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diff --git a/.gitattributes b/.gitattributes new file mode 100644 index 0000000..6833f05 --- /dev/null +++ b/.gitattributes @@ -0,0 +1,3 @@ +* text=auto +*.txt text +*.md text diff --git a/7503-8.txt b/7503-8.txt new file mode 100644 index 0000000..7022f56 --- /dev/null +++ b/7503-8.txt @@ -0,0 +1,2676 @@ +Project Gutenberg's Mozart auf der Reise nach Prag, by Eduard Morike + +Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the +copyright laws for your country before downloading or redistributing +this or any other Project Gutenberg eBook. + +This header should be the first thing seen when viewing this Project +Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the +header without written permission. + +Please read the "legal small print," and other information about the +eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is +important information about your specific rights and restrictions in +how the file may be used. You can also find out about how to make a +donation to Project Gutenberg, and how to get involved. + + +**Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** + +**eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** + +*****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** + + +Title: Mozart auf der Reise nach Prag + +Author: Eduard Morike + +Release Date: February, 2005 [EBook #7503] +[Yes, we are more than one year ahead of schedule] +[This file was first posted on May 11, 2003] + +Edition: 10 + +Language: German + +Character set encoding: ISO-Latin-1 + +*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MOZART AUF DER REISE NACH PRAG *** + + + + +Produced by Gunther Olesch and Andrew Sly +This text has been derived from HTML files at "Projekt Gutenberg - DE" +(http://www.gutenberg2000.de/moerike/mozart/mozart.htm), prepared by +Gerd Bouillon. + + + + +Eduard Mörike + +Mozart auf der Reise nach Prag + +Eine Novelle + + + +Im Herbst des Jahres 1787 unternahm Mozart in Begleitung seiner +Frau eine Reise nach Prag, um >Don Juan< daselbst zur Aufführung zu +bringen. + +Am dritten Reisetag, den vierzehnten September, gegen elf Uhr morgens, +fuhr das wohlgelaunte Ehepaar, noch nicht viel über dreißig Stunden +Wegs von Wien entfernt, in nordwestlicher Richtung jenseits vom +Mannhardsberg und der deutschen Thaya bei Schrems, wo man das schöne +Mährische Gebirg bald vollends überstiegen hat. + +>Das mit drei Postpferden bespannte Fuhrwerk<, schreibt die Baronesse +von T. an ihre Freundin, >eine stattliche, gelbrote Kutsche, war +Eigentum einer gewissen alten Frau Generalin Volkstett, die sich +auf ihren Umgang mit dem Mozartischen Hause und ihre ihm erwiesenen +Gefälligkeiten von jeher scheint etwas zugut getan zu haben.< - Die +ungenaue Beschreibung des fraglichen Gefährts wird sich ein Kenner des +Geschmacks der Achtziger Jahre noch etwa durch einige Züge ergänzen. +Der gelbrote Wagen ist hüben und drüben am Schlage mit Blumenbuketts, +in ihren natürlichen Farben gemalt, die Ränder mit schmalen +Goldleisten verziert, der Anstrich aber noch keineswegs von jenem +spiegelglatten Lack der heutigen Wiener Werkstätten glänzend, der +Kasten auch nicht völlig ausgebaucht, obwohl nach unten zu kokett mit +einer kühnen Schweifung eingezogen; dazu kommt ein hohes Gedeck mit +starrenden Ledervorhängen, die gegenwärtig zurückgestreift sind. + +Von dem Kostüm der beiden Passagiere sei überdies so viel bemerkt. Mit +Schonung für die neuen, im Koffer eingepackten Staatsgewänder war der +Anzug des Gemahls bescheidentlich von Frau Konstanzen ausgewählt; +zu der gestickten Weste von etwas verschossenem Blau sein gewohnter +brauner Überrock mit einer Reihe großer und dergestalt fassonierter +Knöpfe, daß eine Lage rötliches Rauschgold durch ihr sternartiges +Gewebe schimmerte, schwarzseidene Beinkleider, Strümpfe und auf den +Schuhen vergoldete Schnallen. Seit einer halben Stunde hat er wegen +der für diesen Monat außerordentlichen Hitze sich des Rocks entledigt +und sitzt, vergnüglich plaudernd, barhaupt, in Hemdärmeln da. Madame +Mozart trägt ein bequemes Reisehabit, hellgrün und weiß gestreift; +halb aufgebunden fällt der Überfluß ihrer schönen lichtbraunen Locken +auf Schultern und Nacken herunter; sie waren zeit ihres Lebens noch +niemals von Puder entstellt, während der starke, in einen Zopf gefaßte +Haarwuchs ihres Gemahls für heute nur nachlässiger als gewöhnlich +damit versehen ist. + +Man war eine sanft ansteigende Höhe zwischen fruchtbaren Feldern, +welche hie und da die ausgedehnte Waldung unterbrachen, gemachsam +hinauf und jetzt am Waldsaum angekommen. + +»Durch wieviel Wälder«, sagte Mozart, »sind wir nicht heute, gestern +und ehegestern schon passiert! - Ich dachte nichts dabei, geschweige +daß mir eingefallen wäre, den Fuß hineinzusetzen. Wir steigen einmal +aus da, Herzenskind, und holen von den blauen Glocken, die dort so +hübsch im Schatten stehn. Deine Tiere, Schwager, mögen ein bißchen +verschnaufen.« + +Indem sie sich beide erhoben, kam ein kleines Unheil an den Tag, +welches dem Meister einen Zank zuzog. Durch seine Achtlosigkeit war +ein Flakon mit kostbarem Riechwasser aufgegangen und hatte seinen +Inhalt unvermerkt in die Kleider und Polster ergossen. »Ich hätt es +denken können«, klagte sie; »es duftete schon lang so stark. O weh, +ein volles Fläschchen echte Rosée d'Aurore rein ausgeleert! Ich +sparte sie wie Gold.« - »Ei, Närrchen«, gab er ihr zum Trost +zurück, »begreife doch, auf solche Weise ganz allein war uns dein +Götter-Riechschnaps etwas nütze. Erst saß man in einem Backofen, +und all dein Gefächel half nichts, bald aber schien der ganze Wagen +gleichsam ausgekühlt; du schriebst es den paar Tropfen zu, die ich mir +auf den Jabot goß; wir waren neu belebt, und das Gespräch floß munter +fort, statt daß wir sonst die Köpfe hätten hängen lassen wie die +Hämmel auf des Fleischers Karren, und diese Wohltat wird uns auf dem +ganzen Weg begleiten. Jetzt aber laß uns doch einmal zwei wienerische +Nosn recht expreß hier in die grüne Wildnis stecken!« + +Sie stiegen Arm in Arm über den Graben an der Straße und sofort tiefer +in die Tannendunkelheit hinein, die, sehr bald bis zur Finsternis +verdichtet, nur hin und wieder von einem Streifen Sonne auf sammetnem +Moosboden grell durchbrochen ward. Die erquickliche Frische, im +plötzlichen Wechsel gegen die außerhalb herrschende Glut, hätte dem +sorglosen Mann ohne die Vorsicht der Begleiterin gefährlich werden +können. Mit Mühe drang sie ihm das in Bereitschaft gehaltene +Kleidungsstück auf. - + +»Gott, welche Herrlichkeit!« rief er, an den hohen Stämmen +hinaufblickend, aus: »man ist als wie in einer Kirche! Mir deucht, ich +war niemals in einem Wald und besinne mich jetzt erst, was es doch +heißt, ein ganzes Volk von Bäumen beieinander! Keine Menschenhand hat +sie gepflanzt, sind alle selbst gekommen und stehen so, nur eben, weil +es lustig ist, beisammen, wohnen und wirtschaften. Siehst du, mit +jungen Jahren fuhr ich doch in halb Europa hin und her, habe die Alpen +gesehn und das Meer, das Größeste und Schönste, was erschaffen ist: +jetzt steht von ungefähr der Gimpel in einem ordinären Tannenwald an +der böhmischen Grenze, verwundert und verzückt, daß solches Wesen +irgend existiert, nicht etwa nur so una finzione di poeti ist, wie +ihre Nymphen, Faune und dergleichen mehr, auch kein Komödienwald, nein +aus dem Erdboden herausgewachsen, von Feuchtigkeit und Wärmelicht der +Sonne großgezogen Hier ist zu Haus der Hirsch mit seinem wundersamen +zackigen Gestäude auf der Stirn, das possierliche Eichhorn, der +Auerhahn, der Häher.« - Er bückte sich, brach einen Pilz und pries die +prächtige hochrote Farbe des Schirms, die zarten weißlichen Lamellen +an dessen unterer Seite, auch steckte er verschiedene Tannenzapfen +ein. »Man könnte denken,« sagte die Frau, »du habest noch nicht +zwanzig Schritte hinein in den Prater gesehen, der solche Raritäten +doch auch wohl aufzuweisen hat.« + +»Was Prater! Sapperlot, wie du nur das Wort hier nennen magst! Vor +lauter Karossen, Staatsdegen, Roben und Fächern, Musik und allem +Spektakel der Welt, wer sieht denn da noch sonst etwas? Und selbst +die Bäume dort, so breit sie sich auch machen, ich weiß nicht - +Bucheckern und Eicheln, am Boden verstreut, sehn halter aus als wie +Geschwisterkind mit der Unzahl verbrauchter Korkstöpsel darunter. Zwei +Stunden weit riecht das Gehölz nach Kellnern und nach Saucen.« + +»O unerhört!« rief sie, »so redet nun der Mann, dem gar nichts über +das Vergnügen geht, Backhähnl im Prater zu speisen!« + +Als beide wieder in dem Wagen saßen und sich die Straße jetzt nach +einer kurzen Strecke ebenen Wegs allmählich abwärts senkte, wo eine +lachende Gegend sich bis an die entfernteren Berge verlor, fing unser +Meister, nachdem er eine Zeit lang still gewesen, wieder an: »Die Erde +ist wahrhaftig schön und keinem zu verdenken, wenn er so lang wie +möglich darauf bleiben will. Gott sei's gedankt, ich fühle mich so +frisch und wohl wie je und wäre bald zu tausend Dingen aufgelegt, die +denn auch alle nacheinander an die Reihe kommen sollen, wie nur mein +neues Werk vollendet und aufgeführt sein wird. Wieviel ist draußen in +der Welt und wieviel daheim, Merkwürdiges und Schönes, das ich noch +gar nicht kenne, an Wunderwerken der Natur, an Wissenschaften, Künsten +und nützlichen Gewerben! Der schwarze Köhlerbube dort bei seinem +Meiler weiß dir von manchen Sachen auf ein Haar so viel Bescheid wie +ich, da doch ein Sinn und ein Verlangen in mir wäre, auch einen Blick +in dies und jens zu tun, das eben nicht zu meinem nächsten Kram +gehört.« + +»Mir kam«, versetzte sie, »in diesen Tagen dein alter Sackkalender in +die Hände von Anno fünfundachzig; da hast du hinten angemerkt drei bis +vier Notabene. Zum ersten steht: >Mitte Oktober gießet man die großen +Löwen in kaiserlicher Erzgießerei<; fürs zweite, doppelt angestrichen: +>Professor Gattner zu besuchen!< Wer ist der?« + +»O recht, ich weiß - auf dem Observatorio der gute alte Herr, der mich +von Zeit zu Zeit dahin einlädt. Ich wollte längst einmal den Mond und +'s Mandl drin mit dir betrachten. Sie haben jetzt ein mächtig großes +Fernrohr oben; da soll man auf der ungeheuern Scheibe, hell und +deutlich bis zum Greifen, Gebirge, Täler, Klüfte sehen und von der +Seite, wo die Sonne nicht hinfällt, den Schatten, den die Berge +werfen. Schon seit zwei Jahren schlag ichs an, den Gang zu tun, und +komme nicht dazu, elender und schändlicher Weise!« + +»Nun,« sagte sie, »der Mond entläuft uns nicht. Wir holen manches +nach.« + +Nach einer Pause fuhr er fort: »Und geht es nicht mit allem so? O +pfui, ich darf nicht daran denken, was man verpaßt, verschiebt und +hängen läßt! - von Pflichten gegen Gott und Menschen nicht zu reden - +ich sage, von purem Genuß, von den kleinen unschuldigen Freuden, die +einem jeden täglich vor den Füßen liegen.« + +Madame Mozart konnte oder wollte von der Richtung, die sein +leichtbewegliches Gefühl hier mehr und mehr nahm, auf keine Weise +ablenken, und leider konnte sie ihm nur von ganzem Herzen recht geben, +indem er mit steigendem Eifer fortfuhr: »Ward ich denn je nur meiner +Kinder ein volles Stündchen froh? Wie halb ist das bei mir und immer +en passant! Die Buben einmal rittlings auf das Knie gesetzt, mich +zwei Minuten mit ihnen durchs Zimmer gejagt, und damit basta, wieder +abgeschüttelt! Es denkt mir nicht, daß wir uns auf dem Lande zusammen +einen schönen Tag gemacht hätten, an Ostern oder Pfingsten, in +einem Garten oder Wäldel, auf der Wiese, wir unter uns allein, bei +Kinderscherz und Blumenspiel, um selber einmal wieder Kind zu werden. +Allmittelst geht und rennt und saust das Leben hin - Herr Gott! +bedenkt mans recht, es möcht einem der Angstschweiß ausbrechen!« + +Mit der soeben ausgesprochenen Selbstanklage war unerwartet ein sehr +ernsthaftes Gespräch in aller Traulichkeit und Güte zwischen beiden +eröffnet. Wir teilen dasselbe nicht ausführlich mit und werfen lieber +einen allgemeinen Blick auf die Verhältnisse, die teils ausdrücklich +und unmittelbar den Stoff, teils auch nur den bewußten Hintergrund der +Unterredung ausmachten. + +Hier drängt sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, daß +dieser feurige, für jeden Reiz der Welt und für das Höchste, was dem +ahnenden Gemüt erreichbar ist, unglaublich empfängliche Mensch, soviel +er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen und aus sich +hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gefühl seiner +selbst doch lebenslang entbehrte. + +Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will, +als sie vermutlich liegen, wird sie zunächst einfach in jenen, wie es +scheint, unüberwindlich eingewohnten Schwächen finden, die wir so gern +und nicht ganz ohne Grund mit alle dem, was an Mozart der Gegenstand +unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung bringen. + +Des Mannes Bedürfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal für +gesellige Freuden außerordentlich groß. Von den vornehmsten Häusern +der Stadt als unvergleichliches Talent gewürdigt und gesucht, +verschmähte er Einladungen zu Festen, Zirkeln und Partien selten +oder nie. Dabei tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb +seiner näheren Kreise gleichfalls genug. Einen längst hergebrachten +musikalischen Abend am Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl +an seinem wohlbestellten Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten, +zwei-, dreimal in der Woche, das wollte er nicht missen. Bisweilen +brachte er die Gäste, zum Schrecken der Frau, unangekündigt von der +Straße weg ins Haus, Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber, +Kunstgenossen, Sänger und Poeten. Der müßige Schmarotzer, dessen +ganzes Verdienst in einer immer aufgeweckten Laune, in Witz und Spaß, +und zwar vom gröberen Korn, bestand, kam so gut wie der geistvolle +Kenner und der treffliche Spieler erwünscht. Den größten Teil seiner +Erholung indes pflegte Mozart außer dem eigenen Hause zu suchen. +Man konnte ihn nach Tisch einen Tag wie den andern am Billard im +Kaffeehaus und so auch manchen Abend im Gasthof finden. Er fuhr +und ritt sehr gerne in Gesellschaft über Land, besuchte als +ein ausgemachter Tänzer Bälle und Redouten und machte sich des +Jahrs einige Male einen Hauptspaß an Volksfesten, vor allen am +Brigitten-Kirchtag im Freien, wo er als Pierrot maskiert erschien. + +Diese Vergnügungen, bald bunt und ausgelassen, bald einer ruhigeren +Stimmung zusagend, waren bestimmt, dem lang gespannten Geist nach +ungeheurem Kraftaufwand die nötige Rast zu gewähren; auch verfehlten +sie nicht, demselben nebenher auf den geheimnisvollen Wegen, auf +welchen das Genie sein Spiel bewußtlos treibt, die feinen flüchtigen +Eindrücke mitzuteilen, wodurch es sich gelegentlich befruchtet. +Doch leider kam in solchen Stunden, weil es dann immer galt, den +glücklichen Moment bis auf die Neige auszuschöpfen, eine andere +Rücksicht, es sei nun der Klugheit oder der Pflicht, der +Selbsterhaltung wie der Häuslichkeit, nicht in Betracht. Genießend +oder schaffend kannte Mozart gleichwertig Maß und Ziel. Ein Teil der +Nacht war stets der Komposition gewidmet. Morgens früh, oft lange noch +im Bett, ward ausgearbeitet. Dann machte er von zehn Uhr an, zu Fuß +oder im Wagen abgeholt, die Runde seiner Lektionen, die in der Regel +noch einige Nachmittagsstunden wegnahmen. >Wir plagen uns wohl auch +rechtschaffen<, so schreibt er selber einmal einem Gönner, >und es +hält öfter schwer, nicht die Geduld zu verlieren. Da halst man sich +als wohlakkreditierter Cembalist und Musiklehrmeister ein Dutzend +Schüler auf, und immer wieder einen neuen, unangesehn, was weiter +an ihm ist, wenn er nur seinen Taler per marca bezahlt. Ein jeder +ungrische Schnurrbart vom Geniekorps ist willkommen, den der Satan +plagt, für nichts und wieder nichts Generalbaß und Kontrapunkt zu +studieren: das übermütigste Komteßchen, das mich wie Meister Coquerel, +den Haarkräusler, mit einem roten Kopf empfängt, wenn ich einmal nicht +auf den Glockenschlag bei ihr anklopfe usw.