notwendige Folge, das elementare +Anschwellen seines Bankkontos, hatten den langjährigen Widerstand des +Oberlandesgerichtspräsidenten, Geheimen Oberjustizrats Doktor van den +Bergh und seiner freiherrlichen Gattin gebrochen und so dem trotzigen +Zueinanderwollen zweier Menschen den Sieg gebracht, deren Verbindung +ein Schlag ins Gesicht des Schicksals zu sein schien. + +Der alte Präsident war der Typus eines starren ostelbischen +Bureaukraten, und ihm wie seiner Frau war der Gedanke, ihre Einzige an +der Seite eines Künstlers zu sehen, fast gleichbedeutend geworden mit +dem völligen Verzicht auf die Liebe ihres Kindes. + +Sie hatten es mit ansehen müssen, wie ihr Mädchen sich angesichts ihrer +Weigerung schrittweise völlig von ihnen loslöste und in eine andere +Welt hinüberwuchs, für deren Lebensgesetze ihnen auch der Schatten des +Verständnisses abging. Sie hatten sich bis zur Verzweiflung gegen diese +Schickung gewehrt und sich erst besiegt gegeben, als der Erwählte ihrer +Tochter ihnen ziffermäßig beweisen konnte, daß seine Kunst wenigstens +nicht eine brotlose sei, und daß sie für die materielle Zukunft ihres +Kindes nichts zu befürchten haben würden, wenn sie schon seiner Seelen +Seligkeit und das beglückende Bewußtsein innerer Zusammengehörigkeit in +den Kauf hatten geben müssen. + +Wie oft hatte sich Martin Flamberg in diesen Jahren der Kämpfe gefragt, +ob es nicht richtiger sei, von dem raschen Bündnis, das eine Ballnacht +besiegelte, zurückzutreten und sich den entsetzlich kraftvergeudenden +Kämpfen nicht länger auszusetzen, die ihm jahrelang die Ruhe seines +Lebens geraubt hatten -- diese Ruhe, die er doch für seine Kunst so +nötig brauchte. + +Aber schließlich war es der gleiche zähe Künstlertrotz, der ihn in +raschem Aufstieg zu der heute erklommenen Höhe geführt hatte -- +dieser selbe unbeugsame Trotz war es gewesen, der ihn an der einmal +getroffenen Wahl hatte festhalten lassen, so oft auch in lockendster +Gestalt von rechts und links die Versuchung an ihn herangetreten war, +das Ziel seines Lebens auf mühelosere Weise zu erreichen. + +Ach -- das alles lag ja nun hinter ihm -- das alles war verwunden -- +mußte und durfte vergessen werden. Der Termin seiner Hochzeit war +festgesetzt. Auch hier hatte er den Sieg erzwungen, im Leben, wie in +der Kunst. + +Nun wollte er noch einer lange aufgeschobenen Pflicht genügen und seine +vierte Reserveoffizierübung machen, um dann am Arme der Liebe die +zweite Hälfte seines Lebens zu beginnen. Ja, diese achtwöchige Übung +--! Er war ein begeisterter Soldat gewesen. Es hatte ihm Vergnügen +gemacht, sich durch Luft und Sonne im Waffendienst herumzutummeln -- es +war ihm eine Wonne gewesen, von Zeit zu Zeit in die bunte Schlangenhaut +des Kriegers zu schlüpfen und auch hier seinen Mann zu stellen. + +Aber als nun langsam der Erfolg -- als endlich jählings der Ruhm +gekommen war -- als er sich ganz durchdrungen hatte mit Künstlertum, +da hatte er geglaubt, die militärische Phase seiner Jugend endgültig +überwunden zu haben, und es war ihm schier ein unerträglicher Gedanke +gewesen, sich nochmals für acht Wochen in den Zwang einer so ganz und +gar anders gerichteten Lebensführung fügen zu sollen. + +Oftmals hatte er vor dem Schritte gestanden, sich aus der Reserve +des Regiments, dem er angehörte, gleich in die Landwehr zweiten +Aufgebots überschreiben zu lassen und damit ein für allemal sich seinen +militärischen Verpflichtungen zu entziehen ... und dann hatte er's +doch nicht übers Herz gebracht; denn das Monogramm seines Regiments +bedeutete für ihn zugleich die Erinnerung an fast zwei Jahre seines +Lebens, denen er, das wußte er gar wohl, als Künstler sehr viel +verdankte. + +Verdankte vor allen Dingen seine genaue Bekanntschaft mit dem Wesen des +Volkes, das sich ihm im erzwungenen Verkehr mit den Mannschaften und +Unteroffizieren seines Regiments spielend erschlossen hatte. + +Aber noch mehr verdankte er seinem Soldatentum: + +Die sich dem Kulturmenschen sonst nur auf Reisen zu »kalt staunendem +Besuch« erschließt ... die Natur ... zu ihr hatte er just als Soldat +ein persönliches Verhältnis gewonnen, das seiner Kunst die reichsten +Früchte getragen hatte. Er war ja nicht Landschafts-, sondern +Porträtmaler, und die Richtung seines Strebens bannte ihn an den +Salon, bannte ihn an eine Menschensphäre hoher Kultur, äußerster +Verfeinerung und Naturentfremdung des gesamten Daseinsbetriebes -- und +so war es ihm geradezu ein Glück geworden, daß sein Dienstjahr und die +Pflichtübungen in der Reserve ihn durch Jahre hindurch immer wieder +in Zusammenhang mit dem Leben des Volkes und mit dem geheimnisvollen +Wirken der Natur gebracht hatten. Er hatte fünf Manöver mitgemacht, und +diese kriegerischen Übungen hatten ihm zahllose Bilder in die Seele +geprägt, Bilder von taufrischen Sonnenaufgängen auf grüner Heide, in +den Gebirgen der Eifel und des Hunsrücks -- brütende Sonnenschwüle über +flimmernden Ackerbreiten -- traumstille Mondnächte -- nebelverhangene, +regentriefende Waldeinsamkeiten. + +Und nun -- da er wieder den bunten Rock angezogen -- fühlte er +wieder jene seltsame Wirkung, der er schon früher immer so gern sich +hingegeben hatte -- er fühlte sich plötzlich verwandelt werden -- +fühlte, wie er auf einmal ein anderer Mensch wurde -- fühlte, wie das +Gewand, das die Zugehörigkeit zu einer andern Kaste bedeutete, in ihm +plötzlich Möglichkeiten seiner Seele freimachte, die unentwickelt +geblieben wären in dem Leben seines eigentlichen und wahren Berufs. + +Ach, wie schön, dachte Flamberg, nun einmal für acht Wochen nicht mehr +der berühmte und umstrittene Künstler zu sein, sondern ganz wer anders! + +Ein kleiner Leutnant -- eine Nummer -- ein Rad im großen Betrieb eines +ungeheuren, wuchtig und sicher arbeitenden Mechanismus. + +Untersinken in einer Menge -- nicht mehr wollen dürfen, sondern einfach +müssen -- sich korrigieren und anschnauzen lassen müssen -- hinter sich +ein Fähnlein grobknochiger Söhne des Volkes -- um sich herum die Bilder +eines bunten und fremden Lebens. + +Wieder im Gefecht sprungweise über den Stoppelacker und durch +Waldesdickicht vorgehen müssen -- umbrüllt vom rollenden Hurra und +knatternden Schnellfeuer, umschrillt vom vorwärtsdrängenden Kreischen +der Signalhörner, vom dumpfen Sturmmarsch der Tambours, um dann am +Ziel, Auge in Auge mit dem friedlichen Feind, sich lachend und keuchend +an die Erde zu werfen und in rasch gefundenem Schlummer zwischen +braunen Schollen und gelbblühenden Ginsterstauden auszuruhen -- und +dann gestärkt und genesen heimzukehren -- ein erneuter, verjüngter +Mensch, wie Antäus aus der Umarmung seiner Mutter, um wieder zum Pinsel +zu greifen und aufs neue Schönheitswelten aus dem Nichts zu schaffen. + +Ach, und dann galt es ja bei dieser Heimkehr den Einzug in das Land +des Menschenglücks -- galt es die Vereinigung mit ihr, die er sich +zur Gesellin seines Daseins erlesen -- mit ihr, die er trotzig +herausgerissen aus einer fremden, starren Welt, um sie mit sich +hineinzuführen in die glückselige, heitere Region, in der sein eigenes +Dasein sich sonnig entfaltete. + +Mit ihr, von der seine Gefühle ihm beim ersten Anblick gesagt hatten, +daß sie die Kameradin sei, die er brauche, sie der Mensch, der seinem +wilden Herzen den Frieden schenken würde, die große Ruhe, in der allein +das große Werk zur Reife gedeihen kann. + +Wie schön das alles -- wie reich und schön! Wie reich und schön dies +selbstgeschaffene Leben mit all seinen wechselnden Gestaltungen! + +Wie hell um ihn die Hoffnungsfülle -- wie golden vor ihm die Zukunft in +Nähe und Weite! + +Welches Glück, ein Künstler zu sein! + +Welches Glück aber auch, Soldat zu sein -- von Zeit zu Zeit einmal +untertauchen zu können von der flimmernden Oberfläche der Menschheit +her in die ruhig treibende Tiefe hinab, dorthin, wo im Waffendienst +ein Volk geschult wurde zur Wehrhaftigkeit in Krieg und Frieden, +zu geschlossen starkem Ineinanderwirken, zu elementarischer +Zusammenballung eines ungeheuern Kräftevorrats! + +Und endlich, zu lieben und geliebt zu werden -- welch ein Glück -- +welch eine Schönheit -- welch überschwengliche Hoffnung und Gnade! + +Ihm war's, als sitze sein Mädchen ihm gegenüber, als seien die +tränenschweren, güteschweren braunen Augen auf ihn gerichtet mit der +innigen Mahnung: Komm wieder -- komm bald wieder -- du weißt ja, ich +harre dein! + +Der reisende Mann legte den Kopf tief in die Kissen zurück, schloß die +Augen und sprach leise vor sich hin: »Agathe -- Agathe!« -- -- + + * * * * * + +Ratternd und fauchend hielt der Zug auf einer Kreuzungsstation. Martin +fuhr auf, steckte den Kopf zum Fenster hinaus in der Absicht, die +Einsamkeit seiner Fahrt gegen jeden Eindringling mit einem wahren +Menschenfressergesicht zu verteidigen. + +Da sah er in der Menge der andrängenden Fahrgäste eine abenteuerliche +Gestalt. Seine erste Empfindung war: Aha, ein Kamerad -- aber was für +einer! + +Ein lang und dürr aufgeschossener Herr mit goldgefaßter, funkelnder +Brille und einem langen, struppigen roten Bart, die hagern Glieder +umschlossen von einem Offizierüberrock, der, bei völlig unmodernem +Schnitt, noch immer die schwarze Farbe zeigte, während Blau seit +einigen Jahren Vorschrift war, auf dem Kopfe eine Mütze, wie er selber +sie in seiner einjährig-freiwilligen Dienstzeit vor zehn Jahren +getragen. Die Linke fuhrwerkte unbeholfen mit dem Säbel umher, der ihm +jeden Augenblick zwischen die stelzengleichen, unruhig trippelnden +Beine zu geraten drohte. + +Neben dem Uniformierten stand mit kaum verhohlenem Grinsen ein +rotbemützter Dienstmann, der einen ungeheuern, stark verschlissenen +Handkoffer und eine Helmschachtel trug. + +Nun hatten die hilflos hinter den Brillengläsern flackernden +grauen Augen des Uniformierten den Maler erspäht. Die Rechte im +Uniformhandschuh legte sich grüßend an den Schirm der vorsintflutlichen +Mütze, und wie schutzsuchend steuerte die lange Gestalt auf den Wagen +zu, an dessen Fenster Martin stand. + +Der Dienstmann riß die Wagentür auf, stieg zuerst hinein und verstaute +das Gepäck in den Netzen. Mühsam kletterte der Offizier hinterher, +jeden Augenblick in Gefahr, über seinen Säbel zu stolpern. Nun +suchte die ungelenke Linke des Herrn nach dem Portemonnaie, fand +aber die Tasche nicht gleich, weil die langen Schöße des Rocks und +der Riemen des Säbelkoppels den Zugang hemmten; aber endlich war die +Börse doch erwischt, der Dienstmann bekam seine Vergütung, die nicht +allzu reichlich ausgefallen zu sein schien; denn ohne Gruß mit einem +knurrenden Laut verließ der Träger das Abteil. + +Und nun wollte sich der Ankömmling dem Kameraden vorstellen; in +demselben Augenblick aber zog der Zug an -- und mit einem Ruck flog der +schwarze Überrock gegen den hellblauen, so daß beide Herren auf die +Polster plumpten. + +In hilfloser Verlegenheit stotterte der Ankömmling eine Entschuldigung, +und nachdem beide Herren ihre Säbel und Beine wieder aufgesammelt +hatten, stellte er sich nun endlich vor, selbstverständlich ohne daß +Martin den Namen des Kameraden verstand. + +Tiefaufatmend lehnte sich der fremde Herr auf seinen Sitz zurück, +nahm die Mütze ab, unter der ein nur noch von einem dürftigen braunen +Haarkranz umsäumter kahler Schädel zum Vorschein kam, und tupfte mit +einem gelbseidenen Taschentuch die quellenden Schweißtröpfchen von +Stirn und Platte. + +»Schauerliche Hitze --!« meinte er und fächelte sich mit dem +Taschentuch. + +Rasch kam das Gespräch in Gang. Es stellte sich heraus, daß der +Ankömmling Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn +sei, und als Flamberg ihm seinen Namen deutlicher wiederholte, wußte +der andere sofort Bescheid. Respektvoll fragte er: »Flamberg? etwa gar +der Schöpfer der beiden Porträts in der Berliner Sezession?« + +»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« lächelte Martin. + +»Alle Wetter,« sagte der andere, »das nenn' ich ein glückliches Omen +... da ich doch nun wieder einmal sehr gegen meinen Geschmack aus +meiner stillen Studierklause unter das Kriegsvolk verschlagen werde. +Ich bin entzückt, gleich beim ersten Eintritt in diese langentfremdete +Welt einem Vertreter sanfterer Regionen der Menschlichkeit zu begegnen +... Übrigens werden Sie meinen Namen auch nicht verstanden haben. Ich +heiße Frobenius.« + +Martin dachte einen Augenblick nach und sagte: »Frobenius, Wilhelm +Frobenius ... ich habe vor kurzer Zeit eine Sammlung von Studien über +Goethes Faust von einem Wilhelm Frobenius gelesen -- wären das gar +Sie?« + +»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« schmunzelte Frobenius. + +Martin streckte ihm die Hand hin: »Ich freue mich,« sagte er, »Ihre +Analyse der Gretchengestalt hat auf mich so stark gewirkt, daß ich kurz +vor meiner Abreise ein Gretchen gemalt habe.« + +»Schau -- schau,« sagte Frobenius, »wo haben Sie das Modell +aufgetrieben?« + +»Da hab' ich nicht lang zu suchen brauchen,« lachte Martin, »meine +Braut!« + +»Ei der Tausend, dann freilich! -- gratuliere, Herr Kamerad!« + +»Sagen Sie, Herr Frobenius,« fragte der Maler, »Sie scheinen von der +Aussicht, wieder mal acht Wochen im bunten Rock zubringen zu müssen, +nicht so erbaut zu sein wie ich?« + +»Ja,« sagte Frobenius, »das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich kann +mir wohl vorstellen, daß Sie mir es an der Nase ansehen, daß meine +Liebe zum Kommiß eine einigermaßen unglückliche ist. -- Sehen Sie, ich +bin von Natur so etwas wie ein Pechvogel, fühle mich eigentlich nur +hinter meinen Büchern so recht behaglich --« + +»Dann verstehe ich nicht recht -- Sie müssen doch schon in höhern +Semestern sein und haben doch keinesfalls mehr die Pflicht zu üben -- +warum tun Sie's also?« + +»Sie haben ganz recht zu fragen,« erwiderte der Privatdozent, »ich +könnte längst außer Dienst sein. -- Ich habe mich überhaupt erst in der +Landwehr zum Offizier wählen lassen und mit Zittern und Zähneklappern +vor sechs Jahren meine einzige achtwöchige Pflichtübung gemacht. Damals +aber habe ich gefunden, daß mir diese Übung vorzüglich bekam, nicht nur +körperlich, auch -- ich möchte sagen -- was meinen Charakter anbetrifft +-- -- Wissen Sie, ein so fürchterlich ungewandter Mensch, wie ich nun +leider Gottes einmal einer bin, für den sind solche acht Wochen beim +Kommiß eine wahre Dressur. Wenn ich auch im bunten Rock eine ganz +miserable Figur mache -- ich weiß das leider nur zu gut -- so hab' +ich entdeckt: als ich damals nach Hause kam, da war für einige Zeit, +etwa für zwei bis drei Jahre, jene lächerliche Scheu vor öffentlichem +Auftreten und gesellschaftlichem Umgang von mir gewichen, die mich +sonst zu einem wahren Einsiedlerdasein zwingt.« + +»Aha, und darum sind Sie also in der Landwehr I geblieben -- und wollen +jetzt mal wieder acht Wochen 'ran, um sich sozusagen wieder mal ein +bissel zurechtstutzen zu lassen!« + +»Ja, allerdings, das war die Absicht«, meinte der Privatdozent. +»Eigentlich ist die Übung für mich ein Martyrium, dem ich nur mit +Grauen und Entsetzen entgegensehe -- und ich weiß schon, daß ich +während der ganzen Zeit aus einer Katastrophe in die andere taumeln +werde -- aber was hilft's -- es muß nun einmal sein.« + +»Ja,« lachte der Maler, »dann sind Sie allerdings zu bedauern -- ich +für meine Person freue mich, offen gestanden, ganz kolossal auf die +Übung.« + +»Das glaube ich,« sagte Frobenius, »Sie sehen auch so aus, als ob Sie +Grund dazu hätten. Wenn mich der Schein nicht trügt, so sind Sie ein +gerade so netter Kerl, wie Sie ein großer Künstler sind, und ich werde +Ihnen etwas sagen: Sie werden mir einen Gefallen tun. Sie werden sich +gelegentlich meiner ein bißchen erbarmen, wenn es mir gar zu jämmerlich +geht, nicht wahr, Herr Kamerad?!« + +Er streckte dem Maler die haarige Rechte hin, von der er den weißen +Uniformhandschuh abgezogen hatte, und schallend schlug Martin ein. + +»Das soll ein Wort sein, Herr Frobenius -- ich denke, es soll recht +nett werden, die acht Wochen hindurch -- ich sehe gar nicht ein, was +uns hindern könnte, uns die zwei Monate, die vor uns liegen, zu einem +rechten Fest zu machen.« + + + + + Zweites Kapitel. + + +In dem hellen, luftigen Speisesaal des Offizierkasinos des +Füsilier-Regiments Prinz Heinrich der Niederlande (14. Rheinischen) +Nr. 186 war der Kasinovorstand, Oberleutnant Menshausen, damit +beschäftigt, die Anordnungen für die Mittagstafel einer letzten Prüfung +zu unterziehen. Er legte an der Hand eines Zettels, auf dem er die +Tischordnung entworfen hatte, persönlich die Tischkarten, instruierte +die Ordonnanzen und warf ab und zu einen Blick auf den Kasernenhof +hinaus, wo im Schatten der Kasernengebäude die Bataillonsadjutanten +die Befehlsempfänger der Kompagnieen um sich versammelt hatten, um die +Tagesbefehle auszugeben. Drüben aber, im prallen Sonnenschein, trat +die Wache an, und der Offizier vom Ortsdienst nahm die Meldungen der +Wachhabenden entgegen. + +Säbelklirrend kam Leutnant Blowitz herein, der neue Adjutant des ersten +Bataillons, erst seit kurzem aus dem fernen Osten in das rheinische +Regiment versetzt: »Morgen, Menshausen -- nanu, gibt's denn heute +mittag ein größeres Zauberfest?« + +»Allerdings,« erwiderte Menshausen kurz, »Regimentsmusik!« + +»Was ist denn los?« + +»Die Herren Kameraden der Reserve und Landwehr werden in unserer Mitte +begrüßt.« + +»Ah -- richtig, richtig -- aber warum machen Sie denn dazu so'n saures +Gesicht, Menshausen?« + +»Ich weiß nicht,« brummte der Kasinovorstand, »kann die Herren nun mal +nicht verknusen -- verderben den ganzen Eindruck des Offizierkorps -- +untergraben die Disziplin.« + +»Na, hören Sie mal,« lächelte Blowitz, »ich habe mich bei meinem +frühern Regiment mit den Herren ganz vorzüglich gestanden. Ist 'ne ganz +nette Abwechslung -- man bekommt doch mal was anderes zu hören, als +ewig Kommiß- und Avancementsgeschichten. Übrigens sind die Herren nun +einmal doch ein notwendiges Übel.« + +»Ob sie notwendig sind, weiß ich nicht -- übel sind sie jedenfalls.« + +Leutnant Blowitz stand gerade an der Wand unter einem mächtigen Rahmen, +der eine große Anzahl einzelner Photographien von Offizieren umschloß. +Es waren die Toten des Offizierkorps des Regiments aus dem Feldzuge +1870/71. + +»Ja, sehen Sie mal, lieber Menshausen,« meinte er, »schau'n Sie sich +doch mal hier die Regimentstafel der Gefallenen von Siebzig an -- da +ist ein Hauptmann der Reserve und drei Leutnants der Reserve drunter.« + +»Na ja,« lenkte der Ältere ein, »im Kriege mögen die Herren ja an +ihrem Platze sein, und daß sie brav gefochten haben und als ehrenhafte +Soldaten gestorben sind, will ich ja nicht bezweifeln -- aber im +Frieden tun sie nichts weiter, als den Betrieb stören. Wir sind doch +hier wahrhaftig nicht zusammen, um ein bißchen Räuber und Gendarm +miteinander zu spielen -- wir haben hart zu arbeiten -- wir haben +die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, binnen zwei Jahren die +Hanakenbande, die uns jeden Oktober hierher geschickt wird, zu halbwegs +brauchbaren Soldaten zu erziehen -- und dabei sind die Herren von der +Reserve und Landwehr höchstens hinderlich!« + +Blowitz lachte still in sich hinein. Er hatte den Charakter des neuen +Regimentskameraden schon einigermaßen durchschaut und wußte, daß es +nicht leicht war, ihm irgend etwas recht zu machen. + +»Wie viel Herren kommen denn?« fragte Blowitz. + +»Ganze sechs!« + +»Na, was für Geisteskinder sind es denn?« + +»Geben Sie mal acht,« sagte der Oberleutnant und zog den Jüngern ans +Fenster, »da hinten unterm Torbogen da versammeln sie sich gerade. +Wissen Sie, ich teile die Herren Sommerleutnants in zwei Kategorien +ein: die einen sind die, die wenigstens von weitem wie Offiziere +aussehen -- die andern sind glattweg wandelnde Karikaturen. Nun sehen +Sie sich mal die Gesellschaft da hinten an. Ich werde Ihnen zunächst +die Karikaturen vorstellen. Also betrachten Sie mal diese Tonne da +hinten: das ist der Oberleutnant der Reserve, Herr Brassert, im +Zivilverhältnis Gymnasialoberlehrer. Wenn Sie dem einen Stich ins Herz +versetzen wollen, dann müssen Sie ihn ›Herr Professor‹ anreden.« + +»Warum soll ich ihm denn einen Stich ins Herz versetzen?« erwiderte +Blowitz, »er hat mir ja gar nichts getan -- aber weiter! Wer ist denn +dieser merkwürdig dünne Herr mit dem zapfenartig herunterhängenden +Schnurrbart?« + +»Ja,« sagte Menshausen, »das ist die Obervogelscheuche unter den Herren +-- das ist der Forstassessor Troisdorf, ein Rauhbein im Quadrat; ich +behaupte, er kann überhaupt kein Wort Hochdeutsch sprechen.« + +»Nanu,« meinte Blowitz, »wie ist denn das möglich? Ein Forstassessor +...« + +»Na, Sie werden ja hören,« entgegnete Menshausen, »mag sein, daß er +im Verkehr mit seinen Waldwärtern und Treibern völlig verbauert ist, +jedenfalls spricht er das fürchterlichste Kölnisch, das ich jemals +gehört habe.« + +»Übrigens wimmelt da ja noch eine dritte Karikatur 'rum.« + +»Den Herrn kenn' ich nicht -- das ist also jedenfalls der +Landwehronkel, der uns angekündigt worden ist -- irgend so'n gelehrtes +Haus von der Universität -- Gehirnfatzke, wie der Simplizissimus sagt!« + +»Na, und nun also die halbwegs vernünftig Aussehenden!« + +»Ja sehn Sie -- da ist zunächst der einzige, der für mich mitzählt, der +blonde Herr im Dienstanzug -- er macht seine erste Offizierübung -- er +ist aus dem Regiment hervorgegangen -- ein Referendar namens Dormagen +-- ein einigermaßen tadelloser Herr!« + +»So, also das ist Ihr Genre,« sagte Blowitz, »für meinen Geschmack hat +er eine ziemliche Ohrfeigenvisage -- und der andere daneben, mit dem +riesigen, hochaufgedrehten Schnurrbart?« + +»Hm -- das ist wieder 'ne andere Nummer -- das ist der Leutnant Klocke +-- seines Zeichens das, was ein aktiver Offizier in der Regel erst +später zu werden pflegt -- nämlich Versicherungsagent! -- Na -- er +macht wenigstens 'ne leidlich militärische Figur -- über seine sonstige +Persönlichkeit müssen Sie sich selbst ein Urteil bilden!« + +»Wer aber«, fragte Blowitz, »ist der blonde Herr, der da eben so +strahlend heranfegt?« + +Menshausen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Tja -- -- das ist +sozusagen unser Renommierreserveleutnant -- ein sogenanntes berühmtes +Tier -- das ist der Maler Flamberg --« + +»Flamberg?« sagte Blowitz nachsinnend, »woher kenn' ich denn den Namen? +-- Richtig, jetzt fällt mir's ja ein: auf der Durchreise war ich doch +in Berlin und hab' da in einer Ausstellung ein paar gemalte Weiber +gesehen -- aber -- deliziös, sag' ich Ihnen -- eine stramme Germanin -- +und daneben eine fabelhaft pikante Jüdin mit Schultern -- Schultern -- +sag' ich Ihnen! Teufel, die Bilder machen ja ein kolossales Aufsehen! +-- und das ist also dieser Flamberg?« + +»Weiß ich nicht,« sagte Menshausen, »ich verstehe nichts von Kunst +-- und ob er eine Germanin und eine Jüdin in Berlin aufgehängt hat, +ist mir höchst wurscht. Für meine Person kann ich nur behaupten, daß +dieser Herr Flamberg mir unter all den Herren von der Reserve der +fatalste ist. -- Was der Bruder sich schon einbildet auf sein bißchen +Pinselei! und dann, wissen Sie: Ansichten! Ich begreife nicht, was so'n +sogenannter Künstler überhaupt im preußischen Offizierkorps zu suchen +hat. -- Der sollte doch ruhig mit seinen Übermenschen und Überweibern +zusammenhocken und uns hier in Frieden lassen -- na, Sie werden ihn ja +kennen lernen.« + +»Ich weiß nicht -- ich finde, er sieht ausgezeichnet aus!« + +In diesem Augenblick standen die Ordonnanzen stramm; denn ein neuer +blauer Überrock erschien in der Tür zum Rauchzimmer. + +»Morgen, meine Herren!« + +»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« Die beiden Offiziere verneigten sich. + +»Ah, Herr Hauptmann schenken uns die Ehre heute,« sagte der +Kasinovorstand, »ist ja wohl das erstemal, seitdem Herr Hauptmann der +Tischgesellschaft auf so überaus angenehme Weise entfremdet worden +sind!?« + +»Tja,« meinte Hauptmann von Brandeis, »alles den Herren Kameraden von +der Reserve zu Ehren! -- Da ist nämlich der Maler Flamberg dabei, den +hab ich seinerzeit als Rekruten ausgebildet. -- Ich habe bei Herrn von +Schoenawa durchgesetzt, daß er in meine Kompagnie kommt.« + +»So,« meinte Menshausen, »also der ist Herrn Hauptmanns Fall?« + +»Warum nicht?« entgegnete Hauptmann von Brandeis, »und übrigens -- +wissen Sie, wir gehen doch nächstens ins Manöver, und da weiß ich aus +Erfahrung -- Flamberg hat nämlich schon einmal bei meiner Kompagnie +während des Manövers geübt -- der ist unschätzbar als Menagenchef. Wenn +ich die Manöververpflegung dem Windhund, meinem kleinen Carstanjen, +überlasse, dann bekomm ich während der drei Manöverwochen nichts +Vernünftiges zu essen und zu trinken -- da halt' ich mich schon lieber +an Flamberg -- das ist ein Genießer vor dem Herrn! -- Außerdem hab' ich +auch noch andere Absichten mit ihm: er soll meine Frau malen!« + +»So,« meinte der Oberleutnant gedehnt, »wissen Sie denn auch, Herr +Hauptmann, daß Flamberg in dem Ruf steht, von den Damen sehr -- hm, hm! +-- verwöhnt zu werden?« + +»Na, wennschon,« sagte Brandeis phlegmatisch, »er ist verlobt! -- +Übrigens war das eine ziemlich geschmacklose Bemerkung von Ihnen, +lieber Menshausen.« + +Der Hauptmann machte kurz kehrt und ging ohne Gruß in das Rauchzimmer +zurück. + +»Kennen Sie Frau von Brandeis, lieber Blowitz?« fragte Menshausen +leise. + +»Wenigstens +par renommée+,« erwiderte der andere, »soll 'ne +Schönheit sein, wie?« + +»Schönheit --? viel zu wenig! Die Frau, wissen Sie, das ist -- einfach +'ne Sache, verstehen Sie. -- -- Wie die an dieses schlafmützige +Dusseltier, den Brandeis geraten ist, das wissen die Götter! -- +Stammt aus 'ner schwerreichen Düsseldorfer Fabrikantenfamilie -- +fabelhaft musikalisch -- und ein Temperament --! Wenn ich Brandeis +wäre, die ließ ich nicht fünf Minuten aus den Fingern! Na, schließlich +so'n Reserveonkel -- davor wird sie hoffentlich ihr guter Geschmack +bewahren. -- Wenn schon -- dann soll's wenigstens in der Familie +bleiben --!« + +In diesem Augenblick trat der Stabshoboist, der Königliche +Obermusikmeister Herr Biesicke ein, schritt stramm auf den +Kasinovorstand zu und meldete: »Regimentsmusik zur Stelle!« + +»Danke, lieber Biesicke! Na, nun können die Herren Kameraden der +Reserve und Landwehr meinetwegen anrücken!« -- -- + + * * * * * + +Draußen auf dem Kasernenhof lag die Augustsonne in breiten goldenen +Flächen ausgegossen -- immerfort tauchten in diese gelbe Fläche +glitzernde, flimmernde Punkte hinein. + +Jetzt kam bei lustigem Pfeifen- und Trommelklang eine Kompagnie mit +Staub und Schweiß bedeckt von der Felddienstübung zurück. Der Hauptmann +an der Spitze setzte seinen Gaul in Galopp, sprengte bis auf die Mitte +des Kasernenhofes vor und kommandierte, daß es schallend an den langen +Fronten der Kasernengebäude widerhallte: »Augen -- rechts!« + +Hei! Da richteten sich all die marschmüden Gestalten noch einmal +stramm auf -- mit einem Ruck flogen die Köpfe rechts herum, und in +flottem Parademarsch zog die gleißende, waffenrasselnde Schar an ihrem +Häuptling vorüber. + +»Kompagnie -- halt! -- Mit Gruppen links schwenkt -- marsch! Halt! +Gewehr -- ab! -- Rührt euch!« + +Schon erschien, aus seiner behaglichen, kühlen Kompagniestube +hervorgekrochen, der behäbige Feldwebel, erschienen Mannschaften vom +Arbeitsdienst in Drillichzeug, Feldmützen und blauen Schürzen, um +die vom Gefecht übrig gebliebenen Platzpatronen und Patronenhülsen +abzunehmen -- einige Befehle wurden noch ausgegeben -- dann hieß es: +»Stillgestanden! -- Weggetreten!« + +Und nach strammer Kehrtwendung ergoß sich die Schar der jungen Krieger +wie eine heiße Flutwelle schweißdunstiger, wangenbrauner Jugend in der +Richtung auf die Kaserneneingänge und verlor sich schwatzend, lachend, +stiefelpolternd in die hallenden Korridore. + +Der Hauptmann warf seinem Burschen die Zügel seines Kleppers zu, +voltigierte so elastisch, als ihm seine zweiundvierzig Jahre dies +gestatteten, vom Pferde herunter und wandte sich zu seinen Offizieren. +Die standen, Hand am Helm, Säbel angefaßt, seiner Befehle gewärtig: +»Ich danke Ihnen, meine Herren -- wie wär's mit einem Schoppen im +Kasino?« + +»Selbstverständlich, Herr Hauptmann!« + +Da standen in der geräumigen Eingangshalle des Kasernengebäudes die +sechs eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes: »Ah, sieh da -- +die Herren von der Reserve und Landwehr!« + +Der Hauptmann und die beiden jungen, schmucken aktiven Leutnants traten +auf die eingezogenen Herren zu und begrüßten die alten Bekannten. Von +den sechs Angekommenen gehörten fünf zur Reserve des Regiments und +waren den aktiven Herren von frühern Übungen her bereits bekannt. So +war die Begrüßung sehr herzlich und kameradschaftlich. + +Etwas hilflos stand der Leutnant der Landwehr Frobenius im +Hintergrunde, aber Flamberg, eingedenk seines Versprechens, sich des +Kameraden anzunehmen, winkte ihn heran: »Gestatten Herr Hauptmann, Herr +Leutnant der Landwehr Frobenius -- Herr Hauptmann Haller, Chef der +dritten Kompagnie -- die Herren Leutnants von Finette und Krummacher.« + +Herr Frobenius faßte den Säbel in die Linke und legte die +weißbehandschuhte Rechte wie eine große Flosse an den Helm mit einer +so altväterlich unbeholfenen Handbewegung, daß der lustige, hellblonde +Leutnant von Finette es sich nicht versagen konnte, gleich loszuulken: +»Sagen Sie, Herr Frobenius, Sie haben wohl schon unter Albrecht dem +Bären gedient, wie?« + +»Warum meinen Sie, Herr Kamerad?« fragte Frobenius errötend. + +»Das schließe ich aus dem Schnitt Ihres Kollers und aus dem Modell +Ihres Turnierhelms.« + +»So -- sind die Sachen so auffallend unmodern?« stammelte Frobenius. + +»Ja,« entgegnete Finette, »wenn Ihre Kenntnis des Exerzierreglements +im selben Maße mit der Neuzeit fortgeschritten ist, dann werden ja die +Herren Füsiliere viel Vergnügen an Ihnen erleben!« + +Flamberg kam ihm wiederum zu Hilfe: »Lieber Finette, wenn Sie mal ein +so altes Patent haben werden wie der Herr Kamerad Frobenius, dann haben +Sie längst wegen unheilbarer Revolverschnauze den Abschied -- -- und +kommen also gar nicht in die Verlegenheit, sich von einem jungen Dachs +wegen Auftragens älterer Garnituren anulken lassen zu müssen,« sagte er +mit liebenswürdigem Lächeln, doch scharf genug, daß Finette verstand. + +Der aber war nicht aus der Fassung zu bringen. Im echtesten Tonfall +seiner Heimatstadt Köln erwiderte er: »Is ja halb so schlimm gemeint, +nit wahr, Herr Frobenius? lohß mer uns widder verdrage, nit?« + +Er streckte dem Privatdozenten die schlanke Hand hin, die dieser +krampfhaft schüttelte. + +Immer mehr Kompagnien kamen jetzt von der Morgenarbeit zurück. Die +Offiziere, von ihren Hauptleuten verabschiedet, traten einer nach dem +andern heran und begrüßten die eingezogenen Herren. + +Frobenius beobachtete mit Genugtuung, daß das kameradschaftliche +Verhältnis zwischen den aktiven Herren und denen der Reserve ein sehr +gutes zu sein schien -- nur er, der allein nicht die Regimentschiffre +trug, das Monogramm des Chefs, des Prinzen Heinrich der Niederlande, +nur er allein wurde mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt, zu +der allerdings, wie er sich selbst nicht verhehlte, sein verbotenes +Exterieur einigermaßen beitragen mochte. + +Auch die Stabsoffiziere fanden sich ein: der martialisch +kurzangebundene Oberstleutnant Rautz -- dann der Kommandeur des ersten +Bataillons, Major von Sassenbach, ein alter Troupier mit ausgewettertem +Gesicht und langflatternden grauen Schnurrbartzipfeln -- Major +Blasberg, der das zweite Bataillon führte, ein hagerer reservierter +Diplomat -- und endlich kam gar mit klingendem Spiel der Regimentsmusik +das ganze dritte Bataillon von der Felddienstübung zurück, voran +der Kommandeur: der kleine rauhbeinige Major von Czigorski, der mit +hellkrähender Stimme den Parademarsch befahl, auf seinem riesigen +Schimmel, den seine dicken Beinchen kaum umspannen konnten, und mit +behaglichem Stolz den Vorübermarsch sämtlicher Kompagnieen ansah, bis +hinunter zur zwölften, der Kompagnie der ganz kleinen Kerle, die aber +als die strammste im ganzen Regiment galt. + +So rollte sich vor den Augen der eingerückten Herren das ganze, +vertraute, farbenfrohe Schauspiel des militärischen Lebens ab, und mit +Freude sogen Martin Flambergs Malersinne den glitzernden Schmelz, die +schmetternden Geräusche, den herben Duft des kriegerischen Bildes ein. + +Vom Kasino her kam der Hauptmann von Brandeis, des Malers alter Freund +und Gönner, und schritt geradenwegs auf ihn zu. Flamberg hatte bereits +auf dem Regimentsbureau in Erfahrung gebracht, daß er wieder bei der +Ersten üben würde, und freute sich dessen; denn er hatte sich während +jener ersten acht Wochen unter Brandeis vorzüglich mit ihm vertragen. +In dienstlicher Haltung trat er dem Kapitän entgegen: »Melde mich ganz +gehorsamst zur achtwöchigen Übung eingezogen und der ersten Kompagnie +zugeteilt.« + +»Danke Ihnen, lieber Flamberg,« lächelte Brandeis und streckte ihm +freundschaftlich die Hand entgegen, »seien Sie mir wieder einmal +willkommen bei der Königlichen Ersten! Na, wir werden ja hoffentlich +ein schönes Manöver haben -- der Hunsrück ist nicht das Schlimmste -- +erinnern Sie sich, was wir vor vier Jahren haben in der Eifel ausstehen +müssen?« + +»Jawohl, Herr Hauptmann -- Köttelbach -- Katzwinkel -- Beinhausen -- +und Gefell -- schöne Gegend!« + +»Stimmt! -- wenn Ihre Kochkunst und Ihre wohlassortierte Wein- und +Menagekiste nicht gewesen wäre, wär's uns dreckig gegangen -- habe +später oft Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Flambergs gehabt.« + +»Herr Hauptmann wissen, daß ich ein Feldsoldat bin und auch mal das +Koppel enger schnallen kann, ohne gleich die Nase in den Dreck hängen +zu lassen, wenn's sein muß -- aber wenn's nicht sein muß, dann bin ich +allerdings mehr für Luxus und Wohlleben, offen gestanden.« + +»Ganz Ihrer Meinung, lieber Flamberg, und um gleich einen guten Anfang +zu machen, bitte ich Sie, heut mittag bei der Begrüßungstafel mein Gast +zu sein.« + +»Ich danke gehorsamst, Herr Hauptmann!« + +»Und im übrigen: nochmals willkommen und auf gute Freundschaft! -- Aber +da kommt unser neuer Herr Regimentskommandeur -- die Herren werden sich +melden müssen. Auf Wiedersehn also hernach im Kasino!« + +Mit rascher Prüfung, nicht ohne einige Spannung, schauten die sechs +Augenpaare der eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes der +Ankunft des neuen Regimentskommandeurs entgegen. Von den aktiven Herren +hatten sie bereits genug über ihn gehört, um zu wissen, daß er keinen +Spaß verstehe. + +Der Oberst Freiherr von Weizsäcker war aus der hessischen Armee +hervorgegangen und trug zwischen seinen Rippen noch zwei preußische +Kugeln, die er am 13. Juli 1866 als hessischer Leutnant im Gefecht bei +Frohnhofen und Lauffach erhalten hatte. Dazu schmückte ihn das Eiserne +Kreuz erster Klasse, das er als Führer einer preußischen Kompagnie bei +Gravelotte erworben. So verkörperte er in seiner Person ein ganzes +Stück der Geschichte deutscher Einigungskämpfe. + +Als Flamberg ihm ins Auge sah, war sein erster Gedanke der Wunsch: »Den +möchtest du malen!« + +Auf der noch jugendlich elastischen, gertenschlanken Reiterfigur +ein bronzener Kopf mit scharfgezogener Nase, darunter zwei graue +Schnurrbartflämmchen; der Kopf, die ganze Gestalt beherrscht von +tiefliegenden, doch hell und groß gezeichneten grauen Augen; die +hatten die Gewohnheit, mit zwei raschen Blicken die Gestalt dessen, +der vor ihnen erschien, gleichsam abzustreifen; dann bohrten sie sich +mit bannender Gewalt in die Augen des Gegenübers ein, drangen mit +unwiderstehlichem Leuchten bis in die Tiefe. + +Die Reserveoffiziere hatten sich in einer Reihe aufgestellt. +Oberleutnant der Reserve Brassert, der behäbige Gymnasialprofessor, +war dem Dienstgrad nach der älteste, und so war es denn an ihm, dem +Obersten entgegenzutreten und ihm die sechs eingezogenen Herren zu +melden. + +Der Oberst überflog mit den zwei raschen Blicken die Gestalt des +Vertreters der Herren des Beurlaubtenstandes; dabei zuckten die beiden +Schnurrbartflämmchen und der herrische Mund darunter einen Augenblick, +aber eisern blieb das Gesicht, nur die Augen lachten, als er mit +leichtem Dank der weißbehandschuhten Hand erwiderte: »Ihren Namen, Herr +Oberleutnant, wenn ich bitten darf!« + +Als Brassert sich genannt, ließ er sich dessen Stand angeben, und +seine Antwort: »Ah so!« schien darzutun, daß er nun den Duft der +Studierstube, welcher der Erscheinung des Angeredeten anzuhaften +schien, begreife. + +Der Oberst ging die Reihe entlang und wiederholte die Frage nach Namen +und Stand. Dann trat er mit ein paar raschen Schritten vor die Mitte +der Herren, streifte noch einmal kreuz und quer mit den Augen ihre +Front ab und sprach: + +»Meine Herren, ich begrüße Sie. Ich habe mir erzählen lassen, daß +das Regiment, das zu führen ich seit kurzem die Ehre habe, einen +überaus tüchtigen Ersatz an Reserveoffizieren sein eigen zu nennen +das Glück hat. Ich kann also mit vollem Vertrauen Ihrer Mitwirkung an +unserer gemeinschaftlichen Arbeit entgegensehen. Wer, wie ich, zwei +Feldzüge mitgemacht hat, weiß, was die Armee an den Offizieren des +Beurlaubtenstandes besitzt. -- Sie kommen zu uns, um bei uns zu lernen +-- ich bin aber überzeugt, daß Sie uns auch etwas mitbringen: Sie +bringen uns einen Gruß des Volkes, zu dessen Schutz wir bestimmt sind. +-- Sie bringen uns einen Gruß der Geistesarbeit, die unterm Schirm +unserer Waffen gedeihen soll. -- In diesem Sinne begrüße ich Sie alle +-- als das lebendige Band zwischen dem aktiven Offizierkorps und dem +Volk, um dessentwillen wir alle da sind. -- Ich wünsche Ihnen, daß Sie +sich wohl fühlen in unserer Mitte, und daß Sie nach Ablauf Ihrer acht +Wochen nicht nur gebräunt und gekräftigt, sondern auch an militärischen +Kenntnissen bereichert und durch freudige Erinnerungen gefördert an die +Stätte Ihrer Lebensarbeit zurückkehren mögen. Ich danke Ihnen, meine +Herren!« + +Er grüßte, und wiederum flogen die Hände der eingezogenen Herren an die +Helmschienen. + +Nun wandte er sich zu den Stabsoffizieren, welche bisher, von den +Hauptleuten und aktiven Leutnants umringt, den Worten des Obersten +zugehört hatten, und schritt im Geplauder dem Korridor zu, der auf das +Regimentsbureau führte. + +Kaum war er verschwunden, da löste sich die feierliche Erstarrung, und +die Gruppen der aktiven und Reserveoffiziere vermischten sich zu lautem +Gelächter, schnarrendem Geplauder -- und säbelrasselnd, sporenklirrend +schritten die Herren über den hallenden Kasernenhof zum Kasino hinüber. + +An allen Fenstern der endlosen Fronten wurden neugierige Köpfe sichtbar +-- an allen Waschtrögen standen Gruppen von Soldaten in Feldmützen +und Drillichzeug, die nun ihre Arbeit unterbrachen und, Bürsten und +Monturstücke in der Hand, zur vorgeschriebenen Haltung erstarrten, bis +die Gruppe der Offiziere an ihnen vorüber war. + +Und als nun die ersten der Herren die Stiegen der Treppe zum +Kasino betraten, da scholl von drinnen der schmetternde Klang der +Regimentsmusik, die den Einzugsmarsch der Gäste aus Tannhäuser den +einrückenden Kameraden entgegensandte. + +Nach wenigen Minuten, die man harrend und plaudernd im Rauchzimmer +zugebracht, erschien der Kasinovorstand Oberleutnant Menshausen und bat +die Herren zu Tisch. + +In breiten Güssen fiel die langsam sinkende Nachmittagssonne durch die +hohen Fenster des Speisesaales über die hufeisenförmig aufgestellten +Tische, auf denen heute zur Feier des Tages der reiche Silberschmuck +des Regiments blinkte, umgeben von einer wahren Überlast bunter +Herbstblumensträuße, die dem Garten des Kasinos entstammten -- und +um die Tafel gruppiert etwa vierzig blühende Jugendgestalten -- von +dem Kommandeur des ersten Bataillons, Major von Sassenbach, der +als einziger Stabsoffizier an der Tafel teilnahm, bis herunter zum +blutjungen Fahnenjunker, der kaum der Presse entschlüpft war und sich +im Rock des Füsiliers und angesichts so vieler Vorgesetzter kaum zu +rühren -- kaum den Mund aufzutun getraute. + +Allen diesen Erscheinungen gemeinsam war der vorschriftsmäßige +Schnitt des Haars, soweit sich dies nicht schon verflüchtigt hatte +und spiegelnde Stirnen oder Glatzen freiließ -- war gemeinsam der +modische Bürstenschnitt des Schnurrbarts, gemeinsam die straffe +Haltung, die lebhaften und doch gemessenen Bewegungen, der scharfe +Klang der Stimmen, die gewohnt waren, im Gelände weite Entfernungen +zu beherrschen oder sich durch das Rollen des Schnellfeuers hindurch +Geltung zu verschaffen. + +Auf den ersten Blick aber waren die Herren des Beurlaubtenstandes an +der bleichern Hautfarbe, der etwas nachlässigern oder steifern Haltung, +dem mehr ins Geistige gewandten Ausdruck der Gesichter und Augen zu +unterscheiden. Doch das alles würde sich nun bald verwischen -- waren +doch diese sechs Männer nur hierhergekommen, um wieder Soldaten zu +werden, um sich wieder einzufügen in den gewaltigen Organismus, in dem +auch sie nichts als dienende Räder sein sollten und sein wollten. + +Diese Einfügung und diese Anpassung, so sagte Flamberg sich +stillsinnend, diese Verschmelzung würde ihnen der Geist der +Kameradschaft erleichtern. Der Geist der Kameradschaft, der alle, +denen Seine Majestät Epaulettes und Schärpe verliehen hatte, zu einer +großen Schar von Verbrüderten zusammenschloß, in der ungeachtet aller +Abstufungen der Begabung und militärischen Befähigung, ungeachtet aller +Klüfte der Herkunft und der Anschauungen, jeder gleichberechtigt war, +in der es keine andern Unterschiede gab, als die der Dienststellung +-- und auch diese Unterschiede galten nur im Dienst -- außerhalb des +Dienstes gab es nicht Vorgesetzte, nicht Untergebene -- gab es nur +ältere und jüngere Kameraden -- gab es nicht aktive Offiziere und +nicht Offiziere des Beurlaubtenstandes -- gab es nur Offiziere, das +heißt: Träger des einen preußischen Soldatengeistes, der inmitten +aller Wandlungen der Weltanschauung und der sittlichen Begriffe das +alte Ideal der Ritterlichkeit verkörperte, das die Heere des Großen +Kurfürsten, des Alten Fritzen, das Heer der Befreiungskämpfer, wie die +Scharen Wilhelms des Siegreichen durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum +Siege geführt hatte. + +Und dieser Geist der Kameradschaft, so ernst er sich betätigte im +Dienst und in dem, was dem Dienste gleich galt: in der Auffassung jeder +großen Lebenspflicht -- in der Sphäre der Geselligkeit erwies er sich +als ein heiterer Geist, ein Geist freudiger Lebenslust. + +Munter schwirrten die Gespräche hinüber und herüber -- noch war kaum +der erste Gang serviert, da traten an die Stelle der hellgrünen +Moselflaschen die goldbekapselten der Sektspezialmarke des Kasinos. +Munter knallten die Pfropfen -- und in den Spitzgläsern perlte der +weiße Schaum: »Luxus und Wohlleben griffen um sich.« + +Major von Sassenbach schlug ans Glas. Er war kein großer Redner vor +dem Herrn -- es fiel ihm schwer, selbst nur ein paar formelhafte +Begrüßungsworte zusammenzustottern, und sein Adjutant, der Leutnant +Blowitz, den er mit diesem ausdrücklichen Auftrage sich gegenüber +gesetzt hatte, mußte ihm soufflieren. + +Aber aus den ungefügen Worten des alten Soldaten leuchtete herzliches +Wohlwollen, und obwohl manches Lächeln der Hörer seine gewaltigen +Kraftanstrengungen begleitete, klang doch das dreifache Hurra auf die +eingezogenen Herren, in das er seine Rede ausmünden ließ, kräftig und +munter durch den Saal. -- Die Begrüßten beeilten sich, mit dem Major +anzustoßen, und nun die letzte offizielle Handlung des Begrüßungstages +überstanden war, atmete alles auf, und es löste sich der letzte Rest +von Förmlichkeit und Zurückhaltung. + +Kreuz und quer durch den Saal schollen die Rufe der Tafelnden, die +einander zutranken. Mit vorschriftsmäßigem Ruck schnellten die +Angerufenen in die Höhe, wenn der Major oder einer der anwesenden +Hauptleute einem der Leutnants oder gar der zur Tafel zugezogenen +Vizefeldwebel der Reserve, Fähnriche oder Fahnenjunker zutrank; aber +regelmäßig winkte der Anrufende, Platz zu behalten -- nur die Pflicht +blieb bestehen, als Dank für den Zutrunk des Vorgesetzten sein Glas bis +auf die Nagelprobe zu leeren. + +Flamberg saß zwischen seinem Kapitän, dem semmelblonden Herrn +von Brandeis, und dem flaumbärtigen Kompagniekameraden, Leutnant +Carstanjen, dem Sohn einer reichen niederrheinischen +Fabrikantenfamilie. + +Zunächst mußte natürlich Flamberg erzählen. + +»Na, Flamberg, Sie sind ja inzwischen sowas wie'n berühmtes Tier +geworden -- alle Augenblicke hat man im Lesezimmer in den illustrierten +Zeitschriften irgend so'ne Pinselei von Ihnen abgebildet gesehen -- +natürlich immer die schönsten Weiber des europäischen Kontinents -- Sie +Schlemmer, Sie ...« + +»Haben Herr Hauptmann etwas anderes von mir erwartet?« + +»Ne, ne -- ich weiß wohl, Sie hatten ja damals schon 'nen starken +Hang fürs ewig Weibliche! Erinnern Sie sich noch, wie wir damals in +Mechernich in der Eifel mit der ganzen Kompagnie in der schauderhaften +Kneipe einquartiert wurden und für Sie und für -- na, wer war's doch +damals? Quincke wohl ...?« + +»Jawohl, ganz recht, Quincke, Herr Hauptmann!« + +»Na also -- für Sie beide nur dadurch Quartier zu schaffen war, daß +die beiden Töchter des Wirts aus ihrem Jungfernstübchen 'rausgewiesen +wurden und oben auf dem Heuboden kampieren mußten. Damals haben Sie +die beiden Mädels gezeichnet. Erinnern Sie sich noch? Na, nachher +waren sie nicht von Ihnen wegzuschlagen -- alle beide -- was? Ja, an +sowas läßt man sich natürlich nicht gern erinnern, wenn man inzwischen +Bräutigam geworden ist!« + +»Oh, was das anbetrifft, Herr Hauptmann: das Wort ›bereuen‹ kommt in +meinem Lexikon nicht vor.« + +Der kleine Carstanjen spitzte die Ohren und rief dazwischen: +»Donnerwetter, Herr Hauptmann, das scheint ja 'ne verflucht +interessante Geschichte gewesen zu sein! Wollen Herr Hauptmann die +nicht etwas ausführlicher erzählen?« + +»Knöpfen Sie sich die Ohren zu, Sie Kiekindiewelt,« antwortete +Brandeis, »sind noch viel zu klein für -- für solche Geschichten!« + +»Herr Hauptmann unterschätzen mich!« lachte Carstanjen. + +Brandeis fragte seinen Gast: »Wissen Sie auch schon, daß wir nächstens +im Kasino ein feenhaftes Zauberfest in Aussicht haben?« + +Flamberg erbat genauere Auskunft, und der Hauptmann berichtete: +»Also am 18. August feiert doch das Regiment die siebenunddreißigste +Wiederkehr des Tages von Gravelotte ... Na, das wissen Sie doch aus der +Regimentsgeschichte?!« + +»Ei gewiß: Sturm auf Point du jour, 118 Tote, 326 Verwundete! 2 Eiserne +Kreuze erster und 18 zweiter Klasse ins Regiment!« + +»Alle Achtung!« meinte Carstanjen, »so hab ich's ja nicht mal am +Schnürchen!« + +»Eh ... wie oft hab ich das schon meinen Kerlen in der +Instruktionsstunde eingebläut ... da werd ich's doch selber nicht +vergessen haben! -- So ... und das wird also diesmal in großem Stile +gefeiert?« + +»Ja,« erklärte Brandeis, »Sie wissen: der neue Kommandeur ist erst vor +vierzehn Tagen angekommen, und so soll das alljährliche Regimentsfest +diesmal zugleich als Begrüßung für die neue Kommandeuse im Kreise der +Damen gefeiert werden ... es gibt 'ne große Gartenfête im Kasino -- +Diner -- Theatervorstellung -- zuletzt natürlich Tanz!« + +»Theatervorstellung?« fragte Flamberg interessiert. »Nanu ... das kann +ja interessant werden ... was gibt's denn?« + +»Bei der zweiten Kompagnie steht ein einjährig-freiwilliger +Unteroffizier, ein Referendar seines Zeichens, zugleich in seinen +zahlreichen Mußestunden Reiter auf dem Musenklepper ... den hat +Frau von Sassenbach -- die ist nämlich Patroneß der Veranstaltung +-- 'rangebändigt und zum Dichten kommandiert. Er hat sowas wie 'n +allegorisches Festspiel verübt ... ihre beiden Töchter spielen +natürlich mit; das war wohl auch der Hauptzweck der Übung, die zwei +Mädels mal wieder gehörig in Szene zu setzen -- übrigens meine Frau +wirkt auch mit --« + +»Herr Hauptmann sind verheiratet? ... das erste, was ich höre ... seit +wann denn, wenn ich fragen darf?« + +»Seit eineinhalb Jahren!« sagte der Hauptmann, »übrigens eine +Landsmännin von Ihnen, ein Fräulein Cäcilie Imhof ... na -- der Name +wird Ihnen ja nicht unbekannt sein!« -- + +Cäcilie Imhof ... Bei diesem Namen stieg in Martin Flamberg +eine Erinnerung auf, die Erinnerung an ein braunes, kapriziöses +Mädchenköpfchen, das durch seine Jugend hingehuscht war wie so viele +andere, ohne just eine dauernde Spur in seiner Seele zu hinterlassen +... Immerhin war seine Erinnerung lebhaft genug, daß ihn die +Vorstellung, dieses Gesichtchen neben dem platt-behaglichen Puppenkopf +des Hauptmanns von Brandeis auftauchen zu sehen, mit seltsamen +Empfindungen erfüllte ... + +In Gesellschaft hatte der junge Maler, damals noch ein völlig +Namenloser, zuweilen das junge Mädchen getroffen und war von ihr ganz +und gar nicht beachtet worden ... das war kein Wunder; denn sie war +ein gefeiertes und damals schon, in ihrer zartesten Backfischjugend, +vielumworbenes Geschöpfchen ... die Tochter einer alten Familie reicher +Bankiers und Industrieller ... und er, Martin Flamberg, mußte sich +damals noch zu jeder Gesellschaft für zwei Mark fünfzig einen Frack +ausleihen ... + +In den Tagen seines jungen Ruhms war er ihr nicht mehr begegnet. + +Ihr Vater hatte sich von den Geschäften zurückgezogen und war nach +Wiesbaden übergesiedelt, um den heilkräftigen Quellen nahe zu +sein, deren beständige Einwirkung seine Gicht verlangte ... und +nun war das verwöhnte Kind die Gattin eines braven, unbedeutenden +Infanteriekapitäns ... merkwürdig ... + +»Na? entsinnen Sie sich meiner Frau noch?« fragte Herr von Brandeis. + +»Herr Hauptmann sehen, ich versuche mich zu besinnen, aber ich finde +nur eine sehr blasse Reminiszenz.« + +»Na, is ja auch egal,« meinte der Hauptmann, »Sie werden ja nächstens +Ihre Erinnerungen auffrischen können; denn selbstverständlich hoffe ich +doch, Sie recht bald in meinem Hause zu sehen ... meine Frau wird sich +jedenfalls sehr freuen ...« + +Flamberg verneigte sich. + +»Na, und nun erzählen Sie mal von sich ... Sie haben sich ja inzwischen +auch verankert ... hoffentlich recht vorsichtig gewesen in der Wahl +Ihres Herrn Schwiegerpapas?« + +»Mein Schwiegervater ist Beamter!« sagte Flamberg, »übrigens, ich bin, +Gott sei Dank, seit einiger Zeit auf besondere Vorsicht in dieser +Beziehung nicht mehr angewiesen.« + +»Aha ... na natürlich ... verdienen jetzt aasige Däuser .. das versteht +sich ... Porträtmaler -- Portemonnaiemaler -- alte Geschichte! -- Ja, +sehen Sie, so gut geht's unsereinem nun nicht ... das ist noch das +einzig Schöne an unserm Beruf, daß es uns kein Mensch übelnehmen kann, +wenn wir unserer Zukünftigen nicht nur in die Augen, sondern auch ein +bißchen ins Portemonnaie sehen ... Na, und in der Beziehung kann ich ja +nicht klagen, wie Sie sich denken können ... übrigens auch in anderer +Hinsicht hab ich direkt märchenhaften Dusel gehabt ... meine Frau heißt +nicht umsonst Cäcilie ... die sollen Sie mal Klavier spielen hören -- +und singen ... Na, ich sag Ihnen ja: Den Seinen gibt's der Herr im +Schlaf!« + +Er füllte sich und dem Gaste die Sektkelche und hob ihm das Glas +entgegen. »Na also in diesem Sinne, lieber Flamberg: unsere Damen! -- +So ... Sie wollen auch mittrinken, kleiner Carstanjen ... ach Unsinn +... verstehen Sie ja noch gar nichts von ... aber mit anstoßen dürfen +Sie doch ... Kommen Sie mal her mit Ihrem Pokal!« + +»Ich kann nur noch einmal wiederholen: Herr Hauptmann unterschätzen +mich!« schmunzelte Carstanjen mit spitzbübischem Lächeln auf seinem +verwöhnten Geckengesichtchen. + +»Sie, Flamberg,« sagte der Hauptmann, »ich hoffe, Sie werden mich bei +der Erziehung dieses kleinen Windhundes da ein wenig unterstützen -- +das ist auch einer von denen, mit denen 's der Herrgott gar zu gut +gemeint hat -- und das ist ihm zu Kopf gestiegen -- wenn er also üppig +wird, dann hauchen Sie ihn nur gehörig an -- meinen Segen haben Sie -- +und einen Gotteslohn verdienen Sie sich überdies!« + +»Na, wir zwei werden uns schon vertragen! -- Was meinen Sie, Herr +Carstanjen?« + +Das herzliche, offene Lachen, mit dem der Reserveoffizier dem jungen, +aktiven Kameraden das Glas entgegenhielt, verscheuchte den Ausdruck +von anmaßender Gekränktheit, der das hübsche, eitle Gesicht überhuscht +hatte. Und so leerte die Königliche Erste eine Flasche Spezialmarke +nach der andern in ungestörter Harmonie. + +Weniger heiter sah es in der Gruppe der Königlichen Zweiten aus: + +Herr Leutnant der Landwehr Frobenius saß stumm und einsilbig zwischen +dem stummen und einsilbigen Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, und dem +Oberleutnant Menshausen, dem Kasinovorstand, während ihnen gegenüber +als dritter Offizier der Kompagnie der Leutnant Quincke saß, ein +junger, blasierter Bursch mit glattrasiertem Gesicht -- verlebten Zügen +-- die Scherbe ins rechte Auge geklemmt. Menshausen und Quincke nahmen +von dem Kameraden der Landwehr kaum Notiz -- unterhielten sich über den +Tisch hinüber geflissentlich über Personen und Fragen, an denen der +eingezogene Herr nicht das geringste Interesse nehmen konnte. + +Und der Hauptmann, ein finsterer Junggesell mit starrem, schwarzem +Haar und struppigem Schnurr- und Vollbart, sprach überhaupt nichts, +füllte nur zuweilen die Gläser seiner Untergebenen und trank dem Gaste +schweigend zu. + +Als Frobenius erst gemerkt hatte, daß man ihn schlecht behandeln +wolle, tat er instinktiv das einzige, was in dieser Situation für ihn +möglich war -- er schwieg nämlich ebenfalls vollständig und machte +nicht den leisesten Versuch, die Zurückhaltung der aktiven Herren durch +entgegenkommende Liebenswürdigkeit zu überwinden. + +Schließlich bemerkte der Oberleutnant, daß die rücksichtslose +Nichtachtung, mit der die aktiven Herren den Gast behandelten, dessen +Hilflosigkeit immerhin ein gewisses Mitleid erregte, allgemein auffiel, +und ließ sich nunmehr herab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. + +»Sagen Sie mal, Herr Leutnant Frobenius,« hub er an, »was sind denn Sie +eigentlich im Zivilverhältnis?« + +»Ich bin Privatdozent an der Universität Bonn.« + +»Hm -- was dozieren Sie denn also privat?« + +»Ich lese deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts bis +zur Gegenwart.« + +»Aha,« sagte Menshausen, »ich kann mir zwar dabei nichts Rechtes +denken -- aber es ist ja jedenfalls was sehr Gelehrtes! Nun sagen Sie +mal, was wollen Sie denn nun eigentlich bei uns? Macht Ihnen das denn +wirklich Vergnügen, hier so acht Wochen lang in Uniformen von vor +fünfzehn Jahren herumzulaufen und sich mit Ihrer Unkenntnis des neuen +Exerzierreglements vor hundertzwanzig Bauernlümmels und Fabrikarbeitern +lächerlich zu machen?« + +Frobenius richtete sich ein wenig auf: »Herr Oberleutnant Menshausen +-- ich bin mir wohl bewußt, daß ich hierherkomme, um zu lernen -- ich +habe aber auf der andern Seite während meiner früheren Übungen die +Beobachtung gemacht, daß Bauernjungens und Fabrikarbeiter ein ziemlich +feines Gefühl dafür haben, wer vor ihnen steht, -- und hinter der +vielleicht etwas veralteten Uniform und der mangelhaften Dienstkenntnis +des Landwehroffiziers die überlegene Intelligenz respektieren, die +ihnen in der Person eines Mannes der Wissenschaft gegenübertritt. +Diese einfachen Leute wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen der +formgewandten Nullität und dem Geist, der sich im Notfall -- daß heißt +im Falle der wirklichen Not, meine ich -- von selbst die Form schafft, +die der Augenblick verlangt.« + +»Ja, verzeihen Sie, Herr Leutnant Frobenius,« sagte der Oberleutnant, +»Sie drücken sich so gewählt aus, daß ich nicht zu folgen vermag -- was +wollen Sie eigentlich mit Ihrem Erguß sagen?« + +»Ich will versuchen, mich Ihnen deutlich zu machen«, erklärte +Frobenius. »Wir Landwehroffiziere sind, das erkenne ich ja an, +im Frieden scheinbar ein wenig deplaciert inmitten der jungen, +dienstkundigen aktiven Herren -- aber wir sind auch gar nicht hier, +um in Ihrer Mitte gute Figur zu machen -- wir wollen lernen -- +lernen einzig und allein für den Krieg -- und glauben Sie mir, Herr +Oberleutnant, im Kriege kommt es weder auf gutsitzende Uniform noch +auf die Kenntnis jeder neuesten Phase der Taktik der Saison an -- da +entscheiden ganz andere Faktoren. Da möchte vielleicht plötzlich mit +dem Mobilmachungstage eine Umwertung der Werte stattfinden, und diesem +Tage entgegen bewegt sich alle Hoffnung, die ich mit meinem Aufenthalt +im Kreise des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande verbinde.« + +»Ah so,« sagte Menshausen, »ich verstehe -- Sie haben militärischen +Ehrgeiz -- wollen womöglich noch gar Hauptmann der Landwehr werden?« + +»Allerdings will ich das,« erwiderte Frobenius ruhig, »zurzeit übe ich +auf Beförderung zum Oberleutnant.« + +»Allen Respekt!« meinte Menshausen, »das hätt ich Ihnen nun nicht +angesehen -- können Sie denn auch reiten?« + +»Gewiß kann ich reiten,« erklärte der Privatdozent. »Ich meine, +das versteht sich wohl von selber, da ich Ihnen sagte, daß ich die +Beförderungsübung zum Oberleutnant mache.« + +Aber er konnte nicht wehren, daß ihm bei der Erwähnung des Reitens +selber ein wenig bänglich zumute wurde. Er hatte erst im Frühjahr +mit Zittern und Zagen zum ersten Male einen Gaul bestiegen, war beim +ersten Antraben vom Woilach heruntergekugelt wie eine Klammer von der +Wäscheleine und hatte sich das Schultergelenk dermaßen ausgerenkt, +daß er den linken Arm drei Wochen lang hatte in der Binde tragen +müssen. Nach Ablauf dieser drei Wochen hatte er mit noch hörbarerm +Zähneklappern den Reitunterricht wieder aufgenommen, und seine +Scheu vor dem wilden, gefährlichen Tier, das dem Menschen nach dem +Leben trachtet, endlich soweit überwunden, daß er mit der Zeit in +der Reitbahn sich wenigstens auf den allerfrömmsten Kleppern hatte +halten können. Ja, in den letzten Wochen vor der Übung hatte er +sogar in Gesellschaft des Reitlehrers und einiger Damen der Bonner +Gesellschaft einige Ausritte ins Gelände unternommen und war stets mit +heiler Haut davongekommen, mit Ausnahme einer unangenehmen Begegnung, +die er mit einem vorüberbrausenden Eisenbahnzuge gehabt hatte, und +nach deren Verlauf er sich mit zerschundenem Gesicht, zerbeultem Hut +und zerschlagenen Knochen in einem Chausseegraben wiedergefunden +hatte, während seine Rosinante ohne seine Leitung ihre Futterstelle +wiedergefunden hatte. + +Der Gedanke also, demnächst hoch zu Roß vor der Front auftauchen zu +müssen, erfüllte ihn mit einem Unbehagen, das zu überwinden er seines +ganzen Mannesmuts bedurfte. Wenn aber etwas noch gefehlt hätte, um ihn +in dieser Hinsicht zu äußerster Energie aufzustacheln, dann waren es +die spöttischen Blicke und Redensarten des Kasinovorstandes. + +Er beschloß in diesem Augenblick, allen Gefahren kühnlich zu trotzen +und zu Pferde zu steigen mit der ruhigen Selbstverständlichkeit, mit +der er sonst alle Morgen auf seinen Katheder kletterte, um seinen +Hörern die Geheimnisse des zweiten Teils von Goethes Faust zu erklären. + +Oberleutnant Menshausen bemerkte mit Vergnügen, daß der Landwehronkel +bei der Erwähnung des Reitens, trotz seiner heroischen Worte, still +und um einige Schattierungen blässer geworden war. Über den Kameraden +hinweg fragte er den Hauptmann Goll: »Gestatten Herr Hauptmann +eine Frage: Ist nicht morgen früh Ausbildung der Mannschaften im +Entfernungsschätzen?« + +»Allerdings!« grunzte Hauptmann Goll, »was gibt's denn dabei?« + +»Ich wollte Herrn Hauptmann nur fragen, ob uns nicht gestattet wäre, +die Übung zu Pferde mitzumachen -- wie ich soeben von Herrn Leutnant +Frobenius höre, legt er ebenfalls Wert darauf, morgen früh zu reiten, +und da ich für meine Person im Manöver als Ordonnanzoffizier zum +Regiment komme und meinen neuen Gaul gern ein wenig an die Truppe +gewöhnen möchte, so würde ich Herrn Hauptmann dankbar sein, wenn Herr +Hauptmann uns gestatten wollten zu reiten!? -- Meines Wissens reiten +Sie ja auch momentan dem Obersten sein Handpferd zu, Quincke, nicht +wahr?« + +Leutnant Quincke hatte der Unterhaltung zugehört und bejahte mit +perfidem Grinsen: »Gewiß -- wenn Herr Hauptmann gestatten, komm auch +ich hoch zu Roß!« + +»Na schön,« sagte Goll, »ich hab nichts dagegen!« + +Frobenius fühlte bei dieser Unterhaltung, wie die wenigen Haare, die +seinen Schädel umsäumten, sich einzeln zu Berge sträubten. -- Herr Gott +im Himmel -- schon morgen früh! -- Was war da zu machen -- Schicksal, +nimm deinen Lauf! + +»Wo wollen Sie denn Ihren Gaul herbekommen, Herr Frobenius?« fragte +Menshausen unbarmherzig weiter, »haben Sie sich einen mitgebracht oder +wollen Sie sich einen leihen?« + +»Ich habe mich nach den Verhältnissen noch nicht erkundigt,« erklärte +Frobenius, »ich denke, man bekommt in der Reitbahn passende Gäule +geliehen, wie?« + +»Selbstverständlich,« sagte der Oberleutnant, »wenn's Ihnen recht ist, +stelle ich Ihnen meinen Burschen zur Verfügung -- der kann ja morgen +früh vor dem Dienst zur Reitbahn gehen und Ihnen ein Pferd besorgen.« + +Frobenius ahnte Böses; doch er hatte sich nun einmal vorgenommen, jeder +Gefahr die Stirn zu bieten, und so nahm er mit verbindlichem Lächeln +das Anerbieten des Oberleutnants an. + +Als im nächsten Augenblick Hauptmann Goll wieder einmal wortlos dem +Landwehroffizier zutrank, beugte sich Menshausen zu Quincke hinüber und +flüsterte ihm zu: »Sie, Quincke, ich werde meinen Burschen instruieren, +daß er »Kuno den Schrecklichen« besorgt! -- Kennen Sie den Schinder?« + +»Na ob!« grinste Quincke, »das ist ja das verrittenste Pferd in der +ganzen Garnison. -- Na, wenn der Landwehronkel auf Kuno überhaupt aus +dem Kasernenhof 'rauskommt, dann garantier ich jedenfalls: 'rein kommt +er nicht wieder!« + +In diesem Augenblick hob Major von Sassenbach die Tafel auf, und +alsbald empfahlen sich die Vizefeldwebel der Reserve und die +Avantageure, indem sie in die Mitte des Hufeisens traten und erst +vor dem Tischältesten Front machten, dann nach rechts und links +desgleichen; dabei schlugen die Hacken zusammen, daß es nur so krachte. + +Und nun schwirrten die Ordonnanzen von allen Seiten mit den brennenden +Lichtern herein, und das gelbe Flimmern der flackernden Flämmchen +vermählte sich mit dem dunklern Gelbgold der Abendsonne, die gebrochen +durch die leise sich wiegenden Kronen der Bäume des Kasinogartens +in die hohen Bogenfenster strahlte. Bald kräuselten sich bläuliche +Tabakwölkchen hinein -- und noch ungezwungener rauschte nun das +Geplauder, noch lebhafter wogte das Hinüber und Herüber der Scherze +-- des Zutrunks -- und bald war den Offizieren der Reserve wieder +zumute, als seien die Monate und Jahre »im schlichten Gewande der +Bürgerlichkeit«, die seit dem letzten Abschiedstrunk im Kasino +verflossen waren, nur ein Traum gewesen, und als sei dies Leben +im bunten Rock ihre eigentliche Existenz -- als sei die Schar der +Kameraden, in deren Mitte sie nun wieder eingetreten waren, das Milieu +ihres Lebens. + +Sie waren riesig vergnügt, die Herren des Beurlaubtenstandes. Der +geschniegelte und pomadisierte Leutnant der Reserve Klocke schwamm +in Seligkeit. Herr Kamerad hier, Herr Kamerad dort, so schmetterte +das nach allen Richtungen hinüber und herüber -- als trüge er eine +Sprungfeder im Leibe, so schnellte er jedesmal empor, wenn ein +Vorgesetzter ihm zutrank, und leerte mit Begeisterung seinen Kelch, nur +daß im Laufe der Zeit seine Augen immer stierer, sein Gesicht immer +röter, seine Bewegungen immer unsicherer und die Scherze, die er zum +besten gab, immer gewagter wurden und je länger je mehr nach dem Coupé +dritter Klasse schmeckten. + +Ihm schräg gegenüber saß im Kreise seiner zukünftigen +Kompagniekameraden der Referendar Dormagen. Als Sohn eines rasch +reichgewordenen Industriellen hatte er heute das Gefühl, daß es +eigentlich ein Skandal sei, daß er nicht Kavallerist geworden. Aber +vor sechs Jahren, als er einjährig diente, hatte sein Vater noch nicht +den großen Schlag mit dem neuerfundenen Trockenelement gemacht, und +erst in den letzten Jahren -- leider -- waren die Verhältnisse seiner +Familie so plötzlich emporgeschnellt. Nun blieb nichts übrig, als in +der Mitte der Fußinfanteristen wenigstens nach Kräften mit seinem Gelde +zu imponieren. So ließ er denn eine Flasche Pommery nach der andern +anfahren, und allmählich sammelte sich um ihn eine Gruppe von jüngern +Offizieren, die, mit nicht allzu reichlichem Zuschuß gesegnet, einen +Freitrunk sich nicht gern entgehen lassen mochten. In ihrer Mitte +markierte Dormagen nun den großmütigen Gastgeber, wogegen seine Gäste +sich verpflichtet fühlten, andachtsvoll seinen Schwadronierereien zu +lauschen und ihm eifrig zuzutrinken. Sein Kompagniechef hatte sich +bereits unmittelbar nach Aufhebung der Tafel, peinlich berührt durch +des jungen Herrn siegesgewisses Auftreten, an den mittlern Tisch des +Hufeisens zurückgezogen, wo sich nun allmählich die ältern Herren bei +Kaffee und Münchner Bier konzentrierten. + +Inmitten dieser ältern Herren saß auch der Oberleutnant der Reserve +Brassert, ein behäbiger Süddeutscher, und freute sich königlich, daß er +der Pflicht entronnen war, den rüpelhaften Primanern die Geheimnisse +des Äschylos zu erschließen. Er übte seit einem Dezennium nahezu Jahr +um Jahr, teils weil es für ihn, den Beamten, dessen Gehalt während der +Übung weiterlief, eine überaus billige Sommerfrische war, teils weil +sein immer mehr anschwellendes Bäuchlein die scharfe Entfettungskur +dieser acht Wochen sehr notwendig brauchte. Die Hauptleute waren seine +Altersgenossen und überdies auch von gleichem Dienstalter wie er, und +so fühlte er sich in ihrer Mitte behaglicher als zwischen den jungen +Dächsen von Leutnants, deren Charge er teilte, die ihn aber zu peinlich +an seine kaum verlassenen Primaner erinnerten. + +Behaglich schmunzelnd und kräftig qualmend saß er inmitten der ältern +Offiziere. Den Kragen seines Überrocks, der übrigens mit Rücksicht +auf sein gewaltiges Doppelkinn ohnehin nicht mehr denn Fingersbreite +hatte, trug er aufgeknöpft, ebenso wie die obersten vier Knöpfe seines +Überrocks, und bedauerte nur im stillen, daß er den Rock nicht ganz +ausziehen konnte, wie auf der heimatlichen Kegelbahn im Kreise seiner +Kollegen. + +An einzelnen Tischen waren indessen allmählich große Lücken entstanden +-- manche der Herren hatten sich erhoben, um sich ins Spielzimmer zum +Skat zu setzen -- manche hatten auch die unangenehme Pflicht, noch eine +späte Instruktionsstunde abzuhalten. + +Eine kompakte Gruppe hockte indessen noch um das Ende des linken +Hufeisentisches zusammen, wo der Leutnant der Reserve und Forstassessor +Troisdorf mit Leutnant von Finette zusammensaß. Die beiden +Niederrheinländer sprachen seit zwei Stunden nur noch kölnisch-platt +und erzählten einander die haarsträubendsten Anekdoten von Kölner +Marktweibern und »Rheinkadetten«, den lungernden Lastträgern des +kölnischen Rheinhafens. Von hier scholl immerzu schmetterndes +Gelächter in den Saal hinein, so daß ab und zu einer oder der andere +der Hauptleute herantrat und ein Weilchen zuhörte. Auf die Dauer +war indessen eine solche Flut von mehr oder weniger unappetitlichen +Scherzen nur für Leutnantsmägen erträglich. + +Immer schneller, fast unbemerkt, entflohen den Zechenden und +Plaudernden die Stunden. + +Der Major von Sassenbach hatte seit längerer Zeit beobachtet, daß der +hilflose Landwehroffizier, der mit seiner riesigen, goldenen Brille +und seinem langen, braunroten Bart so gar nicht in die militärische +Umgebung zu passen schien, das wehrlose Opfer der Scherze des +Oberleutnants Menshausen und des Leutnants Quincke war. Sassenbach +liebte die beiden Herren nicht -- ihm, dem schlichten Haudegen, waren +die kalten Spötter und Monokelträger zuwider -- er rief zu der Gruppe +hinüber: »Herr Leutnant Frobenius, wollen Sie mir das Vergnügen machen, +noch eine Flasche mit mir zu trinken?« + +Frobenius war seelenvergnügt -- er fuhr diensteifrig in die Höhe, +wobei er den hochlehnigen, gotischen Stuhl umwarf, und schob mit etwas +unsicherm Gange zu seinem Bataillonskommandeur hinüber. -- Bald waren +beide in ein herzliches Geplauder vertieft. + +»Aha,« schnarrte Menshausen zu Quincke hinüber, »sehn Sie woll -- ein +neuer Schwiegersohn ist auf der Bildfläche erschienen, der muß gleich +festgenagelt werden -- ja ja, man muß sich dazu halten. Nelly ist +sechsundzwanzig und Molly neunzehn -- und der Landwehrfritze macht 'nen +kolossal heiratsfähigen Eindruck.« + +Hauptmann von Brandeis hatte sich schon seit geraumer Zeit empfohlen. +Die üblichen Scherze hatten den Aufbruch des jungen Ehemannes +begleitet, und schmunzelnd hatte er quittiert. + +Flamberg schlenderte von einer Gruppe zur andern -- ließ sich bald +hier, bald dort zu einem kurzen Geplauder nieder und sog die Stimmung +der Stunde in sich hinein. -- Mit Wonne verfolgte sein geschulter Blick +das langentwöhnte Schauspiel, wie sich nun das rötlichgelbe Licht der +Kerzen, das tiefe Goldbraun des Sonnenuntergangs, das hellere Gelb der +elektrischen Kronleuchter von droben her, der bläuliche Tabaksdunst, +der in breiten Schwaden über den Gruppen lagerte, mit dem Blau und +Rot der Uniformen, den goldenen Reflexen auf den Monturknöpfen und +der satten Sonnenfarbe der gebräunten Gesichter verwob. -- In seinen +Adern glühte der Sekt, schäumte die freudige Hoffnung auf acht Wochen +eines neuen, verwandelten Lebens voll farbiger Eindrücke, voll harmlos +heiterer Erlebnisse. + +Aber als nun mit dem Fortschreiten des Gelages die Kehlen immer +rauher wurden, die Luft immer dicker -- da meinte er den Augenblick +gekommen, sich dem Feste zu entziehen und ungetrübt das erschaute Bild +heimzutragen. + +Nach einer kurzen Wanderung durch die stillen Straßen des +Kasernenviertels stand er in der engen Mietbude, deren schäbige, +zerschlissene Trivialität so seltsam kontrastierte gegen den +künstlerischen Reiz seiner verlassenen Junggesellenhäuslichkeit, +kontrastierte auch gegen den süßen Hoffnungstraum von einem künftigen +Daheim, den er seit Wochen mit seinem Schatz gesponnen. + +Schwül war die Luft im Stübchen -- er stieß die Fenster auf -- und vom +tiefschwarzen Himmel nieder flammten tausend freundliche Sterne. -- Da +mußte er von seinem Mädchen träumen -- sie hatte ihm das Versprechen +abgenommen, allabendlich zum Himmel aufzuschauen und heimwärts zu ihr +zu denken -- und er dachte heimwärts. + +Eine große, tiefe Ruhe war in seiner Seele -- ein Heimatbewußtsein -- +das traute Wissen, verankert zu sein im tiefsten Grunde des Erdenseins, +in einem Herzen, das nichts als Liebe war für ihn. + + + + + Drittes Kapitel. + + +Um die fünfte Morgenstunde dämmerte Wilhelm Frobenius mit wüstem Kopf +aus schwerem Traum empor. Es hatte erst sanft, dann recht energisch an +die Tür geklopft -- er fuhr auf, starrte in dem engen Gelaß umher, daß +ihn umschloß, und konnte sich nicht enträtseln, wie er eigentlich in +diese nüchterne, unbehagliche Umgebung geraten war. + +Plötzlich fiel's ihm ein: ach, du lieber Himmel -- du bist ja in der +Garnison -- und -- o Schauder -- gleich geht's zu Pferd! + +»Herr Leu'nant -- et is höchste Zeit für uffz'stehn!« mahnte von +draußen eine ihm völlig fremde Stimme. + +Das mußte der Bursche sein. Herrgott, wie der Schädel brummte. + +Er fuhr mit den dünnen, haarigen Beinen aus der Decke hervor, fühlte +sich geniert durch den ungewohnten Gedanken, nun im Nachthemde vor den +fremden jungen Menschen hintreten zu sollen, zog erst Unterhosen und +Strümpfe an und schlurrte dann zur Tür. Kaum hatte er sie geöffnet, da +schoß mit energischem Ruck ein junger, rotblonder, sommersprossiger +Gesell herein, die Feldmütze auf dem Kopf, die Drillichhose schon in +den langschäftigen Stiefeln steckend. Er schlug krachend die Absätze +zusammen und meldete: »Füselier Schmitz als Bursch bei de Herr Leu'nant +kommediert!« + +»Schön, schön,« sagte Frobenius verlegen, »also Sie sind Schmitz, +schön, schön. Was gibt's denn heute morgen?« + +»Sechs Uhr fufzehn Abmarsch in't Jelände zur Ausbildung im +Entfernungschätzen!« + +»Ach ja -- ganz richtig -- also sehen Sie, da ist mein Koffer -- den +packen Sie mal zuerst aus.« + +Und während der Bursche sich anstellig und geräuschlos anschickte, die +Habseligkeiten seines neuen Herrn aus dem vorsintflutlichen Reisekoffer +zu entwickeln, kühlte Wilhelm Frobenius sein schmerzendes Haupt -- +immer neue Schwämme drückte er über den Nacken aus, daß das Stübchen +schwamm, aber der dumpfe Druck im Schädel wollte nicht weichen -- und +noch weniger der dumpfe Druck in der Herzgegend -- vor seiner Phantasie +aber stand das Bild des Augenblicks, wo er das wilde, gefährliche Tier +besteigen würde, das dem Menschen nach dem Leben trachtet. + +Herrgott, wie die funkelnagelneuen Reitstiefel drückten -- wie +der steife Lederbesatz der Reithose die Schenkel scheuerte -- wie +entsetzlich das war, durch die Stube zu schreiten mit den klirrenden +Sporen, die sich immerfort ineinander verfingen! + +Füsilier Schmitz waltete indessen geräuschlos seines Amtes. Er betreute +seinen Herrn wie eine erfahrene Kinderwärterin ihren Säugling. + +Als er seinen Herrn in den Waffenrock gesteckt hatte, verschwand er auf +Zehenspitzen und kam nach wenigen Minuten mit dem Frühstückstablett +zurück. + +Himmel, aber dieser Kaffee! -- Mit Wehmut gedachte Wilhelm Frobenius +seiner sorgsamen Haushälterin daheim, die ihm denn doch einen ganz +andern Morgentrunk kredenzte -- und verzehrte knurrend die mit einem +Übermaß von Margarine bestrichene Frühstückssemmel, während Füsilier +Schmitz Helm, Feldglas, Säbel und Schützenpfeife zusammensuchte. + +Zehn Minuten später schritt Frobenius an dem präsentierenden Posten +vor dem Kasernenportal vorbei in den Hof hinein und sah schon von +weitem die dunkle Masse der in Zugkolonne aufgestellten Königlichen +Zweiten. Noch war kein anderer der Offiziere auf dem Platze, und als +der Leutnant sich der Kompagnie näherte, kommandierte der Feldwebel mit +dröhnender Stimme: + +»Stillgestanden! -- Richt' euch! -- Augen gerade -- aus! -- Die Augen +links! -- -- Kompagnie beim Antreten!« meldete er dann dem Offizier. + +»Danke, danke!« sagte Frobenius und überlegte, was er nun zu tun +hätte. Das dauerte ungefähr eine Minute, während deren der Feldwebel +regungslos neben ihm stand und ebenso regungslos die Kompagnie mit +Augen links. + +Frobenius verfiel in tiefes Sinnen. Herr Gott, was machte man denn nun +jetzt nur? + +Der Feldwebel kam ihm zu Hilfe: »Gestatten Herr Leutnant, daß ich +rühren lasse?« + +»Bitte, bitte, selbstverständlich -- lassen Sie nur rühren!« + +»Augen gerade aus -- rührt euch!« + +In diesem Augenblick schollen vom Kasernentor her hallende Pferdehufe, +und Hauptmann Goll kam auf seinem riesigen Rappen herangesprengt, +gerade auf Frobenius zu. + +Frobenius riß den Schleppsäbel in die Höhe und salutierte seinen +Kompagniechef. Der hielt dicht vor ihm, sah ihn von oben bis unten an, +staunend, fassungslos. + +»Na, Herr Leutnant, wollen Sie mir denn nicht freundlichst die +Kompagnie melden?« + +»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Er fuhr herum und schrie mit einer +Stimme, als sei er von Mördern überfallen und wolle die Welt um Hilfe +zusammenrufen: »Stillgestanden -- Augen links!« + +Hauptmann Goll sah seinen Untergebenen abermals von Kopf bis zu Füßen +an: »Herr Leutnant, Sie scheinen sich mit dem neuen Exerzier-Reglement +noch nicht sonderlich beschäftigt zu haben, aber auch Ihre alte +Weisheit haben Sie scheinbar einigermaßen verschwitzt, sonst würden Sie +wohl die Kompagnie zunächst ausgerichtet haben -- und dann heißt das +Kommando nach dem neuen Reglement: die Augen links! -- Also, bitte, +stecken Sie gefälligst die Nase ins Reglement, damit Sie sich nicht vor +den Kerlen blamieren -- danke Ihnen! -- 'Morgen, zweite Kompagnie!« + +»'Morgen, Herr Hauptmann!« scholl es aus hundertundzwanzig Kehlen +zurück, daß die Kasernenwände bebten. + +»Augen gerade -- aus -- rührt euch!« + +Frobenius schielte zur Kompagnie hinüber -- ein fröhliches Grinsen lag +auf allen Gesichtern. + +Ja, da war nichts zu machen -- der Respekt war von vornherein zum +Teufel. + +Schon nahte ein neues Schrecknis: ein Füsilier, den Frobenius natürlich +nicht kannte, führte einen großen, starkknochigen Goldfuchs mit weißer +Stirnblässe und unruhig schielenden Augen heran, der immerfort heftig +den Kopf in den Nacken warf und von Zeit zu Zeit mit der Hinterhand +nervös zusammenfuhr. + +»Pferd für Herrn Leutnant zur Stelle!« meldete er. + +Aha, dachte Frobenius, das ist der Bursche vom Oberleutnant Menshausen, +dem muß ich jedenfalls ein Trinkgeld geben. Er suchte in seinem +Portemonnaie, fand nur ein Zweimarkstück und drückte das dem Burschen +in die Hand, obgleich er sich darüber klar war, daß das viel zu viel +sei. + +»Wollen Herr Leutnant gleich aufsitzen?« + +»Jawohl!« + +Der Bursche hielt den rechten Bügel, Frobenius trat an die linke +Seite und hob das Bein, aber es gelang ihm nicht, den Steigbügel zu +erreichen. Himmel, war das ein Elefant! Der Bursche mußte den Bügel +länger schnallen, und nach einigen krampfhaften Anstrengungen saß +Frobenius im Sattel. Im selben Augenblick stieg der Gaul hinten und +vorne, und der Reiter schwankte hin und her -- wie ein Wrack im Sturm. + +Zwei Füsiliere sprangen auf Hauptmann Golls Befehl herzu und beruhigten +die Bestie. Nun saß Frobenius steif aufgerichtet und wagte nicht, sich +zu rühren, aus Furcht, der Gaul möchte wieder unruhig werden. + +Leutnant Quincke kam und meldete sich beim Kapitän. Sein verkatertes +Gesicht war fahl -- mit einem unverschämten Grinsen begrüßte er den +Reiter und stieß mit der Säbelscheide wie in harmlosem Scherz nach +Kunos Flanken. Kuno machte einen mächtigen Satz zur Seite, und auf ein +Haar hätte Frobenius das Gleichgewicht verloren. + +»Donnerwetter -- lassen Sie doch diese Scherze, Herr Quincke!« + +»O, entschuldigen Sie, Herr Frobenius, wer konnte auch ahnen, daß der +Schinder so nervös ist -- liegt das an ihm oder an Ihnen?« + +Zwei andere Gäule wurden vorgeführt. Der eine gehörte dem Oberleutnant, +der erst im letzten Augenblick heranschoß, sich hastig beim +Kompagniechef meldete und wie der Blitz im Sattel saß; den andern, +einen zierlichen Apfelschimmel, bestieg Quincke, leicht und elegant, +und ließ ihn ein paar kurze Gänge machen. Das begeisterte Herrn +Kuno, sich anzuschließen, und so wurde Frobenius unfreiwillig über +den Kasernenhof spazieren getragen, bis Hauptmann Goll die Kompagnie +formiert hatte. + +»Bitte, Herr Leutnant Frobenius, reiten Sie bei mir! Die Herren +Menshausen und Quincke nehmen die Queue.« + +Mit Mühe gelang es Frobenius, sich an die Seite seines Kapitäns zu +dirigieren. Die Spielleute traten an die Tête, und der Hauptmann +kommandierte: + +»Stillgestanden -- das Gewehr -- über! -- Gruppenkolonne rechts -- +erster, zweiter, dritter Zug -- Kompagnie -- marsch!« + +Die Spielleute schlugen an. -- Beim ersten Klang der Instrumente machte +Kuno einen fürchterlichen Satz nach links, raste wie toll in weitem +Bogen um den Kasernenhof, beruhigte sich aber dann und setzte sich +wieder neben das Pferd des Hauptmanns. + +Die Füsiliere platzten vor Vergnügen. + +»Kompagnie -- halt!« schrie der Kapitän. »Wenn ihr unverschämten +Lümmels euch noch einmal untersteht, beim Exerzieren die Fresse zu +verziehen, so reit' ich euch gliederweise in den Dreck -- verstanden!? +-- Kompagnie -- marsch!« + +Und dann mit vernichtendem Blick zu dem unglücklichen Reiter an seiner +Seite: »Herr Leutnant, wenn Sie nicht reiten können, dann sagen Sie's +gefälligst gleich! und ruinieren Sie mir hier nicht die Disziplin!« + +»Verzeihen Herr Hauptmann, ich weiß selbst nicht, was das ist -- ich +glaube, man hat mir da eine ganz gefährliche Bestie geschickt -- aber +ich werde mich schon gewöhnen!« + +Und so kam es auch. Kuno klebte ganz zufrieden an dem ruhig und sicher +schreitenden Rappen des Kapitäns und schien sich in sein Schicksal und +seinen Reiter ergeben zu haben. + +Zum muntern Spiel der Trommeln und Pfeifen ging's nun durch die stillen +Straßen hinaus. -- Ab und an schoben sich droben an den Fenstern +die Vorhänge auseinander, und verschlafene Gesichter schauten auf +die ausrückende Schar -- hier ein verdrießliches Matronenantlitz, +von wirren, grauen Haarsträhnen überhangen, dort ein freundliches +Mädchenköpfchen mit süß verträumten Wangen. -- Im Morgensonnenschein +blinkten die frisch geputzten Knopfreihen und Helmbeschläge, blinkten +wie gleißende Schlangenschuppen die taktmäßig leise pendelnden +Gewehrläufe. -- Die Pferde wieherten lustig in die Dunstschwaden der +Frühe hinaus, und Frobenius fing an, sich überaus behaglich zu fühlen +-- wäre Hauptmann Goll etwas gesprächiger gewesen, es hätte sehr lustig +sein können -- aber des Kapitäns Miene dräute Unheil -- er würdigte +seinen Gefährten keines Wortes. + +Indessen schließlich -- wer war Hauptmann Goll? -- Irgendein +gleichgültiger Fleck in der spätsommerlichen Morgennatur -- ein +flüchtiger Schatten auf dem Glück der Stunde -- wie konnte so was +Bedeutungsloses ihn, Wilhelm Frobenius, um die frische Wonne dieses +lustigen Frühritts bringen? + +Ach, es war doch himmlisch, so auf einem feurigen Roß in die +nebeldampfende Landschaft hinaus sich tragen zu lassen! + +Allerhand literarische Erinnerungen fielen ihm ein -- die +Hohenstaufenkaiser auf der Fahrt über die Alpen -- Goethes Besuche bei +Friederike in Sesenheim: + + + »Es schlug mein Herz: geschwind zu Pferde! + Es war getan fast, eh's gedacht.« + + +Herrgott, daß man das bloß nicht früher gelernt hatte. -- Ja, ja, da +war die harte Jugend gewesen voll einsamen Schaffens, Grübelns und +Sinnens im tabakdurchwölkten Studierkämmerchen -- fern von den muntern +Kommilitonen, die bei Becher und Schläger ihr Leben auskosteten. + +Reiten! -- Du lieber Himmel -- dem Sohn des armen Volksschullehrers aus +dem Westerwalddörfchen war das immer als ein Privileg der hoch droben +hausenden Glückserkorenen erschienen. + +Und nun war er, nicht fern den Vierzigen, doch noch auf den Klepper +gekommen -- das hatte sein Faustwerk, das hatten die zwanzig Auflagen +seines Schiller-Volksbuches zum Jubiläum von 1905 zustande gebracht. + +Ach ja -- nun gehörte er selbst zu den Glückserkorenen. -- Wie sagte +doch das arabische Sprichwort: + + + »Alles Glück der Erde + liegt auf dem Rücken der Pferde, + in der Gesundheit des Leibes + und am Herzen des Weibes.« + + +Ha -- zwei von diesen Dingen nannte er nun sein eigen -- gesund an Leib +und Seele -- beim Himmel! das war er -- und auf dem Rücken des Pferdes +saß er nun ja Gott sei Dank auch. + +Nun fehlte nur noch das Ruhen am Herzen des Weibes -- ja, dazu würde +jetzt allerdings allmählich Rat geschafft werden müssen, sonst dürfte +Wilhelm Frobenius am Ende doch den Anschluß verfehlen. + +Indessen -- wenn er so viel erreicht hatte, wenn er zwei Drittel alles +Erdenglücks bereits besaß -- warum sollte sich nicht auch noch das +letzte Drittel erringen lassen? + +Wilhelm Frobenius meinte, noch niemals eine solche Stunde +leichtsinniger Hoffnungswonne -- eine solche Stunde Versinkens im +Augenblick durchgekostet zu haben. + +Immer höher reckte sich seine eingefallene Brust -- immer kecker +warf er die Nase empor, ließ er die Blicke zu den Fenstern der nun +schon spärlicher den Weg einsäumenden Häuser emporschweifen -- und +als schließlich aus dem ersten Stockwerk eines einsamen Forsthauses +am Waldrande gar ein Mädchen hervorlugte, das er mit seinen, durch +die großen, goldgefaßten Brillengläser geschärften Augen für über die +Maßen hübsch hielt, da warf er der Schönen im Überschwang der Stimmung +eine heimliche Kußhand zu, schielte aber gleich darauf erschrocken zu +Hauptmann Goll hinüber. + +Doch der hatte zum Glück nichts gemerkt -- verschlafen blinzelten seine +stechenden Augen zwischen den Pferdeohren hindurch in den Staub der +Landstraße -- verständnislos für all die Herrlichkeiten der Morgenfrühe +-- verständnislos für das süße Lebensglück, das wie ein feuriger junger +Wein durch die Adern seines Gefährten rieselte. + + + + + Viertes Kapitel. + + +»Na, Alter -- wie wär's mit 'nem Galöppchen?« + +Nelly von Sassenbach ritt zur Rechten ihres Vaters. Sie war heute +morgen gar nicht mit ihrem Alten zufrieden -- sonst waren er und sie +immer für scharfes Tempo, und Molly, die um sieben Jahre jüngere +Schwester, die sich auf dem Gaul weit weniger zu Hause fühlte, war +immer wie zerschlagen, wenn sie vom gemeinsamen Ritt mit Vater und +Schwester heimkam. + +Aber heute war der Major nicht aus dem Schritt zu bringen -- und auch +jetzt brummte er auf die Zumutung seiner Ältesten zum Angaloppieren +irgend etwas Unverständliches in die melancholisch niederhängenden +Schnurrbartzipfel hinein, nahm gleichzeitig die Mütze ab und tupfte den +Schweiß von der Stirn, obgleich die Spätsommersonne kaum die Frühnebel +zu besiegen begann. + +»Aha,« sagte Nelly, »du hast Kater, Alter, ich merk's schon -- was war +denn gestern los im Kasino?« + +»Na, was wird los gewesen sein -- die Herren von der Reserve und +Landwehr wurden angefeiert -- das war alles!« + +»So,« sagte Nelly, »und deshalb war der Oberst zu Tisch gekommen?« + +»Der Oberst -- wieso -- wie kommst du denn auf ~die~ Idee, Mädel?« + +»Aber Alter!« lachte Nelly verschmitzt, »ich hab doch gestern selbst +gehört, wie du Mama erklärt hast, du kämest nicht zum Mittagessen, weil +der Oberst im Kasino speise und dich zu Tisch eingeladen habe.« + +»Ei verflucht --« knurrte der Major, »na also, daß ihr's wißt, Kinder +-- das war geschwindelt, weil ich sonst -- hm, hm -- schwerlich Urlaub +bekommen hätte. Daß ihr mir aber reinen Mund haltet! -- besonders du, +Nesthäkchen!« + +Die blonde Molly antwortete nicht, verzog den Mund in einer Manier, +die der Vater gar zu gut kannte; denn sie war restlos von der Mutter +auf die Tochter vererbt worden -- nur daß es doch ein Unterschied war, +ob die bewußte Falte rechts und links von einer Neunzehnjährigen oder +einer Achtundvierzigjährigen Munde stand. + +»Also wirklich -- mit dem Galopp wird's heute nichts! -- Na, dann +erzähl uns wenigstens was von gestern.« + +»Ja, was ist da viel zu erzählen -- ist eben mal wieder 'ne Anzahl +fragwürdiger Gestalten, als Leutnants und Oberleutnants verkleidet, +auf der Bildfläche erschienen -- haben sich mit uns betrunken und uns +allerhand höchst gleichgültige Geschichten von den merkwürdigsten +Zivilberufen erzählt.« + +»Was sind's denn für Leute?« fragte Nelly unverdrossen weiter, +»bekommen wir sie auch mal zu sehen?« + +»Na, doch natürlich -- sind ja noch im Regiment, wenn nächstens die +große Fête vom Stapel läuft!« + +»Erlaube mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, lieber Papa,« warf +Molly ein, »daß wir heute spätestens um halb elf zu Hause sein müssen; +denn wir sind auf Punkt elf Uhr zu Frau von Brandeis gebeten, wo die +erste Probe für das Festspiel stattfinden soll.« + +»Wat is det?« grunzte der Vater, »Festspiel? -- Hab ich ja noch gar +nichts von gehört!« + +»Wir haben angenommen, das interessierte dich nicht, lieber Papa,« +meinte Molly spitz. Dann aber ließ sie sich doch herab, etwas genauere +Angaben zu machen. Es würden also lebende Bilder gestellt werden, und +zwar drei -- dazu verbindender Text, dialogisch gesprochen von Frau von +Brandeis, Schwester Nelly, ihr selbst und Herrn Leutnant Blowitz -- den +Text habe ein Einjähriger des Regiments verbrochen. + +Das letztere war schließlich das einzige, was den Major ernstlich +interessierte. Ein Einjähriger des Regiments -- von welcher Kompagnie +der denn sei und wie er heiße? + +Das wußten die Mädchen nicht -- sie hatten ihn noch nicht kennen +gelernt. + +»Gnade Gott, wenn er von meinem Bataillon ist -- dem werd ich die +Hammelbeine langziehen -- jedenfalls werd ich ihn mir mal vorbinden +und ermitteln, ob er auch im Exerzierreglement und in Dienstkenntnis +auf der Höhe der Situation ist -- wenn nicht, dann treib ich ihm das +Dichten aus -- aber gründlich!« + +»Also die Reserveoffiziere kommen auch zum Regimentsfest?« fragte Nelly +weiter, »das ist ja 'n wahrer Segen -- dann bekommt man doch endlich +mal 'n paar andere Gespräche zu hören, als ewig Avancement -- Kommandos +-- Vorderleute -- und den übrigen Kommißtratsch. Wenn man das, wie ich, +bereits sieben Saisons hindurch genossen hat, dann lechzt man geradezu +nach Abwechslung.« + +»Tja, Mädel,« knurrte der Major, »warum hast du nicht längst +geheiratet?« + +»Warum ich nicht geheiratet habe? -- Na, Vater, ich meine, das müßtest +~du~ doch wissen!« + +»Is ja wahrhaftig 'ne Schande,« brummte der Major, »Mädel wie 'ne Tanne +-- firm auf dem Gaul und in der Küche -- Kommißvermögen dreidoppelt +vorhanden, dank meiner seinerzeitigen Vorsicht in der Auswahl des +Schwiegerpapas -- mit einem Worte: alles da! -- Und ihr Mädels bleibt +liegen wie die trocknen Semmeln!« + +»Na, an mir hat's doch wahrhaftig nicht gelegen,« schmollte Nelly. + +»Ne, ich weiß schon -- du kannst nichts dazu!« Der Major griff sich mit +drei Fingern in den Rockkragen, als sei der zu eng geworden. »Du kannst +nichts dazu!« + +Molly rückte ungeduldig auf ihrem Sattel hin und her: »Möchtest du mir +nicht den Gefallen tun, Papa, und in meiner Gegenwart von Mama nicht so +respektlos sprechen -- du weißt, das schmerzt mich.« + +»Nanu -- hab ja kein Wort gesagt!« + +»O -- ich hab dich sehr gut verstanden. Wenn Mama zuweilen etwas +abwehrend gegenüber gewissen Herren gewesen ist, die sich um uns bemüht +haben, so hat sie es jedenfalls sehr gut gemeint -- und soweit ich's +beurteilen kann, ist es immer zu unserm Glück gewesen, daß aus den +Partien nichts geworden ist, die Mama abgelehnt hat.« + +Nelly warf dem Vater einen verständnisvollen, der Schwester einen +bitterbösen Blick zu. + +Der Vater und seine Älteste wußten sich einig in dem Gedanken: der +Freier, der Mama von Sassenbachs Beifall fände, der sollte noch +geboren werden. Unter den jungen Leuten von heute hatte Mama von jeher +fürchterliche Musterung gehalten -- und keinen gerecht befunden. + +Nelly hatte auch längst die Hoffnung aufgegeben, daß einer der +Herren des Regiments Gnade vor Mamas Augen finden könnte. Sie hatte +in ihren sechsundzwanzig Jahren und sieben durchtanzten Saisons gar +manchen Flirt gehabt, und der eine oder andere war verflucht ernst +geworden, aber im richtigen Augenblick war es Mama stets gelungen, den +betreffenden Bewerber derart kopfscheu zu machen, daß er abschnappte. + +Jedesmal, wenn ein Herr in entsprechenden Jahren, Hauptmann oder +Oberleutnant, der noch zu haben war, von auswärts ins Regiment versetzt +worden war, hatten der Vater und seine Älteste sich in geheimen +Hoffnungen gewiegt, aber nie war's etwas geworden -- und so exklusiv +war der Verkehr des Regiments, daß Bewerber aus nicht militärischen +Kreisen für eine ernsthafte Annäherung kaum in Frage kamen. + +Molly, Mamas Ebenbild und getreue Schildhalterin, war bisher mit ihrem +Schicksal vollkommen zufrieden geblieben -- Nelly aber hatte sich +allmählich in einen Zustand ständiger, latenter Empörung wider ihr Los +hineingelebt. + +Den unverbrauchten Energieüberschuß ihrer stählernen Leiblichkeit tobte +sie in halsbrecherischen Ritten, stundenlangen Radpartien, endlosen +Tennistournieren aus -- ihre lebenshungrige Seele aber lag völlig +brach. + +Dies Gefühl der Inhaltslehre ihres Daseins preßte ihr oft in der +Einsamkeit draußen -- in schlummerlosen Nächten daheim -- heiße, +ächzende Tränengüsse ab. + +Sie war verstummt. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, spornte sie +ihren Gaul, hielt ihn aber fest an der Kandare, daß er schäumend und +kopfschleudernd nach rechts und links aussprang, ohne vom Fleck zu +können. + +Trüben Blicks verfolgte der Major das Tun seines Lieblings. -- Ja, ja +-- so lagen sie alle drei an der Kandare -- der Gaul, das Mädel und er +selber auch. + +Das war nun achtundzwanzig Jahre her, seit der junge, leichtsinnige +Leutnant sich durch die Heirat mit der Tochter eines reichgewordenen, +baronisierten niederrheinischen Großindustriellen aus dem chronischen +Dalles herausgeholfen hatte, dem auch er verfallen war, wie seine +ganze altfeudale Familie ... aber für diese Rettung hatten seine +achtundzwanzig Ehejahre ihm die Quittung präsentiert ... Ein reiches +Mädel heiraten! -- Soll's der Deubel holen -- den Drachen bekommt man +gratis! + +Der Major zog die Uhr. Es fiel ihm ein, daß er sich auf Punkt neun +Uhr am Wegekreuz mit seinem Adjutanten, dem Leutnant Blowitz, +verabredet hatte, um sich dort von seinen Töchtern zu trennen und zur +Inspektion der Morgenarbeit seines Bataillons nach dem Exerzierplatz +hinüberzureiten. + +»Ja, Kinder, nun wird uns doch nichts übrig bleiben, als ein kleines +Träbchen zu riskieren, sonst geraten die Erste und die Zweite +aneinander, ehe der Kommandeur zur Stelle ist!« + +Und in der Tat -- vom Exerzierplatz herüber klangen vereinzelte +Schüsse, die bald lebhafter wurden: die beiden Kompagnieen, welche +heute Gefechtsübung miteinander vereinbart hatten, mußten also bereits +Fühlung gewonnen haben. + +Schweigend trabte der Major inmitten seiner Töchter die Chaussee +entlang. + +Die Sonne hatte sich inzwischen durchgekämpft ... das Bild der +Landschaft entrollte sich in leuchtender Lieblichkeit ... zur Rechten +die dunkeln Waldberge ... zur Linken die abgeernteten fahlgelben +Ackerbreiten, die sich zum Tal herniedersenkten, wo längs des +blinkenden Flußstreifs die Türme und qualmenden Schornsteine der +Garnisonstadt aus fahlem Dunste stiegen, der noch drunten lagerte ... +Geradeaus vor den Reitern zog sich die Chaussee in schnurgerader Linie +einen Hügel hinan, hinter dem das Wegekreuz lag und weiterhin der +Exerzierplatz sich dehnte ... + +Jetzt schollen aus der Ferne rasche Hufschläge. + +»Aha -- hört ihr?« sagte der Major, »das muß Blowitz sein! Gewiß kommt +er mir entgegen, um mich zur Eile anzuspornen, weil's dahinten schon +losgeht!« + +In diesem Augenblick tauchte ganz, ganz hinten, wo die Chausseebäume +sich zu einem dunkeln Strich längs des gelben Wegstreifens +zusammenschlossen, ein Reiter auf ... nein ... ein Reiter schien's +nicht zu sein ... ein herrenloses Pferd, das in rasender Karriere den +sanft sich senkenden Hang heruntertobte. + +Aber nein ... der Sattel war ja nicht leer ... es sah aus, als baumele +ein dunkler Sack auf dem Pferderücken hin und her ... + +Nun auf einmal enthüllte sich das ganze Schrecknis ... der Gaul mußte +durchgegangen sein und der Reiter die Herrschaft völlig verloren haben +... + +Wahrhaftig! ... Ein Offizier! ... + +Der Säbel schlenkerte hoch in der Luft ... nun flog in weitem Bogen +der Helm vom Kopfe des Reiters in den Chausseegraben, und verzweifelt +umklammerte der Reiter den Hals des Pferdes ... immer näher heran raste +die tolle Jagd ... + +Ein Schrei war aus den Kehlen beider Mädchen erklungen, ein dumpfer +Fluch kam aus den Zähnen des Majors, als den dreien der Vorgang +klar geworden war. Während aber der Vater und die jüngste Tochter +wie gelähmt auf das unbegreifliche Schauspiel starrten, warf Nelly +plötzlich ihren Gaul herum und raste in der entgegengesetzten Richtung +von dannen. + +Der Major gaffte einen Augenblick verständnislos hinter seiner Ältesten +drein ... Dann hatte er begriffen ... Nelly, die leidenschaftliche +Reiterin, hatte den einzig richtigen Weg eingeschlagen ... Schon warf +auch er den Gaul herum und galoppierte hinterdrein ... + +In diesem Augenblick fegte schon der durchgegangene Gaul an ihm vorbei, +und der Major erkannte in dem Reiter den Landwehronkel, mit dem er sich +gestern abend so fabelhaft gebildet unterhalten ... + +Mit wütendem Sporenhieb stachelte der Major sein Pferd, aber der +Vorsprung, den der Durchgänger erlangt, schien nicht mehr +einzuholen ... + +Nun hatte der Flüchtling Nellys Pferd erreicht, und beide Tiere rasten +in gleichem Tempo die Chaussee entlang ... immer mehr näherte sich das +Mädchen dem Durchbrenner ... nun neigte sie sich im Reiten nach rechts +hinüber und suchte die flatternden Zügel des rasenden Tieres zu fassen. + +»Nelly -- Nelly!« schrie der Major. + +Das konnte ja nun und nimmer gut gehen! ... + +Doch jetzt hatte das Mädchen die Zügel gepackt ... + +Im vollen Dahinstürmen riß sie drei-, viermal mit ganzer Kraft den Kopf +des Gaules zu sich herüber ... + +Das Tempo verlangsamte sich ... abermals riß das Mädchen den Kopf des +Durchbrenners herum ... noch schossen beide Gäule dicht Seite an Seite +vorwärts ... aber der Ansturm erlahmte ... + +Nun stieg der Fuchs ein paarmal in die Höhe, machte noch einen +vergeblichen Versuch, auszubrechen, stieg abermals ... und stand +plötzlich wie angemauert, flankenzitternd, schnaubend, über und über +mit flockigem Schaum und Schweiß bedeckt ... + +Der Reiter hatte bei diesem letzten plötzlichen Halt den Zusammenhang +mit seinem Gaul vollends verloren und war in den Graben gekugelt. + +Als der Major herankam, hatte sein Mädchen den Flüchtling bereits +vollständig in ihrer Gewalt und beruhigte ihn mit Klopfen und Zuspruch +... + +»So ein Satan von Mädel!« keuchte Sassenbach, »hast du denn nichts +mitbekommen?« + +Er mochte wohl fragen! -- + +Als der Major die Zügel des Ausreißers ergriffen hatte, ließ Nelly +den rechten Arm schlaff heruntersinken -- ihr war's, als seien alle +seine Sehnen wacklig geworden und baumelten schlapp herunter, wie die +ausgezerrten Kugelgelenke einer Gliederpuppe ... mit leisem Stöhnen zog +sie die Luft durch die Zähne ... + +»Tut's weh?« fragte der Vater nochmals besorgt. + +»Haarsträubend!« gestand Nelly, »aber du siehst: aus dem Leim ist er +noch nicht ... sehen wir also zunächst mal nach dem da im Graben! ...« + +Frobenius war weich gefallen ... zu seinem Glücke war just neben dem +Platz der Katastrophe ein Froschwässerlein im Chausseegraben, das hatte +wie ein elastisches Kissen seinen Sturz aufgefangen ... die Frösche +hatten dabei mehr Schaden genommen als ihr unfreiwilliger Gast ... +Nun saß Frobenius mit der Rückseite seines Körpers in dem Tümpel, +während die Beine noch auf dem Rande der Chaussee lagen. Er hatte +sich aufgerichtet, und seine Arme standen hinter seinem Rücken in dem +Wässerchen ... so sah er drein mit dem Unschuldsblick eines Kindes, das +eben vom Himmel gefallen wäre ... seine Augen suchten, wie aus tiefem +Traum erwachend, nach dem Urheber seines Unglücks ... + +Auf einmal sah er neben dem keuchenden und schnaubenden Kuno den +Oberkörper einer Dame ... + +Eine Dame? ... wie kam denn die hierher? ... Das war doch nicht etwa +gar ... nein ... das durfte nicht sein ... das wäre zu ungeheuerlich +gewesen ... + +Er, ein Mann ... und von einem jungen Mädel gerettet ... das wäre gar +nicht wieder gut zu machen ... + +Und -- -- Teufel ... kam da nicht eben gar sein Bataillonskommandeur +herangesprengt, mit dem er sich gestern abend bei der letzten Flasche +Sekt so glänzend unterhalten --? + +Und der war sorglich um das junge Mädchen bemüht ... fragte nach ihrem +Befinden -- -- + +Ja ... gab's denn so was überhaupt? ... war eine solche Blamage denn +überhaupt faßbar? ... + +Der Major nannte das junge Mädchen du ... sie sagte Vater zu ihm ... + +Gerettet von der Tochter seines Bataillonskommandeurs! ... + +Das war so ungeheuerlich ... so unwahrscheinlich -- -- daß es schon +fast nicht mehr ernst zu nehmen war ...! + +Und wie nun Wilhelm Frobenius an sich selber herunterschaute und sich +rücklings in dem Froschtümpel sitzen sah, da verschwand jede Spur +persönlicher Beschämung vor der reinen Freude an der haarsträubenden +Komik der Situation ... + +Als der Major sich überzeugt hatte, daß seine Tochter heil sei, und +beide sich dem Opfer der Katastrophe zuwandten ... da saß dies Opfer in +seinem Überzug von Schlamm und Algen ... und lachte ... lachte selig +wie ein Kind, das einen fabelhaft gelungenen Streich ausgeführt hat und +nun auf allgemeine Dankbarkeit Anspruch macht ... + +Einen Augenblick waren die Retterin und ihr Vater völlig verblüfft +... dann aber stimmten auch sie erlöst und überwältigt ein in die +erdentrückte Heiterkeit des langen Menschen im Froschpfuhl ... + +»Donnerwetter! -- Sie scheinen sich in Ihrem Tümpel da ja ganz +behaglich zu fühlen! -- Wie lange wollen Sie denn da eigentlich noch +sitzen bleiben?« + +Und die junge Dame fragte: »Soll ich vom Pferde runterkommen und Ihnen +die Hand geben?« + +Da kam Wilhelm Frobenius denn doch zu Besinnung. + +Er versuchte aufzuspringen ... aber das war nicht so leicht ... +Es blieb ihm nichts übrig, als die Beine, die bisher so schön +auf dem Trocknen gelegen hatten, von ihrem hochgelegenen Platze +herunterzudirigieren. + +Und so, am ganzen Leibe triefend und mit grünem Schlamm überzogen, +richtete Wilhelm Frobenius seine lange Gestalt auf, stieg auf die +Chaussee und machte eine tragikomische Verbeugung. + +»Darf ich Herrn Major ganz gehorsamst bitten, mich vorzustellen?!« + +Abermals platzte Nelly heraus. + +»Ja,« sagte der Major, »als was soll ich Sie denn nun vorstellen -- als +Leutnant der Landwehr? -- Das geht doch nicht gut; denn augenblicklich +haben Sie mit allem Möglichen Ähnlichkeit ... aber mit einem Leutnant +... Also, sagen wir schlechtweg: Herr Frobenius -- meine Tochter +Nelly!« + +»Na, nun bedanken Sie sich mal schön bei mir!« sagte Nelly und rieb den +schmerzenden Arm, »wer weiß, wo Sie jetzt schon wären, wenn ich mich +nicht über Sie erbarmt hätte!« + +»Eigentlich müßte ich Ihnen böse sein, mein gnädiges Fräulein ... +stellen Sie sich vor, welch ein Schicksal meiner wartet! -- Meinen Sie +nicht auch, daß mir besser wäre, dieser infame Schinder hätte mich da +hinten irgendwo gegen einen Baum gerannt? ... Dann wäre jetzt alles +vorbei und ich läge friedlich und entseelt irgendwo an der Landstraße +... aber jetzt: -- so ein Lachen, wie über mich anheben wird, ist doch +überhaupt noch gar nicht dagewesen. Das habe ich Ihnen zu verdanken, +mein gnädiges Fräulein!« + +Dabei strahlten hinter den funkelnden Brillengläsern die braunen Augen +des Mannes zu dem Mädchen empor, mit einem Ausdruck, der just das +Gegenteil seiner Worte sagte: + +Ahnst du, Mädchen, wie lieb ich das Leben hab? ... ahnst du, wieviel +ich noch wirken und schaffen möcht' auf dieser Erde? ... ahnst du, was +für ein krauses, sehnsüchtiges, umgetriebenes Herz das ist, das nun +weiter schlagen darf dank deiner schnellen Tat? + +Einen Augenblick lang hatte dies geheimnisvolle Leuchten der braunen +Augen die stahlblauen der Retterin festgehalten ... dann aber ließ sie +ihre Blicke an der hageren Gestalt herabgleiten ... + +Nein, so eine Karikatur! ... + +Von den grün überkleisterten Rockschößen ... von den Ärmelaufschlägen +hernieder triefte es in den Staub der Chaussee ... Die dürren Beine in +den schlammüberkrusteten Reitstiefeln schlotterten vor Nässe und Frost +... + +Der Instinkt der Soldatentochter lehnte sich auf gegen dieses Zerrbild +... Der Herr trug doch nun mal des Königs Rock ... nun galt's vor +allem, die unmögliche Situation zu retten ... + +Mit Überraschung sah Frobenius, daß das Zucken des Lächelns und der +Teilnahme plötzlich, wie weggeweht, vom Gesicht des jungen Mädchens +verschwand. + +»Herr Leutnant,« sagte sie mit unüberhörbarer Ironie, »mein Vater war +gerade im Begriff, zum Bataillon zu reiten -- Gehn Sie bitte dort +irgendwo in den Wald und legen Sie sich in die Sonne zum Trocknen ... +meine Schwester und ich werden Ihr Pferd mit zum Tattersall nehmen und +Ihnen einen Wagen herausschicken ... So können Sie ja unmöglich in die +Stadt zurück!« + +»Ah, das ist ja 'ne ausgezeichnete Idee!« stimmte der Major zu. + +Zerschmettert sah Wilhelm Frobenius an seiner jammervollen Erscheinung +herunter ... »Allerdings -- Sie haben wohl recht, gnädiges Fräulein! +Ich danke Ihnen! -- Den Dank für meine ... Rettung ... hoffe ich Ihnen +... in etwas schicklicherer Verfassung ...« + +»Schon gut, schon gut!« sagte Nelly, »nur schnell von der Chaussee +herunter, Herr Leutnant ... Da hinten kommt schon eine Kompagnie vom +Exerzierplatz zurück ...!« + +»Ah, gut, gut!« sagte der Major, »also schnell, Herr Leutnant, +verschwinden Sie! -- Und ihr, Mädels,« -- das galt Nelly und der soeben +herankommenden Molly -- »macht, daß ihr nach Hause kommt ... Ich halte +den Schinder so lange und werde ihn der Kompagnie dort übergeben; die +kann ihn zur Stadt zurückschaffen ...!« + +Mit kurzem, herbem Kopfnicken verabschiedete sich die junge Dame von +ihrem Schützling, der barhaupt im prallen Sonnenschein vor ihr stand +und mit schlotternden Gliedern eine hilflos befangene Verbeugung machte +... In schlankem Galopp stoben die beiden Reiterinnen nach rechts der +Stadt zu. + +Der Major ergriff die Zügel Kunos des Schrecklichen, der wie ein +Lämmchen folgte, grüßte kurz mit der Linken und sprengte der +anmarschierenden Kompagnie entgegen. + +Wilhelm Frobenius aber stapfte an seinem Tümpel vorüber ... durch +den Chausseegraben ... in den Wald ... und suchte sich ein sonniges +Plätzchen aus ... + + + + + Fünftes Kapitel. + + +Die Kompagnie, die auf der Chaussee vom Exerzierplatz sich näherte, war +die dritte. + +Hauptmann Haller, der vorschriftsmäßig an der Queue ritt, sah seinen +Bataillonskommandeur herankommen und galoppierte an, überholte seine +Kompagnie und meldete dem Major: »Dritte Kompagnie auf dem Rückmarsch +vom Exerzierplatz!« + +»Danke, lieber Haller! -- Hier bring ich Ihnen etwas Schönes mit!« + +»Ich hab mich schon gewundert, Herr Major.« + +»Haarsträubende Geschichte! -- Hat den Leutnant der Landwehr Frobenius +abgeworfen -- der Satan!« + +Die Kompagnie war inzwischen herangekommen. Staubbedeckt, lustig seine +Zigarette rauchend, marschierte an ihrer Spitze der schlanke, blonde +Leutnant von Finette. Er hatte die letzten Worte gehört, und nachdem +er vor seinem Bataillonskommandeur salutiert, erlaubte er sich zu +bemerken: »Darf ich Herrn Major darauf aufmerksam machen, daß das Kuno +der Schreckliche ist?!« + +»Kuno der Schreckliche -- wer ist denn das?« + +»Ein total aus dem Leim gerittener Schinder aus dem Tattersall! Wer hat +denn bloß dem unglücklichen Herrn von der Landwehr diese Kreatur unter +den Leib gesteckt? ... Die ist doch eigentlich nur noch zu Beefsteak +zu gebrauchen!« + +»So,« sagte der Major, »das begreife ich allerdings auch nicht ... Ich +werde doch mal an den Direktor telephonieren ... So was darf nicht +wieder vorkommen ... das ist ja 'ne Infamie geradezu!« + +Hauptmann Haller hatte inzwischen seinen Burschen herangewinkt, der dem +Major die Zügel des unglücklichen Gaules aus der Hand genommen hatte. + +»Haben Sie die Erste und Zweite gesehen?« erkundigte sich der Major. + +»Zu Befehl, Herr Major! Die Zweite hat das Kastanienwäldchen besetzt -- +die Erste greift von der Hohen Tanne her an!« + +»Danke vielmals! -- Guten Morgen, meine Herren!« + + * * * * * + +Am Kreuzweg traf Sassenbach, wie verabredet, mit seinem Adjutanten +zusammen. + +»Was macht der Brummschädel?« + +»Danke gehorsamst, Herr Major -- durchaus vorschriftsmäßig!« + +»Langt's zu 'nem Galopp?