< Und wenn er nun, durch +diese und andere Berufsarbeiten, Akademien, Proben und dergleichen +abgemüdet, nach frischem Atem schmachtete, war den erschlafften Nerven +häufig nur in neuer Aufregung eine scheinbare Stärkung vergönnt. Seine +Gesundheit wurde heimlich angegriffen, ein je und je wiederkehrender +Zustand von Schwermut wurde, wo nicht erzeugt, doch sicherlich genährt +an eben diesem Punkt und so die Ahnung eines frühzeitigen Todes, die +ihn zuletzt auf Schritt und Tritt begleitete, unvermeidlich erfüllt. +Gram aller Art und Farbe, das Gefühl der Reue nicht ausgenommen, war +er als eine herbe Würze jeder Lust auf seinen Teil gewöhnt. Doch +wissen wir, auch diese Schmerzen rannen abgeklärt und rein in jenem +tiefen Quell zusammen, der, aus hundert goldenen Röhren springend, im +Wechsel seiner Melodien unerschöpflich, alle Qual und alle Seligkeit +der Menschenbrust ausströmte. + +Am offenbarsten zeigten sich die bösen Wirkungen der Lebensweise +Mozarts in seiner häuslichen Verfassung. Der Vorwurf törichter, +leichtsinniger Verschwendung lag sehr nahe; er mußte sich sogar an +einen seiner schönsten Herzenszüge hängen. Kam einer, in dringender +Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft zu erbitten, so +war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang nach +Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat +so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich +hin, und immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte, gerade +Überfluß zu haben. + +Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf +erheischte, standen allerdings in keinem Verhältnis mit den +Einkünften. Was von Theatern und Konzerten, von Verlegern und Schülern +einging, zusamt der kaiserlichen Pension, genügte um so weniger, +da der Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt war, sich +entschieden für Mozarts Musik zu erklären. Diese lauterste Schönheit, +Fülle und Tiefe befremdete gemeinhin gegenüber der bisher beliebten, +leicht faßlichen Kost. Zwar hatten sich die Wiener an >Belmonte und +Konstanze< - dank den populären Elementen dieses Stücks - seinerzeit +kaum ersättigen können, hingegen tat, einige Jahre später, >Figaro<, +und sicher nicht allein durch die Intrigen des Direktors, im +Wettstreit mit der lieblichen, doch weit geringeren >Cosa rara< einen +unerwarteten, kläglichen Fall; derselbe >Figaro<, den gleich darauf +die gebildeten oder unbefangenern Prager mit solchem Enthusiasmus +aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung darüber seine nächste +große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß. - Trotz der Ungunst +der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit etwas mehr +Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen Gewinn von +seiner Kunst gezogen: so aber kam er selbst bei jenen Unternehmungen +zu kurz, wo auch der große Haufen ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, +es wirkte eben alles, Schicksal und Naturell und eigene Schuld, +zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu lassen. + +Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau, sofern sie ihre +Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse, begreifen +wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines +Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon an +Entbehrungen gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil +an der Quelle zu steuern, manches Verkehrte abzuschneiden und den +Verlust im Großen durch Sparsamkeit im Kleinen zu ersetzen. Nur +eben in letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte sie des rechten +Geschicks und der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und führte +das Hausbuch; jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es +Verdrießliches gab, ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl +mitunter das Wasser an die Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedrängnis, +zu Mangel, peinlicher Verlegenheit und Furcht vor offenbarer Unehre, +noch gar der Trübsinn ihres Mannes kam, worin er tagelang verharrte, +untätig, keinem Trost zugänglich, indem er mit Seufzen und Klagen +neben der Frau oder stumm in einem Winkel vor sich hin den einen +traurigen Gedanken, zu sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. +Ihr guter Mut verließ sie dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, +wenn auch nur auf einige Zeit, Rat und Hülfe. Im wesentlichen wurde +wenig oder nichts gebessert. Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit +Bitten und Schmeicheln für heute soviel ab, daß er den Tee an ihrer +Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim bei der Familie schmecken +ließ, um nachher nicht mehr auszugehen, was war damit erreicht? Er +konnte wohl einmal, durch ein verweintes Auge seiner Frau plötzlich +betroffen und bewegt, eine schlimme Gewohnheit aufrichtig verwünschen, +das Beste versprechen, mehr als sie verlangte, - umsonst, er fand sich +unversehens im alten Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, +es habe anders nicht in seiner Macht gestanden, und eine völlig +veränderte Ordnung nach unsern Begriffen von dem, was allen Menschen +ziemt und frommt, ihm irgendwie gewaltsam aufgedrungen, müßte das +wunderbare Wesen geradezu selbst aufgehoben haben. + +Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets +insoweit, als derselbe von außen her möglich war: durch eine +gründliche Verbesserung ihrer ökonomischen Lage, wie solche bei dem +wachsenden Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben könne. Wenn erst, so +meinte sie, der stete Druck wegfiel, der sich auch ihm, bald näher, +bald entfernter, von dieser Seite fühlbar machte, wenn er, anstatt +die Hälfte seiner Kraft und Zeit dem bloßen Gelderwerb zu opfern, +ungeteilt seiner wahren Bestimmung nachleben dürfte, wenn endlich der +Genuß, nach dem er nicht mehr jagen, den er mit ungleich besserem +Gewissen haben würde, ihm noch einmal so wohl an Leib und Seele +gedeihe, dann sollte bald sein ganzer Zustand leichter, natürlicher, +ruhiger werden. Sie dachte gar an einen gelegentlichen Wechsel ihres +Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe für Wien, wo nun einmal nach +ihrer Überzeugung kein rechter Segen für ihn sei, am Ende doch zu +überwinden wäre. + +Den nächsten, entscheidenden Vorschub aber zu Verwirklichung ihrer +Gedanken und Wünsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen +Oper, um die es sich bei dieser Reise handelte. + +Die Komposition war weit über die Hälfte vorgeschritten. Vertraute, +urteilsfähige Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des +außerordentlichen Werks, einen hinreichenden Begriff von seiner Art +und Wirkungsweise haben mußten, sprachen überall davon in einem Tone, +daß viele selber von den Gegnern darauf gefaßt sein konnten, es +werde dieser >Don Juan<, bevor ein halbes Jahr verginge, die gesamte +musikalische Welt von einem Ende Deutschlands bis zum andern +erschüttert, auf den Kopf gestellt, im Sturm erobert haben. +Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen anderer, +die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen +allgemeinen und raschen Sukzeß kaum hofften. Der Meister selber teilte +im stillen ihre nur zu wohl begründeten Zweifel. + +Konstanze ihrerseits, wie die Frauen immer, wo ihr Gefühl einmal +lebhaft bestimmt und noch dazu vom Eifer eines höchst gerechten +Wunsches eingenommen ist, durch spätere Bedenklichkeiten von da und +dort her sich viel seltener als die Männer irremachen lassen, hielt +fest an ihrem guten Glauben und hatte eben jetzt im Wagen wiederum +Veranlassung, denselben zu verfechten. Sie tats, in ihrer fröhlichen +und blühenden Manier, mit doppelter Beflissenheit, da Mozarts Stimmung +im Verlauf des vorigen Gesprächs, das weiter zu nichts führen +konnte und deshalb äußerst unbefriedigend abbrach, bereits merklich +gesunken war. Sie setzte ihrem Gatten sofort mit gleicher Heiterkeit +umständlich auseinander, wie sie nach ihrer Heimkehr die mit dem +Prager Unternehmer als Kaufpreis für die Partitur akkordierten hundert +Dukaten zur Deckung der dringendsten Posten und sonst zu verwenden +gedenke, auch wie sie zufolge ihres Etats den kommenden Winter +hindurch bis zum Frühjahr gut auszureichen hoffe. + +»Dein Herr Bondini wird sein Schäfchen an der Oper scheren, glaub es +nur; und ist er halb der Ehrenmann, den du ihn immer rühmst, so läßt +er dir nachträglich noch ein artiges Prozentchen von den Summen ab, +die ihm die Bühnen nacheinander für die Abschrift zahlen; wo nicht, +nun ja, gottlob, so stehen uns noch andere Chancen in Aussicht, und +zwar noch tausendmal solidere. Mir ahnet allerlei.« + +»Heraus damit!« + +»Ich hörte unlängst ein Vögelchen pfeifen, der König von Preußen hab +einen Kapellmeister nötig.« + +»Oho!« + +»Generalmusikdirektor, wollt ich sagen. Laß mich ein wenig +phantasieren! Die Schwachheit habe ich von meiner Mutter.« + +»Nur zu! Je toller, je besser.« + +»Nein, alles ganz natürlich. - Vornweg also nimm an: übers Jahr um +diese Zeit...« + +»Wenn der Papst die Grete freit...« + +»Still doch, Hanswurst! Ich sage, aufs Jahr um Sankt Ägidi muß schon +längst kein Kaiserlicher Kammerkomponist mit Namen Wolf Mozart in Wien +mehr weit und breit zu finden sein.« + +»Beiß dich der Fuchs dafür!« + +»Ich höre schon im Geist, wie unsere alten Freunde von uns plaudern, +was sie sich alles zu erzählen wissen.« + +»Zum Exempel?« + +»Da kommt zum Beispiel eines Morgens früh nach neune schon unsere alte +Schwärmerin, die Volkstett, in ihrem feurigsten Besuchssturmschritt +quer übern Kohlmarkt hergesegelt. Sie war drei Monat fort, die große +Reise zum Schwager in Sachsen, ihr tägliches Gespräch, solang wir sie +kennen, kam endlich zustand; seit gestern nacht ist sie zurück, und +jetzt mit ihrem übervollen Herzen - es schwattelt ganz von Reiseglück +und Freundschaftsungeduld und allerliebsten Neuigkeiten - stracks hin +zur Oberstin damit! die Trepp hinauf und angeklopft und das Herein +nicht abgewartet: stell dir den Jubel selber vor und das Embrassement +beiderseits! - >Nun, liebste, beste Oberstin< hebt sie nach einigem +Vorgängigen mit frischem Odem an: >ich bringe Ihnen ein Schock Grüße +mit, ob Sie erraten, von wem? Ich komme nicht so geradenwegs von +Stendal her, es wurde ein kleiner Abstecher gemacht, linkshin, nach +Brandenburg zu.< - >Wie? Wär es möglich... Sie kamen nach Berlin? sind +bei Mozarts gewesen?< - >Zehn himmlische Tage!< - >O liebe, süße, +einzige Generalin, erzählen Sie, beschreiben Sie! Wie geht es unsern +guten Leutchen? Gefallen sie sich immer noch so gut wie anfangs dort? +Es ist mir fabelhaft, undenkbar, heute noch, und jetzt nur desto mehr, +da Sie von ihm herkommen - Mozart als Berliner! Wie benimmt er sich +doch? Wie sieht er denn aus?< ->O der! Sie sollten ihn nur sehen. +Diesen Sommer hat ihn der König ins Karlsbad geschickt. Wann wäre +seinem herzgeliebten Kaiser Joseph so etwas eingefallen, he? Sie waren +beide kaum erst wieder da, als ich ankam. Er glänzt von Gesundheit und +Leben, ist rund und beleibt und vif wie Quecksilber; das Glück sieht +ihm und die Behaglichkeit recht aus den Augen.<« + +Und nun begann die Sprecherin in ihrer angenommenen Rolle die neue +Lage mit den hellsten Farben auszumalen. Von seiner Wohnung Unter +den Linden, von seinem Garten und Landhaus an bis zu den glänzenden +Schauplätzen seiner öffentlichen Wirksamkeit und den engeren Zirkeln +des Hofs, wo er die Königin auf dem Piano zu begleiten hatte, wurde +alles durch ihre Schilderung gleichsam zur Wirklichkeit und Gegenwart. +Ganze Gespräche, die schönsten Anekdoten schüttelte sie aus dem Ärmel. +Sie schien fürwahr mit jener Residenz, mit Potsdam und mit Sanssouci +bekannter als im Schlosse zu Schönbrunn und auf der kaiserlichen Burg. +Nebenbei war sie schalkhaft genug, die Person unsres Helden mit einer +Anzahl völlig neuer hausväterlicher Eigenschaften auszustatten, die +sich auf dem soliden Boden der preußischen Existenz entwickelt hatten +und unter welchen die besagte Volkstett als höchstes Phänomen und +zum Beweis, wie die Extreme sich manchmal berühren, den Ansatz +eines ordentlichen Geizchens wahrgenommen hatte, das ihn unendlich +liebenswürdig kleide. - »>Ja, nehmens nur, er hat seine dreitausend +Taler fix, und das wofür? Daß er die Woche einmal ein Kammerkonzert, +zweimal die große Oper dirigiert - Ach, Oberstin, ich habe ihn gesehn, +unsern lieben, kleinen, goldenen Mann inmitten seiner trefflichen +Kapelle, die er sich zugeschult, die ihn anbetet! saß mit der Mozartin +in ihrer Loge, schräg gegen den höchsten Herrschaften über! Und was +stand auf dem Zettel, bitte Sie - ich nahm ihn mit für Sie - ein +kleines Reis'präsent von mir und Mozarts dreingewickelt - hier schauen +Sie, hier lesen Sie, da stehts mit ellenlangen Buchstaben gedruckt!< +->Hilf Himmel! Was? 'Tarar!'< ->Ja, geltens Freundin, was man erleben +kann! Vor zwei Jahren, wie Mozart den 'Don Juan' schrieb und der +verwünschte giftige, schwarzgelbe Salieri auch schon im stillen +Anstalt machte, den Triumph, den er mit seinem Stück davontrug in +Paris, demnächst auf seinem eignen Territorio zu begehen und unserem +guten, Schnepfen liebenden, allzeit in 'Cosa rara' vergnügten Publikum +nun doch auch mal so eine Gattung Falken sehn zu lassen, und er und +seine Helfershelfer bereits zusammen munkelten und raffinierten, daß +sie den 'Don Juan' so schön gerupft wie jenesmal den 'Figaro', nicht +tot und nicht lebendig, auf das Theater stellen wollten - wissens, da +tat ich ein Gelübd, wenn das infame Stück gegeben wird, ich geh nicht +hin, um keine Welt! Und hielt auch Wort. Als alles lief und rannte - +und, Oberstin, Sie mit -, blieb ich an meinem Ofen sitzen, nahm meine +Katze auf den Schoß und aß meine Kaldausche; und so die folgenden paar +Male auch. Jetzt aber, stellen Sie sich vor, 'Tarar' auf der Berliner +Opernbühne, das Werk seines Todfeinds, von Mozart dirigiert!< - >Da +müssen Sie schon drein!< rief er gleich in der ersten Viertelstunde, +>Und wärs auch nur, daß Sie den Wienern sagen können, ob ich dem +Knaben Absalon ein Härchen krümmen ließ. Ich wünschte, er wär selbst +dabei, der Erzneidhammel sollte sehen, daß ich nicht nötig hab, einem +andern sein Zeug zu verhunzen, damit ich immerfort der bleiben möge, +der ich bin!<« + +»Brava! Bravissima!« rief Mozart überlaut und nahm sein Weibchen bei +den Ohren, verküßte, herzte, kitzelte sie, so daß sich dieses Spiel +mit bunten Seifenblasen einer erträumten Zukunft, die leider niemals, +auch nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in +hellen Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste. + +Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten sich +einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen und +hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem +Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen +Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag +gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende +des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von +nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte. + +Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ wie gewöhnlich der Frau die +Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas Wein in +die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen Wassers nur +irgendeinen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen, verlangte. +Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz munter vor +sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und schnell +gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln von +edlerer Herkunft - sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen Gemächern +seinerzeit hierher gewandert - ein sauberes, leichtes Bett mit +gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen seidene +Vorhänge längst durch einen gewöhnlichern Stoff ersetzt waren. +Konstanze machte sichs bequem, er versprach, sie rechtzeitig zu +wecken, sie riegelte die Tür hinter ihm zu, und er suchte nunmehr +Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch +außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig +wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre, +noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt, +hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie +überdies heut ausgefahren. + +Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor +zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen, +an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von +seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer +Bauart, hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das +Schieferdach verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und +Göttinnen, samt einer Balustrade. + +Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre +ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte +ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf +vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren +Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens +nach, den er sofort erreichte. + +Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig +gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und +Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale +Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste +Ruheplätzchen dar; ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart +ließ sich vorn am Eingang nieder. + +Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug auf +einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der +Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und +voll der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese +Anschauung des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner +Knabenzeit geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der +nächsten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle +in hohler Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene +aber, die wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst vermischte +musikalische Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein +Weilchen träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da +und dort umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich +eifrig verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Mal die Pomeranze +angefaßt, sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand. +Er sieht und sieht es nicht; ja so weit geht die künstlerische +Geistesabwesenheit, daß er, die duftige Frucht beständig unter der +Nase hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer +Weise unhörbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig +ein emalliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein +kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige +Masse von oben nach unten langsam durchschneidet. Es mochte ihn dabei +entfernt ein dunkles Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich +die angeregten Sinne mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt +minutenlang die beiden innern Flächen an, fügt sie sachte wieder +zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie wieder. + +Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein, wo +er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon im +Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit inne, +sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer, +breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor +ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen +und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos, +auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter +sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen +Augen ins Gesicht; dann setzte - er für einen Dritten wäre es höchst +komisch anzusehn gewesen - die scheinbar unverletzte Pomeranze mit +einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches. + +»Um Vergebung«, fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig +versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen +an: »ich weiß nicht, wen ich hier...« + +»Kapellmeister Mozart aus Wien.« + +»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?« + +»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf +anwesend?« + +»Nein.« + +»Seine Gemahlin?« + +»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.« + +Mozart stand auf und machte Miene zu gehen. + +»Mit Erlaubnis, mein Herr - wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf +solche Weise zuzugreifen?« + +»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel, glaubt Er denn, ich wollte +stehlen und das Ding da fressen?« + +»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich +bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest +bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort, +ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das +da zugegangen ist.« + +»Sei's drum. Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!« + +Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei +vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehn, griff in die Tasche, allein +er hatte das geringste nicht bei sich. + +Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine +Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine +Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß +der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu +schreiben: + +>Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese, +wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück ist +geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva +schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten eines Himmelbetts +umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten Schlafes erfreut. +Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro Gnaden Rede über meinen +mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit aufrichtiger Beschämung + +Hochdero untertänigster Diener W. A. Mozart, + auf dem Wege nach Prag.< + +Er übergab das Billett, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem +peinlich wartenden Diener mit der nötigen Weisung. Der Unhold hatte +sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren Seite des +Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der Graf, der +eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron, vom +benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letztern seit +Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr +gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier +mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie gleich +einer eigenen Tochter seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die +Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause +gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man in +dem Schlosse alles, auf Gängen und Treppen, in voller Bewegung, und +nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel +der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle +öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu +achten, geschäftig weitereilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht +wieder. Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe, +Kammerdiener, rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn - der +kleidete sich um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem +Zimmer, der aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und +schnitt ihm, wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon +noch nichts verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon +- geht nur!-« Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und +Sohn zugleich herauskamen und die fatale Nachricht empfingen. + +»Das wär ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas jähe +Mann; »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt Ihr? +Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und +mitnimmt, was er findet?« + +»Verzeihen Euer Gnaden, darnach sieht er gerad nicht aus. Er deucht +mir nicht richtig im Kopf; auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt +er sich. Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg +bleiben und ein Aug auf ihn haben.« + +»Was hilft es hintendrein, zum Henker? Wenn ich den Narren auch +einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren! Ich sagt +Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben. +Der Streich wär aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur +rechten Zeit Eure Zurüstungen gemacht.« + +Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene +Billett in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr«, rief +sie, »wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief - Mozart aus +Wien, der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten - ich +fürchte nur, er ist schon fort! Was wird er von mir denken! Ihr, +Velten, seid ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich +geschehen?« + +»Geschehn?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch +eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle +niederschlagen konnte: »der tolle Mensch hat von dem Baum, den +ich Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen, hm! das +Ungeheuer! Somit ist unserm Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und +Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.« + +»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht +ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den +guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt. Er +soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut nicht weiter. Trefft ihr +ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn +mit seiner Frau. Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für +Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.« + +»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke. +Geschwinde, kommen Sie, Papa! Und« - sagte er, indem sie eilends nach +der Treppe liefen - »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig. Die neunte +Muse soll nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem +Unglück noch besonderen Vorteil ziehen.« - »Das ist unmöglich!« - +»Ganz gewiß.« - »Nun, wenn das ist - allein ich nehme dich beim Wort - +so wollen wir dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.« + +Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener, +ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend +beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an, +unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom +Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich +kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen +zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der +Laube erschienen. + +Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft +mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner +Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das +Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner +Familie zu haben. + +»Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd, daß ich wohl +sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit mehr +Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt und +spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre +Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer +Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging. +Da wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war +ihr eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von +den Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden +so bald nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns +führt. Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken +wir sogleich nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr +Weiterkommen.« + +Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem +Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer +brachte, besann sich nicht lange; er sagte diesen einen halben Tag +mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise +fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart +abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging, ein Wagen +sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen. + +Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von +Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne +Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand sich +doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat. Er +kannte die französische Literatur und erwarb sich, zu einer Zeit, wo +deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und Gunst +durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der +Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und +andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein +besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen. + +Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem +gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte. +Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge +ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und +den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein +können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und gewandt, besprach +und ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst. Es wurde +umgepackt, bezahlt, der Postillon entlassen, sie machte sich, ohne zu +große Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und fuhr +mit dem Begleiter wohlgemut dem Schlosse zu, nicht ahnend, auf welche +sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte. + +Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf +das beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem +Verlobten; ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war +blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit +kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band +mit edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem, +offenem Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht. + +Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig, +der gute launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen +und Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden +Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht +schonte. + +Eines hatte den Flügel geöffnet, >Figaros Hochzeit< lag aufgeschlagen, +und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die +Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der +süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche Abendluft, +einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzüge lang +der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll über ihre +Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich +lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefühl dieses Moments, +des einzigen in seiner Art vielleicht für alle Tage ihres Lebens, +begeisterte sie billig. + +Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu +ihr und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man +sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich +am besten selber lobt, indem es gleich jederman wohl in ihr wird! Bei +solchem Gesang ist der Seele zumut wie dem Kindchen im Bad: es lacht +und wundert sich und weiß sich in der Welt nichts Besseres. Übrigens +glauben Sie mir, unsereinem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß +er so lauter, ungeschminkt und warm, ja so komplett sich selber zu +hören bekommt.« - Damit erfaßte er ihre Hand und küßte sie herzlich. +Des Mannes hohe Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder als das +ehrenvolle Zeugnis, wodurch er ihr Talent auszeichnete, ergriff +Eugenien mit jener unwiderstehlichen Rührung, die einem leichten +Schwindel gleicht, und ihre Augen wollten sich plötzlich mit Tränen +anfüllen. + +Hier trat Madame Mozart zur Türe herein, und gleich darauf erschienen +neue Gäste, die man erwartet hatte: eine dem Haus sehr eng verwandte +freiherrliche Familie aus der Nähe, mit einer Tochter, Franziska, die +seit den Kinderjahren mit der Braut durch die zärtlichste Freundschaft +verbunden und hier wie daheim war. + +Man hatte sich allerseits begrüßt, umarmt, beglückwünscht, die beiden +Wiener Gäste vorgestellt, und Mozart setzte sich an den Flügel. Er +spielte einen Teil eines Konzerts von seiner Komposition, welches +Eugenie soeben einstudierte. + +Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis wie der +gegenwärtige unterscheidet sich natürlicherweise von jedem ähnlichen +an einem öffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in +der unmittelbaren Berührung mit der Person des Künstlers und seinem +Genius innerhalb der häuslichen bekannten Wände liegt. + +Es war eines jener glänzenden Stücke, worin die reine Schönheit sich +einmal, wie aus Laune, freiwillig in den Dienst der Eleganz begibt, +so aber, daß sie, gleichsam nur verhüllt in diese mehr willkürlich +spielenden Formen und hinter eine Menge blendender Lichter versteckt, +doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrät und ein herrliches +Pathos verschwenderisch ausgießt. + +Die Gräfin machte für sich die Bemerkung, daß die meisten Zuhörer, +vielleicht Eugenie selbst nicht ausgenommen, trotz der gespanntesten +Aufmerksamkeit und aller feierlichen Stille während eines bezaubernden +Spiels, doch zwischen Auge und Ohr gar sehr geteilt waren. In +unwillkürlicher Beobachtung des Komponisten, seiner schlichten, +beinahe steifen Körperhaltung, seines gutmütigen Gesichts, der +rundlichen Bewegung dieser kleinen Hände war es gewiß auch nicht +leicht möglich, dem Zudrang tausendfacher Kreuzundquergedanken über +den Wundermann zu widerstehen. + +Zu Madame Mozart gewendet, sagte der Graf, nachdem der Meister +aufgestanden war: »Einem berühmten Künstler gegenüber, wenn es ein +Kennerlob zu spitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache ist, wie +haben es die Könige und Kaiser gut! Es nimmt sich eben alles einzig +und außerordentlich in einem solchen Munde aus. Was dürfen sie sich +nicht erlauben, und wie bequem ist es zum Beispiel, dicht hinterm +Stuhl Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußakkord einer brillanten +Phantasie dem bescheidenen klassischen Mann auf die Schulter zu +klopfen und zu sagen: >Sie sind ein Tausensasa, lieber Mozart!< Kaum +ist das Wort heraus, so gehts wie ein Lauffeuer durch den Saal: >Was +hat er ihm gesagt?< - >Er sei ein Tausendsasa, hat er zu ihm gesagt!