« + +»Selbstverständlich, Herr Major! -- Hohe Zeit! Die Erste und Zweite +müssen schon aneinander sein!« + + * * * * * + +Hauptmann von Brandeis hatte frühmorgens am Rande des Exerzierplatzes +seine Kompagnie in Züge auseinandergezogen und Übungen im +Entfernungsschätzen durch die Zugführer vornehmen lassen. Nach einer +Stunde hatte er die Kompagnie zusammengezogen und sie fünf Kilometer +weit nordwärts geführt, um auf Grund einer mit Hauptmann Goll +vereinbarten einfachen Gefechtsannahme eine kleine Felddienstübung +anzuschließen ... + +Einer von den üblichen »Türken«, die mit tödlicher Sicherheit sich +immer wiederholten und denselben typischen Verlauf nahmen. + +Rot, so lautete die Annahme, war gestern nördlich der Garnison +geschlagen worden ... Die Dunkelheit hatte das Gefecht unterbrochen, +und infolge Erschöpfung von Blau hatte die Verfolgung nicht mit voller +Energie aufgenommen werden können, so daß die Fühlung mit dem Feinde +verloren gegangen war ... Früh morgens hatte die Kavallerie gemeldet, +daß der Feind in der Nacht durch die Stadt hindurch gen Süden abgezogen +sei und nur noch schwache Abteilungen Versprengter sich in den Wäldern +südlich des Exerzierplatzes sammelten ... + +Die erste Kompagnie, als linke Seitendeckung des auf der großen +Chaussee marschierenden Gros von Blau, bekam den Befehl, die Nachzügler +zu vertreiben ... + +Die beiden Hauptleute hatten miteinander verabredet, daß ihre ältesten +Zugführer die Kompagnieen führen sollten. + +Hauptmann von Brandeis hatte den weißen Helmbezug und die weiße +Armbinde der Schiedsrichter angelegt, und zu ihm war von der Zweiten +Leutnant Quincke als Schiedsrichtergehilfe getreten ... Oberleutnant +Menshausen führte die Zweite ... Leutnant der Reserve Flamberg die +Erste ... Hauptmann Goll, als der Ältere, markierte den Leitenden +und hatte den Leutnant der Landwehr Frobenius als Zuschauer zu sich +befohlen. + +Bei der Zweiten wurden infolgedessen sämtliche Züge von +Unteroffizieren: einem aktiven und einem Reserve-Vizefeldwebel und +dem ältesten Sergeanten geführt ... Bei der Ersten standen Leutnant +Carstanjen und zwei Vizefeldwebel als Zugführer. + +Der Oberleutnant Menshausen besetzte mit allen drei Zügen den Rand des +Kastanienwäldchens und ließ die Mannschaften sich eingraben ... + +Dann hielt er Musterung unter den Unteroffizieren ...: »Der +einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen!« + +»Hier!« + +»Kommen Sie mal her ... Für Sie hab' ich heute eine Spezialaufgabe: +Sehn Sie sich mal rechts da das Gebüsch an! -- Sehn Sie?« + +»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!« + +»Nehmen Sie sich die beiden rechten Flügelgruppen vom ersten Zuge und +suchen Sie, in das Gehölz hineinzukommen ... aber gedeckt ... verstehn +Sie!? -- auch wenn Sie einen größern Umweg machen müssen! -- Und daß +Sie mir nicht eher zum Vorschein kommen, als bis die Erste über den +Exerzierplatz zum Angriff ansetzt ... sie muß ja selbstverständlich von +der Hohen Tanne herkommen ... Wenn dann die vorhergehenden Züge auf der +Höhe Ihres Gehölzes angekommen sind, dann erscheinen Sie plötzlich mit +Ihren zwei Gruppen am Waldrand und schießen der Ersten in die linke +Flanke hinein ... Haben Sie begriffen?« + +»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!« + +»Na, nun nehmen Sie sich mal zusammen und beweisen Sie, daß Sie würdig +sind, nächstens die Offizierqualifikation zu bekommen -- Sie Vertreter +der Intelligenz! Los, treten Sie an!« + +Der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen begab sich an die +rechte Flanke der ausgeschwärmten Kompagnie und befahl: »Erste und +zweite Gruppe vom rechten Flügel des ersten Zuges -- sammeln!« + +Im selben Augenblick galoppierte auch schon der Kompagnieführer heran: +»Donnerwetter, Friesen, wozu wollen Sie denn Ihre zwei Gruppen sammeln? +Lassen Sie die doch ausgeschwärmt ... Wir sind im Gefecht! Einfach +kehrt marsch und dann in Schützenlinie 'runter in den Grund ... so +schnell wie möglich ...« + +Der Einjährige stand stramm, zog dann mit dem Befehl »Schwärmen!« seine +beiden Gruppen wieder auseinander und führte sie in den waldbestandenen +Grund, der sich zur Rechten des Kastanienwäldchens hinzog ... + +Alle Wetter, heute galt's aufpassen! + +Oberleutnant Menshausen leitete die Ausbildung der Einjährigen und ihre +Vorbereitung zum Offizierexamen, und von seinem Wohlwollen hing es sehr +wesentlich ab, ob man bei der Entlassung zur Reserve die Qualifikation +zum Offizier des Beurlaubtenstandes bekommen würde ... Übrigens war er +ein harter Instruktor gewesen, der eine tiefe, grundsätzliche Abneigung +gegen die »Intelligenz im Heere« besaß und sich gar keine Mühe gab, das +zu verbergen ... + +Also wirklich, es ging »um die Wurst!« + +Ach ... und dabei war Hans Friesen heute so ganz und gar nicht dazu +aufgelegt, seine Gedanken auf den Königlichen Dienst zu konzentrieren +... Auf halb zwölf war er zu Frau Hauptmann von Brandeis befohlen, um +dort den Damen des Regiments, die bei der Festaufführung im Kasino +mitwirken sollten, und dem Herrn Bataillonsadjutanten das Festspiel +vorzulesen, das -- er selbst -- Hans Friesen, verfaßt hatte ... + +Er, Hans Friesen, seiner bürgerlichen Hantierung nach Königlich +preußischer Gerichtsreferendar und Doktor beider Rechte -- zurzeit +Seiner Majestät jüngster Unteroffizier ... + +Wahrlich ... es war keine Kleinigkeit gewesen, unmittelbar nach +bestandenem Referendarexamen ... unmittelbar nach dem Übergang aus +dem heitern Studentenleben in Amt und Würde hinein ... plötzlich ein +gemeiner Füsilier zu werden und unter der Fuchtel roher Unteroffiziere +inmitten derber Söhne des Volkes die Geheimnisse des langsamen Schritts +und des Infanteriegewehrs zu erlernen! ... + +Und das nun gar, wenn man nicht nur ein alter Korpsstudent und +königlicher Justizbeamter, sondern außerdem -- ein werdender Dichter +war. + +Ach, noch zwei Monate ... dann würde die Schinderei zu Ende sein, und +Hans Friesen würde wieder zu seinen geliebten Manuskripten und seinen +weniger geliebten, aber um so ehrwürdigern Akten zurückkehren +dürfen ... + +Vorher aber galt's noch mancherlei Fährnis zu bestehen ... + +Das Manöver war in Aussicht, und Hans Friesen war Korporalschaftsführer +... hatte das Vergnügen, jedes Kommißbrot und jede Unterhose für seine +Korporalschaft in Empfang zu nehmen ... Samstags die Ausgehgarnitur +auf Kammer zu empfangen ... und Montags sie wieder in tadellosem +Zustande abzuliefern ... und dazu kamen all die tausend jämmerlichen +und doch so notwendigen Pflichten der Fürsorge für zwanzig stramme +Burschen ... + +Das alles zog durch des jungen Soldaten Hirn, als er die ihm +anvertrauten zwei Gruppen in langer Schützenlinie durch den blumigen +Talgrund führte ... + +Ach, dieser Talgrund schien so gar nicht geschaffen zum Tummelplatz +für nägelbeschlagene Kommißstiefel ... Hier mußte man mit einem süßen, +braunäugigen Kind engumschlungen wandeln ... und von holden und +freudigen Dingen reden ... holde und freudige Dinge tun ... + +Gott, heute mittag würde er ja endlich einmal wieder Mensch sein, +Kavalier sein, würde mit richtigen Damen reden! -- Ob er das nicht +überhaupt schon verlernt hatte im seelenmordenden Gamaschendienst? -- +Nun, an ihm sollte es jedenfalls nicht fehlen! + +Zwar auf sein Festspiel bildete er sich verdammt wenig ein ... Da +hatte er dem Dichtertum in seinem Busen ganz gründlich Zaum anlegen +müssen ... Er wußte wohl: es war eine schrecklich langweilige, frostige +Allegorie geworden ... Aber Frau Major von Sassenbach hatte ihm durch +Leutnant Blowitz mitteilen lassen, daß sie entzückt sei ... Und das war +ja schließlich doch der Zweck der Übung ... + +Und heute mittag würde er von der schönen Frau von Brandeis empfangen +werden ... würde plaudern und studieren dürfen mit ihr und den +schlanken Töchtern des Majors ... + +Es war fast wie ein Traum ... so ausgehungert wie man war nach +Schönheit und Glanz in dieser verfluchten Kasernenatmosphäre, in dieser +ekelhaften Tretmühle des Dienstes, in dem verblödenden Milieu der +Unteroffiziere und Füsiliere ... + +Merkwürdig nur, daß dies Tälchen sich so endlos lang hinzog. Schon +eine halbe Stunde mußte verflogen sein, seit er sich von der Kompagnie +losgelöst und nun als eine Art kleiner Cäsar, als selbständiger +Detachementsführer, in der Welt herumgondelte. + +Allmählich fing's an, unheimlich zu werden. + +Er drehte sich um. Schweigsam trotteten seine Füsiliere hinter ihm her, +das Gewehr im Arm, die Nase zum grünen Waldboden gesenkt. + +»Sagt mal, Kerls, weiß einer von euch, wo das Gehölz liegt?« + +Die Füsiliere sahen einander an. »Wat für en Jehölz?« sagte einer der +alten Leute, »mir wisse nix von eme Jehölz.« + +»Na, das Gehölz, wo wir uns aufbauen sollen, zum Donnerwetter!« + +»Da hann mir doch nix von gehört -- dat hat dä Herr Oberleu'nant doch +em Herr Unner'ffzier selbst jesagt!« grinste der Füsilier. + +»Nä, da wisse mer nix von,« wiederholten grinsend die übrigen Kerle. + +Verflucht! -- das war ja 'ne schöne Bescherung. + +»Halt!« kommandierte Friesen und überlegte. + +Ringsum Bäume, nichts als Bäume, Buchen und Eichen gemischt -- +Waldfriede -- Waldfriede -- wunschlose Sommerseligkeit. + +Was tun? -- Offenbar war er zu lange geradeaus gegangen, statt nach +links abzubiegen, um den Saum des Wäldchens nach dem Exerzierplatz hin +zu erreichen. + +»Ja, zum Donnerwetter, Kerls, weiß denn hier keiner von euch Bescheid?« + +»Nä, hier wisse mir kei' Bescheid -- wo will der Herr Unner'ffzier denn +hin?« + +»Na, doch natürlich zum Exerzierplatz hinüber, an den Waldrand!« + +Die Füsiliere freuten sich königlich. »Dä Exerzierplatz? -- dä litt so +janz do hinne!« + +»Himmelkreuzmillionen! -- Also links schwenkt -- marsch!« + +Na, vielleicht würde die Erste nicht gar zu früh angreifen, und man kam +noch zur rechten Zeit. + +Bäume -- Bäume -- nichts als Bäume. -- Doch ... noch etwas anderes als +Bäume -- unter den Bäumen dichtes Dorngestrüpp ... immer dichter ... +immer dichter ... + +Bei jedem Schritt schlugen den Vorwärtsdringenden Brombeerranken und +Tannenzweige ins Gesicht. + +Die Füsiliere wurden ungemütlich: »Dat is ja en Schweinerei -- hä kütt +jo ke' Mensch nit dörch -- --« + +Das mußte Hans Friesen schließlich selber einsehen. -- Also +zurück -- -- + +Bautz! -- da fiel in der Ferne der erste Schuß -- plautz! ein zweiter +-- bautz -- bautz -- ein dritter und vierter ... Das Gefecht mußte +begonnen haben -- -- + +Himmel -- und nun verließ sich der Oberleutnant Menshausen darauf, +daß im entscheidenden Augenblick aus dem Hinterhalt das wohlgezielte +Feuer der zwei detachierten Gruppen dem Feind in die Flanke fallen und +seinen Ansprung über das Blachfeld des Exerzierplatzes lahmlegen würde +... + +Ade, Leutnantsqualifikation ... ade, Epaulettes und Schärpe. + +Ade, holdselige Hoffnung auf ein paar Stunden eines höhern Daseins ... + +Nach dieser Blamage, in dieser Elendstimmung vor die schöne Frau von +Brandeis, vor die schlanken Majorstöchter treten, die ihm gewiß seine +schauderhafte militärische Unzulänglichkeit am Gesicht ansehen und ihn +im tiefsten Grund ihrer Seele verachten würden ... das war eine Hölle +statt des erträumten Paradieses! + + * * * * * + +Martin Flamberg ärgerte sich ein wenig, als beim Beginn der +Felddienstübung Hauptmann von Brandeis ihm die Führung der Kompagnie +übergab ... Das hätte der Hauptmann ihm doch auch vorher sagen können +... dann hätte er sich einen Gaul zwischen die Beine geklemmt ... + +Na, es mußte nun auch so gehn! + +Mit ruhiger Sicherheit wiederholte er die Spezialidee und den Befehl, +den ihm der Hauptmann mitgeteilt, traf noch unter den Augen seines +Kompagniechefs sachgemäß die erforderlichen Anordnungen für die +Unteroffiziere, die er im Kreise um sich versammelt hatte ... + +»Sehr gut, sehr gut!« lobte Hauptmann von Brandeis, »vollkommen +einverstanden! ... Na, und nun viel Vergnügen!« Und damit galoppierte +er von dannen. + +Die Kompagnie hatte die Gewehre auf der Chaussee zusammengesetzt ... +die Mannschaft rastete im Graben ... + +»An die Gewehre!« + +Hui, da kam ein Leben in den Ameisenhaufen ... + +»Stillgestanden!« + +Und mit drei kurzen Sätzen teilte Flamberg den Mannschaften mit, was +sie zum Verständnis der Kriegslage wissen mußten ... + +»Herr Leutnant Carstanjen, treten Sie an!« + +Der Kleine salutierte: »Erster Zug -- Gewehr in die Hand ... die +vorderste Gruppe als Spitze -- schwärmen -- der Rest des Zuges folgt +unter dem Sergeanten Clausen!« + +Und der Vormarsch der ersten Kompagnie gegen den Feind begann ... + +Flamberg schritt in munterm Geplauder mit dem jüngern Kameraden fünf +Schritt vor der Spitze ... + +Hei ... welche Lust, Soldat zu sein ...! + +Welche Lust ... zu friedlichem und doch so ernstem und wichtigem +Waffenspiel in die blauen Morgennebel hineinzupilgern ... + +Nach einer halben Stunde war der Saum des Exerzierplatzes erreicht. + +Selbstverständlich brauchte kein Geist vom Himmel herabzusteigen, um +dem Kompagnieführer zu sagen, daß der Feind am Kastanienwäldchen liege +... das war ja doch natürlich seit Jahrzehnten immer so gewesen ... + +Und glatt und reglementsmäßig entwickelte sich der Angriff der Ersten +unter den Augen der Schiedsrichter von der Hohen Tanne her auf das +Kastanienwäldchen zu ... das Gelände wurde trefflich ausgenutzt ... +bald zugweise, bald gruppenweise ging die Kompagnie im Sprung über +die kahle Tenne des Platzes gegen den heftig feuernden Gegner vor ... +Und Flamberg begriff nur das eine nicht: daß die ganze Sache so glatt +vonstatten ging. + +Er war darauf gefaßt gewesen, einen Flankenangriff von links zu +erleben, und hatte infolgedessen in das Gehölz zu seiner Linken eine +starke Gefechtspatrouille geschickt ... Jeden Augenblick erwartete +er deren Warnungsschüsse zur Linken zu vernehmen ... aber nichts +erfolgte. Und hundert Meter vorm Kastanienwäldchen setzte Flamberg +zum Sturmangriff an ... Mit gezogenem Säbel sprang er zwanzig Schritt +seiner Kompagnie voran beim Sturmmarsch der Tambours und dem dröhnenden +Hurra seiner Füsiliere. + +Gerade auf die Mitte des Wäldchens rannte er los, wo die berittenen +Offiziere hielten, denen sich inzwischen, das sah er schon von weitem, +der Bataillonskommandeur mit seinem Adjutanten beigesellt hatte ... + +Im Augenblick, als er auf zehn Schritte an die Gruppe herangekommen +war, winkte der Major seinem Hornisten, und: »Das Ganze -- halt!« klang +schmetternd das erwünschte Signal zur Beendigung der Übung über den +weiten Plan. + +Unmittelbar darauf erfolgte das Signal: »Zur Kritik!« + +»Bitte, Herr Hauptmann Goll!« + +Zwischen den zusammengezogenen Brauen des Hauptmanns brütete das Unheil +und entlud sich alsbald als fürchterliches Donnerwetter über den +Oberleutnant Menshausen: »Herr Oberleutnant, wenn Sie nichts Besseres +zu tun wußten, als sich mit Ihrer ganzen Sippschaft hier am Waldrand +einzubuddeln und den Angriff der Ersten abzuwarten ... dann hätte ich +schließlich gerade so gut die Kompagnie von einem Unteroffizier führen +lassen können ... Was haben Sie sich bei dieser stumpfsinnigen Maßregel +denn eigentlich gedacht ...?« + +Oberleutnant Menshausen bebte vor Wut und Scham. Die Hand am Helm, +sagte er, als der Hauptmann seine Frage gestellt hatte: »Ich habe den +einjährig-freiwilligen Unteroffizier Friesen mit einem Halbzuge in das +Gehölz dort zur Rechten geschickt, und zwar mit genauer Instruktion ... +Er sollte im Augenblick, wenn die erste Kompagnie nach ihrem Vorgehen +auf der Höhe des Gehölzes angekommen wäre, Flankenfeuer geben!« + +»Bedaure -- habe nichts von Flankenfeuer gemerkt! Wo steckt denn Ihr +Unteroffizier?« + +»Das weiß ich nicht, Herr Hauptmann ... er muß sich verlaufen haben!« + +Leutnant Blowitz, hoch zu Roß, flüsterte dem Major eine Bemerkung zu. + +»Aha -- der Dichter -- na, das fehlte mir gerade! Erst brennt bei +den ersten Schüssen ein Gaul durch, auf dem zufällig ein Herr von +der Landwehr angebracht ist ... dann schmeißt dieser unglückliche +Einjährige die ganze Übung um ... Na, warte mein Jungchen ... dir werd +ich das Dichten austreiben! Aber bitte weiter, Herr Hauptmann, Sie +haben noch nicht den Angriff der Ersten besprochen!« + +Flamberg erhielt ein gerüttelt und geschüttelt Maß voll Lob, +sowohl von Hauptmann Goll, als auch nachher beim Schlußwort des +Bataillonskommandeurs: »Ihre Leistungen, Herr Leutnant Flamberg,« sagte +der Major, »söhnen mich einigermaßen mit der Situation aus! -- Ich +danke Ihnen, meine Herren -- --« + +Rum, plum, plumbidibum. -- Heimwärts ging's mit Trommelschlag und +munterm Gekreisch der Pfeifen ... + +Martin Flamberg war kolossal vergnügt ... Er marschierte dicht hinter +der Gruppe der Berittenen und sann eine muntere Epistel zusammen, mit +der er seiner Braut das »Waffenglück« des ersten Übungsmorgens zu +verkünden gedachte ... + +Ha, welche Lust, Soldat zu sein ...! + + + + + Sechstes Kapitel. + + +Höher war die Spätsommersonne gestiegen ... in allen Straßen und Gassen +der Garnisonstadt lag ihr flimmerndes Gold ... glänzte auch auf dem +schon staubigen Grün der städtischen Anlagen hart unter den Fenstern +der schmucken Villa Brandeis. + +Hinter den halbgeschlossenen Jalousieen in gedämpftem, goldiggrünem +Licht lag Cäcilie von Brandeis auf der Chaiselongue und las. + +Geringschätzig kräuselten sich ihre Lippen. Geschmacklos, diese +altmodischen Allegorien ... + +Drei lebende Bilder sollten gestellt werden ... die ersten beiden nach +Bildern im Offizierkasino ... + +Das erste stellte das Regiment vor beim Sturm auf St. Hubert. + +Das zweite die berühmte Szene, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm nach +der Schlacht die Verwundeten des Regiments im Feldlazarett besucht und +dem schwerblessierten Regimentskommandeur persönlich das Eiserne Kreuz +erster Klasse überreicht. + +Nun, das mochte noch hingehen! -- + +Aber das dritte Bild: + +Huldigung des Regiments vor der Büste Wilhelms des Zweiten! -- + +War denn dem guten Einjährigen, den man zum Dichten kommandiert hatte, +nicht etwas weniger Verschlissenes eingefallen?! + +Und um diese drei Bilder herum ein Dialog zwischen dem »Krieg« -- +Leutnant Blowitz -- dem »Frieden« -- Molly von Sassenbach -- und dem +»Genius des Regiments« -- Frau Cäcilie von Brandeis! -- + +Zunächst tritt der Krieg auf, spricht dem Genius des Regiments seinen +Glückwunsch zur Wiederkehr des Ruhmestages von Gravelotte aus, mahnt an +alte Schlachtenherrlichkeit und beklagt die endlose, flaue Friedenszeit +... Schon erscheint der Friede, legt ebenfalls seine Glückwünsche dem +Genius zu Füßen und behauptet, das Regiment leiste auch im Frieden +nützliche Arbeit für die menschliche Gesellschaft ... + +Alsdann führt der Krieg die Bilder der großen Vergangenheit herauf: +Bild eins und zwei. + +Der Friede ist natürlich erschlagen, preist aber mit einem längeren +Erguß das treue Schaffen des Regiments an der Wehrhaftmachung des +Volkes und kommt mit einem Übergang von haarsträubender Kühnheit auf +die Huldigung an die neue Kommandeuse ... im Frieden blühe nämlich die +holde Geselligkeit ... der Friede sei der Bereich der Frau ... und so +weiter ... + +Der Krieg ist galant genug, das zuzugeben; aber das Soldatenhandwerk, +erklärt er, sei nun doch einmal Männerhandwerk, und schließlich ruft er +die Germania zur Entscheidung auf ... + +Die erscheint in der Person von Nelly von Sassenbach, erklärt +selbstverständlich, das Regiment sei ihr in Krieg und Frieden gleich +wert, und endigt mit einer Huldigung an den erhabenen Schirmherrn des +Friedens, dessen Gipsbüste alsdann erscheint, umgeben von Soldaten des +Regiments in den historischen Uniformen von 1870 und den heutigen, +sowie von Offizieren und Ehrenjungfrauen -- bengalische Beleuchtung -- +Kaiserhymne -- Tusch -- aus --! + +Diese erhabene Generalidee mußte sich der unglückliche Einjährige im +Schweiße seines Angesichts abgerungen haben. + +Cäcilie von Brandeis meinte ihn ordentlich zu sehen -- den ihr noch +unbekannten jungen Herrn -- wie er, als Wachhabender auf Pulverhaus- +oder Schießstandswache, keuchend diese Banalitäten zusammenleimte -- + +Und doch -- wenn sie von dem Gedankengang des Ganzen absah, der ja +schließlich für seinen Zweck wohl kaum anders hätte konstruiert werden +können, und sich an die Ausführung hielt -- + +Was sie da las: das waren doch immerhin Verse ... Verse, in denen hin +und wieder ein besonderes Wort, ein eigentümliches rhetorisches Glänzen +verrieten, daß ein feiner Kopf hinter dem handwerksmäßigen Gestammel +stand, das er vielleicht selbst verlachte, während er es aufs Papier +geschludert -- -- + +Und an einigen Stellen brach's hervor: ein harnischblinkendes +Geschlecht klirrender Worte und Rhythmen, der Heerbann einer Seele, die +ihre Kräfte zu künftigen Schlachten zusammenzog -- + +Frau Cäcilie freute sich dessen, was sie da ahnte ... freute sich, daß +es ihr gegeben war, solches zu ahnen ... ihr, der Tochter der heitern +rheinischen Künstlerstadt ... dem Sprößling einer altpatrizischen +Fabrikantenfamilie, die es immer für einen Ehrentitel ihres Namens +gehalten hatte, sich mit Kunst zu umgeben, Kunst zu fördern, mit der +Kunst zu leben ... + +Und ein wenig spöttisch ... ein wenig bitter mußte sie lächeln, +wenn sie sich erinnerte, wie ihr guter Fritz ihr das Manuskript des +Einjährigen gebracht mit den Worten: + +Na, das lies mal, Kindchen! Da wirst du staunen ... einfach begeisternd +so was ... einfach niederschmetternd schön! -- Jawoll, das ist der +Geist des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande ... + +So dichten bei uns die Einjährigen ... stell' dir vor, wie erst die +Leutnants dichten ...! + +Ihr guter Fritz -- wie er sie vergötterte ... Kunststück! -- Er +verdankte ihr ja auch ein überaus behagliches Dasein -- + +Aber nein ... das war ein häßlicher Gedanke ... Er war ihr wirklich von +Herzen ergeben ... na, das konnte sie schließlich ja doch auch wohl +verlangen ...! + +Sie trat vor den großen, bis zum Fußboden herabgehenden Spiegel ... +reckte ihre Arme ... und freute sich des flimmernden Widerscheins, den +ein verirrter Sonnenstrahl in ihrem rötlich braunen Haar weckte ... + +O ja -- Cäcilie Imhof wäre auch ohne ihre halbe Million des heißen +Umwerbens würdig gewesen, das Fritz von Brandeis ihr zu Füßen gelegt +hatte ... + +Das Fräulein meldete die Schwestern Sassenbach. + +Die schlanken Mädels, beide fast um einen ganzen Kopf größer als +Cäcilie, stürmten herein, voran mit Dragonerschritten die smarte Nelly, +um die es immer witterte wie ein leiser Hauch von Stallparfüm. + +Tränenlachend versetzten die Schwestern der Hausherrin die Geschichte +von dem Landwehrleutnant im Froschpfuhl ... da lachte auch Cäcilie laut +und herzlich mit. + +Dann aber, als die Mädchen den Namen des Unglücksraben nannten, +wurde sie stutzig ... »Haben Sie eine Ahnung, was der Herr seines +bürgerlichen Zeichens ist --?« + +»Irgend sowas bei der Universität, hat Papa gesagt!« + +»So, vielleicht in -- Bonn?« + +»Ganz richtig, ja, ich glaube wohl,« meinte Nelly. + +Schweigend ging Frau Cäcilie aus dem Salon in ihr anstoßendes +Damenzimmerchen und holte einen stattlichen Folioband aus ihrer +Bibliothek; den schlug sie auf und hielt den Titel den Besucherinnen +hin: + + + Schiller. + + Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk + zu des Dichters hundertjährigem Todestage + von + Wilhelm Frobenius. + + Fünfzehntes bis zwanzigstes Tausend. + + +»Donnerwetter!« sagte Nelly erstaunt, »ist das von dem Herrn aus dem +Froschtümpel?« + +»Na, jedenfalls werden wir uns danach erkundigen müssen!« erklärte Frau +Cäcilie. + +Mit einer seltsamen, unverstandenen Empfindung entsann sich Nelly in +diesem Augenblick des heißen Leuchtens, das plötzlich aufgeglüht war +hinter den großen Brillengläsern, als der fremde Mann sie angeschaut, +den sie heute zum ersten Male gesehen ... + +Ihr war's in der Erinnerung, als habe sie da hineingeschaut in eine +Welt, die ihr ganz unbekannt geblieben war bis auf diesen Tag ... ihr, +dem Soldatenkinde, das von nichts wußte als von hartem Dienst ... von +eiserner Pflichterfüllung ... von engumzirkelter Gesellschaftsfron ... + +In diesem Augenblick erschollen lustige Klänge auf der Promenade, die +rasch näher und näher kamen ... + +Die Pfeifen schrillten ... rasselnd knarrten die taktmäßigen Wirbel der +Tambours ... + +Wie der Blitz waren die Majorstöchter am Fenster, zogen die Rolläden +auf und schossen auf den Balkon hinaus -- langsamer folgte die schöne +Frau -- + +Aha, der Papa -- und hinter ihm der Herr dieses Hauses ... den +Säbelknauf auf der Hüfte ... die gleißende Stahlklinge dicht neben dem +scharfgeschnittenen Profil ... und dahinter glitzernd und blinkend der +Heerwurm ... + +Aus seiner Mitte aufragend, hoch zu Roß wie die Herren an der Tête, die +unfrohe, nüchterne Gestalt des Hauptmanns Goll ... ganz hinten noch +zwei andere berittene Offiziere, jetzt noch nicht erkennbar ... + +Die erste Kompagnie, vom stumpfen Graugrün der schilffarbenen +Helmbezüge überlagert ... dahinter die zweite, überflirrt von den +leuchtenden Reflexen der Helmspitzen ... + + + Tütt tüttelü tütt tüttütü ... + Rum, plum, plumbidibum ... + + +so gellte, so schmetterte das die lindenumsäumte Promenade hinab ... + +Nun hatte der Major die drei Damen auf dem Balkon erblickt und Leutnant +Blowitz auch, sein getreuer Adjutant, der zu seiner Linken ritt ... +die rostbraunen Handschuhe flogen an die Mützenschirme -- lächelnd +nickten die Damen ... + +Hauptmann von Brandeis hatte natürlich schon längst die Herrin seines +Hauses erspäht ... die gleißende Klinge fuhr in die Luft und senkte +sich dann grüßend an der Flanke des Braunen nieder ... mit strahlendem +Lächeln winkten die wasserblauen Augen unter der blinkenden Helmschiene +herauf ... + +Und hinter dem Hauptmann fuhr noch eine andere Klinge in die Luft und +senkte sich ... rechts neben dem baumlangen Flügelmann der Königlichen +Ersten marschierte ein stattlicher Offizier, den Frau Cäcilie nicht +kannte ... + +»Wer ist denn das?« + +Nelly wußte Bescheid: »Das ist der Leutnant der Reserve Flamberg -- ein +Maler aus Düsseldorf!« + +Ein Maler aus Düsseldorf ... welch ein Heimatklang ... welch ein Klang +aus der blühenden, sprühenden Welt ihrer Jugend in die nüchterne, +kaltglänzende ihrer Gegenwart hinein. + +Vorüber ... vorüber zog mit raschem, taktmäßigem Schritt die gewaffnete +Schar ... es grüßte der puppenzierliche, kleine Carstanjen ... es +grüßte mürrischen Gesichts der struppig umbartete Hauptmann Goll ... +es grüßten am Schluß des Zuges von ihren Pferden der Oberleutnant +Menshausen und der Leutnant Quincke. Vorüber, vorüber, und fernhin +verhallte der Trommelschall, der taktmäßige Schritt der Kompagnien. + +Das ist deine Welt -- das heißt eine Welt -- -- so klang's in der +Seele der jungen Frau ... und dazwischen: Ein Maler ... ein Maler aus +Düsseldorf ... + +Wieder saßen die drei Damen im gründämmerigen Salon und schwatzten. +Das ganze Festprogramm wurde durchgesprochen, ein Rollenverzeichnis +für die lebenden Bilder aufgestellt ... So verrann eine halbe Stunde; +da erschien Leutnant Blowitz: »Melde mich ganz gehorsamst zur Stelle, +gnädige Frau, und bitte tausendmal um Entschuldigung! -- Gnädige Frau +haben ja selbst gesehen -- --!« + +»Allerdings, Herr Blowitz -- sehr erfreut, Sie nun auch persönlich +kennen zu lernen -- nun, wann kommt denn der Dichter?« + +»Gnädige Frau meinen den Einjährigen -- ja, das wissen die Götter -- +der ist abhanden gekommen!« + +Sensation! + +Und Blowitz berichtete. + +»Na, er wird sich beim Kehren schon wiederfinden!« + +»Vielleicht ist er auch in den Froschtümpel geraten,« meinte Nelly. + +Die Hausfrau servierte Portwein und Gebäck, und munter plätscherte das +Gespräch ... die neue Kommandeuse ... das Fest ... die Verlobungen, die +etwa darauf zustande kommen könnten ... + +In Frau Cäciliens Herzen aber klang's immer wieder wie eine frohe, +verheißungsvolle Heimatweise: Ein Maler ... ein Maler aus Düsseldorf +... und er steht bei Fritzens Kompagnie ... er wird seine Aufwartung +machen ... + +Daß Fritz ihr davon noch gar nichts erzählt hatte! Aber freilich, als +er früh um fünf aufgestanden, hatten die Gatten ja nur wenige Worte +gewechselt ... + +Auch Nelly war nicht ganz bei der Sache; von Zeit zu Zeit schlug sie, +wie spielend, den Deckel des Buches auf, das vor ihr auf dem Tischchen +liegen geblieben war ... Sie dachte an den Mann im Froschtümpel, +und wie seltsam seine Augen geleuchtet hatten hinter den goldenen +Brillengläsern. Daß vielleicht er dies Buch geschrieben hatte, das in +zwanzigtausend Exemplaren hinausgeflattert war in die Welt, um dem +deutschen Volke zu erzählen von der Herrlichkeit eines Dichters, dessen +sie selber sich nur noch dunkel entsann aus ihrer Schulzeit her ... + +Ein Klassiker! Sie selber war seit zehn Jahren nur noch in Operetten +und Schwänke gegangen ... + +Schiller! -- Was war ihr Schiller?! + +Und über den hatte man ein Buch schreiben können, nach dem +zwanzigtausend Hände gelangt hatten!? + + * * * * * + +Eine halbe Stunde nach dem Einrücken der Ersten und Zweiten führte +der Unteroffizier Friesen sein trauriges Fähnlein Verirrter in den +Kasernenhof hinein. + +Er hatte sich vorgenommen, seine zwei Gruppen nun wenigstens +vorschriftsmäßig in strammem Tritt auf den Kompagnieappellplatz +rücken zu lassen, und hatte sich die Kommandos genau überlegt, die er +abzugeben hätte, um mit seiner Schar in tadelloser Verfassung auf der +Bildfläche zu erscheinen. + +Aber kaum hatte er: »Tritt gefaßt!« kommandiert, da erschien am Fenster +der Kompagniestube das zornwütige Gesicht des Feldwebels Düfke, der +den Unteroffizier anbrüllte, daß es über den ganzen Hof schallte: +»Herrgott, Sie Unglückswurm! Da sind Sie ja endlich! -- Nun machen Sie +bloß, daß Sie vom Kasernenhof 'runterkommen! -- Verschwinden Sie, +verschwinden Sie in Dreideubelsnamen!« + +»In's Kasernentor, marsch marsch!« schrie Friesen voller Wut und Scham. + +Und feixend stürmten die Füsiliere von dannen. + +Nun kam das Donnerwetter Nummer eins vom Feldwebel. Kaum war das +überstanden und der Einjährige entlassen, da lief er draußen seinem +Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, in den Weg, und das Donnerwetter +Nummer zwei prasselte auf seinen sündigen Scheitel nieder. + +Ganz begossen schlich er sich auf die Stube, auf der sein Putzer lag, +um die feldmarschmäßige Ausrüstung abzulegen. + +Da trat ihm, treuherzig schmunzelnd, der wackere Füsilier Zilles +entgegen, sein liebster Kamerad unter den Mannschaften: »Herr +Unner'ffzier, warum hann Se mich denn nit mitgenomme uff Pattrollje! +Dann wär dat Mallör nit passiert!« + +»Ja, Zilles, wie sollt ich das anfangen!? Sie stehn doch beim zweiten +Zuge, und ich bekam die beiden Flügelgruppen vom ersten! -- Na, nun +machen Sie mal schnell, daß ich instand komme: erste Garnitur, Helm und +Extrastiefel!« + +Einer der ersten Regimentsbefehle des neuen Kommandeurs war der +gewesen, daß Unteroffizieren, Einjährigfreiwilligen und Mannschaften +das Tragen unvorschriftsmäßiger Extrauniformen außer Dienst verboten +sei. + +So mußte denn Hans Friesen seinen Besuch bei Frau von Brandeis in +seiner bessern Kommißgarnitur bewerkstelligen, dem Waffenrock aus +grobem Mannschaftstuch mit dem schmalen, goldbetreßten Kragen, +daraus die schwarze Halsbinde fast einen Finger breit hervorschaute. +Der Besuchsanzug war dadurch betont, daß die Beine, statt in den +sackartigen, weiten, schwarzen Tuchhosen, in den sogenannten +»Porzellanbuchsen« steckten, den weißen Paradehosen, die auch nicht +viel anders aussahen denn zwei riesige weiße Säcke. Auf dem Kopf +den Diensthelm mit dem häßlichen, schwarzen Ledersturmriemen, das +ungeschlachte Seitengewehr am gewichsten Dienstkoppel um die Hüften +geschnallt ... + +So zog Hans Friesen, der Königlich preußische Gerichtsreferendar, +Doktor beider Rechte, Poet und Unteroffizier, zur Leseprobe seines +ersten Dramas. -- + +Unterwegs überlegte er, wie er sich nun bei der Hauptmannsfrau zu +benehmen hätte. Wahrscheinlich würden Offiziere da sein -- mußte er nun +zuerst vor den Offizieren strammstehen oder vorher, ganz Kavalier, die +Frau des Hauses begrüßen --? + +Das waren Etikettefragen, die in keiner Instruktionsstunde beantwortet +wurden ... + +Aber wenn Hans Friesen sich erinnerte, daß er heute morgen schon +zwei Ungewitter über sich hatte ergehen lassen müssen und heute +nachmittag in der Einjährigeninstruktion bei Oberleutnant Menshausen +das allertollste noch bekommen würde ... daß die Qualifikation +wahrscheinlich doch bereits verratzt sei ... + +Da kam eine ungeheure Wurstigkeit über den jungen Soldaten. + +Ach, jetzt war schon alles ganz egal ... jetzt wollte er den Offizieren +zeigen, was für ein Kerl im Tressenrock steckte ... er wollte sie auf +dem Standpunkt völliger gesellschaftlicher Gleichberechtigung behandeln +... mochten sie schimpfen ...! Was konnte ihm noch passieren! + +Aber etwas benommen war ihm doch zumute, als er sich im Korridor der +koketten Villa unterm elektrischen Licht, das eine zierliche Zofe +angeknipst hatte, noch einmal im Spiegel betrachtete ... + +Verdammt ruppig sah man doch aus ...! + +Wären nicht die schwarz-weißen Schnüre um die Achselklappen gewesen +... und die Schmisse auf Stirn und Wange wer hätte ihn von einem +Kapitulanten unterscheiden sollen ...?! + +Die Tür flog auf ... da standen drei plaudernde Damen ... ach -- Damen! +Wesen aus einer höhern Welt --! + +Und mit ihnen im Gespräch drei Offiziere, Hauptmann von Brandeis, +Oberleutnant von Schoenawa, der finstere, unnahbare Regimentsadjutant, +und Leutnant Blowitz, der einflußreiche Bataillonsadjutant ... Die +Herrgötter des Kommißhimmels! + +Und nun schlug Hans Friesen doch die Absätze zusammen, daß es knallte, +und stand zuerst vor den Offizieren stramm ... + +Erst als diese unter Lachen und Entschuldigungen bei der Hausfrau +abwinkten, ging er auf die Damen zu und beugte sich auf die duftende +Hand nieder, die sich ihm entgegenstreckte ... + +»Schau, schau ... so sieht also ein Dichter aus ... den hatte ich mir +eigentlich anders vorgestellt! Aber freilich, Herr Friesen, zu der +Königlich preußischen Dienstpoesie, die Sie sich da geleistet haben, +paßt Ihr Kostüm ganz ausgezeichnet!« + +Hans Friesens braunes Gesicht konnte wohl nicht tiefer sich färben ... +aber in die weiße Stirn stieg das heiße Erröten ... + +Und nun lachte Hauptmann von Brandeis: »Na, Herr Friesen, wo haben Sie +denn eigentlich während des Gefechts gesteckt?« + +Die Leutnants lachten ... die Damen lachten ... + +Nur eine nicht ... Ein rosiges Mädchengesicht, zwei dunkelblaue Augen +lächelten ihn mitleidsvoll aufmunternd an ... die jüngere der beiden +Majorstöchter. -- Herrgott, wie gut das tat! + +Die Vorstellung war erfolgt, man hatte Platz genommen um den runden +Tisch im Salon, und die Hausfrau forderte den Poeten auf, sein +Festspiel vorzulesen. + +Und mit dem Klang der eigenen Verse überkam Hans Friesen wieder die +fröhliche Wurstigkeit, die er sich vorgenommen ... + +Teufel ja! Wenn's auch verschlissene Gedanken und konventionelle +Vorstellungen waren, die er da zusammengebraut ... die Verse ... +wahrhaftig, die konnten sich sehen lassen ...! Das klang und klirrte +wie der Schritt marschierender Bataillone ... das grollte und brauste +wie rollende Salven und dröhnendes Hurra beim Sturm ... Und war's +auch keine himmelstürmende Poesie ... Poesie war's eben doch ... +Soldatenpoesie ... + +Und er fühlte, wie sie wirkte. + +Als er geendigt, konnte er wohl bemerken, daß die Offiziere in ganz +verändertem Ton mit ihm sprachen ... Und die Damen lachten auch +nicht mehr über ihn ... obwohl er doch heute morgen den richtigen +Gefechtsmoment verpaßt hatte ... + +Gern ließen sich alle gefallen, daß er als Regisseur nun frei und +ungezwungen mit ihnen schaltete. + +Ja, der Bataillonsadjutant fand es vollkommen in der Ordnung, daß +der Unteroffizier ihn sehr von oben herab zurechtwies, wenn eine +verständnislose Betonung unterlief, oder wenn es galt, die an näselndes +Schnarren gewohnte Kommandostimme für das Pathos des Kriegsgottes +umzufärben ... + +Und nun erst die Damen ... wie glühten sie vor Eifer, es dem Dichter +recht zu machen ... + +Am holdseligsten aber erglühte eine von ihnen ... und ihre +veilchenblauen Augen funkelten nicht nur dem Poeten, funkelten dem +straffen, feurigen Jüngling ... + +Molly hieß sie ... + +Hans Friesen ahnte, daß er an diese Molly viele, viele Verse dichten +würde ... bessere Verse als die im Festspiel ... echtere ... + +Hatte nicht schon einmal ein Poet eine Molly besungen -- --?! + + + + + Siebentes Kapitel. + + +Über dem Leben des Füsilierregiments Prinz Heinrich der Niederlande +lagerte die Stille vor dem Sturm ... die satte, friedliche +Sommerstille. + +Die großen Besichtigungen waren überstanden. Auch die fatalen vier +Wochen auf dem Truppenübungsplatz lagen bereits hinter dem Regiment, +als die letzte Gruppe der Reserveoffiziere eingerückt war. Und alles +rastete nun ein wenig bis zum Beginn der Herbstübungen, in denen +die Arbeit des ganzen Jahres, der Ausbildungsgang mit seiner weise +berechneten, allmählichen Steigerung der Ansprüche und Leistungen +alljährlich gipfelte. + +Die stille Zeit vor dem Manöver wurde hauptsächlich durch fleißiges +Schießen und durch kleinere und größere Felddienstübungen ausgefüllt. +So hatten die Reserveoffiziere über allzu starke dienstliche +Inanspruchnahme nicht zu klagen. Von den aktiven Herren waren viele +beurlaubt; die übrigen atmeten nach der Schinderei des Frühjahrs und +Hochsommers ein wenig auf. + +Mit Feuereifer stürzten sich die Beteiligten auf die Vorbereitungen +zum Regimentsfest. Alle zwei bis drei Tage fanden nachmittags unter +Leitung des Festspielpoeten Proben für die Aufführung statt, entweder +bei Frau von Brandeis oder bei der Protektorin des Abends, Frau Major +von Sassenbach. + +Für Hans Friesen bedeuteten diese Proben eine schattige, +blumendurchduftete Oase in der dürren Wüste seines Kommißdaseins ... Er +lebte nur noch für diese Stunden ... + +Was galt's ihm, daß sein Instruktionsoffizier ihn vor versammeltem +Kreise seiner Kameraden für den unfähigsten Tappelhans erklärt hatte, +der jemals das Regiment verschimpfiert habe? + +Was war ihm daran gelegen, daß sein Feldwebel Düfke ihm die +Sonderstellung, die sein Talent ihm den Offizieren gegenüber verschafft +hatte, täglich durch um so kommissigere Behandlung vergalt, ihm +mit dienstlichen Plackereien, wo es nur irgend möglich war, ins +Gedächtnis rief, daß er nicht mehr und nicht weniger sei als eben ein +Unteroffizier ... + +Mochte er ihn den ganzen Tag und die halbe Nacht schikanieren und +kommandieren, soviel er wollte ... die Nachmittagsstunden der Proben +mußte er ihm freilassen -- laut Bataillonsbefehl! + +Übrigens hatte Hans auch sonst dienstlich schlechte Tage. So gut er +von den Offizieren im allgemeinen zurzeit behandelt wurde, die Herren +seiner eigenen Kompagnie machten eine Ausnahme. + +Da war Hauptmann Goll, ein alter Junggesell und notorischer +Weiberfeind, übrigens ein Verächter alles dessen, was nicht königlicher +Dienst war ... und der Künste und Wissenschaften noch ganz besonders. + +Da war der Oberleutnant Menshausen ... da war endlich auch der Leutnant +Quincke, der, im dunkeln Gefühl der überaus mangelhaften Entwicklung +seiner eigenen Geistesgaben, jeden mit seiner grundsätzlichen Abneigung +beehrte, der irgend etwas leistete. + +Da war schließlich auch der gestrenge Bataillonskommandeur. Wenn der +auf der Bildfläche erschien, dann konnte der einjährigfreiwillige +Unteroffizier Friesen sicher sein, irgendwie »aufzufallen«. + +»Auffallen« war nämlich gleichbedeutend mit »unangenehm auffallen« ... +dienstlich irgend etwas versehen haben -- die ~gute~ dienstliche +Leistung verstand sich von selbst und fiel also nicht auf. + +Es war, als ob der Major den unglücklichen Einjährigen im Dienst dafür +bestrafe, daß er sich außer Dienst der Gunst der Frau von Sassenbach +erfreute. + +Ach, wenn Hans gewußt hätte, daß er die unverhohlene Auszeichnung, +mit der Frau von Sassenbach ihn behandelte, vor allem dem Umstande +verdankte, daß er nach ihrer Auffassung auch nicht im entferntesten als +Bewerber um eine ihrer Töchter in Frage kam -- -- + +Ein bürgerlicher Gerichtsreferendar, der noch nicht einmal die +Qualifikation zum Reserveoffizier besaß -- in dem sah auch Mama von +Sassenbachs Argwohn nur den harmlosen, völlig ungefährlichen jungen +Menschen, der sich mit Wonne nützlich machte beim Arrangement des +Regimentsfestes und überaus korrekte Verse von einer vollendeten +Loyalität der Gesinnung zu drechseln verstand -- + +Wenn Hans Friesen das geahnt hätte --!? + +Er faßte die liebenswürdige, fast mütterliche Behandlung, welche die +Frau Majorin ihm angedeihen ließ, in einem viel schmeichelhafteren +Sinne auf -- + +Und hatte er dazu nicht eine gewisse Berechtigung --? + +Denn daß die Nächstbeteiligte -- daß Molly von Sassenbach ihn +mit gnädigen Augen ansah ... das durfte er sich in Augenblicken +schwellenden Hoffnungsglücks denn doch gestehen ... + +Geschehen war ja selbstverständlich eigentlich gar nichts zwischen +ihnen beiden ... sah man sich doch nur im Kreise der »Schmiere«, wie +die kleine Schar der Komödianten des Festspiels sich bereits benannte, +und unter den wachsamen Augen der gestrengen Frau Mama ... zudem +unter den noch gestrengeren Blicken der Offiziere, für die man zwar +außer Dienst »Herr Friesen«, im Dienst aber sofort wieder nur der +Unteroffizier Friesen war ... + +Und dennoch ... wenn Hans Friesen nach der Probe zur Kaserne +zurückeilte, wo seine Anwesenheit dringend notwendig war im Interesse +seiner Korporalschaft ... dann war er doch immer in einer wahren +Weltumarmungsstimmung ... + +Zwei-, dreimal war es ihm doch gelungen, einen Blick aus den +veilchenblauen Augen zu erhaschen ... einen Blick! ... all ihr Götter! +nach solch einem Blick war's dem guten Jungen jedesmal zumute, als +müsse er den engen Tressenkragen aufreißen ... aufspringen, ans Fenster +stürmen, mit tiefen Atemzügen die laue Sommerluft in die glühende Brust +eintrinken ... + +Statt dessen mußte man ruhig und gemessen sitzen bleiben, von scharfen, +wachsamen Augen unermüdlich beobachtet und kontrolliert ... + +So waren diese Stunden seines außerdienstlichen Daseins auch wieder ein +Qual! --! ach -- ein süße Qual --! + +Sonst nichts als Dienst -- Dienst -- Dienst! Morgens um vier in die +Kaserne ... abends um neun aus der Kaserne ... dazwischen nur eine +Mittagspause von einer Stunde, verbracht in Gesellschaft der übrigen +Einjährigen in einem benachbarten Speisehause ... + +Die Kellnerinnen, die hier bedienten, waren seit einem Jahre der +einzige weibliche Umgang gewesen, den Hans Friesen gehabt hatte ... Nun +hatten Rosel und Suse plötzlich für ihn jedes Interesse verloren ... + +Sie schmollten und rächten sich, indem sie's beim Servieren immer so +einrichteten, daß Hans Friesen zuletzt an die Reihe kam und nehmen +mußte, was die Kameraden übrig gelassen hatten ... + +Hans Friesen merkte es nicht. + + * * * * * + +Wenige Tage nach Beginn der Übung hatten sich die Reserveoffiziere +wieder vollständig im Regiment eingelebt, und jeder von ihnen suchte +und fand seinen nähern Verkehr da, wohin sein Wesen ihn wies. + +Hielt Professor Brassert sich an die ältern und friedlichern Elemente, +so war der Referendar Dormagen der Mittelpunkt einer Gruppe, die nach +dem Mittagessen stets endlos beim Skat zusammenhockte, abends auf +der Kasinoterrasse einen Syphon Münchener nach dem andern vertilgte, +Sonntag nachmittags beim Sekt kleben blieb und nachts gar häufig im +Rauchzimmer beim Tempeln. Oder man zog auch Zivil an und suchte die +Variétés oder noch verschwiegenere Orte nächtlicher Ergötzung auf. +Dieser Gruppe schloß sich auch meist Herr Klocke an, den es nur grämte, +daß er nicht so flott mit dem Gelde um sich werfen konnte wie der +wohlhabende Jurist. Die Beliebtheit, die jener durch Ansetzen zahlloser +»kalter Enten« sich zu verschaffen suchte, strebte er dadurch zu +gewinnen, daß er freigebig von seinem unerschöpflichen Vorrat an +zweideutigen Anekdoten spendierte oder seine schier unglaubliche +Geschicklichkeit in Kartenkunststücken produzierte, was vor dem +Verfahren seines Kameraden entschieden den Vorzug der Billigkeit hatte. + +Wieder ein ganz anderer Kreis war es, dem sich der Forstassessor +Troisdorf angeschlossen hatte. Man hätte ihn die Gruppe der +Mißvergnügten nennen können. Ihm gehörten alle jene jungen Herren +an, die es aus irgendeinem Grunde nicht verstanden hatten, sich die +Gunst der höheren Vorgesetzten zu erringen. Es waren nicht nur die +Schlechtesten im Regiment. Hier wurde unablässig geschimpft, auf +die Vorgesetzten, auf die erfolgreichern Kameraden, die als Streber +gebrandmarkt wurden, als Leute, die »über Leichen gingen«. Auch in +diesem Kreise wurde scharf gezecht, aber mehr aus Wut und Enttäuschung +denn aus Liebe zur Sache. + +Frobenius war ziemlich allein geblieben. Unter den aktiven Offizieren +hatte er keinerlei Anschluß gefunden. Man behandelte ihn mit korrekter +Liebenswürdigkeit und beständiger höflicher Zurückhaltung. In der +Öffentlichkeit vermied es jeder, sich mit ihm zu zeigen. Und freilich, +ein Vergnügen war es auch nicht, an seiner Seite durch die Straßen der +Garnison zu spazieren. Wo er ging, da geleitete ihn ein beständiges +Schmunzeln auf allen Gesichtern der Passanten, die Straßenjugend rief +ihm freche Bemerkungen nach, ja, es war, als ob selbst die Pferde und +Hunde scheuten und stutzten, wenn sie die lange Gestalt im schwarzen +Überrock aus der Zeit Albrechts des Bären einherwandeln sahen ... + +Frobenius merkte das natürlich sehr wohl. Er wußte sehr gut, daß der +größte Teil des ungünstigen Eindrucks, den er hervorrief, auf die +Verfassung seiner Equipierung zurückzuführen sei, und ging lange mit +sich zu Rate, ob er nicht doch seinem Herzen einen Stoß geben und sich +von Kopf bis zu Füßen bei dem ersten Uniformschneider der Garnison neu +einkleiden lassen solle. -- Aber das hätte ihn wenigstens vierhundert +Mark gekostet, und er hatte sich nun einmal, seinen bescheidenen +Verhältnissen entsprechend, fest vorgenommen, bei den Neuanschaffungen +für die Übung nicht über die hundertzwanzig Mark Equipierungsgelder +hinauszugehen, die ihm zustanden. Die aber waren bereits für die +inzwischen eingeführten Uniformänderungen sowie für Reithosen und +Reitstiefel draufgegangen ... + +So trotzte er denn weiter dem Schmunzeln des Straßenpublikums wie der +Zurückhaltung seiner Kameraden. + +Sein einziger außerdienstlicher Umgang war Flamberg. Und das +entschädigte ihn vollkommen -- in ihm verehrte er, der Kunstgelehrte, +den schaffenden Künstler, wie dieser seinerseits in dem Kritiker den +idealen Adressaten seiner Lebensarbeit. Gar manche Stunde verbrachten +die beiden Gleichgesinnten im Café, in einer Weinstube drunten in der +Stadt oder auf der Stube des einen oder des andern bei kaltem Abendbrot +und Flaschenbier in ernstem Geplauder über die zeitbewegenden Fragen +der Malerei ... der Dichtkunst ... der Kunst überhaupt. + +Dennoch füllte dieser Umgang die Mußestunden des Privatdozenten nicht +völlig aus; denn Flamberg legte Wert darauf, auch außerdienstlich viel +mit den aktiven Kameraden zusammen zu sein. Es war sein Grundsatz, +während der acht Wochen Übungszeit ganz und gar sich in einen Soldaten +zu verwandeln, und so wußte er auch mit der ganzen proteischen +Wandlungsfähigkeit seiner Künstlerseele sich der Sprache, den +Umgangsformen, der Weltanschauung des Kreises anzupassen, welchem er +für diese kurze Zeit durch den Rock angehörte, den er trug. + +Wilhelm Frobenius wußte sich zu trösten. Die dienstfreien Nachmittage, +die kurzen Abendstunden benutzte er, um den Grundriß seiner Vorlesung +für das künftige Wintersemester zu skizzieren, die das Drama des +Naturalismus zum Gegenstande haben sollte. + +Von Tag zu Tag hatte er die peinliche Pflicht aufgeschoben, sich bei +seiner Retterin, der Tochter seines Bataillonskommandeurs, für den +siegreichen Kampf mit Kuno dem Schrecklichen zu bedanken. + +Für einen Menschen, der, wie er, so sicher im Kreise seines Wirkens und +Schaffens zu stehen gewohnt war, mußte es ein peinlicher Gedanke sein, +eine gesellschaftliche Komödie zu spielen, die für sein inneres Leben +keine Bedeutung hatte und ihm doch eine Reihe von Empfindungen bringen +mußte, welche die Ruhe seines Herzens gefährdeten -- diese schöne Ruhe, +die ihm um so wertvoller war, seitdem er eine neue Arbeit begonnen ... + +Ja -- die Ruhe seines Herzens gefährdeten! -- + +Denn, so albern ihm das auch vorkam -- bei der Erinnerung an jene +Szene auf der Chaussee regte sich in ihm noch etwas anderes, als bloß +das Gedenken an eine peinliche und lächerliche Blamage. Es war ein +dumpfer, uneingestandener Schmerz in ihm, daß seine Retterin aus der so +lächerlichen wie gefährlichen Situation nicht nur eine Dame, daß es +... just diese Dame gewesen! + +Sein arbeitsames, entsagungsvolles Jugendleben hatte ihn nicht allzu +häufig in gesellschaftliche Berührung mit Damen jener Kreise gebracht, +denen er seiner Lebensstellung nach heute angehörte. + +Die Unzulänglichkeit seiner Verkehrsformen machte ihm das offizielle +Gesellschaftstreiben zur sinnlosen Qual und ließ ihn ganz erkennen, wie +inhaltleer eigentlich doch all jene Formen des Beisammenseins seien, +die überhaupt Männer und Frauen seiner Kreise zusammenführten. + +So war sein Verkehr fast gänzlich auf die gleichfalls unverheirateten +Gelehrten jener Hochschulen beschränkt gewesen, an denen er bisher +gelernt oder gelehrt hatte. + +Aber nicht ungestraft beschäftigt man sich ein Leben lang mit den +Schöpfungen der Kunst, der Poesie ... + +Denn was ist ihrer aller Mittelpunkt? -- -- + +Das Weib! die unabsehbare Fülle der Empfindungen und Erlebnisse, welche +die Berührung der Geschlechter dem Mannesleben erschließt ... + +Und so lebte unerschlossen ... unerlöst in den Tiefen dieser +Gelehrtenseele die Sehnsucht aus der Theorie, aus dem Studium, aus der +Nachempfindung heraus, in die Wirklichkeit ... in das Schauen ... in +das Erleben ... + +Das aber, was sich vor ein paar Tagen auf der Landstraße neben dem +Froschtümpel abgespielt, war das nicht ein Erlebnis gewesen ... kein +sehr rühmliches ... kein sehr reiches ... aber doch immerhin eine +Wirklichkeit, nicht bloß der Reflex einer solchen, nicht bloß ihr +Spiegelbild in einer Dichterseele ... einem Buch ... einem Werk? + +Sein erstes, sein einziges Erlebnis, und -- ~eine~ Fortsetzung +würde es ja doch finden müssen -- den schuldigen, den längst fälligen +Dankesbesuch. -- + +Und eines Morgens um zwölf ließ sich Wilhelm Frobenius von dem getreuen +Schmitz den Überrock, frischgewaschene weiße Glacéhandschuhe und den +altmodischen Helm mit dem silbernen Landwehrkreuz zurechtlegen ... + +Eine halbe Stunde später stand er in einem dunkeln Salon mit +Mahagonimöbeln und grünen Plüschfauteuils ... an den Wänden in +schweren, goldenen Leisten tief nachgedunkelte Bilder preußischer +Offiziere in den Uniformen vergangener Jahrzehnte und blasser Damen +in schwarzen Krinolingewändern ... daneben in auffallendem Kontrast +protzige Rahmen, welche die Bildnisse eines grobknochigen Mannes +vom Typus des industriellen Emporkömmlings und einer schlichten, +spießbürgerlichen Frau in violetter Seidenrobe umschlossen ... + +Eine zarte Dame mit nervösem, spitzem Gesicht, unruhig flackernden +Augen, scharfer, leichtgeröteter Nase und schlichtem grauen Scheitel +trat aus dem Nebenzimmer herein: »Bitte Platz zu nehmen, Herr +Leutnant!« + +Frobenius versank fast in dem niedern Sammetsessel und hatte einige +Mühe, seine langen Beine, den Säbel und Helm schicklich unterzubringen. +»Gnädige Frau werden bereits gehört haben ... ich hatte neulich das +Unglück ... man hatte mir ein unbrauchbares Pferd geschickt ... und Ihr +Fräulein Tochter ...« + +»Ach, ~der~ Herr sind Sie! --« Rücksichtslos kritisierend +musterten die grauen Augen die Erscheinung des Besuchers. + +»Ich möchte also Ihrem Fräulein Tochter noch einmal meinen Dank für +ihren gütigen Eingriff aussprechen --« + +»Ach, das war wohl nicht mehr als Christenpflicht von Nelly, Herr +Leutnant!« + +»Werde ich die Ehre haben, das gnädige Fräulein selbst zu sehen --?« + +»Meine Töchter sind wieder ausgeritten, aber sie müssen jeden +Augenblick wiederkommen!« + +Einen Augenblick Stille. Wilhelm Frobenius fühlte sich namenlos +geniert. + +Frau von Sassenbach hatte inzwischen ihre Prüfung beendet -- -- Nein -- +~der~ Herr war ungefährlich! + +Und in viel liebenswürdigerm Ton stellte sie nun die üblichen Fragen: +Wie der Herr Leutnant sich im Regiment gefalle ... wie er mit seinem +Kompagniechef zufrieden sei ... ob er sich auf das Manöver freue. -- -- +Er sei ja wohl Gelehrter im Zivilverhältnis -- und aus Bonn -- sieh da +-- aus dem schönen Bonn am Rhein. + +Ob er auch die dortigen Verwandten ihres Mannes, Seine Exzellenz den +Generalleutnant a. D. von Sassenbach und seine Damen kenne -- + +Das mußte Frobenius natürlich verneinen -- + +Hinter seinem Rücken öffnete sich mit raschem Ruck die Tür. -- Er +fühlte: da ist sie -- -- + +»Ah, sieh da -- der Herr Leutnant Frobenius -- na, endlich!« Schelmisch +drohte das Mädchen mit dem Finger. + +Sie hatte sich nicht Zeit genommen, sich umzukleiden ... schlank +und straff stand sie da ... knapp umschloß das graue Reitkleid die +elastische Gestalt ... + +Auf ihren Lippen lag ein Lächeln ... ein Lächeln von so ganz anderer +Art als neulich am Froschtümpel ... + +Und mit ausgestreckter Linken hielt sie dem Besucher einen stattlichen +Folioband entgegen, auf dem -- -- sein Name stand ... »Man hat sich +inzwischen mit Ihnen beschäftigt, wie Sie sehen, Herr -- -- Leutnant +...« + +Mit einem Male überkam den Gelehrten das Gefühl einer wunderbaren +Sicherheit. Schau, schau -- nun wußte sie, nun mußte sie wissen, wen +sie vor sich hatte ... mußte wissen, daß er nicht ~immer~ das +hilflose Opfer unmöglicher Situationen war. + +»Werden Sie glauben, Herr Leutnant, ich hab nicht nur Ihr Buch gelesen +... ich hab auch zum ersten Male seit meiner Pensionszeit den Schiller +wieder vorgenommen --!« + +»Ah -- -- das ist schön! -- Aber nun lassen Sie mich Ihnen nochmals +meinen aufrichtigen Dank --« + +»Aber so schweigen Sie doch bloß von der albernen Geschichte ... das +war ja nicht der Rede wert ... Ich hab ~Ihnen~ zu danken ... ich!« + +Und mit peinlicher Überraschung ward nun Frau von Sassenbach die stumme +Beobachterin eines Gesprächs über Gegenstände, die in ihrem Salon noch +niemals verhandelt worden waren ... + +Was war das ... Nelly glühte ja bei der Unterhaltung mit diesem +langstelzigen Herrn, wie sie kaum je im Ballgespräch mit einem ihrer +Verehrer geglüht hatte ... + +»Erinnere dich, Nelly, daß wir heute mittag bei Frau von Czigorski zu +Tisch gebeten sind! es wird Zeit, dich umzukleiden!« + +Der Besucher verstand. »Ich darf die Damen nicht länger aufhalten!« + +»Ich hoffe, Sie werden mir noch mehr von Schiller erzählen, Herr +Frobenius,« sagte das Mädchen, indem es sich erhob. + +»Ich fürchte,« meinte Frobenius, »dazu wird kaum Gelegenheit sein!« + +»Aber gewiß! -- erstens sehen wir uns doch nächstens auf dem +Regimentsfest -- und zweitens werden wir doch hoffentlich bald einmal +das Vergnügen haben -- nicht wahr, Mama? -- Herrn Frobenius bei uns zu +sehen!?« + +»Ich hoffe das gleiche,« sagte Frau von Sassenbach in einem Ton, der +wenig mit dem Inhalt ihrer Worte stimmte .. + +»Leben Sie wohl, Herr Frobenius, und seien Sie nochmals bedankt ... ja +... seien Sie bedankt ...! Auf Wiedersehn, Herr Frobenius!« + +Beim Aufstehen kamen Beine und Säbel abermals in Konflikt. + +Was tat's! -- -- Auf Wiedersehn! hatte sie gesagt -- auf Wiedersehn -- +-- + + * * * * * + +In dem Kreise der Gleichgültigen und Zurückhaltenden, in dem Frobenius +sich bewegte, hatte er, ohne es zu wissen und zu ahnen, einen +geschworenen verbissenen Feind. + +Major von Sassenbach hatte sich beim Hauptmann Goll genau nach den +Umständen erkundigt, unter denen der Reitunfall des Landwehroffiziers +zustande gekommen war. + +Goll hatte ihm erzählt, wie besorgniserregend sich der Gaul bereits +auf dem Kasernenhof benommen -- wie er sich dann beim Ausreiten zum +Exerzierplatz zur Ruhe gegeben habe, beim Klang der ersten Schüsse aber +plötzlich wie wahnsinnig geworden und nach kurzem Widerstande seines +Reiters in besinnungsloser Karriere mit ihm davongerast sei. + +Der Major hatte sich erinnert, daß Leutnant von Finette ihm erzählt, +es handle sich um ein notorisch verdorbenes Pferd, und er hielt sich +für verpflichtet, festzustellen, wie es zusammenhängen mochte, daß die +Verwaltung des Tattersalls einen solchen Schinder einem Offizier zu +dienstlicher Verwendung an die Hand zu geben gewagt habe. + +Zufällig kam er in den nächsten Tagen an der Reitbahn vorbei, suchte +den Direktor auf und beschwerte sich sehr energisch. + +Der schien untröstlich, ließ sofort den Stallaufseher kommen. Dieser +war sehr erstaunt, daß ihm eine Rüge zugedacht war; just dieses Pferd +sei ausdrücklich verlangt worden. + +Von wem denn? + +Ja, das wisse er nicht mehr. Er müsse in der Liste nachsehen. + +Er kam zurück, meldete: der Bursche des Oberleutnants Menshausen habe +das Pferd bestellt -- anzuschreiben für Herrn Leutnant der Landwehr +Frobenius. + +Nun wußte der Major genug. + +Er sprach dem Direktor der Reitbahn sein Bedauern über das +Mißverständnis aus, empfahl sich und überlegte ... + +Was tun? -- Offenbar hatte der kaltherzige Geselle, den der Major +ohnedies nicht leiden konnte, dem harmlosen Landwehrfritzen einen +infamen Streich gespielt -- Was war nun anzufangen --? Frobenius +Mitteilung machen --? Aber dann mußte es ja Mord und Totschlag geben -- +-- Nein -- er wollte sich den intriganten Herrn privatim vorbinden. + +Bei nächster Gelegenheit stellte er Menshausen: »Herr Oberleutnant, Ihr +Bursche hat am vergangenen Donnerstag vormittag im Tattersall ein Pferd +abgeholt -- war das für Sie oder für jemand anders?« + +Das fahlbraune Gesicht des Oberleutnants wurde noch um einen Ton fahler +... die aufgedrehten Schnurrbartspitzen zuckten leise ... »Das war -- +für jemand anders, Herr Major!« + +»Für wen denn?« + +»Für den Leutnant der Landwehr Frobenius!« + +»Wie kamen Sie dazu?« + +»Der Bursche des Herrn Frobenius wußte noch nicht Bescheid im +Tattersall!« + +»So -- und da haben Sie ihm also freundlicherweise den Ihrigen zur +Verfügung gestellt?« + +»Zu Befehl, Herr Major!« + +»Und -- wie war es denn möglich, daß der Bursche mit dem notorisch +unbrauchbaren und gemeingefährlichen Viech angezogen gekommen ist?« + +»-- -- Woher soll ich das wissen, Herr Major!? -- ich bedaure das +selbst aufs lebhafteste -- ist eben 'ne kolossale Schweinerei von den +Stallburschen im Tattersall.« + +»Hm -- also ~Sie~ hatten dem Burschen keine Anweisung gegeben, +welches Pferd er bringen solle?« + +»Ich, Herr Major? -- --« + +In diesem Augenblick stieg eine dunkle Welle in das schnauzbärtige +Antlitz des Stabsoffiziers ... die starken Kinnmuskeln begannen +mächtig zu arbeiten ... zwischen den zusammengepreßten Lippen drang +keuchend der Atem hervor und blies die lang herabhängenden grauen +Schnurrbartborsten in die Höhe ... + +Herrgott, der Major wußte Bescheid! -- Wie? -- das mochte der Teufel +wissen --! + +»Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung, Herr Major -- ich habe die +Unwahrheit gesagt --« + +»Das heißt: Sie haben mich unverschämt belogen, Herr! -- Frech und +schamlos belogen haben Sie mich!!« + +»Herr Major, ich muß ganz gehorsamst bitten --« + +»Gar nichts bitten müssen Sie ... Soll ich Sie dem Ehrenrat melden --?! +Wissen Sie, was dann mit Ihnen passiert?!« + +Totenblaß, mit bebenden Lippen stand Menshausen vor dem Vorgesetzten +... die weißbehandschuhte Rechte am Mützenschirm flatterte hin und her +... + +»Haben Sie gewußt, daß der Herr von der Landwehr keinen Schimmer vom +Reiten hatte?« + +»Nein, Herr Major -- ich habe ihn erst am Tage vorher beim Mittagessen +kennen gelernt.« + +»Na, und da haben Sie ihm nicht auf den ersten Blick angesehen, daß er +nicht der Mann ist, einen solchen Racker zur Räson zu bringen?!« + +Menshausen schwieg. + +»Geben Sie also zu, daß Sie sich einer Infamie schuldig gemacht haben?« + +»Herr Major --!« + +»Geben Sie's zu --?! Oder wollen Sie's vom Ehrengericht bescheinigt +haben?! -- Nicht nur, daß Sie sich skandalös unkameradschaftlich +benommen haben ... Sie haben ein Menschenleben in Gefahr gebracht ... +Na, und Sie wissen ja auch, wem Sie's zu verdanken haben, daß Sie nicht +als fahrlässiger Mörder dastehen --! Genügt Ihnen das nicht, um einfach +in den Boden zu sinken, Sie -- --? Also noch einmal: geben Sie zu, daß +Sie sich ganz unqualifizierbar benommen haben -- geben Sie's zu --?« + +»Es -- es -- -- soll nicht wieder vorkommen, Herr Major!« + +»Ich denke in diesem Augenblick daran, daß Ihr verstorbener Herr Vater +ein Kriegsschulkamerad von mir gewesen ist ... dazu können Sie sich +gratulieren ... sonst -- -- Aber ich werde Sie im Auge behalten, Herr +Oberleutnant -- verlassen Sie sich darauf! Danke --!!« + +-- -- Für diese Stunde hatte Menshausen Rache geschworen. + +Ohne daß Frobenius eine Ahnung davon hatte, umlauerte Menshausen seinen +ganzen Lebenswandel, dienstlichen und außerdienstlichen ... Irgendwo +würde man schon etwas finden, wo man hinterhaken könnte ... + +Es war ja doch auch reinweg zum Verrecken ... immer kam aller Ärger von +den verdammten Gehirnfatzken, die dem ehrlichen Soldaten hier in seine +Arbeit hineinkorksten ... + +Vor wenig Tagen hatte er draußen bei der Felddienstübung wegen des +versedrechselnden Einjährigen einen Riesenanriß besehen ... und nun +diese gottverfluchte Schweinerei, die ihn das Wohlwollen seines +Bataillonskommandeurs gekostet hatte! -- + +Das sollte nicht vergessen werden --! + + * * * * * + +Während die Reserveoffiziere sich bei den höhern Vorgesetzten lediglich +dienstlich zu melden hatten, war es üblich im Regiment, daß sie ihrem +Kompagniechef noch einen gesellschaftlichen Besuch in dessen Wohnung +abstatteten; bei den verheirateten Herren pflegten sie aber zwei Karten +nur dann abzugeben, wenn sie dazu besonders aufgefordert wurden. + +Das lag ja bei Martin Flamberg vor ... + +Eines Morgens nach dem Dienst warf er sich in Besuchsanzug, um Frau von +Brandeis seine Aufwartung zu machen. + +Er hatte, wie täglich bei der Rückkehr von der Kaserne, ein zärtliches +Briefchen seiner Braut vorgefunden, und während er sein zweites +Frühstück verzehrte, überlas er, ein stilles Lächeln um die Lippen, die +beglückenden Zeilen ... + +Agathe richtete zurzeit daheim das eheliche Nest ein und meldete +freudestrahlend, daß die Saloneinrichtung aufgestellt sei ... + +»Auch noch für ein anderes Zimmer sind die Möbel angekommen. Denk dir +selbst, du Schlimmer, für welches!« + +Ach, du süßes, süßes Mädel! ... Herrgott, nur sieben Wochen noch! -- + +Er schob den Brief in den Ärmel seines Überrocks und machte sich auf +den Weg. + +Eine Weile noch spann seine Phantasie die holdseligen Träume weiter. +Dann aber begannen sich seine Gedanken mit dem Ziel seines Besuches zu +beschäftigen. + +Er hatte genug im Regiment von Frau von Brandeis gehört, um zu wissen, +daß er einem nicht ganz gewöhnlichen Erlebnis entgegengehe. + +Niemand wollte so recht begreifen, wie Herr von Brandeis an diese Frau +gekommen war. + +Ein liebenswürdiger Herr von tadellosen Manieren, einigem +Unterhaltungstalent und auch von durchschnittlichen militärischen +Fähigkeiten. + +Daß er allerdings einmal im Schießen mit seiner Kompagnie den +Kaiserpreis davongetragen, das schrieb man weniger seinen eigenen +Bemühungen zu, als der Tüchtigkeit seines Kompagnieoffiziers, des +nunmehrigen Regimentsadjutanten, Oberleutnant von Schoenawa. Und so +mißgönnte man ihm ein klein wenig den Roten Adlerorden vierter Klasse, +den er diesem glänzenden Schießresultat seiner Kohorte verdankte. + +Was man aber als ganz und gar wohlverdient ansah, das waren die +zahlreichen Frühstücksorden, die ihm zuteil geworden waren, wenn er das +Regiment bei Fürstenbesuchen und Hoffestlichkeiten zu vertreten hatte; +denn seine Repräsentationstalente waren beträchtlich, und Englisch und +Französisch sprach er wie seine Muttersprache. + +Aber das alles waren doch keine Qualitäten, die Anspruch auf die Gunst +einer Dame, wie seine Frau war, gewährten! + +Frau Cäcilie war vor anderthalb Jahren dem Regiment wie ein Stern +aufgegangen ... + +Jeder kannte die Höhe ihrer Mitgift und wußte, daß sie auf ein noch +ganz anderes Vermögen Anwartschaft hatte, wenn sie einmal ihre noch +recht rüstigen Eltern in Wiesbaden beerben würde. + +Inmitten eines Offizierkorps, dessen Angehörige weder von Hause aus +noch im großen und ganzen infolge ihrer ehelichen Verbindungen durch +namhafte Vermögen ausgezeichnet waren, gab soviel Geld immerhin die +Folie des Außergewöhnlichen. + +Aber mehr noch als diese äußeren Güter war es der Ruf ihrer +eigenartigen Schönheit, ihres Geistes und ihrer Talente, was sie hoch +über das Durchschnittsniveau der im Regiment vertretenen Weiblichkeit +heraushob und die erstaunte Frage berechtigte, wie eine solche Dame +sich mit einer glatten Mittelmäßigkeit wie Fritz von Brandeis habe +begnügen können! -- + +Es herrschte in den gesellschaftlichen Beziehungen der Herren des +Regiments zu seinen Damen im allgemeinen ein ausgezeichneter Ton. Die +Frauen und Töchter der Kameraden galten auch den ausgesprochensten Don +Juans als Tabu. + +Um die schöne Frau von Brandeis aber, die Tochter der Künstlerstadt, +wehte es wie ein geheimnisvoller Hauch von Seltsamem ... geheimnisvoll +Lockendem ... der sie aus der Schar der bieder korrekten Frauen und +Mädchen heraushob, die man sonst an der Seite der Kameraden zu sehen +gewohnt war ... + +Und die keckern unter den jüngern Herren hatten denn auch in aller +Vorsicht einmal Fühler ausgestreckt -- aber sie waren rasch und +gründlich enttäuscht worden -- + +Frau von Brandeis war eine ebenso tadellose wie zärtliche Gattin -- + +Oberleutnant Menshausen, der Abgott aller Nähmädchen und Ladenmamsells +der Garnison, hatte im Vertrauen auf eine nicht unbeträchtliche Reihe +von Erfolgen auf gefährlichen Gebieten einmal einen etwas schärfern +Ansturm riskiert ... aber die schöne Frau hatte ihm in einer Weise +heimgeleuchtet, die ihm ein für allemal den Mut zu weitern Versuchen +benommen hatte. + +Von alledem hatte Martin Flamberg in den letzten Tagen im Kasino +genug gehört, um mit einiger Spannung seinem heutigen Erlebnis +entgegenzusehen ... + +Nun, er war ja abgehärtet ... mochte Frau von Brandeis immerhin ein +kleines Wunder sein ... + +Wenn er die Reihe strahlender Schönheiten an sich vorüberziehen ließ, +die im vergangenen Sommer seinem Pinsel gesessen hatte, so brauchte er +nicht zu befürchten, in Versuchung zu kommen ... Agathe konnte ganz +ruhig sein! -- + +Sein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung ... Unwillkürlich +hatte er sich ein Bild der vielberedeten Erscheinung gemacht ... +groß -- königlich -- brünett ... Nun war sie einen Kopf kleiner als +er selbst, von rötlich-braunem, flimmerndem Haar, zarten Farben, +lebhaftem, etwas unruhigem Auge ... Gewiß ein sehr anmutiges Geschöpf +... aber für ihn, den Verwöhnten, doch nichts Außergewöhnliches ... + +Mit großer Lebhaftigkeit leitete Frau Cäcilie das Gespräch ein: »Ich +entsinne mich sehr wohl, Herr Flamberg, Ihnen einmal in Gesellschaft +begegnet zu sein!« + +»Ah, bei Kommerzienrat Trinkaus, nicht wahr, meine Gnädigste?« + +»Gewiß, bei Trinkaus. Ich weiß noch, Sie haben einen auffallend +schlecht sitzenden Frack getragen ... Daran hab ich gleich gemerkt: +der muß was Besonderes sein ... Wenn einer bei Trinkaus so schlecht +angezogen herumlaufen darf, das ist sicher ein Genie ...« + +»Stimmt, stimmt!« lachte Flamberg, »gepumpt für zwei Mark fünfzig!« + +»Heute scheinen Sie etwas mehr auf Schneider zu halten!?« + +»Geschäftssache, gnädige Frau! -- Ein gewisses Publikum glaubt nur an +Künstler, die in erstklassigen Ateliers arbeiten lassen können!« + +»So -- und das können Sie also!?« + +»Man schlägt sich so durch, gnädige Frau!« + +»Ich glaub's ... Sie müssen nämlich wissen, Herr Flamberg, ich war +diesen Juni mit meinem Mann auf Urlaub in Berlin ... Da hab ich Ihre +zwei Bilder in der Sezession gesehen ... Wissen Sie, was mein Mann +damals zu mir sagte? Du, so ein Bild möcht ich von dir haben!« + +Aha -- dachte Martin Flamberg, darauf will's also hinaus ... + +»Ich beneide Sie!« fuhr die schöne Frau fort, »ich beneide euch +Künstler überhaupt!« + +»Beneiden? -- um was?« + +»Wie soll ich sagen -- Sie sitzen hier friedlich und plaudern oder +strampeln draußen auf der Heide herum und führen Ihren Zug ... und +derweile reisen Ihre Bilder in der Welt herum ... reden zu Tausenden, +was für ein Kerl Sie sind ... Ist das nicht beneidenswert? -- Ich +möchte es -- die Fernwirkung Ihrer Persönlichkeit nennen!« + +»Ach, gnädige Frau, mich dünkt ... viel beneidenswerter als solche +Fernwirkung, von der man schließlich doch nichts hat ... viel +beneidenswerter muß die Nahwirkung sein, die eine schöne Frau ausübt.« + +»Ach je, die Nahwirkung ... auf wen denn? ... Wen hab' ich denn, um +›nahzuwirken‹? Die Stabsoffiziere ... grämlich ... früh verbraucht +-- die Hauptleute ... dienstgehetzt -- dazu die streberhaften +Oberleutnants und die ungaren Leutnants ...« + +»Sie urteilen sehr hart, gnädige Frau ... Diese Herren sind doch die +Kameraden, die Berufsgenossen Ihres Gatten.« + +»Ums Himmels willen, hab ich mir mal wieder den Mund verbrannt!? -- Na, +das bleibt doch unter uns, nicht wahr, Herr Flamberg?« + +»Selbstverständlich! -- Nun ja ... ich kann's mir schließlich +vorstellen ... Sie kommen aus so ganz andern Kreisen ... Aber ich +meine, auch Ihnen müßte das doch imponieren, diese unermüdliche, +opferfreudige Kleinarbeit, die hier geleistet wird!« + +»Kleinarbeit ... ja wahrhaftig, Kleinarbeit!« + +»Aber eine sehr wichtige und nützliche Arbeit! -- Flößt Ihnen das denn +keinen Respekt ein?« + +»Respekt -- o ja!« + +»Und schließlich -- was geht Sie am Ende das Milieu an, in dem Sie +leben? -- In einer Häuslichkeit wie dieser ... an der Seite eines +liebenswürdigen, ritterlichen Gatten, wie der Ihre ist ...« + +»O ja!« + +Schon wieder dies »O ja!« -- Dies »O ja!«, das er so gut kannte! -- + +Das kam ja immer zuerst, wenn eine verheiratete Frau zu kokettieren +begann ... dies korrekt sich stellende, zugleich aber leises Bedauern, +heimliche Enttäuschung andeutende »O ja« über den Gatten -- -- + +Äh ... sie waren doch alle gleich ... alle, alle versuchten sie dies +ewig gleiche, langweilige Spiel ... dies Spiel, das eben doch nichts +weiter war und bleiben sollte, als ein Spiel ... ein Flirt ... eine +inhaltlose Sensation! + +Ein ernsthaftes Abenteuer -- ach, dazu waren sie ja doch fast alle zu +feige ... zu satt und zufrieden am Ende in ihrem warmen Nest ... aber +sich einen Flirt versagen zu können ... dazu waren sie doch wieder alle +zu unausgefüllt ... zu unvornehm ... zu charakterlos ... + +Gräßlich, dies frivole, ziellose Spiel mit den heiligsten Dingen ... +mit Treue und Leidenschaft ... Wie rasch man das durchschaute ... wie +rasch der pikante Reiz der ersten derartigen Erlebnisse verweht war ... +und dann widerte es einen nur noch an ... Also von der Sorte war auch +diese da ...! + +Fast brüsk brach er auf und empfahl sich. + +»Wir hoffen, Sie nächstens bei uns zu sehen, Herr Flamberg!« + +Klischee, Klischee -- -- Und so etwas galt im Offizierkorps als eine +Art höheres Wesen -- + +Schade -- ein hübsches Bildchen hätte sie schon abgegeben: die +schwermütigen braunen Augen unter der weißen Stirn, mit dem +rostfarbenen, straffen Haarkranz darüber und ... Eine feine +Schulterlinie hatte sie gewiß auch ... Der Unterarm, die feine, nervöse +Hand ... Das war vielversprechend gewesen --! + +Ausführlich und sehr lustig berichtete er an Agathe. + + * * * * * + +Schon einige Tage später konnte Martin Flamberg sich überzeugen, daß +sein Künstlerauge recht vermutet hatte. + +Drei Tage nach seinem Besuch lud ihn ein silbergraues Kärtchen zu einer +Abendgesellschaft in kleinem Kreise ... ein Kärtchen, bekritzelt mit +einer seltsamen Handschrift: feste Auf- und Abstriche, doch umschwirrt +von einem kapriziösen Gewirr hin- und herfahrender Schnörkel ... links +oben in der Ecke ein Doppelwappen, vermutlich das Adelswappen derer von +Brandeis und das bürgerliche der alten Düsseldorfer Patrizierfamilie, +aus der die junge Frau hervorgegangen ... Freilich! sie konnte es sich +leisten, das Wappen ihrer Sippe neben dem adeligen aufzupflanzen ... + +Er führte die Frau des Hauses zu Tisch -- -- Außer ihm: Major von +Sassenbach mit Frau und Töchtern, Oberleutnant von Schoenawa und +Leutnant Blowitz. + +Heute sah er sie ganz anders. + +Die drei andern Damen, die Offiziere, nicht zuletzt der Gatte, gaben +dieser Frau eine Folie, die sie seltsam hob ... In dieser Umgebung, +wahrhaftig, erschien sie wie ein hinverwehtes Wunder. + +Aller Augen hingen an ihr; sie beherrschte die Unterhaltung. + +Spießbürgerliche Mißbilligung lag auf dem spitzen Gesicht der Frau von +Sassenbach ... rötete ihre Nase ... ließ ihre grauen Augen in frostigem +Pharisäertum funkeln ... + +Die stattlichen Majorsmädel verschlangen die elegante junge Frau in +naiver Bewunderung ... + +Leutnant Blowitz, ein braver Junge, huldigte ihr mit knappenhafter +Ergebenheit ... + +Schoenawa, ein kalt beherrschter Energiemensch, verfolgte jede ihrer +Bewegungen mit verschlossenem, finsterm Ernst ... Nur zuweilen +flimmerte in seinen frostigen schwarzen Augen ein heißer Strahl; der +verriet Martin Flambergs geschultem Malerauge: auch dieses Mannes +Seele, soviel er davon besitzen mochte, stand im Banne der Hausherrin +... + +Ihr Gatte glänzte übers ganze Gesicht vor demütig anbetender +Bewunderung, vor Glück und Stolz, der legitime Besitzer so vieler +Herrlichkeit zu sein ... + +All diese Verehrung, diese teils freiwillige, teils widerwillige +Bewunderung steckte den Maler an. + +Und wirklich ... sie sah strahlend aus ... sie trug eine fraisefarbene +Seidenrobe, überrieselt von einem bronzefarbenen Spitzengewirk ... +Der Ausschnitt ließ eine Schulterlinie von adeliger Zeichnung frei, +den Hals mit leisem Rosa angetönt ... ihn umzog ein dünnes goldenes +Kettchen mit einem smaragdgrünen Darmstädter Glasschmuck ... Für +Maleraugen ein Fest ...! + +Das sprach er nach Tisch bei der Zigarre dem Hauptmann aus. + +Der griff die Andeutung rasch und gewährungsfreudig auf. + +Martin merkte, er war einem geheimen Wunsch seines Kompagniechefs +entgegengekommen ... + +Und zwei Tage später stand der Maler im Wintergarten der Villa Brandeis +mit Pinsel und Palette der Hausherrin gegenüber. Flamberg hatte sich +ein förmliches Atelier zwischen den Palmen und Skabiosen improvisieren +dürfen. Als Hintergrund hatte er eine spanische Wand aufgestellt und +eine blaßrosa Sammetdecke darüber aufgehängt, die er in einem der +Salons entdeckt hatte. + +Er selber trug über der grauen Litewka eine grobe blaue Küchenschürze, +die Frau Cäcilie persönlich unter Lachen und Scherzen ihm +umgebunden ... + +Und nun durfte er sie ungeniert und gründlich betrachten, wie sie vor +ihm im Sessel lehnte in dem Kostüm von neulich, das er sich ausgebeten +hatte ... in der fraisefarbenen Seidenrobe mit dem rieselnden Gewirk +bronzener Spitzen ... mit dem geraden Ausschnitt, der die herrliche +Schulterlinie enthüllte ... + +Seltsam war ihr zumute unter dem durchdringenden, enthüllenden Blick +der braunen, durstigen Künstleraugen ... Weich ... hingebend ... +opferfroh ... + +Einmal trat der Maler auf sie zu, um ein paar Falten ihres Gewandes +anders zu ordnen ... da durchschauerte es sie ... unwillkürlich schloß +sie leise die Augen ... neigte das flimmernde, duftende Haupt +zurück ... + +Martin Flamberg mußte sich zusammennehmen ... mußte mit Gewalt an seine +ferne Agathe denken ... + +Und das war nun jeden zweiten Tag ein paar Stunden ... jeden zweiten +Tag ... + +Manchmal kam Hauptmann von Brandeis vom Nachmittagsbesuch im +Kompagnierevier zurück, steckte, freundlich lächelnd, den Kopf ins +»Atelier«, warf einen prüfenden Blick auf die Fortschritte des Abbildes +... einen strahlenden auf das Original ... + +Das Lächeln, das diesen Blick erwiderte, ward täglich matter und matter +... Brandeis merkte es nicht. + +»Wie finden Sie meinen Mann?« fragte Frau Cäcilie einmal den Künstler. + +»Ich bin ihm sehr gut, er ist so eine wahre Natur, durch und durch +echt -- so etwas empfinden wir stets als besonders wohltuend -- wir +verlogenes, verdorbenes Künstlergesindel, wir --« + +»Verlogen und verdorben -- seid ihr alle so --?« + +»Alle ... das liegt in unserm Handwerk ... das ganze Leben ist uns ja +doch nur ein Vorwand ... alle Menschen sind uns nur Mittel zum Zweck +...« + +»Aber zu was für einem Zweck --!« + +»Zu keinem schlechten -- das weiß Gott! -- Aber die Menschen, die mit +uns umgehen, sind dennoch immer betrogen ... wir nützen sie aus, und +sie dürfen's nicht merken ... beileibe nicht ... daß sie uns nichts +sind als Modelle!« + +»Das sagen Sie -- ein Bräutigam?« + +»Das ... steht auf einem andern Blatt, gnädige Frau ...« + +»Also doch nicht so ganz Übermensch ... doch irgendwo ein Fleckchen in +Ihrem Herzen, wo man sich anbauen kann?! --« + +Martin Flamberg malte und schwieg. + +»Heut abend bleiben Sie zum Tee bei uns! -- Mein Mann kommt erst +um acht Uhr aus der Kaserne zurück -- Sie werden mir inzwischen +Gesellschaft leisten, und ich werde Ihnen etwas vorsingen!« + +Martin Flamberg atmete tief auf ... »Wer könnte da ›nein‹ sagen --?« + +»Ich habe schon lange auf die Gelegenheit gelauert, Ihnen zu zeigen +... ein bißchen Wer bin ich auch ... ein bißchen mehr als all die +Kommißgänschen hier herum ... ein ganz klein bißchen pass' ich auch in +die Welt, in der Sie heimisch sind --« + +-- -- Und Frau Cäcilie saß am Flügel ... + +Sie schien zu wachsen, als nun die ersten Akkorde aufschauerten unter +den schlanken, nervösen Fingern ... + +Nur die Kerzen am Instrument brannten im Zimmer ... warfen gelbe +Lichter auf die erdbeerfarbene Seide ... flimmernde Reflexe in die +straffe Haarkrone -- darunter schimmerte die weiße Stirn mit mattem +Opalglanz ... + +Nun öffnete sich sanft der schmale Mund ... und weiche Töne quollen +durchs Zimmer: + + + »Nicht im Traume hab' ich das gesehn, + hell im Wachen stand es schön vor mir, + eine Wiese voller Margeriten ...« + + +Martin saß im Halbdunkel. Ah, Straußens »Freundliche Vision« -- +die dunkelschwüle Weise, wie sie zu der Stunde paßte ... Martins +Seele löste sich ganz ... ein heißes Fluten hub an, wogte und webte +durcheinander ... + + + »Und ich geh mit einer, die mich lieb hat, + ruhigen Gemütes in die Kühle + dieses stillen Gartens, in den Frieden, + der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.« + + +Mit einer, die mich lieb hat ... Agathe ... Agathe ... + +Gewaltsam hatte Martin die Erregung zurückzudrängen versucht, die aus +der Tiefe seiner Seele in seine Augen quoll ... Nun übermannte es ihn +plötzlich ... + +»Herr Flamberg, was haben Sie --?« + +»Ich habe heim gedacht ... heim gedacht an ein fernes Mädchen -- das +hat keine Ahnung, daß ich in diesem Augenblick --« + +»Nun -- was?« + +»-- daß ich einer Stimme lausche ... einer Stimme, die nicht die ihre +ist ...« + +»Nun -- und was ist dabei?« + +»Viel ist dabei -- -- --« + +»Ach Sie -- Sie Künstler Sie -- ich weiß ja, alles nur Vorwand, alles +nur Modell ... Sie haben's ja selbst gesagt.« + +»Gnädige Frau --!« + +»Haha ... nun wollen Sie's wohl gar nicht Wort haben ... aber Sie haben +sich verraten ... Nun dürfen Sie sich nicht wundern, wenn man Sie nicht +so tragisch nimmt!« + +Die junge Frau ging mit raschen Schritten zum Flügel zurück ... schlug +einen schrillen Akkord an ... ging in eine tolle Walzermelodie über ... +dann brach sie plötzlich ab, sang zu übermütiger Weise abermals einen +Bierbaumschen Text: + + + »Maikater singt die ganze Nacht: + Der Frühling ist erwacht, erwacht! + Der Frühling ist erwacht!« + + +»Ah, ihr musiziert? -- Das ist recht ... und so lustig! -- Das freut +mich! Entschuldige, liebes Kind, daß ich so spät komme ... und auch +Sie, lieber Flamberg ... danke Ihnen, daß Sie meiner Frau Gesellschaft +geleistet haben ...!« + +-- -- An diesem Abend vergaß Martin Flamberg zum ersten Male, vorm +Schlafengehen am Sternenhimmel Agathens Augen zu suchen. + + * * * * * + +Am 17. August, am Vorabend des Tages von Gravelotte, wurde das Regiment +aus der Stimmung der Festvorbereitung durch eine plötzliche Trauerkunde +gerissen: Seine Durchlaucht der Erbprinz von Nassau-Dillingen, der +Kommandeur des rheinischen Armeekorps, war nach kurzer Krankheit in +Koblenz gestorben. + +Wenige Stunden nach Ankunft der Trauernachricht kam auch bereits die +Allerhöchste Kabinettsorder, nach welcher die Offiziere des Armeekorps +auf vierzehn Tage Trauer anzulegen hatten. + +In dieser Zeit eine große Feierlichkeit mit Musik und Tanz zu +begehen, das wäre nicht schicklich erschienen. Und so mußte das lange +vorbereitete Regimentsfest bis zu einem andern großen nationalen +Gedenktage, dem Tage von Sedan, aufgeschoben werden. Dieser Tag hatte +sonst für das Regiment nur die allgemeine patriotische Bedeutung, nicht +die spezielle eines Ruhmestages: denn das rheinische Armeekorps hatte +ja bei Sedan nicht mitgefochten. + +In anderer Beziehung aber klappte es mit der Verlegung recht hübsch. +Der 2. September fiel nämlich auf einen Sonntag. Und da am Dienstag, +den 4. September, die Abfahrt ins Manövergelände im Hunsrück angesetzt +war, so blieb Montag, der 3., zum Packen, und das Regimentsfest wurde +so, außer einem Begrüßungsfest für die Kommandeuse, zugleich ein +Abschiedsfest. + +Für die aktiven Herren bedeutete das Ausrücken ins Manövergelände einen +dreiwöchigen Abschied aus der Garnison. + +Die Offiziere des Beurlaubtenstandes würden überhaupt nicht mehr in +die Garnison zurückkehren; sie würden sich am letzten Manövertage nach +Schluß der Übung bei der Kritik abmelden können und galten damit als +entlassen, um von der nächsten Bahnstation aus auf dem kürzesten Wege +in ihre Heimat zurückkehren zu können. + +-- Die letzten Wochen vor dem Feste waren verhältnismäßig ruhig +verlaufen. + +Martin Flamberg hatte das Bild der Frau von Brandeis vollendet, und +damit war für ihn die Veranlassung zu seinen regelmäßigen Besuchen +in der Villa Brandeis weggefallen, nachdem im Kreise der Intimen des +Hauses bei einer Sektbowle »Firnistag« gefeiert worden war ... + +Am folgenden Morgen hatte Hauptmann von Brandeis auf dem Rückmarsch von +der Felddienstübung den hinter ihm marschierenden Flamberg an die Seite +seines Pferdes gewinkt und hatte mit ihm in schnellerem Tempo einige +Schritte Vorsprung vor der marschierenden Kompagnie gewonnen: + +»Nun sagen Sie mal, lieber Flamberg, wir wollen uns ganz offen darüber +aussprechen -- und ich denke, Sie nehmen mir das wohl nicht übel -- +Sie haben mir da das ersehnte Bild meiner Frau gemalt. Und Sie wissen +ja, ich bin in ganz erfreulichen Verhältnissen. Bitte, machen Sie mir +jetzt Ihren Preis, und genieren Sie sich durchaus nicht, die Sätze zu +berechnen, die Sie auch sonst von Ihren Auftraggebern beanspruchen.« + +Martin Flamberg sann einen Augenblick nach. Er fand es sehr richtig und +vornehm von Herrn Brandeis, daß er es seiner, des Malers Entscheidung +überließ, wie er die Angelegenheit auffassen wolle: + +»Ich bitte ganz gehorsamst, Herr Hauptmann, mir gestatten zu wollen, +meine Arbeit Ihrer Frau Gemahlin als bescheidenen Ausdruck meines +Dankes für liebenswürdige Gastfreundschaft zu Füßen zu legen, und +Ihnen, Herr Hauptmann, als gleich bescheidenen Dank für die gütige +Aufnahme, die ich schon zum zweiten Male bei der Königlichen Ersten +gefunden habe!« + +Brandeis markierte liebenswürdige Verlegenheit: »Aber lieber Flamberg, +wie soll ich das nur wieder gut machen?« + +»Das haben Herr Hauptmann bereits vorher getan! Nur eine Bitte möchte +ich mir gestatten auszusprechen, vorausgesetzt selbstverständlich die +Zustimmung Ihrer verehrten Frau Gemahlin: ich möchte bitten, mir zu +erlauben, das Bild im nächsten Frühjahr in Berlin auszustellen!« + +»Na, lieber Flamberg -- -- selbstverständlich werde ich ja den Fall mit +meiner Frau besprechen müssen ... aber ich zweifle nicht im geringsten +daran ... daß sie stolz sein wird, in solch einer meisterhaften +Verkörperung ... vor der staunenden Mitwelt paradieren zu dürfen ...« + +-- -- »Ja, was machen wir da, Cäcilie?« fragte Brandeis daheim, nachdem +er berichtet hatte. »Eigentlich ist mir die Sache ein bißchen fatal ... +das Bild ist ja ein fürstliches, ein unbezahlbares Geschenk ... das +kann ich ja eigentlich gar nicht annehmen von dem fremden Herrn.« + +»Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!« meinte Frau Cäcilie, +»jedenfalls müssen wir uns in irgendeiner Form revanchieren.« + +»Da fällt mir was ein: Flamberg ist doch verlobt und heiratet +unmittelbar nach dem Manöver. Da werden wir ihm also ein schönes +Hochzeitsgeschenk machen!« + +»Aber bitte, nicht etwa einen Wertgegenstand, der auch nur einigermaßen +wie eine Bezahlung aussieht!« + +»Ne, selbstverständlich das nicht!« lachte der Hauptmann, »das möchte +uns auch wohl doch ein bißchen schwer fallen! -- Weißt du, daß er für +jedes der Bilder in der Sezession fünfzigtausend Mark bekommen hat?« + +»Mir fällt noch etwas anderes ein ... selbstverständlich, das mit dem +Hochzeitsgeschenk, das wird gemacht ... aber ich werde der Braut einen +prachtvollen Korb Rosen schicken mit unserer Visitenkarte!« + +Der Hauptmann war einverstanden. Und Frau Cäcilie ließ ein riesiges +Arrangement prachtvoller La-France-Rosen zusammenstellen. Dazu sann sie +sich noch etwas anderes aus: sie ließ Flambergs Werk photographieren +und fügte eines der Bilder ihrer Sendung an die Braut des Malers bei. +Zu dieser Sendung schrieb sie selbst ein paar Begleitzeilen: + + + »Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein, empfangen Sie hierbei das + Abbild des jüngsten Meisterwerkes Ihres Herrn Bräutigams, und + erlauben Sie dem Original und dem künftigen Mitbesitzer des + herrlichen Werkes, Ihnen die herzlichsten Wünsche zu Ihrer + demnächstigen Vereinigung auszusprechen. + + Ein Mann, dem wir andern alle nichts sind als der gleichgültige + äußere Anstoß für sein Schaffen, nichts als ein Motiv, ein Modell, + das man festhält mit raschem, unfehlbarem Pinsel, und das dann, + ach so schnell, einem neuen Platz machen muß, nichts als ein paar + bunte Farbflecke in der Außenwelt -- -- einem solchen Mann dürfen + Sie Lebensgesellin sein -- Sie Glückliche. -- + + Empfangen Sie unsre aufrichtigsten Empfehlungen. + + Fritz und Cäcilie von Brandeis.« + + +Als Agathe van den Bergh diese Zeilen las, gab es ihr einen Ruck am +Herzen ... Lange, lange studierte sie die Züge der Photographie, +die klare Schrift mit den festen Grundzügen und dem kapriziösen +Schnörkelgerank ... + +So war es nun schon die zwei Jahre hindurch gewesen: jedesmal, wenn +sie ein neues Werk des Geliebten sah, hatte sie dies dumpf nagende +Wehgefühl ... Es war nicht Eifersucht ... es war der unbegriffene +Schmerz der reinen Mädchenseele, die empfand, daß sie dem geliebten +Manne nicht alles -- nicht alles war -- niemals alles werden würde -- +ach nein, niemals mehr denn ein kleiner, kleiner Ausschnitt aus seiner +Welt -- + +Es war nicht Mißtrauen ... nur das geheime Grauen war's des ahnenden +Mädchenherzens vor den Abgründen im Leben, in der Sehnsucht, in der +Vergangenheit und Gegenwart des Mannes ... des Künstlers. + + * * * * * + +Am vorletzten Samstag vor dem Ausrücken -- es war der 25. August -- +ging Martin Flamberg auf einen viertägigen Urlaub nach Düsseldorf ... + +Wie im Fluge verstrichen ihm die wenigen Stunden der Heimfahrt ... + +Welch ein Sturm in ihm ... welch ein Sturm der Gefühle -- der +Leidenschaften -- der Gedanken -- der Grübeleien und Träume ... Agathe +hatte ihm den großen Frieden seines Lebens bringen sollen -- ihn +ausfüllen bis in die Tiefen seiner Seele ... Er hatte gewähnt, in ihr +jene große Liebe gefunden zu haben ... jene große Liebe, von der alle +Menschen träumten ... und die Künstler heißer und sehnsüchtiger denn +alle andern ... und nun -- -- + +Seine Besuche bei Frau Cäcilie hatten nun aufgehört, und seitdem erst +war es ihm ganz bewußt geworden, was diese Besuche ihm bedeutet hatten +... Nein wahrlich, was seitdem in seiner Seele fieberte und stürmte, +das hatte wenig Ähnlichkeit mit dem großen Frieden, den er erhofft ... + +Agathe empfing ihn am Bahnhof. Der Präsident van den Bergh begleitete +seine Tochter. + +Martin fühlte, wie seine Braut ihn prüfend ... angstvoll beobachtete +... Er fühlte es, ohne daß er den Zusammenhang begriff; denn Agathe +hatte es nicht übers Herz bringen können, auch nur ein Wort über die +Sendung der fremden Dame und das seltsame Briefchen, das sie begleitet +hatte, an ihren Verlobten zu berichten ... + +War es so etwas wie böses Gewissen, was Martin Flamberg hellsichtig +machte für die verhohlene Befangenheit seiner Erkorenen ...? Er gab +sich lebhaft ... heiter ... ungezwungen ... mit fast lärmhafter +Lustigkeit ... Und dabei fühlte er doch, daß sie seine Absicht +durchschaute ... + +»Nun, Martin,« sagte der Präsident bei der Heimfahrt, »Sie haben +inzwischen auch wieder eine neue Arbeit vollendet?« Der Präsident +hatte sich noch heute nicht entschließen können, seinem Schwiegersohn +das väterliche Du entgegenzubringen. + +»So, hat Agathe Ihnen erzählt -- ja gewiß, Papa, ich habe meine Zeit +gründlich ausgenutzt.« + +»Eine schöne Frau! -- Ich erinnere mich ihrer noch sehr gut ... als +Backfisch machte sie Furore in unsern Salons ... aber sie muß sich +inzwischen noch mächtig herausgemacht haben, nach Ihrem Bilde zu +schließen.« + +»Aber -- woher wissen Sie, Papa --?« + +Dunkelglühend, mit niedergeschlagenen Augen sagte Agathe: »Die Dame hat +mir einen prachtvollen Rosenstrauß geschickt ... und eine Photographie +ihres Bildes ...« + +»Und davon hast du mir nichts geschrieben!?« + +»Ich dachte, sie hätte es dir selber gesagt.« + +»Nein, das hat sie nicht -- ich habe sie auch nicht mehr gesehen, seit +das Bild fertig ist ...« + +-- -- Zu Hause, im ersten Augenblick des Alleinseins warf sich Agathe +mit einem leisen Stöhnen an seine Brust, sah ihm tief in die Augen: +»Ach, Martin, kommst du mir so wieder, wie du gegangen bist -- --?« + +»Aber Kind -- was hast du nur?!« + +Stumm zeigte ihm Agathe Cäciliens Bild und Brief ... + +Tief atmend überflog Martin die seltsamen Zeilen ... Gott, sie sagten +ihm ja nichts Neues ... er wußte ja doch schon ... Aber Agathe mußte +beruhigt werden ... + +Wie sie so vor ihm stand, da glich sie so ganz wieder jener Gestalt, +die das Faustbuch von Wilhelm Frobenius in seiner Phantasie lebendig +gemacht ... ganz wie Gretchen sah sie aus, die bebenden Herzens den +Geliebten fragt, ob er glaube, glaube an eine ewige Macht, die den +Wandel unseres Schicksals lenkt ... + +Und in einem Wirbel des Gefühls riß er die geliebte Gestalt in seine +Arme und küßte die schweren Tränen aus seines Mädchens Augen ... + +Aber während er die bebende Braut an seinem Herzen hielt, fühlte er mit +Grausen, daß er einer andern denken mußte ... immerzu ... immerzu einer +andern ... so, wie sie ihm gegenüber gestanden hatte in der letzten +Stunde zweieinsamen Beisammenseins ... + +Das Bewußtsein, daß diese Stunde niemals wiederkommen werde, hatte +beiden mit jähem Griff plötzlich die Kehle ... das Herz umschnürt ... + +Herrgott, warum gab es Schranken in der Welt? -- Was half dem +Künstler die Phantasie -- die allmächtige, allerfassende, die ihn die +grenzenlosen Reiche der Schönheit nur darum in all ihrer Herrlichkeit +überschauen lehrte, damit das Leben selbst ihn dann immer wieder +ausschlösse von dem Besitz alles dessen, was er viel tiefer doch als +andere empfand ... viel tiefer verstand ... viel tiefer hätte genießen +können ... + +Martin hatte die Zähne zusammengebissen ... hatte das letzte Aufgebot +all seiner Seelenkräfte in sich aufgerufen zu keuchendem Kampfe gegen +die Versuchung, dies Weib in seine Arme zu schließen ... das Weib des +vertrauenden Mannes, des Vorgesetzten, des Kameraden ... Und er wußte +es wohl: die Glut all dieser verschwiegenen Kämpfe hatte er seinem +Werke eingehaucht ... Er wußte: es war sein bestes geworden. + +Und hatte Agathe das nicht herausgefühlt -- nicht ahnend empfunden -- +selbst aus dem schattenhaften Abbild seines Werkes, das sie allein erst +kannte?! + +Und warum mußte er dieser letzten Sekunde des heißen Kampfes, des +schmerzvoll bittern Sieges gedenken ... in diesem Augenblick ... +im Arme des Mädchens, das er sich zur Kameradin seines Lebens, zur +Friedenbringerin seines Herzens erkoren? + +Sie hatte ihn nicht gebracht ... den ersehnten Frieden ... Ob er wohl +kommen würde, wenn er sie einmal ganz sein eigen nennen durfte? + +An diese Hoffnung wollte er sich anklammern. + + + + + Achtes Kapitel. + + +Und nun saß Martin Flamberg inmitten des glänzenden Kreises des +Regiments Prinz Heinrich der Niederlande und seiner Damen im +kerzenhellen Kasino vor dem Vorhang, hinter dem das Festspiel sich +entrollen sollte. + +Wirklich eine stattliche Versammlung. + +Zu den Offizieren des Regiments hatte sich ein größerer Zuzug fremder +Uniformen gesellt, deren Träger dem Regiment nahe standen. + +Voran natürlich der Brigadekommandeur mit seinem Stabe, ferner +der Bezirkskommandeur mit seinem Adjutanten, dann eine Anzahl +glatzköpfiger, weißbärtiger Herren, pensionierter Generale und +Stabsoffiziere mit redseligen Gattinnen und leise verblühenden +Töchtern; denn die Villenvorstadt der Garnison war eine vielbegehrte +Pensionopolis. Auch sämtliche in erreichbarer Nähe wohnenden inaktiven +und Reserveoffiziere des Regiments hatten sich eingefunden. + +Zu den Waffenröcken, die bei den ältern Herrn von einem bunten +Ordensgeflimmer erhellt waren, gesellte sich ein lichtfarbiger, +gleißender Damenflor. + +Allerdings, die Gattin des Brigadekommandeurs hatte sich entschuldigen +lassen in taktvoller Rücksicht auf Frau Baronin von Weizsäcker; +galt doch der Kommandeuse das ganze heutige Fest, soweit es als +ein gesellschaftliches Ereignis ausgestaltet war. Und so hatte +die Frau Generalin sich zurückgehalten, damit die Gattin des +Regimentskommandeurs die Ehren des Abends unverkürzt als erste genieße. + +Von den Stabsoffizieren war der trunk- und wetterfeste Oberstleutnant +Rautz Junggesell, der hagere, unnahbare Major Blasberg seit fast zwei +Jahren Witwer. + +So bildeten die spinöse Frau von Sassenbach, die ihre bürgerliche +Geburt durch sehr starke Betonung aristokratischen Wesens zu +verdecken suchte, und die aus uraltem Adel stammende, rundliche Frau +von Czigorski, die mit ihrem Manne in lautem und bourgeoisem Wesen +wetteiferte, die nächste Umgebung der Frau Oberst. + +Die Gruppe dieser drei Damen war der Mittelpunkt der Weiblichkeit. An +sie gliederte sich auf der einen Seite die Schar der meist schon etwas +greisenhaften Gattinnen der Pensionierten, auf der andern Seite die +der jungen Frauen der Hauptleute und Oberleutnants und endlich eine +ganze Schar junger Mädchen, teils Offizierstöchter, teils geladene +Freundinnen der letztern aus der Stadt. + +Im großen Saale waren die Stuhlreihen gestellt. Die Bühne war in der +Veranda aufgeschlagen, die große Glastür ausgehoben, ihr Rahmen bildete +das Proszenium. + +Hinterm Vorhang harrte der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen, +aufgeregt wie nur je ein dramatischer Dichter am Abend seiner Premiere +an einer Weltstadtbühne, selbstverständlich wieder in Dienstanzug und +»Porzellanbuchsen«, Regisseur und Inspizient in einer Person. + +Neben ihm saß als Souffleur der jüngste Leutnant Carstanjen, sehr +ungnädig über dies Kommando, das ihn für eine Stunde dem Flirt im Saal +entzog. + +Im Augenblick, als Hans Friesen das erste Glockenzeichen geben +wollte, fiel sein Blick seitwärts, wo plötzlich, wie aus der Erde +gewachsen, der Gefreite Manes seiner Kompagnie stand, schlotternd vor +Befangenheit, im Drillichanzug, mit der schwarzen Gefreitenschnur um +den Jackenkragen, die zerknüllte Feldmütze in der Hand, ganz geblendet +von den paar Strahlen Festglanz, die seine weit aufgerissen starrenden +Augen erhascht hatten. Er machte dem Unteroffizier hilflose +Winkzeichen. + +»Haben Sie was für mich, Manes?« + +»Jawohl, Herr Unner'ffzier ... ene Zettel vom Herr Feldwebel!« + +Voll düsterer Ahnung nahm Hans den Wisch, entrollte ihn und las: +»Morgen früh fünf Uhr zur Aufsicht beim Umbau von Schießstand 5. Düfke, +Feldwebel.« + +Aha, der Neid der Götter! -- Hol's der Teufel! + +In der Eile betete Hans Friesen das Register sämtlicher Flüche her, die +er während seines Dienstjahres aus dem Munde der Kapitulanten seiner +Kompagnie vernommen hatte. + +»Na, Manes, stehen Sie noch immer da? -- Sagen Sie dem Herrn Feldwebel +einen schönen Gruß von mir, und er könnte --« + +Es war doch geratener, den Rest zu verschlucken ... das Dusseltier war +imstande, die Bestellung auszurichten ... + +O welche Lust, Soldat zu sein --! + +Auf einmal klang eine weiche Stimme neben ihm: »Guten Abend, Herr +Friesen!« + +Herrgott, Molly von Sassenbach als »Friede«. + +Mein Himmel, wie schön ... wie unsagbar schön das Mädchen aussah! Zwar +das rote Griechengewand, das sie trug, paßte eigentlich verflucht wenig +zu ihrer Mission; aber an dem goldenen Palmenzweig, den sie im Arme +hielt, konnte man ja bei einigem guten Willen immerhin erkennen, was +sie vorstellen sollte. + +»Fühlen Sie, wie ich zittere!« Sie hielt ihm die kleine, duftige Hand +hin. + +»Das nennt man Lampenfieber!« scherzte er gezwungen. + +»Wie schade, nun sind die Proben zu Ende!« + +»Jawohl ... und übermorgen geht's fort ... und ich seh Sie nicht mehr +wieder ...« + +»Kommen Sie denn nicht noch einmal zurück in die Garnison?« + +»Das wohl ... vierzehn Tage, um das Offiziersexamen zu machen! -- Aber +dann -- dann sind Sie wieder das Majorstöchterlein ... und ich der +simple Kommißknote ...« + +»Aber Sie kommen doch zum Frühjahr zur Übung ins Regiment?!« + +»Ach -- im nächsten Frühjahr! ... Das ist eine Ewigkeit --!« + +»Herr Friesen, ich will Ihnen etwas anvertrauen: vielleicht sehen wir +uns doch schon früher wieder -- -- nämlich ... das Manöver ist doch im +Hunsrück ... und -- --« + +In diesem Augenblick stürzte der Leutnant Carstanjen, der inzwischen +auf der Bühne mit Frau von Brandeis und Nelly geschwatzt hatte, heran +und rief: »Donnerwetter, Friesen -- machen Sie doch los --!« + +Zähneknirschend gab Hans Friesen das Klingelzeichen ... und der Vorhang +flog in die Höhe ... + +Alles klappte vortrefflich. + +Zwar Martin Flambergs Malerauge stand Qualen aus, als er die +Farbenzusammenstellungen an Kostümen und Dekorationen sah ... + +Leutnant Blowitz, der »für die Regie verantwortlich zeichnete«, hatte +sich törichterweise nicht entschließen können, die Unterstützung +des doch im Regiment vorhandenen Malers heranzuziehen. Wozu von der +Anerkennung der Vorgesetzten und ihrer Damen noch etwas auf einen +Herrn fallen lassen, der in drei Wochen wieder nach Hause ging ...? +Das konnte doch in der Familie bleiben ... das konnte man ja selber +verdienen ... + +Die Folgen waren schrecklich. + +Frau Cäcilie natürlich sah so blendend schön aus, wie ihr Kostüm +und ihre Frisur geschmackvoll und sachgemäß waren, aber die +Majorsmädels in ihren roten und lila allegorischen Kostümen aus dem +Maskenverleihgeschäft, und vollends Leutnant Blowitz als »Krieg« in +einer Rüstung, die ein Mittelding zwischen einem mittelalterlichen +Ritterharnisch und einem griechischen Heroenpanzer darstellte und +aussah, als sei sie aus Trümmern von Konservenbüchsen zusammengenietet +... geradezu schaudervoll! + +Die Dekorationen zu den lebenden Bildern hatte ein kundiger Thebaner +von Anstreichergehilfen, den Blowitz unter den Füsilieren der dritten +Kompagnie ausfindig gemacht, nach dem Muster der berühmten Gemälde im +Offizierkasino zusammengepinselt. + +Vor diesen fragwürdigen Hintergrund hatte Blowitz die lebenden Bilder +gestellt, so gut er's verstand. + +Er war nicht ungeschickt in solchen Veranstaltungen. In seinem frühern +Regiment war er vereidigter Festarrangeur gewesen ... und das hatte +ihm den Rücken gesteift gegen die Versuchung, den Sachverständigen +heranzuziehen, der zur Hand gewesen wäre. + +Na, es ging auch so. Und jedenfalls -- das Publikum war von der +Leistung, die auf dem eigenen Holze des Regiments gewachsen war, +vollkommen zufriedengestellt. + +Und als schließlich im letzten Bilde die Gipsbüste Seiner Majestät +erschien, von den flackernden und knisternden Flammen zweier +bengalischer Feuerwerkskörper beiderseits angestrahlt, umgeben von +einer Huldigungsgruppe von Soldaten und allegorischen Jungfrauen -- da +erhoben der General und der Oberst sich mit einem klirrenden Ruck von +ihren Stühlen, die ganze Zuschauerschaft folgte, die Regimentsmusik +schmetterte die Kaiserhymne, und in heller Begeisterung vermischten +sich die hellen Stimmen der Damen mit den dröhnenden der Offiziere. + +Dann tönte lauter Applaus ... der Vorhang über dem lebenden Bilde +öffnete sich zum zweiten Male ... und nun rief der General mit +schallender Stimme in den Saal: »Seine Majestät, unser allergnädigster +Herr -- Hurra -- Hurra -- Hurra!« + +Die Fensterscheiben klirrten ... die Damen winkten mit der Hand und +schwenkten ihre weißen Schals ... die Musik gab im Tusch das Letzte +ihrer Lungenkraft her ... es war ein Getöse, als solle der jüngste Tag +anbrechen ... + +Und abermals dröhnender Applaus ... die Darsteller verneigten sich ... + +Aus den Reihen der jüngern Offiziere tönten laute Rufe: »Blowitz -- +Blowitz --!« + +Die Gruppe schob den »Krieg« in den Vordergrund ... er verneigte sich, +hold errötend unter seiner Schminke ... immer und immer wieder ... + +In der Ecke hinter dem Vorhang aber stand im Ordonnanzanzuge der +Festspielpoet ... Um ihn kümmerte sich kein Mensch, selbst Molly von +Sassenbach hatte ihn ganz vergessen ... + +Oder ob auch sie das Gefühl hatte, daß es ein wenig stilwidrig wirken +würde, wenn in diesem Augenblick ein Unteroffiziersrock und ein Paar +»Porzellanbuchsen« im Vordergrunde des Bildes erschienen ...? + +Erst als nun der Vorhang zum letzten Male gefallen war und die +Mitwirkenden in glückseliger Erregung, froh des stolzen Gelingens, laut +plaudernd und schwatzend in die als Garderobenräume eingerichteten +Korridore abströmten, gewahrte Molly plötzlich den unglücklichen +Einjährigen in seiner Ecke: »Herrgott -- Sie haben wir ja ganz +vergessen -- --! Na -- das ist 'ne schöne Bescherung --!« + +»Poetenlos -- gnädiges Fräulein!« + +»Na warten Sie -- nachher wird der Oberst sicher mit Ihnen sprechen +-- und dann -- dann tanzen wir zusammen, wir zwei -- nicht wahr, Herr +Friesen?!« + +Aber Mollys Prophezeiung erfüllte sich nicht, wenigstens nicht in ihrem +ersten Teil. + +Zwar hatte Hans Friesen eine offizielle Einladung zum Fest bekommen. +Er hatte heimlich gehofft, als Festspielpoet bei den Mitwirkenden des +Abends seinen Platz zu finden. + +Aber als er in den nun wieder hell erleuchteten Speisesaal trat, da +kümmerte sich kein Mensch um ihn, und er drückte sich eine Zeitlang, +völlig unbeachtet, in der gräßlichsten Stimmung an den Wänden herum. + +Als dann alles Platz nahm, wandte er sich in peinlicher Verlegenheit an +den Vizefeldwebel, der den Dienst der Kasinoordonnanzen beaufsichtigte, +und fragte, wo ihm sein Platz angewiesen sei. Der antwortete ganz kurz: +»Da unten, bei die Avantageur!« + +Und richtig! -- Man hatte ihn chargenmäßig ganz unten am linken +Hufeisenende zwischen die blutjungen Fähnriche und Fahnenjunker gesetzt +... + +Diese jungen Herren fühlten sich als zukünftige aktive Offiziere dem +Einjährigen um mindestens ein Dutzend gesellschaftliche Nasenlängen +voraus und suchten ihn, den um fünf bis sechs Jahre ältern, von oben +herab zu behandeln. + +Allmählich gewann Hans Friesen den Humor der Situation. -- + +Nun, wenigstens bei den Bürschchen rechts und links wollte er sich +sobald als möglich in Respekt setzen und wartete nur auf die erste +passende Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren ... + +Inzwischen schaute er nach Molly um ... Sie saß am selben Tisch, aber +weit höher hinauf, zwischen den Leutnants Carstanjen und Quincke, die +ihr natürlich auf Mord und Tod den Hof machten ... + +Ekelhaft, dies verlebte, gelbe Gesicht des fatalen Quincke neben ihrem +rosigen, preziösen Köpfchen ... ihren apfelblütenfarbigen Schultern, +die sich nun so lockend und schimmernd aus dem rosa Ballfähnchen hoben +... + +Und jetzt -- da ... sie hatte ihn erspäht, sie lächelte, sie hob +unmerklich das Glas ... Er auch ... Blick tauchte in Blick, eine +Sekunde lang -- + +Der grünschnäblige Fähnrich von Berneck, kaum dem Kadettenkorps +entschlüpft, siebzehn Jahre alt, hatte Friesens Blick bemerkt ... Er +trug bereits das Portepee ... + +»Nanu, mit wem flirten Sie denn so vernehmlich?« + +»Ja ... das möchten Sie wohl wissen! -- Hehe! Neid der besitzlosen +Klasse, was ...?! Na, halten Sie sich am Sekt schadlos! Prost, Herr von +Berneck --!« + +»Ich bin für Sie der Herr Fähnrich von Berneck, Unteroffizier Friesen!« + +»Ach so, Sie wollen den ältern Kameraden 'rausbeißen,« sagte Friesen +mit gewinnendem Lächeln, »na, dann lassen Sie sich sagen: ein jeder +blamiert sich, so gut er's versteht! -- Nochmals: Prost, Herr von +Berneck --!« + +Das Bürschchen wollte auffahren ... Aber die roten Abfuhren auf Stirn +und Wange des Einjährigen leuchteten so martialisch, und in den +harmlos lächelnden Augen blitzte ein Licht, scharf und hell wie eine +niedersausende Säbelklinge. -- Achselzuckend wandte der Herr Fähnrich +sich ab. + +Und Hans Friesen suchte und fand abermals Mollys Auge -- Mollys Lächeln +... + +-- -- Die Tischordnung hatte den Kasinovorstand zwei schlaflose Nächte +gekostet. Wahrhaftig keine Kleinigkeit, all die Muschirs und Paschas +fein säuberlich nach der Zahl der Roßschweife zu verstauen ... Und noch +peinlicher war die Plazierung ihrer holden Ehehälften und Töchter -- +dann dabei diese Unzahl von Wünschen der Kameraden -- und schließlich +galt es doch auch noch, gewisse Regungen des eigenen Herzens zu +berücksichtigen. + +Dieser Reserveonkel ... dieser Malfritze ... der hatte drei Wochen lang +fast jeden zweiten Nachmittag ein paar Stunden mit der schönsten Frau +im Regiment allein sein dürfen ... Skandal! -- Na, der hatte sich's +natürlich nicht entgehen lassen, solch eine Gelegenheit nach allen +Kräften auszunutzen ... Was mochte er erreicht haben?! -- Heut abend +würde man zweifellos allerlei beobachten können ...! + +So hatte er der Frau von Brandeis den Witwer Major Blasberg als +Tischherrn gegeben und sich selbst an ihre rechte Seite gesetzt -- -- +Flamberg gegenüber an die andere Hufeisenseite. + +Von den Reserveoffizieren hatte nur der harmlose, dicke Oberleutnant +Brassert eine Tischdame bekommen, ein ältliches Stiftsfräulein, eine +arme Verwandte des Majors Blasberg, die dem um zehn Jahre jüngern +Vetter seit dem Tode seiner Frau die Haushaltung führte ... Mit dieser +anmutigen Nachbarin saß Brassert, wie üblich, am Stabstisch. + +Frau Cäcilie unterhielt ein krampfhaftes Gespräch mit ihrem +schweigsamen Tischherrn und mied es geflissentlich, ihrem Nachbarn zur +Rechten auch nur ein Wort zu schenken. + +Gräßlich ... fühlen zu müssen, daß er keinen Blick von den Bewegungen +ihrer entblößten Arme ... von dem Spitzensaum ihres Halsausschnitts +verwandte ... + +Er knirschte über diese Vernachlässigung. Na, warte nur -- ein bißchen +mehr als Luft bin ich doch -- -- Das sollst du merken, schöne Frau! -- + +Als wiederum in der stockenden Unterhaltung seiner Nachbarin eine Pause +eingetreten war, neigte er sich zu ihr, die sich beharrlich von ihm +abgewandt hielt: »Gnädige Frau scheinen mich schlecht behandeln zu +wollen?!