< +Und alles, was da geigt und fistuliert und komponiert, ist außer sich +von diesem einen Wort; kurzum, es ist der große Stil, der familiäre +Kaiser-Stil, der unnachahmliche, um welchen ich die Josephs und die +Friedrichs von je beneidet habe, und das nie mehr als eben jetzt, wo +ich ganz in Verzweiflung bin, von anderweitiger geistreicher Münze +zufällig keinen Deut in allen meinen Taschen anzutreffen.« Die Art, +wie der Schäfer dergleichen vorbrachte, bestach immerhin und rief +unausbleiblich ein Lachen hervor. + +Nun aber, auf die Einladung der Hausfrau, verfügte die Gesellschaft +sich nach dem geschmückten runden Speisesalon, aus welchem den +Eintretenden ein festlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit +willkommene Luft entgegenwehte. + +Man nahm die schicklich ausgeteilten Plätze ein, und zwar der +distinguierte Gast den seinigen dem Brautpaar gegenüber. Von einer +Seite hatte er eine kleine ältliche Dame, eine unverheiratete Tante +Franziskas, von der andern die junge reizende Nichte selbst zur +Nebensitzerin, die sich durch Geist und Munterkeit ihm bald besonders +zu empfehlen wußte. Frau Konstanze kam zwischen den Hauswirt und ihren +freundlichen Geleitsmann, den Leutnant; die übrigen reihten sich ein, +und so saß man zu elfen nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren +unteres Ende leer blieb. Auf ihr erhoben sich mitten zwei mächtig +große Porzellanaufsätze mit gemalten Figuren, breite Schalen, gehäuft +voll natürlicher Früchte und Blumen, über sich haltend. An den Wänden +des Saals hingen reiche Festons. Was sonst da war oder nach und nach +folgte, schien einen ausgedehnten Schmaus zu verkünden. Teils auf der +Tafel, zwischen Schüsseln und Platten, teils vom Serviertisch herüber +im Hintergrund blinkte verschiedenes edle Getränk vom schwärzesten Rot +bis hinauf zu dem gelblichen Weiß, dessen lustiger Schaum herkömmlich +erst die zweite Hälfte eines Festes krönt. + +Bis gegen diesen Zeitpunkt hin bewegte sich die Unterhaltung, von +mehreren Seiten gleich lebhaft genährt, in allen Richtungen. Weil aber +der Graf gleich anfangs einigemal von weitem und jetzt nur immer näher +und mutwilliger auf Mozarts Gartenabenteuer anspielte, so daß die +einen heimlich lächelten, die andern sich umsonst den Kopf zerbrachen, +was er denn meine, so ging unser Freund mit der Sprache heraus. + +»Ich will in Gottes Namen beichten«, fing er an, »auf was Art mir +eigentlich die Ehre der Bekanntschaft mit diesem edlen Haus geworden +ist. Ich spiele dabei nicht die würdigste Rolle, und um ein Haar, so +säß ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen +Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses und könnte mir mit leerem +Magen die Spinneweben an der Wand herum betrachten.« + +»Nun ja,« rief Madame Mozart, »da werd ich schöne Dinge hören.« + +Ausführlich nun beschrieb er erst, wie er im >Weißen Roß< seine Frau +zurückgelassen, die Promenade in den Park, den Unstern in der Laube, +den Handel mit der Gartenpolizei, kurz, ungefähr was wir schon wissen, +gab er alles mit größter Treuherzigkeit und zum höchsten Ergötzen der +Zuhörer preis. Das Lachen wollte fast kein Ende nehmen; selbst die +gemäßigte Eugenie enthielt sich nicht, es schüttelte sie ordentlich. + +»Nun«, fuhr er fort, »das Sprichwort sagt: Hat einer den Nutzen, dem +Spott mag er trutzen! Ich hab meinen kleinen Profit von der Sache, +Sie werden schon sehen. Vor allem aber hören Sie, wie's eigentlich +geschah, daß sich ein alter Kindskopf so vergessen konnte. Eine +Jugenderinnerung war mit im Spiele. + +Im Frühling 1770 reiste ich als dreizehnjähriges Bürschchen mit meinem +Vater nach Italien. Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zweimal +im Konservatorium und sonst zu verschiedenen Malen gespielt. Adel und +Geistlichkeit erzeugten uns manches Angenehme, vornehmlich attachierte +sich ein Abbate an uns, der sich als Kenner schmeichelte und übrigens +am Hofe etwas galt. Den Tag vor unserer Abreise führte er uns in +Begleitung einiger anderen Herren in einen königlichen Garten, die +Villa reale, bei der prachtvollen Straße geradhin am Meere gelegen, +wo eine Bande sizilianischer commedianti sich produzierte - figli di +Nettuno, wie sie sich neben andern schönen Titeln auch nannten. Mit +vielen vornehmen Zuschauern, worunter selbst die junge liebenswürdige +Königin Karolina samt zwei Prinzessen, saßen wir auf einer langen +Reihe von Bänken im Schatten einer zeltartig bedeckten niedern +Galerie, an deren Mauer unten die Wellen plätscherten. Das Meer +mit seiner vielfarbigen Streifung strahlte den blauen Sonnenhimmel +herrlich wider. Gerade vor sich hat man den Vesuv, links schimmert, +sanft geschwungen, eine reizende Küste herein. + +Die erste Abteilung der Spiele war vorüber; sie wurde auf dem +trockenen Bretterboden einer Art von Flöße ausgeführt, die auf dem +Wasser stand, und hatte nichts Besonderes; der zweite aber und +der schönste Teil bestand aus lauter Schiffer-, Schwimm- und +Taucherstücken und blieb mir stets mit allen Einzelheiten frisch im +Gedächtnis eingeprägt. + +Von entgegengesetzten Seiten her näherten sich einander zwei +zierliche, sehr leicht gebaute Barken, beide, wie es schien, auf +einer Lustfahrt begriffen. Die eine, etwas größere, war mit einem +Halbverdeck versehen und nebst den Ruderbänken mit einem dünnen Mast +und einem Segel ausgerüstet, auch prächtig bemalt, der Schnabel +vergoldet. Fünf Jünglinge von idealischem Aussehen, kaum bekleidet, +Arme, Brust und Beine dem Anschein nach nackt, waren teils an dem +Ruder beschäftigt, teils ergötzten sie sich mit einer gleichen Anzahl +artiger Mädchen, ihren Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem +Verdecke saß und Blumenkränze wand, zeichnete sich durch Wuchs und +Schönheit sowie durch ihren Putz vor allen übrigen aus. Diese dienten +ihr willig, spannten gegen die Sonne ein Tuch über sie und reichten +ihr die Blumen aus dem Korb. Eine Flötenspielerin saß zu ihren Füßen, +die den Gesang der andern mit ihren hellen Tönen unterstützte. +Auch jener vorzüglichen Schönen fehlte es nicht an einem eigenen +Beschützer; doch verhielten sich beide ziemlich gleichgültig +gegeneinander, und der Liebhaber deuchte mir fast etwas roh. + +Inzwischen war das andere, einfachere Fahrzeug näher gekommen. Hier +sah man bloß männliche Jugend. Wie jene Jünglinge Hochrot trugen, so +war die Farbe der letztern Seegrün. Sie stutzten beim Anblick der +lieblichen Kinder, winkten Grüße herüber und gaben ihr Verlangen nach +näherer Bekanntschaft zu erkennen. Die Munterste hierauf nahm eine +Rose vom Busen und hielt sie schelmisch in die Höhe, gleichsam +fragend, ob solche Gaben bei ihnen wohl angebracht wären, worauf von +drüben allerseits mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde. +Die Roten sahen verächtlich und finster darein, konnten aber nichts +machen, als mehrere der Mädchen einig wurden, den armen Teufeln +wenigstens doch etwas für den Hunger und Durst zuzuwerfen. Es stand +ein Korb voll Orangen am Boden; wahrscheinlich waren es nur gelbe +Bälle, den Früchten ähnlich nachgemacht. Und jetzt begann ein +entzückendes Schauspiel, unter Mitwirkung der Musik, die auf dem +Uferdamm aufgestellt war. + +Eine der Jungfrauen machte den Anfang und schickte fürs erste ein +paar Pomeranzen aus leichter Hand hinüber, die, dort mit gleicher +Leichtigkeit aufgefangen, alsbald zurückkehrten; so ging es hin und +her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen zuhalfen, so flogs mit +Pomeranzen bald dem Dutzend nach in immer schnellerem Tempo hin und +wider. Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe keinen Anteil, als +daß sie höchst begierig von ihrem Schemel aus zusah. Wir konnten +die Geschicklichkeit auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die +Schiffe drehten sich auf etwa dreißig Schritte in langsamer Bewegung +umeinander, kehrten sich bald die ganze Flanke zu, bald schief das +halbe Vorderteil; es waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in +der Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel mehr zu sehen. +Manchmal entstand ein förmliches Kreuzfeuer, oft stiegen sie und +fielen in einem hohen Bogen; kaum ging einmal einer und der andere +fehl, es war, als stürzten sie von selbst durch eine Kraft der +Anziehung in die geöffneten Finger. + +So angenehm jedoch das Auge beschäftigt wurde, so lieblich gingen fürs +Gehör die Melodien nebenher: sizilianische Weisen, Tänze, Saltarelli, +Canzoni a ballo, ein ganzes Quodlibet, auf Girlandenart leicht +aneinandergehängt. Die jüngere Prinzeß, ein holdes, unbefangenes +Geschöpf, etwa von meinem Alter, begleitete den Takt gar artig mit +Kopfnicken; ihr Lächeln und die langen Wimpern ihrer Augen kann ich +noch heute vor mir sehen. + +Nun lassen Sie mich kürzlich den Verlauf der Posse noch erzählen, +obschon er weiter nichts zu meiner Sache tut! Man kann sich nicht +leicht etwas Hübscheres denken. Währenddem das Scharmützel allmählich +ausging und nur noch einzelne Würfe gewechselt wurden, die Mädchen +ihre goldenen Äpfel sammelten und in den Korb zurückbrachten, hatte +drüben ein Knabe, wie spielenderweis, ein breites, grüngestricktes +Netz ergriffen und kurze Zeit unter dem Wasser gehalten; er hob es +auf, und zum Erstaunen aller fand sich ein großer, blau, grün und gold +schimmernder Fisch in demselben. Die Nächsten sprangen eifrig zu, +um ihn herauszuholen, da glitt er ihnen aus den Händen, als wär +es wirklich ein lebendiger, und fiel in die See. Das war nun eine +abgeredte Kriegslist, die Roten zu betören und aus dem Schiff zu +locken. Diese, gleichsam bezaubert von dem Wunder, sobald sie merkten, +daß das Tier nicht untertauchen wollte, nur immer auf der Oberfläche +spielte, besannen sich nicht einen Augenblick, stürzten sich alle +ins Meer, die Grünen ebenfalls, und also sah man zwölf gewandte, +wohlgestalte Schwimmer den fliehenden Fisch zu erhaschen bemüht, indem +er auf den Wellen gaukelte, minutenlang unter denselben verschwand, +bald da, bald dort, dem einen zwischen den Beinen, dem andern zwischen +Brust und Kinn herauf wieder zum Vorschein kam. Auf einmal, wie die +Roten eben am hitzigsten auf ihren Fang aus waren, ersah die andere +Partei ihren Vorteil und erstieg schnell wie der Blitz das fremde, +ganz dem Mädchen überlassene Schiff unter großem Gekreische der +letztern. Der nobelste der Burschen, wie ein Merkur gewachsen, flog +mit freudestrahlendem Gesicht auf die Schönste zu, umfaßte, küßte sie, +die, weit entfernt, in das Geschrei der andern einzustimmen, ihre Arme +gleichfalls feurig um den ihr wohlbekannten Jüngling schlang. Die +betrogene Schar schwamm zwar eilends herbei, wurde aber mit Rudern und +Waffen vom Bord abgetrieben. Ihre unnütze Wut, das Angstgeschrei der +Mädchen, der gewaltsame Widerstand einiger von ihnen, ihr Bitten und +Flehen, fast erstickt vom übrigen Alarm, des Wassers, der Musik, die +plötzlich einen andern Charakter angenommen hatte - es war schön über +alle Beschreibung, und die Zuschauer brachen darüber in einen Sturm +von Begeisterung aus. + +In diesem Moment nun entwickelte sich das bisher locker eingebundene +Segel: daraus ging ein rosiger Knabe hervor mit silbernen Schwingen, +mit Bogen, Pfeil und Köcher, und in anmutvoller Stellung schwebte er +frei auf der Stange. Schon sind die Ruder alle in voller Tätigkeit, +das Segel blähte sich auf: allein gewaltiger als beides schien die +Gegenwart des Gottes und seine heftig vorwärtseilende Gebärde das +Fahrzeug fortzutreiben, dergestalt, daß die fast atemlos nachsetzenden +Schwimmer, deren einer den goldenen Fisch hoch mit der Linken über +seinem Haupte hielt, die Hoffnung bald aufgaben und bei erschöpften +Kräften notgedrungen ihre Zuflucht zu dem verlassenen Schiffe nahmen. +Derweil haben die Grünen eine kleine bebuschte Halbinsel erreicht, +wo sich unerwartet ein stattliches Boot mit bewaffneten Kameraden +im Hinterhalt zeigte. Im Angesicht so drohender Umstände pflanzte +das Häufchen eine weiße Flagge auf, zum Zeichen, daß man gütlich +unterhandeln wolle. Durch ein gleiches Signal von jenseits ermuntert, +fuhren sie auf jenen Haltort zu, und bald sah man daselbst die guten +Mädchen alle bis auf die eine, die mit Willen blieb, vergnügt mit +ihren Liebhabern das eigene Schiff besteigen. Hiermit war die Komödie +beendigt.« + +»Mir deucht«, so flüsterte Eugenie mit leuchtenden Augen dem Baron in +einer Pause zu, worin sich jedermann beifällig über das eben Gehörte +aussprach, »wir haben hier eine gemalte Symphonie von Anfang bis zu +Ende gehabt und ein vollkommenes Gleichnis überdies des Mozartischen +Geistes selbst in seiner ganzen Heiterkeit! Hab ich nicht recht? Ist +nicht die ganze Anmut >Figaros< darin?« + +Der Bräutigam war im Begriff, ihre Bemerkung dem Komponisten +mitzuteilen, als dieser zu reden fortfuhr. + +»Es sind nun siebzehn Jahre her, daß ich Italien sah. Wer, der es +einmal sah, insonderheit Neapel, denkt nicht sein Leben lang daran? +und wär er auch, wie ich, noch halb in Kinderschuhen gesteckt! So +lebhaft aber wie heut in Ihrem Garten war mir der letzte schöne Abend +am Golf kaum jemals wieder aufgegangen. Wenn ich die Augen schloß - +ganz deutlich, klar und hell, den letzten Schleier von sich hauchend, +lag die himmlische Gegend vor mir verbreitet! Meer und Gestade, Berg +und Stadt, die bunte Menschenmenge an dem Ufer hin und dann das +wundersame Spiel der Bälle durcheinander! Ich glaubte wieder dieselbe +Musik in den Ohren zu haben, ein ganzer Rosenkranz von fröhlichen +Melodien zog innerlich an mir vorbei, Fremdes und Eigenes, Krethi und +Plethi, eines immer das andere ablösend. Von ungefähr springt ein +Tanzliedchen hervor, Sechsachteltakt, mir völlig neu. - Halt, dacht +ich, was gibts hier? Das scheint ein ganz verteufelt niedliches Ding! +Ich sehe näher zu - alle Wetter! das ist ja Masetto, das ist ja +Zerlina!« - + +Er lachte gegen Madame Mozart hin, die ihn sogleich erriet. + +»Die Sache«, fuhr er fort, »ist einfach diese. In meinem ersten Akt +blieb eine kleine leichte Nummer unerledigt, Duett und Chor einer +ländlichen Hochzeit. Vor zwei Monaten nämlich, als ich dieses Stück +der Ordnung nach vornehmen wollte, da fand sich auf den ersten Wurf +das Rechte nicht alsbald. Eine Weise, einfältig und kindlich und +spritzend von Fröhlichkeit über und über, ein frischer Busenstrauß mit +Flatterband dem Mädel angesteckt, so mußte es sein. Weil man nun im +geringsten nichts erzwingen soll und weil dergleichen Kleinigkeiten +sich oft gelegentlich von selber machen, ging ich darüber weg und +sah mich im Verfolg der größeren Arbeit kaum wieder danach um. Ganz +flüchtig kam mir heut im Wagen, kurz eh wir ins Dorf hereinfuhren, der +Text in den Sinn; da spann sich denn weiter nichts an, zum wenigsten +nicht, daß ichs wüßte. Genug, ein Stündchen später, in der Laube beim +Brunnen, erwisch ich ein Motiv, wie ich es glücklicher und besser zu +keiner andern Zeit, auf keinem andern Weg erfunden haben würde. Man +macht bisweilen in der Kunst besondere Erfahrungen, ein ähnlicher +Streich ist mir nie vorgekommen. Denn eine Melodie, dem Vers wie auf +den Leib gegossen - doch, um nicht vorzugreifen, so weit sind wir +noch nicht, der Vogel hatte nur den Kopf erst aus dem Ei, und auf der +Stelle fing ich an, ihn vollends rein herauszuschälen. Dabei schwebte +mir lebhaft der Tanz der Zerline vor Augen, und wunderlich spielte +zugleich die lachende Landschaft am Golf von Neapel herein. Ich hörte +die wechselnden Stimmen des Brautpaars, die Dirnen und Bursche im +Chor.« + +Hier trällerte Mozart ganz lustig den Anfang des Liedchens: + + Giovinette, che fatte all' amore, che fatte all' amore, + Non lasciate, che passi l'età, che passi l'età, che passi l'età! + Se nel seno vi bulica il core, vi bulica il core, + Il remedio vedete lo quà! La la la! La la la! + Che piacer, che piacer che sarà! + Ah la la! Ah la la usf. * + + * Liebe Schwestern, zur Liebe geboren, + Nützt der Jugend schön blühende Zeit! + Hängt ihr's Köpfchen in Sehnsucht verloren, + Amor ist euch zu helfen bereit. + Tralala + Welch Vergnügen erwartet euch da! usw. + +»Mittlerweile hatten meine Hände das große Unheil angerichtet. Die +Nemesis lauerte schon an der Hecke und trat jetzt hervor in Gestalt +des entsetzlichen Mannes im galonierten blauen Rock. Ein Ausbruch des +Vesuvio, wenn er in Wirklichkeit damals an dem göttlichen Abend am +Meer Zuschauer und Akteurs, die ganze Herrlichkeit Parthenopes mit +einem schwarzen Aschenregen urplötzlich verschüttet und zugedeckt +hätte, bei Gott, die Katastrophe wäre mir nicht unerwarteter und +schrecklicher gewesen. Der Satan der! so heiß hat mir nicht leicht +jemand gemacht. Ein Gesicht wie aus Erz - einigermaßen dem grausamen +römischen Kaiser Tiberius ähnlich! Sieht so der Diener aus, dacht ich, +nachdem er weggegangen, wie mag erst Seine Gnaden selbst dreinsehen. +Jedoch, die Wahrheit zu gestehn, ich rechnete schon ziemlich auf den +Schutz der Damen, und das nicht ohne Grund. Denn diese Stanzel da, +mein Weibchen, etwas neugierig von Natur, ließ sich im Wirtshaus +von der dicken Frau das Wissenswürdigste von denen sämtlichen +Persönlichkeiten der gnädigen Herrschaft in meinem Beisein erzählen, +ich stand dabei und hörte so...