« + +»Ich ... Sie? -- ich behandle Sie überhaupt nicht!« + +»Na ja, ich bin in Ungnade bei Ihnen -- das weiß ich ja!« + +»So -- das haben Sie also gemerkt!? -- Dann wundert's mich, daß Sie als +Arrangeur der Tafel keine unterhaltsamere Nachbarschaft für sich gewußt +haben als mich!« + +»Aber, gnädige Frau -- verstehen Sie das denn nicht? -- Ich hoffte +Gelegenheit zu haben, mich Ihnen gegenüber in ein besseres Licht zu +setzen!« + +»Ja, sehen Sie -- dann haben Sie sich also getäuscht!« + +»Das merk ich allerdings! -- Schade! Mir fehlen leider Gottes die +Qualitäten, mit denen man sich bei Ihnen beliebt machen kann. +Schlichter Soldat wie ich, verstehe nichts von Musik, malen kann ich +auch nicht ... kurz, nicht für fünf Pfenn'ge Chance ...!« + +»Nun also ... Warum haben Sie sich denn mit aller Gewalt den schönen +Abend durch meine Nachbarschaft verderben wollen?!« + +»Gnädige Frau -- was tut man nicht für das Glück, einen Abend neben der +schönsten Frau im Regiment sitzen zu dürfen. -- So was kommt sobald +nicht wieder, daß es von einem selbst abhängt. -- -- Der Vorzug, in +Ihrem Hause zu Gaste geladen zu sein -- der hat mir bis jetzt ja nicht +geblüht, wenn ich auch ebensogut wie alle andern Herren Ihnen meine +Aufwartung gemacht habe -- --« + +»Herr Oberleutnant, Sie wissen so gut wie ich, daß Sie sich das Recht +auf Gastfreundschaft in meinem Hause verscherzt haben!« + +»Ah -- das ist also noch immer nicht vergessen?! -- Tja -- ich versteh +es eben nicht so gut wie mancher andere, meine Empfindungen im Zaume zu +halten --!« + +»Pah -- Empfindungen -- -- Sie und Empfindungen?! Sie wissen überhaupt +nicht, was Empfindungen sind -- --!« + +»Ich weiß nicht, was --?! Haha ... man möchte wahrhaftig anfangen, mit +Gegenbeweisen zu renommieren ...!« + +»Unnötige Mühe! Ihr Renommee ist stadtkundig!« -- + +»Tja ... was bleibt unsereinem übrig ... die Frauen, die man möchte, +sind bereits anderweitig vergeben ... und überdies so unangenehm +tugendhaft ... wenigstens unsereinem gegenüber! ... Tja -- wenn man +ein Ritter der Feder wäre, wie dieser Tapergreis, der Frobenius ... +Sehn Sie nur, gnädige Frau: Nelly von Sassenbach plaudert mit ihm über +die ganze Tafel hinüber, und Herr von Schoenawa, ihr Tischherr, ist +kaltgestellt ... Ja ja, die Herren von der Reserve ... die Herren von +der Intelligenz ... das ist mal was anderes für die Damen ... da können +wir einfachen Soldaten nicht konkurrieren ... Und wenn man nun gar ein +berühmter Maler ist, wie ein gewisser anderer Herr -- --« + +»Bitte, sprechen Sie sich nur ruhig aus, Herr Oberleutnant --!« + +»O ich -- -- Sie werden begreifen, daß es mir nicht ganz gleichgültig +sein kann, wenn man selbst von einer Dame so deutliche Zeichen ihrer +Abneigung bekommen hat ... und irgend so ein Herr, der mal auf acht +Wochen hier hineinschnüffelt ... der darf dann mit dieser selben Dame +allein sein ... Wochen hindurch ... stundenlang ... Ich begreife Herrn +von Brandeis nicht -- wahrhaftig!« + +»Herr Menshausen, Sie sind denn doch von einer Geschmacklosigkeit! -- +-- Wenn ich das nun meinem Mann erzählte?!« + +»Das ... würde sich wohl kaum empfehlen, gnädige Frau ... Ich bin der +beste Schütze im Regiment!« + +»-- -- Sie sind verrückt! --« + +Mit bebenden Lippen wandte die schöne Frau dem Frechen den Rücken. + +Himmel ... wenn nur Major Blasberg nichts gehört hatte! -- Aber nein +... der war tief, tief in sich versunken ... stumm sah er die Perlen +in seinem Sektglase aufsteigen ... Frau Cäcilie wußte: der eiskalte, +unzugängliche Mann dachte an nichts als an seine Frau, die seit zwei +Jahren in kalter Friedhofserde lag ... an die Mutter seiner drei Buben +... + +Gott, wie verschieden doch die Herzen ... die Charaktere aller dieser +Männer, die einen Rock trugen ... eine Sprache sprachen ... das +gleiche, mathematisch abgemessene und umzirkelte Leben führten ... + +Wenn sie selber nun heute stürbe?! -- Fritz, das wußte sie, würde dann +auch so sitzen ... viele, viele Jahre lang ... und kein Weib mehr +anschauen nach ihr ... + +Und jener andere -- nach dem jede Fiber ihres Leibes ... jeder +Herzschlag ... jeder Gedanke sich sehnte? + +Er würde sich gratulieren, daß er sie noch gerade vor ihrem +Verschwinden aus der großen Modellsammlung des Lebens eingefangen ... +für seine Leinwand, die im nächsten Sommer als Reklame seines Pinsels +von Ausstellung zu Ausstellung wandern sollte ... würde in die Arme der +harrenden Braut eilen ... und weiter malen ... eine Schönheit nach der +andern in sich hineinsaugen mit den braunen, durstigen Künstleraugen +... und den vergänglichen Schmelz ihrer Jugendherrlichkeit, die +verschwiegenen Tiefen ihrer Seelen zu ewiger Dauer auf seine Tafeln +bannen ... + +Ach, wie ruhevoll und befriedend doch der Gedanke, daß ein treues Herz, +ein ritterliches, makelloses Gemüt nur für uns lebt -- + +Sie suchte den Blick ihres Mannes. Fritz saß ihr schräg gegenüber +an der andern Hufeisenseite neben der bildschönen Frau des +Bezirkskommandeurs. Er hatte kein Auge für die aufdringlich zur Schau +getragenen Reize der überjungen Frau, die der alternde, zur Disposition +gestellte Stabsoffizier in allzu großem Selbstvertrauen an sich +gefesselt ... + +Nun fühlte Fritz den langersehnten Blick seines Weibes ... beglückt hob +er das Glas ... trank ihr zu, strahlend wie ein Bräutigam ... + +Ach, und doch, und doch -- -- -- + + * * * * * + +Die Baronin von Weizsäcker hob die Tafel auf. + +Paar hinter Paar ... seideraschelnd ... sporenklirrend schob sich die +Gesellschaft aus dem Speisesaal in die Empfangsräume. Hier hielt die +Frau Oberst Cercle. Alles drängte sich heran ... die Offiziere, die +jungen Mädchen wetteiferten der Gestrengen die brillantberingte Hand zu +küssen. + +Sie war die typische Kommandeuse: geistig unbedeutend von Antlitz neben +dem leuchtenden Gatten, doch äußerst pompös, beständig das Lorgnon an +der Nase, voll zuckersüßer Herablassung gegenüber Gutangeschriebenen, +hundeschnäuzig ablehnend einem jeden gegenüber, dessen Conduite +zu wünschen übrig ließ, und in all diesen feinen Nuancen bereits +erstaunlich Bescheid wissend. Ihr Benehmen konnte jedem einzelnen +geradezu als Barometer seiner eigenen Stellung im Regimente dienen. + +Die Reserveoffiziere waren für sie ohne jegliches Interesse ... +existierten einfach nicht. Und dies ihr Benehmen gab für alle Damen, +die auf Korrektheit Wert legten, das Signal, die eingezogenen Herren +mit kältester Zurückhaltung zu behandeln. + +Martin Flamberg stand abseits und beobachtete, das leise, ironische +Lächeln des Menschenkenners auf den Lippen, mit scharfem Auge, dem +nichts entging ... das durch all die korrekten Formen und Formeln in +die Tiefe drang und das Ganze des Menschen packte, der sich hinter +ihnen barg ... + +Und während sein Verstand sich mit skeptischer Ergötzung am Bilde +der menschlichen Komödie weidete, erbaute sich das Malerauge an dem +farbenbunten Bilde des äußern Geschehens ... + +Wie das wogte ringsum ... wie das flimmerte von Kraft und Anmut ... von +Farbenglut und flirrendem Lichterspiel ... + +Ab und zu warf Martin auch einen Blick durch die halboffene Tür +in den Speisesaal. Hier waltete eine Schar von Heinzelmännchen in +Ordonnanzlivree und Füsilierrock ihres Amtes. Mit jener Präzision, +welche den braunwangigen Burschen auf dem Exerzierplatz eingedrillt +worden war, verwandelten sie den Speisesaal in einen Tempel der +Tanzmuse. Mit Zauberschnelle verschwanden die geschmückten, silber- und +blumenbeladenen Tafeln, mächtige Besen wurden geschwungen, Staubwolken +flogen, Stuhlreihen umkränzten die Saalwände. + +In den Empfangsräumen trennte sich inzwischen die Gesellschaft nach +Geschlechtern, die Damen ins Billardzimmer, wo die Ordonnanzen Tee und +Süßigkeiten darreichten, die Herren ins Rauchzimmer zu Schnaps und +Nikotin. + +Aber einige der keckern Damen überschritten doch bald wieder den +Trennstrich der Geschlechter, unter dem Vorwand, sich eine Zigarette zu +holen, und blieben im Rauchzimmer kleben. + +Frau Cäcilie suchte ihren Gatten auf, hängte sich an seinen Arm in +dem starken Bedürfnis, sich an ihn anzuschmiegen, jenes Gefühl der +Zusammengehörigkeit, das sie bei Tafel so jählings zu ihm hingezogen, +auch äußerlich zu betätigen ... + +Diesen Augenblick hielt Martin Flamberg für geeignet, sich für die +Rosendedikation an seine Braut zu bedanken ... + +Mit umschleierten Augen sah Frau Cäcilie ihm entgegen ... Sie hatte ihn +seit dem »Firnistag« nicht mehr gesehen ... zehn Tage lang nicht mehr +gesehen ... + +»Also glücklich vom Urlaub zurück, Herr Flamberg? -- Wie geht's -- was +macht ›Gretchen‹?« + +»Sie hat mich beauftragt, ihren Dank noch einmal mündlich zu +wiederholen!« + +»Nun, war's schön daheim? -- Was treibt Fräulein Agathe?« + +»Sie baut an unserm Ehenest!« + +»Ah -- wird's hübsch?« + +»Wird noch nicht vorgezeigt, gnädige Frau -- ich hab' nicht +hingedurft!« + +Der Hauptmann lachte übers ganze Gesicht ... er war wie trunken von der +Huld seines Weibes: »Na, lieber Flamberg, ich wünsche, daß es gerade so +hübsch wird bei Ihnen wie bei uns ... und daß ihr zwei mal gerade so +glücklich werdet wie die da und ich ... was, Alte --?!« + +Frau Cäcilie lächelte ... ein Lächeln, das Martin durchschauerte. + +»Tja, und übermorgen geht's nun fort,« schwatzte Brandeis weiter, +»na, für Sie ist das ja nur 'ne Etappe näher auf dem Anmarsch zum +Traualtar ... aber für uns zwei --? drei Wochen bittrer Trennung! -- +Na, Cilly -- wo bleibt die Abschiedsträne? -- Warten Sie nur, lieber +Flamberg, das werden Sie auch noch kennen lernen. -- Gut, daß Sie und +ich wenigstens zusammen unterm selben Zeltdach schlafen werden ... +was, Flamberg? -- dann werden wir uns vor dem Einduseln im Stroh von +unsern Herzallerliebsten vorschwärmen ... was --?! Ich bin fein heraus +... meine Schwärmerei findet wenigstens volles Verständnis, da Herr +Flamberg dich ja kennt ... und sogar einigermaßen gründlich! -- wann +aber werde ich mal den Vorzug haben --?« + +»Nun -- wer weiß ... unverhofft kommt oft ...! Darf ich um Ihre +Tanzkarte bitten, gnädige Frau?« + +»Bitte --!« + +»Den zweiten Walzer -- darf ich --?« + +Sie nickte, und er kritzelte seinen Namen auf das glänzende Blättchen. + +Andere Bewerber drängten sich herzu. Cäciliens Gesicht versteinerte +sich, als auch Menshausen sich heranwagte: »Ich bedaure, Herr +Oberleutnant!« + +»Wie -- zu spät gekommen -- schon alles besetzt --?!« + +Er hatte, als sei das selbstverständlich, die Tanzkarte von einem +Kameraden übernommen, warf einen Blick darauf: »Sieh da ... ein +Rheinländer noch frei ... darf ich darum bitten?« + +»Den Rheinländer lasse ich aus!« + +»Ich bin untröstlich --!« + +Blick traf in Blick eine Sekunde lang ... eine Flamme heißen Hasses +blitzte der jungen Frau entgegen: Sei auf deiner Hut -- du --! + +Pah ... was frag ich nach dir ... nach deinem Haß ... nach deinem +Rachegelüst ...! antwortete Cäciliens Blick. + +Eine Minute später gab sie den Rheinländer an Herrn Frobenius ... war +er nicht Martins Freund ...? würde sie nicht von Martin plaudern können +mit ihm ...? -- + + * * * * * + +Der zweite Walzer ging zu Ende ... Cäcilie und Martin hatten kaum +sprechen können während des Tanzes ... tief aufatmend machten sie +Rast. Cäcilie schob die Fingerspitzen in Martins Arm ... Keines wagte, +das andere anzuschauen; beide fühlten, der letzte Augenblick des +Beisammenseins war nahe. + +»Morgen früh werd' ich die Ehre haben, Ihnen meinen Abschiedsbesuch zu +machen, gnädige Frau!« + +»Den erlaß ich Ihnen, Herr Flamberg -- Sie würden mich nicht treffen +... ich reise schon morgen früh! -- Soll ich Ihnen sagen, wohin --?« + +»Ich bitte darum!« + +»So, Sie wissen also noch nichts? -- Mein Mann hat Ihnen noch nichts +erzählt?!« + +»Ich habe keine Ahnung!« + +»Wir haben vor drei Tagen ein Gut gekauft ... in der Nähe von Simmern +...« + +»Was -- auf dem Hunsrück? -- und unser Manöver --« + +»-- entwickelt sich zwischen Simmern und Birkenfeld -- ich weiß wohl! +-- Ich nehme da oben meinen Sommerfrischensitz ... die Sassenbachschen +Mädels nehme ich mir zur Gesellschaft mit ... Das Korpsmanöver ist in +unserer Nähe ... ich habe die Dislokation bereits studiert ... wir +werden einmal zu Ihnen ins Biwak hinauskommen ... und vielleicht reiten +Sie an einem Ruhetage mal zu uns hinüber ...« + +Martin konnte nicht sprechen. In jähem Entzücken und ahnungsvollem +Schreck zugleich taumelten seine Gefühle -- + +Auf der Heimfahrt vom Urlaub hatte er abgeschlossen ... es sollte ... +es würde ja zu Ende sein am zweiten September ... Er würde sich alsbald +nach der Übung zur Landwehr versetzen lassen, würde Frau Cäcilie von +Brandeis niemals wiedersehen ... Den einen Abend noch unter den Augen +des ganzen Regiments ... da würde man schon Fassung bewahren können +... dann Montag nach dem Dienst mit dem Hauptmann nach Hause ... ein +korrektes, liebenswürdig heiteres Abschiedsgeplauder unter den Augen +des Gatten ... und dann ... ade! ... ade für ewig! + +Agathe wartete ... ihr gehörte all sein Sehnen ... jede Sekunde im +Banne der schönen Frau war Verrat an dem geliebten Mädchen ... Also +Schluß! ... endgültig Schluß! + +Und nun -- --?! ... Schicksal, nimm deinen Lauf --! + +»Kommen Sie, Herr Flamberg ... noch ein paar Takte ... gleich ist's zu +Ende ...!« + +Hauptmann von Brandeis stand in der Tür des Rauchzimmers, die Zigarette +zwischen den Fingern, und sah schmunzelnd in das Gewühl des Tanzes +hinein ... ein frisches, glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen ... + +Die Königin des Festes ... ja, das war sie ... seine Cäcilie ... Die +andern Damen ... welche von denen war denn auch nur von weitem mit ihr +zu vergleichen! + +Und wie sie tanzte ... Selbst die ältesten Stabsoffiziere machten gute +Figur mit ihr ... Die alten Herren waren wie elektrisiert, wenn sie die +federleichte Gestalt im Arm hielten ... angesteckt von der rhythmischen +Energie, die ihre Glieder durchpulste ... Und wenn sie förmlich einen +Meistertänzer wie diesen Flamberg gefunden hatte ... den beiden +zuzuschauen, das war ja wirklich ein ästhetischer Genuß ... + +Überhaupt dieser Flamberg! ... Doch direkt ein begnadeter Mensch! -- +Stammte er nicht aus ganz dürftigen Verhältnissen? -- Freilich ... +aus einem Pfarrhause! -- Gewiß waren seine Eltern feingebildete Leute +gewesen ... die gute Kinderstube! So was ist nicht nachzuholen und +nicht nachzuahmen ... aber zur Gesellschaft im eigentlichen Sinne hatte +er nun doch mal nicht gehört -- und wer merkte ihm das heute noch an +... ein genialer Künstler, eine repräsentative Persönlichkeit, und +dabei so'n famoser Kerl -- selbstbewußt -- natürlich! Na, das gehörte +sich auch so! Aber dabei so einfach ... so ohne Prätension ... und +Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle ... + +Solche Reserveoffiziere sollte man mehr haben im Regiment! Andere +Nummer als diese Windhunde, die Herren Dormagen und Klocke, diese +Säbelraßler und Uniformfatzken! + +Höchst erfreuliche Aussicht, in so angenehmer Gesellschaft die drei +Manöverwochen zu verbringen ... und wie reizend, daß nun auch Cäcilie +in der Nähe war und auch noch ein wenig von der Gesellschaft des Malers +profitieren würde, der ihr ja offenbar sehr sympathisch war. Schade, +daß er und seine Zukünftige nicht in der Garnison wohnten; das wäre so +recht ein hübscher Verkehr gewesen, die zwei. Cäcilie hatte unter den +Damen des Regiments noch immer nicht den rechten Anschluß gefunden ... +die junge Braut, das müßte nach Flambergs Beschreibungen ein Umgang +für sein anspruchsvolles Weib gewesen sein ... Na, man würde eben bald +mal nach Düsseldorf hinüberfahren und die jungen Leute im eigenen Heim +aufsuchen ... + +Ach ... das Leben war doch schön, wenn man ein bißchen Dusel hatte! -- +der freilich gehörte dazu ... na, und über Mangel an Dusel hatte Fritz +Brandeis wahrhaftig nicht zu klagen ... + +»Glänzende Tänzerin, Ihre Frau Gemahlin!« klang's da plötzlich neben +ihm. Oberleutnant Menshausen, das geleerte Likörglas in der Hand. + +Komisch ... wenn der Mensch auftauchte, immer hatte man so ein fatales +Gefühl ... Was war's doch gewesen? -- Ach so, seine läppische Bemerkung +damals ... wann doch? -- -- ah, als die Reserveoffiziere einrückten +... haha! -- Damals hatte er selber, Brandeis, davon gesprochen, daß er +wünsche, Flamberg solle Cäcilie malen ... Und nun war das Bild bereits +fertig ... + +»Ja, ja, sie tanzt ausgezeichnet!« sagte er mechanisch. + +»Und wie sie bei der Sache ist! -- wenigstens wenn sie mit Herrn +Flamberg tanzt -- --!« + +»-- -- Wieso --?« + +»Ach, ich -- ich meinte nur so --!« + +»So?! -- Sie meinten nur so! -- Ich hatte das Gefühl, als ob Sie sich +über irgend etwas ... wunderten!« + +»Ich mich wundern? -- Nein, das nicht ... sondern ...« + +»Was?! -- was, wenn ich bitten darf?« + +»O -- ich -- es ist mir allerdings aufgefallen, daß die gnädige Frau +dem Herrn von der Reserve gegenüber -- so überaus -- liebenswürdig ist! +Das ist allgemein bemerkt worden.« + +»Die Herren von der Reserve haben ihr Patent von Majestät genau so gut +wie wir!« + +»Selbstverständlich, selbstverständlich!« + +»Nun also?!« + +»Immerhin -- sie gehören doch nicht zum engern Kreise des Regiments.« + +»Herr Flamberg ist ein Freund meines Hauses.« + +»Ach so -- ein Hausfr-- -- ein Freund Ihres Hauses. Verzeihen Herr +Hauptmann meine Neugierde. Nun weiß ich ja Bescheid. Haben Herr +Hauptmann schon einen Schnaps genehmigt? Nein? Ordonnanz! einen +Benediktiner für Herrn Hauptmann!« + +»Ich danke! Ich habe kein Bedürfnis.« + +»Nicht? Dann bitte ich um Entschuldigung -- meine Pflichten als +Kasinovorstand ...« + +»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!« + +-- -- Was war das gewesen? Was für ein Mißton -- was für ein häßlicher +Hauch war da herangeweht? Die gnädige Frau so überaus liebenswürdig +gegen den Herrn von der Reserve -- das ist allgemein aufgefallen! +Herrgott, war der Kommißtratsch denn schon wieder am Werk? Und an +Cäcilie wagte sich das heran, an seine Cäcilie? Himmelbombenelement! + +Wo war sie nur? Schau -- da schwebte die weiße Gestalt hin -- wie eine +Krone umschloß das braungoldene Haar die weiße Stirn -- fest schmiegte +sie sich an ihres Tänzers breite Brust -- an Herrn Flambergs Brust -- + +Wahrhaftig -- vielleicht doch ein bißchen zu fest für die scharfen +Augen, die spitzen Zungen der Sittenwächterinnen da hinten auf dem +Drachenfels ... + +Und wie sie glühte ... er auch ... Mein Gott, warum sollten sie nicht?! +-- waren sie nicht beide Temperamentsmenschen? fröhliche Genießer, die +sich ganz hingaben an den schönen, festlichen Augenblick ...? + +Immerhin ... ein wenig Rücksicht nehmen mußte man schon ... wir kennen +doch dies Klatschweibergesindel ... ob das Unterröcke trägt oder Hosen +mit Stegen ... Vielleicht ... wäre doch ein Wink der Warnung an Cäcilie +angezeigt ... + +Ach, Unsinn! -- Wozu ihr die unbefangene Freude trüben --? Seine +Cäcilie ... er kannte sie doch! Und Flamberg! ... Hand ins Feuer für +den! + +Der Walzer klang aus. Quer durch den ganzen Saal, mit strahlendem +Lächeln, schritt Fritz von Brandeis auf das Paar zu, das eben glühend, +schweratmend, den Tanz beendet hatte. Und in heiterm Geplauder nahm +er Cäciliens Arm und spazierte noch ein Weilchen mit ihr und Flamberg +durch den Saal. + +Mochten die Klatschweiber sich die Mäuler zerreißen! + + * * * * * + +Der Drachenfels hatte seine Wahrnehmung bereits festgelegt. Und die +war: Einige der Damen des Regiments hatten sich einer entschieden +zu starken Bevorzugung des nicht aktiven Elements unter den Herren +schuldig gemacht. + +Auf der Bühne, wo vorher der Eintracht lieblicher Genius mit +herzbewegenden Worten die stille Friedenstätigkeit des Regiments Prinz +Heinrich der Niederlande gepriesen, war nun der Areopag der alten Damen +versammelt. Da thronte inmitten die Kommandeuse und handhabte eifrig +das Lorgnon; zu ihrer Rechten Frau von Sassenbach, zur Linken Frau von +Czigorski. Und um die drei Säulen des Regiments herum gruppierten sich +die übrigen Damen, die Gattinnen der Podagristen aus Pensionopolis +... Nur ein einziges jugendliches Gesicht in ihrer Mitte, die Frau +Hauptmann Haller, eine sehr lebenslustige Frau von dreißig Jahren, die +diesmal schweren Herzens auf die Freuden des Tanzes verzichten mußte, +da sie ihren drei Buben noch ein Geschwisterchen bestellt hatte. + +Die rechte Flanke, wo Frau von Sassenbach saß, sprach nur von Frau +von Brandeis; was die Herzen der Gruppe außerdem bewegte, durfte mit +Rücksicht auf die Majorin nicht zu Worte gelangen. Um so eifriger +betuschelte dafür die linke Seite die allgemeine Beobachtung, daß Frau +von Brandeis heut abend nicht die einzige Dame war, die sich mit +Vorliebe an gewisse Herren des Beurlaubtenstandes hielt. + +Schon bei Tische hatte man bemerkt, daß das ältere Fräulein von +Sassenbach sich weit weniger um ihren Tischherrn bekümmerte, den +ernsten und zielbewußten Regimentsadjutanten, als vielmehr um +ihr Gegenüber, diesen unmöglichen Herrn von der Landwehr, dessen +schwarzblauer Waffenrock mit den altmodischen großen Knöpfen, dessen +riesige Epaulettes und dessen trikotartig knapp die hagern Beine +umschließenden Hosen allgemeines Entsetzen erregt hatten. + +Ja, und kaum war die Tafel aufgehoben, da hatte sich Fräulein Nelly +alsbald im Rauchzimmer eingefunden und bei einer Zigarette mit dem +merkwürdigen Bekannten weiter geplaudert. + +Dann allerdings war der Tanz in seine Rechte getreten. Der schien nicht +die starke Seite des eingezogenen Herrn zu sein; denn er stand meist in +der Tür des Rauchzimmers und schaute durch seine riesigen Brillengläser +mit behaglicher Betrachtung in das Gewühl des Tanzes hinein. Wer ihn +aber genauer beobachtete, konnte wohl bemerken, daß sein Blick ein +bestimmtes Ziel verfolgte ... + +Nelly Sassenbach wanderte von einem Arm in den andern. Stets, wenn sie +an Herrn Leutnant Frobenius vorbeistrich, flog ein rascher, stiller +Blick des Einverständnisses zu ihm hinüber ... + +-- -- Ja, Wilhelm Frobenius sah nichts als seine Retterin ... War +sie nicht just das Gegenteil alles dessen, was er an Weiblichkeit +bisher gekannt ... und war sie nicht zugleich die Verkörperung seines +erträumten Frauenideals ...?! + +Er hatte in der Literatur vor allem immer für die heroischen +Mädchengestalten geschwärmt, wenn auch seine vielbewunderte +stilistische Meisterleistung die Analyse der Gretchengestalt war. -- +Sein Herz zog ihn vielmehr zu den ausgesprochenen Mannweibern der +Dichtung ... freilich im Leben war ihm dergleichen niemals begegnet ... +ach, ihm waren überhaupt wenig Frauengestalten begegnet im Leben ... + +Von den Damen des Regiments interessierte ihn, außer Nelly, nur noch +eine, jene, von der sein Kamerad und Freund Flamberg ihm doch in einem +Ton erzählt hatte, aus dem selbst ein noch naiveres Gemüt als er hätte +herausfühlen müssen, daß sie ihm mehr gewesen denn nur ein Modell ... + +Frobenius verglich die beiden Frauen beim Tanzen. Cäcilie legte sich +weich und anschmiegend in des Tänzers Arm. Es schien ihr angenehm zu +sein, wenn man sie recht fest und nahe hielt. Scheinbar willenlos +überließ sie sich der Führung ihres Partners, tanzte ruhig, schwebend; +ihre Füße schienen sich kaum zu bewegen. + +Nelly aber tanzte mit weitem Abstand, sehr selbständig, mit weit +ausholenden Schleifern, wie um sich auszutoben und auszutollen im +Tanz. Wenn man sie so sah ... ihre Tanzwonne steckte an ... man bekam +Sehnsucht, sich von ihr hineinziehen zu lassen in diese Strudel, diese +Wirbel, in denen sie sich tummelte wie ein losgelassenes Füllen ... + +Ach, es war Jahre her, seit Wilhelm Frobenius zum letzten Male auf +dem Professorenball das Tanzbein pflichtmäßig, aber ohne Liebe zur +Sache geschwungen. Damals hatte sich die alternde Tochter des Rektors +und Dekans der philosophischen Fakultät lebhaft für den jungen, +aufstrebenden Privatdozenten interessiert, und manche mehr oder +weniger zarte Andeutung hatte ihm nahegelegt, er solle zugreifen und +seine Karriere sichern ... aber die hochfahrende Nüchternheit des +gelehrten Fräuleins hatte ihm ein Grauen eingeflößt. Er hatte sich +sehr merkbar zurückgezogen und war seitdem gesellschaftlich ziemlich +kaltgestellt. Daß er auch heute noch nicht einmal Extraordinarius +war, stand zweifellos auch in einem gewissen innern Zusammenhang mit +jener Fahnenflucht. -- Nun, er hatte gesellschaftliche und berufliche +Zurücksetzung zu verschmerzen gewußt ... + +Auch heute abend hatte er nicht engagieren wollen, aber als er nach +Tisch Fräulein Nelly von Sassenbach eine gesegnete Mahlzeit wünschte, +hatte die ihm von selbst ihre Tanzkarte hingehalten. + +»Ich bin ein miserabler Tänzer, gnädiges Fräulein!« + +»Schadet nichts -- wir werden plaudern!« + +Nun der Bann gebrochen war, hatte er auch noch Frau von Brandeis +engagiert. Die Schar der übrigen Damen war ihm gleichgültig -- auch +durfte man die aktiven Herren nicht berauben. + +Aber der Gedanke an den bevorstehenden Tanz hatte ihn doch mit einem +gelinden Grauen erfüllt ... + +Nun war er da, der gefürchtete und doch ersehnte Augenblick ...! + +»Also mit dem Tanzen ist es wirklich nichts, Herr Frobenius?« + +»Sie würden wenig Freude an mir erleben!« + +»Aber so versuchen wir doch einmal!« + +Und mit einem Gefühl ehrfürchtiger Andacht legte er seine Hand um die +schlanke, feste Gestalt des Mädchens ... + +»Also los -- es ist ja nur 'ne Polka -- die werden Sie doch noch +schaffen können!« + +Alles drehte sich im Wirbel ... aber er nahm all seine Kraft zusammen +... + +»Sehn Sie wohl -- geht ja blendend!« + +Wahrhaftig, es ging wunderschön -- zwar Hören und Sehen schwanden ... +nichts blieb als ein dumpfes Gefühl des Rhythmus ... + +Eins, zwei, drei, vier -- eins, zwei, drei, vier -- + +Das ... und ein Strom von Glück und Rausch, der von dem straffen, +lebenswarmen Mädchenkörper aus in alle Glieder des Gelehrten +überströmte ... in die Seele eines fast vierzigjährigen Knaben ... + +Wenn nur nicht das Parkett so infam glatt gewesen wäre! -- Und daß +man alle Augenblicke mit einem andern Paar karambolierte, war auch +nicht gerade angenehm ... aber er war ja so kurzsichtig ... und alles +wirbelte im Kreise ringsum ... + +»Na warten Sie nur, wenn Sie mich beim nächsten Walzer nicht zu einer +Extratour auffordern, dann werd' ich böse!« + +Auf einmal fühlte er, daß er den Halt verlor ... sein linker Fuß war +ausgeglitten ... die Wirbelsäule bekam von unten einen Stoß ... knickte +vornüber ... der lange Körper verlor das Gleichgewicht ... riß im +Sturz die Tänzerin mit um ... Im selben Augenblick stieß zum Überfluß +ein heranwirbelndes Paar wider die taumelnden Leiber, und mit voller +Wucht sausten beide lang in den Saal ... Nelly hatte einen leisen +Schreckens- und Schmerzensschrei ausgestoßen, sie war im Sturz unten zu +liegen gekommen ... die Röcke flogen zur Seite ... fast bis zum Knie +streckten die weißen Strümpfe sich vor ... + +Wie der Blitz war sie empor trotz eines heftigen Schmerzes im linken +Bein ... + +»Herrgott -- stehn Sie doch bloß auf!« + +Ihr Tänzer saß in genau derselben Stellung, wie vor fünf Wochen im +Froschtümpel, auf dem blanken Parkett inmitten des Gedränges der Paare, +die jäh anhielten und die Gestrauchelten umdrängten ... + +Verworren, blöden Ausdrucks starrte er vor sich hin ... die Brille war +abgeflogen ... er war so gut wie blind ... + +»Stehn Sie doch auf ... Donnerwetter nochmal!!« + +Und Nelly reichte ihm beide Hände hin ... er griff zu wie ein tappiges +Baby ... ließ sich emporziehen ... + +»Herrgott nein -- mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts +anzufangen!« + +Mama Sassenbach raste wie eine Furie durch den Saal ... Wo war ihr +Mann? ... + +Natürlich -- der bekümmerte sich kein bißchen um seine Töchter ... +hatte sich irgendwo im Rauchzimmer festgekneipt! + +Wahrhaftig, da saß er mit dem Oberstleutnant, dem Bezirkskommandeur, +ein paar pensionierten Exzellenzen und Stabsoffizieren um einen Siphon +Münchener. + +»Verzeihung, meine Herren! -- Moritz, komm, wir müssen nach Hause!« + +»Aber, Kind -- 's ist ja noch nicht mal Mitternacht!« + +»Einerlei -- wir müssen! Nelly hat einen kleinen Unfall gehabt ... Fuß +verstaucht ... einen Riß im Kleid ... und außerdem --« + +»Verflucht! -- Selbstverständlich ganz zu deiner Verfügung, liebste +Amelie! -- Sie verzeihen, meine Herren!« + +Die alten Herren schmunzelten. + +Es kam selten vor, daß Frau Amelie von Sassenbach nicht aus irgendeinem +Grunde vorzeitig zum Aufbruch blies und den Gatten vom Münchener +wegschleifte ... + +-- Wutbebend berichtete Frau von Sassenbach ihrem Gatten. + +Der fluchte: »Das kommt davon, daß sich das Mädel mit dem +Landwehrfritzen eingelassen hat ... den hätte sie doch wahrhaftig +kennen sollen! -- Wo steckt sie denn?« + +»Ist schon in der Garderobe -- sie konnte sich ja im Saal überhaupt +nicht mehr sehen lassen in dem ruinierten Kleid!« + +»Und wo ist Molly?« + +»Herrgott ja, Molly -- -- geh sie suchen, Moritz!« + +Und Moritz ging auf die Suche. + +Ja, wo war Molly? -- Im Gewühl der Tanzenden spähte der Vater +vergeblich nach dem lichtblonden Zopfgetürm über dem rosa Tüllfähnchen +... + +Leutnant Blowitz, der als Ballarrangeur und Vortänzer fungierte, sah +seinen Chef mit suchenden Augen in der Tür stehen. Er führte Frau von +Brandeis, mit der er just eine Extratour tanzte, schleunigst zu ihrem +rechtmäßigen Tänzer, Herrn von Schoenawa, zurück und schoß auf den +Major zu: »Kann ich Herrn Major mit irgend etwas dienen?« + +»Ich suche meine Tochter Molly -- wir brechen auf!« + +»Meines Erinnerns habe ich das gnädige Fräulein vor ... vor zirka einer +halben Stunde gesehen ... sie tanzte mit dem Einjährig-Freiwilligen +Friesen!« + +»So, mit dem Einjährigen -- und seitdem -- --?« + +»Seitdem ist sie mir aus den Augen gekommen!« + +»Na ... machen Sie kein Aufsehen ... hier im Saal ist sie nicht! ... Wo +könnte sie sonst wohl sein --?« + +»Im Rauchzimmer und im Billardzimmer haben Herr Major schon +nachgesehen?!« + +»Im Rauchzimmer war ich selbst! -- im Billardzimmer -- das wäre +möglich!« + +Lebhaft plaudernde Gruppen in allen Ecken, um die Spieltische gedrängt +erhitzte Leutnantsgesichter, junge Mädchen und Frauen, die sich eifrig +fächelten ... hastende Ordonnanzen mit Servierbrettern voller Selters- +und Biergläser ... von Molly keine Spur! -- + +Also nochmals zurück in den Saal! -- + +Auch hier keine Molly! -- + +»Vielleicht weiß der Einjährige Bescheid?« meinte Leutnant Blowitz, +»den muß man ja leicht herausfinden an seinen schauerlichen weißen +Hosen!« + +Jawoll --! die weißen Hosen waren ebensowenig zu finden wie das +Majorsmädel ... + +»Da bleibt nur noch eine Möglichkeit, Herr Major -- -- das gnädige +Fräulein muß im Garten sein!« + +»Is ja ausgeschlossen!« + +Aber der bekümmerte Vater stürzte doch sogleich zur Veranda ... spähte +in den Garten hinaus, dessen Laubengänge, vom Mondlicht angesilbert, +dunkel träumten, nur von den mattleuchtenden Kugeln einiger Lampions +belebt ... + +»Molly!« rief der Vater gedämpft, »Molly -- bist du hier?!« + +-- -- Ein paar Minuten bangen Schweigens ... + +Dann tauchte ein weißer Schatten aus der Dämmerung, und ... ein +harmloses Lächeln auf dem glatten Engelsgesichtchen hüpfte Molly die +Veranda hinauf: »Hast du mich gerufen, Papachen?« + +»Allerdings -- Mama bricht auf!« + +»Oh, wie schade ... ich hatte mich so auf den Kotillon gefreut!« + +»Tut mir leid! -- Wie kommst du denn in den Garten?« + +»Es war so heiß -- -- ich wollte mich ein wenig abkühlen!« + +»So -- abkühlen! -- Na, komm!« + +Lächelnd und schlank wie eine Fee schwebte Molly vorauf. + +Der Major folgte. Unablässig zwirbelten seine Finger die lang +herabhängenden grauen Schnurrbartspitzen ... + +Er hatte sehr wohl bemerkt, daß hinter dem weißen Schatten, der sich +aus dem Dunkel entwickelte, noch ein anderer weißer Schatten im Garten +gespukt hatte ... aber der war nicht ans Licht gekommen ... + +Er hatte eine heillose Ähnlichkeit gehabt mit einem Paar weißen +Mannschafts-Paradehosen, auch »Porzellanbuchsen« geheißen -- -- + +Ja, das hatte der Vater gesehen, aber ... er wollte nichts gesehen +haben ... + +Nur künftighin besser auf das Mädel passen --! + +»Na, gut' Nacht, lieber Blowitz! Ich danke Ihnen! Noch viel Vergnügen!« + +»Danke gehorsamst, Herr Major! -- Empfehle mich, mein gnädiges +Fräulein!« + +Wenn der nur nichts gemerkt hatte -- --! + +Blowitz verzog keine Miene beim Abschied. + +Aber er hatte doch gesehen. + +Na, wenn die Kleine sich partout einen Flirt mit dem Einjährigen in ihr +blondes Köpfchen gesetzt hatte ... Hermann Blowitz fühlte weder zum +Denunzianten noch zum Klatschweibe Beruf in sich ... Er wollte seine +Entdeckung für sich behalten ... bei ihm war das Geheimnis der Kleinen +gut aufgehoben -- + +Und Hans Friesen, der erst wie ein Verbrecher gezittert hatte, lachte +nun selig in sich hinein in seinem dunkeln Versteck ... er tappte sich +zu der Bank zurück, auf der er eben mit Molly gesessen -- auf der er +kühnen Muts einen scheuen, seligen Kuß erbeutet hatte ... + +Der machte das Poetenherz schwer und warm ... + +Er fühlte das Schicksal seines jungen Lebens über seinem Haupte ... + +Es hieß Molly ... Molly Sassenbach -- -- + + * * * * * + +Um vier Uhr morgens waren die letzten Damen gegangen. Nun rotteten sich +die Leutnants im Billardzimmer um die Siphons zusammen. + +Teufel auch ... die Nacht war doch mal angebrochen ... die vorletzte +Nacht in der Garnison ... + +Morgen nur Instruktionsstunden und Appell ... Appell ... + +Stiefelappell ... Gewehrappell ... Appell mit eisernen Portionen +und Appell mit Fußbekleidung ... Appell mit Sachen, die auf Kammer +abgegeben werden mußten ... Stubenrevision ... und zuletzt Appell im +Manöveranzug. + +Das schaffte man auch mit unausgeruhten Knochen ... mit einem noch so +wüsten Brummschädel. + +Erhitzt vom Tanz goß man einen Schoppen nach dem andern in die glühende +Kehle. Bald waren die Leutnants Klocke und von Finette wie die +Staubsäulen betrunken. Energischer Zuspruch älterer Kameraden mußte sie +zum Heimschwanken bewegen. -- + +Die Tanzlust war noch nicht gestillt. Da die Regimentsmusik +verschwunden war, setzte sich der kleine Carstanjen ans Klavier und +hieb eine wilde Walzermelodie in die Tasten hinein ... + +All die unruhvollen jungen Männerherzen, in denen die Erregungen des +Festes nachzitterten, lechzten unbewußt nach einem letzten äußersten +Austoben ... Einer umfaßte den andern ... und bis zum Umfallen wurde +gewalzt. + +Verschlafen lungerten die Ordonnanzen in den Ecken herum und starrten +mit blöden, verwunderten Augen auf das wilde Treiben ihrer jungen +Herren ... + +Schließlich wurden sie hinausgeschickt. + +Und auf den hohen gotischen Stühlen, die sonst feierlich die +Regimentstafel umstanden, wurde nun ein toller Ritt ausgeführt ... +dann nach dem krähenden Kommando des kleinen Carstanjen ein großes +Schwadronsexerzieren ... + +Ein jeder hatte sich dazu bewaffnet ... Eine große Trophäe von alten +Ritterschwertern, Hellebarden und Morgensternen, welche die Wand des +Rauchzimmers zierte, war zu diesem Zweck geplündert worden ... + +Ein abenteuerliches Bild, die jungen Herren mit aufgeknöpften +Waffenröcken ... rittlings auf den hochlehnigen Stühlen ... ausgerüstet +mit phantastischem Gewaffen aus alter Ritterzeit ... + +»Eskadron -- Galopp --!« + +Keiner aber glühte höher ... keiner johlte lauter ... keiner schwang +die Waffe wilder als Martin Flamberg. + + + + + Zweites Buch + + + + + Erstes Kapitel. + + +»Dat is en janz schöne Jegend hier ... oben Regen ... unten Dreck ... +nix im Magen -- der Düwel soll't holen!« + +In unaufhaltsamem Marsch schob sich das erste Bataillon des Regiments +Prinz Heinrich der Niederlande dem »Feind« entgegen. + +Unaufhaltsam strömte der Regen ... seit Tagen ... seit Wochen ... + +Unaufhaltsam fluchten und wetterten die Unteroffiziere der Königlichen +Zweiten: + +»Ich glaub, hier regnet et überhaupt et janze Jahr!« + +»Weiß der Kuckuck, die vierzehn Dag, dat mer als hier obe rumkrabbeln, +hann mer noch kei' trockne Minute jehatt!« + +»Ich sinn als janz aus em Leim ... die Buxen reißen wie Schafleder ... +an de Stieweln platzen die Sohlen ab ...!« + +»Und trocken kriegt man die Brocken überhaupt nit mehr!« + +»Na, Friesen, Sie sagen ja gar nix!« + +Der Einjährige schwieg. + +Die Tragriemen des feldmarschmäßig gepackten Tornisters schnitten tief +in die Achseln. Alle fünf Minuten wanderte das Gewehr von der rechten +Schulter auf die linke und von der linken auf die rechte ... in den +Stiefeln schwappte eine lehmige Flüssigkeit ... und hinter den Ohren +entlang rieselte ein beständiges Rinnsal eiskalten Regenwassers in die +Halsbinde hinein ... + +Von dem allen merkte Hans Friesen in diesem Augenblick auch nicht das +Mindeste ... + +Hans Friesen merkte nicht einmal, daß ihm der kurze Pfeifenstummel +zwischen den Lippen längst kalt geworden war ... + +Hans Friesen dichtete. + +Ach ... herrlich konnte man dichten auf solch einem endlosen Marsch ... + +Den Kameraden, den aktiven Unteroffizieren, ging immer nach der ersten +Stunde der Stoff für ihre Kommißgespräche aus. + +Die Berichte über das letzte Quartier, die Klagen über den miserabeln +Fraß, die Renommistereien über Abenteuer mit den Bauernmädeln, das +reichte nie weiter als eine knappe Meile. Dann bemächtigte sich der +Kilometerstumpfsinn der marschierenden Kolonne, zumal dann das Gewicht +des gepackten Affen allmählich immer fühlbarer wurde ... + +Dann aber begann Hans Friesens gute Zeit. + +Wie mutwillige Schwalben schossen dann seine Gedanken der Marschkolonne +voraus ... strichen durch die regennassen Wälder zur Rechten und zur +Linken, wo in der triefenden Feuchte zwischen vermodernden Baumstümpfen +und Farndickichten ganze Kolonien grauer, gelber, violetter Pilze +aus dem Boden gewachsen waren und mit ihren breiten Schirmdächern in +lustigen Gruppen beisammen hockten ... + +Aber weiter flatterten des Poeten Träume ... zurück zur Garnison ... +um das blonde Haupt eines gewissen jungen Mädchens, das chargenmäßig +in unerreichbarer Höhe über dem Unteroffizier stand, das er räumlich +in weiter Ferne wähnte ... und das in Wirklichkeit, ohne daß Hans +Friesen etwas davon ahnte, nur einen Tagemarsch weit in süßträumender +Ferienruhe unter den rauschenden Hunsrückwäldern weilte ... + +Und Hans Friesen dichtete. + +Eine Strophe nach der andern fügte er zusammen ... feilte Zeile +auf Zeile in Gedanken durch und sprach sie sich so oft vor, bis +sie sich unvergeßlich seinem Hirn eingeprägt hatten, damit er sie +am Abend blank und sauber in sein Dienstnotizbuch eintragen könne +... zwischen Vermerken über Brotempfang ... Kompagniebefehle ... +Vorposteninstruktionen ... + +Nun wiederholte er noch einmal die ersten Strophen des Gedichts, das +ihm aus den triefenden Nebeln zugeweht war: + + + »Bist du die Oreade, + die lauschend hinterm Felsen schwieg? + bist du des Quells Najade, + die aus der Plätscherwelle stieg? + + Aus welcher Märchenferne + hast du dich in mein Sein verirrt? + Von welchem fernen Sterne + bist du an meine Brust geschwirrt?« + + +Ja, die zwei Strophen saßen! Das ließ sich nicht bestreiten! Nun mußte +die Antwort kommen ... also munter weitergereimt ...! + + + »Was soll das zage Fragen? + Ich halte dich ans Herz gepreßt ...« + + +Ja, wahrhaftig, das hatte er getan, wenn es auch noch so märchenhaft +klang ... er hatte sie gehalten, die schlanke, blonde Majorstochter, +gehalten an seinem Herzen, das unterm Tressenrock des Unteroffiziers so +verdammt unvorschriftsmäßig gepocht hatte ... + +Ach, und als er seinen Arm zum ersten Male um den weichen Körper gelegt +... Richtig -- so mußte es ja weitergehen: + + + »fühl' deines Herzens Schlagen ...« + + +Ach ... und dann ... dann war ja das Unvergeßliche ... das schier +Unglaubliche gekommen ... + + + »und Lippe weilt auf Lippe fest ...« + + +Schau, da war ja wieder eine Strophe beisammen -- und auch die stand +fest auf ihren vierzehn Versfüßen ... + +Vor dem Dichter trottete in mürrischem Schweigen sein +Kompagnieoffizier, der Leutnant Quincke. + +Scheußliche Sache, so ein Manöver! -- Eigentlich Dienst von morgens +früh um drei bis abends um zehn und von abends um zehn bis früh um drei +... Die Körperpflege wurde nur noch markiert ... aussehen tat man schon +mehr wie ein Latrinenreiniger und nicht wie ein Angehöriger des ersten +Standes der Nation ... Dabei seit vierzehn Tagen kein weibliches Wesen +mehr zu Gesicht bekommen ... die dreckigen Bauerntrinen zählten nicht +mit -- die waren höchstens was für die Herren Burschen! + +Und was das Lächerlichste war ... seit acht Tagen führte dieser krumme +Landwehronkel, dieser Leutnant Frobenius, die Kompagnie an Stelle des +Hauptmanns Goll, der seinerseits als ältester Kapitän des Regiments für +den Major Blasberg die Führung des zweiten Bataillons übernommen hatte. + +Blasberg hatte am Tage nach dem Regimentsfest, unmittelbar vor dem +Ausrücken ins Manöver, in eine Nervenheilanstalt gebracht werden +müssen. Die Schwermut, die ihn seit dem Tode seiner Frau zu Boden +gedrückt hatte, war plötzlich als ausgesprochen krankhafte Melancholie +zum Ausbruch gekommen. + +Und so war nun der unmögliche Landwehroffizier der unmittelbare +Vorgesetzte seines patenten Kameraden für die Dauer der Herbstübungen +geworden ... + +Und nun das Allerunglaublichste ... die Sache klappte --! + +Auf seinem braunen, steifbeinigen »Roland«, der frömmsten Kuh aus +dem Tattersall der Garnison, machte dieser Frobenius eine ganz +leidliche Figur und hatte sich mit seinem vierbeinigen Freund auf ganz +erträglichen Fuß zu stellen gewußt. + +Der innere Dienst funktionierte tadellos ... na, Kunststück! -- So ein +Musterexemplar von Feldwebel -- und der brillante Unteroffizierersatz! + +Ja, darauf verstand sich der griesgrämige Hauptmann Goll ... +Unteroffiziere erziehen, das war seine Spezialität! -- + +Übrigens war ja auch dieser Frobenius selber von einer kommissigen +Gewissenhaftigkeit, daß es schon nicht mehr schön war! + +In der Ortsunterkunft stelzte er wahrhaftig höchst eigenhändig von +Quartier zu Quartier, steckte seine Nase in jede Eßschüssel und in +jedes Bauernbett, um sich zu überzeugen, ob die Herren Füsiliere auch +ordentlich zu essen kriegten und weich genug lägen. + +Er selber, Quincke, hatte sich zum Glück eine etwas vornehmere +Auffassung des Königlichen Dienstes zugelegt. Wofür waren denn die +Korporalschaftsführer da? + +Ja, Frobenius hatte sich in seine Pflichten als Kompagnieführer ganz +famos eingearbeitet und war infolgedessen mit seiner militärischen +Situation zufrieden wie nie zuvor. + +Er sah sehr verändert aus, hatte sich am Tage vor dem Ausrücken die +wenigen Haarsträhnen seines Schädels ganz kahl abscheren, seinen +langen, struppigen Vollbart kurz verschneiden lassen. + +Auch seine Uniform sah nicht mehr ganz so vorsintflutlich aus, seitdem +ihr Träger eine etwas vorschriftsmäßigere Haltung gewonnen, und mit +seinem braven, alten Roland vollends fühlte er sich verwachsen wie ein +Zentaur. + +Was tat's, ob es regnete von morgens früh bis abends spät und die ganze +Nacht hindurch ... + + + »Alles Glück der Erde + liegt auf dem Rücken der Pferde, + in der Gesundheit des Leibes ...« + + +Freilich, damit war's nun auch Schluß ... Glück am Herzen des Weibes -- +damit würde es wohl niemals was werden ...! + +Seit seinem Sturz im Tanzsaal hatte er jede Hoffnung aufgegeben. +»Herrgott nein, mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts +anzufangen«, das klang ihm noch immer im Ohr, und immer meinte er das +hochmütige, zurückgeworfene Köpfchen, das empört aufstampfende Füßchen +im Goldkäferschuh zu sehen ... ihr hastiges Vondanneneilen ... den +Ausdruck der Wut über die gräßliche Blamage und den verdorbenen Abend +im Klang ihrer Stimme ... in jeder Bewegung ... + +Abschiedslos war sie ihm enteilt, und auch als Dienstag morgens um vier +Uhr in der Dämmerung das Regiment von der Kaserne aus an der Wohnung +des Majors vorbeimarschiert war zum Bahnhof hin, da hatte sie mit ihrer +Mutter und Schwester auf dem Balkon gestanden und allen Herren einen +freundlichen Abschiedsgruß gewinkt ... als aber er, Wilhelm Frobenius, +auf seinem Roland den Säbel vor ihr gesenkt, da hatte sie kühl über ihn +hinweggeschaut und dann Herrn Quincke, den Führer des vordersten Zuges +der Zweiten, mit um so deutlicherer Freundlichkeit gegrüßt ... + +Ade Hoffnung ... ade Träume ... ade süße, stolze Verkörperung des alten +Amazonenideals ...! + +Nein, es war vorbei ... keine Hoffnung mehr ...! Und selbst auf das +Wiedersehen konnte er sich nicht mehr freuen ... auf das Wiedersehen, +das wenigstens im Bereich der Möglichkeit lag. Denn er wußte ja von +seinem Freunde Flamberg, daß die Amazone mit ihrer Schwester ebenfalls +auf den Hunsrück hinaufgepilgert war ... Nein, hoffen und sich freuen +-- das gab's nicht mehr. + +Und dennoch ...! + +Wilhelm Frobenius zog die Manöverkarte aus seiner Packtasche. Der Regen +prasselte auf das Zelluloidfutteral, und durch die Tropfen hindurch +suchte der Reiter den Namen, um den sich trotz allem immer und immer +seine Träume rankten ... + +Am Allenbach entlang, einem Nebenwässerlein der Nahe, dessen Lauf auf +der Karte durch zahllose kleine Sternchen begleitet war, welche Mühlen, +Schleifmühlen darstellten, an der Einmündung des Beierbachs, war das +Dörfchen Hettstein eingetragen und dicht daneben ein kleiner Kreis mit +einem Fähnchen ... Das war das Schlößchen Hettstein, die neue Erwerbung +der schönen Frau Cäcilie. + +Hier hauste nun die stramme Reiterin ... die fesche Tänzerin ... die +lächerlich Verehrte ... + +Verrücktheit! -- So ein Mädchen und seine Bücherexistenz ... die +Lange-Pfeifen-Atmosphäre seiner winzigen Junggesellenbude ... sein +demütiges, halbbäuerliches Mütterchen daheim im Westerwalddörfchen -- +und dieses Luxusgeschöpf ... dieses Freiluftwesen ... + +Lächerlich! -- Und doch ... und doch ...! Oh, Schloß Hettstein --! + +Da horch --: Bum -- und wieder: Bum -- + +Aus den triefenden Nebeln, welche bis tief über die langgestreckten +Kuppenzüge des Idarwaldes niederhingen, war der erste Kanonenschuß +gefallen ... Von dort war der »Feind« zu erwarten: Aufgabe des +Regiments, ihn am Heraustreten aus dem dicken Forste zu verhindern ... + +Und Leutnant Blowitz sprengte von der Tête her am Bataillon entlang: +»Die Herren Kompagnieführer zum Herrn Major!« + +Da faßte Frobenius Rolands Zügel kürzer, nahm den linken Schenkel +zurück ... Ein ganz klein bißchen sträubte sich die faule Kreatur, +dann hoppelte sie gemächlichen Äppelgalopp mit ihrem Reiter an der +Zweiten und Ersten entlang auf den Bataillonskommandeur zu, der seinen +Kompagnieführern die Gefechtslage erklären und seine Befehle ausgeben +wollte. + +Der Herr Major von Sassenbach ... + +Der schaute dem Anreitenden entgegen mit Augen, die Frobenius kannte +... mit schelmisch blitzenden Reiteraugen ... + +»Na, lieber Frobenius, wie war's Quartier?« + +»Danke gehorsamst, Herr Major! -- Waschen müssen hab ich mich auf dem +Korridor: meine Schlafstube reichte nur fürs Bett!« + +»Und ich hab' 'ne Art Tanzsaal gehabt ... mußte heut morgen 'ne halbe +Stunde nach mir selber suchen, bis ich mich fand! -- Sie sehen übrigens +ganz vergnügt aus bei diesem Sauwetter!« + +»Warum auch nicht, Herr Major!? -- Man kann ja dabei an die schönsten +Sachen denken!« + +Der Major schmunzelte. + +Eigentlich ein ganz prachtvoller Herr, dieser Don Quijote! -- Schade, +das Malheur im Tanzsaal! -- Schließlich -- Frau Professor wäre +doch eigentlich durchaus standesgemäß gewesen ... und daß er ein +Bürgerlicher war ... du lieber Gott, wenn ein Mädel mal sechsundzwanzig +Jahre alt geworden ist ... + + * * * * * + +Dem Miniaturkrieg, welchen beide Brigaden, durch Kavallerie, +Artillerie und Spezialwaffen verstärkt, im zweiten Manöverabschnitt +gegeneinander zu führen hatten, lag eine überaus komplizierte Annahme +für die allgemeine Kriegslage zugrunde. Aber diese Annahme existierte +eigentlich nur für die beiden Detachementsführer. In das geliebte +Deutsch der Unterführer und vollends der Mannschaften übersetzt +verwandelte sich jede Gefechtsannahme, verwandelte sich überhaupt das +ganze Manöver in das äußerst einfache Rezept: + +Marschieren, bis man an den Feind heran ist -- dann ausschwärmen, +schießen, sprungweise vorgehen -- marsch, marsch, hurra! + +Na -- und das hatte man ja gebimst bis die Schwarte knackte! + +Für das sogenannte »gemeine Truppenschwein« -- und unter diesen Begriff +rechnete man mindestens alles, was »tippeln« mußte, auch die Herren +Leutnants der Infanterie -- war so das ganze Manöver nichts weiter +als ein abwechslungsreicher, strapaziöser und wenig komfortabler +Spaziergang mit mancherlei scherzhaften Unterbrechungen. + +»Also, meine Herren,« schloß Major von Sassenbach eine längere +Auseinandersetzung über jenes verwickelte und höchst theoretische +Problem, das sich aus der allgemeinen Kriegslage ergab, »der Witz +vons Janze ist folgender: Durch die Aufklärung ist festgestellt, +daß der Feind durch den Idarwald im Anmarsch ist, und zwar auf der +Chaussee, die von Bischofsthron über das ›Graue Kreuz‹ nach Bruchweiler +führt. Wir stehen augenblicklich am Südeingang von Kempfeld, das +Nest halblinks vorn ist Bruchweiler; das müssen wir vor dem Feind +erreichen und von seinem Nordwestrande aus den Feind am Heraustreten +aus dem Idarwalde verhindern. Das erste Bataillon ist vorn, das zweite +und dritte folgt; das Schwesterregiment marschiert auf der Linie +Schafbrücke-Schauren. Wir haben also Gefechtsanschluß rechts und sollen +im Angriffsfalle links überflügeln, sonach bleiben wir im Vormarsch +auf Bruchweiler, alles übrige entwickelt sich historisch -- ich danke +Ihnen, meine Herren --!« + +Na, das strategische Geheimnis des Morgens hatte sich also gelüftet, +und die Herren Kompagnieführer galoppierten zu ihren Kolonnen zurück. + +Weiter ging's in strömendem Regen durch das stumme, ärmliche Dörfchen +Kempfeld -- laut kakelnd stoben die Hühner von der Landstraße herunter +auf die bergenden Misthaufen; flachsköpfige Buben und Mädel sprangen +aus den Türen, schrien den Kriegern die ewige Kinderfrage zu: »Saldat +-- kummen 'er noch mieh?« + +Langsam ansteigend gen Bruchweiler zu schlängelte sich der lehmige Weg +durch abgeerntete, teilweise bereits umgepflügte Felder, deren nasse +Schollen, von der Pflugschar abgestochen, speckig glänzten ... eine +lange, dunkle Wand, von grauer, zerfranster Wolkendecke überlagert, +reckte sich der Idarwald. Von dort her klangen immerfort die dumpfen +Schläge der Geschütze. Zur Rechten irgendwo, auf einer umnebelten Höhe +vergraben, antwortete die Artillerie des Süddetachements ... + +Willkommene Musik für das Soldatenohr! Sie bedeutete: Bald hat sich's +ausgekilometert -- und wir kriegen ihn am Kragen, den bösen Feind -- +dann geht's ins Quartier. + +Ei verflucht, nein ... nicht ins Quartier ... Heute stand am Ende des +Marschtages ein Biwak auf kotigem Stoppelfeld ... + +Noch drei Kilometer bis Bruchweiler. + +Inmitten eines Hages von leise herbstlich gebräunten Obstbäumen träumte +das verschlafene Dörfchen unterm Schirm des Waldgebirgs ... + +Plötzlich -- rack ... tack, tacktack -- Vom Dorfrand her knatterten die +ersten Gewehrschüsse durch die brauenden Dünste. + +Nach einigen Minuten stob in vollem Galopp ein Zug der diesseitigen +Kavallerie, der Deutzer Kürassiere, den Anger entlang, in eiliger +Flucht hinter der anrückenden Infanterie Deckung zu suchen. + +Wie schmutzige Mehlsäcke sahen die weißen Koller aus im trüben +Morgenlicht ... + +Ihr Führer meldete im Vorbeirasen dem Major: »Bruchweiler wird soeben +von abgesessener feindlicher Kavallerie besetzt!« + +Hochauf richtete sich der Major in den Bügeln: »Herr Leutnant Blowitz!« + +»Herr Major?!« + +»Das Bataillon entwickelt sich links gestaffelt, links der Chaussee +-- vierte Kompagnie hinter der linken Flanke aufmarschiert, aber +geschlossen, zu meiner Verfügung!« + +»Zu Befehl, Herr Major!« + +Der Adjutant preschte zurück. + +Wie der Blitz war Hauptmann von Brandeis vom Gaul herunter, warf die +Zügel seinem Burschen zu, der dienstkundig sogleich zur Hand war: »Die +ganze Kompagnie nach links -- schwärmen! Marschrichtung: der große Baum +in der Mitte des Dorfes!« + +Und in den Bügeln richtete sich auch Leutnant Frobenius auf ... Roland +fuhr aus seinem Halbdusel mit Entsetzen empor und machte einen kleinen +Seitensprung: »Exerzierordnung! mit Gruppen links schwenkt -- marsch, +marsch!« + +Schon stob der Major heran. »Zum Donnerwetter, Herr Leutnant +Frobenius, Sie wollen wohl hier im Bereich des feindlichen Feuers +Kompagnieexerzieren abhalten --?!« + +»Herr Major, ich wollte --« + +»Ach was, zum Kuckuck -- lassen Sie schwärmen und gar nichts weiter! -- +Auseinander mit den Kerls! Geben Sie einen Marschrichtungspunkt an -- +dann läuft die Karre von selber!« + +Jesses -- dieser Landwehrfritze --! zu nichts zu gebrauchen -- +höchstens zum Schwiegersohn, und auch dazu nur unvollkommen -- -- + +»Stellung!« kommandierte Hauptmann von Brandeis. + +Da purzelte die lange Schützenlinie der ersten Kompagnie wie hingemäht +auf den Bauch in den triefenden Sturzackerlehm -- + +»Geradeaus am Dorfrand, Schützen! Visier 800 und 900! Schützenfeuer!« + +Und -- rack, tacktacktack rollte das Schützenfeuer die Front entlang -- +-- + +Der lustige Waffentanz begann. -- + + * * * * * + +In hellen Massen waren die Schützen des feindlichen Detachements aus +den dunkeln Hängen des Idarwaldes herausgetreten, verstärkt durch +zwei Flaggenbataillone, das heißt: Bataillone, die in Wirklichkeit +nicht existierten, sondern nur durch je eine blaue Flagge statt +einer Kompagnie markiert wurden, und hatten mit dieser künstlich +hergestellten Übermacht die »Niederländer« und ihr Schwesterregiment +bis weit hinter Kempfeld zurückgeworfen. + +Hier fand das Süddetachement an den bewaldeten Hängen des »Sandkopfes« +und der »Marscheider Burr« einen Stützpunkt. + +Darüber war es vier Uhr nachmittags geworden. + +Allmählich war das lärmhafte Duett der Geschütze von hüben und drüben +verstummt und die Verfolgung ermattet. Gegen fünf Uhr hatten die +»Niederländer« jenseits des Höhenrückens Biwak bezogen. + +Das zweite Bataillon hatte das zweifelhafte Vergnügen, die Vorposten +zu stellen, die sich nun auf den felsigen Kuppen des Höhenrückens +aufbauten. Dahinter biwakierte geschlossen das erste und dritte +Bataillon in einer schmalen Lichtung der Waldes auf dem langsam sich +senkenden Abhang gen Herborn zu. + +Mit Zauberschnelle bauten sich hinter den Gewehrpyramiden die niedern +braunen Zugzelte auf ... Kochlöcher wurden geschaufelt ... lange Züge +zum Wasserholen, die klappernden Kochgeschirre der ganzen Kompagnie +in der Hand, stiegen zum entfernten Dorf herunter; bald rollten auf +der Chaussee die bereits während der Gefechtspause vorsorglich an den +vorbestimmten Biwakplatz dirigierten Wagenkolonnen heran. Ganze Berge +von Stroh und Holz wurden abgeladen. Der Küchenunteroffizier empfing +schmunzelnd seine Portion Blechbüchsen mit Pökelfleisch, seinen Stapel +Pappkartons mit Preßgemüsekonserven, seinen Anteil Salz und Kartoffeln +... + +Rasch wurde alles in eine Leinwandplane gewickelt: denn der Regen +drohte die ganze Herrlichkeit schon vor der Zeit zu einem Brei +zusammenzurühren ... + +Und bald knisterten und qualmten überall die Flammen, umschwelten +das durchnäßte Stroh, das triefende Reisig, das die Füsiliere +zusammengeschleppt. + +Martin Flamberg hockte auf den Knien dicht neben dem just einen Meter +hohen braunen Zelte, das die Burschen für die Herren der ersten +Kompagnie aufgeschlagen hatten, und pustete mit aufgeblasenen Backen +das immer wieder erlöschende Feuer an ... aus dem Kessel stieg der Duft +zerkrümelter Erbswurst, die mit würfelförmig geschnittenem Cornedbeef +vermengt und mit einem dicken Büschel kleingeschnittener Küchenkräuter +vermischt war -- die hatte Martins gerissener Bursche, der Füsilier +Klomprich, beim Vorbeimarsch durch die Stakete der Bauerngärten +hindurch erwischt ... das duftete verdammt appetitlich ... + +Wenn nur das Feuer endlich mal ordentlich durchbrennen wollte ... Die +sämtlichen Burschen hatten schon ihren letzten Atemzug verpustet ... +nun pustete der Herr Leutnant selber ... + +Er fühlte sich persönlich verantwortlich für das leibliche Wohlergehen +seines Kompagniechefs, seines Kameraden Carstanjen und der beiden +Gäste des Offiziertisches, des Kompagniefeldwebels und des jungen +Fahnenjunkers von Erichsen. + +Er pustete, pustete, pustete. -- Dunkelrot schwoll ihm das Gesicht ... +Aschenflocken stoben ihm um die Nase ... + +Gott sei Dank! Endlich schwelte ein schwaches Flämmchen auf, qualmig +fauchte es in das nasse Stroh hinein ... »Sauerei verfluchte --!« ... +Er richtete sich auf. + +In diesem Augenblick scholl hinter seinem Rücken ... scholl -- -- was +--?! Das mußte ein Traum sein -- scholl ein silbern schmetterndes, +dreistimmiges Frauenlachen -- -- + +Er fuhr herum. + +Bei Gott ... da standen drei schlanke Gestalten ... drei glühende, +regenfeuchte Gesichter strahlten aus den aufgeklappten Kragen der +Gummimäntel unter unförmlichen Wachstuchmützen ... in nasse Strähnen +zusammengepappt hingen die rötlichblonden Haare der einen, die +weißblonden der beiden andern über die erhitzten Wangen ... Nelly und +Molly von Sassenbach und ... sie. + +»-- Hahaha, Herr Leutnant Flamberg ... nein -- wie Sie bloß aussehen +... einfach zum Wälzen, Herr Flamberg!« + +Wahrhaftig -- er sah ein bißchen anders aus als beim Ball unter den +flimmernden Kerzen des Kasinosaales. + +Die hohen Stiefel, die Kniee, die Schöße des Waffenrocks +lehmüberkrustet, in steifen, groben Falten hing der graue Umhang um +seine Schultern; der hochgeklappte Kragen zeigte sein schmutzig rotes +Futter, die weiche Feldmütze saß beiderseits auf dem Ohr, der große, +zerschrammte Schirm tief in der Stirn ... + +Aber darunter ... darunter leuchteten die braunen Augen aus dem nun +tiefgebräunten Gesicht so verwettert, so kriegerisch in sieghafter +Männlichkeit ... + +Frau Cäcilie war jählings verstummt, als diese braunen Augen mit +ungewollter heißer Huldigung sich in die ihren gesenkt hatten ... als +die heißen Lippen sich tief auf ihre regenfeuchte Hand niederbeugten +... + +»Gnädige Frau -- meine Damen -- -- wahrhaftig, die Sonne geht auf!!« + +»Sie sehn, wir haben's nicht lange ausgehalten da unten in unserer +Dreieinsamkeit auf Schloß Hettstein,« sagte langsam, stockend die +schöne Frau. + +»Nee wahrhaftig -- wir hatten direkt krampfhafte Sehnsucht nach roten +Kragen und blanken Knöpfen!« bestätigte Nelly Sassenbach. + +»Na, und da konnte Ihnen geholfen werden -- nicht wahr, meine Damen? +Aber nun sagen Sie bloß, wie in aller Welt haben Sie sich denn hier +heraufgefunden in diese gottverlassene Wald- und Bergesöde?« + +Frau Cäcilie wies nach der Chaussee hinüber. Da blinkte durch die +Nebelschwaden ein funkelnagelneues, schneeweißes Automobil: »Ein sehr +nobles Geschenk meines Vaters zu unserm Einzug auf Schloß Hettstein!« + +»Reizend von dem alten Herrn -- was sagen Sie, Herr Flamberg? Ja, ja, +solchen Vater muß man haben!« lachte Nelly. + +Aber ihre Augen schweiften dabei ruhelos suchend über das buntwimmelnde +Bild des muntern Biwaktreibens hin .. + +»Wo ist mein Mann?« fragte Frau Cäcilie. + +»Der sorgt für seine hundertzwanzig räudigen Schäflein!« meldete der +kleine Carstanjen, der inzwischen herangekommen war und die Damen +begeistert begrüßte. »Aber sieh -- da kommt er ja schon!« + +Ja, da kam er. + +Die Hand im braunen Feldhandschuh am breiten Schirm der Manövermütze +-- sein gutes, ehrenfestes Gesicht strahlend in Glückseligkeit: »Welch +seltner Glanz in unserer Hundehütte, meine Damen! -- Na, komm her, +Alte!« + +Ehe Cäcilie sich's versah, hatte er sie an beiden Schultern +gefaßt, unbekümmert um die ringsum gaffenden Füsiliere, Burschen, +Unteroffiziere -- + +»Aber Fritz --!« + +»Teufel auch -- armer, verdursteter Landsknecht! -- Ja, da lachen Sie, +kleiner Carstanjen! Ist aber nur der Neid der besitzlosen Klasse!« + +Flamberg lachte nicht ... er hatte sich abgewandt ... starrte einen +Moment in die Nebelschwaden hinein, die um die Bergkuppen geisterten +... + +»Na, sag bloß, wie kommt ihr denn an den weißen Quietschkasten da +hinten?« + +Frau Cäcilie gab Aufklärung. + +»Donnerwetter -- geht doch nichts über 'nen nobeln Schwiegeralten! -- +Na warte, werden wir ihm gleich eine Meldekarte schreiben mit unserm +gehorsamsten Dank! -- Na, Flamberg, und da werden Sie wohl noch ein +paar Erbswürste und ein paar Büchsen Cornedbeef mehr spendieren +müssen!« + +»Ach was -- Erbswürste, Cornedbeef! -- Wir haben euch viel was Besseres +mitgebracht!« + +Umringt von den staunenden Füsilieren schleppte der Chauffeur einen +wuchtigen Korb heran ... goldbekapselte Flaschenhälse ragten daraus +hervor ... aus appetitlichen Papierhüllen entwickelte sich kaltes +Geflügel ... alle möglichen Blechbüchsen mit Pasteten und Ragouts ... + +»Pfui Teufel -- total unkriegsmäßig! -- Luxus und Wohlleben greifen um +sich!« + +»Halt, halt -- nicht alles wegnehmen! -- Der hohe Bataillonsstab muß +auch was mithaben!« + +Das Automobil hatte natürlich das ganze Biwak auf die Beine gebracht. +Von allen Seiten strömten die Herren der beiden Bataillone heran, +die Damen zu begrüßen, und in respektvoller Entfernung starrten die +Unteroffiziere, glotzten die Füsiliere herüber zu den liebreizenden +Gästen ihrer Herren, die nun, von Geplauder und Lachen umschwirrt, ihre +Schritte dem Bataillonsstabszelt zulenkten. + +Als die Gruppe am Biwak der zweiten Kompagnie vorüberkam, hemmte Nelly +ihren Schritt ... schon von weitem sah sie, den ihr Blick suchte ... + +Frobenius hatte seine Kompagnie beim Gepäck antreten lassen und hielt +Gewehrappell ab ... gewissenhaft ging er von Mann zu Mann ... jeder +mußte mit ausgestreckter Rechten die Waffe, aus der die Verschlußteile +entfernt waren, in die Höhe halten, und der Kompagnieführer schielte +durch den Lauf hindurch, ob er auch gründlich gesäubert sei ... + +Tausend, wie er sich verändert hatte in den paar Manövertagen! -- +Ordentlich militärisch sah er aus ... ordentlich kriegerisch, der +gelehrte Herr, trotz seiner großen Brille ... mit den kotbespritzten +Reitstiefeln, dem kurzverschnittenen Bart, der zerknitterten Feldmütze +überm tiefgebräunten Gesicht ... + +Nelly wußte: jetzt durfte sie nicht stören! Und schnell folgte sie +ihren Reisegefährtinnen, die, von einer ganzen Schar Offiziere +umschwärmt, ihren Vater zu begrüßen gingen. -- + +Wo aber die Unteroffiziere der Zweiten um ihr Feuerchen hockten und +sich ihre Erbswurstsuppe zurechtbrutzelten, da war ein junger Bursch +halbleibs emporgeschossen ... + +Himmel! -- die Oreade, die lauschend hinterm Felsen schwieg! die Heldin +all der zahllosen Lieder, welche ihm zugeflogen waren auf den Märschen +der letzten Tage ... + +Auf! -- auf! ihr entgegen! -- aber, Teufel nein, wer war man denn? +-- Ein armer Kommißknabe ... nichts als ein ganz gewöhnlicher +Kaldaunenschlucker ... + +Er in seiner schirmlosen Feldmütze, in seinem geflickten Tressenrock, +mit seinen ungewaschenen Händen ... und sie ... sie wandelte fern, fern +und unerreichbar ... wie ein leibhaft gewordener Dichtertraum ... + +Aber suchten nicht ihre Augen? -- suchten sie nicht -- + +Nun hatten sie gefunden ... ihn gefunden ...! + +Die flaumigen Bäckchen flammten ... sie nickte ihm kurz und gemessen +... + +Da sprang er auf ... stand stramm ... legte die Hand an die Feldmütze +... und warf sich dann wieder lang hin neben das qualmende Feuer ... +überhörte die plumpen Späße seiner Kameraden, des Sergeanten Metzges, +des Oberlazarettgehilfen Nattermüller, des Unteroffiziers Franzkowiak +... + +Stumm und ausgehungert löffelte er aus dem blechernen +Kochgeschirrdeckel seine Erbswurstsuppe in sich hinein -- seine Seele +aber formte den letzten Vers zu seinem Morgenliede: + + + »In Demut will ich pflücken, + was mir das Glück geoffenbart -- + ganz ohne Sinn beglücken, + ist Glückes Art -- ist -- Glückes -- Art.« + + + * * * * * + +Vor dem Bataillonsstabszelt, der einzigen Behausung im ganzen Biwak, +die mit den Wohnungen zivilisierter Menschen eine entfernte Ähnlichkeit +hatte, unter dem Vordach, das wenigstens einen dürftigen Schutz gegen +den immerzu munter niederströmenden Regen bot, hatte sich eine lustige +Tafelrunde zusammengeschart ... ein paar hochkant gestellte Kisten +bildeten Tische und Sitzgelegenheit ... das Service bestand aus groben +Steinguttellern, aber die erlesensten Delikatessen der Saison gab's +diesmal zu schmausen statt der üblichen Feldkost, der Preßgemüsesuppe, +des halbverbrutzelten Konservengulasch ... Das heißt, auch diese +kriegsmäßigen Speisen fanden ihre Abnehmer ... die drei Damen kosteten +sie mit Begeisterung ... die mitgebrachten Herrlichkeiten überließen +sie den Herren ... + +Den Sekt trank man aus ramponierten Kaffeetassen ... + +»An meiner is kein Henkel dran ...!« + +»Schad' nischt -- is Henkell drin!« schmunzelte der flaumbärtige +Carstanjen. + +Sassenbach hielt eine kleine Rede auf den holden Besuch: »Mit hold +meine ich natürlich nur die gnädige Frau, nicht euch, ihr Mädels ... +das bildet euch bloß nicht ein!« + +Mit galantem, stürmischem »Oho!« protestierten die Leutnants. + +Frau Cäcilie war still ... sie nahm sich zusammen; denn einmal hatte +sie einen Blick ihres Gatten aufgefangen, der mit stummer, banger +Beobachtung an ihr hing, als sie hingerissen ... selbstvergessen mit +Martin Flamberg geplaudert ... + +Doch immer verglich lechzend, qualvoll ihr armes Herz. + +Hier ein friedlich knisterndes Herdfeuer -- dort eine jetzt verhalten +glostende, oft aber heiß und goldigrot auflodernde Glut. + +Warum bin ich heraufgekommen? -- Nutzlose Quälerei! + +Und doch zählte sie angstvoll Viertelstunde um Viertelstunde, die +verrann unter neckendem Geplauder, hin und wieder flatternden +Scherzworten. + +Der Sekt schäumte in blauen Emaillebechern, in zerbrochenen Tassen aus +dem Fünfzigpfennigbasar. Gleichmäßig tropfte draußen der Regen aus +den ziehenden Nebelschwaden hernieder. Die Dämmerung sank. Gesättigt, +sangen draußen die Soldaten immer und immer wieder das Heimkehrlied: + + + »Es winket uns in weiter Ferne + Das liebe, teure Vaterhaus! + Wir war'n Soldaten, waren's gerne, + Doch jetzt ist unsre Dienstzeit aus! + Ihr Brüder, stoßt die Gläser an -- + Es lebe der Reservemann! + Wer treu gedient hat seine Zeit, + Dem sei ein volles Glas geweiht!« + + +Und eine tief lastende Melancholie umwob das Haupt der schönen Frau ... +Warum war sie nur heraufgekommen? Es hatte ja doch keinen Zweck. + +Mit einem Male meldete von draußen her die Stimme des Postens vor der +Fahne: »Der Herr Oberst kommt!« + +Hei -- das platzte wie eine Granate mitten hinein in die harmlos +schmausende Gesellschaft! + +Der Major sprang auf: »Herrschaften, laßt mich durch!« + +Er stelzte mit seinen vom langen Reiten und langen Sitzen +steifgewordenen Beinen aus dem Schutze des Zeltdachs heraus, dem +Regimentskommandeur entgegen, der heute das Detachement führte. + +Durch den Nebel kam's von der Chaussee herangetrabt ... der +Regimentsstab, die Herren in Mützen ... + +Oberst von Weizsäcker, neben ihm, unnahbar wie immer, Herr von +Schoenawa, sein Adjutant, und Oberleutnant Menshausen, der als +Ordonnanzoffizier zum Regimentsstabe kommandiert war -- ein paar +Trompeter und Meldereiter von den Deutzer Kürassieren in ihren +mattblinkenden Stahlhelmen. + +Der Oberst, stattlich und rosig, mit den braunweißen, beständig +zuckenden Schnurrbartflämmchen, nahm die Meldung des Biwakskommandanten +entgegen, tat ein paar Fragen über Nachrichten vom Feind, +Sicherheitsmaßregeln, Verfassung und Gesundheitszustand der +Mannschaften ... + +Da hatte er unterm schützenden Dach des Stabszeltes die hellen +Regenmäntel, die wehenden Schleier der Damen erspäht. + +Neugierig, in ritterlicher Haltung trabte er heran und begrüßte die +errötenden Gäste des Biwaks. + +»Meine Damen -- allerhand Respekt! Bei dieser Sintflut im rauhen +Kriegsgetümmel?« + +Einen hämischen Zug um die Mundwinkel, hielt Oberleutnant Menshausen +zur Linken des Obersten. + +Schau, schau, die schöne Frau Cäcilie im Biwak -- und die beiden +Fräulein von Sassenbach ... und selbstverständlich in der Nähe der +schönen Frau der Herr Sommerleutnant und Maler aus Düsseldorf ... und +neben dem schlanken Majorstöchterlein die Karikatur, der Gehirnfatzke +aus Bonn ... + +Ein Skandal, daß man durch das an sich ja sehr ehrenvolle Kommando +verhindert war, die Entwicklung dieser interessanten Ereignisse aus der +Nähe zu verfolgen. + +Aber warte -- nächstens im Korpsmanöver ... was sagte die +Manöverquartierverteilungsliste? Samstag, den neunzehnten September bis +Sonntag, den zwanzigsten September: Regimentsstab -- Schloß Hettstein +-- Erstes Bataillon -- Bataillonsstab, erste und zweite Kompagnie: Dorf +Hettstein -- + +Dann werden wir also die ganze Gesellschaft dicht beisammen haben ... +dann werden ja die Dinge mehr oder weniger zum Klappen kommen ... dann +könnte man vielleicht gar ein bißchen nachhelfen ...! + +Wie ... das würde sich finden! -- Jedenfalls irgend etwas würde sich +dann ereignen ... ein kleiner Spaß ... eine kleine Abwechslung in +diesem verflucht eintönigen Kommißdasein ... + +Dann würde man sich entschädigen können für so manchen Ärger, den man +hatte schlucken müssen ... + +Inzwischen mußte man freilich die Karre laufen lassen, wie sie laufen +wollte ... + +Wenn man nur einen Vertrauensmann wüßte --? + +Ah -- Quincke -- auch in dieser Wildnis das unvermeidliche Monokel ins +fahle Gesicht geklemmt ... + +Menshausen winkte den jüngern Kameraden an die Seite seines Gaules, +streckte ihm die braunbehandschuhte Rechte hin: »Sie, lieber Quincke +-- im Interesse unseres Offizierkorps -- beobachten Sie doch mal die +beiden Herren des Beurlaubtenstandes, den Flamberg und den Frobenius, +ein bißchen genauer, wenn die Damen in der Nähe sind ... Brandeis hat +ja ein Schlößchen hier in der Nähe gekauft -- also werdet ihr wohl +öfter das Vergnügen haben -- Mir kommt's vor, als ob die beiden fremden +Herren -- --« + +»Selbstverständlich, lieber Menshausen, hab's längst gemerkt ... Denken +Sie, ich schlafe mit offenen Augen?!« + +Leise tuschelten die beiden Herren ... + +-- Und Quincke paßte auf, als nun der hohe Stab von dannen getrabt war +... + +Immer tiefer sank die Dunkelheit ... die Damen, von den Herren +geführt, unternahmen noch einen Rundgang durchs Biwak, während die +Azetylenlampen des Mercedes, vom Chauffeur entzündet, bereits weiße, +gleißende Lichtkegel in die Abenddünste zeichneten ... + +Aha ... Frau von Brandeis wieder zwischen ihrem Mann und Herrn Flamberg +... ja, ja, immer +à trois+ ... unbegreiflich diese eselhafte +Vertrauensduselei des Kapitäns ... + +Und Fräulein Nelly von Sassenbach natürlich Seite an Seite mit dem +hagern Landwehrleutnant ...! + +Quincke schlich hinter den beiden her und lauschte ... + +»-- Ja, mein altes Mütterchen, gnädiges Fräulein -- eine ganz, ganz +einfache, einsame alte Frau! Sie hat sich nicht entschließen können, +nach meines Vaters Tode das Dörfchen droben auf dem Westerwald zu +verlassen, wo ihr Mann dreißig Jahre lang die Buben und Mädel in die +Geheimnisse des ABC eingeweiht hatte ... ach ja, eine einfache Frau! +Aber was für Augen, gnädiges Fräulein ... Augen wie so ein altes +wundertätiges Waldweiblein aus dem Märchen ...« + +»Ach ja ... die möcht ich wohl kennen lernen --!« + +Feine Zusammenstellung, grinste Quincke: junge Dame von Stand, +passionierte Reiterin und Tänzerin ... Tochter eines preußischen +Stabsoffiziers -- -- und eine Bauernschulmeisterswitwe in einem +Waldnest! -- Na ja ... wenn die Menschen verrückt werden, fängt's im +Kopf an --! + +Aber es kam noch toller. + +Im Halbdunkel gewahrte Quincke, daß das jüngere Fräulein von Sassenbach +unauffällig zurückzubleiben suchte ... + +Und wahrhaftig! -- Da tauchte aus der Mitte der Mannschaften, die um +ihre Lagerfeuer rasteten, die Gestalt eines Unteroffiziers auf ... + +Aha, der Einjährige, der den langweiligen Quatsch zum Regimentsfest +verbrochen hatte! -- + +Weiß der Himmel -- er begrüßt sie wie ein Kavalier ... sie plaudert mit +ihm ... und nun zieht der Einjährige ein Notizbuch aus der Tasche ... +nimmt eine beschriebene Meldekarte heraus ... reicht sie der Dame ... +Die errötet tief ... legt sie sorgsam zusammen und steckt sie in die +innere Tasche ihres Regenpaletots ... + +Warte, Bürschchen ... dich wollen wir mal auf deinen Standpunkt +zurückbringen ...! + +»Nun, gnädiges Fräulein ... wollen Sie sich nicht Ihrem Fräulein +Schwester anschließen? Die Damen begeben sich bereits zum Auto zurück +... Bitte übrigens einen Moment um Verzeihung! -- Sie, Einjähriger, +hier haben Sie zwanzig Pfennige ... gehen Sie doch mal zum Marketender +an den Kantinenwagen und holen Sie mir ein Schinkenbutterbrot ... Sie +können's mir ans Offizierzelt bringen ...!« + +Hans Friesen war einen Augenblick starr ... dann faßte er sich, wandte +sich kurz herum, spähte in die Gruppe der Füsiliere hinein, die ums +Lagerfeuer saß: »Makowiak!« + +Der Angeredete, ein hübscher, polnischer Rekrut, stand sofort in +strammer Haltung neben dem Unteroffizier: »Zur Stelle!« + +»Herr Leutnant Quincke wünscht ein Schinkenbutterbrot vom Marketender +ans Offizierzelt. Hier ist das Geld!« + +»Einjähriger, ich habe Sie selber beauftragt, wie Sie gehört haben! -- +Ist das vielleicht unter Ihrer Würde, was?!« + +»Jawohl, Herr Leutnant --!« + +Quincke biß sich auf die schmalen Lippen: »Na -- dann erteile ich Ihnen +also hiermit den dienstlichen Befehl, mir das Butterbrot zu holen!« + +Hans Friesen stand stramm ... regungslos ... + +»Wollen Sie sich vielleicht der Gehorsamsverweigerung vor versammelter +Mannschaft schuldig machen --?!« + +Hans Friesens Lippen bebten ... + +Er erinnerte sich der Strenge der militärischen Gesetze: der +Vorgesetzte hat in dem Augenblick, in dem er befiehlt, immer recht -- +-- Er nahm dem Füsilier das Geld wieder ab, machte stramm kehrt und +stapfte ins Dunkel, dorthin, wo die Laternen des Marketenderwagens +gelblich aufleuchteten -- -- -- + +Dafür sollte der Frechling ihm Rede stehen -- in vierzehn Tagen, wenn +der bunte Rock abgestreift war ... Warte, du Affe! -- Wollen sehen, wer +am besten schießt von uns zweien! -- + +-- Tränen der Wut und Empörung in den Augen, sprachlos hatte Molly dem +Auftritt zugeschaut: »Das ist abscheulich, Herr Quincke!« + +»Wieso?« näselte der Leutnant, »is doch höchstens 'ne Ehre für den +Unteroffizier, wenn er seinem Zugführer einen Gefallen tun kann!« + +»Ich sag' es meinem Vater -- verlassen Sie sich drauf!« + + * * * * * + +Das Auto war von dannen gerattert ... und jählings sank die Nacht ... +sank die Stille über das nebelumsponnene Feldlager ... + +Schweigend, fest in ihre Mäntel gehüllt, saßen Brandeis und Flamberg +auf den umgestürzten Wein- und Menagekisten vor dem niedern Zelt -- -- + +Der kleine Carstanjen und der Fahnenjunker schnarchten bereits drinnen +im Stroh -- -- + +Beider Männer Blicke hingen an dem phantastischen Schauspiel der +mählich verglimmenden Lagerfeuer, deren rötliches Glosten allein noch +die Schwärze der Nebelnacht durchdrang -- -- + +Und beide Männer träumten von Frau Cäcilie -- -- + +»Sagen Sie, lieber Flamberg ... mögen Sie mich ein bißchen leiden?« +fragte der Hauptmann auf einmal mit verschleierter Stimme. + +»Wie meinen Herr Hauptmann --?!« + +»Ob Sie mir ein bißchen gut sind, möcht' ich gern wissen?!« + +»Herr Hauptmann, ich ... ich möchte unter Ihnen in den Krieg ziehen +... mit Ihnen zusammen fechten und bluten ... dann wollt ich's Ihnen +beweisen ...« + +»Das freut mich zu hören,« sagte der Hauptmann, »das freut mich zu +hören ...« + +Einen Augenblick Stille -- tiefe Stille -- + +Martin hatte verstanden ... + +Nein ... er durfte ganz ruhig sein, der brave, ehrenfeste Mensch da +neben ihm ... er, Martin, würde sich künftig noch mehr zusammennehmen +... beim nächsten Wiedersehen ... seine Augen, seine Stimme noch mehr +im Zaum halten ... noch mehr als heute ... + +»Na ... nun kommen Sie --« + +Freundschaftlich und vertrauensvoll klopfte der Kapitän dem Kameraden +auf die Schulter -- -- + +»Es ist Zeit ... morgen früh um vier wird abgebaut ... wollen ins Stroh +kriechen ...!« + + + + + Zweites Kapitel. + + +Frau Cäcilie hatte einen bangen Traum. + +Ein Geläut klang ihr ins Ohr ... ein tiefes, volltöniges Geläut ... +unregelmäßig, oft wie vom Winde verweht, doch stark und mächtig ... + +Und auf einmal wußte sie es ... das waren ja die Hochzeitsglocken ... +heute machte sie Hochzeit mit Martin Flamberg ... + +Das Glück war gekommen ... das große Glück ... die Lebensliebe, von +der sie einst als Mädchen geträumt ... die Erfüllung, herrlicher, als +kühnste Dichterphantasie sie schilderte. + +Bim, bam, läuteten feierlich die Glocken ... die Glocken des Kölner +Doms ... und sie beide, sie schritten mitten über den weiten Domplatz +... auf das weitgeöffnete Portal des ragenden Gotteshauses zu ... + +Neben ihr ging der Maler ... in Paradeuniform, den schwarzen wehenden +Roßhaarbusch auf dem Helm ... + +War sie nicht schon einmal neben einem Manne hingeschritten, der diese +Gewandung trug ...?! + +Ach ... das war lange her ... das war gar nicht mehr wahr ... + +Rechts und links staute sich das Volk, und sie hörte das Flüstern der +Menge: Das ist Martin Flamberg, der große Maler, und seine glückliche +Braut, die schöne Frau Cäcilie ... + +Einen Blick warf sie dem Verlobten zu, und er erwiderte ihren Blick +mit einem jähen verlangenden Aufleuchten seiner braunen durstigen +Künstleraugen ... + +Und immerfort ... tief und gewaltig ... summten dazu die Glocken aus +der Höhe ... + +Nun schritten sie Hand in Hand die hohe, breite Domtreppe hinan ... +weit offen stand die metallene Pforte ... dem Blick erschloß sich +das geheimnisdunkle, weihrauchdurchduftete Innere des Heiligtums ... +von rechts her, magisch bunt gefärbt, fiel durch die Glasgemälde der +Spitzbogenfenster ein breiter Strahl gedämpften Sonnengoldes hinein ... + +Da -- als das Paar die Pforte durchschreiten wollte ... plötzlich stand +da eine gräßlich entstellte, bleiche Gestalt in der Wölbung -- -- Fritz +--! + +Er stand im kotbespritzten Manöveranzug ... die Feldmütze tief ins +blasse Gesicht gezogen ... die braunbehandschuhte Linke hatte er +fest aufs Herz gedrückt ... und unhemmbar floß ein Strom zähen, +dunkeln Blutes zwischen seinen Fingern hindurch ... sickerte auf die +Steinfliesen ... + +Da schrie sie auf ... und brach in den Armen des Geliebten zusammen ... + +Und erwachte -- -- + +Erwachte in dem hellen, freundlichen Schlafgemach des Schlößchens +Hettstein ... in dem messingfunkelnden englischen Bett unterm duftig +lichten Gardinenhimmel ... + +Und neben ihr harrte eine andere, unberührte Lagerstatt, von +schimmernder Spitzenspreite bedeckt ... + +Aber die Glocken ... die Glocken läuteten immer noch ... + +Doch nein -- das waren ja die Kanonen ... die Kanonen des Korpsmanövers +ringsum auf den Hunsrückhöhen ... + +Und heute, heute würden sie kommen ... ihre Gäste ... der Regimentsstab +der Niederländer Füsiliere! + +Und kommen würden auch die beiden Männer, deren einer in ihrem Traum +an ihrer Seite gegangen war, bis der andere ihnen entgegentrat mit +der blutdurchsickerten Linken auf der Brust und dem fahlen, starren +Totenantlitz ... + +Gott sei gedankt, er lebte ... Fritz lebte ...! + +Frau Cäcilie richtete sich auf ... ihre Schläfen brannten ... die Augen +flimmerten, als habe sie die ganze Nacht schlummerlos durchwacht ... +und ihre Wangen waren kalt von nassen, bangen Tränen ... + +Sie würden kommen ... würden sie anschauen ... beide ... und in beider +Augen würde sie mit wirrem Streite der Gefühle das Bekenntnis lesen +müssen: Ich gehöre dir ... meines Lebens Schicksal ruht in deiner Hand +...! + +Das war ein grauenvolles Bewußtsein, also zweier Männer Seele zu +beherrschen -- und doch von einer geheimen, wilden Süßigkeit ... dieses +Machtgefühl ... dieses Herrschergefühl ... + +Sie sprang aus dem Bette ... ging zum Spiegel ... schaute lange in ihre +Züge ... + +Was ist denn eigentlich so Besonderes dran an dir, du weiße Larve mit +den brennenden Augen drin, daß du immerfort durch einen Wall, durch +einen Schwall von Huldigungen hinschweben mußt --?! + +Bum, bum -- läuteten droben auf den Bergen ringsum im Kreise die +Kanonen, deren Sang ihren Traum wie Hochzeitsglocken durchwandelt ... + +Dort oben stand das ganze rheinische Armeekorps, in zwei Parteien +geteilt, in lustiger Friedensschlacht ... mehr denn zwanzigtausend +rüstige Männer ... die Jugendblüte der schönsten und reichsten Provinz +des Vaterlandes ... + +Und in ihrer Schar gab es zwei, von denen sie wußte, daß sie mitten im +Drang ihrer Pflicht ... im sengenden Sonnenbrande ... beim Marsch auf +staubüberwölkter Landstraße ... und beim Ansprung wider den Feind über +den Sturzacker -- die Stunden zählten, die sie noch vom Wiedersehen +trennten -- vom Wiedersehen mit ihr ... + +Dies Wissen war beseligend und fürchterlich. + +Was würde werden? Ihre Seele war schwer und glühend von der Ahnung +eines Schicksals, einer nahen Entscheidung, einer Entscheidung, der +sie wehrlos gegenüberstand, einer Entscheidung, die sie über sich +ergehen lassen würde wie ein unabwendbares Elementarereignis, wie einen +Wirbelsturm, wie ein erlösendes und zerschmetterndes Gewitter. + +Ja, machtlos -- willenlos fühlte sie sich gegenüber dem Geschick. + +Die beiden andern waren ja die Männer ... die mochten handeln, die +mußten entscheiden, was werden sollte. + +Sie war das Weib ...! Ihrer harrte nur die äußere Pflicht, die Pflicht +der Hausfrau und Gastgeberin -- die würde sie erfüllen, korrekt und +anmutig ... von ihrer Erziehung, ihrem Instinkt unfehlbar geleitet ... +ohne daß an Willen und Entschluß irgendwelche Anforderungen gestellt +wurden. + +Das andere ... das würde kommen von draußen her, unhemmbar, unabwendbar +... + + * * * * * + +Und droben im Turmkämmerchen träumten zwei andere Herzen einem +Wiedersehen ... träumten ihrem Schicksal entgegen ... ein +Kinderherzchen, so willenlos wie die reife Frau im Banne dumpfer, +triebhafter Gefühle -- und ein fester straffer Mädchenwille, der +während schlummerloser Nacht in Frische und Resignation über sein Leben +beschlossen hatte. + +Ja, Nelly Sassenbach wußte, was sie wollte ...! + +Heut abend freilich würden die Herren erst spät ins Quartier kommen +-- es war beschlossen, sie in Ruhe zu lassen. Nur der Regimentsstab, +der ohnehin dem Schlosse bestimmt war, würde zur Tafel erscheinen, und +natürlich der neue Schloßherr, obwohl er offiziell mit seiner Kompagnie +drunten im Dörfchen lag. + +Die Herren der ersten und zweiten Kompagnie würden sich ausschlafen +beim Ortsvorsteher und bei den andern wohlhabenden Bauern, deren Höfen +sie zugewiesen waren, würden mit aller Bequemlichkeit gegen Abend in +der Schankwirtschaft ihre Mahlzeit einnehmen und um neun zu Bette +gehen. + +Morgen aber ist Rasttag -- da werden die Herren gründlich ausgeruht als +Gäste der Schloßherrin auf Hettstein erscheinen -- man wird festlich +und fröhlich zusammen dinieren -- wird im Park spazieren gehen. + +Und dann -- dann wird es geschehen -- dann soll es geschehen! + +Dann wird sie die Braut des hagern Gelehrten werden, des +Schulmeistersohnes vom Westerwald, des miserabeln Reiters und Tänzers, +des Mannes aus dem Froschtümpel, des Entgleisten vom Kasinoparkett. + +Es war beschlossen -- es würde sich vollziehen -- sie wollte es. Und +daß er die gleiche Sehnsucht hatte, das wußte sie, seit er ihr von +seiner Mutter erzählt, im Regenbiwak unter der »Marscheider Burr«. + +Ja, viel -- gar viel Resignation steckte in diesem Entschluß. + +Ganz, ganz anders sah ihr Erwählter aus als die Gestalten, die einst +durch ihre Mädchenträume geschwebt waren. + +Aber wenn sie seiner gedachte, dann kam ein so tiefes Ruhegefühl ... +ein so freudiges Geborgensein über sie ... + +Ja ... er war doch der Rechte ... der, für den das Schicksal sie +aufgespart hatte, das in ihrer Mutter Gestalt so manchen glänzenden, +stattlichen Bewerber aus ihrer eigenen Welt von ihrer Seite gescheucht +hatte ... + +Ich danke dir, Mutter -- es ist gut gewesen, daß ich den schwarzen +Baron Höningen nicht bekommen hab, der jetzt in Amerika Pferde hütet +... und nicht den riesigen Bettingen, der nun drunten in Südwestafrika +im Wüstensande liegt ... + +Es ist gut so, Mutter ...! + +Was morgen kommt, das ist fürs ganze Leben ... kein stürmisches +Backfischglück wie das, von dem gewiß das blonde Schwesterchen jetzt +träumt, das so eigenwillig sein Köpfchen der rosaroten Tapete zukehrt +... aber eine frohe Ruhe ... eine festlich stille Gewißheit ... eine +Heimstatt für freudiges Wirken und Hineinwachsen in eine helle, lichte +Welt, in ein höheres, geistigeres Dasein, als meine Jugend es je geahnt +... + +Wilhelm Frobenius, du Prachtkerl! -- Du sollst es gut haben bei deiner +Nelly -- hol mich der Teufel! + + * * * * * + +Bum, bum, drohten die Geschütze ringsum auf den Bergen ohn' Unterlaß +... + +»Nun, gnädige Frau, wen bekomm' ich ...?« + +Die drei Freundinnen standen im feierlich halbdunkeln, getäfelten +Speisesaal des einstmals kurtrierschen Schlößchens, das ein Kölner +Bankier vor acht Jahren aus einer ziemlich wohlerhaltenen Ruine in +einen behaglichen weltfernen Herrensitz zurückverwandelt hatte ... und +Frau Cäcilie legte die Tischkarten ... + +»Abwarten, Kleine! -- Also: Ans Kopfende komme selbstverständlich ich +-- leider, leider zwischen die beiden Herren Kommandeure ... den Oberst +zu meiner Linken, Ihren lieben Brummbär Papa zu meiner Rechten!« + +»Donnerwetter, fabelhafter Dusel für Papa! -- Na, der wird schmunzeln +... gut, daß Mama nichts davon ahnt ... das gäb' ein paar schlaflose +Nächte!« + +»Schäm dich, Nelly!« zürnte das jugendliche Ebenbild der Entfernten. + +»Na, und nun gehen wir mal zunächst hier links hinunter, damit die +kleine Neugier auch lange genug auf die Folter gespannt wird! Also +neben den Herrn Regimentskommandeur natürlich Sie, Nelly!« + +»Um Gottes Willen! -- läßt sich das nicht vermeiden?« + +»Unmöglich, Kind! -- Die Tischordnung versteht sich sozusagen von +selbst ... es geht gar nicht anders, als ich's aufgesetzt habe! Aber +nun kommt die Entschädigung: zu Ihrer Linken sitzt -- Herr Oberleutnant +von Schoenawa!« + +Ernsthaft hatte die Wirtin das gesagt ... aber ihre Augen blitzten +schelmisch prüfend zu der schlanken Freundin hinüber. + +Die bewahrte Haltung. Was lag an dem Diner? ... Sie wußte ja doch, was +sie wollte ... + +»Zu Befehl, gnädige Frau!« + +»Also wirklich -- vollkommen einverstanden?!« + +»Vollkommen!« + +»Aber ich nicht! -- Der gestrenge Herr Regimentsadjutant ist mir zu +feierlich und offiziell für Sie ... Außerdem ist ein Herr da, der zwar +eine Charge unter ihm steht, aber an Jahren der nächste nach den beiden +Herren Kandillenträgern ist!« + +Und nach der Melodie des Lockens zum Parademarsch trällerte die schöne +Frau: + + + »Großmutter, die Landwehr kommt, + Die Landwehr kommt, die Landwehr kommt, + Großmutter, die Landwehr kommt ...« + + +Da errötete Nelly denn doch ein wenig und verstummte. + +»Na, ich seh schon, ich hab's getroffen ... da, Kindchen, legen Sie +selber den Zettel hin! -- Also, neben Herrn Frobenius setzen wir +Herrn Oberleutnant Menshausen und neben den: Herrn Flamberg ... Herr +Menshausen kann die Herren vom Beurlaubtenstande nicht leiden -- ich +kann Herrn Menshausen nicht leiden -- Rache ist süß, krächzte der +Habicht!« + +Außerdem kann es nicht schaden, dachte sie, daß ich Flamberg recht weit +von mir entfernt auf einen schlechten Platz setze ... Fritz machte +neulich im Biwak einmal so merkwürdige Augen ... + +»Ans Fußende kommt natürlich das grüne Gemüse -- unten meines Mannes +Fahnenjunker, der kaum geborene Erichsen -- zwischen ihn und den Herrn +von der Reserve setze ich Herrn Quincke!« + +Den Herrn von der Reserve! dachte Nelly -- diese Heuchlerin! + +»-- dem gegenüber Herrn Carstanjen ... dann kommt mein Mann ... neben +den kommen Sie, kleine Molly!« + +»Sehr einverstanden! -- Himmlisch!« + +Der Backfisch hatte ein wenig für Fritz von Brandeis geschwärmt, ehe +dieser anderweitig vergeben worden war. + +»-- an Ihre andere Seite der Adjutant des ersten Bataillons!« + +Molly rümpfte das Näschen: »Der ist so entsetzlich brav!« + +»Ja, ich hab niemand andern mehr ... nur noch Herr von Schoenawa ist +übrig!« + +»Ne, danke ... dann immer noch lieber Herrn Blowitz!« + +»Gut -- dann also Herrn von Schoenawa zwischen Blowitz und Ihren Vater! +Na, ist das nicht tadellos, Kinder?« + +»Ausgezeichnet -- ganz vorzüglich, gnädige Frau!« + +»Ach was -- ihr immer mit eurer langweiligen gnädigen Frau --! Machen +wir's uns doch endlich mal gemütlich: sagen wir du zueinander!« + +Tief erglühend vor Seligkeit boten die Mädchen der vergötterten Wirtin +ihre Lippen. + +Und über alle drei kam's wie ein Festrausch. So herrlich strahlte +draußen die Spätsommersonne ... die eben leise sich bräunenden +Bergwälder schlossen sich so traulich um das Schlößchen wie ernste, +fromme Hüter eines geheiligten Asyls ... + +Und immer näher ... immer drängender scholl draußen das mächtige +Geläute der Kanonen auf den Höhen ringsum ... + +»Ach, Kinder, das Leben ist doch schön!« + +»Das weiß der Himmel!« sagte Nelly aus tiefer, dankbar hoffender Brust. + +»Ja wahrhaftig, das weiß der Himmel!« echote auch die Neunzehnjährige +... und sie träumte von einem, der morgen abend zwar nicht hier mit +an der Tafel sitzen würde ... den sie aber doch sehen wollte ... +heimlich, verstohlen sehen -- und küssen ... draußen irgendwo in den +verschwiegenen Bosketten, die sich über den Trümmern der alten, nicht +wieder hergestellten Bastionen buschten ... + +Sie mußte ihn ja trösten ... mußte ihn entschädigen für die Unbill, die +der widerwärtige Quincke ihm zugefügt ... offenbar mit Absicht in ihrer +Gegenwart ... um ihn zu blamieren vor ihr ...! + +Zu blamieren vor ihr ... haha ... als ob das möglich gewesen wäre ...! + +Aber er durfte sich's um Gottes willen nicht zu sehr zu Herzen nehmen +... ihr süßer Junge ... ihr Dichter ... dessen himmlische Verse, rasch +mit Bleistift auf einer Meldekarte niedergekritzelt, unter der Bluse an +ihrem Herzchen knisterten ... + +Und darum mußte sie ihn trösten -- unbedingt ... damit er keine +Dummheiten machte! -- Na, das würde ihr schon gelingen. -- -- + +Bum, bum, bum, läuteten draußen die Kanonen ... + + * * * * * + +»Sie kommen! sie kommen!« + +Die aufgeregt harrenden Mägde drunten am Schloßtor schrien's zuerst ... + +Der Gärtner, der Chauffeur gaben's weiter ... + +Das Hausfräulein stürzte zu den Damen hinein, die eben im Herrenzimmer +die kleinere Tafel für den heutigen Abend mit Blumen schmückten. + +»Wer kommt?« fragte die Hausfrau. + +»Soldaten! Soldaten wie Sand am Meer!« + +Von den tiefen Nischen der Fenster des Schloßturms aus konnte man +den Weg überschauen, der durch die buschigen Abhänge nördlich des +Beierbachs empor sich schlängelte nach Hettenrodt zu ... + +Von dort stieg jetzt, ein Pferd hinter dem andern, vorsichtig ein +endlose Linie von Reitern in hellblauen Waffenröcken hernieder -- +Saarbrücker Siebente Dragoner. -- + +»Die sind nicht von den Unsern!« erklärte Nelly sachverständig, »seht, +sie tragen Helmbezüge ... das ist der böse Feind; der ist jedenfalls +geschlagen und muß sich zurückziehen ...« + +»Geschieht ihm recht!« rief Molly mit blitzenden Augen. + +Nun sprengte auf der Chaussee, die an der andern Seite des Schlößchens +von Mackenrodt her in langen Zickzackwendungen ins Tal hinunterkroch, +ein Trupp Artillerieoffiziere, gleichfalls in Helmbezügen, hart am +Schloß vorüber, bergab ins Tal ... verschwand drunten zwischen den +Häusern des Dörfchens und tauchte an der andern Berglehne wieder +auf, galoppierte jenseits in das Seitentälchen hinein, das sich gen +Vollmersbach hinaufzog. Sie schwenkten rechts ab, erschienen, klein wie +Bleisoldaten, droben auf der kahlen Höhe ... + +Und durch die Gläser konnten die Damen deutlich erkennen, daß sie +droben Halt machten und mit ihren Feldstechern übers Schlößchen hinweg +Ausschau hielten. + +»Sie suchen eine Stellung für die zurückgehende feindliche Artillerie +aus; die soll den Rückzug des gegnerischen Detachements decken!« wußte +Nelly wiederum zu erläutern. + +»Da werden wir ja das Kanonenkonzert aus allernächster Nähe zu genießen +bekommen!« + +Und richtig! -- Nach wenigen Minuten rasselte eine schier endlose +Artilleriekolonne die Chaussee hinunter, so schnell als der abschüssige +Weg mit seinen zahllosen, scharfen Krümmungen es nur irgend gestattete. + +Die Kanoniere saßen mit rauchgeschwärzten, staubbekrusteten Gesichtern +auf den Protzkästen und hielten sich krampfhaft fest, um nicht beim +Rumpeln der federlosen Gestelle abgeschleudert zu werden ... + +Das Sitzfleisch tat einem weh vom bloßen Ansehen ...! + +Drüben den steilen Talweg ging's hinan ... da mußten die Kanoniere +absitzen und die Geschütze bergan schieben helfen ... Die armen Kerle! + +Ganz deutlich war's zu verfolgen, wie nun drüben die Mündungen der +Geschütze über dem hohen Kamm auftauchten ... + +Bum -- da krachte auch schon der erste Schuß, bum -- der zweite ... + +Dicke weiße Wolken stiegen auf, doch verflogen sie in der blauen +Nachmittagsluft wie der Rauch einer Zigarre ... + +Die Damen hielten sich die Ohren zu, so heftig knallten die Schüsse ... +widerhallend kam das Echo zurück von all den dunkelbelaubten Berghängen +ringsum ... + +Eine Viertelstunde später begann der Abstieg der geschlagenen +feindlichen Infanterie ... eine dunkelblaue Schlange mit grau und +silbern schillernden Schuppen, so wälzte sich der Zug des Fußvolks +nieder ins Tal ... Kompagnie hinter Kompagnie ... Bataillon hinter +Bataillon ... + +Ganz dicht unter den Schloßfenstern wogte der endlose Schwall vorüber +... + +Gott, sahen die wackern Jungen aus! -- + +Spätsommermittagsglut und der Staub vielstundenlanger Märsche hatten +ihr Werk getan ... schmutzige Rinnen hatte der Schweiß in die +tiefgebräunten, graubepuderten Gesichter gezeichnet ... die Rockkragen +waren geöffnet ... die Gewehre pendelten schwer auf den müden Schultern +... + +Aber die gesenkten Nacken richteten sich straffer auf, als plötzlich +bei der Wegwende vor ihrem Blick das schmucke Schlößchen mit seinen +altersgrauen Mauern und der blinkenden Zier seiner Erneuerungsbauten, +den roten Ziegeldächern, den blitzend weißen Fensterkreuzen auftauchte, +von dunkelgrünen Efeupolstern und leuchtendrotem Rankengeriesel wilden +Weins umwuchert ... + +Und über den Rand der Gartenanlage beugten sich frische Mädchenköpfe +... das Hausfräulein und die beiden Mägde ... + +Hei -- wie das elektrisierte, wie Jugend da plötzlich die Jugend +erschaute ... da reckten sich die matten Gestalten der Marschierenden +empor, da flog ein endloser Schwall von Neckereien und derben Späßen +zur Mauer hinan in allen Mundarten der rheinischen Gaue ... + +Aber Glied um Glied wurde rasch von dannen gerissen im rastlosen +Rückmarsch. + +Mochten auch die Vorbeimarschierenden die Köpfe noch so sehnsüchtig +umwenden -- die Blicke der strammen Holden droben waren schon wieder +weitergewandert, neuen Kömmlingsscharen entgegen. + +Die Herren Offiziere aber hoben ihre Blicke noch etwas höher als bis +zur Mauer der Gartenbastion ... sie strebten zum Balkon empor, wo in +lichten Gewändern drei Frauengestalten aus ihrer eigenen Kaste sich +zeigten ... + +Hei -- wie flogen da feurig kecke Blicke empor ... dorthin, wo die +Damen standen ... die Damen ... + +Aber auch sie mußten von hinnen, die stattlichen Stabsoffiziere +und Hauptleute hoch zu Roß, die schlanken, in Staub und Schweiß +noch eleganten und aufrechten Leutnants mit den häßlichen +Wachstuchtornisterchen auf dem Rücken -- dem »Schandfleck der +Ritterlichkeit« -- -- + +Und von dem vorüberrollenden Strom kriegerischen Lebens stieg ein +Dunst zu der schönen, schlanken Herrin, den winkenden Mädchen +und Mägden empor ... ein heißer, schwüler Dunst hochblühender, +waffendienstgestählter, jugendprangender Männlichkeit, der ihnen den +Sinn verwirrte ... einen Schwall weckte von unbewußten, unbegriffenen +Sehnsuchtgefühlen ... + +Doch endlich war der Strom vorübergerauscht. + +Schräger flimmerte die Spätnachmittagssonne auf der Chaussee, die sich +wie ein fahlgelbes Band durch das Braungrün der Waldhänge zog. + +Die Damen waren verstummt. + +Nun müssen bald die Unsern kommen, dachte eine jede ... die Unsern ... + +Und dann ... dann kommt auch er, der eine ... der meine, dachten die +jungen Mädchen ... + +Frau Cäcilien aber bebte das Herz ... + +Der meine ... wer war das, der meine? -- -- + +Ach, sie wußte es selber nicht zu sagen ... nur bang ... grenzenlos +bang und ahnungstrüb zitterte nun auf einmal ihre einsame Seele, die +sich niemandem -- niemandem anvertrauen konnte in der Qual ihrer +Zerrissenheit. + + + + + Drittes Kapitel. + + +»Ja, lieber Sassenbach -- Sie können sagen, was Sie wollen, es war ein +direkter Blödsinn vom General von Ketteler -- ein direkter Blödsinn! +Statt sich einfach auf der Höhe zwischen Mackenrodt und Hettenrodt mit +seiner ganzen Division aufzubauen und unsern Angriff abzuwarten, geht +er über das Aubachtal hinüber bis Nockental uns entgegen --« + +»Aber -- Verzeihung, Herr Oberst! -- die Stellung bei Nockental war +wesentlich besser als die bei Mackenrodt -- namentlich seine Artillerie +hatte er hinter den flachen Höhen hier beim R von Rötzweiler ganz +glänzend placiert --« + +»Zugegeben!« sagte der Oberst und neigte sich tiefer über die Karte, +die mitten zwischen den zartgeschliffenen Weingläsern, den über die +ganze Tafel verstreuten, nun schon halbverwelkten Astern auf der +Damastdecke lag, dicht neben dem Teller der Hausherrin, die müde +und gelangweilt sich fruchtlos Mühe gab, an dem endlosen Streit +ihrer beiden Tischnachbarn über den Verlauf der gestrigen Übung +pflichtschuldigen Anteil zu heucheln. -- »Zugegeben! -- aber bei der +Wahl einer Verteidigungsstellung kommt's doch vor allem darauf an, daß +man sich anständig aus dem Staube machen kann! Na ... und nun sehen +Sie sich mal diese Rückzugslinie hier an ... zwischen seiner Stellung +und dem Punkt, den er zu decken hatte, der Stadt Idar nämlich, liegen +zwei -- sage zwei! -- Talsenkungen ... zweimal hat er mit seinem +ganzen Schwamm im vollen Bereich unseres Feuers dreihundert Meter über +kahle Höhenzüge hinauf und wieder herunter gemußt! -- und wie sich +die Infanterie massierte auf dem Rückmarsch -- so etwas von einem +Wurschtkessel ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! Erinnern Sie +sich ... unter dem Berg -- wie hieß er doch --?« + +»Der Galgenberg!« lachte der Major. + +»Ja, ja ... und wissen Sie auch, wer an dem Galgen baumelt --?« + +»Na -- nach ~der~ Kritik versteht sich das wohl am Rande!« + +»Allerdings,« erklärte der Oberst, »der Zylinder für Herrn von Ketteler +dürfte fällig sein --!« + +»-- und die Brigade frei werden!« lächelte geschmeidig und +beziehungsvoll der Major, der, wenn er wollte, in seiner rauhen Form +ein richtiger Höfling sein konnte. + +»Aber nun Schluß mit der Kommißsimpelei, lieber Sassenbach -- unsre +verehrte Frau Gastgeberin wird sonst bereuen, daß sie sich zu uns alten +Knaben gesetzt hat, statt zur Jugend, wohin sie von Gottes und Rechts +wegen gehört --!« + +»Oh, bitte recht sehr, Herr Oberst, es hat mich natürlich ganz +außerordentlich interessiert,« log Frau Cäcilie, »nun kann ich mir bei +alle dem, was ich gestern gehört und gesehen hab, auch etwas denken -- +dieser heitre Vorbeimarsch gestern abend, das war in Wirklichkeit die +zügellose Flucht eines geschlagenen, fast vernichteten Heeres -- wie +mir übrigens Ihre Nelly, Herr Major, ganz richtig erklärt hat!« + +»Ja, die Nelly -- die hat Ahnung!« schmunzelte der Vater. + +»Ganz gewiß, meine gnädigste Frau«, sagte der Oberst. »Und gerade +über Ihr niedliches Schlößchen hinweg tobte der Endkampf der beiden +Artillerien ... im Ernstfalle würde von diesem entzückenden Nestchen +wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein!« + +»Gott ja ... das sieht alles so lustig ... so frisch und freudig +aus, und man vergißt gar zu leicht, was für ein schauerlicher Ernst +dahintersteckt --« + +»Ja, ja -- gut wär's, wenn sich unsre jungen Dächse da unten das auch +manchmal ein bißchen mehr zu Gemüte führen wollten -- wir Alten, wir +wissen's ja freilich und werden's nie vergessen! -- was meinen Sie, +Sassenbach?!« + +Zärtlich schielten die beiden alten Kämpfer nach dem Bande des +Eisernen Kreuzes im Knopfloch ihrer Überröcke ... zu gleicher Zeit +hoben beide die Gläser und tranken auf das Gedächtnis der großen Zeit +vor neununddreißig Jahren, die sie beide als blutjunge Leutnants mit +durchlebt und mit durchfochten ... + +Cäcilie aber hatte nur mit dem Aufgebot ihrer ganzen Haltung dem +Gespräch der beiden alten Herren folgen können ... in ihr schrie die +unverbrauchte Glückssehnsucht ... schrie all das Verlangen, das Fritz +von Brandeis nicht hatte stillen können ... + +Gott, wie wunderlich ... wie verrückt ... wie unheimlich rätselschwer +das Leben ... Wie wirbelte es die Schicksale, die Herzen der Menschen +durcheinander ... + +Da unten bei lautem Gelächter und Geplauder saßen sie nun einander +gegenüber, die beiden Männer ... saßen inmitten der Kameraden, +schwatzten, tranken, tauschten hundert harmlose, lustige und +tragikomische Manövererlebnisse aus ... + +Und wenn dann einmal einer von ihnen beiden in einer unbewachten +Sekunde sich vergaß ... dann sank urplötzlich die glatte Maske ... und +der eine jetzt, der andere nun, starrte tief versonnen in sein Sektglas +... und auf eines jeden Gesicht lag dann plötzlich Spannung, Kampf und +Qual ... + +Und das alles ging um sie. + +Martin Flamberg hatte einmal in einem solchen Moment der Versunkenheit +rasch und heimlich ein Briefchen aus der Tasche des Überrocks gezogen +und es unterm Tisch mit hastigen Blicken überflogen ... + +Cäcilie wußte: ein Brief seiner Braut ... ein Brief des fernen, bang +und selig harrenden Mädchens, dem in wenigen Tagen in Wirklichkeit die +Hochzeitsglocken läuten sollten ... + +Gewiß ... das Briefchen sprach von heißer Sehnsucht ... von kaum +stillbarer Erwartung ... von einer süßen Ungeduld, welche die Tage und +Stunden zählte, die sie noch von der Erfüllung trennten ... + +Heute war Sonntag, morgen und übermorgen die beiden letzten Manövertage +... und schon Mittwoch sollte Martin Flambergs, des Heimgekehrten, +Hochzeitstag sein ... + +Über-übermorgen ... dann war er ihr verloren ... verloren für alle Zeit +-- + +Aber ... während er das Briefchen überflog, hatte da auf seinem Gesicht +auch nur ein leises, flüchtiges Leuchten des Glücks, der Hoffnung +geflammt --? nein -- quälendes Bangen ... herbe Gewissensnot ... +finsterer Zwiespalt der Gefühle ... + +Sie hatte es gesehen und hatte nicht hindern können, daß ihr Herz +aufjubelte vor schamvoller Lust ... vor sündig grausendem Triumph ... + +Ja, er sehnte sich nicht nach ... über-übermorgen ... er sehnte sich +-- -- nach einem Tage, der niemals kommen würde -- niemals -- -- oder +nur, wenn wilde, schreckliche Dinge geschehen wären ... lange Monde des +Kampfes überstanden ... Monde der Finsternis ... der Einsamkeit ... des +Elends ... + +Und ringsherum in dem kleinen Kreise der lachenden schmausenden +Menschen, der festlich weiß geputzten beiden Mädchen, der +sonnengebräunten wettergestählten Männer konnte ihr heimlich und +ruhelos beobachtender Blick überall den Widerschein innern Erlebens +verfolgen -- -- + +Finster lauernd wanderten die eiskalten Augen des Regimentsadjutanten, +hämisch funkelnd die des fatalen Oberleutnants Menshausen die Reihe der +Tafelnden entlang ... + +Mit zärtlichem Bangen hingen des Backfischleins Blicke an der +stattlichen Gestalt der Schwester, die mit ihrem Tischnachbarn, dem +rotbärtigen, bebrillten Gelehrten im verjährten Landwehrrock, so +versunken und weltvergessen über große und ferne Dinge sprach, als +säßen die beiden zwei einsam auf einer weitentlegenen seligen Insel +und nicht inmitten eines Kreises, in dem jeder jeden kontrollierte, in +dem jede Bewegung, jeder Blick überwacht wurde, ob er auch der strengen +Satzung der Kaste entspreche ... + +Ja, selbst unten, wo die ganz jungen Herren saßen, schossen aus dem +fahlen Gesichte des monokeltragenden Herrn Quincke gehässig lauernde +Blicke hinüber ... herüber ... + +Nur der blutjunge Avantageur und der kindlich harmlose Carstanjen +freuten sich ohne Hinterhalt der Gunst der Stunde ... futterten mit +Knabenappetit von all den guten, langentbehrten Sachen ... kosteten +mit glänzenden Augen die edeln Weine ... stopften, genäschig wie +Pensionsmädel, Konfekt und Obst ... + +Und mit der unerschütterlichen Gemütsruhe einer wohlgeordneten +Daseinsführung, die keine Leidenschaft, keine Herzensstürme kannte, +nichts als brave Pflichterfüllung und maßvoll harmlosen Lebensgenuß +-- selbstgenügsam und selbstzufrieden saß der Leutnant Blowitz +inmitten der Tafelrunde, auch er wachsam, beobachtend, doch innerlich +unbeteiligt ... nichts als Soldat ... nichts als eine Uniform mit einem +Etwas darin, dessen ganzer Ehrgeiz nur war, Ehre zu machen dem Rock, in +dem es steckte ... + +Ach, wie beneidenswert ein solches Temperament ... ein solch +unsträflicher, Gott und Menschen wohlgefälliger Wandel ... + +War nicht ihr Fritz auch so einer gewesen? -- war das nicht eigentlich +seine Natur ... und die bittern Zweifel ... die jähe Wirrnis, in die +das Schicksal ihn gestürzt -- waren sie nicht über seine Kraft? + +Frau Cäcilie sah gar wohl, wie tief er litt ... welch unfaßbare +Anstrengung es ihn kostete, die lächelnde Miene des vornehmen +Gastgebers, des allerwärts liebenswürdigen Wirtes zu bewahren, während +er sein Glück, sein Leben wanken -- wanken fühlte -- -- + +Wie er ihr so leid tat, ihr guter prächtiger Fritz ... sie litt mit ihm +... in seine Seele hinein ... so mußte eine sorgende Schwester mit +einem herzlich geliebten Bruder leiden ... und konnte sie ihm helfen +... konnte sie --? + +Ein Blick in Martin Flambergs Gesicht -- und sie wußte -- der da war +der Herr ihres Lebens ... was er erwählen würde, war ihre Wahl ... was +er von ihr fordern würde, das würde sie tun. + + * * * * * + +Die Hausfrau hatte die Tafel aufgehoben, und der kleine Kreis der Gäste +schwärmte nun in den Schloßgarten, um den Kaffee zu nehmen. + +In tiefem Frieden verglomm der Spätsommertag ... sein letzter Abglanz +lag auf den jenseitigen Höhen ... Dunkelheit umschleierte schon das +Dickicht des Schloßparks, der von den gartenartig angelegten Terrassen +der alten Bastionen her sich an den Abhängen des Beiertales, rechts und +links des Baches, hinzog ... + +Vorn, wo zwischen den üppig wuchernden Bosketten heimliche Lauben +winkten, deren weißlackierte Stakete fast völlig unterm dicken Gerank +des Jelängerjelieber, des Pfeifenkrauts, des wilden Weins verschwanden, +erhellten bunte Lampions mit mattem Glimmen die Dämmerung ... + +Weiter rückwärts, am Berghang lagerten schon tiefe, schwarze Schatten +über den Wegen, die sich ins Dunkel der Parkgehege verloren. + +»Kommen Sie, Herr Frobenius,« sagte Nelly, »ich muß Ihnen jetzt den +Aussichtspunkt zeigen, von dem ich Ihnen bei Tisch erzählte ... +er liegt ganz oben am Parkrand ... wir müssen das letzte bißchen +Tageslicht benutzen, sonst wird es ganz finster, und wir kommen +überhaupt nicht mehr hin ... Ihren Kaffee kriegen Sie später, wenn wir +zurückkommen!