« + +Hier konnte Madame Mozart nicht umhin, ihm in das Wort zu fallen und +auf das angelegentlichste zu versichern, daß im Gegenteil er der +Ausfrager gewesen; es kam zu heitern Kontestationen zwischen Mann +und Frau, die viel zu lachen gaben. - »Dem sei nun, wie ihm wolle«, +sagte er, »kurzum, ich hörte so entfernt etwas von einer lieben +Pflegetochter, welche Braut, sehr schön, dazu die Güte selber sei und +singe wie ein Engel. Per Dio! fiel mir jetzt ein, das hilft dir aus +der Lauge! Du setzt dich auf der Stelle hin, schreibst's Liedchen auf, +soweit es geht, erklärst die Sottise der Wahrheit gemäß, und es gibt +einen trefflichen Spaß. Gedacht, getan. Ich hatte Zeit genug, auch +fand sich noch ein sauberes Bögchen grün liniert Papier. - Und hier +ist das Produkt! Ich lege es in diese schönen Hände, ein Brautlied aus +dem Stegreif, wenn Sie es dafür gelten lassen.« + +So reichte er sein reinlichst geschriebenes Notenblatt Eugenien über +den Tisch, des Onkels Hand kam aber der ihrigen zuvor, er haschte es +hinweg und rief: »Geduld noch einen Augenblick, mein Kind!« + +Auf seinen Wink tat sich die Flügeltür des Salons weit auf, und es +erschienen einige Diener, die den verhängnisvollen Pomeranzenbaum +anständig, ohne Geräusch in den Saal hereintrugen und an der Tafel +unten auf eine Bank niedersetzten; gleichzeitig wurden rechts und +links zwei schlanke Myrtenbäumchen aufgestellt. Eine am Stamm des +Orangenbaums befestigte Inschrift bezeichnete ihn als Eigentum der +Braut; vorn aber, auf dem Moosgrund, stand, mit einer Serviette +bedeckt, ein Porzellanteller, der, als man das Tuch hinwegnahm, eine +zerschnittene Orange zeigte, neben welche der Oheim mit listigem Blick +des Meisters Autographen steckte. Allgemeiner unendlicher Jubel erhob +sich darüber. + +»Ich glaube gar«, sagte die Gräfin, »Eugenie weiß noch nicht einmal, +was eigentlich da vor ihr steht? Sie kennt wahrhaftig ihren alten +Liebling in seinem neuen Flor und Früchteschmuck nicht mehr.« +Bestürzt, ungläubig sah das Fräulein bald den Baum, bald ihren Oheim +an. »Es ist nicht möglich«, sagte sie. »Ich weiß ja wohl, er war nicht +mehr zu retten.« + +»Du meinst also«, versetzte jener, »man habe dir nur irgend ungefähr +so ein Ersatzstück ausgesucht? Das wäre was Rechts! Nein, sieh nur her +- ich muß es machen, wie's in der Komödie der Brauch ist, wo sich die +totgeglaubten Söhne oder Brüder durch ihre Muttermäler und Narben +legitimieren. Schau diesen Auswuchs da! und hier die Schrunde übers +Kreuz, du mußt sie hundertmal bemerkt haben. Wie, ist ers, oder ist +ers nicht?« - Sie konnte nicht mehr zweifeln; ihr Staunen, ihre +Rührung und Freude war unbeschreiblich. + +Es knüpfte sich an diesen Baum für die Familie das mehr als +hundertjährige Gedächtnis einer ausgezeichneten Frau, welche wohl +verdient, daß wir ihrer mit wenigem hier gedenken. + +Des Oheims Großvater, durch seine diplomatischen Verdienste im Wiener +Kabinett rühmlich bekannt, von zwei Regenten nacheinander mit gleichem +Vertrauen beehrt, war innerhalb seines eigenen Hauses nicht minder +glücklich im Besitz einer vortrefflichen Gemahlin, Renate Leonore. Ihr +wiederholter Aufenthalt in Frankreich brachte sie vielfach mit dem +glänzenden Hofe Ludwigs XIV. und mit den bedeutendsten Männern und +Frauen dieser merkwürdigen Epoche in Berührung. Bei ihrer unbefangenen +Teilnahme an jenem steten Wechsel des geistreichsten Lebensgenusses +verleugnete sie auf keinerlei Art in Worten und Werken die angestammte +deutsche Ehrenfestigkeit und sittliche Strenge, die sich in +den kräftigen Zügen des noch vorhandenen Bildnisses der Gräfin +unverkennbar ausprägt. Vermöge eben dieser Denkungsweise übte sie in +der gedachten Sozietät eine eigentümliche naive Opposition, und ihre +hinterlassene Korrespondenz weist eine Menge Spuren davon auf, mit +wieviel Freimut und herzhafter Schlagfertigkeit, es mochte nun von +Glaubenssachen, von Literatur und Politik oder von was immer die Rede +sein, die originelle Frau ihre gesunden Grundsätze und Ansichten zu +verteidigen, die Blößen der Gesellschaft anzugreifen wußte, ohne doch +dieser im mindesten sich lästig zu machen. Ihr reges Interesse für +sämtliche Personen, die man im Hause einer Ninon, dem eigentlichen +Herd der feinsten Geistesbildung, treffen konnte, war demnach +so beschaffen und geregelt, daß es sich mit dem höheren +Freundschaftsverhältnis zu einer der edelsten Damen jener Zeit, der +Frau von Sévigné, vollkommen wohl vertrug. Neben manchen mutwilligen +Scherzen Chapelles an sie, vom Dichter eigenhändig auf Blätter mit +silberblumigem Rande gekritzelt, fanden sich die liebevollsten +Briefe der Marquisin und ihrer Tochter an die ehrliche Freundin aus +Österreich nach ihrem Tod in einem Ebenholzschränkchen der Großmutter +vor. + +Frau von Sévigné war es denn auch, aus deren Hand sie eines Tages, bei +einem Feste zu Trianon, auf der Terrasse des Gartens den blühenden +Orangenzweig empfing, den sie sofort auf das Geratewohl in einen Topf +setzte und glücklich angewurzelt mit nach Deutschland nahm. + +Wohl fünfundzwanzig Jahre wuchs das Bäumchen unter ihren Augen +allgemach heran und wurde später von Kindern und Enkeln mit äußerster +Sorgfalt gepflegt. Es konnte nächst seinem persönlichen Werte zugleich +als lebendes Symbol der feingeistigen Reize eines beinahe vergötterten +Zeitalters gelten, worin wir heutzutage freilich des wahrhaft +Preisenswerten wenig finden können und das schon eine unheilvolle +Zukunft in sich trug, deren welterschütternder Eintritt dem Zeitpunkt +unserer harmlosen Erzählung bereits nicht ferne mehr lag. + +Die meiste Liebe widmete Eugenie dem Vermächtnis der würdigen Ahnfrau, +weshalb der Oheim öfters merken ließ, es dürfte wohl einst eigens in +ihre Hände übergehen. Desto schmerzlicher war es dem Fräulein denn +auch, als der Baum im Frühling des vorigen Jahres, den sie nicht hier +zubrachte, zu trauern begann, die Blätter gelb wurden und viele Zweige +abstarben. In Betracht, daß irgendeine besondere Ursache seines +Verkommens durchaus nicht zu entdecken war und keinerlei Mittel +anschlug, gab ihn der Gärtner bald verloren, obwohl er seiner +natürlichen Ordnung nach leicht zwei- und dreimal älter werden konnte. +Der Graf hingegen, von einem benachbarten Kenner beraten, ließ ihn +nach einer sonderbaren, selbst rätselhaften Vorschrift, wie sie das +Landvolk häufig hat, in einem abgesonderten Raume ganz insgeheim +behandeln, und seine Hoffnung, die geliebte Nichte eines Tags mit dem +zu neuer Kraft und voller Fruchtbarkeit gelangten alten Freund zu +überraschen, ward über alles Erwarten erfüllt. Mit Überwindung seiner +Ungeduld und nicht ohne Sorge, ob denn wohl auch die Früchte, von +denen etliche zuletzt den höchsten Grad der Reife hatten, so lang am +Zweige halten würden, verschob er die Freude um mehrere Wochen auf +das heutige Fest, und es bedarf nun weiter keines Worts darüber, mit +welcher Empfindung der gute Herr ein solches Glück noch im letzten +Moment durch einen Unbekannten sich verkümmert sehen mußte. + +Der Leutnant hatte schon vor Tische Gelegenheit und Zeit gefunden, +seinen dichterischen Beitrag zu der feierlichen Übergabe ins reine zu +bringen und seine vielleicht ohnehin etwas zu ernst gehaltenen Verse +durch einen veränderten Schluß den Umständen möglichst anzupassen. Er +zog nunmehr sein Blatt hervor, das er, vom Stuhle sich erhebend und an +die Cousine gewendet, vorlas. Der Inhalt der Strophen war kurz gefaßt +dieser: + +Ein Nachkömmling des vielgepriesnen Baums der Hesperiden, der vor +alters, auf einer westlichen Insel, im Garten der Juno, als eine +Hochzeitsgabe für sie von Mutter Erde, hervorgesproßt war und welchen +die drei melodischen Nymphen bewachten, hat eine ähnliche Bestimmung +von jeher gewünscht und gehofft, da der Gebrauch, eine herrliche Braut +mit seinesgleichen zu beschenken, von den Göttern vorlängst auch unter +die Sterblichen kam. + +Nach langem vergeblichen Warten scheint endlich die Jungfrau gefunden, +auf die er seine Blicke richten darf. Sie erzeigt sich ihm günstig und +verweilt oft bei ihm. Doch der musische Lorbeer, sein stolzer Nachbar +am Bord der Quelle, hat seine Eifersucht erregt, indem er droht, +der kunstbegabten Schönen Herz und Sinn für die Liebe der Männer zu +rauben. Die Myrte tröstet ihn umsonst und lehrt ihn Geduld durch ihr +eigenes Beispiel; zuletzt jedoch ist es die andauernde Abwesenheit +der Liebsten, was seinen Gram vermehrt und ihm nach kurzem Siechtum +tödlich wird. + +Der Sommer bringt die Entfernte und bringt sie mit glücklich +umgewandtem Herzen zurück. Das Dorf, das Schloß, der Garten, alles +empfängt sie mit tausend Freuden. Rosen und Lilien, in erhöhtem +Schimmer, sehen entzückt und beschämt zu ihr auf, Glück winken ihr +Sträucher und Bäume: für einen, ach, den edelsten, kommt sie zu spät. +Sie findet seine Krone verdorrt, ihre Finger betasten den leblosen +Stamm und die klirrenden Spitzen seines Gezweigs. Er kennt und sieht +seine Pflegerin nimmer. Wie weint sie, wie strömt ihre zärtliche +Klage! + +Apollo von weitem vernimmt die Stimme der Tochter. Er kommt, er +tritt herzu und schaut mitfühlend ihren Jammer. Alsbald mit seinen +allheilenden Händen berührt er den Baum, daß er in sich erbebt, der +vertrocknete Saft in der Rinde gewaltsam anschwillt, schon junges +Laub ausbricht, schon weiße Blumen da und dort in ambrosischer Fülle +aufgehen. Ja - denn was vermochten die Himmlischen nicht? - schön +runde Früchte setzen an, dreimal drei, nach der Zahl der neun +Schwestern; sie wachsen und wachsen, ihr kindliches Grün zusehends mit +der Farbe des Goldes vertauschend. + +Phöbus - so schloß sich das Gedicht - + + Phöbus überzählt die Stücke, + Weidet selbsten sich daran, + Ja, es fängt im Augenblicke, + Ihm der Mund zu wässern an. + + Lächelnd nimmt der Gott der Töne + Von der saftigsten Besitz: + »Laß uns teilen, holde Schöne, + Und für Amorn - diesen Schnitz!« + +Der Dichter erntete rauschenden Beifall, und gern verzieh man die +barocke Wendung, durch welche der Eindruck des wirklich gefühlvollen +Ganzen so völlig aufgehoben wurde. + +Franziska, deren froher Mutterwitz schon zu verschiedenen Malen bald +durch den Hauswirt, bald durch Mozart in Bewegung gesetzt worden war, +lief jetzt geschwinde, wie von ungefähr an etwas erinnert, hinweg und +kam zurück mit einem braunen englischen Kupferstich größten Formats, +welcher wenig beachtet in einem ganz entfernten Kabinett unter Glas +und Rahmen hing. »Es muß doch wahr sein, was ich immer hörte«, rief +sie aus, indem sie das Bild am Ende der Tafel aufstellte, »daß sich +unter der Sonne nichts Neues begibt! Hier eine Szene aus dem goldenen +Weltalter - und haben wir sie nicht erst heute erlebt? Ich hoffe doch, +Apollo werde sich in dieser Situation erkennen.« + +»Vortrefflich!« triumphierte Max, »da hätten wir ihn ja, den schönen +Gott, wie er sich just gedankenvoll über den heiligen Quell hinbeugt. +Und damit nicht genug - dort, seht nur, einen alten Satyr hinten im +Gebüsch, der ihn belauscht! Man möchte darauf schwören, Apoll besinnt +sich eben auf ein lange vergessenes arkadisches Tänzchen, das ihn in +seiner Kindheit der alte Chiron zu der Zither lehrte.« + +»So ists! nicht anders!« applaudierte Franziska, die hinter Mozart +stand. »Und«, fuhr sie gegen diesen fort, »bemerken Sie auch wohl den +fruchtbeschwerten Ast, der sich zum Gott heruntersenkt?« + +»Ganz recht; es ist der ihm geweihte Ölbaum.« + +»Keineswegs! die schönsten Apfelsinen sinds! Gleich wird er sich in +der Zerstreuung eine herunterholen.« + +»Vielmehr«, rief Mozart, »er wird gleich diesen Schelmenmund mit +tausend Küssen schließen!« Damit erwischte er sie am Arm und schwur, +sie nicht mehr loszulassen, bis sie ihm ihre Lippen reiche, was sie +denn auch ohne vieles Sträuben tat. »Erkläre uns doch, Max«, sagte die +Gräfin, »was unter dem Bilde hier steht!« + +»Es sind Verse aus einer berühmten Horazischen Ode. Der Dichter +Ramler in Berlin hat uns das Stück vor kurzem unübertrefflich deutsch +gegeben. Es ist vom höchsten Schwung. Wie prächtig eben diese eine +Stelle: + + - - - hier, der auf der Schulter + Keinen untätigen Bogen führet! + Der seines Delos grünenden Mutterhain + Und Pataras beschatteten Strand bewohnt, + Der seines Hauptes goldne Locken + In die kastalischen Fluten tauchet.« + +»Schön! wirklich schön!« sagte der Graf, »nur hie und da bedarf es +der Erläuterung. So zum Beispiel, >der keinen untätigen Bogen führet< +hieße natürlich schlechtweg: der allezeit einer der fleißigsten Geiger +gewesen. Doch, was ich sagen wollte: Bester Mozart, Sie säen Unkraut +zwischen zwei zärtliche Herzen.« + +»Ich will nicht hoffen - wieso?« + +»Eugenie beneidet ihre Freundin und hat auch allen Grund.« + +»Aha, Sie haben mir schon meine schwache Seite abgemerkt. Aber was +sagt der Bräutigam dazu?« + +»Ein- oder zweimal will ich durch die Finger sehen.« + +»Sehr gut; wir werden der Gelegenheit wahrnehmen. Indes fürchten Sie +nichts, Herr Baron; es hat keine Gefahr, solang mir nicht der Gott +hier sein Gesicht und seine langen gelben Haare borgt. Ich wünsche +wohl, er täts! er sollte auf der Stelle Mozarts Zopf mitsamt seinem +schönsten Bandl dafür haben.« + +»Apollo möge aber dann zusehen«, lachte Franziska, »wie er es anfängt +künftig, seinen neuen französischen Haarschmuck mit Anstand in die +kastalische Flut zu tauchen!« + +Unter diesen und ähnlichen Scherzen stieg Lustigkeit und Mutwillen +immer mehr. Die Männer spürten nach und nach den Wein, es wurden +eine Menge Gesundheiten getrunken, und Mozart kam in den Zug, nach +seiner Gewohnheit in Versen zu sprechen, wobei ihm der Leutnant das +Gleichgewicht hielt und auch der Papa nicht zurückbleiben wollte; +es glückte ihm ein paarmal zum Verwundern. Doch solche Dinge lassen +sich für die Erzählung kaum festhalten, sie wollen eigentlich nicht +wiederholt sein, weil eben das, was sie an ihrem Ort unwiderstehlich +macht, die allgemein erhöhte Stimmung, der Glanz, die Jovialität des +persönlichen Ausdrucks in Wort und Blick fehlt. + +Unter andern wurde von dem alten Fräulein zu Ehren des Meisters ein +Toast ausgebracht, der ihm noch eine ganze lange Reihe unsterblicher +Werke verhieß. - »À la bonne heure! ich bin dabei!« rief Mozart und +stieß sein Kelchglas kräftig an. Der Graf begann hierauf mit großer +Macht und Sicherheit der Intonation, kraft eigener Eingebung, zu +singen: + + Mögen ihn die Götter stärken + Zu den angenehmen Werken - + + Max (fortfahrend): + Wovon der da Ponte weder + Noch der große Schikaneder - + + Mozart: + Noch bei Gott der Komponist + 's mindest weiß zu dieser Frist! + + Graf: + Alle, alle soll sie jener + Hauptspitzbub von Italiener + Noch erleben, wünsch ich sehr, + Unser Signor Bonbonnière* + + * So nannte Mozart unter Freunden seinen Kollegen Salieri, + der, wo er ging und stand, Zuckerwerk naschte, zugleich mit + Anspielung auf das Zierliche seiner Person. + + Max: + Gut, ich geb ihm hundert Jahre - + + Mozart: + Wenn ihn nicht samt seiner Ware - + + Alle drei con forza: + Noch der Teufel holt vorher, + Unsern Monsieur Bonbonnière. + +Durch des Grafen ausnehmende Singlust schweifte das zufällig +entstandene Terzett mit Wiederaufnahme der letzten vier Zeilen in +einen sogenannten endlichen Kanon aus, und die Fräulein Tante besaß +Humor oder Selbstvertrauen genug, ihren verfallenen Soprano mit +allerhand Verzierungen zweckdienlich einzumischen. Mozart gab nachher +das Versprechen, bei guter Muße diesen Spaß nach den Regeln der Kunst +expreß für die Gesellschaft auszuführen, das er auch später von Wien +aus erfüllte. + +Eugenie hatte sich im stillen längst mit ihrem Kleinod aus der Laube +des Tiberius vertraut gemacht; allgemein verlangte man jetzt das +Duett vom Komponisten und ihr gesungen zu hören, und der Oheim war +glücklich, im Chor seine Stimme abermals geltend zu machen. Also erhob +man sich und eilte zum Klavier ins große Zimmer nebenan. + +Ein so reines Entzücken nun auch das köstliche Stück bei allen +erregte, so führte doch sein Inhalt selbst, mit einem raschen +Übergang, auf den Gipfel geselliger Lust, wo die Musik an und für sich +nicht weiter in Betracht mehr kommt, und zwar gab zuerst unser Freund +das Signal, indem er vom Klavier aufsprang, auf Franziska zuging +und sie, während Max bereitwilligst die Violine ergriff, zu einem +Schleifer persuadierte. Der Hauswirt säumte nicht, Madame Mozart +aufzufordern. Im Nu waren alle beweglichen Möbel, den Raum zu +erweitern, durch geschäftige Diener entfernt. Es mußte nach und nach +ein jedes an die Tour, und Fräulein Tante nahm es keineswegs übel, +daß der galante Leutnant sie zu einer Menuett abholte, worin sie sich +völlig verjüngte. Schließlich, als Mozart mit der Braut den Kehraus +tanzte, nahm er sein versichertes Recht auf ihren schönen Mund in +bester Form dahin. + +Der Abend war herbeigekommen, die Sonne nah am Untergehen, es wurde +nun erst angenehm im Freien, daher die Gräfin den Damen vorschlug, +sich im Garten noch ein wenig zu erholen. Der Graf dagegen lud die +Herren auf das Billardzimmer, da Mozart bekanntlich dies Spiel sehr +liebte. So teilte man sich denn in zwei Partien, und wir unsererseits +folgen den Frauen. + +Nachdem sie den Hauptweg einigemal gemächlich auf und ab gegangen, +erstiegen sie einen runden, von einem hohen Rebengeländer zur Hälfte +umgebenen Hügel, von wo man in das offene Feld, auf das Dorf und die +Landstraße sah. Die letzten Strahlen der herbstlichen Sonne funkelten +rötlich durch das Weinlaub herein. + +»Wäre hier nicht vertraulich zu sitzen«, sagte die Gräfin, »wenn +Madame Mozart uns etwas von sich und dem Gemahl erzählen wollte?