« + +Ihre Stimme hatte leise gezittert bei den hastigen Worten -- und +Wilhelm Frobenius fühlte sein Herz hoch klopfen, genau unter dem Fleck, +wo auf seinem dunkelblauen Waffenrock die Landwehrdienstauszeichnung +zweiter Klasse sich breit machte, diese geschmackvolle Dekoration, +deren Form die Offiziere des Beurlaubtenstandes mit den altgedienten +Unteroffizieren gemein hatten ... + +In einer längst nicht mehr gekannten Erregung folgte er der schlanken +Führerin in die Dunkelheit ... + +Ja -- nun kam es, das Unabwendbare ... nun würde er die Frage wagen, +die ihm längst das Herz abpreßte! -- Und natürlich würde sie ihn +auslachen ... schneidend und grimmig auslachen, wenn er überhaupt +so weit kam -- wenn nicht schon vorher irgendeine neue unerhörte +Lächerlichkeit ihm das Wort abschnitt -- -- + +Herrgott, wenn's nur nicht so finster gewesen wäre! -- Kaum wie einen +matten Nebelfleck konnte er noch das weiße Kleid seiner Führerin +erkennen ... + +»Nehmen Sie sich in acht!« klang Nellys Stimme aus der Finsternis, »die +Wege sind sehr schmal ... folgen Sie mir nur, ich weiß genau Bescheid!« + +Da -- ein dumpfer Krach! -- Feuer und Funken sprühten dem Gelehrten +durch den Schädel -- + +»Meine Brille -- um Gottes willen, gnädiges Fräulein, meine Brille!« + +»Himmel ... was ist denn passiert?!« + +»Ich muß gegen einen Baum gelaufen sein ... meine Brille, meine Brille +ist mir abgefallen ... ich wette, sie ist zerbrochen!« + +»Nein -- das ist doch aber auch zu arg -- -- so ein Unglücksmensch, wie +Sie sind ... warten Sie, ich werde suchen!« + +Tiefe Finsternis zwischen den Gehegen ... + +Nelly tastete sich zurück: »Wo stecken Sie denn eigentlich?!« + +»Hier!« klang es kläglich dicht neben ihr. + +»So geben Sie mir doch mal Ihre Hand, damit ich überhaupt weiß, wo Sie +sind!« + +Frobenius tappte mit der Rechten in die Finsternis und bekam etwas +wunderbar Weiches und Festes zu fassen ... einen elastischen, +lebenswarmen Mädchenarm ... der glitt ihm rasch durch die Finger, und +er fühlte nun die kräftige, leise bebende Hand. -- -- + +»So, nun warten Sie -- ich werde mich bücken und die Brille suchen!« +sagte Nelly zu Frobenius. + +Himmel, wie seine Stirn brannte -- sicherlich hatte es eine tüchtige +Beule gegeben über der Nase ... + +»Da, wahrhaftig! Ich hab sie -- aber, o weh: ein Glas fehlt -- und das +andere scheint zerbrochen zu sein!« + +»Geben Sie nur her -- ein zerbrochenes Glas ist besser als gar keins!« + +»So -- und nun ... nun kommen Sie weiter!« + +Sie zog ihn vorwärts an ihrer Hand ... an ihrer lieben, festen Hand ... +o Gott, wie gut das tat, so sicher geführt werden ... + +Auf einmal blinkte vor ihnen ein Lichtschein -- + +»Sieh da -- im Aussichtstempelchen oben hängt ein Lampion, das ist ja +famos!« sagte die Führerin. + +Der Achtunddreißigjährige fieberte wie ein Schulknabe. + +»So, nun schauen Sie hinaus!« + +Da lag das Schlößchen hart unter den zweien, schützend umfangen vom +tiefen Schwarz der ragenden Bergketten hüben und drüben ... wie +eine Märchenfeste schimmernd mit den hellerleuchteten Fenstern, den +flimmernden Lichtschnüren der Lampions zwischen den Gartengehegen ... +Lachen und Gläserklingen scholl herauf ... + +Und hier droben die beiden Menschen ... entrückt, entronnen den +lauernden Blicken der Gesellschaft, den hämischen Glossen, dem +liebevoll forschenden Vaterblick ... + +So, dachte Nelly, nun sprich du ... nun sprich! + +Aber Wilhelm Frobenius sprach nicht. + +Der Mund, der so beredt vom Katheder hernieder die Herrlichkeiten +der Dichtung lauschenden Hörerscharen zu erschließen wußte, der noch +vor wenigen Minuten drunten bei Tafel nicht müde geworden war des +feinsinnigen Geplauders über allerhand schöne und gute Dinge, ernste +Fragen des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst ... der Mund war +verstummt. + +Die haarige Rechte rieb mechanisch, unbeholfen die dick aufquellende +Beule an Stirn und Nasenrücken -- + +»Haben Sie sich weh getan?« + +»Ich sehe nicht das mindeste ... ich bin reinweg wie blind!« + +So jämmerlich hatte das geklungen -- Nelly mußte laut auflachen -- + +Du großer tapriger, hilfloser Junge du ... nun, wenn du nicht sehen +kannst, sollst du wenigstens fühlen! -- Jedenfalls unverlobt geh ich +nicht wieder hinunter ...! + +Und mit einer raschen, wie besitzergreifenden Bewegung schob sie ihre +Hand in des Mannes Arm, lehnte sich fest an seine Schulter. + +Da warf es den langen Gesellen auf einmal um ... Wie ein schmachtender, +stammelnder Knabe neigte er sich tief, tief hernieder, drückte seine +Lippen auf den festen Arm. »Gott ... Fräulein Nelly ... Nelly ...!« + +Da nahm das Mädchen des Mannes stoppelbärtige Wangen in beide Hände, +beugte sich nieder und küßte ihn, wohin ihre Lippen zuerst trafen ... +auf seine kahle Platte. + + * * * * * + +Molly hatte gewußt, daß er auf sie wartete. + +Sie hatte sich sofort nach Aufhebung der Tafel für einen Augenblick +bei der Hausherrin entschuldigt und war in ihr Turmkämmerchen +hinaufgeschlüpft. + +Von dort aus konnte man die Chaussee überblicken ... die erhellten +Schloßfenster zeichneten scharfumrissene Lichtplakate auf den staubigen +Straßendamm, und von drüben tauchten die regungslosen Fächeräste der +Buchen in den Glast hinein ... + +Schau -- blinkte da nicht in den Büschen des Straßensaumes, halb +versteckt, eine senkrechte Reihe flimmernder gelber Punkte aus dem +Dunkel --? Und konnte dies Phänomen von etwas anderm herrühren denn von +einer blankgeputzten Knopfreihe ...? + +Wenn das nicht Hans Friesen war --! + +Wie nur aus dem Schloß kommen, ohne gesehen zu werden? Zwar ... die +Dinergesellschaft würde nichts merken, wenn Molly durchs Schloßportal +huschte ... denn die war an der andern Seite im Garten versammelt +-- aber die Dienstboten --? Was würden sie denken, wenn das gnädige +Fräulein aus der Schloßpforte spazierte, um sich auf der Chaussee ein +Rendezvous mit einem Unteroffizier zu geben? + +Aber es mußte gewagt werden ... es mußte einfach! -- Der gute Junge +mußte getröstet werden, sonst grämte er sich gar zu sehr über die +Flegelei von diesem Leutnant Quincke ... redete sich am Ende gar +ein, sie wolle nichts mehr von ihm wissen, seit er die erbärmliche +Vergewaltigung seines Vorgesetzten in ihrer Gegenwart hatte +hinunterwürgen müssen ... jedenfalls wollte sie ihm gleich ein Zeichen +geben ... + +Sie zündete eine Kerze an, bog sich weit aus dem Turmfensterchen, indem +sie den vollen Schein des Lichtes auf ihr Gesichtchen fallen ließ, +und winkte zugleich mit ihrem Taschentuch -- das flatterte lustig im +Abendhauch, der kühl vom Berge niederschwebte. + +Schau -- da löste sich die Knopfreihe drunten aus der Dunkelheit ... +ein grauer Unteroffizierdrillichrock schob sich für einen Augenblick +aus dem Gebüsch in den Bereich der Lichtgevierte ... eine Feldmütze +wurde mit raschem Winken geschwenkt ... + +Ach ... du Goldiger! + +Nun schnell hinunter! -- Auf dem ersten Treppenabsatz machte sie einen +Augenblick halt, spähte durch ein schmales, schießschartenähnliches +Fensterchen auf die Landstraße hinaus und lauschte, ob drunten die Luft +rein sei. + +Schwatzend schäkerten die Mägde in der Küche mit den Burschen, welche +zu ihrer Unterstützung kommandiert waren. + +Himmel -- an denen mußte sie vorüber! Na ... vielleicht machten sie +einmal die Küchentür zu ... + +Auf einmal hörte sie von der Chaussee her scharfe Worte: »Halt, was da +im Busch steckt! Kommen Sie gefälligst mal sofort 'raus!« + +Leutnant Quinckes Stimme! Gott im Himmel -- der mußte spioniert haben! + +»Ich befehle Ihnen 'rauszukommen! -- Zum Donnerwetter, komm 'raus, +Kerl, sonst ruf ich die ganzen Burschen zusammen und lasse eine Razzia +nach dir veranstalten!« + +In atemlosen Entsetzen spähte Molly auf die Chaussee. + +Wahrhaftig -- da stand der Leutnant hart am jenseitigen Chausseerand +und versuchte, ins dichte Gestrüpp des Berghanges einzudringen ... er +griff mit den langen Armen ins Dickicht hinein ... + +»Aha, Bursche -- jetzt hab ich dich!« + +»Ich bitte Herrn Leutnant, mich loszulassen -- ich komme gutwillig!« + +O Gott -- mit einem raschen Schritt trat Hans Friesen aus dem Dickicht +... stand stramm im hellen Fensterlicht ... in Drillichanzug, +Feldmütze, gelben Schnürschuhen ... ohne Seitengewehr ... + +»Sieh da, der Herr Einjährige! -- Haben Sie Urlaub, die Ortsunterkunft +zu verlassen?!« + +»Nein, Herr Leutnant!« + +»So --?! Na, dann scheren Sie sich gefälligst mal augenblicklich ins +Dorf und kriechen Sie in Ihr Quartier! -- Verstanden? -- Ich werde +Sie dem Herrn Kompagnieführer melden -- das weitere findet sich! Ihre +Offizierqualifikation können Sie sich aber einsalzen ... das kann ich +Ihnen schon jetzt sagen! -- Also: kehrt marsch! na wird's bald?!!« + +Hans Friesen machte eine stramme Wendung und ging zu Tal ... seine +Schritte verhallten in der Dunkelheit. + +Mit zufriedenem Grinsen sah der Leutnant einen Augenblick ihm nach, +dann trat er ins Tor zurück. + +Wie der Blitz war Molly die Treppe hinunter ... trat dem Offizier im +Korridor entgegen: »Herr Leutnant -- Sie werden den Unteroffizier +Friesen nicht melden!« + +»Ah -- gnädiges Fräulein haben gehört ... das ist ja ein merkwürdiges +Zusammentreffen!« + +»Nein, das ist gar nicht merkwürdig ... Herr Friesen hat nämlich ~auf +mich~ da unten gewartet, daß Sie's wissen ... und darum werden Sie +ihn nicht melden ... verstehen Sie mich ...?!« + +»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein +-- aber Dienst ist Dienst ... der Einjährige hat sich einer +Urlaubsüberschreitung schuldig gemacht ... und somit ist es einfach +meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit --« + +»Dann erlauben Sie mir vielleicht die Frage, Herr Leutnant, wie Sie auf +die Chaussee gekommen sind -- auch in Ausübung Ihrer verdammten Pflicht +und Schuldigkeit?!« + +»Darüber bin ich Ihnen wohl schwerlich Rechenschaft schuldig, mein +verehrtes gnädiges Fräulein! -- Bei allem Respekt glaube ich das denn +doch aussprechen zu müssen --« + +»Nun, dann will ich's Ihnen sagen: Sie haben gelauert ... geschnüffelt +haben Sie -- wie ein ganz elender Spion --! Sie haben sich gedacht, daß +ich mich irgendwo mit dem Einjährigen treffen wollte, und haben uns +aufgepaßt! -- Na, stimmt's?!« + +»Ich -- ich bewundere Ihre Kombinationsgabe, meine Gnädigste -- --« + +»So -- nun wissen Sie also, daß ich Sie durchschaut habe, Herr +Leutnant! -- und nun will ich Ihnen mal was sagen: Wenn Sie Herrn +Friesen melden, dann mache ich Ihnen einen Krach, wie Sie noch nie +einen erlebt haben -- so wahr ich Molly Sassenbach heiße --!!« + +Wie eine Königin raschelte sie von dannen. + +Quincke aber machte das dümmste Gesicht seines Lebens -- und ~das~ +wollte was heißen. + + + + + Viertes Kapitel. + + +Fritz von Brandeis stand an der Treppe, die von der Veranda in den +Garten hinunterführte. Hinter ihm harrten die fünf Burschen, sein +eigener und die vier seiner Gäste, kriegsgemäß in Drillichzeug und +Schnürschuhen, nur durch die Serviette über ihrem linken Arm als +herrschaftliche Leibdiener gekennzeichnet, der Befehle des Hausherrn +gewärtig. + +Scharfen Blicks überflog der Hauptmann das lustige Bild des Gartens, +der festlich schimmerte im mattbunten Glanz der Lampions, im gelben +Flimmer der Kerzen auf den Bowlentischen. + +Na, alles gut versorgt? -- Jawohl, alles klappte! + +Ein alter dicker, runder Mauerturm sprang an der nördlichen Ecke des +Gartens weit ins Gebüsch hinein, das aus dem ehemaligen Burggraben +aufgewuchert. Wilder Wein überrankte hier das weiße Staketengezäun +einer Laube: darinnen saßen die wichtigsten der Gäste bei der +Pfirsichbowle, der Oberst und der Major. + +Schau, schau -- auch nach Tisch hatten die alten Herren sich +anscheinend nicht von ihrer Tischnachbarin trennen können! + +Und sie, seine Cäcilie -- sie schien ja auch vollkommen zufrieden in +der Gesellschaft der Herren Stabsoffiziere -- hatte heut abend noch +kaum ein Wort mit dem Maler gesprochen. + +Na also -- hätten wir uns ja wohl unnötige Unruhe gemacht! + +Schoenawa, des Obersten Adjutant, und Menshausen, sein +Manöver-Ordonnanzoffizier, hockten pflichtschuldigst bei ihrem +Kommandeur -- aber wo steckte denn Leutnant Blowitz? -- ah -- er war +des trockenen Tons wohl satt, des beständigen »Schusterns« bei den +hohen Stäben, hatte sich zur Jugend geflüchtet -- + +Aus der Nachbarlaube, in der auf rundem Tisch gleichfalls eine mächtige +Pfirsichbowle aufgebaut war, klang schmetterndes Gelächter. Dort saß +der Adjutant des ersten Bataillons mit den Offizieren der ersten +Kompagnie, mit Flamberg und Carstanjen. Selbstverständlich war hier +auch der Fahnenjunker von Erichsen zu finden, der immer wieder die +Gläser füllen mußte. Nur die jungen Damen fehlten in der Runde der +Jugend ... wo mochten die bloß stecken ...? und es fehlte auch die +Landwehr ... + +Aha -- ach so --!! + +Ja, Nellychen, über'n Geschmack ist nicht zu streiten ... aber Sie sind +Manns genug, um selber zu wissen, was Ihrem Besten dient ... + +Und das Schwesterchen? -- Auch verschwunden? -- Sieh da! + +Und der Leutnant Quincke fehlte ebenfalls -- hm, hm -- -- ~den~ +Geschmack hätte man der Kleinen nun gerade nicht zugetraut -- + +Aber in Gottes Namen! + +Heute mochten die zwei losgelassenen Füllen herumspringen, mit wem sie +wollten ... Daß nichts Ernstes aus ihren Flirts wurde, dafür würde im +geeigneten Augenblick die Frau Mama daheim schon sorgen, wie bisher +noch immer ... auf Schloß Hettstein sollten sie jedenfalls machen +dürfen, was sie mochten. + +Also alles in schönster Ordnung! + +Vergnügt schmunzelnd wandte sich der Hausherr zu der regungslos +harrenden Phalanx der Burschen zurück: + +»Na, Jungens, nun könnt ihr euch gegenseitig ablösen! Zwei von euch +haben immer hier auf der Veranda zu warten, die andern drei in die +Küche zum Bierempfang! -- zunächst bleiben Kempges und Schnettelker +hier! -- Die andern drei -- abschwirren!« + +Er fühlte sich in Laune kommen. + +Zu dumm, sich überhaupt Gedanken gemacht zu haben Cäciliens wegen! Pah +-- ~seine~ Cäcilie --! + +Seine Lippen pfiffen leise das Avanciersignal, während er die Treppe +hinuntersprang und quer durch den Garten auf die Jugendlaube zuschritt: +»Tut mir leid, meine Herren, Ihre Hebe muß ich Ihnen für ein halbes +Stündchen ausspannen! -- Sie, kleiner Erichsen, und Sie, etwas größerer +Carstanjen, kommen Sie mal einen Moment her!« + +Die Angeredeten schossen in die Höhe. + +»Also kommt 'mal raus, Kinder,« sagte der Kompagniechef, »ihr müßt mir +eine Überraschung deichseln helfen. Die Burschen würden mir die Sache +jedenfalls verderben: Ich habe also drüben auf der Wiese jenseits der +Chaussee ein kleines Feuerwerk aufbauen lassen, das müssen Sie beide +mir abbrennen. Kommen Sie mit, ich werde Sie instruieren!« + +Blowitz und Flamberg blieben allein bei der riesigen Bowle zurück. Der +Maler trank hastig und sprach wenig. Der Adjutant war auch kein Mann +von vielen Worten. Es wurde still am Jugendtisch. + +Und immer wieder zog es Martins Blicke dorthin, wo im matten Lichte +der Lampions ein weißes Frauenantlitz zwischen den gebräunten, +verwitterten, weinerregten Gesichtern der Stabsoffiziere, den +frostigen, lauernden der beiden Oberleutnants stand. + +Auf einmal erhob sich dorten die ganze Gruppe und kam die niedrige +Stiege hinunter in den Garten, schritt der hellerleuchteten Veranda zu, +die dem Speisesaal vorgelagert war. + +Major von Sassenbach warf einen Blick zur Jugendlaube hinüber: »Ah, da +sitzt ja auch unser Malermeister -- unser Pinselheld! -- Sie, Flamberg, +die gnädige Frau will uns das Bild zeigen, das Sie von ihr gemalt haben +-- kommen Sie doch mal mit! Oder haben Sie's schon auf seinem neuen +Platz gesehen?« + +Flamberg sprang auf: »Nein, Herr Major!« + +»Also los -- gehen Sie mit uns!« + +»Wenn die gnädige Frau gestattet --?« + +»Ich bitte darum, Herr Flamberg!« + +Blowitz schloß sich ungeladen an. + +Zwischen dem Oberst und dem Major schritt Frau Cäcilie voran -- +schweigsam, mit verschlossenen Gesichtern folgten die beiden +Oberleutnants -- die beiden Leutnants machten den Beschluß. + +Frau von Brandeis führte die Herren durch den Speisesaal, in welchem +die Mägde mit den drei beurlaubten Burschen die Tafel abräumten, und +in die behagliche, ganz als Wohnraum eingerichtete Diele hinüber. Dort +lief die bequeme, breite Treppe zum Obergeschoß hinan, das einen +gleich großen Dielenraum enthielt. Hirschgeweihe, tief nachgedunkelte +Ölgemälde schmückten da die Wände. + +Im Emporsteigen drehte die Hausfrau die elektrische Beleuchtung auf, +und man gewahrte, daß von der obern Diele aus mehrere Türen nach den +innern Gemächern führten. Durch eine dieser Türen betraten die Gäste +das Herrenzimmer, das nun ebenfalls auf einen Druck von Frau Cäciliens +Fingern in Lichtfülle erglänzte. + +Und sieh! -- Da hing über einem wuchtigen Diplomatenschreibtisch die +Schöpfung Martin Flambergs. + +»Ah!« riefen der Major und sein Adjutant. + +Die Herren des Regimentsstabes hatten das Bild bereits gestern zu sehen +bekommen, sie waren nicht mehr zur Bewunderung verpflichtet. + +Frau Cäcilie tat ein paar rasche Schritte zur Seite. Da stand die Tür +zu einem Nachbarzimmer halb offen. Die gelben Messingstangen zweier +englischen Bettstellen, das lichte Weiß eines Spitzenhimmels leuchtete +aus der Dunkelheit. Ruhig schloß die Hausfrau die Tür. + +Stumm hingen aller Blicke an dem Gemälde. + +»Aha,« sagte Sassenbach, »das ist also das berühmte Bild!« + +»Das berühmte -- wieso?« fragte Frau Cäcilie. + +»Nun -- Sie können sich wohl denken, verehrte gnädige Frau, daß das +ganze Regiment von dem Bilde spricht -- ich meine -- ich will sagen +-- wenn eine Dame des Regiments von einem so vielgefeierten Maler wie +unserm Herrn Leutnant der Reserve gemalt wird -- das ist doch natürlich +ein Ereignis!« + +Alles schwieg und starrte regungslos zu dem Frauenbildnis hinan. + +Das schaute leuchtend herab auf die Herren im Waffenkleid -- +leuchtend in einer Hoheit, um die es seltsam wob wie ein Hauch von +Unvergänglichkeit -- von zeitloser Verklärung. + +»Fabelhaft,« sagte der Oberst, »ich gratuliere Ihnen, lieber Flamberg! +Ich verstehe nicht allzu viel von Kunst -- aber das da, das imponiert +mir -- ohne Scherz, das imponiert mir --« + +»Ja,« sagte Menshausen halblaut, »man möchte sagen: mit Liebe gemalt!« + +Der Major warf dem Oberleutnant einen wütenden Blick zu, und jeder +fühlte: taktlos -- unverschämt. + +»Nun, Herr Flamberg,« fragte die Hausfrau, ohne den Maler anzusehen, +»sind Sie einverstanden? -- mit dem Platze, meine ich!« + +»Dazu müßte ich das Bild erst mal bei Tageslicht sehn! -- So, bei +dieser künstlichen Beleuchtung, allerdings einwandfrei!« + +»Sie würden auch am Tage mit dem Platze zufrieden sein -- schade, daß +Sie es so bald nicht in natürlicher Beleuchtung zu sehen bekommen +werden!« + +»Schwerlich!« sagte Flamberg. + +»Na, lieber Sassenbach, Sie sagen ja gar nichts,« bemerkte der Oberst. + +»Tja, wie der Herr Oberst bereits gesagt haben: ich verstehe ebenfalls +nichts von der Kunst!« + +»Dann sagen Sie uns doch wenigstens, wie es Ihnen gefällt!« + +»Gefallen? -- Tja, Flamberg, Sie dürfen mir's aber nicht übel +nehmen --« + +»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major!« + +»Ich ... ich finde es eigentlich nicht so recht ähnlich!« sagte der +Major. »Ich finde ... es ist was drin ... etwas, was ich wenigstens +nicht kenne an unserer hochverehrten Frau Wirtin --!« + +»Und das wäre?« fragte Frau Cäcilie. + +»Ja, wie soll ich das ausdrücken -- so was Fremdartiges ... so was +Unheimliches, möchte ich sagen!« + +Cäcilie warf dem Maler einen verstohlenen Blick zu. »Ja, sehn Sie, Herr +Major,« sagte sie, »vielleicht hat Herr Flamberg etwas hinzugetan, +etwas von seinem Eigenen, etwas, das wirklich mehr ist als ich, als +mein Leben -- aber das tun große, starke Künstler wohl immer, meine +ich!« + +»Das ist mir zu hoch,« sagte Sassenbach. »Ich kann mir nicht helfen -- +ich finde es nicht ähnlich! Es ist was dran, was mir bisher an Ihnen +wenigstens niemals aufgefallen ist!« + +»Was Ihnen vielleicht nicht aufgefallen ist, Herr von Sassenbach,« +sagte langsam mit sinnendem Lächeln Frau Cäcilie, »darum ist aber noch +nicht gesagt, daß es etwas Falsches ist ... vielleicht ist's auch doch +nicht was Hinzugetanes ... vielleicht ist's doch etwas, was nur Sie +nicht bemerkt haben, weil Sie mich nicht kennen ...« + +»So, und Herr Flamberg, der ... der kennt Sie also besser, meine +verehrte gnädige Frau?!« + +Wiederum eine eisige Stille. Regungslos stand der ganze Kreis. +Jeder fühlte: der gute Major hatte da in aller Harmlosigkeit etwas +ausgesprochen, etwas, das -- -- + +Der Oberst fühlte sich verpflichtet, einzurenken. + +»Na, das ist doch selbstverständlich, lieber Sassenbach, daß ein Maler +an ... an den Menschen, die er malt ... daß er da allerlei entdeckt ... +was ... was wir gewöhnlichen Sterblichen nicht zu sehen bekommen ...« + +Abermals befangenes Schweigen. Der Oberst bekam einen roten Kopf. + +Cäciliens Lippen bebten. Sie litt bis ins Herz. + +Gott, all diese plumpen Hände ... die höchste und zarteste Dinge +berührten wie tappige Knabenpfoten holden Schmetterlingsschmelz ... + +Wenn nur er selber nicht dabei gewesen wäre ... sie war ihn ja gewohnt, +diesen ungeschlachten Ton ... Diese geraden, einfachen Männer ... was +sie zu verschleiern suchten, trat ungewollt zutage. + +Medisance, Bosheit, verständnislose Verketzerung hatten bereits +ein dichtes, trübes Gespinst gewirkt um dies Werk ... um seine +Entstehungsgeschichte ... sein Modell ... seinen Schöpfer ... + +Da scholl in das peinliche Schweigen hinein von draußen ein lustiges +Krachen, Knattern, Prasseln. + +Frau Cäcilie atmete auf. + +Wie der Blitz waren die Adjutanten am Fenster. + +Eine Garbe roter Leuchtkugeln schwebte soeben ruhigen Falles aus der +Höhe nieder und goß einen Märchenglast über das schmale, schweigende +Tal, die heitern Linien des friedumschirmten Schlößchens ... + +»Hurra, Feuerwerk!« rief Blowitz. + +»Feuerwerk -- bravo, bravo, bravissimo!« applaudierte der Oberst +geräuschvoll. »Nein, meine gnädige Frau, so etwas von einer Bewirtung +ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! -- Zauberfest mit allen +Schikanen!« + +»Wollen wir nicht in den Garten?« meinte der Major, »für den ist doch +jedenfalls der ganze Apparat berechnet -- hier geht uns ja die Hälfte +von der Herrlichkeit verloren!« + +»Selbstverständlich, meine Herren,« sagte die Hausfrau, »nur schnell +hinunter -- sonst ist alles vorbei, ehe wir am Platze sind!« + +Niemand nahm auch nur mit einem Blick Abschied von dem Bilde, das da +droben hing wie ein Gast aus heiligen Fernen ... + +Mit kindlicher Eile stürmten die Herren hinunter, um nur ja nicht eine +Rakete, nicht ein Feuerrad zu verlieren -- oder war's die Hast, von dem +Werk hinwegzukommen, das sie alle unheimlich, übergewaltig hatte ahnen +lassen, daß ein Fremdling aus einer unbekannten, hoheitleuchtenden Welt +in ihrer Mitte weilte, aus einer Welt, deren Lebensgesetze wirkten +jenseits ihres Begreifens --? Und auch Frau Cäcilie war gegangen, +hastig, ohne Abschied ... + +Langsam, als letzter, schritt der Maler die Treppenstufen hinunter ... + +Nun machte er plötzlich kehrt ... stieg langsam wieder empor ... + +Er wollte einsamen Abschied nehmen ... Abschied von seinem Werk ... +Abschied von der Sphäre, der es nun angehören sollte wie sein Urbild +... Abschied von der unerhofften süßschaurigen Schickung dieser acht +Wochen ... + +Er trat in das Herrenzimmer zurück, warf einen langen Blick in dem Raum +umher. + +Der Schwiegervater des Hauptmanns hatte das Schlößchen mit der ganzen +Einrichtung gekauft. Das Zimmer trug noch nicht den Wesensstempel +seines jetzigen Besitzers. + +Inmitten des behaglichen, doch konventionellen Prunks war Cäciliens +Bild das einzige besondere Stück, verlieh dem ganzen Raum sein Gepräge, +beherrschte ihn. + +Links von der Tür war eine Erkernische, dort ließ sich Martin in einen +unergründlichen Ledersessel fallen. Sein ringsum forschendes Auge blieb +an der Tür haften, die vorhin beim Eintreten offen gestanden ... die +Frau Cäcilie ruhig geschlossen hatte ... + +Ja, ja -- da war das Allerheiligste der Gottheit, in deren Vorhof er +hatte weilen dürfen -- + +Künstlerlos -- + +Weg, weg, ihr Träume ... nieder, nieder, ihr heißen Dränge ... du +wildanklagender Schrei unstillbaren Begehrens -- nieder, nieder ... + +Es galt ja, Abschied zu nehmen ... Abschied für ewig ... Abschied auf +Nimmerwiedersehn ... + +Und Martin hob den Blick. + +Ja -- das da oben ... das würde fernen Geschlechtern erzählen von einer +Schönheit, die wie ein unbegreifliches, undeutbares Märchen durch eine +nüchterne, seelenlose Welt geschritten war ... + +Das würde bleiben von der Schickung dieser acht Wochen ... bleiben +von den hundert bangen Stunden, der Wirrnis schlummerloser Nächte, +dem lautlos grimmigen Ringen zweier Menschen um Fassung und +Entsagungsstärke ... + +Das war »der Zweck der Übung« -- hahaha! + + * * * * * + +-- -- Einer aber hatte aufgepaßt. + +Aha, der Herr Malermeister bleibt also zurück, da im Zimmer des +Hausherrn! + +Na ja, nun würde wohl alsbald auch die schöne Frau plötzlich +verschwinden, wie sich die beiden andern Damen bereits verflüchtigt +hatten -- niedlich -- sehr niedlich! + +So, schöne Frau, heute werden wir quitt, wir zwei! Ich paß dir auf ... +du kommst mir nicht unbemerkt vom Fleck ... das Rendezvous da oben, das +werd' ich dir versalzen ...! + +Mit der Hast einer Schar großer Kinder, unter Lachen und Witzen waren +die Herren die Treppe hinuntergestürzt, die Stabsoffiziere voran, +hatten mit Halloh wie ein Schwarm losgelassener wilder Buben den +Speisesaal, die Veranda, den Garten durchtollt und standen nun an der +Brüstungsmauer der Gartenbastion ... + +Ah! ah! aaah! -- + +Auf dem dunkeln Wiesengrunde, jenseits der Chaussee, irrten ein paar +suchende, zitternde Irrlichtflämmchen hin und her in der schwarzen +Finsternis. Von Zeit zu Zeit machten sie Halt, tasteten noch ein +Weilchen auf dem Fleck umher und -- surr! schoß plötzlich eine schlanke +Feuergarbe in die Höhe, zog einen langen, gelbrötlichen Funkenschweif +hinter sich her, zerplatzte hoch droben zwischen dem Sternengewimmel +des schmalen Himmelstreifs, der die schwarzen Mauern des Waldtals +überwölbte, und ein Regen farbig strahlender Lichtballen sank herab ... +die heitern Konturen des Schlößchens, die ruhig träumenden Buchenhänge, +die rankenübersponnenen Laubenstakete, die erhitzten Wangen und +blitzenden Augen der Gäste tauchten jählings in magisch buntem Glanz +aus der Finsternis ... + +Jede Rakete, die aufzischte, wurde mit stürmischem Jubel begrüßt, die +schnurrenden Feuerräder, die zischenden und funkensprühenden Kaskaden +mit tosendem Applaus ... + +Und inmitten der überschäumend lustigen, von Ruhetagsbehagen mehr noch, +denn von Sekt und Bowle erregten Kriegsleute stand Cäcilie ... fremd +... verwaist ... in einem grenzenlosen Gefühl hilfloser Einsamkeit ... + +Sie suchte den Blick des einen, dem sie sich wesenseins fühlte ... und +fand ihn nicht ... + +Martin Flamberg war nicht unter der Schar der großen Kinder, die das +sinnlose Zickzackspiel der Funkenlinien und Feuergarben da droben +begeistert bejauchzten ... + +Wo war er ...? + +Unablässig beschäftigte dieser Gedanke die schöne Frau ... nicht ein +einziges vertrauliches Wort hatte sie heut abend mit ihm sprechen +können, nicht ein einziges! -- Sie hatte sich vor ihres Mannes bang und +schmerzlich beobachtenden Blicken gefürchtet ... + +Und auch Flamberg hatte ja nicht den leisesten Versuch gemacht, sich +ihr zu nähern über die Schranken pflichtmäßiger Liebenswürdigkeit des +geladenen Gastes hinaus ... + +Das Feuerwerk bedeutete den Schluß des Abends -- das war ja klar. + +Noch eine halbe Stunde würden die Gäste beim Bier verweilen ... dann +war's zu Ende ... dann würden die Herren aus dem Dorf sich in ihre +Quartiere zurückbegeben; denn morgen stand ein heißer Tag in Aussicht: +das ganze Armeekorps gegen den markierten Feind, morgen abend Biwak des +ganzen Korps ... + +Morgen abend im Biwak würden die Herren sehr ermüdet und +schonungsbedürftig sein ... Fritz hatte sich den Besuch der Damen +ausdrücklich verbeten ... + +Und übermorgen Manöverschluß, Entlassung der Reserveoffiziere auf dem +Übungsfeld, Rückfahrt in die Heimat auf dem kürzesten Wege ... + +Also -- es war wirklich zu Ende in einer halben Stunde ... +unwiderruflich zu Ende ... + +Ihr grauste -- -- -- + +Und ihre Freundinnen ... wo steckten die? -- Seit einer halben Stunde +verschwunden! -- natürlich beim Flirt --! + +Glückliche Kinder, die noch wählen durften ... die noch eine Zukunft +hatten ... noch hoffen konnten auf ein Leben zu zweien, in dem man +zusammenwachsen würde zu immer tieferem Durchdringen ... immer +innigerem Verstehen ... + +Cäcilie fror -- + +Sie schauerte plötzlich zusammen, so heftig, daß der Oberst der neben +ihr stand, sich überrascht zu ihr neigte. + +»Gnädige Frau, Sie sollten sich in acht nehmen -- es ist nicht mehr +Sommer! Sie sind zu leicht gekleidet! Es kommt verdammt kühl von den +Bergen herunter!« + +Die Leutnants drängten sich heran, bereit, der Hausfrau eine wärmende +Umhüllung zu holen. + +»Danke Ihnen tausendmal, meine Herren, Sie würden doch nicht finden, +was ich brauche! -- Übrigens muß ich mich ohnehin mal um die Damen +bekümmern -- ich weiß gar nicht, wo die eigentlich stecken! Verzeihen +Sie einen Moment, meine Herren!« + +Gott sei Dank, daß sich ein Anlaß fand, einen Augenblick zu +verschwinden! -- Nur ein paar Minuten allein sein ... nur rasch einmal +die schmerzende Stirn, die brennenden Lider mit einem feuchten Tuch +kühlen ... nur ein paar Minuten still im Dunkeln sitzen und die Augen +schließen ... allein sein ... ganz allein ... + +Cäcilie schritt durch den Speisesaal, wo die drei dienstfreien Burschen +leise mit den beiden Mädchen schwatzten, befahl, daß Bier herumgereicht +werden solle, und stieg langsam, schleppenden Schritts, zum Oberstock +empor. + +Es trieb sie, sich langhin aufs Bett zu werfen und den Kopf tief, tief +in die Kissen hineinzuwühlen. + +Mit müdem Griff öffnete sie die Klinke zu ihres Mannes Zimmer und +fuhr nervös zusammen, als statt der erwarteten Dunkelheit der volle +Glanz des elektrischen Lüsters ihr entgegenströmte, der sie für einen +Augenblick blendete. + +Natürlich hab' ich vergessen, das Licht auszudrehen vorhin, dachte sie +und griff mechanisch nach dem Schalter rechts von der Tür -- + +Auf einmal fuhr zur Linken aus der Tiefe des Klubsessels in der Nische +die Gestalt eines Mannes empor ... + +Martin und Cäcilie standen einander gegenüber ... + +Starr standen sie beide ... beider Augen schlossen sich einen +Augenblick lang ... + +»Noch hier -- Herr Flamberg?« sagte Cäcilie matt und heiser. + +»Wie Sie sehn, gnädige Frau ...!« + +»Sie ... legen keinen Wert auf das Feuerwerk --?« + +Nur ein zuckendes Lächeln, eine entschuldigende Handbewegung brachte +Martin zustande. + +»Und Sie, gnädige Frau --?« + +»Ich ... ich wollte mich einen Augenblick ausruhn --!« + +»Ich gehe!« + +»Nein ... nicht ... ich hab' Sie heut ja noch gar nicht recht begrüßt +... Sie sind mir ja ... förmlich ausgewichen ...« + +»Sie mir nicht, gnädige Frau --?« + +Cäcilie senkte die Augen und schwieg. + +Durch die halbe Zimmerbreite getrennt, standen die beiden Menschen +regungslos ... + +Das Knattern des Feuerwerks draußen schwieg ... magisch leuchtete das +ruhige Licht bengalischer Flammen auf in den Gartenbosketts und zeigte +das Ende des bunten Schauspiels an. + +In unverwelklicher Glorie thronte droben Martin Flambergs Bild ... +unergründlich tief und ruhevoll schauten die Augen des gemalten Weibes +da droben hernieder auf die zitternde Hand, die schweratmende Brust +seines lebenden Urbilds drunten, auf die zusammengepreßten Lippen, die +straff angespannte Gestalt seines Schöpfers ... + +»Leben Sie wohl, Martin Flamberg --« flüsterte Cäcilie. + +Tief gesenkten Hauptes wandte sie sich zur Tür des Ehegemachs. + +»Cäcilie --!« schrie Martin auf. + +Da zuckte sie jäh zusammen ... stand mit hängenden Armen abgewandt +einen Augenblick ... + +Dann kam der Sturm, warf ihre Leiber zusammen, stieß ihre Lippen +zusammen ... + +Und wie sie sich küßten, da hatte jedes von ihnen die Vision eines +bleichen, todesstarren Menschenangesichts. + +Cäcilie sah Fritz, wie sie ihn gesehen hatte im Traum der vorletzten +Nacht, im Manöveranzug, die Linke auf die Brust gepreßt, ein zähes Naß +rieselnd zwischen den braunbehandschuhten Fingern hindurch ... + +Und Martin war's, als hielte er Agathe im Arm wie beim letzten +Wiedersehn daheim, als sie sich leise stöhnend an seine Brust geworfen +hatte ... jetzt aber erstarrte, erkaltete sie an seinem Herzen ... +schwand hin ... sank in sich zusammen ... eine jählings welkende +bleiche Rose ... + +Mit einem wilden Schluchzen befreite sich Cäcilie aus Martins Arm. + +»Leb wohl, Martin ... leb wohl --« + +Sie hastete zur Tür, ihre Röcke raschelten ... aus dem Dunkel des +Nebenzimmers blinkten die gelben Messingstangen und der weiße +Spitzenhimmel ... + +Die Tür fiel ins Schloß. + +Und Martin strich mit dem Handrücken über die Stirn ... kalte Tropfen +standen darauf ... + +Dann wandte er sich bewußtlos der Korridortür zu ... seine Schritte +wurden Flucht ... er riß die Tür auf und prallte im Rahmen mit Fritz +von Brandeis zusammen. + + * * * * * + +Aha -- grinste Oberleutnant Menshausen in sich hinein, als die +Gastgeberin sich plötzlich aus der Schar der Zuschauer des Feuerwerks +zurückzog -- aha, also wirklich! + +Er gönnte ihr einen kleinen Vorsprung, zog sich dann gleichfalls +langsam aus der Gruppe heraus, die am Rande der Gartenbastion stand, +und schob sich am Saum der Bosketts entlang hinter Frau Cäcilie her ... + +Er stockte, als in diesem Augenblick von der Treppe her, die aus dem +Schloßgarten zu den dunkeln Gehegen des Parks hinanführte, ein Paar +herniederstieg ... + +Schau, schau ... der Landwehrfritze -- und das ältere Majorsmädel -- +und -- -- zog sich nicht in diesem Augenblick langsam ihr Arm aus dem +seinen ...? Sah sie nicht empor zu ihm mit einem Blick, ordentlich +butterweich? + +Und sieh -- aus der Tür, die zum Seitenflügel führte, schlich sich da +zu gleicher Zeit das jüngere Fräulein heraus und gesellte sich ganz +harmlos zu den Zuschauern des Feuerwerks -- woher kam denn die --?! Na, +selbstverständlich auch von einem Rendezvous! -- + +War denn das ganze Schloß des Teufels --?! + +Keine Zeit, weiter zu beobachten ... er durfte die Fährte nicht +verlieren ... er trat in die Veranda, ging zu dem Tisch, auf dem +Zigarren und Zigaretten aufgestapelt waren, zündete auch wirklich ein +Papyros an ... beobachtete, wie Frau Cäcilie drinnen Befehle erteilte +... + +Im Augenblick, als sie auf die Diele hinaustrat, schlenderte er +harmlos, nachlässigen Ganges durch den Speisesaal, gab seinem Burschen, +der eben mit einem Brett voll Biergläser aus der Küche kam, einen +Auftrag wegen des Sattelns für andern Morgen ... und folgte der +Hausfrau ... + +Er hörte ihre müden, unsichern Schritte sich die Treppe hinaufschleppen +... horchte, wie sie eine Tür öffnete und schloß ... und wollte eben +hinterhersteigen, als plötzlich mit hastigen Schritten der Leutnant +Quincke aus dem Küchenflur schoß. Er erblickte den Kameraden und +stürzte auf ihn zu: + +»Menshausen, Sie müssen mir einen Rat geben --!« + +»Gern -- nachher! Erst müssen Sie mich einen Augenblick entschuldigen +... ich muß schleunigst auf mein Zimmer ... der Oberst, wissen Sie ... +ich soll ... ich soll die Brigadebefehle für morgen früh holen ... bin +im Moment wieder da!« + +»Aber so hören Sie doch nur eine Sekunde -- ich hab' eben einen +schauderhaften Auftritt mit der kleinen Molly Sassenbach gehabt! -- +Bitte, sagen Sie mir doch bloß, wie ich mich verhalten soll ... Sie +haben mich doch in diese Schweinerei hineingebracht, haben mir doch den +Auftrag gegeben, die Damen ein wenig zu beobachten ...!« + +Teufel -- dachte Menshausen ... sollte der dämliche Geselle eine +Taperei gemacht haben und nun die Verantwortung auf mich selber +abwälzen wollen --?! + +»Na -- so erzählen Sie schon schnell!« + +Quincke berichtete. + +Menshausen platzte hell heraus: »Sie sind eine Kraft, Quincke -- +allerhand Hochachtung! Sie verdienen, Obereunuch beim Padischah zu +werden! -- Ich hatte Sie gebeten, ein wenig zu beobachten -- und Sie +platzen dazwischen, ehe überhaupt was passiert ist! Na, weiter kein +Unglück --!« + +»Aber die Kleine hat mich tödlich beleidigt! Ich werde mich bei ihrem +Vater beschweren!« + +»Sie sind komplett wahnsinnig, Herr! -- Danken Sie Ihrem Schöpfer, wenn +die Kleine nicht anfängt! -- Sich beschweren -- hahaha! Das Gesicht von +Sassenbach!! Ne, mein Lieber, die kleine Gardinenpredigt, die stecken +Sie man ruhig ein! Die haben Sie rechts und links 'rum verdient! -- +Und nun lassen Sie mich nach oben! -- -- Donnerwetter, da ist der +Hauptmann!« + +Munter summend kam Herr von Brandeis aus dem Küchenkorridor: »Na meine +Herren, wie hat Ihnen das Feuerwerk gefallen? -- pompöse Sache, was?« + +»Glänzend, Herr Hauptmann -- ganz pyramidal!« + +»So -- und Sie stehn hier auf der Diele 'rum und machen offizielle +Gesichter? -- Marsch in den Garten -- jetzt gibt's Münchener! -- +Übrigens -- weiß einer von Ihnen, wo meine Frau steckt?« + +So, schöne Frau --! Jetzt kommt die Rache des Negers! + +»Die gnädige Frau ist soeben die Treppe hinaufgegangen -- ich glaube, +sie äußerte, sie wolle sich etwas wärmer anziehn!« + +»Oho -- wärmer anziehn? -- werde mal nach ihr schauen!« + +Der Hauptmann schritt die Treppe hinauf. Mit angehaltenem Atem lauschte +Menshausen. + +Jetzt also platzte droben die Bombe ...! + +»Was horchen Sie denn so gespannt?« flüsterte Quincke. + +»Halten Sie den Mund!« + +In dem Augenblick, als der Hauptmann die Tür öffnete, war's, als würde +diese von drinnen aufgerissen ... + +Ein Ton klang ... ein dumpfer Naturlaut, wie ein Knurren der +Überraschung und des Schreckens ... + +Dann hörten die Lauscher, wie der Hauptmann eintrat. Die Tür fiel ins +Schloß. Nichts weiter vernehmbar. + +Menshausen fühlte, wie seine Hände flogen vor Erregung ... in dieser +Sekunde überfiel ihn auf einmal eine jähe Scham ... ein angstvolles +Grausen ... + +Herrgott -- was geschah jetzt da droben --? Morgen früh würde Blut +fließen! + +Und er -- er hatte die Sache zum Klappen gebracht. + +Pah -- was ging's ihn schließlich an? Einmal wäre der Krach ja doch +gekommen! + +Aber ekelhaft war's doch, zu wissen, daß man selber -- -- + +Äh ... nichts mehr zu machen! + +Vielleicht war ja überhaupt gar nichts passiert? Und die drei saßen da +oben ganz friedlich und vergnügt zusammen --! + +Horch -- da ging die Tür wieder auf ... Schritte kamen die Treppe +herunter ... hastige Schritte -- Flamberg -- -- + +Gesenkten Hauptes, unsichern Ganges tappte der Maler die Stiege hinab, +ohne die beiden Herren zu bemerken, die sich unwillkürlich jeder +in einen Stuhl fallen lassen und Stellungen harmloser Zwiesprache +angenommen hatten. + +Er schritt geradeswegs in den Garderobenraum, der vorn neben der +Eingangspforte lag ... kam gleich darauf wieder heraus ... den Helm +schief auf den Kopf gestülpt ... im Begriff, den Säbel umzugürten ... +Kaum konnten die fliegenden Finger die Zunge des Koppelriemens in die +Schnalle bringen ... + +Aufschauend bemerkte er die beiden Herren. + +Er zwang sein tief erblaßtes, finster verzerrtes Gesicht zu einem +verbindlichen Lächeln: »Nun, Quincke, gehn Sie noch nicht mit ins Dorf +hinunter? -- Wir müssen uns morgen um drei wecken lassen, außerdem +fünfundvierzig Kilometer in Aussicht!« + +»Haben Sie sich denn schon von den Stäben verabschiedet?« + +»Ne ... ich bin müde, drücke mich französisch! ... Na, woll'n Sie mit +...? Der Weg ist verdammt dunkel!« + +»Ich habe Blowitz versprechen müssen, auf ihn zu warten --!« + +»So --? Na, dann muß ich also in Gottes Namen allein --! Guten Abend, +meine Herren! -- Wohl bekomm's!« + +Säbelrasselnd, beherrschten Ganges schritt er von dannen. + +»Donnerwetter! -- sah der aus!« sagte Quincke, »was ist dem denn +passiert?!« + +»Was soll ihm passiert sein?« grinste Menshausen. »Kommen Sie -- +ich hab' einen scheußlichen Brand in der Kehle von dem verdammten +süßen Zeug, der Pfirsichbowle! Ein Schoppen Münchener wäre nicht zu +verachten!« + +Als die Herren durch den Speisesaal schlenderten, kam mit raschen, +festen Schritten der Hausherr hinter ihnen her: »Na, jungen Leute, wie +schaut's draußen aus? -- Hat alles zu trinken?!« + +Ein rauher, rostiger, geborstener Klang in seiner Stimme ... + +Menshausen wagte nicht, ihn anzuschauen ... + +Eine fressende Scham, ein Ekel vor sich selber würgte ihm in der +Kehle ... Zweifellos -- morgen ... morgen ... morgen floß Blut ... +irgendwo ... im Wald ... ein paar hundert Schritt vom Biwak des ganzen +rheinischen Armeekorps. Blut ... Menschenblut ... Kameradenblut ... + +Und er ... pfui Deubel ... pfui Deubel ... Er hätte ausspucken mögen +vor sich selber. + +In zechenden, plaudernden Gruppen standen die Gäste draußen im Garten +beisammen ... + +Als der Hausherr auftauchte, empfing ihn ein rasender Beifallssturm. + +Der Oberst rief: »Meine Herrschaften -- unser ritterlicher, glänzender +Gastgeber -- hurra, hurra, hurra -- --!« + +Schmetternd widerhallte der Ruf an den Felswänden ... rollte weithin +das dunkel träumende Waldtal entlang ... + +»Aber -- wo ist die Königin unseres Festes, unsere schöne verehrte +Hausfrau?!« + +»Meine Frau ist leider nicht ganz wohl,« sagte Brandeis im Ton ruhigen +Bedauerns, »sie hat sich gelegt und bittet die Herrschaften, sie +entschuldigen zu wollen! -- Übrigens hat es nicht das Geringste zu +sagen ...« + +Allgemeines höfliches Beileid. + +Die Mädchen drängten sich an den Hauptmann heran: »Dürfen wir nicht mal +zu ihr hinauf?!« + +»Sehr liebenswürdig, meine Damen! Haben Sie schönsten Dank! -- Aber +es ist wohl besser, man läßt sie ganz in Ruhe! Es hat wirklich gar +nichts zu sagen ... nur ein bißchen Übermüdung! -- Bitte, bitte, meine +Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht stören!« + +»Aber nein, lieber Brandeis, die Herren von drunten waren ohnehin im +Begriff, aufzubrechen! -- Übrigens wird's auch allmählich höchste Zeit +... elf Uhr vorbei -- heiliges Kanonenrohr!« + +»Gewiß,« bestätigte der Major, »wir haben mehr Pfirsichbowle ++intus+, als wir vor Gott und Seiner Exzellenz dem Herrn +Korpskommandeur verantworten können! -- Wenn das noch eine halbe Stunde +so weiter geht, brechen wir uns auf dem Heimweg Hals und Beine!« + +»Ich gebe den Herren selbstverständlich einen Burschen mit einer +Laterne mit! -- Aber bitte wirklich dringend, meine Herren -- setzen +wir uns wieder zu Biere! -- Meine Frau würde untröstlich sein, wenn +sie wüßte, die Herren ließen sich nicht halten ...« + +Gott sei Dank ... sie gingen ... die von drunten ...! + +»Aber wenigstens die Schloßbesatzung wird doch noch ein wenig beisammen +bleiben --! Das verlange ich einfach, Herr Oberst!« + +»Lieber Brandeis, Ihr Wunsch ist mir heute Befehl -- aber jetzt wird's +wirklich Zeit für uns alle! -- Also -- gute Nacht, mein Verehrtester +...! es war einfach feenhaft ... direkt chimborassomäßig war's ... +verstehn Sie mich ...? Aber nun Schluß! -- Und meine Herren Adjutanten +werden sich auch schlafen legen, sonst werden morgen meine sämtlichen +Befehle falsch ausgerichtet!« + +Gott sei Dank ... nun wurde Ruhe ... nun konnte man denken ... +Entschlüsse fassen ... die unvermeidlichen Entschlüsse ... + +Leise ... ganz leise klinkte Fritz von Brandeis die Tür zum +Schlafzimmer auf ... lauschte angespannt in das dunkle Gemach hinein +... lauschte auf Cäciliens Atemzüge ... + +Vielleicht schlief sie wirklich ... vielleicht hatte es sie übermannt +... es wäre das Beste gewesen ... er fühlte sich so todesmatt ... so +widerstandsunfähig ... + +Jetzt nicht mehr fragen ... jetzt nicht mehr Antwort hören ... und +wägen müssen ...! + +Gott, wenn sie doch schliefe! -- Dann würde er sich in seinem Zimmer +auf das kühle Bismarcksofa werfen ... sich in eine Decke wickeln ... +und schlafen ... schlafen ... schlafen ... + +Wozu noch lange fragen?! -- Was er wissen mußte, wußte er ja doch ... +Er wußte, daß Raub verübt worden war an seinem Allerheiligsten ... +wußte, daß er morgen Rechenschaft fordern würde für diesen Raub ... +morgen, wenn es Tag war ... blutige Rechenschaft ... Rechenschaft +fordern mit Einsetzung seines eigenen Lebens ... Und vielleicht war's +am besten für ihn, wenn's ihn dann traf ... Sein Leben war ja doch +besudelt ... verspielt ... verloren ... + +Kein Laut war vernehmbar ... nicht der leiseste Laut ... + +Herrgott -- plötzlich -- ein Gedanke -- -- Nein ... das nicht ... das +um Himmels willen nicht ...!! + +Mit raschen, leisen Schritten trat Brandeis zu seinem Nachttischchen, +drehte die Birne des rotumschirmten Stehlämpchens auf ... + +Da richtete sich vom Nachbarbette die Gestalt seines Weibes halbleibs +empor. Noch völlig bekleidet, hatte sich Cäcilie auf die Überdecke +gelegt. Glasig stierten ihre Augen .. wirr hingen die rostfarbenen +Strähnen um ihr blasses Gesicht ... das stand im roten Licht irr und +verzerrt ... + +Fritz stand regungslos ... ein trockenes, kurzes Schluchzen +durchrüttelte seine aufrechte Gestalt ... + +»Willst du dich nicht auskleiden ... und dich ordentlich hinlegen, +Cäcilie ...? Ich lege mich nebenan aufs Sofa ...« Wie eine gütige, +sorgsame Bitte hatte das geklungen. + +»Fritz ... was ... was willst du tun --?!« + +»Darüber ... hat der Ehrenrat ... zu entscheiden ...« + +»Du hast -- dem Major schon Meldung gemacht --?« + +»Ich tu's morgen früh!« + +Cäcilie schlug die Hände vors Gesicht. Der einzige Kuß ... der +Abschiedskuß ... nein, das war ja doch nicht möglich ... das durfte ja +doch nicht sein ... + +»Mach dir keine Sorge, Cäcilie ... ich ... schieß ihn dir nicht tot ... +ich ... schieß ihn ... dir ... nicht tot ...« + +Da fielen Cäciliens Hände mit einem Ruck in ihren Schoß ... die starren +Augen ruhten auf dem Antlitz des Gatten mit einem langen, seltsam +prüfenden, suchenden Blick ... Ein Staunen glomm in diesem Blick auf +... ein großes Sichwundern ... + +Plötzlich ein zages Pochen an der Tür. Fritz fuhr zusammen: »Was gibt's +--?« + +»Verzeihen Herr Hauptmann, wenn ich störe!« + +»Was haben Sie denn, Fräulein?« + +»Der Bursche vom Herrn Major ist draußen mit einem dringlichen Befehl +-- von der Brigade, sagt er!« + +»Ich komme --!« + +Das Fräulein stand draußen mit einem Meldekartenbriefumschlag: »An +Hauptmann von Brandeis.« + +Mit Bleistift von der Hand des Majors gekritzelt, drei Kreuze dabei. +Sehr dringlich also. Der Hauptmann riß den Umschlag auf: + + + »Bataillonsbefehl! + + Auf Befehl der Brigade: Hauptmann von Brandeis meldet sich morgen + früh 4,30 beim Herrn Brigadekommandeur als Adjutant für den Rest + der Herbstübungen an Stelle des durch Sturz mit dem Pferde heute + morgen zu Tode gekommenen Hauptmanns Goettig. Die erste Kompagnie + führt Leutnant der Reserve Flamberg. + + v. Sassenbach.« + + +Ruhig zog Brandeis die Uhr, notierte die Zeit des Eingangs, elf Uhr +fünfundvierzig, auf den Umschlag der Meldekarte und gab die Hülle +zurück: »Das bekommt der Bursche! -- Wilhelm soll mich bereits um halb +drei wecken! Frühstück um drei! -- Gute Nacht, Fräulein!« + +»Gute Nacht, Herr Hauptmann!« + +Einen Augenblick stand Fritz von Brandeis in tiefem Sinnen. + +Hauptmann Goettig durch Sturz mit dem Pferde zu Tode gekommen ... +schauerlich ... Eine glänzende Laufbahn jählings mitten durchgerissen +... eine Frau und vier Kinder des Ernährers, des Beschützers +beraubt ... + +Und er also der präsumtive Nachfolger ... mutmaßlich für die Dauer ... +Also Brigadeadjutant +in spe+ ... das bedeutete -- + +Pah -- ein bitteres Lächeln spielte um des Hauptmanns Lippen. Morgen +... spätestens übermorgen stand er mit der Waffe in der Hand dem Manne +gegenüber, der seines Weibes Mund geküßt ... ihm seines Weibes Herz +entrissen ... + +Auf den Trümmern eines solchen Glücks baut man keine -- -- Karriere auf +... + +Der andere ... der war der Sieger ... war der Stärkere ... wenn einer +von ihnen bleiben sollte ... dann mußte natürlich er selber es sein ... +er, der meritenlose Soldat ... der unbedeutende Mann seiner reichen +Frau, die nun auch ihr Herz von ihm gewandt hatte ... ihr Schicksal von +dem seinen trennte ... + +Für einen solchen Adjutanten würde der General sich bedanken -- wenn er +überhaupt noch in die Lage kam ...! + +Schwerfällig ging der Hauptmann zum Schlafzimmer zurück, steckte den +Kopf zur Tür hinein: »Gute Nacht, Cäcilie!« + +»Was war's ... was hat's gegeben?« stammelte die Stimme seines Weibes +aus der rötlichen Dämmerung. + +»Nichts von Bedeutung ... bin für morgen abkommandiert, muß eine halbe +Stunde früher fort ... Gute Nacht!« + +Er schloß die Tür, wandte sich ab, hakte mechanisch den Kragen seines +Waffenrocks auf. + +Auf einmal klang's hinter ihm: »Fritz ...« + +Brandeis fuhr herum ... + +Cäcilie stand an der Tür. »Fritz ... warum kommst du denn nicht zu mir +hinein ... Fritz --?« + +»Ich ... schlaf auf dem Sofa ... hier draußen ... oder ist es dir +lieber, wenn ich schon heut abend ... fortgeh --? hier ... das alles +... gehört ja dir ...« + +»Fritz! nein -- nein ... alles ist dein -- dein ganz allein ... ich +auch, Fritz -- ich auch --!!« + + + + + Fünftes Kapitel. + + +Das rheinische Armeekorps biwakierte gegen den markierten Feind. + +Der Spätsommerabend überdeckte mit sammetnen Fittichen das gewaltige +Bergplateau des Hunsrücks zwischen Idarwald und Hochwald. + +Und in die Nacht hinein in endloser Reihe loderten die Lagerfeuer +weithin über die endlose Ebene. Überall feierten die Mannschaften das +lustige Fest des Löffelbegrabens: + +Die Leute des zweiten Jahrgangs, die unmittelbar nach Manöverschluß +in die Heimat entlassen werden würden, schmückten, Kompagnie für +Kompagnie, einen mächtigen Baum mit Strohschleifen, und ein jeder +hängte vom Inhalt seines Tornisters hinein, was nun ausgedient +hatte, seinen Eßlöffel, seine abgewetzte Stiefelbürste, Putzlappen, +Knopfgabeln ... + +Die wunderliche Trophäe wurde unter derben Soldatenspäßen und +unablässigem Absingen des Reserveliedes durch das Lager getragen und +schließlich mit Hallo und Kinderjubel in die Glut des Biwakfeuers +versenkt. + +Heimatstimmung ... Heimkehrseligkeit überall ... + +Heimkehrseligkeit --?! + +Leutnant Flamberg saß mit Carstanjen und dem Fahnenjunker vorm +Offizierszelt der ersten Kompagnie. + +Ihren Kapitän hatte die Königliche Erste heut nur von weitem zu Gesicht +bekommen, wenn die kleine Kavalkade vorübersprengte, über welcher die +diagonal geteilte schwarz-weiß-rote Standarte der Brigade flatterte. + +Und Martin Flamberg hatte den ganzen Tag darauf geharrt, daß Major von +Sassenbach, der Vorsitzende des Ehrenrats, ihn zitieren würde ... + +Dabei trug er einen Brief in der Brusttasche seines Dienstrocks, einen +Brief vom Samstag, der nur das eine Wort erhielt: + +»~Über-über-übermorgen~ --!!!!!« + +Gott im Himmel! ... dort in der Ferne harrte seiner die sehnende Braut +... und er ... er wartete auf den Befehl, sich zu verantworten, weil er +das Weib eines andern berührt ... + +Wohl war es ein Abschiedskuß gewesen ... aber er würde mit seinem Leben +dafür einzustehen haben ... + +Das hatte an seinen Nerven gerissen den ganzen Tag ... hatte wie +mit Keulen immerfort auf seinen Schädel eingedroschen, bis er ganz +stumpfsinnig und apathisch geworden war ... + +Nur der Soldat in ihm, der hatte funktioniert ... mechanisch ... +unfehlbar sicher ... + +Obwohl er zu Fuß war, hatte er seine Kompagnie ganz anständig durch die +Wechselfälle des heißen Marsch-, Gefechts- und Biwaktages geführt. Und +Major von Sassenbach hatte ihm mehrfach aufmunternd zugenickt: »Ich +werde Ihnen eine ganz passable Konduite schreiben können, Flamberg --!« + +Was hatte der Major nur heute? -- Er war den ganzen Tag so merkwürdig +vergnügt --? + +Durch Martins Herz aber zog immerfort das Erinnern jener wenigen +furchtbaren Sekunden, in denen er dem Manne gegenübergestanden, dem er +das tiefste Leid seines Lebens zugefügt: + +»Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Hauptmann ...!« + +»Sie werden morgen von mir hören!« + +Keine laute Szene -- kein wildes Wort der Wut -- des Grimms. + +Ein paar eisig korrekte, formelhafte Wendungen -- und doch in jeder +Silbe der unsühnbare Haß -- die Feindschaft bis aufs Messer -- der +Racheschrei -- die Todesdrohung! + +Und heute -- rätselhaftes Schweigen. -- -- + +Gott -- der Grund war leicht einzusehen: der Hauptmann war zur Brigade +kommandiert -- der Dienst ging allem andern vor -- es hatte an jeder +Gelegenheit gefehlt, die Meldung an den Ehrenrat zu erstatten. + +Aber diese Situation war gräßlich -- sie erstickte die Kraft des +Widerstandes -- machte stumpfsinnig und wehrlos. + +Der Gedanke an Cäcilie war wie das Erinnern eines fernen, schaurig +holdseligen Traumes. + +Der Gedanke an Agathe folterte das Herz noch tiefer mit schmählicher +Scham. + +Und aus dem innersten Herzensschacht kroch die Reue herauf -- die Reue +um unwiderbringlich Verlorenes -- um ein ganzes, großes, herrliches +Leben des Schaffens, des Genießens -- um ein Leben voll Liebe und +Schönheit -- voll freudigen Gebens und dankbaren Nehmens. + +Alles war hingeworfen -- vergeudet um eines Augenblicks haltloser +Leidenschaft willen. + +Reue -- Reue -- + +Und eines nur hatte Bestand im gestaltlos wogenden Getriebe der +anklagenden, schamvoll zerrissenen Empfindung. + +Dies eine Wissen: daß man einstehen werde für das eigene Tun -- +regungslos -- eisernen Herzens -- ohne Wimperzucken -- bis ans Ende -- +bis ans Ende. + +Mannesehre ... Soldatenehre ... Offiziersehre -- wahrhaftig, doch kein +leerer Wahn das alles -- --! + +Wenn es eine Sühne gab auf Erden, dann war es die: klaglos die +Stirne, die Brust hinhalten der rächenden Kugel ... stumm und stolz +zusammensinken ... hinabtauchen in den läuternden Tod ... + +So sann Martin Flamberg. Und neben ihm in behaglichem +Verdauungsschweigen hockten mit übergeschlagenen Beinen auf ihren +Kisten die beiden blutjungen Knaben, der Leutnant, der Fahnenjunker ... +unkund der Schrecknisse des Lebens, der Leidenschaft ... + +Und ringsum jubelte die Heimatsehnsucht von zehntausend jungen +Gesellen, die nach zwei Jahren in Königs Rock übermorgen in trunkener +Wiederkehrwonne nach Hause flattern würden. + +Nach zwei Jahren, die ihnen mehr, weit mehr gewesen waren, als sie heut +ahnen konnten, als ihnen vielleicht jemals zum Bewußtsein kommen würde +... + +Zwei Jahre, in denen sie Soldaten gewesen waren ... in denen ihr Leben +seiner Vereinzelung, seiner Kleinlichkeit und Alltäglichkeit entrissen +worden war und eingegliedert in die großen Verhältnisse, das mächtige +Leben der Gesamtheit ... der Nation ... des Volkes ... + +Zwei Jahre, in denen sie aus Gelsenkirchenern und Rheydtern, aus +Erkelenzern und Neuwiedern zu Preußen ... aus Maurertagelöhnern +und Bandwirkern, aus Feilenhauern und Ackerknechten zu wehrhaften, +waffengeübten Soldaten geworden waren ... + +Ach ja, wohl war's manchmal scharf hergegangen in den zwei Jahren -- +aber das alles war ja nun überstanden ... + +Was bleiben würde ... was sie mit nach Hause nahmen ... war's zu +verlangen, daß sie das heute schon begriffen -- vielleicht überhaupt je +begreifen lernten?! + +Doch würde mancher vielleicht nach Jahren aus dem täglichen öden +Einerlei der Berufsarbeit, aus der Enge beschränkter, kinderreicher +Häuslichkeit mit Dankbarkeit und Sehnsucht zurückdenken an die zwei +Jahre in Luft und Sonne, in Waffenglanz und munterm Kampfspiel »auf +grüner Heid -- im freien Feld«! + +Heut freilich -- heut hatten sie alle nur den einen Gedanken: +übermorgen geht's zu Muttern! + +Und unablässig, immer von neuem klangen übers weite Feld die Weisen der +Reservelieder: + + + Nun scheiden wir aus eurem Kreise + und ziehen aus den bunten Rock! + Wir treten an die Heimatreise + mit einem Reservistenstock. + + Geschlossen geht es aus dem Tore + zum letzten Mal vergnügt hinaus. + Die Mütze sitzt auf einem Ohre, + und keine Waffe schmückt uns aus! + + +»Herrgott von Bentheim!« fluchte Leutnant Carstanjen, »dieses verdammte +Reservistengegröhle wächst einem, weiß der Himmel, zum Halse heraus!« + +Flamberg lächelte: »Das wird Sie wohl Ihr ganzes militärisches +Leben hindurch begleiten, lieber Freund! Und wenn Sie sich einmal +die Mühe geben wollen, sich in die Gefühle der Burschen, die da +singen, hineinzuversetzen, dann wird's Ihnen seltsam wohl und weh +dabei werden -- dann werden Sie anfangen, die Würde des hohen und +herrlichen Berufs, den Sie haben, ein wenig tiefer zu begreifen! -- +Was da singt und jubelt, das ist das Heimatverlangen der deutschen +Jugend, die euch anvertraut ist zur Erziehung in Waffenkunde und +Mannhaftigkeit. -- Die Gefühle, mit denen diese Leute das Reservelied +singen, sind die Gradmesser für eure Berufstüchtigkeit -- wenn sich +in diese Heimkehrseligkeit nicht auch ein unverstandenes Gefühl von +Abschiedswehmut mischt, wenn diese Leute nicht in spätern Jahren mit +leuchtenden Augen und geheimem Erinnerungsschmerz am Stammtisch, im +Familienkreise, in der Schar ihrer Kinder von der Zeit erzählen, da sie +den bunten Rock trugen -- von Ihnen erzählen, kleiner Carstanjen -- +ihrem muntern, liebenswürdigen kleinen Zugführer, dem es zwar zuweilen +auf eine Handvoll Schweinehunde und Kamelsnasen nicht ankam ... der +aber doch im Grunde seines Herzens ein todguter, lebensfreudiger und +grundehrenwerter Junge war, der in seinen Rekruten und alten Kerlen +etwas mehr sah als bloß die Objekte einer lästigen, stumpfsinnigen +Berufstätigkeit -- wenn das nicht so wäre -- dann sähe es schlimm aus +um unser deutsches Heer ... um unser deutsches Volk ...« + +»Jesses, Jesses, er predigt -- die Reserve predigt!« rief Carstanjen +mit komischem Entsetzen und doch innerlich gepackt -- ein wenig +geschmeichelt -- ein wenig ergriffen aber auch -- »Junker, schnell 'ne +neue Pulle! --« + +Da trat ein Füsilier, es war der Pferdebursche des Majors von +Sassenbach, zu den Herren heran, stand stramm: »Der Herr Major läßt die +Herren Offiziere bitten, ins Bataillonsstabszelt zu kommen zu einer +kleinen Bowle!« + +»Wir werden kommen!« sagte Flamberg. »Ja, einer von uns muß natürlich +bei der Kompagnie bleiben -- also zunächst mal Sie! Ich löse Sie +nachher ab -- also auf Wiedersehen!« + +Ein siedender Schreck hatte Martin plötzlich durchzuckt, als die +Ordonnanz des Majors herangekommen war ... Auf die hatte er ja den +ganzen Tag gewartet ... + +Und nun erging der Ruf zu einem fröhlichen Zechen --!? Also die Stunde +der Abrechnung war noch immer nicht da ... der Major wußte noch von +nichts ...?! + +Natürlich, jetzt saß Brandeis drüben im Dorfe, wo der Brigadestab lag, +mit seinem General zusammen, studierte die Korps- und Divisionsbefehle +für morgen -- redigierte den Brigadebefehl -- -- + +Da blieb ihm keine Zeit, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken -- +mochten sie auch noch so dringlich ... noch so unaufschieblich +sein ...! + +Im Hinschreiten ließ Flamberg seine Blicke über das weite Lager +schweifen ... Die Dämmerung sank hernieder .... die frühe Dämmerung des +Spätsommerabends ... hinter dem fernen braunen Strich des Idarwaldes +verglomm der letzte Tagesglast ... + +Endlos hin über Berg und Tal zog sich das Biwak des Korps ... und +überall dieselbe Szene ... die lodernden Feuer mit den rastenden, +schmausenden, singenden jungen Männern drum herum ... überall niedere +Leinwandzelte ... Gewehrpyramiden ... Posten vor der Fahne ... Ein +ergreifendes Bild ruhender, gesammelter Volkskraft: »Lieb Vaterland, +magst ruhig sein ...« + +Ach -- und immer wieder fühlte er dann den jähen Ruck am Herzen ... + +Was hast du getan -- und was wird werden -- --?! + +Wie anders müßte mir nun zumute sein ... wie leicht ... wie dankbar ... +wie voll Hoffnung ... voll überströmender Glückshoffnung -- Und wie ist +mir nun ... + +Unmännlich hab ich mich hingegeben an diese Leidenschaft, die ich hätte +bekämpfen müssen von Anbeginn ... ausroden wie ein holdselig blühendes, +berauschend duftendes Giftgewächs ... + +Ich hab sie wachsen lassen ... und eine einzige Sekunde hat mein Leben +... meine Zukunft ... mein Glück vernichtet ... ~Mein~ Glück ... + +~Meines~ nur ...? + +Und ~sie~ ... Agathe ... das vertrauensvolle Mädchen, das sein +Geschick in meine Hand gelegt hat ...?! Ach, Himmel, wenn sie ahnte ... + +Und das, was kommen kann ... was kommen muß ... + +Nein, nein -- nicht dran denken ... hinwegscheuchen die grausigen +Bilder alles dessen, was kommen wird -- + +Gespielt mit dem Heiligsten ... gedankenlos ... haltlos ... gewissenlos +...! + +Im Künstlerübermut ... im Rausch des Machtgefühls hineingegriffen in +die festgefügte Ordnung, welche diese Lebenssphäre beherrscht, in die +der Dienst des Königs, des Vaterlandes mich, den Mann aus Kreisen +leichterer, freierer Daseinsführung, hineingeführt ... + +Nein, das ging nicht ... das paßte nicht zusammen ... Entweder -- oder! +Nur zu einem Spiel ... nur zu einem Anlaß künstlerischer Sensationen +war das Gewand zu gut, das er trug, der Stand, dessen Zeichen es +war ... + +Eine Offizierübung ist kein malerischer Motivenschatz ... die Ehe eines +Fritz von Brandeis ist kein Modellbureau ... Entweder -- oder! Entweder +man ist Offizier -- oder man ist es nicht! -- + +Nun ... er würde sühnen ... seine Schuld bezahlen ... + +In tiefem Sinnen war Flamberg stehen geblieben am Rande des Gehölzes, +welches das Biwak deckte. + +Nun hörte er plötzlich seinen Namen rufen: »Flamberg! Sie, Flamberg!« + +Das klang vom Bataillonszelt her ... Die Kameraden hatten ihn entdeckt. + +Er trat hastig näher. + +»Na Meister ... bißchen Stimmung geschunden ... bißchen photographiert +für den Winter?! So, nun kommen Sie mal 'ran ... die Bowle ist prima, +prima ...« so klang's durcheinander. + +Der Major thronte inmitten der Tafelrunde, die sich auf Feldstühlen, +Kisten und Koffern um den grauen Klapptisch gruppiert hatte, der ein +Vorrecht des Bataillonsstabes war. Sein Gesicht war gerötet, die +zerknitterte Manövermütze saß ihm im Genick, den Kragen des Waffenrocks +hatte er aufgehakt ... + +Und an seiner rechten Seite saß der Leutnant der Landwehr Frobenius +... seine Brillengläser funkelten ... seine klugen Augen leuchteten +so seltsam ... die rotumbarteten Lippen zuckten wie in freudiger, +festlicher Erregung ... + +»So, lieber Dormagen,« sagte der Major mit einer gewissen Feierlichkeit +zu dem jüngsten der Herren des Bataillons, dem eleganten Referendar aus +Koblenz, »nun füllen Sie gefälligst mal alle Gemäße --!« + +Schäumend floß der Kasinosekt über die Ränder der Emaillebecher, der +Bierseidel, der henkellosen Kaffeetassen ... + +Und Sassenbach erhob sich: »Meine Herren -- ich weiß, daß ich Ihnen +allen eine Freude machen werde mit dem, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen +habe: Erstens -- unser verehrter Kamerad, Herr Frobenius, bislang +Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn -- ein +Herr, der in den acht Wochen, während deren er inmitten unseres +Regiments geweilt hat, trotz gewisser -- hm hm -- -- anfänglicher +Schwierigkeiten ... trotz einer gewissen Vorliebe für den Aufenthalt +in Froschtümpeln und auf Parkettböden ... die uns ein wenig befremdet +hat ... auf die Dauer unsere größte kameradschaftliche Hochachtung und +Sympathie erworben hat -- dieser Ihnen wohlbekannte Herr hat soeben +einen telegraphischen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität +Tübingen erhalten -- --« + +Das gab einen Sturm --! + +Ja, wahrhaftig, sie mochten ihn alle leiden, den bescheidenen, +gutmütigen, pflichtgetreuen Mann ... + +»Famos ... tadellos ... bravo, bravo Frobenius ... gratuliere +tausendmal ...!!« + +»Halt, meine Herren!« überschrie der Major den Tumult, »ich bitte +dringend um Ihre Aufmerksamkeit! -- ich bin nämlich noch nicht zu Ende +--: Ich habe die angenehme Pflicht, Ihnen die Verlobung meiner Tochter +Nelly mit --!« + +Weiter kam er nicht -- keiner verlangte, den Namen des Erkorenen zu +wissen. + +Es gab einen Jubel, daß an allen Lagerfeuern des ganzen Bataillons +alle Köpfe dorthin sich wandten, wo bei der Fahne auf einer leichten +Bodenerhebung die Herren vorm Bataillonszelt tafelten ... + +»Das Brautpaar: hurra, hurra, hurra -- --!« + +Und vor versammeltem Kriegsvolk nahm der Major seinen Schwiegersohn +beim Kragen und preßte seine langwallenden Schnurrbartzipfel auf den +roten Bart des Herrn Professors. + + * * * * * + +Wenige Minuten vor neun Uhr ließen die Kompagnieführer ihre Leute bei +den Gewehren antreten. Es war kühl geworden, die Mäntel hatten schon +längst angezogen werden müssen ... + +In langen dunkeln Reihen standen die Kompagnien ... es kam der +Augenblick des Abendgebets. + +Die Kompagnieführer standen vor der Front, die Zugführer am rechten +Flügel ihrer Züge. + +Und nun erklang von rechts her in ruhig heiterm Schreiten das +Schmettern der Regimentsmusik ... sie spielte die alte stolze Weise des +»Großen Zapfenstreichs« ... + +Langsam marschierte das Musikkorps, die Spielleute aller drei +Bataillone voran, an der Front des ganzen Regiments vorbei, dessen drei +Bataillone ihre Biwaks nebeneinander aufgebaut hatten ... + +Gelblich leuchteten die Instrumente auf im Widerschein der Lagerfeuer +... + +Und aus der Ferne von rechts und links kam's wie ein Widerhall ... +dort, wo die andern Regimenter des Korps biwakierten, vollzog sich die +gleiche Feierlichkeit ... + +Nun war die Musik am linken Flügel des dritten Bataillons angekommen, +sie machte kehrt, zog abermals vor den dunkeln Massen der lauschenden +Truppen entlang bis in die Mitte des zweiten Bataillons, in die Mitte +der ganzen Regimentsfront. Da machte sie halt. + +Hier stand der Oberst mit seinem Stabe. Er gab mit weithin schallender +Stimme das Kommando: »Mützen ab zum Gebet!« + +Die Bataillonskommandeure, die Kompagniechefs wiederholten den Befehl. + +Alle Mützen flogen von den Köpfen ... ein tiefes, andächtiges Schweigen +lagerte über dem nächtigen Plan ... + +Nun scholl ein dumpfer, langhinrollender Trommelwirbel ... die +achtundvierzig Tambours des Regiments ließen leise rasselnd ihre +Schlägel auf die entspannten Kalbfelle niederfallen ... darüber +schwebte ein leiser, flehender Triller der Flöten ... und nun setzte +der volle Ton der Trompeten, Tuben, Posaunen ein mit herzerschütternder +Choralmelodie ... + + + »Ich bete an die Macht der Liebe, + die uns vom Himmel offenbart ... + ich geb' mich hin dem freien Triebe, + mit dem ich je geliebet ward. + Ich will, anstatt an mich zu denken, + ins Meer der Liebe mich versenken ...« + + +-- Das griff in jede Brust ... übergewaltig ... versöhnend ... Frieden +spendend ... Himmelsfrieden .. + +Stumm ... regungslos lauschten die zwölfhundert jungen Männer im +Waffenrock der Niederländer Füsiliere ... und alles weithin übers +endlose Waffengefild lauschte ... sie alle, die jugendschwellenden, +hochaufschauernden Kriegerherzen ... + +Und keiner ... keiner war so arm ... so heimat- und friedlos, daß er +nicht an ein Liebes hätte denken können, dessen Herz in weiter Ferne +für ihn schlug ... + +Martin Flambergs Herz aber schrie auf in wildem Gram ... in fressender +Reue ... + +Agathe ... Agathe ...!! + +»Mützen auf -- weggetreten --!« + +-- Als Flamberg sich umwandte, dem Kompagniezelt zu -- stand plötzlich +der Hauptmann von Brandeis hinter ihm: »Guten Abend, Flamberg -- haben +Sie einen Moment Zeit für mich?!« + +»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« + +»Kommen Sie ... wir gehen ein paar Schritte in den Busch hinein ...« + +Stumm folgte Martin Flamberg -- in seinem Kopf und Herzen war ein +brandender Schwall -- er konnte nichts denken -- nichts fühlen ... + +Unter der vordersten Buche des Gehölzes machte der Hauptmann halt. +Dicht standen die Männer einander gegenüber ... ihre Gesichter +schimmerten nur schwach im Widerschein der Biwaksfeuer ... + +»Wir wollen nicht viele Worte machen, Flamberg ... Sie haben mir sehr +... sehr weh getan ... wissen Sie das ...?« + +»Ich weiß es, Herr Hauptmann!« + +»Was Sie sich dabei gedacht haben -- Gott mag's wissen! -- Ich will zu +Ihren Gunsten annehmen, nicht allzuviel! -- Ich will Ihnen auch nicht +Moral predigen -- ich wette, das haben Sie selber genügend besorgt +in den Stunden seit ... seit gestern abend ... also zur Sache: es +ist der Wunsch meiner Frau ... daß Sie und ich uns ... friedlich ... +auseinandersetzen. Ich respektiere diesen Wunsch ... und ... ohne daß +Sie erst darum zu bitten brauchen ... soll Ihnen verziehen sein.« + +»Herr Hauptmann!« stammelte Martin. + +»Ich versteh das alles ja sehr gut ... Sie sind -- wie sagt man doch -- +eine glänzende Erscheinung ... ein außergewöhnlicher Mensch ... eine +Berühmtheit ... Ich bin ein einfacher Soldat ... Aber ich hab diese +Frau sehr lieb ... ganz gewiß lieber, als irgendein anderer Mensch sie +haben kann ... und schließlich bin ich doch am Ende ihr Mann, nicht +wahr?! Also kurz: Meine Frau hat mir erzählt: was zwischen euch beiden +geschehen ist, gestern abend ... das ist ein Abschied gewesen ... Nun +-- so will ich's denn als ... Abschied ... gelten lassen. Nur eins +versprechen Sie mir, Flamberg, nur das eine: halten Sie das Angedenken +dieser Frau in Ehren ... in hohen Ehren, Flamberg! wollen Sie mir das +versprechen ...?« + +»Das -- -- versprech ich ... Herr Hauptmann!« + +»Nun noch eins -- Sie heiraten ja übermorgen ... Sie müssen Ihrer +jungen Frau einmal ... erzählen ... was Sie getan haben ... nicht jetzt +... nicht im Flitterwochenrausch ... später einmal, wenn ihr euch +beide kennt ... dann sollen Sie's ihr erzählen ... das wird euch zwei +zusammenketten, das ... und Sie vor mancherlei bewahren, was vielleicht +... noch kommen könnte ...! Werden Sie das tun --?« + +»Ich werd's tun, Herr Hauptmann!« + +»Ich danke Ihnen -- und nun ... ich hab morgen Dienst beim Herrn +General, und wir werden uns vor Ihrer Entlassung wohl kaum mehr sehen +... also ... leben Sie wohl ...!« + +Er streckte dem Kameraden die Rechte hin. Flamberg schlug ein -- er +konnte nicht reden. + +»Soll ich ... Cäcilie ... einen Gruß ... von Ihnen bestellen ...?« + +»Ich ... bitte darum, Herr Hauptmann ...!« + +»Ich werd's ausrichten! -- Addio, lieber Flamberg!« + +Noch einmal drückte der Hauptmann kräftig Martins Rechte ... legte die +Hand an die Mütze ... schritt rasch von dannen ... + +Und Flamberg ging langsam zu seiner Kompagnie. + +Begnadigt! -- Dem Leben ... der Heimat ... der Braut wiedergeschenkt +... + +Begnadigt --! + +In Martins Herzen hallte der Schluß der Gebetsweise wider ... + + + »Ich will, anstatt an mich zu denken, + ins Meer der Liebe mich versenken ...« + + + * * * * * + +Die letzten Lagerfeuer erloschen. + +Die letzten der Offiziere, die sich noch durch ein paar Glas Feuerbowle +für den Schlummer im Stroh, die scharfe Kühle der Frühherbstnacht auf +hohem Gebirgsplateau gestärkt hatten, krochen ins Stroh ... + +Die Unteroffiziere, die Mannschaften schnarchten längst in den langen +Zugzelten ... + +Am verglimmenden Lagerfeuer der zweiten Kompagnie lag bäuchlings +hingestreckt noch ein einsamer Unteroffizier ... + +Beim letzten Glosten der zuckenden Flämmchen, die den mächtigen +Aschenhaufen umschwelten, las er ein Briefchen: + + + »-- -- Du sollst nicht heut und nicht morgen kommen, lieber Hans. Du + sollst noch ein paar Jährchen warten, bis Du Deinen Assessor gemacht + hast. Wenn Du mich dann nicht leid geworden bist, dann komm und hol + mich -- wenn ich dann noch da bin. Wir sind ja beide noch Kinder, und + ich weiß nicht, ob nicht einem von uns beiden doch mal einer begegnen + wird, der ihm lieber ist als die Erinnerung an einen heißen Kuß im + Garten des Offizierkasinos -- weißt Du noch, mein Hans?! Wenn das + kommen sollte, dann soll keiner von uns sich an den andern gebunden + halten. Ich glaub's ja nicht, daß es mir passieren wird, ich sag's + auch mehr Deinetwegen als meinetwegen. -- + + Aber -- man kann nicht wissen --! + + Also -- leb wohl, mein Süßer, und denk manchmal an mich! + + Vielleicht einmal, vielleicht -- --! + + + Molly v. S.« + + +Hans Friesen fuhr sich über die Stirn. + +Sie hatte ihm die Freiheit wiedergeben wollen ... wie schön das war ... +und wie klug ... + +Und auch in ihm tönte die Choralweise nach ... + +Jetzt in das dumpfe Zelt kriechen, wo die Kommißunteroffiziere +schnarchten --? Nein ...! + +Lieber hier am behaglich wärmenden, langsam verglostenden Feuerrest die +paar Nachtstunden verträumen -- unterm gleißenden Sternenhimmel ... in +tiefem Sinnen ... in einem glücklichen Traum von Zukunft -- Schönheit +-- Ruhm -- Glück -- in einem wundersamen Sicheinsfühlen mit dem weiten +All ringsum, dem Chor der Schläfer auf der weiten Bergeshalde ... dem +Gewimmel der Gestirne droben am Firmament ... mit allem Geschaffenen +und seinem Schöpfer -- + + + »Ich bete an die Macht der Liebe ...« + + +Langhin streckte sich der Soldat auf den harten Stoppelboden, schob +Mollys Briefchen in die Brusttasche seines Waffenrocks ... und schaute +nun regungslos mit glänzenden Augen zum weißleuchtenden Nebelbogen der +Milchstraße empor. + + * * * * * + +Einsam, ein rüstiger Wanderer, schritt Martin Flamberg in der +Morgenfrühe des 22. September talabwärts auf der Chaussee, welche von +Leisel über Hettenrodt, Hettstein und Idar nach Oberstein an der Nahe +führte ... + +Hier würde er den Zug erreichen, der ihn heimwärts führen sollte. + +Frühmorgens im Lagerstroh hatte der Feldwebel ihn geweckt: »Verzeihen +Herr Leutnant, eine Ordonnanz vom Herrn Major ist da!« + +»Soll ans Zelt kommen!« + +»Herr Leutnant möchten so bald als möglich zum Herrn Major kommen!« + +Sassenbach war just bei der Morgentoilette, als Flamberg ins Stabszelt +trat: »Na, Flamberg ... Brummschädel ...?« + +»Danke gehorsamst -- nein, Herr Major!« + +»Entschuldigen Sie -- muß mich eben fertig rasieren!« + +Beim Schein einer Stallaterne, die der Bursche mitsamt einem winzigen +Spiegelchen seinem Herrn vorhielt, saß der Bataillonskommandeur auf +einem Faß, mit aufgeklapptem Waffenrock, und schabte die angegrauten +Stoppeln von seinen bronzebraunen Wangen. + +»Also, lieber Freund, Sie haben morgen Hochzeit ... Da scheint's mir +doch besser, das Armeekorps behilft sich am letzten Übungstage ohne +Sie -- Sie sind also hiermit entlassen und haben möglichst schnell und +geräuschlos aus dem Bereich des Kriegsgetümmels zu verschwinden!« + +»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major ...« + +»Keine Fisematenten! Ich befehl's -- und damit basta!« + +»Und wer, befehlen Herr Major -- wer soll die erste Kompagnie heute +führen?« + +»Ach was, die paar Stunden! Kann ja der Windhund, der Carstanjen +machen! -- Na, einverstanden?« + +»Ich danke von ganzem Herzen, Herr Major!« + +Sassenbach stand auf, und während der Bursche ihm im Stehen die kotigen +Stiefel an den Beinen mit der Wichsbürste bearbeitete, streckte er dem +Untergebenen die Hand hin: »Also stecken Sie sich einen grünen Zweig an +als Neutralitätsabzeichen und verschwinden Sie auf dem nächsten Wege, +solange es noch dunkel ist ... kommen Sie gut nach Hause, empfehlen Sie +mich unbekannterweise Ihrem verehrten Fräulein Braut -- und machen Sie +Ihre Sache gut -- na, Sie verstehn mich schon -- hahaha! Haben Sie auch +schönsten Dank für freundliche Unterstützung und leben Sie wohl!« + +»Darf ich Herrn Major meinen gehorsamsten, tiefgefühlten Dank für die +gütige Aufnahme und alles Gute --« + +»Schon gut, schon gut, lieber Flamberg -- es war uns eine Ehre und ein +Vergnügen!« + +-- -- Und nun marschierte Martin Flamberg einsam talabwärts. + +Von seinem Helm nickte ein grüner Busch. In seinem Wachstuchtornister +klapperte eine halbe Flasche Kognak, die Carstanjen ihm noch als +Abschiedsgabe eingepackt -- + +»Junger Ehemann +in spe+ -- -- können eine kleine Herzstärkung +gebrauchen! --« + +Die Säbelscheide in der Linken, die Rechte taktmäßig pendelnd, stapfte +er bergab in munterm Soldatenschritt. + +Und wie ringsum die Bergsäume sich rosig erhellten, erhellte sich auch +des Wanderers Herz -- -- + +Ja, es ging heimwärts ... heimwärts ... es ging in die Arme der Liebe +... der Liebe, der nun sein ganzes Leben gehören sollte ... sein ganzes +Leben ...! + +Immer leuchtender stieg des fern harrenden Mädchens teures Bild vor +seinem Blick empor ... nun erst, da er schon fast abgerechnet mit +allem, was er besessen und erhofft hatte, lag's vor ihm in seinem +ganzen süßen, holden Glanz ... + +Er zog Agathens letztes Briefchen hervor, dies Briefchen, das +nur das eine einzige, sehnsuchtsschwere Jubelwort enthielt: +»Über-über-übermorgen --!!!« + +Nun war's schon morgen -- morgen würde es heute sein! -- + +Horch ... + +Bum -- bum -- dröhnten von droben die ersten Kanonenschläge ... + +Der letzte Manövertag ... der Heimkehrtag für zehntausend junge +Gesellen ... der Heimkehrtag auch für ihn ... + +Den läuteten sie ein, die dumpfen, metallenen Schläge da oben. + +Bum, bum, bum -- -- klang's da von allen Höhen in der Runde ... Diese +Töne, die Mord und Grauen bedeuten sollten ... ihm waren sie selige +Friedensklänge ... + +Und immer tiefer senkte sich die Chaussee ... das war das Dörfchen +Hettenrodt, das er nun durchschritt ... Noch lag es schlummernd ... +kaum, daß ein schläfriger Ackerknecht schwerfällig die Haustür aufstieß +und über den Hof zum Stall humpelte, wo das erwachte Vieh nach seiner +Morgenration brüllte ... + +Nun senkte sich der Weg gen Hettstein. + +In einer Viertelstunde würde er am Schlößchen vorbeikommen. + +Dort hing das Bild der schönen Frau, dort harrte sie selber der +Heimkehr des herrlichen Mannes entgegen, der sie sein eigen nennen +durfte -- um an seiner Seite ein neues, ein tieferes Leben zu beginnen. + +War es nicht doch gut so ... wie alles gekommen war, gut -- -- auch für +die beiden? + +Wenn der Sturm durch die Menschenherzen fährt, dann reißt er vielleicht +einmal ein Glück in Trümmer -- aber gibt es nicht auch Stürme, die +segnen? die Luft klären, das Morsche hinwegfegen, auf daß das Gesunde +um so kräftiger blühe? + +Bum, bum, bum -- läuteten die Glocken ringsum -- die Hochzeitsglocken! + +Nun wand die Chaussee sich um eine Waldecke herum ... + +Schau! vom ersten Morgenstrahl beglänzt, schimmerten die blitzenden +Fenster, die schmucken Türme, die grünumrankten Zinnen des Schlößchens +Hettstein. + +Dort schlummerte sie, die schöne, schöne, schöne Frau ... + +Einen Gruß dir, einen Herzensgruß, du wunderliebliches, du +märchenhaftes Geschöpf -- und -- Segen, Segen, Segen auf dein Leben! + +Himmel -- war's möglich? -- Auf dem Balkon im ersten Stock stand einsam +eine weiße Gestalt -- lauschte dem volltönigen Geläute der Kanonen +ringsum auf den Hunsrückbergen ... + +Jählings strömte das Blut zu Martins Herzen -- ein Weh, das ihn schier +übermannen wollte, durchrüttelte ihn so heftig, daß sein Fuß einen +Augenblick stockte ... + +Nein! weiter ... rüstig weiter ... rüstig weiter ... + +Und nun ... nun wandte die Lauscherin langsam ihr Haupt bergaufwärts +... und nun gewahrte sie den einsam wandernden Kriegersmann ... und nun +... erkannte sie ihn ... + +Einen Augenblick stand sie starr, schien fliehen zu wollen ... + +Doch nein -- sie blieb -- + +Ein weißes Tüchlein ließ sie flattern durch die goldene Morgenluft ... +ein weißes Tüchlein ... ein Abschiedszeichen ... ein Friedenszeichen +... + +Und Martin riß den Helm vom Kopf ... den Helm mit dem grünen Zweige ... +dem Ölzweige daran ... er schwenkte ihn nach droben zum hohen Balkon +... zu der weißen Gestalt mit dem flatternden Tüchlein ... + +Aber wehren konnte er nicht, daß ein paar helle Tropfen über seine +verbrannten Wangen niederrannen und zerblitzten auf dem staubigen +Waffenrock ... + +Ade, ade, ade ... vorüber, vorüber, vorüber ... + +Vor dem Rückschauenden zerfloß das Bild des Schlößchens ... zerfloß in +blinkende Nebel das Bild der weißen Frauengestalt mit dem flatternden +Tüchlein ... + +Ade, ade, ade ... + +-- -- Und nun geradeaus den Blick ... der Heimat, der harrenden Liebe +... der Zukunft entgegen ... + +Agathe ... Agathe ... + +Umbrandet vom tosenden Schwall der Kanonen schritt Martin zu Tal. + +Heimkehrgeläut ... Hochzeitsgeläut ... + +Er schritt zu Tal ... schritt nieder in jenes Land, wo das Leben selbst +Poesie wird ... heiligste Poesie. + + + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 *** diff --git a/75388-h/75388-h.htm b/75388-h/75388-h.htm new file mode 100644 index 0000000..8b4ef03 --- /dev/null +++ b/75388-h/75388-h.htm @@ -0,0 +1,9856 @@ +<!DOCTYPE html> +<html lang="de"> +<head> + <meta charset="UTF-8"> + <title> + Sommerleutnants | Project Gutenberg + </title> + <link rel="icon" href="images/cover.jpg" type="image/x-cover"> + <style> + +body { + margin-left: 10%; + margin-right: 10%;} + + h1,h2,h3 { + text-align: center; + clear: both;} + +h1 { font-size: 220%} +h2, .s2 { font-size: 175%} +.s3 { font-size: 125%} +.s5 { font-size: 90%} + +p { text-indent:1em; + margin-top: .51em; + text-align: justify; + margin-bottom: .49em;} + +.p0 {text-indent: 0em;} +.p2 {margin-top: 2em;} + +hr { + width: 33%; + margin-top: 2em; + margin-bottom: 2em; + margin-left: 33.5%; + margin-right: 33.5%; + clear: both;} + +hr.tb {width: 45%; margin-left: 27.5%; margin-right: 27.5%;} +hr.chap {width: 65%; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%;} +@media print { hr.chap {display: none; visibility: hidden;} } + +hr.r5 {width: 5%; margin-top: 1em; margin-bottom: 1em; margin-left: 47.5%; margin-right: 47.5%;} +hr.r65 {width: 65%; margin-top: 3em; margin-bottom: 3em; margin-left: 17.5%; margin-right: 17.5%; + border-width: 3px; color: black;} + +div.chapter {page-break-before: always;} +h2.nobreak {page-break-before: avoid;} + + +.pagenum { /* uncomment the next line for invisible page numbers */ + /* visibility: hidden; */ + position: absolute; + left: 92%; + font-size: small; + text-align: right; + font-style: normal; + font-weight: normal; + font-variant: normal; + text-indent: 0;} + +.blockquot { + margin-left: 5%; + margin-right: 10%; + font-size: 90%; } + +.center {text-align: center;} + +.mright5 {text-align: right; + margin-right: 5em;} + +.gesperrt { letter-spacing: 0.2em; + margin-right: -0.2em;} + +em.gesperrt { font-style: normal;} + +.antiqua { font-style: italic;} + +div.chapter {page-break-before: always;} + +/* Images */ +img { + max-width: 100%; + height: auto;} + +img.w100 {width: 100%;} + +/* Illustration classes */ +.illowe5 {width: 5.0em;} +.illowp46 {width: 46%;} + +/* Illustration classes (e-Books)*/ +.x-ebookmaker .illowe5 {width: 10%; margin: auto 45%;} +.x-ebookmaker .illowp46 {width: 100%;} + +.figcenter { + margin: auto; + text-align: center; + page-break-inside: avoid; + max-width: 100%;} + +/* Poetry */ +/* uncomment the next line for centered poetry */ +/* .poetry-container {display: flex; justify-content: center;} */ +.poetry-container {text-align: center;} +.poetry {text-align: left; margin-left: 5%; margin-right: 5%;} +.poetry .stanza {margin: 1em auto;} +.poetry .verse {text-indent: -3em; padding-left: 3em;} + +/* Poetry indents */ +.poetry .indent0 {text-indent: -3em;} + +/* Transcriber's notes */ +.transnote {background-color: #E6E6FA; + color: black; + font-size:small; + padding:0.5em; + margin-bottom:5em; + font-family:sans-serif, serif;} + + + </style> +</head> +<body> +<div style='text-align:center'>*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 ***</div> +<p><span class="pagenum" id="Seite_2">[S. 2]</span></p> + +<div class="transnote"> +<p class="s3 center">Anmerkungen zur Transkription</p> +<p class="p0">Das Original ist in Fraktur gesetzt; Schreibweise und +Interpunktion des Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche +Druckfehler sind korrigiert worden.</p> +<p class="p0">Worte in Antiquaschrift sind "<i>kursiv</i>" dargestellt</p>. +</div> + +<figure class="figcenter illowp46" id="cover"> + <img class="w100" src="images/cover.jpg" alt=""> +</figure> + +<div class="chapter"> + +<p class="s3 center">Sommerleutnants</p> + +<hr class="r5"> + +</div> + +<div class="chapter"> +<h1>Sommerleutnants</h1> +<p class="s3 center">Die Geschichte einer achtwöchigen Übung</p><br> +<p class="center">von</p><br> +<p class="s2 center"><b>Walter Bloem</b></p><br> + +<figure class="figcenter illowe5" id="illu-003"> + <img class="w100" src="images/illu-003.jpg" alt="signet"> +</figure> + +<p class="p2 s5 center">Grethlein & Co. G. m. b. H. Leipzig.</p><br> + +<p class="center">Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung,<br> +von der Verlagshandlung vorbehalten.<br> +<em class="antiqua">Copyright 1910 by Grethlein & Co. Leipzig</em></p><br> +</div> + +<hr class="r65"> + +<div class="chapter"> +<h2>Erstes Buch</h2><br> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_9">[S. 9]</span></p> + +<h3 class="nobreak" id="Erstes_Kapitel">Erstes Kapitel.</h3> + +<p>Unter der weiten Halle des Zentralbahnhofs der rheinischen Garten- +und Künstlerstadt schritt in früher Spätsommermorgenstunde ein junges +Paar den Bahnsteig auf und ab. Reisefreude leuchtete in den Augen +des Mannes — doch er dämpfte sie um der Abschiedswehmut willen, die +durch des Mädchens Worte zitterte und immer wieder von Zeit zu Zeit in +raschen Perlen aus den hellen Augen auf das Spitzengewoge des lichten +Sommergewandes niedertropfte.</p> + +<p>Zwei schlanke Gestalten, so recht für einander gewachsen! Sie im Glanz +ihres Sommerschmucks, in der zierlichen Grazie ihrer zwanzig Jahre das +gehütete, gepflegte Kind einer von den Schranken der Satzung umhegten +Welt. Er — nun ja, er ...</p> + +<p>Die Uniform stammte aus dem ersten Schneideratelier, die Lackschuhe +blitzten. Die Mütze, keck auf das rechte Ohr gesetzt, war neuesten +Modells, die Haltung soldatisch straff.</p> + +<p>Und dennoch: selbst ein nicht gerade militärisch geschultes Auge +erkannte von weitem schon, daß der Träger dieser blinkenden +Herrlichkeiten doch — kein so ganz richtiger Leutnant war. Es war +nicht das helle Kolorit der Gesichtsfarbe allein — denn zu Anfang +August weisen die berufsmäßigen<span class="pagenum" id="Seite_10">[S. 10]</span> Träger der Leutnantsuniform allesamt +schon ein tiefes Braun auf — es war nicht allein eine gewisse +Gezwungenheit der Haltung, die verriet, daß diese elegante Gestalt +des Uniformtragens seit längerm entwöhnt sein mußte. Es waren nicht +allein die lebhaften Bewegungen der vielfach mitredenden, energisch +gestikulierenden Hände, es war auch in dem feurigen Gesicht mit dem +militärisch verschnittenen Schnurrbart und dem vorschriftsmäßig +durchgescheitelten Blondhaar ein Ausdruck von Selbständigkeit +und kühnem Lebensdrang — all das miteinander verriet dem feiner +beobachtenden Auge, daß dieser Leutnant eben ein Leutnant der Reserve +war.</p> + +<p>Das blieb auch den Soldaten nicht verborgen, die in dieser Morgenfrühe +auf dem Bahnhof der Garnisonstadt zu schaffen hatten. Da waren +Burschen, Ordonnanzen, Vizefeldwebel, die zu den Schießständen +hinauswollten. Alle diese Uniformträger erwiesen dem Offizier +pflichtschuldigst die Ehrenbezeugung, und zwar stramm; denn der in der +Leutnantsuniform sah nicht aus, als ob er mit sich spaßen ließe. Aber +wenn sie an dem Vorgesetzten vorüber waren und in ihren Schlendertrott +zurückfielen, dann spielte doch um eines jeden Lippen ein gewisses +Schmunzeln, das die Erkenntnis andeutete, man nähme diesen Offizier +eigentlich nicht so ganz ernst.</p> + +<p>Und auch das junge Weib an der Seite des Mannes schien die +Uniformherrlichkeit ihres Erkorenen nicht allzu tragisch zu nehmen; +denn jedesmal, wenn ein Unteroffizier oder Soldat in die maskenhaft +erstarrte Haltung der Ehrenbezeugung vor ihrem Gefährten zusammenfuhr, +konnte sie nur mit Mühe ein Lächeln verbergen, das plötzlich ihr +tränenzuckendes<span class="pagenum" id="Seite_11">[S. 11]</span> Gesichtchen überzog; und diesem Gefühl gab sie +Ausdruck: »Weißt du, Martin, ich will ja nicht behaupten, daß dir die +Uniform nicht stände, aber — sei mir nicht böse — in Zivil gefällst +du mir zehnmal besser!«</p> + +<p>»Das glaub' ich«, lachte ihr Verlobter. »Ich hab' den Rock Seiner +Majestät fünf Jahre lang nur mal gelegentlich zu Offizier- und +Kontrollversammlungen getragen! — aber laß mich nur erst mal ein paar +Wochen wieder drin stecken! Gib acht, wenn ich nächstens auf Urlaub zu +dir komme, dann sollst du dich deines Reservemannes nicht zu schämen +brauchen.«</p> + +<p>»Ach ja,« sagte das Mädchen, »komm recht bald, sonst halt' ich's nicht +aus ... du gehst ja fort, Liebster, du gehst fort ... ach, ich darf gar +nicht dran denken, sonst —«</p> + +<p>»Aber Mädel,« sagte Martin, »aber Mädel —«</p> + +<p>Wieder blitzten Tränen aus den leuchtenden Augen der Braut.</p> + +<p>»Weißt du denn nicht,« fuhr er fort, »was morgen in acht Wochen ist?!«</p> + +<p>Da schlug Agathe die Augen nieder unter dem hoffenden, verlangenden +Blick, der sie getroffen, und konnte nicht wehren, daß ein feines Rot +immer tiefer ihre flaumigen Bäckchen überzog. »Ach, Martin, ich glaub's +ja nicht eher, als bis wir endlich so weit sind ... eher glaub' ich's +nicht ...«</p> + +<p>»Na freilich, lang genug hat's gedauert, bis die Herren Eltern +eingesehen haben, daß ein Maler nicht notwendig der Antichrist in +Person ist —!«</p> + +<p>Eine Wolke finstern Unmuts lag auf einmal unter dem blitzenden +Lackschirm der Offiziermütze. Sie sprach von kaum verwundenen +Bitterkeiten ... von harten Kämpfen um ein<span class="pagenum" id="Seite_12">[S. 12]</span> endlich doch ertrotztes +Glück ... Die lachenden Lippen hatten sich jählings fest geschlossen, +und unwillkürlich stieß die Linke die Säbelscheide klirrend auf die +Fliesen des Bahnsteigs.</p> + +<p>»Laß, Liebster,« mahnte die Braut erschrocken, »jetzt nicht daran +denken ... ist ja nun alles überstanden!«</p> + +<p>»Ach, Mädel,« sagte der Maler, »das alles vergess' ich erst, wenn ich +dich hab' ... wenn ich dich ganz hab' ...«</p> + +<p>»In acht Wochen,« hauchte die Braut, »morgen in acht Wochen!«</p> + +<p>Sie richtete rasch das glühende Köpfchen auf, sah dem Geliebten tief +ins Auge und sagte voll eindringlichen Ernstes: »Martin, ich weiß, was +für ein toller Bursch du bist! — Versprich mir eines: Verspar dich für +mich ... nicht zu wilde Sachen machen, verstehst du mich? ... keine zu +unruhigen Pferde reiten ... nicht wieder durch jeden See schwimmen, +der am Ruhetage gerade zu erreichen ist, und« — mit halb mütterlich +besorgtem, halb schwesterlich schwärmerischem Lächeln — »nicht zu +viel trinken, verstehst du? ... Jedesmal, wenn du eine Flasche Sekt +bestellen willst, denk: ich werd' sie mir sparen, um sie hernach mit +meiner kleinen Frau auf der Hochzeitsreise zu trinken! Willst du mir +das versprechen, Schlingel du ...?«</p> + +<p>Martin hätte in diesem Augenblick weit mehr versprochen, wenn es hätte +sein müssen ...</p> + +<p>Ach, wie rasch war dies Aufflackern schelmischer Mädchenlust von dem +zierlichen Gesichtchen verflogen, als nun eine Bewegung unter der +harrenden Menge der Fahrgäste, als ein hurtiges Rollen von Gepäckkarren +und ein fernes Brausen die Ankunft des Zuges verkündete, der ihr den +Ersehnten auf acht Wochen entführen sollte!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_13">[S. 13]</span></p> + +<p>Fest schmiegte sich das liebe Kind an den blauen Überrock ihres +Reserveleutnants. Wieder standen Tränen in ihren Augen, als sie mit dem +Ausdruck rücksichtsloser Sehnsucht ihr Antlitz zu ihm emporhob: »Behalt +mich lieb, du ... hörst du ... behalt mich lieb ...!«</p> + +<p>Da faßte er ihre beiden Hände und gab ihr den Abschiedskuß. »Morgen in +acht Wochen, du, morgen in acht Wochen!«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Als eine Wendung des Zuges den Bahnhof und den weißen, winkenden Fleck +inmitten wimmelnder Menschenmenge dem Blick entrückt hatte, ließ der +Reisende sich mit einem tiefen Aufatmen in die grausammetnen Polster +fallen. Er war zum Glück allein — dehnte sich und streckte alle +Glieder in einem Gefühl unbeschreiblichen Behagens. Herrgott, war er +glücklich ...!</p> + +<p>Endlich überstanden, dieser zweijährige Kampf um dies Mädchen, das +er, er, der Verwöhnte, der vielgefeierte junge Künstler, aus den +hundert Gestalten, die ihn werbend umdrängten, sich ersehen hatte zur +Gesellin seines ruhelosen Daseins. Nach einer harten Jugend voller +Kampf, die ihn aus der behaglichen Enge des evangelischen Pfarrhauses +einer kleinen bergischen Stadt hinausgeführt hatte in das wogende +Dasein eines werdenden, machtvoll sich aufwärts ringenden Künstlers, +war er seit kurzem an einem ersten Ziel ... Im Hauptsaal der Sezession +in Berlin hingen seit dem Frühjahr allbestaunt nebeneinander zwei +große Damenporträts von seiner Hand, die er mit weisem Bedacht als +verblüffende Pendants für die Ausstellung in gleichem Format und Stil +geschaffen hatte, obwohl sie bestimmt<span class="pagenum" id="Seite_14">[S. 14]</span> waren, an ganz verschiedene +Plätze zu gelangen. Zur Linken die blonde Brünhildengestalt der Gräfin +Amalie von der Schulenburg, einer Vollblutgermanin, eines Sterns +der niederrheinischen Aristokratie, und neben ihr: die tiefbrünette +und ebenso tief dekolletierte Rasseschönheit der Frau Kommerzienrat +Mannheimer, der elegantesten und interessantesten Frau der Börsenkreise +in Frankfurt am Main ...</p> + +<p>Die Kritik hatte beide Bilder schlechthin als meisterlich gefeiert. Das +Publikum wurde nicht satt, die Werke zu bestaunen, die ihren Schöpfer +zum berufensten Verkünder des modernen weiblichen Schönheitstypus +stempelten und in die vorderste Reihe der zeitgenössischen +Porträtmalerei geführt hatten.</p> + +<p>Den ganzen Sommer über war Martin Flamberg von einem Hochsitz des +Kapitals zum andern gezogen und hatte die erlesensten Exemplare +glänzender Weiblichkeit mit einer Kunst festgehalten, die, weit +entfernt von weichlicher Schmeichelei und Schönfärberei, doch ihre +Gegenstände über die Sphäre gemeiner Wirklichkeit in eine Region +idealer Kultur hineinzuheben verstand.</p> + +<p>Und erst dieser junge Ruhm und seine notwendige Folge, das elementare +Anschwellen seines Bankkontos, hatten den langjährigen Widerstand des +Oberlandesgerichtspräsidenten, Geheimen Oberjustizrats Doktor van den +Bergh und seiner freiherrlichen Gattin gebrochen und so dem trotzigen +Zueinanderwollen zweier Menschen den Sieg gebracht, deren Verbindung +ein Schlag ins Gesicht des Schicksals zu sein schien.</p> + +<p>Der alte Präsident war der Typus eines starren ostelbischen +Bureaukraten, und ihm wie seiner Frau war der<span class="pagenum" id="Seite_15">[S. 15]</span> Gedanke, ihre Einzige an +der Seite eines Künstlers zu sehen, fast gleichbedeutend geworden mit +dem völligen Verzicht auf die Liebe ihres Kindes.</p> + +<p>Sie hatten es mit ansehen müssen, wie ihr Mädchen sich angesichts ihrer +Weigerung schrittweise völlig von ihnen loslöste und in eine andere +Welt hinüberwuchs, für deren Lebensgesetze ihnen auch der Schatten des +Verständnisses abging. Sie hatten sich bis zur Verzweiflung gegen diese +Schickung gewehrt und sich erst besiegt gegeben, als der Erwählte ihrer +Tochter ihnen ziffermäßig beweisen konnte, daß seine Kunst wenigstens +nicht eine brotlose sei, und daß sie für die materielle Zukunft ihres +Kindes nichts zu befürchten haben würden, wenn sie schon seiner Seelen +Seligkeit und das beglückende Bewußtsein innerer Zusammengehörigkeit in +den Kauf hatten geben müssen.</p> + +<p>Wie oft hatte sich Martin Flamberg in diesen Jahren der Kämpfe gefragt, +ob es nicht richtiger sei, von dem raschen Bündnis, das eine Ballnacht +besiegelte, zurückzutreten und sich den entsetzlich kraftvergeudenden +Kämpfen nicht länger auszusetzen, die ihm jahrelang die Ruhe seines +Lebens geraubt hatten — diese Ruhe, die er doch für seine Kunst so +nötig brauchte.</p> + +<p>Aber schließlich war es der gleiche zähe Künstlertrotz, der ihn in +raschem Aufstieg zu der heute erklommenen Höhe geführt hatte — +dieser selbe unbeugsame Trotz war es gewesen, der ihn an der einmal +getroffenen Wahl hatte festhalten lassen, so oft auch in lockendster +Gestalt von rechts und links die Versuchung an ihn herangetreten war, +das Ziel seines Lebens auf mühelosere Weise zu erreichen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_16">[S. 16]</span></p> + +<p>Ach — das alles lag ja nun hinter ihm — das alles war verwunden — +mußte und durfte vergessen werden. Der Termin seiner Hochzeit war +festgesetzt. Auch hier hatte er den Sieg erzwungen, im Leben, wie in +der Kunst.</p> + +<p>Nun wollte er noch einer lange aufgeschobenen Pflicht genügen und seine +vierte Reserveoffizierübung machen, um dann am Arme der Liebe die +zweite Hälfte seines Lebens zu beginnen. Ja, diese achtwöchige Übung +—! Er war ein begeisterter Soldat gewesen. Es hatte ihm Vergnügen +gemacht, sich durch Luft und Sonne im Waffendienst herumzutummeln — es +war ihm eine Wonne gewesen, von Zeit zu Zeit in die bunte Schlangenhaut +des Kriegers zu schlüpfen und auch hier seinen Mann zu stellen.</p> + +<p>Aber als nun langsam der Erfolg — als endlich jählings der Ruhm +gekommen war — als er sich ganz durchdrungen hatte mit Künstlertum, +da hatte er geglaubt, die militärische Phase seiner Jugend endgültig +überwunden zu haben, und es war ihm schier ein unerträglicher Gedanke +gewesen, sich nochmals für acht Wochen in den Zwang einer so ganz und +gar anders gerichteten Lebensführung fügen zu sollen.</p> + +<p>Oftmals hatte er vor dem Schritte gestanden, sich aus der Reserve +des Regiments, dem er angehörte, gleich in die Landwehr zweiten +Aufgebots überschreiben zu lassen und damit ein für allemal sich seinen +militärischen Verpflichtungen zu entziehen ... und dann hatte er's +doch nicht übers Herz gebracht; denn das Monogramm seines Regiments +bedeutete für ihn zugleich die Erinnerung an fast zwei Jahre seines +Lebens, denen er, das wußte er gar wohl, als Künstler sehr viel +verdankte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_17">[S. 17]</span></p> + +<p>Verdankte vor allen Dingen seine genaue Bekanntschaft mit dem Wesen des +Volkes, das sich ihm im erzwungenen Verkehr mit den Mannschaften und +Unteroffizieren seines Regiments spielend erschlossen hatte.</p> + +<p>Aber noch mehr verdankte er seinem Soldatentum:</p> + +<p>Die sich dem Kulturmenschen sonst nur auf Reisen zu »kalt staunendem +Besuch« erschließt ... die Natur ... zu ihr hatte er just als Soldat +ein persönliches Verhältnis gewonnen, das seiner Kunst die reichsten +Früchte getragen hatte. Er war ja nicht Landschafts-, sondern +Porträtmaler, und die Richtung seines Strebens bannte ihn an den +Salon, bannte ihn an eine Menschensphäre hoher Kultur, äußerster +Verfeinerung und Naturentfremdung des gesamten Daseinsbetriebes — und +so war es ihm geradezu ein Glück geworden, daß sein Dienstjahr und die +Pflichtübungen in der Reserve ihn durch Jahre hindurch immer wieder +in Zusammenhang mit dem Leben des Volkes und mit dem geheimnisvollen +Wirken der Natur gebracht hatten. Er hatte fünf Manöver mitgemacht, und +diese kriegerischen Übungen hatten ihm zahllose Bilder in die Seele +geprägt, Bilder von taufrischen Sonnenaufgängen auf grüner Heide, in +den Gebirgen der Eifel und des Hunsrücks — brütende Sonnenschwüle über +flimmernden Ackerbreiten — traumstille Mondnächte — nebelverhangene, +regentriefende Waldeinsamkeiten.</p> + +<p>Und nun — da er wieder den bunten Rock angezogen — fühlte er +wieder jene seltsame Wirkung, der er schon früher immer so gern sich +hingegeben hatte — er fühlte sich plötzlich verwandelt werden — +fühlte, wie er auf einmal ein anderer Mensch wurde — fühlte, wie das +Gewand, das die Zugehörigkeit zu einer andern Kaste bedeutete, in ihm<span class="pagenum" id="Seite_18">[S. 18]</span> +plötzlich Möglichkeiten seiner Seele freimachte, die unentwickelt +geblieben wären in dem Leben seines eigentlichen und wahren Berufs.</p> + +<p>Ach, wie schön, dachte Flamberg, nun einmal für acht Wochen nicht mehr +der berühmte und umstrittene Künstler zu sein, sondern ganz wer anders!</p> + +<p>Ein kleiner Leutnant — eine Nummer — ein Rad im großen Betrieb eines +ungeheuren, wuchtig und sicher arbeitenden Mechanismus.</p> + +<p>Untersinken in einer Menge — nicht mehr wollen dürfen, sondern einfach +müssen — sich korrigieren und anschnauzen lassen müssen — hinter sich +ein Fähnlein grobknochiger Söhne des Volkes — um sich herum die Bilder +eines bunten und fremden Lebens.</p> + +<p>Wieder im Gefecht sprungweise über den Stoppelacker und durch +Waldesdickicht vorgehen müssen — umbrüllt vom rollenden Hurra und +knatternden Schnellfeuer, umschrillt vom vorwärtsdrängenden Kreischen +der Signalhörner, vom dumpfen Sturmmarsch der Tambours, um dann am +Ziel, Auge in Auge mit dem friedlichen Feind, sich lachend und keuchend +an die Erde zu werfen und in rasch gefundenem Schlummer zwischen +braunen Schollen und gelbblühenden Ginsterstauden auszuruhen — und +dann gestärkt und genesen heimzukehren — ein erneuter, verjüngter +Mensch, wie Antäus aus der Umarmung seiner Mutter, um wieder zum Pinsel +zu greifen und aufs neue Schönheitswelten aus dem Nichts zu schaffen.</p> + +<p>Ach, und dann galt es ja bei dieser Heimkehr den Einzug in das Land +des Menschenglücks — galt es die Vereinigung mit ihr, die er sich +zur Gesellin seines Daseins erlesen —<span class="pagenum" id="Seite_19">[S. 19]</span> mit ihr, die er trotzig +herausgerissen aus einer fremden, starren Welt, um sie mit sich +hineinzuführen in die glückselige, heitere Region, in der sein eigenes +Dasein sich sonnig entfaltete.</p> + +<p>Mit ihr, von der seine Gefühle ihm beim ersten Anblick gesagt hatten, +daß sie die Kameradin sei, die er brauche, sie der Mensch, der seinem +wilden Herzen den Frieden schenken würde, die große Ruhe, in der allein +das große Werk zur Reife gedeihen kann.</p> + +<p>Wie schön das alles — wie reich und schön! Wie reich und schön dies +selbstgeschaffene Leben mit all seinen wechselnden Gestaltungen!</p> + +<p>Wie hell um ihn die Hoffnungsfülle — wie golden vor ihm die Zukunft in +Nähe und Weite!</p> + +<p>Welches Glück, ein Künstler zu sein!</p> + +<p>Welches Glück aber auch, Soldat zu sein — von Zeit zu Zeit einmal +untertauchen zu können von der flimmernden Oberfläche der Menschheit +her in die ruhig treibende Tiefe hinab, dorthin, wo im Waffendienst +ein Volk geschult wurde zur Wehrhaftigkeit in Krieg und Frieden, +zu geschlossen starkem Ineinanderwirken, zu elementarischer +Zusammenballung eines ungeheuern Kräftevorrats!</p> + +<p>Und endlich, zu lieben und geliebt zu werden — welch ein Glück — +welch eine Schönheit — welch überschwengliche Hoffnung und Gnade!</p> + +<p>Ihm war's, als sitze sein Mädchen ihm gegenüber, als seien die +tränenschweren, güteschweren braunen Augen auf ihn gerichtet mit der +innigen Mahnung: Komm wieder — komm bald wieder — du weißt ja, ich +harre dein!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_20">[S. 20]</span></p> + +<p>Der reisende Mann legte den Kopf tief in die Kissen zurück, schloß die +Augen und sprach leise vor sich hin: »Agathe — Agathe!« — —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Ratternd und fauchend hielt der Zug auf einer Kreuzungsstation. Martin +fuhr auf, steckte den Kopf zum Fenster hinaus in der Absicht, die +Einsamkeit seiner Fahrt gegen jeden Eindringling mit einem wahren +Menschenfressergesicht zu verteidigen.</p> + +<p>Da sah er in der Menge der andrängenden Fahrgäste eine abenteuerliche +Gestalt. Seine erste Empfindung war: Aha, ein Kamerad — aber was für +einer!</p> + +<p>Ein lang und dürr aufgeschossener Herr mit goldgefaßter, funkelnder +Brille und einem langen, struppigen roten Bart, die hagern Glieder +umschlossen von einem Offizierüberrock, der, bei völlig unmodernem +Schnitt, noch immer die schwarze Farbe zeigte, während Blau seit +einigen Jahren Vorschrift war, auf dem Kopfe eine Mütze, wie er selber +sie in seiner einjährig-freiwilligen Dienstzeit vor zehn Jahren +getragen. Die Linke fuhrwerkte unbeholfen mit dem Säbel umher, der ihm +jeden Augenblick zwischen die stelzengleichen, unruhig trippelnden +Beine zu geraten drohte.</p> + +<p>Neben dem Uniformierten stand mit kaum verhohlenem Grinsen ein +rotbemützter Dienstmann, der einen ungeheuern, stark verschlissenen +Handkoffer und eine Helmschachtel trug.</p> + +<p>Nun hatten die hilflos hinter den Brillengläsern flackernden +grauen Augen des Uniformierten den Maler erspäht. Die Rechte im +Uniformhandschuh legte sich grüßend an den Schirm der vorsintflutlichen +Mütze, und wie schutzsuchend<span class="pagenum" id="Seite_21">[S. 21]</span> steuerte die lange Gestalt auf den Wagen +zu, an dessen Fenster Martin stand.</p> + +<p>Der Dienstmann riß die Wagentür auf, stieg zuerst hinein und verstaute +das Gepäck in den Netzen. Mühsam kletterte der Offizier hinterher, +jeden Augenblick in Gefahr, über seinen Säbel zu stolpern. Nun +suchte die ungelenke Linke des Herrn nach dem Portemonnaie, fand +aber die Tasche nicht gleich, weil die langen Schöße des Rocks und +der Riemen des Säbelkoppels den Zugang hemmten; aber endlich war die +Börse doch erwischt, der Dienstmann bekam seine Vergütung, die nicht +allzu reichlich ausgefallen zu sein schien; denn ohne Gruß mit einem +knurrenden Laut verließ der Träger das Abteil.</p> + +<p>Und nun wollte sich der Ankömmling dem Kameraden vorstellen; in +demselben Augenblick aber zog der Zug an — und mit einem Ruck flog der +schwarze Überrock gegen den hellblauen, so daß beide Herren auf die +Polster plumpten.</p> + +<p>In hilfloser Verlegenheit stotterte der Ankömmling eine Entschuldigung, +und nachdem beide Herren ihre Säbel und Beine wieder aufgesammelt +hatten, stellte er sich nun endlich vor, selbstverständlich ohne daß +Martin den Namen des Kameraden verstand.</p> + +<p>Tiefaufatmend lehnte sich der fremde Herr auf seinen Sitz zurück, +nahm die Mütze ab, unter der ein nur noch von einem dürftigen braunen +Haarkranz umsäumter kahler Schädel zum Vorschein kam, und tupfte mit +einem gelbseidenen Taschentuch die quellenden Schweißtröpfchen von +Stirn und Platte.</p> + +<p>»Schauerliche Hitze —!« meinte er und fächelte sich mit dem +Taschentuch.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_22">[S. 22]</span></p> + +<p>Rasch kam das Gespräch in Gang. Es stellte sich heraus, daß der +Ankömmling Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn +sei, und als Flamberg ihm seinen Namen deutlicher wiederholte, wußte +der andere sofort Bescheid. Respektvoll fragte er: »Flamberg? etwa gar +der Schöpfer der beiden Porträts in der Berliner Sezession?«</p> + +<p>»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« lächelte Martin.</p> + +<p>»Alle Wetter,« sagte der andere, »das nenn' ich ein glückliches Omen +... da ich doch nun wieder einmal sehr gegen meinen Geschmack aus +meiner stillen Studierklause unter das Kriegsvolk verschlagen werde. +Ich bin entzückt, gleich beim ersten Eintritt in diese langentfremdete +Welt einem Vertreter sanfterer Regionen der Menschlichkeit zu begegnen +... Übrigens werden Sie meinen Namen auch nicht verstanden haben. Ich +heiße Frobenius.«</p> + +<p>Martin dachte einen Augenblick nach und sagte: »Frobenius, Wilhelm +Frobenius ... ich habe vor kurzer Zeit eine Sammlung von Studien über +Goethes Faust von einem Wilhelm Frobenius gelesen — wären das gar Sie?«</p> + +<p>»Ich kann's nicht länger verheimlichen,« schmunzelte Frobenius.</p> + +<p>Martin streckte ihm die Hand hin: »Ich freue mich,« sagte er, »Ihre +Analyse der Gretchengestalt hat auf mich so stark gewirkt, daß ich kurz +vor meiner Abreise ein Gretchen gemalt habe.«</p> + +<p>»Schau — schau,« sagte Frobenius, »wo haben Sie das Modell +aufgetrieben?«</p> + +<p>»Da hab' ich nicht lang zu suchen brauchen,« lachte Martin, »meine +Braut!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_23">[S. 23]</span></p> + +<p>»Ei der Tausend, dann freilich! — gratuliere, Herr Kamerad!«</p> + +<p>»Sagen Sie, Herr Frobenius,« fragte der Maler, »Sie scheinen von der +Aussicht, wieder mal acht Wochen im bunten Rock zubringen zu müssen, +nicht so erbaut zu sein wie ich?«</p> + +<p>»Ja,« sagte Frobenius, »das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich kann +mir wohl vorstellen, daß Sie mir es an der Nase ansehen, daß meine +Liebe zum Kommiß eine einigermaßen unglückliche ist. — Sehen Sie, ich +bin von Natur so etwas wie ein Pechvogel, fühle mich eigentlich nur +hinter meinen Büchern so recht behaglich —«</p> + +<p>»Dann verstehe ich nicht recht — Sie müssen doch schon in höhern +Semestern sein und haben doch keinesfalls mehr die Pflicht zu üben — +warum tun Sie's also?«</p> + +<p>»Sie haben ganz recht zu fragen,« erwiderte der Privatdozent, »ich +könnte längst außer Dienst sein. — Ich habe mich überhaupt erst in der +Landwehr zum Offizier wählen lassen und mit Zittern und Zähneklappern +vor sechs Jahren meine einzige achtwöchige Pflichtübung gemacht. Damals +aber habe ich gefunden, daß mir diese Übung vorzüglich bekam, nicht nur +körperlich, auch — ich möchte sagen — was meinen Charakter anbetrifft +— — Wissen Sie, ein so fürchterlich ungewandter Mensch, wie ich nun +leider Gottes einmal einer bin, für den sind solche acht Wochen beim +Kommiß eine wahre Dressur. Wenn ich auch im bunten Rock eine ganz +miserable Figur mache — ich weiß das leider nur zu gut — so hab' +ich entdeckt: als ich damals nach Hause kam, da war für einige Zeit, +etwa für zwei bis drei Jahre, jene lächerliche Scheu vor öffentlichem +Auftreten und gesellschaftlichem<span class="pagenum" id="Seite_24">[S. 24]</span> Umgang von mir gewichen, die mich +sonst zu einem wahren Einsiedlerdasein zwingt.«</p> + +<p>»Aha, und darum sind Sie also in der Landwehr I geblieben — und wollen +jetzt mal wieder acht Wochen 'ran, um sich sozusagen wieder mal ein +bissel zurechtstutzen zu lassen!«</p> + +<p>»Ja, allerdings, das war die Absicht«, meinte der Privatdozent. +»Eigentlich ist die Übung für mich ein Martyrium, dem ich nur mit +Grauen und Entsetzen entgegensehe — und ich weiß schon, daß ich +während der ganzen Zeit aus einer Katastrophe in die andere taumeln +werde — aber was hilft's — es muß nun einmal sein.«</p> + +<p>»Ja,« lachte der Maler, »dann sind Sie allerdings zu bedauern — ich +für meine Person freue mich, offen gestanden, ganz kolossal auf die +Übung.«</p> + +<p>»Das glaube ich,« sagte Frobenius, »Sie sehen auch so aus, als ob Sie +Grund dazu hätten. Wenn mich der Schein nicht trügt, so sind Sie ein +gerade so netter Kerl, wie Sie ein großer Künstler sind, und ich werde +Ihnen etwas sagen: Sie werden mir einen Gefallen tun. Sie werden sich +gelegentlich meiner ein bißchen erbarmen, wenn es mir gar zu jämmerlich +geht, nicht wahr, Herr Kamerad?!«</p> + +<p>Er streckte dem Maler die haarige Rechte hin, von der er den weißen +Uniformhandschuh abgezogen hatte, und schallend schlug Martin ein.</p> + +<p>»Das soll ein Wort sein, Herr Frobenius — ich denke, es soll recht +nett werden, die acht Wochen hindurch — ich sehe gar nicht ein, was +uns hindern könnte, uns die zwei Monate, die vor uns liegen, zu einem +rechten Fest zu machen.«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_25">[S. 25]</span></p> + +<h3>Zweites Kapitel.</h3> +</div> + +<p>In dem hellen, luftigen Speisesaal des Offizierkasinos des +Füsilier-Regiments Prinz Heinrich der Niederlande (14. Rheinischen) +Nr. 186 war der Kasinovorstand, Oberleutnant Menshausen, damit +beschäftigt, die Anordnungen für die Mittagstafel einer letzten Prüfung +zu unterziehen. Er legte an der Hand eines Zettels, auf dem er die +Tischordnung entworfen hatte, persönlich die Tischkarten, instruierte +die Ordonnanzen und warf ab und zu einen Blick auf den Kasernenhof +hinaus, wo im Schatten der Kasernengebäude die Bataillonsadjutanten +die Befehlsempfänger der Kompagnieen um sich versammelt hatten, um die +Tagesbefehle auszugeben. Drüben aber, im prallen Sonnenschein, trat +die Wache an, und der Offizier vom Ortsdienst nahm die Meldungen der +Wachhabenden entgegen.</p> + +<p>Säbelklirrend kam Leutnant Blowitz herein, der neue Adjutant des ersten +Bataillons, erst seit kurzem aus dem fernen Osten in das rheinische +Regiment versetzt: »Morgen, Menshausen — nanu, gibt's denn heute +mittag ein größeres Zauberfest?«</p> + +<p>»Allerdings,« erwiderte Menshausen kurz, »Regimentsmusik!«</p> + +<p>»Was ist denn los?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_26">[S. 26]</span></p> + +<p>»Die Herren Kameraden der Reserve und Landwehr werden in unserer Mitte +begrüßt.«</p> + +<p>»Ah — richtig, richtig — aber warum machen Sie denn dazu so'n saures +Gesicht, Menshausen?«</p> + +<p>»Ich weiß nicht,« brummte der Kasinovorstand, »kann die Herren nun mal +nicht verknusen — verderben den ganzen Eindruck des Offizierkorps — +untergraben die Disziplin.«</p> + +<p>»Na, hören Sie mal,« lächelte Blowitz, »ich habe mich bei meinem +frühern Regiment mit den Herren ganz vorzüglich gestanden. Ist 'ne ganz +nette Abwechslung — man bekommt doch mal was anderes zu hören, als +ewig Kommiß- und Avancementsgeschichten. Übrigens sind die Herren nun +einmal doch ein notwendiges Übel.«</p> + +<p>»Ob sie notwendig sind, weiß ich nicht — übel sind sie jedenfalls.«</p> + +<p>Leutnant Blowitz stand gerade an der Wand unter einem mächtigen Rahmen, +der eine große Anzahl einzelner Photographien von Offizieren umschloß. +Es waren die Toten des Offizierkorps des Regiments aus dem Feldzuge +1870/71.</p> + +<p>»Ja, sehen Sie mal, lieber Menshausen,« meinte er, »schau'n Sie sich +doch mal hier die Regimentstafel der Gefallenen von Siebzig an — da +ist ein Hauptmann der Reserve und drei Leutnants der Reserve drunter.«</p> + +<p>»Na ja,« lenkte der Ältere ein, »im Kriege mögen die Herren ja an +ihrem Platze sein, und daß sie brav gefochten haben und als ehrenhafte +Soldaten gestorben sind, will ich ja nicht bezweifeln — aber im +Frieden tun sie nichts weiter, als den Betrieb stören. Wir sind doch +hier wahrhaftig nicht zusammen, um ein bißchen Räuber und Gendarm +miteinander zu spielen — wir haben hart zu arbeiten — wir<span class="pagenum" id="Seite_27">[S. 27]</span> haben +die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, binnen zwei Jahren die +Hanakenbande, die uns jeden Oktober hierher geschickt wird, zu halbwegs +brauchbaren Soldaten zu erziehen — und dabei sind die Herren von der +Reserve und Landwehr höchstens hinderlich!«</p> + +<p>Blowitz lachte still in sich hinein. Er hatte den Charakter des neuen +Regimentskameraden schon einigermaßen durchschaut und wußte, daß es +nicht leicht war, ihm irgend etwas recht zu machen.</p> + +<p>»Wie viel Herren kommen denn?« fragte Blowitz.</p> + +<p>»Ganze sechs!«</p> + +<p>»Na, was für Geisteskinder sind es denn?«</p> + +<p>»Geben Sie mal acht,« sagte der Oberleutnant und zog den Jüngern ans +Fenster, »da hinten unterm Torbogen da versammeln sie sich gerade. +Wissen Sie, ich teile die Herren Sommerleutnants in zwei Kategorien +ein: die einen sind die, die wenigstens von weitem wie Offiziere +aussehen — die andern sind glattweg wandelnde Karikaturen. Nun sehen +Sie sich mal die Gesellschaft da hinten an. Ich werde Ihnen zunächst +die Karikaturen vorstellen. Also betrachten Sie mal diese Tonne da +hinten: das ist der Oberleutnant der Reserve, Herr Brassert, im +Zivilverhältnis Gymnasialoberlehrer. Wenn Sie dem einen Stich ins Herz +versetzen wollen, dann müssen Sie ihn ›Herr Professor‹ anreden.«</p> + +<p>»Warum soll ich ihm denn einen Stich ins Herz versetzen?« erwiderte +Blowitz, »er hat mir ja gar nichts getan — aber weiter! Wer ist denn +dieser merkwürdig dünne Herr mit dem zapfenartig herunterhängenden +Schnurrbart?«</p> + +<p>»Ja,« sagte Menshausen, »das ist die Obervogelscheuche unter den Herren +— das ist der Forstassessor Troisdorf, ein<span class="pagenum" id="Seite_28">[S. 28]</span> Rauhbein im Quadrat; ich +behaupte, er kann überhaupt kein Wort Hochdeutsch sprechen.«</p> + +<p>»Nanu,« meinte Blowitz, »wie ist denn das möglich? Ein Forstassessor +...«</p> + +<p>»Na, Sie werden ja hören,« entgegnete Menshausen, »mag sein, daß er +im Verkehr mit seinen Waldwärtern und Treibern völlig verbauert ist, +jedenfalls spricht er das fürchterlichste Kölnisch, das ich jemals +gehört habe.«</p> + +<p>»Übrigens wimmelt da ja noch eine dritte Karikatur 'rum.«</p> + +<p>»Den Herrn kenn' ich nicht — das ist also jedenfalls der +Landwehronkel, der uns angekündigt worden ist — irgend so'n gelehrtes +Haus von der Universität — Gehirnfatzke, wie der Simplizissimus sagt!«</p> + +<p>»Na, und nun also die halbwegs vernünftig Aussehenden!«</p> + +<p>»Ja sehn Sie — da ist zunächst der einzige, der für mich mitzählt, der +blonde Herr im Dienstanzug — er macht seine erste Offizierübung — er +ist aus dem Regiment hervorgegangen — ein Referendar namens Dormagen +— ein einigermaßen tadelloser Herr!«</p> + +<p>»So, also das ist Ihr Genre,« sagte Blowitz, »für meinen Geschmack hat +er eine ziemliche Ohrfeigenvisage — und der andere daneben, mit dem +riesigen, hochaufgedrehten Schnurrbart?«</p> + +<p>»Hm — das ist wieder 'ne andere Nummer — das ist der Leutnant Klocke +— seines Zeichens das, was ein aktiver Offizier in der Regel erst +später zu werden pflegt — nämlich Versicherungsagent! — Na — er +macht wenigstens 'ne leidlich militärische Figur — über seine sonstige +Persönlichkeit müssen Sie sich selbst ein Urteil bilden!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_29">[S. 29]</span></p> + +<p>»Wer aber«, fragte Blowitz, »ist der blonde Herr, der da eben so +strahlend heranfegt?«</p> + +<p>Menshausen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. »Tja — — das ist +sozusagen unser Renommierreserveleutnant — ein sogenanntes berühmtes +Tier — das ist der Maler Flamberg —«</p> + +<p>»Flamberg?« sagte Blowitz nachsinnend, »woher kenn' ich denn den Namen? +— Richtig, jetzt fällt mir's ja ein: auf der Durchreise war ich doch +in Berlin und hab' da in einer Ausstellung ein paar gemalte Weiber +gesehen — aber — deliziös, sag' ich Ihnen — eine stramme Germanin — +und daneben eine fabelhaft pikante Jüdin mit Schultern — Schultern — +sag' ich Ihnen! Teufel, die Bilder machen ja ein kolossales Aufsehen! +— und das ist also dieser Flamberg?«</p> + +<p>»Weiß ich nicht,« sagte Menshausen, »ich verstehe nichts von Kunst +— und ob er eine Germanin und eine Jüdin in Berlin aufgehängt hat, +ist mir höchst wurscht. Für meine Person kann ich nur behaupten, daß +dieser Herr Flamberg mir unter all den Herren von der Reserve der +fatalste ist. — Was der Bruder sich schon einbildet auf sein bißchen +Pinselei! und dann, wissen Sie: Ansichten! Ich begreife nicht, was so'n +sogenannter Künstler überhaupt im preußischen Offizierkorps zu suchen +hat. — Der sollte doch ruhig mit seinen Übermenschen und Überweibern +zusammenhocken und uns hier in Frieden lassen — na, Sie werden ihn ja +kennen lernen.«</p> + +<p>»Ich weiß nicht — ich finde, er sieht ausgezeichnet aus!«</p> + +<p>In diesem Augenblick standen die Ordonnanzen stramm; denn ein neuer +blauer Überrock erschien in der Tür zum Rauchzimmer.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_30">[S. 30]</span></p> + +<p>»Morgen, meine Herren!«</p> + +<p>»Guten Morgen, Herr Hauptmann!« Die beiden Offiziere verneigten sich.</p> + +<p>»Ah, Herr Hauptmann schenken uns die Ehre heute,« sagte der +Kasinovorstand, »ist ja wohl das erstemal, seitdem Herr Hauptmann der +Tischgesellschaft auf so überaus angenehme Weise entfremdet worden +sind!?«</p> + +<p>»Tja,« meinte Hauptmann von Brandeis, »alles den Herren Kameraden von +der Reserve zu Ehren! — Da ist nämlich der Maler Flamberg dabei, den +hab ich seinerzeit als Rekruten ausgebildet. — Ich habe bei Herrn von +Schoenawa durchgesetzt, daß er in meine Kompagnie kommt.«</p> + +<p>»So,« meinte Menshausen, »also der ist Herrn Hauptmanns Fall?«</p> + +<p>»Warum nicht?« entgegnete Hauptmann von Brandeis, »und übrigens — +wissen Sie, wir gehen doch nächstens ins Manöver, und da weiß ich aus +Erfahrung — Flamberg hat nämlich schon einmal bei meiner Kompagnie +während des Manövers geübt — der ist unschätzbar als Menagenchef. Wenn +ich die Manöververpflegung dem Windhund, meinem kleinen Carstanjen, +überlasse, dann bekomm ich während der drei Manöverwochen nichts +Vernünftiges zu essen und zu trinken — da halt' ich mich schon lieber +an Flamberg — das ist ein Genießer vor dem Herrn! — Außerdem hab' ich +auch noch andere Absichten mit ihm: er soll meine Frau malen!«</p> + +<p>»So,« meinte der Oberleutnant gedehnt, »wissen Sie denn auch, Herr +Hauptmann, daß Flamberg in dem Ruf steht, von den Damen sehr — hm, hm! +— verwöhnt zu werden?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_31">[S. 31]</span></p> + +<p>»Na, wennschon,« sagte Brandeis phlegmatisch, »er ist verlobt! — +Übrigens war das eine ziemlich geschmacklose Bemerkung von Ihnen, +lieber Menshausen.«</p> + +<p>Der Hauptmann machte kurz kehrt und ging ohne Gruß in das Rauchzimmer +zurück.</p> + +<p>»Kennen Sie Frau von Brandeis, lieber Blowitz?« fragte Menshausen leise.</p> + +<p>»Wenigstens <em class="antiqua">par renommée</em>,« erwiderte der andere, »soll 'ne +Schönheit sein, wie?«</p> + +<p>»Schönheit —? viel zu wenig! Die Frau, wissen Sie, das ist — einfach +'ne Sache, verstehen Sie. — — Wie die an dieses schlafmützige +Dusseltier, den Brandeis geraten ist, das wissen die Götter! — +Stammt aus 'ner schwerreichen Düsseldorfer Fabrikantenfamilie — +fabelhaft musikalisch — und ein Temperament —! Wenn ich Brandeis +wäre, die ließ ich nicht fünf Minuten aus den Fingern! Na, schließlich +so'n Reserveonkel — davor wird sie hoffentlich ihr guter Geschmack +bewahren. — Wenn schon — dann soll's wenigstens in der Familie +bleiben —!«</p> + +<p>In diesem Augenblick trat der Stabshoboist, der Königliche +Obermusikmeister Herr Biesicke ein, schritt stramm auf den +Kasinovorstand zu und meldete: »Regimentsmusik zur Stelle!«</p> + +<p>»Danke, lieber Biesicke! Na, nun können die Herren Kameraden der +Reserve und Landwehr meinetwegen anrücken!« — —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Draußen auf dem Kasernenhof lag die Augustsonne in breiten goldenen +Flächen ausgegossen — immerfort<span class="pagenum" id="Seite_32">[S. 32]</span> tauchten in diese gelbe Fläche +glitzernde, flimmernde Punkte hinein.</p> + +<p>Jetzt kam bei lustigem Pfeifen- und Trommelklang eine Kompagnie mit +Staub und Schweiß bedeckt von der Felddienstübung zurück. Der Hauptmann +an der Spitze setzte seinen Gaul in Galopp, sprengte bis auf die Mitte +des Kasernenhofes vor und kommandierte, daß es schallend an den langen +Fronten der Kasernengebäude widerhallte: »Augen — rechts!«</p> + +<p>Hei! Da richteten sich all die marschmüden Gestalten noch einmal +stramm auf — mit einem Ruck flogen die Köpfe rechts herum, und in +flottem Parademarsch zog die gleißende, waffenrasselnde Schar an ihrem +Häuptling vorüber.</p> + +<p>»Kompagnie — halt! — Mit Gruppen links schwenkt — marsch! Halt! +Gewehr — ab! — Rührt euch!«</p> + +<p>Schon erschien, aus seiner behaglichen, kühlen Kompagniestube +hervorgekrochen, der behäbige Feldwebel, erschienen Mannschaften vom +Arbeitsdienst in Drillichzeug, Feldmützen und blauen Schürzen, um +die vom Gefecht übrig gebliebenen Platzpatronen und Patronenhülsen +abzunehmen — einige Befehle wurden noch ausgegeben — dann hieß es: +»Stillgestanden! — Weggetreten!«</p> + +<p>Und nach strammer Kehrtwendung ergoß sich die Schar der jungen Krieger +wie eine heiße Flutwelle schweißdunstiger, wangenbrauner Jugend in der +Richtung auf die Kaserneneingänge und verlor sich schwatzend, lachend, +stiefelpolternd in die hallenden Korridore.</p> + +<p>Der Hauptmann warf seinem Burschen die Zügel seines Kleppers zu, +voltigierte so elastisch, als ihm seine zweiundvierzig Jahre dies +gestatteten, vom Pferde herunter und<span class="pagenum" id="Seite_33">[S. 33]</span> wandte sich zu seinen Offizieren. +Die standen, Hand am Helm, Säbel angefaßt, seiner Befehle gewärtig: +»Ich danke Ihnen, meine Herren — wie wär's mit einem Schoppen im +Kasino?«</p> + +<p>»Selbstverständlich, Herr Hauptmann!«</p> + +<p>Da standen in der geräumigen Eingangshalle des Kasernengebäudes die +sechs eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes: »Ah, sieh da — +die Herren von der Reserve und Landwehr!«</p> + +<p>Der Hauptmann und die beiden jungen, schmucken aktiven Leutnants traten +auf die eingezogenen Herren zu und begrüßten die alten Bekannten. Von +den sechs Angekommenen gehörten fünf zur Reserve des Regiments und +waren den aktiven Herren von frühern Übungen her bereits bekannt. So +war die Begrüßung sehr herzlich und kameradschaftlich.</p> + +<p>Etwas hilflos stand der Leutnant der Landwehr Frobenius im +Hintergrunde, aber Flamberg, eingedenk seines Versprechens, sich des +Kameraden anzunehmen, winkte ihn heran: »Gestatten Herr Hauptmann, Herr +Leutnant der Landwehr Frobenius — Herr Hauptmann Haller, Chef der +dritten Kompagnie — die Herren Leutnants von Finette und Krummacher.«</p> + +<p>Herr Frobenius faßte den Säbel in die Linke und legte die +weißbehandschuhte Rechte wie eine große Flosse an den Helm mit einer +so altväterlich unbeholfenen Handbewegung, daß der lustige, hellblonde +Leutnant von Finette es sich nicht versagen konnte, gleich loszuulken: +»Sagen Sie, Herr Frobenius, Sie haben wohl schon unter Albrecht dem +Bären gedient, wie?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_34">[S. 34]</span></p> + +<p>»Warum meinen Sie, Herr Kamerad?« fragte Frobenius errötend.</p> + +<p>»Das schließe ich aus dem Schnitt Ihres Kollers und aus dem Modell +Ihres Turnierhelms.«</p> + +<p>»So — sind die Sachen so auffallend unmodern?« stammelte Frobenius.</p> + +<p>»Ja,« entgegnete Finette, »wenn Ihre Kenntnis des Exerzierreglements +im selben Maße mit der Neuzeit fortgeschritten ist, dann werden ja die +Herren Füsiliere viel Vergnügen an Ihnen erleben!«</p> + +<p>Flamberg kam ihm wiederum zu Hilfe: »Lieber Finette, wenn Sie mal ein +so altes Patent haben werden wie der Herr Kamerad Frobenius, dann haben +Sie längst wegen unheilbarer Revolverschnauze den Abschied — — und +kommen also gar nicht in die Verlegenheit, sich von einem jungen Dachs +wegen Auftragens älterer Garnituren anulken lassen zu müssen,« sagte er +mit liebenswürdigem Lächeln, doch scharf genug, daß Finette verstand.</p> + +<p>Der aber war nicht aus der Fassung zu bringen. Im echtesten Tonfall +seiner Heimatstadt Köln erwiderte er: »Is ja halb so schlimm gemeint, +nit wahr, Herr Frobenius? lohß mer uns widder verdrage, nit?«</p> + +<p>Er streckte dem Privatdozenten die schlanke Hand hin, die dieser +krampfhaft schüttelte.</p> + +<p>Immer mehr Kompagnien kamen jetzt von der Morgenarbeit zurück. Die +Offiziere, von ihren Hauptleuten verabschiedet, traten einer nach dem +andern heran und begrüßten die eingezogenen Herren.</p> + +<p>Frobenius beobachtete mit Genugtuung, daß das kameradschaftliche +Verhältnis zwischen den aktiven Herren und denen<span class="pagenum" id="Seite_35">[S. 35]</span> der Reserve ein sehr +gutes zu sein schien — nur er, der allein nicht die Regimentschiffre +trug, das Monogramm des Chefs, des Prinzen Heinrich der Niederlande, +nur er allein wurde mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt, zu +der allerdings, wie er sich selbst nicht verhehlte, sein verbotenes +Exterieur einigermaßen beitragen mochte.</p> + +<p>Auch die Stabsoffiziere fanden sich ein: der martialisch +kurzangebundene Oberstleutnant Rautz — dann der Kommandeur des ersten +Bataillons, Major von Sassenbach, ein alter Troupier mit ausgewettertem +Gesicht und langflatternden grauen Schnurrbartzipfeln — Major +Blasberg, der das zweite Bataillon führte, ein hagerer reservierter +Diplomat — und endlich kam gar mit klingendem Spiel der Regimentsmusik +das ganze dritte Bataillon von der Felddienstübung zurück, voran +der Kommandeur: der kleine rauhbeinige Major von Czigorski, der mit +hellkrähender Stimme den Parademarsch befahl, auf seinem riesigen +Schimmel, den seine dicken Beinchen kaum umspannen konnten, und mit +behaglichem Stolz den Vorübermarsch sämtlicher Kompagnieen ansah, bis +hinunter zur zwölften, der Kompagnie der ganz kleinen Kerle, die aber +als die strammste im ganzen Regiment galt.</p> + +<p>So rollte sich vor den Augen der eingerückten Herren das ganze, +vertraute, farbenfrohe Schauspiel des militärischen Lebens ab, und mit +Freude sogen Martin Flambergs Malersinne den glitzernden Schmelz, die +schmetternden Geräusche, den herben Duft des kriegerischen Bildes ein.</p> + +<p>Vom Kasino her kam der Hauptmann von Brandeis, des Malers alter Freund +und Gönner, und schritt geradenwegs<span class="pagenum" id="Seite_36">[S. 36]</span> auf ihn zu. Flamberg hatte bereits +auf dem Regimentsbureau in Erfahrung gebracht, daß er wieder bei der +Ersten üben würde, und freute sich dessen; denn er hatte sich während +jener ersten acht Wochen unter Brandeis vorzüglich mit ihm vertragen. +In dienstlicher Haltung trat er dem Kapitän entgegen: »Melde mich ganz +gehorsamst zur achtwöchigen Übung eingezogen und der ersten Kompagnie +zugeteilt.«</p> + +<p>»Danke Ihnen, lieber Flamberg,« lächelte Brandeis und streckte ihm +freundschaftlich die Hand entgegen, »seien Sie mir wieder einmal +willkommen bei der Königlichen Ersten! Na, wir werden ja hoffentlich +ein schönes Manöver haben — der Hunsrück ist nicht das Schlimmste — +erinnern Sie sich, was wir vor vier Jahren haben in der Eifel ausstehen +müssen?«</p> + +<p>»Jawohl, Herr Hauptmann — Köttelbach — Katzwinkel — Beinhausen — +und Gefell — schöne Gegend!«</p> + +<p>»Stimmt! — wenn Ihre Kochkunst und Ihre wohlassortierte Wein- und +Menagekiste nicht gewesen wäre, wär's uns dreckig gegangen — habe +später oft Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Flambergs gehabt.«</p> + +<p>»Herr Hauptmann wissen, daß ich ein Feldsoldat bin und auch mal das +Koppel enger schnallen kann, ohne gleich die Nase in den Dreck hängen +zu lassen, wenn's sein muß — aber wenn's nicht sein muß, dann bin ich +allerdings mehr für Luxus und Wohlleben, offen gestanden.«</p> + +<p>»Ganz Ihrer Meinung, lieber Flamberg, und um gleich einen guten Anfang +zu machen, bitte ich Sie, heut mittag bei der Begrüßungstafel mein Gast +zu sein.«</p> + +<p>»Ich danke gehorsamst, Herr Hauptmann!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_37">[S. 37]</span></p> + +<p>»Und im übrigen: nochmals willkommen und auf gute Freundschaft! — Aber +da kommt unser neuer Herr Regimentskommandeur — die Herren werden sich +melden müssen. Auf Wiedersehn also hernach im Kasino!«</p> + +<p>Mit rascher Prüfung, nicht ohne einige Spannung, schauten die sechs +Augenpaare der eingezogenen Offiziere des Beurlaubtenstandes der +Ankunft des neuen Regimentskommandeurs entgegen. Von den aktiven Herren +hatten sie bereits genug über ihn gehört, um zu wissen, daß er keinen +Spaß verstehe.</p> + +<p>Der Oberst Freiherr von Weizsäcker war aus der hessischen Armee +hervorgegangen und trug zwischen seinen Rippen noch zwei preußische +Kugeln, die er am 13. Juli 1866 als hessischer Leutnant im Gefecht bei +Frohnhofen und Lauffach erhalten hatte. Dazu schmückte ihn das Eiserne +Kreuz erster Klasse, das er als Führer einer preußischen Kompagnie bei +Gravelotte erworben. So verkörperte er in seiner Person ein ganzes +Stück der Geschichte deutscher Einigungskämpfe.</p> + +<p>Als Flamberg ihm ins Auge sah, war sein erster Gedanke der Wunsch: »Den +möchtest du malen!«</p> + +<p>Auf der noch jugendlich elastischen, gertenschlanken Reiterfigur +ein bronzener Kopf mit scharfgezogener Nase, darunter zwei graue +Schnurrbartflämmchen; der Kopf, die ganze Gestalt beherrscht von +tiefliegenden, doch hell und groß gezeichneten grauen Augen; die +hatten die Gewohnheit, mit zwei raschen Blicken die Gestalt dessen, +der vor ihnen erschien, gleichsam abzustreifen; dann bohrten sie sich +mit bannender Gewalt in die Augen des Gegenübers ein, drangen mit +unwiderstehlichem Leuchten bis in die Tiefe.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_38">[S. 38]</span></p> + +<p>Die Reserveoffiziere hatten sich in einer Reihe aufgestellt. +Oberleutnant der Reserve Brassert, der behäbige Gymnasialprofessor, +war dem Dienstgrad nach der älteste, und so war es denn an ihm, dem +Obersten entgegenzutreten und ihm die sechs eingezogenen Herren zu +melden.</p> + +<p>Der Oberst überflog mit den zwei raschen Blicken die Gestalt des +Vertreters der Herren des Beurlaubtenstandes; dabei zuckten die beiden +Schnurrbartflämmchen und der herrische Mund darunter einen Augenblick, +aber eisern blieb das Gesicht, nur die Augen lachten, als er mit +leichtem Dank der weißbehandschuhten Hand erwiderte: »Ihren Namen, Herr +Oberleutnant, wenn ich bitten darf!«</p> + +<p>Als Brassert sich genannt, ließ er sich dessen Stand angeben, und +seine Antwort: »Ah so!« schien darzutun, daß er nun den Duft der +Studierstube, welcher der Erscheinung des Angeredeten anzuhaften +schien, begreife.</p> + +<p>Der Oberst ging die Reihe entlang und wiederholte die Frage nach Namen +und Stand. Dann trat er mit ein paar raschen Schritten vor die Mitte +der Herren, streifte noch einmal kreuz und quer mit den Augen ihre +Front ab und sprach:</p> + +<p>»Meine Herren, ich begrüße Sie. Ich habe mir erzählen lassen, daß +das Regiment, das zu führen ich seit kurzem die Ehre habe, einen +überaus tüchtigen Ersatz an Reserveoffizieren sein eigen zu nennen +das Glück hat. Ich kann also mit vollem Vertrauen Ihrer Mitwirkung an +unserer gemeinschaftlichen Arbeit entgegensehen. Wer, wie ich, zwei +Feldzüge mitgemacht hat, weiß, was die Armee an den Offizieren des +Beurlaubtenstandes besitzt. — Sie kommen zu uns, um bei uns zu lernen +— ich bin aber überzeugt, daß Sie uns<span class="pagenum" id="Seite_39">[S. 39]</span> auch etwas mitbringen: Sie +bringen uns einen Gruß des Volkes, zu dessen Schutz wir bestimmt sind. +— Sie bringen uns einen Gruß der Geistesarbeit, die unterm Schirm +unserer Waffen gedeihen soll. — In diesem Sinne begrüße ich Sie alle +— als das lebendige Band zwischen dem aktiven Offizierkorps und dem +Volk, um dessentwillen wir alle da sind. — Ich wünsche Ihnen, daß Sie +sich wohl fühlen in unserer Mitte, und daß Sie nach Ablauf Ihrer acht +Wochen nicht nur gebräunt und gekräftigt, sondern auch an militärischen +Kenntnissen bereichert und durch freudige Erinnerungen gefördert an die +Stätte Ihrer Lebensarbeit zurückkehren mögen. Ich danke Ihnen, meine +Herren!«</p> + +<p>Er grüßte, und wiederum flogen die Hände der eingezogenen Herren an die +Helmschienen.</p> + +<p>Nun wandte er sich zu den Stabsoffizieren, welche bisher, von den +Hauptleuten und aktiven Leutnants umringt, den Worten des Obersten +zugehört hatten, und schritt im Geplauder dem Korridor zu, der auf das +Regimentsbureau führte.</p> + +<p>Kaum war er verschwunden, da löste sich die feierliche Erstarrung, und +die Gruppen der aktiven und Reserveoffiziere vermischten sich zu lautem +Gelächter, schnarrendem Geplauder — und säbelrasselnd, sporenklirrend +schritten die Herren über den hallenden Kasernenhof zum Kasino hinüber.</p> + +<p>An allen Fenstern der endlosen Fronten wurden neugierige Köpfe sichtbar +— an allen Waschtrögen standen Gruppen von Soldaten in Feldmützen +und Drillichzeug, die nun ihre Arbeit unterbrachen und, Bürsten und +Monturstücke in der Hand, zur vorgeschriebenen Haltung erstarrten, bis +die Gruppe der Offiziere an ihnen vorüber war.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_40">[S. 40]</span></p> + +<p>Und als nun die ersten der Herren die Stiegen der Treppe zum +Kasino betraten, da scholl von drinnen der schmetternde Klang der +Regimentsmusik, die den Einzugsmarsch der Gäste aus Tannhäuser den +einrückenden Kameraden entgegensandte.</p> + +<p>Nach wenigen Minuten, die man harrend und plaudernd im Rauchzimmer +zugebracht, erschien der Kasinovorstand Oberleutnant Menshausen und bat +die Herren zu Tisch.</p> + +<p>In breiten Güssen fiel die langsam sinkende Nachmittagssonne durch die +hohen Fenster des Speisesaales über die hufeisenförmig aufgestellten +Tische, auf denen heute zur Feier des Tages der reiche Silberschmuck +des Regiments blinkte, umgeben von einer wahren Überlast bunter +Herbstblumensträuße, die dem Garten des Kasinos entstammten — und +um die Tafel gruppiert etwa vierzig blühende Jugendgestalten — von +dem Kommandeur des ersten Bataillons, Major von Sassenbach, der +als einziger Stabsoffizier an der Tafel teilnahm, bis herunter zum +blutjungen Fahnenjunker, der kaum der Presse entschlüpft war und sich +im Rock des Füsiliers und angesichts so vieler Vorgesetzter kaum zu +rühren — kaum den Mund aufzutun getraute.</p> + +<p>Allen diesen Erscheinungen gemeinsam war der vorschriftsmäßige +Schnitt des Haars, soweit sich dies nicht schon verflüchtigt hatte +und spiegelnde Stirnen oder Glatzen freiließ — war gemeinsam der +modische Bürstenschnitt des Schnurrbarts, gemeinsam die straffe +Haltung, die lebhaften und doch gemessenen Bewegungen, der scharfe +Klang der Stimmen, die gewohnt waren, im Gelände weite Entfernungen +zu beherrschen oder sich durch das Rollen des Schnellfeuers hindurch +Geltung zu verschaffen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_41">[S. 41]</span></p> + +<p>Auf den ersten Blick aber waren die Herren des Beurlaubtenstandes an +der bleichern Hautfarbe, der etwas nachlässigern oder steifern Haltung, +dem mehr ins Geistige gewandten Ausdruck der Gesichter und Augen zu +unterscheiden. Doch das alles würde sich nun bald verwischen — waren +doch diese sechs Männer nur hierhergekommen, um wieder Soldaten zu +werden, um sich wieder einzufügen in den gewaltigen Organismus, in dem +auch sie nichts als dienende Räder sein sollten und sein wollten.</p> + +<p>Diese Einfügung und diese Anpassung, so sagte Flamberg sich +stillsinnend, diese Verschmelzung würde ihnen der Geist der +Kameradschaft erleichtern. Der Geist der Kameradschaft, der alle, +denen Seine Majestät Epaulettes und Schärpe verliehen hatte, zu einer +großen Schar von Verbrüderten zusammenschloß, in der ungeachtet aller +Abstufungen der Begabung und militärischen Befähigung, ungeachtet aller +Klüfte der Herkunft und der Anschauungen, jeder gleichberechtigt war, +in der es keine andern Unterschiede gab, als die der Dienststellung +— und auch diese Unterschiede galten nur im Dienst — außerhalb des +Dienstes gab es nicht Vorgesetzte, nicht Untergebene — gab es nur +ältere und jüngere Kameraden — gab es nicht aktive Offiziere und +nicht Offiziere des Beurlaubtenstandes — gab es nur Offiziere, das +heißt: Träger des einen preußischen Soldatengeistes, der inmitten +aller Wandlungen der Weltanschauung und der sittlichen Begriffe das +alte Ideal der Ritterlichkeit verkörperte, das die Heere des Großen +Kurfürsten, des Alten Fritzen, das Heer der Befreiungskämpfer, wie die +Scharen Wilhelms des Siegreichen durch Nacht zum Licht, durch Kampf zum +Siege geführt hatte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_42">[S. 42]</span></p> + +<p>Und dieser Geist der Kameradschaft, so ernst er sich betätigte im +Dienst und in dem, was dem Dienste gleich galt: in der Auffassung jeder +großen Lebenspflicht — in der Sphäre der Geselligkeit erwies er sich +als ein heiterer Geist, ein Geist freudiger Lebenslust.</p> + +<p>Munter schwirrten die Gespräche hinüber und herüber — noch war kaum +der erste Gang serviert, da traten an die Stelle der hellgrünen +Moselflaschen die goldbekapselten der Sektspezialmarke des Kasinos. +Munter knallten die Pfropfen — und in den Spitzgläsern perlte der +weiße Schaum: »Luxus und Wohlleben griffen um sich.«</p> + +<p>Major von Sassenbach schlug ans Glas. Er war kein großer Redner vor +dem Herrn — es fiel ihm schwer, selbst nur ein paar formelhafte +Begrüßungsworte zusammenzustottern, und sein Adjutant, der Leutnant +Blowitz, den er mit diesem ausdrücklichen Auftrage sich gegenüber +gesetzt hatte, mußte ihm soufflieren.</p> + +<p>Aber aus den ungefügen Worten des alten Soldaten leuchtete herzliches +Wohlwollen, und obwohl manches Lächeln der Hörer seine gewaltigen +Kraftanstrengungen begleitete, klang doch das dreifache Hurra auf die +eingezogenen Herren, in das er seine Rede ausmünden ließ, kräftig und +munter durch den Saal. — Die Begrüßten beeilten sich, mit dem Major +anzustoßen, und nun die letzte offizielle Handlung des Begrüßungstages +überstanden war, atmete alles auf, und es löste sich der letzte Rest +von Förmlichkeit und Zurückhaltung.</p> + +<p>Kreuz und quer durch den Saal schollen die Rufe der Tafelnden, die +einander zutranken. Mit vorschriftsmäßigem Ruck schnellten die +Angerufenen in die Höhe, wenn der<span class="pagenum" id="Seite_43">[S. 43]</span> Major oder einer der anwesenden +Hauptleute einem der Leutnants oder gar der zur Tafel zugezogenen +Vizefeldwebel der Reserve, Fähnriche oder Fahnenjunker zutrank; aber +regelmäßig winkte der Anrufende, Platz zu behalten — nur die Pflicht +blieb bestehen, als Dank für den Zutrunk des Vorgesetzten sein Glas bis +auf die Nagelprobe zu leeren.</p> + +<p>Flamberg saß zwischen seinem Kapitän, dem semmelblonden Herrn +von Brandeis, und dem flaumbärtigen Kompagniekameraden, Leutnant +Carstanjen, dem Sohn einer reichen niederrheinischen Fabrikantenfamilie.</p> + +<p>Zunächst mußte natürlich Flamberg erzählen.</p> + +<p>»Na, Flamberg, Sie sind ja inzwischen sowas wie'n berühmtes Tier +geworden — alle Augenblicke hat man im Lesezimmer in den illustrierten +Zeitschriften irgend so'ne Pinselei von Ihnen abgebildet gesehen — +natürlich immer die schönsten Weiber des europäischen Kontinents — Sie +Schlemmer, Sie ...«</p> + +<p>»Haben Herr Hauptmann etwas anderes von mir erwartet?«</p> + +<p>»Ne, ne — ich weiß wohl, Sie hatten ja damals schon 'nen starken +Hang fürs ewig Weibliche! Erinnern Sie sich noch, wie wir damals in +Mechernich in der Eifel mit der ganzen Kompagnie in der schauderhaften +Kneipe einquartiert wurden und für Sie und für — na, wer war's doch +damals? Quincke wohl ...?«</p> + +<p>»Jawohl, ganz recht, Quincke, Herr Hauptmann!«</p> + +<p>»Na also — für Sie beide nur dadurch Quartier zu schaffen war, daß +die beiden Töchter des Wirts aus ihrem Jungfernstübchen 'rausgewiesen +wurden und oben auf dem Heuboden kampieren mußten. Damals haben Sie +die beiden<span class="pagenum" id="Seite_44">[S. 44]</span> Mädels gezeichnet. Erinnern Sie sich noch? Na, nachher +waren sie nicht von Ihnen wegzuschlagen — alle beide — was? Ja, an +sowas läßt man sich natürlich nicht gern erinnern, wenn man inzwischen +Bräutigam geworden ist!«</p> + +<p>»Oh, was das anbetrifft, Herr Hauptmann: das Wort ›bereuen‹ kommt in +meinem Lexikon nicht vor.«</p> + +<p>Der kleine Carstanjen spitzte die Ohren und rief dazwischen: +»Donnerwetter, Herr Hauptmann, das scheint ja 'ne verflucht +interessante Geschichte gewesen zu sein! Wollen Herr Hauptmann die +nicht etwas ausführlicher erzählen?«</p> + +<p>»Knöpfen Sie sich die Ohren zu, Sie Kiekindiewelt,« antwortete +Brandeis, »sind noch viel zu klein für — für solche Geschichten!«</p> + +<p>»Herr Hauptmann unterschätzen mich!« lachte Carstanjen.</p> + +<p>Brandeis fragte seinen Gast: »Wissen Sie auch schon, daß wir nächstens +im Kasino ein feenhaftes Zauberfest in Aussicht haben?«</p> + +<p>Flamberg erbat genauere Auskunft, und der Hauptmann berichtete: +»Also am 18. August feiert doch das Regiment die siebenunddreißigste +Wiederkehr des Tages von Gravelotte ... Na, das wissen Sie doch aus der +Regimentsgeschichte?!«</p> + +<p>»Ei gewiß: Sturm auf Point du jour, 118 Tote, 326 Verwundete! 2 Eiserne +Kreuze erster und 18 zweiter Klasse ins Regiment!«</p> + +<p>»Alle Achtung!« meinte Carstanjen, »so hab ich's ja nicht mal am +Schnürchen!«</p> + +<p>»Eh ... wie oft hab ich das schon meinen Kerlen in der +Instruktionsstunde eingebläut ... da werd ich's doch selber<span class="pagenum" id="Seite_45">[S. 45]</span> nicht +vergessen haben! — So ... und das wird also diesmal in großem Stile +gefeiert?«</p> + +<p>»Ja,« erklärte Brandeis, »Sie wissen: der neue Kommandeur ist erst vor +vierzehn Tagen angekommen, und so soll das alljährliche Regimentsfest +diesmal zugleich als Begrüßung für die neue Kommandeuse im Kreise der +Damen gefeiert werden ... es gibt 'ne große Gartenfête im Kasino — +Diner — Theatervorstellung — zuletzt natürlich Tanz!«</p> + +<p>»Theatervorstellung?« fragte Flamberg interessiert. »Nanu ... das kann +ja interessant werden ... was gibt's denn?«</p> + +<p>»Bei der zweiten Kompagnie steht ein einjährig-freiwilliger +Unteroffizier, ein Referendar seines Zeichens, zugleich in seinen +zahlreichen Mußestunden Reiter auf dem Musenklepper ... den hat +Frau von Sassenbach — die ist nämlich Patroneß der Veranstaltung +— 'rangebändigt und zum Dichten kommandiert. Er hat sowas wie 'n +allegorisches Festspiel verübt ... ihre beiden Töchter spielen +natürlich mit; das war wohl auch der Hauptzweck der Übung, die zwei +Mädels mal wieder gehörig in Szene zu setzen — übrigens meine Frau +wirkt auch mit —«</p> + +<p>»Herr Hauptmann sind verheiratet? ... das erste, was ich höre ... seit +wann denn, wenn ich fragen darf?«</p> + +<p>»Seit eineinhalb Jahren!« sagte der Hauptmann, »übrigens eine +Landsmännin von Ihnen, ein Fräulein Cäcilie Imhof ... na — der Name +wird Ihnen ja nicht unbekannt sein!« —</p> + +<p>Cäcilie Imhof ... Bei diesem Namen stieg in Martin Flamberg +eine Erinnerung auf, die Erinnerung an ein braunes, kapriziöses +Mädchenköpfchen, das durch seine<span class="pagenum" id="Seite_46">[S. 46]</span> Jugend hingehuscht war wie so viele +andere, ohne just eine dauernde Spur in seiner Seele zu hinterlassen +... Immerhin war seine Erinnerung lebhaft genug, daß ihn die +Vorstellung, dieses Gesichtchen neben dem platt-behaglichen Puppenkopf +des Hauptmanns von Brandeis auftauchen zu sehen, mit seltsamen +Empfindungen erfüllte ...</p> + +<p>In Gesellschaft hatte der junge Maler, damals noch ein völlig +Namenloser, zuweilen das junge Mädchen getroffen und war von ihr ganz +und gar nicht beachtet worden ... das war kein Wunder; denn sie war +ein gefeiertes und damals schon, in ihrer zartesten Backfischjugend, +vielumworbenes Geschöpfchen ... die Tochter einer alten Familie reicher +Bankiers und Industrieller ... und er, Martin Flamberg, mußte sich +damals noch zu jeder Gesellschaft für zwei Mark fünfzig einen Frack +ausleihen ...</p> + +<p>In den Tagen seines jungen Ruhms war er ihr nicht mehr begegnet.</p> + +<p>Ihr Vater hatte sich von den Geschäften zurückgezogen und war nach +Wiesbaden übergesiedelt, um den heilkräftigen Quellen nahe zu +sein, deren beständige Einwirkung seine Gicht verlangte ... und +nun war das verwöhnte Kind die Gattin eines braven, unbedeutenden +Infanteriekapitäns ... merkwürdig ...</p> + +<p>»Na? entsinnen Sie sich meiner Frau noch?« fragte Herr von Brandeis.</p> + +<p>»Herr Hauptmann sehen, ich versuche mich zu besinnen, aber ich finde +nur eine sehr blasse Reminiszenz.«</p> + +<p>»Na, is ja auch egal,« meinte der Hauptmann, »Sie werden ja nächstens +Ihre Erinnerungen auffrischen können; denn selbstverständlich hoffe ich +doch, Sie recht bald in<span class="pagenum" id="Seite_47">[S. 47]</span> meinem Hause zu sehen ... meine Frau wird sich +jedenfalls sehr freuen ...«</p> + +<p>Flamberg verneigte sich.</p> + +<p>»Na, und nun erzählen Sie mal von sich ... Sie haben sich ja inzwischen +auch verankert ... hoffentlich recht vorsichtig gewesen in der Wahl +Ihres Herrn Schwiegerpapas?«</p> + +<p>»Mein Schwiegervater ist Beamter!« sagte Flamberg, »übrigens, ich bin, +Gott sei Dank, seit einiger Zeit auf besondere Vorsicht in dieser +Beziehung nicht mehr angewiesen.«</p> + +<p>»Aha ... na natürlich ... verdienen jetzt aasige Däuser .. das versteht +sich ... Porträtmaler — Portemonnaiemaler — alte Geschichte! — Ja, +sehen Sie, so gut geht's unsereinem nun nicht ... das ist noch das +einzig Schöne an unserm Beruf, daß es uns kein Mensch übelnehmen kann, +wenn wir unserer Zukünftigen nicht nur in die Augen, sondern auch ein +bißchen ins Portemonnaie sehen ... Na, und in der Beziehung kann ich ja +nicht klagen, wie Sie sich denken können ... übrigens auch in anderer +Hinsicht hab ich direkt märchenhaften Dusel gehabt ... meine Frau heißt +nicht umsonst Cäcilie ... die sollen Sie mal Klavier spielen hören — +und singen ... Na, ich sag Ihnen ja: Den Seinen gibt's der Herr im +Schlaf!«</p> + +<p>Er füllte sich und dem Gaste die Sektkelche und hob ihm das Glas +entgegen. »Na also in diesem Sinne, lieber Flamberg: unsere Damen! — +So ... Sie wollen auch mittrinken, kleiner Carstanjen ... ach Unsinn +... verstehen Sie ja noch gar nichts von ... aber mit anstoßen dürfen +Sie doch ... Kommen Sie mal her mit Ihrem Pokal!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_48">[S. 48]</span></p> + +<p>»Ich kann nur noch einmal wiederholen: Herr Hauptmann unterschätzen +mich!« schmunzelte Carstanjen mit spitzbübischem Lächeln auf seinem +verwöhnten Geckengesichtchen.</p> + +<p>»Sie, Flamberg,« sagte der Hauptmann, »ich hoffe, Sie werden mich bei +der Erziehung dieses kleinen Windhundes da ein wenig unterstützen — +das ist auch einer von denen, mit denen 's der Herrgott gar zu gut +gemeint hat — und das ist ihm zu Kopf gestiegen — wenn er also üppig +wird, dann hauchen Sie ihn nur gehörig an — meinen Segen haben Sie — +und einen Gotteslohn verdienen Sie sich überdies!«</p> + +<p>»Na, wir zwei werden uns schon vertragen! — Was meinen Sie, Herr +Carstanjen?«</p> + +<p>Das herzliche, offene Lachen, mit dem der Reserveoffizier dem jungen, +aktiven Kameraden das Glas entgegenhielt, verscheuchte den Ausdruck +von anmaßender Gekränktheit, der das hübsche, eitle Gesicht überhuscht +hatte. Und so leerte die Königliche Erste eine Flasche Spezialmarke +nach der andern in ungestörter Harmonie.</p> + +<p>Weniger heiter sah es in der Gruppe der Königlichen Zweiten aus:</p> + +<p>Herr Leutnant der Landwehr Frobenius saß stumm und einsilbig zwischen +dem stummen und einsilbigen Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, und dem +Oberleutnant Menshausen, dem Kasinovorstand, während ihnen gegenüber +als dritter Offizier der Kompagnie der Leutnant Quincke saß, ein +junger, blasierter Bursch mit glattrasiertem Gesicht — verlebten Zügen +— die Scherbe ins rechte Auge geklemmt. Menshausen und Quincke nahmen +von dem Kameraden der Landwehr kaum Notiz — unterhielten sich über den +Tisch<span class="pagenum" id="Seite_49">[S. 49]</span> hinüber geflissentlich über Personen und Fragen, an denen der +eingezogene Herr nicht das geringste Interesse nehmen konnte.</p> + +<p>Und der Hauptmann, ein finsterer Junggesell mit starrem, schwarzem +Haar und struppigem Schnurr- und Vollbart, sprach überhaupt nichts, +füllte nur zuweilen die Gläser seiner Untergebenen und trank dem Gaste +schweigend zu.</p> + +<p>Als Frobenius erst gemerkt hatte, daß man ihn schlecht behandeln +wolle, tat er instinktiv das einzige, was in dieser Situation für ihn +möglich war — er schwieg nämlich ebenfalls vollständig und machte +nicht den leisesten Versuch, die Zurückhaltung der aktiven Herren durch +entgegenkommende Liebenswürdigkeit zu überwinden.</p> + +<p>Schließlich bemerkte der Oberleutnant, daß die rücksichtslose +Nichtachtung, mit der die aktiven Herren den Gast behandelten, dessen +Hilflosigkeit immerhin ein gewisses Mitleid erregte, allgemein auffiel, +und ließ sich nunmehr herab, ein Gespräch mit ihm zu beginnen.</p> + +<p>»Sagen Sie mal, Herr Leutnant Frobenius,« hub er an, »was sind denn Sie +eigentlich im Zivilverhältnis?«</p> + +<p>»Ich bin Privatdozent an der Universität Bonn.«</p> + +<p>»Hm — was dozieren Sie denn also privat?«</p> + +<p>»Ich lese deutsche Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts bis +zur Gegenwart.«</p> + +<p>»Aha,« sagte Menshausen, »ich kann mir zwar dabei nichts Rechtes +denken — aber es ist ja jedenfalls was sehr Gelehrtes! Nun sagen Sie +mal, was wollen Sie denn nun eigentlich bei uns? Macht Ihnen das denn +wirklich Vergnügen, hier so acht Wochen lang in Uniformen von vor +fünfzehn Jahren herumzulaufen und sich mit Ihrer Unkenntnis<span class="pagenum" id="Seite_50">[S. 50]</span> des neuen +Exerzierreglements vor hundertzwanzig Bauernlümmels und Fabrikarbeitern +lächerlich zu machen?«</p> + +<p>Frobenius richtete sich ein wenig auf: »Herr Oberleutnant Menshausen +— ich bin mir wohl bewußt, daß ich hierherkomme, um zu lernen — ich +habe aber auf der andern Seite während meiner früheren Übungen die +Beobachtung gemacht, daß Bauernjungens und Fabrikarbeiter ein ziemlich +feines Gefühl dafür haben, wer vor ihnen steht, — und hinter der +vielleicht etwas veralteten Uniform und der mangelhaften Dienstkenntnis +des Landwehroffiziers die überlegene Intelligenz respektieren, die +ihnen in der Person eines Mannes der Wissenschaft gegenübertritt. +Diese einfachen Leute wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen der +formgewandten Nullität und dem Geist, der sich im Notfall — daß heißt +im Falle der wirklichen Not, meine ich — von selbst die Form schafft, +die der Augenblick verlangt.«</p> + +<p>»Ja, verzeihen Sie, Herr Leutnant Frobenius,« sagte der Oberleutnant, +»Sie drücken sich so gewählt aus, daß ich nicht zu folgen vermag — was +wollen Sie eigentlich mit Ihrem Erguß sagen?«</p> + +<p>»Ich will versuchen, mich Ihnen deutlich zu machen«, erklärte +Frobenius. »Wir Landwehroffiziere sind, das erkenne ich ja an, +im Frieden scheinbar ein wenig deplaciert inmitten der jungen, +dienstkundigen aktiven Herren — aber wir sind auch gar nicht hier, +um in Ihrer Mitte gute Figur zu machen — wir wollen lernen — +lernen einzig und allein für den Krieg — und glauben Sie mir, Herr +Oberleutnant, im Kriege kommt es weder auf gutsitzende Uniform noch +auf die Kenntnis jeder neuesten Phase der Taktik der Saison an — da +entscheiden ganz andere Faktoren. Da möchte<span class="pagenum" id="Seite_51">[S. 51]</span> vielleicht plötzlich mit +dem Mobilmachungstage eine Umwertung der Werte stattfinden, und diesem +Tage entgegen bewegt sich alle Hoffnung, die ich mit meinem Aufenthalt +im Kreise des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande verbinde.«</p> + +<p>»Ah so,« sagte Menshausen, »ich verstehe — Sie haben militärischen +Ehrgeiz — wollen womöglich noch gar Hauptmann der Landwehr werden?«</p> + +<p>»Allerdings will ich das,« erwiderte Frobenius ruhig, »zurzeit übe ich +auf Beförderung zum Oberleutnant.«</p> + +<p>»Allen Respekt!« meinte Menshausen, »das hätt ich Ihnen nun nicht +angesehen — können Sie denn auch reiten?«</p> + +<p>»Gewiß kann ich reiten,« erklärte der Privatdozent. »Ich meine, +das versteht sich wohl von selber, da ich Ihnen sagte, daß ich die +Beförderungsübung zum Oberleutnant mache.«</p> + +<p>Aber er konnte nicht wehren, daß ihm bei der Erwähnung des Reitens +selber ein wenig bänglich zumute wurde. Er hatte erst im Frühjahr +mit Zittern und Zagen zum ersten Male einen Gaul bestiegen, war beim +ersten Antraben vom Woilach heruntergekugelt wie eine Klammer von der +Wäscheleine und hatte sich das Schultergelenk dermaßen ausgerenkt, +daß er den linken Arm drei Wochen lang hatte in der Binde tragen +müssen. Nach Ablauf dieser drei Wochen hatte er mit noch hörbarerm +Zähneklappern den Reitunterricht wieder aufgenommen, und seine +Scheu vor dem wilden, gefährlichen Tier, das dem Menschen nach dem +Leben trachtet, endlich soweit überwunden, daß er mit der Zeit in +der Reitbahn sich wenigstens auf den allerfrömmsten Kleppern hatte +halten können. Ja, in den letzten Wochen<span class="pagenum" id="Seite_52">[S. 52]</span> vor der Übung hatte er +sogar in Gesellschaft des Reitlehrers und einiger Damen der Bonner +Gesellschaft einige Ausritte ins Gelände unternommen und war stets mit +heiler Haut davongekommen, mit Ausnahme einer unangenehmen Begegnung, +die er mit einem vorüberbrausenden Eisenbahnzuge gehabt hatte, und +nach deren Verlauf er sich mit zerschundenem Gesicht, zerbeultem Hut +und zerschlagenen Knochen in einem Chausseegraben wiedergefunden +hatte, während seine Rosinante ohne seine Leitung ihre Futterstelle +wiedergefunden hatte.</p> + +<p>Der Gedanke also, demnächst hoch zu Roß vor der Front auftauchen zu +müssen, erfüllte ihn mit einem Unbehagen, das zu überwinden er seines +ganzen Mannesmuts bedurfte. Wenn aber etwas noch gefehlt hätte, um ihn +in dieser Hinsicht zu äußerster Energie aufzustacheln, dann waren es +die spöttischen Blicke und Redensarten des Kasinovorstandes.</p> + +<p>Er beschloß in diesem Augenblick, allen Gefahren kühnlich zu trotzen +und zu Pferde zu steigen mit der ruhigen Selbstverständlichkeit, mit +der er sonst alle Morgen auf seinen Katheder kletterte, um seinen +Hörern die Geheimnisse des zweiten Teils von Goethes Faust zu erklären.</p> + +<p>Oberleutnant Menshausen bemerkte mit Vergnügen, daß der Landwehronkel +bei der Erwähnung des Reitens, trotz seiner heroischen Worte, still +und um einige Schattierungen blässer geworden war. Über den Kameraden +hinweg fragte er den Hauptmann Goll: »Gestatten Herr Hauptmann +eine Frage: Ist nicht morgen früh Ausbildung der Mannschaften im +Entfernungsschätzen?«</p> + +<p>»Allerdings!« grunzte Hauptmann Goll, »was gibt's denn dabei?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_53">[S. 53]</span></p> + +<p>»Ich wollte Herrn Hauptmann nur fragen, ob uns nicht gestattet wäre, +die Übung zu Pferde mitzumachen — wie ich soeben von Herrn Leutnant +Frobenius höre, legt er ebenfalls Wert darauf, morgen früh zu reiten, +und da ich für meine Person im Manöver als Ordonnanzoffizier zum +Regiment komme und meinen neuen Gaul gern ein wenig an die Truppe +gewöhnen möchte, so würde ich Herrn Hauptmann dankbar sein, wenn Herr +Hauptmann uns gestatten wollten zu reiten!? — Meines Wissens reiten +Sie ja auch momentan dem Obersten sein Handpferd zu, Quincke, nicht +wahr?«</p> + +<p>Leutnant Quincke hatte der Unterhaltung zugehört und bejahte mit +perfidem Grinsen: »Gewiß — wenn Herr Hauptmann gestatten, komm auch +ich hoch zu Roß!«</p> + +<p>»Na schön,« sagte Goll, »ich hab nichts dagegen!«</p> + +<p>Frobenius fühlte bei dieser Unterhaltung, wie die wenigen Haare, die +seinen Schädel umsäumten, sich einzeln zu Berge sträubten. — Herr Gott +im Himmel — schon morgen früh! — Was war da zu machen — Schicksal, +nimm deinen Lauf!</p> + +<p>»Wo wollen Sie denn Ihren Gaul herbekommen, Herr Frobenius?« fragte +Menshausen unbarmherzig weiter, »haben Sie sich einen mitgebracht oder +wollen Sie sich einen leihen?«</p> + +<p>»Ich habe mich nach den Verhältnissen noch nicht erkundigt,« erklärte +Frobenius, »ich denke, man bekommt in der Reitbahn passende Gäule +geliehen, wie?«</p> + +<p>»Selbstverständlich,« sagte der Oberleutnant, »wenn's Ihnen recht ist, +stelle ich Ihnen meinen Burschen zur Verfügung — der kann ja morgen +früh vor dem Dienst zur Reitbahn gehen und Ihnen ein Pferd besorgen.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_54">[S. 54]</span></p> + +<p>Frobenius ahnte Böses; doch er hatte sich nun einmal vorgenommen, jeder +Gefahr die Stirn zu bieten, und so nahm er mit verbindlichem Lächeln +das Anerbieten des Oberleutnants an.</p> + +<p>Als im nächsten Augenblick Hauptmann Goll wieder einmal wortlos dem +Landwehroffizier zutrank, beugte sich Menshausen zu Quincke hinüber und +flüsterte ihm zu: »Sie, Quincke, ich werde meinen Burschen instruieren, +daß er »Kuno den Schrecklichen« besorgt! — Kennen Sie den Schinder?«</p> + +<p>»Na ob!« grinste Quincke, »das ist ja das verrittenste Pferd in der +ganzen Garnison. — Na, wenn der Landwehronkel auf Kuno überhaupt aus +dem Kasernenhof 'rauskommt, dann garantier ich jedenfalls: 'rein kommt +er nicht wieder!«</p> + +<p>In diesem Augenblick hob Major von Sassenbach die Tafel auf, und +alsbald empfahlen sich die Vizefeldwebel der Reserve und die +Avantageure, indem sie in die Mitte des Hufeisens traten und erst +vor dem Tischältesten Front machten, dann nach rechts und links +desgleichen; dabei schlugen die Hacken zusammen, daß es nur so krachte.</p> + +<p>Und nun schwirrten die Ordonnanzen von allen Seiten mit den brennenden +Lichtern herein, und das gelbe Flimmern der flackernden Flämmchen +vermählte sich mit dem dunklern Gelbgold der Abendsonne, die gebrochen +durch die leise sich wiegenden Kronen der Bäume des Kasinogartens +in die hohen Bogenfenster strahlte. Bald kräuselten sich bläuliche +Tabakwölkchen hinein — und noch ungezwungener rauschte nun das +Geplauder, noch lebhafter wogte das Hinüber und Herüber der Scherze +— des Zutrunks — und bald war den<span class="pagenum" id="Seite_55">[S. 55]</span> Offizieren der Reserve wieder +zumute, als seien die Monate und Jahre »im schlichten Gewande der +Bürgerlichkeit«, die seit dem letzten Abschiedstrunk im Kasino +verflossen waren, nur ein Traum gewesen, und als sei dies Leben +im bunten Rock ihre eigentliche Existenz — als sei die Schar der +Kameraden, in deren Mitte sie nun wieder eingetreten waren, das Milieu +ihres Lebens.</p> + +<p>Sie waren riesig vergnügt, die Herren des Beurlaubtenstandes. Der +geschniegelte und pomadisierte Leutnant der Reserve Klocke schwamm +in Seligkeit. Herr Kamerad hier, Herr Kamerad dort, so schmetterte +das nach allen Richtungen hinüber und herüber — als trüge er eine +Sprungfeder im Leibe, so schnellte er jedesmal empor, wenn ein +Vorgesetzter ihm zutrank, und leerte mit Begeisterung seinen Kelch, nur +daß im Laufe der Zeit seine Augen immer stierer, sein Gesicht immer +röter, seine Bewegungen immer unsicherer und die Scherze, die er zum +besten gab, immer gewagter wurden und je länger je mehr nach dem Coupé +dritter Klasse schmeckten.</p> + +<p>Ihm schräg gegenüber saß im Kreise seiner zukünftigen +Kompagniekameraden der Referendar Dormagen. Als Sohn eines rasch +reichgewordenen Industriellen hatte er heute das Gefühl, daß es +eigentlich ein Skandal sei, daß er nicht Kavallerist geworden. Aber +vor sechs Jahren, als er einjährig diente, hatte sein Vater noch nicht +den großen Schlag mit dem neuerfundenen Trockenelement gemacht, und +erst in den letzten Jahren — leider — waren die Verhältnisse seiner +Familie so plötzlich emporgeschnellt. Nun blieb nichts übrig, als in +der Mitte der Fußinfanteristen wenigstens nach Kräften mit seinem Gelde +zu imponieren. So ließ er denn<span class="pagenum" id="Seite_56">[S. 56]</span> eine Flasche Pommery nach der andern +anfahren, und allmählich sammelte sich um ihn eine Gruppe von jüngern +Offizieren, die, mit nicht allzu reichlichem Zuschuß gesegnet, einen +Freitrunk sich nicht gern entgehen lassen mochten. In ihrer Mitte +markierte Dormagen nun den großmütigen Gastgeber, wogegen seine Gäste +sich verpflichtet fühlten, andachtsvoll seinen Schwadronierereien zu +lauschen und ihm eifrig zuzutrinken. Sein Kompagniechef hatte sich +bereits unmittelbar nach Aufhebung der Tafel, peinlich berührt durch +des jungen Herrn siegesgewisses Auftreten, an den mittlern Tisch des +Hufeisens zurückgezogen, wo sich nun allmählich die ältern Herren bei +Kaffee und Münchner Bier konzentrierten.</p> + +<p>Inmitten dieser ältern Herren saß auch der Oberleutnant der Reserve +Brassert, ein behäbiger Süddeutscher, und freute sich königlich, daß er +der Pflicht entronnen war, den rüpelhaften Primanern die Geheimnisse +des Äschylos zu erschließen. Er übte seit einem Dezennium nahezu Jahr +um Jahr, teils weil es für ihn, den Beamten, dessen Gehalt während der +Übung weiterlief, eine überaus billige Sommerfrische war, teils weil +sein immer mehr anschwellendes Bäuchlein die scharfe Entfettungskur +dieser acht Wochen sehr notwendig brauchte. Die Hauptleute waren seine +Altersgenossen und überdies auch von gleichem Dienstalter wie er, und +so fühlte er sich in ihrer Mitte behaglicher als zwischen den jungen +Dächsen von Leutnants, deren Charge er teilte, die ihn aber zu peinlich +an seine kaum verlassenen Primaner erinnerten.</p> + +<p>Behaglich schmunzelnd und kräftig qualmend saß er inmitten der ältern +Offiziere. Den Kragen seines Überrocks,<span class="pagenum" id="Seite_57">[S. 57]</span> der übrigens mit Rücksicht +auf sein gewaltiges Doppelkinn ohnehin nicht mehr denn Fingersbreite +hatte, trug er aufgeknöpft, ebenso wie die obersten vier Knöpfe seines +Überrocks, und bedauerte nur im stillen, daß er den Rock nicht ganz +ausziehen konnte, wie auf der heimatlichen Kegelbahn im Kreise seiner +Kollegen.</p> + +<p>An einzelnen Tischen waren indessen allmählich große Lücken entstanden +— manche der Herren hatten sich erhoben, um sich ins Spielzimmer zum +Skat zu setzen — manche hatten auch die unangenehme Pflicht, noch eine +späte Instruktionsstunde abzuhalten.</p> + +<p>Eine kompakte Gruppe hockte indessen noch um das Ende des linken +Hufeisentisches zusammen, wo der Leutnant der Reserve und Forstassessor +Troisdorf mit Leutnant von Finette zusammensaß. Die beiden +Niederrheinländer sprachen seit zwei Stunden nur noch kölnisch-platt +und erzählten einander die haarsträubendsten Anekdoten von Kölner +Marktweibern und »Rheinkadetten«, den lungernden Lastträgern des +kölnischen Rheinhafens. Von hier scholl immerzu schmetterndes +Gelächter in den Saal hinein, so daß ab und zu einer oder der andere +der Hauptleute herantrat und ein Weilchen zuhörte. Auf die Dauer +war indessen eine solche Flut von mehr oder weniger unappetitlichen +Scherzen nur für Leutnantsmägen erträglich.</p> + +<p>Immer schneller, fast unbemerkt, entflohen den Zechenden und +Plaudernden die Stunden.</p> + +<p>Der Major von Sassenbach hatte seit längerer Zeit beobachtet, daß der +hilflose Landwehroffizier, der mit seiner riesigen, goldenen Brille +und seinem langen, braunroten Bart so gar nicht in die militärische +Umgebung zu passen<span class="pagenum" id="Seite_58">[S. 58]</span> schien, das wehrlose Opfer der Scherze des +Oberleutnants Menshausen und des Leutnants Quincke war. Sassenbach +liebte die beiden Herren nicht — ihm, dem schlichten Haudegen, waren +die kalten Spötter und Monokelträger zuwider — er rief zu der Gruppe +hinüber: »Herr Leutnant Frobenius, wollen Sie mir das Vergnügen machen, +noch eine Flasche mit mir zu trinken?«</p> + +<p>Frobenius war seelenvergnügt — er fuhr diensteifrig in die Höhe, +wobei er den hochlehnigen, gotischen Stuhl umwarf, und schob mit etwas +unsicherm Gange zu seinem Bataillonskommandeur hinüber. — Bald waren +beide in ein herzliches Geplauder vertieft.</p> + +<p>»Aha,« schnarrte Menshausen zu Quincke hinüber, »sehn Sie woll — ein +neuer Schwiegersohn ist auf der Bildfläche erschienen, der muß gleich +festgenagelt werden — ja ja, man muß sich dazu halten. Nelly ist +sechsundzwanzig und Molly neunzehn — und der Landwehrfritze macht 'nen +kolossal heiratsfähigen Eindruck.«</p> + +<p>Hauptmann von Brandeis hatte sich schon seit geraumer Zeit empfohlen. +Die üblichen Scherze hatten den Aufbruch des jungen Ehemannes +begleitet, und schmunzelnd hatte er quittiert.</p> + +<p>Flamberg schlenderte von einer Gruppe zur andern — ließ sich bald +hier, bald dort zu einem kurzen Geplauder nieder und sog die Stimmung +der Stunde in sich hinein. — Mit Wonne verfolgte sein geschulter Blick +das langentwöhnte Schauspiel, wie sich nun das rötlichgelbe Licht der +Kerzen, das tiefe Goldbraun des Sonnenuntergangs, das hellere Gelb der +elektrischen Kronleuchter von droben her, der bläuliche Tabaksdunst, +der in breiten Schwaden über den Gruppen<span class="pagenum" id="Seite_59">[S. 59]</span> lagerte, mit dem Blau und +Rot der Uniformen, den goldenen Reflexen auf den Monturknöpfen und +der satten Sonnenfarbe der gebräunten Gesichter verwob. — In seinen +Adern glühte der Sekt, schäumte die freudige Hoffnung auf acht Wochen +eines neuen, verwandelten Lebens voll farbiger Eindrücke, voll harmlos +heiterer Erlebnisse.</p> + +<p>Aber als nun mit dem Fortschreiten des Gelages die Kehlen immer +rauher wurden, die Luft immer dicker — da meinte er den Augenblick +gekommen, sich dem Feste zu entziehen und ungetrübt das erschaute Bild +heimzutragen.</p> + +<p>Nach einer kurzen Wanderung durch die stillen Straßen des +Kasernenviertels stand er in der engen Mietbude, deren schäbige, +zerschlissene Trivialität so seltsam kontrastierte gegen den +künstlerischen Reiz seiner verlassenen Junggesellenhäuslichkeit, +kontrastierte auch gegen den süßen Hoffnungstraum von einem künftigen +Daheim, den er seit Wochen mit seinem Schatz gesponnen.</p> + +<p>Schwül war die Luft im Stübchen — er stieß die Fenster auf — und vom +tiefschwarzen Himmel nieder flammten tausend freundliche Sterne. — Da +mußte er von seinem Mädchen träumen — sie hatte ihm das Versprechen +abgenommen, allabendlich zum Himmel aufzuschauen und heimwärts zu ihr +zu denken — und er dachte heimwärts.</p> + +<p>Eine große, tiefe Ruhe war in seiner Seele — ein Heimatbewußtsein — +das traute Wissen, verankert zu sein im tiefsten Grunde des Erdenseins, +in einem Herzen, das nichts als Liebe war für ihn.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_60">[S. 60]</span></p> + +<h3>Drittes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Um die fünfte Morgenstunde dämmerte Wilhelm Frobenius mit wüstem Kopf +aus schwerem Traum empor. Es hatte erst sanft, dann recht energisch an +die Tür geklopft — er fuhr auf, starrte in dem engen Gelaß umher, daß +ihn umschloß, und konnte sich nicht enträtseln, wie er eigentlich in +diese nüchterne, unbehagliche Umgebung geraten war.</p> + +<p>Plötzlich fiel's ihm ein: ach, du lieber Himmel — du bist ja in der +Garnison — und — o Schauder — gleich geht's zu Pferd!</p> + +<p>»Herr Leu'nant — et is höchste Zeit für uffz'stehn!« mahnte von +draußen eine ihm völlig fremde Stimme.</p> + +<p>Das mußte der Bursche sein. Herrgott, wie der Schädel brummte.</p> + +<p>Er fuhr mit den dünnen, haarigen Beinen aus der Decke hervor, fühlte +sich geniert durch den ungewohnten Gedanken, nun im Nachthemde vor den +fremden jungen Menschen hintreten zu sollen, zog erst Unterhosen und +Strümpfe an und schlurrte dann zur Tür. Kaum hatte er sie geöffnet, da +schoß mit energischem Ruck ein junger, rotblonder, sommersprossiger +Gesell herein, die Feldmütze auf dem Kopf, die Drillichhose schon in +den langschäftigen Stiefeln steckend. Er schlug krachend die Absätze +zusammen und meldete: »Füselier Schmitz als Bursch bei de Herr Leu'nant +kommediert!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_61">[S. 61]</span></p> + +<p>»Schön, schön,« sagte Frobenius verlegen, »also Sie sind Schmitz, +schön, schön. Was gibt's denn heute morgen?«</p> + +<p>»Sechs Uhr fufzehn Abmarsch in't Jelände zur Ausbildung im +Entfernungschätzen!«</p> + +<p>»Ach ja — ganz richtig — also sehen Sie, da ist mein Koffer — den +packen Sie mal zuerst aus.«</p> + +<p>Und während der Bursche sich anstellig und geräuschlos anschickte, die +Habseligkeiten seines neuen Herrn aus dem vorsintflutlichen Reisekoffer +zu entwickeln, kühlte Wilhelm Frobenius sein schmerzendes Haupt — +immer neue Schwämme drückte er über den Nacken aus, daß das Stübchen +schwamm, aber der dumpfe Druck im Schädel wollte nicht weichen — und +noch weniger der dumpfe Druck in der Herzgegend — vor seiner Phantasie +aber stand das Bild des Augenblicks, wo er das wilde, gefährliche Tier +besteigen würde, das dem Menschen nach dem Leben trachtet.</p> + +<p>Herrgott, wie die funkelnagelneuen Reitstiefel drückten — wie +der steife Lederbesatz der Reithose die Schenkel scheuerte — wie +entsetzlich das war, durch die Stube zu schreiten mit den klirrenden +Sporen, die sich immerfort ineinander verfingen!</p> + +<p>Füsilier Schmitz waltete indessen geräuschlos seines Amtes. Er betreute +seinen Herrn wie eine erfahrene Kinderwärterin ihren Säugling.</p> + +<p>Als er seinen Herrn in den Waffenrock gesteckt hatte, verschwand er auf +Zehenspitzen und kam nach wenigen Minuten mit dem Frühstückstablett +zurück.</p> + +<p>Himmel, aber dieser Kaffee! — Mit Wehmut gedachte Wilhelm Frobenius +seiner sorgsamen Haushälterin daheim, die ihm denn doch einen ganz +andern Morgentrunk kredenzte<span class="pagenum" id="Seite_62">[S. 62]</span> — und verzehrte knurrend die mit einem +Übermaß von Margarine bestrichene Frühstückssemmel, während Füsilier +Schmitz Helm, Feldglas, Säbel und Schützenpfeife zusammensuchte.</p> + +<p>Zehn Minuten später schritt Frobenius an dem präsentierenden Posten +vor dem Kasernenportal vorbei in den Hof hinein und sah schon von +weitem die dunkle Masse der in Zugkolonne aufgestellten Königlichen +Zweiten. Noch war kein anderer der Offiziere auf dem Platze, und als +der Leutnant sich der Kompagnie näherte, kommandierte der Feldwebel mit +dröhnender Stimme:</p> + +<p>»Stillgestanden! — Richt' euch! — Augen gerade — aus! — Die Augen +links! — — Kompagnie beim Antreten!« meldete er dann dem Offizier.</p> + +<p>»Danke, danke!« sagte Frobenius und überlegte, was er nun zu tun +hätte. Das dauerte ungefähr eine Minute, während deren der Feldwebel +regungslos neben ihm stand und ebenso regungslos die Kompagnie mit +Augen links.</p> + +<p>Frobenius verfiel in tiefes Sinnen. Herr Gott, was machte man denn nun +jetzt nur?</p> + +<p>Der Feldwebel kam ihm zu Hilfe: »Gestatten Herr Leutnant, daß ich +rühren lasse?«</p> + +<p>»Bitte, bitte, selbstverständlich — lassen Sie nur rühren!«</p> + +<p>»Augen gerade aus — rührt euch!«</p> + +<p>In diesem Augenblick schollen vom Kasernentor her hallende Pferdehufe, +und Hauptmann Goll kam auf seinem riesigen Rappen herangesprengt, +gerade auf Frobenius zu.</p> + +<p>Frobenius riß den Schleppsäbel in die Höhe und salutierte seinen +Kompagniechef. Der hielt dicht vor ihm, sah ihn von oben bis unten an, +staunend, fassungslos.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_63">[S. 63]</span></p> + +<p>»Na, Herr Leutnant, wollen Sie mir denn nicht freundlichst die +Kompagnie melden?«</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Hauptmann!« Er fuhr herum und schrie mit einer +Stimme, als sei er von Mördern überfallen und wolle die Welt um Hilfe +zusammenrufen: »Stillgestanden — Augen links!«</p> + +<p>Hauptmann Goll sah seinen Untergebenen abermals von Kopf bis zu Füßen +an: »Herr Leutnant, Sie scheinen sich mit dem neuen Exerzier-Reglement +noch nicht sonderlich beschäftigt zu haben, aber auch Ihre alte +Weisheit haben Sie scheinbar einigermaßen verschwitzt, sonst würden Sie +wohl die Kompagnie zunächst ausgerichtet haben — und dann heißt das +Kommando nach dem neuen Reglement: die Augen links! — Also, bitte, +stecken Sie gefälligst die Nase ins Reglement, damit Sie sich nicht vor +den Kerlen blamieren — danke Ihnen! — 'Morgen, zweite Kompagnie!«</p> + +<p>»'Morgen, Herr Hauptmann!« scholl es aus hundertundzwanzig Kehlen +zurück, daß die Kasernenwände bebten.</p> + +<p>»Augen gerade — aus — rührt euch!«</p> + +<p>Frobenius schielte zur Kompagnie hinüber — ein fröhliches Grinsen lag +auf allen Gesichtern.</p> + +<p>Ja, da war nichts zu machen — der Respekt war von vornherein zum +Teufel.</p> + +<p>Schon nahte ein neues Schrecknis: ein Füsilier, den Frobenius natürlich +nicht kannte, führte einen großen, starkknochigen Goldfuchs mit weißer +Stirnblässe und unruhig schielenden Augen heran, der immerfort heftig +den Kopf in den Nacken warf und von Zeit zu Zeit mit der Hinterhand +nervös zusammenfuhr.</p> + +<p>»Pferd für Herrn Leutnant zur Stelle!« meldete er.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_64">[S. 64]</span></p> + +<p>Aha, dachte Frobenius, das ist der Bursche vom Oberleutnant Menshausen, +dem muß ich jedenfalls ein Trinkgeld geben. Er suchte in seinem +Portemonnaie, fand nur ein Zweimarkstück und drückte das dem Burschen +in die Hand, obgleich er sich darüber klar war, daß das viel zu viel +sei.</p> + +<p>»Wollen Herr Leutnant gleich aufsitzen?«</p> + +<p>»Jawohl!«</p> + +<p>Der Bursche hielt den rechten Bügel, Frobenius trat an die linke +Seite und hob das Bein, aber es gelang ihm nicht, den Steigbügel zu +erreichen. Himmel, war das ein Elefant! Der Bursche mußte den Bügel +länger schnallen, und nach einigen krampfhaften Anstrengungen saß +Frobenius im Sattel. Im selben Augenblick stieg der Gaul hinten und +vorne, und der Reiter schwankte hin und her — wie ein Wrack im Sturm.</p> + +<p>Zwei Füsiliere sprangen auf Hauptmann Golls Befehl herzu und beruhigten +die Bestie. Nun saß Frobenius steif aufgerichtet und wagte nicht, sich +zu rühren, aus Furcht, der Gaul möchte wieder unruhig werden.</p> + +<p>Leutnant Quincke kam und meldete sich beim Kapitän. Sein verkatertes +Gesicht war fahl — mit einem unverschämten Grinsen begrüßte er den +Reiter und stieß mit der Säbelscheide wie in harmlosem Scherz nach +Kunos Flanken. Kuno machte einen mächtigen Satz zur Seite, und auf ein +Haar hätte Frobenius das Gleichgewicht verloren.</p> + +<p>»Donnerwetter — lassen Sie doch diese Scherze, Herr Quincke!«</p> + +<p>»O, entschuldigen Sie, Herr Frobenius, wer konnte auch ahnen, daß der +Schinder so nervös ist — liegt das an ihm oder an Ihnen?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_65">[S. 65]</span></p> + +<p>Zwei andere Gäule wurden vorgeführt. Der eine gehörte dem Oberleutnant, +der erst im letzten Augenblick heranschoß, sich hastig beim +Kompagniechef meldete und wie der Blitz im Sattel saß; den andern, +einen zierlichen Apfelschimmel, bestieg Quincke, leicht und elegant, +und ließ ihn ein paar kurze Gänge machen. Das begeisterte Herrn +Kuno, sich anzuschließen, und so wurde Frobenius unfreiwillig über +den Kasernenhof spazieren getragen, bis Hauptmann Goll die Kompagnie +formiert hatte.</p> + +<p>»Bitte, Herr Leutnant Frobenius, reiten Sie bei mir! Die Herren +Menshausen und Quincke nehmen die Queue.«</p> + +<p>Mit Mühe gelang es Frobenius, sich an die Seite seines Kapitäns zu +dirigieren. Die Spielleute traten an die Tête, und der Hauptmann +kommandierte:</p> + +<p>»Stillgestanden — das Gewehr — über! — Gruppenkolonne rechts — +erster, zweiter, dritter Zug — Kompagnie — marsch!«</p> + +<p>Die Spielleute schlugen an. — Beim ersten Klang der Instrumente machte +Kuno einen fürchterlichen Satz nach links, raste wie toll in weitem +Bogen um den Kasernenhof, beruhigte sich aber dann und setzte sich +wieder neben das Pferd des Hauptmanns.</p> + +<p>Die Füsiliere platzten vor Vergnügen.</p> + +<p>»Kompagnie — halt!« schrie der Kapitän. »Wenn ihr unverschämten +Lümmels euch noch einmal untersteht, beim Exerzieren die Fresse zu +verziehen, so reit' ich euch gliederweise in den Dreck — verstanden!? +— Kompagnie — marsch!«</p> + +<p>Und dann mit vernichtendem Blick zu dem unglücklichen Reiter an seiner +Seite: »Herr Leutnant, wenn Sie nicht<span class="pagenum" id="Seite_66">[S. 66]</span> reiten können, dann sagen Sie's +gefälligst gleich! und ruinieren Sie mir hier nicht die Disziplin!«</p> + +<p>»Verzeihen Herr Hauptmann, ich weiß selbst nicht, was das ist — ich +glaube, man hat mir da eine ganz gefährliche Bestie geschickt — aber +ich werde mich schon gewöhnen!«</p> + +<p>Und so kam es auch. Kuno klebte ganz zufrieden an dem ruhig und sicher +schreitenden Rappen des Kapitäns und schien sich in sein Schicksal und +seinen Reiter ergeben zu haben.</p> + +<p>Zum muntern Spiel der Trommeln und Pfeifen ging's nun durch die stillen +Straßen hinaus. — Ab und an schoben sich droben an den Fenstern +die Vorhänge auseinander, und verschlafene Gesichter schauten auf +die ausrückende Schar — hier ein verdrießliches Matronenantlitz, +von wirren, grauen Haarsträhnen überhangen, dort ein freundliches +Mädchenköpfchen mit süß verträumten Wangen. — Im Morgensonnenschein +blinkten die frisch geputzten Knopfreihen und Helmbeschläge, blinkten +wie gleißende Schlangenschuppen die taktmäßig leise pendelnden +Gewehrläufe. — Die Pferde wieherten lustig in die Dunstschwaden der +Frühe hinaus, und Frobenius fing an, sich überaus behaglich zu fühlen +— wäre Hauptmann Goll etwas gesprächiger gewesen, es hätte sehr lustig +sein können — aber des Kapitäns Miene dräute Unheil — er würdigte +seinen Gefährten keines Wortes.</p> + +<p>Indessen schließlich — wer war Hauptmann Goll? — Irgendein +gleichgültiger Fleck in der spätsommerlichen Morgennatur — ein +flüchtiger Schatten auf dem Glück der Stunde — wie konnte so was +Bedeutungsloses ihn, Wilhelm Frobenius, um die frische Wonne dieses +lustigen Frühritts bringen?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_67">[S. 67]</span></p> + +<p>Ach, es war doch himmlisch, so auf einem feurigen Roß in die +nebeldampfende Landschaft hinaus sich tragen zu lassen!</p> + +<p>Allerhand literarische Erinnerungen fielen ihm ein — die +Hohenstaufenkaiser auf der Fahrt über die Alpen — Goethes Besuche bei +Friederike in Sesenheim:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Es schlug mein Herz: geschwind zu Pferde!</div> + <div class="verse indent0">Es war getan fast, eh's gedacht.«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Herrgott, daß man das bloß nicht früher gelernt hatte. — Ja, ja, da +war die harte Jugend gewesen voll einsamen Schaffens, Grübelns und +Sinnens im tabakdurchwölkten Studierkämmerchen — fern von den muntern +Kommilitonen, die bei Becher und Schläger ihr Leben auskosteten.</p> + +<p>Reiten! — Du lieber Himmel — dem Sohn des armen Volksschullehrers aus +dem Westerwalddörfchen war das immer als ein Privileg der hoch droben +hausenden Glückserkorenen erschienen.</p> + +<p>Und nun war er, nicht fern den Vierzigen, doch noch auf den Klepper +gekommen — das hatte sein Faustwerk, das hatten die zwanzig Auflagen +seines Schiller-Volksbuches zum Jubiläum von 1905 zustande gebracht.</p> + +<p>Ach ja — nun gehörte er selbst zu den Glückserkorenen. — Wie sagte +doch das arabische Sprichwort:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Alles Glück der Erde</div> + <div class="verse indent0">liegt auf dem Rücken der Pferde,</div> + <div class="verse indent0">in der Gesundheit des Leibes</div> + <div class="verse indent0">und am Herzen des Weibes.«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Ha — zwei von diesen Dingen nannte er nun sein eigen — gesund an Leib +und Seele — beim Himmel! das<span class="pagenum" id="Seite_68">[S. 68]</span> war er — und auf dem Rücken des Pferdes +saß er nun ja Gott sei Dank auch.</p> + +<p>Nun fehlte nur noch das Ruhen am Herzen des Weibes — ja, dazu würde +jetzt allerdings allmählich Rat geschafft werden müssen, sonst dürfte +Wilhelm Frobenius am Ende doch den Anschluß verfehlen.</p> + +<p>Indessen — wenn er so viel erreicht hatte, wenn er zwei Drittel alles +Erdenglücks bereits besaß — warum sollte sich nicht auch noch das +letzte Drittel erringen lassen?</p> + +<p>Wilhelm Frobenius meinte, noch niemals eine solche Stunde +leichtsinniger Hoffnungswonne — eine solche Stunde Versinkens im +Augenblick durchgekostet zu haben.</p> + +<p>Immer höher reckte sich seine eingefallene Brust — immer kecker +warf er die Nase empor, ließ er die Blicke zu den Fenstern der nun +schon spärlicher den Weg einsäumenden Häuser emporschweifen — und +als schließlich aus dem ersten Stockwerk eines einsamen Forsthauses +am Waldrande gar ein Mädchen hervorlugte, das er mit seinen, durch +die großen, goldgefaßten Brillengläser geschärften Augen für über die +Maßen hübsch hielt, da warf er der Schönen im Überschwang der Stimmung +eine heimliche Kußhand zu, schielte aber gleich darauf erschrocken zu +Hauptmann Goll hinüber.</p> + +<p>Doch der hatte zum Glück nichts gemerkt — verschlafen blinzelten seine +stechenden Augen zwischen den Pferdeohren hindurch in den Staub der +Landstraße — verständnislos für all die Herrlichkeiten der Morgenfrühe +— verständnislos für das süße Lebensglück, das wie ein feuriger junger +Wein durch die Adern seines Gefährten rieselte.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_69">[S. 69]</span></p> + +<h3>Viertes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>»Na, Alter — wie wär's mit 'nem Galöppchen?«</p> + +<p>Nelly von Sassenbach ritt zur Rechten ihres Vaters. Sie war heute +morgen gar nicht mit ihrem Alten zufrieden — sonst waren er und sie +immer für scharfes Tempo, und Molly, die um sieben Jahre jüngere +Schwester, die sich auf dem Gaul weit weniger zu Hause fühlte, war +immer wie zerschlagen, wenn sie vom gemeinsamen Ritt mit Vater und +Schwester heimkam.</p> + +<p>Aber heute war der Major nicht aus dem Schritt zu bringen — und auch +jetzt brummte er auf die Zumutung seiner Ältesten zum Angaloppieren +irgend etwas Unverständliches in die melancholisch niederhängenden +Schnurrbartzipfel hinein, nahm gleichzeitig die Mütze ab und tupfte den +Schweiß von der Stirn, obgleich die Spätsommersonne kaum die Frühnebel +zu besiegen begann.</p> + +<p>»Aha,« sagte Nelly, »du hast Kater, Alter, ich merk's schon — was war +denn gestern los im Kasino?«</p> + +<p>»Na, was wird los gewesen sein — die Herren von der Reserve und +Landwehr wurden angefeiert — das war alles!«</p> + +<p>»So,« sagte Nelly, »und deshalb war der Oberst zu Tisch gekommen?«</p> + +<p>»Der Oberst — wieso — wie kommst du denn auf <em class="gesperrt">die</em> Idee, Mädel?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_70">[S. 70]</span></p> + +<p>»Aber Alter!« lachte Nelly verschmitzt, »ich hab doch gestern selbst +gehört, wie du Mama erklärt hast, du kämest nicht zum Mittagessen, weil +der Oberst im Kasino speise und dich zu Tisch eingeladen habe.«</p> + +<p>»Ei verflucht —« knurrte der Major, »na also, daß ihr's wißt, Kinder +— das war geschwindelt, weil ich sonst — hm, hm — schwerlich Urlaub +bekommen hätte. Daß ihr mir aber reinen Mund haltet! — besonders du, +Nesthäkchen!«</p> + +<p>Die blonde Molly antwortete nicht, verzog den Mund in einer Manier, +die der Vater gar zu gut kannte; denn sie war restlos von der Mutter +auf die Tochter vererbt worden — nur daß es doch ein Unterschied war, +ob die bewußte Falte rechts und links von einer Neunzehnjährigen oder +einer Achtundvierzigjährigen Munde stand.</p> + +<p>»Also wirklich — mit dem Galopp wird's heute nichts! — Na, dann +erzähl uns wenigstens was von gestern.«</p> + +<p>»Ja, was ist da viel zu erzählen — ist eben mal wieder 'ne Anzahl +fragwürdiger Gestalten, als Leutnants und Oberleutnants verkleidet, +auf der Bildfläche erschienen — haben sich mit uns betrunken und uns +allerhand höchst gleichgültige Geschichten von den merkwürdigsten +Zivilberufen erzählt.«</p> + +<p>»Was sind's denn für Leute?« fragte Nelly unverdrossen weiter, +»bekommen wir sie auch mal zu sehen?«</p> + +<p>»Na, doch natürlich — sind ja noch im Regiment, wenn nächstens die +große Fête vom Stapel läuft!«</p> + +<p>»Erlaube mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, lieber Papa,« warf +Molly ein, »daß wir heute spätestens um halb elf zu Hause sein müssen; +denn wir sind auf Punkt elf Uhr<span class="pagenum" id="Seite_71">[S. 71]</span> zu Frau von Brandeis gebeten, wo die +erste Probe für das Festspiel stattfinden soll.«</p> + +<p>»Wat is det?« grunzte der Vater, »Festspiel? — Hab ich ja noch gar +nichts von gehört!«</p> + +<p>»Wir haben angenommen, das interessierte dich nicht, lieber Papa,« +meinte Molly spitz. Dann aber ließ sie sich doch herab, etwas genauere +Angaben zu machen. Es würden also lebende Bilder gestellt werden, und +zwar drei — dazu verbindender Text, dialogisch gesprochen von Frau von +Brandeis, Schwester Nelly, ihr selbst und Herrn Leutnant Blowitz — den +Text habe ein Einjähriger des Regiments verbrochen.</p> + +<p>Das letztere war schließlich das einzige, was den Major ernstlich +interessierte. Ein Einjähriger des Regiments — von welcher Kompagnie +der denn sei und wie er heiße?</p> + +<p>Das wußten die Mädchen nicht — sie hatten ihn noch nicht kennen +gelernt.</p> + +<p>»Gnade Gott, wenn er von meinem Bataillon ist — dem werd ich die +Hammelbeine langziehen — jedenfalls werd ich ihn mir mal vorbinden +und ermitteln, ob er auch im Exerzierreglement und in Dienstkenntnis +auf der Höhe der Situation ist — wenn nicht, dann treib ich ihm das +Dichten aus — aber gründlich!«</p> + +<p>»Also die Reserveoffiziere kommen auch zum Regimentsfest?« fragte Nelly +weiter, »das ist ja 'n wahrer Segen — dann bekommt man doch endlich +mal 'n paar andere Gespräche zu hören, als ewig Avancement — Kommandos +— Vorderleute — und den übrigen Kommißtratsch. Wenn man das, wie ich, +bereits sieben Saisons hindurch genossen hat, dann lechzt man geradezu +nach Abwechslung.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_72">[S. 72]</span></p> + +<p>»Tja, Mädel,« knurrte der Major, »warum hast du nicht längst +geheiratet?«</p> + +<p>»Warum ich nicht geheiratet habe? — Na, Vater, ich meine, das müßtest +<em class="gesperrt">du</em> doch wissen!«</p> + +<p>»Is ja wahrhaftig 'ne Schande,« brummte der Major, »Mädel wie 'ne Tanne +— firm auf dem Gaul und in der Küche — Kommißvermögen dreidoppelt +vorhanden, dank meiner seinerzeitigen Vorsicht in der Auswahl des +Schwiegerpapas — mit einem Worte: alles da! — Und ihr Mädels bleibt +liegen wie die trocknen Semmeln!«</p> + +<p>»Na, an mir hat's doch wahrhaftig nicht gelegen,« schmollte Nelly.</p> + +<p>»Ne, ich weiß schon — du kannst nichts dazu!« Der Major griff sich mit +drei Fingern in den Rockkragen, als sei der zu eng geworden. »Du kannst +nichts dazu!«</p> + +<p>Molly rückte ungeduldig auf ihrem Sattel hin und her: »Möchtest du mir +nicht den Gefallen tun, Papa, und in meiner Gegenwart von Mama nicht so +respektlos sprechen — du weißt, das schmerzt mich.«</p> + +<p>»Nanu — hab ja kein Wort gesagt!«</p> + +<p>»O — ich hab dich sehr gut verstanden. Wenn Mama zuweilen etwas +abwehrend gegenüber gewissen Herren gewesen ist, die sich um uns bemüht +haben, so hat sie es jedenfalls sehr gut gemeint — und soweit ich's +beurteilen kann, ist es immer zu unserm Glück gewesen, daß aus den +Partien nichts geworden ist, die Mama abgelehnt hat.«</p> + +<p>Nelly warf dem Vater einen verständnisvollen, der Schwester einen +bitterbösen Blick zu.</p> + +<p>Der Vater und seine Älteste wußten sich einig in dem Gedanken: der +Freier, der Mama von Sassenbachs Beifall<span class="pagenum" id="Seite_73">[S. 73]</span> fände, der sollte noch +geboren werden. Unter den jungen Leuten von heute hatte Mama von jeher +fürchterliche Musterung gehalten — und keinen gerecht befunden.</p> + +<p>Nelly hatte auch längst die Hoffnung aufgegeben, daß einer der +Herren des Regiments Gnade vor Mamas Augen finden könnte. Sie hatte +in ihren sechsundzwanzig Jahren und sieben durchtanzten Saisons gar +manchen Flirt gehabt, und der eine oder andere war verflucht ernst +geworden, aber im richtigen Augenblick war es Mama stets gelungen, den +betreffenden Bewerber derart kopfscheu zu machen, daß er abschnappte.</p> + +<p>Jedesmal, wenn ein Herr in entsprechenden Jahren, Hauptmann oder +Oberleutnant, der noch zu haben war, von auswärts ins Regiment versetzt +worden war, hatten der Vater und seine Älteste sich in geheimen +Hoffnungen gewiegt, aber nie war's etwas geworden — und so exklusiv +war der Verkehr des Regiments, daß Bewerber aus nicht militärischen +Kreisen für eine ernsthafte Annäherung kaum in Frage kamen.</p> + +<p>Molly, Mamas Ebenbild und getreue Schildhalterin, war bisher mit ihrem +Schicksal vollkommen zufrieden geblieben — Nelly aber hatte sich +allmählich in einen Zustand ständiger, latenter Empörung wider ihr Los +hineingelebt.</p> + +<p>Den unverbrauchten Energieüberschuß ihrer stählernen Leiblichkeit tobte +sie in halsbrecherischen Ritten, stundenlangen Radpartien, endlosen +Tennistournieren aus — ihre lebenshungrige Seele aber lag völlig brach.</p> + +<p>Dies Gefühl der Inhaltslehre ihres Daseins preßte ihr oft in der +Einsamkeit draußen — in schlummerlosen Nächten daheim — heiße, +ächzende Tränengüsse ab.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_74">[S. 74]</span></p> + +<p>Sie war verstummt. Den Kopf in den Nacken zurückgeworfen, spornte sie +ihren Gaul, hielt ihn aber fest an der Kandare, daß er schäumend und +kopfschleudernd nach rechts und links aussprang, ohne vom Fleck zu +können.</p> + +<p>Trüben Blicks verfolgte der Major das Tun seines Lieblings. — Ja, ja +— so lagen sie alle drei an der Kandare — der Gaul, das Mädel und er +selber auch.</p> + +<p>Das war nun achtundzwanzig Jahre her, seit der junge, leichtsinnige +Leutnant sich durch die Heirat mit der Tochter eines reichgewordenen, +baronisierten niederrheinischen Großindustriellen aus dem chronischen +Dalles herausgeholfen hatte, dem auch er verfallen war, wie seine +ganze altfeudale Familie ... aber für diese Rettung hatten seine +achtundzwanzig Ehejahre ihm die Quittung präsentiert ... Ein reiches +Mädel heiraten! — Soll's der Deubel holen — den Drachen bekommt man +gratis!</p> + +<p>Der Major zog die Uhr. Es fiel ihm ein, daß er sich auf Punkt neun +Uhr am Wegekreuz mit seinem Adjutanten, dem Leutnant Blowitz, +verabredet hatte, um sich dort von seinen Töchtern zu trennen und zur +Inspektion der Morgenarbeit seines Bataillons nach dem Exerzierplatz +hinüberzureiten.</p> + +<p>»Ja, Kinder, nun wird uns doch nichts übrig bleiben, als ein kleines +Träbchen zu riskieren, sonst geraten die Erste und die Zweite +aneinander, ehe der Kommandeur zur Stelle ist!«</p> + +<p>Und in der Tat — vom Exerzierplatz herüber klangen vereinzelte +Schüsse, die bald lebhafter wurden: die beiden Kompagnieen, welche +heute Gefechtsübung miteinander vereinbart hatten, mußten also bereits +Fühlung gewonnen haben.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_75">[S. 75]</span></p> + +<p>Schweigend trabte der Major inmitten seiner Töchter die Chaussee +entlang.</p> + +<p>Die Sonne hatte sich inzwischen durchgekämpft ... das Bild der +Landschaft entrollte sich in leuchtender Lieblichkeit ... zur Rechten +die dunkeln Waldberge ... zur Linken die abgeernteten fahlgelben +Ackerbreiten, die sich zum Tal herniedersenkten, wo längs des +blinkenden Flußstreifs die Türme und qualmenden Schornsteine der +Garnisonstadt aus fahlem Dunste stiegen, der noch drunten lagerte ... +Geradeaus vor den Reitern zog sich die Chaussee in schnurgerader Linie +einen Hügel hinan, hinter dem das Wegekreuz lag und weiterhin der +Exerzierplatz sich dehnte ...</p> + +<p>Jetzt schollen aus der Ferne rasche Hufschläge.</p> + +<p>»Aha — hört ihr?« sagte der Major, »das muß Blowitz sein! Gewiß kommt +er mir entgegen, um mich zur Eile anzuspornen, weil's dahinten schon +losgeht!«</p> + +<p>In diesem Augenblick tauchte ganz, ganz hinten, wo die Chausseebäume +sich zu einem dunkeln Strich längs des gelben Wegstreifens +zusammenschlossen, ein Reiter auf ... nein ... ein Reiter schien's +nicht zu sein ... ein herrenloses Pferd, das in rasender Karriere den +sanft sich senkenden Hang heruntertobte.</p> + +<p>Aber nein ... der Sattel war ja nicht leer ... es sah aus, als baumele +ein dunkler Sack auf dem Pferderücken hin und her ...</p> + +<p>Nun auf einmal enthüllte sich das ganze Schrecknis ... der Gaul mußte +durchgegangen sein und der Reiter die Herrschaft völlig verloren haben +...</p> + +<p>Wahrhaftig! ... Ein Offizier! ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_76">[S. 76]</span></p> + +<p>Der Säbel schlenkerte hoch in der Luft ... nun flog in weitem Bogen +der Helm vom Kopfe des Reiters in den Chausseegraben, und verzweifelt +umklammerte der Reiter den Hals des Pferdes ... immer näher heran raste +die tolle Jagd ...</p> + +<p>Ein Schrei war aus den Kehlen beider Mädchen erklungen, ein dumpfer +Fluch kam aus den Zähnen des Majors, als den dreien der Vorgang +klar geworden war. Während aber der Vater und die jüngste Tochter +wie gelähmt auf das unbegreifliche Schauspiel starrten, warf Nelly +plötzlich ihren Gaul herum und raste in der entgegengesetzten Richtung +von dannen.</p> + +<p>Der Major gaffte einen Augenblick verständnislos hinter seiner Ältesten +drein ... Dann hatte er begriffen ... Nelly, die leidenschaftliche +Reiterin, hatte den einzig richtigen Weg eingeschlagen ... Schon warf +auch er den Gaul herum und galoppierte hinterdrein ...</p> + +<p>In diesem Augenblick fegte schon der durchgegangene Gaul an ihm vorbei, +und der Major erkannte in dem Reiter den Landwehronkel, mit dem er sich +gestern abend so fabelhaft gebildet unterhalten ...</p> + +<p>Mit wütendem Sporenhieb stachelte der Major sein Pferd, aber der +Vorsprung, den der Durchgänger erlangt, schien nicht mehr einzuholen ...</p> + +<p>Nun hatte der Flüchtling Nellys Pferd erreicht, und beide Tiere rasten +in gleichem Tempo die Chaussee entlang ... immer mehr näherte sich das +Mädchen dem Durchbrenner ... nun neigte sie sich im Reiten nach rechts +hinüber und suchte die flatternden Zügel des rasenden Tieres zu fassen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_77">[S. 77]</span></p> + +<p>»Nelly — Nelly!« schrie der Major.</p> + +<p>Das konnte ja nun und nimmer gut gehen! ...</p> + +<p>Doch jetzt hatte das Mädchen die Zügel gepackt ...</p> + +<p>Im vollen Dahinstürmen riß sie drei-, viermal mit ganzer Kraft den Kopf +des Gaules zu sich herüber ...</p> + +<p>Das Tempo verlangsamte sich ... abermals riß das Mädchen den Kopf des +Durchbrenners herum ... noch schossen beide Gäule dicht Seite an Seite +vorwärts ... aber der Ansturm erlahmte ...</p> + +<p>Nun stieg der Fuchs ein paarmal in die Höhe, machte noch einen +vergeblichen Versuch, auszubrechen, stieg abermals ... und stand +plötzlich wie angemauert, flankenzitternd, schnaubend, über und über +mit flockigem Schaum und Schweiß bedeckt ...</p> + +<p>Der Reiter hatte bei diesem letzten plötzlichen Halt den Zusammenhang +mit seinem Gaul vollends verloren und war in den Graben gekugelt.</p> + +<p>Als der Major herankam, hatte sein Mädchen den Flüchtling bereits +vollständig in ihrer Gewalt und beruhigte ihn mit Klopfen und Zuspruch +...</p> + +<p>»So ein Satan von Mädel!« keuchte Sassenbach, »hast du denn nichts +mitbekommen?«</p> + +<p>Er mochte wohl fragen! —</p> + +<p>Als der Major die Zügel des Ausreißers ergriffen hatte, ließ Nelly +den rechten Arm schlaff heruntersinken — ihr war's, als seien alle +seine Sehnen wacklig geworden und baumelten schlapp herunter, wie die +ausgezerrten Kugelgelenke einer Gliederpuppe ... mit leisem Stöhnen zog +sie die Luft durch die Zähne ...</p> + +<p>»Tut's weh?« fragte der Vater nochmals besorgt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_78">[S. 78]</span></p> + +<p>»Haarsträubend!« gestand Nelly, »aber du siehst: aus dem Leim ist er +noch nicht ... sehen wir also zunächst mal nach dem da im Graben! ...«</p> + +<p>Frobenius war weich gefallen ... zu seinem Glücke war just neben dem +Platz der Katastrophe ein Froschwässerlein im Chausseegraben, das hatte +wie ein elastisches Kissen seinen Sturz aufgefangen ... die Frösche +hatten dabei mehr Schaden genommen als ihr unfreiwilliger Gast ... +Nun saß Frobenius mit der Rückseite seines Körpers in dem Tümpel, +während die Beine noch auf dem Rande der Chaussee lagen. Er hatte +sich aufgerichtet, und seine Arme standen hinter seinem Rücken in dem +Wässerchen ... so sah er drein mit dem Unschuldsblick eines Kindes, das +eben vom Himmel gefallen wäre ... seine Augen suchten, wie aus tiefem +Traum erwachend, nach dem Urheber seines Unglücks ...</p> + +<p>Auf einmal sah er neben dem keuchenden und schnaubenden Kuno den +Oberkörper einer Dame ...</p> + +<p>Eine Dame? ... wie kam denn die hierher? ... Das war doch nicht etwa +gar ... nein ... das durfte nicht sein ... das wäre zu ungeheuerlich +gewesen ...</p> + +<p>Er, ein Mann ... und von einem jungen Mädel gerettet ... das wäre gar +nicht wieder gut zu machen ...</p> + +<p>Und — — Teufel ... kam da nicht eben gar sein Bataillonskommandeur +herangesprengt, mit dem er sich gestern abend bei der letzten Flasche +Sekt so glänzend unterhalten —?</p> + +<p>Und der war sorglich um das junge Mädchen bemüht ... fragte nach ihrem +Befinden — —</p> + +<p>Ja ... gab's denn so was überhaupt? ... war eine solche Blamage denn +überhaupt faßbar? ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_79">[S. 79]</span></p> + +<p>Der Major nannte das junge Mädchen du ... sie sagte Vater zu ihm ...</p> + +<p>Gerettet von der Tochter seines Bataillonskommandeurs! ...</p> + +<p>Das war so ungeheuerlich ... so unwahrscheinlich — — daß es schon +fast nicht mehr ernst zu nehmen war ...!</p> + +<p>Und wie nun Wilhelm Frobenius an sich selber herunterschaute und sich +rücklings in dem Froschtümpel sitzen sah, da verschwand jede Spur +persönlicher Beschämung vor der reinen Freude an der haarsträubenden +Komik der Situation ...</p> + +<p>Als der Major sich überzeugt hatte, daß seine Tochter heil sei, und +beide sich dem Opfer der Katastrophe zuwandten ... da saß dies Opfer in +seinem Überzug von Schlamm und Algen ... und lachte ... lachte selig +wie ein Kind, das einen fabelhaft gelungenen Streich ausgeführt hat und +nun auf allgemeine Dankbarkeit Anspruch macht ...</p> + +<p>Einen Augenblick waren die Retterin und ihr Vater völlig verblüfft +... dann aber stimmten auch sie erlöst und überwältigt ein in die +erdentrückte Heiterkeit des langen Menschen im Froschpfuhl ...</p> + +<p>»Donnerwetter! — Sie scheinen sich in Ihrem Tümpel da ja ganz +behaglich zu fühlen! — Wie lange wollen Sie denn da eigentlich noch +sitzen bleiben?«</p> + +<p>Und die junge Dame fragte: »Soll ich vom Pferde runterkommen und Ihnen +die Hand geben?«</p> + +<p>Da kam Wilhelm Frobenius denn doch zu Besinnung.</p> + +<p>Er versuchte aufzuspringen ... aber das war nicht so leicht ... +Es blieb ihm nichts übrig, als die Beine, die bisher<span class="pagenum" id="Seite_80">[S. 80]</span> so schön +auf dem Trocknen gelegen hatten, von ihrem hochgelegenen Platze +herunterzudirigieren.</p> + +<p>Und so, am ganzen Leibe triefend und mit grünem Schlamm überzogen, +richtete Wilhelm Frobenius seine lange Gestalt auf, stieg auf die +Chaussee und machte eine tragikomische Verbeugung.</p> + +<p>»Darf ich Herrn Major ganz gehorsamst bitten, mich vorzustellen?!«</p> + +<p>Abermals platzte Nelly heraus.</p> + +<p>»Ja,« sagte der Major, »als was soll ich Sie denn nun vorstellen — als +Leutnant der Landwehr? — Das geht doch nicht gut; denn augenblicklich +haben Sie mit allem Möglichen Ähnlichkeit ... aber mit einem Leutnant +... Also, sagen wir schlechtweg: Herr Frobenius — meine Tochter Nelly!«</p> + +<p>»Na, nun bedanken Sie sich mal schön bei mir!« sagte Nelly und rieb den +schmerzenden Arm, »wer weiß, wo Sie jetzt schon wären, wenn ich mich +nicht über Sie erbarmt hätte!«</p> + +<p>»Eigentlich müßte ich Ihnen böse sein, mein gnädiges Fräulein ... +stellen Sie sich vor, welch ein Schicksal meiner wartet! — Meinen Sie +nicht auch, daß mir besser wäre, dieser infame Schinder hätte mich da +hinten irgendwo gegen einen Baum gerannt? ... Dann wäre jetzt alles +vorbei und ich läge friedlich und entseelt irgendwo an der Landstraße +... aber jetzt: — so ein Lachen, wie über mich anheben wird, ist doch +überhaupt noch gar nicht dagewesen. Das habe ich Ihnen zu verdanken, +mein gnädiges Fräulein!«</p> + +<p>Dabei strahlten hinter den funkelnden Brillengläsern die braunen Augen +des Mannes zu dem Mädchen empor, mit einem Ausdruck, der just das +Gegenteil seiner Worte sagte:</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_81">[S. 81]</span></p> + +<p>Ahnst du, Mädchen, wie lieb ich das Leben hab? ... ahnst du, wieviel +ich noch wirken und schaffen möcht' auf dieser Erde? ... ahnst du, was +für ein krauses, sehnsüchtiges, umgetriebenes Herz das ist, das nun +weiter schlagen darf dank deiner schnellen Tat?</p> + +<p>Einen Augenblick lang hatte dies geheimnisvolle Leuchten der braunen +Augen die stahlblauen der Retterin festgehalten ... dann aber ließ sie +ihre Blicke an der hageren Gestalt herabgleiten ...</p> + +<p>Nein, so eine Karikatur! ...</p> + +<p>Von den grün überkleisterten Rockschößen ... von den Ärmelaufschlägen +hernieder triefte es in den Staub der Chaussee ... Die dürren Beine in +den schlammüberkrusteten Reitstiefeln schlotterten vor Nässe und Frost +...</p> + +<p>Der Instinkt der Soldatentochter lehnte sich auf gegen dieses Zerrbild +... Der Herr trug doch nun mal des Königs Rock ... nun galt's vor +allem, die unmögliche Situation zu retten ...</p> + +<p>Mit Überraschung sah Frobenius, daß das Zucken des Lächelns und der +Teilnahme plötzlich, wie weggeweht, vom Gesicht des jungen Mädchens +verschwand.</p> + +<p>»Herr Leutnant,« sagte sie mit unüberhörbarer Ironie, »mein Vater war +gerade im Begriff, zum Bataillon zu reiten — Gehn Sie bitte dort +irgendwo in den Wald und legen Sie sich in die Sonne zum Trocknen ... +meine Schwester und ich werden Ihr Pferd mit zum Tattersall nehmen und +Ihnen einen Wagen herausschicken ... So können Sie ja unmöglich in die +Stadt zurück!«</p> + +<p>»Ah, das ist ja 'ne ausgezeichnete Idee!« stimmte der Major zu.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_82">[S. 82]</span></p> + +<p>Zerschmettert sah Wilhelm Frobenius an seiner jammervollen Erscheinung +herunter ... »Allerdings — Sie haben wohl recht, gnädiges Fräulein! +Ich danke Ihnen! — Den Dank für meine ... Rettung ... hoffe ich Ihnen +... in etwas schicklicherer Verfassung ...«</p> + +<p>»Schon gut, schon gut!« sagte Nelly, »nur schnell von der Chaussee +herunter, Herr Leutnant ... Da hinten kommt schon eine Kompagnie vom +Exerzierplatz zurück ...!«</p> + +<p>»Ah, gut, gut!« sagte der Major, »also schnell, Herr Leutnant, +verschwinden Sie! — Und ihr, Mädels,« — das galt Nelly und der soeben +herankommenden Molly — »macht, daß ihr nach Hause kommt ... Ich halte +den Schinder so lange und werde ihn der Kompagnie dort übergeben; die +kann ihn zur Stadt zurückschaffen ...!«</p> + +<p>Mit kurzem, herbem Kopfnicken verabschiedete sich die junge Dame von +ihrem Schützling, der barhaupt im prallen Sonnenschein vor ihr stand +und mit schlotternden Gliedern eine hilflos befangene Verbeugung machte +... In schlankem Galopp stoben die beiden Reiterinnen nach rechts der +Stadt zu.</p> + +<p>Der Major ergriff die Zügel Kunos des Schrecklichen, der wie ein +Lämmchen folgte, grüßte kurz mit der Linken und sprengte der +anmarschierenden Kompagnie entgegen.</p> + +<p>Wilhelm Frobenius aber stapfte an seinem Tümpel vorüber ... durch +den Chausseegraben ... in den Wald ... und suchte sich ein sonniges +Plätzchen aus ...</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_83">[S. 83]</span></p> + +<h3>Fünftes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Die Kompagnie, die auf der Chaussee vom Exerzierplatz sich näherte, war +die dritte.</p> + +<p>Hauptmann Haller, der vorschriftsmäßig an der Queue ritt, sah seinen +Bataillonskommandeur herankommen und galoppierte an, überholte seine +Kompagnie und meldete dem Major: »Dritte Kompagnie auf dem Rückmarsch +vom Exerzierplatz!«</p> + +<p>»Danke, lieber Haller! — Hier bring ich Ihnen etwas Schönes mit!«</p> + +<p>»Ich hab mich schon gewundert, Herr Major.«</p> + +<p>»Haarsträubende Geschichte! — Hat den Leutnant der Landwehr Frobenius +abgeworfen — der Satan!«</p> + +<p>Die Kompagnie war inzwischen herangekommen. Staubbedeckt, lustig seine +Zigarette rauchend, marschierte an ihrer Spitze der schlanke, blonde +Leutnant von Finette. Er hatte die letzten Worte gehört, und nachdem +er vor seinem Bataillonskommandeur salutiert, erlaubte er sich zu +bemerken: »Darf ich Herrn Major darauf aufmerksam machen, daß das Kuno +der Schreckliche ist?!«</p> + +<p>»Kuno der Schreckliche — wer ist denn das?«</p> + +<p>»Ein total aus dem Leim gerittener Schinder aus dem Tattersall! Wer hat +denn bloß dem unglücklichen Herrn von der Landwehr diese Kreatur unter +den Leib gesteckt?<span class="pagenum" id="Seite_84">[S. 84]</span> ... Die ist doch eigentlich nur noch zu Beefsteak +zu gebrauchen!«</p> + +<p>»So,« sagte der Major, »das begreife ich allerdings auch nicht ... Ich +werde doch mal an den Direktor telephonieren ... So was darf nicht +wieder vorkommen ... das ist ja 'ne Infamie geradezu!«</p> + +<p>Hauptmann Haller hatte inzwischen seinen Burschen herangewinkt, der dem +Major die Zügel des unglücklichen Gaules aus der Hand genommen hatte.</p> + +<p>»Haben Sie die Erste und Zweite gesehen?« erkundigte sich der Major.</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Major! Die Zweite hat das Kastanienwäldchen besetzt — +die Erste greift von der Hohen Tanne her an!«</p> + +<p>»Danke vielmals! — Guten Morgen, meine Herren!«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am Kreuzweg traf Sassenbach, wie verabredet, mit seinem Adjutanten +zusammen.</p> + +<p>»Was macht der Brummschädel?«</p> + +<p>»Danke gehorsamst, Herr Major — durchaus vorschriftsmäßig!«</p> + +<p>»Langt's zu 'nem Galopp?«</p> + +<p>»Selbstverständlich, Herr Major! — Hohe Zeit! Die Erste und Zweite +müssen schon aneinander sein!«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Hauptmann von Brandeis hatte frühmorgens am Rande des Exerzierplatzes +seine Kompagnie in Züge auseinandergezogen und Übungen im +Entfernungsschätzen durch die Zugführer<span class="pagenum" id="Seite_85">[S. 85]</span> vornehmen lassen. Nach einer +Stunde hatte er die Kompagnie zusammengezogen und sie fünf Kilometer +weit nordwärts geführt, um auf Grund einer mit Hauptmann Goll +vereinbarten einfachen Gefechtsannahme eine kleine Felddienstübung +anzuschließen ...</p> + +<p>Einer von den üblichen »Türken«, die mit tödlicher Sicherheit sich +immer wiederholten und denselben typischen Verlauf nahmen.</p> + +<p>Rot, so lautete die Annahme, war gestern nördlich der Garnison +geschlagen worden ... Die Dunkelheit hatte das Gefecht unterbrochen, +und infolge Erschöpfung von Blau hatte die Verfolgung nicht mit voller +Energie aufgenommen werden können, so daß die Fühlung mit dem Feinde +verloren gegangen war ... Früh morgens hatte die Kavallerie gemeldet, +daß der Feind in der Nacht durch die Stadt hindurch gen Süden abgezogen +sei und nur noch schwache Abteilungen Versprengter sich in den Wäldern +südlich des Exerzierplatzes sammelten ...</p> + +<p>Die erste Kompagnie, als linke Seitendeckung des auf der großen +Chaussee marschierenden Gros von Blau, bekam den Befehl, die Nachzügler +zu vertreiben ...</p> + +<p>Die beiden Hauptleute hatten miteinander verabredet, daß ihre ältesten +Zugführer die Kompagnieen führen sollten.</p> + +<p>Hauptmann von Brandeis hatte den weißen Helmbezug und die weiße +Armbinde der Schiedsrichter angelegt, und zu ihm war von der Zweiten +Leutnant Quincke als Schiedsrichtergehilfe getreten ... Oberleutnant +Menshausen führte die Zweite ... Leutnant der Reserve Flamberg die +Erste ... Hauptmann Goll, als der Ältere, markierte den Leitenden<span class="pagenum" id="Seite_86">[S. 86]</span> +und hatte den Leutnant der Landwehr Frobenius als Zuschauer zu sich +befohlen.</p> + +<p>Bei der Zweiten wurden infolgedessen sämtliche Züge von +Unteroffizieren: einem aktiven und einem Reserve-Vizefeldwebel und +dem ältesten Sergeanten geführt ... Bei der Ersten standen Leutnant +Carstanjen und zwei Vizefeldwebel als Zugführer.</p> + +<p>Der Oberleutnant Menshausen besetzte mit allen drei Zügen den Rand des +Kastanienwäldchens und ließ die Mannschaften sich eingraben ...</p> + +<p>Dann hielt er Musterung unter den Unteroffizieren ...: »Der +einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen!«</p> + +<p>»Hier!«</p> + +<p>»Kommen Sie mal her ... Für Sie hab' ich heute eine Spezialaufgabe: +Sehn Sie sich mal rechts da das Gebüsch an! — Sehn Sie?«</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«</p> + +<p>»Nehmen Sie sich die beiden rechten Flügelgruppen vom ersten Zuge und +suchen Sie, in das Gehölz hineinzukommen ... aber gedeckt ... verstehn +Sie!? — auch wenn Sie einen größern Umweg machen müssen! — Und daß +Sie mir nicht eher zum Vorschein kommen, als bis die Erste über den +Exerzierplatz zum Angriff ansetzt ... sie muß ja selbstverständlich von +der Hohen Tanne herkommen ... Wenn dann die vorhergehenden Züge auf der +Höhe Ihres Gehölzes angekommen sind, dann erscheinen Sie plötzlich mit +Ihren zwei Gruppen am Waldrand und schießen der Ersten in die linke +Flanke hinein ... Haben Sie begriffen?«</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_87">[S. 87]</span></p> + +<p>»Na, nun nehmen Sie sich mal zusammen und beweisen Sie, daß Sie würdig +sind, nächstens die Offizierqualifikation zu bekommen — Sie Vertreter +der Intelligenz! Los, treten Sie an!«</p> + +<p>Der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen begab sich an die +rechte Flanke der ausgeschwärmten Kompagnie und befahl: »Erste und +zweite Gruppe vom rechten Flügel des ersten Zuges — sammeln!«</p> + +<p>Im selben Augenblick galoppierte auch schon der Kompagnieführer heran: +»Donnerwetter, Friesen, wozu wollen Sie denn Ihre zwei Gruppen sammeln? +Lassen Sie die doch ausgeschwärmt ... Wir sind im Gefecht! Einfach +kehrt marsch und dann in Schützenlinie 'runter in den Grund ... so +schnell wie möglich ...«</p> + +<p>Der Einjährige stand stramm, zog dann mit dem Befehl »Schwärmen!« seine +beiden Gruppen wieder auseinander und führte sie in den waldbestandenen +Grund, der sich zur Rechten des Kastanienwäldchens hinzog ...</p> + +<p>Alle Wetter, heute galt's aufpassen!