« + +Sie war ganz gerne bereit, und alle nahmen höchst behaglich auf den im +Kreis herbeigerückten Stühlen Platz. + +»Ich will etwas zum Besten geben, das Sie auf alle Fälle hätten hören +müssen, da sich ein kleiner Scherz darauf bezieht, den ich im Schilde +führe. Ich habe mir in Kopf gesetzt, der Gräfin Braut zur fröhlichen +Erinnerung an diesen Tag ein Angebind von sonderlicher Qualität zu +verehren. Dasselbe ist so wenig Gegenstand des Luxus und der Mode, daß +es lediglich nur durch seine Geschichte einigermaßen interessieren +kann.« + +»Was mag das sein, Eugenie?« sagte Franziska. »Zum wenigsten das +Tintenfaß eines berühmten Mannes.« + +»Nicht allzu weit gefehlt! Sie sollen es noch diese Stunde sehen; +im Reisekoffer liegt der Schatz. Ich fange an und werde mit Ihrer +Erlaubnis ein wenig weiter ausholen. + +Vorletzten Winter wollte mir Mozarts Gesundheitszustand, durch +vermehrte Reizbarkeit und häufige Verstimmung, ein fieberhaftes Wesen, +nachgerade bange machen. In Gesellschaft noch zuweilen lustig, oft +mehr als recht natürlich, war er zu Haus meist trüb in sich hinein, +seufzte und klagte. Der Arzt empfahl ihm Diät, Pyrmonter und Bewegung +außerhalb der Stadt. Der Patient gab nicht viel auf den guten Rat; die +Kur war unbequem, zeitraubend, seinem Taglauf schnurstracks entgegen. +Nun machte ihm der Doktor die Hölle etwas heiß, er mußte eine lange +Vorlesung anhören von der Beschaffenheit des menschlichen Geblüts, +von denen Kügelgens darin, vom Atemholen und vom Phlogiston - halt +unerhörte Dinge; auch wie es eigentlich gemeint sei von der Natur mit +Essen, Trinken und Verdauen, das eine Sache ist, worüber Mozart bis +dahin ganz ebenso unschuldig dachte wie sein Junge von fünf Jahren. +Die Lektion, in der Tat, machte merklichen Eindruck. Der Doktor war +noch keine halbe Stunde weg, so find ich meinen Mann nachdenklich, +aber mit aufgeheitertem Gesicht, auf seinem Zimmer über der +Betrachtung eines Stocks, den er in einem Schrank mit alten Sachen +suchte und auch glücklich fand; ich hätte nicht gemeint, daß er sich +dessen nur erinnerte. Er stammte noch von meinem Vater, ein schönes +Rohr mit hohem Knopf von Lapislazuli. Nie sah man einen Stock in +Mozarts Hand, ich mußte lachen. + +>Du siehst<, rief er, >ich bin daran, mit meiner Kur mich völlig ins +Geschirr zu werfen. Ich will das Wasser trinken, mir alle Tage Motion +im Freien machen und mich dabei dieses Stabes bedienen. Da sind mir +nun verschiedene Gedanken beigegangen. Es ist doch nicht umsonst, +dacht ich, daß andere Leute, was da gesetzte Männer sind, den Stock +nicht missen können. Der Kommerzienrat, unser Nachbar, geht niemals +über die Straße, seinen Gevatter zu besuchen, der Stock muß mit. +Professionisten und Beamte, Kanzleiherrn, Krämer und Chalanten, wenn +sie am Sonntag mit Familie vor die Stadt spazieren, ein jeder führt +sein wohlgedientes, rechtschaffenes Rohr mit sich. Vornehmlich hab ich +oft bemerkt, wie auf dem Stephansplatz, ein Viertelstündchen vor der +Predigt und dem Amt, ehrsame Bürger da und dort truppweis beisammen +stehen im Gespräch: hier kann man so recht sehen, wie eine jede +ihrer stillen Tugenden, ihr Fleiß und Ordnungsgeist, gelaßner Mut, +Zufriedenheit sich auf die wackern Stöcke gleichsam als eine gute +Stütze lehnt und stemmt. Mit einem Wort, es muß ein Segen und +besonderer Trost in der altväterischen und immerhin etwas +geschmacklosen Gewohnheit liegen. Du magst es glauben oder nicht, ich +kann es kaum erwarten, bis ich mit diesem guten Freund das erste Mal +im Gesundheitspaß über die Brücke nach dem Rennweg promeniere! Wir +kennen uns bereits ein wenig, und ich hoffe, daß unsere Verbindung für +alle Zeit geschlossen ist.< + +Die Verbindung war von kurzer Dauer: das dritte Mal, daß beide +miteinander aus waren, kam der Begleiter nicht mehr mit zurück. +Ein anderer wurde angeschafft, der etwas länger Treue hielt, und +jedenfalls schrieb ich der Stockliebhaberei ein gut Teil von der +Ausdauer zu, womit Mozart drei Wochen lang der Vorschrift seines +Arztes ganz erträglich nachkam. Auch blieben die guten Folgen +nicht aus; wir sahen ihn fast nie so frisch, so hell und von so +gleichmäßiger Laune. Doch machte er sich leider in kurzem wieder allzu +grün, und täglich hatt ich deshalb meine Not mit ihm. Damals geschah +es nun, daß er, ermüdet von der Arbeit eines anstrengenden Tages, noch +spät, ein paar neugieriger Reisenden wegen zu einer musikalischen +Soiree ging - auf eine Stunde bloß, versprach er mir heilig und teuer; +doch das sind immer die Gelegenheiten, wo die Leute, wenn er nur erst +am Flügel festsitzt und im Feuer ist, seine Gutherzigkeit am mehrsten +mißbrauchen; denn da sitzt er alsdann wie das Männchen in einer +Montgolfiere, sechs Meilen hoch über dem Erdboden schwebend, wo man +die Glocken nicht mehr schlagen hört. Ich schickte den Bedienten +zweimal mitten in der Nacht dahin, umsonst; er konnte nicht zu seinem +Herrn gelangen. Um drei Uhr früh kam dieser denn endlich nach Haus. +Ich nahm mir vor, den ganzen Tag ernstlich mit ihm zu schmollen.« + +Hier überging Madame Mozart einige Umstände mit Stillschweigen. +Es war, muß man wissen, nicht unwahrscheinlich, daß zu gedachter +Abendunterhaltung auch eine junge Sängerin, Signora Malerbi, kommen +würde, an welcher Frau Konstanze mit allem Recht Ärgernis nahm. Diese +Römerin war durch Mozarts Verwendung bei der Oper angestellt worden, +und ohne Zweifel hatten ihre koketten Künste nicht geringen Anteil +an der Gunst des Meisters. Sogar wollten einige wissen, sie habe ihn +mehrere Monate lang eingezogen und heiß genug auf ihrem Rost gehalten. +Ob dies nun völlig wahr sei oder sehr übertrieben, gewiß ist, sie +benahm sich nachher frech und undankbar und erlaubte sich selbst +Spöttereien über ihren Wohltäter. So war es ganz in ihrer Art, daß +sie ihn einst gegenüber einem ihrer glücklicheren Verehrer kurzweg un +piccolo grifo raso (ein kleines rasiertes Schweinsrüsselchen) nannte. +Der Einfall, einer Circe würdig, war um so empfindlicher, weil er, +wie man gestehen muß, immerhin ein Körnchen Wahrheit enthielt.* Beim +Nachhausegehen von jener Gesellschaft, bei welcher übrigens die +Sängerin zufällig nicht erschienen war, beging ein Freund im Übermut +des Weins die Indiskretion, dem Meister dies boshafte Wort zu +verraten. Er wurde schlecht davon erbaut, denn eigentlich war es für +ihn der erste unzweideutige Beweis von der gänzlichen Herzlosigkeit +seines Schützlings. Vor lauter Entrüstung darüber empfand er nicht +einmal sogleich den frostigen Empfang am Bette seiner Frau. In einem +Atem teilte er ihr die Beleidigung mit, und diese Ehrlichkeit läßt +wohl auf einen mindern Grad von Schuldbewußtsein schließen. Fast +machte er ihr Mitleid rege. Doch hielt sie geflissentlich an sich, es +sollte ihm nicht so leicht hingehen. Als er von einem schweren Schlaf +kurz nach Mittag erwachte, fand er das Weibchen samt den beiden Knaben +nicht zu Hause, vielmehr säuberlich den Tisch für ihn allein gedeckt. + +* Man hat hier ein älteres kleines Profilbild im Auge, das, gut + gezeichnet und gestochen, sich auf dem Titelblatt eines Mozartschen + Klavierwerks befindet, unstreitig das ähnlichste von allen auch + neuerdings im Kunsthandel erschienenen Porträts. + +Von jeher gab es wenige Dinge, welche Mozart so unglücklich machten, +als wenn nicht alles hübsch eben und heiter zwischen ihm und seiner +guten Hälfte stand. Und hätte er nun erst gewußt, welche weitere +Sorge sie schon seit mehreren Tagen mit sich herumtrug! - eine der +schlimmsten in der Tat, mit deren Eröffnung sie ihn nach alter +Gewohnheit so lange wie möglich verschonte. Ihre Barschaft war +ehestens alle und keine Aussicht auf baldige Einnahme da. Ohne Ahnung +von dieser häuslichen Extremität war gleichwohl sein Herz auf eine Art +beklommen, die mit jenem verlegenen, hilflosen Zustand eine gewisse +Ähnlichkeit hatte. Er mochte nicht essen, er konnte nicht bleiben. +Geschwind zog er sich vollends an, um nur aus der Stickluft des Hauses +zu kommen. Auf einem offenen Zettel hinterließ er ein paar Zeilen +italienisch: >Du hast mirs redlich eingetränkt, und geschieht mir +schon recht. Sei aber wieder gut, ich bitte Dich, und lache wieder, +bis ich heimkomme. Mir ist zumut, als möcht ich ein Kartäuser und +Trappiste werden, ein rechter Heulochs, sag ich Dir!< - Sofort nahm er +den Hut, nicht aber auch den Stock zugleich; der hatte seine Epoche +passiert. + +Haben wir Frau Konstanze bis hieher in der Erzählung abgelöst, so +können wir auch wohl noch eine kleine Strecke weiter fortfahren. + +Von seiner Wohnung bei der Schranne rechts gegen das Zeughaus +einbiegend, schlenderte der teure Mann - es war ein warmer, etwas +umwölkter Sommernachmittag - nachdenklich lässig über den sogenannten +Hof und weiter an der Pfarre zu Unsrer Lieben Frau vorbei, dem +Schottentor entgegen, wo er seitwärts zur Linken auf die Mölkerbastei +stieg und dadurch der Ansprache mehrerer Bekannten, die eben zur Stadt +hereinkamen, entging. Nur kurze Zeit genoß er hier, obwohl von einer +stumm bei den Kanonen auf und nieder gehenden Schildwache nicht +belästigt, der vortrefflichen Aussicht über die grüne Ebene des +Glacis und die Vorstädte hin nach dem Kahlenberg und südlich nach +den Steierischen Alpen. Die schöne Ruhe der äußern Natur widersprach +seinem innern Zustand. Mit einem Seufzer setzte er seinen Gang über +die Esplanade und sodann durch die Alservorstadt ohne bestimmten +Zielpunkt fort. + +Am Ende der Mähringer Gasse lag eine Schenke mit Kegelbahn, deren +Eigentümer, ein Seilermeister, durch seine gute Ware wie durch die +Reinheit seines Getränks den Nachbarn und Landleuten, die ihr Weg +vorüberführte, gar wohl bekannt war. Man hörte Kegelschieben, und +übrigens ging es bei einer Anzahl von höchstens einem Dutzend Gästen +mäßig zu. Ein kaum bewußter Trieb, sich unter anspruchslosen, +natürlichen Menschen in etwas zu vergessen, bewog den Musiker zur +Einkehr. Er setzte sich an einen der sparsam von Bäumen beschatteten +Tische zu einem Wiener Brunnen-Obermeister und zwei andern +Spießbürgern, ließ sich ein Schöppchen kommen und nahm an ihrem sehr +alltäglichen Diskurs eingehend teil, ging dazwischen umher oder +schaute dem Spiel auf der Kegelbahn zu. + +Unweit von der letztern, an der Seite des Hauses, befand .ich der +offene Laden des Seilers, ein schmaler, mit Fabrikaten vollgepfropfter +Raum, weil außer dem, was das Handwerk zunächst lieferte, auch +allerlei hölzernes Köchen-, Keller- und landwirtschaftliches Gerät, +angleichen Tran und Wagensalbe, auch weniges von Sämereien, Dill +und Kümmel zum Verkauf umherstand oder -hing. Ein Mädchen, das als +Kellnerin die Gäste zu bedienen und nebenbei den Laden zu besorgen +hatte, war eben mit einem Bauern beschäftigt, welcher, sein Söhnlein +an der Hand, herzugetreten war, um einiges zu kaufen, ein Fruchtmaß, +eine Bürste, eine Geißel. Er suchte unter vielen Stücken eines heraus, +prüfte es, legte es weg, ergriff ein zweites und drittes und kehrte +unschlüssig zum ersten zurück; es war kein Fertigwerden. Das Mädchen +entfernte sich mehrmals der Aufwartung wegen, kam wieder und war +unermüdlich, ihm seine Wahl zu erleichtern und annehmlich zu machen, +ohne daß sie zu viel darum schwatzte. + +Mozart sah und hörte auf einem Bänkchen bei der Kegelbahn diesem allen +mit Vergnügen zu. So sehr ihm auch das gute, verständige Betragen des +Mädchens, die Ruhe und der Ernst in ihren ansprechenden Zügen gefiel, +noch mehr interessierte ihn für jetzt der Bauer, welcher ihm, nachdem +er ganz befriedigt abgezogen, noch viel zu denken gab. Er hatte +sich vollkommen in den Mann hineinversetzt, gefühlt, wie wichtig +die geringe Angelegenheit von ihm behandelt, wie ängstlich und +gewissenhaft die Preise, bei einem Unterschied von wenig Kreuzern, hin +und her erwogen wurden. Und, dachte er, wenn nun der Mann zu seinem +Weibe heimkommt, ihr seinen Handel rühmt, die Kinder alle passen, bis +der Zwerchsack aufgeht, darin auch was für sie sein mag; sie aber +eilt, ihm einen Imbiß und einen frischen Trunk selbstgekelterten +Obstmost zu holen, darauf er seinen ganzen Appetit verspart hat! Wer +auch so glücklich wäre, so unabhängig von den Menschen! ganz nur auf +die Natur gestellt und ihren Segen, wie sauer auch dieser erworben +sein will! + +Ist aber mir mit meiner Kunst ein anderes Tagwerk anbefohlen, das ich +am Ende doch mit keinem in der Welt vertauschen würde: warum muß ich +dabei in Verhältnissen leben, die das gerade Widerspiel von solch +unschuldiger, einfacher Existenz ausmachen? Ein Gütchen wenn du +hättest, ein kleines Haus bei einem Dorf in schöner Gegend, du +solltest wahrlich neu aufleben! Den Morgen über fleißig bei deinen +Partituren, die ganze übrige Zeit bei der Familie; Bäume pflanzen, +deinen Acker besuchen, im Herbst mit den Buben die Äpfel und die Birn +heruntertun; bisweilen eine Reise in die Stadt zu einer Aufführung und +sonst, von Zeit zu Zeit ein Freund und mehrere bei dir - welch eine +Seligkeit! Nun ja, wer weiß, was noch geschieht! + +Er trat vor den Laden, sprach freundlich mit dem Mädchen und +fing an, ihren Kram genauer zu betrachten. Bei der unmittelbaren +Verwandtschaft, welche die meisten dieser Dinge zu jenem idyllischen +Anfluge hatten, zog ihn die Sauberkeit, das Helle, Glatte, selbst der +Geruch der mancherlei Holzarbeiten an. Es fiel ihm plötzlich ein, +verschiedenes für seine Frau, was ihr nach seiner Meinung angenehm +und nutzbar wäre, auszuwählen. Sein Augenmerk ging zuvörderst auf +Gartenwerkzeug. Konstanze hatte nämlich vor Jahr und Tag auf seinen +Antrieb ein Stückchen Land vor dem Kärntner Tor gepachtet und etwas +Gemüse darauf gebaut; daher ihm jetzt fürs erste ein neuer großer +Rechen, ein kleinerer dito samt Spaten ganz zweckmäßig schien. Dann +Weiteres anlangend, so macht es seinen ökonomischen Begriffen alle +Ehre, daß er einem ihn sehr appetitlich anlachenden Butterfaß nach +kurzer Überlegung, wiewohl ungern, entsagte; dagegen ihm ein hohes, +mit Deckel und schön geschnitztem Henkel versehenes Geschirr zu +unmaßgeblichem Gebrauch einleuchtete. Es war aus schmalen Stäben von +zweierlei Holz, abwechselnd hell und dunkel, zusammengesetzt, unten +weiter als oben und innen trefflich ausgepicht. Entschieden für +die Küche empfahl sich eine schöne Auswahl Rührlöffel, Wellhölzer, +Schneidbretter und Teller von allen Größen sowie ein Salzbehälter +einfachster Konstruktion zum Aufhängen. + +Zuletzt besah er sich noch einen derben Stock, dessen Handhabe +mit Leder und runden Messingnägeln gehörig beschlagen war. Da der +sonderbare Kunde auch hier in einiger Versuchung schien, bemerkte die +Verkäuferin mit Lächeln, das sei just kein Tragen für Herren. »Du hast +recht, mein Kind«, versetzte er, »mir deucht, die Metzger auf der +Reise haben solche; weg damit, ich will ihn nicht. Das übrige hingegen +alles, was wir da ausgelesen haben, bringst du mir heute oder morgen +ins Haus.« Dabei nannte er ihr seinen Namen und die Straße. Er ging +hierauf, um auszutrinken, an seinen Tisch, wo von den dreien nur noch +einer, ein Klempnermeister, saß. + +»Die Kellnerin hat heut mal einen guten Tag«, bemerkte der Mann. »Ihr +Vetter läßt ihr vom Erlös im Laden am Gulden einen Batzen.« + +Mozart freute sich nun seines Einkaufs doppelt; gleich aber sollte +seine Teilnahme an der Person noch größer werden. Denn als sie wieder +in die Nähe kam, rief ihr derselbe Bürger zu: »Wie stehts, Kreszenz? +Was macht der Schlosser? Feilt er nicht bald sein eigen Eisen?« + +»O was!« erwiderte sie im Weitereilen: »selbiges Eisen, schätz ich, +wächst noch im Berg, zuhinterst.« + +»Es ist ein guter Tropf«, sagte der Klempner. »Sie hat lang ihrem +Stiefvater hausgehalten und ihn in der Krankheit verpflegt, und da er +tot war, kams heraus, daß er ihr Eigenes aufgezehrt hatte; zeither +dient sie da ihrem Verwandten, ist alles und alles im Geschäft, in +der Wirtschaft und bei den Kindern. Sie hat mit einem braven Gesellen +Bekanntschaft und würde ihn je eher, je lieber heiraten; das aber hat +so seine Haken.« + +»Was für? Er ist wohl auch ohne Vermögen?« + +»Sie ersparten sich beide etwas, doch langt es nicht gar. Jetzt kommt +mit nächstem drinnen ein halber Hausteil samt Werkstatt in Gant; +dem Seiler wärs ein leichtes, ihnen vorzuschießen, was noch zum +Kaufschilling fehlt, allein er läßt die Dirne natürlich nicht gern +fahren. Er hat gute Freunde im Rat und bei der Zunft, da findet der +Geselle nun allenthalben Schwierigkeiten.« + +»Verflucht!« - fuhr Mozart auf, so daß der andere erschrak und sich +umsah, ob man nicht horche. »Und da ist niemand, der ein Wort nach dem +Recht darein spräche? den Herren eine Faust vorhielte? Die Schufte, +die! Wart nur, man kriegt euch noch beim Wickel!« + +Der Klempner saß wie auf Kohlen. Er suchte das Gesagte auf eine +ungeschickte Art zu mildern; beinahe nahm er es völlig zurück. Doch +Mozart hörte ihn nicht an. »Schämt Euch, wie Ihr nun schwatzt. So +machts ihr Lumpen allemal, sobald es gilt, mit etwas einzustehen.« +- Und hiemit kehrte er dem Hasenfuß ohne Abschied den Rücken. Der +Kellnerin, die alle Hände voll zu tun hatte mit neuen Gästen, raunte +er nur im Vorbeigehen zu: »Komme morgen beizeiten, grüße mir deinen +Liebsten; ich hoffe, daß eure Sache gut geht.« Sie stutzte nur und +hatte weder Zeit noch Fassung, ihm zu danken. + +Geschwinder als gewöhnlich, weil der Auftritt ihm das Blut etwas in +Wallung brachte, ging er vorerst denselben Weg, den er gekommen, bis +an das Glacis, auf welchem er dann langsamer mit einem Umweg, im +weiten Halbkreis um die Wälle wandelte. Ganz mit der Angelegenheit des +armen Liebespaars beschäftigt, durchlief er in Gedanken eine Reihe +seiner Bekannten und Gönner, die auf die eine oder andere Weise in +diesem Fall etwas vermochten. Da indessen, bevor er sich irgend zu +einem Schritt bestimmte, noch nähere Erklärungen von seiten des +Mädchens erforderlich waren, beschloß er, diese ruhig abzuwarten, und +war nunmehr, mit Herz und Sinn den Füßen vorauseilend, bei seiner Frau +zu Hause. + +Mit innerer Gewißheit zählte er auf einen freundlichen, ja fröhlichen +Willkommen, Kuß und Umarmung schon auf der Schwelle, und Sehnsucht +verdoppelte seine Schritte beim Eintritt in das Kärntner Tor. Nicht +weit davon ruft ihn der Postträger an, der ihm ein kleines, doch +gewichtiges Paket übergibt, worauf er eine ehrliche und akkurate Hand +augenblicklich erkennt. Er tritt mit dem Boten, um ihm zu quittieren, +in den nächsten Kaufladen; dann, wieder auf der Straße, kann er sich +nicht bis in sein Haus gedulden; er reibt die Siegel auf, halb gehend, +halb stehend verschlingt er den Brief »Ich saß«, fuhr Madame Mozart +hier in der Erzählung bei den Damen fort, »am Nähtisch, hörte meinen +Mann die Stiege heraufkommen und den Bedienten nach mir fragen. Sein +Tritt und seine Stimme kam mir beherzter, aufgeräumter vor, als ich +erwartete und als mir wahrhaftig angenehm war. Erst ging er auf sein +Zimmer, kam aber gleich herüber. >Guten Abend!< sagt' er; ich, ohne +aufzusehen, erwiderte ihm kleinlaut. Nachdem er die Stube ein paarmal +stillschweigend gemessen, nahm er unter erzwungenem Gähnen die +Fliegenklatsche hinter der Tür, was ihm noch niemals eingefallen +war, und murmelte vor sich hin: >Wo nur die Fliegen gleich wieder +herkommen!< - fing an zu patschen da und dort, und zwar so stark wie +möglich. Dies war ihm stets der unleidlichste Ton, den ich in seiner +Gegenwart nie hören lassen durfte. Hm, dacht ich, daß doch, was man +selber tut, zumal die Männer, ganz etwas anderes ist! Übrigens hatte +ich so viele Fliegen gar nicht wahrgenommen. Sein seltsames Betragen +verdroß mich wirklich sehr. >Sechse auf einen Schlag!< rief er; +>willst du sehen?< - Keine Antwort. - Da legte er mir etwas aufs +Nähkissen hin, daß ich es sehen mußte, ohne ein Auge von meiner Arbeit +zu verwenden. Es war nichts Schlechteres als ein Häufchen Gold, soviel +man Dukaten zwischen zwei Finger nimmt. Er setzte seine Possen hinter +meinem Rücken fort, tat hin und wieder einen Streich und sprach dabei +für sich: >Das fatale, unnütze, schamlose Gezücht! Zu was Zweck es +nur eigentlich auf der Welt ist - patsch! - offenbar bloß, daß mans +totschlage - pitsch - darauf verstehe ich mich einigermaßen, darf ich +behaupten. - Die Naturgeschichte belehrt uns über die erstaunliche +Vermehrung dieser Geschöpfe - pitsch patsch -: in meinem Hause wird +immer sogleich damit aufgeräumt. Ah maledette! disperate! - Hier +wieder ein Stück zwanzig. Magst du sie?< - Er kam und tat wie vorhin. +Hatte ich bisher mit Mühe das Lachen unterdrückt, länger war es +unmöglich, ich platzte heraus, er fiel mir um den Hals, und beide +kicherten und lachten wir um die Wette. + +>Woher kommt dir denn aber das Geld?< frag ich. während daß er den +Rest aus dem Röllelchen schüttelt. - >Vom Fürsten Esterhazy! durch den +Haydn! Lies nur den Brief.< - Ich las: + +>Eisenstadt usw. Teuerster Freund! Seine Durchlaucht, mein gnädigster +Herr, hat mich zu meinem größesten Vergnügen damit betraut, Ihnen +beifolgende sechzig Dukaten zu übermachen. Wir haben letzt Ihre +Quartetten wieder ausgeführt, und Seine Durchlaucht waren solchermaßen +davon eingenommen und befriedigt, als bei dem ersten Mal, vor einem +Vierteljahre, kaum der Fall gewesen. Der Fürst bemerkte mir (ich muß +es wörtlich schreiben): als Mozart Ihnen diese Arbeit dedizierte, hat +er geglaubt, nur Sie zu ehren, doch kanns ihm nichts verschlagen, wenn +ich zugleich ein Kompliment für mich darin erblicke. Sagen Sie ihm, +ich denke von seinem Genie bald so groß wie Sie selbst, und mehr könn +er in Ewigkeit nicht verlangen. - Amen! setz ich hinzu. Sind Sie +zufrieden? + +Postskript. Der lieben Frau ins Ohr: Sorgen Sie gütigst, daß die +Danksagung nicht aufgeschoben werde. Am besten geschäh es persönlich. +Wir müssen so guten Wind fein erhalten.< + +>Du Engelsmann! o himmlische Seele!< rief Mozart ein übers andere Mal, +und es ist schwer zu sagen, was ihn am meisten freute, der Brief oder +des Fürsten Beifall oder das Geld. Was mich betrifft, aufrichtig +gestanden, mir kam das letztere gerade damals höchst gelegen. Wir +feierten noch einen sehr vergnügten Abend. + +Von der Affäre in der Vorstadt erfuhr ich jenen Tag noch nichts, +die folgenden ebensowenig, die ganze nächste Woche verstrich, keine +Kreszenz erschien, und mein Mann, in einem Strudel von Geschäften, +vergaß die Sache bald. Wir hatten an einem Sonnabend Gesellschaft; +Hauptmann Wesselt, Graf Hardegg und andere musizierten. In einer Pause +werde ich hinausgerufen - da war nun die Bescherung! Ich geh hinein +und frage: >Hast du Bestellung in der Alservorstadt auf allerlei +Holzware gemacht?< - >Potz Hagel, ja! Ein Mädchen wird da sein? Laß +sie nur hereinkommen< - So trat sie denn in größter Freundlichkeit, +einen vollen Korb am Arm, mit Rechen und Spaten ins Zimmer, +entschuldigte ihr langes Ausbleiben, sie habe den Namen der Gasse +nicht mehr gewußt und sich erst heut zurechtgefragt. Mozart nahm ihr +die Sachen nacheinander ab, die er sofort mit Selbstzufriedenheit +mir überreichte. Ich ließ mir herzlich dankbar alles und jedes +wohlgefallen, belobte und pries, nur nahm es mich wunder, wozu er das +Gartengeräte gekauft. - >Natürlich<, sagt' er, >für dein Stückchen an +der Wien.< - >Mein Gott, das haben wir ja aber lange abgegeben! weil +uns das Wasser immer so viel Schaden tat und überhaupt gar nichts +dabei herauskam. Ich sagte dirs, du hattest nichts dawider.< - >Was? +Und also die Spargeln, die wir dies Frühjahr speisten...< - >Waren +immer vom Markt.< - >Seht<, sagt' er, >hätt ich das gewußt! Ich lobte +sie dir so aus bloßer Artigkeit, weil du mich wirklich dauerst mit +deiner Gärtnerei; es waren Dingerl wie die Federspulen.< + +Die Herrn belustigte der Spaß überaus; ich mußte einigen sogleich das +Überflüssige zum Andenken lassen. Als aber Mozart nun das Mädchen über +ihr Heiratsanliegen ausforschte, sie ermunterte, hier nur ganz frei +zu sprechen, da das, was man für sie und ihren Liebsten tun würde, in +der Stille, glimpflich und ohne jemandes Anklagen solle ausgerichtet +werden, so äußerte sie sich gleichwohl mit so viel Bescheidenheit, +Vorsicht und Schonung, daß sie alle Anwesenden völlig gewann und man +sie endlich mit den besten Versprechungen entließ. + +>Den Leuten muß geholfen werden!< sagte der Hauptmann. >Die +Innungskniffe sind das wenigste dabei; hier weiß ich einen, der das +bald in Ordnung bringen wird. Es handelt sich um einen Beitrag für das +Haus, Einrichtungskosten und dergleichen. Wie, wenn wir ein Konzert +für Freunde im Trattnerischen Saal mit Entree ad libitum ankündigten?< +Der Gedanke fand lebhaften Anklang. Einer der Herrn ergriff das +Salzfaß und sagte: >Es müßte jemand zur Einleitung einen hübschen +historischen Vortrag tun, Herrn Mozarts Einkauf schildern, seine +menschenfreundliche Absicht erklären, und hier das Prachtgefäß stellt +man auf einem Tisch als Opferbüchse auf, die beiden Rechen als +Dekoration rechts und links dahinter gekreuzt.< + +Dies nun geschah zwar nicht, hingegen das Konzert kam zustande; es +warf ein Erkleckliches ab, verschiedene Beiträge folgten nach, daß das +beglückte Paar noch Überschuß hatte, und auch die andern Hindernisse +waren schnell beseitigt. Duscheks in Prag, unsre genausten Freunde +dort, bei denen wir logieren, vernahmen die Geschichte, und _sie_, +eine gar gemütliche, herzige Frau, verlangte von dem Kram aus +Kuriosität auch etwas zu haben; so legt ich denn das Passendste für +sie zurück und nahm es bei dieser Gelegenheit mit. Da wir inzwischen +unverhofft eine neue liebe Kunstverwandte finden sollten, die nah +daran ist, sich den eigenen Herd einzurichten, und ein Stück gemeinen +Hausrat, welches Mozart ausgewählt, gewißlich nicht verschmähen wird, +will ich mein Mitbringen halbieren, und Sie haben die Wahl zwischen +einem schön durchbrochenen Schokoladequirl und mehrgedachter +Salzbüchse, an welcher sich der Künstler mit einer geschmackvollen +Tulpe verunköstigt hat. Ich würde unbedingt zu diesem Stück raten; +das edle Salz, soviel ich weis, ist ein Symbol der Häuslichkeit und +Gastlichkeit, wozu wir alle guten Wünsche für Sie legen wollen.« + +So weit Madame Mozart. Wie dankbar und wie heiter alles von den Damen +auf- und angenommen wurde, kann man denken. Der Jubel erneuerte sich, +als gleich darauf bei den Männern oben die Gegenstände vorgelegt und +das Muster patriarchalischer Simplizität nun förmlich übergeben ward, +welchem der Oheim in dem Silberschranke seiner nunmehrigen Besitzerin +und ihrer spätesten Nachkommen keinen geringern Platz versprach, als +jenes berühmte Kunstwerk des florentinischen Meisters in der Ambraser +Sammlung einnehme. + +Es war schon fast acht Uhr; man nahm den Tee. Bald aber sah sich unser +Musiker an sein schon am Mittag gegebenes Wort, die Gesellschaft näher +mit dem >Höllenbrand< bekannt zu machen, der unter Schloß und Riegel, +doch zum Glück nicht allzu tief im Reisekoffer lag, dringend erinnert. +Er war ohne Zögern bereit. Die Auseinandersetzung der Fabel des Stücks +hielt nicht lange auf, das Textbuch wurde aufgeschlagen, und schon +brannten die Lichter am Fortepiano. + +Wir wünschten wohl, unsere Leser streifte hier zum wenigsten etwas +von jener eigentümlichen Empfindung an, womit oft schon ein einzeln +abgerissener, aus einem Fenster beim Vorübergehen an unser Ohr +getragener Akkord, der nur von dorther kommen kann, uns wie elektrisch +trifft und wie gebannt festhält; etwas von jener süßen Bangigkeit, +wenn wir in dem Theater, solange das Orchester stimmt, dem Vorhang +gegenübersitzen. Oder ist es nicht so? Wenn auf der Schwelle jedes +erhabenen tragischen Kunstwerks, es heiße >Macbeth<, >Ödipus< oder +wie sonst, ein Schauer der ewigen Schönheit schwebt, wo träfe dies +in höherem, auch nur in gleichem Maße zu als eben hier? Der Mensch +verlangt und scheut zugleich, aus seinem gewöhnlichen Selbst +vertrieben zu werden, er fühlt, das Unendliche wird ihn berühren, +das seine Brust zusammenzieht, indem es sie ausdehnen und den Geist +gewaltsam an sich reißen will. Die Ehrfurcht vor der vollendeten Kunst +tritt hinzu; der Gedanke, ein göttliches Wunder genießen, es als ein +Verwandtes in sich aufnehmen zu dürfen, zu können, führt eine Art +von Rührung, ja von Stolz mit sich, vielleicht den glücklichsten und +reinsten, dessen wir fähig sind. + +Unsre Gesellschaft aber hatte damit, daß sie ein uns von Jugend auf +völlig zu eigen gewordenes Werk jetzt erstmals kennen lernen sollte, +einen von unserem Verhältnis unendlich verschiedenen Stand, und, wenn +man das beneidenswerte Glück der persönlichen Vermittlung durch den +Urheber abrechnet, bei weitem nicht den günstigen wie wir, da eine +reine und vollkommene Auffassung eigentlich niemand möglich war, auch +in mehr als einem Betracht selbst dann nicht möglich gewesen sein +würde, wenn das Ganze unverkürzt hätte mitgeteilt werden können. + +Von achtzehn fertig ausgearbeiteten Nummern* gab der Komponist +vermutlich nicht die Hälfte; (wir finden in dem unserer Darstellung +zugrunde liegenden Bericht nur das letzte Stück dieser Reihe, das +Sextett, ausdrücklich angeführt) - er gab sie meistens, wie es +scheint, in einem freien Auszug, bloß auf dem Klavier, und sang +stellenweise darein, wie es kam und sich schickte. Von der Frau ist +gleichfalls nur bemerkt, daß sie zwei Arien vorgetragen habe. Wir +möchten uns, da ihre Stimme so stark als lieblich gewesen sein soll, +die erste der Donna Anna (>Du kennst den Verräter<) und eine von den +beiden der Zerline dabei denken. + +* Bei dieser Zählung ist zu wissen, daß Elviras Arie mit dem Rezitativ + und Leporellos >Habs verstanden< nicht ursprünglich in der Oper + enthalten gewesen. + +Genau genommen waren, dem Geist, der Einsicht, dem Geschmacke nach, +Eugenie und ihr Verlobter die einzigen Zuhörer, wie der Meister sie +sich wünschen mußte, und jene war es sicher ungleich mehr als dieser. +Sie saßen beide tief im Grunde des Zimmers; das Fräulein regungslos, +wie eine Bildsäule, und in die Sache aufgelöst auf einen solchen Grad, +daß sie auch in den kurzen Zwischenräumen, wo sich die Teilnahme der +übrigen bescheiden äußerte oder die innere Bewegung sich unwillkürlich +mit einem Ausruf der Bewunderung Luft machte, die von dem Bräutigam an +sie gerichteten Worte immer nur ungenügend zu erwidern vermochte. + +Als Mozart mit dem überschwenglich schönen Sextett geschlossen hatte +und nach und nach ein Gespräch aufkam, schien er vornehmlich einzelne +Bemerkungen des Barons mit Interesse und Wohlgefallen aufzunehmen. Es +wurde vom Schlusse der Oper die Rede sowie von der vorläufig auf den +Anfang Novembers anberaumten Aufführung, und da jemand meinte, gewisse +Teile des Finale möchten noch eine Riesenaufgabe sein, so lächelte der +Meister mit einiger Zurückhaltung; Konstanze aber sagte zu der Gräfin +hin, daß er es hören mußte: »Er hat noch was in petto, womit er geheim +tut, auch vor mir.« + +»Du fällst«, versetzte er, »aus deiner Rolle, Schatz, daß du das jetzt +zur Sprache bringst; wenn ich nun Lust bekäme, von neuem anzufangen? +Und in der Tat, es juckt mich schon.« + +»Leporello!« rief der Graf, lustig aufspringend, und winkte einem +Diener: »Wein! Sillery, drei Flaschen!« + +»Nicht doch! damit ist es vorbei - mein Junker hat sein Letztes im +Glase.« + +»Wohl bekomms ihm - und jedem das Seine!« + +»Mein Gott, was hab ich da gemacht!« lamentierte Konstanze, mit einem +Blick auf die Uhr, »gleich ist es elfe, und morgen früh solls fort - +wie wird das gehen?« + +»Es geht halt gar nicht, Beste! nur schlechterdings gar nicht.« + +»Manchmal«, fing Mozart an, »kann sich doch ein Ding sonderbar fügen. +Was wird denn meine Stanzl sagen, wenn sie erfährt, daß eben das Stück +Arbeit, was sie nun hören soll, um eben diese Stunde in der Nacht, und +zwar gleichfalls vor einer angesetzten Reise, zur Welt geboren ist?« + +»Wärs möglich? Wann? Gewiß vor drei Wochen, wie du nach Eisenstadt +wolltest!