</p> + +<p>Oberleutnant Menshausen leitete die Ausbildung der Einjährigen und ihre +Vorbereitung zum Offizierexamen, und von seinem Wohlwollen hing es sehr +wesentlich ab, ob man bei der Entlassung zur Reserve die Qualifikation +zum Offizier des Beurlaubtenstandes bekommen würde ... Übrigens war er +ein harter Instruktor gewesen, der eine tiefe, grundsätzliche Abneigung +gegen die »Intelligenz im Heere« besaß und sich gar keine Mühe gab, das +zu verbergen ...</p> + +<p>Also wirklich, es ging »um die Wurst!«</p> + +<p>Ach ... und dabei war Hans Friesen heute so ganz und gar nicht dazu +aufgelegt, seine Gedanken auf den Königlichen<span class="pagenum" id="Seite_88">[S. 88]</span> Dienst zu konzentrieren +... Auf halb zwölf war er zu Frau Hauptmann von Brandeis befohlen, um +dort den Damen des Regiments, die bei der Festaufführung im Kasino +mitwirken sollten, und dem Herrn Bataillonsadjutanten das Festspiel +vorzulesen, das — er selbst — Hans Friesen, verfaßt hatte ...</p> + +<p>Er, Hans Friesen, seiner bürgerlichen Hantierung nach Königlich +preußischer Gerichtsreferendar und Doktor beider Rechte — zurzeit +Seiner Majestät jüngster Unteroffizier ...</p> + +<p>Wahrlich ... es war keine Kleinigkeit gewesen, unmittelbar nach +bestandenem Referendarexamen ... unmittelbar nach dem Übergang aus +dem heitern Studentenleben in Amt und Würde hinein ... plötzlich ein +gemeiner Füsilier zu werden und unter der Fuchtel roher Unteroffiziere +inmitten derber Söhne des Volkes die Geheimnisse des langsamen Schritts +und des Infanteriegewehrs zu erlernen! ...</p> + +<p>Und das nun gar, wenn man nicht nur ein alter Korpsstudent und +königlicher Justizbeamter, sondern außerdem — ein werdender Dichter +war.</p> + +<p>Ach, noch zwei Monate ... dann würde die Schinderei zu Ende sein, und +Hans Friesen würde wieder zu seinen geliebten Manuskripten und seinen +weniger geliebten, aber um so ehrwürdigern Akten zurückkehren dürfen ...</p> + +<p>Vorher aber galt's noch mancherlei Fährnis zu bestehen ...</p> + +<p>Das Manöver war in Aussicht, und Hans Friesen war Korporalschaftsführer +... hatte das Vergnügen, jedes Kommißbrot und jede Unterhose für seine +Korporalschaft in<span class="pagenum" id="Seite_89">[S. 89]</span> Empfang zu nehmen ... Samstags die Ausgehgarnitur +auf Kammer zu empfangen ... und Montags sie wieder in tadellosem +Zustande abzuliefern ... und dazu kamen all die tausend jämmerlichen +und doch so notwendigen Pflichten der Fürsorge für zwanzig stramme +Burschen ...</p> + +<p>Das alles zog durch des jungen Soldaten Hirn, als er die ihm +anvertrauten zwei Gruppen in langer Schützenlinie durch den blumigen +Talgrund führte ...</p> + +<p>Ach, dieser Talgrund schien so gar nicht geschaffen zum Tummelplatz +für nägelbeschlagene Kommißstiefel ... Hier mußte man mit einem süßen, +braunäugigen Kind engumschlungen wandeln ... und von holden und +freudigen Dingen reden ... holde und freudige Dinge tun ...</p> + +<p>Gott, heute mittag würde er ja endlich einmal wieder Mensch sein, +Kavalier sein, würde mit richtigen Damen reden! — Ob er das nicht +überhaupt schon verlernt hatte im seelenmordenden Gamaschendienst? — +Nun, an ihm sollte es jedenfalls nicht fehlen!</p> + +<p>Zwar auf sein Festspiel bildete er sich verdammt wenig ein ... Da +hatte er dem Dichtertum in seinem Busen ganz gründlich Zaum anlegen +müssen ... Er wußte wohl: es war eine schrecklich langweilige, frostige +Allegorie geworden ... Aber Frau Major von Sassenbach hatte ihm durch +Leutnant Blowitz mitteilen lassen, daß sie entzückt sei ... Und das war +ja schließlich doch der Zweck der Übung ...</p> + +<p>Und heute mittag würde er von der schönen Frau von Brandeis empfangen +werden ... würde plaudern und studieren dürfen mit ihr und den +schlanken Töchtern des Majors ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_90">[S. 90]</span></p> + +<p>Es war fast wie ein Traum ... so ausgehungert wie man war nach +Schönheit und Glanz in dieser verfluchten Kasernenatmosphäre, in dieser +ekelhaften Tretmühle des Dienstes, in dem verblödenden Milieu der +Unteroffiziere und Füsiliere ...</p> + +<p>Merkwürdig nur, daß dies Tälchen sich so endlos lang hinzog. Schon +eine halbe Stunde mußte verflogen sein, seit er sich von der Kompagnie +losgelöst und nun als eine Art kleiner Cäsar, als selbständiger +Detachementsführer, in der Welt herumgondelte.</p> + +<p>Allmählich fing's an, unheimlich zu werden.</p> + +<p>Er drehte sich um. Schweigsam trotteten seine Füsiliere hinter ihm her, +das Gewehr im Arm, die Nase zum grünen Waldboden gesenkt.</p> + +<p>»Sagt mal, Kerls, weiß einer von euch, wo das Gehölz liegt?«</p> + +<p>Die Füsiliere sahen einander an. »Wat für en Jehölz?« sagte einer der +alten Leute, »mir wisse nix von eme Jehölz.«</p> + +<p>»Na, das Gehölz, wo wir uns aufbauen sollen, zum Donnerwetter!«</p> + +<p>»Da hann mir doch nix von gehört — dat hat dä Herr Oberleu'nant doch +em Herr Unner'ffzier selbst jesagt!« grinste der Füsilier.</p> + +<p>»Nä, da wisse mer nix von,« wiederholten grinsend die übrigen Kerle.</p> + +<p>Verflucht! — das war ja 'ne schöne Bescherung.</p> + +<p>»Halt!« kommandierte Friesen und überlegte.</p> + +<p>Ringsum Bäume, nichts als Bäume, Buchen und Eichen gemischt — +Waldfriede — Waldfriede — wunschlose Sommerseligkeit.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_91">[S. 91]</span></p> + +<p>Was tun? — Offenbar war er zu lange geradeaus gegangen, statt nach +links abzubiegen, um den Saum des Wäldchens nach dem Exerzierplatz hin +zu erreichen.</p> + +<p>»Ja, zum Donnerwetter, Kerls, weiß denn hier keiner von euch Bescheid?«</p> + +<p>»Nä, hier wisse mir kei' Bescheid — wo will der Herr Unner'ffzier denn +hin?«</p> + +<p>»Na, doch natürlich zum Exerzierplatz hinüber, an den Waldrand!«</p> + +<p>Die Füsiliere freuten sich königlich. »Dä Exerzierplatz? — dä litt so +janz do hinne!«</p> + +<p>»Himmelkreuzmillionen! — Also links schwenkt — marsch!«</p> + +<p>Na, vielleicht würde die Erste nicht gar zu früh angreifen, und man kam +noch zur rechten Zeit.</p> + +<p>Bäume — Bäume — nichts als Bäume. — Doch ... noch etwas anderes als +Bäume — unter den Bäumen dichtes Dorngestrüpp ... immer dichter ... +immer dichter ...</p> + +<p>Bei jedem Schritt schlugen den Vorwärtsdringenden Brombeerranken und +Tannenzweige ins Gesicht.</p> + +<p>Die Füsiliere wurden ungemütlich: »Dat is ja en Schweinerei — hä kütt +jo ke' Mensch nit dörch — —«</p> + +<p>Das mußte Hans Friesen schließlich selber einsehen. — Also zurück — —</p> + +<p>Bautz! — da fiel in der Ferne der erste Schuß — plautz! ein zweiter +— bautz — bautz — ein dritter und vierter ... Das Gefecht mußte +begonnen haben — —</p> + +<p>Himmel — und nun verließ sich der Oberleutnant Menshausen darauf, +daß im entscheidenden Augenblick aus dem Hinterhalt das wohlgezielte +Feuer der zwei detachierten<span class="pagenum" id="Seite_92">[S. 92]</span> Gruppen dem Feind in die Flanke fallen und +seinen Ansprung über das Blachfeld des Exerzierplatzes lahmlegen würde +...</p> + +<p>Ade, Leutnantsqualifikation ... ade, Epaulettes und Schärpe.</p> + +<p>Ade, holdselige Hoffnung auf ein paar Stunden eines höhern Daseins ...</p> + +<p>Nach dieser Blamage, in dieser Elendstimmung vor die schöne Frau von +Brandeis, vor die schlanken Majorstöchter treten, die ihm gewiß seine +schauderhafte militärische Unzulänglichkeit am Gesicht ansehen und ihn +im tiefsten Grund ihrer Seele verachten würden ... das war eine Hölle +statt des erträumten Paradieses!</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Martin Flamberg ärgerte sich ein wenig, als beim Beginn der +Felddienstübung Hauptmann von Brandeis ihm die Führung der Kompagnie +übergab ... Das hätte der Hauptmann ihm doch auch vorher sagen können +... dann hätte er sich einen Gaul zwischen die Beine geklemmt ...</p> + +<p>Na, es mußte nun auch so gehn!</p> + +<p>Mit ruhiger Sicherheit wiederholte er die Spezialidee und den Befehl, +den ihm der Hauptmann mitgeteilt, traf noch unter den Augen seines +Kompagniechefs sachgemäß die erforderlichen Anordnungen für die +Unteroffiziere, die er im Kreise um sich versammelt hatte ...</p> + +<p>»Sehr gut, sehr gut!« lobte Hauptmann von Brandeis, »vollkommen +einverstanden! ... Na, und nun viel Vergnügen!« Und damit galoppierte +er von dannen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_93">[S. 93]</span></p> + +<p>Die Kompagnie hatte die Gewehre auf der Chaussee zusammengesetzt ... +die Mannschaft rastete im Graben ...</p> + +<p>»An die Gewehre!«</p> + +<p>Hui, da kam ein Leben in den Ameisenhaufen ...</p> + +<p>»Stillgestanden!«</p> + +<p>Und mit drei kurzen Sätzen teilte Flamberg den Mannschaften mit, was +sie zum Verständnis der Kriegslage wissen mußten ...</p> + +<p>»Herr Leutnant Carstanjen, treten Sie an!«</p> + +<p>Der Kleine salutierte: »Erster Zug — Gewehr in die Hand ... die +vorderste Gruppe als Spitze — schwärmen — der Rest des Zuges folgt +unter dem Sergeanten Clausen!«</p> + +<p>Und der Vormarsch der ersten Kompagnie gegen den Feind begann ...</p> + +<p>Flamberg schritt in munterm Geplauder mit dem jüngern Kameraden fünf +Schritt vor der Spitze ...</p> + +<p>Hei ... welche Lust, Soldat zu sein ...!</p> + +<p>Welche Lust ... zu friedlichem und doch so ernstem und wichtigem +Waffenspiel in die blauen Morgennebel hineinzupilgern ...</p> + +<p>Nach einer halben Stunde war der Saum des Exerzierplatzes erreicht.</p> + +<p>Selbstverständlich brauchte kein Geist vom Himmel herabzusteigen, um +dem Kompagnieführer zu sagen, daß der Feind am Kastanienwäldchen liege +... das war ja doch natürlich seit Jahrzehnten immer so gewesen ...</p> + +<p>Und glatt und reglementsmäßig entwickelte sich der Angriff der Ersten +unter den Augen der Schiedsrichter von der Hohen Tanne her auf das +Kastanienwäldchen zu ... das Gelände wurde trefflich ausgenutzt ... +bald zugweise, bald<span class="pagenum" id="Seite_94">[S. 94]</span> gruppenweise ging die Kompagnie im Sprung über +die kahle Tenne des Platzes gegen den heftig feuernden Gegner vor ... +Und Flamberg begriff nur das eine nicht: daß die ganze Sache so glatt +vonstatten ging.</p> + +<p>Er war darauf gefaßt gewesen, einen Flankenangriff von links zu +erleben, und hatte infolgedessen in das Gehölz zu seiner Linken eine +starke Gefechtspatrouille geschickt ... Jeden Augenblick erwartete +er deren Warnungsschüsse zur Linken zu vernehmen ... aber nichts +erfolgte. Und hundert Meter vorm Kastanienwäldchen setzte Flamberg +zum Sturmangriff an ... Mit gezogenem Säbel sprang er zwanzig Schritt +seiner Kompagnie voran beim Sturmmarsch der Tambours und dem dröhnenden +Hurra seiner Füsiliere.</p> + +<p>Gerade auf die Mitte des Wäldchens rannte er los, wo die berittenen +Offiziere hielten, denen sich inzwischen, das sah er schon von weitem, +der Bataillonskommandeur mit seinem Adjutanten beigesellt hatte ...</p> + +<p>Im Augenblick, als er auf zehn Schritte an die Gruppe herangekommen +war, winkte der Major seinem Hornisten, und: »Das Ganze — halt!« klang +schmetternd das erwünschte Signal zur Beendigung der Übung über den +weiten Plan.</p> + +<p>Unmittelbar darauf erfolgte das Signal: »Zur Kritik!«</p> + +<p>»Bitte, Herr Hauptmann Goll!«</p> + +<p>Zwischen den zusammengezogenen Brauen des Hauptmanns brütete das Unheil +und entlud sich alsbald als fürchterliches Donnerwetter über den +Oberleutnant Menshausen: »Herr Oberleutnant, wenn Sie nichts Besseres +zu tun wußten, als sich mit Ihrer ganzen Sippschaft hier am Waldrand +einzubuddeln und den Angriff der Ersten abzuwarten ... dann hätte ich +schließlich gerade so gut die Kompagnie von<span class="pagenum" id="Seite_95">[S. 95]</span> einem Unteroffizier führen +lassen können ... Was haben Sie sich bei dieser stumpfsinnigen Maßregel +denn eigentlich gedacht ...?«</p> + +<p>Oberleutnant Menshausen bebte vor Wut und Scham. Die Hand am Helm, +sagte er, als der Hauptmann seine Frage gestellt hatte: »Ich habe den +einjährig-freiwilligen Unteroffizier Friesen mit einem Halbzuge in das +Gehölz dort zur Rechten geschickt, und zwar mit genauer Instruktion ... +Er sollte im Augenblick, wenn die erste Kompagnie nach ihrem Vorgehen +auf der Höhe des Gehölzes angekommen wäre, Flankenfeuer geben!«</p> + +<p>»Bedaure — habe nichts von Flankenfeuer gemerkt! Wo steckt denn Ihr +Unteroffizier?«</p> + +<p>»Das weiß ich nicht, Herr Hauptmann ... er muß sich verlaufen haben!«</p> + +<p>Leutnant Blowitz, hoch zu Roß, flüsterte dem Major eine Bemerkung zu.</p> + +<p>»Aha — der Dichter — na, das fehlte mir gerade! Erst brennt bei +den ersten Schüssen ein Gaul durch, auf dem zufällig ein Herr von +der Landwehr angebracht ist ... dann schmeißt dieser unglückliche +Einjährige die ganze Übung um ... Na, warte mein Jungchen ... dir werd +ich das Dichten austreiben! Aber bitte weiter, Herr Hauptmann, Sie +haben noch nicht den Angriff der Ersten besprochen!«</p> + +<p>Flamberg erhielt ein gerüttelt und geschüttelt Maß voll Lob, +sowohl von Hauptmann Goll, als auch nachher beim Schlußwort des +Bataillonskommandeurs: »Ihre Leistungen, Herr Leutnant Flamberg,« sagte +der Major, »söhnen mich einigermaßen mit der Situation aus! — Ich +danke Ihnen, meine Herren — —«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_96">[S. 96]</span></p> + +<p>Rum, plum, plumbidibum. — Heimwärts ging's mit Trommelschlag und +munterm Gekreisch der Pfeifen ...</p> + +<p>Martin Flamberg war kolossal vergnügt ... Er marschierte dicht hinter +der Gruppe der Berittenen und sann eine muntere Epistel zusammen, mit +der er seiner Braut das »Waffenglück« des ersten Übungsmorgens zu +verkünden gedachte ...</p> + +<p>Ha, welche Lust, Soldat zu sein ...!</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_97">[S. 97]</span></p> + +<h3>Sechstes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Höher war die Spätsommersonne gestiegen ... in allen Straßen und Gassen +der Garnisonstadt lag ihr flimmerndes Gold ... glänzte auch auf dem +schon staubigen Grün der städtischen Anlagen hart unter den Fenstern +der schmucken Villa Brandeis.</p> + +<p>Hinter den halbgeschlossenen Jalousieen in gedämpftem, goldiggrünem +Licht lag Cäcilie von Brandeis auf der Chaiselongue und las.</p> + +<p>Geringschätzig kräuselten sich ihre Lippen. Geschmacklos, diese +altmodischen Allegorien ...</p> + +<p>Drei lebende Bilder sollten gestellt werden ... die ersten beiden nach +Bildern im Offizierkasino ...</p> + +<p>Das erste stellte das Regiment vor beim Sturm auf St. Hubert.</p> + +<p>Das zweite die berühmte Szene, wie Kronprinz Friedrich Wilhelm nach +der Schlacht die Verwundeten des Regiments im Feldlazarett besucht und +dem schwerblessierten Regimentskommandeur persönlich das Eiserne Kreuz +erster Klasse überreicht.</p> + +<p>Nun, das mochte noch hingehen! —</p> + +<p>Aber das dritte Bild:</p> + +<p>Huldigung des Regiments vor der Büste Wilhelms des Zweiten! —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_98">[S. 98]</span></p> + +<p>War denn dem guten Einjährigen, den man zum Dichten kommandiert hatte, +nicht etwas weniger Verschlissenes eingefallen?!</p> + +<p>Und um diese drei Bilder herum ein Dialog zwischen dem »Krieg« — +Leutnant Blowitz — dem »Frieden« — Molly von Sassenbach — und dem +»Genius des Regiments« — Frau Cäcilie von Brandeis! —</p> + +<p>Zunächst tritt der Krieg auf, spricht dem Genius des Regiments seinen +Glückwunsch zur Wiederkehr des Ruhmestages von Gravelotte aus, mahnt an +alte Schlachtenherrlichkeit und beklagt die endlose, flaue Friedenszeit +... Schon erscheint der Friede, legt ebenfalls seine Glückwünsche dem +Genius zu Füßen und behauptet, das Regiment leiste auch im Frieden +nützliche Arbeit für die menschliche Gesellschaft ...</p> + +<p>Alsdann führt der Krieg die Bilder der großen Vergangenheit herauf: +Bild eins und zwei.</p> + +<p>Der Friede ist natürlich erschlagen, preist aber mit einem längeren +Erguß das treue Schaffen des Regiments an der Wehrhaftmachung des +Volkes und kommt mit einem Übergang von haarsträubender Kühnheit auf +die Huldigung an die neue Kommandeuse ... im Frieden blühe nämlich die +holde Geselligkeit ... der Friede sei der Bereich der Frau ... und so +weiter ...</p> + +<p>Der Krieg ist galant genug, das zuzugeben; aber das Soldatenhandwerk, +erklärt er, sei nun doch einmal Männerhandwerk, und schließlich ruft er +die Germania zur Entscheidung auf ...</p> + +<p>Die erscheint in der Person von Nelly von Sassenbach, erklärt +selbstverständlich, das Regiment sei ihr in Krieg und<span class="pagenum" id="Seite_99">[S. 99]</span> Frieden gleich +wert, und endigt mit einer Huldigung an den erhabenen Schirmherrn des +Friedens, dessen Gipsbüste alsdann erscheint, umgeben von Soldaten des +Regiments in den historischen Uniformen von 1870 und den heutigen, +sowie von Offizieren und Ehrenjungfrauen — bengalische Beleuchtung — +Kaiserhymne — Tusch — aus —!</p> + +<p>Diese erhabene Generalidee mußte sich der unglückliche Einjährige im +Schweiße seines Angesichts abgerungen haben.</p> + +<p>Cäcilie von Brandeis meinte ihn ordentlich zu sehen — den ihr noch +unbekannten jungen Herrn — wie er, als Wachhabender auf Pulverhaus- +oder Schießstandswache, keuchend diese Banalitäten zusammenleimte —</p> + +<p>Und doch — wenn sie von dem Gedankengang des Ganzen absah, der ja +schließlich für seinen Zweck wohl kaum anders hätte konstruiert werden +können, und sich an die Ausführung hielt —</p> + +<p>Was sie da las: das waren doch immerhin Verse ... Verse, in denen hin +und wieder ein besonderes Wort, ein eigentümliches rhetorisches Glänzen +verrieten, daß ein feiner Kopf hinter dem handwerksmäßigen Gestammel +stand, das er vielleicht selbst verlachte, während er es aufs Papier +geschludert — —</p> + +<p>Und an einigen Stellen brach's hervor: ein harnischblinkendes +Geschlecht klirrender Worte und Rhythmen, der Heerbann einer Seele, die +ihre Kräfte zu künftigen Schlachten zusammenzog —</p> + +<p>Frau Cäcilie freute sich dessen, was sie da ahnte ... freute sich, daß +es ihr gegeben war, solches zu ahnen ... ihr, der Tochter der heitern +rheinischen Künstlerstadt ... dem Sprößling<span class="pagenum" id="Seite_100">[S. 100]</span> einer altpatrizischen +Fabrikantenfamilie, die es immer für einen Ehrentitel ihres Namens +gehalten hatte, sich mit Kunst zu umgeben, Kunst zu fördern, mit der +Kunst zu leben ...</p> + +<p>Und ein wenig spöttisch ... ein wenig bitter mußte sie lächeln, +wenn sie sich erinnerte, wie ihr guter Fritz ihr das Manuskript des +Einjährigen gebracht mit den Worten:</p> + +<p>Na, das lies mal, Kindchen! Da wirst du staunen ... einfach begeisternd +so was ... einfach niederschmetternd schön! — Jawoll, das ist der +Geist des Regiments Prinz Heinrich der Niederlande ...</p> + +<p>So dichten bei uns die Einjährigen ... stell' dir vor, wie erst die +Leutnants dichten ...!</p> + +<p>Ihr guter Fritz — wie er sie vergötterte ... Kunststück! — Er +verdankte ihr ja auch ein überaus behagliches Dasein —</p> + +<p>Aber nein ... das war ein häßlicher Gedanke ... Er war ihr wirklich von +Herzen ergeben ... na, das konnte sie schließlich ja doch auch wohl +verlangen ...!</p> + +<p>Sie trat vor den großen, bis zum Fußboden herabgehenden Spiegel ... +reckte ihre Arme ... und freute sich des flimmernden Widerscheins, den +ein verirrter Sonnenstrahl in ihrem rötlich braunen Haar weckte ...</p> + +<p>O ja — Cäcilie Imhof wäre auch ohne ihre halbe Million des heißen +Umwerbens würdig gewesen, das Fritz von Brandeis ihr zu Füßen gelegt +hatte ...</p> + +<p>Das Fräulein meldete die Schwestern Sassenbach.</p> + +<p>Die schlanken Mädels, beide fast um einen ganzen Kopf größer als +Cäcilie, stürmten herein, voran mit Dragonerschritten die smarte Nelly, +um die es immer witterte wie ein leiser Hauch von Stallparfüm.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_101">[S. 101]</span></p> + +<p>Tränenlachend versetzten die Schwestern der Hausherrin die Geschichte +von dem Landwehrleutnant im Froschpfuhl ... da lachte auch Cäcilie laut +und herzlich mit.</p> + +<p>Dann aber, als die Mädchen den Namen des Unglücksraben nannten, +wurde sie stutzig ... »Haben Sie eine Ahnung, was der Herr seines +bürgerlichen Zeichens ist —?«</p> + +<p>»Irgend sowas bei der Universität, hat Papa gesagt!«</p> + +<p>»So, vielleicht in — Bonn?«</p> + +<p>»Ganz richtig, ja, ich glaube wohl,« meinte Nelly.</p> + +<p>Schweigend ging Frau Cäcilie aus dem Salon in ihr anstoßendes +Damenzimmerchen und holte einen stattlichen Folioband aus ihrer +Bibliothek; den schlug sie auf und hielt den Titel den Besucherinnen +hin:</p> + +<p class="s5 center">Schiller.</p> + +<p class="s5 center">Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk<br> +zu des Dichters hundertjährigem Todestage<br> +von<br> +Wilhelm Frobenius.<br></p> +<p class="center">Fünfzehntes bis zwanzigstes Tausend.</p><br> + +<p>»Donnerwetter!« sagte Nelly erstaunt, »ist das von dem Herrn aus dem +Froschtümpel?«</p> + +<p>»Na, jedenfalls werden wir uns danach erkundigen müssen!« erklärte Frau +Cäcilie.</p> + +<p>Mit einer seltsamen, unverstandenen Empfindung entsann sich Nelly in +diesem Augenblick des heißen Leuchtens, das plötzlich aufgeglüht war +hinter den großen Brillengläsern, als der fremde Mann sie angeschaut, +den sie heute zum ersten Male gesehen ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_102">[S. 102]</span></p> + +<p>Ihr war's in der Erinnerung, als habe sie da hineingeschaut in eine +Welt, die ihr ganz unbekannt geblieben war bis auf diesen Tag ... ihr, +dem Soldatenkinde, das von nichts wußte als von hartem Dienst ... von +eiserner Pflichterfüllung ... von engumzirkelter Gesellschaftsfron ...</p> + +<p>In diesem Augenblick erschollen lustige Klänge auf der Promenade, die +rasch näher und näher kamen ...</p> + +<p>Die Pfeifen schrillten ... rasselnd knarrten die taktmäßigen Wirbel der +Tambours ...</p> + +<p>Wie der Blitz waren die Majorstöchter am Fenster, zogen die Rolläden +auf und schossen auf den Balkon hinaus — langsamer folgte die schöne +Frau —</p> + +<p>Aha, der Papa — und hinter ihm der Herr dieses Hauses ... den +Säbelknauf auf der Hüfte ... die gleißende Stahlklinge dicht neben dem +scharfgeschnittenen Profil ... und dahinter glitzernd und blinkend der +Heerwurm ...</p> + +<p>Aus seiner Mitte aufragend, hoch zu Roß wie die Herren an der Tête, die +unfrohe, nüchterne Gestalt des Hauptmanns Goll ... ganz hinten noch +zwei andere berittene Offiziere, jetzt noch nicht erkennbar ...</p> + +<p>Die erste Kompagnie, vom stumpfen Graugrün der schilffarbenen +Helmbezüge überlagert ... dahinter die zweite, überflirrt von den +leuchtenden Reflexen der Helmspitzen ...</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Tütt tüttelü tütt tüttütü ... </div> + <div class="verse indent0">Rum, plum, plumbidibum ... </div> + </div> +</div> +</div> + +<p>so gellte, so schmetterte das die lindenumsäumte Promenade hinab ...</p> + +<p>Nun hatte der Major die drei Damen auf dem Balkon erblickt und Leutnant +Blowitz auch, sein getreuer Adjutant,<span class="pagenum" id="Seite_103">[S. 103]</span> der zu seiner Linken ritt ... +die rostbraunen Handschuhe flogen an die Mützenschirme — lächelnd +nickten die Damen ...</p> + +<p>Hauptmann von Brandeis hatte natürlich schon längst die Herrin seines +Hauses erspäht ... die gleißende Klinge fuhr in die Luft und senkte +sich dann grüßend an der Flanke des Braunen nieder ... mit strahlendem +Lächeln winkten die wasserblauen Augen unter der blinkenden Helmschiene +herauf ...</p> + +<p>Und hinter dem Hauptmann fuhr noch eine andere Klinge in die Luft und +senkte sich ... rechts neben dem baumlangen Flügelmann der Königlichen +Ersten marschierte ein stattlicher Offizier, den Frau Cäcilie nicht +kannte ...</p> + +<p>»Wer ist denn das?«</p> + +<p>Nelly wußte Bescheid: »Das ist der Leutnant der Reserve Flamberg — ein +Maler aus Düsseldorf!«</p> + +<p>Ein Maler aus Düsseldorf ... welch ein Heimatklang ... welch ein Klang +aus der blühenden, sprühenden Welt ihrer Jugend in die nüchterne, +kaltglänzende ihrer Gegenwart hinein.</p> + +<p>Vorüber ... vorüber zog mit raschem, taktmäßigem Schritt die gewaffnete +Schar ... es grüßte der puppenzierliche, kleine Carstanjen ... es +grüßte mürrischen Gesichts der struppig umbartete Hauptmann Goll ... +es grüßten am Schluß des Zuges von ihren Pferden der Oberleutnant +Menshausen und der Leutnant Quincke. Vorüber, vorüber, und fernhin +verhallte der Trommelschall, der taktmäßige Schritt der Kompagnien.</p> + +<p>Das ist deine Welt — das heißt eine Welt — — so klang's in der +Seele der jungen Frau ... und dazwischen: Ein Maler ... ein Maler aus +Düsseldorf ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_104">[S. 104]</span></p> + +<p>Wieder saßen die drei Damen im gründämmerigen Salon und schwatzten. +Das ganze Festprogramm wurde durchgesprochen, ein Rollenverzeichnis +für die lebenden Bilder aufgestellt ... So verrann eine halbe Stunde; +da erschien Leutnant Blowitz: »Melde mich ganz gehorsamst zur Stelle, +gnädige Frau, und bitte tausendmal um Entschuldigung! — Gnädige Frau +haben ja selbst gesehen — —!«</p> + +<p>»Allerdings, Herr Blowitz — sehr erfreut, Sie nun auch persönlich +kennen zu lernen — nun, wann kommt denn der Dichter?«</p> + +<p>»Gnädige Frau meinen den Einjährigen — ja, das wissen die Götter — +der ist abhanden gekommen!«</p> + +<p>Sensation!</p> + +<p>Und Blowitz berichtete.</p> + +<p>»Na, er wird sich beim Kehren schon wiederfinden!«</p> + +<p>»Vielleicht ist er auch in den Froschtümpel geraten,« meinte Nelly.</p> + +<p>Die Hausfrau servierte Portwein und Gebäck, und munter plätscherte das +Gespräch ... die neue Kommandeuse ... das Fest ... die Verlobungen, die +etwa darauf zustande kommen könnten ...</p> + +<p>In Frau Cäciliens Herzen aber klang's immer wieder wie eine frohe, +verheißungsvolle Heimatweise: Ein Maler ... ein Maler aus Düsseldorf +... und er steht bei Fritzens Kompagnie ... er wird seine Aufwartung +machen ...</p> + +<p>Daß Fritz ihr davon noch gar nichts erzählt hatte! Aber freilich, als +er früh um fünf aufgestanden, hatten die Gatten ja nur wenige Worte +gewechselt ...</p> + +<p>Auch Nelly war nicht ganz bei der Sache; von Zeit zu Zeit schlug sie, +wie spielend, den Deckel des Buches auf, das<span class="pagenum" id="Seite_105">[S. 105]</span> vor ihr auf dem Tischchen +liegen geblieben war ... Sie dachte an den Mann im Froschtümpel, +und wie seltsam seine Augen geleuchtet hatten hinter den goldenen +Brillengläsern. Daß vielleicht er dies Buch geschrieben hatte, das in +zwanzigtausend Exemplaren hinausgeflattert war in die Welt, um dem +deutschen Volke zu erzählen von der Herrlichkeit eines Dichters, dessen +sie selber sich nur noch dunkel entsann aus ihrer Schulzeit her ...</p> + +<p>Ein Klassiker! Sie selber war seit zehn Jahren nur noch in Operetten +und Schwänke gegangen ...</p> + +<p>Schiller! — Was war ihr Schiller?!</p> + +<p>Und über den hatte man ein Buch schreiben können, nach dem +zwanzigtausend Hände gelangt hatten!?</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Eine halbe Stunde nach dem Einrücken der Ersten und Zweiten führte +der Unteroffizier Friesen sein trauriges Fähnlein Verirrter in den +Kasernenhof hinein.</p> + +<p>Er hatte sich vorgenommen, seine zwei Gruppen nun wenigstens +vorschriftsmäßig in strammem Tritt auf den Kompagnieappellplatz +rücken zu lassen, und hatte sich die Kommandos genau überlegt, die er +abzugeben hätte, um mit seiner Schar in tadelloser Verfassung auf der +Bildfläche zu erscheinen.</p> + +<p>Aber kaum hatte er: »Tritt gefaßt!« kommandiert, da erschien am Fenster +der Kompagniestube das zornwütige Gesicht des Feldwebels Düfke, der +den Unteroffizier anbrüllte, daß es über den ganzen Hof schallte: +»Herrgott, Sie Unglückswurm! Da sind Sie ja endlich! — Nun machen Sie +bloß, daß Sie vom Kasernenhof 'runterkommen! —<span class="pagenum" id="Seite_106">[S. 106]</span> Verschwinden Sie, +verschwinden Sie in Dreideubelsnamen!«</p> + +<p>»In's Kasernentor, marsch marsch!« schrie Friesen voller Wut und Scham.</p> + +<p>Und feixend stürmten die Füsiliere von dannen.</p> + +<p>Nun kam das Donnerwetter Nummer eins vom Feldwebel. Kaum war das +überstanden und der Einjährige entlassen, da lief er draußen seinem +Kompagniechef, dem Hauptmann Goll, in den Weg, und das Donnerwetter +Nummer zwei prasselte auf seinen sündigen Scheitel nieder.</p> + +<p>Ganz begossen schlich er sich auf die Stube, auf der sein Putzer lag, +um die feldmarschmäßige Ausrüstung abzulegen.</p> + +<p>Da trat ihm, treuherzig schmunzelnd, der wackere Füsilier Zilles +entgegen, sein liebster Kamerad unter den Mannschaften: »Herr +Unner'ffzier, warum hann Se mich denn nit mitgenomme uff Pattrollje! +Dann wär dat Mallör nit passiert!«</p> + +<p>»Ja, Zilles, wie sollt ich das anfangen!? Sie stehn doch beim zweiten +Zuge, und ich bekam die beiden Flügelgruppen vom ersten! — Na, nun +machen Sie mal schnell, daß ich instand komme: erste Garnitur, Helm und +Extrastiefel!«</p> + +<p>Einer der ersten Regimentsbefehle des neuen Kommandeurs war der +gewesen, daß Unteroffizieren, Einjährigfreiwilligen und Mannschaften +das Tragen unvorschriftsmäßiger Extrauniformen außer Dienst verboten +sei.</p> + +<p>So mußte denn Hans Friesen seinen Besuch bei Frau von Brandeis in +seiner bessern Kommißgarnitur bewerkstelligen, dem Waffenrock aus +grobem Mannschaftstuch mit<span class="pagenum" id="Seite_107">[S. 107]</span> dem schmalen, goldbetreßten Kragen, +daraus die schwarze Halsbinde fast einen Finger breit hervorschaute. +Der Besuchsanzug war dadurch betont, daß die Beine, statt in den +sackartigen, weiten, schwarzen Tuchhosen, in den sogenannten +»Porzellanbuchsen« steckten, den weißen Paradehosen, die auch nicht +viel anders aussahen denn zwei riesige weiße Säcke. Auf dem Kopf +den Diensthelm mit dem häßlichen, schwarzen Ledersturmriemen, das +ungeschlachte Seitengewehr am gewichsten Dienstkoppel um die Hüften +geschnallt ...</p> + +<p>So zog Hans Friesen, der Königlich preußische Gerichtsreferendar, +Doktor beider Rechte, Poet und Unteroffizier, zur Leseprobe seines +ersten Dramas. —</p> + +<p>Unterwegs überlegte er, wie er sich nun bei der Hauptmannsfrau zu +benehmen hätte. Wahrscheinlich würden Offiziere da sein — mußte er nun +zuerst vor den Offizieren strammstehen oder vorher, ganz Kavalier, die +Frau des Hauses begrüßen —?</p> + +<p>Das waren Etikettefragen, die in keiner Instruktionsstunde beantwortet +wurden ...</p> + +<p>Aber wenn Hans Friesen sich erinnerte, daß er heute morgen schon +zwei Ungewitter über sich hatte ergehen lassen müssen und heute +nachmittag in der Einjährigeninstruktion bei Oberleutnant Menshausen +das allertollste noch bekommen würde ... daß die Qualifikation +wahrscheinlich doch bereits verratzt sei ...</p> + +<p>Da kam eine ungeheure Wurstigkeit über den jungen Soldaten.</p> + +<p>Ach, jetzt war schon alles ganz egal ... jetzt wollte er den Offizieren +zeigen, was für ein Kerl im Tressenrock steckte ...<span class="pagenum" id="Seite_108">[S. 108]</span> er wollte sie auf +dem Standpunkt völliger gesellschaftlicher Gleichberechtigung behandeln +... mochten sie schimpfen ...! Was konnte ihm noch passieren!</p> + +<p>Aber etwas benommen war ihm doch zumute, als er sich im Korridor der +koketten Villa unterm elektrischen Licht, das eine zierliche Zofe +angeknipst hatte, noch einmal im Spiegel betrachtete ...</p> + +<p>Verdammt ruppig sah man doch aus ...!</p> + +<p>Wären nicht die schwarz-weißen Schnüre um die Achselklappen gewesen +... und die Schmisse auf Stirn und Wange wer hätte ihn von einem +Kapitulanten unterscheiden sollen ...?!</p> + +<p>Die Tür flog auf ... da standen drei plaudernde Damen ... ach — Damen! +Wesen aus einer höhern Welt —!</p> + +<p>Und mit ihnen im Gespräch drei Offiziere, Hauptmann von Brandeis, +Oberleutnant von Schoenawa, der finstere, unnahbare Regimentsadjutant, +und Leutnant Blowitz, der einflußreiche Bataillonsadjutant ... Die +Herrgötter des Kommißhimmels!</p> + +<p>Und nun schlug Hans Friesen doch die Absätze zusammen, daß es knallte, +und stand zuerst vor den Offizieren stramm ...</p> + +<p>Erst als diese unter Lachen und Entschuldigungen bei der Hausfrau +abwinkten, ging er auf die Damen zu und beugte sich auf die duftende +Hand nieder, die sich ihm entgegenstreckte ...</p> + +<p>»Schau, schau ... so sieht also ein Dichter aus ... den hatte ich mir +eigentlich anders vorgestellt! Aber freilich, Herr Friesen, zu der +Königlich preußischen Dienstpoesie, die<span class="pagenum" id="Seite_109">[S. 109]</span> Sie sich da geleistet haben, +paßt Ihr Kostüm ganz ausgezeichnet!«</p> + +<p>Hans Friesens braunes Gesicht konnte wohl nicht tiefer sich färben ... +aber in die weiße Stirn stieg das heiße Erröten ...</p> + +<p>Und nun lachte Hauptmann von Brandeis: »Na, Herr Friesen, wo haben Sie +denn eigentlich während des Gefechts gesteckt?«</p> + +<p>Die Leutnants lachten ... die Damen lachten ...</p> + +<p>Nur eine nicht ... Ein rosiges Mädchengesicht, zwei dunkelblaue Augen +lächelten ihn mitleidsvoll aufmunternd an ... die jüngere der beiden +Majorstöchter. — Herrgott, wie gut das tat!</p> + +<p>Die Vorstellung war erfolgt, man hatte Platz genommen um den runden +Tisch im Salon, und die Hausfrau forderte den Poeten auf, sein +Festspiel vorzulesen.</p> + +<p>Und mit dem Klang der eigenen Verse überkam Hans Friesen wieder die +fröhliche Wurstigkeit, die er sich vorgenommen ...</p> + +<p>Teufel ja! Wenn's auch verschlissene Gedanken und konventionelle +Vorstellungen waren, die er da zusammengebraut ... die Verse ... +wahrhaftig, die konnten sich sehen lassen ...! Das klang und klirrte +wie der Schritt marschierender Bataillone ... das grollte und brauste +wie rollende Salven und dröhnendes Hurra beim Sturm ... Und war's +auch keine himmelstürmende Poesie ... Poesie war's eben doch ... +Soldatenpoesie ...</p> + +<p>Und er fühlte, wie sie wirkte.</p> + +<p>Als er geendigt, konnte er wohl bemerken, daß die Offiziere in ganz +verändertem Ton mit ihm sprachen ...<span class="pagenum" id="Seite_110">[S. 110]</span> Und die Damen lachten auch +nicht mehr über ihn ... obwohl er doch heute morgen den richtigen +Gefechtsmoment verpaßt hatte ...</p> + +<p>Gern ließen sich alle gefallen, daß er als Regisseur nun frei und +ungezwungen mit ihnen schaltete.</p> + +<p>Ja, der Bataillonsadjutant fand es vollkommen in der Ordnung, daß +der Unteroffizier ihn sehr von oben herab zurechtwies, wenn eine +verständnislose Betonung unterlief, oder wenn es galt, die an näselndes +Schnarren gewohnte Kommandostimme für das Pathos des Kriegsgottes +umzufärben ...</p> + +<p>Und nun erst die Damen ... wie glühten sie vor Eifer, es dem Dichter +recht zu machen ...</p> + +<p>Am holdseligsten aber erglühte eine von ihnen ... und ihre +veilchenblauen Augen funkelten nicht nur dem Poeten, funkelten dem +straffen, feurigen Jüngling ...</p> + +<p>Molly hieß sie ...</p> + +<p>Hans Friesen ahnte, daß er an diese Molly viele, viele Verse dichten +würde ... bessere Verse als die im Festspiel ... echtere ...</p> + +<p>Hatte nicht schon einmal ein Poet eine Molly besungen — —?!</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_111">[S. 111]</span></p> + +<h3>Siebentes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Über dem Leben des Füsilierregiments Prinz Heinrich der Niederlande +lagerte die Stille vor dem Sturm ... die satte, friedliche Sommerstille.</p> + +<p>Die großen Besichtigungen waren überstanden. Auch die fatalen vier +Wochen auf dem Truppenübungsplatz lagen bereits hinter dem Regiment, +als die letzte Gruppe der Reserveoffiziere eingerückt war. Und alles +rastete nun ein wenig bis zum Beginn der Herbstübungen, in denen +die Arbeit des ganzen Jahres, der Ausbildungsgang mit seiner weise +berechneten, allmählichen Steigerung der Ansprüche und Leistungen +alljährlich gipfelte.</p> + +<p>Die stille Zeit vor dem Manöver wurde hauptsächlich durch fleißiges +Schießen und durch kleinere und größere Felddienstübungen ausgefüllt. +So hatten die Reserveoffiziere über allzu starke dienstliche +Inanspruchnahme nicht zu klagen. Von den aktiven Herren waren viele +beurlaubt; die übrigen atmeten nach der Schinderei des Frühjahrs und +Hochsommers ein wenig auf.</p> + +<p>Mit Feuereifer stürzten sich die Beteiligten auf die Vorbereitungen +zum Regimentsfest. Alle zwei bis drei Tage fanden nachmittags unter +Leitung des Festspielpoeten Proben für die Aufführung statt, entweder +bei Frau von Brandeis oder bei der Protektorin des Abends, Frau Major +von Sassenbach.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_112">[S. 112]</span></p> + +<p>Für Hans Friesen bedeuteten diese Proben eine schattige, +blumendurchduftete Oase in der dürren Wüste seines Kommißdaseins ... Er +lebte nur noch für diese Stunden ...</p> + +<p>Was galt's ihm, daß sein Instruktionsoffizier ihn vor versammeltem +Kreise seiner Kameraden für den unfähigsten Tappelhans erklärt hatte, +der jemals das Regiment verschimpfiert habe?</p> + +<p>Was war ihm daran gelegen, daß sein Feldwebel Düfke ihm die +Sonderstellung, die sein Talent ihm den Offizieren gegenüber verschafft +hatte, täglich durch um so kommissigere Behandlung vergalt, ihm +mit dienstlichen Plackereien, wo es nur irgend möglich war, ins +Gedächtnis rief, daß er nicht mehr und nicht weniger sei als eben ein +Unteroffizier ...</p> + +<p>Mochte er ihn den ganzen Tag und die halbe Nacht schikanieren und +kommandieren, soviel er wollte ... die Nachmittagsstunden der Proben +mußte er ihm freilassen — laut Bataillonsbefehl!</p> + +<p>Übrigens hatte Hans auch sonst dienstlich schlechte Tage. So gut er +von den Offizieren im allgemeinen zurzeit behandelt wurde, die Herren +seiner eigenen Kompagnie machten eine Ausnahme.</p> + +<p>Da war Hauptmann Goll, ein alter Junggesell und notorischer +Weiberfeind, übrigens ein Verächter alles dessen, was nicht königlicher +Dienst war ... und der Künste und Wissenschaften noch ganz besonders.</p> + +<p>Da war der Oberleutnant Menshausen ... da war endlich auch der Leutnant +Quincke, der, im dunkeln Gefühl der überaus mangelhaften Entwicklung +seiner eigenen Geistesgaben, jeden mit seiner grundsätzlichen Abneigung +beehrte, der irgend etwas leistete.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_113">[S. 113]</span></p> + +<p>Da war schließlich auch der gestrenge Bataillonskommandeur. Wenn der +auf der Bildfläche erschien, dann konnte der einjährigfreiwillige +Unteroffizier Friesen sicher sein, irgendwie »aufzufallen«.</p> + +<p>»Auffallen« war nämlich gleichbedeutend mit »unangenehm auffallen« ... +dienstlich irgend etwas versehen haben — die <em class="gesperrt">gute</em> dienstliche +Leistung verstand sich von selbst und fiel also nicht auf.</p> + +<p>Es war, als ob der Major den unglücklichen Einjährigen im Dienst dafür +bestrafe, daß er sich außer Dienst der Gunst der Frau von Sassenbach +erfreute.</p> + +<p>Ach, wenn Hans gewußt hätte, daß er die unverhohlene Auszeichnung, +mit der Frau von Sassenbach ihn behandelte, vor allem dem Umstande +verdankte, daß er nach ihrer Auffassung auch nicht im entferntesten als +Bewerber um eine ihrer Töchter in Frage kam — —</p> + +<p>Ein bürgerlicher Gerichtsreferendar, der noch nicht einmal die +Qualifikation zum Reserveoffizier besaß — in dem sah auch Mama von +Sassenbachs Argwohn nur den harmlosen, völlig ungefährlichen jungen +Menschen, der sich mit Wonne nützlich machte beim Arrangement des +Regimentsfestes und überaus korrekte Verse von einer vollendeten +Loyalität der Gesinnung zu drechseln verstand —</p> + +<p>Wenn Hans Friesen das geahnt hätte —!?</p> + +<p>Er faßte die liebenswürdige, fast mütterliche Behandlung, welche die +Frau Majorin ihm angedeihen ließ, in einem viel schmeichelhafteren +Sinne auf —</p> + +<p>Und hatte er dazu nicht eine gewisse Berechtigung —?</p> + +<p>Denn daß die Nächstbeteiligte — daß Molly von Sassenbach ihn +mit gnädigen Augen ansah ... das durfte er sich<span class="pagenum" id="Seite_114">[S. 114]</span> in Augenblicken +schwellenden Hoffnungsglücks denn doch gestehen ...</p> + +<p>Geschehen war ja selbstverständlich eigentlich gar nichts zwischen +ihnen beiden ... sah man sich doch nur im Kreise der »Schmiere«, wie +die kleine Schar der Komödianten des Festspiels sich bereits benannte, +und unter den wachsamen Augen der gestrengen Frau Mama ... zudem +unter den noch gestrengeren Blicken der Offiziere, für die man zwar +außer Dienst »Herr Friesen«, im Dienst aber sofort wieder nur der +Unteroffizier Friesen war ...</p> + +<p>Und dennoch ... wenn Hans Friesen nach der Probe zur Kaserne +zurückeilte, wo seine Anwesenheit dringend notwendig war im Interesse +seiner Korporalschaft ... dann war er doch immer in einer wahren +Weltumarmungsstimmung ...</p> + +<p>Zwei-, dreimal war es ihm doch gelungen, einen Blick aus den +veilchenblauen Augen zu erhaschen ... einen Blick! ... all ihr Götter! +nach solch einem Blick war's dem guten Jungen jedesmal zumute, als +müsse er den engen Tressenkragen aufreißen ... aufspringen, ans Fenster +stürmen, mit tiefen Atemzügen die laue Sommerluft in die glühende Brust +eintrinken ...</p> + +<p>Statt dessen mußte man ruhig und gemessen sitzen bleiben, von scharfen, +wachsamen Augen unermüdlich beobachtet und kontrolliert ...</p> + +<p>So waren diese Stunden seines außerdienstlichen Daseins auch wieder ein +Qual! —! ach — ein süße Qual —!</p> + +<p>Sonst nichts als Dienst — Dienst — Dienst! Morgens um vier in die +Kaserne ... abends um neun aus der Kaserne ... dazwischen nur eine +Mittagspause von einer<span class="pagenum" id="Seite_115">[S. 115]</span> Stunde, verbracht in Gesellschaft der übrigen +Einjährigen in einem benachbarten Speisehause ...</p> + +<p>Die Kellnerinnen, die hier bedienten, waren seit einem Jahre der +einzige weibliche Umgang gewesen, den Hans Friesen gehabt hatte ... Nun +hatten Rosel und Suse plötzlich für ihn jedes Interesse verloren ...</p> + +<p>Sie schmollten und rächten sich, indem sie's beim Servieren immer so +einrichteten, daß Hans Friesen zuletzt an die Reihe kam und nehmen +mußte, was die Kameraden übrig gelassen hatten ...</p> + +<p>Hans Friesen merkte es nicht.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Wenige Tage nach Beginn der Übung hatten sich die Reserveoffiziere +wieder vollständig im Regiment eingelebt, und jeder von ihnen suchte +und fand seinen nähern Verkehr da, wohin sein Wesen ihn wies.</p> + +<p>Hielt Professor Brassert sich an die ältern und friedlichern Elemente, +so war der Referendar Dormagen der Mittelpunkt einer Gruppe, die nach +dem Mittagessen stets endlos beim Skat zusammenhockte, abends auf +der Kasinoterrasse einen Syphon Münchener nach dem andern vertilgte, +Sonntag nachmittags beim Sekt kleben blieb und nachts gar häufig im +Rauchzimmer beim Tempeln. Oder man zog auch Zivil an und suchte die +Variétés oder noch verschwiegenere Orte nächtlicher Ergötzung auf. +Dieser Gruppe schloß sich auch meist Herr Klocke an, den es nur grämte, +daß er nicht so flott mit dem Gelde um sich werfen konnte wie der +wohlhabende Jurist. Die Beliebtheit, die jener durch Ansetzen zahlloser +»kalter Enten« sich zu verschaffen suchte, strebte er dadurch<span class="pagenum" id="Seite_116">[S. 116]</span> zu +gewinnen, daß er freigebig von seinem unerschöpflichen Vorrat an +zweideutigen Anekdoten spendierte oder seine schier unglaubliche +Geschicklichkeit in Kartenkunststücken produzierte, was vor dem +Verfahren seines Kameraden entschieden den Vorzug der Billigkeit hatte.</p> + +<p>Wieder ein ganz anderer Kreis war es, dem sich der Forstassessor +Troisdorf angeschlossen hatte. Man hätte ihn die Gruppe der +Mißvergnügten nennen können. Ihm gehörten alle jene jungen Herren +an, die es aus irgendeinem Grunde nicht verstanden hatten, sich die +Gunst der höheren Vorgesetzten zu erringen. Es waren nicht nur die +Schlechtesten im Regiment. Hier wurde unablässig geschimpft, auf +die Vorgesetzten, auf die erfolgreichern Kameraden, die als Streber +gebrandmarkt wurden, als Leute, die »über Leichen gingen«. Auch in +diesem Kreise wurde scharf gezecht, aber mehr aus Wut und Enttäuschung +denn aus Liebe zur Sache.</p> + +<p>Frobenius war ziemlich allein geblieben. Unter den aktiven Offizieren +hatte er keinerlei Anschluß gefunden. Man behandelte ihn mit korrekter +Liebenswürdigkeit und beständiger höflicher Zurückhaltung. In der +Öffentlichkeit vermied es jeder, sich mit ihm zu zeigen. Und freilich, +ein Vergnügen war es auch nicht, an seiner Seite durch die Straßen der +Garnison zu spazieren. Wo er ging, da geleitete ihn ein beständiges +Schmunzeln auf allen Gesichtern der Passanten, die Straßenjugend rief +ihm freche Bemerkungen nach, ja, es war, als ob selbst die Pferde und +Hunde scheuten und stutzten, wenn sie die lange Gestalt im schwarzen +Überrock aus der Zeit Albrechts des Bären einherwandeln sahen ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_117">[S. 117]</span></p> + +<p>Frobenius merkte das natürlich sehr wohl. Er wußte sehr gut, daß der +größte Teil des ungünstigen Eindrucks, den er hervorrief, auf die +Verfassung seiner Equipierung zurückzuführen sei, und ging lange mit +sich zu Rate, ob er nicht doch seinem Herzen einen Stoß geben und sich +von Kopf bis zu Füßen bei dem ersten Uniformschneider der Garnison neu +einkleiden lassen solle. — Aber das hätte ihn wenigstens vierhundert +Mark gekostet, und er hatte sich nun einmal, seinen bescheidenen +Verhältnissen entsprechend, fest vorgenommen, bei den Neuanschaffungen +für die Übung nicht über die hundertzwanzig Mark Equipierungsgelder +hinauszugehen, die ihm zustanden. Die aber waren bereits für die +inzwischen eingeführten Uniformänderungen sowie für Reithosen und +Reitstiefel draufgegangen ...</p> + +<p>So trotzte er denn weiter dem Schmunzeln des Straßenpublikums wie der +Zurückhaltung seiner Kameraden.</p> + +<p>Sein einziger außerdienstlicher Umgang war Flamberg. Und das +entschädigte ihn vollkommen — in ihm verehrte er, der Kunstgelehrte, +den schaffenden Künstler, wie dieser seinerseits in dem Kritiker den +idealen Adressaten seiner Lebensarbeit. Gar manche Stunde verbrachten +die beiden Gleichgesinnten im Café, in einer Weinstube drunten in der +Stadt oder auf der Stube des einen oder des andern bei kaltem Abendbrot +und Flaschenbier in ernstem Geplauder über die zeitbewegenden Fragen +der Malerei ... der Dichtkunst ... der Kunst überhaupt.</p> + +<p>Dennoch füllte dieser Umgang die Mußestunden des Privatdozenten nicht +völlig aus; denn Flamberg legte Wert darauf, auch außerdienstlich viel +mit den aktiven Kameraden zusammen zu sein. Es war sein Grundsatz, +während der acht<span class="pagenum" id="Seite_118">[S. 118]</span> Wochen Übungszeit ganz und gar sich in einen Soldaten +zu verwandeln, und so wußte er auch mit der ganzen proteischen +Wandlungsfähigkeit seiner Künstlerseele sich der Sprache, den +Umgangsformen, der Weltanschauung des Kreises anzupassen, welchem er +für diese kurze Zeit durch den Rock angehörte, den er trug.</p> + +<p>Wilhelm Frobenius wußte sich zu trösten. Die dienstfreien Nachmittage, +die kurzen Abendstunden benutzte er, um den Grundriß seiner Vorlesung +für das künftige Wintersemester zu skizzieren, die das Drama des +Naturalismus zum Gegenstande haben sollte.</p> + +<p>Von Tag zu Tag hatte er die peinliche Pflicht aufgeschoben, sich bei +seiner Retterin, der Tochter seines Bataillonskommandeurs, für den +siegreichen Kampf mit Kuno dem Schrecklichen zu bedanken.</p> + +<p>Für einen Menschen, der, wie er, so sicher im Kreise seines Wirkens und +Schaffens zu stehen gewohnt war, mußte es ein peinlicher Gedanke sein, +eine gesellschaftliche Komödie zu spielen, die für sein inneres Leben +keine Bedeutung hatte und ihm doch eine Reihe von Empfindungen bringen +mußte, welche die Ruhe seines Herzens gefährdeten — diese schöne Ruhe, +die ihm um so wertvoller war, seitdem er eine neue Arbeit begonnen ...</p> + +<p>Ja — die Ruhe seines Herzens gefährdeten! —</p> + +<p>Denn, so albern ihm das auch vorkam — bei der Erinnerung an jene +Szene auf der Chaussee regte sich in ihm noch etwas anderes, als bloß +das Gedenken an eine peinliche und lächerliche Blamage. Es war ein +dumpfer, uneingestandener Schmerz in ihm, daß seine Retterin aus der so +lächerlichen wie gefährlichen Situation<span class="pagenum" id="Seite_119">[S. 119]</span> nicht nur eine Dame, daß es +... just diese Dame gewesen!</p> + +<p>Sein arbeitsames, entsagungsvolles Jugendleben hatte ihn nicht allzu +häufig in gesellschaftliche Berührung mit Damen jener Kreise gebracht, +denen er seiner Lebensstellung nach heute angehörte.</p> + +<p>Die Unzulänglichkeit seiner Verkehrsformen machte ihm das offizielle +Gesellschaftstreiben zur sinnlosen Qual und ließ ihn ganz erkennen, wie +inhaltleer eigentlich doch all jene Formen des Beisammenseins seien, +die überhaupt Männer und Frauen seiner Kreise zusammenführten.</p> + +<p>So war sein Verkehr fast gänzlich auf die gleichfalls unverheirateten +Gelehrten jener Hochschulen beschränkt gewesen, an denen er bisher +gelernt oder gelehrt hatte.</p> + +<p>Aber nicht ungestraft beschäftigt man sich ein Leben lang mit den +Schöpfungen der Kunst, der Poesie ...</p> + +<p>Denn was ist ihrer aller Mittelpunkt? — —</p> + +<p>Das Weib! die unabsehbare Fülle der Empfindungen und Erlebnisse, welche +die Berührung der Geschlechter dem Mannesleben erschließt ...</p> + +<p>Und so lebte unerschlossen ... unerlöst in den Tiefen dieser +Gelehrtenseele die Sehnsucht aus der Theorie, aus dem Studium, aus der +Nachempfindung heraus, in die Wirklichkeit ... in das Schauen ... in +das Erleben ...</p> + +<p>Das aber, was sich vor ein paar Tagen auf der Landstraße neben dem +Froschtümpel abgespielt, war das nicht ein Erlebnis gewesen ... kein +sehr rühmliches ... kein sehr reiches ... aber doch immerhin eine +Wirklichkeit, nicht bloß der Reflex einer solchen, nicht bloß ihr +Spiegelbild in einer Dichterseele ... einem Buch ... einem Werk?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_120">[S. 120]</span></p> + +<p>Sein erstes, sein einziges Erlebnis, und — <em class="gesperrt">eine</em> Fortsetzung +würde es ja doch finden müssen — den schuldigen, den längst fälligen +Dankesbesuch. —</p> + +<p>Und eines Morgens um zwölf ließ sich Wilhelm Frobenius von dem getreuen +Schmitz den Überrock, frischgewaschene weiße Glacéhandschuhe und den +altmodischen Helm mit dem silbernen Landwehrkreuz zurechtlegen ...</p> + +<p>Eine halbe Stunde später stand er in einem dunkeln Salon mit +Mahagonimöbeln und grünen Plüschfauteuils ... an den Wänden in +schweren, goldenen Leisten tief nachgedunkelte Bilder preußischer +Offiziere in den Uniformen vergangener Jahrzehnte und blasser Damen +in schwarzen Krinolingewändern ... daneben in auffallendem Kontrast +protzige Rahmen, welche die Bildnisse eines grobknochigen Mannes +vom Typus des industriellen Emporkömmlings und einer schlichten, +spießbürgerlichen Frau in violetter Seidenrobe umschlossen ...</p> + +<p>Eine zarte Dame mit nervösem, spitzem Gesicht, unruhig flackernden +Augen, scharfer, leichtgeröteter Nase und schlichtem grauen Scheitel +trat aus dem Nebenzimmer herein: »Bitte Platz zu nehmen, Herr Leutnant!«</p> + +<p>Frobenius versank fast in dem niedern Sammetsessel und hatte einige +Mühe, seine langen Beine, den Säbel und Helm schicklich unterzubringen. +»Gnädige Frau werden bereits gehört haben ... ich hatte neulich das +Unglück ... man hatte mir ein unbrauchbares Pferd geschickt ... und Ihr +Fräulein Tochter ...«</p> + +<p>»Ach, <em class="gesperrt">der</em> Herr sind Sie! —« Rücksichtslos kritisierend +musterten die grauen Augen die Erscheinung des Besuchers.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_121">[S. 121]</span></p> + +<p>»Ich möchte also Ihrem Fräulein Tochter noch einmal meinen Dank für +ihren gütigen Eingriff aussprechen —«</p> + +<p>»Ach, das war wohl nicht mehr als Christenpflicht von Nelly, Herr +Leutnant!«</p> + +<p>»Werde ich die Ehre haben, das gnädige Fräulein selbst zu sehen —?«</p> + +<p>»Meine Töchter sind wieder ausgeritten, aber sie müssen jeden +Augenblick wiederkommen!«</p> + +<p>Einen Augenblick Stille. Wilhelm Frobenius fühlte sich namenlos geniert.</p> + +<p>Frau von Sassenbach hatte inzwischen ihre Prüfung beendet — — Nein — +<em class="gesperrt">der</em> Herr war ungefährlich!</p> + +<p>Und in viel liebenswürdigerm Ton stellte sie nun die üblichen Fragen: +Wie der Herr Leutnant sich im Regiment gefalle ... wie er mit seinem +Kompagniechef zufrieden sei ... ob er sich auf das Manöver freue. — — +Er sei ja wohl Gelehrter im Zivilverhältnis — und aus Bonn — sieh da +— aus dem schönen Bonn am Rhein.</p> + +<p>Ob er auch die dortigen Verwandten ihres Mannes, Seine Exzellenz den +Generalleutnant a. D. von Sassenbach und seine Damen kenne —</p> + +<p>Das mußte Frobenius natürlich verneinen —</p> + +<p>Hinter seinem Rücken öffnete sich mit raschem Ruck die Tür. — Er +fühlte: da ist sie — —</p> + +<p>»Ah, sieh da — der Herr Leutnant Frobenius — na, endlich!« Schelmisch +drohte das Mädchen mit dem Finger.</p> + +<p>Sie hatte sich nicht Zeit genommen, sich umzukleiden ... schlank +und straff stand sie da ... knapp umschloß das graue Reitkleid die +elastische Gestalt ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_122">[S. 122]</span></p> + +<p>Auf ihren Lippen lag ein Lächeln ... ein Lächeln von so ganz anderer +Art als neulich am Froschtümpel ...</p> + +<p>Und mit ausgestreckter Linken hielt sie dem Besucher einen stattlichen +Folioband entgegen, auf dem — — sein Name stand ... »Man hat sich +inzwischen mit Ihnen beschäftigt, wie Sie sehen, Herr — — Leutnant +...«</p> + +<p>Mit einem Male überkam den Gelehrten das Gefühl einer wunderbaren +Sicherheit. Schau, schau — nun wußte sie, nun mußte sie wissen, wen +sie vor sich hatte ... mußte wissen, daß er nicht <em class="gesperrt">immer</em> das +hilflose Opfer unmöglicher Situationen war.</p> + +<p>»Werden Sie glauben, Herr Leutnant, ich hab nicht nur Ihr Buch gelesen +... ich hab auch zum ersten Male seit meiner Pensionszeit den Schiller +wieder vorgenommen —!«</p> + +<p>»Ah — — das ist schön! — Aber nun lassen Sie mich Ihnen nochmals +meinen aufrichtigen Dank —«</p> + +<p>»Aber so schweigen Sie doch bloß von der albernen Geschichte ... das +war ja nicht der Rede wert ... Ich hab <em class="gesperrt">Ihnen</em> zu danken ... ich!«</p> + +<p>Und mit peinlicher Überraschung ward nun Frau von Sassenbach die stumme +Beobachterin eines Gesprächs über Gegenstände, die in ihrem Salon noch +niemals verhandelt worden waren ...</p> + +<p>Was war das ... Nelly glühte ja bei der Unterhaltung mit diesem +langstelzigen Herrn, wie sie kaum je im Ballgespräch mit einem ihrer +Verehrer geglüht hatte ...</p> + +<p>»Erinnere dich, Nelly, daß wir heute mittag bei Frau von Czigorski zu +Tisch gebeten sind! es wird Zeit, dich umzukleiden!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_123">[S. 123]</span></p> + +<p>Der Besucher verstand. »Ich darf die Damen nicht länger aufhalten!«</p> + +<p>»Ich hoffe, Sie werden mir noch mehr von Schiller erzählen, Herr +Frobenius,« sagte das Mädchen, indem es sich erhob.</p> + +<p>»Ich fürchte,« meinte Frobenius, »dazu wird kaum Gelegenheit sein!«</p> + +<p>»Aber gewiß! — erstens sehen wir uns doch nächstens auf dem +Regimentsfest — und zweitens werden wir doch hoffentlich bald einmal +das Vergnügen haben — nicht wahr, Mama? — Herrn Frobenius bei uns zu +sehen!?«</p> + +<p>»Ich hoffe das gleiche,« sagte Frau von Sassenbach in einem Ton, der +wenig mit dem Inhalt ihrer Worte stimmte ..</p> + +<p>»Leben Sie wohl, Herr Frobenius, und seien Sie nochmals bedankt ... ja +... seien Sie bedankt ...! Auf Wiedersehn, Herr Frobenius!«</p> + +<p>Beim Aufstehen kamen Beine und Säbel abermals in Konflikt.</p> + +<p>Was tat's! — — Auf Wiedersehn! hatte sie gesagt — auf Wiedersehn — +—</p> + +<hr class="tb"> + +<p>In dem Kreise der Gleichgültigen und Zurückhaltenden, in dem Frobenius +sich bewegte, hatte er, ohne es zu wissen und zu ahnen, einen +geschworenen verbissenen Feind.</p> + +<p>Major von Sassenbach hatte sich beim Hauptmann Goll genau nach den +Umständen erkundigt, unter denen der Reitunfall des Landwehroffiziers +zustande gekommen war.</p> + +<p>Goll hatte ihm erzählt, wie besorgniserregend sich der Gaul bereits +auf dem Kasernenhof benommen — wie er<span class="pagenum" id="Seite_124">[S. 124]</span> sich dann beim Ausreiten zum +Exerzierplatz zur Ruhe gegeben habe, beim Klang der ersten Schüsse aber +plötzlich wie wahnsinnig geworden und nach kurzem Widerstande seines +Reiters in besinnungsloser Karriere mit ihm davongerast sei.</p> + +<p>Der Major hatte sich erinnert, daß Leutnant von Finette ihm erzählt, +es handle sich um ein notorisch verdorbenes Pferd, und er hielt sich +für verpflichtet, festzustellen, wie es zusammenhängen mochte, daß die +Verwaltung des Tattersalls einen solchen Schinder einem Offizier zu +dienstlicher Verwendung an die Hand zu geben gewagt habe.</p> + +<p>Zufällig kam er in den nächsten Tagen an der Reitbahn vorbei, suchte +den Direktor auf und beschwerte sich sehr energisch.</p> + +<p>Der schien untröstlich, ließ sofort den Stallaufseher kommen. Dieser +war sehr erstaunt, daß ihm eine Rüge zugedacht war; just dieses Pferd +sei ausdrücklich verlangt worden.</p> + +<p>Von wem denn?</p> + +<p>Ja, das wisse er nicht mehr. Er müsse in der Liste nachsehen.</p> + +<p>Er kam zurück, meldete: der Bursche des Oberleutnants Menshausen habe +das Pferd bestellt — anzuschreiben für Herrn Leutnant der Landwehr +Frobenius.</p> + +<p>Nun wußte der Major genug.</p> + +<p>Er sprach dem Direktor der Reitbahn sein Bedauern über das +Mißverständnis aus, empfahl sich und überlegte ...</p> + +<p>Was tun? — Offenbar hatte der kaltherzige Geselle, den der Major +ohnedies nicht leiden konnte, dem harmlosen<span class="pagenum" id="Seite_125">[S. 125]</span> Landwehrfritzen einen +infamen Streich gespielt — Was war nun anzufangen —? Frobenius +Mitteilung machen —? Aber dann mußte es ja Mord und Totschlag geben — +— Nein — er wollte sich den intriganten Herrn privatim vorbinden.</p> + +<p>Bei nächster Gelegenheit stellte er Menshausen: »Herr Oberleutnant, Ihr +Bursche hat am vergangenen Donnerstag vormittag im Tattersall ein Pferd +abgeholt — war das für Sie oder für jemand anders?«</p> + +<p>Das fahlbraune Gesicht des Oberleutnants wurde noch um einen Ton fahler +... die aufgedrehten Schnurrbartspitzen zuckten leise ... »Das war — +für jemand anders, Herr Major!«</p> + +<p>»Für wen denn?«</p> + +<p>»Für den Leutnant der Landwehr Frobenius!«</p> + +<p>»Wie kamen Sie dazu?«</p> + +<p>»Der Bursche des Herrn Frobenius wußte noch nicht Bescheid im +Tattersall!«</p> + +<p>»So — und da haben Sie ihm also freundlicherweise den Ihrigen zur +Verfügung gestellt?«</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Major!«</p> + +<p>»Und — wie war es denn möglich, daß der Bursche mit dem notorisch +unbrauchbaren und gemeingefährlichen Viech angezogen gekommen ist?«</p> + +<p>»— — Woher soll ich das wissen, Herr Major!? — ich bedaure das +selbst aufs lebhafteste — ist eben 'ne kolossale Schweinerei von den +Stallburschen im Tattersall.«</p> + +<p>»Hm — also <em class="gesperrt">Sie</em> hatten dem Burschen keine Anweisung gegeben, +welches Pferd er bringen solle?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_126">[S. 126]</span></p> + +<p>»Ich, Herr Major? — —«</p> + +<p>In diesem Augenblick stieg eine dunkle Welle in das schnauzbärtige +Antlitz des Stabsoffiziers ... die starken Kinnmuskeln begannen +mächtig zu arbeiten ... zwischen den zusammengepreßten Lippen drang +keuchend der Atem hervor und blies die lang herabhängenden grauen +Schnurrbartborsten in die Höhe ...</p> + +<p>Herrgott, der Major wußte Bescheid! — Wie? — das mochte der Teufel +wissen —!</p> + +<p>»Ich bitte ganz gehorsamst um Verzeihung, Herr Major — ich habe die +Unwahrheit gesagt —«</p> + +<p>»Das heißt: Sie haben mich unverschämt belogen, Herr! — Frech und +schamlos belogen haben Sie mich!!«</p> + +<p>»Herr Major, ich muß ganz gehorsamst bitten —«</p> + +<p>»Gar nichts bitten müssen Sie ... Soll ich Sie dem Ehrenrat melden —?! +Wissen Sie, was dann mit Ihnen passiert?!«</p> + +<p>Totenblaß, mit bebenden Lippen stand Menshausen vor dem Vorgesetzten +... die weißbehandschuhte Rechte am Mützenschirm flatterte hin und her +...</p> + +<p>»Haben Sie gewußt, daß der Herr von der Landwehr keinen Schimmer vom +Reiten hatte?«</p> + +<p>»Nein, Herr Major — ich habe ihn erst am Tage vorher beim Mittagessen +kennen gelernt.«</p> + +<p>»Na, und da haben Sie ihm nicht auf den ersten Blick angesehen, daß er +nicht der Mann ist, einen solchen Racker zur Räson zu bringen?!«</p> + +<p>Menshausen schwieg.</p> + +<p>»Geben Sie also zu, daß Sie sich einer Infamie schuldig gemacht haben?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_127">[S. 127]</span></p> + +<p>»Herr Major —!«</p> + +<p>»Geben Sie's zu —?! Oder wollen Sie's vom Ehrengericht bescheinigt +haben?! — Nicht nur, daß Sie sich skandalös unkameradschaftlich +benommen haben ... Sie haben ein Menschenleben in Gefahr gebracht ... +Na, und Sie wissen ja auch, wem Sie's zu verdanken haben, daß Sie nicht +als fahrlässiger Mörder dastehen —! Genügt Ihnen das nicht, um einfach +in den Boden zu sinken, Sie — —? Also noch einmal: geben Sie zu, daß +Sie sich ganz unqualifizierbar benommen haben — geben Sie's zu —?«</p> + +<p>»Es — es — — soll nicht wieder vorkommen, Herr Major!«</p> + +<p>»Ich denke in diesem Augenblick daran, daß Ihr verstorbener Herr Vater +ein Kriegsschulkamerad von mir gewesen ist ... dazu können Sie sich +gratulieren ... sonst — — Aber ich werde Sie im Auge behalten, Herr +Oberleutnant — verlassen Sie sich darauf! Danke —!!«</p> + +<p>— — Für diese Stunde hatte Menshausen Rache geschworen.</p> + +<p>Ohne daß Frobenius eine Ahnung davon hatte, umlauerte Menshausen seinen +ganzen Lebenswandel, dienstlichen und außerdienstlichen ... Irgendwo +würde man schon etwas finden, wo man hinterhaken könnte ...</p> + +<p>Es war ja doch auch reinweg zum Verrecken ... immer kam aller Ärger von +den verdammten Gehirnfatzken, die dem ehrlichen Soldaten hier in seine +Arbeit hineinkorksten ...</p> + +<p>Vor wenig Tagen hatte er draußen bei der Felddienstübung wegen des +versedrechselnden Einjährigen einen Riesenanriß besehen ... und nun +diese gottverfluchte Schweinerei,<span class="pagenum" id="Seite_128">[S. 128]</span> die ihn das Wohlwollen seines +Bataillonskommandeurs gekostet hatte! —</p> + +<p>Das sollte nicht vergessen werden —!</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Während die Reserveoffiziere sich bei den höhern Vorgesetzten lediglich +dienstlich zu melden hatten, war es üblich im Regiment, daß sie ihrem +Kompagniechef noch einen gesellschaftlichen Besuch in dessen Wohnung +abstatteten; bei den verheirateten Herren pflegten sie aber zwei Karten +nur dann abzugeben, wenn sie dazu besonders aufgefordert wurden.</p> + +<p>Das lag ja bei Martin Flamberg vor ...</p> + +<p>Eines Morgens nach dem Dienst warf er sich in Besuchsanzug, um Frau von +Brandeis seine Aufwartung zu machen.</p> + +<p>Er hatte, wie täglich bei der Rückkehr von der Kaserne, ein zärtliches +Briefchen seiner Braut vorgefunden, und während er sein zweites +Frühstück verzehrte, überlas er, ein stilles Lächeln um die Lippen, die +beglückenden Zeilen ...</p> + +<p>Agathe richtete zurzeit daheim das eheliche Nest ein und meldete +freudestrahlend, daß die Saloneinrichtung aufgestellt sei ...</p> + +<p>»Auch noch für ein anderes Zimmer sind die Möbel angekommen. Denk dir +selbst, du Schlimmer, für welches!«</p> + +<p>Ach, du süßes, süßes Mädel! ... Herrgott, nur sieben Wochen noch! —</p> + +<p>Er schob den Brief in den Ärmel seines Überrocks und machte sich auf +den Weg.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_129">[S. 129]</span></p> + +<p>Eine Weile noch spann seine Phantasie die holdseligen Träume weiter. +Dann aber begannen sich seine Gedanken mit dem Ziel seines Besuches zu +beschäftigen.</p> + +<p>Er hatte genug im Regiment von Frau von Brandeis gehört, um zu wissen, +daß er einem nicht ganz gewöhnlichen Erlebnis entgegengehe.</p> + +<p>Niemand wollte so recht begreifen, wie Herr von Brandeis an diese Frau +gekommen war.</p> + +<p>Ein liebenswürdiger Herr von tadellosen Manieren, einigem +Unterhaltungstalent und auch von durchschnittlichen militärischen +Fähigkeiten.</p> + +<p>Daß er allerdings einmal im Schießen mit seiner Kompagnie den +Kaiserpreis davongetragen, das schrieb man weniger seinen eigenen +Bemühungen zu, als der Tüchtigkeit seines Kompagnieoffiziers, des +nunmehrigen Regimentsadjutanten, Oberleutnant von Schoenawa. Und so +mißgönnte man ihm ein klein wenig den Roten Adlerorden vierter Klasse, +den er diesem glänzenden Schießresultat seiner Kohorte verdankte.</p> + +<p>Was man aber als ganz und gar wohlverdient ansah, das waren die +zahlreichen Frühstücksorden, die ihm zuteil geworden waren, wenn er das +Regiment bei Fürstenbesuchen und Hoffestlichkeiten zu vertreten hatte; +denn seine Repräsentationstalente waren beträchtlich, und Englisch und +Französisch sprach er wie seine Muttersprache.</p> + +<p>Aber das alles waren doch keine Qualitäten, die Anspruch auf die Gunst +einer Dame, wie seine Frau war, gewährten!</p> + +<p>Frau Cäcilie war vor anderthalb Jahren dem Regiment wie ein Stern +aufgegangen ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_130">[S. 130]</span></p> + +<p>Jeder kannte die Höhe ihrer Mitgift und wußte, daß sie auf ein noch +ganz anderes Vermögen Anwartschaft hatte, wenn sie einmal ihre noch +recht rüstigen Eltern in Wiesbaden beerben würde.</p> + +<p>Inmitten eines Offizierkorps, dessen Angehörige weder von Hause aus +noch im großen und ganzen infolge ihrer ehelichen Verbindungen durch +namhafte Vermögen ausgezeichnet waren, gab soviel Geld immerhin die +Folie des Außergewöhnlichen.</p> + +<p>Aber mehr noch als diese äußeren Güter war es der Ruf ihrer +eigenartigen Schönheit, ihres Geistes und ihrer Talente, was sie hoch +über das Durchschnittsniveau der im Regiment vertretenen Weiblichkeit +heraushob und die erstaunte Frage berechtigte, wie eine solche Dame +sich mit einer glatten Mittelmäßigkeit wie Fritz von Brandeis habe +begnügen können! —</p> + +<p>Es herrschte in den gesellschaftlichen Beziehungen der Herren des +Regiments zu seinen Damen im allgemeinen ein ausgezeichneter Ton. Die +Frauen und Töchter der Kameraden galten auch den ausgesprochensten Don +Juans als Tabu.</p> + +<p>Um die schöne Frau von Brandeis aber, die Tochter der Künstlerstadt, +wehte es wie ein geheimnisvoller Hauch von Seltsamem ... geheimnisvoll +Lockendem ... der sie aus der Schar der bieder korrekten Frauen und +Mädchen heraushob, die man sonst an der Seite der Kameraden zu sehen +gewohnt war ...</p> + +<p>Und die keckern unter den jüngern Herren hatten denn auch in aller +Vorsicht einmal Fühler ausgestreckt — aber sie waren rasch und +gründlich enttäuscht worden —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_131">[S. 131]</span></p> + +<p>Frau von Brandeis war eine ebenso tadellose wie zärtliche Gattin —</p> + +<p>Oberleutnant Menshausen, der Abgott aller Nähmädchen und Ladenmamsells +der Garnison, hatte im Vertrauen auf eine nicht unbeträchtliche Reihe +von Erfolgen auf gefährlichen Gebieten einmal einen etwas schärfern +Ansturm riskiert ... aber die schöne Frau hatte ihm in einer Weise +heimgeleuchtet, die ihm ein für allemal den Mut zu weitern Versuchen +benommen hatte.</p> + +<p>Von alledem hatte Martin Flamberg in den letzten Tagen im Kasino +genug gehört, um mit einiger Spannung seinem heutigen Erlebnis +entgegenzusehen ...</p> + +<p>Nun, er war ja abgehärtet ... mochte Frau von Brandeis immerhin ein +kleines Wunder sein ...</p> + +<p>Wenn er die Reihe strahlender Schönheiten an sich vorüberziehen ließ, +die im vergangenen Sommer seinem Pinsel gesessen hatte, so brauchte er +nicht zu befürchten, in Versuchung zu kommen ... Agathe konnte ganz +ruhig sein! —</p> + +<p>Sein erster Eindruck war eine gewisse Enttäuschung ... Unwillkürlich +hatte er sich ein Bild der vielberedeten Erscheinung gemacht ... +groß — königlich — brünett ... Nun war sie einen Kopf kleiner als +er selbst, von rötlich-braunem, flimmerndem Haar, zarten Farben, +lebhaftem, etwas unruhigem Auge ... Gewiß ein sehr anmutiges Geschöpf +... aber für ihn, den Verwöhnten, doch nichts Außergewöhnliches ...</p> + +<p>Mit großer Lebhaftigkeit leitete Frau Cäcilie das Gespräch ein: »Ich +entsinne mich sehr wohl, Herr Flamberg, Ihnen einmal in Gesellschaft +begegnet zu sein!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_132">[S. 132]</span></p> + +<p>»Ah, bei Kommerzienrat Trinkaus, nicht wahr, meine Gnädigste?«</p> + +<p>»Gewiß, bei Trinkaus. Ich weiß noch, Sie haben einen auffallend +schlecht sitzenden Frack getragen ... Daran hab ich gleich gemerkt: +der muß was Besonderes sein ... Wenn einer bei Trinkaus so schlecht +angezogen herumlaufen darf, das ist sicher ein Genie ...«</p> + +<p>»Stimmt, stimmt!« lachte Flamberg, »gepumpt für zwei Mark fünfzig!«</p> + +<p>»Heute scheinen Sie etwas mehr auf Schneider zu halten!?«</p> + +<p>»Geschäftssache, gnädige Frau! — Ein gewisses Publikum glaubt nur an +Künstler, die in erstklassigen Ateliers arbeiten lassen können!«</p> + +<p>»So — und das können Sie also!?«</p> + +<p>»Man schlägt sich so durch, gnädige Frau!«</p> + +<p>»Ich glaub's ... Sie müssen nämlich wissen, Herr Flamberg, ich war +diesen Juni mit meinem Mann auf Urlaub in Berlin ... Da hab ich Ihre +zwei Bilder in der Sezession gesehen ... Wissen Sie, was mein Mann +damals zu mir sagte? Du, so ein Bild möcht ich von dir haben!«</p> + +<p>Aha — dachte Martin Flamberg, darauf will's also hinaus ...</p> + +<p>»Ich beneide Sie!« fuhr die schöne Frau fort, »ich beneide euch +Künstler überhaupt!«</p> + +<p>»Beneiden? — um was?«</p> + +<p>»Wie soll ich sagen — Sie sitzen hier friedlich und plaudern oder +strampeln draußen auf der Heide herum und führen Ihren Zug ... und +derweile reisen Ihre Bilder in<span class="pagenum" id="Seite_133">[S. 133]</span> der Welt herum ... reden zu Tausenden, +was für ein Kerl Sie sind ... Ist das nicht beneidenswert? — Ich +möchte es — die Fernwirkung Ihrer Persönlichkeit nennen!«</p> + +<p>»Ach, gnädige Frau, mich dünkt ... viel beneidenswerter als solche +Fernwirkung, von der man schließlich doch nichts hat ... viel +beneidenswerter muß die Nahwirkung sein, die eine schöne Frau ausübt.«</p> + +<p>»Ach je, die Nahwirkung ... auf wen denn? ... Wen hab' ich denn, um +›nahzuwirken‹? Die Stabsoffiziere ... grämlich ... früh verbraucht +— die Hauptleute ... dienstgehetzt — dazu die streberhaften +Oberleutnants und die ungaren Leutnants ...«</p> + +<p>»Sie urteilen sehr hart, gnädige Frau ... Diese Herren sind doch die +Kameraden, die Berufsgenossen Ihres Gatten.«</p> + +<p>»Ums Himmels willen, hab ich mir mal wieder den Mund verbrannt!? — Na, +das bleibt doch unter uns, nicht wahr, Herr Flamberg?«</p> + +<p>»Selbstverständlich! — Nun ja ... ich kann's mir schließlich +vorstellen ... Sie kommen aus so ganz andern Kreisen ... Aber ich +meine, auch Ihnen müßte das doch imponieren, diese unermüdliche, +opferfreudige Kleinarbeit, die hier geleistet wird!«</p> + +<p>»Kleinarbeit ... ja wahrhaftig, Kleinarbeit!«</p> + +<p>»Aber eine sehr wichtige und nützliche Arbeit! — Flößt Ihnen das denn +keinen Respekt ein?«</p> + +<p>»Respekt — o ja!«</p> + +<p>»Und schließlich — was geht Sie am Ende das Milieu an, in dem Sie +leben? — In einer Häuslichkeit wie dieser ... an der Seite eines +liebenswürdigen, ritterlichen Gatten, wie der Ihre ist ...«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_134">[S. 134]</span></p> + +<p>»O ja!«</p> + +<p>Schon wieder dies »O ja!« — Dies »O ja!«, das er so gut kannte! —</p> + +<p>Das kam ja immer zuerst, wenn eine verheiratete Frau zu kokettieren +begann ... dies korrekt sich stellende, zugleich aber leises Bedauern, +heimliche Enttäuschung andeutende »O ja« über den Gatten — —</p> + +<p>Äh ... sie waren doch alle gleich ... alle, alle versuchten sie dies +ewig gleiche, langweilige Spiel ... dies Spiel, das eben doch nichts +weiter war und bleiben sollte, als ein Spiel ... ein Flirt ... eine +inhaltlose Sensation!</p> + +<p>Ein ernsthaftes Abenteuer — ach, dazu waren sie ja doch fast alle zu +feige ... zu satt und zufrieden am Ende in ihrem warmen Nest ... aber +sich einen Flirt versagen zu können ... dazu waren sie doch wieder alle +zu unausgefüllt ... zu unvornehm ... zu charakterlos ...</p> + +<p>Gräßlich, dies frivole, ziellose Spiel mit den heiligsten Dingen ... +mit Treue und Leidenschaft ... Wie rasch man das durchschaute ... wie +rasch der pikante Reiz der ersten derartigen Erlebnisse verweht war ... +und dann widerte es einen nur noch an ... Also von der Sorte war auch +diese da ...!</p> + +<p>Fast brüsk brach er auf und empfahl sich.</p> + +<p>»Wir hoffen, Sie nächstens bei uns zu sehen, Herr Flamberg!«</p> + +<p>Klischee, Klischee — — Und so etwas galt im Offizierkorps als eine +Art höheres Wesen —</p> + +<p>Schade — ein hübsches Bildchen hätte sie schon abgegeben: die +schwermütigen braunen Augen unter der weißen<span class="pagenum" id="Seite_135">[S. 135]</span> Stirn, mit dem +rostfarbenen, straffen Haarkranz darüber und ... Eine feine +Schulterlinie hatte sie gewiß auch ... Der Unterarm, die feine, nervöse +Hand ... Das war vielversprechend gewesen —!</p> + +<p>Ausführlich und sehr lustig berichtete er an Agathe.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Schon einige Tage später konnte Martin Flamberg sich überzeugen, daß +sein Künstlerauge recht vermutet hatte.</p> + +<p>Drei Tage nach seinem Besuch lud ihn ein silbergraues Kärtchen zu einer +Abendgesellschaft in kleinem Kreise ... ein Kärtchen, bekritzelt mit +einer seltsamen Handschrift: feste Auf- und Abstriche, doch umschwirrt +von einem kapriziösen Gewirr hin- und herfahrender Schnörkel ... links +oben in der Ecke ein Doppelwappen, vermutlich das Adelswappen derer von +Brandeis und das bürgerliche der alten Düsseldorfer Patrizierfamilie, +aus der die junge Frau hervorgegangen ... Freilich! sie konnte es sich +leisten, das Wappen ihrer Sippe neben dem adeligen aufzupflanzen ...</p> + +<p>Er führte die Frau des Hauses zu Tisch — — Außer ihm: Major von +Sassenbach mit Frau und Töchtern, Oberleutnant von Schoenawa und +Leutnant Blowitz.</p> + +<p>Heute sah er sie ganz anders.</p> + +<p>Die drei andern Damen, die Offiziere, nicht zuletzt der Gatte, gaben +dieser Frau eine Folie, die sie seltsam hob ... In dieser Umgebung, +wahrhaftig, erschien sie wie ein hinverwehtes Wunder.</p> + +<p>Aller Augen hingen an ihr; sie beherrschte die Unterhaltung.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_136">[S. 136]</span></p> + +<p>Spießbürgerliche Mißbilligung lag auf dem spitzen Gesicht der Frau von +Sassenbach ... rötete ihre Nase ... ließ ihre grauen Augen in frostigem +Pharisäertum funkeln ...</p> + +<p>Die stattlichen Majorsmädel verschlangen die elegante junge Frau in +naiver Bewunderung ...</p> + +<p>Leutnant Blowitz, ein braver Junge, huldigte ihr mit knappenhafter +Ergebenheit ...</p> + +<p>Schoenawa, ein kalt beherrschter Energiemensch, verfolgte jede ihrer +Bewegungen mit verschlossenem, finsterm Ernst ... Nur zuweilen +flimmerte in seinen frostigen schwarzen Augen ein heißer Strahl; der +verriet Martin Flambergs geschultem Malerauge: auch dieses Mannes +Seele, soviel er davon besitzen mochte, stand im Banne der Hausherrin +...</p> + +<p>Ihr Gatte glänzte übers ganze Gesicht vor demütig anbetender +Bewunderung, vor Glück und Stolz, der legitime Besitzer so vieler +Herrlichkeit zu sein ...</p> + +<p>All diese Verehrung, diese teils freiwillige, teils widerwillige +Bewunderung steckte den Maler an.</p> + +<p>Und wirklich ... sie sah strahlend aus ... sie trug eine fraisefarbene +Seidenrobe, überrieselt von einem bronzefarbenen Spitzengewirk ... +Der Ausschnitt ließ eine Schulterlinie von adeliger Zeichnung frei, +den Hals mit leisem Rosa angetönt ... ihn umzog ein dünnes goldenes +Kettchen mit einem smaragdgrünen Darmstädter Glasschmuck ... Für +Maleraugen ein Fest ...!</p> + +<p>Das sprach er nach Tisch bei der Zigarre dem Hauptmann aus.</p> + +<p>Der griff die Andeutung rasch und gewährungsfreudig auf.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_137">[S. 137]</span></p> + +<p>Martin merkte, er war einem geheimen Wunsch seines Kompagniechefs +entgegengekommen ...</p> + +<p>Und zwei Tage später stand der Maler im Wintergarten der Villa Brandeis +mit Pinsel und Palette der Hausherrin gegenüber. Flamberg hatte sich +ein förmliches Atelier zwischen den Palmen und Skabiosen improvisieren +dürfen. Als Hintergrund hatte er eine spanische Wand aufgestellt und +eine blaßrosa Sammetdecke darüber aufgehängt, die er in einem der +Salons entdeckt hatte.</p> + +<p>Er selber trug über der grauen Litewka eine grobe blaue Küchenschürze, +die Frau Cäcilie persönlich unter Lachen und Scherzen ihm umgebunden ...</p> + +<p>Und nun durfte er sie ungeniert und gründlich betrachten, wie sie vor +ihm im Sessel lehnte in dem Kostüm von neulich, das er sich ausgebeten +hatte ... in der fraisefarbenen Seidenrobe mit dem rieselnden Gewirk +bronzener Spitzen ... mit dem geraden Ausschnitt, der die herrliche +Schulterlinie enthüllte ...</p> + +<p>Seltsam war ihr zumute unter dem durchdringenden, enthüllenden Blick +der braunen, durstigen Künstleraugen ... Weich ... hingebend ... +opferfroh ...</p> + +<p>Einmal trat der Maler auf sie zu, um ein paar Falten ihres Gewandes +anders zu ordnen ... da durchschauerte es sie ... unwillkürlich schloß +sie leise die Augen ... neigte das flimmernde, duftende Haupt zurück ...</p> + +<p>Martin Flamberg mußte sich zusammennehmen ... mußte mit Gewalt an seine +ferne Agathe denken ...</p> + +<p>Und das war nun jeden zweiten Tag ein paar Stunden ... jeden zweiten +Tag ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_138">[S. 138]</span></p> + +<p>Manchmal kam Hauptmann von Brandeis vom Nachmittagsbesuch im +Kompagnierevier zurück, steckte, freundlich lächelnd, den Kopf ins +»Atelier«, warf einen prüfenden Blick auf die Fortschritte des Abbildes +... einen strahlenden auf das Original ...</p> + +<p>Das Lächeln, das diesen Blick erwiderte, ward täglich matter und matter +... Brandeis merkte es nicht.</p> + +<p>»Wie finden Sie meinen Mann?« fragte Frau Cäcilie einmal den Künstler.</p> + +<p>»Ich bin ihm sehr gut, er ist so eine wahre Natur, durch und durch +echt — so etwas empfinden wir stets als besonders wohltuend — wir +verlogenes, verdorbenes Künstlergesindel, wir —«</p> + +<p>»Verlogen und verdorben — seid ihr alle so —?«</p> + +<p>»Alle ... das liegt in unserm Handwerk ... das ganze Leben ist uns ja +doch nur ein Vorwand ... alle Menschen sind uns nur Mittel zum Zweck +...«</p> + +<p>»Aber zu was für einem Zweck —!«</p> + +<p>»Zu keinem schlechten — das weiß Gott! — Aber die Menschen, die mit +uns umgehen, sind dennoch immer betrogen ... wir nützen sie aus, und +sie dürfen's nicht merken ... beileibe nicht ... daß sie uns nichts +sind als Modelle!«</p> + +<p>»Das sagen Sie — ein Bräutigam?«</p> + +<p>»Das ... steht auf einem andern Blatt, gnädige Frau ...«</p> + +<p>»Also doch nicht so ganz Übermensch ... doch irgendwo ein Fleckchen in +Ihrem Herzen, wo man sich anbauen kann?! —«</p> + +<p>Martin Flamberg malte und schwieg.</p> + +<p>»Heut abend bleiben Sie zum Tee bei uns! — Mein Mann kommt erst +um acht Uhr aus der Kaserne zurück —<span class="pagenum" id="Seite_139">[S. 139]</span> Sie werden mir inzwischen +Gesellschaft leisten, und ich werde Ihnen etwas vorsingen!«</p> + +<p>Martin Flamberg atmete tief auf ... »Wer könnte da ›nein‹ sagen —?«</p> + +<p>»Ich habe schon lange auf die Gelegenheit gelauert, Ihnen zu zeigen +... ein bißchen Wer bin ich auch ... ein bißchen mehr als all die +Kommißgänschen hier herum ... ein ganz klein bißchen pass' ich auch in +die Welt, in der Sie heimisch sind —«</p> + +<p>— — Und Frau Cäcilie saß am Flügel ...</p> + +<p>Sie schien zu wachsen, als nun die ersten Akkorde aufschauerten unter +den schlanken, nervösen Fingern ...</p> + +<p>Nur die Kerzen am Instrument brannten im Zimmer ... warfen gelbe +Lichter auf die erdbeerfarbene Seide ... flimmernde Reflexe in die +straffe Haarkrone — darunter schimmerte die weiße Stirn mit mattem +Opalglanz ...</p> + +<p>Nun öffnete sich sanft der schmale Mund ... und weiche Töne quollen +durchs Zimmer:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Nicht im Traume hab' ich das gesehn, </div> + <div class="verse indent0">hell im Wachen stand es schön vor mir, </div> + <div class="verse indent0">eine Wiese voller Margeriten ...« </div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Martin saß im Halbdunkel. Ah, Straußens »Freundliche Vision« — +die dunkelschwüle Weise, wie sie zu der Stunde paßte ... Martins +Seele löste sich ganz ... ein heißes Fluten hub an, wogte und webte +durcheinander ...</p> + + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Und ich geh mit einer, die mich lieb hat, </div> + <div class="verse indent0">ruhigen Gemütes in die Kühle </div> + <div class="verse indent0">dieses stillen Gartens, in den Frieden, </div> + <div class="verse indent0">der voll Schönheit wartet, daß wir kommen.« </div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Mit einer, die mich lieb hat ... Agathe ... Agathe ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_140">[S. 140]</span></p> + +<p>Gewaltsam hatte Martin die Erregung zurückzudrängen versucht, die aus +der Tiefe seiner Seele in seine Augen quoll ... Nun übermannte es ihn +plötzlich ...</p> + +<p>»Herr Flamberg, was haben Sie —?«</p> + +<p>»Ich habe heim gedacht ... heim gedacht an ein fernes Mädchen — das +hat keine Ahnung, daß ich in diesem Augenblick —«</p> + +<p>»Nun — was?«</p> + +<p>»— daß ich einer Stimme lausche ... einer Stimme, die nicht die ihre +ist ...«</p> + +<p>»Nun — und was ist dabei?«</p> + +<p>»Viel ist dabei — — —«</p> + +<p>»Ach Sie — Sie Künstler Sie — ich weiß ja, alles nur Vorwand, alles +nur Modell ... Sie haben's ja selbst gesagt.«</p> + +<p>»Gnädige Frau —!«</p> + +<p>»Haha ... nun wollen Sie's wohl gar nicht Wort haben ... aber Sie haben +sich verraten ... Nun dürfen Sie sich nicht wundern, wenn man Sie nicht +so tragisch nimmt!«</p> + +<p>Die junge Frau ging mit raschen Schritten zum Flügel zurück ... schlug +einen schrillen Akkord an ... ging in eine tolle Walzermelodie über ... +dann brach sie plötzlich ab, sang zu übermütiger Weise abermals einen +Bierbaumschen Text:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Maikater singt die ganze Nacht:</div> + <div class="verse indent0">Der Frühling ist erwacht, erwacht!</div> + <div class="verse indent0">Der Frühling ist erwacht!«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>»Ah, ihr musiziert? — Das ist recht ... und so lustig! — Das freut +mich! Entschuldige, liebes Kind, daß ich so spät komme ... und auch +Sie, lieber Flamberg ... danke Ihnen, daß Sie meiner Frau Gesellschaft +geleistet haben ...!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_141">[S. 141]</span></p> + +<p>— — An diesem Abend vergaß Martin Flamberg zum ersten Male, vorm +Schlafengehen am Sternenhimmel Agathens Augen zu suchen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am 17. August, am Vorabend des Tages von Gravelotte, wurde das Regiment +aus der Stimmung der Festvorbereitung durch eine plötzliche Trauerkunde +gerissen: Seine Durchlaucht der Erbprinz von Nassau-Dillingen, der +Kommandeur des rheinischen Armeekorps, war nach kurzer Krankheit in +Koblenz gestorben.</p> + +<p>Wenige Stunden nach Ankunft der Trauernachricht kam auch bereits die +Allerhöchste Kabinettsorder, nach welcher die Offiziere des Armeekorps +auf vierzehn Tage Trauer anzulegen hatten.</p> + +<p>In dieser Zeit eine große Feierlichkeit mit Musik und Tanz zu +begehen, das wäre nicht schicklich erschienen. Und so mußte das lange +vorbereitete Regimentsfest bis zu einem andern großen nationalen +Gedenktage, dem Tage von Sedan, aufgeschoben werden. Dieser Tag hatte +sonst für das Regiment nur die allgemeine patriotische Bedeutung, nicht +die spezielle eines Ruhmestages: denn das rheinische Armeekorps hatte +ja bei Sedan nicht mitgefochten.</p> + +<p>In anderer Beziehung aber klappte es mit der Verlegung recht hübsch. +Der 2. September fiel nämlich auf einen Sonntag. Und da am Dienstag, +den 4. September, die Abfahrt ins Manövergelände im Hunsrück angesetzt +war, so blieb Montag, der 3., zum Packen, und das Regimentsfest wurde +so, außer einem Begrüßungsfest für die Kommandeuse, zugleich ein +Abschiedsfest.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_142">[S. 142]</span></p> + +<p>Für die aktiven Herren bedeutete das Ausrücken ins Manövergelände einen +dreiwöchigen Abschied aus der Garnison.</p> + +<p>Die Offiziere des Beurlaubtenstandes würden überhaupt nicht mehr in +die Garnison zurückkehren; sie würden sich am letzten Manövertage nach +Schluß der Übung bei der Kritik abmelden können und galten damit als +entlassen, um von der nächsten Bahnstation aus auf dem kürzesten Wege +in ihre Heimat zurückkehren zu können.</p> + +<p>— Die letzten Wochen vor dem Feste waren verhältnismäßig ruhig +verlaufen.</p> + +<p>Martin Flamberg hatte das Bild der Frau von Brandeis vollendet, und +damit war für ihn die Veranlassung zu seinen regelmäßigen Besuchen +in der Villa Brandeis weggefallen, nachdem im Kreise der Intimen des +Hauses bei einer Sektbowle »Firnistag« gefeiert worden war ...</p> + +<p>Am folgenden Morgen hatte Hauptmann von Brandeis auf dem Rückmarsch von +der Felddienstübung den hinter ihm marschierenden Flamberg an die Seite +seines Pferdes gewinkt und hatte mit ihm in schnellerem Tempo einige +Schritte Vorsprung vor der marschierenden Kompagnie gewonnen:</p> + +<p>»Nun sagen Sie mal, lieber Flamberg, wir wollen uns ganz offen darüber +aussprechen — und ich denke, Sie nehmen mir das wohl nicht übel — +Sie haben mir da das ersehnte Bild meiner Frau gemalt. Und Sie wissen +ja, ich bin in ganz erfreulichen Verhältnissen. Bitte, machen Sie mir +jetzt Ihren Preis, und genieren Sie sich durchaus nicht, die Sätze zu +berechnen, die Sie auch sonst von Ihren Auftraggebern beanspruchen.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_143">[S. 143]</span></p> + +<p>Martin Flamberg sann einen Augenblick nach. Er fand es sehr richtig und +vornehm von Herrn Brandeis, daß er es seiner, des Malers Entscheidung +überließ, wie er die Angelegenheit auffassen wolle:</p> + +<p>»Ich bitte ganz gehorsamst, Herr Hauptmann, mir gestatten zu wollen, +meine Arbeit Ihrer Frau Gemahlin als bescheidenen Ausdruck meines +Dankes für liebenswürdige Gastfreundschaft zu Füßen zu legen, und +Ihnen, Herr Hauptmann, als gleich bescheidenen Dank für die gütige +Aufnahme, die ich schon zum zweiten Male bei der Königlichen Ersten +gefunden habe!«</p> + +<p>Brandeis markierte liebenswürdige Verlegenheit: »Aber lieber Flamberg, +wie soll ich das nur wieder gut machen?«</p> + +<p>»Das haben Herr Hauptmann bereits vorher getan! Nur eine Bitte möchte +ich mir gestatten auszusprechen, vorausgesetzt selbstverständlich die +Zustimmung Ihrer verehrten Frau Gemahlin: ich möchte bitten, mir zu +erlauben, das Bild im nächsten Frühjahr in Berlin auszustellen!«</p> + +<p>»Na, lieber Flamberg — — selbstverständlich werde ich ja den Fall mit +meiner Frau besprechen müssen ... aber ich zweifle nicht im geringsten +daran ... daß sie stolz sein wird, in solch einer meisterhaften +Verkörperung ... vor der staunenden Mitwelt paradieren zu dürfen ...«</p> + +<p>— — »Ja, was machen wir da, Cäcilie?« fragte Brandeis daheim, nachdem +er berichtet hatte. »Eigentlich ist mir die Sache ein bißchen fatal ... +das Bild ist ja ein fürstliches, ein unbezahlbares Geschenk ... das +kann ich ja eigentlich gar nicht annehmen von dem fremden Herrn.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_144">[S. 144]</span></p> + +<p>»Da wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben!« meinte Frau Cäcilie, +»jedenfalls müssen wir uns in irgendeiner Form revanchieren.«</p> + +<p>»Da fällt mir was ein: Flamberg ist doch verlobt und heiratet +unmittelbar nach dem Manöver. Da werden wir ihm also ein schönes +Hochzeitsgeschenk machen!«</p> + +<p>»Aber bitte, nicht etwa einen Wertgegenstand, der auch nur einigermaßen +wie eine Bezahlung aussieht!«</p> + +<p>»Ne, selbstverständlich das nicht!« lachte der Hauptmann, »das möchte +uns auch wohl doch ein bißchen schwer fallen! — Weißt du, daß er für +jedes der Bilder in der Sezession fünfzigtausend Mark bekommen hat?«</p> + +<p>»Mir fällt noch etwas anderes ein ... selbstverständlich, das mit dem +Hochzeitsgeschenk, das wird gemacht ... aber ich werde der Braut einen +prachtvollen Korb Rosen schicken mit unserer Visitenkarte!«</p> + +<p>Der Hauptmann war einverstanden. Und Frau Cäcilie ließ ein riesiges +Arrangement prachtvoller La-France-Rosen zusammenstellen. Dazu sann sie +sich noch etwas anderes aus: sie ließ Flambergs Werk photographieren +und fügte eines der Bilder ihrer Sendung an die Braut des Malers bei. +Zu dieser Sendung schrieb sie selbst ein paar Begleitzeilen:</p><br> + +<div class="blockquot"> + +<p>»Mein sehr verehrtes gnädiges Fräulein, empfangen Sie hierbei das +Abbild des jüngsten Meisterwerkes Ihres Herrn Bräutigams, und erlauben +Sie dem Original und dem künftigen Mitbesitzer des herrlichen Werkes, +Ihnen die herzlichsten Wünsche zu Ihrer demnächstigen Vereinigung +auszusprechen.</p> + +<p>Ein Mann, dem wir andern alle nichts sind als der +gleichgültige äußere Anstoß für sein Schaffen, nichts als ein Motiv, +ein Modell, das man festhält mit raschem, unfehlbarem Pinsel, und das +dann, ach so schnell, einem neuen Platz machen muß, nichts als ein +paar bunte Farbflecke in der Außenwelt — — einem solchen Mann dürfen +Sie Lebensgesellin sein — Sie Glückliche. —</p> + +<p>Empfangen Sie unsre aufrichtigsten Empfehlungen.</p> + + <p class="mright5">Fritz und Cäcilie von Brandeis.«</p><br> +</div> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_145">[S. 145]</span></p> + +<p>Als Agathe van den Bergh diese Zeilen las, gab es ihr einen Ruck am +Herzen ... Lange, lange studierte sie die Züge der Photographie, +die klare Schrift mit den festen Grundzügen und dem kapriziösen +Schnörkelgerank ...</p> + +<p>So war es nun schon die zwei Jahre hindurch gewesen: jedesmal, wenn +sie ein neues Werk des Geliebten sah, hatte sie dies dumpf nagende +Wehgefühl ... Es war nicht Eifersucht ... es war der unbegriffene +Schmerz der reinen Mädchenseele, die empfand, daß sie dem geliebten +Manne nicht alles — nicht alles war — niemals alles werden würde — +ach nein, niemals mehr denn ein kleiner, kleiner Ausschnitt aus seiner +Welt —</p> + +<p>Es war nicht Mißtrauen ... nur das geheime Grauen war's des ahnenden +Mädchenherzens vor den Abgründen im Leben, in der Sehnsucht, in der +Vergangenheit und Gegenwart des Mannes ... des Künstlers.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Am vorletzten Samstag vor dem Ausrücken — es war der 25. August — +ging Martin Flamberg auf einen viertägigen Urlaub nach Düsseldorf ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_146">[S. 146]</span></p> + +<p>Wie im Fluge verstrichen ihm die wenigen Stunden der Heimfahrt ...</p> + +<p>Welch ein Sturm in ihm ... welch ein Sturm der Gefühle — der +Leidenschaften — der Gedanken — der Grübeleien und Träume ... Agathe +hatte ihm den großen Frieden seines Lebens bringen sollen — ihn +ausfüllen bis in die Tiefen seiner Seele ... Er hatte gewähnt, in ihr +jene große Liebe gefunden zu haben ... jene große Liebe, von der alle +Menschen träumten ... und die Künstler heißer und sehnsüchtiger denn +alle andern ... und nun — —</p> + +<p>Seine Besuche bei Frau Cäcilie hatten nun aufgehört, und seitdem erst +war es ihm ganz bewußt geworden, was diese Besuche ihm bedeutet hatten +... Nein wahrlich, was seitdem in seiner Seele fieberte und stürmte, +das hatte wenig Ähnlichkeit mit dem großen Frieden, den er erhofft ...</p> + +<p>Agathe empfing ihn am Bahnhof. Der Präsident van den Bergh begleitete +seine Tochter.</p> + +<p>Martin fühlte, wie seine Braut ihn prüfend ... angstvoll beobachtete +... Er fühlte es, ohne daß er den Zusammenhang begriff; denn Agathe +hatte es nicht übers Herz bringen können, auch nur ein Wort über die +Sendung der fremden Dame und das seltsame Briefchen, das sie begleitet +hatte, an ihren Verlobten zu berichten ...</p> + +<p>War es so etwas wie böses Gewissen, was Martin Flamberg hellsichtig +machte für die verhohlene Befangenheit seiner Erkorenen ...? Er gab +sich lebhaft ... heiter ... ungezwungen ... mit fast lärmhafter +Lustigkeit ... Und dabei fühlte er doch, daß sie seine Absicht +durchschaute ...</p> + +<p>»Nun, Martin,« sagte der Präsident bei der Heimfahrt, »Sie haben +inzwischen auch wieder eine neue Arbeit vollendet?«<span class="pagenum" id="Seite_147">[S. 147]</span> Der Präsident +hatte sich noch heute nicht entschließen können, seinem Schwiegersohn +das väterliche Du entgegenzubringen.</p> + +<p>»So, hat Agathe Ihnen erzählt — ja gewiß, Papa, ich habe meine Zeit +gründlich ausgenutzt.«</p> + +<p>»Eine schöne Frau! — Ich erinnere mich ihrer noch sehr gut ... als +Backfisch machte sie Furore in unsern Salons ... aber sie muß sich +inzwischen noch mächtig herausgemacht haben, nach Ihrem Bilde zu +schließen.«</p> + +<p>»Aber — woher wissen Sie, Papa —?«</p> + +<p>Dunkelglühend, mit niedergeschlagenen Augen sagte Agathe: »Die Dame hat +mir einen prachtvollen Rosenstrauß geschickt ... und eine Photographie +ihres Bildes ...«</p> + +<p>»Und davon hast du mir nichts geschrieben!?«</p> + +<p>»Ich dachte, sie hätte es dir selber gesagt.«</p> + +<p>»Nein, das hat sie nicht — ich habe sie auch nicht mehr gesehen, seit +das Bild fertig ist ...«</p> + +<p>— — Zu Hause, im ersten Augenblick des Alleinseins warf sich Agathe +mit einem leisen Stöhnen an seine Brust, sah ihm tief in die Augen: +»Ach, Martin, kommst du mir so wieder, wie du gegangen bist — —?«</p> + +<p>»Aber Kind — was hast du nur?!«</p> + +<p>Stumm zeigte ihm Agathe Cäciliens Bild und Brief ...</p> + +<p>Tief atmend überflog Martin die seltsamen Zeilen ... Gott, sie sagten +ihm ja nichts Neues ... er wußte ja doch schon ... Aber Agathe mußte +beruhigt werden ...</p> + +<p>Wie sie so vor ihm stand, da glich sie so ganz wieder jener Gestalt, +die das Faustbuch von Wilhelm Frobenius in seiner Phantasie lebendig +gemacht ... ganz wie Gretchen sah sie aus, die bebenden Herzens den +Geliebten fragt, ob<span class="pagenum" id="Seite_148">[S. 148]</span> er glaube, glaube an eine ewige Macht, die den +Wandel unseres Schicksals lenkt ...</p> + +<p>Und in einem Wirbel des Gefühls riß er die geliebte Gestalt in seine +Arme und küßte die schweren Tränen aus seines Mädchens Augen ...</p> + +<p>Aber während er die bebende Braut an seinem Herzen hielt, fühlte er mit +Grausen, daß er einer andern denken mußte ... immerzu ... immerzu einer +andern ... so, wie sie ihm gegenüber gestanden hatte in der letzten +Stunde zweieinsamen Beisammenseins ...</p> + +<p>Das Bewußtsein, daß diese Stunde niemals wiederkommen werde, hatte +beiden mit jähem Griff plötzlich die Kehle ... das Herz umschnürt ...</p> + +<p>Herrgott, warum gab es Schranken in der Welt? — Was half dem +Künstler die Phantasie — die allmächtige, allerfassende, die ihn die +grenzenlosen Reiche der Schönheit nur darum in all ihrer Herrlichkeit +überschauen lehrte, damit das Leben selbst ihn dann immer wieder +ausschlösse von dem Besitz alles dessen, was er viel tiefer doch als +andere empfand ... viel tiefer verstand ... viel tiefer hätte genießen +können ...</p> + +<p>Martin hatte die Zähne zusammengebissen ... hatte das letzte Aufgebot +all seiner Seelenkräfte in sich aufgerufen zu keuchendem Kampfe gegen +die Versuchung, dies Weib in seine Arme zu schließen ... das Weib des +vertrauenden Mannes, des Vorgesetzten, des Kameraden ... Und er wußte +es wohl: die Glut all dieser verschwiegenen Kämpfe hatte er seinem +Werke eingehaucht ... Er wußte: es war sein bestes geworden.</p> + +<p>Und hatte Agathe das nicht herausgefühlt — nicht<span class="pagenum" id="Seite_149">[S. 149]</span> ahnend empfunden — +selbst aus dem schattenhaften Abbild seines Werkes, das sie allein erst +kannte?!</p> + +<p>Und warum mußte er dieser letzten Sekunde des heißen Kampfes, des +schmerzvoll bittern Sieges gedenken ... in diesem Augenblick ... +im Arme des Mädchens, das er sich zur Kameradin seines Lebens, zur +Friedenbringerin seines Herzens erkoren?</p> + +<p>Sie hatte ihn nicht gebracht ... den ersehnten Frieden ... Ob er wohl +kommen würde, wenn er sie einmal ganz sein eigen nennen durfte?</p> + +<p>An diese Hoffnung wollte er sich anklammern.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_150">[S. 150]</span></p> + +<h3>Achtes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Und nun saß Martin Flamberg inmitten des glänzenden Kreises des +Regiments Prinz Heinrich der Niederlande und seiner Damen im +kerzenhellen Kasino vor dem Vorhang, hinter dem das Festspiel sich +entrollen sollte.</p> + +<p>Wirklich eine stattliche Versammlung.</p> + +<p>Zu den Offizieren des Regiments hatte sich ein größerer Zuzug fremder +Uniformen gesellt, deren Träger dem Regiment nahe standen.</p> + +<p>Voran natürlich der Brigadekommandeur mit seinem Stabe, ferner +der Bezirkskommandeur mit seinem Adjutanten, dann eine Anzahl +glatzköpfiger, weißbärtiger Herren, pensionierter Generale und +Stabsoffiziere mit redseligen Gattinnen und leise verblühenden +Töchtern; denn die Villenvorstadt der Garnison war eine vielbegehrte +Pensionopolis. Auch sämtliche in erreichbarer Nähe wohnenden inaktiven +und Reserveoffiziere des Regiments hatten sich eingefunden.</p> + +<p>Zu den Waffenröcken, die bei den ältern Herrn von einem bunten +Ordensgeflimmer erhellt waren, gesellte sich ein lichtfarbiger, +gleißender Damenflor.</p> + +<p>Allerdings, die Gattin des Brigadekommandeurs hatte sich entschuldigen +lassen in taktvoller Rücksicht auf Frau Baronin von Weizsäcker; +galt doch der Kommandeuse das<span class="pagenum" id="Seite_151">[S. 151]</span> ganze heutige Fest, soweit es als +ein gesellschaftliches Ereignis ausgestaltet war. Und so hatte +die Frau Generalin sich zurückgehalten, damit die Gattin des +Regimentskommandeurs die Ehren des Abends unverkürzt als erste genieße.</p> + +<p>Von den Stabsoffizieren war der trunk- und wetterfeste Oberstleutnant +Rautz Junggesell, der hagere, unnahbare Major Blasberg seit fast zwei +Jahren Witwer.</p> + +<p>So bildeten die spinöse Frau von Sassenbach, die ihre bürgerliche +Geburt durch sehr starke Betonung aristokratischen Wesens zu +verdecken suchte, und die aus uraltem Adel stammende, rundliche Frau +von Czigorski, die mit ihrem Manne in lautem und bourgeoisem Wesen +wetteiferte, die nächste Umgebung der Frau Oberst.</p> + +<p>Die Gruppe dieser drei Damen war der Mittelpunkt der Weiblichkeit. An +sie gliederte sich auf der einen Seite die Schar der meist schon etwas +greisenhaften Gattinnen der Pensionierten, auf der andern Seite die +der jungen Frauen der Hauptleute und Oberleutnants und endlich eine +ganze Schar junger Mädchen, teils Offizierstöchter, teils geladene +Freundinnen der letztern aus der Stadt.</p> + +<p>Im großen Saale waren die Stuhlreihen gestellt. Die Bühne war in der +Veranda aufgeschlagen, die große Glastür ausgehoben, ihr Rahmen bildete +das Proszenium.</p> + +<p>Hinterm Vorhang harrte der einjährig-freiwillige Unteroffizier Friesen, +aufgeregt wie nur je ein dramatischer Dichter am Abend seiner Premiere +an einer Weltstadtbühne, selbstverständlich wieder in Dienstanzug und +»Porzellanbuchsen«, Regisseur und Inspizient in einer Person.</p> + +<p>Neben ihm saß als Souffleur der jüngste Leutnant Carstanjen,<span class="pagenum" id="Seite_152">[S. 152]</span> sehr +ungnädig über dies Kommando, das ihn für eine Stunde dem Flirt im Saal +entzog.</p> + +<p>Im Augenblick, als Hans Friesen das erste Glockenzeichen geben +wollte, fiel sein Blick seitwärts, wo plötzlich, wie aus der Erde +gewachsen, der Gefreite Manes seiner Kompagnie stand, schlotternd vor +Befangenheit, im Drillichanzug, mit der schwarzen Gefreitenschnur um +den Jackenkragen, die zerknüllte Feldmütze in der Hand, ganz geblendet +von den paar Strahlen Festglanz, die seine weit aufgerissen starrenden +Augen erhascht hatten. Er machte dem Unteroffizier hilflose Winkzeichen.</p> + +<p>»Haben Sie was für mich, Manes?«</p> + +<p>»Jawohl, Herr Unner'ffzier ... ene Zettel vom Herr Feldwebel!«</p> + +<p>Voll düsterer Ahnung nahm Hans den Wisch, entrollte ihn und las: +»Morgen früh fünf Uhr zur Aufsicht beim Umbau von Schießstand 5. Düfke, +Feldwebel.«</p> + +<p>Aha, der Neid der Götter! — Hol's der Teufel!</p> + +<p>In der Eile betete Hans Friesen das Register sämtlicher Flüche her, die +er während seines Dienstjahres aus dem Munde der Kapitulanten seiner +Kompagnie vernommen hatte.</p> + +<p>»Na, Manes, stehen Sie noch immer da? — Sagen Sie dem Herrn Feldwebel +einen schönen Gruß von mir, und er könnte —«</p> + +<p>Es war doch geratener, den Rest zu verschlucken ... das Dusseltier war +imstande, die Bestellung auszurichten ...</p> + +<p>O welche Lust, Soldat zu sein —!</p> + +<p>Auf einmal klang eine weiche Stimme neben ihm: »Guten Abend, Herr +Friesen!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_153">[S. 153]</span></p> + +<p>Herrgott, Molly von Sassenbach als »Friede«.</p> + +<p>Mein Himmel, wie schön ... wie unsagbar schön das Mädchen aussah! Zwar +das rote Griechengewand, das sie trug, paßte eigentlich verflucht wenig +zu ihrer Mission; aber an dem goldenen Palmenzweig, den sie im Arme +hielt, konnte man ja bei einigem guten Willen immerhin erkennen, was +sie vorstellen sollte.</p> + +<p>»Fühlen Sie, wie ich zittere!« Sie hielt ihm die kleine, duftige Hand +hin.</p> + +<p>»Das nennt man Lampenfieber!« scherzte er gezwungen.</p> + +<p>»Wie schade, nun sind die Proben zu Ende!«</p> + +<p>»Jawohl ... und übermorgen geht's fort ... und ich seh Sie nicht mehr +wieder ...«</p> + +<p>»Kommen Sie denn nicht noch einmal zurück in die Garnison?«</p> + +<p>»Das wohl ... vierzehn Tage, um das Offiziersexamen zu machen! — Aber +dann — dann sind Sie wieder das Majorstöchterlein ... und ich der +simple Kommißknote ...«</p> + +<p>»Aber Sie kommen doch zum Frühjahr zur Übung ins Regiment?!«</p> + +<p>»Ach — im nächsten Frühjahr! ... Das ist eine Ewigkeit —!«</p> + +<p>»Herr Friesen, ich will Ihnen etwas anvertrauen: vielleicht sehen wir +uns doch schon früher wieder — — nämlich ... das Manöver ist doch im +Hunsrück ... und — —«</p> + +<p>In diesem Augenblick stürzte der Leutnant Carstanjen, der inzwischen +auf der Bühne mit Frau von Brandeis und Nelly geschwatzt hatte, heran +und rief: »Donnerwetter, Friesen — machen Sie doch los —!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_154">[S. 154]</span></p> + +<p>Zähneknirschend gab Hans Friesen das Klingelzeichen ... und der Vorhang +flog in die Höhe ...</p> + +<p>Alles klappte vortrefflich.</p> + +<p>Zwar Martin Flambergs Malerauge stand Qualen aus, als er die +Farbenzusammenstellungen an Kostümen und Dekorationen sah ...</p> + +<p>Leutnant Blowitz, der »für die Regie verantwortlich zeichnete«, hatte +sich törichterweise nicht entschließen können, die Unterstützung +des doch im Regiment vorhandenen Malers heranzuziehen. Wozu von der +Anerkennung der Vorgesetzten und ihrer Damen noch etwas auf einen +Herrn fallen lassen, der in drei Wochen wieder nach Hause ging ...? +Das konnte doch in der Familie bleiben ... das konnte man ja selber +verdienen ...</p> + +<p>Die Folgen waren schrecklich.</p> + +<p>Frau Cäcilie natürlich sah so blendend schön aus, wie ihr Kostüm +und ihre Frisur geschmackvoll und sachgemäß waren, aber die +Majorsmädels in ihren roten und lila allegorischen Kostümen aus dem +Maskenverleihgeschäft, und vollends Leutnant Blowitz als »Krieg« in +einer Rüstung, die ein Mittelding zwischen einem mittelalterlichen +Ritterharnisch und einem griechischen Heroenpanzer darstellte und +aussah, als sei sie aus Trümmern von Konservenbüchsen zusammengenietet +... geradezu schaudervoll!</p> + +<p>Die Dekorationen zu den lebenden Bildern hatte ein kundiger Thebaner +von Anstreichergehilfen, den Blowitz unter den Füsilieren der dritten +Kompagnie ausfindig gemacht, nach dem Muster der berühmten Gemälde im +Offizierkasino zusammengepinselt.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_155">[S. 155]</span></p> + +<p>Vor diesen fragwürdigen Hintergrund hatte Blowitz die lebenden Bilder +gestellt, so gut er's verstand.</p> + +<p>Er war nicht ungeschickt in solchen Veranstaltungen. In seinem frühern +Regiment war er vereidigter Festarrangeur gewesen ... und das hatte +ihm den Rücken gesteift gegen die Versuchung, den Sachverständigen +heranzuziehen, der zur Hand gewesen wäre.</p> + +<p>Na, es ging auch so. Und jedenfalls — das Publikum war von der +Leistung, die auf dem eigenen Holze des Regiments gewachsen war, +vollkommen zufriedengestellt.</p> + +<p>Und als schließlich im letzten Bilde die Gipsbüste Seiner Majestät +erschien, von den flackernden und knisternden Flammen zweier +bengalischer Feuerwerkskörper beiderseits angestrahlt, umgeben von +einer Huldigungsgruppe von Soldaten und allegorischen Jungfrauen — da +erhoben der General und der Oberst sich mit einem klirrenden Ruck von +ihren Stühlen, die ganze Zuschauerschaft folgte, die Regimentsmusik +schmetterte die Kaiserhymne, und in heller Begeisterung vermischten +sich die hellen Stimmen der Damen mit den dröhnenden der Offiziere.</p> + +<p>Dann tönte lauter Applaus ... der Vorhang über dem lebenden Bilde +öffnete sich zum zweiten Male ... und nun rief der General mit +schallender Stimme in den Saal: »Seine Majestät, unser allergnädigster +Herr — Hurra — Hurra — Hurra!«</p> + +<p>Die Fensterscheiben klirrten ... die Damen winkten mit der Hand und +schwenkten ihre weißen Schals ... die Musik gab im Tusch das Letzte +ihrer Lungenkraft her ... es war ein Getöse, als solle der jüngste Tag +anbrechen ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_156">[S. 156]</span></p> + +<p>Und abermals dröhnender Applaus ... die Darsteller verneigten sich ...</p> + +<p>Aus den Reihen der jüngern Offiziere tönten laute Rufe: »Blowitz — +Blowitz —!«</p> + +<p>Die Gruppe schob den »Krieg« in den Vordergrund ... er verneigte sich, +hold errötend unter seiner Schminke ... immer und immer wieder ...</p> + +<p>In der Ecke hinter dem Vorhang aber stand im Ordonnanzanzuge der +Festspielpoet ... Um ihn kümmerte sich kein Mensch, selbst Molly von +Sassenbach hatte ihn ganz vergessen ...</p> + +<p>Oder ob auch sie das Gefühl hatte, daß es ein wenig stilwidrig wirken +würde, wenn in diesem Augenblick ein Unteroffiziersrock und ein Paar +»Porzellanbuchsen« im Vordergrunde des Bildes erschienen ...?</p> + +<p>Erst als nun der Vorhang zum letzten Male gefallen war und die +Mitwirkenden in glückseliger Erregung, froh des stolzen Gelingens, laut +plaudernd und schwatzend in die als Garderobenräume eingerichteten +Korridore abströmten, gewahrte Molly plötzlich den unglücklichen +Einjährigen in seiner Ecke: »Herrgott — Sie haben wir ja ganz +vergessen — —! Na — das ist 'ne schöne Bescherung —!«</p> + +<p>»Poetenlos — gnädiges Fräulein!«</p> + +<p>»Na warten Sie — nachher wird der Oberst sicher mit Ihnen sprechen +— und dann — dann tanzen wir zusammen, wir zwei — nicht wahr, Herr +Friesen?!«</p> + +<p>Aber Mollys Prophezeiung erfüllte sich nicht, wenigstens nicht in ihrem +ersten Teil.</p> + +<p>Zwar hatte Hans Friesen eine offizielle Einladung zum<span class="pagenum" id="Seite_157">[S. 157]</span> Fest bekommen. +Er hatte heimlich gehofft, als Festspielpoet bei den Mitwirkenden des +Abends seinen Platz zu finden.</p> + +<p>Aber als er in den nun wieder hell erleuchteten Speisesaal trat, da +kümmerte sich kein Mensch um ihn, und er drückte sich eine Zeitlang, +völlig unbeachtet, in der gräßlichsten Stimmung an den Wänden herum.</p> + +<p>Als dann alles Platz nahm, wandte er sich in peinlicher Verlegenheit an +den Vizefeldwebel, der den Dienst der Kasinoordonnanzen beaufsichtigte, +und fragte, wo ihm sein Platz angewiesen sei. Der antwortete ganz kurz: +»Da unten, bei die Avantageur!«</p> + +<p>Und richtig! — Man hatte ihn chargenmäßig ganz unten am linken +Hufeisenende zwischen die blutjungen Fähnriche und Fahnenjunker gesetzt +...</p> + +<p>Diese jungen Herren fühlten sich als zukünftige aktive Offiziere dem +Einjährigen um mindestens ein Dutzend gesellschaftliche Nasenlängen +voraus und suchten ihn, den um fünf bis sechs Jahre ältern, von oben +herab zu behandeln.</p> + +<p>Allmählich gewann Hans Friesen den Humor der Situation. —</p> + +<p>Nun, wenigstens bei den Bürschchen rechts und links wollte er sich +sobald als möglich in Respekt setzen und wartete nur auf die erste +passende Gelegenheit, um ein Exempel zu statuieren ...</p> + +<p>Inzwischen schaute er nach Molly um ... Sie saß am selben Tisch, aber +weit höher hinauf, zwischen den Leutnants Carstanjen und Quincke, die +ihr natürlich auf Mord und Tod den Hof machten ...</p> + +<p>Ekelhaft, dies verlebte, gelbe Gesicht des fatalen Quincke neben ihrem +rosigen, preziösen Köpfchen ... ihren apfelblütenfarbigen<span class="pagenum" id="Seite_158">[S. 158]</span> Schultern, +die sich nun so lockend und schimmernd aus dem rosa Ballfähnchen hoben +...</p> + +<p>Und jetzt — da ... sie hatte ihn erspäht, sie lächelte, sie hob +unmerklich das Glas ... Er auch ... Blick tauchte in Blick, eine +Sekunde lang —</p> + +<p>Der grünschnäblige Fähnrich von Berneck, kaum dem Kadettenkorps +entschlüpft, siebzehn Jahre alt, hatte Friesens Blick bemerkt ... Er +trug bereits das Portepee ...</p> + +<p>»Nanu, mit wem flirten Sie denn so vernehmlich?«</p> + +<p>»Ja ... das möchten Sie wohl wissen! — Hehe! Neid der besitzlosen +Klasse, was ...?! Na, halten Sie sich am Sekt schadlos! Prost, Herr von +Berneck —!«</p> + +<p>»Ich bin für Sie der Herr Fähnrich von Berneck, Unteroffizier Friesen!«</p> + +<p>»Ach so, Sie wollen den ältern Kameraden 'rausbeißen,« sagte Friesen +mit gewinnendem Lächeln, »na, dann lassen Sie sich sagen: ein jeder +blamiert sich, so gut er's versteht! — Nochmals: Prost, Herr von +Berneck —!«</p> + +<p>Das Bürschchen wollte auffahren ... Aber die roten Abfuhren auf Stirn +und Wange des Einjährigen leuchteten so martialisch, und in den +harmlos lächelnden Augen blitzte ein Licht, scharf und hell wie eine +niedersausende Säbelklinge. — Achselzuckend wandte der Herr Fähnrich +sich ab.</p> + +<p>Und Hans Friesen suchte und fand abermals Mollys Auge — Mollys Lächeln +...</p> + +<p>— — Die Tischordnung hatte den Kasinovorstand zwei schlaflose Nächte +gekostet. Wahrhaftig keine Kleinigkeit, all die Muschirs und Paschas +fein säuberlich nach der Zahl der Roßschweife zu verstauen ... Und noch +peinlicher war die Plazierung ihrer holden Ehehälften und Töchter — +dann<span class="pagenum" id="Seite_159">[S. 159]</span> dabei diese Unzahl von Wünschen der Kameraden — und schließlich +galt es doch auch noch, gewisse Regungen des eigenen Herzens zu +berücksichtigen.</p> + +<p>Dieser Reserveonkel ... dieser Malfritze ... der hatte drei Wochen lang +fast jeden zweiten Nachmittag ein paar Stunden mit der schönsten Frau +im Regiment allein sein dürfen ... Skandal! — Na, der hatte sich's +natürlich nicht entgehen lassen, solch eine Gelegenheit nach allen +Kräften auszunutzen ... Was mochte er erreicht haben?! — Heut abend +würde man zweifellos allerlei beobachten können ...!</p> + +<p>So hatte er der Frau von Brandeis den Witwer Major Blasberg als +Tischherrn gegeben und sich selbst an ihre rechte Seite gesetzt — — +Flamberg gegenüber an die andere Hufeisenseite.</p> + +<p>Von den Reserveoffizieren hatte nur der harmlose, dicke Oberleutnant +Brassert eine Tischdame bekommen, ein ältliches Stiftsfräulein, eine +arme Verwandte des Majors Blasberg, die dem um zehn Jahre jüngern +Vetter seit dem Tode seiner Frau die Haushaltung führte ... Mit dieser +anmutigen Nachbarin saß Brassert, wie üblich, am Stabstisch.</p> + +<p>Frau Cäcilie unterhielt ein krampfhaftes Gespräch mit ihrem +schweigsamen Tischherrn und mied es geflissentlich, ihrem Nachbarn zur +Rechten auch nur ein Wort zu schenken.</p> + +<p>Gräßlich ... fühlen zu müssen, daß er keinen Blick von den Bewegungen +ihrer entblößten Arme ... von dem Spitzensaum ihres Halsausschnitts +verwandte ...</p> + +<p>Er knirschte über diese Vernachlässigung. Na, warte nur — ein bißchen +mehr als Luft bin ich doch — — Das sollst du merken, schöne Frau! —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_160">[S. 160]</span></p> + +<p>Als wiederum in der stockenden Unterhaltung seiner Nachbarin eine Pause +eingetreten war, neigte er sich zu ihr, die sich beharrlich von ihm +abgewandt hielt: »Gnädige Frau scheinen mich schlecht behandeln zu +wollen?!«</p> + +<p>»Ich ... Sie? — ich behandle Sie überhaupt nicht!«</p> + +<p>»Na ja, ich bin in Ungnade bei Ihnen — das weiß ich ja!«</p> + +<p>»So — das haben Sie also gemerkt!? — Dann wundert's mich, daß Sie als +Arrangeur der Tafel keine unterhaltsamere Nachbarschaft für sich gewußt +haben als mich!«</p> + +<p>»Aber, gnädige Frau — verstehen Sie das denn nicht? — Ich hoffte +Gelegenheit zu haben, mich Ihnen gegenüber in ein besseres Licht zu +setzen!«</p> + +<p>»Ja, sehen Sie — dann haben Sie sich also getäuscht!«</p> + +<p>»Das merk ich allerdings! — Schade! Mir fehlen leider Gottes die +Qualitäten, mit denen man sich bei Ihnen beliebt machen kann. +Schlichter Soldat wie ich, verstehe nichts von Musik, malen kann ich +auch nicht ... kurz, nicht für fünf Pfenn'ge Chance ...!«</p> + +<p>»Nun also ... Warum haben Sie sich denn mit aller Gewalt den schönen +Abend durch meine Nachbarschaft verderben wollen?!«</p> + +<p>»Gnädige Frau — was tut man nicht für das Glück, einen Abend neben der +schönsten Frau im Regiment sitzen zu dürfen. — So was kommt sobald +nicht wieder, daß es von einem selbst abhängt. — — Der Vorzug, in +Ihrem Hause zu Gaste geladen zu sein — der hat mir bis jetzt ja nicht +geblüht, wenn ich auch ebensogut wie alle andern Herren Ihnen meine +Aufwartung gemacht habe — —«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_161">[S. 161]</span></p> + +<p>»Herr Oberleutnant, Sie wissen so gut wie ich, daß Sie sich das Recht +auf Gastfreundschaft in meinem Hause verscherzt haben!«</p> + +<p>»Ah — das ist also noch immer nicht vergessen?! — Tja — ich versteh +es eben nicht so gut wie mancher andere, meine Empfindungen im Zaume zu +halten —!«</p> + +<p>»Pah — Empfindungen — — Sie und Empfindungen?! Sie wissen überhaupt +nicht, was Empfindungen sind — —!«</p> + +<p>»Ich weiß nicht, was —?! Haha ... man möchte wahrhaftig anfangen, mit +Gegenbeweisen zu renommieren ...!«</p> + +<p>»Unnötige Mühe! Ihr Renommee ist stadtkundig!« —</p> + +<p>»Tja ... was bleibt unsereinem übrig ... die Frauen, die man möchte, +sind bereits anderweitig vergeben ... und überdies so unangenehm +tugendhaft ... wenigstens unsereinem gegenüber! ... Tja — wenn man +ein Ritter der Feder wäre, wie dieser Tapergreis, der Frobenius ... +Sehn Sie nur, gnädige Frau: Nelly von Sassenbach plaudert mit ihm über +die ganze Tafel hinüber, und Herr von Schoenawa, ihr Tischherr, ist +kaltgestellt ... Ja ja, die Herren von der Reserve ... die Herren von +der Intelligenz ... das ist mal was anderes für die Damen ... da können +wir einfachen Soldaten nicht konkurrieren ... Und wenn man nun gar ein +berühmter Maler ist, wie ein gewisser anderer Herr — —«</p> + +<p>»Bitte, sprechen Sie sich nur ruhig aus, Herr Oberleutnant —!«</p> + +<p>»O ich — — Sie werden begreifen, daß es mir nicht ganz gleichgültig +sein kann, wenn man selbst von einer Dame so deutliche Zeichen ihrer +Abneigung bekommen hat ... und irgend so ein Herr, der mal auf acht +Wochen hier hineinschnüffelt<span class="pagenum" id="Seite_162">[S. 162]</span> ... der darf dann mit dieser selben Dame +allein sein ... Wochen hindurch ... stundenlang ... Ich begreife Herrn +von Brandeis nicht — wahrhaftig!«</p> + +<p>»Herr Menshausen, Sie sind denn doch von einer Geschmacklosigkeit! — +— Wenn ich das nun meinem Mann erzählte?!«</p> + +<p>»Das ... würde sich wohl kaum empfehlen, gnädige Frau ... Ich bin der +beste Schütze im Regiment!«</p> + +<p>»— — Sie sind verrückt! —«</p> + +<p>Mit bebenden Lippen wandte die schöne Frau dem Frechen den Rücken.</p> + +<p>Himmel ... wenn nur Major Blasberg nichts gehört hatte! — Aber nein +... der war tief, tief in sich versunken ... stumm sah er die Perlen +in seinem Sektglase aufsteigen ... Frau Cäcilie wußte: der eiskalte, +unzugängliche Mann dachte an nichts als an seine Frau, die seit zwei +Jahren in kalter Friedhofserde lag ... an die Mutter seiner drei Buben +...</p> + +<p>Gott, wie verschieden doch die Herzen ... die Charaktere aller dieser +Männer, die einen Rock trugen ... eine Sprache sprachen ... das +gleiche, mathematisch abgemessene und umzirkelte Leben führten ...</p> + +<p>Wenn sie selber nun heute stürbe?! — Fritz, das wußte sie, würde dann +auch so sitzen ... viele, viele Jahre lang ... und kein Weib mehr +anschauen nach ihr ...</p> + +<p>Und jener andere — nach dem jede Fiber ihres Leibes ... jeder +Herzschlag ... jeder Gedanke sich sehnte?</p> + +<p>Er würde sich gratulieren, daß er sie noch gerade vor ihrem +Verschwinden aus der großen Modellsammlung des Lebens eingefangen ... +für seine Leinwand, die im nächsten<span class="pagenum" id="Seite_163">[S. 163]</span> Sommer als Reklame seines Pinsels +von Ausstellung zu Ausstellung wandern sollte ... würde in die Arme der +harrenden Braut eilen ... und weiter malen ... eine Schönheit nach der +andern in sich hineinsaugen mit den braunen, durstigen Künstleraugen +... und den vergänglichen Schmelz ihrer Jugendherrlichkeit, die +verschwiegenen Tiefen ihrer Seelen zu ewiger Dauer auf seine Tafeln +bannen ...</p> + +<p>Ach, wie ruhevoll und befriedend doch der Gedanke, daß ein treues Herz, +ein ritterliches, makelloses Gemüt nur für uns lebt —</p> + +<p>Sie suchte den Blick ihres Mannes. Fritz saß ihr schräg gegenüber +an der andern Hufeisenseite neben der bildschönen Frau des +Bezirkskommandeurs. Er hatte kein Auge für die aufdringlich zur Schau +getragenen Reize der überjungen Frau, die der alternde, zur Disposition +gestellte Stabsoffizier in allzu großem Selbstvertrauen an sich +gefesselt ...</p> + +<p>Nun fühlte Fritz den langersehnten Blick seines Weibes ... beglückt hob +er das Glas ... trank ihr zu, strahlend wie ein Bräutigam ...</p> + +<p>Ach, und doch, und doch — — —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Baronin von Weizsäcker hob die Tafel auf.</p> + +<p>Paar hinter Paar ... seideraschelnd ... sporenklirrend schob sich die +Gesellschaft aus dem Speisesaal in die Empfangsräume. Hier hielt die +Frau Oberst Cercle. Alles drängte sich heran ... die Offiziere, die +jungen Mädchen wetteiferten der Gestrengen die brillantberingte Hand zu +küssen.</p> + +<p>Sie war die typische Kommandeuse: geistig unbedeutend von Antlitz neben +dem leuchtenden Gatten, doch äußerst<span class="pagenum" id="Seite_164">[S. 164]</span> pompös, beständig das Lorgnon an +der Nase, voll zuckersüßer Herablassung gegenüber Gutangeschriebenen, +hundeschnäuzig ablehnend einem jeden gegenüber, dessen Conduite +zu wünschen übrig ließ, und in all diesen feinen Nuancen bereits +erstaunlich Bescheid wissend. Ihr Benehmen konnte jedem einzelnen +geradezu als Barometer seiner eigenen Stellung im Regimente dienen.</p> + +<p>Die Reserveoffiziere waren für sie ohne jegliches Interesse ... +existierten einfach nicht. Und dies ihr Benehmen gab für alle Damen, +die auf Korrektheit Wert legten, das Signal, die eingezogenen Herren +mit kältester Zurückhaltung zu behandeln.</p> + +<p>Martin Flamberg stand abseits und beobachtete, das leise, ironische +Lächeln des Menschenkenners auf den Lippen, mit scharfem Auge, dem +nichts entging ... das durch all die korrekten Formen und Formeln in +die Tiefe drang und das Ganze des Menschen packte, der sich hinter +ihnen barg ...</p> + +<p>Und während sein Verstand sich mit skeptischer Ergötzung am Bilde +der menschlichen Komödie weidete, erbaute sich das Malerauge an dem +farbenbunten Bilde des äußern Geschehens ...</p> + +<p>Wie das wogte ringsum ... wie das flimmerte von Kraft und Anmut ... von +Farbenglut und flirrendem Lichterspiel ...</p> + +<p>Ab und zu warf Martin auch einen Blick durch die halboffene Tür +in den Speisesaal. Hier waltete eine Schar von Heinzelmännchen in +Ordonnanzlivree und Füsilierrock ihres Amtes. Mit jener Präzision, +welche den braunwangigen Burschen auf dem Exerzierplatz eingedrillt +worden war,<span class="pagenum" id="Seite_165">[S. 165]</span> verwandelten sie den Speisesaal in einen Tempel der +Tanzmuse. Mit Zauberschnelle verschwanden die geschmückten, silber- und +blumenbeladenen Tafeln, mächtige Besen wurden geschwungen, Staubwolken +flogen, Stuhlreihen umkränzten die Saalwände.</p> + +<p>In den Empfangsräumen trennte sich inzwischen die Gesellschaft nach +Geschlechtern, die Damen ins Billardzimmer, wo die Ordonnanzen Tee und +Süßigkeiten darreichten, die Herren ins Rauchzimmer zu Schnaps und +Nikotin.</p> + +<p>Aber einige der keckern Damen überschritten doch bald wieder den +Trennstrich der Geschlechter, unter dem Vorwand, sich eine Zigarette zu +holen, und blieben im Rauchzimmer kleben.</p> + +<p>Frau Cäcilie suchte ihren Gatten auf, hängte sich an seinen Arm in +dem starken Bedürfnis, sich an ihn anzuschmiegen, jenes Gefühl der +Zusammengehörigkeit, das sie bei Tafel so jählings zu ihm hingezogen, +auch äußerlich zu betätigen ...</p> + +<p>Diesen Augenblick hielt Martin Flamberg für geeignet, sich für die +Rosendedikation an seine Braut zu bedanken ...</p> + +<p>Mit umschleierten Augen sah Frau Cäcilie ihm entgegen ... Sie hatte ihn +seit dem »Firnistag« nicht mehr gesehen ... zehn Tage lang nicht mehr +gesehen ...</p> + +<p>»Also glücklich vom Urlaub zurück, Herr Flamberg? — Wie geht's — was +macht ›Gretchen‹?«</p> + +<p>»Sie hat mich beauftragt, ihren Dank noch einmal mündlich zu +wiederholen!«</p> + +<p>»Nun, war's schön daheim? — Was treibt Fräulein Agathe?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_166">[S. 166]</span></p> + +<p>»Sie baut an unserm Ehenest!«</p> + +<p>»Ah — wird's hübsch?«</p> + +<p>»Wird noch nicht vorgezeigt, gnädige Frau — ich hab' nicht hingedurft!«</p> + +<p>Der Hauptmann lachte übers ganze Gesicht ... er war wie trunken von der +Huld seines Weibes: »Na, lieber Flamberg, ich wünsche, daß es gerade so +hübsch wird bei Ihnen wie bei uns ... und daß ihr zwei mal gerade so +glücklich werdet wie die da und ich ... was, Alte —?!«</p> + +<p>Frau Cäcilie lächelte ... ein Lächeln, das Martin durchschauerte.</p> + +<p>»Tja, und übermorgen geht's nun fort,« schwatzte Brandeis weiter, +»na, für Sie ist das ja nur 'ne Etappe näher auf dem Anmarsch zum +Traualtar ... aber für uns zwei —? drei Wochen bittrer Trennung! — +Na, Cilly — wo bleibt die Abschiedsträne? — Warten Sie nur, lieber +Flamberg, das werden Sie auch noch kennen lernen. — Gut, daß Sie und +ich wenigstens zusammen unterm selben Zeltdach schlafen werden ... +was, Flamberg? — dann werden wir uns vor dem Einduseln im Stroh von +unsern Herzallerliebsten vorschwärmen ... was —?! Ich bin fein heraus +... meine Schwärmerei findet wenigstens volles Verständnis, da Herr +Flamberg dich ja kennt ... und sogar einigermaßen gründlich! — wann +aber werde ich mal den Vorzug haben —?«</p> + +<p>»Nun — wer weiß ... unverhofft kommt oft ...! Darf ich um Ihre +Tanzkarte bitten, gnädige Frau?«</p> + +<p>»Bitte —!«</p> + +<p>»Den zweiten Walzer — darf ich —?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_167">[S. 167]</span></p> + +<p>Sie nickte, und er kritzelte seinen Namen auf das glänzende Blättchen.</p> + +<p>Andere Bewerber drängten sich herzu. Cäciliens Gesicht versteinerte +sich, als auch Menshausen sich heranwagte: »Ich bedaure, Herr +Oberleutnant!«</p> + +<p>»Wie — zu spät gekommen — schon alles besetzt —?!«</p> + +<p>Er hatte, als sei das selbstverständlich, die Tanzkarte von einem +Kameraden übernommen, warf einen Blick darauf: »Sieh da ... ein +Rheinländer noch frei ... darf ich darum bitten?«</p> + +<p>»Den Rheinländer lasse ich aus!«</p> + +<p>»Ich bin untröstlich —!«</p> + +<p>Blick traf in Blick eine Sekunde lang ... eine Flamme heißen Hasses +blitzte der jungen Frau entgegen: Sei auf deiner Hut — du —!</p> + +<p>Pah ... was frag ich nach dir ... nach deinem Haß ... nach deinem +Rachegelüst ...! antwortete Cäciliens Blick.</p> + +<p>Eine Minute später gab sie den Rheinländer an Herrn Frobenius ... war +er nicht Martins Freund ...? würde sie nicht von Martin plaudern können +mit ihm ...? —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Der zweite Walzer ging zu Ende ... Cäcilie und Martin hatten kaum +sprechen können während des Tanzes ... tief aufatmend machten sie +Rast. Cäcilie schob die Fingerspitzen in Martins Arm ... Keines wagte, +das andere anzuschauen; beide fühlten, der letzte Augenblick des +Beisammenseins war nahe.</p> + +<p>»Morgen früh werd' ich die Ehre haben, Ihnen meinen Abschiedsbesuch zu +machen, gnädige Frau!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_168">[S. 168]</span></p> + +<p>»Den erlaß ich Ihnen, Herr Flamberg — Sie würden mich nicht treffen +... ich reise schon morgen früh! — Soll ich Ihnen sagen, wohin —?«</p> + +<p>»Ich bitte darum!«</p> + +<p>»So, Sie wissen also noch nichts? — Mein Mann hat Ihnen noch nichts +erzählt?!«</p> + +<p>»Ich habe keine Ahnung!«</p> + +<p>»Wir haben vor drei Tagen ein Gut gekauft ... in der Nähe von Simmern +...«</p> + +<p>»Was — auf dem Hunsrück? — und unser Manöver —«</p> + +<p>»— entwickelt sich zwischen Simmern und Birkenfeld — ich weiß wohl! +— Ich nehme da oben meinen Sommerfrischensitz ... die Sassenbachschen +Mädels nehme ich mir zur Gesellschaft mit ... Das Korpsmanöver ist in +unserer Nähe ... ich habe die Dislokation bereits studiert ... wir +werden einmal zu Ihnen ins Biwak hinauskommen ... und vielleicht reiten +Sie an einem Ruhetage mal zu uns hinüber ...«</p> + +<p>Martin konnte nicht sprechen. In jähem Entzücken und ahnungsvollem +Schreck zugleich taumelten seine Gefühle —</p> + +<p>Auf der Heimfahrt vom Urlaub hatte er abgeschlossen ... es sollte ... +es würde ja zu Ende sein am zweiten September ... Er würde sich alsbald +nach der Übung zur Landwehr versetzen lassen, würde Frau Cäcilie von +Brandeis niemals wiedersehen ... Den einen Abend noch unter den Augen +des ganzen Regiments ... da würde man schon Fassung bewahren können +... dann Montag nach dem Dienst mit dem Hauptmann nach Hause ... ein +korrektes, liebenswürdig heiteres Abschiedsgeplauder unter den Augen +des Gatten ... und dann ... ade! ... ade für ewig!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_169">[S. 169]</span></p> + +<p>Agathe wartete ... ihr gehörte all sein Sehnen ... jede Sekunde im +Banne der schönen Frau war Verrat an dem geliebten Mädchen ... Also +Schluß! ... endgültig Schluß!</p> + +<p>Und nun — —?! ... Schicksal, nimm deinen Lauf —!</p> + +<p>»Kommen Sie, Herr Flamberg ... noch ein paar Takte ... gleich ist's zu +Ende ...!«</p> + +<p>Hauptmann von Brandeis stand in der Tür des Rauchzimmers, die Zigarette +zwischen den Fingern, und sah schmunzelnd in das Gewühl des Tanzes +hinein ... ein frisches, glückliches Lächeln lag auf seinen Lippen ...</p> + +<p>Die Königin des Festes ... ja, das war sie ... seine Cäcilie ... Die +andern Damen ... welche von denen war denn auch nur von weitem mit ihr +zu vergleichen!</p> + +<p>Und wie sie tanzte ... Selbst die ältesten Stabsoffiziere machten gute +Figur mit ihr ... Die alten Herren waren wie elektrisiert, wenn sie die +federleichte Gestalt im Arm hielten ... angesteckt von der rhythmischen +Energie, die ihre Glieder durchpulste ... Und wenn sie förmlich einen +Meistertänzer wie diesen Flamberg gefunden hatte ... den beiden +zuzuschauen, das war ja wirklich ein ästhetischer Genuß ...</p> + +<p>Überhaupt dieser Flamberg! ... Doch direkt ein begnadeter Mensch! — +Stammte er nicht aus ganz dürftigen Verhältnissen? — Freilich ... +aus einem Pfarrhause! — Gewiß waren seine Eltern feingebildete Leute +gewesen ... die gute Kinderstube! So was ist nicht nachzuholen und +nicht nachzuahmen ... aber zur Gesellschaft im eigentlichen Sinne hatte +er nun doch mal nicht gehört — und wer merkte ihm das heute noch an +... ein genialer Künstler, eine repräsentative Persönlichkeit, und +dabei so'n famoser Kerl<span class="pagenum" id="Seite_170">[S. 170]</span> — selbstbewußt — natürlich! Na, das gehörte +sich auch so! Aber dabei so einfach ... so ohne Prätension ... und +Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle ...</p> + +<p>Solche Reserveoffiziere sollte man mehr haben im Regiment! Andere +Nummer als diese Windhunde, die Herren Dormagen und Klocke, diese +Säbelraßler und Uniformfatzken!</p> + +<p>Höchst erfreuliche Aussicht, in so angenehmer Gesellschaft die drei +Manöverwochen zu verbringen ... und wie reizend, daß nun auch Cäcilie +in der Nähe war und auch noch ein wenig von der Gesellschaft des Malers +profitieren würde, der ihr ja offenbar sehr sympathisch war. Schade, +daß er und seine Zukünftige nicht in der Garnison wohnten; das wäre so +recht ein hübscher Verkehr gewesen, die zwei. Cäcilie hatte unter den +Damen des Regiments noch immer nicht den rechten Anschluß gefunden ... +die junge Braut, das müßte nach Flambergs Beschreibungen ein Umgang +für sein anspruchsvolles Weib gewesen sein ... Na, man würde eben bald +mal nach Düsseldorf hinüberfahren und die jungen Leute im eigenen Heim +aufsuchen ...</p> + +<p>Ach ... das Leben war doch schön, wenn man ein bißchen Dusel hatte! — +der freilich gehörte dazu ... na, und über Mangel an Dusel hatte Fritz +Brandeis wahrhaftig nicht zu klagen ...</p> + +<p>»Glänzende Tänzerin, Ihre Frau Gemahlin!« klang's da plötzlich neben +ihm. Oberleutnant Menshausen, das geleerte Likörglas in der Hand.</p> + +<p>Komisch ... wenn der Mensch auftauchte, immer hatte man so ein fatales +Gefühl ... Was war's doch gewesen? — Ach so, seine läppische Bemerkung +damals ... wann<span class="pagenum" id="Seite_171">[S. 171]</span> doch? — — ah, als die Reserveoffiziere einrückten +... haha! — Damals hatte er selber, Brandeis, davon gesprochen, daß er +wünsche, Flamberg solle Cäcilie malen ... Und nun war das Bild bereits +fertig ...</p> + +<p>»Ja, ja, sie tanzt ausgezeichnet!« sagte er mechanisch.</p> + +<p>»Und wie sie bei der Sache ist! — wenigstens wenn sie mit Herrn +Flamberg tanzt — —!«</p> + +<p>»— — Wieso —?«</p> + +<p>»Ach, ich — ich meinte nur so —!«</p> + +<p>»So?! — Sie meinten nur so! — Ich hatte das Gefühl, als ob Sie sich +über irgend etwas ... wunderten!«</p> + +<p>»Ich mich wundern? — Nein, das nicht ... sondern ...«</p> + +<p>»Was?! — was, wenn ich bitten darf?«</p> + +<p>»O — ich — es ist mir allerdings aufgefallen, daß die gnädige Frau +dem Herrn von der Reserve gegenüber — so überaus — liebenswürdig ist! +Das ist allgemein bemerkt worden.«</p> + +<p>»Die Herren von der Reserve haben ihr Patent von Majestät genau so gut +wie wir!«</p> + +<p>»Selbstverständlich, selbstverständlich!«</p> + +<p>»Nun also?!«</p> + +<p>»Immerhin — sie gehören doch nicht zum engern Kreise des Regiments.«</p> + +<p>»Herr Flamberg ist ein Freund meines Hauses.«</p> + +<p>»Ach so — ein Hausfr— — ein Freund Ihres Hauses. Verzeihen Herr +Hauptmann meine Neugierde. Nun weiß ich ja Bescheid. Haben Herr +Hauptmann schon einen Schnaps genehmigt? Nein? Ordonnanz! einen +Benediktiner für Herrn Hauptmann!«</p> + +<p>»Ich danke! Ich habe kein Bedürfnis.«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_172">[S. 172]</span></p> + +<p>»Nicht? Dann bitte ich um Entschuldigung — meine Pflichten als +Kasinovorstand ...«</p> + +<p>»Bitte, lassen Sie sich nicht stören!«</p> + +<p>— — Was war das gewesen? Was für ein Mißton — was für ein häßlicher +Hauch war da herangeweht? Die gnädige Frau so überaus liebenswürdig +gegen den Herrn von der Reserve — das ist allgemein aufgefallen! +Herrgott, war der Kommißtratsch denn schon wieder am Werk? Und an +Cäcilie wagte sich das heran, an seine Cäcilie? Himmelbombenelement!</p> + +<p>Wo war sie nur? Schau — da schwebte die weiße Gestalt hin — wie eine +Krone umschloß das braungoldene Haar die weiße Stirn — fest schmiegte +sie sich an ihres Tänzers breite Brust — an Herrn Flambergs Brust —</p> + +<p>Wahrhaftig — vielleicht doch ein bißchen zu fest für die scharfen +Augen, die spitzen Zungen der Sittenwächterinnen da hinten auf dem +Drachenfels ...</p> + +<p>Und wie sie glühte ... er auch ... Mein Gott, warum sollten sie nicht?! +— waren sie nicht beide Temperamentsmenschen? fröhliche Genießer, die +sich ganz hingaben an den schönen, festlichen Augenblick ...?</p> + +<p>Immerhin ... ein wenig Rücksicht nehmen mußte man schon ... wir kennen +doch dies Klatschweibergesindel ... ob das Unterröcke trägt oder Hosen +mit Stegen ... Vielleicht ... wäre doch ein Wink der Warnung an Cäcilie +angezeigt ...</p> + +<p>Ach, Unsinn! — Wozu ihr die unbefangene Freude trüben —? Seine +Cäcilie ... er kannte sie doch! Und Flamberg! ... Hand ins Feuer für +den!</p> + +<p>Der Walzer klang aus. Quer durch den ganzen Saal, mit strahlendem +Lächeln, schritt Fritz von Brandeis auf das<span class="pagenum" id="Seite_173">[S. 173]</span> Paar zu, das eben glühend, +schweratmend, den Tanz beendet hatte. Und in heiterm Geplauder nahm +er Cäciliens Arm und spazierte noch ein Weilchen mit ihr und Flamberg +durch den Saal.</p> + +<p>Mochten die Klatschweiber sich die Mäuler zerreißen!</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Der Drachenfels hatte seine Wahrnehmung bereits festgelegt. Und die +war: Einige der Damen des Regiments hatten sich einer entschieden +zu starken Bevorzugung des nicht aktiven Elements unter den Herren +schuldig gemacht.</p> + +<p>Auf der Bühne, wo vorher der Eintracht lieblicher Genius mit +herzbewegenden Worten die stille Friedenstätigkeit des Regiments Prinz +Heinrich der Niederlande gepriesen, war nun der Areopag der alten Damen +versammelt. Da thronte inmitten die Kommandeuse und handhabte eifrig +das Lorgnon; zu ihrer Rechten Frau von Sassenbach, zur Linken Frau von +Czigorski. Und um die drei Säulen des Regiments herum gruppierten sich +die übrigen Damen, die Gattinnen der Podagristen aus Pensionopolis +... Nur ein einziges jugendliches Gesicht in ihrer Mitte, die Frau +Hauptmann Haller, eine sehr lebenslustige Frau von dreißig Jahren, die +diesmal schweren Herzens auf die Freuden des Tanzes verzichten mußte, +da sie ihren drei Buben noch ein Geschwisterchen bestellt hatte.</p> + +<p>Die rechte Flanke, wo Frau von Sassenbach saß, sprach nur von Frau +von Brandeis; was die Herzen der Gruppe außerdem bewegte, durfte mit +Rücksicht auf die Majorin nicht zu Worte gelangen. Um so eifriger +betuschelte dafür die linke Seite die allgemeine Beobachtung, daß Frau +von<span class="pagenum" id="Seite_174">[S. 174]</span> Brandeis heut abend nicht die einzige Dame war, die sich mit +Vorliebe an gewisse Herren des Beurlaubtenstandes hielt.</p> + +<p>Schon bei Tische hatte man bemerkt, daß das ältere Fräulein von +Sassenbach sich weit weniger um ihren Tischherrn bekümmerte, den +ernsten und zielbewußten Regimentsadjutanten, als vielmehr um +ihr Gegenüber, diesen unmöglichen Herrn von der Landwehr, dessen +schwarzblauer Waffenrock mit den altmodischen großen Knöpfen, dessen +riesige Epaulettes und dessen trikotartig knapp die hagern Beine +umschließenden Hosen allgemeines Entsetzen erregt hatten.</p> + +<p>Ja, und kaum war die Tafel aufgehoben, da hatte sich Fräulein Nelly +alsbald im Rauchzimmer eingefunden und bei einer Zigarette mit dem +merkwürdigen Bekannten weiter geplaudert.</p> + +<p>Dann allerdings war der Tanz in seine Rechte getreten. Der schien nicht +die starke Seite des eingezogenen Herrn zu sein; denn er stand meist in +der Tür des Rauchzimmers und schaute durch seine riesigen Brillengläser +mit behaglicher Betrachtung in das Gewühl des Tanzes hinein. Wer ihn +aber genauer beobachtete, konnte wohl bemerken, daß sein Blick ein +bestimmtes Ziel verfolgte ...</p> + +<p>Nelly Sassenbach wanderte von einem Arm in den andern. Stets, wenn sie +an Herrn Leutnant Frobenius vorbeistrich, flog ein rascher, stiller +Blick des Einverständnisses zu ihm hinüber ...</p> + +<p>— — Ja, Wilhelm Frobenius sah nichts als seine Retterin ... War +sie nicht just das Gegenteil alles dessen, was er an Weiblichkeit +bisher gekannt ... und war sie nicht zugleich die Verkörperung seines +erträumten Frauenideals ...?!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_175">[S. 175]</span></p> + +<p>Er hatte in der Literatur vor allem immer für die heroischen +Mädchengestalten geschwärmt, wenn auch seine vielbewunderte +stilistische Meisterleistung die Analyse der Gretchengestalt war. — +Sein Herz zog ihn vielmehr zu den ausgesprochenen Mannweibern der +Dichtung ... freilich im Leben war ihm dergleichen niemals begegnet ... +ach, ihm waren überhaupt wenig Frauengestalten begegnet im Leben ...</p> + +<p>Von den Damen des Regiments interessierte ihn, außer Nelly, nur noch +eine, jene, von der sein Kamerad und Freund Flamberg ihm doch in einem +Ton erzählt hatte, aus dem selbst ein noch naiveres Gemüt als er hätte +herausfühlen müssen, daß sie ihm mehr gewesen denn nur ein Modell ...</p> + +<p>Frobenius verglich die beiden Frauen beim Tanzen. Cäcilie legte sich +weich und anschmiegend in des Tänzers Arm. Es schien ihr angenehm zu +sein, wenn man sie recht fest und nahe hielt. Scheinbar willenlos +überließ sie sich der Führung ihres Partners, tanzte ruhig, schwebend; +ihre Füße schienen sich kaum zu bewegen.</p> + +<p>Nelly aber tanzte mit weitem Abstand, sehr selbständig, mit weit +ausholenden Schleifern, wie um sich auszutoben und auszutollen im +Tanz. Wenn man sie so sah ... ihre Tanzwonne steckte an ... man bekam +Sehnsucht, sich von ihr hineinziehen zu lassen in diese Strudel, diese +Wirbel, in denen sie sich tummelte wie ein losgelassenes Füllen ...</p> + +<p>Ach, es war Jahre her, seit Wilhelm Frobenius zum letzten Male auf +dem Professorenball das Tanzbein pflichtmäßig, aber ohne Liebe zur +Sache geschwungen. Damals hatte sich die alternde Tochter des Rektors +und Dekans der<span class="pagenum" id="Seite_176">[S. 176]</span> philosophischen Fakultät lebhaft für den jungen, +aufstrebenden Privatdozenten interessiert, und manche mehr oder +weniger zarte Andeutung hatte ihm nahegelegt, er solle zugreifen und +seine Karriere sichern ... aber die hochfahrende Nüchternheit des +gelehrten Fräuleins hatte ihm ein Grauen eingeflößt. Er hatte sich +sehr merkbar zurückgezogen und war seitdem gesellschaftlich ziemlich +kaltgestellt. Daß er auch heute noch nicht einmal Extraordinarius +war, stand zweifellos auch in einem gewissen innern Zusammenhang mit +jener Fahnenflucht. — Nun, er hatte gesellschaftliche und berufliche +Zurücksetzung zu verschmerzen gewußt ...</p> + +<p>Auch heute abend hatte er nicht engagieren wollen, aber als er nach +Tisch Fräulein Nelly von Sassenbach eine gesegnete Mahlzeit wünschte, +hatte die ihm von selbst ihre Tanzkarte hingehalten.</p> + +<p>»Ich bin ein miserabler Tänzer, gnädiges Fräulein!«</p> + +<p>»Schadet nichts — wir werden plaudern!«</p> + +<p>Nun der Bann gebrochen war, hatte er auch noch Frau von Brandeis +engagiert. Die Schar der übrigen Damen war ihm gleichgültig — auch +durfte man die aktiven Herren nicht berauben.</p> + +<p>Aber der Gedanke an den bevorstehenden Tanz hatte ihn doch mit einem +gelinden Grauen erfüllt ...</p> + +<p>Nun war er da, der gefürchtete und doch ersehnte Augenblick ...!</p> + +<p>»Also mit dem Tanzen ist es wirklich nichts, Herr Frobenius?«</p> + +<p>»Sie würden wenig Freude an mir erleben!«</p> + +<p>»Aber so versuchen wir doch einmal!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_177">[S. 177]</span></p> + +<p>Und mit einem Gefühl ehrfürchtiger Andacht legte er seine Hand um die +schlanke, feste Gestalt des Mädchens ...</p> + +<p>»Also los — es ist ja nur 'ne Polka — die werden Sie doch noch +schaffen können!«</p> + +<p>Alles drehte sich im Wirbel ... aber er nahm all seine Kraft zusammen +...</p> + +<p>»Sehn Sie wohl — geht ja blendend!«</p> + +<p>Wahrhaftig, es ging wunderschön — zwar Hören und Sehen schwanden ... +nichts blieb als ein dumpfes Gefühl des Rhythmus ...</p> + +<p>Eins, zwei, drei, vier — eins, zwei, drei, vier —</p> + +<p>Das ... und ein Strom von Glück und Rausch, der von dem straffen, +lebenswarmen Mädchenkörper aus in alle Glieder des Gelehrten +überströmte ... in die Seele eines fast vierzigjährigen Knaben ...</p> + +<p>Wenn nur nicht das Parkett so infam glatt gewesen wäre! — Und daß +man alle Augenblicke mit einem andern Paar karambolierte, war auch +nicht gerade angenehm ... aber er war ja so kurzsichtig ... und alles +wirbelte im Kreise ringsum ...</p> + +<p>»Na warten Sie nur, wenn Sie mich beim nächsten Walzer nicht zu einer +Extratour auffordern, dann werd' ich böse!«</p> + +<p>Auf einmal fühlte er, daß er den Halt verlor ... sein linker Fuß war +ausgeglitten ... die Wirbelsäule bekam von unten einen Stoß ... knickte +vornüber ... der lange Körper verlor das Gleichgewicht ... riß im +Sturz die Tänzerin mit um ... Im selben Augenblick stieß zum Überfluß +ein heranwirbelndes Paar wider die taumelnden Leiber, und mit voller +Wucht sausten beide lang in den Saal ... Nelly hatte<span class="pagenum" id="Seite_178">[S. 178]</span> einen leisen +Schreckens- und Schmerzensschrei ausgestoßen, sie war im Sturz unten zu +liegen gekommen ... die Röcke flogen zur Seite ... fast bis zum Knie +streckten die weißen Strümpfe sich vor ...</p> + +<p>Wie der Blitz war sie empor trotz eines heftigen Schmerzes im linken +Bein ...</p> + +<p>»Herrgott — stehn Sie doch bloß auf!«</p> + +<p>Ihr Tänzer saß in genau derselben Stellung, wie vor fünf Wochen im +Froschtümpel, auf dem blanken Parkett inmitten des Gedränges der Paare, +die jäh anhielten und die Gestrauchelten umdrängten ...</p> + +<p>Verworren, blöden Ausdrucks starrte er vor sich hin ... die Brille war +abgeflogen ... er war so gut wie blind ...</p> + +<p>»Stehn Sie doch auf ... Donnerwetter nochmal!!«</p> + +<p>Und Nelly reichte ihm beide Hände hin ... er griff zu wie ein tappiges +Baby ... ließ sich emporziehen ...</p> + +<p>»Herrgott nein — mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts +anzufangen!«</p> + +<p>Mama Sassenbach raste wie eine Furie durch den Saal ... Wo war ihr +Mann? ...</p> + +<p>Natürlich — der bekümmerte sich kein bißchen um seine Töchter ... +hatte sich irgendwo im Rauchzimmer festgekneipt!</p> + +<p>Wahrhaftig, da saß er mit dem Oberstleutnant, dem Bezirkskommandeur, +ein paar pensionierten Exzellenzen und Stabsoffizieren um einen Siphon +Münchener.</p> + +<p>»Verzeihung, meine Herren! — Moritz, komm, wir müssen nach Hause!«</p> + +<p>»Aber, Kind — 's ist ja noch nicht mal Mitternacht!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_179">[S. 179]</span></p> + +<p>»Einerlei — wir müssen! Nelly hat einen kleinen Unfall gehabt ... Fuß +verstaucht ... einen Riß im Kleid ... und außerdem —«</p> + +<p>»Verflucht! — Selbstverständlich ganz zu deiner Verfügung, liebste +Amelie! — Sie verzeihen, meine Herren!«</p> + +<p>Die alten Herren schmunzelten.</p> + +<p>Es kam selten vor, daß Frau Amelie von Sassenbach nicht aus irgendeinem +Grunde vorzeitig zum Aufbruch blies und den Gatten vom Münchener +wegschleifte ...</p> + +<p>— Wutbebend berichtete Frau von Sassenbach ihrem Gatten.</p> + +<p>Der fluchte: »Das kommt davon, daß sich das Mädel mit dem +Landwehrfritzen eingelassen hat ... den hätte sie doch wahrhaftig +kennen sollen! — Wo steckt sie denn?«</p> + +<p>»Ist schon in der Garderobe — sie konnte sich ja im Saal überhaupt +nicht mehr sehen lassen in dem ruinierten Kleid!«</p> + +<p>»Und wo ist Molly?«</p> + +<p>»Herrgott ja, Molly — — geh sie suchen, Moritz!«</p> + +<p>Und Moritz ging auf die Suche.</p> + +<p>Ja, wo war Molly? — Im Gewühl der Tanzenden spähte der Vater +vergeblich nach dem lichtblonden Zopfgetürm über dem rosa Tüllfähnchen +...</p> + +<p>Leutnant Blowitz, der als Ballarrangeur und Vortänzer fungierte, sah +seinen Chef mit suchenden Augen in der Tür stehen. Er führte Frau von +Brandeis, mit der er just eine Extratour tanzte, schleunigst zu ihrem +rechtmäßigen Tänzer, Herrn von Schoenawa, zurück und schoß auf den +Major zu: »Kann ich Herrn Major mit irgend etwas dienen?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_180">[S. 180]</span></p> + +<p>»Ich suche meine Tochter Molly — wir brechen auf!«</p> + +<p>»Meines Erinnerns habe ich das gnädige Fräulein vor ... vor zirka einer +halben Stunde gesehen ... sie tanzte mit dem Einjährig-Freiwilligen +Friesen!«</p> + +<p>»So, mit dem Einjährigen — und seitdem — —?«</p> + +<p>»Seitdem ist sie mir aus den Augen gekommen!«</p> + +<p>»Na ... machen Sie kein Aufsehen ... hier im Saal ist sie nicht! ... Wo +könnte sie sonst wohl sein —?«</p> + +<p>»Im Rauchzimmer und im Billardzimmer haben Herr Major schon +nachgesehen?!«</p> + +<p>»Im Rauchzimmer war ich selbst! — im Billardzimmer — das wäre +möglich!«</p> + +<p>Lebhaft plaudernde Gruppen in allen Ecken, um die Spieltische gedrängt +erhitzte Leutnantsgesichter, junge Mädchen und Frauen, die sich eifrig +fächelten ... hastende Ordonnanzen mit Servierbrettern voller Selters- +und Biergläser ... von Molly keine Spur! —</p> + +<p>Also nochmals zurück in den Saal! —</p> + +<p>Auch hier keine Molly! —</p> + +<p>»Vielleicht weiß der Einjährige Bescheid?« meinte Leutnant Blowitz, +»den muß man ja leicht herausfinden an seinen schauerlichen weißen +Hosen!«</p> + +<p>Jawoll —! die weißen Hosen waren ebensowenig zu finden wie das +Majorsmädel ...</p> + +<p>»Da bleibt nur noch eine Möglichkeit, Herr Major — — das gnädige +Fräulein muß im Garten sein!«</p> + +<p>»Is ja ausgeschlossen!«</p> + +<p>Aber der bekümmerte Vater stürzte doch sogleich zur Veranda ... spähte +in den Garten hinaus, dessen Laubengänge, vom Mondlicht angesilbert, +dunkel träumten, nur<span class="pagenum" id="Seite_181">[S. 181]</span> von den mattleuchtenden Kugeln einiger Lampions +belebt ...</p> + +<p>»Molly!« rief der Vater gedämpft, »Molly — bist du hier?!«</p> + +<p>— — Ein paar Minuten bangen Schweigens ...</p> + +<p>Dann tauchte ein weißer Schatten aus der Dämmerung, und ... ein +harmloses Lächeln auf dem glatten Engelsgesichtchen hüpfte Molly die +Veranda hinauf: »Hast du mich gerufen, Papachen?«</p> + +<p>»Allerdings — Mama bricht auf!«</p> + +<p>»Oh, wie schade ... ich hatte mich so auf den Kotillon gefreut!«</p> + +<p>»Tut mir leid! — Wie kommst du denn in den Garten?«</p> + +<p>»Es war so heiß — — ich wollte mich ein wenig abkühlen!«</p> + +<p>»So — abkühlen! — Na, komm!«</p> + +<p>Lächelnd und schlank wie eine Fee schwebte Molly vorauf.</p> + +<p>Der Major folgte. Unablässig zwirbelten seine Finger die lang +herabhängenden grauen Schnurrbartspitzen ...</p> + +<p>Er hatte sehr wohl bemerkt, daß hinter dem weißen Schatten, der sich +aus dem Dunkel entwickelte, noch ein anderer weißer Schatten im Garten +gespukt hatte ... aber der war nicht ans Licht gekommen ...</p> + +<p>Er hatte eine heillose Ähnlichkeit gehabt mit einem Paar weißen +Mannschafts-Paradehosen, auch »Porzellanbuchsen« geheißen — —</p> + +<p>Ja, das hatte der Vater gesehen, aber ... er wollte nichts gesehen +haben ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_182">[S. 182]</span></p> + +<p>Nur künftighin besser auf das Mädel passen —!</p> + +<p>»Na, gut' Nacht, lieber Blowitz! Ich danke Ihnen! Noch viel Vergnügen!«</p> + +<p>»Danke gehorsamst, Herr Major! — Empfehle mich, mein gnädiges +Fräulein!«</p> + +<p>Wenn der nur nichts gemerkt hatte — —!</p> + +<p>Blowitz verzog keine Miene beim Abschied.</p> + +<p>Aber er hatte doch gesehen.</p> + +<p>Na, wenn die Kleine sich partout einen Flirt mit dem Einjährigen in ihr +blondes Köpfchen gesetzt hatte ... Hermann Blowitz fühlte weder zum +Denunzianten noch zum Klatschweibe Beruf in sich ... Er wollte seine +Entdeckung für sich behalten ... bei ihm war das Geheimnis der Kleinen +gut aufgehoben —</p> + +<p>Und Hans Friesen, der erst wie ein Verbrecher gezittert hatte, lachte +nun selig in sich hinein in seinem dunkeln Versteck ... er tappte sich +zu der Bank zurück, auf der er eben mit Molly gesessen — auf der er +kühnen Muts einen scheuen, seligen Kuß erbeutet hatte ...</p> + +<p>Der machte das Poetenherz schwer und warm ...</p> + +<p>Er fühlte das Schicksal seines jungen Lebens über seinem Haupte ...</p> + +<p>Es hieß Molly ... Molly Sassenbach — —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Um vier Uhr morgens waren die letzten Damen gegangen. Nun rotteten sich +die Leutnants im Billardzimmer um die Siphons zusammen.</p> + +<p>Teufel auch ... die Nacht war doch mal angebrochen ... die vorletzte +Nacht in der Garnison ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_183">[S. 183]</span></p> + +<p>Morgen nur Instruktionsstunden und Appell ... Appell ...</p> + +<p>Stiefelappell ... Gewehrappell ... Appell mit eisernen Portionen +und Appell mit Fußbekleidung ... Appell mit Sachen, die auf Kammer +abgegeben werden mußten ... Stubenrevision ... und zuletzt Appell im +Manöveranzug.</p> + +<p>Das schaffte man auch mit unausgeruhten Knochen ... mit einem noch so +wüsten Brummschädel.</p> + +<p>Erhitzt vom Tanz goß man einen Schoppen nach dem andern in die glühende +Kehle. Bald waren die Leutnants Klocke und von Finette wie die +Staubsäulen betrunken. Energischer Zuspruch älterer Kameraden mußte sie +zum Heimschwanken bewegen. —</p> + +<p>Die Tanzlust war noch nicht gestillt. Da die Regimentsmusik +verschwunden war, setzte sich der kleine Carstanjen ans Klavier und +hieb eine wilde Walzermelodie in die Tasten hinein ...</p> + +<p>All die unruhvollen jungen Männerherzen, in denen die Erregungen des +Festes nachzitterten, lechzten unbewußt nach einem letzten äußersten +Austoben ... Einer umfaßte den andern ... und bis zum Umfallen wurde +gewalzt.</p> + +<p>Verschlafen lungerten die Ordonnanzen in den Ecken herum und starrten +mit blöden, verwunderten Augen auf das wilde Treiben ihrer jungen +Herren ...</p> + +<p>Schließlich wurden sie hinausgeschickt.</p> + +<p>Und auf den hohen gotischen Stühlen, die sonst feierlich die +Regimentstafel umstanden, wurde nun ein toller Ritt ausgeführt ... +dann nach dem krähenden Kommando des kleinen Carstanjen ein großes +Schwadronsexerzieren ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_184">[S. 184]</span></p> + +<p>Ein jeder hatte sich dazu bewaffnet ... Eine große Trophäe von alten +Ritterschwertern, Hellebarden und Morgensternen, welche die Wand des +Rauchzimmers zierte, war zu diesem Zweck geplündert worden ...</p> + +<p>Ein abenteuerliches Bild, die jungen Herren mit aufgeknöpften +Waffenröcken ... rittlings auf den hochlehnigen Stühlen ... ausgerüstet +mit phantastischem Gewaffen aus alter Ritterzeit ...</p> + +<p>»Eskadron — Galopp —!«</p> + +<p>Keiner aber glühte höher ... keiner johlte lauter ... keiner schwang +die Waffe wilder als Martin Flamberg.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_185">[S. 185]</span></p> + +<hr class="r65"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_187">[S. 187]</span></p> + +<h2 class="nobreak" id="Zweites_Buch">Zweites Buch</h2> +</div> + +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<h3>Erstes Kapitel.</h3> + +<p>»Dat is en janz schöne Jegend hier ... oben Regen ... unten Dreck ... +nix im Magen — der Düwel soll't holen!«</p> + +<p>In unaufhaltsamem Marsch schob sich das erste Bataillon des Regiments +Prinz Heinrich der Niederlande dem »Feind« entgegen.</p> + +<p>Unaufhaltsam strömte der Regen ... seit Tagen ... seit Wochen ...</p> + +<p>Unaufhaltsam fluchten und wetterten die Unteroffiziere der Königlichen +Zweiten:</p> + +<p>»Ich glaub, hier regnet et überhaupt et janze Jahr!«</p> + +<p>»Weiß der Kuckuck, die vierzehn Dag, dat mer als hier obe rumkrabbeln, +hann mer noch kei' trockne Minute jehatt!«</p> + +<p>»Ich sinn als janz aus em Leim ... die Buxen reißen wie Schafleder ... +an de Stieweln platzen die Sohlen ab ...!«</p> + +<p>»Und trocken kriegt man die Brocken überhaupt nit mehr!«</p> + +<p>»Na, Friesen, Sie sagen ja gar nix!«</p> + +<p>Der Einjährige schwieg.</p> + +<p>Die Tragriemen des feldmarschmäßig gepackten Tornisters schnitten tief +in die Achseln. Alle fünf Minuten wanderte das Gewehr von der rechten +Schulter auf die linke und von der linken auf die rechte ... in den +Stiefeln schwappte eine<span class="pagenum" id="Seite_188">[S. 188]</span> lehmige Flüssigkeit ... und hinter den Ohren +entlang rieselte ein beständiges Rinnsal eiskalten Regenwassers in die +Halsbinde hinein ...</p> + +<p>Von dem allen merkte Hans Friesen in diesem Augenblick auch nicht das +Mindeste ...</p> + +<p>Hans Friesen merkte nicht einmal, daß ihm der kurze Pfeifenstummel +zwischen den Lippen längst kalt geworden war ...</p> + +<p>Hans Friesen dichtete.</p> + +<p>Ach ... herrlich konnte man dichten auf solch einem endlosen Marsch ...</p> + +<p>Den Kameraden, den aktiven Unteroffizieren, ging immer nach der ersten +Stunde der Stoff für ihre Kommißgespräche aus.</p> + +<p>Die Berichte über das letzte Quartier, die Klagen über den miserabeln +Fraß, die Renommistereien über Abenteuer mit den Bauernmädeln, das +reichte nie weiter als eine knappe Meile. Dann bemächtigte sich der +Kilometerstumpfsinn der marschierenden Kolonne, zumal dann das Gewicht +des gepackten Affen allmählich immer fühlbarer wurde ...</p> + +<p>Dann aber begann Hans Friesens gute Zeit.</p> + +<p>Wie mutwillige Schwalben schossen dann seine Gedanken der Marschkolonne +voraus ... strichen durch die regennassen Wälder zur Rechten und zur +Linken, wo in der triefenden Feuchte zwischen vermodernden Baumstümpfen +und Farndickichten ganze Kolonien grauer, gelber, violetter Pilze +aus dem Boden gewachsen waren und mit ihren breiten Schirmdächern in +lustigen Gruppen beisammen hockten ...</p> + +<p>Aber weiter flatterten des Poeten Träume ... zurück zur Garnison ... +um das blonde Haupt eines gewissen jungen Mädchens, das chargenmäßig +in unerreichbarer Höhe<span class="pagenum" id="Seite_189">[S. 189]</span> über dem Unteroffizier stand, das er räumlich +in weiter Ferne wähnte ... und das in Wirklichkeit, ohne daß Hans +Friesen etwas davon ahnte, nur einen Tagemarsch weit in süßträumender +Ferienruhe unter den rauschenden Hunsrückwäldern weilte ...</p> + +<p>Und Hans Friesen dichtete.</p> + +<p>Eine Strophe nach der andern fügte er zusammen ... feilte Zeile +auf Zeile in Gedanken durch und sprach sie sich so oft vor, bis +sie sich unvergeßlich seinem Hirn eingeprägt hatten, damit er sie +am Abend blank und sauber in sein Dienstnotizbuch eintragen könne +... zwischen Vermerken über Brotempfang ... Kompagniebefehle ... +Vorposteninstruktionen ...</p> + +<p>Nun wiederholte er noch einmal die ersten Strophen des Gedichts, das +ihm aus den triefenden Nebeln zugeweht war:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Bist du die Oreade,</div> + <div class="verse indent0">die lauschend hinterm Felsen schwieg? </div> + <div class="verse indent0">bist du des Quells Najade, </div> + <div class="verse indent0">die aus der Plätscherwelle stieg? </div> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Aus welcher Märchenferne </div> + <div class="verse indent0">hast du dich in mein Sein verirrt? </div> + <div class="verse indent0">Von welchem fernen Sterne </div> + <div class="verse indent0">bist du an meine Brust geschwirrt?« </div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Ja, die zwei Strophen saßen! Das ließ sich nicht bestreiten! Nun mußte +die Antwort kommen ... also munter weitergereimt ...!</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Was soll das zage Fragen?</div> + <div class="verse indent0">Ich halte dich ans Herz gepreßt ...«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Ja, wahrhaftig, das hatte er getan, wenn es auch noch so märchenhaft +klang ... er hatte sie gehalten, die schlanke,<span class="pagenum" id="Seite_190">[S. 190]</span> blonde Majorstochter, +gehalten an seinem Herzen, das unterm Tressenrock des Unteroffiziers so +verdammt unvorschriftsmäßig gepocht hatte ...</p> + +<p>Ach, und als er seinen Arm zum ersten Male um den weichen Körper gelegt +... Richtig — so mußte es ja weitergehen:</p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»fühl' deines Herzens Schlagen ...«</span><br> +</p> + +<p>Ach ... und dann ... dann war ja das Unvergeßliche ... das schier +Unglaubliche gekommen ...</p> + +<p> +<span style="margin-left: 1em;">»und Lippe weilt auf Lippe fest ...«</span><br> +</p> + +<p>Schau, da war ja wieder eine Strophe beisammen — und auch die stand +fest auf ihren vierzehn Versfüßen ...</p> + +<p>Vor dem Dichter trottete in mürrischem Schweigen sein +Kompagnieoffizier, der Leutnant Quincke.</p> + +<p>Scheußliche Sache, so ein Manöver! — Eigentlich Dienst von morgens +früh um drei bis abends um zehn und von abends um zehn bis früh um drei +... Die Körperpflege wurde nur noch markiert ... aussehen tat man schon +mehr wie ein Latrinenreiniger und nicht wie ein Angehöriger des ersten +Standes der Nation ... Dabei seit vierzehn Tagen kein weibliches Wesen +mehr zu Gesicht bekommen ... die dreckigen Bauerntrinen zählten nicht +mit — die waren höchstens was für die Herren Burschen!</p> + +<p>Und was das Lächerlichste war ... seit acht Tagen führte dieser krumme +Landwehronkel, dieser Leutnant Frobenius, die Kompagnie an Stelle des +Hauptmanns Goll, der seinerseits als ältester Kapitän des Regiments für +den Major Blasberg die Führung des zweiten Bataillons übernommen hatte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_191">[S. 191]</span></p> + +<p>Blasberg hatte am Tage nach dem Regimentsfest, unmittelbar vor dem +Ausrücken ins Manöver, in eine Nervenheilanstalt gebracht werden +müssen. Die Schwermut, die ihn seit dem Tode seiner Frau zu Boden +gedrückt hatte, war plötzlich als ausgesprochen krankhafte Melancholie +zum Ausbruch gekommen.</p> + +<p>Und so war nun der unmögliche Landwehroffizier der unmittelbare +Vorgesetzte seines patenten Kameraden für die Dauer der Herbstübungen +geworden ...</p> + +<p>Und nun das Allerunglaublichste ... die Sache klappte —!</p> + +<p>Auf seinem braunen, steifbeinigen »Roland«, der frömmsten Kuh aus +dem Tattersall der Garnison, machte dieser Frobenius eine ganz +leidliche Figur und hatte sich mit seinem vierbeinigen Freund auf ganz +erträglichen Fuß zu stellen gewußt.</p> + +<p>Der innere Dienst funktionierte tadellos ... na, Kunststück! — So ein +Musterexemplar von Feldwebel — und der brillante Unteroffizierersatz!</p> + +<p>Ja, darauf verstand sich der griesgrämige Hauptmann Goll ... +Unteroffiziere erziehen, das war seine Spezialität! —</p> + +<p>Übrigens war ja auch dieser Frobenius selber von einer kommissigen +Gewissenhaftigkeit, daß es schon nicht mehr schön war!</p> + +<p>In der Ortsunterkunft stelzte er wahrhaftig höchst eigenhändig von +Quartier zu Quartier, steckte seine Nase in jede Eßschüssel und in +jedes Bauernbett, um sich zu überzeugen, ob die Herren Füsiliere auch +ordentlich zu essen kriegten und weich genug lägen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_192">[S. 192]</span></p> + +<p>Er selber, Quincke, hatte sich zum Glück eine etwas vornehmere +Auffassung des Königlichen Dienstes zugelegt. Wofür waren denn die +Korporalschaftsführer da?</p> + +<p>Ja, Frobenius hatte sich in seine Pflichten als Kompagnieführer ganz +famos eingearbeitet und war infolgedessen mit seiner militärischen +Situation zufrieden wie nie zuvor.</p> + +<p>Er sah sehr verändert aus, hatte sich am Tage vor dem Ausrücken die +wenigen Haarsträhnen seines Schädels ganz kahl abscheren, seinen +langen, struppigen Vollbart kurz verschneiden lassen.</p> + +<p>Auch seine Uniform sah nicht mehr ganz so vorsintflutlich aus, seitdem +ihr Träger eine etwas vorschriftsmäßigere Haltung gewonnen, und mit +seinem braven, alten Roland vollends fühlte er sich verwachsen wie ein +Zentaur.</p> + +<p>Was tat's, ob es regnete von morgens früh bis abends spät und die ganze +Nacht hindurch ...</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Alles Glück der Erde</div> + <div class="verse indent0">liegt auf dem Rücken der Pferde,</div> + <div class="verse indent0">in der Gesundheit des Leibes ...«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Freilich, damit war's nun auch Schluß ... Glück am Herzen des Weibes — +damit würde es wohl niemals was werden ...!</p> + +<p>Seit seinem Sturz im Tanzsaal hatte er jede Hoffnung aufgegeben. +»Herrgott nein, mit Ihnen ist aber auch wahrhaftig gar nichts +anzufangen«, das klang ihm noch immer im Ohr, und immer meinte er das +hochmütige, zurückgeworfene Köpfchen, das empört aufstampfende Füßchen +im Goldkäferschuh zu sehen ... ihr hastiges Vondanneneilen ... den +Ausdruck der Wut über die gräßliche Blamage und den verdorbenen<span class="pagenum" id="Seite_193">[S. 193]</span> Abend +im Klang ihrer Stimme ... in jeder Bewegung ...</p> + +<p>Abschiedslos war sie ihm enteilt, und auch als Dienstag morgens um vier +Uhr in der Dämmerung das Regiment von der Kaserne aus an der Wohnung +des Majors vorbeimarschiert war zum Bahnhof hin, da hatte sie mit ihrer +Mutter und Schwester auf dem Balkon gestanden und allen Herren einen +freundlichen Abschiedsgruß gewinkt ... als aber er, Wilhelm Frobenius, +auf seinem Roland den Säbel vor ihr gesenkt, da hatte sie kühl über ihn +hinweggeschaut und dann Herrn Quincke, den Führer des vordersten Zuges +der Zweiten, mit um so deutlicherer Freundlichkeit gegrüßt ...</p> + +<p>Ade Hoffnung ... ade Träume ... ade süße, stolze Verkörperung des alten +Amazonenideals ...!</p> + +<p>Nein, es war vorbei ... keine Hoffnung mehr ...! Und selbst auf das +Wiedersehen konnte er sich nicht mehr freuen ... auf das Wiedersehen, +das wenigstens im Bereich der Möglichkeit lag. Denn er wußte ja von +seinem Freunde Flamberg, daß die Amazone mit ihrer Schwester ebenfalls +auf den Hunsrück hinaufgepilgert war ... Nein, hoffen und sich freuen +— das gab's nicht mehr.</p> + +<p>Und dennoch ...!</p> + +<p>Wilhelm Frobenius zog die Manöverkarte aus seiner Packtasche. Der Regen +prasselte auf das Zelluloidfutteral, und durch die Tropfen hindurch +suchte der Reiter den Namen, um den sich trotz allem immer und immer +seine Träume rankten ...</p> + +<p>Am Allenbach entlang, einem Nebenwässerlein der Nahe, dessen Lauf auf +der Karte durch zahllose kleine Sternchen begleitet war, welche Mühlen, +Schleifmühlen darstellten,<span class="pagenum" id="Seite_194">[S. 194]</span> an der Einmündung des Beierbachs, war das +Dörfchen Hettstein eingetragen und dicht daneben ein kleiner Kreis mit +einem Fähnchen ... Das war das Schlößchen Hettstein, die neue Erwerbung +der schönen Frau Cäcilie.</p> + +<p>Hier hauste nun die stramme Reiterin ... die fesche Tänzerin ... die +lächerlich Verehrte ...</p> + +<p>Verrücktheit! — So ein Mädchen und seine Bücherexistenz ... die +Lange-Pfeifen-Atmosphäre seiner winzigen Junggesellenbude ... sein +demütiges, halbbäuerliches Mütterchen daheim im Westerwalddörfchen — +und dieses Luxusgeschöpf ... dieses Freiluftwesen ...</p> + +<p>Lächerlich! — Und doch ... und doch ...! Oh, Schloß Hettstein —!</p> + +<p>Da horch —: Bum — und wieder: Bum —</p> + +<p>Aus den triefenden Nebeln, welche bis tief über die langgestreckten +Kuppenzüge des Idarwaldes niederhingen, war der erste Kanonenschuß +gefallen ... Von dort war der »Feind« zu erwarten: Aufgabe des +Regiments, ihn am Heraustreten aus dem dicken Forste zu verhindern ...</p> + +<p>Und Leutnant Blowitz sprengte von der Tête her am Bataillon entlang: +»Die Herren Kompagnieführer zum Herrn Major!«</p> + +<p>Da faßte Frobenius Rolands Zügel kürzer, nahm den linken Schenkel +zurück ... Ein ganz klein bißchen sträubte sich die faule Kreatur, +dann hoppelte sie gemächlichen Äppelgalopp mit ihrem Reiter an der +Zweiten und Ersten entlang auf den Bataillonskommandeur zu, der seinen +Kompagnieführern die Gefechtslage erklären und seine Befehle ausgeben +wollte.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_195">[S. 195]</span></p> + +<p>Der Herr Major von Sassenbach ...</p> + +<p>Der schaute dem Anreitenden entgegen mit Augen, die Frobenius kannte +... mit schelmisch blitzenden Reiteraugen ...</p> + +<p>»Na, lieber Frobenius, wie war's Quartier?«</p> + +<p>»Danke gehorsamst, Herr Major! — Waschen müssen hab ich mich auf dem +Korridor: meine Schlafstube reichte nur fürs Bett!«</p> + +<p>»Und ich hab' 'ne Art Tanzsaal gehabt ... mußte heut morgen 'ne halbe +Stunde nach mir selber suchen, bis ich mich fand! — Sie sehen übrigens +ganz vergnügt aus bei diesem Sauwetter!«</p> + +<p>»Warum auch nicht, Herr Major!? — Man kann ja dabei an die schönsten +Sachen denken!«</p> + +<p>Der Major schmunzelte.</p> + +<p>Eigentlich ein ganz prachtvoller Herr, dieser Don Quijote! — Schade, +das Malheur im Tanzsaal! — Schließlich — Frau Professor wäre +doch eigentlich durchaus standesgemäß gewesen ... und daß er ein +Bürgerlicher war ... du lieber Gott, wenn ein Mädel mal sechsundzwanzig +Jahre alt geworden ist ...</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Dem Miniaturkrieg, welchen beide Brigaden, durch Kavallerie, +Artillerie und Spezialwaffen verstärkt, im zweiten Manöverabschnitt +gegeneinander zu führen hatten, lag eine überaus komplizierte Annahme +für die allgemeine Kriegslage zugrunde. Aber diese Annahme existierte +eigentlich nur für die beiden Detachementsführer. In das geliebte +Deutsch der Unterführer und vollends der Mannschaften übersetzt<span class="pagenum" id="Seite_196">[S. 196]</span> +verwandelte sich jede Gefechtsannahme, verwandelte sich überhaupt das +ganze Manöver in das äußerst einfache Rezept:</p> + +<p>Marschieren, bis man an den Feind heran ist — dann ausschwärmen, +schießen, sprungweise vorgehen — marsch, marsch, hurra!</p> + +<p>Na — und das hatte man ja gebimst bis die Schwarte knackte!</p> + +<p>Für das sogenannte »gemeine Truppenschwein« — und unter diesen Begriff +rechnete man mindestens alles, was »tippeln« mußte, auch die Herren +Leutnants der Infanterie — war so das ganze Manöver nichts weiter +als ein abwechslungsreicher, strapaziöser und wenig komfortabler +Spaziergang mit mancherlei scherzhaften Unterbrechungen.</p> + +<p>»Also, meine Herren,« schloß Major von Sassenbach eine längere +Auseinandersetzung über jenes verwickelte und höchst theoretische +Problem, das sich aus der allgemeinen Kriegslage ergab, »der Witz +vons Janze ist folgender: Durch die Aufklärung ist festgestellt, +daß der Feind durch den Idarwald im Anmarsch ist, und zwar auf der +Chaussee, die von Bischofsthron über das ›Graue Kreuz‹ nach Bruchweiler +führt. Wir stehen augenblicklich am Südeingang von Kempfeld, das +Nest halblinks vorn ist Bruchweiler; das müssen wir vor dem Feind +erreichen und von seinem Nordwestrande aus den Feind am Heraustreten +aus dem Idarwalde verhindern. Das erste Bataillon ist vorn, das zweite +und dritte folgt; das Schwesterregiment marschiert auf der Linie +Schafbrücke-Schauren. Wir haben also Gefechtsanschluß rechts und sollen +im Angriffsfalle links überflügeln, sonach bleiben wir<span class="pagenum" id="Seite_197">[S. 197]</span> im Vormarsch +auf Bruchweiler, alles übrige entwickelt sich historisch — ich danke +Ihnen, meine Herren —!«</p> + +<p>Na, das strategische Geheimnis des Morgens hatte sich also gelüftet, +und die Herren Kompagnieführer galoppierten zu ihren Kolonnen zurück.</p> + +<p>Weiter ging's in strömendem Regen durch das stumme, ärmliche Dörfchen +Kempfeld — laut kakelnd stoben die Hühner von der Landstraße herunter +auf die bergenden Misthaufen; flachsköpfige Buben und Mädel sprangen +aus den Türen, schrien den Kriegern die ewige Kinderfrage zu: »Saldat +— kummen 'er noch mieh?«</p> + +<p>Langsam ansteigend gen Bruchweiler zu schlängelte sich der lehmige Weg +durch abgeerntete, teilweise bereits umgepflügte Felder, deren nasse +Schollen, von der Pflugschar abgestochen, speckig glänzten ... eine +lange, dunkle Wand, von grauer, zerfranster Wolkendecke überlagert, +reckte sich der Idarwald. Von dort her klangen immerfort die dumpfen +Schläge der Geschütze. Zur Rechten irgendwo, auf einer umnebelten Höhe +vergraben, antwortete die Artillerie des Süddetachements ...</p> + +<p>Willkommene Musik für das Soldatenohr! Sie bedeutete: Bald hat sich's +ausgekilometert — und wir kriegen ihn am Kragen, den bösen Feind — +dann geht's ins Quartier.</p> + +<p>Ei verflucht, nein ... nicht ins Quartier ... Heute stand am Ende des +Marschtages ein Biwak auf kotigem Stoppelfeld ...</p> + +<p>Noch drei Kilometer bis Bruchweiler.</p> + +<p>Inmitten eines Hages von leise herbstlich gebräunten Obstbäumen träumte +das verschlafene Dörfchen unterm Schirm des Waldgebirgs ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_198">[S. 198]</span></p> + +<p>Plötzlich — rack ... tack, tacktack — Vom Dorfrand her knatterten die +ersten Gewehrschüsse durch die brauenden Dünste.</p> + +<p>Nach einigen Minuten stob in vollem Galopp ein Zug der diesseitigen +Kavallerie, der Deutzer Kürassiere, den Anger entlang, in eiliger +Flucht hinter der anrückenden Infanterie Deckung zu suchen.</p> + +<p>Wie schmutzige Mehlsäcke sahen die weißen Koller aus im trüben +Morgenlicht ...</p> + +<p>Ihr Führer meldete im Vorbeirasen dem Major: »Bruchweiler wird soeben +von abgesessener feindlicher Kavallerie besetzt!«</p> + +<p>Hochauf richtete sich der Major in den Bügeln: »Herr Leutnant Blowitz!«</p> + +<p>»Herr Major?!«</p> + +<p>»Das Bataillon entwickelt sich links gestaffelt, links der Chaussee +— vierte Kompagnie hinter der linken Flanke aufmarschiert, aber +geschlossen, zu meiner Verfügung!«</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Major!«</p> + +<p>Der Adjutant preschte zurück.</p> + +<p>Wie der Blitz war Hauptmann von Brandeis vom Gaul herunter, warf die +Zügel seinem Burschen zu, der dienstkundig sogleich zur Hand war: »Die +ganze Kompagnie nach links — schwärmen! Marschrichtung: der große Baum +in der Mitte des Dorfes!«</p> + +<p>Und in den Bügeln richtete sich auch Leutnant Frobenius auf ... Roland +fuhr aus seinem Halbdusel mit Entsetzen empor und machte einen kleinen +Seitensprung: »Exerzierordnung! mit Gruppen links schwenkt — marsch, +marsch!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_199">[S. 199]</span></p> + +<p>Schon stob der Major heran. »Zum Donnerwetter, Herr Leutnant +Frobenius, Sie wollen wohl hier im Bereich des feindlichen Feuers +Kompagnieexerzieren abhalten —?!«</p> + +<p>»Herr Major, ich wollte —«</p> + +<p>»Ach was, zum Kuckuck — lassen Sie schwärmen und gar nichts weiter! — +Auseinander mit den Kerls! Geben Sie einen Marschrichtungspunkt an — +dann läuft die Karre von selber!«</p> + +<p>Jesses — dieser Landwehrfritze —! zu nichts zu gebrauchen — +höchstens zum Schwiegersohn, und auch dazu nur unvollkommen — —</p> + +<p>»Stellung!« kommandierte Hauptmann von Brandeis.</p> + +<p>Da purzelte die lange Schützenlinie der ersten Kompagnie wie hingemäht +auf den Bauch in den triefenden Sturzackerlehm —</p> + +<p>»Geradeaus am Dorfrand, Schützen! Visier 800 und 900! Schützenfeuer!«</p> + +<p>Und — rack, tacktacktack rollte das Schützenfeuer die Front entlang — +—</p> + +<p>Der lustige Waffentanz begann. —</p> + +<hr class="tb"> + +<p>In hellen Massen waren die Schützen des feindlichen Detachements aus +den dunkeln Hängen des Idarwaldes herausgetreten, verstärkt durch +zwei Flaggenbataillone, das heißt: Bataillone, die in Wirklichkeit +nicht existierten, sondern nur durch je eine blaue Flagge statt +einer Kompagnie markiert wurden, und hatten mit dieser künstlich +hergestellten Übermacht die »Niederländer« und ihr Schwesterregiment +bis weit hinter Kempfeld zurückgeworfen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_200">[S. 200]</span></p> + +<p>Hier fand das Süddetachement an den bewaldeten Hängen des »Sandkopfes« +und der »Marscheider Burr« einen Stützpunkt.</p> + +<p>Darüber war es vier Uhr nachmittags geworden.</p> + +<p>Allmählich war das lärmhafte Duett der Geschütze von hüben und drüben +verstummt und die Verfolgung ermattet. Gegen fünf Uhr hatten die +»Niederländer« jenseits des Höhenrückens Biwak bezogen.</p> + +<p>Das zweite Bataillon hatte das zweifelhafte Vergnügen, die Vorposten +zu stellen, die sich nun auf den felsigen Kuppen des Höhenrückens +aufbauten. Dahinter biwakierte geschlossen das erste und dritte +Bataillon in einer schmalen Lichtung der Waldes auf dem langsam sich +senkenden Abhang gen Herborn zu.</p> + +<p>Mit Zauberschnelle bauten sich hinter den Gewehrpyramiden die niedern +braunen Zugzelte auf ... Kochlöcher wurden geschaufelt ... lange Züge +zum Wasserholen, die klappernden Kochgeschirre der ganzen Kompagnie +in der Hand, stiegen zum entfernten Dorf herunter; bald rollten auf +der Chaussee die bereits während der Gefechtspause vorsorglich an den +vorbestimmten Biwakplatz dirigierten Wagenkolonnen heran. Ganze Berge +von Stroh und Holz wurden abgeladen. Der Küchenunteroffizier empfing +schmunzelnd seine Portion Blechbüchsen mit Pökelfleisch, seinen Stapel +Pappkartons mit Preßgemüsekonserven, seinen Anteil Salz und Kartoffeln +...</p> + +<p>Rasch wurde alles in eine Leinwandplane gewickelt: denn der Regen +drohte die ganze Herrlichkeit schon vor der Zeit zu einem Brei +zusammenzurühren ...</p> + +<p>Und bald knisterten und qualmten überall die Flammen,<span class="pagenum" id="Seite_201">[S. 201]</span> umschwelten +das durchnäßte Stroh, das triefende Reisig, das die Füsiliere +zusammengeschleppt.</p> + +<p>Martin Flamberg hockte auf den Knien dicht neben dem just einen Meter +hohen braunen Zelte, das die Burschen für die Herren der ersten +Kompagnie aufgeschlagen hatten, und pustete mit aufgeblasenen Backen +das immer wieder erlöschende Feuer an ... aus dem Kessel stieg der Duft +zerkrümelter Erbswurst, die mit würfelförmig geschnittenem Cornedbeef +vermengt und mit einem dicken Büschel kleingeschnittener Küchenkräuter +vermischt war — die hatte Martins gerissener Bursche, der Füsilier +Klomprich, beim Vorbeimarsch durch die Stakete der Bauerngärten +hindurch erwischt ... das duftete verdammt appetitlich ...</p> + +<p>Wenn nur das Feuer endlich mal ordentlich durchbrennen wollte ... Die +sämtlichen Burschen hatten schon ihren letzten Atemzug verpustet ... +nun pustete der Herr Leutnant selber ...</p> + +<p>Er fühlte sich persönlich verantwortlich für das leibliche Wohlergehen +seines Kompagniechefs, seines Kameraden Carstanjen und der beiden +Gäste des Offiziertisches, des Kompagniefeldwebels und des jungen +Fahnenjunkers von Erichsen.</p> + +<p>Er pustete, pustete, pustete. — Dunkelrot schwoll ihm das Gesicht ... +Aschenflocken stoben ihm um die Nase ...</p> + +<p>Gott sei Dank! Endlich schwelte ein schwaches Flämmchen auf, qualmig +fauchte es in das nasse Stroh hinein ... »Sauerei verfluchte —!« ... +Er richtete sich auf.</p> + +<p>In diesem Augenblick scholl hinter seinem Rücken ... scholl — — was +—?! Das mußte ein Traum sein — scholl ein silbern schmetterndes, +dreistimmiges Frauenlachen — —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_202">[S. 202]</span></p> + +<p>Er fuhr herum.</p> + +<p>Bei Gott ... da standen drei schlanke Gestalten ... drei glühende, +regenfeuchte Gesichter strahlten aus den aufgeklappten Kragen der +Gummimäntel unter unförmlichen Wachstuchmützen ... in nasse Strähnen +zusammengepappt hingen die rötlichblonden Haare der einen, die +weißblonden der beiden andern über die erhitzten Wangen ... Nelly und +Molly von Sassenbach und ... sie.</p> + +<p>»— Hahaha, Herr Leutnant Flamberg ... nein — wie Sie bloß aussehen +... einfach zum Wälzen, Herr Flamberg!«</p> + +<p>Wahrhaftig — er sah ein bißchen anders aus als beim Ball unter den +flimmernden Kerzen des Kasinosaales.</p> + +<p>Die hohen Stiefel, die Kniee, die Schöße des Waffenrocks +lehmüberkrustet, in steifen, groben Falten hing der graue Umhang um +seine Schultern; der hochgeklappte Kragen zeigte sein schmutzig rotes +Futter, die weiche Feldmütze saß beiderseits auf dem Ohr, der große, +zerschrammte Schirm tief in der Stirn ...</p> + +<p>Aber darunter ... darunter leuchteten die braunen Augen aus dem nun +tiefgebräunten Gesicht so verwettert, so kriegerisch in sieghafter +Männlichkeit ...</p> + +<p>Frau Cäcilie war jählings verstummt, als diese braunen Augen mit +ungewollter heißer Huldigung sich in die ihren gesenkt hatten ... als +die heißen Lippen sich tief auf ihre regenfeuchte Hand niederbeugten ...</p> + +<p>»Gnädige Frau — meine Damen — — wahrhaftig, die Sonne geht auf!!«</p> + +<p>»Sie sehn, wir haben's nicht lange ausgehalten da unten in unserer +Dreieinsamkeit auf Schloß Hettstein,« sagte langsam, stockend die +schöne Frau.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_203">[S. 203]</span></p> + +<p>»Nee wahrhaftig — wir hatten direkt krampfhafte Sehnsucht nach roten +Kragen und blanken Knöpfen!« bestätigte Nelly Sassenbach.</p> + +<p>»Na, und da konnte Ihnen geholfen werden — nicht wahr, meine Damen? +Aber nun sagen Sie bloß, wie in aller Welt haben Sie sich denn hier +heraufgefunden in diese gottverlassene Wald- und Bergesöde?«</p> + +<p>Frau Cäcilie wies nach der Chaussee hinüber. Da blinkte durch die +Nebelschwaden ein funkelnagelneues, schneeweißes Automobil: »Ein sehr +nobles Geschenk meines Vaters zu unserm Einzug auf Schloß Hettstein!«</p> + +<p>»Reizend von dem alten Herrn — was sagen Sie, Herr Flamberg? Ja, ja, +solchen Vater muß man haben!« lachte Nelly.</p> + +<p>Aber ihre Augen schweiften dabei ruhelos suchend über das buntwimmelnde +Bild des muntern Biwaktreibens hin ..</p> + +<p>»Wo ist mein Mann?« fragte Frau Cäcilie.</p> + +<p>»Der sorgt für seine hundertzwanzig räudigen Schäflein!« meldete der +kleine Carstanjen, der inzwischen herangekommen war und die Damen +begeistert begrüßte. »Aber sieh — da kommt er ja schon!«</p> + +<p>Ja, da kam er.</p> + +<p>Die Hand im braunen Feldhandschuh am breiten Schirm der Manövermütze +— sein gutes, ehrenfestes Gesicht strahlend in Glückseligkeit: »Welch +seltner Glanz in unserer Hundehütte, meine Damen! — Na, komm her, +Alte!«</p> + +<p>Ehe Cäcilie sich's versah, hatte er sie an beiden Schultern +gefaßt, unbekümmert um die ringsum gaffenden Füsiliere, Burschen, +Unteroffiziere —</p> + +<p>»Aber Fritz —!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_204">[S. 204]</span></p> + +<p>»Teufel auch — armer, verdursteter Landsknecht! — Ja, da lachen Sie, +kleiner Carstanjen! Ist aber nur der Neid der besitzlosen Klasse!«</p> + +<p>Flamberg lachte nicht ... er hatte sich abgewandt ... starrte einen +Moment in die Nebelschwaden hinein, die um die Bergkuppen geisterten ...</p> + +<p>»Na, sag bloß, wie kommt ihr denn an den weißen Quietschkasten da +hinten?«</p> + +<p>Frau Cäcilie gab Aufklärung.</p> + +<p>»Donnerwetter — geht doch nichts über 'nen nobeln Schwiegeralten! — +Na warte, werden wir ihm gleich eine Meldekarte schreiben mit unserm +gehorsamsten Dank! — Na, Flamberg, und da werden Sie wohl noch ein +paar Erbswürste und ein paar Büchsen Cornedbeef mehr spendieren müssen!«</p> + +<p>»Ach was — Erbswürste, Cornedbeef! — Wir haben euch viel was Besseres +mitgebracht!«</p> + +<p>Umringt von den staunenden Füsilieren schleppte der Chauffeur einen +wuchtigen Korb heran ... goldbekapselte Flaschenhälse ragten daraus +hervor ... aus appetitlichen Papierhüllen entwickelte sich kaltes +Geflügel ... alle möglichen Blechbüchsen mit Pasteten und Ragouts ...</p> + +<p>»Pfui Teufel — total unkriegsmäßig! — Luxus und Wohlleben greifen um +sich!«</p> + +<p>»Halt, halt — nicht alles wegnehmen! — Der hohe Bataillonsstab muß +auch was mithaben!«</p> + +<p>Das Automobil hatte natürlich das ganze Biwak auf die Beine gebracht. +Von allen Seiten strömten die Herren der beiden Bataillone heran, +die Damen zu begrüßen, und in respektvoller Entfernung starrten die +Unteroffiziere,<span class="pagenum" id="Seite_205">[S. 205]</span> glotzten die Füsiliere herüber zu den liebreizenden +Gästen ihrer Herren, die nun, von Geplauder und Lachen umschwirrt, ihre +Schritte dem Bataillonsstabszelt zulenkten.</p> + +<p>Als die Gruppe am Biwak der zweiten Kompagnie vorüberkam, hemmte Nelly +ihren Schritt ... schon von weitem sah sie, den ihr Blick suchte ...</p> + +<p>Frobenius hatte seine Kompagnie beim Gepäck antreten lassen und hielt +Gewehrappell ab ... gewissenhaft ging er von Mann zu Mann ... jeder +mußte mit ausgestreckter Rechten die Waffe, aus der die Verschlußteile +entfernt waren, in die Höhe halten, und der Kompagnieführer schielte +durch den Lauf hindurch, ob er auch gründlich gesäubert sei ...</p> + +<p>Tausend, wie er sich verändert hatte in den paar Manövertagen! — +Ordentlich militärisch sah er aus ... ordentlich kriegerisch, der +gelehrte Herr, trotz seiner großen Brille ... mit den kotbespritzten +Reitstiefeln, dem kurzverschnittenen Bart, der zerknitterten Feldmütze +überm tiefgebräunten Gesicht ...</p> + +<p>Nelly wußte: jetzt durfte sie nicht stören! Und schnell folgte sie +ihren Reisegefährtinnen, die, von einer ganzen Schar Offiziere +umschwärmt, ihren Vater zu begrüßen gingen. —</p> + +<p>Wo aber die Unteroffiziere der Zweiten um ihr Feuerchen hockten und +sich ihre Erbswurstsuppe zurechtbrutzelten, da war ein junger Bursch +halbleibs emporgeschossen ...</p> + +<p>Himmel! — die Oreade, die lauschend hinterm Felsen schwieg! die Heldin +all der zahllosen Lieder, welche ihm zugeflogen waren auf den Märschen +der letzten Tage ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_206">[S. 206]</span></p> + +<p>Auf! — auf! ihr entgegen! — aber, Teufel nein, wer war man denn? +— Ein armer Kommißknabe ... nichts als ein ganz gewöhnlicher +Kaldaunenschlucker ...</p> + +<p>Er in seiner schirmlosen Feldmütze, in seinem geflickten Tressenrock, +mit seinen ungewaschenen Händen ... und sie ... sie wandelte fern, fern +und unerreichbar ... wie ein leibhaft gewordener Dichtertraum ...</p> + +<p>Aber suchten nicht ihre Augen? — suchten sie nicht —</p> + +<p>Nun hatten sie gefunden ... ihn gefunden ...!</p> + +<p>Die flaumigen Bäckchen flammten ... sie nickte ihm kurz und gemessen ...</p> + +<p>Da sprang er auf ... stand stramm ... legte die Hand an die Feldmütze +... und warf sich dann wieder lang hin neben das qualmende Feuer ... +überhörte die plumpen Späße seiner Kameraden, des Sergeanten Metzges, +des Oberlazarettgehilfen Nattermüller, des Unteroffiziers Franzkowiak +...</p> + +<p>Stumm und ausgehungert löffelte er aus dem blechernen +Kochgeschirrdeckel seine Erbswurstsuppe in sich hinein — seine Seele +aber formte den letzten Vers zu seinem Morgenliede:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»In Demut will ich pflücken,</div> + <div class="verse indent0">was mir das Glück geoffenbart —</div> + <div class="verse indent0">ganz ohne Sinn beglücken,</div> + <div class="verse indent0">ist Glückes Art — ist — Glückes — Art.«</div> + </div> +</div> +</div> + +<hr class="tb"> + +<p>Vor dem Bataillonsstabszelt, der einzigen Behausung im ganzen Biwak, +die mit den Wohnungen zivilisierter Menschen eine entfernte Ähnlichkeit +hatte, unter dem Vordach, das wenigstens einen dürftigen Schutz gegen +den immerzu<span class="pagenum" id="Seite_207">[S. 207]</span> munter niederströmenden Regen bot, hatte sich eine lustige +Tafelrunde zusammengeschart ... ein paar hochkant gestellte Kisten +bildeten Tische und Sitzgelegenheit ... das Service bestand aus groben +Steinguttellern, aber die erlesensten Delikatessen der Saison gab's +diesmal zu schmausen statt der üblichen Feldkost, der Preßgemüsesuppe, +des halbverbrutzelten Konservengulasch ... Das heißt, auch diese +kriegsmäßigen Speisen fanden ihre Abnehmer ... die drei Damen kosteten +sie mit Begeisterung ... die mitgebrachten Herrlichkeiten überließen +sie den Herren ...</p> + +<p>Den Sekt trank man aus ramponierten Kaffeetassen ...</p> + +<p>»An meiner is kein Henkel dran ...!«</p> + +<p>»Schad' nischt — is Henkell drin!« schmunzelte der flaumbärtige +Carstanjen.</p> + +<p>Sassenbach hielt eine kleine Rede auf den holden Besuch: »Mit hold +meine ich natürlich nur die gnädige Frau, nicht euch, ihr Mädels ... +das bildet euch bloß nicht ein!«</p> + +<p>Mit galantem, stürmischem »Oho!« protestierten die Leutnants.</p> + +<p>Frau Cäcilie war still ... sie nahm sich zusammen; denn einmal hatte +sie einen Blick ihres Gatten aufgefangen, der mit stummer, banger +Beobachtung an ihr hing, als sie hingerissen ... selbstvergessen mit +Martin Flamberg geplaudert ...</p> + +<p>Doch immer verglich lechzend, qualvoll ihr armes Herz.</p> + +<p>Hier ein friedlich knisterndes Herdfeuer — dort eine jetzt verhalten +glostende, oft aber heiß und goldigrot auflodernde Glut.</p> + +<p>Warum bin ich heraufgekommen? — Nutzlose Quälerei!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_208">[S. 208]</span></p> + +<p>Und doch zählte sie angstvoll Viertelstunde um Viertelstunde, die +verrann unter neckendem Geplauder, hin und wieder flatternden +Scherzworten.</p> + +<p>Der Sekt schäumte in blauen Emaillebechern, in zerbrochenen Tassen aus +dem Fünfzigpfennigbasar. Gleichmäßig tropfte draußen der Regen aus +den ziehenden Nebelschwaden hernieder. Die Dämmerung sank. Gesättigt, +sangen draußen die Soldaten immer und immer wieder das Heimkehrlied:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Es winket uns in weiter Ferne</div> + <div class="verse indent0">Das liebe, teure Vaterhaus!</div> + <div class="verse indent0">Wir war'n Soldaten, waren's gerne,</div> + <div class="verse indent0">Doch jetzt ist unsre Dienstzeit aus!</div> + <div class="verse indent0">Ihr Brüder, stoßt die Gläser an —</div> + <div class="verse indent0">Es lebe der Reservemann!</div> + <div class="verse indent0">Wer treu gedient hat seine Zeit,</div> + <div class="verse indent0">Dem sei ein volles Glas geweiht!«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Und eine tief lastende Melancholie umwob das Haupt der schönen Frau ... +Warum war sie nur heraufgekommen? Es hatte ja doch keinen Zweck.</p> + +<p>Mit einem Male meldete von draußen her die Stimme des Postens vor der +Fahne: »Der Herr Oberst kommt!«</p> + +<p>Hei — das platzte wie eine Granate mitten hinein in die harmlos +schmausende Gesellschaft!</p> + +<p>Der Major sprang auf: »Herrschaften, laßt mich durch!«</p> + +<p>Er stelzte mit seinen vom langen Reiten und langen Sitzen +steifgewordenen Beinen aus dem Schutze des Zeltdachs heraus, dem +Regimentskommandeur entgegen, der heute das Detachement führte.</p> + +<p>Durch den Nebel kam's von der Chaussee herangetrabt ... der +Regimentsstab, die Herren in Mützen ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_209">[S. 209]</span></p> + +<p>Oberst von Weizsäcker, neben ihm, unnahbar wie immer, Herr von +Schoenawa, sein Adjutant, und Oberleutnant Menshausen, der als +Ordonnanzoffizier zum Regimentsstabe kommandiert war — ein paar +Trompeter und Meldereiter von den Deutzer Kürassieren in ihren +mattblinkenden Stahlhelmen.</p> + +<p>Der Oberst, stattlich und rosig, mit den braunweißen, beständig +zuckenden Schnurrbartflämmchen, nahm die Meldung des Biwakskommandanten +entgegen, tat ein paar Fragen über Nachrichten vom Feind, +Sicherheitsmaßregeln, Verfassung und Gesundheitszustand der +Mannschaften ...</p> + +<p>Da hatte er unterm schützenden Dach des Stabszeltes die hellen +Regenmäntel, die wehenden Schleier der Damen erspäht.</p> + +<p>Neugierig, in ritterlicher Haltung trabte er heran und begrüßte die +errötenden Gäste des Biwaks.</p> + +<p>»Meine Damen — allerhand Respekt! Bei dieser Sintflut im rauhen +Kriegsgetümmel?«</p> + +<p>Einen hämischen Zug um die Mundwinkel, hielt Oberleutnant Menshausen +zur Linken des Obersten.</p> + +<p>Schau, schau, die schöne Frau Cäcilie im Biwak — und die beiden +Fräulein von Sassenbach ... und selbstverständlich in der Nähe der +schönen Frau der Herr Sommerleutnant und Maler aus Düsseldorf ... und +neben dem schlanken Majorstöchterlein die Karikatur, der Gehirnfatzke +aus Bonn ...</p> + +<p>Ein Skandal, daß man durch das an sich ja sehr ehrenvolle Kommando +verhindert war, die Entwicklung dieser interessanten Ereignisse aus der +Nähe zu verfolgen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_210">[S. 210]</span></p> + +<p>Aber warte — nächstens im Korpsmanöver ... was sagte die +Manöverquartierverteilungsliste? Samstag, den neunzehnten September bis +Sonntag, den zwanzigsten September: Regimentsstab — Schloß Hettstein +— Erstes Bataillon — Bataillonsstab, erste und zweite Kompagnie: Dorf +Hettstein —</p> + +<p>Dann werden wir also die ganze Gesellschaft dicht beisammen haben ... +dann werden ja die Dinge mehr oder weniger zum Klappen kommen ... dann +könnte man vielleicht gar ein bißchen nachhelfen ...!</p> + +<p>Wie ... das würde sich finden! — Jedenfalls irgend etwas würde sich +dann ereignen ... ein kleiner Spaß ... eine kleine Abwechslung in +diesem verflucht eintönigen Kommißdasein ...</p> + +<p>Dann würde man sich entschädigen können für so manchen Ärger, den man +hatte schlucken müssen ...</p> + +<p>Inzwischen mußte man freilich die Karre laufen lassen, wie sie laufen +wollte ...</p> + +<p>Wenn man nur einen Vertrauensmann wüßte —?</p> + +<p>Ah — Quincke — auch in dieser Wildnis das unvermeidliche Monokel ins +fahle Gesicht geklemmt ...</p> + +<p>Menshausen winkte den jüngern Kameraden an die Seite seines Gaules, +streckte ihm die braunbehandschuhte Rechte hin: »Sie, lieber Quincke +— im Interesse unseres Offizierkorps — beobachten Sie doch mal die +beiden Herren des Beurlaubtenstandes, den Flamberg und den Frobenius, +ein bißchen genauer, wenn die Damen in der Nähe sind ... Brandeis hat +ja ein Schlößchen hier in der Nähe gekauft — also werdet ihr wohl +öfter das Vergnügen haben — Mir kommt's vor, als ob die beiden fremden +Herren — —«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_211">[S. 211]</span></p> + +<p>»Selbstverständlich, lieber Menshausen, hab's längst gemerkt ... Denken +Sie, ich schlafe mit offenen Augen?!«</p> + +<p>Leise tuschelten die beiden Herren ...</p> + +<p>— Und Quincke paßte auf, als nun der hohe Stab von dannen getrabt war +...</p> + +<p>Immer tiefer sank die Dunkelheit ... die Damen, von den Herren +geführt, unternahmen noch einen Rundgang durchs Biwak, während die +Azetylenlampen des Mercedes, vom Chauffeur entzündet, bereits weiße, +gleißende Lichtkegel in die Abenddünste zeichneten ...</p> + +<p>Aha ... Frau von Brandeis wieder zwischen ihrem Mann und Herrn Flamberg +... ja, ja, immer <em class="antiqua">à trois</em> ... unbegreiflich diese eselhafte +Vertrauensduselei des Kapitäns ...</p> + +<p>Und Fräulein Nelly von Sassenbach natürlich Seite an Seite mit dem +hagern Landwehrleutnant ...!</p> + +<p>Quincke schlich hinter den beiden her und lauschte ...</p> + +<p>»— Ja, mein altes Mütterchen, gnädiges Fräulein — eine ganz, ganz +einfache, einsame alte Frau! Sie hat sich nicht entschließen können, +nach meines Vaters Tode das Dörfchen droben auf dem Westerwald zu +verlassen, wo ihr Mann dreißig Jahre lang die Buben und Mädel in die +Geheimnisse des ABC eingeweiht hatte ... ach ja, eine einfache Frau! +Aber was für Augen, gnädiges Fräulein ... Augen wie so ein altes +wundertätiges Waldweiblein aus dem Märchen ...«</p> + +<p>»Ach ja ... die möcht ich wohl kennen lernen —!«</p> + +<p>Feine Zusammenstellung, grinste Quincke: junge Dame von Stand, +passionierte Reiterin und Tänzerin ... Tochter eines preußischen +Stabsoffiziers — — und eine<span class="pagenum" id="Seite_212">[S. 212]</span> Bauernschulmeisterswitwe in einem +Waldnest! — Na ja ... wenn die Menschen verrückt werden, fängt's im +Kopf an —!</p> + +<p>Aber es kam noch toller.</p> + +<p>Im Halbdunkel gewahrte Quincke, daß das jüngere Fräulein von Sassenbach +unauffällig zurückzubleiben suchte ...</p> + +<p>Und wahrhaftig! — Da tauchte aus der Mitte der Mannschaften, die um +ihre Lagerfeuer rasteten, die Gestalt eines Unteroffiziers auf ...</p> + +<p>Aha, der Einjährige, der den langweiligen Quatsch zum Regimentsfest +verbrochen hatte! —</p> + +<p>Weiß der Himmel — er begrüßt sie wie ein Kavalier ... sie plaudert mit +ihm ... und nun zieht der Einjährige ein Notizbuch aus der Tasche ... +nimmt eine beschriebene Meldekarte heraus ... reicht sie der Dame ... +Die errötet tief ... legt sie sorgsam zusammen und steckt sie in die +innere Tasche ihres Regenpaletots ...</p> + +<p>Warte, Bürschchen ... dich wollen wir mal auf deinen Standpunkt +zurückbringen ...!</p> + +<p>»Nun, gnädiges Fräulein ... wollen Sie sich nicht Ihrem Fräulein +Schwester anschließen? Die Damen begeben sich bereits zum Auto zurück +... Bitte übrigens einen Moment um Verzeihung! — Sie, Einjähriger, +hier haben Sie zwanzig Pfennige ... gehen Sie doch mal zum Marketender +an den Kantinenwagen und holen Sie mir ein Schinkenbutterbrot ... Sie +können's mir ans Offizierzelt bringen ...!«</p> + +<p>Hans Friesen war einen Augenblick starr ... dann faßte er sich, wandte +sich kurz herum, spähte in die Gruppe der Füsiliere hinein, die ums +Lagerfeuer saß: »Makowiak!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_213">[S. 213]</span></p> + +<p>Der Angeredete, ein hübscher, polnischer Rekrut, stand sofort in +strammer Haltung neben dem Unteroffizier: »Zur Stelle!«</p> + +<p>»Herr Leutnant Quincke wünscht ein Schinkenbutterbrot vom Marketender +ans Offizierzelt. Hier ist das Geld!«</p> + +<p>»Einjähriger, ich habe Sie selber beauftragt, wie Sie gehört haben! — +Ist das vielleicht unter Ihrer Würde, was?!«</p> + +<p>»Jawohl, Herr Leutnant —!«</p> + +<p>Quincke biß sich auf die schmalen Lippen: »Na — dann erteile ich Ihnen +also hiermit den dienstlichen Befehl, mir das Butterbrot zu holen!«</p> + +<p>Hans Friesen stand stramm ... regungslos ...</p> + +<p>»Wollen Sie sich vielleicht der Gehorsamsverweigerung vor versammelter +Mannschaft schuldig machen —?!«</p> + +<p>Hans Friesens Lippen bebten ...</p> + +<p>Er erinnerte sich der Strenge der militärischen Gesetze: der +Vorgesetzte hat in dem Augenblick, in dem er befiehlt, immer recht — +— Er nahm dem Füsilier das Geld wieder ab, machte stramm kehrt und +stapfte ins Dunkel, dorthin, wo die Laternen des Marketenderwagens +gelblich aufleuchteten — — —</p> + +<p>Dafür sollte der Frechling ihm Rede stehen — in vierzehn Tagen, wenn +der bunte Rock abgestreift war ... Warte, du Affe! — Wollen sehen, wer +am besten schießt von uns zweien! —</p> + +<p>— Tränen der Wut und Empörung in den Augen, sprachlos hatte Molly dem +Auftritt zugeschaut: »Das ist abscheulich, Herr Quincke!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_214">[S. 214]</span></p> + +<p>»Wieso?« näselte der Leutnant, »is doch höchstens 'ne Ehre für den +Unteroffizier, wenn er seinem Zugführer einen Gefallen tun kann!«</p> + +<p>»Ich sag' es meinem Vater — verlassen Sie sich drauf!«</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Das Auto war von dannen gerattert ... und jählings sank die Nacht ... +sank die Stille über das nebelumsponnene Feldlager ...</p> + +<p>Schweigend, fest in ihre Mäntel gehüllt, saßen Brandeis und Flamberg +auf den umgestürzten Wein- und Menagekisten vor dem niedern Zelt — —</p> + +<p>Der kleine Carstanjen und der Fahnenjunker schnarchten bereits drinnen +im Stroh — —</p> + +<p>Beider Männer Blicke hingen an dem phantastischen Schauspiel der +mählich verglimmenden Lagerfeuer, deren rötliches Glosten allein noch +die Schwärze der Nebelnacht durchdrang — —</p> + +<p>Und beide Männer träumten von Frau Cäcilie — —</p> + +<p>»Sagen Sie, lieber Flamberg ... mögen Sie mich ein bißchen leiden?« +fragte der Hauptmann auf einmal mit verschleierter Stimme.</p> + +<p>»Wie meinen Herr Hauptmann —?!«</p> + +<p>»Ob Sie mir ein bißchen gut sind, möcht' ich gern wissen?!«</p> + +<p>»Herr Hauptmann, ich ... ich möchte unter Ihnen in den Krieg ziehen +... mit Ihnen zusammen fechten und bluten ... dann wollt ich's Ihnen +beweisen ...«</p> + +<p>»Das freut mich zu hören,« sagte der Hauptmann, »das freut mich zu +hören ...«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_215">[S. 215]</span></p> + +<p>Einen Augenblick Stille — tiefe Stille —</p> + +<p>Martin hatte verstanden ...</p> + +<p>Nein ... er durfte ganz ruhig sein, der brave, ehrenfeste Mensch da +neben ihm ... er, Martin, würde sich künftig noch mehr zusammennehmen +... beim nächsten Wiedersehen ... seine Augen, seine Stimme noch mehr +im Zaum halten ... noch mehr als heute ...</p> + +<p>»Na ... nun kommen Sie —«</p> + +<p>Freundschaftlich und vertrauensvoll klopfte der Kapitän dem Kameraden +auf die Schulter — —</p> + +<p>»Es ist Zeit ... morgen früh um vier wird abgebaut ... wollen ins Stroh +kriechen ...!«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_216">[S. 216]</span></p> + +<h3>Zweites Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Frau Cäcilie hatte einen bangen Traum.</p> + +<p>Ein Geläut klang ihr ins Ohr ... ein tiefes, volltöniges Geläut ... +unregelmäßig, oft wie vom Winde verweht, doch stark und mächtig ...</p> + +<p>Und auf einmal wußte sie es ... das waren ja die Hochzeitsglocken ... +heute machte sie Hochzeit mit Martin Flamberg ...</p> + +<p>Das Glück war gekommen ... das große Glück ... die Lebensliebe, von +der sie einst als Mädchen geträumt ... die Erfüllung, herrlicher, als +kühnste Dichterphantasie sie schilderte.</p> + +<p>Bim, bam, läuteten feierlich die Glocken ... die Glocken des Kölner +Doms ... und sie beide, sie schritten mitten über den weiten Domplatz +... auf das weitgeöffnete Portal des ragenden Gotteshauses zu ...</p> + +<p>Neben ihr ging der Maler ... in Paradeuniform, den schwarzen wehenden +Roßhaarbusch auf dem Helm ...</p> + +<p>War sie nicht schon einmal neben einem Manne hingeschritten, der diese +Gewandung trug ...?!</p> + +<p>Ach ... das war lange her ... das war gar nicht mehr wahr ...</p> + +<p>Rechts und links staute sich das Volk, und sie hörte das Flüstern der +Menge: Das ist Martin Flamberg, der<span class="pagenum" id="Seite_217">[S. 217]</span> große Maler, und seine glückliche +Braut, die schöne Frau Cäcilie ...</p> + +<p>Einen Blick warf sie dem Verlobten zu, und er erwiderte ihren Blick +mit einem jähen verlangenden Aufleuchten seiner braunen durstigen +Künstleraugen ...</p> + +<p>Und immerfort ... tief und gewaltig ... summten dazu die Glocken aus +der Höhe ...</p> + +<p>Nun schritten sie Hand in Hand die hohe, breite Domtreppe hinan ... +weit offen stand die metallene Pforte ... dem Blick erschloß sich +das geheimnisdunkle, weihrauchdurchduftete Innere des Heiligtums ... +von rechts her, magisch bunt gefärbt, fiel durch die Glasgemälde der +Spitzbogenfenster ein breiter Strahl gedämpften Sonnengoldes hinein ...</p> + +<p>Da — als das Paar die Pforte durchschreiten wollte ... plötzlich stand +da eine gräßlich entstellte, bleiche Gestalt in der Wölbung — — Fritz +—!</p> + +<p>Er stand im kotbespritzten Manöveranzug ... die Feldmütze tief ins +blasse Gesicht gezogen ... die braunbehandschuhte Linke hatte er +fest aufs Herz gedrückt ... und unhemmbar floß ein Strom zähen, +dunkeln Blutes zwischen seinen Fingern hindurch ... sickerte auf die +Steinfliesen ...</p> + +<p>Da schrie sie auf ... und brach in den Armen des Geliebten zusammen ...</p> + +<p>Und erwachte — —</p> + +<p>Erwachte in dem hellen, freundlichen Schlafgemach des Schlößchens +Hettstein ... in dem messingfunkelnden englischen Bett unterm duftig +lichten Gardinenhimmel ...</p> + +<p>Und neben ihr harrte eine andere, unberührte Lagerstatt, von +schimmernder Spitzenspreite bedeckt ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_218">[S. 218]</span></p> + +<p>Aber die Glocken ... die Glocken läuteten immer noch ...</p> + +<p>Doch nein — das waren ja die Kanonen ... die Kanonen des Korpsmanövers +ringsum auf den Hunsrückhöhen ...</p> + +<p>Und heute, heute würden sie kommen ... ihre Gäste ... der Regimentsstab +der Niederländer Füsiliere!</p> + +<p>Und kommen würden auch die beiden Männer, deren einer in ihrem Traum +an ihrer Seite gegangen war, bis der andere ihnen entgegentrat mit +der blutdurchsickerten Linken auf der Brust und dem fahlen, starren +Totenantlitz ...</p> + +<p>Gott sei gedankt, er lebte ... Fritz lebte ...!</p> + +<p>Frau Cäcilie richtete sich auf ... ihre Schläfen brannten ... die Augen +flimmerten, als habe sie die ganze Nacht schlummerlos durchwacht ... +und ihre Wangen waren kalt von nassen, bangen Tränen ...</p> + +<p>Sie würden kommen ... würden sie anschauen ... beide ... und in beider +Augen würde sie mit wirrem Streite der Gefühle das Bekenntnis lesen +müssen: Ich gehöre dir ... meines Lebens Schicksal ruht in deiner Hand +...!</p> + +<p>Das war ein grauenvolles Bewußtsein, also zweier Männer Seele zu +beherrschen — und doch von einer geheimen, wilden Süßigkeit ... dieses +Machtgefühl ... dieses Herrschergefühl ...</p> + +<p>Sie sprang aus dem Bette ... ging zum Spiegel ... schaute lange in ihre +Züge ...</p> + +<p>Was ist denn eigentlich so Besonderes dran an dir, du weiße Larve mit +den brennenden Augen drin, daß du immerfort durch einen Wall, durch +einen Schwall von Huldigungen hinschweben mußt —?!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_219">[S. 219]</span></p> + +<p>Bum, bum — läuteten droben auf den Bergen ringsum im Kreise die +Kanonen, deren Sang ihren Traum wie Hochzeitsglocken durchwandelt ...</p> + +<p>Dort oben stand das ganze rheinische Armeekorps, in zwei Parteien +geteilt, in lustiger Friedensschlacht ... mehr denn zwanzigtausend +rüstige Männer ... die Jugendblüte der schönsten und reichsten Provinz +des Vaterlandes ...</p> + +<p>Und in ihrer Schar gab es zwei, von denen sie wußte, daß sie mitten im +Drang ihrer Pflicht ... im sengenden Sonnenbrande ... beim Marsch auf +staubüberwölkter Landstraße ... und beim Ansprung wider den Feind über +den Sturzacker — die Stunden zählten, die sie noch vom Wiedersehen +trennten — vom Wiedersehen mit ihr ...</p> + +<p>Dies Wissen war beseligend und fürchterlich.</p> + +<p>Was würde werden? Ihre Seele war schwer und glühend von der Ahnung +eines Schicksals, einer nahen Entscheidung, einer Entscheidung, der +sie wehrlos gegenüberstand, einer Entscheidung, die sie über sich +ergehen lassen würde wie ein unabwendbares Elementarereignis, wie einen +Wirbelsturm, wie ein erlösendes und zerschmetterndes Gewitter.</p> + +<p>Ja, machtlos — willenlos fühlte sie sich gegenüber dem Geschick.</p> + +<p>Die beiden andern waren ja die Männer ... die mochten handeln, die +mußten entscheiden, was werden sollte.</p> + +<p>Sie war das Weib ...! Ihrer harrte nur die äußere Pflicht, die Pflicht +der Hausfrau und Gastgeberin — die würde sie erfüllen, korrekt und +anmutig ... von ihrer Erziehung, ihrem Instinkt unfehlbar geleitet ... +ohne daß an<span class="pagenum" id="Seite_220">[S. 220]</span> Willen und Entschluß irgendwelche Anforderungen gestellt +wurden.</p> + +<p>Das andere ... das würde kommen von draußen her, unhemmbar, unabwendbar +...</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Und droben im Turmkämmerchen träumten zwei andere Herzen einem +Wiedersehen ... träumten ihrem Schicksal entgegen ... ein +Kinderherzchen, so willenlos wie die reife Frau im Banne dumpfer, +triebhafter Gefühle — und ein fester straffer Mädchenwille, der +während schlummerloser Nacht in Frische und Resignation über sein Leben +beschlossen hatte.</p> + +<p>Ja, Nelly Sassenbach wußte, was sie wollte ...!</p> + +<p>Heut abend freilich würden die Herren erst spät ins Quartier kommen +— es war beschlossen, sie in Ruhe zu lassen. Nur der Regimentsstab, +der ohnehin dem Schlosse bestimmt war, würde zur Tafel erscheinen, und +natürlich der neue Schloßherr, obwohl er offiziell mit seiner Kompagnie +drunten im Dörfchen lag.</p> + +<p>Die Herren der ersten und zweiten Kompagnie würden sich ausschlafen +beim Ortsvorsteher und bei den andern wohlhabenden Bauern, deren Höfen +sie zugewiesen waren, würden mit aller Bequemlichkeit gegen Abend in +der Schankwirtschaft ihre Mahlzeit einnehmen und um neun zu Bette gehen.</p> + +<p>Morgen aber ist Rasttag — da werden die Herren gründlich ausgeruht als +Gäste der Schloßherrin auf Hettstein erscheinen — man wird festlich +und fröhlich zusammen dinieren — wird im Park spazieren gehen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_221">[S. 221]</span></p> + +<p>Und dann — dann wird es geschehen — dann soll es geschehen!</p> + +<p>Dann wird sie die Braut des hagern Gelehrten werden, des +Schulmeistersohnes vom Westerwald, des miserabeln Reiters und Tänzers, +des Mannes aus dem Froschtümpel, des Entgleisten vom Kasinoparkett.</p> + +<p>Es war beschlossen — es würde sich vollziehen — sie wollte es. Und +daß er die gleiche Sehnsucht hatte, das wußte sie, seit er ihr von +seiner Mutter erzählt, im Regenbiwak unter der »Marscheider Burr«.</p> + +<p>Ja, viel — gar viel Resignation steckte in diesem Entschluß.</p> + +<p>Ganz, ganz anders sah ihr Erwählter aus als die Gestalten, die einst +durch ihre Mädchenträume geschwebt waren.</p> + +<p>Aber wenn sie seiner gedachte, dann kam ein so tiefes Ruhegefühl ... +ein so freudiges Geborgensein über sie ...</p> + +<p>Ja ... er war doch der Rechte ... der, für den das Schicksal sie +aufgespart hatte, das in ihrer Mutter Gestalt so manchen glänzenden, +stattlichen Bewerber aus ihrer eigenen Welt von ihrer Seite gescheucht +hatte ...</p> + +<p>Ich danke dir, Mutter — es ist gut gewesen, daß ich den schwarzen +Baron Höningen nicht bekommen hab, der jetzt in Amerika Pferde hütet +... und nicht den riesigen Bettingen, der nun drunten in Südwestafrika +im Wüstensande liegt ...</p> + +<p>Es ist gut so, Mutter ...!</p> + +<p>Was morgen kommt, das ist fürs ganze Leben ... kein stürmisches +Backfischglück wie das, von dem gewiß das blonde Schwesterchen jetzt +träumt, das so eigenwillig sein Köpfchen der rosaroten Tapete zukehrt +... aber eine frohe Ruhe ... eine festlich stille Gewißheit ... eine +Heimstatt für freudiges<span class="pagenum" id="Seite_222">[S. 222]</span> Wirken und Hineinwachsen in eine helle, lichte +Welt, in ein höheres, geistigeres Dasein, als meine Jugend es je geahnt +...</p> + +<p>Wilhelm Frobenius, du Prachtkerl! — Du sollst es gut haben bei deiner +Nelly — hol mich der Teufel!</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Bum, bum, drohten die Geschütze ringsum auf den Bergen ohn' Unterlaß ...</p> + +<p>»Nun, gnädige Frau, wen bekomm' ich ...?«</p> + +<p>Die drei Freundinnen standen im feierlich halbdunkeln, getäfelten +Speisesaal des einstmals kurtrierschen Schlößchens, das ein Kölner +Bankier vor acht Jahren aus einer ziemlich wohlerhaltenen Ruine in +einen behaglichen weltfernen Herrensitz zurückverwandelt hatte ... und +Frau Cäcilie legte die Tischkarten ...</p> + +<p>»Abwarten, Kleine! — Also: Ans Kopfende komme selbstverständlich ich +— leider, leider zwischen die beiden Herren Kommandeure ... den Oberst +zu meiner Linken, Ihren lieben Brummbär Papa zu meiner Rechten!«</p> + +<p>»Donnerwetter, fabelhafter Dusel für Papa! — Na, der wird schmunzeln +... gut, daß Mama nichts davon ahnt ... das gäb' ein paar schlaflose +Nächte!«</p> + +<p>»Schäm dich, Nelly!« zürnte das jugendliche Ebenbild der Entfernten.</p> + +<p>»Na, und nun gehen wir mal zunächst hier links hinunter, damit die +kleine Neugier auch lange genug auf die Folter gespannt wird! Also +neben den Herrn Regimentskommandeur natürlich Sie, Nelly!«</p> + +<p>»Um Gottes Willen! — läßt sich das nicht vermeiden?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_223">[S. 223]</span></p> + +<p>»Unmöglich, Kind! — Die Tischordnung versteht sich sozusagen von +selbst ... es geht gar nicht anders, als ich's aufgesetzt habe! Aber +nun kommt die Entschädigung: zu Ihrer Linken sitzt — Herr Oberleutnant +von Schoenawa!«</p> + +<p>Ernsthaft hatte die Wirtin das gesagt ... aber ihre Augen blitzten +schelmisch prüfend zu der schlanken Freundin hinüber.</p> + +<p>Die bewahrte Haltung. Was lag an dem Diner? ... Sie wußte ja doch, was +sie wollte ...</p> + +<p>»Zu Befehl, gnädige Frau!«</p> + +<p>»Also wirklich — vollkommen einverstanden?!«</p> + +<p>»Vollkommen!«</p> + +<p>»Aber ich nicht! — Der gestrenge Herr Regimentsadjutant ist mir zu +feierlich und offiziell für Sie ... Außerdem ist ein Herr da, der zwar +eine Charge unter ihm steht, aber an Jahren der nächste nach den beiden +Herren Kandillenträgern ist!«</p> + +<p>Und nach der Melodie des Lockens zum Parademarsch trällerte die schöne +Frau:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Großmutter, die Landwehr kommt, </div> + <div class="verse indent0">Die Landwehr kommt, die Landwehr kommt, </div> + <div class="verse indent0">Großmutter, die Landwehr kommt ...« </div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Da errötete Nelly denn doch ein wenig und verstummte.</p> + +<p>»Na, ich seh schon, ich hab's getroffen ... da, Kindchen, legen Sie +selber den Zettel hin! — Also, neben Herrn Frobenius setzen wir +Herrn Oberleutnant Menshausen und neben den: Herrn Flamberg ... Herr +Menshausen kann die Herren vom Beurlaubtenstande nicht leiden — ich +kann Herrn Menshausen nicht leiden — Rache ist süß, krächzte der +Habicht!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_224">[S. 224]</span></p> + +<p>Außerdem kann es nicht schaden, dachte sie, daß ich Flamberg recht weit +von mir entfernt auf einen schlechten Platz setze ... Fritz machte +neulich im Biwak einmal so merkwürdige Augen ...</p> + +<p>»Ans Fußende kommt natürlich das grüne Gemüse — unten meines Mannes +Fahnenjunker, der kaum geborene Erichsen — zwischen ihn und den Herrn +von der Reserve setze ich Herrn Quincke!«</p> + +<p>Den Herrn von der Reserve! dachte Nelly — diese Heuchlerin!</p> + +<p>»— dem gegenüber Herrn Carstanjen ... dann kommt mein Mann ... neben +den kommen Sie, kleine Molly!«</p> + +<p>»Sehr einverstanden! — Himmlisch!«</p> + +<p>Der Backfisch hatte ein wenig für Fritz von Brandeis geschwärmt, ehe +dieser anderweitig vergeben worden war.</p> + +<p>»— an Ihre andere Seite der Adjutant des ersten Bataillons!«</p> + +<p>Molly rümpfte das Näschen: »Der ist so entsetzlich brav!«</p> + +<p>»Ja, ich hab niemand andern mehr ... nur noch Herr von Schoenawa ist +übrig!«</p> + +<p>»Ne, danke ... dann immer noch lieber Herrn Blowitz!«</p> + +<p>»Gut — dann also Herrn von Schoenawa zwischen Blowitz und Ihren Vater! +Na, ist das nicht tadellos, Kinder?«</p> + +<p>»Ausgezeichnet — ganz vorzüglich, gnädige Frau!«</p> + +<p>»Ach was — ihr immer mit eurer langweiligen gnädigen Frau —! Machen +wir's uns doch endlich mal gemütlich: sagen wir du zueinander!«</p> + +<p>Tief erglühend vor Seligkeit boten die Mädchen der vergötterten Wirtin +ihre Lippen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_225">[S. 225]</span></p> + +<p>Und über alle drei kam's wie ein Festrausch. So herrlich strahlte +draußen die Spätsommersonne ... die eben leise sich bräunenden +Bergwälder schlossen sich so traulich um das Schlößchen wie ernste, +fromme Hüter eines geheiligten Asyls ...</p> + +<p>Und immer näher ... immer drängender scholl draußen das mächtige +Geläute der Kanonen auf den Höhen ringsum ...</p> + +<p>»Ach, Kinder, das Leben ist doch schön!«</p> + +<p>»Das weiß der Himmel!« sagte Nelly aus tiefer, dankbar hoffender Brust.</p> + +<p>»Ja wahrhaftig, das weiß der Himmel!« echote auch die Neunzehnjährige +... und sie träumte von einem, der morgen abend zwar nicht hier mit +an der Tafel sitzen würde ... den sie aber doch sehen wollte ... +heimlich, verstohlen sehen — und küssen ... draußen irgendwo in den +verschwiegenen Bosketten, die sich über den Trümmern der alten, nicht +wieder hergestellten Bastionen buschten ...</p> + +<p>Sie mußte ihn ja trösten ... mußte ihn entschädigen für die Unbill, die +der widerwärtige Quincke ihm zugefügt ... offenbar mit Absicht in ihrer +Gegenwart ... um ihn zu blamieren vor ihr ...!</p> + +<p>Zu blamieren vor ihr ... haha ... als ob das möglich gewesen wäre ...!</p> + +<p>Aber er durfte sich's um Gottes willen nicht zu sehr zu Herzen nehmen +... ihr süßer Junge ... ihr Dichter ... dessen himmlische Verse, rasch +mit Bleistift auf einer Meldekarte niedergekritzelt, unter der Bluse an +ihrem Herzchen knisterten ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_226">[S. 226]</span></p> + +<p>Und darum mußte sie ihn trösten — unbedingt ... damit er keine +Dummheiten machte! — Na, das würde ihr schon gelingen. — —</p> + +<p>Bum, bum, bum, läuteten draußen die Kanonen ...</p> + +<hr class="tb"> + +<p>»Sie kommen! sie kommen!«</p> + +<p>Die aufgeregt harrenden Mägde drunten am Schloßtor schrien's zuerst ...</p> + +<p>Der Gärtner, der Chauffeur gaben's weiter ...</p> + +<p>Das Hausfräulein stürzte zu den Damen hinein, die eben im Herrenzimmer +die kleinere Tafel für den heutigen Abend mit Blumen schmückten.</p> + +<p>»Wer kommt?« fragte die Hausfrau.</p> + +<p>»Soldaten! Soldaten wie Sand am Meer!«</p> + +<p>Von den tiefen Nischen der Fenster des Schloßturms aus konnte man +den Weg überschauen, der durch die buschigen Abhänge nördlich des +Beierbachs empor sich schlängelte nach Hettenrodt zu ...</p> + +<p>Von dort stieg jetzt, ein Pferd hinter dem andern, vorsichtig ein +endlose Linie von Reitern in hellblauen Waffenröcken hernieder — +Saarbrücker Siebente Dragoner. —</p> + +<p>»Die sind nicht von den Unsern!« erklärte Nelly sachverständig, »seht, +sie tragen Helmbezüge ... das ist der böse Feind; der ist jedenfalls +geschlagen und muß sich zurückziehen ...«</p> + +<p>»Geschieht ihm recht!« rief Molly mit blitzenden Augen.