« + +»Getroffen! Und das begab sich so. Ich kam nach zehne, du schliefst +schon fest, von Richters Essen heim und wollte versprochenermaßen +auch bälder zu Bett, um morgens beizeiten heraus und in den Wagen zu +steigen. Inzwischen hatte Veit, wie gewöhnlich, die Lichter auf dem +Schreibtisch angezündet, ich zog mechanisch den Schlafrock an, und +fiel mir ein, geschwind mein letztes Pensum noch einmal anzusehen. +Allein, o Mißgeschick! verwünschte, ganz unzeitige Geschäftigkeit der +Weiber! du hattest aufgeräumt, die Noten eingepackt die mußten nämlich +mit: der Fürst verlangte eine Probe von dem Opus; - ich suchte, +brummte, schalt, umsonst! Darüber fällt mein Blick auf ein +versiegeltes Kuvert: vom Abbate, den greulichen Haken nach auf der +Adresse - ja wahrlich! und schickt mir den umgearbeiteten Rest seines +Textes, den ich vor Monatsfrist noch nicht zu sehen hoffte. Sogleich +sitz ich begierig hin und lese und bin entzückt, wie gut der Kauz +verstand, was ich wollte. Es war alles weit simpler, gedrängter und +reicher zugleich. Sowohl die Kirchhofsszene wie das Finale, bis zum +Untergang des Helden, hat in jedem Betracht sehr gewonnen. (Du sollst +mir aber auch, dacht ich, vortrefflicher Poet, Himmel und Hölle nicht +unbedankt zum zweiten Mal beschworen haben!) Nun ist es sonst meine +Gewohnheit nicht, in der Komposition etwas vorauszunehmen, und wenn +es noch so lockend wäre; das bleibt eine Unart, die sich sehr übel +bestrafen kann. Doch gibt es Ausnahmen, und kurz, der Auftritt bei +der Reiterstatue des Gouverneurs, die Drohung, die vom Grabe des +Erschlagenen her urplötzlich das Gelächter des Nachtschwärmers +haarsträubend unterbricht, war mir bereits in die Krone gefahren. +Ich griff einen Akkord und fühlte, ich hatte an der rechten Pforte +angeklopft, dahinter schon die ganze Legion von Schrecken beieinander +liege, die im Finale loszulassen sind. So kam fürs erste ein Adagio +heraus: d-moll, vier Takte nur, darauf ein zweiter Satz mit fünfen - +es wird, bild ich mir ein, auf dem Theater etwas Ungewöhnliches geben, +wo die stärksten Blasinstrumente die Stimme begleiten. Einstweilen +hören Sie's, so gut es sich hier machen läßt.« + +Er löschte ohne weiteres die Kerzen der beiden neben ihm stehenden +Armleuchter aus, und jener furchtbare Choral: >Dein Lachen endet vor +der Morgenröte!< erklang durch die Totenstille des Zimmers. Wie von +entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen, +eiskalt, Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue +Nacht. + +>Wer ist hier? Antwort!< hört man Don Juan fragen. Da hebt es wieder +an, eintönig wie zuvor, und gebietet dem ruchlosen Jüngling, die Toten +in Ruhe zu lassen. + +Nachdem diese dröhnenden Klänge bis auf die letzte Schwingung in +der Luft verhallt waren, fuhr Mozart fort: »Jetzt gab es für mich +begreiflicherweise kein Aufhören mehr. Wenn erst das Eis einmal an +einer Uferstelle bricht, gleich kracht der ganze See und klingt bis an +den entferntesten Winkel hinunter. Ich ergriff unwillkürlich denselben +Faden weiter unten bei Don Juans Nachtmahl wieder, wo Donna Elvira +sich eben entfernt hat und das Gespenst, der Einladung gemäß, +erscheint. - Hören Sie an.« + +Es folgte nun der ganze lange, entsetzenvolle Dialog, durch welchen +auch der Nüchternste bis an die Grenze menschlichen Vorstellens, ja +über sie hinaus gerissen wird, wo wir das Übersinnliche schauen und +hören und innerhalb der eigenen Brust von einem Äußersten zum andern +willenlos uns hin und her geschleudert fühlen. + +Menschlichen Sprachen schon entfremdet, bequemt sich das unsterbliche +Organ des Abgeschiedenen, noch einmal zu reden. Bald nach der ersten +fürchterlichen Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene +irdische Nahrung verschmäht, wie seltsam schauerlich wandelt seine +Stimme auf den Sprossen einer luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und +nieder! Er fordert schleunigen Entschluß zur Buße: kurz ist dem Geist +die Zeit gemessen; weit, weit, weit ist der Weg! Und wenn nun Don +Juan, im ungeheuren Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter +dem wachsenden Andrang der höllischen Mächte, ratlos ringt, sich +sträubt und windet und endlich untergeht, noch mit dem vollen Ausdruck +der Erhabenheit in jeder Gebärde - wem zitterten nicht Herz und Nieren +vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man +das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines +herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam +Partei für diese blinde Größe und teilen knirschend ihren Schmerz im +reißenden Verlauf ihrer Selbstvernichtung. + +Der Komponist war am Ziele. Eine Zeit lang wagte niemand, das +allgemeine Schweigen zuerst zu brechen. »Geben Sie uns«, fing endlich, +mit noch beklemmtem Atem, die Gräfin an, »geben Sie uns, ich bitte +Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in jener Nacht die Feder +weglegten!« + +Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert, helle zu ihr +auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner +Frau: »Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies +verzweifelte Dibattimento bis zu dem Chor der Geister, in einer Hitze +fort, beim offenen Fenster, zu Ende geschrieben und stand nach einer +kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Kabinett zu gehen, +damit wir noch ein bißchen plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da +machte ein überquerer Gedanke mich mitten im Zimmer still stehen.« +(Hier sah er zwei Sekunden lang zu Boden, und sein Ton verriet beim +Folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) »Ich sagte zu mir selbst: wenn +du noch diese Nacht wegstürbest und müßtest deine Partitur an diesem +Punkt verlassen: ob dirs auch Ruh im Grabe ließ'? - Mein Auge hing am +Docht des Lichts in meiner Hand und auf den Bergen von abgetropftem +Wachs. Ein Schmerz bei dieser Vorstellung durchzückte mich einen +Moment; dann dacht ich weiter: wenn denn hernach über kurz oder lang +ein anderer, vielleicht gar so ein Welscher, die Oper zu vollenden +bekäme und fände von der Introduktion bis Numero siebzehn, mit +Ausnahme _einer_ Piece, alles sauber beisammen, lauter gesunde, reife +Früchte ins hohe Gras geschüttelt, daß er sie nur auflesen dürfte; +ihm graute aber doch ein wenig hier vor der Mitte des Finale, und er +fände alsdann unverhofft den tüchtigen Felsbrocken da insoweit schon +beiseite gebracht: er möchte drum nicht übel in das Fäustchen lachen! +Vielleicht wär er versucht, mich um die Ehre zu betrügen. Er sollte +aber wohl die Finger dran verbrennen; da wär noch immerhin ein +Häuflein guter Freunde, die meinen Stempel kennen und mir, was mein +ist, redlich sichern würden. - Nun ging ich, dankte Gott mit einem +vollen Blick hinauf und dankte, liebes Weibchen, deinem Genius, der +dir solange seine beiden Hände sanft über die Stirne gehalten, daß +du fortschliefst wie eine Ratze und mich kein einzig Mal anrufen +konntest. Wie ich dann aber endlich kam und du mich um die Uhr +befrugst, log ich dich frischweg ein paar Stunden jünger, als du +warst, denn es ging stark auf viere. Und nun wirst du begreifen, warum +du mich um sechse nicht aus den Federn brachtest, der Kutscher wieder +heimgeschickt und auf den andern Tag bestellt werden mußte.« + +»Natürlich!« versetzte Konstanze, »nur bilde sich der schlaue Mann +nicht ein, man sei so dumm gewesen, nichts zu merken! Deswegen +brauchtest du mir deinen schönen Vorsprung fürwahr nicht zu +verheimlichen!« + +»Auch war es nicht deshalb.« + +»Weiß schon - du wolltest deinen Schatz vorerst noch unbeschrien +haben.« + +»Mich freut nur«, rief der gutmütige Wirt, »daß wir morgen nicht nötig +haben, ein edles Wiener Kutscherherz zu kränken, wenn Herr Mozart +partout nicht aufstehen kann. Die Ordre >Hans, spann wieder aus!< tut +jederzeit sehr weh.« + +Diese indirekte Bitte um längeres Bleiben, mit der sich die übrigen +Stimmen im herzlichsten Zuspruch verbanden, gab den Reisenden Anlaß zu +Auseinandersetzung sehr triftiger Gründe dagegen; doch verglich man +sich gerne dahin, daß nicht zu zeitig aufgebrochen und noch vergnügt +zusammen gefrühstückt werden solle. + +Man stand und drehte sich noch eine Zeit lang in Gruppen schwatzend +umeinander. Mozart sah sich nach jemandem um, augenscheinlich nach +der Braut; da sie jedoch gerade nicht zugegen war, so richtete er +naiverweise die ihr bestimmte Frage unmittelbar an die ihm nahe +stehende Franziska: »Was denken Sie denn nun im ganzen von unserm >Don +Giovanni<? Was können Sie ihm Gutes prophezeien?« + +»Ich will«, versetzte sie mit Lachen, »im Namen meiner Base so gut +antworten, als ich kann: Meine einfältige Meinung ist, daß, wenn >Don +Giovanni< nicht aller Welt den Kopf verrückt, so schlägt der liebe +Gott seinen Musikkasten gar zu, auf unbestimmte Zeit, heißt das, und +gibt der Menschheit zu verstehen...« - »Und gibt der Menschheit«, fiel +der Onkel verbessernd ein, »den Dudelsack in die Hand und verstocket +die Herzen der Leute, daß sie anbeten Baalim.« + +»Behüt uns Gott!« lachte Mozart. »Je nun, im Lauf der nächsten +sechzig, siebzig Jahre, nachdem ich lang fort bin, wird mancher +falsche Prophet aufstehen.« + +Eugenie trat mit dem Baron und Max herbei, die Unterhaltung hob sich +unversehens auf ein neues, ward nochmals ernsthaft und bedeutend, so +daß der Komponist, eh die Gesellschaft auseinanderging, sich noch gar +mancher schönen, bezeichnenden Äußerung erfreute, die seiner Hoffnung +schmeichelte. + +Erst lange nach Mitternacht trennte man sich; keines empfand bis +jetzt, wie sehr es der Ruhe bedurfte. + +Den andern Tag (das Wetter gab dem gestrigen nichts nach) um zehn Uhr +sah man einen hübschen Reisewagen, mit den Effekten beider Wiener +Gäste bepackt, im Schloßhof stehen. Der Graf stand mit Mozart davor, +kurz ehe die Pferde herausgeführt wurden, und fragte, wie er ihm +gefalle. + +»Sehr gut; er scheint äußerst bequem.« + +»Wohlan, so machen Sie mir das Vergnügen und behalten Sie ihn zu +meinem Andenken.« + +»Wie? ist das Ernst?« + +»Was wär es sonst?« + +»Heiliger Sixtus und Calixtus - Konstanze! du!« rief er zum Fenster +hinauf, wo sie mit den andern heraussah. »Der Wagen soll mein sein! Du +fährst künftig in deinem eigenen Wagen!« + +Er umarmte den schmunzelnden Geber, betrachtete und umging sein neues +Besitztum von allen Seiten, öffnete den Schlag, warf sich hinein und +rief heraus: »Ich dünke mich so vornehm und so reich wie Ritter Gluck! +Was werden sie in Wien für Augen machen!« + +- »Ich hoffe«, sagte die Gräfin, »Ihr Fuhrwerk wiederzusehn bei der +Rückkehr von Prag, mit Kränzen um und um behangen!« + +Nicht lang nach diesem letzten fröhlichen Auftritt setzte sich der +vielgelobte Wagen mit dem scheidenden Paare wirklich in Bewegung und +fuhr im raschen Trab nach der Landstraße zu. Der Graf ließ sie bis +Wittingau fahren, wo Postpferde genommen werden sollten. + +Wenn gute, vortreffliche Menschen durch ihre Gegenwart vorübergehend +unser Haus belebten, durch ihren frischen Geistesodem auch unser +Wesen in neuen raschen Schwung versetzten und uns den Segen der +Gastfreundschaft in vollem Maße zu empfinden gaben, so läßt ihr +Abschied immer eine unbehagliche Stockung, zum mindesten für den Rest +des Tags, bei uns zurück, wofern wir wieder ganz nur auf uns selber +angewiesen sind. + +Bei unsern Schloßbewohnern traf wenigstens das letztere nicht zu. +Franziskas Eltern nebst der alten Tante fuhren zwar alsbald auch weg; +die Freundin selbst indes, der Bräutigam, Max ohnehin, verblieben +noch. Eugenien, von welcher vorzugsweise hier die Rede ist, weil sie +das unschätzbare Erlebnis tiefer als alle ergriff, ihr, sollte man +denken, konnte nichts fehlen, nichts genommen oder getrübt sein; ihr +reines Glück in dem wahrhaft geliebten Mann, das erst soeben seine +förmliche Bestätigung erhielt, mußte alles andre verschlingen, +vielmehr, das Edelste und Schönste, wovon ihr Herz bewegt sein konnte, +mußte sich notwendig mit jener seligen Fülle in eines verschmelzen. +So wäre es auch wohl gekommen, hätte sie gestern und heute der bloßen +Gegenwart, jetzt nur dem reinen Nachgenuß derselben leben können. +Allein am Abend schon, bei den Erzählungen der Frau, war sie von +leiser Furcht für ihn, an dessen liebenswertem Bild sie sich ergötzte, +geheim beschlichen worden; diese Ahnung wirkte nachher, die ganze +Zeit, als Mozart spielte, hinter allem unsäglichen Reiz, durch +alle das geheimnisvolle Grauen der Musik hindurch, im Grund ihres +Bewußtseins fort, und endlich überraschte, erschütterte sie das, was +er selbst in der nämlichen Richtung gelegentlich von sich erzählte. +Es ward ihr so gewiß, so ganz gewiß, daß dieser Mann sich schnell +und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, daß er nur eine +flüchtige Erscheinung auf der Erde sein könne, weil sie den Überfluß, +den er verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge. + +Dies, neben vielem andern, ging, nachdem sie sich gestern +niedergelegt, in ihrem Busen auf und ab, während der Nachhall >Don +Juans< verworren noch lange fort ihr inneres Gehör einnahm. Erst gegen +Tag schlief sie ermüdet ein. + +Die drei Damen hatten sich nunmehr mit ihren Arbeiten in den Garten +gesetzt, die Männer leisteten ihnen Gesellschaft, und da das Gespräch +natürlich zunächst nur Mozart betraf, so verschwieg auch Eugenie ihre +Befürchtungen nicht. Keins wollte dieselben im mindesten teilen, +wiewohl der Baron sie vollkommen begriff. Zur guten Stunde, in +recht menschlich reiner, dankbarer Stimmung pflegt man sich jeder +Unglücksidee, die einen gerade nicht unmittelbar angeht, aus allen +Kräften zu erwehren. Die sprechendsten, lachendsten Gegenbeweise +wurden, besonders vom Oheim, vorgebracht, und wie gerne hörte nicht +Eugenie alles an! Es fehlte nicht viel, so glaubte sie wirklich, zu +schwarz gesehen zu haben. + +Einige Augenblicke später, als sie durchs große Zimmer oben ging, das +eben gereinigt und wieder in Ordnung gebracht worden war und dessen +vorgezogene, gründamastene Fenstergardinen nur ein sanftes Dämmerlicht +zuließen, stand sie wehmütig vor dem Klaviere still. Durchaus war +es ihr wie ein Traum, zu denken, wer noch vor wenigen Stunden +davorgesessen habe. Lang blickte sie gedankenvoll die Tasten an, die +er zuletzt berührt, dann drückte sie leise den Deckel zu und zog den +Schlüssel ab, in eifersüchtiger Sorge, daß so bald keine andere Hand +wieder öffne. Im Weggehn stellte sie beiläufig einige Liederhefte an +ihren Ort zurück; es fiel ein älteres Blatt heraus, die Abschrift +eines böhmischen Volksliedchens, das Franziska früher, auch wohl +sie selbst, manchmal gesungen. Sie nahm es auf, nicht ohne darüber +betreten zu sein. In einer Stimmung wie die ihrige wird der +natürlichste Zufall leicht zum Orakel. Wie sie es aber auch verstehen +wollte, der Inhalt war derart, daß ihr, indem sie die einfachen Verse +wieder durchlas, heiße Tränen entfielen. + + Ein Tännlein grünet wo, + Wer weiß, im Walde; + Ein Rosenstrauch, wer sagt, + In welchem Garten? + + Sie sind erlesen schon, + Denk es, o Seele, + Auf deinem Grab zu wurzeln + Und zu wachsen. + + Zwei schwarze Rößlein weiden + Auf der Wiese, + Sie kehren heim zur Stadt + In muntern Sprüngen. + + Sie werden schrittweis gehn + Mit deiner Leiche; + Vielleicht, vielleicht noch eh + An ihren Hufen + Das Eisen los wird, + Das ich blitzen sehe! + + + + + +End of Project Gutenberg's Mozart auf der Reise nach Prag, by Eduard Morike + +*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MOZART AUF DER REISE NACH PRAG *** + +This file should be named 7503-8.txt or 7503-8.zip + +Produced by Gunther Olesch and Andrew Sly + +Project Gutenberg eBooks are often created from several printed +editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US +unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not +keep eBooks in compliance with any particular paper edition. + +We are now trying to release all our eBooks one year in advance +of the official release dates, leaving time for better editing. +Please be encouraged to tell us about any error or corrections, +even years after the official publication date. + +Please note neither this listing nor its contents are final til +midnight of the last day of the month of any such announcement. +The official release date of all Project Gutenberg eBooks is at +Midnight, Central Time, of the last day of the stated month. A +preliminary version may often be posted for suggestion, comment +and editing by those who wish to do so. + +Most people start at our Web sites at: +https://gutenberg.org or +http://promo.net/pg + +These Web sites include award-winning information about Project +Gutenberg, including how to donate, how to help produce our new +eBooks, and how to subscribe to our email newsletter (free!). + + +Those of you who want to download any eBook before announcement +can get to them as follows, and just download by date. This is +also a good way to get them instantly upon announcement, as the +indexes our cataloguers produce obviously take a while after an +announcement goes out in the Project Gutenberg Newsletter. + +http://www.ibiblio.org/gutenberg/etext03 or +ftp://ftp.ibiblio.org/pub/docs/books/gutenberg/etext03 + +Or /etext02, 01, 00, 99, 98, 97, 96, 95, 94, 93, 92, 92, 91 or 90 + +Just search by the first five letters of the filename you want, +as it appears in our Newsletters. + + +Information about Project Gutenberg (one page) + +We produce about two million dollars for each hour we work. The +time it takes us, a rather conservative estimate, is fifty hours +to get any eBook selected, entered, proofread, edited, copyright +searched and analyzed, the copyright letters written, etc. Our +projected audience is one hundred million readers. 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