</p> + +<p>Nun sprengte auf der Chaussee, die an der andern Seite des Schlößchens +von Mackenrodt her in langen Zickzackwendungen ins Tal hinunterkroch, +ein Trupp Artillerieoffiziere,<span class="pagenum" id="Seite_227">[S. 227]</span> gleichfalls in Helmbezügen, hart am +Schloß vorüber, bergab ins Tal ... verschwand drunten zwischen den +Häusern des Dörfchens und tauchte an der andern Berglehne wieder +auf, galoppierte jenseits in das Seitentälchen hinein, das sich gen +Vollmersbach hinaufzog. Sie schwenkten rechts ab, erschienen, klein wie +Bleisoldaten, droben auf der kahlen Höhe ...</p> + +<p>Und durch die Gläser konnten die Damen deutlich erkennen, daß sie +droben Halt machten und mit ihren Feldstechern übers Schlößchen hinweg +Ausschau hielten.</p> + +<p>»Sie suchen eine Stellung für die zurückgehende feindliche Artillerie +aus; die soll den Rückzug des gegnerischen Detachements decken!« wußte +Nelly wiederum zu erläutern.</p> + +<p>»Da werden wir ja das Kanonenkonzert aus allernächster Nähe zu genießen +bekommen!«</p> + +<p>Und richtig! — Nach wenigen Minuten rasselte eine schier endlose +Artilleriekolonne die Chaussee hinunter, so schnell als der abschüssige +Weg mit seinen zahllosen, scharfen Krümmungen es nur irgend gestattete.</p> + +<p>Die Kanoniere saßen mit rauchgeschwärzten, staubbekrusteten Gesichtern +auf den Protzkästen und hielten sich krampfhaft fest, um nicht beim +Rumpeln der federlosen Gestelle abgeschleudert zu werden ...</p> + +<p>Das Sitzfleisch tat einem weh vom bloßen Ansehen ...!</p> + +<p>Drüben den steilen Talweg ging's hinan ... da mußten die Kanoniere +absitzen und die Geschütze bergan schieben helfen ... Die armen Kerle!</p> + +<p>Ganz deutlich war's zu verfolgen, wie nun drüben die Mündungen der +Geschütze über dem hohen Kamm auftauchten ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_228">[S. 228]</span></p> + +<p>Bum — da krachte auch schon der erste Schuß, bum — der zweite ...</p> + +<p>Dicke weiße Wolken stiegen auf, doch verflogen sie in der blauen +Nachmittagsluft wie der Rauch einer Zigarre ...</p> + +<p>Die Damen hielten sich die Ohren zu, so heftig knallten die Schüsse ... +widerhallend kam das Echo zurück von all den dunkelbelaubten Berghängen +ringsum ...</p> + +<p>Eine Viertelstunde später begann der Abstieg der geschlagenen +feindlichen Infanterie ... eine dunkelblaue Schlange mit grau und +silbern schillernden Schuppen, so wälzte sich der Zug des Fußvolks +nieder ins Tal ... Kompagnie hinter Kompagnie ... Bataillon hinter +Bataillon ...</p> + +<p>Ganz dicht unter den Schloßfenstern wogte der endlose Schwall vorüber +...</p> + +<p>Gott, sahen die wackern Jungen aus! —</p> + +<p>Spätsommermittagsglut und der Staub vielstundenlanger Märsche hatten +ihr Werk getan ... schmutzige Rinnen hatte der Schweiß in die +tiefgebräunten, graubepuderten Gesichter gezeichnet ... die Rockkragen +waren geöffnet ... die Gewehre pendelten schwer auf den müden Schultern +...</p> + +<p>Aber die gesenkten Nacken richteten sich straffer auf, als plötzlich +bei der Wegwende vor ihrem Blick das schmucke Schlößchen mit seinen +altersgrauen Mauern und der blinkenden Zier seiner Erneuerungsbauten, +den roten Ziegeldächern, den blitzend weißen Fensterkreuzen auftauchte, +von dunkelgrünen Efeupolstern und leuchtendrotem Rankengeriesel wilden +Weins umwuchert ...</p> + +<p>Und über den Rand der Gartenanlage beugten sich frische Mädchenköpfe +... das Hausfräulein und die beiden Mägde ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_229">[S. 229]</span></p> + +<p>Hei — wie das elektrisierte, wie Jugend da plötzlich die Jugend +erschaute ... da reckten sich die matten Gestalten der Marschierenden +empor, da flog ein endloser Schwall von Neckereien und derben Späßen +zur Mauer hinan in allen Mundarten der rheinischen Gaue ...</p> + +<p>Aber Glied um Glied wurde rasch von dannen gerissen im rastlosen +Rückmarsch.</p> + +<p>Mochten auch die Vorbeimarschierenden die Köpfe noch so sehnsüchtig +umwenden — die Blicke der strammen Holden droben waren schon wieder +weitergewandert, neuen Kömmlingsscharen entgegen.</p> + +<p>Die Herren Offiziere aber hoben ihre Blicke noch etwas höher als bis +zur Mauer der Gartenbastion ... sie strebten zum Balkon empor, wo in +lichten Gewändern drei Frauengestalten aus ihrer eigenen Kaste sich +zeigten ...</p> + +<p>Hei — wie flogen da feurig kecke Blicke empor ... dorthin, wo die +Damen standen ... die Damen ...</p> + +<p>Aber auch sie mußten von hinnen, die stattlichen Stabsoffiziere +und Hauptleute hoch zu Roß, die schlanken, in Staub und Schweiß +noch eleganten und aufrechten Leutnants mit den häßlichen +Wachstuchtornisterchen auf dem Rücken — dem »Schandfleck der +Ritterlichkeit« — —</p> + +<p>Und von dem vorüberrollenden Strom kriegerischen Lebens stieg ein +Dunst zu der schönen, schlanken Herrin, den winkenden Mädchen +und Mägden empor ... ein heißer, schwüler Dunst hochblühender, +waffendienstgestählter, jugendprangender Männlichkeit, der ihnen den +Sinn verwirrte ... einen Schwall weckte von unbewußten, unbegriffenen +Sehnsuchtgefühlen ...</p> + +<p>Doch endlich war der Strom vorübergerauscht.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_230">[S. 230]</span></p> + +<p>Schräger flimmerte die Spätnachmittagssonne auf der Chaussee, die sich +wie ein fahlgelbes Band durch das Braungrün der Waldhänge zog.</p> + +<p>Die Damen waren verstummt.</p> + +<p>Nun müssen bald die Unsern kommen, dachte eine jede ... die Unsern ...</p> + +<p>Und dann ... dann kommt auch er, der eine ... der meine, dachten die +jungen Mädchen ...</p> + +<p>Frau Cäcilien aber bebte das Herz ...</p> + +<p>Der meine ... wer war das, der meine? — —</p> + +<p>Ach, sie wußte es selber nicht zu sagen ... nur bang ... grenzenlos +bang und ahnungstrüb zitterte nun auf einmal ihre einsame Seele, die +sich niemandem — niemandem anvertrauen konnte in der Qual ihrer +Zerrissenheit.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_231">[S. 231]</span></p> + +<h3>Drittes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>»Ja, lieber Sassenbach — Sie können sagen, was Sie wollen, es war ein +direkter Blödsinn vom General von Ketteler — ein direkter Blödsinn! +Statt sich einfach auf der Höhe zwischen Mackenrodt und Hettenrodt mit +seiner ganzen Division aufzubauen und unsern Angriff abzuwarten, geht +er über das Aubachtal hinüber bis Nockental uns entgegen —«</p> + +<p>»Aber — Verzeihung, Herr Oberst! — die Stellung bei Nockental war +wesentlich besser als die bei Mackenrodt — namentlich seine Artillerie +hatte er hinter den flachen Höhen hier beim R von Rötzweiler ganz +glänzend placiert —«</p> + +<p>»Zugegeben!« sagte der Oberst und neigte sich tiefer über die Karte, +die mitten zwischen den zartgeschliffenen Weingläsern, den über die +ganze Tafel verstreuten, nun schon halbverwelkten Astern auf der +Damastdecke lag, dicht neben dem Teller der Hausherrin, die müde +und gelangweilt sich fruchtlos Mühe gab, an dem endlosen Streit +ihrer beiden Tischnachbarn über den Verlauf der gestrigen Übung +pflichtschuldigen Anteil zu heucheln. — »Zugegeben! — aber bei der +Wahl einer Verteidigungsstellung kommt's doch vor allem darauf an, daß +man sich anständig aus dem Staube machen kann! Na ... und nun sehen +Sie sich mal diese<span class="pagenum" id="Seite_232">[S. 232]</span> Rückzugslinie hier an ... zwischen seiner Stellung +und dem Punkt, den er zu decken hatte, der Stadt Idar nämlich, liegen +zwei — sage zwei! — Talsenkungen ... zweimal hat er mit seinem +ganzen Schwamm im vollen Bereich unseres Feuers dreihundert Meter über +kahle Höhenzüge hinauf und wieder herunter gemußt! — und wie sich +die Infanterie massierte auf dem Rückmarsch — so etwas von einem +Wurschtkessel ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! Erinnern Sie +sich ... unter dem Berg — wie hieß er doch —?«</p> + +<p>»Der Galgenberg!« lachte der Major.</p> + +<p>»Ja, ja ... und wissen Sie auch, wer an dem Galgen baumelt —?«</p> + +<p>»Na — nach <em class="gesperrt">der</em> Kritik versteht sich das wohl am Rande!«</p> + +<p>»Allerdings,« erklärte der Oberst, »der Zylinder für Herrn von Ketteler +dürfte fällig sein —!«</p> + +<p>»— und die Brigade frei werden!« lächelte geschmeidig und +beziehungsvoll der Major, der, wenn er wollte, in seiner rauhen Form +ein richtiger Höfling sein konnte.</p> + +<p>»Aber nun Schluß mit der Kommißsimpelei, lieber Sassenbach — unsre +verehrte Frau Gastgeberin wird sonst bereuen, daß sie sich zu uns alten +Knaben gesetzt hat, statt zur Jugend, wohin sie von Gottes und Rechts +wegen gehört —!«</p> + +<p>»Oh, bitte recht sehr, Herr Oberst, es hat mich natürlich ganz +außerordentlich interessiert,« log Frau Cäcilie, »nun kann ich mir bei +alle dem, was ich gestern gehört und gesehen hab, auch etwas denken — +dieser heitre Vorbeimarsch gestern abend, das war in Wirklichkeit die +zügellose Flucht eines geschlagenen, fast vernichteten Heeres — wie +mir übrigens Ihre Nelly, Herr Major, ganz richtig erklärt hat!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_233">[S. 233]</span></p> + +<p>»Ja, die Nelly — die hat Ahnung!« schmunzelte der Vater.</p> + +<p>»Ganz gewiß, meine gnädigste Frau«, sagte der Oberst. »Und gerade +über Ihr niedliches Schlößchen hinweg tobte der Endkampf der beiden +Artillerien ... im Ernstfalle würde von diesem entzückenden Nestchen +wohl nicht mehr viel übrig geblieben sein!«</p> + +<p>»Gott ja ... das sieht alles so lustig ... so frisch und freudig +aus, und man vergißt gar zu leicht, was für ein schauerlicher Ernst +dahintersteckt —«</p> + +<p>»Ja, ja — gut wär's, wenn sich unsre jungen Dächse da unten das auch +manchmal ein bißchen mehr zu Gemüte führen wollten — wir Alten, wir +wissen's ja freilich und werden's nie vergessen! — was meinen Sie, +Sassenbach?!«</p> + +<p>Zärtlich schielten die beiden alten Kämpfer nach dem Bande des +Eisernen Kreuzes im Knopfloch ihrer Überröcke ... zu gleicher Zeit +hoben beide die Gläser und tranken auf das Gedächtnis der großen Zeit +vor neununddreißig Jahren, die sie beide als blutjunge Leutnants mit +durchlebt und mit durchfochten ...</p> + +<p>Cäcilie aber hatte nur mit dem Aufgebot ihrer ganzen Haltung dem +Gespräch der beiden alten Herren folgen können ... in ihr schrie die +unverbrauchte Glückssehnsucht ... schrie all das Verlangen, das Fritz +von Brandeis nicht hatte stillen können ...</p> + +<p>Gott, wie wunderlich ... wie verrückt ... wie unheimlich rätselschwer +das Leben ... Wie wirbelte es die Schicksale, die Herzen der Menschen +durcheinander ...</p> + +<p>Da unten bei lautem Gelächter und Geplauder saßen sie nun einander +gegenüber, die beiden Männer ... saßen<span class="pagenum" id="Seite_234">[S. 234]</span> inmitten der Kameraden, +schwatzten, tranken, tauschten hundert harmlose, lustige und +tragikomische Manövererlebnisse aus ...</p> + +<p>Und wenn dann einmal einer von ihnen beiden in einer unbewachten +Sekunde sich vergaß ... dann sank urplötzlich die glatte Maske ... und +der eine jetzt, der andere nun, starrte tief versonnen in sein Sektglas +... und auf eines jeden Gesicht lag dann plötzlich Spannung, Kampf und +Qual ...</p> + +<p>Und das alles ging um sie.</p> + +<p>Martin Flamberg hatte einmal in einem solchen Moment der Versunkenheit +rasch und heimlich ein Briefchen aus der Tasche des Überrocks gezogen +und es unterm Tisch mit hastigen Blicken überflogen ...</p> + +<p>Cäcilie wußte: ein Brief seiner Braut ... ein Brief des fernen, bang +und selig harrenden Mädchens, dem in wenigen Tagen in Wirklichkeit die +Hochzeitsglocken läuten sollten ...</p> + +<p>Gewiß ... das Briefchen sprach von heißer Sehnsucht ... von kaum +stillbarer Erwartung ... von einer süßen Ungeduld, welche die Tage und +Stunden zählte, die sie noch von der Erfüllung trennten ...</p> + +<p>Heute war Sonntag, morgen und übermorgen die beiden letzten Manövertage +... und schon Mittwoch sollte Martin Flambergs, des Heimgekehrten, +Hochzeitstag sein ...</p> + +<p>Über-übermorgen ... dann war er ihr verloren ... verloren für alle Zeit +—</p> + +<p>Aber ... während er das Briefchen überflog, hatte da auf seinem Gesicht +auch nur ein leises, flüchtiges Leuchten des Glücks, der Hoffnung +geflammt —? nein — quälendes Bangen ... herbe Gewissensnot ... +finsterer Zwiespalt der Gefühle ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_235">[S. 235]</span></p> + +<p>Sie hatte es gesehen und hatte nicht hindern können, daß ihr Herz +aufjubelte vor schamvoller Lust ... vor sündig grausendem Triumph ...</p> + +<p>Ja, er sehnte sich nicht nach ... über-übermorgen ... er sehnte sich +— — nach einem Tage, der niemals kommen würde — niemals — — oder +nur, wenn wilde, schreckliche Dinge geschehen wären ... lange Monde des +Kampfes überstanden ... Monde der Finsternis ... der Einsamkeit ... des +Elends ...</p> + +<p>Und ringsherum in dem kleinen Kreise der lachenden schmausenden +Menschen, der festlich weiß geputzten beiden Mädchen, der +sonnengebräunten wettergestählten Männer konnte ihr heimlich und +ruhelos beobachtender Blick überall den Widerschein innern Erlebens +verfolgen — —</p> + +<p>Finster lauernd wanderten die eiskalten Augen des Regimentsadjutanten, +hämisch funkelnd die des fatalen Oberleutnants Menshausen die Reihe der +Tafelnden entlang ...</p> + +<p>Mit zärtlichem Bangen hingen des Backfischleins Blicke an der +stattlichen Gestalt der Schwester, die mit ihrem Tischnachbarn, dem +rotbärtigen, bebrillten Gelehrten im verjährten Landwehrrock, so +versunken und weltvergessen über große und ferne Dinge sprach, als +säßen die beiden zwei einsam auf einer weitentlegenen seligen Insel +und nicht inmitten eines Kreises, in dem jeder jeden kontrollierte, in +dem jede Bewegung, jeder Blick überwacht wurde, ob er auch der strengen +Satzung der Kaste entspreche ...</p> + +<p>Ja, selbst unten, wo die ganz jungen Herren saßen, schossen aus dem +fahlen Gesichte des monokeltragenden Herrn Quincke gehässig lauernde +Blicke hinüber ... herüber ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_236">[S. 236]</span></p> + +<p>Nur der blutjunge Avantageur und der kindlich harmlose Carstanjen +freuten sich ohne Hinterhalt der Gunst der Stunde ... futterten mit +Knabenappetit von all den guten, langentbehrten Sachen ... kosteten +mit glänzenden Augen die edeln Weine ... stopften, genäschig wie +Pensionsmädel, Konfekt und Obst ...</p> + +<p>Und mit der unerschütterlichen Gemütsruhe einer wohlgeordneten +Daseinsführung, die keine Leidenschaft, keine Herzensstürme kannte, +nichts als brave Pflichterfüllung und maßvoll harmlosen Lebensgenuß +— selbstgenügsam und selbstzufrieden saß der Leutnant Blowitz +inmitten der Tafelrunde, auch er wachsam, beobachtend, doch innerlich +unbeteiligt ... nichts als Soldat ... nichts als eine Uniform mit einem +Etwas darin, dessen ganzer Ehrgeiz nur war, Ehre zu machen dem Rock, in +dem es steckte ...</p> + +<p>Ach, wie beneidenswert ein solches Temperament ... ein solch +unsträflicher, Gott und Menschen wohlgefälliger Wandel ...</p> + +<p>War nicht ihr Fritz auch so einer gewesen? — war das nicht eigentlich +seine Natur ... und die bittern Zweifel ... die jähe Wirrnis, in die +das Schicksal ihn gestürzt — waren sie nicht über seine Kraft?</p> + +<p>Frau Cäcilie sah gar wohl, wie tief er litt ... welch unfaßbare +Anstrengung es ihn kostete, die lächelnde Miene des vornehmen +Gastgebers, des allerwärts liebenswürdigen Wirtes zu bewahren, während +er sein Glück, sein Leben wanken — wanken fühlte — —</p> + +<p>Wie er ihr so leid tat, ihr guter prächtiger Fritz ... sie litt mit ihm +... in seine Seele hinein ... so mußte eine<span class="pagenum" id="Seite_237">[S. 237]</span> sorgende Schwester mit +einem herzlich geliebten Bruder leiden ... und konnte sie ihm helfen +... konnte sie —?</p> + +<p>Ein Blick in Martin Flambergs Gesicht — und sie wußte — der da war +der Herr ihres Lebens ... was er erwählen würde, war ihre Wahl ... was +er von ihr fordern würde, das würde sie tun.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Die Hausfrau hatte die Tafel aufgehoben, und der kleine Kreis der Gäste +schwärmte nun in den Schloßgarten, um den Kaffee zu nehmen.</p> + +<p>In tiefem Frieden verglomm der Spätsommertag ... sein letzter Abglanz +lag auf den jenseitigen Höhen ... Dunkelheit umschleierte schon das +Dickicht des Schloßparks, der von den gartenartig angelegten Terrassen +der alten Bastionen her sich an den Abhängen des Beiertales, rechts und +links des Baches, hinzog ...</p> + +<p>Vorn, wo zwischen den üppig wuchernden Bosketten heimliche Lauben +winkten, deren weißlackierte Stakete fast völlig unterm dicken Gerank +des Jelängerjelieber, des Pfeifenkrauts, des wilden Weins verschwanden, +erhellten bunte Lampions mit mattem Glimmen die Dämmerung ...</p> + +<p>Weiter rückwärts, am Berghang lagerten schon tiefe, schwarze Schatten +über den Wegen, die sich ins Dunkel der Parkgehege verloren.</p> + +<p>»Kommen Sie, Herr Frobenius,« sagte Nelly, »ich muß Ihnen jetzt den +Aussichtspunkt zeigen, von dem ich Ihnen bei Tisch erzählte ... +er liegt ganz oben am Parkrand ... wir müssen das letzte bißchen +Tageslicht benutzen, sonst wird<span class="pagenum" id="Seite_238">[S. 238]</span> es ganz finster, und wir kommen +überhaupt nicht mehr hin ... Ihren Kaffee kriegen Sie später, wenn wir +zurückkommen!«</p> + +<p>Ihre Stimme hatte leise gezittert bei den hastigen Worten — und +Wilhelm Frobenius fühlte sein Herz hoch klopfen, genau unter dem Fleck, +wo auf seinem dunkelblauen Waffenrock die Landwehrdienstauszeichnung +zweiter Klasse sich breit machte, diese geschmackvolle Dekoration, +deren Form die Offiziere des Beurlaubtenstandes mit den altgedienten +Unteroffizieren gemein hatten ...</p> + +<p>In einer längst nicht mehr gekannten Erregung folgte er der schlanken +Führerin in die Dunkelheit ...</p> + +<p>Ja — nun kam es, das Unabwendbare ... nun würde er die Frage wagen, +die ihm längst das Herz abpreßte! — Und natürlich würde sie ihn +auslachen ... schneidend und grimmig auslachen, wenn er überhaupt +so weit kam — wenn nicht schon vorher irgendeine neue unerhörte +Lächerlichkeit ihm das Wort abschnitt — —</p> + +<p>Herrgott, wenn's nur nicht so finster gewesen wäre! — Kaum wie einen +matten Nebelfleck konnte er noch das weiße Kleid seiner Führerin +erkennen ...</p> + +<p>»Nehmen Sie sich in acht!« klang Nellys Stimme aus der Finsternis, »die +Wege sind sehr schmal ... folgen Sie mir nur, ich weiß genau Bescheid!«</p> + +<p>Da — ein dumpfer Krach! — Feuer und Funken sprühten dem Gelehrten +durch den Schädel —</p> + +<p>»Meine Brille — um Gottes willen, gnädiges Fräulein, meine Brille!«</p> + +<p>»Himmel ... was ist denn passiert?!«</p> + +<p>»Ich muß gegen einen Baum gelaufen sein ... meine<span class="pagenum" id="Seite_239">[S. 239]</span> Brille, meine Brille +ist mir abgefallen ... ich wette, sie ist zerbrochen!«</p> + +<p>»Nein — das ist doch aber auch zu arg — — so ein Unglücksmensch, wie +Sie sind ... warten Sie, ich werde suchen!«</p> + +<p>Tiefe Finsternis zwischen den Gehegen ...</p> + +<p>Nelly tastete sich zurück: »Wo stecken Sie denn eigentlich?!«</p> + +<p>»Hier!« klang es kläglich dicht neben ihr.</p> + +<p>»So geben Sie mir doch mal Ihre Hand, damit ich überhaupt weiß, wo Sie +sind!«</p> + +<p>Frobenius tappte mit der Rechten in die Finsternis und bekam etwas +wunderbar Weiches und Festes zu fassen ... einen elastischen, +lebenswarmen Mädchenarm ... der glitt ihm rasch durch die Finger, und +er fühlte nun die kräftige, leise bebende Hand. — —</p> + +<p>»So, nun warten Sie — ich werde mich bücken und die Brille suchen!« +sagte Nelly zu Frobenius.</p> + +<p>Himmel, wie seine Stirn brannte — sicherlich hatte es eine tüchtige +Beule gegeben über der Nase ...</p> + +<p>»Da, wahrhaftig! Ich hab sie — aber, o weh: ein Glas fehlt — und das +andere scheint zerbrochen zu sein!«</p> + +<p>»Geben Sie nur her — ein zerbrochenes Glas ist besser als gar keins!«</p> + +<p>»So — und nun ... nun kommen Sie weiter!«</p> + +<p>Sie zog ihn vorwärts an ihrer Hand ... an ihrer lieben, festen Hand ... +o Gott, wie gut das tat, so sicher geführt werden ...</p> + +<p>Auf einmal blinkte vor ihnen ein Lichtschein —</p> + +<p>»Sieh da — im Aussichtstempelchen oben hängt ein Lampion, das ist ja +famos!« sagte die Führerin.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_240">[S. 240]</span></p> + +<p>Der Achtunddreißigjährige fieberte wie ein Schulknabe.</p> + +<p>»So, nun schauen Sie hinaus!«</p> + +<p>Da lag das Schlößchen hart unter den zweien, schützend umfangen vom +tiefen Schwarz der ragenden Bergketten hüben und drüben ... wie +eine Märchenfeste schimmernd mit den hellerleuchteten Fenstern, den +flimmernden Lichtschnüren der Lampions zwischen den Gartengehegen ... +Lachen und Gläserklingen scholl herauf ...</p> + +<p>Und hier droben die beiden Menschen ... entrückt, entronnen den +lauernden Blicken der Gesellschaft, den hämischen Glossen, dem +liebevoll forschenden Vaterblick ...</p> + +<p>So, dachte Nelly, nun sprich du ... nun sprich!</p> + +<p>Aber Wilhelm Frobenius sprach nicht.</p> + +<p>Der Mund, der so beredt vom Katheder hernieder die Herrlichkeiten +der Dichtung lauschenden Hörerscharen zu erschließen wußte, der noch +vor wenigen Minuten drunten bei Tafel nicht müde geworden war des +feinsinnigen Geplauders über allerhand schöne und gute Dinge, ernste +Fragen des Lebens, der Wissenschaft, der Kunst ... der Mund war +verstummt.</p> + +<p>Die haarige Rechte rieb mechanisch, unbeholfen die dick aufquellende +Beule an Stirn und Nasenrücken —</p> + +<p>»Haben Sie sich weh getan?«</p> + +<p>»Ich sehe nicht das mindeste ... ich bin reinweg wie blind!«</p> + +<p>So jämmerlich hatte das geklungen — Nelly mußte laut auflachen —</p> + +<p>Du großer tapriger, hilfloser Junge du ... nun, wenn du nicht sehen +kannst, sollst du wenigstens fühlen! — Jedenfalls unverlobt geh ich +nicht wieder hinunter ...!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_241">[S. 241]</span></p> + +<p>Und mit einer raschen, wie besitzergreifenden Bewegung schob sie ihre +Hand in des Mannes Arm, lehnte sich fest an seine Schulter.</p> + +<p>Da warf es den langen Gesellen auf einmal um ... Wie ein schmachtender, +stammelnder Knabe neigte er sich tief, tief hernieder, drückte seine +Lippen auf den festen Arm. »Gott ... Fräulein Nelly ... Nelly ...!«</p> + +<p>Da nahm das Mädchen des Mannes stoppelbärtige Wangen in beide Hände, +beugte sich nieder und küßte ihn, wohin ihre Lippen zuerst trafen ... +auf seine kahle Platte.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Molly hatte gewußt, daß er auf sie wartete.</p> + +<p>Sie hatte sich sofort nach Aufhebung der Tafel für einen Augenblick +bei der Hausherrin entschuldigt und war in ihr Turmkämmerchen +hinaufgeschlüpft.</p> + +<p>Von dort aus konnte man die Chaussee überblicken ... die erhellten +Schloßfenster zeichneten scharfumrissene Lichtplakate auf den staubigen +Straßendamm, und von drüben tauchten die regungslosen Fächeräste der +Buchen in den Glast hinein ...</p> + +<p>Schau — blinkte da nicht in den Büschen des Straßensaumes, halb +versteckt, eine senkrechte Reihe flimmernder gelber Punkte aus dem +Dunkel —? Und konnte dies Phänomen von etwas anderm herrühren denn von +einer blankgeputzten Knopfreihe ...?</p> + +<p>Wenn das nicht Hans Friesen war —!</p> + +<p>Wie nur aus dem Schloß kommen, ohne gesehen zu werden? Zwar ... die +Dinergesellschaft würde nichts merken, wenn Molly durchs Schloßportal +huschte ... denn die<span class="pagenum" id="Seite_242">[S. 242]</span> war an der andern Seite im Garten versammelt +— aber die Dienstboten —? Was würden sie denken, wenn das gnädige +Fräulein aus der Schloßpforte spazierte, um sich auf der Chaussee ein +Rendezvous mit einem Unteroffizier zu geben?</p> + +<p>Aber es mußte gewagt werden ... es mußte einfach! — Der gute Junge +mußte getröstet werden, sonst grämte er sich gar zu sehr über die +Flegelei von diesem Leutnant Quincke ... redete sich am Ende gar +ein, sie wolle nichts mehr von ihm wissen, seit er die erbärmliche +Vergewaltigung seines Vorgesetzten in ihrer Gegenwart hatte +hinunterwürgen müssen ... jedenfalls wollte sie ihm gleich ein Zeichen +geben ...</p> + +<p>Sie zündete eine Kerze an, bog sich weit aus dem Turmfensterchen, indem +sie den vollen Schein des Lichtes auf ihr Gesichtchen fallen ließ, +und winkte zugleich mit ihrem Taschentuch — das flatterte lustig im +Abendhauch, der kühl vom Berge niederschwebte.</p> + +<p>Schau — da löste sich die Knopfreihe drunten aus der Dunkelheit ... +ein grauer Unteroffizierdrillichrock schob sich für einen Augenblick +aus dem Gebüsch in den Bereich der Lichtgevierte ... eine Feldmütze +wurde mit raschem Winken geschwenkt ...</p> + +<p>Ach ... du Goldiger!</p> + +<p>Nun schnell hinunter! — Auf dem ersten Treppenabsatz machte sie einen +Augenblick halt, spähte durch ein schmales, schießschartenähnliches +Fensterchen auf die Landstraße hinaus und lauschte, ob drunten die Luft +rein sei.</p> + +<p>Schwatzend schäkerten die Mägde in der Küche mit den Burschen, welche +zu ihrer Unterstützung kommandiert waren.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_243">[S. 243]</span></p> + +<p>Himmel — an denen mußte sie vorüber! Na ... vielleicht machten sie +einmal die Küchentür zu ...</p> + +<p>Auf einmal hörte sie von der Chaussee her scharfe Worte: »Halt, was da +im Busch steckt! Kommen Sie gefälligst mal sofort 'raus!«</p> + +<p>Leutnant Quinckes Stimme! Gott im Himmel — der mußte spioniert haben!</p> + +<p>»Ich befehle Ihnen 'rauszukommen! — Zum Donnerwetter, komm 'raus, +Kerl, sonst ruf ich die ganzen Burschen zusammen und lasse eine Razzia +nach dir veranstalten!«</p> + +<p>In atemlosen Entsetzen spähte Molly auf die Chaussee.</p> + +<p>Wahrhaftig — da stand der Leutnant hart am jenseitigen Chausseerand +und versuchte, ins dichte Gestrüpp des Berghanges einzudringen ... er +griff mit den langen Armen ins Dickicht hinein ...</p> + +<p>»Aha, Bursche — jetzt hab ich dich!«</p> + +<p>»Ich bitte Herrn Leutnant, mich loszulassen — ich komme gutwillig!«</p> + +<p>O Gott — mit einem raschen Schritt trat Hans Friesen aus dem Dickicht +... stand stramm im hellen Fensterlicht ... in Drillichanzug, +Feldmütze, gelben Schnürschuhen ... ohne Seitengewehr ...</p> + +<p>»Sieh da, der Herr Einjährige! — Haben Sie Urlaub, die Ortsunterkunft +zu verlassen?!«</p> + +<p>»Nein, Herr Leutnant!«</p> + +<p>»So —?! Na, dann scheren Sie sich gefälligst mal augenblicklich ins +Dorf und kriechen Sie in Ihr Quartier! — Verstanden? — Ich werde +Sie dem Herrn Kompagnieführer melden — das weitere findet sich! Ihre +Offizierqualifikation<span class="pagenum" id="Seite_244">[S. 244]</span> können Sie sich aber einsalzen ... das kann ich +Ihnen schon jetzt sagen! — Also: kehrt marsch! na wird's bald?!!«</p> + +<p>Hans Friesen machte eine stramme Wendung und ging zu Tal ... seine +Schritte verhallten in der Dunkelheit.</p> + +<p>Mit zufriedenem Grinsen sah der Leutnant einen Augenblick ihm nach, +dann trat er ins Tor zurück.</p> + +<p>Wie der Blitz war Molly die Treppe hinunter ... trat dem Offizier im +Korridor entgegen: »Herr Leutnant — Sie werden den Unteroffizier +Friesen nicht melden!«</p> + +<p>»Ah — gnädiges Fräulein haben gehört ... das ist ja ein merkwürdiges +Zusammentreffen!«</p> + +<p>»Nein, das ist gar nicht merkwürdig ... Herr Friesen hat nämlich <em class="gesperrt">auf +mich</em> da unten gewartet, daß Sie's wissen ... und darum werden Sie +ihn nicht melden ... verstehen Sie mich ...?!«</p> + +<p>»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein +— aber Dienst ist Dienst ... der Einjährige hat sich einer +Urlaubsüberschreitung schuldig gemacht ... und somit ist es einfach +meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit —«</p> + +<p>»Dann erlauben Sie mir vielleicht die Frage, Herr Leutnant, wie Sie auf +die Chaussee gekommen sind — auch in Ausübung Ihrer verdammten Pflicht +und Schuldigkeit?!«</p> + +<p>»Darüber bin ich Ihnen wohl schwerlich Rechenschaft schuldig, mein +verehrtes gnädiges Fräulein! — Bei allem Respekt glaube ich das denn +doch aussprechen zu müssen —«</p> + +<p>»Nun, dann will ich's Ihnen sagen: Sie haben gelauert ... geschnüffelt +haben Sie — wie ein ganz elender Spion —! Sie haben sich gedacht, daß +ich mich irgendwo mit dem Einjährigen treffen wollte, und haben uns +aufgepaßt! — Na, stimmt's?!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_245">[S. 245]</span></p> + +<p>»Ich — ich bewundere Ihre Kombinationsgabe, meine Gnädigste — —«</p> + +<p>»So — nun wissen Sie also, daß ich Sie durchschaut habe, Herr +Leutnant! — und nun will ich Ihnen mal was sagen: Wenn Sie Herrn +Friesen melden, dann mache ich Ihnen einen Krach, wie Sie noch nie +einen erlebt haben — so wahr ich Molly Sassenbach heiße —!!«</p> + +<p>Wie eine Königin raschelte sie von dannen.</p> + +<p>Quincke aber machte das dümmste Gesicht seines Lebens — und <em class="gesperrt">das</em> +wollte was heißen.</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_246">[S. 246]</span></p> + +<h3>Viertes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Fritz von Brandeis stand an der Treppe, die von der Veranda in den +Garten hinunterführte. Hinter ihm harrten die fünf Burschen, sein +eigener und die vier seiner Gäste, kriegsgemäß in Drillichzeug und +Schnürschuhen, nur durch die Serviette über ihrem linken Arm als +herrschaftliche Leibdiener gekennzeichnet, der Befehle des Hausherrn +gewärtig.</p> + +<p>Scharfen Blicks überflog der Hauptmann das lustige Bild des Gartens, +der festlich schimmerte im mattbunten Glanz der Lampions, im gelben +Flimmer der Kerzen auf den Bowlentischen.</p> + +<p>Na, alles gut versorgt? — Jawohl, alles klappte!</p> + +<p>Ein alter dicker, runder Mauerturm sprang an der nördlichen Ecke des +Gartens weit ins Gebüsch hinein, das aus dem ehemaligen Burggraben +aufgewuchert. Wilder Wein überrankte hier das weiße Staketengezäun +einer Laube: darinnen saßen die wichtigsten der Gäste bei der +Pfirsichbowle, der Oberst und der Major.</p> + +<p>Schau, schau — auch nach Tisch hatten die alten Herren sich +anscheinend nicht von ihrer Tischnachbarin trennen können!</p> + +<p>Und sie, seine Cäcilie — sie schien ja auch vollkommen zufrieden in +der Gesellschaft der Herren Stabsoffiziere — hatte heut abend noch +kaum ein Wort mit dem Maler gesprochen.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_247">[S. 247]</span></p> + +<p>Na also — hätten wir uns ja wohl unnötige Unruhe gemacht!</p> + +<p>Schoenawa, des Obersten Adjutant, und Menshausen, sein +Manöver-Ordonnanzoffizier, hockten pflichtschuldigst bei ihrem +Kommandeur — aber wo steckte denn Leutnant Blowitz? — ah — er war +des trockenen Tons wohl satt, des beständigen »Schusterns« bei den +hohen Stäben, hatte sich zur Jugend geflüchtet —</p> + +<p>Aus der Nachbarlaube, in der auf rundem Tisch gleichfalls eine mächtige +Pfirsichbowle aufgebaut war, klang schmetterndes Gelächter. Dort saß +der Adjutant des ersten Bataillons mit den Offizieren der ersten +Kompagnie, mit Flamberg und Carstanjen. Selbstverständlich war hier +auch der Fahnenjunker von Erichsen zu finden, der immer wieder die +Gläser füllen mußte. Nur die jungen Damen fehlten in der Runde der +Jugend ... wo mochten die bloß stecken ...? und es fehlte auch die +Landwehr ...</p> + +<p>Aha — ach so —!!</p> + +<p>Ja, Nellychen, über'n Geschmack ist nicht zu streiten ... aber Sie sind +Manns genug, um selber zu wissen, was Ihrem Besten dient ...</p> + +<p>Und das Schwesterchen? — Auch verschwunden? — Sieh da!</p> + +<p>Und der Leutnant Quincke fehlte ebenfalls — hm, hm — — <em class="gesperrt">den</em> +Geschmack hätte man der Kleinen nun gerade nicht zugetraut —</p> + +<p>Aber in Gottes Namen!</p> + +<p>Heute mochten die zwei losgelassenen Füllen herumspringen, mit wem sie +wollten ... Daß nichts Ernstes aus ihren Flirts wurde, dafür würde im +geeigneten Augenblick<span class="pagenum" id="Seite_248">[S. 248]</span> die Frau Mama daheim schon sorgen, wie bisher +noch immer ... auf Schloß Hettstein sollten sie jedenfalls machen +dürfen, was sie mochten.</p> + +<p>Also alles in schönster Ordnung!</p> + +<p>Vergnügt schmunzelnd wandte sich der Hausherr zu der regungslos +harrenden Phalanx der Burschen zurück:</p> + +<p>»Na, Jungens, nun könnt ihr euch gegenseitig ablösen! Zwei von euch +haben immer hier auf der Veranda zu warten, die andern drei in die +Küche zum Bierempfang! — zunächst bleiben Kempges und Schnettelker +hier! — Die andern drei — abschwirren!«</p> + +<p>Er fühlte sich in Laune kommen.</p> + +<p>Zu dumm, sich überhaupt Gedanken gemacht zu haben Cäciliens wegen! Pah +— <em class="gesperrt">seine</em> Cäcilie —!</p> + +<p>Seine Lippen pfiffen leise das Avanciersignal, während er die Treppe +hinuntersprang und quer durch den Garten auf die Jugendlaube zuschritt: +»Tut mir leid, meine Herren, Ihre Hebe muß ich Ihnen für ein halbes +Stündchen ausspannen! — Sie, kleiner Erichsen, und Sie, etwas größerer +Carstanjen, kommen Sie mal einen Moment her!«</p> + +<p>Die Angeredeten schossen in die Höhe.</p> + +<p>»Also kommt 'mal raus, Kinder,« sagte der Kompagniechef, »ihr müßt mir +eine Überraschung deichseln helfen. Die Burschen würden mir die Sache +jedenfalls verderben: Ich habe also drüben auf der Wiese jenseits der +Chaussee ein kleines Feuerwerk aufbauen lassen, das müssen Sie beide +mir abbrennen. Kommen Sie mit, ich werde Sie instruieren!«</p> + +<p>Blowitz und Flamberg blieben allein bei der riesigen Bowle zurück. Der +Maler trank hastig und sprach wenig.<span class="pagenum" id="Seite_249">[S. 249]</span> Der Adjutant war auch kein Mann +von vielen Worten. Es wurde still am Jugendtisch.</p> + +<p>Und immer wieder zog es Martins Blicke dorthin, wo im matten Lichte +der Lampions ein weißes Frauenantlitz zwischen den gebräunten, +verwitterten, weinerregten Gesichtern der Stabsoffiziere, den +frostigen, lauernden der beiden Oberleutnants stand.</p> + +<p>Auf einmal erhob sich dorten die ganze Gruppe und kam die niedrige +Stiege hinunter in den Garten, schritt der hellerleuchteten Veranda zu, +die dem Speisesaal vorgelagert war.</p> + +<p>Major von Sassenbach warf einen Blick zur Jugendlaube hinüber: »Ah, da +sitzt ja auch unser Malermeister — unser Pinselheld! — Sie, Flamberg, +die gnädige Frau will uns das Bild zeigen, das Sie von ihr gemalt haben +— kommen Sie doch mal mit! Oder haben Sie's schon auf seinem neuen +Platz gesehen?«</p> + +<p>Flamberg sprang auf: »Nein, Herr Major!«</p> + +<p>»Also los — gehen Sie mit uns!«</p> + +<p>»Wenn die gnädige Frau gestattet —?«</p> + +<p>»Ich bitte darum, Herr Flamberg!«</p> + +<p>Blowitz schloß sich ungeladen an.</p> + +<p>Zwischen dem Oberst und dem Major schritt Frau Cäcilie voran — +schweigsam, mit verschlossenen Gesichtern folgten die beiden +Oberleutnants — die beiden Leutnants machten den Beschluß.</p> + +<p>Frau von Brandeis führte die Herren durch den Speisesaal, in welchem +die Mägde mit den drei beurlaubten Burschen die Tafel abräumten, und +in die behagliche, ganz als Wohnraum eingerichtete Diele hinüber. Dort +lief die<span class="pagenum" id="Seite_250">[S. 250]</span> bequeme, breite Treppe zum Obergeschoß hinan, das einen +gleich großen Dielenraum enthielt. Hirschgeweihe, tief nachgedunkelte +Ölgemälde schmückten da die Wände.</p> + +<p>Im Emporsteigen drehte die Hausfrau die elektrische Beleuchtung auf, +und man gewahrte, daß von der obern Diele aus mehrere Türen nach den +innern Gemächern führten. Durch eine dieser Türen betraten die Gäste +das Herrenzimmer, das nun ebenfalls auf einen Druck von Frau Cäciliens +Fingern in Lichtfülle erglänzte.</p> + +<p>Und sieh! — Da hing über einem wuchtigen Diplomatenschreibtisch die +Schöpfung Martin Flambergs.</p> + +<p>»Ah!« riefen der Major und sein Adjutant.</p> + +<p>Die Herren des Regimentsstabes hatten das Bild bereits gestern zu sehen +bekommen, sie waren nicht mehr zur Bewunderung verpflichtet.</p> + +<p>Frau Cäcilie tat ein paar rasche Schritte zur Seite. Da stand die Tür +zu einem Nachbarzimmer halb offen. Die gelben Messingstangen zweier +englischen Bettstellen, das lichte Weiß eines Spitzenhimmels leuchtete +aus der Dunkelheit. Ruhig schloß die Hausfrau die Tür.</p> + +<p>Stumm hingen aller Blicke an dem Gemälde.</p> + +<p>»Aha,« sagte Sassenbach, »das ist also das berühmte Bild!«</p> + +<p>»Das berühmte — wieso?« fragte Frau Cäcilie.</p> + +<p>»Nun — Sie können sich wohl denken, verehrte gnädige Frau, daß das +ganze Regiment von dem Bilde spricht — ich meine — ich will sagen +— wenn eine Dame des Regiments von einem so vielgefeierten Maler wie +unserm Herrn Leutnant der Reserve gemalt wird — das ist doch natürlich +ein Ereignis!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_251">[S. 251]</span></p> + +<p>Alles schwieg und starrte regungslos zu dem Frauenbildnis hinan.</p> + +<p>Das schaute leuchtend herab auf die Herren im Waffenkleid — +leuchtend in einer Hoheit, um die es seltsam wob wie ein Hauch von +Unvergänglichkeit — von zeitloser Verklärung.</p> + +<p>»Fabelhaft,« sagte der Oberst, »ich gratuliere Ihnen, lieber Flamberg! +Ich verstehe nicht allzu viel von Kunst — aber das da, das imponiert +mir — ohne Scherz, das imponiert mir —«</p> + +<p>»Ja,« sagte Menshausen halblaut, »man möchte sagen: mit Liebe gemalt!«</p> + +<p>Der Major warf dem Oberleutnant einen wütenden Blick zu, und jeder +fühlte: taktlos — unverschämt.</p> + +<p>»Nun, Herr Flamberg,« fragte die Hausfrau, ohne den Maler anzusehen, +»sind Sie einverstanden? — mit dem Platze, meine ich!«</p> + +<p>»Dazu müßte ich das Bild erst mal bei Tageslicht sehn! — So, bei +dieser künstlichen Beleuchtung, allerdings einwandfrei!«</p> + +<p>»Sie würden auch am Tage mit dem Platze zufrieden sein — schade, daß +Sie es so bald nicht in natürlicher Beleuchtung zu sehen bekommen +werden!«</p> + +<p>»Schwerlich!« sagte Flamberg.</p> + +<p>»Na, lieber Sassenbach, Sie sagen ja gar nichts,« bemerkte der Oberst.</p> + +<p>»Tja, wie der Herr Oberst bereits gesagt haben: ich verstehe ebenfalls +nichts von der Kunst!«</p> + +<p>»Dann sagen Sie uns doch wenigstens, wie es Ihnen gefällt!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_252">[S. 252]</span></p> + +<p>»Gefallen? — Tja, Flamberg, Sie dürfen mir's aber nicht übel nehmen —«</p> + +<p>»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major!«</p> + +<p>»Ich ... ich finde es eigentlich nicht so recht ähnlich!« sagte der +Major. »Ich finde ... es ist was drin ... etwas, was ich wenigstens +nicht kenne an unserer hochverehrten Frau Wirtin —!«</p> + +<p>»Und das wäre?« fragte Frau Cäcilie.</p> + +<p>»Ja, wie soll ich das ausdrücken — so was Fremdartiges ... so was +Unheimliches, möchte ich sagen!«</p> + +<p>Cäcilie warf dem Maler einen verstohlenen Blick zu. »Ja, sehn Sie, Herr +Major,« sagte sie, »vielleicht hat Herr Flamberg etwas hinzugetan, +etwas von seinem Eigenen, etwas, das wirklich mehr ist als ich, als +mein Leben — aber das tun große, starke Künstler wohl immer, meine +ich!«</p> + +<p>»Das ist mir zu hoch,« sagte Sassenbach. »Ich kann mir nicht helfen — +ich finde es nicht ähnlich! Es ist was dran, was mir bisher an Ihnen +wenigstens niemals aufgefallen ist!«</p> + +<p>»Was Ihnen vielleicht nicht aufgefallen ist, Herr von Sassenbach,« +sagte langsam mit sinnendem Lächeln Frau Cäcilie, »darum ist aber noch +nicht gesagt, daß es etwas Falsches ist ... vielleicht ist's auch doch +nicht was Hinzugetanes ... vielleicht ist's doch etwas, was nur Sie +nicht bemerkt haben, weil Sie mich nicht kennen ...«</p> + +<p>»So, und Herr Flamberg, der ... der kennt Sie also besser, meine +verehrte gnädige Frau?!«</p> + +<p>Wiederum eine eisige Stille. Regungslos stand der ganze Kreis. +Jeder fühlte: der gute Major hatte da in aller Harmlosigkeit etwas +ausgesprochen, etwas, das — —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_253">[S. 253]</span></p> + +<p>Der Oberst fühlte sich verpflichtet, einzurenken.</p> + +<p>»Na, das ist doch selbstverständlich, lieber Sassenbach, daß ein Maler +an ... an den Menschen, die er malt ... daß er da allerlei entdeckt ... +was ... was wir gewöhnlichen Sterblichen nicht zu sehen bekommen ...«</p> + +<p>Abermals befangenes Schweigen. Der Oberst bekam einen roten Kopf.</p> + +<p>Cäciliens Lippen bebten. Sie litt bis ins Herz.</p> + +<p>Gott, all diese plumpen Hände ... die höchste und zarteste Dinge +berührten wie tappige Knabenpfoten holden Schmetterlingsschmelz ...</p> + +<p>Wenn nur er selber nicht dabei gewesen wäre ... sie war ihn ja gewohnt, +diesen ungeschlachten Ton ... Diese geraden, einfachen Männer ... was +sie zu verschleiern suchten, trat ungewollt zutage.</p> + +<p>Medisance, Bosheit, verständnislose Verketzerung hatten bereits +ein dichtes, trübes Gespinst gewirkt um dies Werk ... um seine +Entstehungsgeschichte ... sein Modell ... seinen Schöpfer ...</p> + +<p>Da scholl in das peinliche Schweigen hinein von draußen ein lustiges +Krachen, Knattern, Prasseln.</p> + +<p>Frau Cäcilie atmete auf.</p> + +<p>Wie der Blitz waren die Adjutanten am Fenster.</p> + +<p>Eine Garbe roter Leuchtkugeln schwebte soeben ruhigen Falles aus der +Höhe nieder und goß einen Märchenglast über das schmale, schweigende +Tal, die heitern Linien des friedumschirmten Schlößchens ...</p> + +<p>»Hurra, Feuerwerk!« rief Blowitz.</p> + +<p>»Feuerwerk — bravo, bravo, bravissimo!« applaudierte der Oberst +geräuschvoll. »Nein, meine gnädige Frau, so<span class="pagenum" id="Seite_254">[S. 254]</span> etwas von einer Bewirtung +ist ja überhaupt noch gar nicht dagewesen! — Zauberfest mit allen +Schikanen!«</p> + +<p>»Wollen wir nicht in den Garten?« meinte der Major, »für den ist doch +jedenfalls der ganze Apparat berechnet — hier geht uns ja die Hälfte +von der Herrlichkeit verloren!«</p> + +<p>»Selbstverständlich, meine Herren,« sagte die Hausfrau, »nur schnell +hinunter — sonst ist alles vorbei, ehe wir am Platze sind!«</p> + +<p>Niemand nahm auch nur mit einem Blick Abschied von dem Bilde, das da +droben hing wie ein Gast aus heiligen Fernen ...</p> + +<p>Mit kindlicher Eile stürmten die Herren hinunter, um nur ja nicht eine +Rakete, nicht ein Feuerrad zu verlieren — oder war's die Hast, von dem +Werk hinwegzukommen, das sie alle unheimlich, übergewaltig hatte ahnen +lassen, daß ein Fremdling aus einer unbekannten, hoheitleuchtenden Welt +in ihrer Mitte weilte, aus einer Welt, deren Lebensgesetze wirkten +jenseits ihres Begreifens —? Und auch Frau Cäcilie war gegangen, +hastig, ohne Abschied ...</p> + +<p>Langsam, als letzter, schritt der Maler die Treppenstufen hinunter ...</p> + +<p>Nun machte er plötzlich kehrt ... stieg langsam wieder empor ...</p> + +<p>Er wollte einsamen Abschied nehmen ... Abschied von seinem Werk ... +Abschied von der Sphäre, der es nun angehören sollte wie sein Urbild +... Abschied von der unerhofften süßschaurigen Schickung dieser acht +Wochen ...</p> + +<p>Er trat in das Herrenzimmer zurück, warf einen langen Blick in dem Raum +umher.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_255">[S. 255]</span></p> + +<p>Der Schwiegervater des Hauptmanns hatte das Schlößchen mit der ganzen +Einrichtung gekauft. Das Zimmer trug noch nicht den Wesensstempel +seines jetzigen Besitzers.</p> + +<p>Inmitten des behaglichen, doch konventionellen Prunks war Cäciliens +Bild das einzige besondere Stück, verlieh dem ganzen Raum sein Gepräge, +beherrschte ihn.</p> + +<p>Links von der Tür war eine Erkernische, dort ließ sich Martin in einen +unergründlichen Ledersessel fallen. Sein ringsum forschendes Auge blieb +an der Tür haften, die vorhin beim Eintreten offen gestanden ... die +Frau Cäcilie ruhig geschlossen hatte ...</p> + +<p>Ja, ja — da war das Allerheiligste der Gottheit, in deren Vorhof er +hatte weilen dürfen —</p> + +<p>Künstlerlos —</p> + +<p>Weg, weg, ihr Träume ... nieder, nieder, ihr heißen Dränge ... du +wildanklagender Schrei unstillbaren Begehrens — nieder, nieder ...</p> + +<p>Es galt ja, Abschied zu nehmen ... Abschied für ewig ... Abschied auf +Nimmerwiedersehn ...</p> + +<p>Und Martin hob den Blick.</p> + +<p>Ja — das da oben ... das würde fernen Geschlechtern erzählen von einer +Schönheit, die wie ein unbegreifliches, undeutbares Märchen durch eine +nüchterne, seelenlose Welt geschritten war ...</p> + +<p>Das würde bleiben von der Schickung dieser acht Wochen ... bleiben +von den hundert bangen Stunden, der Wirrnis schlummerloser Nächte, +dem lautlos grimmigen Ringen zweier Menschen um Fassung und +Entsagungsstärke ...</p> + +<p>Das war »der Zweck der Übung« — hahaha!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_256">[S. 256]</span></p> + +<hr class="tb"> + +<p>— — Einer aber hatte aufgepaßt.</p> + +<p>Aha, der Herr Malermeister bleibt also zurück, da im Zimmer des +Hausherrn!</p> + +<p>Na ja, nun würde wohl alsbald auch die schöne Frau plötzlich +verschwinden, wie sich die beiden andern Damen bereits verflüchtigt +hatten — niedlich — sehr niedlich!</p> + +<p>So, schöne Frau, heute werden wir quitt, wir zwei! Ich paß dir auf ... +du kommst mir nicht unbemerkt vom Fleck ... das Rendezvous da oben, das +werd' ich dir versalzen ...!</p> + +<p>Mit der Hast einer Schar großer Kinder, unter Lachen und Witzen waren +die Herren die Treppe hinuntergestürzt, die Stabsoffiziere voran, +hatten mit Halloh wie ein Schwarm losgelassener wilder Buben den +Speisesaal, die Veranda, den Garten durchtollt und standen nun an der +Brüstungsmauer der Gartenbastion ...</p> + +<p>Ah! ah! aaah! —</p> + +<p>Auf dem dunkeln Wiesengrunde, jenseits der Chaussee, irrten ein paar +suchende, zitternde Irrlichtflämmchen hin und her in der schwarzen +Finsternis. Von Zeit zu Zeit machten sie Halt, tasteten noch ein +Weilchen auf dem Fleck umher und — surr! schoß plötzlich eine schlanke +Feuergarbe in die Höhe, zog einen langen, gelbrötlichen Funkenschweif +hinter sich her, zerplatzte hoch droben zwischen dem Sternengewimmel +des schmalen Himmelstreifs, der die schwarzen Mauern des Waldtals +überwölbte, und ein Regen farbig strahlender Lichtballen sank herab ... +die heitern Konturen des Schlößchens, die ruhig träumenden Buchenhänge, +die rankenübersponnenen Laubenstakete, die erhitzten Wangen und +blitzenden Augen der Gäste tauchten jählings in magisch buntem Glanz +aus der Finsternis ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_257">[S. 257]</span></p> + +<p>Jede Rakete, die aufzischte, wurde mit stürmischem Jubel begrüßt, die +schnurrenden Feuerräder, die zischenden und funkensprühenden Kaskaden +mit tosendem Applaus ...</p> + +<p>Und inmitten der überschäumend lustigen, von Ruhetagsbehagen mehr noch, +denn von Sekt und Bowle erregten Kriegsleute stand Cäcilie ... fremd +... verwaist ... in einem grenzenlosen Gefühl hilfloser Einsamkeit ...</p> + +<p>Sie suchte den Blick des einen, dem sie sich wesenseins fühlte ... und +fand ihn nicht ...</p> + +<p>Martin Flamberg war nicht unter der Schar der großen Kinder, die das +sinnlose Zickzackspiel der Funkenlinien und Feuergarben da droben +begeistert bejauchzten ...</p> + +<p>Wo war er ...?</p> + +<p>Unablässig beschäftigte dieser Gedanke die schöne Frau ... nicht ein +einziges vertrauliches Wort hatte sie heut abend mit ihm sprechen +können, nicht ein einziges! — Sie hatte sich vor ihres Mannes bang und +schmerzlich beobachtenden Blicken gefürchtet ...</p> + +<p>Und auch Flamberg hatte ja nicht den leisesten Versuch gemacht, sich +ihr zu nähern über die Schranken pflichtmäßiger Liebenswürdigkeit des +geladenen Gastes hinaus ...</p> + +<p>Das Feuerwerk bedeutete den Schluß des Abends — das war ja klar.</p> + +<p>Noch eine halbe Stunde würden die Gäste beim Bier verweilen ... dann +war's zu Ende ... dann würden die Herren aus dem Dorf sich in ihre +Quartiere zurückbegeben; denn morgen stand ein heißer Tag in Aussicht: +das ganze Armeekorps gegen den markierten Feind, morgen abend Biwak des +ganzen Korps ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_258">[S. 258]</span></p> + +<p>Morgen abend im Biwak würden die Herren sehr ermüdet und +schonungsbedürftig sein ... Fritz hatte sich den Besuch der Damen +ausdrücklich verbeten ...</p> + +<p>Und übermorgen Manöverschluß, Entlassung der Reserveoffiziere auf dem +Übungsfeld, Rückfahrt in die Heimat auf dem kürzesten Wege ...</p> + +<p>Also — es war wirklich zu Ende in einer halben Stunde ... +unwiderruflich zu Ende ...</p> + +<p>Ihr grauste — — —</p> + +<p>Und ihre Freundinnen ... wo steckten die? — Seit einer halben Stunde +verschwunden! — natürlich beim Flirt —!</p> + +<p>Glückliche Kinder, die noch wählen durften ... die noch eine Zukunft +hatten ... noch hoffen konnten auf ein Leben zu zweien, in dem man +zusammenwachsen würde zu immer tieferem Durchdringen ... immer +innigerem Verstehen ...</p> + +<p>Cäcilie fror —</p> + +<p>Sie schauerte plötzlich zusammen, so heftig, daß der Oberst der neben +ihr stand, sich überrascht zu ihr neigte.</p> + +<p>»Gnädige Frau, Sie sollten sich in acht nehmen — es ist nicht mehr +Sommer! Sie sind zu leicht gekleidet! Es kommt verdammt kühl von den +Bergen herunter!«</p> + +<p>Die Leutnants drängten sich heran, bereit, der Hausfrau eine wärmende +Umhüllung zu holen.</p> + +<p>»Danke Ihnen tausendmal, meine Herren, Sie würden doch nicht finden, +was ich brauche! — Übrigens muß ich mich ohnehin mal um die Damen +bekümmern — ich weiß gar nicht, wo die eigentlich stecken! Verzeihen +Sie einen Moment, meine Herren!«</p> + +<p>Gott sei Dank, daß sich ein Anlaß fand, einen Augenblick zu +verschwinden! — Nur ein paar Minuten allein sein ...<span class="pagenum" id="Seite_259">[S. 259]</span> nur rasch einmal +die schmerzende Stirn, die brennenden Lider mit einem feuchten Tuch +kühlen ... nur ein paar Minuten still im Dunkeln sitzen und die Augen +schließen ... allein sein ... ganz allein ...</p> + +<p>Cäcilie schritt durch den Speisesaal, wo die drei dienstfreien Burschen +leise mit den beiden Mädchen schwatzten, befahl, daß Bier herumgereicht +werden solle, und stieg langsam, schleppenden Schritts, zum Oberstock +empor.</p> + +<p>Es trieb sie, sich langhin aufs Bett zu werfen und den Kopf tief, tief +in die Kissen hineinzuwühlen.</p> + +<p>Mit müdem Griff öffnete sie die Klinke zu ihres Mannes Zimmer und +fuhr nervös zusammen, als statt der erwarteten Dunkelheit der volle +Glanz des elektrischen Lüsters ihr entgegenströmte, der sie für einen +Augenblick blendete.</p> + +<p>Natürlich hab' ich vergessen, das Licht auszudrehen vorhin, dachte sie +und griff mechanisch nach dem Schalter rechts von der Tür —</p> + +<p>Auf einmal fuhr zur Linken aus der Tiefe des Klubsessels in der Nische +die Gestalt eines Mannes empor ...</p> + +<p>Martin und Cäcilie standen einander gegenüber ...</p> + +<p>Starr standen sie beide ... beider Augen schlossen sich einen +Augenblick lang ...</p> + +<p>»Noch hier — Herr Flamberg?« sagte Cäcilie matt und heiser.</p> + +<p>»Wie Sie sehn, gnädige Frau ...!«</p> + +<p>»Sie ... legen keinen Wert auf das Feuerwerk —?«</p> + +<p>Nur ein zuckendes Lächeln, eine entschuldigende Handbewegung brachte +Martin zustande.</p> + +<p>»Und Sie, gnädige Frau —?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_260">[S. 260]</span></p> + +<p>»Ich ... ich wollte mich einen Augenblick ausruhn —!«</p> + +<p>»Ich gehe!«</p> + +<p>»Nein ... nicht ... ich hab' Sie heut ja noch gar nicht recht begrüßt +... Sie sind mir ja ... förmlich ausgewichen ...«</p> + +<p>»Sie mir nicht, gnädige Frau —?«</p> + +<p>Cäcilie senkte die Augen und schwieg.</p> + +<p>Durch die halbe Zimmerbreite getrennt, standen die beiden Menschen +regungslos ...</p> + +<p>Das Knattern des Feuerwerks draußen schwieg ... magisch leuchtete das +ruhige Licht bengalischer Flammen auf in den Gartenbosketts und zeigte +das Ende des bunten Schauspiels an.</p> + +<p>In unverwelklicher Glorie thronte droben Martin Flambergs Bild ... +unergründlich tief und ruhevoll schauten die Augen des gemalten Weibes +da droben hernieder auf die zitternde Hand, die schweratmende Brust +seines lebenden Urbilds drunten, auf die zusammengepreßten Lippen, die +straff angespannte Gestalt seines Schöpfers ...</p> + +<p>»Leben Sie wohl, Martin Flamberg —« flüsterte Cäcilie.</p> + +<p>Tief gesenkten Hauptes wandte sie sich zur Tür des Ehegemachs.</p> + +<p>»Cäcilie —!« schrie Martin auf.</p> + +<p>Da zuckte sie jäh zusammen ... stand mit hängenden Armen abgewandt +einen Augenblick ...</p> + +<p>Dann kam der Sturm, warf ihre Leiber zusammen, stieß ihre Lippen +zusammen ...</p> + +<p>Und wie sie sich küßten, da hatte jedes von ihnen die Vision eines +bleichen, todesstarren Menschenangesichts.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_261">[S. 261]</span></p> + +<p>Cäcilie sah Fritz, wie sie ihn gesehen hatte im Traum der vorletzten +Nacht, im Manöveranzug, die Linke auf die Brust gepreßt, ein zähes Naß +rieselnd zwischen den braunbehandschuhten Fingern hindurch ...</p> + +<p>Und Martin war's, als hielte er Agathe im Arm wie beim letzten +Wiedersehn daheim, als sie sich leise stöhnend an seine Brust geworfen +hatte ... jetzt aber erstarrte, erkaltete sie an seinem Herzen ... +schwand hin ... sank in sich zusammen ... eine jählings welkende +bleiche Rose ...</p> + +<p>Mit einem wilden Schluchzen befreite sich Cäcilie aus Martins Arm.</p> + +<p>»Leb wohl, Martin ... leb wohl —«</p> + +<p>Sie hastete zur Tür, ihre Röcke raschelten ... aus dem Dunkel des +Nebenzimmers blinkten die gelben Messingstangen und der weiße +Spitzenhimmel ...</p> + +<p>Die Tür fiel ins Schloß.</p> + +<p>Und Martin strich mit dem Handrücken über die Stirn ... kalte Tropfen +standen darauf ...</p> + +<p>Dann wandte er sich bewußtlos der Korridortür zu ... seine Schritte +wurden Flucht ... er riß die Tür auf und prallte im Rahmen mit Fritz +von Brandeis zusammen.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Aha — grinste Oberleutnant Menshausen in sich hinein, als die +Gastgeberin sich plötzlich aus der Schar der Zuschauer des Feuerwerks +zurückzog — aha, also wirklich!</p> + +<p>Er gönnte ihr einen kleinen Vorsprung, zog sich dann gleichfalls +langsam aus der Gruppe heraus, die am Rande der Gartenbastion stand, +und schob sich am Saum der Bosketts entlang hinter Frau Cäcilie her ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_262">[S. 262]</span></p> + +<p>Er stockte, als in diesem Augenblick von der Treppe her, die aus dem +Schloßgarten zu den dunkeln Gehegen des Parks hinanführte, ein Paar +herniederstieg ...</p> + +<p>Schau, schau ... der Landwehrfritze — und das ältere Majorsmädel — +und — — zog sich nicht in diesem Augenblick langsam ihr Arm aus dem +seinen ...? Sah sie nicht empor zu ihm mit einem Blick, ordentlich +butterweich?</p> + +<p>Und sieh — aus der Tür, die zum Seitenflügel führte, schlich sich da +zu gleicher Zeit das jüngere Fräulein heraus und gesellte sich ganz +harmlos zu den Zuschauern des Feuerwerks — woher kam denn die —?! Na, +selbstverständlich auch von einem Rendezvous! —</p> + +<p>War denn das ganze Schloß des Teufels —?!</p> + +<p>Keine Zeit, weiter zu beobachten ... er durfte die Fährte nicht +verlieren ... er trat in die Veranda, ging zu dem Tisch, auf dem +Zigarren und Zigaretten aufgestapelt waren, zündete auch wirklich ein +Papyros an ... beobachtete, wie Frau Cäcilie drinnen Befehle erteilte +...</p> + +<p>Im Augenblick, als sie auf die Diele hinaustrat, schlenderte er +harmlos, nachlässigen Ganges durch den Speisesaal, gab seinem Burschen, +der eben mit einem Brett voll Biergläser aus der Küche kam, einen +Auftrag wegen des Sattelns für andern Morgen ... und folgte der +Hausfrau ...</p> + +<p>Er hörte ihre müden, unsichern Schritte sich die Treppe hinaufschleppen +... horchte, wie sie eine Tür öffnete und schloß ... und wollte eben +hinterhersteigen, als plötzlich mit hastigen Schritten der Leutnant +Quincke aus dem Küchenflur schoß. Er erblickte den Kameraden und +stürzte auf ihn zu:</p> + +<p>»Menshausen, Sie müssen mir einen Rat geben —!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_263">[S. 263]</span></p> + +<p>»Gern — nachher! Erst müssen Sie mich einen Augenblick entschuldigen +... ich muß schleunigst auf mein Zimmer ... der Oberst, wissen Sie ... +ich soll ... ich soll die Brigadebefehle für morgen früh holen ... bin +im Moment wieder da!«</p> + +<p>»Aber so hören Sie doch nur eine Sekunde — ich hab' eben einen +schauderhaften Auftritt mit der kleinen Molly Sassenbach gehabt! — +Bitte, sagen Sie mir doch bloß, wie ich mich verhalten soll ... Sie +haben mich doch in diese Schweinerei hineingebracht, haben mir doch den +Auftrag gegeben, die Damen ein wenig zu beobachten ...!«</p> + +<p>Teufel — dachte Menshausen ... sollte der dämliche Geselle eine +Taperei gemacht haben und nun die Verantwortung auf mich selber +abwälzen wollen —?!</p> + +<p>»Na — so erzählen Sie schon schnell!«</p> + +<p>Quincke berichtete.</p> + +<p>Menshausen platzte hell heraus: »Sie sind eine Kraft, Quincke — +allerhand Hochachtung! Sie verdienen, Obereunuch beim Padischah zu +werden! — Ich hatte Sie gebeten, ein wenig zu beobachten — und Sie +platzen dazwischen, ehe überhaupt was passiert ist! Na, weiter kein +Unglück —!«</p> + +<p>»Aber die Kleine hat mich tödlich beleidigt! Ich werde mich bei ihrem +Vater beschweren!«</p> + +<p>»Sie sind komplett wahnsinnig, Herr! — Danken Sie Ihrem Schöpfer, wenn +die Kleine nicht anfängt! — Sich beschweren — hahaha! Das Gesicht von +Sassenbach!! Ne, mein Lieber, die kleine Gardinenpredigt, die stecken +Sie man ruhig ein! Die haben Sie rechts und links 'rum verdient! — +Und nun lassen Sie mich nach oben! — — Donnerwetter, da ist der +Hauptmann!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_264">[S. 264]</span></p> + +<p>Munter summend kam Herr von Brandeis aus dem Küchenkorridor: »Na meine +Herren, wie hat Ihnen das Feuerwerk gefallen? — pompöse Sache, was?«</p> + +<p>»Glänzend, Herr Hauptmann — ganz pyramidal!«</p> + +<p>»So — und Sie stehn hier auf der Diele 'rum und machen offizielle +Gesichter? — Marsch in den Garten — jetzt gibt's Münchener! — +Übrigens — weiß einer von Ihnen, wo meine Frau steckt?«</p> + +<p>So, schöne Frau —! Jetzt kommt die Rache des Negers!</p> + +<p>»Die gnädige Frau ist soeben die Treppe hinaufgegangen — ich glaube, +sie äußerte, sie wolle sich etwas wärmer anziehn!«</p> + +<p>»Oho — wärmer anziehn? — werde mal nach ihr schauen!«</p> + +<p>Der Hauptmann schritt die Treppe hinauf. Mit angehaltenem Atem lauschte +Menshausen.</p> + +<p>Jetzt also platzte droben die Bombe ...!</p> + +<p>»Was horchen Sie denn so gespannt?« flüsterte Quincke.</p> + +<p>»Halten Sie den Mund!«</p> + +<p>In dem Augenblick, als der Hauptmann die Tür öffnete, war's, als würde +diese von drinnen aufgerissen ...</p> + +<p>Ein Ton klang ... ein dumpfer Naturlaut, wie ein Knurren der +Überraschung und des Schreckens ...</p> + +<p>Dann hörten die Lauscher, wie der Hauptmann eintrat. Die Tür fiel ins +Schloß. Nichts weiter vernehmbar.</p> + +<p>Menshausen fühlte, wie seine Hände flogen vor Erregung ... in dieser +Sekunde überfiel ihn auf einmal eine jähe Scham ... ein angstvolles +Grausen ...</p> + +<p>Herrgott — was geschah jetzt da droben —? Morgen früh würde Blut +fließen!</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_265">[S. 265]</span></p> + +<p>Und er — er hatte die Sache zum Klappen gebracht.</p> + +<p>Pah — was ging's ihn schließlich an? Einmal wäre der Krach ja doch +gekommen!</p> + +<p>Aber ekelhaft war's doch, zu wissen, daß man selber — —</p> + +<p>Äh ... nichts mehr zu machen!</p> + +<p>Vielleicht war ja überhaupt gar nichts passiert? Und die drei saßen da +oben ganz friedlich und vergnügt zusammen —!</p> + +<p>Horch — da ging die Tür wieder auf ... Schritte kamen die Treppe +herunter ... hastige Schritte — Flamberg — —</p> + +<p>Gesenkten Hauptes, unsichern Ganges tappte der Maler die Stiege hinab, +ohne die beiden Herren zu bemerken, die sich unwillkürlich jeder +in einen Stuhl fallen lassen und Stellungen harmloser Zwiesprache +angenommen hatten.</p> + +<p>Er schritt geradeswegs in den Garderobenraum, der vorn neben der +Eingangspforte lag ... kam gleich darauf wieder heraus ... den Helm +schief auf den Kopf gestülpt ... im Begriff, den Säbel umzugürten ... +Kaum konnten die fliegenden Finger die Zunge des Koppelriemens in die +Schnalle bringen ...</p> + +<p>Aufschauend bemerkte er die beiden Herren.</p> + +<p>Er zwang sein tief erblaßtes, finster verzerrtes Gesicht zu einem +verbindlichen Lächeln: »Nun, Quincke, gehn Sie noch nicht mit ins Dorf +hinunter? — Wir müssen uns morgen um drei wecken lassen, außerdem +fünfundvierzig Kilometer in Aussicht!«</p> + +<p>»Haben Sie sich denn schon von den Stäben verabschiedet?«</p> + +<p>»Ne ... ich bin müde, drücke mich französisch! ... Na, woll'n Sie mit +...? Der Weg ist verdammt dunkel!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_266">[S. 266]</span></p> + +<p>»Ich habe Blowitz versprechen müssen, auf ihn zu warten —!«</p> + +<p>»So —? Na, dann muß ich also in Gottes Namen allein —! Guten Abend, +meine Herren! — Wohl bekomm's!«</p> + +<p>Säbelrasselnd, beherrschten Ganges schritt er von dannen.</p> + +<p>»Donnerwetter! — sah der aus!« sagte Quincke, »was ist dem denn +passiert?!«</p> + +<p>»Was soll ihm passiert sein?« grinste Menshausen. »Kommen Sie — +ich hab' einen scheußlichen Brand in der Kehle von dem verdammten +süßen Zeug, der Pfirsichbowle! Ein Schoppen Münchener wäre nicht zu +verachten!«</p> + +<p>Als die Herren durch den Speisesaal schlenderten, kam mit raschen, +festen Schritten der Hausherr hinter ihnen her: »Na, jungen Leute, wie +schaut's draußen aus? — Hat alles zu trinken?!«</p> + +<p>Ein rauher, rostiger, geborstener Klang in seiner Stimme ...</p> + +<p>Menshausen wagte nicht, ihn anzuschauen ...</p> + +<p>Eine fressende Scham, ein Ekel vor sich selber würgte ihm in der +Kehle ... Zweifellos — morgen ... morgen ... morgen floß Blut ... +irgendwo ... im Wald ... ein paar hundert Schritt vom Biwak des ganzen +rheinischen Armeekorps. Blut ... Menschenblut ... Kameradenblut ...</p> + +<p>Und er ... pfui Deubel ... pfui Deubel ... Er hätte ausspucken mögen +vor sich selber.</p> + +<p>In zechenden, plaudernden Gruppen standen die Gäste draußen im Garten +beisammen ...</p> + +<p>Als der Hausherr auftauchte, empfing ihn ein rasender Beifallssturm.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_267">[S. 267]</span></p> + +<p>Der Oberst rief: »Meine Herrschaften — unser ritterlicher, glänzender +Gastgeber — hurra, hurra, hurra — —!«</p> + +<p>Schmetternd widerhallte der Ruf an den Felswänden ... rollte weithin +das dunkel träumende Waldtal entlang ...</p> + +<p>»Aber — wo ist die Königin unseres Festes, unsere schöne verehrte +Hausfrau?!«</p> + +<p>»Meine Frau ist leider nicht ganz wohl,« sagte Brandeis im Ton ruhigen +Bedauerns, »sie hat sich gelegt und bittet die Herrschaften, sie +entschuldigen zu wollen! — Übrigens hat es nicht das Geringste zu +sagen ...«</p> + +<p>Allgemeines höfliches Beileid.</p> + +<p>Die Mädchen drängten sich an den Hauptmann heran: »Dürfen wir nicht mal +zu ihr hinauf?!«</p> + +<p>»Sehr liebenswürdig, meine Damen! Haben Sie schönsten Dank! — Aber +es ist wohl besser, man läßt sie ganz in Ruhe! Es hat wirklich gar +nichts zu sagen ... nur ein bißchen Übermüdung! — Bitte, bitte, meine +Herrschaften, lassen Sie sich ja nicht stören!«</p> + +<p>»Aber nein, lieber Brandeis, die Herren von drunten waren ohnehin im +Begriff, aufzubrechen! — Übrigens wird's auch allmählich höchste Zeit +... elf Uhr vorbei — heiliges Kanonenrohr!«</p> + +<p>»Gewiß,« bestätigte der Major, »wir haben mehr Pfirsichbowle +<em class="antiqua">intus</em>, als wir vor Gott und Seiner Exzellenz dem Herrn +Korpskommandeur verantworten können! — Wenn das noch eine halbe Stunde +so weiter geht, brechen wir uns auf dem Heimweg Hals und Beine!«</p> + +<p>»Ich gebe den Herren selbstverständlich einen Burschen mit einer +Laterne mit! — Aber bitte wirklich dringend, meine Herren — setzen +wir uns wieder zu Biere! — Meine<span class="pagenum" id="Seite_268">[S. 268]</span> Frau würde untröstlich sein, wenn +sie wüßte, die Herren ließen sich nicht halten ...«</p> + +<p>Gott sei Dank ... sie gingen ... die von drunten ...!</p> + +<p>»Aber wenigstens die Schloßbesatzung wird doch noch ein wenig beisammen +bleiben —! Das verlange ich einfach, Herr Oberst!«</p> + +<p>»Lieber Brandeis, Ihr Wunsch ist mir heute Befehl — aber jetzt wird's +wirklich Zeit für uns alle! — Also — gute Nacht, mein Verehrtester +...! es war einfach feenhaft ... direkt chimborassomäßig war's ... +verstehn Sie mich ...? Aber nun Schluß! — Und meine Herren Adjutanten +werden sich auch schlafen legen, sonst werden morgen meine sämtlichen +Befehle falsch ausgerichtet!«</p> + +<p>Gott sei Dank ... nun wurde Ruhe ... nun konnte man denken ... +Entschlüsse fassen ... die unvermeidlichen Entschlüsse ...</p> + +<p>Leise ... ganz leise klinkte Fritz von Brandeis die Tür zum +Schlafzimmer auf ... lauschte angespannt in das dunkle Gemach hinein +... lauschte auf Cäciliens Atemzüge ...</p> + +<p>Vielleicht schlief sie wirklich ... vielleicht hatte es sie übermannt +... es wäre das Beste gewesen ... er fühlte sich so todesmatt ... so +widerstandsunfähig ...</p> + +<p>Jetzt nicht mehr fragen ... jetzt nicht mehr Antwort hören ... und +wägen müssen ...!</p> + +<p>Gott, wenn sie doch schliefe! — Dann würde er sich in seinem Zimmer +auf das kühle Bismarcksofa werfen ... sich in eine Decke wickeln ... +und schlafen ... schlafen ... schlafen ...</p> + +<p>Wozu noch lange fragen?! — Was er wissen mußte, wußte er ja doch ... +Er wußte, daß Raub verübt worden<span class="pagenum" id="Seite_269">[S. 269]</span> war an seinem Allerheiligsten ... +wußte, daß er morgen Rechenschaft fordern würde für diesen Raub ... +morgen, wenn es Tag war ... blutige Rechenschaft ... Rechenschaft +fordern mit Einsetzung seines eigenen Lebens ... Und vielleicht war's +am besten für ihn, wenn's ihn dann traf ... Sein Leben war ja doch +besudelt ... verspielt ... verloren ...</p> + +<p>Kein Laut war vernehmbar ... nicht der leiseste Laut ...</p> + +<p>Herrgott — plötzlich — ein Gedanke — — Nein ... das nicht ... das +um Himmels willen nicht ...!!</p> + +<p>Mit raschen, leisen Schritten trat Brandeis zu seinem Nachttischchen, +drehte die Birne des rotumschirmten Stehlämpchens auf ...</p> + +<p>Da richtete sich vom Nachbarbette die Gestalt seines Weibes halbleibs +empor. Noch völlig bekleidet, hatte sich Cäcilie auf die Überdecke +gelegt. Glasig stierten ihre Augen .. wirr hingen die rostfarbenen +Strähnen um ihr blasses Gesicht ... das stand im roten Licht irr und +verzerrt ...</p> + +<p>Fritz stand regungslos ... ein trockenes, kurzes Schluchzen +durchrüttelte seine aufrechte Gestalt ...</p> + +<p>»Willst du dich nicht auskleiden ... und dich ordentlich hinlegen, +Cäcilie ...? Ich lege mich nebenan aufs Sofa ...« Wie eine gütige, +sorgsame Bitte hatte das geklungen.</p> + +<p>»Fritz ... was ... was willst du tun —?!«</p> + +<p>»Darüber ... hat der Ehrenrat ... zu entscheiden ...«</p> + +<p>»Du hast — dem Major schon Meldung gemacht —?«</p> + +<p>»Ich tu's morgen früh!«</p> + +<p>Cäcilie schlug die Hände vors Gesicht. Der einzige Kuß ... der +Abschiedskuß ... nein, das war ja doch nicht möglich ... das durfte ja +doch nicht sein ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_270">[S. 270]</span></p> + +<p>»Mach dir keine Sorge, Cäcilie ... ich ... schieß ihn dir nicht tot ... +ich ... schieß ihn ... dir ... nicht tot ...«</p> + +<p>Da fielen Cäciliens Hände mit einem Ruck in ihren Schoß ... die starren +Augen ruhten auf dem Antlitz des Gatten mit einem langen, seltsam +prüfenden, suchenden Blick ... Ein Staunen glomm in diesem Blick auf +... ein großes Sichwundern ...</p> + +<p>Plötzlich ein zages Pochen an der Tür. Fritz fuhr zusammen: »Was gibt's +—?«</p> + +<p>»Verzeihen Herr Hauptmann, wenn ich störe!«</p> + +<p>»Was haben Sie denn, Fräulein?«</p> + +<p>»Der Bursche vom Herrn Major ist draußen mit einem dringlichen Befehl +— von der Brigade, sagt er!«</p> + +<p>»Ich komme —!«</p> + +<p>Das Fräulein stand draußen mit einem Meldekartenbriefumschlag: »An +Hauptmann von Brandeis.«</p> + +<p>Mit Bleistift von der Hand des Majors gekritzelt, drei Kreuze dabei. +Sehr dringlich also. Der Hauptmann riß den Umschlag auf:</p><br> + +<div class="blockquot"> + +<p class="center">»Bataillonsbefehl!</p> + + +<p>Auf Befehl der Brigade: Hauptmann von Brandeis meldet sich morgen +früh 4,30 beim Herrn Brigadekommandeur als Adjutant für den Rest der +Herbstübungen an Stelle des durch Sturz mit dem Pferde heute morgen zu +Tode gekommenen Hauptmanns Goettig. Die erste Kompagnie führt Leutnant +der Reserve Flamberg.</p> +<p class="mright5">v. Sassenbach.«</p><br> + +</div> + +<p>Ruhig zog Brandeis die Uhr, notierte die Zeit des Eingangs, elf Uhr +fünfundvierzig, auf den Umschlag der<span class="pagenum" id="Seite_271">[S. 271]</span> Meldekarte und gab die Hülle +zurück: »Das bekommt der Bursche! — Wilhelm soll mich bereits um halb +drei wecken! Frühstück um drei! — Gute Nacht, Fräulein!«</p> + +<p>»Gute Nacht, Herr Hauptmann!«</p> + +<p>Einen Augenblick stand Fritz von Brandeis in tiefem Sinnen.</p> + +<p>Hauptmann Goettig durch Sturz mit dem Pferde zu Tode gekommen ... +schauerlich ... Eine glänzende Laufbahn jählings mitten durchgerissen +... eine Frau und vier Kinder des Ernährers, des Beschützers beraubt ...</p> + +<p>Und er also der präsumtive Nachfolger ... mutmaßlich für die Dauer ... +Also Brigadeadjutant <em class="antiqua">in spe</em> ... das bedeutete —</p> + +<p>Pah — ein bitteres Lächeln spielte um des Hauptmanns Lippen. Morgen +... spätestens übermorgen stand er mit der Waffe in der Hand dem Manne +gegenüber, der seines Weibes Mund geküßt ... ihm seines Weibes Herz +entrissen ...</p> + +<p>Auf den Trümmern eines solchen Glücks baut man keine — — Karriere auf +...</p> + +<p>Der andere ... der war der Sieger ... war der Stärkere ... wenn einer +von ihnen bleiben sollte ... dann mußte natürlich er selber es sein ... +er, der meritenlose Soldat ... der unbedeutende Mann seiner reichen +Frau, die nun auch ihr Herz von ihm gewandt hatte ... ihr Schicksal von +dem seinen trennte ...</p> + +<p>Für einen solchen Adjutanten würde der General sich bedanken — wenn er +überhaupt noch in die Lage kam ...!</p> + +<p>Schwerfällig ging der Hauptmann zum Schlafzimmer zurück, steckte den +Kopf zur Tür hinein: »Gute Nacht, Cäcilie!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_272">[S. 272]</span></p> + +<p>»Was war's ... was hat's gegeben?« stammelte die Stimme seines Weibes +aus der rötlichen Dämmerung.</p> + +<p>»Nichts von Bedeutung ... bin für morgen abkommandiert, muß eine halbe +Stunde früher fort ... Gute Nacht!«</p> + +<p>Er schloß die Tür, wandte sich ab, hakte mechanisch den Kragen seines +Waffenrocks auf.</p> + +<p>Auf einmal klang's hinter ihm: »Fritz ...«</p> + +<p>Brandeis fuhr herum ...</p> + +<p>Cäcilie stand an der Tür. »Fritz ... warum kommst du denn nicht zu mir +hinein ... Fritz —?«</p> + +<p>»Ich ... schlaf auf dem Sofa ... hier draußen ... oder ist es dir +lieber, wenn ich schon heut abend ... fortgeh —? hier ... das alles +... gehört ja dir ...«</p> + +<p>»Fritz! nein — nein ... alles ist dein — dein ganz allein ... ich +auch, Fritz — ich auch —!!«</p> +<hr class="chap x-ebookmaker-drop"> + +<div class="chapter"> +<p><span class="pagenum" id="Seite_273">[S. 273]</span></p> + +<h3>Fünftes Kapitel.</h3> +</div> + +<p>Das rheinische Armeekorps biwakierte gegen den markierten Feind.</p> + +<p>Der Spätsommerabend überdeckte mit sammetnen Fittichen das gewaltige +Bergplateau des Hunsrücks zwischen Idarwald und Hochwald.</p> + +<p>Und in die Nacht hinein in endloser Reihe loderten die Lagerfeuer +weithin über die endlose Ebene. Überall feierten die Mannschaften das +lustige Fest des Löffelbegrabens:</p> + +<p>Die Leute des zweiten Jahrgangs, die unmittelbar nach Manöverschluß +in die Heimat entlassen werden würden, schmückten, Kompagnie für +Kompagnie, einen mächtigen Baum mit Strohschleifen, und ein jeder +hängte vom Inhalt seines Tornisters hinein, was nun ausgedient +hatte, seinen Eßlöffel, seine abgewetzte Stiefelbürste, Putzlappen, +Knopfgabeln ...</p> + +<p>Die wunderliche Trophäe wurde unter derben Soldatenspäßen und +unablässigem Absingen des Reserveliedes durch das Lager getragen und +schließlich mit Hallo und Kinderjubel in die Glut des Biwakfeuers +versenkt.</p> + +<p>Heimatstimmung ... Heimkehrseligkeit überall ...</p> + +<p>Heimkehrseligkeit —?!</p> + +<p>Leutnant Flamberg saß mit Carstanjen und dem Fahnenjunker vorm +Offizierszelt der ersten Kompagnie.</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_274">[S. 274]</span></p> + +<p>Ihren Kapitän hatte die Königliche Erste heut nur von weitem zu Gesicht +bekommen, wenn die kleine Kavalkade vorübersprengte, über welcher die +diagonal geteilte schwarz-weiß-rote Standarte der Brigade flatterte.</p> + +<p>Und Martin Flamberg hatte den ganzen Tag darauf geharrt, daß Major von +Sassenbach, der Vorsitzende des Ehrenrats, ihn zitieren würde ...</p> + +<p>Dabei trug er einen Brief in der Brusttasche seines Dienstrocks, einen +Brief vom Samstag, der nur das eine Wort erhielt:</p> + +<p>»<em class="gesperrt">Über-über-übermorgen</em> —!!!!!«</p> + +<p>Gott im Himmel! ... dort in der Ferne harrte seiner die sehnende Braut +... und er ... er wartete auf den Befehl, sich zu verantworten, weil er +das Weib eines andern berührt ...</p> + +<p>Wohl war es ein Abschiedskuß gewesen ... aber er würde mit seinem Leben +dafür einzustehen haben ...</p> + +<p>Das hatte an seinen Nerven gerissen den ganzen Tag ... hatte wie +mit Keulen immerfort auf seinen Schädel eingedroschen, bis er ganz +stumpfsinnig und apathisch geworden war ...</p> + +<p>Nur der Soldat in ihm, der hatte funktioniert ... mechanisch ... +unfehlbar sicher ...</p> + +<p>Obwohl er zu Fuß war, hatte er seine Kompagnie ganz anständig durch die +Wechselfälle des heißen Marsch-, Gefechts- und Biwaktages geführt. Und +Major von Sassenbach hatte ihm mehrfach aufmunternd zugenickt: »Ich +werde Ihnen eine ganz passable Konduite schreiben können, Flamberg —!«</p> + +<p>Was hatte der Major nur heute? — Er war den ganzen Tag so merkwürdig +vergnügt —?</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_275">[S. 275]</span></p> + +<p>Durch Martins Herz aber zog immerfort das Erinnern jener wenigen +furchtbaren Sekunden, in denen er dem Manne gegenübergestanden, dem er +das tiefste Leid seines Lebens zugefügt:</p> + +<p>»Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Hauptmann ...!«</p> + +<p>»Sie werden morgen von mir hören!«</p> + +<p>Keine laute Szene — kein wildes Wort der Wut — des Grimms.</p> + +<p>Ein paar eisig korrekte, formelhafte Wendungen — und doch in jeder +Silbe der unsühnbare Haß — die Feindschaft bis aufs Messer — der +Racheschrei — die Todesdrohung!</p> + +<p>Und heute — rätselhaftes Schweigen. — —</p> + +<p>Gott — der Grund war leicht einzusehen: der Hauptmann war zur Brigade +kommandiert — der Dienst ging allem andern vor — es hatte an jeder +Gelegenheit gefehlt, die Meldung an den Ehrenrat zu erstatten.</p> + +<p>Aber diese Situation war gräßlich — sie erstickte die Kraft des +Widerstandes — machte stumpfsinnig und wehrlos.</p> + +<p>Der Gedanke an Cäcilie war wie das Erinnern eines fernen, schaurig +holdseligen Traumes.</p> + +<p>Der Gedanke an Agathe folterte das Herz noch tiefer mit schmählicher +Scham.</p> + +<p>Und aus dem innersten Herzensschacht kroch die Reue herauf — die Reue +um unwiderbringlich Verlorenes — um ein ganzes, großes, herrliches +Leben des Schaffens, des Genießens — um ein Leben voll Liebe und +Schönheit — voll freudigen Gebens und dankbaren Nehmens.</p> + +<p>Alles war hingeworfen — vergeudet um eines Augenblicks haltloser +Leidenschaft willen.</p> + +<p>Reue — Reue —</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_276">[S. 276]</span></p> + +<p>Und eines nur hatte Bestand im gestaltlos wogenden Getriebe der +anklagenden, schamvoll zerrissenen Empfindung.</p> + +<p>Dies eine Wissen: daß man einstehen werde für das eigene Tun — +regungslos — eisernen Herzens — ohne Wimperzucken — bis ans Ende — +bis ans Ende.</p> + +<p>Mannesehre ... Soldatenehre ... Offiziersehre — wahrhaftig, doch kein +leerer Wahn das alles — —!</p> + +<p>Wenn es eine Sühne gab auf Erden, dann war es die: klaglos die +Stirne, die Brust hinhalten der rächenden Kugel ... stumm und stolz +zusammensinken ... hinabtauchen in den läuternden Tod ...</p> + +<p>So sann Martin Flamberg. Und neben ihm in behaglichem +Verdauungsschweigen hockten mit übergeschlagenen Beinen auf ihren +Kisten die beiden blutjungen Knaben, der Leutnant, der Fahnenjunker ... +unkund der Schrecknisse des Lebens, der Leidenschaft ...</p> + +<p>Und ringsum jubelte die Heimatsehnsucht von zehntausend jungen +Gesellen, die nach zwei Jahren in Königs Rock übermorgen in trunkener +Wiederkehrwonne nach Hause flattern würden.</p> + +<p>Nach zwei Jahren, die ihnen mehr, weit mehr gewesen waren, als sie heut +ahnen konnten, als ihnen vielleicht jemals zum Bewußtsein kommen würde +...</p> + +<p>Zwei Jahre, in denen sie Soldaten gewesen waren ... in denen ihr Leben +seiner Vereinzelung, seiner Kleinlichkeit und Alltäglichkeit entrissen +worden war und eingegliedert in die großen Verhältnisse, das mächtige +Leben der Gesamtheit ... der Nation ... des Volkes ...</p> + +<p>Zwei Jahre, in denen sie aus Gelsenkirchenern und Rheydtern, aus +Erkelenzern und Neuwiedern zu Preußen ...<span class="pagenum" id="Seite_277">[S. 277]</span> aus Maurertagelöhnern +und Bandwirkern, aus Feilenhauern und Ackerknechten zu wehrhaften, +waffengeübten Soldaten geworden waren ...</p> + +<p>Ach ja, wohl war's manchmal scharf hergegangen in den zwei Jahren — +aber das alles war ja nun überstanden ...</p> + +<p>Was bleiben würde ... was sie mit nach Hause nahmen ... war's zu +verlangen, daß sie das heute schon begriffen — vielleicht überhaupt je +begreifen lernten?!</p> + +<p>Doch würde mancher vielleicht nach Jahren aus dem täglichen öden +Einerlei der Berufsarbeit, aus der Enge beschränkter, kinderreicher +Häuslichkeit mit Dankbarkeit und Sehnsucht zurückdenken an die zwei +Jahre in Luft und Sonne, in Waffenglanz und munterm Kampfspiel »auf +grüner Heid — im freien Feld«!</p> + +<p>Heut freilich — heut hatten sie alle nur den einen Gedanken: +übermorgen geht's zu Muttern!</p> + +<p>Und unablässig, immer von neuem klangen übers weite Feld die Weisen der +Reservelieder:</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">Nun scheiden wir aus eurem Kreise</div> + <div class="verse indent0">und ziehen aus den bunten Rock!</div> + <div class="verse indent0">Wir treten an die Heimatreise</div> + <div class="verse indent0">mit einem Reservistenstock.</div> + </div> + <div class="verse indent0">Geschlossen geht es aus dem Tore</div> + <div class="verse indent0">zum letzten Mal vergnügt hinaus.</div> + <div class="verse indent0">Die Mütze sitzt auf einem Ohre,</div> + <div class="verse indent0">und keine Waffe schmückt uns aus!</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>»Herrgott von Bentheim!« fluchte Leutnant Carstanjen, »dieses verdammte +Reservistengegröhle wächst einem, weiß der Himmel, zum Halse heraus!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_278">[S. 278]</span></p> + +<p>Flamberg lächelte: »Das wird Sie wohl Ihr ganzes militärisches +Leben hindurch begleiten, lieber Freund! Und wenn Sie sich einmal +die Mühe geben wollen, sich in die Gefühle der Burschen, die da +singen, hineinzuversetzen, dann wird's Ihnen seltsam wohl und weh +dabei werden — dann werden Sie anfangen, die Würde des hohen und +herrlichen Berufs, den Sie haben, ein wenig tiefer zu begreifen! — +Was da singt und jubelt, das ist das Heimatverlangen der deutschen +Jugend, die euch anvertraut ist zur Erziehung in Waffenkunde und +Mannhaftigkeit. — Die Gefühle, mit denen diese Leute das Reservelied +singen, sind die Gradmesser für eure Berufstüchtigkeit — wenn sich +in diese Heimkehrseligkeit nicht auch ein unverstandenes Gefühl von +Abschiedswehmut mischt, wenn diese Leute nicht in spätern Jahren mit +leuchtenden Augen und geheimem Erinnerungsschmerz am Stammtisch, im +Familienkreise, in der Schar ihrer Kinder von der Zeit erzählen, da sie +den bunten Rock trugen — von Ihnen erzählen, kleiner Carstanjen — +ihrem muntern, liebenswürdigen kleinen Zugführer, dem es zwar zuweilen +auf eine Handvoll Schweinehunde und Kamelsnasen nicht ankam ... der +aber doch im Grunde seines Herzens ein todguter, lebensfreudiger und +grundehrenwerter Junge war, der in seinen Rekruten und alten Kerlen +etwas mehr sah als bloß die Objekte einer lästigen, stumpfsinnigen +Berufstätigkeit — wenn das nicht so wäre — dann sähe es schlimm aus +um unser deutsches Heer ... um unser deutsches Volk ...«</p> + +<p>»Jesses, Jesses, er predigt — die Reserve predigt!« rief Carstanjen +mit komischem Entsetzen und doch innerlich gepackt — ein wenig +geschmeichelt — ein wenig ergriffen aber auch — »Junker, schnell 'ne +neue Pulle! —«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_279">[S. 279]</span></p> + +<p>Da trat ein Füsilier, es war der Pferdebursche des Majors von +Sassenbach, zu den Herren heran, stand stramm: »Der Herr Major läßt die +Herren Offiziere bitten, ins Bataillonsstabszelt zu kommen zu einer +kleinen Bowle!«</p> + +<p>»Wir werden kommen!« sagte Flamberg. »Ja, einer von uns muß natürlich +bei der Kompagnie bleiben — also zunächst mal Sie! Ich löse Sie +nachher ab — also auf Wiedersehen!«</p> + +<p>Ein siedender Schreck hatte Martin plötzlich durchzuckt, als die +Ordonnanz des Majors herangekommen war ... Auf die hatte er ja den +ganzen Tag gewartet ...</p> + +<p>Und nun erging der Ruf zu einem fröhlichen Zechen —!? Also die Stunde +der Abrechnung war noch immer nicht da ... der Major wußte noch von +nichts ...?!</p> + +<p>Natürlich, jetzt saß Brandeis drüben im Dorfe, wo der Brigadestab lag, +mit seinem General zusammen, studierte die Korps- und Divisionsbefehle +für morgen — redigierte den Brigadebefehl — —</p> + +<p>Da blieb ihm keine Zeit, an seine eigenen Angelegenheiten zu denken — +mochten sie auch noch so dringlich ... noch so unaufschieblich sein ...!</p> + +<p>Im Hinschreiten ließ Flamberg seine Blicke über das weite Lager +schweifen ... Die Dämmerung sank hernieder .... die frühe Dämmerung des +Spätsommerabends ... hinter dem fernen braunen Strich des Idarwaldes +verglomm der letzte Tagesglast ...</p> + +<p>Endlos hin über Berg und Tal zog sich das Biwak des Korps ... und +überall dieselbe Szene ... die lodernden Feuer mit den rastenden, +schmausenden, singenden jungen Männern drum herum ... überall niedere +Leinwandzelte ...<span class="pagenum" id="Seite_280">[S. 280]</span> Gewehrpyramiden ... Posten vor der Fahne ... Ein +ergreifendes Bild ruhender, gesammelter Volkskraft: »Lieb Vaterland, +magst ruhig sein ...«</p> + +<p>Ach — und immer wieder fühlte er dann den jähen Ruck am Herzen ...</p> + +<p>Was hast du getan — und was wird werden — —?!</p> + +<p>Wie anders müßte mir nun zumute sein ... wie leicht ... wie dankbar ... +wie voll Hoffnung ... voll überströmender Glückshoffnung — Und wie ist +mir nun ...</p> + +<p>Unmännlich hab ich mich hingegeben an diese Leidenschaft, die ich hätte +bekämpfen müssen von Anbeginn ... ausroden wie ein holdselig blühendes, +berauschend duftendes Giftgewächs ...</p> + +<p>Ich hab sie wachsen lassen ... und eine einzige Sekunde hat mein Leben +... meine Zukunft ... mein Glück vernichtet ... <em class="gesperrt">Mein</em> Glück ...</p> + +<p><em class="gesperrt">Meines</em> nur ...?</p> + +<p>Und <em class="gesperrt">sie</em> ... Agathe ... das vertrauensvolle Mädchen, das sein +Geschick in meine Hand gelegt hat ...?! Ach, Himmel, wenn sie ahnte ...</p> + +<p>Und das, was kommen kann ... was kommen muß ...</p> + +<p>Nein, nein — nicht dran denken ... hinwegscheuchen die grausigen +Bilder alles dessen, was kommen wird —</p> + +<p>Gespielt mit dem Heiligsten ... gedankenlos ... haltlos ... gewissenlos +...!</p> + +<p>Im Künstlerübermut ... im Rausch des Machtgefühls hineingegriffen in +die festgefügte Ordnung, welche diese Lebenssphäre beherrscht, in die +der Dienst des Königs, des Vaterlandes mich, den Mann aus Kreisen +leichterer, freierer Daseinsführung, hineingeführt ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_281">[S. 281]</span></p> + +<p>Nein, das ging nicht ... das paßte nicht zusammen ... Entweder — oder! +Nur zu einem Spiel ... nur zu einem Anlaß künstlerischer Sensationen +war das Gewand zu gut, das er trug, der Stand, dessen Zeichen es war ...</p> + +<p>Eine Offizierübung ist kein malerischer Motivenschatz ... die Ehe eines +Fritz von Brandeis ist kein Modellbureau ... Entweder — oder! Entweder +man ist Offizier — oder man ist es nicht! —</p> + +<p>Nun ... er würde sühnen ... seine Schuld bezahlen ...</p> + +<p>In tiefem Sinnen war Flamberg stehen geblieben am Rande des Gehölzes, +welches das Biwak deckte.</p> + +<p>Nun hörte er plötzlich seinen Namen rufen: »Flamberg! Sie, Flamberg!«</p> + +<p>Das klang vom Bataillonszelt her ... Die Kameraden hatten ihn entdeckt.</p> + +<p>Er trat hastig näher.</p> + +<p>»Na Meister ... bißchen Stimmung geschunden ... bißchen photographiert +für den Winter?! So, nun kommen Sie mal 'ran ... die Bowle ist prima, +prima ...« so klang's durcheinander.</p> + +<p>Der Major thronte inmitten der Tafelrunde, die sich auf Feldstühlen, +Kisten und Koffern um den grauen Klapptisch gruppiert hatte, der ein +Vorrecht des Bataillonsstabes war. Sein Gesicht war gerötet, die +zerknitterte Manövermütze saß ihm im Genick, den Kragen des Waffenrocks +hatte er aufgehakt ...</p> + +<p>Und an seiner rechten Seite saß der Leutnant der Landwehr Frobenius +... seine Brillengläser funkelten ... seine klugen Augen leuchteten +so seltsam ... die rotumbarteten Lippen zuckten wie in freudiger, +festlicher Erregung ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_282">[S. 282]</span></p> + +<p>»So, lieber Dormagen,« sagte der Major mit einer gewissen Feierlichkeit +zu dem jüngsten der Herren des Bataillons, dem eleganten Referendar aus +Koblenz, »nun füllen Sie gefälligst mal alle Gemäße —!«</p> + +<p>Schäumend floß der Kasinosekt über die Ränder der Emaillebecher, der +Bierseidel, der henkellosen Kaffeetassen ...</p> + +<p>Und Sassenbach erhob sich: »Meine Herren — ich weiß, daß ich Ihnen +allen eine Freude machen werde mit dem, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen +habe: Erstens — unser verehrter Kamerad, Herr Frobenius, bislang +Privatdozent der Literaturgeschichte an der Universität Bonn — ein +Herr, der in den acht Wochen, während deren er inmitten unseres +Regiments geweilt hat, trotz gewisser — hm hm — — anfänglicher +Schwierigkeiten ... trotz einer gewissen Vorliebe für den Aufenthalt +in Froschtümpeln und auf Parkettböden ... die uns ein wenig befremdet +hat ... auf die Dauer unsere größte kameradschaftliche Hochachtung und +Sympathie erworben hat — dieser Ihnen wohlbekannte Herr hat soeben +einen telegraphischen Ruf als ordentlicher Professor an die Universität +Tübingen erhalten — —«</p> + +<p>Das gab einen Sturm —!</p> + +<p>Ja, wahrhaftig, sie mochten ihn alle leiden, den bescheidenen, +gutmütigen, pflichtgetreuen Mann ...</p> + +<p>»Famos ... tadellos ... bravo, bravo Frobenius ... gratuliere +tausendmal ...!!«</p> + +<p>»Halt, meine Herren!« überschrie der Major den Tumult, »ich bitte +dringend um Ihre Aufmerksamkeit! — ich bin nämlich noch nicht zu Ende +—: Ich habe die angenehme Pflicht, Ihnen die Verlobung meiner Tochter +Nelly mit —!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_283">[S. 283]</span></p> + +<p>Weiter kam er nicht — keiner verlangte, den Namen des Erkorenen zu +wissen.</p> + +<p>Es gab einen Jubel, daß an allen Lagerfeuern des ganzen Bataillons +alle Köpfe dorthin sich wandten, wo bei der Fahne auf einer leichten +Bodenerhebung die Herren vorm Bataillonszelt tafelten ...</p> + +<p>»Das Brautpaar: hurra, hurra, hurra — —!«</p> + +<p>Und vor versammeltem Kriegsvolk nahm der Major seinen Schwiegersohn +beim Kragen und preßte seine langwallenden Schnurrbartzipfel auf den +roten Bart des Herrn Professors.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Wenige Minuten vor neun Uhr ließen die Kompagnieführer ihre Leute bei +den Gewehren antreten. Es war kühl geworden, die Mäntel hatten schon +längst angezogen werden müssen ...</p> + +<p>In langen dunkeln Reihen standen die Kompagnien ... es kam der +Augenblick des Abendgebets.</p> + +<p>Die Kompagnieführer standen vor der Front, die Zugführer am rechten +Flügel ihrer Züge.</p> + +<p>Und nun erklang von rechts her in ruhig heiterm Schreiten das +Schmettern der Regimentsmusik ... sie spielte die alte stolze Weise des +»Großen Zapfenstreichs« ...</p> + +<p>Langsam marschierte das Musikkorps, die Spielleute aller drei +Bataillone voran, an der Front des ganzen Regiments vorbei, dessen drei +Bataillone ihre Biwaks nebeneinander aufgebaut hatten ...</p> + +<p>Gelblich leuchteten die Instrumente auf im Widerschein der Lagerfeuer +...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_284">[S. 284]</span></p> + +<p>Und aus der Ferne von rechts und links kam's wie ein Widerhall ... +dort, wo die andern Regimenter des Korps biwakierten, vollzog sich die +gleiche Feierlichkeit ...</p> + +<p>Nun war die Musik am linken Flügel des dritten Bataillons angekommen, +sie machte kehrt, zog abermals vor den dunkeln Massen der lauschenden +Truppen entlang bis in die Mitte des zweiten Bataillons, in die Mitte +der ganzen Regimentsfront. Da machte sie halt.</p> + +<p>Hier stand der Oberst mit seinem Stabe. Er gab mit weithin schallender +Stimme das Kommando: »Mützen ab zum Gebet!«</p> + +<p>Die Bataillonskommandeure, die Kompagniechefs wiederholten den Befehl.</p> + +<p>Alle Mützen flogen von den Köpfen ... ein tiefes, andächtiges Schweigen +lagerte über dem nächtigen Plan ...</p> + +<p>Nun scholl ein dumpfer, langhinrollender Trommelwirbel ... die +achtundvierzig Tambours des Regiments ließen leise rasselnd ihre +Schlägel auf die entspannten Kalbfelle niederfallen ... darüber +schwebte ein leiser, flehender Triller der Flöten ... und nun setzte +der volle Ton der Trompeten, Tuben, Posaunen ein mit herzerschütternder +Choralmelodie ...</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Ich bete an die Macht der Liebe,</div> + <div class="verse indent0">die uns vom Himmel offenbart ...</div> + <div class="verse indent0">ich geb' mich hin dem freien Triebe,</div> + <div class="verse indent0">mit dem ich je geliebet ward.</div> + <div class="verse indent0">Ich will, anstatt an mich zu denken,</div> + <div class="verse indent0">ins Meer der Liebe mich versenken ...«</div> + </div> +</div> +</div> + +<p>— Das griff in jede Brust ... übergewaltig ... versöhnend ... Frieden +spendend ... Himmelsfrieden ..</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_285">[S. 285]</span></p> + +<p>Stumm ... regungslos lauschten die zwölfhundert jungen Männer im +Waffenrock der Niederländer Füsiliere ... und alles weithin übers +endlose Waffengefild lauschte ... sie alle, die jugendschwellenden, +hochaufschauernden Kriegerherzen ...</p> + +<p>Und keiner ... keiner war so arm ... so heimat- und friedlos, daß er +nicht an ein Liebes hätte denken können, dessen Herz in weiter Ferne +für ihn schlug ...</p> + +<p>Martin Flambergs Herz aber schrie auf in wildem Gram ... in fressender +Reue ...</p> + +<p>Agathe ... Agathe ...!!</p> + +<p>»Mützen auf — weggetreten —!«</p> + +<p>— Als Flamberg sich umwandte, dem Kompagniezelt zu — stand plötzlich +der Hauptmann von Brandeis hinter ihm: »Guten Abend, Flamberg — haben +Sie einen Moment Zeit für mich?!«</p> + +<p>»Zu Befehl, Herr Hauptmann!«</p> + +<p>»Kommen Sie ... wir gehen ein paar Schritte in den Busch hinein ...«</p> + +<p>Stumm folgte Martin Flamberg — in seinem Kopf und Herzen war ein +brandender Schwall — er konnte nichts denken — nichts fühlen ...</p> + +<p>Unter der vordersten Buche des Gehölzes machte der Hauptmann halt. +Dicht standen die Männer einander gegenüber ... ihre Gesichter +schimmerten nur schwach im Widerschein der Biwaksfeuer ...</p> + +<p>»Wir wollen nicht viele Worte machen, Flamberg ... Sie haben mir sehr +... sehr weh getan ... wissen Sie das ...?«</p> + +<p>»Ich weiß es, Herr Hauptmann!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_286">[S. 286]</span></p> + +<p>»Was Sie sich dabei gedacht haben — Gott mag's wissen! — Ich will zu +Ihren Gunsten annehmen, nicht allzuviel! — Ich will Ihnen auch nicht +Moral predigen — ich wette, das haben Sie selber genügend besorgt +in den Stunden seit ... seit gestern abend ... also zur Sache: es +ist der Wunsch meiner Frau ... daß Sie und ich uns ... friedlich ... +auseinandersetzen. Ich respektiere diesen Wunsch ... und ... ohne daß +Sie erst darum zu bitten brauchen ... soll Ihnen verziehen sein.«</p> + +<p>»Herr Hauptmann!« stammelte Martin.</p> + +<p>»Ich versteh das alles ja sehr gut ... Sie sind — wie sagt man doch — +eine glänzende Erscheinung ... ein außergewöhnlicher Mensch ... eine +Berühmtheit ... Ich bin ein einfacher Soldat ... Aber ich hab diese +Frau sehr lieb ... ganz gewiß lieber, als irgendein anderer Mensch sie +haben kann ... und schließlich bin ich doch am Ende ihr Mann, nicht +wahr?! Also kurz: Meine Frau hat mir erzählt: was zwischen euch beiden +geschehen ist, gestern abend ... das ist ein Abschied gewesen ... Nun +— so will ich's denn als ... Abschied ... gelten lassen. Nur eins +versprechen Sie mir, Flamberg, nur das eine: halten Sie das Angedenken +dieser Frau in Ehren ... in hohen Ehren, Flamberg! wollen Sie mir das +versprechen ...?«</p> + +<p>»Das — — versprech ich ... Herr Hauptmann!«</p> + +<p>»Nun noch eins — Sie heiraten ja übermorgen ... Sie müssen Ihrer +jungen Frau einmal ... erzählen ... was Sie getan haben ... nicht jetzt +... nicht im Flitterwochenrausch ... später einmal, wenn ihr euch +beide kennt ... dann sollen Sie's ihr erzählen ... das wird euch zwei +zusammenketten, das ... und Sie vor mancherlei bewahren, was vielleicht +... noch kommen könnte ...! Werden Sie das tun —?«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_287">[S. 287]</span></p> + +<p>»Ich werd's tun, Herr Hauptmann!«</p> + +<p>»Ich danke Ihnen — und nun ... ich hab morgen Dienst beim Herrn +General, und wir werden uns vor Ihrer Entlassung wohl kaum mehr sehen +... also ... leben Sie wohl ...!«</p> + +<p>Er streckte dem Kameraden die Rechte hin. Flamberg schlug ein — er +konnte nicht reden.</p> + +<p>»Soll ich ... Cäcilie ... einen Gruß ... von Ihnen bestellen ...?«</p> + +<p>»Ich ... bitte darum, Herr Hauptmann ...!«</p> + +<p>»Ich werd's ausrichten! — Addio, lieber Flamberg!«</p> + +<p>Noch einmal drückte der Hauptmann kräftig Martins Rechte ... legte die +Hand an die Mütze ... schritt rasch von dannen ...</p> + +<p>Und Flamberg ging langsam zu seiner Kompagnie.</p> + +<p>Begnadigt! — Dem Leben ... der Heimat ... der Braut wiedergeschenkt ...</p> + +<p>Begnadigt —!</p> + +<p>In Martins Herzen hallte der Schluß der Gebetsweise wider ...</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Ich will, anstatt an mich zu denken, </div> + <div class="verse indent0">ins Meer der Liebe mich versenken ...«</div> + </div> +</div> +</div> + +<hr class="tb"> + +<p>Die letzten Lagerfeuer erloschen.</p> + +<p>Die letzten der Offiziere, die sich noch durch ein paar Glas Feuerbowle +für den Schlummer im Stroh, die scharfe Kühle der Frühherbstnacht auf +hohem Gebirgsplateau gestärkt hatten, krochen ins Stroh ...</p> + +<p>Die Unteroffiziere, die Mannschaften schnarchten längst in den langen +Zugzelten ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_288">[S. 288]</span></p> + +<p>Am verglimmenden Lagerfeuer der zweiten Kompagnie lag bäuchlings +hingestreckt noch ein einsamer Unteroffizier ...</p> + +<p>Beim letzten Glosten der zuckenden Flämmchen, die den mächtigen +Aschenhaufen umschwelten, las er ein Briefchen:</p><br> + +<div class="blockquot"> + +<p>»— — Du sollst nicht heut und nicht morgen kommen, lieber Hans. Du +sollst noch ein paar Jährchen warten, bis Du Deinen Assessor gemacht +hast. Wenn Du mich dann nicht leid geworden bist, dann komm und hol +mich — wenn ich dann noch da bin. Wir sind ja beide noch Kinder, und +ich weiß nicht, ob nicht einem von uns beiden doch mal einer begegnen +wird, der ihm lieber ist als die Erinnerung an einen heißen Kuß im +Garten des Offizierkasinos — weißt Du noch, mein Hans?! Wenn das +kommen sollte, dann soll keiner von uns sich an den andern gebunden +halten. Ich glaub's ja nicht, daß es mir passieren wird, ich sag's +auch mehr Deinetwegen als meinetwegen. —</p> + +<p>Aber — man kann nicht wissen —!</p> + +<p>Also — leb wohl, mein Süßer, und denk manchmal an mich!</p> + +<p>Vielleicht einmal, vielleicht — —!</p> + +<p class="mright5">Molly v. S.«</p><br> +</div> + +<p>Hans Friesen fuhr sich über die Stirn.</p> + +<p>Sie hatte ihm die Freiheit wiedergeben wollen ... wie schön das war ... +und wie klug ...</p> + +<p>Und auch in ihm tönte die Choralweise nach ...</p> + +<p>Jetzt in das dumpfe Zelt kriechen, wo die Kommißunteroffiziere +schnarchten —? Nein ...!</p> + +<p>Lieber hier am behaglich wärmenden, langsam verglostenden Feuerrest die +paar Nachtstunden verträumen — unterm gleißenden Sternenhimmel ... in +tiefem Sinnen ...<span class="pagenum" id="Seite_289">[S. 289]</span> in einem glücklichen Traum von Zukunft — Schönheit +— Ruhm — Glück — in einem wundersamen Sicheinsfühlen mit dem weiten +All ringsum, dem Chor der Schläfer auf der weiten Bergeshalde ... dem +Gewimmel der Gestirne droben am Firmament ... mit allem Geschaffenen +und seinem Schöpfer —</p> + +<div class="poetry-container s5"> +<div class="poetry"> + <div class="stanza"> + <div class="verse indent0">»Ich bete an die Macht der Liebe ...« </div> + </div> +</div> +</div> + +<p>Langhin streckte sich der Soldat auf den harten Stoppelboden, schob +Mollys Briefchen in die Brusttasche seines Waffenrocks ... und schaute +nun regungslos mit glänzenden Augen zum weißleuchtenden Nebelbogen der +Milchstraße empor.</p> + +<hr class="tb"> + +<p>Einsam, ein rüstiger Wanderer, schritt Martin Flamberg in der +Morgenfrühe des 22. September talabwärts auf der Chaussee, welche von +Leisel über Hettenrodt, Hettstein und Idar nach Oberstein an der Nahe +führte ...</p> + +<p>Hier würde er den Zug erreichen, der ihn heimwärts führen sollte.</p> + +<p>Frühmorgens im Lagerstroh hatte der Feldwebel ihn geweckt: »Verzeihen +Herr Leutnant, eine Ordonnanz vom Herrn Major ist da!«</p> + +<p>»Soll ans Zelt kommen!«</p> + +<p>»Herr Leutnant möchten so bald als möglich zum Herrn Major kommen!«</p> + +<p>Sassenbach war just bei der Morgentoilette, als Flamberg ins Stabszelt +trat: »Na, Flamberg ... Brummschädel ...?«</p> + +<p>»Danke gehorsamst — nein, Herr Major!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_290">[S. 290]</span></p> + +<p>»Entschuldigen Sie — muß mich eben fertig rasieren!«</p> + +<p>Beim Schein einer Stallaterne, die der Bursche mitsamt einem winzigen +Spiegelchen seinem Herrn vorhielt, saß der Bataillonskommandeur auf +einem Faß, mit aufgeklapptem Waffenrock, und schabte die angegrauten +Stoppeln von seinen bronzebraunen Wangen.</p> + +<p>»Also, lieber Freund, Sie haben morgen Hochzeit ... Da scheint's mir +doch besser, das Armeekorps behilft sich am letzten Übungstage ohne +Sie — Sie sind also hiermit entlassen und haben möglichst schnell und +geräuschlos aus dem Bereich des Kriegsgetümmels zu verschwinden!«</p> + +<p>»Aber ich bitte ganz gehorsamst, Herr Major ...«</p> + +<p>»Keine Fisematenten! Ich befehl's — und damit basta!«</p> + +<p>»Und wer, befehlen Herr Major — wer soll die erste Kompagnie heute +führen?«</p> + +<p>»Ach was, die paar Stunden! Kann ja der Windhund, der Carstanjen +machen! — Na, einverstanden?«</p> + +<p>»Ich danke von ganzem Herzen, Herr Major!«</p> + +<p>Sassenbach stand auf, und während der Bursche ihm im Stehen die kotigen +Stiefel an den Beinen mit der Wichsbürste bearbeitete, streckte er dem +Untergebenen die Hand hin: »Also stecken Sie sich einen grünen Zweig an +als Neutralitätsabzeichen und verschwinden Sie auf dem nächsten Wege, +solange es noch dunkel ist ... kommen Sie gut nach Hause, empfehlen Sie +mich unbekannterweise Ihrem verehrten Fräulein Braut — und machen Sie +Ihre Sache gut — na, Sie verstehn mich schon — hahaha! Haben Sie auch +schönsten Dank für freundliche Unterstützung und leben Sie wohl!«</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_291">[S. 291]</span></p> + +<p>»Darf ich Herrn Major meinen gehorsamsten, tiefgefühlten Dank für die +gütige Aufnahme und alles Gute —«</p> + +<p>»Schon gut, schon gut, lieber Flamberg — es war uns eine Ehre und ein +Vergnügen!«</p> + +<p>— — Und nun marschierte Martin Flamberg einsam talabwärts.</p> + +<p>Von seinem Helm nickte ein grüner Busch. In seinem Wachstuchtornister +klapperte eine halbe Flasche Kognak, die Carstanjen ihm noch als +Abschiedsgabe eingepackt —</p> + +<p>»Junger Ehemann <em class="antiqua">in spe</em> — — können eine kleine Herzstärkung +gebrauchen! —«</p> + +<p>Die Säbelscheide in der Linken, die Rechte taktmäßig pendelnd, stapfte +er bergab in munterm Soldatenschritt.</p> + +<p>Und wie ringsum die Bergsäume sich rosig erhellten, erhellte sich auch +des Wanderers Herz — —</p> + +<p>Ja, es ging heimwärts ... heimwärts ... es ging in die Arme der Liebe +... der Liebe, der nun sein ganzes Leben gehören sollte ... sein ganzes +Leben ...!</p> + +<p>Immer leuchtender stieg des fern harrenden Mädchens teures Bild vor +seinem Blick empor ... nun erst, da er schon fast abgerechnet mit +allem, was er besessen und erhofft hatte, lag's vor ihm in seinem +ganzen süßen, holden Glanz ...</p> + +<p>Er zog Agathens letztes Briefchen hervor, dies Briefchen, das +nur das eine einzige, sehnsuchtsschwere Jubelwort enthielt: +»Über-über-übermorgen —!!!«</p> + +<p>Nun war's schon morgen — morgen würde es heute sein! —</p> + +<p>Horch ...</p> + +<p>Bum — bum — dröhnten von droben die ersten Kanonenschläge ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_292">[S. 292]</span></p> + +<p>Der letzte Manövertag ... der Heimkehrtag für zehntausend junge +Gesellen ... der Heimkehrtag auch für ihn ...</p> + +<p>Den läuteten sie ein, die dumpfen, metallenen Schläge da oben.</p> + +<p>Bum, bum, bum — — klang's da von allen Höhen in der Runde ... Diese +Töne, die Mord und Grauen bedeuten sollten ... ihm waren sie selige +Friedensklänge ...</p> + +<p>Und immer tiefer senkte sich die Chaussee ... das war das Dörfchen +Hettenrodt, das er nun durchschritt ... Noch lag es schlummernd ... +kaum, daß ein schläfriger Ackerknecht schwerfällig die Haustür aufstieß +und über den Hof zum Stall humpelte, wo das erwachte Vieh nach seiner +Morgenration brüllte ...</p> + +<p>Nun senkte sich der Weg gen Hettstein.</p> + +<p>In einer Viertelstunde würde er am Schlößchen vorbeikommen.</p> + +<p>Dort hing das Bild der schönen Frau, dort harrte sie selber der +Heimkehr des herrlichen Mannes entgegen, der sie sein eigen nennen +durfte — um an seiner Seite ein neues, ein tieferes Leben zu beginnen.</p> + +<p>War es nicht doch gut so ... wie alles gekommen war, gut — — auch für +die beiden?</p> + +<p>Wenn der Sturm durch die Menschenherzen fährt, dann reißt er vielleicht +einmal ein Glück in Trümmer — aber gibt es nicht auch Stürme, die +segnen? die Luft klären, das Morsche hinwegfegen, auf daß das Gesunde +um so kräftiger blühe?</p> + +<p>Bum, bum, bum — läuteten die Glocken ringsum — die Hochzeitsglocken!</p> + +<p>Nun wand die Chaussee sich um eine Waldecke herum ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_293">[S. 293]</span></p> + +<p>Schau! vom ersten Morgenstrahl beglänzt, schimmerten die blitzenden +Fenster, die schmucken Türme, die grünumrankten Zinnen des Schlößchens +Hettstein.</p> + +<p>Dort schlummerte sie, die schöne, schöne, schöne Frau ...</p> + +<p>Einen Gruß dir, einen Herzensgruß, du wunderliebliches, du +märchenhaftes Geschöpf — und — Segen, Segen, Segen auf dein Leben!</p> + +<p>Himmel — war's möglich? — Auf dem Balkon im ersten Stock stand einsam +eine weiße Gestalt — lauschte dem volltönigen Geläute der Kanonen +ringsum auf den Hunsrückbergen ...</p> + +<p>Jählings strömte das Blut zu Martins Herzen — ein Weh, das ihn schier +übermannen wollte, durchrüttelte ihn so heftig, daß sein Fuß einen +Augenblick stockte ...</p> + +<p>Nein! weiter ... rüstig weiter ... rüstig weiter ...</p> + +<p>Und nun ... nun wandte die Lauscherin langsam ihr Haupt bergaufwärts +... und nun gewahrte sie den einsam wandernden Kriegersmann ... und nun +... erkannte sie ihn ...</p> + +<p>Einen Augenblick stand sie starr, schien fliehen zu wollen ...</p> + +<p>Doch nein — sie blieb —</p> + +<p>Ein weißes Tüchlein ließ sie flattern durch die goldene Morgenluft ... +ein weißes Tüchlein ... ein Abschiedszeichen ... ein Friedenszeichen ...</p> + +<p>Und Martin riß den Helm vom Kopf ... den Helm mit dem grünen Zweige ... +dem Ölzweige daran ... er schwenkte ihn nach droben zum hohen Balkon +... zu der weißen Gestalt mit dem flatternden Tüchlein ...</p> + +<p>Aber wehren konnte er nicht, daß ein paar helle Tropfen über seine +verbrannten Wangen niederrannen und zerblitzten auf dem staubigen +Waffenrock ...</p> + +<p><span class="pagenum" id="Seite_294">[S. 294]</span></p> + +<p>Ade, ade, ade ... vorüber, vorüber, vorüber ...</p> + +<p>Vor dem Rückschauenden zerfloß das Bild des Schlößchens ... zerfloß in +blinkende Nebel das Bild der weißen Frauengestalt mit dem flatternden +Tüchlein ...</p> + +<p>Ade, ade, ade ...</p> + +<p>— — Und nun geradeaus den Blick ... der Heimat, der harrenden Liebe +... der Zukunft entgegen ...</p> + +<p>Agathe ... Agathe ...</p> + +<p>Umbrandet vom tosenden Schwall der Kanonen schritt Martin zu Tal.</p> + +<p>Heimkehrgeläut ... Hochzeitsgeläut ...</p> + +<p>Er schritt zu Tal ... schritt nieder in jenes Land, wo das Leben selbst +Poesie wird ... heiligste Poesie. +</p> +<div style='text-align:center'>*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 75388 ***</div> +</body> +</html> + diff --git a/75388-h/images/cover.jpg b/75388-h/images/cover.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..62c0777 --- /dev/null +++ b/75388-h/images/cover.jpg diff --git a/75388-h/images/illu-003.jpg b/75388-h/images/illu-003.jpg Binary files differnew file mode 100644 index 0000000..cbe7438 --- /dev/null +++ b/75388-h/images/illu-003.jpg diff --git a/LICENSE.txt b/LICENSE.txt new file mode 100644 index 0000000..6312041 --- /dev/null +++ b/LICENSE.txt @@ -0,0 +1,11 @@ +This eBook, including all associated images, markup, improvements, +metadata, and any other content or labor, has been confirmed to be +in the PUBLIC DOMAIN IN THE UNITED STATES. + +Procedures for determining public domain status are described in +the "Copyright How-To" at https://www.gutenberg.org. + +No investigation has been made concerning possible copyrights in +jurisdictions other than the United States. 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